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Full text of "Heimgarten"

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Heimgarten 


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Eine Monatsfärift \ 


gegründet und geleitet von 






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Stationen meiner Lebenspilgerfhaft. Bon Robert Hamerling. (Forlfegung . 1 


Zwei Mägdlein und ein Auab, Dorfgefhicdhte von P. K. Rofeager .-... 12 
Die Gaiferburg. Eine Rittergefhichte aus der Vorzeit von Hans Maljer .. 18 
Mein Freund Franz, Aufzeihnung eines PBrieflerts . 2 2 0 2 2 nen 29 
Am Grabe eines Ddenlihen. Gedicht von R. » >»: 2 nn nen 36 
SEE EEE 37 
Schlumpetliedeln oder wie der Doigtländer feine Liebe ind - »- » » 2 2220. 44 
Am Baume des Schwaben. Eine Wanderung in der Heimat von P. KH. Rojegger 47 
Die Thiermarter im Yogelbaner. Bon Dr. I. B. Holzinger . .. 2... 52 
Aus dem Tagebuche eines Aunfjüngers. Bon M. Blod .». . » 2:2: 22mm. 55 
Die erſte Schwalbe in Gefterreih. Bon B. K. Nofegger » >: 2220 en 63 
Baernblume; Bon Bayıert Bamerling:: : : Su 32 7 880 8 82 2 66 
Mleine Enube. 





Zuitgt 003 15:4 Die eb, 67 
Den Manen Ferdinand Raimund's. Bon Ludwig Unzgengruber ..... 67 
Der Thurmbeld. Eine Gefhichte aus der Gegenwart von J. Bernhard .... 68 
m: Erler. Benile 713 
Mein Herz, das farb in diefer Nacht. Gedicht von U. 3. - 2 2 22 20. 63 
Das größte Leid. Ein Märden von Emil Eril. »-. »- 2» - 2: 222 220. 74 
Dia der Odam 5 Vodrunjabetn hot glemt. . » - 22 2 2 nenn 75 
76 
Poſtlarten des Heimgarien . » » 22 200 ea ae A 79 





Erfte und größte 


Mufikinftrumenten- und Saitenfabrik 
Horm. Trapp in Neukirchen bel Eger 
empfiehlt feine als unübertrefflich bezeichneten Diolinen 
bei voller Garantie, jowie Eellos, Contrabüſſe, Zithern 
mit ganz reinem Griffbrette, rein ſtimmende Klarineiten, 
Flöten und Prima » Meffinginfrumente. Anerkennung: 
ſchreiben von bedeutenden Mufifautoritäten zahlreich. In 
biefiger Gegend ift die Inftrumenten: und Eaitenfabris 
cation Hausinduftrie und Ichen da taufende Arbeiter 
ausichlieklid von der Erzeugung aller Gattungen vor: 
züglicher Mufitim” ste und Saiten, weshalb aud 
bier die Dirr- d billiafte Bezugsquelle ift. 
Mufr, Fır“ Beyaralaren ſchnell und ladellos. 


ERS, 00 in 
Eiaflopadır 30, 


Tal⸗ 44 des Willens a 


E12 777 sche ın Eripyig 






















Eine Monatsfchrift 


gegründet und geleitet 


von 


R- KR. Rofleygger. 


XI. Jahrgang. 





GBrn:. 


Drud und Derlag von „Cevfam*. 


1887. 


Digitized by Google 
en 


Inhalts: Bexzeichnis 


& Heimgarten, X. Jahrgang. 


Novellen und Erzählungen. Scite 
Zwei Mägdlein und ein Knab. Dorfgeihichte von P. KH. Rojegger. . .. . 12 
Die Baiherburg. Eine Rittergeihichte aus der Vorzeit von Hans Maljer. . 18 
Mein Freund Franz. Aufzeihnung eines Prieftert . . 2 2 2 nn une 29 
Der Thurmheld. Eine Geichicdhte aus der Gegenwart von Y. Bernhard . . . 68 
Zwei Stüdlein aus dem Handwerferleben. Yon PB. K. Rofegger ..»... .» 81 
Gine moraliihe Erzählung. Aus berühmten Schriften mitgetheilt von 9. M. . 100 
Die Reiſe nah Bethlehem. Ein Weihnachtsgruß von PB. K. Nofjegger . . . 161 
Die rothe Evi. Dorfgeihichte von Friedrih Nottenbader. ..... - 170 
Ter Schmied von Kodel. Ein Weihnachtsbild aus der Geihichte von R. . . 181 

Jakob der Letzte. Eine Waldbauerngeihichte aus unjeren Tagen. Von P. K. 
ROTE. 241, 321, 412, 481, 572, 641, 721 
Irrlicht,. Stizze von Hans Fraungruber .. : 2: 2 2 ernennen 255 
Ter junge Vollsſchullehrer. Eine Erzählung aus dem Leben von R....- 260 
Wer zahlt den Hammel, Eine Shmugglergeihichte von Friedrih Rottenbader 9336 
Der Küſter am Kreuze, Eine Geihichte aus Sanct Jalob von P. K. Rojegger 349 

Auf einem Dade. Bon Neera. Aus dem Italieniichen übertragen von Moriß 
2.131 Per Eee ae Er en Br Ara 426 
Das große H. Skizze von Paul Undor. ... 2: 222er 496 
Gmanzipierte unter fih. Qumoresfe von Mar von Weifentburn ... . 585 
! Drei Mittagejjen. Eine Heiratsgeihichte von Karl Staudad. ......- 593 
; Auf der Gant. Aus dem tiroliihen Bauernleben von Jojef Bayer . . . 655 
i Eo geht's auf der Welt. Eine Begegnung im Drienizug von Hans Malfer 659 
Ein Reifeabenteuer. Erinnerung aus den Bergen von Tirol, Von J. Haas . 703 
r Räthſel des Herzens, Aus den Erinnerungen eines jungen Witwerd. . . . . 139 
Beitrafte Bauernihlauheit. Fine lehrreihe Geihichte. - = -» = 2 nen en 744 
. Auf Räubercommando. Novelle von Paul Maria Lacroma. . . 751, 817, 902 
5 Ferdinand, der Dieb. Eine Geſchichte von Goethe. » 2» 2: 2 2 0 en un 806 
; Wo Barthel den Moft holt. Bon P. K. Rofegger. ... 824 
| Der Grünberger Thomas und jeine Brüder. Skizze von Jordan Kaj. Markus 845 
Der Franzofenbauer, Eine Geihidhte von P. KH. Rojegger : ».- 22.20. 893 

Wunderlihe Heilige. Aus mythiſchem Dunkel in's profane Licht geftellt von 
DER RRHETL 25 8 a ae ee nie 924 

Alpines und Bolksthümliches aus den Alpen. 

Eommertage im Waldland. Bon B. KH. Roſegger -. : : 22 22mm. 37 
Am Saume des Schwaben. Eine Wanderung in der Heimat von P. K. Nojegger 47 
3 Zwegn wos ih af d Olm geb. Von R.. ne 67 
C Wia der Odam 3 Vodrunjabetn hot glernt... 75 


0 : ; 169506 
——— an" 





IV 


Eeite 
Hoclands:Lieder. Gedichte von Nobert Burns, in die Alpenmundart überjegt 
WET a rw 135, 736 
's Müatterl. Gedicht von Hans Grasberger . 2. Hm 146 
Ein EEE IRRE 7 ee Er a en 188 
DIE DEREN: 4.3.15: 20 ae een 227 
U bifferl was. In öfterreihiicher Mundart. Bon Mori; Shaded .... 232 
Der Menſch in den Alpen. Von Dr. Friedrihd Umlauft - . 22 22.2. 270 
Die Gſchicht vom Stanglpuger, Bauern-Mähr, im niederöfterr. Gebirgs:Dialect 
erzählt von Ed. 3. Fennthaller „vun a a 294 
A wiſſenſchäftliches Geſpräch in da ſteiriſchn Gmoaniproh - ». » 22... 310 
ESteiriihe Eifenhämmer. Eine Erinnerung von P. K. Rojegger ...... 448 
D’ Hölfn:Ongf. A Stüdl aus n Qullslebn . 2 2 2 2 m nennen 455 
Der Funlken-Ferl. Eine Sondergeftalt aus dem Volle von P. K. Rofegger . 508 
Politik im Bauernhaufe. Aus dem Vollsleben mitgetheilt von R.. ... . . 526 
Da Vierfreuzabogn. U Moans Gihichtl in da Gmoaniprod . . » 2.2... 535 
Die ihen Stund. Gedicht in oberöfterreihiiher Mundart von Friedr. Franz 
BREITE. a a N a ee ee a Aa 553 
DE 2 a en . .. 555 
Der Maibaum. Ein Bild aus dem ſteiriſchen Vollsleben von R.. 601 
Neue Lieder und Gedichte in oberöſterr. Mundart von Leopold Hörmann. 631 
Unjere Alpen: ®Wirtshäufer. Bon 3. K. Leder.» 2: 2 2 2 nn 686 
Das Landleben hat Gott ’geben, jo heiter und froh! Bilder aus dem Volfe von 
nn R NReſeggee — 691 
Schnadin. Luſtigi Gſchichtln und BildIn in ſteiriſcha Gmoanſproch .. — 699 
Von Mon, der koan Prozeß hobn will. Aus dem Platten des Fritz Reuter 
in's Steiriſche Ubertrageennnnn. ae 779 
Da Simer in Kreuz. MBericht aus oltn Zeitn in der ſteiriſchn Gmoanſproch von 
ERBE a a ee res 801 
Der Herr von Sonnwendftein von R.. - - 2 22 er rennen. s5l 
Was ein Gebirgsbauer ſchreibt.. 860 
Wieder gſund worn! Ein Andenken von Karl Morre . » 2.2 222m. 862 


Zwiſchen den Wänden. Slizze aus dem ſteiriſchen Oberlande von R.... . 937 
Der Teufel im Salzburgerland. Ein Beitrag zur Seelenkunde des Volkes von 
— ya ae te a ee 940 


Eultur: und Naturgeſchichtliches, Eſſais, Plaudereien. 
Stationen meiner Lebenspilgeridaft. Yon Robert Hamerling 1, 87, 401, 561, 881 


Die Thiermarter im Bogelbauer. Bon Dr. 3. B. Holzinger. . . 2... - 52 
Aus dem Hochdeutſchen in's Deutſche überjegt. Eine Spradhplauderii . . - - 115 
Die Schildfröte, Eine Erinnerung aus dem Leben meiner Kinder, Bon P. K. 
Balesser-: 4. a ae een 131 
Betrachtungen über den Philofophen vom Primesberge. Bon Wilhelm Taſchelt 147 
Ueber die ethiihe Aufgabe der Hauptvölfer Europa » 2: nennen 199 
Belenntniffe aus meinem MWeltleben. Bon BP. K. Rojegger . .....- 219, 613 
Drei Haupturfachen, warum fich heutzutage die Zahl der Verbreden fteigert . 224 
Bits un ta en ee een 230 
Ein Gapitel über den Hochmuth. Nah Eduard KReih - ». » : 22.20. 279 
Bine Verabrebist 2 0a u 282 
Briefe über die Ehe. Bon Raymund Mayr... 2. 22 20mm 239, 362 


Wintertage in der Stadt. Bon R. » . 2»: 2 2 nennen 301 


— ⸗** 





Wie weit darf der Nationalismus gehen? Brief eines Vaters an ſeinen Sohn 459 
Wie der Men i 


Die drei Mareien, Eine mythologiſche Unterhaltung von Th. Vernaleken 537 


und feine Jungen 








Ein Goncert im Pofiwagen. Bon Karl Neumann: Strela . . ». 2.2... 632 
YJugenderinnerungen an Rudol 





Die PBarafiten zu Athen und Rom. Eine fteis zeitgemäße Erinnerung von Johann 
EEE EEE TE EEE EEE DE DELETED EEE N 





Sohann Häfenpfeijer. Eine Geftalt aus modernen Tagen von Hans Maljer. 841 
Unfer eter. Eine Charalterſtizze aus der Vogelwelt von 3. Huihafl. . .. 848 
i Wien. Bon P. K. Roſe 





Unſeres Schillers Schweſter Nanette. Eine Slizze von Neumann:Strela . 913 
Staatshülfe für die deutjche Sprade ? Von Auguſt Mühlhauſen in Hamburg 919 


Berftändigung zwiſchen einem geiftlihen und einem weltlihen Chriſten. . . . 945 


Zand und Zeute, Eharakterbilder. 
Schlumperliedeln oder wie der Voigtländer jeine Liebe fingt . » 2... - 44 
Londoner Sommertage. Sklizzen und Plaudereien von Rudolf Kleinede 124, 204 
Unjer „Weinfafien*. Eine Jugend:Erinnerung von Ed. Ig. Freunthaller. 14 





Gin Brief aus wilder Fremde» 2 200 nn 150 
Herr Mader. Ein Porträt nah dem Leben gezeichnet von J. 9. Wehle . . 303 
Amerikaniſche Eigenheite.. 306 
„A G'raff.“ Ein Vollsbild aus dem Böhmerwalde. Bon Joh. Peter. . . . 990 
Wenn einer ‚Michel“ heit. Don M. Glok..... 463 


Z orfrichter und Pope. Ein Eulturbild aus dem Tften von Ferdinand Edif: 
BEN 2 en ee a ri ee ne ec 501 





VI 


Seite 
Der Schnigelbauer. Eine Erinnerung an den „glüdlihften Mann von Graz" . 532 
Im_fonnigen Süden. Eine landſchaftliche Skizze von der Adria. Bon R. . . 626 
Der Gapitelbot’. Ein alter Bollstypus aus Niederöfterreih. Geidildert von €. J. 


reunthaller 
Die alte Lori. Eine Sondergeftalt aus dem Dorfe von P. K. Nojegger . . 930 


Zunft und Titeratur. Aus dem Künftler: und 
Scuriftftellerleben. 








Gine Heine Komödie Raimunds. Stadtgefhichte von Auguft Silberftein . 211 


uflucht bei den Künftlern. Eine Erinnerung an Münden von P. RK. Rojegner 285 


Abgebrannte Komödianten. Bon Joſef Lemwinaln. 2» 2 2 m m nn 


Soll_der Schaufpieler während der Darftellung empfinden oder niht? Ron 
Gugen Sierfe 









Ein literarifches Dreigeftirn. Beitrag zur Geſchichte der Bollsliteratur von Emil 





Gedichte. 


Am Grabe eines Idealiſten. Gedicht von R... 36 
Ich liebe mein Oeſterreich Bon Robert Hamerling.. 2 ne. 66 
Den Manen Ferdinand Raimund’'s, Bon Ludwig Unzengruber ..... 67 
Im Erler. Gedidhte von Ludwig Foglär. ... 2.2: En nen 73 
Mein Herz, das farb in diefer Naht. Gediht von A. Z. 65 
Todesfürdten. Gediht von Leontine Groß. 131 
Du haft Dein Glüd auf Lieb’! gebaut. Gediht von Adolf Bihler ..... 147 
Zuflucht im Walde. Gediht von 9. MW. .. 150 
Dir Deeiiawinlel . 2: a 205 aa. a aaa nes 151, 228, 635, 866 
Dichterfreiheit. Bon Alma Friedland . . 2.2 2 2 En nen 151 
Ein Sommerbild. Bon F. ©. Adolf Weib . . . 2:2 2 2 000. 151 
Waldandadt. Von U. Shmiedl ». Kr nn 151 
Gin fteinern Kreuz. Bon DI. Dalwin.. ne 152 
Roje im Herbfte. Bon Ernft Mojer . ». : 22 rennen 15% 


Befimmung. Bon D. Saul . . .». .- 2.0 r en me 108 


wei Roſen ſaßen auf einem Stiel, Bon Pius Lindes . ..... 152 
Dem Glüd entge en! Bon ERHERETNDER _ 





& anzin in nieberd err. Mundart. Von Friedri ablwander. . 153 
i 22 


enlet der Alte! Don 





Te m Ders ———— ZEIGTE 635 
Frühling. Bon Oscar Dub . » : >: N En en 635 
Noien. Bon Karl Auguft Hüdinghbaus . nm rn 635 
Liebeswetter. Bon Raymund Mayr . 2. 2. m rennen 635 
Kindesherz. Von Johann Tanzer : 2 2 Er n 636 
Das ſeltſame Haus, Von Friedrih Haflwander. ... 2... 636 
An Emile Zola. Bon Friedrich Haßlwander 636 
Geburtsanzeige. Bon Edmondo de Amiciss. 676 
Selbfigenügen. Bon Johann Peter . .». 2»: 2: 2 m nn ne 637 
Kampf und Sieg. Bon Johann Tanzer .» . >: 2: nn nennen 637 
Liebe gibt's nicht ohn’ Bertrauen, Von W. Shmidt. . . 2... 637 
Glöchner's Abendlied. Bon Leopold Wurthb . . . 2 2 2 22 nu. 637 
Der Born der Schönheit. Von Paul Peuker.. 638 
DNE TRIEBE BE 2 u re ee a a ee 866 
Stoßgebetlein für Leute, die auf dem Wege zur Berühmtheit find. Bon 
20 BiRbarn 5 2 5% 200 a a re 866 
Das Landleben. Bon Ewald Chriftian v. Kleift -. . . 2 22 .. 867 
Wollt ihr Jene dort beneiden! Bon F. & Bah . . .» 2 22200. 867 
Im Walde halt’ ih Naft. Yon Anton Shmidt . .. 2.2 22.0. 868 
An Brünnlein. Bon Joh. Peter... : 2: En nen 868 
Im Enge Bon Franz Tiefenbacher.... 0% 868 
MWaldmärden. Bon 3. M. Toscalio -» » 2»: 2 nenn 868 
Der legte Gulden. Bon 3. M. Toscalio . . . 2: 2 nen 869 


„Grüaß Gott!" Gedicht von Chrih yelE . : HH 156 








VIII 


Bor dem Bilde. Prolog zur Feſtvorſtellung anläßlich der Enthüllung des Wicken— 
burg = Dentmales in Gleihenberg am 22. Mai 1887, vorgetragen im 
Theater des Eurortes, verfaht von Anton Shlofjar . . :. 2... 

Ein Miherfolg der Menichlichkeit. Von Theodor Storm — 

Lieder einer Mutier. Von Frau M. Holm... 

Wie Warſt Du einli? Gedicht von Alfred Friedmann...... — 

Kleine Ausfälle Von Ludwig Fulda.. ne 

Mein deutiches Volt, Gedanten der Liebe und Treue von Edward Samhaber 

Septembertag. Gediht von Joh. Peter » .» 2»: 2 nun 

a Unglück ſpoziern TRBEN.S: 2 ae are 

Frommer Müßiggang. Gediht von Leopold Hörmann... 2 20m. 


Zileine Gefchichten, Sagen, Märden, Schwänke. 

Das größte Leid. Ein Märden von Emil Ertl... 2:2 2 20mm 
Bollsjagen aus den fteirijchen Bergen. Bon Hanns von der Sann. 

Zaiae UNE 3 5. 00 aan 153, 395, 
Wie das Volk über die Schneider ſcherzt Bon Th. Bernalelen. ..... 
Ein Paar Stiefeln. Ein Geſchichtlein vom Grazer Feenmarlt . x...» 
Der pfiffige Räthjellöfer (Eine Geſchichte, wie man fie fih in Schwaben ze 
Das Thränenlrüglein. Eine Vollsſage. Gediht von U. F. . - . - 

Lebt denn der alte Gott nicht mehr? Eine Parabel von W. Popper 
Seltſame Sagen. Mitgetheilt von Roſegger 


. [Teer 


Berichiedenes. 

Weltgedanten. Bon C. U. Helvétius... 
Voltsjtüd:Koftüme, und was darüber ein Kaiſerlicher feiner Schwefter ſchreibt. Bon R. 
Schneealpe. Ein Naturgefang von Marie Reinhard 
—— TOTRENEE > en ar ar ee re A Base ee re 
Arm in Arm mit einem DOlympier - - 2 2 2 2 0 m re ren 
Stenographiihes. Bon Hamerling » : 22 a m nun 
Ein Merfs für eroberungsluftige Völler 2 2 nn mm nen 
Gute Worte, in denen die Vorfahren noch zu uns Äpreden - » » 22220. 
Autographenfhwindel. Yon Adolf Pihler . ». 2: 2: mn nenn 
Der Unrichtige. (Eine Gerihtsverhandlung aus dem Berliner Yagabundenleben) 
Aus Tagebücdern. Bon Udolf Pihler . 2: 2 nn 
Unfinn und Naturalismus in Schulbüdern. Von M.. e00. 
Der Mahnbrief eines Fürften an jeinen Sohn - » » » 2 2 2 nn nenn 
Vifitfarten des Lebens. Von Wilhelm Huſchak 
Zur Rettung von Berunglüdten - - © oo 2 2 0 m m en ee ee ren. 
Was fi in eine Cubifmeile Alles einfhachteln liche. Von Bernftein 

Näthiel. von Amandus Jamann 
Das heilige Bildnis. Bon R.e R. 
Wie der Profeffor zu feiner Frau fan. Von 2: 2 2 rennen 
Sprüde und Glofjen. Bon N. Zopf 
Berlie DE 5 5 2: a ec ea ar Feat ee 
SIDE. Pharifäer, gebl Acht! Von .. 
Pojtlarten des „Heimgarten“ 79, 160, 240, 320, 400, 480, 560, 640, 719 800, 880, 


ı BET Tuer Mu Der EL Dee DE SE Ve. 


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| Vase ee Te] EL Tasuy Er Vase TE SEE Te: Var Tor You, WER: Toms Your MER } 


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Seite 


781 
794 
828 
859 
871 
890 
445 
947 


226 
297 
302 
310 
357 
394 
550 
551 
552 
554 


871 


952 





XI. Jahrg. 


Stationen meiner Pebenspilgerfhaft.*) 
Bon Kobert Hamerling. 


Fehrjaßre und Wandertage. 


zunächſt Gefchichte und Phyſik; von 
— 1850—1851 Anatomie bei Hprtl, 
1848 fehrte ich felbftverftändlich zu | Mineralogie bei Zippe, Sangcrit bei 
meinen friedlichen Studien und Be- | Boller; von 1851—1852 Chemie bei 
ftrebungen zurüd, | Redtenbadher, topographifche Anatomie 

Hätte ich ein anderes als ein rein bei Hyrtl, Sanscrit bei Voller, Ges 
dichterifches Lebenzziel im Auge ges ſchichle des Mittelalters bei Grauert, 
Habt, jo wäre es nun an der Zeit griechifche Literaturgefchichte bei Bonitz. 
geweſen, mich für ein beſtimmtes Man wird die Auswahl Ddiefer 
Facultatsſtudium, für das, was man Collegien vielleicht ſeltſam, und gerade 
ein Brotſtudium nennt, zu entſcheiden. vom Standpunkte eines allgemeinen 
Aber ein Blick in meine Lectionsfata= | Wiffensbedürfniffes aus nicht recht er= 
foge der nächftfolgenden Jahre zeigt, | Härlich finden, Aber meine Studien 
daß ich nur einem allgemeinen Wiſſens- | erftredten ſich über ein weiteres Gebiet; 
drange zu genügen dachte, bis ich für) das meifte betrieb ich privatimı, und 
das, mas ih als meine eigentliche faft nur ſolche Gegenitände hörte ich 
Berufsthätigkeit erfannte, gereift fein | öffentlich, bei welchen ich durch den 
wiirde. Ich hörte von 1849— 1850 | mündlichen und durch den, bei Chemie, 


£ 7 a Ablauf des aufgeregten revo« 
lutionären Zwifchenfpiels von 











*) Siehe Heimgarten 1833, Mai; 1885, März-April, October:Rovember ; 1886, 
Juni⸗Juli. 


Kofeager's „„Heimoarten’‘, 1. Geft, XT. 1 


— 


2 


Anatomie, Phyſik u. dgl. faft umente der Tafel die Ziffern nicht mehr gut!“ 
behrlihen Anfchauungsunterricht ent= |die Prüfung abgebroden, und ich 
chieden mehr zu gewinnen Hatte. ſchlüpfte mit der Glaffe durch, welche 

Nichts lag mir ferner, als irgende | der Präfect auf Grund meiner angeb- 
welche Vorliebe für ein beſtimmtes | lichen Leiftungen während des Schul— 
Wiſſensfach. Ich empfand diefelbe na— | jahres mir zuzuerfennen für gut fand. 
türliche Neigung, dasjelbe menschliche | Hätten P. Berthold Sengfhmitt und 
Intereffe für alle. Aber die Muſen P. Ferdinand Schojer den Menfchen 
des Willens, eiferfüchtig wie die der | vom reinsmathematifchen Standpunkte 
Künfte, kamen meiner Neigung nicht | und nicht lieber die Mathematil vom 
alle mit gleicher Gunft entgegen, Die, rein-menſchlichen Standpunkte betrach— 
der Mathematik und der mit der Mathes | tet, jo wäre ich „durchgefallen“, hätte 
matit zufammenhängenden Phyſik ent | ein Handwerk lernen müflen, und man 
widelten eine fofette Sprödigfeit, die |wilrde jet Schuhe oder Kleider ftatt 


ih um fo peinlicher empfand, je leb— 
bafter es mich zu ihren Geheimniffen 
hinzog. Nach den Unruhen des Jahres 
1848 waren uns Hörern des zweiten 
philofophifchen Jahrganges die ent= 
fcheidenden Prüfungen des abgelau— 
fenen Studienjahres nachgejehen wor— 


Prologe und „Feſtblätter“ bei mir 
beftellen. 

Die Mathematit wäre eine fehr 
Ihöne MWiffenfchaft, wenn es nur feine 
Ziffern in ihr gäbe. Es waren wirklich 
nur die Ziffern, die Quadratwurzelir, 
die Logaritdinen, die Formeln, bei 


den; ohne Zweifel, weil man wünſchte, deren Anblid mir immer dunkel dor 


daß die gewefenen Legionäre ohne 
Hindernis 
Fortſetzung ihrer Berufsftudien mache 
ten. In diefer Fügung, die mir in 
Betreff der mathematischen Prüfung 
ſehr zu ftatten kam, bewährte fich eine 
alte Schidjalsgunft. Wenn ich als 


Gymnaſiaſt bei den Schotten in der 


Mathematit Secundam (Zweite) und 


in den übrigen Gegenftänden primam | 


eminenter (erſte mit Vorzug) befoms 
men follte, jo glich der gute Pater 
Berthold Sengſchmitt die Sache da— 
durch aus, daß er mir in allen Gegen— 
ſtänden accedentem ad eminentiam 
(beinahe. vorzüglich) gab. Und ſchon 
im Stifte Zwettl wußte der Präfect P. 
Ferdinand, wenn er am Scluffe des 
Schuljahres uns Sängerfnaben zu den 
Piariſten nad Krems brachte, um Hier 
die Öffentlichen Prüfungen abzulegen, 
e3 jo einzurichten, daß aus der Arith- 
metif immer zuletzt geprüft und alle 


den Augen wurde. Was im Ddiefer 


und Verzug fih an die) Wiffenfhaft mit Worten, ohne Zif- 


fern, ausdrüdbar ift, damit habe ich 
mich wenigftens jpäter gern und ohne 
fonderlihe Schwierigleit befaßt; in 
ihren höheren Regionen, wo ſie mit 
den großen Problemen des Raumes 
und der Zeit, der höheren Naturlehre, 
der Bhilofophie zuſammenhängt, da 
erheflte fich mein Blid, und da ift ſie 
mir jeit Jahren ein Bereich, in welchen 
ich mit wachjender Luft mich ergebe. 

Beiler und glaubwilrdiger, als ich 
es durch Erzählung aus bloßer Er— 
innerung vbermöchte, werde ich mein 
jugendliches Verhältnis zu den Wiſ— 
ſenſchaften durch einige Tagebuchblätter 
aus jener Zeit verdeutlichen, die ich 
wörtlich bier einfchalte. 


10. März 1849. 
Seit den neuen Jahre beichäftige 
ich mich faſt ausschließlich mit Fichte 


Anderen vor mir aufgerufen wurden. | und Scelling. Die Vormittage bringe 
Kam dann die Neihe an mich, fo ich bei diefem Studium in der Hof— 
dunfelte es — die Prüfung fand | oder Univerjitätsbibliothel zu. Wiewohl 
Nahmittags ftatt — meift ſchon ſtark ich noch lange nicht zum vollen Ver— 
im Prüfungsſaale; da wurde mit ſtändniſſe des Idealismus gekommen 


einem: „Es iſt genug! man ſieht auf bin, ſo iſt doch bereits eine neue 


Epode in meinem ganzen Denken ein= 
getreten. 
20. März. 


Heute begannen die Vorlefungen 


3 


Jutereſſe zu finden an der wiſſenſchaft— 
lichen Hiftorie der erften Epochen. Die 
Urwelt ift mein Göttin-Liebchen mit 
dem Iſisſchleier, den ich gern lüften 








der philoſophiſchen und juridifchen möchte. Wil ich die Gefchichte eines 
Facultat. Ih habe mich unter An- Volles ftudieren, fo komme ich über 
deren einfchreiben laffen für die Vor— die Urgefchichte nicht hinaus; die Neu= 
lefungen über neue deutſche Philo= gier drängt mich ‚bon einen Autor 
jophie bei Dr. Robert Zimmermann, ‚zum andern. Mit der griechifchen 
einem jungen Manne, der bereits ein Geſchichte fieng es an. Ich wollte an— 
Wert über Leibnig und Herbart heraus- fangs mir bloß ein Gompendium der 
gegeben. Ich verſpreche mir viel davon. | Dauptbegebenpeiten der griechifcden Ge- 
Ihichte zufammenfchreiben. Das Erfte, 

10. April. was ich über die griechifche Urzeit las, 

Herodot — das gute Väterchen, | genügte nicht, regte nur die Neugier 
das da „laden muß, wenn Leute jan; Anderes, was ich durchſah, wider: 
jagen, die Erde fei rund und Aſia fei Tprad dem Früheren oder eröffnete 
größer al3 Europa“ — ift, fünfbändig, | ganz neue Gefichtspunfte. Bon Nepos, 


deutfh von Degen, in Bauſch und 
Bogen diefer Tage von mir verfchlungen 
worden. Und ich fange ſogleich wieder 
von borme an — er ift gar zu füß. 


1. October. 
Die legten Ergänzungsbände zu 
Rottel's Weltgefhichte von Hermes 
haben mir die Höchft intereffante Kennt— 
nis der neueften Gefchichte und hier 
durch das Verſtändnis der allerneueften 
gewährt. 
11. December. 
Herodot — namentlich die perſi— 
hen Kriege, die großartigfte Hiftorie 
in lebendigfter Darftellung! Was find 
gegen die Bejchreibung vom Zuge des 
Xerxes unſere didleibigen Gefchichts- 


bücher? Eitel trod’ne Eompendien. | 


Herodot erzählt nicht wie ein Pro- 
fefjor — feine Darftellung ift fo 
lebendig und ergreift fo wie die 
eines Augenzeugen. Die topographi- 


'Suftin und Herodot fiel ih auf Schlof- 
|fer, bon diefem auf DOttfried Müller. 
Ottfried Müller! — Die drei mäch-⸗ 
tigen Bände der „Geſchichte griechi- 

her Stämme und Städte“ erwiefen 
mir, noch bevor ich fie auffchlug, 
(durch das Ehrfurchtgebietende ihres 
Umfangs die Unermeßlichleit des Ge- 
biet's, auf das ich mich gewagt. Aber 
von ‚den ſchönen helleniſchen Küſten 
ſchweifte bald mein Blick hinüber 
nach der Heimat der Pyramiden — 
und der der Patriarchen — nach der 
Wiege unferes Geſchlecht's! Mit dem 
glühendften Intereffe Habe ich in Kolat— 
ſchel's „Deutfcher Monatsfchrift” eine 
Necenfion Fallmereyer’3 über Röth's 
Werk gelefen. Uebrigens theile ich diefe 
Sehnſucht nah Aufhellnug der Urzeit 
mit meinem ganzen Zeitalter, mit 
allen ſtrebenden Zeitgenoſſen: ſowie 


ich überhaupt meine Tendenzen nach— 
gerade oft auch als die meines Zeit— 


schen Karten in meiner Ausgabe von alters erkenne. Was drängt uns in 
ig Reifen erleichtern — vn demfelb en biftorischen Moment nach 
Verſtändnis. So find mir Xerxes, der ur-erſten Vergangenheit zurück, in 
Leonidas, der Helleſpont, Thermopylä welchem —— Zukn nft jo ph 
befannt und lieb wie Heimatgeitalten | SG zu gründen beflifien find? Will 
und Heimatberge. ‚der Geift der Geſchichte uns vielleicht 
aus dem Schachte der Vergangenheit 

1. März 1850. die Nefultate, die Ideen gewinnen 

Ih darf nicht unerwähnt laſſen, laſſen, die wir zur Gründung der Zu— 
daß ich gegenwärtig anfange, höchſtes kunft benöthigen? Jedenfalls dürften 


1* 


4 


bei jenen Forſchungen NRefultate zus 


tage kommen, geeignet, geiftige Revo— 
Iutionen anzubahnen. 


1. Juni 1850. 

Der erfte Band von Becker's Melt: 
gefhichte hat meinen Heißhunger nad) 
Urgefchichte wenig befriedigt. Poſſelt's 
deutsche Gefchichte leſe ich mit Eifer. 
Louis Blanc's „Gefchichte der lebten 
Jahre“ interefjierte mich auf's Höchſte. 
Salluft ift mie theuer als Vorbild 
claffifcher Gefchichtsfchreibung. 


20. October 1851. 


Boller hat feine Borlefungen über die | 


Leitungen der vergleichenden Sprach: 
wiljenfchaft begonnen, und zwar mit 
der Lehre der Hieroglpphen, die uns 
etwa einen Monat befchäftigen wird. 
Er bringt zu den Vorträgen die Haupt: 
werke Champollions und Bunfens mit 
und demonftriert daraus die Rudi— 
mente. 


Pforten des unheimlich dunklen, groß— 
artigen Wunderlandes, 
ſchichtsbücher ſeine Gräber find. 

Ob es mir gegömmt fein wird, aus! 
diefem Studium große wiſſenſchaft— 
liche Refultate perfönlich zu ziehen? 
Ich zweifle. Kann ich je die Lyra 
an einen Yöhrenaft hängen und den 
Elfen und Lilien und Rofen Lebewohl 
fagen, um im ägyptiſchen Todten— 
grüften die Geifter vermoderter Jahre 
taufende zu beſchwören? Doch — Soll 
ih darum dem Tüfternen Zuge, der 
mich zu dieſem wunderbaren Quell 
des Wiſſens drängt, weniger folgen ? 
Iſt die Erholung nichts, welche die 
Befriedigung wiljenfchaftlicher Neugier 
gewährt, und michts der großartige 
Eindrud, den Ur weltſchauer auf 
den Geift machen? So töne mir denn 
die vielfagende, aber noch wenig ge— 
deutete alt= ägyptilche Gräberſtimme, 
miteinftimmend in den ehren Welt» 
hor, der an mein Ohr raufcht wie 


Sphärenmuſik, und deſſen einzelne 
Stimmen herauszuhören mir mehr 


So ſtünde ih denn plötzlich 
wie durch einen Zauberſchlag vor den 


deffen Ge-⸗ 


und mehr Luft und Beruf wird. Aber 
noch Eins: Wenn Roſe und Lorbeer 
mir einst verblüht — oder niemals 
‚blüht — So gehe ich nach Aegypten 
‚und leje die Hieroglyphen. 

Unter den Aufzeichnungen von 
1850 —1851 finde ich folgendes Blatt 
ohne Datum, das Bruchftüd eines 
Briefes, wie es ſcheint: 

„Ih will das Wifjenswürdigite 
kennen lernen, Was kann ich dafür, 
dab man die Wiſſenſchaft in Fächer 
geſchieden, und daß ich das Willens: 
‚witrdigfte nun im derfchiedenen, abge: 
| grenzten Gebieten auffuchen muß? Sich 
in ein foldhes Fach auf Lebenszeit 
zu vertiefen, ift Sache der Profefjoren 
und eigentlichen Fachgelehrten. ch 
bin aber fein Profeſſor und kein dad): 
' gelehrter, fondern ein Menſch, ein 
‚freier Mann. Legen Sie mir das 
nit als Oberflächlichkeit aus 
= es ift eben Liebe zur Gründe 
lichkeit. Ih will den einzelnen 
MWiffenfchaften auf den Grund kommen, 
und bin überzeugt, daß ich das nur 
‚mit Hilfe aller andern Wiſſenſchaften 
— |fann. Die einzelnen Wiſſenſchaften 
verhalten ih zur Einen und echten 
Wiſſenſchaft, wie ſich die Süße einer 
einzelnen Wiſſenſchaft zu einander ver— 
halten. Nehmen Sie einen Sab aus 
einer Wilfenfchaft Heraus und bejchäf- 
tigen Sie fi, fo lange Sie wollen, 
damit; das rechte Berftändnis wird 
Ihnen doch erft daun aufgehen, wenn 
Sie ihn im Zufammenhange mit den 
übrigen Süßen leſen.“ — 

Profefjor Anton Boller war ganz 
und gar, was man einen „Autodi— 
dakten“ nennt. Er hatte als mittel- 
lofer junger Mensch fich mit den un— 
zulänglichften Behelfen auf das Stu: 
dium des Sanscrit geworfen. Nachdem 
er, wie er zu erzählen pflegte, fich die 
Bedeutung der Wörter fowie die Re— 
geln der Sprache faft nur ans einigen 
Sanscritterten jelber, die er mit Ueber— 
ſetzungen verglich, ergrübelt hatte, ver— 
faßte er eine Sanseritgrammatif, die 
er jedoch ſpäter ſelbſt, mamentlich 





der vielen Drudfehler wegen, die fie 
enthielt, für unbrauchbar erklärte. Es 
gab noch feinen Lehrftuhl für Sans» 
crit und vergleidende Sprachwiſſen— 
ſchaft an der Wiener Univerſität; man 
nahm alſo das Anerbieten Boller's, 
Collegien über dieſe beiden Gegen— 
Hände gegen einen höchſt beſcheidenen 
Gehalt zu leſen, an, obgleich ihm das 
erſte Erfordernis einer akademischen 
Laufbahn, der Doctortitel, fehlte. Aber 
e3 wollten fich feine Zuhörer finden. 
IH war drei Jahre lang Boller's fait 
einziger Schüler. Andere kamen eben 
nur md verloren fich wieder: 
barrte treulih aus. Eine vorzügliche 
Lehrgabe beſaß Boller eben nicht; aber 
der ruhige Ernſt, die Einfachheit, die 
Milde, das PVerftändige feines Weſens 
batten etwas Gewinnendes. In der Leo- 
poldftadt beſaß er eine ärmliche Woh— 
mung, von deren zwei Heinen Gemächern 
eines er jelbft, das andere feine noch 
weit anjpruchslofere Gattin inne hatte, 
eine Frau, bei welcher er ſchon früher 
in eben diefer Behaufung als After: 
mieter heimisch geworden. Man fagte, 
er habe jie geheiratet, um im zwang— 
loſem Berfehr mit ihr das Ungarische 
— fie war eine Ungarin — gründlich 
zu erlernen, was ihm für die finnis 
Shen Studien, die er mit Eifer betrieb, 
ſehr förderlih war. Er trug fich mit 
dem Plane eines großen ſprachver— 
gleichenden Werkes, ftarb jedoch vor 
Vollendung desfelben. In den Dent- 
Schriften der Wiener Akademie find 
zahlreiche Abhandlungen von ihn, na— 
mentlich über die finnischen Sprachen, 
abgedrudt. Ich konnte mir's nicht ders 
jagen, dieſe Zeilen dem Gedächtnis 
eines Mannes zu widmen, deſſen freud— 
loſes und anfpruchsiofes, ftilles, ganz 
der Wiſſenſchaft Hingegebenes, dabei 
von aller Pedanterie freies, fait kind— 
Inhes Weſen und Dafein für mich 
immer etwas Nührendes hatte. 

Einer Fertigkeit muß ich gedenfen, 


ich | 


— — — — — — ——— ———— — — — 








Gebrauch gemacht habe. Ich weiß nicht, 
ob von Allem, was ich je gelernt, ſich 
mir etwas ſegensreicher, hilfreicher für 
die Verrichtung meines irdiſchen Tage— 
werks erwieſen hat als dieſe Fertigkeit. 
Ich meine die Stenographie. 
Nachdem ich als Student vor Allem 
durch fleißige Führung von Collegien— 
beften darin mich eingeübt, zog ich 
weiterhin bei meinen literarifchen Stu— 
dien, Entwürfen und Arbeiten einen 
außerordentlichen Gewinn daraus. Viele 
meiner Werke erforderten ausgedehnte 
culturgeſchichtliche Vorſtudien. Für 
„Ahasver in Rom, und „Aſpaſia“ 
verjenkte ich mich in das römische und 
griechische Altertgum, Für den „König 
von Sion" in das Neformationszeit- 
alter, für „Danton und NRobespierre” 
in das fFranzöfifche Nevolutionzzeit- 
alter. Da gab es Unzähliges anzu— 
merken, eine Fülle bedeutender Einzel: 
züge zur Auswahl und Verwendung 
im Werke überfichtlih feſtzuhalten. 
Nur duch die Stenographie wurde 
mir dies ohne allzugroßen Zeitverluft 
mögli. Und nun erft die Ausführung 
und Feile eines folchen Wertes bis 
zum legten Federſtrich! Man wendet 
vielleicht ein, dab ja der Dichter, der 
Shhriftfteller fein Erzeugnis nicht fo 
raſch auf's Papier zu werfen in der 
Lage Sei, um dazu der Schnellfchrift 
zu bedürfen. Aber wer fo Spricht, be= 
denft nicht, daß der Autor, bevor er 
einen Satztheil, einen Bers, eine Lied- 
Hrophe mit ihren Reimen nieder— 
Schreibt, diefen Saptheil, diefen Vers, 
diefe Strophe im Kopfe fertig 
haben muß. Hat er fie aber fertig, 
fo ift es durchaus nicht gleichgiltig, 
ob er ſich beim MNiederfchreiben der 
gewöhnlichen oder einer Schrift be= 
dient, welche den Aufwand von Zeit 
und Mühe auf ein Zehntel zurüd- 
führt. Was an mechanischer Arbeit 
beim Schreiben erfpart wird, kommt 
ohne Zweifel der geiftigen zugute. 


die ich mir zu jener Zeit anzueignen | Desgleichen fpringt der Zeitgewinn, 
begann und von welcher ich feither welchen die Schneflfchrift dem Schrift: 


unumterbroden den 


ausgedehnteiten ſteller Teiftet, bei Aenderungen, Strei— 


6 


Hungen, Zuſätzen u. f. w. in's Auge, jeit gemacht. Im Laden eines Buch— 
Nur diefe Erjparnis an Zeit und Händlers Hatte ich ein Büchlein ges 
mechanischer Arbeit hat es mir 3. B. ſehen, betitelt: „Die Kunft zu 
bei der Abfaſſung des „Königs von ſchwimmen.“ Ich faufte es, lernte 
Sion“ möglich gemacht, Hundert und es auswendig und wünfchte mit Un— 
mehr Herameter in ein paar Morgen= | geduld die Ferien herbei, wo ich bei 
ftunden aufs Papier zu werfen. Better Koppenfteiner in Schweiggers 
Nicht felten ift der Schriftiteller die erlernte Kunft glänzend würde 
veranlagt, wichtigere und ausführs | bethätigen Können. Zu Schweiggers 
lichere Briefe entweder vorher zu ent= | angelangt, ftürzte ich alsbald mich toll« 
werfen oder eine Abfchrift davon zu- kühn in den nächſten Bach, brennend 
rüdzubehalten. In beiden Fällen lommt | vor Begier, mich auf feinen Wellen 
ihm die Schnellfchrift ungemein zu zu wiegen, aber ich ſank unter mie 
ftatten. Auf Reifen laſſen fich mittelft | ein fturmzerfchelltes Wrad. Ich begriff, 
derfelben Notizen im Fluge verzeichnen | daß ed mir zur Fertigkeit noch au 
und Tagebücher laffen ſich in einem Uebung fehle. Der Bach war nur nad 
Umfange führen, der beim Gebrauche großen Negengüffen tief genug, um 
gewöhnlicher Schrift ohne Beifpiel wäre. | darin zu ſchwimmen. Ich benützte die 
Es war Bruckner, der mich auf Zeit der Trockenheit, meine Uebungen 
das Gabelsberger'ſche ſtenographiſche einſtweilen auf dem Heuboden des 
Syſtem aufmerkſam machte, nachdem Vetters anzuſtellen, d. h. ich ſtürzte 
er ſelbſt bei Heger, einem Schüler mich in's Heu und machte zur Uebung 
Gabelsberger's, einige Vorträge dar- in demſelben all’ die wohleingelernten 
über gehört. Sofort verfhaffte ich mir! Schwimmbewegungen fleißig durdh. Ein 
die von Heger herausgegebene Anlei- Wolkenbruch war miedergegangen — 
tung und brachte es, mich am dieſe neuer Verſuch, mich den Wellen an 
haltend, ohne fonftige Unterweiſung, zuvertranen — neues Scheitern. Ich 
durch beharrlichen Eifer zur erwünfchten | merkte endgiltig, daß ich nicht ſchwim— 
Fertigleit. men fonnte. Erfahrungen folcher Art 
Es will mir, mebenbei bemerkt, machen mißtrauifch und vorfichtig... 
feinen, als ob die edle Kunft Ga=- Während ich Eofllegien itber natur« 
belsbergers in Oeſterreich feither nicht: wiffenfchaftliche Gegenftände und über 
gerade Fortfehritte, fondern in mancher Sanscrit hörte, wurde das hiſtoriſch— 
Beziehung cher Nüdfchritte gemacht | philologifche Seminar an der Wiener 
hätte. Nach den Proben wenigftens, | Umiverfität gegründet, und tüchtige 
die mir im Laufe der Jahre zufällig Gelehrte waren aus Deutfchland zur 
zu Gefichte gelommen, dünkt mich die, Leitung desfelben berufen worden. Die 
heutige ftenographifche Schrift etwas | Gelegenheit, in das claſſiſche Alter: 
plump im Bergleich zur genauen, feinen thum tiefer einzudringen, als ich es 
und zierlihen Weiſe Heger’s. auf Grund der früheren, im Griechi— 
Wie die Stenographie habe ich ſchen äußerſt dürftigen Gymnaſialvor— 
auch die modernen Sprachen, die Mufik bildung vermochte, hatte viel Berloden- 
und Anderes durch Selbftunterricht des für mich. Aber es geſellte ſich noch 
erlernt. Ich brauchte nie einen Meifter ; ein Umftand Hinzu, mich zur Theil— 
für das, was ich ebenfogut aus einem nahme an den Webungen des Semi— 
Buche lernen konnte, und lernte nie nars zu veranlaffen. Es mar mit 
aus einem Buche, was mir das Leben |diefer Theilnahme der Genuß eines 
jelber bot oder wozu eine natürliche | Stipendium verbunden — eine Aus— 
Gabe mich befähigte. Wenigftens folgte | Hilfe, die in meiner Lage für mich 
ih diefem Grundſatz, ſeitdem ich eine; fehr wertvoll war. An eine hierdurch 
üble Knabenerfahrung mit dem Gegen- ſpäter zu erringende geficherte Stellung 





dachte ich nicht; noch immer wiegte 
ich mich im idealen Traume des Hof: 
theaterdichtertJums — und went dies 
unglaublich erfcheint, dem können meine 
Tagebücher die Beweife dafür liefern. 
Ueber meine Anmeldung für das 
Seminar und einige fih daran knüpfende 
Erfahrungen berichtet das Tagebuch in 
ziemlich drolliger Weiſe wie folgt. 


23. September 1851. 


Heute Habe ich den ganzen Vor— 
mittag mit den drei Vorftehern des 
Hiftorisch-philologifchen Seminars we— 
gen Aufnahme in dieſes zu kämpfen 
gehabt. 

Profefjor Grauert fagte mir, daß 
in der hiſtoriſchen Abtheilung feine 
Stelle Teer ei, ih möge mich im 
der philologifchen anfragen. So gieng 
ih denn zu Boni. Er fragte: „Ha— 
ben Sie claſſiſche Philologie öffent- 
lich ſtudiert?“ „Nein,“ erwiderte ich, 
„ih Habe mich bloß privatim damit 
beichäftigt.“ 
fih der Profeffor bedenklich auf feinen 
Stuble. „Was haben Sie denn grie- 
chiſch gelefen ?” fragte er weiter. 

„Anakreon — Sophofles — Ghrefto- 
mathien!“ — 

„Sophokles?“ rief Bonitz, ſich noch 


weit bedenklicher auf dem Stuhle wies 


Auf dieſes Wort wiegte 


kles und bezeichnete mir eine ſchwierige 
Stelle in der „Antigone“. Nachdem 
ich ſelbe in Gottes Namen überſetzt, 
zog er neue Saiten auf. Er ſagte, 
daß er nun jehe, wie mir die Sade 
nicht Fremd fei, und da ich allerdings 
fähig fei, au den Vorträgen im Semi» 
nar mich zu betheiligen. Noch mehr, 
er war fehr freundlich, lieh mir Die 
Formenlehre des jonifchen Dialects im 
Homer von Lukas, und äußerte fchlieh= 
ih, es fei zwar eine große Anzahl 
von Mitgliedern, und er zweifle, ob 
die Zeit ausreichen werde, dab Jeder 
einen Vortrag halten könne, er wolle 
jedoch ſehen, daß ich zum Bortrag 
komme, jelbft wenn er die Stunden 
zahl vermehren müßte, „damit doch 
folche, die beweifen, daß fie Kenntniffe 
befigen, Gelegenheit zu deren Bethäti— 
gung finden.“ Ferner fagte er mir, 
wenn ich feines Rathes bedürfe oder 
jeiner wiſſenſchaftlichen Dilfe, To fei 
er mit Vergnügen immer bereit. 
Sehr erfreut über den philologi— 
Shen Erfolg, den ich hier gehabt, trat 
ich die dritte der nöthigen Expeditionen 
an, nämlich zu Profeffor Gryſar, der 
den Iateinifchen Uebungen des Semi— 
nars vorfteht. Er nahm großen An— 
ftoß an dem Umſtande, daß ich Latein 
und Griechifch treibe und dazu medi— 
cinische Fächer Höre. Er erklärte, Philo- 


gend und fopfichüttelnd; „Sophofles ? | logie ganz allein, und ſonſt durchaus 


und Homer nicht? und feinen Leiche 


teren Autor 2” 
„Meine Vorliebe für Sopholles ver- 


anlaßte mi, ihn vor allen Anderen | 
willig mich jelber jo zu bejchränfen, 


vorzunehmen.” 


nichts, müſſe ich treiben, wenn ich 
darin weiter fommen wolle. Die alte, 
ewige Nede! Ein Fah und ſonſt 
nichts, durchaus nichts! Nein, frei— 


Bonitz gerieth in großen Eifer, kann mir ſo wenig beifallen, als mich 


ließ mir die Aufnahme als unmöglich 
erfcheinen, tadelte heftig meine auto: | 
didaltiihe Methode und redete mir 
dermaßen zu, daß ich mir felber bereits 
ganz erbärmlich vorkam. 

Er wollte nicht glauben, daß ich 


den Sophufles habe verftehen können. 


Ih verficherte ihn, daß es doch der 
Tall gewefen fei.. 

„Das werden wir fehen!“ rief 
er, Iprang auf, brachte einen Sopho— 


‚tung. Er jagte: 





freiwillig vierer Sinne zu berauben, 
um den fünften intenfiver zu bilden, 
und mir 3. B. die Augen auszu— 
ftehen, nm beffer zu hören. Ich bat 
Gryſar um ein Thema zur Bearbei— 
„Schreiben Sie 'mal 
was über Horat. Od. I., 1.“ — Als 
ih fortgieng und er mich zur Thür 
begleitete, äußerte er, daß heute doch 
wieder einmal ein ſchöner Tag ſei. 
„Tandem venit post multos hora 


serena dies!“ antwortete id, „Da, 
ift jebt felten, eine folde serena 
dies!“ fagte er. (Hoho, Herr Pro— 
fellor!) 

4. October 1851. 


Mein Tractat über Horat. Od.I., 1. 
ift vollendet. Er umfaßt vier Quart— 
blätter und ſcheint mir ein wahres 
Monftrum von Gelehrfamfeit und feiner 
Latinität. Er befteht ganz aus grund- 
geledrten Gitaten und auserleſenen 
Iateinifchen Phrafen. Es wird darin 
Erwähnung gethan der Paralleljtellen 
bei Archilochus, Pindar, Solon, Vir— 
gil, Properz, ferner: der hieherbezüg- 
lien Ausſprüche und Meinungen 
eines Barter, Bentley, Mitfcherlich, 
Jani. Am meilten thue ich mir auf 
die prächtigen lateinifchen Redensarten 
zugute; es kliugt Alles fo wunder— 
Ihön, daß ich, wenn ich es lefe, gar 
nicht glaube, es ſelbſt gejchrieben zu 
haben. Morgen höre ih Gryſar's 
Urtheil darüber. Vederemo! 


5. October. 

Fahr” wohl, blühende Latinität; 
fahr’ wohl, Syntaxis ornata; fahrt 
wohl, ihr tres linguae latinae vir- 
tutes: Puritas, Elegantia, et Copia! 
Gryſar hat über meine Schönen Phra- 
fen, meine ausgefuchten Phrafen, meine 
üppig [prudelnden Phrafen ſchoönungs— 
[08 den Stab gebrochen. Statt „sibi 
metatur locum will er sibi tri- 
buit locum, flatt arva sarriunt 
will erarva colunt x. x. 2. „Der 
lateinische Stil,“ jagt er, „ift ganz 
einfah. Man muß immer das aller= 
einfachſte Wort wählen.“ — It das 
wahr oder habe ich's mit einem Pe— 
danten zu thun? 

6. October. 

IH Habe den icero zur Hand 
genommen und mit Nüdjicht auf den 
Stil etwas darin gelefen. Ich er= 
ſtaune! Das ift das Mufter, der Canon 
der Latinität? Es ift in der That Alles 
jehr einfach, Fat nachläſſig — wenn 
ich’5 gegen meinen Tractat halte. Nun, 


fo mag denn Gryſar in Gottes Namen 
Recht behalten. Aber dies weiß ich 
doch, dab es für einen Philologifchen 
Gandidaten immerhin ein Wageſtück 
bliebe, die Simplicität zu feiner Haupt» 
aufgabe zu machen, in Arbeiten, wo 
er glänzen will; denn wie leicht könnte 
da fein freiwilliges Sichentfchlagen als 
Armut gelten. 


7. October. 


Gicero’3 „Lälius“, den ich Der 
Form wegen zu leſen anfieng, hält 
num mein Jutereſſe gefpaunt durch 
den Inhalt. Mich entzückt die reine, 
hohe Moral, die darin athmet. 

So weit das Tagebuch, deſſen 
‚Bericht, was den erſten Beſuch bei 
Granert anbelangt, aus der Erinne— 
rung ergänzt fein mag. ch fand den 
Heinen, budeligen aber würdevollen 
Mann umgeben von einigen feiner 
älteren Schüler, die, mit Einſchluß 
des Meifters, auf den jugendlich ſchüch— 
teren Neuling etwas von oben herab 
blidten. Grauert ſchien es ſeltſam zu 
finden, daß ich, aus den Hörfälen der 
Anatomie, der Chemie, des Sanscrit 
herlommend, nun auch Diftorifer fein 
wollte. Er erfundigte fih nach meinen 
hiſtoriſchen Studien; zuleßt fragte er 
mich, ob ich den Thufydides gelefen 
hätte, und als ich dies bejahte, fragte 
er, ob ih ihn im der Urſprache ge— 
lefen hätte. Dies mußte ich verneinen, 
und da meinte der gelehrte Herr achiel- 
zudend, ohne Kenntnis des Thukydides 
in der Urſprache fcheine ich ihm für 
die Uebungen der hiſtoriſchen Abthei— 
lung des Seminars noch nicht ſattſam 
vorgebildet; auch ſei die Zahl der 
Mitglieder Schon zu groß und, ſozu— 
jagen, feine Stelle leer. Der Schäfer! 
Ich bin überzeugt, daß kein einziger 
feiner damaligen Wiener Schüler den 
Thulydides, den ſchwierigſten aller 
griechischen Autoren, in der Urſprache 
gelefen hatte. Bon ihm ſelber will ich 
glauben, das er ihn gelefen hatte; 
denn es war fein Lieblingsfchriftiteller, 
er hatte ihn immerfort aufgeichlagen 





9 


anf feinem Echreibtiiche liegen, und 
täglih las er, wie er fagte, einige 
Blätter daraus mit Andacht wie ein 
Brevier.. 

Später fand ih doch Aufnahme 
auch in die Hiftorische Abtheilung des 
Seminars, woran mir — dei Sti— 
pendinms halber — viel gelegen war. 
Es waren tüchtige Kräfte in diejer 
Abtheilung damals vereinigt, zum Theil 
Ihon über die Jünglingsjahre hinaus: 
Zhisman, Karl Tomafchet, fpäter als 
Germanift bekannt geworden, Ottolar 
Lorenz u. N. Bei den Vorträgen der 
Mitglieder, nad) deren Beendigung der 
Bortragende ſich gegen die Einwürfe 
der Zuhörer zu vertheidigen hatte, war 
Tomajchel der jchneidigfte, unermüd— 
lichte Kämpe, und es ſchmeichelte mir 
nicht wenig, als er nad) meinem Vor— 
trag über Mahomed's Leben und Lehre 
auf meine Frage, warum er diesmal 
gegen feine Gepflogenheit gänzlich 
ſtumm geblieben, exwiderte, er habe 
diesmal in der That nichts einzuwen— 
den gefunden. 

Die griechiſchen Uebungen des Se— 
minars leitete Hermann Bonitz, als 
Gelehrter berühmt, als Schulmann 
unübertrefflih, ein Mann von ſcharfem 
Berftande, rubigeflarem, ernſt-freund— 
lichem, einnehmendem Weſen. Seine 
harmonisch = ausgeglichene Natur lieh 
nichts von Stathedereigenheiten oder 
Angewöhnungen irgend welcher Art bei 
ihm aufkommen, aber auch feine glän— 
zenden Eigenschaften drängten ſich nicht 
in eitler, ehrgeizig befliffener Weife 
vor. Seine Leitung des griechifchen 
Seminars war mufterhaft, und feine 
Bereitwilligkeit, den Mitgliedern des— 
jelben durch Darleihen von Büchern 
aus feiner Bibliothek förderlich zu fein, 
fannte feine Grenzen. Ich erinnere 
mich, als ih 1853 Wien verließ, ihm 
einen großen Wäſchkorb voll entlehnter 
Bücher zurüdgeftellt zu haben. Er war 
mir gewogen, lobte meine Vorträge und 





er mich für einen Menjchen hielte, der 
eines Tages, ftatt ſich als Philologe 
anszuzeichnen, eine Nordpolreife ans 
treten oder ein perpetuum mobile 
erfinden oder einen Band Gedichte 
herausgeben könnte. 


Gryſar, der Latinift, als ſolcher 
geihäßt, aber gänzlich auf dies fein 
Fach beichränft, kränkelnd, zeigte in 
Haltung und Miene einen etwas pe— 
dantiſchen Anftrich ; aber was ihm von 
Vedanterie eigen war, wurde Durch 
eine gewille Gutmüthigkeit unschädlich 
gemacht. 

Grauert, bochverehrt von feinen 
Schülern, entwidelte im Gegenfaß zu 
feiner Zwerggeftalt und feinem Höder 
eine gewifle geiftige Vornehmheit. Er 
fitt an Aſthma, einer folge feiner 
förperlihen Mißbildung und erlag ſei— 
nen Uebel leider allzubald. 


Ein harmloſes und koſtenfreies 
Vergnügen war es mir in jener Zeit, 
die Vorträge der Akademie der Wiſſen— 
ichaften zu befuchen, wo es mich be= 
Iuftigte, die verſchiedenſten Sorten der 
Weisheit und des Willens fließen zu 
jehen, wie die verfchiedenen Weine 
forten aus den Spundlöchern einer 
großen Kellerei. Mir find aber mur 
zwei lebhaftere Erinnerungen aus dieſer 
Geſellſchaft hoch- uud tiefgelehrter 
Herren geblieben: die des Heinen, 
aber rührigen und energifchen Ham— 
mer-Purgflall, der im Stande war, 
einem vorlefenden Mitgliede in bare 
ſchem Tone zuzurufen: „Bitte den 
Herren PVortragenden, lauter zu leſen; 
man verſteht ihn nicht!“ und die des— 
jenigen Mitgliedes, das einer ſolchen 
Mahnung immer am meiſten bedürftig 
ſchien: des blaſſen, gichtbrüchigen, wenn 
ich nicht irre gar lahmen Sinologen 
| Pfigmayer, der Jahr aus Jahr ein über 
allerlei Chineſiſches und Japaneſiſches 
Vorträge hielt, und der dieſelbe Be— 
ſchäftigung vielleicht heute noch fort— 





meine Abhandlungen, machte aber doch ſetzt. Denn obgleich er ſchon damals 
immer den Eindruck auf mich, als ob mehr todt als lebendig ausſah, ſcheint 
er mir nicht recht trante, und als ober doch noch am Leben zu fein; ic 


erinnere mich wenigftens, geraume Zeit 
nach dem deutfch-franzöfiichen Kriege 
von 1870—71 in einer Wiener Zei: 
tung gelefen zu Haben, der Sinologe 
Pfitzmaher habe neulich zu irgend 
Jemand von befagtem Kriege zu ſprechen 
angefangen, von welchem ex, wie er 
fagte, durch die letzten aus Peding 
eingetroffenen Blätter Kunde erhalten. 
Andere Zeitungen als chineſiſche liest 
er nämlich micht — alfo wohl au 
nicht den „Heimgarten“. 

Weniger leicht zugänglich als die 
Quellen der Wifjenfchaft waren mir 
die des Kunſtgenuſſes. Das Theater 
fonnte ich felten befuchen, hörte aber 
doch das eine und andere claffische 
Stid im Burgtheater, und wohnte 
den erften Aufführungen einiger Halın’z 
ſcher und Mofenthal’fcher Stüde bei; 
häufiger aber war es mir vergönnt, 
in der Vorftadt mich an Neftroy's und 
Kaifer’3 neuen Erzeugniflen zu er— 
bauen. 

Oeffentliche Concerte hörte ich eben 
falls nicht oft; aber zu Daufe betrieb 
ich nach meiner Weife die jelbiterlernte 
Glaviermufit. Ein muſikaliſch gebildeter 
Beamter, Herr Theodor MWiderhaufer, 
erbot fich freundlich, mich in wöchentlich 
einer oder zwei Stunden ein wenig 
zu drillen, was mir überflüffig ſchien, 
aber ih nahm die Einladung des 
waderen Mannes an, nachdem ich ent— 
dedt hatte, daß er dem ganzen Jean 
Panl beſaß, und Hielt wirklich bei ihm 
aus, bis ich den ganzen Jean Paul 
von ihm ausgeliehen und durchgelefen 
hatte. ch fang auch, Jo weit es meine 
Stimmmittel erlaubten, klimperte auf 
der Guitarre, quälte mich eine Zeit» 
lang fogar mit einer eigenfinnigen, 
peflimiftifch verftimmten Geige, und 
ertheilte einem meben uns wohnen 
den hübſchen Fräulein Gefangsunter- 
richt. Ich ſpielte der Schülerin auf 
der Violine die Töne der Scala zum 
Nachſingen vor; da fie aber zu be= 
merken glaubte, daß ich noch falſcher 
geigte als fie fang, fo wurde fie ftußig 
und entzog mir ihr Vertrauen. Wurde 


a0 


ich doch auch einmal als Glaviermeifter 
für ein Fräulein aufgenommen! Nach 
einigen Monaten aber fand der Ges 
liebte des Mädchens, ein Studiofus, 
der dasſelbe „ausbilden ließ,“ und 
mir monatlich zwei Gulden zahlen 
wollte, die er in der Regel ſelber nicht 
beſaß — fand, ſage ich, daß ich „ihr 
nicht mehr genüge!“ Wen verdantte 
aber dag Mädchen diefen raſchen, fo 
bald den Meifter felbft überholenden 
Erfolg, al3 eben mir, meinem vor— 
trefflihen Unterriht? — 

Bon ziemlich eigenthünlicher Art 
waren die Niregungen, die ich in 
meinen Studienjahren der bildenden 
Kunft verdantte. Betrachtungen über 
eine Stahlftihfammlung ſchließt das 
Tagebuch dom 1. Jänner 1849 mit‘ 
den Worten: „Ich hole mein Moral— 
ſyſtem aus Geftalten und Gefichten ; 
aus Schönen Naturen und Kunſtwerken 
lerne ich die große Kunſt zu fein.“ 
Ich las Windelmann und blätterte im 
Montfaucon, „um duch Betrachtung 
der Abbildungen in leßterem meine 
| Begriffe von Schönheit zu vervoll— 
kommnen.“ Ich nahm Aergernis am 
altveutfchen Saale der Gallerie des 
ı Belvedere. „ES ift eine verfrüppelte, 
armfelige Menſchheit,“ Hagt das Tages 
buch vom 15. März desfelben Jahres. 
„Um wie viel herrlicher blühte die, 
von welcher die Antiken Zeugnis geben! 
Die Betrachtung diefer Geftalten trägt 
viel zum Hiftorifchen Verſtändniſſe des 
Mittelalters bei. Mögen kommende 
Hiftorifer in den Bildwerfen, die ſich 
aus unferem Zeitalter erhalten, nicht 
unfere Schande leſen!“ — 

Bon welchem Standpunkte aus ich 
die Anſchauungen der Kunſt und die 
des Lebens verknüpfte, mag aus fols 
gendem Blatte deutlich werden. 


18. November 1851. 
Das Sonett „Afpafia“ gedichtet. 


Diefe Anſchauung Hat in mir das 
Gefühl der Männlichkeit, tieferes Ver— 


11 


Händnis und reges Gefühl für das 
Schöne gewedt, ja meinen Sinn auf 
ewig dem Schönen zugewendet. Nun 
erſt verſtehe ich ganz die griechischen 
Stolien und die römischen Elegien — 
num folgt mein Auge mit Sinn und 
hohem Intereſſe den Gontouren, die 
Pinfel und Meifel formt — nun geh’ 
ich gleichgiltig vorüber an der Mehr» 


zahl weiblicher Geſicher — unn miße | 


fällt mir viel mehr al3 früher an mir 
ſelbſt! — 


Die Erwägung diefer großartigen 
und mohlthätigen Einwirkungen auf 
mein Innerftes Führt auf den Wege 
befonnener Erfahrung mich zur feften 
Ueberzengung don dem innigen Zu— 
fammenhange, in welchem das Schöne 
und feine Betrachtung mit unferer 
Veredlung und Entfaltung fteht. Aus 
der Erfahrung ſchöpf' ich die Lehre, 
dab der Anblid des Schönen, ſelbſt 
auf der materiellften Stufe, frucht- 
reicher fein kann, als die befte Kirchen— 
predigt und als das Manuale des 
Epittet, ſammt der Tafel des Kebes! 


Freilich wohl mag die Schule der 


Und nicht bloß leer ausgehen vom 
Mahle der Schönheit dürfte jo Manz 
cher; Viele könnten fogar den Tod 
ih in Nektar trinten — zum Weibe 
erichlaffen, ftatt zum Manne zu reifen. 
Hat nicht ſchon Euripides in den 
„Bachen“ gezeigt, wie Dionyfos den 
Einen al3 Gott, den Andern als 
„Dämon“ ergreift? Sehen wir nicht 
am Schluffe des „Fauſt“, wie die 
himmliſchen Rofen, die ſonſt Alles 
vergöttlihen, den Teufel noch teufli- 
ſcher machen ? — Anakreon haucht die 
Geiſter des Wein’s in feurig ſüßem 
Gefang, während der Alltagsınenfch 
fih beraufcht im Kothe wälzt. — 

Ich weiß nicht mehr, auf welde 
„Erſcheinung“ diefe Zeilen fich be= 
zogen und wie die ſchon im Tagebuch 
felbft durch Gedankenſtriche bezeichnete 
Lücke auszufüllen iſt. Wahrfcheinlich 
‚wurde der Herzenserguß durch die ſpa— 
nische Tänzerin Pepita de Dliva ver- 
anlaßt, die damals Europa bereiste und 
einen unauslöfchlichen Eindrud auf mich 
I machte. In der bezauberndften Sinn: 
lichteit lag hier ein claffifch = idealer 
Zug, der die echten „Bacchen“ be— 








Charis nicht für Jeden die beſte geifterte, den „Böoziern“ aber under- 
fein. Gar Manden ſchredt die Ruthe ftändlich umd entbehrlich war, fo daß 
der Moral mehr von Böſen zurüd, | fie an den unzähligen „Falfchen Per 


als ihn die Roſe der Charis zum 
Guten lodt. 


Thu'n die Himmel fih auf und regnen, 
jo träufelt das Waſſer 
Ueber Wellen und Gras, Mauern und 
Bäume zugleid. 
Kehrt die Sonne zurück, jo verdampft 
vom Steine die Wohlthat: 
Nur das Lebendige hält Gabe der Gött— 
lichen feſt.“ 
(Sorthe.) 


pitas“, die hinter der echten überall 
hervortraten, ſich ebenjo oder noch 
mehr als an diefer ergößten. Sennora 
Pepita de Dliva’s Bildnis ift in der 
' edelften, vollften Herrlichkeit ihrer Er— 
Iheinung jeit mehr als drei Jahr: 
zehnten ftet3 über meinem Schreibtische 
'gehangen und hängt noch heute da. 
Und was fie mir zu jagen hatte, das 
ift bis heute nicht verſtummt. 





(Fortjegung folgt.) 


Bwei Mägdlein und ein Rnab. 


Dorfgefhichte von P. R. Kofegger. 


IT: lEdanı in Gottes Namen, jegt)auf den Baum zu fteigen, ſagte die 
z fteige ich hinauf!“ ſagte der Anna-Mirl zu ihm: „Da muB ich 
Div doch voreh ein Kreuz machen 
„Steig zu!” gab ihm die Bethel über's Geficht.“ 
zur Antwort. „Kann mit ſchaden,“ antwortete 
Das war im Wald, unter einem der Martin, „aber mit einem Buſſel 
großen Fichtenbaum. Der Martin war | feftnageln wirft mir’s müſſen, ſonſt 
ein Burfche mit vierumdzwanzig Jahren hält's nit.“ 
und nadten Knieen. Die gelbe Leder- „Jeßl und Joſef!“ rief die kleine 
hoſe muß beſonders angeführt werden, Bethel, „jetzt Hab’ ich heilig gemeint, 
nicht minder auch der blane Brufifled, |es fahrt der Bauer Schon daher mit 
die gebleichten Hemdärmeln, die grünen |dem Leiterwagen.“ Damit zerftörte jie 
Strümpfe, die rothen Wangen und fehr Hug das Feltnageln des Kreuzes. 
die grauen Augen, um die ganze Far— Der Burſche Hletterte Flint den 
benpracht diefes jungen ſtämmigen Kerls | glatten Baumſtamm empor, diefen mit 
zu ermeſſen. Nur muß man fich vor= |den Armen umfangend und feit mit 





Martin. 


ftellen, daß die Farben, mit Ausnahme den Steigeifenzaden einfegend. 


der frifhen Wangen, arg verſchoſſen 
waren, und der ganze Burſch war 
verſchoſſen in die Bethel, oder in die 
Andere. 

Die Bethel ſchildere ih nicht, Haben 
fann fie einfiweilen doch nur Einer, 


wozu denn allen Anderen die Zähne 
nad der Kleinen, | 


wäſſerig machen 
munteren, thaufriſchen Dirn. Neben 
der Bethel ftand aber noch eine Zweite, 
die hieß Anna-Mirl und war viel 


ftattliher und fein rundlich ausge⸗ 
Rindern in ihren Ställen allwöchent— 


wachſen, aber ſonſt ein wenig ernſt— 
haft, ſo daß man ſich denken könnte: 
ſie dürfte ſchwerer zu kriegen ſein als 
die Andere, hingegen nachher aber 
umſo leichter zu behalten. 

Das waren drei Dienftleute des 


Kalchleithofes, fie aßen aus Einer 
Schüffel, jchliefen unter Einem Dad 


und ftanden nun unter Einem Baum. 
Als dam der Martin die 
ſcharfzackigen Steigeifen an die Beine 


— 


geichnallt, das blinkende Beil rückwärts zulegen. 


in den Gurt geftedt — ſich anfchidte, 








Die Anna-Mirl ſeufzte. — Ad, 
wenn ev mich jo Haljen möchte wie 
das dumme Holz da! — So fünnten 


es boshafte Leute auslegen, es war 


jedod gar fein Seufzen, es war nur 


ſo ein Luftfchnappen, wozu ift dem 


die Luft, wenn man fie nicht ſchnappen 
will! — Endlich war er oben im 
‚dichten Aſtwerk, der Martin, da fuhr 
er mit der einen Hand mach dem Beil 
und begann Weite herabzuhaden. 

Der Kalchleithofer pflegt feinen 
lih einen Fußteppich aus grünem 
Reiſig zu legen, den er dann alljähr: 
lid ein paarmal als Fürtrefflichen 
Dünger wieder herauszieht. Ein ſolcher 
Teppich follte auch aus den Aeſten 
werden, die der Martin nun von der 
Fichte ſchlug, daß fie raufchend nieder: 
fielen. Und die zwei jungen Mägde 
waren vorhanden, um die herabge— 
fallenen Aeſte in Biüfchel zuſammen— 
Da hätte man's juft einmal 
jehen jollen, wie jede nach dem längften 


13 





trachtele, Eine der Andern die bufchig- 
ften Zweige aus der Hand riß, um 
jelbige auf ihr eigenes Büſchel zu 
legen. 

„Seh, was braucht denn Du den 
Wachel!“ fagte die Bethel und wollte 
der Anna-Mirl einen herabgeflogenen 
buſchigen Aft aus der Hand winden. 

„Oho!“ fagte die Anna-Mirl, „der 
ift auf meinen Kopf herabgefallen, der 
gehört mein.” 

„Derfchlagen hätt’ er Dich follen, “ 
knirſchte die Bethel. 

Sie rangen um den Aſt. 

„Laßt nit aus?“ fragte die Bethel. 

„Kannft mir die Händ' abbrechen, 
jonft friegft ihn mit!“ antwortete die 
Anna⸗Mirl. 

Da biß ſie die Andere in den 
Finger. Mit wutherglühten Geſichtern 
fuhren fie aufeinander los, und ohne 
einen Laut von ſich zu geben, zer- 
zausten fie fich gegenfeitig das Ge— 
wand und die Haare. 

Der Martin Hoch auf dem Baum 
Ihanfelte fi mit dem Wipfel Hin 
und ber, jodelte Eins und hatte feine 
Ahnung, dag unten die zwei Weibs- 
bilder um feine Aeſte auf Leben und 
Tod rangen. Das Hätte ihn toll freuen 
müffen, denn es gieng ihnen nicht 
nad den Welten, fondern nad den, 
der fie herabwarf. Als die Bethel der 
Andern den Aft aber entwunden hatte, 
als fie ihn mit dem Schrei: „Da 


gefilze jo arg zerjaust wie das der 
beiden Anderen. Ihr Geficht beitand 
aus zwei jcharfen Spitzen: der Nafe 
und dem Kinn. Die dritte und ſchärfſte 
Spitze ſah man nicht, die hörte man 
nur, ed war die Zunge. 

„Lottervolf, vertradtes!“ zeterte 
die Traudel, als fie gegen unfere 
Reifigarbeiter heranlamı, „zwei Aeſt— 
Hanberinmen bei einem Schneidler! das 
ift mir eine faubere Wirtfehaft! Euch 
fol man mit Schufterpech einbalfa= 
mieren, daß Ihr nit ſtinkend werdt's 
vor lauter Faulheit! Zwei Klaube— 
rinnen bei einem Schneidler! Ein» 
ander Flöh' ausflauben oder noch 
was Schöneres, ja! Sonft wüßt' ich 
nit, was Ihr fo viel zu Hauben 
hättet unter Einem Baum. — Anna— 
Mirl! geh Her, ich brauch’ Dich im 
Dörrofen zum Holzlegen !” 

„Soll die Bethet gehen!“ fagte 
die Anna-Mirl, „die hat leichter Platz 
im Ofen, die ift Heiner wie ich.“ 

„Na na, fol nur die Große 
gehen,“ wehrte fich die Bethel, „der 
ſchadet's gar nit im Ofen, wann ihr 
die Fetten ein biffel herausgebraten 
wird,” 

„Sei Du die Gefheitere, Annas 
Mirl, und geh mit,“ fagte die Alte, 
denn fie hielt es mit der Größeren. 
Und diefe wußte auch, dab die Trau— 
del, als die Schwefter des Bauers, 
ein großes Wort Hatte; fie muß alfo 


— —— — — ———— — 


gehört er Dir hinauf!“ der Annas den grünen Wald verlaffen und in 
Mirl über den Rüden hieb, nahm es den finſteren Flachsdörrofen kriechen, 
der Burſche oben wahr, was in der um darin die Scheiter aufzuſchichten, 
Tiefe ſeinetwegen vorgieng. Er hub die ihr die Alte hineinſchiebt. Es war 
an zu lachen. Dann that er einen, ein ſchlimmer Nachtheil! 

Priff und rief herab: „Dirndin ! welche „Traudel,“ ſagte die Anna-Mirl 
will herauf zu mir? Da heroben ift unterwegs und ordnete während des 
ein Bogelneft !“ Und er zwitjcherte, | Sehens zur Noth ihren Anzug, „Trau—⸗ 
daß es zu hören war, als ob ein del, heut' thäteſt Du mir einen großen 
lebensluſtiges Böglein das andere lockte. Gefallen, wenn Du die Bethel lieber 


Wer weiß, was geſchehen, wenn 
jetzt nicht vom Hof her die alte Trau— 


del gekommen wäre. Auf deren Haupt 


war fein grüner Aſt berabgefallen, 
mit ihr Hatte feine Nebenbuhlerin ge= 
rauft, und doch war ihr granes Haar— 


hatteſt als mich. Der Ofenſtaub thut 
mir für die Augen ſo viel ſchlecht.“ 
„Mach’ feine Flauſen!“ entgegnete 
die Alte, „wenn Dir nur der Martin 
die Scheiter hineinſtecken wollt', nach— 
‚ber thäteſt Du Dir den Ofenſtaub 





18 


gern gefallen fallen. Das kennen wir! 
— Uber hau, Dirn!“ Sie nahm 
die Hand der Anna-Mirl zwifchen 
ihre eigenen Rungzelpfoten und ftreis 
helte fie, „hau, Diem, ich bin Dir) 
den Martin willig. Wirft es bald | 
jehen, daß Du feine beflere Gut— 
meinerin haft als wie mid. Wenn 
Du mit jegt mit mir zum Ofen geht, | 
wohl aber die Bethel, und Du thuſt 
beim Martin Aeſt' klauben und weißt 
von nichts, Fo kannſt Heut einen guten 
Tag haben —" 

„Wie er pfeifen thut!“ rief die 
Anna-Mirl aus und blieb horchend 
ftehen, man hörte fo ſchön fein Zwit— 
Ichern vom Baummipfel ber. : 

„— fannft Heut’ einen guten Tag | 
haben,“ fuhr die Alte fort, „und in 
drei Wochen liegft maustodt auf dem 
Schragen.“ 

„Wie jo?" fuhr die Anna-Mirl auf. 

„sa ja, immer einmal wifjen alte 
Leut’ auch was, meine liebe Dirn! 
Und immer einmal ift das Dörrofen- 
lo auch was wert, mein Schaß! Da 
find wir ſchon. Krauch' hinein.“ 

Der Dörrofen, von außen eher 
einem Steinhaufen gleichſehend, denn 
einem Baue, ſteht im Freien unter 
Obſtbäumen. Hinterwärts ſteht ihm ein 
windſchiefgewordener Holzſchoppen an— 
gefügt, in welchem der Flachs vor dem 
„Brecheln“ an der heißen Wand ge— 
trodıset zu werden pflegt. Die Annas 
Mirl kroch in das finftere Ofenloch 
und die Traudel ftedte Scheiter hinein, 
die fie drinnen über freuz und quer 
aufbaute bis empor zur MWölbung. 
Durch diefen Holzftoß war jie felbft 
fo jehr eingeengt worden, daß fie fich 
faum umzuwenden vermochte, als es 
wieder zum Herausfriehen war. Sie 
blieb noch ein wenig im Loch boden 
und fagte: „Jetzt, Traudel, wann Du 
was weißt, fo gib's von Dir!“ 

Die Alte kauerte fich neben an die 
rußige Maner Hin, langte mit der 
Hand in den Ofen und rüttelte die 
Anna-Mirl beim aufgeftülpten Knie, 
als wollte fie jagen: Erwache aus 


alte Sreuzhäuslerin 


Deiner Umwiffenheit, wehre Dich Dei— 
ned Lebens! 

„Weißt denn gar nichts davon,“ 
fragte fie die Dirn im Ofenloch, „daß 
am vorigen Sonntag die Bethel beim 
Pfarrer ift geweft ?“ 

„Beim Pfarrer?” fragte die Annas 
Mirl, „verfprechen ? Mit dem Martin 
versprechen ?“ 

„Berfprechen, das nit. Der Martin 
wird nit wollen mit ihr, fo lang’ Du 
lebjt. Drei Meſſen Hat fie gezahlt.“ 

„Für den Martin?” 


„Zropf. Für Dich Hat die Bethel 
drei Meilen gezahlt. Sterbmefjen! 
Todtbeten will fie Dich laſſen.“ 

„Jeſus Maria und Joſef!“ rief 
die Anna-Mirl und fprang aus dem 
Ofenloch; jo rußig fie war im Geficht, 
daß fie todtenblak wurde, al3 wollten 
die Meſſen jetzt ſchon wirken, das war 
doch zu erkennen. 

Sterbemeflen! Sie wußte wohl, 
was das heißen follte, man Spricht ja 
weitum davon, und wir glauben gar 
nicht, was Die alles glauben, die 
für's Glauben einmal eingerichtet find. 


„Du bift aber ſchlecht,“ fagte nun 
die Anna-Mirl, während fie fich mit 
der Schürze den Schweiß trodnete, 
„daß Du mich mit einem Spaß jo 
erfchreden kannt.“ 

„So!“ begehrte die Alte auf, „fo! 
Ein Spaß, ſagſt! Mit heiligen Saden 
einen Spaß, treiben! Du vielleicht ! 
Ich nit. — Rait nad. Der Stiegel- 
bauer, vor zwei Jahren, ift auch fo 
geftorben. Weil fein Weib fein Gift 
kriegen hat können, jo Hat fie drei 
Sterbineifen für ihn lefen laffen. Die 
ift don ihrem 
Schwiegerſohn todtgebetet worden. Wie 
fie den Holzmeifter-Rodel im Wald 
todt gefundey und der Bader feine 
Todesurfah’ Hat aufweifen können, 
haben Alle gejagt, daß fein Bruder 
für ihm drei Sterbmeffen leſen Hat 
fallen. Und ift mit anderd. Mein 
Vetter Tomel, meinem Aehndl ein 
Bruder, foll auch an Sterbmeijen ge: 


15 


ftorben jein. — Mann das bei Dir „Nachher fterben wir allzwei!“ 
ein Spaß if! Wirt es ja mohl| meinte die Magd. 


jehen.“ „Thät' Dir leid um die Andere 2“ 
„Um Gotteswillen!” rief die Magd „a, Schneden, wenn fie mag! 


und preite die gerungenen Hände an Um mich thät’ mir's leid,” 
den Buſen, al3 wollte fie um dene „Dirn, Du verftehft nichts. Die 
jelben einen Reifen legen, daß er vor | Meffenzahlerin muß dabei fein bei der 
Herzweh nicht zerfpringe. „Und kann Meſſ', wann fie kräftig fein ſoll und 
ein Pfarrer jo was angehen laſſen?“ den Feind todtbeten. Deswegen nur 
fragte fie. recht bitten, den Herrn Pfarrer, daß 
„Nicht Jeder kann's,“ belehrte die er die Meilen, die Du zahlit, früher 
Traudel, „Der Eine kann's und will | liest, als die andern. Du beteft fleißig, 
nicht. Unferer kann's und will.“ die Bethel ftirbt, kann bei den Meſſen, 
„Aber das ift doch!” feufzte die die Di umbringen follen, nit mehr 
Magd auf. „Ja, fein kann's eh, daß | dabei fein und der Martin gehört Dein.” 
es möglich it. Mit einer heiligen Meſſ' Die Anna-Mirl that einen tiefen 
tann man Alles machen, das laßt ich | Athemzug und fagte: „Ich zittere an 
leicht denken. Die Kraft, die d’rin ‘allen Glieder.“ 
ftedt in fo einer Mei’! Laßt ſich „Das glaub’ ich,” verſetzte die 
denfen. Und wer — wer hat’s denn | Alte, „geh’ nur zum Pfarrer, und daß 
gejehen, daß fie die Sterbmeſſen ges |er die Deinigen zuerft liest. Hein 
zahlt Hat?” zuerſt! Und wann er Ausreden hat: 
„Ich jelber, mein Menfch!” be- Wer zuerst kommt, der mahlt zuerit, 
thenerte die Alte, „zu allem Glück ſo ſag' einen ſchönen Handkuß von 
fällt's mir im der Kirche ein: gehſt der SKalchleithofer » TZraudel und geh’ 
heit’ zum Herrn Pfarrer wegen der nit früher fort, al3 bis er dir's vers 
Seelenbruderfchaft anfragen, weil jetzt Spricht. Sei geſcheit!“ 
eine neue herausfommen ſoll, mit dem Die Anna-Mirl war gefcheit, wir 
dreifachen Ablaß. Wie ih die Thür) wollen fehen, wie fie das angeftellt Hat. 
aufmach’, fteht die Bethel beim Pfarrer, An dem Abende desfelben Tages 
gibt ihm einen Silberthaler in die) ſtand fie allein und ſinnend vor dem 
Hand und ih hör noch die Red’ von Hyrrofen, an welchen fie heute die 
dem drei Sterhmeſſen. Küß' die Hand, wunderlichen Sachen gehört hatte. Sie 
Nochwürden, ſag' ich, was thuſt denn gätte der Traudel doch recht danken 
Du da, Bethel? Iſt fie darauf rotd| soffen, die gute Haut rettet ihr ja das 
worden, wie ein gefoltener Krebs.“ | genen. Nun hielt die Magd einen 
Ich glaub's gern, daß fie roth brennenden Zündfpan in der Hand, 
ift worden, bei jo was! Aber daß Dit) um damit im Ofen den Scheiterſtoß 
mir's nit früher gejagt haft!“ in Brand zu fteden. Da fie aber vor 
„Ich hätt’ Dir's gleich erzählt, er lauter Nachdenken nicht dazu Fam, fo 
wird aber die Meſſen ohnehin vor | blies ihr der Wind die Flamme aus. 
drei Wochen mit leſen Können, weil Frottete der Martin dom Malde 


jet die Pfarrämter find.“ daher und erfüllte die Luft mit fri- 
„Jetzt, was thu' ich 2” Hauchte die| ſchem Harzgeruch, der von ihm aus= 
Anna-⸗-Mirl vathlos. gieng. — Ob fie Feuer Haben wolle? 


„Annas-Mirl,“ fagte die Alte und| war feine Frage an die Magd. a, 
padte fie feft am Arm. „Jetzt loſ' das fei ihr recht. 
auf. Dir gehft hent' oder morgen zum „Gib her!“ fagte er, nahm ihr 
Pfarrer und zahlft drei Sterbemeſſen den Span aus der Dand und ftedte 
für die Bethel.“ ihn bald brennend in den Ofen. 


16 


Alsbald ſtand der Holzftoh in heller 
Lohe über und über. Wenn der Mar- 
tin einmal anzündet! Die Anna-Mirl 
glaubt es! 

Als die Magd fpäter in’s Haus 
trat, fand in der Thür die Bethel. 
Sie blidten einander trogig und mit— 
feidig an und giengen ihres Weges. 
Der Martin trottete, die Hände in 
den Hofentafchen, noch etliche Male 
um den Hof herum, jodelte einen 
Amer in das abendlich dämmernde 
Thal hinaus und gieng Schlafen. Es 


Annas Mir, blidte fie eine Weile an 
und fragte: „Wie heißeſt Du?“ 

„Küß die Hand, Anna Maria 
Sandlerin.“ 

„Aunaga Maria, ich will Dir was 
jagen,“ ſprach der Pfarrer, „Wenn 
es wäre, dab Du jeßt todt vor mir 
niederfieleft, ich könnte Dich nicht 
hriftlih begraben. Ich müßte Dich 
hinter der Mauer einfcharren laffen, 
wo die Heiden und Ungläubigen liegen 
Kun die unbußfertigen Mörder. Und 
die Schwärzeften Teufel müßten kom— 


war ihm wachend nicht eingefallen, | men und Deine arme Seele in die 
daß und in welcher Weife die beiden unterſte Hölle hinabjchleifen. Du bift 
Mägde tödtlih um ihm rangen, und ein recht ſauberes Dirndel und wird 


es fiel ihm im Zraume nicht ein. 


Am mächlten Morgen — e3 war 
der Tag des heiligen Leonhard — 
bat fih die Anna-Mirl aus, daß fie 
in die Kirche gehen dürfe, es habe 
ihr Vater felig Leonhard geheißen und 
dejjen wollte fie gedenken. 

Nach dem kurzen Gottesdienft Hopfte 
fie an die Pfarrhofthür. Drei filberne 
Zwanziger aus Saifer Franzens Zeit 
hielt fie Schon.lange in der Hand, daß 
fie warın und feucht waren — thatſäch— 
ih Sündengeld, an dem der Schweiß 


des Volkes Hebte. Dann teilte fie 


vertrauensfelig dem Pfarrer ihr An— 
liegen mit: Drei Sterbemeifen will fie 
zahlen für die Bethel Mooshuberin, 
und todtbeten ! 

Das verftehe er nicht, meinte der 
Pfarrer, das nehme er nicht an. 


Aber von der Bethel Haube er e3 


der Kalchleithofer gewiß auch mit 
Deiner Bravheit zufrieden fein. Troß- 
dent muß ich Dir Jagen, Du bift die 
größte und gottlofefte Heidin, die man 
ſich vorftellen fan. Der Heiligen Meſſe 
zuzumuthen, daß fie wie meuchlerifches 
Gift Menfchen tödte! Einem Briefter 
zuzumuthen, daß er ſich als Henker 
dingen laſſe! Du biſt ficherlich ein 
gutherziges Dirndel und Haft nicht 
weiter gedacht, als Dich von der Fein— 
din zu befreien, gewiß ift Eiferfucht 
im Spiele; aber wie — wenn Dein 
| Verlangen erfüllt werden lönnte — 
das Dirndel ſtarr und kalt daliegen 
würde auf dem Bahrbrett, und das 
böfe Gewiffen Dich verfolgen müßte 
Tag und Naht, Dein Leben lang, 
und Dir zurufen: Du Haft fie er- 
Ichlagen! Das Gericht Gottes kommt! 
— Das Haft Du nicht bedacht. — 
Vor einer Viertelftunde ift da draußen 


doch angenommen! hielt fie ihm vor. | ein Gendarm vorübergegangen , um 
Sie bitte um tauſend Gotteswillen | einen Holzdieb einzufangen. Ich möchte 
und daß er fie Halt wohl gewiß Früher | ihn am liebften zurüdtufen und ihm 
lefen wolle, die Meffen, als der Bethel jagen: Laſſ' den Holzdieb bis morgen 
ihre und fie habe einen Schönen Hands | [aufen; oder einen Brandftifter, einen 
fuß auszurichten von der Kalchleit- Todtſchläger hat er einzuliefern, laſſ' 
hofer Traudel. fie bis morgen laufen. Heute nimm 
Lange Fonnte der Pfarrer nicht | Die mit, Die da, fie ift eine vorfäß- 
Hug werden aus den Darlegungen der liche Mörderin. — Ja, mein Kind,“ 
Magd, als er endlich aber doch ahnte, | fuhr der Pfarrer nah einer Pauſe 
um was es fih hier Handle, als er fort, da die Anna-Mirl wie verfteinert 
und gebannt vor ihm ftand, „ja, die 


ih es erklären ließ, twas Die Magd 
meine, trat er langſam Hin vor die Bethel Mooshüberin iſt am vorigen 


17 


Sountag bei mir gewefen und Hat 
drei Sterbemeſſen gezahlt für die Seele 
ihrer verftorbenen Mutter... .“ 

Jetzt verhüllte die Magd mit der 
Schürze ihre Gefiht und taumelte der 
Thür zu. Der Pfarrer Hielt fie zurüd. 
„Anna Maria,“ fagte er in liebreichem 
Zone. „Möge Di der allmächtige 
Gott erleuchten, daß Du den unerhör- 
ten Aberglauben, der Dich bejellen 
bat, in feiner ganzen Thorheit er— 
fennft! Möge Gottes Liebe die Rach— 
gier Deines jungen Herzens löſen! 
Was bat fie Dir denn gethan, die 
Bethel, daß Du ihr an’3 Leben willft ?“ 

Nun fiel die Magd vor dem 
Pfarrer auf die Kırie und unter Hände- 
ringen und frampfhaften Schluchzen, 
daß ihre Worte kaum zu verftehen 
waren, rief fie: „Nichts, nichts hat fie 
mir gethan, den Martin bat fie gern, 
ih bin feiner nicht wert, fie ift tau= 
ſendmal befjer wie ich, fie foll ihn 
haben. Ich bin verblendet gewesen, 
die alte Zraudel hat mir Alles fo 
gejagt. Ich bitt' um Verzeihung!“ 

„Geh’ Heim!“ fagte der Pfarrer, 
„Tide mir aber die alte Traudel ber, 
mit der will ich anders reden!” 


Unterwegd nah Haufe Tam die 
Anna-Mirl an dem mittlerweile auf: 
geſchichteten Stoß des Reiſigs vorbei, 
da3 der Martin geftern von Baum 
geichlagen Hatte. Der Hohe Fichten— 
baum ftand völlig entäftet ftarr in die 
Luft, nur der grüne Wipfel war noch 
oben ; den hatte der liebe Kerl gewiß 
des Bogelneftes wegen gefchont. Hinter 
dem Reiligftoß war ein Flüſtern. Die 
Annas Mir dudte ſich nieder und hatte 
bald weg, wer dahinter war. Endlich 
verftand fie fogar etwas. 

„ . . . und mußt mir verfprechen, 
daß Du keine Andere gern haſt!“ 
flüſterte eine weibliche Stimme. 

„So,“ ſagte eine männliche. 

„Gar keine! Auf der ganzen Welt 
feine! Dein Lebtag feine!” 


Rofegger's „Geimgarten‘‘, 1. Geft, X1 





„Das kann ich Dir nit versprechen!” 

„Berfprih mir’s, Martin! Wie 
bor dem Altar!“ 

„Der Graßhaufen (Reifigftoß) ift 
ja fein Altar, und Heiraten will ich 
noch nit. Will noch ein Eichtl frei 
bleiben und mir die Zeit vertreiben, 
mit wem's mich g’freut.“ 

„Du biſt Schon der Wahre! Heut’ 
g’freut Dich die Zeit mit mir, morgen 
mit der Anna-Mirl!“ 

„Kann eh fein.“ 

„Du bift ein fpottfchlechter Bub!“ 

„Wann ih Dir mit gefal’ — 
kaprizier' Dich mit.“ 

„Martin! Schlechter Bub! Her— 
zensbub! Ich laß' Dich nit. Mein 
tauſendlieber Schatz!“ 

„Oh, oh! Druck' mich nit gar 
ſo feſt!“ 

„So feſt will ich Dich drucken, 
daß ich Dir alle Lieb' ausdruck' in 
meinem Arm! Daß Du zu einer An— 
dern feine mehr Haft... . .* 

Der armen Anna-Mirl vergieng 
fhier Hören und Sehen. — 

Erft am fpäten Nachmittag kam 
fie heim. Der Bauer verwies ihr 
fcharf das lange Ausbleiben. Ueber 
das Gedenken an den Vater Leonhard 
diirfe ein brades Dienfibot’ auch des 
Flachſes nicht vergeffen im Dörrofen, 

„Mein Bauer,“ fagte die Magd, 
„ich ſehe es wohl, ich bin nichts mehr 
nutz. Schid’ mid fort. Ih mag nicht 
mehr bleiben in Deinem Haus, mid 
gefreut nichts mehr, ich ſuch' mir einen 
andern Platz.“ 

„Ei ei, was Du für Muden Haft !* 
tief der Kalchleithofer, „geh' jet zum 
Flachs.“ 

Im Holzſchoppen war auch ſchon 
der Martin beſchäftigt, den getrock— 
neten Flachs, der in Büſchel über— 
einandergeſchichtet lag, zu wenden. 
Nachdem die Beiden eine Weile ſtumm 
nebeneinander gearbeitet hatten, ſagte 
der Burſche: „Ich möcht' nur Eins 
wiſſen.“ Weil fie darauf feine Ant— 
wort gab, fo jeßte er bei: „Ich möcht’ 

2 


18 


nur willen, warum Du heut’ wieder 
fo ſtolz bift auf mich.“ 


Sept wußte die Magd wie fie 
daran war. Er hatte fie lieb, in Eruft 


„Ih werde fein können wie ich und heilig lieb. Und wo eine ſolche 
will, was geht denn das Dich an!“ Liebe vorhanden ift, da wird feine 


Nah diefer Herben Antwort war 
er ganz fill und wendete eifrig die 
Flachsbüſchel um. Plötzlich ließ er ab, 
ftellte fich vor die Magd hin und fagte: 
„Jetzt, das ift mir zu dumm! Ent— 
weder oder. Haft mich gern oder nit ?“ 

„Kann Dir Alles eins fein. Geh’ 
Du zu einer Andern.“ 

„Das thu’ ih au, wann Du 
mich mit magſt. Mit Dir hätt’ ich's 
aufrichtig gemeint, Andere fopp’ ich.“ 


Mebenbuhlerfchaft gefährlich, da thun 
feine »Sterbmeffen« noth, felbft wenn 
es ihrer gäbe. 

Sie gab dem Burſchen die Hand 
Hin und jagte: „Martin, ohne Deiner 
hätt’ ich mit leben mögen. Nur Dein 
Treufein. . .“ 

„Anna Maria, ich verfpreche Dir's!“ 

In diefem Augenblid kreiſchte hin— 
ter den Brettern eine Stimme: „Schau! 
ſchau! Der Grashaufen iſt kein Altar, 
aber der Dörrofen iſt einer!“ 


Die Gaißerburg. 


Eine Rittergeſchichte aus der Vorzeit von Hans Malſer. 


>), er Fremde, welcher das Schol- 
lingtdal durchwandert, wird 
ihon am Eingange des Thales weit 
im Dintergrunde desjelben eine wüſte, 
felfige Bergmaſſe erbliden, von der er 
fein Auge nicht jo leicht mehr zu 
wenden vermag. Diefelbe fteht gar fo 
troßig da, alle übrigen Berge in der 
Runde — und die laſſen fi) an Maffige 
teit und Höhe doch auch nicht ſpotten — 
weit überragend. Man nennt ihn den 
Kolber. Er fteht, von der Ferne ge= 
fehen, wie ein blauendes Dreied da, 
deſſen obere Spitze ſcharf abgebrochen 
iſt. Ihm näher kommend, treten Ein— 
zelheiten hervor, Felsgruppen, die an 
und für ſich ſchon ein kleines Gebirge 
bilden, tiefe Runſen, die wie Sprünge 
oder Fältlein ausſehen und in denen 
doch ganze Dörfer ſtehen könnten, 
wenn ſie am Hange klebend gedacht 








Scheitel bis tief an die Vorberge weiße 
Streifen, ſeien es nun Sandrieſen 
oder Schneemulden oder Waſſerfälle, 
deren es, beſonders im Frühjahre, 
wenn auf den Hochrücken und Mulden 
der Schnee ſchmilzt, viele gibt. 

Und wenn man dem Kolber endlich 
ſo nahe iſt, daß die dreieckige Form 
des Berges in die Zerriſſenheit der 
Vorwände übergeht, kann man hoch 
oben am ſchwindelnden Hang eine 
bräunliche, zinnenartige Steingruppe 
ſehen, die man für eine Burgruine 
halten möchte, wenn es in der Men— 
Schenmöglichkeit läge, an ſolcher Stelle 
ein Schloß zu bauen. 

Sa, es liegt in der Menſchen— 
möglichkeit, und die Steingruppe dort 
oben, wo ſchon die Vegetation er— 
ftirbt, ift im der That eine Schloß— 
ruine. Die Gaißerburg nennen fie die 


werden. Dort und da gehen faft vom |die Leute und Manche jagen, das 


müſſe doch ein muthiges Rittergefchlecht 
gewefen fein, welches an fol’ uns 
erhörtem Pla fein Schloß gebaut. 
Ih wäre der Meinung, es fei vielmehr 
ein feiges Geſchlecht gewesen, welches 
fih vor den Feinden verfrochen hatte 
da hinauf in den Geierhorft. Es gehört 
wahrlih feine befondere Tapferkeit 
dazu, eine ſolche Burg zu befchügen, 
welche die Natur jelbft befeftigt hat. 

Die Sage erzählt, daß bald nad) 
dem lebten Kreuzzug Herren in das 
Alpenthal gekommen feien, fi” Land 
und Leute theils erworben, theils eigen— 
mächtig angeeignet hätten und dann 
im Gewände des Kolber den gewal— 
tigen Frohnbau aufführen ließen, um 
in demfelben die ungeheueren Schäße 
zu verwahren, die fie mitgebracht. Die 
Herren waren unter dem Namen „Die 
Hohen Ritter” bekannt, erftens wohl 
der hohen Lage ihrer Burg wegen, 
dann auc, weil jie eine hohe, reden 
bafte Körpergeftalt Hatten, und endlich, 
weil fie hohen Sinnes waren. Ihren 
Handlungen und Gebaren nach zu 
Ihließen, hielten fich die Hohen Ritter 
den anderen Geſchlechtern des Landes 
weit überlegen an Macht und Adel, 
und fie hegten nur Brüderlichfeit mit 
Fürften fremder Länder, Das leib- 
eigene Volk im Thale war ihnen felbft- 
verftändlich nichts als eine Herde von 
Nutzthieren — Ochſen, die ihnen das 
Feld furchten, Efel, die ihmen die 
Lebensmittel zur Burg emporfchleppten, 
Bienen, die ihnen allerlei Früchte 
jammelten und gelegentlich auch ver— 
wendet wurden zur blutigen Verthei— 
digung deflen, was fie mit nimmer— 
taftendem Fleiß erworben hatten und 
was doch nicht ihnen gehörte. Denn 
an Feinden hatten die hochmüthigen 
Ritier feinen Mangel und e3 waren 
deren manche, die ſich von der ſchein— 
baren Unzugänglichleit der Kolberburg 
nicht abjchreden ließen. Die Burg 
Ihien, von unten aus gefehen, enge 
an die Hinter ihr aufragende Fels— 


wand gebaut zu fein; indes war aber 


jwifchen dem Gebäude und der Wand 


19 


eine tiefe Schlucht, in welcher ein 
Waflerfall donnerte. Da ſoll es öfter 
als einmal gefchehen fein, daß die 
Burg in Gefahr war, von kühnen 
Stürmern eingenommen zu werden, 
denn die Beſatzung war abgerichtet 
wohl für das Berftedenfpielen, aber 
nicht für den offenen Kampf. Und 
da hätten fi die Hohen Ritter ein 
paar Mal den Spaß gemacht und 
auf die den fteilen Graben heraufs 
ftürmenden Feinde den Waſſerfall 
hinabgeleitet, da Alle wie Kehricht 
zugrunde geſchwemmt wurden. 


Als der Schwedenfrieg kam und 
e3 überall friedlos war auf der Welt, 
zog auch der Herr der Solberburg 
aus mit einem anſehnlichen Fähnlein. 
Ob er e3 gethan hatte, um dem römi— 
ſchen Kaifer zu vertheidigen oder den 
Glauben zu ſchügen oder fich neue 
Schätze und Macht zu erobern, dar— 
über ift die Frage bis heute offen ge= 
laflen. Der Hohe Ritter kam nicht 
mehr zurüd an die Hänge des Kolber; 
fein Fähnlein hatte fich verflüchtigt in 
den böhmischen Wäldern und er jelbit 
fiel bei der Schlaht auf dem Weißen 
Berge. 


Nun hatte der Mann aber feinen 
Bruder hinterlaffen, auch Feine Frau 
und feinen Sohn, wohl aber eine 
Tochter. Diefe Tochter war um folche 
Zeit achtzehn Jahre alt; fie war auf 
den Namen Iſanthe getauft worden, 
der Name gefiel ihr aber nicht recht. 
Sie nannte fih Sirene, der Name 
gefiel ihr beifer. Sirene war der 
Obhut des Burgfaplans und eines 
‚ alten Oheims anvertraut, welch leßterer 
fein Leben dem Studium der Hoflitten 
geweiht Hatte und ſohin für den Er— 
zieher eines ſolchen WRitterfräuleins 
höchft geeignet war. Aber diejer alte 
Oheim war ſchwachſinnig geworden. 
Als die Nachricht von dem Tode des 
Herrn eingetroffen war, ließ der Oheim 
den alten Schäfer Gutram holen, von 
dem die Sage gieng, daß er Lebens— 
|etigiere zuftande bringen könne. 

2* 


———— —— — — — — ——— — ———— — — — — — —— — — — 


20 


„Iſt es wahr,“ fragte er diefen 
mit vornehm lallender Stimme, „könnt 
Ihr Leute — mannbare Leute wieder 
jung machen? ganz jung ?* 

„Das ift ja feine Kunſt,“ ant— 
wortete der alte Gutram klüglich. 


„Warum machet Ihr Euch denn 
felber nicht jung ?“ fragte der Ritter: 
Oheim und zwinferte mit den blöden 
Augen. 

„Wer jagt Euch denn, dab ich 
mich nicht jung mache?“ verſetzte der 
Gutram. „So oft ih will!“ 

„Ich verſtehe,“ ſchmunzelte der 
Ritter-Oheim. „Seht, Alter, ich bin in 
den beſten Jahren — faſt noch in den 
beſten. Es iſt Uebermuth, daß ich noch 
jünger ſein will. Ein Jüngling mit 
fünfundzwanzig —“ 

„Könnt' fie haben.“ 

„a, ſchier ein Kind zu fein, ges 
füftet’3 mich bisweilen.“ 

— Hat nit weit mehr dazu, 
dachte fich der Schäfer, Zähne, Haare 
und Berftand fehlen ihm bereits. Hier— 
auf Hub er an, mit dem Ritter-Obeim 
ein ergößlih Spiel zu treiben und 
trug manch güldenes Münzlein herab 
auf feine Weidematten. 

Sirene war ein munteres, über- 
aus pußiges Fräulein. Ihr Gemach 
war angefüllt mit Schnud, Spitzen, 
Bändern und allerhand niedlichen 
Dingen, die mehr Spielzeug als Ge— 
brauchsgegenftände find. Selten trat 
fie Hinaus in die freie Luft, den ganzen 
Tag ergößte fie fi, indem fie ſchwere 
Seide und prangenden Ehmud an 
ihren gejchmeidigen Leib Hieng, mit 
ſich felbft plauderte, wobei fie recht 
viele fremde Worte und höfiſche Aus— 
drüde gebrauchte und fi wie eine 
Prinzefjin geberdete. Der Burgcapları 
fünmerte fich nicht viel um das Fräu— 
lein, jondern oblag in feiner Stube 
dem Lieblingsftudium lateinifcher, ſcho— 
laftifher Schriften. Er fpürte der 
Wahrheit nah und war auf dem beten 
Wege, ficherzuftellen, wie es dann 
mit der Menſchheit ſtünde, wenn die 


Stammutter Eva nicht in einen Apfel, 
fondern in einen Pfirfich gebiffen hätte. 
Um fo fleißiger war der Ritter- 
Oheim bei dem Fräulein. Sirene hatte 
ein weißes, ſehr feines Pulverchen, 
mit dem fie ihre rothen Wangen zu 
beftäuben pflegte; mit diefem Pulver 
beftäubte der Oheim auch bisweilen 
die feinen, bis ihm das Fräulein 
einmal rieth, nicht fo ſehr die Baden, 
fondern vielmehr die Nafe mit einem 
zarteren Zeint verfehen zu wollen. 

Hräulein Sirene Hatte nämlich 
viele natürliche Schallhaftigkeit, die fie 
freilich gern in Efprit umzufeßen liebte, 
außerdem — da e3 doch ſchon einmal 
gejagt werden muß — war Sirene 
ſehr ſchön, daß nicht einmal der lächer- 
liche Aufpuß die Tiebliche Geftalt ganz 
zu unterbrüden vermochte. 

Nun lebte in demſelben Thale und 
auf denfelben Matten, die auch der 
alte Schäfer Gutram bewohnte, ein 
junger Mann, Namens Walther. Er 
war dor einiger Zeit in die Gegend 
gelommen und Hatte nach Arbeit ums 
gefragt. 

Was er könne? Er könne nichts 
als leſen, fehreiben und Gott den 
Herrn anbeten, aber er werde Alles 
lernen, was man verlange, daß er thue. 

Wer er wäre? Er wäre nichts als 
der Sohn eines Stadtjchreibers, deſſen 
Dater ih in fünfzigjähriger Amts» 
treue ein Haus erworben. Aber das 
Haus feines Vaters habe der Feind 
zerflört, fein Vater fei aus Gram 
geftorben, er felber fei dann im ein 
Klofter gebracht worden, wo er als 
Novize etliche Jahre Schöne Kunft be= 
trieben. Dann feien die Schweden 
gelommen, hätten das Kloſter nieder- 
gebrannt und die Mönche verjagt. 
Er habe fih nicht wollen fangen 
laffen, ſondern fei lieber im Gebirge 
der niedrigfte Knecht, als mit den 
räuberiſchen Schweden zu gehen. Er 
wolle überhaupt vom Kriegshandiwerf 
nichts willen, viel lieber finge er im 
grünen Walde Lieder. Aber das wiſſe 
er wohl, zum Singen wirden ihn die 


Banersleute nicht aufnehmen, und den 
Schloßherrſchaften wäre heutzutage die 
Luft zum Gefang vergangen, fo bitte 
er nur um Arbeit, um fich fein Stüd= 
lein Brot erwerben zu können. 


Da beriethen ſich die Leute unter: 
einander, denn fo einen hübjchen und 
manierlichen Burfchen läßt man nicht 
gerne ziehen. Endlich that fi einer 
der Dorfälteften hervor und fagte: 
„Seitdem den fchwarzen Lufchel der 
Teufel geholt hat, haben wir feinen 
Gaißhirten. Gunnen fi die hohen 
Herrfchaften auch ihre Paffionen, die 
Einen treiben Jagd, die Anderen Krieg, 
wesweg jollen wir gemeinen Leut’ 
nicht einmal einen geftudierten Gaiß— 
hirten haben! Wenn er will?“ 

Der junge Mann wollte. So 
fonnte er ja doch im grünen Wald 
jein und im feinem Frieden -fich des 


Lebens freuen und Gott verchren. Es | 


wollte ihm beſſer gefallen, als mit 
jungem Blute eingefargt zu” fein in 
den Kloſtermauern. 

„Vielleicht holt Dich bei uns auch 
der Teufel,“ fchrie einer der Bauern 
dem Walther in's Geficht. 

„Mie fo?" fragte Walther. 

„Weil Du etwan auch die Kunft 
weißt wie der jchwarze Lufchel und 
die Böde melfeft bei den Hörnern! 
Dem Lufchel Hat ein Gaikbod über 
die Sullwand hinabgeftoßen, daß fein 
Knochen ift ganz geblieben an feinem 
Leib. Hüte Di!” 

„Sch Hüte mich und die Gaiken,“ 
lagte Walther, da war der Handel 
geichloflen. 

In einer Strohfcheune des Ge— 
meindeftadel3 heimten fie ihn ein, dort 
hatte auch der ſchwarze Lufchel ge— 
wohnt. Und an jedem Morgen vers 
jammelte er die Gaiken der drei zu— 
fammengehörigen Dörfer und führte 
fie hinaus auf die Heiden des Thales, 
auf die Hänge und Matten der Berge. 
Ein Stüd Gerftenbrot und ein Topf Milch 
war feine Nahrung, im Webrigen lebte 
er von dem Manna, das vom Himmel 


A 


fiel, nämlich von den wilden Früchten 
der Wälder und Weiden und von der 
Freude an dem Sonnenschein nnd an 
den Nofen. Waren Stürme, fo hüllte 
er fich in den MWettermantel des Lufchel, 
aber der war ihm viel zu kurz, denn 
der Lufchel war ſchier ein Zwerg ge= 
wejen und Walther war jchlank wie 
ein junger Lärhbaum und aud fo 
frifch und ſchmiegſam. Lange, jchwere 
Loden hatte er, die glänzten in der 
Sonne wie gefponnenes Gold und 
floffen ihm breit und weich auf die 
Schultern hinab. 

Einigen war die große Schönheit 
des neuen Gaißers — befonders, wenn 
er ſie mit feinem großen hellen Auge 
munter anblidte — verdächtig und fie 
meinten, da3 wirde feinen Beltand 
haben und die erftbefte Witfrau würde 
eines Abends nebſt ihren Gaißen auch 
den Gaißer an fich fordern. Anderen 
gefiel es nicht, daß der Hirt einen 
aus Burbaunholz fein gejchnigten 
Kamm beſaß, womit er fich jeden 
Morgen die langen Haare fträßlte. 
Ein Gaißer, der ſich kämmt! Was es 
doch in diefer neuen Zeit für wun— 
derliche Leute gibt! 

An den alten Schäfer Gutram 
hatte fih Walther angeſchloſſen. Der 
Schäfer konnte zwar fonft die Gaißen, 
folglih auch die Gaißer nicht leiden, 
denn er behauptete, die Gaißen nagten 
der MWeltkugel nicht bloß das Gras 
und Gefträuch bei Pub und Stingel, 
fondern auch die Haut ab und ließen 
den Schafen nichts übrig. Den weich— 
müthigen, heiteren Walter aber hatte 
er lieb, weil er die Weidepläße nicht 
vorwegs wegnahın, wie es der Luſchel 
hatte gethan; und Walter wieder 
freute fih an den Schnurren und 
Polen des Alten, und wenn fie auf 
dem grünen Raſen ausgeftredt lagen, 
hedten fie mitfammen mand feines 
Stüdlein aus. Ward e3 Schon nicht 
immer voflführt, jo ergößten fich die 
Hirten in der Borftellung desjelben, 
und fo gewann ihr Leben einen, wenn 
auch flüchtigen, aber heiteren Juhalt. 


22 


Eines Tages, als Walther feine 
Herde in das Gewände des Stoller 
binangeführt Hatte, zwiſchen deſſen 
Gefelfe auf ſchwarzer Erde ein gar 
feines Gräslein wuchs, Hetterte Wal: 
ther — es war ein heißer Julitag — 
zur Schattigen Rinfe, wo das Wafler 
niederſchoß; und feitwärts, wo es in 
einen binnen Schleier vom Felsvor— 
fprung riefelte, Iniete er hin und hielt 
fein Haupt unter das Waller, daß 
die Loden mitſammt dem Wafler vorn 
über dad Antlitz herabgoſſen. Nach 


wohl das Ritterfräulein, aber werben 
darf er nicht um ſie. Ich denke, 
einſtweilen ſollſt auch mit dem Lie— 
ben genug haben. Zwei Wächter Hat 
fie. Der eine ift nicht gefährlich, 
der ftudiert eben in alten Schriften, 
ob Gott-Sohn auch dann die Welt 
hätte erlöfen können, wenn er als 
Kohlrübe auf die Erde gekommen wäre. 
Der andere Wächter ift auch nicht ge= 
fährlich, der will fich Häuten und aus 
einem alten Zatel ein frifcher Knabe 
werden. Den übernehme ih. Mit 


diefer Erguidung wollte er wieder | dem Fräulein mußt Du es abmachen. 
feinen Gaißen zugehen, da hatte er Aber fachte, Junge, ſachte!“ 


plöglich dor fich die -Ritterburg. Mit 
diefer wäre er aber leicht fertig ge— 
worden, allein in einem der Fenſter 
ftand das Burgfräulein, und das 
bradte ihn — mie eine leibhaftige 
Eirene — auf der Stelle aus Rand 
und Band. So fehr zitterten ihm die 


So tief Walther einerfeits über 
fein Schickſal bekümmert war, fo machte 
e3 ihm andererſeits doch Spaß, als 
Hirtenjunge in ein Schloßfräulein ver— 
liebt zu fein. Er fühlte fich wie der 
Held einer Gefchichte, die mit einem 
tüdhtigen Trumpf ausgehen muß — 


Knie, daß er nur mit Noth niederkam fo oder ſo — aber nicht in den Saud 
an den Wänden in’s Thal. Dort verlaufen, das ift er feiner Hirtenehre 
ftrich er dur Erlen» und Haſelnuß- ſchuldig. In alten Zeiten haben die 
büfche hin, bis er den Schäfer Gutram | Hirten bei folhen Dingen immer ges 


fand, dem klagte er es: „Heut ift 
mir was pafjiert. Das Burgfräulein 
da oben, das hat mich in Brand ge— 
ftedt.“ 


„Knabe!“ antwortete der Schäfer, | „ieder 


„da mußt Du löfchen.” 


ſiegt, nur Schade, daß das Burgfräu— 
lein nicht gar eine Königstochter iſt! 


In einer Engſchlucht des Kolber, 
dort, wo der Waſſerſturz vom Berge 
in einen tiefen Tümpel fällt, 
ftand ein Dornftrauh. Weil niemals 


„Mit kühler Erde,“ murmelte Walz | ein Sonnenftrahl darauf fiel, jo waren 
ther jehr niedergefchlagen, „ein Burgs |daran immer nur verfümmerte Kno— 
fräulein kann der Gaißhirt ja nicht | fpen, ſchwindſüchtige Blüten und un— 


haben.“ 


„Warum denn nicht?” 


entwidelte Fruchtfnoten zu fehen ge= 


fragte | weſen. Daher fiel es dem alten Schäfer 


der Schäfer munter, „gebe Hin umd auf, als eines Tages am Dornftrauc 


nimm fie.“ 


Walther blidte den Alten eine 
Meile an. Endlich fagte er: „Du haft 
Recht, Gutram, ich bin ein junger 
Mensch und fie ift ein junger Menfch, 
warum follten wir uns nicht haben! 
Sie ift ja ihr eigener Herr, ich gehe 
noch Heute hinauf in die Burg und 
werbe um fie.“ 

„DH Kind!“ rief der Alte, „und 
willft Schon werben! Das mußt Du 
Hüger anftellen. Lieben darf der Hirte 


ein vollerblühtes Röslein prangte. 


„Das wundert Dich!” rief Wal 
ther, „Ichaue doch hinauf zur Burg. 
Dom Erferfenfter kann ihr Blick herab— 
leuchten auf den Strauch, das ift mehr 
als die Sonne.” 

Darauf wurde verabredet, die Roſe 
dem Fräulein zu überfenden. In der 
Taſche ein Fläſchchen Lebenselirier für 
den Ritter-Oheim, in der Hand ein 
Körbchen aus Brombeerlaub geflochten 
und darin die friſchbethaute Rofe, fo 


ra 


23 


ftieg der Schäfer Gutram hinauf zur Damit jchleuderte fie das rothe Rös— 


Burg. 

Die Pforte war für den Alten 
immer offen. „Ih bringe Jugend,“ 
tief er dem Oheim zu, der ihm ges 
büdt entgegenhaftete, „aber Ihr müßt 
aus diefem Fläfchlein täglich nur einen 
Tropfen zu Euch nehmen. Sonft 
fommt fie jählingd und wirft Euch 
über den Haufen, mit Berlaub. Ihr 
müßt erft wieder reiten lernen, gnä— 
diger Herr, ehe Ihr diefen Hengiten 
befteigt.“ 

Der Oheim war's zufrieden. Dem 
Schäfer gelang es hierauf, dem Fräu— 
lein Sirene die Rofe zu übergeben, 
wobei er folgende Worte ſprach: 
„Snädigfte Jungfrau! Zürnet mir 
nit, wenn ich als arınjeliger Bote 
des Frühlings zu Euch komme. Tief 
unten in der finfternen Schlucht fteht 
ein Strauch, und feit Gott der Herr 
die Welt erſchaffen, hat es der Früh: 
ling nicht vermocht, einen Sonnenblid 
darauf zu lenken und eine Roje daran 
zu entfalten. Nun fiel wohl der Blid 
Eueren Auges auf die Knoſpe des 
Straudes und der hat diefe Roſe 
entfaltet, denn er ift mehr als die 
Sonne. So fagte der Frühling, die 
Nofe gehöre Euch, gnädigfte Jungfrau, 
und da ift fie nun.” 

Das Fräulein Sirene lächelte gnä— 
dig und die ſchallhafte Rede gefiel ihr. 
Doch fonnte fie nicht denken, daß ihr 
nitten in der Natur Ueberfluß Jemand 
eine gewöhnliche Nofe zum Gefchent 
machen wolle. „Ei ei,“ ſagte fie, „wie 
nett! Was man doch heutzutage für 
hübſche Sahen macht aus Papier und 
Seide! Wie frifh! Wie weih! Gar 
zu täuſchend! Ich danke Euch, lieber 
Alter!“ 

Der Schäfer madte fie aufmerk— 


fan, daß es feine Fünftliche, fondern | 


eine natürliche Roſe fei. 

„Was jagt Ihr da?“ verjeßte 
das Fräulein. „Seine künſtliche aus 
Sammt und Seiden? Und man wagt 
es, mir eine gemeine Rofe zu ſchenken, 
wie fie auf allen Heden wachjen ?* 


lei zu Boden und raufchte zornig 
davon. 

Als der Schäfer zum Gaißer zurück— 
fehrte, lag diefer im Heidefraut und 
firedte alle Biere von fi. Der Schä— 
fer fchüttelte den Kopf. Walther erhob 
fih ein wenig, ftrih die Mähne aus 
dem Gefiht und fragte: „Nun, wie 
iſt's?“ 

„Nichts iſt's, wenn man den Kopf 
ſchüſttelt,“ berichtete der alte Gutram 
„Sie hat die Roſe zu Boden gewor- 
fen, weil fie nit von Seiden war. 
Es hat fie gefräntt, daß die Roſe echt 
und gerecht war.“ 

Walther fprang auf und ftampfte 
in den Boden. 

„So wäreft Du eben einmal weg— 
geworfen worden, ſchöner Gaißer,“ 
fpottete der Schäfer. 

„Daß fie mich weggeworfen hat, 
erzürnt mich nicht,“ ſagte Walther, 
„denn ſie hebt mich wieder auf. Aber 
daß in dieſem himmliſchen Leib eine 
fo jämmerliche Seele wohnt, der eine 
unechte Blume lieber ift als eine echte, 
das betrübt mich. Jedoch, Gutram, 
erinnere Dich einmal d’ran, was id 
jet jage: Ich werde die arıne Seele 
diejes Burgfräuleins noch auseinander« 
ziehen, wie der Bäder den verſchrumpf— 
ten Zeig. Jetzt ift mir die Sache kein 
Spaß mehr, ih wage mich ernftlich 
an diefes verdammt ſchöne Kind.“ 

„Du mußt erft noch etliche Angeln 
ausmwerfen, ehe Du Dich felber ſtellſt,“ 
rietd der Schäfer. „Lab Dir fagen: 
ſchice ihr einen Vogel. Mit derlei 
ſchmeichelt man fich bei den Weibern 
immer ein.“ 

„Wäre nur ein Paradiesvpogel 
ſchickſam,“ meinte Walther. 


„Bei uns ift Schidfam, was Gott 
‚bei uns hat wadjen laſſen,“ verjeßte 
‚der Schäfer. „Die Scharlbuben haben 
‚einen Zeifig, den haben fie im Jung» 
wald aus dem Neft genommen und 
fingt er allerhand feine Liedeln. Den 
faufeft und ſchickeſt der Schönen.“ 





So ward es. Und der alte Schäfer 
flieg mit dem Käfig hinan zur Burg 
der Hohen Ritter. Schon auf der 
Schloßbrücke kam ihm der Oheim ent» 
gegen, der wollte zornig fein, war 
aber nur kläglich. „Schäfer,” mur— 
melte er und ſchaute zu Boden, als 
ob er dort etwas fuchen wollte, „Euer 
Elirier wirft nicht.“ 

„Wie fo ?* 

„Es wirft nicht.“ 

„Das wäre mir unerklärlich.” 

„Es wirkt einmal nicht. Geh’ her.“ 
Er zerrte den Schäfer in den Winfel 
hinter die Pforte und flüfterte: „Ich 
babe geftern eine Maid küffen wollen. 
Sie hat mich wohl geftreichelt. Ja, 
geftreichelt, aber zu ſtark.“ Er hielt 
feine Hand an die Wange, da war es 


„Wird ihr der Bräutigam wohl 
lieber geweft fein,“ bemerkte der Schä= 
fer, um für feine Sache etwas zu 
erfahren. 

„Den Laufpaß Hat fie ihm gegeben, 
dem Ritter von Dreilaufen, und hat 
gemeint, wenn der Herr Ritter glaubt, 
daß ihm fogar ein hölzerner Vogel bei 
ihr gefährlich werden möchte, fo müßte 
an ihm nicht viel fein. — Flug ift 
fie, meine Nichte, da3 gnädige Fräu— 
lein!“ 

So ſchwatzte der Oheim, und als 
Fräulein Sirene vom Vogel hörte, 
war ſie außer ſich vor Freude, und 
als ſie das grüngelbe Thierlein hin— 
und herhüpfen ſah im Käfig und als 
ſie ſein helles Zwitſchern vernahm, 
rief ſie: „Der iſt noch ſchöner als der 


leicht zu verſtehen, wie er es meinte. Andere! Der iſt ſo nett und fein, daß 


Geſtrenger Herr,“ ſagte nun der 
alte Gutram, „das wirkt ja zu heftig. 
Ihr habt gewiß mehr als täglich einen 
Tropfen zu Euch genommen. Alsdann 
iſt's freilich fein Wunder, wenn die 
Hand der Schönen fo feharf ange» 
zogen worden if. E3 war in der 
That, wie Ihr ganz richtig bemerkt 
habt, ein Streicheln.”“ 

„Und ih Dummkopf habe mich 
zurüdgezogen. Was Habt Ihr denn 
da im Käfig ?* 

„Da im Käfig habe ich einen 
Vogel, ein gar künſtliches Thier.“ 

„Wollet Ihr ihn denn nicht meiner 
Nichte verehren ?* fragte der Oheim; 
„lie liebt folcde Stüde über die Maßen. 
Dor einem Jahr ift ein Zigeuner 
gekommen, der Hat auch fo Sachen 
gehabt und fie fpielen laſſen. Einer, 
das war glaube ich eine Nachtigall, 
der hat immerfort: ſchöne Sirene! ge= 
rufen. Wir haben dem Manne das 
Zeug abgelauft und das Fräulein hat 
ih Tag und Naht damit ergößt. Da 
kam eines Tages ihr Bräutigam, der 
Ritter von Dreilaufen, der Hat den 
Vogel zertrümmert, weil er das: fehöne 
Sirene! nicht Hat leiden können, der 
Eiferfucht wegen, wenn ich ſchon Alles 
joll ſagen.“ 





man glauben könnte, er fei lebendig.“ 

„Auf Sprungfedern geht er, nicht 
wahr?“ näfelte der Oheim. 

„Muß er aufgezogen werden ?“ 
fragte das Fräulein, „und habt Ihr 
ihn felber gemacht, Alter? Und was 
foftet er denn?“ 

„Der Wald ſchickt ihn Euch, gnä— 
diges Fräulein,” ſagte der Schäfer. 
„Es war ein todtes Holz, der Wald 
hat ihm Athen eingeblafen, wie den 
Anderen, aber es ift nicht lebendig 
worden. Da bat er ihm das Mort: 
Sirene eingebaut, Hierauf ift es als— 
bald lebendig worden und feither fingt 
es ohne Unterlaß.“ 

„Wie ?” rief das Fräulein, „les 
bendig ift er mworden ? Und es wäre 


nur ein gewöhnlicher Waldvogel ? 
Pfui!“ 
Tief bekümmert kam der alte 


Schäfer zurück zum jungen Gaißer. 

„Sie hat den Vogel nicht genom— 
men?“ fragte Walther. 

„Sie hat ihn verſchmäht, weil er 
nicht von Holz iſt und nicht künſtlich ſingt, 
ſondern weil er echt und gerecht iſt.“ 

Walther ſchwieg. Der Vogel ſang. 
Er ſang, bis die Sonne übergieng, 
dann ſetzte er ſich zur Ruhe. Walther 
ſagte uun aber: „Na, warte, Du 


25 


Ihönes Fräulein, wenn Dir das Echte} verliebt fei im das Burgfräulein Si— 
und Gerechte nicht genehm ift, ich will|rene. Er Habe ihr zu Ehren Lieder 
Dir was auffpielen, und das foll Dir | gedichtet, woran die Anfangsbuchftaben 
fünftlih und falfch genug fein.“ der Zeilen ihren Namen bildeten. Ya, 
er habe die ſchönſten Thiere feiner 
— — Herde nah den Buchſtaben benannt, 
die im Worte Sirene vorfämen, und 
Nun vergieng eine geraume Zeit. | diefe feine Lieblingsthiere lode er täg— 
Auf der Burg am Kolber war e3 lich unzählige Male an fich heran und 
recht langweilig. Der Ritter» Oheim | füttere fie mit Lederbiffen. Da wurde 
wurde nicht jünger, aber von Tag zu ſie zomig. in Ziegenhirt wagt es, 
Tag findifcher, und der Burgfaplan,) in fie, die Edle der Hohen Ritter, 
geriet immer mehr in Zmwiefpalt mit | verliebt zn fein? Sie weinte vor 
feinem gelehrten Problem. Ganze Nächte) Zorn — es war aber ein Weinen 
lang fauerte er bei feiner Lampe und vor Herzeleid, und das wollte fie ſich 
fann und grübelte. Da waren nach | nicht geftehen. 
langem und tiefem Studium zwei Eines Tages fragte Walther feinen 
Löfungen herausgekommen. Die eine | Freund Gutram: „Du fagit, die Söhne 
lautete: Gott Hätte die Welt erlöst, des Bauers am Bach wären von 
auch wenn er als Kohlrübe erfchienen | den böhmischen Schlachtfeldern heim— 
wäre, den bei Gott ift Alles möglich, | gelehrt.“ 
folglich auch die Verwandlung in jeden „So habe ich gehört. Ich glaube, 
beliebigen Gegenftand. — Die andere daß fie davongelaufen find.“ 
lautete: Wenn Gott auch als Kohlrübe „Und fie hätten die wertvolle 
die Melt hätte erlöfen lönnen, warum | Rüftung eines Fürſten als Beute mit- 
ift er Menfch geworden und hat den | gebracht ?“ 
Tod gelitten? Da er dies gethan, fo „Auch eine fürnehme Gewandung 
muß die ewige Heilwirfung durch die aus Sammt und Seiden, geſtickt mit 
Kohlrübe nicht möglich gewefen fein. — — Gold und Gefchmeiden. Halten es 
Der Burgcaplarn härmte ſich ab, ach, aber Heimlich und Haben Recht. Hohe 
und Niemand will es glauben, wie| Herren, die fo was heimbringen, nennt 
jelbftlos umd ernft des Forfchers Nin- | man Helden, arme Schluder heißen 
gen nad Wahrheit ift im der flillen | Räuber.“ 
Studierftube! „Die Gewandung ift gewiß noch 
Aber auch im das junge Leben des | recht gut erhalten.“ 
Fräuleins Iſanthe oder Sirene, wie Der Schäfer fehlittelte den Kopf. 
fie fi lieber nannte, war Unruhe! „So verliebt fein und fi um ge= 
gefommen. Die Verwaltung ihrer Burg | ftohlenes Zeug kümmern!“ 
und Güter machte ihre wenig Sorge, Malther hat jedoch von dieſem 
dafür war der Wirtfchaftswart da. | Gegenftand nicht fobald abgelaffen. 
Nöthig erwies fi die Anwerbung An einem der nächften Tage führte 
neuer Snappen zur Befagung der der Gaiker feine Herde auf weiten 
Feſte, ſowie die Bildung eines fri= | Ummegen empor zu den Höhen des 
ſchen Fähnleins, denn der Zeiten Uns | Kolber. Am Rande des Schnees gibt 
ruh' hallte manchmal unheimlich durch | es ein zwar furzes, aber Föftliches 
das Alpenthal. Aber all’ das küm- Gras. Und Walther ftieg hinaus auf 
merte Fräulein Sirene, die Herrin, | die fchroffe Felszinne und ſchaute hinab 
nicht. Was Anderes war. Das Fräus | in die weite Welt und ſchanute hinab 
fein Hatte in Erfahrung gebracht, daß) auf das grane Dad) der Ritterburg, 
im Thale ein umvergleichlich ſchöner das tief unten, fcheinbar am Thal- 
Hirt lebe, der ganz unvergleichlich ande, wie ein winziges Steinplättlein 


26 


dalag zwifchen anderen Steinen. Wenn 
man jenes graue Steinchen aufheben 
fönnte, fo würde ein Käferlein er- 
Ihroden davonriefeln. Und das Käfer— 
lein müßte man einfangen in die 
hohle Hand und es ein wenig neden 
und es ein wenig herzen... . 

„Sirene!“ rief er laut in die 
Lüfte hin. „Geftrenges, gnädiges Fräu— 
lein in der Burg der Hohen Witter, 
wie bin ich jet höher als Du!“ — 

Im Frühherbſt war's desselben 
Jahres. Vom Thale ſah man nicht 
mehr hinauf zur Kolberburg, denn der 
Berg hatte feine Nebelhaube herabge— 
zogen weit über die Stirne. Eines 
trüben Abends konnte der alte Schäfer 
Gutram auf ſeiner Thalweide hören, 
wie oben die Schloßbrücke niederraſſelte. 
Er ſchmunzelte ein wenig, dann kniete 
er vor einer Wegſäule hin, an welcher 
ein Muttergottesbild hieng, ſie möchte 
machen, daß Jedem das Seine werde: 
wer getäuſcht ſein wolle, dem die 
Täuſchung, wer geliebt ſein wolle, 
dem die Liebe. 

In der Burg der Hohen Ritter 
war zur ſelbigen Stunde ein ſelt— 
ſamer Gaſt angekommen. Ein Flücht— 
ling aus den kriegeriſchen Gegenden 
hatte Schutz im entlegenen Alpenthale 
geſucht. Ein junger Rittersmann, das 
Roß Hatte man ihm unter dem Leibe 
todtgefchoffen, er entkam mit Noth und 
Gefahr, war tagelang in den Wäldern 
umgeftrichen, habe von wilden Früch— 
ten ſich ernährt, Habe ſich auch keiner 
Burg zu nahen gewagt, aber die hohe 
Feſte an dieſem Berge, die fo welt- 
fern und friedfam daliege, habe ihm 
Bertrauen eingeflößt. Er bitte um 
Gaftfreundfchaft für etliche Tage, um 
ſich für feine noch weite Neife, er wolle 
nad dem heiligen Land, ein wenig zu 
erholen. 

Das hatte der Fremde in bejcheis 
dener Art der jungen Herrin vorge— 
tragen. Fräulein Sirene wußte kaum, 
wie ihr geſchah. Das zart aufgetragene 
Weiß auf ihrem Gefichtlein vermochte 
die Flammen nicht ganz zu deden, die 


jet auf ihren Wangen leuchteten. Der 
Fremde war jung und hatte vornehme 
Manieren und feine Rüftung verrieth 
hohe Abkunft, die zu verbergen er fich 
bemühte. 

Die Gaftfreundfchaft wurde ihm 
mit vieler Höflichkeit gewährt. Ein 
prunfhaftes Gemah im  vorderften 
Erker, anftopend an den Ritterfaal, 
ward ihm angewiejen, ein betagtes 
Dienerpaar ward ihn zugetheilt. Der 
Fremde ließ ſich fofort nieder auf ein 
Nuhebett und firedte und redte ſich, 
und wie weit er ſich auch auseinander» 
thun mochte, immer noch fonnte er 
die prächtigen Räume nicht ausfüllen, 
denen er jebt gebot. Dann erhob er 
ſich und machte mit Hilfe des gro» 
ben Metallfpiegel$ den feinen Anzug 
und die Loden zurecht nad höfiſcher 
Art, hernach gieng er an ein Fenſter 
und blidte zufrieden Hinab im die 
dämmernde Tiefe. Sein Zuftand, fo- 
wie der Empfang don dem Burgfräu- 
lein und ihre Erſcheinung ſchienen dem 
Gafte in hohem Grade zu behagen. 
Er war auch jofort bereit, als man 
ihn zum Abendmahl rief. 

Beim Abendmahl ſaß zu feiner 
Linken der NRitter-Oheim und ihm 
gegenüber das Scloßfräulein. Der 
Oheim trank den Humpen Weines 
zweimal leer, dabei machte er mancher— 
lei jugendliche Scherze und drehte mit 
den Fingern zwei Spißen an feinem 
fpärlihen Schnurrbart. Als diefe Spitz- 
chen leidlich gefehärft aufwärts ftanden, 
legte er ſich in den Lehnftuhl zurüd 
und fchlummerte ein. Diefes Ereigniß 
brachte fowohl den Fremden als auch 
|das Fräulein nachgerade aus der Faſ— 
fung. Bor Allem hatte fich letzteres 
raſch erhoben, fo war auch er aufge— 
ſprungen. „Ihr jagt mich frühzeitig 
in die Einfanfeit meines Gemaches 
zurüd,* fagte er, „und ich werde 
diefelbe benugen, um "über die Vers 
gänglichkeit der menſchlichen Macht und 
des irdifhen Glüdes nachzudenken.“ 

Hierauf jagte das Fräulein, aber 
ohne den Fremden anzufehen: „Es 


— 


27 


Scheint, Ihr Habt viel 
verloren.“ 

„Snädige Jungfrau,” ſprach nun 
der fremde, „als der Mond das letzte— 
mal voll war, ſchien er nieder auf 
mein jchönes, friedliches Land, auf 
meine glüdlihen Unterthanen. Wenn 
ich auszog, begleitete mich ein frohes 
Gefolge, Blumen waren geftreut auf 
meinen Wegen, aus grünem NReifig 
Pforten waren geflochten über meinem 
Haupte, Muſik, Gefang und Jubel 
ringaum mich; wenn ich heimfehrte, 
läuteten die Gloden meiner Dörfer, 


gelitten und 


und die ſchöne Welt war mein, fo weit | 


ich bliden fonnte.“ 


„Und das Alles ift verloren!” 
tief das Fräulein. 
„Das Alles und noch mehr,“ 


Kreuzes erlöst werden, und weil man 
eine Kohlrübe nicht Ereuzigen kann, fo 
mußte Gottes Sohn die Geftalt des 
Menfhen annehmen. So und nicht 
anders! ch bitte nochmals um Ver— 
zeihung, aber meine Freude ift zu 
groß.” 

„Es ift gut,“ fagte das Burg» 
fräulein, „ich beglüdwünfche Euch. Nun 
geht zu Bette, möglicherweife bedarf 
ich Euer morgen zur zeitlichen Stunde.“ 

Und wozu bedurfte fie feiner am 
nächſten Morgen zur zeitlichen Stunde? 
Um fi mit ihrem jungen Gafte vom 
Hoflapları das heilige Sacrament der 
Ehe reichen zu laffen. 

Man wundere fich nicht fiber der 
fühen Angelegenheit raſchen Verlauf. 
Wenn es ftets nach dem Willen der 


fagte der Fremde traurig, „eine Fa- | Liebesleute gienge, vollzöge ſich's fchier 


milie —“ 


allemal fo raſch als dazumal, wo die 


„Weib und Kind!“ ſtieß Fräulein |außerordentlihe Zeit und die Ver— 


Sirene hervor. 


„Habe ich gottlob noch nicht be- Brautpaares ermöglichten. 
lonnten ganz wohl erjt nachher folgen 


ſeſſen.“ 


haltniſſe volle Selbſtverfügung des 


Die Feſte 


Sie athmete auf und ſank auf bis die Herzen ein wenig geruhigt 


ihren Seſſel zurück. 

„Prinz,“ ſagte ſie und winkte mit 
großer Anmuth, daß er wieder Platz 
nehme. Er that es, ohne ihre An— 
ſprache zu berichtigen ; da wußte fie, 
mit wen fie e3 zu thun hatte. 

„SH Habe einen Burgfaplan,” 
verjegte nun das Fräulein, „ein wür— 
diger, gelehrter Mann, der meint, zum 
Ertragen großer Freuden und großer 


Leiden ſoll fih der Menſch immer 


einen Gefährten fuchen. Dieſer Nath 
paßt auch für Enere Hoheit.” 
Der Fremde ftand auf, hielt die, 





‚dazu aufgelegt fein würden. 


Am dritten Tage nad) der Trauung, 
als ſchräg die Bergwand bernieder 
wieder die liebe Sonne ihre Strahlen 
warf, als das junge Ehepaar, die 
Arme fich gegenfeitig um den Naden 
ichlingend, am offenen Fenfter fand, 
fagte Frau Iſanthe denn bei 
diefen Namen rief fie ihr Gemahl — 
mit etwas zögernder Stimme: „Du 
haft mir in diefen Tagen fo viel Liebes 
gefagt und gethan, mein Theurer, daß 
ich mich wundere, warum Du mir 
noch kein Lob erwieſen haſt darüber, 


beiden Arme hin und ſagte mit leiſer, daß ich im Stande bin, die weibliche 


zitlernder Stimme: 
Gefährte ſein?“ 
Im ſelben Augenblick war draußen 


ein mächtiges Gepolter, die Thür flog 


auf, der Kaplan ſtürzte herein mit 
leuchtendem Geſicht: „Gnädiges Fräus | 
lein! Verzeihung! Endlich! Endlich 
habe ih es gefunden: Weil Eva in 


eine Baumfrucht gebilfen Hat, jo mußte 
biſt,“ ſagte fie. 


die Menſchheit durch den Baum des 


„Wollt Ihr mein Neugierde ſo lange zu bezähmen und 


Dich nicht 


zu fragen nach Deinem 


fürſtlichen Namen.“ 


„Ich Halte eine ſolche Bezähmung 
für unmöglich,“ antwortete er, „und 
ſchloß aus Deinem Schweigen, daß 
Du Name und Herkunft Deines Er— 
wählten ja kennen müßteſt.“ 

„Ich weiß mur, daß Du ein Prinz 


28 


„Wenn Du das glaubteft, meine 
fühe Ifanthe, fo wäreft Du in einem 
großen Irrthum,“ verfehte er, „ich bin 
durchaus kein Prinz, jondern ich bin 
meine Standes der Gaißhirt der drei 
Dörfer, die dort unten im Thale liegen.“ 

Sie fuhr — als er fein Belenntnis 
wiederholte — wie ein Freifel im Zim— 
mer umher und mannte ihn einen 
Betrüger, der fie in ihrem Wahne 
belaffen und beftärkt Habe. 

Er fieng die Empörte ein, drüdte 
ihr Köpfchen feft an feine Bruft und 
fagte: „Das habe ich Dir zu Liebe 
gethan, Iſanthe. Du mollteft nichts 
Echtes. Ich Habe Dir eine Rofe ge— 
ſchickt, Du Haft fie Hingerworfen, weil 
fie eine echte Roje war und nicht eine 
falfche. Ich Habe Dir einen Vogel 
gefandt, Du haft ihn nicht angenom— 
men, weil er ein wirklicher Vogel war 
und fein fünftliher. So habe ich ge— 
daht: Wenn der ſchönen Jungfrau 
das Unehte und Falfche fo viele 
Freude macht, jo wollen wir ihr einen 
falfhen Prinzen ſchicken. Und den 
bat fie auch genommen. Uber deſſen 
mag fie gewiß fein: Wenn der Prinz 
auch falſch war, der Menfh und 
Gemahl wird doch treu fein und fein 
liebes Weib ehren und glüdlich machen.“ 

Er wollte einen Kuß auf ihre 
Wangen drüden, aber über diejelben 
rannen falzige Thränen. „Du Haft 
mich belogen!“ ſchluchzte die Be— 
dauernswerte, „als Du von Deinem 
Hofſtaat ſpracheſt.“ 

„Da irrſt Du wieder, meine 
Liebe,“ antwortete er, „von meinem 
Hofſtaat habe ich nicht geſprochen. 
Ich ſprach von meinem Land, deſſen 
Schönheit mein iſt, ſo weit ich blicken 
kann; da unten liegt es und ſeine 
Schönheit kann meinen Augen Nie— 
mand nehmen. Ich habe glückliche 
Unterthanen, ein munteres Gefolge, 
das mich begleitet, wenn ich ausziehe 
und wenn ich heimkehre; das iſt meine 
Herde. Auf meinen Wegen, Matten 
und Wieſen hat die Natur Blumen 
geſtreut, über meinem Haupte hat der 


Wald grüne Pforten gebaut. Hörner— 
Shall und Bogelfang umklingen und 
umjubeln mich jeden Tag, und wenn 
ich heimfehre, jo ift es ftets um die 
Zeit, wenn die Abendgloden Täuten. 
Was ih vom Kriege und meiner 
Flucht erzählt, es ift mein perſön— 
lies Schickſal. Ich Habe die Wahr— 
heit gejagt.” 

„Und diefes Kleid ?* fragte die 
junge Frau, an feirier fürnehmen Ge- 
wandung zupfend. 

„Diefes Kleid ift an mir das ein- 
zige Falſch,“ antwortete Walther, „aber 
ein Kleid läßt fih zum Glück aus— 
ziehen und ich thue es, ſobald ich 
davon überzeugt bin, dab Du von 
nun an das Echte lieber haben wirft 
al3 das Falſche. Erkenneſt Du mich 
als den Herrn diefer Burg, ſowie Du 
mich als den Herrn Deines Herzens 
anerkannt haft, fo hülle ich mich in 
die Rüftung Deiner edlen Vorfahren, 
und werde diefe Burg und mas ihr 
zufteht vedlich verwalten; ziehft Du 
es vor, mit mir auf die grünen Matten 
niederzufteigen zu meinen Dörfern und 
Unterthanen, jo werden fie Dich gern 
al3 ihre liebwerte Frau Gaißerin an— 
ertennen. Es fteht in Deinem Be— 
lieben.“ 

Auf das verfegte fie rafh: „Wenn 
mir mein Gemahl Alles fo leicht machen 
wird, als diefe Mahl, dann werde ich 
doch zufrieden fein.“ 

„Ufo fteigen wir hinab ?* fragte 
der Schall. 

Eine Stunde ſpäter ſchritt Wal- 
iher, der Gaißer, in der Rüftung der 
Hohen Ritter klirrend durch den Rit— 
terſaal. — 

Das erfte Jahr war noch Tange 
nicht um, als der alte Schäfer Gutram 
in die Kolberburg berufen wurde zur 
Taufe des nenerfchienenen Söhnleins. 
Im Geremonienfaal Hodte auch ſchon 
der Nitter-Oheim, eingefhrumpft und 
gelb wie eine Mumie, mit blöden 
Augen und zahnlofem Munde. 

„Aha,“ lallte er, als er ven Schä— 
fer ſah. „Da ift der Schelm, der mir 


29 


die Jugend verfprodhen hat. 
fie denn, he?“ 

„Hier,“ ſagte der Schäfer und 
deutete auf das Find. 


So ift das Ende der Gefchichte 
vom Gaiker und dem Burgfränlein, 
die der Erzähler im Sagenfreis des 
Volkes ſtückweiſe aufgelefen und nad 
beitem Können zufammengelittet hat. 
Die zerbrödelte Burg an den Wänden 
des Kolber kann ınan nicht mehr fo 
zufammentitten. Die Hohen NRitter 
waren bald vergefjen, im der Felſen— 
burg entwidelte ſich ein harmloſeres 





Wo iſt 


Geſchlecht, das ſich allmählich im 
Lande zerftrent und manches Gute für 
die Menjchen gewirkt hat. Der Leßte 
diefes Gefchlechtes ift erft vor fechzig 
Jahren zu Linz an der Donau ges 
ftorben. 

Sei es, dab fih das Volk Heute 
noch an die Geſchichte vom Gaißer 
erinnert oder weil in der Ruine des 
Bergichloffes an ſchönen Sommertagen 
manchmal Gaigen und Gaißer herum 
Hettern, die einen um Sräutlein, die 
anderen um Himbeeren zu ſuchen — 
man nennt das graue, zerriffene Ge— 
mäuer am heutigen Tage noch die 
Gaikerburg. 


Mein Freund Fran. 


Aufzeihnung eines Priefters, 






er 


A ls ich im Jahre 1879 meine 
a theologischen Studien vollendet 
hatte und die Primiz bor der Thür 
ftand, fanden meine Leute, dab ich 
nothwendig der Erholung bedürfe und 
Schidten mich auf einige Wochen nad 
Gleihenberg. Der heitere, zwangloſe 
Frieden im Hofpiz, in welchem ich 
Wohnung und Verpflegung hatte, die 
reine, milde Auguftfonne, die iiber der 
berrlihen Gegend lag, that mir un: 
fäglih wohl. Ih kam mir vor mie 
ein Vogel, den fie nach langer Gefan- 
genſchaft im Käfig einmal ein wenig 
auf die Zweige der Linde hinaus 
flattern laffen, bevor fie ihn wieder 
in einen zwar weniger engen, hinge— 
gen aber unzerreißbaren Bauer fteden. 
Da fah ih oft fundenlang im 









fie ſchienen doch jo viel Geld zu haben, 
und ſchöne Frauen waren dabei — 
wunderſchöne Frauen. So fein und 
weiß war fie freilich nicht, die Maria 
daheim im Ennäthal, aber lieber wäre 
mirs doch gewejen, wenn die Maria 
den Park auf und abgewandelt wäre 
und mandmal auf mich hergeblidt 
hätte. Doch die will ſchon Kränze 
flehten daheim für meine Primiz. Sie 
meint mir damit was Liebes zu thun. 
Solches Hätte man ſich auch. nicht 
denfen können, dab mir das liebfte 
Dirndel auf der Welt den Prieſter— 
franz winden foll. 

Kaum eine Woche war ih in 
Gleichenberg, als ich einen Brief aus 
dem Ag bon meinem Better, 
dem Arzte D. erhielt, folgenden In— 


Brunnenpark oder am Springauell vor | Haltes: 


dem Curhauſe und betrachtete die vor— 
nehme Welt. Den meiften jah man 
e3 leicht an, daß fie einer ſchweren, 
Schleihenden Krankheit, der Langweile 
halber hierher gelommen waren, und 


„Lieber Karl! 
In ein paar Tagen wirft Du 
zum Gurgebrauch einen guten Ka— 
meraden befommen. Der Moringer 


50 


Franz hat3 auf der Bruft und muB Jaber der Huften nicht beifer worden. 
ich ihn in's Bad ſchicken. Zu Michelli | Im Mat nachher iſt's beſſer worden, 
will er heiraten und da möchte er aber jegt im Juli herum, da Hab ich 
bishin gerne gefund fein. Er fürdh | wieder jo viel den Katarrh bekommen 
tet in Gleichenberg den Zeitlang |und bei der heißen Sonne wird mir 
(die lange Weile), und da fei ſo nie reht warm — weiß der taufend 
gut und gib Di danıı und wann was das ift! — Uber jebt, Gott Lob 
mit ihm ab. Ich Hoffe, daß Ihr in und Dank, weil ich nur da bin, jeßt 
einigen Wochen beide recht friſch wird fich3 bald wieder machen.“ 

und munter heimkehren werdet zum So find wir viel beiſammen ge= 
neuen Lebenslauf, den jeder von weſen im jenen Tagen, der Moringer 
Euch beginnen will und wozu ihr | Franz und ih. Manchmal wäre ich 
Kraft brauchet. Mit Fchönften | gerne ins Albrechtswäldchen gegangen 
Grüßen D.“ oder hinauf in den ſtillen Kiefern— 
ſchachen hinter der Kirche, aber der 
Franz war vom Brunnen nicht weg 
zu bringen; da ſaß er am liebſten 
auf einer Bank an der Wandelbahn, 
ſtarrte vor ſich hin und konnte die 
Trinkſtunden kaum erwarten. 


Wenige Tage ſpäter war der Mo— 
ringer Franz da. Er hatte ſich im 
Vereinshaus eingewohnt und fein | 
Doctor hatte ihm die gewöhnliche Cur 
vorgejchrieben. Ih war erjchroden, 
als ich den kaum einundzwanzigjähti« Einmal famen wir bis zum Brün— 


gen, font fo kerngeſunden und über» erkaus hinauf, wo man den fehönen 
mälhig luſtigen Burſchen vor NE) Ausblick he MWiejenthal, 
ſtehen ſah. Ex ftand aber nicht lange; | ;,, die nördliche Hügelreihe, auf das 
noch bevor ih ihm einen Platz NE ſtattliche Schloß Gleichenberg und auf 
tragen konnte, fagte er, er müſſe ſich Yen Kogel hat 
niederjeßen, er jei müde geworden den AH, da ifts gut,” fagte der Franz 
Derg herauf. Der Dann, ber fl und ließ ſich mit zitternden Füßen 
an einem Nachmittag auf den Zeiritz⸗ auf die Bank nieder, „ah, da ifls 
kampel lief und Abends wieder zuruͤck ſhn! j i 
war zum Kirchweihtanz, der tonnie Bon nun an frebte er immer 
das Qugelchen laum mehr erjteigen diefer Stelle zu und immer hauchte 
zum Dofpiz heran. Scier gebrochen } ,.. „Da ifs ſchoni⸗ 
war er, und wo die rothen Wangen Es ift ein fo freundliches Land— 
geweſen da waren jept blafje Höhlune | ſchaftsbild“, verjegte ich, „fo viel Grün, 
gen, über denen bie Gefichtstnoden |, viel Wald! So viel Sonnenfchein 
Iharf hervorftanden. Dir kam er ganz | Yariiher!« 
fremd vor und ich hatte zu thun, die „Nicht wahr,“ fragte er einmal und 
Ueberraſchung leidlich zu verbergen. deutete mit zuckendem Arm gegen 
„Ufo Du biſt nicht ganz wohl?“ Norden, „nad dieſer Seite Hin ift 
fragte ich, „D. hat mirs gefegrieben | unfere Heimat ?* 
und es ift Schön, daß Du Dir Erho-| Mum erft ahnte ich, warum es ihn 
lung gönneft in dieſer lieblichen Ges hier fo ſehr gefiel, nun erft wußte ich, 
gend. Aber jage, wie haft Du Dir warum er immer über die Berge hin— 
denn Dein Leiden zugezogen ?* aus in den Himmel Hineinblidte, wo 
„Das weiß Gott!“ antwortete er die fernen weißen Wölklein ftanden, 
mit einem fchweren Athemzug. „An- dieſe Wölklein ftanden über feinen 
gefangen hat es im vorigen März, | Heimatsbergen. 
daß ih auf einmal den Schragen in „Siehe,“ jagte ih, „da unten auf 
der Holzhütte nicht mehr heben kann. der Straße fommen ſchon wieder Wa- 
Süßholzwaſſer Habe ich getrunken, ift gen, Leute aus freinden Ländern, die 











31 

hier geſund werden wollen. Auf dieſer es in mir: Nein, von dem dummen 
Straße ſind wir auch gekommen und! Holz laſſe ich mich nicht bedauern. Ich 
auf dieſer Straße werden wir nach will einmal jehen, was ein braver 
einigen Wochen geſund und munter Kerl vermag. 
heimwärts fahren.” | 

„Slaubft Du?“ fragte er und in — 
feinen Augen glühte ein eigenthum—⸗ Am nächſten Tage Hopfte ich beim 
liches Feuer. „Du freilich wohl, Du Doctor an, der den Franz in Bes 
gewiß, aber ih — ?“ Er fehüttelte Handlung hatte, eim freundlicher Mann 
den Kopf und wendete fi) ab. Große mit ſchon etwas grauenden Bollbart, 


Thränen ftanden in feinen Augen. ' 

„Hranz,“ fagte ih und nahm ihn 
bei der Hand „ſchau, verzagt mußt: 
Du nit fein. Jetzt greift Dich die 
Gur an, das ift zuerft immer jo. Und, 
da iſt man auch jo niedergedrüdt. Ich 
fenne Dich ja gar nicht mehr! Was 
Tu für ein Iuftiger Kampel bift ges 
weien! Wenn Dich Deine Braut jetzt 
jo ſähe! Die hätte feine Freude 
Wegen des bißchen Statarıh da fo, 
topfhängerifch fein! Erzähle mir doch 
einmal von Deiner Braut!“ | 

„Du ſollſt fie ja fchier kennen,“ | 
gab Franz zur Antwort. „Eine Liezne= | 
rin ifts. Die Steiregger Maria.“ | 

„a,“ ſagte ih, „Die kenne ich 
wohl.“ Mir verjchlugs beinahe die 
Rede. 

Noch an demfelben Tage gieng ich 
hinüber in den Taferl- Wald und 
frid in demfelben um, und Die 
Stimmung die mich peinigte, möchte 
ih meinem größten Feind nicht wün— 
ihen. Ih Hatte aber damals noch gar 
feinen, außer wenn ich den — 





Moringer Franz als ſolchen betrachten 


mit hoher Stirne und offenherzigem 
Gefiht. Man mußte Vertrauen zu ihm 
haben. Ich war da, um ihn zu fra= 
gen, wie es mit dem Kranken eigent= 
lich ftehe. 

„Sie find wohl ein Bruder von 
ihm?“ fragte der Arzt entgegen, „nicht ? 
Nur ein guter Belannter. Wollen Sie 
doch einen Augenblick Pla nehmen!“ 

Ich verſank faft im dem weichen 
Lehnftugl. Das Cabinet war kühl und 
traulih, an den Wänden biengen große 
PhHotographien der Stadt Venedig, in 
den Eden prangten tropische Gewächſe 
und zum Fenſter leuchtete Helles Buchen 
grün herein. 

„SH kann Ihnen,“ begann der 
Doktor, „über Ihren Freund leider 
nichts Angenehmes fagen. Er kann 
immerhin noch einige Zeit leben, aber 
zu retten ift er nicht mehr. Der Pro— 
ceß in feiner Bruft fchreitet raſch vor= 
wärts. Ich glaube, daß zu dieſer 
günftigen Jahreszeit feine Gebirgsluft 
ihm vortheilhafter fein dürfte als die 
hiefige doch manchmal etwas ſchwüle 
und feuchte Atmoſphäre.“ 

„Und die Möglichkeit einer Gene— 


wollte. IH dichtete der Stimmung fung ift vollkommen ausgeſchloſſen?“ 
allerhand ſchöne Namen an, unter „Mein Gott!“ antwortete der 
denen ich den Märtyrer ſpielen konnte: | Doctor achſelzuckend, „die Möglichkeit! 
Tauſchung, betrogene Liebe, mißbrauchte Man hofft, fo lange Leib und Seele 
Freundſchaft — ganz allmählich kam zuſammenhält.“ 

ih drauf, daß es Neid war und jeßt| Mit dieſem Beſcheid verlieh ich 
tief ih laut: „Armer Teufel, der Du pen Arzt und mit diefem Wiflen follte 
das, was Du felber nicht haben kannſt ih mun Hintreten vor den armen 


auch Anderen nicht gönneft! Sei froh, 
dab es fo ift, Haft Du nichts mehr 
zu überwinden. Armer Teufel!“ 
„Arnıer Teufel!” wiederholte das 
gegenüberftehende Buchengehölz, da tief| 


Franz. 

Er ſtand am Brunnen, füllte ſein 
Glas ſorgfältig bis zum Mark und 
trank es mit einer Art frommer In— 
nigleit aus. Andere Trinker drängten 





32 


hinter ihm drein, einer drüdte ihn 
feitwärt®, daß er wankte und faft zu 
Boden tanmelte. Dann ſchritt er ges 
beugt und mit fehleppenden Füßen 
gegen die Bänke hin. Afles war be= 
jeßt. Er blidte um fich nach einer 
Stätte, daß er raften könne. Mir 
wollte das Herz zerfpringen vor Er— 
barmen. Ich ſah in ihm mur mehr 
einen wandelnden Leichnam. An meis 
nem Arm jchritt er dann tiber ben 
Plan gegen das Hügelwäldchen hin, 
in welchem die Waldfapelle fteht. Ein 
Gezelt aus Baumrinden, im welchem 
bor einem Muttergottesbild die rothe 
Ampel brannte. Auf der hölzernen 
Kniebank davor ſetzten wir ung nieder. 


Eine Dame in fehwarzem Seiden- 
Heid kam und ftedte an das Mutter- 
gottesbild einen Blumenftrauß. Im 
ihrem glüdjeligen Gefichte Tas ichs, 
es war ein Zeichen des Dantes für 
die wieder erlangte Gefundheit. Mit 
Hreude und Wehmuth zugleich verlafjen 
die Genefenen das liebliche Gleichen— 
berg, über deſſen paradiefifchen Ge— 
fielde der Friede Gottes ausgebreitet 
liegt. — In einem Baradiefe fterben 
zu müſſen! 

„Auch Dir ift heute nicht wohl!" 
bemerkte Franz, da ihm meine Nieder- 
geſchlagenheit auffiel. 

„Wenn Du mird anfiehft, Franz, 
ich will e3 nicht leugnen. In Gottes— 
namen! Ich mache mich gefaßt, in 
meinen jungen Jahren zu fterben. Es 
ift vielleicht beifer, al8 nad) einem lan 
gen Leben von Enttäufchungen und 
Berirrungen. O Welt voll Eitelleiten, 
Melt voll Leiden! Ich freue mich 
darauf, beim lieben Gott zu fein.“ 

Es ift leicht zu errathen, warum 
da3 gejagt war, Franz aber entgegnete 
darauf wie für fih hinmurmelnd: 
„Wenn auch ich jo denken könnte! 
Nein, ich nicht. Ich will nicht fterben. 
Ich mag nicht fterben !“ 

In diefem Augenblick fiel vom 
Altar der Blumenftrauß herab auf 
feine Achjel. 


„Siehe,“ ſagte ih, „die Mutter- 
gottes gibt Dir Blumen. Das wollen 
wir für ein gutes Zeichen Halten.‘ 

„Mir ift feit ein paar Tagen au 
ſchon beſſer,“ antwortete er. 


Ein andermal ſaßen wir in der 
Schlucht. Ueber uns das grüne Luftige 
Dad der Buchenfronen, unter ung 
der fäufelnde Waldbach. Franz hatte 
diesmal über den Wangenknochen einen 
rofigen Hauch. Er war voller Freuden 
und ſammelte all feinen Athen, um 
in berausgeftoßenen Sätzen mitzu— 
theilen, daß er ein Schreiben erhalten 
babe von ihr. Er rik den Brief aus 
der Tafche, wollte mir ihn vorlefen, 
weil aber feine Hände und feine 
Stimme dabei zu fehr zitterten, fo über« 
gab er ihn mir: „Lies Du! Lies Du!“ 

Der Brief ift feither mein Eigen» 
thum geworden, er lautet: 


„Mein Herzlieber Franzi! 

Keine größere Freud häft mir 
nit machen können, als mit der 
Nachricht, daß es Dir beffer geht. 
Ich zähl Thon die Tage, in drei 
Wochen ift Michelli! Du mußt um 
acht Tag früher kommen, weil wir 
zuſamm Leut einladen müſſen gehen 
und ſonſt auch noch zu thun haſt. 
Iſts Dir recht, daß wirs beim 
Schwannenwirt halten? Das muß 
ich wiffen. Sechs Hochzeitbuben und 
ſechs Kranzeljungfrauen, ifts genug ? 
Haft mit den Mufikanten nit Du 
Schon geredet oder fullt ich die Rot— 
tenmanner anhalten? Das wirft 
wiflen, daß im Sonntag vor Mi— 
chelli beim Schwannenwirt dem 
Hallftieger Karl feine Primiz if. 
Grad zwei Tag auseinander, meine 
zwei liebften Leut, Du und der 
Karl. Wann der fein Geiftlicher 
worden wär, weiß nit, ob wir zwei 
uns hätten kennen gelernt. Das ift 
fo viel ein lieber Kerl gewefen als 
Student. Wann ich& kunnt zwegen— 


33 


bringen, daß er ung copuliert! Was 
meinft dazu? Jetzt ift er noch nit 
da, thun aber ſchon all Kränz' 
winden für die Primiz. Schreibe, 
wann Du fommft und bringe fein 
volle Baden mit. Zu taufendmal 
grüßt und küßt Dich Deine treue 


Maria Steiregger. 
Liezen, *8. September 1879. 


Beim Lindegg draußen wird ſchon 
ein Zrinmpfbogen gebaut. Der ift 
aber für den Primizanten.“ 


Ih lanns nicht fagen, was diefes 
Schreiben in mir angerichtet hat. 

„Nicht wahr?” fragte nun der 
Franz, „in vierzehn Tagen kann's 
doh fo meit fein mit mir, dab ich 
heimfahre ?“ 

„Wir wollen es hoffen,“ antwortete 
id. Ein Böfewicht, wer immer die 
Wahrheit fpricht! Hätte ich in diefem 
Augenblid gefagt, was ich dachte, 
mußte, es wäre ein Mord gewefen. 

„Es fehlt mir — auch nichts 
mehr,“ verfegte der Franz und mußte 
den Saß vertheilen auf zwei Athem— 
züge, „nur nod. ein Biffel Schwach, 
aber daS kommt, weil ich nicht viel 
eilen Hab können. Heute — wirds mir 
wohl ſchmecken.“ 

In der Bereinsreftauration giengs 
lebhaft und heiter zu. Franz beftellte 
ein großes Stüd Saftbraten, genoß 
davon zwei Heine Biffen und fchob 
den Teller dann von fid — er habe 
feinen Hunger. 

As wir am felben Abende vor 
dem Curſalon beim Gartenconcert 
faßen, fiel e8 meinem armen Freunde 
ein, er müſſe an die Rottenmanner- 
Mufitanten ſchreiben. Mit zitternder 
Hand jchrieb er auf einer Karte: „Will 
anfragen, ob die Mufit fiir meine 
Hochzeit zu —“ 

Weiter lam er nicht. „Lieber Holz 
baden — mie fhreiben,“ murmelte 
er und wijchte ſich den Schweiß von 
der Stirne, 


Kofegger's „„Grimgarten‘*, 1, Geft, XI. 





Un einem der nächften Tage war 
das letzte Ballfeft der Saifon. Die 
in den Saal drängenden Curgäfte 
hatten ihre Feſtkleider und Ballgefich- 
ter an. Die Ballgefihter find eine 
eigene Gattung — ein Gemifh von 


Feierlichkeit, Heiterkeit und Langweile. 


Auch mein Franz wollte in den Saal, 
wo Schon die Muſik raufchte. Ich 
hatte Mühe, ihn davon abzubringen, 
der Abend im Freien fei ihm befjer. 
Sp wollte er zum Brünnerhaufe hin» 
aufgehen, wo man die Ausficht gegen das 
Oberland hat. Mit großer Noth brachte 
ih ihn, den auf mich Geftüßten, zur 
Heinen Anhöhe hinauf. Als wir dort 
in einer Laube ſaßen, ſchritt Franzens 
Arzt vorbei. „Herr Hallftieger,” rief 
er mie zu, „wollen Sie das Kibitzen- 
neft ſehen, von dem ich Ihnen ge= 
Iprodhen Habe, fo kommen Sie einen 
Augenblid mit.“ Wir wandelten gegen 
da3 Hubertushaus, da fagte der Arzt: 
„Sie müfjen Ihren Freund nicht zu 
viel umberjchleppen,, fonft bleibt er 
Ihnen unterwegs einmal todt im Arm. 
Lange wird er’3 nicht mehr machen.“ 
Das war das Kibikenneft. Ich kehrte 
um und fand den Sranten, wie er 
feuchten Auges einem Wagen nad» 
blidte, der unten auf der Straße 
davonfuhr. 

Ih Hatte viel nachgefonnen, wie 
ih ihn tröften würde, wenn ihn 
plöglih die Todesahnung überfalle, 
oder gar, wenn die Gewißheit auf— 
leuchte, daß er fterben müſſe im kurzer 
Zeit, ohne feine Heimatsberge, feine 
Braut je wieder zu fehen. Aber er 
war meines Zroftes nicht bedürftig. 

„Schon bald!” flüfterte er nun, 
da der Wagen feinen Augen entſchwun— 
den war, „Schon bald fahre ich auch. 
Wie bin ich glüdlih! Ich fage Dir, 
Karl, in der Nacht höre ich ſchon oft 
die Hochzeitägloden läuten. — Höre! 
fie läuten auch jet wieder." 

Es ift wirklich oft im ftillen rei— 
nen Herbfttagen, als ob die Luft 
Hänge. Wie fonnig hell fand der bu— 
henbewaldete Kogel uns gegenüber 


3 





34 


und fein Haupt ragte heiter im die) dort follten fich unfere Wege trennen — 
Bläue des Himmels auf. Kein Vogel |der feine zum Brautgemach, der meine 
war zu hören, auf der gemähten zum Altar. — Es find ſchon Manche 
Wieſe fproßten junge Herbftzeitlofen. |genefen, denen berühmte Aerzte das 
Und neben mir faß der fterbende | Leben abgefprocdhen; und es ift ſchon 
Burfhe und hörte feine Hochzeits- | mancher Priefter vor dem Kranken, 
gloden Klingen. dem er die legte Delung gefpendet, in 


Lange mußte i weigen. — |die Grube geftiegen. 
„Iſt — — ih ug, | No einmal machte ich meinen 
„als ob die Natur, wenn fie fo freund. | Rundgang im Lieblichen Gleichenberg. 
lich ift wie heute, den armen Men | 36 befuchte die Plägchen, wo ich 
ichen tröften, befänftigen wollte im beſchaulicher Gottesandacht gepflogen 
feinem herben Leiden oder in feiner | Und Naturfreude genofjen. Ich ſchritt 
unbändigen Zuverſicht. Als wollte ſie vom Schweizerhaus, das mit ſeinen 
ſagen: Erdenkind, traue nicht zu ſehr herrlichen Sprüchen wie ein offenes 
dem Glüde, nur in Stunden mißt es Puh -bafteht im grünen Wald, zum 
Dir die Freude zu. Sei demüthig, fei Neuen Prinz Johann⸗ Denkmal hinan, 
ergeben, vertraue mir. Ich habe noch über den Wierberg hinaus, um dem 
Anderes, Beſſeres für Dich, als diefes ſchönen Hochſtraden noch einmal an 
Dein kurzes Leben, das vergänglich ift Die Bruſt zu ſchauen. Ich flieg zur 
wie eine Blume, Liebe Menjchenblume Albrechtshöhe empor, um einen Blid 
Du, mit der die Natur heute ihren ius weite Land zu thun, über die 
bräntlichen Bufen fchmüct, wohl Dir, Hügel und Höhen meiner einzig einen 
morgen fühleft Du den heißen Puls— Steiermark, bi3 zu den blauenden 
fhlag der Welt nimmer. Morgen Alpen in der Ferne. Ich ſtieg zum 
rubeft Du in meiner dunklen Wiege | Praterwäldchen hinab und zur Kirche, 
und daneben fißt Dein treuer Gott | WO ich Gott für die erquidenden Tage 
und ſchaulelt Dich . . .” dankte, die ich auf dieſem heiterfried- 

j . HHicdhen #Fledlein Erde genoffen, und 

Aehnliches habe ich geſagt, ſchein⸗ wo ich bat um Gnade und Kraft für 
bar mehr für mich allein. Da taftete | den ſchweren Beruf, der meiner harrte. 
der Franz nad meiner Hand, drüdte Später gieng ich ins Telegraphen- 
fie und fagte: „Nein, Karl, jo traurig amt, um daheim meine Ankunft an— 
mußt Du nicht denken. So ſchlecht zuzeigen. Im felben Augenblide gab 
ſtehts doch nicht mit Dir.“ auch der PDirectionsdiener eine Des 

So habe ich gefehen, wie felfenfeft | pefche durch den Schalter. Ich werfe 
feine Hoffnung war. Und die folgen= |ganz zufällig einen Blick Hin und jehe 
den Tage ſchien es, als richte ihm |die Worte: Franz Moringer eben ver- 
die Hoffnung wirklich auf. Er verlor ſchieden. 
von feiner Bläffe und verzehrte ein 
größeres Stüd von feinem Braten. 

Er müſſe nun an das Abledigen den— 

fen, fagte er und begann feine Rech— Auf feiner Brunnenbanf, au die 
nungen zu begleichen und feine Hab= Lehne zurüdgefunten, war er todt ge— 
feligfeiten in den Koffer zu legen. | funden worden, nachdem er ein Halb— 
Auch erfuchte er mich, Fir ihm einen | ftündchen früher noch den Trunk ge— 
Wagen nah dem Bahnhofe in Feld: than hatte. 

bach zu fichern. Ich traf felbft An— Man erwartet e3, und wenn's ein— 
ftalten zu meiner Wbreife und fo tritt, fann man's doch nicht glauben. 
wollten wir zufammen fahren. Bis | Etwas, das eben noch geiprochen, ge= 
zum: Schmwanenwirt im Eunsthal, |fehen, gedacht, geliebt und gelitten 








wer 


35 


bat, wie ih, nun eine ftarre Mafle — 
todt und falt wie ein Stüd Erde. Es 
ift kaum zu fallen. Als er in der 
Leihenfammer zu Zrautmannsdorf 
lang ausgeftredt vor mir dalag, war 
in feinem Antlige jo viel Frieden umd 


Beiriedigung zu leſen, daß ich mir 


dachte: Franz, läge ich dahier an Dei- 
ner Statt! Dih hätten auf Erden 
ihre warmen Arme umfangen. . Das 
welfende Reilig an meinem Triumph 
bogen wird doch nicht mehr Frifch, 
auh wenn ih durch ihn einziehe. 
Beſſer ifts für den Zodten, im Grabe 
zu ruhen, als unter Lebendigen zu 
wandeln. 

Am nächften Tage habe ich den 
Gurort verlafien. 

Daheim war Jammer über Jam 
mer. Aber der Maria hatte man das 
Unglüd noch nicht mitgeteilt. Keiner 
von ihren Verwandten und Belannten 
hatte den Muth, ihr die Nachricht von 
dem Tode ihres Bräutigam zu über— 
bringen. Sie war, wie in Luft und 
Glüd, fo auch leidenſchaftlich .im 
Schmerze. Man wid ihr aus. Sie 
bemerkte das und ward unruhig. Da 
feitend der Moringer-Leute die Vor— 
bereitungen zur Hochzeit einjchliefen, 
fo ahnte fie nichts Gutes und fragte 
einen Better ihres Bräutigams, ob 
es den Franz vielleiht gar gereut 
hätte, fie zu Heiraten, weil er nicht 
fäme und auch nichts von fich hören 
laffe, ob er im Unterland Eine gefun— 
den hätte, die ihm beffer anftünde ? 

„Das nit,” meinte der Better, 
aber ſchlechter ſoll's ftehen mit ihm, 
wie man hört.” 

Mehr brachte, er aber nicht über 
die Lippen. Maria wollte jofort ihre 
fieben Saden zufammenpaden und 
nach Gleichenberg reifen. 

Um diefelbe Zeit kam ich nad 
Haufe, und jeht beſchworen mich ihre 
Verwandten, dab ich ihr die Nachricht 
beibringen möchte. Auf mich hielte fie 
was und das Zröften, dad müßte ich 
al3 Geiftliher wohl auch beſſer kön— 
nen, al3 andere Leute, 


Das war ein harter Tag. Schon 
die vorhergehende Nacht hatte ich nicht 
gefchlafen, aus Sorge und Nachdenten, 
wie ih ihr das Unheil ihres Lebens 
am mildeiten beibringen könnte. 

Zeitlih morgens gieng ich zu ihr 
und fand fie im Garten beichäftigt, 
Rosmarin und Nellen an die Stämm— 
hen zu binden. Sie lief mir nicht 
entgegen wie fonft, daher ſagte ich 
herzhaft: „So gehts, fo fällt Unſer— 
einer in Ungnade bei den feinen Dirn- 
deln auf Erden.” 

„Wenn’s wahr wär’,“ verſetzte fie 
und blidte mich ſchalkhaft an, „den 
geiftlihen Heren wollt nicht viel darum 
gelegen fein.“ 

„Wie fannft Du 
Maria ?” 

„Was follen wir Zwei viel Um— 
ſtänd machen?“ fagte fie, „ich bin 
eine Braut und Du ein Bräutigam 
— freilih wohl ein himmliſcher.“ 

Ich wußte nicht, was auf fo 
etwas geantwortet werden follte, merkte 
aber, das wäre nicht der rechte Au— 
lauf. Sie wifchte mit ihrem Schürz— 
fein die Erdfläubdhen von den Hän— 
den. „Und jeßt ſteh,“ fagte fie zum 
Rosmarinftamın, „fteh’ fe, bis wir 
heimkommen. — Fort muß ich Heute,“ 
ſprach fie zu mir, „haft Du nichts 
gehört, mein Franz joll ſchlechter fein 
— in Gleichenberg.“ 

„Ich komme von dort,* antwortete 
ich, „er ift freilich ſchlechter.“ 

„Komm ber,” rief fie und führte 
mich in die Laube, „fage mir — es 
ift doch nichts? Es ift doch nichts ?* 

Als wir in der Laube ſaßen — 
ganz nahe beifammen, weil das Bänf- 
lein kurz war — und als ich zwiſchen 
den Zweigen Hinausblidte auf den 
üppigen Blumenflor, fagte ih: „Dein 
Garten fieht aus wie im Frühling.“ 

„Halt fleißig gepflegt will er fein,” 
war ihre Antwort. Dann jehmwiegen 
wir beide und immer größer wurde 
meine Bellenmung. 

„Die Sonnentofen!” fagte id. 


ge 


das wiſſen, 


U un 4 
36 77 


„Ja wohl,“ ſagte fie, „Herbſt | gerichtet ſtand fie da mit geballten 
wirds, da Hilft Alles nichts.“ Fäuſten, gefchloffenen Augen und rang 
„Er ift Schon feit länger ampaß nach Athen. Endlih ſank fie am 
geweſen,“ verſetzte ich. Strauchwerk zuſammen und weinte 

„Ich weiß nicht,“ war ihre Ant- ſtill in ſich hinein. 
wort, „mir hat er ſchon im Sommer Ich war auf einen wilden Schmerz 
nicht mehr gefallen wollen.“ ausbruch gefaßt gewefen, ich Hatte ge= 

„Was Hältft Du eigentlich von zittert davor — aber nicht fo tief 
feinem Zuftand ?* hätte er mich erfchüttern können, als 
Mein Gott —” fie wollte weiter | diefes ihr ftilles Weinen. Ich bin zu 
ſprechen, that3 aber nicht, fondern Hob ihr Hingelniet, Habe meine Hand an 
einen tiefen Athemzug aus der Bruft ihre Loden gelegt, an ihre Stirne — 
hervor. „Mit Gottes Hilfe,“ fagte fie) da fant mir ihr Haupt an die Bruft 
endlih, „daß es doch noch einmal| und den warınen Arın an meine Achfel 
bejjer wird. In einer gefunden Haut |gefchmiegt hauchte fie: „Karl, Hilf 
ftedt er nicht. Die Hochzeit muß ver= | mir!“ 
ſchoben werden, das ſehe ich ſchon.“ Ich weiß nicht — weiß es heute 

„Es ift vernünftig von Dir, daß noch nit — was das war, das in 
Du Did in das Unvermeidliche Fügft. | diefem Augenblid mein Haupt nieder- 
Auf diefer Welt müffen wir allzeit auf) zog über ihr Geficht, meine Lippen an 
Alles gefaßt fein.” ihre Lippen. Ih Hatte das Gefühl, 

„In Gottesnamen!“ ſagte fie. als verfinfe ich in eine ſchwüle Nacht 

„Maria,“ verfegte ih und faßte — ein berber Stoß an die Bruft 
ihre Hand, die auf den Schoße lag, brachte mich zum Bewußtſein. Maria 
„wie würdeft Du es ertragen, wenn warf einen zornglühenden Blid auf 
Dir heut’ oder morgen Einer die mich und eilte mit fliegendem Saar 
Nachricht brächte, daß er geftorben...?“ | von dannen. 

Sie entzog mir die Hand und 
preßte fie an ihre Bruft. „Weißt Du 
was, Karl?” fragte fie ſcheinbar ruhig 
und ſchaute mir mit einem durchdrin— 
genden Blid in das Auge. 

„Ja, Maria, leider — id bin 
diefer Unglüdsbote.“ 

Sie war aufgefprungen. Hoch auf« 


Bei meiner Primiz war fie nicht 
anwefend gemwejen. Heute find fieben 
Jahre feither verfloſſen. Maria lebt 
im Haufe ihres Vaters und foll immer 
noch ein fchrwarzes Kleid tragen. 

Ich predige den Sündern. 


Am Grabe eines BDealiften. 





Ei glüdliher Menſch fteigt hier zur | Er hat das Elend in Liebe geweiht, 
a Ruh’, Der Jämmerlichkeit fi verſchloſſen, 
Don einem Himmel zum andern; Er hat mit dem Blut von Eurem Blut 
In hehren Geftalten zieht er dur 8 AU, | Ein höheres Leben genofien. 

Wie jelige Geifter wandern. 


Er bat ein reicheres Daſein geführt, Er hat genofien in fröhliher Ruh’, 
Als al! Ihr Schlemmer und Prafier, Was Yhr jelbft im Kampf nicht erjagtet; 
Gr bat ein edleres Feuer genährt, Er bat gebetet, gehofft und gejauchzt, 


Als alle die Hetzer und Haſſer. | Dieweilen Ihr klagtet und zagtet. 


37 


Dieweilen Ihr geifernd das Leben verfludt, 
Und geifernd darnach habt gehaftet, 
Hat er fi im Lichte des Himmels geſonnt, 
Im Schatten des Waldes geraftet. 


Ihm war ein heiterer Traum diefes Sein, 
Das Eud ein drüdender Alp ift; 
Das fommt, weil Euch der Magen beichwert 
Vom Fraße am goldenen Ralb ift. 


| Dieweil Yhr auf allen Vieren friedt, 
Er fuhr auf dem Sternenwagen, 
Ihn hat die göttliche Phantafie 
Durch Ewigfeiten geträgen, 


Ihr fintet als Aas in’s finftere Grab, 
Als Samentorn fällt er zur Erde. 

Hab’ einft ih im neuen Sein die Wahl, 
Mit wen ich’3 wohl halten werde? 


„ Ein glüdliher Menſch fteigt hier zur Ruh’, 
Bon einem Himmel zum andern; 
In hehren Geftalten zieht er durch's A, 


Wie jelige Geifter wandern, 


Sommerlage 


"a3 größte Raffinement 

Weltgenießenden ift die Rück— 

‚tehr zur Einfachheit. Wer fih an 

Auftern und Champagner überfättigt 

hat, dem ſchmeckt Schwarzbrot und 
frifches Waller wieder. 


Ich Hatte an den prunfvollen 
Stadthäufern und geiftreihen Stadt- 
leuten gerade wieder einmal genug. 
Die Akademien, Theater, Kunftgalles 
rien und wiſſenſchaftlichen Cirkel lang» 
weilten mid. Meine Bücherfäften und 
Büchertiihe und Bücherladen und 
Bücherftellen und Bücherfendungen der 
Poſt waren mir läftig. Die Journale, 
Zeitſchriften, Feſtprogramme, Partei— 
manifeſte, die mir durch alle Fugen 
meiner Wohnung zugeflattert kamen, 
efelten mich an. Ich hieng die Reife- 
tafhe um, that die Gedichte von 
Schiller hinein und einen Band von 
Goethe, den ich mit geichloffenen Augen 
wählte, nahm den Wanderftab und 
gieng in's Gebirge. 

In den Mauern beunruhigt uns 
täglich drei- bis viermal die Poſt, fie 


R. 


im Waldland. 


eines | Postboten entgegenfieht, um fo heil- 


famer, wenn diefer ganz ausbleibt und 
man am Morgen von den Göttern 
den Tag al3 Eigenthum in Empfang 
nehmen kann, ohne befürdten zu 
müffen, daß er durch fremde Wünſche 
und Willfür geftört werden könnte. 
Es ift nichts, das man fo ſchwer zu 
veriniffen vermeint und fo leicht ver— 
mißt, al3 den Briefträger — heißt das, 
fo lange uns die Zauber des Wald— 
lebens umftriden. Vergißt man in 
ihnen ja fogar feiner eigenften Ge— 
wohnheiten, förperlihen Gebrechen und 
Leiden. 


Mo weitum fein Wirtshaus und 
feine Boftftation war, fehrte ih in 
einem Bauernhofe zu, in der Abficht, 
dort alt zu werden umd zu fterben, 
fall3 mich nicht etwas wieder zurück— 
triebe in das Weltleben. Eine be— 
fondere Stube konnte ich nicht haben, 
wohl aber ftand mir die gemeinfame 
offen, in welcher Hausvater, Hausmute 
‚ter, Kinder, Großeltern und das übrige 
‚ Gefinde, einſchließlich der Hunde, Katzen 


greift wie eine fremde Macht im uns und Hühner, zu den Mahlzeiten oder 
jere Tage. Ye größer die Spannung auch zur Schlafenszeit ſich einfanden. 
und Erregung, mit der Mancher dem; Mir wurde in der Heufcheune ein 


38 


Bett aufgefchlagen und die Erlaubnis 
ertheilt, ein Dachbrett zu verfchieben, 
falls es mir im Raum zu finfter wäre. 

Nun ift aber in einem Bauern» 
hofe eine abfolute Finfternis gar nicht 
denfbar; zu allen Yugen lodert das 
Sonnenlicht herein, ja felbft die Sterne 
in der Naht guden noch in den 
Frieden und in die Geheimniſſe der 
Kammern. 

Manchmal aber vernehmen im 
MWaldhofe die Ohren des Menfchen 
mehr, als die Augen des Himmels. 
Bisweilen find es zwar nur Nach— 
Hänge. Es mußte im Haufe geftern 
der Ausdprud: „Alte Margerl” ge— 
fallen fein. In diefer Nacht "hörte ich 
aus der benachbarten Knechtekammer 
ganz deutlich folgenden Erguß: „Bon 
Dir hätt’ ich's am wenigſten gedacht, 
Kafpar, daß Du mir den Spignamen 
»Alt« aufbringft, von Dir thut mir’s 
am allerweheften. Einmal bin ich Dir 
jung genug gewejen. Weißt Du nod, 
wie Du mir das erfteinal nachge— 
Ichlichen bift auf den Heuboden ? Her— 
genommen Haft mich, und fo ein jung 
frifh Brödel Gottesgab, Haft Du ge— 
fagt, kann der Ehriftenmenfch nicht ver— 
achten. So ein jung Brödel, haft Du 
gejagt! — Aber Margerl! höre ich eine 
männlide Stimme, das ift ja vor 
dreißig Jahren ‚gewejen! — Dreißig 
Sahr Hin, dreißig Jahr Her! ruft fie, 
eine Dirn, die dem braven Burfchen 
einmal jung gewefen, wird er fein 
Lebtag nit alt fehimpfen. Und 
bin ih’3? Schau her, ob ich's bin! 
— Blutjung bift, jagt er, weil’s bei 
der Naht finfter ift; aber geftern 
beim Zag ift’3 licht geweſen. Schau’ 
mich an bei Tag, ob ih nicht auch 
meine grauen Haar’ und meine Rune 
zen Hab’. — Desweg ift’3 am beiten, 
wir Schauen uns bei Tag gar nicht 
an. — Iſt mir ganz vet, und bei 
der Nacht jehlafen wir. Gute Nacht.” 

Was weiß ih? Unangenehm genug, 
daß ich aus meiner guten Ruh’ ges 


ſchwamm ich draußen im der warmen 
Juliluft dur die Wälder, Berg: 
ſchluchten und Hochmatten. 

Manche beſitzen ihr Taſchenmeſſer 
in ſcharfem Zuſtande nur kurze Zeit, 
im ſchartigen tragen ſie es viele Jahre 
lang mit fi herum. So geht's auch 
mit der förperlichen Gefundheit. Ach 
fchneide meinen Wanderftab in Wald 
und Berg längft ſchon mit der ſchar— 
tigen Klinge und wundere mich nur, 
daß der alfo gefähnittene Stod manch— 
mal, wie beim heiligen Joſef, noch 
grüne Zweige treibt. 

Wie erquicklich waren mir alfo die 
Tage im Waldland ! 

Der Himmel war ftet3 wolfenlos 
und die Luft jo troden, daß der Rauch 
eined in weiter Ferne bremnenden 
Waldes in mildhftragenartigen Bän— 
dern tagelang am Firmament zu 
ſehen war. 

Gerne ſaß ich auf einem hochge— 
legenen MWaldanger, der mit jungen, 
üppigen Fichten umftanden war; über » 
den ſcharfzackigen gefreuzten Wipfeln 
blaute ein fernes Felsgebirge herein, 
in weldem man zur Nachmittagszeit 
die leuchtenden Kalkfteintafeln und die 
ſchattigen Schründe und die Schnee= 
refte in denfelben genau fehen konnte. 
Mitten auf dem Unger ftanden zer= 
ftreut etliche Lärchenftämme im ihren 
regelmäßigen, lichtgrünen, weichen Ke— 
geln auf. Ein einziger folder Baum 
ſchon ift wert, dab man ihn tagelang 
betradhte. Hoch hinauf der äfteloje 
Schaft mit feiner rauhen, in wunder— 
barer lUnregelmäßigleit zerfprungenen 
Rinde. Diefe Unregelmäßigkeit inner: 
halb des höchſten Ebenmaßes kann 
fein Menſch machen; das menſchliche 
Auge iſt in dieſen Dingen doch ſo 
plump, die menſchliche Hand ſo un— 
beholfen! Wer nur an einem Buche 
einen marmorierten Schnitt machen 
will, der muß die Naturfelbftzeihnung 
einer mit Yarbe marımorierten Waſſer— 
flähe dazu benützen. Wer einen Ster- 


ftört worden. Jh mußte mein Obdach | nenhimmel zeichnen will, der muß, um 
nur zur nächtlichen Raft, tagsüber |die ſcheinbare Unregelmäßigkeit zu fin» 


den, Körner auf die Fläche ftreuen. 
Ya ſelbſt der Maler einer baroden 
Arabeste findet feine erften Anhalts= 
puntte nur, wenn er Heine Hölzchen 
oder Sand wie zufällig auf das Blatt 
fchleudert. In diefer äußerlichen Uns 
ordnung liegt das Geheimmis der höch- 
ften Ordnung. Wer die rauhe Rinden— 
geftaltung eines Lärhbaumfchaftes aus 
eigenem Augenmaße nadhbilden wollte, 
der brächte ein lächerliches Ding zu— 
wege, das mit der Natur nicht die 
geringite lebendige Aehnlichkeit hätte. 

Bon einem ursprünglich angelegten, 
mit wunderbarer Begabung ausge— 
zeichneten Menfchen jagt man: er ift 
genial. Kann man das auch von der 
Natur jagen? Gewiß nicht. Die Natur 
fteht unendlich erhaben über dieſer Be— 
zeihnung. Betrachten wir den Lärch— 
baum noch in feiner Aſt- und Zweig» 
bildung. Es gibt an dem ganzen 
Baum feinen Aft, feinen Zweig, der 
einem andern Aſt oder Zweig ganz 
gleih wäre. Es gibt am Baum feine 
Nadel, die einer andern genau eben= 
bürtig wäre, ſowie behauptet wer— 
den kann, dab auf der ganzen Welt 
nicht zwei Laubblätter wachſen, die in 
allen ihren Theilen volllommen gleich 
wären. Welch eine ſcheinbar willkürliche 
Unregelmäßigfeit in dem Geäfte, Ge— 
zweige, und welch eine unbejchreibliche 
Harmonie und Einheitlichkeit im gan— 
zen Baum! Wer befiehlt es jedem 
einzelnen Aft, daß er fo lange hinaus 


wachſe und firebe und feine Zweige | 


ftrede, bis dieſe die gleiche Linie mit 


allen Anderen erreicht haben? Wer! 


ruft ihm Halt zu, fobald er in Ein» 
Hang mit allen Anderen fteht, fo daß 
der Lärhbaum im Großen genau die 
länglich tegelförmige Geftalt hat, wie 
das rothe Blütenkätzchen, das dieſer 








39 


Aufſchluß, wie das eigentlich zugeht, 
ſchuldig geblieben oder haben denfelben 
in eine Art gekleidet, mit der uns 
gewöhnlichen Leuten nicht gedient ift. 
Ich denke mir meinen Theil, oder 
vielmehr, ich empfinde ihn, und ich 
bin tiefinnerlich froh, wenn ich in 
Waldeinſamkeit die Thaten der Natur 
ahnen und fchauen kann. Da felbit 
im Walde, im Baume aus der unend— 
lihen Verſchiedenheit der Individuen 
die Einheitlichleit des Ganzen hergor« 
geht, beruhigt mich; auch unter uns 
Menſchen gibt es viele abfonderliche 
und widerhaarige Gefellen, Parteien, 
Völker, fie gehören eben auch dazu 
und werden dem Ganzen wicht fchaden, 


Immer darf man aber auf die 
Verwandtihaft und Verftändnisinnig- 
feit zwischen dem Menfchen und feinem 
Gegenüber, der Äußeren Natur, nicht 
bauen. Bor mir ftand .ein junger, 
ftrammer Fichtenbaum, der hatte fo 
dichte, geſchmeidige Aeſte, jo faftige 
| Zweige und fein Wipfel war üppig 
vollbeladen mit dunkelrothen, harzigen 
Zapfen. Wie manches ziweibeinige Ge— 
ſchöpf, fo dachte ich ihm zu, kann 
Dih wohl niederhauen mit der Art, 
aber Deine ftrogende Jugendkraft kann 
er ſich nicht aneignen. — Da kam 
ein Windftoß, die. Baumhäupter rauſch— 
ten und bogen ſich, der junge Wipfel 
mit den Samenzapfen aber brad unter 
‚feiner eigenen Laft und ftürzte zur 
Erde. Hier hat e8 doch an dem rich- 
tigen Verhältnis gefehlt zwifchen Kraft 
und Kraft; die Kraft des Indivi— 











duums war zu Jchwach, um die Kraft 
des Gefchlehtes ertragen zu können. 
Oder ſoll derlei nicht manchmal auch 


Ian Menjchen vorkommen ? 


Zum Walde gehört der Jäger, 


Baum im Frühjahr auf feinen Zweis |aber er zerftört mitunter die Stim— 
gen wiegt? Daß es nicht Engel find, mung. So ein ftattliher Burfche mit 


die da ſtutzen umd glätten, und den 
Baum jozufagen frifieren, das haben 


a es und Hirfchfänger fieht 


recht tapfer aus; ich vermuthe aber, 


die Männer der Wifjenfchaft mit einer daß lange nicht fo viele ſchmucke Jäger 


faft leidenſchaftlichen Beſtimmtheit feſt— 
geſtellt. Gleichwohl ſind ſie uns den 


‚in den Wald gehen würden, wenn Die 
| Rehböde und Auerhähne ebenfalls 


40 


Doppelgewehre und Hirfchfänger bei 
ſich hätten. 

Der Jäger Florian in hieſiger 
Gegend hat vor kurzem einen „Reh— 
rufer” gelauft. Das ift ein Mefling- 
pfeifchen, durch welches man den Lock— 
ton junger Rehe und Rehweibchen 
nachmachen fann. Damit wird der Reh— 
bod herbeigelodt um niedergefchofjen zu 
werden. Beim Familienfinn alfo wird 
das Thier dur den Herrn der 
Schöpfung gefaßt, um es zu über- 
liften. — Ich freue mich über die 
Maßen, daß ich nicht fo bin wie die 
Thiere, fondern das „edelfte Geſchöpf“ 
— ein Menſch. — 

Am traulichften ift mir im der 
Waldſchlucht, wo das kalte Waſſer 
giſchtet. Wo nicht ein Gebirgsbach 
rauſcht, dort iſt keine echte Sommer— 
friſche. Nichts Erquickenderes, als die 
fühle, thauende Luft, die über ſolchen 
Waſſern uns anhaudt. Wir ftehen 
am Bade fill und bliden in das 
porüberziehende Waller und meinen, 
wir feien die Feſtſtändigen. Das ift 
aber wieder einmal umgekehrt; die 
Menfchen, die Gefchlechter ziehen vor» 
über, der Bach hat unferen Boreltern 
das Taufbeden gefüllt und wird une 
feren Nachkommen die Gräber bethauen. 
Die Menfchheit ift wohl mit Waſſer 
vergleihbar, aber nicht mit über 
Kiejelfteinen fließendem, fondern mit 
gen Himmel fteigendem und vom Him— 
mel in Tropfen zur kühlen Erde fal- 
lendem. 

Die Freundſchaft mit dem Wald— 
bach iſt übrigens nur bei einiger Ent— 
fernung gut. Wer ſich aus Liebe zu 
ihm in fein Bett legen wollte, dem 
ergienge es übel. Und fo trifft es ſich 
ja häufig, daß die Wefenheiten der 
äußeren Welt, die der Naturfreund jo 
begeiftert verehrt, bei näherer Berüh— 
rung unfere Feinde werden. Platonifch 
wollen fie don uns geliebt fein, ſonſt 
hätte der jchönfte Bach Luft, uns zu 
ertränfen, der freundlichſte Baum, uns 
todtzujchlagen, das herrlichſte Felsge— 
birge, uns in den Abgrund zu ſchleu— 


dern. Wenn ich durch Wald und Flur 
wandere, begehre ich keinen Nutzen. 
Ich beſcheide mich und bin doch im 
Vollbeſitze höchſter Güter. Ich konnte 
einmal nicht verſtehen, was die Reli— 
gion ſagt, nämlich daß die Auserwähl— 
ten in der ewigen Anſchauung Gottes 
ſelig ſeien; und nun bin ich ſchon 
ſelig, wenn ich fortwährend die Matten 
und Wälder, die Waller und Wollen 
anfchaue! 

Dazu bedarf es freilich noch eines 
Zauber, der aus unſerem Innern 
fommt und dort gewedt werden muß. 
Ein oder zwei Bücher ftehen zur 
großen äußeren Welt im richtigen 
Verhältnis. Sonft haben wir zu viele 
Bücher und zu wenig Natur. Wer in 
feinem ftillen ländlichen Kreiſe nichts 
al3 einen Band von Schiller oder 
Goethe in der Tafche Hat, und Hinter 
derjelben ein wahrhaft lebendiges Herz, 
der wird — und er braucht feinen ge= 
lehrten Ausleger dazu — die Reich— 
thümer allmählich entdeden, die in 
dem Buche miedergelegt find und an 
denen er fonft etwa durch andere, 
durch nichtige Bücher beansprucht, zer= 
ftreut und irregelodt, fein Leben lang 
vorüber gegangen wäre. Verſuche e3 
einmal Einer und leſe in der ſtim— 
mungsvollen Waldeinfamteit ein Ge— 
dicht von einem jener Großen! Das 
wird anders fein, als wenn er ben 
Band in feiner Arbeitsftube aus dem 
Bücherlaften gezogen. und fo im Vor— 
beiblättern ein wenig darin genajcht 
hätte. Glaubt mir nur, man kann bei 
zu vielem Lefeftoff das Leſen ganz 
curios verlernen! Man wird flatters 
haft, genäfchig, ohne zu genießen, wäh— 
lerifh, ohme zu wählen, launenhaft 
kritiſch, ohne wirklich zu urtheilen. 
Eine Bibliothek ift wie ein Haren, aber 
ein einziges Buch ift wie eine Geliebte, 
mit der man allein jein muß, wenn 
man ihre Süßigkeit und ihren Gehalt 
inne werden will. Wenn mich im 
Walde aus meiner Lectüre das Brauſen 
des Wildbaches aufwedt oder der helle 
Schlag einer Amſel oder der fill 


J 


heranwehende Duflhauch einer Ciclame, 
ſo zerſtört das die Stimmung nicht, 
erzeugt ſie vielmehr. 

Gefährlich wird im Walde dem 
Buche nur die trällernde Hirtin oder 
die leichtgeſchürzte Beerenſammlerin. 
Dagegen kann kein begeifterter Hymnus 
Schillers, fein glühendes Weltlied 
Goethes auflommen. Wenn ich ſchon 
den Stein und den Baum und bie 
Blume und das Käferchen des Waldes 
fo aufmerkſam und eingehend betrachte 
und auf mich anwende, warum fol 
ich ein Gleiches nicht mit der jungen 
Hirtin thun? Sie gehört doch auch 
zur Natur, im die ich mich ja ganz 
und gar verfenfen will, und Goethe 
räth' mir jelbft, ich folle fein Buch 
in's Gras werfen und der Holden 
Schäferin nadeilen. Der Mann ver— 
fteht fih d’rauf, und wen die Kleine 
auch noch nicht über fiebzehn Sommer 
zählt, fo Hat doch die Sonne diefer 
Sommer ihr Gefichtlein, ihre Arme 
und rundlichen Schultern fo friſch 
bräunlich gefärbt, die Glieder fanft 
geihwellt und im den Schwarzen Aeug— 
lein eine Glut entfacht, daß man fie 
wohl vergleichen kaun mit der reifen 
Himbeere, die fie in ihr Körbchen 
fammelt. 

Ich erhebe mich jachte von meinem 
Moostiffen, um mir von ihr eine 
Beere zu erbitten, da huſcht aus dem 
Didiht Flint wie ein Hirfch ein Jäger: 
fnab’, wirft Gewehr und Weidtafche, 
Hut und Rod von fih und in Hemd— 
ärmeln Taßt er die Maid um die 
Lenden und fchwingt fie fo hoch, daß 
er an ihren rothen Lippen fangen | 
lann. Sie wehrt fi, aber je framıner| 
fie ihre runden Arme gegen feine 
Bruft ſtemmen will, deſto feiter ums 
jpannt er fie und preßt fie an fich. 
Sie würde um Hilfe rufen, fürchtet 
aber, das fie Jemand Hören und fich 
in den Handel mifchen könnte. Jetzt 
haben ſich noch dazu ihre nußbraunen 
Haarflechten gelöst und jo unfelig um 
den Naden des ſchlanken Knaben ges | 














muß, wenn er fie wieder auf den 
Boden ftellen will. Ehe denn aber ein 
Jägersfnab’ den Naden beugt, eher 
fniet ex hin. Ich erfenne bald, daß 
hier meines Bleibens nicht länger 
fein könne; die Natur hat ihr Aller: 
heiligftes, in das wir nicht zu jeder 
Stunde bliden dürfen. 


An demjelben Tage zeigt mir das 


Waldleben auch eine ganz andere Seite, 


Ich bin noch durchglüht von dem 
idylliſchen Ereignis, dem ich entfliehen 
mußte, al3 ich auf dem fteilen Hohl— 
weg, den ich abwärts gehe und auf 
dem wegshin die rinnförmige Spur 
eines geichleiften Holzblodes ift, eine 
dunkle Maffe liegen ſehe. Aus der 
Ferne halte ich es für einen zuſam— 
mengeballten Mantel, al3 ich in die 
Nähe komme, ſehe ich eim zu einem 
Ballen zufammengewalztes Menſchen— 
weſen daliegen, deflen Glieder noch 
ein wenig zuden. An dem ſchier 
zwifchen die Beine durchgepreßten 
Haupt erkenne ich den Sepp am Rain, 
einen Häusler, deſſen Vermögen in 
zwei Pferden beftand, mit denen er 
durch Holzfuhrwert feine zahlreiche 
Familie ernährte. 

„Aber Sepp!" rief ih, „was ift 
das? Was ift gefchehen ?” 

Er rollte langſam fein Auge gegen 
mich und todtenblaß bis an die Lippen 
fagte er: „Geh', Hilf mir ein wenig 
zurecht. Mich hat's arg erwilcht.“ 

Us ih den Mann aber zurecht 
rücken wollte, ächzte er vor Schmerz 
und fagte: „Laß' mich, wie ich liege, 
und gehe meinem Fuhrwerk nach, das 
ift davon mit meinem Bübel; weiß 
Gott, was dem gefhieht! — Wir 
haben,“ fuhr er unter Athembeklem— 
mung fort, „Holzblod gefchleift. Da 
fliegen Wildtauben auf, die Röfjer er= 
Ichreden, thun einen, Sprung und 
rafen davon. Ich will einfchleifen, 
ftolpere, komme unter das Holz. Hat 
mich mitgefchleift, Hat mich fo zuſam— 
mengewalzt. Auweh, mit mie iſt's 


wunden, dab er ich tief niederbeugen vorbei. Ich bitt' Dich und bitt! Dich, 


42 


lauf’ den NRöffern nad — mein arnıes 
Bübel! Auweh!“ 

Man muß freilich den Sterbenden, 
den man doch nicht retten könnte, 
verlafjen in feiner größten Noth, wenn 
ein Anderer in Lebensgefahr unfere 
Hilfe Heifcht. Ich ließ ihn liegen und 
lief wegabwärts, wit jeder Wendung 
erwartend, den Knaben ebenfo wie den 
Vater zermalnt auf dem Wege liegen 
zu fehen. Es war aber nichts, als die 
gleihmäßige Spur des gefchleiften 
Holzblodes. Zehn Minuten lang mochte 
ich fo dahingeeilt fein, eine Ewigfeit 
waren fie mir, und eine Ewigkeit 
fönnte man laufen in folder Auf: 
regung, ohne zufammenzubrechen. Und 
fein Menſch glaubt es, wie viel man 
denkt, im Geifte Sieht, im Herzen 
empfindet bei folder Jagd Hinter dem 
Unglüde her! 

Endlich an einer gefchlofjenen Thor» 
ſchranke ftanden die Pferde mit dem 
zweiräderigen Blodwagen. Und auf 
dem Blode ſaß der etwa fiebenjährige 
Knabe und ſchaute verblüfft drein, daß 
anstatt des Vaters ein Fremder kam. 

Ich hob den Knaben auf den feiten 
Boden herab, ſpannte an einer Aus— 
weichitelle den Wagen los und führte 
die Pferde und das Kind eilig hinab 
zum Häuſel am Wiefenrain. Als wir 
demfelben nahe kamen, fieng der Knabe 
an zu rufen: „Simon! Simon!" Das 
war ein alter, fTrüppelhafter Mann, 
der in dem Häufel auf der „Einlege* 
ſaß. Er kam aber nicht hervor, weil 
ihn feine Beine nicht tragen fonnten, 
hingegen eilte, von ſechs unerwachſenen 
Kindern umgeben, das Weib des Sepp 
aus dem Hauſe, und als ſie den frem— 
den Mann mit den Pferden kommen 
ſah, wollte fie zuſammenſinken vor 
Schrechk. 

„Seppin!“ rief ich ihr zu: „Euer 
Mann, geſchädigt iſt er worden.“ 

„Arg?“ fragte ſie mit gefalteten 
Händen, „un Gotteswillen, arg ge— 
Ichädigt ?“ 

„sh weiß es nicht. 
Wald liegt er.“ 


Oben im 





„So hat er Sich gar einen Fuß 
gebrochen ?* jammerte fie. 

Wir giengen jo ſchnell wir konnten 
der Unglüdsftelle zu. Während des 
Laufens war ich beftrebt, fie vorzu— 
bereiten, ih wußte, wie glüdlich und 
liebevoll das Ehepaar mitſammen ge= 
lebt hatte. — „Ein Fuß dürfte frei- 
li Hin fein, vielleicht beide. Er Hat 
Schmerzen. Wenn ihm nur nicht auch 
die Arme gebrochen find, er jcheint 
unter das Holz gelommen zu fein. 
&o etwas kann grob verlegen, grob...“ 

Zufammengelauert, wie er früher 
gelegen, jo Haben wir ihn gefunden. 
Keine Spur des Lebens war mehr in 
ihm. Das Weib riß ihn empor, fein 
Haupt ſank auf ihren Schoß, mit ge= 
brochenem Auge, die Schmerzenszüge 
noch um den Halboffenen Mund, jo 
erzählte er ftumm, was gejchehen war. 
Das Weib labte ihn, tröftete ihn, 
berzte ihn mit den rührendften Wor— 
ten, riüttelte ihn und rief ihn laut 
beim Namen, als fei er aus tiefem 
Schlaf zu weden; da aber fein Lebens— 
zeichen mehr wiederfehrte, als er kalt 
und ſtarr wurde, da preßte fie ihr 
Angefiht an feine Bruft und begann 
herzzerreißend zu weinen. 

Am Morgen, als der Sepp mit 
ſeinem Söhnlein ausgefahren war, 
hatte er ihr noch heiter zugerufen: 
„Lieſel! Heute mußt Du uns aber 
doch einen guten Sterz kochen zum 
Fruͤhſtüch!“ 

„Nichts da!" Hatte fie ſcherzend 
erwidert, „für fo zwei Zotter, wie Ihr 
feid, ift die Milchſuppe auch gut genug. 
Den Sterz Friegt Ihr auf den Abend, 
wenn Ihr heimkommt md ich ſehe, 
daß Ihr ihn auch verdient Habt." — 

Am mächlten Tage, als ich das 
Häufel wieder befuchte, lag er im 
Vorgelaß aufgebahrt. Auf zwei Stüh— 
len ein langes Brett, über dem darauf 
ſchmal und Schlank ausgeftredten Leich- 
nam ein Leintuch gehüllt. Zu Häupten ° 
auf eimem Bänklein ein Zrinfglas, 
in welchen ſchwimmend auf dem Del 
das Aemplein brannte; ein Kinder— 


43 


ſchälchen mit Weihwaſſer und Tannen— 
zweig und das hölzerne Crucifixlein 
vom Hausaltar — das war Alles. 

Die Kinder ſtanden an der Bahre 
herum und Hatten fih mit der felt- 
jamen Thatſache, daß hier unter dem 
weißen Tuche der Vater ſchlafe, be= 
reits vertraut gemadt. Als fie ihn 
todt in’3 Haus gebradt, ihn, der 
- jonft mit ihnen immer fo munter ges 
wejen, da braden die Größeren in 
Weinen und Rafen aus und riffen 
bierin auch die Hleineren mit, die doch 
nicht einmal ahnten, um was es fi 
handle. Nun ftanden fie Alle da 
herum und der Familienvater, Er— 
nährer und Schüßer, der einzige treue 
Freund auf der Welt, lag ftill und 
ftarr auf dem Brette; im Haufe und 
in der Nahbarfchaft wurden Anftalten 
getroffen, ihn fortzutragen und zu be= 
graben. 

Das Weib war gefaßt. Weinen 
fonnte fie nicht mehr, mit lagen war 
der unermeßliche Stein, der ihr auf 
dem Herzen lag, nicht zu heben. In 
dumpfer Stimmung — wie halb» 
träumend — verrichtete fie die ge— 
wohnten häuslichen Arbeiten, hegte die 
Kinder und ordnete das Leichenbes 
gängnis an. Allemal aber brach ihr 
Schmerz los, wenn ihr einfiel, wie 
fie ihm an feinem legten Tage das 
gute Frühftüd verfagt Hatte. — So 
— hr lieben Freunde — fo ift unfer 
Gemüth. An Unbedeutendes oft Hanı= 
mern fih die Gewalten des Herzens, 
wenn das Bedeutende zu groß, zu 
allgemein ift, um es zu faflen. 

Wie manches Yamilienvaters Le— 
ben, Arbeiten, Kümmern, Leiden und 
Sterben ift ein unausgefeßtes Brand: 


opfer für Weib und Kind. Nicht anz | 


ders iſt's bei Manchem, als daß er willig 
feinen Leib an's Kreuz fchlägt für das 
Leben der Seinen, daß er unter feinen 
Mühen und Laften, unter den Schlä— 
gen, die ihm im Kampf um fie ver- 
fegt werden, langjam verblutet oder 
auch, wie es hier der Tall gewefen, 
plöglih ein Opfer feines Berufes, 
feiner Arbeit wird. Glüdlich das Weib, 
welches jich keines anderen Fehls anzu— 
Hagen hat, als daß e3 dem Einzigen 
fein Lieblingsgericht anftatt am Mor— 
gen erft am Abend vorjegen wollte. 

So hat aud das Waldland- feine 
bunten Neuigkeiten, und es ift faft 
allemal Herzblut dabei. Ich ſchaute 
hinab auf den langen Leichenzug, als 
er fih nah einem Morgengewitter 
durch das grüne Engthal bewegte. Die 
Leute von der ganzen Gegend — und 
der Wald ift durchaus nicht jo men— 
jchenleer, al man glauben möchte — 
waren zufammengefommen, um dem 
armen Weib das fchwere Kreuz tragen 
zu helfen, das fo plößlih vom Him— 
mel gefallen war. Auch der jchlante 
Jägerknab' und die Schäferin giengen 
hinter dem Sarge drein — bei ihnen 
wird's auch einmal fo fein. Nebenhin 
rauſchte das Waller, auf den Wipfeln 
der Lärden und Fichten jubelierten 
die Vögel, und am Himmel ftand hoch 
und hell ein Regenbogen. Und wie 
der Jaftiggrüne und blühende, von 
Waldhöhen umrandete Thalkefjel unter 
dem Regenbogen jo dalag, war e3 zu 
fehen wie ein ungeheuerer Blumen— 
forb, der einen Jiebenfarbigen Henkel— 
reifen bat. 

Wenn die frivole Welt wieder 
einmal um meine Seele werben will 
— diefen Korb gebe ich ihr. 


Schlumperliedeln 
oder 


wie der Voigtländer feine Liebe fingt. 


T 1 N, mus * N Sander | he ne — ich, 
ihre Vierzeiligen un nader= — 
hüpfeln hätten, ift eine irrige. Das — ne tr Peter ae 
vierzeilige Volksliedchen ift in vielen 
Ländern, felbit bei den Romanen und 
Griehen, verbreitet. Hier veröffent- 
lichen wir eine Reihe von Schlumper- FE ra aaa 
liedeln, Schlemper- oder nadläffig i 


hingeworfene Bummelliedchen, wie : AG und mei Schatz 
| 
| 





Schneeweik und eislalt 
Und mei Bett ficht im Wald, 


in Sadfen, im Thüringerwalde und Senn an an’n Tog geburn, 
befonders im Voigtlande ganz ähnlich Drum jemm’'r mit 'nanner 
wie in unferen Alpen entftehen und | Su ſchwarzaget wurn. 

gefungen werden. Diefelben erbringen 
einen neuen, wenn auch überflüffigen 
Beweis, dab die deutjche Volksfeele im 
Norden wie im Süden die gleiche ift. 


Wos fümmt do drübn bun Bergel rei? 


Mei Schat iS vun Adel, 
Bun Adel is er, 

Er hot naer an'n Tadel, 
Kanne Wadel hat er. 


Do drübn fümmt a Fuhrma rei, 
Fuhrma Halt fill, Halt ſtill. 
Wer werd der Fuhrma fei, 

Der mid habn will? 


Kan’n Fuhrma mog ich net, 
Fährt ze weit aus, 

Ich mödht an Schneider habı, 
— Blabt in man'n Haus. 


He guchhe! 
Es muß bo wuhl mei Schogel jei? 
He guchhe! 
Er giebt Bee und flmmmt net rei, 
Er muß 8 doch net geweſen fei. 


Wenn Du mei Stäärla bift 
Und ih Dei Staar, 

Herz ich Dich, Füh ih Dich, 
Friß ih Di gar. 


Herzig Schäpele, 

Gib mir a Schmäpele, 

Ned Dei Schnäbele her ze mir, 
Drüd Dei Herzele 

An mei Serzele, 

Nachher meinft Du’s gut mit mir, 


Kan'n Schneider mog ich net, 
Schneid’t ze viel zu, 

Ich möcht an'n Schufter habn, 
— Macht mir a Paar Schuh. 


Kan'n Schufter mog ich net, 
Hot ſchwarze Händ; 
Ich möcht’ an'n Weber habn, 
Werlt mr a Hemd. 


Mei Schatz is ſchie fleif, Kan'n Weber mog ich net, 
Und wie fünfelt fei Pfeif, Niecht jehr noch 2 

Und wie fünkelt ſei Hut, Ich möcht an'n Kaufma habn, 
Dem Luder bin ich gut. Woegt nochn Gewicht. 

Mei Schaf is ſchie Ma Kan'n Kaufma mog ich net, 
Und aufridtig a, Woegt ze viel aus, 

Wos nugt mr de Läng, Ih möht an'n Bauerſchbubn 
Wenn je net aufrichtig jenn? Mit an'n ſchön'n Haus, 





45 


Die Bauern jenn luftig, 
Drum gibts ’re fu viel, 
Weil jedes ſchänns Madel 
An'n Bauer habn will, 


Me Shah is a Soeger, 
A Goeger in Bett, 

Do braudt er fa Buchs 
Und fa Gogdtaſchen net. 


Mei Schaf is a Schandarm, 
Und a Schandarm muß's fei, 
Die Schand is'n Küenig, 
Und der Darm der is mei. 


Bon’ Wien kumm ich ber, 

Und von Wien jenn de Pfer’, 
Und von Wien is der Wogn 

Und an Wiener muß ih hobn. 


Drei ſchnieweiße Gäns 

Und a ſchöß bairiſch Menſch 
Und a Beutel voll Geld 
Is mei Freud af dr Welt. 


Ich Ho mrſch amol überleggt, 

Bun manen Schat do loß ich net, 
Und der muß's amol ſei, muß's fei, 
Und der muß's amol ſei. 


Und loß ih a a wing drova, 

Do häng ich mich gleich wieder na, 
Denn der muß's amol fei, muß’ ſei, 
Denn der muß's amol jei! 


Mei Schaf is im Himmel 
Und id af der Er’n, 

Wie lang werd's no dauern, 
Bis mr zfamm fumme wern. 


Kerſchen fei ſüß, 

Sei Stiel-la dra, Stiel-la dra, 
Börjchle ſei falſch, 

Dos waß ich ſcha, waß ich ſcha, 
Börſchle ſei falſch, 

Dis waß ich ja, 


Mei Herz und Dei Herz 
Is a Klumpen, 

Mei Hemm und Dei Hemm 
— Is a Lumpen. 


Wadel, wenn de freie wißt, 

Sp nimm Dir an Supertend. 

Der wird Dir Dei Sind vergebn, 
Gottſchlipperſchlapperment. 


Unter dem Berlebam 

Mach' mrih net aus, net aus, 
Hänge ze viel Berla bra, 

Die redens aus, 


Mei Schatz hot a Wieſel, 
Is a Brünnel drinn-a, 
Werſch Wiefel werd mähe, 
Werds Brünnel finn-a. 


De Leut hamm mir an Brief gefhriebn, 
Ih ſoll mei Schogel nimmer liebn, 
Do lieb ichs halt noch immer fort, 
— Den Leuten grod zu Tort, 


Wenn ich ze man'n Schogel gieh, 
Hot3 an Reif und an Schnie, 
Wenn ich widder rüdwärts gieh, 
Noch blüht der Klie, 


Hausthürriegel, Stallthürriegel, 
Mei Schat haft Anne-Minel, 
Anne-Minel ſtih auf, mad auf, 
Anne-Minel mad auf! 


Schöner Bu, feiner Bu, 
Schnür mir mei Leibel zu, 
Net ze eng, net ze weit, 
Döß's mich recht freut. 


Beh net in Boden nauf, 

Is der Boter drobn! 

Wos bift'n für a Trampel, 
Hof de Schuh net auszogn! 


Uf de Frei bin ich gange 
gr Nahbarih Hann-a, 
Die hot a Paar Ba 
Wie die Waflerfann-a, 


Ludeln, Ludeln ik ich gern, 
Senn noch net gefotten, 
Klane Madle lieb ich gern, 
Drubn in Öbern Boden. 


Drubn 'ne Bueden leit a Bret, 
Wenn’s naer net fu wadeln thet, 
Wadelt auf und nieder, 

— Schotzel, kumm bal wieder, 


Wer Epfel faft und koſt't je net, 
Wer a Mabdel freit, und probiert fe net, 
Döos muß a rechter Dummer jei, 
Der fieht dös Ding net ei. 


Alles in der Welt, Alles in der Welt, 
Naer fa Hans Kind, 

Klane Kinner machen Shimpf und Schand, 
Treib de gunge Börihla af'n Land, 

Alles in der Welt, Alles in der Melt, 
Naer fa klans Kind! 


Wenn ich glei trugig ſchau, 
Falſch bin ih ober net, 

Dös iS mei alter Braud, 
Kennt 'r mich denn net? 


Du Quder, Du dids, 

Du bift mr niſcht nüß, 

Ih mog Did net hobn, 

Und wenn De Lautholer jhwist. 


Unter der Schupf leit Haberftroh, 
Und über der Schupf do leit Heu, 





Der mir mei Herz erfreut, 
Der iS fu weit. 


Ich wölt, id wär geftorben 

Und läg im fühlen Grab, 

Und fünnt mein Schatz umarmen, 
Den ich verlafien hab, 


Und wenn mich mei alter Schaf nimmer mog, 


Do bo ich ſcha widder zwa, drei. 


Vormittig gieh ih ze Branntemei, 
Nomittig gieh ich ze Bier, 


Meine Mutter froegt mi alle Tog, 
Sb ich nanet (no nicht) heiern mog, 
| Heiern möcht ich alle Tog 

Wenn mid aner mog. 


Und wenn mich mei alter Schag nimmer mog, 


Do bo ih ſcha widder drei, vier, 


Is is aus, ih iS aus, 
Itze is 's ſcha geſchehn, 


Ihe hot der Bun'5 Dendel ghalst, 


Und ich ho's geſehn. 


Madel, wos hot denn Dei Freier gſoggt, 


Weil er is gange vun Dir? 


Do hinter man'n Voter ſein' Ochſenſtall, 
Do kribbelt und krabbelt a Hos — 

No is mr denn kane vun Gott beſchert, 
Ei thunne je alle ju groß? 


Af der Melt is niſcht ſchönerſch 
Als a ledigs Paar Leut, 
Wenn's Wiegel net rumpelt, 
Und's Kinnel net fchreit. 


„Hot geioggt: Wenn ih fa Shännere frieg, 


Kumm ich Halt widder ze Dir“, 


Madel, wos hoſte denn drauf gejoggt, 
Als Du die Red hoft gehiert? 


„Do gedacht, gieh naer, Du dummer Bung, 


Bift jo mei Gerz gor net wert.“ 


Hob ich Dir'ſch, hob ih Dir'ſch, 
ob ich Dir'ſch net längſt geſogt, 
öß ich Dich, Döß ich Dich, 

Döß ich Dich nimmer mog? 


Mei Schogel is gewannert, 
Weit ilber die See, 

Drüm thutt mr mei Herzel 
Su innerlich weh. 


Su innerlich weh, 

Ich thu nimmer laden, 

Wos werd denn mei Schogel 
In dr Fremm daußen maden? 


Der Schat, den ich net mog, 
Den fieh-n-id alle Tog, 


Klane Kügla muß mr giehen, 
Wemmr Vögla ſchießen will, 
Schwiegermuütter muß mr grüßen, 
Wemmrſch Töhterla hamm will. 


Nepünzela, Repünzela 

Die wahjen untern Schnie, 

Und wenn die Madel Weiber wern, 
Do fehnne fe nimmer die, 


Mei Fra und Dei fra 

Dös ſei a Paar rechte Luſchen, 
Meine ſäuft den Kaffee gern, 
Deine will's vertuſchen. 


Mei Alie hot's Kalte (Fieber), 
Hot's alle drei Tog — 

's is Schod iim mei Alte, 
Döß ſe's Kalte ſu hot. 


Hübn a Teichel, drübn a Teichel, 
Mitten is a Feuerla, 

Is das Madel noch ze Ela, 

Liebt je ſcha ihr Freierla 


47 


Am Baume des Bchwaben. 


Eine Wanderung in der Heimat von P. R. Rofenger. 


— — 


ES 





= einmal den Staub von den sperren, 
Füßen und gieng davon. Bei diejem | Thal-Bauer anrudt ? 


„Staubvondenfühenschütteln“ braucht | 
man ſich bequemer Weife nichts zu 
denken, falls man fich nicht fehr viel 
dabei denken will. 

Fort ins Gebirge! 

Der Hochſchwab breitet die ſteiner— 
ven Falten feines Manteld weit iiber 
das Land, und noch weiter Hin legt 
er die Schleppen feiner grünen Wäl— 
der und Almen, beſetzt mit den Silber: 
fäumen Harer Bäche. Ein wonnig 
Wandern ift e3 in diefem Bereiche — 
ich habe mir's wieder einmal gönnen 
fönnen feit langer Zeit. 

Erfte Station: Vom oberen Mürz- 
thal über das Dorf Veitih und den 
Berg Predal nah Turnau. Beim 
Stiftwirth, wo ich einfehrte, ſaßen ein 
Bauer vom Thal und ein Almhalter. 
Erfterer Hatte eine Geldfage um den 
ftattlihen Bauch gebunden und wollte 
daher den Andern, der etwas zerfahren 
ausjah, feinen alten Hut aber voller 
Alpenrofen Hatte, ein wenig hänfeln. 

„Fabian,“ fagte er, „wenn Du 
auf den hohen Berg kommſt, klopf ein 
wenig an bei der Himmelsthür; ich 
ließ’ den heiligen Petrus ſchön grüßen 
und er fol doch ein Einfehen haben 
und bald einmal regnen laffen. Sonft 
friegft fein Kraut im Winter; 's dorrt 
Alles ab.“ | 

„Regnen laſſen,“ verfeßte der alte 
Halter, „regnen laffen, meinst, foll er, 
der heilige Petrus. Hab’ ihm's eh 
Schon gejagt anı vorigen Sonntag, wie 
er auf der hohen Veitſch jpazieren ge= 
gangen if. — Haft denn Du Zeit! 
zum Spazierengehen ? rede ich ihm 


ines Tages jchüttelte ich wieder lan, mußt 


nicht Himmelthür aufs 
wenn jeb fo ein braver 
— Ah bei— 


leib, ſagt er, ruckt keiner mehr an. 
Hollt ſie all der Teufel. — Wenig— 
ſtens kunntſt regnen laſſen, ſage ich, 
die Wieſen ſchauen ſchon all' aus, 
wie eine Hundshaut, ſo gelb. Der 
Himmel iſt wie zugenagelt, ſeit vier 
Wochen keine Oeffnung mehr — 
denk' Dir's, die armen Leut! Sie 
wollenDir eh einen Bittgang machen, 
habeı fie gejagt. — Aha, gibt d’rauf 
der heilige Petrus zurück, wenn fie 
mich brauchen können, da finden fie 
mich. Aber Feiertag halten an meinem 
Ehrentag zu Peter und Pauli, das 
fällt ihmen nicht ein, da heißt's Heu 
machen, Ben mahen! Die Thal- 
Bauern voraus. Im vorigen Jahr 
iſt's naß genug gewejen, mannshoch 
iſt das Futter geſtanden auf den Wie— 
ſen, hab' mir ein Dankamt verhofft 
zu Peter und Pauli, und daß ſie den 
armen Haltern ein Trinkgeld geben 
werden und ein Stückel Fleiſch im 
Winter, anftatt alleweil nur Kraut. 
Ya, Schneden, nicht einmal in die 
Kirchen find fie gegangen, Heu machen, 
Heu mahen hat's geheiken, wie am 
hellen Werktag. Ich will mir's merken.” 

Der Bauer mit der Geldkatze hat 
fich ftifl verzogen, der Halter hat in 
feinen Bart geichmungelt. Welcher von 
Beiden ift bier der Stärfere gewelen ? 

In Turnau machte ich die Ber 


kanntſchaft mit einem hohen Heren aus 
ı Klagenfurt. 


Der war die Nrtigfeit 
jelber und lud mich fogar in feinen 


Wagen, um nach Aflenz mitzufahren. 


Ih ſuchte mit ihm Geſpräche über 
Land und Leute, über Kunft und 


Bücher, über die Weltlage und Kämpfe 
der Geilter anzuknüpfen; vor lauter 
Höflichkeit fagte er zu Allem ja oder 
ſchaute fill und gutmüthig drein und 
wir famen nicht d’ran. Das war 
einer jener eingefeiften Kletterbäume, 
an die man micht hinauf kann, weil 
fie zu glatt find. Mit Steigeifen, heißt 
das, wer ihmen fcharf zufeßen, wer 
fie verwunden wollte, käme ihnen viel— 
leicht bei, daß fie ihre Individualität 
offenbarten. Ich kenne Leute, die an 
den niedrigen Thliren der Alınhütten 
nicht vom Fleck kommen, weil fie eine 
- ander den Vortritt laſſen mollen. 
„Bitte, nah Ihnen! Ich bin Hier zu 
Haufe!“ „Bitte, ih auch!“ — 
Geſchwätz, feiner von Diefen ift bei 
der Natur zu Haufe und es müßte 
eigentlich Jeder vor dein Andern zur 
Hüttenthür hineinhuſchen. 

Da war mir doc der Kohlen— 
brenner bei Turnau noch lieber. Bei 
dem beflagte ſich ein altes Weibel, 
daß fie ihr Lebtag noch feine gute 
Stunde gehabt Habe. „So,“ fagte der 
Kohlenbrenner theilnehmend, „Schau, 
da darfit Du nur aufs Troißeck 
gehen, da Haft Du eine gute Stunde 
hinauf.” 

„Da weiß ih Dir was Anderes," 
entgegnete auf den alten Spaß ein- 
gehend das Weibel, „von Zurnau 
bis Aflenz ift leicht eine ſchwache 
Stunde, wenn Snab’ und Mädel mit— 
einandergehen.“ 

Wohl, das erinnerte mich an den 
deutfamen Ausspruch jenes Kärntner 
am Lengfee: „Ja, Derr, ja. Bis zum 
Platz, wo fih das arm Dirndlan in’s 
Mailer geftürzt hat, ift halt nur ein 
ſchwaches Stündlan.“ 

Zweite Station: Von Turnau 
bis zum Hochſchwab. Ein Abend in 
einem Bauernwirtshaufe in der Schwa= 
bengruppe drohte mir mit der be— 
wußten ſchwachen Stunde. DerSchnaps- 
ler und der „Spedjager“ (Bettelmann), 


die beim Ofentiſch ſaßen, drohten 
zwar nicht. Die ergößten fich und 
Andere. 


OH ſich Feiner mehr heran. 


> 


„Seht geht's Geſchäft wieder,“ 
tief der Schnapsler und wifchte fich mit 
der Abachjeite der Hand den fettigen 
Mund, er aß Brot und Sped. „Jetzt 
geht's Gefchäft wieder!" Es war näm— 
lich feit Langem nicht mehr gegangen. 
Die Leut’ werden überall herriſch und 
trinken Bier, andere find wie die 
alten Weiber und trinken Moſt oder 
tunfen die Semmel ein, noch Andere 
find jo grundverdorben und verkom— 
men, daß fie Waller faufen wie die 
Ochſen. „Halbgewachſene“ Burfchen 
gehen auf die Alm und trinken, wie 
die Fatſchkinder, Milch bei den Weibs— 
bildern. Zum gebrannten Waſſer traut 
Haben eh 
fein Feuer im Blut und trinken Waller 
und Milch! Wohin mit der Welt! — 
Aehnlih mochte der Schnapsler oft 
taifonniert Haben, aber feine Plußer 
jelber leeren, nein, das wäre fein Ge— 
Ihäft gewefen, und der Menfch Lebt 
nicht allein vom Schnaps! Einen 
Bierkreuzerbagen Hatte er noch in der 
Taſche, und Hungerig ein Wirtshaus 
verlaffen, daß ift fogar für den Schnaps- 
ler, der doch allerhand gewohnt ift, ein 
unbehagli Ding. Da kam der Speck— 
jäger. Der war fleißig die lete Zeit 
ber, wußte zu beten, wo es fette 
Gabe feßte, und zu fluchen, wo es 
nichts feßte, und den Bäuerinnen 
Artigkeiten anzuthun, daß fie girrten 
vor Vergnügen. Sein Bündel, das 
er auf dem Rüden trug, troff vor 
Sped. Sonft aber war Mangel in 
allen Taſchen und der Menſch Lebt 
auch nicht allein vom Spede. Durch 
Schickung Gottes hatten ſich nun bie 
Beiden hier zufanmengefunden, der 
Schnapsler und der Spedjager. That 
der Schnapsler den PVierfreuzerbagen 
hervor und fagte: „Kamerad, da ſchau, 
echtes Kupfer! Gib mir ein Trumm 
dafür!“ 

- Der Spedjäger that fein Bündel 
ab, widelte es auf, bis er zu einem 
großen Ballen von Ampferblättern 
fam. Diefe ſchlug er auch auseinander 
und da war eine Menge von Speck— 


49 


Ihwartlein, die anfangs Fleberig noch 
aneinanderhiengen, allmählich aber auf 
dem flachen Tiſch auseinander fielen. 
Der Spedjager bob ein Schwartel, 
wog e3 ein wenig in der Hand und 
warf es dem Schnapäler zu. Dann 
befah er fi den Batzen und mur— 
melte: „So fo, jegt hätt’ ich wieder 
Schnapsgeld. Lang’ her ein Stam— 
perl (Gläschen), Kamerad!“ 

Der ftedte vafch fein Stüd Sped 
in den Mund, hob aus feinem Korb 
einen Thonplußer hervor umd ein 
Bläschen, das er mit dem Inhalt des 
Plugers füllte und dem Spedjager hin— 
ſchob. Der Bagen war wieder fein 
Eigenthum. 

„Kamerad,“ fagte der Schnapsler 
nah einem Weilden, „da Haft den 
Batzen wieder, gib mir noch ein 
Trumm.“ 

Das geſchah. Und wieder nach 
einer Weile ſagte der Spedjager: 
„Kamerad, noch um vier Sreuzer 
Schnaps!” 

So trieben fie es eine Weile fort 


Hell und lieblich wie zwei harmo— 
nirende Gloden, bei Begleitung der 
Zither, fangen fie das Lied: 


„Wia Iufti is 8 ſcheani Olmalebn, 

’3 fon af da ganzn Welt nir ſcheaners gebn, 
An grean Woin, 

Siacht ma die Kuala grofn, 

Wan da Viachbua ſchnolzt, daß Hollt in Thol, 
So gfreut mich s Olmalebn Holt ollamal. 


Und in ollafrua, kaum daß da Morgen locht, 

Wern die Kuala gmulchn (Kühe gemolken) 
Kas und Buda gmocht, 

Aft wird ziomagjefin, 

Kas und Milli gefin, 

Nochha woſchn mar Olls in da Hüttn fein, 

Weil an Urbnung af der Olm muaß jein. 


Wan mar in da Hüttn olles zjomgorbatt 
——— hobn, 

Gehn mar afdie Woad und fangen zſingen on, 

Drauf fimts Nohbarn Küabua, 

Und der ftimpp van gleih zua; 

Af der Olm, do fein jo lauta frifchi Leut, 

De an Muat hobn und hibſchi Schneid, 


Wer ſih gleib mit Grilln und viel mit 
Kloanmuat fränft, 

Ba jeda Ihworzn Wulfn gleih af Unglüd 
dentt, 

Der hot loan gfundn Muat, 


und darum lächelte der Schnapsler | Taugg af die Olm nit guat, 


fo vergnügt: „Gott fei Dank, jeßt 
geht das Geſchäft wieder!” 

Durch ein einziges Bierkreuzer- 
füd hatte ſich zwiſchen den beiden 
Producenten und Conſumenten Handel 
und Verkehr entwidelt. 

In der Stube waren ferner eine 
junge Wirtin und ein Mädchen aus 
der Nachbarſchaft. Sie kümmerten 
ſich nicht viel um die beiden „Stante= 
raden“ am DOfentifh und fiel es der 
Wirtin nicht einmal ein, für den von 
den Gäften felbft mitgebrachten Trunk 
Stoppelgeld einzuheben. Die beiden 
munteren und hübſchen Weibsbilder 
fpielten eines ums andere eine Zither 
und fangen dazu die Iuftigften und 
Ihalkhafteften Lieder. 

Wenn gerade nicht gefungen und 
nicht gelacht wurde, hörte man das 
Raufhen des Gebirgsbacdhes, der 
draußen zwifchen dem Wirtshaufe und 
der gegemüberftehenden Kapelle vor- 
beifloß. 


Bofegaer’s „„Geimgarten‘‘, 1. Geft, XI. 





| 


%0, der ful fih vo der Olm entferna meit, 
Der vadirbb oans noh die gonzi Freud!” 


Draußen Hangen die Schellen der 
heimmärtäfehrenden Herden und der 
Halter knallte dazu mit der Peitſche. 

Am Waffertrog tranken fie und 
gaufelten mit den Hörnern und der 
Almbub fehlang feinen Arm um den 
Naden des Stieres und beugte ji 
vor, um ebenfall® aus dem Troge zu 
trinten. Die Schwaigerin trug einen 
Korb duftenden Futters in den Stall, 
und die Rinder folgten ihr. Selbft 
diefer harſche Werktag draußen muthete 
mich wie Feiertag an. 

Lange hatte von dem Hochgewäude 
ber der Schein des Alpenglühens zu 
den Heinen Yenftern in die Stube ge= 
leuchtet. Endlich zog die Wirtin hell— 
rothe Vorhänge über die Scheiben und 
zündete die Kerze an. Dieweilen klan— 
gen unter den Fingern der Anderen 
fortwährend die Saiten; fie ftimmte 
nicht viel und es that auch nicht noth, 


4 


wie ein unverfiegbarer Tonquell ſpru— 
delte es hervor aus der Zither und 
aus den, Kehlen. 

Da hörte ich die alten trauten 
Lieder: „Auf der Olm, do is 8a 
wohri Freud,“ „Wan ih geh auf die 
Dim," „Mei Geliebte is an Olmerin,“ 
„Bin a luftiga Steirerbua,* „Wan's 
Monſcha Schön leuchtn thuat,“ „Entern 
Bader! fteht a Hütterl,* „Ih hob 
Dir in d'Aeuglein gſchaut,“ „Bhüat 


Manchmal, wenn mir in dem 
nationalen Gezänke, in dem politiſchen 
Strohdreſchen unſerer Tage bange 
wird — weil Einem die Sache ja un— 
möglich gleichgiltig fein kann 
flüchte ich in die Engthäler des Hoch— 
gebirges und hole mir die Zuperficht 
an die Urkraft unferes  Ddeutjchen 
Volles von Neuem bei den Nature 
menschen. 


Freilich zittert Schließlich auch Hier 


Did Gott taufendmol, heint is 3 dos wie allenthalben und zu allen Zeiten 


leßtimol,“ „Wos mocht mei Dirndl in | 
Grobn drein?“ „Io in mein Steier- 
morf, do fein d'Leut frisch und ftorf,* 
„3 Büaberl von ſteiriſchn Landl.“ 
Und ſo fort — ein glüchſeliges Jauch— 
zen der Lebensfreude, der Heimatsliebe 
und Almluſt! Dier wieder, wie oft in 
leßterer Zeit, machte ich die Erfahrung, 
daß bei unferen Gebirgsleuten Die 
Liebe zum Steirerland nicht erfaltet, 
ſondern ſich fteigert und immer wies 
der neue Töne findet, dieſelbe auszu— 
jauchzen. Es ift, als ob mit dem na— 
tionalen Bewußtfein der Gebildeten 
das Heimatsbewußtfein der Natur- 
menjchen Hand in Hand gienge, gleich- 
wohl man unter erfleren manchmal die 
verfchrobene Anficht Hören kann, diefe 
beiden Dinge jchlöffen ſich einander 
aus und die Liebe zur engeren Hei— 
mat und ihren Eigenheiten beeinträch- 
tige die Nationalität. Von diefen 
merkwürdigen Standpunfte aus ift es 
auch erklärlich, wenn manche junge 
Heißfporne ſich ihrer engeren deut— 
ihen Heimat jchämen, die Hüter 
und Förderer derjelben ſchmähen, ja 
jelbft das Elternhaus mit ihrem na— 
tionalpolitiihen Gepolter entweihen 
und die eigenen auch der heimatlichen 
Scholle noch treuen Eltern verhöhuen 
„im Namen des deutichen Volks“, das 
diefe Grünfchnäbel beftändig eitel nen— 
nen, ohne au nur eine Ahnung zu 
haben davon, was der wahren Wohl- 
fahrt unferes deutfchen Volkes frommt. 
Die Liebe zur Heimat, die Treue zur 
Familie find die Hauptgrundpfeiler 
eines unbeliegbaren Volkes. 


jedes idealere Denken und Empfinden 
in warmblütige Menſchlichkeit aus. 
Man ift der Wendung ja eigentlich 
nicht abhold. 

Die beiden Geſchäftsleute am Ofen 
tisch waren verſchwunden; fie Hatten 
einander ſtark aufgezehrt und aufges 
trunfen und in weſſen Hand der 
Kupferbagen ſchließlich verblieben ift, 
das weiß ich nicht zu berichten. Da 
wir uunmehr unfer drei allein in 
der Stube waren, rüdten wir einiges 
näher zuſammen. Die Zither war eine 
unermüdliche Werberin gegenfeitiger 
Zuneigung. Dazwifchen plauderten wir 
wieder Eins, und zwar in „floans 
fteirifcher" Mundart, in welcher ich 
mich immer — auch in weniger reis 
zender Gefellichaft — behaglich fühle. 
Wenn ich Hochdeutih ſprechen muß, 
da habe ich ein ähnliches Gefühl, als 
läge ic) unter einer Bettdede, die oben 
und unten zu kurz ift; da muß ich 
immer acht geben, daß ich micht Hier _ 
einen nadten Fuß, dort ein nadtes 
Knie herausftrede. Die fteirische Munde 
art Hingegen ift eine Hülle, die nach 
allen Seiten reichlich langt, da mag 
ih Hinundherrüden und ftrampfeln 
nach Belieben, es wird fich fein Theil 
meiner Wenigfeit eine Blöße geben. 
Auch Font ift die hochdeutſche Sprache 
manchmal ein wenig unzulänglic. 
Es gibt Dinge zwifchen Himmel 
und Erde, die fie nicht aussprechen 
kann und darf, weil fie aus ihrem 
Munde zu plump oder zu lüftern 
fingen würden. Wie frei und offen= 
herzig iſt Hingegen die Sprache der 


öl 


Natur, die ohne Kofetterie und Um— 
ſchweife in feufcher Naivetät Sachen 
nennt, jo mehr oder weniger uns Alle 
intereflieren. 

Die Finger des flachshaarigen 
Dirndls Hatten auf der Zither ein 
zartjinniges Präludium gefpielt, als 
die junge Wirtin mit ihrer anmuthig 
weichen Stimme anhub: 


„Dirndl, wo hoft dan dei Liegerftott, 
Dirndl, wo hoſt dan dein Bett? 

— Ueba zwoa Staffel muaßt auffifteign, 
Draußt af da Gofin ftehts net. 


Wans Bettftad! drauft af da Gofin fland, 
Hät ih die gonz Nocht fa Rua, 

Un iada Bua, der üba die Gofin gang, 
Kehrad ban Bettſtadl zua.“ 


„Jetzt aber,“ unterbrach fich die 
Wirtin fchnefl, „jegt ein Anderes — 
ein Narriſches!“ Und fang: 


„Ba der erſtn Hüttn 
Sein ma niedagjefin, 

Ba da zweitn Hüttn 
Hobn ma Milderl gefin; 
Ba da dritin Hüttn 
Hobn mar einigſchaut, 
Sitzt a Jaga diner, 

Ißt a Kraut.” 


„Haft es nit recht gelungen,“ 
wendete das junge Dirndl ein, „der 
Schluß ift anders.“ 

„Seh fei fill!“ rief die Wirtin 
und klatſchte mit zwei Fingern dem 
Dirndl auf dem Mund. Dieſes lieh 
ih nicht beirren fondern fang zur 


Zither: 


„Ba da drittn Hüttn 
Hobn mar einigſegn, 
Is da Jaga ba da —“ 


Die letzten Worte wurden von der 
Zither derart übertönt, daß ich ſie 
nicht verſtanden habe. 

So waren wir ſchalkhaft alle drei. 
Die ſchalkhafteſte weitaus war aber die 
Kerze, die, bis zu ihrem Blechpfandlein 
niedergebrannt, nun auslöfchen wollte. 

Im Finftern kann man auch noch 
Zitherfpielen — wißt Ihr da3? — 


Dritte und legte Station. Von 
St. Ilgen über Tragöß nach Vordern— 
berg. Sanct Peter hatte fi befonnen. 
Die Leute brauchen Futter, es gibt fo 
viele Rindvieher auf Erden ; man muß 
do rinnen laſſen. Und jo war an 
diefem Tage das Alpenland voll Re— 
gen und Nebel. 

Der Menſch ift ein fehr warm— 
blütiges Thier und Hat daher eine 
eigenthümliche Abneigung gegen das 
Naßwerden. ch traf unterwegs mit 
meinem „Spedjager“ von geftern zu— 
fammen. Der erzählte mir, wie er 
einmal auf dem Wege von Wildalpen 
iiber den Hochſchwab bis auf die Haut 
naßgeworden ſei. Das „bleifchwari 
Gwandgſchlampp“ wollte er nicht län= 
ger am Leibe fchleppen; er dudte ſich 
in eine Felſenkluft, riß fich die Klei— 
der vom Leib, fettete die Haut über 
und über mit Sped ein, um der Er— 
fältung vorzubeugen und lief in ſol— 
chem Anzuge hinab bis zu den Holz— 
fnehthütten der Tramiefen. 

Als ich auf die Höhe des Berg— 
zuges fam, wo das Chriſtuskreuz fteht, 
hatte der ChHriftus über fi einen 
großen rothen Regenſchirm aufgeipannt. 
Der war aber nicht allein für ihn, 
fondern auch für die Beterin, die 
am Fuße des Kreuzes kniete und auf 
dem Wege war nach Mariazell. Wenn 
Gott fie befchirmen foll auf der wei— 
ten Reife, warum ſoll fie nicht auch 
ihn bejchirmen ? 

In Tragöß beſuchte ih unter 
freundlicher Führerichaft des Herrn 
Pfarrers die Stätte, aus welcher die 
Idee zum Roman „der Gottfucher“ 
aufgeleimt ift: die Grabftätte des 
von feinen Bauern erjchlagenen Pfar— 
vers Melchior Lang. Eine Stunde 
jpäter ſaß ich auf einem Stein am 
grünen See und ſchaute den Nebel: 
fahnen zu, die an den Wänden der 
Pribig und der Meßnerin empor- 
ftiegen und fich auflösten. Das Waſſer 
des kleinen aber vielgliederigen See's 
ift Erpftalllfar und von einem wunder— 
baren Grün. Diefe optifche Wirkung 


4* 


92 





fommt wohl von den grünen Pflanzen 
in feinem tiefen Grunde, Es ift ein | wahrlich, das gienge noch ab, daß auch 
Gebirgsauge, welches uns zwifchen den die Berge und Thäler und Bäche und 
Brauen der Fichten und Lärchen her Seen geiftreih wirden. — Mohin 
ruhig ernſt und fast geiftreich anblidt, dann flüchten, um Vernunft und 
wie jener Huge Herr Doctor aus | Weisheit zu finden ? 


Wien fo ſinnig bemerkt Hat. Ja, 








Die Thiermarter im Vogelbauer. 
Bon Dr. 3. B. BYolzinger. 


E gibt befanntlih in Stadt und | und kaum fünfzehn Gentimeter Höhe eine 
5 wenige bewohnte | Kohlmeife hart in der Nähe des fchrifl 
fi nicht irgend | tönenden Klingelwerkes im erften Stod- 
Jemand den Lurus eines Käfige | werke am Gange hängen, der von allen 
vogels gönnt. Die viel beredete, mit | Paffagieren des vier Etagen zählenden 
Rüdfiht auf den rationellen Vogels | Haufes und dem ſämmtlichen Dienft- 
wirt jedenfall nicht leicht zu beant- perfonale desſelben pafliert werden 
wortende Frage, ob das Halten eines | mußte, fo daß der Vogel, bis tief in 
Bogels in der Gefangenſchaft nicht ein die Naht Hinein fort und fort aufs 
„Unrecht gegen das freiheitäliebende | gefheucht, ohne Unterlaß herumflatterte 
beſchwingte Gefchöpf, ein plummper Ein= | und, da er bei jeder feiner haftigen 
griff in die Natur” ift, mag Hier außer | Bewegungen an Wand und Dede ſei— 
Erörterung bleiben und foll an diefer nes winzigen Kerkers anfchlug, bis 
Stelle auch nicht von den mannigs | zur Unkenntlichkeit abgeftoßen und zer— 
fachen traurigen Praftifen der Vogel- ſchunden war. Als ih dem Stuben- 
händler die Rebe fein, im deren | mädchen, das wohl hundertmal des 
Händen der Vogel unbedingt zum Mär: | Tages an dem gemarterten Thier 
tyrer des Gefchäftes feines Verge- | vorübertrampelte, ohne für deffen Noth 
waltiger8 wird. Borliegende Zeilen) auch nur das Geringfte zu empfinden, 
ftellen fich lediglich die Aufgabe, auf) den Vogel abkaufte, um ihm in Frei— 
die leider nur allzubäufige fehr üble) heit zu feßen, meinte dasfelbe ent- 
Behandlung der Vögel aufmerkfam zu) fchuldigend, der Spengler, welcher 
maden, wie fie fih unter unferen | derlei Käfige verfertige, Habe behauptet, 
Augen bei Privaten vollzieht und gegen „je Heiner das Häusl, je jchneller und 
welche einzufchreiten felten Jemand | lauter finge ein Vogel, weil er immer 
Beranlaffung nimmt. hinaus möcht'“, umd der noch weifere 
Entipriht vor Allem der Käfig, | Zimmerkellner habe ihr gejagt: „Ein 
in welchem der Vogel zumeift in Ein= | Vogel muß unter die Leut’, damit 
ſamkeit fein Dafein zu friften Hat, | was wird aus ihm!“ 
durchfchnittlich der Aufgabe, dem Ge— In Graz konnte man in dem 
fangenen fein Los nah Möglichkeit er⸗ Fenſter eines Haufes in belebter Straße 
träglich zu mahen? In einen Wiener | wieder eine Amſel in einem Käfig ein- 
Hotel fah ich in einem Eiſendrahthäus- gepfercht fehen, worin unter andern 
hen von nur zwanzig Gentimeter Länge | das einzige (!) darin befindliche 








53 


Sprungholz; jo dünn war, daß der 
Vogel daran feinen natürlichen Ruhe: | 
punft und nur mittels kramp haften 
Umflammerns des Stängelchens einen | 
ſchwanken Halt zu finden vermochte. 
Belanntlih Hat die Amfel ziemlich 
große Gangfühe, benöthigt daher auch 
zum Springen und Aufſitzen ınehrerer, 
mehr al3 daumenftarler Sprunghölzer, 
die überhaupt erjt dann die richtige 
Dide haben, wenn fie der Vogel nicht 
ganz umfangen kann. Aber abgefehen 
davon, daß nur felten Jemand daran 
denkt, daß mit den Sprunghölzern dem 
Vogel die Möglichkeit geboten werden 
fofl, in jeinem Käfige, wo ihm ſchon 
hundert andere Dinge ganz verjagt 
find, wenigftens naturgemäß boden 
zu fönnen, geht der Geiftreichthum 
mancher Bogelbefier jo weit, Sprungs 
hölzer mit [hneidigen Kanten 


in den Käfig zu fteden, damit ja das | 


Thier nicht bloß ein bejchtwerliches, 
fondern auch jchmerzliches Fußen hat 
und in Folge deſſen nothwendig franfe 
Füße befommt. 

In Deutfchfeiftrig Jah ich einen 
etwa erjt zwei Jahre alten, gleichwohl 
ftellenmweife ganz fahlen Stanarienvogel 
in einem ebenfalls lächerlich Keinen 
Käfige, der von Schmutz und Mift 
farrte und über und über voll Mil- 
ben war. Nachdem die Wogelmilbe 
befanntlih ein Spinnenthier ift, über 
das man micht ftolpert, fo haben ge= 
wiſſe Leute auch feine Idee von der 
Eriftenz dieſes biſſigen Vogelpeinigers, 
jelbft wenn ganze Klumpen desfelben 
an den Sprofjen des Käfigs hängen, 
wie es hier efelerregend der Fall war. 
„Ich Hab’ mir Halt immer nicht den— 
fen mögen, warum denn der Sanari 
alle Tag grad auf d'Nacht gar fo 
luſtig wird,” fagte die ländliche Eigen 
thümerin desfelben, die offenbar auch 
niemals gehört Hatte, daß die licht- 
ſcheue Milbenbrut nad Sonnenunter: 
gang lebendig wird und blutgierig den 
durch Herumfpringen zu entkommen 
fuchenden Vogel überfällt, um ihn aus 
zufaugen und des bißchen Schlafes zu 


berauben. Das Eine aber kann Jeder= 
mann willen, dag man ein bewohntes 
| Vogelgaus nicht ein volles 
Jahr lang ungereinigt laſſen darf, 
eine Unflätigkeit, welche das alberne 
Weib, das durchaus einen Vogel haben 
mußte, mit der Bemerkung zugab, 
„daR man da viel zu thun hätte, 
wenn man alleweil auch noch bei den 
Bogelhänfeln ftehen und pußen müßte!“ 

Im Sommer vorigen Jahres konnte 
ich bei einem Bürger in Graz eine 
Nachtigall in einem Käfige trauern 
fehen, in welchem der Koth des Thieres, 
der bekanntlich längs der Sprunghölzer 
abgejeßt wird, von der Schieblade aus 
bis über die beiden Sprunghölzer 
hinauf, gleich zwei Mauern empor— 
tagte, welche zum Weberfluffe noch von 
den Maden der Schmeißfliege bevöl- 
fert waren! Man kann bezüglich dieler 
Sorte von Bogelfreunden leicht zu 
der Anficht kommen, dab diefelben 
mit beftändigem Stodfchnupfen behaftet 
find, denn die Zimmer, im welchen 
ihre VWögelfäfige hängen, erinnern ver— 
mög ihres Geftanfes eher an einen 
Schweineftall, denn an ein Wohnge— 
mah, wo ein normal veranlagter 
Menſch es auch nur eine Biertelftunde 
lang aushalten könnte, 

Daß dergleichen ehrenwerte Vogel— 
wirte anderfeit3 auch feinen Sinn 
dafür haben, für die ihren Gefange- 
nen zufagende Temperatur zu jorgen, 
wird kaum mehr Wunder nehmen. 
Sie hängen den Käfig, deſſen Situierung 
nicht etwa die nothwendige Rücſicht 
auf die Nude, die Behaglichkeit und 
das Gedeihen des Vogels, fondern 
einzig der Grundfaß leitet, „daß er 
Niemanden im Wege iſt,“ an einen 
Plaß, wo der Vogel weder Licht noch 
ausreichend Luft Hat oder einem, für 
ihn in allen Fällen höchſt nachtheiligen 
Zuge ausgefegt ift, ftellen ihn im 
irgend einem Winkel auf einen Kaften 
oder hängen ihn, was noch beliebter 
ift, ganz in die Nähe des Plafonds 
hinauf, wo Hitze und Dunft am in— 
Itenfivften find und der Vogel in Yolge 





54 


deffen auch zum Trinken beftändig nur) der Liebhaber eines „recht lebhaften 


lauwarmes Wafler Hat, oder fie hän- 
gen ihn im Sommer ungededt zum 
Tenfter hinaus, wornad das Thier zu 
gewiffen Stunden des Tages in der 
Sonnenhiße förmlich röftet. Ein Fräu— 
lein in Graz, welches während der 
Tagesftunden nur felten zu Haufe ift, 
beim Nachhauſekommen aber, wie fie 
fagt, „Frifche Luft im Zimmer haben 
will,“ pflegt auch in Falter Jahres— 
zeit beim Berlaffen der Wohnung 
„immer alle Fenfter aufzureißen,“ jo 
daß ihre Vögel, von denen der ftärfit 
organifierte, in die Stube eingewöhnte 
zum mindeften -+ 15° Reaumur be= 
darf, den ganzen Tag über halber- 
ftarrt im Käfig zumeilen bei einer Tem— 
peratur eingefchloffen bleiben müſſen, die 
mitunter dem Gefrierpunfte nahe 
foınmt! „Haben ja doch warme Federn 
und was thun denn draußen im freien 
die Vögel, wo fie fogar beim Schnee 
am Baum figen müſſen,“ replicierte 
mir fchlagfertig die auf die Graufam- 
feit ihres Verfahrens aufmerkſam Ge— 
machte, ohne daran zu denken, daß 
jene wenigen Vögel, die bei ung zu 
überwintern vermögen, die nöthige 
Körperwärme durch die unbehinderte 
Flugbewegung und die beftändige, an— 
ftrengende Suche nad) der Nahrung 
ſich beſchaffen. 


—————— — ——— ñ ñ ñ ñh— — — — — — — 


Daß bei der, mitunter der unzu— 


verläffigen Obforge Heiner Kinder an— 
vertrauten Fütterung den Vögeln 
u.a. erft dann das Wafler im Napfe 
erneuert wird, wenn man denfelben 
—  gelegentlih au&getrodnet findet, 
ift etwas ſehr Gewöhnliches und der 
dent Vogel zum Baden unentbehrliche 
Mailerbehälter Vielen ein ganz unbe— 
fanntes Object. Mancher wieder küm— 
mert ſich beim Anfchaffen eines Vo— 
gel3 nicht einmal darum, ob derjelbe 
ein Körnerfreffer oder aber ein Weich» 
freier ift, weshalb es Perfonen gibt, 
die 3. B. eine Nachtigall Lediglich mit 
Hanf (!) erhalten zu können vermeis 
nen. Der erbarmungslofe — nebenbei 
bemerkt, ganz unnütze — Gebrauch 


Nachtigallenſchlages,“ Ddiefen edlen 
Thieren in der Singzeit lediglich 
frifche Ameifeneier, dagegen gar Fein 
Waſſer zu reichen, findet immer mehr 
Nahahmer. In fogenannten „vor— 
nehmen Familien“ macht häufig der 
„Schönheitsſinn“ irgend ein koſtbares 
Vögelchen zum Paradeftüd des Salons. 
Damit felbes recht gut und bequem 
befehen werden kann, placiert man auf 
einem Heinen Tiſchchen an zugäng= 
lihem Platze den aus ſehr feinen 
Draht kunftvoll geflochtenen chlinder— 
förmigen, von allen Seiten volllom- 
men durchlichtigen Käfig, der gemeis 
niglid um fo „herjiger” gefunden 
wird, je unzulänglicher er an Bewe— 
gungsraum ift. In diefem Gefäng— 
niffe findet das erponierte Thier abſo— 
[ut fein Plägchen, weldhes ihm auch 
nur die Illuſion eines geſchützten Win- 
felhens und das damit verbundene 
Gefühl der Ruhe und Sicherheit, die 
einzige AUnnehmlichleit im dem ihm 
aufgedrungenen Folterraum bieten 
würde. 

Was ſoll man aber erſt gar zu 
der, glüdliher Weife doch nicht allzu 
häufigen ingeniöfen gläfernen Glode 
Jagen, welche mitten in ein Aquarium, 
und zwar von unten derart hinein 
ragt, daß der Bogel darin anſcheinend 
im Waffer ift und in Wirklichkeit im 
Kreife um ihn herum Tag und Naht 
lebende Fiſche, Salamander, Scild- 
fröten, Fröſche und fonftige Ereaturen 
ſchwimmen, friehen und hüpfen!! 
Daß in folchen, wie in allen ähn— 
lien, von einem Dummkopfe erfun— 
denen wandlofen fogenannten Thurm— 
oder Glodenfäfigen in Folge des un— 
abläffigen ängjtlihen Herummendens 
und rubelofen Umfichblidens die un— 
glüdlichen Bewohner derfelben mit der 
Zeit nothwendig drehkrank werden 
müſſen, wird jeder Berftändige be= 
greifen. 

Indes genug der Beifpiele von 
Mißhandlung gefangener Bögel, die 
ihren Grund größtentheils in Gleich- 


Pr : 


+) 





giltigkeit, in Gedanfenlofigkeit und | ernften Willen hat, einen Vogel menfch- 
Borniertheit findet und gegen welche |lich=vernünftig zu beherbergen und zu 
ih Jedermann mit Wort und That | pflegen, dem follte mit Nahdrud zum 
auflehnen follte. Wer nicht das Ver- | Berftändnis gebracht werden, daß das 
ftändnis befißt, wer nicht in der Lage | Halten eines ſolchen abſcheuliche Thier- 
ift oder vielleicht gar nicht einmal den | quälerei ift. 


Aus dem Tagebuche eines Runſtjüngers. 
Don M. Glock. 


Wien, 3. Jänner 1847. 


Sie laumenhaft ift doch die liebe 
a ortuna. Einen Corregio 
(äßt fie in Mühfal und Kummer den 
Lebenspfad dahinteuchen und Rubens 
hebt fie auf die höchften Sonnenhöhen 
des Glüdes. Freilih den Nachruhm 
haben fie Beide. 

Aber das ift eitel Dunft und 
Mind, eine wefenlofe Subftanz ohne 
nöhrende Beitandtheile. O holde Glücks- Denmner'ſchen Köpfe betrachtet, die 
göttin, wenn Du einmal bei vecht guter! greich im erften Saale hängen. In 


: mit dem Farneſe'ſchen Hercules, 
Laune bift, jo ſchenke auch mir al Heiden Köpfen, fowohl in dem des 


an dem ich nun ſchon fo lange arbeite 
und mit dem ich doch micht zurecht 
fonımen kann. Ad, wenn man doch 
ihon als Maler geboren wiirde und 
das leidige Studieren nicht wäre! 


Wien, 10. Jänner 1847. 
Geftern war ich wieder einmal in 
der Belvederegallerie und habe, wie 
ſchon oft, mit großem Intereſſe die 





einen freundlichen Blick und ſchüttle Männleins als des MWeibleing iſt die 
ein bißchen Dein Füllhorn über meinem Naturwahrheit auf die außerſte Spitze 
Haupte, es thäte wahrlich noth. getrieben. Kein Fältchen, fein Härchen, 
Da zeichne ih num ſchon ein volles | fein Wärzchen hat uns der Maler vor— 
Jahr nach der Antile und gebe mir enthalten. Ob dies wohl wirklich die 
alle erdentlihe Mühe; aber ich weiß | höchſte Aufgabe der Kunft it? — 
nicht — es will nicht recht vorwärts. | Zwar Profeſſor Waldmüller, der 
Und nie ein Wort der Aufmunterung | uns ja einmal gejagt hat, daß, wenn 
von Seite der Lehrer. Es geht über: | man einen Bettelbuben malt, nebſt 
haupt recht fonderbar zu an unferer dem Incarnat der Wangen auch noch 
Akademie. Die Profefforen leben wie die Schmußkrufte fihtbar gemacht wer— 
Hund und Fake nebeneinander und den müſſe, die fich allenfalls darauf 
Waldmüller ſpricht es uns gegen= | abgelagert hat, würde bier fein deal 
über ungeniert aus, daß wir durch | gefunden Haben. 
den bisher üblichen Unterricht nichts In der Abtheilung, wo die Bilder 
lernen können. Alles Copieren nach | der neueren Meifter hängen, blieb ich 
Vorlagen und alles Zeichnen nach | lange bewundernd ftehen vor einem 
Gyps fei eitel Zeitverfchwenduug und | Bilde von Ranftl, welches eine Do— 
nur das Zeichnen nah der Natur) nanüberfhwenmung mit einem men— 
führe zum Ziele. Möglih, daß er) fchenüberfüllten Rettungsfahn darftellt. 
Recht Hat; aber wozu plage ich mich | Welch’ meifterhafte Sicherheit in der 


Zeihnung, welche Schönheit in der] thode vor Augen zu führen. Ich gieng 


Gruppierung der zahlreichen Figuren! 
Als diejes Bild zum erftenmal öffentlich 
ausgeftellt war, jagte man dem jungen 
Wiener Maler eine glänzende Zukunft 
voraus. Diefe Hat er denn auch er- 
reicht, jedoch in anderer Weiſe als es 
gemeint war. Er heiratete die Tochter 
eines fehr reihen Wiener Fabrikanten 
und malt feither nur noch zn feinem 
Vergnügen und faft ausfchlieglich mur 
— Hunde. „Ih bin der reichfte, der 
Ihönfte und der glüdlichfte Mann auf 
der Wieden“, joll er erft fürzlich einem 
Bekannten gegenüber geäußert haben. 
Wohl befomm’s! 


Mien, 28. Jänner 1847. 


Meine akademischen Kunftcollegen 
Scheinen es darauf abgejehen zu haben, 
mir den denkmöglichſten Werger zu 
bereiten. Schon zu wiederholten Malen 
fand ich, wenn ich, in den Studierfaal 
tretend, an die Arbeit gehen wollte, 
an meinem Farneſe'ſchen Hercules von 
fremder Hand mit Kohle hingeworfen 
Anz und Beifügungen der frechſten Art, 
die mich jedesmal fo in Wuth verfegen, 
dab ich dem Thäter gewiß den Schä— 
del einjchlüge, wenn ich ihn entdedte. 
Aber wie ihn herausfinden aus der 
Schar der übermüthigen Jünglinge, 
die alle jo harmlos d'reinſchauen, wenn 
id mit muthblißenden Augen im 
Schweiße meines Angefichtes die Un— 
that wieder hinwegzuſchaffen mich be= 
mühe? Ih Habe zwar Einen auf’s 
Korn genommen und werde ihn fcharf 


ebenfalls in den Ausftellungsjaal hinauf 
und ſah mir die Saden an. Der 
Eindrud war immerhin verblüffend 
genug. Allerdings Hatte der Meifter 
flüglich feine beften Schüler in's Tref— 
fen geführt, vor Allen den gemialen 
Zichy. Waldmüller gieng im Saale 
umber und erläuterte einzelnen An— 
wejenden im urwüchſigſten Wiener 
Dialecte die Eigenthümlichkeiten und 
die wunderbaren Erfolge feiner Lehr— 
methode. 

„Segn's,“ ſagte er eben zu einem 
Herren, indem er ihn vor ein Bild 
hinfchob, „der das g’malt hat, war 
vor an halb'n Jahr noch a Zifchler- 
g'ſell und jet malt er ſchon jo.“ 

Ein junger Mensch ftellte fich ihm 
vor und Sprach den Wunfch aus, ala 
Schüler in die Akademie einzutreten. 

„Was wollen's denn in der Aka— 
demie?“ fagte Waldmüller, „da kön— 
nen’3 ja nir lernen.“ Auf die weitere 
Trage, welcher Weg dann einzufchlagen 
wäre, um die Höhen der Kunft zu 
erklimmen, fagte Waldmüller: 

„Schaun's, Sie haben g'wiß z' 
Haus an Vatern oder a Mutter oder 
an Bruder oder a Schweſter oder an 
Vettern oder a Mahm'. Gut, jo gehn's 
ber, ſetzen's Ihnen einen oder eine 
davon Hin umd zeichnen Sie’3 ab, wie 
Sie's feg’n. Da werden's dann was 
lernten. * 

Es ſcheint mir immerhin etwas 
MWahres an der Sade zu fein, ob— 
gleich es micht die ganze Wahrheit 





im Auge behalten. Der frechfte Geſelle fein kann. Daß endlich mit dem aka— 
in der ganzen Bande, leider aber auch | demifchen Schlendrian gebrochen wer— 
der talentvollfte. Wehe ihm, wenn ich | den muß, leuchtet mir ein. ch wenig» 
ihn ertappe! tens bin auf dem bisher betretenen 
Wege nicht vorwärts gefommen. Gut, 
Wien, 12. Febr. 1847. ſo will ich denn auf dem meuen Wege 
Heute ift großer Menfchenandrang | mein Heil verfuchen. 
zu den Räumen des Alademiegebäts 
Wien, 28. März 1847. 


des. Profeflor Waldmüller hat eine 
Ih Habe der Akademie Lebewohl 


öffentlihe Ausftellumg der Arbeiten 
feiner Schüler veranftaltet, um dem! gejagt und zeichne mum im meinen 


großen Publikum die Wortrefflichkeit Kämmerlein fleißig nach der Natur. 
feiner naturaliſtiſchen Unterrichtsmes | Zwar Habe ich weder »Vater noch 


57 


Muiter, noh Better und Mahm'é«, ſern Kriehuber an. Freilich find 
dennoch mangelt es mir feineswegs | wir Pygmäen gegen ihn, er iſt von 
an geeigneten Modellen. Ich nehme uns micht zu erreichen ; aber immerhin 
fie eben, wo ich fie finde, und in iſt es wohlgethan, ſolch hohem Vor— 


meinem Skizzenbuche ift faft fein leeres 
Dlatt mehr vorhanden. 


Wien, 16. Mai 1847. 
Geftern Habe ich mit meinem 
Hreunde Strirner — einem vor— 
trefflichen Porträtzeichner, der bei Krie— 
huber beichäftigt it — und einem 
andern jungen Maler einen Ausflug 


nah Neumaldegg gemacht, um dort, 


Landichaftsftudien zu malen. Wir lie 
Ben uns an einem geeigneten Platze 
nieder, ſpaunten unfere Schirme auf 


und wählten alle Drei das gleiche | 


Object, eine alte, Inorrige Eiche, die 
wir von verfchiedenen Standpunften 
aus zeichnen und mit Aquarellfarben 
malen wollten. Als wir mit unferen 
Arbeiten fertig waren, verglichen wir 
fie wechjeljeitig und machten unſere 
Bemerkungen darüber. 

„Der reine Spinat,“ fagte Strir- 
ner, als er meine Arbeit betrachtete. 
„Siehft Du denn wirklich die Bäume 
grün ?“ 

„Wie ſoll ich fie denn anders 
ſehen?“ erwiderte ich, „fie Sind ja 
doch grün,“ 

„Dede andere Farbe darfft Du bei 
einem belaubten Baume anwenden,“ 
fuhr er fort, „nur fein Grün,” 

„Aber wenn ich das Grün leib- 
haftig vor mir ſehe?“ 

„Du darfft es nicht fehen.“ 

„Wenn ich es aber dennoch ſehe?“ 

„Dann, Unglüdlicher,“ fuhr er 
pathetiich fort, „dann fehlt Dir der 
Farbenfinn. Den kannt Du auf feiner 
Akademie erlernen, der ift ein freies 
Geſchenk der gütigen Natur, das fie 
Dir verfagt hat. Dir leuchtet dieſe 
Dimmelsfadel nit. Darum höre mei= 
nen Rath. Wende Dich vechizeitig der 
Ihwarzen Kunſt zu, dem Zeichnen auf 


bilde nachzuſtreben.“ 

Mährend des Heimweges debat- 
tierten wir noch lange Zeit über Farbe 
und Farbenanihanung. Ich befämpfte 

hartnädig Strirner’3 Behauptung, daß 
man beim Malen eines grünen Bau— 
mes fein Grün verwenden dürfe, und 
ang zuleßt fröhlich im die Nacht 
hinaus: 


„Grin, ja grün, nur grün allein, 
Grün fol meine farbe fein!“ 


Die beiden Anderen fielen begleitend 
ein, umd fo fangen wir dem jchönen 
Storch'ſchen Chor zu Ende, leider nur 
mit drei Stimmen. 

Als wir an die Hernalfer Yinie 
gekommen waren, blieb Strirner plöß- 
lich ftehen und fagte: „Nun, etwas 
'weniges Grün darf man ſchon an— 
‚wenden, aber nur um Dimmelswillen 
‚fein anderes als Dlivengrün.“ 
Wir gaben ns lachend die Hände 
und trennten uns. 


Wien, 6. Aug. 1847. 


Strirner’s Bemerkung bezüglich der 
„Schwarzen Kunſt“ ift nicht auf dürres 
Erdreich gefallen. Ich habe mich ent» 
ſchloſſen, Porträtlithograph zu werden. 
Da braucht man, gottlob, keinen Far— 
benfinn, da hat man es ausschließlich 
mit der Form zu thun. Und, was 
‚das Beſte an der Sache ift, man ver— 
pen Geld dabei. Hat man feine Bes 
‚ftellungen, jo gibt ed immer noch 
‚Arbeit für Kunſthändler. Man fieht 
es ja an Kriehuber. Er zeichnet faſt 
ausſchließlich nur auf Stein und führt 
dabei trotz feiner zahlreichen Familie 
einen fürftlichen Haushalt, während 
geſchickte Landfchafts- und Hiftorien- 
| . 
maler am Hungertnche nagen. Die 








Stein, der Lithographie, fo wie ich Technik des Steinzeichnens werde ich 
es gethan habe. Da kannſt Du es; bald os haben. Ich habe die Zeit 
noch zu etwas bringen. Schau uns| feit unferen Neumwaldegger Ausfluge 


58 


wohl benußt und bin ein gutes Stüd 
vorwärts gekommen. 


Mien, 14. Oct. 1847. 


Triumph! Mein erftes lithogra= 
phifches Porträt ift gedrudt und ich 
habe das Honorar von 20 Gulden in 
meiner Taſche. Als Erſtlingswerk be= 
trachtet, ift e& gar nicht übel gerathen 
und — was für den Befteller die 
Hauptſache — es iſt ſehr ähnlich. 
O ſei mir geſegnet, Du holder Jüng— 
ling, der mir ſein theures Haupt an— 
vertraute, um es durch meinen Griffel 
zu verewigen. Freilich, das Porträt 
im Schaufenfter der Kunſthandlung 
Mechetti am Michneler Plabe öffentlich 
ausftellen, wie es gewiß fein ſehn— 
lichſter Wunſch wäre, darf er noch 
nicht, denn er ift noch nicht berühmt. 
Er will es aber demmächft werden. 
Der Eigenthiümer des Porträts ift 
nämlich ein angehender Sänger, ein 
Bariton, der in nächſter Zeit in Linz 
öffentlich auftreten wird. Nun, Gott 
gnade den Linzern. Eine Stimme wie 
verroftetes Blech, eine Geftalt, wie der 
Ihwindfüchtigfte Schneider, und eine 
Selbftüberfhäßung, mit der man drei 
erſte Tenore ausstatten könnte. Wenn 
der nicht bei feinem erften Debüt das 
glänzendfte Fiasko macht, will ich 
Vitzliputzli heißen. Aber, es lebe die 
Gitelfeit! Sie fomımt hie und da dem 
Porträtmaler trefflich zu ftatten. 


Mien, 17. Dec. 1847. 


Geftern bemerkte ich beim Vor— 
übergehen an dem Schaufenfter der 
Kunſthandlung Mechetti ein Porträt 
Saphir's, das vielleiht ſchon län— 
gere Zeit dort hängt, mir aber bisher 
nicht aufgefallen iſt. Es iſt von Krie— 
huber lithographiert, in ſehr kleinem 
Format und wunderbar ähnlich. Das 
kurze, gedrückte Geſicht mit dem grin— 
ſenden Ausdruck, die runden Brillen— 
gläſer und die lodige Perrücke — der 
reine Affenpintfcher. Zu treffen war 
er natürlich leicht, denn wo die Natur 


I\fhon carifiert, da Hat der Maler 
nicht viel zu thun. Unter dem Bilde 
ftehen von Saphir's Hand folgende 
Zeilen: 

„Der Menſch entgeht dem Drude 
nie, Im Leben auf dem Stein, zum 
Spredhen, im Tode unter dem Stein, 
zum — Schweigen.” 

Auch ein anderes neues Bild Krie— 
huber'3 jah ich, das Porträt des jugend— 
Ina Glaviervirtuofen Franz Lifzt, 
der jeßt fo viel Aufiehen erregt. Ein 
intereffanter Hopf mit langem Mähnen— 
haar und genial gefchnittenen Zügen. 
Auch unter diefem Bilde ftehen einige 
Zeilen von Saphir's Hand, die ich 
aber nicht vollftändig im Gedächtnis 
behalten Habe. Ich erinnere mich nur, 
daß — da das Porträt ein Bruftbild 
ift — der Dichter fragt, wo denn die 
wunderbare Hand geblieben ift, die 
|die Natur ein zweitesmal nicht wieder 
schafft und die der Zeichner uns nei— 
difh verborgen hat. Das Gedicht 
Ichliegt mit dem echt Saphir’fchen 
Wortwitz: „Das ift Lift gegen Lifzt.“ 


Wien, 20. Jänner 1848. 

Es Lebt ſich doch ganz Herrlich in 
Wien. Ich glaube in feiner Stadt der 
Welt könnte ich fo glücklich einher: 
wandeln, al3 auf dem Granitpflafter 
unferer lieben Wienerftadt. Zumeilen 
wohl ift mie im Sommer diejes 
Pflafter etwas heiß geworden, wenn 
ih, ohne Sohlen an den Stiefeln 
und das Dberleder mit Bindfaden 
zuſammengeſchnürt, ftolz dahin jchritt. 
Aber das focht mich wenig an. Aus 
den Spiegelfcheiben, an denen ich in 
der Kärntnerſtraße oder auf dem Kohl— 
markt vorübergieng, blidte mir ja doch 
nur der obere Theil meines Ichs ent— 
gegen. Und diefer war angethan mit 
einer ftattlihden Sammtbloufe und einem 
ihmwungvollen Künftlerhut. Und ich ſah 
dann fröhlich aufwärts an den hohen 
Häufern umd in den blauen Himmel 
darüber und vergaß ganz auf das, 
was da tief unter mir im Staube 
wandelte, 





rn 


Heute bin ich mit einem jungen 
Manne befannt geworden, einem neu— 
gebadenen Doctor der Medicin, defjen 
intereffanter Kopf mich veranlaft hat, 
ihn zu bitten, mir zu einem Porträt 
zu fißen, worauf er bereitwilligit ein— 
gieng. Morgen ift die erfte Sitzung. 


Wien, 29. Jänner 1848. 


Das Eonterfei meines neuen Freun— 
des, Dr. 9... ift fertig und fehr ge— 
lungen. Er bat eine große Freude 
darob und Hat ſich fogleich ein halbes 
Hundert Abdrüde davon machen lafjen. 
Mährend der Sibungen erzählte er 
mir manches aus feinen Leben. Er hat 
als armer Student ſich mühſam durch 
das Gymnaſium Hindurchgehungert und 
ift während feiner Univerfitätsftudien 
duch einen wohlhabenden Wiener Bür— 
ger unterftüßt worden, der ihm auch 
das Geld für feine Rigorofen vorge— 
ftredt hat. Aus Dankbarkeit hat er 
ſich mit einer der beiden Töchter diejes 
Bürgers verlobt und wird fie näch— 
ftens als feine Gattin heimführen. 


Mien, 5. Yebr. 1848. 
Heute fam Dr. H.. wieder zu 


o 


9 





in die Wohnung feiner Schwieger- 
elteru, um mir nur vorläufig die bei— 
den Mädchen anzufehen und zu bes 
urtheilen, ob fich ihre Köpfe für eine 
lithographifhe Wiedergabe eigneten. 

Uber Himmel, wie erfchraf ich, ala 
ih der beiden Huldinnen anfichtig 
wurde! Das waren zwei Weien, die 
die Natur in ihrer übelften Laune 
gefhaffen zu Haben ſchien. Wenn fie 
häßlich geweſen wären, das hätte mich 
wenig beirrt. In der Häßlichkeit ift 
Charakter, fie ift gewißermaßen eine 
umgelehrte Schönheit. Aber was foll 
der Maler anfangen mit Zügen, jo 
nichtsfagend, fo verwifcht und ver— 
ſchwommen, ala ob die Natur mit 
einem naſſen Schwamm darüber ge- 
fahren wäre, um ihr mißlungenes 
Werk wieder auszulöfchen. 

Es wurde mir fofort Kar, daß 
aus diefen beiden Frauenköpfen nichts 
zu machen fei, und daß ich mich der 
Gefahr ausfeße, durch Uebernahme 
diefes Auftrages meinen eben im Auf— 
blühen begriffenen Künftlerruf zu ſchä— 
‚digen. Schon wollte ih unter irgend 
einem Vorwande die Arbeit ablehnen, 
aber — ich bedadhte die tiefe Ebbe in 


— — — — — — — — — 


mir und theilte mir mit, daß ſeine meiner Börſe — und dieſe gab end— 
Schwiegereltern in spe über fein Por- | lich den Ausſchlag. Alſo auf, Curtius! 
trät, von dem er ihnen einen Abdruck Stürze Did muthig in diefen Ab— 
überreicht, ganz entzüdt feien und daf | grund, e& wird den Hals nicht foften. 
fie den Wunſch äußerten, auch ihre 

beiden Töchter durch meinen Griffel Wien, 20. Yebr. 1848. 
verewigt zu jehen. Ich wehrte mich Gottlob, ich bin mit den beiden 
anfangs lebhaft dagegen und machte) Bildern fertig. Während der Sißungen 
meinem Freunde begreiflih, daß es hatte ich Gelegenheit, mit der Familie 
für einen Anfänger ein fehr gewagtes | näher befannt zu werden. Der Bater 
Unternehmen fei, einen weiblichen Kopf ift ein ganz gemüthlicher Wiener Spieß— 
zu lithographieren, da die weichen, ver= | bürger und die Frau ein wiürdiges 
ſchwomnmenen Züge fihdurchdiefchwarze  Seitenftüd. Es find brave, achtbare 
Kreide nur Schwer wiedergeben laffen Leute. Die beiden Schweftern zeigten 
und da felbft der Meifterhand Krie- | fich im geiftiger Beziehung ganz ent— 
huber’3 die Frauenköpfe nicht immer | fpredpend ihrer äußeren Erjcheinung. 
gelingen. Aber das war Alles in den | Eulalia heißt die eine und Euphemia 
Mind geredet. Je lebhafter ich mich! die andere, So werden ihre Namen 
wehrte, deſto ungeftümer drang ex im | gefchrieben, ausgefprochen werden fie 
mich. Und ih — im Hinblid auf die Lali und Femi. 

tiefe Ebbe in meiner Caſſe — gab Als ich nach dem letzten Kreide— 
endlih nad und gieng fofort mit ihm, ftriche die Arbeit für beendet erklärte, 


———— 


betrachtelen Valer und Mutter die 
beiden Bilder und die Mutter äußerte, 
die Mädchen ſeien ganz wohl zu er— 
fennen, nur etwas zu alt ſähen fie 
ihr aus. Ich dachte bei mir felbft: 
Ihr lieben Leute, wartet nur; jeßt, 
auf dem warmen, mattgrünen Stein» 
grunde fehen die Köpfe noch einiger- 
maßen erträglich aus, aber wenn fie 
erft auf dem grell weißen Papier ge— 
drudt find, da werdet ihr eure Wun— 
der Sehen. 

As ih um den Preis meiner 
Arbeit gefragt wurde, Jah ich mich 
in meines Nichts durchbohrenden Ge— 
fühle veranlaßt, denfelben auf die Hälfte 
der gewöhnlichen Forderung zu redu— 
cieren. Dann ſchlich ich mich davon 
und ftröjtete mich auf dem Heimwege 
mit dem Gedanken: Es find ſchon 
ſchlimmere Unthaten verübt worden, 
ohne daß die Welt aus ihren Fugen 
gewichen ift. 


Wien, 1. März 1848. 

Die Neugierde trieb mich heute 
hinaus auf die Wieden in die Drude- 
rei von Döfelich, um nachzufehen, 
ob meine beiden Mleifterwerte ſchon 
gedrudt find und wie der Drud aus— 
gefallen ift. Es gehört nämlich zu den 
Annehmlichkeiten der Schwarzen Kunft, 
daß der Erfolg zur Hälfte vom Druder 
abhängig ift. Wenn diefer den Stein 
zu ſtark äßt, fo bleiben beim Abdrud 
die Mitteltöne aus und die Contouren 
treten zu Scharf hervor. Bei zu Schwacher 
Aetzung kommen andere Webelftände 
zum Vorfchein, die oft noch ſchlimmer 
find. Es gehört zum richtigen Aeßen 
eine genaue Beurtheilung der größeren 
oder geringeren Härte des Steines 
und viel Uebung. 

Der Druder mar eben mit der 
Vorbereitung zur Aetzung befchäftigt 
und meine beiden Steine lagen offen 
da. Ih ließ mein Auge ſcheu über 
die Zeihnung Hingleiten — aber Him— 
mel, was erblide ich da? Aus dem 
Rahınen der fauftgroßen Brofche, welche 
eines der Mädchen — ich weiß nicht 


mehr, war es die Femi oder die Pali 
— am Halfe trug und in welche ein 
ganz weißer Stein, ich glaube ein 
Milchopal, gefaßt war, grinste mir 
jegt ein Eulenfopf entgegen. Wer 
fonnte die freche That verübt Haben? 
Ohne Zweifel hat jener geniale Gau— 
ner, der mir Schon auf der Akademie 
jo viel Uerger bereitet Hatte, umd der, 
wie ich weiß, häufig in der Druderei 
verkehrt, auch Hier wieder feine ruch— 
loſe Hand im Spiele gehabt. Ich 
unterließ es aber, den Druder nad 
dem Thäter zu fragen und gieng ſtill— 
Ihweigend meines Weges. 


Wien, 10. März 1849. 


Der Sturm, der in den März: 
tagen des vorigen Jahres ſich erhoben, 
hat nun ausgetobt und es herrfcht 
wieder Ruhe. Aber lieber Himmel, 
wie fieht e& jet aus in der Künſtler— 
welt! Das politiiche Intereſſe hat jedes 
andere verfchlungen. Sein Gedanke an 
Kunft, feine Aufträge, feine Arbeit, 
fein Verdienft. Maler und Bildhauer 
Hagen, dah es zum Erbarmen ift, und 
nicht nur den Heinen, auch den großen, 
den berühmten Künſtlern geht es recht 
übel. Der Hofmaler Einsle, der 
vor der Revolution fein Delporträt 
unter dem Breife von 600 Gul— 
den gemalt hat, äußerte erft unlängft 
einem feiner Belannten gegenüber, daß 
er mit Vergnügen das Bild um zwei— 
hundert Gulden malen würde, wenn 
er nur Aufträge bekäme. Nur Krie— 
huber macht glänzende Gefchäfte. 
Ich befuchte geftern meinen Freund 
Strirner in Sriehuber’s Mtelier 
und fand ihn eben beichäftigt, des 
Meifters legte Arbeit, ein Bivouak nad 
der Schlacht bei Schwechat daritellend, 
zu copieren. Das Bild ift in Aquarell 
gemalt und die Köpfe find wunderbar 
ähnlich, vor Allem der des Jelladid, 
den Kriehuber ſchon fo oft litho- 
graphiert Hat, daß er ihn gewiß ſchon 
aus dem Gedächtniffe zeichnen kann. 
Der Kunſthändler Neumann hat das 
Aquarell um den Preis von fieben- 


61 


hundert Gulden angefauft. Ach, wer 
doch auch fo etwas machen Fönnte! 


Mien, 16. Mai 1849. 


Ich bin nun bereits bis zur fünfte 
leriſchen Taglöhnerarbeit herabgeftiegen. 
Aber was thut man nicht Alles, wenn 
die Noth drängt. Für ein lithogra= 
phiertes Bildnis unferes jugendlichen 
Kaifers Habe ich von einem Kleinen 
Kunfthändler ein Honorar von fieben 
Gulden bekommen. Und für diefen 
Schandpreis Habe ih noch obendrein 
die Arbeit zweimal machen müſſen, 
nachdem ich in der Eile bei dem erften 
Bilde dein Kaifer den Säbel auf die 
rechte Seite gezeichnet Hatte. Aber als 
ih das Honorar in die Tafche ftedte, 
that ich den feierlihen Schwur: Nie 
wieder einen Sreideftrih für einen 
Kunfthändler! Lieber werde ich ein 
Bauernknecht und pflüge im goldenen 
Sonnenschein draußen das Feld, und 
höre dabei die Lerchen fingen und 
blide in den blauen Himmel hinauf. 
Doch — da ich eben vom Sonnen- 
Schein rede — warum fiße ich denn 
eigentlich Hier in der dumpfen, öden 
Stadt, wo ohnehin nichts zu machen 
ift und wo noch obendrein gerade jeßt 
die todte Saifon oder, wie fie auf 
deutich Heißt, die saison morte be= 
ginnt? Warum nicht hinaus in eines 
jener großen Bäder, wo die reiche und 
vornehme Welt fich verfammelt und 
wo es für Unfereinem noch immer 
etwas zu thun gibt? Wohl, ganz 


gut, aber in welches Bad? Yeden- | 


falls im eines der neuen, erſt jüngft 
in Aufſchwung gelommenen, wo noch 
feine ftändigen Porträtmaler fich ein— 
geniftet haben und wo es noch feinen 
Kunfthändler gibt. Etwa Gräfenberg ? 
Gut, es fei befchloffen; morgen pade 
ih meinen Koffer und dann fort! 


Gräfenberg, 8. Juni 1849. 
Da fige ih denn nun ſchon feit 
drei Wochen und fühle mich behaglich, 
wie ein Fifchlein im Waſſer. Ein guter 
Freund hat mir das Reifegeld gepumpt, 


aber ich habe es ihm jchon wieder zu— 
rüdgezahlt, und ich hoffe ſogar — 
wenn es hinfort jo geht, wie jeßt — 
mit anftändig gefüllter Börſe nad 
Wien zurüdzufehren. 

Gleich nah meiner Ankunft in 
Freiwaldau ftieg ich den ziemlich fteilen 
Meg nah Gräfenberg hinan, wo mir 
Ihon von weiten das riefige Curge— 
bäude entgegen blidte. Ich trat in den 
großen Curſaal hinein und hieng, ohne 
Jemand zu fragen, an eine Wand, 
wo ih ähnliche Dinge hängen fah, 
mein eigenes, durch den Spiegel ſtiz— 
zenhaft Hingeworfenes und mit etwas 
Aquarellfarbe angehauchtes Gonterfei ; 
darunter mein Name mit der Beifü- 
gung: Maler und Lithograph. Preis 
eines Bildes 5 Gulden. 

Hierauf fpeiste ich an dem gemein 
ſamen Zifche zu Mittag. Obenan faß 
Prießnitz. Die Tafel nahm die 
ganze Länge des ungeheuren Speiſe— 
faales ein. Aber lieber Dimmel, wie 
diefe Leute aßen! Können wirklich 
ſolche Onantitäten Pla finden in 
einem menschlichen Magen ? Und welche 
Haft, welche Gier! Das mar fein 
Eſſen mehr, es war ein Verſchlingen. 
Wenn die Gräfenberger Waſſercur in 
dieſer Weiſe den Appetit reizt, und 
die Stärke desſelben der richtige Maß— 
ſtab der fortſchreitenden Geſundheit 
iſt, dann iſt die große Zahl der hie— 
ſigen Curgäſte — es ſollen deren bei 
2000 anweſend ſein — allerdings er— 
klärlich. 

Am dritten Tage nach meiner An— 
kunft machte ich einen Spaziergang 
auf einem jchönen Waldwege, der hin 
ter dem Gurhaufe ſich den Gräfenberg 
binanzieht und zu den Quellen Führt, 
denen die Gurgäfte im Vorüberwan— 
deln ihr Trink- und Heilwafler ent» 
nehmen, und deren höchſt gelegene 
eine Temperatur von + 49 Reaumur 
haben fol. Die Quellen find jehr 
forgfältig gefaßt, mit beftimmten Na— 
men bezeichnet und faſt alle mit ges 
ſchmackvollen Bauwerken geziert. Eines 
diefer Monumente der Naturheilkraft 











62 


— — — 


iſt mir beſonders aufgefallen. Es beſteht 
bloß aus einem rieſigen Steinwürfel, 
auf welchem ein Löwe ruht. Gewiß 
ein glücklicher Gedanke! 
Gräfenberg, 20. Juli 1849. 

Nachdem ich während meines hie— 
ſigen Aufenthaltes nun ſchon minde— 
ſtens zwei bis drei Dutzend Porträt— 
ſtizzen gezeichnet, Habe ich heute durch 
das Comité der Curgeſellſchaft auch 
eine größere Beltellung erhalten, und 
zwar eine Anficht von Gräfenberg von 
einem beftimmten Standpunkte aus 
gezeichnet, und ein Porträt des Prieß— 
niß, beides in lithographifcher Aus— 
führung. Für das erftere Bild habe 
ih den unverſchämten Preis von 
Hundert Gulden verlangt, der mir auch 
ohne Anftand zugefagt wurde. Dann 
gieng ih hinauf zu Prießnig, um 
jeine Zuftimmung einzuholen und ihn 
um wenigſtens eine oder zwei Sitzun— 
gen zu bitten. 

Prießnitz! Der Name klingt wie 
eine friſch ſprudelnde Felſenquelle. 
Ein höchſt merkwürdiger Mann und 
von der Mehrzahl feiner Curgäſte wie 
ein Halbgott verehrt. Nun ftand er 
leibhaftig vor mir. Eine feitgefügte 
Geftalt, breit und flämmig, wie aus 
einer Eiche gehauen, in dem blattern= 
narbigen Gefichte einen feitgefchloffe- 
nen Mund und hellgraue, durchdrin- 
gende Augen. Und ſchweigſam ift der 
Mann, wie ein Karthäuſer. Als ich 
mein Anliegen vorgebracht hatte, fette 
er fi, ohne eine Miene zu verziehen 
und ohne ein Wort zu fpredden in 
einen Armſeſſel, und ich nahm mein 
Skizzenbuch Hervor und begann zu 


— nn 


zeichnen. Aber e3 dauerte feine zehn 
Minuten ih Hatte kaum eine 
dürftige Skizze entworfen — als er 
ihon entſchlief. Ich ſuchte nun von 
feinen Zügen noch zu retten, was zu 
retten war und entfernte mich danır, 
ohne ihn zu weden. 

Nachmittags gieng ich nad Linde— 
wiefe hinüber, einem Heinen Dorfe 
in der Nähe von Gräfenberg, in wel— 
hen die Schrott’fhe Heilanftalt 
fih befindet. Zwei merkwürdigere 
Gegenfäße, als Gräfenberg und Linde— 
wieje hat es noch nie gegeben. In 
Gräfenberg ift das Waller Medicin, 
in Lindewiefe ift es Gift. In Grä- 
fenberg heilt das Trinken, in Lindes 
wieje der Durft. Prießnitz betrachtet 
den menfchlichen Organismus als ein 
dürres Feld, das man unter Wafler 
feßen, Schrott dagegen als einen 
Sumpf, den man austrodnen muB. 
Yede der beiden SHeilanftalten dient 
gleihjam als Gorrectiv der andern, 
denn manche Kranke, die nach mehr: 
jährigem Gurgebraucdhe in Gräfenberg 
feine Genefung finden und endlich die 
Geduld verlieren, verfuchen zuleßt ihr 
Heil in Lindewiefe und fo auch ums 
gekehrt. Obgleich die Lindewiefer Ent- 
ziehunggcur allgemein als legte Sta— 
tion auf dem Leidenswege aller ſchon 
verfuchten Heilmethoden gilt, jo zählt 
doch auch fie ihre begeifterten Anhän— 
ger, und Schrott wird von feinen 
Patienten mindeftens eben jo ab— 
göttifch verehrt, al Prießnitz von 
den feinigen. Wo liegt nun die Wahr- 
heit? Wohl dem, der fich nicht darıım 
zu kümmern braucht. 





Die erſte Schwalbe in Oeſterreich. 


Von P. R. Rofegger. 


gm 
—* —— 


J Er 


(ge 5 war in den Dreißiger- Jahren. 
N Die „Spaziergänge eines Wie— 
ner Poeten“ und „Schutt” waren er- 
fhienen. Die Leute waren verblüfft 
über die in die DOeffentlichfeit kühn 
hinausgerufenen Worte: „Wir find fo 
frei, frei fein zu wollen! — Frei das 
Wort, frei der Gedanke!“, verblüfft 
über den lauten Hinweis auf die That- 
ſache, daß „in unferm guten Lande 
es Manchem vor dem Geifte graue.“ 
— Die Polizei fahndete nad dem 
Verfaſſer. 

Ein ſicherer Anaſtaſius Grün, hieß 
es. — Wer iſt Anaftafius Grün? — 
Ein junger Menſch, der auch ſchon 
früher ein Bändchen Gedichte: „Blätter 
der Liebe,“ und ein anderes, genannt 
„Der legte Ritter,“ Herausgegeben hat. 
— Der junge Manıı wird vorgeladen. 
Der Polizei- Beamte fährt ihn Inurrend 
an: „Sind Sie der Verfaſſer dieſer 
Bublicationen ?* und fchleudert ihm 
die beiden Bände „Spaziergänge“ und 
„Schutt“ vor. — „Hier fteht der 
Name Anaftafius Grün,“ bemerkt der 
junge Mann, „ich heiße Anton Auers— 
perg.“ — „Na, wir kennen das,“ rief 
der Polizeimann, doch gelang es ihm 
nicht, der Sache auf den Grumd zu 
fommen, und der junge Auersperg 
wurde mit einer mürriſchen Handbe— 
wegung entlafjen. 

Bald darauf, zur Ferialzeit, kehrte 
Graf Auersperg auf fein Landgut 





mung und etiwelchen Manufcripten 
umzuſehen. Pflichtgetreu machte ſich 
‚eines Tages der Mann auf den Weg. 
Und fiehe, er wurde im Schloffe der 
Anersperge über Erwarten freundlich 
‚aufgenommen, Graf Anton zeigte jich 
„Höchlichft erfreut, auf feinem einfa= 
men Landfige einen fo geehrten Gaſt 
begrüßen zu können,“ und er gab ſo— 
fort Befehl, daß Küche und Seller 
und was das Schloß und feine Um— 
gebung ſonſt Angenehmes zu bieten 
vermochte, in den Vordergrund rüden 
jolle. Der Polizei-Chef von Laibach 
war — wie es auch recht und billig 
— ein Lebemann, er gönnte jich einen 
guten Tag auf Thurn am Hart, und 
als er ſpät fich mit allen Zeichen 
vollfter Befriedigung bei dem liebens— 
wirdigen Gaftheren verabfchiedet Hatte 
und auf feinem Landwäglein der 
Hauptftadt zufuhr, fiel es ihm ein, 
daß er vergefien Habe, auf Thurn am 
Hart fih nah der Stimmung und 
etwelhen Manufcripten umzuſehen. 

Eine fol’ gröbliche Verabſäu— 
mung mußte gutgemacht werden. Er— 
hielt denn Graf Anton Auersperg 
eines ſchönen Tages die höfliche Ein— 
ladung, wenn er gelegentlich nad Lai— 
bah käme, am Haufe des Polizei— 
Directors ja nicht vorüber zu gehen, 
ohne auf ein Halb Stündchen zuzu— 
ſprechen. — Sehr freundlich das von 
den wadern Manne! Doch hielt es 











Thurn am Hart in Krain zurüd. Doc |der Graf für bloße Höflichfeit und 
blieb er ftet3 mit ſorgſamſter Fürſichtig— | würde der Einladung zu folgen kaum 
feit bewacht. Eines Tages erhielt der Anlaß genommen haben, wenn auf 
Polizei-Chef zu Laibach den Auftrag, einen zufälligen zweitägigen Aufents 
dem jungen Grafen auf Thurn am | halt zu Laibach fein danlbarer Gaſt 
Hart einen Beſuch abzuſtatten und von dazumal ihm nicht eine zweite 
ſich dort ein wenig nach der Stim- Einladung zugeſchickt hätte. 


So fand fih Graf Auersperg zur 
Ihidfamen Stunde in der Wohnung 
des Polizei Chefs ein. Diefer empfing 
ihn mit mehr Gravität, als man ihm 
auf dem Schloſſe Thurn zugetraut 
hätte. Er führte den Befucher in fein 
Arbeitszimmer, bot ihm Platz und 
fagte ohne jegliche Umfchweife: „Herr 
Graf, ich habe eine Frage an Sie zu 
ftellen, die Sie mir direct und ent: 
fchieden zu beantworten die Güte 
haben werden. Es find vor Kurzem 
im Auslande unter wahrfcheinlich fal= 
Shen Namen zwei Bücher erfchienen. 
Das eine betitelt ſich „Schutt,“ das 
andere „Spaziergänge eines Wiener 
Poeten.“ Der Verfafler ift offenbar ein 
Defterreiher. Man hat Sie als ſolchen 
genannt, Herr Graf. Es ift eine 
wichtige Sache, und ih frage Sie 
daher im Namen des Gefeßes: find 
Sie der Verfaffer diefer Schriften oder 
nicht 2” 

Graf Anton war allerdings ein 
wenig verblüfft darüber, dab aus ſei— 
nem Etikette-Beſuche ein fo ſtylge— 
rechtes Verhör geworden war. Er er— 
bob fih und fagte: „Wenn das eine 
jo wichtige Sache ift, feien Sie im— 
merhin getroft, mein Herr; ich will 
Ihnen in diefer Angelegenheit des 
Meitern jeden Landausflug und jedes 
andere Manöver erfparen und befenne 
mich als den Berfaffer der „Spazier- 
gänge“ und des „Schutt.“ 

Die Sade war richtiggeftellt. Ara» 
ftafins Grin zu welchem Graf 
Anton Anersperg nun officiefl gewor— 
den war — verließ Laibah und kam 
unangefochten nah Thurn am Hart 
zurüd. Raſcher als font die Aemter 
ihre Arbeiten abzuthun pflegen, folgte 
ihm eine Erledigung nach: Graf Anton 
Alerander Auersperg, befannt unter 
dein Namen Anaftafins Grün, ift we— 
gen Uebertretung des Geſetzes zu fünf— 
undzwanzig Ducaten Strafe verur— 
theilt. — Der Dichter der „Spazier- 
gänge“ konnte fih noch beglückwün— 
ichen, mit ſolchen Fünfundzwaänzig 
davongefommen zu fein. Der Straf: 


64 


ſchilling fiel glüdlicherweife den Armen 
der Ortsgemeinde zu, und fo zogen 
auch diefe — welche die verkündete 
Zeit wohl faum mehr erleben follten 
— einen Gewinn bon der geiftigen 
Heldenthat des TFreiheitsdichters. 


Indeß fchienen den Grafen Anton 
Auersperg die Nergeleien und die 
Mapregelungen doch ein wenig ver— 
deoffen zu Haben. Zur felben Zeit 
gieng er mit dem Plane um, aus 
Delterreih auszuwandern und nad 
Baris zu gehen, wo Heine und Börne 
lebten. Das Auswandern gieng aber 
damals nicht eben leicht. Auersperg 
wußte, daß fein Auswanderungsgefuc 
gar big zum Fürſten Metternich hin— 
anfzufteigen habe, um dort vielleicht 
geftrichen zu werden. Er begab fi 
nah Wien und beſchloß, ſelbſt zu 
Metternich zu gehen, um dieſem ſei— 
nen Plan und die Urfachen desfelben 
offen darzulegen und um baldige Er: 
ledigung feiner Sade zu bitten. 


Zum Fürften Metternich war es 
ebenfo ſchwer hin- als von ihm weg— 
zufommen. Graf Auersperg ließ fich 
zweimal vergebens anmelden. Der Be— 
ſcheid war: Durchlaucht wären eben 
in Gefchäften mit Gefandten u. |. w., 
man möge ein andermal kommen. Eines 
Tages zur vorherbeftimmten Stunde 
— um 3 Uhr — erfchien er wieder 
und wurde vorgelaflen. Das Arbeits— 
zimmer de3 Staatsmannes war durch 
eine leichte Wand in zwei Theile ge— 
theilt; der Fürſt trat aus der rück— 
wärtigen Abteilung hervor, muſterte 
den Eintretenden fcharfen Auges und 
bot ihm dann einen Pla. 

„Sie alfo find diefer Anaſtaſius 
Grün, der uns die Welt umwenden 
will?“ Sprach der Fürft. 

Graf Auersperg verbeugte ſich. 
„Durchlaucht,“ fagte er dann, „wenn 
damit meine poetifchen Verſuche ge— 
meint find, fo geichieht denjelben eine 
vielleicht zweifelhafte, jedenfalls aber 
unverdiente Ehre. Ich habe niemals 
den Umſturz der Zuftände angeftrebt.* 


r 


„Sie reizen zum Aufftand,“ fagte 
Metternih. „Ihnen ift die gute Ord— 
nung nicht recht, nicht die Genfur, die 
Sie umgehen, nicht die Sicherheits- 
Drgane, denen Sie ein Schnippchen 
Schlagen. Sie machen böſe Gefchichten 
gegen die Religion, Sie vergelfen fich 
gegen die Heiligkeit der Majeftät ; jelbft 
die Grenzpfähle find Ihnen im Weg 
— Sie haben mir und meiner Po— 
litik den Krieg erklärt.“ 

Wenn ſo der Allmächtige Oeſter— 
reichs ſprach, konnte der Poet nur 
froh ſein, mit heiler Haut aus dieſem 
Palaſte zu entlommen, um ſofort den 
fürzeften Weg über die Grenze einzu— 
Schlagen. Indes ließ er ſich im Be 
wußtjein feines guten Menfchenrechtes 
nicht einfchüchtern. 

„Durchlaucht,“ entgegnete er auf 
obigen Ausfall, „ich geftehe ein, daß 
mir im meinem Baterlande Manches 
nicht gefällt; doch wird im meinen 
Gedichten nicht ein einziges revolu— 
tionäres Wort zu finden fein. Mein 
Ideal ift die Verföhnung der Parteien, 
der allmähliche friedfertige Uebergang 
zum Beſſern, der heitere Sieg des 
Lichtes.“ 

Metternich ſchwieg einen Augen 
blid, dann fagte er in wohlwollendem 
Tone, mit der ganzen Glätte des 
MWeltmannes: „Lieber Freund, Sie find 
noch jung und die Jugend täujcht ſich 
nur allzu oft jelbft durch ſchöne Worte. 
Sie kennen den Weltgang nicht. Ver— 
ſöhnung der Parteien ift eine Phrafe 
— Sie entſchuldigen. Für Ja und 
Nein gibt es feinen gemeinfamen Weg. 
Dad Predigen und Singen ändert 
weder die Bedürfniſſe noch die Wünſche 
der Menfchen. Wem die herrjchenden 
Zuflände nicht vecht find, der ändere 
fie mit Macht und Gewalt!“ 

„So wären die Lieder eines Poeten 
ja völlig ungefährlich," wagte Graf 
Auersperg einzuwenden. 

„Lieder werden fein Reich erobern 
und feines ftürzen,“ verfeßte der Fürſt, 
„aber die Menge können fie aufregen, 
verwirren und verblenden, jo daß der 


Bofegger's „„Geimgarten‘*, 1, Heft, XI 


Dihter das Gegentheil erreicht von 
dem, was er wollte — er wollte be= 
freien und feßt eine Regierung nur 
in die Lage, noch ſtrammer fefjeln zu 
müſſen.“ 

In dieſem Augenblicke raufchte eine 
Robe. Die Fürſtin trat in das Cabinet, 
machte ſich Einiges an einem Schranfe 
zu Schaffen, warf einen angelegentlichen 
Bid auf Auersperg, ermwiderte leicht 
feinen Gruß und raufchte wieder davon. 
— Wollte es doch gerne wiffen, die 
durchlauchtigſte Dame Metternich, wie 
ein Freiheitsdichter denn eigentlich 
ausfieht. 

„Werden Sie wieder was ſchrei— 
ben?“ fragte jegt der Fürſt. 

„Allerdings wird der Vogel das 
Singen nicht laffen können,“ meinte 
der Poet; „jedoch,“ ſetzte er ſogleich 
ſchlichtend hinzu, „Durchlaucht, ich ge= 
denfe auszuwandern.“ 

Metternich zog die Augenbrauen 
zufammen. „Auswandern wollen Sie? 
Warum denn?“ 

„Weil ich nicht immer bon der 
Polizei verfolgt fein will,“ war die 
Antwort. 

Der Staatsmann warf einen ras 
Shen Blid gegen die Wand, die das 
Zimmer in zwei Theile jchied. Hierauf 
fagte er: „Die Polizei verfolgt Sie 
nicht, mein Freund, aber Sie ver— 
folgen die Polizei!” 

„Für jeden Fall dürfte es beſſer 
fein, wenn ich hinwegziehe,“ entgegnete 
Graf Anuersperg. 

Fürſt Metternich ſchlug die flache 
Hand auf den Schreibtifch, eine gewiſſe 
Aufwallung war an ihm zu bemerken ; 
doch gieng das bald vorüber, und ganz 
ruhig fagte er: „Sa, ja, das ift der 
Patriotismus diefer Herren. Da wollen 
fie auf Leben und Tod das Vaterland 
beglüden, und glauben fie fich durch 
irgend etwas gekränkt, allfogleich zei— 
gen fie ihm den Rüden. — Wollen 
wahrfcheinlih nah Paris? Na ja, 
das ift das Eldorado der flotten Köpfe 
und Idealiſten. Je mu, ich hab’ nichts 
dagegen.“ 


5 


66 


„Und fo wollte ih denn bitten, 
Durchlaucht — * 

„Nur merkwürdig finde ich es,“ 
unterbrach der Fürſt, „daß alle brauch— 
baren Leute auswandern wollen.“ 

Und von diefer für einen letters 
nid völlig naiven Bemerkung aus 
begann er im feiner gefprächigen Weife 
des Langen und Breiten auseinander: 
zufegen, wie denn doch begabte Na= 
turen auch in Defterreih nicht über- 
flüffig wären und daß ihnen in Oeſter— 
reich ſchönere Roſen blühen würden 
als irgendwo anders, wollten ſie ſich 
nur ſtets an die Regierung ſchließen. 

Auersperg ſaß auf Nadeln. Er 
war an dieſem Tage um 4 Uhr zum 
Diner geladen, und zwar in einem 
Hauſe, in welchem man ſein Zuſpät— 
kommen — da es eine erſte Einladung 
war — leicht übel vermerken konnte. 


| 
der Freiheit 


„Ah, Parbon! Ich hab’ dem Gra— 
fen Sedlnigly feinen erwiſcht,“ ent» 
Ihuldigte fich der Diener, und bald 
war der Mißgriff gutgemacht — der 
rechte Rod umfieng den rechten Mann. 

As unfer Anaftafius Grün die 
Treppe niederftieg, hatte er Zeit, über 
den Habit des Grafen Sedlnigfy feine 
Betrachtungen anzuftellen. Sedlnitzky 
war damals Polizei-Präſident 
Polizeiminiſter. Wenn der Rock im 
Vorzimmer hieng, wo konnte der 
Mann geweſen ſein? Im Cabinete des 
Fürſten war er nicht geſehen worden. 
Aber das Cabinet des Fürſten war 
durch eine Tapetenwand in zwei Theile 
geſchieden. ... 

War's wie immer, am unglaub— 
lichſten — wenngleich buchjtäblich wahr 
— ift das Eine, daß unfer Dichter 
einmal in dem Rode 


Er wagte e3 daher, fachte feine Uhr eines öfterreichifchen Polizeiminiſters 
aus der Weftentafche zu ziehen, worauf | geftedt hat. 


der Fürſt lächelnd bemerkte: 
entlaffen mich!" — fein Geſpräch fo- 
fort abbrach und fich erhob. 


dem Dichter eilfertig einen der zwei 
braumen Ueberröde, die am Geftell 
hingen, und half anziehen. Was war 
das für ein Meberzieher! — er fchlug 
hier zweimal um das Bereich des 
Poeten zufammen. „Das ift nicht mein 
Rod!“ bemerkte Anersperg. 


„Ab, Sie! 





Was die in den Tagen gerechten 
Unmuthes geplante Auswanderung be= 


trifft, iſt troß alles und alledem Ana— 
Im Borzimmer langte der Lakai 


ftafius Grün nicht nach Paris gegan— 
gen; er ift feinem armen, ſchönen 
Baterlande getreu geblieben, ahmend 
und endlich geniegend den glorreichen 
Treiheitsfrühling, von dem er fang, 
— als die erite Schwalbe, da noch 
Winter war. 


3) liebe mein Oeſterreich. 






F $ liebe mein Defterreich, 
Die Wälder der Heimat, 
Die Berge, die Auen, 

Die Ströme, die blauen — 
Gott jegne die Herrſcher, 

Gott jegne das Land! 

Es bluhe, gedeibe: 

Doch inmitten der Fülle 

Des Segens erblüht, 


| 


Erftartend erhebe 

Sich immer auf'3 Neue 
Das deutihe Gemüth, 

Wie die Blume, die blaue, 
Holdjelig und traut, 

Die mit Augen der Liebe, 
Mit Augen der Treue, 

Aus dem Golde der ehren, 
Der mwogenden, haut. 


Bodert Hamerling. (Echorerd yamilienblatt.) 


ü @ 


Bur 


Kleine Saube. 


———— 


Den Manen Ferdinand Raimund's. 


Ein Prolog von Ludwig Anjengruber. 


Grdärhfnisfeier bei des Dichters Grab in Gufenflein am 8. September 1886, als 
50. Jahrestag des Begräbnilfes Raimund's. 


„Als man vor fünfzig Jahren ihn zur Erd’ gebettet, 
Ihn, defien finn’ger Ernſt und heiterer Humor 

Dft unf’rer Bäter forgenvolle Stirn geglättet, 

Da wußt' die Welt noch nicht, was fie an ihm verlor; 
Sie wuht’ es nicht in jenen leichtbewegten Tagen — 
Und mochte fein Berluft fie ſchmerzen no fo tief — 
Daß fie in ihm den Meifter hat zu Grab’ getragen 
Der Poefie, die fill im Volkesherzen fchlief; 

Die wußte er, wie nah ihm feiner, zu ermweden, 

Er hüllte Freud’ und Leid in märdenhafte Pradt, 
63 war wie froher, farbenreiher Träume Neden, 
Aus denen reinern Herzens man dann aufgewacht! 
Wir aber ftehen hier an feines Grabes Scholle 

Ein anderes Geſchlecht, als wie fein Tag geihaut, 
Es ift in harter Zeit uns eine ernft’re Rolle, 

Ein mächtig’ Ringen um die Zukunft anvertraut, 

63 lieget unferm Sinn das Feenreich verfchlofien, 
Dei’ Märdenzauber unſ're Eltern einft entzückt, 

Ob wir dur eig’'ne Schuld uns nun daraus verftoßen, 
Ob rauhe Wirklichleit demfelben uns entrüdt! 

Doch können vollbewußt wir ihn jest höher werten, 
Den Meifter, der die edelften Gebilde jchuf, 

As Yene, die mit ihm gewandelt auf der Erden 
Und deren Urtheil oft verwirrte fein Beruf. 

Was er mit liebevollem, fünftlerifhem Walten 

In kühnen, fihern Strichen hatte conterfeit, 

Die kernigen, die rührend treuen Bollsgeftalten, 

Die finden lebend wir noch unter uns zur Zeit; 

So Öffnet ſich troftreiher Ausblid in die Ferne: 
Da zäh’ das Boll der Zeiten Wedel halte Stand, 
Und daß fich ſtets in feines Weſens tiefftem Kerne 
Berftändnis für das Schöne und das Edle fand! 
Daß jener Bilder Treue lebend ſich erneuet, 

Bezeugt die Meifterfchaft der fFeder, die fie jchrieb, 
Und daß er reicher Hand des Edlen Saat geftreuet, 
Das zeugt für jeines warmen Herzens Menſchenlieb', 


5* 


den 


68 


Obgleich ein Herb’ Geſchick ihm dorn'ge Pfade Ientte. 

Und uns, entrüdet feiner Tage Neid und Gunft, 

Gilt er, den man vor fünfzig Jahren hier verjentte, 

Als edler Menſch und echter Meifter jeiner Kunft! 

Und wenn wir heute, ihn zu ehren, fommen, 

Eo wiffen wir, e3 rührt ihn Schmähung nit noch Dank, 
Seit er in das Urewige mit frommem 

Und ftillergeb’nem Sinn zurüdefanf, 

So treuer müſſen wir die heil’ge Pflicht bewähren: 

Sein Angedenlen zu erhalten reg’ und wach; 

Ein Volk, das feiner Todten wohlverdiente Ehren 
Verlümmern läßt, das lebt fich jelber bald zur Schmad! 
Wenn wir mit duft’gen Kränzen nun und Zweigen 

Die Gruft Dir ſchmücken — heilig fei uns deren Ruh’! — 
So wollen wir nur Deiner wert ung zeigen, 

Du edler Menſch und liebenswerter Meifter, Du!” 


Bwegn wos ih af d Olm geh. 


Ih woas nit, zwegn wos ih jo gern 
af die Berg jteig. 

Ih bi nit ftorf z Füaſſn und bild 
mar ab ein nir, wann ib hoamkim und 
ſogn fon: Af den bin ib obn gwen. 


Ih bin ab fa Jaga, der in Gamslan 
gern nochfteigg, gleihwul ihs gern an— 
jhau, mans hupfn üba d Wänd Hin. 


Die Dloaman afn Olmbodn, miad 
lüagn, wan ih jogn mwult, je gfolladn 
ma bell nit. Oba brockn thuar ih 
foani. 's Bleamerl jteht jauber am 
Dirndl ihrn Buajerl; oba noh beija 
ftehtS lebendi afn Olmbodn. 


Und daß ih eppa ftoanbedn gangad 
mit an Hamerl, fürs Gloskaſtl eini zan 
aufhebn! Za den Sohn bin ih zwent 
glehrt, ih. 

Und go zwegn da Schwoagarin — 
wan ih von Hirtn afs Moadhi will 
jpringa, von Stoan afn Buda — da 
Schmwoagerin megen ſteig ib nit jo hoch 
auffi, fie fimpp jo im Hiaſchd wieder 
ower ins Dörfl. 

Und konſt das nit roatn, zwegn wos 
ib af d Olm geb, ja denf af dein Schoß, 
den jt gwiß gern ins Gicht ſchauſt. 

Mei Schogerl is d Steiermorf — 


warn ib der von an aufgupftin Berg 
fon ins Gſicht Shaun, do bin ih glüdjeli. 
R 


Erklärung: miad luagn: müßte 
lügen. Hirtn: arten, Buda: Butter, 
Hiaſchd: Herbſt. roatn: denken. 





Der Thurmheld. 


Eine Geſchichte aus der Gegenwart 
von 3. Bernhard, 


An einer Gejellihaft von Her— 
ren war eines Tages die Rede bar- 
über, wie im Xeben faft eines jeden 
Menjhen ein Zeitpunkt jei, in welchem 
ein feindliher Dämon jeinen Hebel ein« 
feße, um den Menſchen aus jeiner ge— 
wohnten ſicheren Bahn entgleifen zu 
laffen. Die Entgleifung geichehe zumeijt 
auch wirflih, doch der Entbahnte finde 
ſich gewöhnlich wieder zurecht, der eine 
mit geringerer, der andere mit größerer 
Mühe, und rolle dann um fo ficherer 
und gefeftigter auf feiner Lebensftraße 
weiter. Mancher ftürze freilich über den 
Damm oder verlaufe fib in Sand und 
Strupp und finde fich nicht mehr zurecht. 

Etliche in der Geiellihaft hatten 
über dieſen Oegenftand jehr ſchön und 
philoſophiſch geiprodhen und Beiſpiele 
aus dem Leben befannter und berühmter 


Br 


69 





Verjönlichkeiten zum beiten gegeben. | bürgermeijter war ein höchſt beliebter, 
Ein Einziger, es war der Ihurmdeder | überaus populärer Mann — jetzt hatte ichs. 
Herr Bernhard, erzählte zur Erhärtung Am Vorabend des Feſtes machte ich 
der Sade aus jeinem eigenen Leben | in meiner Wohnung eine acht Meter 
eine Heine, jchier merkwürdige Geſchichte, lange Fahne mit den Stadtfarben von 
die bier wieder gegeben ſein joll. F. und mähte in großen Papiergold- 

Zur Zeit — jo erzählte Herr Bern | buchftaben die Worte daran: „Hoc der 
bard — als ih fünfunddreißig Jahre | Oberbürgermeijter !* Diefe Fahne muß 
alt und alle Lebensregifter aufgezogen auf die Spite de3 Domthurmes fommen, 
waren, fam e3 mir vor, es mülle in und zwar während der Nacht. Nun war 
meinem Leben nun etwas Bejonderes | die Belteigung des Thurmes während 
geichehen, ich müſſe etwas Außerordent- | der Nacht freilih nicht geftattet, ja es 
liches vollbringen. Das Leben eines war vom Beginn der Pyramide bis zur 
Thurmdeckers iſt ziemlih einfach; die Spitze nicht einmal eine eigentliche Treppe. 
meiften Thürme find nicht hoch genug, | Zudem durfte der Thürmer nichts ge— 
um intereffant zu fein, und dennoch wahren, da er jonft Alles vereitelt hätte. 
immerhin jo hoch, um fich bei einem un Nun gut, dafür ift man Thurmbdeder. 
bewachten Augenblide das Genid brechen | Vor Mitternacht iſt's nichts, da gibt es 
zu fönnen. E3 war aber — wie gejagt es noch zu viele Leute, die über den 
— ein Drang in mir. Wenn heutzutage | Domplag geben. Um zwölf Uhr aber 
ihon alle Welt hoch hinaus will, jo iſt fährt der beftellte Wagen an. Ich bin 
das bei einem Thurmdeder erjt gar |grau gekleidet, damit man mich in den 
fein Wunder. Und da ich meine Arbeiten | Steinen nicht jo leicht jehe, denn es 
überall zur Zufriedenbeit machte und im | scheint der Mond, Die Fahne rolle ich 
der großen Stadt F. für Die Eindachung um den Stab und jchnalle fie mir an 
der Edtbürme des neuen Rathhaufes viel |die Hüften. Cinen langen Strid binde 
Lob erntete, jo jeßte ich mir plößlich in jich mir über die AUchjel und einen Eijen- 
den Kopf, ih müſſe es zum ftädtifchen | hafen. Ein Fläſchchen Rothwein ftede ich 
Dom-Thurm-Dah-Deder bringen. Die in den Sad. Sonjt brauche ich nichts. 
Stadt F. hat nämlich einen großen alt- |&o fahre ih auf den Domplag. An der 
deutihen Dom, deſſen gothiſcher Thurm | Ede der Kirche jteht ein Wachmann, ich 
an vierhundert Fuß Hoc ift. Er fteht, |fahre bloß noch um den Sodel des 
von der Ferne gejehen, als fchlanfer, | Thurmes, jteige aus und laffe den Wagen 
ipiger Stift ganz ungebührlich hoch über | davongeben. Zur Hauptjahe babe ich 
der Stadt auf, jo daß mir allemal Arm | mir den Weg fchon Tags zuvor zurecht 
und Beine zudten, wenn ich diefen Thurm | gejhaut. Der Bligableiter ift auch eine 
anjah. Das Schlimme an der Sache | Leiter, obzwar feine weibliche, das macht 
aber war, daß er jo recht eigentlich gar nichts, es Hlettert fich, Freilich zumeilen 
fein Dach batte, jondern von der oberften |unter Veihilfe des Strides, ganz gut am 
Krone aus in neun Steinrippen jachte Eifen empor, wenn’s feucht und roftig 
zur durchbrochenen Spike zujanımenlief. |ift. An den Unerftangen fann man Halt 
So war meinerfeit3 das Deden diejes | machen und fefttehen. Dan raftet nir« 
Dades eine Kunft und das mohlbe- gends fo gut, als an den Querftangen 
nannter ſtädtiſcher Dom-Thurm-Dach- | der Bligableiter auf Domthürmen. Wird 
Deder-werben eine noch größere. das Stlettern an den Eijenftangen empor 

Mein Ehrgeiz jedoch kam nimmer zur |zu langweilig, jo fann man es mit der 
Naft. Ih hatte Tag und Nacht hinein | Quadermauer angehen, fie hat Fugen, 
feine Rube, wußte genau, dak etwas | Spalten und jcharfe Eden, wovon man 
geſchehen müſſe, nur wußte ich nicht ger unten nichts fieht. Ich bin ſchon ungefähr 
nau, was. Da fan das Geburtsfeft des | beim Geſimſe des Kirchendaches, als ich 
Oberbürgermeifters von F. Der Ober: 'wahrnehme, dab unten auf dem Platze 





——— ———— —— ———— — — — — —— — — — —— ———— — FF — — 


—— — — — — 


— 


Fußgeher ſtehen bleiben und zu mir her— 
aufſchauen. Ich babe zuviel Geräuſch ger 
führt und muß eine Pauſe machen. Als 
die Leute endlich vorüber ſind, wandere 
ih weiter. Nun fommt aber eine etwas 
beichwerlihe Stelle. Der Thurm jpringt 
gerade über mir in einem Erfer hervor 
und der Blikableiter biegt fih unter 
demfelben nah außen, aber jo nahe au 
den Steinen, daß ich wie eine liege 
an der Stubendede hätte klettern müſſen, 
wenn ih nicht lieber umgelehrt wäre 
und meinen Weg, zwijchen zwei fteinernen 
Ungebeuern, einer Mulde empor über ein 
wahres Staub» und Sandmeer genommen 
hätte. Damit hatte ich den Vortheil, 
daß mir der Mond auf die Route jchien, 
während der Blitableiter-Aufftieg größ- 
tentheils im Schatten lag. Ich war jchon 
über dem Kirchendach und hatte bereits 
die mondbejchienenen Gebirge aller Haus» 
däcer unter mir. In einer Mauerfpalte 
ichredte ich Fledermäufe oder dergleichen 
auf, die eine Weile um das Gewände 
gaufterten. Es fam nun ein glattes, hohes 
Aufipringen von Pfeilern; wie eine Hate 
Hammerte ich mich in die Fugen, die 
Finger hielten feft, aber die Stiefel- 
fpigen waren zu plump, um einzugreifen. 
Ih ſchwang mich auf einen Löwenkopf, 
der die Gieß ableitet und zog das Schuh— 
werf aus, welches ih dem Unthier in 
den Rachen ftedte. Das Waſſer wird 
mir die Stiefel jhon hinabbringen. Nun 
gieng e3 wieder ein Viertelftündchen ganz 
bequem vorwärts, nur daß mich Die 
Fahnenftange bisweilen ein wenig in- 
commobdierte, weil ich mit derjelben linfs 
und rechts anitieß, jo dab ich fie mir 
ſtreckenweiſe ſenkrecht an den Rüden binden 
mußte, 

Um rajcher im die Höhe zu kommen, 
mußte ich mich endlich doch wieder an 
den Dligableiter machen, der aber ftellen« 
weile jo weit vom Mauerwerk abjtand 
und fo jpärlich mit Querjtangen befeftigt 
war, daß gerade dieſe Strede zu den 
ermüdenditen gebörte. 

Endlich gelangte ich zu einer Fenſter— 
iharte, in welcher ich bequem ausruhen 
fonnte. Bisher hatte ich nicht länger als 


eine Stunde und vier Minuten gebraucht. 
Das ſchien mir noch nicht an der Zeit, 
ben Imbiß zu nehmen, bejonder8 wenn 
ih an den großen Marſch dachte, den 
ih noch vor mir hatte. Nüftig Elimme 
ih in einem Rud an drei bis vier 
Klafter weiter, ala ih plöglih hart 
neben mir den Ruf höre: „Wer da?!“ 
Ih war am Fenſter des Thurmwächters ; 
raſch ſchwang ich mich über demfelben 
empor und antwortete nur: „Sch, der 
IhurmsDeder Bernhard bin’s, nichts 
weiter. Ih will mal bloß bis zur 
Spite hinauf und dem Oberbürgermeifter 
zu Ehren eine Fahne auffteden, weil ic 
den Mann jhon gar zu lieb habe.“ 

Der Wächter rief, ih follte um- 
fehren und bedrohte mich jogar, womit, 
das weiß ich nicht, weil ich ihm mittler- 
weilen ſchon aus der Gehörmweite war. 
Seht hub im Thurm ein gottsläfterliches 
Gerafjel an und die Glocke ſchlug halb 
zwei Uhr. Ich ftemmte mid an die 
Zeigerachie des Zifferblattes, nahm meine 
Ihwarze Haube vom Kopfe und band fie 
an die Spike des Stundenzeigerd, da- 
mit die Leute jehen follten, ih wäre 
auch dageweſen. Das war der Uebermutb, 
wofür ich ſpäter eigentlih ganz mit 
Recht vierundzwanzig Stunden lang ein- 
gejperrt worden bin. Es fteht nun zwar 
nit im bürgerlihen Geſetzbuch, daß 
man feine Haube nit an den Zeiger 
der Thurmuhren binden dürfe, aber bie 
Nader haben den Paragraphen wegen 
muthwilliger Gefährdung fremden Eigen- 
thumes auf mich gehetzt. 

Nun endlich bin ich bei der oberften 
BZadenfrone; ich fteige über die Quader— 
reifen empor und jebe mun vor lauter 
Binnen und Thürmchen, die um mich find, 
nicht mehr in die Tiefe. Hier kann ich 
nich niederlaffen und Wein trinken. Im 
Djten ziehen fih ſchon ein paar lichte 
Streifen des Morgens. Im ferneren 
Umfreife der Stadt jehe ich die Lichter 
der Straßenlaternen und den Schein der 
Fabriksſchlote. Dort und da erwacht der 
Lärm eines fahrenden Wagens. 

Nun voran den legten Rud! An 
einer der Rippen der Pyramide ſtieg ich 


71 


behaglich weiter und nach weiteren zwan— 
jig Minuten war ich an der Roje. Das 
war nım aber da3 ſchlimmſte Stüd. 
Unter der Roſe könnte bei Regen eine 
große Familie jammt Dienerjchaft bequem 
Dach finden. Es galt nun, meinen Strid 
über die Roje hinauf an einen jcharfen 
Vorſprung zu werfen, was erft nad 
einer Weile gelang. Jh faßte den Strid 
und wurde für's Erfte hinaus in die 
Lüfte geichnellt. Bald jedoch war id 
binangeflettert und ftand auf der Roſe. 
Nun noh ein paar Klafter den Hals 
binan zum goldenen Anauf; über dem- 
jelben mußte ih das zweite Mal den 
Strid zur Hilfe nehmen, bis ich oben 
ftand. Die Luft war ruhig, aber mic 
deuchte, ala jchwanfe der Thurm mit 
mir wie ein Baum, Da merkte ich wohl, 
ih müſſe mir eine größere Raft gönnen. 
Ih lehnte mich mit dem Nüden an das 
Thurmkrenz und hielt die Hand vor das 
Auge. Tief unten auf dem Domplage 
hörte ich Gefurre und ſah nun, daß fich 
viele Leute angejammelt hatten, welche 
zu mir beraufichauten. Von einem vierten 
Stod aus wurde mir durch ein Sprad- 
rohr zugerufen, ich jolle aushalten, es 
fäme Rettungsmannicaft mit dem Sprung- 
tuche. Da ftieg ich rajch das Kreuz hinan, 
am zweiten QUuerbalfen klammerte ich 
mih ein, mwidelte die Fahne los und 
band fie an Kreuz und Thurmſpitze feit. 
Ein leichter Wind ließ die Fahne im 
die Luft hinauswirbeln und das Morgen- 
rotb beleuchtete fie. — Auf demjelben 
Weg, den ich gefommen, trat ich ben 
Abftieg an. Zwei Punkte ausgenommen, 
wo ich wieder zum Seile meine Zuflucht 
nehmen mußte, gieng es ungleich mühe— 
lofer und rajcher al3 beim Aufjtieg. Um 
drei Uhr fieben Minuten bin ich auf 
das Pilafter des Domplages geiprungen, 
mitten hinein in ein Jubelgejchrei von vielen 
bundert Menjchen, wovon mich Einige um— 
armten und mir auf die Zehen traten. 
Mein erfter Blid war hinauf zur Spitze, 
wo das helle Fähnlein luſtig flatterte. 
Viele blicdten mit Operngndern hinauf und 
riefen: „Hoch der Oberbürgermeifter !* 
und umjnbelten mich immer von Neuem. 


Beſonders feierlihd aber nahmen mich 
zwei Wachmänner in Empfang, welche 
mi ſofort in eine Kanzlei führten. 
ort gings ernithaft ber, ich mußte 
meinem Namen, mein Alter und Gewerbe 
und was weiß ich fonft Alles angeben 
und eingeftehen, weshalb ich die Fahne, 
und zwar auf jo ungewöhnlichen Wege, 
auf den Thurm getragen hätte. 

„Ach Gott!“ ſage ich, „es ift weiter 
nichts. Ich habe eben unjern Herrn Ober» 
bürgermeifter viel zu gern.“ Darauf la— 
hen fie und laffen mich frei. Wie ich vor 
das Hausthor trete, umringt mich fchon 
wieder ein Menſchenſchwarm, wie ich bin 
— barfuß und barhaupt — heben fie 
mich in einen Wagen und führen mich 
mit Hurrabgeichrei durch die Stadt. 

„Das ift Schön,“ fage ih, „aber 
ein Frübftüd wäre mir lieber.“ 

Verſteht ih, das erfte Hotel war 
jur Ehre erlejen, den „Thurmhelden“, 
von welchem wie im Nu die ganze Stadt. 
wußte, zu bewirten. 

Und jo begann diefer Tag als der 
erjte einer Neihe von Freuden» und Feſt— 
tagen, die mir nun geworben waren. 
Ich fam aus dem Taumel gar nicht 
heraus, und heute, wenn ich daran dente, 
jehe ich wie durch verihwommene Augen 
zwei trabende Pferde vor mir, manchmal 
jogar vier, die mich in eleganter Kaleſche 
führen, jehe eine Menfchenmenge, die mir 
nit lautem Hurrah die Hüte und Taſchen— 
tücher zufäcelt. Sehe gededte Tafeln 
mit Silbergeihirr und Champagner ; 
jebe Zeitungen, Flugblätter, mit meinem 
Bildnis und der Beichreibung der „Hel« 
denthat*, wie fie's hießen; in allen Gaſſen 
und Straßeneden ift mein Bild ausge 
ftellt, es gibt „Bernhardhauben”, „Bern« 
bardfahnen“, „Bernhard - Opernguder“, 
und „Bernhardſtiefel“ nennen fie es, 
wenn Einer in puren Strümpfen geht. 
Auch Höre ich überall Muſik, fühle hef— 
tige Händedrüde, ja jogar Küſſe auf 
Mund und Wangen — und über Allem 
das Fähnlein auf dem Thurme, 

Nun kommen Befiger von Unterhal- 
tungslocalen zu mir, bieten mir Geld, 
wenn ich mich von ihren Gäſten anſchauen 


laffe; ja Einer will, daß ich mit ihm 
von Stadt zu Stadt ziehe, er wolle mich, 
den „waderen, hochgemuthen Thurmhel— 
den“, jehen laffen und bot mir Summen 
an, daß ich erfchraf. „Greif zu!” jagten 
meine Freunde, „jeßt wirft eim reicher 
Mann! Nutze aus Dein Glüd, brauchit 
Dein Lebtag niht mehr zu arbeiten!“ 

Ih ſchwamm in einem Meere von 
Seligkeit. Ja dachte ih, das ift freilich 
noch beſſer, als ein ſtädtiſcher Dom— 
Thurm-Dach-Decker zu ſein! Wer hätte 
gedacht, daß etwas, jo ich hundertmal 
gethban babe und im Fleiß und Arbeit 
nicht getragen hat, jebt, weil ich's heim— 
lih und unrechtmäßiger Weije vollbracht, 
mich zum berühmten, reihen Mann macht! 
Damals, als ih einem vom Thurm 
fallenden und am Wandvorjprunge hän- 
genbleibenden Arbeiter mit eigener Ge— 
fahr das Leben gerettet, damals hat 
ih fein Menſch um mich gekümmert, 
- bhente, wenn ich mich anjchauen laſſe, 
fliegt mir das Geld jcheffelweife in den 
Schoß. Mir kann's recht recht jein, ich 
bin entjchloffen, daß Glück beim Schopf 
zu faffen. 

Schon will ich die Verträge unter 
ichreiben, welche mir ein Tuftiges und 
lorgenfreies Leben eröffnen ſollen, als 
ein Vote vorſpricht, ſich  verfichert, 
dab ih der Thurmbeld Bernhard 
bin und mir einen Brief vom Ober— 
bürgermeifter überreicht. Mit zitternden 
Händen erbreche ich ihn, jegt wird wohl 
erit die Hauptjahe kommen, denke ich, 
und babe mich auch nicht geirrt. 


Der Oberbürgermeifter jchreibt:: 
„An Seine Wohlgeboren, 
den Herrn Joſef Berubard, 
bürgerlichen Thurmdecker, 
derzeit in F. 


Lieber Herr Bernhard ! 


Indem ich für Ihre mir darge: 
brachte höchſt originelle und gewiß 
wohlgemeinte Dvation bejtens danke, 
möchte ich mir erlauben, Ahnen einen 
Beweis meiner freundfchaftlichen Ge- 
finnung anzubieten, der meiner Achtung 


für Sie entipringt und den nicht miß— 
verftehen zu wollen ih Sie aufrichtig 
bitte. 

So jehr mich der Geburtstagsgruß, 
den Sie mir von jo hoher Warte zu« 
winken, wie auch das jchöne Zeugnis 
Ihres perfönlihen Muthes erfreut ha— 
ben, fo fann ich doch der Sorge nicht Herr 
werden, daß eben diefe Ihre muthige 
That Veranlaffung für Sie werden 
könnte, einen neuen Weg einzufchlagen, 
der wohl viel gefährlicher, als jener 
auf die Thurmſpitze unſeres Domes 
zu werden droht. Ich höre, dak man 
Sie durch Geld und Verſprechungen 
aus Ihrem ehrlichen Gewerbe heraus 
auf die Bahnen eines Abenteurerd 
foden will; ich möchte nicht, daß meine 
Perſon dazu die Veranlaffung werde 
und rathbe Ihnen in freundſchaäft— 
licher Weiſe, Ihrer bürgerlichen Arbeit 
treu zu bleiben, welche allein die dauer- 
haften PVortheile und wahren Ehren 
bringen kann. Wollen Sie ſtets als 
Ihren Freund betrachten Ihren 


Dr. M. Standert, 
Oberbürgermeifter zu F. 


Mißmuthig fchleuderte ich den Brief 
von mir. Natürlich, mit dem Glüde 
fommen auch die Neider. Ich ſehe nichts 
Unebrenhaftes darin, wenn ſich Einer 
als nachahmenswertes Beifpielvon Mannes» 
muth dem Volke zeigt und wenn das Vol 
den Mann aus freiem Antrieb honoriert. 

Schon am nächſten Abend war ich 
im Paradieje, wie da3 PVergnügungs- 
local der Vorſtadt heißt. Als ich, be 
gleitet von meinem Imprejario, durch das 
Hinterpförtchen jchlüpfe, fteht an die 
Mauer gelauert ein mir befanntes Mäd- 
hen. Das wirft mir einen Blid 
zu, der mich faft aus der Faſſung 
bringt, Aber ih bin Schmied meines 
Glückes und denke, mit allen bisherigen 
Verhältniffen muß jet gebrochen werden, 
Meinend wendet fie fich abjeits, ich trete 
in das Haus, Der Saal ijt überfüllt, 
und welcher Nrt das Publikum, das 
habe ſogar ich einfältiger Dachdeder auf 
den erſten Blid dur eine Bretterjpalte 


Pu 


73 


— — — 


erkannt. Als erſte Nummer erſchien eine 
Gruppe von „Volksſängern“, welche es 


Uebertretung ſchuldig gemacht, die beſtraft 
werden muß. Ich erinnere, daß Sie 


mit ihren gut geſalzenen Liedern dem verurtheilt ſind zu vierundzwanzig Stun— 


Publikum zu Danke machte. Hierauf fam 
eine üppige Seiltänzerin, die das, was 


das Lied vorhin mur ſchelmiſch angedeutet, 


zur Klaren Darftelung bradte. Die Zus 


ſchauer johlten und ftöhnten vor Ver— 


gnügen; 
— ein jo freches MWeibsbild bisher noch 
nicht geſehen. Plöglih, als fie ihre 


„Künfte* gezeigt, eilte fie unter Zurüd- 
laſſung de3 allergrößten Theiles Ihrer 
Garderobe hinter die Couliſſen, padte 
mih am Arm und wollte mi vor das 
Publikum zerren. Jetzt gehen mir bie 
Augen auf. „Schöne Dame,“ jage ic, 
„noch gehören wir Beide nicht zufammen!“ 
nehme Hut und Stod und verlafle das 
Local. Da ftehe ich lieber bei Nacht und 
Sturm auf der Thurmſpitze des Domes, 
als auf foldem Podium da drinnen. 
Von diefer Stunde an babe ich mich 
in der Stabt nicht mehr bliden laſſen. 
Die Fahne war vom Thurme amtlich 
entfernt worden; ich gieng wieder meinen 
Arbeiten nad, die fih freilich nun jo 
jehr mehrten, daß ich eine Anzahl Ge- 
bilfen nehmen mußte. Der Bürgermeijter 
jelbit kümmerte fih um meine Firma 
und griff mehrmals, wenn ich in meiner 
unpraftiichen Weiſe etwas Verkehrtes zu 
thun im Begriffe ftand, regelnd und för— 
dernd ein. Nun heiratete ich meinen Schatz, 
das war jelbiges Mädchen, welches am 
Piörtlein des Paradiefes ftand, an jenem 
Abend. Nun waren wir Beide darin, aber 
in einem anderen, al3 jenes mit ben 
Bänteljängern gewejene. Ein halbes Jahr 
nach unſerer Tramung fragte mich der 
Dberbürgermeifter, ob die Flitterwochen 
ſchon vorüber wären. In diefem Falle 
wäre er fo frei, meine Perſon auf vier- 
undzwanzig Stunden in Beihlag zu 
nehmen. „Es ift,“ fuhr er fort, „etwas 
Hohes um den Muth eines Mannes, es 
ift mir durch die Huldigung an jenem 
Tage etwas ſehr Schönes geichehen ; aber 
Sie, meiu lieber Meifter Bernhard, haben 
fih dur die eigenmächtige und uner— 
laubte Erkletterung des Ihurmes einer 


den Arreſt.“ 


Im Erker. 


ih hatte — aufrichtig geftanden | Vier Fenfter und zwei Yenfterlein 


hellen dieſe Stube mein, 
Darunter blüht der Garten, 


| Ten treue Hände warten, 


| Bor meinen Erler Spielt ſich ab 


Das Schaufpiel: „Bon der Wieg’ zum 
Brab’*, 
Das Großes mit dem Kleinen 


Zum Bunde weiß zu einen. 


Sie ahnen nicht, daß von der Höh’, 
Ich all ihr Thun und Treiben ſeh', 
Ich fit’ da, wie „Bott Vater“ — 
Bon ferne ihr Berather, 


Wär’ ih da unten, mitten d’rinn, 
Gleich ihnen mit bewegtem Sinn, 
Ich wär’ der Ihren Einer, 

Ein Schuld’ger, obgleich reiner. 


So aber hat e3 Keiner adt, 
Daß ih vom Erker fie betracht', 
Unfihtbar jelbft mitleidend, 
Mitfreuend, doch fie meidend, 


So dunk' ich mich der Fels im Meer, 
Die Flut beherrichend weit umher — 
Die Wogen mögen branden, 
Nicht Eine fann da landen. 

Ludwig Foglär. 


Mein Herz, das farb in diefer Hadıt. 


Ich fand im diefer Nacht Dein Bette leer. 
— „Beim kranken Kinde hätteft Du gewacht.“ 
Ich hab’ gelobt Dir Liebe bis zum Tod; 
Mein Herz, das ftarb ın diefer Nacht. 


Die Stunden, da das Kind allein verſchmacht', 
Hat fie bei einem fremden Mann verbradt. 
Ich Hab’ gelobt ihr Liebe bis zum Tod; 
Mein Herz, das ftarb in diefer Nacht. 


Gin Särglein für mein Herz und fr mein 
Kind 


ind. 
Und in der Jasminlaub’ ein glüdlih Paar! 
ALS Gott, der liebe Herr, das Weib erſchuf, 
Ob er wohl aud bei Trofte war? 

A. 3. 


74 


Das größte Leid, 


Ein Märden von Emil Erti.*) 


und ſprach: „Du guter Pechbrenner, kannſt 
Du mir nicht den Weg zeigen, der aus 
diejen finftern Walde binausleitet ? Denn 


Es war eine Mutter, die liebte ihr | ich fürchte mich ſehr, daß mir die Liebe 


Kind nicht. Und als es berangewachjen 
war, rief fie es zu fih und ſprach: „Ich 
bin arm und fann Dir nicht länger zu 
eſſen geben. Geb hinaus in die meite 
Welt und fieh, wie Du fortkommſt.“ 


Als aber das Mädchen herzbrechend 


hier begegne oder ein anderes Ungemach.“ 

„Die Liebe?“ fragte der Pechbrenner; 
„was iſt die Liebe?“ 

„Die Liebe,“ erwiderte das Mädchen, 
„iſt das größte Leid.“ 

„Ich habe die Liebe nie in dieſen 


zu weinen anfing, fühlte ſie doch ein Wäldern geſehen,“ ſagte der Pechbrenner. 


wenig Mitleid mit ihm und ſagte: „Das 
Einzige, was ich Dir auf den Weg mit— 
geben kann, iſt eine gute Lehre. Fürchte 
die Liebe und flieh ſie, wo Du kannſt, 
denn die Liebe iſt das größte Leid. Das 
weiß ich gut, weil ich einſt Deinen Vater 
geliebt habe; der war ein gottverlaſſener 
Mann und ftieß mich aus feinem Haufe. 
Es iſt schon lange ber, und ich hab's 
verwunden. — Das Letzte aber, was 
mich noch an ihn erinnert, das bis Du.” 

Damit nahm fie ihr Kind bei der 
Hand und führte es hinaus, Dann ging 
fie in ihre Hütte zurüd und ſchob den 
Niegel vor die Thür. 

Das Mädchen wußte nicht, was es 
anfangen jollte, umd fchritt mweinend in 
den grünen Wald hinein. Weil der grüne 
Wald aber fein Ende nahm, jo irrte e3 
fieben Tage und fieben Nächte darin um— 
ber und ftillte feinen Hunger mit ſchwarzen 
und rothen Beeren, und ftillte feinen Durft 
mit den Thautropfen, die des Morgens 
an allen Blättern hingen. Nachts famen 
die heulenden Wölfe; aber das Mädchen 
klatſchte in die Hände, da liefen fie fort. 

Am achten Tage wurde der Wald 
ſehr finfter, und dem Mädchen Elopite 
das Herz, da es Schritte im dürren 
Laube rajcheln börte, Als fi aber die 
Büſche theilten, ftand ein hochgewachſener 
Mann vor ihm, der ein längliches Fäß— 
hen umgehängt trug, um Harz darein 
zu fammeln ; denn er war ein Pechbrenuer. 

Das Mädchen freute ſich ſehr, daf 
e3 wieder ein menjchliches Weſen erblidte, 
ſchaute bittend zu dem Manne hinauf 





*) Aus deſſen „Liebesmärden*, (Reip: 
zig. A. ©. Liebestind, 1886.) 


„Aber komm mit mir in meine Hütte, dort 
will ih Did Dein ganzes Leben lang 
vor der Liebe beichügen und vor allem 
andern Ungemad. Denn Du bift ein 
herziges Mädchen, und ich bin Dir gut.“ 

„Du freundlicher Mann,“ jagte das 
Mädchen, „ich möchte auch mein ganzes 
Leben lang bei Dir bleiben, denn in 
Deiner Nähe wird mir jo froh und wohl 
zumuthe, wie jonft nicht.“ 

Sie fühten fih auf den Mund und 
gingen zu feiner Hütte, Und das Mäd- 
hen ward des Pechbrenners Weib, 

Die Deiden wurden aber jehr glüclich 
mit einander, obgleih fie hart arbeiten 
mußten und jo arm waren, daß fie oft 
tagelang nichts Anderes zu effen hatten, 
als die Veeren des Waldes. „Zuſammen 
trägt fih auch das Schwere leicht,“ fpra- 
hen fie zu einander; „und jo lange uns 
Gott nicht die Liebe jendet, jo lange ift 
Alles gut.“ 

Nachdem eine Zeit verjtrichen war, 
befamen fie einen kleinen Knaben, den 
nannten fie Schmerzenstind, denn er war 
unter vielen Schmerzen geboren worden. 
Sie freuten fi beide unſäglich über den 
Knaben, und der Pechbrenner näbrte ihn 
mit Ziegenmild, denn die Mutter war 
iterbensfrant. Der Pechbrenner aber 
pflegte fie bei Tag und bei Nacht. 

ALS fie nun ſehr Schwach wurde und 
der Mann zu weinen begann, weil er 
glaubte, er müßte fie verlieren, da that 
fie den Mund auf und jagte: „Weine 
nicht, Trauter! Mein Leben an Deiner 
Seite ift glücklich geweſen, denn ich babe 
nie erfahren, was die Liebe iſt. Dir aber 
bleibt noch unfer Schmerzenstind, wann 
ih todt bin.“ 


er 


7 


* 


5 


Sie ftarb aber nicht. Denn er pflegte | den Himmel! Kommt nur gleich mit mir, 
fie jo treu und warm, daß fie wieder | daß ich Euch binausgeleite, ch der liebe 


gejund wurde, 

Nahdem abermals eine Zeit ver- 
ftrihen war, wurde Schmerzensfind jehr 
frant und ftarb. Sie begruben e3 im 
Walde und pflanzten Blumen auf das 
Grab. Als fie lange gemeint hatten, 
trodnete der Mann feine Thränen und 
ſprach: „Weine nicht mehr, mein treue 
Weib, denn wenn auch Schmerzenstind 
todt ijt, jo haft Du doch mich, und ich 
babe Dich. Lak uns vielmehr dem Tieben 
Gott danken, daß er uns bislang vor 
dem größten Leid bewahrt hat, vor der 
Liebe.“ Da trodnete auch die Frau ihre 
Thränen, und die Beiden fielen einander 
um den Hals und küßten fih auf den 
Mund, 

&o lebten fie noch viele, viele Jahre 
mit einander und waren jehr glüdlich 
in ihrer Armuth. Wann ihnen jedoch ein 
Ungemach wiberfuhr, jo jchauten fie ein- 
ander nur in die Augen, und eine ftille, 
friedliche Glückſeligkeit kehrte fogleich in 
ihre Herzen ein. 

Nachdem fie aber alte Leute geworden 
waren, empfanden fie eine große Müdig— 
feit. Und eines Tages legten fie fich auf 
ihre Blätterftreu, drüdten einander noch 
ein letztes Mal die Hand und ftarben. 
Als fie über die MWolfenftufen in 
den Himmel gelangt waren nnd den 
lieben Gott erblidten, knieten fie nieder 
und beteten. Es fam aber gerade der 
heilige Petrus gegangen, und da er die 
beiden Alten vor Gott knieen jab, redete 
er fie an und ſprach: „Ihr guten Leute, 
was wollt Ihr denn bier? Ich hab’ Euch 
ja gar nicht gejeben, wie Ihr berein- 
gefommen jeid !* 

Da erwiderte der alte Pechbrenner: 
„Heiliger Petrus, wir möchten nur dem 
lieben Gott Dank jagen für unfer Leben 
auf Erden, weldes weitaus glüdlicher 
war, al& das Leben vieler anderen Men- 
jhen. Denn das größte Leid, die Liebe, 
haben wir nicht gekannt,” 

„Ei, ei,“ rief der heilige Petrus 
erichredt, „Ihr habt die Liebe nicht ge 
fannt? Da gehört Jhr ja gar micht im 


Gott Euch erblidt.“ 

Kaum hatte er das gejagt, jo wandte 
der liebe Gott jein Haupt und fragte: 
„Petrus, warum bift Du jo jehr er- 
ihroden ?* 

„Ach Herr,“ ſprach der heilige Petrus, 
„es Find bier zwei Menjchenkinder, welche 
in ihrem Erdenleben die Liebe nicht ger 
fannt haben; die will ih hinausweiſen, 
denn fie gehören nicht in den Himmel,“ 

Wie der liebe Gott das hörte, er» 
ſchrak er ſelbſt in feinem Herzen, daß 
ſolche Menjchen in den Himmel ger 
fommen wären, Als er aber genauer hin- 
jhaute und den alten Pechbrenner mit 
feiner Frau erfannte, da lächelte er, daß 
es durch den ganzen Himmel leuchtete. 

„Lieber Petrus,“ jagte er, „geb nur 
an Peine Himmelspforte und laß bie 
guten alten Leute bier, denn ich fenne 
fie genau. Sie jollen ſich an meine rechte 
Seite ftellen und mit dem Chor der Engel 
meiner Herrlichkeit lobfingen. * 


Win der Odam s Bodrunfabetn 
hot glernt. 


Wia da Goud Voder in Paradeis 
in Odam daſchoffn hot ghobb, do jogg 
er zan Odam: „Ddam, zan a jchuldiga 
Donfjogung julft ma biaz an Vodrunſa 
betn.“ 

„Jh?“ jogg der Ddam, „Vodrunſa 
betn? Bodrunja betn fon i mit.“ 

„Wos?“ fogg da Goud Voda, „Du 
font n Bodrunja nit? Du mwillft in 
Leutn eahna Stomvoda wern und font 
n Vodrunfa nit? Du Schlanggl Du, 
mih zimbb, Dir gehts z guat. Du bift 
nob fa Noth ine worn, und d Noth lehrt 
betn! — Leg Dih nieda !* 

Der Odam legg ſih nieda, draht 
ih umd renzt ſih a Weil und aft is er 
zichlof kema. 

Noch a Meil, wir er munter is 
worn, ſtehts Weibsbild do. Af da Stell 
follt in Odam da Bodrunfer ein und 


füfti bet’t ern ber nochanonda, bis zan) des Winters draußen und des heinteligen 


erlöje uns von Uebel An. 


Erklärung: Vodrunjabetn: Vater: | 


unjerbeten. mih zimbb: mid dünft. 
renzt fi: ftredt ſih. 3 Ihlof fema: 
eingeihlafen. Lüfti: geläufig. 


Bider. 


Liebesmärden von Emil Ertl, Leipzig. 
Verlag von U. ©. Liebestind. 1886. 

Märchen zu ichreiben ift beinahe wider 
die Zeit. Die Kleinen wollen nicht mehr jo 
naiv fein, an jo etwas zu glauben, und 
wer liest fie dann noch, außer bie und da 
in einfamer MWaldandadt ein verliebtes 
Mädchen oder ein fi ganz langmweilendes 
Mannesgemüth? Aufein ſolches Minimunt, 
denft man, mülſſe fi im „eifernen Seit: 
alter” die Märchenlejerichaft reducieren, un: 
gefähr wie die Liebhaber von Gedichten. 
Nichts deftoweniger ift foeben wieder ein 
Buch „Liebesmärdhen* erſchienen, in felten 
jhöner Ausftattung mit dunkelroth und 
gold’nem Einband, alterthümlihem Drud 
und überaus hübjchen Bildern und Zeich— 
nungen. Den Stoff bat die Liebe her: 
gegeben. In halbem Gewand fitt auf dem 
erſten Bildchen eine lächelnde Märchenmuſe 
mit Buch und Schreibſtift und hört zu, 
wie ihr der leicht beflügelte Amor — er 
lann nicht ſein ohne Schmetterlingsflügel 
— Geſchichten in's Ohr erzählt; eine Para— 
bel nach dem Beiſpiel des Gil Blas und 
zehn „Liebesmärchen“ folgen einander dann 
in dem Bude. Und „wem e3 im Kerzen 
klingt und wiederhallt, der baut ſich dankbar 
aus unjheinbarem Ecalle ein hohes Lied," 
heißt es in der Parabel, Tod ift der 
Schall nicht jo unfcheinbar und unbedeu: 
tend, Das ſchönſte der Märden ift das 
„Dornröschen,“ das dritte; es ift eine Um: 
deutung des allbelannten, herrlichen deutſchen 
Voltsmärdens und erzählt von einem jun: 
gen Mädchen, wie fein Herz traumhaft ver: 
loren war, ehe es feine Liebe recht ahnte; 
wie fie träumte und ihr etwas fehlte und 
fie dod von nichts wußte, und wie fie mit 
Weinen, Laden und Jauchzen erwadte, da 
fie an des geliebten Mannes Bruft lag. 
„E83 war ihr, er babe fie aus einem tiefen, 
tiefen Schlaf erwedt. . . . .“ Das ift das 
wertvolljte Sttid des Heinen Werkes, und 
Ertls eigenthümliche Begabung tritt darin 
am beften hervor. Ein wenig Humor und 
viel echte Poefie find in das Ganze ver: 
webt, und der Märdenton nirgends jo voll 
getroffen, wenn ſich auch nicht gerade viel 


Wunderbares im „Dornröschen“ begibt. Es 


ſtimmt Alles zuſammen, die Schilderung 


Spinnſtubenlebens, wie der Peter neben 
dem Rocken der Hirtenrojel fit und fie ſich 
in den Finger ftiht, und wie fie Später im 
Sommer in die Berge zieht mit ihrer Herde 
— das ift jo anmuthig geichrieben, wie der 
Gedante anmuthig ift, in den es ausgeht. 
Von den andern Märden wird wohl das 
' „Scheune Reh“ am meiften gefallen, die Ge- 
schichte von der Königstochter, welche ihres 
| Baters zorniges Wort in ein Reh verwan: 
delt hat und welde ein armer Jäger er: 
löst, der ihr einen Pfeil ins Herz jchiekt. 
Auch da bricht die Liebe dur, die überall 
den bald hellen und bald dunfeln Hinter: 
grund bildet; und dak dermaßen ein tiefer 
Gedante die Ertl'ſchen Märhendichtungen 
durchzieht, gibt ihnen einen angenehmen 
Borzug vor den Baumbach'ſchen, mit denen 
fie in anderen Beziehungen mande Aehn— 
lichleit haben. Wogegen ihnen freilich wieder 
der reizende, feine Schimmer von Jronie 
und der moderne Zug fehlen, welche Baum: 
bad) auszeichnen und ihn fo populär ge: 
macht haben. Ein drittes Märden handelt 
von „König Bitterwurzel,” der, ein unter: 
irdiſches Gezwerg, ein Erdenmädden geraubt 
hat, ihrem Liebften Hannes aber heraus: 
geben muß, als fih Sonne, Mond und 
Sterne gegen ihn verbündet zu haben jdhei: 
nen. Bitterwurzel enthält eine richtige 
Märcenidee in dreifader Steigerung mit 
Glück durdgeführt, und erinnert nur eimas 
an Baumbads „Zirbel.* Das „größte 
Leid," ) die „Dimmelsihlüffel* und „Dujel: 
dumm und Nugentroft* find rührende Hin: 
dergeihichten, hinter denen, wer fih Mühe 
gibt, doch aud mehr als einen feilelnden 
Gedanlen finden wird, Zu tragiiher Höhe 
indeſſen erhebt fih der Schmied in dem 
„Herz aus Eijen” Der Mann hatte ſchwe— 
res Weh in feinem Leben erfahren und 
fih ein eifernes Herz geichmiedet, um 
gegen alles Elend fühllos zu werden, 
und ſich's von einem Alten einjehen 
lafien ftatt des feinen. Doch daß er feinen 
Schmerz mehr empfinden fonnte, darüber 
fam er fi endlich jo verdammt vor, daß 
er fih an einem Baum im Walde er: 
bentte. Der Alte — der Teufel — hatte 
ihn fein Herz nicht wiedergeben wollen, 
Was er nun zu demjelben von feiner Sehn: 
ſucht, zu leiden, fagt, vom Schmerz und 
den Thränen, von Leid und Mitleid, die 
das Leben treu begleiten, find Worte von 
ergreifender Gewalt, über denen man ver: 
geilen muß, daß fie in die einfache, naive 
Märdenftimmung nicht hineinpaſſen. Das 
Märchen bietet im allgemeinen wenig Ge: 
legenheit, Charaktere zu zeichnen, und umſo 


— 


*) Wohl eines der ſinnigſten Stüde. 
! Die Rev. 


fräftiger padt einen die Geftalt dieſes | eines Patrioten und in der freiwilligen Er: 
Schwiedes, der unter den Königen, Zwer- | gebenheit eines freien Mannes einem hoch— 
gen und Dorfmädchen wie aus einem rie- | finnigen Denker und edelmüthigen Fürſten 
figen Granitblod gehauen dafteht. gegenüber gezeichnet wird. fern don der 

Mitunter Mlingen die Ertl’jchen Märchen | modernen Schmeichelei, die von dem Ge: 
auch an Leander'3 „Träumereien an frans | feierten jelbft nicht ohne Ironie empfunden 
zöfiihen Kaminen” an. Allein fie find im: wird, die oft Verdienfte vergöttert, deren 
merhin das Werk eines unabhängigen | Borhandenjein vom Dichter ſchwer erwieſen 


Kopfes von nicht gemeinem Beift und mit 
ihrem oft prächtigen Inhalt und dem wun— 
derhübichen Kleid, das ihnen der Berleger 
Liebestind und fein Zeihner Kunz Meyer 





werden fönnte, tritt uns in diefen jchlichten 
Liedern des großen Drientaliften, des 
„legten Claſſilers,“ wie Beyer ihn nennt, 
eine brave, kerndeutſche, ungeheuchelte Be: 


gegeben, wert gefauft zu werben. Daß | geifterung für ein erlauchtes Geſchlecht und 
fie nit unbeadhtet vorlbergehen werden, | deſſen berühmtefte Söhne entgegen; eine 
dürften aud die Borlefungen von Le: | Huldigung, die um jo wertvoller ift, als 
winsfy dargethan haben, der fie nod | fie vom Dichter felbft niemals ins Licht der 
vor ihrem Erſcheinen beinah alle in Wien, | Deffentlichleit gebradt wurde, heute aljo 


Graz, Linz u. ſ. w. an jeinen lite 
rariſchen Abenden gelefen und einen jchd: 
nen Erfolg mit ihnen erreicht hat. Eine 
andere Frage ift es, wie lange fie ihre 
Zeit überdauern merden. Der moderne 
Menſch ſteht auf feinem Märdenboden mehr, 
das Jahrhundert ift im der zarten und 
innigen Märdengemüthlichleit ſozuſagen 
nicht in feinen Element, und es fann darum 
dem Dichter diejenige findlide Stimmung 
nicht mehr verleihen, die aus den unnach— 
ahmlihen Grimm'ſchen Hausmärden jpricht. 


| Berzogs Ernſt I. 








Inur ein Bermädtnis bildet, das Fürft und 


Dichter ehrt. Wir begrüßen dieſes Bud 
um jo freudiger, als es uns die Geftalt 
von Sadjen:Eoburg: 
otha in dem vollen und reinen Glanze 
eines jelbitlofen, muthigen Mannes, eines 
freifinnigen Regenten, eines hochbegabten 
Beiftes zeigt. Neben dem Sterne von Wei: 
mar, der Sonne von Wittelsbach, dent 
ftrablenden Geftirn der Hohenzollern, wird 
die Muhmesgeihichte des deutihen Bolfes 
immer mehr und mehr auf diefen Licht: 


Ein joldes Meifterwerl braucht jeine Zeit. |glanz meifen müfjen, wenn fie wahrhaft 


Ertl — ein junger öfterreihijcher, in Graz 
lebender Scriftfteller — bat lange die 
Abſicht gehabt, einen groß gedachten Roman 
zu verfaflen, zu welchem das Elend auf 
Erben den Vorwurf geliefert hätte, und in 
weldem die moderne Weltanidauung — 
e3 ift feine peffimiftiiche - - in einige Bände 
jufammengedrängt wäre. Un den großen 
Greignifien und aus den Charalteren der 
Gegenwart heraus würde fi die Handlung 
entwidelt haben, Will Ertl nicht zu diejem 
Fauſtiſchen Thema zurüdtehren? Er hat in 
einem, vor einigen Jahren erjchienenen 
Märden „Abdéwa“ eine nicht bedeutungs— 
loje Vorarbeit dazu gethan, und wer weih, 
ob er mit der gewaltigen Welt der That: 
fahen nicht no mehr anzufangen wüßte 
als mit den Phantafien jeiner Märchenfee, 
Wien. K.N. 


Zriedrih Rüchert und das Hegentenhaus 
von 8. Coburg:Gotha, von Prof. Dr. E. 
Beyer. Stuttgart. Drud und Berlag von 
Greiner und Pfeiffer, 1886. 


Es ift eine warm empfundene „pietät: 
volle Studie, die uns der verdienftvolle 
Berfaffer der „Deutſchen Poetil* in diefem 
Buche darbietet. Intim und neu, eine an— 
heimelnde Ueberraſchung aud für den 
Kenner Rückert's, der uns hier von feinem 
bewährteften Interpreten im jchönften Lichte 








und dankbar jein will, 
franz Keim. 


Heimatskunde von Aärnten, (Klagen: 
furt. F. v. Stleinmaper.) 


Edmund Aelſchker, Profeffor an 
der Sllagenfurter Oberrealjchule, der Ber: 
fafler der „Geſchichte Rärntens von der Arzeit 
bis zur Gegenwart‘ (1885), übernahm die 
Darftellung des hiftoriichen Theiles der Hei: 
matölunde, während Herr Joſef Palla, 
BProfefior an der Lehrerbildungsanftalt da— 
jelbft den geographiihen und ftatiftifchen 
Theil der Bearbeitung unterzog. 

Die Perjönlichkeit diefer beiden Auto: 
ren ift Gewähr dafür, daß das Bud feiner 
Beftimmung entſprechen werde. Es joll nicht 
nur zum gründlichen Unterrichte in der 
Heimatsfunde an den Mittelſchulen und der 
Lehrerbildungsanftalt des Landes beitragen, 
den Stoff für heimatsfundliche Belehrungen 
an unfjeren Bolls: und Bürgerſchulen lie: 
fern, ſondern au ein Familienbuch wer: 
den, au8 dem jeder Kärntner das Willens: 
wertefte aus der reihen Gejchichte feines 
KHeimatlandes und über die geographiſch— 
ftatiftifchen Verhältniſſe desjelben zu ſchöpfen 
vermag. V. 


78 


&h. de Quinteys Bekenniniffe eines Opiums 
effers, deutih von 2. Otimann. (Stuttgart, 
Verlag von R. Zus, 1866). 

.... das. Buch jchildert die Entzückun— 
gen der Opiumnarkoſe mit lebhaften Far: 
ben und großer ftiliftifcher Ausdrudsfähig- 
feit. Es liest ſich außerordentlich ei ai 


Ein fonniger, feinjatirifher Humor 
lat uns aus der Erzählung: Der verzau— 
berte Apfel von H. Bauer (Stuttgart, 
Rob. Lug) entgegen. In dem MWerfchen er: 
fahren wir die Leiden und Drangfale eines 
jungen Seminariften, der, in eine kleine 
Evastochter verliebt, plöglich jeine Carriere 
unterbreden muß und in die Welt hinaus: 
flüchtet, um fpäter in einer etwas jeltfamen | 
Wandlung ein Hamburger Bürger zu wer: | 
den. Das hübſche Bud) darf als eine der 


| der allerort3 graffierenden Dichteritis u. ſ. w. 
ı Die mwibigen Saden treffen den Nagel 
| zumeift auf den Kopf und leſen ſich jtets 
‚anmutig. Xiteraturfreunden befonders fann 
das Büchlein empfohlen werden, M. 





! 
| Bulgarien und das Fürftendrama zu 
Sophia ftehen im Vordergrunde der Ereig: 
niſſe, die alles Interefje für fih in An— 
ſpruch nehmen. Es muß daher Jedermann 
erwünſcht fein, über Land und Leute diejes 
‚ Ballanftaates Näheres zu hören, Handel 
‚und Wandel dajelbft kennen zu lernen, um 
den Greigniffen mit Verftändnis folgen zu 
können. Das in U. Hartleben’3 Berlag in 
Wien erjcheinende Prachtwerk „Zwiſchen 


| 


Donau und Kaufafus“ (25 Lieferungen), 


wird das Balfangebiet berühren, die neuefte 
und erihöpfendfte Darftellung Bulgariens 
und feiner Bewohner bringen, die ſchon die 


ökli i is |. — 
ergoͤtzlichſten Erſcheinungen unſerer Tomi jungſten Ereigniſſe mitberückſichtigt und dem 


ſchen Literalur der neueſten Zeit bezeichnet 
werden. 


Bliche in das Menſchenleben. So nennt 
ſich ein größeres bei Fr. Frothermel in 
Schaffhauſen erſchienenes Werk von Dr. 
Eduard Reich. Dasjelbe enthält höchſt 
lehrreihe Abhandlungen über die menſch— 
lien, befonder8 modernen Leidenjchaften, 
Rafter und Verbrechen, ſowie Winte zu 
deren Heilung und Verhütung. Alles, was 
den Eulturmenfhen bewegt, erhebt und zu 
Grunde richtet, ift an der Hand der Sta- 
tiftit behandelt; realiftifh mie ethifch ift 
das Werk vertieft und mit Ausſprüchen be— 
deutender Männer und Fachgelehrten er: 
härtet. Bon Standpunft des Arztes, des 
Nichterd und des Philofophen wird der 
ganze Menich aufgededt; kaum eine geheime 
Falte jeines Weſens bleibt verhüllt, In 
diefen treuen Spiegel zu bliden, mag Sei: 
nem jchaden. Er wirft viel Herbes zurüd, 
aber die Wahrheit ift aud etwas wert, 
Und die Abficht, zu rathen, zu beffern, macht 
das Buch zu einer guten That. M. 


Zeitgloſen. Eſſays, Plaudereien, Sa— 
tyren von Emil Peſchkau. (Leipzig. W. 
Friedrich.) 

Das Buch iſt ein Sammelwerk von 
Feuilletons, aber von guten Feuilletons, 
von ſolchen, die Uber den Tag hinausreichen 
und die Zeit angehen. Da ift die Rede 
vom Beitalter der Poſtkarte, von der Un: 
finnigfeit unferer Kleidung, von der Mode, 
von Kunft und Erziehung, von Büchern 
und Beitungen, von Redacteuren, Dichtern, 


| Werte fomit den actuellften ECharafter ver: 


leiht. Das mit mehr als 200 Illuſtrationen 
ausgeftattete Wert behandelt die gefammten 
' Kuftenländer des Schwarzen Meeres, Süd: 
rußland, den Kaukaſus, die afiatiiche Türkei, 
‚und die Baltanländer, die es in anziehen: 
den, lebensvollen Bildern bejchreibt. V. 


| Die dreizehnte Auflage von Brodhaus’ 
Gonverfations-Lezikon naht fih mit raſchen 
‚ Schritten ihrer Vollendung. Mit dem joeben 
erijchienenen 210. Hefte wurde der vierzehnte 
Band abgeihloffen. Er endet mit dem 
Artikel Spahis und enthält die große Zahl 
von 6425 Artikeln; in der vorigen Auflage 
‚hatte der entjprehende Band deren nur 
2248, mithin bat eine nahezu dreifache 
Vermehrung ftattgefunden, Nicht minder 
umfaſſend find die Bereicherungen, melde 
dem Inhalt der einzelnen Artikel zutheil 
geworden. Dies tritt namentlih hervor 
‘auf dem Gebiete der Staatengeſchichte und 
‚im Bereich der Statiftif: die innere und 
äußere Geſchichte Rußlands, Sacdjens, 
ı Schweden, der Schweiz, Serbiens reicht 
bis auf die letzten Tage herab; aud der 
Serbiih:Bulgarifche Krieg von 1885 findet 
ſchon eine zufammenhängende Schilderung 
nad den beften Quellen, und alle ſtatiſti— 
ſchen Zahlen beruhen auf dem Refultat der 
neueſten officiellen Erhebungen. Reich ver: 
‚treten ift die zeitgenöſſiſche Biographie. 
F 





In der Zeit der allgemeinen Publi— 
eiſtik iſt es zweifellos ein glücklicher Ge— 
danle, auch der lieben Jugend eine periodiſche 


79 


Zeitihrift zur Anregung und Belehrung Bruder Erik, Erzählung von J. Her: 
zu bieten, und zwar um fo mehr, wenn loßſohn. 

dazu das neutrale Gebiet der Muſik gewählt Schutt, Dichtungen von Anaftafius 
wid; Wine. Jolie Wufpabe Sek A en leramnn or nngt 2 
neues Unternehmen geftellt, das fich in erfter 3: 

Nummer unter dem Titel „Mufikalifhe Zu: EIN Reg zungen en 
gendpoſt,“ Berlag von PB. 3. Tonger in ** u \ ne et 
Köln, uns präjentiert. Der Inhalt ift ein | Der Götterhimmel der Germanen. Von 
jo friſcher und anmuthender, daß wir diefe Ferdinand Schmidt. (Wittenberg, R. 
Zeitſchrift empfehlen lönnen, v. Herroſé.) 

Altdeutfche Weifen aus dem 12, bis 17. 
Jahrhundert. Urtert und Uebertragungen 
, von Ernft Moſer. (Brünn, Friedr. Irr— 

Dem Heimgarten ferner zugegangen: | gang. 1886.) 

Bighelife. Von B. v. Suttner (Min: Gedichte aus der Heimat und aus Ita— 
den. Otto Heinrichs. 1886.) lien. Von 5. 9.0. Weddigen. (Norden. 

Früdte der Erkenntnis. Neues Novellen: 9. Fiſcher Nachfolger. 1886.) 
buh von Ostar Welten. (Berlin. W. Orgien und Andahten. Dichtungen von 
Ißleib.) Ernſt Wechsler. Leipzig. Wilhelm 

Aus Herrn Walters jungen Tagen. Eine Friedrich.) 

Geſchichte aus Defterreihs Vorzeit von Pihtungen von John Henry Mackay. 
Bictor Wodiczka. (Reipzig. H. Haeſſel. (Münden. Otto Heinrichs. 1886.) 
1886.) Grammatiſche Analyfe des niederöfter- 

Auf treuer deutfher Wacht. Eine Er: reichiſchen Dialerles im Anſchluß an den 
zählung aus den nationalen Leben der | YJ, Gejang des Roanad. Mit ausführlichen 
Deutihböhmen von Wolfgang Sqild. | Naciglagebuc von Dr. Hans Wili— 
(Leipzig. Oslar Keiner.) |bald Nagl. (Wien. Karl Gerold's Sohn. 
Einblicke durch Fenfter, Thür umd Dad) | 1886.) 
in das Innere des Menden. Eine Quin— Aniverfalbibliothek der bildenden Rünfte, 
teſſenz von Beobadtungen und Forſchungen. Nr. 1-9. (Leipzig. Bruno Lenner.) 


DEE FOBnlen, al, PERL Maget; Naturkundliche Yolksbilder von 2. Bu- 


David u. U. m. Bon Fr. Seidel. (Weis: h u 
RR : femann. 1—16. (Braunschweig. Friedrich 
mar. Friedrih Voigt. 1886.) Wicses und Eofn,) 


Zufinus Rerner und die Seherin von / : ’ E 
Prevorft. Yon Carl du Prel, un einer Dierundfiebzigfler Dahresberidt des fleier- 


i märk. landfdaftlihen Boanneums zu Graz. 
DD Serge un irn Een Ueber das Jahr 1885. Herausgegeben vom 
bude von Gabriel Mar. (Leipzig. Th. Steiermärkfiihen Landesausſchuß. (Graz. 
Grieben's Verlag. 1886.) —— DEE 

i rajer Schreibkalender für ‚Mi 
m — — Win. Illuſtrationen. 103. Jahrgang. (Graz. Ley— 
(Leipzig. J. J. Weber.) kam.) 

Karpathenlieder von Ludwig v. Kartok. Der Volksbote. Ein gemeinnütziger Bolfs: 


Erinnerung an die ungarifchen Alpen. Den | talender auf das Jahr 1887. 50. Jahrg. 
Magparifiien —— er Adolf (Oldenburg. Schulze'ſche Hofbuchhandlung.) 


Silberſtein. (Budapeſt. Franklin-Verein. Siegfried. Illuſtrierter Kalender für 


1386.) 1887. Herausgegeben von P. F. Krell. 
In der Geifblattlaube. Ein Märden: | (Stuttgart. Guſtav Wieſe.) 
ftrauß ım Garten der mütterlichen Freun—⸗ Fromme's Oeſterreichiſcher Mädchen · 


din Joſephine Scheffel. Gewunden und Ralender, redigiert von Gabriele Sil: 
ergänzt von Alberta von Freydorf. |jardt, Mit Porträt Ihrer k. 1. Hoheit 
Mit Porträt und Handjhriftprobe. (Dress | Frau Kronprinzeifin Erzherzogin Stephanie 
den. 2.2. Meinhold und Söhne. 1886.) und Töchterchen. 


Erinnerungen an Dr, Bofef Victor von Kalender des deutſchen Schulvereins au 
Schefſel. Erlebtes und Erfahrenes von Geb⸗ das Jahr 1887. aller von Ada el 


hard Zernin. (Darmftadt. Eduard Zer- Müller: Guttenbrunn. (Wien. K. 


nin. 1886.) Fromme.) (Das ganze Reinerträgnis diejes 

Deutih:öfterr. National:Bibliother; | Kalenders fommt dem deutſchen Schulver— 
(Prag. D. H. Weidhelt.) er zu.) 

Die unheilbringende Arone. Zauberfpiel @rewendis Volkskalender für 1887. 


in 2 Acten von Ferd. Raimund, | 48. Jahrg. (Breslau. E, Trewendt.) 


80 


Der Stil. Zum Gebrauche für Mittel: 
fhulen und zum Selbftunterridte von Leo: 
pold Auſpitz. (Karl Prodasfa. Teichen.) 

Der junge Schachſpieler. Darlegung des 
edlen Spieles für die Jugend. Bon Jean 
Dufresne (Weimar. Fr. Voigt. 1886.) 

101 Winke und Wünfde für Geſund— 
heit von Dr. Guſtav Eufter. (Bürid. 
Schröter und Meyer. 1886.) 

Das Bud) der Geſellſchaftsſpiele. Heraus: 
gegeben von Edmund Wallner. (Erfurt, 
Fr. Bartholomäus.) 

Rofen = Beitung. Organ des Bereins 
deutfcher NRojenfreunde. Herausgegeben von 
defien Vorſtand. Redigiert von C. P. 
Straßheim. (Frankfurt a. M. Jäger'ſche 
Buch- und Landkartenhandlung.) 


Poftkarten des Heimgarten. 


x X Es wird angelegentlichft erſucht, 
Manufceripte erſt nad vorheriger Anfrage 
einzufenden. Für unverlangt eingefchidte 
Manufcripte bürgen wir nidt. 

%. M., Gras: Das PVierzeilige „So 
warm iS fa Feuer“ ift ein altes Volkslied: 
hen und nicht von Roſegger. Wie auf jenes 
Programm der Name unter das Liedchen 
fam, willen wir nicht. 

„Liebesgedihte eines Lünglings“: Ya, 
wenn wir Ihre Angebetete wären, da möch— 
ten uns dieje jo ſehnſüchtig galoppierenden 
Trohäen jhon gefallen. Wie die Dinge 
aber thatfächlich ftehen, gehen uns und die 
Welt Ihre Verſe nichts an. 

R. M., Wien: Offen geftanden: Das: 
felbe. 

17.M.: Es hat halt doch feinen Hafen. 

's boarifh Pirmdl: Der Heimgarten 
bringt grumdfätlich feine Bilder. Für Ge: 


— —— — — — —— nn — — — — — —— —— 





dichtchen ſchönſten Dank, müſſen aber in 
Sachen lyriſcher Poeſie viel Verzicht thun. 

St. B., Gras: Der erſte Kindergarten 
Steiermarls in Graz, gegründet von Frl. 
Eleonore Kopper, begeht am 2. October 
d. J. ſeine 20jährige Jubelfeier. 

F. RA, Prag: Am klarſten bat die 
Nationalität jüngft Ernft Renan beleuchtet: 
Eine Nation ift eine Seele, ein geiftiges 
Princip. Zwei Dinge machen dieje Seele 
aus, das eine ift der gemeinfame Beſitz 
einer reichen Hinterlaffenihaft von Anden: 
fen, das andere ift die gegenwärtige lieber» 
einftimmung, das erlangen de3 gemein: 
famen Zuſammenlebens, der Wille zur 
MWeitervererbung de3 überlommenen Erb: 
theils in feiner Geſammtheit. — Nationen 
find feineswegs etwas Ewiges, fie beginnen 
und werden zu Ende fein; in Europa wird 
die Eidgenofienihaft an deren Stelle treten, 
— Wenn bei der Pflege der Nationalität 
das geiftigefittlihe Element vernadläjfigt 
wird, a führt fie zum Unheil. 

R., Warusdorf: Rouſſeau's Aus: 
REN (mg. X., ©. 765) ift unſeres Er: 
achtens weniger auf die Fachgelehrten als 
auf die Laien anzumenden. Die Gelehrten 
find weder „moralifcher* noh „unmoralis 
ſcher“ wie Andere aud. 

F. A. Wien: Daß Kürnberger’s Werte, 
trog eines feit Jahren dafür beftehenden 
Gomites, immer no nicht zur Ausgabe 
gelangen, ift jehr bedauerlih. Wo der 
Haken fist, wiſſen wir jelber nicht. 

©. W.A., Gras: Tröften Sie fi und 
badern nicht in Gedichten; ſolche verfangen 
bei Männern jelten. Bedenten Sie das 
Sprüdel: 

Und bleibfi Du fihen, Mägbdelein, 
Glaub’ nit verfehlt Dein Leben ; 
Es gibt nicht jede Traube Wein, 
s muß auch Rofinen geben, 
Und eines ift auch gany gewiß — 
65 wird Dir trönlih fein — 


63 find Rofinen alle Süß, 
Doch fauer mander Wein. 


Für die Mebaction verantwortlih 9. A. Mofegger. — Druderei „Leytam“ in Gras. 





2* 
27: J Ph 
j| —— ——— 








er 


} 


ut 





November 1886. 


* 2 






m far, 
LA: 






wei Stüclein aus dem Handwerkerleben. 


Von P. R. Roſegger. 


ſchon in der Arbeit ftünden, änderten. 
— oO 4 Sp ungerecht war der Meifter nicht. 
DE. u in unſerem Salender Hand Gr höchftens über »den Zeug,« 
= Sonnenfchein und trübes Wet- der Heim Bügeln zufammenfchlieft oder 
ter, unabhängig von Sturm oder blauen ſchon urſpruͤnglich zu wenig gewefen 
Himmel draußen. für ein Bloch übereinand, als es die 

Noch pfiff der Meifter ein Fröhlich Eugelrunde Bäuerin ift. Ein einzigmal 
Liedel, rief die Bäuerin herbei: „Geh' Hatten die Mäufe Schuld, die ein 
her, will Dir einmal etwas hinauf- Joppenmufter derart zugenagt, daß es 
hängen.” Die Bäuerin fam, der Meifter den Meifter beim Zuſchneiden arg irre 
warf ihr das loſe zufammengebeftete geführt hatte. Es begann dann ein 
Jöppel um, ſtrich da mit der Kreide, unerguidiid Schnitzeln und Stüdeln 
au, zerrte dort am einer alte und und trübfelig war es in der Stube, 


Sonnenfitaßlen. 








fagte: „Gut iſt's, paſſen thut's“. Aber 
das Pfeifen war dahin. Zu trennen 
begann er und zu ſchneiden am Jöp— 
pel, umd zu brummen dabei. Der 
Geſelle Chriſtian ſchimpfte, wenn ein 
Kleid nicht lag, ſchimpfte über die 
Weibsbilder, die ſo hölliſch ſchlecht 
gewachſen wären und fo unzuverläſſig, 
daß ſie ſich noch, während die Joppen 


Roſtager'a q̃timaarten““, ©. Heft, XI. 


es mochte draußen die Sonne noch 
jo freundlich leuchten. 

Wenn hingegen die Joppe in der 
‚That wie angegofjen auf dem MWeibel 
ſaß, da pfiff der Meifter luſtig d'rauf 
(os, pfiff heil wie eine Drofjel und 
war gar vergnügt. Wenn e3 zudem 
auch noch war, daß wir in eimem 
Hauſe gut gefüttert wurden, fo hatten 


6 





wir Alles erklecklich beiſammen, was 
bienieden zu einem echten Schneider- 
glüde nothwendig ift. 

So glüdlich fahen wir einmal im 
Stabhofe. Die junge Bänerin hielt 
viel auf Schmud und Zier und nach— 
dem der Meifter gefehen Hatte, daß 
ihr die neue Sammtjoppe wie anges | 
malen ſaß, beichloß er, fie mit untere 
ſchiedlichem Zierat, als »Perteln,« 
Schnürlein, Seidenmaſchen, Knöpflein 
u. dgl. jo prächtig auszuputzen, wie 
man in der Gegend bisher an Pracht 
nichts Mehnliches erlebt. Meberlaut| 
fagte die Bäuerin zwar: So Schön! 
Das wäre wohl aus der Weil’, ſo 
ſchön thäte ſich's für eine Bauersfrau 
doch nicht ſchicken, ſo ſchön hätte es 
nicht eimmal die Baderin, und die 
Schulmeiſterin ſchon gar nicht! 
Insgeheim flüſterte ſie aber dem Meiſter 
zu, wie ſie es bei der Amtmännin 
geſehen, daß jetzt die Perteln und 
»Paßpulaturen« angenäht würden, und 
ſo ein Goldſchnürl an den Aufſchlä— 
gen, wie es die Verwalterin trage, 
ftünde freilih wohl fauber. „Soflten 
ſich gerad’ einmal giften, die Herren— 
frauen, wenn's jet auch die Bäue— 
rinnen nachmachen oder beſſer machen; 
möcht’ wiflen, weßweg' die Bauers— 
frauen alleweil zurüdftehen follten. 
Man hat eh fonft feine Freud’ auf) 
der Welt, wenn man fein fauberes | 
Gewand auch nit hat, nachher tann 
ſich Eins gleich lebendig eingraben 
laſſen.“ 

Dachte ſich insgeheim mein Meiſter: 
Dumm biſt, Statzhoferin, aber mir 
tann's recht fein. Kommt die Aus— 
bandlerei auf beim Weibergewand, ſo 
gibt's mehr Arbeit, und ſo gut, wie 
der ungariſche Schneider bandeln wir, 
auch noch aus, Gott fei Dank. 

Um diefelbe Zeit fiel unter Anz | 
dern der erfte April. Und beim Statz- 
bofer Hatten fie eine miedliche aber 
einfältige Magd, die auch ein wenig | 
lüftern war nah uns Schneidern, 
heißt das nad) unſerer Ausbandlerei, | 
obwohl ich einen ganzen Tag lang auf. 








dem Wi herumritt: Mit Der möcht’ 
ih lieber anbandeln al3 ausbandeln, 
mit Der! 

Der muntere Meifter mochte auch 
fo ein Bödlein reiten, denn plößlich 
fagte er zu mir: „Was meinft, das 
treuherzige Wabel ſoll man doch ein 
wenig in den April ſchicken?“ 

„Thu'n wir das! Foppen wir fie!“ 
ſtimmte ich bei. Es zeigte fich aber 
bald, dab des Meifters Auffaſſung 
lange nicht fo nmiederträdhtig war als 
die meine. 

„Wabel,“ rief er die Magd, als 
er ſah, wie fie an ihrem Kaſten fand 
und ein TFeiertagsrödel anzog, „mir 
ſcheint, Wabel, Du gehft in die Haupt— 
ftadt Fiſchbach hinab.“ 


„Freilich,“ antwortete fie, „die 


— | Bänerin ſchickt mich um Kaffee und 


Zucker.“ Mir fprang vor Freuden das 
Herz auf die Zunge und es fchrie 
zum Mund heraus: „Juchhe!“ 
„Wabel,“ ſagte der Meifter, „weil 
Dur Schon nach Fischbach geht, wollteft 
nicht fo gut fein und mir beim Ban— 
delfrämer was holen ? Für der Bäuerin 
ihre Joppe thät' ich drei Ellen Sons 
nenftrahlen brauchen zum Aufnähen. 
Aber von der feineren Sorte.” 
„Bern,“ antwortete die Magd, 
„was werden fie denn foften 2“ 
„Zwölf Kreuzer, denfe ich, die 
Elle. Aber vom vorigen Sommer 
müffen fie fein, gut getrodnete, und 
daß fie Dir nicht etwan abgelegene 


geben! Sag’ für den Schneider-Naßel, 


und ſoll's aufichreiben.* 
„Auffchreiben thut er nicht, der 
Bandelkramer,” wußte die Mabel zu 
jagen, „wie ich vorige Wochen Sei— 
denbandeln hab’ aufmerken laſſen wol= 
‚Ten, bat er gefagt: Das Rechnen hätt’ 
er wohl gelernt, aber das Schreiben 


nit,“ 
„Nachher muß ich Dir fchon zwei 
Zwanzigerlein mitgeben,“ fagte der 


Meifter, „was übrig bleibt, wirft mir 
wohl fleißig zurückbringen.“ 

„Halt ja,“ verficherte das Wabel 
und gieng. 


ww. 


Als Hierauf die Magd beim Ban— 
delframer zu Fiſchbach für den Schnei— 
der-Natzel drei Eflen Sonnenftrahlen 
begehrte umd die zwei Zwanziger hin— 
hielt, jagte der Krämer: „Saggra, 
Dirndl, diefe Waar’ ift mir ausge— 
gangen! Noch ein altes Büchel vom 
Sechsziger-Jahr ift da, aber das ift 
ganz abgeftanden, weil es in demſel— 
bigen Sommer jo falt gewefen ift, 
daß die Sonnenſtraählen gefroren find. 


83 


er wolle ihr eine neue Joppe anmeflen. 
Uber der Meifter erinnerte fie höflich 
an die zwei Zwanzigerlein. 

„Schneider,“ ſchmunzelte fie, „gud’ 
einmal in den Salender. . .“ 

Mit dieſer Erfahrung bereichert, 
fom mein Meifter Heinlaut zu mir 
zurüd. „Und das,“ jo machte er end» 
‚lich feinem Gemüthe Luft, „das iſt das 
einfältige Wabel!“ 

Don dieſer Zeit an hatten wir 





Sie find alles zu ſpröd' und laffen | Keine mehr im den April geichidt. 
fih nicht biegen, die kann er nicht Der Staghoferin fand die neue Joppe 


brauchen, der Meifter. Ich geb’ Dir! 
aber einen guten Rath, Wabel, geh’ 


in’s Wirtshaus hinüber, lafj’ Dir für 
‚MWeiberjoppen wieder einmal aufges 


die zwei Zwanziger eine Halbe Wein 


geben und einen Schweinsbraten und | 
Dir's auf die Gefundheit des 


laſſ' 
Meiſters ſchmecken.“ 

So hat die treuherzige Magd denn 
auch gethan. Als ſie am Nachmittag 
nach Hauſe kam, hatte ſie ein ſo ſtrah— 
lendes Geſicht, daß es ſchier hell ward 
in unſerer düſteren Stube. Wir ahnten 
aber nicht, daß dies die Sonnen— 
ſtrahlen wären, um die wir ſie ge— 
ſchickt hatten. 


Den Pad mit Zucker und Kaffee 
legte fie in die Hand der Bäuerin. | 
„Run,“ fragte der Meifter, „und auf 


uns haft vergeſſen? Was ift mit den 
Sonnenftrahlen ?* 

„efleles ja!” rief das Wabel, 
„er bat jet feine. Alte hätt’ er noch, 


jagt er, wären aber ganz abgeftanden | 


und nicht mehr zu brauchen.“ 


Der Meifter ſchwieg und ſchmun⸗ 


zelte. Nach einer Weile fragte er die 
Magd: „Wabel, fällt Dir nichts auf?“ | 
„Bar nichts,“ antwortete fie. 
„Geh',“ ſchmunzelte er, „geh', 
Wabel, guck' einmal in den Kalender!“ 
Sie gieng ihrer Arbeit nach und 
that nichts desgleichen. „Sonderbar,“ 
ſagte der Meiſter gegen Abend zu mir, 
„ſie thut nichts desgleichen.“ 
Nach dem Abendinahl, als man ſich 
allerſeits zum Schlafengehen rüſtete, 


gieng ihr der Meiſter nach, fie blieb | 


an der Kammerthür ftehen und glaubte, 


land ohne Sonnenftrahlen vortrefflich 
und mein Meifter bemerkte, als der 
Spaß von der vornehmen Zier auf 


tifcht wurde: „Mit Sonnenftrahlen 
arbeiten ift nicht Jo einfach. Ach Habe 
mir damit einmal die Finger ver— 
brannt.“ 





Der Zuſchauer. 
Der alte Kerl beſchloß ein weiſer 


Mann zu werden und machte ſein 


Teſtament. Sein Werkzeug verſchrieb 
er dem Meiſter Natz, ſein Gewand 
dem Trödler Abſalon, ſeine Seele Gott 
dem Herrn und feinen Leib der brau— 
nen Schafmarl. 

Die braune Schafmarl aber fagte: 
„Wozu brauch' ich ſeinen Leib, ich 
hab' ſelber einen.“ 

„Eben deswegen,“ hatte hierauf 
ein lofes Maul bemerkt, „Gott iſt 
‚dreifach, und wann der Menfch Gott 
ähnlich werden will, wie es auf der 
wird, fo muß er 
'wenigftens zwiefach fein, ſonſt Tann 
er dreifach fein Lebtag nicht werden.” 

So thöricht redete der lange Toni 
nicht, der bejchloffen hatte, ein weiler 
Mann zu werden. 

„Wann fie meinen Leib nicht will, 
‚die braune Schafmarl,“ fagte er, „es 
macht nichts ; er foll der arınen Seel’ 
noch als Ansgedinghänfel gut fein, 
bis fie Gott der Herr zu ſich nimmt,“ 

6* 














Nun bedurfte aber das Ausge— 
dinghäufel ein Dad. Der weife Toni 
hätte fi zwar nicht geſchämt, das 


84 


„Du Haft ein Eintrittsgeld ge— 
zahlt? Wie fo ?* 
„Dder meine Eltern für mich.“ 





Ebenbild Gottes unverhüllt herum— „Deine Mutter vielleicht. Dein 
ipazieren zu laffen, aber die Leute Vater ſchon gar nicht, der Hat bei 
haben ſchwache Augen, und endlich Deinem Eintritt noch was herausbes 
durfte er es auch der edlen Schneider kommen. Ja, mein Lieber! Der Ein 
zumft nicht anthun, fie mit einem ' tritt in dies Theater ift umfonft ges 
neuen Brauch zu Grunde zu richten. ;wejen, aber den Austritt mußt Du 
Alſo der Trödler Abfalon muß das zahlen!“ 

Gewand noch ein wenig hängen laſſen „Ich kaprizier mich nicht auf den 
auf dem langen Anton und ſonach Austritt,” lachte der Toni, „ich bleibe 
darf der Meifter Na einftweilen feine  meinetwegen in Ewigfeit da ſitzen und 
Hand auch nicht an's Werkzeug legen, 'fchan’ der Komödie zu. Langweilig 
das ibm von dem liederlichen Hands | wird mir nicht, wenn ich sehe, wie 
werksburſchen Schulden halber zu Necht der dumme Zeufel gefchunden wird 


verfchrieben ift. 


So blieb es äußerlich beim Alten. 
Mer aber, wie ich, Gelegenheit hatte, 
näher mit dem Gefellen zu verkehren, 
der lonnte wohl erfahren, was der 
Toni für eim fchredbar weifer Mann 
geworden war. 


„Leute,“ jagte er troflweife, wenn 
ihnen irgend etwas chief gieng, und 
als der Schnaller Hies der Welt die 
Drohung in das Geficht fchleuderte: 
wenn fie fortfahre, jo jämmerlich zu fein, 
jo werde er fich erhängen! „Leute,“ fagte 
der Toni, „machen wir den Spaß mit, 
jo lange er dauert. Er dauert nicht 
lang und wir haben noch immer Zeit 
genug, todt zu fein.“ 

Der Shelm! Nah diefem Grunde 
ja kann der größte Weltverächter das 
Leben Hundert Jahre oder länger tra- 
gen. Zum Zodtjein Haben wir immer 
noch Zeit genug. Der Grumdzug der 
Weltanſchauung meines Gefponjes war 
aber ein anderer. Sp fagte er einmal 
zu mir: „Sind, die Welt ift ein 
Theater.” 


„Banz recht,“ warf ich ein, denn 


auch ich mollte weile fein, „ein 
Theater! Aber ein Trauerſpiel, und 
wir müſſen mitfpielen, mein Lieber!“ 


„Wer Schafft (befiehlt) mir's denn?“ 


fragte der Toni. „Ih bin Zuschauer, | 
babe mein intrittsgeld gezahlt und. 


will mich unterhalten.“ 


und der Schlechte zieht die Häute der 
Geihundenen an, bis er darunter 
jelber erſtickt.“ 

„Schindeſt Du oder wirft geſchun— 
den ?* 

„Ich thu' micht mit, ich bin Zus 
ihauer. Ich Pfeife oder Hatjche, und 
geht’3 mich weiter nichts an.“ 

„Und wenn fie vor Deinen Augen 
Deinen Bruder fengen und brennen ?“ 

„sa, mein Schäbbarer!” rief hier— 
‚auf der lange Toni, „das, was man 
'fo unter Brüdern Mitleid nennt, das 
muß man fi abgewöhnen, fonft ift 
man das elendefte Gefchöpf auf Gottes 
‚Erden. Bei Auftritten, wo Du nicht 
‚laden kannſt, mußt Du  weidlich 
Ichimpfen, und wo das auch wicht 
geht, da halte Dir Augen und Ohren 
zu und gib Acht, daß Dich felber 
nichts zwickt.“ 

„Aber ehrenhalber mußt Du Dich 
doch kümmern um die Mitinenfchen !“ 
| „Ehrenhalber ? Mein junger Ge— 
noſſe und Milchbruder beim friſchen 
Waſſer, was heißt ehrenhalber? Ehre 
‚it das, wenn Du fo tapfer und klug 
bit, Dir die beiten Biſſen zu ver- 
Ihaffen, und Schande ift das, wenn 
Du ein armer Schluder bleibt.“ 

„sa, Herr Schneidergefelle!“ rief 
ich aus, „Ihr feid ja ein Nindvieh !- 
„Nicht ganz genau,“ antwortete 
er, „Rindvieher haben bei diefem ſchö— 
‚nen Theater zwar auch feine großen 

















Br 


Rollen, fie find Choriſten; ich aber 
bin Zuschauer, und wie oft foll ich 
Dir das Jagen ?* 

Einmal war ein Kirchweihfeſt und 
als Glanzpunkt desfelben beim Schanz— 
wirt ein martialiſches Raufen. Der 
lange Toni war auch dabei, aber er 
dudte fi Hinter den Ofen und gudte 


hervor und kicherte und fchrie „Bravo!“ 


als fie aneinandergeriethen. Sie zogen 


die Schlagringe und Mefler, die Une 


betheiligten wollten befchwichtigen, der 
Zufchaner Hinter dem Ofen aber 
klatſchte — als der erfte Gefchlagene 
auf den Boden bingetaumelt war — 
mit den Händen und fchrie: „Bravo! 
Bravo!” Alsbald rief Einer: „Was 
geht's Den an, Hinter dem Ofen! 
Frotzeln will er uns!“ Sie zerrten 
ihn hervor und tractierten ihm den 
Budel unter gewaltigem Applaus aller 
Anweſenden. 

Als der Philoſoph arg zertrillt zur 
Thür hinauswankte, zifchelte ihm Einer 
zu — wetten mag ich nicht, ob ich's 
nicht felber war — diesmal hätte der 
Zufchauer auch feinen Theil befommen 
an der Handlung, diesmal fei es ums 
gelehrt geweſen, hätten die Schaufpie= 
ler Beifall geflaticht. Da ward der Zu— 
Shaner zum Recenjenten und knirſchte: 
„Hundsgemeine Bande, das!“ 

Damit war es aber noch nicht 
vollfommen abgethan. Die Gerechtigkeit 
firedte ihre Hand aus, nahm etliche 
der Raufer beim Schopf, und darunter 
auch den weifen Toni. Der fei die 
eigentliche Urſache, hieß es, der habe 
mit feinem Gellatfche und Bravoges 
ſchrei jo lange gehegt, bis die Metten 
losgegangen. Wurde Hierauf der Toni 
feierlich in den Gemeindekotter gethan. 
Früher hatte er mehrmals geäußert, 
er werde fein Lebtag nicht „ſitzen“, 
dazu könne man Seinen zwingen; 
fperr” man ihn Schon ein — was 
übrigens unmöglich fei, weil er ich 
ja grumdfäglid am nichts betheilige 
— fo wolle er ftehen, damit man 
nicht jagen könne, er fei eimmal „ges 
ſeſſen“. Im Gemeindelotter gieng das 


nun aber micht, denn der war für 
‚den langen Bengel zu niedrig. Er 
j fanerte alfo auf jeinem Stroh und 
wenn man zum winzigen Fenſterlein 
hineingudte, fo ftellte er fich todt. 

Ih bin gegen fehr weife Leute 
von jeher boshaft gewejen, fo rief ich 
eines Tages durch das Loch hinein: 
„Buten Abend, Zufchauer! Du gibft 
es aber vornehm, jetzt Haft Du gar 
eine Loge!“ 
| Er that das Klügſte des Weifen, 
er ſchwieg. 
| „Einen Guder haben fie Dir au 
hergethan,“ fuhr ich fort, auf das 
Fenſterchen dentend, „nur ein Kein 
biſſel Schade, dah Dir das Haus des 
‚ Gemeindevorftandes feine hintere Sei— 
ten zufehrt. Ein Kehrichthaufen und 
das Bretterhüttel daneben.” 

„Es ift Höchft langweilig,“ knurrte 
der Toni. 

„Bielleiht geht Dir das Welt— 
‚theater bald zu Ende,“ tröftete ich, 
| „bereite Dir Dein Austrittsgeld. Wenn 
die Zwei fterben, die Deinetiwegen nie= 
dergeichlagen worden find, fo koſtet's 
Dir bloß den Kopf.” 

„Meinetwegen, wenn’ feine edles 
ren Körpertheile trifft!” verfeßte er; 
daraus ſchloß ih, daß er noch bei 
| Humor war. 

In denjelben Tagen Hatte der 
DOchenberger auf feiner Dedgart Feuer 
angezündet, um das abgehauene Ge— 
ftrüppe zu verbrennen. Zur nächtlichen 
Zeit erheflte diefes Feuer auf dem 
Berghang das ganze Dorf. Ich gieng 
‚zufällig zur Nachtitunde wieder am 
‚Gemeindetotter vorüber. „Schläfſt Du 
| ihon, Zuſchauer?“ rief ich zum Loch 
hinein. 

„Hol's der Teufel!” knirſchte er, 
„mach', Kamerad, dab fie mich aus— 
laſſen.“ 

„Schau, Toni, ich bin jetzt auch 
auf Deinem Standpunkt; bei dieſer 
Weltkomödie iſt es wirklich am beſten, 
man miſcht ſich nicht drein, macht den 
Zuſchauer und unterhält ſich. Man 





müßt’ fonft aus der Haut fahren bei 
dem Elend. Zum Beifpiel jetzt. Denk' 
Dir, Toni, das Unglüd! Das Dorf 
brennt. Am unteren Rand hat e3 ans 
gefangen. Drei Hänfer find ſchon Hin, 


= 


„Höhne mich,“ fagte der Toni in 
ſich zuſammenbrechend. „Höhne mid, 
wie Du willft, ich hab's verdient.” 


„Wenn Du fagft, Du haft es ver— 
dient,“ rief ich, „Jo Haft Du es nicht 


alle Schindeldächer her, fiehft Du den 
Schein! Siehft Du ihn? Das ganze 
Dorf gilt's! Schau Du, juft hebt ſchon 
den Gemeindevorftand fein Hausdach 
an zu brennen!“ 

Der Toni war dermaßen aufges 
ſprungen, daß fein Kopf in die Dede 
fchier ein Loch ſtieß. „O Freund, 
edler, treuer Menfch!* rief er und 
hielt die Arme zum Fenſterchen Heraus, 
„befreie mich! Nette mich! Sie ver— 
geilen meiner!” 

„Beniere Dich nicht, verbrenne 
ganz ruhig,“ jo mein Zuspruch, „mir 
geichieht nichts, ich bin ſchon fo flug, 
etwas zurüdzutreten, wenn mir's zu 
bei werden follte. Und wenn Du mir 
Thon einen Spaß machen willft: ftirb 
recht heldenmüthig, jo etwas ſieht fich 
innmer gut an. Halt, jegt ift mir ein 
Funke an den Rod geflogen.“ 

„Saderments = Gefindel I" wiüthete 
der Toni, „verbrennen laflen fie Eis 
nen! Keine Nächftenlieb’, feine Menfch- 
lichleit mehr auf der Melt!“ 

„Mach' Dir nichts d’raus, Kame— 
rad. Es iſt eben ein Theaterbrand, 


ih laſſe es gelten, aber wir jind 
Zufhaner und Mitwirkende zugleich. 
Leiden und mitleiden, fich freuen und 
mitfreuen, das heißt Menfcheuleben. 
So halten wir’, fo tragen wir’s, bis 
es Mingelt und der Borhang fällt — 
unter Glodenläuten der Zodtengräber 
die Erdfchollen wirft auf den Sarg.” 


Der Toni winmerte in feinen 
Kotter. 

„Gute Naht, Toni. Der Brand 
ift gelöfcht. Morgen, hat der Gemeindes 
vorftand gejagt, wirt Du frei, dann 
ftreiche einen Theil Deines Teftaments 
duch. Dein Werkzeug und Dein Ge— 
wand behalte für Did. Deine Seele 
magft Du Gott dem Herrn empfehlen 
und Deinen Leib der braunen Schaf» 
mar; Freuden auf Erd’ und im 
Himmel, Freuden im Ueberfluß, aber 
lauter gemeinfane. Gute Nacht, Toni.” 


Ob der weile Toni twieder „thö= 
richt“ genug geworden, um ein guter, 
echter Mensch zu fein, ich weiß es 
nicht. Wenige Tage nach feiner Bes 
freiung aus dem Kotter hat er ſich 


wo auch die Zufchaner mit zugrunde | bei meinem Meifter fremd gemacht und 


gehen. Nichts weiter. Aber verdammıt 
heiß wird’3 da, vor Deiner Loge.“ 


ift in die weite Welt gegangen. 


87 


Stationen meiner Pebenspilgerfhaft.*) 
Bon Robert Hamerling. 


LFehrjaßre und Wandertage. 
(Schluß.) 






and was iſt während dieſer Stu— 
Se dien aus dem Poeten ge— 
worden ? 

Ich Habe ſchon erzählt, da, nach— 
dem ih den „Hermann“ endgiltig 
fallen gelafjen, ich mit gleichem Eifer 
mich auf einen neuen dramatifchen 
Plan „Aurora“ geworfen. 

Es liegen einige Blätter aus jener 
Zeit vor mir, mit flüchtig hingekritzel— 


zeitgemäß im höchften Sinne. Den 
Strom der Zeit braufen hören und 
ihm die Richtung geben! Befone 
nenheit! Beſonnenheit! Be 
ſonnenheit! Dann ift das Höchfte 
zu erwarten.“ 

„Der Sinn der Bachen des 
Euripides: Wie der Gott Einen als 
ı Teufel (Dämon) ergreift.“ 
| „Tiefſte Verzweiflung des Helden 


ten, auf den Aurora Plan bezüglichen im zweiten Act. Er findet Orpheus 
Notizen, die zwar feinen Begriff geben und Helena, die ihn aus feiner Ver— 
von dieſem Plane jelbit, aber doch von | zweiflung reißen. Er macht ſich nun 
den Ideen und ideellen Richtungen, | entfchloffen auf zur Wanderung. Der 
welche dazumal im meinem Kopfe ſich Genuß befriedigt ihm nicht, er ſetzt 


freuzten. 

„Die Entwidlungsweife der Menſch— 
heit an einem Individuum dargeftellt. 
— Aber fein bloßes Gemälde, ſondern 
eine Handlung, deren Keim ſchon 
im erſten Acte liegt — eine Handlung, 
einfach, Schön gegliedert — die Idee 
ganz aufgegangen in ihr, jo daß das 
Ganze aud ohne Symbolik faßbar und 
ein durch das bloße Gefchehen inter- 
eſſantes Drama bleibt —“ 

„Der Heros ſucht die Umgebung 
in Uebereinſtimmung zu bringen, bes 
wußt, duch das, was er thut, 
Aurora, abſichtslos, durch das, 
was fie ift.” 


ſich ein univerfelles Ziel.“ 

„Ahasver — der nenefte Geift in 
feiner Haltloſigkeit — endliche Erlö— 
ſung durch Schönheit und Liebe.“ 

„Anfang und Ende Märchenwelt 
— auch blitze ſie unterwegs öfter in 
das Werk hinein.” U. ſ. w., u. ſ. w. 

Aber es blieb auch bei dieſem 
Plane nicht. Eines Tages vollzog ſich 
eine förmliche „Kriſe“, eine Umwäl— 
zung, eine völlige Neugeſtaltung des— 
ſelben — das Ergebnis einer be— 
geiſterten Stunde, die ihrerſeits wieder 
zurüdzuführen war auf die Spende 
eines — Gläschens Punſch aus der 
Hand eines ſchönen jungen Mädchens, 





„Dämoniſch nennen twir Sterbliche | einer Nachbarin, von welcher ich ſpäter— 
das Göttliche jelbft, wo wir es nicht hin mod zu erzählen haben werde. 
begreifen, jagt Feuchtersleben. Dies In feiner überſchwänglichen Weife bes 
und Der große Proceß unferer Tage | richtet dad Tagebuh vom 13. Yes 
foll dargefteflt werden — politisch und | bruar 1850: 


*) Eiche Heimgarten 1883, Mai; 1885, März April, October:November; 1886, 
Juni-Juli, October. 


88 


„Der wichtigfte, vielleicht folgen 
reichfte Tag meines Lebens! — Ju 
Roſa's Familie war geftern Unterhalz 
tung mit Punsch, und von dieſem 
ſchickte mir Roja heute früh ein jehr 
Heines Gläschen vofl herüber. Kleine 


Geſchenke Find die erfreulichſten; man 


lichen Bewußtſein zurück und vor mir 
‚auf dem Papier fand ich Idee und 
Plan der Tragödie „Phasverus.“ 

Co wurde der Geift, der im der 
‚Hlüffigleit des Punſches geichlummtert, 
in mir, dem Poeten, dDihtend!’— 
Nun, was ih am jenem „wich— 





gibt fie, bloß um zu geben und guten, tigften und folgenreichften Tage meines 
Willen zu bezeigen, während große, Lebens“ als dee und Plan der Tra— 
Gaben immer den Anfchein von Wohl: | gödie Ahasverus auf's Papier ge— 
thaten und Almoſen haben. Wie flüf | worfen fand, als ich „zum gewöhnz 
figes Heuer ſtrömten die geiftigen lichen Bewußtſein zurückkehrte“, das 
Tropfen mir durch Adern und Nerven liegt auf drei vergilbten Blättern 
— ih fühlte mich in efftatifche Be⸗ | ebenfalls vor mir. Aber ich bin nur 
geifterung verfeßt, Fühlte mich aufges | mit einiger Mühe im Stande, eine 
legt zu einer göttlichen That! ‚nothdürftige Ueberfiht des Veabſich— 
Und die Blätter der Weltgefchichte tigten daraus herzuftellen. 
lagen vor mir aufgerollt — lange I. Act. Reflexionsloſes, feliges 
haftete mein verklärter Blid darauf — Naturleben des Urmenſchen (Ahasver). 
und fiehe, die Buchftaben verſchwam- Lucifer, ſich zu ihm gefellend, zeigt 
men in ein wirres Chaos von Blüten, ihm die Herrlichkeit der Welt und 
Moder, Blut, Molchen Goldfrüchten, | yerführt ihn. 
blauen Augen, Harfenklängen, Kanos|  Siündenfall (Reflerion) — Fluch. 
nendonner, Todesachzen — — — UMd Dem YAusgeftoßenen aus dem Para- 
aus den Wogen dieſes chaolifchen dieſe wird ein Exlöfer verheisen. Er 
Meeres hob fi eim edles, bleiches, | verlaßt das Paradies mit ber Gabe des 
männliches Antlig, in welden der Gedanten's — und einem Fortis 
Ausdrud — Wehmuth ver- natusfäckel — aber unfelig. 
eint mit prometheiſchem Trotze lag. —— 
Tief ſchaute ich im ſein flammendes a 








Auge und rief in hoher Begeifterung: | ſich zu Ahasver. Poefie — Kunft — 


„Ahbasverus! Ahbasverus! 
Warum ift Deine Wange noch bleich, 
Dein Auge noch müd und brennend? 


‚Schönheit — Das Weibliche. 


III. Act. Am Schluß diefes Actes 
die befannte Scene mit Ehriftus. 





Warum irrſt Du noch im unbefries J ſt. 
digter Sehnfucht frieden- und freudelos Losſagung von der poſitiven Religion. 
durch die weite, ſchöne Welt? Harrſt Von da an ſteht Ahasver allein auf 
Du eines überirdiſchen Exlöfers? Nein, | ſich — der Paradiefesfluh beginnt 
hehrer Titane, Du haft den äußeren nun erſt recht lich an ihm zu erfüllen 
Meſſias verfhmäht, ihn von Dir ges und zu vervielfachen. 
ftoßen — nun denn, fo erlöfe endlich IV. Act. Die Geburtswehen des 
Dich ſelbſt! Ja, erlöfe Dich ſelbſt! ſelbſtbewußten Geiftes, der den äuße— 
Du kaunnſt es, wenn Du ſtrebeſt, ren Schwerpunkt aufgegeben und den 
ganzer Menſch zu ſein — wenn Du inneren noch nicht gefunden hat — 
nicht bloß Mann biſt, ſondern auch Hieraus entſtehende Umwälzungen — 
die Weiblichkeit in Dich auf- Lucifer iſt beſonders thätig. — Ahas— 
nimmſt — die Arbeit der Männlich- ver hat ſich nun zur That ent— 
keit vereint mit der Magie des Weib- ſchloſfen, tritt an die Spitze einer 
lichen werden die göttliche That Deiner großen politiſchen Bewegung — Greuel 
Selbſterlöſung vollführen! — — — — Mißlingen — Strafe des Düne 
Mein Geiſt fehrte zum gewöhn- kels, der die Vorrechte des freien 


Geiftes ohne feine Würde will — 
Folgen davon. Unfere Zeit. 

V. Act. Erlöfung. Ahasver hat 
die Melt durhwandert — die Männ— 
lichkeit, welche duch Thatkraft das 
Merk der Neflerion, des Berftandes, 
des Gedanfens vollenden wollte, kann 
es ſchließlich nur im Bunde mit der 
Magie des ewig Weiblichen (Natur und 
Gemüth). Der Kreis des menschlichen 
Strebens iſt vollendet, und es tritt 
num wieder die Seligkeit des alten 
Paradiefes ein. 

Es tauchen, wie man fieht, in 
dieſen Ahasver-Entwurfe Motive und 
Geftalten des Aurora-Entwurfes wies 
der auf, Aber Ahasver, der in diefem 
nur eine Nebenrolle gefpielt, ift jetzt 
zur Dauptperfon geworden. Es war 
nicht die leßte gründliche Ummälzung 
und Umwandlung, welchen der poeti— 
sche Hauptplan meiner Jugend durch— 
zumachen hatte. Aus den dramatifchen 
Entwürfen geftaltete nah und nad) 
ein epifcher ſich heraus, deflen endliche, 
ſpäte Ausführung michts Anderes ift, 
als die feit 1857 der Lefewelt vor— 
liegende Dichtung „Venus im Exil.“ 
Es befindet ſich unter meinen Pas 
pieren eine furze Skizze diefer epifchen 
Dichtung, in welchem noch Vieles aus 
den Aurora Plan und ſelbſt noch der 
Titel „Aurora“ feitgehalten ift, wäh— 
rend das gedrudte Merk kaum noch 
eine Spur davon aufweist, 

Uebel vermerkt es vielleiht Mans 


89 


haben. Hätte nur zur Durhführung 
jener Ideen meine jugendliche Kraft 
ausgereicht, Jo wären die Ideen ſelbſt 
nicht von Uebel gemwejen. Uebrigens 
war e3 ja doch nicht die falte, abftracte 
Idee, von welcher ich ansgieng ; irgend 
eine Geftalt der Sage, der Gefchichte, 
ein Erlebnis, ein Gefchehnis war es, 
was zuerst den zündenden Funken im 
| mein Inneres warf, und erft wenn 
aus dem Symbol die dee ich los— 
| gerungen, gieng es an’s gedantenhafte 
| Bertiefen, welches doch wohl ein reales 
Geſtalten nicht ausschließt. 

Auch der bejtändige Fluß, die 
Proteusnatur meiner jugendlichen Ent= 
würfe darf nicht befremden. Da im 
Innern des Jünglings ebenfo viele 
‚Gedanken als Gefühle gähren, fo ift 
‚es naturlich, daß er jene wie dieſe jo 
‚dollftändig als möglich in feinem Erſt— 
‚lingswerfe unterbringen will. Inden 
num aber diefe Gedanken- und Ge— 
fühlswelt bei den ralchen Fortichritten 
‚der jugendlihen Entwidlung beſtän— 
digen Wandlungen unterworfen ift, To 
ſprengt der wachjende und fich wan— 
delnde Gehalt immer wieder die Form, 
‚die er gefunden zu haben glaubte, bis 
‚der Strebende bei größerer Reife merkt, 
| daß einem wirklichen Geftaltungsdrange 
nur durch Beſchränkung Genüge ges 
‚leiftet werden kann. 
| Zu den hochfliegenden und weit— 
ausjehenden dramatifchen Plänen 
meiner damaligen Epoche bildete die 


! 








| 


her, daß ich bei meinen poetifchen Einfachheit meiner gleichzeitigen Iyris 
Entwürfen mir fo viel mit Ideen ſchen Verſuche einen nicht bedentungs— 
zu Schaffen machte. Aber das Denken loſen Gegenfag. Vielleicht war und ift 
ift eine Gewöhnung, welcher — wenige diefer Gegenfab nicht bloß in meiner 
tens in den höheren Dichtgattungen | perföntichen Natur, ſondern auch in 
— mehr oder wenig fih alle deut: ‚der Natur diefer beiden Dichtgattungen 
ihen Poeten ſchuldig machen. Man begründet. Breite, fogenannte Re— 


nehme Goethe's und Schiller’ Brief: 
wechjel zur Hand, und man wird er= 
ftaunen, wie viel felbft unfere größten 
deutichen Dichter der „naide“ 
Goethe nicht zum wenigften — bei 
ihren ſcheinbar einfachften Arbeiten 
gedacht, gegrübelt, gewollt, beabfichtigt, 
Iymbolifiert und „hineingeheimnißt“ 


flexionslhrik war nicht meine Sache. 
Ich versuchte mich am liebſten im 
‚ Liede, neben welchem fat nur noch 
die Sonettforn bei mir fich einſchmei— 
chelte. Goethe's Lyrik und das Volks— 
‚lied waren mir dor Allem wert. Nach) 
einer Durchſicht des Göpel'ſchen „Lie— 
der- und Commersbuches“ und des 


90 


Halle'ſchen „Liederbuches für deutſche ſchöner Traum, Ganyıned, 


Studenten“ ſchrieb ih am 2. April 
1849 in's Tagebuch: 

„Bas ift’E, das aus den Tra— 
gödien des Sophofles wie aus dem 
ſchlichten Volksliede uns anweht mit 
olympiſchem Hauch? — Natur iſt's! 
Natur! — Das echte Volkslied iſt der 
Gipfel der Lyrik. Es drückt einen 
ſchönen Lebensgedanken aus in claſſi— 
ſcher Kürze, in Ausdrücken, die nur 
der finden konnte, der das Ausge— 
ſprochene ſelbſt erlebte; und endlich 
bei der innigften Gemüthstiefe mit 
einer Objectivität, die und den Ge— 
fühlsftoff in reinfter Kunſtform, d. h. 
allfeitig Har und überfhaubar darz 


ftellt, jo daß ein ſolches Lied, wenns | Poeten zu verjchaffen. 


gleich der Inhalt traurig und düſter 
fein follte, doch heiter und innerlich 
befreiend, als ein echtes Kunſtwerk, 
uns anfpricht. So hat 3. B. das Lied 
„Ich ſchieß' den Hirfch im 





tiefen | veranlaßte, etwas beizufteuern, 


Herzloſe 
Schönheit, Freudloſe Jugend, Roſen— 
lied, Ich ſeh' Dich heut zum erſten 
Mal, die Ghaſelen: Ich will ja nichts, 
Spielzeug. 

Ein Anzahl diefer aus früher 
Zeit ftammenden Lieder ift hernach in 
die Dihtung „Venus im Exil“ vers 
flochten worden. 

Im Herbfte 1851 erjchienen von 
mir einige Gedihte in Gruppe’s 
Mufenalmanad für 1852: An 
Sidonie, Mein Herz ift in der Ferne, 
und Liebesgruß (Ich bin Dir, ad, fo 
ferne). Gruppe hatte fih an einen 
Miener Freund mit dem Erfuchen 
gewendet, ihm Beiträge von Wiener 
Diefer raffte 
zufammen, was ihm unter die Hände 
fan, zum Theil von ganz unbekann— 
ten jungen Leuten, von denen einer, 
der mir befreundet war, auch mich 
und 


Hort“ jo viel naturwahre Züge aus | Gruppe nahm diefe Wiener Beiträge, 
dem Wald» und Yägerleben, daß nur neben dem vielen Trefflichen, das ge— 
ein Jäger es gedichtet haben kann. rade jener Muſen-Almanach von 1852 
So etwas ergößt uns dann auch mehr, enthielt, mit einer merkwürdigen Nach— 


als die ſchönſte Ode, wenn fie bar 


ift aller individuellen Lebenszüge*. . 
Bon den in „Sinnen u nd 
Minnen“ aufgenommenen und auch, 


in den ſpäteren Auflagen beibehalz | Kritit — eine Kritik, 
tenen Gedichten entftanden in der hier 


behandelten Periode meines Lebens die 
folgenden: 





ſicht auf. 

Bei diefer Gelegenheit bin ich zwar 
‚nicht zum erſten Male gedrudt wor— 
den, erlebte aber die erjte öffentliche 
mit welcher 
meine eigentliche literarische Laufbahn 
nicht viel beſſer anfieng als die Woche 
des am Montag Gehenkten. Die k.k. 


Im Jahre 1848: Die Lerchen, | Wiener Zeitung machte fich über den 
Liebesgejpielen ; 1850: Wanderlied | Almanach her und xupfte unbarm— 
(Wohlauf in’s neue Leben), Sonne herzig uns arme Wiener Neſtlinge, die 
und Strom (haſel), die Sonette: wir uns erdreiſtet hatten, im Chorus 
Ein weller Kranz, Letzter Reigen, | der deutjchen Sänger vorzeitig mitzus 
Gewitter im Walde; 1851: Die Braut zwitichern. Sie that uns in alpha= 
(Romanze), Elfenrede, Zarte Liebe, betdifcher Ordnung ab. Ich ſuchte in 
ſpricht in Farben ; die Sonette: An | Fliegender Haft meinen Namen. Da 
Jadviga, Ermüde nicht, Aſpaſia; 1852: | ftand zu leſen: „Hamerling — 
Lebe wohl (Nun ich Dein Auge feucht fiehe Eiſenmeyer.“ Mein jpähender 
geſeh'n), Zweites Wanderlied (An den Bid flürzte ſich mit Ungeduld auf 
Höhen, an den Wäldern), drittes. Eifenmayer; da hieß es: „Berfe, 
(Reich' mir, Schenkin), Meine Lilie, | wie man ſie auf Bonbonsſchachteln zu 
Klänge und Schmerzen, Lenzeszwang, ſetzen pflegt.“ Im Augenblid wußte 
Im Frühling, In der Waldjchlucht, lid nicht recht, ob das ein Lob oder 
Viel Träume, Meine Braut, Ein ein Tadel fein folle und gas mir ein 


9 


paar Tage lang viele Mühe, Bonbons 
ſchachteln zu Gefichte zu befommen, 
um zu erfahren, von welcher Art denn 
die Verſe feien, die man auf folde 
Schachteln zu feßen pflegt, und mit 
welchen gerade meine und Eiſenmayer's 
Lyrik eine jo auffallende Aehnlichkeit 
haben jollte. 

Vielleicht Hätte ich den Umſtand, 
daß es zufällig die f. f. Wiener Zei— 
tung war, durch welche ich zum erften 
mal in Ddiefer Art vecenfiert wurde, 
gleih damals als ein Vorzeichen be= 
trachten können für meine künftige 
Stellung gegenüber der officiellen und 
officiöfen Literaturkritik in Oeſterreich 
— vorausgeſetzt, daß es eine folche gibt. 

Aber id muß nun auch von 
deu Wandertagen ſprechen, den 





Oetſcher befteigen wollten — auf 
den Wellen des breiten Donauftromes 
uns in Booten jchaufelten — wie 
wir einmal zwei Tage lang in ſtrö— 
mendem Regen giengen, Kleider und 
Schuhe an den Herden der Dorf: 
Schenken trodnend, in welchen wir ein= 
fprahen — mie einmal ſchon nahe 
vor dem legten Ziel der Wanderfchaft 
ein Landregen mich bei Bruckner's 
Eltern in Grafenſchlag Feitgielt, wo 
wir Tag für Tag Morgens Milchfuppe, 
Mittags Milchfuppe und Startoffeln, 
Abends Kartoffeln Hatten, an welche 
Koft ich mich wunderbar ſchnell ge= 
wöhnte — wie dann auch Brudner 
zu Schweiggers manchmal wochenlang 
der Gaft des Gaftes im Haufe meiner 
Verwandten war — wie wir mitfams 


Yeltzeiten meiner Lehrjahre. Die Zeit men die Gegend durchftreiften und auf 


diefer Wanderungen waren die Som— 
merferien, ihr legtes Ziel die Heimat 


in der niederöfterreichischen Waldmark 


zwifchen der Thaya und dem Kamp, 
der Weg ein beliebiger, wochenlanger 
Umweg, der durch mehr oder weniger 
reizende Gegenden des Kronlandes ſich 
fchlängelte. Brudner war dabei mein 
unzertrennlicher Genoffe. 

Ich könnte viel davon erzählen, 


wie wir, die blaue Donau von Krems | 





Kirchweihfeſien tanzten. Davon und 
von meinem Aufenthalte in Schweig— 
ger, ſowie dem bei Onkel Leopold 
in Kirchberg am Walde könnte ich er= 
zählen. Aber ich will lieber früher 
oder jpäter Urkundliches aus meinen 
Ferientagebüchern mittheilen, welche 
nicht bloß mein Thun und Treiben, 
Dichten und Trachten, Schwärmen 
und Träumen im der Heimat am 
beiten jchildern, ſondern auch einer 





bis Weißkirchen entlang wandernd, in Mädchengeftalt ihr Necht widerfahren 
den Felsgrotten am Stromufer Naft lafjen werden, Die beanfpruchen darf, 
hielten, das Göpel'ſche Commersbuch in der Gejchichte meiner Jugend dem 
bervorholten und fröhlichen Liederſchall Leſer vorgeſtellt zu werden: der „Lilie“ 
in's Ranſchen des Stromes mifchten von Schweiggers — meiner Wald— 
— tie wir eine ausnehmend holde lilie — der Heldin eines noch vor— 
Schenkin zu Weißkirhen an der Donan | handenen Sonettenfranzes. 

Jahr für Jahr bei flüchtiger Gintepr) Hier fei nur Eines noch erwähnt: 
mit Vergnügen wiederfahen — wie dab zu Schweiggers und Kirchberg am 
wir alle die ſchönen Stifter, Heiligen= | Walde viele der früher erwähnten, in 


freuz, Lilienfeld, Göttweih, Melk, bes 


fuchten und nach fahrender Studenten 
Brauch die Gaftfreundichaft derfelben 
genofjen — wie wir jeßt zur Seite, 
der entzückend-kryſtallklaren Zraifen, 
jet zur Seite des braufenden Aggs— 
baches fürbaß ſchritten, die wild» 
romantische Wachau durchpilgerten — 
zu ragenden Felsburgruinen empor— 
ſchauten und emporkletterten — den 


„Sinnen und Minnen“ aufgenommenen 
Jugendgedichte entſtanden. Drei der 
am meiſten belaunt gewordenen: „In 
der Waldſchlucht“, „Viel Träume“, 
und „Ganymed“, wurden im Schatten 
‚der Niefentannen und Riefeneichen des 
Thiergartens zu Kirchberg am Walde 
gedichtet. 

Der Einklang mit meinem Jugend 
‚freunde blieb doch auch nicht immer 





völlig ungeflört. Eine VBerwandtfchaft, | lehramt vorbereitete, während ich meine 
welche zwei Stnabenfeelen vereinigte, Studien an der Univerfität fortjeßte. 
wird fich nicht leicht in gleichem Maße) So fiengen wir an uns immer feltener 
auch auf das entwidelte und reifere' zu fehen. Er übernahm eine Sup— 
Jünglings- oder Mannesalter erfireden. | plentenftelle an der Realſchule in Ofen, 
Zwei Blüten von gleicher Geftalt auf und eines Tages — es war im Jahre 
einem Baume twerden fich ſchwerlich 1853 — überraſchte er mich mit der 
auch zu zwei richten von völlig brieflihen Nachricht feiner bevorftehen- 
gleicher Geftalt und Größe entwideln. | den Hochzeit. Ich beiheiligte mich an 
Brudner, derſelbe Brudner, der Jahre der Freier mit folgendem Sonett, das 
lang ſich mothdürftiger als ich hatte) als Denkmal der wärnften und dauernd— 
durchichlagen und ein paar Mal jein | ften meiner Jugendfreundfchaften hier 
Nachtquartier unter freiem Himmel eine Stelle finden mag: 

hatte nehmen müſſen, wurde fast zum 

Feinſchmecker, als feine Verhältniſſe „Biſt Du es nicht, mit dem ich lange Zeiten, 


ih etwas behaglicher geftalteten, und 
es that dem guten Einvernehmen der 
Wandergenoſſen manchmal einigen Ein 
trag, daß der Freund des Geldes wenig 
achtete, während ich mit dem Kleinen 
Betrag, den ich beim Abgange von 
Wien in der Tafche Hatte, für fo und 
jo viel Tage oder Mochen ausreichen 
mußte und wirklich ausreichte. 


Mir war e3 eigen, frisch von der 


Leber weg zu ſprechen; Bruckner zog 
vor, den Kopf zu drehen oder in feine 
Fauſt zu beißen, empfand aber Alles 
um fo tiefer, befaß eine große Selbſt— 
tändigfeit des Charakters und einen 
gewiflen Stolz, die ihn vberanlaßteı, 
Nathichlägen oder Mahnungen gegen: 
über ſich Schweigend auf ſich ſelbſt 
zurüdzuziehen. 

So fehlte es zwiſchen uns nicht 
an einem Gegenſatz. Aber e3 waren 
zunächft doch nur Äußere VBerhältniffe, 
die ums allmählich trennten, Brudner 
übernahm Privatlehritunden in einer 
Familie, im welcher er bald wie hei— 
mifch wurde. Er fand im diefer Fa— 
milie das Mädchen, das er wenige 
Jahre nachher zum Zranaltar führte. 
Es ift begreiftich, daß ein ſolches Vers 
hältnis ihm dem täglichen Verkehr mit 
dem Freunde entrüdte, um fo mehr, 
da er jeßt in der Nähe jener Familie, 
am entgegengefegten Ende der Stadt, 
feine Behanfung auffchlug, eine Stunde 
Weges von der meinigen entfernt. 
Dazu kam, daß er lich aufdas Realfchul- 


Ya, lange Jahre, die gemach verflofien, 
Selbander gehend, ſtrebſam durchgenoſſen 
Der Hoffnung Luft und rauhe Wirllichkeiten ? 


Mo fänd' ich je, wo fändeft Du den Zweiten ? 
Wir lebten faft, ſprichwörtliche Genoſſen, 
Bald forgenvoll vom ftillen Dah um: 

N ſchloſſen, 
Bald fröhlich wandernd durch die grünen 
Weiten. 


Fern auseinander hält uns jeht daS Leben: 
Ich darfan feiner treuen Bruft erwarnıen, 
ı Nur einam aufwärts wie der Adler ftreben; 


Dich bettet Hymen weich in Liebesarmen! — 
O lächle nicht! Nur Antwort wollt’ ich 


geben, 
Und jchreibe nun beinah' ein Hochzeitscar: 
men!" 


Bruder machte mir bald darauf 
einen Nbjchiedsbefuh in Unter» St, 
Veit bei Wien, wo ich mich eben auf: 
hielt. Wir brachten einige Stunden 
mit einander in traulichem Gefpräche 
zu und verficherten uns wechjelfeitig, 
daß wir nichts gegen einander auf 
den Herzen hälten, daß es eben wur 
die Zeit und die Verhältniffe feien, 
welche ihre Nechte geltend machten 
unter dem twechlelnden Mond. Bon 
diefer Art find die Nedensarten, mit 
| welchen man die großen Riſſe und 
Sprünge im Gefüge des inneren Les 
|bens zu übertünchen ſucht. Auch die 
Freundſchaft ift ein indisch’ Ding, und 
dein folches nimmt ein matürliches 
Ende: eine Wahrheit, die ich zwar 
früh begriff, in die ich aber für meine 





93 


Perfon mich erſt Spät zu finden und | „genial,“ Der Himmel weiß, was den 


zu fügen lernte, 


Brudner erhielt eine definitive An— 
ftellung an einer Belter Realſchule. 
Zu Anfang der Sechäziger:Jahre ge— 
langte an mich die Nachricht von ſei— 
nem plößlichen und Spurlofen Ver— 
ſchwinden. Man glaubt, daß er den 
Tod in den Wellen der Donau ge— 
ſucht; aber fein Leichnam ift nie ges 
funden worden und auch die Beweg— 
gründe zu feinem freiwilligen Ver— 
Shwinden find nicht aufgeltärt. Die 
innere Leidenfchaftlichleit bei äußerer 
Verfchloffenheit, die ihm Schon im der 
Ingend gefennzeichnet hatte, mag fich 
bei ihm zu einer Seelenfrantheit ge: 
fteigert haben, welcher er erlag. 


Aber das Bild Diefes meines 
älteften und vertrauteften Freundes 
lebt in blühenden Söhnen und Töch- 
tern fort, umd einer der Söhne, Dr. 
Bruno Brufner, ein hoffnungsvoller, 
edeldenfender und warmfühlender jun— 
ger Mann, bat e3 fich zur Ehrenfache 
gemacht, die freumdfchaftlichen Be— 
ziehungen, welche den Namen Bruder 
mit dem meinigen verknüpfen, nicht 
ganz erlöfchen zu laſſen. 


Die nächfte Stelle nah Brudner 
nimmt in der Reihe meiner Jugend 
freunde Johann Gebhart ein. Es 
mag im Jahre 1848 oder 1849 ge= 
weſen fein, daß ich zuerst feine Be— 





beweglihen jungen Mann, dem es 
nicht an Gefellfchaft fehlte, zu dem 
Nillen Träumer hinzog; er kam fo oft 
als möglich im unfere Stube geramnt, 
erzählte im leidenjchaftlicher Aufregung 
und fprudelnder Rede feine Tages— 
erlebniffe, gab mir von den Theater— 
vorftellungen, die er befucht Hatte, 
nicht bloß Bericht, ſondern agierte 
und declamierte mir die aufgeführten 
Stüde mit draftifcher Wiedergabe der 
Eigenheiten und Manieren aller Schaue 
jpieler, welche darin befchäftigt waren, 
vor, oder riß meine Geige von der 
Wand und parodierte eben fo glüdlich 
in halsbrecherischen Länfen und Sprün- 
gen die Art eines Geigenpirtuofen, 
den er Tags zuvor im Concerte ge= 
hört hatte. Genial, wie gejagt, und 
wißig, regte er durch Heine Nedereien 
auch meine Laune an, und es fanden 
förmliche Wigduelle zwijchen uns bei— 
den Statt, jo daß er einmal einen 
Freund, der es ihm micht glauben 
wollte, daß ich auch muthwiflig fein 
fönnte, zu mie mitbrachte, bloß um 
Zeuge eined folchen Zweilampfes zu 
fein. Von meiner Poeſie hielt er nicht 
viel, wohl aber von meiner Gelehr- 
ſamkeit, während Brudner mich für 
einen guten Poeten nahm, aber den 
Gelehrten in mir iiber die Achſel anſah. 

Gebhart ſchrieb auch eine Tra— 
gödie „Zwei deutſche Kaiſer“, welche 


fanntfchaft machte. Sein Weſen war von Grillparzer im Manuſcript mit 
dem Bruckners jo unähnlich als mög- | Beifall geleſen wurde, aber nicht in 


lich, und auch dem meinigen fo wenig 
verwandt, daß ich anfangs nicht glaubte, 
in ein näheres Verhältnis zu ihm ver— 
flochten zu werden. Dennoch geichah 
ed. Ein junger Menſch von gefälligem 
Aeußern, gewandten Manieren, leicht: 
lebigem Charakter, lebhaft, gejellig und 
beredt, wollte er fich zur Zeit, als ich 
ihn kennen lernte, der theatralifchen 
Laufbahn widmen und nahın Stunden | 


die Oeffentlichfeit gelangte. 

Die geniale Periode im Leben 
Gebharts endete am Ausgang von 
mancherlei Lebensirrwegen, die ihn 
mir entfremdeten, mit einer Anftellung 
als Profeſſor — auch Du, Brutus ? 
— an einer Realichule. 

Eine warme, auf Achtung und herz— 
lihe Zuneigung gegründete Freund— 
Ichaft verfnüpfte mich ein paar Jahre 


in der Bortragstunft, wenn ich nicht lang mit Eduard Hamerski, einem 
irre, bei einem Hofſchauſpieler. Neben- jungen Polen aus Galizien, der im 
bei machte er Verfe, fpielte die Geige, hiſtoriſchen Seminar mein College 
und benahm fich in jeder Beziehung war und fich auf das Gymmafiallehr- 


04 


amt vorbereitete. Es beftand zwiſchen 
uns feine Gemeinfamteit poetifcher oder 
fonfliger Beftrebungen, aber die ideale 
und gefühlswarme Natur des jungen 
Mannes knüpfte zwifchen uns das 
Band eines ſympathiſchen Verkehrs, 
deſſen ich mich gern erinnere. 

Die einzige meiner Jugendfreunds 
Ichaften jedoch, welcher es durch die 
Verhältniſſe geftattet war, ich bis in’s 
Mannesalter fortzufpinnen, war die 
mit Leopold? Schulz dv. Strasznicli, 
dem Sohne des rühmlich bekannten 
Miener Mathematilers und Schul— 
mannes. Leider wurde auch dieſer 
Freund mir noch allzufrüh entriſſen. 
In verhältnismäßig jungen Jahren 
zur Stelle eines Sectionsratbhes im 
— — vorgerückt, ver— 
fiel er, ein Mann, der zu einer glän— 
zenden Laufbahn berufen ſchien, in 
unbeilbaren Irrſinn, ans deflen Um— 
nachtung ihn vor einigen Jahren der 
Tod befreite. Als eine edle Natur, 
feingebildet, von beftechender Liebens- 
wiirdigfeit, lebt er fort in meinem 
Gedächtnis. 

Ich Habe nicht umhin 


gekonnt, 


bier Derjenigen zu gedenken, deren 


freundichaftlihe Hingebung meinen 
jugendlichen Lebenspfad erfreulicher 
machte. Thäte ich aber recht, nicht auch 


Wenn ich bei dieſer Gelegenheit 
eine ziemliche Anzahl weiblicher Ge— 
ſtalten die Muſterung paſſieren laſſe, 
jo wird gegen den Vorwurf der Flat— 
terhaftigfeit mich die Beichaffenheit der 
Beziehungen ſchützen. Auch kann ich 
zur Beruhigung des Leſers verſichern, 
daß ich in keinem ſpäteren Abſchnitte 
meiner Lebensſtkizze wieder fo vielerlei 
von Ddiefer Art zu erzählen Haben 
werde. 

Das Tagebuch berichtet von Frühe 
lingstagen, wo „der lang eingefruftet 
gewejene Quell meiner Poeſie“ im 
Belvedere: Garten unter einem jchönen 
warmen Srühlingshimmel und unter 
denn Augenſtrahl eines in der Nähe 
| figenden jungen Mädchens plößlich wies 
der aufthaute — von Tagen, wo unter 
jolden Umftänden aus trüben Schmer— 
zen mir beitere Lieder entftanden, „wie 
die dunkelſchwarze Flut fih an Klip— 
‚pen zu hellweißen Perlen bricht“ — 
von Abenden auf dem Waſſerglacis, 
wo ih an Brudner’s Seite hinter 
‚einer einſam wandelnden Huldgeftalt, 
hinter einem „feinen, behenden Figür— 
‚chen, mit zartem, roſigem Gefichtchei, 
| fenrigebeweglichen Augen und einem 
‚Heinen rothen Mündchen“ einhergieng, 
‚bis ein latonifch-derbes, aufflärendes 
Wort des älteren und erfahrneren 





der Blumen zu gedenken, welche die, ‚Freundes mich aus dem Himmel des 
Meiblihfeit auf meinen Weg Idealismus riß — eines Idealismus, 
freute? Es foll nur in dem Maße der bei mir ziemlich lange herrſchend 
geſchehen, als es der Zweck einer Le⸗ geblieben iſt. 

bensgeſchichte an und für ſich erheiſcht. | Eines Tages traf ich bei Brudner 
Die Stellung eines Menjchen zur zwei junge Mädchen, „friſche Men— 
Weiblichkeit ift immer bedeutfan,- und fehenblüten, Naturkinder, obgleich übri⸗ 
wenn ich feſtſtelle, von welcher Art meine gens Trampelthierchen“, wie das Tage— 
Herzensangelegenheiten in der Epoche, buch vom 22. Juli 1849 ſich aus— 


um welche es ſich handelt, waren, ſo 
dürfte dies dem Leſer genügen, der 
von dieſer Skizze nicht mehr erwartet, 
als fie fein will: der kurze, treue 
Dericht eines Sehr einfachen Lebens 
laufes, einzig zu dem Zwecke nieder- 
geichrieben, den willfürliden 
Phantaſien der Verfafjer „bio- 
grapbifher Skizzen” einen 
Niegelvorzufchieben. 


drückt. „Mir,“ fo beißt es weiter, 
„der ich durch Umftände vom Leben 
ziemlich fern gehalten bin, gewährt 
‚die geringfügigfte Lebenserfcheinung 
‚großes Intereffe. Es war für mid 
‚ein Schmaus, zu beobachten, wie die 
guten Kinder fo altllug und haus— 
miltterlich Sprachen, wie fie die Lieder, 
die wir fie lehrten, jo ſchnell merkten, 
wie bie und da ein Liebesflänmmchen 


95 


auffladerte. O es ift ein Glühen, deren der Lefer aus einem früheren 
Blühen, Entfalten, Eleftrifieren und | Abfchnitte dieſer Mittheilungen ſich 
Ausftrahlen, wenn jugendliche reine erinnern wird, und im welcher ich 
Gemüther beiderlei Gejchlechts in Bes | fortfuhr, an freien Nachmittagen zu 
rührung kommen und fich naiv ihren | Uebungen auf dem Glavier mich ein— 
Empfindungen überlaffen! — Wie! zufinden, waren nah Regiswinda’s 
läutert Schönheit und Liebe — er- | Verheiratung ein Paar Mädchenblüten 
Icheine fie num als blaues Auge, als herangediehben, auf welche ich einen 
ein Curtiustod oder als Waldblumen= | Theil der ftillen Huldigung, die ich 








duft — — 08 regnen ja vielerlei der älteren Schwefter gewidinet Hatte, 
Schönheits- und Liebesblüten vom übertrug. Ich pflegte fie bei mir jelbit 
Baume der Schöpfung! — die „Blume“ und das „Vöglein“ zu 


„Nun verftehe ich,“ fagte ich zu nennen, weil die eine ſchön, ftill und 
Brudner, als die Mädchen fort waren, | ernft wie eine Blume war, die andere 
„nun verftehe ich die Liebezrofen Goes | herzig und munter wie ein Vogel. Die 
the's (Fauſt, 2. Theil, 5. Act). Got- Blume nannte ih in Verſen auch 
tesfunten, fallen fie nieder, vermählen | Iduna. In ihr ſchien mir etwas von 
fih dem verwandten promelheiichen dem madonnenhaften Ernfte und der 
Funken (der Schönheit), der im Weſen | Sanftheit Regiswinda’s fi zu er— 
glimmt, verzehren fein Häßliches, und | neuen, aber mehr von dem Ernſte als 
es brennt mehr oder weniger unge- von der Sanftheit. 
trübt die Rofenflanme der Schönheit Lebhafter geftalteten fich die Be— 
und Liebe. Nur auf Mephifto, den | ziehungen zu der erwähnten „Lilie.* 
abfolut Häßlichen, können dieſe Ihr ftand als anmuthiges Gegenftüd 
Roſen (Schönheits- und Liebesblüten) | eine blühende Schweiter, die „Nofe”, 
feine gute Wirkung üben! Ein Funke) gegenüber. Das poetiſch-erotiſche Wald— 
Schönheit muß im Wefen noch glims | idyfl, das in den Ferienmonaten zu 
men, wenn es das Schöne ergreifen Schweiggers ſich abjpielte, deſſen han— 
foll. Wenn aber dann Schönes das | delnde Perfon ich aber freilich fait 
Schöne liebend umfaßt, fo ift es allein war, ift nebft dem dazu gehörigen 
felig. Gegenfeitige Erfaffung des | Sonettentranze aufbehalten in meinem 
Schönen ift Liebe, ift Seligleit — Ferientagebuch von 1850, das ich dem 
ift Selbfibefhauung, Selbftfeligfeit Lefer Später vorzulegen gedente. 





Höchſten! — — — D wie viel lerne Ich komme auf jene Rofa zurüd, 
ih,“ fügte ich noch bei, „weiblichen , von welcher mir an dem Tage, welcher 
Weſen gegenüber!” ‚der „tolgenreichfte und wichtigfte mei— 


Brudner lächelte, weil ev mich nicht nes Lebens” hätte werden follen, dos 
verftand, ſagte aber glei) darauf : | begeifternde Gläschen Punsch credenzt 
„Studieren thu' ich zwar nichts bei | worden war. Diefes zarte, ſchlanke 
den Mädchen, aber e3 wird mir unter Geſchopf— das Kind einer mittellofen 
ihnen jo wohl, wie einem Hund mit Yamilie, die Thür an Thür neben 
Flöhen, wenn er in’3 Waſſer kommt!“ | uns wohnte, war die Geliebte eines 
— ,„D berlih, herrlich, Freund: feither berühmt gewordenen Architekten, 
Brudner! Das war zwar fein Hegel’= | ber fie an Sonntag-Nachmittagen im 
ches, aber ein Jean Paul’sches, ein | Wagen zu Spazierfahrten abholte. An 
Leibgeber'ſches Wort! Ich werde es | Mocentagen aber war fie nichts weiter 
nicht vergeffen. Du verfpürteft die als Arbeiterin in einer Druderei. Sie 
Goethe'ſchen »Rofen«! Du dentft | hatte ein feines Weſen, das über diejen 
nicht wie ich, aber Du fühlſt wie, ihren Stand und Beruf binausgieng. 
ih!" — Doch ich halte mich lieber wieder an die 


In der Familie Regiswinda's, Urkunden des Tagebuchs — die wört— 





96 


lihen Urkunden, was der Lefer nie 
bergeffen möge. 


20. Jänner 1850. 


„Eine gewiffe Nofa, jung, hübſch, 
jchönäugig, naid, feurig — befucht 
uns jeden Abend und lernt Glavier- 
jpiel und Singen von mir. Wir — 
den Brudner natürlich miteingefchloffen 
— unterhalten uns ganz köſtlich; es 
wird gelungen, getanzt, gefcherzt, oft 
bis in die tiefe Nacht. 

Mir ift Alles, was Abwechslung 
in mein Leben bringt, unendlich will— 
fommen ; und fo bin ich ganz entzüdt 
über diefe Heine Gunft des Schidjals. 
Freilich muß ich fehen, daß die gute 
Rofa fi ganz und gar zu meinem 
blühenden Freunde Hinneigt, und daß 
ich auf die Rolle des Zufchauers be— 
ſchränkt bin. Aber für den Poeten ift 
auch Zufhauen ein Glück — id 
ſchaue nicht fruchtlos zu: ich rolle 
meine Mappe auf und zeichne und 
flizziere nach der Natur. Ich glaube, 
dak der Poet wie der Maler Studien 
nah der Natur zu feinem Frommen 
machen kann und foll; es läßt Sich 
dem wirklichen Leben viel Poeſie ab- 
laufchen. Manches ift fogar jo bedeu— 
tend, daß man es, fo wie es ift, in 
ein Drama dibertragen könnte. Ich 
habe wenig gelebt; und doch Habe ich 
Thon mehr des Schönen im Leben 
gefunden als in der Kunſt. Aus man 
chem Frauenauge und Antlig Hat mich 
das Göttliche oft reiner und ergreis 
fender angefirahlt, al3 aus den groß 
artigften poetifhen und Kunſtwerken. 
Malt der Poet die Geftalt? bildet 
der Maler das Wort und die Bewe— 
gung nah? Nur im Leben erfcheinen 
die Momente der Schönheit beiſam— 
men. Des Menfchen Sinn und Thun 
bleibt die angemellenfte Erſcheinungs— 
weile des Göttlihen und Schönen; 
wäre es nicht jo, jo hätte Gott ftatt 
der Menschen und der Natur, wie ich 
meine, lieber gleich Statuen und Verſe 
erschaffen.“ 


12. Mai 1850. 


„Ich habe meine Schülerin, die 
Nofe, verloren. Da wir am 7. d. M. 
die neue Wohnung bezogen, fo hören 
die Elavierlectionen zu meinem großen 
Verdruſſe auf. Nichtsdeftoweniger wäh 
ren die freundfchaftlichen und anmuthi— 
gen Verhältniſſe fort: Heine Geſchenke 
und zarte Worte werden wie früher 
gewechjelt. Zu Oftern überreichte ich 
ihr ein rothes Ei in meinem und 
Bruckner's Namen mit der Upfchrift: 


Süße Nofe, zarte Rofe, 
Nimm dies Ei mit vother Schale! 
Du bift jelbft ein Ei, Du Loſe, 
Unſer Herz ift Deine Scale: 

Und wie Der, der diejes Ei ikt, 
Erit die Schale muß zerbrechen, 
Muß, wer Dich zu frei'n jo frei ift, 
Vorher, ad, das Herz uns breden! 


Neulich begegnete ich ihr Abends. 
Ich fragte fie, ob fie heute nicht, wie 
ſonſt öfter, eine Nofe für mich Habe. 
„D ja, Sie jollen eine haben,” fagte 
fie; „warten Sie hier beim Thore — 
wir fanden vor ihrem Haufe — ich 
werfe fie Ihnen vom Fenfter herunter. 
Geben Sie acht!“ — Sie gieng hinein, 
ich blidte unverwandt zu ihrem Fenfter 
hinauf. Dies that ſich auf, eine Roſe 
fiel nieder, aber leider verhinderte mich 
die Dunkelheit, fie zu finden. „Warten 
Sie," rief fie, „vielleicht finde ich eine 
andere!” — Nach einiger Zeit fiel 
— feine Rofe, aber ein Rofenzweig 
herab, mit unaunfgeblühten Knoſpen 
bededt. Sie hatte feine volle Roſe 
mehr gefunden, 

Arme Knoſpen! jo Früh mußtet 
‚ihr Sterben, durftet euch micht ent— 
‚falten und des Lenzes freuen wie ihre 
Schweſtern! Doc, tröftet euch: wenn 
die Blätter eurer Schweltern Tängft 
in alle Winde verweht find, werdet 
ihr noch aufbewahrt und heilig ge= 
halten fein; wenn eure Schweltern 
‚längft mit der Blüte den Duft ver- 
loren, werdet ihr, wenn auch verblüht, 
mie noch lieblich duften! Lenzes= und 
Liebesboten fterben ja meiftens Früh 
— doch eben der frühe Tod macht fie 











97 

unfterblih. Ich preife euch glüdlich, | widelt. Der Tifh, an welchen wir 
füße, frühgeftorbene, unſterbliche Ro- | unfere abendlichen Schreibeübungen an= 
fenfnofpen! (Befler findet der Lefer ftellten, ftand in der Nähe des ftarf 
das ausgedrüdt in dem fpäter gedich-  geheizten Ofens. Das hatte natürlich 
teten Sonette „die Rofenknofpen“, Einfluß auf den Hitzegrad meines 
„Sinnen und Minnen“, ©. 265.) | Empfindens, und ich kam immer lichter- 

Als ich mach einigen Tagen Roſa lod-glühend aus Jadviga's Gemach. 
wieder ſah, fagte ih ihr: „Die Ro— Wer weiß, bis zu welchem Grade 
ſenknoſpen,' dir-Sie mir gefchentt, find | Réaumur die Temperatur in ihrer 
zwar ſchon welk, aber fie duften noch Nähe noch geftiegen wäre, Hätte die 
immer. Wiffen Sie, warum das ſo ſchöne Polin ſich nicht plöglih ver- 
fein mag?" — „Nun?“ fragte fie. anlaßt gejehen, das Haus, in welchem 
— „Weil fie von -Ihnen find.” — ſie weilte, zu verlafjen und Gott weiß 
„Nein,“ erwiderte fie, „weil fie bei wohin zu ziehen. Sie verjprad mir 


Ihnen find!“ — 

Ein Geift ohne Bildung und ein 
Herz ohne Liebe — und ein fo ſchöner 
Gedanke! Wie vereint ſich das ? 

Sie liebt mich nicht — das hat 
fie mir oft faſt beleidigend = deutlich 
bewiefen — aber fie erjeigt mir bei— 
nahe abſichtslos unendlich viel Liebes 
und Gutes. Ein folches Verhältnis ift 
da3 geeignetfte für mich als Dichter, 
Studien zu machen und insbejondere 
das oft jo rätdfelhafte Leben und 
Weben eines Frauenherzens zu belaus 
Shen. Ein wirkliches Liebesverhältnis 
dagegen würde mich mehr aufregen, 
verwirren und feſſeln.“ — 

Nun, ein „wirkliches Liebesverhält- 
nis“ blieb mir zwar noch lange er— 
part — nicht aber die „größere Auf: 
regung, Verwirrung und Feſſelung.“ 

Jadviga war eine junge Polin von 
reifer Schönheit, welche zwar deutjch 
ſprechen, aber micht fchreiben gelernt 
hatte. Sie wünſchte das Verſäumte 
nachzuholen, und ich bot ihr meine 
nneigennüßigen Dienfte an. Sie hatte 
winderbare Augen und Hände, die 
ih für die fchöuften der Welt hielt, 
bis ich ſpäter die der Harfenkünftlerin 
Marie Mösner kennen lernte. Mas 
ihren Stand betrifft, fo lebte fie zivar 
in der vornehmen Gefellichaft, gehörte 


zu fchreiben, aber bis heute Hat fie 
nichts weiter von fich Hören laſſen. 
Ich will mich hier nicht in die Ein- 
zelheiten verlieren; aber ich muß ge— 
ſtehen, wenn ich unter den Huldinnen 
(nicht Heldinnen) meiner erſten In— 
gendzeit jetzt noch zu wählen, oder, 
beſſer geſagt, zu erklären hätte, mit 
welcher nicht vertrauter geworden zu 
ſein ich jetzt am meiſten bedauere, 
jo würde meine Wahl nur zwiſchen 
Zweien ſchwanken. Die erſte nenne ich 
nicht — die zweite wäre Jadviga. 
Ich verweiſe den Leſer auf das Sonett 
„An Jadviga“ in „Sinnen und Min— 
nen“ S. 201. 

Das war im November und Des 
cember 1850; im Februar des nächften 
Sahres kam es zu einer neuen, aber 
für jene Epoche legten Aufregung und 
Verwirrung diefer Art. 

Bei Jadviga bewahrte mich eine 
baldige raſche Trennung vor jeder Art 
Enttäufchung. Jetzt war mir's vom 
Schickſal verhängt, einen Schritt weiter 
zu machen auf der Bahn der Liebe 
— bis zu einer förmlichen Erklärung 
beiderſeits und bis zu einem Stell— 
dichein. Aber wie nichts leichter ent— 
flammt iſt als ein Dichterherz, ſo iſt 
auch nichts leichter erklältet durch den 
geringſten rauhen Hauch der Wirklich— 
eit. Die idealen Anforderungen eines 


aber nicht derſelben an. Ich glaube jugendlichen Herzens ſind ungeheuer. 
bei längerem Verkehr mit dieſem weib— In der mehrerwähnten Familie 
lichen Weſen hätte ſich bei mir eine Regiswinda's war ich im Februar 
wirkliche gefährliche Leidenſchaft ent- 1851 zu einem Hausballe miteinge— 


Koſegger's „„Geimgarten‘‘ 2. Heft, XI. 7 


laden. Die Gäfte waren verfanmmelt, | 
der Tanz war angegangen, da trat 


noch ein junges, fchönes Paar ein — 
Bruder und Schweſter. Die Beiden 


wurden bewillfommt und alsbald aufs | 


gefordert — fie waren aus Graz nad | 
Mien gelommmen und erſt feit Kurzem | 
da anfäffig — einen ſteiriſchen; 
Tanz zum beften zu geben. Sie, 
thaten es und man konnte nichts 
Schöneres fehen als den Tanz diefer 
Geſchwiſter, die an MWohlgeftalt und 
an fefjelnder Anmuth der Bewegungen 
mit einander wetteiferten. Ich war 
entzüdt umd verlor das Mädchen wicht 
mehr aus den Augen. 

Wir kamen neben einander zu ſitzen, 
und eh’ ich mich beffen verfah, war 
ein Geſpräch angelnüpft, das wunder— 
bar in Fluß gerieth und gar fein 
Ende mehr nahın. Ich fprudelte von 
Poeſie. Und als num gar der Cham— 
pagner kam, und wir, welivergefien 
neben einander fißend, tranfen, und 
ihre Augen wonnig funfelten, 
claffiich = feingefchnittenes Antlitz ſich 
roſig verflärte, da wurde ich dieſer 
Rofe gegenüber förmlich zur flötenden 


und trillernden Nachtigall. Die Töchter | 


des Haufes, die feit Jahren gewohnt 
waren, Alles eher von mir zu et= 


warten, als daß ich einmal den Mund | 


auftgun und zehn Worte hintereinan— 
der ſprechen könnte, waren förmlich 
verblüfft von der Wahrnehmung diefer 
plöglicden Beredtfamfeit. Aber die 
Schleußen waren nun einmal geöffnet, 
und es gereichte mir zu einer Art von 
Genugthuung, zu beweifen, daß ich 
am Ende fein todtes Stüd Holz, ſon— 
dern eine Flöte fei, die ganz gute 
Töne von fich gebe, wenn man nur 
verftehe darauf zu ſpielen. Sidonie 
— Schon der Name war bezaubernd — 
hatte es verftanden, und der Cham— 
pagner that das Uebrige. 

Wir ſaßen thatfählich die ganze 
Naht hindurch plaudernd beifanmen. 
Hatte ich mit einer andern als ihr 
getanzt, jo feßte ich mich doch immer 
wieder neben fie, und auch fie fehrte 


ihr | 


immer wieder auf ihren Play neben 
mir zurüd. 


O diefe Ballnacht! fie war etwas 
für mich moch nicht Dagewefenes — 
fie war das Schönfte in meinem bis— 
bherigen Leben! 


Ich wußte damals noch nicht, daß 
man allen jchönften Momenten ihre 
Schönheit und Unvergänglichleit mur 
bewahren Tann, wenn man feinen 
Verſuch macht, fie zu wiederholen. Ich 
erfundete, daß Sidonie mit ihrem 
‚Bruder einer Strohhutniederlage in 
der inneren Stadt — im Krämer— 
| gäßchen — vorftehe. Jh gieng auf 
| Entdedung diefes Strohhutladens aus, 
ſchlich vor denfelben des Abends im 
| Dämmerfchein der angezündeten La— 
ternen auf und ab und fchidte in einem 
Moment, wo Sidonie allein Hinter den 
Strohhiten ſaß, ein müßig umher— 
(ungerndes Büblein mit einem Chklus 
von acht Liedern „An Sidonie* zu 
ihr hinein. (Eines davon fteht in 
„Sinnen und Minnen“ unter dem 
‚Titel „Liebesgruß.*) Sidonie las die 
Blätter — ich beobachtete fie dabei 
‚von der Gaffe aus und dann fam der 
Knabe mit der Einladung zurüd, „für 
einen Augenblid bei ihr einzutreten“. 
Ich glaubte nicht recht gehört zu ha— 
ben. Darauf war ich nicht vorbe- 
reitet! Ja, wahrhaftig — ih „traute 
mich nicht“ einzutreten! — Aber ich 
ſetzte meine abendlichen Wandelgänge 
vor dem Laden fort. Bruder, durch 
meine begeifterten Schilderungen des 
Mädchens neugierig gemacht, fieng 
ebenfall® an, durch das Krämergäßchen 
zu fchleichen und versprach mir unaufe 
gefordert, Sidonien im Auge zu bes 
halten „um meinetwillen“. Ich 
erfuchte ihn, dies bleiben zu laſſen — 
„um meinetwillen“. 


Was ih von Sidonien wollte, war 
ein Brieflein — ein zartes Brieflein ; 
zur Antwort auf das meinige. Ein 
zartes Brieflein an mich von Mädchen 
hand — das fchien mir der Gipfel 
alles Wiünfchenswerten! Ich ſchrieb 





99 
ihr menerdings und bat fie, meine erften Anzeichen eines Schnupfens ver— 
Lieder zu vernichten; nächſten Don- fpürte. Sidonie erwiderte, ich fei ihr 
nerstag abends würde ich einen Boten | „Fehr wert und angenehm“, aber ihr 
zu ihr in den Laden fenden mit der Bruder werde eine „Bekanntschaft mit 
Frage, „wie ſich die Nahtigallen einem Studenten“ niemals dulden. 
befänden?“ und wenn fie mir dann | Eine Belanntfchaft! Du lieber Hine 
fagen ließe, die Nachtigallen „feien | mel! was hatte ich denn gewollt, als 
erfroren, weil die Witterung noch durch das Krämergäßchen luftwandeln 
zu kalt if,“ fo folle mir dies ein und ihr Berslein „an Sidonie“ zus 
Zeichen fein, daß fie meiner Bitte! fenden? Die Berufung auf den Bru— 
willfahrt und die Lieder vernichtet der baute meinem Nüdzug aus der 
habe. Das würde fie doc) zu einer) Brofa in die Poelie des Herzens eine 


brieflichen Aeußerung zwingen, meinte 
ih. Aber auf meine poetifche Blumen— 
ſprache gieng Sidonie nicht ein, weder 
brieflih, noch mündlich, ſondern lieh 
mir durch den Donnerstagsboten ein= 
fach Jagen, ich möge un 7 1/, Uhr Abends 
in der Galle auf fie warten. . 

Ih wartete. Sie kam. Wir ftan- 
den einander gegenüber, ich ſprach fie 
an, und wir giengen zufammen fort. 

Mas konnte ich anders, al3 von 
meiner Liebe reden? Leider herrſchte 
eben ein garftiges Nebel- und Regen— 
wetter, wir mußten die Schirme auf: 
Ipannen, und unfer Geſpräch wurde 
alle Augenblide durch Rippenftöhe der 
im Koth der Straße ſich drängenden 
Menge unterbrochen. O wie verjchie= 
den war diejer Abend von jener Ball: 


goldene Brüde. Als wir das Kärntner— 
thor hinter uns hatten und der Negen 
immer flärfer miederträufelte, machte 
ih Halt und verabſchiedete mich von 
dem lieben Kinde. Entjprechende Worte 
wurden dabei gewechlelt, warm ge= 
meint, aber naßkalt angehaucht. Allein 
ftehend auf dem finfteren Glacis unter 
dem aufgelpannten Regenſchirm, kam 
ih mir wie ein Philifter vor und be— 
taftete mich unwillkürlich, ob ich nicht 
einen ſpitzen rad anhätte und einen 
Cylinder auf dem Kopf und eine weiße 
Binde um den Hals... 

So liebte ih mit zwanzig Jah 
ren! — 

Als ich das Hiftorisch-philologische 
Seminar befuchte, lagen diefe miß— 
Iungenen Berfuche zu lieben und ge— 


nacht bei ftrahlenden Kerzen und pers | liebt zu werden ſchon Hinter mir. Im 
lendem Champagner! — Auch trug| Jahre 1852 bedurfte man am There- 
Sidonie ein altes Umfchlagetuch von | ſianum eines philologischen Supplenten 
etwas verblichener braumcother oder und wandte ſich an Boniß: dieſer 
braungelber Farbe, das ihren zierlichen | ſchlug mich vor. Sch dachte nicht, mit 
Leib entitellte. Das Alles raubte mir | dem Gymnaſiallehramt Ernst zu machen; 
Stimmung md Befonnenheit. Aber | aber warum follte ich micht durch eine 
ih mußte reden, mußte dom meiner solch’ vorläufige Veſchäftigung meine 
Liebe ſprechen, und als ich damit zu | finanzielle Lage verbefjern ? Ih nahm 
Ende war, blieb mir nichts übrig, als alſo an, und als man im nächſten 
Sidonie zu fragen, ob auch ſie mich Semeſter meine Aushilfe für das 
liebe. Es gibt nichts Fataleres, als | atademifche Gymnaſium beanſpruchte, 
eine Liebeserklärung oder die Frage: nahm ich "ebenfalls an, und als man 
„Lieben Sie mich, mein Fräulein 9° | zu Beginn des nächſten Schuljahres 
bei einem Hundewetter im Freien oder | meiner am Grazer Gymmafium zu bes 
ſonſt zu ungelegener Stunde, befonders | dürfen glaubte, folgte ich auch dieſem 
wenn man fich kaum noch kennt. Ich Rufe, bereit, auf diefem Wege aus— 
ſelbſt fühlte mich durch die an Sidonie | zuharren, bis ein dichteriſcher Er— 
gerichtete Frage Jo ernüchtert und er- folg mir eine unabhängige Stellung 
kältet, daß ich unmittelbar darauf die jicherte. 


100 


Ich verlebte da ganz 
Die Vormittage 


Terlago in Unter-St. Veit bei Wien | brachte ich fpazierend, leſend, dichtend 


gefolgt, wo ich Gaftfreundfchaft genoß 
und dafür mit dem Söhnlein des 
Grafen täglih eine Stunde lang den 


in den prädtigen Laubgängen des 
nahen Schönbrunner Parkes zu. 


Eine moralifdhe Erzählung. 


Aus berühmten Säriften mitgetheiltvon 9. M. 


en einer italieniſchen Seeſtadt 
blebte vor Zeiten ein Handels— 
mann, der fi von Jugend auf durch 
Thätigkeit und Klugheit auszeichnete. 
Er mar dabei ein guter Seemann und 
hatte große Reichthümer erworben, ine 
dem er felbft nad Nlerandrien zu 
ſchiffen, koſtbare Waren zu erfaufen 





eben an einem jährlichen Feſte, das 
befonders der Kinder wegen gefeiert 
wurde. Knaben und Mädchen pflegten 
nad dem Gottesdienfte in allerlei Ver— 
Heidungen ich zu zeigen, bald in 
Vroceffionen, bald in Scharen dur 
die Stadt zu herzen, und fodanı im 
Felde auf einem großen freien Platz 


oder einzutaufchen pflegte, die er al3= allerhand Spiele zu treiben, Kunſt— 


dann zu Haufe wieder abzufeßen oder 
in die nördlichen Gegenden Europas 
zu verfenden wußte. Sein Vermögen 
wuchs von Jahr zu Jahr um jo mehr, 
als er in feiner Gejchäftigfeit felbft 
das größte Vergnügen fand und ihm 
feine Zeit zu Eoftjpieligen Zerſtreu— 
ungen übrig blieb. Bis in fein fünf- 
zigftes Jahr Hatte er fi auf diefe 
Weiſe emfig fortbefhäftigt, und ihm 
war bon den gefelligen VBergnügungen 
wenig befannt worden, mit welchen 
ruhige Bürger ihr Leben zu woiirzen 
verftehen; eben fo wenig hatte das 
Ihöne Gefchleht, bei allen Vorzügen 
feiner Landsmänninnen, feine Aufs 
merkſamkeit weiter erregt, als infofern 


ftüde und Gejchidlichkeiten zu zeigen, 
und in artigem Wettftreit ausgeſetzte 
Heine Preife zu gewinnen. 

Anfangs wohnte unfer Seemann 
diefer Feier mit Vergnügen bei; als 
er aber die Lebensluft der Kinder und 
die Freude der Eltern daran lange 
betrachtet, und fo viele Menſchen im 
Genuß einer gegenwärtigen freude 
und der angenehmften aller Hoffnungen 
gefunden Hatte, mußte ihm bei einer 
Rückkehr auf fich felbft fein einfamer 
Zuftand äußerſt auffallen. Sein leeres 
Haus fieng zum erjtenmal an, ihm 
ängftlich zu werden, und er klagte ſich 
felbft in feinen Gedanfen an. 

O ich Unglüdfeliger! warum gehen 


er ihre Begierde nah Schmud und mir fo fpät die Augen auf? warum 


Koftbarkeiten ſehr wohl kannte und fie 
gelegentlich zu nußen mußte. 

Wie wenig verfah er fich daher 
auf die Veränderung, die in feinem 
Gemithe vorgehen follte, als eines 
Tages fein reichbeladenes Schiff in 
den Hafen feiner Baterftadt einlief, 


erkenn' ich erft im Alter jene Güter, die 
allein den Menfchen glücklich machen ? 
So viel Mühe! fo viele Gefahren ! 
was haben fie mir verfhafft? Sind 
gleih meine Gewölbe voll Waaren, 
meine Kiften voll edler Metalle, und 
meine Schränke voll Schmud und 


Während der Trerienmonate 1853 | Homer las. 
war ich einer Einladung des Grafen | angenehme Tage. 


— — 


Kleinodien, ſo können doch dieſe Güter 
mein Gemüth weder erheitern noch 
befriedigen. Je mehr ich ſie aufhäufe, 
deſto mehr Geſellen ſcheinen ſie zu 
verlangen; ein Kleinod fordert das 
andere, ein Goldſtück das andere. Sie 
erkennen mich nicht für den Haus— 
herrn; ſie rufen mir ungeſtüm zu: 
Geh' und eile, ſchaffe noch mehr un— 
ſeres Gleichen herbei! Gold erfreut ſich 
nur des Goldes, das Kleinod des 
Kleinodes! So gebieten ſie mir ſchon 
die ganze Zeit meines Lebens, und 
erſt ſpät fühle ich, daß mir in Allem 


dieſen fein Genuß bereitet iſt. Leider | 


jest, da die Jahre kommen, fange ich 
an zu denken und fage zu mir: Du 
genießelt diefe Schäße nicht, und Nie— 
mand wird fie nach dir genießen! Haft 
du jemals eine geliebte Frau damit 
geſchmücht? Haft du eine Tochter da— 
mit ausgeftattet ? haft du einen Sohn 
in den Stand gefeßt, fich die Neigung 


eines guten Mädchens zu gewinnen | 


und zu befeftigen ? Niemals! Bon 
allen deinen Beligthümern haft du, 
bat Niemand der deinigen etwas be= 
feffen, und was du mühſam zuſam— 





oft denen, die fie zu Früh vom Him— 
mel erhalten, zur Laft werden und 
zur Verwirrung gereichen. 

Als er durch diefes Selbſtgeſpräch 
feinen Vorſatz bei ich befeftigt Hatte, 
tief er zwei Schiffsgefellen zu ſich und 
eröffnete ihnen feine Gedanken. Sie, 
die gewohnt waren, in allen Yällen 
willig und bereit zu fein, fehlten auch 
diesmal nicht, und eilten, fich in der 
Stadt nach den jüngften und fchönften 
Mädchen zu erkundigen; denn ihr 
Batron, da er einmal nad diejer 
Waare lüftern ward, follte auch die 
befte finden und befigen. 

Er jelbit feierte fo wenig al3 feine 
Abgefandten. Er gieng, fragte, ſah 
und hörte, und fand bald was er 
‚fuchte im einem Frauenzimmer, das 
‚in diefem Augenblid das ſchönſte der 
ganzen Stadt genannt zu werden ver— 
‚diente, ungefähr ſechszehn Jahre alt, 
‚mwohlgebildet und gut erzogen, deren 
Geftalt und Wefen das Angenehmſte 
zeigte, und das Befte verjprad). 


Nah einer kurzen Unterhaltung, 
durch welche der vortheilbaftefte Zu— 


mengebradht haft, wird mach deinem | Hand, jowohl bei Lebzeiten als nach 


Tode ein Fremder leichtfertig ver— 
praſſen. 

O wie anders werden heute Abend 
jene glücklichen Eltern ihre Kinder um 
den Tiſch verſammeln, ihre Geſchick— 
lichkeit preiſen und fie zu guten Thaten 
aufimuntern! welche Luft glänzte aus 
ihren Augen, und welche Hoffnung 
fhien aus dem Gegenwärtigen zu 
entipringen ! Sollteft Du denn aber 
jelbft gar feine Hoffnung fallen können ? 
bift du denn ſchon ein Greis? Iſt es 
nicht genug, die Verſäumnis einzu— 
fehen, jetzt, da noch nicht aller Tage 
Abend gefommen ift? Nein, in deinem 
Alter ift es noch nicht thöricht, an's 
Freien zu denfen; mit deinen Gütern 
wirft du ein bravdes Weib erwerben 
und glüdlih machen: und ſiehſt du 
noch Kinder in deinem Haufe, jo wer: 
den Dir diefe jpätern Früchte den 


größten Genuß geben, anftatt daß fie | Liebe gegen das Gefühl 


dem Tode des Mannes, der Schönen 
verfichert war, vollzog man die Heirat 
mit großer Pracht und Luft; und von 
diefem Tage an fühlte ſich unfer Han 
delsmann zum erſtenmal im wirklichen 
Belig und Genuß feiner Reichthimer. 
Nun verwandte er mit Freuden die 
Ihönften und reichiten Stoffe zur Be— 
Heidung des ſchönen Körpers, die Ju— 
welen glänzten ganz anders an der 
Brut und in den Haaren feiner Ge— 
liebten als ehemals im Schmudkäſtchen, 
und die Ringe erhielten einen unend— 
lihen Wert von der Hand, die fie trug. 

Co fühlte er ſich nicht allein jo 
reich, Sondern reicher als bisher, indem 
‚feine Güter fich durch Theilnehmung 
‚und Unwendung zu vermehren fchie= 
men. Auf diefe Weiſe lebte das Paar 
faft ein Yahr lang in der größten 
Zufriedenheit, und er fchien feine 
häuslicher 


102 


Glückſeliglkeit gänzlich vertaufcht zu 
haben. Aber eine alte Gewohnheit 
legt fich fo leicht nicht ab, und eine 
Richtung, die wir früher genommen, 
fann wohl einige Zeit abgelenkt, aber 
nie ganz unterbrochen werden. 

So hatte auch unfer Handelsmann 
oft, wenn er andere fich einfchiffen 
oder glüdlih in den Hafen zurück— 
fehren ſah, wieder die Regungen feiner 
alten Leidenfchaft gefühlt, ja er hatte 
jeloft in feinem Haufe an der Seite 
feiner Gattin manchmal Unruhe und 
Unzufriedenheit empfunden. Diefes Ver: 
langen vermehrte fich mit der Zeit und, 


Freilich ift es ein gewagtes Unter- 
nehmen, ſich von einer jungen liebens= 
wirdigen Frau zu entfernen. Iſt es 
billig, um ein veizende& und reizbares 
Mädchen zu freien, und fie nach einer 
furzen Zeit ſich ſelbſt, der langen 
Meile, ihren Empfindungen und Bes 
gierden zu überlaffen ? Spazieren diefe 
jungen, feidenen Herren nicht fchon 
jet vor meinen Fenſtern auf und ab? 
ſuchen fie nicht ſchon jetzt in der 
Kirche und in Gärten die Aufmerk— 
ſamkeit meines Weibchens an ſich zu 
ziehen? Und was wird erſt geſchehen, 
wenn ich weg bin ?- ſoll ich glauben, 


verwandelte ſich zuleßt in eine ſolche daß mein Weib durch ein Wunder 
Sehnſucht, daß er fich äuferft unglüd= gerettet werden könnte? Nein, in ihrem 
lich Fühlen mußte, und — zulegt | Alter, bei ihrer Gonftitution wäre es 
wirklich frank ward. ‚thöriht zu Hoffen, daß ſie fich der 

Was fol nun aus dir werden 2. Freuden der Liebe enthalten könnte. 
fagte er zu ſich ſelbſt. Du erfährft | Entfernft du dich, fo wirft du bei 
num, wie thöricht es ift, im fpäten deiner Nüdkunft die Neigung deines 


Jahren eine alte Lebensweife gegen 
eine neue zu dertaufchen. Wie follen 
wir das, was wir immer getrieben 
und gefucht Haben, aus unfern Ges 
danken, ja aus unfern Glieder wies 
der herausbringen ? Und wie geht es 
mie nun, der ich bisher wie ein Fiſch 
das Mafjer, wie ein Vogel die freie 
Luft geliebt, da ich mich in einem 
Gebäude bei allen Schäßen und bei 
der Blume aller Reichthümer, bei einer 
fhönen jungen Frau, eingefperrt habe? 
Anftatt daß ich dadurch hoffte Zufries | 
denheit zu gewinnen und meiner Güter 
zu genießen, jo ſcheint es mir, daß 
ih alles verliere, indem ich nichts 
weiter erwerbe. Mit Unrecht Hält man 
die Menfchen für Thoren, welche in 


1} 








Weibes und ihre Treue zugleich mit 
der Ehre Deines Haufes verloren haben. 

Diefe Betrachtungen und Zweifel, 
mit denen er fich eine Zeit lang quälte, 
verichlimmerten den Zuftand, im dem 
er fich befand, auf's Aeußerſte. Seine 
Frau, feine Verwandten und Freunde 
betrübten ſich um ihn, ohne daß fie 
die Urfache feiner Krankheit hätten 
entdeden können. Endlich gieng er 
nochmals bei fich zu Nathe und vief 
nach einiger Ueberlegung aus: Thö— 
richte Mensch! du läſſeſt es dir fo 
fauer werden, ein Weib zu bewahren, 
da3 dur doch bald, wenn dein Uebel 
fortdanert, fterbend Hinter dir und 
einem Andern fallen mußt! If es 
nicht wenigſtens klüger und beſſer, du 


raſtloſer Ihätigleit Güter auf Güter | fuchtt das Leben zu erhalten, wenn 
zu häufen ſuchen: denn die Thätigkeit | du gleich in Gefahr kommſt, an ihr 
ift das Glüd, und für den, der die dasjenige zu verlieren, was al3 das 
Freuden eines ununterbrochenen Bez höchſte Gut der Frauen gefchäßt wird ? 
firebens empfinden kann, ift der er- Wie mancher Mann kann durch feine 
worbene Reichthum ohne Bedeutung. | Gegenwart den VBerluft diefes Schabes 
Aus Mangel an VBeihäftigung werde | nicht Kindern, und vermißt geduldig, 
ich elend, aus Mangel an Bewegung | was er nicht erhalten kann! Warum 
frank, und wenn ich feinen anderen | jollteft du nicht Muth Haben, dich eines 
Entſchluß faſſe, fo bin ich im kurzer) jolhen Gutes zu entſchlagen, da von 
Zeit dem Tode nahe. |biefem Entſchluſſe dein Leben abhängt! 


Mit diefen Worten ermannte er 
ih und ließ feine Schiffägejellen rufen. | 
Er trug ihnen auf, nah gewohnter 
Weiſe ein Fahrzeug zu befrachten und 
Altes bereit zu halten, daß fie bei dem 
erften günftigen Winde auslaufen Fönn- 
ten. Darauf erllärte er fich gegen feine 
Fran folgendermaßen: 

„Lab Dich nicht befremden, wenn 
Du in dem Haufe eine Bewegung 
fiehft, woraus Du ſchließen kannſt, 
daß ich mich zu einer Abreife anfchide ! 
Betrübe Dich nicht, wenn ich Dir ges 
ftehe, daß ich abermals eine Seefahrt 
zu unternehmen gedenfe! Meine Liebe 
zu Dir ift noch immer diefelbe und 
fie wird es gewiß im meinem ganzen 
Leben bleiben. Ich erfenne den Wert 
des Glüds, das ich bisher an Deiner 
Seite genoß, und würde ihn noch 
reiner fühlen, wenn ich mir wicht oft 
Vorwürfe der Unthätigkeit und Nach— 
läffigkeit im Stillen machen müßte. | 
Meine alte Neigung wacht wieder auf 
und meine alte Gewohnheit zieht mich. 
wieder an. Erlaube mir, daß ich den 
Markt von Alerandrien wieder ehe, 
den ich jet mit größerem Eifer be— 
fuchen werde, weil ich dort die köſt— 
lichen Stoffe und die edelften Koftbars 
feiten für Did zu gewinnen denfe. | 
Ih laſſe Did im Beſitz aller meiner, 
Güter und meines Vermögens; bediene | 
Did deflen und vergnüge Dich mit, 
Deinen Eltern und Verwandten. Die 
Zeit der Abweſenheit geht auch vor— 
über, und mit vielfacher Freude wer-— 
den wir uns wiederjchen.” 

Nicht ohne Thränen machte ihm 
die liebenswiürdige Fran die zärtlichiten 
Vorwürfe, verficherte, daß fie ohne ihn 
feine fröhliche Stunde Hinbringen werde, | 
und bat ihn nur, da fie ihn weder, 
halten könne, noch einfchränten wolle, 
daß er ihrer auch in der Abweſenheit 
zum Beten gedenken möge. 

Nahdem er darauf VBerichiedenes 
mit ihr über einige Geſchäfte und 
häusliche Angelegenheiten geſprochen, 
fagte er nach einer Heinen Pauſe: „Ich 
habe nun noch etwas auf dem Herzen, | 


' 





davon Du mir frei zu reden erlauben 
mußt; nur bitte ich Dich auf's Herz- 
lichjte, nicht zu mißdeuten, was ich 
fage, fondern auch ſelbſt in dieſer 
Beforgnis meine Liebe zu erfennen.“ 

„sch kann es errathen,” verfeßte 
die Schöne darauf. „Du bift meinet- 
wegen beforgt, indem Du nah Art 


der Männer unfer Gefchlecht ein- für 


allemal für ſchwach Hältft. Du Haft 
mich bisher jung und froh gefannt, 
und nun glaubft Du, daß ich in Deiner 
Abweſenheit leichtiinnig und verführbar 
fein werde. Ich ſchelte diefe Sinnesart 


nicht, denn fie it bei Euch Männern 


gewöhnlich; aber wie ich mein Herz 
fenne, darf ih Dir verfichern, daß 
nichts fo Leicht Eindrud auf mic 
machen und fein möglicher Eindrud 
fo tief wirken foll, um mich von dem 
Wege abzuleiten, auf dem ich bisher 
an der Hand der Liebe und Pflicht 
hinwandelte. Sei ohne Sorgen, Du 
follft Deine Fran jo zärtlich und treu 
bei Deiner Nüdkunft wiederfinden als 
Dur fie Abends fandeft, wenn Du nad 
einer Heinen Abweſenheit in meine 
Arme zurückkehrteſt.“ 

„Diefe Gefinnungen trau’ ich Dir 
zu,“ verfeßte der Gemahl, „und bitte 
Did, darin zu verharren. Laſſ' uns 
aber an die äußerſten Fälle denken ! 
warum ſoll man fich nicht auch darauf 
vorſehen? Du weißt, wie ſehr Deine 
Ihöne und reizende Geftalt die Augen 
unferer jungen Mitbürger auf ſich 
zieht: fie werden fich in meiner Ab— 
wefenheit noch mehr als bisher um 
Dih bemühen; fie werden Jich Dir 


auf alle Weife zu nähern, ja zu ges 


fallen fuchen. Nicht immer wird das 
Bild Deines Gemahls, wie jeßt feine 
Gegenwart, fie von Deiner Thüre und 
Deinem Herzen vericheuchen. Du bift 
ein edles und gutes Kind; aber die 


‚ Forderungen der Natur find rechtmäßig 


und gewaltfan, fie ftehen mit unferer 
Vernunft beftändig im Streite und 
tragen gewöhnlich den Sieg davon, 
Unterbrich mich nicht! Du wirft gewiß 
in meiner Abwefenheit, ſelbſt bei dem 


pflichtmäßigen Andenken an mich, das 
Verlangen empfinden, wodurd das 
Meib den Manı anzieht und von ihm 
angezogen wird. Ich werde eine Zeit 
fang der Gegenftand Deiner Wünſche 
fein; aber wer weiß was für Um— 
ftände zufammentreffen, was für Ge— 
legenheiten fich finden, und ein An— 
derer wird in der Wirklichkeit ernten, 
was die Einbildungsfraft mir zuge— 
dacht hatte! Werde nicht ungeduldig, 
ich bitte Dich; höre mich aus! 


laß mir die ganze reine Hoffnung, Dich 
bald wieder im meinen Armen zu 
jehen !* 

Nachdem er auf alle Weife feine 
Gattin zu beruhigen gefucht, ſchiffte 
er fih den andern Morgen ein; feine 
Fahrt war glüdlih und er gelangte 
bald nach Alerandrien. 

Indeſſen lebte feine Gattin im dem 
ruhigen Beſitz eines großen Vermö— 
gens nach aller Luft und Bequemlich- 
feit, jedoch eingezogen, und pflegte 


Sollte der Fall kommen, deffen außer ihren Eltern und Verwandten 
Möglichkeit Dur leugneft, und dem ich | Niemand zu fehen; und indem die 
auch nicht zu befchleunigen wünfche, | Geſchäfte ihres Mannes durch getreue 
daß Du ohne die Gefellichaft eines) Diener fortgeführt wurden, bewohnte 
Mannes nicht länger bleiben, die) fie ein großes Haus, in deffen präch- 
Freuden der Liebe micht wohl ent= | tigen Zimmern fie mit Vergnügen 
behren könnteft, fo verfprich mir nur, täglich das Andenken ihres Gemahls 
an meine Stelle feinen von den leicht- erneuerte. 
finnigen Amaben zu wählen, die, fo| So ſehr fie aber auch fich ftille 
artig fie auch ausſehen mögen, der | hielt und eingezogen lebte, waren doch 
Ehre noch mehr als der Tugend einer die jungen Leute der Stadt nicht un— 
Frau gefährlich find. Mehr durch Eitel- | thätig geblieben. Sie verfäumten nicht, 
feit als durch Begierde beherrſcht, be⸗ haufig vor ihrem Fenſter vorbeizu— 
mühen ſie ſich um eine Jede und fin⸗ gehen, und ſuchten des Abends durch 
den nichts natürlicher, als eine der Muſik und Geſänge ihre Aufmerkſam— 
andern aufzuopfern. Fühlſt Du Dich keit auf ſich zu ziehen. Die ſchöne 
geneigt, Dich nach einem Freunde um- Einſame fand anfangs dieſe Bemüh— 
zuſehen, ſo forſche nach einem, der | ungen unbequem und läftig; doch ge= 
diefen Namen verdient, der bejcheiden | wöhnte fie ſich bald daran und lie 
und verſchwiegen die Freuden der an den langen Abenden, ohne fich zu 
Liebe noch durch die Wohlthat des | befünmtern, woher fie fünen, die Sere- 


Seheimmiffes zu erheben weiß.“ 
Hier verbarg die Schöne Frau ihren! 


Schmerz nicht länger, und die Thrä-| 


nen, die fie bisher zurüdgehalten Hatte, 
ftürzten veihlih aus ihren Augen. 





| naden als eine angenehme Unterhal« 
tung ſich gefallen, und konnte dabei 
manchen Seufzer, der ihrem Abwejen- 
den galt, nicht zurüdhalten. 

AUnftatt dag ihre unbekannten Vers 


„Was Du auch bon mir denken magft,“ ehrer, wie fie hoffte, nad und nad 
rief fie nach einer leidenfchaftlichen Une | müde geworden wären, Schienen fich 
armung aus, „ſo iſt doch nichts ent⸗ | ihre Bemühungen noch zu vermehren 
fernter von mir als das Verbrechen, und zu einer beftändigen Dauer an— 
das Du gewiflermaßen für undermeids | zulaffen. Sie konnte nun die wieder— 
ih hältft. Möge, wenn jemals auch | tehrenden Inftrumente und Stimmen, 
nur ein foldher Gedanke in mir ent= | die wiederholten Melodien ſchon unter- 
fteht, die Erde fih auftgun und mich | fcheiden und bald ſich die Neugierde 


berichlingen, umd möge alle Hoffnung | nicht mehr verfagen, 


der Seligfeit mir entrilfen werden, die 
uns eine fo reizende Yortdauer un— 
ſeres Dafeins verfpricht! Entferne das 
Mihtrauen aus Deiner Bruft, und 


zu willen, wer 
die Unbelannten und befonders, wer 
die Beharrlihen fein möchten ? Sie 
durfte ſich zum Zeitvertreib eine folche 
Theilnahme wohl erlauben. 


105 


Sie fieng daher an, von Zeit zu Gemahls auch feine Welt: und Men 


Zeit durch ihre Vorhänge und Halb— 


Ihentenntnis, befonders die Kenntnis 


läden nad der Strafe zu fehen, auf) des weiblichen Herzens zu bewundern. 


die Vorbeigehenden zu merken und 
befonders die Männer zu unterjcheis 
den, die ihre Fenfter am längften im 
Auge behielten. Es waren meift ſchöne, 


So war es alfo doch möglich, was 
ich ihm fo lebhaft abftritt, fagte fie zu 
fich felbit, und jo war es alfo doch 
nöthig, im einem Jolchen alle mir 


wohlgelleidete junge Leute, die aber Vorſicht und Klugheit anzurathen ! 


freilich im Geberden fowohl als in 


Doch was können Vorficht und Kluge 


ihrem ganzen Aeußern eben fo viel!heit da, wo der unbarmherzige Zufall 


Leichtſinn als Eitelkeit ſehen ließen. 
Sie ſchienen mehr durch ihre Auf: 
merkſamkeit auf das Haus der Schönen 
ſich merkwürdig machen, als jener eine 
Art von Verehrung beweilen zu wollen, 

Wahrlich, Jagte die Dame manch— 
mal ſcherzend zu fich ſelbſt, mein 
Mann Hat einen Hugen Einfall ge: 
habt! Dur die Bedingung, unter 
der er mir einen Liebhaber zugeiteht, 


nur mit einem unbeftinmten Verlangen 
zu Spielen ſcheint! Wie foll ich den 
wählen, dem ich nicht kenne, und bleibt 
bei näherer Belanntichaft noch eine 
Wahl übrig ? 

Mit ſolchen und Hundert andern 
Gedanken vermehrte die Schöne Frau 
das Uebel, das bei ihr Schon weit 
genug um fich gegriffen Hatte. Ver— 
gebens ſuchte fie ſich zu zerſtreuen; 


ſchließt er alle Diejenigen aus, die ſich jeder angenehme Gegenftand machte 
um mic bemühen und die mir allenz ihre Empfindung rege, und ihre Ems 


falls gefallen könnten. Er weil wohl, | 


daß Klugheit, Beicheidenheit und Ver— 
ſchwiegenheit Eigenſchaften eines ruhi— 
gen Alters find, die zwar unſer Ver— 
ftand ſchätzt, die aber unfere Einbil« 
dungskraft keineswegs aufzuregen, noch 
unfere Neigung anzureizen im Stande 


find. Vor diefen, die mein Haus mit 
ihren Wrtigkeiten belagern, bin ich 
jicher, daß fie fein Vertrauen erweden, | 


und die, denen ich mein Vertrauen 
ichenfen könnte, finde ich micht im 
mindeften liebenswiürdig. 

In der Sicherheit diefer Gedanken 
erlaubte fie fich immer mehr, 
Vergnügen an der Mufit und an der 
Geftalt der vorbeigehenden Jünglinge 
nahzuhängen; und ohne dab fie es 
merkte, wuchs nach und nach ein un— 
ruhiges Berlangen im ihrem Bufen, 
dem fie nur zu ſpät zu widerftreben 
gedachte. Die Einſamkeit und der Müßig— 
gang, das bequeme, gute und reichliche 
Leben waren ein Element, im welchen 
fich eine unregelmäßige Begierde früher 
als das gute Kind dachte, entwideln 
mußte. 

Sie fieng nun an, jedoch mit ftiflen 
Seufzern, unter den Vorzügen ihres 


dent | 


pfindung brachte, auch in der tiefjten 
Einſamkeit, angenehme Bilder in ihrer 
Einbildungsfraft hervor. 


In ſolchem Zuftande befand fie 
fih, als fie unter andern Stadtneuig— 
feiten von ihren Verwandten vernahm, 
e3 jei ein junger Nechtsgelehrter, der 
zu Bologna fiudiert Habe, foeben in 
jeine Baterftadt zurüdgelommen. Man 
wußte nicht genug zu feinem Lobe zu 
fagen. Bei außerordentlihen Kennt— 
niffen zeigte er eine Klugheit und 
Gewandtheit, die ſonſt Jünglingen 
nicht eigen ift, und bei einer ſehr 
reizenden Geftalt die größte Beſchei— 
denheit. Als Procurator hatte er bald 
das Zutrauen der Bürger und die 
Ahtung der Richter gewonnen. Täg— 
lih fand er fih auf den Rathhaus 
ein, um daſelbſt feine Gejchäfte zu 
beſorgen und zu betreiben. 


Die Schöne hörte die Schilderung 
eines fo vollfommenen Mannes nicht 
ohne Verlangen, ihn näher kennen zu 
lernen, und nicht ohne ftillen Wunsch 
in ihm Denjenigen zu finden, dem fie 
ihr Herz, ſelbſt nach der Vorſchrift 
ihres Mannes, übergeben könnte. Wie 


| 





aufmerkſam ward fie daher, als fie 
vernahm, daß er täglich vor ihrem 
Haufe vorbeigehe! wie forgfältig beob— 
achtete fie die Stunde, in der man 
auf dem Rathhauſe fich zu verſam— 
meln pflegte! Nicht ohne Bewegung 
fah fie ihn endlich vorbeigehen; und 
wenn feine ſchöne Geftalt und feine 
Jugend Für fie nothwendig reizend 
fein mußten, fo war feine Beſcheiden— 
heit von der andern Seite Dasjenige, 
was fie in Sorgen verjeßte. 

Einige Tage hatte fie ihn heimlich 
beobachtet und konnte nun dem Wun— 
ſche nicht länger widerftehen, feine 
Aufmerkſamkeit auf fich zu ziehen. Sie 
fleidete ih mit Sorgfalt, trat auf 
den Balkon, und das Herz ſchlug ihr, 
als fie ihn die Strafe herfommen jah. 
Allein wie betrübt, ja beſchämt war 
fie, als er wie gewöhnlich mit bedäch- 
tigen Schritten, in fich gekehrt und 
mit niedergefchlagenen Augen, ohne fie 
auch nur zu bemerken, auf das Zier- 
lichfte feines Weges vorbeigieng ! 

Vergebens verfuchte fie mehrere 
Tage hintereinander auf eben dieſe 
Meife von ihm bemerkt zu werben. 
Immer gieng ev feinen gewöhnlichen 
Schritt ohne die Augen aufzufchlagen 
oder da= und dorthin zu wenden. Ne 
mehr fie ihn aber anfah, defto mehr 
ſchien er ihr Derjenige zu fein, deſſen 
fie So Sehr bedurfte. Ihre Neigung 
ward täglich lebhafter. und, da fie ihr 
nicht widerftand, endlich ganz und gar 
gewaltfam. Wie! fagte fie zu fich ſelbſt, 
nachdem dein edler, dverftändiger Mann 
den Zuftand vorausgefehen, in dem 
du dich im feiner Abweſenheit befinden 
wirdeft, da feine Weisfagung eintrifft, 
dab du ohne Freund und Günftling 
nicht leben kannſt, Follft du dich nun 
verzehren und abhärmen, zu der Zeit, 
da dir das Glück einen Yüngling 
zeigt, völlig nach deinem Sinne, nad 
dem Sinne deines Gatten, einen Jüng— 
ling, mit dem du die Freuden der 
Liebe in einem undurhdringlichen Ges 
heimnis genießen kannſt? Zhöricht, 


— — — — — — —— — nn — — — — — 


wer der gewaltfamen Liebe widerſtehen 
will. 

Mit folchen und vielen anderen 
Gedanken Fuchte ſich die ſchöne Frau 
in ihrem Borfage zu ftärfen, und nur 
kurze Zeit ward fie noch von Unge— 
wißheit Hin umd her getrieben. Endlich 
aber, wie es begegnet, daß eine Leis 
denschaft, welcher wir lange wider— 
ftehen, uns zuletzt auf einmal dahin- 
reißt, unfer Gemüth dergeftalt erhöht, 
dab wir auf Beſorgnis und Furcht, 
Zuridhaltung und Scham, Berhält- 
niffe und Pflichten mit Verachtung 
als auf Heinliche Hinderniffe zurück— 
jehen, jo faßte fie auf einmal den 
raſchen Entichluß, ein junges Mädchen, 
das ihr diente, zu dem geliebten 
Manne zu Schiden und, es koſte nun, 
was es wolle, zu jeinem Befige zu 
gelangen. 

Das Mädchen eilte und fand ihn, 
als er eben mit vielen Freunden zu 
Tische ſaß, und richtete ihren Gruß, 
den ihre Frau fie gelehrt hatte, pünkt— 
lich aus. Der junge Procurator wun— 
derte ſich nicht über diefe Botjchaft ; 
er hatte den Handelsmann in feiner 
Jugend gekannt, er wußte, dab er 
gegenwärtig abwefend war, und ob er 
gleih von feiner Heirat nur don 
Weiten gehört hatte, vermuthete ex 
doch, daß die zurückgelaſſene Frau, in 
der Abweſenheit ihres Mannes, wahr— 
ſcheinlich in einer wichtigen Sache 
feines rechtlichen Beiftandes bedürfe. 
Er antwortete deswegen dem Mädchen 
auf das Verbindlichſte und verjicherte, 
daß er, jobald man von der Tafel 
aufgeftanden, nicht ſäumen wide, 
ihrer Gebieterin aufzuwarten. Mit 
unausfprechlicher Freude vernahm die 
Ihöne Frau, daß fie den Geliebten 
nun bald fehen und jprechen follte. 
Sie eilte, ſich auf's beſte anzuziehen, 
und lieh gefhwind ihr Haus und ihre 
Zimmer auf das reinlichſte auspußen. 
Drangenblätter und Blumen wurden 
geftreut, das Sopha mit den Föftlichten 
Teppichen bededt. So gieng die kurze 


wer die Gelegenheit verfäumt, thöricht, | Zeit, die er ansblieb, bejchäftigt Hin, 


— ___ 


die ihr fonft unerträglich lang ges 
worden wäre. 

Mit welcher Bewegung gieng fie 
ihm entgegen, als er endlich ankam! 
mit welcher Verwirrung hieß fie ihn, 
indem fie fih auf das Ruhebett nie- 
derließ, auf ein Zabouret jigen, das 
zunächſt dabei fand! Sie verſtummte 
in feiner jo erwünfchten Nähe, fie 


hatte nicht bedacht, was fie ihm Jagen 
wollte; auch er war ftill nnd ſaß bes | äußerste VBorfiht und verlangte aus— 


ſcheiden vor ihr. Endlich ermannte fie 
ih und fagte nicht ohne Sorge und 
Bellonmenbeit: 


| 


den würde, frei und ohne Anitand 
folgen wollte.“ 

Sie Hielt einen Augenblid inne, 
aber bald gab ihr ein vielverſprechen— 
der Blid des jungen Mannes Muth 
genug, im ihrem Bekenntnis fortzus 
fahren. 

„Eine einzige Bedingung fügte mein 
Gemahl zu feiner übrigens jo nachlich- 
tigen Erlaubnis. Er empfahl mir die 


drücklich, daß ich mir einen gefeßten, 
zuverläffigen, klugen und verjchwies 
genen Freund wählen follte. Erſparen 


„Sie find noch nicht lange in; Sie mir das Uebrige zu jagen, mein 
Ihrer Vaterftadt wieder angefommen, Herr, erfparen Sie mir die Verwir— 
mein Herr, und Schon find Sie alleus rung, mit der ih Ihnen bekennen 
thalben für einen tafentreichen und würde, wie fehr ich für Sie einge: 
zuderläffigen Mann bekannt. Auch ich | nommen bin, und errathen Sie aus 
feße mein Vertrauen auf Sie in einer diefem Zutranen meine Hoffnungen 


wichtigen und Jonderbaren Angelegen- 
heit, die, wenn ich es vecht bedenke, 
eher für den Beichtvater als für den 
Sachwalter gehört. Seit einem Jahre 


bin ich an einen würdigen und reichen | 
der, fo lange wir, 


Mann verheiratet, 
zuſammen lebten, die größte Aufmerk— 
ſamkeit für mich hatte und über den 
ih mich nicht beklagen würde, wenn 
nicht ein unruhiges Verlangen, zu 
reifen und zu handeln, ihn feit einiger 
Zeit aus meinen Arınen geriffen hätte. 

Als ein verftändiger und gerechter 
Mann fühlte ev wohl das Unrecht, 
das er mir durch feine Entfernung 
anthat: 
Weib nicht wie Juwelen und Perlen 
verwahrt werden könne! er wußte, daß 
fie vielmehr einem Garten voll Schöner 
Früchte gleicht, die für Jedermann, ſo— 
wie für den Herren verloren wären, 
wenn er eigenfinnig die Thüre auf 
einige Jahre verfchließen wollte. Er 
fprah mir daher vor feiner Abreife 
ſehr ernſtlich zu, er verſicherte mir, 
dab ih ohne Freund nicht würde 
leben konnen, er gab mir dazu nicht 
allein die Erlaubnis, ſondern er drang 
in mich, und möthigte mir gleichjam 


er begriff, daß ein junges 








und meine Wünſche.“ 

Nah einer kurzen Panfe verfeßte 
der junge, liebenswürdige Mann mit 
gutem Bedachte: „Wie Fehr bin ich 
Ihnen für dag Vertrauen verbunden, 
durch welches Sie mich in einem fo 
hohen Grade ehren und glüdlich machen ! 
Ich wünschte nur lebhaft, Sie zu über» 
zeugen, daß Sie fih an feinen Un— 
wirdigen gewendet haben. Laſſen Sie 
mich Ihnen zuerit als Nechtsgelehrter 
antworten. Und als ein folcher geitehe 
ih Ihnen, daß ich ihren Gemahl be= 
wundere, der fein Unrecht fo deutlich 
gefühlt und eingefehen bat; denn es 
it gewiß, daß Einer, der ein junges 
Weib zurüdtäßt, um ferne Weltgegenz 
den zu befuchen, als ein Solcher an— 
zufehen ift, der irgend ein anderes 
Beſitzthum völlig Dderelinquiert und 
duch die deutlichſte Handlung auf 
alles Recht daran Verzicht thut. Wie 
es nun dem erjten Beiten erlaubt ift, 
eine ſolche völlig in’s Freie gefallene 


Sache wieder zu ergreifen, ſo muß ich 


es um jo mehr für natürlich und 
billig halten, daß eine junge Frau, 
die ſich in dieſem Zuftande befindet, 
ihre Neigung abermals verſchenke, und 


das Verfprechen ab, daß ich der Nei- | fich einem Freunde, der ihr angenehm 
gung, die fich im meinem Herzen fin- und zuverläffig erjcheint, ohne Ber 


denfen überlaffe. Tritt nun aber gar, geſchickt zu machen, verfiel ich in eine 
wie hier, der Yall ein, daß der Ehe: | fchwere Krankheit, die, wo nicht mein 
mann felbft, feines Unvechts fich ber | Leben zu zerftören, doch meine kör— 
wußt, mit ausdrüdlihen Worten feiner | perlihen und Geifteskräfte zu zerrütten 
hinterlafienen Fran Dasjenige erlaubt, | drohte. In der größten Noth und unter 
was er ihr nicht verbieten kann, ſo den Heftigften Schmerzen that ich der 
bleibt gar fein Zweifel übrig, umſo- Mutter Gottes ein Gelübde, daß ich, 
mehr da Demjenigen fein Unrecht ges wenn fie mich genejen ließe, ein Jahr 
Ichieht, der es willig zu ertragen er= lang in firengem Falten zubringen, 
Härt bat. und mich alles Genufjes, von welcher 

Wenn Sie mich mun,“ fuhr der Art er auch fei, enthalten wolle. Schon 
junge Mann mit ganz andern Bliden |zehn Monate habe ich mein Gelübde 
und dem lebhafteſten Ausdrude fort, Jauf das Treulichſte erfüllt, und fie 
indem er die fchöne Freundin bei der find mir im Betradhtung der großen 
Dand nahm, „wenn Sie mich zu) MWohlihat, die ich erhalten, keineswegs 
Ihrem Diener erwählen, fo machen |lang geworden, da es mir nicht be= 
Sie mich mit einer Glüdfeligkeit bes |fchwerlih ward, manches gewohnte 
fannt, von der ich bisher feinen Bes und bekannte Gute zu enibehren. Aber 
griff Hatte. Seien Sie verfichert,“ rief zu welcher Ewigkeit werden mir nun 
er aus, indem er die Hand küßte, zwei Monate, die noch übrig find, da 
„daß Sie feinen ergebenern, zärt mir erſt nah Verlauf derfelben ein 
lihern, treuern und verjchwiegenern | Glück zu Theil werden kann, welches 
Diener hätte finden können.” alle Begriffe überfteigt! Laſſen Sie ſich 

Mie beruhigt fühlte fich nach diefer |die Zeit nicht lang werden und ent— 
Erklärung die Shöne Fran! Sie fcheute |ziehen Sie mir Ihre Gunft nicht, die 
ſich micht, ihm ihre Zärtlichkeit auf's Sie mir fo freiwillig zugedacht haben!“ 
Lebhaftefte zu zeigen, fie drüdte feine! Die Schöne, mit diefer Erklärung 
Hände, drängte fih näher an ihm und nicht fonderlich zufrieden, fahte doc) 
legte ihr Haupt auf feine Schulter. | wieder beſſern Muth, als der Freund 
Nicht lange blieben fie im diefer Lage, nad) einigem Nachdenken zu reden 
al3 er fich auf eine fanfte Weife von |fortfuhr: „Ich wage kaum, Ihnen 
ihr zu entfernen ſuchte umd nicht ohne | einen Vorſchlag zu thun und das 
Betrübnis zu reden begann: „Kann | Mittel anzuzeigen, wodurch ich Früher 
fich wohl ein Mensch in einem ſelt- von meinem Gelübde entbunden wer— 
ſamern Berhältniffe befinden? ch bin den fann. Wenn ich Jemand fände, 
gezwungen, mich von Ihnen zu ent- der jo ftreng und ficher wie ich das 
fernen und mir die größte Gewalt | Gelübde zu halten übernähme, und die 
anzuthun in einem Wngenblide, da | Hälfte der noch übrigen Zeit mit mir 
ich mich den füßeften Gefühlen über» |theilte, fo würde ich um fo geſchwin— 
laffen follte. Ich darf mir das Glüd, der frei fein, und nichts würde ſich 
das mich in Ihren Armen erwartet, unſern Wünſchen entgegenftellen. Soll» 
gegenwärtig nicht zueignen. Ach, wenn ten Sie nicht, meine ſüße Freundin, 
nur der Auffchub mich nicht um meine um unfer Glück zu befchleunigen, willig 
Ihönften Hoffnungen betrügt!“ fein, einen Theil des Hindernifjes, das 

Die Schöne fragte Angftlih nach uns entgegenfteht, binwegzuräumen ? 
der Urfache diefer fonderbaren Aeuße- | Nur der zuverläffigften Perfon kann ich 
rung. einen Antheil an meinem Gelübde über- 

„Eben als ich in Bologna,“ ver= | tragen: es ift fireng; denn ich darf des 
jeßte er, „am Ende meiner Studien | Tages nur zweimal Brot und Wafler 
war und mich aufs Aeußerſte angriff, | genieken, darf des Nachts nur wenige 
mich zu meiner künftigen Beflinmmung | Stunden auf einem harten Lager zu— 





bringen, und muß ungeachtet meiner 
vielen Geſchäfte eine große Anzahl 
Gebete verrichten. Kann ich, wie es 
mir heute geſchehen ift, nicht vermei— 
den, bei einem Gaftmahl zu ericheinen, 
jo darf ich deswegen doch nicht meine 
Pflicht Hintanjegen, vielmehr muß ich 
den Neizungen aller Lederbiffen, die 
an mir borübergehen, zu widerftehn 
fuchen. Können Sie fich entjchließen, 
einen Monat lang gleichfalls alle diefe 
Geſetze zu befolgen, jo werden Sie 
alsdann ſich felbft in dem Beſitz eines 
Freundes defto mehr erfreuen, als Sie 
ih durch ein jo lobenswirdiges Un— 
ternehmen gewiflermaßen felbjt erwor— 
ben haben.“ 

Die Schöne Dame vernahm ungern 
die Hindernifje, die fich ihrer Neigung 
entgegenfegten; doch war ihre Liebe 
zu dem jungen Manne durch feine 
Gegenwart dergeftalt verinehrt worden, 
daß ihr feine Prüfung zu ftreng fchien, 
wenn ihr nur dadurch der Beſitz eines 
fo werten Gutes verfichert werden 
fonnte. Sie fagte ihm daher mit den 
gefälligften Ausdrüden: „Mein füher 
Freund! das Wunder, wodurd Sie 
Ihre Gefundheit wieder erlangt haben, 
ift mir ſelbſt jo wert und verehrungs— 
würdig, daß ich e3 mir zur Freude 
und Pfliht mache, an dem Gelübde 
Theil zu nehmen, dad Sie dagegen 
zu erfüllen ſchuldig find. Ich Freue 
mich, Ihnen einen fo fichern Beweis 
meiner Neigung zu geben: ich will 
mi auf das Genauefte nach Ihrer 
Borfchrift richten, und ehe Sie mich 
losfpredhen, fol mich nichts von dem 
Wege entfernen, auf den Sie mid 
einleiten.“ 

Nahdem der junge Mann mit ihr 
auf’s Genauefte diejenigen Bedingun— 
gen abgeredet, unter welchem fie ihm 
die Hälfte feines Gelübdes erfparen 
fonnte, entfernte er fich mit der Ver— 
jiherung, daß er fie bald wieder be= 
fuhen und nah der glüdlihen Be— 
harrlichkeit in ihrem Borfage fragen 
würde; und fo mußte fie ihm gehen 
lafien, als er ohne Händedrud, ohne 


109 


Kuß, mit einem kaum bedeutenden Blicke 
von ihr ſchied. Ein Glück für fie war 
die Beichäftigung, die ihr der felt- 
ſame Vorſatz gab; denn fie Hatte 
Manches zu thun, um ihre Lebensart 
völlig zu verändern. Zuerft wurden die 
Ihönen Blätter und Blumen hinaus 
gekehrt, die fie zu feinem Empfang 
hatte ftreuen laffen; dann fam an die 
Stelle des wohlgepolfterten Ruhebettes 
ein hartes Lager, auf das fie fich, 
zum erftenmal im ihrem Leben nur 
von Wafler und Brot kaum gefättigt, 
des Abends miederlegte. Des andern 
Tages war fie bejchäftigt, Hemden 
zuzufchneiden und zu nähen, deren fie 
eine beftimmte Zahl für ein Armen— 
und Sranfenhaus fertig zu machen 
verfprodhen Hatte. Bei diefer neuen 
und unbequemen Beſchäftigung unters 
hielt fie ihre Einbildungskraft immer 
mit dem Bilde ihres fühen Freundes 
und mit der Hoffnung künftiger Glück— 
feligleit; und bei eben diefen Vorftel- 
lungen ſchien ihre ſchmale Koft ihr 
eine berzitärlende Nahrung zu ges 
währen. 

So vergieng eine Woche, und ſchon 
am Ende derjelben fiengen die Rofen 
ihrer Wangen an einigermaßen zu 
verbleichen. Kleider, die ihr fonft wohl 
paßten, waren zu weit, und ihre fonft 
jo rafhen und muntern Glieder matt 
und ſchwach geworden, als der Freund 
wieder erfchien und ihr durch feinen 
Befuh neue Stärke und Leben gab. 
Er ermahnte fie, in ihrem Vorſatze 


‚zu beharren, munterte fie durch fein 


Beilpiel auf, und ließ von Weiten 
die Hoffnung eines ungeftörten Ge— 
nuſſes durchblicken. Nur kurze Zeit 
hielt er ſich auf und verſprach bald 
wiederzukommen. 

Die wohlthätige Arbeit gieng auf's 
Neue munterer fort und bon der ſtren— 
gen Diät ließ man keineswegs nad. 
Uber auch, leider! hätte fie durch eine 
große Krankheit nicht mehr erjchöpft 
werden lönnen. Ihr Freund, der fie 
am Ende der Woche abermals bejuchte, 
fah fie mit dem größten Mitleid an 


und ftärkte fie durch den Gedanken, 
daß die Hälfte der Prüfung nun ſchon 
vorüber jei. 

Nun ward ihr das ungewohnte 
Taften, Beten und Arbeiten mit jedem 
Tage läftiger, und die übertriebene 
Enthaltfamteit fchien den gefunden Zus 
ftand eined an Ruhe und reichliche 
Nahrung gewöhnten Körpers gänzlich 
zu zerrütten. Die Schöne konnte fich 
zuleßt nicht mehr auf den Füßen 
halten und war genöthigt, ungeachtet 
der warmen Jahreszeit, fich in doppelte 
und dreifache leider zu Hüllen, um 
die beinahe völlig verſchwindende in— 
nerlihe Wärme einigermaßen zuſam— 
menzubalten. Ja fie war nicht länger 
im Stande aufrecht zu bleiben, und 
fogar gezwungen, in der lebten Zeit 
das Bett zu hüten. 

Welche Betradhtungen mußte fie 


empfinde. Sie haben mich mir felbft 
erhalten: Sie Haben mich mir felbft 
gegeben, und ich erfenne, daß ich mein 
ganzes Dafein von nun an Ihnen 
Ihuldig bin. Wahrlih, mein Manı 
war verftändig und Hug und kannte 
das Herz einer rau; er war billig 
genug, fie über eine Neigung nicht zu 
jchelten, die durch feine Schuld in 
ihrem Bufen entftehen konnte, ja er 
war großmitthig genug, feine Rechte 
der Forderung der Natur Hintanzıt= 
halten. Aber Sie, mein Herr, Sie 
find vernünftig und gut; Sie haben 
mich Fühlen laſſen, daß außer der 
Neigung noch etwas in uns ift, das 
ihr das Gleichgewicht halten kann, daß 
wir fähig find, jedem gewohnten Gut 
zu entfagen und jelbft unſere heißeſten 
Wünſche von uns zu entfernen. Sie 
haben mich in diefe Schule durch Irr— 


da über ihren Zuftand machen! wie thum und Hoffnung geführt: aber 
oft gieng dieje ſeltſame Begebenheit beide find micht mehr nöthig, wenn 


vor ihrer Seele vorbei und wie ſchmerz— 
ih fiel es ihr, als zehn Tage ver— 
giengen, ohne daß der Freund er— 
ſchienen wäre, der fie diefe äußerften 


wir uns erſt mit dem guten und mäch— 
tigen Ich bekannt gemacht haben, das 
jo fill und ruhig in uns wohnt, und 
fo lange bis es die Herrſchaft im 


Aufopferungen Eoftete! Dagegen aber| Haufe gewinnt, wenigftens durch zarte 
bereitete fich in diefen trüben Stunden | Erinnerungen feine Gegenwart unauf— 
ihre völlige Genefung vor, ja, fie ward | hörlich merfen läßt. Leben Sie wuhl! 
entfchieden. Denn als bald darauf ihr) Ihre Freundin wird Sie künftig mit 
Freund erfchien und fih an ihr Belt | Vergnügen fehen; wirken Sie auf 
anf eben dasſelbe Tabouret ſetzte, auf Ihre Mitbürger wie auf mid! Ent» 


dem er ihre erfte Erklärung vernommen 
hatte, und ihr freundlich, ja gewiſſer— 
maßen zärtlich zufprach, die Kurze Zeit 


noch ſtandhafi auszudanern, unterbrach 


fie ihm mit Lächeln und fagte: „Es 
bedarf weiter feines Zuredens, mein 
werther Freund, und ich werde mein 
Gelübde diefe wenigen Tage mit Ge— 
duld umd mit der Meberzeugung aus— 








wideln Sie nicht allein die Verwir— 
rungen, die nur zu leicht über Belih- 
thümer entjtehen, fondern zeigen Sie 
ihnen auch durch Sanfte Anleitung 
und durch Beifpiel, daß in jedem 
Menſchen die Kraft der Tugend im 
Berborgenen keimt. Die allgemeine 
Achtung wird Ihr Lohn fein und Sie 
werden mehr als der erſte Staatsmann 


dauern, daß Sie es mir zu meinem und der größte Held den Namen 
Belten auferlegt Haben. Ich bin jetzt Vater des Vaterlandes verdienen.” 


zu ſchwach, als daß ih Ihnen meinen Goethe. 
Dank ausdrüden könnte, wie ich ihn 


—— 


Der „Rönig von Zion“. 
Von Dr, Adolf Rohut. 


SITE IS vor einer Neihe von Jahren !des Feindes im eroberten Lande die 
pPrrofeſſor Adolf Stahr ſeine ſchlimmſten Greuelthaten verfichert und 
Gharatteriftiten römischer Imperatoren | geglaubt werden ; und auch hier wieder 
fchrieb und fich dabei von dem üblichen |ift die Wahrheit immer jchwieriger 
Anschauungen befreite, indem er micht herauszufinden, je weiter die Ereigniſſe 
nur die Quellen nachſchrieb, ſondern in der Zeit zuriücdliegen. 

diefelben zuvor auch auf ihre Glaub» Bis jeßt Hat noch Niemand ver— 
würdigfeit prüfte, da wurde für fein fucht, den feltfamen Propheten der 
Verfahren das Wort „Rettung“ ges | Wiedertäufer, den fogenannten „Kö- 





braucht, denn er Hatte in der That 
den Ruf des Saifers Tiberius und 
einiger anderen argverleumdeten antie 


nig von Zion“, deffen Herrlichkeit 
fein volles Jahr währte, in der öffent: 
lihen Meinung zu rehabilitieren. Er 


fen Perfonen zu retten gefucht und iſt wiederholt von der Poeſie als 
jedenfalls nacdhgewiefen, daß die Stim- Gegenftand fantaftifcher Auffaffungen 
mung der Hiftorifer aus alter Zeit oder als Träger ausfchweifender oder 
nicht unberüdfichtigt bleiben darf, wenn auch großer Ideen dargeltellt wor— 


ein Gefchichtsforscher gewiſſenhaft ver— 
fahren will. Seit der Erfindung der 
Buchdruderkunft, namentlich aber, ſeit— 
dem das Zeitungswefen eine jo ge= 
waltige Ausdehnung erlangt hat, weiß 
man, dab ein Gefchichtsforjcher die 
verichiedenften Parteifärbungen ſtudie— 
ren und gegen einander abwägen muß, 
wenn er einigermaßen gerecht ſein will, 
und doch ift troßdem nicht zu vermei— 
den, daß auch der perfönliche Stand 
punft des Forſchers mitredet. Wie viel 


mehr muß dies letztere der Fall ges 


wejen fein, als die Geſchichtsſchreibung 
in den Händen einzelner Individuen 
lag, weldhe einzig nach den Erzäh- 
lungen betheiligter Perfonen urtheilten 


und deren ganze Eriftenz fogar häufig, 


von dieſen leßteren abhieng. Nament— 
lich gilt dies in Bezug auf die römi— 
ſche Saiferzeit, wo die lebenden Herr: 
ſcher alles aufboten, um ihre Vorgänger 
Schwarz zu machen und ſich ſelbſt in 
das glänzendſte Licht zu ſetzen. 
es doch ein ähnlicher Fall, wenn nach 
einer Kriegführung von dem Gebahren 


Iſt 


den. Scribe hat ihn zum Hel— 
den der bekannten Meyherbeer'ſchen 
Oper „Der Prophet“ gemacht und 
ſein kurzes Regententhum zu glanz— 
vollſten Ausſtattungskünſten benutzt; 
vor Allem wurde der „König von 
Zion“ von Robert Hamerling 
in deſſen poefievollen epifchen Ges 
‚dichte als Vertreter einer grandiofen 
gefchicht&philofophiichen Idee hinge— 
ftellt. Liest man num die Hiftorischen 
Ueberlieferungen, welche in tief ver— 
ächtlichen Ausdrüden von dem „Schnei— 
derfönige* reden, der einem Verrückten 
gleich in der Stadt Münfter gewirt— 
ſchaftet und in den gröbften finnlichen 
Ausſchweifungen gefchwelgt Habe, bis 
das Strafgeriht ihn ereilte und er 
unter fchrediichen Martern für feine 
Unthaten als Strafe den Tod em— 
‚pfieng, So bleibt doch immer das 
Rathſel ungelöst, wie es möglich war, 
daß ein ſolcher Menſch auch nur für kurze 
Zeit fänmtliche Bewohner einer grö— 
ßeren Stadt bethören konnte. Als die 
IIungfrau von Orleans ihre 





— 


112 


wunderbare Einwirkung auf das fran— 
zöſiſche Heer im Kriege gegen die 
Engländer ausübte, war die Meinung 
über den Geiſt, der ſie beſeelte, ſehr 
verſchieden. Den Franzoſen galt ſie 
als eine Heilige, und feitden Schiller 
fie in der Ddeutfchen Literatur als 
mafellofe Jungfrau Hingeftellt hat, die 
Ihon die reine Liebe zu einem Manne 
als fündhafte Regung empfindet, ftrahit 
ihr Bild in der höchſten Glorie irdi— 
jcher Vollendung. Die Engländer be= 
ſchuldigten fie der Buhlfchaft mit den 
Heerführern, gaben fie in der Gefan— 
genschaft der Willkür roher Soldaten 
preis und verbraunten fie fchließlich 
als Here zu Rheims. Der große 
Menſchenkenner Shalejpeare bradte 
fie noch einige Jahrhunderte fpäter als 
Here von Drleans auf die Bühne. 
Wenn der Nationalhaß und der relis 
giöje Fanatismus in's Spiel kommen, 
greift die Phantaſie zu den extremſten 
Mitteln und die Wahrheit iſt ſchwer 
herauszufinden. Weil die irdiſchen 
Machthaber dem Aberglauben des Vol— 
kes häufig viel zu verdanken hatten, 
find fie von jeher Freunde und Gön— 
ner aller myfteriöfen Beftrebungen ges 
weſen. Sterndeuterei und Goldmacher— 
funft wurden an den Höfen eifrig 
betrieben; die Gaglioftro’s, Ca— 
fanova’s, bis auf die Cumber— 
land’s unferer Tage fanden in den höch— 
ften Streifen ftet3 die meiften Anhänger. 

Der thörichte Schneiderlönig von 
Münfter Hatte nun aber die wahn— 
finnige Idee, ſelbſt ein gefröntes Haupt 
vorftellen zu wollen und dem Yürft- 
bifhof Grafen von Walde, fowie 
deifen Vettern und Standesgenofjen 
den Krieg zu erflären; ferner ſpukten 
in feinem Kopfe die immer von Zeit 
zu Zeit auftauchenden Projecte der 
Gütergemeinſchaft und Wielweiberei, 
wie fie gegenwärtig am Salzfee bei 
den Mormonen wieder einmal verwirk— 
licht find. Der hirnverbrannte junge 
Mann wurde Schließlich hingerichtet, 
wenn auch die Art, wie dies gefchah, 
nur einen Beweis für die entfegliche 





Roheit der Zeit gibt. Immerhin bleibt 
noch manches in feinen Wefen unauf- 
geflärt, und wenn auch die Gejchichte 
feine Queflen mehr findet, aus welchen 
fie neue Auffchlüffe ſchöpfen könnte, 
jo eröffnet fih dem Piychologen ftets 
eine interefjante Aufgabe, fobald er 
die Widerfprüdhe in den Berichten 
vergleicht. Ein vielgelefener Roman 
aus dem 16. Jahrhundert „Eordula” 
von Adolf Glafer*) enthält als Epi- 
fode der Gefammthandlung, welche 
Greigniffe zur Zeit der Banernfriege 
Ihildert, eine Erzählung jener Vor— 
gänge in Münfter, die der Verfaſſer 
mit feiner Heldin in den engften Zu— 
ſammenhang bringt, indem er fie eine 
der Frauen des Königs von Zion 
werden läßt. Cordula ift ein leiden 
ſchaftliches, ſchönes und geiftreiches 
Weib, und Adolf Glaſer hat ſich 
ſchon dadurch in die Lage gebracht, 
den Leſer glauben zu laſſen, daß Jo— 
hann Eigenſchaften beſaß, welche ein 
ſolches Weſen für ihn einnehmen konn— 
ten. In den Thatſachen hat er ſich 
dabei ſtreng an die hiſtoriſchen Facka 
gehalten. Es iſt niemals in Abrede 
geſtellt worden, daß Johann ein ſchö— 
ner, ſtattlicher Mann war, der die 
Pracht liebte und ſich berufen glaubte, 
ein neues Gottesreich auf ganz beſon— 
deren Grundlagen zu errichten. Münſter 
ſollte der Mittelpunkt dieſes Reiches 
werden und erhielt daher von den 
dortigen Widertäufern den Namen „das 
neue Zion“. Die Geſchichte weiß 
ferner, daß ſchon beim Ausbruch der 
Bauernunruhen Thomas Münzer den 
Gedanken faßte, irgend eine feſte Stadt 
als Mittelpunkt feiner Umwälzungs— 
pläne zu erwählen. Johann von Ley: 
den ift alfo nur eine veränderte und 
reich ausgeftattete neue Auflage jenes 
früheren NRebellenführers. 

Der Dichter des Romans „Cor— 
dula“ Hat mit richtiger pfychologifcher 
Einfiht im Vorleben des jpäteren 





*) Leipzig. Wilh. Friedrich's Bude 
handlung. 


113 


Königs von Zion nachgefpürt und 
dort die Mittheilung gefunden, daß 
derjelbe urſprünglich das Schneider- 
handwerk feines Vaters Bodelfon ge— 
trieben, dann aber fich einer wandern 
den Schaufpielertruppe angefchlofien 
hatte. Die Gefchichte des Theaters 
aber berichtet uns, daß gerade zu jener 


|etraie zu entziehen, läuft er im die 
Welt hinaus. Als er dann jpäter 
zurückkommt, trifft er die inzwiſchen 
verwaiste Cordula im Haufe feiner 
Mutter und erzählt ihr don den Wun—⸗ 
dern der Fremde. Er kommt dabei 
auch auf die Schauſpielkunſt und will 
ihr klar machen, welch eine Macht 








Zeit fih nach dem Mufter der eng= |über das Gemüth dieſelbe ausübe, 
liſchen Komödianten in den Nieder: | wenn die großen SHeldenrollen von 
landen einzelne Gefellfchaften bildeten, | fchönen, ftattlihen Männern gegeben 


die fih aus jungen Raufleuten und 
Handwerkern recrutierten und gewiſſer— 
maßen den Uebergang von den Schul= 
fomödien zu den eigentlihen Berufs- 
fhaufpielern repräfentieren. Nun war 
der rothe Faden gefunden, der im 
Leben Johann Bodelfon’3 vom Hand— 
werfögefellen zum König von Zion 
führen konnte. War doch diefe ganze 
wunderliche Gefhichte von dem König— 
thum der Wiedertäufer nichts weiter, 
als eine Komödie im Stile der da— 
maligen großen Staat3actionen, nur 
freilich mit einem unerwarteten graufig 
tragischen Ausgange. In dem erwähn— 
ten Romane ift diefe theatralifche Seite 
in Johann’ Weſen ſehr gefchidt mo— 
tiviert und in die Handlung verfloch- 
ten. Cordula wird von einem jungen 
Manne geliebt, der ſich der Theater: 
laufbahn widmen möchte Schon als 
Knabe hat er in den Schulkomödien 
feiner Baterftadt mitgewirkt und war 
zu der Ueberzeugung gefommen, daß 
diefe dramatiſchen Schulübungen fich 
überlebt Hatten und einer höheren 
Kunftgattung weichen mußten. Bei der 
Vertheilung der Rollen verfuhren die 
bochgelahrten Schulmonarchen mit der 
größten Willfür. So geſchah e3 häufig, 
daß in jener Stadt der Sohn des 
Nectord, der ein winziges Kerlchen 
mit einer hochklingenden, fchreienden 
Stimme war, die erften Heldenrollen 
jpielte und dadurch die ganzen Auf— 
führungen lächerlich machte. Der junge 
Mann, welcher fpäter fih in Cordula 
verliebt, zettelt eine Art Aufruhr unter 
den Schülern an, aber die Sache wird 
ruchbar und um Sich der firengen 


Nofegger’s „„Geimgarten“‘, 2. Heft, X 


„Mit demfelben Nechte könntet Ihr 
verlangen, daß die Königinnen und 
Heldinnen don rauen gefpielt wür— 
den,“ meinte hierauf Gordula. 

„Welh ein Gedanke!” erwidert 
der junge Mann in wegwerfendem 
Tone. „Wie follte fich eine Frau dazu 
verftehen, vor Zufchanern eine Rolle 
zu fpielen und von Liebe zu reden ? 
Daran wird niemals zu denken fein. 
Man darf nicht Dinge verlangen, die 
unferem ganzen Gefühle zuwider find. 
Und wozu auch? Sind unfere jungen, 
unbärtigen Schüler nicht volllommen 
ausreichend für die Darftellung weib— 
‚licher Rollen? Was ich verlange, ift 
nur eine Nothwendigleit, wenn nicht 
jede Darftellung an die Phantafie un— 
erfüllbare Forderungen ftellen fol. In 
den Niederlanden ift man bereit dar— 
über vollftändig einig, und man nimmt 
ſchöne, ftattlihe Männer aus allerhand 
Berufskreiſen und läßt von ihnen die 
Heldenrollen fpielen. Dort gibt es 
ganze Gefellfchaften, welche im Lande 
Iumberziehen und Scaufpiele auffüh- 
ren, wofür fie nicht nur von den Zus 
ſchauem reichlich bezahlt werden, ſon— 
dern auch in gutem Anſehen ſtehen. 
Ich ſelbſt habe mich bei einigen dieſer 
Truppen längere Zeit umhergetrieben, 
aber ich konnte nicht viel ausrichten 
mit meiner unanfehnlichen Geftalt und 
verlegte mich darauf, Stüde zu ſchrei— 
ben und bei der Einübung behilflich 
zu fein. Dadurch aber kam ich nad 
und nach gar fehr in Noth, bis ich 
endlich wieder nach Deutfchland zurück— 
kehrte.“ 


= 


8 


Cordula hatte diefen Mittheilungen 
mit großer Aufmerkfamfeit zugehört. 
„Ih kann nicht begreifen,“ fagte fie 
dann, „wie e3 in ſolchen Fällen auf 
die Äußere Perfönlichleit ankommen 
fol. Darin mögt Ihr Net haben, 
daß es fomifch wirkt, wenn ein zier= 
licher Knabe von großen Heldenthaten 
Spricht, die er vollführt haben will, 
aber man weiß doc immer, daß er 
nur an Stelle eines anderen redet 
und es fann Niemand einfallen, den 
Schaufpieler wirklich für diejenige Per- 
fon zu Halten, deren Schidjal er uns 
vorführt.“ 

„Das kommt daher,“ erwiederte 
Jener, „weil Ihr eben nie erfahren 
habt, welche gewaltige Wirkung ein 
Schaufpiel macht, wenn e3 derart dar— 
geftellt wird, daß man wirklich ver= 
geflen kann, es fei nur ein Schaufpiel, 
und ſich vielmehr in dem Wahne be= 
findet, man ſehe das Alles leibhaftig 
vor ſich. Bringt einem einfachen Volke, 
das noch nie etwas derartiges gejehen 
hat, ein folhes Schauspiel vor Augen, | 
und die Leute werden glauben, was 
fie da fehen, begebe ſich wirklich, und 
die Menfchen auf der Bühne fühlten 
den Schmerz oder die Freude, von 
denen fie declamieren, und hätten Alles 
erlebt, was fie erzählen. Ich ſelbſt 
habe es gejehen, wie einzelne Schaus 
jpieler eine ganz merkwürdige Gewalt 
auf die Zuhörer ausübten. Namentlich 
ift mir einer im Gedächtnis, der aus 
Leyden in Holland gebürtig und ure 
prünglid ein Schneider war, ein 
Menſch von ſchönem Wuchſe und aus 
drudsvollen Gefichtszügen, der Frauen 
und Männer bezauberte, fie bald zu 


ie. 


Selbftüberfhägung, die zuweilen dem 
Wahnſinn gleih kam. Er wußte, daß 
er bon der Bühne herab oder auch im 
Leben, wenn er gerade wollte, alle 
Herzen eroberte und Mann und Weib 
lenfen konnte, wie er wollte, darum 
glaubte er, es bedürfe nur der Ge— 
legenheit, um mehr Geltung zu er— 
werben als irgend ein anderer Menfch 
auf der Welt. Wenn Ihr diefen Mann 
hättet fpielen fehen, fo würde Euch 
nicht mehr unbegreiflich jein, wie fehr 
es auf den Eindrud der Perfönlichkeit 
ankommt, wenn e5 ſich darum Hans 
delt, die Phantafie der Menfchen zu 
entflammen |“ 

Damit ift die Geftalt des fanati- 
Shen Wundermannes unferen Begriffen 
viel näher gerüdt, ald wenn man ihm 
eine geheimnisvoll dämonifche Kraft 
zufchreibt; Glaſer fehildert ihn viel— 
leiht in etwas nüchterner Art, aber 
er geht der Sache auf den Grund und 
befreit ung von den myſteriöſen Ver— 
fhleierungen, wie fie jonft beliebt 
wurden. Der maßlofe Ehrgeiz eines 
Hiftrionen, der beflehende Zauber fei= 
es theatralifchen Weſens, das alles 
ift uns verftändlich, denn wir jehen 
es jeden Tag vor Augen und werden 
unwillfürlich daran erinnert, daß gar 
manche hohe Perjönlichleiten, Mitglie= 
der herrjchender Familien, ja ſogar ſou— 
veräne Fürſten lieber fich mit Theater- 
prinzeflinnen al3 mit wirklichen Fürſten— 
töchterı vermählt Haben. Auch liegt es 
nabe, ſich einmal den Fall zu denken, 
welhe Wirkung es machen würde, 
wenn auf einen erledigten Fürſten— 
thron irgend ein gefeierter Held der 
Bretter berufen würde. Die enthu— 


Thränen rührte und bald zu lauten fiaftifchen Verehrer Ddiefer modernen 
Jubel begeifterte. Nach der holländi= | Erdengötter würden ihnen unbedingt 
Ihen Sitte nannten fie ihn Bodelfon, | nachfolgen und für ihre treue Au— 


weil fein Water Bodel hieß. Mit ihm 
wurde ich herzlich befreundet. Er be= 
diente ſich meines größeren Willens 


bei mancherlei Gelegenheiten. Der räld« | 


jeldafte Zauber, den ihm die Natur 
verliehen Hatte, wurde für ihn faſt 
zum Unheil, denn er litt an einer 





bänglichkeit Huldreih mit Auszeich- 
nungen bedacht werden. Was aber die 
Verehrerinnen betrifft, fo würde ſich 
wahrſcheinlich die Nothwendigkeit herz 
ausftellen, irgend eine Form zu fin— 
den, um die Erfüllung von deren 
jehnfüchtigem Verlangen nach einer 


15 


Bereinigung mit dem untiderftehlichen 
Künftlerfürften zu ermöglichen. Der 
befte Ausweg wäre dann die Anſiege— 
lung, wie fie bei den Mormonen 
üblich ift. Die betreffenden Damen, 
gleihviel welchen Alters und Aus» 
fehens, würden dann wenigitens de 
jure, wenn auch nicht de facto Ge- 
mahlinnen ihres Ideals werden kön— 
nen, dürften fi als betheiligt an 
feinen Triumphen betrachten und uns 
gehindert für ihn ſchwärmen, als für 
ihren Herrn und Meifter. 

Bon dieſer einen Abjchweifung 
fehren wir wieder zu dem Romane 
zurüd, der uns dazu veranlaßt hat, 
und zwar, um noch zu erwähnen, in 
welcher Weife die gefährliche Klippe 
der Vielweiberei des Johann von Ley: 
den darin umfchifft wird. Hier mag 
nun allerdings die Phantafie des Autors 
ein Uebriges gethan haben, aber die 
Sade hat doch etwas ungemein Glaub— 
würdiges. Bei feinem theatralifchen 
Königsspiel ſchielt Johann gern nad) 
Heinrich VIIL von England, der, gleich- 
folls mit Rom zerfallen, ſich als welt— 
liches und geiftliches Oberhaupt be— 
trachtete. Seine erfte Gemahlin Katha— 
tina don Wragonien hatte Heinrich 
verftoßen und Anna Boleyn, die zweite, 
mußte das Schaffot befteigen. Die 
hiftorisch beglaubigte erjte Königin von 
Zion zu Münfter war Katharina Di- 
vara, die Witwe des erften Propheten 


| Mattpyfon. Glaſer läßt num die Schöne 

Heldin feines Romans Cordula den 
König Johann derart durch ihre Reize 
beitriden, daß Katharina Divara, 
weniger föniglich gefinnt, aber weit 
ſchlauer als ihre Namensjchweiter in 
England, ihrem Gatten felbjt den Ge— 
danfen einflößt, mehrere Frauen zu 
Königinnen zu erheben, um ihrerfeits 
auf diefe Weile dem Schidjale der 
engliichen Königinnen zu entgehen. 

Mit der Einführung der Viel— 
weiberei, heißt e8 dann in dem Ro— 
mane weiter, begann jedoch die Macht 
des nenen Königs don Zion in feinem 
eigenen Reiche zu wanken. Umgeben 
von Schönen Weibern, welche die Gunft 
des fünfundzwanzigjährigen Mannes 
als einen Vorzug erfehnten, mußte 
Johann nach kurzer Zeit einer Form 
des Wahnſinnes verfallen, welcher ſchon 
die römischen Gäfaren oft zum Opfer 
fielen und die fih in unfinnigen Grau— 
famfeiten und Willfüracten zu er— 
fennen gab. 

Man Sieht hieraus, daß es ich 
feineswegs um eine Rettung des wahn— 
wißigen Königs von Zion, ſondern viel- 
mehr um eine pſyhchologiſche Motivie- 
rung feines abjonderliden Wefens 
handelt, und da ſchon diefe einzelne 
Epifode aus dem erwähnten Romane 
fo viel Anregendes enthält, darf man 
denselben wohl ungeſcheut als eine 
intereffante Lecture empfehlen. 








Aus dem Hochdeutſchen in’s Deutſche überfcht. 


Eine Spradplauderei. 


— 
Zen 
@ 





ch Habe oft darüber nachgedacht, 
was denn die Urfache fei, daß 


unfer deutjcher Bauer die hochdeutſche fih in der Vollsmundart Manches jo 


Sprade fo ſchwer verfteht. Verſteht 


‚Schulbildung genoffen hat. ferner 
habe ich darüber nachgedacht, warum 


‚kurz und treffend jagen läßt, was im 


er doch in derfelben jedes einzelne | Dochdeutfchen troß vieler Umſchreibung 
Wort, bejonders wenn er eine Heine und gefchraubter Umftändlichkeit noch 


8* 


116 


unzulänglih zum Ausdrucke kommt. gemengt. — 


Und da Habe ich gefunden, daß in 
unferer deutfchen Sprache ein fremder 
Geiſt ift, der fih den Wörtern und 
Sabformen gar nicht anpaſſen will, 
der ganz abweicht vom altdeutſchem 
Stil, aus fremden Sprachen und 
schlechten Sitten hineingefommen zu | 
fein Scheint und gegen den man ebenfo | 
entjchieden auftreten müßte, als gegen | 


die Fremdwörter, die heute doch wader | 


bekämpft werden. 

Da Hat 
ftehende Säße, die vor Allem von Dilet- 
tanten und Maulhelden gebraucht wer= 
den. Immer wiederfehrende Wort: und 
Gedankenbilder, geiftlofe 
Wendungen eines einfachen Gedanfens 
wegen, machen unfere Schriftiteller fo 
hölliſch langweilig. 


Da drechſelt die Sprache allerhand !ins Auge fällt.” 
Redefiguren, entlehnt für nehm mag es für eine Schaufpielerin, 


geſpreizte 





vielſilbige Hahn hielt, 


„Wir fordern uns auf, 
unſere Nationalität zu kräftigen.“ Wie 
das klar und einfach wäre! Aber es 
klingt nicht gelehrt, es flunfert nicht, 
es find in dem Saß zu wenig Worte, 
um die Lunge zu üben, und feine 


\eigene Stimme Hört doch Jeder gern 


ſo lange als möglich. 

Ein überaus vitterliher Satz ift 
‚der folgende: „Wir verfolgten feine 
Erzählung mit gefpannter Aufmerk- 
ſamkeit.“ Die arme Erzählung! fie 


unfere Sprache ftarre | flieht vor den VBerfolgern, bis fie 


erichöpft zufammenfintt; aber es war 
fo ſchlimm micht gemeint, was fie an 
den Verfolgern für einen gelpannten 
das war nur eine ge— 
ſpannte Aufmerkfamfeit. 
Gefährlicher ift für den Lefer eine 
„Lectüre, bei welcher eine gute Mache 
Und unange= 


den Ausdrud eines einfachen Begriffes |die eine koſtbare Robe am Leibe trägt, 
fremde Begriffe, welche die Aufmerk- fein, wenn fie mit überſchwänglichem 
ſamkeit des Leſers oder Hörers zer: Applaus überfchüttet wird, während 
ftreuen und verwirren, fpielt mit Bil- etwa bei einem Collegen, der felbft 


dern und Gleichniffen, die in uns 
mancherlei Borftellungen eriweden, welche 
man gar nicht braudt. Da heißt es 
z. B.: „E3 tritt an uns die dringende 
Aufforderung für die Befeftigung uns 
ferer Nationalität.” Was gibt diefer 
gleichwohl einfache Sa dem Gehirn 
ſchon für eine Arbeit! Zuerft tritt 
etwas heran, man hört die ehernen 
Schritte, endlich fieht man das Her— 
angetretene, es ift aber was ganz Kör— 
perlofes, das man eigentlich unmöglich 
ſehen kann, es ift die dringende 
Aufforderung. Was mill fie? 
Wozu fordert fie auf? zu einer Be— 
feftigung. Sofort fieht man eine 
Burg und Hunderte von Arbeitern, die 
Steine herbeifchleppen, behauen und 
eine fefte Ringmauer aufführen. Für 
wen aber die Feſtung? für die Na— 
tion ? ja, das wäre etwas, aber die 
Feſtung ift wieder bloß für einen Be— 
griff, nämlich für die Nationalität. 
— So werden ſinnliche Borftellungen 
und Begriffe unpafjend durcheinander: 


eine unbedeutende Rolle fpielt, der 
Ehrgeiz eine bedeutende Rolle 
jpielt. Ein grober Gefelle war jener 
Dichter, denn er ſchlug — und zwar 
nod in fpäteren Tagen — eine lyri— 
Ihe Richtung ein. 

Wenn uns plöglih ein Sritifer 
mit der Nachricht überrafcht, „daß der 
Schatten der Herannahenden Neuges 
ftaltung des modernen literariſchen 
Schaffens ſcharfe Contouren annimmt,“ 
fo müfjen wir uns tummeln, daß wir 
die in den verfchiedenen Winkeln uns 
feres Hauptes ſchlummernden Vor— 
ftellungen rechtzeitig zufammenbringen. 
Wir brauchen einen Schatten und 
Scharfe Contouren nebſt der Neugeſtaltung 
und dem literarifchen Schaffen. 

Wenn Hemandens Name einen 
guten Klang hat, fo fommt das 
vielleicht auf die Vocale an, oder auf 
die Helle Stimme deſſen, der ihn aus— 
ruft; aber wenn ſich plößlid — viel— 
leicht gerade da man ungeſtört jein 
will — unwillkürlich eine Frage aufs 


drängt, fo ift das von der Frage, 
gelinde gejagt, etwas taftlos. 

Es gibt Leute, die täglich allerlei 
Dinge finden, ohne den Fund zurüde 
zugeben. Der Eine findet, daß die 
Adlerwirtin troß ihrer vierzig Jahre 


immer noch jugendlich ausfieht,; der 
Andere findet, daß man beim Spiel 


in einer einzigen Nacht fein Vermögen 


Wenn eine Tageseintheilung ges 
troffen wird, wenn der Poet die 
Berühmtheit ſeinen Werken ver— 
dankt, wenn Schiller's Muſe die 
lauteſten Triumphe auf dem Theater 
feiert, wenn etwas den „Eindrud des 
Schredes“ macht, wenn Einer etwas 
in Verbindung bringt, jo find das 
harmloſe Nedeblüten, die wir zu tau— 





verlieren kann; wieder ein Anderer fenden anwenden. Zur Vervollkomm— 
findet fich veranlaßt u. f. w., ich nung der Sprache aber tragen fie 
finde, daß das Zeitwort finden in nicht bei, weil fie den Sinn des zu— 
vielen Fällen eine lächerliche Anwen⸗ Sagenden oft überwuchern, und nebſt— 
dung findet. Beſſer ift das finden aber bei Vorftellungen in uns erweden, die 
immerhin noch, al3 wenn Jemandem | mit der Sade nichts zu thun haben. 


etwas „unerfindlich“ ift. 


Wenn Du einem Fremden, welcher 


Da meint ein Politiker, es wäre, der deutschen Sprache mur zur Noth 


höchſt wünſchenswert, wenn den For— 


derungen der Oppoſition Ausdruck vers | 


liehen würde. — Ob der langweili- 
gen Leimfiederei! So foll er's wün— 
ſchen, wenn es ſchon wiünfchenswert 
ift, daß den Forderungen etwas ver— 
liehen werde, nämlich ein Ausdrud 
u. ſ. mw. Wenn unfer ſprachgewandter 
Politicus fchriebe: Die Gegenpartei 
foll ihre Meinung jagen! fo wäre das 
deutjch und gut geſprochen. 

Wenn jener Verwaltungsrath an— 
deutet: „Eine SpecialeBilanz würde 
die Handhabe bieten zur ftricten Be— 
urtheilung der Poſition“, fo brauche 
ich nebft der famofen: „Special-Bi— 
lanz“ einen Steg oder eine Treppe, 
um die Handhabe anzubringen, und 
diefe Handhabe erft führt mich „zur 
Beurtheilung der Polition.“ Wenn 
der Mann gejagt hätte: „Eine bejon- 
dere Rehnungsprüfung würde Haren 
Einblid in die Sache ſchaffen,“ fo 
wäre das weniger gefchraubi, aber 
leichter verftändlich geweſen. 

Ein Vollsausdrud fagt von einem 
guten Porträt: Es ift zum Sprechen 
gemalt. Das ift natürlich, wenn aber 
ein gemalter Glasbehälter mit Gold— 
fiihen fympathifh anſpricht, wie 
jenen Recenfenten das bekannte „Still- 
leben“ eines modernen Malers, jo iſt 
das bei dem Stillleben der File nach— 
gerade ein Wunder. 


mächtig ift, ſagſt: „Ich ſchlage Ihnen 
bor, einen Abftecher nah Salzburg zu 
machen,“ ſo ſchrickt er zurück und denft 
an ein Duell, er hat von Schlagen 
und Stehen gehört. Und wenn Du 
fagft, dah Du zu feinem befjeren Ver— 
ſtändnis „beitragen“ wolleft, fo ftellt 
ſich in feinem Gehien für einen Au— 
\genblid das Bild, wie Einer etwas 
| aufgeladen hat und herbeiträgt, vor 
| den eigentlihen Sinn des Wortes. 
Ich fage damit nicht, daß man im 
‚gewöhnlichen Sprachgebrauch alles 
Sinnlide und Bildliche vermeiden 
müſſe, diefes gehört ja in die Sprache 
und macht, recht angewendet, ihre 
Schönheit aus. Ich will aber jagen, 
wie leicht man hierin des Guten zu 
viel thun kann. 

Anders ift es freilich, wenn die 
Sprade einem Dichter zum Stoffe 
dient. Dann trägt das gleichnisweile 
Bilderwerk zum wahren Verſtändniſſe 
bei, anftatt, wie in der Alltagsſprache, 
davon zu entfernen. Wir Alle ſündi— 
gen im diefer Sache, am meiſten aber 
noch die zünftigen Schriftgelehrten. 

Ich gebe nur noch einige nächſt— 
liegende Beifpiele. Da heißt e8: „Die 
Sittenlofigfeit birgt in fich den Keim 
des Verderbens.“ Ach würde lieber 
fagen: Aus der Sittenlofigleit folgt 
das Verderben. „E3 mag geeignet er= 
| ſcheinen,“ warıım nicht: Es mag paſſen. 











| 





118 


„Das Intereffe der Gebildeten wendet | 


fih diefer Erfcheinung zu.” Beſſer: 
Die Gebildeten neigen fich diefer Sache 
zu. „Wir werden noch darauf zurück— 
tommen.“ Wir ſprechen noch davon. 
„Die große Maſſe der Gelehrten zieht | 
auf den breiten Wegen des Altherge- 


Die nachfolgenden Betrachtungen 
über dem unermeßlichen Gegenftand 
werden nicht erfchöpfend fein. Be— 
fannte Dinge werben fie nicht wieder— 
holen, fie wollen nur beitragen, das 
Berftändnis der Dichtung zu erleich— 
tern, indem ſie eine zwar ſorgfältig 





brachten dahin.“ Wie einfach wäre es benützte, aber nicht immer verſtandene 


zu ſagen: Die meiſten Gelehrten haben 
die alte Gepflogenheit. „Es kann nur 
den Zufall zur Laft gelegt werden.“ 
So viel als: Es iſt zufällig, oder: 
Der Zufall ift Urſache. „Es beruht auf 
einer irrthümlichen Auffaſſung.“ Es wird 
irrthümlicher Weiſe augenommen. „Wir 
können dem Gegenſtand feine einge— 
hendere Erörterung widmen.“ Wir 
fönnen uns auf den Gegenftand nicht 
weiter einlaſſen. — Und fo fort in’s 
Unendliche. Auf jeder Seite eines 
deutſchen Buches finden wir derlei, 
und je gelehrter der Mann, welcher 


das Buch geſchrieben, deſto ſchwülſtiger 


der Stil. 

Da heißt es in der Einleitung zu 
einem Fauſt-Commentar: 

„Die nachfolgenden Betrachtungen 
erheben nicht den Anspruch, den un— 
erimeßlichen Gegenftand, dem fie ge— 
widmet find, nach irgend einer Rich- 
tung Hin zu erjchöpfen. 
es vermeiden, die befannten Dinge zu 
wiederholen, fie wollen lediglich einen 
Beitrag zum Verftändnis der unfterb- 
lichen Dichtung liefern, indem fie ein 
Princip der Erklärung vertreten, wel— 
ches zwar jorgfältig benüßt wird, aber 
noch immer nicht genügend anerkannt 
und in feine Gonfequenzen verfolgt ift.“ 

Für einen 
ohnehin noch wunderbar einfach. Aber 


man fönnte das Ding noch einfacher | 


machen und etwa Jagen: 


Sie wollen | 
Langes 
Sprache des ſchlichten, kernigen deut— 


Gelehrtenſtil iſt das | 


Auffaſſung erklären und daraus folgern. 

„Die Aeſthetik muß ihren Anſpruch, 
eine apriore Wiſſenſchaft zu ſein, fahren 
laſſen.“ — „Unſere Lyrik, die faſt 
nur das ſurrogative Verfahren der be— 
wußten, reflectiven Production ver— 
räth.“ — „Es ift den Anschauungen 
vollflommen analog, daß die Genera= 
tionen, als fie ohne phyſiologiſche 
Kenntniffe darangiengen, ihre Auf— 
merkſamkeiten folchen phyſiologiſchen 
Fähigkeiten ihres Innern zuzuwenden, 
welche ebenfalls mehr oder minder den 
Charakter der Unwillkürlichkeit an ſich 
trugen und Aehnlichkeit mit den er— 
wähnten phyſiologiſchen Reflexbewe— 


gungen verriethen, davon in hohem 


Grade betroffen ſein mußten.“ 

Ich frage, ob eine ſolche Art zu 
ſprechen oder zu ſchreiben wirklich im 
Geiſte unſerer deutſchen Sprache liegt? 
Und ich antworte: Nein. Wenn auch 
die deutſchen Gelehrten gerne ein 
und Breites machen: die 





Shen Volkes ift Schliht, marfig und 
‚treffend. Kurz und Elar, das ift 
ihr volfsthünmliches Merkmal, kurz und 
‚Mar, das tft das Geheinmis des guten 
Stiles und des Erfolges bei dem 
deutſchen Redner und Schriftfteller. 

Wo die Schule ift für die Ein— 
fachheit und Natürlichleit unferer 
Spradhe? Bei den deutjchen Volks— 





mundarten. 


Br v 


119 


Ein Tag mit zwei 


deutſchen Dichtern. 


Bon Gebhard Zernin.9 







— 


ger Herbft lam, der Winter gieng, | 
—da mußte es, wie nicht bloß 
der Dichter fagt, doch wohl wieder 
Frühling werden. Und als num auch 
die heißen Sommertage herangefommen 
waren, hielt es mich micht länger zu 
Haufe, und eine Anfrage gieng nad) 
Karlsruhe, wann etwa ich den verehrten 
Freund Scheffel in feiner Sommer— 
friſche am Unter-See befuchen dürfe? 
Umgehend traf folgende Antwort 
ein: „Sch bin von Rheuma geplagt, 
diefen Juli in Karlsruhe und komme, 
wenn Alles beſſer geht, erſt Mitte 
Auguft an den See.” Wenige Wochen 
jpäter empfieng ich folgende ergänzende 
Zeilen: 
„Radolfzell, Seehalde, 19. Aug. 1881. 


Ich bin zwar bier, aber noch 
ziemlih angegriffen; Ihr Beſuch 
wird mich freuen, wenn ich auch 
feine Ausflüge oder Seefahrten vor— 
Schlagen kann.“ 


Einige Tage darauf ſaß ich in der 
Eifenbahn, durchfuhr das badische Länd- 
chen von Nordweften bis Südoſten und 
war ſchon in der dritten Nachmittags 
ftunde in Radolfzell. Als ich einige Mi— 
nuten jpäter in die „Seehalde” eintrat, 
begrüßte mich zuerft der jehr in die Höhe 
geichofjene junge Victor, Sohn des Dich— 
ter, der mir zugleich mittheilte, daß 
Tags vorher Berthold Auerbad 
zum Beſuch bei feinem Vater einges 
troffen ſei. Ich freute mich Fehr, auch 
diefen Dichter wiederzufehen, nachdem 
ich feit mehreren Jahren nicht mit ihm 


— — 


*) Aus deſſen für Literaturfreunde Außerft anziehendem Werkchen: 


zuſammengetroffen war, und hörte mit 
Bedauern, daß Dr. v. Scheffel 
noch nicht ganz wohl ſei, weshalb der 
Karlsruher Hausarzt diesmal den Auf— 
enthalt in der geſünderen Seehalde, 
ſtatt auf der etwas feuchten Mettnau 
empfohlen habe. Wir plauderten dann 
über dies und das mit halber Stimme, 
da der Dichter der Schwarzwälder 
Dorfgeſchichten noch im Nebenzimmer 
Sieſta hielt. Bald darauf erſchien 
dieſer mit den an ihm gewohnten, 
kurzen ſchnellen Schritten, begrüßte 
mich mit großer Herzlichkeit und fügte 
beim Erblicken des durch die heiße 
Mittagsſonne ſtark gebräunten Ge— 
ſichts des Wanderers die Worte Hinzu: 
„Aber was ſehen Sie prächtig aus!“ 

Eigenthümlicherweiſe hatte ich fait 
in demſelben Augenblid von meinem 
Gegenüber gerade das Entgegengejfeßte 
gedacht. Mit Beforgnis blidte ich in 
fein Antlig. Es war zwar immer noch 
derjelbe charakteriftiiche, große und 
ausdrudsvolle Kopf mit den klugen 
und lebhaften Augen und der ſtäm— 
migen, gedrungenen Seftalt, deren Be— 
wegungen noch nicht das Mindeſte 
von ihrer alten Schnellfraft eingebüßt 
hatten, aber es war lange nicht mehr 
die frifche und Ferngefunde Geſichts— 
farbe, die mir an dieſem Geficht früher 
ſtets fo wohlgefallen hatte. Ein eigen— 
thümlicher, faſt dunkelgelber Schatten 
hatte fih um alle Züge, von der 
breiten Stimm Bis zum feſten Kinn 
herunter, gelagert, jo daß ich fofort 
auf den Gedanken fam, der Dichter 


„Erinnerungen 


an Dr. Iofef Victor von Sceffel.* (Tarmftadt, Eduard Zernin. 1886.) Vorftehender 


Aufſatz ift dort betitelt: „Wiederum in der 


Seehald*. D. Red, 


120 


müſſe leberleidend fein. Ob diefe Ver— 
muthung begründet war, weiß ich nicht, 
aber ich habe inzwiſchen irgendivo ge= 
lefen, daß das genannte Uebel Auer— 
bah in feinen legten Lebensjahren 
ergriffen hätte. Allein auch geiftig nie= 
dergedrüdt erfchien der Dichter damals, 
befonder3 in unbewachten Augenbliden, 
wie das wohl Jeder beftätigen muß, 
der ihn im Jahre 1881 mäher be= 
obadhtet, oder auch nur einige Mal 
gejehen und geſprochen hat. 

Sehr bald entſpann fih an dem 
gaftlihen Tiſche unſeres höchſt auf: 
merkſamen Wirtes eine bald ſehr leb— 
hafte Unterhaltung. Auch Auerbach 
nahm trotz ſeiner anfänglich trüben 
Stimmung wachſenden Antheil an der— 
ſelben. Wer ihn kannte, weiß, daß er 
in diefer Richtung einen niemals aus— 
zubeutenden Schaf befaß, daß er in 
der Negel der Gebende, feltener der 
Empfänger war. Er verftand es ganz 
meifterhaft, jedem fellelnden Gegen 
ftande, welcher vom Gefpräc berührt 
wurde, eine tiefere Bedeutung zu vers 
leihen ; er verflocht in feine Rede die 
ihm dabei einfallenden finnigen Ver— 
gleiche, anſchaulichen Bilder, Humor» 
vollen Einzelzüge, kurz, er hielt ſich 
ftet3 auf der geiftigen Höhe des Ge— 
genftandes und beherrjchte das Feld. 
Ebenfo wußte Dr. dv. Scheffel, defjen 
voller Bruftton in der Wiedergabe 
feiner trefflich gejegten, ſtets natür— 
lichen, urdentich = behäbigen, oft von 
urwüchſigem Humor begleiteten Worte 
dad ruhige Ebenmaß beibehielt, die 
Bedeutung und Lebendigfeit des Ge— 
ſprächs zu fleigern und im richtigen | 
Fahrwaſſer zu erhalten. Eine fleine 
confejlionelle Anfpielung ftellte dabei 
heraus, daß Dr. v. Scheffel katholiſch, 
ich lutheriſch und auch Dr. v. Schef— 
fel's einziger Sohn evangeliſch ſei; 
letzterer Umſtand ſchien Auerbach recht 
zu verwundern, doch gieng er nicht 
näher auf denſelben ein. 

Nah und nah wurde Auerbach 
belebt und ſelbſt heiter. Er Sprach mit 
großer Wärme von feinem Freunde 








Profeſſor Bleibtreu, und berichtete 
Näheres über deffen für das Berliner 
Zeughaus beſtimmte Gemälde: „Aufruf 
an mein Volk“; er erzählte dann einige 
hübſche Aneldoten, wobei er bewies, 
daß feine Birtuofität in der Nach— 
ahmung der Dialecte noch nicht das 
Mindefte eingebüht Hatte. Auerbach 
Ichien ſich überhaupt in eine Art 
Sonntagsftimmung  Hineinzuplaudern 
und ſich ſehr angenehm angeregt zu 
fühlen. Die Behaglichkeit der äußeren 
Umgebung mochte auch ihren Einfluß 
äußern, denn er wandte fich einmal 
lebhaft zu mir, blies mit fichtbarem 
Vergnügen den Duft feiner Havannah 
in die Luft und fagte mit einer faſt 
unnahahmlichen Handbewegung: „Der 
Scheffel Hat es doch zu gut!” worauf 
der Hausherr mit großem Ernſt replis 
cierte, daß er es ſich auch ſauer genug 
habe werden laffen, um unter Dad 
und Fach zu kommen. 

Mittlerweile war es 4 Uhr ge= 
worden, und Victor erjchien mit der 
Meldung, dab der Diener mit dem 
Kahn vorgefahren fei. Es war nämlich 
für den Nachmittag ein Ausflug zu 
Waſſer nach dem Radolfzell gegenüber: 
liegenden Dorfe Moos beſchloſſen wor» 
den. Wir verließen die gaftliche Bes 
haufung und ftiegen zu dem Ufer des 
Unter-Sees herab, wo bereits der 
freundliche Fährmann mit dem Nachen 
unfer harrte. Dr. v. Sceffel machte 
fofort die für das leichte und ſchmale 
Fahrzeug geeignetfte Eintheilung, über— 
ſchritt bedächtig die Sikpläße und 
nahm zuerft auf der äußerſten Spiße 
Pla; ihm gegenüber ſaßen Auerbach 
und ich, dann kam der Fährmann mit 
den zwei Rudern, und Hinten am 
Stenerruder nahm der junge Victor 
v. Scheffel feinen Sit. Sofort ſtachen 
wir in den See und nahmen die 
Nihtung quer über das Waller. Bald 
trat das freundlich gelegene Radolfzell 


hinter uns zurüd, und wir befanden 


uns auf der Mitte des Hier ziemlich 
breiten und gerade damals außer» 
ordentlich ruhigen Unter-Sees. Fröh— 


121 


lich und in munterem Gefpräch zogen 
wir dahin. „Wer follt’ auch traurig 
fein“ — fagt Victor v. Scheffel felbft 
bei der Schilderung der Fahrt Elle- 
hard's über den Bodenfee — „wenn 


er über die kryſtallklare Waſſerfläche 


dahinfchwebt! Die baumbeſäumten Ge— 
ftade mit Mauern und Thürmen ziehen 
im bunten Wechſel am ihm vorbei, 
fern dämmern die fchneeigen Firnen, 
und der Widerjchein des weißen Segels 
verzittert im Spiele der Wellen!" Ein 
weißes Segel führte unfer Kahn zwar 
nicht, wohl aber erfreute auch uns das 
befländige Spiel der Wellen. 
Nachdem wir das weltliche Ufer 
de3 Unter-Sees erreicht und vor dem— 
jelben förmliche Waſſerſtraßen zwiſchen 
dem mannshohen Scilfrohr pafliert 
hatten, landeten wir in der Nähe des 
Dörfhens Moos. Unſer freundlicher 
Gaftgeber übernahm nun die Führung 
und brachte uns bald zu einem ihm 
befannten ländlichen Wirte, deſſen junge, 
Tran uns herzlich willfommen hieß. | 
Dr. v. Scheffel's erfahrener Blid er— 
fpähte fofort das für eine Gefellfchaft, 
wie die unſrige, geeignetjte Pläßchen 
im Freien, und fo ließen wir uns 
denn um einen einfachen, rohgezim— 
merten Tiſch auf hölzernen Bänken 
nieder, der unter grünen Bäumen, auf 
einer jaftigen Heinen Wieſe ftand und 
einen prächtigen Ausblid darbot. Die 
junge Wirtin hatte fogleich mit weib— 
lichem Scharfblid errathen, daß ihr 
berühmter Nachbar von jenfeits des | 
Sees Jeltenen Befuch ihr zuführe, und 


\fege dv. Scheffel mit jchneller Gegen 
wart des Geiſtes es ausſprach, daß 
wir nur ſeiner Anweſenheit dieſe Aus— 
zeichnung zu verdanken hätten. Beide 
| Dichter trugen während des ganzen 
Tages und des folgenden Morgens 
das Sträufchen wie einen wohlver— 
dienten Orden an fi, und Auerbach 
blidte oft auf dasfelbe finnig und 
wehmiüthig herab. Allerdings weh— 
miüthig, denn, wie mir Dr. v. Scheffel 
am andern Tag erzählte, waren ihm 
gerade am Borabende, al3 er mit dent 
Veliger der Mettnau zu deflen Land» 
haus auf der äußerſten Landſpitze 
hinausgepilgert war, wirkliche Todes— 
ahnungen gefommen. Er Hatte, in 
Dr. dv. Scheffel’3 Arbeitsftube ſitzend, 
gebeten, ihn allein zu laffen, und fo= 
dann für das „Fremdenbuch für das 
Haus v. Scheffel* ein äußerſt finniges 
Gedentblatt verfaßt. 

| Nachdem wir auf unferem idpflis 
hen Plägchen längere Zeit berweilt 
und uns am fräftigem Landbrot mit 
umübertrefflihen „Rady“, ſowie an 
einem landesüblichen rothen Seewein 
erlabt hatten, wurde die Nüdfahrt ans 
getreten. 

Im Sceffel’fhen Eßzimmer ent— 
ſpann fi danır wieder eine lebhafte 
Unterhaltung. Auerbach erbat ſich Rath, 
wie er feine leßtvollendete Erzählung 
taufen folle, und Dr. v. Scheffel ver— 
wendete ſich in längerer, überzeugender 
Rede für den Titel, den fie nun auch 
erhalten Hat: Meifter Bieland und 
feine Geſellen. Auerbach trug den- 








vielleicht in Auerbach mit feinem Node | jelben fofort in fein Notizbuch ein und 
von eigenthümlichem Schnitte, wie er entwickelte zugleich ſeine Anſichten von 
ihn faſt immer trug (eine Art Wams, der Wichtigkeit eines richtigen Titels. 
einreihig bis an den Hals hinauf zu Von den Aufzeichnungen aus ſeinem 
fnöpfen, ähnlich wie der Rod eines | Leben ſprach Auerbah an jenem Tage 


fatholijchen Geiftlihen, nur fürzer), | 
einen Künſtler vermuthet. Sie erfchien | 
mit vier einfachen, Heinen, aber vecht 
Hübsch zufammengebundenen Sträußen 
und ftedte jedem der Gäſte davon einen 
in's Knopfloch. Die Heine Huldigung 
that dem ſchwäbiſchen Dichter ſehr 
wohl, zumal da fein Freund und Col— 


gar nicht, wohl aber vereinigte er ji 
mit mie zur Bitte an unferen gütigen 
Wirt, doch nunmehr fich der Gefan- 
genen feines Schreibpults zu erinnern 
und die begonnenen Arbeiten freizu— 
geben. Hier wich Dr. v. Scheffel uns 
jedoh aus, er gab Feine beſtimmte 
Erklärung ab und überließ uns die 





122 


ftille Hoffnung, dab unfere Wiünfche | Freund in Schwaben, und nun mar 


doh einmal ihre Erfüllung finden 
würden. Wie wir bei diefer Gelegen— 
heit erfuhren, Hatte ein langer Proceß 
mit den Fifchern von Reichenan immer 
noch nicht fein Ende gefunden; ber 
Dichter wurde recht unmuthig, als bei 
einer Wendung des Gefprächs die Nede 
auf diefen Gegenftand Fam. 

Nah manchen Tangen und ſtets 
anregenden Gefprächen, in deren Pau— 
fen wir den altdeutfchen Humpen mit 
echtem „Höflenbräu” (einem vortreff— 
lihen Bier der „Hölle“ von Radolf: 
zell) wader zugefprochen Hatten, war 
e3 recht ſpät geworden, als wir uns 
trennten. Längft hatte es 11 Uhr von 
dem Thurm der alten Stadtlirche ge= 
Schlagen, als ich meine Lagerftätte auf: 
fuchte und fo manches fchöne und 
tiefe Wort mir in’s Gedächtnis zurüd- 
tief, das ich von den beiden füddert- 
Shen Dichtern vernommen hatte. 

E3 war für mich ein gemuß= und 
lehrreicher, ein — mit Auerbach zu 
reden — „wunderſamer“ Tag ge: 
wejen! Auch einige freundliche An— 
denfen an Dr. 3. v. Scheffel hatte 
er mir eingebracht. Der junge Victor 
überreichte mir drei intereflante Ver: 
vielfältigungen: die in Lichtörud von 
C. Bihler in Bern ausgeführte Zeich- 
mung des Scheffel’fchen Wappens, ſo— 
danı die Urkunde über den älteften 


Lihtdrud von Schober und Baeckmann 
ausgeführte Zeichnung der borromäi- 
ſchen Juſeln, letztere aus den Reiſe— 
Album Scheffel's vom Jahre 1852. 
Dieſelbe zeigt das Talent des Malers 
von Landſchaften im beſten Lichte. 
Am nächſten Morgen beim Früh: 
ſtückstiſch offenbarte Auerbach den Ent— 
ſchluß, noch an demſelben Vormittag 
abzureiſen. Es wurden die vortreff- 
lichen Rettige gebracht, deren nähere 
Bekanntſchaft wir Schon am Tage zu— 
vor in Moos gemacht Hatten. Der 
Hausherr beftimmte einen derjelben, 





e3 wieder Auerbach, welcher den Dich- 
ter des „Ekkehard“ mit dem Erfuchen 
auf den Leib rüdte, einige gereinte 
Begleitworte dem herrlichen Gewächfe 
des Moofer Erdreichs mit auf den 
Meg zu geben. Dr. v. Scheffel lieh ſich 
gar nicht lange möthigen: er ftieg die 
zwei Treppen zu feiner Arbeitsftube 
mit den herrlichen freien Blid auf den 
Hohentwiel empor und erſchien kaum 
eine Viertelftunde fpäter wieder unter 
uns, um uns die Strophen des ſchnell 
entftandenen Heinen, aber von belann= 
tem, echtem Scheffel’fehen Humor durch— 
wehten Gedicht3 vorzutragen. Auerbach 
überlas fie nochmals und ftedte fie 
mit den Morten: „Wie fchön, das 
wird ihn freuen!“ in die Brufttafche. 
Dann aber brachen wir auf und fliegen 
zum Radolfzeller Bahnhof hinunter, 
wo wir nicht lange auf den Zug von 
Eonftanz zu warten hatten. Schnell 
brauste er heran, Auerbach flieg ein 
und brachte nicht ohne Mühe fein 
überaus zahlreihes Handgepäck unter 
— ein förmlicher Rattenfonig von Spas 
zierftöden und Regenſchirmen machte 
dabei befondere Schwierigkeiten —; 
dann noch ein Händedrud, ein Gruß 
mit dem Auge, ein Zuniden, und fort 
eilte der Zug nach Nordweften. Er 
entführte uns den Dichter, den ich 


‚nicht mehr wiederfehen follte. 
Befigwechfel der Metinau umd eine im | 


Dr. v. Scheffel, fein Sohn und 
ich blieben noch den ganzen Tag zu— 


ſammen. Wir machten zunächſt einen 


Gang auf die Mettnau und befichtigten 
wieder das neue Landhaus. Unterwegs 


(erzählte mir der Dichter gar man— 
cherlei von Auerbach. 


Alles Tantete 
ichmeichelhaft für den Schöpfer der 
Schwarzwälder Dorfgefhichten und 
ehrte ebenfo den Berichterftatter. „Wäh— 
vend der ganzen Zeit, die ich ihn kenne“ 
— fagte u. A. Dr, v. Scheffel — „Hat 
er mir niemals etwas in den Weg ge= 
legt. Ich Habe mich auch diesmal be— 
müht, befondere Freundlichleiten ihm 


ein wahres Prachteremplar, als Mit- zu erweifen, weil fein Gemüth durch 
gabe für einen gemeinschaftlichen guten | die rauhe Welt mit ihren antiſemiti— 


123 


ſchen Beltrebungen fo jehr verlegt ift.“ 
Wie Dr. v. Scheffel über diefen Ge— 
genftand dachte, ergibt ſich Far aus 
einem „Gedenkſpruch“, den derſelbe 
einige Monate vorher dem belannten 
Selbftjchriften = Album des Deutſchen 
Reihes „aus Sturm und Noth“, 
weldes im Auftrage der Deutfchen 
Gejellihaft zur Rettung Schiffbrüchiger 
herausgegeben worden ift,*) überlaflen 
hatte. Dort heißt es: 


Gedenkfprud. 

Stoßt an: Ein Hoh dem Deutjchen Reich ! 
Un Kühnheit reich, dem Adler gleich 
Mög’: täglih neu fi ftärken. 
Doch Gott behüt’s vor Claſſenhaß, 
Und Raſſenhaß und Maſſenhaß 
Und derlei Teufelswerfen ! 

Karlsruhe, 16, Februar 1881. 

J. V. v. Scheſſel. 


Das hier angegebene Datum zeigt, 
was den Gedenkſpruch noch eindring- 
licher machen muß, den 55. Geburtstag 
des Dichters. 

Dann erzählte Dr. v. Scheffel 
noch manches Hübſche, u. A. auch von 
dem Verhältnis Auerbach's zu Din 
geljtedt, woraus hervorgieng, daß 
der Erjtere äußerſt fchlagfertig mit 
treffenden Erwiderungen zur Hand 
fein fonnte; kurz, ich ſah bier, daß die 
beiden fo verfchieden gearteten Dich- 


terfürften wahre, aufrichtige Achtung | 


miteinander verband, 
Ueber die Art, in welcher Auerbach 


zu arbeiten pflegte, machte mir Dr. 


v. Scheffel intereffante Mittheilungen 
und fagte dabei u. U. Folgendes: 
„Sobald Auerbach fich einen Stoff 
zu einer Arbeit erdacht und zurechte 
gelegt hat, d. 5. fobald das literari- 
ſche „Skelet“ von ihm in feften Zügen 
und möglichſt genauen Umriſſen feit- 
geftellt worden ift, beginnt die Aus— 
arbeitung im „Rohen“. 
folches Skelett foll 
nicht arbeiten, fügte der Sprecher 
hinzu. Zu dieſem Zwed nimmt der 





*) Berlin, 1881, 3. 9. Schorer, Ber: 
fagshandlung des Deutſchen Familienblatts. 





Dichter einen gewandten Stenographen 
auf fein Zimmer, und nun geht das 
Dictieren los. Auerbach geht dann 
baftig im Zimmer umher und fpricht 
fich felbft den Wortlaut des zu ſchaf— 
fenden MWerfes vor, der dann fofort 
— alfo faft ohne jede Aenderung — 
von dem aufınerffamen Schriftführer 
in Gabeläberger’fhen Zeichen ausge— 
drüdt zu Papier gebracht wird. Dies 
dauert mehrere Stunden hintereinan— 
der, fo daß in mehreren Sigungen 
jelbft ein mehrbändiger Roman in 
feiner ganzen Faſſung feitgeftellt wer: 
den kann. Hierauf wird die Ueber— 
tragung der ſtenographiſchen Zeichen 
in deutſche Schreibjchrift vollzogen, 
wozu mit weißem Papier durchfchoffene 
Hefte verwendet werden. Nun aber 
beginnt erſt die Hauptarbeit: die Fei— 
lung und die VBervollftändigung durch 
eingeftreute Bemerkungen. Die erfte 
Arbeit, die Nachfeilung, nimmt wohl 
jeder Schriftfteller mit feinen geiftigen 
Schöpfungen vor, dagegen twird Die 
Vervollftändigung und Ausſchmückung 
durch Einftreuung gewilfer philoſophi— 
icher, pſychologiſcher, moralifierender zc. 
Süße, oder auch nur Heiner derartiger 
Einzelzüge eine befondere Eigenthüm— 
lichleit Auerbacdh’3 fein. Von ſolchen 
zu Einſchaltungen geeigneten Sätzen 
allgemeinen oder befonderen Ynhalts 
hat Auerbach ſtets eine micht geringe 
Anzahl bei ſich in der Brieftafche; fie 
fommen ihm beim Nachdenfen, beim 
Spazierengehen 2c., ähnlich wie dem 
Gomponiften die mufitalifchen Gedan— 
fen zugehen, und werden dann fofort 
zu Papier gebracht. Hierin ift zugleich 
die Erklärung zu finden, wie es kommt, 
daß man in Auerbach's Schriften ganz 
underhofft die Spuren geiftiger Ver— 


tiefung antrifft.“ 


Ohne ein| 
man überhaupt | 


Es wird dem Lefer von Intereſſe 
fein, zu erfahren, welchen Eindrud 
Auerbach felbft von feinem legten Be— 
juche bei Dr. dv. Scheffel mit fich ge— 
nommen bat. Glüdlicherweife hat er 
perfönliche Aufzeichnungen darüber Hin- 
terlaffen, welche im dem nach feinem 


Tode erfchienenen Werke: „Berthold 
Auerbach, Briefe an feinen Freund 
Jakob Auerbach” veröffentlicht worden 
find. 

Dort leſen wir: 


„Radolfzell, 22. Auguft 1881. 


Aus dem Haufe Victor Scheffel’s 
ſchreibe ih Dir. — Ich bin feit 
geftern Mittag Hier und habe gern 
d’rein gewilligt, noch bis morgen 
bier zu bleiben. E3 ift wunderfam 
behaglih und ſchön hier... . 

... Geftern Morgen fuhr. ich 
mit bis Rorſchach und dann allein 
hierher. Ich Hatte telegraphiert, und 
der junge Scheffel erwartete mich 
am Bahnhof; Scheffel kam mir beim 
Haufe entgegen. Es ift ein ftatt- 
liches Haus, das er ſich hier an der 
Seehalde erbaut und mit einem 
felbftgepflangten Garten umgeben 
hat ; Alles zeugt von Wohlftand und 
Ihönheitsvollem Behagen. 

Ich mag viel Fehler haben, aber 
neidifch bin ich nicht, ich gönne 
Jeden fein Gutes und freue mich 
deijen, nur möchte ich eben auch fo 
was haben, ein eigenes Heim, eigene 
Bäume. Echt gaftfreundlich, wie ein 
homerifcher Held, ift Scheffel, und 


124 


I wir ſchmausten bei Tische den beften 

Fiſch aus dem See und das beite 
wilde Geflügel und tranfen dazu 
den echten griechifchen Wein. 


Nach der Mittagsrube, die durch 
Reife und Trunk micht ſehr ruhig 
war, wanderten wir am Ufer ent— 
lang nad der Inſel Mettnau, die 
das große Landgut Scheffel's aus— 
macht. Das Haus mit dem fchönen 
Thurme ift mittelalterlich, mit dem 
beiten Geſchmack eingerichtet; ein 
Schönes aber, wie ich noch nichts 
gefehen zu Haben glaube, ift das 
Zimmer im Thurme, mit der Aus: 
ficht über den Weinberg, über den 
See und nad dem Hohentwiel und 
den Bergen des Hegau’s. Dort ſaß 
ich lange aflein in dem großen Lehn— 
ftuhl mit den maffig breiten Hand— 
lehnen und fehaute hinein im die 
untergehende Sonne, die in einer 
unbefchreiblichen Pracht Alles ver— 
Härte, und da ſaß ich und erinnere 
mich nicht, daß ich je im Leben eine 
höhere, über Alles emporgehobene 
Stunde hatte. Mein einziger Wunſch 

| mar: jeßt fterben zu können, und 
| das fchrieb ih dann auch bei Licht 
in das Fremdenbuch Scheffel's.“ 


Pondoner Sommertage. 


Stizjen und Plaudereien 


I. 
Bon der Straße. 


7. cd gehört gemeiniglich nicht zu 
BE meinen böfen Eigenfchaften — 
in vollem Maße ift er im mir immer 
nur erwacht, wenn ich jo ein biederes 





Bäuerlein in den Straßen unferer, 


Stadt umberirren ſah. Diefes Schauen, 
Stehenbleiben und Gefchobenwerden, 


von Rudolf Rleinede, 


\diefes Staunen und dieſes Verwun— 
dern! Mer doch auch einmal fo ftau- 
nen könnte! 

©’ ift ja wahr, es gefchehen in 
unferm Jahrhundert Dinge, wo man 
wohl Mund und Augen aufreigen 
kaun — aber man Hat dabei doch 
noch nicht das Gefühl, das jo ein 
ſchlichter Waldbauer haben muß, wenn 
er zum erften Male die Wunder der 





zu 


Großſtadt fieht und welches Gefühl 
auch einmal haben zu können bei mir 
faft zur firen Idee geworden tar. 
Wer doh auch einmal fo faunen 
föunte! — 


— Verzogenen Kindern muB man 
ihre Wünfche erfüllen — und fo fand 
ich mich denn eines jchönen Tages in 
der Eity of London, wie ich, Hin und 
her geichoben, geſtoßen und gedrängt 
und jelber ftoßend und drängend fo 
recht das erfehnte Gefühl genießen 
fonnte. Nun Bäuerlein aus der Kai— 
jerftadt, nun Hilf dir felbft, dacht’ ich 
mir, ließ mich ein paarmal gehörig 
auf die Fußſpitzen treten, um mur erft 
ein wenig zum Bewußtſein zu gelans 
gen, und trat dann meine Wanderung 
jo gut als möglid an. 


Und gut war e3 eigentlich nicht 
möglich — denn hatte man die lebens— 
gefährliche Pafjage tiber die Straße 
hinter fih, jo kam man ſozuſagen 
vom Regen in die Traufe, da, abge- 
ſehen von der fcheinbaren Unmöglich- 
feit, dab da am Trottoir noch Einer 
Platz finden follte, auch die Engländer 
auf der Straße eben nicht zu den 
böflichften zählen, fo gentlemanlife jie 
auch in ihrem Haufe find. Das drängt 
und fchiebt und haftet durcheinander 
und Hat man gerade Eile (und die 
Scheint hier Jeder zu Haben), jo gehört 
wirflih die ganze Kaltblütigkeit eines 
echten Engliſhman dazu, um bei dem 
faft an jeder Straßenfreuzung wieder— 
holten Warten nicht die Geduld zu 
verlieren. 

Was hülfe es auh? Fährt ja 
doch, unbeirrt um jeden Einzelnen, 
Wagen an Wagen in eng gefchlofje= 
ner Phalanı daher, undurdhdringbar 
für den Fußgeher, bis zum Glüd der 
an der Ede ftehende Gonftabler durch 
eine Handbewegung endlich Halt ge» 
bietet. Nun ergießt fih der jchon eine 
ziemliche Weile geftaute Strom der 
Fuhrwerke aus der andern Gaſſe in 
fein Abzugsgebiet und nah fünf Mi- 
nuten — wenn's gut geht — Tann 


die erſte Wagenreihe ihren Weg wie— 
der fortjeßen. 

Und wie bunt das durcheinander 
gewirfelt ift — hier eine bornehme 
Equipage, deren Kutſcher felbft es ver— 
ſchmäht, auch nur einen Blid auf den 
zu Fuße fich fortbeiwegenden Pöbel zu 
verſchwenden, da ein riefiger Omnibus, 
auf deffen Dach ein Herr mit dem 
Winde ringt, der ihm fortwährend die 
umfangreihen Blätter der „Times“ 
zu entreißen fucht, dann wieder ein 
Schwerer Laftwagen oder ein leichter 
eleganter Gab, Alles bunt durcheinan— 
der geworfen wie die Ideen im Haupte 
eines jugendlichen Dichters. 

Ein Wunder nur, daß Fein Bich— 
clift dazwischen ftedt — denn Bicyele 
fährt in London Alles, was Beine und 
ein Fahrzeug Hat, vom eleganten 
Sportsman bis herab zum Lehrling 
oder Gehilfen irgend eines Gejchäftes, 
der mittelft Trichcle den Kunden die 
Mare zuführt, und wieder bis herauf 
zur Lehrerin, die ich jeden Morgen, 
einen Bad Bücher an ihrem Dreiräder 
hängend, zur Schule fahren Jah. 

Uber find wir erft in der Region 
der Bichcles, fo find wir ja auch ſchon 
fozufagen „gerettet,“ da geht es, wenn 
auch immerhin noch lebhaft gemug, 
doch ſchon ftiller zu al3 im Centrum 
der Riejenftadt, in der City, wo man 
im Anfange ganz betäubt wird von 
dem koloſſalen Verkehr. 

Der Wunſch ift ja befriedigt, ich 
habe geftaunt wie ein richtiges Bäuer- 
lein, das von der lieben Welt noch 
nicht? gejehen außer fein Dorf — 
ih kann getroft meinen Weg fort» 
jegen nach ftifleren Stadttheilen. 

Im MWeftend zum Beifpiel, im 
Quartier der vornehmen Welt, da ift 
e3 in den fchönen Strahen fo feier- 
lich ſtill wie in einer Kirche; kaum 
daß hie und da eine Equipage übers 
Pflaſter rollt oder ein Erdbeerenver— 
käufer mehr aus alter Gewohnheit als 
in der Erhoffnung eines Gejchäftes 
fein: „Strawberry, Strawberry!“ 
ſchreit. — Auch manche Partien der 


—— 


großen Parks mit ihren weidenden 
Skhafheerden bieten willkommene Zu— 
fluchtsftätten vor dem Lärm der Welt- 
ftabt. 

Bis man aber diefe erreicht, wird 





dak man ſich ja in London befindet. 
— Ganz abgefehen von den zwei— 
rädrigen eleganten Gabs, wo der 


Kutfchbod an der Rüdwand des Was | 


gens angebracht ift, und der Fahrgaſt 
fomit gezwungen ift, mit feinem 
Kutſcher durch eine Luke des Daches 
zu conferiren, giebt es noch unter— 
Ichiedlihe Fahrzeuge, von denen wir 
uns daheim nichts träumen laflen. So 
verkehrte am Leicefter- Square eine 
Zeit lang ein Gefährte, auf dem eine 
veritable Küche eingerichtet war. Ein 
weißgelleideter dider Koch waltete da 
geichäftig feines Amtes, während da— 
neben bei einem Zifchchen ein dünner 
ſchwarzgekleideter Schreiber (London 
ift ja die Stadt der Extreme) nicht 
fleißig genug fein konnte, um alle die 
Beftellungen auf das an der Seit, 


fommenden Männer mit Annoncen= 
tafeln find eine ftereotype Straßen 
'figur, und bei dein Make der ausge— 
theilten Ankündigungen eröffnet ſich 
hierin einem Händler mit Maculatur- 


























Weniger foftipielige Reclame, aber 
mehr Gefchrei machen die durch rothe 
Blouſen gekennzeichneten ſchmierigen 
Buben, die mit Kennerblick den Rein— 
heitszuſtand unſerer Schuhe prüfen 
und Alle bereit ſind, gegen einen Obo— 
lus von einem Penny unſerer Fuß— 
umhüllung friſchen Glanz und ſchönes 
Ausſehen zu geben. Die Zurufe der 
Omnibuskutſcher und Conducteure iſt 
man ja ſchließlich gewohnt, ebenſo die 
Hauſirer mit Zündhölzchen und ſonſti— 
| gen Lebensbedürfniffen, und wie nad 
und nad die Straße ruhiger wird, 
wird ınan es ſelber aud. 

Aber bald gibt's wieder etwas 
Neues. Auf der andern Seite fteht 
eine Gruppe Zufchauer um einen auf 
der Erde hodenden Mann herum, der 
‚da eifrig, wie es feheint ohne Nuß und 





wand annoncirte — Badpulver zu res Zweq. auf dem Boden herumwiſcht. 
giſtriren. Urtheile man nicht zu früh — der 

Ueberhaupt wird in Reclame Groß: | Mann iſt Künſtler! Auf einer alten 
artiges geleiftet. Oder ift es etwa feine | Nummer der in leßterer Zeit jo viel— 
geniale Idee, einen Ballon captif über genannten „Pall Mall Gazette“ hat 
den Häufern ſchweben zu laffen, der er fein Material — ein paar färbige 
in riefigen Lettern irgend eine Schwin= | Kreiden — liegen, die großen Stein= 
deliware anpreift ? platten des Trottoird dienen ihm als 

Alles und felbft das Undenkbarſte Leinwand und funftbegeiftert ſchmiert 
ift zu Neclame und Annonce bemüßt. | — pardon! zaubert er da Gemälde 
Die gelben Tafeln, die auf jeder her, die vielleicht troß aller böswilligen 
Bahnftation des Königreichs „Keen's ‚Kritit undergänglich wären, wenn fie 
Mustard“ anpreifen und deren Zahl | — nicht eben der nächte Regen ſchon 


Legion ift, find ja eigentlich Ion 
etwas ganz Gewöhnliches und Selbit- 
verftändliches, beffer ift noch Pear's 
dee, fein Feldgeſchrei „Pear's Soap“ 
auf Geldftiide einzuprägen — nalürs 
lich nur auf franzöfifche vier Centimes— 
Stitde, die als Penny curfieren, da 
er bei folder Benügung engliſchen 
Geldes ftrafbar wäre. 

Die im Gänſemarſch (gerade wie 
die Eonftabler, wenn fie zu Mehreren 
ind) Einer Hinter dem Anderen daher— 


wieder wegwüſche. Er iſt Colorift — 
Malart ift fein Vorbild. Alle feine 
Gemälde — Schiff im Mondfchein, 
hellgrüne Berglandſchaft, Charakter— 
‚töpfe, Thierſtücke ze. — ſind von einer 
Farbenfülle, die ihres gleichen ſucht 
und beinahe zu dem ungerechten Ver— 
dacht verleiten könnte, der Künſtler 
wolle durch möglichite Grelle blos die 
Blide der blöden Menge auf fich len— 
fen, damit diefe einen dem Genie ſchul— 
digen Tribut in den neben dem Kunſt— 





werk fliegenden Hut des Künftlers ı freilich weniger ideal als in Uhland's 
werfe. Ballade — arbeitet einem Obrenarzt 
Solder Stragenmaler gibt es eine |ausgiebigft in die Hände und fteht 
Menge und find es hauptfächlich Taube | ‚nicht an, flatt der Föniglichen Nofe 
ar die duch Ausübung dieſer ganz gemeine Pennyſtücke anzunehmen. 
Kunft ihren Brüdern im Apoll’, Ben Späterhin wird's aber ungemüth— 
— Werkelmännern Goncurrenz zu lid. Ih kann mit gutem Gewiſſen 
machen fuchen. Denn auch diefe giebt jagen, im meinem ganzen früheren 
es in London — freilich micht in fo Leben Habe ich nicht fo viel betrun— 
erichredender Zahl wie im unferer kene Weiber gefehen als in London 
Heimat. an einem Tage — Sonntag nicht 
Diefes Minus wird jedoch mehr | ausgenommen. 
als wettgemacht dutch diverfe Blase! Warum denm auch? Sanıftag find 
mufifen md einzelne Birtuofen, die ſie's ja doch fhon und Montag find 
auf den Straßen ihre Kunſt nad fie es noch — warum alſo gerade 
Brod gehen laſſen. Befonders war es Sonntags nicht?! Die übrige Woche 
ein Solotrompeter, der mich — bei trinkt man nur aus alter lieber Ge— 
aller Achtung vor feinen Leiftungen wohnheit. 
— faft zur Verzweiflung trieb und So gehört es denn auch gar nicht 
mir beinahe den Glauben an Mars: zu den Seltenheiten, daß zwei ftreis 
garethens Liebe zu Yung Werner |tende Weiber (von den mitunter braun 
raubte. und blau gefchlagenen Männern gar 
nicht zu Sprechen) plößlich einen ganz 
regelrechten Gang boren — zum 
größten Gaudium ihrer Mitmenfchen 
— Da wir nun ſchon fo plans natürlich, die in Erhoffung eines ſol— 
103 dahinbummeln, machen wir einen chen Schaufpieles oft mit unfäglicher 
Heinen Abftecher im eine der Neben= , Geduld warten, bis das Wort endlich 
ſtraßen. zur That wird und ſchließlich eine 
Eine Nebenſtraße freilich dem allge- oder die andere in gebührender Aner— 
meinen Verkehr — eine Hauptſtraße kennung eines kunſtvoll gegen fie ge— 
aber den in dieſem Stadttheil Woh- führten Schlages den Kampf aufgiebt. 
nenden. Es ift Samftag Abend und Laut eines vom Bolizeichef Hen— 
man macht feine Einkäufe für die derfon veröffentlichten Ausweiſes twur- 
Mode. Die Gefchäfte find bis fpät den denn auch von 78416 in Haft 
in die Nacht geöffnet, Buden umd genommenen Berfonen, 12434 wegen 
Berlaufsftände mit allen möglichen | Trunfenheit aufgegriffen, was immer- 
Eßwaren, dazwischen ein Buchantiquar, | Hin eine ganz Hübfche Nummer reprä— 
der jedes Stüd — fei es nun ein ſentirt, befonders wenn man bedenkt, 
Band Shakespeare’fher Dramen oder dab die löblichen Hüter der öffentli— 
ein Strauß’fcher Walzer — um dreiichen Ordnung in derlei Eleinlichen 
Pence verkauft, Haben fich etablirt, und | Fällen ſehr glimpflich umgehen und 
dazwischen ftreifen die Ladies der gewöhnlich fünfe g’rad fein laſſen. 
Borjtadt mit ihren Einkauflörben. Hie Auch die öffentliche Sicherheit, für 
und da, daß es doch an Unterhaltung | die übrigens gegen 12000 Boliziften 
nicht fehle, kommt aus einem der nach beiten Willen und Gewiljen ſor— 
Publikhäuſer ein Betrunfener und gen, wird dadurd in feiner Weile 
bringt, don den vielen Lichtern phanz |irritirt, und ruhig Tann man die 
taftifch beleuchtet, einen Grotesktanz nächtlihen Straßen durchwandern, 
zur Aufführung. Ein edles Sänger: ohne für fein theures Leben fürchten 
paar — in umferer profaifchen Zeit zu müſſen. 





„Vergeblich Müh’n, mir zu entflieh'n, 
Ih blafe ruhig weiter —.“ 





128 


Den Nrmenquartieren an der 
Themfe freilich, denen muB man hübſch 
aus dem Wege bleiben. Diefe ſchmutzi— 
gen und verwahrloften Diftricte ſucht 
man ja jelbft tagsüber höchſtens 
aus Wiffensdrang auf und zur Nacht: 
zeit — zur Nachtzeit durchftreifen ſelbſt 
die Gonftabler nur zu Vieren und 
Sehfen diefe anmuthigen Gegenden 
und ein gewöhnlicher Sterblicher thut 
am beften, ſich „zu drüden”. 

Der Mensch verfuche die Götter 
nicht! — 

Es ift überdies fpät und Zeit, 
unfern Spaziergang zu enden. 

„Ohne auch nur ein Wort über 
die englifchen Frauen gefagt zu haben?“ 

Ueber die Frauen? Das erfordert 
doch wohl ein eigenes Gapitel, meine 
Gnädige. 

„Und Sie werden es ſchreiben?“ 

Mit nichten. Dem Stoff, fürcht' 
ich, ſind meine Kräfte nicht gewachſen 
und meine Beobachtungen zu ſubjectiv, 
obgleich, oder vielleicht eben weil ich 
eingehende Studien gepflogen. — 

„Man ſchilt ja die Ladies alle 
erſchrecklich langweilig —“ 

Verleumdung, Madame. Alle ſind 
es nicht und die, die es ſind — 

„Nun die?“ 

Die amüſieren durch ihre Lang— 
weile. 


En famille. 


Mir hatten eine furchtbare Unter- 
lafjungsfünde begangen. Hatten eine 
ganze zwei Spaunen lange und zwei 
Finger dide Stearinferze bis zum letz— 
ten Stummel herabgebrannt umd was 
ren ausgezogen, ohne die dafür ſchul— 
denden zwei Pence erlegt zu Haben! 
Unferer guten, lieben Hausfrau fo 
etwas anzuthun! Der Frau, die in: 
mer jo freundlich war gegen uns und 





von uns nahın al3 von anderen Leu— 
ten. Sie hatte und, da einer der 
erften Tage nach unſerer Ankunft in 
London gleih ein Sonntag war, aud 
fürforglich verfchiwiegen, wie an einem 
ſolchen nur die deutſchen oder franzö— 
ſiſchen Gaſthäuſer das Recht haben, 
offen zu halten, hatte uns, immer be— 
ſorgt um unſer Wohl, auch nicht ver— 
rathen, wo ſich ſolche befinden und 
ließ uns, ſo ſchwer ihr dies auch 
ankommen mochte, lieber den ganzen 
Tag mit hungrigem Magen herum— 
laufen, als daß ſie mitſchuldig hätte 
ſein wollen, falls wir uns an den 
ungewohnten Speiſen den Magen ver— 
dorben hätten. 

Und trotz all und alledem ſind 
wir ihr ſchnöder Weiſe die Kerze 
ſchuldig geblieben, und ſie, ſie hat 
ſelbſt hier noch Vergebung geübt und 
die ruchloſe That nicht etwa Gott ge— 
klagt, ſondern bloß den Nachbarn er— 
zählt, die glücklicherweiſe ihrerſeits 
genug Gerechtigkeitsliebe beſaßen, um 
die Sache weiter zu Jagen, bis fie end— 
fi auch uns zu Ohren kam und wir 
durch Abtragung der Hingenden Schuld 
auch einen winzigen Theil unſerer 
moraliſchen tilgen konnten. 

Die lieben Deutfchen in der Fremde, 
fie find manchmal fo gut — — — 

Bon Ddiefem Haufe kamen wir 
in ein echt engliſches Bürgerhein. 
Unfere paar Broden Schulengliſch 
ſchmolzen angeficht3 des hier dominie= 
renden Londoner Dialectes wohl in 
Nichts zufammen und in den erften 
acht Tagen waren wir nicht felten 
gezwungen, zur Zeichenfprache unfere 
Zuflucht zu nehmen. Aber abgejehen 
von derlei Kleinigkeiten, die man mit 
nur ein wenig Humor recht gut er— 
trägt, hatte die Sache einen unleug— 
baren Vorzug — wir fahen mit einem 
Male mitten in einer englifchen Fa— 
milie, für einen Fremden eine be= 
fanntlich feineswegs leichte Sache. Wir 
ftudierten engliſches Familienleben, 


die, trotzdem wir doch eigentlich Lands- lernten Sitten und Gebräuche kennen 
leute waren, doch nicht mehr Zins und dankten in unſerer Sündhaftig— 


129 


feit Gott, daß mir unferer lieben | gewöhnlichen Memı des Londoner 
Landsmännin am Fitzroy-Square die | Mittelftandes aus Hammelfleifch mit 
Wohnung gekündigt und — die Kerze | Kartoffeln und gefottenen grünen Erb— 
bezahlt Hatten. fen und aus Pudding beſteht, machen 
Um unſere Freude voll zu machen, die jüngeren Mitglieder der Geſell— 
erhielten wir von verfchiedenen Ver⸗ ſchaft unter Führung des Tuftigen 
wandten unferer Wirtin Einladungen, |Ontel® einen Heinen Berdauungs: 
und wenn es einen verehrten Lefer ſpaziergang. Es geht ziemlich weit 
nicht verdrießt, ſo möge er nur ge— hinaus aus den Häuſern, über Wie— 
troſt mitlommen — es wird im den Ten md wellige Halden, den Thurloe— 
nüchternen England wohl viel auf Hill hinauf. 
Etiquette geſehen, doch iſt auch noch Man ſieht von ſeiner „Spitze“ 


finden und der von Bekannten einge- und findet an einzelnen Thurmſpitzen 


ein gutes Stück Gaſtfreundſchaft ee 1 in den dunftumbüllten Koloß 


führte Fremde findet jederzeit gaftliche 
Aufnahme. 

Unfer Weg zieht an der altehr- 
würdigen MWeftminfter-Abbey vorüber 
und an dem prachtvollen neuen Par: 
lamentshaufe mit dem Big Ben, der 
riefigen Uhr, auf feinem Thurme, 
hinüber die breite Weftminfter- Bridge, 
unter der die ſchmutzigen Wellen der 
Themfe träge dem Meere zurollen. 


Am jenfeitigen Ufer liegen die mäch- 


tigen und doch ſchönen Gebäude des 
Sct. Thomas-Hofpitals, links ſtromab 
erblickt das Auge den aus Alexandrien 
gebrachten Obelisk („Nadel der Cleo— 
patra“) und in weiter Ferne den 
mächtigen Bau der Pauls-Kathedrale. 

In einem der Public-Häuſer neh— 
men wir, wie üblich an der Bar 
ſtehend, einen friſchen Trunk Bier oder 
Limonade, oder beides zuſammenge— 
mengt, und beſteigen dann die Tram— 
way, die uns nach längerem Geholper 
endlich an unſeren Beſtimmungsort, 
nach Brixton, führt. 

Das Häuschen unſerer Gaſtgeber, 
mit einem zwei Schritt breiten Gärt— 
hen davor, iſt wie alle andern rings 
um. Wir fommen beim Eintritt im 
einen langen Flur, von dem die Thü— 
ren zu den Familienzimmern und 
weiter rüdwärts zur Küche einmün— 
den. Un der Rücdfeite des Haufes 
breitet jih ein Garten aus — der 
Stolz und die Freude feines Befigers. 

Nah dem Efjen, das nad dem 


Rofegger's „„Geimgarten‘‘, 2. Geft, XI. 


fihere Punkte zur Orientierung. — 
Eiwas weniger weit in entgegenge- 
feßter Richtung liegt der breite, mäch— 
tige und doch fo leicht aus Eifen und 
Glas gewölbte Bau des Eriftall- Palace. 
In feinem Innern birgt er Samm— 
lungen aller Art, Reftaurationen, 
Theater, Concert-Saal, und was im— 
‚mer das Auge zu ſehen verlangt, es 
fann es finden dafelbft. Riefige Park— 
anlagen ziehen fih im Rücken des 
ı Gebäudes hin und von feiner Terraffe 
| bietet fih ein einzig ſchöner Anblid 
den Befucher. 

Das Alles ift vom Thurloe-Hill 
aus freilich nicht zu fehen und nur 
die Erinnerung ruft die Bilder wach, 
wenn ſich das Auge geblendet abwen— 
det von dem merkwürdigen Gebilde, 
auf dem der Strahl der Sonne tau— 
jend neue Lichter wedt, wenn er drü— 
ber hingleitet. 


Die Wege nah Loughborough und 
Dulwich dürften wohl von Fremden 
jelten begangen werden. Sie bieten 
auch außer dem faftigen Grün der fie 
umgebenden hügeligen Wieſen oder 
einigen hübſchen Billen weiter nichts 
Bemerfenswertes. Mehr belebt find 
 Denmarl- und Champion-Hill, die 
befonders an Sonntagen von Spa= 
ziergängern wimmeln. 

Im Hauſe unferes Gaftfreundes 
erwartete uns bereits die Jaufe: Thee 
nit Butterbrot und Kuchen, Heinen 
Seefchneden,, fogenanntee Winkles, 

9 





und winzigen, kaum zolllangen Krebs— 
Ken (Shrimpe). 

Onkel E. war übrigens einer von 
denen, die ihre Erzählungen immer 
mit: „Als ich noch in X war“ begin- 
nen, und er ſetzte ftatt des X einmal 
Amerika, ein andermal Afrika und ein 
drittesmal Auftralien. Solcher Leute 
gibt es in London nicht wenige und 
man erfieht ſchon daraus, falls man 
es nicht bereit3 früher in der Geogra= 
phie-Stunde gelernt hat, die Größe 
und Bedeutung der Engländer als ſee— 
fahrende Nation. — Er zeigte uns 
die von feinen Reifen mitgebrachten 
Euriofitäten — chineſiſche Vaſen und 
indianiſche Schneefchuhe, Bärentagen 
und Mineralien und verfchiedenes an= 
dere Zeug und Geriimpel, das meift 
nur für den Eigenthümer oder ver— 
rückt gefcholtene Leute, die auch derlei 
ſammeln, Intereſſe und Wert hat. 


Nachdem man uns noch das faft 
Unmögliche zugemuthet hatte, nad all 
den gaftronomischen Anſtreugungen des 
Tages auch noch Fräftig zu Abend zu 
effen und wir auch unfer Möglichites 
geleiftet hatten, ließ man uns endlich 
Abschied nehmen umd, einen Zug der 
unterirdifchen Bahn benügend, flogen 
wir unferem Stadtiheile entgegen. Die 
Erinnerung an mancherlei auf dieſer 
Bahn überftandene Abenteuer vers 
fürzte die Fahrt und gab genügend 
Stoff zum Lachen. 


Die Metropolitan Railway ift der 
naturgemäße Feind aller nicht voll— 
ftändig mit ihr Vertrauten. In tiefer, 
nur durch das im Coupe brennende 
Lämpchen erhellter Nacht faust der 
Zug dahin, ob auch über den Häu— 
fern heller Sonnenschein lacht — die 
Bahn fährt ja unter diefen weg. 
Mit faft unverminderter Schnelligkeit 
fährt man in die Station ein, hält 
ohne jedes weitere Zeichen au; wer 
heraus will, eilt Heraus und wer 
hinein will, hat nur ſchnell die Thüre 
aufzureißen und einzufpringen, denn 
wie der Train gelommen, fährt er 


130 _ 


auch wieder ab, ohne Signal und 
natürlich ohne Nüdfiht zu mehmen 
auf den Einzelnen. Da kann es denn 
dem Neuling jehr leicht pafjieren, daß 
er, wenn auch nicht wochenlang in 
den unterirdifhen Gängen umherirrt, 
wie jener Mann, von dem „Bund“ 
feinerzeit erzählte, doch verſchiedene 
Stationen durchlaufen kann, ohne daß 
er weiß, im welcher Dimmelsrichtung 
er fich eigentlich befindet. Die Sta— 
tionsnamen werden nicht ausgerufen 
und ehe er in dem, die ganzen Wände 
bededenden Wufte von Annoncentafeln 
die Tafel mit dem Stationsnamen 
erfpäht, ift der Zug längft wieder 
unterwegs. — Zum Glüd verkehren 
die Züge mindeftens alle 10 Minuten 
und ein vorgekommener Irrthum  ift 
da immer leicht zu reparieren — falls 
unſer junger Freund nicht bei der 
Rückfahrt auch den Ausgangsort ver— 
paßt, was übrigens Alles ſchon dage— 
weſen ſein ſoll. 

Nun, wir kamen diesmal glücklich 
in Victoria-Station an, und nachdem 
wir uns noch eine Viertelſtunde von 
einem Omnibus, in deſſen einer Ecke 
ein junger Staatsbürger fein Talent 
zum Süängertfume mit mächtigen 
Stimmmitteln documentierte, Hatten 
durchfchütteln Taffen, waren wir zu— 
baufe. 

Die Großmutter unferer Wirts- 
leute, die fich eines jo üppigen Bart- 
wuchfes erfreut, daß fie ſämmtliche 
junge Männer South: Stenfingtons 
lebhaft darum bemeiden, ftand bereits 
in der Area (umgitterter Raum vor 
dem Haufe) und öffnete uns jelber 
die Hausthüre. Iriſh Whisky, meinte 
fie, wäre gut vor dem Schlafengehen 
und credenzte uns noch ein Gläschen, 
das wir auf ihr Wohl leerten. 


An demfelbigen Abend habe ich 
allen Engländern, die ich je ſammt 
ihren rothen „Bädedern“ verwünſchte, 
Abbitte geleiftet und zugleich einen 
heiligen Schwur gethan, der Mitwelt 
zu erzählen, wie ſolche nur Ausnah— 


131 


men feien von der Regel und wie die| „Landsleuten,“ die ftet3 auf ihre Un— 
Regel, die im Lande felber herrjche, | entbehrlichkeit und auch auf die Unkennt— 
eine gar gute fei. Und ich dachte, wie nis des Andern pochen, als Melkkuh 
ich vorkommenden Falles lieber wieder zu dienen. Was letzteres ſich übrigens 
— eine Kerze ſchuldig bleiben wolle | jeder nach London kommende „Grüne“ 
und mich zu Fremden ziehen, ftatt bei | hinter's Ohr fchreiben möge. 


Todesfürdten. 


A icht iſt's der frühe Tod, der mich erjchredt! 
Se It Sterben doc nur endlos Ruhen, Schlafen — 
Und wer ift tüdiih graufanı wohl genug, 

Ein friedlih Ruh'n fich felber zu mißgönnen 

Nah harten Tagwerk's mühevollem Schaffen. 

Nicht iſt's der frühe Tod, der mich erjchredt, 

Nur daß, wenn fühl die Erde bald mich dedt, 

Mand liebes Aug’ um mich wird meinen, 

Läßt gar zu ſchwer das Sterben mir erfcheinen. 


Nicht iſt's der frühe Tod, der mich erjchredt! 

Wer jeine Jugend hat zu Grab’ getragen 

Und mit ihr abgeftreift den Farbenſchmelz 

Bon Eintagsfalter, den fie Leben nennen, 

Wird auch vor'm legten End’ nicht Teicht verzagen. 
Nicht ift’3 der frühe Tod, der mich erjchredt; 

Die Neue nur, vom Abſchiedsſchmerz gewedt, 

Daß ih mand theu’res Haupt mußt’ kränken, 
Läßt ſchwer und bitter mi an’s Sterben denken. 


Nicht iſt's der frühe Tod, der mich erfhredt! 
Hätt’ ich fie all’ verloren meine Lieben 

Und des Verluftes herbe, tiefe Qual, 
Berblutend, bis zur Neig’ erdulden müflen, — 
Wär’ ih verlafien und allein geblieben — 
Nicht wär's der frühe Tod, der mich erfchredt! 
Der Kummer nur, zu tiefft in mir verftedt, 
Im Tod noch Herzleid zu bereiten, 

Läßt ſchwer dem Sterben mich entgegenfcreiten, 





Aeontine Hrof. 


Die Schildkröte. 


Eine Erinnerung aus dem Leben meiner Kinder von P. R. Roſegger. 


AZ ines Tages kam ein fremder, So eigentlich geftohlen, antwortete 

Mann in unfer Haus, der ‚der Mann ebenjo treuberzig, hätte er 

hatte eine Schildfröte zu verkaufen. fi zwar nicht, aber er gebe fie trotz— 
Ob er fie irgendwo geftohlen | dem billig. 

hätte? fragte ihn die alte Haushäl- | Als die Haushälterin das Thier 

terin treuherzig. ‚aus dem rothen Sadtuch herauslugen 


9* 





ſah, that fie einen fehredbaren Schrei 
undverhülltedas Geficht. Das ſchmutzig— 
gelbe Wefen mit dem ruppigen Schilde 
und dem bdreiedigen Kopf mit den 
Glotzaugen war auch gar zu häßlich. 
Uber die Kinder famen zuſammenge— 
laufen, fanden das Thierchen herzig 
über die Maßen und wollten es ha— 
ben. Für ein Mittagseffen war es feil, 
und als der Mann zu den zwei Sped= 
Inödeln mit Sauerkraut auch noch ein 
Stüdlein Fleifh drauf befam, gab er 
bereitwilligft no die Gebrauchsan— 
weifung bei, heißt das, was zu thun 
wäre, daß das Thier nicht Hin würde. 
Man dürfe nur feinen großen Stein 
draufwerfen, fonft könne man alles 
thun und es fei unglaublid, was fo 
ein Ungeheuer für ein zähes Leben habe. 


Der Heine Hans unternahm fo= 
fort eine Probe, er fahte das Wefen 
mit zwei Yingern behutfam an der 
Scale, ftellte e8 auf den Erdboden 
und flieg darauf. Im Augenblid hatte 
die Kröte Kopf, Schwanz und Pfoten 
unter das ſchützende Dach gezogen 
und al3 wir es aufhoben, floß es 
zwifchen feinem gelblichten Bauch= und 
feinem hübſchgewölbten brauncarrirten 
Rüdenfchilde wieder gemüthlich aus— 
einander. 


Hierauf wurde eine Kleine Stifte 
herbeigeholt, der Boden derfelben mit 
Gras bededt, die Kröte Hineingeftellt 
und damit waren alle Bedürfniffe 
diefes befcheidenen Gefchöpfes Gottes 
befriedigt. 

Täglich mehrmals, ‚wenn es den 
Kindern einfiel, wurde die Schildkröte 
auf den runden Gartentifh heraus— 


Ihre Feuchtlalte warzige Haut, ihr 
langfan auf und zu gähnender zahn- 
lofer Rachen war überaus widerlich. 
Nur ein paar Augen Hatte fie, die 
bisweilen glühend wie Rubinlein zwi— 
ſchen den wulſtigen Lidern hervor= 
funfelten. 

Zange hatten wir dad Thier vor 
dem Haushund zu ſchützen gefucht, 
weil wir fürchteten, der Sultl wiirde 
ihm den Garaus machen. Einmal aber 
ftürzte der Hund auf die Schildkröte 
(08, fchredte jedoch wieder zurüd, zog 
den Schweif ein und ſchlich mit fchief 
gefenttem Kopfe davon. Das Ding 
war ihm zu häßlich gewefen. Seitdem 
fam er gar micht mehr zu uns an 
den Gartentifch, wenn die Kröte darauf 
| umherkroch. 
| Bisweilen waren wir ganz allein 
am Tiſch, die Schildkröte und id. 
Und das war merkwürdig, mein Ab— 
ſcheu vor ihrer Häßlichkeit verwandelte 
ſich almählid in Zuneigung und 
Liebe. Die Natur ift doch überall mit 
Schönheit durchhaucht, auch dort, wo 
fie nach unferen Gewohnheitsgefühlen 
häßlich iſt. Häßlich kann nur ein 
| Stümperwert von Menjchenhand fein, 
abjolut häßlich kaun nur das böfe 
Princip und die ablichtliche böfe Hand— 
lung des Menfchen fein. Und wie war 
unfere Schildkröte ein gutmüthiges, 
harınlofes Geſchöpf! Wenn es fo zu 
meiner Hand herankam, feinen Kopf 
zuerft vorfiredte, fie dann ein wenig 
berührte, wenn es endlich fein mit 
ſcharfen Häckchen beſetztes Humpiges 
Pfötlein an meinen Finger legte, 
wenn fein fenchtkalter Leib auf mei— 
ner Hand ruhte, da war ich fehler 











gethan, auf demfelben herumfpazieren verfucht, dasfjelbe zu thun, was zu 
gelajjen und genedt. Man verrammelte | meinem Entſetzen da3 zweijährige 
ihr die Richtung, die fie eingefehlagen | Grethen jo oft gethan hatte. Das 
hatte — da wendete fie fich langjam | Gretchen pflegte die Schildkröte mit 
feitwärts; man fißelte fie mit einem, beiden Händlein zu fallen, an feine 
Strohhalm am Kopf, da zudte diefer | rofigen Wangen zu drüden und ihr 
unter den Schild hinein. Wenn ſie auf den dreiedigen Kopf herzhafte 
zum Zifchrande kam, ftredte fie den | Küffe zu verfegen. 

Hals aus, ſchaute vorfichtig in den Manchmal ließen wir dad Thier 
Abgrund und Fehrte ſich jachte um. auf dem grünen Anger frei herum— 


133 


fpazieren, und e3 war eine Mühfal, 
bis es jeinen Eafterlangen Weg zurüd- 
gelegt Hatte. Einmal hatten wir feiner 
vergeflen und als wir es am Abend 
auf dem Raſen fuchten, war es fort. 
Einestheild freute ich mich darüber, 
daß es micht mehr gefangen und von 
Menſchen bevormundet war, fondern 
im Freien, unter Büſchen und auf 
Moorgründen ein krötenwürdiges Da- 
jein führen fonnte; andererjeit3 hegte 
ih Beforgnis, ob es wohl mündig 
genug fei, um ſich allein durch die 
Welt zu bringen. 

Einige Tage nachher trat ein Bauern- 
fnecht, der jeden Tag am Angerzaune 
vorübergieng, in die Umfriedung uns 
feres Sommerhäuschens und rief den 
Ichaufelnden und fpringenden Kindern 
zu, ob fie einen Vogel haben wollten, 
er hätte einen Vogel bei ſich. 

Ob er lebendig wäre? 

Lebendig wohl, aber Flügel hätte 
er feine, Hingegen jedoh auf dem 
Nüden und auf dem Bauch eine 
beinerne Haut! Und zog aus feiner 
Taſche die entlaufene Schildkröte. Na- 
türlich großer Jubel! Das Thier ſah 
etwas abgehärınt aus und ftredte uns 
feinen Kopf entgegen. 

Jetzt genoß die ſchöne Schild— 
kröte wieder mehr Auszeichnung, deren 
ſie ſich zu freuen ſchien. Nur wenn ſie 
in die Hände des kleinen Gretchen fiel, 


zog fie Kopf und Beine eilig unter 


die Schalen, weil fie mit ihrem falten 
Blute von allzu leidenfchaftlichen Lieb- 
fofungen doch fein Freund fein mochte. 

Anders wurde es, als die Erd— 
beeren reiften. Da waren die Finder 
den ganzen Zag im Walde, und als 
da3 Heumahd kam, fprangen fie 
draußen auf den Wiefen um und 
halfen den Leuten beim Heuen, bis 
man eine Magd dem geſchäftigen 
Gretchen zurief: „Weg da, Heine 
Grill’, ſonſt nudle ih Dich unter den 
Schober hinein!” Der Hans fand, 
da das Aufdemkopfſtehen gar nirgends 
jo gut laffe, als im Hen. Kein Wun— 


der, dab des Abends den Kindern die 
Augen zufielen, bevor fie noch ihre 
Milhfuppe zu fich nehmen konnten. 

Erft als die Regentage kamen, 
war der Taumel aus. So fuchten fie 
ihre alten Spielfahen hervor, und 
al3 fie auch die Schildfröte wieder 
einmal aus der Kiſte haben wollten, 
war fie tobt. Zodt — und ftredte 
ihre fteifen, gekrümmten Pfötlein 
himmelwärts. 

Der Hans war im erſten Augen— 
blick dieſer Entdeckung etwas blaß ge— 
worden; faßte ſich aber bald und 
fagte: „Das macht nichts. Der Model— 
bub giebt und ein Kaninchen, da brau— 
hen wir feine Schildkröte!“ 

„Hans !” fagte ih, „komme ein- 
mal mit mir, ich will Div was err 
zählen.“ Ich gieng in den Baum— 
garten, er trippelte mir nad. Auf 
der Bank unter dem Apfelbaum ſetzte 
ich mich nieder und nahın den Kna— 
ben auf den Schoß. Er blidte mir 
mit feinen ſchwarzen munteren Augen 
in das Geficht, ſchon begierig auf die 
Neuigkeit. 

„Hans,“ ſagte ich, „ſiehe, hier iſt 
ein Apfel vom Baum gefallen.“ 

„Darf ich ihn effen ?* 

„Er ift noch Hein, noch lange 
nicht reif — muß verfaulen,“ ant— 
wortete ih, „Kind, auch wir können 
abfallen zu diefer Stunde und in’s 
Grab finten.“ 

„Vater!“ rief der Knabe Luftig, 
„der Engel wedt uns wieder auf.” 


„Er wedt Did wieder auf. Er 
führt Dich zum Nichte. Der Engel 
und der Böfe ftreiten Schon um 


Deine Seele. Da frägt der Gott Richter: 
Warſt Du Deinen Eltern gehorfam ? 
Haft Du allzeit die Wahrheit gefagt ? 
Haft Du Deine Gefchwifter lieb ge— 
habt ? Bift Du nicht trogig und nicht 
zjornig geweſen? Wohlan, mein liebes 
Kind, fo nehme ich Dich zu mir in 
den Himmel herein. — Jetzt aber in 
\demfelben Augenblid kraucht zwifchen 
den ſchwarzen Erdſchollen hervor ein 
träges, armſeliges Thier — eine 





134 


Schildkröte. 
Herrgott auf ein Wort. 


Engel zu. — Engel, jagt der Herr— 
gott, laſſe fie zu mir, fie ift auch 
mein Geſchöpf. Was willft Du, armes 
Thier? — Herr, mein Gott, jagt die 
Schildkröte, ich bin elend gemug ge= 
wejen auf Erden. So häßlich! 
verachtet! So hilflos. Ad, wäre ich 
noch häßlicher geweien! Die Häßlich— 
feit war mein einziger Schuß. Aber 
gerettet Hat fie mich doch nicht. Ich 
habe das Unglüd gehabt, einen ſchö— 
nen NRüdenfchild zu befißen, da haben 
mich die Menjchen gefangen, über das 
Teuer gehalten, bis der Schild ſich 
losgelöſt Hat, 


Sie thät’ bitten beim 
— Spute 
Did, häßliches Ding! pfaucht ihr der 








SS 


haben den Schild in, 
ihren Sad geftedt und mich dann hat's nicht gewußt. 


„der Gott Richter feine Hand aus, 
um Dich von ſich zu weifen, da riecht 
die Schildfröte herbei zu feinen Füßen, 
biegt die vorderen Pfötlein, als ob 
fie fnien wollte, und jagt: Herr mein 
Gott! verftoß ihn nicht von Dir! Aus 
böjem Willen bat er's nicht gethan. 
Er hat's nicht gewußt, nicht wiffen 
fönnen, wie wehe es thut. In feiner 
Jugend Freuden hat er meiner nur 
vergeffen. Den Bogel Hat er gehört 
fingen und hat ihn geaßt, den Donner 
bat er gehört krachen und hat gezittert. 
Ih Habe keine Stimme, mich hat er 
nicht gehört. Er ift in Jubel geweſen 
auf ſonnigem Unger, ih bin nicht 
weit von ihm in meinem Gefängnis 
fill und qualvoll Hingeftorben. Er 
Verzeihe ihm! 


wieder ins Gras geworfen, bis der — Da legt Gott die weiße Hand auf 


Schild neuerdings gewachſen. Ich Habe | Deine Achſel und fagt: 


das Unglüd gehabt, von Menfchen ge- 
liebt zu werden. Sie haben mich ge- 


genährt und durften lafjen. 


hätte weniger gelitten. 
haben fie mich gequält, geliebloft, Hin | 
und hergefchleudert zu ihrer Quft wie 


verhungern, vergehen laſſen. — So 
Ipricht die Schildkröte. Da befiehlt 
Gott der Richter: Nenne mir Deine 
Mörder! — Das Thier ftredt lang- 
ſam feinen braunen, ſchuppigen Hals 
aus, hebt den Kopf, deutet auf Dich 
und jagt: 
— Du?! ruft Gott und blidt Dich 
firenge an. 
dann fteht die Sadhe anders! — Da 
bebt der Böfe ſchon an, vor inneren 
Subel zu kichern. . . ." 


Mein Hans hielt bei diefer Darz | 


ftellung den Athem ein umd ich fah | 
die Angft, die nun in feinen Zügen | 
hervortrat. Ich wollte ihn auf dei, 
Raſen niederlaſſen, allein er klammerte 
fich feft an meinen Arm und begann 
zu Schluchzen. 

„Schon ſtreckt,“ jo fuhr ich fort, 


| werfen will ih Dich nicht. 
Dich wieder zurüdichiden auf die Erde 
fangen, eingeferfert, mit faulen Gras | 
Märe | 
mein Leben nicht jo zähe gewefen, ich | 
Nah Willfür 


da höre ich Deinen Schrei. 


einen Spielballen, haben mich in die, 
Hinfternis gethan, haben mich frieren, | jagt: 


Da fteht einer von ihnen! 





Knabe, wenn Bon jo ift, | den. 





Hans, ver— 
Ich will 


und Du wirft dein Vergehen büßen. 
Nicht als der flinfe Knabe follft Du 
über die blumigen Wiefen hüpfen, 
ſondern auf ſchlammigem Boden foltft 
‚Du als Schildkröte... . Mein Kind, 
Aber die 
Schildkröte ftreiht an Dich heran und 
Sei getroft, Freund, auf ſchlam— 
migem Boden, in Wald» und Sumpf: 
gründen iſt es micht ſchlimm. Bitte 
Gott; daß er dir nicht den zierlichen 
Panzer auf den Rüden fehnaflt, bitte 
ihn, daß du eine Kröte ohne Schild 
fannft fein, bitte ihn um recht viele 
Häplichkeit, daß dich nicht das Unglüd 
treffe, don Menfchen geliebt zu wer— 
— Dann ift es feine Strafe, 
Sagt der Gott Richter, dem Thier im 
‚Schlamm ift oft wohler, als dem 
Menschen, der aufragt gegen Himmel 
und dejjen Kopf und Herz im heißen 

Sonnenſchein muß reifen. Nein, Kind, 
werde ein Menſch, bleibe ein Menſch, 
ſei der große Leidträger, der unter 
‚feinen eigenen Schmerzen wimmert 
und noch Mitleid Haben muß mit allen 
übrigen Gefhöpfen der Erde. Und 
haft Du Dich fo ausgelebt und ausge— 





135 


litten, dann komme zu mir, dann bift „Und wenn fie lebendig würde, 
Du mein.“ So hatte ih mehr zu mir was wollteft Du mit ihre machen ?“ 
jelber, al3 zum Knaben gefprochen. „— Zum Teihfchlamm hinaus— 


Der Heine Hans Hatte fein Haupt |tragen und fie frei laffen,“ war die 
an meiner Bruft geborgen und zitterte. | Antwort des Knaben. 

„Aber die Schildkröte ift ja noch Und feither haben wir feine Schild— 
todt!” rief er fpäter, als er fie in | fröte in der Stifte, Fein Goldfifchchen 
der Kiſte auf welfem Gra3 liegen fah. | im Glafe, keinen Vogel im Käfig mehr 
Er nahm fie in die Hand umd vers |gehabt. Der Hans hat feines diefer 
fuchte, ihr Leben einzuhauchen. Leben!| Thiere mehr geliebt, und zwar — 
Es ſchien ihr nicht mehr darnach zu aus Liebe zu ihnen, 
gelüſten. 


Hodhlands:Picder. 


Gedichte von Robert Burns, in die Alpenmundart überjegt von 8. Sp.“) 


Die böfe Bäurinn. 
(There Jived a carle on Kellyburn braes.) 


4 Bauer hat ghaust üntern Kellibach-Eck; 
at (Die Rauten wadhst ban Thymes gern) 
Erin Weib, dd war granti und banti und fed. 
(Sie blücht erft, wann er wel will wern.**) 





Amahl, wie dr Bauer a Holz führt, a jchnöds, 
Begegnt n dr Teufel, und fragt n: Wie gehl's? 


„Ih Han a böj’s Mei, füften gang’s nit ſchlecht um; 
Denn mit Vrlaub 3 rödn, gegen dö jeid’3 Des frumm,* 


„Ghalt Du Deine Oechsln und Roß, was Dih gfreut, 
Ahr gib mr Dein Weib, Bar! af dö hiet ih Schneid.“ — 


„O mein Gott, wie ge'n!“ jagt dr Bauer, „Des gipoakts! 
Wann dd Ent fo gleichfiecht, ſeid's örger als's hoaßts.“ — 


Dr Teufel, der Takt iehm nit zwoamal dös fagn, 
Und hat bugglfraren die Alte forttragn. 


Ban Höllenthor fest x fein MWeichfahrtl a, 
Sagt: „Das ij Dein Hoamat! biez, Queder, bleibft da,“ 


Und fufzg va fein Bandl ausſuechter ſih gſchwind, 
Dö waren den Weibl ihr Wacht und ihr Gſind. 


Die Bäurinn fahrt drein wie-r an angſchoſſner Bär, 
Und wen fie drlängt, der vrlangt fih nie mehr. 





*) Eiche Heimgarten X. Jahrg. Eeite 684. 
“) Die zweite und vierte Zeile kehren im Original in jeder Strophe ebenſo eingeichaltet wieder, wie 
in nordiſchen Balladen, 


136 


Dan pehichwarzes Fanggerl hat anghöbt is fchrein: 
„D helfts, Moafter! helfts Uns; ba der gehm mr ein!“ 


Dr Teufel hat gfluecht feine ſchwareſten Flüech: 
A Man, der a Weib hat, drbarmet iehm ſchiech! 


Er dankt ünfern Herrgott gar hali und hoch, 
Daß er in den Loc ij und nit in den Jod. 


Drauf hat fih dr Satan glei wieder aufgmadt, 
Und hat fein'n Schak zu ihren Alten zrudbradt. 


„Ih bi hiez ſchon Teufel, jo lang a8 ih dent; 


Aber d Höll kenn ih ext, feit ih 


Ssausfrenz. 
(O aye my wife she dang me.) 


Mein Alte hat mih ſchiech angſchmierſcht; 
Und wie ſ mih oft amal kunierſcht! 
Laßts nur an Weib ſein'n Willen, 

Mein Dad, da jeid’3 petichierjcht. 


35 han in Fried und Rueh wöllt’ lebn, 
Und bi der Narr und heirat; 

Hätt’s nit vriehrter an funnt hebn: 

Us warn Danr 8 Haus anfeurat! 


Dan Troft if, der mr’3 noh vrſüeßt 
Das furfchze Leben-Trimmel: 

Ih han mein Höl ſchon da abüeßt, 
Und fimm van Orſcht in Himmel. 


Mein Alte hat mih ſchiech angſchmierſcht; 
Und wie j mih oft amal funierjcht! 


j geholt Han ban Ent.* 


Laßts nur an Weib ſein'n Willen, 
Mein Dad, da ſeid's petichiericht. 


Hausmũhle. 
(Cauld is the e’enin’ blast.) 


Es blast a hölliſch Talter Wind 

Um Weihnachten af d Nadt; 

Und i dr Fruüeh hat's ſchon an Froft, 
Daß über d Höch alla kracht. 


Es tost der Wind, es beikt der Froſt, 
Wer draußten if, hat gnue; 

Und Schnee waht wi-r a finfter® Gwülk 
Die Berg und Graben jue. 


378 aber noh fo finfter giwen, 
Und gwaht hätt’8 wie dr will, 


| Die Gretl hat doh Malter ghabb 
Af ihrer kloan'n Mühl. 


Alpendlume. 
(Yon wild mossy mountains.) 


Die miefige Ulm, dö fo broat dort auffleigt, 
Und dö unfer Mur als a Fatſchlindl jäugt, 
Wo die Brombenn ihr Bruet zwiſchnen Haadah umführt, 
Und der Halterbue fingt, und dr Enzian blücht -- 
Und der Halterbue fingt :c, 


Die Iuftigfte Gegend und 8 prädtigfte Gſchloß 
Vronüegt mih nit jo wie das mieſige Moos, 

Tort if in an oanſchichtign Graben dahaam 

A gar a ſüeß's Dirnl, mei Sinn und mei Traanı, 


A gar a ſüeß's Dirnl :c, 


Der Alm gehn ih zue, und fort auf nachn Bad; 
As faamt an ieds Waſſerl ſein'n Ninnfali nad; 
Dort fteig ih min Dirn! viel Tag umanand, 
Mir zölen foa Stund, wie d Brliebten ſcha thant. 


Mir zölen koa Stund ꝛc. 


Sie if nöt die Saüberfte, fauber juft wol; 
Sie hat nit viel glernt, a8 is 3 weit i die Sdul; 
ge! a lödige Mueter, va der fie nir ierbt — 
Ih lieb halt das Haſcherl, weil fie mih jo liebt. 
35 lieb halt das Hafderl :c. 


— 


Wann Oane recht ſchön if, as if ſchon a Luft, 

Schlagt d Augen bald auf und bal nieder af d Bruſt, 

Bald jeufzt fie, bald lat fie und jpigt ihri Rödn: 

Das blendt Oan'n und brennt Dan’n, ma fan’s nit drwöhn. 
Das blendt Oan'n ꝛc. 


Glanzt aber mein'n Schagl fein Blid voller Lieb, 

Dagögn if dr Schein von an Edelftoan trieb; 

Und klopft ihr guets Herz, warn | nıih nimmt um n Hals — 
Da nimmt | mr mei Herz und n Kopf mit und Wlls. 


Da nimmt | mr mei Herz ꝛc. 


Adendflunde. 
(When o’er tbe hill the eastern star.) 
Wann's Ste'n! dort dr Sunn nadfintt, 
Und Alles fuecht fein Rueh, 


Die Ochſen gehn von Baugrund miled 
Und jhwar dr Hueben zue, 


Es rauſcht dr Bad, es reist dr Thau | „Diaz dust ih halt“ zc. 


Da meld ih gihmwind mein Huch, 
Und af n Birfenbödn! obn 
Kimm ih za Dir, mein Bue! 


In tiefften Grabn, um Mitternadt, 
Ban Fürdten war foa Spur, 

Wann ih dur felln finftern Grabn 
Dir zuegang, lieber Bue! 

Und war die Naht glei noh ſo ſchiech 
Und müd war ih ſchon gmue, 

Af's Birkenbödnl fam ih doh 

3a Dir, mein lieber Bue! 


Dr Jager ſuecht in fritehen Thau 

As Ned: und Dirfhengipur; 

Um Mittag ftöbert nah n Bad 

Dr Fiſcher mit dr Schnur, 

Gebb’3 mir die Stund wann's dumper wird! 
Da geit mei Herz foa Rueh, 

Und jchlagt n Birkenbüher! zue 

Und Dir, mein lieber Bue! 


Die „Menſchinn““. 
(Good e’en to you, Kimmer.) 


Wohin fo jpat, Menſchinn? 
Hab fill zan an Plauſch! 
Wia geht's Dr? — „Buat,“ fagg fie, 
„Woaßt, ih han an Rauſch. 
Diaz dus! ih Halt hoam, 
Dust ih, dusl ih halt hoam.“ 


„Die Kathi hüatt's Haus, 

Und fie kocht fi an Schmarn; 

Dr Teufel follt j holn, 

Wann j ah dusli war worn, 
Diaz dusl ih halt“ :c. 


Wia lebft denn aft, Menſchinn? 
Was haft für a Koft? — 


Dort hintern Wald, in Queger-Grabn, 


! „Halt zwoa Krüagl Wein 


Oder vier Krüagl Moft. 
Diaz dus! ih halt“ ꝛc. 


Wia ſchlaunt's Dr? frag ih. 
Mia viel haft denn Sinner? — 
„Halt fünf,“ fagg fie. 


| Und füften, han Menſchinn, 


San f alle van Hanjel? 
„Ba dreien is 8 gwiß! 
Zwoa han ih befemm, 
Wiar r ausgweſen ij. 
Diaz dus! ih halt“ ꝛc. 


„Die Kath frißt gen Milch 
Und ge'n Gſchnattel dr Hund; 
Und dr Bua fraß’ die Dirn, 
Und fie eahm, wann fie funnt, 
| Diaz dus! ih Halt hoam, 
| Dust! ih, dust ih halt hoam.“ 

| 

Nani. 

Gehind yon hills where Lugar flows.) 


Wo d Alnı auffteigt jo ftaani, o, 
Hat d Winternaht die Sunn begrabn — 
Ih will zu meiner Nani, o! 


Wann Wind und Negn af's Fenfter ſchlagn, 
Schleich ih mih hoamli dani, o, 

Und tapp in mein’'n Lodenfragn 

'n Steig zu meiner Nani, o! 


Mein Nani if jo jung und friſch, 
Gfallfünften braucht fie faani, o; 
Das giftet mih ſchon ſakeriſch, 
Vrlaxlet Daner d Nani, o! 


Bildſauber's Gſichtl, und a Gmileth, 
As geit foa zweit nöt, maan ih, o: 
U NRuderl, dös in Thau aufblüeht, 
Init fo rein wie d Nani, o! 


Ih bi nr glei a Bauernbue, 

Mein Freundſchaft if a klaani, o — 
Und war j noh fleaner, mir if | gmue, 
Ih gfall ja meiner Nani, o! 


Mei Reihthum if mein Arbetslohn, 
Und noth zan Klugſein han ih, o; 
Mir lag in Geld und Guet nir dran, | 
Es war nr für mein Nani, o! 


138° 


Mein Bauer lobt fein Viech und Troad 


Und ib — ban Pfluegſterz lahn ih, o, 
Und dent: Lob zue, mir if nir load — 


Was denkt hiez ebba d Nani? o! 


Kimm’s wie dr will, guet oder ſchlecht, 


Mih kümmert nur dös 


Mani, o 


Dak ih recht lang noh jagen möcht, 
Ich leb' und lieb mein Nani, o! 


Dolksfagen aus den ſteiriſchen Bergen. 


Von Hanns von der ann. 


IV. 
Arſprung der Sirde Maria 

Sreienflein. | 
| 
IN ohl Jedem, der ſchon auf der 
Siraße zwiſchen Leoben und 
Trofaiach luſtgewandelt, iſt das males | 
riſch auf einem ungefähr 100 Meter 
hohen, ſteilen Felſen gelegene Wall— 
fahrtslirchlein Maria Freienſtein bei 
St. Peter aufgefallen. Gar Manchem 
wird es gelüſtet haben, da hinanzu— 
klimmen zu dem pittoresken Gottes— 
hauſe, und wenn er dann oben ans 
gelangt war, wird ihn ficher die Schöne 
Ausfiht von bier die übrigens nicht 
jo großen Mühen des Hinanftieges 

vergefien Haben laſſen. 

Diejes Kirchlein ift erbaut auf den 
Nuinen eines gleihnamigen Schlofies, 
in früherer Zeit insgemein „die Burg | 
bei St. Peter“ genannt. 

Bon den lebten Befigern  diefer | 
Burg erzählt man ſich, daß fie nicht 





} 








zu Spulen. In der Naht zwifchen 
11 und 1 Uhr war ftet3 von der 
Ruine zu dem gegenüber liegenden 
Felſen eine gefpenftifche Mauer, welche 
den Yuhrleuten den Weg -verfperrte. 
Zugleich hörten die Leute, welche um 
diefe Zeit auf der Straße giengen, 
Schon von weitem den Häglichen Ruf: 
„Hanns, wo bift Du?“ 

Diefer Ruf Hang fo ſchaurig durch 
die ftille Nacht, dak es Jedem, der 
ihn hörte, angft und bange wurde; 
daher, wenn Jemand gezwungen var, 
hier um die Geifterftunde zu geben, 
er trachtete, nur bald ein ſchützendes 
Haus zu erreihen, um den böfen 
Geiftern auszuweichen. 

Nun Hatte eine Herrichaft, welche 
in der Nähe der Burgruine Freien— 
ftein ein Schloß befah, einen Hof— 


narren, welcher Hanns hieß. Als diefer 


einft um die Mitternachtsftunde mit 
feinem Gebieter an dem Felſen vor— 
überfuhr, fonnten die Pferde plößlich 
nicht mehr weiter, die geſpenſtiſche 


fo gewefen, nicht fo gelebt hatten, wie | Mauer fperrte die Straße ab. Auf 
es hätte fein follen. Sie bedrüdten | einmal ertönte der Ruf: „Hanns, wo 
die Unterthanen, begangen viel Un- biſt Du?“ 

veht und häuften Neichthümer auf „Bier!“ antwortete der Hofnarr, 
Neichthümer. Als nun der lebte Ber |ftieg aus dem Wagen und jehritt den 
ſitzer, welcher es am ärgften getrieben | fteilen Pfad zur Burgruine hinan. 
haben foll, ftarb, zerfiel auch die Burg Als er beim zerfallenen Schloßthor 
und es begann zwifchen dem Gemäner | anlangte, Jah er ein Kleines, ſchwarzes 


Männlein auf einer überaus großen 
eifernen Stifte ſitzen, das Geficht in 
den vorgehaltenen Händen verbergend. 
Der Hofnarr fagte zu dem Männchen: 
„Haft Du mich gerufen? Sag’ nun, 
was Du willft!” 

Der Heine Schwarze fprang be— 
hende von feiner Sipftatt auf und 
verfuchte die ſchwere Kiſte zu ziehen 
und zu heben, was er aber nicht zu 
thun vermochte. Endlich ſagte er zum 
Narren: „Geh’, Hilf mir die Stifte 
heben, fiehit ja, daß ich es allein nicht 
zumegen bringe, bin ſchon ganz mid’ 
und matt!“ 

Hanns aber rührte fich micht von 
der Stelle. „Könnt mir nicht ein— 
fallen,“ ſagte er, „verſuch's mur, es 
wird ſchon geh'n!“ Num verlegte fich 
das Männchen auf's Bitten, aber der 
Hofnarr blieb unerbittlih und ſprach: 
„Hilf Dir ſelbſt!“ 

Nah diefen Worten machte das 
Männlein einen Saß und jubelte: 
„Nun bin ich erlöst von meiner Bein! 
Das Geld, welches da drinnen ift in 


Schleier der geheimnisvollen Sage, 
üben einen gar eigenartigen Eindrud 
auf das Gemüth des Wanderers, der 
feinen Fuß hieher ſetzt, und erfüllen 
ihn mit heimlichem Schauder. Nur der 
Anblid des Dörfleins Waldra, welches 
zu feinen Füßen liegt und gar freund 
ih herauffchaut, vermag den düſtern 
Eindrud ein wenig zu mildern; aber 
auch Diefes bietet ein romantifches 
Bild, denn feine Häufer liegen ein= 
gezwängt zwifchen zwei Giekbächen, 
die ſich knapp an der Straße gäh in 
eine nicht unbeträchtliche Tiefe ftürzen. 

Auf der Höhe des Waldraftein joll 
nun vor Alteräzeit ein Schloß ges 
ftanden haben, von dem noch die um— 
liegenden Steintrümmer herrühren; 
auch Fünf fteinerne Stufen, die bier 
erfichtlich find, follen davon herrühren. 
In der Höhle felbjt aber wohnten 
früher die Unifrauen. 

Es waren dies Wildfrauen, gar 
wunderſchöne weibliche Wefen, die fich 
ftetS unbekleidet zeigten. Der Oberleib 
war ganz wie der eines Holden Frauen— 


der Stifte, gehört jeht Dir.“ Darauf) zimmers, die Hände fchön weiß und 


verfchwand es, und feilden hörte jeder 
Spuk dafelbft auf. 

Der Hofnarr gab das Geld der 
Herrichaft, diefe aber mochte es auch 
nicht gerne behalten und fchenfte es 
den Sefuiten, welche der Saifer da= 
mals 
Diefe erbauten dann auf den Ruinen 
der alten Burg das Hirchlein zu Ehren 
der heiligen Mutter Gottes. 


V. 


Die Anifrauen auf Waldraſtein. 


Ein Ausläufer des als Aufent— 
halts- und Verſammlungsort der Hexen 
berüchtigten Hochſtradners iſt der Wald— 
raſtein, ein Baſallfels mit breiter, ſchroff— 
abfallender Wand und einer Höhle. 
Es iſt eine recht ſchauerliche, wildro— 
mantiſche Gebirgslandſchaft. Die zer— 
ſplitterten Baſaltfelſen mit ihren dun— 
keln Schluchten, umwoben von dem 


in das Land gerufen hatte. | 


glänzend; der Unterleib aber war rauh 
und Hatte etwas Thierartiges, insbes 
ſonders zeigten die Füße ein eigen 
artiges Aussehen. 

Die Unifrauen waren jehr men 
ſchenſcheu und flüchteten ſich ſogleich 
in ihre Höhle, wenn Jemand ihnen 
nahe kam. Im Uebrigen waren ſie 
braven Menſchen ſehr zugethan und 
verrichteten für ſie ſelbſt die Feldarbeit, 
was meiſt des Nachts oder in früher 
Morgenſtunde geſchah. Beſonders zeig— 
ten ſie ſich den Bewohnern von Waldra 
ſehr geneigt und richteten für ſie die 
Arbeit, wenn ſolche dringend war. 

Die Bäuerinnen aber hatten dafür 
diefe Wildfrauen recht lieb und zum 
Dante für ihre Hilfeleiftung ftellten 
fie ihnen tagtäglich das Eſſen aufs 
Feld. Und die Unifrauen verfhmähten 
ſolchen Dank der fchlichten Bewohner 
ganz und gar nicht, vielmehr ließen 
fie ſich das Gebotene trefflich ſchmecken 
und thaten fich dabei gütlich. Und 


wenn fie dann ihre Mahlzeit vollendet Aber am anderen Tage, frühmor- 
und in ihre Höhle fich zurüdgezogen | gens, fahen die Leute des Dorfes am 
hatten, kamen die Bäuerinnen und Hofthore des Haufes, im dem der 
trugen das geleerte Geſchirr wieder | Knecht diente, einen ganzen Fuß, wie 


nach Haufe. 


Einmal jäteten die Unifrauen für 
eine Waldraer Bäuerin Hirſe auf dem 
Felde. Die Bäurin kam nun früher als 
es au der Zeit war und brachte ihnen 
das Efien. Da fah fie nun diefelben 
und war entzückt über ihren wunder— 
Ihönen Oberleib. Aber als fie dann 
die Füße befah, entfuhr ihr ein leifer 
Ausruf des Entjeßeng, und im Nu 
waren die freundlichen Gejchöpfe vor 
ihren Bliden verſchwunden. 

Lange Zeit follen diefe menfchen- 
freundlichen Wildfrauen in der Höhle 
am Waldraftein gehaust haben. Einft 
aber, mitten in der Nacht, ericholl von 
dem Felſen her ein jchauerliches Heulen, 
Meinen md jämmerliches Stöhnen, 
darauf ein fchredliches Gepolter und 
Krachen, als ob der ganze Berg ein— 
ftürze. Sämmtliche Bewohner von 
MWaldra hörten den furchtbaren Lärm 
und waren in größter Aufregung, denn 
jo viel ſchien es ihnen klar, dort oben 
auf dem Waldraftein mußte es gar 
wild und ungeheuer zugehen. 

AS Tags darauf einige beherzte 


von der Hüfte heruntergeriſſen, hängen ; 
es war wirflih ein Fuß der armen 
Unifranen. 


v1. 
Die weiße Fran von Fraufeim. 


Eine Stunde von St. Georgen an 
der Stiefing entfernt liegt auf einer 
Anhöhe das ftattlihe Schloß Frauheim, 
feit mehr als zweihundert Jahren Eis 
genthum der Freiherren von Kellers— 
perg. Dieſes Schloß ſoll erbaut wor— 
den ſein, nachdem die alte gleichnamige 
Burg, welche im nahen Schindlgraben 
geftanden, in Trümmer gefallen war. 

Im Schloſſe Franheim foll nun 
des Nachts zeitweilig die weiße Frau 
umwandeln. 

Einmal war der Schloßherr mit 
‚feiner Frau, Schweſter und einem 
fremden Gafte um die ſechste Nach— 
mittagsſtünde beim Spieltiſche, welcher 
‚in einem Gabinete neben dem großen 
ı Saale Stand. Es war gerade die Gebet- 
‚läutftunde, da gieng plößlich die Sa— 


Männer aus dem Dorfe dein Felsberg | lonthür auf undeine ehrwürdige Frauen— 
binanftiegen, fanden fie die Höhle ein- geftalt in weißem Gewande trat herein. 
geftürzt, von den Unifrauen aber keine) Sie gieng auf den neben der Thür 


Spur mehr. Alfo mußte in der Nacht 
der Teufel, welder auf dem Hoch— 
ftraden mit feinen Buhlerinnen, den 
Deren, fein Unweſen trieb, die freunde 
lien Wildfrauen zerriffen haben. 
In ebenderfelben Nacht ftand ein 


ftehenden Betſchemel zu, kniete nieder 
und verfanf in ein jcheinbar andäch— 
tiges Gebet. Nach einer Weile ftand 
‚die Geftalt wieder auf, gieng auf einen 
Wandſchrant zu, machte eine Hand— 
bewegung, als wenn fie etwas hinein 





Knecht aus dem Dorfe gerade im thäte, und jperrte hierauf wieder den 
Hreien, auf dem Felde, und ſtrei- Staften zu. Sodann aber verfchwand 
helte feinen Humd, welcher „Teurxl“ ſie plößlich vor den Augen der Spiel» 
hieß. Mit einem Male ertönte das | gefellfchaft, welche ſtarr vor Schreden 
Jammergefchrei der armen Unifrauen | dagejeffen war und dem Thun diefer 
bom Waldraftein herüber. Nun rief Erſcheinung zugeſehen hatte, 

der Knecht, welcher wohl wiſſen mochte, Ein andermal ſaß die Schloß— 
was da oben vorgieng: „Huß! huß! herrin mit einem Herrn im felben 





Teuxel, padt an, mir ab an Biegel!“ 
Und der Hund lief davon und fehrte 
nicht mehr zurüd. 





Gabinete und comvderfierte mit ihm. 
Da erſchien die weiße Frau abermals, 
gieng auf den Schreibtifch zu, machte 


141 


die einzelnen Laden dafelbft auf und | 
ſuchte darin umber. Darauf verſchwand | 
fie wieder. Die Schloffrau fah in dem 
Laden nad), bemerkte aber nichts, daß 
daraus etwas entnommen oder etwas 
bineingethan worden wäre. 

Nun lebte in der zur Pfarre‘ 
St. Georgen a. d. St. gehörigen Ge— 
meinde Badendorf ein arıner, aber 
ehrlicher Bauer. Er war zur Herrichaft 
Frauheim unterthänig und gieng es 
ihm, unverfchuldet in Noth und Elend 
gerathen, Jo ſchlecht, dak er nicht ein— 
mal die Stift, d. i. die der Herrichaft 
gebührende Abgabe, bezahlen konnte. 
Als ihm gar Pfändung und Verkauf 
feiner ganzen Wirtfchaft angedroht 
worden, nahm ex fich dies fo zu Her— 
zen, daß er das fünftige Elend feiner 
zahlreihen Familie nicht ferner mehr 
ansehen wollte, und nahm deshalb 
einen Strid, gieng damit in den wal— 
digen Schindelgraben und fuchte eine 
recht düftere Stelle dajelbft, um ſich 
bier das Leben zu nehmen. 

Endlih kam er an einen Ort, der 
jehr finfter war, und noch einmal 
überdachte der Bauer feine traurige 
Lage, die bittere Noth feiner Lieben 
daheim. Da wurde es mit einem Male 
fiht und Helle mitten im dunklen 
Wald. Der Bauer verwunderte fich 
darüber und ſchaute um fich, was denn 
dies zu bedeuten habe. Seine Augen 
fielen auf eine weiße, ſchöne Frauen- 
geftalt, welche ernft durch das fchattige 
MWaldesgrün auf ihn zufchritt und ihn 
holdfelig fragte, warum er fo traurig 
fei und ob ihn ein ſchwerer Kummer 
bedrüde. | 

Dem Bauer däuchte die Erfchei- 
nung eine überirdifche zu fein, es war 
ihm, als Hätte der Himmel in legter 








Ich bin 


den Worten: 


‚jedesmal hierher kommen 





Stunde einen feiner Engel berabge: 
fendet, um ihm Hilfe zu bringen. Die 
fanften Worte der Holden Frauenge- 
ftalt waren dem Armen entzüdende | 
Klänge einer himmliſchen Muſik, und. 
er erzählte der weißen Frau fein 
ganzes Unglüd und auch, wie dasjelbe 
über ihn gefommen. 


Darauf fagte die ſchöne Geftalt: 
„DBerzage nicht, ich kann Dir helfen 
und werde ed auch, denn Gott Hat 
Dih und mich hier zufammengeführt. 
die Burgfrau des alten 
Schloſſes, bewohne diefes noch und 
habe daſelbſt auch meine Schäße auf: 
bewahrt. Alfo komm' und folge mir!" 

Und fie führte ihn zu einem alten 
Gemäuer, das er früher niemals hier 
im Walde bemerkt Hatte. Dasfelbe 
hatte eine Thür mit einem fehr alten 


'verrofteten Vorhängſchloß. Die weiße 
Frau nahm num einen großen Schlüf- 
ſel, 


den ſie an der Seite hängen 
hatte, ſperrte damit das Schloß auf 
und zeigte ihn dann dem Bauer mit 
„Hier dieſen Schlüſſel 
werde ich Dir geben und Du magſt 
und dieſe 
Thür auffperren, wenn Du in Nöthen 
bift und Geld braucht; aber fage ja 
Niemandem etwas davon, micht ein 
Sterbenswörtchen darfſt Du verrathen, 
denn ſonſt ift Alles wieder weg und 
für Di verloren!” 

Der Bauer verſprach ftrenges Still- 
Schweigen, und nun traten Beide in 
einen hohen gewölbten Gang. Es jchien 


dem Bauer, als befände er jih in 


einen herrlichen Palafte; an den Wän— 
den und dem Gewölbe glänzte es, als 
wäre Alles bier eitel Gold, Silber und 
Edeljtein. Endlih kamen fie im ein 
großes Gemach, im dem viele Butten 
ftanden, wohlgefüllt mit Gold» und 


Silbermünzen. 
Auf Geheiß der ſchönen Frau 


ftedte mun der Bauer davon fo viel 


zu ſich, als er für den erften Augen 
blid benöthigte, um feine Schulden zu 
bezahlen und feine Wirtſchaft wieder 
emporbringen zu fönnen. Darauf ver- 
ließen Beide das geheimnisvolle Schloß. 


‚Die feltfame Burgfran verfperrte die 


‚änßere Thür und gab dann den 
Schlüffel dem Bauer, ihm nochmals 
das ftrengfte Stillfhweigen gebietend. 
Diefer wiederholte fein Verſprechen, 
und als er nun der jchönen Frauen: 
geftalt für ihre Güte danken wollte, 


war fie Schon auch feinen Bliden ent= | Bauer auf das Schloß Frauheim und 


ſchwunden. Er ftand wieder wie zuvor 
im dunkeln Walde, und nur durch das 
Gebüſch und Laub der Bäume leuchtete 
eine ferne Helle herüber. 

„War es ein Traum oder nicht?* 
fragte fich der Bauer und befühlte feine 
Tafche, aus welcher er blinfende Sil- 
bermünzen hervorzog. Nun hätten fein 
Kummer md feine Sorgen ein Ende, 
jubelte er und eilte Fröhlich heim zum 
treuen Weibe, zu den lieben Kindlein. 

Don da ab entrichtete der Bauer 
feine Stift an die Herrfchaft ftets mit 
blanfen Silberftüden. Er vermehrte 
feinen Biehftand, richtete fich fein 
Häuschen recht wohnlich ein und that 
kurz umd gut Alles, was nöthig, um 
feine Wirtfchaft zu heben. 

Darob aber verwunderte fich Alles, 
Männlein und Weiblein im Dorfe und 
in der Gegend weit und breit umher. 
Viele gönnten dem braven, ehrlichen 
Badendorfer, der aus einem armſeligen 
Keuſchler in kurzer Zeit ein wohlha— 
bender Bauer geworden war, Ddiefes 
Glück recht vom Herzen, andere aber 
beneideten ihn darum und verdäch— 
tigten ihn beim herrfchaftlichen Pfleger. 
Diefem und nicht minder feiner Herr- 
Schaft war «3 gleichfalls aufgefallen, 
daß der Bauer feine Stift feit einer 
Zeit her ſehr regelmäßig und ftets 
nur in blanfer Münze entrichtete; man 
argwohnte, ob er wohl auf rechtlichen 
Wege zu dem Oelde gelangt fei, ob 
er ſich dasſelbe nicht etwa auf ver— 
brecherifche Weife verfchafft hätte. Und 
als num unter den böjen Leuten in 


verlangte von ihm das Geftändbnis, 
wie und wo er zu dem vielen Oelde 
gefommen ſei. 

Anfangs nun ſchwieg der Bauer 
beharrlied und betheuerte nur, daß er 
auf rechtliche Weile zu demfelben ge— 
kommen ſei. Aber der Pfleger gab ſich 
damit nicht zufrieden und drohte fogar 
mit den Qualen der Folter und dem 
Berließe im grauen Thurm. Da wurde 
es dem armen Bauer angft und bange 
und er erzählte Alles Haarklein. Nun 
mußte er den Schlüffel bringen und 
den Pfleger wie aud die Herrſchaft 
zur Stelle führen. 

Wohl fanden fie das alte Ge— 
mäner, aber feine Thür war mehr 
da zu jehen. Alles Suchen war ver— 
gebens und enttäufcht begaben fich Alle 
wieder heim. 

Was mit dem Badendorfer Bauer 
weiter gejchehen, darüber berichtet uns 
die Sage nichts, wohl aber, daß die 
Herrihaft den Schlüfjel für ſich be— 
hielt und aufbewahrte. Er fol auch 
no heutigen Tages in der Kanzlei 
im Schloſſe Frauheim fich befinden, 
groß und maſſiv gearbeitet und an 
einem eifernen Ringe befeitigt. Ob es 
aber wohl auch derjelbe ift, wer kann 
dies beweifen? Bon der alten Burg 
im Schindlgraben follen keine Spuren 
mehr zu finden fein. Docd wollen 
Leute willen, wo fie geftanden, und 
jagen, es ſei an dieſer Stätte recht 
unheimlih; man Höre geifterhaftes 
Lärmen und verjchiedene gefpenftifche 


| Geftalten werden dort jichtbar, unter 


der Gegend allerlei dunkle Gerüchte! anderen auch ſchwarze Hunde mit feu= 


verlauteten, bejchied der Pfleger den 


rigen Augen. 


143 


Anſer „Weinfaflen“. 


Eine Jugend:Erinnerung von Ed. Ig. Freunthaller, 





SDR liebe Herrgott Hatte einmal; 
ee alle Schulmeifter der alten Welt | 


Auch mein Vater, der im Dunkel— 
feiner Wald fehulmeifterte, las viel 


zufammen gerufen und Conferenz ge- und oft und einige Male durfte auch 
halten mit ihmen und drei Erläffe | ich fefen mit ihm. 


gegeben: 


Mein liebftes Mitlefen gefhah in 


| 
„Gebt Gott, was Gottes ift und den MWeingärten, und davon will ic) 


den Kindern, was der Kinder ift!“ jetztund erzählen. 


„Lefet und lehret lefen, fchreibt und | 


lehret Schreiben, rechnet und lehret 
rechnen! Denn wofür hätte ich die 


Es war an einem ſonnenklaren 


Octobermorgen, als mein Bater, mit 


einer langen, blauen Latzſchürze ange— 


Welt jo wunderbar und ſchön gemacht, than, in den Keller flieg, um eim altes 


wenn die Menfchheit follte nichts 
wiffen davon ?“ 

„Fünf Tage der Woche gehören 
den Kindern; der fechste ift Euren 
Weibern, erſt der fiebente, meiner, ges 








Doppeleimerfaß zum ZTageslichte herauf 
zu befördern. Das Faß war leer und 


follte heute mit „heurigem Wein-Moft“ 


gefüllt werben; der Moft felber aber 


ſaß noch tropfenweiſe verftedt in den 


hört Vormittags der Orgel und Nach: | Weingärten der Bauern, die Heute zur 
mittags der — Gurgel!“ Haben fie) Lefe mit Hall und Schall ausfuhren. 


verftanden, obwohl er wieder Orgel 
fagte. 


Das Faß wurde zum Brummen 
gewälzt. Ich mußte den Henkel ziehen 


Und die Verſammelten gingen | und fleißig Wafler ſchöpfen, während 
auseinander, giengen Heim und thaten | mein Water wuſch, rieb und fpülte. 


alfo. 

Sie gaben denr Pfarcherrn ihren 
Leib, ihre Seele (Geift) aber gaben 
fie den Kindern der Schule. 

Sie lafen von den Früchten der 
Felder und Gärten und von allen 
Producten, rechneten in ihren „Faſſio— 
nen” (Einnahmen) und fchrieben No— 
ten, Sataloge, Zeugniffe, ſchrieben 
Taufe, Firm- und VBeichtzettel und 
beſchrieben die Seelen der Bauern. 
Laſen, rechneten und ſchrieben und 
lehrten dazu. 


Lehrten in den fünf erſten Tagen 


der Woche Kinder und in den beiden 


Nach dem Mittagsmahle, zur Zeit, 
als die Weinbauern in den Hügel— 
gärten ſchon emjig moftelten, wander— 
ten wir dem nächſten Dörflein, das 
zwifchen den Weingärten lag, muthig 
entgegen. Mein Vater trug Gießkanne 
und Schöpf-Sechter — ich Achtjähri— 
ger aber ſchob den Heinen Karren, 
auf dem das Doppeleimerfaß lag, und 
war guter und heiterer Dinge. 

Im Dörflein bat mein Pater 
einen Bauern um irgend einen Frei— 
plag in defjen Keller. Der fagte Topf» 
nidend zu. 

Nachdem das leere Faß in den 


übrigen Tagen leerten fie die Gläfer. | Keller geroflt und regelrecht geftellt 


Heißt das, mit guter Manier. 
Und lafen. 


war, nahm mein Vater die Kanne, 
ih den Sechter, und fo zogen wir 


mitfanımen den Higel hinauf, wo die 
vielen Weingärten grünten. 


Der ganze Hügel ſchimmerte im 
Grün der Reben, alle Stöde waren 
auf und auf fehwer behangen mit 
gligernden Trauben und an den Rai— 
nen der einzelnen Gärten lachten die 
Kürbiſſe und lächelten die duftigen 
Pfirfihe. In die reine Herbftluft aber 
ragte hoch empor die leuchtende, hell— 
weiße Hüterftange mit dem feltfamen 
Kreuz: und Quer-Zierrath an der 
Spike und der urkomiſch verzerrten 
Tenfelsfrage unten. Ein kohlſchwarzer, 
gehörnter Kopf mit Borften rundum, 
mit vothen Augen umd Geisbart und 
einer fenerrothen, tief herabhängenden 
Zunge. 

„Diefe Stange“ — warnte mid) 
der Vater ſchalkhaft — „diefe Stange 
ift der finger Gottes, der dem Hüter 
den Trauben=Dieb fofort thut zeigen!” 


„Ein ſchöner Ring, der an ihm 
ift !* wagte ich die Einrede und wies 
auf den jchrederregenden Stangen= 
Krampus. 


Wir kamen endlich zu den erſten 
Leuten. 

Ein ſeltſames Leben wogte in den 
Gärten. Kinder und Weiber giengen 
mit Körben in den Reihen der Stöcke 
und ſchnitten die Trauben von den 
Reben, ab und zu kam Eines über— 
laſtet zum Wagen gelaufen, auf dem 
das Rieſengefäß ſtand, in das ſie die 
Trauben leerten und in welchem die 
mächtigen Moſtſtößel der Burſchen und 
Männer polternd und plätſchernd auf 
und nieder fuhren. Unfern aber ſtand 
der Hüter mit dem weinlaubbefrängten 
Hute, mit der tiefblauen Schürze und 
fäbelbewehrt ; der blies zeitweije fein 
„ti, ta, ti — ta —“ aus dem Horne 
oder Schoß feine alte Franzoſen-Piſtole 
ab und aß Trauben dazu. 

„Buten Nachmittag!” redete mein 
Dater die Leute an — „wie macht 
fih’3?* 

Da lachten fie alle Hellauf, hielten 


248 


was 
ſagte 
„So viel gut iſt das Jahr! Grüß 
Vott, Schulmeiſter! Heut' dürft Ihr 
‚Eure Gießkanne von meinem Moſt 
ganz füllen jo hauptgut und 
reich fällt die Lefe Heuer aus! Juhu —!” 
Und ſchwang ben Hut gegen die 
Abendfonne, fuhr aber gleih damit in 
das Rieſenfaß, füllte ihn vol und 
fuhr dann mit ihm zum  gierigen 
Munde. 

| „Gar fo viel füffig macht er ſich!“ 
meinte der Bauer nah dem Teßten 
Zuge. Mein Vater aber ftieg auf 
den Wagen. 

„Weil Ihr mir erlaubt Habt, fo 
thu' ich nicht eine Weile bitten darum!“ 
fagte er und füllte die Gießkanne ſchier 
voll. Als er damit wieder vom Wagen 


ftieg, bedankte er fich freundlich und 


Zeug hielt. Der Bauer aber 





wir giengen wieder nieder in das 
Dörflein und hinein in den Steller 
und leerten den vielen Wein-Moft in 
unfer Faß. Leerten und mühten uns 
dann wieder den Hügel hinauf und 
bettelten den mächften Hauer an. 

„Thäte auch Schön bitten um mei— 
nen Theil!“ 

„Halt ja!” fuhr ihn diefer un 
wirrfh an — „wenn man nur auch 
wüßte wofür und warum!“ Und 
moftelte fort. 

Nun kehrte mein Vater feinen 
ganzen Schulmeifter heraus und er- 
Härte dem geizigen Bauern in freunde 
licher Weife, wofür und warum er zu 
geben habe. Kam aber nicht weit mit 
feiner Aufllärung, denn der Bauer 
fuhr ihm grimmig drein: 

„Euch Schulmeifter follte man 
allzeit geben und nichts als geben! 
Hab’ andere Leute auch zu füttern 
genug! Und für das MWettergeläut’, 
jagt Ihr, fei die Gab’? Hör Euch 
weiter nie MWetterläuten, würde mir's 
auch verbieten, verfteht? Ein Miß— 
brauch iſt's, und ſaufen wollt Ihr 
daheim! Ich gebe nichts! Punktum 
und ausgeredet!“ Schwieg jet und 


ein mit ihrem „Moſteln“ und jauchzten, | moftelte emfig weiter. 


E3 war unfer gutes Recht, ftand 
ſchwarz auf weiß in der Schulmeifter- 
Faſſion und bildete einen Theil des 
jährliden Gehaltes, der auf 210 fl. 
132 fr. beziffert war. 

Wir Schauten uns alſo verbußt 
in's Geficht, lächelten und marfchierten 


um ein Gärtchen weiter. Der nächſte 


Hauer zeigte uns eine lange Nafe und 
taufte uns „Bettelvolk.“ Unter Schimpf 


und Schande zogen wir weiter und 
mir liefen Schon die Thränen aus den 


Augen. Doch mein Vater verlor die 
Geduld nicht; er feufzte nur tief auf, 


fhaute mir feltfam in's trübe Ges 


fiht und gieng dann den nächſtbeſten 
Hauer au. 

„Hofbauer — Fällt für mich diefes 
Jahr auch ein Tropfen ab?“ 

„Mehr dennoch wohl!” lachte jener 
und flieg grüßend vom Wagen. „Nur 
her mit der Gießkanne! Hab’ das 
dumme Gefchrei von dei zwei Geiz: 
bälfen da vorne gar gut gehört; will 
daher Euch, Schulmeifter, heuer mehr 
geben als fonft der Brauch und der 
Mup! 
Könnt’ Eure Kanne wohl zweimal 
füllen; denn heuer haben wir ein ge= 
fegnetes Jahr!" Sprach's und füllte 
die Kanne hier übervoll. 


Wir fliegen danıit nieder, leerten | 


und famen wieder. Diefes Mal kam 
gar die Bäuerin herzu, küßte meinem 
Bater und auch mir Buben den Ell— 
bogen und füllte mein Zafchentuch 
mit etlihen Trauben. 

„Nur meinen Qumpenbuben ftrenge 
halten, Schulmeifter, und die Ruthen 
nicht fparen! Morgen bringt er Euch 
ertra noch eine Flafche voll Moft und 
einen Korb voll Trauben!“ fagte der 
gießfannefüllende Bauer zum Vater. 
Die Bänrin aber ſetzte noch Hinzu: 
„Etliche Eier werden der Schulimeifter- 
frau auch gut taugen, nicht wahr ?* 


Kofegger's „„ueimgarten‘*, 2, Geft, IT. 


Giebigfeit bleibt Giebigkeit! 


| Ich mar gerührt. Diefes Mal 
küßte ich der freundlichen Bäuerin fels 
‚ber die diden Hände, was mir noch 
‚ein Stüd Weißbrot eintrug. 
Noch bettelten wir fo manchen 
Hauer an und gab uns der Eine 
wenig, jo gab Hingegen der Andere 
mehr und gaben auch nicht Alle, fo 
bradten wir im Laufe des Abends 
dennoch mehr als anderthalb Eimer 
zuſammen. 

Hundsmüde waren wir Beide, als 
wir die letzte Gießkanne voll Moſt 
thalwärts trugen. Dieſes Mal — es 
war das zwölfte Mal — trug ich die 
Kanne. Und trug und — ſtolperte 
richtig über einen Kürbis, ſo daß ich 
den ſteilen Rain hinabfiel. Die Kanne 
voll Moſt fiel auch mit und ich er— 
hob mich keuchend und durchnäßt. Der 
Vater aber riß mir die entleerte Kanne 
‚aus der Hand, ſchaute vorfichtig um 
und um, ob uns dennoch wohl feine 
Hanerjeele gefehen und prüfte hernach 
‚den Inhalt der Kanne. 

„Zrin® aus die legten Tropfen!” 
fuhr er mich an und ich ließ es mir 
nicht zweimal jchaffen. 

Im Seller unten wälzte der Va— 
ter das Doppeleimer= Yyaß auf den 
Karren, gab die vielen gejpendeten 
Trauben in den großen Korb und 
fuhr damit heimwärts. ch felber aber 
nahm Kanne und Sechter und gieng 
voran. Leber den Brachersberg leuch— 
tete das Mondhorn und ich fang md 
pfiff und fchlug dazu den Sechter an 
die Blech-Kanne, alfo daß es tie 
Trommel Hirte und Hang. Dann 
fam uns die Mutter entgegen und 
ichob den Karren vollends heim und 
der gute Vater gieng mit dem Korbe 
nebenher. 

Daheim aber aßen wir von den 
Trauben, tranfen vom gejammelten 
Mofte und — ließen Gott und die 
Bauern leben dazır. 





10 


's Miüntterl. 


Von Hans Grasberger. 





I. Ya, mei Müatterl hat gladt, 
— Hat glacht ſoviel gern, 
Hat a kloans Stübl ghabt, Und was that ih nöt Als, 


ED Mei Müatterl, mein alts, 
Und a kleanas hats friagt, 
Recht a finftas,.a kalts. 


ſtint ih's noch amal hörn! 





III. 

Stoaßt Dih überall an, 
Nöt zan Umdrahn is s drin... t. Gertraud. 
Ih hätt denna no Plahtz, Er ee 
Ziemt mih oft in mein Sinn! | Nöt va weit bin ih her, 

Bi von Obdader Bodn 

Und a Steirer bleibt Steirer 

II. | In Tuach wiar in Lodn, 
O mei Milatterl, mei ſtads! | Eid de Zirbign ſcho, 
Wenn ib Dih neama hör, | Gear ih aufi in Grabn 
Naher g’freut mih as fingati | Und a drei, a vier Stund 
Gipiel neamma mehr. | That ih hHoamzua nur habn. 
Is a Liadl mir kemm, Für d Füaß war's a Gſpoaß, 
Han i z'öberſt mih gfragt, A Sprüngl nöt z'rödn, 
Obs mei Mitatterl vaftund, | Wann’ dahoam a jo war, 
| 


Ob mei Milatterl jo ſagt; Wia's cahnta is gwödn. 
Und iS 8 grathn oft köck, 

Mas hats denn a gmadt? 

35 fa Sind — han ih gmoant — 
Wal mei Müatterl no lad. 


Daß der Tauernwind wahl, 
33 trat Schad, is krat Schad, 
Denn was thuat denn dahoam, 
Wer fa Miüatterl mehr hat? 


Kleine Taube. 


Bu haft Bein Glük auf Lieb’ gebaut. 


Zu einer Bermählung von Adolf Pichler. 
Motto: „Ne sit tibi ancillae amor pudori !* 





Horatius, 
Wie ſollte Dich, mein alter Franz Und den gewünschten Lorber legt 
Die Lieb’ zur Magd entehren? — Sie Dir in Sauce und Brühen, 
Rein Fräulein trug den Yungfrau’nkranz | Den nirgends deutſcher Boden hegt, 
Wie fie mit folden Ehren. Wo nur Kartoffeln blühen. 
Und wenn fie in die Küche geht | Gemeinpeit ſchießt bei uns in’s Kraut, 
Und dort den Braten wendet, | Die Plattheit reiht die Krallen; — 
So bift Du — Lieber! — ein Poet, Du Haft Dein Glüd auf Lieb’ gebaut: 
Dem fie die Mufe jendet. Lab’ Dir’s bei'm Herd gefallen! 
Zu efien findeft Du bei ihr — Und weil nur vor Gitaten ſich 
Mag's trivial auch klingen! Die deutſchen Michel beugen: 
Der Deutihe läht um Schwarzbrot jchier | Berufe ftolz auf Horaz Di 
Die beften Dichter fingen. Als Deinen beften Zeugen. 


Betradjtungen über den Philo- |dungsitufe geftanden; daß er auf feiner 


ji 


. eiftigen Höhe eine ausgeprägte Welt- 
fophen vom Primesberge. | anfict haben mußte, arg Eis in 
Bon Wilhelm Taſchel. Schriftwerken an die Nachwelt vermittelte, 

Selten wohl dürfte ein Buch feine Was wäre aljo an dem ganzen Bil 
Leſer mit ſolchem Intereife erfüllt haben, | dungsgange Bewundernswertes, Abjon- 
al® jenes über Konrad Deubler von | derliches, wenn nicht etwa jein Anfang ? 
Dodel-Port.*) Behandelte es die geiftige | Der Fortgang würde fih von taufend 
Entwidlungsgeihichte eines berühmten | ähnlichen Fällen wohl nicht wejentlich 
Gelehrten, eines Literaten von Ruf — | unterjcheiden ! Anders die Nachrichten über 
traum! es würde und bei weitem nicht K. Deubler, der ein Ungelehrter war, 
in jener Spannung zu erhalten vermö- | dem nichts jo jehr fehlte, als gerade das 
gen, wie jenes über Deubler; denn als | Zeug zu einem Schriftjtellee — und der 
jelbftverftändlich würden wir vorausjegen, |troß alldem endlich zu einer in ſich ge— 
dab der Gelehrte auf einer hohen Bil- |feftigten, durch nichts zu erjchütternden 
Weltanfhanung vorgedrungen, jo daß ihn 
um diefen aus feinem raftlofen Streben 


10* 


*) Siehe Heimgarten X., Seite 719. 





— — 


148 


nah Wahrheit hervorgehenden Erfolg! und was Du hienieden bedeuteſt! Sonſt 
eine ganze Univerfität beneiden könnte, wird Dein Lebensbaum nie grünen und 
die mit all’ ihrem großartigen Bildungs- | Du wirft des geiltigen Hungertodes jter- 
apparat im gleihen Verhältniſſe ſchwer- ben bei den Fleiſchtöpfen der Wiffenfchaft ! 
lich ſolche Reſultate im den jugendlichen | Dafür ſeien Dir traurige Zeugen Millio- 
Geiftern zeitigt. Dabei ift nicht zu ver- nen Deiner Mitbrüder, die troß des ehr- 
gellen, daß — was bier als durch plan« | lichften Ningens mach Licht ihr Ziel 
mäßige, abjichtlihe Anleitung zutage trer | verfehlen und unbefriedigt und unbeglüdt 
tendes Ergebnis ſich darftellt, bei Deubler | dem Ausgang ihres unharmonischen Da- 
das Werk jelbjteigener, urjprünglicher ſeins zuichreiten, 
Kraft ift; und was dort zu einem Ihue jo, wie Deubler! Willft Du, 
wiſſenſchaftlichen Dogma wird, das ſich ſo fange mit der Bibel, den Vedas, dem 
der innerften Gefinnungsweife nicht nur | Talınud oder dem Koran an! Prüfe, und 
nicht affimiliert, fondern diejelbe häufig | wenn Dein Berftand fih nicht empört, 
genug an einem entjchiedenen Durchbruche | und Du Dich innerlich befriedigt fühlſt — 
hindert: das ward bei dem Bauer zu gut! Aber dann — wohlgemerkt — 
einer wahrhaftigen Geiftesnahrung, werde Du ein Priefter des Herrn, ein 
zu einem erquidenden Labetrunfe, zu) Brahman, ein Derwiih, ein Mönch! 
einer Leiter, auf der er — Sproſſe für | Thuft Du anders, jo wird ein Zwieſpalt 
Sproſſe — zur relativ höchſten Erkennt: | in Dir Aufruhr erregen, und ein Riß 
nis emporflomm und in der er jeine| wird durch Dein Inneres gehen, weit und 
jubjective Befriedigung, fein) Elaffend, und unüberbrüdbar. Fühlft Du 
vollites Behagen fand. aber, daß die Stimme einer längjt er- 
Welch' beneidenswertes Glück! Wel- | ftorbenen Geifteswelt nur als ſchwaches 
her Heldenmuth diefes bäuerlichen Bhi- | Echo in Deinem Herzen wiederhallt, jo 
lofophen! Mit kühner Hand die Wahr: | jchreite weiter, Aber unverzagt, und 
beit zu entjchleiern und nicht zu erbeben | reſolut die falſchen Götter bei Seite 
— vielmehr allen Conſequenzen derjelben | jchiebend, die ſich Dir als „philoſophiſche 
fih beugend, endlich zu befennen: „Ich Syiteme“ in den Weg ftellen ! 
bin der glüdlidite Menſch!“ Um der Wahrheit nachzugehen — 
Wahrlih wahrlih! ſage ih Euch: dazu bedarf es feiner mühſam ausge 
Menn wir nicht werden, wie der Philo· | Hügelten Spiteme. Wenn Dir Dein Ver» 
ſoph vom Primesberge, jo fönnen wir | ftand und Herz nicht hilft, dann bift Du 
nicht ins Himmelreich eingehen! Wir Fön- | verloren! Denn nicht wahr iſt's, daß die 
nen bienieden unſere Beitimmung: See» | Weisheit nur für Ausermählte da ijt, und 
lenfrieden und Ueberzeugung de | grundfaljch die Anficht, daß fie in einer 
treue micht finden, wenn wir mit jchwerverftändlichen Sprache vorgetragen 
unpbilofophiichem Geifte uns den Wahr- | werden müſſe. Gerade das Gegentheil von 
beiten der Weltweisheit verjchließen, wo | alldem! Wie oft joll man noch wiederholen, 
diefe unferer Eigenliebe gerade nicht | dab die Wiſſenſchaft praftiich werden, 
ihmeicheln, und wenn wir durch ſpiri- zum Volke berabjteigen müſſe, um deflen 
tualiftiiche Klopffechtereien uns ſelbſt den Verſtand zu erleuchten, die Sitten zu 
realen Boden unter den Füßen ent- | veredeln, das materielle Intereſſe zu 
ziehen. Was Deiner Eigenliebe nicht | fördern? Daß die Wiſſenſchaft diejer 
taugt, ift deshalb noch nicht falſch; Dir) gerechteften aller Forderungen bis jeßt 
mußt Dih nur nicht als den Mittel- | mur im fleinften Maße nachgefommen ift, 
punft der Welt anſehen und als das | beweist eben die jo vereinzelt daftehende 
goldene Kalb, welches angebetet werden | Individualität eines Konrad Deubler. 
will! Beicheide Did, und fieh in Dir! Eigentlih ift diefe Individualität, jo 
einen Theil des Univerfums, auf daß | ehrenvoll fie auch für deſſen Träger iſt, 
Du Dir bewußt werdet, wo Du ftebit| für uns fein Ruhm; es fommt uns jo 











— 


149 


vor, als ſollten wir uns in die innerſte 
Seele hineinſchämen, daß unſer vor Auf— 
Härung ſtrotzendes Zeitalter im Volke 
jo wenig Licht verbreitet, jo wenig große 
Ebaraftere und ausgeprägte Individuali- 
täten zur Reife bringt ! Stein Wunder ! 
Mas nügen dem Bolte alle Bücherichäge, 
wenn fie in Hieroglyphen geichrieben 
find, und was frommt ihm die ganze 
Aufklärung, wenn es ihren Segen 
niht empfindet? — Nicht jeder- 
mann ift ein Konrad Deubler, ein Manı, 
der den Parnaß erfteigt, um fich die 
Götter von mäcjter Nähe anzujehen ; 
nit jeder ein Märtyrer feiner Ueber— 
zeugung um des innern Friedens 
willen! Doch glaubet das Eine: Wie 
unſer Bauernphiloſoph in ben Feier— 
ftunden emſig ſeiner Bildung oblag, nach— 


| auf feinem Bildungsgange. 
; Deubler 


den. Dort oben wurde ein arnıes, ge 
ängftigtes Menſchenherz geläutert vom 
Egoismus, bereichert mit idealen Empfin- 
dungen und geziert mit dem Diadem ber 
Humanität. Nicht irregeführt von den 
Wilfensjhäßen, von denen es gefojtet, 
jondern zurechtgewiejen von dem Geifte, 
den fie atbmen: jo ward ihm die er» 
ftarfte Intelligenz zum  Leitjtern 
feines Strebens, zur treueften Führerin 
Sie iſt für 
aber auch eine unerjchöpfliche 
Quelle reinfter Freuden geworden, Ge— 
wiß der berrlichite Lohn für einen Staub- 
gebornen ! 

Da haben wir gleich den Harjten 
Beweis, wohin wahre Bildung führt, 
und einen Fingerzeig, wie fie zu erlan- 
gen iſt: Nicht durch Aufipeicherung 


dem er am Tage wader die Hände regte | großer, umfallender Wiflensmailen, jon« 
in Haus und Hof, in Feld und Wald, | dern durch jelbftändige Verarbeitung und 
jo würdet Jhr auch das arbeitende, das | jubjective Durhdringung des aufgenom- 
müblam jchaftende Volt im ſeinen Feier- menen Willens und enge, befruchtende 
fiunden willig horchend zu Euren Füßen | Verknüpfung desjelben mit dem Gemütbs- 
finden, wenn Ihr es verftündet, ihm von | leben! Darin liegts!*) 

Euren Geiſtesſchätzen mitzutheilen, doc So hat es Deubler gehalten, und 
— mohlverjtanden — in der Art, daß | der jo Beglüdte ift ein einfacher Bauer 
neben dem Beifte auch das Herz die geweſen und iſt ein jchlichter Mann ver» 


entiprechende Anregung empfienge! Denn 


blieben bis an fein ruhiges Entichlafen! 


nur unter diefer Borausjegung ift eine) Was Wunder aljo, daß ibm — da er 


Harmonie zwijchen Geift und Gemüth, ift 
eine wahre Bildung möglich.*) 
Wenn wir e3 einjt jo weit bringen, 


noch im rofigen Lichte des Dajeins wan— 
delte, die edeljten Geifter unjerer Nation 
mit jener Liebe und Verehrung zugethan 


wie der Alte vom Primesberge, jo kön— 


nen wir das goldene Zeitalter des echten | 

Menſchenthums für angebrochen betrach- ja doh ein Materialift,“ höre ich 
ten. — Auf der einen Seite: raftlos  zaghafte Seelen rufen. Ach ja wohl, das 
bemübt um jeine Musbildung, alle Vor: kann er ſchon gewejen ſein; geſcheit ger 
urtbeile als hemmende Feſſel abſtrei- nug war er dazu. Ich halte ihn auch 
fend, bi3 zu den legten Eonſequenzen | dafür, obzwar ich Nofegger, der dem 
vorjchreitend ; und auf der andern: ben Philoſophen nahe ftand, die Verfiherung 
nächſtliegenden Menichenpflichten mit aller | abgeben hörte, Deubler jei Idealiſt ge: 
Irene obliegend, human und liebens- weien. Es fommt wohl bei diejer Frage 
würdig — das nenne ich Menſch auf den Standpunft an, den man jelbit 
jein! So jtand Deubler da, jo fteht | dem Materialismus gegenüber einnimmt, 
er noch vor uns als leuchtendes Vor- und was man darumter verfteht. Inſo— 
bild. Auf der Höhe des Primesberges | fern fich der Materialismus zwar mit 
ift die von uns erjehnte harmoniſche dem Spiritualismus, nicht aber mit dem 
Menſchenbildung zur That gewor- | Jdealismus im Gegenjage befindet, mag 


waren, die verwandte Seelen magnetiſch 
zufammenführt! „Aber der Mann war 








*) Bolllommen einverflanden. DON. 


Rojegger recht haben. Es ijt dabei nur | 
feftzubalten, daß Deubler bei feinem | 
Glauben jelig ward, und daß bei 
ihm — obzwar er fih mit Vorliebe als 
„altes Wirbelthier“ begeicänete, | 
der „Menſch“ ftet3 bob über dem 
„Thiere“ ftand! Und jo kann uns die 
eine Weberzeugung mit Genugthuung er», 
füllen, daß — manbelte nod der menz | 
ſchenſuchende Diogenes unter uns, er auf, 


— 


Sonne und die unglaubliche Hitze, welche 
die Monate Januar, Februar, März und 
April ſo gefährlich machen, nicht zu viel 
zugeſetzt. Ich bin ſelbſt von einer ſchwe— 
ren Krankheit, die mich im December und 
Januar zweimal an den Rand des Gra— 
bes brachte, faſt ganz geneſen. Wir ha— 
ben bereits zehn Kinder, meiſtens Kinder 
der Häuptlinge, und jede Woche ver— 
mehrt ſich die Zahl derſelben. Da heißt 


dem Primesberge ſeine Laterne ausge- es nun dafür ſorgen, daß dieſe nicht nur 


löſcht hätte! 


Bufludyt im Walde, 


Die Welt, fie ift mir viel zu weit 
Und viel zu hart find mir die Leut’, 
&o fterbenstraurig fomm’ ich her 
Zu Dir, Du heilige Einfamleit. 


Ih komme aus dem argen Land, 

Wo jede Luft ein Leid gebiert, 

Wo — trotz des lochend heißen Blut’s - 
Im Auge jelbft die Thräne friert. 


Das Weinen ift dort arg verpönt, 

Das Fluchen, Läftern nur ift Braud; 
Hier ihaut daS Moos, die Roſe thaut, 
Der Tannenbaum, der Weikdornftraud. 


Auch mein Gemüth will thauen hier, 
Bis müde finft das Auge zu. 

O ſenke Frieden in mein Herz, 

Du fühe, heilige Waldesruh ! 


Ein Brief aus wilder Tremde. 


Einem, Quitſcha, 31. Mai, da- 
tierten Privatbriefe eines Mijjionärs 
entnehmen wir die folgenden jehr in- 
tereflanten Mittheilungen: „ALS ich Ihnen 
das letzte Mal jchrieb, waren mir im 
Begriff, unjer Miſſionshaus zu bauen, 
Jet ift es fertig und wir bewohnen es 
ſchon jeit einem Monat. Die Schwarzen 
find jehr faul und folglich ſehr langſam 
im Arbeiten; da mußten wir aljo jelbjt 
gehörig Hand anlegen, um nicht von der 
Regenzeit, die eben beginnt und volle 
fünf Monate dauert, überrajcht zu wer- 
den, Glüdlicherweife hat uns die ftechende 


Erziehung und Unterricht, jondern auch 
Nahrung und Kleidung erhalten. Die 
Kinder laufen bis zum 14., viele bis 
zum 16. und 18. Jahre ganz nadt 
umber. Manche fommen mit Geſchwüren 
und verfaulten Gliedern in die Miſſion 
und da muß gebeilt werden, Leider haben 
wir wegen Geldmangel3 noch feine Scla- 
ven freifaufen fönnen, denn wir baben 
unjere Miſſion jozufägen mit Nichts 
begonnen. Dazu find die armen Unglüd- 
lihen noch jehr theuer. Je nad dem 
Alter, den Fähigkeiten, der Stärke foften 
fie 50, 100, 150 bis 200 M. Man 
jollte e3 faum glauben, da wmande 
Häuptlinge bei 800 befigen. Diejenigen, 
welche zum Verlauf ausgejtellt werden, 
werden meiften® als Scladtopfer ein- 
gekauft. Leider genügen diefe Morbtbaten 
den Wilden nicht. Wenn eine Ortſchaft 
das Recht einer anderen irgendwie ver— 
legt, jo muß dieſelbe mehr oder weniger 
Leute ausliefern, die geſchlachtet und auf— 
gezehrt werden. Noch vor einigen Mona- 
ten fam jo ein Fall vor, und zwar bei 
getauften Schwarzen. Neun Mann wur« 
den ausgeliefert. Der Häuptling natür- 
lih befam den bejten davon, allein als 
Chriſt wollte er jeinen Mann nicht vers 
ipeifen; er warf ihn aljo während der 
Naht ins Waffer und ertränfte ihn mit 
eigener Hand, weil fein Ertrunfener ge— 
gejlen werden darf. Noch jchlimmer ift 
es bei den Heiden. Die Leibeigenen der 
Häuptlinge und Reichen, welche durd 
ihren Dienft in näherer Berührung mit 
ihrem Herrn fteben, find ihres Loſes 
fiher, wenn bderjelbe jtirbt. Sie müſſen 
ihn auch al3 Diener in die andere Welt 
begleiten. An der Beerdigung nehmen 





nur Perjonen des Gejchlecht? der ver· 


ſtorbenen Perſon Antheil, ſo daß die 
Frau der Beerdigung des Mannes, bie 
Tochter der Beerdigung des Waters nicht 
beimohnt. Die Leichenfeier dauert ein, 
zwei, drei bis act Tage und befteht im 
Auffreffen der Opfer, im Trinken, Tan— 
zen und in den roheſten Beluſtigungen. 
Noch eine andere Duelle der Morbdthaten 


Wer finget, was das Wolf gern höret, 
Wer mwinfelt um den Fürftenthron: 
Ein falſcher Wahn ihn nur beihöret, 
Und wie armjelig ift fein Lohn, 


Wer aber fingt in vollen Tönen 


Sein Lied, jo wie es Gott ihm gab, 
Der trägt in fih den Schaf des Schönen 
Als reichten Lohn bis an fein Grab, 


Drum will ich wie der Vogel fingen 


iſt die bier ziemlich häufige Mifgeburt. | Ion Freiheit, Liebe, blüh'nder Flur — 


Die Mutter nimmt ganz einfach das be» 
treffende Kind und trägt es in ben 
Wald. Im einem dichten Gebüſch wirft 
fie das Kind über ihren Kopf hinter fich 
und kehrt danıı schnell, ohne fich umzu— 
dreben, nah Haufe zurüd. Hunger und 
wilde Thiere machen dem traurigen Da— 
fein de3 bedauernswerten Geſchöpfes bald 
ein Ende. Gemöhnlich verfieht die Amme | 
dies teufliihe Werl und deshalb ver⸗ 
fucht es der Miſſionär, dieſe durch wie⸗ 
derholte Geſchenke zu gewinnen, damit ſie 
die Kinder anſtatt zum Walde zur Miſ— 
fion bringt. Eine Amme aus einer be- 
nachbarten Ortichaft geftand, daß fie mehr 
als ein halbes Hundert jolcher Kinder 
umgebracht habe. E3 genügt dazı irgend 
ein merfbarer förperlicher Fehler ober 
ein zu Schwacher Körperbau, Auch die 
armen Zwillinge erwartet dasjelbe Los. 
Eines der erfolgreihiten Mittel, um bie 
Schwarzen heranzuziehen, ift der Geſang 
und befonders die Mufil. Von wie 
großem Nutzen würde der Mijjion eine 
Spieldoje jein, deren jo viele in Deutſch— 
land zum Zeitvertreib dienen! Das Er- 
lernen der verjchiedenen hiefigen Sprachen 
wird jebt eine unſerer Hauptbejchäfti- 
gungen. An Schwierigfeiten fehlt es dba 
natürlih nicht, denn es gibt ja feine 
Bücher, die haben wir zu machen, wozu 
e3 Jahre bedarf.“ 


Ber Poctenwinkel. 


Diditerfreißeit. 
Ich foll um Sold, um Ehren fingen, 
Erſchmeicheln mir der Großen Gunfi? 
Das Lied muß frei der Bruft entflingen, 
Denn frei ift ja des Dichten: Kunft! 


‘Ein Gott trägt mich auf feinen Schwingen 


Dann dur die lahende Natur! 
Alma Friedland. 


Ein Sommerbild. 


Im Burpur erglühet 

Des Berges Stapelle, 

Zum Thale rinnt langfam 
Die goldene Welle, 

Die Gloden erklingen, 
Auf Luftigen Schwingen 
Schwebet der himmliſche 
Gruß in die MWeite, 

Ueber die wogenden 
Aehrengebreite. 

Im etlichen Kleid 
Mandert zum Kirchlein 
Manch’ liebliche Maid, 
Die duftende Linde 
Streu’t Blüten im Winde. 


Und wieder im mwonnigen, 
Purpurenen Leuchten 

Die Wiejen vom Thaue 
Des Abends fich feuchten. 
Es klingen die Geigen 
Zum Iuftigen Reigen, 
Lieblide Mädchen 

Mit glänzenden Bliden 
Wiegen im Tanze ſich, 
Laden und niden. 

Mit dem Liebften vertraut 
MWandelt im Dunfeln 

Die glühende Braut. 

Die duftende Linde 
Streu’t Blüten im Winde, 


F. 6. Adolf Weik. 


Waldandadit, 


O Wald, wie bift Du wunderbar, 
Will ſich die Sonne neigen: 

Wie ferner, leifer Friedensgruß 
Klingt's aus der Bäume Zweigen. 


Bald ſchweigen all’ die Vögelein, 
Kaum, dab noch eines finget, 

Und jo den Dank in Tönen jhlicht 
Dem glit’gen Schöpfer bringet. 


Nichts mag im weiten Waldesdom 
Eein Leben mehr verfünden, 
Erfterbend an dem Himmel will 
Die Abendröthe ſchwinden. 


Und mählih taucht des Tages Licht 
Der Herr in’s Dunfel nieder, 
Entzündet an des Himmels Plan 
Tafür die Sterne wieder. 


Dann zieht der Frieden in’s Gefild 
Auf feines Segens Schwingen 

Und will der tagesmüden Welt 
Erjehnte Ruhe bringen. 


O, dann mag wohl der liebe Gott 
Durch Deine Hallen ſchreiten, 

Du mächt'ger Wald, und über Dich 
Die Hände fegnend breiten. 


A. Schmiedt, 


Ein fleinern Kreuz ... 


Ein fleinern Kreuz 
Am Meg’ ragt auf; 
Der Wind weh't d’rüber, 
Der Schnee fällt d’rauf. 


Dort hab’ ich gejeflen 
In einer Naht 

Und hab’ an Did, 
Herzlieb, gedacht. 


Un Deiner Augen 
Hellglängendes Paar, 
Dein weißes Antlig, 
Dein ſchimmerndes Haar. 


An Deiner Stimme, 
Süßlieblichen Klang; 
Wie hold Deine Meije, 
Wie reizend Dein Gang; 


Wie fonnig Dein Lächeln, 
Wie rot Dein Mund — 
Und daß dies Alles 
Erftorben jetund ... 
Of. Palwin. 


Roſe im Herbſte. 
Nun biſt Du bald geſtorben, 
Du Roſe jonder Gleichen ! 
Es muß Dein junges Leben 
Mit feiner Pracht erbleichen. 


In Deinem Blätterfhoße 

War fein und zart gejdhrieben 

Der Name meines Mädchens, 

Ihr Hoffen und ihr Lieben — — 
Ernfi Mofer. 


Belimmung. 


| 

| Einen Schößling pflanzt der Knabe 

| Spielend in die Frühlingserde, 
Ahnet faum, dab ſüße Gabe 
Ihm der Baum befcheren werde, 
Daß er feinen milden Schatten 
Ob dem Müpden fegnend breite; 
Daß man einft dem Lebensjatten 

| Aus dem Stamm ein Bett bereite, 

| 


P. Sauf. 


Zwel ofen fahen auf einem Stiel... 


Zwei Rojen ſaßen auf einem Stiel; 
Und als die eine entblättert ward, 


Auch fie fant bald hernieder — 
Und blühte nicht wieder! 


Gin Pärden fah ich in Lieb vereint; 
Und als er felig geftorben war, 
Da raufte fie ihr ſchönes Haar 
Und weinte fi rothe Lider — 
Und ehlichte wieder! 
Pius Aindes. 


Dem Glück entgegen! 


Geh’ Du nur Deine Wege 

Und blide nicht zur Seit’, 

Nah Vorwärts fei Dein Streben, 
Und Muth fei Dein Geleit’, 

Lab Du die Menge fahren 

Im altgewohnten Gleis, 

Den ift das Glüd zu eigen, 
Der's kühn zu faflen weiß. 

Dem Schwärmer lacht's von Ferne 
Und winft ihm lodend zu, 

Dem Kühnen geht’3 zur Seite, 
Ein Kühner ſei auch Du. 

Dein Streben hemmen Felfen, 
Da braude Deine Kraft, 

Dem wird das Glüd zu eigen, 
Der ſich's im Zorne jhafft. 


| Kans Frauengrußer. 


m mm m ç —ñ — —ñ —ñ —ñ — ñ — — — — — —— — 


Wilde Asslein. 
De gustibus, 


| Ein Jeder fucht fi zu vergnügen, 
Der jo und jener wieder fo. 





liegen, 
In Höh'n nur ift die Lerche froh, 


Leichenbegängnis. 





Heuchler, Ihr! Zerfetztet ihm das Sein, 
Hadtet wie die Geier ihm am Herzen! 


Da wurde der andern das Blühen hart, 


Dem Schwein beliebt’ 5 im Schlamm zu 


O die Trauerflöre, Thränen, Schmerzen — 
Jetzo — weil er d’rinnen liegt im Schrein! 


| 
| 
| 
| 


153 


Unno damal®. 


Mit Feuer ſprach in Konftanz d’rinn 
Johannes Hub für feine Lehren, 
Worauf dann aud die hohen Herren 
Mit Feuer widerlrgten ihn. 


Wahrer Reichthum. 
Nur Der allein ift rei, in deſſen Bruft 
Die Welttonleiter der Gefühle wiederklingt — 
Vom tiefften —— F zu der höchſten 
u — 


Und da — zu reiner Harmonie ſich ringt! 


Herrn von Xyz. 


Mas Großes wohl das Männlein von ſich 
dent, 

Eeitden an feinem Nichts — ein Orden 
hängt! 


Die Welt. 


Die Welt — ein jhöner Garten — 
Menn Gärtner treu fein warten! 
Doch böje Buben jonder Zucht — 
Zerftören Blüt' — verderben Frucht! 


Gold. 


Ob das Gold in Bergesrub, 
Ob es in des Geiz'gen Truh', 
Ohne Nugen da und dort! 
Aber in des Menſchen Hand 


Bringt e3 Glüd — dem Haus dem Land — | 


Wirlend in die Zukunft fort! 
Dr. Fr. brober. 


Hflanzin in niederöflerr, Mundart. 


U Hund, der auf Yeden hört, 

A Schloß, das jeder Schlüffel fperrt, 
A Madl, das an Yeden gbört, 

Ean allmitjammt lan Kreuzer wert. 


Wier a Leb, der Bluat hat gledt, 
Eo iS ah mei Bua; 

Hat er nur an Buflerl gſchmeckt, 
So kriagt er net gnua. 


Auf n Berge is wohl ſchön 
Und in Wald hab i gern, 
Amwa froh fann i do 

Nur bein Schaterl recht wern, 


Ma kaft Hiazt Schon Als, 
Was ſchön auf da Welt; 

To 5 Herz von mein Diarndl 
Kriagt Kaner um's Geld. 


Greif i in's feuer, 
Berbrenn i ma d Händ; 
Schau i in's Aug Dir, 
Is's Gerz gar vabrennt, 


Se jan wia d Palmejeln anzogn, 
Awa ſchiach, 8 is a Schand; 
Mei Schatzerl awa is fauwa 

Ah im anfachſten Gwand. 


| 

| Mi gift’s, daß im Lebn 
Ans unſicher is, 

| Und grad nur da Tod 

Allani jo gwiß. 





= Fruajahr, da fingen 
De Vögerln voll Freid; 

Und jo i$ a d Jugand 

Für d Liab de Ihönft Zeit. 


Und hat ma an Draden, 
So laft man halt fteign 
Und thuat ihm da Welt ah 
Von obn a weng zeign, 


Und madt fi nir draus, 
Sa beißt fie de Zähn fi 
Um End do no aus. 


| Un Eh ohne Kinder, 

| De hab i net gern; 
Was war denn a Himmel, 
Wan kane Enger! net wärn? 


| 
! 
| 
| Und hat ma a Bihgurn 
| 
| 
\ 


| Mei Diarndl fliagt um in de Gaflen, 
3 hab's ſchier valurn, 
Y glaub fie i$ in da Finſtern 
A Fledamaus wurn. 
Friedrid Aafſwander. 


Luſtige Beitung. 
Ein Ausſpruch Stifters. 
Als Adalbert Stifters „Studien“ er- 
ſchienen waren jo erzählt Adolf 
‚Pichler — ſagte ih ihm von einer 
Kritit darüber, wo fie mit Lilien ver- 
glichen wurden. Da ftrich er lächelnd mit 
‚der flahen Hand über den ſtattlichen 
Bauch und jagte: „Nu, mu! wenn diejer 
Recenſent erſt ſahe, was dieſe Lilien für 
‚einen diden Stängel haben!“ 
| 
| 


| 
| 
| 





Ein's von Scheffel. Neben 
| Scheffel wohnte in Heidelberg lange Zeit 
ein Flötift, der unaufhörlich das Lied mit 
Variationen „Nah Sevilla!“ blies. Voll 
Verzweiflung jchrieb ihn eines Morgens 
‚der Dichter: „Ih bin von Ihrer Sehn— 


ſucht nah Sevilla im höchſten Grade Eine bübjhe Theater- Anec« 
überzeugt, bitte Sie aber berzlichit, fih |dote erzählt man von dem fürzlich ver« 
fobald als möglih auf den Weg zu |ftorbenen Schriftiteller Hermann Sall« 
machen. Bis zur nächjten Station mill | mayer, der Ende der Sehäziger-Jahre 
ih gern das Fahrgeld bezahlen.” — eine Zeitlang den Thespisfarren in der 


Eine andere Scheffel-Anecdote bezieht fich 
auf die Zudringlichkeit der Autographen— 
fammler und »Sammlerinnen. Obgleich 
im Allgemeinen ſehr entgegenkommend 
gegenüber den zahlreihen Anſprüchen 
diefer Art, für deren Erledigung der 
gealterte Dichter in feiner Nadolfszeller 
laufe ja auch Zeit hatte, konnte ihm 
bisweilen doch auch der Geduldsfaden 
reißen, wenn jolche Bitten allzufehr — 
der „Verſchämtheit“ entbehrten. So erhielt 
er eines Tages von einer Dame in 


Joſefſtadt geleitet hatte. Eines Tages 
drohte ein merfwürdiger Streit unter 
den Soubretten feines Theaters auszu— 
brechen. Die erfte Localfängerin, welche 
eine bejondere Vorliebe für Krebſe an 
den Tag legte, ärgerte fih darüber, 
wenn bei den auf der Bühne üblichen 
Gelagen Krebſe aus roſenrothem Papier- 
machee zur Tafel gelangten, während bie 
übrigen Damen außer fih waren, daß 
ftatt des echten Champagners bloß ſchäu— 
mendes Abzugbier geboten wurde. Sie 


England ein dides Paket unfranfiert ein« | erflärten in einer an den Director ger 
gelandt, für das der Dichter ziemlich | richteten „Refolution,“ daß fie mit diejem 
viel Porto zu zahlen hatte. Als Inhalt | ungeniepbaren Zuftande keineswegs zu— 
entpuppte ſich ein dickes Autographen- frieden ſeien und baten um Abhilfe, 
Album mit einem Begleitſchreiben, das widrigenfalls ſie einmüthig die „Arbeit“ 
die Bitte um ein Autograph des be- einſtellen würden. Sallmayer that, als 
rühmten Dichter® ausſprach. Und der ob er diefes „Ultimatum“ ſehr ernit 
Dichter griff wirklich zur Feder und trug nehme, erjchien am jelben Abend jchein- 
ein ihm für den Fall paſſend erjcheinen- | bar aufgeregt auf der Bühne, wo bie 
des Sprüchlein ein., Er ließ das Album | Damen alle verfammelt waren und fchrie 
wieder einpaden ımd — franfieren. Die ihnen zu: „Was, jtrifen wollt Jhr, wie 
engliihe Dame aber hatte nah Em- die Bädergejellen? Gut, Ihr follt den 
pfang der Eendung das Vergnügen, zu Champagner haben, auch die Krebſe und 
lejen: „Bildung macht frei!“ das echte gebadene Lämmerne — aber 
r nur unter einer Bedingung: die nächſte 

Kir Woche ſoll ein Senfationsftüd aufgeführt 
'| werden, mo drei unglüdliche Franuen 

dem blinden Dieter-Bhilofophen, erzählt ‚um Salus nr Gift * * ide 
man Sich folgende witige Abfertigung, | müffen, Und das fage ih Euch gleich: 
die er einem läftigen Schwäßer, der den wenn Ihr echten Champagner trinfen 
eifrig ſchaffenden Dichter allzu oft mit wollt, fo muß auch das Gift echt fein 
jeiner Gegenwart beimfuchte, jüngft hatte fo ob ih Deemann Gallmaper heiße, 
zu Theil werden laflen. Als der lang: Und gleich werd’ ich's von der Apothefe 
weilige Menjch wieder einmal ftundenlang vis-A-vis bringen laſſen!“ — „Nein! 
dad dümmite Zeug zuſammenſchwadro⸗ nein! nein! nein!“ ſchrieen ieh jams« 
— hatte, fiel ‚igm Lorm, den Ber- merten die mit fo vorzüglidem Appetit 
Luft feines Augenlichts benuhend, mn ber gejegneten Ober- und Unter-Soubretten, 
Bemerkung ns Wort: „Aber lieber die fomifchen und nichtkomiſchen Alten 
Freund, was für ein ſchlechtes Buch wire durcheinander und eilten erfchredt 


lejen Sie mir denn da vor ?* Dieſer ö on 
allzudentliche Wink hatte fein Ziel nicht MON, BEE DENE WERE IIEE BAHR 


verfehlt. Der läſtige Beſuch foll jeitdem 
ausgeblieben fein. 





Elaudins wurde einmal gefragt, 
worin der Unterjchied zwijchen ihm und 


105 


Klopftod betehe, worauf er antwortete: ! Wann?! Ein Advocat hatte zwei 
„Klopftod jpricht folgendermaßen: „Du, | Spigbuben zu vertheidigen, von denen 
der Du weniger bift, als ich umd dene | der eine bei Tag, der andere bei Nacht 
noch mir gleih, nahe Dih mir und ent | geftohlen hatte, Darauf fuhend, ſagte er 
lade mid, Dich beugend, von der Laft | in der „glänzenden“ Vertheidigungsrebe: 
des Staub ausathmenden Kalbjells!“ | „Der Herr Staatsanwalt bat es bei 
Ih dagegen fage nur: „Johann, fomm’ | meinem erften Glienten als einen erjchwe- 
und zieh’ mir die Stiefel aus!“ | renden Umftand bezeichnet, daß derjelbe 
— bei hellem Tage mit unglaublicher Frech— 
E in Realift des fommenben! beit einen Diebjtahl begangen. Jetzt wird 
Kabrhunderts: Mein erites ſchau⸗ bei meinem zweiten Clienten der Ums 
ſpieleriſches Beſtreben ift, die unmatür. | Hand, daß er zur gefährlichen Nachtzeit 
liche, bilderreihe Sprache der Claſſiker 9°) 
zu reinigen und die Perjonen menſchlich beichnet. Ih frage num den Herrn Staats» 
reden zu laſſen. Hier ein Beilpiel: Wie | anwalt R Wann joll denn ber Kerl 
überſpannt ift der Scillerihe Satz: ſtehlen? — 
„Umgürte Dich mit dem ganzen Stolze 
Deines Englands, ich verwerſe Dich, ein Die Zerſtreute. Ein langweiliger 
deutſcher Jüngling!“ Ich frage einen Herr hat bei einer Dame Beſuch gemacht. 
Jeden: Iſt der Stolz ein Gürtel? Ich Nachdem er dieſelbe ziemlich lange durch 
überjegte dieſen Schwulſt mundgerecht: | fein fades Geſchwätz zu unterhalten ge— 
„Auf Deinen Stolz, Du engliihe Gans, ſucht hatte, jagte er aufitehend: „Onädige 
pfeift Dir der deutihe Hans!“ Das | dran, jet werde ich mich wieder em— 
macht jedenfalld mehr Effect — es ift | pfehlen.“ — Dame (zerftreut): „Ah — 
eben mit realiftiicher Feinheit ausgedrüdt. | Sie find zu gütig!“ 
Jene Stellen, in welchen der Dichter das — 
Herz als Sitz des Gefühls bezeichnet, Der Egoift. „Ih reiſe immer 
verwerfe ich als überwundenen Stand mit zwei Freunden . . . geichieht es, 
punkt. Der gute Schiller hatte noch von daß einer krank wird, jo bleibt der an 
io Manchem feine Ahnung. So laſſe ich | dere bei ihm, um ihm zu pflegen — und 
den König Philipp zu Don Carlos jtatt: ich kann ruhig meine Reife fortjegen.“ 
„Dein Herz iſt weich“ jagen: „Dein 
Hirn, mein Sohn, ift etwas angegriffen; j ’ 
gebrauce die Kaltwaſſercur.“ Wie wun⸗ Ein arger Lügner rahlte einft 


derbar paſſen damı gleih darauf die, in einer Geſellſchaft, er fei ſchon in fünf 


! . . + + 
Worte: „Sole Rranfe bedürfen guter Minuten eine halbe Meile geritten. Man 
u 86 bat den anweſenden Dichter Gottfried 
Pflege.” Gleichzeitig aber hebe ich da- — — 
durch den lächerlichen Vers auf, der ein Auguſt Burger, der belanntlich auch — 
eben folder Unfinn, wie der Marmer tüchtiger Reiter war, um feine Meinung 


des Bildhauers if. Hat man je mar. | darüber, „Je Run, jagte er troden, 
morne Menjchen gejehben? Welche Un- „reiten fann ich's nicht, aber lügen fann 
natur ftedt 3. B. in den Goethe’jchen ih 5 aud.“ — 

Verſen der Iphigenia: „Heraus in eure 
Schatten, rege Wipfel des alten, — Peinliche Höflichkeit. Erſter 
dichtbelaubten Hains tret' ich noch jetzt Student: „Sie find ein guter Schläger ?“ 
mit ſchauderndem Gefühl.” Ich laſſe die Zweiter Student: „Ich mache gern eine 
Iphigenia ganz realiftiih jagen: „In fleine Pauferei mit.“ Erjter Student: 
dem alten Wald befomm’ ich noch immer | „Ad, ih auch! Dann geftatten Sie mir 
eine Gänfehaut, ber!“ Das ift Natur!) vielleicht, Ihnen böflichft zu jagen, daß 
Das iſt Kunſt! ẽie ein ganz dummer Junge ſind.“ 





geſtohlen, gleichfalls als erſchwerend be— 








Problematiſche Eriftenz.! 
Baron von Wanft und Graf von Hager 
rennen auf der Straße aneinander. Graf: 
„Sie find ein Grobian !” Baron: „Soll 
das eine Beleidigung fein?“ Graf: 
„Allerdings, und ich erwarte Forderung 
auf Piſtolen!“ Baron: „Sie können mich 
weder beleidigen noch kann ich mich mit 
Ihnen Schlagen, denn — Sie erijtieren 
nicht ! Falſche Haare, ſalſche Augen, falfche 
Hüften, falſche Waden, falfhe Zähne. . 
na furz, ich kann Sie nicht treffen, denn 
Sie eriftiren nicht!“ 


N 





Im Eurhbaus- Hotel. Wirt: 
„D, ih erinnere mid, Sie waren ja 
auch voriges Jahr mit Ihrer Frau Ge- 
mahlin da, aber fie hat fich jehr ver- 
ändert. Sie ift jet magerer.“ Gaſt: 
„a, ein wenig.“ Wirt: „Und fie war 
auch größer.“ Gaft: „Unmerffich.“ 
Wirt: „Und dann, trug fie nicht liche 
teres Haar?” Gaft: „Allerdings. Uebri» 
gend? — unter uns gejagt — es ift ja 
nicht dieſelbe!“ 


„Grünf 


— 


Moderne Ehen. Pfarrer: „Führt 
Euch brav auf, Kinder, damit Ihr recht 


lang und glücklich miteinander lebt.“ 


— Braut: „Hochwürden, für fünf bis 
ſechs Wochen garantier ich!" 


Kindermund Mutter: „Aber 
Hans, das ift zu arg, den ganzen Tag 
muß ich mit Dir Ächelten und fchimpfen.* 
— Hans: „D liebe Mama, das jchadet 
gar michts; im Oegentheil, es ift ein 
großes Glüd, daß ih es — nicht übel 
nehme.“ 


Ausder Inftructionsftunde 
Unterofficier: „Soldat Fiſcher, jagen Sie 
mir, was ift Terrain?” (—iſcher ficht 
fih fragend um und fchweigt.) — Un— 
terofficier: „Sie Ejel! Läuft der Kerl 
den ganzen Tag drin herum und weiß 
nicht, was Terrain ift! Na, jet werben 
Sie es do wilfen!? — Soldat Filcher 
(zögernd): „A Paar Stiefel!“ 


Gott!“ 


„Ih habe die Ehre!” Geh’ ſchau mi net an; 
Was liagft denn fo jchebi, nirnugiga Mann! 


Du hätieft an’ Ehr a? Geh red 


net jo dunmt: 


Du bift ja a Lotter, a Lump umadum. 


„Ergebenfter Diener!” Heh, laß 


mi nur auß; 


Denn wannft Du mei Deaner warft, dös war a Graus. 
A Spridwörtl haft: Wia der Herr, jo der Knecht; 
Da müaßt i jo fein grod wia Du a ſo ſchlecht. 


„I lüß Ihnen d Hand,“ „Ich empfehle mich ſehr.“ — 


„Küſſed Hand,” jagt a Knecht, 


für an Mann taugt’3 nöt her! 


Und’s „Empfehl mich,“ dös fann Dir jho a nir eintragn: 
Bift wert der Empfehlung, jo brauchſt Du's nöt 3 fagn. 


„Mein Eompliment!* Daß i laden nöt müaßt! 

Jet wird mar in Deutihland gar walliih ſcho grüaßt; 

Dd ganz Grünkerei is a Schand und a Spott 

Und a Lug; thoan ma's weg und jagn liaba: „Grüaß Gott!“ 


(„Grüß Gott.“) 


Ehrich Fels. 


157 


Bider. 


Cudwig Sanghofer. Selten find einem Did: 
ter in jungen Jahren gleih am Anbeginne jei: 
ner literarifchen Thätigfeit jene Erfolge und | 
jene Anerfennung jeiner dichterifhen Pro— 
ductionen zutheil geworden, wie dem Manne, | 
dem dieje Zeilen gewidmet find, Nicht nur die 
Muſen, die ihn mit einem jhönen Talente be: | 
dacht, au das Glüdjheintihm Hold zu fein. | 
Und dies ift ihm in vollem Maße zu gön— 
nen! Denn 2, Ganghofer gehört nicht zu 
jenen Halb» und Sceintalenten, die ſich 
nur durch marktjchreieriiche Reclanıe und, 
dur die Protection literarifcher Mutoris 
täten emporringen: Ganghofer ift ein echtes 
Talent und ein echter Dichter — ein Did: 
ter, der mit der Rajchheit feiner Erfolge 
auch die Neife erlangt bat. Denn es ift 
Gejundes, nicht Angelränteltes in feinen | 
Schriften, wenn auch dur diejelben ein, 
wehmüthiger, berber Zug geht. Aber vor 
Alem, was und an ihnen erfreut und er: 
quidt, das ift der unmittelbar frische und 
natärlihe Ton, der aus denjelben quiflt. 
Hauptſächlich aber hat d a3 dazu beigetra: 
gen, ihn jene Stelle in der deutfchen Lite: | 
ratur der Gegenwart zu verjchaffen, die er 
einnimmt, dab es ihm gelungen ift, die 
Eigenarten feines Volles mit einer Echtheit | 
und Naturtreue zu ſchildern, die frei iſt 
von jeder Schablone und welche jetzt nur, 
Wenigen eigen find. 

„Das Bollsprama und die Dorfge: 
chichie find Ganghofer's literariſche Do: 
mänen und in dieſen bat er ſein Glülck ge 
macht. Gleich fein erfles dDramatifches Stüd: 
„Der Herrgottſchnitzer von Ammergau“ erz 
rang einen ungewöhnlichen Erfolg, faft ähn: | 
lich demjenigen, den Anzengruber mit feinen | 
„Pfarrer von Kirchfeld“ erntete, jo daß 
Banghofer gleih ſchon zu einem hervor: 
ragenden dramatiihen Zalente geftempelt | 
wurde. Es ift dies ein Stüd voll feiner 
Eharafterifierung, voll anmuthiger, ſpan— 
nender Handlung, Reihthum an Figuren, | 
föftlihen Humors und ergreifender Web: 
muth. Und dann folgte Stüd auf Stüd. | 
Aber aus dem Dramatiter ift hernad 
ber etwas pejfimiftiih angehaudte Lyrifer 
und aus dem Lyriler der allbeliebte Er: 
zähler geworden. Hier in der Erzählung 
bat er ein Feld gefunden, die Eigenarten 
feines Volles, die Schönheit feines Landes 
mit Präftigen Striden und farbenjatten 
Colorit fchildern zu können und auch ein, 
Feld, fein Talent reicher entfalten zu tönz | 
nen; denn höher als den Dramatifer jhäten 
wir den Erzähler Ganghofer. 





geſchichten geboten von eigenartigen Weiz 
und, obgleih einfah in der Handlung, 


‚gau,* das zum Gajjenftiid wurde. 
Er hat uns bisher Dorf: und Jäger: ı 





von ergreifender Gewalt. Denn Ganghofer | größern Schaufpiele: 


ift ein feiner Seelenfenner und feine Dorf: 


geſchichten und jonftigen Novellen find pſycho— 
logifche Monographien; dazu zaubert er in 
feine Schriften echte Waldluft hinein, jo 
daß wir erquidend in diefer Welt, die er 
uns vorführt, aufathmen. 

Allein aud einen Schritt zum Gebiete 
des Romans hat Ganghofer dur jein vor 
Kurzem erjchienenes Werk: „Die Sünden der 
Väter" gemadt. In diefem Werke verjucht 
er die Löſung der ethijchen Frage, ob fi 
die Sünden der Bäter an den flindern 
räden und zeigt dies an vier meifterhaft 
gezeichneten und an tragifche Größe hinauf: 
reichende Figuren. Er fonımt jedoch zu dem 
Schluffe, dab die irrenden Menſchen felbft 
e8 find, die fih Strafe und Bergebung 
austheilen. Diefes Werk wird nicht ver: 
fehlen, Auffehen zu erregen; e3 ift meifter: 
haft componiert und Ganghofer zeigt fid 
darin als Dichter: Philofoph und jcharfer 
Beobachter der Welt und Lebensgejehe. 

Ganghofer wurde im Jahre 1855 zu 
Kaufbeuren in Baiern geboren als Sohn 
des damaligen FForftaffiftenten und jetigen 
Chefs des baieriſchen Forſtweſens. Als jein 
Vater vier Jahre ſpäter als königlicher 
Revierförſter nad Welden verfegt wurde, 
lam auch der Knabe dorthin und beſuchte 
dort die Dorfſchule. Schon als Kind hatte 
er aljo Gelegenheit, jene Eindrüde in ſich 
aufzunehmen, die der jpätere Scriftfteller 
verwertete. Dann bejuchte er in den Jahren 
| 1864— 1872 das Seminar zu Neuberg a. D. 
und das Nealgymmafium zu Regensburg. 
Seltfam! Der nahherige Dichter wollte ſich 
dem Maſchinenfache zuwenden, aber eben 
dieſer Dichter regte fih in ihm und machte 
ihn diefen Berufe abwendig. Und jo ftu: 
dierte er am Polytehnicum zu Münden 
(1874), hier literarifhe und philofophiiche 
Studien betreibend, dann befuchte er noch 
in den Jahren 1878—1879 in Münden, 
Berlin und Leipzig die Univerfitäten, in 
welch’ letzterer er fih den philoſophiſchen 
Doctortitel erwarb. So legte er den Grund 
zu einer ungewöhnliden Bildung; aber 
weniger Zufall war es, als jein eigenes, nad 
Geftaltung drängendes Talent, das ihn 
dazu trieb, ſich der Literatur ganz zu wid: 
men und zur Erkenntnis feiner Begabung 
zu bringen. Aber auch eine mächtige An: 
regung hierzu erhielt er durd das Gaftipiel 
der Schaufpieler vom Münchener Gärtner: 
plag- Theater. Eine Belanntihaft mit Hans 
Neuert hatte das Reſultat, daß er zur dra— 
matiſchen Production ermuntert wurde, und 
damals entjtand fein berühmtes Erftlings- 
werk: „Der Herrgottichniger zu Ammer— 
Zun 
Theil unter Mitwirkung Neuert's ſchuf er 
bis 1881 die Einacter: „Tobber Dobler* 
und „Der Anfang vom Ende,“ fowie die 
„Wege des Herzens“ 
und „Der Procekhanjl,* welche ſämmtlich 


158 


ungewöhnlichen Effect bei ihrer Aufführung schen Dichter nahmen. Freilich konnten fie 
erzielten. 1881 folgte er einem Rufe des ſich in einer Weije bewegen, von der man 
Dir. Fr. Jauner als Dramaturg des Rings | bei uns unter dem Preßgeſetz und objec- 
theaters in Wien, welder Thätigfeit durd tivem Verfahren keine Vorſtellung hat. Ein— 
den Brand dieſes Theaters ein jähes Ende zelheiten anzugeben, überfteigt den Rahmen 
bereitet wurde. Aber die liebliche Kaifer: | des „Heimgarten*; wir wollen nur be— 
ftadt an der Donau fefjelte ihn an fi und  merfen, dab uns Brandl mehr gibt als der 
jo blieb er und vermählte ſich da mit der | Titel jagt. Das konnte er, weil er Reiſen 
Wienerin Kathinta Engel, Er ſchuf nod | nad England unternahm und von Lord Cole: 
dann die wirfungsvollen Vollsftüde „Der | ridge, den Großneffen des Dichters, bisher 
zweite Schaf“ und „Der Geiger von Mit: unbenutztes ſchriftliches Material erhielt. 
tenwald* nnd gab aud während diefer A. Brandt ift ein Defterreidher, ein Tiroler, 
Zeit einige Gedicht: und Novellenfamnt: | Zum Schluffe fügen wir bei, daß fein Buch 
lungen heraus,*) die alle diefelbe Glut bereits in's Englifche überjegt wird. 
atdmen und von derjelben tünfiferifchen | 
Vollendung find, welche ihm feinen Namen in 
der Literatur verichafften. j 
Den Winter verbringt Ganghofer im an: | , Ford Byron von Karl Elze, Diejes be: 
genehmen, anregenden Freundes: und Be— | rühmte Wert liegt bereit$ in der dritten Auf: 
fanntenfreis, feiner literariſchen Thätigfeit | lage vor und wurde jhon früher in das Eng: 





gewidmet, in Wien; er macht fi als ange: liſche überſetzt. Diefe Auflage ift auf Grund 
nehmer, geiftreiher Cauſeur geltend, der 
gar Iuftige Gefchichten aus feiner Studenten: 
zeit wie aus feinem ſommerlichen Jäger: 
leben zu erzählen weiß. Wenn aber der 


neuentdedter Quellen vielfach umgearbeitet 
und verbefiert. Zu ihrer Empfehlung brauden 
wir nichts anzuführen. Der Erfolg und 
die Magie von Byron's Namen genügt, Die 


Frühling in’s Land fommt, dann geht er | Werfe Brandl's und Elze's find im ſchöner 
hinaus in die Berge der Heimat, dort zu | Ausftattung bei N. Oppenheim in Berlin 
feinem Wolfe in nähere Beziehung tretend, erſchienen. Bei Brand! fragen wir nod: 


demjelben neue Seiten abgewinnend. 
9. Mentes. 


‚Wand fih für ihn — den Defterreider — 
‚fein Verleger in Oeſterreich? — Wie in 


den Tagen des Vormärz miüfjen unjere 
ı Schhriftfteller no immer im Ausland eine 
P. 


Samuel Caylor Coleridge von Profeſſor Zuflucht ſuchen. 


AL. Brandl. Die literarhiftorifchen Bo— 
taniter haben vielfältig die hochragenden 
Bäume des engliihen Barnafles geſchildert; 
über Shaleipeare, Milton, Byron befiten 
wir ganze Bibliothelen, es gibt jedoch noch 
Dichter, die an ihre Größe nicht empor: 
reichen, jedoch ebenfalls volle Aufmerſamkeit 
verdienen. Profeſſor Brand! hat mit Cole: 
ridge einen ſehr glüdlichen Griff gethan; 
was man bisher über dieſen Mann wußte, 
war verhältnismäßig nicht viel, von Ge: 


ligrath überjegten „Albatros“, Und dennod 
ift Coleridge von größtem Einfluß auf die 


englifche Literatur gewefen, er wirlte auf | 
Byron, Milton, Walter, Scott, Shellay und | 


Reats, Aufihn find die Anfänge derenglifchen 
Nomantit zurüdzuführen, aud als Philo: 
ſoph und Theolog nimmt er eine hohe 
Stellung ein. Er bildete jih an den Deut: 
ſchen und vermittelte ihren Einfluß auf 
feine Landsleute. Kant und Selling haben 
für ihn 
Schiller's Wallenftein überfete oder genauer 
— bearbeitete er für fein Boll. Mertwilrdig 
ift der Finfluß, den die franzöfiiche Revo: 
lution und Napoleon auf alle dieje engli: 





*) Eoeben erihien von Banghofer: „Edelweiß · | 
tönig. Eine Hochlandsageſchichte.“ (Stuttgart, 2 en | 


u. Gomp.) 


eine hervorragende Bedeutung; ' 


Adalbert Stifters ausgewählte Werke. 
(Zeipzig. Amelang’s Berlag 1887.) 
Endlih! Doc faft will fi die Verlags: 


handlung entſchuldigen, daß fie in unjerer 
Zeit diejen Schriftfteller neu aufführt. 
beste muß faft Bedenken haben, ob unſere 


Zeit diefer Gabe wert ift. Gewiß, denn es 


| werden fih Taufende finden, die nad der 


Stifterfhen Art ein Verlangen tragen. 


dichten fannte man faft nur den von grei. | Die Einfachheit, das fittlid Schöne, das 


‚Beruhigende, das dem Alltagsleben Ent: 


‚ rüdende — heute mehr als je hat man Heim— 


weh darnad). Zu bedauern an diejer Bolfs- 


ausgabe ift nur, daß es bloß eine ausge: 
wählte, feine Gefammtausgabe ift. Sie 
\enthält in 28 Heften nur die „Studien,“ 
„Bunten Steine* und „Erzählungen“, aber 
fie vorenthält uns den merfwürdigen hiſto— 
riſchen Roman „Wittilo* und den herr: 
lichen „Nachſommer“. Es fteht zu hoffen, daß 
das deutjche Volk jeinen Adalbert Stifter nun 
bei defjen neuem Erjcheinen derart gerecht 
würdigen wird, um die Verlagshandlung 
auch zur Herausgabe des „Nachſommer“ 
'zu veranlaſſen. Auf jeden Fall begrüßen 
wir das Erſcheinen dieſer Volklsausgabe auf 
das Wärmſte. R. 


Loſe Blätter für Haus und Herz von 


an. 


Der Sculvereinss Kalender. Der Deutiche 


Mar von Weifjenthurn (Wiesbaden. | Schulverein ift an die Merausgabe eines 


Bechthold & Comp. 1886.) 

Das fogenannte „Beiftreiche“, was man 
fonft an Feuilletons (und das find geſam— 
melte Feuillelons) zu finden gewohnt ift, 
wird bier reihlich erjegt dur das Tüch— 
tige. Es ift eine wadere Lebensanficht, welche 
dieje Blätter durchweht und wertvoll macht. 
Die Frau wird Über die wichtigften Dinge 
und Berhältniffe ihres Lebens in dieſem 
Buche Gapitel finden, welde vom Geifte 
deuticher Fraulichkeit bejeelt, läuternd und 
verjöhnend wirken müſſſen. Ueber Bielerlei 
wird in anjpruchslojer und doch anmuthiger 
Weiſe geplaudert; es ift ein liebenswürdiges 
Büchlein. M. 

Die deutfhe Sprade. Von Dr, Otto 
Behaghel. (Leipzig: ©, Freitag. — Prag: 


Kalender3 gegangen, der für das Jahr 
1887 zum erften Male erjchienen ift. 
Abgeichen von einer anmuthigen Aus: 
ftattung, zu welcher insbefondere die kunſt— 
vollen Rahmen und KKopfleiften der Monats: 
lalender zählen, liegt der den Schulvereins: 
Kalender über fo viele andere ftellende Wert 
desſelben in jeinem literariihen Theile, 
welcher ein Meines Scagfäftlein von Ge: 
dichten und Erzählungen enthält und aller 
Welt Freude mahen muß, und in einigen 
deutſch-patriotiſchen Aufſäßen und Darle— 
gungen, welche den Kalender für Schul— 
vereinsmitglieder unentbehrlich machen. In 
dem Aufſatze „Die Macht- und Weltſtellung 
der Deutſchen“ ſucht Franz von Löher die 
Deutſchen mit ſich jelbft, mit ihrer Per: 
gangenheit und Zuflunft befannt zu maden. 


Der Aufjag verdiente erweitert und hundert— 
Frei von dem pedantifchen, trodenen |taufendfah in's Volk getragen zu werden. 
Tone, welcher jo viele germaniftifche Arbei: | Etwas furz find die Proben „Deutſcher 
ten ſonſt Hodverdienter Forſcher ungeniehbar | Mundarten in Defterreih Ungarn“, zu denen 
macht, auf Inappem Naume, in anziehender Anzengruber, Hörmann, Grasberger, Wai— 
und feſſelnder Darſtellung ein Bild der | det, Pigler, Dumml und Andere beigetragen 
deutſchen Sprade. Diefes Buch wendet fidh | haben, ausgefallen, Einer erhebenden Unter: 
an die Gebildeten jeder Nation; es zeichnet haltung dienen „Das Schulzeugnis* von 
in großen fräftigen Zügen die äußere und Nofegger, „Der arme Hans“ von Marriot, 
innere biftoriiche Geftaltung des gewaltigen, ‚Die in's Herz greifende Erzählung von 
weltbeherrſchenden deutſchen Idioms. Der | üller: Guttenbrunn „Der Sohn feiner 
Berfaffer beginnt mit einem allgemeinen Mutter" und Chiavacci's „Ein Wiener 
Theile, in dem er, von der vorgermanifchen | Jahr“, weldes in jedem Wiener taujend 
Zeit ausgehend, das Germanifche und feine | liebe Erinnerungen wedt und jeden Nicht: 
Unterabtheilungen, fowie die althochdeutjche, | Wiener raſcher in das Wiener Familien: 
mittelhochdeutiche und neuhochdeutſche Zeit leben einführt als einige Jahre Aufenthalt 
— letztere natürlich am ausführliften — in der Kaiferftadt. Dazwiſchen eingeftreut 
behandelt. Sehr intereffant ift unter ande: | finden fi dichteriiche Gaben von Jenſen, 
tem dasjenige, was in dem zweiten Ab: Wildenbrud, Milow, Baumbach, Saar, 
ſchnitt über Polls: Eiymologie, über die | Dahn und eine mufifalifche Gabe von Heu: 
poetiiche und die Studentenfpradhe, über den | berger. Dann bringen Kurzgefaßtes, Wohl: 
Bedeutungswandel und die Neufhöpfung | Hemeintes, Beherzigenswertes Deininger, 
von Wörtern gefagt wird. Gin dritter | „Ueber Berufswahl”; Mazal, „Das Ver: 
Abſchnitt prüft die Einwirkung fremder | fiherungswejen“; Dr. L. W., „Ueber Eur: 
Eprahen auf das Deutſche. Intereffant und pfuſcherei und Geheimmittelſchwindel“. Fir 
unterrichtend ift der jehste Abſchnitt, der | den praltiihen Patriotismus der Deutſchen 
fig mit den Epigranımen beidäftigt. Ihreibt Hofmann: Wellenhof „Vom Allge— 
REN V, | meinen deutjchen Schulverein zu Berlin“ 


und Dr. Mareih „Der Deutihe Schul: 
Die Schweij. Von Dr. 3. 3. Egli. 


F. Zempsty. 1886.) 


» | verein in Wien“. Tem letzteren Auflage 
(Leipzig: ©. Freitag. — Prag: F. Tempsty. |ift ein „Verzeihnis der Ortsgruppen“ an: 


1886.) gehängt. Der Kalender wird ein „Jahrbud 


Ein herrliches Stüd Erde wird uns der Deutfchen in Defterreih“ werden. 


in dem obengenannten Büchlein vorzüglid 
geihildert. An der Hand des Züricher Uni— 
verfitätsprofefjors Dr, Egli durdmwandern 
wir die gewaltigen Alpenlandſchaften. Ne« 


Deulfcynationaler Kalender für Defter: 


ben Berg und Thal, See, Strom und Fluß | reich auf das Jahr 1887, geleitet von Karl 


lernen wir daS kräftige Boll der Schweizer 
fennen und lieben, Wir gewinnen einen 
Einblid in die fernen Zeiten, in denen 
längft untergegangene Böller hier ihre 
Wohnftätten hatten, V 





W. Gawalowski. 2. Jahrgang. (F. Goll 
in Oraz.) 

Diejer Kalender bringt ein vollftändis 
ges Kalendarium mit allen wichtigen Be: 
ftimmungen, Eine Zierde des Kalenders ift das 
ihm beigegebene, reich und ſchön ifuftrierte 


160 


deutſche Jahrbuch, das auch diesmal durch 
gediegene Beiträge namhafter nationaler 
Autoren fih einen bleibenden literarischen 
Wert zu fihern jucht. In bunter Reihenfolge 
wechſeln hier nationale Erzählungen, Auf: | 


ſätze und begeifternde Dichtungen von fol« | 
H. Beheimer, F. Dahn, 
E. Fels, K. W. Gawalowski, R. Hamer: | 


genden Autoren: 


ling, F. W. Hausegger, N. Keil, F. Keim, 
A. A. Naaff, A. Ohorn, A. — v. 
Rainer v. Reinöhl u. U. m. Die Rubrik 
„Nationales Allerlei" enthält außerdem Jahle | 
reiche anregende Aufjäge über die verichie: 


denen deutichen Schulvereine in und außers | 


halb Defterreihs, den deuifchen Böhmer: , 
waldbund, den R. Wagner: Verein, den 
deutihen Spradverein u. ſ. w. V. 


Das deutfche Reich rüſtet ſich 
neuen Eroberungszuge in den öſterreichiſch— 
ungarifhen Gauen. Bei demjelben ift es 
fogar auf unfere allertheuerften Güter abge— 
fehen — nämlich auf die Herzen unferer 
Frauen, Sie zu gewinnen, erfcheint die im 
deutichen Reich in ſchon 100,000 Eremplaren 
verbreitete Hausfrauenzeitung „Fürs Haus‘‘ 
von 1. October ab wöchentlich in einer 
neuen Öfterreihifchen Ausgabe, melde 


niffe zugefchnitten — unferer Küche und | 
unferen hauswiriſchaftlichen Eigenthümlich- 
leiten voll und ganz Rechnung tragen wird. 
Sie dürfte weſentlich dazu beitragen, die | 
Bande noch enger zu ſchließen, welche ung mit 
unjeren deutfchen Brüdern und uk 
jenfeitS der Grenze verbinden. 


Dem Heimgarten ferner zjugegangen: 

Edelweikkönig. Eine Hochlandsgeſchichte 
von Ludwig Ganghofer. 
Adolf Bonz & Comp. 1886.) 

Höhenfeuer. Neue Geſchichten aus den 
Alpen von B. K. Roſegger. (Wien. A. 
Hartleben, 1886.) 

dunger Nadhwudjs. Roman von J. M. 
Doſtojewskty. Aus dem Ruſſiſchen über: 
jegt von W. Stein. (Leipzig. W. Friedrich. 
1886.) 

Ferdinand Schmidt. Ein Bild feines 
Lebens und Wirfens als Jugenderzieher, 
Volkspädagoge und Schrififteller. Feſtſchrift 
zu feinem 70. Geburtstage von Hermann 
Jahnke. (Berlin. Senſenhauſer'ſche Ber: 
lagsbandlung. 1886.) 

Elias Regenwurm. Eine moralijche Ge: 
ihichte für Große von H. d'Altona. (Anna: 
berg. J. v. Groningen.) 


zu einem 


(Stuttgart. | 


| Der Rirgife. Eine Erzählung von ®uftav 
Zielinski, überfegt von Sigmund Lu: 
domir. (Holics.) 

Lieder und Bilder von J. J. Honeg: 
ger. (Leipzig. W. Friedrid. 1887.) 

Arma parata fero! Ein fociales Ge: 
dicht von John Henry Maday. (Zürich. 
Verlagsmagazin 1887.) 
| Teldblumen. Gedichte von Julius Bo: 
janowski. (Wolfenbüttel. Julius Zwißler, 
, 1886.) 

Dugendlieder von Ernft Rethwiſch. 
Morden. H. Fiſcher Nachfolger. 1886.) 

Dämmerungen. Cine Dichtung von 
Otto von Leirner (Stutgart. Wolf 
Bonz & Comp. 1886.) 

Bofef Rih’Gedidte, L86B— 1881. Deutſch 
von Dr. Joſef Steinbach. (Wien. Georg 
Szelinsti. 1886.) 

Deutfde Dichtung. Von Karl Emil 
Franzos. Heft. (Stuttgart. Adolf 
Bonz & Comp.) 

Taſchenkalender für die elegante Damen- 
welt 1887. (Graz. Leylam.) 

Blattkalender für 1887. (Graz. Leykam.) 

Brieftafhenkalender 1887. (Graz Ley: 
lam.) 

Der Wiener Bote. Illuſtrierter Kalender 
für Stadt und Land auf das Yahr 1887, 





ganz auf öfterreichifcj-ungarifce Berhätt, Lon Karl Elmer (Wien, R. v. Wald: 


heim.) 
Deutſcher Yolkskalender 1887. Redigiert 
von Paul Lindenberg. (Beerfelden. 
Meinhard.) 


1 


| 


N 


Voſtkarten des Heimgarten. 


i 
| X X €3 wird angelegentlihft erfucht, 
Manuſeripte erft nah vorheriger Anfrage 
einzujenden. Für unverlangt eingejdidte 
Manufcripte bürgen wir nidt. 

&h. 9., Graß: Der Aufſatz „Die erfte 
‚Schwalbe in Defterreih” gründet fi auf 
perfönliche Mittheilungen von Anaftafius 


Grün. 

?. T. Eilli: Wird erfcheinen. Ihre 
; Politik: „Wohlwollen für jeden redlichen 
Menfcen“ unterjchreiben wir. 


©. H. M., Heutlingen: Daß an dem, 





was Sie Bildung nennen, alles Heil liegt, 


ließe ſich füglich beftreiten. Goethe jagt, 
nur die ungebildete Seite in uns jei es, 
von der ber wir glüdlid find. Zum Glüde 
hat jeder Menſch' jold eine ungebildete 
Seite. 

x Ter Übdrud der Erzählung: „Jalob 
der Letzte, eine Waldbauerngejhicdhte aus 
unferen Tagen“, von P. K. Rojegger, be: 
ginnt im Jännerheft. 


Für die Redaction verantwortlih P, A. Bofegger. — Druderei „Leylam“ in Graz: 


December 1886. 


— - 
8. nA. Da in 


X1. Jahrg. 





Die Reife nad Bethlehem. 


Ein Weihnachtsgruß von P. R. Rofegger. 


Ri der Werkftatt fa ein junges | 
—Weib und wirkte an einem 





Rod. Sie trug ein graues, faft falten |tenen Vollbart herein. 


lojes Kleid, das am Halſe eng ge— 
ſchloſſen und um die Mitte durch ein 
Band loſe zufanmmengehalten wurde. 
Ihre langen Haare giengen in weichen 
Wellen nieder über Naden und Schul— 
tern, jie waren nicht ganz ſchwarz, ein 
zarter Goldglanz durchleuchtete es wun— 
derbar und das Angeſicht war fo ſchön, 
daß ich micht verfuchen kann, es zu 
beihreiben. Ein Voltstied hat feitden 
von dieſem Weibe geſungen: 
Mutter, blutjung; ſchön weiß als wie 
Kreiden, Schön mild als wie Seiden, 
ein wunderſchön Weib, demüthig dabei.“ 

Die Arbeit war ihr jet im den 
Schoß gefunten, mit ihren großen, 
ſanften Augen ſchaute fie vor ſich Hin 
und ſann. 

Draußen auf dem Eftrich klatſchten 
die Sandalen und eine männliche 
Stimme rief: „Maria, bift Du da?“ 


Rofrgger's „‚Heimgarten‘‘, 3. Heft, XI. 


en 


Hierauf trat ein ftattlicher Mann mit 
‚einem bereit grauenden, kurzgeſchnit— 
Im Arbeiter— 
fittel war er, den langen, viereckigen 
Stab, den er wie einen Stod in der 
Hand getragen, lehnte er zu anderen 
Werkzeugen an die Wand. 

„Es ift Feierabend ?" fragte Maria. 

„Und es kommen Feiertage,“ ſagte 
der Meifter. „Ich Habe dem Bachem 


geſagt, daß fein Schrank in vier Tagen 


„Die | 


fertig fein ſoll. Das erftemal, daß 
ih nach schlechtem Handwerkerbrauch 
mein Wort nicht Halten kann, aber 
Kaiſers Befehl geht voraus.” 

„Hat der Staifer eine Beftellung 
gemacht?“ fragte Maria. 

„Er Hat mich jelbft beitellt,“ ant— 
wortete der Mann, „wir werden eine 
Ihöne Neife machen, Maria; Du wolls 
teft ja auch Schon lange meinen Hei— 
matsort fehen, die Stadt Davids.” 

„Ich weiß nicht, Jofef, was Deine 
Nede bedeutet,“ jagte Maria. 


11 


— 


„Ich will eben den alten Feigen— 
baum vermeſſen,“ erzählte Joſef, „als 
unten in der Stadt die Hörner blaſen. 
Mas muß das bedeuten, denke ich. 
Geht Salomon, der Sohn Affims, 
vorüber und xuft mir zu: Joſef. 
fomme nur mit, das ift auch etwas 
für Did. Wir gehen hinab. Ganz 
Nazareth ift verfammelt und über den 
Platz reitet auf hohem Schimmel ein 
Danptmann, der verkündet es unter 
Poſannenſtößen: Der römische Kaifer 
will feiner Untertfanen Zahl erfahren, 
darum Hat unſer hoher Herr, der 
Statthalter Eyrinus, befohlen, daß 
Jedermann von Juden, Samaria und 
Stanaan im feinen Geburtsort komme 
und ſich aufichreiben laſſe am Tage, 
wenn die Sonne am tiefften fteht, 
oder die neun Tage darnad. Wer 
es nicht thut, der fol hart beitraft 
fein an Gut und Eigen. — So ift es 
verfündet worden.“ 


Joſef, der Meifter, wollte einen 
Freudenſchtei thun nach dieſem Worte 
Mariens. Sonſt, heißt e3, ließen junge 
Frauen ihre älteren Männer gerne 
ziehen auf Gottes Wegen und bejchieden 
fich mit dem ftillen Daheim und öffneten 
ihre Thür mit Freuden dem rüftigen 
Boten, der Gruß und Bericht will 
bringen von dem Fernen. In 
mancher Stunde ſchon, wenn der 
Meifter es verfäumt, durch muthiges 
Schaffen in der Werkftatt böfe Grillen 
abzuwehren, war ihm bange geworden 
ob des jungen MWeibes, das er Sich 
angemaßt hatte. Mißtrauen ſchlich in 
jein Herz, Mißtrauen gegen fich jelbit, 
ob er wohl ftarf genug fein würde, 
der Eiferfucht Anwandlung allzeit ſieg— 
reich zu widerftehen. Wie wäre ihm 
der Boden des Yudenlandes, das er 
nun durchwandern follte, heiß gewor— 
den ter den Füßen, wenn er feines 
Meibes gedachte. . . Selig war er 


„Die fremden Derren bringen vieb darum, als Maria fagte, fie wollte 


Laft und Beichwerden auf,“ verjeßte 
nun Maria. „Gott weiß ja die Zahl 
ſeiner Geſchöpfe.“ 

„Und der Kaiſer iſt Gott auf 
Erden, darum will er ſie auch wiſſen.“ 

„Du willſt nach Bethlehem reiſen, 
Joſef?“ 

„Weil 
reiſet.“ 

„Und willſt mich in Kangan allein 
laſſen — jetzt — ?“ Leiſe in ſanfter 
Wehmuth war dieſe Frage gethan. 

„Mein liebes Gefpons,“ ſagte 
Joſef und neigte fich auf fie nieder 
md zog ihr Haupt an feine Bruft, 
„wenn Zwei um mich ringen, 
gewaltige Auguſtus und die janfte 
Maria, da wird wohl die fanfte 
Maria ftärker fein. Du haft Leid, ich 
bleibe bei Dir.“ 

„Mein, treuer Mann, fo will ich 
es micht gemeint haben,“ ſagte fie; 
„unfere Mutter Eva hat ihren Mann 
verleitet zum Ungehorfam gegen feinen 
Herrn; ich will es beſſer machen. Gehe 
nach Nazareth, in die Stadt Deines 
großen Ahnes David, ich gehe mit Dir. * 


Bethlehem micht zu mir 


der 
ab von dem ftillen Nazareth. 





| 





mit ihm gehen. Freilich wohl blidte 
er ſie fragend an, ob fie den weiten 
Weg wagen dürfe in folcher Zeit. 
„SH will mich ja auf unſere 
Eſelin ſetzen und wie eine Königin 
vorüberziehen an dem Zempel Salo— 
mons zu Jeruſalem und hinaufreiten 
zur Stadt Davids, der gebenedeiten.“ 
Sp ſprach Maria in freundlicher 
Schaltheit, und jo ward es angeordnet. 
Der arınen Handwerfsleute Heiner 
Haushalt war bald beftellt, die Hütte 
leiht verwahrt, der geringe Spar 
pfennig im Mantelfad des Joſef wohl 
gelichert, und fo reifeten fie am fünften 
Tage nah der Öffentlichen Vorrufung 


Als fie am Brunnen des Tempels 
vorbeifamen, an welchem Maria jo 
oft Waſſer geholt Hatte und an welchem 
auch jet Weiber fanden, die fteinernen 
Krüge auf ihren Köpfen, den Davon— 
gehenden nachſchauend, kam von der 
Treppe eines Daufes eine ftattliche 
Frau niedergeftiegen, fieng die Ejelin, 
auf welcher Maria ſaß, am Riemen 
und jagte: „Ejelin, ich bringe auch 


163 


Dir noch den Segen des Herrn.‘ trugen fie zwar gerade einen Todten 
Strauchle nicht und ftürze nicht auf aus dem Thore. Die Mutter des Ver— 
den fteinigen Pfaden von Samaria! ftorbenen weinte fo ſchmerzlich, daß 
Mögeft du Kräuter finden auf deinen, Maria vom Eſelein abjtieg, zu ihr 
Wege, um dich zu ftärken, und klare hintrat, um fie zu tröften. „Ex wird 
Quellen, um di zu laben. Und wenn leben,“ fagte fie, „die Gruft gibt ihn 
du mir die Schweiter mwohlbehalten zurück.“ Man blidte fie an und wußte 
zurüdbringeft, fo follft du fieben Tage! nicht, was fie meine. Maria wußte 
bei mir zu Gaft fein und eſſen und ſelbſt micht, wie ihr ein ſolches Wort 
trinfen nad Herzensluſt.“ — Dann | ‚auf die Zunge gefommen war und 
wandte fie fich zu Joſef und ſprach: fie fagte nun: „Bei Gott ift nichts 
„Klug ift es, daß Du Dein Beil mit unmöglich.“ 
Dir trägft gegen die Amalekiter |. Damm zogen fie weiter. Als fie 
„Nicht der Wegelagerer wegen trage | zum Fluſſe Kifon kamen, der zu diejer 
ich mein Beil mit mir,“ antwortete Jahreszeit in mächtigen Fluten her— 
Joſef, „fondern um den Steig zu niederranfcht aus den Schluchten des 
roden in den Büſchen von Samaria, | Gilbongebirges, wollte die Ejelin ein— 
und um eine Hütte zu bauen im der | mal trinken. 
Wildnis von Sulem.” „Das iſt ein guter und nach— 
„Ich follte Dich nicht Hinziehen | ahmenswerter Gedanke,“ ſagte Joſef, 
laſſen auf fo unwirtlichen Wegen,” | „wir wollen uns unter den Schatten 
fagte Schweſter Elifabetd mun zu der Palmen fegen und ſehen, was fi) 
Maria. „Du bift die Gefegnete unter in meinen Sade findet. Datteln, das 
den Weibern. Aber felig bift Du iſt gut. Brot, das ift noch beſſer. 
zu preifen, denn Du wirft den Tempel, Und ein Srüglein mit Wein, das ift 





des Herrn jehen.” am beiten. Gelobt ſei Gott.” 
„Der Friede fei über Nazareth,“ „Er ſei auch gelobt, wenn er jtatt 
fagte Joſef. Datteln Diſteln, ftatt Brot Steine 
„Der Friede fei mit Dir, Schwefter | und ftatt Wein Wafjer beſchert,“ ver— 
Eliſabeth!“ fagte Maria. ſetzte Maria. 


„Und der Friede —“ Eliſabeth „Und er ſei auch gelobt, wenn er 
ftredte die Hände aus, aber das Wort | uns an Datteln Trauben, ftatt Brot 
fonnte fie nicht vollenden, weil fie, Fleiſch und ftatt Wein Milch und 
weinte. Honig ſpendet,“ jagte Joſef. Sp plau— 

„Und jetzt vorwärts, Eſel!“ rief derten ſie und erquickten ſich. Vom 
Joſef dem Thiere zu, neben dem er, Gilbongebirge ſtarrten die dunklen 
es am Riemen führend, dahinſchritt. Bafaltfeljen nieder, Hinter dem Tabor, 
So zogen fie thalwärts. der dort im ſonnigen Dufte halbrad- 

Das war im Morgenzwielicht. Als förmig aufragt, leuchteten die weißen 
fie eine Strede auf der fruchtbaren, | Gipfel des Heron. 
thaukühlen Ebene dahingerwandert wa— „Da drüben hinter diefen Bergen 
ren, hielt Iofef an, wendete fich um, ift der Jordan und der See Gene— 
daß er noch einmal Nazareth fchaue, | zareth und die jhöne Stadt Mag— 
wie es jet im Sonnengold fo weiß dala, wo ich drei Jahre gearbeitet 
und ſchimmernd lag am Abhange des habe,“ berichtete Joſef, der gerne 
grünen Gebirges. Maria ſaß ftifl der= | zeigte, daß er ſchon mand ein Stüd 
gnügt auf ihrer Ejelin und ftreichelte in der Welt herumgewefen war. „Und 
lie am Kopfe. dort unten, wo dieſes Waſſer, an dem 

Am erſten Tage war es ein froh⸗ | wir ruhen, durch das Engthal bricht, 
liches Ziehen. Bei dem Städtchen fannft Du zwijchen der Schlucht ein 
Naim, an welchem fie vorüberfamen, | lichtgraues Streifchen ſehen. Es ſchim— 


11? 





164 


mert wie Taubengefieder. Das ift das 
große Meer, über welches die römi— 
jhen Herren herübergekommen find, 
um den Stamm Juda zu unterjochen.“ 

Maria entgegnete nichts. Ihr Sinn 
war nicht der äußeren Welt zugefehrt, 


fondern der inneren. Im feligen Träus | 
men verfunfen ließ fie fich von dent 
treuen Gatten führen, von dem ge— 


duldigen Thiere tragen hin über die 
rauhen Steppen und Steinberge von 
Samaria. 

In der erjten Nacht rafteten fie 
in einer Herberge zu Ginda; am 
zweiten Tage überftiegen fie die Aus— 
läufer des Karmelgebirges, kamen nad) 
Bethula und fanden Herberge zu 
Sichem, der alten Stadt, wo einft — 
wie Joſef erzählte — die Könige von 
Iſrael Hof gehalten. Die Stadt lag 
zwifchen hohen Bergen. Die Gegend 
war theils felſig, theils mit üppigen 
Gärten beftanden. Delbäume und 
Maulbeerbäume überall, frifches Grün, 
jelbft die Steine find mit grünem 
Moos bewachſen, aus allen Spalten 
jprießen Pflanzen, raufchen Hare Quel— 
len, in allen Thalungen riefeln helle 
Bächlein, in welden die Sonne glißert. 

„Das ift ja das Land,“ fagte 
Joſef, als er feinen Blick Hinfliegen 
ließ über die Gegend, „melches Gott 
am meilten lieb hat auf Erden.“ Als 
er diefe Worte gejagt Hatte, Hang die 
Stimme fo feltfam hell an den Berg: 
hängen Hin. Weit drüben auf einer 
Berghöhe ſtand ein Hirt und feine 
Geſtalt ragte wie ein winziges Säul— 
hen in den blauen Himmel hinein. 
Bon diefer Geftalt fam eine Stimme 
herab zu den MWanderern: „Fremd— 
linge! Gedentt, daß Ihr auf heiligem 
Boden wandelt. An dieſem Berge ift 
die Bundeslade geftanden und Yofua 
hat von hier aus die Geſetze ausrufen 
laſſen über Iſrael!“ 

Ein heiliges Schauern erfaßte den 
Zimmermann aus Nazareth und er 
jagte zu feiner Gefponfin: „Maria, 
das find die tönenden Berge, in wel— 
chem der Menjchen Rede ſechsmal heller 


Ichallt al3 anderswo, und hier will 
ih rufen: Ihr Berge und alle Hügel, 
ihr Fruchtbäume und alle Gedern, 
lobet den Herrn! Lobet ihn, Sonne 
und Mond! Lobet ihn, alle leuchtenden 
Sterne!“ 

Als fie weiter zogen, kamen fie zu 
einer alten Eyfterne, in welche Stein— 
hen Hinabriefelten, als Yofef auf den 
Schutt des Randes trat. 

„Warum willft Du bier trinken 
und nicht an der lauteren Quelle dort 
am Berg?“ fragte Maria. 

„Dies ift der Brunnen des Jakob,“ 
ſprach Joſef, „bier hat der Stammes 
vater feine Herden geweidet, hier hat 
er den Brummen gegraben, weil ihm 
‚die Nachbaren ihre Quellen verjagt 
| haben. Und wenn Du dort zwischen 
‚den Obſtbäumen durchblickeſt, Maria, 
'fo wirft Du die Mauern vom rabe 
—* Sohnes Jalob ſehen, den feine 
Brüder nach Egypten verkauft hatten. 
Er ift ein hoher Herr geworden, er 
hätte ein herrliches Grabmal, wie es 
‚die eghptiichen Könige haben, können 
errichten laffen über feinen Gebeinen; 
er bat im der lieben Heimat ruhen 
wollen.“ — 

Am dritten Tage verließen unfere 
Wanderer das ſchöne Thal von Sichem. 
Sie famen in ödes Gebirge, deſſen 
Höhen mit einem weißen Neif iiber: 
zogen waren. Auf einer folchen Fahlen 
und fteinigen Höhe that Joſef aus 
den Bündel ein Wollentuch und 
'widelte es ſorgſam um fein Weib, 
das ein wenig fröftelte. Dann wen— 
dete er fein Auge zurüd auf die 
weiten Gegenden, durch die fie her— 
gekommen. Breite Thäler und garten— 
reiches Hügelland. An den Berghängen 
und in waldigen Engthälern halb ver- 
ſteckt lagen im einzelnen ſchimmernden 
Punkten und in Gruppen die Ort— 
Ihaften. Viele Berge hatten Felskämme 
‚und in fernften Hintergrunde, hoch— 
‚aufragend, als wären es blauende 
Wolken des Himmel mit weißen 
Rändern, fand das Schneegebirge 
‚ Libanon. 











Plötzlich, als ob fie aus den 
umberliegenden Steintlögen herausge- 
Iprungen wären, ſtanden drei Männer 
da. Obwohl ihre Häupter in Tücher 
geichlagen, waren ihre Antlike tier 
gebräunt von der Somme. Um jo 
ſchärfer traten ihre weißen Zähne und 
das Weiße in den Augen hervor; die 
Augen loderten im morgenländijcher 
Glut. So hielten fie nun ihre langen 
Speere gegen unſere NReifenden und 
forderten von Joſef das Bündel, von 
Maria den Mantel und die Efetin. 


dahinkletterten, wobei Maria von der 
Eſelin herabgeftiegen war, damit jich 
das erſchöpfte Thier leichter weiter- 
helfe auf den fantigen Steinen, ver- 
düfterte Fich der Himmel und Nebel 
ſeukte fich nieder von den Gipfeln der 
Berge. Kalte Tropfen jchlugen den 
MWanderern in das Geficht und Joſef 
that noch die Beinertung: „Da gehen 
wir den heißeren Himmelsſtrichen ent— 
gegen und es wird immer älter. 
Winterszeit.“ 


Sie verwahrten fi in ihre Män— 


Joſef war wohl einigermaßen ver= tel. Joſef drang, daß fi Maria wie 


wundert über dieſe Begegnung, aber der auf das Thier ſetze und tröftete 
nicht erfchroden. „Für Euch,“ ſagte die Eſelin, daß es nicht mehr weit 
er umd legte die Hand an den Stiel wäre zur Herberge in Bethel. „In 


feines Beiles, welches im Gürtel ftaf, 
„für Euch hätte ich das. Aber wir 
wollen Frieden, und Gottes Zorn iſt 
ftärter als ich alter Mann. Wir find 
arme Lente und reifen nach Bethlehem, 
daß wir uns bejchreiben laffen nad 
dem neuen Geſetz. Wir müßten ums 
fonımen unterwegs, wenn Ihr uns 
diefer Dinge berauben wolltet. Laßt 
uns im Frieden ziehen.” 

Die Müftenmänner mußten fait 


laden, als ſich dieſer Mann mit 
janften Worten retten wollte. Sie 


riffen ihm von der Schulter das Binz 
del und Einer ftredte feinen Arm aus 
nah dem Mantel Moriens, da hielt 
er inne und wich zurüd. 

Ob ihn eine Schlange geftochen ? 
fragten feine Genoffen. 

„Berfucht Ihr's! Verſucht Ihr's!“ 
rief der Räuber, „ich kann dieſem 
Weibe nichts zu Leide thun. Ein ſol— 
ches Angeſicht habe ich noch nicht ge— 
ſehen.“ 

Was ſie ſchon in der Hand hatten, 
das warfen fie zurück und fluchtartig 
eilten fie davon. 

„Der Herr behiütet die Fremd— 
linge; den Weg der Böſen verdirbt 
er. Unſere Rettung geihah im Namen 
des Herrn!” jo betete Joſef mit den 
Worten Davids. Dann zogen fie weiter. 

Als fie an den felligen Hängen 
des Azir den wüſten Steig müheſam 


Bethel,“ ſagte er, „ist der Himmel 
offen, fteigen die Engel auf und nieder 
am einer Leiter. Bater Jakob Hat’s 
geſehen.“ 

Der Himmel war freilich offen 
‚und jo famen jie ganz durchnäßt im 
Städtchen an. 


\ Der Wirt in der Herberge fragte, 
| bevor er ihnen den Abendimbiß herbei— 
tragen ließ, ob fie Geld hätten, ihn 
zu bezahlen. Er pflege vornehme 
‚Herren zu fehen unter feinem Dad); 
‚dor wenigen Tagen jei Herodes der 
‚König und fein Hof vorübergeritten 
und fie hätten vier Krüge Wein ges 
‚leert vor feiner Thür. 
| „So viel leeren wir nicht,“ fagte 
Joſef, „aber das Wenige, was wir 
‚bedürfen, können wir vergelten.” 
Weil fih der Wirt aber doch vor 
einen „vergelte es Gott“ Fürchtete, 
jo ließ er fich die römischen Münzen 
zeigen, die Joſef in feinem Sad hatte. 
Solhermaßen ift der Ort, wo 
Gott dem Grzvater Jakob die Ver— 
heißung gethban: Das Land, worauf 
Du ruheſt, will ich Dir geben und 
durh Did und Deinen Samen follen 
alle Geſchlechter auf Erden gejegnet 
jein! nicht gerade erbaulich für unfere 
Wanderer ausgefallen. Doch erhoben 
fie fih am nächſten Frühmorgen friſch 
und munter von ihrem Lager und 





166 


zogen über die Höhen von Ephraim 
weiter hinab in's Land Judäa. 
Joſef hatte die Abficht gehabt, die 
nächte Nacht in der heiligen Königs— 
ftadt Jeruſalem zuzubringen; allein 
Maria meinte, wenn die Zeitangaben 
mit den Wege ſtimmten und die Efelin 
auch an diefem Tage noch fo munter 
trabe wie an den früheren, jo könnten 
fie bis zum Abende Bethlehem er- 
reihen. Es bange ihr vor der großen 
Stadt Jerufalem und fie fürchte, eine 
Nachtherberge in derjelben würde ihren 
Neifepfennig allzu empfindlich angrei— 
fen. Es ſei noch lange bis zum Tage 
der Nüdkehr nach Nazareth und man 
wiffe nicht, was jich zutragen könne. 
Das war dem guten Jofef nicht 
ganz zu Sinne Er hätte in Jeru— 
jalen feinem Weibe gerne den Tempel 
gezeigt, das goldene Haus, bie Gräber 
der Könige und Propheten, und ihr 
gerne dargethan, wie wohl er Befcheid 
wife in der Stadt Sion. Was den 
Zehrpfennig anbelange, jo.babe er in 
Bethlehem einen Verwandten, der es 
ih zur Freude fein laffen würde, 
ihnen weiterzubelfen. Weil er jedoch 
ein braver Ehemann war, fo befolgte 
er den Rathichlag feines Weibes und 
jeßte das Reiſeziel dieſes Tages nad 
Bethlehem. Als fie über die Steinhöhen 
von Gibeon hinauszogen, an Heinen 
Menfchenftätten vorüber, die Rannah 
und Gibeah hießen, fahen fie jenfeits 
eines ziemlich tiefen kahlen Thales 
den hellgrünen Delberg und vor ich 


aller Art von Laften belebten den 
slaß. 

Um die Mittagsftunde war's, als 
fie einzogen in die Stadt. An den 
Duaderftufen des Tempels ließen jie 
fih nieder, um auszuruhen und das 
Treiben der Menge zu betrachten. Als 
fie in’s Heilige ded Tempels traten, 
ergriff Maria die Dand Joſef's und 
fagte: „Verweile nicht, es wanfen die 
Pfeiler I“ 

„Die weite Reife hat Dich auf— 
geregt, Maria,“ fagte Jofef, „es wäre 
befier, heute in Jeruſalem zu ruhen 
und morgen den Weg fortzujeßen.“ 

„Mein lieber Geſpons,“ verſetzte 
Maria, „es ift ein wunderliches Spiel, 
ich jehe die Mauern auf mich fallen ; 
verlaffe mich nicht, geleite mich hinaus 
in’s freie Land. Ich bin nicht müde.“ 

Sie machten fi wieder auf die 
Wanderung, doch fie verfehlten in den 
Gewirre der Manern und der Menge 
die rechte Straße, und anftatt hinab— 
zufteigen in das Thal Hinnom, ge= 
langten fie hinaus auf einen öden 
felfigen Hügel. Ein Mann war bier 
mit Beil und Hammer thätig, auf 
einen langen Dolzbalfen einen Quer: 
balfen zu nageln. 

„Saget mir, Diener Gottes, ift 
das der Weg nach Bethlehem ?* fragte 
Joſef den Arbeiter. 

„Das ift nicht der Weg nad 
Bethlehem,“ antwortete jener und trieb 
einen Nagel in die Balken, die kreuz— 


— faft erfchredend nahe — die ftolze weile übereinander lagen. „Das ift 
Königsftadt Jeruſalem. Sie breitete | Golgatha.“ 
ih auf dem flachen Bergrüden bis | „Und was ſoll das werden ?* 
hinab in das Thal des Kidron, und | fragte Jofef, den die Arbeit des Zins 
mitten aus dem Gewirre der unzähl- |mermanns anheimelte, Maria jedoch 
baren Gebäude ragte Hoch und glän- |zerrte ihn mit fich fort: „Joſef, mir 
zendweiß der Tempel Salomons. graut dor diefem Holz. Laß uns nad 
Joſef ftand ftill, ftredte die Arıne | Bethlehem ziehen.” 
aus und betete: „Jehova baut Jeru— 
falem, die Zerftrenten Iſraels ſammelt 
er! Preiſe Jerufalen, preife den Herren! 
lobe ihn, Zion!“ 
Der Weg theilte ſich in viele Arme 
und Sameeltreiber und Gjelführer mit 





— — — — — — — — — 


Erſt als fie auf der Straße nad 
Hebron zogen und die SKönigsftadt 
hinter dem Felſen des Elias ver— 
| funten war, athmete Maria wieder 


— 1 ER 


auf. Joſef begann bereits, fich bei ſeinem Kranz und fang mit weicher 
jedem Baum und bei jedem Stein in | Stimme folgendes Lied: „Siehe, ſchön 
Jugenderinnerungen zu ergehen. Einen |bift Du, meine Freundin! Deine Angen 
breiten Stein, der unter Oelbäumen | find Tanbenaugen aus lodenden Haar! 
lag, bezeichnete er als das Grab der Gleich find Deine Zähne einer Herde 
Nabel, des Weibes Jakobs. Auf den | gefhorener Schafe, die aus dem Bade 
Matten ringsum weideten Lämmer steigen und fruchtbar find! Es gleis 
und Schwarze Ziegen. Nach drei Stun- | hen Purpurknoſpen Deine Lippen und 
den eine Wendung des Weges, und Deiner Brüfte Paar jungen Gazellen, 
vor den WReifenden lag, hoch auf dem die unter Lilien weiden! Getroffen 
Verge, das leuchtende Bethlehen. haft Du mein Herz, wie ſüß, o bräut— 

Das war am Abende des vierten liche Schweiter, ift Deine Liebe! O 


Tages nach ihrem Auszuge aus Na: füfje mich mit den Küſſen Deines 
zareth. Mundes, denn köſtlicher iſt Deine 


Liebe als Wein!“ 
Leiſe klang die Schalmei durch 
den ſüßen Frieden des Abends. Nach 


„Das iſt der Tag, den gemacht 


Jehova! Laſſet uns jauchzen, uns über 
ihn erfrenen !“ mit diefem Gruße zog 


Joſef, der Sohn Davids, ein in die 
Stadt feiner Väter. 


Maria Jah vor dem Stadtthore 


einer Weile fuhr der Sänger fort: 
„Wer ift Die, die hervorgeht, wie 
Morgenröthe! So ſchön wie der Mond, 
wie die Sonne fo rein! Der Schlange 
zertritt fie das Haupt, der Eva lieb- 
lichſte Tochter!“ 

Als Maria fo daſaß und auf Joſef 





unter den breiten Fächern einer Palme 
und hatte den Riemen der freuen wartete, gieng ein leiſer Hauch don 
Sfelin im der Hand. Das Thier Weh durch ihr Herz. Enger ſchlang 
arafete neben dem Wege. Das junge Ne um fich den Mantel und that einen 
Weib blidte hinaus in die abendliche DÜE gegen den Himmel, wo ſchon 
Gegend, die ihr fremd war und doch einige Sternlein fanden. Waruni 
fo traut, weil fie ja die Heimat ihres | Jeſef nicht fommt? Gin Bach Hatte 
Mannes ift. Still und feierlich lag | rüber geriefelt im Thale, den hörte 
die Stadt hier im Vergleiche zu den ſie jegt nicht mehr. Aber jenfeits des- 


lärmenden Jeruſalem. elben, an einem wilden Weinſtock 
ſtand ein Mann, der erhob, als der 
' Liebesfänger ſchwieg, feine Stimme 
und fang: „Aus alas’ Stamme 
‚wird ein Reis entjproffen; auf dem 
Sprößling wird ruhen der Geift 
Gottes! Gerechtigkeit it feiner Lenden 
Gürtel und Wahrheit der Gürtel jeiner 
Hüfte!“ 

„Selig, felig!* rief unter dein Oel— 
baum der Liebesfänger. 

„Selig, ſelig!“ wiederholte jener 
am Weinftod. 

Der Jüngling fang: „Selig, felig 
werden fie preifen alle Gejchlechter!“ 

Ein feltfamer Schauer gieng durch 
den Leib Mariens; fie wußte nicht 
warum. 


Joſef war in die Stadt gegangen, 
um das Amt und die Zeit der Auf— 
Ichreibung zu erfahren und ſich um 
eine Nachtherberge zu kümmern. Er 
wollte lange nicht zurückkommen und 
Maria verfank in kräumende Betrach— 
tung. Ueber den Bergen glühte ein 
Ihönes Abendroth; auf den Höhen 
fanden Pinien und Feigenbäume, die 
firedten ihre breiten Kronen in den 
Dimmel hinein. Auf den dämmernden 
Weiden ſprangen und ſcherzten noch 
die Lammer und auf grauen Steinen 
jagen Hirten und bliefen die Schale 
meien. 

Unter dem Oelbaum dort lehnte 
ein Jüngling, der wand Zweige zu 





Endlich kam Joſef aus der Stadt. | teswillen, aber ihe müſſet mir Euren 
Langſam fchritt er und verzagt. Die) Paßſchein zeigen.” 
Beichreibung fei morgen von der „Wir find aus Nazareth in Gali: 
neunten Stunde und bis Mittag, das läa,“ berichtete Joſef, „und hieher— 
füge ſich wohl. Aber Nachtherberge ?| gereist des neuen Gejeßes wegen, daß 
Er ſei bei feinen Verwandten geweſen; wir uns auffchreiben laſſen, weil ich 
der Habe ſich arg gefreut, den Better) von dem Stamme Davids bin.“ 
wieder zu ſehen nach langer Zeit. „Bon dem Stamme Davids!“ rief 
Aber fein Dach fei Hein und könne) der Verkäufer, „das Wort kann jeder 
das junge Volk kaum fallen, mit dem) Sprechen. Ich Habe Euch mad dem 
ihn Gott geſegnet habe. Dann ſei Paßſchein gefragt.” 
Joſef in die öffentlichen Herbergen „Bei uns in Nazareth dabei,“ 
gegangen; da fei Alles überfüllt wegen | fagte Joſef, „tranet man dem ehrlichen 
der Beichreibung und jetzt wife er| Geficht. Mir ift von einem Paßſchein 


nicht, wie das werden folle, nichts gejagt worden und ich babe 
Maria ſtützte das Haupt auf ihre) feinen.“ .“· j 
Hand und ſchwieg. „Bei uns ift es ftrenge. Gott helfe 


„Du bift müde, mein Weib,“ — ſprach der Obſtverkauſer achſel- 
ſagte Joſef beſorgt, „es zittern Dir) öldend. 
Dan — —* „Und auch Euch!“ ſagte Joſef. 

Marin ſchunelle leiſe das Die beiden Eheleute ſchleppten ihre 
3 wä — 18 elte Teife das Haupt, müden Glieder einem PBalafte zu. Der 
ka — nt a reiche Herr hat Scheueru nnd Schoppen 

„So will ich noch einmal gehen,“ 


i ’ und Alles in Ueberfluß; wenn er auch 
tief der Mann, „lie müſſen uns Unterz | ein gutes Herz hat, dann werden fie 
fand geben, wir jind feine Amale— 


. unter feinem Dace ruhen. Aber der 
fiter!* 


reihe Herr war grauenhaft arın. Er 

Sie erhob fih und gieng mit ihm | gerietd im Wuth, fo oft er einen 

in die Stadt. Hinterher trabte die Neichen ſah, denn er hielt es für fein 
Efelin. 


Vorrecht, reich zu fein. Er gerieth in 
In den Herbergen hieß ed: „Wir 


Zorn, fo oft er einen Bettelmann ſah, 
haben Euch ſchon einmal gefagt, wir der ihn bedelligte. Gr war voller 
haben nicht Pla für Vettelvolf, Bietet | Bitterfeit und fo ließ er Schimpf und 
Euer feines Töchterlein wo anders | Hohn herabwerfen von dem Söller 
aus, unfere Häufer find wohl berufen,“ auf die arınen Fremden, die in der 

„Das ift nicht meine Tochter, Herr, froftigen Abenddänmerung vathlos auf 


0: ' ; der Galle ftanden. 
die ich ausbiete, das iſt mein vor : } 
Gott ee Ense, das i Maria nahm den Joſef bei der 


ich | —* 
⸗ Hand und ſagte: „Komm', wir wollen 
ig ee on * —RMW der Stadt hinausgehen. Ber den 
—— Reichen und Vornehmen finden wir 

Sie ſchlugen die Thore zu. | feine Barmherzigkeit.“ 

Ein Obfiverfänfer auf dem Markte) Und als fie die fteinige Straße 
ſah, wie die fremden Leutchen von hinabwankten gegen das Thal, mußte 
Haus zu Haus zogen und überall‘ fi Maria niederlaffen auf den feuchten 
abgewiejen wurden. Er nahm feine) Rafen. „Joſef,“ fagte fie, „Du follft 
Mütze in die Hand und fächelte damit, | Dich nicht befümmern, wenn die Stunde 
daß er fie zu fich wine. lommt. Ich vertraue auf unferen 

„Wir find alle Fremdlinge auf) Gott.” 

Erden,“ ſagte der Verkäufer, „ich Ueber diefes Wort war der Gatte 
nehme Euch aber die Nacht um Got- |erfchroden. „Die Stunde?" fragte er, 


169 


„zu ſolcher Zeit? Auf alle Mittel | junges Weib und Habe ein Kleines 


und. Weif’, wie könnte das fein!“ 


„Bei Gott ift Alles möglich,“ ant— 
wortete Maria. 


Debt Sprach Joſef einen vorüber: 
trottenden Hirten an: „Manı Gottes! 
Wir find arıne Leute. Gebt uns Obdach 
für diefe Nacht.“ 

„Berne,“ antwortete der Greis, 
„gerne theile ich mit Euch mein herr— 
liches Haus. Der Himmel ift mein 
Dad, die Erde ift mein Grundftein.” 
Er gieng vorüber. 

Einen zweiten Schäfer, der feine 
Herde ſammelte zwijchen den Fels— 
blöden, fragte Jofef, wo man denn 
Unterftand finden könne für ein kran— 
fe3 Weib?“ 

„Da oben ift die Stadt," ver- 
ſetzte der Schäfer. 

„Die Leute wollen uns nicht.“ 


„Die Leute wollen Euch nicht? 
Dann müſſet ihr zu den Thieren 
gehen,“ ſagte der Schäfer. „Kommt, 
ih weiß Euch etwas.“ 

Er führte fie thalwärts und Die 


Ejelin folgte ihnen mit geſenktem 
Kopfe. 
War zwiſchen bemoosten Fels— 


wänden eine Kluft in dem Berg. Da 
drinnen ſaß ein Rind, welches vor der 
Nachtruhe das Geſchäft des Wieder— 
täuens beſorgte. Die Eſelin machte 
ſogleich Bekanntſchaft mit dem Rinde 
und ſie beleckten ſich gegenſeitig am 
Kopfe. In einer Niſche war dürres 
Gras aufgeſchichtet, das breitete jetzt 
der Hirte auf dem felſigen Boden aus 
und ſagte: „Hier meine lieben Gäſte, 
habt Ihr ein Belt. Hüllet Euch ein, 
wie Ihr könnt, md jchlafet im Fries 
den.” 

Dann gieng er davon und lieh 
lie allein. — 

Um die Mitternachtsftunde war's, 
da bemerkten wachende Schäfer über 
Bethlehem einen hellen Stern. Zur 
jelben Stunde bradte ein Knabe die 
Nahriht: In der Felſenkluft des 
Ismael auf dürrem Grajfe ruhe ein 


Kind an der Bruft. 

Die Mähr verbreitete ſich raſch in 
den Bergen um Bethlehem. Hirten, 
die aufrecht ftanden, wedten die Schla= 
fenden. Ein füher Schauer erfahte 
die Erwachenden. Raſch ftanden fie 
anf, um zu fehen, was an diefer 
ade fei. Ein fremdes, arınes Weib 
— ein mengeborenes Kind in der 
froftigen Felfenhöhle! — Der Eine 
trug den Pelz eines geichlachteten 
Schafes mit fih. Der Andere hatte 
getrodnete Feigen und Trauben, oder 
in einem Schlauch rothen Wein, Ein 
Dritter brachte in einem Plußer Milch 
herbei. Ein Vierter trug fein jüngites 
blöfendes Lämmlein; Cier, Brot ein 
Anderer, Jeder etwas, al3 giengen fie 
in's Amt mit dem Zehent. Sie giengen 
aber hinab in das Thal vor Bethlehem, 
wo die Felſenhöhle war und bejchentten 
mit ihrer Habe die armen Fremden, 
betreuten die Mutter und das Kleine 
Kind. Seiner der Gebenden blidte 
heute um fich, ob feine That wohl 
auch geiehen und belobt würde; Kei— 
ner Schielte mit eiferfüchtigem Blick 
auf die Gabe des Nachbars; Steiner 
dachte heute an den Segen Gottes, 
der den Wohlthätigen verheißen ift — 
Jeder gab einzig und allein nur aus 
Mitleid zu den armen Leuten, aus 
Liebe zu dem Kindlein. 

Als es Morgen ward, fand an 
der unteren Pforte der Stadt ein 
Greis. Es war ein Fremdling aus 
dem Morgenlande mit braunem Antlik 
und grauem Daupte. Mit faft lönig- 
licher Würde gebot er den in Die 
Stadt eilenden Leuten, daß fie ftille 
ftünden, und mit der Glut des Pro— 
pheten ſprach er ſeltſame Worte. „Was 
fuchet Ihr in der Stadt, Ihr Männer 
und Weiber von Juden!“ rief er. 
„In der Stadt ift fein Heil. Steiget 
vielmehr hinab zu der Felſengrotte des 
Ismael. Dort geichehen Wunder. Die 
Menichen, die feit diefer Mitternacht 
der Grotte nahen, werden barınherzig 
und liebreich. Fremdlinge aus Galilda 


— 


haben dort Zuflucht gefunden und ein! Sind. Es wedt in den Armen. die 
Kind ift geboren in diefer Mitternacht. | Macht und die Freude zu geben. Es 
Und wer dem Finde nahet — o Wun- |wedt in den Menfchen die Barm— 
der über Wunder! der wird barm- herzigket, es wedt die Liebe. 
berzig und Hiebreih. Gebet hinab! Daran erfenne ih den Hei— 
Gehet Alle hinab! Es ift ein heiliges land!“ 


Die rothe Evi. 


Dorfgeſchichte von Triedrich Rottenbader. 


— — Die Bäuerin fährt mit dem | Es Eingelt mit ſchrillem Ton den 
Kopf aus den Kiſſen, ſtarrt in die Dachfirft entlang; der Bauer hört e3 
kleinen Fenſterſcheiben und fieht gerade ganz deutlich. 
noch die vechtsübergeneigte Zipfelmütze „Aber mein Gott, was das ſein 
des Mondes ſich hinter den Berg da- mag!“ So die Bäuerin. 


vonmachen. „Hanſel!“ ruft fie mit 
halbunterdrückter Stimme. Der Bauer 
rührt ſich. „Geht's mich an? Oder 
geht's etwa gar den Kater au?“ Die 
Katze der Bäuerin hieß nämlich auch 
Hanſel. 
„Denk wohl, 's geht Dich an! 
Loſ' auf, hörſt Du nichts?“ 
„Was wird's ſein? Der blecherne 
Hahn knarrt.“ — Und der Bauer 
gähnt und — ſchläft. Die Bäuerin 
aber hatte keine Ruhe. „Hauſel!“ ruft | 
lie wieder. 
„Sch ſchlaf'!“ brummt dieſer. 
„Aber Du mein hört Du 
denn nichts, Echlafhaube Du?” So 
treischt die Bäuerin, deren Zorn jchon 
lichterloh brennt. Nun mußte der Dans 
felbauwer freilich munter fein. Auch 
flangen ihm die Ohren. Er feßte ſich 
im Belte auf und ſagte gähnend: 
„Faſt ift es fo, als thät es läuten.“ 
„Läuten thut’3 am Dach — licher, 
fiher! Steh Du nur auf und ſchau 
einmal nach !* 


— 








„Das will ſchon überlegt ſein!“ 


I 


erwiderte der Danfelbauer und legte 
ſich auf das linke Ohr; das Bett fei- 
nes MWeibes aber ſtand rechts. 








„Wenn's Nenfonntag wär —“ 

„Was wär’ hernach?“ 
| „Da reitet der wilde Jäger am 
Dach herum. Aber iſt nicht Neue 
ſonntag.“ So der Bauer auf dem 
linten Ohr. 

Sebt fährt es ſchwarz wie Beelze— 
bub vom Dache herab und vor dem 
Fenſter nieder. 

„Der böſe Feind!” 
Bäuerin. 

„Wird wohl nicht!" murmelte der 
Bauer, dem es etwas unbehaglih auf 
dem linken Ohr wurde — er legte 
ſich auf das rechte. 

Jetzt fpringt es an das Fenſter, 
dad die Scheiben Hirten — dann wies 
der hinauf auf das Dad. Die Han— 
jelbänerin jchreit gellend auf, der Han— 
jelbauer hebt den Kopf ein wenig, 
reißt den Mund "auf, bringt aber bei— 
leibe feinen Laut hervor. 

Zum andernmal Eingelt es auf 
dem Firſt — nun wiſcht es durch den 
Schornftein herab — jeßt poltert es 
in der Küche herum. Der Bauer horcht 
ſchier athemlos; er jagt mit gepreßter 
Stimme: „Ich dent’, es miaut der 
Suter.” 


fchreit die 


171 


„As 0b fih der arme Hanfel 
nicht fürchten dürft'.“ 

„Meinft mid — oder den Kater?“ 

Mer nicht antwortete, das war die 
Bäuerin; denn da durch einen hefti- 
gen Anprall die Scherben klirrend auf 
den Eftrich ftürzten, Hatte fie nur Zeit: 
„Jeſus, Maria und Joſef!“ zu rufen 
und fih die Ohren zuzuhalten. 

Als nun nichts — gar nichts mehr 
zu hören war, froh der Danfelbauer 
unter die Dede und machte die Augen 
zu — nur die Ohren hielt er offen 
bis zum erften Hahnenſchrei. 

Als der Tag ſchon recht zudring— 
lich in die Stube blinzte, erwachte die 
Bänerin. 
Eheheren leer, denn diefer war fchon 
feit Tagetgrauen auf; er hatte aber 
ſonſt michts Ungewöhnliches als die 
Scherben des Hüchenfenfters gefunden. 
Nun ftand er verdriehlich unter dem 


Sie ſah das Bett ihres 


das nicht, Du alter Hafcher ?* Dabei 
trat fie ihrem Eheheren unter die Au— 
‚gen. „Wer bringt den Verdruß in’s 
daus/ frag ich? Wer?“ 

Der Bauer war bis an die Mauer 
ee die Thür hatte er ver- 
fehlt. 

„Wer it für Zwei und arbeitet 
nicht für den Klein’ Yyinger da? Wer?“ 

Der Hanfelbauer ſagte Heinlaut: 
„Leicht die Evi ?" 

„Leicht die Evi?“ ſpottet die 
Bäuerin. „a, ja, die rothhanrige 
Dere, das Kind des Zuchthänslers, 
Deines Herrn Schwager — das Bet— 
tellind, das Du mir zum Zeug und 
um mich unter die Erde zu bringen 
— — aber da bat es noch weite 
Wege —” 

Sept hatte der Bauer durch eine 
geichidte Wendung die Thür erreicht 
und machte fich aus dem Stanbe — 





breiten Hofthor. Da kam der Gäu: es war die höchſte Zeit. Im Dofe 
Ihüg mit der Krare am Nüden träge ſtand er fill und fuhr fich mit dem 
herangefchlappt. „Danfelbauer,* fagte | Hemdärmel über die feuchte, ſorgen— 
er verichlagen lächelnd, „was hat Dir durchfurchte Stirn. Wie er fo daſtand 
die ſchwarze Katze Deiner Bänerin in und zu denken anfieng, da ftieg ihm 
den Weg gelegt, daß Du ihr eine | gleich das Blut zu Kopfe — er 
Glocke an den Schwanz bindeft und brauchte einen Ableiter. So erfah er 
fie in den Wald jagſt?“ — die Evi. Das rothhaarige, ſommer— 


„Wird wohl nicht!” meinte da 
der Bauer erichroden und xief in den 
Hof hinein: „Danfel! Hanſel!“ — 
Doch der Schwarze Hanfel fam nicht. 
„Wird wohl nicht!“ murmelte der 
Bauer und Fraute Fich Hinter dem Ohr. 

„Hab' jelber die Habe geſehen,“ 


fuhr der Andere fort, „als fie mit der | 


Klingel am Schwanz ganz wilthend 
daherrannte.” 
Der Hanfelbauer ſchüttelt den Kopf, 


ſproſſige Dirndl, das troß feiner acht» 
‚zehn Jahre noch faſt Kind fchien, hodte 
auf dem Zaun, kicherte vor ſich Hin 
und ſchlenkerte mit den nadten Bei— 
nen. Das Gefiht war ungewaſchen, 
das Haar ungelämmt und das Stleid 
zerriſſen. 

Schreiend gieng der Bauer auf ſie 
zu: „Daft Du dem Hanſel die Glocke 
anbunden 2" 

„Hm, könnt’ Schon fein! — Hat's 





geht ſachte in die Stube und fagt, der Bäuerin weh than? Nect weh?“ 
was er gehört Hatte, feinem Weibe, Und fie lacht ſchadenfroh auf. 

das eben das Haar zu einem Knoten „Du Nader,“ fchreit der Bauer, 
dreht und feftitedt. „Wer das etwa! „der Kate Haft die Klingel anbunden, 
gethan hat?“ meint er. nicht der Bäuerin!“ 

Der Bänerin treten. fchier wie „Der Hape hängt man die Klingel 
einem Srebfe die lichten Augen aus um und die Bäuerin läutet.“ — 
dem rothen Gefichte und ihre Finger | Aus dem Daufe Scholl eine Stimme, 
biegen fich wie Fänge eines Geiers, vor der des Bauern Zorn ſchnell 
dann lacht fie gellend auf: „Du weiht ſchwand. Er blidte ängftlih auf das 


172 


Dirndl. „Everl, geh’ der Bäuerin Heute | 
aus dem Weg! Ich bin jo viel älter, 
als fie und mühjelig und könnt’ Dir 
hart Helfen!“ 

Da ſchoß die Bäuerin aus dem 
Haufe und riß unterwegs die Miſt— 
gabel aus dem Düngerhaufen. Evi 
ftieß einen Schrei aus, jprang vom 
Zaune herab — Sie jah feinen ande— 
ven Ausweg al3 die Leiter zum Heu— 
boden und Hetterte raſch hinauf. Die 
Thür oben war verfchloffen. 

Die Bänerin wollte nachklettern ; 
Evi fette ji vor die Thür, fahte die 
Leiter an der oberften Sproſſe und 
tief drohend: „Ich ſchmeiß die Leiter | 
um!“ 

Alſo blieb die Bäuerin unten. 
„Noch meiſtere ih Dich, Du rother 
Balg!” ſchrie fie und wendete raſch 
die Leiter von rechts nach links, dann 
no einmal und noch einmal, biß die 
Leiter den Händen des Mädchens ent— 
rüdt war. „So, Evi — jegt fteig 
herab — oder bleib oben Tag und 
Naht! Und die Hand foll verborren, 
die Dir die Leiter hinrückt!“ Dabei 
ftreifte den Bauern ein böfer Seitenblid. 

„So wird wohl meine Hand ver- 
dorren!“ ließ fich eine rauhe, etwas 
frächzende Stimme vernehmen. 

Die Bäuerin wendet fih um. „Du 
bift nicht Derjelbe, der gern gefällig 
ift, Sepp,” meinte fie biſſig. 

„Meint, Bänerin ?* fagte Sepp, 
ein Kleiner, breit= und hochjchulteriger, 
ftruppiger Burfche mit langen Armen. 








geweſen, als es ſchicklich fein mochte 
— Sepp aber hielt auf das Schick— 


‚liche. Sie fagte jet: „Kümmere ſich 


der Sepp nicht um andere Sachen, 
als um feine Arbeit!“ 

„An die Arbeit Hat mich der Bauer 
noch nicht gemahnt — und der Bäuerin 
der kann man Halt micht Alles 
reht machen. Der Bauer wird es 
wiſſen.“ 

„Iſt redlich wahr,“ nickte der 
Bauer, deſſen Muth ſichtlich wuchs. 

„Sich um Die da zu kümmern,“ 
fuhr Sepp fort, „ich denk', es wär’ 


‚an der Zeit. Der Herrgott hat wohl 


jelber feine Zeit dazu.“ 

„Sie hat halt der age der Bäuerin 
eine Klingel anbunden,“ fagte der 
Bauer. 

„Die Evi hat's nicht than; das 
ift erlogen !” 

„Wer hat’3 denn nachher than?“ 
fragte die Bäuerin erſtaunt. Auch Evi 
oben neigte den Kopf vor. 

„Die Bäuerin felber hat's than 
— ja die Bänerin felber,“ fagte Sepp. 
„Hat fie geftern nicht die Evi gejchla- 
gen, treten, bei den Haaren zogen für 
nicht und wieder nichts? — Gut, 
denkt fich die Andere, ich thu' Dir auch 
weh. Hätteft Du den Bauer lieber, 
als den Kater, ich glaub, fie hätt’ 
dem Bauer die Klingel anbunden. 
Weil aber der Kater der Bäuerin das 
Liebfte ift auf der Welt, hat fie der 
Kate die Klingel an den Schwanz 
gehängt. Ich ſchau noch zu und denk’ 


„Meint, wenn ich fie drei Schuh tief| bei mir: das thut die Bäuerin.“ 


unter die Erde wünſch, das wäre fein | 
Gefallen? Was macht fie bei uns 
oben? Daß ihr die Hit das Marf 
ausdorrt — ich mein’ die Dig der 
Bäuerin? Da unten ift es hübſch 
fühl.“ 

„Haft es erfahren, Sepp?“ fragte 
höhniſch die Bäuerin. 

„Das Erfte wohl — das Zweite 
nit — den!’ mir nur, es müßt da 
unten gegen oben kühl fein.“ 

Die Bäuerin haßte den Knecht; 


fie war einmal gegen ihn zuthunlicher | 





Das Dirndl nickte dazu verſtänd— 
nisvoll mit dem Kopfe. 

Der Sepp durfte ſich ſchon was 
erlauben — er war am Feld, im 
Haus und auf den Markt des Bauern 
rechte Hand. 

„So meinft Du auch, ich hätt’ 
das Vieh verfuttert — nicht die Evi 
hätt's than? Ih hätt! — —“ 

„a, Bäuerin, nur Du; dem 
Du bift die Urfache.“ 

„Und wenn die Evi das Haus 
anzünd't? — —“ 


„Bäuerin, jo bift Du die Brand— 
fifterin. Verfündige Dich nicht! Du 
thuſt Alles, das Dirndl ſchlecht und 
boshaft zu machen nichts zum 
Guten. Es wär’ am Ende fein übles 
Dirndl — nein, es darf nicht fauber 
fein! Es kriegt fein Seid, kein Tüchel, 
feine Bundſchuh, damit es ja nicht fo 
jauber wär wie Du. — — Na, 
nichts Für ungut Bäuerin, zu Neujahr 
wird’s anders!” 

„Wegen der Reden brauchft nicht 
zu gehen,“ fagte der Bauer; die 
Bänerin biß ſich auf die Lippen. 

„Schon recht,“ meinte Sepp, „aber 
der Evi Stell’ ich die Leiter Hin, und 
die Hand, denk ich, wird nicht ver— 
dorren.“ 

„Meinetwegen ſoll ſie ſchon nicht 
verdorren!“ ſchreit das Everl und 
ſpringt — zwei Klafter hoch — herab. 
Halb fiel fie hin, dann raffte fie ſich 
auf und hinkte in das Haus. 

Die Drei erfchrafen nicht wenig; 
doch jchnell faßte fich die Bäuerin — 
um zu jchelten. Darauf giengen die 
Märmer ihres Weges und ließen fie 
allein, was fie noch mehr verdroß. Sie, 
blidte rundum, ob jonft nichts da 
jei zur Kühle ihres heißen Blutes. 
Da fam zum Glüde was des Weges 
— ein armes, gebrechliches Welen. 
Noth, Branntwein, Lafter hatten das 
Bild gefhnigt, bemalt und mit Fetzen 
behangen. „Das ift ja der Evi ihr) 
Bater — der Zuchthäusler! Was Der 
da ſucht?“ fo fragte ſich die Bäuerin 
und Iugte ſcharf aus. | 

„Frau Mahn, Ihr kennt mich wohl 
nicht mehr ?* — winfelte das elende: 
Weſen. „Seit ich heraus’ bin — 
drinnen war's noch deidlih gut — 
iſt's mir fchlecht genug gegangen. Kein 
Lager, fein warınes Efjen! In meiner 
Heimat leidt's mich einmal nicht. Da 
bab’ ich bei mir gedacht, meil die Frau 
Mahm ſchon fo viel barmherzig iſt, 
fie wird mir eine Heine Raſt und 
einen Löffel warıne Suppe wohl gön— 
nen!“ — Um fein Kind — ob es todt 
oder lebendig — fragte er nicht. 











173 


„Da Schaut mir diefen unverſchäm— 
ten Zuchthäusler an! Füttere ich fei= 
nen Fragen und da denft er fich, joll 
ih auch ihn agen! Jetzt Schau Er 
aber gleich, daß Er fortkommt! — Will 
Er leicht Fehlen ? — Marſch!“ 

Der Elende gieng wortlos hinweg, 
nicht ohne ſcheu und drohend zurück— 
zubliden. 

Jetzt war's der Bänerin leichter 
um das Herz und der Vorſatz, der 
Evi feine Nahrung zu geben, bis die 
Kate nicht heimgekehrt wäre, that ihr 
unendlich wohl. 

Sepp aber dachte, wenn fich der 
vote Wildfang beim Sprunge weh 
gethan Hat, fo fchiert ich feine Seel’ 
um ihn. Seine? Wenn's wahr ift! 
Ich bin auch wer! — Und er geht 
in das Haus bis zu ihrer Kammer— 
thür. Dort fteht er zaudernd ftill. — 
Ih will fie fragen — was heute für 
ein Heiliger im Kalender fteht. — 
Doch die Kammerthür ift verjperrt. 
Er Schaut Durch eine Spalte der Thür 
— Herrgott, da liegt das Dirndl der 
Länge nah auf dem Boden, fchluchzt, 
daß der Körper bebt und fchlägt mit 
der Stirn den Takt auf die harte Diele. 
Sepp ſchleicht durch das Borhaus, 
— um die Ede — bis zum Fenfler, 
fteigt dann Hinauf und Schaut fürs 
wißig hinein. Einen ſolchen Jammer 
hat er noch mie gefchant. Halblaut 
ruft er ihren Namen, fie zudt zu— 
ſammen, blickt ſchen auf, wijcht jich 
die Augen um beffer zu jehen, ſpringt 


dann verwirrt umd zornig auf und 


flüchtet vor Sepp's Anblid in eine 
Ede. Diejer jchüttelt den ftruppigen, 
ungefchlachten Kopf und denkt bei fich 
ungefähr Folgendes: Da foll es feinen 
Schußengel geben! Ihre Mutter war 
eine ſchlechte Dirn, ihre Water ein 
Dieb; ihe Ohm und ihre Tante thun 
ihr auch nichts zu Gute umd zu 
Liebe — die ganze Welt gibt ſich 
Mühe, fie Schlecht zu machen. Da ift 
der Schußengel, der ſich dagegen wehrt 
und ſpreizt. Die Menfchen kehren den 


Beſen um, womit fie vor ihrer Thür 


174 


fein fäuberlich ehren follten, jchlagen 
mit dem Stiele auf den Stinderengel 
ein, umd der — Teufel freut fich und 
dreht fleißig Stride. 

„Haft Dir vielleicht weh than beim 


Springen ?“ fragt er brummig. „Fehlt 


Dir was ?” 


„Hreilich hat mir was gefehlt — 
daß der Sepp zu mir fenfterin kommt! 


Pfui, Shäm Dich! Was geht es Dich 
an, wenn ich auf dem Boden liege ? 
Der Wurm gehört in den Staub! 
Willft mich treten ?* So fagte fie zor— 
nig und kam aus. der Ede nicht hervor. 

„Warnm haft Du geweint, Everl ?* 

„Ih habe nicht geweint,” rief fie 
heftig. „ES war Berftellung — die 
Bänerin jagt, ein Theatergeſpiel.“ 
Und fie late laut auf, 

Sept thut es ihm leid, fie ange— 


rufen zu Haben; beim Meinen war's | 


ihr ficher leichter al3 beim Lachen. Er 


wollte zu ihrem Herzen reden — er! 


wollte fie auf einen ungewohnten Anz 
blid vorbereiten — darum zauderte er. 
„Evi — Dein Vater ift da.“ 


Sie trat raſch aus ihrem BVerfted 
— er blidte ihr forfchend in die Augen. | 
Evi wurde zuerjt roth, dann blaß 
und fagte, die Hände faltend: „Daft! 


ihn geſehen?“ 
„Ich hab ihn gejehen, da er ſich 


vom Haus fortichlid. Er Schaut recht 


wüſt daher.“ 

Evi fragte: „Er Schlih fort? 
Warum ſchlich er fort?” 

„Ja Everl, daß ih Dir ſag — 
er wollte eine Suppe und ein Stroh; 
für ihn Hat die Bäuerin feine Suppe 
und fein Stroh. Was foll er da?” 

„Was foll er da?“ wiederholte 
dad Dirndl finnend. „Mich kennt er 


nicht — was foll er da?” Sie blickte 
ftarr in das Blaue hinaus. „Er kennt 
mich nicht — und die Anderen — | 


die Fremden follen mich kennen ? — 
Für was man auf der Melt ift! — 
Nicht einmal das wenige Böje kann 
man thun, wie man’s gern möchte: 
es bat’3 ja die Bäuerin than 
— nicht wahr,Sepp ?" — Sie jchaute 


ihm wieder voll in das Geficht und 
fuhr mit wachlender Erregung fort: 
„Schau Sepp, mid laſſen fie nicht 
fort, daß ich für Brot arbeite, für 
Brot, Kleider und Schuh, dem fie 
brauchen felbjt meine Arbeit; aber ihn, 
der feine Fauſt zur Arbeit, nur Hun— 
ger und Mühfal bringt, jagen fie fort, 
denn ſie brauchen den Hunger nicht. 
Sein Kind fperren fie ein und ftehlen 
fo dem Hungrigen die gutthätige Hand 
‚des indes — dem verlaflenen Kinde 
den Segen des Vaters.“ 

„Everl, Everl, was red'ſt Du da ? 
Dich hätten fie eingeiperrt? Du haft 
Did nicht ſelber eingeſperrt?“ 

Evi biß die Zähne feft aufeinan- 
der, daß fie knirſchten, dann lächelte 
fie bitter und fagte: „Schau Sepp, 
je mehr fie mir Schlechtes thun, deito 
mehr freut's mich im Grunde — jie 
geben mir ein Recht, fchlecht zu fein 
und wenn ich fchlecht bin, jo iſt's ja 
die Bäuerin. — Aber daß der Vater 
Dunger dat — das — Sepp" — — 
und die Thränen nahmen ihr das 
Wort vorweg. 

„Wart’, Everl,“ meinte Sepp, der 
ein wenig verlegen war, „wenn es 
Eſſenszeit ift, will ih Deinem Bater 
ſchon was zutragen.“ 

„Du? — Du mwillft das?“ rief 
Evi, „Du, den ich nicht gerade für 
‚den Belten hielt? Einen ſoll's geben, 
der micht fchlecht wär’? Und alleweil 
habe ich geglaubt, Alle wären jchlecht 
und ich müßte es auch werden! — 
Aber nein —“ und ſie griff an feine 
derbe Fauſt und blidte ihm im die 
Augen — „was Du für gute, brave 
Augen haft! Sepp, was Du für Aus 
gen Haft — fo gute wie ein Lamm!“ 

„Na, fage gar, ich hätte Schafs— 
augen!“ ſagte Sepp, defjen Verlegen: 
heit wuchs, mit gezwungenem Lachen. 
Er begriff nicht, warum fie fo viel 
Aufhebens machte. Er wuhte nicht 
recht, was er jagen follte, alfo redete 
er gar nichts mehr, ſprang auf de 
Boden und gieng hinweg, indem er die 
Fauſt ballte und brummte: „Bäuerin, 











— 


175 


Du Haft ihn nicht erwürgen mögen | 
bald — bald 


— ihren Schußengel; 
wär's Dir geglüdt, Du Satansbra— 
ten!" — Und er machte ſich beim 
Futtermeſſer zu thun, arbeitete, eiferte 
daran, daß der Häderling nur fo weg 
ftob und ein Stüd des Fingernagels 
und der FFingerfpige auch mit. Erſt 
als das Blut rann, merkte er es, hielt 
fluchend inne, ſchlenkerte den Finger 
und murrte: „Das Haft Du gethan, 
Bäuerin! Wart’ mır, das fommt auch 
auf Dein Kerbholz!“ Er Hielt nun 


den verwundeten Finger zwiſchen zwei 


Fingern der Rechten und flüfterte, in— 
dem er das Blut ausdrüdte: „Die 
Evi ſoll'n verbinden! — — Beiliebe 
nicht — nein, beileibe nicht!“ Und 
er wuſch die Hand beim Brummen, riß 
ein Stück vom Sacktuche ab 
widelte e& um den verwundeten Finger. 


Als es zu dunkel begann, nahm 


Evi mehanifh vom Schranke einige 
Hölzchen, wie fie gewohnt war, um 


ihr Lichtſtümpchen anzuzünden. Ob- 
wohl Hunger und Durft, Haß und 
Verzweiflung in ihrem Innern wühl— 


umd | 


zweites Hölzchen und hielt es an 
einige Sleiderfegen, die an der Wand 


hiengen — in geringerer Entfernung! 


Ihr Herz pochte nicht mehr jo heftig. 
Nun wollte fie ein drittes Hölzchen 
— — du fandte die Sonne, das 
freundlihe Tagesgeſtirn, einen Ab— 
Ichiedsgruß in das Stübchen, einen 
legten Strahl, bevor fie ſcheidet, und 
diefer Strahl traf das verzweifelnde 
Menſchenkind in das Herz. E3 blidte 
empor, ftredte die Hand wie grüßend 
gegen den lichten, freundlichen Strahl 
und lachte kurz auf. „Ih Zollpatich, 
‚da draußen bin ich frei! Aepfel hän- 
gen an den Bäumen; Waller läuft 
aus dem Quell. — Grüß Gott, Frau 
‚Sonne, dort oben am Berge fehen 
wir uns!“ 

Sie Hetterte auf das Fenſter, 
‚zwang fih durch und ſprang auf die 
‚Erde, wenn auch ein eben ihres 
Kleidchens hängen blieb. Nun lag die 
ı Dorfftraße vor ihr — fie lief hin— 
über ; ein Bach befäumte da die Straße; 
im Didicht davor legte fie fich nieder 
und trank mit vollen Zügen. Wie 
erquidte, erfriichte das! Sie durch— 
‚watete den Bach ſchaudernd, denn das 
Waſſer war kalt. Bom Bade ftrebt 
ein Hügel aufwärts, der mit Obſt⸗ 





ten, vergaß ſie doch nicht der Gewohn⸗ bäumen beſetzt iſt; fie raffte einige 


heit. Sie nahm alſo einige Hölzchen 
vom Schranke. Da verlieh fie ihr En— 
gel. — Jedes diefer braunen Köpf— 
hen, jo Hein und unscheinbar es ift, 
birgt einen Dämon. Ein Köpfchen ift 


im Stande, Vergeltung zu üben für, 


juhrelanges Unrecht. Willkommen ihr 
feinen Werkzeuge der Rache, der Ver— 
nihtung! — Der einzige Mare Ge— 
danke des Mädchens war: 
mich und Alles um mich — und alles 
Elend Hat ein Ende! — Sie rieb ein 
Höljden an der Wand und hielt das 
feine Flämmchen an ihr Bett — in 
einiger Entfernung, daß es ‚feinen 
Echaden thun lonnte. Das Herz des 
Mädchens pochte laut. Das Hölzchen 
verbrannte, die Kohle fiel ab und — 
Evi athinete auf. — Nun rieb fie ein 


ich vernichte 


‚nicht ganz aufs 
‚Die Nacht jenkte ſich nieder, Evi zog 


Mepfel auf und verzehrte fie mit gieri— 


ger Haft. Am Rande des Waldes, der 
‚den Hügel krönt, warf fie fi in das 


dürre Gras und ſchaute auf des Hans 
ſelbauers Haus. Wie Hein, wie troſt— 
los Hein kam's ihr vor! Feiner Rauch 
fräufelte fi) aus dem Rauchfang. Da 


ſinkt die Sonne hinter das Gebirge 


— noch einmal flammt fie auf — 
„morgen kommſt doch wieder — grüß’ 
mir die Himmelsfönigin! Soll halt 
Everl vergeſſen!“ 


— 


die falten naſſen Füße unter das Röd- 





hen und hüllte jich, jo gut es gieng, 
in das dünne leid. — Plößlich rieb 
fih etwas an ihrem Nüden und ein 
leifes Schnurren ließ ſich vernehmen. 
AS fie erfchredt zurüdgriff, fühlte jie 


176 





etwas MWeiches, Warmes an. Sie fhrie | unten herauf. — „Feuer!“ jo zetert 
leiht auf — — es war Hanfel, der | des Hanfelbauers Stimme verzweifelnd 
Bäuerin Katze, die ſich unter dem und eine Geftalt läuft, ficher der Han— 
Arme durchwand. Zuerft wollte Evi felbauer felbft, von den Flammen ab 
die take wegfchleudern — im nächften | und zu, grell beleuchtet, zwiſchen den 
Augenblide aber drüdte fie das Thier | Gebäuden herum. — Das Rindvieh 
an fich, dos fich dieſe Lieblofung, lau- brüllt, die Pferde wiehern und ſtampfen 
ter ſchnurrend, gern gefallen ließ. mit den Hufen, die Schweine grun— 
„Armes BViecherl, Du Haft mir nie zen durdhdringend. Die Stallthüren 
was Böfes than, umd ich habe Dir | werden aufgerijen, die Thiere mit 
die Klingel anbunden! Berzeid mir, | Mühe berausgetrieben. Die Bauern 
Hanfel!" Und fie küßte der Katze laufen herbei und „teuer! euer!“ 
borftiges Maul. — „Du bift aber auch | fchreien fie durcheinander. Die Glode 
fo viel Schlimm! Warum kommſt nicht | läutet. Lodernde Feuergarben ſchießen 
früher heim? Die Klingel haft gewiß | empor und legen das Sparrenwerk 
ſchon lange verloren. Nun lönnten wir) bloß. Aus dem Lärm Hört Evi ihren 
heimgehen und befämen ein warmes | Namen heraus — Sepp's Stimme 
Eſſen. Aber nein! Zum Trug nicht! iſt's, die ruft. Dann ift es wieder des 
Mir bleiben da! Du fängft Dir ein Danfelbaners Stimme, der die Bäuerin 
Mäuslein und ich ſuch' mir einen | ruft. 
Apfel. Danır kehren wir bei der Quelle Nun ſchleppen fie aus dem Haufe 
ein und trinfen vom Belten.“ Und) Etwas hervor, und ober den Hänptern 
fie lachte helllaut und glödchenrein.|der Träger flammt und Fracht es. 
Auch die Katze ſchien's zufrieden, denn | Ein menschlicher Körper ift es, den 
fie legte fich zuthunlich dem Mädchen | fie über die Straße zum Bache tragen 
in den Schoß, al& Hätte fie von ihm) und in den Raſen betten. 
nie Unangenehmes erfahren, ſchloß die Bewegungsios fteht Evi auf dem 
Augen und träumte halbwachend von | Hügel; wie im Traume fieht fie Flam— 
der Bäuerin Milchnapf. men, Rauch und die fich durcheinan— 
„Schau,“ fagte Evi, „das freut der drängenden Menfchen; wie im 
nich, daß es was Lebendiges auf der Traume hört fie die rufenden, ſchreien— 
Welt gibt, das zu mie kommt und|den Stimmen. — — As wiederholt 
mich gern dat — — und ich habe ihr Name im ihr Ohr tönte, da fiel 
Dir fo Schlecht gelohnt!“ — Da fie: | plößlih ein Strahl der Erinnerung 
len ein paar heiße Thränen auf Hanjel, |in ihr Herz — fie griff fich mit den 
der darob feinen Kopf jehüttelte und | Händen an die Stirn, an die Schläfen. 
mit der Pfote über Ohr und Schnauze | „Hab' ich den Brand gelegt ?” flüſtert 
ftrich. fie, „id — unter dem Bette — an 
„Die fochen heut’ tüchtig in Danz | den Kleidern? — Jeſus Maria und 
ſelbauers Haus — Nichts für uns, Joſef!“ fchrie fie auf. „Ich Habe das 
Danjel! — — Sie kochen aber ſchon Feuer gelegt! Herr des Himmels, er= 
tüchtig — außer der Weiſ'!“ barıne Dich meiner!” und fie warf 
Es qualmt und raucht! Sogar fi in das Gras, preßte den heißen 
Funken fprühen! — Da zudt gar ein! Kopf auf die fühle Erde. Da wurde 
Flämmchen empor. „Feuer!“ fchreit fie ruhiger. Doch das Lärmen ward 
Evi und fpringt entjeßt auf, daß immer ärger. Dazwijchen zifchte das 
Danfel wicht wußte, wie ihm wäre. | Wafler, aus Eimern gefchleudert, in 
— Und unter Rauch und Qualm die Flammen. — Sie richtete den 
Ihlägt eine Lohe empor. „Fener!“ Kopf empor und fah eine Fenerröthe, 
Ichreit Evi und „euer!“ fchallt es als ob das ganze Firmament im Brand 
wie eim hundertſtimmiges Echo vor! jtände, es war furchtbar ſchön anzu— 


—— — [Un —— — — — — — 





fehen. „Der Himmel brennt!“ ſagte 
Evi und breitete die Arme aus. 

Ein neues wüftes Gefchrei dringt 
zu ihr empor. Einen Menſchen haben 
fie berbeigefchleppt und eine Stimme 
kreiſcht: „Das ift der Vater der rothen 
Evi! Der Brandftifter! — In dus 
Feuer mit ihn!" — „In das Feuer 
mit ihm!“ brüllen mehrere Stimmen. 

Da läuft Evi Halb befinnungs- 
105 die Anhöhe herab. Am Bade 
liegt die Hanfelbäuerin, welcher der 
Schreden die Glieder gelähmt Hatte. 
An ihrer Seite niet, zu ihr nieder- 
gebeugt und ihr Zroft zuflüfternd, der 
Geiftlihe. Der Hanfelbauer läßt fein 
Haus brennen; er fteht, ſelbſt troſt— 
bebürftig, mit gefalteten Händen vor 
der Bäuerin; mit wirrem Blide fieht 
er die — ftärfere Hälfte feines 
Dafeins aus dem Leben jcheiden. Wenn 
ihm der Eheftand auch nur ein Wehe— 
ftand und Martyrium war, jeßt fteht 
nur das Eine Mar vor feinen Augen, 
die vom Tod Berührte ift fein Weib. 

Doch ohne Aufentbalt ftürzt Evi 
vorüber, an den grafenden Pferden 
und fäuenden Kühen vorüber — ihr 
nach der Schwarze Kater mit aufwärts 
geitredtem Schweife. Der Undankbare 
bat feinen Blid für die Herrin, die 
ihn fo zärtlich liebte und nun fter= 
bend Ddaliegt, er ift Heute zu luſtig 
für da3 Sterben. 

„Ih bin die Brandftifterin!* fo 
Ihreit Evi in den Schwarm hinein. 
Sie Jieht nicht den Bagabunden ; vor 
ihrem Geifte fteht nur der Water — 
eine Idee und feine Perſon. „Ich bin 
die Brandftifterin!“ 

„Die Brandftifterin hat ſchon ihr 
Theil!” brummte Sepp; er date an 
die Bäuerin. 

Die Bauern hielten auf das Hin! 
den Vagabunden nur läſſig feit, was | 
diefer benützte, aalglatt durchzuſchlü— 
pfen und, ohne einen Blid für fein 
Kind, durchzubrennen. Da die Bauern 
alſo den Mann nicht mehr Hatten, 
wollten fie ſich an das Frauenzimmer 
machen und der Grimmigften Einer 





Kofegger's „„Grimgarten‘‘, 3. Get, XI. 


177 





ftredte jchon feine Fauft nach ihr aus. 
Da warf Sepp den vollen Eimer, den 
er eben in Händen hielt, in's Feuer 
und erfaßte die Evi. Er ſah ſchwarz 
wie ein Kohlenbrenner her, der Schweiß 
ranı ihm in ſchwarzen Tropfen vom 
Angefiht. „Marſch in den Gemeindes 
fotter mit Dir!“ feuchte er. „So einen 
Bogel muß man feftdalten !“ 

„Recht fo!” fchrien die Anderen. 
„Der Sepp verfteht fi darauf!” Und 
fie ließen Sepp gewähren, der ohne 
viel Tyederlejens das Mädchen aufhob 
und durch den Schwarm hinmwegtrug. 
Dabei raunte er ihr in’s Ohr: „Daß 
d'Fopperei nicht laffen faunft! Das 
Teuer ift in der Tenne, nicht in Dei» 
ner Kammer auskommen!“ 

Da ftürzte das Dach mit Gekrach 
ein — eine Rauchwolte erhob fih — 
das Feuer begrub das Teuer — der 
Hanjelbauer Hatte ein Haus gehabt. 
Da kam trara, trara! die erfte Feuers 
Ipriße angefahren! 


Gut war's, daß Evi im Sotter 
faß. Da es feine dummen Allotria zu 
treiben gab, jo dachte fie einmal über 
ihr Leben nah und ließ das ganze 
junge Sein, fo weit es ihr im Ge— 
dächtnis lag, vorüberziehen. Sie ſah 
fein frohluftiges Kind! Ad, getreten, 
gefränft, gebeugt! Was jollen wir 
hoffen vom Alter, wenn die Jugend 
feinen Lichtblid bietet? — Was war 
ihre Schuld ? Iſt geboren zu fein eine 
Schuld, die man mit dem Herzblute 
tilgen muß? — War fie aber wirf« 
lich ohne Fehl? 

Hatte fie nicht ein Flämmchen ent— 
zündet, ed an ihr Bett gebraht? — 
Noch einmal ſchlug vor ihren Augen 
eine belllodernde Feuergarbe auf — 
fie ftieß einen Schrei aus und preßte 
die Hände vor die Augen. Dabei tönte 
es wire im ihr Ohr: „Feuer! Feuer! 
Trara, trara!” 

Als fie die Hände ſinken lieh, 
war jie in Finfternis — in die Fin— 

12 


fternis des Kerkers gehüllt. — Eine 
böje Naht! — Endlih kam Evi zur 
Nude; fie wußte nun beſtimmt, was | 
fie thun würde, und hatte eine freude 
daran, einmal auch den Herren eine 


178° 





„Der Bauer fißt auf dem Brunn 
trog und fchaut, wie der Schutt glof't 
und raucht.” 

„Und Du, Sepp?“ 

„Ich — Hu — ih bin da.” 


Naſe zu drehen. „Nachher — nachher 7" 

Am Morgen ließ fie fih Wafler „Nachher gehe ich zu meiner Mutter, 
und einen Kamm geben. Zum erften und helfe ihr bei der Wirthſchaft — 
Male verwendete fie auf ihr Aeußeres | fie ift jchon mühſelig. — Da hätten 
einige Sorgfalt. Das üppige rothe wir freilih ein jung Ding braucht 
Haar hieng, in einem einzigen funft — riegelfam, findig, flint und — — 
loſen Zopfe geflochten, über den Rücken gerade fo wie Du. — Aber Du bift 


herab. 

Wer wird fie auch heute auf klein— 
liche Weife häßlich fchelten ? — Ahr 
Troß galt jeßt einem anderen An— 
griffe. 
Thür wird geöffnet — Sepp fteht vor 
ihr. — Er betrachtet fie forjchend. 

Sie warf den Kopf zurüd und 
fagte leichtfertig: „Nun, weil Du Die) 
Ihon gar fo viel kümmerſt um mich 
— was wird denn mit mir gefchehen?* 

Er Huftete. „Evi,“ fo fragte er 
endlich zögernd, „Du Haft den Brand 
nicht gelegt ?* 

„Ich dent’ wohl.” 

„In Deiner Kammer ?* 

„Ich lann's auch in der Tenn 
gethan haben.” 

Da wurde er blutroth im Ange— 
fihte. „Hüte Did, Evi, es kann noch 
wo anders ausgelommen fein — als 
in der Kammer — als in der Tenne. 
Ich werde Schon reden. — Was mit 
Dir geſchieht, willſt 
Gendarm wird Dich binden und auf 
der Landſtraße in die Stadt treiben.“ 

„Schau Sepp — ih hab’ mich 
auch dazu heransgepußt. Dann — 
im Grund genommen — es hat's 
jadodh die Bäuerin than! Du 
fagft es ja, Sepp ?* 

„Die Bäuerin liegt in der Tod— 
tenkammer.“ 

Evi zuckte zuſammen — ſie ſetzte 
ſich auf den Schragen und ſah auf 
ihre Füße. Nach einer Weile ſagte 
ſie leiſe: „Alsdann hat ſie's nicht than. 
— Und der Bauer?“ 


e 


Da Imarrt der Riegel — die) 


willen? Der 


ja eine Brandlegerin, gehſt mit dem 
Gendarm und nicht mit mir.“ 

| „Alſo mich haft wollen mitnehmen, 
Sepp? Mich?" 

„Freilich wohl,“ jagte Sepp ver— 
legen und ſetzte mit einem Seitenblid 
hinzu: „Bift Halt eine Brandftifterin 
und gehft mit dem Gendarm.“ 

„Halt eh’ recht, Sepp. Schau, da 
kann man halt nichts machen.“ 

Da plaßte Sepp heraus: „Eis 
gibft um Dein Herz — mächtig viel 
Eis — aber nichts wird es Dir 
helfen, vor der Hiße da drinnen muß 
es am Ende doch zergehen. Ich hab's 
erfahren, Everl; ich hab’ in Dein Herz 
geſchaut, als Du am Boden gelegen und 
mit dem Kopf auf den Boden gejchla= 
(gen haft. Da liegft Du und denf’it, 
wie gut möcht’ ich fein und wie jchlecht 
machen mich die Leut, und jchlägft mit 
der Stirn auf den Boden wie 
luftig muß ich fein und wie traurig 
bin ih — und wieder jchlägft auf 
den Boden. Da ruf ih Did; Du 
aber dentit, ich will fo fein, wie man 
mich glaubt. — Das ift das Eis! — 
Wie Du fo daliegft, Everl, der Bo— 
den Deiner Sammer unter Dir von 
Thränen naß, da fommt mir vor, 
mein Herz fei wund und jede Deiner 
Thränen fei ein Tropfen Blut aus 
dem wunden Herzen. ch wollt’ mich 
hinwerfen zu Dir und aufjchreien: 
ih bin auch da — aud fo arm — 
verachtet — allein — unglüdlich wie 
Du! — — Der Trug allein thut's 
nicht! Arbeitfam und brav fein, jo 
trogt man den Leuten am ſicherſten, 





| 





—— 


179 


und wenn zwei foldhe Menfchen zu— 
jammenftehen, jo find fie fich genug. 
Da ift mir das erfte Mal in den 
Sinn kommen, dab es ein Glüd in 
der Welt gäb’ — mit Dir. ber 
freilih, Du bift Brandftifterin — und 
gehft mit dem Gendarm.“ 

Evi hielt die Hände vor das An— 
gejiht und die heflen Thränen ran— 
nen zwifchen den Fingern dur. Sie 
ſchluchzte krampfhaft. 

Der Gemeindediener, der mit ſei— 
nem Weibe vor der Thür ſtand, ſagte: 
„Schau, fie wird weich! Sepp weiß, 
wie e3 anzufangen iſt, einer verftodten 
Sünderin dad Belenntnis heraus zu 
jpintijieren.* 

In Wirklichkeit dachte Sepp: Jetzt 
oder nie! und zieht ihre Hände halb 
mit Gewalt dom thränennaffen, ge= 
rötheten Angeficht. „Weißt Evi,“ fagte 
er mit unficherer, beiferer Stimme, „ich 
hab' Did Halt gar fo gern!“ Dabei 
legte er ihre Hände auf feine Achjel 
und ſah ihr in die Augen. 

Ihre Augen leuchteten Hinter einem 
Thränenschleier und ihr Mund lächelte; 
fie lehnte das rothe Köpfchen an feine 
Bruft und umſchlang feinen Hals, wie 
der ſchwanke, ſchwache Windling die 
träftige Ulme umfchlingt ; dazu flüfterte 
fie: „Du bift der erſte Menſch, Der 
jagt, er hab’ mich lieb. Darum Dank 
— taufend Dank für dies brave Wort, 
Sepp! — Ad, wie bin ih arm!“ 
Und ihre Thränen floffen. Aber fie, 
log, denn es waren Thränen des 
Glücks. Da fie nur Schmerzliche Thrä— 
nen kannte, Thränen, die Kränfung, 
ohnmächtiger Zorn, unverdientes Une 
glück wie Nadeljpigen aus dem Her— 
zen herausprefjen, jo hielt fie auch dieſe 
Thränen, jo al& erfrifchender Thau 
auf welke Blüten fallen, für Send: 
linge des Unglüds. | 

„Everl,“ fagte Sepp leife, „Du 
haft das Feuer nicht gelegt ?“ 

Sie lächelt. „Was dentt der Sepp 
von mir? Sch hab's nicht than!“ | 

In dieſem Augenblide waren Beide 
glüdtih. — Daß das Glück nur jo 








furze Zeit grünt! Wer es kürzt, ift 
das haftende, ruheloſe Menfchenkind, 
ruhelos im Erfinden neuer Selbitqual 
und im Zerftören, nur beftändig im 
Verneinen. 

„Darum bin ich da, daß Du das 
ſagſt. Laß Deinen Vater! Er verdient 
nicht Dein Opfer!“ 


Everl fuhr zurück, ihre Augen 
flammten. „Eins darfft mir nicht ver= 
Ihimpfen! Es ift was in mir — 
weiß jelber nicht wa8® — das beim 
Worte Vater weh thut. Willi Du 
mir nicht weh thun, jo fage nichts! 
Es ift ein Heilig, unfichtbar Ding — 
wie Gott im Altarfchrein. Weit, wie 
er ausfieht ? Aber er ift da. — Und 
ih bin die Brandftifterin!* 

Sepp feufzte tief auf. „Die Wahr: 
heit fommt an’s Licht der Sonnen! 
Allemal! Dagegen Hilft nichts! Dann 
bift Du nicht mehr Dieſelbe — id 
bin nicht mehr Derfelbe. Wenn wir 
uns heute verlieren, finden wir uns 
nimmermehr. — Evi, Du trittft mit 
einer Lüge vor Gericht und das Ge— 
richt ift auch ein Heilig Ding. Mein 
Großvater ſelig hat gejagt, Buben, 
hat er gejagt, merkt Euch, die Lug ift 
ein fchlechter Grund — und das Haus 
darauf, wär’s noch fo feſt gebaut, es 
fürzt einmal ein! — a, Everl, es 
ſtürzt ein!“ 

„Es ift aber fo gut, als ob ich's 
than hätt’; ich Hab’ eine Weile dei 


Willen gehabt es zu thun und der 


Wille gilt für's Wert!“ 

„Oho,“ ſagte Sepp, „Wollen und 
Thun ſind zwei grundverſchiedene 
Ding' und Feind', die auf einander 
ſchlagen, das Ein' mit Spinnweben, 
das Andre mit der Hacke, und alleweil 
läuft das Wollen in das Mausloch!“ 

Da erzählte Evi von den zwei 
Zündhölzchen und daß nur der Schuß- 
engel fie beſchützt Habe. 

„sa, der Schußengel!” fiel Sepp 
eim, wie von einer firen Idee er— 
fafit. „DO, Du mein Jefus! Was wä- 
ven wir Alle ohne den Engel? 

12° 


— — 


180 


Wenn uns der verläßt, dann ift freis|der vor dem Bürgermeifter und einem 


lich Ulles aus — dann bin ih ein 
zehnfacher Todtfchläger und der frömmſte 
Herr müßte fich beim Henker ein Hals» 
bindel beftellen. — O Du mein ! Zum 
Glüd verläßt und der Schußengel nicht. 
So lange er noch ein gutes Haar an 
uns findet — hält er ſich daran.” 
„Sepp,“ ſagte Evi ängſtlich, „quäle 
mich nicht! Es wird recht fein, was 
Du fagft — unrecht, was ich thu'. 
Ich bin feine Heilige — laß mir 
mein Unrecht! Ih kann nicht anders! 
— Soll ih jagen: Vater, mich reut, 
daß ich mi für Euch opfern wollt’ 
— — Nein, Sepp, wenn Du, mid 
gern haft — Jo — wie Du gejagt — * 
„But,“ wehrte Sepp, „'s ift gut. 


Lange Haar’, kurzer Ver . Das: 
gegen tomme fein Doctor auf. Hab's 


eh gewußt — fen’ Did — Hab’ 
nur 's Letzte verfuchen wollen. Nun 
— in Gottesnamen, nichts für ungut! 
Haft recht! 's wär zu viel Glüd ge— 
wesen ! — — Hier gehen unfere Wege 
auseinander — Wer weiß, ob wir 
und wiederfinden!“ 

„Einmal fiher, Sepp!“ rief Evi 
leuchtenden Auges. 

Sepp blieb ftehen — das Antlitz 
der Thür zugewandt; er konnte den 
kurzen Traum nicht jo ſchnell verwin— 
den; er preßte den Hut vor da3 An— 
gefiht und — meinte. 

Evi ſah vor ſich Hin mit großen 
leeren Augen, als ſei ihr Geift mit 
anderen Dingen bejchäftigt und be— 
greife nicht, was hier vorgeht. 

Sepp ermannte fich ſchnell, griff 
nach der Thür — in diefem Augen 
blide wurde dieſe von außen aufges 
tiffen — e3 war der Gemeindediener, 


Gendarın die Thür fperrangelmweit 
aufriß. 

Der Bürgermeifter hielt ein offenes 
Schreiben in der Hand und fagte: 
„Das Gericht befiehlt, daß die Eva 
Sainer, zuleßt bei Johann Suiner 
vulgo Hanfelbauer, die fich wegen 
Verdachtes der Brandlegung im Ge- 
meindearrefte befindet, fogleih aus 
‚der Haft zu entlaffen und im Frei— 
‚heit zu feßen jei, da der Thäter be- 
reit3 eingeliefert und gejtändig ift.“ 

Der Gendarm fügte aus eigenem 
Antriebe Hinzu: „Der Brandftifter hat 
fi jelbft beim Gendarmerie = Come 
mando gemeldet und mir aufgetragen, 
der Eva Sainer — alfo Dir zu ſa— 
gen: So Du ein warmes Neft für 
ihn wüßteft und auch für Agung ſor— 
gen wolltet — jo wolle er ſchon 
nichts jagen. Da aber Dein eigenes 
Meft abgebrannt fei, follteft Du ihn 
nit um fein Freiquartier beneiden 
— er müſſe fich jelbft feiner Haut 
wehren.“ — So der Genbdarın. 
Was der Brandleger noch weiter zu 
‚ihm gejagt, daß ja mehr brennbare 
Häuſer auf der Welt wären, wenn 
Eva durchaus ein Staatsquartier wolle, 
verſchwieg er. 

So mußte denn Evi, da ihr Plan 
zunichte geworden war, dem Sepp 
folgen. Das war übrigens gut, denn 
Sepps Mutter war nachgerade ſchon 
mühſelig und brauchte eine Tochter, 
und ein rothhaariges Dirndl ift, wie 
die Alte fagte, am Ende bejjer als 
feines, immer einmal jogar beſſer, wie 
hingegen Sepp fagte, als ein flachs— 
haariges. 





Der Schmied 


von Rochel. 


Ein Weihbnahtsbild aus der Geſchichte. 


IA anchmal fteht jene unheimliche |exr fich eben früher weggekratzt — und 





J Chriſtnacht Teibhaftig wieder |bat ihn wohl flehenden Blides, zu 


vor mir, die ich als Knabe in der erzählen, wenn er was wiſſe. 


Maldheimat durch unjern alten Kuecht 
erlebt. 

Diefer Knecht Hatte damals durch 
das Fenſter Hinausgeblidt über die 
ftillen, mondbejchienenen Waldberge 
und Hatte ausgerufen: „Das wäre 
heute wieder einmal eine Ehriftnacht 
zum Herrenerſchlagen!“ 

Darauf hatte ihn mein Vater ge= 
fragt, wiefo er in dieſer heiligen Got- 
tesfriedennadht eine fo milde Red’ 





nicht blutdürftig, der Markus, war als 
Bauernknecht alt geworden, ohne ſich 
viel Befleres verlangt zu haben, war 
in Manchem gar unterrichtet und be= 





| fieden, 


Er mußte in der That was, und 
nachdem er ſich auf der Sigbant fein 
„G'ſſäm“ Tabak gefchnitten hatte und 
ih davon den Nafenwärmer feitges 
ftopft, Hub er an zu erzählen: 

„Sa, meine Leut’, ber ift das 
freilich jchon lang’. Mein Großvater 
ift dazumal noch ein junger Burich’ 
geweien in meiner Heimat Zölz im 


Baiernland. Als Greis, wenn er hat 
‚erzählt von derſelbigen Chriftnacht, 
i Berg’ 





'geftiegen fein — heißt das, die er 
noch gehabt hat.” 


„Das ift wieder ein langes Uns 
ehvor Der einmal im eine 


lefen und war ein Rebell einzig und G'ſchicht hineinkommt!“ So veriübelte 
allein nur gegen die Knödeln, deren |die ungeduldige Magd ihm feine Ein— 
er alle vertilgte, die ihm zu Gefichte | Teitung. 

famen und fich nicht eilig in Anderer | „Laß nur Zeit!“ fagte der Alte 
Mägen verfrohen. Er war ein ge= und zündete ſich jeßt die Pfeife an, 
borener Oberbaier — und mie ſich bie was auch nicht juft ohne Umftändlich- 
Baiern feit jeher gerne nach Steier= |feit vor fih gieng. „Lak mur Zeit, 
marf gezogen haben, fo daß wir fie! Dirn,“ fagte er und probierte, ob das 
als unſere Vettern betrachten können Zeugerl auch den richtigen Zug habe, 





— fo war auch der Markus in feiner | 


Jugend als Holzarbeiter in unſere 


„es 


ſind hundertfünfzig Jahr ver— 


gangen, eh’ Du von der Geſchichte 


Waldgegend gelommen und im ders gewußt haft, fo wird Dich Deine Neu— 


jelben verblieben. 

Auf den Verweis meines Vaters 
antwortete nun der alte Knecht: „Ich 
babe nur daran gedacht, weil mein 
Großvater einmal in der Chriſtnacht 
mit auf ein Derrenerjchlagen ausge— 
rudt it.” 

Wie fo fih das zugetragen hätte ? 
fragten nun mehrere in der Stube 
und ich kroch fachte zum Markus und 
ftreichelte ihm das glatte Kinn — 
denn die grauen Bartjtoppeln hatte, 





gierigfeit für das Klein’ Echtel Zeit 
auch noch nicht umbringen.“ 
Mehrere von uns winkten mit den 
Augen und beiden Händen, dab doch 
Alles fill fei und ihn Kein's mit 
einer Bemerkung unterbredde. So fuhr 
alfo der Markus geruhigt fort: 
„Dazumal haben in Baierland die 
Defterreicher gewirtichaftet und fchier 
grob, will ich meinen. Der baierijche 
Kurfürft foll der Narr gewefen fein 
und es mit den Franzoſen gehalten 


182 


haben. Das hat den deutjchen Staifer 
arg verdroffen, er hat die Defterreicher 
in's Land geſchickt und in die Haupt— 
ftadt München, wo fie fich feſtgeſetzt, 
als wären ſie ſchon taufend Jahr dort 
daheim geweft. Den Kurfürften haben 
fie verjagt und vogelfrei gemacht, daß 
ihn Jeder dürfen niederſchießen 
heißt das, der ihn getroffen hätt’. Die 
Frau Kurfürftin, die von einer Neife 
nah Venedig zurüdtommt, haben fie 
gar nicht mehr in's Land gelaſſen; 
den jungen Prinzen haben fie zu 
München gefangen gehalten. Stadt 
und Land Haben fie mit Füßen ge= 
treten, vom Bauernftand nichts als 
alleweil Recruten ausgehoben, und 
wem's nicht recht geweſen oder wer 
eine Waffe hat bei fich getragen, den 
gleih niederfchießen oder henken — 
mein Gott, wie es halt der Feind 
macht. Ich glaub’, es werden unter 
den Defterreichern, die fie in's Baier- 
land geichidt baben, auch mehr Böhmen 
und Ungarn und Groaten geweſt fein, 
als Deutſche. 

Nu, jo Haben die Baiern freilich 
gejagt: Lieber baierifch fterben als 
faiferlich verderben ! und weil es von 
Jahr zu Jahr ärger ift worden, und 
weil ſich die Bürgerslent’ und Sol: 
daten nicht gerührt haben, fo ilt den | 
Bauern endlich die Geduld ansg’angen, | 
haben ſich zuſammengethan und in 
aller Heimlichkeit eine Kriegsmacht ger! 
ftiftet von Dorf zu Dorf und einen 
heiligen Schwur gethan, den Feind 
aus dem Baterland Hinauszumerfen. 
Den Regensburger Reichstag haben 
fie e3 zu Recht früher willen laflen: 
Die Nothwehr zwingt uns! Zufchlagen 
müflen wir! Und wie die Lawinen 
vom Wendelftein, jo find fie herfür— 
gebrochen aus dem Gebirg mit ihren 
Daden und Senfen und Spiehen und 
Morgenfternen und Stußen und was 
fie Tonft gehabt haben zur Wehr. Von 
Waakirch und Gmund und Zölz und 
Neuberg und Tegernſee find fie ber, 
auch vom Flachland. Dort haben fie 











den Saiferlichen jchon weggenommen 


Simbah und Braunau und Hohen 
linden und wie fie alle heißen dort, 
die Ortfchaften, ich kenne fie felber 
nicht. 

Als ihren Hauptmanı Haben fie 
den Balthaufer Schmied von Kochel 
genommen, ein baumftarler Manır, 
furafchiert, Hug und ehrenfeſt — 
zu Waalich daheim. Vom  felbigen 
Schmied Hat mein Bater oft erzählt, 
er fol auch gegen die Türken aus— 
gerudt fein und jo ſtark geweſen, daß 
er mit feinen zwei bloßen Händen ein 
Hufeifen hat auseinanderbredhen kön— 
nen. Alſo das it der Hauptmann 
geweft, wie die Bauern in Haufen — 
an die dreißigtaufend Mann ſtark — 
gen München ruden. Mit der Mün— 
hener Burgerfihaft hat er es ſchon 
heimlich verabredet gehabt; fie follen 
bereit fein, in der nächſten Chriftnacht, 
wenn Alles in den Metten oder bei 
der Luſtbarkeit ift, ruden fie an. Bon 
dent Petersthurm follen die Burger 
Raketen fteigen laffen zum Zeichen, 
daß Alles in Bereitihaft, hernach ge— 
Ihwind die Einlaßpforten Öffnen und 
gemeinschaftlich den Feind niederkrie— 
gen. So iſt's ausgemacht worden 
und den Münch'ner Burgern iſt's recht 
gewejen. 

Jetzo, fo follen fie Hingezogen fein; 
mein Großvater hat die bairische Fahn' 
getragen. Ohne Schu und Lärm, 
ohne Licht und Latern” — heimlich 
ift’3 gegangen über das ebene Land, 
ternfefte Leut’ beifanmen, und die 
Münd’ner, foll Einer zum Andern 
gejagt haben, die Münch'ner verlaffen 
wir nicht! 

Ein Theil hat jih in der Vorſtadt 
Au feſtgeſetzt und ſich hergerichtet. Wie 
der Trupp, wo der Schmied dabei ijt 
und mein Vater, über die Holzbruden 
bei Scäftlarn geht, da läutet Die 
Bennogloden auf den Thurm zu un— 
ferer lieben Frau in Münden. Die 
Anderen marjchieren über die Her— 
ladinger Höh'; jo fteinfeit gefroren 
ift der Boden, daß fie meinen, ihre 
Hingenden Schritte könnten die feind— 


183 


liche Wacht aufmerkſam machen unten 
anf den Stadtmauern zu München. 
MWeil aber ein Sturmmind anhebt zu 
gehen und Schneegeftöber ſaust in der 
rabenfinfteren Nacht, fo haben fie den 
beiten Muth, es wird Alles gelingen 
umd morgen ift Minchen wieder die 
Hauptjtadt im freien Baiernland. — 
Daß ein Judas unter ihnen gewefen, 
das Haben fie zur ſelben Stund’ 
noch nicht gewußt. War halt ein 
Tehler, daß fie in ihre Sad’ auch 
Beamtenlent’ dazugelaſſen haben, und 
wo jih einmal jo halbe Herren im die 
Bauernſchaft miſchen, da geht's nicht 
gut aus. Ein Pfleger, der ſchwarze 
Dettlinger, ift nah München gelaufen, 
hat den Herren Alles geftedt.“ 

„Der Höllfaggra!” mit diefem 
Zornenf ward der Markus unters 
broden, und felbft der Haushund 
fnurrte unter dem Tiſche. Der Er— 
zähler fuhr aber fort: 

„Seo kommen die Bauern zur 
Bruden über den Iſarfluß. In Got— 
tesnamen, da geht’ los! Die Wacht 
it bald niedergefchlagen. Etliche laufen 
davon. Dieweilen find die Manner 
von Land und Gebirg ſchon über die 
Kanonen 'kommen. Luſlig geht's. 
Unſere liebe Frau! rufen fie, für unſer 
Heimatland Hilf uns! — Daß noch 
feine Raketen aufiteigt! ſagt Einer, 
fie kommen ſchon an’ Thor. Die 
Vorderen fahren bin wie eine Haß’ 
auf die Maus, prallen aber wieder 
zurüd — Ihr lieben Leut’, das 
Thor ift zu — Hoch oben auf 
auf der Studimauer krachen ſchon die 
Gewehre. Jeſus und Maria! rufen 
die Bauern, aufmachen! das Thor 
auf, Ihr Freuzverfluchten Münch’ner 
Burger. Habt Ihr's vergeflen, was 
wir ausgemaht? Das Thor auf!“ 

Zur jelbigen Stund’ waren die 
Burger in der Stadt ſchon entwaffnet 
oder gefangen und bewacht, und die 
Soldaten schießen nieder von den 
MWällen, daß die Bauern nur jo hin— 
purzeln übereinand’. In diefer Noth 
erfaßt der Schmied von Kochel einen 


Wagenbaum, ſchwingt ihn über Hänp— 
ten und rennt ihm mit Furchtbarem 
Fluchen in's Thor. Die Anderen fahren 
auch d’rein mit Schlägeln, Haden und 
Zwengern, Trümmer gibt's, das Thor 
bricht ein, aber es ift Halt ſchon zu 
ſpat. Helllicht bligt das Pulver da 
oben, von allen Seiten pfeifen die 
Kugeln herab, daß ſie Hinfallen, die 
Bauern, wie Maitäfer im Frühreif. 
Meinen Vater felber hat eine Kugel 
in den Arm getroffen umd Hat ihm 
noch ein Nachbar geholfen, daß er die 
Fahn' mögen retten. Freilich raffeln 
jeßt die Thore auf, aber Soldaten 
herans, nichts als öfterreichiiche Sol— 
daten. Alles flieht, der Schmied allein, 
der alte Mann, will in Verzweif— 
lungswuth mit feinem Wagenbaum in 
die Feinde rafeı, jchier mit Gewalt 
reißen ihn feine zwei Söhne mit fid. 
So geht fie hin, die wilde Jagd, über 
die Wieſen und Heiden gen den Ort 
Sendling. Dort auf den Mauern des 
Kichhofs ſetzen ich die Bauern noch 
einmal feit, dort ſchwingt mein Groß— 
vater noch einmal die baierifche Fahn', 
dort ruft der Schmied von Kochel noch 
einmal zum Streit. Ein wildes Schlad- 
ten hebt an, zu Tauſend fallen jie Hin 
auf die Gräber. Die Söhne des 
Schinied, denen die Wale aus der 
Hand ift gewunden, brechen Kreuze, 
um damit zu kämpfen. Da ftitrzt der 
alte Balthaufer zum Tod getroffen Hin 
und jegt ift Alles aus.“ 

Einen Augenblid war es ganz jtill 
in der Stube, dann jagte der Markus: 
| „Die Mordnacht von Sendling, unter 
dieſem Namen ift diejelbige Chriſtnacht 
bekannt im Baiernvolf. Den aufſtän— 
‚digen Bauern, die nicht erjchlagen 
worden find, »denen ift es fchlecht er— 
gangen — getöpft und geviertheilt 
find fie worden. Aber Reu’ haben wir 
‚nicht, follen fie noch im Sterben ge— 
‚rufen Haben, für die Freiheit und 
‚fürs Baterland, beſſer können wir 
unfer Blut nimmer verkaufen ! 
‚Und fo, meine Leut',“ ſchloß der 
Markus, „Hat felbiges Herrenerjchlagen 





184 


geendet; es ift ein Banernerfchlagen |ganze heilige Chriſtnacht fein Auge 
d’raus ’worden. Aber wenn die alten Schloß. „Friede auf Erden den Men 
Leut' recht haben, die prophezeihen |fchen!" ich hörte den Gefang der 
allerweg, das Blatt wird fi) noch |Engel nicht, ich hörte nur das Knat— 
wenden |” tern der Gewehre und ſah das graufe 
Auf mich, den Knaben, hatte die | Thoreinrennen des braven, unglück— 
Erzählung des alten Knechtes einen jlihen Schmiedes von Kochel. 
ſolchen Eindrud gemacht, daß ich die 


— 
— 


Die Sage von Grät. 


Von R. 6. Ritter von feitner*) 









—D or vielen hundert Jahren 
EErhob vom Iſarſtrand 
Ein Völklein ſich, zu fahren 
Weit über Berg und Land, 









Es lam einher gejchritten 
Meit übern grünen Inn 
Bis zu den Urgraniten 
Der hohen Tauern hin. 


Da brad ein Flüßchen kräftig 
Vom Alpenwintel aus, 

Und ftiek fih gar geihäftig 
Vor Haft die Wellen kraus. 


„Hei! Flüßchen! Mar und heiter, 
Sei barih und murre nur! 

Uns ſcheuchſt Du doc nicht weiter, 
Wir folgen Deiner Spur.” 


Das Flüßchen fonnt’3 nicht ändern, 
Liek mit an feinem Nand 

Die irren Wand’rer jchlendern 
Gleihwie am Gängelband, 


Es führte fie zum Poſſen 

Durh Klüft’ und wild’ Geftein; 
Sie folgten unverdrofien; 

War do die Luft jo rein. 


Wohl lieh es aud fie Schauen 
Manch lieblid grünes Thal, 
Doch wollten nicht fie trauen 
Den Alpen weiß und kahl. 


*) Entnommen den „Gedichten? unſeres allverehrten und hodverdienten Didterneflors Leitner. 


(Srazj, Qubenäty.) 


„Nun wend’ ih mid nah Süden,” 
So dentt der Fluß zulegt, 

„Und den geprüften Müden 
Vergönn’ ih Ruhe jet.“ 


Und bricht mit freud’gem Braujen 
Durch's lebte Felſenthor, 

Und aus den Bergesklauſen 

Tritt mit die Schar hervor. 


Da liegt voll Anmuth, ſonnig 
Und weit mit einem Mal 
Vor Aller Augen wonnig 
Ein blauverduftend Thal. 


D'raus haucht es lauer, linder 
Sie an als irgendwo. 
Dak Männer, Weiber, finder 
Aufjauchzen überfrob. 


„Traun!“ — rufen die Enizüdtn — 
„Darob ift Gottes Hand! 

Se, Leute, Ihr Beglüdten! 

Mie heißt dies ſchöne Land ?* 


„Man nennt’ das werte Steier“ 
Verjegt ein Mann am Rain, 
Juchhei! jo joll der Baier 
„Hinfür ein Steirer fein!” 


Und faum nod eine Stunde 
Zieh'n abwärts fie am Strand, 
Bis wo int Tannengrunde 

Ein Feldberg einſam fland. 


185 





Hier ſchlugen fie Gezelte | „Ei, eine Stadt!” — ermwidert 
Sich auf im dunklen Wald, ' Der Nädjfte wohlgemuth, 

Doh Art und Spaten hellte Arbeitet fort, und liedert, 

Die jhöne Wildnis bald. Wie wohl ein Werfmann thut. 
Dann jchleppten fie noch Steine ‘ Da ladt der And’re belle: 

Und Salt herbei und Sand, „Nicht Übel, in der That! 

Zun Schute der Gemeine Doch jold ein Haus, Befelle! 

Zu bauen Dah und Wand. | Iſt lang' noch feine Stadt.“ 

Als jetzt die Fingebor'nen Den Fremdling nicht verichlimmert 
Der fremden Treiben jeh'n, Die Laune ſolch' Geſchwätz, 

Sieht man durch Straub und Dornen Froh fingt er fort und zimmert, 
Sie näher ſchleichend jpäh'n. Und meint nur: „G’räths, jo g'räth's!“ 
Und Giner mit Geberben Und ſeht! — e3 ift gerathen! 

Des Staunens tritt hervor, Pald ftand am Saum der Mur 
Und fragt: „Was joll dies werden Die junge Stadt auf jaaten: 


Hier zwiſchen Wald und Moor?“ | Um rebenreiher Flur. 


Sie flieht no bis zur Stunde, 
Vom Alter nur verjchönt, 

Und laut aus mandem Munde, 
Mein Gräs! Dein Xob ertönt. 


Wie das Volk über die Schneider Iderzt. 


Ton Eh. Vernaleken. 


I. rief laut: Me, me, me! Nils die Offi- 
: : ‚ |eiere fahen, daß noch Lebensmittel 
— delt 2 ae I Seien vorhanden waren, zogen fie ab und 
Mounier allen Handwerkern find die fo war die Feltung befreit. Seitdem 
a Schneider vom Boltswig am heißt man die Schneider Ziegenböde. 
meiften genedt worden, mamentlich mit Bei Hans Sachs finden wir einen 
den Geigen. Warum? Das ift jchwer | Schwant aus dem Jahre 1556 über 
zu jagen. Das Volk muß wohl irgend | „die Urſach' der Feindſchaft zwischen 
einen Bergleihungspunft zwifchen den | den Schneider und’ der Geiß.“ 
beiden herausgefunden haben. Nach Zu Kitzfeld — jo erzählt er — 
alten Volksſchwänken gilt der Geißbock lebte ein Schneider, der von Salzburg 
als Spottname für die Schneider und | dorthin gezogen war. Diejer mußte 
das Tommt nah dem „Reisgejpan“ | einem Edelmann und feinen Knechten 
daher: Eine Feſtung, worin viele die Kleider machen, allein der Schnei— 
beherbergte Schneider waren, wurde der behielt etliche Stüd Tuch's, die 
lange belagert, jo daß ſchon Lebens= er, wie man fagt, „nach der Maus” 
mittel mangelten. Ein Schneider aber warf. Das ward der Edelmann inne 
nahm das Tell von einem Ziegenbod, und dachte: „Hat die Maus einmal 
„die Hörner überwärts,“ gieng auf! den Sped getoftet, fo kommt fie wie— 
den Wall, that, als ob er grafete und | der.“ Darum jollte der Schneider zur 








186 


Strufe eim ganzes Jahr lang eine chen Nr. 35 und anderen Volkserzäh— 
Geiß halten. Das war ihm nun Höchft | lungen, nach welchen ſich ein Schnei— 
widerwärtig und eine wahre Haus- |der im friedlicher Gefinnung im den 


plage. Sie ward Hin und her ge= 
fhupft und befam wenig zu freflen 
und zuleßt ſchlug er ihr eine Nadel 
in den Kopf, jo daß fie verendete. 
Dann wollte er das Thier Nachts in 
den Stadtgraben werfen, allein der 
Schneider blieb am Horn hängen und 
ftürzte mit hinunter, Des anderen 
Morgens lief Alles Herzu und fah, 
wie die todte Geiß ſich geräcdht hatte. 
Seit jener Zeit find die Schneider den 
Geißen Feind und umgekehrt. 


Dies ſagt der Dichter dem löb— 


lihen Handwerk der Schneider: 


„Zu einem Scherz und guten Schwanf, 
Bitt’ wöllent mir's nicht zu Undank 
Aufnehmen, weil vor mandem Jahr 
Mein Pater au ein Schneider war. 

Daß Glüd und Heil reihlih erwadj’ 
Dem Handwerk, wünſchet ihm Hanns Sachs.“ 


Dies erinnert an einen anderen 
Schwant H. Sachſens: „Santt Peter 


mit der Geiß“ (1557). Petrus hatte! 
den Herrin wegen feiner Weltregierung | 


getadelt, indem er fagte, es würde 
ganz anders in der Melt fein, wenn 
er nur ein Jahr lang Herrgott wäre, 
Und das wurde dem Petrus zuge 
fanden und die Herrichaft in feine 
Hände gelegt. Allein nicht einmal einer 
umberlaufenden Geiß vermochte er 
Meifter zu werden und darım gab er 
das Negiment dem Herrn zurück. 
Wir finden dieſen legendiſchen 
Schwank auch als Fabel von B. Wal 
dis: „Wie St. Peter wollte Gott fein“. 
In der Hölle hat man die Schnei- 
der nicht geru, befonders wenn jie die 
Elle und die Schere mitbringen, wie 
das aus dem im Deimgarten (X. 12, 
©. 945) mitgetheilten Liede hervorgeht. 
Wie geht's ihnen aber im Himmel ? 


II. 
Die Schneider im Himmel 


Unſere Lefer kennen die Geſchichte 
aus Grimm's Kinder: und Hausmär— 


Himmel eindrängt. Die urfprünglichite 
und einfachfte Darftellung finden wir 
in den Schmwänfen Heinrich Bebels. 
Dort wird erzählt (1558 im 1. Buch): 

Ein hinkender Schneider ift hinauf— 
gelommen zu den Pforten der Him— 
mel und bat begehrt von St. Peter, 
er folle ihn Hineinlaffen. Das hat ihm 
aber St. Peter abgejchlagen, von wegen 
ſeiner vielfältigen Diebftähl’, die er 
vollbracht hätte, wie dann der Schnei— 
der Brauch it. Der Schneider aber 
hat angerufen die große Barmherzig— 
feit, er fönne vor lauter Müde micht 
weiter gehen. Darıeben hat er ver— 
beißen, er wolle nur den Ofen das 
hinten hüten, auch aflerlei geringe 
Arbeit ausrichten. Und das Hat er 
zuletzt auch erlangt. Als aber einmal 
der himmliſche Fürſt mit dem ganzen 
himmlischen Heer von Kurzweil wegen 
hinaus in einen Garten war jpazieren 
gangen außer der Himmel, ijt der 
Schneider allein daheim geblieben und 
‚hat Alles bejihtigt. Da kam er auch 
‚an die Sipftätte des höchſten Königs, 
wo er weit und breit jehen konnte 
aller Menſchen Thun und Lafjen. 
‚ Der Schneider beinerkte unter Anderen, 
wie ein Weib an einem Bächlein Klei— 
| der wuſch und diefelben heimlich ftahl. 
| Da ward er unwillig, denn er hat ji 
in dem Stehlen ausgelannt, erwiſchte 
des Königs Fußſchemel und warf ihn 
hinab zu dem alten Weibe. Wie aber 
der König zurückkam und des Sche— 
mels ermangelte, forſchte er nach, wer 
ihn wohl weggenommen hätte. Das 
konnte nur der Schneider gethan haben 
und der Derr fragte ihn, warum das 
geichehen fei. Und als der Schneider 
die Urſache angab, fagte der Herr: 
D lieber Sohn, wenn ich das immer 
thun wollte, jo wären jebt weder 
Bänke noch Stühle mehr im Himmel. 

Sole Geihichten kommen im den 
Schwanfbüchern des 16. Jahrhunderts 
mehr oder weniger abweichend vor, 





Be 


im „Rollwagenbücdlein“ von Widram| Ofen. Da fam die Nachricht, der 
(1555), in Pirhhofs „Wandermuth“ | Fromme Pfarrer von Vilzhofen ſei am 
u. 4. Sterben. Gleich eilt Alles hinab, um 
Der fruchtbare Schuftermeifter und feine Seele gen Himmel zu geleiten. 
Schneidersfohn Hans Sachs Hat fich Unfer Schneider trod) hervor, ſchaute 
das nicht enigehen laſſen. So finden ſich um und ſetzte ſich aus Fürwitz 
wir z. B. einen Schwank aus dem auf den Stuhl des Herrn. Er ſchaute 
Jahre 1563: „Der Schneider mit dem hinab auf die Erde und ſah, wie eine 
Panier“. Darin wird erzählt: Frau etwas ftahl. Erzürnt warf er 
Zu einem Schneider in Straßburg ihr den Fußfchemel auf den Kopf. Und 
tam einft im einer Pfinztag- Nacht als der Herr zurüchlam, jagte er zum 
(Donnerstag) der Teufel und fwang| Schneider: „Hätte ich allemal nad) 
eine riefige Fahne, die von lauter| Dir werfen mögen, fo wäre auf Dei— 
Bliden in allen Farben zuſammen- mem Haufe längft fein Ziegel mehr.“ 
gelegt war. Diefe Reſte hatte der 
Schneider früher alle „nad den Mäu— 
jen geworfen“. Darüber war er fo III. 
erſchrocken, daß er ſeine Geſellen bat, 
ſie möchten ihn immer an das Panier re JFapferkeit. 
(Banner) mahnen. Einſtmals ſticht ihm Damit hat ſich der Volksmund 
aber ein gülden Stück in die Augen viel zu ſchaffen gemacht. Wir erinnern 
und er ſchneidet ein Trum ab und nur an „das tapfere Schneiderlein“ 
wirft es „nah der Maus“. Bald | in Grimm's Märchen Nr. 20, wo dus 
darauf farb er und fam vor das! flinte Männlein jieben (Fliegen) auf 
Dimmelsthor. St. Peter fragte, wer einen Streich tödtet, gewaltige Rieſen 
er wäre. „Ih bin ein Schneider,“ | überliftet und ein Wildfchwein in eine 
jagte er. St. Peter fprah: „O, in Kapelle lodt. Aehnliche Züge von 
viel Jahren ift fein Schneider gen | pfiffiger Tapferkeit finden ſich in den 
Himmel gefahren, fondern alle zu märchenhaften VBollsbüchern aller ger= 
Ködersdorf blieben, ihre Zeit mit den | manischen Völker. Hat doch ſelbſt 
Schuftern vertrieben.“ Auf feine Bitte, | Goethe, deffen Großvater (Frd. Georg) 
fih nur ein paar Stunden wärmen auch ein Schneidermeifter war, dem 
zu dürfen, ließ ihn St. Peter hinein | Schneider einige heitere Verſe gewidmet 
und der Schneider ſchlich hinter den | in der „Schneider-Gourage“ (2, 277): 





„Er iſt ein Schuß gefallen! Mein! fagt, wer ſchoß da drauf’? 
Es ift ein junger Yäger, der ſchoß im Hinterhaus. 


Die Spaten in den Garten, die machen viel Verdruß. 
Zwei Spaten und ein Schneider, die fielen von dem Schuß: 


Die Spaten von den Schroten, der Schneider von dem Schred; 
Die Spaten in die Schoten, der Schneider in den —.“ 


Zu den Spottliedern auf die Knaben Wunderhorn“ von Arnim und 
Schneider gehören auch einige in „des | Brentano, 3. B. IL, ©. 376: 


„Es waren einmal Schneider, 
Die hatten guten Muth, 

Da tranlen ihrer neunzig, 
Neun mal neunundneungzig 
Aus einem Fingerhut.“ 


> 


In einer Nomanze I, S. 325, heißt es: 


„Es find einmal drei Schneider geweſen, o je! 

Sie haben ein Schneden für ein Bären angejehen, o je! 
Sie waren deſſen jo voller Sorgen, o je! 

Sie haben fi hinter ein Zaun verborgen, o je! 

Der Schned, der fredt die Ohren heraus, o je! 

Die Schneider zittern, es ift ein Graus, o je!“ 


IV, 
Im Bolksfprud. 


„Was die Gewohnheit nicht thut, 
fagte der Schneider, da hat er ein 
Stüd von feinem eigenen Tuch in die 


Der Humor des Volkes erfcheint | Höfle geworfen.“ *) 


auch in Sprucdform, und zwar nicht |- 


jelten in derber Weife, wie 3. B. in 
dem Büchlein von Eduard Hoefer: 
„Wie das Volk ſpricht“ (Stuttgart, | 
Krabbe). Dort heißt es u. A. 

„Es bleibt ja doch in der Freund: 
ſchaft,“ hat der Geißbock gejagt, da er 
dem Schneider den Kohl gefreſſen. 


) D. h. „nah der Maus“. Im der 
Vollsſprache ift „Hölle* nicht bloß der enge 
son hinter dem Ofen, jondern aud der 

Raum unter dem Schneidertiſche. 

(Möchte ſchon am liebſten auch ſolche 
Spottſprüche und Lieder „in die Höll“ 
werfen. Gegen die Schneider lafje ich nicht 
auflommen, Der Olmpeterl.) 


Ein Reirifher Alſilas. 


r Nie Leberfegungen mehrerer Evan 
gelien, in ſteiriſche Mundart, die 
im Heimgarten, X. Jahrgang, Seite616, 
veröffentlicht worden find, haben mans 
nigfaches Intereſſe erregt. Wir find in 
der Lage, aus den Papieren des heim— 
gegangenen Pfarrers zu Moosweiler, 





3an Suniwendfog. 
(Aufgmirkt von Lufas.) 


Um de Zeit is die Zeit aus— 
gongan und die Elifabet) hot an kloan 
Bıram Friagt. D Nochbarsleut und d 
Freund hobns gleid dafrogt und hobn 


von dem an jener Stelle die Rede ge- ihrs wul vagunt, daß ſih unſa Her— 


weſen, nech mehrere Stücke vorzuführen. ! gott üba fie dabormt but. 


Dei der Mar zutage getretenen Abficht 
jenes Mannes, ſowie bei der naiven Art 
der Ueberfeßung muß der Gedanfe an 
eine beablichtigte Profanierung wohl 
ausgefchloffen fein. 
der unmaßgeblichen Meinung, daß bei 
manchen Ausdrüden und Sapwenduns 
gen der Urtert nicht genau gededt ift. 
Doch führt die Vergleichung ſolch zwei- | 


Wir find indes die Onern: 


Ocht Tog 
drauf hobn j as Büabl bſchneidn loſſn 
und hobn an fein Vodan fein Nom: 
Zaharias gebn wölln. Na, fogt d 
Muada, Johanes fult er hoafin! Sogn 
Ah balei, in da gonzi 
Freundſchaft hoaßt neamt Johanes. 
Drauf hobn | in Vodan gwinkt: Was 
moaſt Du, wir er hoaſſn ſul? Da 
Haſcher is a Stumeri gwen, hot um 


felhafter Stellen zum Nachdenken und a Schreibtofel gſchaut und Hot aufs 
demnach auch dem vollen VBerftändniffe | gſchriebhn: Johanes ful er hoafin. Do 
des Urtertes näher. Zu bemerken ift hobn fie ſih Olli gor a fo gwunert, 
noch, daß Uebertragungen einiger be- und af oanmol mocht er s Maul auf, 
fonders intereflanter Evangelien nicht | da Zacharias, hebt die Zung und redt 
vorfindlich find, und fogt: Gott 205 und Dont! Af 


189 


do3 fein ſih Leut umundum zfürchtn 
fema und gleib iS 3 lautmauli wort 
liegendum in Gebirg und im gonzn 
Judnlond. Olln iS 8 3 Herzn gongen 
und OM hobn | gfogt: Aus den 
Kind wird ertra wos, as is jo frei, 
as wia wans unfa Herrgott hiaz ſcha 
ba da Hond führet. Und da Boda 
Zaharias is durch und duch vul von 
heilin Geift, zan wohrfogn hebt er on 
und ruaft: Gott Lob und Ehr, hiaz 
fen ih 3 ſcha, er kimt umd erlöst fei 
Vulk! 


Zan Peder und Paulstog. 
(aufgmirkt von Matthäus.) 


Um de Zeit, wir unſa Herrgott | 
da Cäfarea-Stodt in d Nahad is kema, 
frogt er af oanmol feini Jünger: 
Fü wen boltn d Leut in Gottesjuhn?, 
Sogns drauf: ad Thoal fürn Johanes 
in Zaufer, a3 Thoal fürn Elias, as 
Thoal fürn Jeremias oder an onern 
Profetn. Do frogts unja Derrgott: 
Und für wen halts Ees mih? Sogt 
da Simon Pedrus: Du bift unſa 
Herrgott. Drauf unſa Herrgott: Guat | 
jults da gehn, Simon! Dei Moana 
Finga hot da dos nit gjoat, dös hot 
da mei himliſcha Voda zwifin thoıt. 
35 ſog da fo viel: Du bift a Fels, 
und af den Felſn bau ih mei Dans, 
und fa Höflteufel fon mar on. Und 
Dir gib ih d Himelſchlüſſel. Wos Du 
af da Welt wirft zſomſchliaſſn, däs 
wird ah in Himel zſomgſchloſſu fein, 
und wos Du af da Welt wirft auf— 
löjn, däs wird ah in Himel auf: 
glöst fein. 


Zan Maria-Hoamfuahungtog. 
(Aufgmirkt von Qufas.) 


De Tag is unſa liabi Frau 
gſchwind ins Gebirg gongan, in a 
jüdifches Stadtl. In Zacharias fein 
Haus kehrt | ein und bringt der Eli- 
fabetd an ſchön Gruaß. Wia d Elija- 
bet) in Grnaß hört, mocht s Kind in 
Muadaleib an Hupfa va lauta Freud. 
D Elifabeth 





ſchreit: Glückſeli bift über olli Weiber 
und glüdjeli $ Kind, däs Du af d 
Welt bringa wirft. Wia kim ih za 
der Ehr, daß mih unfers Hergottn 
ſei Muada hoamfuaht? Diaz ſchau 


‚amol, wir id Dei Stim hon ghört, do 


mocht mei Kind in Muadaleib an 
uftin Hupfa! Guat, dag D an Glaubn 
hoft, wos dar unſa Hergott hot gjogt, 
däs wird gſchechn. Drauf fogt una 
liabi Frau: Meina Seel, unja Her— 
gott is da großmächtigi Gott! Juchazıı 
funt ih vor Freud üba mein liabn 
Heilond! 


Zan Dflabeiligntog. 
(Aufgmirkt von Matthäus.) 


Um de Zeit und Weil, wir unſa 
Hergott die groß Leutmeni banona— 
ſiacht, fteigt er afn Berg. Selm obn 
jet er fih nieda, fein ah ſcha ſeini 
Jüngern und Nochfulga do. Hiaz hebt 
er on und fagt däs: „Die Ormen 
und Berlofjnen, in Herzn fein ſ' feli; 
fie femen in Himel. Die Freundlichn 
und Guatmüatign, feli fein ſ', fe 
friagn in Erdbodn. Die Betriabtn fein 
feli, je ſuln tröfttt wern. De nod . 
Grechtigkeit rnachn, wia da Hungrigi 
und Durſtigi noch Speis und Tronk, 
ſeli fein ſ', ſe ſuln ſott wern. Die 
Bormherzign fein ſeli, ſe wern Borm— 
herzigkeit findn. De a reins Gwiſſn 
hobn, ſein ſeli, ſe kemen zan liabn 
Gott. Die friedlichn Leut, de gern 
nochgeben und gern vazeichn, ſeli ſein 
ſ', weil ſ' Kinda Gottes ſein. Mer 
Unrecht leidt, weil er grecht ſein will, 
ſeli is er, er kimt in Himel. Ees, 
meini liabn Freund, ſeids ah ſeli, 
wan Ent d Leut ſpottn und ſchimpfn 
und vafulgn und Ent olls Schlechts 
nochſogn meintswegn. Gfreuts Ent und 
jeids lufti, in Himel kriagts an guatı 
Lohn! 


3an Ormafeelntog. 
(Aufgmirkt von Yohanes.) 
Um de Zeit redt unfa Hergott 


is gonz vazudt und zan Judnan: Därft3 ma $ glaubn, 


190 





as fimt d Stund, und leicht is ſ' 
hiaz jcha do, die Todtn hörn in Gott» 
fuhn fei Stim und wern munta. Da 
Gott Voda hot 3 Lebn von eahm 
jelba; de Mocht bot er ah fein Suhn 
gebn und Hot ah der & Leben von 
eahm felba. Hot fein Suhn ah d 
Vulmocht gebn, daß er richt holtn 


fimt! Gſchwind gehts n ingegn! D 
Jungfrauna Springen auf, richtn 
eahneri Lamperln ber, do fogn die 
Dumen zan Gſcheitn: Leicht uns 
gſchwind an Del, unferi Liachtla wölln 
nit meh brina! Af dos die Gfceitn: 
Hobn eh felba mit viel, gehts zan 
Kromer und kafts Enk oans. Daweil 


fon, weil er Gottfuhn und Menſchn— if jan Kroma gehn, kimt da Bräuti- 
fuhn is. Do gibts mir zan Vawu- gon. De gricht't fein, gehn mit eahm 
nern! Es kimt d Stund, do wern af d Hohzat und die Thür wird 
Di, de in Grob ſchlofn, in Gottfuhn |zuagipirt. Diaz femen ah die dummen 
jei Stimm vanehma. Aufftehn wern |Jungfrauna daher und klopfn on: 
ſ' Oll; de guati Wert hobn thon, de |Bräutigon, mod auf! Der fchreit 
ftehn auf zan Himel, de böji Werk |drinen: Gehts mıa, ih fen Enf mit. 
hobn thon, de ftehn auf za da Höll. | Mirkts Ents und ſeids ollaweil gricht't, 
Ees wißts nit, wons is dazua! 





Zan Mirtntog. 
(Aufgmirlt von Lulkas.) 
Um de Zeit ſogt unſa Hergott (Aufgmirlt von Matthäus.) 
zu fein Leutn: Ka Menſch zündt al Um de Zeit hot unfa Hergott zan 
Liacht om und vaftedts in an Winkel glehrtn Judnan und zan Gonzgſcheitn 
oder unter an Sechta. An Jada wirds |päs glogt: Worts, ih ſchick Ent Pro- 
ſchön af an Leuchta ftelln, daB 8 difetn und Gfcheiti und Glehrti. As 


Zau Stefflastog. 


Leut ah ſechn finen. Hiaz hau: Dein 
Leib fein Liacht, däs is 8 Aug. Wan 
dein Aug ovanfälti is, ja wirds in 


gonzn Leib liacht fein, wans übamiati | 


is, wirds im gonzn Leib finfta fein. 
Deswegn.paß auf, daß Dei Liacht nit 
eppa Finftanuß is 
bringt ; nochha wird Dein gonzes Wein 
heflliacht fein und leuchtn wia da Blitz. 


Ban Aatbreinstog. 
(Aufgmirft von Matthäus.) 


Um de Zeit und Weil mocht unfa 
Hergott fein Leutn däs Gleihnus: Da 
Himel iS af a Gleis, wia zehn 
Jungfrauna, de eahneri Nochtlamperin 
nehmen und in Brautleutn ingegn 
gehn. Fünf Jungfrauna fein dumm 
und fünf gſcheit. Die fünf Dumen 
nehmen wul eahneri Lamperin, is oba 
zwenf Del drina; die Gfcheitn va= 
jteht jih, de nehmen ertva Del mit. 
Ta Bräutigon Hot ſih vaweilt, do 
fein d Jungfrauna ſchlafri worn und 
eingichlofn. Und gach mittn in da 
Nocht, do is a Gichrei: Da Bräutigon 


und Finfternuß | 


Toal davon werds umbringen und 
freuzign; a3 Zoal werds auspeiticehn 
‚aus Enfern Tempeln und vafulgn von 
vana Stodt in die onder, daß jo olli 
Bluatichuld af Enk fimt, von daſchlog— 
nen Abel on bis zan Zacharias, in 
Bahariad fein Suhn, den 3 vorn 
Oltor hobt3 dawürgt. Ih fog Ents: 
Ees werds e3 noh Friagn! O Jeru— 
ſalem! O Ierufalem! Du bringft die 
Profetn um, meint Botn wirfſt mit 
Stoan todt. Wir oft hon ih Dei Vulk 
wölln zſomruafn, wir a Den ihri Jun— 
‚gen unta die Flügn zjomruaft, oba 
na, dir is s mit recht gwen. Gebts 
‚Odtin, enfa Haus wird noh vawialt 
wern! Und biaz jog ih Enf dos: Bon 
heunt on ſechts mih neama, bis & 
‚mar ingegn werds ruachn und betn 
‚und jamern um mih! 





San Johonnstog. 
(Aufgmirft von Johanes.) 
Un de Zeit fogt unfa Hergott 
zan Petrus: Geh, kim mit! Da Pe— 
trus draht fh um, ſiacht unſern 


Hergotin ſei Herzkäferl, in fewin 
Jünger, der ſcha ban Nochtmohl fein 
Kopf auf unfers Hergottn fei Bruft 
hot glegt und gjogt hot: Wan ih 8 
na wiljad, wers is, der Dih varothn 
wird! Wia hiaz da Petrus olfar in 
Johanes fiat, fogt er zar unfern 
Hergottu: Und Der? Wos mocht dan 
Der? Sogt unfa Hergott: Wos geht 
dan dos Dih on? Der ful a fo, wir 
er hiaz is, bleibn, bis ih zurüd kim. 
Und Du gehft mit. Af däs hot jih 
da Glaubn dahebt, daß da Johanes 
nit fterbn funt. Diaz hot ober unfa 
Hergott nit gfogt: Er wird nit fterbn, 
er bot na gjogt, der ſul a fo, wir er 
hiaz iS, bleibn, wos gehts dan Dih 
on? — Den do3 pofjirt iS, der da= 
zählt s do felber und mir finen ung 
af jei Zeugnuß valofjı. 


San Pfingfimonta. 
(Aufgmirkt von Johanes.) 
Um de Zeit hat unfa Hergott 
zan Nilodemus gredt: Sa viel gern 
hot da himlaſch Voda d Leut, daß 





— 


Enk na ſo viel ſogn: wer nit ba da 
Thür einigeht in Schofſtall, wer wo 
onderfter einifteigt, der i$ a Diab und 
leiht gor a Mörda. An urndliga 
Scofholta geht ba da Thür eini. Da 
Thürwogl mochten auf, d Schof hörn 
ſei Stim, er ruaft d Schof bar eah— 
neri Nam und lodt3 aufa. Und war 
er feini Schof afjaglodt hot, geht er 
eahna voraus, d Schäfla renen an 
noch, weil j fjei Stim kenen. An 
Fremd wern j gwiß nit nochlaffn, 
da den wern ſ davon rena, weil eahna 
jo ah d Stimm frem is. — Däs Gleich: 
nuß Hot eahner unſa Hergott gmocht, 
hob 3 oba nit vaſtondn, wos er 
gmoant Hot. Do Hot er nohamol 
onghebt: Glaubt ma %, wos ih ſog, 
die Thür zan Scofftoll, de bin ih. 
DM Ondern, de kema fein, Diab und 
Mörda fein s und d Schof hobn eahna 
nit traut. Die Thür bin amol ih. 
Wan Dana durch mih einigeht, der 
timt in Dimel, er wird aus» und 
eingehn und fei Soch findn. A Diab, 
wan er fimt, der will na ftehln, 


er fein oanzin Suhn aufopfert, der mordn und vawiaſn. Ih bin kema, 
belehrts und weifts, daß s mit in daß s as Lebn hobn fuln, und daß 
Valur gehn, dab s in Himel feman.|3 as übrigs gnug hobn. 


Da himlaſch oda Hot fein Suhn 
nit epper af d Welt gichidt, daR 
er Gricht Holtu ful, er hotn gſchickt, 
daß er d Leut güati aufnimt und 
ſeli mocht. Wer m macfulgt, der 
hot fa Gricht ziüchtn, wer n mix 
glabt, der is ſcha valorn, weil er $ 
nit glabt, daß er da Gottiuhn is. 
Dos i3 jo ſcha d Strof, wan s Lincht 
fimt und d Leut mochn d Augn zua; 
und däs toans, wans fchlecht jein. 
Wer ſchlecht is, der fürcht'k jih vorn 
Liacht und traut fih mit zan Liacht, 
damit jo ſeini Schlechtigkeitn mit 
gitroft wern. Wer oba 8 Rechti thuat, 
der geht gern fira zan Liacht, daß ma 
s jehn fon, wos er Gott 3 Liab 
thon Hot. 
3an Pfingfiiafa. 
(Aufgmirft von Johanes.) 
Um de Zeit hot da Herr wieder 


amol mitn Gonzgfcheitu gredt: Ih will 





Ban zweiten Sunta noch Pfingfin. 
(Aufgmirft von Qufas.) 


Um de Zeit hot unſa Hergotten 
Gonzgicheitn däs Gleichnuß gmocht: 
Ih woaß Dan, der Hot a großes 
Nochtmohl kochn loſſn und viel Leut 
einglodnt dazua. Und wir s finſta 
wird und ſchon Olls firti is, ſchickt 
er fein Knecht aus, daß er s in 
Einglodntn jogt: je ſultn fema, mir 
wortn jcha. Do hot an Jader an Aus 
red ghobt: Der Dan hot an Moar- 
hof fafft und muaß mn onfchaun gehn 
— ſult mit bös fei, da Goftgeber. 
An Ondra Hot fünf por Ochfn kafft 
und muaß | probirn gehn — ſult mit 
bös fein, da Goftgeber. Wieder ar 


Onderer hot gor gheirat und fon jcha 


deftwegn mit fema. Da Knecht kimt 
zruck, vicht’t die Poftn aus. Däs Harbt 


192 


in Hausvodan. Hiaz geht ma gſchwind, 
fogt er, auſſi im d Stodt, af Goffn 
und Stroßn und woſt Ormi, Schwodi, 
Blindi, Lohmi findft, de bringit eina. 
Sogt nohha da Knecht: Hons ſcha 
thon, oba mir hobn noh Plotz. Sogt 
da Hausvoda zan Knecht: Sa laf af 
d Londſtroßn auffi, za die Zäun und 
Thör, und wenft findft, den gehft 
on amd bringft. Mei Stubn muah 
vul wern. — Ih ſog Ent däs: Va 
die Einglodutn ful mar oana kema! 
Koana kriagt mar an Bilfn von 
Nochtmohl! 


Zan virtn Sunta noch Pfingfin. 
(Aufgmirkt von Lukas.) 


Um de Zeit, wia wieder amal 
Olls unſan Hergottn is zuagrent, 
wos er dan eppa wieda ſogt, is er 
grod ban Geneſareth-See gwen und 
hot zwoa Schiff' ongſchaut, de afn 
Woſſa ſein gſtondn. D Fiſcha ſein 
ausgſtiegn und hobn juſt eahneri Bern 
gwoſchn. Do is er zan an Schiff hin— 
gonga, däs in Fiſcher Simon Hot 
ghört und den hot er ongholtn, er 
jult jo guat fein, er möcht a went 
afn See aufjifohrn. Guat, er ſetzt 
ſih ins Schiff und redt aufja zan 
Leutn, de afn druknan Lond ftehn. 
Nochha drauf fogt er zan Fiſcher Si- 
mon: Loß 3 firi gehn, fohr weiter 
aufli, wo 3 Woſſa tiafer iS und Holt 
in Bern ein! Jo freili, jogt da Fila, 
mir Hobn die gonz Nocht umgmotzt 
und nie Friagt. Oba wanft moaft, jo 
probir ihs nohamol. Er thuats und 
fongt da jo an Lofta Fiſch', dah 
Bern zreißt. Af dos wifchbelt er in 
Komaradn afn zweitn Schiff: feids fa 
guat und kemts ma 3 Hilf! Gleih | 
jein ſ dogwen und ollzwoa Sciffin 
fein über und über vul Fiſch' worn, 
das F völli valunfn fein va lauta 
Schwarn. Da Fiſcher Simon Petrus, 
wir er ghoafin Hot, follt vor unſan 
Hergottn af die Knia: Geh wet va 


Onern ab, da Jalobus, da Johanes, 
in Zebedäus feini Sühn, de in Fi— 
iher Simon feini Kameradır fein 
gwen. Sogt af dos unſa Hergott zan 
Simon: Mod da nir draus. Ba hiaz 
on wirft Du Leut fonga! Wohr is $ 
worn, fe fein afs druckni Lond gfohen, 
hobn Olls liegn und ftehn loſſn und 
fein mit unſan Hergottn gonga. 


Ban fünftn Sunta noch Pfingfin. 
(Aufgmirft von Matthäus.) 


Um de Zeit hot unſa Dergott zu 
fein Leutn dis gſogt! Wans Ees nit 
grechta feids, als wia die Gonzgſcheitn, 
fa temts Ges nit in Himel. Ees wißts 
doh, wos in oltn Leutn ſcha gſogt 
is worn: Du ſulſt neamt umbringa. 
Wer wen umbringt, der kriagt ſei 
Strof. Und ih ſog Enk ſo viel, daß 
an Jada, der af ſein Bruadan harb 
is, ah ſei Strof ſul kriagn! Und wer 
fein Bruadan an Spitzbnabn ſchimpft 
der muas vors Gricht. Und weren 
an Norrn hoaßt, der kimt gor in d 
Höll. Wanſt an Opfer in die Kirchn 
bringſt und es follt dar nitawegen ein, 
Dei Bruada kunt vadriaßli fein af Dih, 
ja lo 3 Opfer Opfa ſei, geh za Dein 
Bruadan und werds guat mitanona, 
nocher erft fin und brings Opfa. 


Zan ochtu Sunta noch Pfingfin. 
(Aufgmirkt von Lukas.) 


Um de Zeit hot unſa Hergott 
fein Jüngern däs dazählt: Is amol 
a reiha Mon gwen, und der hot an 
Bawolda ghobt, und va den Hot er 3 
dafrogt, er that ſei Vamögn vafchwendır. 
Hotn drauf herhoaſſn loffin und giogt: 
Ba dir hört ma ſchöni Sohn! Bares 
fantir dih, zoag ma d Rechnungen, Du 
bift ohgſetzt. Denkt eahm da Vawolda: 
Hiaz wos heb ih on? Mei Herr va— 
jogt mih. Orbatn kon ih nit und zan 
Betln that ih mih z viel ſchoma. Ober 
ih woaß wos is thua, daß — won 


mir, liaba Herr, ih bin jo a ſchlechta ih ſcha vajoad wir — mih d Leut 
Kerl! Sonz paff is er gwen und die gholtn. Af däs Hot er im Herrn fein 


193 


Schuldner zſomhoaſſn loffn. Zan Erſtn 
ſogt er: Wia viel biſt mein Herrn 
ſchuldi? Sogt der drauf: Hunert 
Faſſer Del. Sogt da Vowolda: Nim 
Dein Schuldſchein und ſchreib eini 
Funfzg. Nochha drauf zan Zweitn: 
Und wia viel biſt Du ſchuldi? Jo mei, 
hunert Metzn Woaz, ſogt der. Guat, 
drauf da Vawolda, ſchreib in Dein 
Schuldbriaf: ochtzg. — Moant af däs 
da Herr, is nit dum, da Vawolda. 
Dba gfcheit fein j jo oll, die Geld- 


a ini, der mit fein Knechn Varech— 
nung bolin geht. Wir er onhebt jan 
Nochrechnen, kimt Daner und gitehts 
ein, er war zehntaufend Thola ſchuldi. 
Weil er um und um nix bot, jo be= 
fitht da Herr, er ful ſei Weib und 
Kind vakaffn und zohln. Af dos follt 
da Knecht af fei Ania und ſchaut zan 
Bittu: „Nar a Hoans went noch— 
wort, ih wir Olls zohln!“ In Herrn 
dabormt der ormi Haſcha, er lot n 
ans und ſchenkt eahm die gonz Schuld. 


leut und d Weltleut, däs ftedt ſchon Da Knecht ſchleicht lüfti davon und 
in eahnan Biuat. Gſcheita ſein ſ, wia daußt vor da Thür begegut eahm a 
die guatn und bravn Leut. Jo jo, Kamerod, dern zwölf Groſchn ſchuldi 
mochts Ent na guati Freund mit nm)is. Den podt er ban Gnack, würgtn 
ungrechtn Geld und Guat, werds ſcha a Weil und fchreit: „Mei Geld will 
fehn, wand gor wird mit Enk, ob ſih hobn, wos d ma ſchuldi biſt!“ Da 


Enk eini loſſn in Himel! 


3an funfzehntn Sunta noch Pfingfin. 
(Aufgmirft von Lufas.) 

Um de Zeit is unfa Hergott in 

d Naimaftodt gonga. Seini Yüngern 

und ah ollahand omeri Leut jei mit» 


gonga. Wiad zon Stodtthor femen, 
trogns grod an Zodin aufjer, ana 
Muader ihr vanziga Suhn. Sie is 


Witime gwen. A Schod Leut is mit 
ihr dahe kemen auſſa va da Stodt. 
Wir unfa Hergott d Witiwe gjechn 
bot, hots eahm dabormt. Muaßt nit 
woanen, bot er gjogt zan ihr und bot 
die Bohr awenk ongrührt. Die Troga 
bobn ftiflgholtn. Drauf jogt er: Bua! 


ih jog da 8, fteh auf! Do is da Todti 





aufgftondn und Hot onghebt zan redı. | 
Nochha Hot er n jeina Muada zrude | 


Kamerod follt af feini Ania: „Nur 
a Hoans Rand! Geduld, ih will Dir 
Olls zohln!“ Nix, da Knecht loßt fein 
ormen Kamarodn in die Keuchn ſpirn, 
‚af jo long, bis d Schuld zohlt war. 
In ondern Sinechtn hot der orm Haſcha 
daborınt und fe gehn zan Deren und 
dazähln eahm Olls. Af dos loßt da 
Herr in Knecht ruafn. „Oh Du Bös— 
wicht!“ ſogt er, „ih hon dar af Dei 
Gebitt die ganz Schuld gſchenkt, und 
Du lonſt jo hortherzi ſei gegn Dein 
ormen Kamerodn? Diaz fen ih ah fa 
Dabormnuß mit Dir. Af da Stell loß 
‚ih Did ſchindn und däs fa long, bis 
Du ma Dei gonzi Schuld zohlt hoſt.“ 
— Und ſo, beſchliaßt unfa linba 
Hergott fei Gleichnuß, a fo wirds mei 
himliſcha Voder ah mit Ent mochn, 
wans mit oanonda mit nochlichti und 
vatragli ſeids. 


gebn. Do Hobn ſih d Leut onghebt | 
zan fürchtn, hobn Gottlob und Dont! 
glogt und hobn gjogt: Do hobn mar) Yan zwoaundzwoanzigfin Sunta noch 
an großmächtin Profetn kriagt. Unfa Pfingfin. 

Hergott is zan uns fema. (Aufgmirkt von Matthäus.) 


Un de Zeit und Weil ſtehn die 
Gonzgſcheitn zſom und fleantjchlus 
mitanonder aus, wia | unfern Her— 
'gottn in fein Redn und Ontwortn 

Um de Zeit hot unfa Hergott fein | dronkriagn funtn. Se fhidn eahneri 
Leutn wieder a Gleichnuß gmoct. Af Studentn Hin zan eahm und de hobn 
a Gleich, fogt er, iS da Himel wir zfogn: „Moafta! Mir wilin & recht 


13 


3an vanazwoanzigfin Sunta no 
Pfingfin. 


(Aufgmirft von Matthäus.) 





9 


Rofegger’s „„Grimgarten‘‘ 3. Geft, XI. 


194 





guat, daß Du d Wohrheit jogft, daß gfuaht? An Wohrfoger eppa? Ih 
D Dih um neamt fcherft und grods ſog Enks, der ift mehr wir a Wohr— 
Wegs in Himlifhn Vodan zuagehft. | joga. Der i$ da nämli Engl, va dems 
Diaz fei doh fa guat und fog uns in oltn Gſchriftu fteht: An Engl will 
Dei Moanung üba däs: Is 5 redit, 16 Dir vorausſchickn, der Olls Mi Did 
daß mar in Kaiſa Zins zohlt, oder herrichtu ſul. 

is s nit recht?“ Unſa Hergott hols 

gleih kent, wos ſwölln. „Ees Schelm!“ 

ſogt er, „Ees wöllts mih afs Eis führn. Zan viertn Sunter in Advent. 
Zoagts mar amol a Zinsmiünzen.“ (Aufgmirkt von Lufas.) 

Guat, fe holtn eahm an Groſchn hin. Da römifhi Kaifa Tiberius hot 


Unfa Hergott drahtn in da Dond um 
zen * da Se „Do Pa Auf: grod ſcha gegn funfzehu Johr long 


u 3 gregirt. In Judäa is da Ponzius 
—— — — en Pilatus Stottholta gwen, in Galiläa 
d Etudentn. „Na guat,* fogt da liabi 5 da an ern ar En fei 
Herr Jeſus, „Wos in Saifa gbört, | runde, be Phi ipp, der is Fürſt in 
däs gehts n Kaifa, Und wos unfern Ituräa und im Trachonitis gwen und 
Herrgottu ghört, das gebts unfern im Abilene is da Fürft Lyſanias gwen. 
Hergottn. Die jüdifchn Gottzöberftn fein der 

Annas und da Kaiphas gwen. Um de 

Zeit hot da Johanes, da Zacharias- 
ſuhn, in da Wildnuß a Zoachn friagt. 
Der is fira gonga und hot in da 
(Aufgmirkt von Matthäus.) Jordangegnd predigt, je juln fih taffı 

j a j „loſſn und buaßwirkn, daß eahna d 
— ih Al Sündn kuntn vaziechn wern. Stangad 
gott olls gredt und thon bot, do jchidt 2 doh Ton iR oltn Profetn Iſaias 
er zwen Botn zan Jeſus und loßtn ſein a _. ber a. 
frogn: „Bift Dur 8, der ongfogt i8, in da Wildnuß ruaf nt in Weg 
oda müaſſn ma noh af an Ondern | Det unfa Hergott kimt! Zhol und 
wortu ?" Af dos gibt unfa Hergott Grobn ſul ongichütt wern, Berg und 
de Ontwort: Gehts, und dazählts in Bichel ſuln ohtrogn wern. s Krumpi 
Johanes, wos 8 do ghört und gfechn ſul grod wer, da fnoberadi Weg ful 


hobts. Die Blindn fechn, die Krüppeln deod — Olli Leut wern unochn 
ſpringen, die Krätzadn ſein über und Heilond ruachn. 

über rein, die Töriſchn hörn, die, 
Gſtorbnen wern lebendi, für die Ormen 
und Baloſſnen kimt a neigi Lehr. — 

Guat is s fit den, der ſih nit Habt (Aufgmirtt von Johanes.) 

üba mih! — Nochha, wia die Botn 3 ollererſt is s Wort gwen, 8 
fuat gweſn ſein, bot unſa Hergott Wort is Gott gwen, Gott ſelber iS 8 
zan Leutn de in d Wildniß kema ſein, Wort gwen. Olls kimt von Wort her, 
üban Jobanes gredt: Wen hobts nix is, wos nit von Wort is kema. 
dan eigentli Ees gſuacht in da Wild- In Wort is s Leben gwen. 's Lebn 
nuß? Eppar a Stamel, däs von Wind is in Leutn eahna Liacht gwen. 's 
bin= und bergwachelt wird ? Oda wos Liacht leucht’t in s Dufteri, oba $ 
denn? Epper Dan, der in an Gwond Duſteri fon holt fa Liacht vatrogn. 
va Somt und Seidn ftedt? Seldti Do is a Menſch von Himel fema, 
fints in Stinigfchlöffern finde, oba nit der hot Johanes ghoaſſn. Der hot 
in da Wildnuß. Oda was hobts fift | in Leutn S Liacht aufgftedt, hat eah— 


Ban zweitn Sunfer in Advent. 


195 


nas ausdeutſcht, daß F jehn und 
glaubn fultn,. Er felber is 3 Liacht 
nit gwen, hot3 nar aufgfiedt. Däs, 
unfa Herrgott, is 3 Liacht gwen, daß ofli 
Leut af da Welt gfehn hobn. Er is af 
da Welt do gwen, d Welt is von Liacht 
aus gmocht gwen, oba fie is dena noh 
blind gwen. Er is af fein Bfik fema, 
feini Leut hobn an mit aufgnoma. 
De n ober aufgnoma hobn, de hot er 
za Kinda Gottes gmocht, de af eahm 
glaubt hobn, Hoakt dos, de nit da 
Mon bot gmocht, de nit aus da Sind 


und nit aus u Fleiſch fein geburn, Die Ausfägigen. ftangad: ftünde, 


de va Gott fein. 3 Wort is Fleiſch 


Ein Bauer 





in Freund diefer Monatsfchrift 
N jendet und die folgenden Ge: 
dichte eines jchlichten Yandmannes aus 
Dberöfterreih. Diefelben find von einer 
Selbitbiographie des Verfafjers beglei- 
tet. 
für ſich allein ſprechen; fie Jagen nicht 
wenig. 
Mein Leben. 


Am 23. Juli 1827 auf dem ſo— 
genannten Maifchinger= Gut in der 
Ortſchaft Lohnharting, Pfarre Dörn— 
bach, geboren, hatte ich das Glück, 
einen ſehr talentierten und belejenen 
Vater zu haben, der uns ſehr früh 
durch feine geſchichtlichen Erzählungen 
für das Lefen begeifterte. Da ich ſchon 
mit fünf Jahren ziemlich gut lefen, 
Rechnen und fchreiben konnte, war ich 
ſchon mit zehn, elf Jahren ein leiden 


Wir lafjen Dichter wie Gedichte 


gwortn und is zan und kemma und mir 
hob jei Mocht dafohrn. In Gottes- 
ſuhn ſei Mocht, der mwohr is und 
vula Gnodn. 


Erklärungen: Stumerl: ein Stums 
mer. jein fih z fürdten fema: begannen fid 
zu fürdten. In d Nahad: in die Nähe. 
Leutmeni: Menihenmenge, Sechta: 
Sceffel. vaweilt: veripätet. as Toal: 
zum Theile. gebts Ochtin: habt Acht. 
ausfratſchla: ausfragen, aushorden, 
obmurren: tödten. Thürmwogl: Thor: 
wart, Hüter. vawiain: verwüften. Bern, 


'Fifhbern: Filhnege. umgmogt: gefret— 


tet. fleantſchlu: flüftern. Die Krätzadn: 


als Dichter. 


ſehr eingenommen. Die Schule wurde 
mir bald zu eng umd ich ſuchte nad) 
‚höheren Gegenftänden. Als Jüngling 
‚hatte ich faft feine andere Unterhal— 
tung als nur Lefen. 


Ih durchwachte oft halbe und 
ganze Nächte, um nur diefer Leiden 
ſchaft fröhnen zu können, da ich tags» 
über fo gut wie die anderen Dienft- 
boten die ländlichen Arbeiten verrichten 
mußte. Ich langweilte mich oft ehr, 
wenn ich feine Bücher zu lefen Hatte. 
Da des Vaters pecuniären Berhältnifie 
e3 nicht erlaubten, mir nene oder ganze 
Merle anzuschaffen, war ich gezwungen, 
mir don dort und da weldhe auszu— 
borgen oder auf dem Trödelmarkt in 
Linz unvollftändige und defecte Bücher 
‚um wohlfeilen Preis zu faufen. 


So wurde ih ohne bejondere 





ſchaftlicher Leſer der Geſchichte, Geo- Zwiſchenfälle ſiebenundzwanzig Jahre 
graphie und auch für das Poetiſche alt, bis ich mein eigenes Heim gründen 
13* 


und mich verehelichen konnte. Mein 
fleines Gut mit etlich jechszig Joch 
befteht aus Aedern, Wald und Wiefen, 
und liegt in der Ortichaft Kalchöfen 
bei Efferding, das ich nun jeit bei— 
nahe achtunddreißig Jahren bewirt- 


fchafte, aber leider für meine neun 


Kinder nie viel Vorrat gewinnen 
fonnte. Ih ſchwang mich wohl öfters 
in's Ideale — aber im Realen war 
mir Fortuna nie recht günftig. 

Von jeher Vorliebe fiir das Poeti- 
che hegend, wurde ich von demjelben 
unmilltürlich Hingerifjen, daß ich mich 
nicht enthalten konnte, in diefer heiteren 
Kunſt felbft Verſuche zu machen ; wohl 
wiffend, daß ich als unftudierter und 
ungelehrter Landmann nicht viel und 
Großes werde leiften können, da mir 
zuden alle Borbildung mangelt, ich 
auch das Leben und die Verhältniſſe 
der Menſchen, fowie die Größe und 
Mannigfaltigleit der Natur faſt nicht 
fenne. 

In diefe niedere Sphäre einge» 
ſchränkt, war e3 mir nicht vergönnt, 
mich zum Höheren und Aeſthetiſchen 
emporzufchwingen und Ffonnte nur 
Heine Erzählungen, Gelegenheiten und 
Sagen als Stoff zu meinen Verſuchen 
nehmen. Solange ih mich als Dilet- 
tant damit befchäftigte, hatte ich Feine 


Beurtheilung und Kritik zu befürchten, | 
doch, weil ſchon mehrere meiner Ge= , 


dichte Hie und da gelefen werden, 
fühle ich mich zur milderen Beurthei— 
lung meines Stedenpferdes bemüfligt, 
diefe Erflärung vorauszufenden. 

Inden ich Ihnen Hier meinen ine 
haltslofen und monotonen Lebenslauf 
furz refumierte, erbitte ich mir noch, 
mit meiner Kalligraphie und meiner 
Orthographie Nachlicht tragen zu wol— 
len, denn was Hänschen verfäumt — 
holt Hans nimmer ein. 


Hochachtungsvoll 
Ihr 
Sie herzlich grüßender 
Zehann Kirchmeier. 
Kalchöfen, 5. Mai 1885. 


Dichter und Bauer. 


Was bin ih denn, dab ich vermeſſen 
Mich auf zu Höhern Sphären ſchwing'? 
Wie kann ich meinen Stand vergejien, 
Daß ih nah etwas Höher'm ring’? 
Ich bin zu dem ja nicht geboren, 

Bin nit ftudiert und nicht gelehrt; 
Es hatten mir die düftern Horen 

Bon allen diefem nichts gewährt. 

\Und doch gefällt mir, ah! das Schöne, 
Das Herrlide der Poeſie; 

 Bezaubernd wirken ihre Töne 

Auf mein Gemüth, ih weik nicht wie. 
Ich werd’ von ihr dahingerifien 

| Und ſtets entflammt und ganz entzüdt 
Daß Herz und Sinne faft zerfliehen, 
Wenn fie in goldnen Traum mid wiegt. 


O dann vergefi’ ich meine Bürde, 

Des armen Bauer nieder'n Stand; 

Ich fühl’ als Menih dann wieder Würde 
Was ih zuvor noch nie enıpfand. 

‘ Denn wadend werden die Gefühle, 

Als flieg ein Genius herab, 

Weil mir des guten Schöpfers Wille 
Zum Haren Geift Gemüt auch gab. 


Es ift zwar oft ein zartes Fühlen 
In meiner Lage nicht ganz gut. 
Man wird oft wider jeinen Willen 
| Hineingedrängt in jene Flut, 

Die nur im Haben und Geniehen 
Des Lebens Ziel alleine ſucht 

Und jedem Denten, jedem Wiſſen, 
Als „überflüſſig“ haßt und flucht. 


Doch mag man mich auch gleich verhöhnen 
Und einen Sonderling ſelbſt ſchmäh'n, 
Ich werde immer mit dem Schönen 

Und mit dem Echten, Guten geh'n. 

Ich „muß“ — ich kann mich nicht erwehren 
Der höher'n, geiſtigen Gewalt, 

Sie hat im Sittlichen und Hehren 

Fuür meinen Sinn zu viel Gehalt. 





‚Zwar Reihthum werd’ ih nie erlangen 
In meinem Stand durch Schönheitsfinn, 
Auch fann ih nie ald Dichter prangen, 
Weil ich ja nicht gebildet bin. 

Es ift dies nur in Mufeftunden 

Mein angenehmer Zeitvertreib; 

Auch werd’ ich ja fein Ohr verwunden, 

| Wenn id doch mandmal Berje ſchreib'. 





134 jhöpfe dann nur aus den Quellen 
Der jhönen, freundlichen Natur 

Und flehte mandmal guten Seelen 

Ein kleines Liederkränzchen nur, 

Ich möcht’ gern’ Sinn für's Schöne zeigen, 
Das in Gedanken fi vertauſcht, 

Wie wenn harmoniſch in den Zweigen 
Die file Aeolsharfe rauſcht. 


Drum wird mıan mir au nicht verübeln 


Mein harmlos Heines Stedenpferd 


Und e3 zu jehr auch nicht begrübeln, 
Weil es nicht ift von größer'm Wert. 
Es hat nit Jeder Glüd und Gabe, 
Im Stand und Denken groß zn jein: 
Das, was ih bin und was ich habe 
Heißt — Bauer und ein Didterlein. 


Borſatz. 


Stark werd' ich meine Kinder füttern, 


Daß mir ja feines Dichter wird. 


Es bat das Schidjal von zwei Müttern 


Mir nun neun finder zugeführt; 


Doch möchte fih nur feins verirren, 


Den Dichternamen einft zu führen. 


197 


| 


Was ift der Dichter? Ah! — ein Sclave 


Von feinem eigenen Gefühl, 


Empfindjamfeit wird ihm zur Strafe, 


Und er verfehlt jein Lebensziel, 
Denn er lebt nur im Idealen 
Und folgt oft wenig den Realen. 


Sch jelbft fann es zwar nimmer laffen, 


Bei aller ganz verlornen Müh'; 
Gedanlen rhythmiſch einzufasien, 
Iſt ja für mich ſchon faſt Manie; 


Doch ſuch' ich es bei meinen Kindern 


So viel als möglich zu verhindern. 


Der Blindgeborene auf dem Lande. 


Viel hab’ ich hier zu dulden 
Auf diejer finftern Welt; 
Doh ohne mein Verſchulden 
Mard ich hieher geftellt. 

Ih mußte wider Willen 

Als Kind ſchon betteln gehen, 
Den Hunger nur zu ſtillen, 
Und kann die Welt nicht ſehn. 


Ich habe, blindgeboren, 

Auf Erden harten Stand, 

Die Mutter bald verloren, 
Den Bater nie gelannt. 

Man führt an einen Stabe 
Mich ſtets von Haus zu Haus, 
Und theilt mir eine Gabe 
Nah gutem Willen aus. 


So ſchleppe ih mein Leben 
Schon jehäzig Jahre fort; 
Ruh’ ift mir nie gegeben, 
Ich muß von Ort zu Ort, 
Muß immerwährend wandern 
Und beiteln vor der Thür, 
Ron einem Tag zum andern 
Auf Stroh ein Nadhtquartier. 


Ad höre immer reden, 

So ſchön ſei's auf der Welt, 
Daß Sonnenftrahlen röthen 

Ein blaues Dimmelszelt, 

Daß Nachts d'ran Sterne glänzen 
In wunderbarer Pracht, 

Und dak in Blumenkränzen 

Ein holder Frühling ladt. 


Nur mir fcheint feine Sonne 
Auf meinen Lebenspfad, 

Ich fühle nicht die Wonne, 
Die jeder Seh'nde hat; 

Ih muß im FFinftern trippeln 
Und flohen Stein an Stein 
Und dabei ganz verfrüppeln 
Mein ihmachtendes Gebein. 


Bon allen jenen fFreuden, 

Was And’re fröhlih macht, 
Weiß ih mir nichts zu deuten, 
Bei mir iſt's immer Nadt. 

Bon blüh’'nden, grünen Bäumen, 
Von Thal und Bergeshöh'n 
Kann id nit einmal träumen, 
Weil ich fie nie gejeh'n. 


Ih lann der Welt nichts leiften 
Und fall’ ihr nur zur Laſt; 
Den Menihen, ad! den meijten, 
Bin ih kein lieber Gaſt; 

Ich lann ja niemand dienen 
Und nie zu Handen fteh'n, 

Ihr Mitleid nur gewinnen, 
Wenn fie mein Elend jeh'n. 


Ihr reihen Menſchenkinder, 
Mit Augenlicht begabt, 

Ein alter, armer Blinder 
Iſt's den Yhr vor Euch habt, 
(entzieht ihm Eure Hände 
Und Eure Liebe nicht, 

Bald geht's mit ihm zu Ende, 


Tann — wird's bei ihm aud licht! 


Die Shwindelperiode. 


| 
| 
| 
I 
| 
Nur reih und groß — daS find die Loſungs— 
wörter 
Und lange Zeit das weltberühmte Treiben, 
Recht viel Proſpect und hohe Ziffern jchreiben 
Und Lug und Trug und dann — ein Selbſt— 
bethörter. 
| Ia, diefe Sucht drang in die Heinften Dexter, 
Es durfte faft Niemand zurüde bleiben. 
Da kam der Hrah! Dagegen half fein 
Sträuben, 
Und Taufende find Bettler nun und — 
Mörder. 


198 


Nicht Arbeit mehr, noch redliches Geſchäfte, Man foll zuvor die Völker d’rüber fragen, 
Bielleichter wär's Coupons herunterjchneiden, | Wenn Zwift und Streit zum Srieg zu lom: 


Da abjorbierte man dod feine Kräfte. 


Man fuchte nur die Leute auszubeuten, 
Inden fie Alles ftets nad „Vorwärts“ ſchuben 
Und fielen felbft — in diegegrab’nen Gruben. 


Der Communismus. 


Ein Ungethiim im Bild des Communiften 
Grinst uns herein in's fociale Leben, 

Und immer mehr fieht man e8 fich erheben, 
Als würd's gefäuget an Medujens Brüften. 


Denn unerfättlih ift ja ihr Gelüften, 

Das Eigentum als Diebftahl zu vergeben, 
Un Arm und Reich in Eines zu vermweben, 
Daß fie fi glei in Allem theilen müßten. 


Und melde Theilung möchte d’raus ent: 
ftehen ? 

Ein Monat würde Mandem faum gentligen, 

Um ärmer als zuvor herumzugeben. 


Wie fie fich jelbft durch diefen Wahn betrügen, 
So müßten fie hernady ihr Leben friften 
Und immer theilen — jelbft mit Communiften. 


Die Schüler Loyolas. 


Ihr fennt fie ja an ihrem feinen Schliffe, 
Die breite Hüte tragen, ſchwarz fich Heiden, 
Mit ihren Lehren jelbft die Brüder jcheiden 
Durch fünftliches Verwirren der Begriffe, 


Ihr Aushängſchild verdedt nur die Tartüffe, | 


Sie jhaffen nur den Menſchen Serlenleiden, 
Um in der Angſt fie leichter auszubeuten 
Durch ihre Schlihe und dur ihre Kniffe. 


Dieweil fie uns ftet3 nach den Himmel zeigen, 
Entziehen fie uns den Befig der Erde 
Und madhen fie zu Gottes Ehr’ ſich eigen. 


Die Wolle nehmen fie der frommen Herde, 

Zum öftern dod wird auch das Lanım ges 
nommen, 

Damit die Seelen in den Himmel fonımen, 


Der Areopag. 


Wann wird einmal der jhöne Zeitgeift tagen, 
Daß alle Völter fih in Frieden einen, 

Die Mütter nicht mehr um die Söhne weinen, 
Tie man im Kriege ihnen todtgeſchlagen? 


men jcheinen, 
Das Kriegs: Erllärungsreht gehör’ nicht 
„Einen“, 
"Der Bauende hat's Neht nur zum Ber: 
ſchlagen. 


der Zwieſpalt des menſchlichen Herzens. 


Was ich nicht will, das thue ich am meiſten, 
Und was ich will, vollführe ich nur ſelten. 
Das Zeug in mir taugt nicht zu einem Helden 
Und fann in dem nur äußerft wenig leiften. 


Die auf der Bahn des Lebens ſchon entgleisten, 
Die werden mich darob zu hart nicht ſchelten, 
Weil ſie wie ich auch mannigfaltig fehlten 
Und unfehlbar zu ſein ſich nicht erdreisten. 





Ach! welcher Zwieſpalt tobt in meinem 
| Herzen! 

Ich möchte immer nur das Gute üben 
‚Und weiß das Böfe nie ganz auszumerzen. 


"Bon unfihtbaren Mächten oft getrieben, 

Kann ich nicht immer die Begierden dämpfen, 

Muß millenlos den Kampf um's Dajein 
fänmpfen. 


Das Spielzeug. 


Es ift mir oft jo wunderlih zu Mutbe, 

| Wenn ih mein Leben und mein Thun be: 
| trachte, 

Oft wünſchte ich aus tiefftem Herzensſchachte, 
Zu fördern nur das Edle und das Gute, 


Doch jelten glüdt e3 meiner Wünſchelruthe, 
Juſt das zu finden, was ich hofft’ und dachte. 
‚ Mein Tagewerl, das ih mit Müh’vollbradhte, 
Iſt Arbeit nur — für eine Trödelbude. 





Doc ſollt' ih dD’rum in meinen alten Tagen, 
‚Weil ich nicht mehr und beſſeres kann liefern, 
An meiner Leiftungsfähigfeit verzagen? 


‚DO nein! ich will den Tand nie hoch beziffern, 
Will nur mein Spielzeug immer netter machen 
Und dann mic freu'n, wenn d'rob die fin: 
| der laden. 


Am Styx. 


' Bon Kindheit an leid’ ich an Heinen Mängeln, 
Nur fonnte fie die Jugend leicht ertragen; 
Doch nad und nad) fängt mit den alten Tagen 
| Der Körper an, auch immer mehr zu fränteln. 


199 


Gleichwie die Blumen an den zarten Stengeln | 


35 han mih halt 5 Dir vafchaut, 


Den Reif des Herbftes nimmermehrvertragen, | Denn gar fo liabla bift Halt baut 
So will auch mir das Alter nicht behagen, | Bon Kopf an bis ön Fuaß. 


Ih muß bald fort von Weib und Kind und | 


Enteln. 
| 


\ 
I 


Am Rad der Zeit und den Naturgejegen 


Muß immerwährend alles Dajein wechſeln, 


Berihwinden und dabei ſich doc erſetzen. 


Auh mir kann die Natur nichts Eig’nes 
drechſeln; 

Obwohl das Leben mir noch immer lieber, 

Freund Charon ruft — ih muß den Styr 


| 


Ih woaß, ib fann Dih jchwerlö habn, 
Und d Ausſicht iS go triab; 
Und Du gfallft ma halt gar jo wohl, 
Denn 8 Brüfterl is jo rund und voll 
Und 8 Gfichterl gar fo liab. 


Du bift jo freundli und fo guat, 
Drum gfallt ma finft foans me, 
Und das woaß ih ja a ganz gwiß, 
Daß Als, was in Dein Herzerl is, 


hinüber. Nu rein is wia da Schnee. 
Drum bin ih halt jo einagihlagn, 
Dõ ih moan. Drum is jo jhwar ma Gmiüath, 


Ih han koa Freud meh af da Welt, 
Weil's mih halt allweil drudt und quält: 
O wann ih Dih nur hiat! 


Es is iatzt grad a PViertljahr, 

Daß ih Dih fing und fenn, 

Und jeit der Zeit is halt-ma Herz 
Bald volla freude, bald volla Schmerz, 


Zah ih mih nöt dalenn. Wann ih Dih friagat, gab ih gern 


Für Dih ma halbats Lebn, 
Und hätt! ih Haus und Hof und Geld 
Und gherat mei dö halbat Welt, 


Wann ih af d Naht ds Bölterl geh. 
Gern that ih's für Dih göbn. 


Geht lang loan Aug nöt zua, 

Ih roat halt allöweil ö Dir, 

Ya felbft ön Schlaf fimmft ma nu für 
Und laßt ma gar fon Rua. 





‚Und wann ih Dih halt do nöt kriag, 
' Du jchene Engelsjeel, 

Aft drudts ma halt ma Herzerl a, 
Dann welt ih a und dorr ih a, 
Wia's Bleamerl afn Fel. 





Ih kann ja jelmt a nöt dafilr, 
Daß ih Did gern habn muaß, 


Ueber die ethiſche Aufgabe der Hauptvölker Europas. 
SER dieſes Thema finden wir jihn für ihr Voll; die Römer weihten 
Eim „Magazin Für die Literatur ihm einen fFanatifchen Eultus, indem 
des In- und Auslandes“ einen Höchft ſie jich für das zur MWeltherrfchaft be= 
anregenden Auffaß von Dr. A. Berg- rufene Volt und ihr Weltreih für 
haus in Gotha. Diefer Gelehrte fchreibt: | unvergänglih und vorbejtimmt erach— 

Der Gedanke, daß einen jeden Volke) teten. Es gehört gewiß zu den erha= 
das Ma feiner Dauer, fein Auftrag | benften und fchwierigiten Aufgaben 
und Beruf zugemefjen fei, ift ein ſehr des menjchlichen Geiftes, aus der Ge— 
alter. Schon die alte etruskiſche Augu- ſchichte der Völker die Aufgabe rein zu 
renweisheit wußte um dieſen Saß ; | erlennen, welche jedem derjelben zuges 
die Hellenen begriffen und formulierten | fallen ift, rein herauszulefen, wie ſie 








gelöst worden und was an ihr unge—- ; perfönlichen fyreiheit oder des Bürger— 
löst geblieben ift. Die wahre Gefchicht3- | thums, wie wohl angenommen worden 
forſchung wird ftet3 mur in der Löfung |ift, unterwarf ſich Rom die Welt. 
diefer Frage ihr Ziel finden; ihr letzter Seine Aufgabe war, zu herrſchen und 


Zwed wird immer fein, aus allen 
Phaſen der Specialgeſchichte das ethi⸗ 
ſche Geſetz dieſes oder jenes Volkes 
rein herauszuleſen. Denn nicht der 
einzelne Menſch, nicht das einzelne 
Volk ſtellt die Aufgabe des Menſchen— 
daſeins vollſtändig dar, ſondern die 
Menſchheit überhaupt, und die Erkennt— 
nis diefer Aufgabe wird daher um fo 
vollfländiger fein, je reiner wir Die 
Einzelaufgabe der Völker erkennen. 
Dieje fpecielle Aufgabe des Volksindi— 
vidunms bildet und begründet fein 
elthiſches Geſetz. Das ethiiche Geſetz 
der Menſchheit aber, oder mit einem 
anderen Worte: „Ihr Zwed und ihre 
Beſtimmung“ werden zu finden fein, 
wenn die ethiſchen Geſetze der einzel— 
nen Völker Har vor uns liegen wer— 
den. Die nächſte Stufe zu der Wiflen- 
Schaft deſſen, was die Gottheit mit der 
Menſchenſchöpfung bezwedte, wird daher 
die Erkenntnis fein, welche Aufgabe 
jeden der Völkerſtämme zugefallen ift. 

Nachdem das ethifche Geſetz der 
Hellenen: „Gottähnlichkeit 














vernünftige Gefeße zu geben; fein 
ethifches Gefeß, die römische Vollsidee 
über die Welt zu verbreiten, mach dem 
Willen derfelben Götter, welche Rom 
gegründet hatten. Auch diefe Idee kam 
mit vollem Bewußtſein im römischen 
Volle zu ihrer Entfaltung. wie das ganze 
römische Alterthum unabweisbar belegt. 
Rom aber herrfchte, jo lange es dieſem 
Staatsgedanfen treu und ohne Wan— 
fen ergeben blieb. Mit dem überhand— 
nehmenden Gulturintereffe, mit der 
geipaltenen Kaiſermacht kam eine erſte 
Störung in dieſe Aufgabe: das Geſetz 
war nicht mehr eins; in den über— 
mäßig ausgedehnten Provinzen galt 
ein anderes Gefeß al3 zu Nom; Im— 
perator trat gegen Imperator auf. 
Von dem Augenblicke an, daß die 
römische Staatsmacht ſich in ihren ver— 
Ichiedenen Trägern ſelbſt befänpfte, 
ſank fie naturgemäß ; fie erlag einem 
neuen Principe, dem Grundgedanken 
des Germanenthums, der in der Frei— 
heit und Selbftbeftimmung des Indi— 


in rein vidunms wurzelt. Griechen und Römer 
menschlicher Sitte und menschlicher | hatten ihr ethifches Geſetz erfüllt ; 


der 


Schönheit darzuftellen“ in volllommes | Staat war menschlich gebildet, die Auf: 


nen Selbftbewußtfein durch diefes Volk! gabe war gelöst, 


erfüllt, fiel e$ vor einem individuell 
ftärteren Princib, das, in beſchränkter 
Richtung wie zu einem Seil concenz 


triert, von Außen ber eindrang, vor nach ewigen Geſetzen hervor! 


der Volfsidee der Römer. Die Staats» 
idee Roms war eine ganz fataliftifche. 
Rom ift ihr gemäß ewig, und ewig 
zur Weltherrſchaft berufen. Dies iſt 


die Menſchheit zu 
befähigen, die Idee der geiſtigen Frei— 
beit des Individuums zu ertragen. 
Was der Naturgeift braucht, bringt er 
Das 
Individnum wurzelt im Willen, es 
wird erfennbar durch die Subjectivität 
des Willens. Das Ehriftenthum, wel— 
ches ſich vor Allem an den Willen 


der Fern der Idee, unbeſieglich Daran | euer und mit ihm das Germanen— 


und darım jo mächtig, weil jeder 
andere Gedanke von Genuß, Freiheit, 
Schönheit oder Weisheit ihr vollkom— 
men untergeordnet war. Herrſchaft 
und, weil es ohne Geſetz Feine Herr— 
ſchaft gibt, Geſetz, bildeten die Peri— 
pherie des römischen Staatsgedanfens 
im Bewußtfein des Römers. Mit die— 
ſem Gedanken, nicht mit dem der 


thum, 


welches das Individuum zur 
Grundlage des Staatswejens nimmt, 
übernahmen, Hand in Hand, die Fort: 
bildung der ethischen Weltordnung. 
Von vorn herein erbliden wir nun 
— dem antilen Götterwillen gegenüber 
— den Trreibeitsbegriff als die Grunde 
lage des germanischen Volksweſens, 
und zwar dieſen Begriff in jeiner 


201 


zwiejpaltigen Anwendung, als Unab- ſchiſchen Geftaltung ſtreng gegliedert 
bängigteit des Volles, des Stammes, | fortleben zu laffen. Die Hohenftaufen 
Geſchlechts und als geiftige Selbſtbe- in ihren Kämpfen mit dieſem Geiſte 


ftimmung des Einzelnen. In beiden 
Richtungen Hatte ſich dieſer Begriff, 
als das ethifche Geſetz der germani— 
ſchen Völker, durch die Jahrhunderte 
der Völkerwanderung hindurchzuarbei— 
ten. Die Stämme fuchten zunächft 
nach ihnen zufagenden Wohnpläßen 
und geeigneten Miſchungen. Sie ver: 
einigten fich alle zu einem Heerbaun 
gegen die Römer; es entjtand der 
markomanmifche, der Schwäbische Bund, 
in denen jeder Mann ein fühner 
Streiter gegen die Römer war. Der 
Kampf mit diefen dauerte fünf Jahre 
hunderte; da wurden fie Sieger über 
das Volk, das ſich für ewig unüber— 


windlich gehalten hatte. Sie fanden | 
bier das Samenkorn des Chriſten- 


thums in einen unfruchtbaren wüſten 


des Romanismus waren eben nichts 
Anderes, als der reine Ausdruck des 
ethiſchen Geſetzes des dentſchen Volkes, 
gegenüber dieſer Verjüngung der alt— 
römischen Staatsidee in der Kirche. 
Den Sieg auf germanifcher Seite ent» 
ſchied erjt die „Reformation“ : mit ihr 
gieng das germaniſche Volksgeſetz ſei— 
ner Entfaltung rein entgegen; mit ihr 
ſprengte die bis dahin noch gebundene 
Idee der geiſtigen „Freiheit“ des In— 
dividuums ihre Feſſel, indem ſie gleich— 
zeitig mit Nothwendigkeit aber auch 
die Form zerſtörte, in der ein ger— 
maniſches Staatsweſen ſich hatte zu— 
ſammenfinden können, ſo lange jene 
Idee nicht die alleinherrſchende gewor— 
den war. 

Sp ward die Neformation die be— 


Boden; fie erfannten das Große und ſtimmende Grundlage der bis in Die 
Herrliche, was in feinem unterdrüdten |nenefte Zeit Geltung habenden Staat3= 


Keime verborgen lag, und entjchloffen | 


ih, es mit ſich zu nehmen und in 
ihren heimatlichen Gauen zur Blüte 


zu bringen. So wurde in der Mitte) 


diefer großen allgemeinen Zerſtörung 
unjere Stiche vor dem Untergange be= 
wahrt und Dentfchland ward das 
MWeltreih des Chriftenthums: feine 
Ausläufer im Süden und Meften 
nahmen die Trümmer des zerfallenen 
Romerreiches in fih auf. 

Doch verdunkelte fih durch eben 
diefe Mifhung die reine Aufgabe des 
germanischen Vollsweſens, um neue 
Geftaltungen einzugehen, ohne Aus— 
nahme aber Strahlenbrehungen des 
einen Gedankens, des eihischen Geſetzes 
der Öermanen. Im Reiche felbft wurzelte 
Alles im Geſetze der äußeren Unab— 
hängigfeit und der inneren Freiheit. 
Die nächte Confequenz der inneren 
Freiheit war der Kampf mit dem 
Romanismus, dem diefe Freiheit fremd 
blicb und der fi in die Stiche ge— 
fliichtet Hatte, um im ihr das römiſche 
Princip ewige Herrſchaft 





form der Deutfchen, die oberfte Urſache, 
weshalb die Deutjchen jo lange haben 
darauf Verzicht leiſten müſſen: „Eine 
politifche Gemeinschaft, ein Volk zu 
fein.“ Die geiftige Freiheit, die Selbſt— 
beftimmung des Individuums war der 
Grundgedante des ethifchen Geſetzes 
der Deutfchen. Sie haben dies Gefeß, 
in dem ihre Volksethik wurzelt, bis 
zur höchſten und vollendetften Ent— 
faltung ausgebildet. Auf das Gebiet 
des Geiſtes hingewieſen durch Nature 
beruf (Götterwillen, würde der Hellene 
ſagen), Hat das deutſche Volk die ganze 
Sphäre des menschlichen Gedantens, 
das ganze Gebiet des Willens und 
des Urtheils ausgefüllt. Es hat die 
Wiſſenſchaft der Wilfenichaften, die 
Lehre vom Geſetze des Denkens, ges 
ihaffen, in der alle Erwartungen des 
menschlichen Geiftes wurzeln und gipfeln 
und durch welche der Geift des Men— 
ſchen zur wahren und höchften Frei— 
heit gelangt, und hat ſich ob jeiner 
Univerfalität geeignet gemacht, in den 


oder Geiſt der verjchiedenen Völler einzu— 


Macht Roms — in einer neuen hierar- |dringen, ihre Eigenthümlichkeiten zu 


202 


erkennen und zu achten und dadurch 


In Frankreich fanden die Germa- 


jene internationale Stellung in Europa | nen einen vollftändig ‚gegliederten ge: 
einzunehmen, ohne welche ein Forts | jeftigten Staat vor, mit einer nad 
fchritt der Völfer auf der Bahn der 


Gejittung und Freiheit nicht denkbar 
ift. Aber indem es die Berechtigung 





Zahl und Bildung überwiegenden Bes 
völferung, welche fie durch eine ſtrenge 
militärifche Organifation niederhalten 


des Individuums über jede andere | konnten. Die Rönter hatten die Gallier 


Berechtigung erhob, verlor es die Ber 
rechtigung des „Gemeinfanen“ aus 
den Augen. Das Staatswefen mußte 
einbüßen, was alle Individuen gewanz 
nen. Im Fortſchritt diefer Richtung 
gieng nach und nach der ftaatliche Zu- 
ſammenhang der Einzelnen mit dem 
Vollsganzen zu Grunde: der Deutiche 
wurde unfähig endlich, diefen Zuſam— 
menhang vein aufzufaflen, darzuftellen ; 
fein Individunm ftieß bei jeder Bes 
rechnung in der ihm angebildeten Frei— 
heit gegen das Staalsganze an und 
trat mit ihm im den Kampf. So ver= 
loren wir Jahrhunderte lang die Fähig— 
feit, ein Volk zu fein, einem Willen 
gehorfam, einer dee ergeben, eine 
Bollsgemeinfchaft darzuftellen, welche 
dem Individuellen gegenüber für eine 
Macht, Für eine Wejenheit zu gelten 
die Kraft im fih trug. Der Götter: 
wille, das ethiiche Gefeh der Germa— 
nen erfüllte jich: die Idee der Frei— 
heit des Individunms, die Selbftbe- 
ſtimmung des Einzelnen war voll ins 
Dafein getreten. Die Frucht war ges 
reift. Jetzt hat nun das deutjche Volk 
wieder die Berechtigung des Gemein 
jamen gefunden durch die fräftige Re— 
gierung eines Staates, der fich jeder 
Einzelne unterzuordnien hat. 

Während jo Germanien im enges 
ren MWortfinne feine Gefchichte durch» 
lief, brachen ſich die Strahlen feines 
Geiftes in den anderen europäifchen 
Staaten aus germanischer Wurzel in 
mannigfachen Zuſammenſetzungen. Das 
jedesmalige Ebenmaß zwiſchen dem 
Urvolf, dem romanischen und germaniz 
Shen Elemente, und das Verhältnis 
des lleberwiegens des einen oder des 
anderen diefer Elemente im Phyſiſchen 
wie im Sittlichen beftimmten über Art 
und Geftalt diefer Combination. 


1} 


1 


| 





über 400 Jahre beherrfcht und ihnen 
vollftändig ihr Gepräge aufgedrüdt. 
Sie waren in Sprade, Sitten und 
Reihsverfaffung römiſch, und als das 
Chriſtenthum eingeführt, war römiſche 
Cultur und römiſche Centraliſation 
allmächtig geworden. Neben dieſer fans 
den die Franken in Gallien auch die 
Feſtigung der Civilrechte, in der 
Finanzverwaltung und in der Slirche 
vor, ingleihen ein vollftändig ausges 
bildetes Zollſyſtem und eine vollftändig 
gegliederte Dierardhie. Der unruhigen 
Wandelbarfeit des keltiſchen Vollsgeiſtes, 
wie jie uns Cäſar gejchildert, gegen 
über, prägte ſich der Geift der Treue, 
als ein Grundzug der germanischen 
Seelenftimmung, bier lebendiger aus 
und trat mit dem dritten Volfselemente, 
dem romanischen Verlangen nach Herr- 
ſchaft oder dem kriegeriſchen Geiſte, 
in Wechſelwirkung. Aus dieſen drei ſich 
entgegengeſetzten Elementen erwuchs der 
oft fo räthſelhafte franzöſiſche Volksgeiſt. 
Man ſieht das franzöſiſche Volk falſch— 
lich als ein durchaus einheitliches an; 
es iſt in der That aber nur einheitlich 
in gewiſſen Neuerungen feines Geiftes. 
Innerlich und mit ihren eigentlichen 
Grundgedanken find die Franzofen, 
von Individuum zu Individuum, ger 
trennter als irgend ein anderes Volk, 
wenngleih ein höchſt lebendiges Na— 
tionalgefügl fie meiltens abhält, dieſe 
Spaltung auch äußerlich zu zeigen. 
In jeder gegebenen Zeitepoche ihrer 
Geſchichte herricht eines der Volksele— 
mente über dig beiden anderen ; allein 
es herrſcht auch nur, ohne die beiden 
anderen vertilgen oder ganz beliegen 
zu können. Plöglich bringt ein Anſtoß, 
äußerlich oder innerlich, ein anderes 
der folange dienenden Volkselemente 
zur Herrfchaft und die Folge Hiervon 


ift, daß die jedesmalige Staatsform 
wankt und zufammenbricht. Die Ver— 
fchiedenheit der Boltsbeftandtheile in 
geiftiger Beziehung ift der Quell der 
endlojen Revolutionen des franzöfifchen 
Staatzgebäudes. Ja mehr — nicht 
bloß in dem Ganzen des Volkes herrfcht 
diejes Gejeß der Gegenfäße, fondern 
in jedem einzelnen Individuum ſelbſt 
ift es geltend. 
nöthigen Bildungsgrad vorausgejegt, 
gehorcht dem dreifachen Elemente der 
MWandelbarleit, dem Triebe der Treue 
und dem Berlangen nach Herrſchaft 
für feine Bollseinheit. Daher denn 
auch der beitändige Wechſel, nicht nur 
in den Grundanſchauungen über das 
Verhältnis des Einzelnen zum Staats« 
ganzen, jondern auch der Moralprin« 
cipe bei den Einzelnen in dieſem Volke, 
je nad) dem Borrange, den das eine 
oder das andere Element feines Geiftes 
iiber die anderen gewinnt, 

Die Anficht, daß die Schmelzung 
zu einem Bolfsgeifte — das Nationale 
gefühl abgerechnet — weniger, als bei 
irgend einem anderen europäiſchen 
Stamme, bei den Franzofen vollendet 
jei, ift nicht die gewöhnliche. Sie mag 
befremden ; aber bei näherer Prüfung 
des franzöſiſchen Geiſtes in allen gejell- 
Ichaftlihen Schichten, nah genaner 
Durchforſchung der Gefchichte dieſes 
Volkes, wird fie gerechtfertigt erſchei— 
nen. Was das gewöhnliche Urtheil 
täufcht, ift eben nur dies, daß das 
franzöfiiche Volk die Fähigkeit bejigt, 
fih dem jeweilig herrſchenden Volks— 


Jeder Franzofe, den 


203 


elemente augenblidlih und ohne Wider- 
Ipruch zu unterwerfen, eben deshalb, 
weil ihm die Idee der individuellen - 
Selbftbeitimmung fern liegt und Fremd 
ift. Dierdurch wird nach der Seite der 
äußeren Erſcheinung bin bewirkt, daß 
ih nur eine Form des Bolfsgeiftes 
darftellt, während innerlich die Gährung 
und fo zu jagen der Kampf der ver— 
ſchiedenen Volksgeiſter unter ſich forte 
dauert, bis ein anderes der beſiegten 
Elemente zum Siege gelangt. 

Worin beruht nun hiernach dus 
ethiſche Geſetz dieſes Volkes und wie 
iſt es zu formulieren ? Es beruht in 
nichts Anderem, als in der vollſtändi— 
gen Ausſtrömung der drei Ideen der 
Wandelbarkeit, der Treue und der 
Herrſchaft. Mit diejer Aufgabe it das 
franzöfifche Volk beſtimmt, im Mittel— 
puntte Europas die Unruhe im der 
Uhr der europäiſchen Stundenmwelt zu 
fein. Das Auffuchen neuer Staats— 
formen, das Erperimentieren mit diefen 
ift feine Aufgabe; dem Erftarren der 
Formen zu wehren, die Bewegung des 
politiſchen Weltwefens zu erhalten, 
das Feſtwerden in todten und abjler« 
benden Formen — wozu die Übrigen 
Völker Europa® mehr oder minder 
‚Neigung Haben — zu hindern, das ift 
die Aufgabe des franzöſiſchen Volkes. 
Auch diefe Aufgabe ift ernft und edel, 
wenn fie richtig verftanden wird; fie 
beſtimmt dies Bolt zum Fahnenträger 
des Fortjchritts in der Dumanität und 
‚zu einem langen ftaatlihen Dajein 
unter wechjelnden Formen. 








Pondoner Sommertage. 
Slizzen und Plaudereien von Audolf Rleineke. 


III. 

In der „Inventions-Exhibition“. 
Zi um Cicerone Hab’ ich entschieden 
—E kein Talent oder zum mindeften 
ein ungehenres Pech. Oft und oft hab’ 
ich mir auch Schon vorgenommen, lieber 
für ein wenig unhöflich zu gelten, als 
no einmal als Gicerone zu dienen 
— doch man weiß ja, der Weg in die 
Hölle ift mit guten Borfäßen gepflaftert 
und jo Hab’ ich es denn genau jo oft, 
ale ih mir's vorgenommen, auch — 
nicht gehalten. 

Einmal freilich, als ſich ein lieber 
Freund mir andertraute und wir dann 
zufammen in den fonnendurchglühten 
Felsabſtürzen des Hochſchwab hiengen 
und weder hinauf noch hinab konnten, 
da Hab’ ich einen feierlichen Schwur 
geihworen, meine „Yührerfchaft“ in 
feinem alle mehr in Anwendung zu 
bringen und Habe den Schwur auch 
gehalten bis auf den heutigen Tag. 

Bis auf den heutigen Tag! Sofl 
ih ihm nun untren werden und dem 
geneigten Leſer Führer fein im der 
„Inventions-Exbibition ?* Soll ic) ihm 
untren werden, bloß um nfeine Bes 
richterftatterpflichten gewifienhaft er— 
füllt zu haben oder ein wenig liebens= 
würdig zu erjcheinen ? 

„Zum Kuknk mit aller Liebens— 
wiürdigleit und Gewiſſenhaftigkeit“, 
würde ich ſagen, wenn ſich das in 
anſtändiger Geſellſchaft ſchickte, ſo aber 
kann ich bloß die ganz ernſt gemeinte 
Verſicherung abgeben, daß ich nichts 
Entſetzlicheres kenne, wie als Cicerone 
in einer Ausſtellung zu fungieren. 

Da ſchleppt man aus lauter Lie— 
benswürdigfeit jo einen guten Freund 










einen halben Tag lang in den Aus» 
ſtellungsräumen herum, muß dor Ge— 
‚ genftänden, die man ſchon fo und fo 
oft gejehen, noch einmal ftehen bleiben 
‚und fie anftaunen, muß Intereſſe heu— 
cheln für Saden, die einem vollftändig 
 gleichgiltig find, oder gar Bewunderung 
hegen für Dinge, die einem jo zu— 
wider find wie einem Confortablegaul 
eine neue Yubre. Und hat man dann 
ſchließlich ſämmtliche Räume abgelau— 
fen und iſt froh, daß endlich das Zei— 
chen zum Schluß gegeben wird und 
man gezwungen iſt, den letzten Saal 
nur ſo zu durchfliegen, ohne ſich mehr 
aufhalten zu können, ſo findet ſicher 
unſer Schützling gerade in dieſem 
‚legten Saale noch irgend eine Merk— 
würdigkeit, die ihm ftatt Dankesworten 
‚den Borwurf entlodt: „Aber fie haben 
‚mir ja gerade das Schönſte nicht ge= 
zeigt!" 

Nein, ich will mich ſolchem Tadel 
nicht wieder ausfegen, ich will Sie, 
verehrte Leferin, daher bloß mit dem 
‚VBergnügungsorte „Inventions- 
' Exhibition“ befanmt machen und höch— 
ftens fo im Vorübergehen ein Weniges 
von den Ausftellungsobjecten plaudern. 
Ich bitte um ihren Arın, meine Gnä— 
dige, wir wollen gehen. 

Schon in Orford» und Regent: 
Street beginnen die Conductenre von 
jedem vorbei rollenden Omnibus (oder 
Bus, wie der Londoner in jchöner 
Vereinfachung fagt) ihr „Exhibition!“ 
nit nachdrüdlicher Betonung der legten 
Silbe „schenn!“ zu rufen und die 
ganze lange Biccadelly hinunter, vorüber 
am Green» und Hyde Park, verfolgt 
uns der Ruf, wenn wir e3 nicht vor— 
ziehen, uns von einem der geräumigen 
Käſten oder mittelft eines leichten Cabs 








— * 
eo... 


205 


oder Hanſom Hinausfuhrwerten zu 
lafjen. 

Endlich liegt der jchöne Neubau 
de3 „South Kenfington-Mufeum“ vor 
und und rechts davon ziehen fich die. 
Ausftellungsgebäude die ganze lange 


Exhibition-Road hinauf, wo dann die 


impofante Albert » Hall den Abſchluß 


bildet. 


Das Portal der Ausſtellung ift 
gerade nicht vielveriprechend, und doc 


thut fich gleich nach dem Entreefaale, 
in deſſen Mitte eine Reiterftatite des 
Thronfolgerd paradiert, eine 
Wunderwelt dem Bejucher auf. Wün— 
ihen Sie einen funftvoll cifelierten | 
Schmudgegenftand oder eine gigantifche 


wahre | 


'man bleibt lieber unten in den Parks 
anlagen, welche den Mittelpunft des 
Ausſiellungsrayons bilden, und lauſcht 
daſelbſt oder in der Albert-Hall, oder 
im Muſic-Room oder ſonſt wo deu 
eben gebotenen Concert-Vorträgen, falls 
man es nicht vorzieht, in der „Old 
London Street” herum zu Bummeln 
und die (imitierten) alten Bauwerke 
zu bewundern oder die jungen, als Ver— 
fäuferinnen fungierenden Ladies. Ge— 
‚meiniglich übt denn auch das coftüimierte 
‚weiblide „Jung: Yondon“ dajelbit ent= 
ſchieden mehr Anziehungskraft aus als 
| die naturwahre intereffante Nachbildung 
der engen Strafe „Alt Londons“. 

| Neben folder Augenweide ift aber 


Dampfmaschine zu jehen, es ſteht bei⸗ auch für Ohrenſchmaus ausgiebigſt ge— 
des zur Verfügung, wünſchen Sie über-— forgt. Bald iſt es ein Geſangsquartett, 
haupt was fie wollen — ich glaube, welches die Kirchengeſänge alter Meiſter 
es wird nicht fehlen in dieſer Triumph- zur Aufführung bringt oder eine 
halle menſchlichen Strebens und Schafe ‚Production auf der riefigen Orgel in 
fens, ob es num in der eigenen Hei- ‚der Albert Hall (der zweitgrößten der 
mat (in deren Wbtheilung befonders Welt), dann wieder ein Claviervor— 
die Producte mehrerer Wiener Firmen trag oder eine englifche Militärmuſik, 
viel bewundert werden) erzeugt wurde allenfalls die Guards, die unter Leis 
oder aber im irgend einem Theile des tung ihres Gapellmeifters Godfrey eben 
Reiche? der Mitte. Wählen Sie nur deſſen auch uns mwohlbefannten Walzer 


und Schauen Sie fo viel Sie wollen, „La garde de la reine“ fpielen. Iſt 
meine Verehrtefte, aber — laſſen Sie man neugierig genug und nicht gerade 
mich aus dem Spiel — ich erkläre | verwöhnt, jo kann man auch eine Pro— 


feierlihft und der Wahrheit gemäß,  duction der — Hofcapelle“ 
wenn auch ein wenig beſchämt, daß | über fich ergehen laſſen, deren duntels 
ih von all’ den ausgeitellten „Erfin- hantige Mitglieder, auf dem teppich— 
dungen“ verteufelt wenig verſiche. belegten Boden ſitzend, ihre Glocken— 
Höchſtens, daß ich Sie auf die Gallerie ſpiele, Schlaginftrumente und ſonſtigen, 
der Albert:Hall begleite, wo nebft an— oft ganz conriofen Mufitwerlzenge, die 
dern muſikaliſchen Euriofitäten eine in Berlioz’ Inftenmentationsiehre nicht 
änferft intereffante Goflection muſika- einmal erwähnt find, bearbeiten. 
liſcher Inſtrumente vom 16. Jahrhun⸗ Aber es will Abend werden und 
dert bis auf unſre Tage, ferner eine ich muß meine ſchöne Begleiterin er— 
Sammlung von Manuſcripten und ſuchen, mir in den Garten zu folgen. 
Autographen berühmter Mufiter, die Man Spielt eben wieder einen 
bis in’s 10. Jahrhundert zurüdreicht, Walzer draußen — aber nicht „die 
vorliegt. Garde der Königin“ und auch nicht 
Man findet Hier immer mur ver- im Tempo der englifchen Muſiker — 
einzelte Beſucher, das Gros fühlt fich | einen Walzer, wie man ihn nur an 
durchaus nicht veranlaßt, wegen ein | diefem einen Ort Spielt — einen echten, 
paar alter Scharteden, und hätten fie rechten Wiener Walzer! 
auch Beethoven oder Händel gejchrie= S’ iſt ja der „Edi“ da mit feis 
ben, die vielen Treppen zu fleigen — ner Gapelle und tänzelt da umd wiegt 


FRRRT Be ; 


206 


fih — wenn er nicht eben einem ſei— 
ner Muſiker einen unheilkündenden 
Blid zuzuwerfen bat, weil diejer firäf- 
licherweife ftatt nach den fchwarzen | 
Notentöpfen lieber nah dem gewiß, 
lieblicheren Köpfchen einer vorbeipro= 
menierenden Lady blidte und dabei, 
einen durch diefen Umftand durchaus 
nicht gerechtfertigten falfchen Ton griff. 

Wie das wiegt und ſchwingt und 
ummilltürlich die Füße in Bewegung 
bringt — gar der Gentleman, bei dem 
ich ftets im Zweifel war, ob jein Rüd- 
grad denn auch aus den allgemein 
üblichen Wirbelfnohen oder nur aus | 
einem einzigen unbeweglichen Knochen | 
beitehe, beginnt fih im Takte hin und | 





| 





her zu wiegen — ja ſogar der be— 
kg Londoner Nebel ſcheint zu 
tanzen anzufangen — — denn jelbft , 


im Hochſommer fommt dann und wann 
fo ein naffalter Gruß don der See 
ber, und darım lachen Sie nidt, 
meine gütige VBegleiterin, wenn Sie 
mitten im JIuli auf den Schultern 
der ſommerlich gefleideten Ladies den 
winterlichen Pelzmantel ſehen — derlei 
Figenthümlicpleiten find immer und 
überall durch Klima oder ſonſtige Ver— 
hältniſſe geboten. 


„In Rußland mu man Schnaps 
trinfen,” ſagte in Petersburg ein Mann 
zu mir umd leerte um 9 Uhr Morgens 
das zehnte Gläschen. 

Im Mebrigen ift aber eigentlich 
nicht viel mehr zu ſehen die 
abendliche Dunkelheit hat ſchon tichtig 








zem Röcdchen und nadhläflig über die 
Schulter geworfenem Plaid des Weges 
fommt und ihm Concurenz bietet. 

Da vollzieht ſich plößlic vor un— 
jeren ftaunenden Augen ein Wunder. 
Wie auf das Schöpfungswort: „Es 
werde Licht!“ zuden allenthalben Heine 
Flämmchen auf und ehe eine Secunde 
um tft, find helle glänzende Sterne 
daraus geworden — Glühlichter, wie 
die Leute fie nennen. Sie erglänzen 
am ganzen weiten Rund der Aus— 
ftellungsgebäude und markieren die 
Eontouren derjelben, fie wiegen fich in 
den Wipfeln der Bäume bis hoch hin— 


‚auf zum legten Weftchen der Bappelı, 


‚fie lugen aus dem Graſe und erglühen 
in den Kelchen der Wafjerlilien im 
Baſſin. Im zauberbaften, in allen 
Regenbogenfarben wechjelndem Licht 
wirft die Fontaine ihre mächtigen 
Strahlen empor und ab umd zu zudt 


es wie ein blendender leuchtender Blik 


über den Raum. Ein Ausruf der Be: 


wunderung wird jedesmal bei dem wohl 


einzig daftehenden Scaufpiele laut, 
und lichte und freudetrunfen wandelt 
man umher wie im einem Zauber— 
garten. 

Schade nur, dab diefe Herrlich: 
feit jo bald entjchwindet und die un— 
barmherzige Hand des Eleltrikers mit 
dem beftimmmten Glodenfchlage, und 
nahden das „God save the queen“ 
den Schluß der Eoncerte angezeigt, 
mit einem Nude die glänzende Licht- 


fülle erlöſchen macht. Die legten Spu— 


ren poetifcher Begeifterung rauben 


eingejeht, und höchitens interefliert noch einem dann noch die Cads der Omni— 
ein englifcher Vaterlandsvertheidiger in | buffe, die nicht Laut genug ihre Sehn= 
tnappem rothen Node und fed aufs ſucht nach Paflagieren in die Nacht 
rechte Ohr geftülpter Mütze, der ſich und die Ohren der Borübergehenden 
neben den beiden Muſikpavillons in das brüllen können und die Luft erzittern 
möglichſt beſte Licht zu ſetzen ſucht machen mit ihrem: Charing Grop! 
und, fein Spazierftödchen ſchwingend Piccadilly! Bank, Bank, Bank, 
— Waffe trägt er natürlich feine — | Bank!! — 

das übrige Publitum an ſich vorbei, Die „Internationale Ausftellung 
defilieren läht. Er gibt feine Pofition | von Erfindungen“ ift nun gefchlofjen 
auch nur dann auf, wenn ein High⸗ — aber nur, um im nächſten Jahre 
lander, ein Schotte in feiner maleri- unter einer andern Deviſe wieder in's 
ſchen Tracht, den nackten Knien, kur- | Leben zu treten. 


Wie follte fie auch nicht? Wurde 
fie doch während der ſechs Monate 
ihres Beſtehens von nicht weniger als 
3,760.581 Perſonen befuht — ein 
Rejultat, mit dem man felbft in Lon— 
don zufrieden fein kann! 


Iv. 
„Das ift der Tag des Herrn“. 


Einer meiner Bekannten behauptete 
zeitlebens, es gäbe nichts Langweili— 
geres als einen engliſchen Sonntag. 
Ih widerfiritt dem und behauptete 
meinestheils, das Langweiligfte auf 
unſerm, im diefer Beziehung doch reich 
gejegneten Planeten fei eine — Pappel— 
allee. Als aber zufällig noch ein Dritter 


und Vierter dazu fam und Jeder im! 


etwas Anderem da3 Urbild der Lang: 
weile erfannte, mußte ich wohl ein— 
ſehen, daß das Alles nur rein indie 
vidnelle Anfichten feien und — blieb 
daher fteif und feft bei meiner Pap— 
pelallee. 

Da kam ih nah England, nad 
London. Gleih am erften Sonntage 
dachte ich unſeres Gefpräches, ohne 
mich aber noch der vorerwähnten Ber 
hauptung anzuschließen, da der Tag, 
danf meinem Freunde Charles Pod, 
jo Schnell und angenehm vergieng, daß 
ih faſt vergeſſen konnte, in dem ftreng 
pietiltiichen England zu fein. Und auch 
jpäterhin, als ich mich draußen im 
South Welt Schon fo recht eingelebt 
haite, da fehlte es nie an Unterhaltung, 
ob es auch Sonntag war und ic 
glaubte noch immer nicht daran. 

Ein englifcher Sonntag! Was ift’s 
denn auch gar jo Schlimmes? 

Kaum find wir aus dem Pette, 
jo fangen Schon die Kirchengloden an 
zu muſicieren und iſt man nicht gerade 
ihlecht gelaunt oder etwas nervös, jo 
fann einem ja auch das Spaß machen. 
Eine Weile geht's ruhig fort — ed 
cha g, und wieder umd immer wies 
veredehag in toniidher Foige 


die ganze Sert heranter — plötzlich! 








aber zögert die eine Glocke ein wenig 
und gleich ift ihr die andere voraus 
und im ungezählter und unzähliger 
Folge kommen nun die Variationen, 
bis ſchließlich die Gläubigen dem Rufe 
Folge geleiſtet haben und die ſechs 
Glocken in nicht ſehr harmoniſchem Zu— 
ſammenklang verhallen. 

Gleich darauf ſchlagen die friſchen 
Rythmen eines Marſches an unſer 
Ohr. Es iſt eine Abtheilung der „Heils— 
armee,“ die, eine kleine, oft ganz 
merkwürdig zuſammengeſtellte Muſik— 
bande voraus, durch die Straßen zieht. 
Eine Fahne darf dabei natürlich nicht 
fehlen, wie auch die nebenher mar— 
fchierenden Frauenzimmer, die mit 
großem Eifer aber meift wenig Takte 
gefühl Tambourins, Triangels 2c. be= 
arbeiten, unumgänglich nöthig ſchei— 
nen. — Hat fi nun dem Zuge eine 
genügende Menge angeichloffen, jo wird 
an einer Ede Halt gemacht und die 
Predigt beginnt. Leopold Katſcher gibt 
in feinen Skizzen „Aus England“ ein 
treffendes Beijpiel einer folchen, in 
denen an Phrajen wie: „Bor Kurzem 
war ich eim eben folcher Lumpenkerl 
wie irgend einer don Euch!“ fein 
Mangel ift. Der Redner geht dann 
mit einer mehr kühnen als geichidten 
Wendung zu feiner „Rettung“ über 
und fordert die Umſtehenden ſchließlich 
in beredten Worten auf, feinem Beis 
jpiele zu folgen. Gin kurzes Gebet 
macht den Beſchluß und der Zug ſetzt 
fi unter Abfingung einer der marſch— 
artigen „Hymnen“ wieder in Bewe— 
gung. — Wen das Alles neu ift, der 
braucht ich gewiß über Langweile nicht 
zu beklagen. 

Sonntag Nachmittag. 

Ich ſitze, im richtiger Erkenntnis 
des englifchen Sprichwortes: „two is 
company and three is nothing“, in 
Sejellichaft einer jungen, hübſchen Miß 
an Bord eines der Flußdampfer, die 
den Verkehr auf der Themſe bis ab— 
wärts zur London bridge vermitteln. 
Die Sonne legt ſich gehörig auf das 
Ichattenlofe Ded. die übrige Gejellichaft 


208 


ift ziemlich wortfarg und wäre nicht 
meine vorerwähnte Begleiterin mir zur 
Seite, jo könnte ich wohl kaum ein 
Keruwort über die engliiche Pünktlich— 
teit unterdrüden, die dem Gapitän ver— 
bietet auch nur eine Minute vor zwei 
Ur abzufahren. 

Endlich aber ſetzt fich unfer Fahr— 
zeug denn doch in Bewegung und 
wenn auch langſam wegen des niedri— 
gen Wafferftandes, jo geht's doc) ftetig 
ftromanf, unſerm heutigen Ziele Kew 
entgegen. Einmal außer dem MWeichbild 
der Niejenftadt, verengt ji das Bett 
der Themfe faft zufehends, und wenn 
bi3 zur London bridge die mächtigften 
Seedampfer verkehren fönnen, jo find 





ſche Bedirfniffe genügend. Theater und 
fonftige Vergnügungen gibt e$ Sonne 
tags natürlich nicht, auch die Public» 
Hänfer find nur einige beſtimmte 
Stunden geöffnet, dafür ift aber — 
man höre und ftaune! — in ein paar 
der großen Parks Nachmittags Goncert, 
‚und diefes lodt auch immer ein zahl» 
‚reiches Publikum an ſich, troßdem kaum 
fünfzig Schritte daneben ein Prediger 
‚über die VBerworfenheit der Menſchen 
' Hagt und feine gläubigen Zuhörerinnen 
‚nicht jelten bis zu Thränen zu rühren 
vermag. Unter einem andern Baume 
fteht wieder eine Gruppe und fingt 
geistliche Lieder und Hymnen, und fo 
gibt’3 zu Hören und zu jehen gerade 





es jeßt höchſtens mehr Localjchiffe oder genug. 
elegante Ruderboote, die ums entgegen | „Woher aljo Langweile ?* fragte 
kommen. Kleine Frachtfchiffe liegen ich mich felber, als ich das Alles mit: 
freilich eine Menge bier in befchaulicher | machte und fogar felbft einmal cine 
Sonntagsrube, größtenteils aber nahe Gruppe ſolch' frommer Sänger untere 
an den Ufern im Schlammte, wo jie ftüßte, da es galt, eine in C-dur be= 
das Steigen der Flut abwarten, die gonnene Hymne Gott wohlgefällig zu 
eine tüchtige Strede firomauf noch ‚Ende zu führen, troßdem das Orcheſter 
merkbar ift. Die Gegend bietet abfolut | nebenan eben mit dem beliebten Walzer 
nichts Sehenswerthet und man iſt „Sea-saw* einjeßte und denfelben un— 
ſchließlich froh, Kew erreicht zu haben. | glüdlicherweife gerade um eine Terz höher 
Der Heine Ort ift berühmt duch |intonierte, „woher alfo Langweile?” 
feinen Schon 1730 gegründeten bota= | Doc blieb ich mir nicht lange die 
nischen Garten, dem reichften der Welt, Antwort ſchuldig. So ift es im Some 
der bei den Londonern auch als Aus— ‚mer und für den, der das Alles das 
flugsort jehr beliebt ift, gerade wie das | erftemal mit anfieht. Wenn man 
naheliegende Richmond, im deſſen be= aber erſt einmal anfängt fich über die 
ſcheidenem Kirchlein zwei berühmte | augenverdregenden Schreier und ihr 
Söhne Albions begraben Liegen — \oft recht jcheinheiliges Publikum zu 
James Thomſon, der Dichter der ärgern, oder e3 feßen die berüchtigten 
„Jahreszeiten“, und Edmund Sean, Londoner Nebel ein und machen ein 
der geniale Schauspieler. ‚Ausgehen unmöglich, dann lernt man 
Dierher (d. 5. nah Kew und schon dran glauben und gähnend frägt 
Richmond) Pilgern Sonntag Nach- man: gibt es wohl etwas Langweiiis 
mittags die Städter zu Hunderten | geres als einen englifchen Sonntag ?! 
heraus, und freuen jich, wieder einmal | „D ja,” antwortet ein bo&hafter 
der dunſtigen Atmofphäre der Stadt Freund, der mir eben über die Schulter 
für ein paar Stunden entrommen zu gudt, „ich kenne Eins.“ 


fein. Schiff, Omnibus und Eifenbahn | 


theilen fi dann Abends in die Dein: 
beförderung der vielen Ausflügler. 
Aber auch in der Stadt jelbit ift 
für Unterhaltung geforgt, freilich äußerſt 
primitiv, aber wie es ſcheint fiir englis 


„Und das wäre?“ 
\ „Eine gewiffe Plauderei eines ges 
willen — —“ 

Ih Habe den Namen leider nicht 
verflanden, aber mein Freund Sagt, 
es wäre bejjer jo. 








| 
| 


209 


V. 
Idylle. 


Das Haus iſt wie alle andern 
in der Gaſſe. Ein einfacher, zwei— 
ſtöckiger Ziegelbau, an deſſen Mauern 
ſich üppige Reben wilden Weines em— 
porranfen, mit einem umgitterten win— 
zigen Gärtchen davor und einem Hof— 
raum dahinter, in dem ein einjfamer, 
blattlofer Baum refigniert feinem bal— 
digen Ende entgegenfieht. Der eiferne 
Klopfer an der Thür zeigt ſchon leife 
Spuren von Roft, jo jelten kommen 


Eines derfelben ift meine Refidenz. 
Don meinem Fenfter, das Abends nie 
herunter zu bringen ift, mir aber be: 
ftändig in's Genid fällt ſobald ich den 
Kopf Hinausftede, ſchweift der Blid 
auf ein echtes Londoner Vorftadtbild, 
Eine mehr oder minder rotde und mehr 
oder minder angeſchwärzte Ziegel— 
mauer lehnt fich an die andere, Rauch— 
fänge ftreben allenthalben dazwijchen 
empor und tragen, einem alten Ab— 
kommen gemäß, gewillenhaft das ihre 
zur möglichiten Verdichtung und Ver— 
ſchlechterung der Luft bei. Im Hofe 


fremde Leute hieher. Zu ebener Erde raum des anftopenden Haufes, das mit 
ift die Küche mit der offenen Feuer= | noch drei anderen zujammen einen 
ftelle und ein Zimmer, in dem ein Winkel bildet, der die ftolze Bezeich- 
Pianino (da3 einzige in der Gafje!) | nung Place führt, fteht Tag für Tag 
paradiert und von feiner dominierenden | ein Gab, auf deilen Dach ein ſchmutzi— 
Stellung jo überzeugt ift, daß es ſich ger Junge herumklettert umd mit 


nicht im Mindeften ſchämt bei der lei- 
jeften Berührung, in die man fich mit 
ihm einläßt, ganz unverhohlen die 
Falſchheit feines Innern zu zeigen. 
Ein paar verblaßte Photographien von 
Hamilienmitgliedern und eine Unzahl 
Schmud und Tand und Firlefanz auf 


Schwamm und Waller daran herum— 
hantiert. Es ift mir ftet3 ein Räthſel 
gewefen, wie bei diefer Beichäftigung 
‚nicht der Jüngling wenigftens an eini= 
gen Stellen rein oder aber der Wa- 
gen ſchmutzig werden müſſe. Ich Habe 
das Fuhrwerk auch nie anders als im 





Kaften und Kamin kennzeichnen das Hofraum ftehend gefehen und troß 
Gemach als das der Frauen. — Im ſorgfältigſter Ueberwachung konnte es 
zweiten Stodwerfe wohnt eine alte, mir nie gelingen, fein Wegfahren oder 
Dame, die ih ein einziges Mal ſah, Nachhauſekommen zu beobachten. Wahr: 
als fie von einem Beſuche, den fie ihren ſcheinlich geſchah dies immer in ftiller 
auf dem Lande wohnenden Berwands nachtichlafender Zeit, um die Bewohner 
ten gemacht Hatte, nah Haufe Tan. | diefes Viertel nicht unnöthig aus 


Sie überreihte mir damals ein duf— 
tendes Bonquet zarter Feldblumen und 
ih Undankbarer habe mich nicht ein— 
mal revandirt dafür. Ja, ich Habe 
London verlaffen, ohme von ihr Ab— 
ſchied zu nehmen! 


ihrer Ruhe zu ſcheuchen. Denn ein 
hier einbiegender Cab erregt jedesmal 
gewaltiges Aufſehen, und in der Straße, 
der unſer Haus die Hauptfront zu— 
fehrt, verfügt Jih die ganze weibliche 
| Einwohnerschaft augenblidlih zu den 





Zwifchen den Gemächern der weib- Hausthüren, fobald ein anderes Ge— 
lihen Bewohner „zu ebener Erde“ und fährte als das Gjelgefpanı des Erde 
im zweiten Stod befinden fich im erften | beerverfäufers fichtbar wird, um dann 
Stodwerte zwei befcheidene Zimmer: | bei der Eigenthümerin des Zeitungs— 
Ahen, die durch ein paar Neifeloffer | ladens, die offenbar als Autorität gilt, 
und durch das zufammengetragene | das merhvürdige Ereignis zu beipre= 
Mobiliar, das man ausschließlich in chen und fih in den gewagteiten Ver— 
Wohnungen, die an „Jolide Herren“ | muthungen über die Identität des 
vermiethet werden, findet, als zeit- vornehmen Fahrgaftes zu ergehen. 

weiliges Junggefellenheim gekennzeich— Die Gaſſe beſitzt aber außer ihrem 
net werden. Zeitungsverſchleiß noch einen Tabak— 


Kofegger’s „Heimanrten'*, 3. Heft, Xl. 14 


2 
_ 


10 





händler, ein Publichaus und einen | endlichen Auflöfung-entgegen, und wenn 
Filchladen, vor dem die angenehm duf- der Mann, der den einzelnen vertre— 
tenden Bewohner der Themfe und des |tenen Schuh Hier verlor, nicht felber 
Meeres zur Schau ansgeftellt find. | fein Eigenthum wiederfindet, fo dürfte 


Gewöhnlich ſitzt ein unfchuldiges Kätz— 
hen auf den gewaltfam vom Leben 
zum Zode gebrachten Kaltblütern und 
let mit feinem rauhen Zünglein mit» 
leidig die Leiber der unglüdlichen, der 
menschlichen Genupfucht zum Opfer 
gefallenen Mitthiere. 

Neben dem Fiſchladen Hat fich ein 
Krämer etabliert, doch wird fein Ges 
ſchäft nur wenig befucht, weil er, wie 
die Leute behaupten, Häringe und 
Würfelzucker in ein und derfelben Lade 
hat. Als ob das ein Grund wäre, 
einen Kaufmanne die Kundichaft zu 
entziehen! 

Noch ein räthfelhaftes Local beſitzt 
die Straße, das ich troß angeborner 
und ſtark entwidelter Neugier und ſelbſt 
einer mäßigen Portion perfönlichen | 
Muthes, den zu haben ich mir Schmeichle, | 
nicht mäher zu unterfuchen wagte. &3 
liegt ziemlich verftedt zwifchen den 
übrigen Häufern und nennt ſich „Sid— 
ney=Dall”. 

Ein paar Hundert Schritte bon 
unferer Gaffe find wir in Fulham— 
Road. Bon dort verkehren Ommnibuffe 
ſowohl nah Hammerſmith und weiter, | 
wie auch in entgegengefeßter Richtung | 





zur Eity. Biegt man jedoch nicht zur 
erwähnten Straße ein, fo kommt maıı | 
in das Gewirr all’ der Gaffen und 
Gäßchen, die fih von hier bis zum 
Themfeufer ziehen. Fünf Minuten 
davon iſt eine Station der Metropo- 
litarı Railway und um diefelbe nette, 
von wobhlgepflegten Gärtchen umge: 
bene Hänfer, vor denen Equipagen ab 
und zu rollen, bier aber iſt es ſtill 
und nur der unarticulierte Nuf des 
Miihbuben und der heifere Schrei 
„meat!“ des Verkäufers von auf dünne 
Hölzchen geſpießtem, zu Kapenfutter 
beſtimmtem Fleiſche bringen vorüber: 
gehendes Leben in die öden, wie ver: 
lafienen Anfiedlungen. Eine Hundes 
leiche ſinkt ungehindert tagelang der 


| berunterblidt, 


befagter Schub noch lange Zeit hier 
in Wind und Wetter liegen bleiben, 
ohne daß ein „redlicher Finder” ſich 
feiner erbarmte und ihn vor der Un— 
bill der Witterung und dem Ueber— 
muthe der zufällig des Weges kom— 
menden Kinder, die ihn regelmäßig 
als Puppen-Equipage requirieren, in 
Sicherheit brächte. 


Das Gäßchen Führt zu einem Pla, 
und zwar einem wirklichen, wahrhafti« 
gen Plaß, nicht einen foldhen, wie 
wir ihn von unſern Fenſtern aus ſehen. 
Die Häufer ringsum haben fo hübjche 
Vorgärthen und muthen jo heimlich 
an in ihrer Ruhe, die paar Bäumchen 
beichatten nach Kräften das hinfällige 
Standbild irgend eines Heiligen und 
der Sand fnirfcht jo merkwürdig unter 
unfern Zritten, als wollte er erzählen 
von der ranfchenden See und der 
Wunderwelt auf ihrem Grunde, von 
der er eine Menge Mufcheln und Ge— 
häuſe noch mit fich genommen. Drei 
oder dier ausnahmsweife ruhige Kna— 
ben haben diefelben geſammelt und fie, 
vielleicht unabſichtlich, zu Füßen des 
Heiligen niedergelegt, der mm darauf 
als wäre er noch nicht 
mit Tich im Neinen, was er eigentlich 
niit dieſem Opfer beginnen folle. Er 
Ihant jo gutmütbig drein der alte 
Herr und hat gewiß für all’ die glüde 
lich oder unglücklich Liebenden, die im 
Schatten der Naht fein Standbild 
unfreisten und wilpelten und ſich ganz 
ungeniert dor ihm küßten, wärnfte 
Fürbitte eingelegt. 

Und darum that es uns auch Jo 
web, als wir eines ſchönen Tages den 
Platz überichritten und die boshafte 
Sonne troß der ſchützenden Baumes— 
äſte ſo recht hell den Stein beſchien, 
auf dem er früher geſtanden — — 


Eine frevelnde Hand Hatte 
hinweggenommen — — —. 


ihn 


211 


Faſt traurig giengen wir die ſtille andern Häufer feine rothen Vorhänge 
Straße hinauf, unfrer Wohnung zu. | haben und die meiften auch fein Gärt— 
Das Kätzchen ſaß ruhig, als ob nichts | chen davor, wo ein Mädchen ftchen 
vorgefallen wäre, in feinem Fiſchkübel könnte — es ift fo langweilig in der 
und hielt Todtenwache, vor dem Public | Straße, wir gehen lieber nach Haufe. 
Haufe ftanden ein paar Arbeiter und | Miß Nelly öffnet das Gitter und bietet 
ſchmauchten ihre kurzen Pfeifchen, und | uns die Hand zum Gruß. — 
weiter oben fteht am Eifengitter vor Good bye, verehrter Lefer, ich 
dem Haufe ein Mädchen und ſchaut die habe Dir ein idyllifches Plätzchen ge— 
Straße herab. Das Haus hat rothe | zeigt im Haftenden Leben der Welt— 
Vorhänge in den Fenftern und das | ftadt — das Idyll meines eigenen 
Mädchen Hat braune Haare. Lebens aber erzähl’ ich nicht weiter. 

Wir bemerken jeßt erft, daß die 





Fine kleine Komödie Raimunds. 
Stadtgeihichte von Auguft Silberftein,*) 





r IT: uf dem feinften Plage der inne- | conträger, feine ganz unbekleidete Rüden 
a ren Stadt Wien, dem „Gras | feite nah außen, Manche behaupten, 
ben“, fteht ein riefiges Haus, deſſen um der Geringſchätzung Ausdrud zu 
Eigenthümer, nach Berechnung Müßi- | geben, welche der Erbauer den Mei— 
ger, jtündlich einen Ducaten Erträgnis | mungen der Welt entgegenjegen wollte; 
geniehen fol. Das Prachtgebäude hat Andere erzählen, es habe dieſe etwas 
ein urſprünglich armer Druderjunge | derblomifche Mahnung einer Spröden 
gebaut; ſpäter oder zur Zeit dieſer gegolten, deren Fenſter gegenüber lagen 
Grzählung war er freilih „Faiferlih umd die den Brautwerbungen des 
föniglih ausſchließlich privilegierter früher weniger reichen Druders falte 
Hof-Buchdruder”, hieß Freiherr von | Abweifung und fogar Hohn entgegen 
Trattnern, und er war fo freiherrlich, geſetzt. 

Schiller, Goethe, Herder, Wieland, In diefem Haufe wohnte im oberen 
jelbft Koßebue und Genofjen u. ſ. w, Stodwerle Thereſe Krones. So hatte 





nachzudrucken — wogegen diefe fein 
Verbot im lieben deutjchen Weiche 
ſchützte! 

Un einem der vier Thore, ud 
zwar einem der beiden dem Hauptplaße 
zugewendeten Thore diejes Hauſes, 
fehrt mierhvürdigerweile ein rieſiger 
fteinerner Karyatide, Bogen= und Bal— 


*) Aus deffen neuefter Sammlung: 


‚fein Weib zuvor, fein Mädchen das 
‚Herz des Volkes getroffen, fiir das fie 
auf der Bühne Geftalten ſchuf. Die 
Neuberin hat nur für den Theil der 
Beſten einft gefpielt: Thereſe Krones 
'in Wien war die erwachte heitere 
Volkslaune in Perſon, die lebendige 


Geſtaltung der liebenswürdigen, wie— 





Landläufige Geſchichten aus Dorf, Stadt 


und Alm * (Leipzig. Albert Unflad. 1886.) Siche Heimgarten X. Jahrg. Seite 799. 


14* 


nerischeöfterreihifchen Heiterkeit, und! Ein Kartenſpiel mit Korntheuer 
der Dichter Raimund verewigte fie in | gehörte zu feinen liebſten Vergnü— 
der Geftalt der „Jugend“ in feinem | gungen, und der guthinütige Lange lieh 
„Verſchwender“, oder fie begeifterte | jih die Launen des Mannes gefallen, 
ihn zu der Geftalt, fie führte ihn | deifen Ueberlegenheit er, wo es ſich 
durch ihr ganzes Wefen auf das Schaf- | ernftlih darum handelte, nicht mur 
fen und Beleben diefer „Jugend!“ | gerne, fondern begeiftert anerkannte, 

Jugend und Munterkeit waren | So gab er fi zumeilen zum 
ftet3 beifammen — jo auch hier. Die) Stihblatte Her, Korntheuer ließ in 
„Krones Nefl" nahm das Leben als ‚feiner Gutmüthigteit Späße mit ſich 
einen Becher, deſſen Inhalt immer vollführen, ohne fie je zu verderben, 
neue Perlen emportreiben mußte, fie | vielmehr war fein Streben, fie zu er= 
war jo heiter außer der Bühne, wie höhen, und er beſaß natürlihen Witz 
auf derjelben! |genug dazıt. 

Dem wehmuthreichen, tiefzernften| Eines Abends fah der Heine Kreis 
Gemiüthe Raimund's war es zumeilen | fo bei Therefe Krones. Unvorherge- 
eine befondere Erholung, bei Therefen | fehen hatte ih ein Baron Starofta, 
einen Abend in Gefellfchaft zuzubrin= ein reicher Edler aus Serbien einge 
gen, er trat da aus ſich heraus, erfunden, der in der Hauptjtadt den 
befand fich wohl, wie felten andersto. | Zerftrenungen lebte; und die voreilige 

Solde Heine Gefellichaftsabende Auskunft des Stubenmädchens, daß 
waren nur den Wuserlefenften, den ihre Herrin zu Haufe und im fleinen 
Freunden des engften Kreiſes zugäng- Freundeskreis fei, hatte ihm Einlaf 
lich, und trotzdem ſich Gavaliere mit und Zutritt verfchafft. 
den reichften Spenden Hinzudrängten | Raimund war eine Weile ver- 
— hießen leßtere doch nur immer die, ſtimmt darüber, er ſcheute ſolche nicht 


„Schmaroper“. 
Der Künſtlerkreis wußte, gegen 
die Gaben des Witzes und Geiltes 


feien die anderen mur von geringem 


Werte. 
Zu dieſem auserleſenen 
Kreiſe gehörte Korntheuer. 
Er war der Dritte im Bunde der 


darſtellenden Größen, welche ſich das 
Er war aber auch 
in der That ein Großer, eine rieſig 


Volk auserforen. 


lange Geftalt, mit langen Armen, 
langen Beinen, langem Halfe, langen | 
Gefichte, langem Kinne, langer Nafe, 
und zumweilen wollte es den Zufchauern | 
dünken, als befie er die Macht, mebit 
dem Andern, ſelbſt letztere noch vers 
längern zu fönnen. 
die Ruhe, die Gleichgiltigkeit ſelbſt und 
fih um Alle vor ihm nicht zu küm— 
mern. Dies erhöhte die Wirfamteit 


feiner Späße und er war ein Liebling, 


Raimund's geworden, der gerne mit 


ihm fpielte, außer der Bühne lebte 


und fpielte! 


Heinen | 


Dabei ſchien er, 


| ganz bequeme Genofjenfchaft und warf 
' ftechende Blide auf den Blumenftrauf, 


welcher im koftbar geſchliffenen Kryftall- 
gefäße, auf filbernem mit Schmelz 
verziertem Sodel, der Künftlerin von 
dem Verehrer dargebracht wurde. 

Therefe Krones fuchte indes die 
Ehre des Abends zu retten und that 
jo viel wie möglich, um die Heiterkeit 
in Fluß zu bringen. Eine Whift- 
partie war bald geordnet, und Scherz 
und verlorene hohe Einjäße des mehr 
an Geld als an Geift reichen Serben, 
edle Weine, thaten das Beſte — die 
Geſellſchaft kam bald in die heiterfte 
Laune. 

Raimund trank zuerft aus Miß— 
behagen, dann angeregt vom Reben 
fafte und von Korntheuer, der feinen 
Freund ftets zu erheitern ſuchte. 

„Eben recht, lieber Korntheuer,“ 
fagte Raimund im Gefpräde, da 
eriterer ihm mit mit einem Spaß in 
die ernfte Rede gefallen war, „ich 








muß Did wirkli bitten, wenn ich 


213 


gerade etwas Ernfles und zwar auf] mehrere Flaſchen alten Leopoldsberger 
der Bühne fpreche, Deine Dummheiten | gefoftet!” 

fein zu laffen! Was thut der alte „Auch zähle Deine Knöpfe an 
Narr geftern, als Herr Müller, der | Rod und Wefte nicht mehr fo rappelig 
Liebhaber, eben auf der Scene feiner auf und ab, kreuz und quer, ohne 
Angebeteten die feurigfte Liebeserkläs | jemals mit der Rechnung fertig zu 
rung macht? Er betupft fich, durch | werden, wenn Du gerade nicht mit— 
einen geihidten Wurf des Kopfes, mit | zufprechen haft . . . Hört Du, ſonſt 
dem Zopfe die linfe Schulter, und‘ fpiele ih Dir einen Streih, an den 
ſuchte dann immer den fremden Spaß | Du denken wirft!” 

macher, der ihm heimlich” auf die) „Du mir? Das bift Du nicht im 
Achſeln geklopft haben ſoll. Er geht! Stande!“ 

zuerft um fich herum, und als er „Ich wär's nicht im Stande ?!* 
dann natürlich Niemand findet, lauert |rief Raimund faft angegriffen. 

er eine Weile mit feinen Glotzaugen „Nein, Papachen Ferdinand,“ ſagte 
auf den Unſichtbaren. Endlich wirft Thereſe zu Raimund; „erſtens biſt 
er, wie ertappend, den Kopf wieder Du zu gutmüthig für dieſen gleich— 
auf die andere Seite, der Zopf thut giltigen Sünder, und dann bringt 
wieder ſeine Schuldigkeit, und ſo geht man ihn durch nichts außer Faſſung! 
er wieder um ſich herum, das Spiel — Was thut er unlängſt in der 
beginnt don Neuem, jo dab das „Falſchen Primadonna“? Er ſpielt 
Bublitum vor Lachen plagt... Miller die Rofle des Biürgermeifters von 
mit feiner Liebeserklärung verzweifelt Krähwinkel plöglich, zur Aushilfe in 
und in den rührenditen Momenten |der Not, und hat fein Wort davon 
ungehört und außer fi vor Grimm gelernt. Er ſchwätzt fi dur dus 
abftürzt! — Du bift ein Böſewicht! Stüd durch und heraus und wird 
Und ein Glück ift Deine Stegreif- noch nad jedem Abgange gerufen!“ 





Ihwäßerei, die das immer zufammenz | Kornthener nidte, Raimund lächelte 
zubinden weiß, was ſonſt feinen Sinn wie in behaglicher Erinnerung. 
und Zufammenhang hätte !* „Die Salat:Gejhichte war aber 


„a, warum fpielt der Burjche doch am beften gelungen!“ rief die 
auch ſo ſchlecht,“ ſagte Korntheuer, Krones. 
„daß ich mich zu langweilen beginne? „Welche Salat» Geichichte, wenn 
Er kann mir’s danken, dak er micht ich bitten darf ?* fragte der Fremde. 
ansgeziicht wurde, denn jo Hat ihn „Nun,“ fuhr Therefe fort, „der 
mein Lachenerweden ohne Schaden Poet Sperling Edler von Spaß, 
hinausgebracht!“ welcher bei den Krähwinklern und 

„Und haft Du nicht Schon heimlich dem Empfange der Sängerin eine fo 
gewettet, Du bringft mich außer Faſ- | thätige Rolle fpielt, tritt ein und 
fung mit Deinem tollen Nebenfpiele, | meldet dem Birgermeifter, der feine 
das Dur Dir erfunden? Und haft Du, Rolle nicht weiß: Ich habe alle Gärten 
während ich eine ernfte Ansprache zu | geplündert, um Blumen ſtreuen zu 
halten Hatte, nicht das Geſicht ver= |laffen, und da die Blumen nicht genug 
zogen, als ſetzte fih hartnädig eine | waren, jo Hab’ ih auch Salat auf 
fliege auf Deine lange Nafe; und |den Weg ftreiten laffen. — Da ver- 
haſchteſt Du fie nicht endlich, ſcheinbar zieht der Stegreif-Bürgermeifter Korn— 
vergebens, mit allen ſchlauen Künſten |theuer feine Miene und antwortet mit 
in der Luft? — Dies Alles, während | tiefem Ernfte: Das war gut gethan . .. 
ich eine rührende Anfpradhe zu halten laſſen Sie noch auf meine Koſten 
hatte ?” | zmölf Gier hart fieden und auf den 

„3a, Du Haft mid da leider | Salat legen! — Das Bublifum brach 





in dröhnendes Gelächter aus, Alles 
war erfchättert, nur Korntheuer ftand, 
als hätte er nichts gefagt und nichts 
gethan!“ 

„Und ich bringe ihn doch einmal 


außer Faſſung ... dennoch!” rief 
Raimund. 
„Farbe bekennen!“ rief Korn— 


theuer und warf ſeine Karte, fort— 
ſpielend, auf den Tiſch. — „Aber ich 
bitte Euch, wenn's Niemanden ſtört, 
ſo nehmt die Armleuchter weg, oder 
löſchet einige Kerzen aus, daß ich 
nicht ſo geblendet werde. Ich bin 
froh, wenn ich einen Abend wenig 
Lichter um mich ſehe, meine Augen 
erleiden es nicht mehr!“ 

„Und Du glotzeſt doch ſo mit 
Deinen Augen!“ ſagte der Freund. 

„Ja,“ ſagte die Krones, indem 
ſie die Armleuchter bei Seite ſtellte 
und nicht mehr als zwei Lichter auf 
dem Tiſche ließ, „es iſt nichts als 
Eitelkeit des alten Knaben; er weiß, 
daß er mit dieſen Augen gar viele 
Rührung im kaiſerlichen Hofburg— 
theater hervorgebracht, als er noch die 
tragiſchen und ſchwermüthigen Rollen 
ſpielte, bis ihn das Publikum zwang, 
das fein zu laſſen und andauernd 
fomisch zu werden. Es iſt nichts als 
Eitelkeit!“ 

Hierauf winkte ſie dem Stuben— 
mädchen, die Armleuchter zu entfernen. 
Eine traunlihe Dämmerung breitete 
fih über die geſchmackvoll eingerichtete 
Stube, deren Läden Hinter den Vor— 
hängen gefchloffen waren, damit feine 
nengierigen Blicke von gegenüber ein— 
dringen fönnten. 

„Und ich ſage,“ begann wieder 
Raimund ſchalliſch-boshaft, indem ſich 
Korntheuer nun behaglich zurecht rückte, 


„er ſieht wirklich ſchlecht mit dieſen für Deine Familie... 


Korntheuer mit den fchönen Augen 
hat den Nachtnebel, fieht aber für 
kurze Zeit wirklich nichts, nicht einmal 
feine lange Naſe!“ 

„Ic ſehe wenigften feine Geifter, 
wie Du fie ſiehſt!“ entgegnete der 
Angegriffene, dem Geiſterkomödien— 
Ichreiber den Schlag erwidernd. 

„Das kann Dir auch gar nicht 
paflieren, daß bei Dir ein Geift zum 
Vorſchein Kommt!“ ſagte Raimund. 

Dir Andern ladten. 

„Na, weißt,“ ſagte Kornihener in 
feiner trodenen Gelafjfenheit, „es ift 
mir auch wirklich noch gar nicht paſ— 
fiert, dag ich mit einem Geift bei» 
ſammen gewejen wär’, troßden Du 
mein Freund bift!“ 

Die Anderen lachten abermals und 
die Krones rief: „DO, ſeht nur, er 
kommt micht außer Faſſung! Er ift 
nicht unter zu bringen... niemals!“ 

Dabei fprang Korntheuer auf, wie 
ev es liebte, glänzende Abgänge zu 
machen, und entfernte fich ſteif-gleich— 
giltig. Raimund eriparte den Gegen 
ſchlag, war aber auch dabei im Rüde 
ftande. 

Er fühlte fih Hierdurch ange: 
fpornt, und im Augenblid durchfuhr 
ihn ein Gedanke. 

Während nun der Gefelljchafter 
fehlte, Iprang Raimund raſch empor. 
„Sch kriege ihn! Helfet mir zu einem 
Spafe! Liſette!“ rief er dem 
Stubenmädchen entgegen, das bedie= 
nend ab und zu gieng, wenn ich die 
Spielmarten wie unverjehens vom 
Tiſche ftreife, bebit Du fie auf und 
pußeft dann die Lichter, löſcheſt aber, 
wie zufällig eines aus, jenes drüben... 
hört Du? Verziehe aber feine Miene, 
font befommft Du nie mehr Freilige 
die wirklich 


Ihönen Augen. Ueber Did kommi's nicht Hein iſt!“ 


no, weil Dit fo eitel auf Deine | 


Das Stubenmädchen lächelte und 


Augen bift! Glaubt Ahr, er macht nixte zuftimmend. 


Spaf, wenn er zuweilen die Perfon, 


„Dann laſſet mich nur machen!” 


zu der er treten und Sprechen, oder | fuhr der Redner fort. „Ihre Andern, 
der er etwas geben foll, nicht findet ?! Sie, Herr Baron und Du, Thereie, 
Das Publikum laht ... der arme thut mur wie ich und laffet Euch durch 


215 





nichts, was da fommt, irre machen ! „An mir ift das Sartengeben!* 
Auf Dih, Du Donauhere oder Donau- | fagte der Baron, um fih auch einzu— 
nire (eine Rolle, in der die Krones | mengen, und theilte das Spiel wieder 
glänzte) ... “s ift alles eins . . . aus, während die Adern ihre feinen, 
kann ich mich verlaffen, md den Deren | gewohnten, unter Schaufpielern ſehr 
bältft Du mic fein unter Aufſicht! gebräuchlichen Nedereien fortjegten. 

— Das joll gut werden! Der Augen— Das Stubenmädchen hielt sich 
verdreber und jchelmifche Böfewicht, | immer geichäftig, bald einſchenkend, 
der alle Schartefen über Augen liest, | bald einen Imbiß anbietend, in der 
fol einmal für feine Eitelfeit hart | Nähe, gewärtig des von Raimund an— 


geliraft werden und mir doch endlich | 
aufſitzen ... ich weiß, womit ich ihn | 
treffe! — Bit! er kommt ... nicht 
verrathen!“ 

Korntheuer kam, ſetzte ſich wieder— 
an ſeinen Platz, als wäre nichts vor— 
gefallen und nahm Spiel und Ge— 
ſpräch wieder auf. 

„Ih mußte nach meinem Haus: 
ſchlüſſel ſehen, ob ich ihm im Weber: 
ziehen habe, fonft muß ich das ganze 
Daus um Mitternacht herausrumoren!“ 
fogte er. 

„Und wir find gewohnt, dab das 
ganze Haus uns herausrumoret .. 
nicht wahr?” fagte die Krones, welche 
nicht minder wie die Männer ihren 
Stolz und ihre Kraft in Stegreiffpäße 
ſetzte. | 

„Das Neferl muß mir noch ein | 
Stüd ſchreiben,“ ſagte Raimund, „Sie 
hat das Köpfl dazu! — Und dem 
Kornihener gibft Du die Hauptrolle 
darin. Aber das Stüd muß immer 
in düftern Höhlen, Handwerkerftuben, 
Vorftadtbierhänfern und bei nächtlichen 
Luternen Spielen, damit der Korn— 
theuer nicht geblendet werde und feine, 
Gitelfeitsguder deſto beffer auf das 
Publikum hinausblicken!“ 

„Den Raimund ftedit aber jo viel’ 
Licht auf, als D fkannft, der Hat’s 
nöthig!“ 

„Der wandelt immer in lichtern 
Räumen als wir, mein Lieber!” jagte 
die Krones und verpflichtete Raimund 
zu einem zärtlichen Blide — überhob 
ihn aber gleichzeitig einer Antwort, | 
was ihm im dieſem Augenblide lieb 
und pafjend war. 








gedenteten Zeichens. 

Endlich fühlte die Krones unter 
dem Tiſche ein veritändigendes Be— 
rühren ihrer Fußſpitze durch die Rai— 
mund’s, im felben Augenblide ftreifte 
er mit dem Elbogen die Marken von 
der Tafel, fie Happerten auf den Fuß— 
boden, das Stubenmädchen war rafch 
zur Hand fie aufzulefen, veichte fie 
gelaffen wieder hin — pußte, wie 
angeordnet, die Lichter und löſchte 
das bezeichnete aus. 

„Das ift gerade ein guter Zufall, 
Lifette. Lab’ das Licht, es geniert 
ohnehin den armen Korntheuer! Die 


Kronesin nimmt's mit übel und der 


Herr Baron auch nicht. Wir fpielen 
bei einem Lichte, wir Sehen gut, und 
dem Kornthener gefchieht ein Gefallen, 
d. h. wenn er jeßt noch ſieht!“ Dabei 
bedeutete er, mit einer Bewegung des 
Kopfes umd der Augen, dem Stuben» 
mädchen, zu gehen. 

„Will's beweiſen!“ fagte Korn— 
theuer. „Hab' ſchon oft nit mehr ge— 
habt und hab’ müſſen bei der elendeſten 
Schuſterkerze meine erſten Rollen ſtu— 
dieren! Laß's meinetwegen, mir ſoll's 
recht ſein!“ 

„Alſo, ich ſpiele aus!“ fagte Rai— 
mund, an dem dies war. 

Nachdem die Andern zugelegt hatten 
und das Ausjpielen einmal herum 
gegangen war, bob er die Lichtjchere 
und löſchte das letzte Licht an feiner 
Seite aus. 

„Oho!“ fagte er wie überrajcht, 
„die Ungeſchicklichkeit! Ja, nur die 
Schönften in der Gefellfchaft follen 
das Licht pußen, das wär’ von Män— 
nerfeite Hier Kornthener geweien. Aber 


216 


tut nichts ; bleib’ Kronesin, ich werde | 
gleich Licht machen . . . Ihr follt gleich 
eine Probe der neneften Taſchenfeuer— 
zeuge ſehen, ich Habe eines bei mir!“ 

Dichtefte Finfternis herrſchte im 
dem Raume, die Läden waren ja auch 
gefchloffen und Niemand Jah eine 
Handbreite weit vor fid. 


Alle ſaßen ſtumm Harrend. 


Raimund rüdte feinen Seflel, als 
beichäftigte er jih. „So!“ fagte er, 
„das geht Schnell! He? — Seht Ihr, 
es zündet Schon, nach einem einzigen 
Striche über eine Fläche. Zuerſt iſt 
das Flämmchen blau, dann rotd, dann 
hell gelbweiß und fladert. So ... 
da ift das eine Licht angezündet, und 
num gib auch das andere, Reſerl ... 
fo... ih dan® Dir! ... ha, das 
ift ein Kunftftüddhen, was? Man 
hat’s jegt weit gebracht!” 

Er räufperte, wie gejagt, und 
rüdte mur dann an dem Leuchter | 
während feines Redens, hatte aber | 
eigentlih gar nichts gethan und es 
herrſchte dichte Dunkelheit im Zimmer 
wie zuvor. 

Der arme Korntheuer, eitel auf| 
feine Augen und in der That ſehr 
furchtfam wegen derjelben, jaß wie 
angenagelt. Er riß die Augen auf, 
ob er ih täuſche — er fah nichts! 

„Nun fpielt weiter!” rief Rai— 
mund im jelben Angenblide und tippte 
gleichzeitig mit feinem Fuße mach dem 
der Krones. 

„Ih Spiele die Dame aus!“ rief 
diefe, den Scherz rafch verftehend. 

„AH, Sie laffen fih den Stich 
entgehen, Herr Baron!“ fagte Rai— 
mund. „Nun, Korntheuer, Du haft 
den König, heraus damit!“ 

Der arme Sornthener ſprang auf, 
ächzte ſtark: „Um Gotteswillen! Wo 
feid Ihr ? Licht! Licht!“ 

Raimund's Scherz mit dem Eitlen 
war gelungen! 

„Was ift Dir? Sind nicht genug 
Lichter da?“ 

„Ich ſehe nichts! Ich ſehe nichts !* 





| Nein 


„Mache keine Dummheiten!“ rief 
Raimund. „Um’s Himmelswillen, es 
bat Dih doch micht im Eruſte Dein 
Augenlicht verlaffen! — Deine ſchönen 
Augen !* 

„Aber Korntheuer! Korntheuer!“ 
jammerte die Krones, mit aller Ko— 
mödianterie den Scherz begreifend und 
fördernd. 

Dem armen Korntheuer war einen 
Augenblick lang furchtbar wehe, er 
erinnerte ſich von plötzlichen Erblin— 
dungen geleſen zu haben — aber die 
Worte Raimund's: „Deine ſchönen 
Augen!“ zündeten ihm plötzlich ein 
inneres Licht und er fühlte blitzesraſch. 
daß er im Scherze unterlegen, wirklich 
ein Opfer feiner Furcht und Eitelkeit 
geworden. 

Er verftand und errietd nun den 
Zufammenhang. Er, der Raſche im 
Stegreife, wollte fih aber auch gleich 
helfen er wollte die Boshaften 
ftrafen! 

„Hreunde! Wo feid Ihr?“ rief er 
mit tiefftem Somödiantentone. „Iſt's 
möglich, if’ wahr? O, jo plöglich ! 
nein, das kann nicht lange 
währen, das ift vorübergehend !* 

„Sb habe von foldhen Fällen ge— 
leſen,“ ſagte Raimund dumpf, wobei 
plöglide Naht ... O!“ jammerte 
er, „Freund! Freund!“ und rüttelte 
den Erfaßten. 

Der Baron bif ſich in die Lippen. 

„Löfcht die Lichter aus!“ rief 
Korntheuer. Vielleicht Hat mich der 
rasche Wechfel von Licht und Finſternis 
geblendet, es ift dagemefen ... löſcht 
aus, ich bitte, und laſſet mich eine 
Weile im Dunkeln ... o lafjet mir 
einen Augenblid Ruhe, ich muß mich 
faſſen! faſſen!“ rief er mit erſchüt— 
terndem Tone und ſchlug im Dunkeln 
die Hände tragiſch zuſammen. 

Sich zur Seite der Krones nei— 
gend und fie erfaſſend, flüſterte Rai— 
mund ihr in's Ohr: „Es iſt genug, 
eile um Licht, Kronesin!“ 

Einige Augenblide herrſchte Stille, 
als jollte der Bitte des Unglüdlichen 


willfahrt werden — jofort drang aber/aber ich ſeh' Dich nicht! ... führ' 
fihte Dämmerung aus dem Neben- | mir die Hand, daß ich umher tafte!“ 
zimmer herein, fie breitete fi immer | „Der dumme Schred, der raſche 
heller aus, Therefe kam mit dem Lichte Wechſel von Licht und Naht... ja 


näher und trat endlich, mit flammen— 
reihen Armleuchtern, in die Thüre. 

„Hahaha!“ brach die Iuftige Kro— 
nes zugleich mit Raimund in Lachen 


aus und Letzterer klatſchte in die Hände. 
„Was foll das Lachen ... Ihr 


Grauſamen!?“ rief jet Korntheuer 
ſcheinbar entrüſtet. „Was ſoll das 
Lachen!?“ — Er erhob ſich dabei, 
ſeiner ganzen Länge nach, aus dem 
Lehnſeſſel und ſtürzte wieder darein 
zurück, indem er ſeine düſtere Miene 
nur noch ſchmerzhafter verzog. 

Nun riß Raimund, riſſen die An— 
deren Alle die Augen auf und waren 
einen Augenblick wie ſprachlos. 

„Mach' keine Dummheiten, hörſt!“ 
fagte er dann weich. „Ende einmal 
den Scherz, den ſchlechten Scherz, 
den— 

„Welchen Scherz?“ rief Korn— 
theuer im falſcher Richtung ſtarrend. 
— „Seid Ihr von Sinnen? Bin ih! 
es? Was ift mit mie?! Wo bin ich 2” 
tief der ehemalige Tragifer und fuhr 











ja... ich bin Schuld ... o meine 
Dummheit!“ jammerte Raimund mit 
feiner Stimme, die bald zu dei tiefften 
Tiefen, bald zu dem höchſten Diskant 
wechfelte „Es wird ſich aber 
geben ... nur raſch einen Doctor, 
mehrere, zwei! Die Profeſſoren Jäger 
und Wattmaun, die Operateure! Mein 
ganzes Hab’, meine eigenen Augen, 
mein Leben geb’ ih ... o Korn— 
thener, Sieh’ mich, Tieh’ mich 1" Und 


er drüdte ihm die Hand und legte 


fie danır zum Stüßen auf den Tiſch. 

„Das ift der Tiſch . . . wo ilt 
die Krones!“ Und indem Korntheuer 
mit der Hand ſcheinbar ſuchte, ſtreifte 
er des Barons Geſchenk, die theure 
Kryſtallvaſe von dem Tiſche, daß das 
Waſſer den Baron übergoß und das 
Gefäß auf dem Boden in Scherben 
jerplaßte. 

„Warte!” dachte er, „Du ſollſt 
mir den mitgeſpielten Scherz büßen, 
und Du mußt anftandshalber doch eine 
neue kaufen!” 

„D, was ift über mich gekom— 


mit beiden Händen über die Schläfen | men... was ift über mich gekommen!“ 
in die Haare, die er fträubte, das | jammerte er und fuhr mit den langen 
vollendete Bild eines Verzweifelnden. | Armen nach beiden Seiten fo aus, 

„Siehft Du nichts? Siehft Du daß er Raimund hart an den Magen 
wirklich nicht?" frug Raimund nun traf, welcher ſein kummerhaftes Gejicht 


mit pochendem Herzen, das bei ihm; nur noch in ſchmerzlichere Falten 309. 
befauntlih raſch von Luftigkeit in 
MWeichheit übergieng. 

„Einen Doctor! einen Doctor!” 
ſchrie Korntheuer mit tiefftem, tragi= 
ſchem Brufttone. 

Die Krones ächzke, Tief hinaus, 
der Baron ftarrte ſprachlos mit offenem 
Munde. 

„Um's Himmelswillen !” rief Rai— 
mund, „Freund! Brüderl, Bruderherz! 
was iſt Dir? Siehft Dur mich nicht 7“ 

Ih bin unglücklich!“ Er warf ſich 
an deſſen Bruft. 

„Sa, ich fühl's, ich Hab’ Dih ... 





„Da haft Du auch was für Dein 
Spiel,” ſprach der Jammernde zufries 
den in fich ſelbſt. 

„Lifette! wajche mir die Augen 
mit falten Waſſer!“ rief Korntheuer. 

„Aber ich ſehe ja nichts, ich be— 
merke ja nichts ... Dein Auge iſt 


ſo offen und klar und durchdringend 


wie früher!“ rief Raimund. 
„Das iſt das Unglück!“ rief der 


‚ Bejammerte. 


Die Krones nahm dem Mädchen 
Schwamm und VBeden aus der Hand, 
um dem Armen die Augen zu kühlen. 
„O Liefil” fagte diefer zur Krones, 


18 








als könnte er michts unterſcheiden, Raimund brach in furchtbares 
„wenn mir das Waſſer hilft ... ich Lachen aus. Ex verſtand den ernſten 
habe nichts . . aber Deine Frau Scherz, und fprang mun, wie außer 
gibt Dir, mir zu Lieb’, die Ausiteuer | ih vor Freuden, umher! Er umarmte 
und heiratet Dih aus! Der Baron den geretteten Freund, den Doctor, 
ſchenlt Dir auch mehr als Hundert das Stubenmädchen, den naffen Baron, 
Gulden! O..o!. alle Welt, und war glüdlich, überjelig 

„Ih bin’s, die Dir die Augen in feinem weichen, fühlenden Herzen! 
fühlt, mein lieber armer Freund,“ | Alles lachte Herzlich über den gut 
fagte die Krones mit gerührter Stimme; | gelpielten und gewendeten Scherz, 
„aber ich übe die Gutthat gerne, wenn welcher der Thorheit Aller die gleiche 


“ 
“ 


Dur mur wieder ſiehſt!“ 


„D mir wäre es ein Geringes, 
ich gebe das Geld herzlich gerne!” vief 
der Baron. 

„Wo ift der Doctor! der Doctor!” 
rief Korntheuer, der das naſſe Ges 
wäſche jatt befam. 

„Er kommt fogleich, ich habe den 
Burſchen mit dem Wagen des Barons 
fortgefchidt, er muß augenblidiich da 
fein!” 


Raimund warf fich in einen Lehn- 


ſeſſel und ftüßte das frauslodige Haupt 
in die Hand er hatte, wie er 


dachte, mit den Schidfalsgeiftern ein 


übles Spiel ſich erlaubt, und war nun 
als Frevler von den ſtets auf Unheil 
lauernden geftraft ! 

Die Thüren giengen, Tritte ließen 
fih vernehmen, faſt Alle im immer 
eilten entgegen, der berühmte Doctor 
Jäger trat mit ernſt-neugieriger Miene 
in die Thüre und fand einen Augen» 
blit in derfelben. 

Aller Augen folgten gejpannt den 


jeinen, nad) Korntheuer. 
Der — erhob jih in feinem Lehn— 


Mage hielt. 

Der Doctor bedauerte durchaus 
nicht, vergebens gerufen worden zu 
fein! 

„So,“ ſagte Korntheuer und 
ſchnupfte feft, „jeht Ihr, meine Kin— 
der, ich lache und Ihr bezahlet! Du 
Thereſe hältft zur Strafe Deinem 
‚ Stubenmäbdel Dein Wort, ich kenne 
‚ihren Erwählten, unseren Theaterfri« 
'feur, und fie verdienen’s Beide. Der 
Herr Baron ... 

„. . . Legt Sofort Hundert Ducaten 

‚bier nieder, wie er es verſprochen,“ 
‚ergänzte diefer. 
„Und Du Ferdl“ (öfterreichifch 
‚abgekürzt für Ferdinand — Raimund), 
Du merkſt Div die feine Komödie... 
Du Haft eh’ daran genug . . . ja, jet 
thut mir's leid, ſchon zu viel! Sie, 
Herr Doctor, Sie ſind unſchuldig ... 
ſie ſpeiſen mit deſto größerem Appetit 
jetzt mit uns!“ 

„Und ſtoßen mit Champagner an 
auf des alten Korntheuer's jugendlich 
frische Augen!“ rief munter die Krones. 

Deiter vergieng das Nachtmahl, 
man brach jpät auf. Raimund ſummte 





“ 





! 


| 


ſtuhl gegenüber — Stand Hoch aufs ein Liedchen ftill im ſich — vielleicht 
gerichtet — griff im die tiefe Weſten- waren es die Keime des ſchwermüthigen 
tajche, holte jeine Schnupftabatsdofe Hobelliedes . . . „und klopfe meinen 
hervor, klopfte darauf und öffnete ſie Hobel aus und ſag' der Welt adjee!“ 
raſch: „Wünſch' guten Abend, Herr — ſein letztes, bevor er ſich erſchoß. 


Doctor... kann ich Ihnen mit einer 
Priſe dienen ?* Und dabei Jchritt er 
ihm, zierlich ſich verneigend, möglichft 
niedlich entgegen. 

Erſchütterndes Gelächter folgte dieſer 
unerwarteten Wendung. 





Er geleitete Korntheuer bis fern 
in die Borftadt, an fein Haus — er 
hüllte fih bei kühler Nachtluft dicht 
ein — er Sprach fein Wort und drüdte 
ihm feft, aber ſtumm beim Abjchiede 
‚die Hand. 


Bekenninife aus meinem Weltleben. 
Von P. R. Rofegger. 
XV. 
Die Geſchichte eines Zeuilletons. 






er. : 


IK Sin Fenilleton! Der Lefer durch: 


u: fliegt es, denn die leichtfertige 
Natur des Feuifletons Hat auch ihn 
leichtfertig gemacht, er gleitet gleich» 
giltig darüber hinweg, im beiten Falle 
fritifiert er e&, ohne es eigentlich ge= 
lefen zu haben. Daß fo ein Feuilleton 
auch feine Individualität, feine Schid- 
fale feine Gefchichte Haben kann, das 
wird wohl jelten Jemand denken. 
Und doch ift manchmal die Gejchichte 
eines Aufſatzes intereflanter als der 
Aufſatz ſelbſt, und vielleicht ſogar recht 
lehrreich, wie etwa im vorliegenden 
Falle, den ich al& eine mir wert- 
volle jchriftftellerifche Erfahrung meinen 
literarifchen Genoſſen, ſowie einem vers 
ehrlichen Publicum mittheile. 

Ich will einmal von den vielen 
Fällen, wie mein Name mißbraucht 
wird, einen feſtnageln. 


lungen und Skizzen zeitgenöffifcher 
berühmter Autoren zu veröffentlichen, 
in welchem der Name eines fo. . u. ſ. w. 
unmöglich fehlen dürfe. Die dringende 
Aufforderung, einen autobiographiichen 
Beitrag zu liefern ! Natürlich, 
in einer Berfammlung hochberühmter 
Männer wird man doch mit weg» 
bleiben wollen! Die Schöne Gelegenheit, 
felbft wie ein großer Mann auszu— 
ſehen, wird man fich doch nicht ent— 
gehen laſſen! Ein neues Schreiben 
hatte bereits die Form einer Auffor— 
derung, Viele feien Schon da, man 
wolle aber Alle, die vorgemerkt, bei— 
ſammen Haben, bevor man anfange, 
Zur felben Zeit hatte auch ein eben— 
falls in Graz lebender verehrter Freund 
von mir eine Ähnliche Aufforderung 
erhalten, und wir beriethen nun, ob 
wir ums fir würdig halten dürften, 


Im November 1881 erhielt ich in die uns fo gütig geöffnete Ruhmes— 


bon der Nedaction des „Neuen Wiener | 


halle des „Neuen Wiener Tagblatt” 


Tagblatt” eine fehr böfliche Einla-— ‚einzutreten. Am Ende würde es 
dung, für das Feuilleton desjelben als eine größere Anmaßıng ausgelegt, 
Beiträge zu liefern. Ich wunderte wenn wir draußen blieben, als wenn 
mich darüber, dem das genannte Blatt | wir bejcheidentlich einträten und uns 
hatte den ſchmächtigen Dorfpoeten von auf die vom Nedactionstribunale ans 
jeher ein wenig über die Achfeln an- gewieſenen Pläße Hinftellten! Wir 
gejehen, und fo ein Ding mit 40.000 | wollten keine Ausnahmen machen, da= 
Abonnenten und noch mehr Inſe- | mit man micht etwa gerade auf Jene 
renten hat hölliſch breite Achjeln ; mir deute, die micht da feien. 

war übrigens ganz wohl dabei und Mein Freund ſchickte ein größeres 
ich war nicht geſonnen, das angenehme biographijches Stück aus feinen Er» 
Verhältnis zu ſtören. Aber ſchon nach lebniſſen im Revolutionsjahre. Ich 
wenigen Tagen fam ein zweites Schrei- hatte eine Erinnerung aus meiner 
ben: Das „Neue Wiener Tagblatt” | Studentenzeit für mein neueſtes Buch 
habe die Nbficht, vom Jänner 1882 in Vorbereitung, dieſe ſandte ich unter 
einen Cyklus autobiographiicher Erzäh: |dem Titel: „Ein guter Rath“ an dus 








„Neue Wiener Tagblatt“. Mein Freund 
erhielt telegraphiich da3 Honorar ans 
gewiefen, ich befam es mit der mächften 


Poſt. Wir wunderten uns über dieſe 


Eilfertigfeit, da die Blätter ein Hono— 
rar doch erſt nah Schluß des Monats, 
in welchem ein Aufſatz abgedrudt wor— 
den, auszuzahlen pflegen. Indes gegen 
große Männer, die wir nunmehr waren, 
verfährt man eben zuvorkommender, als 
etwa gegen den Schlucker von Dorf: 
poeten, der ich ſonſt gewejen. 

Als im nächften Jahre 1882 etliche 
Wochen um waren, fragte mich mein 
Freund, ob wir denn micht Schon im 
Pantheon ſtünden? Ich gieng in ein 
Lefecabinet, ließ mir das „Neue Wiener 
Tagblatt“ bringen und unterfuchte den 
ganzen Jänner. Der autobiographiiche 
Cyklus war noch nicht eröffnet. Wir 
meinten, es feien ihrer noch nicht genug 
da, und das Blatt wolle warten, bis 
neue berühmte Männer geboren wür— 
den, weil viele der alten von den Recen— 
fen gejchlachtet worden find. Wir er— 
innerten ums erſt wieder im Jahre 
1883 auf unfere dem Blatt gefchidte 
Arbeiten. Wir baten fchriftlich um 
Auffllärung, weshalb der vor zwei 
Jahren fo feft vorbereitete Eyflus bis 
ber nicht erfchienen ſei? wir könnten 
über unfere Arbeiten das Verfügungs— 
echt nicht gut länger milfen, hätten 
fie nur unter der VBorausfekung ein— 
geſchickt, daß ſie zur uns beſtimmten 
Zeit und für den angegebenen Zweck 
abgedruckt würden. 

Jetzt waren wir die Wünſchenden 
und ſie die hohen Herren, wir be— 
famen Feine Antwort. 

Einige Zeit jpäter fügte es ich, 
daß ih nach Wien reifen mußte, fo 
gieng ich perfönlich in die Nedaction 
des Blattes. Ich trage von meiner 
Großmutter ber ftets ein Amulet bei 
mir md fürchte mich nicht Fo leicht. 
Die fteinernen Treppen glüdlich zur Re— 
daction emporgeftiegen, durchwanderte 
ih das gelobte Land, denn der Feuil— 
leton-Redacteur — fo hieß es — fei 
jenfeits des Ganges. Endlich ftand ich 


220 


vor dem liebenswürdigen Sigmund 
Schleſinger, der mich niedercomplie 
mentierte auf ein Sofa, mit gerun— 
genen Händen um Berzeihung bat, 
daß der fchöne Eyflus bisher nicht in 
Fluß gefommen ſei und mich auf 
Ehrenwort verficherte, daß felbiger mit 
nächſtem Quartale angehen werde. Ich 
hatte aber weder das Ehrenwort ver— 
langt, noch den Eyflus, fondern höf— 
lichſt nur Auskunft, wo fich unsere 
Mannferipte befünden, beziehungsweife 
die Manufcripte zurüderbitten wollen. 

Nun, ich ließ mein neues, großen 
theils autobiographifchen Skizzen ge— 
widmete Buch ohne den „guten Rath“ 
druden. Der Cyllus im „Neuen Wie: 
ner Tagblatt“ erſchien auch im nächſten 
Quartal nit. 

In der Zeiten unendliden Wan— 
del kam das Jahr 1885. Von une 
jeren dem Wiener Blatte gegebenen, 
Arbeiten feine Spur. Ich verlangte 
Ichriftlih mein Manuſcript zurüd. 
Keine Antwort. Ich wagte mich noch— 
mals perfönlih in die Nedaction ; 
wieder helle Freundlichkeit, tiefe Zer— 
tnirſchung, als man auch das Ehrenz 
wort wiederholen wollte, fiel ich dent 
Heren in’s Wort: „Nichts, gar nichts, 
als das Manufeript. Ich bin Durch 
das lange Vertröſtetwerden gefchädigt, 
aber ich bin bereit, das Honorar zurüd: 
zugeben, nur das Manufeript will ich 
haben!” 

„Aber befter Herr, der Cyklus 
ericheint ja demnächſt!“ 

„Das Manufeript I” 

„Sie werden in guter Gefellichaft 
fein, ich verfichere Sie!” 

„Das Manufeript !” 

„Ein Bauernfeld, ein Wilbrandt, 
ein —“ 

„Ih bitte Sie um mein Ma— 
nuſcript!“ 

„Sie haben es uns verkauft, was 
wollen Sie?“ 

„Man ſchreibt nicht Aufſätze bloß, 
daß ſie verkauft, ſondern vielmehr, 
daß fie veröffentlicht werden.“ 


221 


„Allerdings, doch bedenken Sie: kluger Mann fein „Wiener Tagblatt“, 
Gut Ding braucht Weile. Es wird das jeßt das neue geworden, auf das 
ein intereffanter Eplus werden. Nur | Grab der „Wiener Morgenpoft“, die 
noch eine ganz feine Weile haben Sie |an Altersſchwäche geftorben war jetzt 


Geduld, ich bitte Sie darum!“ 

Das beiläufig war unfer Geſpräch. 
Unverrichteter Sade bin ich fortge- 
gangen. 

Zum Glüde hatten mein Freund und 
ih die erften Rohjichriften von unferen 
Artikeln zur Hand. Wir bearbeiteten fie 
von Neuem. Und im Winter 1886, 
alfo nach faft fünf Jahren, zeigten wir 
der löblichen Nedaction des „Neuen | 
Wiener Tagblattes” an, daß wir ums 
fere Arbeiten im „Heimgarten“ ver= | 
öffentlichten wollten. Hätte fie dagegen | 
was einzumenden, jo müſſe es alſo— 
gleich geichehen, fie wille dann wohl, 
was zu thun ſei. Wir zögerten noch) 
eine geraume Zeit, und als feine Ein= 
wendung gekommen war, verfügten wir 
über unſere Arbeiten. Mein Freund 
veröffentlichte feinen meubearbeiteten 
Aufſatz im „Heimgarten“ 1886, Juni— 
und Juliheft, ich meinen „Guten Rath“ 
im Juliheft. 

Die Sade ſchien abgethan zu fein. | 
Die Redaction des „Neuen Wiener 
Tagblatt” im Belige unferer von ihr 
in Empfang genommenen Manuferipte 
baltend, wollten wir nun geduldig auf 
die Eröffnung des autobiographiichen 
Cyklus' warten, und follte es dauern 
bis zur Ankunft des Meflias. 





Nun war es ſchon früher ge= 
ichehen, daß der Gründer und Chef: | 
redacteur des „Neuen Wiener Tag: | 


hatte er als Erbichaft von diefer alten 
Tante das Recht des Kleinverſchleißes 
und dazu noch den Bortheil, fein 
nagelnenes „Wiener Tagblatt” mit dem 
36. Jahrgang, Nr. 295, das war das 
Alter der Heimgegangenen gewejen, ein— 
führen zu können. Doc vernied er — 
wahrfcheinlih aus Schonung für die 
tranernden Leer — jede Erinnerung 
an die ZTodte, trachtete aber umſo— 


mehr, feinem Worbilde, dem verkauften 


„Neuen Wiener Tagblatt” ähnlich zu 
werden. Außerdem ließ er noch andere, 


‚ganz ausgezeichnet praktiſche Mittelchen 


ipielen, um den Abonnenten des 
„Neuen Wiener Tagblatt“ den lleber- 
tritt zum neuen „Wiener Tagblatt” 
jo bequem als möglich zu machen. 
Sak ih eines Tages in einem 
Kaffeehauscirkel zu Graz, mitten winter 
Advocaten und Gerichtsräthen, die alle 
hell aufgebracht waren über das jour— 


naliſtiſche Taſchenſpielchen zu Wien, 


gegen das einzuſchreiten das Geſetz 
keine rechte Handhabe bieten wollte. 

„Eine Schande, heutzutag' Jour— 
nalift zu fein!“ rief am Nebentiſch 
ein Zeitungsjchreiber der Provinz und 
Iprang zornig auf. 

„sein rechter Kerl wird da mite 
thun!“ fagte ich und war ſtolz darauf, 
daß derlei in der Provinz nicht mög— 
(ich ſei. 

Bom Kaffeehaufe in meine Woh— 


blatt” dieſe Zeitung an die Actien⸗ nung gekommen, fand ich dort ein 
geſellſchaft Steyrermühl verkauft hatte Schreiben. Es war von der Hand eines 
und dab der Mann noch mehr Geld. weitbefaunten vortrefflichen Schriftftel= 


haben wollte. Sonac gründete er ein 
Blatt, wie er es verkauft, ein zweites— 
mal, gab ihm ganz genau die Geftalt 
des verfauften und nannte es „Wiener 
Tagblatt”. Weil einft das „Neue 
Wiener Tagblatt”, welches jebt das 
alte war, umartig gemwejen war, 
fo Hatte ihm die Negierung den 
Kleinverfchleiß verboten. Um diejen 
wieder zu gewinnen, gründete unfer | 


lers, der mir Stets bejonderd lieb 
und wert gewejen. Diejer Schrifteller 
war aus dem Hochgebirge, wo er ſich 
zur Zeit aufgehalten, ganz unerwartet 
und unter vortheilhaften Bedingungen 
nah Wien berufen worden, um das 
Tenilleton des neuen „Wiener Tags 
blatt“ zu leiten. Als er diefe Stelle 
antrat, waren vom Blatte bereits 
mehrere Nummern erfchienen geweſen. 


Tas Schreiben fagt mir den beften | „Heimgarten“ geweſen. Die nächite 
Dank „für da3 reizende Kleinod, mit Nummer des „Wiener Tagblatt” brachte 
welchem ich dem Feuilleton des „Mies | verftedt und verſchämt eineMotiz, die 
ner Tagblatt“ einen fo prächtigen | etwas von oben herab mehr protegie= 
Einftand beim Publicum gefchaffen“ |vend als fich entfchuldigend auftrat und 
hätte und bittet um baldige neue ſo nebenbei darthat, daß der Abdrud 
Beiträge. des benannten zyeuilletons aus dem 
Ich weiß im erften Augenblid nicht, | „Deimgarten“, und irrthümlich die 
wie mir geſchieht. Alſo ich bin Mit: | Quellenangabe weggeblieben fei. 
arbeiter des nenen, jo wunderfam auf: Ih mochte mich nicht weiter darıım 
getauchten Blattes ? Ich habe diefen | kümmern und hielt die Sache noch— 
Blatte einen jo prächtigen Einſtand einmal für abgethan. 
im Publicum gefchaffen? Ja, was ift Die Notiz wurde überjehen ; meine 
denn das? Ich weiß von nichts, habe | Freunde bedauerten, daß ich als Mit- 
dem „Wiener Tagblatt“ nichts ges | arbeiter des „Wiener Tagblatt” auf- 
Ihidt. Da fledt etwas dahinter. ch | getreten fei, und meine Feinde fuchten 
ſetze mich hin, jchreibe einen gehar= | aus diefem Umftande Waffen gegen 
nifchten Brief: Wie fo, mein Herr! mich zu ſchmieden. Schönnerers „Un— 
Das geht nicht mit rechten Dingen | verfälfchte deutfche Worte,“ ein in 
zu. Das ift — . Als der Brief fertig | Defterreich ziemlich berüchtigt gewor- 
geichrieben ift, zerreiße ich ihn, ſetze denes Antifenitenblättchen, ſpie ſo— 
mich auf die Eifenbahn und fahre | fort Schimpf und Hohn gegen mich. 
jelbft nach Wien. Diesmal Hatte das Blatt wenig: 
Die Unterredung mit dem neuen | ftens einen Schein von Berechtigung 
Feuilleton-Redacteur des neuen Blattes | für fi, was ſonſt ſtets micht der 
ergab ſogleich, daß die erfte Nummer | Fall gewejen war. Ich weiß ein Liedel 
des „Wiener Tagblatt” ein Feuilleton zu fingen davon, wie brav dieſes 
von mir „Ein guter Rath” enthalten | Blatt und Gonforten es an Entitel= 
babe umd ich vermuthete, daß befagtes | lungen, Verdachtigungen und Vers 
Feuilleton ber einft für den autobio= |tufchungen der corrumpierten Preſſe 
graphiſchen Cyklus des „Neuen Wiener nachmachen. Ich hätte mit geſetz— 
Tagblatt“ gejchriebene Auffag wäre. | lichem Mittel gegen die Bosheiten dies 
Das „Wiener Tagblatt“, jagte ich, | fer Selte auftreten müſſen, wenn lie 
habe nicht das Recht auf das Feuilleton | mir im Grunde nicht zu gleichgiltig, 
„Ein guter Rath“ gehabt. Zudem feilihre Kampfweife nicht zu armſelig 
der Auffaß bereits im „Heimgarten“ wäre. Es war eine Zeit, da ich auf 
veröffentlicht worden. Der Herausgeber | Schönnerer etwas gehalten hatte, fein 
des „Wiener Tagblatt”, bei dem mun | umerjchrodenes Auftreten, fein mit 
in der That „guter Rath“ theuer war, | kräftigen Worten documentiertes Ein— 
ließ mir jagen, ex fei in Folge meines | ftehen für das Volk, befonders für den 
Proteftes ganz gebrochen. Es fei das | Banernftand, Hat mich beftochen ; wir 
fragliche Feuilleton ja nur ein Nachdrud | brauchen einen Helden, der mit feus 
aus dem „Heimgarten“. Ich glaubte | rigem Zorn den Tempel ausfegt, man 
diefer Angabe. athmet und jauchzt auf, im öffentlichen 
Dem neuen, an Allen unfchuldigen | Leben einmal einen rechten Mann zu 
Feuilleton-Redacteur zu Liebe wollte | jeden. Aber das unqualifizierbare Vor— 
ih mich mit einer Öffentlichen Er- gehen der Schönnerer-Preſſe hat mich 
Härung im „Wiener Zugblatt“ begnüz | eines Befleren belehrt. Jch war im un— 
gen, in welcher zugeftanden witrde, da | ferem Lande einer der Erften von diefer 
der Aufſatz: „Ein guter Rath“ alfo | Partei Angegriffenen, weil Mitglieder 
ein unberechtigter Nachdrud aus dem | derjelben zugeftandener Maſſen glaub- 


ni 








223 


ten, ich könnte ihr in Steiermark etwa 
gefährlich werden. Die geradezu bübi— 
ihen Angriffe Hatten mich anfangs 
bitter gekränkt; als ich fpäter aber ſah, 
dal diefe Partei weit verdienftlichere 
Männer ebenjfo oder noch niederträch- 
tiger zu befudeln ſuchte, konnte ich mich 
nur ärgern, daß ich mich über ihre 
Brutalitäten und Infamien jemals 
geärgert hatte. 

Genug an dem, ich fehre wieder 
zur entgegengefeßten Seite zurüd, wo 
es denn auch micht viel erfreulicher 
ausſieht. 

Ziemlich ſpät kam ich auf den 
Gedanken, zu unterſuchen, ob das im 
„Wiener Tagblatt” veröffentlichte 
Fenilleton „Ein guter Rath" wirklich 
der Nahdrud des gleichnamigen Auf: 
jaßes im „Heimgarten“ fei, wie man 
mir derjichert, und fand mun, daß dem 
nicht jo war, daß das im „Wiener 
Tagblatt” gedrudte Feuilleton „Ein 
guter Rath“ mit meiner neuen Bear- 
beitung im „Deimgarten“ nicht ſtimmte, 
daß es hingegen gleichlautend mit jenem 
Manufcripte war, welches ich vor fünf 
Jahren für das „Neue Wiener Tags 
blatt“ geichrieben, das das „Wiener 
Tagblatt“ demnach gelogen hatte. 

Nun Hatte meine Empörung fo 
ziemlich den Höhepunkt erreicht und 
ich veröffentlichte eine Erklärung, daß 


der Abdrud meines Feuilletons im 
„Wiener Tagblatt“ ohne mein Willen 
und wider meinen Willen gejchehen 
ſei. Diefer Erklärung mußte vorftehende 
wahrheitögetrene Erzählung folgen, 
damit meine Freunde, die fich für den 
Fall etwa intereffirt haben, Haren Ein— 
blid in die Angelegenheit erhalten. 

Wie mein Auffaß vom „Neuen 
Miener Tagblatt“ in das „Wiener 
Tagblatt“ hinübergekommen war und 
warum erfteres, welches jonft die Sün— 
den des letzteren jo unnächſichtlich 
richtet, über diefen Fall Fo beſcheident— 
lich ſchweigt, das ift zur Stunde noch 
nicht aufgeklärt. Ebenfo wenig, was 
ans den für jenen „Antobiographiichen 
ar eingejdhidten übrigen Arbeiten 
geworden ift. 

Aus diefer Gefchichte, welche die 
moraliihe Sauberkeit unferer Preſſe 
nicht übel bezeichnet, erwächst für uns 
Schriftiteller die Principienfrage, ob 
eine für ein beftimmtes Blatt auf 
eine beftimmte Zeit zu eimem beſtimm— 
ten Zwed auf Berlangen gefchriebene 
Arbeit ohne Willen und Erlaubnis 
des Autors beliebig in ein anderes 
| Blatt übertragen werden darf? 

Es wäre interefjant, zu erfahren, 
ob diefe Herren wirklich glauben, mit 
einem Poeten treiben zu dürfen, was 
fie wollen ! 





Wenn alle Wälder jchlafen, 
Und alle Quellen ſchweigen, 
Die Nebel ftille fteigen, 

Die Sterne leiſ' ſich neigen, 
Da ift das einfam’ Leben 
Ein jelig, jelig Sein. 


Wenn alle Wipfel flüftern, 
Und alle Vögel fingen, 
Wenn alle Geigen fiedeln 
Und alle Kehlen Klingen, 
Da ift das einſam' Leben 
Wohl eine harte Pein. 


Ob träumen ftill, ob jubeln 
Im lauten Kreis der Freuden, 
Das Befte ift, vom Leben 
Ohn' alle Thränen jcheiden. 
D'rum fei das einſam' Sterben 
Gefegnet nur allein. 


Brei Haupturfaden 
warum ſich heutzutage die Zahl der 
Berbreden fleigert. 


„Wie jede fittenwidrige Handlung, 
der Mißachtung des jittlihen Princips 
entjpringt, jo entipringt jedes Verbrechen 
der Mißachtung des Gejeges und der 


Auf die Verfahrenheiten unferer Zeit |in ihm ausgedrüdten Autorität, und da 
kann man nicht oft genug hindeuten. Was | icheint mir nun, dab die Neuzeit an 
diefer Zeitjchrift jo oft gelagt bat, wor dem Gebrechen leidet, in hunderterlei ver 
durch fie ſich als Lohn für den Muth schiedenen Richtungen an der Erſchütterung 
der Wahrheit Freund und Feind ermor: | jeglicher Autorität zu arbeiten, — Wer 


ben bat, das jprechen auch andere Stimmen 
aus, und es werden deren, die mit uns find, 
Gott Lob immer mehr. Vor Kurzem bat 


ein Fachmann in einer uns wichtigen Sache | 


jeine Meinung gejagt. Ju der vortrefflichen 
„Deutſchen Revue‘ (Breslau, E. Trewendt) 
veröffentliht Graf Lamezan einen Aufſatz 
über „Entftehung und Abwehr des Ver— 
bredens in der Geſellſchaft“. Wir entneh— 


aufmerfiam Umſchau hält, wird nicht ver- 
fennen, daß man ſchon in der Slinder- 
ſchule damit anfängt und im Leben damit 
jortfährt, die Anſchauung zu verbreiten, 
daß geiftige Befreiung und Entwidlung 
des Menjchen auch feine völlige Eman- 
cipation von dem Zwange jeglicher Auto» 
rität, ſei fie weltlicher oder überfinnlicher 
Art, erfordere. Die in jolher Weije groß- 


men demjelben die folgenden Bemerkungen: | gezogene Mißachtung der Autoritäten auf 


225 


jedem Gebiete führt aber auf dem Ge-| die öfonomijche Lage der Volksmaſſen als 
biete des Völkerlebens und in jenen) ein Uebelſtand gleichfall3 zu beklagen, 

Schichten, welche niht im Stande find, Ich unterlaffe nicht zu bemerken, daß 
an die Stelle des geſchriebenen Geſetzes man heutigentages bei der Forſchung nach 
das „Geſetz in der eigenen Bruſt“ zu der Entjtehung und VBerantwortlichkeit der 
jegen — zur offenen Auflehnung gegen menjhlihen Handlungen auch noch zu 
dasjelbe, und mir erleben daher in er- ganz anderen Ergebniffen gelangt iſt, die 





ſchütternden Beijpielen jonder Zahl, daß, 
wenn ſonſt der Uebelthäter jeine That in 
der Erwartung und Hoffnung verübte, 
dab e3 ihm inöglich jein werde, dem Ger) 
jeße zu entrinnen, jomit ſchon durch feine, 
Furcht vor der Strafe eine Art Aners 
fennung für das Geſetz ausdrüdte — 
heute ſchon dem Geſetz jelbit der Fehde— 
handſchnh offen ins Geficht geichleudert, 
jein Beftand und feine NRectsgiltigfeit 
angegriffen wird. 

Ein weiterer thatjächlicher Umftand 
ift die öfonomijche Lage der Volks— 
majjen. 

Ich habe nun nicht die Abficht, bier 
die bei einzelnen Verbrechensfällen vor⸗ 
fommende Nothlage eines Thäters als 
die Urſache des Verbrechens zu bejpre- 
chen, denn im Allgemeinen kann ich jagen, 








jedoch jo geartet find, daß mit ihrem 
thatſächlichen Beitande jede weitere For— 
Ihung und Bemühung abgeichnitten jein 
mußte. So lehrt man uns, dab auch 
beim Verbrecher auf eine von ihm jelbit 
ganz unabhängige phyſiſche Beſchaffen— 
beit, die ihn zur Miljethat eignen joll, 
Bedacht zu nehmen jei. Man lehrt uns, 
dab der Wille des Menjchen unfrei, jein 
Thun und lafjen von vornherein bejtimmt 
jei, und man erörtert in ausführlichen 
Merfen die nenejte theoretiſche Theſis von 
der ganz undefinierbaren „Willenstranf- 
beit‘ des Verbrechers. Ich geitehe offen, 
daß ich in der Richtung, die mich heute 
beichäftigt, mir mit diefer Idee durchaus 
nicht3 anzufangen wüßte. Denn wenn fi 
ihr Beitand jemals nachweijen ließe, jo 
bliebe nicht3 übrig, als jeden Verjuch der 


daß fie, jo oft fie auch vorgeſchützt wer, Erziehung des Individuums und des Volkes 
den mag, doch nicht jehr häufig als das gänzlih aufzugeben, von der Schaffung 
treibende Motiv der ftrafbaren Handlungen | ftrafgejeglicher Vorjchriften abzujehen und 
ericheint. Ih möchte vielmehr die die Hände in den Schoß zu legen. Denn 
ölonomisch ungünftige Lage eines großen e3 dürfte wohl einleucdten, daß, wenn 
Compleres von Menſchen aus dem wichtie ‚der Verbrecher die Anlage zum Verbrechen 
geren Grunde ins Auge fallen, meil fie  jchon von jeinen Vorfahren ererbt, wenn 
mir al3 eines der unüberfteiglichiten Hinz | ferner jeine That nicht das Ergebnis jeiner 
dernilje für die fittliche Hebung und Ver: Entſchließung, jondern ein Product äußerer, 
edlung des Volfes erjcheint. Der dauernde | ihm fremder Urſachen ift, und wenn end— 
Drud ungünftiger materieller Zuſtände lih das Verbrechen die Wirkung eines 
ohne Ausfiht auf Bellerung derjelben | franfhaften Zujtandes — (weſſen?, da 


wirft entfittlichend, erniedrigt die Geiiter 
und hält fie im Banne des Rohen und 
Gemeinen gefangen, denn jene Starken, 
die ſich inmitten phyſiſcher Gntbehrung | 
den Adel der Gefinnung zu erwerben | 
oder zu bewahren vermögen, find gar 
jelten. So aber entitehen aus materiellen | 
Gründen garjtiger Egoismus, zeritörende 
Leidenihaften, ungemellene Genußſucht, 
Erceh jeder Art. — Der Sinn für das 
Wohl der Allgemeinheit iſt über der 
Freudloſigkeit der Ginzeleriftenz gar niemals 
lebendig geworden. In diefem Sinn ift 





Kofegger's „„Urimgarten‘*, 3. Geft, XI 


doch wohl der „Wille“ nicht als förper- 
lihe3 Organ gelten fann) iſt — ber 
TIhäter für feine Handlungen nicht nur 
nit verantwortlich gemadt werden darf, 
fondern daß es auch ganz und gar ver- 
geblib und finnlos wäre, auf jeinen 
Willen und jeine Entjchließungen durch 
gejehlihe Vorſchriften irgendiwie Einfluß 
nehmen zu wollen. 

Es jcheint mir vor Allem dringend 
geboten, dem Gefühle der Achtung vor 
der berechtigten Autorität des Sitten— 
gejeges eine dauerhafte und breite Bajis 


15 


226 


zu verichaffen und das Bewußtſein der 
Pflicht, daß der Einzelne feinen Willen der j 
Gejammtheit unterzuorbnien habe, recht ein« BER IEREINBIIER 
dringlich zu verallgemeinern. Das Inftitut Will der Soldat avancieren, jo wunſcht 
der Ehe und die darauf berubende Fa- er den Krieg. Allein was ift eigentlich die 
milie, aus der die Eriftenz des Indivie - +» - Sebnjucht nach dem Kriege bei 
duums bervorfprieft, müfjen mit der allge. einem Officier? ... Es iſt die Sebn- 
meinen Achtung und mit jenen des Ge- ſucht nad einer Vermehrung von ſechs 
jeßes umgeben und ftrengftens bewahrt bis fieben Hundert Franken Gehalt, die 
werden. Die Religion, welchen Namen Sehnſucht nach der Verwüſtung der Reiche, 
fie immer führen möge, oder der: Allen Nah dem Tode der Freunde und der Be— 
gemeinfame religiöfe Sinn muß jorgjam | fannten, nit denen er lebt und die ihm 
gepflegt und erhalten werden gerade in tm Range vorangeben. 
heutiger Seit, wo flacher Unglaube und ki 
unwiſſenſchaftlicher Atheismus jcbon die 
große Menge zu ergreifen droht; die 
Schule endlich als Stätte der Erziehung 
des Volkes muß auf ihre richtige Grund— 
lage geitellt werden. Aber in ihr handelt 
— — — Er Es ift der Wille eines gütigen und 
Vermehrung des Willens. Unjere geiz | 9rrebten — en —— 
iR fo Abermabig folz anf ihr „Wiffen, sluatich jeien, und alle Bergnügungen 
dab fie mit ihm allein jchon die 121 ge DNEaLUNER BR 
. . . | J 
— 
Gottesdienſt, den die Philoſophie den 


Weltgedanken. 


Nicht ohne Muhe gelingt es, den 
Geiſt der jungen Leute zu verfälſchen. 
Zu diefem Zwede bedarf e8 der ganzen 
Geduld und der ganzen Kraft der gegen» 
wärtigen Erziehung. 

* 





hehlen, dab das Wiſſen allein uns gar 
arın läßt! Ich möchte die Schule viel. 
mehr als die Stätte der Erziehung des 
Herzens betrachten, in der die Keime ber 
Liebe zum Guten und Rechten, der ethiiche 
Einn in das Gemüthb der fommenden 
Generation einzupflanzen find als Leititern 
für das bevorjtehbende Leben im Staate 
und in der Gejellibaft. „Wahre Ueber: 
zeugung gebt vom Herzen aus,” jagt | 
uns Goethe. „Das Gemüth, der eigentliche 


Völkern offenbart. In einer ſolchen Neli- 
| gion gibt es feinen anderen Heiligen, als 
| die Wohlthäter der Menjchheit, die Lykurge, 
die Solons, die Sydney, die Erfinder 
irgend einer neuen Kunſt, irgend eines 
neuen Vergnügens, welches aber dem all» 
gemeinen Vortheile angemeflen jein muB; 
dagegen gibt es auch feine andern Ver— 
worfenen, als die Uebelthäter der Bejell- 
ſchaft und die galljüchtigen Feinde ihrer 
Vergmügungen. 





Eik des Gemiflens, richtet über das Zur | 
läſſige und Unzuläffige weit ficherer als! 
der Verſtand“. — — 

Und müfjen wir uns nicht jchliehlich BR 
gefteben, daß, jo groß auch die Errun- Einige haben beobachtet, daß Denker 
genfcbaften und Erfenntniffe der Wiffen- und geiftvolle Männer gewöhnlich Melan— 
ſchaft fein mögen, es doch — und gerade, holifer ſeien. Sie haben nicht bemerkt, daß 
wegen der Größe ihres Umfanges — fie die Wirkung für die Urfache nehmen ; 
ganz und gar unmöglich ift, fie zum Ser dafı der geiltvolle Mann nicht deshalb 
meingut der Menge zu machen und diefe melancholiſch ift, weil ihn die Gewohn- 
etwa auf ſolchem Wege zu jener ſchwer heit des Nachdenkens biezu gemacht hat. 
erreichbaren Höhe zu erheben, auf der das, . 

Wiſſen jelbit zur fittlihen Vollendung 
ührt ?* 


Werden die Prieſter jemals die Apoſtel 
einer jolcben Religion werden? Ihr In— 
tereſſe verbietet es ihnen. 


* * 
Jede Nation bat ihre eigentbümliche 
Art, zur jehen und zu empfinden, die ihren 


Charakter ausmacht; und bei allen Böl- Die angenehmite Melodie für den 
fern jchlägt dieſer Charakter entweder auf! Inquifitor ift das Gejchrei und Geheul 
einmal um, oder er ändert fich nach und | des Schmerzes. Er lacht bei dem Scheiter- 
nad ; ganz nach Maßgabe der Veränderun- haufen, auf welchem der Ketzer jeinen 
gen, welche in ihrer Regierungsform und | Geift aushaudt. Gin folher durch das 
folglich auch im der öffentlichen Erziehung | Geſetz zum Meuchelmorde bevollmächtigter 
plöglih oder unvermerft vor fich geben. | Inauifitor bewahrt jogar mitten in den 

Der Charakter der Franzoſen, der Städten die grimmige Wuth des natür« 
nunmehr jeit langer Zeit für lebhaft ge» lichen Menſchen; er ift ein blutgieriger 
halten wird, war nicht jederzeit jo. Der‘ Menih. Je mehr man fich diefem Zu— 
Kaijer Julian jagt von den Parijern: | ftande nähert und an das Morden ge- 


„sch liebe fie, weil ihr Charakter, wie 
der meinige ftreng und ernithaft iſt.“ 
63 ändert ſich aljo der Charafter 
ber Völker. Aber in welchem Augenblide 
läßt fich diefe Uenderung am deutlichiten 
wahrnehmen? In den Nugenbliden der 
Revolution, wo die Völker mit einem 
Mal aus dem Zuftande der Freiheit in 
den Buftand der Sclaverei gerathen, 
Alsdann wird ein Voll, das vorher jtolz 
und fühn war, ſchwach und kleinmüthig; 
e3 getraut ſich nicht, jeine Blicke gegen 
den hochgeitellten Mann aufzuichlagen ; es 
wird beherrſcht und es liegt ihm wenig 
daran, wer e3 beherrſcht. Solch ein ent- 
mutbigtes Volk jagt zulegt mit dem Ejel 
in der Fabel zu fich jelbit: „Wer immer 
auch mein Herr jein mag, ich werde doch 
nicht jchwerer tragen!“ So ſehr der freie 
Bürger begeiftert ift für den Ruhm ſei— 
ner Nation: jo gleihgiltig ift der Sclave 





wöhnt, deito leichter wird es einem, 
Warum wird in Ermangelung eines Hen— 
kers der geringjte Fleiſcher genöthigt, das 
Amt desjelben zu verrichten ? — Deshalb, 
‚weil ihn fein Handwerk unbarmberzig 
macht. Wer nicht dur eine gute Er— 
‚ ziehung gewohnt ift, die Leiden Anderer als 
' jeine Leiden zu betrachten, der wird jeder- 
zeit hartherzig und auch blutdürftig fein. 


* 


” * 


Diefelben Meinungen erjcheinen bald 
al3 wahr, bald als falih, je nachdem 
man ein nterefje hat, fie für das Eine 
oder das Andere zu halten, 


* 


Geh’ hin von Ort zu Ort, wo Ueppigfeit 
nur wohnt, 

Wo ftolze Ehrſucht wacht, wo jhnöder Reich: 
thum thront 


Du findeft überall, wie fi) ein Thor bemüht, 
Zu haſchen ein Phantom des Blüds, das 
vor ihm flieht. 


gegen das öffentlihe Wohl. — 


* 


* * 


Die Alpenflüffe. 
In der Pauſe zwiſchen Lehr’ und Lied ein Stüdel praftifcher Wiffenihaft, das für die 
Leſer des „Heimgarten* recht intereyjant fein wird. 
Das eben erjchienene Wert: „Die Alpen“ von Friedrih Umlauft (Wien, 
Hartleben) bringt eine ſehr inftructive Tabelle der Alpenflüffe, welder die für uns 
wichtigften Flüffe entnommen und bier dargeitellt find. 








 Hustritt aus den | 








Etromgebiet in 














| Lage der Quelle | Alpen bei Länge in Am. | wird jqiffdar bei u: 
Tagan — | | 
Donau... Schwarzwald Borlagen bei 2645°6 Ulm 816.947 
‘ Slanfamen) | | 
Aller...) Bieberfopf | Immenftadt | 168 — 1.9828 
Lech ... Rothe Wand Füllen 2192 Schongau 4.4148 
Yar...; Haller Anger Tölz | 2452 | Mittenwald | 9.183°9 
Inn . . . Piz Longhino Neubeurn 4311 SM | 25.4457 


15* 


23 





en: —— — — EG Tr 
_ "Rage der Duelle | — den Länge in Am, Nie seit ſchiffbar bei Grremarbiet in | 











——n | kuss) 














Sala. T 33 Salzburg 192 Hallein 6.7122 | 
| | 5 Seen im | 
 Xraun .. ftir. Salz: | Gmunden 178 ae 3.601 
| fammergut | 
| Enns . | — Steyr 2294 Steyr 6.197°8 | 
ı Leitha .. Wechſel Frohsdorf 178 | — — 
Raab ...) Oſſer Körmend 2951 | Körmend 13.078 
! Drau... Innichner Eck Warasdin 6986 Gailmuündung 40.7755 
| Mur....| Marchkareck | Radkersburg 3904 | Graz 13.465.5 
| | Mangart: e Laibach⸗ 
Save ... Triglav Rann 8609 | mündung 97.361 
j Tomaſee am | Mündung in ‚ : 
| Ahein ... St. Gotthard den Vodenfee 11417 | Chur 196.303°5 
ı Reuß . Ei. Gotthard, Luzern 146 — 3.411 
| | Rhone | 
Rhone...| Gleticher am | St. Didier 7201 Seuyſſel 98.8854 | 
| | Furca⸗Paß | | | 
IB ..... Monvifo | Saluzzo 5698 | Zurin 74.9069 | 
| | En Eiiſal- 
Elſch. ... TEN, Volsagne 3777 mundung 13.836 
| Eifat ...| Brenner — 96 — — 
Sach ran Campo 
| Brenta . See Baflano 208 | St. Martino — | 
piave. Paralba Valdobbiadene 192 Zenzon 4.3227 | 
Tegliements) Mt. Eridvola  Pingano 185 | Latijana | — | 
| | ’ Idriamün⸗ in dem unter⸗ _ | 
| — Triglav | dung—Görz | 133 | fen Theile | 
Der Poetenwinkel. 
Heurigen fdrenket der Alte! | Ich muß fluhen. 
Gloden Klingen den Weg entlang, Er will's nun einmal doch verſuchen, 


Es klingen die Becher, es rauſcht der Geſang Die Melt zu Lieben, ftatt = een 
Von der Schente am Berge hernieder. Das Leben heiter aufzufafien. 


Luftig begrüßt mich der herbſtliche Hain, 
Prangend im bunten Gewande, 

Als hätt’ er berauſchet jih gar am Wein 
Dort mit der jubelnden Bande, 


Soll id denn läftern nur und ſchelten 
In diejer jhönften aller Welten, 

Nur Trübfinnsnaht im Herzen weinen, 
Und nie des Frohfinns Sonne feinen? 


Luftige Burfche, herein, herein! 


Heurigen ſchenlet der Alte, Ich will's nun einmal anders haben, 
Damit Euch der junge, der feurige Wein | Wil ftatt des Kträchzens ſchwarzer Raben 
Die braufende Jugend erhalte! Frohmuthig helle Lerchentriller, 


Wil ftatt der Sturmnacht Tagesſchiller. 
MWadere Alte, herbei, herbei! 


Profit, Ihr fröhlichen Greije! So hatt! ih mir e8 vorgenommen. 
Der ältefte Wein Euch fredenzet ſei Kaum war ih aus dem Haus gelommen 
Als Nachttrunk zur weiteſten Neije! Und wieder in die Welt getreten, 


3. 6. Adolf Beig. Gleicht Flucht’ ich wieder, ftatt zu beten. 


Ich börte juft zwei böje Bajen — 
Sie trugen Bärte an den Najen — 
Für And’re üble Nachred’ kneten: 
Ich mußte fluchen, lonnt’ nicht beten, 


Erich Fels. 


Nimmer gibſt Pu es zurüd.' 


Des Erfolges in der Liebe rühmft Du Dich, 

Der verlafj'nen Schönen und aud ihrer 
Thränen; 

Macht befonders redenswert und herrlich ſich, 

Magſt Du wohl in Deinem Eigendüntel 
mwähnen. 


Haft Du aber jhon mit Ernft zurüdgeblidt 
In die wonnevollen Tage, jchnell verfloffen, 
Und gedacht der Blumen, welde Du gefnidt, 
Als fie kaum zur holden Blüte fi erſchloſſen? 


Geifterhaft erfcheint vor Deinem Blid ein 
Meib, 

Früh verblüht, von Dir verlaffen tief in 
Leiden, 

Ganz gebrogen nun an Seele und an Leib, 

Wahrlich, Dein Erinnern ift nicht zu beneiden. 


Franz Tiefendader. 


Pur den Wald gieng id einft Gin. 


Durch den Wald gieng id einft bin, 
Ganz in mich verjunten. 
Hab’ gedadt an meine Minn’, 
Blumenduft getrunfen. 
Durch die Kronen jetzo ſchaut 
Hehre Frühlingsionne, 
Und aus ihren Strahlen baut 
Eid des Waldes Wonne. 
Klinge Glocke 
In das Meite, 
Hall’ und locke 
Zu der freude, 
Zu dem Frieden, 
Zu dem Himmel, 
Yus Getümmel 
Fromm hienieden 
Pilger nahen nun! 
Läute, läute 
In das Weite! 
Ruf’ die Frommen, 
Daß fie fommen. 
Klinge, rufe 
Alle, Ale! 
Bald erſchalle 
Bon der Stufe 
Heil’ger Weih’gejang. 
Stürme, braufe, 
Klinge, jaufe 
An's verfiodte Menjchenherz, 


Wie die Glode hörte ich, 

Wurde mir fo bange. 

ı Mein Herz zog fo inniglid 

ı Bott vom Weltenzwange. 

| Reife flüftert jegt ein Wind 

In den Tannenfronen: 

Das find Gottes Stimmen, Rind, 
Die im Walde wohnen ! 


Eruft 5. Beidler. 


Strand-Gedanfken. 


Ich bin am Meer geftanden, 

Sah träumend in die Flut, 

Wo geftern noch mit wilden Branden 
Sih Wog' an Woge brad mit Wuth — 
Wie ruhig, ftill, wie öde ift es heute! 


Da kam mir's jäh zu Sinnen: 

Auch Du haft einft getobt, 

Wollt'ſt Dir im Sturm die Welt gewinnen, 

Haft ew’gen, heißen Kampf gelobt — 

D Herz! Wie ftill, wie ruhig bift Du heute! 
feopold Wurtb. 


| Göafet. 


Seit ih Di fenn’, entzüdteft Du 
Durh Beine blauen Augen mid, 
Seit ih Di kenn, berüdteft Du 
Mit Deinen gold’nen Flechten mid, 
Als ih Dir jagt’: Ich liebe Did, — 
ı Wie herzig, Mädchen, blidteft Du, 

‚ Und als um Gegenlieb' ich bat, 
Wie herzig, Mädchen, nidteft Du, 

| Und immer nur 'beglüdteft Du 

ı Mit Deiner zarten Liebe mid, — 
‚Und jegt, Du Arge, ſchmückteſt Du 
Als Braut für einen andern Dich! 
Ss. M. Wihlderg. 





| 
| 
Sloffen. 


Die Macht des Schönen. 


Es ift die Macht des Schönen nit 
Allein, dak es Verftändige bemeiftert: 
Mein, dab es alle Schranfen bridt — 
Geiſtloſe ſelbſt begeiftert! 


| 808, 


Dichter finden Verehrer 
Und Erflärer — 
| Doch keine Ernährer! 


| Nath. 


| &o lange die Mädchen jhwagen und laden, 
Kannft ihnen Du den Ritter maden; 
Sobald fie aber ſchweigen beflommen — 


Richt' im Flug es himmelwärts! Dann tradhte weiter zu lommen! 


230 


Logik. 


Wie furzes Leben ift doch Allem beſchert — 
Wenn die Ehrlichkeit am längften währt! 


Neuzeit-Kritilk. 


Wie doch des Kritikaſters Ausſpruch iſt 
So unverfälſcht real: Er mißt 

Die Leidenſchaft — 

Nah Pferdekraft! 


® fag’ es mir! 


„D ſag' mir's was Dein Herz bedrüdt, 
Sag! an, weshalb Du traurig bift? 

Dein Lächeln, das mich jonft beglüdt, 
Wie jchmerzlich wird's von mir vermißt!“ 


&o jpridt ein Jüngling ſchlank und groß 
Zu einer Maid, gar lieb und zart — — 
Doch ftatt der Antwort jeufzt fie bloß, 
Und thränenfeudt ihr Auge ward, 


„Hat Dich wohl gar* — fo hebt eran — 
„Beleidigt Einer? Weh' dem Widht ! 

Ich blaj’ dem elenden Kumpan 

Noch heute aus das Lebenslicht !” 


„D ſag' es mir, hold’ Mädchen mein, 
Gab’ es zu Hauſ' etwa Verdruß?“ 

Das Mägdlein hauchte: „Nein — o nein! 
Ach, Alfred, wie ich leiden muß!“ 


„D Bertha, liebfte Bertha mein“ 
So fleht der Gute für und für — 
„Was mag der Trübjal Urjad' jein ? 





‚ Schneizt lanjam 8 
Aber d Nandel, dö hot fi nit gmart. 


| Die Nandl ift ganz mäufelfiad — 


Nur dimol jagt’s ihr: So, jo! 

Die Muater ift gonz aus die Nat, 

Bald ſchimpft's, bald rearts. wie's kimmt, 
nu jo! 


se bot fie ausfromt, wos ihr's Herz 
Wien Mühlnftoan hot obi g’ihwaart — 
Licht, ſchaugt umiwärts, 


„Nandl hö! wos moanft, was thien ? 
Sollt i zum Götn umi gien? 

A jölles Ding mocht van zun Norrn, 
's ift grod zun aus'n Häusl fohrn!“ 


Do gibt's der Nandl an ganzn Riß ban 
Ofn 


„Ka, wos hoft giagt? — 3 moan, i hun 
ist gihlofn!* 
Sofef Bayer. 


Winterglüd. 


Der Engländer Quincey bejchreibt in 
feinen „Belenntnifje eines Opiumeſſers“. 
(Stuttgart. Robert Lub) folgendes Winter- 
ideal: 

Denke dir ein Häuschen in einem 
Thal, 18 Meilen von jeder Stadt ent- 
jernt — fein ansgedehntes Thal, jon- 
dern etwa zwei Meilen lang und durch 


Wenn Du mich liebft — — o jag’es mir!* jehnittlih etwa dreiviertel Meilen breit; 


Da ſchluchzt die Aermſte leif’ und fpridt: | 

„Nun, das ih endlih Dir's geſteh': 

© befter Alfred, zürne nicht — — — — 

Mein Hühneraug’ ıhut Ihredlid 
weh’! 


Emil von Haberfon, 


Die Nandl. 
(Dialect um Annsbrud.) 


dieſe Verhältniſſe haben das Gute, daß 
ſämmtliche im Umkreis wohnenden Fa— 
milien jo zu jagen eine große Haus— 
haltung bilden werden, deren Mitglieder 
deinem Ange perjönlich befannt find und 
deinen Gefühlen mehr oder minder nahe 
ſtehen. Die Höhen ſollen wirkliche Berge 
ſein, zwiſchen .drei- und viertauſend Fuß 
bob, und das Häuschen ein wirkliches 
Häuschen, nicht wie ein geiftreiher Schriit- 


„Nandl, ſchlafſt?“ — „Ha! Was haft giagt?* ‚fteller e3 bat, „ein Häuschen mit doppelter 


— „Ob ſchlafſt, hun i Di g’fragt 
Und wend's a Wengl no tait grotn, 
Kunft mir wohl helfen rothn; 

Aber nit, dak i fein lang verzöhl, 


Und nor darzöhlts die Läng und Broat, 
Was der Fratz, der no fam trodn, 

Die Midl, bringt für Angft und Noat, 
Und wie fie ſchon beim Schaf will hodn. 





Wagenremiſe;“ es joll in der That — 
e3 fommt nämlich auf eine ganz genane 


ı Bejchreibung des Schauplages an — ein 
Tu zlegt ſchnarchſt —'s war jhad um's Del!" 
blühendem Gefträud, das jo gewählt iſt, 
dab e3 an den Wänden 


weißes Häuschen fein, überwölbt von 
und rings um 
die Fenfter den ganzen Frühling, Som: 
mer und Herbit lang der Reihe nach alle 


231 

Blüten entfaltet — buchftäblih von den ſo mande Entbehrungen, die ſich jelbit 
Mairojen an bis zum Jasmin. E3 joll einem vornehmen Herrn jühlbar machen, 
übrigens nicht Frühling oder Sommer | wenn ich dafür nicht auch etwas Nechtes 
oder Herbit ſein — jondern Winter, in | befommen jol? Nein: einen canadijchen 
jeiner bärteften Geftalt. Dies ift ein Winter für mein Geld, oder einen, wie 
höchſt wichtiger Punkt in der Lehre vom in Rußland, wo Jedermann feine eigenen 
Glück. Ih muß mih wundern, dak una | Ohren als ein Freilehen mit den Nord» 
das überfieht und ſich Glüd wünjcht, | wind theilen muß. Ich bin in der That 
wenn der Winter gebt oder wenn er bei ein folder Epikureer im diefem Punkte, 
feinen Beginn nicht ftreng zu werden ver- daß ich feinen Winter mehr tedht teiden 
jpricht. Ich ſetze im Gegentheil jedes Jahr | mag, wenn es einmal weit über den 
eine Bittihrift anf um jo viel Schnee, | Ihomastag hinaus ift, und eine leidige 
Hagel, Froſt oder Unwetter der einen | Neigung zu frühlingsmäßigen Erjcheinun- 
oder andern Art, als der Himmel uns | gen zeigt, daß die Sade feine rechte Art 
immer zu liefern vermag. Sicherlich weiß | mehr bat; nein, er muß durch eine dide 
Jedermann die himmlischen Freunden zu | Mauer dunkler Nächte verwahrt ſein 
ihägen, die ein winterlicher Kamin um» | gegen jede Wiederkehr von Licht und 
geben: Kerzen un vier Uhr, warme | Sonnenjchein. — Bon den legten Wochen 
Decken, Ihee von jhöner Hand bereitet, Octoberd an bis zum Ghriftabend iſt 
geichloffene Läden, die Vorhänge in weis deshalb die richtige Zeit für das Glüd, 
ten Wolfen auf den Boden niederwallend, | welches nah meinem Dafürbalten mit 
während Wind ımd Regen draußen bör- dem Theegeihirr feinen Einzug in das 
bar toben: Zimmer hält: denn der Thee wird, ob» 
Um Einlaf Ian an Zhhr ned Bene wohl verlact von Menjchen, die von 
brüffend, Natur oder in Folge der Gewöhnung an 
Als wollten Erd’ und Himmel fie vermengen; | den Weingenuß rohe Nerven haben und ° 
Doc jede Ripe finden fie verſchloſſen, für die Wirfung eines jo zarten Reiz 
Und füher nur ruß'n wir im feftgefügten | zuttels nicht empfänglich find, ſtets das 
Dank: Lieblingsgetränfe der geiftig Veranlagten 
AM diefes find Punkte in der Be: | bleiben. Doch, um mir’ die Mühe einer 
ichreibung eines Winterabends, die gewiß | zu langen wörtlichen Belchreibung zu er- 
Jedem befaunt find, der unter einem |iparen, will ich jetzt lieber einen Maler 
hoben Breitegrad geboren iſt; und offen- kommen laffen und ihm Anweiſung geben, 
fichtlich erfordern die meilten diejer köft- |um das Gemälde vollends auszuführen. 
lihen Sachen, ebenjo wie Nabmgefrorenes, | Die Maler bringen an weißen Hänscen 
einen jehr niederen Wärmegrad der Luft |immer gerne eine gehörige Anzahl ver- 
zu ihrem Gedeiben: es find Früchte, die | witterter Stellen an; doch der Lejer weih 
nur reifen, wenn das Wetter rauh und ja, dab wir uns in einer Winternacht 
unfreundlih ift. Ich bin nicht „eigen“ | befinden, — wir werden deshalb jeine 
mit dem Metter; mir gilt es glei, ob | Dienfte nur für das Innere des Hauſes 

Schnee berricht oder dider Froft, oder ob |in Anſpruch nehmen. 
der Wind jo beitig gebt, dab man „ſei— Male mir aljo ein Zimmer, 17 zu 
nen Rüden daran lehnen fann wie an | 12 Fuß weit und nicht mehr als 71/, Fuß 
einen Pfoſten.“ Ich kann mich jogar mit hoch. Dasijelbe, lieber Leſer, trägt in 
Regen begnügen, wenn es nur Haken | meinem Hausweſen die etwas anſpruchs— 
und Hunde regnet, aber etwas von der volle Bezeihnung Wohnzimmer; da es 
Art muß ich haben; und ift dies nicht | jedoch „eine doppelte Schuld zu zahlen“ 
der Fall, jo halte ih mich gewillermaßen | bat, jo beißt es auch, und mit mebr 
für geprellt: denn warum ſoll ich mir Recht, die Bibliothel; denn Bücher ſind 
jo jchwere Ausgaben Für den Winter ges | zufällig der einzige Artifel, woran ich 
fallen laſſen an Kohlen und Lichtern und reicher bin als meine Nachbarn. Ich babe 





— — — — —— — — — — — — — — 


deren etwa 5000, die fih nah und nad 
jeit meinem 18. Jahr angejammelt haben. 
Bringe deshalb, Maler, in diefem Zim— 
mer an, jo viele du kannſt; bevöllkere es 
ganz mit Büchern; weiter male mir ein 
gutes euer; eine Einrichtung, einfach 
und beſcheiden, wie fie für das anſpruchs— 
loſe Häuschen eines Gelehrten fich jchidt. 
Nahe dem Feuer male mir einen Thee— 
tiſch; und da es klar ift, daß fein menſch— 
liches Weſen in einer ſolch' unmirt- 
lichen Nacht zu Einem auf Bejuch kommen 
fanıı, jo tele nur zwei Taffen auf das 
Theebrett; und wenn du jo etwas ſym— 
bolijch oder in anderer Weiſe zu malen 
verjtebft, male mir einen ewigen Thee— 
topf. Und da es jehr widermwärtig iſt, 
den Thee jelbit zu bereiten und einzu— 
ichenten, jo male mir ein liebliches junges 
Mädchen, das an dem Tiſche fit — 


A bifferl was. 
In Öfterreihifher Mundart. 
Bon Moriz Schaded.*) 
Da Salbate. 


Da Lippl, der is 

Aus an ganz oagna Toag, 
Halbs foaft und halbs fleber, 
Halbs hart und halbs woad. 


Halbs gfreuat n d Arbat, 
Halbs d Frallenzerei, 
Kam fangt er was an wo, 
Eo raft't er a glei. 


Halbs hätt’ er a Schneid wohl, 
Halbs fehlt cam a Stud, 

Mia canı dö Couragi fimt, 
Gſchwind — halt er fi z'’rud, 


Halbs gfalln cam dö Dirndln, 
Halb3 ſans eam all oans, 
Er möcht ſcho a Schaterl 

Und do wieda foans. 


Halb 3 is's cam alls zviel glei, 
Halb 8 Triagt er nia gnua, 
Halbs ladjt er, halbs zahnt er, 
Der halbete Bua. 


) Aus defien neuem, Iuftigem Büchlein „U biffer! 
was“, (Wien. Carl Konegen) Wir ımpfehlen dieſes 
an Etielerjhen Humor gemahnende Werkchen auf 
dab Peite, DR 


Halbs möcht er floanalt wern, 
Halbs fterbn auf da Stell, 
Halb3 fema in Himmel — 
Und halbat in d Höll. 


Da Achnl. 


Ya, jagt der Dokta, wia er geht, 
Da derft3 halt nöt vergeſſ'n, 
Mit'n Aehnl, da jeits hagli, der 
Derf 8 zehnte nimmer eſſen. 


&o folgns halt, gebn eam nur an Thee, 
A Griastoh, ord'ntli zudert. — 

A eingmahts Hendl kriagt er a, 

Meil ja a badens drudat. 


Na, 8 ſchlagt cam an, er fimmt auf d Flak, 
Er frailt jho um in Zimma, 

Und efin mödt er a bein Tiid, 

In Bett, da gfreuts 'n nimma, 


„Ja“, jagt dö Bäurin, „Aehnl, ja, 
Zun Tiſch, da könnſt jo lema, 
Nur Triagft halt Du Dei eigne Koft, 
Mir than das unjre nehma.* 


Er jest fi hin. Es wird jcho gehn 

Mitn eigna Eſſen, moant er, 

Und 8 geht, nur wia er d Kndödeln fiadht, 
Der alte Ding, da woant er, 


&öd jhaun an jo viel freundli an, 
Als wolltns eam grad fagn: 

Mir than Da nir, geh fürdt Di nöt, 
Uns fennt er ja, Dei Magn. 


Es leidt 'n nöt, er greifat bin, 

Da nimmt eam d Bäurin d Schüſſel. — 
Mei! Knödel möcht er und eam jchadt 
Dös zehnte! — Wart a bifjel! 


Er laßt fi aber nir dafagn, 

Glengt gihwind a paarmal eini. 
„Woaßt,“ jagter, „wann,ma 8 zehnte jchadt, 
So ik i halt nur neuni.” 


A weng a Wittibea. 


D Stoanbäurin muak wo in a Bad 
Bier Woha wegn ihrn Magn; 

Mei, jagn dd Nahbarn, wia wird dös 
Ihr Mann, da Hiafl, tragn. 


| 


Den wißts, er is a ftiller Mann, 
| Dudt allweil fürchterli, 

Er hat nur d Hofentrager an, 
Und d Hoſen — dö hat jie. 


Koan oanzign Tag warns nu dvonand, 
Was wird den dös do wern, 

Kann iatt da Hiaſl wodhenlang 

Sein Wei nöt brummta hörn. 


233 


Es limmt dö Stund, wo 8 roajen muaß; Vorgänge felbft unmöglich machen. Niemals 


Wias einfteigt und fahrt furt, 
Da Sagt der Hiafl, mir is grad, 
Wia warn i Wittwa wurd. 


geitatten fie einen Blid unter den Tiſch oder 

hinter einen Vorhang, hinter welchen die 

Geifter ſchreiben oder jonft ihr Weſen treiben. 
h. 





Dö erfin Tag, dös war a Kreuz! 

Da hat er lamatirt! | 
Ma hätt frei gmoant ſcho iatt und iazt, 
Daß der Mann narrijch wird, 


Orgien und Andahten betitelt ſich in 
pifanter Weiſe ein neues Büchlein des dem 
‚ Grazer Publitum zuerft befannt gewordenen 
\ Jungen Dichters Ernft Wechsler (Leipzig. 
Friedrich 1886). 
Es ſind poetiſche Erzählungen, bunt 
gemiſcht nach Inhalt und Form, aber alle 
eigenthümlich und intereſſant in ihrer Art. 
| Sie bieten wirklich Neues und entiprechen 
jo dem Berlangen nad einer neuen, zeit: 
' gemäßen Poefie. Eine bedenkliche Forderung 
‚im Grunde, die der „zeitgemäßen“ Poeſie! 
ı Denn wenn eine Zeit jchleht, die Geifter 
| matt, das Denten platt, das Empfinden 
I nicht rein und natürlich, die Gefinnung zer: 
fahren und vom ewig-Rechten abgelentt 
wäre, danıı wäre ihr wenig geholfen mit 
| einer „zeitgemäßen“ Poeſie, ſondern eher mit 
einer folchen, die e8 jo wenig als möglid 
if. Hr. Wechsler ſcheint jedoh noch den 
Unterjchied zu fennen zwiſchen dem was 
ewig neu, und dem was für den Tag neu 
oder Mode ift. h. 


Is aber wieder befjer worn. — 

So nad der halben Zeit, 

Da geht der Hiajl mit fein Schmerz 
To kloanweis unter d Leut. 


Dö dritte Wohn traut er fi 

Zun Wirt gar auf an Plauſch, 
Ja, und am Sunta wird er gar 
Fidel und — friagt an Rauſch. 





Grad in dö allerlegten Tag, 
Da padts n wieder feſt — 

Ta i8 er wieder, grad wia ch, 
So ftill und floanlaut gweſt. 


Daß 8 wegn fein Wei i8, das is gwiß, 
Nur won ma halt nöt b’ftimmt, 

Is 8, weils ſcho jo lang ausbliebn is, 
35 3 weils — ſcho jo bald fimmt, | 


Mofaik, Eine Nachleſe zu den geſam— 

F melten Werfen von Alfred Meißner. 

Bü dj er. (2 Bände. Berlin. Verlag von Gebrüder 
| Paetel 1886). 

Zu den lehrreichſten, die Frage des Am 29. Mai 1885 ftarb Alfred Meißner. 
Epiritismus betreffenden literariſchen Er: | Kaum wurde die Trauernadhridt befannt, 
Icheinungen gehören die „Ginblihe in den jo wuhten Zeitungsbericte von einem bes 
Spiritismus‘‘ aus der Feder des Erzberzogs. deutenden literarischen Nadlafje zu erzählen; 
Johann (5. Aufl. Linz 1886) und €, v. namentlich eines größeren hiftorijchen No: 
Hartmann’ Bud „Der Bpiritismus‘ | mans, der beinahe vollendet jei, wurde Er: 
(Xeipzig. Friedrich 1886). wähnung gelhan. Allerdings wurden dieje 

Beide Werte ftehen auf einem durchaus Gerüchte bald berichtigt; es jollte nur weni— 
fritiihen Standpunft, der aber dort in | ges zum Drude fertige Material vorliegen, 
ganz praktiſch-kritiſcher, hier ein ganz | von ber gehofften Fortſetung der Autobio: 
theoretifchefritifcher ift. Der Erzherzog, der. ‚ graphie jei jo gut wie nichts vorhanden, 
befanntlih unter Mitwirfung des Kron- | Nun hat Robert Byr den Nachlaß heraus⸗ 
prinzen den Spiritiſten Baſtian perſönlich gegeben. Zwei mittelſtarke Bände in ſchöner 
entlarvt hat, vermeidet mit einer gewiſſen Ausftattung werden dem Publitum geboten 
Aengſtlichkeit alles Wifjenichaftliche, erlärt | und gewiß von allen Freunden des Dichters 
fi wiederholt für nicht berufen in diefer mit Vergnügen aufgenommen werden, Der 
Hinfihl; Hartmann geht auf wiſſenſchaft- aufmerfjame Leſer, der dem Dichter nicht 
liche Erflärung aus, zeigt fich dafür aber bloß in jeinen Büchern, Sondern auch auf 








im Praftiihen und Thatjählichen nicht im— 


mer heimifh. Es klingt beinahe naiv, wenn | 


er verlangt, die Gelehrten jollten ſich den 
Spiritiften zu Zeugen erbieten unter Be: 
dingungen, welde eine Prüfung der 
Vorgange möglid machen, während die 
Epiritiften bei ihren Productionen fich 
ſchlechterdings feine Bedingungen der ge: 
nannten Art ftellen laffen, jondern jelbft 
immer jolche ftellen, welche die Prüfung der 


feinen Excurſen in den Journalen folgte, 
wird allerdings nicht viel Neues finden; 
das meifte des hier Gebotenen hatte Meißner 
in verſchiedenen Zeitſchriften früher ver: 
öffentliht, und es wurde nur von Byr in 
geihicdter Weiſe geordnet, 

Der erfte Band enthält einige Dichtun— 
gen, darunter die in metriſcher Hinſicht 
vollendeten Gedichte „Herculanum“ und 
„Nächtlicher Beſuch“, die den Beweis lie: 





234 


fern, dab dem Dichter bis an jein Lebens: 
ende ein fchöner, leicht fliekender Vers zu 
Gebote ftand ; dann folgen einige Novelletten, 
unter denen bejonders „Zannhäufer im 
Drient* in literar = hiftorischer Hinſicht, 
„Klingenbergs Jugend“ wegen der humor: 
vollen Durhführung, und „Fragmente aus 
Dlympia* wegen der jatiriihen Diebe auf 
den übertriebenen Wagner:Eultus Erwäh— 
nung verdienen. Einige jehr friich geichrie: 
bene Neifebilder jchließen den erften Band. | 

Der zweite Band führt den Nebentitel 
„Literariihe Streifzüge*. Der Autor gibt, 
Heine, aber jehr geihmadvoll ausgeführte 
Eſſays über Rouſſeau, Schelling als Dichter, , 
Gutzlow, F. Kürnberger, Joſeph Bayer, 
Hermann Lingg, u. ſ. w., zeigt ſich in der 
gebarnifchten Wbfertigung von PBenedir 
„Shalejpearomanie* und in jener fleinen 
Abhandlung über Shaleſpeare's „Peritles* 
an der Müncdener Bühne als gewiegten 
Kenner der engliſchen Literatur und weiß 
uns jowohl durch den Inhalt des Gebotenen 
wie dur die Schöne Form zu feſſeln. Na— 
mentlich in jeiner Beurtheilung Gutlomw’s, 
Kürnberger'3, Bayer'3 und Lingg's zeigt 
er, wie literarifche Berichte zu halten jeien; 
daß bei aller Strenge nicht ſchönungsloſes 
Zerfegen, nicht nihiliftische Kritit, hinter der 
nur zu häufig gedanfenloje Stumpfheit und 
literarifche Impotenz verborgen jind, fon: 
dern liebevolles Erfafjen jeines Gegenstandes 
eine Haupteigenfchaft des Kritikers fein 
milffe. Und in diejer Weife jchreibt Meißner; 
wir folgen ihm gerne, er bringt immer 
interefjante Details, und da er mit den vier 
letitgenannten Autoren perjönlich befreundet 
war, jo lugt auch bie und da ein Stüd 
Selbftbiographie hervor, das wir als Bei: 
trag zu jeiner „Geſchichte meines Lebens" 
willfonmen heißen mögen 

Noh Eins! Mander wird in diejer 
Nachleſe dies oder jenes, das er erwartete, 
vermiffen — ich meinestheils ſuchte ver: 
geben: nach dem Traueripiele „Ceſare Bor: 
gia*, von den mir Meiner wiederholt ſprach 
und fchrieb, und das er jomit wohl jelbft 
vor feinem Tode vernichtete — aber wir 
müſſen jchliehlih dem Herausgeber Net 
geben, der bloß das von Meiner zum 
Drud ausgewählte Materiale in die Samm— 
lung aufnahm. „Wird nun von manchem“ 
jagt ®yr in feiner furzen Vorrede, „viel 
leiht Eins oder das Andere in diefer Samm— 
lung vermißt, was er darin zu finden er: 
wartete, jo ift dies nicht etwa eine Vernach— 
läfligung meinerjeits, jondern der Verſtor— 
bene hat eben jeiner nicht wilrdig befunden, 
was er nit aufnahm, Cine ſolche Ent: 
iheidung zu treffen aber ift meines Grad): 
tens das unantaftbare Recht des Autors.” 

Emil Soffe, 








Früichte der Erkenntnis. Ein ueues Nor 
vellenbuh von Ostar Welten. (Berlin. 
Wilhelm Ißleib). 

Das Vorwort enthält trefflihe Winke 
über VBüchertitel an der Hand der eigenen 
Novellenjanmlungen „Nicht für Kinder“ 
und „Buch der Unſchuld“. Daß zu 
einem guten Titel ein guter Inhalt gehört, 
diefe „Erlenntnis“ fcheint fih auch dem 
Verfaffer des Novellenbucdhes zum Theil er: 
ihlofien zu haben. Wenigftens zeigt ſich 
gleich die „Künſtler-Novelle“ frei von ſei— 
nem fonftigen Wohlgefallen an finnlicher 
Darftellung und erhebt fih durch einen 
feinfinnigen, edlen Grundgedanfen über die 
übrigen Erzählungen des Buches. Sie ift 
„audh für Hinder* — ein Lob, wenn es 
verdienftlicher ift, zum Nutzen der Jugend, 
als zum Bergnligen blafierter Lebemänner 
und lüfterner Weiber zu schreiben. Die 
„bumoriftiiche Dorfgeſchichte“ möchten wir 
anı liebjten mit Stillichweigen übergehen, 
aber unsere mihhandelten Landsleute und 
der Gooperator mit den „bratenjaftüber- 
fließenden Lippen, deffen Hauptitärfe darin 
bejteht, einen Humpen Bier in einem Athen: 
zuge zu leeren, jchreien nah Rache. — Die 
„draftiihe Cur“ ftreift an eine franzöfiiche 
Ehebruhsgeihichte und hat nur das Gute 
für fi, daß fie unwahrjcheinlid ift von A 
bis 3. Die „Salon:Novelle* ift mit großer 
piychologiicher Spitzfindigkeit geichrieben und 
ihre Geftalten wilrden uns Intereſſe eins 
flößen — wenn fie nur mehr glaubmwitrdig 
wären. Zujanmengejeiite Wörter, wie „dies— 
bezüglich“, jollte der Schriftfteller neidlos 
dem Kanzleimenſchen überlafien. — Hoch— 
willflonınten werden wir ein NRovellenbud 
heißen, daß Welten der Jugend — unierer 
Hoffnung, unjerem Stolze — widmen wird; 
er fann e8 — wenn er nur will, das zeigt 
in jeiner „Künftler:Novelle* der zarte Blü: 
tenanjaß zur reifenden „Frucht der Er: 
lenntnis“. —tt — 


Lieder und Bilder von J. J. Honegger 
(Leipzig. W. Friedrich. 1887.) Der rühm— 
lichit befannte ſchweizeriſche Eulturbiftorifer 
überraiht uns zu einer Zeit, wo jeine im 
Erſcheinen begriffene große Eulturgeichichte 
uns in Spannung hält, mit einem Bändchen 
Gedichte. Das intime Herzensleben eines 
Menſchen ift ſtets intereffant, um fo mehr, 
wenn der Menich bedeutend iſt. Ein Wort 
über das Schidjal jeines Lebens und jeiner 
Lieder macht uns zur Einleitung mit dem 
Verfajer vertraut. Das Präludium ift im 
Moflton: 


Wohl wird es verweh'n wie der Morgenwind, 
Wie die Wiefenblüte, des Frühlings Kind. 
Es verweht. 


Wohl wird es veraeh'n wie der Herbſtnacht Hauch 
Wie die Nebel im Meer, wie flüchtiger Rauch. 
Es vergeht. 


23 


Doch hebt ed nur Gin finnig Gemüth, 
Durdffammt es ein Herz, genug hat mein Lieb 
Dann erjirebt, 


Wenn nur Ein Röslein ihm lauft und bebt 
Und liebt und nlübt, genug hat's gewebt 
Und gelebt. 


Dem folgt das meifterhafte Natur: und 
Stimmungsbild: 


Dur der Tannen Wipfel ſtreichen 
Schwer und bang Gewitterlüfte. 
Donner rollt. Dom Eturmesbrauien 
Wiederhallen dumpf die Alüfte, 


Blike mit den Feuerfahnen 

Durch die grauen Wollen fahren. 
Sturm fpielt auf zum leden Tanze. 
Nebel reihen fih zu Paaren, 


Scheue Bögel Hattern ängſtlich. 
Große Regentropfen fallen. 
Aeite brechen, Etämme flürjen 
In dei Waldes Eäulenhallen, 


Muß ein großer, wilder Schmerz fein, 
Der die hoben Aronen ſchüttelt, 

Der die Etämme fnidt, der jürnend 
An den jlolzen Eichen rüttelt, 


Mu ein tiefes, berbes Leid fein, 
Daß des Donners Klagen rollen. 
Daß der Himmel Thränen weine, 
Taf des Waldſtroms Wellen grollen, 


Ueber's Gerz fuhr gleicher Sturm mir. 
Ihräne, Yeid und Donnerworte, 
Euch verſteh' ich, wenn im Sturm ich 
Lauſchend fit’ an Waldes Porbe. 


Abwechslungsreich, indem die verſchie— 
denften Saiten des Gemüthes anflingen, geht 


es fort bis zum „Es will Abend werden". 


Tas iit das ewige Los, und mählich ftiller 

Wird's um Dich, wird's in Dir, Die fühlen Tage, 
Sie dunkeln raſcher. Schnee liegt auf dem Scheitel. 
Es ift das alte Lied. Wozu die lage? 


Tat eben war ein fturmbeihrwingtes Wagen, 

Die Rorne bat ihre Füllhorn ausgegoſſen 

Auf Did. An Sieb! und Haß die reichſten Wonnen, 
Den wilden Edinerz, Tu Hait jie voll genojien. 


Du baft des Dafeins Räthiel nahgegraben 
Und unentwegt den Geiſteskampf geftritten. 
Zum Licht empor! in dieſem Zeichen halt Du 
Sefragt. geträumt, gezweifelt und gelitten. 


Die lange, tiefe Nadıt wird Ruhe bringen. 

Der Name ftirbt gleih einer leiſen Sage. 

Ahr wenigen Lieben, die Ahr einft zum Hügel, 

Dem tleinen pilgert, thut es ohne Alagne! 

Dann if die ſchwere Rechnung ausgeglicen, 

Gelöst des Zweifel und der Echmerjen Bann, 

Kur Eins, — die Trauerweide Takt mir flüftern: 
Gr war ein Daun! 


Wir glauben die Sammlung mit diejen 
Proben würdig empfohlen zu haben. Der 


Schluß des Büchleins bietet interefjante | 


Efizjen aus Ntalien und England und 
eine bewegende Novellette. M. 


Gründzüge der Geſchichle der Mufik von 
Franz Brendel. Sechste vermehrte Auf: 
lage bearbeitet von Dr. Wilhelm Kienzl. 
(Leipzig. H. Matthes. 1887.) 

Wer fih auf kurzem und angenehmem 


oO 


will, der kann nichts Beſſeres thun, als 
nah diefem Büchlein zu greifen, das ihn 
in fadhlicher und populär gehaltener Weiſe 
mit der Entwidelung der abendländiichen 
Muſik befannt maht und die Meifter der— 
| jelben ſcharf und fein dharakterifiert. Dr. 
Kienzt hat ſich durch die Wiederherausgabe 
und zmwedentiprechendere Bearbeitung der 
Schrift ein neues Verdienft — 


Schneeroſen. Erzählungen aus der Weih— 
nachtszeit von Helene Stöckl. (Leipzig. 
J. M. Gebhardt). 
Keinem literariſchen Weihnachtsgaſt 
wird die deutſche Familie ein herzlicheres 
Willlommen zurufen, als einem neuen 
Chriſtfeſtbüchlein von Helene Stöckl. Die 
Herzinnigleit dieſer Schriftſtellerin hat ſchon 
Tauſende von Leſern erwärmt und für das 
liebe Weihnacdtsfeit geftimmt. Diejes neue 
Werlchen mit feiner finnigen Einleitung und 
ſeinen vier jchönen Erzählungen: „Am hei: 
ligen Abend”, „Eingeichneit*, „Bott lebt“, 
„Rojen blühen und vergehen, wir werden 
das GChriftfind jehen“, darf wohl gewiß zu 
den liebenswürdigften Feſtgaben gezählt 
werden. Die Ausftattung entipridht dem In— 
\ halte; um der Weihnahtsüberrafhung nicht 
vorzugreifen, wollen wir weiter nichts ver: 
rathen. R. 








Das Wetter und der Mond. Fine meteoro— 
logiihe Studie von Rudolf Falb. (Hart: 
leben. Wien.) 

Rudolf Falb, deſſen Erdbebentheorie 
und meteorologiichen Brophezeiungen jeinen 
Namen in die weiteſten Kreiſe getragen, 
tritt mit einer neuen, geradezu jenjationellen 
Schrift in die Oeffentlichkeit. Eine in neueſter 
Zeit wieder auf der Bildfläche naturwiſſen— 
ſchaftlicher Discuifionen ericheinende Frage 
wird hier zum eriten Male in gründlicher 
MWeije erörtert und zur Beantwortung ge: 
bradt. Un der Hand eines reichen Bes 
obadtungsmateriales zeigt der Verfaſſer, 
dab der vielfah geleugnete Einfluß des 
Mondes auf das Wetter nit nur that: 
jählich vorhanden, jondern auch zu gewiſſen, 
vorauszubeftimmenden Zeiten wenigftens, 
ſehr hervorragend jei. Die Erörterung, wie 
es fan, dab dieſes Rejultat nicht längſt 
ſchon zu Tage gefördert wurde, bietet einen 
der intereſſanteſten Abſchnitte dieſer Schrift, 
deren Stil dem großen Kreiſe derjenigen 
ſowohl, die ſich für die Beobachtung der 
Witterung im Allgemeinen intereſſieren, als 
auch der Leſer, welche mehr die wiſſen— 
ſchaftliche Seite der Frage in's Auge faſſen, 
in gleicher Weiſe gerecht wird. Einige der 


Wege in der Geſchichte der Muſik orientieren | vorgeführten Thatſachen und Geſichtspunlte 


236 


bieten dem Berfaffer Gelegenheit zu den] vereine über, die modernfte Frucht des Alpi— 
beadhtenswerten Epiloden über die Schlag: | nismus, deren miflenichaftliche, wirtichaft: 
wetter in den Bergwerlen und die großen | liche, culturelle und ethilche Bedeutung in 
Abendröthen des Jahres 1883, durch deren | dem Verfafjer einen beredten Anwalt findet. 
originelle Erflärung zwei entgegenftehende | Wie er fein ſchönes Buch mit äfthetiichen 
Anfichten über den Urſprung derjelben har: | Frörterungen eingeleitet hat, fo jchlieht er 
monifch vereinigt erfcheinen, V. dasſelbe mit einer ethiſchen Betrachtung in 
\würdiger Weije, 


Die Alpen, Handbuch der gefanımten 
Alpenfunde. Bon Dr. Friedrich Umlauft. Diertaufend Meilen unter Bturmfegeln 
Mit 31 Bollbildern, 64 Tertbildern und | auf Sr. fönigl. Hoheit des Prinzen Heinrich 
20 Karten, wovon 15 im Texte. (U. Hart: | yon Bourbon Grafen von Bardi Pacht 
leben. Wien.) } $ | „Aldegonda«, Von Detlev von Heyde— 

Umlauft'3 Handbud) „Die Alpen“ liegt | brand und der Laſa. Mit einem Por: 
uns nunmehr complet vor. Wir empfangen | trät, 106 Iluftrationen und einer Karte, 
in diefem Werle eine Tarftellung der ge: | (Hartleben. Wien.) 
fanımten Alpenwelt in allen ihren Erſchei⸗ Das Wert ſchildert die Seereiſe von 
nungen und phyſikaliſchen Vorgängen, wit Dartmouth an der Südfüfte Englands bis 
fie bisher nirgends in einem Buche vereint | nach Pola und bietet eine aus Land: und 
zu finden war, Ebenjo jahfundig als eine | Seebildern componierte Reiſebeſchreibung. 
gehend werden die Eharalteriftit der Alpen, | Das Wert macht den Gindrud des an Ort 
ihre Örenzen und Eintheilung, der verticale | und Stelle Empfundenen und ift überdies 
Aufbau und die Geologie unferes Dodge: | durch die paſſend eingefügten Belehrungen 
birges beſprochen. Beſonders liebevolle Ber | über das gejammte Seeweien wertvoll, 
bandlung erfährt die topographiihe Schil— 
derung der Alpen. Mit wohlthuender Ab: 
wehslung in Anordnung und Parftellung 
des reihen Stoffes werden bier nicht bloß 
die plaftiihen Berhältnifie, die Höhenzüg 


Lehrbuch der Haturheilkunde für Jeder: 
mann von H. A. Melger. (Leipzig. Hein: 
rich Matthes, 1886.) 

Diefes empfehlenswerte Werk verfolgt 
namentlid die Abficht, Familienväter und 
Mütter auf die Bedeutung der Naturheil: 
funde aufmerfiam zu machen und ihnen 
durch Rathſchläge Gelegenheit an die Hand 
zu geben, bei Krantheitsfällen im der Fa— 
milie jelbft einzufchreiten und durd ratio: 
nelle Behandlungen die Störungen im Or: 
ganismus zu bejeitigen. V. 


Gipfel, Päſſe und Thäler geſchildert, ſon— 
dern auch Flüſſe und Seen, Waſſerfälle und 
Gletſcher, Verlehrswege und Wohnorte, ge— 
legentlich auch die Erſcheinungen des Pflan— 
jene, Thier- und Menſchenlebens, ſowie 
Rundſichten von beſuchten Bergen zum Ge— 
genſtande der Erörterung gemadt. In den 
folgenden Gapiteln bietet der fundige Ber: 
fafjer monographiiche Abhandlungen über 
Alpenthäler und Thaliyfteme, Flüſſe und 
Seen, verichiedene Wirkungen der Erofion 
und Verwitterung, über das Klima der 
Alpen, über Schneeregion, Lawinen und 
Gletſcher. Dann folgt eine eingebendere 
Beiprehung der Pflanzenwelt und des Thier: 
lebens. Höheres Intereſſe aber beaniprudt 
das Gapitel über den Menihen in den 
Alpen, weldes fih zunädft mit der na— 
tionalen Berjchiedenheit der Alpenbewohner | de Duincey erjcheint hier zum erftenmale 
und mit einer Charalteriftil derjelben befaßt. | im einer deutjchen Weberjegung. Der Ber: 
Ihre Beihäftigung bietet dem Berfafler | fafler, einer der geiſtreichſten Schriftiteller 
Anlaß, das Leben des Holzichlägers und ſpricht fi in jeinen Bekenntniſſen aufrid: 
Wildheuers, des Alpenjägers und Sennen | tiger und klarer über die anfangs reizen: 
näher zu jchildern. Er beipricht die Aelpler den, ſpäler fürchterlichen Wirkungen des 
in der fremde, ihre Tradt, Wohnhäuſer Opiumgenufies — dem er jahrzehntelang 
und Wohnorte, ihre Kunſtbegabung und|in leidenschaftlicher Weife fröhnte -- aus, 
den Einfluß der Alpen auf die Kunft, ſpe- als irgend Einer vor ihm und jeit ihm. 
ciell auf Malerei und Dichtung. Noch wer: | Scine Belenntniffe haben außer dem jpe: 
den die Aunftbauten der Alpenftrafen und | ciellen Interefie aud ein allgemeines: ſitt— 
die Wunderwerle der großen Alpenbahnen | liches, culturgeichichtliches und literarisches, 
dem Lefer vorgeführt. Darauf handelt das | und befiten in ihrem Bortrag den Reiz 
V. 


Bekenntniſſe eines Opium⸗Eſſers. Ueber— 
jest von L. Ottmann. (Robert Lutz. 
Stuttgart.) 

Das berühmte Werk des Engländers 


Werk von der Alpenforſchung in alter und | einer Novelle, 
neuer Zeit und geht zulegt auf die Alpen: 


Ein im Berlage 3. v. Groningen in 
Annaberg erjhienenes Büchlein: „Elias 
Regenwurm‘, eine moraliihe Geſchichte für 
Große von H. d'Altona wird freunden 
der in Jean Paul'ſcher Manier geichriche: 
nen Satiren großes Vergnügen bereiten. 


widelung unferes heutigen Schulwejens und 
die Beftrebungen unjerer politiichen Par: 
teien, welde in der Herrſchaft über die 
Schule das begehrenswertefte Ziel ihrer 
Wuünſche erbliden. 

Für die Lehrerwelt natürlih von ein» 


In ergöglicher Weiſe find die Neifeerleb: | jchneidendfter Wichtigkeit, ift die Schrift 
nifjie eines aus dem Dunlel feiner Erd: doch eigentlih nod mehr für jedes Mit: 
iholle nad der Oberwelt firebenden Regen: | glied von Gemeindevertretungen, Orts: und 


wurms gejcildert, in dem unſchwer ver: 
wandtichaftliche Bezüge mit dem Geift jenes 
anmaklihen Philoſophenthums wahrzuneh: 
nen find, das die Weltordnung nad den, 
feiner eigenen Blindheit gezogenen Geſetzen 
umgejtaltet wifjen will. V. 


Das Vollstheater in Tirol hat ſchon 
lange die allgemeine Aufmerkſamkeit be— 
Ihäftigt und man war bemüht, feinen ge: 
ſchichtlichen Uriprung nachzuweiſen. Nun 
liegt von Dr. J. Wadernell ein interej: 
fantes Wert vor: „Die älteſten Palfions- 
Ipieler in Tirol“, welches nach vielen Rich— 
tungen bin Bahn bridht. Seine gründlichen 
Unterjudungen maden es wahricheinlid, 
dab die Tirolerpafiion in den erften drei 


Decennien des fünfzehnten Jahrhundertes | 


eniftand und jedenfalls in die Blütezeit 
des altdeutihen Dramas fällt. Die berühm: 
ten Aufführungen in Sterzing und Zell 
fanden zu Ende des 15. und Anfang des 
16. Jahrhunderts ftatt. 2 


Don der Offee bis zum Nordkap. Eine 
Wanderung durd Bänemar!, Schweden 
und Norwegen, mit bejonderer Rüdfiht auf 
Kunſt und GEulturgeihichte, Sage und 
Didtung von Ferdinand rauf. In 
25 Heften mit vielen Bildern. (Neutitichein. 
R. Hoi.) Die erften uns vorliegenden 
Hefte belehren uns vor Allem, daß diejes 
Werl mit anderen illuftrierten Lieferungs: 
werfen kaum zu vergleiden iſt. Krauß's 
Wert madt den Eindrud großer Gediegen: 
heit. Es ift wiflenihaftlid und populär 
jugleih und wird im Vereine mit den vor: 
trefflichen Yluftrationen ein wahres Bild 
der Rordländer und ihrer Bewohner bieten. 
Mir hoffen uns no eingehender mit dem 
interefjanten Buche befajjen zu fönnen. 

R 


Unter dem Titel: „Ein offenes Wort‘, 


Bezirlsihulräthen, ja jo recht für jeden um 
das Wohl jeiner Kinder beforgten Bater, 
für jeden Wähler und Steuerzahler von 
Bedeutung. 

Die Schrift ift ſchulfreundlich, fie will 
vom öfterreihiich:patriotiihen Standpunfte 
aus alle politiihen Parteien zur Förderung 
der Schule heranziehen, fie meift jeder 
Partei gewiſſe Rechte, gewiſſe Vortheile in 
der Schule zu, aber ſie unterläßt es auch 
nicht, allen auf die Schule einwirkenden 
Kräften ihre Fehler nachzuweiſen, die erſt 


erlannt und anerkannt ſein müſſen, ehe 


auf ihre Beſeitigung zu hoffen ift. 7; 





Bugendheimat, Jahrbuch für die Jugend 
zur Unterhaltung und Belehrung heraus: 
gegeben unter Mitwirkung vieler Jugend: 
|freunde von Hermine Proſchlo. Mit zahl: 
reihen Alluftrationen. I. Jahrgang, der 
durchl. Frau Grzherzogin Maria Nojefa 
gewidmet. — (Graz. Berlagsbuhhandlung 
Leylam.) 

Obzwar die Literatur für die Jugend 
jeine jehr reichhaltige ift, jo entbehrte unjere 
heimiſche Literatur doc bis jetzt eines 
illuftrierten Albums für unfere Jugend, 
63 wird uns hier ein jold bunter Strauß 
Duftiger Geiſtesblüten geboten, daß wir dies 
‚erfte Unternehmen jolder Art nur mit Freu⸗ 
den begrüßen können, ihm die weitefte Ver: 
breitung, welche es im vollften Maße ver: 
dient, wünichend. 

Der Herausgeberin, eine der befanntes 
ften Yugendicpriftftellerin, ift es gelungen, 
hervorragende Yugendichriftiteller und Ju— 
'gendjchrifttellerinnen für das Unterneh— 
men zu gewinnen, wir finden aber auch 
Namen in dem Album vertreten, welche 
ſonſt bei Jugendunternehmungen nicht zu 
finden ſind und muß man es der Heraus— 
geberin zum beſonderen Verdienſt anrechnen, 
‚daß fie gewußt, auch jolche Kräfte heran— 
zuziehen. 

Beiträge haben gegeben: Dr. Iſidor 
Proſchlo, Iſabella Braun, Emmy Giehrl, 
Emma Laddey, Dr. Friedrich Bed, General 





Schulpolitiſche Briefe an alle Parteien von Albin Reichsfreiherr v. Teuffenbach, W. 
Diogenes, iſt im Verlage von Fournier Conſtant, Franz Bonn, Afrika-Reifender 
& Haberle in Znaim eine Broſchüre er: | Hauptmann Anton Lux, Augufta v, Gäßler, 
ſchienen. Mit einer ungewöhnlichen Klarheit Hermann Hirſchfeld, Moriz Ferdinand Bret— 
ihildert ein Mann von weitem Gefichts: |jchneider, Gafimir Nebele, Jjabella Hummel, 
treis und feltenen Erfahrungen die Ent: | Hedwig v. Nadics:Kaltenbrunner, Elife Ris, 


238 


Johanna MWolfrLeitenberger, Theodor v. 
Grienberger und Andere. Ganz beionders 


fei hervorgehoben, daß alle Diele Beiträge | 


durchwegs Original: Arbeiten find, welde 
eigens für die „Jugendheimat* gejchrieben 
wurden. 

Unierer Jugend wird hier eine joldhe 
Fülle des Erhebenden, Belehrenden und 
Unterhaltenden dargebracht, daß jede Ya: 
milie mit der „Jugendheimat“ ihren Kin: 
dern einen Hausihat von dauerndem Werte 
bieten fann; wir empfehlen deshalb gelegent: 
lich des Weihnachtsfeſtes dieſe neuefte Jugend» 
gabe auf das wärmſte. {, 


„Mufikalifhe Jugendpoſt“. Illuſtrierte 
Yugendzeitung, pro Quartal ein Heft. 
(Paderborn. J. Tonger.) 

Inhalt: Erzählungen, Märden, Epijo: 
den aus dem Jugendleben berühmter Ton: 
lünftler. Belehrendes, Unterbhaltendes und 
Erheiterndes, — Zahlreihe Ylluftrationen, 
Räthſel, Spiele. Leichte, hübſche Klavier: 


ftüde zu 2 und 4 Händen, Xieder, Duette, | 


Compofitionen für Violine und Elavier von 
den beliebteften Componiſten. Muſikaliſche 
Geſellſchaftsſpiele. R 


Fragemäulchen. Ein Bilderbuch zu Luft 


und Lehr von Julius Lohmeyer. Mit! 


Pildern von Karl Röhling. (Leipzig. 
Meiner & Bud.) 

Gin reizvolles Bilderbud für die Klei— 
nen von 4—9 Jahren, in weldem Mütter: 
hen ihrem wißbegierigen, kleinen Plage— 
geift Auslunft über Entftehung, Herkunft 
und Gebraud der verichiedeniten Dinge des 
täglichen Lebens ertheilt. In anmuthig ge: 
reinıter Wechſelrede erfährt das Kind, mie 
Haus und Kleidung, Brot und Geräth, 
Geihirr und Hausrath u. ſ. w. entjtehen. 
Alles wird überdies durch 70 farbenprädtige 
und graciöje Bilder und Bildchen von Karl 
Röhling dem Kinderauge veranihaulicht. 
Unterhaltung und Belehrung verbinden ſich 
daher auf das Innigſte im dieſem liebens: 
würdigen Buche. V. 


Roter Murr. Verfaßt von ihm ſelbſt, 
iluftriert von feinem Freunde F. Flinzer. 
(Leipzig. Meißner & Bud.) 

63 ift die Lebensgeihichte des durch 
E. T. A. Hoffmann berühmt gewordenen 
gelehrten Katers, welde Julius Lohmeyer 
bier in finnigehumorvoller Weife den Kindern 
von 6--12 Jahren vorführt. Wedor Flinzer, 
der berühmte Katenmaler, jchildert durch 
überaus launige Aquarelle die Schidjale und 
Abenteuer diejes viel bewegten Katenlebens 


in überzeugender, .naturwahrer und Jung 
und Alt zugleich beluftigender Weije. 
V 


— — 


Das tolle Buch. Verſe von Victor Blüth— 
| gen, Friedrich Oldenberg, Georg Bötticher, 
Schmidt: Cabanis und Julius Lohmeyer. 
| (Reipzig. Meißner & Bud.) 

Ein Bilderbuch voll friſchen, drofligen 
Humors in Wort und Darftellung für das 
‚Alter von 5—10 Jahren, mit 55 höchſt 
fomijchen Bildern in prädtigem Farbendruck. 
Eine unerfhöpflihe Duelle von Luft und 
Fröhlichleit für Jung und Alt. a 


| Unfer Hausglük, Ein Bilderbuh von 
MWoldemar Friedrid. Mit Reimen und 
‚ Strophen von Julius Lohmeher und Frida 
Schanz. (Leipzig. Meiner & Bud.) 

Meiiter Woldemar Friedrich führt 
uns bier in 65 farbenprädtigen Aquarellen 
von faum übertroffener Schönheit, die in 
vorzüglichem Farbendrud ausgeführt find, 
das Leben und Treiben unjerer Lieblinge 
vor. Julius Lohmeyer und Frida Schanz 
begleiten dieſe entzüdenden Bilder mit präch— 
tigen Strophen und anmuthigen Reimen, 
jo daß fih hier Wort und Bild zu einem 
Kinderbuh von überraſchender Schönheit 
vereinigt, da& bejonders den Kinderfreis von 
4—9 Jahren erfreuen wird. 














Robinfon Cruſoe's Leben und Schidjale, 
erzählt von Julius Lohmeyer. (Leipzig. 
Meißner & Bud.) 

Die uniere Jugend jeit faft einem Jahr: 
hundert immer wieder fefjelnden und begei= 
fternden Abenteuer und Schidjale Robinſon's 
find wohl nie naturwahrer und lebensvoller 
von Künftlerhand dargejtellt worden, wie 
bier. In 60 in Farbendrud ausgeführten 
Abbildungen von Karl Marr, von einem 
feflelnden, Inappen, mit den Bildern eng 
verbundenen Text von Yulius Lohmeyer 
begleitet, zieht bier das ganze fdhidjals: 
volle Leben in prächtiger Bilderjhau an uns 
vorüber, V. 


Rinderhumer. Reime von Julius Loh. 
meyer und Johannes Trojan, (Leipzig: 
Meißner & Bud.) 

Ein Heiner Hausihat voll anmuthiger 
Kinderdrollerien und liebenswürdiger Laune 
aus der Feder der beliebtejten Jugenddichter 
und Humoriften, mit 50 farbendruden nad 
Aquarellen von Julius Kleinmichel, reich 
an humorvollen und charakteriftiichen Be: 
obadhtungen aus dem Kinderleben. Eine 


_ oil 


230 


willflommene Gabe für Kinder von 4-9 


Jahren, in der Scherz und Ernſt anmuthig | 


in Wort und Bild ——— 


„Oeſterreichiſches Seebuch“ von Ferd. 


Zöhrer.(Teihen. K. Prodasta.) Erzählun— 


gen, die fih auf Seeſchlachten, überſeeiſche 
Erpeditionen und auf das leben hervor: 


ragender öſterreichiſcher Seehelden beziehen. 


— Die Seeihlaht von Lepanto, die No: | 


vara- und die Nordpol» Erpedition, die 


Biographie des Admiral Tegetthoff, ſowie 
Friedrich“ | 


die Erdumjeglung der Corvette 
und Underes wird bier der Jugend im 
fejjelnder, jpannenvder Weife und mit Ein: 
flehtung zahlreicher Abenteuer erzählt. Auch 
Alles, was zum Seeweſen gehört, iſt in 
dieſem Buche erklärt und in leicht — 
Weiſe beichrieben. 


„Unter dem Raiſer-Adler“, von Ferd. 
Zöhrer. (Teihen. 8. Prodasta.) Kriegs: 
geihichten aus Oeſterreichs NRuhmestagen. 


Die wichtigſten geihichtlichen Ereignifie und | 


bedeutende Männer, die fi in denjelben 


bervorgethan haben, find darin berüdfichtigt. | 
V. 


Dem Heimgarten ferner zugegangen: | 


Vor Beiten. Novellen von Theodor 
Storm, (Berlin. Gebr. Paetel. 1886.) 

„Gloria vietis!“ Roman in vier 
Büchern von Dijip Shubin Zwei 
Bände. (Berlin. Gebr. Paetel. 1886.) 

Die Sora-Hize, Novelle von Stefanie 
Kevier. (Leipzig. Ernſt Keil.) 


Die Andere. Noman von W. Hein 


burg. (Leipzig. Ernſt Keil.) 

Die deutſche Handwerkerbraut, Bon 
Karl Weije. (Wismar. Hinftorfihe Hof: 
und Berlagsbudhandlung. 1886.) 

Heiteres und Weiteres. Kleine Geſchichten 
von Ernft von Wolzogen. (Stuttgart. 
MW. Epemann. 1886.) 

Rlofler und Grafenburg. Hiſtoriſch-ro— 
mantiſche Erzählung von Ed. Jojt. (Kai: 
ferslautern. A. Gotthold.) 

Vater Radekky. Bilder aus dem Sol: 
datenleben im Krkge von F. W. Hack— 
länder. (Stuttgart. Karl Krabbe.) 

Eulturbilder aus dem Often. Bon Fer: 
dinand Ediflorn. (Leipzig. Eugen Be: 
terjon. 1887.) 

Eine Wohlthat. Volksdrama in vier 
AUcten von Ferdinand von Saar. (Hei: 
deiberg. Georg Weiß. 1887.) 


Bauhenborn u. Bohn. Schauſpiel in 


5 Acten von Heinrih d'Aaltona. (Anna: 
berg. 3. dv. Groningen.) 

Auderheim. Häusliche Erlebniſſe eines 
jungen Ehepaares von Frank R. Stodton. 
Deutſch von M. Jacobi. (Stuttgart. R. 
Zug. 1886.) 

Die Leute aus der Lindenhülte. Nieder: 
ſächſiſche Walddorfgeihichten für große und 
feine Leute, erzählt von Heinrich Sohn: 
vey. Hütte und Schloß. (Bernberg. 3. 
Bacnıeifter ) 

Die Rinder von Wohldorf. Bon Ferdi: 
nand Avenarius. (Dresden, Ehlermann. 
1887.) 

Heimat oder Siliſtria. Schaufpiel in 
vier Achen von Kennal Bey. Aus den 
Türkiſchen überiegt von Leopold Petotid. 
(Wien. Garl Konegen. 1887.) 

Aus ungleihen Tagen. Neue Gedichte 
von ©. Fritz. (Wien. Karl Konegen. 1887.) 


Schönes deutfches Lieder-Intermepro von 
Karl Ditthborn. (Nürnberg. 3. Kühl.) 


din und fein Heid. Die Götterwelt 
der Germanen. Bon Werner Hahn. 
(Berlin, Leonhardt Simion. 1887.) 

Sudrun. Dramatiſches Gedicht in fünf 
Aufzügen von Auguft Linde (Moskau. 
M. O. Wolff. 1887.) 

Gedihle von Franz Tehner. (Neud: 
nitz-Leipzig. Selbjtverlag des Berfaflers. 
| 1887.) 
| Wilde Kanken. Gedichte von Edmund 
Lichtenſtein. (Cottbus. H. Differt. 1886.) 

Rabengefänge von Ferdinand Jllel, 
(Olmitg. Selbftverlag. 1886.) 

Für kleine Leute. Eine mannigfaltige 
jorgjame, aus alten und ganz neuen Quellen 
geihöpfte Auswahl der beften Gedichte für 
tindliche Zejer. Herausgegeben von Maris 
milian Bern. Mit zahlreihen Illuſtra— 
tionen von Fedor ÄFlinzer, Oscar Pletſch, 
Ludwig Richter, Paul Thumann u. 4. 
(Leipzig. E. Twietmeyer.) 

Rosmilhe Weltanfigten. Aſtronomiſche 
| Brobadtungen und Ideen aus neuefter Zeit 
von Wilhelm Meyer (zweite Auflage). 
(Berlin, WUllgemeiner Berein für deutſche 
| Literatur. 1886.) 

Werkflühe zum Aufbau des Arbeits: 
unterridts. Geſammelte Vorträge und Auf: 
jäge über die Erziehung der Jugend zur 
Arbeit von Dr. Woldemar Götze. (Leip— 
jig. Heinrih Matthes, 1887.) 

Pihyfiologie, oder die Lehre von den 
Lebensvorgängen im menſchlichen und thieri— 
ihen Körper von Dr. ©. Rahmer. Mit 
zahlreihen Farbentafeln und Hoizichniiten, 
(Stuttgart. Otto Weijfert.) 

Die Myfik im Irrfinn. Bon Karl du 
Prel. (Münden. Berlag von K. du Brel. 
1886.) 

Londinismen, — Seang und Cant-Al— 
phabetiich » geograpbiihe Sammlung der 











240 


eigenartigen Ausdrudsmweife der Londoner 
Vollsiprade, fowie der üblichen Gauner:, 
Matrojen:, Sport: und Zunftausdrücke. 
Mit einer geſchichtlichen Einleitung und 
Mufterftüden. Bon Heinrih Baumann. 
(Berlin. Langenſcheidt. 1887.) 

Nothwörterbud, der englifhen und deut» 
ſchen Rpradye für Reife, Lectüre und Con— 
verjation, IV. Theil: Land und Leute in 
Umerifa. Zufammengeftellt von Karl 
Naubert. (Berlin. Langenideidt.) 

Das Bud vom Bier. Gerevifiologiiche 
Studien und Stizzen von Dr. €. M. 
Schranta. Zwei Bände. (Berlin. Wald: 
mann. 1886.) 

Otto Spamers Aluſtrierkes Gonverfa- 
tions⸗Cexikon, zweite, gänzlich umgeftaltete 
Auflage, liegt uns jegt bis zur 10. Ab: 
theilung vor. Diejelbe umfaßt die Artikel 
von Chodzlo bis Daniel und bringt circa 
850 Stihmwörter. Ueberaus zahlreiche, ge: 
jhidt gewählte Tert:Abbildungen (außer 
den Tontafeln find es deren 287) ſchmücken 
dieje Abtheilung. 

Geſchichte der Weltliteratur in überficht- 
licher Darftellung von Dr. Adolf Stern, 
Volftändig in 12 Lieferungen (Stuttgart. 
Rieger's Verlagsbuchhandlung.) 

Das Turnen, insbeſondere das Mäd— 
chen-Turnen unter Berückſichtigung der 
orthopädiſchen Gymnaſtil. Ein Wort zur 
Anregung und Aufflärung an Eltern und 
Erzieher von G. Gerlitz. (Graz. Franz 
VPechel. 1886.) e 

Neber Scoliofe. Vortrag, gehalten im 
Vereine der Aerzte Steiermarls von Dr. 
Hermann vd. Goltelli. (Graz. Berein 
der Werzte in Steiermarf, 1886.) 

Der häuslide Herd. Neues geprüftes 
Kohbud für junge Hausfrauen, erfahrene 
Köchinnen und ſolche, dir e8 werden wollen, 
Enthält: Anleitungen zur Bereitung guter, 
einfacher, wie aud feiner Speijen jeder 
Urt, zum Ginmaden des Obftes und Ges 
müſes, zur Bereitung verſchiedener Getränke, 
nebſt praktiſchen Winken aus der Haushal— 
tungskunde. Nach eigenen Erfahrungen ge— 
ſammelt von Emma Echart. Zweite, 
bedeutend vermehrte und zeitgemäß umge— 
arbeitete Auflage. (Wien. Hartleben.) 

Die Fiqueur-Fabrication, wie fie ift und 
wie fie fein joll. Bon R. W. 166. (Bodum 
in Weftphalen. 1886.) 


[) 


| Monatsfhrift des Gemwerbevereins „Ein⸗ 
tracht“ in Czernowitz. Nedigiert von E. X. 
|Romftorfer. 

Groher Bauernkalender mit Bildern auf 
das Yahr nah der Geburt Jeſu Ehrifti 
1887. Herausgegeben von Franz Schlin— 
tert. (Wien. Karl Fromme.) 

Bluftrierter katholifher Bolkskalender 
1887. Zur Förderung des katholiſchen Sin— 
ned von Dr. H. A. Jariſch. (Wien. Morig 
Perles.) 

Deutſcher Volkskalender für die Iglauer 
Spradinjel. 1887. H. Jahrg. 

Trewendt's Hauskalender 1887. (Breslau. 
E. Trewendt.) 


x X 65 wird angelegentlihft erjucht, 
Manufceripte erft nad vorheriger Anfrage 
einzufenden. Für unverlangt eingeichidte 
Manujcripte bürgen wir nicht. Externe Ar: 
beiten honoriert die Verlagshandlung nicht. 

€. 3.3. Dehau: Wadere Befinnungen, 
weiches Gemüth, aber nicht originell. Etwas 
drucken wir ab, wird Ihnen zwar nichts 
‚nügen. 

N 6. St. Wien: Ebenjo. 

| C. R. St. Pölten. Form nicht correct, 
Inhalt zu gewöhnlih. Eignet fi nicht zur 
‚ Veröffentlichung. 

F. W. Wien. Poeſien gelegentlich. Auf: 
ja über Dialect vom heutigen Standpunfte 
aus erwünſcht. 

©. &, Wien: Die beliebte illuftrierte 
Monatsihrift „Reſſels Yamilienfreund* ift 
in den Befig von Ed. Strade in Warns— 
dorf übergegangen, welder fie unter der 
Nedaction Wilhelm Reſſel's weiterführen 
wird. 

$. A. DB. Chemnik: Es ift ja ſelbſtver— 
fändlid, dak wir für die Poefie im „Poe— 
tenwinfel* nicht verantwortlich find. Dieje 
Rubrik ift eben eine Art öffentliher Sing: 
halle oder vielmehr im SHeimgarten ein 
Baum, auf welchem allerhand Bögel durd: 
einander fingen, trällern, pfeifen, zwitſchern 
und freiihen. Zur Winterszeit geht man 
nicht auf jhönen Gefang, jondern ift froh, 
wenn man überhaupt no ein wenig Leben 
wahrnimmt auf den Wipfeln. 


Poftkarten des Heimgarten. 


Jür die Nedaction verantwortlid P. A. Mofegger. — Druderei „Leylam“ in Gray. 


















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J 188 XI. Jahrg. SS, 
3 4. Heft. Januar r X1. Jahrg. NS 
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Inkob der Pebte. 


Eine Waldbauerngeſchichte aus unjeren Tagen von P. R. Rofegger. 


Srohe Sonntagseuh’, und — Anger fanden wie Zuderhüte und 
er F F ſtatt den Hollunderſträuchern, die geſtern 
Jtas war am heiligen Pfingſtſonu⸗ noch jo maienhaft geblüht und ge— 
ze tag nach der Mahlzeit. duftet hatten, waren Schneeberge da. 
Jakob, der Dausvater, faß in der | Die Proften der Thorichrante Hatten 
wohldurchwärmten Stube und las in hohe Hauben auf, wie der Biſchof, 
einem alten Buche. In weißen Demdz |wenn er drangen zu Sandeben die 
ärmeln, wie er war — der durchnäßte Firmung hält. Die Zaunfteden hatten 
Lodenrod trodnete am grünen Kachel- ſpitze und ſtumpfe Hütlein, Schnäbel, 
ofen — ftüßte er feine Arme breit Kiſſen, Bänder von Schne. Wenn 
auf den Eichentiſch und die Finger das Pfingititaat fein fol! Jetzt kam 
über dem Buche ineinandergefchlungen, der Wind und fegte den Schneejtaub 
laß er das „B'ſätzel“ vom Heiligen von den Bäumen, Sträudern und 
Geiſt. Bisweilen that er einen Blick ı Dächern des Hofes, und ließ ihn tan— 
zum Fenfter hinaus in das Schnee zen und wehte ihn an die Fenfter, wo 
geftöber. Die Floden wirbelten fo dicht, er ſich im die Eden und an die Nahe 
day Die Linde, die dort au der Weg— men ſchmiegte. 
thorſchranke war, als dunkle ver— „Bott ſei Dank,“ ſagte der Jakob, 
ſchwommene Maſſe im flimmernden „daß der Wind kommt, ſonſt wollt's 
Grau ſtand. Die hohen Fichtenbäume | bald Fetzen geben in den Kirſchbäumen 
vor dem Dans, die kaum über die) und Linden, Die Eleſſen- (Trauben— 
Hälfte hinauf fihtbar waren, beugten kirſchen)ſtauden Hat’s ſchon zerrijlen.“ 
ihre langen Aeſte unter den Schnee— Auf den Dachgiebeln und unter 
lajten, die jungen Lärchen auf dem den VBorfprüngen der Dächer hüpiten 


Kofeaaer's „‚Geimgarten‘‘, $. Geft, XI, 16 








242 


und fchwirrten Vögel umber, die Fin— 
fen und Drofieln waren vom Walde, 
die Zeischen und Lerchen vom Felde 
hergekommen, daß fie es heute mit den 
Schwalben hielten, Schutz und Unter- 
ftand fänden im Reuthof, und der 
wilde Knabe war aus dem Haufe ges 
ſtürmt, um mit Schneeballen nach 
ihnen zu werfen. Der Jakob blidte 
dem im Schneegeftöber nmlaufenden, 
von jungen Bäumen den üppigen 
Flaum auf fich niederfchüttelnden und 
das rathlofe Geflügel  verfolgenden 
Jungen ſchier mit Mohlgefallen zu: 
Das wird auch einmal ein rechter 
Altenmoojer-Jodel! Dann öffnete er 
das Fenſter und rief jcharf hinaus: 
„Jackel, laß’ mir die Vögel in Ruh' 
und geh’ herein, es ift zum Beten!“ 

Seht ſtand der Hausvater aufrecht. 
Mas er in feiner Gebirgstradht für 
ein ſtrammer, ftattliher Mann war! 
Das friſche jugendliche Geficht glatt 
rafiert bis auf den Schnurrbart; die 
Naſe Scharf und fühn gebogen, die Augen 
unter dunklen Brauen etwas tieflie= 
gend und freundlich blau. Bart und 
Haar waren lichtblond und ſchimmer— 
ten jchier ein wenig golden. Lebteres 
war rüdwärts kurz geichnitten und 
vorne quer und loder über die Stirne 
gelegt. An der Stirne waren, wer 
genau ſehen wollte, einige Blatter: 
narben. So aufrecht der Mann daſtand, 
der Kopf war etwas vorgeneigt — 
das ift fein Wunder bei einem hoch— 
gewachjenen Hausvater, der auf die 
Seinen immer nur herabſchauen muß, 
der auch das Heinfte zu feinen Füßen 
friechende Wefen nicht überfehen darf, 
der feine Kraft und feine Sorge und 
feine Liebe aus dem Boden zieht, auf 
dem er fteht und von feinem Hanpte 
wieder miedergibt auf dieſen Boden 
und auf Alles, was daraufiteht und ihn 
umgibt. 

Nun ſpitzte der Jakob die Lippen 
und that einen hellen Pfiff. Alsbald 
famen die Hausleute aus den Kam— 
mern, aus der Küche, auch aus den 
Stallungen herein zuſammen, 


——— — ——— 


zur Gebete aus 


Pfingſtandacht am Nachmittkage, die 
heute nicht wie ſonſt draußen in der 
kleinen Kapelle abgehalten werden 
konnte. Es waren derbe, eckige Knechte 
und ſchäkernde Mägde; es war ein 
buckeliges Männlein dabei und ein 
paar halberwachſene Jungen. Es kam 
die Hausmutter herein, ein etwas 
ſchmächtiges, blaſſes Weib, welches allen 
Uebermuth und alle Bausbaäckgkeite, 
ihren Kindern abgetreten zu haben 
ihien. Nur ein Knäblein Hieng an 
ihrer Kittelfalte, das noch bläffer als 
fie jelber war, aber große kugelrunde, 
ganz vergißmeinnichtblaue Augen hatte. 
Huch der Jaderl war zur Thür her— 
eingetollt, über und über voller Schnee, 
wurde aber im folcher Geftalt vom 
Vater zurüd in die Küche gejcheucht, 
wo er, den Hut ausfchleudernd, der 
alten am Herde fauernden Einlegerin 
Schnee und Wafler ans Gewand warf. 

Die Leute giengen an die Siß- 
bänfe, die rings um an den Wänden 
gezogen waren und Inieten auf dem 
Fußboden davor nieder, fo dal; fie ihre 
Ellbogen auf die Bänke fügen konn— 
ten. Der Jalob nahın vom Hausaltar, 
der hoch in der Wandecke angebracht 
war, das Heine meilingene Erucifir 
herab, ftellte es mitten anf den Tiſch 
und zindete davor eine Wachskerze 
an. Dann langte er vom Wandnagel 
die große Roſenkranzſchnur, kniete 
damit auf einen Schemel an dem Tisch, 
machte unter lautem Ausruf der Worte 
mit dem Daumen über Stirn, Mund 
und Bruft das Srenzzeichen und bes 
gann zu beten. Sie beteten den „glor= 
reichen NRofenkranz;* der Hausvater 
Iprach ftets den erſten Theil des Vater— 
unfers, das Gefinde ſprach im Chore 
den zweiten Theil desfelben, und jo 
auch das Ave- Maria. 

Mährend des Gebetes wollte ein 
vorwißiger Knecht feiner ſchallhaften 
Nachbarin mit dem Zeigefinger ein 
wenig den entblögten Arm kitzeln; der 
Dausvdater hörte das Kichern der Anz 
gegriffenen, ſetzte einen Augenblick im 
und warf einen ernſt— 


243 


haften Blid auf das fchäfernde Pärz | 
chen, jofort ward es ruhig, und die 
Andacht nahm ihren würdigen Verlauf. 


einem Mädchen Hin und fagte: „Sch, 
Dirndl, bring mir Feuer!“ 
Während die Seine zur Herdglut 


Da polterte zur Thür ein Mann | hinauslief und bald mit einer glühen— 
herein, Hopfte an der Schwelle den den Kohle im Zänglein zurüdtam, 
Schnee von den Füßen, fehüttelte den | ſagte der Knatſchel: „Ich Hab’ mir’s 
Schnee von Hut und Rod, fniete dann anders gemacht. — Brav, Dirndl, 
wie die Anderen an eine Bank hin | friegft zu Lohn einen jauberen Mann, 
und betete mit. Er wurde weiter nicht wenn Du groß biſt.“ Vlies die Sohle 


beachtet. Als aber die Andacht, die in 
einer Anrufung des heiligen Geiftes 
„um Weisheit und Beftändigfeit“ aus— 
geflungen, zu Ende war und der Haus— 
vater das Kreuz gemacht hatte, ſagte die= 
fer: „Schau, der Knatjchel! Wir haben | 
Dich ein wenig zum Beten gebraucht!“ 

„Schadet mir eh nicht,” antwortete 
der früher Eingetretene, während er 
fteif und unbehilflich aus der knieen— 
den Stellung aufftand. Der Nachbar 
wars, der auf dem Heimweg aus 
Sandeben im Reuthofe ein wenig zu— 
ſprach, um zu raften. 

Er war ein unterfeßter Mann mit 
furzenm Hals und breitem, ſtets gut— 
müthig lahendem Geficht, das heute 
vom Froſt und vielleicht auch noch von 
etwas Anderen hochgeröthet war. 

„Ein fauberes Pfingftfonntagwetter, 
heut!“ fagte der Knatſchel. 

„Eh bafen frei wahr,“ redete der 
budelige Alte in feiner eigenen Aus— 
drucksweiſe drein, „jo fein weiß haben 
die Kirſchbäum' schier völlig lang 


rothglühend und ftedte fie in die Pfeife. 
„Ja, Nachbar,“ fuhr er paffend fort, 


„ih Hab’ mir's anders gemacht. Mir 
iſt's zu dumm worden in Altenmoos. 
Wer ſichs beſſer machen kann — ein 
Narr, der's nicht thut.“ 

Der Jakob ſah ihn fragend an. 

„Mein Haus hab' ich heut' ver— 
kauft,“ ſagte der Knatſchel und belauerte 
den Eindruck, den dieſe Nachricht auf 
den Jakob machen würde. 

Dieſer Hatte ein bißchen mit den 
Augenwimpern gezudt, des Weiteren 
war er ganz ruhig geblieben, blidte 
den Knaätſchel immer noch fragend an. 

„Ich rath' Dir's auch, Jakob,“ 
ſagte der Knatjchel, „wirfs Hinter Dich, 
das kümmerliche Altenmoos, wo fich der 
Mensch fein Lebtag lang radern muß, 
daß er in feinen alten Tagen ohne Sorg 
verhungern kann. Lab das retten fein. 
Verkauf’ den Bettel. Der Kampelherr 
zahlt gut. Den Reuthof nimmt er, 
hat er gejagt, aus Gefälligkeit nimmt 
er ihn, wenn Du bergibit. Meinen 


nimmer geblüht, als wie dasmal. Hell! Grund kennſt. Siebzig Joch, juft ges 


gewiß aud.” 


nau, wenn man die Haid und Weid 


„Wird ſchon wieder aper werden,“ dazuthut. Rath’ einmal, was er mir 


meinte der Jakob. 

„Drei Vierteljahr Winter und ein 
Vierteljahr kalt,“ ſagte der Alte, 
„namla wuhl, jo gehts hiſch zu, bei 
uns zu Altenmoos im Gedirg.“ 

„Seh Her zum Tisch,” ud der 
Nachbar ein, „und ſchneid' Dir ein 
Brot ab,” damit legte er einen großen 
Laib mit Schneidineffer auf den Tiſch 
und ſetzte ſich felber hin. 

Der Knatſchel ſetzte ſich an die 
Tiſchecke, füllte aus der Tabaksblaſe 


dafür gegeben hat, der Kampelherr!“ 

„Leicht etwan gar Hafen einen 
Hut voll Thaler,“ redete der budelige 
Alte drent. 

„So viel gibt der Teufel für eine 
arme Seel,“ verfeßte ein anderer Knecht, 
wie fie jeßt auf den Bänfen herum— 
faßen. Der Knatſchel beachtete dieſe 
Bemerkungen nicht, ſondern fagte noch 
einmal: „Rath', Jakob, wie viel hat 
er mir auf die Hand gethan ?" 

„Bar im Ernft, Nachbar?” fragte 


jeine Pfeife, zog ein zierliches Stahl |jebt der Jakob, „und Du hätteft Dein 
zänglein aus dem Hofenjad, Hielt es Haus verkauft ?“ 


16 * 


244 


„Haft Schon einen Tauſender ges 
ſehen?“ ſchmunzelte der Knatſchel und 
machte ſeine kleine, 
Brieftaſche auf. 

Der Jakob ſtarrte auf den großen 
nagelneuer Geldjchein, der jegt auf dem 
Tische lag. Die Knechte machten lange 
Hälſe und blinzelten ſchier ſtumm vor 
Ehrfurcht auf die Erſcheinung hin. 

„Möcht ichs doch wahrlich frei ein 
ganz Hein Eichtel anguden, das Sün— 
denpflafter,“ bemerkte der alte Knecht 
und fam ein wenig gegen den Tiſch 
gebudelt. 

„Das Pflafter wollt’ uns nicht 
Schaden,“ wißelte ein Anderer, „viels 
leicht tHäts auch Dir Deine Gicht und 
Gall ausziehen, Lufchels Peter.“ 

„Dasjelbe kunnt eh aft junft wuhl 
frei fein ab, ja,“ ſagte der Alte. 

„Iſt gut, daß wir ſchon den Ro— 
fentranz gebetet haben,“ jagte eine 
Magd, „nah fo einem Bildel da!“ 
fie deutete auf den Taufender, „wär's 
mit aller Andacht vorbei.“ 

„Gehts, gehts,“ meinte ein alt= 
Huger Burfche, „immer Einer kauft 
ih die Höll' mit jo einem eben. 
Die krieg’ ich wohlfeiler, wenn ich fie 
haben will.“ 

„Dasjelbe wird eh leicht eppa 
namla Hifch wahr auch fein,“ gab der 
Luſchel-Peterl bei, inden er fich wieder 
in feinen Ofenwinfel hudte. 

„Wenn der Menjch gefcheit ift,“ 
jagte jegt eine Magd, „fo denfe ich, 
wird er fih wohl auch den Himmel 
damit faufen mögen. Nit?“ 

„Hiſch wahr iſt's fruadla wuhl 
ab, ja,“ ſtimmte der Alte zu. 

„I Hab’ noch einen!“ ſchmun— 
zelte der Knatſchel und hieb mit Wucht, 
wie der Spieler einen Scharfen Trumpf 
ausfpielt, den zweiten Tauſendgulden— 
ſchein auf den Tiſch. 

„Sapperment!“ fagte der Jakob. 

„Belt!“ rief der Kantſchel. „Gelt, 


ſtark abgenüßte | 


Dein Haus und Grund?“ fragte der 
Jalob leiſen Tones. 

„Du fannft drei haben für Dei— 
Ines!" fagte der Knatſchel. „Beſinn' 
‚ Dich nicht, Nachbar, thu' Deine Waſſer— 
\ftiefel an und geh’ eilends auf die 
Sandeben. Beim Fleifchhader fit er, 
der Kampelherr. Seine Geldtafchen hat 
‚einen jchauderhaiten Bauch, kann ich 
Dir jagen. Als Winkelbauer gehit jebe 
‚fort, al$ gemachter Herr kommſt Heim.“ 
| „Heim?“ fragte der Jakob kopf— 
Ichüttelnd, „wie fann der Menfch jein 
Haus verkaufen ?“ 

„Geh, geh, Knaiſchel,“ Tprach jet 
‚einer der Knechte, „fted’ Dein Flie— 
genpapier nur wieder ein. Her gibft 
eh nichts davon.” 

Draußen war ein Praſſeln und 
Krachen, daß die Wände des Haufes 
ächzten, finftere Schneeftaubwolten wir— 
beiten an den Fenſtern vorüber. 
Leute ſchauten fih an. Bald jubelte 
der Wildfang Jaderl mit der Nach» 
richt herein: Bon der Linde fei ein 
großer Aft niedergebrodhen und habe 
die Kapelle in Scherben gefchlagen. 
Als der Jakob diefes hörte, jprang 
\er von feiner Bank auf und wurde 
todtenblaß im Gefichte. 

„Wenn das fein Wink vom Him— 
mel iſt!“ rief der Knatſchel und Hatjchte 
‚die Hände zuſammen. „Der Sankt Jakob 
ift hin, Reuthofer! verkauf Dein Haus!“ 

Der Hausvater gieng in Hemd— 
‚Ärmeln wie er war zur Thür hinaus 
und durch den wogenden Schneeſturm 
der Linde zu. 

In den Lüften tanzten die Schnee= 
‚floden und die Schwalben. 





| 





Das liebe Altenmoos. 


Am Borabende zu Frohnleihnam, 
das war neun Tage nad dem Schnee— 
fturm, leuchtete über den Bergen von 
Altenmoos der helle glühende Sommers 


Die ° 


Nachbar, das ift ein gutes Jahr, truß tag. Die friſchgrünen Lärchen, die drüs 
dab es ſchneiet am Pfingitfonntag!* pen am Hange in ganzen jungen Bee 
„Zwei bat er Dir gegeben für. ftäuden prangten oder eingefprengt 


ee) 


— 


waren 


in die dämmernden Fichten- und Bäumen beſtanden waren, und 


wälder, hatten auf allen ihren Zwei- über Feldlehnen Hin auch die weißen 


gen purpurrothe Kätzchen. Aber die 
Fichtenwälder waren zu folcher Zeit 
nicht jo dämmernd als jonft, die wei— 
hen frischen Triebe aller Aefte und 
Mipfel, an denen auch manch vothes 
Blüthenzäpfchen ftand, Hatten ein helles 
res Grün über die Wälder gebaucht. 
Auf den MWiefen, in deren Furchen 
under Ampfer- und Lattichblättern 
ſchämige Wäfferlein dabingurgelten, 
ftanden in Gruppen Ahorne und 
Eichen, die erſt auszutreiben beganz 
nen. An den Rainen und Gehöften 
ſchimmerte das weiße und roſige Ges 
flode der blühenden Kirſch- und Milde» 
öpfelbäume, und der Duft von den 
weißen Blüthenzapfen des Trauben 
firichenstrauches erfüllte weitum die har— 
zige Luft mit feiner beranjchenden 
Süße. Die Hafer und Noggenfelder 
an den weiten Lehnen fchanten in 
ihrem Schönen bläulichen Grün auf 
die ftillen Wiefengründe nieder. Da— 
zwifchen lagen Weideblößen, auf wel- 
chen weiße und fchedige Herden weis 
deten und glodten, in eingezäunten 
Angern Schafe und Ziegen, die zu 
folder Stunde ſchon ſatt waren und 
mit einander fcherzten oder fich ein 
wenig faul auf dem Najen fonnten, 

Auf freien Höhungen und in trau: 
lichen Thalmulden, aber auch an fteir 
ler Lehnen, am Waldrande oder in 
Ichattigen Schluchten ftanden Gehöfte, 
größere und fleinere, theils von Kirſch— 
bäumen, Linden und Eſchen ſchier 
uberwuchert, teils frei mit ihren Bret- 
terdbächern wie Taubengefieder in der 
Sonne ſchimmernd, theils auch be— 
ſtanden von einer Gruppe wuchtiger, 
in Stürmen ftarr und unbeliegbar 
gewordener Schirmtannen. An den 
Häufern Heine Gemüſe- und Zier— 
gärtlein, im welchen Reſeden dufteten 
und Pfingftrofen flammten, und die 
zwifchen auch, ſelbſt eine Blume, das 
Blumen pflegend, manch ein Fröhlich 
Mägdlein. Von einen Gehöfte zum 
andern führten Wege, die mit Büſchen 





Fäden der Fußfteige, auf welchen jeßt, 
zur Feierabendzeit, junge Burfche zu 
zweien, oder auch zu mehreren gejellt, 
langfam  dahingiengen und Jodler 
ſangen. | 

Bon dem freien Hügel aus, auf 
dem das Haus des Jalob, der Reut— 
bof, ftand, konnte man in weiter Runde 
all diefe Dinge und auch noch andere 
überfehen. Man hörte aus der Ferne 
den Neigen der weidenden Herden und 
den halb von Lüften verwehten Hall 
der Sänger. Man hörte auch aus dem 
engen ZThalgrunde herauf das ewige 
traumhafte Raufchen der Sandad). 
Diefe Gründe und dieſes vanschende 
Mafler famen aus hochgelegenen Wild» 
Ichluchten, zogen ſich Hier in weitem 
Halbrund um den Hügel des Reut— 
bofes, durchſchlängelten die Gegend, 
Altenmoos genannt, um dann durch 
endloje Enggräben zu ziehen und bei 
dem Pfarrdorfe Sandeben in das Thal 
der Niefing auszumünden. An der 
Sandah fanden Getreidemühlen, an 
den höher gelegenen Halden lag dort 
und da das graue Würfelchen eines 
Sommerftadels oder einer Holzhauer— 
bitte. 

Auf dem Hügel des Reuthofes 
ftand man wie mitten im dem weiten 
wieſen- und wälderreichen Bergkeſſel, 
und ein wellenliniges, blauendes Wald— 
rund ſchloß den Geſichtskreis. Wo ſich 
ſo die Linie zog zwiſchen Erde und 
Himmel, da ſtand hier und dort aus 
jüngerem Waldwuchs das ſcharfe Zähn— 
chen eines verlnorrten Tannenbaumes 
oder eines ſtruppigen Lärchenwipfels 
in das Firmament auf, gleichſam wie 
Lanzen, die auf der Hochwacht die 
ſtille Berggemeinde Altenmoos ein— 
friedeten. Von dem Dachfenſter des 
Reuthofes aus konnte man eine Fel— 
ſenſpitze ſehen, die hinter dem weſt— 
lichen Höhenzug emporragte — ein 
Zeichen des nahen Hochgebirges. 

Altenmoos war eingepfarrt zu 
Sandeben, und hatte felber feine Kirche. 


246 


Mohl aber ftand faft bei jedem Hofe im Gefelfe Hört man . feinen Vogel; 
ein feines Kapellen, oder wenigs | die Eidehächen aber pfeifen, wenn man 


ftens eine Kreuzfäule, davor die Leute, 
welche nicht zur Pfarrlivche kommen 
fonten, ihre Andacht zu verrichten 
pflegten. Die Gemeinde Aitenmoos 
war mit den Vorgegenden durch einen 
einzigen Fahrweg verbunden, der, an 
Hängen und Wänden Hin angelegt, 
über zahllofe Stege und Brüdlein 
führte, 


ihnen auf den Schweif tritt. Wenige 
Schritte noch und es ift ein See da. 
Er ruht in einem Keſſel und bat 
mehrere Buchtungen. An feinem Rande, 
wo bemooste Felstrümmer liegen, iſt 
er durchſichtig und grün, wie der 
reinfte Smaragd ; gegen die Mitte Hin 
dunkelt fich die Farbe, und das Waſſer 
— fo Spricht die Sage — foll unermeß— 


Wenn man vom Reuthofe aus der; lich tief fein. Hinter dem See hebt 


Sandach entlang aufwärts gieng, ſo ein dumpfes Toſen an; wer zehn oder 
fan man duch Wald und Gejchläge, | zwölf Minuten lang dahin geht in 
an welchen vauchende Kohlſtätten tanz | diefen fühlen Grunde, deſſen Stleider 
den, danıı kam man in Haſelnuß- und | werden feucht in einem feinen Waller: 
Erigebüfche, in Himbeer- und Brom- | Staub; auch an allen Bäumen hängen 
beergefträuche und danı kam man in Tropfen. Endlich fteht er vor dem 


Sande und Steinhalden, wo zwifchen 
der wilden, wuchernden Pflanzenwelt 


große, moofige Felsblöcke lagen, die 


von dem hinter dieſen VBorbergen ge= 


Waflerfall. Der ſpringt thurmhoch in 
zwei Abjägen von einer Felsrinne nies 
der in einen Tümpel, im welchem die 
Mellen ſchäumen, kreiſen und kochen, 


waltig ſich erhebenden Hochgebirge 
herobgelommen fein follen. An den 
beiden Hängen ziehen ſich einengende 
Felsrippen nieder. Hier Hettert der 
Fußſteig über einen Steinwall, der) wülten an. 
mit Wildfarren, Dornfträuchern und Das Heine Hochthal war von den 
Scierling überwachen ift. Das Wafler | legten Häufern des Altenmoos nur 
gräbt fich unten ſchäumend und fchreiend | eine Stunde entfernt, aber felten kam 
vor Wuth duch eine Kluft, die ein Baner hinauf. E3 hatte Niemand 
tief und finfter und fo eng ift, daß dort etwas zu ſuchen, und wer doch 
ein Mann mit ausgefpreizten Beinen | einmal über das Hochgebirge mußte, 
zugleich au beiden Nändern Stehen | der raftete wohl auf einem Stein am 
tönnte. Deute greift das Geflechte und | See, aber nicht lange. Der Grund war 
Hefilze der Baumwurzeln, Sträucher ihm zu leblos und ftill. Das Hochthal 
und Mooje der beiden Ufer jhon jo |war benannt: Im Gottesfrieden. 
jchr in einander, dab die Sandach au, So ift die Berg und Waldrunde 
diefer Stelle fein Tageslicht mehr hat. | befchaffen, die unfere Gemeinde um— 
Dinter dieſem Steinwall weitet | gibt, in welcher der Jakob Steinreuter 
ih plößlich die Schlucht und der Fuß | fein Haus hat. Das liebe Altenmoos. 
pfad Ichlängelt von dem rauhen Stein 
wall nieder in einen ftillen Grund, 
der von nadten Felswänden umſtanden Der Mann mit den Tanfendern 
ift. Auf der Heinen, jandigen Ebene | fiedelt ab 
wuchert fein Geftrüppe, teen nur in " 
Gruppen herrliche Fichtenbäume. Das Der Jalob Hielt heute, da alle 
Mailer riefelt im breiten Bette faſt Anderen Schon Frohnleichnam zu feiern 
lautlos und ift jo Har, daß man jedes, begannen, noch nicht Raft. Er häm— 
Goldfünklein ſprühen Fieht in feinem, merte noch die letzten Dachbretichen 
Grundfande. Forelle fieht man keine, feft an der Kapelle, die der ftürzende 


daß ein thanender Qualm aufiteigt 
aus den eiligen Fluten. Der ebene 
Sandgrund ift hier zu Ende, hinter 
dem MWaflerfall Heben die hohen Stein» 








247 

Lindenaft geichädigt hatte. Die Linde an den heiligen Apoftel, den das ges 
prangte darüber in vollſter Pracht und ſchnitzte Holz vorftellen jollte, als viel— 
man merkte im finftergrinen Busch» mehr an feine Voreltern, die das Wild 
wert faum mehr die Scharte, wo der geſtiftet hatten und die er in ihm ver— 
Aſt herabgebrochen war. So hatte der ehrte. Vom Schaden herüber, barfuß, 
Sommer raſch und ruhmreich gefiegt in zerfaferten Höslein, mit ftruppigem 
über jenen tüdifchen Eindringling zu Haupt und glühenden Wangen, kam 
Plingiten, wie jolcher zur Frühſom- | der SJaderl, er zerrte keuchend an 
merszeit ja mandmal amrüdt in der zweien Lärchenbäumchen, die er abyer 
bochgelegenen Gegend von Altenınoos. | hauen Hatte und die nun an beiden 
Zu wahren Zrofte gereichte es Seiten der Kapelle aufgeftellt werden 
den Reuthofer, daß dem Bildniſſe der | follten. Als er damit an Ort und 
Kapelle nichts geichehen war. Der Stelle war, erfaßte er das Beil und 
ziemlich roh geſchnitzte, Hingegen aber | hieb es in die Holzwand der Kapelle, 
mit hellen Farben bemalte heilige Ja- daß fie darin fteden blieb. Das ver- 
tobus war unverfehrt auf feinen ltare | wies ihm fein Vater, der Knabe vi 
gejtanden, während der gebrochene Aſt das Beil wieder an fich, Ichleuderte es 
unter Schnee und Dachſplittern zu über den Angerzaun, da es unten 
jeinen Füßen lag. Diefer Heilige war gab in den Steinen, und lief davon. 
der Schußpatron des Hauſes. Jatods | Als an der Stapelle dann Alles in 
Nater hatte Jakob geheiien, fo auch Ordnung war, nahm der Jatob den 
fein Großvater und Urgroßvater, und ‚Heinen fanften Friedel an der Dand 
Jeder Hausvater auf dem Reuthofe, und gieng mit ihm den ebenen Fahre 


| 


hatte Jakob geheißen, weil vor Jahr: 
hunderten der Mann, welcher den. 
Grund urbar gemacht und die Steine 
ausgereutet, Jakob geheißen hatte. Ja— 
fob Steinreuter. Won dem frommen 


Sinn und der kunſtreichen Hand dieſes 


erften Jakob ſoll auch das Bildnis 
ſtammen, und jo war die Statne und 
der Name ein bejfondrres Band, das 
ih von Geſchlecht zu Gefchlecht herab: 
flodt und jeden Jafob Steinrenter 


enge mit feinen Vorfahren und feiner 


Scholle verknüpfte. 


Heute ſoll der Heilige, gleichfam | 
bejonders gefchmüct 


zur Urſtändfeier, 
werden. Die Heine Angerl mit den | 
langen, Schwarzen Haarfträhnen, die eben | 
aus der Schule zurüdgetehrt war, 
Tamm und brachte ein gefülltes Waſſer— 
glas, in welchem zwei Pfingftrofen 
ftaten. Der feine Friedel mit den 
tugelrunden  Bergiimeinnicht = Augen 


kam, der brachte das andere Waflerz 


glas, in welchem zwei weitere Blingit- 
roſen ftafen. 


Der Jakob jagte zu den, 


weg hin gegen das Nachbarhaus des 
Knatſchel, das dort drüben am Rande 
des Waldes ſtand. Seit acht Tagen 
that der Knatſchel mit feinem Weib 
‚und feinen Ochſen ſonſt nichts mehr, 
als überliedeln. Das ganze alte Daus 
‚räumte er aus und die rußigen Käſten 
und Kübel und Pfannen und Bett 
ftätten ſchleppte ev auf großen Karren 
davon. 

„Bater,“ Jagte unterwegs der Heine 
Friedel, „wie heilt es dort oben ?* 

Er deutete auf die gegenüberliehende 
Berglehne, an welcher drei oder vier 
Banernhäufer in einiger Entfernung 
voneinander ftanden. 
| „Dort Heißt es bei den Grube 
bauern,“ antwortete der Vater. 

„Und auf der andern Seite, ganz 
oben auf dem Berg, ganz oben, wo 
das Weiße ift, wie beit es dort?” 

„Dort heißt es beim Guldeiſner,“ 
ſagte der Bater, und er fagte es mit 
‚faft feierlich getvagenem Ton. Der 
Guldeiſner war der größte Bauer in 





Kindern: „Brad feid Ihr!” und ftellte | Altenmoos, fein Grund war jo weit, 
die Nofen an beiden Seiten der Statue daß man — wie der Yufchel: Peter 


auf. 


Er dachte dabei Freilich weniger |fih ausdrüdte — 


mit einem guten 


248 


Schuftermefjer daraus fünf Banerngüter 
hätte ſchneiden können. Der Guldeiſner— 
hof lag oben auf der Hochfläche wie 
ein Heines Dorf da mit feinen vielen 
Wirtichafttgebäuden. Das Wohnhaus 
war zur Hälfte gemanert und ſchaute 
mit der weißgetündten Wand hoch— 
müthig freundlich herab auf die zer— 
firenten Nachbarn. 

„Vater,“ fragte der Friedel, „wie 
viele Hänfer find auf der Welt?“ 

„Kind,“ antwortete der Vater, 
„die Welt ift weit, nur Gott kann fie 
durchiwandern und die Hänfer und die 
Menjchen zählen. Ich kenne nur das 
Altenmoos.“ 

„Wie viele Häuſer ſind in Alten— 
moos ?“ 

„In Altenmoos find — wenn Du 
der Lunſel-Sting ihre Höhle dazu zählſt 
genau einundzwanzig Häuſer.“ 

„Wie viel iſt das?“ 

„Wenn Du Deine Finger zuſam— 
menzählſt an beiden Händen, und 
Deine Zehen an beiden Füßen, und 
noch die Naſe dazu im Geſicht, ſo Haft 
Du einundzwanzig,“ belehrte der Vater. 

„So viele Häuſer!“ rief der 
Kleine aus. 

„Pſt!“ machte der Vater plötzlich, 
blieb ſtehen, legte die Hand dem Söhne 
lein auf die Achſel, beugte ſich vor 
und flüfterte: „Siehſt Du dort? Gud’ 
einmal zwiſchen die Eichen, an den 
Waldrand hin — fiehft Du ?“ 

„Eine rothe Geiß!“ 

„Das iſt ein Reh!“ ſagte der Vater. 

Das Thier hatte ein wenig graſen 
wollen auf der Wieje, aber es witterte 
Menschen. Hoch hob es das Haupt, 
lauerte und ſprang dann mit großen 
Sätzen in den Wald zurüd. Der Heine 
Friedel hatte ſich ſchier feine großen 
Augen beransgejhaut; es war das 
erite Neh, das er geſehen. Selbit für 
Jakobs Ange waren ſolche Thiere eine 
Seltenheit. Der Guldeifner, dem die 
Jagd gehörte, war ein grimmer Schüße 
und ließ nicht viele laufen. 

Nun Fam den Hohlweg heraus die 
Fuhre des Sinatjchel, es war die leßte; 





er ſaß ſelber darauf und leitete das 
Dchlenpaar, Hinter ihm auf einem 
Korıjad ſaß fein Weib und feine taub» 
ſtumme Schweiter. Die taubftunmme 
Schweſter jchaute ehr befremdet um 
fich, fie wuhte nicht, was das bedeuten 
joll: jet wagenfahren, und dom Haus 
weg, da ed doch ſchon bald Nacht wird! 
Und die Schwägerin meben ihr, die 
bat das Vortuch im Geficht md weint, 
und der Bruder voran, der bat eine 
Eigarre im Mund und ſchmunzelt. 
Mas das bedeuten mag! 

„Du machft es eilig, Knatſchel,“ 
redete ihn der Jakob zum Gruße an. 
„Ich denke, Du kommſt für Heute zu 
jpät, für ſonſt immer noch Früh genug 
in die Sandeben, “ 

„Heut’ lieber wie morgen,“ ante 
wortete der Knatſchel. „Bedien’ Dich, 
Steinreuter!* 

Er hielt ihm von Karren herab 
eine neue, feinjuchtene Eigarrentafche 
bin. Und den Spruch dazu: Bedien’ 
Dih! Wie vornehm er fih gehaben 
fann! Und auch Schon beim Schreib- 
namen ansprechen, wie der Aıntınann ! 
— Der Jakob gieng mit jeinem Knaben 
neben der knarrenden Fuhre des Aus: 
wanderers ber. 

„Seit, mir merkt den Altenmoofer 
nimmer an!“ fagte der Knatſchel, „na, 
nimm Eine! Sind Amerikaniſche!“ 

„Vergelts Gott!“ Ichnte der Jakob 
ab. „Mir thät’ übel werden davon. 
Aber Schau, ich kann afleweit noch nicht 
glauben, daß es Eruft ift bei Dir?“ 

„Jakob!“ rief der Knatſchel, „Du 
kommſt bald jelber nah! Denk' dran, 
da bei der Thorfchrante Hab’ ich Dir's 
gelagt: Du kommſt bald felber nach!” 

„Ich wünſche Dir ein langes Le— 
ben,“ entgegnete der Jalob, „aber das 
wirt Dur nicht erleben.” 

„Daft Du jchon gehört, daß der 
obere Nod auch fliegt ?* fragte der 
Knatjchel. „Den vertreiben die Schul» 
den und muß ec noch froh fein, daß 
ihm der Kampelherr Haus und Grund 
abgelöst hat. Beſſer verkaufen, als ver— 
ganten. Allemal beſſer.“ 


249 








„Für den Nod hätte jein Schwaz | md hielt feine Hand fiber den Karren 
ger, der Guldeiiner was thun follen,* | hin, „ich wünsche Euch taufend Glück!“ 


meinte der Jakob. Ohne anzuhalten ſchüttelte der 
„Der Guldeifuer wird felber ver- Knatſchel die gebotene Nechte kurz, das 
kaufen.“ Weib wollte fie aber nicht Toslaflen, 


„Mas jagft Du?“ fragte der Jar | fo daß der Jakob noch eine Weile 
fob und hielt fein Haupt gegen den nebenher laufen mußte. Als er endlich 
Fuhrmann hin. ledig war, ſtill jtand und dem Ge— 

„Der Kampelherr ſteht Schon im Fährte nachblidte, ſah er es, wie das 
Handel mit ihm. Der Jagd wegen, Weib, das Geliht in die Schürze 
heißts. Ihr kommt mie Alle nach, preifend, heftig jchluchzte. Der Knat— 
Altenmooſer-Leut', Alle!“ ſchel knallte mit der Peitiche, daß es 

Der Jalob ſchüttelte den Kopf. wiederhallte in den Wäldern. 

„Beſuch' mich einmal,“ lud ihn der „Dit das der Dann mit den Tau⸗ 
Knatſchel ein, „In der Sandeben, ſendern geweſen ?* fragte der Knabe— 
gleich Hinter der Kirchen. Kennit cs als das Gefährte in der Thalbiegung 
ja, das Haus, was der Kreuz-Bäck hat: verſchwunden war. 


Der Jakob wendete ſich und gieng 
\ | 
— a aa DENE mit dem Knaben zwilchen den grünens 


; ; ae den Daferfeldern Hin. Er war vers 
Yirtsbau: 
en DL ein Gefchäftel ſtimmt. Dort bob er eine Erdſcholle 
muß der Menfch doch Haben, ſonſt auf = detrachtete fe La i 
wird ihm Zeit und Weil lang.“ „Was ift denn das?“ fragte der 


u Friedel. 
Knatſchel.“ fagte der Jalob, „gib Das ift unſer Taufender, mein 


Achting, das Du Dieb nicht verraiteft! ip « fa 
* gte der Vater, „der kann 
Auf der — it en ale nicht zerreißen und nicht verbrennen. 
h — — Utenmoos. 2, Mehl kann ich ihm wohl zerreiben, 
ar r _ — J einen halben per ex iſt nicht umzubringen, und 
— en, en A! ‚einen um zwei wenn ihn der Mensch pfleget und 
echjer Haben, und einen BEDBEFEN, Gott gibt Sonnenschein und Regen 
— —* hab 5 mir vom Himmel, ſo iſt er ein wohl ver— 
genug, * tag,“ — nat⸗ ſichertes Gut und bringt alle Jahr 
ke ale Sr Re Ha lie a mag im Land Krieg 

en oder Frrieden fein.“ 
Eins mit der Peitjche. | „So einen Tauſender Hat der 
„Thomas!“ ſagte jekt das Weib Jaderl geitern der Kuh nachgeworfen, 
und ſtupfte den Knaätſchel am Rüden, daß er anseinandergefprißt iſt,“ ſagie 
„ton mir den Gefallen und halt’ ein ‚Jet der Kleine nicht ohne Schalkheit. 
Biſſel ſtill. Wir find bei unferer legten | „Den Erdklumpen hat das nicht 
Feldſchranke. Wenn fie eine Leich’ | gefchadet, der thut ſich ſchon wieder 
haben hinausgetragen vom Knatſchel- zuſammen,“ fagte der Vater, „aber der 
grumd, dahier haben Tie die Truhen Kuh kann es geſchadet haben. Und 
abgeſetzt. Und da will ich auch ab- dem Jackerl wird es geſchadet haben. 
fteigen und dem Heimboden behut' Ja! Dein Bruder wird neuding ein 
Gott jagen.“ ſo arger Wildfang, daß ich ihn mor— 
a = — due gen id a Tag in den Moos— 
rüd und hieb no ärfer auf das | barren }peren muß.“ 

Dchfenpaar drein. Da waren fie auf Nun kam aber der Wildfang an 
fremden Boden. jenem Abende nicht ins Haus. Zuerſt 
„Fahret gut!“ rief jet der Jakob | wurde nach ihm gepfiffen, dann gieng 





250 


die Angerl hinaus auf den Hügel und 
ſchrie „Jackerl!“ fo laut fie konnte, 
und der Wald am, jenſeitigen Hange 
half ihr fchreien, aber der Stuabe kam 
nicht. As es Schon finfter war, gieng 
der Jakob mit einem Haſelſtock bei 
den Nachbarn um und fragte, ob man 
jeinen Buben nicht gejehen hätte? Die 
Dreifambänerin fchlug ihre Hände zu— 
ſammen und jammerte, das arme Kind 
jei fiherlih ins Wafler gefallen, und 
wollte ganz Altenmoos aufftöbern, um 
den Knaben zu fuchen. Dem Yatob 
machte der Jammer des Weibes kein 
Herzleid, er kannte feinen Jungen 
bejier. 

Beim Stindel im Stein — im 
Daufe, das unter einem thurmarligen 
Telsblode ftand, welcher kurzweg der 
Stein genannt wurde — erfuhr der 
Jakob als Nenigleit, der Guldeifner 
fei mit dem Kampelherrn im Unter— 
handlung und wolle fein Gehöft ver— 
faufen. 

Der Jalob konnte die ganze Nacht 
nicht Schlafen. Wenn der Guldeiiner 
verfanft, dann verliert die Gemeinde 
Altenmoos ihren Grundftod. Wenn die 
Guldeiſner-Leute mit Mann und Magd, 
mit Kind und Sucht auswandern, 
dann wirds etwas langweilig werden 
hierum; wenn die Guldeilner Gründe 
zu Wald amwachjen — und die hohen 
Herren laffen Alles Wildniß werden, 
dann — — 

Es wird nicht wahr fein, tröſtele 
jih der Jalob, es kann nicht wahr 
fein. Daß ich doch ein Stündel ſchlafen 
möcht”, bevor es tagt! 


Eine Betrahtung. 


Während die Begebenheit, die in 
diefem Buche dargeftellt werden fol, 
jih vorbereitet und entwidelt, drängt 
lich dem Erzähler eine Betrachtung auf. 
Die liebe Leferin, der es nur nad 
Dandlung geht, mag diefes Blatt füg— 
lich überjchlagen. 

Es ift ein an fich altes, aber in 


unferen Tagen vertieftes Vorurtheil, 
dag der Bauer feine Bildung habe. 
Diefe Anfhauung kann nicht darin 
ihren Grund Haben, weil im Allge— 
meinen der Baner unvdernünftig lebt 
und vielen Borurtheilen ergeben it; 
denn jene Leute, die ſich vorzugsweiſe 
die gebildeten nennen, nämlich die 
Stüdter, leben noch unvernünftiger und 
ind noch größeren BorurtHeilen unter» 
worfen. Dan denke nur einmal nad. 
Vielmehr gilt der Landınann für une 
gebildet, weil ihm das Schulwiſſen 
fehlt, weil er nicht höhere Mathematik 
treibt, die Naturgefchichte nicht aus 
Büchern gelernt hat, nicht mitjprechen 
kann über Bolitit und Theater und 
feine gelehrten Abhandlungen zu ſchrei— 
ben versteht. 

Wenn nun Jemand die Meinung 
anfitellte, gebildet ſolle Jeder fein, aber 
Jeder brauche nicht das Gleiche zu 
willen; die Bildung müſſe erflens dem 
Gharatter eines Menſchen, zweitens 
jeinem Berufe angemefjen fein. Als 
gebildet könne Jeder gelten, der feine 
ethiſchen Eigenschaften entwidelt habe, 
feinem Stande gerecht werde, indem 
er das Seinige leilte, fich in feine Ver— 
hältniffe zu fügen wife, den näheren 
Mitmenschen zum Wohlgefallen und 
ſich ſelbſt zur Befriedigung ſei. — 
Wenn Jemand dieſe Meinung auf— 
ſtellte, ich könnte nicht anders, ich 
müßte ihr Recht geben. Jeder Beruf 
jeder Stand fordert feine Kenntmiſſe, 
feine Fertigkeiten und feine befonderen 
Tugenden; wenn der Bauer als Bauer 
tüchtig iſt, nachbarli und zufrieden 
in feinen engen Grenzen, dann Hat’s 
feine Noth, dann ift er in feiner Art 
eben fo gebildet, als der Philoſoph 
auf feinem Lehrftuhl, von dem fein 
Menſch verlangen wird, dab er den 
Pflug zu führen umd den Dünger zu 
ſchätzen verftehe. 

Das allgemeine gefellichaftliche Wohl 
verlangt Theilung der Arbeit. Da 
möchte ich mich bedanken, wenn gerade 
der ältefte Beruf des Menfchen und 
die wichtigfte Arbeit nicht mindeltens 


eben fo Hoch geachtet fein follte, als die 
minder wichtigen, etwa jene Bejchäfti- 
gungen, die erft durch die menschlichen 
Gebrechen und Leidenschaften nothwen— 


251 


unjere Erdichofle verachtet werden darf. 
Die wohlhabenden „Derrenleute* wer— 
den ih Bauerngründe faufen, oder 
jolhe aus der Wildniß roden und reu— 


dig werden, als die Arzneifunde, die ten, die Klügſten werden die Wirt- 
Rechtskunde, oder Leiltungen, die der fchaften den Berhältniffen anzubeque— 


materielle oder geiltige Luxus verlangt. 
Wenn man einwendet, daß zu leßteren 
eine größere Fähigkeit nöthig fei, als 
zum Banernftand, jo ift darauf zu ent: 
gegnen, daß heutzutag Schon ein jehr 
kluger Kopf fein muß, wenn er als 
Bauer tapfer beftehen will, 

Aus einem andern Grund wäre 
dem Bauer heute die Bildung abzu: 
jprehen. Der Landmann mag fich nicht 
mehr ſchichen in feinen Stand, er 
ſchämt fich desjelben, der Größenwahn 
bat ihn erfaßt, er will etwas „Beſſeres“ 
fein als Bauer. Er trachtet zu lernen, 
aber nicht für feinen Stand, fondern 
um ein „Der“ zu werden. Das ift 
nicht ein Zeichen von Bildungsbedürf— 
tigteit, es iſt ein Zeichen von Vers 
robung des Gemüthes, vom Schwinden 
der Bietät und Treue und don Hun— 
ger nach materiellen Senüffen. Es wäre 
ja fein Wunder, dab man von einem 
Stande abjpringen will, der von allen 
Seiten ausgeſogen, übervortheilt und 
noch dazu verjpottet wird. Aber recht 
beſehen ift das, was den Bauer er= 
fapt bat, derjelbe pathologiſch intereſ— 
jante, moralifch und gefellfchaftlich tief 
bedauerliche Grökenwahn, von dem 
heute Alles gehegt wird. Es vollzieht 
ſich gegenwärtig eine Flucht vom Pfluge 
zum Hammer, vom Hammer zum Zir— 
tel, von dieſem zur Feder, zum Docs 
torbut, zum Adelsdiplom. Nach allen 
Richtungen der Windrofe Hin eilt der 
ſchollenflüchtige Landmann; von zehn 
Flüchtlingen verfinfen auf fremden 
Boden neun... . 

Das wird auch anders werden. 
Der Bauernftand mag heute in unſe— 
ren Alpengegenden überflüjlig erſchei— 
nen, „weil mit der Einfuhr von Feld— 


feüchten feine Concurrenz möglich ift.“ | 


Es wird ſich aber ſchon zeigen, ob bei 
dem Wachsthume der 


Bevölkerung | ſammen zum 


men willen und jich entjprechende Ge— 
ſetze Schaffen ; fie werden auf die Viel— 
‚wiljerei verzichten und körperlich ars 
beiten, es wird wieder ein feitftändiges, 
ehrenreiches Bauernthum werden und 
das Schlagwort vom „ungebildeten 
Bauer“ wird verſtummt ſein. 

Dann mag über die Wandlung 
ein erfreulicheres Buch geſchrieben wer— 
den, als es mir heute gegönnt iſt, zu 
ſchreiben. Ich ſchreibe es wahrlich nur 
der Treue Willen, die in meinem 
Jakob lebt. 





Der Kirchgang nach dem Gelde. 


Am Morgen des heiligen Frohn— 
leichnamstages kamen die Leute, in 
ſchmuckem Feiertag angethan, aus ihren 
Häuſern hervor, ſtiegen die Lehnen 
nieder zu den Wieſenpfaden, giengen 
an denſelben dem Hauptwege zu, wo 
ſie ſich in Gruppen vereinigten, um 
ſelbander unter munterem Geplauder 
gegen die ferne Pfarrlirche zu wan— 
dern. Es waren ihrer heute viele. Die 
jüngeren Weibsleute Hatten Hellvothe 
Buſentücher um und vorne am Jop— 
penlaß ſtak ftet3 ein Sträußlein von 
Herzenstroft und Rosmarin. Oder lie 
trugen das Sträußchen zwifchen dem 
Gebetbuch md dem weißen, viereckig— 
gefalteten Taſchentüchel in der Dand. 
| Die Burſchen Hatten grüne Zweige 
und Nefeden auf den Hut geitedt be= 
kommen — von wen, das jagt feiner. 
Selbft die alten Männer trugen auf 
ihren Schwarzen breiten Filzhüten große 
Pfingitrojen, denn irgendivo und irgend 
wie muß an folchen fonnigen Feier— 
tagen die Lebensfreude der Waldberg- 
bewohner hervorblühen. 
| Das junge Bolt gejellte ſich zu— 
Schäkern und Neden 


| 
| 


J 





nn 


und der junge Sandler-Sebaſt behaup— 
tete dreift, der Bachhäuſel-Dullerl wäre 
dus Nosmarinftammel Inder geworden 
am Buſen und er wolle ihr den 
Freundſchaftsdienſt erweiſen, ſelbiges 
zu beieftigen. 

„Biſt brav, Sebaſt, daß Du auch 
auf ſo was denkſt,“ redete der alte 
Luſchel-Peterl drein, der mit ſeinem 
wulſtigen rothen Regenſchirmſtock hinten 
nachhumpelte. Er krug noch ein recht 
altweltiſches Gewand, der Luſchel— 
Peterl, einen vergilbten lodenen Frack 
mit großen Meſſingknöpfen und einen 
ausgeſchweiften grünen Cylinderhut mit 
breitem Band und der großen Schnalle. 
War aber Alles hübſch mit grünem Tuche 
ausgebrämt, aus dieſem allerlei Bäum— 
chen und andere Zierrathen geſchnitten 
und auf die Aermel, Bruſtflügel, Ta— 
ſchen und Schöſſel genäht, was zu dem 
verwitterten Geſicht des Alten mit dem 
weißen Schnurbart gar nicht übel 
fand. „Feſtmachen das Stammel, das 
Rosmarinſtammel, eh wahr auch. Brad 
bit, Sebaſt.“ 

Die Duflerl aber fehlug den Bur— 
chen auf die Finger: „Da haft nicht? 
herzugreifen, Bübel!“ 

„So wohl, fo wohl!” ſtimmte der 
Luſchel-Peterl bei, „bift ein braves 
Dirndel Du, eija, gwiß wada leicht 
wuhl, ja!“ 

Weit hinterdrein gieng eine Gruppe 
von Männern. Darunter der Sepp in 
der Grub, der Nodel, der Stindel im 
Stein, der Oberftödel und der Yalob. 

Sie waren faſt zu ernfthaft für 
den ſonnenfunkelnden Frühſommer— 
morgen, der über den Waldbergen und 
thauenden Wieſen lag. 

Auch der Jakob redete heute. Er 
pflegte außer Hauſe ohne befonderen 
Anlaß nicht viel zu Sprechen, er ftots 
terte auch ein Hein wenig, aber man 
borchte doch ſtets auf, wenn er ſprach, 
es war allemal der Mühe wert. 

„Es darf nicht fein,“ ſagte der 
Jakob, „wir müſſen es abwenden.“ 

„Wir müſſen dem. Guldeiſner zu— 


——————— ———— — — —— — — —— — — ——— — — — ———— —— — ——————— ———————— EEE 


reden was wir können. Er darf nicht 
verkaufen,“ ſo der Stindel im Stein. 

„Seid Ihr einverſtanden, Nach— 
barn,“ ſagte der Jakob, „daß wir 
heut' Abends, wenn wir heimkommen, 
miteinander zum Guldeiſner gehen und 
ihm die Sach’ vorſtellen? Wenn der 
Guldeiiner losgeht, nachher wird Alles 
rutſchend in Alktenmoos.“ 

„Wenn das viele Geld nicht wär'!“ 
meinte der Oberſtöckel. 

„Das Geld, und jetzt auf einmal 
das Geld!“ rief der Jakob völlig aufs 
braufend. „Haben wir Altenmoojer 
jemals nah Geld fo viel gefragt ? 
Haben wir eins, iſts gut, aber leben 
mögen wir auch ohne Geld, und viel— 
leicht zufriedener. Was wir brauchen, 
das wachst auf unjerem Grund. Das 
Brot auf dem Feld, Milch und Butter 
auf den Wieſen, die Leinwand auf 
dem Flachsacker, die Wolle auf den 
Schafen, das Leder auf den Rindern. 
Fleiſch Haben wir noch dazu im den 
Schweinen. Die Handwerker haben wir 
im Haus. Salz und Tabak und ſonſti— 
ge3 Kleinzeug, auch den Steuergulden 
zahlen wir von den paar Stideln 
Vieh, die wir verlaufen. Was brauch' 
ih denn fonft noch? Und die Lente 
jegt alleweil nur Geld, mehr Geld, 
viel Geld! Verkaufen gar noch ihre 
Häufer und Hofen um's Geld. Mir 
graust!“ 

„Wirſt wohl recht haben, Jalob.“ 
verſetzte nun der alte Rodel und machte 
eine Bewegung mit der vechten Hand, 
al& wollte ev etwas in der Luft fans 
gen. Wenn er dieje Gefte machte, da 
wußte man ſchon: er hat was Gefcheites 
zu Sagen. Und dumm war er juft 
nicht, der alte, hagere Mann, der, ob— 
gleich einäugig, Manches Harer und 
richtiger fah, als Andere mit zwei 
Augen. „Aber,“ rief er jebt, „aber 
Geld ift anſteckend.“ 

„Das wird wohl nicht wahr fein,” 
fagte der Hlachelhofer. „Bei meinen 
Nachbar Knaätſchel Find ſeit vierzehn 
Tagen zwei Taufender gelegen. Wenn 
Geld anftedend wär’, jo Hätt’ ich davon 


253 


friegen müſſen. Ich Habe mich nicht aus: 
räuchern laffen und auch fonft fein 
Segenmittel angewendet.“ 

Der Rodel faßte den Slachelhofer 





gulden, aber das macht nichts. Ein— 
mal wird der Wald doc was wert, 
und viel wert. Kurz und gut, es ift 
ein ficher angelegtes Geld. Dazu das 


am Nodflügel, blieb mit ihm ftehen | große Jagdrevier, maht auch Spaß.“ 


und fagte: „Die Anderen haben es 
verjtanden, Dir fage ichs deutlicher: | 
Die Geldgier ftedt an. Dagegen magit 
Dich wohl brav ausräuchern Lafjen | 
mit Wachholderftauden und Johannis | 
fraut!” 

„Da laſſ' ich mich mit Taufendguls | 
denfraut ausräuchern,“ darauf lachend 
der Stlachel. 

„Hat denn diefer Kampelherr gar 
jo viel Geld ?“ fragte der Stindl. 

„Gottsläfterlich viel ſoll er haben,“ 
antivortete der Rodel, „ih hab’ gehört, 
wenn der feinen Reichthum in lauter 


Zehnerbanfnoten hätt’, und thät’ nach !ein Grofchen, 


einer guten Mahlzeit anfangen, die 
Zehnerbanfnoten zu zählen, und thäte 
Tag und Naht zählen, und raſch 
zählen, und nichts als zählen, und 
feinen Biſſen eſſen, ehevor er mit dem 
Zählen fertig wäre, jo müßte er bei 
dem Geldzählen verhungern.“ 

„Verdammter Kerh!“ knurrte der 
Sepp in der Grub. 

„Wer ijt er denn eigentlich, diejer 
Sampelherr ?” fragte der Stindl. 

„Sein Bater joll ein ungarifcher 
Kornhändler oder Saulieferant gewe— 
fein,“ wußte der Rodel. 


„Und was Hat der Sohn für ein 


Seichäft ?" 

„sein ſchlechtes, er ift Millionär. 
Bon Staatsjhuldbriefen Papierſchnitzel 
abfchneiden ift das einzige Handwerk, 
das in Wahrheit einen goldenen Bo— 
den hat. Früher hat er viele Gewerk— 


„Du kannt Dirs halt ausdentken, 
Nodel,“ zollte der Sepp im Schlag 
jein Lob. 

„Wiſſen möcht’ ichs doch, wie er 
ausschaut, ſo ein Millionär,“ meinte 
der Stlachel. 

„Iſt zu ſehen,“ belehrte der Sepp. 
„Beim Fleiſchhacker zu Sandeben joll 
er fich jetzt aufhalten.“ 

„Was gilts,“ rief der lachel, „was 
gilts, ich meld’ mich heut' bei ihm. Koſten 
thuts nichts. Vielleicht ſchenkt er mir 
einen Hunderter. Bei jo Einem ift ein 
Dunderter jo viel, wie bei Unſereinem 
wenn man ihn dem 
Bettelmann ſchenkt. Vergelts Gott ſag' 
ich gern dafür, und wirft er mich hin— 
aus, Jo machts nichts, dent’ mir Halt: 
bin eh auch draußen geweſen.“ 

„Wär wohl eine Schand,“ be= 
merkte jeßt der Jakob, „wenn fich ein 
Altenmooſer Baner von jo einem frem— 
den Herlaufer da bei der Thür hinaus— 
werfen laſſen müßt’! Was geht uns 
der Kampelherr an!“ 

„Wenn Du glaubft, mein Tieber 
Stlachel,” ſagte der Rodel, „der Kam— 


pelherr jelber ſitzet draußen beim Fleiſch— 
hacker, fo biſt wieder auf dem Holz: 


weg. Der Kampelherr weiß ſich was 
Beſſeres, al3 tagelang in einem Dorf— 
wirtshaus warten auf die Gimpel, die 
ihn zufliegen follen. Der da draußen, 
das ift nur jein Agent, mut Du 
wiſſen.“ 

„Agent oder Kampelherr!“ ſagte 


ſchaften gehabt, der Kampelherr, und der Klachel, „iſt mir alles eins, wenn 


fogar eine ganze Eiſenbahn. Aber weil 
die Zeiten jo unficher werden, fo hat 
er fie verkauft und will jich hingegen 


I 





er nur Geld Hat.” 
Unter ſolchen Gefprächen waren fie 
hinausgelommen durch den Steppe 


rechtihaffen breit auf Grund und Bo= wald; diefer gehörte nicht mehr zu 


den feſtſetzen; Grund und Boden lann 
| 


nicht zerflört werden und nicht davon= 
laufen. Das Ding foftet nicht viel, 
weil man Wald wacjen läßt, ftatt 
Korn. Der Staat verliert viel Steuer: 





Altenmoos, Jondern der Herrſchaft Ra— 
benberg.. Als fie zur Hirſchenklamm 
famen, wo an beiden Seiten Die 
Wände auffteigen, mußten die Männer 
ftill fein. Die Hier Schon gar ftattliche 


Sandach ranfchte in ihrem wilden 
Bette, und das Raufchen gellte jo Fehr 
im Gewände, daß keiner fein eigenes 
Mort verftand. Der Yalob war der 
ſchier froh, ihm hatte das Geſpräch 
Ihon lange nicht gefallen. 

Weiter Hin begegnete ihmen der 
Nabenberger Waldmeilter mit der Büchie. 
— An Solch einem Feſttage, wenn der 
ordentliche Ehriftenmenfch in die Kirche 
acht, fteigt jo Einer im Wald um. 
Die Bäume, wenn fie wachjen ſollen, 
brauchen den Förfter mit dem Stußen 
nicht, wohl aber den Segen Gottes! 
— So mar die Meinung des Sepp 
in der Grub und die Anderen gaben 
ihm Recht. 

Endlich Fichteten ich die Berge und 
hinter einem grünen Hügel redte ein 
ziegelrother Rieſenzwiebel feine Spitze 
in die Luft. Das war der Kirchthurm 
zu Sandeben. Das Dorf fteht auf 
einer ſachten Anhöhe, denn der ganze 
Thalgrund ift ein granes Sandmeer, 
über das ſich die Sandah in zahl- 
reihen Bächlein ergießt. Ueber den 
Sand find Holzrechen gezogen, um 
das aus den Steppenwäldern hervor— 
geſchwemmte Holz aufzufangen. Am 
jenfeitigen Gelände ftehen vauchende 
Stohlftätten,, die ihr Rauchen und 
Rußen freilih auch an diefem Frohn— 
leihnamstage nicht unterbrechen fonn- 
ten. Vom Kirchthurme der Pfarre zum 
heiligen Michel her Hangen drei Glöck— 
lein fo hell und luftig. daß der Klachel 
den Spaß fagte: „Schau, ſchau, der 
beilige Michel jodelt uns jchon ent— 
gegen!“ 

Die Dorfgafjfe war zu beiden Sei- 
ten mit frischen Birkenreifern geſchmückt, 
das Kirchhofsthor mit einem Reiſer— 
franz geziert; die Treppe hinauf war 
Ihwarz von Menjchen, darüber wehten 
rothe Fahnen und auf ſchwankenden 
Stangen bremmende Laternen. Dom 
Steinhühel her knallten Pöller. 

Nah dem Gottesdienfte kam der 
Stindl im Stein zun Jakob, der auf 
dem Kirchhof am Grabe feiner Bor: 
ellern eine flille Andacht verrichtete, 


und fragte ihn, ob er mitgehe zum 
Tleifhhader, dort wären heute alle 
Altenmoofer beifammen. 

„Sollen fich nichts abgehen laſſen,“ 
antwortete der Jakob unwirſch. Er 
dachte ſich's nun, warum ihrer heute 
jo Viele aus Altenmoos nah Sand— 
eben gekommen waren. Nicht die Kir— 
henfahnen hatten jo fehr gewinkt, als 
vielmehr die Taufender des Knaftſchel, 
die geftern dorausgegangen waren. 

Der Reuthofer follte aber an diefem 
Tage einen weit größeren Werger zu 
verwinden haben. Gieng ihm jeßt der 
Knatſchel aus feinem weißgetünchten, 
erft erworbenen Häuschen zu und fagte, 
das wäre ſchön vom Jakob, daß er fich 
auch wieder einmal herausgetrane aus 
dem ödweiligen Graben. Er könne heute 
zwar noch feine Einladung machen, 
e3 ſei noch Alles drunter und drüber, 
habe vom inte auch noch nicht die 
Erlaubnis zum Weinausjchenten ; aber 
einen guten Bekannten, wenn er ſehen 
wolle, der Jakob, er, der Knatſchel 
babe einen im Haus. 

„Er ſoll fich zeigen, wenn er was 
wifi von mir,“ fagte der Jakob, 

„Ich denfe aber, er wird nichts 
wollen von Dir. Wir haben ihn ein— 
fperren müſſen, ſonſt wäre er gleich, 
wie er Dich vom Fenſter aus gefehen 
bat, davongelaufen. Und einholen wirft 
Dur den nicht; Du haft zwar längere, 
aber er jüngere Füß'.“ 

„Sollteft von meinem Buben 
reden ?" fragte der Jakob, „ift er bei 
Dir?” 

„Iſt ihm Halt auch Tangweilig 
worden bei den Maldbären drin. Sit 
mir geftern nmachgelanfen und hat ſich 
auf den Wagen gelegt. Er geht nimmer 
beim, jagt er.“ 

„Alsdann werden wir ihn Heinz 
tragen,” ſprach der Yatob. 

„Da wirft Du ihm wohl früher 
die Knochen zerjchlagen müſſen.“ 

„Schlagen werden wir nicht. Laſſ' 
ihn heraus.“ 

Nicht lange hernach ſchoß der 
Jakob aus der Hausthür des Knat— 


255 








ſchel. Als er den Vater jah, dudte er: wie kannſt Du Deinen Eltern davon— 
ich am die Wand. Die langen Haare | laufen! Deine Mutter Hat die ganze 
biengen ihm wüſt über das Geficht, Nacht geweint.” 

den lid ließ er ein paarmal wild) Große Thränen perlten dem Jungen 
auf den Bater hießen, die Fünfte über die Wange, er ſchamte ſich ihrer, 
hatte er geballt, fo ſtand er da und! ftrampfte den Fuß in den Erdboden 
fteinmte den Kopf feitlings am die und fchrie: „Nein! Nein! Nein!“ 


Wand. „Alſo wiiſt Du nicht freiwillig mit 
„Jackerl!“ redete ihn der Vater mir gehen?“ 
ruhig an, „wir gehen jetzt heim.” * „Ich werde gehen, aber allein. Ich 


Der Knabe rührte fich nicht. werde den Weg finden.“ 

Der Jatob wollte ihn beim Arme] „Out, veriprich mir, daß Du heute 
nehmen, den riß er aus und kreiſchte: am Abend daheim fein wirft!“ 

„Ih mag nicht heimgehen.“ Der Knabe jhwieg. 

„Sei nicht flörrifch, Kind,” ſagte „Ih brauche jeßt feine Gewalt, 
der Vater; „jage mir, warum Du mein Sind!” ſagte der Bater mit 
nicht heimgehen willft.* gedämpfter Stimme. „Ih will Dir 

„Weil Ihr mich einfperren werdet!” | vor aller Leute Augen keine Schmach 


ſtieß der Knabe Heraus und begann | anthun. Aber verjprih mir, daß Du 
laut zu weinen. heute Abends daheim jein wirft!” 


„Hber Du zwingſt mich ja, Dich „Das werde ich!“ ſtieß der Knabe 
zu ſtrafen. Du könnteſt es ſo gut heraus und ſtrampfte die Erde. 
haben, wie der Friedl, der folgt in „So ſind wir jetzt miteinander 
Güte. Dur Haft mir ſchon viel Kummer | fertig.“ Damit gieng der Jakob ſeines 
gemacht, ich ſoll Dir’s gar nicht jagen, | Weges. Er hatte ja noch font eine 
wie weh’ es mir thut, daß ich Dich | wichtige Aırfgabe an diefen Tage. Der 
ftrafen muB. Jackerl, Schau’, gib her umge blieb lehnen an der Mauer, 
die Hand, ich Hab’ Dich lieb. Und ſchloß die Augen und Schloß die Fäuſte. 


(Fortjegung folgt.) 


Irrlidt. 


Slizze von Hans Fraungruber. 


2 ge ein Freund! Seit Wochen jehe | die Gefchichte Deines Freundes, der 
ih mit Beforgnis, daß Du einſt denfelben Pfad gegangen. 

Die von un® abgewandt und Deine, Vor Jahren lernte ich in einer 
Geſellſchaft in den ſogenannten feinen |feoßen Gejellichaft eine junge Dame 
Kreiſen fuchft, in denen Du nicht ges kennen. Ihre Schönheit, ihre tadel= 
boren bift. So ſehr ich den Grundjaß loſen Manieren und der ſeltſame Reiz 
„Strebe aufwärts!" billige, jo fehr ihrer Ausdrudsweife, die von guter 
muß ich Di auf Deinem Wege vor ‚Erziehung und feiner Bildung zeugte, 
bitterer Enttäufchung warnen. Höre machten fie zum Gegenftande allgemeiner 





256 





Huldigung, welche fie mit Zurückhal- meinen Arm, ließ den Wagen, der jich 
tung aber wie eine gewohnte, ſelbſtver- eingefunden hatte, zurüdfahren und 
ftändlihe Sache entgegennahm. Ihre theilte ihre. Abjicht, eine Strede zu 
Antworten waren treffend, ihr Geſpräch Fuße zurüdzulegen, kurz der theil— 
intereffant, und als im Laufe des nahmslos neben uns hergehenden Die— 
Abends die Unterhaltung ungezwun- |nerin mit. Ihr Entſchluß war eine 
gener wurde, zeigte fie eine jo natür- ſchweigende Erklärung der Zuneigung, 
liche Fröhlichkeit und anmuthige Gabe | worüber ich alle Bedenken vergaß; 
Andere zu guten Einfällen anzuregen, | meine Schläfen pochten, ich verlor alle 
daß die anweſenden Damen bald guten | Ueberlegung, mein Mund ftrönte über 
Grund hatten, auf die Schöne Fremde, und begann in leidenschaftlichen Worten 
deren filberhelles Lachen uns entzüdte, den Eindrud zu ſchildern, den Ju— 
eiferfüüchtig zu fein. liettens fefjelnde Erfcheinung auf mein 
Ich war ftets ein übermüthiger Derz geübt. Ich war jung, ehrgeizig 
Theilnehmer der Gejellichaft, und bei und von jener Feurigen Gemithsart, 
der gewöhnlichen Lebhaftigkeit meines | die, raſch in’? Phantaftiihe umſchla— 
Weſens fiel es nicht ſonderlich auf, gend, ihren Beliger im vielen Fällen 
dab ich ernftlich daran war, dem inter= |unglüdlich macht. Mein Ehrgeiz jehnte 
efjanten Gafte den Hof zu machen. |fich in reife, die über meiner gefellz 
In der Unterhaltung über ein im schaftlihen Stellung lagen und im 
Künſtlerkreiſen eben  vielbefprochenes | denen ich ein Hohes Glüd zu finden 
Ihema veriheidigten wir verjchiedene | glaubte. Juliette ſtammte aus jener 
Meinungen. Ich freute mich innerlich | Welt. Daher kam es, daß ich zwei 
über die Wahrnehmung, daß meine! Stunden, nachdem ich ein fo eins 
Ihöne Partnerin meinen Worten mehr |nehmendes Weib zum  erftenmale in 
Gehör jchenkte als andern; ihre be= | meinen Leben geſehen, ſinnlos verliebt 
redten Augen ſchienen in meiner Seele | war und meinen Gefühle offenen Aus— 
zu lejen, ein magnetiſches Fluidum |bruch erlaubte. Es war das erftemal 
gieng don ihr auf mich über, deſſen in meinem Leben, wie es das erſtemal 
Kraft mich allgemad) übermannte, meine war, daß ih Stolz, Schönheit und 
Sinne derwirrte, mein Blut erhißte | matürliche Begabung in einem Mädchen 
und — kurz und gut — mich Schließe |jo zu meinem Frauenideale vereint 
lich zu der tollen Scene hinriß, die | fand, 
ich fpätee vom Heimwege erzählen will. Ih Hatte als Student alle uns 
Minnie Sanders, die Braut meines | ausbleiblihen Jugendthorheiten durch— 
Freundes N., hatte die junge Dame jagt und ahnte nicht, daß ich im Ber 
als ihre Freundin Inliette von Paris, |griffe ftand, den abgethan geglaubten 
Rue Saint Denis, vorgeftellt, ohne | Jugendefeleien die Krone aufzufeßen. 
den Familiennamen zu nennen, doc) Es war ein bezaubernder Abend und wie 
jchloffen wir aus der tadellofen Klei- für die romantiſche Scene gefchaffen. 
dung und ihrem Auftreten, daß ſie Als ich den Strom meiner Rede unters 
einer vornehmen Familie angehören | brach, halb unbewußt, was ich gelagt, 
müfle. Sie war in einem elesanten |da fühlte ich den Arın des Mädchens 
Magen vorgefahren und Hatte der fie |zittern, ich ſah, wie ein fieberhaftes 
begleitenden Perfon aufgetragen, fie in | Exbeben ihre ſüße Geftalt überlief, fie 
zwei Stunden abzuholen. Das ges |richtete ihre verwirrenden Augen voll 
heimnisbolle Auftreten reizte mich noch | auf mein glühendes Geficht und ihre 
mehr, und als Juliette aufbrach, bat Worte ſchlugen beſchämend im mein 
ih artig, fie begleiten zu dürfen, in Herz: „Ich follte Ihnen nicht ante 
der geheimen Abficht, zu erforschen, wer |worten, mein Herr, der Sie cine 
fie fei. Sie nahm nach kurzem Zögern Liebeserklärung an ein Mädchen richten, 


257 


welches Sie zum erſten- und viele 
leicht auch zum leßtenmale gejehen. 
Sie kennen mich wicht und follen mich 
nicht kennen lernen, denn Sie werden 
mich nie mehr im jener Gejellichaft 
Sehen, die ich aufſuchte, weil ich meines 
Umganges überdrüjjig geworden und 
mich nach Menfchen jehne. Sie haben 
mein Vertrauen mißbraucht, das ich 
in Sie jeßte, da ich Ihnen zu er: 
fennen gab, daß Sie mir mehr In— 
terejle einflößten als Sie in Wahrheit 
verdienen. Bewerben Sie fich nicht um 
meine Liebe, denn Sie fönnen nie den 
Grund betreten, den ich gehe. Ihre 
Worte find die innerer Erregung, was 
mir beweist, dab Sie der Falſchheit 
ferne ftehen, darum verzeihe ich Ihnen. 
Doc hören Sie meinen Nath! Wenn 
Sie Schon thöriht find — bewahren 
Sie Ihr Herz! Und nun  fcheiden 
wir.“ — Ich ftand gelähmt, Eis rann 
durch meine Adern. Ein zu ſtürmiſches 
Gefühl Hatte meine Worte aus der 
inneriten Derzenstiefe emporgetrieben. 
Ihre rätbjelhafte Antwort ernüchterte 
uch nicht; innige Bewunderung er= 
füllte meine Seele und fpornte mich 
Berzeihung zu erjtreben. War meine 
Nede Glut gewejen, jo brach nun— 
mebr meine Leidenschaft in Flammen 
aus, und im ungeduldiger Daft be= 
Ichwor ih das Mädchen, ihre ftrenge 
Antwort zu mildern. Ach ſchilderte 
mein Gtüd, ein Mädchen gefunden zu 
haben, wie es mir aus dem Schleier 
meiner Phantafie entgegendännmerte, 


nicht verfland. Ich Hoffe jetzt für fie, 
daß es Mitleid gewejen. Noch jah ich 
die Pferde in eine der eleganteiten 
Straßen einbiegen, daun fchritt ich wie 
im Zraume durch die prächtige Nacht 
bis der Morgen grante und mich aus 
dumpfem Brüten wedte. Das nenunt 
man Liebe? Tag und Naht vers 
folgte mich das Bild der räthjelhaften 
renden bis zu der Stunde, in der 
ih von Minnie Sanders, die jie uns 
ſerer Geſellſchaft zugeführt, ein Paket 
erhielt, in dem ich jubelnd das Bild 
meiner Schönen ſand. Was waren 
mir alle Schäße gegen das Zeichen 
ihrer Gunft! 

Soll ih Fildern, daß ich fein 
Mittel unverfucht ließ, Julietten zu 
finden, daß ich duch Bermittelung 
ihrer Freundin Briefe an fie richtete, 
deren Eins und Mlles Sehnsucht 
war? Genug verlange ich von Dir, 
milde Göttin Erinnerung, wenn Du 
mir nen erzählft, daß ich mein theures 
Mädchen wiederjah, daß eine Stunde 
fam, im der ich die Widerftrebende in 
meinen Armen hielt und alle Wonnen 
junger Liebe mit ihr theilte. Ach 
fragte nicht, wer ſie fei, war blind 
gegen den Luxus, der fie umgab, taub 
gegen die Borftellungen Minnie's welche 
mich beichwor, ein Verhältnis zu löjen, 
welches Unbedacht geichloffen und zu 
feinem guten Ziele führen könne. Doc) 
welches Ziel fordert Leidenfchaftliche 
Neigung als den Beſitz der Geliebten, 
ihr freundlich Wort, ihren liebevollen 


wie ich nur ihre leben, für fie ſtreben Blid und ihren Kuß? Was find ihr 
wolle, um ihrer wert zu fein, daß fie | Zukunft, Hügelnde Bedenken! Es konnte 
mir allen Halt raube, wenn fie mit) mir endlich nicht entgehen, daß Minnie 
Geringihäßung von mir auf immer | Sanders die Geifter, die fie gerufen, 
ſcheide. los ſein wollte, daß Intriguen mich 
Sie ſprach kein Wort mehr bis | von meiner Schönen trennen jollten ; 
wir an einer Sirafenede den Wagen da begann ich mit Erbitterung den 
erreichten, der langjam vorangefahren | Kampf meine Liebe, bis endlich der 
war. Juliette winkte dem Kutſcher | Zufall gleih einem Blipftrahle Licht 
und verabjchiedete ſich mit wenigen ‚in meine Liebeswirrnis jchleuderte und 
Morten. Ehe das Gefährte davon ; meinen Jchönen Traum zerſtörte. 
rollte, beugte ſie ſich noch einmal D warum Schloß ih mich nicht 
grüßend zurüd mit einem unbejchreib= | liebend an ein ftilles, unſchuldsvolles 
lichen Ausdrude im Auge, den ich | Mädchen, dem die glänzenden, gefähre 


Rofeaaer's „„Beimgarten‘‘, 4. Geft, XI. 17 


or 


& 58 


lichen Pfade des lauten Lebens uns 
befannte Märchen find, warım mußte 
ih mein Schidjal in die reife der 
leuchtenden Macht Juliettens ziehen ! 
Jetzt dünkt mich jene Zeit ein ſchwerer 
Traum und Juliettens Züge find die 
der böfen Märchenköniginnen, deren 
Schönheit oft jo unheilvoll gewefen. 

Der ernſte, erfahrene Charakter 
fällt felten in die Schlingen gefähr- 
lichen IUmganges, ein Phantaft, deren 
jede YJugendperiode leider viele zählt, 
folgt nur zu gerne wie bezanbert 
jenen lichten Phantomen, deren pro= 
blematifche Eriftenz der Gereifte durch— 
ſchaut. Doch fo ehr philofophifche 
Betrabtungen ſich mühen, mich von 
meinem Thema freundlich abzuleiten 
— es ſei meine Buße, die Gejchichte 
zu Ende zu führen, mag es auch vor 
meinen Augen flirren und mein Herz 
frampfhaft beben bei dem Gedanten 
an das Ende jener erften Liebe. Man 
vergißt jo gerne, aber leider fo un— 
fäglich ſchwer. 

Zu meinen Belannten, die ich 
theils auf Reifen, theils durch Zufall 
gewann, zählte ein reicher, alter Guts— 
herr, der in den raufchenden Wonnen 
der Großſtadt fich iiber das Ende feiner 
Jugend zu täufchen verfuchte. Es war 
zur Zeit, als meine Leidenfchaft für 
Juliette, durch die unerträglichen Bes 
mühungen Minnie Sander uns zu 
trennen, auf die Spike getrieben war. 
Da begegnete mich Renard eines 


Abends am Boulevard, fahte mich am 


Arme md zog mich im eines der 
Iururiöfeften und berüchtigtiten Reſtau— 
rants der Highlife. „Junger Freund,“ 
fagte er, „Sie find ein vernünftiges 
Haus (hätte er gewußt, wie jehr er 
fih verlannte!), es ift Zeit, daß Sie 
in die Welt eingeführt werden; ich 
will Ihnen zeigen, wie man lebt.“ 
Ih gieng den Weg durch die glitzern— 
den Wunder der Ausjchweifung zum 
eritenmale und gieng ihn nie wieder. 
Meine Augen waren wie geblendet 
und der Boden wankte unter meinen 
Füßen. 


Nenard zog mich durch glänzende 
Säle voll ausgelafjener Menfchen bei— 
derlei Gefchlechtes, die in bacchantiſchem 
Jubel die Sorgen des Lebens und 
den Kummer zweifelhafter Eriftenz be— 
täubten, ihr Gelächter und Geplauder, 
die Schmeiternde Muſik, die funkelnden 
Luftres, all’ das wedte einen gewiſſen 
Taumel der Luft in meiner Seele; 
Nenard war wißig und ich ſtimmte 
lahend in feine Schwäne ein. Wohl 
empfand ich zumeilen ein Schaudern, 
als gienge ich durch einen Urwald, in 
defjen prächtigen Baumkronen ſchil— 
lernde Schlangen lanerten, aber ich 
fühlte auch, wie leicht es fei, hier ein 
Opfer zu werden. Wir fohritten durch 
tanzende Paare in Säle, in welcher 
die Bälle röllten und Starten auf das 
grüne Tuch ſchlugen und gelangten 
zuletzt in eine Flucht don Zimmern, 
‚In denen Kleine Gefellfchaften die 
Chanpagnerpfropfen an die Dede 
fallen ließen. Da fand ich neben 
marcanten Phyfiognomien, aus denen 
ein Weltkluger mehr lefen konnte als 
der Altronom am Himmelszelte, die 
intereffanten Künftlertöpfe, deren Ab— 
bildungen das Volk vor den Schaue 
läden ımuftert, die Heine Soubrette N., 
die ihre Nivalin mit der Peitſche res 
galierte, Charles R., der vor acht 
Tagen die erfte Berühmtheit gewefen, 
weil er es in der hohen Kunſt, ein 
Fiakerlied, mit Peitichenbegleitung zu 
‚fingen, jo weit gebracht hatte, als ein 
halbverhungerter Claſſiker in der Kunſt 
ein Drama zu fchreiben. Die ganze 
vornehme Welt hatte ſich gerauft, ihn 
zu hören — acht Tage fpäter aber 
| begeifterte Jean St., einft ein Fleischer» 
| fnecht, die haute volée durch die un— 
| vergleichtiche Art und Weiſe, die Come 
pofitionen diverfer Gomponiften zu — 
pfeifen. Ih fand ihn ebenfalls in 
einem Zimmer mit einer hochgeftellten 
| Persönlichkeit, welche foeben mit Demuth 
‚dem großen Manne die eigene Geliebte 
in die Arme legte. 

Märe ich micht weitergegangen, 
hätte id Nenard, der aller Orten 





freundlich begrüßt wurde, gebeten, mich 
bier zu laſſen, damit ich in andäch— 
tiger Befcheidenheit das Thun und 
Treiben dieſer intagsgrößen und 
ihrer Verehrer als leuchtendes Erempel 


ftudieren könnte! Gottlob, die wahre: 
‚teten mir entgegen — und die Wände 
‚begannen fich rund um mich zu drehen, 
‚auf meine Lider ſank tiefes Duntel, 


Kunft und den echten Adel fand ich 
in jenen Räumen nicht! Doch weiter. 
Ich Hatte den Becher an den Lippen, 
und ein unbejchreiblicher Durft ihn zu 
leeren erfüllte mich. 


Köftlicher Blumenduft drang uns 


entgegen, Füße Muſik ſchien aus den 
Wänden zu erklingen, als wir dem 
legten mit dem raffinirteften Lurus | 


ausgeftatteten Gemache entgegenlamen. Jutiette Renard’s 


Släfer klirrten, mehrere Stimmen 
fangen den modernften Walzer und | 


'gewahrte uns. Jubelnde Stimmen be= 
willkommten 
Debardeur in 


meinen Begleiter, ein 

verführeriſcher Geſtalt 
erhob ſich ihm entgegen — da brach 
das Lachen, das mich ſo innerſt er— 
regte, plötzlich ab, zwei Augen leuch— 


durch welches nur zwei brennende 


Sterne glühten, alle Kraft verließ meine 


Glieder und ohnmächtig brach ich auf 
dem üppigen Teppiche zuſammen. Das 
berückende Weib in der frechen Maske 
des Debardeurs war die berüchtigte 
und es war auch 
meine Juliette, meine erite Liebe. — 
Nenard, der feine Ahnung Hatte 


dazwifhen — dazwijchen ſchallte ein von dem wahren Beweggrunde meiner 
filberhelles Lachen, das mir das Blut Erregung, war ärgerlich über meine 
erjtarren machte Ih Stand einen | Schwachen Nerven, lie mich zu einem 
Augenbliid fill und lauſchte, it Atzte und dann in meine Wohnung 
einemmale war mir feltjam zu Muthe, bringen und kümmerte ſich fortan nicht 
als ob die Adern berſten wollten, ein | weiter um mid. Er Hat wohl zu 
unerflärlihes Gefühl banger Ahnung wenig Talent für einen Lebemann in 
beflemmte mein Herz; Die Schwule | feinem Schützling entdeckt. — Ich aber 
des Raumes und die Aufregung laſteten holte nach einigen Tagen, die ich in 


ſchwer auf mir. Renard ſchlug mich 
auf die Schulter und ſagte: „Mein 
ſüßer Junge, wappne Dein Herz, ich 
höre die jchöne Juliette. Wenn Du 
nicht aus Stein geformt bift, werde, 
ich Dich heute noch zerſchmelzen ſehen 
in Wehmuth und in Luſt.“ — „Wer 
ſie iſt?“ — „Die Königin des Carne⸗ 
vals, vor der ſich jedes Knie beugt, 
bereitwillig jede Börſe öffnet und für 
die manche Revolverkugel ihren kurzen 
Weg zurückgelegt.“ Wieder erſchallte 
jenes ſilberhelle Lachen des Uebermuthes. 
„Was iſt Ihnen?“ fuhr Renard fort, 
„Sie find ganz bleich, Sie zittern? 
DO, Juliette wird Ihre Wangen wieder 
färben, vorwärts!“ Er zog mich fort, 
wir traten über die Schwelle, man 





brütender Betäubung einfan verbrachte, 
ein Bild von der Wand, deren größte 


Zierde es bisher gewefen, fühte das 


Ihöne Antlitz, das es wiedergab und 
‚legte es auf die Gut im Kamine. 
Die Flammen umzüngelten es, einen 
‚Angenblid ſchien es Jich zu beleben, 
danı bob ſich die Silhuette Juliettens 
plöglih empor und die Flammen 
ſchlugen hoch auf. Mehr fah ich nicht, 
meine Augen waren zu trüb. 

Seit jenen Tagen mied ich die 
Melt des Glanzes und ſuchte Freund» 
Schaft und Frieden bei meinesgleichen, 
bei Menfchen, die mich verjtehen und 
die ich kenne. Ich glaute daß ich es 
nie bereuen muß. 


17° 


260 





Der junge Volksſchullehrer. 
Gine Erzählung aus dem Lebenvon FR. 
ein freudig geftimmtes Herz auf der 


Zunge zu tragen, welches, der Feſſeln 
entlaftet, Jedermann an die Bruft 


AI itte li Nichtrauchcoups! | 
ee „Wohin? 


—— 


Nach dberarq. 





„Bier, bitte!” 


Der junge Mann fprang flinf in | 


das ihm angewiefene Goupe, der, 
Schaffner machte den Schlag zu. | 
„Fertig!“ 


Der Eingeſtiegene war ein etwa 


ſpringt. 

„Guten Tag!“ ſagte er, ſich höf— 
lich vor dem Alten verneigend, „wenn 
ich fragen darf, wie weit fahren wir 


| mitfanmen ?“ 


„Ih fahre mur zwei Stationen 


zwanzigjähriger Burſche in dunklem ) weit,“ antwortete der Reifegenofje mit 
Anzug, welcher ein wenig ärmlich, aber | janfter Stimme; „Sie feinen einen 
forgfältig gehalten war. Ein breit» | größeren Rud in die Welt machen zu 
främpiger Filzhut Hatte das dunkle wollen.” 

Haar und die großen braunen Augen „Ich reile nach Oberarch, wo ich 
verdedt, jetzt zog er aus Höflichkeit | als Unterlehrer angeltellt bin. Hier —“ 
vor einem ihm gegemüberfigenden alten! er zog eine jorgfältig in graues Pa— 
Mann den Hut vom Kopf und legte! pier eingefchlagene Schrift aus der 
ihn neben fih auf die Bank. Ein) Brufttafche, „hier mein Decret.“ 
blaſſes, ſchmales, treuherziges Geſicht, Der Alte las es mit freundlichem 
ein leichter Schatten auf der Ober Kopfnicken durch und indem er es zu— 
lippe, den glänzenden Riemen des rüchgab, ſagte ev: „Ich wünſche Ihnen 
Seitentäſchchens über der Schulter, rech viel Glück.“ 

die eine Hand mit den wohlgepflegten | „Webermorgen trete ich mein Amt 
Nägeln an den Riemen gelegt, jo jaß an,“ berichtete der junge Mann mit 
er da und ſchien nach einer Gelegen= | lebhaften, fait erregtem Tone, „ich bin 
heit zu juchen, um mit dem alten ſelig, endlih das Ziel erreicht zu 
Manı ein Geſpräch anzuknüpfen. Wenn haben.“ 

ih rathen müßte, wer der alte, Hug | „Welches Ziel?“ fragte der alte 
und doch etwas gedrüdt dreinſchauende Mann, „Schullehrer zu fein? Das ift 
Mann mit dem granem Haar und dem | fein Ziel, das ift ein Weg. Ja, es ift 
glattrafierten Geficht fein möchte, ich | ein ſchöner Beruf.” 

würde jagen, er gehört jenem Stande „Es ift ein herrlicher Beruf!“ 
an, der mitten im Volke lebend, durch | ftimmte der junge Mann bei, „ein 
Erfahrung gebildet und geklärt, für) Erzieher des Volles zu fein! Mitzus 
die Zukunft wirfend, viel bedeutet und arbeiten, daß die Menſchheit weifer, 
wenig beachtet ift, viel leiftet und | tüchtiger, bejjer werde!” 

gering belohnt wird. „Es ift ein jchwerer Beruf,“ ſagte 





Die Gefichttzüge find in unbe: 
wachten Augenbliden ein wenig lei= 
dend und im ihrem gutmüthigen Aus: 
drud vertrauenerwedend. Das mochte 
den jungen Mann anziehen, der jchien 


der Alte mit leifer Stimme. 

„Gewiß, ein ſchwerer, verantwor— 
tungsvoller Beruf. Aber ich bin ent— 
ſchloſſen, ihm mein Leben zu weihen. 
Ich will ihm meine perſönlichen Vor— 


u 


theile gern opfern, ich will gerne arm 
fein und unermitdlich wirken in der 
Schule, in der Gemeinde, will unab— 
läffig lernen und lehren und nicht 
allein die lieben Kinder leiten und ers 
ziehen, fondern auch die Erwachjenen 
geiftig anregen, ihr Ratgeber und 
Freund fein. Ein Lehrer vermag viel! 
Als hochgeachtete Perfon in der Ge— 
meinde hat er großen Einfluß auf 
Klein und Groß. Ich werde aud 
nicht heiraten, damit ich vollfonmmen 
unabhängig bin. Das Volk ift meine 
Liebe und mein Beruf geht mir über 
Alles, und ich will mir einftens mit 
grauen Haaren jagen können: Du hajt 
nicht umfonft gelebt.“ 

„Die grauen Haare,“ entgegnete 
num der Alte lächelnd, „die werden 
freilich einft fommen.* Dann ſchwieg er. 

„Ich bin ein Kinderfreund,“ fuhr 
der junge Lehrer fort, „unter Kindern 
bin ih am glüdlichiten. Kinderherzen 
find wie Wachs. In der Schule will 
ih ihr Weifer, außer der Schule 
ihr Gejpiele fein. Nicht wie ein herri— 
ſcher Vorgeſetzter will ih zu ihnen 
fteyen, jondern wie ein Bruder; ihre 
Liebe will ich gewinnen, dann habe 
ich jie ganz. Ihre Liebe, das iſt das 
ganze Geheimnis!” 

Der Alte nidte mit dem Kopf. 
„Sie denfen da an weiche, gutartige 
Kinder,“ bemerkte er, „es gibt ihrer ja.“ 

„Es gibt auch ungezogene Kinder, 
ih wei e3,“ ſagte der junge Mann, 
„man befiert fie nur durch Güte. 
Selbftverftändlich werde ich Troß und 


| und Strafhäufer vermindert fein, die 
‚Advocaten und die Demagogen feine 
Gefchäfte machen und die Striege aufs 
hören. Ganz gewiß !” 

„Sie find jung, lieber Freund!“ 
fagte nun der alte Mann und legte 
feine Hände jenem auf die Achjeln, 
„ich bin auch einmal fo jung geweſen.“ 

| Unter ſolchen Geſprächen war die 
Station erreiht, wo der Grauföpfige 
ausftieg. Er reichte dem jungen Lehrer 
die Hand: „Ih gebe Ihnen meinen 
| Segen. Ih bin ein alter Schulmanı 
und fage Ihnen nur das: Seien Sie 
ftarf. Berzagen Sie nicht!” 

| Der junge Mann blidte dem über 
| den Kies Hinwandelnden gebüdten 
Greiſe nah und dachte: Wohl noch 
' Einer aus der alten Schäle. Die haben 
nicht die richtige Energie gehabt. — 
Sein Muth ſtand aufreht und als 
er nah drei Stunden den Boden von 
Oberarch betrat, war er in einer feier= 
lichen Stimmung, die zwiſchen Zuver— 
licht und Bangen ſchwankte. 

Am Raine der Eifenbahn jpielten 
Knaben und Mädchen. 

„Grüß Euch Gott, liebe Kinder!” 
tief ihnen der Anfönmling zu. Sie 
glogten ihn an und Ficherten. Einen 
Jungen fragte er, wo das Schulhaus 
jei? Der jchlenterte den Arm gegen 
die HDäufergruppe de3 Dorfes Hin: 
„Da!“ und lief davon. — Etwas 
verwahrlost, dachte der junge Lehrer, 
num, das wird ſich bald geben. 

Nah längerem Umfragen fand er 
endlih das Schulhaus. Es war ein 








Bosheit ſtrenge beitrafen, aber nur) altes Gebäude, welches zwischen Scheu— 
moraliich, das wirkt weit empfindlicher, |nen und Ställen ftand. Es hatte nur 
als etwa körperliche Züchtigung. Bon | wenige enge, Ttarkvergitterte Fenſter, 
felbft müflen fie dann fommen und | denn es war dor Zeiten das Getreide- 
um Verzeihung bitten und Bellerung | magazin eines Kloſters gewejen. Weber 
verjprechen. Das Kind ift von Natur einige morfchende Stufen ftieg er hin— 
gut; Wufgabe der Erziehung ift, auf zum Eingang. Eine alte, etwas 
darüber zu wachen, daß fein böfer | zerfahrene Frau, welcher ehrwilrdige 


Same in das Kind fällt, und jchäd- 
liche Steime mit milder Hand auszu— 
rotten. Wenn der Lehritand jein Ziel 
feft im Auge behält, fo werden in 
hundert Jahren die Kranken-, Irren— 


Haarftränchen über die Stirne her— 
abgiengen, fragte ihn, was er begehre? 

Der junge Mann nannte feinen 
Namen Albin Tegner und jtellte ſich 
al3 den neuen Unterlehrer vor. 


262 


„So!“ verfeßte die Frau und|wester Streu aus dem Grunde. Da 
mufterte ihn vom Fuß bis zum Kopf. | jedoch der Lehrer nicht vom Fleck gieng, 
„Mein Mann ift jetzt nicht da.“ jo fchleuderte der Bauer endlich die 

Sie lie ihn ftehen an der Thür. Gabel von ih und führte den Anz 
Er ftand längere Zeit an derfelben | kömmling zum Schulhaufe zurüd. Bor 
und zählte die Sprünge an der Mauer. | demfelben war eine Rotte von johlen= 
Nun kam der Bahnbedienftete, der ihm | den Knaben eben bejchäftigt, den au 
den Koffer nachgeſchafft Hatte; dieſen der Treppe ftehen gebliebenen Koffer 
ftellte der Mann auf den Erdboden, | iiber den Rain Hinabzuwälzen. Noch 
nahm feine Löhnung und gieng davon. | rechtzeitig fanı Tegner herbei, um fein 
Da Tegner merkte, daß ih Niemand | Eigenthum zu retten. 
um ihn kümmere, jo trat er im die) „Was ifts denn?“ fchnarrte der 
Küche. Herr Ortsſchulrath die Fran Ober— 

„Mein Mann ift jest nicht da, | lehrerin an, „ift die Kammer nicht 
babe ich gejagt!“ fchmetterte ihn die, gerichtet ?* 


Fran an. | „Was für eine Kammer ?* 
„Ich wollte nur bitten, daß viel⸗ „Für den neuen Lehrer. Der kriegt 
leicht — meine Wohnung —“ im Schulhaus eine Kammer.“ 


„Um Gotnswillen!“ rief die Frau, „Das iſt ſauber!“ rief die alte 
„eine Wohnung? Im Schulhaus? Frau, „ſo ſoll Unſereins die Milch— 
Wüßte nicht, wie das zugehen ſollte. töpfe und das Obſt auf die Gaſſe 
Da müſſen Sie ſchon zum Ortsſchul- werfen!“ 
rath gehen.“ Das geſchah zwar nicht, jedoch die 

Nah mannigfaltigen Forſchungen Milch- und Obſtkammer ward aus— 
war Tegner fo weit, daß er im einem geräumt und der junge Lehrer konnte 
Kuhſtalle ftand, vor einem rothbärti- | einziehen. 
gen Mann, der Dinger aushob. Das Ein Strohſchaub zum Lager, ein 
war der Obmann des Ortsschulrathes | für die Milchtöpfe aufgerichtetes Bret— 
zu Oberarch. Der junge Mann ſtellte tergeftelle als Tiſch; ein tiefäugiges, 
ſich vor. vergittertes Fenſter, in deſſen Höhlung 

„Ein verdammtes Gefilz, wenn der neue Inwohner ſeine Bücher auf— 
man Erlſtauden geſtreut hat!“ knurrte ſtellte, ein Vorhang aus Spinnen— 
der Bauer und ſtach mit der drei- gewebe, der don dem moderigen Pla— 
ſpießigen Gabel in den Stallboden ein. fond niederhieng, das war das Innere 
Tegner blieb ruhig ſtehen und ſchaute der Wohnung, die dem jungen Manne 
dem Bauern bei der Arbeit zu. — eingeräumt worden. Als er nun zwis 
Die Jauche läht er draußen den Weg ſchen den feuchten Wänden den Froſt 
binabrinnen in den Bach; die dürre wahrnahm, dachte er auch an einen 
Stren will er als Dung aufs Feld Ofen. Anſtatt eines ſolchen ftand in 
führen. Und das ift der Ortsfchulrath. der Ede der vieredige Schornſteinſchlauch 
— So hätte der junge Lehrer denken | aus der Küche, und der gäbe — be= 
müffen, wenn er etwas weniger ideali=  hauptete die Hausfrau — Wärme 
ftifch angelegt gewejen wäre. genug. 

„Der Herr Oberlehrer ift eben nicht, Als ih Tegner zur Noth einges 
zu Haufe,“ erlaubte fih Tegner nun heimt hatte, gieng er ins Freie. Es 
zu bemerken, „und daher bin ich fo war jchon die Abenddämmerung, und 
frei, bier anzufragen, wo ich mich jetzt Tam auch der Herr Oberlehrer 
niederlaffen ſoll.“ | heim. Der führte eine Kuh am Strid, 

„Ihr Seht ja, daß ich jeßt Feine) er Hatte fie draupen am Maldrande 
Zeit habe!“ verfegte der Bauer ums | geweidet. Er war jehr erfreut, den 
wirſch und riß einen Feen halbver- neuen Gehilfen zu ſehen. „Man hat 





263 
ja kaum mehr Zeit gehabt, fih um! Haufe. As er auf dem Stroh lag, 
die eigene Sach’ zu kümmern,“ ſagte ſaun er nach über Alles, was er auf 
er, „lie ift ohnehin arınjelig genug. | feinem nenen Beſtimmungsort an diefem 
Nur die paar Aderfledeln da. Früher | einen Tag ſchon erlebt hatte. Er ihat 
bat wenigftens die Bachwiefe da ———— tiefen Seufzer. Es kam über 
dem Schulmeiſter gehört. Seit der ihn wie Heimweh nach der Stadt, in 
Neuſchule ift das auch nicht mehr und | der er doch feine Heimat Hatte, weil 
heißts jchier betteln um jeden Grass all feine Verwandten ihm  geitorben 
Ichopf, den die Kuh freſſen ſoll. Und waren, wie Heimweh nach der Lehr- 
alles faufen! Bei der theuren Zeit! anſtalt, aus der er ſich doch ſo leb— 
— Ei, Herr Tegner, Sie ſind gewiß haft fortgeſehnt hatte. Noch bevor ſich 
fo gut, mir vom Ader das Säckel feine Augenlider ſchloſſen, brachen 
Rüben hereinzutragen. Unter der Eſche Thränen hervor. . . . 
liegt es, Sie jehen 93 gleich, ſobald 
Sie dort um die Scheuer biegen.“ 
Zum Abendbrot gieng Tegner ins 
Wirtshaus, denn verlöftigen mußte er Der Lehrer Albin Tegner hatte in 
fich jelber. Es war ihm faft, als thäte der Schule zu Oberarch die dritte 
heute auch ein Gläschen Wein noth, Elafje überfommen. Sig beftand aus 
daß ihm ein wenig warm werde inner— | Kindern beiderlei Gefchlechtes, theils 
ih. Es fröftelte ihn. Im Wirtshaus) aus den umliegenden Bauernhöfen und 


„bei der Bandelkramerin“ Hieng mitten | 
in der Dede der großen Stube eine! 
Lampe, welche die Tijche in den Eden 
nur düfler beleuchtete. Anm einem der 
Tische ſaßen mehrere Dorfleute, die 
— während in einer andern Ede zwei 
Fuhrlente über Röffer ftritten — im 
Flüſterton von einer gewiſſen Perſon 
ſprachen. Tegner ſaß allein und wollte 
auf das Geſpräch der Nachbarn nicht 
achten. Als er jedoch merkte, daß es 
ſich um eine Lehrerin handle, wurde 
er aufmerkſam. Da hörte er nun, was 
in diefem Orte feine Collegin, die ihın 
noch gar nicht zu Geficht gekommen, 
für eine unerfreuliche Perfon war. 

„Ich ſag's ein» und ſag's alles 
mal!“ rief Einer, 
nicht für ein junges Mädel! Mutter: 
jeelenallein umherſtreichen im Feld 
und Wald. Nachher zu den Mahl— 
zeiten im Wirtshaus! Mit den Manns: 
bildern ſcherzen! Geht fie allein nad 
Haus in finfterer Naht? Frage ich.“ 

„Der Kaplan hat denjelben Weg,“ 
warf ein Anderer ein. 

„Und das ſoll eine Lehrerin fein! 
Ih dank’ Schön.“ 

Sie munfelten weiter. Tegner be⸗ 
zahlte feine Sach' und gieng nach 


„das ſchickt ſich 


Kleinhauſern, theils aus dem „Bür— 
Ferihun⸗ des Dorfes, unter welchem 
die Kleingewerbsleute und Handeltrei— 
benden zu verſtehen ſind, und aus den 
Kindern der nahen Fabrik, welche an 
dreihundert Arbeiter bejchäftigte. Diejes 
gemifchte Volk in den Schulbänfen be= 
‚nahm ih auch darnach. Die Groß» 
bauernkinder plump, troßig, gedanfenz 
träge; die Hänslerfinder furchtſam, 
kriecheriſch, verſchmitzt; die Bürgers- 
finder rechthaberiich, empfindſam, fine 
dig; die Arbeiterkinder verjchlagen, 
liſtig und tückiſch, und viele bei einer 
gewiſſen Geſchmeidigkeit grundverdor— 
ben. Da war es manchmal, als ob die 
Kinder gerade ihre ſchlimmen Eigene 
Ihaften mit in die Schule brächten 
um fie dort, wie auf offenem Markte, 
gegenfeitig auszutaufchen. Der Herr 
Oberlehrer in der erjten Claſſe gab 
ſich zufrieden, wenn jie zur Noth lejen, 
Buchſtaben und Ziffern fchreiben könn— 
ten; er mochte den weiteren Kampf 
‚mit der Welt aufgegeben haben und 
ſich eigentlich nur noch um feinen Ges 
mifegarten, um feine Kuh kümmern, 
und um die Hereinbringung gewiljer 
Naturalien, die ihm als angenehmes 
Ueberbleibfel alter Gepflogenheit von 





264 





einem Theil der Bauernſchaſt noch 
willig ausgefolgt wurden. Die Lehrerin 
in der zweiten Glafle that zwar ihr 
Möglichftes, um die Jugend zu zügeln, 
allein die wilden Nangen wuchſen ihr 
über den Kopf und mancher legte es 
eigens darauf an, das Fräulein recht 
in die Hige zu bringen, weil ihnen 
ihre Zornausbrüche und Drohungen 
Spaß machten. In ſolchem Zuftande 
fanıen die Kinder in die dritte Claſſe. 
Hier fanden fie den neuen Lehrer, der 
ein jo ernſtes Geficht machte und eine 
jo janfte Stimme hatte. Er reichte 
jedem der Kinder die Hand und fagte, 
dab fie zufammen gute Freunde wer: 
den würden, weil er hoffe, daß fie brav 
und aufmerkfan feien. Ein paar vers 
wahrloste, an Geftalt verfrüppelte und 
häßliche Kinder waren darunter, mit 
denen War er doppelt liebreih; er 
dachte, Joldhe Kinder feien darum in 
bejonderer Gefahr, falſch und ſchlecht 
zu werden, weil ſie von Allen zurück— 
geſtoßen und verhöhnt würden. Allen 
empfahl er, daß fie miteinander gute 
Kameradſchaft halten und zu ihm Ver— 
trauen haben follten ; ſtets heiter fein 
und ohne Hinterhalt, das habe er gern 
und jo folle es eine frohe Zeit wer: 
den, die fie miteinander zu verleben 
hätten. 

Der erſte Schultag gieng ziemlich 
glatt ab, und obziwar Einige im Hinz 
tergeumd der Stube ihre Mätchen 
machten, kehrte die junge Gefellichait 
doch ihre Mohlgefinnung hervor, jo 
gut es angieng. In den nächften Ta— 
gen wurde das Benehmen in der Claſſe 
bedeutend ungezwungener und nad 
einer Mode nahm es bie und da eine 
bedenkliche Form an. Der Lehrer rügte, 
da gab es gedrehte Nafen. Eines ver— 
ichergte das Andere und wenn er 
dann dem Kläger wie den Berklagten 
„binausftehen“ ließ, fo ſchnitten fie 
hinter feinem Rücken derartige Ge— 
fihter, daß die ganze Claſſe vor Ge— 
lächter aus Nand und Band zu gehen 
drohte. Der Lehrer hatte es anfangs 
wie die Schlangenbändiger verfucht, 


fie mit ſtrengem, gewaltigem Blid zu 
bändigen; das wer nichts, fein Auge 
war fo fanft und flehte, wo es drohen 
wollte. Vor Boshaften warnte er die 
Uebrigen, ftellte Beifpiele auf, wie die 
Bosheit beftraft wird und drohte den 
Schlimmen, den Verkehr mit ihnen 
abzubrehen. Es war nichts ; jie fühlten 
ſich um fo wohler, daß fie dann gewiſſer— 
maßen außerhalb des Kreiſes ftanden, 
in welchem es fo viel Zwang und 
Rückſichtsnahme gab. Die Braven und 
Fleißigen ftellte er als Muſter auf, 
gieng mit ihmen fpazieren, erzählte 
ihnen aus dem Naturleben, ergößte ie 
duch Märchen, bejchentte fie mit ges 
preßten Pflanzen, felteneren Steinen, 
präparierten Schmetterlingen und ſtä— 
fern. Es war nichts. Die Bevorzugten 
ſchauten hochmüthig auf die Andern 
und diefe Anderen jpotteten ihrer und 
fuchten ihnen allerhand Tückiſches an 
zuthun. Beſonders das Schakal war 
erfinderiich im Neden und in Bös— 
artigfeiten gegen die Mitjchüler und 
den Lehrer. Das Schalal, das war 
der Sohn des Dorfkaufmanns Berger, 
der ſich gern auf einen Großhändler 
hinausfpielte, feinen Namen Berge 
ſchrieb und wie Berfchee ausſprach 
und fein Söhnlein Jakob: Jacques 
nannte. Aus Jacques ward im traue 
ten häuslichen Verkehr ein Schaferl 
und in der Schule ein Schafal. Das 
„Schakal“ vergalt der Junge zehnfach 
durh Tücke und Bosheit, aber aud, 
wenn der Lehrer mit ruhigen Exnfte 
ihn Jakob nannte, wars ihm nicht 
recht und wo er zur Vergeltung einen 
Zintenfleds anbringen, einen $leider- 
zipf in die Thür Hemmen, einen Stoß 
verjegen, einem Mädel die Haare zer— 
zaufen, einen Schimpf jagen konnte, 
da that er's. 

„Jakob!“ ſprach der Lehrer ein— 
mal zu dieſem Knaben, „es thut mir 
leid. Nicht darum, daß Du mich be— 
trübſt, ſondern darum, daß Du Dir 
ſchadeſt. Alles ftrebt dem Wohlergehen 
zu; der Weg, den Dur einfchlägft, führt 
Dich weit davon,“ 


„Dungerleider!* kreiſchte ihm der Auch um die Lehrerin Hatte ſich 
Junge nad, „iß mehr und predige) Tegner nicht viel gekümmert; jie war 
weniger, jchlägt Dir befjer an. Auch | gar jung und munter und er hielt fie 
meine Mutter ſagts!“ für ein findifches Ding. Bei der Ban— 

Seine Mutter, die Frau Kaufe dellramerin wurde einmal über die 
männin Berge ud bald darauf den, Farbe ihrer Augen geftritten; der 
Herrn Lehrer zu Tiſche ein. Er fchrieb Commis des Kaufmanns Berge bes 
ein nicht ganz harmloſes Abfagebrief- hauptete, fie habe blaue Augen, der 
hen, zerriß es aber wieder. Nicht der! Bahnbeamte verficherte, fie wären nuß— 
Hunger hieß e3 ihm zerreißen, fondern | braun; der Kaplan follte entjcheiden, 
das Beftreben, in Frieden und Freund- der fragte entgegen, was ihn die Augen 
ſchaft mit den Leuten feines Ortes zu der Lehrerin angiengen? Stand auf 
leben. Es mundete ihm aber micht | und verließ die Sefeflichaft. Der Unter= 
recht beim Staufınann, fo föftlich die! lehrer wurte, daß Fräulein Wallner 
Mahlzeit auch war. Die Frau Kauf- | lichtblondes Haar, rotde Wangen und 
männin verficherte ihın bei der Suppe milchweike Zähne Hatte, mehr wußte 
und bei den Forellen und beim Bras | er nicht. Die Urfache diefer allgemei— 
ten und beim Pudding und noch beim | nen Unwiſſenheit mochte jein, daß die 
ihwarzen Kaffee, dab ihr Jaques ein) Lehrerin ftets Angengläfer trug und 
überaus lieber, herziger, genialer und fich Steiner rühmen konnte, ihre Augen 
bortreffliher Junge fei. Und der vor= ohne dieſe Waffe gejehen zu haben. 
trefflihe Junge blickte triumphierend Die Folge des Geſpräches war aber, 
auf den Lehrer und zertaute dabei den dal Tegner dem Fräulein demnächſt 
Zipfel des Tiſchtuches. etwas ſchärfer in die Augen jchaute. 
Sie hielt das für einen vorwurfs— 
vollen Blid und meinte, er fei mit 
ihrem Unterricht nicht zufrieden. 

Bei einer nächſten Gelegenheit, als 

Albin Tegners Natur war eine nach der Schule der Lehrer und die 
gelellige und er hatte fich noch bejonz | Lehrerin an der Thür ftonden und 
ders dorgenommen, mit feinen Dorf- den dDavonjohlenden Kindern nachblid: 
genoffen in Freud’ und Leid gemein= ten, fagte fie: „Es ift ein Unglüd, ein 
ſame Sahe zu machen. Nun fehlte Weib zu fein befonders für einen 
ihm aber die Neigung ‚dazu, ſein Ge- Schulmeilter.” Bei den Mädchen, 
müth war jo plößlich und fat gewalt= meinte fie, gienge es noch, aber die 
fan abgekühlt worden. Auch mit dem Knaben! Dann erzählte fie, wie fie dem 
ganz verbanerten Oberlehrer war fein | gelbhaarigen Jungen dort heute eine 
näherer Verkehr möglich, weil die Be- Strafaufgabe, die er zu Daufe hätte 
rübrungspuntte fehlten. Wenn ihm der | Schreiben follen, abverlangt habe. Der 
ältlihe Herr fo nebenhin doch ein- Junge Hätte fich, die Hände in den 
mal Wort gab über Peltalozzi oder) Tajchen und ein Liedel pfeifend, vor 
Diefterweg oder einen andern Pada⸗- ſie hingeſtellt und nach Schluß des 
gogen, jo geſchah es, um den Unters Liedels gelagt, die Aufgabe mache er 
lehrer willfährig zu machen für Laub- nicht. So wirft du über Mittag in 
ſammeln, Brennbolzichneiden oder an- der Schule bleiben, Habe fie gelagt, 
dere häusliche Verrichtungen. „Wenn und das jeden Tag, bis du die Strafe 
der Herr Lehrer jo gut ift, eripart aufgabe geleiftet haft. Daranf hätte 
man den theuren Hausknecht!“ Die ihr der Knabe ins Geficht gejagt, dab 
Leute waren auch erkenntlich und luden — weiter erzählte die Lehrerin nicht, 
ihn manchmal zu einer Fiſolenſuppe es verſagte ihr die Stimme; raſch 
oder zu gedünfteten Aepfelipalten ein. | wendete fie fih ab; Tegner ſah es 











266 


aber doch, wie fie fich mit einem Tuch 
über die Augen fuhr. 


Er wollte ſich nicht weiter um das 
Anliegen der Lehrerin kümmern; da 
hat Jedes jelber zu ſehen, wie es mit 
feiner Claſſe fertig wird. In der näch— 
ften Nacht, im Tranme jah er das 
Mädchen Hinter dem Schulhaufe am 
Birnbaum lehnen und bitterlich wei— 
nen. Sie jehluchzte jo jehr, daß auch 
ihm wehe ward ums Herz, und als 
er darauf erwachte, waren feine Wan— 
gen thränenfeucht. 


Der nächte Tag war ein Sonn— 
tag. Als Tegner anf einem Spaziers 
gang am Haufe des Schuhmachers Gol- 
linger vorübergehen follte, fiel es ihm 
ein, ob es nicht am Ende doch die Sitte 
verlange, daß er bei feiner Goflegin, 
die hier wohnte, einmal einen Beſuch 
mache. Er trat ein. Fräulein Wallner 
war zu Hauſe; ihre Sonntagsfeicr bes 
ftand im Durcharbeiten der Schulhefte, 
wobei fie mehrmals wehmüthig auf 
Scheffels „Ekkehard“ blidte, der auf 
dem Tische lag und Für den fie auch 
an dieſem Tage feine Zeit finden 
fonnte. Als Herr Tegner eintrat, ſchob 


fie freilich die blauen Hefte von Sich | 


und bot ihm ihr gegenüber einen Plab 
an. Es war tranli da. Ein fonniges 
Zimmerchen mit ſchneeweißen Vorhän— 
gen. Alles einfach aber ordentlich, und 
an den lichtgemalten Wänden biengen 
Stupferftiche zu Dichtungen von Goethe 
und Shalespeare. 


„Sie haben fogar einen Ofen!“ 
bemerkte Tegner mit einem wehmüthig 
Inftigen Gejicht. Sie blidte ihn fra— 
gend an. „Ich habe nur einen Schorn= 
jtein,“ fuhr er fort, „und der bringt 
mir manchmal, wenn es recht frojtig 
ist, ein wenig Nauch aus dem Ofen 
des Herrn Oberlehrers herauf, damit 
ih auch etwas vom Teuer habe. Ach 
pflege meine Gorrecturen im Schul— 
zimmer zu machen, wo wenigſtens auch 
nach der Schule, wenn ſchon der Ofen 
falt ift, die thierifche Wärme der Kin— 
der eine Weile vorhält.“ 


„sa wohl,“ verjegte jebt Fräulein 
Wallner feufzend, „die Kinder machen 
Einem freilih warm.“ 

Jetzt fagte der junge Lehrer: „Mich 
beichäftigt immer noch eine Andentung, 
die Sie geftern gemacht. Der gelb» 
haarige Junge — id möchte doch 
willen —“ 

„Sie follen es willen,“ fagte das 
Fräulein. „ALS ich dem Knaben drohte, 
bei mir über Mittag in der Schule 
zu bleiben, gab er mir zur Antwort: 
Behalten Sie fih lieber Ihren States 
heten über Mittag in der Schule, 
läßt mein Vater jagen, ich wäre noch 
klein.“ 

„Iſt das möglich!“ ſagte Tegner 
und ftand von ſeinem Sitze auf. 

Die Lehrerin eilte an die Zimmer— 
ede, als ob fie dort etwas zu Schaffen 
hätte, und Hub fo heftig zu Schluchzen 
an, daß ihr ganzer Leib erbebte. Jetzt 
war es um ihn gefchehen. Er trat zu 
ihr Hin, berührte ftreichelnd ihre Schul— 
ter, ihr Daupt und Sprach ihr mit 
innigen Worten Beruhigung zu. 

„Es ift eine jo niederträchtige 
Verleumdung!“ ſchluchzte fie, indem 
er fie wieder zurüd an ihr Tiſchchen 
führte. „Ih bin etwas über ein Jahr 
in Oberarh und babe als junges 
Mädchen auf das Aengſtlichſte Alles 
bermieden, was nur den geringiten 
Anlaß zu Schiefen Deutungen und 
Tratih geben könnte. Es iſt nicht 
möglich, man entgeht dieſem Geſchicke 
nicht. Ein Mädchen in meinem Alter 
ſollte nicht in die fremde Welt hinaus— 
geſtoßen, nicht in eine öffentliche Stel— 
lung gedrängt werden, wo ſie mit 
allerlei Leuten zu verkehren hat. Ab— 
hängig von der Oberſchulbehörde, die 
uns ftrenge Geſetze und Pflichten vor— 
Ichreibt, abhängig von dem Ortsſchul— 
vath, der uns in der Erfüllung un— 
ſerer Amtspflichten allerlei Hinderniſſe 
in den Weg legt; abhängig von der 
Geiſtlichkeit, die eiferſüchtig auf uns, 
unſer Wirken oft zu discreditieren ſucht; 
abhängig von der Bevölkerung, deren 
unberechenbarer Willkür wir unterwor— 


TE 


fen find, follen wir rauen uns Res | Herrn befommen wir fobald nicht 
fpect verjchaffen und das Volk erziehen. | wieder,“ ſagten die Lente und be= 
Das ift nicht möglih. Dazu kommen | dachten nicht, daß ihre eigene Tratſch— 
andere Berhältniffe. Wir müſſen efjen | Jucht den Mann forttrieb, 

und bedürfen mandmal ein wenig| Fräulein Wallner hatte zum Glück 
Geſelligleit, wir find auf's Wirtshaus ihr Gefuch noch micht abgehen laffen ; 
angewiefen, müſſen uns den freien] jetzt durfte es keinesfalls geichehen, 
Zon des Wirtshaufes gefallen laſſen, fonft mitten die Läſterzungen jagen: 
fönnen es nicht hindern, wenn die, „Natürlich, weil der Herr Kaplan und 
Einen uns roh begegnen, die Anderen | galante Katechet nicht mehr in Ober: 
uns mit zweidentigen Aufmerkfans ar ift, mag das Fräulein Lehrerin 





j 


feiten verfolgen; unwillkürlich wird auch nicht länger bleiben. Natürlich!“ 


man im einen Kreis gezogen, in dem 
wir ſelbſt 2. harmlos und — — es J 
Regen, um en aber" bald DIE] nenn es gar zu wundehaglich wurde 


i bie| 
Me in feiner Wohnung und nur der blafie 
Widerſchein der winterliden Schnee= 


ihres Amtes zu walten. Ich ſpreche 


von Verſuchungen und wirklichen Ge— 
fahren nicht .. ..“ 

Sie brach ab. 

„Wie jehr ich Sie verftehe!” ſagte 
Tegner und legte feine Dand auf 
ihren Arm, weil er nicht wagte, damit 
ihre weiße Rechte zu berühren. Er 
zitterte faſt. 

„Ich ließ mich,“ fuhr Fräulein 
Wallner fort, „vom Abendbrot im 
Wirtshauſe ſtets durch eine Magd 
nah Hauſe begleiten. Daß ſich uns 
etliche Male der Herr Kaplan anſchloß, 
der diejelbe Richtung zu gehen hatte.... 
Uebrigens fchreibe ich heute das Geſuch 
um Verſetzung auf einen anderen 


Poſten.“ 


! 
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„Sie wollen fort!“ rief Tegner. 


„Sie müſſen mir verzeihen, Herr 
Goflege, daß ich vertranensfelig ges 
worden bin,“ ſagte fie, dann jehte fie 
aber ganz undermittelt bei: „Hier 
fühle ich mich überall von Feinden 
umſpäht.“ 

Der junge Mann verſtand den 
Wink und empfahl ſich. Im 
Stube zurückgekehrt, war es heute dort 
doppelt düfter und froftig. 


Die nächte Neuigkeit des Dorfes 
war, daß der Kaplan verfegt werde. 
„Einen jo menjchenfreundlichen, braven 


i 


feine, 


| 


dächer zum Fenſter hereinfiel, war es 
ihm, als müfje er ein wärmeres Stüb— 
hen und eine traute Gejellichaft ſuchen. 
Er bezwang ſich lange, aber endlich 
‚bezwang er fi nicht mehr. 
| Am ECHriftabend war's. Fräulein 
Wallner war daran gewejen, iiber die 
| Feiertage ihre Tante in der Stadt — 
‚die einzige lebende Berwandte — zu 
befuchen. Nun Hatte ihr am lebten 
Tage die Tante gefchrieben, daß fie 
mit ihrem Manne einen Ausflug nach 
‚dem Süden mache und die liebe Nichte 
verfchieben wolle. Tegner dachte au 
die getäufchte Freude feiner Collegin 
und an die Einfamfeit, die fie nun 
empfinden mußte, während Alles der 
fejtlihen Gefelligkeit zuftrebe. Das 
Mitleid mit ihr und fein eigener 
Hang zu einem Weſen, das wie er 
die Leiden eines hohen Berufes trägt, 
das wie er einfam und verlaflen ilt, 
führte ihn zu ihr. 

Er wollte fie eigentlih nur ab» 
holen zum Abendmahl bei der Bandel— 
framerin, aber er blieb im ftillen 
Zimmerdhen bei ihr länger ſitzen 
‚als er fi vorgenommen. Der kurze 
ſchneiende Wintertag war allmählich 
in Dämmerung übergegangen, die 
Dämmerung in Dunkelheit und ſie 
nahmen es nicht wahr, daß ihnen fein 





anderes Licht leuchtete als der Schein 
der Straßenlaterne, welcher durch das 
Tenfter auf die gegenüberftehende Wand 
eine verfchobene Tafel goB. 


Am nähften Schultage führte in 
der dritten Glaffe ein Mädchen Die 
Klage, daß ihr Nachbar in der rück— 
wärtigen Bank fie mit dem Federſtiel 
am Naden Eile. Der Lehrer jchritt, 
das offene Lefebuch in der Hand, zwi— 
ichen den Bänfen auf und ab und 
verwies dem Schakerl — denn das 
war der nedifche Nachbar — fein 
ungebührliches Betragen. Da fredte 
das „Schalal“ dem Lehrer höhnend | 
die Zunge heraus. Durch einen une | 
glüdlihen Seitenblid ſah es Tegner, 
ein raſcher Schritt und fein Buch 
Happte auf das Hinterhaupt des 
Knaben. 

Jetzt gieng das Geheul los. . „Er 
hat mich geſchlagen!“ zeterte der 
Junge und den Kopf zwiſchen den 
Händen lief er davon, durch das Dorf 
in alle Winde ſchreiend: „Der Lehrer 
hat mich geſchlagen!“ und nach Hauſe, 
wo er eine fürchterliche Revolution 
anrichtete. 

Am letzten Tage des Jahres ſaßen 
der junge Lehrer und die junge Lehre— 
rin wieder beiſammen im trauten 
Zimmer und verſprachen ſich treues 








gemeinſam tragen; die ſüße, gewaltige 
Liebe, die in ihren Herzen entbrannt 
war, gab ihnen auch wieder die Liebe 
zu den Kindern, zur Welt; voll Zu— 
verjicht leuchteten ihre Augen; voll 
Muth ſchlugen ihre Herzen. 

Nun ſtaäand ihnen aber noch zum 
Jahresſchluß eine miedliche Ueber— 
raſchung bevor. Zuerſt flopfte es höf— 
ih an der Thür, dann kam der Ge— 
richtsdiener zum Vorfchein und brachte 
die VBorladung zur Gerichtsverhande 
lung am 7. Januar des neuen Jahres. 
Albin Tegner war angeklagt des Ber: 
brechens der Gewaltthätigkeit, begangen 
an dem Schultinde Jakob Berge. Ich 
will die bitteren Empfindungen nicht 
zu fchildern fuchen, die das Gemüth 
des Lehrers in den nächſten Tagen 
peinigten. Seine Braut war unermüd— 
li, ihn zu verjichern, daß er freiges 
Iprochen werde, freigelprochen werden 


müſſe. Ein Slappschen mit dem offe— 


nem Schulbüclein und in einem 
Augenblid, wo der Junge zur höchiten 
Empörung herausforderte! Nicht die 
geringfte Spur einer Verlegung. Aber 
der Knabe hatte nach eigenem Ge— 
ftändniffe feit dem Klapps die fürch— 
terlichiten Stopfichmerzen, feine Eltern 
beftätigten es, der Dausarzt befchei= 
nigte es und der Staatsanwalt rief: 
Das Gefeh verbietet dem Lehrer kör— 
perliche Züchtigung. Der Schlag auf 
das Haupt war aber feine Züchtigung, 


Zufammenhalten fürs ganze Leben. ſondern ein Act der Rache! Meine Derren 


Lange wollten fie den Oberarchern das 
Pikante eines bräntlichen Liebesverhält- 
niſſes nicht gönnen, am Tage mac 
Heilige DreisKönig Jollte die Trauung 
fein. Es war ja auch ungemein ein= 
fach. Sie hatten ſich lieb, Ehehinder- 
niſſe lagen nicht dor, der Gehalt der 
Beiden zufammengethan reichte auf 
einen ganz einfachen Haushalt. Wie 
hätten fie es vor wenigen Wochen noch 
ahnen können, daß Sie fo glüdjeliger 
Stimmung voll in das neue Jahr 
follten hinübertreten! In neuem freund— 
lichem Lichte erfchien ihmen wieder ihr 
ſchwerer Beruf, jetzt jollten fie ihn ja 


Richter! Wenn Sie das Geſetz nicht 
refpectieren, fo beichwören Sie über 
Ihre eigenen unfchuldigen Kinder große 
Gefahren herauf! fie jollen ungeltraft 
mißhandelt werden dürfen? — An 
demfelben Tage, an welchem tem Lehrer 
Albin Tegner das junge Weib ange— 
traut wurde, verurtheilte ihn das Ge— 
richt zu achtundvierzig Stunden Arreft. 

Tegner war ftets ein entjchiedener 
Gegner der förperlihen Züchtigung 
von Seite des Lehrers gewefen. Er 
gab nun dem Staatsanwalt nicht Un— 
recht, wenn diejer jagte, das, was er 
gethan, Habe gar feine Züchtigung fein 


269 


wollen, fondern nur ein natürlicher |archer ihren Lehrer mir nichts, dir 
Ausbruch des Zornes. Tegner war der nichts einfperren ließen! Das gibt’3 


Meinung, daß die förperliche Züchti— 
gung nicht ganz zu entrathen fei, daß 
fie wohl auf Verlangen, aber nicht 
von der Hand des Lehrers, ſondern 
etwa dom Schulfneht auf Beſchluß 
und unter Gegenwart des Ortsſchul— 
rathes zu geichehen habe. Wenn der 
Lehrer Mittel bat, das bösgeartete 
Kind im folcher Weife der verdienten 
Strafe zu überantworten, jo wird er 
ſich perfönlich beherrichen. 

Die Fran Kaufmännin jubelte und 
trug Sorge, daß dem Lehrer das 
Urtheil unmittelbar nach der Trauung 
zugeftellt wurde. Tegner war im eriten 
Angenblid tief niedergeichlagen, er 
genoß nichts von dem Keinen Mable, 
mit twelchen die Bandelframerin das 
Brantpaar bewirten wollte. Sein jun 
ges Weib meinte ſich die Augen roth. 
Plöglih erhob ſich Tegner und fagte: 
„Sei munter, Julie! Diefer Arreſt ift 
mir die Ansgangspforte. Wir wenden 
uns einem andern Beruf zu, der nicht 
jo enge an den Gerichtsfaal ſtößt.“ 

Seht kam der Reilingbauer, 
auf feinen breiten Schultern die Ob— 
mannswürde des Ortsſchulrathes trug. 
63 war derfelbe, bei welchen Tegner 
fih am Tage feiner Ankunft vorgeftellt 
hatte. Er trug heute das Feiertags— 
gewand, beglückwünſchte das Braut— 
paar aber nur jo nebenbei. „Da hat Er 
was Sauberes angefangen!“ fchnarrte 


der Mann dann dem Unterlehrer zu, „da | 


hat Er eine rechte Dummheit gemacht!“ 


Daß der Bauer nicht das Heiraten | 


meinte, ward erſt bei den nächſten 
Worten Har. „Wenn Er diefen nichts« 


der Herr Obmann fort, „To foll Er's 
thun, daß es eine Art hat. 
die Füß' nehmen und einen dreidop— 


der, 





1 
) 





nicht. Wir werden ſchon Zeugenjchaft 
finden, die es jagen, was dem jungen 
Heren Scaferl gehört! Wir nehmen 
einen Doctor auf. Herr Tegner! Luftig 
fein! Von dem Sprud’, den Ihm der 
Herr Pfarrer heut’ gefällt hat, kann 
er nicht mehr freigeiprochen werden. 
Das nicht. Aber vom heutigen Ge— 
richtsurtheil wird Er freigeſprochen. 
Ich hab's gefagt. So, und jet wünſch' 
ih gute Nacht!” 

Ein wenig proßig, aber das Herz 
auf dem rechten Fleck! 

Tegner fagte einftweilen nichts 
mehr davon, einen andern Beruf zu 
wählen und von Oberarch fortzuziehen. 
Nah vier Wohen mar die Appells 
verhandlung. Tegner wurde freiges 
Iproden und an deinjelben Abende 
bradten ihm die Mulitanten von 
Oberarch ein Ständen. Die Frau 
Kanfmännin Berge Schloß die Feniter- 
läden; wahrscheinlich litt ihr liebes 
Söhnlein noch immer jo fehr an Kopf- 
Schmerz, daß es feinen Trommel- und 
Trompetenschall vertragen konnte. 

Der Sturm war vorüber. Ereig— 
nislos gieng nun das Leben unſerer 
Lehrerslente Hin. Mit firenger Pflicht: 
treue übten fie ihren Beruf, die Be— 
Schwerden und Kümmerniſſe desfelben 
mit Geduld ertragend. Das gieng in 
niüchterner Arbeit jo alltäglih dahin 
und fie wußten es jelbft nicht, daß fie 
Großes wirkten. 

Später, als e3 dem alten Deren 
Oberlehrer nahegelegt worden war, daß 
er den wirtichaftlichen Zielen viel beſſer 


nachkommen fönne, wenn ex nach feiner 
nutzigen Schlingel ſchon Haut,“ fuhr 


Zwiſchen 


langen Dienſtzeit in den Ruheſtand 
trete, und als der Herr Oberlehrer den 
Wink auch verſtanden hatte und in 
Penſion trat, wurde Herr Tegner an 


pelten Schilling auf den Rücken, das ſeine Stelle geſetzt. Aber in die eigent— 


gehört ihm! 


Sept fit Er in der) ‚lichen Fußftapfen feines Borgängers 


Schlamaß’ und wir werden zu thun trat Tegner nicht; obzwar auch er die 
haben, daß wir Ihn herauskriegen. | Meine zum Schulhaufe gehörige Land- 
Für's Erſt' melden wir die Berufung | wirtichaft verwaltete, jo befaßte er ſich 


an. 


Das wär’ fauber, daß die Ober: immer noch mehr mit der Kinder- als 





270 





mit der Viehzucht. 
Mirthichaft zu einer Art von Verſuchs— 
hof, in welchem er im feinen freien 
Stunden die Schüler mit landwirt— 
ichaftlihen Wortheilen vertraut zu 
machen fuchte. 

Mas die Züchtigung der Schul— 
finder anbelangt, fo Hatte der Ober- 


archer Ortsſchulrath eine eigenmädhtige 


Verfügung getroffen. Wenn ein Kind 
etwas wirklich Schlimmes angeftellt, fo | 
hatte es der Oberlehrer dem Orts— 
ſchulrathe zu melden und diejer mußte 
die Körperſtrafe beftimmen und in 
Gegenwart der Eltern oder deren Stell: 
vertreter ausführen laffen. Zu diefer 
Maßregel kam's aber äußerst felten. 
Das öffentliche Gericht war felbft den 
wildelten Jungen zu ſchreclich und im 
Hinblid darauf herrſchte in der Säule 
Zucht und Ordnung. Zwiſchen Lehrer 


Er nüßte ſeine und Schüler Hatle ein warmes Ver— 


hältnis plaßgegriffen; die Sinder 
ſchloſſen ſich auch außerhalb der Lehr» 
ftunden gerne dem Lehrer an, und die 
jpäter aus der Schule getretene Ju— 
gend blieb in guter Freundfchaft dem 
Schulhauſe zugethan. 

Die Jdeale des Jünglings, als er 
aus den Studien in's Leben getreten, 
| waren überſchwänglich geweſen, ſo über— 
ſchwänglich, daß jenem alten Schul— 
manne auf der Eiſenbahn das Herz 
geblutet hatte in Anbetracht der Ent— 
tänfchungen, die den jungen Mann er— 
‚warten mußten. Und doc) ſcheinen jene 
‚Ideale ſachte in Erfüllung gehen zu 
‚wollen. &3 find eben nicht bloße Ideale. 
In ihnen liegt aud die Kraft des 
‚reinen, liebreihen und opferfreudigen 
‚Herzens. Und diefe Kraft vermag viel. 





Der Menſch in den Alpen. 


Bon Dr, Triedrich Amlauft.*) 





2) gehört den drei europälfchen 
Dauptnationen, den Deutſchen, Ro— 


manen und Slaven, an, und da ſich 


die Romanen in den Alpen wieder | 
in Franzofen und Italiener jcheiden, 
jo gibt es hier vier Hauptnationalitäten, 
deren jede ſich im zahlreiche Unter: 
abtheilungen und Scattierungen mit 
einer unglaublichen Menge von Munde 
arten gliedert. Die Betrachtung der 
die Alpen heute bewohnenden Natio— 
nalitäten läßt wohl die Trage aufs 





*) Aus defjen neuem höchſt empfehlenswerten Werle; 


Nie Bevölferung im den Alpen 


tauchen, zu welcher Zeit fi Diele 
Stämme in dem großartigen Gebirgs- 
walle Mitteleuropas ſeßhaft gemacht 
haben. Ueber die ältefte Bewohner» 
Ichaft geben die in den dürren Some 
mern der Jahre 1853 und 1854 zuerft 
in den Ichweizerifchen, ſpäter auch in 
den oberitalifchen, bayerifchen und 
Öfterreihifchen Seen entdedten Reſte 
der Pfahlbauten dürftigen Aufſchluß. 
Man vermuthet, daß ihre Erbauer 
keltiſcher oder vielleicht finnifcher Ab— 
kunft gewefen. An der Südſeite des 








„Die Alpen“. Handbud 


der gefammten Alpenfunde, (Wien, Hartleben, 1886.) 


Dochgebirges, im Stromgebiete des 
Padus (Po) bis weit nach Italien 
hinein wohnten aber in der älteſten 
Zeit die Rhätier oder Nhäter, die 
vielleicht mit den Etrusfern ſtamm— 
verwandt waren. Bon den aus den 
Nordweſten, namentlich am Rhone, ein— 
dringenden Stelten oder Galliern an— 
gegriffen und größtentheils aus ihrem 
Befige verdrängt, zogen ſie fich von 
den fruchtbaren Po-Niederungen nad 
dem unwirthlichen Gebirgslande zurüd 


71 


der Bölferwanderung hatten den Sid» 
abfall der Alpen die germanischen, 
aber bald romanisch gewordenen Longo— 
barden inne, den Weftabhang die jpäter 
ebenfall3 romanifirten Burgunder, den 


bietes die Alemannen oder Schwaben. 
Neben ihnen Hielt ſich mit Deutjchen 
vermischt noch ein Reit Halb römiſch 
gewordener Rhäter im heutigen Graue 
bünden und Vintſchgau. Im heutigen 
Tiroler Gebirge und auf der Hochebene 


und behaupteten fich im dem Gebiete zur Donau zwiſchen Leh und Enns 


zwiſchen St. Gotthard und Großglodner | 
nördlich bis zum WBodenfee und der 
Leechquelle. Die Selten hingegen be- 
fegten die füdlichen Alpenthäler und 
ganz Oberitalien. 
Herrſchaft immer weiter auf der Apen— 
ninen=Halbinjel ansbreitete, wurden 
auch die padanifchen Stelten unter: 
worfen, ſpäter die Alpen überschritten 
und die Gebiete der jenfeits des Haupt— 
fanımes wohnenden Gallier, unter diefen 


= Theil des hochrheinifchen Ge— 





Alemannen 
Doch als ſich Roms bis heute rein deutſch oder haben ſich 





ſaßen mehrere Ueberreſte durchgezogener 
Dentſchen und vereinten ſich zu einem 
Volle, den Bayern. 

und Bayern blieben 


wie die Deutjchtiroler die 
fremden Volkselemente, Nhätoromanen 
und Slaven, affimilirt. Am Oſtab— 
hange der Alpen, an der Drau und 
Save, Hatten fih nämlich ſlaviſche 
Völkerſchaften, die Wenden, vorgedrängt, 


auch die Helvetier in der heutigen | wurden aber von den Dentjchen, da 
Schweiz, dann das öftliche Gebirgsland | diefe Länder an deutjche Fürften kamen, 
unter dem Namen der Provinzen Rhä- | zulegt überwunden, jo daß das fla= 
tien, Noricum umd zum Theile auch viſche Gebiet auch im Often heute ein 
Pannonien, dem römischen Weltreiche | befchränktes ift. Die Ortsnamen zeigen 


einverleibt. Dies geichah furz vor und 
nah Chriſti Geburt. Die Römer bes 
gründeten mun an den Flüſſen feſte 
Lagerpläge für ihre Legionen, welche 
ih bald zu Städten ausbildeten, 


führten Heerftraßen über das Gebirge 
und gewannen die Alpenländer römischer, 


Cultur. Aber die von Norden her bis 


an die Donau vorgedrumgenen Gerz 


manen jeßten hier den weiteren Erz 
oberungsgelüften der Römer eine Grenze, 
und als das Gäfarenreich durch wach— 
ſende Anarchie immer mehr verfiel, über- 


Ihritten die erfteren die Donau, ja fie 


noch deutlich, wie viel in den Alpen 
einft von Nhätoromanen und Wenden 
befeßt gewefen. Das mächtigſte unter 
den deutichen Völkern, die ſich in’s 
Nömerreich getheilt, wurden die Franken. 
Sie eroberten das römische Gallien, 
machten die Burgunder und Longo— 
barden abhängig, unterwarfen alle 
Stämme Deutfchlands, fo daß ihr 
König Karl der Große als römifcher 
Kailer nm das Jahr 800 auch das 
ganze Wlpengebiet beherrfchte. Als 
unter feinen Nachlommen 843 das 
große Reich zerfich, gehörten von nun 





| 





zerjtörten 476 v. Chr. gar da3 weit: an die Ojftalpen und der öftliche Theil 
römische Reich und wurden jo auch, der Gentralalpen zum deutfchen Reiche, 
Herren im den Alpen. Dieſe fahen in das feine Herrſchaft auch über Italien 
den nun folgenden jchredlichen Zeiten ausdehnte. Burgund blieb als are— 
der Böllerwanderung (375 — 573) die latiſches Reich bis 1034 ſelbſtändig, 
verſchiedenſten Völker auf ihrem Durch | zu welcher Zeit es unter Konrad II. 
zuge, bis endlich wieder dauernde Vers | dem Salier an Deutfchland kam. In 
hältniffe herbeigeführt wurden. Nach | der Folge trennten jich die romaniſchen 


272 


Theile Burgunds von den alemannijchen; 
jene (die Länder am Rhone, an der 
Saone und Yfere) fielen Frankreich 
zu, während diefe (dev Haupttheil der 
Schweiz) no bis zum Schluffe des 
Mittelalters beim deutſchen 
blieben. Der Grund zur fchweizerijchen 
Eidgenoſſenſchaft ward zu Beginn des 
14. Jahrhundert gelegt, aber exit 
1648 fand fie im weftfälifchen Frieden 
als eigene ftaatliche Gemeinschaft förm— 
liche Anerkennung. Die öftlichen Alpen 
gebiete blieben fortwährend dem deut: 
schen Reiche, ſo lange diefes beitand 
(bis 1806), unterthan. Die verichie- 
denen Heineren Herrſchaften wurden 
durch das Haus DOefterreich zu einem 
geichloffenen Ländercomplere vereinigt, 
der äußerſte Norden war und blieb 
bayeriſch. Die italifchen Alpen waren 
jeit langen Jahrhunderten unter die 
Handelsrepubliken Genua und Venedig, 
jowie das deutjche Reich getheilt, bis 
Mailand felbftändig wurde. 

Mahgebend für die ZTerritorials 
verhältniffe in den Alpen waren die 
Beſtimmungen des Wiener Congrejjes 
vom Jahre 1815, welchen die Umwäl— 
zungsperiode der Napoleoniichen Ge: 
waltherrichaft veranlaht Hatte. Der 
neue Kaiſerſtaat Defterreich behielt 
nicht bloß die vormaligen öfterreichiichen 
Alpenländer, ſondern wurde definitiv 
durch das Erzbisthum Salzburg und 
das lombardijch- venetianische Königreich 
vermehrt, das fih im Norden an die 
Alpen anlehnt. Unglüdliche Kriegs: 
ereigniffe riefen jedoch 1859 den Ver— 
Iuft der Lombardei, 1866 den Vene— 
tiens herbei, die beide an das junge 
erftandene Königreich Italien kamen ; 
für geleiftete eDiüfe wurden von leteren 
Nizza und Savoyen in den Meftalpen 
an Frankreich abgetreten. 

Somit haben heute folgende Stans 
ten an dem era Alpen 
gebiete Antheil: Frankreich mit 
Nizza, der — der Dauphiné 
und Savoyen; von Frankreich einge | 
ſchloſſen das Heine Fürftentbum Monaco 
an der Riviera; 2. die Schweiz mit 


Reiche | 


den Gantonen Genf, Wallis, Freiburg, 
Bern, Unterwalden, Uri, Schwyz, 
Glarus, Züri, Zug, Luzern, Thur— 
gau, St. Gallen, Teffin und raus 
bünden; 3. das Königreich Italien 
mit Genua, Piemont, Lombardei und 
Venetien; 4. das Heine Fürſtenthum 
Liechtenftein ; 5. Bayern mit Schwaben 
und Oberbayern, und 6. die öfter 
reihiih- ungarische Monarchie mit Tirol 
und Vorarlberg, Salzburg, Ober: und 
Niederöfterreich im Süden der Donau, 
Kärnten, Steiermark, dem nördlichen 
Krain, Görz und Gradisca, in den 
|Tehten Ausläufern auch mit Ungarn, 
Groatien und Stavonien. 

Wenn man die Geſammtbevölkerung 
des Alpenſyſtems auf etwa 7 bis 8 
Millionen annehmen fann, fo entfallen 
beiläufig je 3 bis 31, Millionen auf 
die Deutjchen und — 1 Million 
auf die Slaven. 

Suchen wir uns nun mit der Ver— 
theilung der verjchiedenen Nationalis 
täten im Alpengebiete näher bekannt 
zu machen, jo finden wir, daß die 
Deutichen den ganzen Nordtheil des 
Gebirges bewohnen, micht blo die 
nördlichen Vorlagen, jondern auch ein 
beträchtliches Gebiet der Uralpen, ja 
daß fie jelbit bis über den Südabhang 
der leßteren nah Süden hinausreichen. 
Sie ſcheiden ſich im die dialectifch ver— 
ihiedenen Schweizer, Tiroler, Salz— 
burger, Ober: und Niederöfterreicher, 
Steirer und Kärntner. Die dentiche 
Sprachgrenze in den Alpen geht ſüd— 
lich iiber die Waffericheide hinüber im 
Lysthal, wo fie bei Iſſime ihren ſüd— 
lichiten Punkt erreicht, und im Gebiete 
der Seſia-Zuflüſſe, dann am Tojathal 
im Pommat und in Gurin am der 
Meggia, dem einzigen deutſchen Dorfe 
im Teſſin, ferner im Etjchgebiete und 
bei Bladen im Piavegebiete und Tiſchel— 
|mang im Zagliamentogebiete. Ita— 
‚Tienifche Sprache greift über die Waſſer— 
Icheide herüber im Dal de Lei öſtlich 
dom Splügen in's Rheingebiet md 
‚bei Livigno im Gebiete des dem Inn 
zuftrömenden Spöl in's Donangebiet. 


273 


Dagegen bleibt die deutjche Sprach | werden häufig die Rhätoromanen, Chur— 


grenze erheblich von der Waſſerſcheide 
zurüd im Oberrheingebiete, im Engadin 


und im Grödner- und Godethal, wo 


ſich zwifchen ihre und dem Gebirgs— 
fanıme die Rhäloromanen erhalten 
haben. Bon Spradinjeln kommen in 
Betraht die Anfiedelungen in Grau— 
binden, Nachlommen der Alemannen, 
welde die fränfifchen Kailer zum 
Schutze der Alpenpäfje dort anlegten; 
dann die füdlih vom Monte Roſa, 
wo in Rimella fich die deutjche Natio- 
nalität außer Zufammenhang mit dem 
Neite der jeit dem 13. Jahrhundert 
aus dem Oberwallis eingedrungenen 
Goloniften erhalten hat. Dann haupt» 
fählih die Spradinfeln in Sübdtirol, 
im Nonsberg, im Fleimſer- und Fer— 
jinathal, wo die Bevölkerung bis auf 
geringe Reſte verwelicht ift, endlich in 
den beiden befannten Enclaven im 
italienifchen Gebiete, in den ſieben und 
dreizehn Gemeinden (sette und tre- 
Jici communi). 

Den Welten des Mipenterrains 
haben die Franzoſen inne, Genf, Lau— 
ſaune, Savoyen und das NRhonethal; 
auch ſie Sprechen verſchiedene Munde 
arten. Den eigenthümlichſten Diatect 
haben die Provençalen zwiſchen Bar, 
Nhone und Durance.. Won Unter: 
Wallis aus dringt das franzöſiſche 
Glement immer mehr in das deutfche 
Dber-Wallis vor; im Örenzgebiete 
zwifchen beiden Theilen wohnen Frans 


zofen und Deutfche gemischt. Yon den 


Franzoſen öſtlich und den Deutjchen 
im Süden benahbart wohnen die 
Aelpler itatienifcher Nationalität mit 
dem piemonteſiſchen, wmailändilchen, 
bergamaskiſchen, trientinifchen und 
frianlifchen Dialecte. Die frianliiche 
oder furlanifche Mundart ift vom eigent— 
lichen Italienisch am meiſten entfernt, 


da die Furlaner romanifierte Karner 


ind. Nordöftli von Monvifo wohnen 
die MWaldenfer. In Südtirol ift das 
Welſchthum im ftarfen Vorbringen 
gegenüber dem Deutſchthum begriffen. 


Den Jtalienern mit Unrecht zugezählt 


Rofegaer’s „„Geimanrten“‘, 4. Heft, XI. 


‚weljchen oder Ladiner, welche roma— 


uiſierte Rhäter find und im Engadin 
und im Münſterthal der Schweiz, ſo— 
wie als Oftladiner im Grödenerthal, 
Abteithal (Badioten) und Enneberg 
— wohnen. Den Südoſten der 
‚Alpen endlich erfüllen die Slaven; 
dieſe gehören den Südſlaven an und 
‚ind theils Winden oder Wenden, ges 
wöhnlich Slovenen genannt, im ſüd— 
öſtlichen Gebiete von Kärnten und 
Südſteiermark, in Krain und im Küſten— 
lande; theils Croaten, welche von den 
vorigen öſtlich wohnen. Die Chor— 
waten haben einen ſchmalen Strich öſt— 
lich von Graz zwiſchen Deutſchen und 
Magharen inne. In den öſtlichen 
Ausläufern der Alpen auf ungarischen 
Boden wohnen auch bereit3 Magyharen, 
‚doch ift Hier vom Charakter des Alpen 
bewohners ebenfo wenig zu finden, als 
das Bergland felbit noch Spuren der 
Alpenphyſiognomie bewahrt hat. 

Nachdem wir uns jo über die ver: 
‚Ichiedenen Nationalitäten im Alpen» 
gebiete orientiert haben, mag es ver— 
jucht fein, die Bewohner desfelben hin— 
fihtlih ihres Charakters und ihrer 
Beſchäftigung, ihrer Tracht und Woh— 
nung zu kennzeichnen. 

Das hohe Alpengebirge mit allen 
‚ihm  eigenthümlichen Erfcheinungen, 
‚welches auf jeine Bewohner, ihr Leben 
und Treiben einen beitimmenden Ein— 
fluß übt, gibt naturgemäß auch dem 
Menschen einen ſcharf ausgeprägten 
‚Gharatter. Unter fortwährenden Ge— 
fahren und mit größerer Kraftanſtren— 
gung als der Flachländer gewinnt der 
Aelpler fein färgliches Brot, die Mühe 
eines ganzen Jahres fieht er oft durch 
ein einziges Unwetter vernichtet, Die 
Straße bergauf und ab ift ihm durch 








‚die Thalfurche deutlich vorgezeichnet. 


Diezu kommt noch die Abgeichloffenheit 
der Thäler, die Unbelanntichaft mit 
der Außenwelt. Daraus erklären ſich 
die hervorftehenden Gharalterziige der 
AUlpenbewohner. Diefe find vor allem 
ein ſtreng confervativer Sinn, ein 


18 


274 


Feſthalten am Althergebrachten und 
Ueberlieferten, Liebe zur Heimat, Ans 
hänglichleit an den Herrſcher, Reli— 
giofität bis zum Aberglauben, Einfach— 
beit, Genügfamteit, Ausdauer, Kühne 
heit, Muth, Tapferkeit, welche oft in 
Raufluſt ausartet, Stärke, Gewandtheit, 
Erfindungsgeift. 

Wie aber in der Großftadt die 
Hauptftraßen als Hauptverfehrslinien 
das modernfte Leben weifen, während 
wir in dem entlegenen Seitengaflen oft 
noch altvergangene Zeiten vertreten 
finden, fo zeigen auch heute die Be— 
wohner der inmeren, vom Verkehr ab— 
ſeits gelegenen Alpenthäler zum großen 
Theile noch den oben gekennzeichneten 
Charakter; in den breiten, zur Ebene 
miündenden Thälern, welchen von der 
Natur des Hügel- und Flachlandes 
manche Seite zu Theil wurde, haben 
ſelbſtverſtändlich nie echte Aelpler ge— 
wohnt und ſelbſt die großen Haupt— 
thäler im inneren Gebirge, durch welche 
jetzt die großen Verkehrslinien ziehen, 
verlieren unter dem Alles nivellierenden 
Einfluſſe unſerer Zeit immer mehr von 
der Eigenart ihrer Bewohner. 

Da die Volksdichtigkeit zunächſt von 
der Ertragsfähigkeit des Bodens ab» 
hängt, ſo iſt erſtere in den verſchie— 
denen Alpenländern eine ſehr variable. 
Die hügeligen Borländer haben die 
größte relative Bevölkerung, die eigent- 
lihen Hochgebirgsländer die geringfte. 
Wohnen im Fchweizeriichen Ganton 
Appenzell (Außer: Rhoden) 199, in 
Zürich 184, im miederöfterreichiichen 
Alpenlande 57 Menfchen auf 1 Qua— 
drat:Stilometer, jo ſinkt die Dichte in 
Tirol auf 30, in Salzburg auf 23, 
in Uri auf 22, in Wallis auf 19, in 
Graubünden gar auf 13 Bewohner auf 
1 Quadrat: Stilometer herab. 

Mie die Zahl der Bewohner, jo 
hängt auch die Beschäftigung mit ihrer 
Deimat, der vielgeltaltigen Alpenwelt, 
zufammen. In den großen Haupt— 
thälern haben vielfach verichiedene In— 





Hauptftätten des Feld» und Garten- 
baues, die Viehzucht wird als Stall- 
wirthichaft betrieben. Mit dem Anitiege 
der ſchmäleren Thäler fteigen wie die 
menschlichen Wohnungen auch die Meder 
und Gärten böher hinan und dadurch 
erfährt auch die Arbeit des Menschen 
gewiſſe Modificationen. Dennoch weiſen 
Feld», Wein- und Gartenbau, Gewerbe- 
betrieb, Bergbau in den Alpen im Alle 
gemeinen fein eigenthümliches Gepräge 
auf, wenn auch der adernde Pflug 
felbft auf 1300 bis 1900 Meter hohen 
Bergeshalden geführt wird oder der 
Bergknappe mitunter in einer Höhe 
von 2600 Meter und darüber einfährt. 
Was dem nordifchen Flachländer in 
den füdlichen Alpen mitunter als fremd 
auffällt, das ift zumeiſt micht alpin, 
fondern vielmehr eben einer jüdlicheren 
Zone eigenthümlih. So wird 3. B. 
die Rebe in den nördlichen Alpenländern 
überall nach rheinifcher Methode Inapp 
am Boden gezogen ; überjchreitet man 
den Brenner ſüdwärts, jo ſieht man 
die Rebe faft durchwegs auf Bögen 
(„Bergeln“, „Pontainen“) gezogen, 
welche in langen Laubengängen anges 
ordnet jind, und am oberitalienischen 
Alpenſaume rankt ſchon die Nebe oft 
hoch Hinanf an den Bäumen, Es gibt 
aber Beihäftigungen der Alpenbe— 
wohner, welche für diefes großartige 
Gebirgsſyſtem charakteriftiich find und 
diefe werden in den inneren Alpen 
gebieten, in den Thälern und auf den 
Bergabhängen, in Schluchten und auf 
den Gipfeln betrieben. 

Der Holzjchläger fällt die an fteilen 
VBerghalden, oft über jähen Felsab— 
hängen flehenden Bäume und ſchafft 
fie dann zu Thale, in feiner gefähr- 
lihen und mühſeligen Arbeit vom 
Flößer abgelöst, der die langen Stämme 
von den Bergwäſſern abwärts ſchwem— 
men läßt. Felsgetrümmer halten oft 
das Holz auf, und dann ſucht der 
Flößer dasjelbe mit Haken an langen 
Stangen wieder flott zu machen und 


duſtriezweige im Fabriksbetriebe ihren | oft ſchwebt er am langen Seile in die 
Sitz anfgeichlagen; bier find auch die! Tiefe einer vom Wildbach durchtosten 


Felſenſchlucht, um die auf ihrem Wege)! Holzfnechte, namentlich was die Körper— 
gehenmmien Stämme zu erreichen. |anfirengung betrifft, eine höchſt be= 
Ueberall im Gebirge begegnen dem | fchwerliche und nicht ohne Gefahr. 
Alpenwanderer Gedenktafeln und Der Wildhener erntet im Auguft 
Kreuze, welche die Stellen bezeichnen, | und September das Gras auf jenen 
wo Holzjchläger oder Flößer bei ihrer ſchwer mahbaren Halden im Hoch— 
Arbeit verunglüdend den Tod gefunden. | gebirge, meiſt über der Waldregion 
Kann Fein Waſſer zur Beförderung | gelegen, die ihrer teilen Böſchung 
des Holzes benüßt werden, jo bedient | halber weder mit Schafen noch mit 
man ſich mitunter der fogenannten | Ziegen, viel weniger mit ſchwerem 
„Holzrieſen“, großer, oft von außer: | Großvieh betrieben werden fönnen. 
ordentlihen Höhen  Herabfteigender | Die zu folchen Graspläßen führenden 
Rıtichbahnen für die Balten und MWege ziehen zumeift an fteilen Ab— 
Baumſtämme. Sie find in Ober- und | hängen bin; rechts wächst die Wand 
Niederöfterreih, Steiermark und Bayern | jäh, glatt, ſenkrecht in die Lüfte empor, 
häufig. Am großartigiten find die links ſinkt fie ebenfo steil mehrere 
Hauptriefen oder die „vollfommen ge« | Hundert Meter in die Tiefe nieder; 
jattelten Riefen“. Tauſend Schritte dazwischen liegt der Yelfenweg, ab» 
lang und darüber gehen fie im die) ſchüſſig, ſchlüpfrig, bröcklig, oft nur 
Tiefe. Oben am Anfange derſelben wenige Spannen breit. Das find die 
befindet fich die fogenannte Aufiehr“, | Pfade des MWildheners, aber auch des 
eine Art von Zenne oder Baſſin, wo | Alpenjägers. Der Birſchgang auf 
das Holz aufgeltapelt wird, um dann | Alpentdiere ift mit der Weidmannskunft, 
von hier aus in den Canal binein= wie fie im Hügel- und Flachland ges 
geſtoßen zu werden. Die Niefe jelbit | übt wird, nicht zu vergleichen. Iſt das 
ift aus langen, glatten Baumftänmen | gejagte Wild ein edleres, wie die flüch— 
zufammengefeßt, die dev Länge nach | tige, weit witternde Gemfe, oder ein 
neben einander befeftigt find. Die, ‚ gefährliches, wie Bär, Wolf, Adler 
welche die eigentliche Unterlage zum md Geier, fo droht auch dem Alpen— 
Rutſchen bilden, heißen die „Dach- | jäger Schon aus feinem Jagdrevier, der 
baume“, die zur Seite liegenden, welche | zadigen Gebirgswildnis, Gefahr und 
das Ausweihen des abrutichenden | Verderben. Hier jeßt er fein Leben 
Holzes vermeiden, die „Wehren“, | gegen das des gejagten Thieres ein; 
„Sattel“, und dann noch bei — aber er wird mit der Gefahr vertraut 
ganz vollfommen gefattelten Rieſe die und gewinnt immer mehr an Uner— 
„Ueberfattel“. In der feuchten Jahres- | Ichrodenheit, Sicherheit, Gewandtdeit 
zeit wird das Holz „ausgetehrt“, d. h. und Stärke. So erklärt fih, daß auch 
binabgelaffen. Es rutſcht, ſpringt und Alpenjäger ein hohes Alter erreichen, 
büpft mit großem Gepolter die Berge | ohne zu verunglüden. Bon dem be= 
binumter. Auf der Seite, an den rühmten Gemfenjäger Colany zu Ponte 
Eden, wo die Niefe „auswirft“, d. h. reſina im Oberengadin, der 1837 
two das Holz leicht ausjpringt, werden, | ftarb, ‚wird berichtet, daß er im feinen 
um dies zu verhindern, ſogenannte | Leben nicht weniger als 3000 Gemfen 
„Mäntel* errichtet aus ftarten Bauınz erlegt habe. 

ſtämmen, welche man daneben in die, Alpenwirthichaft bleibt jedoch die 
Erde Schlägt. Im Herbite, wenn die) Hauptbeſchäftigung des eigentlichen 
Wege beveift find, kehrt ſich's am beiten. | Aelplers. Bon den hochgelegenen Alpen 
Da „ſpießt“ das Holz tüchtig, d. h. | wielen unterhalb der Schneegrenze, die 
wie die Wurfſpieße in einer Feldfchlacht zwar feinen Anbau dulden, aber die 
kommen die Bauınflänme herunter ges | beiten, würzigſten Futterkräuter liefern, 
flogen. Auch hier ift die Arbeit der war bereits die Rede, Wie groß wäre 


18* 














276 

die Mühe, das Gras für die zahlreichen Ter, in der rende fie hörend, von 
Herden, welche den Hauptbefitftand des | Heimweh ergriffen wird. Die eigent— 
Gebirgsbewohners bilden, zu mähen lichen Sennerläuder, wo die Alpen 
und in die Thäler zu Schaffen! Des- wirthſchaft den beften Betrieb findet, 
halb wird das Vieh zur Sommerszeit find die Schweiz, Tirol und Salzburg. 
auf die Weidepläße des Hochgebirges, In der Schweiz zählt man 4559, in 
die fogenannten Alpen oder Almen, | Deutich- Tirol 2482 Almen; in den 
getrieben, und weidet in frifcher Bergs | öftlichen Gebieten ift ihre Zahl ftart 
luft das kurze, dichte Gras ab. Wäh- in Abnahme begriffen. 
rend das Vieh, Kühe und Ziegen, die In vielen Alpenthälern werden die 
ganze Almzeit über im Freien bleibt, Kühe nur zum Hausbedarf gehalten 
findet der Senne oder Hirt in der und Ochſen als Maſtvieh gezogen, die 
Sennhütte, die nur aus übereinander dann ſtatt der Kühe auf die Almen 
gelegten Balken beſteht und deren Dach getrieben werden. Ein anderes, dem 
mit großen Steinen gegen die Gewalt Aelpler ſehr wichtiges Thier iſt das 
des Windes befchwert ift, nothdürftige Schaf, welches auf den Alpen noch 
Wohnung. Hier verarbeitet er aber | feine Nahrung findet, wo fich Feine 
auch die Milch zu trefflichem Käfe oder | Kuh hinwagt. Es liefert dem Gebirgs- 
ſchmackhafter Butter. Lebtere gewinnt |bewohner Wolle für feinen „Loden“, 
man namentlich in den öftlichen Alpen= | gefchäßtes Leder, jeine Milch verarbeitet 
ändern, in Oefterreih und Steiermarf, | er zu vortrefflichem Käſe und das durch 
wo auch vorwiegend das weibliche Ge- Alpenfräuter gewürzte Schaffleiich ift 
Schlecht mit der Sennerei befchäftigt ift | namentlich in den füdlicheren Gegenden 
(die Sennhütten heißen Hier „Schwai= | eine allgemeine Lieblingsfpeife der 
gen“, die Sennerinnen „Schwaiz |Aelpler. Im Winter wandern große 
gerinnen“); Käferei wird befonders | Schafherden aus Tirol in die abge— 
eifrig in der Schweiz betrieben (na- bauten Yluren Italiens, um dajelbft 
mentlich im Öreperzerlande, im Saanenz, | Weide zu finden, wie dagegen den 
Emmen:, Maderaner und Urfernthal | Somuner über die Bergamasker Schafe 
und im Tavetſchj. Die Sennen find | aus den Thälern von Brescia und den 
größtentheils arme Leute, ihre Nah: | Ebenen des füdlichen Teffins nach den 
rung Milch oder Rahm, Käsmilch und | Engadiner Alpen getrieben werden. 
nagerer Käſe, dazu grobes Brot, das Die Aelpler gehen gleich anderen 
häufig genug fehlt. Selten beforgen | Gebirgsbewohnern auch auferhalb ihrer 
jie eigene Herden, und noch jeltener | Hei Theil 
auf eigener Alm; gewöhnlich ſtehen fie | ift die Armut der hochgelegenen Thäler, 
im Dienfte der Alınz und Herdenbefiger, |zum Theil die lange Winterzzeit, in 
oder ind Pächter. der die landwirthichaftliche Arbeit feiert, 

Die Auffahrt auf die Alın, der der Beweggrumd, fich in der Fremde 
Auszug einer Derde im Beginn des nach Brot umzufehen. Namentlich die 
Sommers, ift ein Feſttag für den | Daboparben, Schweizer und Tiroler 
Hirten und die Herde. Die Kühe find | durchziehen jo weite Länder, die meiften 
mit Blumen und Bändern gepußt und als Daufierer. Belannt find die mit 
mit Sloden behängt, und jubelnd und |ihren Murmelthieren wandernden Sa— 
juchzend geleitet fie der Sem. Auf voyardenknaben, die Tiroler Sänger, 
der Bergeshöh aber, da übt er erſt welche ihre einträglichen Kunftreifen in 
recht feinen Gejang, die einfache, doch |neuefter Zeit bis jenfeits des Dceans 
lieblich klingende Melodie des Kuh— | ausdehnen, während Heine Jungen aus 
reigens, oder bläst fie auf dem Alpe | Südtirol den Winter über als „Spazza⸗ 
horn. Die Seele des Bergbewohners camini“ (Kaminfeger) in Italien ein 
hängt an diefen Tönen fo fehr, daß | arınfeliges Brot verdienen. Die Tefliner 























277 


(„fratelli Tieinesi*) jind als Straßen: 
und Bahnarbeiter oder Maurer in der 
flachen Schweiz geichäßt. Aber gienge 
es ihnen in der Fremde auch noch jo 
gut, faſt alle fehren fie wieder in ihre 
rauhen Thäler zurüd, wohin fie ein 
unfliflbares Heimweh zieht. Der Grau: 
bündner, der Tiroler aus dem Paſſeier, 
dem Zillerthale bringen oft lange Jahre 
in der Fremde zu, gewinnen Vermögen, 
lernen all die Bequemlichkeiten eines 
verfeinerten Lebens kennen und fehren 


doch ſchließlich wieder Häufig in ihr, 
entlegenes ſtilles Heimatthal zurüd, 


in ihre raubere, aber jo majeftätijche 
Gebirgswelt, welche fie auch in der 
Ferne wie mit Zaubergewalt feitgebannt 
erhielt. Daher kommt es, 


Gontingent ftellen. 
In früheren Jahrhunderten ver— 


dangen ih die Schweizer viel als 


Leibgarden an die Höfe don Wien, 
Verfailles, an den Bapit zu Rom 
u. ſ. w. Daß die Negenten früherer 
Zeit ihre perſönliche Sicherheit dem 
Schutze der „Schweizer Garden” an— 
vertrauten, erklärt ih aus dem Rufe 
großer Tapferkeit, den die Schweizer 
mit Recht genolien. Wie bewunderungs— 
würdig find die Kämpfe, mit denen 
die Schweizer und Tiroler wiederholt 
ihr Waterland vertheidigten. Dieſe 
Tapferkeit des Aelplers wird nicht bloß 
durch jeine Heimatsliebe erzeugt, fie 
ift auch eine Folge feines fteten Kampfes 
mit den überlegenen Naturgewalten, 
die ihn fortwährend in banger Unge— 
wißheit bezüglich jeines Beſitzes er— 
halten. In dieſem Kampfe bietet ihm 
ein ſtarkes Gottvertrauen, ein echt reli— 
giöſer Sinn feſten Rückhalt. Seine 
Frömmigkeit wird freilich häufig auf 
falſche Bahnen gelenkt und Aberglaube 
aller Art hat noch immer in den Alpen: 
thälern feinen Siß, und ſelbſt traurige 
Erfahrungen öffnen den Nelplern nicht 
die Augen, wie 3. B. der noch heute 
beitehende Gebrauch des jogenannten 
„Wetterläutens* in Tirol beweist. 


daß die 
Alpenbewohner zu der großen Zahl 
europamüder Auswanderer ein fo Heines | 


Mit dieſem Aberglauben, der Tich ja 
auch aus dem Feſthalten am Alther- 
gebrachten erklärt, hängt auch dus 
Fortleben zahlreicher alter heidniſcher 
und hriftliher Gebräuche, Sagen und 
Mythen zuſammen. Ans beidnifcher 
Zeit haben ih die Sonnwendfeuer 
und die Sonnenfeſte des Frühlings 
erhalten, aus erſter chriftlicher Zeit 
ftammen die Weihnachts-, Dirten= und 
‚Hl. Drei König-Lieder und feit dem 
‚Mittelalter ift das Abfingen derfelben 
von ſogenannten „Sternlängern“ oder 
„Sterntreibern” in den ölterreichifchen 
Alpenländern in Uebung. Ungemein 
reich an altheidnischen Mythen iſt Tirol, 
wo Hulda als Königin der „feligen 
Fräulein“, die Niefen, die „Holden“ 
und „Unholden“, „Perchtl-Berchta“ 
mit Perchtentag und Perchtlipiel, die 
„Faien“, Gnomen, Kobolde, Wichteln, 
Nörggeln und ismandeln in der 
Bhantafie des Volkes noch ihr Weſen 
‚treiben. Hier fei auch der alten Oſter— 
| jpiele gedacht, die als funftmäßig ver— 
feinerte „Paſſionsſpiele“ fich in Ober- 
| ammergan in Bayern und zu Brirlegg 
in Tirol bis heute erhalten haben. 

| Wie der Charakter des Aelplers 
etwas Originelles hat, jo auch fein 
Anzug und feine Tracht. Obenan fteht 
der mit Federn und Gemsbart geſchmückte 
Hut von Sehr verichiedener Form und 
Farbe, im einigen Landestheilen bunt 
durcheinander, im anderen thalweife 
gleichmäßig geformt. Ihn tragen beide 
Geſchlechter. Ein lodener Rod, grau— 
braum, it die allgemeinfte Uniform 
des Melplers, welche er Tich ſelbſt bes 
‚reitet. Dazu kommt in der Schweiz 
ein langes Beinkleid, während in den 
Dftalpen eine kurze Lederhose, Strümpfe, 
welche das Knie unbedeckt laſſen, und 
derbe Schuhe den äußeren Anzug voll— 
enden. Ein lederner Gürtel umschließt 
‚den Leib, der gewöhnlich grüne Hoſen— 
‚träger bededt einen Theil der Bruft. 
Namentlich in manchen Thälern Tirols 
‚ift die Tracht der Männer malerifch 
zu nennen, phantaftifh mahezu das 
Coſtüm der fogenannten „Saltner“, 


| 





278 


Meran und Bozen. Die weibliche Oft geöffneten Thälern keineswegs, 
Kleidung iſt im manchen Gegenden | wie fein häufiges Borlommmen im Inn-, 
weniger Schön, oft ſelbſt völlig ent= | Salzach--Traun-, Enns, Murthal, 
ftellend, wozu hauptfächlich das Hinten Jin den Thälern Kärntens zeigt. 
furze Mieder viel beiträgt. Doch gibt Wie der Melpler in feiner eigen 
e3 auch genug Gegenden, in denen auch thümlichen Tracht einhergeht, To zeigt 
das weibliche Gefchleht in vortheil= auch fein Wohnhaus etwas Originelles. 
hafler Tracht ſich zeigt. Der Grundtypus ift unter dem Namen 
Seine eigenthümliche Tracht kleidet des Schweizerhaufes allgemein bekannt. 
den Melpler um jo beſſer, als er zu- Dieſer drüdt fih vor Allem in der 
meift nicht bloß von ſtarkem, fondern | herrichenden quadratifchen Form aus, 
auch Häufig von ſchönem Körperbau tft. welche verbunden mit dem Aufgang 
Allerdings verliert das Weib faft über- auf fFreitreppen eine große Mannig— 
all in den Alpen ſehr früh den Schönen | faltigkeit der inneren Eintheilung ge— 
Schmuck der Natur, da es von Kindes |ftattet. Dazu tritt das flahe Dad 
heit an die anftrengendften Arbeiten | mit breiten Ueberhängen, deſſen Yatten 
zu verrichten hat. In armen und dicht | oder Schindeln mit Steinen beichwert 
bevölterten Gegenden ift die äußere) find, und mit darunter fortlaufenden 
Eriheinung der Alpenbewohner wegen | Gallerien oder Altanen, die fich, wenn 
ungenügender Nahrung eine wicht ſehr auch verkürzt, in einem oberen Stod= 
günftige, wie 3. B. im Wallis oder | werk wiederholen. Das Haus ift ent— 
in einzelnen Theilen Steiermarls umd |weder ganz aus Holz gezimmert oder 
Niederöfterreihs. In den Ichatligen | der Unterbau ift gemauert. Man Ipricht 
und feuchten Engthälern zeigen ſich von einem allemannischen, burgun— 
zahireiche Krankheitsanlagen und viele diſchen, rhätiſchen, Tiroler, Steirer, 
Krüppel, namentlich zwergenhafte, taub= | VBocarlberger Haufe, doch find Die 
ſtumme Mißgeſtalten mit blöder Miene | Unterfcheidungen unficher. Wo an die 
und ftieren Augen, ungeheuren Köpfen | Stelle des Holzbaues der Steinbau 
und krummen Beinen, welche im den tritt, entitehen ſchwere mehrjtödige, 
Alpen Feren, Eretinen, Trotteln, Tor- cubiſche Häufer mit flachen Dach, die 
fen oder Doften genannt werden. |von den aus dem Süden in die Alpen 
Neuere Unterfuchungen scheinen als | hereintretenden italifchen Stadthäufern 
unzweifelhaft darzuthun, dab der Cre- ſchwer zu unterfcheiden find. Im 
tinismus der Urgebirgsformation folge | niedrigeren Theile Oberöfterreihs und 
und dem Diluvium der Flüſſe, deren | dem Wiener Walde herrſcht das frän— 
Quellengebiet im Urgeftein liegt, daß kiſche Haus. 
er ferner auf Kalkboden ſehr ſelten ift Auch die Anfiedlungsformen in den 
und dab die größten Herde fich in den | Alpen erfordern eine kurze Betrachtung. 
Thälern finden. Er ift in Hohen Abgeſehen von einzelnen Städten, fin— 
Grade erblihd und in den ifolierten |den wird im Nipengebiete drei Arten 
Gebirgsthälern wird die Vererbung von Mohnpläßen: Dörfer, Meiler 
ficherlich durch die häufigen Familienz |und Einzelhöfe. Das reine Hofe 
heiraten begünftigt. Der Eretinismus ſyſtem ericheint faſt ausschließlich auf 
it zunächft im den Thälern des füde den Höhen. In der Schweiz, im 
lihen und wejtlichen Alpenabhanges | Algäu, in Tirol, Kärnten, Steiermarf 
anzutreffen, wo die HDauptherde der | finden wir viel reichlicher die Ein— 
Krankheit um Mont Genis und Mont- |zelhöfe auf der Schattenfeite, Die 
blanc lagern. In der Schweiz bilden | Dörfer auf der Sonnenfeite der Thä— 
die vom St. Gotthard auslaufenden |ler. Bemerkenswert ift die Häufigkeit 
Thäler die Hauptherde. Der Cretinis- der Höfe in deutfchen Gebieten, gegen— 


der Meinhüter in der Gegend fehlt aber den nach Nord und 
) 





über den romanischen und flovenijchen | Gefang, dazu im den öftlichen Alpen— 
Diftricten. ändern die Zither, begleitet von dem 

Zum Schluffe müfjen wir noch der | Takte der Füße, dem Tanze. Diefe 
Kunftfertigkeit und Kunftbegabung der | jauchzende Freude der Alpen Hat ſich 
Aelpler gedenfen. Die vielen Gefahren, | verfeinert zum Ländler und diefer ift 
welche ihnen fortwährend drohen, der der allbefannte Walzer, der eigentliche, 


Kampf, in dem fie mit der Natur. 


leben, um ihr Alles abzutrogen, was 
möglich ift, macht fie nothwendigerweiſe 
erfinderifch. Dies äußert ſich zunächſt 
dort, wo es auf Mechanik ankommt. 
So wie der Melpler dur die Natur 
gezwungen wird, fie zu beobachten und 
den größtmöglichen Nußen von ihr zu 
ziehen in feinen Gewerben, jo führt 
ihn diefe Beobachtung auch ebenfo leicht 
zu Miffenshaft und Kunſt. Viele 
Söhne der Nipen, oft den dürftigften 
Verhältniſſen entftanmend, find ges 


ſchätzte und ſelbſt berühmte Bildhauer 


geworden. 


den Alpen. 





aber ausgeartete Alpentanz. Mit der 
Liebe zur Muſik verkündet der Aelpler 
oft auch poetiſchen Sinn und die Volks— 
dihtung Hat an Liedern und Vier— 
zeiligen (Gftanzeln, Schnaderhüpfeln) 
einen reihen Schaß aufzuweifen. Da: 
neben geht auch eine kunſtmäßige Alpen 
dihtung, an deren Schwelle der Berner 
Albreht von Haller (F 1777) mit 
feinem berühmten Lehrgedicte „Die 
Alpen“ ſteht. Heute, da die Alpen 
immer mehr der Anziehungspunkt für 
den des verfeinerten jtädtiichen Lebens 
müden Flachländer werden, ſchöpfen 


auch immer mehr Dichter ihren Stoff 
Groß ift die Liebe zur Mufit in 


aus den Naturbildern des Gebirges 


Auf den hohen Schweizer: | und dem Leben feiner Bewohner und 
bergen bläst der Hirte das Alphorn, | 


bieten uns alpine Lieder, Erzählungen 


in der niedrigften Bauernhütte ertönt und Bollsfchaufpiele in reicher Fülle, 


Ein Capitel über den Hochmuth. 


Nah Eduard Reid.) 





> Ba herrſcht der Glaube 
an den Beſitz ganz bejonderer Vorzüge. | 
Diefer Glaube bewirkt, 


Betreffenden der Kamm mädhtig an⸗ 
ſchwillt und dieſelben dafür halten, 
es fei ihre Organifation beffer gelungen 
und werthvoller, als jene ihrer 
Mitmenfhen. In wie weit fie zu 
jolher Annahme berechtigt find, ob jie 


ie berechtigt find, darüber | 


Zei einer großen Zahl von Yweis | 


nachzudenken liegt ihnen ferne; denn 
die meiften Individuen, welche ſich ſatt 
eſſen ohne maßloſe Sorge um Die 


daß den Nahrung fich gemacht zu Haben, glauben 


an ihre Volllommenheit und erkennen 
ih das direct von der Gottheit ihnen 
verliehene Recht zu, auf ihre weniger 
glüdlichen Mitmenschen mit Gering— 
ſchätzung, ja mit Verachtung herunter 
zu Sehen. 

Ya, nicht allein von Rechten träumen 


" Aus defien Werk: Blide in das Menschenleben. Schaffhauſen bei Fr. Roth: 


ermel. 1886, 


280 


fie, fondern halten jedegeiftige Berührung  feiten der unteren Glafjen des Ranges 
mit Menschen, welche fie wegen Armut | der Entwidiung an und weist niemals 
geringihägen, für Verunreinigung, | auf eine wirklich große Seele Hin. 
ſetzen die Armen ſelbſt als Geſindel in Gewöhnlich findet man den Theil 
eine Kategorie mit den Verbrechern, der Gelehrten auffallend hochmüthig, 
und überſchütten Jeden, der in einem der profeſſionell mit Erforſchung großer 
nicht mehr ganzen Rode ihnen naht, Kleinigkeiten und mit höherer oder 
mit Schmach und Srobheit. Hochmuths niederer Schulmeiſterei ſich beſchäftigt. 
pinſel ſolcher Art find empört, wenn Zu glauben, dieſe Art von Hochmuth 
der minder Wohlhabende ſich erdreiſtet, ſa ohne nachtheilige Wirkung auf per— 
dieſelbe Luft zu athmen, wie auch fie, ſönliche und geſellſchaftliche Verhält— 
das gleiche Waſſer zu trinken, ſich zu niſſe, wäre irrthümlich; denn diejenigen 
vergnügen. Sie wünſchen, daß alle Menſchen, gegen welche der Hochmuth 
Welt vor ihnen auf dem Bauche krieche, | offenbart wird, werden durch den widers 
demüthig ihre Gnade auflehe und für, wärtigen Einfluß desjelben nicht allzu 
fie nicht bloi die Kaftanien aus den! felten in ihrer Laufbahn geftört, und 
Feuer hole, fondern pflichtſchuldigſt auch verlaſſen oft genug ihr eigentliches 
ſich braten laſſe. Dies find die Hoch | Fahrwaffer, um auf fremde Gebiete 
müthigen in der Welt der Maffe, dort, getrieben zu werden, in deren Boden fie 
wo bloß Neichthum gilt und Macht. niemals recht Wurzeln faffen können. 
Aber auch auf dem Gebiete des Leute, die wenig mit der eigents 
Geiſtes fehen wir Hochmuth, bei den lichen Welt in Berührung kommen und 
Denkern, Forſchern, Dichtern, Künft | einerfeits viel ftudieren, andererfeits 
lern. Und diefer Hochmuth ift ebenfo | allerhand großen umd Heinen Ejeln 
lächerlich in feiner Erfcheinung, ebenfo ununterbrochen als MWeisheitäfrämer 
gefährlich im feinen Wirkungen auf die, imponieren; Leute, die viel mit der 
Perſon und die Gefellihaft, wie der, Welt in Berührung foınmen und die 
Hochmuth derer vom Mammon und von | gewöhnt find, daß der geſammte Pöbel 
der Gewalt, wenn auch die ſocialen zu ihnen emporblickt und vor ihnen 
Wirkungen nicht ſo weit gehen und im Staube kriecht — alle dieſe werden 
nicht jo tief greifen. ohne Zuthun bohmüthig; weil fie von 
Ein folder Tropf von Geiſtes- fich ſelbſt eine zu hohe und don dei 
Hochmüthigem ift eigentlich noch ver: | Andern eine zu geringe Meinung an— 
ächtlicher, als der Philifter und Gewalt: ; nehmen. Und was den Hochmuth 
mensch mit angeichwollenem Kamm; dieſer Menschen vermehrt, ift die elende 
denn don ihm fordert man, und mit Erniederigung der Stellenjäger, Heuch— 
volljter Berechtigung, ein höheres Mai | ler und Schmeichler, die etwas er— 
von Vernunfſt und Herzensbildung, | reichen wollen. 
während man Philifter und Gewalt» Gottfried Auguft Bürger verichreibt 
menschen mit Unvernunft in nahe Be— ‚folgendes Necept gegen den Hochmuth: 
ziehung bringt. 


| 
Mangelhafte Gemüths- und eins | „Biel Klagen hör ih oft erheben 
* th, den d übt; 
ſeitige Geiſtesentwicklung auf Grund | sn ea a 


lage unharmonischer Leiblichkeit find. Wenn unj're Kriecherei ſich gibt.“ 
die Quellen, aus denen Hochmuth übers . 

haupt, bei denen don der Profeflion Es gibt auch eine Art von Hoch— 
der Wiſſenſchaft und Kunſt insbefondere, | muth, welcher religiöfe Fanatiker und 
entipringt. Kerngeſunde, barmonifche, ſolche Pfaffen kennzeichnet, die über— 
geiftig und gemüthlich voll entwidelte | müthig, unvolllommen ausgebildet und 
Naturen haben nichts von Hochmuth. | einflupreih find, oder den Schafen 
Diefer legtere gehört den Perſönlich- zweihändiger Art imponieren, zu deren 


Hütern fie von irgend einem Menfchen ; 
oder irgend einem Collegium von Mens 
Shen ernannt und bejtellt wurden. 
Die erfte diejer beiden Gattungen des 
Hochmuths ift der religiöfe, die zweite 
der hierarchiſche Hochmuth. In beiden 
Fällen iſt der von der Leidenſchaäft 
Ergriffene ein Sclave; nur beſteht der 
Unterſchied, daß der religiöſe Hochmuth 
ſeinen Juhaber zum Geiſteskranken 
ſtempelt, der hierarchiſche jedoch ſeinen 
Inhaber zum Schafstopf. Den Geiſtes— 
franfen bedanert, den Dummkopf bes 
mitleidet der Einlichtsvolle. 

„Der religiöfe Hochmuth,“ bemerkt 
KW. Ydeler, „hat mit jedem andern 
Ehrgeiz, welcher die Vorzüge des 
Willens, des Ranges, der Geburt 
u. ſ. w. geltend macht, den charakte— 
riſtiſchen Zug gemein, daß er alle Kraft 
des Geiſtes und Gemüthes an den 
ausſchließlichen Zweck ſetzt, das Be— 
wußtſein des perſönlichen Wertes höher 
zu Stellen, als jedes noch jo ausge— 
zeichnete Werdienft, alfo in der über— 
triebenſten Selbitihägung ſich für den 
Inbegriff alles Bortrefflichen, gleichſam 
für das vollkommenſte Urbild des 
Menichengeichlechts zu Halten. Unſtreitig 
der Superlativ der Selbittäufhung, 
weiche, auf das religiöjfe Bewußtſein 
übertragen, geradezu dahin führen muß, 
dal; der Bethörte ſich mit der Gottheit 
indentificiert, deren Weisheit und 
Heiligkeit überlommen zu haben wähnt, 
und in deren Namen unter den Mens 
schen aufzutreten begehrt. Wenn er 
diefen maßloſen Dünkel micht mit 
dürren Worten auszufprechen wagt, 
da er des unbedingten Widerſpruches 


von allen Seiten gewärtig fein muß, 


vielmehr ſeine Anmaßungen aus Klug— 





281 





heit oft Hinter einer affectierten Demuth 
zu verſtecken jucht, To ſchwelgt er doch 
in Seinen berauschenden Selbitgefühl, 
um Sich für alle erduldeten Kränkungen 
überflüflig ſchadlos zu halten.” 

Der weltlihde Hochmuth begnügt 
ih damit, den Nebenmenfchen aflen 
Anspruch auf äußere Ehre ftreitig zu 
machen; der geiftliche dagegen ſpricht 
ihnen allen fittlichen Wert ab, um diefen 
fich allein beizulegen, wobei denn feine 
gehäffigen Inſinuationen, Anſchwär— 
zungen und Verleumdungen geſpart 
werden. 

Wenn es Schon ungemein ſchwierig 
it, Hochmüthige gemeiner Art von 
ihrem moralilchen Uebel zu befreien, 
jo wird dies bei religiös Hochmüthigen 
faft unmöglich; denn, während jene 
nur moraliih Kranke find, gehören 
diefe bereits zu den Fittlich Entarteten. 
Leichter wird es fein, religiöſem Hoch— 
mut vorzubanen. Hierzu bieten ſich 
uns die Hilfsmittel dev Geſundheits— 
und Erziehungspflege auf der Grunde 
lage des ftaatlichen und gefellichaftlichen 
Syſtems der Allgemeinverbindlichkeit 
und Nüchitenliebe. 

Es wurde bereits hervorgehoben, 
das Hochmuth ausgeprägteren, aber 
einfeitig entwidelten Individualitäten 
eigenthümlich zukomme. Die Phyſiog— 
nomie ſolcher Leute hat etwas Beſon— 
deres; Hochmuth zeigt niemals die 
Merkinale edlen Stolzes. Diejer letztere 
ift etwas Erhabenes und bat nichts 
mit Hochmuth gemein. Edler Stolz iſt 
etwas Natürliches, das mit Nächſten— 
liebe und Hochachtung feiner Mit— 
menschen vorzüglich ſich vereinigt, und 
die volllommen entwidelte Perſönlichkeit 
kennzeichnet. 





Fine Beropredigt. 







® ift nur die Heine Beſprechuug 
und Würdigung einer ſolchen. In der 
ausgezeichneten, im unſerem Schrift: 
thume vielleicht Epoche machenden Fluges 
Schriftenreihe: „Gegen den Strom“, 
(Wien, Carl Graefer) ift eben eine 
Broſchüre erichienen: 
ſchaften.“ Diefe Schrift jagt Dinge, 
die Niemand gerne hört — nämlich 
die Wahrheit. Sie ift voll herben 
Eruftes, und doch wieder durchhaucht 
von wahrer Liebe zur Gejellichaft. 
Strenge wird der wirtichaftliche Leichte | 
ſinn, bejonders der Wiener gegeihelt, | 
ehrlich wird ihnen das furchtbare Ziel | 
gezeigt, dem fie zueilen. Man glaubt, 
eine folhe Schrift müßte wirken, der 
Leer müßte auf feine Bruft ſchlagen, 
anjtatt immer zu denken: das geht die 
Anderen an, und er müßte ſich und 
jeinen Haushalt wenigitens feiner Fa— 








Jemach, gemach, es iſt keine. Es Er beſitzt nicht die Selbſtüberwindung, 


ſich den veränderten Zeitumſtänden an— 
zupaſſen. Er beruft ſich auf ſeinen 
Vater, der mäßig gearbeitet habe und 
ohne Plage reich geworden fei, und 
kann nicht begreifen, warum ihm ſelbſt 


das gleiche Maß an Arbeit nicht das 
„Wie wir wirt: |gleihe Maß an Ertrag liefern folle. 


Man lebe doch nicht bloß, um ſich au 
ſchinden und zu rackern. Er ſcheue ja 
‚die Plage nicht, aber zu viel jei un— 
geſund, und er dürfe für ſeine Mühe 
‚aud einen Lohn begehren. Das Wohle 
leben Sei ihm Bedürfnis, das Knanu— 
fern aber verbaßt, und wenn es ihm 
'verfagt wäre, feinen Handel und 


Mandel nah eigenem Gefallen und 


gutem Väterbrauch zu treiben, To wolle 
er lieber zugrunde gehen, als ſolche 
Hundeexiſtenz weiterzufriften. Aber 
Gott ſei Dank, ſo weit wäre es noch 
nicht gekommen, denn »der Wiener 


milie zu Liebe ändern. Der Erfahrung geht nicht unter«. Und dann klagt er 


gemäß aber willen wir, 
nichts müßen, Bücher nichts helfen, | 
dab mohlmeinende Warner verladht | 
und verfpottet werden. Die Gefellichaft | 
von heute will in den Abgrund ſprin— 


Schuld geben und micht fich felber. 
Aber fie ſoll willen, wovon ihr Un— 
heil herrührt. 

Der Defterreicher,, vollends der 
Miener, iſt ein liebenswürdiger, 
verftodter Sünder. „Er will ſich“ 





daß Worte die Zeit an, die dvermaledeite Zeit, die 


alle Fröhlichleit aus der Weit ver— 
treibe, die Guten und Braven nicht 
auffommen laſſe und nur die ſchlech— 


ten Kerle begünſtige . .. 
gen. Dann wird ſie dem Abgrund die, 
lie ein Fehler als eine Tugend. Allein 


Die Sparfamteit dünkt dem Wiener 


die landläufige Borftellung von der 
Sparſamkeit bedarf dringend einer Bes 
vichtigung. Die Sparfamteit befteht 


aber nicht im gierigen Zufammenjcharren 
— von Geld 


und Gt, 


auch nicht im 


ſagt die oben genannte, ſehr eruft zu knickerigen Dreimalanfehen jedes Kreu— 
nehmende Schrift, die wir hier in zers vor deſſen Berausgabung, am 
ihren verſchiedenen Theilen auszugs— j allerwenigften aber darin, daß man 
weile zu citieren uns erlauben — „er ſich etwa die Befriedigung wahrer Bes 
will ſich Feines Lebens freuen, er win dürfniſſe verſage, um den dafür ent— 
»ſein Daſein großartig genießen«, und fallenden Betrag bei Seite zu legen. 
harte Arbeit und ſtrenges Sparen Nicht die Kunſt, das Geld im Kaſten 
pafjen eben nicht in fein Programım. zu behalten, jondern die Kunſt, feine 


283 


wirthſchaftlichen Kräfte zweckmäßig zu wunderlichen Leidenſchaft her, die uns 
verwenden, ift Sparſamkeit. feit Olim's Zeiten eigen ift, der Lei— 

Die Sparfamteit ift die Grunde denſchaft, Geld aufzugeben und un— 
lage alles Reichthums und damit alles ‚nöthige Einkäufe zu machen. 
Fortſchritts und aller Eultur. Sie it) Fünf Mahlzeiten täglid — das 
05, die ans dem Abgrunde der Knecht» bedeutet einen Geldaufwand und Zeit— 
Ichaft zur lichten Höhe der Freiheit verluft, den das reichſte Volk der Exde, 
emporführt. Sie ift es, die dem Bür- die Engländer, fich nicht geftatten. — 
gerthume feine hervorragende Stellung Obendrein huldigen wir noch dem 
in der modernen Geſellſchaft erobert ſchlimmen Brauche, den größten Theil 
bat. Und wehe der Stadt, und wehe unſerer freien Zeit — und wann fehlte 
dem Staate, deſſen Bürger dies ver- es uns an folder! — in Gafte oder 
gejlen könnten! ‚ Staffeehäufern zuzubringen. 

»Wien geht zurüd.« — Die Ur-⸗ Bei anderen Menſchen hört die 
ſachen dieſer Erſcheinung? Es gibt,  GemütHlichteit i in Geldſachen auf, beim 
deren in der That mehr als genug Wiener beginnt "fie ebenda. Durch 
und je mach dem Parteiftandpuntte nichts kann man ihn fo ſehr in Harz 
wird der Eine diefe, der Andere jene, niſch bringen, wie durch die Auprei— 
zu betonen wiſſen. Aber Eine dieſer ‚Jung jener Berliner Sparfamfeit, die 
Urfachen, und wahrhaftig nicht die er als »Schmußereia bezeichnet. Doch 
geringfügigfte, wird man nie umd wie? Hat nicht die »Schmußerei« 
nirgends nennen hören. Es ilt, als | Friedrich Wilhelm’s I. feinen großen 
ob man ſtillſchweigend übereingekom- | Nachfolger in den Stand gefegt, einer 
men wäre, diefen wunden Punkt nicht Welt in Waffen zu troßen und ein 
zu berühren. Und doch wäre es Sache | Heines umbedeutendes Land zu einer 
der ſonſt jo zungenfertigen Wortführer | enropäiichen Großmacht zu erheben? 
der Öffentlichen Meinung, fich einmal Es ift unn merhwürdig und zu— 
auch über das Capitel des Wiener | gleich überaus charakteriftiich, wie mit 
Privathanshattes vernehmen zu laffen. der Unterichägung des Wertes und 

Man int, trinkt, wohnt, heizt und der Bedeutung des Geldes bei dem 
beleuchtet in Wien theurer als im jeder Wiener eine Ueberfhägung desfelben 
andren europäiſchen Großſtadt. Er- Fackors Hand in Hand geht. So 
freuen wir uns doch einer Beftenerung, wenig er im Stande ift, zu wirt 
die gerade die mothiwendigften Lebens= fchaften und zu fparen, fo fehr im— 
bedürfniffe amı bärteften trifft! Das poniert ihm amdererjeits der fertige 
hindert uns aber nicht, unfer haus- Beſitz. Er wirft das Geld mit vollen 
liches Budget derart einzurichten, als Händen zum Fenſter hinaus, um ſich 
ob wir in einem Paradieje der Billige | dann vor Demjenigen, der es aufhebt, 
keit lebten. Wir jind gewaltige Fein- ehrfurchtsvoll zu beugen. Er läßt ſich 
Ichnreder, wir find im Trinken erprobte prellen, ausbenten und betrügen, dem 
ner wir ſchwärmen fir er findet es unter feiner Würde, dem 
hübſche, geräumige, nicht allzu hochges Nebenmenſchen gar zu genau auf die 
legene Wohnungen. Die Ausſchmückung Finger zu ſehen; vor Demjenigen aber, 
unſerer Wohnräume läßt in der Regel, der ihn geprellt, ausgebeutet, betrogen 
wenigſtens was Koſtſpieligkeit betrifft, | bat und dadurch reich geworden iſt, 
nichts zu wünſchen übrig. — Befon- | fühlt er den tiefſten Reſpect. 
ders auffallend iſt die Leberladung) Als „Sdealiften“ bezeichnet man 
mit allerlei zweckloſem Tand, die un- | heutzutage ſchlechtweg jeden anftändis 
jeren Zimmern mitunter ein faſt Schaus | gen Menfchen. Die VBerderbnis ift fo 
budenartiges Gepräges gibt. Das rührt weit gediehen, daß fie — und Dies 
wohl zum guten Theile von einer iſt das Schredlichte an der Sade — 








284 


faum mehr Beachtung findet. Was 
gegenwärtig als natürlich und ſelbſt— 
verſtändlich hingenommen wird, das 
hätten und haben die Sittenjchilderer 
anderer Epochen als unerhörten Frevel 
gebrandimarft. 

Weil wir unfere Lebensweife nicht 
nah Maßgabe unferer wirtfchaftlichen 
Verhältniffe einzurichten verſtehen, 
darum fehen wir uns genöthigt, alles, 
was wir unſer Eigen nennen, zu dere 


Yedürfnis. — Wir denken nicht mehr 
ſchlicht und einfach genug, die Seg— 
nungen einer Schönen Häuslichkeit, 
ihren hHerzerquidenden Frieden, ihre 
veredelnden Genüffe würdigen zu kön— 
nen. — Die Erziehung und den Un— 
terricht unſerer Kinder vertrauen wir 
dem erften beiten aus der Zeitung aufs 
gelefenen oder uns durch irgend einen 
Belannten empfohlenen Subjece au, 
während wir ſelbſt über die Löſung 


werten und zu „Fructificieren“, nicht) der orientalifchen Frage mit unſeren 
nur unfere materiellen, jondern zuletzt Nachbarn Beratdungen halten oder in 
auch unſere geiftigen und fittlichen | Wohltgätigleitsvereinen über die Ver— 
Güter. Wir beginnen zu fragen, wie beſſerung des Lofes der Sträflinge uns 
viel denn unfer reines Gewillen, unfere | den Kopf zerbrechen. Welche Frau, 
Nedlichkeit, unfere Ehre wert fei, und deren Mittel es ihr nur halbwegs ge= 
endlich jeßen wir das Alles in Geld | ftatten, eine Bonne oder Erzieherin zu 
um und verlaufen unſere Seelen dem | befolden, würde es nicht lächerlich fin— 





Böjen. So findet die alte Sage von 
Satanas, dem Seelenftäufer, ihr mo= 
dernes Gewand. 

Der »Männerſtolz vor Königsthro- 
nen« iſt zur Sclavendemuth vor Geld 
und Titeln geworden. — Wir leben 
zu viel nach außen und zu wenig = 


innen. Bon der Wiege bit ans Grab, | 


bon der Erziehung, die uns ins Leben 
einführt, bis zu den Erfahrungen, die 
uns daraus vertreiben, wird ums une | 
abläjfig die Lehre eingeprägt, daß es 
in der Welt nicht auf das ankommt, 
was man it, jondern auf das, was 
man vorſtellt. Bon einer Schäßung 
geiftiger Arbeit um ihrer jelbft, um 
ihrer reinen Freuden willen iſt feine 
Rede mehr. Alles und Jedes Soll einen | 
Ertrag liefern, ſoll Geldeswert haben 
und fich verzinjen. Hat doch ein engli⸗ 
ſcher Nationalölonom herausgebracht, 








daß jeder erwachſene Menſch als eine 
Maſchine zu betrachten fei, die zwanzig 
Jahre emſiger Arbeit und eine beträche | 
lihe Summe von Bauansgaben ges 
foftet Habe! Iſt das nicht reigend ? Der 
Menſch eine Machine — jo weit ilt 
unfer Fortſchritt ſchon gediehen ! 

Wir leben zu viel in der Gejell- 
Ihaft umd zu wenig innerhalb unſerer 
vier Wände. — Eine Stunde der Ein— 
ſamkeit zu erübrigen, fehlt uns jedes ı 








den, ſich mit ihren Kleinen auf öffent» 
lihen Spaziergängen zu zeigen! 

Iſt der Wiener leichtlebig, Jo if 
e3 die Mienerin nicht minder; veriteht 
er es nicht ſeine Einnahmen zu ver— 
mehren, ſo verſteht ſie es deſto beſſer, 
die Ausgaben zu erhöhen; fehlt es ihm 
an Ernſt und Pflichtgefühl, 
bei ihr dieſer Mangel dreidoppelt ſo 
art hervor. Nicht etwa, daß es in 
Wien feinen muftergiltigen Bürger, 
‚feine Sparfame Hausfran mehr gäbe! 
Wer jedoh die Sitten eines Volkes, 
eines Gemeinweſens, eines Zeitalters 
prüft, der muß ein Gefammtbild er— 
faffen und darftellen, auf die Gefahr 
bin, vielen Einzelheiten micht gerecht 
zu werden. 

Manche mögen den bier vertretc« 
nen Standpunkt Heinlich, Andere mö— 
gen ihn reactionär ſchelten. Aber wer 
am Rande eines Abgrumdes fteht, thut 
befjer, drei Schritte rückwärtks, als einen 
halben vorwärts zu gehen. Noch ift 
unjer Wien eine jchöne, blühende, 
lebensträftige Stadt. Alles Alte finft 
in den Staub, neue Häufer, neue 


Paläſte, neue Raths- und Parlaments— 


gebäude, neue Tempel der Kunſt wach— 
ſen empor. Und nur ein neuer Geiſt 
ſollte nicht erſtehen können? — Das 
Geld, wir werden es achten und zu— 


jo tritt. 


285 





gleich verachten lernen müſſen: achten aber als den Verſucher, der und auf 
als die fichtbare Verförperung unſeres Abwege lodt, als den Götzen, der 
Mohlftandes, al3 den Sparpfennig nuſere Anbetung heifcht, al3 den Ty— 
unferes jpäten Alters, als das Mittel, rannen, der auf unfere Unterjochung 
unſere Pflichten gegen Staat, Gemeinde ſinnt. Kein Gut wird uns Höher gel» 
und Familie zu erfüllen; verachten | ten als das Gute.” 


Zuflucht bei den Rünftlern. 


Eine Erinnerung an Münden von P. R. Rofegger. 





58 a, lieber Freund, da iſt Einem Glüd— reich zu ſein, aber es gilt auch 
ee ganz eigen zu Muth, wenn für eine Ehre, brav zu fein; ein Ehr— 
man jo einmal über die Grenzen hin- geiz, der bei ums abhanden kommen 
auskommt in's Baiernland. Die gelehr= | will. Dort übervortheilt der Dienit- 
ten Gefchichte- Erzähler jagen, unfere | mann den Lohngeber nicht auf der 
fteirifchen Vorfahren — die Ur-Ur- Gaſſe, der Kutſcher beſchwindelt feinen 
Urgroßvaterslente wären aus dem Fahrgaft nicht, denn er reipectiert die 
Baiernlande eingewandert; es mag was Vorſchrift; er bettelt ihn nach Erhalt 
dran fein, mir ift, außer im meiner | der Löhnung nicht an um ein Trinf- 
feirifhen Heimat, auf der ganzen | geld, denn er hat Ehre im Leib. Der 
Melt nirgends jo heimatlich traut, als | Wirth weiß die Güte jeines Hotels anders 
in den oberbairiichen Bergen. zu beweifen, als durch horrende Preife. 
Dazu kommen noch andere Sachen. | Der Eifenbahnconductenr pfropft die 
In unferem geliebten Defterreih find Neifenden micht in wenige Coupées 
die Leute aus Rand und Band ges |zujammen, um mit den übrigen ein 
fommen; der nationale Hader, den) Miethgefchäftzu machen. Die Zeitungen 
Gott verdamme! Die wilde Gier nah | — ad, laffeın wir das. Man muß 
Geld und Wohlleben, die der Teufel | fich ſchämen, überall den Unterjchied 
hole! Der Großen Gewillenlofigkeit, | jo ſehr zu unferem Nachtheile zu 
der Seinen Nichtachtung des Gejeges | fehen. 
— die Gott verdamme und der Teufel Die Münchner werden ob ihrer 
bole! fie bedrohen unfer Waterland. | Vorliebe für Bier und „Radi“ ver— 
Der Himmel ſchütze es! Der Wunsch | fpottet. Viel trinfen fie, aber wenig 
iſt ohnmächtig; wirkfamer, um dem vertrinken fie und ich könnte meine 
Banne, der unſere Herzen Ddrüdt, | Landsleute in Wien und anderswo 
zu entlommen, ift eine Fahrt über beglüdwünfchen, wenn fie diefelbe 
Grenze. Dort finden wir eine hoch⸗ Genügſamkeit hätten, als die Brüder 
entwickelte Freiheit, gepaart mit einer an der Iſar. Wer genügſam iſt und 
eiſernen Drdnung. Dort finden wir ein einfaches Leben ‚gewohnt, der läuft 
im höherem Grade noch fittlichen Ernft | viel weniger Geiahf ein Spigbub zu 
bei den Großen und Weichen und | werden, als der Schwelger und Pracht: 
Sewifjenhaftigkeit in Handel und | Liebhaber. 
Wandel bei den Steinen. Es gilt) Auch zu München gibt es Pracht: 
wohl auch dort, wie überall, als ein | liebe, aber im edlen Stile, es ift Kunſt— 








286 


liebe. Eigentlih vom Volke ſtammt 
die Kunſtliebe nicht, das Volk im. Allz 
gemeinen bat mehr Berftändnis für 
das Gute, als für das Schöne. Die 
Kunſt gedeiht am beften im Fürſten— 
glanze, und die bairischen Fürften haben 
ftets ihren Stolz darauf geſetzt, das 
menschliche Können auf die Pfade des 
Schönen und Ydealen zu leiten, und 
jo in ihrem Volke eine göttliche Miſſion 
zu erfüllen. Daß der lepte dieſer 
Könige an ſolchem Beftreben zugrunde 
gehen mußte, beweilt, day die moderne 
Melt mit dem Schönen officiell ge— 
brochen Hat, daß die Staaten nicht 
mehr Luft und Mufe haben, für ideale 
Dinge Geld anszugeben, ſondern all’ 
ihre Kräfte auf den immer gewaltiger 


entbrennenden Kampf um die Eriftenz | 


dereinen müſſen. 

Troßdem leben in der bairischen 
Königsftadt Hunderte von Künſtlern, 
und die meilten derjelben leben jogar 
recht gut. Vom deutſchen Volke 
werden die wenigſten der Maler ge— 
ſtützt, dieſes kauft die Gemälde höch— 
ſtens in guten Photographien, ſchlechten 
Farbendruckbildern, jämmerlichen Holz— 


Kunſt geziemt, und die der Künſtler 
für ſein freies Schaffen bedarf. 

Es ift ein Genuß, in das Haus 
eines Münchner Malers zu treten; ein 
jolches ift zumeift an und für Tich 
ihon ein Kunſtwerk und die Meifter 
haben es nicht verfäumt, ihr Heim 
mit jener edlen Pracht, mit jenen 
feinen Geſchmack auszuftatten, wie es 
ein fünftlerifcher Sinn verlangt. ch 
habe in einführender Begleitung mei— 
nes edlen Freundes Dr. Spoboda die 
Kunftftätten der drei volksthümlichen 
Meifter: Eduard v. Grüßner, Mathias 
Schmid und Franz dv. Defregger be= 
jucht. Jeder diefer drei weltberühmten 
und jegt im beiten Mannesalter ſtehen— 
den Meifter ift aus Heinen Verhält— 
niffen heraufgeftiegen; Schmid und 
Defregger waren befanntlicd in ihrer 
Jugend Bauern. 

Grützner's Wefen und Heim ges 
mahnen am meilten an ariftofratische 
Verhältniffe, jo wohlthuend einfach der 
Meifter feine Bejucher auch zu em— 
pfangen pflegt. Ein mittelgroßer 
Mann mit runden, wohlgefärbtem Ge— 
licht, einem feden Schnurbärtchen und 


ſchnitten oder anderen Neproductionen, einer Stirne, die ſich fhon ein wenig 
Die Originale gehen an kunſtfreundliche | rüdjicht3los in die Domäne des Haupt- 
Fürften, can reiche Liebhaber und | hanres Hineindrängt, hat etwas von 
Sammler des Auslandes. Bier iſt jener ſonnigen Gemüthlichkeit, die in 
vielleicht wirklich der Kunftfinn Käufer, | feinen berühmten Fallitafffiguren und 
dort die Eitelkeit, und dieje iſt heut- in feinen befannten Mönchs- und 
zutage der befte Mäcen der Künſte. | Nägergelichtern fih ausdrüdt. Gegen 
Möge das noch lange fo bleiben, ich |wärtig arbeitet Grüßner an einen 
wünsche es den Meiftern vom Herzen. | nenen Mönchsbilde: „Die Kloſterküche,“ 

Wohl noch immer genießen die | in welchem aller Humor, der dem 
Münchner Künftler die Gunſt des Künstler für ähnliche Stoffe zu Gebote 
Fürſtenhauſes, die traditionell geworden | fteht, ſich Stelldichein gibt. Grüner 
itt. Werden fie von diejer Seite auch | faht die Prieſter echt gläubig auf, näm— 
nicht materiell gefördert, was die großen lich wie ſie Gott einen guten Mann— 
Meifter auch gar nicht nöthig haben, | fein laffen, und das ift in hohem Grade 


jo erfreuen fie fich doch der höfiſchen 
Ehren, jie gehen bei den Prinzen aus 
und ein, wie diefe bei ihnen, fie ſpeiſen 
an der fürftliher® Tafel, fie erhalten | 
Titel und Orden und die mannig— 
faltigen Auszeichnungen, die fie don 
oben genießen, geben ihnen jene Ach— 
tung und Würde nach unten, die der 





erfreulih. Der Nachbar Gutsherr hat 
einen fetten Haſen geichidt, auf allen 


Geſichtern der ſich um den Anköomm— 


ling drängenden Mönche iſt zu leſen, 


wie gut der Braten ſchmecken wird. 


Nur der Bruder Gemüſeputzer ſitzt 
abjeit3 bei dem Grünzeng; feinem 
Geſichtsausdrucke nah zu ſchließen 


Icheint er feine große Hoffnung zu Prieſterſchaft Tirols gegen die Bilder 
haben, daß der gutsherrliche Dafe fein | dieſes Meifters demonftrirt, und ſich 
vegetarifches Daſein mwefentlich unter: |alfo in den Verdacht bringt, als fühle 
brechen werde. Das beiläufig der Bor- | fie fich getroffen, was doch gewiß nicht 
wurf von Grüßner’s neneftem Bilde: der Fall fein wird. Die meiften Bilder 
„Die Kloſterküche.“ — Welchen Neiz | von Mathias Schmid dürfen in Inus— 
es do hat, ein Kunſtwerk in feinem bruck nicht ausgeftellt werden, und auch 
Werden zu fehen! Die eriten Umriffe, \in anderen Städten Tirols thut fie 
die Farbenſlizzen, die Lichtitudien, die | der Kunſthäudler nicht in den Auslag- 
Stizzirung einzelner Geftalten und kaſten, wenn ihm das Glas desfelben 
Poyliognomien, bis zum Bilde, in lieb if. Den „Lederhofen » Maler“ 
welchem mur mehr wenige Pinfelftriche nennen ihn ſpottend die geweihten 
fehlen, deren Mangel dem Laien gar Herren, und den KutteneMaler mei— 
nicht auffällt. nen Sie. 

Eine Fülle von foldhen Bora] Unter Schmid’s höchſt intereſſan— 
und höchſt intereffanten Skizzen ſah | ten Bildern, die uns der Meifter 
ich bei Mathias Schmid. Bei unferem |; mit liebenswiürdiger Zuvorkommenheit 
Eintritt im das Atelier diefes Meifters |zeigte, waren mir die liebften zwei echt 
Icheuchten wir ein Modell auf, einen | menschlich gedachte, tiefinnige Darftels 


Burſchen in Anielederhofen, der eben | 
damit befchäftigt geweſen war, zu einem 
fernigen Ziroler, der auf dem Dreifuß 
Tigend mit frohem Behagen feine ſchöne 
Maid betrachtet, das Urbild abzugeben. 
Schmid ſelbſt ift eine biederbe Tiroler- 
geftalt, im deſſen blondem Bart bereits 
grane Fäden weben. Sein munter— 
blinzelmdes Auge leuchtet in hellem 
Feuer, wenn er feine Lieblingswerfe 
aufzeigt und dazu erflärend, oder 
die Genefis erzählend geiltvolle Be— 
merkungen madht. Ihm zur Seite 


ungen. Ich meine für's Erfte das erſchüt— 
ternde Bild: „Verlaſſen.“ Im Hochge— 
birge, aus deffen Hintergrund Gletſcher 
ftarren, ein Srenz. An den Stufen des— 
jelben bingeftredt, das Antliß an den 
Stein gepreßt, eine junge Maid mit 
einem Kinde. Man ahnt das dämonifche 
Gefchid, welches, wie ein heißer Sturm 
‚in der Sommernadt, das Nöslein ent» 
‚blättert hat. Und jeßt verlaffen! In 
Schand' und Elend verlaifen! Und der 
Knab' geht an der Seite einer Andern 
ſtramm an ihr vorüber und neuen 








fteht eine liebenswürdige Frau und ein | Freuden entgegen. Dieſe Andere ficht 
holdes ZTöchterlein, deren Theilmahme | mit lebhaften Befremden das in ftarrer 
und Kunftverftändnis den Meifter ſtets Verzweiflung  bingeftredte Mädchen. 


ermunternd und jördernd begleitet. 
Mathias Schmid's Pinjel hat eine 

Iharfe Spitze, welche gegen die 

Schattenſeite der Geiftlichleit gekehrt 


ift. Der vollstrene Priefter findet in 
mehreren Bildern Schmid’s einen 
warmen, liebevollen Anwalt; aber 


Einem, der fi etwa auf Koſten des 
Volles gütlich thut und in fanatiſchem 
Schwunge den Himmel verfpricht oder 
mit der Hölle droht, um don den 
Gläubigen manch' ein fettes Stüd 
indischer Seligkeit zu erhaſchen, dem 
ergcht es jchlecht, er ift furchtbar ge= 
zeichnet auf der Leinwand diejes Ti— 
toler Banernfohnes. Schade, dal; die 


Der Burſche wendet ſich ab, zieht feine 
neue Freundin raſch mit ſich fort 
und die DBerlaffene bleibt in der 
Bergwildnis liegen auf dem falten 
Steine. Ahnt es das blühende Weſen 
an der Seite des hübſchen Begleiters, 
dal es demſelben Schickſal entgegen- 
geht? — Das andere Bild — id 
möchte e3 das verföhnende Gegenitüd 
nennen — iſt voll herzerquidender 
Wärme. Eine junge Mutter hebt das 
‚liebe, wiedergenefene Kind zu einem 
‚Muttergottesbild empor, dem fie die 
‚Rettung zufchreibt. Daneben fteht der 
junge Vater, Auf den Gefichtern des 
Paares ift Dankgefühl gegen die himm— 





liſche Netterin umd Liebe zum“ Sinde| cher Beicheidenheit — ich kann es nicht 
in unbefchreiblicher Innigleit wieder: | anders jagen — Stand der große Mei— 


gegeben. Es ift ein vührendes hoc): 
poetifches Bild. Ein Mann, der die 
Neligion des Volkes in fo wahrhaft 
frommer Weiſe feiert, wie e& Hier ge= 
chieht, Hat wohl auch das Recht, die, 
confeflionellen Auswüchfe derjelben un 
Icharfer Weife zu beleuchten, wie es 
Schmid im anderen feiner Bilder er— 
tledlih unbefangen thut. 

Wir gehen jegt noch zu einem ans 
dern „Lederhofen- Maler,“ zu Profefjor | 
Franz don Defregger. Am Thore, 
feines Hauſes fteht die Tafel mit der 
schlichten Aufschrift „Franz Defregger.” 
Eo hat er geheißen, als er auf den 
Bergen bei Dölſach die Schafe hütete, 
fo wird er heißen nach hundert Jahren. 
Und auch jeßt wäre er ohne „Pros 
feffor” und ohne „von“ der Größte 
zu München. 

Wir drüden am Glodentnopf, das 
Thor geht langſam, wie von Geifter: 
band erichloffen, auf. Wir treten in 
den Hof, begrüßen eine ſchöne Frau, 
die am Geländer der Treppe fteht, bei 








drei veizenden Knaben, die Fich im freien 
Raum munter berumtummeln; da 
tritt aus den gegenüberliegenden Atelier | 
auch ſchon der Meifter heraus. Es ift 
die edle, liebe Geftalt, noch fait ganz | 
wie vor eilf Jahren, als ich ihn das 
erttemal gejehen. Nur um ein Weniges 
bläffer ſcheint mir fein ernft=freundliches 
Antlig, um einen Schatten jchmäler 
diinfen mich feine Wangen, aber üppig | 
ift noch der dunkle Bart und die Mähne 
des Haupthaares, und fein Huges, treu: 
herziges Auge lächelte uns entgegen: 
Grüß Gott! Sp nahm er mich am 
Arm und führte uns in's Mielier. 
Als 0b das Mtelier eine Nebenfache 
wäre, machte er Miene, uns ohne 
Meiteres durch dasſelbe in das alt— 
deutsche Nebenftübchen zu führen, in 
welchem ich funftvolle Krüge und herr— 
liche Römer blinken ſah. Darauf gieng 
ich nun nicht ein, ſondern ſagte dreilt, 
er möge unftreitig die föftlichften Weine 
haben, ich bliebe im Atelier. Mit keu— 








fter da und mußte es über fich ergeben 
lalfen, wie ich mm feine zwei neneften, 
noch unfertigen Bilder auf der Staffelei 
kühnlich betrachtete und in Jubel aus» 
brach, weil ich eben nicht im Stande 
war, meine Empfindung zurüdzie 
dämmen.  Defregger’s Leben ſelbſt 
Ihon ift ein Sunftwert, im der Ju— 
gend jo reich an Idylliſchem, jebt jo 
groß und bewundert — eine feltfame 
und doch fo einfache Entwidlung. Ein 
Kunftwert von Gotteshband ift fein 
perjönlicher Charakter, ſchlicht und edel 
— ein Liebling der Götter und der 
Menſchen. Defregger's Bilder regten 
mich ftet3 an wie da& lebendige Leben, 
fie ftellen das Volksthum ſtets von 
feiner beiterften Seite dar. Selbſt 
feine biftorfchen Gemälde zeigen immer 


nur die Kraft und Größe des Volkes 


und wirken auf den Beſchauer bes 
freiend und erhebend. Weil Defregger 
den Menfchen alfo feiert und adelt, 
deshalb ift er der Liebling der Welt 
geworden. 

Defregger arbeitet gegenwärtig an 
zwei.heiteren Genrebildern. Das eine 
ftellt dar, wie ein Maler in die Senn— 
hütte tritt, um ſich Modelle zu juchen. 
Die hübſchen Senninnen, die Iheils 
ſchämig, theils fed dreinichanen und 
nicht recht willen, wie fie fich aus dieſer 
unvorhergeſehenen Affaire ziehen follen, 
find zu der komisch aufgefaßten Maler— 
geftalt ein überaus wirkſamer Gegen 
aß. Die Dirnlein Sperren ſich ſtark, 
aber jedem merkt man es an, wie 
es bedacht ift, im guter Art auf die 
Leinwand zu kommen. — Auf dem 
anderen Bilde ſitzt ein Familienvater 
— ein bildjauberer Bauer — am 
Tiſch und verfucht einmal, wie feinem 
jüngiten, etwa zweijährigen Sprößling 
das Tabafspfeitlein ftehe. Die Mutter 
ſchaut dem Unfug ein wenig ſchmol— 
lend zu, und doch ſchmunzelnd, denn 
das Pfeiflein fteht dem Kleinen gar 
zu poflierlih. Es ift wieder ein Bild 
jener fachenden Harmloſigkeit, die uns 


289 





bei dieſem Meifter jo unfäglich an— Mir war es gegönnt, im Defrege, 
autthet. Ganz wunderbar und doch | gers Haufe Zeuge feines Glüdes zu 
fo ungefuht — denn die Gruppe ſitzt fein. Ein anmuthsreiches, geijtvolles 
einfah am Fenſter — find die Lichte / Weib, vier herzige Knaben, wovon 
effecte dieſes Bildes, welches wahr- der jüngfte noch in der Wiege liegt, 
icheinlih unter dem Namen: „Das und ringsum Schönheit und Ehren 
erſte Pfeiferl“, in guten und ſchlechten überall! — Endlid auf die lärmende 
Nahbildungen die Reife um die Welt Gaſſe getreten, war es mir wie ein 
machen wird. ı Traum, daß es auf diefer Erde doch 
Während nmjeres Plauderftünd» auch noch Menjchen gibt, welchen es 
chens berührte die Gemahlin des Malers ; gegönnt ift, im Bereiche des Schönen 
die zahllofen unberechtigten Verviel- und des Edlen, angemefjen ihrer Per— 
fältigungen und grauenhaften Nach- | fönlichkeit ein wahrhaft harmonifches 
bildungen feiner Bilder und daß er Leben zu führen. 
fih denn endlich gezwungen geſehen Der Eindruck, den die drei großen 
habe, einem norddeutſchen Nachmacher Maler auf mich gemacht haben, zeigt 
durch gerichtliche Einſchreitung das ſich mir nun beiläufig ſo: Grützner 
Handwerk zu legen. — Zu meiner iſt nebſt Maler ein ſich deſſen bewußter 
rende beſtätigte Defregger, daß dem- Humoriſt; Schmid iſt nebſt Maler 
nächſt im Grazer Kunſtverein ſein manchmal ein ſich deſſen bewußter Revo— 
Bild „Zur Geſundheit“ zur Ausſtel- lutionär; Defregger iſt nur Maler, 
lung kommen wird. Er hätte, meinte nur Künſtler allein. Er kümmert ſich 
er, auch fein neues großes Mutter- nicht um geſellſchaftliche Beziehungen 
gottesbild gerne geichidt, aber das jei, und Strömungen, fein Ein und Alles 
bereit3 nach Amerika abgedampft. Ein ift das Schöne. Er denkt im Schaffen 
reicher Amerikaner wollte es noch bis nicht einen Gedanken, er empfindet 
zum MWeihnachtsfeite Haben und jo habe | eine Ericheinung. Ohne WReflerion, 
e3 ich bei Zeiten auf den Weg machen | ganz unmittelbar ftellt er dieſe Er— 
müſſen. Ich mußte mich alfo mit dem) fcheinung dar, und eben fo unmittelbar 
Anſehen der Skizze befriedigen. Das | wirkt fein Bild auf den Beſchauer. 
AUngeliht Mariens und des Jeſukind- | Er fejlelt feine Kunſt weder an Politik 
leins ift von einer himmlich-verklärten noch andere Zagesinterefjen, fein Ziel 
Innigkeit umd ich beneidete den Ameris | ift das menschlich Schöne und Ewige, 
faner, der feiner Frau eine Solche) und das ſichert ihm feine beijpiellojen 
MWeihnahtsgabe machen kann. Erfolge und feine Unsterblichkeit. 





| 





Briefe über die Ehe. 


Ton Raymund Mayr, 


1. brechend, zu ſagen, ich ſei ein Schwär: 
— mer, ich ſolle nur erſt Erfahrungen 
ie hatten ſtets ein überlegenes ſammeln und auf dieſe mein Urtheil 
Lächeln auf den Lippen, gnä- | gründen. 

dige Frau, wenn wir auf die Ehe zu Das Hab’ ih redlich gethan: ich 
ſprechen famen; Sie pflegten dann | habe mir jo viele Ehen in allen Re— 
auch regelmäßig, das Geſpräch ab- | gionen des Lebens, beim grellen Son» 


Rofegger’s „‚tUrimgarien‘*, 4, Get, XI. 19 








290 





‚nenlichte derber Ungeniertheit und ud weltbeherrjchenden Eulturvolfe. Tacitus 
beim ungewiſſen Dämmerſchein des — es ift nun Schon modern, ihm zu 
äußern Decorums, angefehen, daß ich citieren — Sagt in dem Sittenfpiegel, 
die Refultate meiner Beobachtungen in | den er feinen entarteten Zeitgenofjen 
diefen Briefen niederlegen darf, ohne vorhielt, von den Germanen, daß jie 


befürchten zu müflen, daß Sie mich | in ihren Frauen etwas Heiliges, Pro— 


wieder einen Schwärmer fchelten, wenn 
ih es im Grunde auch geblieben bin; 
— ich Habe fogar geheiratet und führe 
mit meinem Weibe vorläufig eine 
Mufterehe. Nun lachen Sie gar und 
nennen mich einen Narren! Aber Sie 
werden mir bald im Stillen Abbitte 
leiften, ja mir begeiftert zuftimmen. 
Vorher jedoch muß ich Sie bitten, eine 
kurze Einleitung über ſich ergehen zu 
lafjen. Ich werde Ihre Geduld auf 
feine allzu harte Probe Stellen; ich 
fönnte freilich, wollte ich mein Thema 
gründlich erörtern, ab ovo beginnen, 
nich auf das culturgefchichtliche Ge 
biet begeben und der hiftorifchen Ent= 
widlung der Ehe nachipüren, könnte 
von der Geltung der Frau bei den 


phetifches, verehrten, dab fie faft die 
einzigen Barbaren feien, die mono— 
gamifch lebten. Es ändert an der 
Bollstugend nichts, wenn einige Für— 
ften davon eine Ausnahme machten. 
Tacitus bemerkt, daß diefe ftandeshalber 
mehrere Frauen hielten; dies iſt aber 
wohl fo zu verftehen, daß ſich Hierin 
die Fürften mehr oder weniger alle 
gleichen : die Gewalt verleitet zu Aus— 
Ichreitungen und ift immer geneigt, 
fih mit fremden Sitten und Lurus 
zu umgeben. Wenn der römische Ge— 
chichtichreiber ferner am dem Germa— 
nen die außerordentliche Seltenheit des 
Ehebruchs, der mit den härteften Stra: 
fen belegt wurde, den reichen Kinder- 
jegen, auf den man ftolz war, kurz, 





Morgenländern, Griechen, Germanen die Einfachheit und Neinheit des Le— 
Iprechen, könnte eine Wanderung durch bens rühmt, jo ift von all diefen jchö- 
das vepublifanifche und faijerliche Rom Dingen immerhin Einiges an den 
unternehmen und Sie mit einer Fülle) Deutichen hängen geblieben, Joweit es 
intereffanter Details überſchütten: aber | mit dem Ihwindenden Nationalftolze, 
ich will, einige Hiftorifche Seitenfprünge d. h. mit der Nachahmung fremder 
abgerechnet, in der Gegenwart bleiben. Sitten verträglich it. 
und Ahnen nicht aus Büchern zufane Während Die weiche , woltüftige 
mengetragene Notizen auftifchen, ſon- Sinnlichleit des Orients in der Viel⸗ 
dern mein Skizzenbuch öffnen mit den weiberei verſank, erhob dag Chriſten— 
Beobachtungen und Zeichnungen nach thum, das ſeine erſten und kräftigſten 
der Natur. Wurzeln im deutjchen Semirtge ſchlug, 
Das Subftrat der Ehe ift die) das Weib auf eine ideale Höhe und 
Einnlichleit ; deshalb find ihre Wand | durchgeiftigte die Sinmlichleit. Die 
lungen und Entartungen, i ihre Ent: | Vollerſtürme ließen die zarten Keime 
wiclungsbhaſen im Leben der Völker des chriſtlichen Ideals nicht zur ruhi— 
wie der Individuen an deren ſinn- gen, vollen Entwidlung kommen und 
liche Verfaffungen gebunden. Ein Blick diefes trieb im Mariencultus die lieb— 


in die Bergangenheit zeigt, dab eine, 
ſtarke, gefunde Sinnlichkeit immer aud) | 
der Ehe eine feſte For, Reinheit, 
Innerlichkeit und Opferwilligfeit geges 
ben bat. Darin unterfcheiden fich ſchon 


lihe Blüte für das religiöſe und 
fünftlerifche Bedürfnis; im Leben aber 
ftand waffenumlärmt der Minnedienft, 
die ritterlich = poetiiche Verehrung des 
Meibes im üppigen Flor und jenem 


unfere heidnifchen Vorfahren, die mit, folgte als letzte chriftlihe Nachblüte 


| 





der friſchen Kraft ihrer Jugend auf 
die MWeltbühne traten, höchſt vortheils 
haft von den Römern, dem alternden, 





die bürgerlich = ehrfame 
ſeligen Angedenfens. 
Ih Sehe Etwas wie Erwartung in 


deutiche Ehe 


291 


Ihren Augen aufbligen, gnädige Frau 
— aber ih muß der Verfuchung, in 
die ſanges- und liebeluftige Zeit des 
eriten Ritterthums, in die Thäler der 
Provence, abzufchweifen, um mir ein 
ſüß dankendes Lächeln zu erobern, 
widerftehen und Sie, wenn Ihnen nach 
Minnengeſchichten gelüftet, auf Paul 
Heyſe's Tronbadour-Novellen verwei— 
ſen. Lieber möcht' ich, wenn dies in 
meinem Plane läge und mich nicht zu 
weit abführen würde, bei der genannten 
bürgerlich-ehrſamen deutſchen Ehe ver— 
weilen, um dieſe cum ira et studio 
den entarteten Zeitgenoffen als taci= 
teiſchen Sittenfpiegel vor Augen zu 
halten. Ich begnüge mich, meine obige 
biftorifche Neminifcenz bezüglich des 
Minnedienftes dahin zu vervollftändis 
gen, daß derjelbe mit feinem Zwilling 
bruder, dem Minnegefang, in feiner 
ganzen Teichtlebigen Herrlichkeit vor— 
jugsweife in Frankreich, im alten 
Keltenlande, blühte. Dort find auch 
jene Fabliaur und Gontes zuhaufe, 
jene frivolen Liebesbüdher, die die 
franzöfifche Literatur bezeichnend ein— 
leiten. Nirgends find die Dichter fo 
ehr die Kinder ihrer Zeit und die 
Herolde der Gejellichaft, als in Frank— 
reich, in Paris. Heute florieren dort 
das Ehebruhsdrama und der natura= 
liſtiſche Roman, erfchredlich getreue 
Thotograpbien der Gefellichaft, aber 
feine Kunſtwerke, feine mild verföhnen- 
den, heiter ſchönen Dichtungen. 


dem die frivolen, nervenreizenden Ef— 
fecte im Drama und Roman gefallen, 
weil er für die hehre, keuſche Schön- 
heit feine Empfänglichleit mehr bejißt, 
der fih am Blödfinn lasciver Operetten 
ergößt, weil der gefunde heitere Humor 
ihm nicht mehr genügt. Und welche 
find, um wieder auf ein Thema zu 
fommen, die Urfachen diefer für alle 
Richtungen des Lebens bedenflichen 
Ericheinung? Die entlräftete Sinn 
lichkeit, das heruntergefommene Ems 
pfinden, das miüchterne, realiſtiſche 
Denten. Und fanıı der moderne 
Menfch unter den Einflüffen einer nach 
Genuß und Gewinn hindrängenden 
Cultur ſich harmöoniſch entwideln ? 
Sein Wiſſen bereichert ſich, aber ſein 
Empfinden verarmt, ſein Verſtand ge— 
langt zur abſoluten Herrſchaft, aber 
dieſe bedeutet das Raäffinement des 
Egoismus. Diefer ſouveräne Egoismus 
ift es, der alle Lebensblüten zerftört: er 
tödtet die Freundſchaft, er profaniert 
die Liebe, er erniedrigt die Ehe. Im— 
Bınde mit dem Materialismus bes 
lächelt er die Ueußerung des warmen, 
entdufiaftifchen Gefühle und befpöttelt 
fie al$ nationalöfonomifche Vergehen. 
Freilich, das Wiſſen läßt fich in gutes. 
gangbares Geld umfeßen, das Em— 
pfinden ift Märchengold, eine Papier— 
frone in den Loden eines Kindes, ein 
Edelftein in der Hütte eines Einfiedlers, 
ein Scepter in der Hand eines Narren 


Sp|.... Verzeihen Sie, gnädige Frau, 


kann man von der Belchaffenheit der | diefe bittere Aufwallung — ich wollte 
geiftigen Production und dem herr= ſagen, daß das Wiſſen und der rech— 
Ihenden Geihmade mit faſt untrüg- nende VBerftand allein nur „tönendes 
licher Sicherheit auf das geſellſchaft- Erz“ find, das reine, Schöne Empfinden 
lihe Leben und deſſen bewegenden | gibt erft den Adel des Charakters. Und 
Puls, die Ehe, fchliegen. Ich jehe Sie | diefen Adel muß der Mann befigen, damit 
ungläubig lächeln, gnädige Frau ; leis | das Weib vor der jchlimmiten Ente 
der muß ich es mir derfagen, dies täuſchung: der Geringihäßung des 
weiter auszuführen und den beftehen: | Gemüthes, und die Ehe vor ihren 
den Zuſammenhang darzulegen, indem | größten Feinden: der Leerheit und 
ich die logische Brüde vor Ihnen aufs | Gleichgiltigfeit bewahrt bleibe. Es gibt 
baue; aber ih kann es micht unter- wohl geiſtreiche Lumpe, aber feine 
laffen, zur Beleuchtung obiger Bez | miederträchtigen Gefühlsmenſchen. — 
bauptung auf den in deutfchen Landen | ch möchte, angeſichts der entwürs 
herrfchenden Geſchmack hinzuweisen, |digenden und entiittlihenden Lojung 


19* 





der Gegenwart: Zeit ift Geld, ange: tung ift das Refultat ernften Nach— 
ſichts unſerer Großftädte, deren Ges denkens und eingehender Beobadhtungen. 
ſchäfte zur Einfeitigkeit, zum brutalen Ein Dichterwort jagt: Des Weibes 
Erwerb hindrängen und deren Genüffe | Fehler find die Schuld des Mannes. 
mehr entnerven als verfeinern, die) Wenn es nun auch ein Spanifcher 
Behauptung aufftellen, daß die derbe, | Dichter ift, deffen Ritterlichkeit jo Hohen 
gefunde Sinnlichkeit, wie fie unfern | Flug nimmt, fo Hat fie doch den 
Altvordern zu Eigen war, eine befjere | Boden der Wirklichkeit nicht ganz ver— 
Grundlage für die Ehe abgab, als die loren. Ya, ich geftehe, daß obige 
biutloje, nervöſe unferer Tage e2 im | Worte mir eine feine Wahrheit zu ent— 
Stande it. Das deal wäre die halten fcheinen und ala ich diefelben 
durchgeiftigte, Schöne, gefunde Sinn: las, war’s mir, als ſähe ich dem Uebel 
lichkeit. Wenn der Mann heutzutage |der Ehe auf den Grund. Iſt dem 
immer nüchterner, profaischer wird, fo | Manne nicht ſchon von der Natur — 
bewahrt des Weibes paflive Natur Hinz vergeben Sie diefen naturwillenichaft- 
gegen, wenn auch Schon von dem gleir lichen Ausdrud — die Derrfchaft über 
hen Einflüffen angelränfelt, länger ihre das Weib gegeben ? Und Hat er nicht 
Empfänglichkeit für das ftille Glück als der Stärfere, thaätſächlich Herr— 
des Herzens. Und findet fie die herz= | chende von jeher das ganze — poli« 
liche, zärtliche Liebe nicht, die fie ver= |tifche, fociale und geiftige — Leben 
langt, die fie allein ausfüllt, jo wird nach feinem Begehren geformt, ſomit 
fie entarten und dadurch verliert das Jauch dem Inftitute der Ehe feinen 
Meib wieder den wohlthätigen Einfluß | Geift eingehauht? Der Mann Hat 
auf den Mann. So droht das natür- |zu allen Zeiten das Weſen des Weibes 
lihe Verhältnis zwiſchen Mann und |beftimmt: wo er ftark und unverdorben 
Weib in der ungeſunden Atmoſphäre |war, da war es auch das Weib; ihre 
unferes focialen Lebens zu verfümmern, | Erniedrigung und Feilheit entiprechen 
denn der bisherige Träger desjelben, | feiner "geiftigen Roheit und finnlichen 
der Mann, befigt micht mehr das |Entartung, und wo er ſchwach und 
weiche, innige Wefen, um es zu vers knechtiſch gefinnt war, da überhob ſich 
Ihönern und die Frauenemancipation )da8 Weib und herrſchte wie — ein 
mit ihren eklen Auswüchjen wird es Weib. Vergangenheit und Gegenwart, 
auch kaum zu regenerieren im Stande Geſchichte und Gefellfchaft bezeugen 
fein. Die lage um die Einfachheit dies zur Genüge. Heute ift es die 
des Lebens, die längft entſchwunden nüchterne Berftandesrichtung, die ma— 
ift, wird man heute ſelbſt einem Idyl— terielle Weltanſchauung, der auch das 
lendichter nur ſchwer mehr verzeihen, |zartere Gefchleht ſchon zu erliegen 
aber den Berluft der Selbftgenügfams droht und der gemeine Gejchäftsgeift 
feit und Zufriedenheit, jenes Glüdes, |ift es, der feinen geldmachenden Stab 
das in der Reinheit und im Reichthum | iiber alles Leben und Streben ſchwingt. 
des Gemüthes liegt, dürfen wir tief Der Mann ſteht heute der Ehe blaſiert 
beklagen, vor Allem deshalb, weil da- oder berechnend gegenüber, weil er für 
durch die Ehe am empfindlichten ges |die Würde und Schönheit derfelben 
troffen wird. ‚keinen Sinn mehr hat, und jo Tann 

Wenn ich nun nach den nächſten er ihr auch die Seele nicht geben, die 
Urſachen forfche, die die Mifere der | Bürgſchaft für ihre Wohlfahrt, ihr 
modernen Ehe — denn diefe ift zweifel: | Glüd. Der Mann hat die Genußſucht 
108 vorhanden — bewirken, jo finde in die Ehe gebracht, denn als das 
ich diefelben — ich |potte weder, guä= | Weib noch in den engen Kreis des 
dige Frau, noch ſchmeichle ih — zu- | Haufe? gebannt war, als es ihr die 
meift beim Manne. Meine Behaup- | Sitte verbot, an Öffentlichen Vergnü— 





Pr re u 2 


-- —— — 17 — 


293 


gungen theilzunehmen, war er der es gründete; verdüſtert, vereinſamt, 
allein Genießende, der ſie, die Ent— oft verwildert ſteht der Mann daneben, 
behrende, knechtete, bis die Stunde und trüben Auges ſuchen Beide in 
der Freiheit für ſie ſchlug; da durch- dem Schutte nach der zerſtörenden 
brach die lang gehemmte Lebensluſt | Gewalt und nach einem Goldflinmer 
alle Schranfen — und ſeitdem ift das | aus der geftürzten und ausgebrannten 
ebenbürtige Genoflin. Mit diefen Worten Weinhold’s 

„Auf den Trümmern feines Lebens | gehe ih an die Schilderung der mo— 
fit Schon nach Jahresfrift dasfelbe Weib, | dernen Ehe. 












































(Fortjegung folgt.) 


Viſion. 


Von Leontine Grof. 


J Di ir hatten einander gar bitter gefränft, 

ee Und waren in Zorn und in Grofl d’rauf geichieden; 
Darüber bat jhwarz fih die Naht dann gejentt, 

As ob fie begraben wollt’ all’ unjer Lieben. 

Und als ih in Thränen mein Lager geiudt, 

Und als mich der Schlummer nod lange gemieden, 

Da hab’ ich voll Serzleid der Liebe geflucht, 

Und hab’ ihr im Geifte den Abſchied gefchrieben. 





Da neigte der Traumgott ſich gnädig mir zu 

Und ſchloß mir die Augen, die müden, die Franken, 
Und lullt das befümmerte Herz mir zur Ruh' — 
Erbarmend hielt endlich der Schlaf mi umfangen ; 
Allein noh im Traume war nah’ mir mein Leid 
Und ſehnſuchtsvoll fehrien zurüd die Gedanken 
Zum Liebften, von dem ich geichieden mid heut’, 
Zur Stunde, da wir von einander gegangen. 


Doch nimmermehr war es jein liebes Geſicht, 

Das jet ih im dämmernden Traumbild erjchaute; 
63 fehlte den Augen das Leben, das Licht, 

Das ftrahlend entgegen mir jonft daraus blaute. 


Das theuere Antlis, das froh mir geladt, 

Nun ſah' ih es bleih und erftarrt vor mir liegen — 
Die Lippen, die manderlei Scherzwort erdadt, 

Sie jhienen für immerdar ftumm und verichwiegen. 


Was einftens entziidte mein liebend Gemüth, 
Was jonft mid mit Freude und Wonne erfüllte, 
Ih mußt’ e8 erbliden verdorrt und verblüht, 
Da bitterer Tod nun mein Liebftes verhüflte. 


Da faßte entjegliches Grauen mid an — 
Erftarrend es frampfte das Herz mir zuſammen; 
Ich jah’, um mein Glüd war's für immer gethan, 
Boll Angst rief ich jchluchzend den theueren Namen. 








Vergebens! — Schon züngelt gar gierig empor 
Der Vorwurf mit lodernd verjengenden Flammen 
Und träufelt fein marterndes Gift mir in's Ohr, 
Und ftreut in meim Gerz den verderbenden Samen: 


„Du haft Deinen Liebfien zu Tode gequält, 

Im Zorn und im Groll bift Du von ihm gegangen, 
Haft graufam und ftolz Deine Lieb ihm verbehlt, 
Mit Spott ihm gelohnt fein glühend Verlangen. 


„Du baft Deinen Liebften zu Tode gequält, 
Nun ift er fir immer von binnen gegangen... 
Du haft Dich verfündigt und bitter gefehlt, 
Die Todten erwedet fein heißes Verlangen!“ 


So lost es und brandet e3 rings um mid her 
Von martervoll quälenden, tüdiichen Stimmen, 
Die Seele belaftet es drüdend und ſchwer, 

Bis mählih des Traumbildes Nebel verglimmen. 


Da fahr ih vom Lager empor voller Qual 

Und fann mid, erwadend, vor Schmerz faum nod faflen. 
Und Eines nur fühl’ ich: ein einzigesmal 

Wollt’ liebend, wie jonft, ih den Liebften umfafjen. 

Wie wollt’ ih ihn küſſen zu taujendmal 

Und nimmer in Leid und in Luft von ihm laſſen, 

Wie wollt ich entjühnen die frühere Qual, 

Bis daß all’ fein Glüd er nit wühte zu fajlen! 


Daneben hat leife ein Niegel gelnarrt, 

Und vor meiner Kammerthür' bleibt wohl was ftehen. 
Das klingt, als ob Jemand auf Einlaß beharrt... 
Nun hör’ ih ganz deutlich ein inniges Flehen. 

Weiß Gott, feine Stimme, jo lieb und jo traut — 
Ih muß durch die Niten ein wenig nur jpäben... 
Jetzt hab’ ich den Liebſten lebendig erihaut — 
Vor Wonne und Eeligfeit möcht’ ich vergehen! 


Die Gſchicht vom Stanglpuber. 


Bauern-Mähr, im niederöfterr. Gebirgs-Dialect erzählt von Ed. Ig. Freunthaller, 


5» o is amol a Voder qweit, der ah in d Fremd, i bon foa Brot mehr 
* bot droui Buabn ghot: en für Di!“ 
Woſt, en Jogl und en Polt. Der Bua nimmt ſei Binggerl und 

Sogt der Voder amol zan Woſt: marſchiert. 
„Bua — Du mugßt hiazt in d Da Vergeht wieder a Jahrl. Cogt 
— ih mog Di neama daholtn!” ‚der Voder zan Bolt: „Hiazt muapt 

Der Bıra bindt ſih fei Binggerl Du wohl ab gehn, i mog mi felbn 
zlomm und gebt. ta daholtu!“ 

Uewer's Johr drauf ſogt der Vor | „Seh ſchon!“ fogt der Polt und 
der zan Jogl: „Bua, hiazt muapt Du | geht. 





295 


Interwegn begegnt eahm a Monn. 

„Wohin fo ſchleuni?“ frogt der fe. 

„Auf Zeippsteill, wo die frumpn 
Noſenlöcher wogſn!“ trumpft ı der 
lufti Bolt o und geht vir. 

„Oft friag i jo an Kommarodn?“ 
lot der Monn; „i bin a Stangl» 
pußer und hon a guats Gſchäft — geh 
it mir, Bua, s wird Dei Schodn 
nit fein!” 

„Stanglpußer?* frogt der Bolt 
und bleibt ſtehn. „Stanglpußer ? Wos 
is däs für a Gſchäft?“ 

Sogt der Monn: „Mir pugn ofle 
Fenfterftangln weg, die ins irn; 
g’orbat wird bei der Nocht, ausgichlofa 
ban Tog — Lohn dos, wos mir 
findn |" 

„J bi dabei!" fogt der Bolt und 
geht mit. 

Und oft jand viele, viele Johr 
Dagonga. 

Erſcht iS der Tiſchler haam — da 
Woſt; oft der Jogl, der Weber; 3 
ollerleht iS der Polt hoam. 

„Wos hHoft für a Profefjion ?“ 
frogt n der Voder. 

„Stanglpußer!“ 

„Dös Dondwer fenn i met!” ſogt 
dranf der Boder, daweil kemman 
Monner von Griht und holn en 
Vodern und die zwen Brilader in n 
Schuldnarreſt. Krida holber, hoaßt's, 
in's Gmoanloch eini. Pfändt is eahr 
gonz Sacherl ah no worn. 

Der Stanglpußer= Bolt loßt olle 
Fünf grod fein und is ofloane in’s 
Wirtshäusl owi. Huckt ebn der Bas 
wolter ban an Schibl Baurn und 
vazählt die Mahr. 

Valimmt en Bawolter auf jo und 
na die goldne Spindluhr. Der je 
fuacht und ſuacht und hebt zan ohaufn 
on wiasdaswöll. Zan a Naferei war 
3 kemma, wonn nit da Volt urgach 
foget: „Gſtreng Gnodn — d Uhr 
hobt's jo eh!” 

Und richti — d Uhr 
Buggl obn hänga ghot. 


bot er om 


daweil er fo frogt, valimmt eahm d 
Uhr nohmol. 

Er Hot | oft wieder gfundn — in 
Bierglasl drein. 

„Wirſcht, zohln!“ ſchreit nochet 
der Vawolter ſpringgifti, daweil mog 
er ſei Briaftofchn nit findn. 

Sogt der Polt: „Gitreng Herr 
Vawolter, d Uhr muagß ſih findn lofin, 
eppan hobt ſie's intern Huat ?“ 

Richti, djelb wor | drein. 

„'s muaß a Schworzfünftler inter 
ins ſein oder es hot a Her ihr Teurl— 
gſpiel!“ moan'n die Baurn und 
mochan ſih hoamzug. 

Mitten im der Nocht wird's in 
Dörfl leiwendi. 

„A Brond, a Brond!“ 

„Wo denn ?* 

„In Gmoanhaus brennt's!“ 

D Leut ſand oll zſomm grennt, 
hobn owa ninaſcht a Fuir gſeha. Olls 
hobn F ausgfuadht, gor in's Gmoan— 
loch ſand an etla eini. 

„Gehl's auſſi, Leutl, brenna ſoll's 
wo!” 

„Oft vabreunt infer gonz3 pfändts 
Soda!” jchreit en Stanglputzer Poltn 
jein Boder und rennt aus. Der Woft 
und der Jogl rennen glei in d Gmoau— 
Rumplkommer umi und vettn eah gonz 
Saderl hoam. 

Der Bolt owa hot vehtichoffa glocht 
und glogt: „Don s ja gwißt, daß 
i en Bodern und d Brüader heunt noh 
aus n Loch friag und s pfändte Sa= 
cherl ab noh dazua!“ 

Guat üwa dos. Togs drauf klimmt 
der Vawolter in van Gong und begehrt 
auf. Er will en Poltn ah noh in Arreſt 
drein hobn, den Unheilſtifter! 

Sie redn Hin und ber und zleßt 
ſogt derBawolter: „Meingwegn, 3 gilt! 
Drui Stüdl gib i en Poltn anf und 
die müalin eadm grotu, oft gam i durch 
d Finger!“ 

Der Bolt frogt ſih gleih on um $ 
erſte Stückl. 
| „Mein’n Reitſchimml müoht $ mar 
aus nm Stoll ſchnipfa, ohne day wer 





„Wia denn dos?“ frogt er, und | wos gwohrt!“ 


296 


„Wern mar fchon ſegn, wen der 
Voder en Schimml ſchenkt!“ denkt ſih 
der Volt und fchleicht ſih um Mittn— 
Nocht ols an olts Muaderl valloadt 
zan Herrnſtoll zumi und gamt durch 3 
Stollfenfter. Jeſſas na — der Schimml 
i3 um-und-um onfett’t, om Roß reit’t 
der Moar und ba der Thür loahnen 
a fer Knecht, an iader hot a Trumm 
Scheit in der Hond, und fie lofn und 
paſſn. 

Hiazt mocht ſih der Polt a weng 
laut und geht eini. 

„Mer do?" hoaßt 8. 

„An olts Weibl!* ſogt drauf der 
Volt und mocht ſih a woifelete Stimm 


on; „i muaß Eng hiatn helfa!“ Und 


ſtellt ſih glei on. 

„Hobt s koan Schnops?“ Frogt 
der Polt noch an Rond und kimmt 
mit ran eſlhofin Floſchn „Sauhäut— 
nern“ vira und mocht an Norrnszug 
aus der Floſchn. 

„Mir ah a Schlüpferl!“ ſchrein 
die Ondern und bis in a Stund follt 
ſchon der Moar ven Roß und die fer 
Knecht auf eahm und ſchnoachen eah 
freiftete Not. 

In der Fruah kimmt der Polt om 
Schimml gritten zan Wawolter. 

„Es hot Eng grotn,“ fogt der fe, 
„weil meine Leut en Schnops nit grotn 
hobn kinna!“ 

Der Polt begehrt die zweit Aufgob. 

„Bringt s mar heunt Nocht en 
Porra, en Schulmoafter und en Richter 
in van Sock daher!” 

„Wos a guater Schimml eis, zuigt 
zwoamol!“ denkt jih der Polt und geht 
a weng dor Mittn-Nocht in Freithof, 
ftett auf an iads Kreuz a brinnade 
Kirzu und ſih felbn in a Gruabn. 


Der Schulmoafter ower in oaner Flucht 
gleih in s Pforrhöfl und vazählt die 
Mahr olßer brinnhoaße. 

„Holt s mir en Richter!“ ſchreit 
der Pforrer und laft in Freithof. Der 
Erft in Himml will Er fein. 

„Nur Lüfti in den Sod eini!“ 
mohnt der Bolt und holt en Sod auf. 
Der Pforrer is noh nit drin, fo kimmt 
ſchon der Schulmoafter mit n Richter. 
Wia die drui drein fand, bindt der 
Polt gihmwind en Sod zua, haut ır 
iwa d Ogfl und fohrt o damit. 

Interwegn ſchlogt er durjcht und 
do en Sod on. 

„Auweh!“ fchreit der Pforrer. 

„Io mein, weil der Weg zan 
Himml Holt gor fo ftoani is und 
dorni!“ pfugaßt der Volt, haut en 
Sod erft recht auf d Feuchtugſtomm, 
zleßt ziagt er n gor durch a Hetſchu— 
ſtaudn. 

So kimmt er endli zan Vawolter. 

Der ſe beutlt en Kopf und ſogt 
oft: „Loahn m daweil wo doni, bis 
der Tog auffa kimmt!“ 

In der Fruah fogt oft der Ver— 
wolter zan Polt: „Gehts heunt Nocht 
jan Grofn und bringts mar um Mittn— 
Nocht s Leintuach von der Gräfin ihrır 
Bett und en Ring von Grofn!“ 

Guat ümwa dos. Der Bolt mocht 
fig häufti z thoan in Gſchloß, gebt 
ols Gſtondarr vafloadt um-ranond und 
vaftedt ſih inter der Frau Gräfin 
ihrn Bett. 

Spot in der Not, fo um an 
oanlafe, gengan die Herrnleut jchlofa. 
Sogt noh der Grof: „Heunt Nocht 
ſollt a Rauberskerl kemma, loßt mar 
der Vawolter ſogn!“ In a holbn 


Durſcht drein hebt er oft a a Jammerwer Stund drauf ſchnorchen j fchon wia 


on, grod zan daborma— 
Kimmt der Schuimoaſter in oan 
Saus. 
„Olle 
Herrn —“ 
„Murgn fruah is der Weltinter— 


guatn Geiſter lobn den 


d Rotzu. Da ſchliaft hiazt der Polt 
aus n Vaſteck, nimmt fein Kleiſter— 
häferl, hüflt d Bettdadn auf und ſchütt 
ollu Hleifter mittn auf die Zwoa. Kam 
is der Polt wieder intern Bett, jo 
draht ſih die Grofnfran üwa, mocht 


gong, wer in Himml kemma will, ſoll an Schroa und wedt ihn Herrn. 


jetzund her zu mir!“ So der Bolt. 


„Du Mann, do fchaut s aus!” 


ner 2a 


Der je fteht auf, mocht a Liacht, 
ziagt 5 Leintuah weg und ghäut & 
inter s Bett. 

„Du Monn, Hol an onders Lein— 
tuach!“ 

Daweil der Grof um a Leintuach 
geht, kimmt der Polt ſchon wieder 
vira, mocht ſih en Grofn fei Stimm 
on und ſogt: „Du Wei, hiazt is der 
Diab ſchon do ab; ziag denna ſchleuni 
deine Ring o, ſinſt kimmſt heili drum!“ 

Die Grofnfrau zuigt richti ihre) 
Ring o und gibt | en Polt. Der nimmt 
s Leintuach und d Ring und ſchleicht 
ih damit aus n Gſchloß und Hin zan 
Vawolter. 


„Do war i holt!“ 


Daweil kimmt ſchon der Grof ah 
daher, wird die Gſchicht inna und gift 
id wiaer a Wonzn. 


„3 gicheidterft is,“ fogt er zan 
Bawolter, „ds thoat 3 Enga Gſchäft 
tauſchn!“ Und mocht en Stanglpußer- 
Boltn zan VBawolter. 


Da Vawolter is ogſchobn, gonz 
aus der Gegnd. Da Polt owasr is 
a guater Vawolter worn, weil er 8 
Stanglpugn von Grund aus glernt 
hot, und is zleßt noh a ſtoanreicher 
Monn worn. 


Volksſtück— 


Koſtüme, 


und was darüber ein Kaiſerlicher feiner Schweſter ſchreibt. 


„Liebe Schwelter! | 


Eis war ich wieder einmal im 
JTheater. Eine Nachmittags- 
vorſtellung für das Volk: „Der Pfarrer 
von Kirchfeld“. Volksſtücke, die find, 
mir die lieberen. Bor ſechs Wochen 
war ich in einem Schauspiel von dem 
berühmten Schiller, babe aber nicht 
Alles verftanden, und da gefrents mich 
nicht. Berftanden Hätte ichs diesmal, | 
es iſt ein ſehr intereffantes Schauftüd 
von einem verliebten Pfarrer, und wie 
er das Mädel mit einem Andern trauen 
muß. Und ift Dir ein Wildling da, der 
Wurzel-Sepp, vor dem Einem manch: 
mal ordentlich angft und bang wird, ift, 
aber im Grund ein guter Menfch. Aber 
fonft bin ich micht zufrieden gewesen | 





Dich oft recht ärgern, wie fie uns 
Bauersleute ſpielen — glauben, wenn 
fie „Vua“ und „Liab“ und „Soakra“ 
Jagen, ſie hätten die Bauernart ſchon 
mit Löffeln gefreifen. Und ftatt mit 
jagen fie „niat“ und ftatt na „noa“, 
und alle Angenblid möchte unfereiner 
dreinreden und verbeſſern. Aber das 
Schlechtreden wollt” ich den Komö— 
dianten noch verzeihen, jo eine andere 
Spradart lernt man nicht So leicht, 
das weiß ich recht gut, wie es mir 
geht, wenn ich einmal vornehm reden 
will, jo ich bei der Frau Haupt: 
männin was auszurichten habe, ganz 
nah dem Spruh: „Auf der einen 
Seite iſt er Hinaufgeftiegen, auf der 
van oihi plumſt“. 

Wie aber ſonſt ein Theaterbauer 


und babe an Dich gedacht, Schweſter, oder eine Theaterbäuerin ausſchaut, 
und an Deine Paflion, ins Theater zu das ift Schon aus der Weis. Wo iſt 
geben. Iſt oftmals nicht jo viel da= |ein Bauer, der den Hut dor ſeines— 
Hinter, wie Du meinst. Du würdeſt | gleichen rückt? Auf dem Land drangen 


nicht. Oder haft Du einmal ein Bauern 
mäbdel gefehen, das eine Kniebeugung 
macht, wenn es den Herrn Pfarrer 
grüßt? Ich nicht. Oder beugt Einer 
das Knie, wenn er auf einen Gruß 
„su Ewigkeit Amen“ fagt? Ich glaub’ 
nicht. Im Theater fannft Dur derlei 
bei allen Volksftüden fehen, und das 
nimmt fich nachher juft jo aus, als 
ob jie mit heiligen Sachen Geſpött 
treiben wollten. Das gefällt mir nicht. 

Und erft gar das Gewand! Du 
glaubjt es gar nicht, Schwefter, was 
die Theaterbauern für ein Gewand 
anbaben! Bei den Mannsbildern gehts 
noch, die Alten haben ihre langen 
Kittel, 
vierzig Jahren die Urgroßväter ges 
tragen haben. Die jungen Burſchen 
allemal ihre kohlfchwarzen Kniehoſen, 
aber nicht etwan aus Leder, wie die 
Bauern, ſondern aus Sammt. Die 
Haare find Frifiert und gefchmiert, als 
ob fie juft aus dem Balbierladen kämen. 


Kommt auch bei den Bauern vor, aber 


ein rechter Burſch thus nicht. 


Nun erft die Weibsbilder! Ich hab | 


gememt, ich müßt davonlaufen, wie 


das erſte Bauerndirndel auf den Theater | 
meiſter fein. „Weibeln! oder Fräuleins!“ 


duahertrappelt. Ein armes Dirndl jolls 


vorftellen. Feuerrother Kittel, der nicht | 


viel über die Knie gebt, ein paar hands 
breite Schwarze Sammtſtreifen ringsum 
genäht. Um die Mitten ein Helles 
Seidenband, das weit binabflattert. 
Plüſchmieder, wie es daheim bei uns 
nur die Kaufmännin beim Bürgerball 
trägt, und alsdanıı auf der Bruft jo 
weit ausgejchnitten, daß man Fich ihrer: 
Statt jchier Schämen möcht! Ein buntes 
Häuberl auf dem geichnirgelten Kopf, 
an den Händen güldene Armbänder, 
an den Füßen blutrothe Strümpfe 
oder geftreifte, und Ballſchuherln; die 
Unterröde und Hoſerln mit feinen 
Epigen bejegt — und das will ein 
Bauerndirndl ſein! Auf der ganzen 
Melt tragen die Banernweiber fein 


298 


genan vorichreibt! und jo was wird 
in unſerem Bergland vorgeftellt, in 
einer Stadt, wo alle Tag die Lande 
leute anf dem Markt zu jehen find! 
Und die Zufchauer lafjen ſich das ge— 
fallen. Ich hätt' am liebſten mögen 
auffchreien: ch will mein Eintritts— 
geld wieder zurüd haben, das ijt Alles 
erlogen. So ſchaut fein Bauersmenſch 
aus! Sp dumm ift er nicht. Ya, wenn 
jo ein Bauerngewand, wie fie e3 haben 
jollten, mehr thäte koſten, al$ wie dus 
herriſche Fetzwerk, ich wollt” nichts 
Tagen; die Theaterleut, jo viel ich ge— 
hört, Haben nicht gar viel Geld. Aber 


das Richtige thäte hier weit weniger 
wie fie bei uns daheim vor koſten, als das Unrichtige, und thäte 


den hübſchen Theaterfränlein oftmals 
auch viel beſſer ftehen. Deun wie 
jauber das einfache Bauerngerwandel 
den Dirmdin ſteht, das weis ich von 
daheim. Ich kann mir's alfo gar nicht 
denen, wesweg die Theaterleut’ es nicht 
wollen einjehen, daß fie mit ihren un— 
finnigen Anzug in Banernfchauftüden 
das ganze Zeug verderben. Ich glaub’ 
einer folchen Zierpuppen nichts, fie 
‚mag noch jo ſchön daherveden. 

Da ſollt' nur ich einmal Theaters 





wollt’ ich jagen, „das gibl's nit! Wer 
in einem Banernspiel mittgun will, 
‚der muß mir auch darnach angezogen 
‚fein. Das laſſ' ich Steiner gelten, daß 
‚fie ans Eitelteit alle beliebigen Fetzen 
und Farben auf ſich hängt und mir, 
das Stüd verdirbt.“ Wenn fie 
ſchon Schauspieler fein wollen, Jo jollen 
fie es ganz fein und was Ordentliches 





‚machen, daß es fein’ Schand und Spott 


ift. Ich ſcher' mich beim „Pfarrer von 
Kicchfeld" den Teufel um das Fräulein 
jo und fo und ihr Peibgewandel, ich 
will die Ana Birkmeier Sehen für 
mein Geld, ‚oder es ſoll mich der ganze 
Strempel — 

| — ns der Brief weiter enthält, 
geht mur die Schweſter an. Ich habe 


ſolches Gewand. Und fo "was wird in das Schreiben ſoweit abgedrudt, um un— 
einem Stüd gemacht, wo der Dichter | jeren gefhägten Schauspielern, Theater⸗ 
— wie es heißt — das Gewand doch directoren und Regiſſeuren zu zeigen, 


299 





dab fie felbft vor fo einem Lande» ihrem Willen und ftellte ein Boltsftüd 
joldaten des 27. Iufanterie-Regimentes | ordentlih und auch in der Kleidung 
nicht Ficher find, gezaust zu werden. |dar, wie fich’s gehört. 

Ich an ihrer Stelle möchte es aber Wenn dann Der von der Infanterie 
nicht d'rauf ankommen laffen ; ich thäte noch raifonnieren wollte, ließe ich ihn 
im ottesnamen diefen Leuten nad | hinansführen. 


> 


Der Dichter und die Zeitgenoflen. 


Das Müdden: 


„ wie er tief in's Gerz mich traf! 
Ich bitt’ ihn um ein Autograph. 


Der Theater:Baron, 


Fin Traueripiel? Langweilige Proben! 
Fein Boudoir und feine Roben! 








Der IJüngling. | Die Berufsgenofjen. 


Nicht Ichleht! Nur mühte man die Saden 
Erſt welt: und bühnenfähig machen. 


Die Polizei: 
Die dran. Franzofen, Türken, Römer, Griechen — 


Gin Minnerauſch ift fein Gedicht, Schon gut! doch deutſch — das wird geftrichen. 
Sieht man ihn an, man glaubt’s ihm 4 Der Meiſter. 


Nur muthig! laß den Kopf nicht hangen! 
DIE RANK, Wir haben Alle angefangen. 


Scharf wie ein Schwert weiß er zu fingen, | 
Wir wollen ihm ein Profit bringen. 





Kein Amt? Nur Dichter in der Welt? 


Der Menich hat den Beruf verfehlt. Der Urtheilspädter. 
Man hat Did) zwölfmal applaudiert, 
Der TheatersDirector. Geduld! das wird verhallen; 


Du bift bei und nit abonniert, 
Mit Sturm und Drang laßt mid) in Frieden! So bift Du durdgefallen. 

Ich inicenier’ nur Invaliden. 
Brit fih aud einer das Genid, | Der Poet. 
Nur bejier für mein eig'nes Stüd. | Was ift denn geſcheh'n? 
5 Laßt fie ſchwätzen und jchreiben! 
Der Regiijenr. | Die Blätter vergeh'n, 


Ihr greift in's Leben zwar, in's volle, — EINER, Sran Aeim. 
Jedoch für mich gibt's keine Rolle. (‚„Sturmgefang des Lebens.“) 





Kleine Laube. 


Wenn Du gehft von mir, mein Lieb. 


Wenn Du gehft, wenn Du gehit von mir, mein Lieb, 
Von mir mein Lieb, 

Eo iſt es aus mit mir, 

Ih wand’re Dir nad durd die halbe Welt, 
Die halbe Welt, 

Und ſuch' und ruch' nah Dir. 

Ich frage den Jäger im grünen Wald, 

Den Schäfer auf blumiger Au: 

Haft Du nit gejehn eine ſchöne Maid, 

Mit hellen Yeuglein blau? 


Ih frage den Vogel im Buchenhag, 
Im Buchenhag, 

Den Fiſch im Meeresgrund, 
Haft Du nit gejehn eine holde Maid, 

{ Eine holde Maid, 
Mit rojenrothem Mund ? 
Ich frage den Gräber am Kirhhofsthor, 
Den Prieſter am hohen Altar: 
Haft Du nit getraut eine jhöne Braut 
Mit Iraufem guldnen Haar? 


Und weiß ih Dich jchlafen im tiefen See, 
Im tiefen See, 

So jauchz' ih mit hellem Muth, 

Und tauche, mein Lieb, zu Dir hinab, 
Zu Dir hinab, 

In die weiche fühlende Flut. 

Und weiß ih Did eines Andern Braut, 

Mit runden Wängelein roth, 

So leg’ ih mich auf die Erden hin 

Und meine, und meine mid) todt. 


Und wenn ich an Lieb’ geftorben bin, 
Geitorben bin, 

So graben fie ein tiefes Grab, 

Und legen ein Kreuz mir auf die Bruft, 
Wohl auf die Bruft, 

Und ſenken mich ftill hinab, 

So haft Tu Did, Kind, von mir gemwendt, 

Und ich bin blieben Dein, 

Gott mit Dir, Gott mit Dir, Du hartes Lieb, 

Es hat jo müſſen jein. 


Krieglah-Alpel, 1559. Peter Roſegger. 


Wintertage in der Stadt. 


E3 mußt Aller nichts. Bald nad 
dem Eintritte der Tag- und Nachtgleiche 
im Herbſt, wenn der Thau der Wiejen 
nicht mehr trodnen will tagsüber, wenn 
der graue Nebel die Thaler zudedt bis | 
bob in den Mittag hinein, wenn Die 
Mälder gilben und jchweigen, an den 
Brunnen kryſtallne Eiszäpflein hängen, 
die Wege jhlammig werden und Die | 
langen Abende herniederfinten auf die! 
Dörfer und waldumfriedeten Heimftätten | 
der Menjchen, und wenn es frojtig wird 
im Sommerhauje und doch das Dfenfeuer 
noch nicht ftilgerecht jein will in der 
Nachmittagsſonne — da hebt das Gift 
an zu wirten — das Gift unjerer Eultur, 
die Sehnjuht nah den Stadtmanern, 
dem Ötraßenpflajter und den Gas 
flammen. 


Und doch gäbe es für ein beichaus | 
liches Menjchenberz nichts Irauteres und 
Erguidenderes, al3 den ländlichen Frie⸗ 
den des Herbſtes. Der Hochſommertag 
hat zwei Nächte, eine dunkle, fühle und 
eine belle, glühende. Die lektere dauert 
von neun Uhr früb bis fünf Uhr abends, 
fie bannt Dich in's jchattige Zimmer, 
denn die Hitze in einem Sommermittag iſt 
unmirtlicher, al3 der Sturm in einer 
Winternacht. Im Herbit hingegen gebört 
der ganze Tag Dein und auch in ber | 
Mittagsjonne läßt ſich's Fröhlich wandern | 


Am Morgen und | 








über Berg und Thal. 
am Abend iſt wohlgemuth zu jein, | 
und der Herbittag iſt zujammenge- 
jest aus einem Morgen und einem 
Abend. Im Walde mit den träumenden 
MWipfeln weht der kühle Erd- und Moos: 
duft und die abfallenden Blätter des 
Yaubgebölzes und des Heidefrautes würs | 
zen die jtille Welt mit erfriſchendem und 


| mal wieder jo groß und wichtig. 


jälen, von gelelligen Zirkeln und Winter- 
moden, von den jchweren Seidengardinen 
und bunten Fußteppichen Deiner Stadt- 
gemächer, und dieſelben Tinge, die Dich 
im Frühſommer angemwidert und fort 
getrieben hatten hinaus im die ländliche 
Nutur, diefelben Dinge loden Dich jetzt 
wieder zurüd in die Mauern. 

Und eines Abends trotteft Du wieder 
auf dem glatten Trottoir zwilchen der 
Menge dahin, wirfſt gleichgiltige Blide 
auf die glitzernden Auslagkäften, es tt 
Dir jo, als ob Du nie fortgegangen wäreit, 
und als ob die langen jeligen Sommer- 
monate nur ein Traum gemwejen wären, 

Kaum Du Deine Stadtwohnung in 
Stand geſetzt haft, um darin in ftiller 
Winterbejhaulichkeit zu haufen, bat fie 
Dir auch jchon den Weiz verloren, Du 
ſucheſt Zerjtreuungen auswärts. Die länd- 
lide Sammlung will in ftädtiicher Zer— 
jtreuung ihr Gegengewicht haben, md 
Verhältnifie, die Dir vom Lande aus 
gejehen jo Heinlib und nichtig vorges 
fommen find, werden Dir jept auf ein- 
Die 
MWirtsbauscirkel, der SKaffeehaustratic ! 
Du gebit in’3 Theater, um die neuen 
„Kräfte“ zu befritteln, micht aber um 
ein Kunftwerf zu genießen. Du gebit 
in's Concert, wicht ſoſehr um die San— 
gerin zu hören, jondern vielmehr um fie 
zu jehen. Du beſuchſt Kunſtausſtellungen, 
um im Gejellichaften darüber mitjprechen 
zu können, Du wohnſt Vorlejungen bei, 
um Dich bernadb über die Tortur der» 
jelben auslafjen zu können. Dann erjt 
die Glubangelegenbeiten, die Sportjaden, 
die Bälle! Na, e3 ift ein großes Leben, 
das Stadtleben! Wegwerfend jpricht man 
von der kleinen beichräntten Welt draußen 
auf dem Lande. 


Jetzt die Politit! Jeder fieht nicht 


zugleich betäubendem Haud. Alles heiße, allein ganz genau die Urſachen der poli» 
leidenjchaftlihe Leben und Weben des | tiichen Erjcheinungen, er propbezeit auch 
Sommers ift vergangen, Du bift gerubigt  baargenau, was da fommen muß. Jeder 
wie der Wald, ein janftes Gleichgewicht bat den Plan zur Rettung des Staates 
ift in Dir, wie fonft das ganze Jahr nicht fir und fertig bei fih und jo viel Köpfe, 
— und nun willit Du fort. Lebhafter jo viel Politiken. Ich übertreibe ein 
werden in Deinem Haupte die Vorftel- |wenig, es gibt thatſächlich politiiche Par- 
lungen von Theaterbildern und Concert» |teien, wovon eine aus mehreren Köpfen 





302 


beſteht und fich mochenlang der lieben Einig- 
feit erfreut. Das Reich ift heute leicht zu rer 
gieren, Wären drei oder vier Parteien, e3 
ftünde jchlimm um die Regierung, aber e3 


zweiundachtzig Stufen hinauf in meinen 
Ihurm, verfrieche mich in meine Stube 
und träume von den fernen Sommertagen 
im Waldland. Draußen fallen die Flocken 





find zum Glück unzählige Parteien. Es | und hüllen die Dächer dicht in flaumigen 
will nämlich Keiner Mitglied einer Partei, | Schnee, das Grau des Himmels jcheint 
jondern Jeder ihr Führer fein und wenn | immer tiefer und tiefer herabzufinfen auf 


es ſonſt gebeißen bat: viel Köpfe, viel 
Sinne, jo heißt es heute: viel Köpfe, 
fein Sinn. Pie Deutjchen in unferem 
Reihe liefen bereits Gefahr zu fiegen, 
da erjcheint noch rechtzeitig der große 
Mann mit feiner unverfälſchten Eitelkeit 
und ruft Zwieſpalt und Triefpalt in jein 
eigenes Bolt, hebt den Deutſchen auf 
den Deutichen, dab fie bis auf's Meſſer 
miteinander ranfen möchten. Und all’ das 
thut der Mann uneigennützig, wenigiten® 
wird verficbert, dab er für fein Wirken 
weder von Slaven und Polen, noch von 
Juden, denen er indirect dient, irgend 


einen materiellen Beweis von Danktbar- 


feit annimmt. — Derlei gibt nun viel 
Ergögung für Solche, denen ihr Bolt 
gleichgiltig ift und die ſich aus der 
traurigen lärmenden Serfahrenbeit eine 
Hehe machen. 

Eoweit hat es die rüde, ungezogen 
leidenichaftliche, um nicht zur jagen lümmel— 
bafte Ionart mancher unferer Parteien 
doch gebradt, 
ernjt nehmen kann. 
lib etwa mit der Sache der Partei ein: 
verjtanden gemwejen, wenden fich, von ihrer 
Kampfweiſe angewidert, von ihr ab. 
Freie Menſchen wollen fich nicht terrori« 
fteren laſſen und Mancher thut juftament 
das Gegentbeil davon, wie's irgend ein 
wütbender fanftmadender Screier ver: 
langt. Das ijt gewiß nicht in Ordnung, 
denn die Sache ijt zu wichtia, als daß 


man fahnenflüchtig werden dürfte, mur 
aus dem Grunde, weil die Fahne von 
tollen Fähnrichen getragen wird. — Tas 


wiederbole ich, jo viel Spaß baben die 
politischen Strömungen dem leider immer 
gleichgiltigen großen Publikum jelten ger 
macht, als heute. Der Nationaligmus 
iſt zu einer Stierfampf-Arena geworden. 

Solcherart find die Freuden der 
MWintertage in der Stadt. Ich fteige die 


dab man fie nicht mehr | 
Viele, die urſprüng-— 


die Stadt; Schlittengeſchelle ſchrillt und 
auf den Straßen brennen fladernd die 
Laternen. Ih schließe die Augen und 
jebe den lieben grünen Wald in den 
beinatlien Bergen voll Blütenduft und 
Vogeljang, von Sonnenäther übergoffen. 
Sachte hebt an mein Herz zu zittern vor 
Leid, daß dies Alles vergangen iſt. — 
Da Schlägt beller Lichtichein an mein 
Augenlid, ib öffne es und vor mir 
mitten im Zimmer fteht im Flammen» 
glanz ein grünender Tannenbaum. 

So ift die größte, die wahre innige 
rende des Winters vom Walde berein- 
gelommen. Verdorrt und ausgelebt it 
das Jahr. Im Feuerkranze des Weih— 
nachtsbaumes find alle Heinlichen Regun— 
| gen des Stadtlebens verbrannt wie Mücden, 
im Thaue des Ehrijtbaumes bat fih das 
ftaubige Herz wieder gebadet und ver— 
jüngt und in neuer Kraft und Hoffnung 
ihlägt e3 dem Mai und den jommer- 
lihen Wonnen des Waldes entgegen. 

R 








Schneealpe. 
Ein Naturſang von Marie Reinhard. 


Ernite Schneealpe, wie blidft Du in 
‚ruhiger Majejtät nieder auf das fleine 
Thal, auf den filbernen Fluß, der durch's 
blumige Alpenried luſtig die grünen, 
fryitallhellen Wellen wirft. Um Dein 
felfiges Haupt ziehen finfter die Wolfen, 
braujen gewaltige Stürme; anf zadiger 
Felswand klimmt flint der Berge ſtolze 
freie Tochter, die jchlanfe Gemje. Doch 
weihb um den Saum Deines Kleides 
ichmieget der lauſchige Tannenwald die 
grünenden Arme und Lieblich zu Deinen 
Füßen laden traut jammtene Matten zu 
janfter Naft. — Wie oft bab’ ih Dich 
geibaut in Deiner einſamen ſtillen 





303 


Pracht, in des Winters ſchneeigem — 
melinmantel und in dem holden Kranze 
des knoſpenden Frühlings, und immer | 
hab’ ich gegrüßet Dich aus dem tiefiten 
Herzensgrund, denn ich liebe Dich, mächtige | 
Alpe! Wenn in des Frühmorgens erjtem | 
Dämnern der Morgenwind wehet jo, 
friih um Dein Haupt und zerreißet kühn 
die nebligen Schleier, die Dich ummallen, 
wenn firgreich aus dem nächtlichen Grau 
Dur fteigeft, die Felſenſtirn leuchtend in 
dem Diadem der Sonne, wenn küh— 
lend von Deinen duftigen Höhen des 
Aethers mildllarer Hauch um die heiße 
Stirne mir jpielet: dann jauchzt es im 
meinem Herzen wie heller Lerchenichlag! 
Auf den Flügeln des Geiftes möcht! ich 
in's lichte Blau entſchweben und zaub'riſch 
durchbebet die jubelnde Seel' ein himm · 
liſcher Morgengeſang der Freude, Aber 
wenn heiß und drüdend die Mittagsglut 
ſich jenfet über die Flnren, wenn im dent 
jteten Kampfe des Dajeins ich jchmerzlich 
ſeufze amd die brennende Thräne des 
Leides nehet die Wang’; dann blide ich 
ſehnend zu Dir, Schneealpe, die Tu in 
ewiger Klarheit jchaueft herab auf die 
Menſchen, die ringen in bitterem Harm, 
von dunklen Fittig der Leidenſchaft ruh— 
lo3 getrieben. Ach, der trübe Hauch des 
Erdenleides dringt nicht zu Deinen anf 


Höhen; o daß ich könnte entfliehen anf 
Deine luftigen Zinnen und jchlürfen mit 
fröhlicher, freier Bruſt die balſamiſche 
Luft! Und wenn in dem jchwermütbigen, 
itillen Weinen des Herzens allmählich 
verblafjet der freundlichen Sonne goldener 
Etrahl, und milde und jänftigend mabet 
der Abend, fiehe, im reizenden Echimmer 
des Abendroth's leuchtet und flammet 
purpurn die mächtige Alpe. Weich um 
verwitterter Felſen jchroffe Gründ’, um 
zerflüftet Geſtein ſich jchmieget das lichte, 
Roth, und auf rojigen Wolken gezogen 
fommen wie einjt die jeligen Träume der 
Yiebe, die goldenen Hoffnungen erjter 
Jugend, und in der Erinnerung Abend» 
jchein ſchau ich das entichmundene Bild 
der Vergangenheit, das in des Lebens 
ihwülem Mittagsglanze erblaßte; leiſe 
verſtummt der Seele düjtere Klage, der 





herbe Schmerz in der Wehmuth ſanftem 
Trauerliede verklinget. Ernſte Schneealpe, 
far und filbern zittert des Mondes 
leuchtende Sichel über Dein graues Ge— 
wände; aber troß braujender Stürme 
Iprießen freudig hervor aus Deinen Mauern 
die zarten, duftenden Blumen der Alpe, 
vom friichen Odem des Berges fröhlich 
gefüßt, an Farbe und Duft wohl reizender 
al3 die Schweitern im Thale. Manch' 
Rösleinhellrofig, manch’ tiefblanen würzigen 
Enzian hab’ ich gepflüdt auf Deinen 
Matten und jubelnd fie an das Herz 
gedrüdt; denn auch mir feimt in der 
Brust ein Gärtlein, d’rin heimlich ſproſſen 
des Liedes farbige Blumen. Aus dem 
friſchen Grün der Jugend find fie geiproßt, 
mit Jugendluſt und Liebe zur Heimat 
getränfet, vom Thaue erften Wehes 
ſchimmernd betreut. Den blühenden Kranz 
der jungen Knoſpen wind’ ih um Deine 
felfige Strone, Schneealp! Dir, ernite 
Schöne, hab’ ich gelungen mein erjtes Lied, 
leb' wohl, nun jcheid’ ich von Dir. In die 
jonnigen Ihäler jteig ich hinab zu den 
Menichen, voll Hab und Liebe. Da jollit 
Tu, meine Harfe, ein Lied erzäblen, 
d’rin braujen des Lebens mächtige Wogen. 
Denn zaub'riih find, o Natur, Deine 
Laute, welche die ringende Seele in 
ſüßen Schlummer einlullen; aber die 
wunderbarjten Accorde quellen doch einzig 
aus des menichlichen Herzens gewaltiger, 
unendlicher Tiefe, 


Herr Mader. 
Gin Porträt nah dem Leben gezeichnet 
von 3. D. Wehle. *) 

Alles fonnte man von dem gefälligen 
Mann haben, von der Stednadel bis zu 
einen volljtändig eingerichteten Yandhanie. 
Fr gli darin dem aus Schlemihl’s 


Geſchichte bekannten Herrn, der fih jener 


merfwürdigen Geicäftsipecialität zuge— 
wendet batte, dem Ankanfe von neuen 
und gebrauchten Schatten. Nur fehlte bei 
ihm der grautaffentene, altfränfiiche Nod. 


*) Aus deſſen „Aretbi und Plethi” (Wien, Hugo 
Engel) 


304 


Auch war er weder dünn, noch bager, 
länglih und ältlih, ſondern ganz im 
Gegentheil Kein, did und rund, mit 
einem vollen, lachenden Geficht. Nicht das 
geringfte Unheimlihe war an ihm zu 
entdeden. Er war ein jovialer Kerl, der 
herzlich lachte, und, was noch mehr wert 
it, Andere lachen machen fonnte. Deshalb 
war er auch überall gern gejehen, im 
Minifterbotel, im Parlament, im Gerichts: 
jaal und in den NRedactionen. Ueberall 
war er zu finden und überall ließ er 
beim Fortgehen zufriedene und aufge 
beiterte Gefichter zurüd. Den Mißmuth 
fonnte er nicht ertragen, Ein umwölktes 
Geficht war ihm ein Greuel und er rubte 
nicht eher, bis er nicht die Runzeln von 
der Stirne weggelacht und weggeicherzt 
hatte. Luft und Frohſinn mußte jein, wo 
des „Spendier » Naz” Sterne ftrahlen 
jollten, Den Namen batte er von feiner 
bervorjtechendften Eigenichaft, von jeiner 
Treigebigfeit, befommen, und es mußten 
nur wenige, dab er eigentlih Ignaz 
Mader bieß. 

Es gibt Leute genug, die gern Präſente 
machen, aber in der Negel jchenfen fie 
nur was fie jelbjt nicht brauchen, ohne 
Nüdfiht, ob es der Andere verwenden 
fan, Nicht jo beim Spendier-Naz. Darin 
glich er wieder dem oben erwähnten grauen 
Manne, daß er immer das bei ſich batte, 
was gerade gemwünjcht oder gejucht wurde, 
Wenn alle Sige zu einer eriten Bor: 
jtellung vergriffen waren — Spendier: 
Naz hatte immer noch einen für einen 
Freund zur Verfügung und wenn ber 
Freund verheiratet war, jodar eine 
Loge. Hätte der Freund oder bie 
Freundin des Freundes anftatt der Oper 
fib ein anderes Schauſpiel gewünscht, 
z. B. den Eintritt in den Gerichtsſaal, 
zu dem eben ſich abipielenden Senjations- 
proceh, oder den Yulak zu einer Hin- 
rihtung, einen ZTribünenfig zu einem 
öffentlichen Yeitzug, fein Anderer als der 
Spendier-Naz; wäre im Stande gemwejen, 
diefe Wünjche zu befriedigen, denn ihm 
war nichts unmöglich. Ob es ihm leicht 
gewejen wäre, eine Krone zu verſchaffen, 
das weiß man nicht, da ihn Niemand : 


in dieſer Beziehung auf eine Probe ge 
ftelt, aber dab er Orden, bobe und 
niedere, zu jeiner Verfügung hatte, gerade 
jo wie Sperrfige, davon hat er Beweije 
geliefert. Ob num die Gejchente in Ein» 
trittsfarten, Bictualien oder Spirituojen 
beftanden, immer waren es Gegenftände, 
welche der Spendier-Naz jeinerfeits gejchenft 
befommen hatte. Sein Wahlſpruch lautete: 
„Scenten und jchenten laſſen!“ Aber 
manchmal mußte er auf die Befriedigung 
diejes edlen Sports verzichten, das war 
daun, wenn er mit Amt&perjonen zu thun 
hatte, die ihres Rufes wegen feine Ge 
ſchenke vom Spendier-Naz annehmen können, 
Dann juchte er jeiner großmütbigen Paſſion 
dadurd zu fröhnen, daß er Gegenitände 
des täglichen Gebrauchs : Weine, Cigarren, 
Stoffe u. ſ. w. um einen wahren Spott- 
preis verichleuderte. Das Geſchäft widelte 
fib dann etwa in ber folgenden Form 
ab, Der Spendier-Naz bietet dem Herrn 
Gerichtsaſſeſſor eine Cigarre an. 

„Ein vorzügliches Kraut“, jagt der 
Herr Aſſeſſor. 

„Nicht wahr?” jagt darauf der 
SpendierNaz, „und fabelbaft billig. 
Rathen Sie einmal, was fie foftet. Nicht 
mehr als zwei Pfennige.“ 

„Nicht möglich!" ruft der Herr 
Aſſeſſor, „Loftet ja dieſe verfluchte Stin« 
fadores, welche ih täglich rauche, zehn 
Pfennige.“ 

„Wollen Sie 1000 Stück zu zehn 
Mark haben? Sie brauchen Sie nicht 
gleich und nicht auf einmal zu zahlen.“ 

„Topp!“ ruft der Herr Aſſeſſor, und 
erhält am mächiten Tage jeine 1000 
Gigarren pünktlich zugeftellt. 

Oder der Spendier-Naz trifft den 
Herrn Rath mit einem alten Regenihirm. 

„Aber Herr Rath!“ jagt er, „welch 
altes Möbel haben Sie bier, wo dod 
dieſe Sachen jest jo billig find. Sehen 
Sie mal meinen Schirm, mit Seide über- 
zogen, Patentfedern, echtes Bambusrohr.“ 

„Ein Prachtſtück,“ jagt der Rath, 
„toftet aber mindeftens feine ſechs, ſieben 
Thaler.“ 

„Warum nicht gar, drei Mark foftet 
er nen,“ 


„Ah, Sie jcherzen.“ fionäbogen. Der Spendier-Naz, der, wie 
„Wollen Sie fich überzeugen, dann ſchon erwähnt, ein jovialer Menjc it, 
geben Sie mir drei Mark, ih bringe | juchte dieje Sorgen jeines Freundes weg— 
Ihnen ganz denjelben Schirm, oder noch | zuicherzen, und als ihm dies micht ge 
beiier, nehmen Sie gleich Dielen hier, ich | Lingen wollte, jagte er: 
taufe mir dann einen andern,“ „Wiſſen Sie was, ich jchlage Ihnen 
Auch dieſes Geſchäſt wird abgeichlofjen | eine Wette vor. Ich ſetze 20.000 Thaler 
und der Herr Rath zeigt zu Haufe trium- | gegen Einen von Ihnen, daß Sie fi 
phirend die neue Acquiſition und auch | noch mindejtens zehn Jahre des ungejtörten 
die Frau Nätbin kann nicht umbin, zu Genuſſes Ihrer Stellung erfreuen. Schlagen 
geiteben, dak man nirgends jo billig faufe, | Sie ein.“ 
wie beim Spendier-Na;. Der andere gieng — natürlich im 
Kein Wunder daber, daß der Ependiers | Scherze — darauf ein. Aber am folgenden 
Naz im Gerichtäfreiien fih einer allge-| Tage fam das Donnerwetter und der 
meinen Beliebtheit erfreut. Vom Wortier | Spendier-Naz hatte die 20.000 Thaler 
bis zum Seren Präfidenten kenut ihn zu zahlen. 
. Jedermann und Jedermann ift ihm für Das war jedenfalls ein ſehr gewagtes 
irgend eine Gefälligfeit, für irgend einen | Geichäft vom Spendier-Naz;, und wir 
Dienſt verpflichtet. Er iſt wie das Kind müſſen hinzufügen, es war nicht das erjte 
vom Haufe, geht in den Bureaur ein und | und letzte diefer Art. Der Spendier-Naz 
aus, weiß Alles, was vorgeht, in welchem | hazardierte und er verlor immer, wenn er 
Stadium fih ein Proceß befindet, wer mit Leuten jpielte, deren hohe Stellung 
der Referent ift u. j. wm. Wenn man in ihm imponierte. Wahrjcheinlih war jeine 
Procehjahen etwas zu fragen oder zu Befangenheit daran jchuld. Denn anders 
richten hat, iſt es faft jo gut, jich an den |ijt die Sache nicht zu erflären, wenn 
Spendier-Naz zu wenden, wie an eine! man nicht annehmen will, daß er ab» 
Gerichtäperjon, ja noch befler, da der | fichtlich verloren, um fich die einflußreichen 
Spendir-Naz, der Alles weiß, an feine | hohen Herren, welche über Orden, Pri— 
Amtszeit gebunden ift und von jeinen | vilegien, Eiſenbahn-Conceſſionen u. j. mw. 
Fremden, den Herren Räthen und Aſſeſ- verfügten, zu Freunden zu machen, was 
joren, Alles erreichen fann, was zn er» aber jhon dur die bohe Würde der 
reihen iſt. Natürlich geichiebt dies Alles | andern nicht glaubwürdig ericheint. Denu 
in Ehren, wie ſchon durch die Amtsdignität | da befanntlich Macht und Einfluß immer 
der Herren Richter jeder Gedanke einer | mit Einficht und Nedlichkeit gepaart find, 
unlanteren Beeinfluffung ausgeichloffen er» | jo hätten die hohen Herren bald das 
icheint. Niemals bat man Herrn Ignaz | Spiel durchſchaut und hätten es durch. 
Macher eine Beſtechung nachweiſen können, kreuzt. 
auch damals nicht, als in einer bisher Näher liegt die Erklärung, daß der 
unaufgeklärten Weiſe ein wichtiges Acten— Spendier-Naz nicht deshalb gegen eder- 
jtüd in einem Millionenproce aus dem mann gefällig war, um fich-beliebt zu 
Actenfascifel verſchwand. Die Sache machte , machen, jondern daß er beliebt war wegen 
damals viel Aufjehen und der Beamte, | jeiner Gefälligfeit und Herzensgüte. Es 
dem diejer Unfall zugeitoßen war, wurde | gab nichts, wozu der Spendier «Way 
im Difeiplinarwege jeines Amtes ent- | nicht bereit geweſen, nichts, was er nicht 





N 
I 








hoben. Auch er war ein guter Freund | durchgejegt hätte. Galt es einer jungen 
des Spendier »Naz und noh am Abend | Debutantin die Wege zu ebnen, ihr Beifall 
zuvor hatte fi zwiichen den Beiden die | beim erjten Erjcheinen, eine günftige Kritik 
folgende Scene abgeipielt: Der Beamte | in den Blättern zu fihern — der Spendier« 
war trübfinnig, von düfteren Ahnungen Naz war der Arzt für dieſe Krankheit, 
beunrubigt. Ihm jtehe ein Unglüd bevor, | ebenjo wie für die entgegengelegte, wenn 
eine amtlihe Rüge oder gar der Pen» | nämlich ein bejcheidener Angeklagter oder 


Rofegaer's „„Hrimgarten“‘ +. Heft, XI. 20 


ein Zeuge vor Gericht in der Deffentlichkeit 
in der Nolle des „ıumbefannt jein wol» 
lenden Wohlthäters“ auftreten wollte. 
Auch dafür wußte der Spendier « Naz 
Mittel und Wege, und wäre es aud 
nur die Rettung durch einen unliebjamen 
Druckſehler geweſen, der im Berhandlungs- 
bericht juft den Namen des bejcheidenen 
Angeklagten oder Zeugen entitellte. 

Oder wenn es galt, Abgeordnete des 
Parlaments, Mitglieder einer Gemeinde 
vertretung für irgend ein Project günftig 
zu ſtimmen — der Spendier-Naz war der 
Mann dazı. Er war der Mann für Alles 
und unternabm Alles, jelbjtverjtändlich 
ans reiner Menjchenfreundlichfeit, denn 
hätte er fi dieje Gefälligkeit bezablen 
lafien, jo würde er ja nicht der Spendier- 
Naz heißen, jondern der Profitmacher- 
und Suppler-Na;. 


Amerikanifdie Eigenheiten. 


Mer fich über die Eigenthümlichkeiten 
von Nordamerifa auf die kürzeſte und 
verläßlichjte Weiſe unterrichten will, der 
gönne fih von Langenicheidts „Notwörter- 
buch den IV. Theil: „Land und Leute 
in Amerifa.” Diejes von Karl Naubert 


in ‚Form eines alphabetiſchen Lexikons 


zujanmengeftellte Werfchen unterweist 
über das Wichtigfte und nterefjantefte 


und iſt bejonders für Amerikareiſende 
von höchſtem Werte. Hier jollen einige 


auh für Dabeimbleibende 
Stichproben des Inhaltes und der Be 
bandlung desjelben Platz finden, 

Das Annoncenweſen bat in 
den Vereinigten Staaten eine ungeheure 
Ausbreitung gewonnen, jpielt eine wichtige 
Rolle im gewöhnliden Leben und 
bedeutend höher entwidelt als in Deutjch- 
land. Viele Artikel finden ja nur 
Abnehmer, wenn fie ohne Unterlak in 
der auffallendften Weije angezeigt werden; 
die Patent-Medicinen, melde in dieſer 
Gruppe eine hervorragende Rolle ein- 
nebmen, bringen mandem Blatte tag- 
täglib 2—3 Spalten voll Anzeigen; 
jüngere Aerzte und Auwälte, die nicht 


intereflante 


iſt 


‚dauernd annoncieren, Eiſenbahnen und 
Dampferlinien, die nicht tagtäglich ihre 
Fahrpläne befannt mahen, Wirte, die 
nicht jebr oft in den Anzeigejpalten ihre 
„Freunde“ zu häufigem Beſuch ermabnen, 
exiſtieren für das große Publikum gar 
nicht. Bis zu einem gewiſſen Grade 
herrſcht in dieſer Beziehung eine Anſchau— 
ungsweiſe, die der deutſchen geradezu ent— 
gegengeſetzt iſt. Es ſchadet einem Ge— 
ſchäft nicht, wenn es ſich in einer marft- 
jchreierifchen Weiſe anzeigt, die bei uns 
sofort Mißtrauen erweden würde. Daß 
die großen Gejchäfte jahraus, jahrein be- 
ftimmte Spalten für ihre Anzeigen ger 
pachtet haben und ihre Empfehlung zum 
Ueberfluß noch auf jeden Zaun und Stein 
im Lande pinjeln laffen, gereicht ihnen 
in den Augen der Amerikaner unr zum 
Lob und Vorteil. Es iſt erſtannlich, 
wie gefüllt mit Anzeigen ſelbſt die Winfel- 
blättchen in den Heineren Städten find. 
Viele würden fihb ohne dieſelben gar 
nicht balten fönnen. Große Annoncen- 
‚ agenturen gibt es in Amerika nicht; die 
' großen Blätter halten Neifende für diejen 
Zweck. Abgejeben von den förmlichen 
Annoncenbücern, welche die Beilagen der 
großen Zeitungen füllen, leiftet man auch 
im Bezug auf die Straßenplacate Une 
glaubliches, und da find es SHaaröle, 
Yabnpulver- Gurgelöl-Fabrikanten u. |. w., 
vor Allem die Theater, welche das Rubli« 
fum durch auffallende Bilder und haus— 
große Placate herbeizuloden ſuchen 
Arbeit. Bein Amerikaner iſt 
die Arbeit, das Geichäft (business) 
zu einer Art Wuth und die damit ver- 
‚ fmüpfte Aufregung zu einer unentbehr— 
‚ lichen Lebensluft geworden, Die Ameri- 
'faner arbeiten nicht bloß, fie über 
arbeiten ſich, jelbit dann noch, wenn fie 
ihon tief im Neichtum fiten, und Die 
meiften verlieren dadurch den rechten Ge— 
nuß des Lebens. Amerika hat jeine ganz 
bejondere Art zu arbeiten, namentlich 
‚ finden höhere geiftige Anlagen, falls jie 
nicht mit gegründetem Ruf oder tüchtiger 
Reclame berüberfommen, dort noch nicht 
jo leicht wie bei uns ihren Marft, und 
da der Einzelne ſich viel mehr als da— 














307° 


Amerifa ſchon längſt feine Fremdlinge 
mehr, ſondern ſie ſind ein mächtiges und 
wichtiges Bevölkerungselement geworden, 


heim auf ſich und ſeine Arbeit angewieſen 
ſieht, ſo mag ſich das Vorwärtskommen 
ſehr lange hinausziehen, ſofern er ſich 
nicht in amerikaniſche Verhältniſſe hinein- deſſen mannigfacher Einfluß auf die Cul— 
zuleben verſteht. Nicht wenige ameri- turentwickelung ihrer neuen Heimat nun 
kaniſche Politiker haben ihren Lebenslauf nicht mehr geleugnet, abgeſchwächt oder 
vom Stiefelpuger oder Zeitungsjungen verhindert werden fanı. Bon allen jeit 
begonnen, jenem jugendlichen Iheile des der Bildung der Ver. Staaten in die 
„üben Pöbels,“ der bier bejonders ftarf jelben eingewanderten Vollselementen gibt 
vertreten ilt. Wer aus Europa berüber- das deutſche allein einen  wejentlichen 
kommt ohne die Fähigkeit zu arbeiten Factor in der Gulturentwidelung von 
und ohne Energie, das Arbeiten zu er» Amerika ab, jeine Einwirkung auf die 
lernen, der wird in Amerifa nur mit Gejtaltung des amerikaniſchen Volkscha— 
verdoppelter Geichwindigfeit jeinem Unter» | rakters wird zuitehends ftärfer und be- 
gangange entgegeneilen. Amerika ift fein reits ift ein jehr merklicher Germani— 
Land des PVergmügens, fein Aufenthalt ; fierungsproceß in Gang gefommen. Und 
für müßige Junggejellen und Theater als durd die Erfolge in den Jahren 
freunde; das offenbart ſich jedoch nicht 1870/71 die bis dahin nur dem Namen 
allein in der allgemeinen Gejchäftigkeit nach beftehende deutſche Nation an die 
und der verhältnismäßigen Seltenheit Spitze der civilifierten Welt trat, und 








unjerer in Deutichland und Frankreich 
jo leicht zugänglichen VBergnügungen, ſon— 
dern weit mehr noch in den Koſten, die 
bier durchweg viel höher find als dies- 


jeit3 des Atlantifchen Oceans. Wer nicht ı 


jelbjt arbeitet, wird feine Börſe bald ge 
leert jehben, weil es in Amerifa außer 
der Arbeit feinen Zeitvertreib gibt, der 
fein oder nur wenig Geld koſtete. Wer 
mit europäiſchen Anſprüchen nach Amerika 
fonımt, wird die doppelte oder dreifache 
Anzahl von Dollars nötig baben, wo 
bei uns die Mark genügt, und doch wird 
er unbefriedigt von damen geben, denn 
es jcheint ein Lebensgejeß zu jein, daß 


ſich in Amerifa langweile, wer nicht 
arbeitet. 
Deutjde in Amerifa Man 


hat die deutjche Auswanderung nad den 


Ver. Staaten von Amerifa nur zu häufig 
unterjhägt und fie als blofes Material 
betrachtet, welches allerding® dem Yande | 


durch Vermehrung der Einwohnerzahl 
und der dadurch gewonnenen Arbeitshilfe 
zugute gelommen je. Man nahm aı, 
der Deutſche babe ſich nur in die be 


ftehende Bevölkerung eingeichoben und fich 


jo mit ihr verjhmolzen, dab namentlich 


von einer geiftigen Einwirkung auf die, 


Bildung des Volfscharafters feine Rede 
jein fönne. Aber die Deutſchen find in 


als das Kaiſerreich mit jeiner Macht 
und der Intelligenz jeiner Leiter tonan« 
gebend bei den Mächten wurde, da vollzog 
fih auch eine gänzliche Ummandlung des 
Deutjchthums in Amerifa, welde von 
größter Tragweite für deſſen Entwidelung 
geworden ift. Das Stammesbemwußtjein 
wachte wieder auf. Leute, melde ſich 
längit ſchon dem Deutichthum entfremdet 
hatten, fehrten zu demfelben zurüd, nahmen 
die Mutterfprade aufs nene an und 
‚zeigten das wärmſte Intereſſe an Deutich- 
lands Kämpfen und Erhebungen, — Der 
Deutſche zeichnet fich vor den Angehörigen 
aller übrigen Nationalitäten namentlich 
als eifriger und vorbedachter Yandbauer 
aus. „Die Erfahrung der weltlichen 
Staaten beweist“, erflärt die engliſche 
Zeitung „New-York Sun,* „daß die 
Deutichen alle Anderen als Farmer weit 
übertreffen, und daß ihrem Einrüden in 
jedem Gemeinweſen ein jtetiges Steigen 
der Bodenpreile folgt. In den Theilen 
‚von Milfouri und Jllinois*, fährt jenes 
‚Blatt fort, „wo die Deutihen ſich am 
dichteften miedergelalien haben, iſt das 
Land vier» oder fünfmal jo viel wert, 
als in allen anderen Sectionen, wo die 
‚armen von geborenen Amerikanern culs 
‚tiviert werden. Oft fchafft ibre Bewirt— 
ſchaftung einer Gegend Nachfrage nad 


20* 





308 





Sand, die vorher nicht eriftierte, als der lift. Die verhältnismäßig keineswegs zahl« 


Boden noch feine Anzeichen davon gab, 
welche Reichthümer aus ihm zu gewinnen 
ſeien.“ Der Amerifaner braudt vor- 
nehmlich gern eine deutiche Kraft, aber 
nicht etwa aus Liebe zu den Deutſchen, 
fondern nur, weil fie fih am vortbeil- 
baftejten für jeine Zwecke ausnußen lafien ; 
jeine Zmwede find aber nur Gelderwerb ! 
Amerikaner verfehren wenig in deutjchen 
Kreiſen. 

Europafieber. Die Reiſen nach 
Europa ſind ein weſentliches, beinahe ein 
unentbehrliches Element des ſocialen Da— 


reihen Iſraeliten, die in der Union leben 
und es zu Wohlitand oder bedeutendem 
Vermögen gebradt haben, wie ja auch 
einzelne jüdifche Firmen Weltruf befigen, 
fonnten es nur jo weit bringen und ver« 
mögen ſich nur dadurch auf diejer Stufe 
zu erhalten, daß fie fich die dortigen 
Verhältniſſe vollkommen zu eigen gemadt, 
fih mit ihnen vollfommen amalgamiert 
haben. Der größte Theil der anderen dort 
lebenden Juden krabbelt im Staub des 
kleinen Mannes umber, bringt es nicht 
viel weiter, als bis zum fleinen store- 





jeins geworden. Wer Anſprüche erhebt 
auf Eleganz, muB die alte Welt bejucht | Pofition erbält und jein Dajein friftet. 
haben. Die Reifen der Amerikaner er- | Eine nicht unbeträchtliche Schar von ihnen 
innern an die jogenannte große Tour | bat fich leider, da fie fein beiferes Er- 
der jungen Engländer von Stand im werbsgebiet finden, die armen, friich ger 
ftebzchnten Jahrhundert. Befonderen Wert | landeten enropäilhen Einwanderer dazu 
legen Frauen darauf. Es kommt nicht | auserjehen, die fie nach beiten Kräften, 
jelten vor, daß reich gewordene Familien | mit Aufgebot ihrer europäijchen, höchſt 
fih zugrunde richten, um dieſer Mode | mangelhaften Spradfenntnis, ganz nad 
zu fröhnen. Sie reifen mit Gourieren, | früher in Europa betriebenem Schnitt, mit 
wohnen in den Prachtappartements der dem geichäftbegünftigenden Panfee-Weber- 
eriten Gafthöfe, fahren in den elegantejten gewicht und mit jchlecht copierten Yankee— 
Equipagen, kaufen Kunftgegenitände ein manieren, jo viel fie nur fönnen, über 
und fehren nach Amerifa zurüd, wenn das Ohr bauen und gründlichit betrügen, 
ihr ganzes Vermögen vergeudet tft. Ihren wovon der thatjächlihe Beweis klar vor 
Zwed haben fie aber erreicht. Sie fühlen Augen liegt, wenn man die Straßen 
fih gleichſam geadelt und innerlih be» und Landungspläge der großen Einwan— 
friedigt. In Diefer gehobenen Stimmung dererhäfen betritt. Alle diefe Straßen 
beginnt man das Leben von neuem, fteigt wimmeln von Läden jüdiicher Emigranten- 
ohne Murren zu dem erjten, niedrigen händler, Söhnen Iſraels, die vor Jahren 


— iſt froh, daß er ſich in dieſer 





Ausgangspunkte herab, wird wieder, was 
man urſprünglich war, Metzgergeſelle, 
Aufwärter, Hauſierer oder Portier, ein 
jeder nah Maßgabe ſeiner Fähigkeit und 
phufiihen Kraft. Junge Leute, wenn fie 
ihrer Natur nad vorfichtig und jparjam | 
find, nehmen, che fie heiraten, darauf 
Bedacht, daß ihre Herzensflamme nicht 
von dem Europafieber ergriffen ſei. 





jelbit aus Europa eingewandert find, ſich 
in Amerifa mit ihrem Speculationsgeift 
diefes Handelsgebiets bemächtigt haben 
und bier, Dank der Dummbeit oder bal- 
digen Geldnoth der eben erjt gelandeten 
Emigranten, recht hübſche Gejchäfte machen. 
In diejen Straßen thront das Hleeblatt: 
der eingewanderte europäijche, meiſt pol« 
nische Jude, die gnadenjpendenden Emi— 


Die Juden, die eminenten Geſchäfts- granten-Öratis- und Belehrungsbureaus 
leute Europas, verſchwinden unter der der chriſtlichen Kirche unter je irgend 
bandeltreibenden Bevölkerung der Union | einem böchft achtbaren Paſtor oder Geiit- 
gänzlich. Der Yankee iſt als Handelsmann | lien und die Dienjtvermittlungsteller, 
viel geriebener, gewandter, tüchtiger und moderne Sclavenmärfte, deren Beſitzer, 
jpeculativer als der Jude; er iſt ihm ebenſo wie die höchſt ehrenwerten Diener 
weitaus überlegen in jeder Beziebung, , der Kirche amerikanifierte, einjtige Europäer 
bejonder8 wenn diejer noch green-horn find. Alle drei: der polnische Jude, der 





edle, menſchenfreundliche, tief religiöfe, 
chriſtliche Geiftlihe und der infame herz. 


loje betrügeriſche Menſchenhändler, alle 


drei vertragen ſich vortrefflich, Lieben fich 
zärtlih und reichen ſich geichäftlich brü- 


Mit lieblichen Antlig, da zittert's im Herzen: 


Ach hätt’ ich ein Liebchen! wie liebt ich's 


fo jehr! 
Erwaden. 


derlichft die Hände, um die armen Gmi. | O5 in des Taumels Rojengärten? 


granten, die verlaufenen, ängjtlichen Schäf- 


hen gründlichjt zu ſcheren, ihnen das Fell 
über den Kopf zu ziehen und fie mit, 
Leib, Seele und mitgebradhtem Beſitz zu | 


verkaufen. Der Eine ſchickt fie zum Ans 


dern, nachdem er ihnen genommen, was 


er ihnen nehmen fonnte. Diejes Trio bildet 
in feiner Gejammtheit die erjte Grube, 
in die der amerifajüchtige, 
Emigrant gleih beim Betreten der ge 
lobten neuen Welt fällt und fich meijtens 
auch das Genid bricht, d. h. für jeine 
ganze weitere Zukunft ruiniert, ein wirte 
jchaftlih todter Menſch wird. 


Gedichte. 


europäiſche | 


| Um Feenteich verbotner Luft? 


Was weih ih wo? als fie beifammen, 
Da ftand in hellen Liebesflammen 
Des ſchönen, jündigen Mädchens Bruft. 


Dem Mann floß Honig von den Lippen, 
Sein einzig But — wohl offenbar; 
Auf's erite jelige Ergögen 

Erwacht das Kind und mit Entjeßen 
Sah's, ah — daß es verloren war! 


Herr Redacteur. 


ſchön um Vergebung, 

Gilt in der That mir die Notiz! 

Ih greif’ zum Blatt und ſchau und 
fhaue.... 

Ah, Herr, das ift ein ſchlechter Witz! 

Sitz' ih den nun ſeit fieben Jahren 

Und brüte, brüte über'm Ei — 

Damit troß meiner huudert Strophen 

Mein Schickſal Ihr Papierkorb jei? 


Was gibt's an meinem Vers zu mäfeln? 
ließt er nicht glatt? hat er nicht Klang? 


i BI F 
Von J. Kiß, in's Deutſche übertragen Iſt da nicht Alles Anmuth, Stimmung: 


von Dr. Joſef Steinbad. *) 


Tiebesſehnſucht. | 


Von Straße zu Straße unthätig zu fungern: | 

Was Süßeres, Hoideres gibt's für mich faum. 

Das Haften, das Lärmen, das Wogen der 
Menge 

Beitridt und verſenlt mich in feligen Traum. 


Als ob ih, auf grünen Gebirgstänmen | 
wandelnd, | 
Voll Seligfeit laujchte dem raufchenden Spiel 
Ter Hippernden = Hlappernden Mühle im 
Thale — | 
So fühl’ ih mic mitten im Menſchengewühl. 


Den fingenden Hlingenden Frühling im 
Herzen, 

Eo fteh’ ich im leuchtenden Wunderrevier | 

Am Hügel der Dichtkunſt — inmitten der 
Menge 

Als träumt’ ich, als träumt’ ich nur ferne 
von ihr. 


1 
i 
i 


Die Seele jo ruhig — ein See nad dem 
Sturme; 
Nur manchmal, verirrt ſich ein Mägdlein 
daher 


*) Uns Joſef Kiß' eigenartigen Gedichten. 
EEE. Deutſch von Dr. Joſef Steinbach, 
Wien, Georg Szelinski, 1886, 





Der Ausdrud, Bild und Lebergang? 
Miſcht fih in andern Verſen ſchöner 

Der Eonnenftrahl mir Zephurbaud.... 
— Hol’ mid der Teufel, wüßt' ich einen, 
Nur einen einz’gen Einwand aud! 


Nicht neu, niht neu und Liebesiyrif! 
Ya, auch die Liebe ift nicht neu; 
Und liebend and're Dinge fingen, 
Das wär’ die rechte Ejelei! 

Wenn mir der Liebften Lilienantlit 
In rof’gem Purpur lächelnd glüht, 


\ Da finge dody das Donnermetter 
‚ Ein ander, bimmelrüttelnd Lied! 


Wenn Sie fie fennten!... ihre Tante 
Ein Drade, der da zahnlos friedt — 
Und — gleich dem Alten aus dem Märchen — 
Ten Menſchen auf neun Meilen riecht. 
Da wird fein Brief, nur noch die Zeitung 
Verdachtlos übern Zaun ſpediert, 

Nun und Marie — oh hart Verhängnis! — 
Hat juft ihr Blatt pränumeriert! 


Ideenlos! — Abgenützte Phrasen! 

Wie nun mein Herr und das Gefühl? 
Ach denken! — das fann auch der Eſel, 
Nun jo, im eignen Kirchenſpiel. 


Ich aber finge traumummoben 


Bon flanmendem Gefühl entfaht.... 
— Oh bitte, bringen Sie die Verſe, 
Sie haben Schwäch'res ſchon gebradt. 


310 


Oh bringen Sie fie, ob verjtiimmelt, 

Ob auch entftellt und ungenau! — 
Marie ftridt Ihnen eine Mütze 

Sobald fie nur erjt meine Frau. 
Verwerfen Sie des Liedes Hälfte, 

Bleibt nur mein Name d’runter fteh'n, 
Am Titel: „Meinem bolden Engel... .* 
Wird mid die Theure jhon verfteh'n! 


Fliegende Blätter. 


Der Kopf jcheint doch nur eine Neben- 
ſache im Leben zu jein, denn während 
man mit einem jchlehten Magen oder 
mit einer schlechten Lunge nicht lange 
leben kann, jeben wir recht Viele‘ mit 
einem „schlechten Kopf“ ein ganz rejpec- 
tables Alter erreichen ! 


* * 


Es kann einer Jus und Theologie 
Und Medicin und Aſtronomie, 
Botanik und Chemie betreiben, 
Und dod dabei ein Ejel bleiben. 


* * 
Iſt es nicht ſeltſam, daß die größten Meiſter 


Verhungernd zieh'n in's Land der Geiſter, 


Und find im Elend fie entichlafen, 
Noh Würmer nähr'n und Biographen? 


* * 


Jede Dummheit findet Einen, der fie 


macht. 


* 
* 


Mancher weiß den Stuhl in allen 
Sprachen zu nennen, und ſetzt ſich doch 
daneben. 


* 


* * 
Manches Buch hat feinen Drudfebler 
und doch ift es ein Fehler, dab es ge 
drudt worden ijt. 


* 

Man ſoll die Menſchen nehmen, wie 

ſie ſind, aber ſie geben ſich, wie ſie 
nicht find. 


* 


* 


* * 


Mit nichts auf der Welt ſind die 


| Narrbeit ift immer anftedend. Ver— 
| munft-Epidemien find jelten. 
* 
* * 


‚Nimmt wer das Bud verehrt zur Hand, 
Wird er von Jedem ausgeladt, 

Doch bringt er’3 quer in den Berftand, 
Heißt's: er hat originell gedacht. 


* 


* * 


Nur wer ungewöhnliche Thorheiten 
an ſich hat, kommt in's Tollhaus; wer 
die gewöhnlichen, landesüblichen mitmacht, 
iſt ein Mann, der Welt hat und zu 
leben weiß. 





— 
Pythagoras, der Philoſoph, erſann 
‚Ein neues Lehrgeſet und brachte dann — 
Da er doch nur ein Heide war — 
Den Göttern hundert Opferſtiere dar. 
Iſt's da ein Wunder, wenn die Ochſen zittern, 
Sobald fie eine neue Wahrheit wittern ? 


| * 


* * 


Warum der Schwindel ſo frank und frei, 
Und die Leute ſo leicht zu betrügen? 

Sie nehmen die Wahrheit wie Arzenei 
Und frefien mit Löffeln die Lügen. 


| * 


* + 


| 





Wenige willen, wie viel man willen 
muß, um zu willen, wie wenig man weiß. 


| 
Ein wiſſenſchäftliches Geſpräch 


in da ſteiriſchn Gmoanſproch. 


Da Schulmoaſta, der mir ſchon als 
floana Bua einidruckt worn is in mein 
Schädl, den bring ih holt deutſch mit 
mehr aufja. Und mwan ib zan Sunta 
Nochmittog wo an Bauern hör, der noch) 
'jeina Moanung wos Gſcheidts daherredt, 
wos noch meina Moanımg nit gonz richti 
'i8, gleih zwidt mih da Tuifel ban Gnad, 
ib jullin belehren und aufflärn. 
| Nau, jo ſitzn mar amol ban Gmoan« 
wirt banond, ib und da Dauderer Hanjl. 
| Da Dauderer Hanjl nimmt ans n Brote 
förbl, das afn Tiih ſteht, an Weggn, 


meiften Leute jo jehr zufrieden, al$ mit drahtn a weil um und um und beflogg 
ihrem bißchen Verſtand. Je weniger fie fih über die floan Semeln. Sogg da 
baben, deſto jelbftzufriedener find fie. | Ömoanmirt, der ab z gleich da Bäd is: 


31 


„Geſtern haft as erſt ſechn ſuln, d Semeln, 
wia j mei Bäcknjung aus n Bochtrog 
auffabogt hot, do häſt Dih wundern 
tinen üba die Moan Semeln. In Ofen 
jein j eb gröſſa worn.“ 

Do kimbb da Dauderer Hons drüba 
nochzgrübeln, wia dan däs fein fon, daß 
d Semmeln in Ofn gröfla wern. Do 
zwidt mih 3 Tuiferl. „Hons,“ jog ih, 
„wanft in d Schul gonga warſt, ja 


er r 


müafjaft a3 wilin, daß d Hit die Körper 
ausdehnt. Und die Kaltn ziachts zſom.“ 

„Ab, derawegn!“ ſogg da Dauderer | 
Hons. „Hon mib eh ollaweil drüba 
gwundert, daß mei kloans Gſindl dahoam 


in Suma, wan $ worm i3, in olli 
Meitn andanondalaft, und im Winta, 


warn s folt is, ſchliafn j oll ſchön glod 
zlom ins wormi Nejterl.* 

„Hoſt gleih a Beijpiel,“ ſog ib, 
„und dent da's, a Menſch, wan er olt 
und folt wird, do geht er ziom, wird 
gonz buglad und floanwinzi, weil die, 
Kältn die Körper zſomziacht. Herentgegi, 
jungi Leut in Wirtshaus, warn j in d 
Hit femen, do fohrn j ausanonder und 
gleib gibts didi Noſn und groſſi Nöpf. | 
Neil d Hik die Körper ausdehnt.“ 

„So!“ redt hiaz da Gwoanwirt, 
drein, „bias woaß ih s ab, weguwos 
die Grundausmeſſa grod in Sumer aus— 





l 


— — 


denk ih ma, muaß heint amol rund wos 
drein ſein, weil er ja ſchwar is, 

„Stimpp oba doh nit gonz!" jogg 
da Hons und draht fih auf. „Ya da 
Nocht is 3 doh fälta, wia ban Tog,“ 
jogg er, „is s nit aſo?“ 

„Jo freiti i8 s ba da Noct kälta, 
wia ban Tog“, jog ih. 

„Nau olba, ja müaßad ba da Noct 
da Weg fürzer fein, wia ban Tog,“ 


jogg er, „und mir kimpp da Weg ba 
da Nobt, wan ib von Wirtshaus 


boamgeb, holt ollomol länga Für.” 


Saggera, denf ih ma, biaz bot er 
mih. Ober müad doh a Schond jein für 
an Mon da Wiflenjchoft, wir ih oana 
bin, warn ih mih nit auſſi wußlad. 

„Mei liaba Freund!" jog ib zan 
Hons und legn d Hond at d Odil. 
„Mei liaba Freund! Wan ma willen: 
jchäftlt fein will, därf ma nit af Dans 
denkn und afs Onderi vergelin. Wan die 


Kältn die Körper zſomziacht, ja wirds 


nit grod in Weg alloan ziomziachn, ja 
wirds wul ah deini Fuaß zlomziachn 
und fürza mochn.“ 
„Na!“ jchreit da Hong, „meint Füaß 
loß ih ma wit zſomziachn.“ 
fin uns worm 
unſern wiſſen— 


AU jo wartin ma, 
ban Wirt, feman bar 


meiin und nit in Winta. Weil mei Hrant- ſchäftlichn Diſchkurs ſagor a went im d 
gortn in Suma, warn 3 worm is, gröfja Hit, und wia ma die Zeh zohlu wölln, 
doligg, wir in Winter, und dab j mar | hot ih akrat ab d Rechnung awenk 


a gröſſeri Stener vorſchreibn kinnen.“ 
„Freili,“ ſog ih, „af de Weis limpp 
oan ab da Weg länga für, wan ma 
ſchwar trogn muaß, dab mar in d Hitz 
fimpp und recht jchwigt, weil da Meg | 
afn Bodn ligg, da Bodn a Slörper is 
und d Hitz die Körper ausdehut.“ | 

Da Dauderer Hons legg ſih mit 
jeini Ellbogn ſchön broat afn Tiich bin, | 
woglt a went mitn Kopf und brumelt: 
„Stimpp oba doh nit gonz!“ 

35 jbau n on. War mar ab wos 
Keugs, dab a Naturgſetz, das für die 
gonz Welt 
Hons nit ftimma ſull. Er jpreizt ſein 
Kopf mitn Ellbogn auf; in dem Schädl 





paßt, grod ban Tauderer — 


ausdehnt ghobb. 


Lukher. 
Fin neues Lied von Guſtav Edmund*) 


Zu Worms vor vielen Fürſten 

Der tüchtige Luther itand. 

Viel Staub war aufgewirbelt 

Im weiten deutichen Land. 

Und Luther ſprach mit Kraft und Muth: 
Die Pfaffen ihäten grinzen 
Und mit den Augen blinzen. 





*, Aus „Ergo bibamus“. Neue Lieder für 
durſtige Aehlen von Guftav Edmund. (Leipfig. 
Albert Unffad, 


Er ſchloß die Rede feit und gut: 
„Hier ſtehe ich, 
Ich kann nicht anders, 
Gott helfe mir! 
Amen!“ — 
Der Frundsberg jpridt ihn an und ladt: 
„Das, Pfäfflein,. haft Du gut gemadt!” 


Um's Unredt zu verfchmerzen, 
Das man ihm zugefügt, 
Gieng er d’rauf in den Seller, 
Der unterm Rathaus Liegt. 
Er ſaß dort lang, e3 ward ihm bang; 
Mit ih jo ganz alleine, 
Bei feinem Schoppen Weine 
Lich Ichben er Wein, Meib, Gejang! 
„Bier trinte ich, 
Ih kann nicht anders, 
Gott helfe mir! 
Amen!" — 
Ter Frundsberg kommt herzu und ladt: 
„Das haft Du beffer noch gemacht!“ — 


Büder. 


Rrug und Wintenfaf. Gedichte von 
Nudolf Baumbad. Leipzig, Liebes: 
find, 1887.) 

Es ſcheint jchwer, etwas Neues zum Lobe 
eines Dichters zu jagen, der in jeiner feit 
ausgeprägten frijhen und fröhlichen Eigen: 
thbümlichleit immer derjelbe bleibt, und in 
diejer jo allgemeine Anerlennung gefunden 
bat. Aber Eines ließe ſich vielleiht doc 
geltend maden, was woenigftens in genü: 
gender Weile noch nit hervorgehoben 
worden ift: diejer friiche, Fröhliche Lieder- 
dichter ift einer der trefflichſten Meifter 
der Form, deren der deutche Parnaß fi 
im gegenwärtigen Uugenblide zu rühmen 
bat. Die formelle Glätte und der leichte 
Fluß Baumbach'ſcher Poeſie ift ſchwerlich 
zu übertreffen. Seine Sprache und ſein 
Vers ſind von einer Reinheit, welche das 
feinſte Ohr befriedigt und auch das un— 
feine, ungebildete erquidt, wenn dieſes ſich 
auch des Grundes ſeines Wohlgefallens 
nicht Har bewußt wird. Ein Vorzug, den 
ih, obgleich Teuticher, nicht jo gar aering 
anihlane. Was den Inhalt des neueften 
Bändchens anbelangt, jo entiprehen wohl 
die Scherzlieder dem „Krug,“ und die Ab: 
tbeilung „Lehrhaftes“ dem „Tintenfaß.” 
Baumbahs Dichtung ericheint hier, wie 
faft immer, weniger tief, als fie eigentlich 
ift, weil fie aud das Tiefere in das leichte 
Gewand des Scherzes Heide. Man jehe 
nur, wie 3. B. in dem vortrefiliden Ge: 
diht „ES war einmal” eine tief elegiiche 
Stimmung fi zu reiner poetilcher Heiter: 
feit verflärt und verflüdtigt! 


— 


„Ait lugg lo!“ Mundartliche Gedichte 
allemanniſchen Stammes von Seeger an 
der Lug. (Imnsbrud, Wagner, 1886.) 

Ye weniger irgend ein Dialectgedidht 
vom componierten Bilde, je mehr es von 
der Naturftudie an ſich trägt, deito mehr 
bat es culturgeihichtlihen Wert. So Karl 
Stieler in feinem kurzen, Haren Verſuch 
über Dialectdvihtung. Eulturgeihichtlicher 
Wert kann hienad) der vorliegenden Samm- 
lung mundartliher Gedichte nit abge: 
iprocdhen werden. Seeger componiert wenig 
und zeihnet in einfachen, beftimmten Stri— 
hen. Der vorarlbergiihe Bauer flieht in 
feiner ganzen Eigenart vor uns. Die Mund» 
art — es ift die hinterländijche, wie fie im 
obern Walgau, im Blumeneggiſchen ge: 
bräuchlich ift — ericheint hie und da jogar 
allzu getreu, wird ftellenweile dem hod: 
deutichen Lejer jchwer verftändlih; eine 
Unzahl von Anmerkungen muß fi eine 
finden. Schon beim Titel: „Nit Iugg lo!” 
wird Mandem die hochdeutſche Heberjetung: 
„Nicht nachgeben, nicht loder laſſen!“ nicht 
jofort einfallen. Gerade an dieſer Echtheit 
wird freilih der frreund und Kenner des 
Dialects feine größte Freude finden. 

Geringer als der culturhiftorifche, aber 
noch immer nicht gering, ift der poetische 
Wert des Büchleins. Unter den „Siägin 
und GijängIn,“ die etwa die Hälfte des 
vorhandenen Raumes für fih in Aniprud 
nehmen, findet ſich mand’ urwüchſiges, 
padendes Epigramm, in gewiſſer Mans 
gel neuer, eigenartiger Stoffe lich fih für 
den geireuen Schilderer volfsthümlidhen 
Lebens in Vorarlberg nicht wohl vermeiden. 
Die Almfreude, wie fie in „UF de Berga,“ 
die Proceifiriucht, wie fie in „D’ Proceh: 
Krämer“ fih findet, die Trinkluſt, welde 
„Der dürftig Mo‘ oder „'s Ogaweh“ ver: 
berrlichen, jchnurrige Jagderlebnifje und 
feifende Ghefrauen, „'s Wildern“ und 
„3 Schätzle“ das Alles ift nichts Neues, 
bildet aber doch den weſentlichſten Beſtand— 
theil im Denten, Thun und Treiben des 
Aelplers; und um fo ausihliehlicher be— 
ihäftigen ihn dieje und ähnlihe Dinge, 
je abgelegener die Bergfalte ift, in welcher 
er wohnt, In einigen Jahrzehnten, wenn 
die Hochbahn, welde vor Kurzem unter 
dem Arlberg dur und bis an den Boden: 
jee bin gezogen wurde, ihren jeltiamen 
Einfluß auf den Stamm, der jene? farge 
aber jhöne Land bewohnt, wird geltend 
gemacht haben, dann mag aud der Dichter 
mannigfadern Stoff und reichern Gedanten: 
inhalt unter jeinen Yandsleuten finden und, 
ohne in Unwahrbeit zu verfallen, die For: 
men eines vieljeitiger gegliederten Geifles: 
und Gefühlslebens geftalten lönnen. 

Als die Stärfe von Seeger’ Did: 
tungen ericheinen uns die fchwanfartig ge: 
haltenen Stüde, die in ihrer reinen, naiven 


fFreude am Lufligen und in ihrer gejunden 
Derbheit an eine leider längft verloren ge: 
gangene Geihmadsrihtung unjerer Lite: 
ratur glüdlih erinnern und anlnüpfen. 
Ein Beifpiel diejer Art mag bier Platz 


finden. 

D’ Ludelftrümpf. 
Es iſt im Walfertbal a Mändle afi, 
Das bat en ſchöna wiha Pudel gbo, 
Mit finer Wolla wie vom beita Schaf. 
Da jet amal fi Wible: „Ehriita los!) 
Tenin)Pudel fött Aa ſchera, das nit Strümpf." 
„Mitbalb‘, jet & Mändle und am andra Tag 
Nardatichet 3 Mreiele ſcho s Pudel! Haar, 
Ganz prädtig iſch es ganga und nit lang, 
Eo ihnurret 5 Rädle und es git a Garn 
So glatt und fi, was wett’) nu Wolla fi. 
Dernach hat # Wible aitridt und ftolge‘) Etrümpf 
Dem Ehrifta') fertig gmacht. Das Ding ift quet, 
Ma bhalt die Etrümpf uf d rücher) Jahrszit uf. 
Da kunt der heilig Abed und der Ma 
Hat Sihäft und much ge Pludez uf e Marft, 
's iit boda falt, da holet & Wible qnott) 
Die neua Etrümpf: „Legs a, die heben’) warm. 
Und welle‘) züct er's a, fie tugen auet, 
Gr Inöpft fie Lederhoſa drob”) und Set: 


„Die hast jez prädtig gmacht, i brina ber oh 


Tafür, was gilt's. a Sirnmle us der Stadt.‘ 

Druf ift er furt a's Land und Bludez zue, 

Und, a8 er uf em Marti bem ſchönſta Stand 

A fidis!e, Halstuech, 5 Krämle!!), fofa will 

Und marttet!?) mit dem Krämer, find da Hünd 

En ganza FFalel!’) hinter em gli und bond 

A dena Etrümpf- a - umma gichmedt!*), das hatls) 

Berdächtig und recht arliat ) dunft, a Theil 

Eind wicder furt und wieder abo und enen!®) 

Viel gnöter biclofia!’) as die andra - n- U, 

Der stellt ſiſch) uf drei Füeß und grückt die Etrlimpf 

Wie's Prud iſt be de Hünd. Der Ghrifta dentt 

Die neua Strümpf find nu jo alpähig warn, 

Er jablt dein) Krämer us, 8 ift nümma 3 früch 

Und goht de witer uf em Markt und trifft 

En queter Fründ, und wie u—er mit em fdmäjt, 

Eo werren d Etrümpf vo Neuem biefla!’) warm. 

Ta drebt er fi und lueget drüber ab; 

Die rühen ro8'*), und groß und Heine Kind 

Hat's da, die luegen al de Chrifta—n-a. 

„Bok Eaderement! find das je; Malefiz,' 

Gr nümmt de Eteda und verjäuchtee) die Maar, 

3 ift abeı fpat, und wo—n—er goht und ftoht. 

So tonn fſ'em!) nah und niena’-) hat er Auch. 

Da gobt er im Verdruß zum Hrüßer-Ped’) 

Und lat a Ehöpple queta Hräker fo. 

Und wie—n-—er & fründle bringt dem Nachber Lenz 

€o murret's unterm Tiſch, Tue, wieder Hünd, 

@ie fiben**), weller? ) beiier uf de Strümpf. 

Ich hat er anue, us iſch es und verbei, 

Gr lunt de Slona*) z Bludez nämma—ıı?) ab 

Und mueß nodı vor der Zit zum Städtle us, 

Da ſchwört? ) er wüethin nf em Wen umd jet: 

„I bo -n-i jo—n-—a köſtlis Krämle koft, 

Und was bo—n—i dafür? hodgirorne Etrümpf, 

A Gwimſel und en Bih’”) a beva Füeß 

Und 3 Sipött und s Glächter no vo Grob und li. 
Ch! Mreiele, das ik nit pfiffig all. 

Erklärung: ') böre, horch. °) wollte. ?) za: 
vornehme. *) Gbriitian, ) raubere, ©) ſchnell. ') hal 
ten. *) raid. *) darliber. *%) feidenes. #1) Martige- 
Ihent. 9°) handelt. Y*) Rubel. 1°) gerocden. 13) fon« | 
derbar. 1°) einer. #°) raicher beionnen. 1°) beielien, 
bölliich, Schr. ) viel itart, ) verjant. *i) fie ihm. 
*) nirgends. *) Benennnng des Wirtes. *) ftreiten. 
*) welder. **) Ludern. =) nicht mehr. ) flucht. 
=) Sribeln und Juden. 


Franen- Literatur, 


Liegen da drei Bücher vor und, von 
denen jedes ein anmuthiges Talent zum 


313 


Fabulicren bekundet. Nähert ſich das eine 
der neuen realiftiiden Urt, jo vertieft fich 
das andere, ohne dem idealiftiichen Romane 
untreu zu werden, in jeeliihe Zuftände, 
und ift endlich daS dritte vom zarten Hauch 
der Poefie begeiftert und ſchiert ſich nicht 
allzuviel um die Wirklichleit. Es ift für 
den Berichterftatter erfreuli, wenn er es 
mit einem wirflihen Talente zu thun hat 
— das vorausgeſchickt, wird ihn dieſe oder 
jene Verfaſſerin nicht Heinliher Nergelei 
oder gar der Bosheit zeihen, wenn er nicht 
in Bauih und Bogen Alles lobt — jein 
Lob vielmehr nur bedingungsmweije aus: 
ſpricht. Die ganze mweiblide Art — io 
dünft uns — meist mehr nad der ideali— 
ſtiſchen als nad) der realiftiichen Richtung 
bin. Wenn B. v. Suttner jedod die 
letere goutiert und die Kritik und der 
Erfolg ihr Recht geben, wer würde ihr 
dann zumutben wollen, vom einmal ein: 
geichlagenen Wege abzumeihen? Daß es 
aber auf diejem Wege nod Klippen gibt, 
die eine Frau, ohne das feine Gefühl zu 
verlegen, nicht bewältigen lann — ob fie 
ſich deſſen bewußt ift? 

Der neuefte Roman der Frau Baronin 
vd. Suttner, der bereit3 in das Däniſche 
übertragen wurde, heißt „High-liſe“ und 
ift im Verlage von Otto Heinrichs in 
Münden erihienen. Die Geburts: Arifto: 
Iratie, insbejondere die öfterreichiiche, fommt 
in diefen Buche nit aut weg und wir 
müflen das Urtheil der Verfaſſerin in dies 
ſem Falle wohl rejpectieren. Bis auf einige 
Längen ſchildert fie farbenreih das Leben 
und Treiben des Adels in Paris, in Nizza 
und auf einem Feudalfize in Böhmen in 
feiner ganzen Hoblheit. Die Licdhtgeftalten 
in diefem Buche find ein verliebtes „Kon: 
tefjel,* ein liberaler deuticher Herzog und 
ein Umerifaner, der letztlich noch in die 
Handlung jelbft eingreift und das Bud 
gedeihlich abſchließt. — Wir fanden einige 
treffliche, ja geiftreiche Sentenzen — aber 
wir vermißten den Eindrud eines in ſich 
' abgeichlofienen, wohlgerumdeten Kunſtwerkes, 
denn ofienbar hat die Berfaflerin das Ein» 
zelne jorgfältiger bedadt, als das Ganze. 
Die vielen, oft allzukühn zuſammengeſehten 
Beiwörter erinnerten uns lebhaft an jene 
| alüdliche Zeit, wo uns die fühnen Adjectiva 
in der Jliade oder in der Odyſſee höchlichſt 
ergößten, aber auch manchen Schweißtropfen 
| erprehten. — W. Heimburg zeichnet in 
ihrem bei Ernſt Keil's Nachfolger in Leipzig 
erfchienenen Nomane „Die Andere“ zwei 
arundverichiedene Schweitern mit feinem 
Stift und gieht ihre ganze eigene Liebens— 
würdigfeit in die Seele der „Anderen.“ 
Die Schreibweile ift eine jehr glüdliche und 
gewandte und die Erzählung jelbft äft in eine 
den Stoffe angemejjene ſchwüle Atmoiphäre 
getaucht, wie wir fie hie und da bei Mei: 





314 


ftern deutſcher Erzäblungstunft fanden. : genieht, dabei die gebundene Eprade ge: 
Weniger jpricht uns die Gharalterzeihnung | wandt und zwanglos behandelt und — 


des Helden an, der ſchließlich nad einer | 
radicalen Eur ftatt der heiß geliebten Einen; 
die „Andere“ Iriegt. Gegen den Schluß 
zu bäuft fid Spannung auf Spannung, | 
was den Lejer endlich ermüdet. — Die im, 
aleihen Verlage erichienene Novelle ‚Die 
Lora-⸗Uixe“ von Stefanie Keyſer iſt 
ſinnig und gut erfunden und hübſch Durd: | 
geführt. Die Charaktere find wohl nicht 
dem Leben abgelaujcht, jo daß die Erzäb: | 
lung dem Lejer nicht jo recht glaubwürdig 
vorflommt; man wird fie trogdem nicht 
mit geringem Intereſſe lejen. Und wenn 
wir zum Schlufle meinen, dab die Novelle 
etwas flüchtig neichrieben und nicht allzu 
fein gefeilt jcheint, jo joll das nichts Anderes 
befagen, als dab Fräulein Etefanie 


beſcheiden ift. 


„Was glutenvoll in meinem Geiſte lebte, 
Zu ſchwach, ed zu erreichen, blieb bie Araft, 
Db aud mein Herz zum Hödften aufwärts ſtrebte.“ 


An Dewin und Hammerfee ieine heimat: 
lihe Sage in Berjen) ſchildert R. Martin 
nit ohne Geſchick, gereimt und ungereimt, 
die gewallfame Trennung und die durd 
den Beiftand höherer Mächte wieder er: 
folgte Vereinigung zweier Liebesleute. Das 
immerbin leſenswerte Büchlein ift im Ber: 
lage von 9. Differt5 Buchhandlung zu 
Gotibus erihienen. — Sorathi. Epiiche 
Dichtung in 12 Gefängen von Frik von 
Holzhaujen. (Leipzig bei Guſtav Braun.) 
Wenn wir vom Epos verlangen, daß es 





Keyſer noch bejjer zu jchreiben verficht. 

— Wir empfchlen alle drei Bücher als gute 
Lectüre — die lebten zwei auch jungen 
Leuten. —tt— 


Neue Gedichte. 
Die Ausbeute an guten neuen Gedichten 
iſt fo ſpärlich, daß man Gedichtiammlungen, 
die nur halbwegs eimas veriprecdhen, gerne 
in daß fritiihe Sieb wirft, um unter der 
reichlichen Spreu nach Körnchen zu ſuchen. 
Da ift es oft, leider allzu oft, als ob man 
Waſſer in das Sieb fahte. Heute liegen 
uns ſechs Bücher vor, der Mehrzahl nad 


von Neulingen am deutihen Parnaß, die 


zum erften Male vor der Deffentlichleit 
ihrem Pegajus die Sporen geben, Man 
ſieht e8 ihnen an, wie fie fih frampfhaft 
in der Mähne feitlrallen. Dob auch man: 
des Korn ward biohgelegt. Nehmen wir 
zuerst das Erfreulichere vor, 

Aus ungleihen Tagen nennt ©. Fritz 
— Pſeudonym fir Friedr. Singer, der 
uns fein ganz Unbelannter ift — ſeine 
neuen, im ®erlage von G. Slonegen in 
Wien erichienenen Gedichte. „Auf der 
Hochzeitsreiſe? und „Am Your“ zeigt er 
ung im leicht geichürzten Strophen die 
beitere und humoriſtiſche Eeite des Lebens, 
um durch die Vermiſchten Gedichte“ zur 
bitteren Sehrjeite „Am Grabjtein“ zu fom: 
men. Wir empfehlen das bübiche Büchlein, 
in dem ſich jo recht das Lliebenswürdige, 
heitere, dabei gemüthstiefe Wienertbum 
ohne Aufdringlifeit äußert, jungen Ehe— 
gatten als finnige Lectüre. — Wilde Nanken. 
Gedidte von Edmund Lichtenſtein. 
(Cottbus, Verlag von 9. Differt's Bud: 
handlung.) Gin Talent, das niemals tri— 
vial wird, nirgend zu verneinen und feine 
tieffinnigen Probleme zu ergründen jtrebt, 
vielmehr das, was ihm der Himmel be: 
ihert, heiteren und danlbaren Gemüthes 


‚einen Blid in das nationale Leben, den 
Geiſt und Charalter eines beftinmten Bol: 
les erichliehe, oder dod in der Zeit liegende 
Ideen veranihauliche, jo denten wir zus 
nächſt an das Boll, dem der Dichter ans 
gehört oder an die Ideen, die diejes Wolf 
bewegen. Allerdings erfordern die und be: 
reits befannten, weil in unjerem Vollke 
wurzelnden Stoffe, um ihnen neue Geſichts— 
puntte abzugewinnen, und da die Zeit der 
Epen für unjere Welt: und Gulturzuftände 
vorüber zu ſein jcheint, große dichteriiche 
Kraft. Leichter ift es, in nebeihafter fFerne, 
in dem den Orgien unſerer Phantaſie jo 
günſtigen Orient den Stoff zu juden. Die 
vorliegende Tichtung führt uns bis an den 
Strand des Indus und jättigt unjere 
PBhantafie mit farben: und abwerhtlungs: 
reihen Bildern, und wenn wir aud den 
Eindrud eines in ſich abgeichloffenen, ein— 
beitlihen und vollendeten poetiihen Wertes 
vermilien, jo zeigen dod immerhin hübſche 
Ginzelheiten von dichteriſchem Geftaltungs: 
vermögen. — Die im Selbftverlage (Reud— 
nitz-Leipzig 1887) herausgegebenen Gedichte 
von Franz Tetner laſſen hingegen leine 
dichteriiche Begabung erlennen und gehören 
zu jenen Arbeiten, deren Drudlegung einem 
Herzensbedürfnifie der Verfaſſer entipridt. 
Solde Bücher lönnen einem engeren 
Freundestreije genügen — eignen ſich aber 
nicht für den Büchermarkt. — Einen kri— 
tiſchen Maßſtab vertragen aud nidt die 
„Rabengefänge“ von Ferd. Jllef(Olmüp. 
Selbftverlag.) Wer dächte niht an Raben: 
ftein — und ſchaurig wie der Titel ift auch 
der Inhalt. Wir famen nidt über Seite 
29 hinaus; aber wa3 wir lajen, war ori: 
ginell. Hier einige Pröbchen: 


| 


An den Mond: 
„Antworte mir und jtarre nicht fo blöd, 
“is follte einft der aſtronom'ſche Ochs, 
Des Himmels Milchſtraß' in allmäcr'gem Durft 
Ausfautend, eine Ewigkeit hindurch 
Das AU verdaun, dab viehiſch es vergeh'. 


Ta heißt's von Rabenludern, Rabenmüttern, — gungslos Verehrung und Anbetung bean« 


Hat Ammen wohl ber Rab’, beraubt er die Chemie, a i 
Ber klagt die Haben auf Polygamie 7 pruchen darf, ohne fi erſt * RNecht auf 


s15 


Da heißt es Rabenvieh und Nabenans, beide erwerben zu müfjen. 
or märe Beben eigen nur Cadaverfraß, | Der „Frauenfeind“ will mannhaft da: 
Indes u, da 


gegen auftreten und hofft ſich dadurch die 
er ne era auf.“ Freundſchaft der (Frauen zu gewinnen. Nun 
Gut gebrüflt, Löw — — pardon, gut. verichweigt aber das Programm, ob die 
gefrädhzt, Rabe! tt | Brauen nur die Leferinnen des „Frauen: 
s feindes“, oder nur die Mitarbeiterinnen 
ae fein jollen. Wird auf die Männer fpeculiert 
oder auf die Frauen? Wielleicht calculiert 
der Derausgeber jo: Die Frauen können 
Vater Radekky, Bilder aus dem Sol: | einander nicht leiden, finden fih nur in 
datenieben im Kriege von F. W. Had: Männergefelliaft angeregt und werden gerne 
länder. (Stuttgart bei Karl Srabbe.) ein Blatt abonnieren, das nur von Männern 
In einer Zeit, da dem volfsthümlichen geſchrieben wird; dem Titel werden fie chen 
Feldherrn ein Dentmal in der Kaijerftadt nur für eine Meine Kofetterie halten. Oder 
an der Donau errichtet werden joll und der j0: Wenn ich gegen die frauen zu Felde 
Name Radesiy in Defterreich viel genannt | ziehen will, da lann ich männliche Soldaten 
wird, hielt es Hadländers Sohn, der f. f | nit brauden, da recrutire ich meine 
Nittmeifter W, v. Hadländer, für angezeigt, | Streiter aus der Frauenwelt und engagiere 
„ein paar Blätter neuerdings in die Welt lauter weibliche Mitarbeiter. Jedenfalls ift 
hinauszuſenden, welche ja früher ſchon dem , eine erniteifeindjeligkeit zwiichen den galanten 
Baier Radegfy gewidmet waren.” Und Derausgeber und der Frauenwelt nicht zu 
gewiß wird ſich diejes Wert auch unter dem | befürdten. Eher ift es auf das Gegentheil 
Epigonen jener fiegreichen Armee raſch viele ; abgeichen. Aber traurig ift es, daß ſolche 
Freunde erwerben, denn es erzählt ja von Mittel, wie der Titel „Frauenfeind“ nöthig 
einem glorreihen öflerreiiichen Feldzuge Find, um eine neue Zeitichrift einzuführen. 
und der Verfaſſer ift Hadländer, „der: Der Titel und Etoff wäre höchſtens für ein 
den Siegesflug des öfterreiiichen Doppel: | pifantes Feuilleton von Ferdinand Groß 
aar’s mit feiner Feder begleiten durfte, von Zu verwerten. Im Ernſte halten wir es mit 
den Thoren Mailands an bis auf die; einem AFrauenfeinde nicht, die Frauen find 
Mälle von Novara.” Hadländer'3 Werke | das Beſte, was mir haben und demnach 
find fhon hinreihend gewürdigt, jo daß behaupten wir, der Frauencultus muß auf 
wir unferer Pflicht genligen, wenn wir auf, die Spige getrieben werden! M. 
das Erſcheinen dieſes Buches, das mit dem | 
Bildniſſe des „Vater Nadetfy“ geziert ift, 
einfadh hinweisen. —tt— 





) Aus den Sommerlagen, von Emil 
'Nittershaus. (Oldenburg, Schulze'ſche 
Verlagsbuchhandlung.) 
Der Srauenſeind. Dieſe neue Ausleſe umfaßt die Jahre 

In Wien erſcheint ſeit Kurzem eine 1871 bis heute und zeigt uns das vollendete, 
Monatsſchrift unter dem heldenmüthigen in ſich abgerundete Bild der ganzen Ber: 
Titel: „Der rauenfeind“. Der Herausgeber , fönlichfeit des belichten Posten in der 
ift ein noch jugendlicher, fügſamer Ehemann. | Volltraft. Da ift Alles harmonisch, durch⸗ 
Genade ihm Gott! und Genade Gott dem drungen: geläuterte Klarheit und jonnige 
Abonnenten, der ein angetrautes Ehegemat Lichtfülle des Empfindens und der Gedanfen, 
hat! ruft der Leier. Warum? Jede Ehefrau in edle, vollendete Form gegofien. Wir 
firht e8 gern, wenn ihr Dann ein Frauen: ſchauen die ſchönen, glanzvollen, oft ſturm— 
feind ift und beanſprucht nur eine einzige | bewegten Sommertage des hochſtrebenden, 
Ausnahme. fraftbewuften Mannes, die Sommertage 

Tie Monatsihrift hat aber in vor beine reichen, liebebeglückten Tichterlebens, 
That ein ftreitbares Programm, fie will welde wir an der Hand des liebenswiürdigen 
Front maden gegen den auf die; Pocten durdwandeln und deren herrliche 
Spitze getriebenen Frauencultus. Blütenfülle wir in vollen Zügen geniehen. 
Sie jagt, e3 jei ein Wideripruc in der) Ein von Meifterhand gezeichnetes Porträt 
Strömung unjerer Zeit, wenn einerfeits | des Dichters in vortreffligen VBhotographie: 
dafür gelämpft wird, der Frau die volle, Drud, ein wahres Cabinetſtück des Malers 
Gteichftellung mit dem Manne im praftiichen Knaus, gereicht den „Sonmmertagen* zur 
Leben zu verichaffen, andererjeit$ aber die | großen Zierde, 0. A. 
verlogene Ueberlieferung bewahrt bleibt, | — 
als ſei die Frau ein Weſen, das bedin: | 





316 


Im Berlage von F. Pechel in Graz | 


ift joeben ein „Steiermärkifdes Didterbudy‘‘ 
erichienen. Der Herausgeber desjelben, Karl 
W. Gawalowsky, verfolgte die Abficht 
nurQOriginalbeiträgevon allen zeitgenöfliichen 
Dichtern, die in unjerer grünen Mark ge: 
boren und dajelbft ihren Wohnſitz aufge: 
ſchlagen haben, zu bringen und auf dieſe 
Weile dem deutſchen Publikum ein Bild 
des gegenwärtigen Standes der jdhönen 
Literatur in dieſem Theile des deutſchen 
Sprahgebietes darzubieten. Von den 24 
im Buche vertretenen Dichtern ſeien nur 
genannt der mürdige Neftor C. G. N. 
v. Leitner, Robert Hamerling, der eine ältere 
Bearbeitung jeine® herrliden Schwanen: 
liede8 der Romantik veröffentliht, P. St. 
Roſegger, W. Filter, F. Padler, ©. v. 
Khuenberg, F. Marr, U. Graf Widenburg, 
E. Ertl, 9. Grasberger u. a. m. Der Rein: 
ertrag des Buches ift vom Herausgeber und 
Verleger dem Grazer Zweigvereine der 
deutſchen Schilleritiftung zugedacht. Für dies: 
mal ſei nur noch erwähnt, daß ſich dasſelbe 
in Folge ſeiner überaus feinen Ausſtattung, 
welche der heimiſchen Induſtrie zu hoher 
Ehre gereicht, auf's trefflichſte zu Feſtge— 
ichenten eignet. —j 


Die deulfhe Handwerkerbraut. Bon 
Karl Weije. (Wismar. Hinſtorff'ſche Hof: 
bucdhhandlung. Werlags:Gonto 1886.) 

In feinem herrlichen Büchlein „Weib: 
nachiserlebnifje einer Dandwerferfamilie* 
(Mittenberg. NR. Herroje), deilen Kenntnis 
wir nun wohl bei den meiften Heimgarten— 
lejern vorausjehen dürfen“) erzählt Karl 
MWeife den Urfprung der vorliegenden Dich— 
tung, welche den fühnen Titel „Die deutjche 
Handwerkerbraut“ führt. Den Anſtoß dazu 
bat jenes Goethe'ſche Wort gegeben, das 








Pit Meuglein, innig, freubig glübend, 
Cab fie ver Lade Inhalt nach, 

D’rin Alles ſchmuck, in Reinheit blübenb, 
So ſchön, jo woblgeorbnrt lag.“ 


Dies einzige Gut hat die Braut indes 
in jpäteren Jahren der Rot zum Opfer 


| bringen müſſen; al& man ihr den Silber: 
franz in’s Haar drüdt, jagt fie zu ihren 


Kindern: 


„Bas ih verlor, ift neu erftiegen, 
Es blübt in ſchönſter Reinheit Glanz: 
Ahr ſeht es leuchten, ſeht es liegen 
In Eures Vaters — Liederkranz.“ 


Mag man auch dies und das an der 


Dichtung auszuſehen haben, jo wird man 


mir doch zuftimmen, wenn ich ſage, daß 
Karl Weijes „Dandwerferbraut” hundert 
Goldihnittbändchen einer gewiſſen Lyrik 
unjerer Tage aufwiegt, dab fie eine Volls— 
dichtung von Wert ift. 

Meife dichtete die „Dandwerlerbraut“ 
bereit3 vor vielen Jahren und gab fie einem 
Berliner Buchhändler in Verlag, der fie in 
mehreren Auflagen abſetzte, dann jedod im 
Wintel feines Hauſes verfommen lich. 
Die Hinſtorff'ſche Hofbuchhandlung in Wiss 
mar, welde nicht ohne erhebliche Opfer 
dieje neue Ausgabe veranjtalten konnte, ver: 


‚dient unjern wärmften Dank, der ſich in 
fleißigem Saufen des Buches äußern möge. 


Heinrich Sohnrey. 


Rrethi und Plethi. Porträts aus dem 
Leben, gezeichnet von J. D. Wehle. (Wien, 
Hugo Engel.) 

Mer einmal ein Büchlein voll liebens: 
würdiger Bosheit leſen will, die Adreſſe 
ift bier oben angeführt. Wir haben uns 
föftlih damit ergößt. Wiener Bilder, die 
meijten aus der Krachzeit und aus Geldkreiſen; 
wir nennen den „Banfdoctor*, „Millionär 


für Weifes dichteriſches Schaffen von ſo aus Paterlicbe”, „Wie man Präfident wird“, 


großer Vedeutung geworden tft: „Gehe vom | 


Häuslichen aus und verbreite Tich, jo Du 
fannjt, über die ganze Welt. Schlicht, innig 
und wahr bejingt der Dichter, wie er als 
Handwerlsburid in die weite Welt hinaus: 
sieht, „ein dienend Mädchen“, eine herz: 
liebe Schlefierin, liebgewinnt und mit ihr, 
aller Eorge zum Troß, Hochzeit hält. Das 
Deiratsgut der Braut beiteht aus einer — 
Wäſchelade; aber dieje ift wohlgefüllt: 

„Ach, Freund, in diefer Lade Näumen 

Ruht vieler Jahre Müh’ und Fleiß.“ 


„Den Dedel von bemalten Brettern 
Hob auf die Hraut, ein füher Duft 
Bon eingeftreuten Rofenblättern 

Eririfhte rings des Stübchens Luft. 


*) Es jei wir geitattet, ihnen meinen in (Nabrg. X., 
Seite 118) veröfientlichten Artikel „Karl Weije in 
Erinnerung zu bringen. 





„Zur Naturgeſchichte des Berwaltungsrathes“ 
„Banfdirectoren“, Aber auch harmıloje- Ge: 
ftalten und Originale, wie der „Herr Mader“ 
und Andere. Mandes mag wohl hübſch 
übertrieben jein, aber mit Geift und Humor 
übertrieben. Das fteht nicht übel. M. 


Am eignen Herd. Ein deutiches Haus: 
bud. Serausgegeben von Marimilian 
Bern. 


Motto: An einem Menichen erfüllt ih die Welt 
Die ganze, Die ewige Zeit; 
Er stellt fie dar, fein Leben enthält 
Das Morgen, das Geitern, das Heut‘, 
Leopold Schiefer, 


Inhalt: 1. Lieben und Werben. 2. 


, Der junge Hausftand. 3. Der Ehe Luft und » 


ee 





Leid. 4. Aus dem Kinderleben. 5. Zur Er: 
ziehung. 6. Auf der Höhe des Lebens. 7. 
Dem Ende zu. — Dieſe, mit feinem vor: 
bandenen Werke vergleichbare, weil in Anz 
lage und Durdführung von Allen grund: 
verfhiedene Sammlung des belannten No: 
velliften Marimilian Bern ift eine finnige 
Auswahl deutiher Hauspoeſie. Die reich: 
baltige Anthologie gibt in ihrem Zujam: 
menbange eine erhebende Anſchauung vom 
Bamilienleben und follte — ſchon um ihrer 
veredelnden Wirkung willen — in feinem 
Haufe fehlen. V. 


Weibnahtsbüher aus Otto Spa— 
mer's Verlag in Leipzig: 

Wohlihäter der Menſchheit. Hodhfinnigr 
Belenner der Duldung, Barmherzigkeit und 
Menienliebe. Vorbilder für Alt und Jung. 
Herausgegeben von Franz Otto. Dritte 
erweiterte und verbejierte Auflage. Mit 
108 Tert:Abbildungen und einem Titelbilde. 

Das Walten der götllihen Vorſehung. 
Eine Darftellung mannigfaher wunderbarer 
Fügungen in den Schidjalen der Menichen. 
Zur Belehrung und Erhebung für Yung 
und Alt, auf Grund wirklicher Begeben: 
heiten erzählt von 2. Mittenzmwey. Mit 
10 Bollbildern, Kopfleiften und buntem 
Titelbilde. 

Aus allen Gauen des Yaterlandes. Di: 
foriihe Erzählungen und Sittenidilde- 
rungen aus deutihen Städten. Bon Dr. 
Karl DOppel. Mit 40 Tert:Abbildungen 
und einem Zitelbilde. 

Dieje Erzählungen jdildern in lebens: 
friiher Darftellung die Ereignifje und das 
Treiben in Frankfurt zur Zeit des Ein: 
bruds der Franzoſen, — das Leben in den 
deutichen Städten vor 400 Jahren, — die 
beldenmüthigen Verfaſſungs- und Freiheits: 
Tämpfe der Hamburger, — den flampf 
zwiſchen Nittertfum und Bürgeribum zu 
Zeiten des Fehmgerichts, — die grauen: 
vollen Zuftände in Wien während der Peſt 
1679, — die feindliche Invafion Berlins im 
October 1780 und den Patriotismus der 
Berliner, — Alles in anfhaulichen, feſſelnden 
und fpannenden Scenen vorgeführt. 

Mädden-Philofophie auf der Hochſchule 
des Lebens. Aus Erinnerungen aus der 
Jugendzeit im gereimter und ungereimter 
Briefform dargeftellt von B. Schweilart 
und M. Hoffmann. Mit vielen Bildern. 
Dieje Bücher find ſammt und jonders jehr 
empfehlenämert. V. 


Karl Fromme's Ralender. Wir glauben, 


zum Jahreswechſel unſere Leſer aufmerlſam 
machen zu ſollen auf den großen Kalender— 


317 


verlag Fromme's in Wien und nennen aus 
demjelben folgende elegant ausgeftattete und 
ſtets praftiich eingetheilte Kalender: 
Bogl'sBollstalender für1887.43.Jahr: 
gang. NRedigiert von Auguft Silberftein. — 
Fromme's Glegante Welt. Notizlalender 
für 1887. Deutſche Ausgabe. 27. Yahrg. 
— Bienen:falender. — Clerus-Kalender, 
9. Yahrgang. Teuerwehr = Kalender. 
14. Jahrg. — Forſtliche Kalendertaſche. 
13. Jahrg. — Forſtliches Bademecum. Bon 
C.Petraſchel. — Barten: Kalender. 12. Jahrg. 
— Handeld» undBörjen-Kalender. 27. Jahrg. 
— Yuriftensflalender. 15. Yahrg. — Land: 
wirtbichaftssffalender. 13. Jahrg. — Mäd— 
hen:flalender. Neu. — Maß- und Gewichts: 
Taſchenbuch. — Medicinal:Stalender. 42. 
Jahrg. — Montaniftiiher Kalender. 11. 
Jahrg. — Muſikaliſche Welt, Notiz: flalender. 
12. Jahrg. — Pharmaceutiiher Kalender. 
24. Jahrg. — Profeſſoren- und Lehrer: 
Salender. 19. Jahrg. — Richard Wagner: 
Kalender. Zweite Auflage. — Schematismus 
der Mitteljhulen. 19. Jahrg. — Studenten: 
Kalender für Mittelihulen. 6. Jahrg. — 
Blatt» Kalender. — PBult:Blod: Kalender. 
Neu. Für jeden halben Monat ein Abreiß— 
Notizblatt. — Comptoir-Kalender. 19. Jahrg. 
— Schreibtiſch-Kalender, Heiner. 9. Jahrg. 
— Univerſal-Wand-Kalender für Chriſten, 
Juden und Türken. 9. Jahrg. u. ſ. w. 


| Die „Deutfche Wochenſchrift“, welche in 
Zulunft von Dr. €. Ruſſel herausgegeben 
und von Dr. Karl Neiſſer in Wien ge: 
leitet werden wird, beabjichtigt von nun an 
ihr auch bisher anerkannt tüdtiges Pro— 
gramm zu erweitern; fie wird als eine Zeit: 
Schrift für die gefammte Weltftellung der 
Deutihen in Eultur und Politik ehrlich 
und treu wirfen, ftetS jur großen nationalen 
Arbeit, zur Ausdauer, zur Finigfeit mahnend. 
Die Abfihten des Blattes find von 
edlem Ydeale getragen. Wenn die Neigung 
des Publikums ibm entgegenftommt, jo 
werden die nroßen Ziele, ein Organ der 
Cultur der Deutihen in allen Ländern zu 
fein, erreicht werden. Unjeren aufrichtigen 
Glüdwunjd ! M. 


Schauenburg’s Marmor: und Ala— 
bafter = Baukaften in verjchiedenen Größen. 
Schauenburg's Berlagsanftalt, Lahr. 

Die neuen und eigenartigen Baulaſten 
der Firma Schauenburg in Lahr haben in 
hohem Grade Intereſſe erregt. Es handelt 
fih in erfter Linie dabei darum, dem fort: 
geichrittenen Kunftbedürfnis unjerer Zeit, 
mehr als bisher geichehen, entgegenzufommten. 
Dadurch, daß die Schauenburg’ihen Bau— 





318 








andeuten (Sodel, Gurt, Hauptſims, Fenſter- in den beiden Polarzonen. Bon J. Löwen— 
bögen, Quaderung, Balufter, Säulen zc.),| berg. (Leipzig: ©. Freytag. — Prag: 
fügen fie den bisherigen Baufaften ein F. Tempsiy.) 

weſentliches Bildung3element hinzu und Nah einer jehr Üüberfichtlichen geogras 
find mohl geeignet, intelligentere und bes | phifchen Nüd: und Rundſchau belehrt der 
gabtere Kinder zu einem ernftern Studium | Verfafler uns über die Wiederaufnahme der 
binzuleiten, während fie auch den kleinern Bolarreifen im Jahre 1818. Wir begleiten 
durch größere Natürlichkeit eine weit größere | Franklin und fpäter die Franklinſucher auf 
freude bereiten werden als die biäberigen. | ihren Fahrten, fteuern neuerdings durch 
Diejen legtern Effect aber wird mit Jubel! das offene Meer zum Pol, reifen mit den 
das Material erzeugen! Wirklicher edler | „deutschen arktiſchen Argonauten“ Koldewey, 
Marmor und Alabaſter. Welchen Glanz | Dorft, Beſſel, v. Henglin, dv. Zeil, Weyp: 
wird das aufgebaute große Haus auf dem | recht, Bayer, Roß, Challenger u. a. m. nad 
Weihnachtstiſch hervorbringen ! V. dem Außerften Norden und Süden; aud 
Nordenitjölds berühmte Unternehmung mas 
hen wir mit. Hocintereffante Erörterungen 
über Ballonerpeditionen zum Pol und die 
Polarforihung der Zukunft ſchließen das 
Mert ab, weldes mit inftructiven Karten 
und ausführlichem Negifter verfehen ift. 

V, 


faften die Hauptbauformen ganz = Die Entdehungs: und Forfdungsreifen 
t 


Bon jeher jchon gilt das Bud als das 
Befte, edelfte und finnreichfte aller Weih— 
nachtsgeſchenle, das Alt und Jung in nleicher 
Weiſe erfreut und befriedigt. Wir haben ein 
allerliebſtes kleines Büchlein vor uns, einen 
„Qluftrierten Weihnachts-Almanach“ von A. 
Hartleben’s Berlag in Wien, der 
mit 45 reizenden Jlluftrationen geſchmückt, 
eine Menge von prädtigen Büchern nennt, 
die alle Zierden für den Weihnachstiſch 
abgeben. V. 


Die Aunft fein Glüch zu machen. (Bern. 
H. Köhler.) 

Bei dieſer Lectüre fanden wir uns 
angenehm enttäufcht,. Der etwas hochtrabende 
Titel madte uns mißtrauiſch gegen den 
Inhalt. Dieſer ift aber erfreulicher Weije 
durchaus gediegener Art. Das Bud ift mit 
fittlihem Ernſt geichrieben und enthält 
manden praltiihen Wint und guten Rath, 
Es darf daher wohl empfohlen werden. V. 


Aefthetik. Von Dr. Mar Schasler. 
Grundzüge der Wiſſenſchaft des Schönen 
und der Kunſt. Leipzig: ©. Freytag. — 
Prag: F. Tempsfp. 

Der erfte Theil beichäftigt fich mit der 
dee des Schönen in ihrer Allgemeinheit Die Lieder der Mormonin. (Hermann 
und Bejonderung, der zweite Theil führt | Dürjelen, Leipzig.) 
uns in das Neid der Kunft; er weist uns Ein originelles Mert auf Rollen, deſſen 
die Elemente des Kunſtſchönen nach und Inhalt durch Drehung letzterer dem Leſer 
bietet dann eine äſthetiſche Betrachtung der vorgeführt wird. „Die Lieder der Mor— 
Architeltur, Plaftit, Malerei, Mufit, Mimik monin“ find die poetiſchen Ergüſſe einer 
und Poefie in al’ ihren Unterabtheilungen. | Ariftofratin der Gegenwart. So originell 
wie die Ausflattung ift auch der Inhalt 
des Werkes, das als paflendes Geſchenk 

Madagaskar und die Dnfeln Seydellen, für Damen und Herren empfohlen werden 
Aldadıra, Komoren und Maskarenen. Von lann. V. 
Prof. Dr. R. Hartmann. (eipzig: ©. sn 
— —s—— Mer: Den Heimgarten ferner zugegangen: 
les: Der Welttheil Afrika in Einzeldarftel: Martin Salander. Roman von Goti: 
lungen. 68 find uns die obgenannten | fried Keller, (Berlin, Wilhelm Gert. 
Inſeln in ihren Bodenverhältnifien und | 1886.) 

Producten, ihren Einwohnern, deren Sitten, Der Roman der Stiftsdame, Eine Lebens: 
Gebräuchen und Lebensverhältnifien geichile | geihichte von Paul Heyſe. (Berlin. 
dert. Die Fauna und Flora der einzelnen | Wilhelm Berk. 1887. 
Inſeln ift gründlich behandelt, aber aud Die Ailbraut. Roman von Georg 
die nationalzöfononischeund culturhiftoriihe| Ebers. Drei Bände. (Stuttgart. Deutſche 
Seite wurde in ihren darafterijchen Er: | Berlagsanftalt. 1886.) 


iheinungen aufgefaßt. Ebenſo erideinen Meine Zrau und id. Erzählung von 
die jocialen und religiöfen Einrichtungen Henril Scharling. MWeberjegt von 
mit Klarheit dargeftellt. V. E. Dunter. Bierte Auflage. (Norden. 9. 


Fiſcher Nachfolger. 1887.) 





u 


319 


Aus dem Blurmaefang des Lebens. Ge: 
fammelte Dihtungen von Franz Keim. 
(Minden i. Weftf. I. C. C. Braun’s Berlag. 
1887.) 

Der junge Goldfdhmied. Dichtung von 
Karl Ernft Altena. (Berlin. Wilhelm 
Friedrich Nachfolger. 1887.) 

Denitidia. Eine Ditung von Ludwig 
Anders. (Frankfurt a. O. B. Waldmann.) 


Don Senz zu Herbſt. Dichtungen von 
Günther Walling. Zweite vielfach | 
veränderte Auflage. (Leipzig. W. Friedrich. 
1887.) 

Horand und Hilden. Bediht von Rudolf 
Baumbad. Neue veränderte Ausgabe. 
(Leipzig. U. 9. Liebestind.) 

Weltpfingfien. Gedichte eines Idealiſten 
von Heinrih Hart.) Neue Auflage. Nor: 
den. H. Fiſcher Nachfolger.) 

Sanfara. Ein Gedihtbudh von Julius 
Hart. (Norden. H. Fiſcher Nachfolger.) 

König Hübid. Ergählende Dichtung von 
Hermann Kiehne. (Norden. H. Fiſcher 
Nachfolger.) 

Deutſche Eyrik feit Goethes Tode. Ausge— 
wählt von Warimilian Bern. Zehnte 
verbefjerte Auflage. (Leipzig. Pb. Reclam 
Junior. 

Geburtstagsgrühe. Mit Gitaten aus 
Rückert's und Longfellov’s MWerlen. Gejam: 
melt von Jules Shudharpdt. (Tübingen. 
9. Laupp’ihe Buchhandlung.) 

Weber-Gedenkbud. Grinnerungsblätter 
zum 100jährigen Geburtstage Karl Maria | 
Webers am 18. December 1886. Bon Dr. 
Adolf Kohut. (Leipzig-Reudnig. Os: 
wald Schmidt. 1887) | 

Zum finfundzswanzigfien Codestage des 
Rönigs Dom Pedro V. von Portugal, Herzogs. 
zu Sadien. Bon Emil von Edelhorn.! 
Münden. Th. Adermann. 1886.) 


Einführung in das Studium der neueren ı 
Bunftgelgidte von Dr. Alwin Schultz 
Bis zur 9. Lieferung gediehen. (Prag. F 
Tempsty. 1886.) 

Dögel der Heimat. Unjere Bogelwelt 
in 2ebensbildern gejdildert von Dr. Karl 
Ruf. Bis zur 9. Lieferung erjdienen. 
(Braga. F. Tempsly 1886.) 

Marlitt am Clavier. Oder muſikaliſche 
Befähigung der Marlitt’jhen Romange: | 
ftalten. Eine harmloſe Plauderei von *,* 
Karlsruhe. Gebr. Pollmann. 1887.) 

Ein Rampf mit der Gartenlaube. Bon 
Franz Siking. (Zürih. Berlagsma: 
gazın. 1887.) 

Ein buddhilifder Ralechismus. Nach dem 
Kanon der Kirche des jüdlihen Indiens 
bearbeitet von Henry ©. DOlgott. 
(Zeipzig. Th. Grieben, 1887.) 

Der Hausfhab. Ein Freund und Nath: 
geber 





Männer und frauen. (Oranienburg. 1886. 
Ed. Freyhoff.) 

Witkowiber Ralender für Berg: und 
Hüttenleute. 1887. V. Jahrg. (Witlowitz.) 

Glüch auf! Kalender für die deutſchen 
Berg: Hütten: und Salinenleute. 1887. 
(Zwidau i. ©.) 

Yllufrierte Zimmer » Flora. Praltiſche 
Winfe zur Anzucht und Pflege der Pflanzen, 
bejonders der Blumen im Zimmer, in der 
Veranda als Wintergarten und im freien. 
Bon D. Hüttig. (Oranienburg. Freyhoff.) 

Wörterbud; der Bekleidung. Erklärung der 
auf die Coſtüme, Volkstrachten und Moden 
aller Zeiten und Völker bezüglicden Namen, 
jowie aller die Herftellung der Web: und 
Wirfwaaren, der Putzgegenſtände, der weib— 
lihen Handarbeiten zc. betreffenden Bezeich: 
nungen. Zujammengeftellt von Theodor 
Edard. (Hartleben. Wien. 

Lehre der Obfeultur und Obftverwertung. 
Theil III. Die Beerenobfteultur und Ber: 
wertung des Beerenobftes zur Weinbereitung 
sc. von Johannes Boettner. (Oras 
nienburg. Freyhoff.) 


Von den uns regelmäßig zugehenden 
Zeitſchriften nennen wir (mit Ausnahme 
der politijchen) folgende als empfehlenswert: 


Monatsjhriftenzur Belehrung 
und Unterhaltung: 


Wefermanns Ilufrierte deulſche Monats= 
hefte für das gejammte geiftige Leben der 
Gegenwart. (Braunschweig. George Weiter: 
mann.) 

Dom Fels zum Meer. Spemanns illu: 
ftrierte Zeitichrift für das deutſche Haus. 
(Stuttgart. W. Spemann.) 

Deutfdhe Revue über das gelammte 
nationale Leben der Gegenwart. Heraus: 
gegeben von Nihard Fleiſcher. (Bres: 
lau, Eduard Trewendt.) 

Deutſche Rundfdiau. Herausgegeben von 
Julius Rodenberg. (Berlin. Gebrüder 
Paetel.) 

Familienſchriften. 

Schorers Tamilienblatt. Eine illuſtrierte 
Zeitſchrift. Wöchentlich. (Berlin. 3. H. 
Schorer.) 

Meue ZAlluſtrierle Zeitung. Herausgeber 
Balduin Groller. Wöchentlich. (Wien.) 

An der ſchönen blauen Donau. Unter— 
haltungsblatt für die Familie. Herausge— 
geben von Dr. F. Marmroth. Erſcheint 
am 1. und 15. jeden Monats. (Wien. C. 
Konegen.) 

Keſſels Tamilienfreund. Illuſtrierte Blät— 


für die Frauenwelt von Anny terzur Unterhaltung und Belehrung. Monatl. 


WB othe. Unter Mitwirkung hervorragender | zweimal. (Warnsdorf.) 


ra ( — 


320 


— —— 





Deutſche Dichtung. Herausgegeben von 
K. E. Franzos. Erſcheint am 1. und 15. 


jeden Monats. (Stuttgart. A. Bonz u. Co.) 


I Redigirt von U. Eilberhuber. Zweimal 
monatlid. 
Wiener Hausfrauen Zeitung von Adolf 


Seobener Rundſchau. Wöchentl. (Leoben.)| ZT aufig. Wöchentlich. (Wien.) 


Liegfried, Zeiticprift für volksthümliche 


Didtung und Wiflenihaft. Nedigiert von 


Paul Lindenberg. Monatlich. (Beerfel: | 


den. Meinhard.) 


Beitjhriften für die Jugend, 
für Jugendfreunde und Lehrer: 


Deutfche Bugend. Neue Folge. Heraus: 
gegeben von Julius Lohmeyer. Monat: 
li ein Heft, Mit färbigen Bildern illuftrirt, 
(Berlin. Leonhard Simion.) 

Oeſterreichs deutfhe Zugend. Monats: 
hefte mit Bildern. Herausgegeben vom 
deutihen Kandeslehrerverein in Böhmen 
Neichenberg.) 

Schule und Haus. Zeitihrift zur För— 
derung und Erziehung des lnterrichtes. 
Herausgegeben unter Mitwirkung hervor: 
ragender Fachleute von Joſef Eidler 
und Eduard Jordan. Monatlich eine 
Nummer, (Wien, Reisnerftraße 2.) 

Pädagogifde Zeitfhrift. Organ des fleier: 
märliſchen Lehrerbundes, Herausgeber der 
Grazer Lehrerverein. Leiter: Ferdinand 
Bellner Monatlid drei Nunmern. (Graz, 
Leylam.) 


gendſchrift. Vierteljährig ſechz Nummern. 
(P. J. Tonger, Köln.) 


Zeitſchriften verſchiedener 
Fächer, Genojjenihaften «. 


Das Magazin für die Literatur des In: 
und Auslandes. Wöchentlich. (Leipzig.) 

Allgemeine Runft =» Chronik, Ylluftrierte 
Zeitihrift für Kunſt, Aunftgewerbe, Mufit 
und Literatur. Mit einer Beilage „Theater 
Chronit“. Wöcentlih. Derausgegeben von 
Dr. Wilhelm Lauſer. (Wien.) 

Bayreuther Blätter. Monatsichrift unter 
der Redaction von Dans v. Wolzogen. 
Herausgegeben vom allgemeinen Wagner: 
Berein. Monatlid. (Leipzig.) 

Degetarifhe Rundſchau. Monatsjchrift 
für naturgemäße Lebensweiſe. (Berlin.) 

Meifter Konrads Werkflatt. Herausge— 
geben von Franz Woas. Jlluftrirt. Wö: 
chentlich. (Leipzig.) 

Deutſche Rundſchau für Geographie und 
Statiftit. Unter Mitwirkung hervorragender 
Fachmänner. Herausgegeben von D. F. 
Umlauft. Monatlich. (Wien.) 

Oeſterreichiſche Kourifen. Zeitung. Heraus: 
gegeben vom öfterreihiihen Touriſten-Club. 


Mufikalifhe Jugendpoſt. Illuſtrierte Ju⸗ 


Zürs Haus. Praktiſches Wochenblatt 


für alle Hausfrauen, (Dresden.) 


Poſtkarten des Heimgarten. 


xx 63 wird angelegentlichft erſucht, 
| Manujeripte erft nad vorheriger Anfrage 
einzujenden. für unverlangt eingeididte 
| Manujcripte bürgen wir nicht. Erterne Ar: 
beiten honoriert die Berlagshandlung nicht. 
| 3. €h., Paris: Meberjegungen aus diejem 
Blatte in fremde Spraden bedürfen ſpe— 
) cieller Bewilligung des Autors und des 
' Berlegers. 

9. A. Wien: Eine ſchöne und gerechte 
' Würdigung Anzengrubers finden Sie in 
den „Illuftrierten deutihen Monatsheften* 
(December 1886.) Der betreffende geradezu 
\ glänzend geidhriebene Aufjak ftanımt aus 
der Feder Anton Bettelheim's. 

3.3. A., Gras: Die im vorigen Jahr: 
gang des Heimgarten veröffentlichte Erzäh— 
lung: „Die Ehriftveiper*, begründet ſich 
auf eine Sage, welde das Judenerſchlagen 
in Judenburg zum Gegenftande hat. Die 
Sage findet fih in mehreren fteiriichen 
Geſchichtswerken verzeichnet. 

E. M. Wien: Freundliden Danl. Tür 
ein großes Publitum aber do nicht redht 
geeignet. 

R. W., Rlagenfurt: 
gentlih verſuchen. 

N. M. Prag: Haben Sie bei der ſchlechten 
Behandlung, melde Berje vom Publitum 
im Allgemeinen erfahren, Ihren Muth nod 
nicht verloren ? 











Werden es gele: 


Das „Schluß“ bei Damerlings 
autobiographiichem Artikel im Novem— 
| berheft bezog ſich nur auf diefe Ab— 
ıtheilung der Biographie (,„Lehrjahre 
und Wandertage“), teineswegs aber 
auf die „Stationen der Lebenspilgers 
ſchaft“ jelbit. Diefe werden im Gegen» 
theil im „Heimgarten“ fortgeſetzt 
und bis auf die neueſte Zeit 
fortgeführt werden. 








Bär die Nedaction verantwortlich P. A. Roſegger. — Druderei „Leytam“ in Gras. 


£ e — — —< 
· æ. cx—— 


X]. Jahrg. 





Iakob der Pete. 


Eine Waldbauerngejhichte aus unjeren Tagen von P. R. Kofegger. 
(Fortjegung). 


„Sranj, bleib’ daheim!“ aber doch fo, daß es mit feinen vielen 
— Fenſtern frei in die Gegend ausbliden 





Die Schirnibaume am Guldeifner- 


kounte, trug an einer ſeiner Wände 
2 Hof warfen über die Felder hinab weiße Schußſcheiben; weil der Guld— 
und fogar etliche Klafter jenfeits der eifner auf Scheiben zu hießen pflegte, 
Bergblöße hinan ihren Schatten, als wenn kein Reh im Revier war. or 
die drei Bauer zu Hofe herankamen. dieſemn Hauſe blieben die Männer ſtehen, 
Es waren der Sepp in der Grub, | um fih auszuſchnaufen und hinaus— 
der Rodel und der Jaleb dom Reut- zuſchauen ins weite Land. Von feinem 
hofe. Sie waren der Verabredung Haufe der ganzen Gegend hatte man 
nach Heraufgeftiegen, weil fie den Große | sine fo weite Ausficht, als vom Guld- 
banern zu Altenmoos von der Abſicht, eiſnerhof. Ueber die Waldbänme hin— 
das Gut zu verlaufen, abbringen wollten. weg, die unten den Geſichlskreis engten, 

Der Hof beſtand in zahlreichen Stäl= konnte von hier aus das Auge auf 
fen, Scheunen, Schoppen, Fruchtläften | ferne blauende Berge fliegen, die in 
und zwei Wohnhänfern, Alles stattlich | fanften Linien oder ſtumpfen Spigen 
und im beiten Stande erhalten. Das eine in der Fremde draußen ftanden. Im 
Heinere Haus, welches ſchier verdedt| erften Angenblid, als die Sonne dort 
unter Sirfchbäumen ftand, war das aufgieng, leuchtele fie dem Guldeiſner 
Ausgeding, welches jet feine Infaflen schon zu den Fenftern hinein im fein 
hatte, da feine „Alten“ vorhanden Veit, oder in die Kaffeeſchüſſel, wenn 
waren. Das andere große Haus, welches | ſolche ſchon auf dem Tiſche ftand. So 
faft mitten im den Gebäuden fand, | gut hatten es die tiefer liegenden Häuſer 


Rofenare's „Grimgarten‘, 5. Heft, XI. 21 





322 





nicht; der Neuthof hatte gar feine So warteten fie in der geräumigen 
Kaffeeſchüſſel und die Leute dort mußten | düfteren Stube; alle Fenfter waren 
ihre fauere Milchfuppe im feuchten | gefchloffen, und daß die Luft in fo 
Schatten eſſen, während hier fehon der einem Raum etwas mirfelt, daS ber 


goldige Sonnenschein lag. 

„'s iſt wohl ein ſchöner Platz, da 
heroben,“ ſagte der Sepp. 

„Der Roggen wird aber doch um 
acht Tage ſpäter zeitig als bei uns 
unten,“ entgegnete der Rodel. 

„Hingegen iſt er ſchwerer 
Körndl“, meinte der Jakob. 


im 
to 3 
— 


Alles feſter und kerniger, was dal 


heroben wachſt. Hätt' ich das Gut, 
ich wollt's nicht verkaufen.“ 


Gegenüber dem Haufe, am Holz— 
ſchoppen ftand, mit verfilbertem Hals- 
band geſchmückt, der große fchiwarze 
Kettenhund. Er riß an feiner Kette 
nicht, er keifte und beflte nicht leiden— 
Ichaftlich, wie die feinen Kläffer, die 
an anderen Häuſern hiengen, ex raffelte 
nur ein wenig und ließ in gemefjenen 
Zwiichenpaujen ein würdiges Knurren 
hören. 

Die Männer traten nun in das 
Haus und ohne viel Umftände in die 
große Stube. Da war Niemand. Sie 
jeßten Fi an die Wandbant und der 
Sepp und der Rodel ftopften ihre 
Pfeifen an. Der Jakob rauchte nicht, 
Ihante für fi in der Stube umber 
und date: Schöner al3 die meinige 
ift fie auch nicht. Aber größer ift fie; 
Tiſche ftehen hier zwei, weil einer für 
die vielen Leute zu Hein wäre An 


der Stubenede find die Heiligenbilder 
wie bei mir, an der Wand in Leder: 


haftlein herum fteden die Löffeln wie 
bei mir. Sehsundzwanzig Löffel, und 
große! Das braucht was, jeden Tag 
in jo einem Haus! Sechsundzwanzig 
Löffeln! Und was fie erjt mit der 
Gabel efjen! Und mit den Fingern! 
Und was fie trinfen! Schlecht, hört 
man, wird nicht gelebt beim Guldeifner. 
Er jelber verftehts, und feinen Leuten 
gönnt ers auch. Soll unter feinem 


Gefinde, dem jüngeren, ja viele nahe 


Verwandte haben, der Guldeiiner, — 


merkt ein Bauer nicht. Die alte lang: 
'weilig tidende Wanduhr Hinter dem 
großen Kachelofen zeigte ſchon die 
\fiebente Abendftunde. Bon den gegen 
| überliegenden Waldbergen leuchtete das 
Sonnengold fo hell zurück und zu den 
Fenſtern herein, daß in der Stube eine 
Art von grünlicher Dämmerung war. 
| Jetzt kam von der Küche herein 
‚eine rundliche Magd mit feingeflochtenen 
Haarzöpfen, freundlichen Augen und 
zarter Gefichtsfarbe ; fie bedeutete den 
Männern, wenn fie etwa bei dem 
Bauern was zu thun Hätten, jo follten 
fie fo gut fein und ein ganz Klein 
wenig warten, dann follten fie ins 
Stübel kommen. Er jei juft aufges 
ftanden. 

Als die Magd wieder zu ihrem 
| prafjelnden Herdfener hinausgegangen 
been bemertte der Sepp mit einem 
vielfagenden Schmunzeln: „Das ift ſie 
gewiß geweſen, Diefeinige!“ 

„Mag wohl fein,“ verjeßte der 
Nodel und taftete mit der Hand in 
die Luft hinein. „Schau einmal beim 
TFenfter hinaus zum Brunnen. Dort 
fteht Eine mit dem Waſſerzuber.“ 

„Richtig,“ ſagte der Sepp, „die 
Ihwarzaugige Julerl! Und wie fie 
unterhalten kann! Die ift nicht übel”. 

„Jetzt ſchau auch einmal dort in 
den Garten Hin.* 

„Dort thut Eine Salat gießen. 
Flint und fauber! Ihre Kittel tragen 
| hier oben die Weibsbilder nicht zu lang. 

Das macht aber nichts, fie haben Feine 
zerriffenen Strümpfe an.” 
„Sie haben halt gar feine an.” 
„Der Guldeifner hats gern fo; effen 
tönnen feine Weibsbilder, jo viel fie 
wollen, aber mit dem Gewand follen 
‚fie ſparſam fein, jagt er.“ 

„Thuts eh leicht, wenns jo ſchön 
warm iſt.“ 

So tratichten fie, auch Männer 
können es, wenn fie Langweile haben. 





Der Guldeifner war unverbeiratet, 
wußte die fleißigften und friſcheſten 
Dienfiboten in jeinem Hofe zu ver— 
ſammeln und fo gieng die Arbeit allzeit 
munter von ftatteı. 

„Das ift halt das Schlimme!“ 
feufzte num der Jakob auf, der Heute 
ſchwermüthig war. 

„Was meinft, Nachbar ? Der Spare 
fankeit mit dem Gewand wegen ?* 

„Wenn er Kinder thät haben, der 
Guldeiſner, rechtmähige Kinder, er wäre 
feftgenagelt an Haus und Grund.“ 





flügel weit aufjogen, wenn er in 
Erregung fanı. Das Einzige, was an 
dem Manne wohlgepflegt war, mußte 
wohl der Schnurrbart fein. Der war 
fo kohlſchwarz, daß man ihn für gefärbt 
hätte halten können, jo dicht und kurz— 
geichnitten und mit dem Schermefler 
Scharf abgegrenzt, daß es auzjah, als 
hätte der Guldeilner zwiſchen Mund 
und Nafe ein wulftiges Filzlein geklebt. 
Alles Uebrige war forgfältig rafirt, 
was an der fonft verwahrlosten Ge— 
ftalt das einzige Anzeichen ftellte, daß 


Jetzt kam die Magd wieder: Sie, der Mann Fein gewöhnlicher Waldbär 


fönnten jchon ins Stübel gehen. 
„Baden wir ihn halt an, im Gottes— 
namen!“ ſagte der Nodel, und fie 
giengen in das Nebenftübel, daS voll 
Sonnenlicht war, weil das große blanke 
Fenſter gegen Sonnenuntergang Hin 
ftand. Und wie vornehm eingerichtet! 
Am Fenſter roſenrothe Vorhänge, au 
den Wänden, über alten kunſtvoll 
geſchnitzten Schränken, Porzellankrüge 
und Teller; gegenüber der Thür ein 
Spiegel, vorgeneigt an der Wand hän— 
gend, ſo daß die Eintretenden darinnen 
ihre eigenen Füße wie über einen 
ſchiefen Fußboden herabfteigen ſahen. 
Ferner an der Wand ein paar Hirſch— 


geweihe, ein Schießgewehr und ein 
Weidmeſſer. Auf Bett und Stühlen 


war die voflfte Unordnung und ber 
Guldeiiner ſaß in Hemd und Inter: 
hoſe am unbededten braunen Tifchchen 
und ſchlürfte juft feinen Morgentlaffee, 
fo dak die Eintretenden der Schale 
wegen von feinem Kopfe nichts jahen 
al3 den jchwarzen, wirren Haarwuſt. 

„Behts nur her, Nachbarn!“ rief 
er mit fchnarrender Stimme noch zu: | 
halb in das Kaffeegefäß hinein. Als 
er diejes endlich auf den Tifch geitellt, 
jah man den Großbaner zu Altenınoos 
von Angeſicht zu Angelicht. Auf breiten 
Achſeln ſaß kurzhalfig ein runder Kopf. 
Ueppiges verfiljtes Daar, kleines blafies 
Geſicht mit ftarf bervorftehenden Wan: | 





fei. Er war in der That ein unge— 
wöhnlicher. 

„Gehts her, gehts her!“ jchnarrte 
er mit einer breiten, ſchmetternden 
Stimme; man merkte wohl, der Mann 
war gewohnt, ſcharf in die Welt hinein— 
zureden ohne die Worte viel zu muſtern. 

„Man kennt fich Frei nicht aus,“ 
bemerkte der Sepp in der Grub, „ſtehſt 
erft auf, Nachbar, oder gehit ſchon 
Schlafen.“ 

Er ftand Freilich erft auf, und ein 
Guldeifner kann die Tageszeiten um— 
fehren wie er will, darüber Hat er 
Niemandem Rechenschaft abzulegen. Er 
überhörte alfo die Bemerkung. Sie 
jollten die Hofen, Leibeln und Pfaiden 
von den Stühlen werfen und jich ſel— 
ber draufjegen, war fein Rath, den die 
drei Männer ſofort auch befolgten. 
Hierauf griff er, ohne fich von feinem 
Siß zu erheben, mit einer langen Hand 
in's MWandfaftel, nahm einen Thon 
plußer heraus, ſchenkte damit vier 
Glasſtümpchen voll und rief: „Mögts 
ein’ Schnaps ?“ 

„Du kannſt Dirs halt anjchiden, 
da heroben,“ ſagte nun der Rodel 
einlentend, nachden er vorher ein paar= 
mal mit der Hand in dje Luft ge— 
fahren war, als wollte er Fliegen 
fangen, „Du laßt Dir nichts abgehen 
auf Deinen Berg da heroben, und recht 
halt. Ih thäts auch, gunn' Dir’s. 


gen- und Badenknochen, bufchige Augen: | Du kannſt beifer leben, ais wie etwan 
brauen, große Schwarze Augen, plummpe| jo ein Kampelherr, der in Land ums 
Stumpfnafe, an der ſich die Nüſtern- fährt, um fein Geld loszuwerden, und 


21” 


fih damit wohl Bauernhäufer kauſen 
kann, aber nicht das Anfehen und die 
Altgefeffenheit vom Guldeiſnerhof.“ 


„Hei, der Kampelherr!“ fehmetterte  fagte der Großbauer. 
macht Sorg’ und Aerger, und wenns 


der Guldeifner heraus und lachte, 
Der Sepp blies von feiner Pfeife 
raſch nacheinander Rauch aus; „die, 
neueſte Lug,“ jagte er dann und pafite 
wieder, „die neueſte Lug wird Dir 
Spaß machen, Nachbar, die in Alten- 
moos umgeht.“ 
„He, Lug! 
Großbauer. 
„Ja, ſie ſagen, der Guldeiſner 


So!“ ſchnarrte der 


wollt' ſein Haus und Hof verlaufen, | 


jagen fie.” 

„Sagen fie das ?* lachte der Guld— 
eilner laut. 

„Es wird nicht wahr fein,“ 
ſetzte nun der Jakob. 

„Warum ſolls nicht wahr ſein!“ 
ſchnauzte ihn der Großbauer an. „Mor— 
gen laß ich einfpannen und fahre nad 


ver⸗ 


Sandeben zum Kampelherrn. Ein 
Narr müßt' man fein!“ 
„Nachfahren,“ meinte mun ber 


Sepp, „nahfahren möcht’ ich ihm ſchon 
gar nicht, wenn ich Guldeilner wär”. 
Der Guldeifner ift, jo viel ich weiß, 
noch feinem Banern und keinem Herrn 
nahgefahren. Wenn dem Her an 
Deinem Hof gelegen ift, jo wird er 
ſchon jelber kommen.” 

„Ein Guldeifner weiß, was Höf— 
lichkeit iſt,“ rief der Großbauer, erfaßte 
eines der Gläschen, die er für feine 
Säfte vollgeſchenkt Hatte und goß deijen 
Inhalt in feine eigene Gurgel. 

„Nachbar,“ fagte der Jakob, „Du 
mahft Spaß. Wenn unfereiner armer 
Kleinbauer fein klemmiges Gütl weg 
haben wollt! — Gott bewahr’ mich 
vor dem Gedanken! — es wäre zu 
begreifen. Aber Du, der da in Gebirg 


| | famen, 





faufen, auswandern, nein Guldeifner, 


das ift nicht! Das ift nicht!“ 


„Und es wird doch fehier fein,“ 
„Ein Bauerngut 


noch jo gut geht. Was foll ih mich 
‚Torgen und radern im Gebirg, ich hab's 
nicht noth. Ich ziehe mich ins Thal 
hinaus, Habe feine Scherereien mit 
den Dienftboten und Nachbarsleuten, 


wo doch alle Augenblick einer betteln 


kommt, der um Holz, der um Korn— 
der um Heu oder Stroh, der 
um Fuhrwerk, der um Tagwerler! 
Und alle Jahr die Kümmernis: im 
Frühjahr um Regen, zur Magdzeit um 
Sonnjhein, zum Srautfeßen wieder 
um Naß, nachher um Wind, dab das 
niedergeweidte Korn aufſtehen mag, im 
Schnitt um Schönwetter, im Herbſt 
fürs feimende Winterforn um Regen, 
im Winter fürs Holzjchleifen um 
Schnee; ganz und gar abhängig iſt 
man dom wetterwendijchen Herrgott. 
Ein Narr müßt man jein!" Er trant 
in der Hitze feiner Nede das zweite 
Gläschen aus, 

„Dasjelbe ift freilich wahr,“ meinte 
der Jakob in feiner bejcheidenen Weije, 
„dom Herrgott it der Menjch allemal 
abhängig.” 

„Wenn ih draußen in meiner 
Billa fie und Coupons abjchneide, da 
kümmere ich mich einen rothen Teufel 
um Wind und Wetter.“ 

„Darf man fragen, wie viel er 
Dir geben will?" ſagte der Nobel. 

„It kein Geheimnis,“ verſetzte der 
Guldeiiner kurz und beitimmt. Wie 
es liegt und ſteht — Dreißigtaufend 
Gulden kugelrund.“ 

Die Bauern jchauten jih an. 

„Buldeifner,“ ſagte hernach der 


| Kodel, „jet dab’ ich keine Schneid’ mehr, 


feit Alters her angeltammt beifer und daß ich dir abrath. Es iſt viel Geld! 


freier lebt, als ein Graf, 


den Alle Sapperment mnein, es iſt viel Geld!“ 
gern haben da herum, dem Alles nach 


„Ein Narr müßt' man ſein!“ 


Wunſch und Willen geht, vor dem ſich ſchnarrte der Großbauer. 


jeder Baum voller Achtung verneigt 
und jeder Stein ſchier ſelber aus dem 
Weg ſpringt — Du dein Gut ver— 


„Und ich rathe doch ab,“ verſetzte 
der Jakob. „Guldeiſner, bedenk's. Wenn 
Du von Deinem Hochwald einen friſchen 


— 


4 


325 





Lärchbaum verſetzeſt hinaus ins Thal, 
mitſammt der Wurzel verſetzeſt, und 
ihm dort die beſte Erden gibſt und 
den fetteſten Dung, und Naß und 
Sonne wie Du willſt — der Lärch— 
baum wird Dir hin. Ein Gebirgsbaum 
laßt ſich nicht verſetzen. Wenn er aus— 
gewachſen iſt, ſchon gar nicht. Ein 
Gebirgsmenſch auch nicht.“ 

„Larifari!“ ſchrie der Guldeiſner, 
„Vom Schlechtern aufs Beſſere, das 
hat der Menſch noch allemal erkragen. 
Wenn unſere Buben Soldaten werden, 
du gefällts ihnen freilich nicht draußen, 
das glaube ih. Der Holzfneht Simon 
it auch vierzig Jahr alt worden in 
Altenmoos; jeßt ift er Werksverwalter 
in der Krebsau. Der verdorrt gar 
nicht dorten, wie ein verjegter Lärch— 
baum, der wird did und fett und 
verlangt ſich nicht mehr zurüd ins 
Altenmoos. Ein Narr müßt man fein!“ 

„Wer ſich's beifer machen kann,“ 
fagte der Nodel achjelzudend, „ein 
Jeder thut's.“ 

„Mit Altenmoos wird's traurig 
hergeben, wenn der Guldeifnerhof eine 
Herrenhube wird,” fagte der Jakob 
nicht ohne Beklommenheit. 

Darauf antwortete Steiner was. 

„Nachbar,“ fuhr der Jakob fort 
und legte jeine Hand auf den Tiſch 
hin gegen den Großbaner, „Nachbar, 
bleib’ da! Dur gehörft zu uns. Deine 
Vorfahren jind auf dieſem led ges 
boren worden und geftorben, haben 
ein zufriedenes Leben geführt, find 
alt geworden, wie draußen felten Einer 
wird. Mit Geld und Herrenhuld Hat 
ih Fein Guldeiiner wenden laſſen, 
jeit die Schirmtannen ftehen, da drau— 
den dor Deinem Haus. Weit und 
breit ift dieſer Hof bekaunt und ges 
achtet, erbgeſeſſen und ehrenfefl! Das 
Guldeiinerblut ift ein frischer Brunnen, 
draußen thät’ er im Sand verrinnen. 
Und auch unfertiwegen, Franz, ver— 
lab uns nicht. Viele Berwandtfchaft 
haft in Altenmoos; Leute, die fich bei 
Dir anlehnen müſſen, ihnen bift ein 
Halt, Dir macht's nichts, Du bift 


ftart, Dir geht's gut, bleib’ bei uns. 
Wir Halten zufammen, und ſollt' Dich 
auch einmal was Dartes treffen — 
Gott verhüt' es! — fo find wir Dir 
brave Kameraden, wie Du es uns 
bift. Nein, es ift micht möglich, Du 
kannſt nicht fort, verſuch's, Du kannſt 
nicht, Du wirft fehen, wie der Menfch 
verwachfen ift mit feiner Erden, mit 
allen Kräutern und Bäumen, die dar— 
auf fteben, felbft mit dem Käfer auf 
dem Grashalın und mit dem Vogel 
auf den Wipfel, geichweige mit dem 
Vieh auf der Weid'. Du wirft es 
fehen! In den beiten Jahren, wie 
Du bift, kann ein folches Anweſen 
den tüchtigen, rechtichaffenen Mann 
nicht entbehren. Nimm Dir eine brave 
Hausfrau, Du Haft die Wahl, und 
nit lieb Weib und Kind wirft Du 
erst ertennen, was Dein Guldeiſner— 
gut bedeutet. — Franz, verſprich es 
uns! Bleib’ daheim!“ 

Der Grofbaner Hatte während 
diefen Worten auch das dritte Gläs— 
hen Schnaps ausgetrunken. Jetzt 
ftauten ſich feine Nafennüftern auf. 
„Bedank' mich!” Feuchte er, „Leinen 
Vormund brauch’ ih nit. Ob ich 
ledig bin oder verheiratet, das geht 
Dich nichts an, Graben=-Dodel, ver— 
dammter! Der Zimmermann, dort hat 
er das Loch gemacht, dort! dort!” 

„Na, na, Guldeiſner,“ verjeßte 
der Sepp, indem die drei Bauern 
aufftanden, „braucht. Did nicht fo 
anzuftrengen mit dem Dinanswerfen, 
wir gehen Schon Freimillig. Gute 
Naht oder guten Morgen! wie Du’s 
brauchſt.“ 

So viel hatten fie ausgerichtet, die 
Bauern, bein Guldeifner. Als fie die 
bezäunte Gaſſe zwifchen Gemüfegarten 
und Hauswieſe Hinabgiengen, ſahen 
fie, wie ein junges, wohlunterjeßtes 
Weib beſchäftigt war, die zum Vleichen 
über die ganze Wiefe hin aufgefpannter: 
Leinwandfächer zuſammenzurollen. 

„Auch eine Guldeifnerin,* mur— 
melte der Nodel, „ob er fie alle mit— 
nehmen wird, auf feine Herren Billa ?* 


— — — — — 


„Sch denke,“ ſchmunzelte der Sepp 
in der Grub, „die laßt er uns da. 
Daß doch die Gattung nicht ganz 
ausgeht in Altenmoos.“ 

Meiter unten, wo der Weg durch 
jungen Anwachs gieng, begegnete ihnen 
der MWaldmeifter oder Förſter. Das 
war ein großer knochiger Mann in 
Jägertracht und ſtets mit dem Ge— 
wehr auf dem Rücken. Ein ſchöner 
rother Vollbart machte Alles gut, 
was die kleinen ſtechenden Augen und 
die unförmig lange Naſe im Geſicht 
verdarben. Er war ein Ausländer, 
ſeit wenigen Jahren erſt bei der Herr— 
ſchaft Rabenberg angeſtellt, gieng er 
jetzt viel in Angelegenheit des Kampel— 
herrn um, von dem es hieß, daß er 
auch die Rabenbergiſchen Waldungen 
ankaufen wolle. 





Sterne und über den ſchwarzen Baum— 
jaden des Hochwaldes ftieg der 
Mond auf. 

An der Hausthür ftand der Jaderl. 

„Seh Hinein!“ befahl ihm der 
Bater kurz. 

„Nein!“ 
beftimmt. 

„Alsdann bleib’ ftehen da, fo lange 
Du willſt!“ 

„Nein!“ Eniefchte der Knabe. „Ich 
will Schottenfterz haben, dann geh’ 
ih fort. Ganz fort! Ich bleib nim— 
mer da!“ 

„Warum bit Du denn nachher 
von Sandeben her heimgegangen ?" 
„Weil ich’S verſprochen hab’.“ 

„Alsdann muß auch ich mein Ver— 
ſprechen halten,” ſagte der Jakob, er— 
griff den Jungen mit feſtem Arm und 


antwortete der Snabe 


„Db derer Guldeifnerr zu Haufe) führte ihn in den Moosbarren. 


iſt!“ fragte er mit feiner eigenthüm— 
lih ſcharfen Aussprache, die Selbit- 
laute etwas näſelnd. 

„Nein!“ antwortete der Rodel, 
„da gebt der Waldmeiſter umfonft 
hinauf!“ 

„Will ich lieberr umkehren,“ ant— 
wortete der Förſter und ſchlug einen 
Waldweg thalwärts ein. 


„Warum Haft Du den Mann ans | 


gelogen ?” fragte der Jakob feinen 
Nachbar. 


Der Moosbarren war ein Dinters 
gelap des MWirtfchaftsgebäudes, eine 
Heine Hammer, in welcher Streumoos 
getrodnet und aufbewahrt zu werden 


pflegte. Er hatte zwei Heine glasloje 
Fenſter und eine feſte Bretterthür, die 
von außen durch ein Stettlein zuge— 
hängt werden fonnte, jo daß jie von 


innen nicht zu öffnen war. 
Diefer Barren war im Reuthofe 


das Zuchthaus. 


Und da drinnen lag der wilde 


„Der wäre jeßt ſchnurgerade Hinz | Jaderl nun wieder auf dem Moos 
aufgegangen und hätte ihm das Gut) haufen, wo er ſchon recht oft gelegen 


abgefauft,“ antwortete der Rodel. 


war. 


Die Thür von innen aufzu— 


„Mit der Lug werden wir's nicht) brechen, zu einem Fenſterlein hinaus— 
hintertreiben,“ fagte der Jakob, „ich | zufriechen, ein Flebbrett zu heben, um 


mein’ aber, er verkauft nicht. 's 
lauter Truß, was er jagt.“ 


iſt unterhalb hinauszukommen, diefe un— 
fruchtbaren Verſuche waren längſt auf— 


„Und auch Trutz, was er thut. gegeben worden. Jetzt lag er rücklings 
Nachbarn, der Guldeifnerhof iſt bin.“ auf dem Moos und ließ den Mond 
So der Rodel. Bald darauf trennten | auf fein Geficht ſcheinen und war ganz 


fih ihre Wege. 


ruhig. Es war ihm ja nichts Neues, 
im Kriege mit feinem Vater zu unters 
liegen, und er fand es eigentlich auch 


Wie der Jadierf bewogen wird, in Ordnung fo. Er hielt den Vater 


daheim zu bleiben. 


im Ganzen für einen braven Mann, 


dem man mun eben einmal zu ges 


Als der Jakob nah Haufe kam, | horchen hätte. Aber der Jaderl will 
funfelten am Himmel ſchon etliche nicht gehorkhen, und denen juft am 


327 


wenigften, die es jcharf von ihm ver— 
langen. Schlecht gemug, daß es falt 
allenıal was Bernünfliges ift, was 
der Vater begehrt. Das aber ift nichts 
Vernünftiges, für alle Ewigkeit im 
Altenmooſer-Winkel figen zu bleiben, 
und die Welt ift fo weit und ift fo 
ſchön und hat fo viel Geld und Gut! 
Mir — der Jaderl — find nun ein— 


Mit einem Zone, der voll Güte 
und Herzinnigfeit war, fagte draußen 
die Mutter: „Sind, die Suppe fteht 
auf dem Ziihe und Du mußt was 
Warmes eſſen. Der Bater laßt Dir 
jagen, wenn Du brav bift, jo darfit 
Du fommen, wenn Du aber noch 
trußgig wäreft, jo ſollt' ich nicht aufs 
machen. ch bitte Dich, mein liebes 


mal zwölf Jahr alt. Leichter lauft der | Kind, thue mir das Leid nicht an, fei 


Menſch fein Lebtag nie, al3 in diejem 
Alter, wenn er da nicht davonlauft, 
wann ſoll er's denn thun? — Einft: 
weilen möchten wir einen Schotten 
fterz haben. 

„Saderl!” rief e& draußen in der 


wieder ordentlih und folgſam wie 
Deine Geſchwiſter, wir haben Dich ja 
lieb und Alles ift wieder gut. Geh’, 
komm ber, ſei geicheit, veriprich mir, 
daß Du brav willjt fein!“ 

Da fie im Barren gar fein Lebens 


Nacht, es war die Stimme der Schwefter zeichen vernadm, Fo kam ihr die Angit, 


Anger, „da greif' an, wenn Du hun— 


es möchte ihm etwas widerfahren fein. 


gerig biſt!“ Sie hielt ein Stüd Brot | Sie gieng um die Ede und jchaute 
zum Fenſterchen herein. „So geeif | zum Fenfter hinein. Dort im Winkel 


an, Jackerl!“ 

„Nein!“ knirſchte der Junge. 
Sie hielt immer noch geduldig 
herein, weil aber der Jaderl fürchtete, 
daß fie die Hand doch zurüdziehen 
fönnte, nahm er feinen Filzhut und 
hieb ihn mit aller Gewalt auf die 
Dand los. Das Brod fiel in der 
Kammer zu Boden, das Schweiterlein 
draußen gieng Jchluchzend davon. Der 
Saderl Hub das Stüd Brot auf, als 
er jedoch ihr Weinen hörte, jchleuderte 
er es wieder in den Winkel. „Ich will 
Dich nicht! Sie fol ftill fein! Ich 
mag Sie nicht weinen hören! Ich 
mag nicht!" — Ein gutes Wort 
wollte er Ihr nachrufen, aber flatt 
deflen Schrie er zum Fenfter hinaus: 
„Du Teufel! Du Teufel!“ und schlug 
mit der Fauſt auf die Wand los und 
ächzte vor Wuth. 


ſtand er, ſtrampfte jetzt den Boden 
und kreiſchte: „Nein!“ 

„So kann ich Dir nicht helfen,“ 
ſagle das Weib, „der Trutz iſt noch 
ftärfer wie Du, den müſſen wir jo 
lange aushungern, bift Du ihn unters 
friegft. Bleib’ in der Schupfen.“ 

Der Junge fügte ſich in's Unver— 
meidliche. Er ſann auf Zeitvertreib. 

Auf dem Nüden lag er im Moos 
und Hub an Liedchen zu trällerı, 
wie er fie von den Knechten gehört. 
„Di ho! Hi Ho!” begann er und: 


„Zulli bo! 

Follt ma da Huat in Bod, 
Tulli ho! 

Ih lauf eahm nod, jo nod. 
Tulli ho! 

Er is jcha weit, viel z'weit, 
Tulli ho! 

Hon gor fa Freud!“ 


Dann ſpitzte er die Lippen und 


Durch die Wandfugen ftrich eine) Pfüf, und bald daranf fang er ein 


fühle Luft. Der Knabe grub ſich in 
das Moos bis an den Hals und 
ſchlief ein. 

Am nächſten Morgen kam feine 
Mutter zur Thür und rief: „Bill 
ſchon wach, Jaderl ?* 

Er war freilich ſchon wach, gab 
aber feine Antwort. 


anderes Liedel, woran ihm bejonders 
der lebte Theil in die Stimmung 
paßte: 


„Vormittag buß ih — 

Wos buß ih? 

Mei Dirndl in da Ghoam (im Geheimen), 
Nohmittog bin ih — 

Wo bin ih? 

Aufn Tonzbodn dahoam. 





At won mid mei Voda — 
Yan Koder 

In d'Schupfn einipirt, 
Tulli, do flid ih — 

Wos flick ih? 

Mei Hoin ban Knia, 

Und dab ma, 

Yo dak ma 

Die Zeit nit long wird,* 

Dabei hub er an zu jodeln, bis 
er heifer war und ſann auf meuen 
Zeitvertreib. Flint fprang er auf, 
Hleiterte an der Wand empor md 
hipfte wieder auf das Moos herab; 
dann ftellte er fih auf den Kopf und 
jpreizte die Beine in die Luft. Dann 
begann er mit Bänden und Füßen 
das Moos aufzumiſchen, daß die Fetzen 
nah allen Richtungen an die Wand 


und bis zu Dede flogen, dann fiel! 


er in’3 Geſtreu, vedte alle Viere von 
ſich und ftellte ſich todt. 


Der Oberförſter ſchüttelt den 
Daum. 


In denfelben Tagen war's, daß 
dev Maldmeilter Ladislaus und der 
Bauer Dreifam aneinander gerietben. 

Der Waldmeifter war ganz Kam: 
pelherr’fcher Beamter geworden und 
hörte feither nur mehr auf den Titel: 
Herr Oberförfter. 

Der Dreifam Hatte an feinem 
MWaldrain mit der Dane den zähen 
Nafen umgekehrt, weil man mit dem 
Plug dem Rain nicht beikommte, und 
doch auch diefer Streifen als Korn— 
ader benüßt werden follte. Der Drei: 
ſam Hatte eine große late, dafür 
aber einen ſehr Langen, flachsfalben 
Bart, der fehier bis an den Gürtel 
hinabgieng. Damit diefer Bart beim 
Graben nicht hindern konnte, fo ftedte 
er ihn am Dalfe hinter den braunen 
Brufiflet hinab. Da kam der Wald» 
meilter gegangen. „Ihrr Altenmooferr 
Baneren ſeid Trotteln!” Mit diefem 
Ihönen Wort grüßte er den arbeiten: 
den Mann. 

„Auch jo viel, Here Waldmeifter,” 
dankte der Dreiſam, „gefcheiter wäre 


328 


e3 freilich, alleweil im Feiertag um— 
gehen mit der Büchſen und fich dus 
Futter von anderen Leuten vorſetzen 
lafien, als fein Brot felber mit harter 
Müh' aus dem Boden graben.“ 

„Korn anbauen, das ift dumm,“ 
belehrte der Oberförfter, „feit durch's " 
Land dräußen die Eifenbahn geht, 
lönnt Ihr Bergbanern im Getreidebau 
mit den Ungarn und Eroaten nicht 
mehr concurrieren.“ 

„Die Groaten wollen wir auch 
nicht curieren,“ verdrehte der Dreifam, 
„wir wollen unferen Magen curieren. * 

„Viehzucht!“ rief der Waldmann, 
„Viehzucht müſſet Ihr treiben. Den 
Plug in Scherben fchlagen, das Korn 
faufen. Lauter Viehzucht. Das Gras 
wächst von ſelbſt, da braucht Ihr 
feine Dienftboten.“ 

„Schau,“ meinte der Baner To 
halb für jich, „das willen meine Ochſen 
beiler, wie der Herr Waldmeilter. Die 
Ochſen wollen fein Gras freſſen von 
einer Trift, die jahraus jahrein nicht 
umgebrochen wird mit dem Pflug und 
nicht manchmal Hafer oder Horn dar— 
auf angebaut. Die Ochſen fagen, To 
ein Dedgartgras ſei faner und voller 
Moos. Nun, dem Herrn ſchmeckl's 
vielleicht beſſer.“ 

„Mein lieber Baner,” verfeßte der 
Oberſörſter unn in böflicher aber ſehr 
überlegener Weife, „wenn Ihr fiber 
Pandwirtichaft mit mir veden wollet, 
da müſſet Ihr ein wenig weiter in 
der Welt herumgekommen fein, als 
von WUltenmoos bis Sandeben! Ein 
wenig weiter, mein lieber Bauer!“ 

„Glaub's Schon,“ verſetzte der 
Dreifam, „daß der Herr recht weit 
gelaufen iſt!“ 

„Bir an einem Tag weiter ge: 
fommen als fu ein Bauer fein Leben 
lang ſpringt!“ 

Dachte fich der Dreifam: Mit Den 
ernſthaft zu Äreiten iſt mir zu dumm— 
So warf er luſtig das Wort hin: 
„Weiter, als der Herr Waldmeiſter 
an einem Tag laufen kann, weiter iſt 
mein Bart ſchon gewachſen!“ 


Mie das gemeint fei? 


329 





ihn, den Oberförfter, mit dem Oelde 


„Nicht ſchlecht. Wetten wir Eins | wieder davongefcheucht Habe. Denn er 
miteinander, Herr, mein Bart ift fän= | trage Geld in der Taſche. 


ger gewachſen, als Er au einem Tag 


Er folle e& nicht verlieren, meinte 


laufen lann! Meffen wir einmal!) der Jalob. 


Gilt's ? Abgemacht. Am Sonntag beim 
Steppenwirt unten kommen wir zu— 
ſammen. Ich hab’ Zeugen. Zehn Maß 
Unterſteirer, wenn's dem Herrn nicht 
zu viel iſt!“ 

„Zwanzig Maß!“ ſchrie der Ober: 
förfter, „abgezapft muß er einmal 
werden, euer Uebermuth;“ 

„Vielleicht zapfen wir auf dreißig 
Mai!” meinte der Dreifan. 


Ob er 88 nicht dalaffen dürfe? 

„Bedank' mich ſchön,“ fagte der 
Jakob, „wir brauchen fein’s.* 

Der Oberförfter ſtutzte Er konnte 
nicht begreifen, wie ein Menſch auf 
der weiten Welt lebe, der fein Geld 
brauche; ja nicht einmal eines haben 
wolle. So einer müſſe ein Eretin fein. 

Tür den Kampelherrn gehe er um, 
erklärte der Förfter, vorhin ſei er beim 


„But! Auf dreißig, ſehrr gut!” Klachelhofer oben geweſen. Der fei ein 


näſelte der Förſter. 
Sonntag beim Steppenwirt. — Und 
jetzt adien, Bauer! Es thut mix leid, 
daß ich das Geld wieder davontragen 
muß, was ich für Euch im Sad’ habe. 
Vielleicht mag's der Reuthofer.“ 





„Am nächſten kluges Köpfel, der Klachel, und vers 


ſtehe ſeinen Vortheil. Dem Klachel 
habe er das Haus abgekauft. 

„Der Reuthof iſt nicht feil. Be— 
hüt' Gott!" Mit dieſen Morten des 
Jakob war der Mann abgefertigt, der 


„Sa, iſt Schon recht,“ fagte der nun fopfichiittelnd feines Weges gieng. 


Dreilam und grub emſig weiter. 
Der Oberförfter 
Einen Fichtenbaum padte ex 


Gieng aber in’ Haus Hinein, wo 
gieng davon.) Maria, die Bäuerin am Herde das 
und Mittagsmahl fochte. 


Zum Vorwand 


Ichüttelte ihn, daß dürre Zapfen here | nahm er, daß er fich eine Cigarre an— 
abfielen. — „Diejes Altenmoos muß | brennen wolle, bald jedoch rüdte ex 
man auch Fo ſchütteln,“ dachte er, | mit feiner Sache heraus. Sie, die 
„was reif ift, wird fallen. — Was Fran, ſolle vernünftiger fein als der 
heute micht Fällt, das Fällt morgen. | Mann, der ſich eben einmal in den 





Feſt anpaden.” Er gieng gegen den 
Neuthof. Dev Jakob war eben dabei, 
feinen Angerzaun, der das Gehöfte 





fteinigen Boden hinein verbiffen habe. 
Die neue Zeit fei eine andere als die 
alte, Vieh und Hafer werde von Tag 


umfriedete, auszubeſſern. Er trieb fri- zu Tag billiger, Dolz Habe gar feinen 
Ihe Steden, je zu zweien, im den‘ Preis, die Dienftboten ſeien koſtſpie— 
Boden, legte lange Qnerftangen daz= | Tiger und ungeberdiger als je. rüber 


zwiichen und befeftigte fie mit Weiden 
bändern. Eben rüttelte er an einem 
ſolchen Stedenpaar und fagte: „Dalten 


mußt!“ als der Förfter vor ihm ftand. | gut beifammen bleiben müſſen 


Diefer reichte ihm alfogleich bieder- 
meierifch die Hand, in welche der 
Jalob die feine ohne viel Gegendrud 
legte. Zaunmachen, das fönne der 
Kenthofer, lobte der Förſter, indem 
er auch einmal und mit Kennermiene 
an den Steden rüttelte. Und er denke, 





habe Haus und Grund den Beliger von 
dem Soldatenleben befreit, das ſei 
nicht mehr, Früher habe ein Bauern— 
und 
hätten die Kinder des Hauſes ihr 
Leben lang darauf ein Heim gehabt; 
heute dürfe jedes Banerngut zerriflen 
werden, wie man einen Papierwiſch 
zerreißt, der nichts mehr gilt. Dazu 
die hohen Steuern, und wer rechtzeitig 
nicht zahlen könne, dem laffe der Staat 


der Neuthofer werde auch in anderen das Haus verganten ohne Barmherzig— 
Stüden Müger fein, als der Nachbar | keit. Früher fei der Banernjtand ein 
Dreifam, der fo grob gewefen, daß er Ehrenftand gewefen; der heutige Bauer 


würde ausgelacht, weil er ja wahr „Nein,“ fagte der Knabe. „Meinen 
haftig ein Thor ſei. Wenn der Reut- | Vater ſollſt Du nichts thun. Geh’ nur 
bofer fein Gütlein verkaufe, jo könne um die Ede herum, dort ift die Thür, 
er das Geld in die Sparcafje oder auf die ift auswendig mit einer Kette 
Wertpapiere anlegen und davon alle feftgehängt. Die Kette mußt Du ab— 
Jahre feine Ferung machen ohne Müh' haken, ſonſt Haft nichts zu thun.“ 
und Sorge. Wolle er fich nebenbei ' Der Förfter fam dem Auftrage 
was erwerben oder wollen es die nach, wie ein Knecht dem Befehl des 
Kinder, jo ftünden Eifenwerte und Herrn. Nur war Bosheit dabei. Als 
hundert Fabriken in der Welt, wo der |er das Kettlein losgehakt hatte, wurde 
Mensch glänzenden Verdienſt finde. ‚die Thür von innen aufgeriffen, der 
Der Kampelhere wolle einen größeren  Stnabe fuhr heraus, rannte dem Obere 
Fleck beifammen haben und zahle die förfter den Kopf an die Beine und 
Häuſer beſſer als gut. Das und lief gegen den Wald hin. 

Anderlei möge die brave Fran ihrem Der Förſter war durch den plötz— 
Manne begreiflich machen. Komme der lichen, fo unvorhergeſehenen Anprall 
Kauf zu Stande, fo lege er ihr extra zu Boden geftürzt. Als ex fich fluchend 
zehn nagelnene Ducaten auf die Hand. erhob, um den wilden Knaben zu 

„Sagen will ich ihm's ſchon,“ |züchtigen, war diejer Schon verjchwune 
entgegnete Maria, „aber beftechen lafj’ den in den Strüppen der Waldſchlucht. 
ih mich nicht.” 

Damit war der Förfter auch Hier 
abgefertigt. 1Weberlaut ein munteres | . — 
Liedel pfeifen®, insgeheim über den | Der Guldeiſner ſatt. 
„dummen Banernſtolz“ knirſchend, ſo Das letzte Haus unten an der 
gieng er davon. Sandach, wenn man gegen Sandeben 

As er hinter dem Gehöfte am hinansgieng, bie; der Steppenhof. Es 
Moosbarren vorüberfchritt, hörte er, war der ftattlichiten eines in Alten= 
fich rufen. Ans dem Fenfterlein guckte moos. An der glatten Wand, deren 
ein Schöner, aber verwilderter Snas | Zimmerbäume nicht mit Merten be— 
benkopf. hauen, ſondern in der Bretterſäge ge— 

„Lieber Herr Oberförſter! Laſſe ſchnitten worden, waren große, läng— 
mich frei, ſie haben mich hier einge- liche Fenſter mit hellen Glastafeln, 





ſperrt.“ 

Der Förſter blieb ſtehen. „Einge— 
ſperrt?“ ſagte er, „was haſt Du wohl 
angeſtellt?“ 

„Fort will ich. Bleiben mag ich 


nicht mehr in dieſem Altenmoos. Die 


Welt will ich ſehen. Darum haben fie 
mich eingeſperrt.“ 

„Da hört ſich doch Alles auf!“ 
murmelte der Oberförfter. „Die Ju— 
gend verfteht ihre Zeit, und mit Gewalt 
wird fie gefangen gehalten im Gebirg ! 
Alsdamı bleibt fie freilich boden. Und 
da3 heißen fie Heimatsliebe! Hunds— 
fötter finds. — Bit Du dem Neut- 
hofer fein Sohn, Kleiner? Gut, ich 
will den Kerl jo lange würgen, bis 
er Dih ausläßt.“ 


blauangeſtrichenen Ballen und Fenſter— 
kränzen. Es hatte große Stuben, wo— 
von eine ſogar mit Ejchenholz aus— 
getäfelt und braun, mit rothen Falz— 
rändern bemalt war. 

Weil der Steppendof, der wie: 
'jedes Haus in der Gegend feine Fel— 
der, Wieſen und Waldbeftände Hatte, 
‚jo nahe an der Straße ftand und jo 
nahe am Waſſer, jo hatte der Stepper 
ein Wirtshaus daraus gemadt. Er 
ſchenkte Aepfelmoft, Branntwein und 
jogar zwei Sattungen echten Trauben» 
wein, wovon die eine Gattung „der 
Ordinari“, die andere „der Bellere“ 
genannt war. Auch Eieripeifen und 
Kaffee fonnte man haben und au 
Sonn- und Feiertagen Hammel-, 


33 


Haſen- oder gar Schweinsbraten. 
Einer oder der andere der guten 
Altenmoojer ſaß immer in der Wirt!» 
ftube und tranf, rauchte oder „duſelte“. 
Wenn's zu Haufe Verdruß gegeben, 
war es hier Schon hölliſch fein figen. 
Und wenn ein vortheilhafter Vieh— 
handel abgefchloffen worden, da ſaß 
ſich's wie angegoffen am Ahorntiſch. 
Auch gab es in Altenmoos Quartal- 
lunpen, da3 waren ſolche, welche 
monatelang brav zu Haufe blieben 


und arbeiteten, wenn fie aber einmal! 


in’s Wirtshaus kamen, tagelang darin 
fefthodten, den einen Rauſch auf der 
Wandbank ausfchliefen und den ans 
dern am Tische tranfen, bis ihr Geld, 





weil der Durst zu ſtark und der Geld- 
beutel zu Schwach worden. Heut’ geht's 


verlehrt.“ 


„Eh wahr auch ja,“ ſtimmte der 
alte Luſchel-Peterl an der Ofenbank 
bei. Auch der war Heute in's Wirts— 
haus gegangen auf ein „Stamperl“ 
Branntwein. Nichts Beſſeres für die 
Gicht, als manchmal ein Stamperl 
Branntwein. Ei ja, das leicht gewiß 
wohl auch! 

Für die Stubengäfte Hatte übri— 
gens der Steppenwirt heute feine Zeit. 
Draugen am Bachrand auf grünem 
Unger unter der Linde waren Tiſche 
und Bänke aufgeihlagen, noch vom 
Viehmarkte her; dort war es an diejem 


ihre Taſchenuhr und oftmals auch ihr) Nachmittage verwunderlich überfüllt. 
Nod vertan war. Dann kehrten ſie Der Bauer, der die ganze Woche im 
heim und war ihnen wieder wohl auf: Freien iſt, ſitzt ſonſt Sonntags gern 
lange Zeit. An Sonntagen Nach- in der Stube, auch bei ſchönſtem 
mittags waren die drei Tiſche der Wetter, ja vergißt ſogar manchmal ein 
Gaſtſtube voller Leute; der Stepper Fenfter aufzumachen; die dumpfige, 
hatte feine weiße Schürze umgebunden, |vauchige und von Wein und Men: 
fein Sammtkäppchen auf die stopfglaße ſchendunſt durchſetzte Luft muthet ihn 
geſtülpt und fein Geſicht zu einer be— ſonntaglich an. Aber heute war Alles 
haglichen Gemüthlichkeit auseinanders | draußen. Es war dort das Unerhör— 
gezogen — da war der Wirt fertig. | tefte zu fehen, was je in Altenmoos 


„Was magſt, Dreifam ?* 
ev heute den langſam 
ihloffen in die Stube 
Bauer. 

„Heut' foll mir Deine Alte ein 
feiſtes Pfannkoch machen und Pfeffer 
d'rauf!“ 
ſetzte ſich an einen Tiſch, hob mit der 
ımgefehrten flachen Hand feinen langen 
Bart von der Bruft weg, weil er unter: 
halb desjelben aus der Brufttafche fein 
Pfeifenzeug herausfuchen mußte, 

„Pfannkoch und Pfeffer d'rauf?“ 
fragte der Wirt kopfſchüttelnd, „da 
wirſt ja jo viel durſtig davon ?“ 


wie unent— 


„Alsdann werden wir halt trin⸗ lein. 
und dieſe 


ken,“ antwortete der Dreiſam 

ſchlug Tabalsfeuer. 
„Saggrament nocheinmal!“ knurrte 

ein Holzknecht am andern Tiſch, „Geld 


gibt's jetzt in Altenmoos, als ob die 


- Guldenhäuterin auf den Hafelftauden 
täten wachſen. Sonft iſt uns alle 


fragte: 
verkaufte jein Haus. 
trottenden 


begehrte der Fingetretene, 








lich ereignen könnte. Der Guldeiiner 

Breit an den Lindenſtamm gelehnt 
laß der Großbauer da und ftenumte die 
Fäuſte auf den Tiſch. Er Hatte eine fohl- 
ihwarze pralle Lederhoſe an und grüne 
Strümpfe mit beſchlagenen Bund— 
ſchuhen; dann eine hellrothe Weſte, 
über welche die breiten Bänder des 
grünſeidenen Hoſenträgers ſich ſpann— 


ten, und er hatte eine furze Jade aus 


dunkelbraunem Tuche an umd einen 
Ihwarzen, feidenwolligen Hut mit 
ſchmaler Krämpe auf, An feinen Ohr: 
läppchen blinften zwei goldene Scheib- 
Diefe Gebirgstracht unten und 
Flachländlertracht oben wurde 
durch einen breiten, mit weißer Seide 
ansgefteppten Ledergurt abgegrenzt. 
Ihm gegenüber ſaß ein Herr mit 
blonden, gutmüthig lächelndem Ge— 
licht, kurzgeſchnittenem Bollbart und 
Augengläjern. Er hatte ein graues 


332 





Tuchgewand am Leibe und feine blieben die Vorgänge am Lindentifch 
Wäſche an, die an Hals und Aermeln wichtiger und fie rüdten immermehr 
weiß und glatt hervorblinkte. Er war |um die beiden Männer zuſammen. 
noch nicht alt, gab ſich ſchlicht und Der Guldeifner hatte feinen ſchwar— 
zuvorlommend gegen Jeden. Dort zen, ftruppigen Kopf noch tiefer als 
unter dem Vordache der Stallung ftand fonſt zwiſchen ſeine Schultern einge— 
fein Wagen, an welchen Alles fun- zogen. Der Hut lag neben ihm auf der 
felte und der voran zwei Laternen Bank. Manchmal fuhr er ſich mit der 
aufgeftedt hatte. Ein Bauer bemerkte | Hand raſch ins Haar, zauste an deme 
darüber: Da wäre es leicht bis im ſelben, ergriff dann eben jo haftig das 
die Nacht im Wirtshaus figen, wenn | Trinfglas und goß es in die Gurgel. 
man nachher in einem Wagen mit „Teufel!“ brummte er jebt, „es 
zwei Augen heimfahren könne. Da |fteigt mir der Graus auf!“ 
glaube er Schon, daß Fein rauſchiger Es war ihm verdächtig geworden, 
Herr in den Bad falle! daß der Kampelherr für fein Gut eine 
Die beiden Männer, der Guldeifner | fo hohe, Summe geboten hatte. Er 
und der graue Herr, hatten Schmale, hohe ſchloß daraus, daß es noch weit mehr 
Flaſchen vor ſich ſtehen auf dem Tiſch, wert fein müſſe und daß ihn der Herr 
aus welchen der Herr dem Bauer das | überliften wolle, 
Trinfglas füllte, jo oft es hohl war. „Sb habe niemals,“ ſagte der 
Die übrigen Bauern hielten ſich Kampelherr gelajfen, „auch draußen im 
in einiger Entfernung, plauderten Halbz | TFlachlande nicht, das Joch durch— 
laut über Feld und Vieh, Wind und ſchnittlich theurer als mit fechzig Gulden 
Wetter, ſpitzten aber insgeheim die bezahlt. Aber ich babe es mit dreikig 
Ohren den beiden Männern unter der, Gulden bezahlt und mit fünfundzwanzig. 
Linde zu. Der Guldeifner und der Der Anatichel hat zweinndzwanzig Gul— 
Stampelherr! — Unter den Bauern den befommmen und er fteht noch im Vor— 
war auch der Förfter, was der Dreilam | theil. Das Noch zu dreißig Gulden trägt 
durch das Fenfter heraus mit Wohl: mir als Waldboden kaum ein und ein 
behagen wahrnahm; es follte hernach Halb Percent, kaum! Auf den Guld— 
ja an den Bart geben. Der Ober⸗ | eifnergennd dreißigtaufend Gulden zu 
förfter hatte eine Heine Gruppe um | dreiviertel Vercent anlegen ift eine 
ſich, der er allerhand Unterhaltung vor- Thorheit. Nur der Jagd wegen hätt's 
machte. Ex konnte einen Thaler durch mir dafür geftanden. Mit Feldbau 
die Tischplatte Äteden, ohne daß ein und Viehzucht haben Sie drei Perzent; 
Loch war. Er konnte ein mitten ent ſo gut wie der Bauer jelbit verwertet 
zweigejchnittenes Schürzenband wieder |ben Boden Keiner. Behalten Sie 
zuſcnmenfügen, ohne daß die geringſte Ihren Hof, Guldeiſner, behalten Sie 
Spur des Schnittes zurückblieb. Er ihn, ich vathe Ihnen gut, behalten 
konnte einen langen Sarrenftrid ver» !Sie ihn! — Gefällig ? 
Ihluden und bei den Aermeln twieder Da er fih während diefer Aus— 
herausſpinnen. Mit Spielfarten machte ‚einanderfegung jelber eine friſche Cigarre 
er unzählige Künfte und bedurfte nur in den Mund geſleckt hatte, fo hielt er 
ein paar lateiniſcher Beſchwörungs- das Täſchchen nun auch dem Bauern 
formeln, um die Zaubereien zu volle Hin. Die Umfigenden hatten mit ges 
führen. Einige waren von diefen Din— |mifesten Empfindungen und Geberden 
gen vollends gefangen genommen; mit |zugehört. inerjeits wurmte es fie, 
lauter Verwunderung oder tiefnache daß der Fremde ihre Grundſtücke ſo 
denklichem Kopfſchütteln begleiteten fie | gering anſchlug, andererſeits hofften fie, 
die unheimlichen Thaten des Ober- daß deswegen das Geſchäft nicht zu— 
förſters. Anderen jedoch waren und ſtande kommen würde. 














„Herr Kampelherr,“ ſagte ber Gulb= | Der Guldeiſner hatte jeher rothe 
eiſner baftig, „da mögen Sie weitum | Wangen befommen, feine Nafennüftern 
gehen, einen Hof, wo Alles jo bei= zuckten ftart, feine Augen vollten ruhelos 
ſammenſteht, das Vieh, die Fahrniſſe und mit den Fingernägeln tronmmelte 
doppelt und dreifach, die Gebäude in er auf dem Tiſche. Plöglih rin er 
gutem Zuftand, fowas finden Sie nicht | fein rothes Tafchentuch aus dem Sad 
mehr.“ Falt im Flüftertone fagte er es, |und trodnete ſich damit die falten 


denn er war nicht gewohnt, fein Beſitz— 


Schweißtropfen auf der Stirne. Hoch 


thum mit Worten zu loben, er wußte von Bergesrand her winkten ihm die 


zu gut, es lobte ſich ſelbſt. 

„Die Gebäude,“ antwortete der 
Stampelherr, „Ichäße ich nach den Holz— 
wert; ich würde fie theils noch in 
diefen, theils im nächſten Jahre zu 
Kohlen brennen lafjen.“ 

Das zudte dem Guldeifner fchier 
ein wenig herb in's Herz. Seinen 
und feiner Vorfahren Stolz, den großen 
Ihönen Guldeifnerhof zu Kohlen ver— 
brennen! Allein, die Villa in 
Krebsau, die er ſich bereits augeſehen, 
iſt noch vornehmer, die iſt aus Back— 
ſteinen gebaut und mit Schiefern ge— 
deckt, die kaun nicht zu Kohlen ver— 
brannt werden. Holz iſt Holz und 
Geld iſt Geld. Jeder ein Narr, der ſichs 
beſſer machen kann und thuts nicht .... 

„Herr Kampelherr!“ ſagte der 
Großbauer, und ſeine Stimme bog ſich 
weicher, als ihm ſelber lieb war, „das 
einunddreißigſte Tauſend machen Sie 
voll! Sie werden nachher um jo mehr 
Glück haben mit der Wirtjchaft.” 

„Dreigigtaufend fiebenhundert Gul— 
den und keinen Sreuzer mehr,“ fagte 
der Kampelherr. 

„Wenigftens noch einen guten Leih- 
lauf (Ertrageld, Draufgabe für die 
Ehefran) dazu!“ flüfterte der Guldeifner. 

„Pfui Teufel !* brummte Einer am 
Nebentiſch, „der Großbauer bettelt!“ 

„Leihlauf?* fragte der Kampelherr, 
„Für wen denn? Der Guldeilner hat, 
fo viel ich weiß, ja feine Frau!“ 

„Das nicht, Frau nicht. Iſt eh 
fo,” ftotterte dev Bauer und tranf. 

„Ih bitt' Sie, Steppenhofer,“ 
riefder Kampelherrden vorübergehenden 
Wirt an, „Jagen Sie meinem Kutſcher, 
daß er einſpannen joll.“ 


alten Tannen und Lärchen feines 
Waldes. Hinter jungem grünem An— 
wuchs vagten die Kronen auf von den 
Schirmbänmen feines Daufes. Einen 
Augenblid war ihm, als ob eine 
flehende Stimme durch die Luft weine: 
„Franz! Franz! bleib’ uns getreu!” 
‚Die Stimme feiner Mutter, die ſchon 
feit vielen Jahren im Grabe fchlief. 
Der Kampelherr zog die Geldtajihe 
hervor, um dem Wirte die Zeche zu 
zahlen, und als der Guldeifner die 
großen Banknoten ſah, die ganz unor= 
dentlih in ihr Lederfach hineingepfercht 
waren, da verlor er die Beſinnung. 
„Sottswill, Kampelherr, der Guld— 
eifnerhof gehört Dein!“ rief er und 
Ihlug in die Hand.- 

Mehrere der Umfigenden prangen 
bon ihren Bänfen auf. 


„Schade um die braven Voreltern, 
die Der gehabt Habt !* bemerkte Einer 
halblaut. Das hörte der Guldeiiner; 
ſonſt hätte er derlei mit ftiller Ver— 
\adhtung beftraft, jetzt fühlte er die 
Nothwendigkeit, ſich zu vertheidigen. 

„Meine Vorfahren!“ ſchmetterte er, 
„was habt Ihr mit Ihnen ?  Unfere 
Vorfahren find ſelber nicht in Alten 
mocs geblieben. Keiner! Stein einziger!” 

„Freilich find fie nicht in Alten 
moos geblieben,“ lachte der jet herbei— 
gefommene Dreifam, „weil man fie 
hinausgetragen hat auf den Sandebner 
Kirchhof.“ 
| „Schon gut! Ganz gut!“ rief der 
Guldeiſner, aber jeßt war er Heiler, 
„Die mögen nicht einmal begraben 
‚liegen in Altenmoos, und unſereiner 
joll da lebendig verfauern! Ein Narr 
müßt man fein!“ 








— 


Der Kampelherr brach eine friſche Luft. Aber er wollte zeigen, wo jetzt 
Flaſche an, der Guldeiſner hieb mit | feine Stärke lag, nicht mehr auf dem 
der Fauſt auf den Tiſch, daß die Erdboden fondern in der Tafche. Das 
Bretter furrten. „Aus ifts und gar| Geld riß er heraus und fehrie: „Step- 
ifts !“ rief er, „jebt Haben wir Feier- penwirt! Das große Faß vom Beften 
abend, jetzt ifts luſtig! jebt hebt der |zapf au. Die Altenmoofer-Leut follen 
Feſttag an!“ trinfen! trinten, jo viel fie mögen ! 

Der Kampelherr zählte ihm, gleich- | Ich zahl’ Alles!“ 

ailtig, als wären es Spielfartenblätter, Da beugte ſich von feinem Sitz der 
die Banknoten vor. Dabei wollte fih | Sepp in der Grub vor und fagte: 
der Wind einmifchen, diefer war der | „Wir Ultenmoofer-Bauern können freis 
Meinung. fo viel Geld folle nicht einem |lich trinken, fo viel wir mögen, das 
einzigen Menſchen zufallen und er ſuchte wiſſen wir und brauchts uns Steiner 
die ZTaufender ein wenig unter der zu jagen.“ Er ftand auf, Mehrere 
Geſellſchaft zu zerfirenen. Aber der machten es nach und giengen in die 
Stampelherr beichwerte das gezählte! Stube. 
Banknotenbüfchel mit feinem Taſchen— „Wir brauchen den abgehausten 
mefler, daß er dem Bauer nun auch | Guldeifner nicht dazu und das große 
die Hunderter borziffern fonnte. Nun | Faß vom Beften wird heute doch an— 
nahm der Guldeifner die Gigarre aus | gezapft.” ſagte dort der Dreifam. „Der 
dem Mund, ftedte fie aber fofort wieder | Herr Waldmeifter ſoll hereinkommen.“ 
zwifchen die Zähne; die Leute follen Der kam umd jet gieng die Ge— 
jeden, daß ein Guldeifner wegen des | schichte mit dem Bart an. A 
in den Sadjtedens von dreigigtaufend „Derr Kerrl jagt!” ſchnarrte und 
Gulden das Tabaklsfener micht aus= Inäfelte der Oberförfter, „fein Barrt 
gehen läßt! Er bog den Papierbufchen |wärr” längere gewachſen, als ih an 
mit fcheinbarer Gleichgiltigfeit zufam» einem Tag laufen könnt’! Err foll 
men und Schob ihn in feine Brufttafche. | den Ausſpruch wiederrholen !* 

Da hieb ihm auf einmal der alte „Mein Bart ift länger gewachſen, 
Knecht des Neuthofers, der Lufchel als der Herr an einem Tag laufen 
Peterl, die Hand auf die Achſel: „Franzl, kann,“ fagte der Dreifam und zog den 
heut’ zahlft Eins!“ Bart mit feinen Händen auseinander, 

„Seit wann?“ fragteder Guldeiiner | dak man deſſen ganze Länge und 
und wendete fich um, „ſeit wann find | Ueppigfeit fehen fonnte. 
denn wir zwei jo gute Stameraden) „Altes Lügenmaul!“ begehrte der 
miteinand?“ Oberfoörſter auf, „der Rauber in Gräß 

„Bute SKameradfchaft ift alleweil hat den längften Bart gehabt, und 
ichön, gewiß auch, ja,“ verſetzte der hat der nicht weiter al3 an die Zehen 
Knecht, „wenn ich auch älter bin al3 wie gereicht! Der Friedrich Barbarofia hat 
Dur umd ein Bauernfnecht, desweg bin ſchon einen übernatürlicden Bart und 
ih nicht hochmüthig und verachte Nie- kann nicht länger, als dreimal um den 
mand. Bift auch einmal wer gewejen, | fteinernen Tiſch wachen!“ 

Franzl, hiſch richtig wahr!“ „Und dermeinige ift halt doch länger 

Der Mann wußte nicht, wie ihm |gewachfen,“ behauptete der Dreifan. 
geihah. War er denn der Guldeifner | „Manner, wie lang’ trag’ ich ſchon 
nicht mehr, vor dem alle Altenmoofer den Bart? Dreigig Jahr und länger. 
Ehrerbietung oder Furcht haben? — | Wie voll? Weit über zweitanfend Haar’. 
Mein, er war es nicht mehr. Der Jedes zu einer halben Elle — iſts zu 
Boden, auf dem er fo feſt und ftolz lang?“ 
geftanden, war plößlid weggezogen „Eher zu kurz!“ beftätigten die 
unter feinen Füßen, er zappelte in der | Bauern. 











— 


„Gut,“ ſagte der Dreiſam und Widder iſt es halt ſchon aufgeſetzt 


ſchmunzelte, „wachſen thut er ſtark. 
Zweimal im Jahr abſchneiden, macht 
zweitauſend Ellen Haar, macht in dreißig 
Jahren ſechzig taufend Ellen. Kann der 
Herr in einem Tag ſechzig tauſend Ellen 
weit laufen!“ 

Jetzt brach das Gelächter los. 


„sa!“ rief der Oberförfter, „wenn 
Ihr die Haar’ hintereinander legt! 





gewejen, daß er geftohlen werden muB.“ 
Us jeßt der Oberförfter die Wette 
verloren hatte, jaate der Wegerer fopf- 
Ihiüttelnd: „Hätt' mir's mit gedacht, 
daß es fo ausgeht. Aber dem Herrn 
Waldmeiſter ift es halt aufgejeßt ge— 
wefen, daß er den Wein zahlen muB.“ 

Dem Guldeifner war nicht be= 
haglich. Er rüftete ih zum Heimgang. 


„08, da glaub’ ich's!“ Er lachte, aber) Deimgang? An der Brüde blieb er 


fein Lachen war ſäuerlich. Ueberdöp— 
pelt! Bauernwitz! Es ließe ſich ſchon 
was entgegnen, aber die Lümmel ſind 
zu ſchlagfertig. 

„Dreißig Maß, hat der Herr Ober: 
förfter gejagt?” fragte der Dreiſam 
mit eimer ganz miederträchtigen Ges 
ſchmeidigleit. 


ſtehen und that, als ob er in die 
Sandach hinabſchaue, um eine Forelle 
zu ſuchen. Er dachte aber an Anderes 
und rief einen Holzknecht an, der des 
Meges kam: ob fie nicht miteinander 
gehen wollten ? 

„Wahr iſt's,“ fagte der Holzfnecht, 
„haben eh einen Weg jelbander.“ Er 


„Sauf Dich ſatt!“ knirſchte der | war geſchmeichelt, daß ihm heute der 


DO berföriter 
Menge. 
Lehrreih wäre es gewefen, zur 
jelben Stunde den Wegerer-Baner zu 
beobadten. Der gudte, während der 
Verhandlungen des Kampelherrn mit 
dem Guldeiſner, zwiſchen den Köpfen 
der Leute durch auf die Veiden Hin 
und murmelte: „Wird er? Wird er 
nicht?" Und als der Guldeifner ge— 


und verlor ji im der 


Großbauer jo freundlich angeſprochen 
hatte. Dem Großbauer aber war bange 
um fein Geld und darum wollte er 
den einfamen Weg nicht allein machen. 


Mas war demm vorgegangen, daß er 


jebt auf einmal die Furcht wahrnahm ? 
Er war bisher al’ diefe Wege ges 
gangen bei Tag und bei Nacht, dal 
ihn Jemand anpaden und berauben 
fünne, war ihm nicht eingefallen. Den 
Guldeiſnerhof und das weite Gebäude 


fallen war, Hatfchte der Wegerer in | , : 
die Hände und rief: „Gedacht hab’ fonnte feiner forttragen, und jebt var 
ich mis! 's iſt ihm Schon fo auf: jeder Wicht im Stande, den Griff nach 


efebt geweien, daß er fein Haus vers | ſeinem Vermögen zu thun umd ihn 
.. I 1 EINER zum Bettler zu machen. So ſchwach 


Dei dem MWegerer war nämlich nn > geworben, 

Alles „aufgeſetzt,“ das heißt, ange Bei dem Hofe angekommen, ber 
boren, vorausbeſtimmt. Man foll pi | 9oiienele er ſich von dem Begleiter 
bei diefer Anſchauung nicht fehlecht kurz und herriſch; es ärgerte ihn, daß 
ftehen; man läßt alle Viere gerade er feiner bedurft hatte, obzwar ev es 
fein oder auch krumm, läßt den Herr— nicht merken ließ. Herriſche, ſelbſt— 
gott einen guten Mann fein oder au wiachtige Leute haben vor Jedem Ab— 
einen ſchlimmmen und hat feine Pflicht Neigung, von dem fie einmal eine 
und feine Schuld. Jeder Hagelichlag | Wohlthat nehmen mußten; lie fühlen 
aufgefeßt. Jede Kranlheit aufgefegt, ſich ‚am behaglichſten bei Leuten, die 
jede Schlehtigfeit und jede Thorheit , Ne je nad Belieben aufrichten oder 
aufgefeßt. Als man dem Wegerer niedertreten können. 

einige Zeit früher den feilten Widder Im Guldeiinerhofe verfammelte der 
aus der Halde ftahl, verzichtete er auf| Bauer noch an demfelben Abend fein 
die Berfolgung des Diebes; „dem! Gejinde; er theilte den Knechten und 








% 


336 


Mägden mit, dab er den Hof verkauft | bohren pflegte. Heute lachten fie ihm 

habe und daß fie im Spätherbfte nach in's Gelicht. 

eingebeimster Ernte ihren Jahreslohn | Er zog ſich ärgerlich in fein Zimmer 

erhalten wilrden und ihres Weges | zurüd, aber als er hinter fich die Thür 

geben könnten. zufchlagen wollte, klemmte fich ein Ell— 
Die Leute ſchauten einander dere | bogen dazwifchen. Die Küchenmagd 

blüfft an. Wenn der Winter kommt, ‚folgte ihm in das Zimmer und fragte, 

find fie obdachlos. i 
Müßlen ſich Halt umſehen, — gehen müſſe? 

fein Nath. Der Kampelherr brauche Die derbe Antwort, die ihm auf 

vielleicht Holzleute. Auch fei draußen die Zunge gefprungen war, verjchludte 








in den Fabriken Geld zu verdienen, er — und wußte warum. 
oder in den Lettenbacher Kohlenberge | Noch ſpät Abends gieng ein Fenſter 
werfen. ‚auf und ein zufammengebogenes Papier 


„Aha!“ entgegnete einer der Knechte, flog herein. Die Oberftallinagd hatte 
„wir follen jest lebendig Hinab in die es geworfen und diefe fragte bei dem 
Erden. Schäm' Did, Bauer!“ Bauer ſchriftlich au, was im Spät: 

Der Guldeiſner bäumte ſich auf herbſt, wenn Alle den Abſchied hätten, 
und ſchleuderle dem Frechen jenen mit ihr geſchehen würde? 
finſterſtolzen, drohenden Blick zu, der Der Guldeiſner ſtand auf und 
ſonſt die Keckheit und Widerhaarigkeit gieng hinaus in die Stallkammer, um 
des Geſindes ſofort in den Grund zu es ihr ſelbſt zu fagen. 


(Fortſehung folgt.) 


Wer zahlt den Hammel? 


Eine Schmugglergeihichte von Friedrid Kottenbacher. 


Nie lebte Flaſche!“ fagte die noch einmal und ein drittes Mal und 
J Wirtichafterin mit einem Seufz ſchnalzte mit der Zunge. 
ser und ftellte die Flafche etwas uns „Urſa,“ ſagte der Pfarrer zur uns 
janft auf den Tiſch. Der Pfarrer willig dabeiftehenden Wirtichafterin 
aber ſchob die Flafche dem Grenze und führte die Prife zur Nafe, „jetzt 
jäger, feinem Gafte, hin, der ſie kunſt- müſſen wir dazufchanen, daß wir die 
gerecht entlorkte. Der Kork fnallie und zwei Faß über die Grenze friegen!* 
der rothe Wein rann did wie Oel) „Nur fleißig über das Yollamt, 
in die Gläſer. | Hochwürden, Herr Pfarrer,“ ermahnte 
„Ein köſtliches Nah, kaj — der Grenzwoͤchter. 
ſchmunzelte der Pfarrer und grub mit Der geiftlihe Herr aber zog fein 
zwei Fingern in der Doſe. Sadtuch Hervor und ſchnäuzte ich 
Der Grenzjäger koſtete einmal, | umftändlich. „Ueber das Zollamt meint 











Ir? He? — Wer trinkt den Wein ? 
Ihr kriegt ihn zur Hälfte! Da foll 
Einen doch — gelobt jei der Herr, 
er verzeihe mir die Sünde! Alfo zwei— 
mal ſoll ich die Staatsmägen füllen, 
einmal in naturalibus mit meinem 
Refosko, das andere Mal in partibus 
mit Hingender Münze, die Ihr Zöllner 
den Zoll nennt? — Nichts da! Die 
zwei Faß werden gepafcht, punctum! 
oder ich müßte nicht der Pfarrer von 
Vodizze in der Tjchiticherei fein!" — 
Das mollte ſchon etwas heißen: in 
der Tſchitſcherei, wo man mur 
Paſcher und Grenzjäger ſah! 


Der Wein des Pfarrerd war dem 
Grenzjäger zu Kopfe geitiegen. „Oho,“ 
fagte er fenerroth im Angeſichte. 
„Ih Faß Euch auf der Grenze — 
vielmehr Euren Wein und werde ihn 
früher koſten, ehe Ihr wißt, wie er 
ſchmeckt — oder ich müßte nicht der 
Oberjäger der Grenzwache von Vodizze 
fein!“ Dabei ftürzte er haſtig das 
Glas aus. 


Der Pfarrer hob die Flache gegen 
das Licht. „Beh, Urfa, ſchau einmal 
in ale vier Eden, ob nicht irgendwo | 
noch eine verfiaubte Flaſche ftedt ! Ich 
will mich vierundzwanzig Stunden von 
der Bora durchbeuteln laſſen, wenn 
nicht noch ein paar Flaſchen in unver— 
dienter Zurückgegogenheit dem Licht 
entgegenharren! — Ja,“ 
ſich zu ſeinem Beſuche, 
Wirtſchafterin murrend hinausgegangen 
war, 
verſteckt, als wir zwei ausgetrunken 
haben. — Alſo, 
tappen? Wird nicht leicht gehen! 
Hat da der Nachbar Gergo Barbaritſch 
einen fetten Hammel, gut feine 25 
Prunde fchwer den wollen wir 


wandte er, 
nachdem die 


„die hat noch mehr Flaſchen 


Ihr wollt mich er= 


337 


nicht — nun, ſo zahlt Ihr den 
Hammel: er koſtet drei Gulden.“ 

„Topp!“ rief der Grenzjäger, hielt 
die Hand hin, bei ſich denkend: nun 
gilt's pfiffig fein! 
| Der Pfarrer ſchlug ein, feinerfeits 
denkend: jet heißt es fein fein! Denn 
der Grenzjäger war weit und breit 
befannt als ſchlauer Fuchs und der 
Pfarrer galt auch nicht als ein Dumme 
fopf. Und als die Wirtfchafterin mit 
einer Flaſche zurückkam, lächelte jeder 
der beiden ftill vor ſich in das wieder 
gefüllte Glas. 

Der gafifreundlihe Pfarrer ftand 
auf leidlich gutem Fuße mit den Grenz— 
jägern — nur wollte es ihn verdrießen, 
daß er den Wein, den ihm die Grenz— 
jäger austranfen, noch verzoflen follte. 
Das nannte er zweimal den nimmer— 
fatten Staatdmagen füllen. Darımı 
befamen auch die Grenzjäger manch' 
einen gepafchten Zropfen bei ihm. 
Das wußten fie zu ihrem heimlichen 
Herger; trotzdem ſchmeckte ihnen des 
Pfarrers Mein und fie dachten ich, 
einmai würden fie e8 dem feinen Herrn 
Pfarrer Schon Heimzahlen. Sonderlich 
an Yeiertagen, wenn fie zahlreich dem 
Gottesdienfte beigewohnt und mit himm— 
| fifchen Mana ihre Seele geagt hatten, 
pflegte er fie auch leiblich zu atzen. 
Sie giengen auch gern im die Kirche 
und waren jehr andächtig: fie wuhten 
warum. 

Kam der Tag des heil. Stephani. 
Schier der ganze Poften war bei dem 
Mehopfer, fo daß der Pfarrer feine 
heile Freude daran hatte und bei der 
Predigt recht auf die Tſchitſchen los— 
donnerte, fie umverbefjerlihe Sünder, 
Paſcher und Räuber am Staafsgute 
nannte und ihnen androhte, wenn fie 
diesſeits unverzollten Wein tränken, 








ſchlachten — den Hammel, denk' ich, müßten ſie jenſeits eimerweiſe ſiedend— 
und am Feſte des heiligen Stephani heißes Pech ſaufen — ſo viel heißes 
am Spieß braten und in communione Pech drüben als gepaſchten Wein 
verzehren. Paſch' ich den Wein und | hüben ! Die armen Tſchitſchen 
Ihr erwischt mich, id est den Wein! fchlichen zerknirſcht nach Haufe; die 
— num ſo zahl’ ih den Hammel; Grenzjäger aber marjchierten hocher— 
erwiſcht Ihr mich — id est den Mein! hobenen Hauptes, als hätten fie das 
22 


Kofrgger's „‚Geimanrten‘‘, 5. Geft, IT. 


Bewußtſein, fie wären ſchon Hier die 
Bollftreder der göttlichen Strafe, durd 
das Dorf. Kam ihnen der Pfarrer 
nachgeleucht und commandierte: „Still 
geftanden! Rechts ſchwentt Euch!“ — 
Rechts fand aber das Pfarrhaus. 

Nun ftellte ich der Pfarrer an die 
Tele und commandierte wieder — fo 
gut er es eben verftand: „Vorwärts, 
marſch!“ — 

. Diefes Commando gefiel den Grenz— 
jägern. Als fie im Borhaufe fanden, 
zählte der Pfarrer die Häupter und 
fagte: „Sintemal ein fetter Hammel— 
braten am Spieße ftedt, den ich und 
meine Urſa mitfammt dem Schulmeifter 
— der Herr erhalte ihm feinen Appetit 
und feinen guten Magen! — unmöglich 
bezwingen könnten, fo feid Ihr — und 


nicht Ihr allein: der ganze Poften, iſt 
zu dieſem lederen Braten eingeladen! | 


Urſa Hat noch einige von Spinnen 
eingelponnene Flaſchen entdedt.” 


Wie er ſich harmlos ftellt, der gute 
Herr Pfarrer; aber die Grenzjäger 
waren auch nicht auf den Kopf gefallen. 
Der DOberjäger zog die Augenbranen 
Hinanf. „Kommt ums zu ftatten — 
recht zu ftalten, Hochwürden, Herr 
Pfarrer! Bei 


die anderen Jäger, wenn hr nichts 
dawider habt!“ — 


„Geh, mein Sohn und bringe die, 
jo hungrig find umd durſtig — aber 
alle — alle!" — 

Und der Oberjäger gieng in die 
Kaſerne, indem er dachte: Heute gilt’s! 
Ei, wie pfiffig, Herr Pfarrer! — In 
der Kaſerne ertheilte er ſtrenge Befehle, 
dann kehrte er wieder in das Pfarr— 
haus zurüd, noch zwei Mann mit fich 
bringend. Bald ſaßen ſie fieben Mann 
hoch und mit Pfarrer und Schulmeifter 
neun Mann an der pfarrherrlichen 
Tafel, und die weißen, blanten Uni— 
formfnöpfe glänzten, und des Küſters 
rubinrothe Naſe 
hin und her. 





ums iſt Schmalhans 
Küchenmeiſter: unſer Koch iſt marode. 
So geh' ich denn nach Hauſe und hole 





fuhr wie ein Irrwiſch | 


Da bob der Pfarrer ſtirnrunzelnd 
den Finger in die Höhe und zählte — 
und zählte nur fieben Grenzjäger. „Es 
find ihrer nicht alle,“ ſagte er. 

„Der Koch ift Frank,“ erwiderte 
der Oberjäger, „und ein Zweiter hat 
Kafernarreft." — 

„Sp wollen wir ihrer gedenken,“ 
darauf der Pfarrer und erhob fein 
Glas. „Möge der Kranke bald gefund 
— der Gefangene bald frei fein!" — 

„auf das ftoße ih an!“ rief heiter 
der Oberjäger — aber Tiehe da, er 
hatte feinen Wein mehr im Glafe! 

Da winkte der Pfarrer feiner Wirt— 
Ihafterin. „De, Urfa, find die zwei 


Bari Mein fhon da?" — 


„Noch nicht — aber fie müſſen 
gleich da fein,“ flüfterte Urfa — der 
Dberjäger horchte hoch auf — „Te 
find ſchon unterwegs." — 


„Meine Jäger auch,“ dachte der 


 Oberjäger, und während die Anderen 


icherzten, lachten und eitel guter Dinge 
waren, eilten feine Gedanken an die 


Grenze. In der Wirklichkeit aber lagen 
an der Grenze Hinter Geftrüippe und 
Geſtein verftedt zwei Grenzjäger, der 
Koch und der Arreftant, und Harrten 


laufchend der Dinge, die da kommen 
würden. 
Da kam es denn trapp! trapp! 


den Schleichweg herauf — die Jäger 


hielten den Athem an. Der Koch hob 


ein wenig den Kopf und ſah zwei 
lange, rauhe Ohren, zu denen jedenfalls 
ein Ejel gehörte — danı eine braune 
Mütze umd noch eine, zu demen jicher 
zwei Tichitichen gehörten. „Sie find 
da,“ wilperte er, „ein Efel und zwei 
Schmuggler!“ — 

„Den! ich,“ fo der Andere, „die 
Schmuggler laffen wir laufen und den 
Efel fangen wir — fo ein Efel hat 
doch ein Einſehen.“ — Beide fprangen 
auf, piff, piff! Inallte es — natürlich 


in die Luft. „Halt! Halt! Grenzwade 


ift da!" — 

Die Tichitfchen waren fo erjchredt, 
daß fie gegen einander fuhren, mit 
den Köpfen zufammenftießen, zurück 


prallten und dann eiligft davon liefen, ı Diefer bat des Dienftes und der Dring- 


einer links — einer reched. Die Grenz: 
jäger thaten, als ob fie ihnen nad» 
liefen, einer lint3 — einer rechts, fie 





lichkeit halber um Entſchuldigung und 


las für fi den Rapport: 
„Srenzjäger Sylveſter Bara, 


thaten nur jo, denn bald fehrten ſie mit Arreſt behaftet und Grenzjäger 
zum Eſel zurüch, der zwei Barili trug. Franz Trampuſch, mit aufhabendem 
Dieſer Hatte nur einige Sätze gethan, Bauchweh marode — haben einen Vor— 
war dann mit den Vorderfüßen bod- paß zwiſchen Vodizze und Jelovizze um 
ſteif ſtehen geblieben, während er mit ein Uhr bezogen und dortſelbſt einen Eſel, 
den Hinterfüßen ausſchlug. Dabei hielt zwei Barili Wein und zwei Tſchitſchen 
er den Kopf in die Höhe, zog die Naſe fammtlich wegen Schleihhandels ange 
zurüd und ſchrie in! ia! ia! Da ſagte Halten. Die zwei Tſchitſchen Standa- 
der Eine der Örenzjäger: „die Stimme Veters die Flucht ergriffen und konnten 


fonmmt mir befannt vor!” 

Darauf der Andere: „Du, das ift 
fein gewöhnlicher Ejel — corpo di, 
baccho, das ift ja unfer Kaſerneſel!“ — 

„Nicht jo laut! Wenn uns der 
Oberjäger hörte, fo wirde er denken, 
wir redeten don ihm!“ 

„Bodenloje Frechheit, unferen Eſel 
zu ftehlen, um mit ihm Wein zu) 
Ihmuggeln! Wir hätten fie doch fangen | 
ſollen!“ 

„Gut, wenn wir ihnen begegnen, 
wollen wir fie genan anſchauen, damit 
wir fie kennen!“ 

Unter derartigen Geſprächen rüdten 
fie mit ihrer Gontrebande ein, und 
weil fich der Eſel plößlich in den Kopf 
gefeßt hatte — wahrjcheinlich in Folge 
des Schredens — nicht von der Stelle 
zu geben, jo zog ihn der Eine bei den 
Ohren, und jchob ihn der Andere von 
rückwärts. 

Während dem litten die, jo an der 
pfarrherrlihen Tafel ſaßen, unter den 
Qualen des Durfted. Der Pfarrer 
jah zum öftern auf die Straße, ob der 
Wein käme und der Oberjäger mußte 
in Stillen lachen über des Pfarrers 
Zuverſicht. „Hochwürden, Herr Pfarrer 
scheint nicht zu gedenfen des Wertes 
der Barmherzigkeit, jo da Heißt: die 
Durftigen tränfen!" — 

Der Pfarrer Hingegen fagte. „Es 
beißt aber anderswo: Du jollft nicht 
Heinmithig fein!" und Jah wieder zum 
Fenfter hinaus. Da kam ein Knabe 
und brachte dem Oberjäger ein Schreiben. 





troß einftimmiger Verfolgung nicht 
bandfeft gemacht werden. Der Ejel als 
unfer guter Belannter ließ fich ergreifen, 
es war nämlich unſer Stafernejel, der 
und umwiljend abhanden gekommen 
war. Wir proteftieren dagegen, daB 
wir etwa irgend eine Anſpielung oder 
Zweidentigfeit beabjichtigen, wenn wir 
Kaſerneſel Jagen, denn es war wirklich 
der langohrige, vierfüßige Efel Peter. 
Die Barili Wein befinden ſich in der 
Kaſerne jehr wohl. . .* 

„Nun,“ rief der Oberjäger, vor 
Freude rothglühend im Angeſichte, 
„nun, Herr Pfarrer, kommt der Wein 
ſchon?“ 

Da ſagte der Pfarrer vom Fenſter 
weggehend: „Endlich — ja. Geh 
Urſa, hilf dem Manne da unten die 
zwei Fäſſer ablegen!“ — 

Der Oberjäger ſtürzte zum Fenſter 
und erblickte ein Tragthier mit einem 
Faſſe links und einem Faſſe rechts; 
es war aber nicht der graue Kaſerneſel, 
den er ſah. „Das iſt nicht Euer Wein, 
Herr Pfarrer!“ ſchrie er. 

„Das iſt mein Wein!“ — 

„Ich ſage, das iſt nicht Euer Wein 
aus Dane!“ 

„Und ich ſage, das iſt mein Wein 
aus Dane.” 

„Wenn das Euer Wein ift, Hoch 
würden Herr Plarrer, den Ihr heute 
früh noch in Dane beim Zupan liegen 
hattet, jo zahle ich außer dem Hammel 
noch den -Zoll für die zwei Fäſſer, 
ich, der Oberjäger von Vodizze!“ 

22* 


340 


„Es gilt! Und wenn e3 nicht mein 
Mein ift, fo ſchenk' ich Euch ein Faß 
von dieſen zwei Fäſſern!“ 

Da kam ſchon die Urfa mit einem 
vollen Kruge herauf und credenzte vom 
herrlichen, perleuden Weine. 


Der Oberjäger tranf ein Glas des 
föftlihen Nafies aus. Da, wie das 
hinabrann und erwärmte! (Einen fols 
chen Tropfen hat nur der Pfarrer von 
Bodizze!) Alle feine Lebensgeifter ge— 
riethen in Aufruhr — er ftürzte zur 
Thür hinaus — die Treppe hinab — 
die Straße hinunter — zur Kaſerne. 
Vor der Kaſerne fa der mit „auf: 
habendem Bauchweh“ marode Koch, 
ein Pfeifchen ſchmauchend mit dem 
ftolzen Bewußtſein einer vollbracdhten 
Heldenthat. Doc der Oberjäger fchrie 
ihn ohne Rüdjiht an: „Wo ift der 
Mein ?“ 

„Behorfamft zu melden, auf Ihrem 
Zimmer, Herr Oberjäger!* 

„Nein, er ift beim Pfarrer!" — 


„Behorfamft zu melden, auf Ihrem 
Zimmer, Herr Oberjäger!" — 

„Wenn ih fage, er ift beim 
Pfarrer !!” 

„So ift er, gehorfamft zu melden, 
beim Pfarrer!” 

Der Oberjäger lief auf fein Zimmer 
— riehtig, da ftanden die zwei Fäſſer. 
„Der Mein ift ja bier!” rief er dem 
nachfolgenden Koh zu. „Warum jagt 
Er, der Wein fei beim Pfarrer 2” -- 

„Weil Herr Oberjäger, gehorſamſt 
zu melden, befohlen haben, daß der 
Mein beim Pfarrer wär.“ 

„Eſel!“ 

„Sehr wohl, Herr Oberjäger.“ 

„Wenn ich ſagte, die Sonne wäre 
dunkelrabenſchwarz —“ 

„So iſt die Sonne, gehorſamſt zu 
melden, dunkelrabenſchwarz.“ 

„Er iſt ein — gehorſamer Unter— 
gebner!“ 

Geſchmeichelt fuhr der Koch fort: 
„Wenn Herr Oberjäger 3. B. befehlen, 
ich joll Herrn Oberjäger ein Kameel 
nennen, jo — — 





„So etwas befehle ich aber nicht !* 
unterbrach ihn heftig der Vorgeſetzte. 

„Sehr wohl! — Aber Gedanken 
ſind zollfrei,“ ſetzte der Untergebene 
leiſe hinzu. 

„Wenn ich nur wüßte, welcher 
Wein der wahre Wein iſt! — Was 
hat er vor ſich Hin gemurrt ?* 

„Daß man den Wein koften fönnte, 
gehorfanft zu melden!” 

„Das läßt fih Hören! — Deu 
Pfropf hinein! den Heber her!” 

Und der Oberjäger zog und zog 
— kryſtallhelle, klare Flüffigkeit heraus. 
„Das ift ja Waller!“ ſchrie er wie 
wahnfinnig und fih auf die Stirn 
Ichlagend. „Das find ja unſere eigenen 
Waſſerfäſſer! Ihr Habt unfere eigenen 
Waſſerführer, unferen eigenen Eſel, 
unfere eigenen Fäſſer und das zollfreie 
Waſſer beantändet! Das ift beifpiellos ! 
Unerhört! OH! Sh! Oh!" — 

Der Koch lieh die Pfeife aus der 
Hand fallen und riß ſprachlos den 
Mund auf. Bald rannten Beide wie 
Narren im Zimmer auf und ab — 
jeder in der entgegengejeßten Richtung 
— alle Bande der Difciplin fchienen 
gelodert. 

„Das ift die Folge, wenn man 
einen Invaliden und einen Arreitanten 
in den Dienft commandiert!* murrte 
der Oberjäger — do da Fam ihm 
plöglid ein kluger Einfall — er begab 
fih fogleich wieder in das Pfarrhaus 
und jeßte fich dort zu Tiſche — als 
ob er gar nicht weg gewejen wäre 

Nun nahm er ein Blatt Papier 
zur Hand und jchrieb darauf: 


„Der Gefertigte beftätigt hiemit, 
vom Herrn Pfarrer N. N. in Vodizze 
ale vorläufige Strafliherftellung für 
2 Fäſſer geichmuggelten Weines drei 
Gulden erhalten zu haben.“ 


N. N., Oberjäger. 


Dann z0g er aus feiner rechten 
Hofentafche drei Gulden und legte fie 
mit den Worten: „Ich habe Euch beim 


Paſchen nicht erwiſht Hochwürden, 


— 


darum zahle ih den Hammel!“ auf Oberjäger rief es ſchier zum Tode 
den Tiſch. Und mit den weiteren Wor- | erfchroden. 
ten: „Sch confiäciere aber den Wein, „Und nun, Herr Oberjäger von 
da er doch geſchmuggelt wurde und Vodizze, Ihr habt nicht nur die exfte, 
nehme diefe drei Gulden als vorläufige | jondern auch die zweite Wette ver— 
Straflierftellung in Empfang!” ftedte | loren und zahlt den Hammel und zahlt 
er die drei Gulden in feine linke den Zoll für den Wein. Sp greift 
Hoſentaſche. Die linke Tafche ftellte | denn wieder in Eure linke Tafche und 
nämlich den ärarifchen Sädel, die) entreißt dem, was Ihr Staatsfädel 
rechte aber feine Privatichatulle vor. nennt, die drei Gulden für den Ham— 
(Allerdings liegt da der Gedanke an mel! Dann fahrt item in die rechte 
eine Verwechslung nahe.) „Ferners Taſche, die Ihr mit jeher viel Phan— 
gehört nunmehr der Wein nicht Euch), | tafie Eure Privatichatulle heißt und 
nachdem ich ihm nomine des k. k. erſetzt mir den — halben Zoll für 
Aerars confisciert habe — alfo habe|den Wein! Die Hälfte fehe ih Euch 
ich auch die zweite Wette gewonnen!“ nach, da ich mit Eurer Bermiffton die 
„Veni sancte spiritus,“ rief der | Dälfte des Weines ſelbſt zu trinten 
Pfarrer gegen die Zimmerdede blidend, | gedenfe; denn ich Habe gejagt, daß ich 
„und erleuchte ſie!“ Dann ſchnupfte zweimal den Staasmagen nicht füllen 
er mit Bedacht und fuhr zu reden will!“ 
fort: „Fürchterlicher Menſch, feid Ihr) , Der Oberjäger ftaunte den Pfarrer 
mit Eurer Strafamtshandlung und | wie ein höheres Weſen am und fagte 
dem Wettengewinnen zu Ende?" nach 2 — —— ſo⸗ 
gar an das glauben, wa r ges 
FE rau ne id an ben predigt habt, daß man jenfeits fo viel 
ie ibes Pech werde trinken müſſen, als 
„Eripart Euch die Mühe, amice, sb 


der Mein gehört mir; ich babe ihn — a nn e 
rechtſchaffen über das Zollamt geführt „Den® ich,“ ſchmunzelte der Pfar- 


und verzollt. Hier ift die Zollquittung.“ ver, „dab Ihr mehr heißes Pech 
„Ihr hättet ihn —“ trinfen werdet, als Eurem Rachen 
„Verzollt. gutthut und Euer Magen in Ehren 
„Und nicht geſchmuggelt?“ Der! verträgt!” 


Abgebrannte 


Komödianten. 


Bon Bofef Sewinsky.*) 





DPA ter Führung eines weiblichen |zu bewundern, twar dagegen dieſem 
Be Dberhauptes hatten wir eine | felbft hartnädig fern geblieben. So 


Anzahl Nefter des baierifchen Hoch- ftiegen denn unfere bi auf den Nulls 
gebirges mit unſeren Thespiskarren grad heruntergelommenen Hoffnungen, 


heimgejucht, waren überall mit dem— 
jelben Enthufiasmus begrüßt worden, 
deſſen eine Zigeumerbande bei ihrem 
Einzuge ſich zu erfreuen pflegt, und 
uns endli in G., einem Marttfleden 
des Allgäus, niedergelaffen, wohin ſeit 
Menfhengedenten noch fein Komö— 
diantenfuß gedrungen war. Die Be- 
wohner unterfchieden ſich in vortheil— 
hafter Weile von den Bewohnern 
anderer Orte, indem fie — ein Zeichen 
großftädtifcher Gefittung — gar feine 
Notiz von unſerer Ankunft nahmen. 

„Hier blüht unfer Weizen, Kin— 
der,“ rief Muderl, der Heldenvater, 
als unfer Leiterwagen über das hol— 
perige Pflaſter durch den Flecken raj= 
jelte. „Dier machen wir ein Gejchäft.“ 

Er hatte einen richtigen Inſtinct, 
der gute Muderl (wir nannten ihn 
auch den Barometer). „Wenn die 
Leut’ bei unferer Einfahrt Thüren und 
Fenſter aufreigen, auf der Gafjen hin— 
ter uns drein laufen und uns wie 
Wundervieh angaffen, dann gehn’s 
g'wiß nicht in's Theater,“ pflegte er 
zu jagen, und er hatte nun leider 
Ihon vier Monate lang recht behalten, 
denn das Publikum Hatte fich aller- 
orten daranf befchränft, uns außerhalb 
der Grenzen unferes Wirkungskreiſes 


*) Entnommen dem vor Kurzem 


als unfer heldenväterlicher Barometer 
der Theatercafle wieder bejleres Wetter 
in Ausficht ftellte, und die kühnſten 
Entwürfe für die nächfte Zukunft 
wurden von dem leichtgefinnten Völk— 
chen fofort in die Luft gebaut. 

Und wir follten uns nicht ge— 
tauſcht haben. Unſere theatralifchen 
Beftrebungen fanden in dem wohl— 
babenden Fleden eine größere Theil: 
nahme als je zuvor. Das Theater, 
der Mafchinenfaal einer ehemaligen 
Stattunfabrit, für den BDienjt der 
Mufen umgewandelt, war jeden Abend 
gefüllt von einem Publikum, das un— 
jeren künſtleriſchen Darbietungen die 
glühendfte Begeifterung entgegenbrachte, 
eine Begeifterung, die ſich nicht etwa 
in Blumen- und Stranzipenden äußerte, 
fondern durch gelegentlich auf die Bühne 
gewworfene Wurſt-, Schinken- und Obſt— 
fragmente einen weit willkommeneren 
Ausdruck fand. 

Unſer Verhältnis zu dem primi— 
tiven Publikum von G. geſtaltete ſich 
täglich gemüthlicher. Das war ein 
heller Jubel im Saal, wenn in einer 
rührenden Scene plötzlich eine Stimme 
„von unten“ dem Helden des Stückes 
zurief: „Daß Du mir mein' Rock nicht 
zerreißt,“ oder: „Macht mir kein' Fleck 





bei Albert Unflad in Leipzig erſchienenen 


Büchlein: „Aus dem Guckkaſten. Heitere Bilder aus Muſik und Theaterwelt“ von Joſef 
Lewinsky in Berlin. Die Lejer diejes Blattes erinnern fih an mande liebenswürbige 
Humoresfe, die wir im Laufe der Jahre von dem genannten Autor veröffentlicht haben. 
Diejelben, ſowie viele andere launige Stüdhen find im vorgenannten Bude gefammelt, 
welches allen Freunden urwüchfigen Künftler: reſp. Komddiantenhumors auf das Wärmſte 
enıpfohlen werden ann. Die Red, 


in die Hofen“ — Bemerkungen, welche 
in dem Umftande ihre Begründung 
fanden, daß wir die wejentlichiten Be— 
ftandtheile unſeres fcenifchen Apparats 
für den Abend ſtets Funftbegeifterten 
Danern zu danken Hatten, die ſich 
nicht wenig darauf zugute thaten, daß 
ihr Rod, ihre Hofe oder ihr Tiſch 
„mitipielen“ durfte. 

Unfere Frau Directorin, ein lang 
geltredtes Knochengerüſte mit Schmacht— 
loden und Brillen, groß wie Scheu- 
Happen auf ihrer fpigen Nafe, befah 
die Birtuofität eines Univerfalgenies. 
In ihrer Perſon vereinigte fich Alles, 
was zum Theater mur irgendwie in 
Beziehung ftand. Sie war Dichter, 
Regiſſeur, Souffleur, Decorateur, Re= 
quifiteur, Friſeur, Garderobier, Inſpi— 
cient, Maſchinenmeiſter, Lampenanzün— 
der, Caſſier und Zettelſchreiber. Was 
aber ihre Schauſpielkunſt anbelangt, 
fo war diejelbe von einer Wandlungs— 
fühigfeit, daß Proteus, mit ihr ver— 
glihen, ein Waiſenknabe zu nennen 
war. Da gab es im weiten Bereich 
diefer Kunſt feine Rolle, gleichviel ob 
männlich, ob weiblich, die darzuftellen 
ihre unmöglich gewejen wäre, ja, wie 
oft kam es vor, daß fie drei big vier 
der verjchiedenartigften Rollen an einem 
Abend zu verkörpern unternahm, wenn 
fie es micht vorgezogen, dieſelben zu 
einer einzigen zuſammenzuſchmelzen. 
So erinnere ich mich einer „Räuber-“ 
Aufführung, im welcher die Tran 


343 





gen. Da hatte man jo recht Gelegen— 
heit zur Bewunderung ihrer Geltul- 
tungskraft. War es möglid, mit ein— 
facheren Mitteln größere Wirkungen 
hervorzubringen als diefe „Königin“, 
die, um den „eilt“ ihres ermordeten 
Gatten zu fpielen, über ihren Hermelin 
ein fadenfcheiniges, weißes Laken warf, 
und um den „Zodtengräber” darzu— 
ftellen, eine blaue Schürze darüber band, 
während fie in den Zwifchenjcenen in 
den Souffleurkaften kroch, um dajelbft 
auh noh „alter Maulwurf“ und 
Souffleur zu fein?! Wahrlich, dieſe 
„Königin“ wäre es wert gewejen, daß 
ihr die Nachwelt bei Lebzeiten „ränze” 
geflochten hätte! ... Doc der Lejer 
wird ja ihre ſonſtigen vortrefflichen 
Eigenschaften noch fennen lernen. 
Nahdem einem paßlofen Theile 
unferer Gefellichaft in etwas gewalt- 
famer Anwendung des Dichterwortes: 
„Du glaubjt zu Schieben und wirft ge= 
ſchoben,“ polizeilicherjeits eine unfrei— 
willige Trennung von uns auferlegt 
worden, ein anderer Theil aber durch— 
gebrannt war, waren wir jchlieglich 
bis auf acht Mitglieder zufanmenges 
ſchmolzen. Da ſich unter diejen acht 
Mitgliedern zwei Thenterlinder und 
ein Pferd befanden, jo mußten wir 
möglichſt Stüde wählen, in denen auch 
fie zur Geltung gelangten. Welchen 
Jubel riefſt Du ftets hervor, letztge— 
nannter Künftler, wenn Deine „große 
Scene” kam. Ach, wie oft, Grane, er= 


Directorin die Amalia, den Spiegels |regteft Du den Neid Deiner minder 


berg, den Koſinslh, den alten Moor | 


und Hermann, feinen Naben, über: 
nommen, nachdem jie mit geniale 
Blauſtift die überflüffigften Scenen 
bejeitigt und verſchiedenen Perſonen 
den Garaus gemacht halte. Auch eine 
Hamletaufführung, zu welcher wir uns 
einst verftiegen, beſaß nach diefer Rich» 
tung Hin den Borzug der Denkwürdig— 
feit. In diefer Vorſtellung Hatte ſich 
nämlich unfere Bühnenleiterin die 
Rollen der Königin, des Geiftes und 
des Zodtengräbers’ zuertheilt. Es war 
dies eine ihrer grandiofeften Leiſtun— 











gefeierten Berufsgenoffen, insbeſondere 
den Neid Deines Heldencollegen Stöderl, 
der, wenn er die Straft feiner Qungen 
eben erfolglo& geltend zu machen ge= 
fucht, Hinter der Scene ſchmerzlich aus- 
tief: „Beim Himmel, man möchte 
ein Pferd fein!“ Ein Auseuf, welcher 
den boshaften Muderl zu der Gegen- 
bemerfung veranlaßte: „Da wünscht 
Ihr Euch eigentlih Etwas, Liebiter, 
wa3 Euch der Himmel längft ges 
währt hat.“ 

In Anbetracht des Umſtandes ine 
des, daß die Zahl der Stüde, in 


welden ein Roß die Hauptrolle ſpielte, wirkſamer vorbereitet werden konnte. 
eine äußerſt beichräntte, und in Ars | Der „von des Gedantens Bläfje an— 
betracht des weiteren Umftandes, daß gekränkelte“, zweifelhaft rothe Vorhang 
die Zahl der Stüde, in denen zwei |verftärkte diefen Effect wejentlih. In 
Theaterfinder Verwendung finden konn- der That, auf diefer Bühne war „Sein 
ten, eine nicht minder bejchränfte war, | oder Nichtfein“ ſeher die Frage... 
würde unfer Nepertoir wohl bald er= 


* War es nun ein Wunder, wenn 
ſchöpft geweſen ſein, wenn unſere 


wir bei einem ſolchen Aufgebot alles 
on auch Dichterin ges deſſen, was das Auge und das Herz 
—. N > . [zu entzüden geeignet war, die höchſten 
— a el Fun künſtleriſchen Triumphe feierten ? Aber 
F ift fertig.“ rief Die geniale Frau auch mit unſeren materiellen Erfolgen 
mit Emphaſe. Und 8 wat dies nicht fonnten wir zufrieden fein. Wir ers 
En — ne ——— F hielten wieder Gage. Die Directorin 
ae al — range war in den Stand geſetzt, die Theater: 
. DD da ä £ i s 
Aupiierä, fe. entiprangen ihre „Dug- ‚garberobe, wir unſere geringen Hab⸗ 
g „Zugt feligkeiten, die wir auf unferen vor— 


ſtücke“, gleichviel, welchen Genres, |; ..: 2 _ 
voffendet dem Hirn der fhöpferifchen | herigen Stunftetappen verpfänden muß 


Frau. Bei diefer erftaunlichen Frucht: — —— — —— 
barkeit fiel der Umſtand gewiß nicht | Dr 
ſchwer in's Gewicht, daß es im Grunde | Aus einer erträglichen Gegenwart 
die Stücke anderer Dichter waren, die unſeren Blid in eine beſſere Zukunft 
fie, den Bedürfniſſen ihrer Bühne ent= richtend, gaben wir den freundlichiten 
ſprechend, mit verändertem Titel dem | Hoffnungen Raum, als ein Ereignis 
Publikum als ihre eigenen darbot. Aber | eintrat, daß in feiner Furchtbarkeit 
wie bewundernswert zeigte fie fich darin ; aue unfere Träume, Pläne und Ent 
welche Menjchentenntnis offenbarte fie würfe mit einem Schlage vernichtete 
bei dieſen giftigen Aneignungen! und uns dein Ichredlichten Elende 
Mer von unſeren Bauern kannte Preisgab. 
z. B. Shakeſpeare? — die Frau | Wir waren in Berlaufe unſerer 
Directorin kannte alle Welt. Wer von | Darftellungen an einem Abend des 
ihnen wußte etwas von Hamlet? — | Januar eben beim „Freiſchüß“ anges 
„Die Maufefalle* war Allen vertraut. | langt, den die Frau Directorin zu 
Wahrlich, auch im ihrer dichterifchen | „Freikugeln des Satans” umgedichtet 
Eigenfchaft würde die umvergleichliche | hatte — ein Drama, in welchem den 
Frau unbedingt den „Saffitern“ bei- mufilalifchen Anforderungen infoweit 
zuzählen gewejen fein... Nehnung getragen wurde, als dies 
Aber damit micht genug. Der mit den Leiftungen eines halbtauben 
ihöne Inhalt verlangte auch eine! Geigers (des Orcefters), eines ſtimm— 
ihöne Form. Um mur bei dem mehr: |lofen Sajpar, eines heiferen Mar, 
erwähnten Hamlet ftehen zu bleiben |einer verſchnupften Agathe umd eines 
— konnte e3 etwas dem Inhalte in Ermanglung einer Brautjungfer 
diefer Tragödie Entfprechenderes geben, den „Jungfernkranz“ declamierend.n 
als beifpielsweife unfere Bühne? Sie | Eremiten möglich war. Die Borftellung 
war ein Merk kühnfter Baukunft, diefe war vorüber und wir hatten uns in 
von ihr erbaute Bühne. Sie entſprach dem Bewußtfein eines wohlverdienten 
in ihrer ſchwankenden Architektonik Erfolges eben zur Ruhe begeben, als 
fo durchaus den Charakter des Ham- |wir durch den Schredensruf Feuer! 
let, dab das Publikum auf das Er: unſanft aus dem Sclafe gerifjen 
jheinen de Dänenprinzen gar nicht | wurden. 


345 


Mer einen folden Ruf jemals 
in einem Heinen Orte vernommen, 
der weiß, welche Panik derfelbe unker 
den Bewohnern hervorzurufen geeig— 
net ift. 

Ich bekleidete mich nur nothdürftig 
und flürzte in’s Freie. Aus allen 
Häufern eilten die Leute auf Die 
Straße, wo brennt's? wo ift Feuer? 
ichreiend. Der ganze Ort war in Bes 
wegung. Die Gegend, wo das Theater 
lag, war don Flammenſchein über» 
gofien. Sch wohnte nur eine Straße 
von demfelben entfernt. Bon banger 
Ahnung getrieben, lief ich der Nich- 
tung des Feuers zu. Die Nothglode 
tönte eben ſchaurig vom Thurm. Und 
da, als ih um die Ede bog — welch' 
Bild bot ſich meinem entjegten Blick! 
In hellen Flammen ftand unſer Mu— 
jentempel. Die Directorin, die jugend 
liche Liebhaberin, Stöderl der Held, die 
beiden Theaterfinder und Grane, das 
Pferd, bewohnten denjelben. Mit eini— 
gen beherzten Männern ftürmte ich 
die Treppe hinauf, um zu retten, was 
etwa noch zu retten war. Ein er- 
ftidender Rauch drang uns entgegen. 
Unfer Oberhaupt, reſolut wie immer, 
nur mit einem Unterrock befleidet, 
mit verfchobener Brille und einer wilde 
bewegten Schmachtlocke — die andere 
war ihr in der Noth abhanden ge= 
fommen — war troß der Lebensges 
fabr, in der fie fund, noch mit Ber— 
aung von Theaterutenfilien beſchäftigt. 
Die Liebhaberin und der „Held“ 
hatten aber offenbar den Stopf ver» 
loren. Erftere im Hemde, mil aufges 
lösten Haaren, rang verzweifelt die 
Hände und warf in den Zwifchen- 
paufen Porzellangeſchirr, daß fie „ret= 
ten” wollte, laut jammernd zum Fen— 
ter Hinunter, während Stöderl, in 


Schlafrod und Bantoffel und Papilotten | 


im Daar, ftatt Hilfe zu leiften, an 
gelihtS der hellen Flamme mit dem 
Suchen eines verlorenen Manchetten- 
Inopfes beſchäftigt war. Die beiden 
Zheaterkinder ſchrieen aus Leibesträften; 


Bünkerl, den Mops der Fran Direc- 
torin, zum Fenfter hinunter, das an— 
dere kam uns mit einem Verſatzſtück 
und einem Stiefellnecht entgegenges 
fürzt, die fie gleichfalls dem FFlanımene 
tode entreißen wollte. Zwiſchendurch 
flang die Stimme unferer Fran Direc— 
torin, die im Zone Richard IIL uns 
zurief! „Mein Pferd! Mein Pferd!“ 
(ein Königreich verſprach fie nicht). 

Grane war indeſſen glüdlich ge— 
reitet und wieherte im Nebenhaufe; 
fonft aber war da nicht mehr viel zu 
retten. Das gierige Element hatte in 
den leicht entzündbaren Stoffen mur 
zu reiche Nahrung gefunden und bes 
reits fürchterlich um fich gegriffen. Die 
Bühne, die Decorationen, die Garde— 
vobe, der Zufchauerraun, Alles ſtand 
in Flammen, und nur mit Mühe 
vermochten wir unfere tapfere Direc— 
torin, die mit Todesverachtung immer 
aufs Nene in die brennenden Räume 
drang, zu einem Verlaſſen derjel: 
beit zu bewegen, wie unfjere mine 
der muthigen Genofjen ihr theures 
Leben längft in Sicherheit gebradt. 
Während diefer Zeit Hatte ſich der 
ganze Ort an der Brandftätte ein— 
gefunden und berathichlagte, wie man 
wohl am beften Herr des Feuers zu 
werden vbermöchte, ohne indeſſen zu 
einer Einigung darüber. gelangen zu 
können. Das Theater war inzwiſchen 
niedergebrannt ; das verheerende Ele— 
ment drohte fi auch der Nebenge— 
bäude zu bemächtigen, als endlich eine 
Spriße mit drei Rädern aukam. 

Leider war aber feit mehreren 
Jahren kein Feuer im Orte gewejen ; 
die „Löfchanftalten“ der Gemeinde 
hatten fi auf mehrere Bierlocale be= 
Ichräntt, und als die Spriße in Al: 
tion treten foflte, verfagten die Schläuche 
und zum vollen Unglüd, da der Fluß 
zjugefroren, war zum Löfchen nicht ge— 
nügend Waller vorhanden. 

Der Himmel mag willen, welche 
Dimenfionen das Feuer angenommen 
hätte, wenn nicht der Pfarrer des 


das eine warf in feiner Todesangft i Ortes noch rechtzeitig auf dem Brand» 


346 


plaße erjchienen wäre. Seinen ver— „Und mag ich auch vierzehn Tage 
nünftigen Anordnungen gelang es, lang feinen Vorſchuß von Euch be= 
mindeftens Plan in die Kopflofigkeit |fommen, ich bleibe der Eure, Direc- 
feiner Gemeinde zu bringen. Mit torin,“ rief Muderl. 
energiſcher Hand überall jelbft ein— „Ein Hundsfott, werunfern Haupt= 
— und a — nicht ao mann verläßt,“ rief Stöderl. 
gieng der wadere Mann mit dem FE ' 
ihönften Beifpiel Allen voran. Aus RN eine dire) * Fein 
den benachbarten Bierbrauereien wurde |; eg —— 

. ihm zugehört,“ declamierte Stromerl. 
zum Löſchen warmes Waſſer herbei— om: : A 
geihafft, Leitern, Schläuche, Eimer |. „Bir gehen nicht ———— Dir, 
und andere Löfchgeräthe herbeigeholt; Zantchen, | tiefen bie Theaterlinder. 
alles griff jetzt herzhaft an und nach Alle drängten ſich bewegt um ihre 
mehrſtündigen gemeinſamen Anftren= | Führerin, und als ob auch Graue 
gungen gelang es endlich, das Feuer ſein Einverſtandnis befunden wollte, 


auf feinen Herd zu begrenzen. ſchüttelte er ſeinen klugen Kopf und 
Blutroth ſtieg die Sonne eines ſcharrte im Sande. 
falten Jannarmorgens über den rau— „Nun, ich Habe es nicht anders 


enden Trümmern unferes Muſen- von Euch erwartet, Kinder,” ſagte 
tempels empor. Sie leuchtete zugleich | die Directorin, uns gerührt die Hände 
auf unfere zerftörten Hoffnungen her- drückend. „Wie es auch fommen mag, 
nieder. Auf den Ueberreſten ihrer |wir find von diefer Stunde an un— 
Habe ſaß unfere arme Directorin und zertrennlich.“ In diefem Augenblick 
ftarrte verzweiflungsvoll zur Erde. \erfchien der wirdige Pfarren im un— 
Mit düfteren Mienen umpftanden wir ſerer Mitte. „VBerzagt nicht, meine 
unfer Oberhaupt und keiner hatte den | Freunde,“ ſprach der wadere Priefter, 
Muth, angelichts des fo plößlich über | „wir werden Euch in Eurer traurigen 
uns bereingebrodhenen Unglüds, die Lage nicht verlaſſen. Was feitens 
Trage, was nun? auszufprechen. Eine | meiner Gemeinde möglich ift, foll für 
Gruppe Halb neugieriger, halb theil= | Euch geſchehen.“ 
nehmender Menjchen war um uns ges Und er hielt Wort, der herrliche 
ſchart und zur Vervollftändigung des | Greis. Noch am felben Tage — es 
trübjeligen Bildes wurde uns nun war ein Sonntag — munterte er 
auch unfer vierfüßiger Mitſpieler zu- von der Kanzel herab feine Gemeinde 
geführt, der, als ob unfer trauriges auf, ihrer Nächftenliebe werkthätigen 
Schickſal auch ihm treffe, gefenkten | Ausdrud für uns zu geben. Aber er 
Hauptes fih uns anſchloß. begnügte ſich nicht damit, fir uns zu 
Im Unglüd zeigte ji aber der) predigen. Von Haus zu Haus gieng 
trog mancher Scrullen im Grunde |der vortrefflihe Mann mit einer Sam— 
tüchtige Charakter unferer Bühnen |melbüchfe, in die auch der Aermſte 
leiterin. Sie, die den ſchwerſten Vers ſein Scherflein für die „abgebrannten 
fuft von uns erlitten, war die erfte, | Komödianten“ werfen mußte. Und 
die unſerem gejfunfenen Muth wieder |wahrlich, die Herzliche Theilnahme, die 
aufbalf. ih allenthaldben im Orte für uns 
„Zum Berzweifeln ift feine Zeit, \Eundgab, erhob uns und gab uns 
Kinder,“ fagte fie, fi mit eimem wieder den Muth, heiter in die Welt 
Ruck erhebend. „Denken wir lieber zu bliden. 
daran, uns wieder auf die Beine zu Mit dem leichten Blut eines echten 
bringen. Wenn Ihr mich nicht verlaßt, | Romödiantenvöltdhens giengen wir un— 
dann jpielen wir in acht Tagen wieder | verzüglich an unfere Aufgabe, das den 
Komödie.“ Flammen Entriffene zu ordnen, das 


— — — — — — — — — — — — — — — — 


Bernichtete zu erfegen und ein meues 
Theater in's Leben zu rufen. 

Das war jeßt ein munteres Treiben 
in unſerer Mitte. In einem Tanz— 
fanle, den ein Gaftwirt uns unent= | 
geltlich zur Verfügung ftellte, ſchlugen 
wir unſere Werkftätte auf. Da wurde 
nun von früh bis ſpät gehämmmert, 
gezimmert, gepinfelt und genäht. Bon 
den gutmüthigen Einwohnern in jeder 
Weiſe unterftüßt, wuchs unfer Werk 
zufehends. Ein Jeder fühlte eine Ar— 
chiteften», Maler und Schneiderjeele 





— 


heit, „vor einem Parterre von Bauern,“ 
zu fpielen, mit Freuden ergriffen und 
war zu einem Gaftjpiel nad G. ges 
fommen. Durch das Engagement eines 
jungen Bären, welcher jich mit feinen 
Führer in's Gebirge verirrt, wurde 
der zoologifhe Theil unferer Geſell— 
ſchaft um ein wiürdiges Mitglied be= 
reichert, das die Aufführung von „Bär 
und Baſſa“ ermöglichte. 
Mehrere Tage vorher ſchon wurde 
die Bemwohnerfchaft des Drtes durch 
das bevorjtehende große Ereignis in 


in fi, und unſere Directorin, die) Aufregung verjeßt; die Kunde davon 
ihre Energie vollftändig wiedergefun: | war auch im die Umgegend gedrungen, 
den md mit genialem }Feldherrnblid | und am Abend der Vorftellung war 
unfere Operationen leitete, war wieder dad Theater von einem Premieren 
ganz in ihrem Elemente. In wenigen publikum gefüllt, wie es „glänzender“ 
Tagen war eine Bühne erbaut, welche | nicht gedacht werden kann. 

bei einer Concurrenz für ein. achtes Don dieſem Momente nahm unser 


MWeltwunder unbedingt den erften Preis 
davongetragen hätte. Decorationen von | 


einem Farbenreichthum giengen aus 
unſerem „Atelier“ hervor, daß ſelbſt 





ein unmaleriſches Auge auf den erſten 
Bid die großen Pinſel ahnen konnte, 
die fih bier verewigt hatten. Sturz, 


Geſchick die günftigite Wendung. Unfer 
Ruf hatte fih in ſämmtlichen Dörfern 
des Gebirges verbreitet; überall wollte 
man die „abgebrannten Komödianten“ 
fehen, überall von ihrer Kunſt ſich 
begeiftern laſſen. 

Als wir mac Furzer Zeit das 


der ganze fcenifche Apparat, dejjen wir | menefte Drama unſerer Frau Direcs 
zur Darftellung von Menjchen bes |torin zur Aufführung vorbereiteten, 
durften, gieng aus dieſer gemein= | war der Held desfelben ein Pfarrer. 


famen ZThätigfeit in der denfbariten 
Pracht Hervor, und mit volliter Bes 
ſtimmtheit darf behauptet 
dab im fürzererer Friſt fein abge- 
branntes Hoftheater ſich jemals in 
gleiher Herrlichkeit aus der Aſche 
wieder erhoben hat als unfer befchei= 
dener Mufjentempel. 

Der Lohn unferer Anftrengungen 
blieb aber auch nicht aus. Zehn Tage 
nach dem Brande verkündeten Trom— 
melfhlag und rothe Zettel die Er— 
Öffnung des neuen Theaters durch 
eine „auperordentlih große Vor— 
ftellung“. Ein Münchener Künſtler, 
an den wir, von unſerem liebens— 
würdigen Pfarrer unterftüßt, uns 
tühnlih wandten, hatte die Belegen 





werden, | 





„Kinder,“ fagte die geniale Dich- 
terin, „es ift das befte, was ich bis 
jeßt gejchrieben Habe; das Stüd wird 
Furore machen. 

Und in der That, etwas Beljeres 
war niemals aus ihrer Feder hervor 
gegangen. Sie hatte einen Act der 
Dankbarkeit gegen unſeren geiftlichen 
Wohlthäter in 6 Aecten zu poetischen 
Ausdruck gebracht. Welches der In— 


‚halt des Stüdes war? Ich will's 


nicht verrathen; ich müßte befüicchten, 
durch eine trodene Schilderung diejes 
Inhalts die unvergleihlide Schöpfung 
unferer Directorin ihrer dichterifchen 
Schönheiten zu entlleiden und will 
lieber an diefer Stelle — den Vor— 


hang fallen laſſen. 





348 


Der Küfter 


am Kreuze. 


Eine Gedichte aus Sanct Yalob von P. R. Rofegger. 


< Salob, die über den felligen 
Gebirgsftiod der Sulmeralpen wie ein 
grünes Sammitnch Hingebreitet find, 
ſtundenweit, ftand ein hohes, hölzernes 
Kreuz. Es war aber fein Inndläufiges 
Grucifix, auch feines jener ſechsarmigen 
Metterfreuze, wie fie in unferen gut 
fatholifchen Gegenden fonft vorzukom— 
nen pflegen, es war ein ſeltſames, 
unbeimliches Kreuz. Es war an zwölf 
Schuh hoch, aus maſſivem, vieredig 
behanenem Holze gezimmert, hatte 
drei Onerbalfen, wovon einer nicht 
wie die zwei anderen gegen Oft und 
Welt, ſondern gegen Nordoft und Süd— 
weit ftand. Diefe Ouerftellung gab 
dem Kreuzbilde etwas Nuppiges, Un— 
ruhiges, ja Gefpenfterbaftes, und die 
Lente von Sanct Jakob und Umge— 
bung Hatten all’ ihr Lebtag nichts ge— 
jehen, was mit diefem Kreuze zu vers 
gleichen gewejen wäre. | 

Es war unter dem Namen Rubens | 
freuz befannt und wenn man fragte, | 
warum es fo heihe, war die Antwort, 
weil e3 die Ruden aufgerichtet hätten. 
Und wenn man weiter fragte, wer die 
Ruden wären, wußten fie nichts, und 
wenn man fragte, ob denn einmal 
Leute in der Gegend gewejen jeien, 
jo die Ruden geheigen, meinten die 
Meifen von Sanct Jatob, das müßten 
fie doch wohl, ſonſt könnten fie das 
Rudenkreuz nicht aufgerichtet haben. 
Einer war, der wußte zu jagen, daß 
der neunzigjährige Jäger-Klauſel, der 
vor etlihen Jahren geftorben, öfters | 
erzählt habe von fremden Anfiedlern, | 
die in den Sulmeralpen Häuſer ge: | 
habt und die Viehzucht betrieben hätten. 
Selbige hätten fehr viele Aepnlichleit 


Zuf den Hochweiden von Sanc 








mit menschlichen Weſen gehabt, feien 
aber Heiden gewejen! Bon ihnen 
ftamme das Rudenkrenz ber. Es fei 
aber eigentlich nicht errichtet worden, 
fondern felbft aus der Erde hervor— 
gewachſen, darum könne es auch micht 
faulen. Man wiürde niemals fehen, 
daß ein Vogel oder ein anderes Ge— 
ihöpf Gottes auf das Rudenkrenz 
fliege und ſich darauf niederlaſſe. 

„Und das ift heilig wahr,“ be— 
fräftigte eines Tages der würdige 
Küfter von Sanct Jakob, „ih bin 
zwar fein neunzigjähriger Greis, aber 
etwelches weiß ich doch zu jagen vom 
Nudenkrenz. Dreimal im Jahr, das 
willet Ihr, fliegt der Belzebub über 
Land. Auf den Sulmeralpen hat er 
fonft geraftet, aber ſeit alljährlich mit 
dein Dfterfegen der Boden geweiht 
wird in Sanct Jakob und weitum, 
verbremmt er fich den Hintern, jobald 
er ſich niederlaffen will auf die Erden. 
Sept er ſich alsdann aufs Ruden— 
freuz und raftet. Ja ja, meine Muhme, 
die Liefel in der Heds, hat ihn ein— 
mal boden gejehen auf dem oberften 
Streuzbalten und den Schwanz hat er 
wie eine Schlange um das Holz ge= 
wunden, dab es ein Graus ift geweſt!“ 

„Altweibergeſchwätz!“ rief der 
Steinbahmüller. 

„So!“ fagte der Küfter und fein 
Wort war faft tonlos vor Eutrüftung. 
„Du bift auch fo Einer! Altweiber- 
geihwäg! Natürlih! Neuzeit alle 
fromme Sad’ Altweibergeſchwätz!“ 

„Iſt der Belzebub eine fromme 
Sach'?“ fragte der Steinbahmüller. 

„Der Belzebub nicht! Und das 
Rudenkreuz auch nicht! ber der 
heilige Glauben ift eine fromme Sad’! 


349 


Der Glauben, daß der Teufel mur 
auf einem gottloſen Kreuz raſten 
fan, das iſt's! Müller, wenn 
Du einmal Deine Ochſen auf die 
Hochmeiden treibft, paß auf, vielleicht 
begegnet Dir jelber einmal was! Viel— 
leicht fiehit ihn doch einmal boden 
auf dem Rudenkreuz, falls er nicht 
gar auf Deinem eigenen Budel aus» 
raſtet.“ 

So wurden heiß die Worte ge— 
wechſelt in der Taferne zu Sanct 
Jakob. Und Hoch oben auf den weiten 
Almen ftand einfam das Kreuz. Weit: 
um war fein Baun, fein Straud, 
dort und da ragte ein weißer Stein 
hervor zwifchen den grünen Matteır. 
Nah einer Seite zog ſich ein geröl« 
liges Kar hinab gegen die waldbe— 
ftandenen Lehnen, wo die Schugitälle 
der Herden ftanden. Bon Rudenfreuz 
aus ſah man nicht in’3 Thal, wohl 
aber die gegemüberftehenden hohen 
Berge mit ihren finftergrauen Wänden. 
Die Hocmeiden waren ihrer fetten 
und mwürzigen Kräuter wegen an mile 
den Sommertagen Sehr geſucht von 
den Rindern und fo fliegen auch die 
Leute gern hinan; mancher Burſchen 
Uchermuth tummelte ſich oben aus 
im NRangeln nnd Ringen; manch’ 
üppiges Liebesleben jonnte ſich dort 
oben an warmen Julifonntagen und 
über Allem hochaufragte das hölzerne 
Aergernis, das Rudenkreuz. 

Dem Küſter von Sanct 
fonnte das nicht gefallen, denn 
batte ein warmes Herz für das Seelen- 
heil feiner Pfarrgenoſſen. 
ihr denn, wen eines Tages ein Knab' 
und eine Maid ausruhen da oben auf 
dem weihen Grafe und der Belzebub 
kommt geflogen, ſetzt fih auf das 
Rudenkreuz und Schlingt feinen Schwan; 
Schlangenartig um das Holz! Die Geiſt— 
lichkeit nimmt’s viel zu leiht. Schlecht 
genug, dab der Galgen immer nod 


— 


Jakob 


Hochweiden. 


er Sonue wie Silber. 
Gerippel will auch gar nicht morſch 
Was ſagt werden! dachte ſich der Küſter. Wenn 


ſchläger her, die gehen über die Hoch— 
matten und raſten gern dort. Da will 
der Küſter oben fein und den Männern 
in’s Gewiſſen reden, daß fie mit et— 
lien Arthieben dem Rudenkreuz ein 
Ende machen. Wohl wühte auch er 
jelbft, der Küfter, die Art zu führen, 
aber es ift beſſer, wenn's Andere than, 
es iſt beſſer . . . Dann follen die 
Almerinnen nur kommen und ihr Mehl 
ſtreuen! 

Es pflegten nämlich die Senne— 
rinnen alljährlich am erſten Hundstag 
beim Rudenkreuz ganze Kübeln Mehl 
in die Winde zu ſtreuen; ſie nannten 
das „Wind füttern“, damit er ge— 
fättigt und verſöhnt ſei und in Wet— 
terſtürmen nicht allzu grauſam wüthe. 
Warum das gerade beim Rudenkreuze 
geschehen mußte, wußte weder die Sen 
nerin noch der Küſter; leßterem war 
aber — offen geftanden — gerade 
deöwegen das Nudenkrenz jo verhaßt 
geworden; — Sie jollen das Mehl 
dem Küſter zukommen laſſen für's 
Metterläuten, werden die Winde beijer 
bedient, als durch das thörichte Mehl⸗ 
ſtreuen am Heidenkreuz. 

Kurzum, der Galgen muß fallen. 
Und darum flieg am erſten Juliſamstag 
der Küſter das Gebirge hinan zu den 
Als er über die Wal— 
dungen emporgefommen war umd um 
den Schwarzriedel bog, jah er drüben 
auf der Hochebene ſchon das Ruden— 
freuz ſtehen. Es ſchimmerte im der 
Das Saferments- 


man ſonſt wo was aufitellt, bricht 
der Teufel in etlichen Jahren wieder 
zufammen. Das halt’s. Na, aber nicht 
mehr lange, dafür ftehe ih. — Da 
lag der Küfter auf dem Boden, war 
über eine Kuieholzwurzel geftolpert. 

Von den Holzichlägern war noch 
nichts zu ſehen. Kine Rinderherde 


fteht mitten auf der grünen Alm. ;weidete auf der Alm, das heimelte 
Aber er ſoll ſich curios ausgeſtanden den Küfter an und er fchritt langſam 


haben. Am eriten Julifamstag kommen | die 
von den Sulmerwäldern die Holz- Rudenkreuz. 


fanfte Höhe hinaus gegen das 
— Plötzlich hörte er ein 


350 


Gedröhne, der erſte Gedante war, es 
faufe der Belzebub dur die Lüfte, 
da jah er auch ſchon den Stier, der 
unweit von ihm mit den Vorderfüßen 
den Erdboden aufgrub und brüllte. 
Es war ein großes, jchwarzes Thier, 
jeßt hob es den Schweif und ftieh 
die» Hörner im den Boden, daß der 
Sand ftob. Der Küſter merkte bald, 
was das zu bedeuten Hatte und Hub 
an zu laufen. Alfogleih folgte ihm 
der Stier in großen ſchweren Süßen 
und mit mächtigen Schlottern feiner 
Dalsfahne. Auch die anderen Rinder 
waren unruhig geworden und jprangen 
mit bochgehobenen Häuptern heran. 
Heiß erfchroden Jah ſich der Küſter 
nach einem Zufluchtsort um, und es 
war nichts, fein Fels, kein Baum, 
fein Strunk, es war nichts ringsum 
als Noth und Gefahr. Immer näher 
fam der ſchnobende Nudel, in Todes— 
angit lief der ſonſt jo behäbige Küfter 
wie eim Junge, im nächſten Augen 
blide Hletterte er das Holz hinan und 
bodte auf dem Querbalten des Ruden— 
freuzes. 

Da oben hodte er und klammerte 
ih Felt an den Stamm, an dem er 
Jah, daß er beim Fuße ftarl abge— 
morjcht war. 

Die Rinder umfreisten das Kreuz 
und der Schwarze Stier vieb feinen 
Kopf ſchnobend an dem Stamme, daf 
dieſer erbebte. Der Küſter lachte grell 
und ſchrill wie ein Wahnfinniger und 
rief alle Heiligen an und mannte das 
Thier eine höllvermaledeite Beftie. Der 
Stier mochte das für eine Ehrenbe- 
jeigung halten und war demmach um 
jo lebhafter beftrebt, feine Aufgabe zu 
löjen, den braven Mann vom Pfahl 
herabzubringen und ihm die Gedärme 
auszulafjen. 

Das Beten und Fluchen des Küfters 
am Kreuze wurde allmählich etwas 


„Seh, Vieherl,“ fagte er gütig zum 
Stier, „mach’ feine Thorheiten! Schade 
um Deine Hörndeln, daß Du fie fo 
ftrapazierft an dieſem harten Holz. 
Wenn eins abjpringt, haft den Stumpf 
dein Lebtag lang. Hi bi, micht fo 
higig, Schwarzer, um Gotteswillen! — 
Sollts Dich uach meinem rothen Hals» 
tuch gelüften, da haft es, treib’ Deinen 
Spaß damit, wie Du willft.“ Er ballte 
das Tuch zujammen und warf es 
weithin auf den Plan, aber im Winde 
flatterte e3 wieder gegen das Kreuz 
heran und dem Stier gerade an den 
Kopf. Darüber wurde diefer rajend 
vor Wuth, fürchterlich wühlte und brüflte 
er, den Hinterförper hoch emporfchnels 
lend, ſprang er hintan und kam wieder 
herbei ; die übrigen Rinder ſahen ihn 
etwas verwundert zu und wußten nicht, 
follten fie mitmachen oder ſich wieder 
aufs Grafen verlegen. Endlich ftand 


‚der Stier ruhig da, glotzte das Kreuz 


an und fchnaufte ſich aus. 

Der Küfter ſetzte ſich auf feinem 
Querbalfen etwas bequemer, dann 
wurde er ganz zärtlich gegen das Thier 
und rief ihm zu: „Du bift ein ver— 
fluchtes Rindvieh! Habe ich Dir etivas 
gethban ? Etwa, daß der Fleiſchhauer 
mein Bruder ift, willft Du mir nach— 
tragen? Er ift nur mein Stiefbrubder, 
ih hab's mie mit ihm gehalten, ich 
hab's immer mit den Vieh gehalten. 
Und Dur wiflft mich umbringen! Trau' 
mir nicht, Schwarzer! Glaubft Du 
nicht, daß ich einen Revolver im Sud 
haben kunnt? Auf ja und nein haft 
Du die Bohne im Leib. Jammerjchade 
um Dein junges Leben! Schau, Knabe, 
Du bift noch zu jung zum Ballen, 
Du haft was Beſſeres zu thun. Sieht 
Du dort drüben am Steinbüchel die 
grane Kalbin? Ein Gufto, wie die 
fein gewachfen ift! Und wie munter 
ſie auf Did her haut! Du Hafts ja 





weinerlich, der Mann blidte in die | gut auf der Alın, dir ift Alles erlaubt, 
Runde nah einem Helfer; weit und geh, muße Dein junges Leben und lab 


breit feine Spur von einem Menſchen. 
Donn verfuchte er mit dem wüthenden 
Stier einen Wusgleih anzubahnen. 


die Thorheiten fein! Winterszeit kom— 
men wir unten im Dorf zuſammen; 
ih Habe gutes Heu in meinem Studi. 


— 


351 





Geh, Stierl, lauf' weg! Lauf' weg! 
Was ſiehſt Du denn an dieſem elendig— 
lichen Galgen? Schau, Deine Kame— 
raden heben alle wieder an zu graſen. 
Der prächtigſte Klee, den ich mein 
Lebtag geſehen hab', wachst auf dieſer 
Hochweid'. Eine wahre Paſſion, zu— 
zuſchauen, wie Die dorten graſen! Die 
Zahn’ wäſſern Einem! Geh’, laſſ' nicht 
Alles den Anderen! Sei gefcheit!* 
Das Rind date: Ich bin ohnehin 
geicheit! und blieb flehen vor dem 
Nudenkrenz, und ſchnob und grub mit 


dem Borderfuß den Nafen auf. 


So war der Füfter eine Stunde 
und länger auf dem Kreuze gebodt, 
die Sonne fant hinter die Berge hinab. 
Da ſah er endlih zwei Weibsleute 
über die Alm heransıhreiten ; jede trug 
anf dem Haupt ein mächtiges Futter— 
bündel. Der Küfter ſah Erlöſung, da 





Kreuzes, um das ſich die Herde ges 
lagert, ein dunkler Knäuel feſt geklam— 
mert hatte, 

„Wer da? rief er. 

„Laus tibi Christi !* jauchzte der 
Küfter auf. „Nachbar! Miller! Biſt 
es, oder nicht, fei fo gut um Leben und 
Sterben und jag’ mir die Beitien fort!* 

Der Steinbachmüller erkannte als— 
bald den KHüfter von Sanct Jakob, 
aber er that nicht darnach. Fürs Erſte 
gab er dem drohenden Stier mit dem 
derben Bergftod Eins in die Seiten; 


der Schwarze wid ein paar Schritte, 


aber fein Sinn ftand immer noch nad) 
dem Manne auf dem Holzpfahl. 

„Im Namen Zehaoths!“ rief der 
Steinbachmüller nun überlaut hinauf, 
„Fürſt der Finſternis, mich betrügſt 
Du nicht! Du Haft zwar die Figur 
unferes braven Küfters von Sanct 


that plößlich eines der Weiber einen | Jakob angenommen, aber ich kenne Dich 
Schrei, warf das Bündel don fich und wohl, Du bift der Belzebub ! der Küſter 


lief hinab in dag Kar. Das andere, 


folgte. 


Bi mich vor Dir gewarnt und darum 
|bift Du ihm jo Spinnefeind, daß Du 


Unten im Getanne hielten fie an, feine menjchliche Geſtalt entHeiligft und 
ftrichen „fih die wirren Haare aus dem | in feiner Haut umkriechſt auf dem Holze 


Geficht, 


und Eine fragte die Andere; |balten, wie ein Affe! Pfui, Belzebub! 


„Daft Du ihm auch geſehen? Auf dem | Daft Dich wohl wieder arg angeftrengt 


Nudentrenz hodt der Belzebub !” 

Den Waldweg heran kam der Stein» 
bahmüller; ex trieb zwei Decchslein, 
welde er die Woche über am Pflug 
gehabt, auf die Hochweide. 

Dem riefen die Senninen zu, er 
möge um Gotteswillen heute nicht zum 
Rudenkreuz Hinaufgehen, es jei der 
Belzebub oben! 

„Was für ein Bub?“ fragte der 
Steinbachmüller, der etwas ſchwer— 
hörig war. 

„Der Gottfeibeiuns hodt auf dem 
Rudenkreuz!“ 

„Hodt er? Nachher iſts recht. 
Hi, Ochſen!“ Er trieb wegsan. Die 


mit dem Seelenderführen auf der Welt, 
daß Dir jegt das Raften jo noth thut 
auf dem Rudenkreuz. Leut' vers 
Ihimpfieren und Altweiberglauben ums 
trogen! Herrgott, wenn das der Küſter 
wüßt, daß in feiner Haut dahier ein 
folcher Fant ftedt! — Fahr' ab, Belze— 
bub, oder ich laſſ' ein Ablaßgebet auf 
dich los, daß Dir Hören und Sehen 
vergeht, vernebelte Waſſerkopfſeele, ver— 
dammte!“ 

„Steinbachmüller!“ wimmerte der 
Küſter, denn ſeine Glieder waren ſteif 
und wollten ihn nicht mehr halten, 
„ich bitte Dich, ſei chriſtlich und ſpotte 
nicht. Ich ſehe es ja ſchon ein. Gott, 


Weiber bekreuzten mit flacher Hand die o Gott, ich wollte dieſes Krenz heute 


Richtung, nach der er gieng. „Schad' 


um feine arme Seel!” 


niederhauen laffen! Bin ich nur glück— 


lich wieder auf dem Erdboden, meinet— 


Als der Steinbahmüller in der halben foll es ftehen bleiben jo lang 


Abenddänmmerung auf die Höhe Fam, 


es mag. Ich rede nichts mehr drein, 


fah er, wie fih in die Balken des es ift ein ganz unfchuldiges Kreuz. 


352 





Im Pfarrbuch ftehts ja drinnen, daß Das ift nun gefchehen, die Herde 
eine ruſſiſche Anjiedlung da geweſen mitſammt dem Stier trottete thalwärts 
ift, die hat allhier das griechische Kreuz | in das Kar, der Küfter ſprang vom 
aufgeftellt und hat dabei gebetet. Eine | Kreuze, und feit jener Stunde — fo 
ganz unſchuldige Sad, ich will fie | erzäplt ih das Volt — hat der 


nicht mehr fchlecht machen. — Ich Belzebub nicht mehr geraftet auf dem 
bitte Di, Nachbar, jag' das Ungethiüm Rudenkrenz. 
davon!“ | 


Am Himmelszelt die Sternlein ſteh'n. 


Gin Ausflug. 





— 


D er „Heimgarten“ iſt im Ganzen Größe. Ferner giebt es etwa 20.000 
2 Teine hochfliegende Zeitſchrift. Sterne ſiebenter, 68.000 achter, 
aber den Flug, den wir heute unter- 530. 000 neunter Größe. In weiteren 
nehmen wollen, werden uns nicht Größen oder formen hat man die 
Viele nahmaden. ‚Sterne bi jeßt nicht controlirt. Im 
Von den „Millionen Sternen“ Ganzen vermag der Menjch mit den 
des Himmels plaudern, über diefelben heutigen optifchen Mitteln etwa 30 bis 
Gedichte machen, ift feine Kunft, aber 40 Millionen Sterne zu zählen oder 
fie einmal zu zählen und ihre Ent: vielmehr als fihtbar anzunehmen. 
fernung von uns zu meſſen ift was Nun halte ich aber keinen Heime 
Anderes. Wohlan denn, zur Sache! gartenleſer für jo einfältig, zu glaus 
Daß wir eiwa in einer Haren Win- |ben, daß etwa auch nicht viel mehr 
ternacht Millionen Sterne fehen, das , Sterne am Himmel ftünden ; jeder 
ift gar nicht wahr. Wir fehen weit weiß, daß die Anzahl der fichtbaren 
weniger Sterne, als wir zu ſehen Sterne nicht von der Ynzahl der 
glauben und es giebt umentlichmal mehr | wirklich vorhandenen Sterne, jondern 
Sterne als wir wiſſen. Mit freiem, von ihrer Entfernung von der Erde 
Auge ſieht der Menfch, joweit ev den | abhängt. 
Himmel überſchauen kann, beiläufig. Die Entfernung der meiften Sterne, 
4000 Sterne. Selbft in den beiden ſelbſt der nächiten, jener erſter Größe, 
Hälften der Himmelsrunde fann das iſt mit unferem irdiſchen Maße kaum 
beſte Auge nicht über 6000 Sterne ſehen. zu meſſen, wir müſſen, um fie ans 
Wie Wilhelm Meyer in feinem nähernd anzudeuten, den ausgedehnz 
neneften Werke: „Kosmiſche Welt- |teften und rajcheiten Abmeſſer, den 
anfichten, aftronomische Beobachtungen Lauf des Lichtftrahles, benutzen. Wir 
und Ideen aus neuelter Zeit“ (Ber: willen nämlich, dab der Lichtitrahl 





lin. Allgemeiner Berein für deutſche — etwa jener der Sonne — in einer 
Literatur) nachweist, gibt es am Him- Secunde 42.000 Meilen zurücklegt. 
mel für uns nur 20 Sterne erfter Ein Lichtftragl nun. der — wie der 


Größe, 64 zweiter, 198 dritter, 460 |eleltrifhe Strom den Raum durch— 
vierter, 1496 fünfter und 6004 jechäter fliegend — in einer Secunde fiebenmal 


353 


um die Erde laufen könnte, gebraucht Himmelskörper bereits vor einer halben 
8), Minuten, um von der Sonne | Million Jahre befunden Hätten, und 
zu uns zu kommen. Der Lichtitrahl wir jehen dort in der Gegenwart 
von den uns am nächlten Stehen Taten einer weltichaffenden Kraft, 
den, den Sternen erſter Größe, | die in einer undenfbar fernliegenden 
braucht 15%, Jahre, der Lichtſtrahl Vergangenheit geſchahen. 
von den Sternen zweiter Größe 28, Dann kommt die unüberſteigbare 
Jahre, der Lichtſtrahl von den Ster= Grenze unferes Willens. Mag die 
nen Sechster Größe 120 Jahre, um | Welt der Sterne noch über Diele 
zu und zu gelangen. So weit reicht | Grenze hinaus von Umendlichkeit zu 
unfer bewaffnetes Auge noch hinauf Unendlichkeit weiter die Nänme aus« 
— über 150 Billionen Meilen. Die | füllen, keine Kunde kommt uns mehr 
Sterne neunter Größe find Schon etwa , von dort herüber ; das wahrhaft Un— 
500 Lichtjahre von uns entfernt und | endliche, das unwandelbare Attribut 
die lebten Sterne, welche Herichel in! der Gottheit wird uns ewig ver— 
feinem Niefenjpiegel noch ſah, über | jchleiert bleiben. 
3500 Lichtjahre oder viertauſendfünf— Aber eine Ahnung vom jener une 
hundert Billionen Meilen! endlichen Allınacht dämmert uns doch 
Man kann fih von der Größe durch dieſen Nebel herüber. „Stellen 
eines „Sternleins“, das bei ſolcher wir uns — ſagt Wilhelm Meyer in 
Entfernung noch ſichtbar iſt, eine Vor— ſeinem geiſtvollen Buche — ein Weſen 
ſtellung machen! Nein, man kann ſich vor, das ſich mit der Schnelligkeit 
keine machen. des Gedankens von einem Stern zum 
Bei dieſen ganz ungeheuerlichen andern ſchwingen kann und mit voll— 
Fernen dürfen wir aber noch bei kommenem Sehvermögen begabt iſt. 
Weitem nicht anhalten; das waren ja Begibt ſich dieſes vollkommene Weſen 
erſt die einzelnen ſichtbaren Sterne. auf einen Stern der erſten Größen— 
Nun giebt es aber am Himmel matt- claſſe und ſchaut zu unſerer Heinen 
Ihimmernde Stellen, die Nebelflede,' Erde dort unten in den Tiefen des 
von denen einige zwar in ſtarken Fern— | Weltgebäudes herab, jo kommt eben 
vöhren im eine Unzahl dicht nebenein- der Lichtſtrahl zu ihm empor, welcher 
ander gedrängter Sonnen zerfallen, die großen Ereigniſſe des Kriegsjahres 
andere aber, die felbft mit den ftärkiten von 1870 dem Weltall verkündete. 
Fernröhren nebelhaft und „unlöslich“ Napoleon und Bismard begegnen ich 
bleiben. auf der Landftraße vor Sedan, und 
Bon jenen unlöslichen Nebeln muß | alle Einzeldeiten der Begegnung Find 
man annehmen, daß fie in demfelben ihm gegenwärtig, als gejchähen fie 
Verhältuiß weiter von uns entfernt eben jegt. Weiter hinfchwebend ſieht 
ftehen, wie zum Beifpiel die Milch- | diefes göttliche Wefen auf einem Sterne 
frage von der Negion der mit bloßem  fiebenter bis achter Größe die Schlachten 
Auge einzeln erfennbaren Sterne. | des dreißigjährigen Krieges gegenwäre 
Durch einen ſolchen Vergleich gelangte, tig; auf einem Sterne neunter Größe 
Herſchel zu dem Refultate, daß fein | fieht er Gutenberg feine eriten Lettern 
Fernrohr den erftaunten Blid bis in. fegen oder Columbus auf San Do— 
Regionen des Weltall zu tragen ver- mingo landen. Bon den Sternen der 
mochte, von welden her das Licht. Milchitraße ber ſieht er unferen Hei— 
nicht weniger als eine halbe Million | land unter den Menfchen wandeln, 
Jahre gebraucht, um bis zur Erde und auf den leßten Sternen, die wir 
berab zu kommen. Was wir dort fennen, erfcheinen ihm die Anfänge 
alfo am Himmel vor uns fehen, wäre der erften menschlichen Cultur im den 
ein Zuftand, im welchem Sich jene‘ Eolonien der Pfahlbaner. Alles iſt 


Kofenger’s „„Örimanrten", 5 Geft, XI, 23 


* 





ihm gegenwärtig, die ganze Vergan— 
genheit liegt entjchleiert vor ihm, welche 
das ftrahlende Licht für alle Ewig- | jener fernen Welt vielleicht vor mehreren 


feiten unverlöfchbar in den Annalen | 
der Geſchichte der Weltjufteme ein= | 








Undromeda: Nebel ift ein neuer Stern 
aufgeleuchtet. Das Ereignis ſelbſt ift auf 


taufend Jahren geichehen, und auf den 
Himmelslorpern ihrer nahen Umge— 


ſchreibt. Unſere guten Ihaten, welche | bung, die das Wunder einſtmals fahen, 


das Licht nicht ſchenen, find im den 
‚Regionen der Sterne aufbewahrt. Und 
die ftillen Sterne dort oben, die lichten 
Gedanken des Himmels, fehen Alles, 
was hier und Allerorten gefchieht, fie 
find Diener der Gottheit und allge 
genwärtig, wie Gott jelbit. 

Sogar wir Menfchen werden eines 
Theiles diefer Allgegenwart theilhaftig. 
Mas wir dort oben vor Augen fehen, 
ift nicht die gegenwärtige, ſondern eine 
bergangene Welt und aus vielen ver— 
Ichollenen Jahrhunderten fehen wir 
ihre Entwidelung gegenwärtig vor 
uns. Erft letzthin ift uns ja ſolch' ein 
Wunder aus den fernflen Regionen 


iſt die Erinnerung daran vielleicht 
längft ausgelöfcht, oder die Geſchichts— 
annalen haben es mit jener märchen— 
haften Umkleidung ausgeftattet, welche 
die Zeit um jedes große Ereignis 
wirkt. Wir aber, in unendlicher Ent— 
fernung von dem Schauplaße des Er— 
eigniſſes aufgeftellt, fehen es in feinen 
Abftufungen ganz genau; wir find 
authentiſchere, beifer unterrichtete Zeu— 
gen des längſt geſchehenen Wunders, 
als die Bewohner aller nächftliegenden 
Welten. Für uns ift gegenwärtig, was 
für Andere längft vergangen und ver— 
geilen iſt.“ 

„Am Himmelszelt die Sternlein 


des Himmels verkündet worden. Jmiftehn.... .“ 


Ein Shledtes Bud. 


Pr (9 ointice Menschen pflegen den | 
können. 





SA Dornen auszuweichen und Rofen 
zu pflüden. Und flechten ſich aus 
Roſen Kränze und laffen die Sonne 
drauf ſcheinen und find froh. 

Aber es gibt auch Käuze, welche 
die Roſen verachten und die Dornen 
ſammeln. Sie rigen fih damit zwar 


die Finger blutig, troßdem flechten fie | 


fih auch ihr leid aus Dornen, füllen 
ihr Ruhekiffen mit Dornen und ſchwelgen 
in der Wollufi des Schmerzes. Und 
nicht genug an dem, fie fahren mit 
ihren Dornftümpeln auch anderen Leu— 
ten ins Geficht, 


darüber, daß jene jih an Roſen freuen 


Da kommt uns ein Herr Mar 
Seiling, der hat Galle im Leib und 
fühlt das Bedürfnis, die Welt zu ver— 
ihandieren. Aus Eigenem jcheint er 
nicht Gedanken und Worte gefunden 
zu Haben, um feinen Unmuth über 
Himmel und Erde auszufchütten, jo hat 
er ein großes Anlehen gemacht. Vieles, 
was große Männer aller Zeiten über 
das Elend der Welt, über die Arm— 
feligfeit des Glüdes und über die 
Schlechtigkeit und Erbärmlichkeit der 


aus reinem Werger |Menfchen gejagt Haben, das hat er 


555 

nit Fleiß und Liebe gefammelt und in den Kopf geſetzt, ein jämmerliches 
daraus ein Buch gemacht. Aus har weltſchmerzliches Buch zu machen. So 
monifchen Dichtungen und philofophi= | macht man's. | 

ſchen Werfen Hat er einzelne Sätze Man frägt, wozu? Iſt der Plunder, 
und Ausſprüche herausgebrochen. Er Welt und Leben genannt, wirklich fo 
bat nicht gefragt darnach, bei welcher armfelig, daß alle Ereatur darunter 
Gelegenheit die Ausiprüche gethan | verzweifelt, fo ift ein Hinweis darauf 
worden, wem fie ein Dichter im den überflüſſig. Wer Zahnſchmerz Hat, den 
Mund gelegt, er ift im Stande, die braucht man nicht erit darauf aufmerkſam 
Ausſprüche Mephiftos, die Ergießungen zu machen, daß man Zahnſchmerz 
eines Franz Moor als beherzigenswerte, haben kann. Und wer da behauptet, 
Weisheitstheſen von Goethe und Schiller daß die Zähne von Uebel find, weil 
binzuftellen. Ex citiert mur die böfen man Zahnſchmerz haben kaun, der wird 
Geijter großer Dichter, die guten läßt von Allen, die ſich eines guten Ge— 
er Hinten liegen. Alles, was die biffes erfreuen, ausgelacdht. Und iſt es 
Menfchheit über Freundichaft, Liebe, | nöthig, die Lebensfreude der Menge 
Trene, Opferfreude, über Seelengröße, | durch pejlimiftiiche Douchen zu däm— 
über KHunftgenuß und Naturichöne, pfen, dann ift der Peſſimismus ſchon 
über die Fähigkeit des menschlichen auch nicht mehr gerechtfertigt. 

Herzens für Glüdsempfindung aller Oder was will man? Sollen die 





Art je gelagt und hinausgejubelt hat 
in glühenden Liedern, in behren Pjal: 


men, in gewaltigen Kunſtwerken, Herr, 
Mar Seiling vertufcht es. — Ueberhaupt 


follte einmal über das falfche Eitieren, 
oder vielmehr über das 
Gharakterfälfhen ein ernftes Wort ge— 
ſprochen werden. Durch willfürliches 


Herausreißen don Süßen oder auch 
halben Säßen kann man jeden Dichter | 


oder Schriftfteller ganz beliebig zu 


allen Möglichen und Unmöglichen fteınz | 


peln. Man kann Goethe zu einem 
blutigen Socialdemofraten, Schiller zu 
einem fanatifchen Glericalen, Luther 
zu einem Cyniker, den heiligen Au— 
guftin zu einem Gottesleugner machen. 
Shafespeare wird fih dafür bedanten, 
mit feinen Böſewichtern, Gervantes 
wird ſich Dagegen verwahren, mit feinen 
Dummköpfen identificiert zu werden. 


literarische 


"Leute einfehen, daß Alles eitel, daß 
jedes Streben umſonſt ift, daß fein 
wahrer Erfolg und feine Vervollkomm— 
nung möglich ift, das die Menfchheit 
immer tiefer in Sünde und Schmerz 
verfinfen muß, dab es alſo am beiten 
wäre, micht zu fein? Und wenn die 
Lente das wirklich einfehen, glaubt der 
Herr Peſſimiſt, daß fie dann ihre 
Paſſion, das unfelige Gejchlecht weiter 
fortzupflanzen, aufgeben und ſich ſelbſt 
ehethunlichſt aus der Welt jchaffen 
werden? Mill er — der die ganze 
‚Nichtigkeit diefes Lebens erlannt und 
| documentiert hat — will er mit gutem 
Beiſpiel vorausgehen? Biefleicht will 
Mar Seiling früher noch die gute Auf— 
‚nahme nıd Wirkung feines Büchleins: 
„Perlen der peflimiftifchen Weltan— 
Ihauung, in Meifterwerten der Literatur 
gefunden“ und bei Theodor Adermann 











Und wenn Goethe und Leffing und in München herausgegeben, abwarten. 
Jean Paul und VBodenftedt und Ha= | Dann muß es aber mit feinem Peſſimis— 
merling und Andere hier in Reih' umd mus doch nicht jo weit her fein, wenn 
Glied als Peſſimiſten im modernen | er fogar an einem mit gutem Fleiß 
Sinne aufmarſchieren müſſen, fo ift und Geſchick gemachten Sammelwerlchen 
das eine Öffentliche Gewaltthätigfeit, und der hübſchen Ausftattung desfelben 
die nach dem literariſchen Strafgejege Freude finden kanıı, und wenn er zu 
— wenn wir eins hätten — jcharf hoffen vermag, daß er durch feine 
gebrandmarft zu werden verdiente. | „Perlen“ etliche der Weltkinder zu 
Doch Mar Seiling hat ſich ebem einmal | feinem Peſſimismus befehren wird. 


23* 


300 


Indes fällt 
gramm ein: 


„Das Leben ift der Müh' nicht wert, 
So jhrebt mand wad'rer Mann; 

Und wozu läßt er’3 druden dann? 
Nun, dab er leben kann.“ 


mir da Alland’s Epi— 


nialen Menſchen find Peſſimiſten ge— 
weſen, darum wollen auch wir alsbald 
ein peſſimiſtiſches Buch machen, damit 


wir nicht im Verborgenen bleiben, |wahre Sittlichkeit geben könne, 


Wir wollen den Leuten fagen, was 
— ja was jie übrigens längit willen 
müßten, wenn wir recht hätten. 
Eben kommt auch eine neue Anz 
thologie aus Leipzig: „Stimmen des 
Meltleides,“ herausgegeben von Zdenko 
Ferens (Leipzig, Otto Wigand), welche 
infoferne höher ſteht als die „Per— 
len,“ weil es nebſt den willkürlich 
ans Dichtungen gebrochenen Säßen 
auch ſelbſtſtändige Gedichte enthält, 
und zwar eingetheilt nach den Völkern 
der Erde im ihrer peſſimiſtiſchen Poeſie. 
— Gewiß hat eine foldhe Literatur 
auch ihre Berehtigung, weil fie uns 
eritens mit dem Empfinden freinder 
Völker befannt macht und weil fie den 
weltfchmerzlihen Stimmungen, denen 
mehr oder weniger alle Eulturmen= 
Shen unterworfen find, ſchmeichelt. 
Aber diefe Franfhafte Anlage im Men— 
chen bejonders zu pflegen, den theores 
tiſchen Weltſchmerz zu popularilieren, 
das ift verwerflih. Zum Weltſchmerz 
gehört der Philofoph und etwa das 
verhätjchelte Weltkind, aber nicht der 
Mann aus dem Volle. Der hat genug 
an dem Herben des Lebens und braucht 
das Elend nicht auch noch erit zu 
faufen, den Band um 2 Mart 50 


Pfennige. 


Der Herausgeber der „Perlen“ 


Das ıft Schön gefagt, und ich glaube 
fogar, auch gut gemeint. Es wäre ein 
hohes Berdienft, die Kinder der Welt 
von der Eitelkeit der materiellen Güter 
und bon der Niedrigkeit und Hinfäl- 


‚tigkeit der grob finnlichen Genüſſe zu 
Aber natürlich, alle wahrhaft ges | 


überzeugen. Aber unſer profeflioneller 
Peſſimiſt geht weiter, er führt in feiner 
Sanımlung zahlreiche Ausſprüche an, 
welche der Welt vorhalten, daß es Leine 
feine 
jelbftlofe Treue, Leine Eltern- und 
Kindesliebe im Sinne der Tugend, 


daß die menschliche Natur nur für das 


Böje geeignet fei, daß alle Menfchen 
Lügner, ihre Erfolge im beiten Falle 
Irrthümer wären. Aussprüche, welche 
die Baterlandsliebe, die Opferfreude 
der Freunde, die Liebe der Stinder 
zu den Eltern, das Vertrauen der 
Eheleute zu einander, die Zuverficht 
an das Heil eines redlichen und men— 
Ihenfreundlichen Lebenswandels, den 
Glauben an fich ſelbſt, an die fittliche 
Kraft des Willens zu zerftören beab— 
fihtigen.. Und damit will man die 
Menge „von eitlen irdifchen Gütern 
hinweg auf die idealen, die geiftigen 
lenten ?* — Was verjteht man denn 
alfo unter „geiftigen Gütern ?* Viel— 
leicht Sammlungen peflimiftifcher Aus— 
jprüche, tendenziös einfeitig herausge— 
zogen aus den Werken großer Dichter 
und Denker? Die großen Dichterwerte 
jelbft wären dann nicht als ſolche 
anzuerkennen, denn fie verherrlichen 
Tugenden, die es ja gar micht gibt, 
feiern die Größe der Welt, die ja 
gar nicht da ift, feiern die Liebe, die 
Treue, die Freude, die Schönheit, die 
in wahrem Sinne ja gar nicht vor— 
fonımt, diefe Dichterwerte ſchildern dei 
Kampf zwijchen dem Böfen und Guten 


motiviert fein Werlchen gleich einem mit dem emdlichen Siege des leßteren, 


eingefleifchten Optimiften, 


indem er fie fchildern den Untergang durd die 


jagt: „Diefer wahre, als Befreiung vom | Schuld und find Manifeite der Ge— 


Weltſchmerz (?) zu verftehende Peſſimis— 
mus ift jedenfalls das wirkſamſte Mittel, | 


um unſer Streben hinweg von eitlen | befchaffen wären, 
ſie wähnt. 


irdiſchen Gütern auf die idealen, die 
geiſtigen zu lenken.“ 





rechtigkeit. All das wären falſche Pro⸗ 
pheten, wenn Welt und Menſchen ſo 
wie der Peſſimiſt 


Hätte Schopenhauer ein Weib ge— 


nommen amd Kinder gehabt, anftatt 
von der öden Gelehrtenftube aus in 
verbitternder Einjamkeit die Welt zu 
betrachten, fein großer Geift hätte eine 
andere PhHilojophie aufgebracht. Wer 
Gefahr läuft, an den Menfchen zu 
verzweifeln, der ſoll nur einmal zu 
den Landleuten hinausgehen, und er 
wird Sehen, welche Tüchtigkeit und 
Größe ursprünglich im Wolke ift. Das 
bat viele Armut und Drangfal, aber 
wenig Peſſimismus. Das Bolt ift ftart, 
es lebt und leidet, arbeitet und genießt 
und macht ſich weiter nichts draus. 

Es ift nicht zu leugnen, daß man in 
den Städten befonders unter den heuti— 
gen Zuftänden, bei diefer mehr als je 
von dem „dealen, dem Ewigen abge— 
wendeten Generation zeitweilig pefli= | 


miftiichen Stimmungen verfallen kann. | 


357 


Zeit zu Grunde, 
Ehren, 
Weiſe. 

Unermeßliches Leid iſt auf Erden, 
wer leugnet es? Aber anftatt durch 
Klagen und Berzweiflungsrufe die 
Leidenden nur noch mehr zu entmu— 
thigen, ſollte man ihnen rüftig beiftehen 
und Muth machen. Die Menfchen 
fönnten ſich Vieles verbeflern, es ift 
Manches Thon gelungen. Aber der 
Peſſimismus ift dazu ein  fchlechtes 
Mittel. Wie jehr hat die Menfchheit 
ihre geiftigen Fähigkeiten ausgebildet! 
Stünden nur nicht immer philoſophiſche 
Berführer auf. Unſere Zeit Hat in 
der Abjicht, zum guten Ziele zu kom— 
men, manch jchlechten Weg eingelchla= 
gen, der Peſſimismus iſt der fchlechteite. 

Mar Ceiling foll uns doch dem— 


und zwar micht im 
ſondern auf eine ſchmähliche 


Aber fo lange noch Einer edler Empfin- nächſt mit einer etwas anders fortierten 


dung fähig ift, Achtung vor dem Guten 
und Gerechten, Neigung zum Schönen 
hat, darf man micht verzagen. „Alles 
umſonſt!“ Diefe Ausrede, nichts zu 
thun, ift bequem. Wenn wir den Kampf 
aufgeben, wenn wir uns don allen 
durch eine jahrtaufendelange Eultur 
erworbenen Bortheilen verzichtend ab— 
wenden, wenn wir weltverachtend und 
an den Menfchen verzweifelnd uns 
zurüdziehen in die einfame Wildnis 
unferes verdüfterten Gemüthes, dann 
ift es aus mit den „idealen geiftigen 
Gütern,” dann gehen wir in kurzer 





Sammlung erfreuen. Er mag recht 
viele Ausfprüche bringen über den Un— 
wert und die Gefahr von Reichthum 
und Macht, über die Nichtigkeit irdi— 
ſcher Ehren und finnlicher Freuden, 
über die Vergänglichleit aller Schäße, 
an die das Weltfind fein Herz zu hängen 
pflegt, aber nicht einen einzigen, der 
die fittliche Anlage im Menjchen leugnet 
oder ſchmäht. Die Perfönlichkeiten eines 
Richard IIL, Nero, Franz Moor und 
Mephifto können wir als Lehrmeifter 
nicht brauchen. R. 


Arm in Arm mit einem Olympier. 






oa haben die Ehre, hier einen 
ws 


F neuen, berühmten Mitarbeiter 
aufzuführen, es ift fein Geringerer, 


als Seine Ercellenz, der Herr Geheim- rath ift geftorben! 


rath Wolfgang v. Goethe. 


Nein, Jagen wir, er ift unfterblich, 


daher jeder Zeit zu haben. 


Seine Ercellenz, der Herr Geheim— 
ruft die Stimme. 
Ja eigentlich, da Habt Ihr Recht, 


Der ift geftorben! Hören wir eine |der modert in der Fiürftengruft zu 


rüde Entgegmung. 


Meimar. Bon diefem großherzoglichen 


358 


Staatsminifter ift nichts übrig geblieben, | älter fie ift, je gewohnter man fie ift, 
als — Goethe. Aber der ift ums gerade | dejto mehr wirkt fr 


genug. Erdurchgeiftigt die ganzedeutjche 
Literatur, wenn er auch nicht immer 


genannt wird; e3 gibt Vögel, die ſich das 


mit feinen Federn fchmüden, und 
Federn, die aus feinen Werfen ab» 
fchreiben und nur den Stil etwas | 
verhungen, damit man es für ihr, 
Driginal halten jolle. 

Obzwar Goethe ſchon länger als 


fünfzig Jahre im Elyfium it, jo weiß | 


er doch tapfer Beicheid in allen Fragen | 
unjerer Zeit, fenmt jeden von uns ine | 
und auswendig und hat für uns eine 


Hille von Weisheit und Wohlwollen. | 
Lefer! Der große Olympier bietet | d 
‚daß man überall das Gute zu finden 


Dir fomit den Arın zu einem trau— 
lihen Spaziergang. Wir beglüdwüne 
ſchen Dih! Er gibt Dir manches gute 
Wort mit auf den Weg, 
fannft Dich ſpäter ja damit empfehlen: 
Goethe hat mir’s gejagt. 
Alfo höre, was er ſpricht: 
* 


* * 
Wie kann man ſich ſelbſt kennen 
lernen? Durch Betrachten niemals, 
wohl aber durch Handeln. Berfuche 


gleih was an Dir ift. 


* 


= * 

Jeder Menſch muß nach ſeiner 
Weiſe denken: denn er findet auf ſeinem 
Wege immer ein Wahres oder eine 
Art von Wahrem, die ihm durchs Leben 
hilft; nur darf er ſich nicht gehen 
faffen: er muß ſich controlieren ; 
bloße nadte Inſtinct geziemt nicht dem 
Menſchen. 

* 

Allgemeine Begriffe und großer 
Düntel find immer auf dem Wege, 
enfjeßliches Unglüd anzurichten. 


Ein großer" Fehler: daß man ſich 
mehr dünkt als man iſt, und lich 
weniger ſchätzt als man wert ift. 

* 


* * 
Muſik im beiten Sinne bedarf 
weniger der Neuheit, ja vielmehr je 





und Du | 


der 





Die Heitigteit der Rirhenmuftten, 
Heitere und Nedifche der Volks— 


——— ſind die beiden Angeln, um 
die ſich die wahre Muſik herumdreht. 


Auf dieſen beiden Punkten beweiſ't ſie 
jederzeit eine unausbleibliche Wirkung: 
Andacht oder Tanz. Die Vermiſchung 
macht irre, die Verſchwächung wird 
fade, und will die Muſik ſich an Lehr— 
gedichte oder beſchreibende und der— 
gleichen wenden, ſo wird ſie kalt. 


* 
* * 
Wahrheitsliebe zeigt ſich darin, 


und zu ſchätzen weiß. 


* 
Man muß ER daß unter 
den Menfchen gar viele find, die doch 
‚auch etwas Bedentendes jagen wollen, 


ohne productiv zu jein, umd da kommen 
|die wunderlichften Dinge an den Tag. 


* 


* * 
Tief und ernſtlich denkende Men— 


ſchen haben gegen das Publikum einen 
Deine Pflicht zu thun, und du weißt * ig 


böfen Stand. 


* 
* * 

Der Aberglaube gehört zum Weſen 
des Menſchen und flüchtet ſich, wenn 
man ihn ganz und gar zu verdrängen 
denkt, in die wunderlichſten Ecken und 
Winkel, von wo er auf einmal, wenn 
er einigermaßen ſicher zu ſein glaubt, 
wieder hervortritt. 


= * 

Ich ſchweige zu vielem ftill, denn 
ih mag die Menjchen nicht irre ma= 
chen, und bin wohl zufrieden, wenn 
fie jich freuen, da wo ich mich ärgere. 

* 


* 
Alles, was — Geiſt befreit, 
ohne uns die Herrſchaft über uns ſelbſt 


zu geben, iſt verderblich. 
* 


| 


| auf 


* 
Die Redekunſt "in angewiejen 
alle Vortheile der Poefie, auf alle 


359 


ihre Rechte ; fie bemächtigt ſich derfelben ! 


und mißbraucht fie, um gewiſſe äußere, 


fittliche oder unſittliche, augenblidliche 


Vortheile im bürgerlihen Leben zu 
erreichen. 
* 
* * 

Frömmigkeit iſt fein Zweck, ſondern 
ein Mittel, um durch die reinſte Ge— 
müthsruhe zur höchſten Cultur zu 
gelangen. 


= 
> * 


Es gibt zwei friedliche Gewalten: 
das Recht und die Schidlichkeit. 
* 


* * 


Es werden jetzt Productionen mög— 
lich, die Null ſind ohne ſchlecht zu 
ſein: Null, weil ſie keinen Gehalt 
haben; nicht ſchlecht, weil eine allge— 
meine Form guter Muſter den Ver— 
faſſern vorſchwebt. 


— 
* * 


Man ſagt: Eitles Eigenlob ſtinket: 
das mag ſein; was aber fremder und 
ungerechter Tadel für einen Geruch 
habe, dafür hat das Publikum feine Naſe. 


* 
* * 


Der Roman iſt eine 
Epopöe, in welcher der Verfaſſer ſich 


ſubjeckive 


Wenn der Menſch Alles leiſten fol, | die Erlaubnis ausbittet, die Welt nach 
was man dom ihm fordert, jo muß er feiner Weile zu behandeln. Es fragt 


fih für mehr Halten als er ift. 


* 


* * 

Gewiſſe Bücher ſcheinen gefchrieben 
zu Sein, nicht damit man daraus lerne, 
fondern damit man wiſſe, dab der 
Verfafer etwas gewußt hat. 

* 


* = 
Die Natur geräth auf Specifica= 
tionen wie in eine Sadgaffe, fie kann 
nicht durch und mag nicht wieder 
zuräd: daher die Hartnädigfeit der 
Nationalbildung. 


* 


* 
Dem thätigen Menſchen kommt es 


darauf an, daß er das Rechte tue; ‚dern mg 
‚Im Alter die Wiſſenſchaft gering ſchätzen, 


ſo foınmt es nur daher, daß ſie von 
ihr und von fich zu viel gefordert haben. 


ob das Rechte geſchehe, ſoll ihm nicht 
tümmern. 
* * 
Es bleibt einem Jeden immer noch 
ſo viel Kraft, das auszuführen, wovon 
er überzeugt iſt. 


der 


ſich alfo nur, ob er eine Weiſe habe; 


das Andere wird ſich ſchon finden. 


* 
* * 


Es iſt ſchwer gegen den Augenblick 
gerecht ſein: der gleichgiltige macht 
uns Langeweile, am guten Hat man 
zu tragen und am böfen zu jchleppen. 


* 
* * 


So eigenſinnig widerſprechend iſt 
Menſch: zu ſeinem Vortheil will 
er feine Nöthigung, zu feinem Schaden 


\leidet er jeden Zwang. 
| 


* 
* * 


Wenn verftändige, finnige Perfonen 


+ 
* * 


ch bedaure die Menjchen, welche 


vou der Vergänglichleit der Dinge viel 


Fe Weſens machen und fi in Betrach— 
Die fogenannten Naturdichter find tung irdiſcher Nichtigkeit verlieren: find 
friſch und nen aufgeforderte, aus einer wir ja eben deshalb da, um das Ver» 
überbildeten, ftodenden, imanierierten  gänglihe unvergänglih zu machen: 
Kunſtepoche zurüdgewiefene Talente, das kann ja nur dadurch gefchehen, 
Dem Platten können fie nicht aus- daß man beides zu ſchätzen weiß. 
— man kann fie daher als N 
rüdjchreitend anfehen; fie find aber . 
tegenerierend und veranlaffen neue Einen Regenbogen, der eine Biertel- 
Borschritte. ſtunde fteht, fieht man nicht mehr an. 


* 
* + * = 





360 


Vom eigentlih Productiven iſt 


Die Menge kann tüchtige Menfchen 


Niemand Herr, und fie müſſen es Alle |nicht entbehren, und die Tüchtigen 


nur fo gewähren lafien. 


- 
* * 


Eigentlich weiß man nur, wenn 
man wenig weiß; mit dem Wiſſen 
wächst der Zweifel. 


* 
* * 


Wir mögen die Welt kennen lernen 
wie wir wollen, ſie wird immer eine 
Tag- und eine Nachtſeite behalten. 


* 
* * 


Mannräuſchlein nannte man 
im ſiebzehnten Jahrhundert gar aus— 
drucksvoll die Geliebte. 


* 
* * 


Man darf nur alt werden, um 
milder zu fein: ich ſehe feinen Fehler 
bege en, den ich nicht auch begangen 
hätte. l 

* 
* * 

Der Handelnde ift immer gewiſſen— 
105: es hat Niemand Gewiſſen als der 
Betrachtende. 

* 

Ob denn die Glücklichen glauben, 
daß der Unglückliche wie ein Gladiator 
mit Anftand vor ihnen umkommen folle, 
wie der römische Pöbel zu fordern 
pflegte? 


* 
* * 


find ihnen jederzeit zur Laſt. 
* — = 
Wenn man von den Leuten Pflich- 
ten fordert nnd ihnen feine Nechte 
zugeftehen will, muß man fie gut be= 
zahlen. 


* 
* * 


Aufrichtig zu ſein kann ich ver— 
ſprechen, unparteiiich zu ſein aber nicht. 


* 
* * 


Die Zudringlichkeit junger Dilet— 
tanten muß man mit Wohlwollen er— 
tragen: fie werden im Alter die wahre 
ften PVerehrer der Kunft und des 
Meifters. 

* 
* * 

Die Wahrheit widerſpricht unſerer 
Natur, der Irrthum nicht, uud zwar 
aus einem ſehr einfachen Grunde: die 
Mahrheit fordert, dab wir uns für 
bejchräntt erkennen ſollen; der Irrthum 
ſchmeichelt uns, wir ſeien auf ein oder 
die andere Weiſe unbegrenzt. 


* 
* * 


Alle Menſchen, wie ſie zur Freiheit 
gelangen, machen ihre Fehler gelten: 


Wie man aus Gewohnheit mach rügen, denn das bleibt jich ewig aleich. 


einer abgelaufenen Uhr Hinfieht, als 
wenn fie noch gienge, jo blidt man 
auch wohl einer Schönen ins Geficht, 
als wenn ſie noch liebte. 
* s = 

Dilettantisnus, ernftlich behandelt, 
und Wiſſenſchaft, mechanifch betrieben, 
werden Pedanterei. 


* 
* * 


Der Aberglaube iſt die Poeſie des 
Lebens: deswegen ſchadet's dem Dichter 


nicht, abergläubifch zu fein. 
* 


* 


| zit regieren. 


die Starken das Uebertreiben, Die 
Schwachen das Bernadhlälfigen. 
Das Gemeine muß man nicht 
* 
* * 


Welche Regierung die beſte ſei? 
Diejenige, die uns lehrt, uns ſelbſt 

— 
* * 

Wenn die Männer ſich mit den 
Weibern ſchleppen, ſo werden ſie ſo 
gleichſam abgeſponnen wie ein Wocken. 


* 
* * 


Das Abſurde, mit Geſchmack dar— 
geſtellt, erregt Widerwillen und Be— 


wunderung. 


* 
* * 


*1 


361 


Wer viel mit Kinder lebt, wird 
finden, daß keine außere Einwirkung 
auf ſie ohne Gegenwirkung bleibt. 

* 2 * 

Ein zweijähriger Knabe hatte die 
Geburtstagsfeier begriffen, an der ſei— 
nigen die befcherten Gaben mit Dant 
und Freude ſich zugeeignet, nicht we— 
niger dem Bruder die jeinigen bei 
gleichen Feite gegönnt. 

Hiedurch veranlapt fragte er am 
Weihnachtsabend, wo jo viele Geſchenke 
vorlagen: wann denn fein Weihnachten 
komme? Dies allgemeine Yet zu 
begreifen war noch ein ganzes Jahr 
nöthig. 

* 
* * 

Es gibt feinen größern Troſt für 
die Mittelmäßigkeit, als daß das Genie 
nicht unſterblich ſei. 


* 


* 
Man hält die Menschen gewöhnlich. 


für gefährlicher als fie find. Thoren 
und gefcheite Leute find gleich un— 
ſchädlich. Nur die Halbnarren und 
Dalbweifen, das find die gefährlichiten. 


* 
* * 
Sich mitzutheilen iſt Natur; Mit— 


getheiltes aufzunehmen, wie es gegeben 
wird, iſt Bildung. 


* 
* * 
Der Verftändige findet faſt Alles 
lächerlich, der Vernünftige faft nichts. 


* 
* * 


Wir brauchen in unſerer Sprache 
ein Wort, das, wie Kindheit ſich zu 


vernimmt, 


‚ein Wille, den die Menge niemals 


‚ausfpricht, den aber der Verftändige 
den der Vernüuftige zu 
‚befriedigen weiß und der Gute gern 
befriedigt. 
| * 

* * 
Es gibt keine patriotiſche Kunſt 
und feine patriotiſche Wiſſenſchaft. 
Beide gehören, wie alles hohe Gute, 
der ganzen Welt an, und können nur 
durch allgemeine freie Wechſelwirkung 
‚aller zugleich Lebenden, in fteter Rück— 
‚fiht auf das, was uns vom Vergan— 
‚genen übrig und bekannt ift, gefördert 
werden. 

* 

* * 

Vielleicht wird man mir einwen— 
‚den: Man hält die Poeſie für Kunſt, 
und doch ift fie nicht mechanisch. Aber 
‚ich leugne, dab ſie eine Kunſt jei; 
auch ift fie feine Wiſſenſchaft. Künſte 
und Wiſſenſchaften erreicht man durch 
Denken, Poeſie nicht; denn dieſe iſt 
Eingebung: ſie war in der Seele 
empfangen, als fie ſich zuerft regte. 
Man follte fie weder Kunſt noch Wiſſen— 
‚schaft nennen, fondern Genius. 





* 
* * 


Chineſiſche, indiſche, egyptiſche 
Alterthümer find immer nur Curioſi— 
‚täten: es ift Sehr wuhl gethan, ſich 
und die Welt damit bekannt zu machen ; 
zu fittlicher und äfthetifcher Bildung 


‚aber werden fie uns wenig fruchten. 


* 
* * 


Eine freie Seele kommt in Gefahr 





‚frech zu werden, wenn nicht ein edles 


Kind verhält, jo das Verhältnis Volt: | Wohlwollen das fittliche Gleichgewicht 


heit zum Bolle ausdrüdt. 
zieher muB die Kindheit Hören, nicht 
dus Kind. Der Gefeßgeber und Regent 


Der Er: herſtellt. 


* 
* * 


Wer gegen ſich ſelbſt und Andere 


die Vollheit, nicht das Volt. Jene wahr ift und bleibt, befigt die ſchönſte 
Spricht immer dasjelbe aus, ift ver= Eigenſchaft der größten Talente. 


nünftig, beftändig, rein und wahr. 
Diejes weiß niemals vor lauter Wollen 
was es will. Und in diefen Sinne 
joll und kann das Geſetz der allgemein 
ausgeſprochene Wille der Volkheit fein, 


| 


* 
* * 


„Ich glaube einen Gott!“ Dies 
ift ein ſchönes, löbliches Wort; aber 
Gott anerkennen wo und wie er id) 





_ 362 
offenbare, das ift eigentlich die Selig: | ruft aus: „Ich möchte fie heiraten, 
teit auf Erden. ‚nur um fie prügeln zu dürfen.“ 
a | .4 


Die Literatur verdirbt ſich nur in 


Trefflihe Männer leben in einer, 2 : — 
Art von Verzweiflung, daß ſie TE Pe die Menſchen derdor 


jenige, was fie amts- und vorjchrifts- 


mäßig lehren und überliefern müſſen, , — 
an und ſchädlich in j mit wahrhaft Gleichgeſinnten laun 
man ſich auf die Länge nicht entzweien, 
FR, man findet fich immer wieder einmal 
j zufammen; mit eigentlich Widerges 
Welher Gewinn wäre es für's finnten verfucht man umfonft Einigteit 
Leben, wenn man dies früher gewahrt | zu Halten, es bricht immer wieder 

würde, zeitig erführe, daß man mit) einmal auseinander. 

feiner Schönen nie beſſer fteht als — —— 
man feinen Rivalen lobt. Alsdann — — 
geht ihr das Herz auf, — fie macht >, bt Menſchen, die auf die 
Euch zum Pertranten, und Ihr über | Mangel ihrer Feinde ſinnen: dabei 


eugt Euch mit Freuden, da e eg lommt nichts heraus. Ich habe immer 
feid, — * * — ge» Auf die VBerdienfte meiner Widerjacher 


Hört, wenn Ihr guten Humor genug| dt gehabt und davon Vortheil ges 
habt, Andern die abfallenden Blätter | FIN 2 
zu überlafjen. * * 
Das Publikum will wie Frauen— 
zimmer behandelt fein: man foll ihnen 
Ein lebhafter Mann, ummillig über | durchaus nichts fagen als was fie 
da3 Betragen eines Frauenzimmers, | höcen möchten. 





er 
* * 


Briefe über die Ehe. 


Von Raymund Mayr, 
(Fortfegung und Schluß.) 


II | es nicht vorzieht, ſich ganz dem derben 
—*— Kneipleben mit all ſeinen Ausſchwei— 
% allen wir vorerft die junge, fungen hinzugeben, aus dem er für 
el Männerwelt Revue paſſieren; fein Mannesalter in den  meilten 
„halb ift fie falt, halb ift fie roh“. Fällen phyſiſche Gebrechen oder, was 
Schon der Student fühlt fein Müth- noch ſchlimmer iſt, Gleichgiltigkeit, 
hen an dem flüggen Yräulein: er Stumpfheit, ja Mißachtung gegen das 
knüpft zarte Beziehungen auf der Weib davonträgt. Oder er ift ein 
Gafje an und macht ein Plaifir oder, eitler Schwäßer, der im Salon oder 
vielmehr einen UIE daraus, wenn er im Ballſaal den Mädchen alberne 












303 


Schmeicheleien, glatte Afltäglichkeiten, 


fagt, ein Gefühl heuchelt, das er 
nicht empfindet, nicht zu empfinden 
vermag, an das er nicht glaubt, und 


ih für die interefliert, deren frivol= 
fofettes Weſen feine Sinne reizt oder, 
deren reiche Mitgift ihm ein behag« | 
liches Leben in Ausficht ſtellt, die 


Schönheit der Seele kümmert ihn nicht. 


der Herzensdrang, die tiefe, innige 
Neigung, die die Seelen verbindet. 
Daher treibt auch die Liebeszeit, von 
‚der die Dichter fingen und noch Mäd— 
hen träumen, nur mehr die Eranfhaft 
verkümmerte Blüte der Sentimenta- 
lität und Eraltation oder fie bewegt 
ih im Alltagsgeleiſe hohler Con— 
venienz. Ich kann Ihnen diefe Zeit 


Diefe blüht und duftet bejcheiden und windigen Liebesglüds mit den weni— 
nur allzu oft verwelft fie al& die gen Worten jchildern: fie haben Sich 
Blume der Entjfagung. Es iſt der kennen gelernt, ohne fih zu kennen, 
brutal nüchterne, des idealen Auf- | fie haben ſich verliebt, ohne fich zu 
Ihwungs bare Sinn der männlichen lieben, fie Haben fi) dann verlobt, 
Jugend, der auch die weibliche ent- um ſich vielleicht zu Heiraten. Aus 
feelt. Die Unſchuld, die zarte Blüte einer folchen Blüte wird dann auch 
des Gemüthes, die im Marne zur | eine kümmerliche Frucht ; die im Taumel 
HDochherzigkeit, zur edlen Treue reift, der Berliebtheit oder aus materiellen 
beiigt heutzutage oft der Knabe nicht Gründen geſchloſſenen Ehen ſind ſelten 
mehr; eine begreifliche Erſcheinung iſt glücklich, ein langer Brautſtand, der 
dann die blafierte Ueberlegenheit der den Liebenden Gelegenheit giebt, die 
Jünglinge. Echtheit und Beſtändigkeit ihrer Nei— 
Wer aber vom Weibe gering denkt, gung zu erproben, zeitigt immer eine 
der mißbraucht es vor der Ehe und beſſere Frucht; die Liebe, die durch 
mißachtet oder mißhandelt es in der, Leiden und Kämpfe geht, erringt mit 
Ehe. Und wenn diefe als Joch, als | ihrem fchmerzgebornen Glück zugleich 
Gefängnis — matürlih nur für den die tiefe Inmerlichleit und Weihe und 
Mann — verjpottet wird, wenn er die Jugendliebe, die freu und freudig 
fie als den bequemen Dafen betrachtet, ansgeharrt, grünt auch in der Ehe 
in dem er nad den Stürmen feiner frifch und Fröhlich fort. Ich kann nicht 
Jugend, led an Geift und Körper, umhin, Sie hier an die bekannten, 
Anker wirft, wenn unglückliche Chen oft citierten Worte Schiller's zu er— 
auf Schritt und Tritt wie Denkſteine innern: 
begrabener Träume, Wünſche und) 
Hoffnungen warnend auf dem Lebens— 
wege ftehen, im welchem Lichte muß 
die Ehe der Jungfrau erfcheinen ? Sie 
fieht, warum die Männer heiraten: | Sehen wir uns nun borerft die 
der Eine braucht eine Pflegerin, ein vornehme Ehe an. Bon der Hoch— 
Anderer eine Daushälterin, der Dritte zeitsreife aus Paris oder Italien, 
eine Frau zur Repräfentation, der wie es die Mode verlangt, zurüdges 
Vierte die Mitgift für fein Geſchäft, lehrt, tritt das Paar in ſeine neue 
der Fünfte heiratet zum zweiten Male geſellſchaftliche Stellung ein; fie machen 
feiner Stinder wegen, der Sechäte wird und empfangen ihre Beſuche, je mehr, 
Thor in feinen alten Tagen und freit deſto beſſer, er führt ſeine junge Frau 
ein junges Weib, der Siebente will's in die Welt-Promenaden, Concerte, 
einmal mit der Ehe probieren — die, | | Theater, Soireen, Bälle, ein Vergnü« 
facramentale Zahl ift voll. Ein ober= | gen jagt das andere. Wie freien fie ſich 
flächliches Gefallen, das Strohfeuer ihrer Jugend, ihres Glückes! Er it 
der Verliebtheit, fehließt in diefen und ftolz auf feine Frau, auf ihr gejell« 
den meiften Fällen den Bund, felten ſchaftliches Raffinement, aufihre Schöne 


„Drum prüfe, wer fi ewig bindet, 
Ob fih das Herz zum Herzen findet, 
Der Wahn ift furz, die Neu’ ift lang.“ 


364 


heit, auf ihre Toiletten; ſie ſchwelgt | wahr geichildert ? Bedenten Sie, gnä- 
im eitlen Stolze, als Fran bewundert, |dige Frau, dab fie der Gegenftand 
umjchwärnt, von den Mädchen beneidet |der allgemeinen Aufmerkſamkeit iſt, 
zu fein. So verrauſcht das erfte Jahr, daß man auf fie Tieht und fie wie 
die Schönfte Zeit der Ehe. Aber ihre eine Mode nahäfft, wie eine noble 
ftillen, innigen Freuden, die im trau- Paſſion. Die Eorruption verbreitet ich 
lichen, häuslichen Beifammenfein, im ja immer von oben nach unten, denn 
jeligen Alleinfein des jungen Liebesz | fie beginnt da, wo der Luxus herrfcht, 
glüdes blühen, Haben fie nicht gemoflen | und jo Hat auch die bürgerliche Ehe 
und jo Haben fie es verläumt, ihre ihr gefundes, kräftiges Weſen längft 
Liebe dauernd zu begründen. Sie verloren. Die Sucht, es Andern gleich 
gehen im leeren BVBergnügungen und zu thun und mehr zu gelten, als man 
Aeußerlichkeiten auf, und das innere iſt, ſchädigt tief ihr inneres Leben. 
Leben des Geiftes und Gemüths, das | Die Genußſucht ift auch der Krebs— 
allein die Bürgſchaft ift für das Glüd | ſchaden der bürgerlichen Ehe, der die 
der Ehe, bleibt ihnen verloren. Sie, | Zufriedenheit, die Freude an der Häus— 
die mit Sorgen und Entbehrungen, | lichkeit, die Eintracht zeritört, und da— 
diefen gefährlichen Feinden der Ehe, | durch noch verderblicher wirkt, daß die 
nicht zu kämpfen haben, die die Mittel | Gatten auch in ihren VBergnügungen 
befigen, ihr Leben mit allem Schönen | verfchiedene Wege gehen. Bor Allen 
zu umgeben, im edlen, geiftigen Ger | aber if das Wirtsbausteben des Mannes 
nüffen ihr Empfinden zu läutern und die Quelle ehelicher Zwietracht. Wenn 
in dieſem Beftreben zugleich ihre Herzen | er ſchon nach dem erften Jahre, oft 
immer feſter aneinanderzufchließen : fie | fon nah den Flitterwochen, feine 
haben im den meilten Fällen fein Ver- alten Gewohnheiten, die im täglichen 
Händnis dafür; gewohnt, nach außen | Beſuche des Wirts- und Kaffeehaujes 
mit anderen Menjchen zu leben, lang- beitehen, wieder aufnimmt und feine 
weilen ſie fih, wenn fie allein find | Mupeftunden, die feiner Fran gehören, 
und werden jo Sich fchließlich fremd. | bei feinen Spiele und Zechgenoſſen 
Sie verfammelt ihre Freundinnen in verbringt, wenn feine Zärtlichkeiten 
ihrem Salon zu Saffee, Thee und ſich in Derbheiten, ja in Brutalitäten 
Medifance, er treibt allerlei Baflionen. | verwandeln, jo führt er die Enttäu— 
Bald entartet dieje Zerftrenungsincht: | ſchung herbei, der dann Gleichgiltigkeit 
fie gefällt fich in pifanten Liebesafferien, | und Abneigung folgen. Diefe Iuftigen 
er ſouteniert Theaterdamen, Jedes geht | Gefellichaften, in denen die Zote Herrfcht, 
jeinen eigenen Weg, welchen fie nicht | die den Geift verflahen und das Ge— 
jelten vom Altare weg mad) gegen- müth verwildern! Kaun der Manır, 
jeitigem Uebereinkommen einschlagen. |der die Gattin um folcher Vergnü— 
Selbft in dem Kinde, das ihnen der gungen woillen vernachläffigt, fie be= 
Himmel ſchenkt, Finden fie micht das |glüden, kann er fie ftart und edel 
Glüd der Häuslichkeit, das Glüd der|beherrfhen? Er wird vielmehr, um 
liebevollen Elternforge: die Mutter, | würdig zu vollenden, Diejenige, die 
die natürliche Pflicht einer falfchen | über feine Lieblofigkeit ſich abhärmt, 
Eonvenienz unterordnnend, Hat es nur|deren Summer ein ftiller Vorwurf für 
geboren, um es von bezahlten Menfchen | ihn ift, und die ihn langweilt, fchlechter 
pflegen und erziehen zu laſſen; fie| behandeln, als Diejenige, deren Leicht» 
will durch dasjelbe in ihren geſell- finm ihm bequemer ift, die durch Vers 
Ihaftlihen Gemohnheiten und Rück- | ftellung und Sofetterie feinen Launen 
lichten nicht geftört, fie will micht | und Sinnen zu fchmeicheln weiß. Es 
Mutter fein. . ift eine traurige Thatfache, daß die 

Habe ich die vornehme Ehe zu — | unmürdigften Männer die beiten Frauen, 


— — — — — — — 


365 


und die herzlofeften rauen die beiten 
Männer heben. Wenn wir dies nicht 
als ein brutales Naturfpiel anjehen 
wollen, fo gibt es mur die eine Er- 
Härung dafür, daß die Ehen zu leicht: 
finnig geichloffen werden. Und dabei 
it der Mann der aggreflive Theil, e3 
wäre denn, daß er Jich aus leichtgläu— 
biger Verliebtheit umgarnen läßt, und 
eh’ er ſich's verliebt, im Joche gebt; 
wie aber Geſetzesunkenntnis nicht ent— 
Ihuldigt, jo ift der Mann auch für 
feine thörichte Heirat und das daraus 
folgende Unglüd verantwortlid. Er 
fann ſich darüber tröften und thut es 
auch gewöhnlich, während die Frau 
im Banne ihrer Häuslichkeit, bei ihren 
Kindern ihr Alleinjein doppelt ſchmerz— 
ich empfindet. Die Frauen Hagen aljo 
nicht mit Unrecht, daß die Männer in 
der Ehe ſich jeher zu ihrem Nachteil 
verändern, daß fie gleichgiltig, launiſch, 
profaifh werden, daß fie von den, 
was fie als Bräutigame verheißen 
und veriprochen, nichts erfüllen. Wür— 
den die Männer ihre Frauen zu ihren 
Lebensgefährtinnen im beiten Sinne 
des Wortes machen dadurch, dak fie 
diefelben an ihrem innern und äußern 
Leben theilnehmen laffen, jo würden 
fie Geift und Gemüt ihrer Frauen 
beichäftigen und befriedigen und dieſe 
würden nicht auf leere Vergnügungen 
verfallen, ja derſelben ſich vielleicht 
allmählich entwöhnen. Es kommt nur 
anf die richtige Behandlung au, und 
Sie werden mir gewiß zuſtimmen, 
gnädige Frau, wenn ich behaupte, daß 
das Weib, es müßte denn ein Unge— 
heuer an Hochmuth, Launenhaftigteit 
und Oberflächlichkeit fein, immer zu 
beiiern und für das wahre Glüd der 
Ehe zu gewinnen ift, wenn der Mann 
mit ſtets gleicher Güte, Derzlichleit und 
Liebe, der in manchen Fällen etwas 
von der fraftvollen Energie eines 
Petruccio beigemifcht fein kann, au 
dDiejem Werke arbeitet. Ach kann es 
mir wenigftens nicht denfen, daß ein 
ganzer Mann nicht ſollte jein Weib 
zum Rechten lenken können — mir, 








fällt dabei das Märchen vom Zorn— 


braten ein. Zarter drüdt ſich der be= 
kaunte Bodenftedt’she Spruch aus: 
Frauenfinn ift wohl zu beugen, 
Iſt der Mann ein Mann und jchlau.. 

Man kann mit dem „beugen“ 
zufrieden fein. Freilich Fehlt unjerer 
heutigen Männerwelt das gejunde, 
fraftvolle Wefen, das das Weib zum 
anſchmiegenden Gehorfam zwingt, und 
jo find fie emtweder armjelige Pan 
toffethelden, von Ihren Frauen mehr 
bemitleidet als geliebt, oder frivole 
Lebemänner, brutale Philifter und 
tyranniſche Pedanten, von ihren Frauen 
mehr gefürchtet al$ verehrt. Das ſtarke 
Geſchlecht iſt alfo auf dem beften Wege, 
feine Hegemonie über das ſchwache zu 
verlieren. 

Wenn in der arten römischen Re— 
publit der Mann der abjolute Herr 
feiner Frau war, und die Ehe als 
strenges Nechtsinftitut eine  feltene, 
allerdings ſeelenloſe Reinheit zeigte, 
jo war das wohl ein Zuftand, der 
fih mit einem aufgellärteren Rechts— 
bewußtfein verlieren mußte, obwohl 
die Spuren der väterlichen Autorität 
ih bis ins vorige Jahrhundert ver— 
folgen laffen. Der heutigen Ehe nun 
könnte, zum Vortheil ihrer Eintracht 
und ihrer erſten Prlicht: einer ver- 
Händigen, einheitlichen Kindererziehung, 
ein größeres, dem humanen Charakter 
unferer Zeit entiprechendes Maß von 
männlicher Superiorität, ich möchte 
jagen ein mänmnlicherer Geift nur för— 
derlich fein. Freilich ind Ernſt, Tiefe 
und Kraft, die männlichen Tugenden, 
aus dem gejeflichaftlichen Leben ges 
Ihwunden und es Herrchen Eitelfeit, 
Egoismus und Eigenjinn, die männ— 
lihen Schwächen, in demjelben und 
daher auch in der Ehe; die weiblichen 
wuchern dabei ebenfalls im üppiger 
Blüte und jo ift die Ehe der Tummel— 
plaß aller Mihverftändniffe und Ver— 
fehrtheiten, Statt die Stätte reinen, 
zufriedenen, ſchönen Wirfens und Ges 
nießens. 


366 


II Frucht gegenfeitigen Erkennens ift, die 

" | Derzen untrennbar verbindet — und 

Cie find meinen Ausführungen noch zuweilen ihr goldenes Licht in 
mit liebenswürdigem Intereſſe gefolgt, |das wüſte Menjchentreiben wirft. 

gnädige Frau, und ich jehe in Ihren Es heißt, daß in der Ehe alle 


Augen einen Schimmer freudiger Zus Poen hinſchwinde und die nüchternſte 


ſtimmung — trotzdem fürchte ich des |". „eyg.: j ae 
Guten Khon zu vie gethan zu haben, Wirtlichteit N: nr es gibt eine 
denn obwohl Bücher über die Ge Poeſie, welche ber Siebe das Derz und 
. der Ehe die Seele gibt, die das Weib 

gefchrieben worden find, jo meine ih |, M — ie die Erd 
doch, die Quinteflenz davon laſſe ſich ns — —— er a dei er 
. 0. den Himmelsthau: es ift die Poelie 
in prägnanter Kürze am eindrings | .g far hingebenden Gefühls, die 
lichften zu Gemüthe führen. Es iſt — —— ee, 

ae =. ; Poeſie der Treue. Aus ihr quillt alle 
freilich dabei die Frage, ob Überhaupt S Hänpeit alle Freudigkeit und Zu- 
eine folhe Wirkung ausgeübt werden icht a 3 
fönne, ob im Lärm und in der Genus verſicht. 
ſucht des heutigen Lebens die zur Ein— Menn Zwei, die fich in Freuden 
fachheit mahnende Stimme gehört werde. |und Leiden erprobt und ohne Falſch 
Man liest jo viel, daß man die rechte gefunden haben, für das Leben ver- 
Empfänglichkeit für tiefere ae aus der Kirche treten, fo tragen 
jchon verloren hat, und man ift fo fie die Seligkeit und Demuth als Heilige 
jeher auf Unterhaltung erpicht, daß Flammen im Herzen in ihr Heim, Da 
man die heitere und pifante Lectüre | herrfchen die Genien führer Eintracht, 
jeder andern vorzieht. So würde ein | heiterer Zufriedenheit und opferwifligen 
jrivoles Buch über die Ehe Auflage | Pflichtgefühle. Ihr Haus, das mur 
um Auflage erleben, aber den ernften, trauliche Behaglichkeit erfüllt, ift ihre 
die Gorruption aufdetenden Aufſatz Welt; jelten ſuchen fie Vergnügungen 
darüber wird man langweilig finden. |auf und immer gemeinfam. Sie nimmt 
Man will ja nicht an das felbjtver- Jan feinem geiftigen Leben, an der 
ſchuldete Unglüd erinnert werden, man | Arbeit und den Sorgen feines Berufes 
vermeidet es, in den Spiegel zu fehen, |verftändnisinnig theil, er Hört Ihr 
im dem man fein blafiertez und leiden- gerne zu, wenn fie von ihrem häus— 
Ichaftsverzerrtes Antlitz erblidt. . . . lichen Schaffen erzählt; fie begeiftern 
Vergebung für diefe Abirrung! Nicht ſich an allen Hohen und Schönen in 
mit dem Mißton zorniger Erregung, Kunſt und Literatur; in weiten Wan— 
fondern mit dem reinen Accord bes |derungen ftärfen fie ihren Körper und 
geilterten Aufſchwungs, mit dem er= |erfreuen und erfriichen fi an der 
hebenden Ausblick in jchöneres Gelände | Herrlichkeit der Natur. Wie eine Mutter 
will ich meine Briefe ſchließen; ich iſt fie um Ihn bejorgt: fie Hütet feine 
will Sie aus der Wirklichkeit in eine | Gefundheit, bereitet ihm taujfend Be— 
Ideal-Ehe entführen. Denken Sie da= | quemlichkeiten; fie ift feine Freundin, 
bei nicht an eine romanbafte Liebe, die mit Zartgefühl und Feinſinn ihn 
die in ungefunder Sentimentalität Hinz |zu behandeln weiß; fie ift fein guter 
Ihmachtet, oder alle Ertravaganzen | Kamerad, der im Unglüd ihm treu 
durchläuft, nicht am die im Treibhaufe zur Seite fteht. Er liebt und verehrt 
elterlicher Fürforge künftlih groß ge= | fie darıım mit immer größerer Jnnigfeit; 
zogene gehorfame „Liebe“ der für ihre Heinen Fehler überfieht er, feiner 
einander beftimmten Kinder, noch an eigenen Schwächen gedentend, die er 
jene jchnellen, eine Heirat erzwingenden |einzugeftehen gerecht genug ift. Sein 
Verlobungen, fondern an die geſunde, | männlich Starkes, offenes Weſen ift ihr 
innige Liebe, die die langſam reifende | Hort, ihr Glüd, ihre Schöne, reine Weib- 








367 


lichkeit entzüdt und erhebt ihn und fo 
ergänzen und veredeln fich Beide. 

In ihren Kindern aber leben fie ein 
höheres Leben. Der Segen der Eltern— 
liebe, die fie gebildet, ift der Genius, 
der am ihrer Wiege fteht. Mit inniger 
Freude, mit liebevollem Ernſt, eine 
trächtigen und verftändigen Sinnes 
erziehen fie ihre Kinder zu nützlichen, 
gemüthvollen Menjchen. Durch ihr ine 
neres, reiches Leben wirlen fie ſegens— 
voll nah außen; aber ihre Familie 
ift ein ſtreng geichlofj’ner Kreis, un— 
berührt von fremden Einflüffen, ein 
fleiner, doch blüihender, mächtiger Staat. 

Die Frau, die nur ihrem Manne 
und ihren Kindern lebt, mag in der 
Geſellſchaft befpöttelt werden und für 
einfältig gelten, aber in Wahrheit ift 
fie gleich einer Königin mit allen weib- 
lihen Tugenden geſchmückt, vor denen 
die Damen der Geſellſchaft mit ihrer 
fofetten Liebenswiürdigfeit und ihren 
glänzenden Zoiletten betteların find. 


Auch der Mann ehrt die Reinheit und 


Würde feines Hausftandes, fein Fa— 
milienfinn und feine Treue mehr als 
allen äußeren Glanz und die bejtechend- 
ften Eigenfchaften, und er wird im 
Öffentlichen Leben nachdrücklicher und 
woblthätiger wirken durch feinen in 
Gatten- und Waterliebe geläuterten 
Charakter. Allen Anfechtungen und 


Lebensweg wandeln, fie nüßen in gleicher 
Weiſe durch ihre leuchtendes Beifpiel. 

Die Ehe ift fo von tiefem und 
weittragenden Einfluß auf die einzelnen 
Menfchen, die fie über ihr kleines 
Selbſt erhebt, und auf die Geſammt— 
beit, indem fie Sitte und Sittlichkeit 
feftigt und fördert. Das ift ein be— 
fanntes, aber leider nur theoretiich 
gewürdigtes culturgefchichtliches Arion. 
Es gebe weniger Elend, moralijches 
und materielles, wenn die Ehen, ich 
ſage nicht glüdlicher, aber einträchtiger 
wären; Zwietracht erzeugt Unzufrieden— 
heit, Erbitterung, Daß, die Ordnung 
und Wohlfahrt des Haufes, der Exi— 
ſtenz werden untergraben, Verwilderung 
und Elend brechen herein. . . 

Und ift die Eintracht ein jo un— 
erreichbares Ziel? Wenn die Ehe nicht 
mehr nur den Geldintereffen und an— 
deren materiellen Motiven diente, wenn 
fie nicht mehr oberflächliches Gefallen, 
fondern gegenfeitige Neigung bei freier, 
vernünftiger, d. h. entfprechender Wahl 
Ihlöhe, dann wäre wohl die erjte Be— 
dingung der ehelichen Eintracht erfüllt. 
Freilich muß auch die Erziehung der 
‚jungen Generation eine andere, eine 
‚weniger äußerliche, und mehr das Ge— 
müth bildende fein; vor Allem aber 
‚muß eine edlere Auffaflung der Ehe 
plaßgreifen, oder fie müßte, wie einft, 





N) 





Tüden der Menfchen begegnet er mit in die engen Grenzen einer frengen 
Gleichmuth, in den Stürmen des Ge: | Sitte gebannt werden. Ein noch fernes 
ſchices fteht er feft und ohne Wanken. Ziel — und doch liegt hier die Wurzel 
Mann und Weib in umerfchütter- |der gejellichaftlihen und Staatlichen 
liher Eintracht, im förperlicher und | Wohlfahrt, denn der wahre moralische 
geiftiger Gefundheit, wie fie echte Liebe | Fortſchritt muß bei der Ehe anfangen. 
gibt — was fann da kommen, ihren Es war ein Blid in das gelobte 
Frieden und ihr Glück zu ftören? die Land der Ehe, gnädige Frau, der uns 
Armut drüdt und erniedrigt fie wicht, mit Wehmuth, aber auch mit der 
der Reichthum macht fie nicht Hoch» | Hoffensfreudigfeit erfüllen mag, daß es 
müthig und hart. Ob fie nun auf) fpäteren Generationen einmal befchieden 
folzer Höhe ftehen oder ftifl ihren ſei, dasfelbe wieder zu betreten. 





Soll der Scaufpieler während der Darktellung — 
oder nicht? 


Bon Eugen Sierke. 





yo Zeit zu Zeit pflegt dieſe Dieſe Widerfprüche laffen ſich leicht 
— M Streitfrage immer wieder auf- erklären. Sie beweiſen eben die Ver— 
— und die ſtärkſten Meinungs-⸗ ſchiedenartigleit der Gaben und Talente, 
fämpfe hervorzurufen. Daß das große mit denen die Damen ausgerüſtet 
Publikum, welches nur die Wirkungen waren. 
des fünftlerifchen Schaffens, nicht aber Mer Menfchen darftellen will, ſoll 
die Mittel desfelben intereſſieren. 1id) | und ihr Inneres glaubhaft machen. 
bierüber wie über andere das Weſen Nicht die bloße, durch Uebung zu er— 
der Schaufpieltunft betreffende Theorien | Ternende Fähigkeit der Nachahmung in 
meiſt im Unklaren befindet, wird nicht Geberde, Ton, Bewegungen und Maste, 
verwunderlich erjcheinen. Wohl aber fondern die fiberzengende Wahrheit in 
muß es befremden, daß ſelbſt in den ‚der Ausmalung der Seelenzuftände 
Kreifen der ausübenden Künftler eine macht den Sünftler aus. Es ſoll uns 
große Begriffsverwirrung befteht, die fremdes Leid, fremden Zorn, Fremden 
fich gelegentlich zeigt, wenn man auf Haß, Nührung, Jubel, Ergriffenheit, 
die Zeugnifle der Berufsgenoffen zurück— Verʒweiflung und wie die tauſend— 
greift. fältigen Erregungszuſtände der Seele 
Bor einigen Jahren trat dies wie— ſonſt heißen mögen, fo darftellen, daß 
der in überrafchender Meile zutage. die Abſichten des Dichter: zu er— 
als Jemand eine Reihe von Künſtle- ſchöpfendſter Geltung gelangen und wir 
vinnen zu Aeußerungen über ihre, glauben, die veredelte Wirktichkeit auf 
Empfindungen beim Spiele aufgeforz | der Bühne zu fehen. Man nennt das 
dert hatte. Wie geumdverfchieden lau- die Erzeugung der künftlerifchen Illu— 
teten damals die Auffchlüffe! Die Eine‘ ‚fion. Mie vermag der Künstler Diele 
behauptete, ganz über den Empfin= ‚Vollendung in der Nachahmung der 
dungen der Rolle zu ftehen, die Ans | Natur anders zu erreichen, als indem 
dere, ganz im denfelben aufzugeben, er ſich an die darzuftellende Geftalt 
eine Dritte wußte nicht einmal darüber gänzlich hingibt, mit ihr Eins wird 
Rechenſchaft zu geben, wie ihr zu und alfo gewilfermaßen mit feiner 
Muthe fei, und eine Vierte erllärte, | Perfon in ein fremdes Ich untertaucht ? 
dag ſie fih in das Seelenleben ihrer Denn nur dann entfteht die künftlerifche 


Nolle nur dann vollftändig einzuleben 
und es fich anzueignen vermöge, wenn 
die Geftalt ihr wahlverwandt jei, dann 
aber auch den höchſten Grad von Poefie, 
deilen ihre Seele fähig ſei, in diefelbe 
bineinzulegen. Und wohlgemerkt waren 
alle Zeuginnen Darftellerinnen 
Bedeutung. 


von 


Illuſion im Zuſchauer, wenn fie fich 
vom Darfteller auf diefen überträgt. 
Nur wahre Kunſt wirkt auch auf 
Andere mittheilend. Und nur das iſt 
‚wahre Kunſt, was auf alle urfprünglich 
funftempfänglichen Seelen gleich er— 
greifend wirkt. Ein Schaufpieler, der 
den Dichter zu feinem Rechte und den 


369 


Zufchaner zu feinem vollen Genuſſe ſchönheit zu wahren wiflen, dem Zone 
fommen lafjen will, muß alfo vor | die abwechslungsreichen Färbungen ver= 
allen Dingen die Lebhaftigkeit der leihen, die Stärke der Accente richtig 
PhHantafie, die poetiſche Aufnahms- | bemeifen und überhaupt im begeifterten 
jähigfeit und die Schnelligkeit des | Schwounnge ihrer poetifch erregten Seele 
Hineinlebens in ein fremdes Sein gewiſſermaßen hellſeheriſch die rechten 
befigen, welche die unbedingte Bor: Kunſtmittel wählen und den Zufchauer 
ausfegung des Geſtaltens einer —— dadurch ergreifen. Aber auch 
den Perſönlichkeit bilden. Schmerz ganz das Gegentheil läßt ſich beobach— 
und Freude, Zorn und Verzweiflung, ten. „Es gibt Schaufpieler von Ein— 
Liebe und Haß müfen aus dem ficht und Gefühl,“ jagt Iffland in 
mitbewegten eigenen Innern des feiner Theorie der Schaufpielfunft, 
Künftlers quellen, alle Empfindungen | „von fo reizbarem Gefühl, daß ihre 
und Bewegungen des darzufteflenden | Thränen wirklich fließen, wenn fie 
Seelenlebens einen Antheil an feinem |xührende Sahen auf der Bühne zu 
eigenen Innern befigen. Aber mit reden haben; gleichwohl find fie ſo in 
diefem Vermögen, das lebendig er: | Manier verloren und verfunfen, daß 
faßte innere Sein einer dichteriichen | ihr Ton fortwährend unwaähr bleibt, 
Verfönlichkeit auf die eigene Seele | indem ihre Thränen die Wangen hinab- 
ſtimmend und erregend einwirken zu | laufen. — Dahin kann der Mißbrauch 
laffen, um dann Die betreffenden von Tönen führen, deren janfte An— 
Affecte aus dem eigenen Born dich» fchwellung und wallende Bewegung 
terifcher Mitempfindung zu ſchöpfen das Publikum vormals entzüdt Hat, 
und zur Barftellung zu bringen, |und die, weil man des Guten nicht 
ift noch fein wirklich fünftlerifches | genug haben konnte, im zitternde, lang 
Schaffen gegeben. In der Jugend und | gedehnte, jeelenlofe Verſchleppung aus— 
bei leicht flimmbaren Gemüthern wird | geartet find. Wollten fie ernftlich dieſem 
freilich die ehrliche Begeifterung für großen Uebel abhelfen, fo jollten fie 
edle Menschlichkeit, das gerührte Mit: | ſich gewöhnen, rührende Stellen eine 
gefühl mit dem Schmerze und dem |zeitlang ganz ruhig auszufpredhen, um 
Unglüd Hinreihen, um die Grunde nur mach und nad, fehr felten, und 
forderung des Kunſtſchaffens zu er- fogar noch weniger als von Anfang, 
füllen, die Leffing alfo formuliert: den Ton wieder zu gebrauchen, der 

ihnen eigen ift und Antheil gewonnen 


Kunft und Natur hatte. — Gewöhnlich aber hält es fehr 
e i d Bü Gi 3 ’ . 3 
u N —* An —— ſchwer, es iſt ſogar beinahe unmöglich, 


Dann hat Natur mit Kunft gehandelt. Schauſpielern, welche in dieſen Fehler 
verfallen find, die Ueberzeugung zu 

Dies gilt mamentlih von den geben, dab fie im Unrecht find.” — 
Janften, empfindungsvollen Frauen- Hieraus ergibt fi, daß die bloße 
geftalten und von den feurigen, ſtür- | Fähigkeit der Aneignung dichteriicher 
miſchen Jünglingen. Wo aber die) Empfindungen für ein vollfommenes 
Iprifchen Grundtöne aufhören, da würde | fünftlerifches Schaffen bei Weitem nicht 
der bloße Empfindungsichaujpieler for | ausreicht. Die Schlußfcene in „Maria 
fort im rathlofe Verlegenheit gerathen. | Stuart“ wird in jedem moch nicht 
— 63 gibt Schaufpieler, mehr aber | ganz abgeftumpften Frauengemüth — 
noch Schaufpielerinnen, die inflinct | deilen fann man wohl gewiß fein — 
mäßig in derlei Rollen, im denen fie | die gerührtefte Mitempfindung erzeu— 
eben voll und rein die Schön geſtimmten | gen, und dennoch: wie felten ſieht man 
Saiten ihres eigenen Innern erflingen | gerade diefe Stelle künſtleriſch befrie— 
laſſen dürfen, die Grenzen der Kunſt— |digend, d. h. mit der ganzen ſeelen— 


Rofegaer's „„Grimaarten‘*, 5. Geft, XI. 24 





370 


vollen Hoheit überirdiſcher Verklärung, 
die Schiller darin ausgedrückt hat, zur 
Wiedergabe bringen. 

Ich kenne eine große Schaufpie- 
lerin von Weltruf, die, wenn fie rüh— 
rende Scenen darzuftellen hat, Scenen, 
in denen ihre Figur Die Trägerin | 
ſchweren Leidens bildet, fich von der 


Eituation jo beherrfchen läßt, daß fie 
die bitterften Thränen weint und im, 


dem dichterifchen Schmerze ganz auf: 
geht, und dennoch ift ihre ſonſt mit, 
Recht fo gepriefenes Spiel in ſolchen 
Augenbliden keineswegs von vollendeter 
Kunſtſchönheit, fondern es wirft weis 
nerlich. Sie weil; die Töne nicht fünft- 
leriich abzumägen. — Aehnliche Be— 
obachtungen fann man bei Männern 
machen. Obſchon die Zahl Derer, die, 
wie man es in der Hunftiprache nennt, 
in ihrer Rolle wirklich leben, immer 
jeltener wird, fo gibt es ihrer doc 
noch an manchen Bühnen. Es find 
meift junge, gährende Talente von 
außerordentlih ſtarker Phantafie und 
der noch underdorbenen Sugendbegeiftes 
rung für den noch wenig erprobten 
Beruf, feurige Stürmer, in denen die 
heilige Flamme der Poefie noch un— 


entweiht lodert und die dem frommen | 


Wahne huldigen, daß jie mit der ganzen 
Macht des in ihnen wohnenden heiligen 
Geiſtes, wenn fie nur ihre volle fünft- 
leriſche Perföntichkeit einfeßen, Bergever- 
fegen können. Sie jpielen am liebſten 
den Ferdinand in „Gabale und Liebe“, 





denschaft wie ein Zerrbild! Immer 
noch ſehe ich einen höchſt talentvollen 
jungen „Meininger”“ durch dieje vöflig 
naturaliftifche Spielweife die fchönften 
| Anfäße verderben, die Laien befremden 
und abftoßen, die Nenner dagegen 
mit theilnehmenden Bedauern erfüllen. 
‚Schade, ſchade, ſagle man, um fo viel 
edles Feuer. 

Mit der bloßen Unmittelbarfeit der 
‚Empfindung | rihtet man, wenn man 
nicht gerade ein ſchauſpieleriſches Genie 
iſt, ebenſowenig aus, wie mit der 
feinſten, verſiaadesmaßigen Klügelei. 
| Gewiß ift große natürliche Leiden- 
Schaft unter allen Umftänden ein Kenne 
zeihen genialer Anlage. Aber den 
Künſtler macht fie allein nicht, und 
der Berblendete, welcher etwa glaubt, 
ih auf fie ausſchließlich verlaffen zu 
dürfen, wird im nicht zu langer Zeit, 
wenn er Fühler und älter geworden, 
ein unleidlicher Manierift und Fratzen— 
macher werden. Man Hut dies au 
großen Borbildern erlebt. Ich nenne, 
um nicht neuere zu verlegen, nur einen 
als Beijpiel: Wilhelm Kunſt. Was 
Diderot über diefen Punkt in feinen 
Bernerkungen über das Spiel Garrid’s 
bemerkt Hat, ſtimmt mit dem heute 
gangbaren Auffaffungen noch voflftäns 
dig überein. Er verlangt daß der 
Schaufpieler in feiner Thätigfeit immer 
ein deal vor feiner Phantaſie lebendig 
ftehen babe, nach dem er die Nach— 
ahmung der Natur veredelt. Wer ſich 











den Mortimer in „Maria Stuart“, nur feinem perjönlichen Empfinden 
ja fogar der bei den Theaterleuten fo | überläßt, gibt ungelänterte Natur und 
ſehr verpönte Bradenburg iſt ihnen ! wird, je nad) feiner Stimmung, bald 
eine begehrenswerte Aufgabe, wie über: | gut, bald ſchlecht fpielen. Nicht die 
haupt alle idealen Jünglingsgeftalten, | Junprovifation, fondern nur das Durch— 
in denen eine flammende Leidenschaft denien feiner Rolle kann feine Schöpfung 
der Liebe und wilder Schmerz den auf die Stufe des höheren Kunftichaf- 
tragischen Grundton bilden. Wehe der | fens erheben. Vor allen Dingen ift 
Liebhaberin, die ihnen zu nahe fommt | natürlich diefe geiftige Durchdringung 
— Sie Hat am anderen Tage blaue dann nöthig, wenn der Darfteller eine 
Flecken und zerriffene Spigen. Aber | Geftalt harakterifieren und ihr be= 
wie ſelten liefern dieſe vulcaniſchen lebende Einzelzüge verleihen will. Da 
Kraftgenies künſtleriſch befriedigende wir es hier aber vorzugsweiſe mit der 
Schöpfungen! Wie oft klingt ihr Ton | Unterſuchung des Verhältniſſes des 
ſchrill, wirkt ihre Accentuation der Leis | Affectes und des Pathos zum Künſtler 





zu thun Haben, fo kann diefer Punkt 
unausgeführt bleiben. 

Am beften Hat unftreitig Shake— 
jpeare im „Hamlet“ die Frage nach 
der Empfindung des Schauspielers be= 
handelt. Auch er verlangt vom Schaue 
jpieler Empfindung, aber fie ſoll von 
der künftlerifchen Einficht in den rechten 
Grenzen gehalten werden. Es ärgert 
ihn, wenn die Schaufpieler die Leis 
denſchaft ſtoßweiſe und im ungleichen 
Verhältniſſen geben, wenn ſie dieſelbe 
„in Fetzen, in rechte Lumpen zer— 





am 


denfen. Nur der mittelmäßig begabte, 
und geübte Darftellee wird beftändig 
feinen Geift in den Partien des Her— 
zens und der Leidenschaft als Patronifle 
umberjenden müſſen, die „Halt, wer 
da?” ruft, Jobald ein großer Moment 
naht. Um beim Spiele zu wiljen, wie 
weit man zu gehen hat, ift das Stu— 


dium der Nofle, find die Proben da. 


Iſt der ſelbſtſchöpferiſche Künſtler (und 
nur don dieſem kann hier die Rede 
ſein) hierüber mit ſich im Reinen, hat 
er durch die lange Schule der Uebung 





reißen, um den Gründlingen im Par- gelernt, ſich im Zügel zu halten, fo 
terre in die Ohren zu donnern, die) wird er nicht nöthig haben, die aljo 
meiftens von Nichts wiſſen, als ver: | verdaute Rolle Abends auf der Bühne 
worrenen, ſtummen Pantomimen und‘ von jeiner Selbftbeobadhtung kritiſch 
Lärm.” Man muB fich Hierbei daran gängeln zu laſſen. Die fißt ihm feſt 
erinnern, daß die dramatiiche Literatur im Blute; er kann fie gar nicht anders 
zu Shakeſpeare's Zeit vorzugsweise! fpielen und thut's auch nicht. Wie oft 
aus rohen, lärımenden Staatsactionen | habe ich beobachtet, daß ein Schau— 
beftand, bei denen die Schauspieler fich | Ipieler, der eine Nolle mern fhudiert 
im Bombaft und Toben zu überbieten | hatte, diefelbe von A bis 3 in der= 
juchten. Daß er die durch künſtleriſche ſelben Weiſe ſpielte, obſchon man ihn 
Beſonnenheit controlierte und geleitete überführt hatte, daß er hier und da 
Mitempfindung nicht verwirft, beweist ſich geirrt — es iſt eben unendlich 
die Scene, in welcher der Schaufpieler | Schwer, das, das man einmal künſt— 
die Probe liefert. leriſch in fih aufgenommen und fich 
Ifl's nicht erftaunlich, daß der Spieler hier, | I eigen gemacht, nachher zu cortt« 
Bei einer bloken Dichtung, einem Traum | gleren, umzugeftalten und gewiſſer— 
Der Leidenihaft, vermochte jeine Seele maßen aus dem Blute auszuftoßen. 


a en — Wie käme es denn, daß der Künſtler 
ab ſe 1 ‚| «x FR 

Eein Auge naß, Beftürzung in den Mienen, | jo häufig * jeiner ‚Stimmung ab» 
Gebroch'ne Stimm’ und feine ganze Haltung , Hängig iſt und daß ihm beim beſten 
Gefügt nah feinem Sinn, und das Alles Willen nicht Alles, was er beabſich— 


— um Nichts! 
m Hecuba!“ 


Würde Shaleſpeare, wenn er dieſe 
Mitbetheiligung des Schauſpielers prin— | 


tigte, völlig gelingt, wenn er micht 


| fein ganzes Jh für feine Geftaltung 


einzufegen genöthigt wäre ? 
Und doch gibt es Künſtler, die 


cipiell als fehlerhaft betrachtete, davon | dies leugnen oder mindeftens durch 
fo viel Aufhebens gemacht Haben? Nun ihr Verhalten beweifen, daß fie es 
lann man dagegen erwidern: „Wer! thun, fogar große Künftler. Aber diefe 
jo in der freien Natur lebt, daß er werden niemals den Zufchaner in 
ih ganz mit ihr Eins fühlt umd fein) feinen innerſten Yafern zu paden ver- 
eigenes Ich vergißt, kann doch in mögen, fobald fie jeelifche Aeußerungen 
ſolcher Ekftafe nicht zugleich auch feine | darzuftellen haben, bei denen das Ge— 
Eubjectivität, den kritiſch wägenden müth in Frage fommt. Man gehe mir 
und wachenden Verftand über ſich jelbjt doch mit der Behauptung, die man 
zum Anfſeher ſetzen?“ Gewiß nicht. | von den NRoutiniers fo oft hört, welche 
Aber fo ift auch das Schaffen des | die Kunft nur als milchende Kuh be- 
Kiünftlers im höheren Begriffe nicht zu | handeln, daß fie bei Hinreichender Ver— 


24* 


372 


ftellungstunft mit vollendeter Täuſchung aus der Unmöglichjeit, alle Seiten 
darftellen fönnten, wovon das Herz | der menfchlichen Natur fich künſtleriſch 
nichts weiß. Alle Erfahrung und alle; zu eigen zu machen. in genialer 
Theorie widerfpriht dem. Bon der Künftler bleibt bei aller Bevorzugung 
berühmten Blairon, einer der herborz durch leicht bewegliches Temperament, 
ragendften Schaufpielerinnen des franz durch Feuer und Begeifterung, durch 
zöfifhen Theaters (1723— 1803) hat raſche Auffaffungsfäbigfeit eine bes 
man ftet3 behauptet, fie fei nicht in- ſtimmte Individualität, ein Einzel— 
nerlich genug, was fie an Empfindung mensch mit beſtimmten Neigungen, Vor— 
und Leidenschaft gebe, fei Kunft, voll: | zügen und Schwächen. Erhält er eine 
endete Kunſt, aber doch zu wenig Rolle, deren Charaktereigenthümlich— 
Natur. Sie jelber Hat in ihren Me—  feiten feinen eigenen Anlagen und Nei— 
moiren eingeftanden, daß fie das nicht gungen fo fremd ift, daß ihre Aeuße— 
empfinde, was fie fpiele. „Indem ich | rungen in feinem Innern fchlechterdings 


mich meines Entwidlungsganges er— 
innere, verzeiht man mir hoffentlich, 
wenn ich zugleich daran denke, wie oft, 
ih über die Thorheiten gelacht habe, 
die ih Hören mußte, wenn man mir 
einen Vorwurf daraus machte, daß ich | 
Kunſt Habe. Nun, was follte ich denn] 
fonft haben? War ich denn im der 
That Rorane oder Armenaide? Sollte 
ih denn diefen Rollen meine eigens, 
thümlihen Empfindungen und meine! 
gewöhnliche Art und Weile geben? 
Nein, ganz gewiß nicht. Was fonnte 
ich denn alfo ftatt meiner Gedanten, 
Empfindungen, kurz meines ganzen 
Weſens geben? Kunſt, weil es nichts 
anderes gibt.“ Ja wohl, aber man 
verlangt vom Künſtler, daß die frem— 
den Empfindungen die Saiten feines 
Innern jo lebhaft in Schwingung ver— 
jegen, daß man glauben müfle, er gebe 
fein Eigenes. Es iſt eben micht die 
Kunſt, fondern die zur Natur zurück— 
gefehrte Kunft, welche man vom Künſt— 
ler verlangt. Dies führt nun auf eine 
andere Seite des künſtleriſchen Schaf- 
fens. Selbſt die größten Genies der 
Schauſpielkunſt, die nicht nöthig haben, 
darüber zu wachen und zu grübeln, 
daß der Geift nicht die künſtleriſche 
Schranke duräbreche, bei denen eben 
Alles göttliche Eingebung ift, und die 
daher finden, ohne lange zu fuchen 
— auch fie haben eine Grenze, über 
die fie nicht hinaus können: die Grenze 
ihrer Begabung in quantitativer Hin— 
licht. Woher kommt dies ? Lediglich | 

















nicht anflingen, jo wird er im günſtig— 
ften Falle mit aller Aufwendung von 
Eifer und Können nur eine gute Durch— 
Ichnittäleiftung, aber fein vollendete: 
Spiegelbild der Natur zu bieten im 
Stande fein. Wie foll Einer, dem die 
eherne Energie und die diaboliiche 
Kälte eines Alba ganz und gar nicht 
eignet, dieſe Rolle täufchend wieder— 
geben? Wie joll ein Schaufpieler, dem 
der Sarkasmus md die ätzende Schärfe 
des Ausdrucks mangelt, welche Mephifto 
charakterifiert, eine derartige Rolle er: 
ihöpfen ? Es ift nicht möglich. Was 
nicht innerlich eine verwandte Saite 
berührt, kann fein Echo weden. Womit 
natürlich nicht gejagt fein joll, daß 
ein guter Darfteller der jcharf mar— 
fierten Charakterroflen ein fchlechter 
Menſch jein müſſe. Denn die bedeu- 
tenden Künſtler haben eben vor den 
Ihmwächeren die größere Bieljeitigfeit 
ihres eigenen Ich's voraus, die Tie 
auch gejellihaftlih uns jo interefjant 
macht. Auch dies beweist, daß der 
Künstler innerlih in Mitleidenjchaft 
gezogen werden muß, wenn ev über: 
zeugen fol. Wem dies nicht gelingt, 
der ift eben nur ein „Unempfinder“. 
Daß auch ſolche das urtheilsloje oder 
lich nicht die Mühe des Denkens gebende 
Publikum fortzureigen vermögen — 
wer hätte jolches nicht Schon „Schaue 
dernd miterlebt” ? Ein jehr befaunter 
und gerühmter Gaftipiellünftler, den 
man heute für einen der erjten Cha— 
rafterdariteller Deutichlands hält, be— 


-— 


fommt es fertig, in der Rolle des 
„Nathan“, in der Scene mit dem 
Ktofterbruder, worin Ddiefer jenem in 
Erinnerung bringt, wie er ibm einft 


—— 








find; fie Alle haben die Innigkeit und 
| Ehrlichkeit ihres Empfindens als einen 
Stolz ihrer Kinftlerfchaft betrachtet, 
und nur die fogenannten Birtuofen, 


das gefundene Kindlein im die Arme die mit Einzelzügen und Kleinmalerei 
gelegt Habe, und Nathan ganz von ihre Charakteriftil aufpugen, durch das 
Rührung überwältigt ausruft: fortwährende Ableiern der nämlichen 
—— Rollen aber die Friſche des Empfin⸗ 
Tas Kind, trug's auf mein Lager, tußzr dens verloren haben, begnügen ſich 
e8, warf mit jenem Talmigefühl, deſſen tieffte 
Mid auf die Knie und ſchluchzte! Gott!| Wurzeln mur bis in den Stehltopf 
Toh nun ſchon a hinabreichen. 

j Es ift nicht ſchwer, aus der Ge— 
nach diefen inbrünftigen Worten feinem | fchichte der Schaufpiellunft die Rich— 
Partner verftohlen eine alberne Gri- |tigfeit diefer Auffaffung des künſtle— 
mafje zu ſchneiden, die dieſen gänzlich ‚rischen Geſtaltungsproceſſes an Bei— 
aus der Stimmmmg wirft, als Wie berühmter Meifter darzuthun. 


jagen Joll: Einer der Bernfenften für feine Kunſt, 
Nathan! Nathan! 


Ihr jeid ein Chriſt! — Bei Gott, Yhr 
jeid ein Chrift ! 
Fin befierer Chrift war nie! 


Wird man behaupten wollen, dal; 
diefer Künſtler die Rolle gut jpielen 
werde? An Wirklichkeit thut er es 
auch nicht. Denn während man feinen 
niephiftophelifchen Gebilden die höchite 
Schärfe und Treue nahrühmt, weil 
man, dab ihm für die innige Gemüths— 
tiefe großen und edlen Menſchenthums 


der große Seidelmann, hat fein Lebtag, 
wenn er auf die Art des Kunſt— 
Schaffens zu Sprechen kam, gegen nichts 
jo ehrlih und heftig geeifert, als 
gegen die Leichtfertigkeit, mit der 
unfundige Goflegen das Weſen der 
Darftellung in die möglichit lebendige 
Wiedergabe ihrer eigenen Empfindung 
ſetzten. Altes’ der Phantafie überlajjen 
und die Befonnenheit als ein Hin— 
dernis des höheren Kunftichaffens be= 
zeichneten. Nah feiner Anſchauung 





dev üÜberzengende Ton mangelt und kann erſt die vegelnde und läuternde 
ſeine vielbewunderte Kunst zum Kunſt- | Kraft der Ueberlegung mitten in der 
handwerkerthum herabſinkt. Für die lebensvollen Auffalfung, welde die 
Zuverläffigfeit diefer höchſt bezeichnen- Phantafie liefert, den Charakter zur 
den Aneldote bürgt die unbezweifelbare vollen Entfaltumg afler feiner mannig- 


Ehrlichkeit des Darftellers des Kloſter— 
bruders, der mir diejes Erlebnis mit— 
theilte. Man hat auch Schröder derlei 
Allotria nachgeſagt. Indeſſen find fie 
nicht zweifellos machgewiefen. ber 
wenn fie es wären, wiirden fie eben 
eine Abnahme feiner künstlerischen Straft 
und ein beflagenswertee Berjinfen in 
die frivole Gewohnheit des Couliſſen— 
Icbens beweifen. In der Vollkraft feines 
Könnens hat Schröder feine Zuhörer 
ſtets durch die Wahrheit feines Spiel? 
hingeriſſen. Und Gleiches gilt von allen 
großen Künſtlern, die nicht durch die 
Reclame emporgepäppelt, fondern von 
Kennern als ſolche anerlannt worden 


faltigen Eigenſchaften bringen. Auch er 
verlangt daher vom Künſtler zunächſt 
die Verſenkung in den darzuſtellenden 
Charakter vermittels ſeiner reichen, 
poetiſch anregbaren Phantaſie, aber 
aus dieſer heraus vermag nur der die 
Aeußerungen ſeiner Lebensthätigkeit 
im Einzelnen ausarbeitende Verſtand 
ein volles und täuſchendes Abbild der 
Wirklichkeit zu liefern. Auf's Höchſte 
enpören konnte es ihn, wenn man 
feine Phantaſie durch unpaflende Neben- 
dinge ſtörte: ein Beweis dafür, wie 
lebendig, troß der waltenden Beſonnen— 
heit, im ihm die Jllufion wirkte. 
Nötjcher, der mit kundigem Sinn eine 





374 


Lebensbefchreibung des großen Künſt- Willen zur Wirklichkeit zurüdführte. 
lers gefchrieben hat, theilt in derfelben | Der Schaufpieler muß über der Menge 
zwei zornige Briefe Seydelmann's an fpielen, und um dies zu fönnen, muß 
ein paar Schaufpielerinnen mit, die er fih in der Gewalt Haben.“ In 
in einer Vorftellung, während fie jelbft | einem vom Jahre 1814 datierten 
gerade nicht im Action waren, durch! Briefe ſagt er weiter: „Ye mehr ich 
frivolen Uebermuth den Künſtler in ah, lieber Freund, defto eifriger ſtu— 
feinem Schaffen geNört hatten. Welch’ dierte ich, und je eifriger ich ftudiere, 
Heiliger Exrnft erfüllte ihn in der Aus- defta mehr bekräftigt fich meine Ueber— 
übung feiner Kunſt! Garrid, Schröder, | zeugung von der Ungleichheit der 
Talma, die Nadel und viele Andere, | Schauspieler, die nur mit der Empfiu— 
in denen das göttliche Feuer fich nicht dung fpielen. Man kann von ihnen 
im ein gemaltes Gouliffenflämmchen ver= niemals etwas Einheitlihes erwarten. 
wandelt hatte, beftätigen die Auffaſſung Ihr Spiel ift abwechjelud bald Frafts 
Seydelmann’3 von dem Verhältmiffe voll, bald ſchwächlich, warm oder kalt, 
zwischen Empfindung und Ueberlegung. | erhaben und platt, wohingegen der mit 
Und umgekehrt lehrt das Beifpiel Lud- | Üeberlegung jpielende Künftler, der nur 
wig Devrient’S, der Alles aus feiner ſolche Wallungen gibt, welche er geübt 
allerdings genialen Phantafie heraus und nad der Natur ftudiert Hat, im 
ſchuf, daß auch das größte Können, | allen Borftellungen derfelbe fein wird 
das ih nur auf die Eingebung ver- (natürlich ift nur die eine Rolle ges 
läßt, feine Schranfen an denjenigen | meint). Er hat Alles wohl abgewogen, 
Charakteren findet, die, weil fie feiner, angepaßt, gelernt und in feinem Kopfe 
Individualität Fremd find, ganz be- geordnet. Seine Hitze hat ihre Stei— 
fonders die Regulierung vermitteld des gerung, ihren Gipfelpunft, ihre Ab— 
Verftandes verlangen. Dies ift die nahme — Anfang, Mitte und Ende.“ 
Erklärung dafür, daß Devrient's Dar- | Je idealer ein Charakter gezeichnet iſt, 
ftellungen edler Menschlichkeit meift an deito wachjamer muß der Berftand 
einer auffälligen Eintönigkeit des Bor- fein, um zu verhüten, daß die ſchöne 
trages litten. „In allen Rollen, welche, Empfindung, das edle Menfchenthun, 
edle Formen forderten, find ihm diefe nicht zur bloßen Tonmalerei oder zu 
Mängel zum Vorwurf gemacht wor= ; weichlicher Nührfeligkeit wird. Mer 
den, und was mehr noch: ift ex fih den Poſa fpielt, muß mehr darauf 
derjelben ſchmerzlich bewußt geweſen“, achten, daß er nicht zum Nachmittags» 
bemerkt Ed. Devrient über ihn im feiner , prediger wird als der Darfteller des 
Abhandlung „Leber Theaterfchulen.” | Carlos. So ſchön die Empfindung in 
— Außerordentlich intereffant ift, was | Jenem fich äußert, die Ueberlegung ſoll 
der große Talma im diefer Hinſicht den Stab bilden, an dem das innige 
von ſich felbft berichtet. „Ich Habe,“ | Gefühl ſich emporranft. 

jo bemerkt er, lange Zeit nur aus der Leider gebricht es dem Publikum, 
bloßen Eingebung heraus geſpielt, in- ſelbſt dem durch häufigen Theaterbefuch 
dem ich mich ganz den mich im Augen- an Hören gewöhnten, in den meiſten 
blicke beherrſchenden Empfindungen hin- Fällen an der nöthigen Feinheit und 
gab und ganz und gar vergaß, daß Uebung des Gehörs, um lediglich 
ih Talma ſei, um mir einzubilden, reflectierte Empfindung, die alſo keine 
ich ſei Achill oder Orosman; aber ganz iſt, von der unmittelbaren, durch Kunſt 
von der Erſchöpfung zu ſchweigen, im | veredelten zu unterfcheiden. Bei geübten 
die mich diefe Methode verjegte, war| Schaufpielen von ſchönen Mitteln it 
ih auch ungleich: ich war gut, wenn! dies Bermögen allerdings eines der 
ich mich jo geſtimmt fühlte, ſchlecht, fehwierigften, weil es vom Hörer vor— 
wenn eine perjönliche Sorge mich wider | ausjeßt, daß er in jedem Momente 

















— — —— 


375 


mit der Sonde der Kritil prüfe, ob 
ein Ton wahr oder erheuchelt klingt. 
Und zum Sritifieren beſucht man in 





ſchützte mich weder die Feierlichkeit in 
der Behandlung meiner Aufgabe, noch 
das Nichtverftehenwollen chnifcher An— 


der Negel nicht das Theater. Aber |fpielungen; und meine Stellung — 
oft wäre doch mehr Sritif auch für |lieber Gott! fie lag ganz und gar in 
den Künftler jehr heilfam, denn dann den Händen Desjenigen, der mich auf 
dürfte er Sich nicht folche VBerhöhnungen | der einen Seite empörte, auf der an— 
feiner Aufgabe erlauben, wie ſie fich | deren zur Bewunderung zwang.” 

der oben erwähnte Gharakterdarfteller Derartige Veifpiele einer chniſch— 
oder Heinrich Marr, auch einftmals | niedrigen Auffaffung des idealen künſt— 
unter den Berufenen einer der vor⸗ | ferifchen Berufs ließen ſich noch in 


nehmſten, nach dem Zeugnis von Anna 
Löhn zu Schulden kommen ließ. Von 
ihm, dem gefeierten Meiſter, berichtet 
die Verfaſſerin des höchſt intereſſanten 
Buches: „Aus der alten Conliſſen— 
welt“ (Leipzig, 1883. W. Friedrich) 


des Leipziger Stadttheaters in der 
Rolle der Judith in „Ariel Acoſta“ 
auftrat, Folgendes: 


als fie zum erften Male auf der 35 


Menge anführen, denn e3 wird leider 


immer Rünftler geben, welche von dem 
Piedeſtal ihres Schaffens allmählich 
herabgleiten und ihre Göttin mit einer 
Bırhlerin vertanfhen. Sie mögen, 
wenn fie große: Geſchick befigen, auch 
dann noch mit dem blendenden Flitter— 
werk hochausgebildeter Technik und den 
ſchlauen Künften eines wohlgejchulten 


„Ein Wunder theatraliſchen Gauklerthums die Maſſen 


war's, daß mich das Gedächtnis nicht fäuſchen: große poetiſche Wirkungen 
verließ, als ich fterbend die Schluß | zu erzielen, die Herzen zu bewegen 
worte Judith's hauchte und mein un- md die tiefiten Geheimniſſe der Seele 
tröftlicher Bater (nämlich Manaffe van | zu entfchleiern wird und kann ihnen 
der Stranten — Marr) Bemerkungen niemals gelingen, denn dazu bedarf 


an meinem Dalfe flüfterte, die eher in 
eine Komödie des Ariftophanes als in 
ein modernes Traneripiel paßten. Zus 
gleich trat er Denjenigen, welche die 
Sterbende ftüßten, auf die Hühner- 
augen, daß fie hätten laut aufjchreien | 
mögen. Die Coflegen bei den tleinen | 
reifenden Gefellichafiten hatten aller— 
dings ähnliche ftörende Gewohnheiten 
an ſich gehabt. Ich erfuhr Hier durch= | 





es eines reinen Empfindens und eines 
höheren Aufſchwunges des Geiftes zu 
jenen Höhen, auf denen das Göttliche 
thront. Wer feine Kunſt zum gemeinen 
verſtandes haßigen Handwerf erniedrigt, 
der hat jein Paradies auf ewig ver— 
loren. 


Diefen trefflihen Aufſaß haben wir 


mit freundlicher Bewilligung des Berfaflers 
der „Täglichen Rundſchau“ (Berlin) ent: 


aus nichts Neues. Aber fie ftanden nommen. Wir benüßen die Gelegenheit, um 
ja eben tief unter dem hochragenden wieder einmal auf die vielen Vorzüge des 


: : f | genannten Blattes hinzuweiſen. Walt jede 
Meister der Schaufpiellunft und trieben Taste Orinat Aha eat. biete dei 


nicht ſelten die übermilthigften Poſſen, voue Artikel, deren Intereſſe und Wert weit 
wenn fie am wenigften von ihren über den Tag hinausgehen. 


Rollen wußten. . . .. Hier dagegen D. R. 


Eine verſchollene Stätte Iudenburgs. 


Don Alfred 


5 iſt eine Stätte des Friedens, 
, von welcher ich bier ſpreche. 

Der erſte milde Früglingsabend 
lodte mich über das engere Weichbild 








Schmelzer.*) 


die rechts umd links vom 
Wege ftehenden Hütten und Häuschen 
nur flüchtig betrachtend, welchen das 
Gepräge der Armut Schon am der 





der Stadt Judenburg hinaus auf jene! Stirnjeite aufgedrüdt ift. Dier lebten 
lieblihe und zugleich geheimnisvolle, | einft Unfreie, Hörige; jebt treten uns 
von dunklem Walde gefrönte Höhe, freie Leute unter der Thüre ent— 
welche fich jenfeits des Purbaches ober= | gegen. Dies und die freundliche, fried« 
halb des nahegelegenen Burgfrieds der liche Miene derfelben, als fie meinen 


Weyervorſtadt erhebt. 

Die heitere Stimmung, welche mid) | 
auf der furzen Wanderung gegen 
Süden zu erfüllte, wich beim Anz | 
blide des ruinenhaften Schloffes jener 


milden Wehmuth, die uns beim Ans Stadt und 


Schauen der Ueberreſte 


Zeiten zu ergreifen pflegt. Es 


aus dieſem Heim gezogen batte; Tie 
waren dem  veligiöfen und  politis 


ſchen Treiben ihrer Zeit zum Opfer! 


gefallen; und heute ift ihre einft herr— 
ſchaflliche Wohnftätte der unreinliche 
Wohnſitz einer armen Arbeitercolonie. 
Der ſchmächtige Burgbach umſpülte 
zu ihren Zeiten noch nicht ſo ſchmu— 
tzig ſchwarz die Außenmauern dieſer 
Burg; erſt der Neuzeit war es be⸗ 
ſtimmt, ſeine kryſtallhellen Wellen durch 
das Grundwaſſer des tiefer im Graben 
zurüdliegenden Sohlenbergwertes zu 
trüben und feine ſtygiſchen Fluten 














der grünen Mur rauſchend zuzu— 
jenden. 


Gruß erwiderten, erinnerte mich wie— 
der daran, daß wir uns jetzt doch 
beſſerer Zeiten erfreuen; der Arbeiter 
und der Landmann aber, welche noch 
immer über die Herrenleute in der 
über deren Bedrüdung 


vergangener | lagen, mögen hierher fommen und 
war den Segen der neuen Gefeße bewun— 
nicht ganz ihre freien Wille, deſſen | dern. 
Macht die angeltanımten Beliger einſt Armut, 


Die Zufriedenheit inmitten der 
das frische, üppige Grün der 
nahe berabhängenden Matten mit 
ihrem prächtig duftenden Blumenwerk, 
dies Alles ließ mich von Neuem die 
erite Wärme der erwachlen Frühlings— 
ſonne und der Segnungen der wieders 
erftandenen Nächſtenliebe nachempfin— 
den. Vor einem der gedachten Häus— 
chen ſaß auf der kurzen ſchmalen Bauk 
ein mir bekannter Arbeiter des nahen 
Eifengewertes; man Jah es ihm aı, 
wie ihn des Tages Mühen erjchöpft 
"hatten, und dennoch erhob er ſich 
höflich und raſch von feinem erſt kurz 
vorher eingenommenen Sitze auf der 
erwähnten Bank und nahm zugleich 


ſeine friſch geſtopfte, eben angezündete 


Ich verließ auf meiner Wanderung Pfeife aus dem Munde, als er ſah, 
feine Ufer und wandte mich dem Burg- daß ich mich ihm zuwendete. Er kam 


*) Diefer uns von dem Herrn Bürgerfhullehrer Schmelzer in Judenburg zu: 
gegangene Aufja mag für as Alterthumsforſcher und für die Lejer der gt hell 


„Die Chriftveiper*, Heimgarten, X. Jahrg. 


von Intereſſe fein. e Red. 


mir mit feinem Gruße zudor und 
zum Dante Ind ich much bei ihm für 
einige Augenblide auf feine Bank zu 
Gafte. So ſaßen wir beifammen und 
plauderten zunächſt über Alltägliches ; 
da ich aber bald erkannte, daß mein 
nen gewonnener Gefellichafter ein 
frisches Gedächtnis und eine gute 
Beobachtungsgabe beſaß, fragte ich 
ihn unter Anderem auch darnach, ob 
er nicht wüßte, ob und wo auf 
diefer füdlichen Seite der Stadt ein 
alter Grenzftein mit dem bewußten 
Stadtwappen und Friedkreuze zu 
finden ſei. Da wußte er mm freilich 
feine Auskunft zu geben; aber noch 
während er feine Unkenntnis bedauerte, 
überlief fein Mienenjpiel ein Ausdrud, 
welcher deutlich verrieth, daß er ſich 
auf das Innigſte freute, endlich Je— 
mand gefunden zu haben, dem er das 
nöthige Berltändnis und Intereſſe zu: 
trane, ſich eine Mittheilung von Bes 
lang erzählen zu laffen, damit er fie 


dann wirdige und benüße. Sp er: 
fuhr ich demm Folgendes: Vor etwa 


32 Jahren Half mein Gewährsmann 
als junger Arbeiter bei der Ber: 
beiferung des nahen Waldiveges, wels 
cher don der ſogenannten Papier— 
mühle zum Kohrerbauer binaufführt. 
Der Weg duch dieſe Maldftrede 
mußte num im Sabre 1854 tiefer 
gelegt und beſſer geordnet werden: 
dabei fie man beim Graben auf 
mehrere voilftändig erhaltene Menschen 
jletette, neben und über denen größere 
und Kleinere Steinplatten lagen. (Zivei 
Stelette gehörten Frauen an, welche 
mit goldenen Hauben beftattet. wor— 
den waren. Die Hauben find nicht 
mehr zu erfragen. Die gefundenen 
Soldmünzen u. NM. m. Waren- von 
den Findern an fich genommen wor— 
den.) Eine von den Platten war be: 
fonders gut erhalten und als man 
fie umkehrte, fand es fich, das fie auf 
der nach unten zugewandten Fläche 
vollftändig mit Schriftzeichen bededt 
war. Sie fcheint zufällig fo günftig 
umgeftürzt zu fein. Seiner der Au— 


weſenden verftand es, die Schrift zu 
lefen; aber allgemein gewann man 
die Ueberzeugung, es feien auf diefer 
wie auf den übrigen Platten jüdische 
Gharaltere gefchrieben geftanden, wes— 
halb ſich auch bald die Arficht ver— 
breitete, daß hier ein jüdischer Gottes— 
ader geweſen jei. Einige Taglöhner 
glaubten nun im ihrer Rohheit ein 
Vergnügen darin fuchen zu müſſen, 
nit den gefundenen Gebeinen gottes= 
läfterlihe Scherze zu treiben und die 
Steine zu zertrümmern. Erſt nad 
vielem Zureden gelang es den Ge— 
mäßigteren, ihnen eine beſſere Geſinnung 
einzuflößen; leider waren aber ſchon 
‚alle Platten bis auf die eine gröhte 
zerbrochen. Die zerjchellten morſchen 
Gebeine wurden von meinem Gewährs— 
manne wieder verfcharrt, die erhaltene 
große Platte ſenkte er fo tief in die 
Erde ein, daß nur ein Heiner Theil 
der Schrift über dem Erdboden jicht- 
bar blieb, diejer obere Theil des Stei— 
nes aber zugleich als Grenzftein zwi— 
ſchen dem Wald und der angrenzenden 
Miefe gelten fonnte. 

Dem Erzähler war während diejer 
Mittgeilung das Feuer in der Pfeife 
ansgegangen; als er erfuhr, daß er 
mir durch feine Nachricht eine nicht 
geringe Ueberraſchung bereitet hatte, 
vergaß er Jogar, fie von Neuem an— 
zuzünden und er erbot fich fofort, 
mir die Stelle zu zeigen, wo er den 
Stein noch in. fpäten Jahren immer 
wieder gefehen. Wir waren. vafch auf 
den Füßen umd in wenigen Minuten 
hatten wir die unferem Ausgangspunfte 
zjugeneigte Matte an dem Waldesſaume 
entlang erftiegen, von wo aus betrach— 
tet ſich vor dem Ange das überaus 
freundliche Bild der jenfeits des Pur— 
baches auf der Höhe gelegenen Stadt 
‚in einem neuen Rahmen und auf 
veränderten" Dintergrumde ausbreitet. 
Nur geringe Reſte zeigen, von diefem 
Plate aus betrachtet, noch die Spuren 
der ehemaligen Befeftigung der Stadt. 

Noch immer hafteten meine Ge— 
|danfen an der Umwandlung, welche 





| 
| 





378 


die mittelalterliche Burgftadt im Laufe | meinem emſigen Begleiter die Ver— 
der Zeiten gefolgt war, noch immmer | legenheit an, mit welcher während des 
fchweiften meine Blicke über fie hin- haftigen Auf- und Abſuchens des 
weg zu den ſeit Menfchengedenken un- | Plaßes feine frühere Zuverficht kämpfte. 
wandelbaren Gebirgsformen der Gleine | Endlich näherte er fich mir mit der 
und Sedaueralpen, während mein | Schlüchtern ausgeſprochenen Entſchuldi— 
Begleiter ſchon an mehreren Stellen gung: „Herr,“ ſagte er, „Sie werden 
die Erde aufgeriffen, Banmwurzeln | mich für einen Lügner anfehen, da ich 
abgebogen und einzelne Steine aus) heute den richtigen Stein nicht finden 
ihrer Umarmung herausgelöst hatte, kann. Aber vielleicht ift derfelbe ſchon 
die er an der fchrägen MWegfläche zu zu tief unter dem Erdreiche verftedt, 
meinen Füßen umermüdlich auffchlich- | welches das wilde Waller feit zehn 
tete. Ich mußte ihn auffordern, ſich's oder mehr Jahren aus dem ſchlecht 
für Heute mit diefer Arbeit genügen | gehaltenen Waldwege mit am den 
zu lafjen; denn wir fanden ja auf) Saum des Waldes Heranzgefchlenmt 
fremden Boden und hatten von den | hat, denn es ift ſchon lange her, feit- 
Beſitzern noch micht die Erlaubnis dem ich bier nicht mehr gewejen bin; 
erbeten, Wieſe und Wald nach unferem | weil die Herren, denen ich vor Zeiten 
Gutdünfen umzuftechen und auszu- gar oft don diefem Stein mit der 
roden. Es genügte mir ja, mich vor Judenſchrift erzählt habe, ich um diefe 
der Hand davon überzeugt zu Haben, Mitigeilung nicht kümmern mochten, 
dab Sänmmtliche ausgegrabene Steine | fo bin ich Später auch nicht mehr here 
Bruchſtücke von größeren Platten waren, | aufgegangen. Sie dürfen e3 mir aber 
zu denen man als Material Gonglo= | glauben, daß ich ihn Hier ſelbſt ein— 
meratlalt verwendet Hatte, cin es | gegraben habe. Geftohlen kann ihn 
ftein, das unfere ehrjamen Altvor- doch Niemand baben, denn er war 
dern noch bis im das fechzehnte Jahr: ſehr jchwer.“ Und er war doch ge- 
Hundert zu monumentalen Bauten im | ftohlen worden, wenn man es jo 
Innern der Stadt von weither Gere | meinen darf; davon jpäter! 
beifchafften, ohne zu bedenken, daß Die Sonne war ſchon wieder 
diefes Material nahezu das Gegentheil hinter den Bergen, der dunkelnde 
von demjenigen fei, welches Horaz zu | Abend zwang, vom weiterem Suchen 
feinem monumentum aere perennius | abzuftehen. Ich verficherte den Sprecher 
verwendet willen will; demm der Zahn | meines feſten Bertranens auf feine 
der Zeit hatte ſich fo tief in dieſe Worte. da er mir ja doch den un— 
Steine verbiffen, daß jene am der leugbaren Beweis für die Möglichkeit 
Oberfläche gelegenen Platten feiner | feiner früheren Ausſage durch das 
vier bis fünfhundertjährigen Arbeit  aufgefundene Material von Steinen 
ihon jegt zum Opfer gefallen waren | geliefert hatte, welches zu dem Ur— 
und von diefer Mahlzeit mur kümmer- gefteine des ganzen Höhenzuges in 
liche Ueberreſte übrig geblieben ſind. keinerlei Wahlverwandtſchaft ſteht. 
Eines war ja aber doch durch die⸗ Bisher hatte man mir in der 
ſelben feſtgeſtellt: Auf dieſer einzigen | Stadt auf die Frage nad dem ehe— 
Stelle der Berghöhe lagen, an der, maligen Judenfriedhofe ältefter Zeit 
DOberflähe des Bodens micht zu tief ſtets als Antivort extheilt, derjelbe fei 
eingebettet, Bruchftüde von Muſchel- gegen Welten Hin au der Stelle des 
faltplatten, die nur durch des Merz | gegenwärtigen römiſch- katholiſchen 
ſchen Hand bier herauf getragen wor= | Gottesaders gelegen gewejen, ohne je= 
den fein konnten. doch irgend einen halbwegs genügen 
Doc wo war der früher erwähnte | den Beweis dafür beibringen zu kön— 
Stein mit der Inschrift? Ih ſah nen und ohne zu willen, daß weit im 











379 
Meften gegen Grünhübel zu, etwa in ſeine Frage zugleich zum Mitwiſſer 
der Hälfte des Weges, knapp an die eines Geheinmilfes gemacht hatte. Nun 
alte Straße anftogend, dort, wo gegen= mußte ich ja erft recht jo bald als 
wärtig mitten im Felde auf der Nord- | möglich auf die Höhe hinauf. 
feite der neuen Straße noch ein alter Bald war mein Eicerone gefunden, 
Fliederbuſch ſteht, der proteftantifche in deſſen Begleitung mir der Aufftieg 
Friedhof des fechzehnten, fiebzehnten |zu meinem Ziele auch noch durch die 
umd unter anderem Namen des acht: | Wahl des fanfter Hinanführenden 


zehnten Jahrhunderts gelegen war, es 
ſonſt aber in jener Zeit außerhalb der 


Fahrweges auf der Weſtſeite des Hü— 
gels ſehr verkürzt wurde. Die Aus— 


Stadt keinerlei chriftlichen Friedhof |blide durch die Waldlichtungen, der 


gegeben hat. 

Jetzt hatte ich alfo Hier die ältefte 
geweihte Zodtenjtätte jenes Volkes ge— 
funden, deſſen mächtiger Einfluß auf 
die Entwidelung der bürgerlichen Ver— 








gewürzige Harzduft, die offenen Blüten 
‚der Alpenflora, der milde blaue Him— 
mel, 


das Alles rief im mir diejenige 
Frühlingsſtimmung hervor, welche den 
erſten Menfchen ergriffen haben mag, 


hältnifje der Sage nad) fogar in dem 
Namen unferer Stadt wiedererfannt | Erden erlebte. 
werden fol. Sa, betrachtet man die Nach einer einftündigen Wanderung 
Lage dieſes alten Friedhofs auf der waren wir am Ziele. Der Beliker 
Anhöhe gegenüber der Stadt, bedenkt | war zuhauſe und noch damit bejchäftigt, 
man, daß von dort die jüdische Kirche im Gehöfte die Schäden des letzten 
der Ueberlieferung zufolge einft gerade Winters auszubeſſern und dasfelbe auch 
dahin blidt, wo ihre Theuern im von innen für den kommenden fchon 
Herrn ruhten, jo muß man fich ge= ‚jegt wieder inftandzujegen. Der Bauer 
radezu wundern, daß die Erinnerung war gerne bereit, uns nach der von 
an dieje Stätte des letzten Friedens | dem Gehöfte ziemlich abfeits gelegenen 
jo früh verblaßt und erlofchen iſt, Hausſchmiede zu führen; ſie dient 
da es kaum eine andere Stelle giebt, | nöthigenfalls auch zugleich als Ausge— 
an welcher die hier einft jo mächtigen  dingsitätte. Bald Hatte er mit dem 
Juden ihren Weberlieferungen und here großen Hohlſchlüſſel die Thüre des 
gebrachten Gebräuchen gemäß pafjen= , Heinen Hauſes geöffnet und wir traten 
der ihre Zodten hätten begraben in den vauchgefchwärzten Raum des 
fönnen. Schmiedeherdes. Hier deutete er mit 
Schon am folgenden Tage traf der Hand nach der Stelle, wo fich der 
ih mit zwei Belannten zufanımen, Feuerraum befindet aber vor der Hand 
darunter der Religionslehrer unferer für das offene Ange noch nichts Fichte 
Lehranftalt, welcher mich fragte, ob bar war von der großen Steinplatte, 
es mir bekannt wäre, daß beim Kohrer- und fagte: „Sehen Sie, meine Herren, 
bauer Schon vor längerer Zeit im das ift der Judenftein, bei deffen Aus— 


da er den erften Frühlingstag auf 


deſſen Hausſchmiede ein Zudenftein 


eingemanert worden ſei. Anftatt vor 
Freude aufzufchreien, daß ich alſo doc) 
auf der richtigen Fährte fei, fanden 
mir bei diefer Nachricht vor Schred 
über das Gejchid des Steines anfangs 
die Haare zu Berge; aber ftatt des 
gerechten Ausbruchs des Zornes über 
den unvermutheten Bandalisınus 
floffen Dantesworte von meinen Lip- 


grabung ich mit an Ort uud Stelle 
war. Mein Ziehvater hat ihn vor 
etwa zwanzig Jahren mit Dilfe eines 
Ochfenpaares heraufgefahren und hier 
eingemauert. Um die Schrift war e3 
freilihd uns Mllen leid, aber es hat 
fie Niemand lejen können; wir haben 
aber eben deshalb den Stein fo in 
das Gemäner eingefügt, daß fie nad) 
unten zu liegen gefommen ift. Weit 


pen an den Braven, der mich ja durch | und breit hätten wir feine fo große 


en 


und dide Platte finden können, die mal zufrieden geben. Wo fein Mörtel 
ih jo gut als Unterlage für die Glut an. den Stein gekommen war, hatte 
geeignet hätte, als wie diefe. Bier | das Feuer durch jeine Glut die Schrift 
Männer haben fie nur mit der größten | verzehrt; wo der Mörtel ſich aber in 
Anſtrengung auf den Wagen gehoben.” die gewiß ſchon zur Zeit der Ein- 
Ih war inzwilchen näher herangetreten | manerung vielfach zerftörten künſtlichen 
und ftarrte auf den Pla der Zerz | Vertiefungen des Meihels hineingepreßt 


ftörung; über dem Steine hatte durch 
die Neihe der Jahre das offene Feuer 
feine Stätte gefunden, — was war 
unter ihm geichehen? Auf meinen 


lebhaft geäußerten Wunsch und das Ver— 


Iprehen der Schadloshaltung für feine 
Mühe, entichloß er fih, die Platte 
anszubrechen und aufzustellen. Dies 
wurde von uns mit Dilfe einer ſtarken 
Gijenftange durch vereinte Kräfte rafch 
bejorgt. Die Platte zeigte nur noch 
an der linfen oberen Ede einen rechten 
Mintel; ebenfo war die obere Kante 
und Seitenfläche gleich der linfsfeitigen 
bis zu den Bruchflellen linear; die 


bat, lag eine. fteinharte Kruſte über 
den Schriftzüigen, welche auch bei der 
größten Sorgfalt, ohne Verlegung der 
arg verwitterten Platte jelbit, micht 
mehr zurüdgerufen werden können, 
wenn dies überhaupt. möglich wäre. 

„&s war einft den Bewohnern der 
Städte zu gewiſſen Zeiten,geſetzhich 
geftattet, die Grabfteine der Judenfried— 
höfe zur Ausbeſſerung und Neuerriche, 
tung der Stadtmanern zu verwenden.“ 
Dieſen Hiftorifchen Satz mußte ich mir 
einigemale im Gedächtniſſe auffrischen, 
nm bei dem Anblide diefes vernichteten 
Denkmals nicht meine Gedanken laut 





rechte Kante war fowohl durch Ver- werden zu laſſen. » In weniger als 
witteruug als zufällige Beihädigung , drei Viertelftunden waren wir wieder 
vollftändig unfenntlih geworden; den im Thal und hatten die Stadt erreicht. 
unteren Theil der Platte hatte man Ich ſchrieb damals gleich meine dies— 
behufs der leichteren Einfügung in das bezüglichen Erlebniſſe nieder, ſobald ich 
Gemäner durch Meißel oder Haue ver- | in meiner Stube wieder angelangt war,“ 
jüngend zugehanen. Bon den Buch» in der Hoffnung, durch Spätere Nach— 
ſtaden fonnte ich deutlich nur die zu grabungen an Ort und Stelle einen 
ſammenhangsloſen Zeichen: Aleph, zwei | glänzenderen Erfolg zu erzielen. Die 
Beth, ein Sni, ein Sajin erfennen; | Koftjpieligleit derſelben hat «mich jedoch 
andere Zeichen deuteten auf Kaph, Dav, bisher daran gehindert. Dafür habe 
Daleth und Reſch Hin. Bezüglich der ich gelegentlich meiner localhiftorischen 
übrigen vielen Bertiefungen des ver- Studien über Judenburg in den Sterbes 
witterten, von friſchem Kalt, Hige und | matrifen der hiefigen Stadtpfarre meh— 
Näſſe mißhandelten Gefteins ließ ſich rere untrügliche Schriftliche Beweiſe aus 


gar nichts beſtimmen; hin und wieder 
ſchien die Vocaliſation durchzuleuchten, 
der Stein mißt in ſeiner gegenwär— 
tigen Geſtalt in der Höhe nur noch 
zwei Fuß acht Zoll, in der Breite 
zwei Fuß neun Zoll, in der Dicke 
gegen ſechs Zoll. Länge und Breite 
waren ehedem beträchtlich größer; auch 
in der Dicke hat der Stein viel ver— 
loren. 

Ih mußte mich mit diefem Er— 
gebnis meiner Nachforſchung für diese 


dem fechzehnten, fiebzehnten und acht» 
‚zehnten Jahrhunderte gefunden, welche 
ganz dentlich die Lage diefes alten 
Indenfriedhofes zwiſchen dem Kohrer— 
bauerngut und der unteren Weyervor— 
ſtadt beſtimmen. Gewiß iſt, daß die ſo 
lange ganz verſchollene Stätte des alten 
„Judenfreythoffs“ noch mehr Zeugen 
birgt, welche zu dauernden Schweigen 
‚verdammt find, anftatt von den ehedem 
in diefer Stadt herrfchenden Sitten 
und Gebräuchen laut zu reden. 





381 


Blätter im Winde. 


Neuere Gedichte von Robert Hamerling. 
(Hamburg. J. F. Richter. 1887.) 


225 wäre ein Frevel, ein neues 
5 Buch von Duamerling nad) der 
gewohnten Journaliftenmanier zu bes 
bandeln. Da blättert jemand jo einen 
eben auf den Redactionstifch gelangten 
Band durch, gudt und liest, jo viel 
ih etwa während des Auffchneidens 
der Blätter guden und leſen läßt und 
Ichreibt die Necenfion. Noch gut an 
dem, allgemeine Phraſen machen nichts. 
Schlimmer, wenn im Recenſenten gegen 
den Autor ein Borurtheil, eine eine 
jeitige Anficht vorhanden iſt. Am 
ſchlimuſten aber, wenn der Scribler 
das Werk in der That liest und es 
mißverſteht. So mag ſichs ereignen, 
daß der Recenſent die Poeſien nur 
auf die Perſon des Dichters bezieht 
und demzufolge in dieſem etwa einen 
verbiffenen, menschenverachtenden Peſſi— 
miften fieht, oder einen Lebemanm und 
innlihen Schwelger, oder lediglich 
den Leibdichter einer politifchen Partei, 
u. ſ. w. 

Hamerling ſcheint ſich gegen derlei 
engherzige Auffaſſungen ſeiner Poeſien 
im Vorhinein verwahren zu wollen 
nd zwar namentlich im feinem Ge: 
dichte „Glaubt nicht dem Dichter“... . 
(Blätter im Winde. Seite 271.) 

Lehrreich in diefer Sache ift Hamer— 
lings neueftes Gedicht, welches eben in 
der Zeitjchrift: „An der Schönen blauen 
Donau“ erfchienen ift und wie folgt 
lautet: 





»Perfönlihe Bitte. 
Sagt, ih made ſchlechte Verſe — 
Sagt, ich ftehle Silberlöffel — 
Sagt, ich fei fein guter Deuticher, 
Weil aus nothgedrung'ner Nüdficht 
Der Diät fein Slavenfleifh ich 
Und fein Judenfleiich geniehe — 


Oder ich verrathe Oeſt'reich, 

Weil den Bismard ich befinge — 

' Sagt, daß mid der Gram verzehre, 
Weil man mich zu felten lobt 
Und zumeilen jhnöd verläftert — 
Aber Eines, bitt' ich, Eines 
Saget nicht: daß „Peſſimiſt“ ih — 
Daß in meinem Sang das hetzte 
Wort hat die modern:blafierte, 
Blöde, ftumpfe Dajeins:Unluft! — 
Peſſimiſt wär! d'rum der Dichter, 
Weil er fich ergeht in Klagen? — 
Juft weil ihm jo jhön die Welt 
Und jo reijend dünkt das Leben, 
Wird er jchmerzlich es bedauern, 
Wenn verjagt ihm blieb jein Antheil. 
Soll, wer Hagt, ſchon Peſſimiſt fein, 
Dann ift Peifimift auch Iener, 
Welchem ein „DO weh!“ entfuhr, 
Als ein Zahn ihm ward gerifien. 
Blaubt den Recenjenten Alles, 
Nur nicht, daß ih Peſſimiſt — 
Diefes Wort haſſ' ih: mir duftet's 
Wie nad jeiner legten Sylbe. 

Graz, 27. December 1886. 


Das ift deutlich genug und dürfte 
den Standpunkt unferes Dichters wohl 
für alle Zeit Harftellen. — 

Es ift gewiß ftet3 des Dichters Em— 
pfinden, was ihn zum Gedicht bejeelt, 
aber es iſt nicht Feines allein, es ift 
‚das Empfinden feines Volkes, der 
Menſchheit überhaupt. Und der Lefer 
thut beijer, Hinter den Ddichterifchen 
Geftalten und Iyrifchen Darftellungen 
‚eines Poeten fich jelber zu ſuchen und 
zu finden, als die Perfon des Dichters, 
‚die wohl mit anderen Mapitabe wird 
gemeflen werden müſſen, als die des 
Dutzendmenſchen. 

Hamerlings „Sinnen und Min— 
nen“ iſt ein Lieblingsbuch des deutſchen 
Volles geworden; dieſe neue Samm— 
lung wird es ebenfalls werden, es 








mühte denn fein, daß deren Inhalt 
zu tief, zu großartig und zu philoſo— 
phifch wäre. Diefe „Blätter im Winde“ 
find, mit Ausnahme von wenigen lofen 
Zünglein und Blüten, nicht Blätter, 
die im Winde flattern und leicht von 
demfelben verweht werden können, jo 
jehr fie im Sturme auch vanfchen 
mögen. Ich vermefle mich nicht, 
über den Gehalt des herrlichen Buches, 
über die Schönheit diefer neuen Poelien 
des Meifters, über die Weisheit in 
feiner Weltanſchauung, über die In— 
nigfeit feines Humors eine philoſophi— 
iche Abhandlung fchreiben zu wollen 
— Stoff dazıı wäre Übergenug da — 
ich begnüge mich, beicheiden darauf 
aufmerkfam zu machen, daß das Buch 
erschienen ift und zu feiner beiläufigen 
Charakteriſierung ein paar Probeblätter 
— als hätte fie doc der Wind aus 


382 


Auf den Lippen zergeht ein lächelnder Kuß, 

Wie Süße des Wein’s in der Kehle; 

Dod ein Kuß, den das Salz der Thränen 
gewürzt, 

Der ätzt Dir ein Mal in die Seele. 

Aus Rofenfefleln der Liebe vermagft 

Du no leiht Dich zu löfen, zu retten: 

Diamantene Bande fhlingt fie Dir 

Aus Thränenperlentetien! 


Arabella. 


Arabella, ſag', ihmwarzlodiges Kind, 

Da die Mägdlein doch küſſen müſſen, 
Wen wirft denn Du wohl im Leben zuerft 
Nah Deiner Mutter küſſen? 


Wem wirft Du ihn geben, den erften Kuß, 
| Du reizende Mädchenblüte, 

‚Den reinen Kuß, der noch Liebe nicht iſt, 
Nur Ahnung und minnige Güte? 


Wem wirſt Du ihn geben, den himmliſchen 
ſKt 


uß, 
Daß Du nicht brauchſt zu erröthen ? 
Einem Engel vielleicht? Doch die fühlen nicht, 


den Hainen des Olhmps in den „Heim- | Die lobfingen nur immer und flöten, 


garten” herüber geweht — hier mit— 
zutheilen. 


Du ganz allein, 


Du bift ganz einzig in der Melt, 

Denn fieh, Du haft mi nie gelränft — 
Mich nie gekränkt, indeflen mir 

Die ſchnöde, freche, falte Welt 

Ten Todespfeil in’s Herz geienft. — 


Ih möchte gern begraben jein 

An einem fernen, ftillen Ort: 

Tenn der Gedanfe maht mir Bein, 
Daß die, die frefiend Gift geträuft 
In meines Lebens Blütenhain, 

Mit einer falihen Thräne noch 
Beflecken meinen fiillen Schrein 
Und ftören meiner Ruhe Port. 


Du aber fomm’ — lomm' Jahr für Jahr, 
Und knie' an meinem Leichenftein; 

Häng' einen grünen Kranz darauf 

Und widme eine Thräne mir — 

Lab niemand Andern bei mir fein: 

Du haft das Recht, Du ganz allein. 


O, Thränen find ein ſeſter Kill... 
O, Thränen find ein fefter Kitt — 


‚Wenn nun fein Engel berunterfteigt 

| Aus dem Kreiſe der himmlischen Lichter, 
Um entgegen zu nehmen den erften Kuß — 
| Ruf Dir rathen: gib ihm dem Dichter! 


Und wenn Du jelber ein Engel wärft, 
Der zu irdiſchen Au'n fi gewendet, 
So viel Du haft, fo viel Du gibft, 
Bei dem Dichter ift nichts verjchwendet. 


| Qei'm Dichter wirft Du Did nicht weg, 
Braucht nichts zu bereu’n, noch zu büßen! 
Und wenn Du die Göttin Eypria wärft, 
‚Ihn mühteft zuerft Du begrüßen! 


| Rein anderer Menih auf Erden verdient's; 
Mart’ nicht auf die Engel von oben: 
Beim Dichter ift alles himmlische Glüd 
Am beiten aufgehoben! 





Auf boden Bergen ... 


Auf hohen Bergen liegt ein ew'ger Schnee, 
Auf hohen Seelen liegt ein ew'ges Weh. 


‚Den Schnee, den Harm ſchmilzt feine Sonne 
| weg, 
Die Gletſcher üÜberbrüdt fein Blumenſteg. 


Das Lieb, das nicht mit Dir geweint bat, | 


Das erſt die Luft, noch nicht der Schmerz 
Tir in wilder Umarmung geeint hat, 
Tas ift nicht Dein, das liebjt Du noch nicht, 
Das kannſt Du noch laffen, noch miſſen — 
Nur was Dein geworden in Leid und Noth, 
Das wird von Dir nimmer gerifien! 


Was um das Eis wie NRofenpurpur lobt, 
Iſt Abglanz nur von einem Sonnentod; 


Und was als Glorienſchein ein Haupt ver— 


klärt, 
Abglanz der Glut iſt's, die das Herz verzehrt. 


383 


Wehrlos. 

Du meinſt, daß, wenn im Grab, ein Müdgehetzter, 
Du liegft, dann Alles jei vorbei für immer 

Und abgethan? Du irrft! Im Grabe liegend, 
Biſt Du nit todt — bift Du nur ftumm geworden, 
Und wehrlos! 

Mas Dich in’s Grab gehetzt, Neid, Bosheit, Haf, 
Das triumphiert auch über's Grab hinaus 

Noch Über Di und ringelt züngelnd ſich, 

Als gift’ge Natter unter ftillen Blumen, 

Die jheinbar friedlih über'm Grab Dir blüh'n. 
Den Matel, den ein falihes Weib, ein Feind, 
Vielleiht auch nur ein leichtaefinnter Schwäter 
Dem Namen, den Du trugeft, angehängt, 

Den ſchleppſt Du dur die Ewigkeit mit Dir, 
Und wenn Du Dir Unfterblichfeit errungen, 

So wird zum Fluch‘ Dir die Unfterblichfeit. 
Unglüdlicher, Du haft nur einen Serler, 

Kein Grab gefunden unter'm Raſenhügel! 

Du bift nicht todt, Du bift nur ſtumm geworden, 


Geh’ nicht von mir...» 


Beh’ nicht von mir, laß Deine Hand in meiner — 
Das Herz des Menſchen ift ein ſeltſam Ding. 
Mer weiß, ob man jo leicht ſich wiederfindet, 
Sobald man einmal von einander gieng ? 

Geh’ nit von mir — am wenigften im Grolle, 
Von einer Wolle trüb’ die Stirn umgraut: 

Im Unmuth juft muß man beiſammen bleiben, 
Bis rein der Liebe Himmel wieder blaut. 


Geh’ nit von mir, laß Deine Hand in meiner: 
Du weißt noch nicht, was es bedeutet: Scheiden, 
Und wie daraus oft wird ein langes Meiden, 
Und was, ſich meidend jo, zwei Derzen leiden; 
Und wie zwei Herzen, die fi brennend liebten, 
Geſchmiedet wie in einen Zauberring, 

&o fremd fi, ad), jo fremd ſich lönnen werben, 
Sobald man einmal von einander gieng. 


Beh’ niht von mir, verſuche nicht das Schidjal, 
Das jo zwei Herzen trennt, eh’ man's gedadt, 
Die wonnefelig ſich verinotet wähnten 

Auf ewig durd der Liebe Wundermadt. 

Geh’ nit von mir, laß Deine Hand in meiner — 
Unlösbar feft geſchmiedet ift fein Ring. 

Geh’ nicht von mir, am wenigften im rolle — 
Das Herz des Menſchen ift ein ſeltſam Ding. 


Pas Sũßeſte. 
Seltfam, daß uns die Augen zudrüden 
Die drei jüheften unter den Dingen, 
Die uns entrüden der irdiſchen Noth, 
Die uns zumeift auf Erden beglüden: 
Liebesentzüden, 
Schlummer und Tod. 


* 





* 
Der Lorbeer, traun, hat feine Sympathie 
Für üpp'ges Lodenhaar; viel lieber rankt er 
Um graue Häupter, fahle Stirnen fid: 
Am liebften find ihm nadte Todtenſchädel. 


Kleine Saube. 


— ); — 


Mein Erz. 


Mein deutſcher Sang iſt Euch zu zahm, Mein Herz iſt froh, mein Erz iſt rein, 
Anftatt mein geliebtes Volk zu ſegnen, Es dient dem Tod nicht, nur dem Leben; 
Soll fluhen ih der Feinde ftranım, Mie, muß denn Alles Kanone jein? 

Dem Nachbar ſelbſt mit Truß begegnen. Mag's nicht auch klingende Glocken geben? 


R. 


Ein Wafengang gegen das — eingeräumt, ſich auf fremden Grund 
Jagdvergnügen | und Eulturen eine beliebige Anzabl von 

g gnugen. Thieren, welche man unter dem Namen 

In einer Zeit, da im unſeren Alpen „Wild“ zuſammenfaßt, zu halten, und 
der Jagdliebhaber und der Bauer wie welchen er die dem Landwirt als un— 
der einmal jcharf gegeneinander im Streite | beftrittenes Eigenthum gehörigen Früchte 
ftehen, wobei den Bauer wieder feine ber und Gewächſe als Futter anweist, diejes 
kannten „Freunde“ befämpfen, können wir | Futter nimmt das in Freiheit fich be— 
es nicht unterlaffen, aus der „Deutjchen | wegende Wild nah jeinem Belieben wie 
Preſſe“ eine Stimme abzudruden, die e3 | und wo es jelbes findet: ob es in friichem 
nab unjerer Meinung verdient, daß fie Graje, Klee, den aufjchofjenden Getreide: 
wiederholt ertöne und weitum gehört pflanzen, in Fiſolen, friſchgeſetzten Kraut— 








werde, pflanzen, den Ninden und Trieben der 
Schreibt dort ein Sacverftändiger | jungen Obſtbäume ꝛc. oder in reifen Hörner» 
aus eigener. Erfahrung: | früchten beſteht. 


Die Jagd mit ihren bentigen Ver Zu dieſem ift dem Jagdpächter auch 
bältniffen ijt noch ein echtes Stüd Mit- noch das Recht eingeräumt und wird 
telalter, wo man den Maßſtab „Glei- auch tbatjächlid ausgeübt, daß, wenn 
ches Recht Für Alle“ gänzlich vermißt | fich die dem Landmann durch Vertilgung 
und bei welcher der Landmirt heute | der Mäuſe und Ratten in Erfüllung 
noch mehr als Frohndienſte leiſtet. ihres Berufes unentbehrliche Hauskatze 

Wem dieſer Ausſpruch vielleicht über die Grenzen des ihr ja unbekann— 
nicht recht glanblich, den bitte ich, mir |ten Hausfriedens verirrt, ohne jede weis 
zu folgen. tere Verhandlung niederzufchiehen, ebenſo 

Mit der Eritehung eines Jagdge- | den Hanshund, welcher die Unnatürlich— 
bietes ift dem Jagdpächter gejeglich das | feit der Nette, an die man ibn ſchmie— 








det, nicht begreifen kann, und derjelben 
auf alle möglihe Art zu entkommen 
tradhtet, um dem auf dem Felde friedlich 
arbeitenden Hausperſonal nachzulaufen, 
wo ihn ſein Schichkſal ereilt. 

Gegen dieſe Vorgänge ſteht dem 
Landwirt gar kein Einſpruch offen, da— 
gegen ſteht ihm allerdings das Recht 
zu, wenn das Wild ſeine Ernten zum 
größten Theile oder ganz vernichtet, 
Schadenerſatz zu verlangen. Wie aber 
dieſer Schadenerſatz eingeleitet und ber 
handelt wird, beſonders wenn er au 
Obitbäumen, der für Steiermark wid. 
tigiten Cultur, gejchieht (welche der Land— 
wirt noch obendrein nach dem heute be» 
ftehenden Gejege gegen das frei herum- 
laufende Wild ortsüblih ſchützen 
muß, mill er nicht jeden Anſpruch auf 
Entibädigung im vorbinein verlieren) 
beweifen aus den legten zwei Jahren 
die Hunderte von Streitfällen, welde 
bereit3 entichieden oder noch beim Ober- 
ſten Gerichtshofe der Entſcheidung harren, 
wo 3. B. der A, welcher jeine Objtbäunte 
mit einem Lehm. oder Kalkanſtrich als 
ortsüblihen Schuß verjehen, mit jeinen 
Schadenerſatz-Anſprüchen abgewieſen und 
zur Tragung der Gerichtskoſten verur— 
theilt wurde, während ſeinem Nachbar 
B der Schadenerſatz für den ganz glei— 
chen Fall unter gleichen Verhaltniſſen 
zuerlannt wurde, und nicht etwa, weil 
der Nachbar ſchon dem Auslande, jon« 
dern nur dem nächiten politiichen Ber 
zirke des gleichen Kronlandes angehörte, 

Iſt es unter jolhen Verhältniſſen 
zu verwundern, wenn der Landmann 
zur Selbſthilfe greift und das ihm ſo 
verderbenbringende Wild vernichtet, wie 
er eben kann? Doch wehe ihm, wenn er 
hierbei vielleicht bei Tödtung eines Reb— 
huhns oder Haſens betreten wird! Es 
treffen ihn dann ſtrengere Strafen, als 
wenn er aus Gewohnheitsdiebſtahl jeinem 
Nachbar ein Paar ſchwere Maftochien 
geftoblen hätte! 

Und fragen wir, warum die Jagd 


385 


Erfordert es vielleicht die unbedingte 
Notwendigkeit für das öffentlihe Wohl 
oder gar die Gefahr für das Water» 
land ? 

Mit michten! feines von beiden! 
londern nur, weil es einigen Herren 
Vergnügen madht, und nicht! An— 
deres. 

Es iſt wirflih ein trauriges Zei— 
chen der Zeit, daß man heute in den 
höheren Schichten Alles daran ſetzt, nur 
recht große Jagdgründe zu ſchaffen und 
hierdurch Gegenden, wo friedliche glück— 
liche Menſchen gewohnt, entvölkert, wie 
wir in Oberſteiermark bereits eine Menge 
Beiſpiele aufzuweiſen haben. 

Die Verfechter der Jagd werden 
mir vielleicht einwenden, der Bauer wird 
ja doch entſprechend durch den Jagd— 
Pachtzins entſchädigt. 

Ganz richtig! Entſchädigung wird 
ihm durch den Jagd-Pachtzins gegeben, 
aber in welchem Verhältnis dies ge» 
ſchieht, joll folgendes Beiſpiel beweijen: 

Die Gemeinde Allerheiligen, in wel» 
her auch mein Gut Herberstorf liegt, 
befißt ein Flaächenmnaß von 1890 Jod, 
welches gleichzeitig ein Jagdgebiet bildet, 
und um den nicht geringen Jahrespacht 
von 80 fl. verpadtet ift, was einem 
Padtertrag von 423 Kreuzer per Joch 
und Yahr gleichfommt. 

Für dieſen Ertrag, rejpective Eins 
nahme ijt der Landwirt verhalten, dem 
Milde auf jeinen Gründen von jeinen 
Früchten durch das ganze Jahr freie 
Aeſung zu geben. Zudem iſt er auch 
durch den ſehr ſtark au mittelalterliche 
Verhältniſſe erinnernden $ 4 unjeres 
Wildſchadengeſetzes (welcher gleichzeitig 
* nech als ein Unicum in der Wild— 
ſchaden ⸗Geſetzgebung der öſterreichiſchen 
Kronländer daſteht) weiter verpflichtet, 
ſeine Obſtbäume, will er dieſelben nicht 
der Vernichtung durch das Wild preis— 
geben, ſelbſt zu ſchützen. 

Was aber ſo ein Schutz, wenn er 
dem Zwed entſprechen ſoll, koſtet, habe 


— —— — — —— — — — — — — —— 


ſo viel in Schutz genommen und der ich auf meinem Gute Herberstorf, wo 
Landwirt mit ſo großen Opfern wegen ich auf mehr als 100 Joch Obſtbau 
derſelben belaſtet wird? betreibe, zur Genüge erfahren. Die 


Keſegatt'a „„Hrimgarten‘*, 5. Grft, XI. 30 


386 


Koiten ſtellen ſich nah mehrjährigem 
Durchſchnitt für Berbandmaterial, Eins 
binden im Herbſte, Aufbinden im Früh— 
jahre, Beauffihtigung und Nachhelfen 
in der gefährlichiten Zeit auf 4 fr. per 
Baum und Jahr. 

Mit diefen Kojten ijt aber ein ab— 
foluter Schuß noch immer nicht erreicht, 
indem das Wild oft mitten im Sommer, 
gleibjiam aus Uebermut, und in jehr 
ichneereihen Wintern aus großer Not 
die größten Hinderniffe bejeitigend, die 
Obſthänme angreift und vernichtet. 

In der erwähnten Gemeinde Aller 
heiligen wurde ſchon von Alters her be- 
deutender Objtbau betrieben, welcher in 
den legten 10 Jahren noch einen riefigen 
Aufihmung genommen bat, jo daß heute 
die Gemeinde, nad) einem beim Gemeinde» 





jene koloſſalen Schäden noch nicht ein— 
gerechnet, welche im verfloljenen Winter 
durh das Wild troß allen Schutzes 
unfern Obftbäumen zugefügt wurden. 

Der Verluft, den das Nationalver« 
mögen bierdurch erlitten, iſt unberechen« 
bar, und es iſt feine Frage, daß die 
Jagd nicht auch unter die vielen Urſachen 
des landmwirtichaftlihen Rüdganges ger 
zählt werden muß. Es ijt fiher, daß 
die Jagd jchon lange nicht als ein Cul— 
turzmweig angejehen werden darf, jondern 
nur als ein Ueberbleibjel des Mittel» 
alters, welches ſich einzelne Perjonen zu 
ihrem Bergnügen zurectlegen und das 
auf Koſten des Grundbeſitzers indirect 
erhalten wird. 

Und glauben Sie vielleicht, daß der 
Schaden, der bier durch die Jagd den 


amte erhobenen Ausweis, 20.000 Stüd | Landwirten beigebracht, in anderer Weije 


gegen Wildjchaden jchugbedürftige Obſt— 
bäume auf ihren Gründen bejigt, welche 
fie, will fie diefelben nicht der Vernich- 
tung durch das Mild preisgeben, ihüßen 
muß, wodurch ihr, rejpective den Grund— 
befigern eine jährliche Belajtung von für 


20.000 Stüid à 4. — 800 fl. 
erwächst, 
Von dieſen Schupmaßregeln wird 


aber das Wild noch nicht jatt, es be— 
darf auch des Futters, um leben zu 
fönnen, welches es ſich an den ftebenden 
Früchten nad Belieben nimmt, und wel— 
ches (jene oft großartigen Schadenfälle 
bei aufgehenden Bohnen, friſch gejegtem 
und ermwachjenem Kraut und anderen 
reifen und unreifen Früchten gänzlich 
anzgeichloffen) auf Eulturgründen, wie 
wir fie in Mitteljteiermarf befiten, auf 
mindeftens 20 fr. per Joh und Jahr 
bewertbet werden muß, wodurch die Grund— 
befiger der Gemeinde Allerheiligen neuer: 
dings mit für 1890 Joh A 20 fr. — 
378 fl, daber im Ganzen mit 1178 fl. 
belaftet werden, um des nicht unbeden- 
tenden Jahrespaht-Schillings von 80 fl. 
tbeilbaftig zu werden. 

Diefe beiden Poſten, mit einander 
faufmännijch verglichen, geben einen jähr- 
lichen Verluſt von Netto 1098 fl. 


In diefe enorme Ziffer find aber 


durch den Ertrag der Jagd wieder wett 
gemacht wurde? Mit nichten. Der ganze 
Ertrag des Nagdgebietes von Allerheili- 
gen beträgt nach mehrjährigem Durch— 
Ihnitte per Jahr 90 Hafen, 40 Faſanen 
und 60 Nebhübner. 

Nah diefem kann es fich Jeder leicht 
ausrechnen, wie viel dem Nagdpächter 
nah Abzug des Jagdpadtichillings, der 
Koften für den Jagdaufjeher und jonfti- 
gen Auslagen bei den Treibjagden :c. 
für jeine Bemühung und zur Hebung 
des Nationalwohlftandes übrig bleibt. 

Vielleibt wird Mander einwenden, 
obiges Beilpiel ift nur aus dem großen 
Ganzen berausgeriffen, um die Jagd 
im ungünftigen Lichte darzuftellen. 

Dies joll ein zweites Beilpiel mwider- 
legen. Ich bin im Bezirfe Mahrenberg 
nicht nur eigenjagbberectigt, jondern 
auch Jagdpächter auf einem Jagdgebicte 
von ca. 4500 Noch, für welches — 
man böre und jtaune — ein jährlicher 
Jagdpahtzins von 42 fl., jage zweiund- 
vierzig Gulden, zu zahlen ift. 

Iſt bier vielleicht der Grundbeſitzer 
mit dem nicht einmal Kreuzer pr. Joch 
und Jahr betragenden Jagdpadtzinje 
ſchadlos gehalten für verurjachten nor— 
malen Wildſchaden? Und folcdhe Beijpiele 
gibt es jehr viele im Lande, 


387 





Der enorme Schaden, der durd ein] der Landmwirtihaft zugefügten Schaden 
jolhes unter gejeglihem Schutze ftehen- | vollftändig erjagpflihtig ift und der 
de3 Jagdverhältuis in Mahrenberg den | Landwirt nicht verpflichtet ſei, fich jelbit 
dortigen Landwirten entftehen mußte, | feine Gulturen auf eigene Koften gegen 
war nur dadurch zu verhindern möglich, | das dem Jagdpächter gehörige Wild zu 
dak die Grumdbefiger den von meiner ſchützen. 
dortigen Gutsverwaltung gegebenen Wink, Schloß Herberstorf, am 6. Jar 
fih mit allen möglichen Mitteln gegen nuar 18837. j 
das Wild jelbit zu ſchützen, verftanden | Fritſcher. 
haben, 

In Anbetracht der Bedeutung, welche 
der Objtbau in den legten Jahren in 
Mittele und Unterjteiermarf erlangt, jo | (Ei . 
dab heute Schon nicht nur mit Milli Ein Volkoſtück von Anzengruber. 
onen Jahres » Erträgnik, ſondern mit Es war einmal eine Wiener Klein» 
Millionen Wertausfuhr gerechnet wird bürgerfamilie Namen® Hammer, Pie 
und noch eine bedeutende Steigerung | hatte zwei Söhne. Den älteren, Arthur, 
fiber zu erwarten ift, indem das fteiri- ließ fie ſtudieren. Der bradte es bald 
ſche Obſt überall auf allen Pläßen durch | zum Doctor, heiratete die feine Tochter 
jeine vorzügliche Oualität fich die größte) eines Advocaten und ward jelbit Advocat. 
Anerfennung erringt, glaube ich, ift es | Das gieng aber nicht gut. Verſchwendung 
die höchſte Zeit, dak man für den Ver- und Großthuerei! Sie lebten in Glanz 
luft, den das Land ohnehin duch den nach außen bin, im Innern war's hohl. 
nit mehr aufzubaltenden Niedergang, Ein Kind hatten fie, ein Mädchen, das 
der einjt jo berühmten Eiſen-Induſtrie ward in einem Penfionat erzogen, den 
bereit3 erlitten, traten muß, die unge- Eltern entfremdet; einmal gejtand die 
beuren Schäden, die uns die Neblaus , Tochter dem Vater, allerdings halb im 
zufügt und unausweichlih noch zufügen | Scherze, wenn er nicht Geld hätte, würde 
wird, nicht nur durch Förderung des ſo es ihr fchwer ankommen, ihn lieb zu 
einträglihen Objtbaues, jondern auch durch haben. Plötzlich war der Ruin des 
Vefänpfung jeiner gefährlichjten Feinde, | Hauſes da. Während in den Nebenge- 
unter melden der Haſe obenan fteht, zu mächern feine Familie fich noch mit frivolen 
paralyſieren. Gaſten bei feſtlichen Klängen ergötzte, 

Wie ich ſchon oben in dem Beiſpiele ſteckte Doctor Arthur Hammer den Revolver 
der Gemeinde Allerheiligen nachgewieſen, zu ſich und eilte in Nacht und Nebel der 
koſtet derſelben der Schuß, den fie ihren | Donau zu. 

Objtbäumen nur allein gegen Ha— Mittlerweile hatte die alte Mutter 
jenfraß gewähren muß, den zehn» Hammer mit ihrem zweiten Sohne draußen 
fachen Betrag des Jagd» Pahtichillings, | in Erdberg in ihrem Häuschen ärmlich 
und bradte man den billigjt berechneten | und klein dabingelebt. Der zweite Sohn 
Schutz eines Obſtbaumes mit nur 4 Tr. | hieß Ihomas und war Spielmaarenhändler, 
per Stüd und Jahr, jo macht das im Der vornehme Doctor Hammer hatte ich 
ganzen Lande bei den viele Millionen | jeit vielen Jahren nicht mehr um dieje 
betragenden jhugbedürftigen Opbjtbäumen | jeine nächſten Verwandten gekümmert. 
einen Aufwand von mehreren Hundert Der Thomas, vom jtillen Kummer der 
taujend Gulden, ımd zwar mehr, als | Mutter gerührt, Lie ihr alljährlid am 
das Erträgnis der ganzen Jagd wert ift. | Weihnachtsabend Bejchenfe zufommen und 

Möchten die Geſetzgeber im gerechter fie glauben machen, die Spenden wären 
Mürdigung der Sade zum Wohle des vom Doctor Arthur, „unſerem  befleren 
Landes enticheiden, daß der Jagdpachter | Herrn Sohn,“ wie ihn der Spielmaaren- 
für jeden dur was immer für Wild austräger Florian ſtets nannte, 


30* 





388 


Un einem Abend vor dem Weib: redete, dejto erboster wurde die Frau, 
nachtsfeſte, als der Thomas Am Hof noch | bis er dem entgegengefegten Weg einichlug 
jeine Spielwaaren feil bielt, lief jein und jcheinbar herb gegen den „rüdfichts- 
Bruder, der Herr Doctor, über den Platz loſen“ Doctor Arthur loszog, der fie 
und der ihm nacheilende Buchhalter Fahne | zulegt gar nicht jehen und anhören wolle, 
lein theilte dem Spielwaarenhändler jofort | wen fie auch zu ihm käme. Das erwedte 
mit, wie es mit dem Herrn Doctor ſtehe, ihren Widerjpruchsgeift.. „Was? Nicht 
und daß er fich ein Leid anthun wolle, | anhören wird er mich? Das wollen wir 
Der Thomas verfolgte feinen Bruder, am|doh ſehen!“ Sie padt zujammen md 
Tonanftrande holte er ihn ein, im Mo- | fährt mit der Tochter in Führung des 
ment, al& der Doctor fich eben den Re: | Schwagers Ihomas nah Grdberg zu 
volver an die Bruft ſetzen wollte. Seiner |ihrem Manne. 
treuberzigen, wunderbar eindringlichen In dem Augenblid, als fie im Haufe 
Ueberredungsmweile gelingt e8, den vor- |der Mutter Hammer eingetreten, wird 
nehmen Bruder vom jchlimmen Vorhaben | dort der kleine Chriſtbaum angezündet. 
abzubringen und ihm nach Erdberg in ihr | Der warme Glanz der Mutterliebe ver- 
gemeinjames Heimatshäuschen zur alten | Härt und jchlichtet Alles; fie finden fich 
Mutter zu führen. Die Mutter Hammer, |und einen ſich. Die hohle Eriftenz des 
die mit Thomas ftet3 in einer äußerlichen | vornehmen Hauſes ift verfunfen, in jchlichter 
Fehde lebte, jein treues Herz mißfannte | Bürgerlichkeit und Zufriedenheit wollen fie 
uud nur in ihrem vornehmen Heren Sohn | — endlich heimgefunden — ihr ferneres 
Doctor Arthur das Ideal jah, war vor | Leben friften. 

Glüdjeligfeit außer fih, als Arthur nun Was da flüchtig erzählt worden, iſt 
jo plöglih erſchien. Als er ihr mittheilte, | ber Gegenjtand der neuen Meihnachts- 
dab er ein ruinierter Mann jei, war fie | fomödie „Heimg'funden“ von Ludwig An— 
wohl jehr erjchroden, verlor aber den | zengruber. Wir finden in diejer jcheine 
Kopf nicht, jondern war mit überjprudeln- | baren Gelegenheitsarbeit alle Vorzüge des 
der Mutterliebe bejtrebt, ihn zu bewirten | großen Dramatifers wieder; aber auch 
und auch feine familie würdig zu em- | Fehler, die ich nur deshalb andeute, weil 
plangen. fie nad) meiner Meinung unjchwer zu 

Bruder Tomas war nämlich mittler- | außjurotten wären, Wenn auch das Stüd 
weile gegangen, die Fran und Tochter des | fi um den Spielwaarenhändler Thomas 
Doctors zu holen, weil es die Mutter und fein jchlichtes Heim concentriert, jo 
vor Allem für das Nothwendigite hielt, | iſt der eigentliche Held desjelben doch 
da3 getrennte Ehepaar wieder zuſammen- Doctor Arthur. Es müßten alſo jein 
bringen. Das gieng aber nicht jo leicht, | Kreis und jeine Verhältniſſe mwenigftens 
denn es jdien, als ob die Ehegatten |jo weit gejchildert werden, als es zum 
beiderjeit$ von einander los und ledig Verſtändniſſe jeines Charakters nöthig it. 
fein wollten. Als Thomas ins Haus des | Die äußere Hauptihuld des Doctor 
Doctors fam, das freilich zur Stunde nicht | Arthur bejteht darin, daß er jeine Familie 
mebr deſſen eigen war, traf er Frau und | zu leichtfinnigfter Großthuerei und Ver— 
Tochter im tiefften Kummer über das ſchwendung verführt und ihr darin Vor- 
Schidjal des Gatten nnd Vaters, der ſchub leiftet. Das bringt den Ruin des 
am Abend zuvor mit Hinterlaflung eines | Haufe® und wäre jomit in Ordnung. 
Abſchiedsſchreibens fortgegangen und jeit- | Das Unbegreifliche liegt anderswo. Viele 
ber nicht mehr nah Haufe gekommen war. | Jahre lang lebt Arthur als reicher Mann 
Als die Frau nun aber hörte, daß ihr |in derjelben Stadt, wo auch jein altes, 
Mann lebe, bei jeiner Mutter ſei umd | Tiebherziges Miütterchen ſich Fkümmerlich 
fie mit dem Töchterlein zu ſich bitte, |durchbringt, er lebt in Glanz und Ueber- 
gerieth fie baß in Zorn. Je mehr der |fluß, ohne fih auch nur ein einzigmal 
Ihomas jeinem armen Bruder das Wort Ina der Mutter umzujehen, ohne ihr auch 


389 


nur die geringite Wohlthat zu ermeilen ! 
Das kann von einem Manne, der über- 
baupt wert iſt, heimzufinden, nur begriffen 
werden, wenn diefer Mann etwa jehr 
unter dem Einfluſſe jeiner bochmüthigen 
Gemahlin fteht, die einen Verkehr zwijchen 
ibm und der armen Frau aus den un— 
teren Claſſen ſtets zu verhindern weiß. 
Tiefe Mitihuld® muß, um den Mann 


gtaubwürdig zu machen, der Frau Gemahlin. 


anfgebürdet werden. Frau und Tochter 
des reihen Mannes kommen nie 
Bewußtſein des Familienglückes — immer 
nur Scheinfreude und Prunkſucht. Davon 
find fie zu befehren, es muß auch die 
Frau beimfinden, heißt das, zu ſich jelbit 
fommen, Als ich den Ihomas zur Frau 
Doctor gehen ſah, daß er fie zum Gatten 
ins Häuschen am Erdberg bringe, dachte 
ich nichts Anders, ala Thomas werde aus 
eigener Liſt ihr mittheilen, wie der Doctor 
an der Donau, den Nevolver no in ber 
Hand, gefunden und dann ins Haus feiner 
Mutter überbracht worden jei. Die Frau, 
durch des Doctors Mbichiedsbrief und 
Entihluß beſtimmt, glaubt natürlich nichts 
Anderes, als er fei todt. Im Herzen die 
mwüthende Nene und die plößlich ermachte 
Erkenntnis, daß fie ihn über Alles geliebt, 
jo eilt fie mit ihrer Tochter nach Erdberg, 
wo fie jtatt der Leiche den lebendigen 
Mann findet. — Den Bruder Arthur 


hatte der Thomas am Ponauftrande zu 


einem neuen Menſchen geformt, indem er 
ibn „weich machte, um ihn in den neuen 
Model bineinzubringen.” Warım wendet 
er dieſes ſich dort bewährende Mittel 
nicht auch auf die Frau Schwägerin an? 
Das hätte ein paar ſchöne, naturwahre 
dramatijche Scenen gegeben, während der 
betreffende Act, wie Thomas die Frau 
Poctorin holt, gegenwärtig fich tief ins 
Poſſenhafte verirrt. Für eine Poſſe aber ift 
das Stüd viel zu tief und bedeutend angelegt. 

Wenn der Verfaſſer geneigt märe, 
einige Modificationen jener Gharaltere, 
die in der feineren Geſellſchaft ſpielen, 
anzubringen und bejonders den vierten 
Net zu ändern, dann hätten wir an 
„BDeimg’funden“ ein Werk, das fich den 
eriten Meifterdramen Anzengruber’3 voll 





'man muß zu viel weinen,“ 


berechtigt anſchlöße. Geiſt und Witz, 
Humor und reine Herzinnigkeit durch— 
ſprühen und durchglühen in entzückender 
Abwechslung das Stück von ber erſten 
bis zur letzten Scene. Während die Komik 
in der heiratswüthigen Frau Xandl, im 
Spielwaarenausträger Florian und theils 
aub in Arthur’ Buchhalter Fähnlein 
ihren köſtlichſten Ausdrud findet, tritt 
uns der Humor, der echte berzgewaltige 


und befreiende Humor in Thomas und 
zum) der Mutter Hammer entgegen. Das find 


bei unjerem Anzengruber ſtets die tief- 
innigjten Herzlaute, wenn ſich's um eine 
Mutter handelt! Hier eine von ihrem 
vornehmen Herrn Sohn vergeflene Mutter! 
Und wie jelig, wie dankbar ift fie, als 
er endlich fommt, um bei ihr Zuflucht zu 
juchen in feinem Elend! Und wie liebens- 
würdig ift die Ungerechtigkeit des Mutter- 
herzens gezeichnet ! Hier die VBerhätichelung 
des mißrathenen Sohnes, dort die raube 
Zurüdjegung des gutmüthigen treuen Tho— 
mas, der glüdlich ift, als jich die Mutter 
endlich, gerührt ihm umarmend, bis zu 
dem Lobe aufihwingt: „Dummer Ding!“ 

Diel Wahrheit und Weisheit iſt in 
diefen volfsthümlichen Figuren; im der 
Gejtalt des Thomas hört man die Bruft- 
töne eines Wurzeljepp, eines Steinklopfer- 
hans wiederballen. 

Das Stüd wird feit einiger Zeit in 
Graz gegeben, ganz vorzüglich bejegt und 
bei fjtet3 überfülltem Haufe. Seit Morre's 
„Nullerl* hatte in Graz fein neues Stüd 
einen jo großen und moralijchen Erfolg 
anfzuweijen, als „Heimg'funden.* Doch 
vernahbm ich zwei abjpredhende Stimmen 
aus dem Volle, die jehr bezeichnend find. 
„Nein,“ jagte eine Frau von der Gallerie, 
„in das Stüd geb’ ich nimmer hinein, 
Und eine 
Dame im Parterre that die Neußerung : 
„Nicht jo bald wieder jehe ih mir ein 
ſolches Stüd an; jo viel lachen habe ich 
müſſen, daß ich mich ſchon ordenlich ge 
ihämt babe, vor lauter Laden,“ — Bei 
der nächſten Aufführung waren beide 
Perſonen wieder da. 

Vor zwei Jahren ift die Komödie für 
Wien geichrieben worden, aber in ber 


300 


Reihshaupt- und Mefidenzitadt fanden 
fih angeblih nicht die genügenden Kräfte, 
um fie aufzuführen. Man wollte übrigens 
in dem Theater, für welches es jpeciell 
beftimmt, eine neue Operette eines erniten 
und gehaltvollen Volksſtückes wegen nicht 
abjegen, und das umjomweniger, als 
„Heimg funden“ gewiſſe Sünden und Zu- 
ftände der Wiener Gejellihaft mit jcharfer 


Geißel züchtigt und ganz befonders auf 


ein damals in Wien ftattgefundenes Ereig- 
nis recht unangenehm erinnert hätte. 


Das Theater an.der Wien bat, wie 
es heißt, dem Dramatiker Anzengruber 
einen Jahresgehalt angeboten, damit der 
Dichter feine Stüde in Wien nur für 
diefe Bühne jchreibe. Wie fih’3 heraus: 
ftelt, war aber feine ernjte Abſicht da, 
die Anzengruber'ſchen Stüde an der Wien 
zur Aufführung zu bringen, man wollte 
durch die Erwerbung des Rechtes nur die 
Aufführung auf anderen Wiener Bühnen 
verbindern. Die Operette duldet neben fich 
fein Volksſtück mehr ! 

Greller und trauriger, als durch dieje 
Nahriht können die Wiener Theater» 
verhältniffe nicht illuftriert werden. Der 
größte Volfsdramatifer ſoll contractlich 
verpflichtet werden, daß er jeine Werfe 
nicht zur Aufführung bringe... ! 

Eben fommt die Nachricht, daß An- 
jengruber für „Heimg'funden” den Grill- 
parzerpreis erhalten hat. 


Roſegger. 


„A G'raff.“ 


Ein Volksbild aus dem Böhmerwalde. 
Von Joh. Peter. 
„Zrauri fein, trauri fein, 
Dos foit mia gor net ein! 
Munter und lufti fort, 
Dos is mei Ort!“ (Art.) 

So jang der „ſchiach Waltl,” als er 
an einem Faſchingstage durch den tiefver- 
jchneiten Tannwald dem Kirchdorfe zu— 
wanderte, daß es weithin durch den traum— 
ſtillen Forſt erllang. Und in der That! 


des duch die Wettertannen braujenden 
Nordmwindes jhon gar nicht jpürte. 
Was der Waſtl bei jo schlechtem 


iEin fejcher Kerl war es, diefer Waftl: 
das Auge voll Feuer, das Geficht voll 
Leben und die Stimme voll Scneid, 
Trogdem es ftürmte und „wadelte,“ 
„wie am jüngiten Tag,“ jchritt er doc 
jo munter und „rubenfriich” fürbaß, wie 
zur grünen Maienzeit, wenn das Mai. 
ı lüfter! weht und im Hochwald die weiken, 
jungfräulichen Buſchwindröschen und Blau- 
veigelein blühen. Sein Blut war jung 
und heiß, und dann trug er ja die er- 
wärmende Sonne der Liebe im Herzen, 
und die machte, daß er die eifige Kälte 





Wetter im Kirchdorfe juchte ? 

Ei nun! was jonit, als ſchmucke 
Dirnen, Tanz und vor Allem — „a 
G'raff.“ Ja, „a G'raff,“ das galt dem 
Maftl noch mehr als jeine flachshaarige 
Liſl, im die er ganz vernarrt war, und 
die feine Liebe mit trenefter Gegenliebe 
erwiderte, Aber er konnte jelbjt jeines 
Schatzes vergeffen, wenn es galt, „a 
G'raff“ zu ſchüren oder ausjufechten, und 
in diefer Beziehung hatte er ſchon einen 
gewillen Ruf als Raufer erlangt, was 
ihn nicht wenig jtolz machte. Weit und 
breit, in der ganzen Lujengegend bis bin 
zum jonnbeglänzten Mittagsberg einerjeits 
und bis zu dem Bergftode der drei Seſſel 
andrerjeitö bieß es von Waftl: „Yo, dea 
Waſtl, dos iS vana, dea füacht’ joijt den 
Tuifl net, wenn's goit! Dea haut a gonz's 
Wirtshaus aus, wenn ea ſchiach wird.” 
Und in der That, der Wajtl war der 
vermwegenfte Raufbold, der weit und breit 
aufzutreiben war; jein Sriegsichauplag 
war meiſtenfalls der Tanzboden in der 
Porfichenke, jeine Feinde waren die prab- 
leriſchen „Läufer,“ wie er die großthuenden 
Gecken benannte, jein Schwert war das 
lange „Raufmeſſer,“ das er jahrein, jahr- 
aus im tiefen „Meſſerſack“ am redten 
Hofenfuße trug, und jein yeldberrntalent 
war der „Vorth“ (Vortheil — Lijt), womit 
er jeine Gegner überlijtete. Deswegen war 
er am Tanzboden der Gefürchtete, bei den 
Mufilanten der Angejehenjte, weil er mit 
Hingender Münze den „angefrimten”“ Yänd« 


391 


fer zahlte, und bei den Dorfihönen der „Dinai ſteh af, leg's Kiderl on, 


Angeftaunte, weil er gar fo verführerifch Raten ® 


großthun fonnte, Keine jedoch nahm fein &5 fuadan ſchon, 

Herz gefangen, ausgenommen die Lijl, Buadan ſchon!“ 

der er zu tief ins braune Ange gegudt, (Zodler). 

und bie es ihm jo ſehr angethan, daß Loßl's fie nun fuadan, 
er fie lieben mußte; und aud fie war Sö hom jhon Zeit, 


ihm jo recht vom Herzen gut und bildete Hom ſchon Zeit, 


; : . ’2 Qich, Hom frumpe Roß 
fih nicht wenig daranf ein, Waſtl's Lieb Und fohr'n net weit, 


hen zu fein; nur konnte fie fich nicht Fohr'n net weit!“ 

mit jeiner Rauferei einverftanden erklären, (Iodler). 

und hundert Male wohl bat fie ihn, das 

„G'raff“ zu laflen und ein „ſittſamer Bua“ Es war eine kreuzfidele, volltönende 


zu werden, wiewohl vergeblich. Waſtl Stimme, die da in die Winteröde binaus- 
meinte: „Lil, i bob Di gern, oba d08 | Hang. Von der nächſten Hagebuce fiel 
jog i Dir: jei ftad und red net jo g'ſchwoll'n; die schwere Schneelaft, Waſtl's Jodler hatte 
mei G'raff gebt Di nir om, dos is mei |fie aus ihrem ruhigen Tranme gewedt und 
Soh! Mod mi Du ma net ſchiach!“ nun befam auch fie das Faſchingsfieber 
Dabei aber hatte er fie doch „zum Freſſen und jchüttelte ihre Aeſte. — Waſtl aber 
gern“ und er bätte fie aus dem Feuer \eilte der Schenke zu. 
geholt, wenn es die Nothwendigfeit ge Wie Inftigtoll e& da bergieng 
boten hätte. Am Ofenwinkel ſaßen die „Spielleut* 
Am legten Sonntage war er wieder | und man jah es ihnen an, daß fie fich beim 
in ein bintiges „G'raff“ mit Grenzbaiern | fteinernen Maßkruge böcft wohl befanden. 
verwidelt geweien, und dabei hatte er dem vor ihnen ſtand eine Gruppe frohlebiger 
Brettſchneider-Xaverl jo derb mitgeſpielt, Burſchen, welche den Muſikanten ihre ori— 
daß ihm „Hören und Sehen vergieug.“ ginellen „G'ſangl'n“ vortrugen, während 
Liſl ſuchte abzuwehren, allein der Waftl | an den Wandbänken herum die buntrödigen 
war jo „ſchiach,“ daß er auch ihr eine Dirnen ſaßen, gewärtig des fommenden 
ſchallende Obrfeige verjeßte, was zur Folge | Tänzerd. Die ımd da jtanden einzelne 
hatte, daß Lil fih einen Andern „aufe | Liebespaare in geheimnisnolles Flüftern 
zwidte“ und zum nicht geringen Aerger und glüdieliges Gefühlsaustaujchen ver- 
Waſtl's mit dem „Stierhonas,” jo ber |junfen, und au den weißen Fichten und 
nannt feiner Wildheit und Stärke wegen, | Tannentiſchen ſaßen die jhwarzbärtigen, 
„hoam“ gieng. Nun ließ fih der Waſtl wetterharten Waldbauern im  eifrigen 
jeinen Zorn am Biere aus und trank des „Diſchkurs,“ ab umd zu neues Leben jchö- 
braunen Naſſes in folcher Menge, das |pfend aus dem bauchigen Steinfruge, der 
endlich auch ihm Hören und Sehen ver- vor ihnen ftand. Am vorderjten Winkel 
gieng und er im Wirtshauje den ganzen | des Tanzbodens jahen etwa zehn bünen- 
Montag „blau“ machte. Seit diejer Zeit | artige Redengeftalten in blauleinenen Hojen 
troßten Waftl und Lil und der „Stier- und breiten Müten, die auf den erjten 
honas“ jpielte jeßt recht den „Geſchwol- | Blid benachbarte Grenzbaiern verriethen. 
lenen.,.“ Das jollte er büßen! Während fich die „böhmiſchen“ Wäld— 
Munter jchritt Waſtl aus, und als ler ungezwungenen beluftigten und ihrer 
er aus dem Walde binaustrat in die | frohen Laune freie Zügel ließen, ſaßen die 
Lichtung, ſah er vor fih das Kirchdorf | fremden Bäfte augenjcheinlih ganz ruhig 
und hörte, wie vom Kruge her die Pfeifen | und harmlos an ihrem Tiſche und muſterten 
langen und die Hörner jchmetterten. mit neugierigen Bliden die fie umjchwär- 
„Juchhe!“ lang es aus feiner Stehle, \mende Lebewelt. Ab und zu trat der 
daß es im minterlichen Walde weithin | Honas zu ihnen, tranf ihnen zu und flüjterte 
wiederhallte, Und dann fang er: geheimnisvolle Worte in ihre „Ohrwaſchl.“ 





302 


Als endlich der Waftl auf dem Tanzboden | tanzte der Xaverl, einen Juchſchrei nad) 
erſchien, nahm die Situation urplöglich | dem andern ausſtoßend. Das wurde dem 
eine ganz anderes Gepräge an: die ruhi- Waſtl Schließlich „zu dumm“ und er fuchte 
gen Beobachter wurden jet laut und über- | einen Vorwand zu einem „G'raff“. Keck 
mütbig. jpreijte er jein rechtes Bein vorwärts und 
Der Brettjchneider-Kaverl, der feit dem | paßte dabei auf den Honas; als diejer 
legten „G'raff“ Hören und Schen wieder | nun wieder an dem vänfefüchtigen Beob- 
erlangt hatte, ftieß einen dröhmenden Juchzer | achter vorbei tanzte, „ſchlug ihm Waftl 
aus, padte mit derber Fauſt ſein Dedel- | den Fuß unter,“ daß der Honas jammt 
glas, näherte fich dem Mufifantentiich und | feiner Tänzerin „der Länge nah“ auf den 
jchrie die Spielleute an: „He, Faulenzer!| Boden ftürzte und fich zum Gaudinm der 
aufg’ipielt, junft jchlog i Ent oille Boal fröhlichen Dorfjugend nach links und rechts 
aus'm Leib! Fir Saframent |" fugelte. Ked hinter dem Honas kam der 
Nefigniert griffen die aljo Apojtro- | Xaver! gehopst, und auch ihn traf dasjelbe 
phirten nach ihren Hörnern und Pfeifen) Schidjal: er mußte ſich mit feiner Tän— 
und warteten geduldig des Weiteren. Der | zerin, der „jommerjchedigen Wabi,“ auf 
Xaverl aber ließ ihnen einen Arng Braun» | dem Boden fugeln. 
bier verabreichen, warf ihnen ein glänzendes Nun aber brach ein furchtbares Unwetter 
Markjtüd zu, wobei er ihnen einen Blid | los. Im Tanzraum herrſchte bereit3 be» 
in den vollen Beutel gejtattete, jo ihre | denflihe Schmwüle, nun jollte ih das Ge- 
Hoffnung auf weiteren Spiellohn nährend. | witter entladen, Flugs theilte fih das 
Jetzt wurden die Spielleut’ Feuer und | tanziuftige Bolt in zwei Lager : die Böhmer- 
Flammen! Tief jchöpften fie aus dem wäldler ftanden zu Waftl, auf deſſen Ge- 
bauchigen Steinfruge und auf ein Zeichen | ficht ein höhniſches Lächeln thronte, während 
Xaverl's ſetzten fie ihre Inftrumente an! fich die Baiern und mit ihnen der Honas 
den Mund. Kaverl aber improvifierte fol-| um den jo jchwer beleidigten Xaverl 
gendes G'ſang'l: gruppierten. 
Wie eine Viper jchnellte der Xaverl 
„Spoileut, Spoileut, | 


— sand, — und packte den Waftl ander „Troßt“ 





Dba fein brav! (Kehle). Das war das Signal zum all- 
Heut jan Vagonz'n (Ferien), gemeinen Kampfe. Waſtl fahte mit kräf— 
Do muaß ma tonz'n: tigem Arm den Angreifer an der Gurgel, 
een —E J hob ihn in die Höhe, ließ ihn eine kurze 
Sba fein brav!" } Zeit in der Luft zappeln, und fuhr dann mit 


ihm in die Ede, wo die Spielleute jaßen. 

Im Nu begangen die Trompeten zu! Dort jchleuderte er ihn mit jolcher Gewalt 
ihmettern, die Pfeifen zu Hingen und die) an das „Orſcheſter,“ daß dem Xaver! zum 
Bäſſe zu poltern, daß die Fenſterſcheiben zweiten Male Hören und Sehen vergieng. 
erklirrten und dem jungen WVölklein mun- | Allein in demjelben Augenblide fühlte ſich 
derjeltjan zu Muthe wurde; brennbeiß | auch Waftl hinten „am Kragen” erfaßt 
ftieg e8 in den Adern der Dirnen auf, | nnd derart gemwürgt, dab auch er jein 
wie auf ein Zeichen ordneten fich die Paare | legtes Stündlein gefommen glaubte. Mit 
und uun gieng es an ein Walzen und | der Kraft eines Tobjüchtigen entwand er 
Hopjen, an ein Schleifen und Drehen, daß | fih den Händen feines grimmigen Wider— 
der Tanzboden dröhnte und die Stirnen ſachers, und als er gewahrte, daß es der 
dampiten. Honas war, ftürzte er ſich mit einem 
In des Neigens Mittelpunft ftand | gräßlicen Fluch auf denjelben, zog aus 
der Waftl und verfolgte mit troßigem Auge | der Hofentajche jein langes Raufmeſſer, 
den provocierenden Nebenbubhler, der an und —- der Honas wälzte fi in jeinem 
Liſl's Seite durch den Tanzboden flog wie Blute. . + Nun aber jollte e8 dem ver- 
ein rajender Roland. Knapp hinter Honas , wegenen Raufbold schlecht ergeben! Brüllend 


und wuthſchnaubend wälzten und — 


ſich die Baiern durch den verworrenen Men— 
ſchenknäuel zu Waſtl hin, in ihren derben, 
nervigen Fäuften bligten die blanfen Nauf- | 
meſſer, auf ihren didfleiichigen Lippen lagen 
wilde Flüche. 

„Bafluahte Böhm, heut joll’3 Ent 
ſchlecht geh'n!“ brüllte der Neden einer 
und ftürmte durch die Menge. 

„Wos jogt dea Boja!“ kreiſchte der 
verwegene Franzerl-Johanu, „wos traut 
fich der Boja in Defterreich ? Niedag'ihlog'n! | 
Niedag'ſchlog'n!“ Und im branfenden Chore | 
ſchallte e8 durch den Tanzboden: „Shlogt 
fie nieda, die Boja! Auſſi mit cab’ 
(ihnen)! Haut zua!“ 

Wie ein Bienenſchwarm ſammelte es 
ſich um die Baiern an, ein „Troſſeln“ und 
Würgen, ein Hauen und Stechen begann, 
wie in einer männermordenden Feldſchläacht, 











zos 


folgern verbargen. Nur Einer blieb in den 
Händen des aufgeregten Dorfvolkes, nämlich 
Xaverl. Willig und an jeder Hoffnung ver— 
zagend lieh er Alles mit fich geichehen. Wohl 
hundert Arme redten ſich nach ihm, mit ge— 
waltigerı Stodichlag ward er zu Boden 
gejtredt, und nun begann auf jeinem Körper 
ein förmliches Dengeln und Hämmern, daß 
die ausgeſtoßenen Hilirufe mit Entjegen 
durch das gräßliche Schlagen gellten. Als 
er ſattſam „abgeprügelt“ war, band man 
ihm Hände und Füße zufammen, jchleppte 
ihn zum DPorfrichter und ſchickte um Gen- 
darmerie. 

Der Tanz ward abgebrochen; Waitl 
hatte zum legten Male dem luſtigen Ländler 
gelaujcht, hatte zum legten Male gerauit: 
er war „falt” für immer, Jetzt erſt gieug 
es der Lil zu Herzen, und fie weinte, 
„daß das Hans erflang.* Ihr Frohſinn 


bier jauste ein Seljelfuß oder ein „Ochſen- war weg für alle Zeit, fie entjagte der 
zähn“ auf den Kopf eines Baiern, dort | Liebe für immer und warf ſich ſchließ— 
ichwirrte ein jchweres, von nerpigem Arme | lich der Frömmigkeit in die Arme, in- 
geihwungenes Dedelglas dur den jchwü- |dem fie in die ehrwürdige Gilde der 
len Raum, am dritten Plage bligten die Betſchweſtern trat und als joldhe den jo- 


Raufmeſſer; jetzt ward es till auf | vialen Dorfpfarrer allmöchentlich mit ihrer 
den ZTanzboden, nur das Würgen, | Beichte plagte. . . 

Eichen, Schlagen und Werfen dauerte A a 

fort, Blut floh in Menge. Nun er * 





wacte der Xaverl aus ſeiner unfreiwil— 
ligen Ruhe, er jprang mit gezüdtem ı 
Meſſer auf den fleißig dreinichlagenden 
Waſil zu, cin Stich, und der „ſchiach 
Waſtl“ — war eine Leiche. 

Wie entjegliches Föhngebranje gieng 
es jeßt durch den Tanzboden. „Waitl! 
Waſth!“ ſchrien Hunderte von Stimmen. 
Die Weiber und Mädchen alarmierten das 
ganze Torf, Männer und Greife jprangen 
aus ihren Betten und eilten auf den Tanz— 
boden „um über Xaver! furdtbares Gericht 
zu balten.” Meſſer, Haden, Heugabeln, 
Senjen, Drejchflegel und Steine mußten 
ala Waffen dienen, man wollte den Örenz- 
nachbarn cin lebendiges Beijpiel conita- 
tieren, daß fie die böhmijche Grenze auf 
lange Zeit nicht mehr überjchreiten jollten. 

Als das die Verfolgten bemerften, er: 
griffen fie die Flucht und eilten in vegellofer 
Dalt durh Schnee und Eis dem uralten 
Grenzwalde zu, wo fie fi) vor ihren Ber: 





Es war ein freundlichrr Wintermorgen; 
blutroth jtieg die Sonne im Oſten herauf, 


‚da begann es im Dorfe lebendig zu werden. 


Von Haus zu Hans gieng es: „Die Baiern 


\ fommen!* Und thatjächlich ftanden bereits 


auf der Teufelsbrüde, die über den bie 
Landesgrenze bildenden Tenfelsbacd führt, 
wohl an dreihundert Baiern, verjehen mit 
allen erdentliben Landfturmmwaffen. Eine 
Deputution wurde zum Dorfrichter mit dem 


Auftrage geichidt, den XRaverl entweder „mit 


Gutem“ oder „mit Schlimmem“ aus feiner 
Gefangenschaft zu befreien. Vor dem Rich: 
terhaufe jtand bereits das ganze Dorfvolf 
ebenfall® vom Kopf bis zum Fuße bewaffnet. 
Der Richter, ein uralter, „ſiebengeſcheiter“ 
Waldbauer, verweigerte die Herausgabe 
des Kaverl mit Entichiedenbeit, und er 
fonnte auch „feinen Sinn nicht ändern,” 
al3 einer der Baiern die Piftole aus dem 
„Schoit” zog und durd das Fenſter in 
die Nichterftube ſchoß. Nun gieng es an 


394 


eine förmliche Schlacht: die Baiern über- | der jtenographiichen Kunſt in Defterreic, 
ichritten die Orenze und drangen brüllend | eintritt. Den Aufihwung und die wachjende 
und jchiehend ins Dörfchen ein, während | Verbreitung der Stenographie in Defterreich 
ihnen die erbitterten Wäldler mit wahrer | habe ich nie bezweifelt; meine Bemerkung 
KRampfbegier entgegen ſtürmten. Den blu- | bezog fib nur auf eine Bergleihung der 
tigen Kampf zu jchildern, verjagt die Feder | heutigen ftenograpbiichen Schrift mit der 
den Dienft. Nur jo viel ſei erwähnt, daß | Heger'ichen in Betreff der Genanigkeit, 
des Blutes in reichlicher Menge floß und | Feinheit und Bierlichkeit, und ſtützte fich, 
die tapferen Wäldler ihre Feinde bald bis | wie ich ja ausdrüdlich hervorhob, nur auf 
an den Teufelsbach zurüdgedrängt hatten. | einzelne Schriftproben, die mir zufällig zu 
Während es dort noch einmal zu | Geficht gefommen. Um mir ein endgiltiges 
einem heftigen Kampfe kam, jchwirrten | Ürtheil zu bilden, mußte ich wünſchen, 
urplöglih jebe Schüſſe durch die Luft. | Schriftproben zu ſehen, welche von den 
Alles ftarrte betroffen nah der entſpre- Lehrern der Stenograpbie jelbjt für mujter« 
enden Rihtung — und nun nahmen die | giltig und dem Stande der heutigen Kunſt— 
feindlichen Nachbarn Reißaus, daß es ein | fertigfeit entiprechend erflärt würden. Die 
Vergnügen war, Augenzeuge ihrer Flucht |jeom Wuniche fam der Obmann des Linzer 
zu fein. — Das Erſcheinen der ſechs | Stenographiicen Vereins, Herr Profeſſor 
öfterreichiichen Oendarmen nahm ihnen | Varta, eben jo freundlih als in ausgie— 
alle „Knraſchi. . .“ bigem Mafe entgegen, indem er mir eine 
Xaverl murde dur die Heimatsbe- | Reihe von Schriitproben und Belegen ein— 
börde dem baieriichen Landgerichte ausge | jandte, welche von dem Umfange, in wels 
liefert und diejes wies ihm einen mehr-ſchem, und dem Eifer, mit welchem die 
jährigen Aufenthalt in feinem Gefängniffe | Stenograpbie in der oberöjterreichiichen 
an. .. Hauptſtadt gepflegt wird, ein rühmliches 
Seit dieſer Zeit wagte ſich kein Baier Zeugnis geben. Die Schönheit dieſer Pro— 
in den urdentſchen Böhmerwald und fein | ben läßt nichts zu wünſchen übrig. So wie 
Böhmerwäldler in das urdeutſche, berr- aber in jeder Kunſt, im jeder Willenjchaft, 
liche Baierland, bis die Alles verwijchende | in jeder menschlichen Thätigfeit eine Grenze 
Zeit auch über diefen Schandflet den | der Vollkommenheit undenfbar und Jeder 
Schwamm der Vergefienheit führte. | willtommen ift, der etwas beitragen will 
Hente verkehrt man wieder jo freumd- | zur Förderung des Fortſchritts und zur 
ichaftlib wie im frübefter Zeit, demm Abwehr der Verfalls, jo wird es gewiß 
büben wie drüben hat fib das Be— auch auf dem Gebiete der Stenographie 
wußtjein entwidelt, daß Alle Söhne | mir und jedem Anderen gejtattet jein, mit 
Einer, der gebenedeiten „dentjchen Hei- | Andentungen und Vorjchlägen, wie Dies 
mat“ find, oder Jenes befier, zwedmäßiger ſich machen 
— ließe, hervorzutreten. Für ſolche Anden— 
tungen iſt hier ſchon deshalb nicht der Ort, 
R weil fih die ftenograpbijchen Zeichen im 
Stenograph iſch = Druck nicht wiedergeben laflen; ich werde 
Meine gelegentlihe Bemerkung im | mich aljo darauf bejchränfen, einige von 
Dctoberheite des „Heimgarten,“ daß ich | meinen bezügtichen Anfichten dem Linzer 
na den Proben zu jchließen, die mir zur | Gabelsberger-Stenographen- Verein brief— 
fällig zu Geficht famen, in der heutigen | Lich darzulegen. Auch zu mündlichen 
jtenograpbijchen Schrift nicht ganz die ge- | Erörterumngen werden mich Stensgraphen 
nane, feine md zierlihe Weile Heger’s immer bereit finden, im Intereſſe einer 
wiederfinde, hat den „Babelsberger-Steno- Kunſt, in welcher ich einen nicht unbedeu- 
graphen-Berein“ in Linz zu einer Zujchrift an | tenden Hebel des menjchlichen Eulturfort- 
die Redacion des „Heimgarten” veranlaßt, | jchritts erkenne. 
in welcder er lebhaft für den Aufſchwung Nobert Hamerling. 





—— Bpaf ı = 
man auch haben, 
fagte ber Bauer, ba 
mwarf er jein Weib 
— — den — 


Der wer —— | 
Dir tbener zu | 
feh'n, d’rani das | 
Beib, und iprang | 
wieder „wieber derand | 











Luſtige Zeitung : 


Carneval. Grai, 1. Februar 1887. 














diesbezüglide noch meiterjverfahren! Nach meinem Bor: 
Vorfihts-Rlafegen. gehendere Maßnahmen un:|ichlag ift aber aud hier für 
Wien, 1. Februar, Iterthänigft zu unterbreiten,|die Zukunft jeder Gefahr vor— 

Wir leben befanntermaßen die ich hiermit ihrer giltigen|gebeugt. Stüde, die in Folge 
in dem Zeitalter der Huma- Beurtheilung empfehle. Mei:|ihres Inhalts zur Begeiſte— 
nität, na ja! Unjre Devijelner Meinung nah mühtelrung entflammen, find ſelbſt— 
ift: Nur ja Einer dem An- nämlich vor Allem das Re— verſtändlich ein: für allemal 
dern nicht weh thun! Na ja,|pertoire der einzelnen Büihnen|verboten! Desgleichen dürfen 
wozu denn auch! Aus diefemlin Bezug auf feine Feuer- Couplets von zündender Wir: 
Grundjag find unſere Thier: fiherheit fireng geprüft wer:|fung unter feiner Bedingung 
hut: und Gejelligfeitsver:|den! Stüde, denen nur derimehr gejungen werden. Be: 
eine entjtanden und hervor: geringfte Schein einer Feuers: jprehung brennender Tages: 
gegangen. Wie jehr wir in;gefahr anhaftet, find unzu-⸗ fragen auf der Bühne abjo- 
Wien 3. ®. vor Feuersge:|läffig, jo 3. B.: Wildfeuer, lut unzuläjlig! Natürlich 
fahr geihügt find, das brau— Feuer in der Mädchenſchule, werden durch meine neuen 
che ich wohl Niemandem zu 'ein Bligmädl u. dgl. Hin- Maßregeln für die Darfteller 
jagen, der je in jeinem Le: gegen wäre das MWepertoireljelbft mande Unannehmlich— 
ben die SHofiprigen gejehen vorzugsweiſe mit joldden Stüz!feiten erwadien! So dürften 
hat! Das neuejte Beftreben den zu bereichern, die einelfih 3. B. ein feuriger Lieb- 
ift aber die Feuerſicherheit gewiſſe Garantie gegenFeuers- haber und eine Sentimentale 
in den Öffentlihen Localen, gefahr bieten, wie etwa: Catoſdie warm wird, oder gar 
jpeciell in den Theatern. Wir von Gifen, Göt mit Dderleine Soubrette mit glühenden 
Alle kennen die vielen Vor- eiſernen Hand u. a. Auch der Blicken im der Folge verge: 
fihtsmaßregeln, die in dieſer Inhalt der Stüde wird ge- bens um ein Engagement ums 
Beziehung getroffen wurden! nau geprüft werden müfjen![iehen! Das Durhbrennen der 
Ich, als Mann für Alles, Es ift geradezu unverant:| Scaujpieler ift natürlich con: 
habe e3 mir angelegen ſein wortlich, wie leichtſinnig manltractlicd verboten! Ueberdies 
tafien, der löblichen Behördelbisher in diefer Beziehung| wird aud das P. T. Publi— 











Igen — beihloß Bernhard kungen — Buches Belehrun— 
* euillet on. |balbigit Bruft:Bein-Baude gen beitens benugend.* — Die 
SE Beugung:Bewegungsvereinen! * Bürſtenbinder's um 
Berubard Zürſenbinder. beizutreten. Bevor Bernhard Balthajar's Schweſter, Brun— 
Gin Gharakterbild aus dem Leben.) befannte Bewegungen begann, |hilde, hat fich folgendermaßen 
„Bernhard Bürſtenbinder, beſuchte Bernhard Bürſten- vollzogen: „Bruder Baltha— 
bedeutender Biertrinfer, be⸗ binder Balthajar Beienbins ſac bänglichen Blides, be: 
währter, bevorzugter Bilder: |der, Brunhildens Bruder, gann bjorgt, Beide befragend: 
maler, bemalte billige Bil-Belehrung begehrend. Balz! „Begehrt Bernhard Bürften: 
derbögen. Bernhard bedurftelthafar Beſenbinder, behäbi:|binder blauäugige, blond: 
bejondere Bewegung, befjeren!ger Bürgersmann, bierfeind: haarige, bufige Brunhilde 
Blutumlauf bewirkend, beillicher Braufebreitrinter, Bier- Beſenbinder?“ Bernhard be: 
bejagter beftändiger bewe- bauchverachter, Bruchbanda- jahte bewegt. Brunhilde blidte 
gungsarmer Beihäftigung.|genbereiter, borgte Bernhard beihämt. Bruder Balthajar 
Bernhard's Bauch, bereits/braudbare, Belchrung bie:/blieb beſorgnißvoll. — „Be: 
bedenflihe Breite bietend,|tende Bücher, Bierbäuche-Be-gehrt Brunhilde Beienbinder 
bezeignte beitens bewältigten/wältigendes, Vetreffendes|breitihultrigen, bierbäuchi— 
Bierftoff. Befferung begehrend, |bringend. Bernhard beſah genBernhardBürſtenbinder?“ 
Blutwallungen, beziehungss)Petiteltes, Bedrudtes, blät-Brunhilde bejahte bemegt. 
weile Beängftigungen beimjterte, blidte beglückt, begann Bernhard beugte beide Beine 
bewegungslofen beftändigen|bei Balthaſar Buden:Bruft:|bodenwärts, berührte begeh— 
Bemalen billiger Bilderbö:j Bein:Bauchbewegungen, beis|renden Blides Brunhilde's 
gen bejänftigend, bejhwichtis|jpielöweife Bruftweitungen,Iblühende Baden, Buſſerl 
gend, beruhigend beizujprin:| Baudhmwendungen,Beinfchwen:|bietend. E. M. Sch. 














396 Luſtige Zeitung. 





fum ſich zu Gonceffionen ber}ihallenden Gelächter der Verslan’ reihen Bäder?“ — Bä— 
quemen müſſen. Es wird ſammlung verlieh der Ganz/der: „IS dös an riftenz, 
erftens nie in feuer und didat die Nednerbühne. wann mr vom Hunger jeiner 
Flamme gerathen dürfen und) — „Warum Herr Krauſe Mitmenſchen leben muaß?, 
wird fich gewöhnen müſſen, keine Haare hat?“ Nun, weill — Der Erfindungs- 
gerade ſolche Stüde anzus|die Neger krauſes Haargeiſtder Yankees ift wirf: 
blajen, die es warm maden!haben. lich bewundernswert. Bindet 
Tab kein Menſchſeine Flamme — Unjere Kinder.ida ein Biedermann, der an 
in’s Theater mitnehmen darf, „Freu' Dich, Käthchen, der den romantifhen Ufern des 
ift ſelbſtverſtändlich! Storh hat Dir ein tleines Codorus in Benniylvanien 
Wie Sie jehen, ift filr’Brüderden gebradt, willſt wohnt, feinen Gänjen und 
Alles vorgeieh'n und geichieht! Du e3 jehen ?* — „Ad nein, Enten furze Angelſchnüre mit 
alles Mögliche, um das Pu: Papa, aber den Stord Haken und Wurm an Die 
blilum zu ſchützen. Mein möcht' ich gerne ſeh'n.“* Beine und jagt ſie dann in's 
Vorſchlag geht jo weit, dab! — Vereinsnachrich-Waſſer. Die Fiſche beißen an 
der Sicherheit halber jogariten. In einem thiringiichen'und zerren an der Schnur, 
die Theaterzettel in Zukunft) Städten hatte ſich ein Krie:/worauf das Federvieh er: 
nur mehr auf Löſchpapier ges! gerverein gebildet, der ſich ſchroden an's Ufer eilt, am 
druckt werden! mit zum Hauptprincip machte, Bein hinten einen Fiſch. Das 
F. J. Koch.“) ſeine Kameraden nach mili- Uebrige beſorgt der Farmer. 
tärifcher Sitte zu Grabe zu - 


adıridıten. geleiten. Paragraph 1 der . i 
— — für Statuten lautete: „Der Zwed — —— 
ein Abgeordnetenmandat be:|de8 Vereins iſt, die Mit: glauben Sie, wäre geichehen, 








flieg im einer Waählerver- glieder zu begraben. wenn Wallenftein nicht er: 
ſammlung die Tribüne und 2 mordet worden wäre?* Zög— 
begann: „Meine Herren!“ Volkswirkſchaft. ling: „Ich glaube, er wäre 
Aber alle folgenden Worte! — Alles falſch. But: ſpäter doch geſtorben.“ 

blieben bei dem ſchwachen terhändler: „Daß doch der — Profefſor: „Nun aus 


Organ des Redners unver- Teufel d'rein ſchlage! Jetzt der Naturgeſchichte. Thomas, 
ſtändlich. Plötzlich rief ein habe ich einen Kübel Kunſi- welches Thier zeigt die meifte 
Zuhörer mit Stentorſtimme: butter beſtellt und nun iſt Anhanglichteit an den Men: 
„Tas wundert mid gar nicht, die auch gefälfcht.“ ſchen?“ — Schüler: „Das 
daß ein Mann mit jo Shwa:| — UnangenehmerBeslift der Blutigel.“ 
her Stimme die meinigeiruf. Schuhmacher: „Wiel — Geograpbiide Er: 
baben möchte!“ Unter dem geht's, Herr Nachbar?" — |flärung. „Vater, warum 
. — Bäder: Schlecht!“ — Schuh- heißt's denn in der Geogra— 
Mm. re — IIRER mader: „Was? Ihnen? Sophie immer europäiſches Feſt— 








zuges, alſo beiläufig nadjler und des J——— 
halb 10 Uhr erſchoſſen wird, ger-Geßler behäbig den Bart 
Lin shaufpieler. wurde Kläger's früheres Er- und ſprach gemüthlich: 
Der geniale Schauſpieler ſcheinen für unmöglich er— 
—— a ſpielte vor klärt. Sofort wettete der|..Eo, * wein. — Teu! Nun 
ahren dem Berliner Publi- Schauſpieler um einen Korb mobi, I Tonne i 

fum in der Weinlaune einen Champagner, daß er das Un: nn... OR: PREMIERE. —— 
argen Streih. Man gab im mögliche möglich machen Dorthin, wo weder Mond nod 
Hoftheater den „Tell“. Kla- werde. Die Wette wurde ger) u En an PR 
ger, der den Gehler zu jpier|halten, denn jeder Vorwand "" Eu; kei frei =: 
len hatte, zechte in der bee zum Trinken war willkom- Ich gehe aus dem Lande und bitt' 
kannten MWeinftube von Qut:|men und Kläger eilte in's e RER 
ter —* Wegner bis knapp Theater. Als nun im dritten) einig, einig. einig! 
vor Beginn der Borftellung.!Acte die Apfelihukicene fam 2 
Der Theaterdiener, der wußte, und Tell auf die frage des, Wohl —* —— Der Vor: 
wo Kläger zu finden ſei, Vogtes, wozu er den zweiten a muß er Evi J ann 
holte ihn aus dem Kreije' Pfeil zu ſich geftedt habe, ee = FH Be 
der Zechgenoſſen. Unmilliglantwortete: "; „au die WB 5* Die 
über die Störung und noch gyir dieſem zweiten Pfeile durd- = eg fe ein — 
nicht voll des jühen Gottes,“ſqeß ih — Gud, * ‘2 in er F onnen, 
verſprach Kläger, längſtens Wenn id mein liebes Kind —* er Berlin mußte er ver— 
um 3,9 Uhr wieder zurüd| froffen bätte... au ig 
zu jein. Da nun Gehler erſt Da ftrih fih zum allge) Sein Meifterftüd lieferteder: 
zu Ende des vierten Auf- meinen Erjtaunen der Künſt- ſelbe Schaufpieler in Brom: 








Lustige Zeitung. 397 








land?* — „Dummer Bua!;lagter: „Nur meinen Betz|drei Jahre lang.” Der jo 
Left denn net allerweil in der ter.“ — Vertheidiger: „Scha⸗ dulden mußte, kounte es glüd: 
Zeitung: Schütenfeft, Turner=|de! Wenn Sie die ganze Fa— licherweiſe nicht mehr leien. 
feft, Sängerfeit? D’rum heit milie ermordet hätten, hätte — Elegiſcher Stoßſeufzer 
halt Europa a Feſtland.“ man auf geiftige Unzurech- eines Menſchen, der eine wirt: 
— WieKarlchenSchul-nungsfähigkeit plaidiren kön lich muſikaliſche Garriere ge: 
je „Erfter wurde. Karl-nen.“ macht bat: „Was, ich joll 
hen lommt freudejtrahlend „AUngellagter, haben nicht muſilaliſch jein? Schon 
aus der Schule und erzählt/Sie noch etwas zu ſagen?“ in meiner Kindheit hing mir 
dem Bater, dab er in der — „Ih rufe den Himmel der Himmel voller Geigen. 
franzöfifhen Unterrichtsclaſſe zum Zeugen an, dab ih un: Dann hörte ih oft den 
Grfter geworden jei. Valer ſchuldig bin!” — „Jetzt wer: Brummbaß meines Waters 
(erjtaunt): „Aber Junge, das|den feine Zeugen mehr ver- und wurde nach Noten ge: 
ift ja gar nit möglid, Du nommen.“ prügelt. Als ich jpäter ſtu— 
baft im Franzöſiſchen ſtets — dierte, fiel ih mit Bauten 
ſchlechte Genjuren erhalten.‘ . und Trompeten dur, mein 
Karlen: Janz Kar ift mir) Funk und Kiteratur. väterliches Erbtheil ging flös 
die Sade ooch nid. Der) — Rofitanstfi, der Vaz|ten, ih wurde Sänger und 
Lehrer wollte willen, wagjfer der beiden belannten man pfiff mich aus, jett 
„jeboren” uf Franzöfiich peeit, Opernfänger, war befanntelpfeif ih aus dem  Iehten 
Nu fragt er der Reihe nach lich Profeffor der Pathologie Loche — und nun joll mir 
— Keener werk et. Wie erjan der Univerfität zu Wien. trogdem abgeſprochen wer: 
ſchonſt janz witig iS, lommt Außer diefen Sängern hatte den, daß ih mufifaliid bin, 
er zu mir und fragt: Karl-er no zwei Söhne, welche da ich vortrefflih Trübjal 
chen, weeht Du vielleicht, wie als tüchtige Aerzte einen Ruf blaſen Tann ?" 
geboren heeit? — Nee, ſage geniehen. Als der alte Pro: 
id. Dadruf ficht er mir jroß feſſor eines Tages gefragt j 
an und meent: Aljo von diejwurde, wie es jeinen vier Gefdjäftszeitung. 
janze Schafheerde fonnte nur Sohnen erginge, gab er! — Unter dem fFedervich 
Gens meine Frage richtig be: fopfihüttelnd zur Antwort: ſind jedenfalls die Hühner 
antworten. Karlchen Schulze „Ja, ſehen Sie, mein Lie: die höflichiten, das ſieht 
ſehe Dir als Primus obenan.“ ber! Zwei „beilen‘, und zweilman an den vielen Kratzfüs 
„ eulen,‘ und die, Die „beu: Ben. _ In frankreich ſoll näch— 


len,‘ verdienen noch viermal tens mit roßem om das 
Gerichksſaal. ſoviel wie die, die „heilen.“ nt J Ren Ba 
— Bertheidiger: „Sie has| — Alsjeinerzeit derſSchrift. der Kartoffel gefeiert wer: 


ben nur ihren Better getöd⸗ ſteller Kühne die früher von|pen, an dem fi die 
N j ‚ ganze 
— — Laube geleitete „Zeitung für Nation betheiligen wird. Die 
E die elegante Welt“ im Leipe gartoffel verdient dieſe Ehren: 
— ———— — — zig übernahm und der be— bhezeigungen in der That, 
berg. Höchſt angeheitert be⸗kannte Witzbold Saphir weripenn ftreng genommen ver: 
trat er während eines Gaſt- gen diejes Wechſels um jeinelpankt Fraukreich diejem Ge: 
ſpiels die dortige Bühne und Anfiht befragt wurde, er— wächs jeine Stärke. 
wurde, da feine unfihere Hal- widerte er jofort: „Nun, was) _ Als Mufter einer 
tung fi deutlich bemerkbar ſich Laube nicht erfühnt hat,Imodernen Reclame theilt 
madte, von zahlreih anwe- wird Kühne ſich wohl nicht ein Leipziger Blatt die nad): 
jenden jungen Leuten mitlerlauben.‘ ftehende Anzeige mit: „Die 
Enthufiasmus — ausgepfif- — Nad einer verunglüch- hon mir angefertigten Tele: 
fen. Kläger lam nicht aus der ten Tannhäufer- Aufführung sfope bringen ſelbſt eine 
Faſſung. in einer Provinzialſtadt fiel Fliege, die eine halbe Meile 
Nach einer furzen Pauſe es den Fortgehenden auf, Daßlentfernt ift, jo mahe, daß 
trat er hart an die Rampe die Büfte Nihard Wagner's man fie brummen hören 
und hielt folgende Anipradhe:jauf dem Foyer von ihrem fann.“ 
„Ver—ehrtes Publicum !| Poftamenteverihwundenwar. 
Wenn ein Künftler, wie . . . Dafür fand man ein Zettel: 
Wilhelm Hlä- ger, in einemſchen mit der maliciöfen Mel: Telegramm. 
Neft, wie Brom—berg, ga⸗ dung: „Bon der herrlichen — Ein junger Ehemann, 
ftiert, dann muß er ent—we⸗ Aufführung meines Tannhäus|der glüdliher Pater von 
der ver—rüdt oder bejoffen/jers bin ich noch ganz weg! Zwillingen geworden, tele: 
fein... Ich habe den letze Ergebenſt Richard Wagner. |graphiert fofort an die be: 





teren Zuftand gewählt.” — Der Drudjehlerteufel war|jorgten Schwiegereltern: „Deus 
Das Halloh Tann man ſich einſt boshaft genug, in denite früh Zwillinge befommen. 
denten. Nekrolog eines Qirtuojen hin] Morgen mehr.” 


einzubringen: „Er dudelte 


398 





Büder. 


Win. Bon Friedrich Schlögl. 
Züri, Caeſar Schmidt.) 

“Gedrängter und doc dabei erichöpfend, 
ſachlicher und doch anmuthig fejlelnd von der 
erften bis zur legten Zeile fann wohl faum 
eine Großftadt und deren Bewohner beſchrie— 
beu werden, als e8 hier unjer Schlögl gethan 
hat. Einen treueren und zugleid charakte— 
riftiicheren führer dur Wien fann man 
nicht mehr finden. Wer das, nebenbei ge: 
ſagt, mit fünftleriih und präcife ausge: 
führten Jlluftrationen geſchmückte Wert 
auch nur liest, und wäre er hundert Mei: 
len vom Stefansthurme entfernt, der kennt 
Wien. Es ift jedoch mehr als ein Frem— 
denführer, es ift ein ethnographiiches Wert 
in ernfterem Sinne; tiefe Wahrheitsliebe, 
edler Freifinn und männlicher Freimuth 
find die ethiſchen Vorzüge des Buches, 
Ueberſichtlichkeit, ſcharfe Plaftit in Zeich— 
nung des geſchichtlichen Theiles, wie des 
Vollslebens find deſſen künſtleriſche. Ein 
altes, echtes Wienerherz, wie Friedrich 
Schlögl es iſt, der ſeit Metternich ber alle 
Stufen der Entwidelung Wiens miterlebt, 
mitgelitten und mitgejubelt hat, der alle 
Schichten des Bolfes, feiner Literatur und 
Kunft auf das Genauefte fennen gelernt 
hat, in deſſen eigenftem Blut jelbft die 
Fehler und Tugenden des Wieners leben 
und der das rechte Auge befigt, um zu 
jehen und den richtigen Humor, um über 
Allen ftehend doch mit Allen intim zu jein, 
und uns die Wiener jo zu jagen dem in 
Arm vorzuführen — nur ein folder Mann 
lann das Buch jchreiben, das er hier ge: 
ſchrieben hat. 

Staunend über die Genauigkeit der 
Darftellung, gerührt von der heißen Liebe 
des Verfaflers zu feinem Wien, dem er 
aleihwohl die jhärfften Nügen in das Ge: 
fiht jagt, und dankbar endlih für den 
Wert des Wertes, für den Genuß bei der 
Lectüre — fo legen wir das Buch aus der 
Hand, um mit diefer die des Berfaflers 
herzlich zu drüden. R. 


Onlturbilder aus dem Ofen von fer: 
dinand Schifflorn. (Leipzig. E. Pe: 
terjon.) 

Kommt ein Sritifer des Weges und 
jagt, der Verfaſſer der Gulturbilder 
reiche faft an 8. EG. Franzos hinan — 
kommt nun ein Anderer und meint, der 
Verfajler habe Uehnlichleit mit M. Jölai. 
Doch weit gefehlt! Die Individualität des 
Autors ift in dieſen „Bildern“ von jo 
iharfen Umrifjen, dab wir niemand Ans 
deren darin zu erfennen vermögen, als — 
Sıifflorn, denn diefer Name bedeutet 





nn 


einen Mann, der das, was er für gut fin: 
det, mit deutſchem Mannesmuth herausiagt 
— unbefünmert, ob Jemand darob feinen 
Mund jchief zieht. „Ie mehr Feind’, deito 
mehr Ehr'!“ jagt er als „alter Lands: 
inet” mit Frundsberg. — Das Bud, 
defien „Berechtigung“, mit den eigenen 
Worten des Berfaflers, „vor Allem in der 
Wahrheit feines Inhaltes im Gegenfage zu 
tendenziöfer Schönfärberei wie chanviniſti— 
ſcher Berlogenheit liegt,“ enthält 22 Er: 
zählungen aus Ungarn und Rumänien, 
von denen die Erzählung „Urſachen und 
Mirfungen“ für jeden Defterreiher hiſto— 
riſch intereffant if. — Ob die Cultur— 
bilder verloren hätten, wenn bie und da 
der novelliſtiſche Aufputz weggeblieben 
wäre? — Ob hingegen die Erzählun— 
gen gewonnen hätten, wenn fie ſtatt „Eul: 
turbilder* in der Taufe einen der „Wahr: 
heit und Dichtung“ ähnlichen Namen er: 
halten hätten? — Dieje Fragen wollen 
wir bier nur aufmwerfen, aber nicht beant: 
worten. — tt — 


J 


Aus Beren Walther’s jungen Wagen. 
Eine Geihichte aus Defterreihs Vorzeit 
von Victor Wodiczka. (Leipzig. Der: 
mann Dackel.) 

Hiſtoriſche Nomane, der Geſchichte un: 
jeres Baterlandes entnommen, von wahr: 
haft fünftlerifher Bedeutung, bejigen wir 
wenige, und fönnen jomit das Erſcheinen 
diefes Werkes, das von entidiedenem Ta: 
lente des BVerfaflers zeugt, nur mit umſo 
größerer freude begrüßen. Die Handlung 
ift tüchtig geihürzt, die Charaktere treff: 
lich gezeihnet, das hiſtoriſche Eolorit ein 
überaus getreues. Wenn der Verfaſſer für 
die Folge etwas zu vermeiden hat, was 
den Findrud feiner Werke jhädigen fönnte, 
jo ift es Die ftellenweife zu große epiiche 
Breite jeiner Schilderungen, womit jedoch 
nicht geſagt jein fol, das diejelben jedes 
Interefjes entbehren. 

Guſt. Andr. Reßel. 


Wiederholt erinnern wir daran, daß 


gegenwärtig bei Amelang in Leipzig 
Adalbert Stifter’s ausgewählte Werke liefe— 
rungsweile ericheinen. Es ijt Bedürfnis 
und Pflicht eines jeden wahren Xiteratur: 
freundes, die Verbreitung der edlen, in 
ihrer Art einzigen Werle Stifter's zu un: 
terftügen. Ob es in der erzählenden Lite: 
ratur elwas Reineres, Innigeres gibt, als 
z. B. „Aus der Mappe meines Urgroß— 
vaters,* „Das Heidedorf," „Zwei Schwe: 
itern,“ „Der Dodwald,” oder etwas in 
jeiner ftilen Einfachheit Gewaltigeres, als 


vn 5 u 


399 


den, Abdias,“ den „Bergfryftall, oder et: | miniftration von „Schule und Haus“, III 
was Humorvolleres und Nührenderes als | Beatrirgafie 28 in Wien. V. 
den „Hageſtolz“ oder „Kalkſtein“? Es iſt 
eine ernſtheitere, friedvolle Welt, in die — 
Stifter ſeine Leſer einführt. Alle werden 
ihn nicht verſtehen, aber wer ihm folgen „Grüß' Gott!“ Ein Blatt für Oeſter— 
kann, der wird an dieſem großen Poeten reichs deutſche Jugend. Erſcheint monatlich 
ein glücklicher Leſer. R. zweimal. Mit Bildern und Beilagen. (A. 
Pichler's Wwe. & Eohn. Wien.) 
— Der Inhalt der Zeitſchrift wird fol— 
gende Gruppen umfaſſen: Erzählungen, 
Märchen, Fabeln, Theater, Sagen, Legen— 
Terdinand Schmidt. Feſtſchrift zu ſeinem den, Gedichte, Sprüche, Geſchichtliches, Le— 
70. Geburtstage von Hermann Jahnke. | bens- und Gharakterbilder, Eulturbilder, 
Mit Titelbild, (Berlin, Fr. Senſenhauſer'ſche Vollsbräuche, Geographiſches, Neilebeichrei: 
Buchhandlung.) bungen, Thier: und Pflanzenbilder, Thier: 
Wenn es galt, ein mwahrbeitägetreues | ‚ geiichten, Tehnologiihes, Heiteres in 
Bild des erfolgreihen Wirkens des Schul— Wort und Bild, Anekdoten, kleine Weltpoft 
mannes, Vollspädagogen und Jugendichrift: | (Wiffenswertes aus der Zeitgeihichte), Schnit: 
ſtellers Ferd. Schmidt vor den Augen des zel (allerhand kurze Mittheilungen), Lieder 
deutichen Volkes zu entroflen, jo war gewiß; mit einfaher Glavierbegleitung, Allerhand 
Niemand mehr berufen dazu, als Hermann | Kurzweil, Bildung des Verſtandes, Ver: 
Jane. Mit wohlthuender Wärnte ſchildert edlung des Herzens, Anleitung zu finniger, 
er die innerliden Entwidlungsphaien und | nütlicher und unterhaltender Beihäftigung, 
die unermüdlihe Scaffensfreudigleit des | Stärfung und fräftigung der Liebe zu 
gefeierten Jugend: und Vollsbildners. Man | Heimat und Baterland, Wedung des deut: 
merft es dem Buche wohl an, daß jein Ver: ‚Iden Stammesbewuhtjeins, ftrebt diejes 
faſſer in der Vegeifterung für ein jo jegens: neue Jugendblatt an, das wir allen Sin: 
reiches Streben den Gefeierien nicht nachſteht. —* auf das Wärmſte —— 
— tt — 


— | — 


Es gibt leine ernſtere und heiligere Zeitſchrift des Deutſchen und Oeſterreichi— 

Pflicht als die vernünftige Erziehung und ſchen Alpenvereins. Redigiert von Th. Traut— 
naturgemähe körperliche Pflege der Kin: wein. Jahrgang 18856 — Band XV. 
der, feine jegensreichere Arbeit, alS deren Mit 20 Tafeln und 20 Figuren im XTert. 
geiftiges Streben verjtändnisvoll zu unter: Von den ganz vorzüglichen Aufſätzen 
ſtühen und ihnen den Weg zu dem vorge: dieſes Jahrganges find beionders zu er: 
ftedten Lebensziele zu ebnen. Wenn die wähnen: „Die Entftehung der Alpen“ von . 
Eltern für andere Gebiete ihrer Thätigleit | Dr. Karl Haushofer, „Die mittlere Wärme: 
ſich gerne die Hilfe eines literariichen Nath: | vertheilung in den Oftalpen* von Dr. Julius 
gebers, welder in Geftalt irgend einer | Danın, „Die Hohen Tauern und ihre Eisbe— 
Fachzeitſchrift im Haufe Eingang findet, | dedung* von Eduard Brüdner, „Bute Be: 
gefallen laſſen, jo werden fie gewiß auch | Tannte aus den Alpen“ von Hans Gras: 
„Schule und Haus“, Zeitichrift zur Förde: berger und „Kärntneriiche Gebräuche bei Ge— 
rung der Erziehung und des Unterrichtes, | burt und Tod“ von Rudolf Waizer. Alpen: 
mit Freuden begrüßen. Das Blatt macht | freunden — und das find wir ja Alle — 
die Eltern mit der Schularbeit vertraut, ‚Tann dies Jahrbud auf das Wärmfte em— 
gibt Winfe, wie man den Kindern die pfohlen werden. M. 
Lernarbeit erleichtert, deren Studienerfolge | 
fihert und der Jugend das Leben jichöner, — 
die Zukunft glücklicher geſtaltet. Die Re— 
Daction (zwei am Wiener Lehrer-Pädago— . ; 
gium wirkende Fachmänner, die Herren Dem Heimgarten ferner zugegangen: 
3. Eichler und E. Jordan) ertheilt unent: Der lebte Ritter. Ein Bilderfranz aus 
geltlih Auskünfte in allen fFragen auf dem | dem Leben Kaiſers Marimilian I. Bon 
Gehiete der öffentlichen und häuslichen Er: | M. Glock. (Wien. U. Pichler's Witwe 
ziehbung und Bildung, und jomit Tann |und Sohn. 1886.) 
„Schule und Haus" allen jorgfamen GI: | Der Bildithaler, Bolfsftüd mit Gefang 
tern als treuer und verläßlicher Rathgeber \in 3 Aufzügen von Leopold Winter. 
bejtens empfohlen werden. Das Blatt, wel: | Gejangsterte von Leopold Hörmann. 
ches am 1. Jänner 1887 jeinen IV. Jahr: | Mufit von Eduard Steinböd. (Reg. 
gang begann, ift zu beziehen durd) die Ad: | London. Nat. Hall. Münden. 1887.) 


Wie die Gutendorfer reid wurden. Eine 


400 


R. A., Franzgensbad: Die folgenden 


Gedichte aus dem Volle von Leo GE. | Aphorismen nicht übel: 


Pribil. (Wien. Wilhelm Frick. 1887.) 

Schlichte Geſchihten. Drei Erzählungen 
von Nanna Hart. (Plauen i. ®. Guftav | 
Zange. 1886.) 


Raahleide. Gediht von Helmer son! 
Elm. (Wolfenbüttel. 3. Zwißler. 1886 ) 

Meufchenlieder von Adalbert von 
Hanjftein. (Berlin. C. F. Conrad. 1887.) 

Moraliſche Gebrechen der Jugend, Ur⸗ 
ſachen und Heilung derſelben. Bon Yo: | 
bann Dreſcher. (Graz. Druderei Leykam. 
1886.) 

Bon der Oflfee bis zum Aord-Cap. Eine 
Wanderung dur Dänemark, Schweden und 
Norwegen von Ferdinand Krauß. Bis 
zum 6. Heft erichienen. (Neutitſchein, Wien 
und Leipzig. Rainer Hold). 

„Deuifhe Blätter,“ Monatshefte für Li: | 
teratur, Kunſt und öffentliches Leben. Her: 
ausgeber Hans N. Krauß, Eger. | 

Soromotivfiihrer- Kalender. für Defterreiche 
Ungarn. 1887. (Wien, Thomas Hafner.) 

Sahresberiht über das k. k. Gymnafium 
in Trieſt. Beröffentliht am Schluffe des | 
Schuljahres 1886. (Trieft, Deft.-ung. Lloyd.) | 





An der Liebe herriht das Mädchen, 
In der Ehe bereit der Maun; 
Wer in beiden Ephären berridet, 
It in einer ein Tyraun. 


Weib! mit dem Pantoffelhelden 
Biſt Du wahrlich fdleht daran; 
Ale Welt muß Did bedauern, 

Denn Du baft ja feinen Mann. 

C. A. Sch. Brüx: Volksſchullehrer in 
Vös lau. 

3. %., Bweltl: Betreffenden Aufſatz fin: 
den Sie im Maiheft 1883. Der Autor fommt 
aber in jeiner Autobiographie, die fidh bis 
in die neuefte Zeit erftredt und im Heim: 
garten allmählich ericheint, öfter auf Zwettl 
zurüd. — Der verehrte Dichter äußerte ſelbſt 
wiederholt den Wunſch, feine Heimat zu be: 
fuhen. Wenn fi feine Geſundheit beſſert, 
lommt es hoffentlih wohl nod dazu. 

3. M., Reihienberg: Wenn wir dieje3 
erfte Gedicht Ihnen zuliebe abdrudten, jo 
fämen Eie dann mit dem zweiten, dritten, 
mit einem ganzen Dubend, die wir doch nicht 
brauden könnten. Ohne Verdruß gienge es 
nicht ab; wir machen ihn heute und dann 
ſolls abgethan jein. 

DB. B., Ling: Vermachen Sie den Ge: 
genftand dem Beethoven : Mufeunm, welches 
demnächſt in Heiligenftadt bei Wien gegründet 


Poftkarten des Heimgarten. 


X X 68 wird angelegentlichft erjucht, 
Manuſcripte erft nah vorheriger Anfrage 
einzufenden. Für unverlangt eingeididte 
Manujcripte bürgen wir nicht. Externe Ar: 


werden joll, Die heutige fleine Sammlung 
dort joll fi allmählich zum „Muſeum“ ent: 
falten und als ſolches eine Bibliothek, eine 
Bildergallerie, eine Sammlung plaftiicher 
Werke und Reliquien (Manufcripte, Mufi: 
falien, Porträts, Gemälde, Büften, Münzen) 
von und auf Beethoven u. j. w. enthalten. 

23.2. v. T., Riga: Sie erfuhen uns 
Ihnen mitzutheilen, was Glüd jei. Ein 
Glück ift, daß Sie nicht bei uns find, wir 


beiten honoriert die Berlagshandlung nit. | würden Ihnen über ein ſolches Anfuchen 


W. R., Gray: Tröften fie ſich darüber, 
daß Sie in jenem Wiener Standalblätt: 
hen geihmäht wurden. Schlimmer ift’s, 
in demfelben gelobt zu werden. 


Bir Die Nedaction verantwortliih 9. A. 





fauber die Leviten lefen. Wollen Sie in der 
That über den Gegenftand eiwas vernehmen, 
ſo Schlagen Sie „Deimgarten‘ VIII. Jahrg., 
Seite 453 auf. 


Bofegger. — Druderei „Leylam“ in Graz. 


en “EL; — 
A— 


XI. Jahrg. 


—— 







Stationen meiner Lebenspilgerſchaft.“) 
Bon Robert Hamerling. 
v1. 
Bon der Mur zur Adria. 





RE habe im vorigen Abſchnitt I mir nicht eingefallen wäre, mein Leben 


2, meiner Bekenntniſſe die Abficht | zu befchreiben, Hätte man nicht die 
ausgeſprochen, als nächſte Fortſetzung | Gepflogenheit, ein Dichterleben gelegent= 
derfelben Auszüge aus meinem Ferien- lich als Stoff für Fenilletons und 
Ingebuh von 1850 —51 zu geben. Eſſays mit freier Erfindung zu bes 
Aber ich finde es nachträglich doch be» handeln, auch an mir geübt — fo 
denflich, den Lefer fo lange bei der- geſchieht es deshalb, weil bei der 
ſelben Jugendepoche feitzuhalten, ver- Veröffentlichung diefer Belenutniſſe in 
Ichiebe deshalb die Mittheilung jenes | Bruchftüden eine gethane Aeußerung 
Tagebuch: auf eine jpätere Zeit und leicht vergelfen wird und nicht Allen, 
Gelegenheit, und beeile mich vor der welche Gegenwärtiges lefen, auch das 
Hand, fortzufahren im meinem Versuch, | Frühere zu Gefichte gekommen ift. 
die Hauptthatfachen meines Lebens Ih bin im meiner Erzählung bei 
darzulegen, fie in ihrer Einfachheit und | dem erjten Grazer Aufenthalte vom 
Wahrheit fiherzuftellen gegen die phanz | October 1853 bis Aprit 1855 an— 
Ialiereiche Willkür biographifcher Skiz- | gelangt. 

zenverfafler. Wenn ich wiederholt auf Nicht Togleih beim erſten Anblid 
die Berfiherung zurückkomme, daß es | entfaltete die anmuthige Murftadt für 











*) Eiche „Heimgarten" 1885: Mai; 1885: März, April, October, November; 
1886: Juni, Juli, October, November. 


Kofenaer's „Örimgarten‘‘ 6. Geft, XT. 26 


mich jenen Zauber, den man ihr nach« Ein eifriges Studium des Per— 
zurühmen pflegt. Bon Wien kom-— ſiſchen fiel in diefe Zeit, das fpäter 
mend, trug ich die allzu lebendige Er— | mit gleichen Intereſſe noch einige Jahre 
innerung an die unvdergleichlich Schönen, ; lang fortgefegt wurde. 
reihen und großartigen Rundjichten Für das Gymnafial«- Programm des 
noch in mir, wie fie in der Umgebung | Studienjahres 1853 —54 fchrieb ich eine 
der Refidenz von der Höhe des Stahlen= | Abhandlung: „Ueber die Grund— 
berges, de3 „Dinmels,“ des Hermannd= ideen der griehifhen Tragö- 
fogelö u. ſ. w. nach einer Seite über) die,” über welche Bonik in der Zeitz 
die Riefenftadt und den Niefenftrom, | Schrift für öfterreichifche Gymnaſien fich 
nad der andern fiber gewaltige Ge= | beifällig äußerte. 
birgslandfchaften ſich aufthun. So Dazu kam die Vorbereitung für 
fonnte ich, auf dem Grazer Schloß: | meine Lehramtsprüfung. Es war mir 
berge ftehend, mur einen angenehmen, | nunmehr Kar geworden, daß bei der 
aber feinen bedeutenden Eindruck em- Eigenthümlichkeit meiner Berhältnifie 
pfangen. Mein Auge vermißte in der) jedenfalls noch einige Jahre verftreichen 
Stadt unter mir und in den zerftreuten, | würden, bis ich auf dem Punkte ange— 
belanglofen Landhänfern der Umgebung | langt wäre, einen geficherten Haushalt 
architeftonifche Punkte, auf welchen es | auf dichterifche Thätigkeit allein zu 
mit Intereffe hätte ruhen können. Aber | gründen. Ein Supplentengehalt von 
ich verkannte nicht den Reiz des Berges | 40 fl. aber fonnte auch nur ſehr noth— 
und feiner Spaziergänge an und für| dürftig ausreichen. So ſchien nichts 
fich, und wenn ich im dolce far niente | übrig zu bleiben, als durch Ablegung 
der Schönen Septembertage, im welche|der Lehramtsprüfung und Annahme 
meine Ankunft fiel, Trauben und Nüſſe einer wirklichen Anftellung — die ja 
naſchend das Glacis entlang fchlenderte, | im günftigen Moment immer wieder 
entzüdte und feffelte meinen Bli der | aufgegeben werden Fonnmte — den Be— 
herbſtliche Farbenzauber des bewaldeten | dürfnifjen des Augenblids zu genügen : 
Abhangs, mit feinem Purpur und den | um jo mehr, da durch eine forgenfreie 
hundert Schattierungen feines welfen= | Lage, wie ich hoffte, auch dem poeti= 
den Laubgrüns. chen Beftreben Vorſchub geleiftet wer— 
Die Thatfachen diefes meines erften, | den konnte. 
anderthalbjährigen Grazer Aufenthalts Nachdem ich am Schluffe des Schul= 
werden raſch erledigt je. jahres 1853 — 54 einen Tag lang, von 
In poetifcher Beziehung war diefe) Morgen bis Abend, meiner Thätigfeit 
Epoche für mich nicht fonderlich Frucht: | als Eraminator für das Griechische und 
bar. Bon Gedichten, welche Später in | Lateinische bei der Maturitätsprüfungen 
die Sammlung „Sinnen und Minnen“ |obgelegen — man Hatte den Tag für 
übergiengen, entftanden die Lieder: dieſe beide Fächer ausschließlich beftimmt 
„Troſt“ (S.9), „Roſenlied“ (S. 14), | — reiste ih am folgenden Morgen nad 
„Meeresliebe* (S. 17), „Ich Seh’ Dich | Wien ab, um mich dort fofort felbft 
heut zum erftenmal* (S. 142), „Ein als Prüfling vor der Commiſſion ein— 
Moment” (S. 340); die Gafelen:| zufinden, welche aus Mitlofich als Vor— 
„Spielzeug“ (S. 317), „Ruhe“ (S. ſitzendem, Bonig für das Griechiſche, 
317), „ch will ja nichts“ (©. 318), | Gryfar für Latein und Hahn für deutſche 
„Wie, Du liebft mich nicht ?* (S. 319); Sprachwiffenfchaft beftand. Durch die 
die Sonette: „Verfchollene Liebe“ (S. Strapazen der vorherigen Tage war 
243), „Du“ (S.303), „An M. M.“ ich jo angegriffen, daß ich mich krank 
(urfprünglih „An P.“ überjchrieben, | gemeldet Haben würde, hätte nit Bonig 
©. 345); die Diftihen: „An 2.“ | mit aufmunternden Zuspruch mir im 
(S. 179), „An Bauline* (S. 181). letzten Augenblide noch Muth gemacht. 


— — —— — — — — — —— — — — — — — 


408 


Das umfangreihe Prüfungs: Pro- 
tofofl und Lehramts-Zeugnis — es 
unfaßt ſechs Foliofeiten — ſprach mir 
die Befähigungzu, Griechiſch und Latein 
am ganzen Gymnaſium zu lehren; für 
das Lateinische wurde die „Leichtigkeit“ 
der Ueberjegung anerkannt, für das 
Griechifche die „Gewandtheit und Ber 
ſtimmtheit derfelben, „ſelbſt der ſchwie— 
rigeren Stellen,“ und die „Genauigkeit 
der Erklärung,“ ſo wie die „in mancher 
Hinſicht in das Einzelne reichende 
Kenntnis der Realien.“ In Betreff des 
Deutſchen aber lautete das Urtheil 
wörtlih wie folgt: „Der Candidat 
hatte, wie er jagte, für das Deutfche 
die Lehrbücher von Bauer und ähnliche 
ftudiert; man bat aber aus feinen 
Antworten nicht entnehmen fönnen, 
dab dies mit der erwünschten Gründ— 
lichkeit gefchehen ſei.“ 

Es hatte damals eine eigene Be— 
wandtnis mit den Prüfungen aus dem 
Deutfhen bei Gandidaten für das 
Gymnaſiallehramt. Jedem Candidaten, 
was immer für eines Faches, oblag 
es, fih auch aus dem Deutfchen einer 
feinen Prüfung zu unterziehen. Aber 
das Ergebnis dieſer nebenfächlichen 
Prüfung follte — fo lautete die Ver— 
fügung — feinen Einfluß haben auf 
die Entjeheidung der Lehramtsprüfung 
im Ganzen. Die Folge hievon war, 
dab die Bewerber, fattfam im An— 
Ipruch genommen durch ihr Fachſtu— 
dium, den Formelkram der deutjchen 
Grammatit abfeits liegen und ſich 
fedlih eine Unwiſſenheit befcheinigen 
ließen, die feine praftiichen Folgen für 
fie hatte. Auch mir fehlte zur Zeit der 
Ehrgeiz, in einem Fache, deifen ich in 
der Ausübung mächtig genug zu fein 
glaubte, für und wider nichts auch 
durch theoretifche Kenntnis glänzen zu 
wollen. 

Bekannlich Hat mich diefe Ver— 
ſaumnis nicht gehindert, in Sachen der 
Mutterfpradhe es Späterhin ziemlich ge= 
nan zu nehmen, und fogar ein bißchen 
Pedant zu werden. ch verlieh mich 
auf das Spracdgefühl und auf die 


Anleitung, die ih aus der Lefung 
unferer claſſiſchen Schriftftefler fchöpfte, 
und Hatte daran, Faft möchte ich jagen, 
mehr als genug. Reicht dergleichen 
doch Hin, einen Menfchen fchier une 
glüdlich zu machen, wenn er fieht, wie 
die ſprachliche Fahrläfligkeit und Will- 
für im neueften deutſchen Schrifttgum 
immer mehr überhand nimmt. Auch 
ohne die „Lehrbücher von Bauer und 
ähnliche” ftudiert zu haben, und langer 
Gewöhnung zum Troß, verftimmt es 
mich noch immer gründlich, fo oft ich 
auf das häßliche, täglich häufiger wer- 
dende: „Wenn ih wiſſen würde” 
oder „Würde ich willen, jo” u. f. w. 
ftoße — es ift, wie wenn der Franzoſe 
jagen wollte si je saurais ftatt si je 
savais, oder der Italiener se saprei 
ftatt se sapessi — oder auf das drollige 
Beiwort „Diesbezüglih" — genügt 
das einfache „bezüglich“ wirklich nicht ? 
— oder auf das unappetitliche Grazer 
Lieblingswörtchen „Anwurf“ ftatt Vor— 
wurf, das jo ganz und gar „ungut“ und 
„unnothwendig“ ift — oder in Romanen 
auf das ſchlecht-franzöſiſche: „Ja wohl! 
machte die Gräfin.“ — Bei letzterem 
Gebrauch des Wortes „machen“ fühle 
ih mich immer lebhaft an die Bedeu— 
tung erinnert, welche dasfelbe hie und 
da in der Kinderftube Hat. — 
Meine Eollegen im Supplenten- 
amte am Grazer Gymnaſium — dar— 
unter der Merikoreilende B. Heller, 
der begabte Adolf Fider, Guftav Herr, 
Erasmus Schwab, Eduard Kriſchek, 
Georg Ulrich, Reichel nnd A. bildeten 
einen flotten gefelligen Kreis, der durch 
den Anſchluß junger Docenten der 
Univerfität erweitert wurde, und in 
den ſich angenehm verkehren ließ, dem 
ich aber freilich für meinen Theil bald 
dadurch entrüdt wurde, daß ich einen 
eigenen Haushalt an der Seite meiner 
Mutter und Später auch meines Vaters 
führte. Bon diefem Streife ehrenwerter 
Genoſſen Hob durch Eigenthümlichkeit 
des MWefens und Charakters, insbes 
fondere durch eine unendliche Gemüth— 
lichkeit Jakob Cicigoi fi ab, den wir 
26* 


unter ums gewöhnlich nur „Goi“ zu 
nennen pfleaten. 

So feſt ich mir auch vorgenommen, 
in diefen Mittheilungen mich auf meine 
Perſon zu bejchränfen, jo drängt doch, 
wenn man einmal das Buch feiner 
Lebenserinnerungen auffchlägt, neben 
dem lieben Ich unabweislich jo manches 
liebe und werte Nicht-Ich ſich her— 
vor; und Jo fühle ich auch an diejer 
Stelle wieder das Bedürfnis, ein 
ſchlichtes Denkſäulchen für eine Per— 
ſönlichkeit, die mir gemüthlich nahe 
ſtand, aufzurichten. 

Unſer „Goi“ war Croate von Ge— 
burt, ſprach daher das Deutſche mit 
einem etwas fremden Accent, aber doch 
vecht gut, und wenn ihm jezumeilen 
auf dem Satheder ein Ausdrud ent» 
fchlüpfte, wie: „Sp, nun fperren 
Sie die Bücher zu!” fo läcelten 
zwar die Schüler, aber feinem Anſehen 
fchadete es bei ihnen nicht, da er ihnen 
ebenfo ſympathiſch war, wie den Col» 
legen im Lehramt. 

Bon dem föftlichen, goldreinen Ge— 
müthe diefes Menjchen lohnt es ſich 
einen Begriff zu geben durch ein Ge— 
ſchichtchen, das ich im Verkehre mit 
ibm erlebte. 

Eines Sonntags befuchte ich ihn, 
wie öfter, und fand feine Stirne ge— 
runzelt, wie von ſchwerer Sorge ver» 
düſtert. Ich fragte ihn nach der Urſache. 
„Acht“ verſetzte er, „mir ift eben 
etwas fehr Unangenehmes begegnet. 
Waren da hintereinander ein paar 
Väter von Gymnaſiaſten bei mir, und 
wie fie fort find, bemerfe ich erft, 
daß einer von ihnen einen Ducaten, in 
ein Papierchen gewidelt, auf meinem 
Schreibtiſch zurüdgelaffen bat. a, 
was denfen denn die Leute von Uns 
fereinem ? Und das Schönfte ift, daß 
ich nicht einmal weiß, welder von 
den beiden Vätern es war, der den 
Ducaten unbemerkt auf meinen Schreib- 
tiich legte. Wie ſoll ih es nun an— 
fangen, denjelben zurüdzuftellen  Sofl 
ich von Einem zum Andern gehen und 
fragen: » Herr, find Sie es, der mich 


— 


mit einem Ducaten hat beſtechen wol— 
len?« Und behalten mag ich ihn auch 
nicht! — Ah Gott! (jo ſchloß er 
feine Klage, das Goldftüd aufnehmend 
und wieder Hinmwerfend) wenn ich den 
verwünfchten Ducaten nur wieder los 
| wäre! er brennt mich förmlich in der 
‚Hand !* 

| „Lieber Freund!” gab ich zurüd, 
| „wir haben heute den 27., und ic 
‚bin eben gekommen“ — damit fagte 
lich die Wahrheit — „um Dich zu er- 
ſuchen, mir mit fünf Gulden bis zum 
eriten aus einer Keinen VBerlegenheit 
zu helfen. Leih’ mir den Ducaten, jo 
haft Du ihn aus der Hand, wenn er 
Dich fo ſehr brennt!“ 

„sat“ rief er haftig. 
haft Du ihn! nimm ihn! 
bitte Dih, gib mir ihn nicht zu— 
rüd — hört Du? ich werde Dir’s 
Ihon jagen, wenn ich ihn brauche!“ 

Ih ſteckte den Ducaten zu mir 
und Freund Gicigoi athmete erleich- 
tert auf. 

Ich achtete feine Bitte und war— 
tete geduldig, bis er mir jagen würde, 
daß er den Ducaten brauche. Er Hat 
ihn nie gebraudt. 

Vielleiht wundert fi der eine 
oder andere Lefer, daß jo naive Bes 
ſtechungsverſuche, wie der eben er— 


! 
väh in früherer Zeit vorkamen. 














„Sa! du 
Aber ich 


Sie kamen vor, wenn auch nicht oft, 
und ich ſelbſt war einmal in der Lage, 
den Begriff eines naiven Vaters von 
meiner Ehre und Ehrlichkeit zu bes 
richtigen. Jede Zeit hat eben ihr Eigen— 
thümliches. So war es 3. B. auch 
eine Eigenthümtichkeit jener Zeit, daß 
den Verfehr mit den Profeſſoren die 
Väter der Schüler beforgten. Ich 
erinnere mich feines einzigen Damenbe- 
ſuchs während der ganzen Zeit meiner 
lehramtlichen Thätigkeit. Seit, wie ver— 
lautet, zum größeren Theil die Müt— 
ter jenen Verkehr auf fich genommen, 
mögen die naiden Beftehungsperfuche 
aufgehört haben. Frauen find nicht fo 
naid wie ihre Männer. 


Ein intereffantes Schaufpiel war 
es, wenn es uns Gollegen gelang, den 
jeelenguten Goi einmal zornig zu 
machen. In eben diefer feiner Seelen- 
güte pflegte er uns von Zeit zu Zeit 
zu einem abendlichen Thee bei jich ein 
zuladen, was immer gerne angenom— 
men wurde. Er pflegte den Thee ſelbſt 
zu bereiten, in einem „Schnellſieder,“ 
den er und ſehr rühmte und auf den er 
geradezu ftol3 war. Aber der Thee 
hatte manchmal den Eigenfimm, auf 
diefem „Schnellfieder* durchaus nicht 
— fertig werden zu wollen. Weiß 
Gott, wie es fam, das Theewafler war 
in ſolchen Falle wie verhert, es wollte 
nicht auffochen. Wenn nun Goi den 
langen Leib und das breite bärtige 
Geficht immer jorgenvoller über den 
Schnellſieder beugte, feine Stirne immer 
tiefer ſich runzelte, und zwijchen den 
Runzeln allmählih auch Schweißtropfen 
zu funkeln begaunen, wie Thautropfen 
zwiichen den Furchen eines frifchges 
pflüdten Aders — jo war dies ein 
Anblid, der mehr Mitleid als Heiterkeit 
hätte erweden jollen. Wir aber, mit 
erwartungsvollen, halb ſpöttiſchen Mie- 
nen um unſern Freund her fiend und 
feinen nicht brodeln wollenden Deren 
feljel in's Auge faſſend, weideten uns 
herzlos an feiner VBerlegenheit und an 
feiner Janımermiene, die der eines 
Zauberers glich, dem nichts gelingt, weil 
man ihm zu fleptifch auf die Finger 
ſieht. Trieben wir aber num gar die 
Bosheit jo weit, iiber Hunger zu klagen 
und abfällige Bemerkungen über den 
gerühmten Schnellfieder Fallen zu lafjen 
— da begann es allmählich, nicht im 
Gois Theewafjer, aber in ihm felber 
aufzulohen und aufzumwallen, bis er 
zulegt losplagte: „Ei, nun wollt’ ich 
aber Schon, daß Euch Alle miteinander 
der Teufel holte!" — 

Meine Spaziergänge machte ich 
meiltens in feiner Geſellſchaft. Für 
gewöhnlid war er hHeiteren Sinnes, 
und felbft über Unangenehmes wußte 


wegzufegen. Bon Zeit zu Zeit hatte 
er jedoh auch feine melancholiſchen 
Augenblide und dann ſprach er in 
der Regel von feiner Heimat und da= 
von, daß er am liebften dahin zurück— 
fehren möchte. Das Wort Heimat hatte 
in feinem Munde den Klang, den es 
im Munde von Menjchen Hat, welche 
ein tieferes Gemüth befigen. 

Sein Wunſch gieng übrigens in 
Erfüllung. Er erhielt bald nachher eine 
Anftellung an einem kroatischen Gymna— 
ſium und nahm eine Landsmännin 

zur Frau, welder eine vet hübjche 
Anzahl von Weingärten, ich weiß nicht, 
ob als Ausftener oder als Erbe zufiel. 

Diefe Weingärten wollten gepflegt 
‚fein; Gicigoi entjagte dem Lehramt 
und wurde Delonom. Ich Habe feit- 
her nicht wieder von ihm gehört, aber 
‚daß er bei jeinen Weingärten ſich 
wohlbefindet, fchließe ich daraus, daß 
er den bewuhten Ducaten noch immer 
nicht braucht. 

Ih bin mit meinen Grazer Er— 
innerungen von 1853—55 nicht ganz 
zu Ende. Es liegt ein aus ftenogra- 
phiſch Hingeworfenen Blättern in's 
Reine gefchriebenes Tagebuch vor mir, 
welches für mich das weitaus bedeu— 
tendfte Denkmal jenes erften Grazer 
Aufenthaltes bleibt. Diefes Tagebuch 
enthält eine Herzensgeſchichte — die 
Geſchichte eines „Liebesverhältnifjes“ : 
des erften im meinem Leben, das 
dieſen Namen einigermaßen verdiente 
und das ſich in dem üblichen äußeren 
Formen eines folchen bewegte. Ein 
zwanglofer, inniger und doch zarter, 
ich darf jagen jugendlich-unſchuldiger 
Verkehr mit einem Mädchen ift in 
dieſem Tagebuche jo unbefangen ges 
‚fchildert, wie es mur in einem Tage— 
buch denkbar ift, zumal in einem ſol— 
hen, welches die ftenographiiche Form 
der Niederfchrift zu eimem Buch mit 
lieben Siegeln für andere Perfonen 
macht. Ich Habe das Gefühl, daß be— 
fagtes Liebesverhältniß nur in der 








er Fich mit den Worten: „Thut mir Form, im welcher das Tagesbuch es 


leid — aber es macht nichts!” Hin= |darlegt, verftändlich 


und intereffant 


406 


fein könnte. Es geht aber doch nicht 
an, ein Erlebnis, das im meinem 
Leben Epoche machte, bier ganz zu 
übergehen, und jo muß ich mich auf 
eine kurze Erzählung befchränten, die 
diefer gedränglen Lebensüberichau im 
rechten Verhältniſſe ſich einfügt. 

IH darf in den Hanptfachen ohne 
Niüdhalt ſprechen, da meine Gejchichte 
jih vor 33 Jahren ereignete und fein 
perfönlicher Bezug mehr fie mit der 
Gegenwart verknüpft. 

Als ih von Wien nach Graz ab» 
reiste, war meine Mutter durch Um— 
fände noch ein paar Moden in Wien 
feftgehalten. Bis fie mir nad) Graz 
folgte und wir eine eigene Wohnung 
bezogen, hatte ich mich vorläufig in 
ein Monatzinmmer eingemietet, bei 
einem alten Herrn, Mitwer umd 
Vater eines hübfchen, blühenden Töch— 
terleins von fiebzehn Jahren. Ich be= 
adhtete das Mädchen Anfangs nicht 
ehr; als aber meine Mutter ange— 
fommen war, befreundeten wir uns 
mit der Heinen Familie und es ent— 
ſpann ſich, nachdem wir eine eigene 
Wohnung bezogen hatten, ein reger 
Verkehr von Haus zu Haus. Wir 
braten Häufig die Abende bei dem 
alten Herrn und feiner Tochter zu 
und bald ſuchte ich auch im Freien 
Tagesftunden gern die Gejellichaft des 
lieblihden Mädchens. hr Bater war 
als Beamter den größten Theil des 
Tages vom Haufe abwefend. Ich plau— 
derte mit ihr, pbantafierte auf ihrem 
Clavier, las ihr Platens Sonette und 
Gafelen, Daumer’3 „Frauenbilder und 
Huldigungen“ vor. Nora — jo wollen 
wir das liebe Kind nennen — ver— 
rieth viel Sinn und Verftändnis für 
Voefie; fie wurde warm dabei. Das 
ermunterte mich, mit eigenen Verslein 
berauszurüden und als ich jo, den 
Mantel auseinanderfchlagend, den Or— 
densftern der Poeſie auf meiner Bruft 
enthüflte, da leuchteten Nora's Augen 
von dem gebührenden achtungsvollen 
Eritaunen. Sie war feine Schwär= 
merin, aber jie wußte, wie alle jungen 





Mädchen, die Poeſie Schon deshalb zu 
Ihäßen, weil man in Verſen jo Vieles 
jagen und ſich jagen laſſen darf, was 
man in Profa nicht jagen und ſich nicht 
fagen lafjen dürfte. Ich empfand micht 
eigentlich Liebe für Nora im vollen 
Sinne des Wortes; aber mich plagte 
‚die Neugier junger Leute, die noch 
nichts erlebt haben und die zumächit 
nur wiſſen möchten, ob fie wohl ge= 
liebt werden könnten? Diefe 
heimliche Neugierde der Jünglinge 
und Jungfränlein erweist ji oft 
verhängnisvoll; fie wird für Liebe ge= 
nommen und führt zu „Verhältniffen“, 
deren Zwed im Grunde mit der Lie= 
beserflärung erreicht ift und die da= 
mit ein Ende haben follten. 

Vorfihtig und befcheiden, aber 
harnılos folgte ich dem Zuge dieſer 
jugendlichen Neugier Nora gegenüber. 

Eines Tages ftand ich mit ihr 
am Yenfter- Da gieng unten in der 
Straße ein junger Mann vorliber, der 
zu Nora hinaufblidte. Sie erröthete... . 

„Ah, das gute, liebe Kind hat 
einen Liebften!“ — Mit dieſem 
Ausrufe beginnt mein erwähntes 
| Tagebuch. 

Nora geftand mir, jener junge 
Mann Habe früher ein Monatzimmer 
in ihrer Yamilienwohnung innmegehabt, 
habe fie da, während fie faft noch ein 
Kind war, liebgewonnen und noch 
immer feien fie ſich gut; aber fie 
könnten ſich nur felten fehen, da ihr 
‚Vater dem jungen Manne dad Mo— 
natzimmer gekündigt und ihm fireng 
verboten habe, in's Haus zu kommen. 

Von diefem Augenblide an war 
es natürlich bei mir entfchieden, wie 
ich mich fortan bei Nora zu benehmen 
hätte. Ich konnte ihr nur mehr ein 
Freund, ein Vertrauter fein. In ju— 
gendlicher Unbefangenheit glaubten wir 
‚beide unferem Gewiſſen genuggethan 
zu haben, wenn wir einander nichts 
weiter waren und blieben als eben 
Freunde. Aber der Glorienjchein ge— 
wifienhafter Zurüdhaltung und Selbit- 
beherrſchung machte uns einander nur 





um fo intereffanter. Nora war an nicht umhin, mir jelbft im Stillen die 
manchen Tagen auffallend blaß, mache | Frage aufzumwerfen: Wenn Nora fich 
denflih und fill; und im meinen | Schon einmal in ihrer Derzensneigung 
Verſen — warum Hätte ich Nora | getänfcht, kann nicht auch ihre jegige 
meine Gedichte nicht mehr vorleſen Neigung wieder nur eine Täuſchung 
ſollen? — mifchte fich dem Ausdrud | fein ? 

entjagungsvoller Gelinnungen inScerz Ich verhehlte dies Bedenken Nora 
und Ernft ein Hauch von Schwermuth nicht, als ich fie zum erftenmal nach 
bei, der ihre Wirkung über meine jener entjcheidenden Scene mit Adolf 
Abjiht und über mein Verlangen wiederſah. Ich bat fie, zu erwägen, 


- Hinans fteigerte. 

Bald konnte ich mir micht ver— 
hehlen, daß Nora unter inneren Käm— 
pfen leide. Eine Zeitlang jchien fie 


zu ſchwanken und zuleßt glaubte fie, | 


den Freund und Genofjen ihrer frü— 
heiten Jugend nicht mehr zu lieben, 
nie wirklich geliebt zu haben. Mein 
Benehmen war bis dahin jo pflicht- 
mäßig und ehrlich geweſen, als es die 
Naivetät und die mangelhafte Er— 
ſahrung der Jugend zuließ. Aber nun 


ftedte mich Nora mit ihrer Halbheit, | 


ihrerlinentichiedenheit an und ich wußte 
zulegt nicht mehr, ob ihr Verhält— 
nis zu Adolf überhaupt rejpectirt zu 
werden verdiene oder nicht. 

Da brachte ein Tag ganz plößlich 
und unerwartet die Entjcheidung. Adolf 
battle ſich auf einem Spaziergange, 
welhen Nora in Begleitung einer äl— 
teren Frau machte, zu ihr gefellt und 
geradezu die Frage an fie gerichtet, 
ob ihr Herz noch ihm gehöre, hatte 
jie aufgefordert, es ihm ohne Nüdhalt 
zu geftehen, wenn es Zeit für ihn fei, 
fih gänzlih von ihr zurückzuziehen. 

Nora entſprach feiner Aufforderung. 
Ermuthigt durch feinen lebhaften Zu— 
Ipruch geftand fie ihm, daß fie einen 
Andern liebe. Als er fie fragte, ob 
jie auch wiedergeliebt werde, gab fie 
zur Antwort, fie wiſſe es nicht. 

Als jene ältere Frau, im deren 
Geſellſchaft Nora bei diefer Unter— 
redung mit Adolf ſich befand, auf 
Nora’ eigenes Erfuchen mir den gan» 
zen Borgang erzählte, war ich im 
höchften Grade überrafcht und faft bes 
ſtürzt. Mich rührte das Schickſal des 
unglüdlichen Liebhabers und ich konnte 


ob wir nicht unfere Herzen noch län— 
ger prüfen jollten, bevor wir einan— 
der eim bindendes Gelöbnis machten. 
Sie war einverftanden. 

Es widerfirebt mir: beinahe, in 
‚einer Erzählung fortzufahren, bei wel= 
her ich die Einzelnheiten, eben das, 
was eigenthümlich an ihr ift, über- 
gehen muß, fo daß falt mur der alle 
‚tägliche Umriß einer oft genug dage— 
wejenen Herzensgeſchichte übrig bleibt. 
Ih eile daher zum Abſchluß. 

Immer fiel es mir Schwer, zu 
‚glauben, daß Nora den Berftogenen 
‚ganz vergefien habe. Und als jie ſpä— 
ter einmal, um diefen Verdacht in 
mir zu erjtiden, die Haarlocke Adolf’s, 
die fie eimft von ihm zum Andenken 
erhalten hatte, dor meinen Augen 
in’3 Teuer warf, da fühlte ich mich 
‚mehr aufgeregt al3 beruhigt und ſah 
mit jeltfamen Gefühlen das Haar in 
den Flammen verkniftern und vers 
‚loden ... 
| Aber von einem dunkel bejchat- 
teten Hintergrunde hebt ein Liebes= 
leben ſich um fo reizender, um ſo 
füßer in Momenten des Vergeſſens, 
des reinen Glüdes ab. In den Vers 
lauf eines halben Jahres drängte ſich 
ein Idyll voll Holder Tändelei, unter— 
brohen von den Heinen Gewittern 
und Thränenregenjchauern, welche das 
glühende Herz wohltgätig erfriſchen. 

Das entzieht ſich Hier der Scil- 
derung. Um fo jchroffer muß der 
Uebergang erfcheinen zu dem was 
folgt. Aber die Phantajie des Lefers 
wird die Lüde vielleicht ergänzen. 
Der 11. December 1854 war der 
| Tag, an welchem ich mich losjagen 





408 


mußte don einem Wejen, bei weichem, 
wenn e3 auch den frühen, jugendlichen 
Idealen der Dichterfeele nicht ganz 
entſprach, mir doch zum erften Male 
tiefeinnig wohl geworden, was id 
freilich erſt jeßt ganz empfinde und zu 
würdigen im Stande bin. 

Ein mich betreffender Umſtand zu— 
nächft und weiterhin ein Zwifchenfall 
in Nora's Haufe waren es, welche 
diefe Wendung der Dinge herbei— 
führten. 

Mein Haushalt war ein Heiner, 
feftgefchloffener Kreis, an deſſen Er— 
weiterung nicht gedacht werden konnte. 
Aus der Möglichkeit einer Durch— 
brechung desjelben war Unheil erwach— 
ſen, welches ſchwer auf mir laſtete, 
und welchem durch einen entſcheidenden 
Entſchluß irgend welcher Art begegnet 
werden mußte. 

Während dieſe Bedrängnis mich 
rathlos machte, trat jener Zwiſchen— 
fall ein, der den Ausſchlag gab. 

Eine im ſelben Haufe mit Nora 
wohnende, ihr ſehr befreundete Fa— 
milie vermietete ein Monatzimmer 
in der Regel an Studierende. Dieſes 
Zimmer fand jetzt eben leer. Da hatte 
man ſich nun an Nora mit der Bitte 
gewendet, in Abweſenheit der Familie 
den Schlüffel der Wohnung zu über: 
nehmen und das Monatzimmer den— 
jenigen zu zeigen, welche dasſelbe be— 
Jichligen wollten. Nora fand ſich dazu 
bereit und pflegte nun immer, auf— 
merkffam gemacht durch die Magd, 
welhe vom Siüchenfenfter aus den 
Eingang der Nahbarwohnung über: 
ſah, die Jich einfindenden jungen Leute 
in die befagte Wohnung zu führen, 
ihnen das zu vermietende Zimmer 
zu zeigen, über die Miettbedinguns 
gen Aufſchluß zu geben u. ſ. w. 

Als ich eines Tages zu Nora kam 
— es war Sonntag und ihr Vater 
zu Haufe — war eben die Rede von 
einem „hübſchen Italiener“, welchen 
Nora Vormittags in die Nachbar- 
wohnung geführt und mit welchem fie 
dort längere oder kürzere Zeit ver— 


jmeilt hatte. Daß mir dergleichen nicht 
fonderlih angenehm war, muß ich ges 
ftehen, follte ich auch durch diefes Ge— 
ſtändnis die allgemeine Entrüftunggegen 
mich Heraufbeihwören. Ih konnte 
jedoch meinerfeits über die Sache ſchwei— 
* da diesmal Nora's jovialer Papa 
ſelbſt, der ſonſt nicht den leiſeſten 
Zweifel an der unbedingten Unan— 
fechtbarkeit ſeiner Tochter duldete, in 
einigen Aufruhr gerieth und ihr mit 
Entſchiedenheit verbot, ſich noch weiter 
zu dieſem nachbarlichen Gefälligkeits— 
dienſte herzugeben. Was mich betrifft, 
jo hätte ih die Sache damit für ab— 
getan halten können, wäre nicht die 
Erinnerung an den eigenthümlichen 
Eindrud, den mir Nora an jenem 
Tage machte, im mir wach geblieben. 
Sie war mir völlig verändert vorge— 
fommen ; ihre Gefichtszüge hatten einen 
Ausdrud, den ich mie zuvor an ihr 
bemerkt; fie Jah inmerlich erregt und 
wie traumverloren aus. 

Bald nachher wurde auch eines 
der Monatzimmer leer, welche Nora's 
Vater felbft zu vermieten pflegte. 
Da fand fich ein Hübfcher italienischer 
Studiofus ein und mietete dazfelbe. 
Ob e3 derjelbe war, deſſen Bekaunt— 
Ihaft Nora in der Nahbarwohnung 
gemacht, ift mir unbekannt. 

Wenn ich mir ſelbſt das Zeugnis 
geben konnte, daß ich bisher zu ideal 
geſtimmt oder zu jugendlich ſchüchtern 
gewejen, um eine mir gegönnte Frei— 
heit im Verkehr zu mißbrauchen, To 
fannte ich von der Welt doch immer: 
hin genug, um zu willen, daß Idea— 
tät und Schüchternheit micht gemein 
ame Eigenfchaften ſämmtlicher jungen 
Leute feien. 

Ich war alfo beforgt, und dieſe 
Beforgnis vereinigte fi mit dem 
peinlichen Gefühl des Ungemachs, das 
von anderer Seite her aus meinem 
Verhältnis zu Nora fich ergeben Hatte. 
Sp wurde ih das Opfer einer Un— 
ruhe, einer Verwirrung, der ich mich 
nicht länger gewachjen fühlte. Unter 
diefen Umftänden warf ich mir felbft 





noch einmal die Frage auf: Iſt Nora | 
das Mädchen, das du wahrhaft liebit 
und um deſſen Beſitz dir fein Preis 
zu hoch fein darf? Und wenn dies 
der Fall, bift du im der Lage, ihr 

da3 zu bieten, was fie und was ihr 

Vater al3 jelbtverftändlich von dir er— 

warten ? 

Die erfte Frage konnte ich unent— 
Ichieden laffen; die zweite mußte ich 
entſchieden verneinen. 

So galt e3 denn, einen Entſchluß 
zu fallen. Ich gieng mach einem weh- 
müthig ſüß mit Nora verplauderten 
Abend von ihr fort, mit dem Vor— 
jage, nie wiederzufehren. — Mit dem 
Vorſatze! — Daß ich ihn hielt und | 
halten konnte, war, wie ih jogleich 
zeigen wird, nicht mein Verdienſt. 

Sch Habe niemals Genaueres dar- 
über erfahren, wie Nora mein Feru— 
bleiben aufnahm. Einiges Spärliche 
vernahm ich von vergofjenen Thränen, 
und ein zartes Wort wurde mir ges 
rüchtweife zugetragen, daß fie zu einer 
Freundin geſprochen haben follte: | 
„Wenn er auch nicht fo oft au mich 
denkt, wie ih an ihn, zuweilen wird 
er doch an mich denken.“ 


As ih im April des nächſten 
Jahres Graz zu verlaflen und nad 
Trieft abzugehen im Begriffe fand, 
richtete ih an Nora noch einige Zei— 
len zum Abſchied und fpielte darin 
auf Gerüchte an, welche fich inzwischen 
in Bezug auf eine ZTröfterrolle des 
Stalieners verbreitet hatten. Steine 
Antwort! Erft am Zage der Abreiſe, 
als ih auf dem Wege zum 
Bahnhof war umd dabei an Nora’s 
Haus vorüberfam, wurde durch eine 
hinter mir hereilende Magd mir ein 
Brief Nora’s eingehändigt, in wel— 
chem fie fagte, es fei ihr unbegreiflich, 
daß ich, der vorgab, fie zu lieben, dem 
Gerede böswilliger Menfchen Gehör 
Ichentte, deren Zweck ja nur war, uns 
zu trennen. Wie ſchön, wie tröftlich 


wäre mir das früher zu Hören ges 
wejen! Aber Nora Hatte fich zu dieſer 
Antwort acht Tage — wenn ich nicht 


irre — Zeit genommen und fie mir 


erit in dem Angenblide zukommen laſſen, 
al3 feine Rückkehr, keine Unterredung, 


feine Berföhnung mehr möglich war. 

Einige Jahre nachher wurde mir 
mit Beſtimmtheit von Beziehungen er= 
zählt, welche Fich zwifchen Nora und 


Aber das war Alles. Nora erkuns | dem Italiener entſponnen und mit der 


digte ſich weder brieflih noch fonft | 
irgendwie nad dem Grunde meines 
Ausbleibens, wie fie es doch ſonſt 
immer gethan, wenn wir ums ein 
paar Tage lang nicht fahen. Ich gieng 
noch täglich, wie fonft, an ihrem Fen— 
fter vorüber, zur gewohnten Stunde, 
wo ihr lächelndes Geficht immer zwi— 
ihen den Blumentöpfen aufgetaucht 
war: fie zeigte ſich dort nie wieder. 

Vermuthlich war fie „zu ftolz“ 
dazu. Aber wenn ich micht zu ftolz | 


Rückkehr des Lepteren in feine Heimat 
geendet haben jollten. Ich laſſe dies, 
wie billig, dahingeltellt fein. Nora 
war frei, und wenn fie wirklich nach 


diefer Seite Hin über ihr Herz ver— 


fügte, Jo brauchte fie ſich darüber feinen 
Gewiſſensſernpel zu machen. 

Uber glüdlih ſcheint Nora durch 
jene Wendung der Dinge nicht ges 
worden zu fein. Sie begann zu krän— 
fein und erlag im Jahre 1860 einer 
Lungenentzündung, die fie ſich dadurch 


war, an ihrem Fenſter vorüberzugehen | zugezogen haben foll, daß fie, wie man 
wie ſonſt, jo hätte fie auch micht zu | erzählte, mit dem ausgeſprochenen Ent» 
ftolz zu fein gebraucht, zur felben ſchluſſe, zu fterben, bei großer Er- 
Stunde am Fenfter zu fißen wie jonft. | hitzung ein Glas falten Waſſers leerte. 
Bekanntlich entwideln Liebende häufig Nun ruht ie längſt von den Täu— 
diefe Art von Stolz erft dann, wenn ſchungen und Prüfungen des Lebens 
ihnen mehr daran gelegen ift, einer aus. Zerfallen ift längft der zarte, 
Verföhnung auszumeichen, als fie zu | ſchmiegſame Leib zu Staub. Aber etwas 
juchen. ift noch wohlerhalten übrig von ihrem 


410 
leiblichen Dafein: ein Kränzchen, gez | mündlich ergänzen follte. Leider fei 
flochten aus Haaren von ihr, womit dies Schreiben, fagte fie, ihr auf der 
fie mir am 21. September 1854 ein | Reife abhanden gekommen, und fie habe 
Geſchenk machte. Als ob fie erjt Heute |es dann nicht gewagt, den Verluft zu 
von ihrem Daupte gelöst worden wären, | gejtehen; jo feien einige Jahre ver— 
glänzen dieje feinen braunen Flechten | ftrichen, aber die Sache habe ihr feine 
noch immer. &3 liegt etwas Nührendes | Ruhe gelafjfen, und fie habe num doch 
für mid) darin, daß, während das einft | lieber ſpät als gar nicht, jo gut es 
blühende Mädchen jelber längft vers |eben noch möglich, ſich des Auftrags 
modert ift, das, was fie als ein Lies der feither Verblichenen entledigen wol— 
beszeichen von ſich losgetrennt und |len. Sie kenne den Yuhalt des ver— 
hingegeben bat, durch die Liebe gleich» | Toren gegangenen Briefes nicht, aber 
fam gefeit, über Grab und Verweſung Nora Habe oft mit ihr von mir ge= 
binausgerettet, unvergänglich in mei- ſprochen, habe verfichert, daß ſie mir 
nen Händen bleibt. immer zugethan geblieben, habe meiner 
Mit eigenthümlichen Empfindungen | als ihrer wahren und einzigen Liebe 
ſah ich fpäter immer, wenn ich in den | gedacht . 
Yerien Graz befuchte, durch das Burg Die alte Täufhung weiblicher Her— 
thor jchreitend von fern mir das. wohl« zen, die, wenn die Sturm- und Drangs 
befannte Edfenfterchen, an dem ich fo zeit ihrer Gefühle vorüber, immer den— 
oft mit Nora ftand, entgegenlenchten! | jenigen einzig und wahrhaft geliebt zu 
Noh immer ſah ich Blumentöpfe | haben bermeinen,; von denr fie nun 
hinter den Fenſterſcheiben und einen mehr glauben, daß er es am eheſten 
Canarienvoget im Bauer, wie einſt, verdient haben dürfte! 
und ich meinte, das ‘liebe Köpfchen Eine weitere Ueberraſchung bereis 
müfle, wie einft, darüber eriheinn. |irie die junge Frau mir dadurch, dab 
Am tiefften aber fühlte ich mich inmmer | fie ſich Ächlieglih auch noch als — 
bewegt, wenn ich Abends dort vor / Adolfs Schweiter zu erfennen gab. 
übergieng, und das Licht einer Lampe| Sie erzählte mir, wie jehr ihr Bruder 
‚durch jenes Fenſter im dritten Stock- Nora geliebt, und wie viel er gelitten, 
wert ſchimmerte. Es war mir, als als fie fih von ihm trennte. Ich fagte 
müſſe es noch immer die alte, trau- ihr, daß ich eine Photographie von 
liche Lampe fein, bei deren milden Nora befike und davon fürzlich eine 
Scheine wir fo oft, felig wie Kinder, Copie habe machen laſſen, und ich er= 
lefend, plaudernd, fcherzend und Br mich, ihr diefe für Adolf zu über- 











delnd ſaßen ... geben. Sie lehnte das Anerbieten an— 
Ganz unerwartet erhielt ich im fangs beſcheiden ab; ich beſtand aber 
Jahre 1863 zu Trieft noch eine verfpä= | darauf, daß fie es anuehme. Es ges 
tele Kunde von Nora. Die mir ganz |währte mir ein wehmüthiges Vergnü— 
unbelannte junge Frau eines deutfchen | gen, dem von mir immer ſchmerzlich 
Beamten in Trieft ließ mich um einen | Bedauerten die Geliebte, die ich ihm 
Beſuch bitten, da fie mir Mittheilungen | unablichtlich geraubt, nun wenigftens 
von einer gewiflen Nora zu machen im Bilde zurüdzugeben. 
habe. Ich folgte der Einladung, und Vielleicht nimmt der eine oder an— 
die junge Frau gab ſich mir al$ ge= | dere Leſer Anſtoß an der Mittheilung 
wejene Freundin Nora's zu erkennen, |diefer Herzensgefchichte. Aber welcher 
mit welcher fie in den lebten Lebens- | Schilderer des eigenen Lebens hat nicht 





jahren derfelben in Verkehr ftand, und | die Gefchichte einer Jugendliebe zu er— 
welche ihr bei ihrer Ueberfiedlung nach | zählen, die, gleichviel ob an fich ine 
Zrieft ein Schreiben an mich mitges | ereſſant oder nicht, doch immer für 
geben, das ſie perſönlich beſtellen und das Lebensglück oder wenigſtens für 





die Lebenserfahrnng eines Menfchen | andern Lehrkraft befegt — und nun 
etwas Bedentfames und Entjcheidendes | geftand mir der gute Director Kalten: 
bleibt. Uebrigens ift diefes Erlebnis, | brunner mit unfäglichem Herzeleid, daß 
jo wie e3 die erfte wirkliche „Liebes- er mein Geſuch weiterzubefördern — 
geſchichte“ in meinen Leben ift — alles |vergefjen habe! — Das Geſuch lag 
Frühere war ja doch nur poetische noch, wie es von mir tiberreicht 
Schwärmerei gewefen — fo auch die war, unter andern Papieren in feinem 


legte umftändliche Gefchichte diefer 
Art, von welcher ih im Verlauf diefer 
meiner Bekenntniſſe zu erzählen habe. 

Es war eine trübe, jehr trübe Zeit, 
die ih vom December 1854 bis April 
1855 noch in Graz zubradte. Ein 


rheumatiſches Leiden feſſelte mich auch 


über einen Monat an's Krankenlager. 
Um mir den Bortheil eines befjeren 


Gehaltes zuzumenden, hatte man mich 


im Herbfie 1854 zum wirklichen Pro— 


feffor am Gymnaſium in Eifli „mit, 


Verwendung am Grazer Gymnaſium“ 


ernannt. Aber Eilli war ein Gynmaz | 


ſium dritter Gehaltäclaffe. Als eine 
philologifche Lehrftelle an einem Gym— 
naſium erfter Claſſe, in Peſt, ausges 
ichrieben wurde, bewarb ich mich um 
diejelbe. 

Da ereignete fih nun etwas, das 


einer höheren Fügung glich. Ich Hatte 
unferes | 


nein Gefuh dem Director 
Gymnaſiums übergeben, damit er es 


in üblicher Weife, von ihm- „einbes | 
gleitet,“ auf dem amtlichen Wege durch | 


die Statthalterei an’s Unterrihtsminis 
ſterium befördere. 
wurde die Stelle in Peſt mit einer 


Nah einiger Zeit 


Schreibepult. 

Schließlich tröſtete der gute alte 
Herr mich und ſich damit, daß eben 
auch eine Philologenſtelle am Gymna— 
ſium in Trieſt ausgeſchrieben ſei; um 
dieſe Stelle mich zu bewerben eiferte 
er mich an — er werde diesmal nicht 
vergeſſen, das Geſuch „glänzend einzu— 
begleiten!“ 

Das geſchah denn auch, und ich 
war bald darauf für Zrieft ernannt, 
wohin ich am Schluffe des eriten Se— 
meſters abzugeben hatte. 
| © waderer, längft in Gott ruhen— 
der Director Kaltenbrunner! Necht un— 
nüßer Weife haft Du dich gegrämt und 
bee Vergeßlichkeit geihämt! Höhere 
Mächte haben es fo gewollt. Nicht im 
Magyarenlande — aus welchem man 
einige Jahre fpäter die deutichen Pro— 
fefloren vertrieb — war der rechte Ort 
ür den Poeten: nein, der rechte Ort 
Kir ihn war vorläufig im Süden, an 
der blauen Adria, an der Schwelle . 
Italiens, in der bewegten Hafenftadt, 
wo ihn ein Meerhorizont, und das will 
jagen ein Bi ae umgab. 








* 


412 


dakob der Pebte. 


Eine Waldbauerngeihichte aus unferen Tagen von P. R. Roſegger. 
(Fortjegung). 


Der Iadierl ift ein „Eugerl“ ge-| 


A 





worden. 


m Abende desſelben Tages, als 
4 der Guldeifner fein Haus ver— 
fauft hatte, kamen von Gebirge herab 
Männer und fehrten im Steppenwirts— 
hauſe zu. Sie hatten ihm micht ges 
funden. 

Seit zwei Tagen wurde der ältejte 








mer verfolgte ihn ein Schwarm von 
Kindern und manches Knäblein ftieg 
ihm nach bis Hinauf in den Donner— 
graben, wo e3 dann in der Hütte des 
Waldmenſchen liebreich geatzt und ge= 
hegt ward. 

Der Pechölbrenner-Natz hatte fein 
Lebtag drei Weiber gehabt, aber nicht 
nebeneinnander, das ift in Altenmoos 
niemals der Brauch gewejen, ſondern 


Knabe des Reuthofers gefucht. Er war! hintereinander. Die Erſte hatte feinen 
— wie es hieß — wegen Widerfpenftige | kargen Erwerb in bunten Wollenkleidern 
feit in einem Moosbarren eingefperrt und Seidentüchern verthan und mit 
gewejen, aus demfelben entkommen und dem fürnehmen Gewand ihren dürren 
jeither verfchwunden. Man hatte bei! Leib geziert, daß das nur jo gefpenfter- 
den Nachbarn gefucht, draußen in | haft herumflatterte in der Gegend. Die 
Sandeben gefucht, in den Wäldern ge- Zweite hatte feine Groſchen in Schnaps 
fucht und auf den Almen gefucht, man | vertrunfen und mebftbei in den Some 


hatte ihn wicht gefunden, feine Spur) 
von ihm entdedt. 

Dben im Donnergraben hauste ein 
Vechölbrenner, der war immer voll 
CS chnurren und Späße; er ſchnitt Pfei- 
fen und jpielte darauf; er machte aus 





trodenen Lattichblättern Drachen und 


merftadeln und Köhlerhütten herumges 
ichlafen. Die Dritte war arbeitfan und 
ſparſam, hatte aber dem Nat mitunter 
ein Sceit an die Füße oder an den 
Rücken geworfen, wenn er bon feiner 
Haufiererei zu wenig Geld heimbrachte. 
Keine diefer drei Holden hatte ihm ein 


Geier, und ließ fie fteigen; er ſchnitzte Kind geboren, und der Natz hätte gar 
Heine Rädchen mit Hämmern, und ftellte | jo gern fo eines gehabt, oder mehrere, 
fie ans Waſſer und ließ fie klappern; | oder viele; und fein einziger Wunſch 
er meißelte aus Föhrenrinden Hirſche war, ein König zu ſein und ein König— 
und Kameele; er baute niedliche Grillen= | reich voll Kinder zu haben. Die drei 
häuschen, Mausfallen, machte Fliegen= | Weiber lagen nun längft draußen in 
Happen und Schmetterlingsneße und | Sandeben nebeneinander. Der Naß 
dergleichen. Diefe Dinge trug er — | | betete, wenn er an Sonntagen hinauss 
wenn er mit jeiner Pechöllagel umgieng tam, allemal drei Vaterunfer bei ihnen 
— mit zu den Häufern, verfchenkte fie | und gieng dann wohlgemutd wieder heim 
an die Kinder und befam dafür von in feine Waldhiütte. Jetzt gieng ja frisch 
den Bäuerinnen zu effen. Der Pechöl- fein Leben an, er war ein altes Kind 
brenner-Natz ward nie allein gefehen, mit den Kindern und für die Finder. 
wenn er, über und über mit Sachen Eo hatte man gemeint, der ältefte 
behangen, im Altenmoos umgieng ; im- Sohn des NReuthofers, der Jaderl, ſei 


413 


vielleicht zum Pechölbrenner-Natz hin— 
aufgegangen. Aber der wußte michts 
von ihm, löſchte jedoch fofort feinen 
Pechölofen aus und gieng mit auf die 
Sude. 

Jakob, der Vater, war am erften 
Tage nach der Flucht arg zornig ge— 
wejen auf feinen ungerathenen Sohn; 
am zweiten Tage kam er ins Bedenken, 
ob die Behandlung und der Moose 


Schuhe gefunden worden. Als man dieſe 
Schuhe der Maria zeigte, wendete jie 
ih vafh davon ab, wanfte im den 
Winkel der Stube und ſank dort zu 


Boden. Es waren die Schuhe des 
Jaderl. Sie waren handgerecht aufge: 


viennt md dom den Füßen gezogen 
worden. Und das erklärten ich die 
der Knabe ſei auf feiner 
Wanderung im Gebirge von Hunger 


barren wohl das rechte Mittel gewefen | befallen worden, er habe aus dem Sce 
jei, den Knaben zu erziehen; am dritten | Forellen fangen wollen, habe die Schuhe 


Tage hub eine heimliche Angft an, fein 
Herz zu zerfleiichen. 


Leute fo: 


| 
ia 


Seinem Weibe | 


usgezogen, die Hofen aufgetreift, fei 
in das Waller geitiegen, habe ſich zu 


gegenüber that er wohl immer noch, weit vorgewagt und ſei in der uner— 


als jei er aufgebracht gegen den Stnaben, 
denn die Maria that nichts mehr, als 
weinen und beten. Sie hatte fich matt 
gelaufen und heiſer gejchrieen im der 
Gegend, und dab das Kind fo lieblos 
geweien und feinen Eltern und Ges 
ſchwiſtern entflohen fein follte, al wären 
fie feine geimmigften Feinde gewefen, 
das that ihr am meiften wehe. Seine 


bejonderen Wege war der Anabe von 


eriter Kindheit an gerne gegangen, mit 
fremden Leuten war er mehrmals fort- 
gezogen und als vierjähriger Junge 
hatte er fich drangen in Sandeben ein— 
mal einer Zigennerbande angeichloffen. 
Es hie damals, die Landftreicher hätten 
den Knaben verhert und ihn ein Tränk— 
lein beigebradt, daß er jeither feine 
Lab und Lieb daheim mehr empfinden 
lönne. Die Maria befannte nun, es 
jei ihr immer vorgegangen, mit diefem 


grmdlichen Tiefe verfunfen. Etliche 
meinten, e3 könne auch anders gewejen 
jein: der Knabe habe jih der Schuhe 
entledigt, um mit bloßen Füßen leichter 
‚die Felswände Hinanzuflettern, und 
wenn fein Leichnam im Hochgebirge 
nicht gefunden werde, jo ſei er nah 
diefer Nichtung bin davon und werde 
wohl nicht eingeholt werden können. 
Der Untergang im See war übrigens 
weitaus glaubwürdiger. Als bis an den 
fünfundzwanzigften Juli, al3 an dem 
Tage des heiligen Apojtels Jalobus, feine 
Spur gefunden und feine Kunde von 
dem Knaben gefommen war, begiengen 
fie in der Pfarrficche zu Sandeben die 
ZTodtenfeier für den unglüdlichen Jaderl. 

Das Elternpaar war ruhig gewor— 
den. Der Schmerz hatte auögetobt, 
jet war der Tag zum Gebet und 
frommen Gedenken. Es war ein düfterer 





Kinde würde es eine andere Wendung | Dochjommertag mit Regen und Donner, 
nehmen, als mit gewöhnlichen Kindern, die Kerzen des Altares widerftrahlten 
fie behauptete, es habe ein ganz be= | ‚au ber Vergoldung und legten ein 
Jonderes unerforſchliches Wejen gehabt ı ‚ trüübes Noth an die Kirchenwände. Die 
und es fei ihr oft beigefommen, Gott Kirche war voll von Menfchen, die 
müſſe mit ihm etwas Eigenes im Sinne Altenmoofer hielten zufanmmen in Leid 
haben. Wenn fich das Weib qusgeweint | wie in Freude. Die Maria kniete in 
hatte, dann kam ihm plößlich wieder ihrer Bank und ſchloß die Augen. 


die Zuverficht, es müſſe mit dem Yaderl, | 


wenn er noch lebe, zu einem großen 
Glück ausſchlagen. 

Am vierten Tage brachte Jemand 
die Nachricht, oben in der Hochſchlucht, 
im Gottesfrieden genannt, am Rande 
des kleinen Sees ſeinen zwei Knaben— 


Frohe Bilder aus Jackerls Kindheit 
dämmerten in ihrer Seele; alle Un— 
arten und Wildheiten des Knaben wa— 
ren vergeſſen, ſchlackenlos, ſchön, ſauft 
und zärtlich, wie ſie ſich das Ideal eines 
Kindes dachte, ſo ſtand der Jackerl nun 
vor ihrem ſchöpferiſchen Mutterauge, 








BER... 


und ſchließlich verfammmelten fich all ihre 
Gedanken in Gottesfrieden, wo der See 
war. Dort ftand ihr Herz wie am 
Eingange der Ewigkeit, und fie Hopfte 
an, Aber der Jaderl wollte nicht kom— 
nen, zu Öffnen. Und die Mutter weinte 
ſtill vor ſich Hin. 

Der Jakob kniete neben feinem 
MWeibe. Sein Auge war thränenlos, 
fein Geſichtszug faft herb. Das Ge: 


dächtnis an fein Kind war nicht rein | 


geworden von Bitterfeit und Vorwurf. 
Oft ftand der körperlich jo ſchön ge= 
weiene Knabe wie eine Mißgeburt vor 
ihm. Der troßige Junge, dem der Zug 
aller Jakob Steinreuter, die Anhäng— 
lichleit an Eltern und Heimatserde fo 
ganz und gar mangelte, der das Vater: 
haus mißachten und treulos verlaffen 
founte — war das wirtlih ein Alten 
moofer Kind, war es fein Wechjelbalg 
aewefen ? Nichts verächtlicher war den 
Steinreuterleuten je gewejen, als ein 
Stromer; ohne feiten Grund und 
Dalt wie feine Füße ift der Charakter 
eines Vagabunden; der rechte, echte, 
fefte und treue Menſch muß irgendwo 
wurzeln, nicht anderö wie ein Baum, 
ein Kornhalm. Selbft die lofeften Ge— 
ihöpfe, die beflügelten, die Vögel, 
fonmen alljährlich wieder zurüd in 
ihre heimatlichen Dachfirfte, und fo ein 
junger Nichtsnutz! Ein Steinreuterkind 
in Altenmoos davonlaufen! Davon 
laufen! Aber es hat ihm das Leben 
getoftet. Vielleicht nahm er ſichs frei— 
willig ? Vielleicht, daß er in der Hei— 
mat fterben wollte, weil er, von böjem 
Zauber gehegt, im der Heimat nicht 
leben fonnte, Das wäre die eines 
Jakob Steinreuterd würdige That. Aber 
warum bat er danır das Waller ge— 
wählt, das die Theile feines Leibes 
der Deimatserde entführt und in das 
weite Weltmeer hinausträgt? — „Er 
ruhe im Frieden!“ betete der Priefter 
am Altar. Wo? fragte fih Jakob. Er 
hat im Leben feine Statt gehabt, er 
hat im Tode feine. Und das iſt mein 
Kind geweſen! — Der Bauer zu Alten= 
moos konnte freilich Feine Borftellung 


| davon haben, daß auch das Gefchlecht 
der Jakob Steinreuter feinen ewigen 
Juden gebären muß, und daß Ddiefer 
| Sprößling um fo ungeberdiger feine 
weiten Wege fuchen muß, je enger und 
fefter fich der Kreis diefer Familie ges 
halten hatte. Wenn ein Gejchlecht jehr 
einſeitig'iſt, fo fteht in demfelben plöß- 
lich ein Mitglied auf, das nad der 
entgegengejeßten Seite ausartet. 
Heiterer als der ſtillblutende Schmerz 
der Mutter, als die zornige Liebe des 
Vaters war bei dem Gedächtuisamt die 
findliche Andacht der Heinen Geſchwiſter. 
Sie ſaßen neben der Mutter und 
ſchauten in das Schiff der Stiche em= 
|por, ob nicht ihr Bruder dort umber- 
fliege. Es war. ihnen gefagt worden, 
daß der Jackerl ein Engelein des Him— 
mels geworden ſei. Es ließ ſich zwar 
nicht gut reimen, der ſtörriſche, tolle 
Bruder und ein Engelein, und ein 
Kinderkopf iſt mitunter zu klein, als 
daß viel Ungereimtes darinnen Platz 
hätte, das iſt weit beſſer in großen 
Hohlköpfen möglich. Die Angerl ſchlich— 
tete aber den Zwieſpalt, indem ſie dem 
Fri zuflüfterte, es gäbe halt auch 





wilde Engel und wenn der Jaderl im 
Himmel Flügel habe, jo braudhe er 
nicht durchzugehen, jo lönne er durch— 
fliegen. Es war den Kindern nicht 
‚denkbar, daß der Jaderl in feiner ewi— 
gen Heimat ruhig ſitzen bleiben wide. 

Als fie nach dem Gottesdienfte aus 
der Kirche traten, gerade unter dem 
Thore, gab der Jakob feinem Weibe 
etwas unficher die Hand und fagte: 
„Es ift vorbei. Machen wir das Krenz 
d’rüber!“ 

Bon diefen Tage an wurde im 
Neuthofe über den Yaderl kein Wort 
‚mehr geiprocdhen. Wenn dem Salob 
irgendwo ein Kleidungsſtück des ver— 
lorenen Knaben in die Hand kam, jo 
jchleuderte er es faſt umwillig von ſich 
und doch krümmten ich feine Finger, 
daß es daran hängen bliebe. Die Maria 
aber barg ſolche Stüde in ihrem Ge— 
wandfaften und an den langen Som 
tagsvormittagen, wenn alle Andern in 





415 





der Kirche zu Sandeben waren, öffnete | Schulter, dem Jagdhund pfeifend, fo 
fie den Kaften und herzte und küßte die verließ er das Haus feiner Väter. 
Kleider des Knaben und nebte fie mit) Als Gavalier wollte er fortziehen. Als 
ihren heißen Thränen. er am Hausbrunnen vorüberkam, 
Schleuderte ein Windftoß den aus dem 
Ständer jprudelnden Quell ſpritzend 
Kirfheneflen ! ‚gegen den Franz hin. Zwei Arbeiter 
So viel öffentliches Leben Gatge | Jeden 0, ba fagle he „Der 
Altenmoos wohl feit Urzeit i man Deipsemät ol 2 
N Urzeiten nicht gem!“ Und der Andere fagte: 
geſehen, als in diefem Sommer. „So fhön! Gar der Brummen fpudt 
Sonſt waren die Wege mur bes ihm nad!“ 
fuhren mit zweirädrigen Heu⸗ oder, Aber die Siedelfuhren des Guld— 
Kornkarren, die Straße nah Sande eiſnerhofes waren lange nicht die ein— 
eben mit Dolze und Sohlenfuhren zigen, die fortzogen. Nebft dem Knat— 
oder mit Viehherden oder mit dein | ſchel und dem Klachel Hatte auch der 
flotten Steirerwäglein, wenn der Guld⸗ Sepp in der Grub fein Haus ver— 
eifner oder ein Anderer, der's thun fauft und der Zwieſelbaumer, der 
fonnte, in die Kirche fuhr. Und nun Steppenwirt und — der Rodel. Der 
die mit Kiften und Käften und aller= | Model, der fo feftftändig fehlen: als 
lei Geräthen bochbeladenen Wageıt, | er das Geld des Guldeiſners gefehen, 
welche vorfichtig die Berglehnen her- war es plötzlich um ihm gefchehen. 
abglitten und dann der Straße eut- Der Steppenwirt hatte ſich ausbe— 
lang zogen im der gleichen Richtung dungen, da er auf der Hube fein 
wie das Waſſer. Feierlich geſtimmte Lebelang fien bleiben dürfe und Ge— 
Menſchen ſaßen auf dem Geräthe tränke ausſchenken. Jetzt, da jo viel 
oder giengen nebenher und Hatten ihre ‚Geld in’s Land kam, follte ja für 
Nüden vollbeladen. Das waren die das Wirtshaus eine gute Zeit begin- 
Auswanderer. ‚nen. Nun hatte ſich der Steppenwirt 
Das Siedeln aus dem Guldeiſner- mit dem Oberförſter verabredet, in 
hof Hatte fein Ende nehmen wollen, | feinem Haufe ein Ausmwandererfeft zu 
trogdem auch die Yahrniffe mitver- veranftalten. Das war den Bauern, 
fauft worden waren. Was hatte der die ihre ZTafchen voll Hatten, ganz 
Franz noch für Saden, die zu feiner genehm, fie wollten noch einmal luftig 
Perfon gehörten: alte, kunſtvoll ges | fein in Altenmoos, bevor fie fortzo- 
arbeitete Schränfe, Stühle, Käften, gen, nicht mehr als kümmerliche Klein— 
Bilder, Spiegel, Gejchirre und Stod: | bauern luſtig fein, fondern als freie Leute, 
uhren. Die uralten Bettſtätten feiner | als Leute von draußen, als „Herren“. 
Vorfahren hatte er im Haufe gelaffen, Der erfte Sonntag im Auguſt 
aber das Lotterbett, welches er fi | war dazu beftimmt und Nachmittags 
ſelbſt angefchafft, Hatte er mitgenommen. | um drei Uhr Hub es an. Der gewe— 
Die Hämmer und Beile feines Va— | jene Guldeifner betheiligte ſich nicht 
terd, das Spinnrad feiner Mutter daran, der relidierte bereits in feiner 
hatte er im Haufe zurüdgelaffen; den | angefanften Billa bei Krebsau und 
großen Wandfpiegel, den er ſich jelbft gab ſich mit den Altenmooferlenten 
getauft, hatte er mitgenommen. Als nicht mehr ab. Aber zwei Einer Wein 
der Franz das letzte Mal durch die ſchickte er und lieh fagen, fie follten 
ansgeleerte Stube geichritten war, auf ihr eigenes Wohl trinken, um 
wiederhaflten feine Schritte fo laut das feine brauchten fie ſich nicht zu 
und unheimlich, dab er fait erjchroden | kümmern. ingeladen war ganz Als 
um fi jah. Das Gewehr an der! tenmoos, der Nodel, der Klachel, der 








416 


Steppemwirt und der Knaätſchel waren wiſſe zwar nicht, ob es der Kampel— 
die Veranſtalter; letzterer war aus herr nehme, wenn ex es aber kaufe, 
Sandeben mit einem Zweiſpänner an- jo würde er es auch, wie gewohnt, 
gefahren gelommen; ev fühlte fich heute | höchſt anfländig bezahlen. 

ala einer der Wichtigften, war er Der Burfche fagte auf diefe Vor— 
doh der Erſte gewefen in der Ges | ftellungen wicht viel, machte ſich an 





gend, der fein Haus verfauft hatte, |der Kugelbahn zu thun, ſchob die, 


jo zu Jagen der Bahnbrecher hinaus | Kugel hinaus, traf aber nichts! — 
in die Welt. Der Oberförfter, der! Ya, juft fo! er würde jetzt das Haus 
vielfach zwiichen feinem Herrn und | verfaufen, wo er gerade im Begriff 
den Banern den Vermittler pielte, | ftehe, die Duflert zu heiraten! 
waltete heute feines Aıntes. Er hatte Die Duflerl war heute daheim in 
viel Reiſig hergelafjen, um das Hause | ihrem Bachhänſel beim Vieh, jo freute 
thor und den Tanzboden zu ſchmüs es auch den Burfchen nicht im Mirts- 
den. Sonft pflegte man zu Alten- Haus. Was gehen ihn die Auswaän— 
moos wicht zu tanzen, jo lange noch ‚derer an! Er verlieh das Wirtshaus 
ein Kornhalm auf dem Felde ftand, | md gieng an dem fcharf niedertofen- 
um micht durch unzeitige Luftbarkeit | den Wällerlein eines Seitengrabens 
die Wettergeifter zu reizen. Jetzt bangte | entlang, hinauf zu feinem Hof. 
den Answanderern nicht mehr vor Der Sebaft war nicht gar hoch 
Sturm und Hagel, die meiften hatten | gewachlen, aber dafür wohl unterſetzt 
ja auch die diesjährige Ernte, obwohl | und kernig. Auf dem jehnigen Leib 
fie noch nicht veif war, bereits mit- ſaß ein ftattlicher Kopf, an dem ftets 
verfauft. Und wenn's dein Kampelherrn die Haare furz gefchoren waren, weil 
jchlägt, dem thut's micht weh, und es der Burjche liebte, des Morgens 
thut's ihm weh, jo helf' ihm Gott! und des Abends das Haupt in den 
Auch der alte Pechölbrenner-Natz Waffertrog zu fleden. Er Hatte in 
war da, und wie ihn fonft die Sins | feiner Kindheit viel an Augenent— 
der nachlieſen, fo thaten es heute die | zündung gelitten und da war er auf 
jungen Weibslente, denn er hatte die|den Gedanken gelommen, das Blut 
Zither bei fih. Etliche Dirndeln hat- in andere Winkel des Körpers zu ja= 
ten fih an den jungen Sandler-Sohn, | gen, wo es weniger unangenehm wal— 
den Sebaft gemacht, der vor dem ten könne, als in den Augen. Diefe 
Wirtshanfe etwas gelangweilt umher- waren nun wirklich recht gefund, Har 
ftrih. Der Sebaft war ein guter und keck geworden und fo viel Ge— 
Tänzer md, was noch mehr wert, |blüt war immer noch im Kopf ge— 
Einer zum Heiraten. Der alte Sand- | blieben, um frifchrothe Wangen und 
ler war ſchon mühſelig und follte ja Lippen zu beforgen, Mit dem Bart 
demnächſt den Sandlerhof an den ſah es ohnehin noch etwas kümmerlich 
einzigen Sohn abtreten. Der Sebaft | aus, fintemal man mit zwanzig Jah— 
jedoh war heute verftinmt. Hatte! ven fein Wachsthum beſſer verwerten 
ihn da der Oberförſter freundfchaft: Tann, als um aus jungen Flleiſch 
lich angefprochen, ob er nicht feinen und Blut Haare hervorzufpinnen, die 
Vortheil wahrnehmen wolle. Der alte|doch feine Jugendluft fühlen, hinge— 
Sandler habe einen forgenfreien Feier= | gen aber Schmerzen machen, wenn 
abend vollauf verdient und der junge | eine Bosheit kommt und fie ausrupft. 
würde ſich überall beifer ftehen, als | — Nur bei Einer, dachte ſich der 
da auf dem Berge oben. Der Sebaft | Sebaft manchmal, bei einer Einzigen 
möge feinem Vater vathen, dab er zu | müßte das Nupfen Spaß machen, doch 
diefem günftigen Zeitpunkt das a ift fo gottlos rüdhältig... . » 
verfaufe, Er — der DOberförfter — | Geheiratet wird fie aber doc). 


— — nn — 





417 


Hinter dem Sandlerhaufe, am 
Raine des Pfrängers, ftanden etliche 
Wildfirfhbäume. Die einen trngen 
rothe Kirſchen, die andern jchwarze ; 
veif waren beide Gattungen. Die 
Ihwarzen find füher, die rothen find 
wiürziger, dachte ich der Sebaft und 
ftieg raſch einen Baum hinan, der 
rothe Kirfchen trug. Er atzte jih. Das 
iſt beffer, wie der Steppenwirtswein. 
Die Herne ſchnellte er mit den Lips 
pen in's Laubwerk, zwijchen welchen 
fie zu Boden fiderten. Es heißt, daß 
ans jedem Kirſchkern, der im die 
Erde kommt, ein Baum wachſen kann. 
Dann bat der Sandler » Sebalt alle 
Kirihbänme, die in fünfzig Jahren 
an diefem Plage ftehen werden, heute 
im Mund gehabt. 

Diefer Sonntagsnahmittag ſollte 
für den lebluftigen Burſchen eine un 
geahnte Wendung nehmen. 

Lange hatte er noch nicht Roth— 
firfchen gepflüdt, als unten auf dem 
Wege etwas dahertrappelte. Etwas 
Sechsfüßiges war's. Des Bachhäus— 
lers Dullerl kam und führte am 
Strid ein falbes Rind. Als fie merkte, 
daß Jemand auf dem Baume war, 
hielt fie an und rief: „Iſt der Sand: 
ler oben? Unſere Kalm hätt’ ich da 
und mein Vater laßt ſchön bitten um 
den Jodel!” 

„So,“ antwortete 
oben im Laubwerf. 

„Bor vierzehn Tagen bin ich mit 
ihr beim Grubbauer Jodel gewest, aber 
die Kalm ift nicht geftanden. Heut hat 
ihre der Vater einen lebendigen Fiſch 
eingegeben und jetzt — ſag' ih — 
wird's es ſchon thun. Bitt' gar ſchön. 
Ich will nachher einen halben Tag 
Korn ſchneiden helfen dafür.” 

„Iſt Schon recht,“ fagte der Bur— 
ihe und fprang auf den Raſen. 
Schier erfihrat fie. „Du bift es, Se: 
baft,“ ſagte jie, „jeßt hab’ ich ge— 
meint, es wäre Dein Vater oben.” 

„Sa, mein Bater, der ift Heut’ 
bei der Luftbarkeit,“ antwortete der 
Burſch. „Wart', Dullerl, th’ Deine 


» Mofegger’s „heimgarten““, 6 Heft, XI. 


der Burſche 


Kuh da in den Pfränger, ich mach’ 
die Schranke auf, jo. Und jet werde 
ich ihn gleich bringen.“ 

Er gieng in das Stallgebäude 
und kam bald mit den Hoßigen Rind 
zurüd, das einen diden Hals mit 
ichlotternder Fahne hatte, an Farbe 
faft ſchwarz war bis auf die weiße 
Schnauze und den weißgrauen Strei— 
fen über den Nüden. Der Burfche 
hatte das Thier feſt bei einem der 
furzen diden Hörner gefaßt, derge— 
ftalt leitete ex es herbei und durch 
die Schranke in den Pfränger hinein. 

„So,“ fagte er Hierauf, die 
Schranfe fchließend. „Wir zwei kön— 
nen dieweilen Kirſchen eſſen. Magit 
ihrer, Dullerl ?* 

„Kirschen mag ich Schon,“ ant— 
wortete fie, blidte ihn aber nicht an, 
fondern gieng gegen den Gartenzann 
hinüber, wo man weder auf den 
Pfränger noch auf die Kirſchbäume 
jehen konnte. Dort lehnte fie ſich an 
die Planke und betrachtete den jchönen 
Salat, die vielen gelben Rüben und 
den Meerrettih, fo die Sandlerleute 
hatten. . 

Lange blieb der Sebaft nicht aus, 
er fam und bradte in feiner Zipfel: 
mütze Kirchen. Rothe und jchwarze 
durcheinander. 

„Magſt Dich nicht in den Schat» 
ten ſetzen?“ fragte der Sebalt. Es 
war ein Hollunderbufch in der Nähe. 

„Mir ſchadet auch die Sonne 
nicht," entgegnete fie. 

„Willſt Leicht noch befjer zeitig 
werden ?* fragte er und blinzelte 
fie an. 

Um diefe Meinung lügen zu fira> 
fen, ſetzte fie fi in den Schatten des 
Hollunderbufches. 

Er ſetzte ſich zu ihr, that auf dem 
Nafen feine Zipfelmüge auseinander 
und lud ein: „Laß Dir jchmeden, 
Dirndel.” 

Sie griff immer nad) den ſchwar— 
‚zen. Gr ftügte fi auf den Eflbogen 
und ſchaute fie an. Herzig war fie, 

27 


418 
Ihr gelbjeidenes Haar hatte fie zu] „So nimm mich Du!” fagte er 
einem langen Zopf geflochten md ſchalkhaft und ſchlug fein Knie um, 
den Zopf wie einen Kranz um das das gegen Himmel geftanden war, „bei 
Köpflein gewunden. Die jhwarzen, | Dir ftell! ich mich lieber.“ 
langen und dichten Augenwimpern „Ich brauch’ Feine Soldaten,” 
ſenkten fich wie Dachvorſprünge über | fagte fie. 
heile Fenſterlein. Die rothen, vollen | Sie ſchwiegen. Sie fpielte mit 
Lippen waren wie zwei ſachte anein- dem Stleeblatt, er mit einem Riſpen— 
andergelegte Kiächen und das Stumpf— | Hal, den er wie einen Reifen bog. 
näslein ftülpte fi ein wenig auf, |; „Dullerl,“ jagte er nach einer Weile, 
als wollte es dem Burfchen ſagen: „haft Du denn gar feine Freude zu 
Sebaft, wenn Du an den Lippen | mir?“ 
etwas Sollteft zu ſchaffen haben, ich Sie war jo jehr vertieft im ihr 
will Dir nicht im Wege ftehen. grünes Blättchen, day ſie die Frage 
„Dullerl,“ flüfterte der Burſche | Überhörte. 
plöglich, „jet Habe ich Dich einmal, | _ „Keine Arme wirft Halt nicht 
wo ic Dich Haben will,“ wollen,“ ſagte fie endlich treu— 
Enlu . fnihi erzig. 
— Phase oh Ipipig, „das „Der Sandlerhof,“ verfeßte der 
So jelten allein kann Eins | Duride, „ii aufs Gelb ug enger 
— en ” richtet, aber auf die Arbeit. Haus— 
mit Dir fein. j vater und Hausmutter müſſen bei 
„Haben auch nichts zu thun bei- uns die beften zwei Dienftboten fein, 
ſammen, allein.“ fo ift es alleweil geweſen. Wenn fie 
„Da bin ich anderer Meinung,“ | einander gern Haben, arbeiten tun jie 
entgegnete er leiſe und fait gedrüdt. mit Willen. — Und ein bifferl gern 
„Einmal müſſen wir’s doch richtig Haben, Dullerl, das wirft mich doch!” 
machen miteinand. Weißt eh, wes— Sie nidte mit dem Kopf. 
wegen.“ FR Er taftete nach ihrer Hand und 
Sie ſpielte mit einem Kirſchenſtän- flüſterte: „Gehört habe ich's nicht, 
gel, den jie auf das Blatt eines aber gefehen habe ich's. Das ift mir 
Kleeftämmcens, wie auf eine Wag- | noch lieber. Es ift ausgemacht, Du 
Ihale, legen wollte. Das Blättchen hiſt ſchon mein!“ 
neigte fi) aber immer und ließ den Den Halm warf er weg und 
Stängel hinabgleiten. Endlich hielt wälzte ſich über, fo daß er nahe bei 
er feſt, da ſagte fie fat traumhaft ihr war. Sie ſaß feit und wich nicht 
ruhig und ohne aufzubliden : „Und zurüd, die Zipfelmüge mit dem Neft 
heiraten — fannft heiraten ?“ der Kirſchen legte ſie hinter ſich auf 
„Ich kann und ich muß — und den Raſen. 
ich will,“ ſagte der Burfche. „Mein) Dann wollte fie aufſtehen, er aber 
Vater ift alt und kann der MWirt- nahm mit beiden Händen fed ihr 
Ichaft nimmer recht Herr jein. Seit: Köpfchen und prefte einen derben 
dem die Mutter nicht mehr ift, freut Kuß auf ihre Lippen. Sie jchlug ihr 
ihn nichts. Und ich, wenn ich das braunes Auge auf und ſchaute ihn 
Dans nicht übernehm', bin auf’s Jahr | verblüfft an. 
bei der Stellung.“ | Er that jeher unbefangen. 
„Bei der Stellung Schon ?* fragte‘ „Wie fters denn mit Deinen 
fie etwas lebhafter, „Dich können fie) Schuhen?“ fragte der fürforgliche 








uber leicht behalten.” Jungbauer, „wenn Du Sandlerin 
„Meinft, das ich tauglich bin?“ biſt und viel bergfleigen mußt, da 
„Warum denm nicht?“ müſſen fie feſt benagelt jein.“ 


„Iſt gleich eine Arbeit für Did,“ | der alte Bachhausler: „Na, wie ift fie 


war ihre Entgegnung. 
„Daft Du Dir dieſe 

Strümpfe jelber gejtridt ?” 
„Wär' micht fchlecht, wenn 

nicht Strümpf ſtricken kunnt!“ 


ſchönen 





id) | 


geftanden ?“ 

„But wird's gewefen fein,“ ante 
wortete das Dirndel. 

„Dullerl,,„ fagte er, „was halt 
denn Du da am Rüden zwijchen den 


„Ich kann auch ein wenig ftriden. | Schultern für ein Mal in Deinem 


Im Winter, wenn's draußen 
ganftert (ſchneiet), ſitzen wir all’ beim 
Ofen und ftriden. Nur das Nanft- 
machen zulegt da heroben, das will’s 
mie nicht thun.“ 

„So, das Ranftmachen will’s Dir 
nicht thun?“ 

„Wie macht denn Du das?“ 

„Was fagjt ?“ 

„Den Ranft.“ 


recht Gewand? Das ift ein Kirſchenmal.“ 


„Sa,“ antwortete fie raſch, „ich 


hab' ein wenig Kirfchen gegefjen beim 
Sandler oben.“ 


„So,“ entgeguete der Alte Topf: 


E8 „Kirſchen haft gegeſſen beim 
Sandler oben. 


Andere Leut’ thun 
mit dem Mund Kirchen eflen, Du 
thuſt es mit dem Bude. Na, ift 
recht.” 


„Den Ranft meint? Mit Durch- 
ziehmafchen macht man den Nanft.“ 
„Sa jo, mit Durchziehmaſchen.“ 

„Wohl, wohl.“ 

„Richtig, mit Durchziehmaſchen. 
Schau Du, da lern’ ich was.“ 

Der Schatten eines Hollunder— 
buſches dreht jich ſonſt jehr langſam, 
jetzt aber, wie fich die beiden Leut— 
chen nah ihm umfahen, war er ihnen 
davongelaufen. Sie hodten im eitel 
Sonnenfdein. 

Die Dullerl erinnerte ſich der 
Kalm. Als fie in den Pfränger gien— 
gen, ftand ſie gelangweilt an der 
Schranke und an der gegenüberliegen- 
den Zaunede ftand etwas kopfhänge— 
tisch der ſchwarze Genoſſe. 

„So, jeßt treib' ich heim,” jagte 
fie und legte den Strid um die Hör— 
ner der Kalm. „Schön Dank!” ſetzte 
jie halb gegen den jungen Sandler ge= 
wendet etwas unjicher bei, „Jagft e3 halt, | =". Fe 
wann Du eine Schnitterin brauchit.“ — Ru Pak Rn alas SER 

„Sch Hol’ fie felber,“ rief er ihr Win fi Einer ein wen'g luftig maden, 
nah, „mach' Di bereit!" Dann u per Base base Sadıen! 
Iprang er ihr einige Schritte nad, | Ser m Rn: DIN 
flüfterte ihr ſchmunzelnd in’s Ohr: u — 

„Jetzt verdrießt mich jede Stunde 
alleinjein! Noch ein Buſſel! Behüt' Feſtgeſang für dieſen Tag. Später 
Dich Gott!“ trällerte ihnen der Oberförſter ſehr 

As fie mit dem Rinde hinab wunderliche Sachen vor, die ſie in ihren 
fam zu dem armfeligen Bahhäufel Leben nie gehört Hatten. Die Weijen 
in der dämmernden Schlucht, fragte wollten ihnen eigentlich nicht ins Ohr, 


27* 


Das Fell der Auswanderer. 


Mittlerweile gieng im Steppen— 
wirtshaus die helle Luſtbarkeit an. Die 
Jungen tanzten, die Alten tranken, 
und der Oberförfter war namens des 
Kampelherrn da und ließ ſich nicht 
ſpotten. Er bewirtete Alles. Die Aus— 
wanderer wollten noch einmal die Lieder, 
welche in Altenmoos gebräuchlich ge— 
weſen, ſingen, Alm und Bauern- und 
Holzknechtlieder. Der Oberförſter nannte 
es ein „altweltiſches Gedudel,“ was 
ſich Etliche vielleicht nicht gefallen laſſen 
hätten, wenn die Gläſer nicht gar ſo 
fleißig gefüllt worden wären. Der 
Knatſchel wußte aber ein Lied, dem 
hörte anfangs Alles zu und jpäter 
fielen fie ein und fangen mit: 





„Das Bauernleb'n thut mich nit freuen, 
Mag keiner mehr jein auf der Welt, 


Das Lied ward nachgerade zum 








aber die Wörter waren fo pudelnärrifch 
und bei einem dieſer Lieder rief der 
MWagerer-Zenz: „Still jeids, Ihr Sag— 
gra, ſouſt muß ich ein Weibsbild haben!“ 

Operetten-Liedchen waren es, die 
der Oberförfter hier auftatt des „alt— 
weltifchen Gedudels“ einführen wollte. 
Der Dunnerer und der Stindl im 
Stein und der Nod ftellten fich aber 
mitten im der Stube zuſammen und 
fangen mit frifchen Stimmen die alten 
Geſänge und die Jodler dazu, dab der 
Oberförfter mit feinen neumodifchen 
Singelfurium aufhören mußte. 

Seine Zuthunlichleit dämpfte ſich 
heute aber nicht. Den Burfchen zeigte 
er feine filberne Tafchenuhr und fagte: 
eine ſolche könne jeder von ihnen 
haben. Danı bot er ihnen Gigarren 
und jpottete über das Rauchen aus den 
Bfeifentiegeln. Den Weibern und Mäd- 
hen lieg er Zuder in den Wein thun, 
oder Kaffee kochen. Einer Schönen, 
der Nod Sandel, legte er fogar fein 
rothfeidenes Halstuch um die Schulter. 
Einer Andern fagte er, zum Tanzen 
gebe e3 nichts Beſſeres, als Kalbleder— 
Ihühlein mit Tuchfutter. Draußen 
trügen die einfachlten Dienftboten jo 
ſchöne Sachen, man müſſe ja doch eine 
Freude haben, man lebe nur einmal 
auf der Welt. — Derlei gefiel den 
Leuten nicht übel. 

Dann gieng der Oberförfter auf 
den Tanzboden und warf dem zither— 
jpielenden Naß einen Silbergulden Hin. 
Den blieben die Finger auf den Taſten 
ftehen und feine Miene fragte: „Für 
was denn das?“ 

„Einen Neuſchottiſchen ſollſt auf: 
ſpielen!“ rief der Oberförfter und fah 
ih nach einer Tänzerin um. 

„Einen Neufchottifchen ?“ fragte der 
alte Pechölbrenner, „einen föllichen 
fann ich nit.” 

„So Hlimpere uns eine Magura ! 
oder eine feiche Polka!” 


420 


„So wirft doch wenigftens einen 
Tihardafh ſchlagen können, alter 
Nader!* 

„Tſchardaſch? Was ift das?“ fragte 
diefer demüthig. 

„Der Zigennertanz!“ belehrte ihn 
ein Nebenftehender. 

Der Naß fchüttelte den Kopf: „Bis 
geunertanz, den kann ich Halt auch 
nit, lieber Herr, ich kann Halt gerade 
nur den Steirischen.” 

„Mufilant, Du bift Dein Geld 
wert!” fpottete der Oberförfter. 

„Ich nehm’ keins. Bedant’ mich, 
ih nehm’ keins,“ ſagte der Natz mit 
einiger Daft und ſchob das Silberſtück 
noch weiter von fich. 

„So zithere uns Deinen Steirifchen 
vor, in des Teufelsnamen!“ rief der 
Förſter und ftellte fich mit einer drallen 
Bäuerin zum Tanz auf. 

Der PBehölbrenner jpielte bedacht- 
ſam, ja faft feierlich feinen Steirischen. 
Er Hopfte mit den Fußſpitzen den Takt 
dazu umd wiegte mit dem Grautopf. 
Die ganze Stube war voll von Tän— 
zern und fie ftrampften mit den Füßen, 
klatſchten mit den Händen, jchnalzten 
mit der Zunge und jauchzten und 
drehten ihre Weibsbilder, daß die Nöde 
flogen. 

Plöglih brach der Nag mitten im 
Neigen das Spiel ab. Des Wirtes 
dreijähriges Töchterlein war er anſichtig 
worden, das, den Finger im Munde, 
mit großen Augen dem Treiben zu— 
ſchaute. 

„So geh her!“ ſchmunzelte ihr der 
Natz zu, „geh her da zu mir, Dirndel!“ 

Die Kleine ließ ſich nicht lange 
bitten, fie fannte den Mann recht wohl, 
der ihr erft vor Kurzem ein hölgernes 
Puüppchen geſchenkt hatte, fie lief zwi— 
Ichen den Tänzern zu ihm Hin und er 
hob fie auf fein Knie. 

„Was will das bedeuten ?* fragte 
der Oberförfter, erbost über das fo will- 


„Kann ich nit,“ antwortete der kürlich abgebrochene Spiel. „Wir wol— 
Alte jchier betrübt und ſchob das Sil- len tanzen!" 


berftüd mit dem Zeigefinger langjam 
von ſich. 


| „Nur Zeit laffen, Schön Zeit laffen, “ 
verjeßte der Natz gutmüthig, „wir were 


_ 4 


den es Schon machen, Zwei richten mehr 
aus, wie Eins. Gelt Dirndl!“ 

Er ſpielte; auch die Kleine taftete 
gleichzeitig mit ihren fetten Fingerchen 
auf den Saiten herum, dab es eine 
recht feltfame Harmonie gab. 

Der Oberförfter ftieß einen Fluch 
aus und verließ den Zanzboden. 

Eriprießlicheres für ihn gab. es 
draußen beim Lindentifch zu thun. 
Dort fah beim NRodel und beim Sepp 
in der Grub und beim Zwieſelbaumer 
der alte Sandler. Der fauerte jchier 
armfelig da, beim Sitzen felbft noch 
die Hände auf den Stod ftüßend, den 
er zwoifchen den Beinen hatte. Cine 
Hand war mit Lappen ummidelt, denn 
fie war arg gichtiſch. Das Haupt hielt er 
Iharf nah vorwärts gefpannt, denn 
er war etwas „großhörig,“ wie Die 


‚darfft uns nicht anthun, daß Du uns 
abjpenftig wäreft an diefem Tag. Wir 
‚haben gut mit einander gelebt, wir 
‚wollen gut auseinandergehen. Bis Du 
nachkommſt! Einen Krug Wein mußt 
‚wohl mit uns trinken, das geht nicht 
'anderd. Wer weil, wann wir wieder 
einmal zufanmenfommen. So jung 
mimmer wie heut. Auf Dich haben wir 
alleweil was gehalten, Jalob! Schade, 
daß Dur nicht mit uns gehft im die 
Ihöne Welt hinaus. Aber ins Wirts— 
haus geh’ mit uns. Geh’ komm'!“ 
Sie nahmen ihn an den Armen 
und zerrten ihm mit ſich. Feindſelig 
wollte er nicht fein, ev gieng mit ihnen. 
Am Lindentifch, jegt war auch der 
DOberförfter dort, liefen fie fich nieder. 
Der Herr Ladislaus hatte eben den 
alten Sandler in der Arbeit und redete 





Schwerhörigkeit in Altenmoos fo ſtatt- ihm Halb ernfthaft, Halb hänfelnd zu 
lich benannt wird. An feinen Beiligern | von wegen Berlauf des Sandlerhofes. 
war nicht die Schuld, wenn er manche | Zum Glüd verftand der Gebirgsbauer 
mal etwas uneben verjtand, fie fchrieen | daS Deutſch nicht vecht, welches der 


in ihn Hinein wie in „ein taubes Roß.“ 
Sie waren juft daran, ihren lieben 
Nachbar zu feinem Glüde zu drängen ; 
Er ſagte wenig, ſchüttelte aber bis— 
weilen jo ein biichen den Kopf. Sa, 
das Glüd wäre ſchon recht, aber wer 
weiß, obs eins ift! 

Sept gieng draußen der Neutbofer 
des Weges. Er fehrte erft von Sande 
eben zurüd, wo er in der Kirche ge- 


wejen war und that nichts desgleichen, 


als ob er beim Steppenwirt einfehren 
wollte. Der Jakob war feit einiger 
Zeit ernſter und verjchloffener als fonft. 
Das Unglüdt mit dem Knaben! Es 
möchte ihm nicht Schaden, wenn er ſich 
bei Wein und Kameraden einmal ein 
wenig aufheitere. Der Rodel wintte 
ihm über die Planfe, er folle doc) 
nicht gar jo ftolz vorbeigehen. Ob er 
denn nicht durftig geworden fei von 
Sandeben her? 

„Seit zwei Stunden gehe ich neben 
dem Waller daher,” entgegnete der 
Jakob. 

Der Rodel und der Sepp giengen 
hinaus, „Jakob,“ ſagten fie, „das 


halt überrlegen. 


Pole in der Abficht, die Bauernmunds 
art nachzuahmen, Hier vorbrachte. „Dös 
Banerın müſſent wohl halt dö Sade 
J bitt Ihmens, da 
gibt3 nix zum Weberrlegen nit, als» 
dann! Halt lieberr am Hungerrtuch 
nagen, wie altes Gerümpel verfafen. 
Iſts gach nit wahrer ?* — Er wandte 
ſich damit am die Umfigenden, daß fie 
es beftätigten. 

„Wenn Unfereiner jo allein des 
Meges geht,“ bemerkte jet der Jalob, 
„da füllt einem allerhand ein. Iſt mir 
das Kruziloch eingefallen, von der 
Krebsau Herüber, Ihr kennt es ja.“ 

„Die Höhle foll neuzeit ftarf ver— 
fallen fein,“ berichtete der Rodel, „Tann 
Keiner mehr durch.” 

„Iſt vor Wochen einmal ein Herr 
da beim Steppenwirt gewejen,“ wußte 
der Sepp in der Grub zu erzählen, 
„der ift gar aus Wien hergekommen, 
das Kruziloch anzuschauen. Soll merk— 
würdig fein, hat er gejagt, der Tropf— 
| feine wegen.“ 

„Mir gefällts nicht, das finftere 
| Loch, das muß ich ſchon fagen,“ ver- 








422 


feßte der Rodel, „da bin ich wohl 
lieber in der Taglichten.“ 


„Bor Zeiten foll von der Krebsan 
berüber der Fußſteig durch das Kruzi— 
loch gegangen fein,“ ſagte der Sepp, 
„zehn Minuten lang Hat man durch 
die Höhlen gebraucht, hat aber um 
eine Stunde den Weg abgekürzt." 

„Iſts mir eingefallen, heut’ unters 
wegs,“ fuhr der Jakob fort, „daß, 
wie die Pelt in der Sandeben ift ge= 
weſen, die Sandebner eine Bittpro— 
ceffion ins Kruziloch haben gemacht. 
Mitten drimmen foll ein Zropfitein 
ftehen, der wie ein Muttergottesbild 
ausschaut. Davor ift eine Meſſe ges 
lefen worden. Die Peft hat nachher 
aufgehört. So habe ich mir gedacht, 
jetzt funnten die Altenmooſer eine Bitt: 
proceflion ins Kruziloch machen.” 

„Habt's Ihr auch die Peſt?“ fragte 
der Oberförfter fpöttifch. 

„Leider Gottes, ja,” antwortete der 
Jakob ernfthaft. „Arg grafliert fie, es 
vergeht fein Tag mehr, ohne da Tie 
Einen oder den Andern wegrafft. Wenn 
es jo fort gebt, wie lange kann's 
dauern, bis wir in Altenmoos eine 
menfchenleere Wildnis haben! Heute ift 
in diefem Wirtshaus ein Todtenfeſt.“ 


„Das ſich aber der Reuthofer vor 


Der Jakob Hatte die Yauft auf 
den Tisch gelegt und Hopfte mit den 
Fingerrippen etlichemal auf das Brett; 
ziwei=, dreimal hob fich feine Bruft, 
aber er ſchwieg. 

Der Nodel und der Zwieſelban— 
mer hatten fih dem alten Sandler 
zugewendet und ftellten ihm vor, wie 
es nun werden müſſe in Altenmoos 
und mit dem Sandlerhauſe. — Die 
Nachbarn haben verkauft. Die Bauern 
in diefer entlegenen Gemeinde find 
auf gegenfeitigs  Zufammenhalten 
angewielen, aber der Leute werben 
nun immer weniger; Dienftboten find 
auch kaum mehr zu befommen; Alles 
weiß ſich draußen größeren Erwerb 
und der Menjch will das Leben ges 
nießen. Die Wege werden vermildern, 
der Einzelne kann Stege und Brüden 
nicht mehr im Stande halten. Auf 
den brachliegenden Feldern wächst Wald, 
aus dem Wald kommt das Wild und 
frißt dem Einödbauer das Kraut und 
das Korn. Da ift fein Beftehen. 
Wenn der Belit eines Bauernhauſes 
wenigftens noch von der Militärpflicht 
entbände, wie das früher gewejen! 
Aber das ift auch nicht mehr. Wenn 
der Sandler etwa einen Haufen Kin— 
der hätte, die einen Deimgang zum 
Elternhaus haben wollten! Aber das 


Anftedung nicht fürchtet!“ bemerkte jſt nicht. Der einzige Sebaft! Und 


der Oberföriter. 


„Mir wird die Auswanderpeft nicht 
gefährlich,“ fagte der Jakob; „dem 
Nachbar Sandler hingegen, dem möchte 
ich ſchier rathen, daß er fich eilig da= 
vonmachen ſoll.“ 

„Für einen ſolchen Rath wollte 
ich mich bedanken,“ verſetzte der Ober— 
förſter, „wenn ich das Glück habe, 
mir meine Verhältniſſe zu verbeſſern, 
und ſo ein guter Nachbar möchte mich 
davon abhalten! Aber Freilich, Jeder 
denft auf fich ſelber und weil der Reut— 
bofer jeinen Befig nicht an den Mann 
bringt, jo will er auch den Nachbarn 
hinderlich fein. Ich glaube es wohl, 
dat ihm die Weile lang werden wird, 
als Einfiedler in Altenmoos.* 


der lebe Hundertmal beſſer und ſorg— 
(ofer mit dem Baargeld, oder wenn 
er fih draußen ein niedliches Gütlein 
fanfe. Und was würde es dem Als 
ten wohl thun, nicht allemal, wenn 
er eine Kirchenglode hören wolle, den 
weiten Weg machen zu müſſen! Beim 
Treidler in Sandeben ift ein Stübel 
zur haben, in welches zu den Fenſtern 
die Kirchenorgel hineinklingt. Und im 
Haus der Weinkeller, das ift für 
einen mühſeligen Menfchen auch was 
wert. Das Glück meldet fich ſel— 
ten an im Altenmoos, aber wenn es 
fich meldet, da foll man ihm micht die 
Thüre weiſen. 

Während die Bonern als Aus— 
wanderer ſo ſprachen, hielt der Ober— 


förfter die dreitaufend Gulden bereit | Sturm. Die Kinder find beim Haus 
auf dem Tiſch. Der alte Sandler verblieben oder haben an andere Höfe 
Ihlug in den Handel, fein Haus war | geheiratet; ich Habe von feinem ge— 
verfauft. —* das nicht rechtſchaffen geweſen 

„Alſo wieder eine Leiche!“ rief wär. Nur von meinem Großvater ein 
der Oberförſter und ſchlug dem Reut- Bruder, der iſt Soldat geworden, 


hofer höhnend die Hand auf die 
Achſel. 

„Laß 
geier!* fchrie ihm der empörte Bauer | 
in's Gelicht. 

„Und jebt, Jakob!” rief der Ro— 
del lachend, „jet ſchlag auch Du 
los. Es geht auf Eins!“ 

„Und der Aasgeier!“ ſetzte der 
Oberförfter bei, „legt Dir baare vier= 
taufend Gulden auf die Hand!” 

„Wofür?“ fragte der Jakob. 

„Für den Reuthof.“ 


deſerteurt, hat oben im Gottesfrieden 
in einer Felskluft gehaust, iſt wieder 


mich in Fried, Du Aas= eingefangen und zu todt gefchlagen 


worden. Sonft haben faft alle ein 
‚langes Leben gehabt. Und freiwillig 
‚ fortgehen, in die Fremde gehen, gar 
ein Herr werden, das ift im Reuthof, 
jo lang ex fteht, nicht gedacht wor— 
‚den, und eher hätte der Blitz einge— 
‚Schlagen in den Dachgiebel. Wir find 
‚ein Bauernſtamm! Wir hören bis- 


| weilen etwas läuten von Reichthum 
und Herrlichkeit draußen in der Weis 
‚ten Welt. Wir gönnen es Jeden, der 


„Der ift nie mehr, als an zwei- daran glüdlih wird. Wir brauchen 
taufend Gulden wert gewejen. Oder es nicht. Wir haben nie davon gere- 
wäre das Geld für mein oder meiner det, aber jet,“ fuhr der ſich erhebende 
Familie Heimatshaus? Das ift mit Bauer mit gefteigerter Stimme fort, 
Geld nicht zu bezahlen. Heute,“ ſo „jeßt müſſen wir davon reden, weil 
fuhr der Jalob fort, „beute habe ich fie die Heimat und die Fremde zu 
nahgeichlagen im Pfarrbuch zu Sande | einander wägen. Ich wäge nicht! wie 
eben. Das Pfarrbuch ift vor dreihun- ſoll ich die Erdſcholle und die Wolfe 
dertundfechzig Jahren angelegt wor— | miteinander wägen! Nachbar, wenn 
den und dazumal ift ſchon von Stein- ſich die Melt zerftört, jo fängt es 
reutern Die Rede gewefen, die auf an. Die Menfchen werden treulos. 
dem Reuthof in Altenmoos gehaust | Umtreue gegen die Heimat ift Untrene 
haben. Noch Aeltere von diefem Slaum | gegen die Vorfahren, ſie ift Untreue 
werden auf dem Grund die Steine | gegen die alte gute Sitte und fie 
anzgerentet haben und davon wird wird Untreue gegen den Nädhften, 


— Sagt der Pfarrer — der Name, 
Steinrenter herrühren. So viel ich 
weiß, ift don den neun Jakob Stein⸗ 
rentern, die im Pfarrbuche ftehen, | 
feiner reich gewefen und feiner arın. 
Einmal ift der Reuthof niedergebrannt, 
die Steinreuter haben auf Gott ver— 
traut und ihm wieder aufgebaut. Oft, 
bat uns der Hagel die Feldfrucht | 
vernichtet und das wilde Mafler die 
Wieſen mit Steinen überfchüttet, die 
Steinreuter haben gedarbt und ge— 
arbeitet und Muth gehabt. Sie ſind 
dem Unglüd nicht ausgewichen und 





nicht entgegengegangen, fie find ihm 
geftanden wie der Tannenbaum dem 


‚gegen das Weib und gegen das Kind. 
Sonft ift das Mind in feiner Heimat 
geboren worden, ihr jet es im der 
fremde auf rollenden Sand. Wo 
feine Liebe zur feititändigen Heimat 
ift, da ift auch feine zum Vaterland, 
da flattert Alles Hin und Her wie die 
dürren Bucbenblätter im Herbftwind. 
— Jetzt iftein Wind gelommen und hat 
Euch abgeichüttelt, Nachbarn, vom alten 
Baum. Ueber fremde Heiden werdet 
Ihr dahingeweht und Ihr wollet wie: 
der grünen? Ahr feid feige, Ihr lau: 
fet dem Bauernſtand davon, weil er 
hart und ernfthaft ift. Ihr ſeid Hof» 


‚färtig und wollet oben hinaus.“ 


424 





„Lieber ein Vogel, denn ein Maul— 
wurf fein!“ redete ihm Einer ent» 
gegen. 

Darauf der Jakob: „Der Maul— 
wurf ift ein müßliches Thier, aber 
denfet Euch, wenn er Flügel bekäme 
und eine Lerche fein wollte. Pfui 
Tenfel! — Wenn ein Abfchiedsfeft 
ift, meine Herren, fo muß auch eine 
Abfchiedsrede fein; fie ift gehalten. 
Ihr feid draußen, ich mache die Thüre 
zu. Helf Euch Gott!“ 

Dumpfen Tones waren die lebten 
Worte geiprodhen, eine Handbewegung 
machte der Jakob, als ob er die ganze 
Feſtgeſellſchaft mitſammt dem Steppen- 
wirtshaus von fi ſtoßen wollte und 
dann haftete er in Hoher Erregung 
davon. 

Die am Lindentifche fahen oder 
durch die leidenschaftlihen Worte des 
Jakob herangezogen  umberftanden, 
ſchauten fich mit verblüfften Gefichtern 
an. Mas da gejagt morden, war 
merkwürdig, aber wer es gefagt — 
das war noch imerhvürdiger. So 
hatte den ftillen, freundlichen Jakob 
Keiner gefannt! 

Der alte Sandler ergriff den Arın 
des DOberförfters und fagte: „Beden— 
fen muß ich's doch erſt, Waldmeiſter, 
und meinen Buben fragen.“ 

„Was willft bedenten ?” 

„Des Hausverkaufes wegen.“ 

„Aber Sandler!" riefen jetzt 
Mehrere zugleih, „der Kauf ift ja 
abgeſchloſſen.“ 


„Die Herren find Zeugen!“ ſagte 


der Oberförfter auf die Bauern deu— 
tend. 

Der Alte fagte nichts mehr ſon— 
dern ſaß, noch tiefer zufanmengelauert, 
unter der Linde. 

Im Haufe Hang die Zither, johl- 
ten die Tanzenden und die Trinken— 
den, ſchrillte das Anftogen der Gläfer. 
Wohl auch jeht dem Sandler zu 
Ehren galt das Freudenfeſt — aber 
er ſaß tief im ſich gefnidt und auf 
jeiner Stine ftanden falte Tropfen. 


„'s iſt ihm Halt aufgefeßt gewe— 
fen!“ wirde der Wegerer gejagt 
haben. 

Als der alte Sandler jpät Abends 
nad) Haufe fam, war der Sebaft nicht 
mehr daheim. Der Sebaft arbeitete in 
diefen Wochen, da das Henmahd vor— 
| über und das Korn noch nicht reif war, 
weit oben in den Wäldern der Herr— 
Ihaft Nabenberg als Zaglöhner. Um 
Montags rechtzeitig bei der Arbeit zu 
fein, pflegte er fhon am Sonntag 
Abends den ftundenlangen Weg hin— 
aufzugeben und in der Holzhauerhütte 
zu übernachten. Erft Samstags kam 
er zum Tyeierabende wieder Heim. 

Und da war’s an dieſem nächſten 
Samstag — ein ftiller fonnengoldiger 
Auguftabend — daß der Sebaft, ein 
Liedel pfeifend, mit feiner Krare nie= 
|derftieg zwifchen den Feldern des Guld— 
eilnergrundes. Bei den zwei Ahornen 
genannt, wo die Grenze war zwifchen 
dem Guldeifner- und dem Sandler— 
gut, fand Eine, die auf ihn wartete. 
Die Dullerl war’s, aber Heute nicht 
gar Iuftig, fordern etwas Heinlaut. 
Sie hatte ein weißes Tüchel um das 
Kinn gebunden, über dem Scheitel 
zufammengefnüpft und fagte, fie habe 
Zahnweh. 

„Das iſt auch ein neuer Brauch,“ 
entgegnete er lächelnd, „an einem ſo 
ſchönen Sommertag Zahnweh haben!“ 

„Sebaſt,“ flüſterte ſie und duckte 
ſich ein wenig hinter ihn, „ich habe 
ſchon fo viel Angſt. — Seit Irchtag 
(Dienstag) oder Mittwoch her habe 
ih fchon fo viel Angſt. Ich weiß 
nicht, Sebaft, ob Du Dir deuten 
fannft, wos ich meine... .?“ 

Er ſchaute fie an und und fchwieg. 
Er konnte fich’3 denten. 

„Dirndel,“ fagte er, „wie Gott 
will. Ich verlaß Dich nicht.“ 

„Und mehr brauche ich nicht zu 
willen,“ verfeßte fie munter, „das 
Zahnweh will ich Teicht ertragen. 
Behüt' Dich Gott, Sebaft!” 

Sie drüdte ihn noch flüchtig an 
den Fingern und lief den fleilen Fuß— 





AB. 


fteig hinab gegen ihr Heines Bach: ! „Bil da, Sebaftel!“ rief er ihm 
bäufel, daS aber gar nicht ihr und mit einem ſchmiegſamen Stimmlein 
nicht ihrem Bater gehörte, jondern entgegen. „Müd' wirft fein, gelt! Na, 
zum Steppenhof, und alfo mit fammt das Holzhaden die ganze Woche ift 
diefem den Kampelherrn. Das thut | fein Leichtes. Und nachher daheim 
nichts, fie wird jeßt ja nicht mehr wieder die harte Arbeit. Den!’ mir 
lange bleiben müſſen in der alten oft — gehit hinteri, verfluchter Pölli! 
Hütte, in der man zur Sommerszeit | — dent’ mir oft: er kunnts beſſer 


nur ſechs Moden lang die Sonne 
fieht, in der man jahraus jahrein 
feinen Bogel fingen Hört, weil die 
Sandach jo wild raufcht vor der Hütte. 
Mit Zagewerfen und Kohlenbrennen 


und mit Beihilfe einer Ziege oder | 


einer Kuh gewannen fie ihr armes 
Leben von Tag zu Tag. Uber jebt 
kann es befjer werden, beim Sandlers 
hof oben fiheint die Sonne im Wins 
ter und im Sommer, fingen die Vö— 
gel im Winter und im Sommer — 
und das Zahnweh duldet fie gerne. 


Und der Sebaft date: Das wäre 
ganz vertenfelt jeßt, wenn Einer fein 
Daus hätte und nicht heiraten könnte! 
Wir wollen bald Ernft machen. 


Als er zu feinem Hofe kam, trieb 
der alte Sandler juft das Vieh 
zur Tränke. Die Ochſen ftanden der 
Reihe nah am langen Brunnentrog 
und Schlürften mitihren großen Schnau— 
zen den Zrog bis über die Hälfte 
leer. Der Jodel war auch dabei, aber 
dem giengs mehr nad Allotria, als 
nah Waller. Er legte feinen ftroßi= 
gen Kopf auf die Rüden der Anderen 
und fprang gelegentlih gar mit den 
Vorderfüßen auf einen und den ans 
dern Hinauf, jo daß der Alte beftän- 
dig rief: „Gehſt hinteri, Dur Saggra !“ 
und den übermüthigen Stier mit der 
Beitiche zurüdicheuchte. 

Als der Sandler jetzt feinen Sohn 


haben. Und derbarmen thuft mir, Im 
Krebsauer Eifenwerk draußen, jagen 
fie, müßt’ fi der Menſch lang’ nicht 
jo plagen und hätt einen beſſeren 
Lohn, einen viel beiferen. Da tHut 
man ſich's — wart’, Du ſchwarzes 
Ludervieh, ich will Dir Helfen, wenn 
Du fie nicht trinken laßt! Die ver— 
dammte Remmlerei, alleweil! — Da 
thut man ſich's, hab’ ich wollen ſa— 
‚gen, befjer machen, wenn man kann. 
Drei Tanfender gibt er, der Kam— 
'pelherr! Sebaft, was fagft denn da 
| dazu ?* 

„Unfer Sandlerhaus ift nicht feil,“ 
rief der Burſche und wollte in das 
Haus treten, um feine Kraxe abzu— 
laden. 

Der Alte baftete ihm mac, legte 
ihm wie fofend die Hand auf den 
Arın und jagte: „Lachen wirft, Se— 
baftel, lachen wirft. Wir zwei find 
feine Bauern mehr, Jind Herren! 
haben Geld im Sad!” 

Der Sebaft blieb ftehen, blidte 
mit ftarrem Aug’ den Alten an und 
jagte Heijer, jchier ganz Heifer: „Va— 
ter!” 

„a, mein braver Sebaſtel!“ rief 
der Alte mit krankhafter Fröhlichkeit, 
„ich hab’ Dir die Sorgen aufgeladen, 
ih Hab’ fie Dir auch wieder abge— 
nommen. Es iſt michls zu machen 
mehr in Altenmoos, Alle jagn’s, es 








kommen jah, wurde ihm etwas uns iſt nicht's zu machen mehr. Und recht« 
gleich zu Muthe. Er wußte nicht echt, ſchaffen gut Habe ich ihm verkauft, 
wie er ihm die Neuigkeit mittgeilen | den Sandlerhof.* 

jollte, falls der Sebaft noch nichts) Der Sebaft ftolperte von der Thür— 
wußte. Wenn er nur einverftanden | fchwelle zurüd, taumelte an die Wand 
ift! dachte der Alte, ift ein Trutzlopf hin, als wäre ihm ein Schlag ge— 
mandmal. Wenn er mur einverftanz= | fchehen und murmelte dann: „Da hat 
den it! Na, er wird ja gefcheit fein. | man's.” 


— 


„Gelt, die Ueberraſchung, Sebaftel, | Der Ulte Hatte fih auf einen 
gelt!“ Teifelte der Alte, „willft das | Holzblod gejeßt und wieder im ſich 
Geld jehen? Baar hat er mir's aus | zuſammen brechend wie dazumal am 
zahln laſſen, baar. Und den Winter Lindentiſch, murmelte er: „Ich hab’ 
über, wenn wir wollen, dürfen wir mir's gedacht.“ 
noch im Haus bleiben.” Plöglih ſprang der Sebalt Hin 

„Dürfen wir?” fagte der Burfche, | gegen den Vater umd mit geballten 
„dürfen wir?“ dann fuhr er wild Fäuften rief ev: „Ich will ein Haus 
auf: „Der Teufel hat Euch geritten! haben! Ich muß Heiraten, ich hab’ 
Ein Schlechter Water, der feinem Kind | Eine, der ich ſchuldig bin worden!” 
da3 Haus vertfut! — Ach Gott, ; Der alte Sandler, leichenfabl im 
mein Haus!“ Er Iehnte ſich an die Geſicht, zudte die Achſeln: „'s ift aus 
Wand und der ganze Körper bebte. | und 's ift vorbei.“ 





(Fortfegung folgt.) 


Auf einem Dade. 

Bon Arrra. Aus dem Italienischen übertragen von Morit Smets. 
ae den Freunden ihres Vet-⸗ Und Beide ließen ſich im Boote 
Se ters war der es eben, wider | nieder. 
welden fie die meifte Abneigung) Meine Lefer werden fich wohl 





hegte. . jener furchtbaren Ueberſchwemmung 
Wenn man mit Vorbedacht, fie | erinnern, die im Jahre Eintaufend 
gegen Verſuchungen zu fichern, ger | achthundert und . . .® Mber nein, 


handelt, konnte man Feine befiere machen wir keine Zeitangabe! Wenn 
Wahl treffen; aber es gibt weib⸗ Damen in einer Erzählung vorkom— 
liche Naturen von Kampfluft befenert, | men, thut man  befier, Zeitangaben 
welhe den Berfuchungen durchaus | gepeimzuhalten. 
nicht abhold find. Was will man das | GE genügt auch zu wiffen, daß 
gegen thun ? der Po ſolche wilde Streiche verübt, 
Urania war gerade fo geartet. ſein Beet verlaflen und die Gegend 
Sie lehnte die Hand ihres Bes am rechten Ufer bis nach Parma un— 
gleiters ab und fprang flint in das | ter Waſſer gefebt hatte. Auch bei 
Boot, ohne daß fie jih Mühe ge: | Gremona war er ausgetreten; von 
nommen hätte, ihren ftarken Aerger diefen Orten an war die Eifenbahn 
zu verbergen oder auch nur ihren an mehrfachen Stellen überflutet. Wer 
tleinen Fuß, den ein birjchledernes, | von Gafalmaggiore fih nah Mailand 
mit zwölf Knöpfen befeßtes Stiefel- begeben wollte, war gemöthigt, den 
hen umſchloß. Romeo fah alle zwölf! Fluß zu durchkreuzen und fich mittelft 
und es that ihm nur leid, daß er eines Bootes über die unter Waſſer 
nicht der dreizehnte war. ftebenden Felder bis nach Parına bes 





— LE 


fördern zu laſſen, um dort die Linie 
von Aleſſandria einzufchlagen. Das 
Nämliche that auch Urania, nachdem 
fie einen längeren Landanfenthalt bei 
ihren Baſen genommen hatte. 

Die Landſchaft bot ein eigenthüme 
lihes Bild. Die Meinftöde und alle 
Pflanzen niederen Wuchſes lagen un— 
ter dem Mafjerfpiegel, aus welchem 
bie und da der ſchlanke Wipfel einer 
Ulme oder einer Bappel, einer großen 
Ihwimmenden Seeroſe ähnlich, em— 
porragte. Es lag ein Zug biblifcer 
Großartigkeit in diefem Gewäller, das 
immer noch ftieg und flieg, Alles mies 
derreißend, verheerend, überallhin Ent» 
jegen und Tod verbreitend. 

Den Strom hinab ſchwammen 
jeltfame und oft unerfennbare Gegen— 
Hände: Balkentrümmer von einge— 
ftürzten Hütten, allerlei zerbrochenes 
Geräthe, Kleider, Werkzeuge, Geichirre, 
Lappen; ſogar ein Käfig, worin einige 
Hühner wie rajend hin und ber flat- 
terten, Sicherlich des Glaubens, daß 
das Ende der Welt angebrochen fei. 

Die Schifffahrt gieng nichts we- 
niger als leicht auf diefem plößlich 
entitandenen See, deilen Tüden man 
nicht kannte, von ftatten; man mußte 
mit aller Behutſamkeit zu Werke ge— 
hen, indem man die Bodentiefen er- 
gründete und das Ruder gegen die 
Baumſtämme, welche die Bahn verleg— 
ten, ſtemmte. 

Urania nmterhielt ſich unendlich. 
Eine ftarle Seele, liebte fie die Ge— 
fahr; fie bedauerte einzig und allein, 
daß ſtatt dieſes ſtutzerhaften Romeo 
ſie nicht ihren Vetter als Begleiter 
hatte. Der war ein Mann! 

Ohne vorſchnellen Argwohn zu 
faſſen, darf man kühnlich vorausſetzen, 
daß dieſer Vetter fie faſt ausſchließ— 
lich beſchäftigte. Seine Soldatenma— 
nieren, vorgeſchrittenen Anſichten, krie— 
geriſchen Neigungen, fein langer 
Schnurrbart und ſeine ſporngezierten 
klirrenden Stiefelabſätze hatten Ein— 
druck auf ſie gemacht. In ihrer Ver— 
achtung für verweichlichte Männer 











war ſie ſogar dahin gelangt, daß ſie 
ſich die rauhen Hände ihres Vetters 
gefallen laſſen hatte. O, mit ihm 
wäre es eine Luſt geweſen — aber 
1 
Romeo, der am Bug ſaß, (ie 
hatte ſich auf der entgegengefeßten 
Seite des Bootes niedergelaffen), ſchien 
geringen Anteil an der malerischen 
Scenerie, die ihn umgab, zu nehmen; 
fein zartes und ftarres Profil hob fich 
Scharf, wie eine antife Gamee, von 
dem leuchtenden Spiegel des Gewäſſers 
ab; mit einer Hand fräufelte er fei= 
nen Shwachen blonden Schnurrbart, 
die andere hieng über den Bootsrand. 

Fr war unausſtehlich. 

Urania wandte ihr Haupt von 
ihm ab. 

„Das ift ſicher;“ dachte fie, „die— 
jer Mensch Hat fein Blut im den 
Mdern; er muß mit Stodfiichthran 
aufgepäppelt worden fein.“ Diefer Ein— 
fall ſetzte jich derart im ihrem Gehirne 
feit, daß fie ihren Begleiter dergeftalt, 
wie er erit fünf Jahre zählte, mit 
einem Geiferlägchen vorne und mit 
aufgeſperrtem Munde, um den Thran— 
löffel abzulecken, zu ſehen glaubte. 

In dieſem Augenblicke zog der 
Bootsmann die Ruder ein und ſagte, 
nachdem er bedenklich umhergeblickt 
hatte: „Ich fürchte, daß wir nicht 
den beſten Weg eingeſchlagen haben.“ 

„Warum?“ fragte Urania. 

„Weil die Bäume immer zahl— 
reicher in die Höhe fteigen und wir, 
jtatt uns über einem Fußwege zu bes 
finden, in einen Wald oder im micht 
viel weniger Hineingerathen find.“ 

Romeo erhob ji. 

„Bielleicht, wenn die Kraft der 
Ruder verdoppelt würde ?” 

„Berftehen Sie fih darauf, fie 
zu handhaben ?“ 

„Berfuchen wir's!“ 

Der junge Mann ergriff ein Ru— 
der, und zur großen Verwunderung 
des Bootsmannes legte er tüchtig aus. 

„Oh. 05!” bemerkte diefer, „Sie 
greifen mir in das Handwerk.“ 


| 


428 


„Meint Du? Dann höre auch |merlfanm, daß das Waſſer hereinzu— 


einen Rath an! Bon Hier kommen 
wir micht mit der Kraft weiter; wir 
müſſen fie auffparen, mit Umficht bloß 
das Ziel verfolgen, daß wir den Hin: 
derniffen ausweichen; diefes Boot ver— 
mag einem etwas ftarfen Stoße nicht 
MWiderftand zu leiften.“ 


Der Bootsmann verzog den Mund, 
ohne etwas zu erwidern. 


Urania begann zu überdenken, ob 
e3 nicht eine Unklugheit geweſen fei, 
dak man für die Fahrt den Abend 
gewählt Habe; um vor der Sonne 
und dem Staube geſchützt zu fein, 
war man nun wirklich einem ſchlim— 
men Wagniſſe ausgefeßt. Die An— 
wejenheit ihres Wetters erjchien ihr 
wiünjchenswerther, denn je, und fie 
malte ih im Gedanken aus, welche 
ihöne Wirkung feine ftarke, donner— 
gleihe Stimme inmitten des Ge 
wäſſers, feine Athletenarme an den 
Rudern und feine gebräunte, vom 
Schweiße der Kraftentfaltung triefende 
Stirne machen würden ! 


Mit ihm Hatte die Gefahr we— 
nigftens eine beroifche, poetiiche Seite; 
man konnte ihr mit einer gewiſſen 
Luſt die Stirne bieten! 


Sie warf einen Blid der Miß— 
ahtung und des Mitleides auf den 
blonden Ritter, den man ihr an die 
Seite gegeben, und jeßte ſich beque— 
mer, mit verſchränkten Armen, darein 
ergeben, die Ereigniſſe über fich er— 
gehen zu laſſen, da es nicht in ihrer 
Macht lag, fie zu Ändern. 

Inzwifchen ſtieß das Boot reis 
und links an, bald durch einen Bün— 
del von Strauchwerk aufgehalten, bald 
von einem Baumſtamme angerannt ; 
jeden WAugenblid drohte es umzu— 
ſchlagen. 

Die Miene des Bootinannes ver— 
finfterte jich immer mehr. 

Romeo, der feine Ruhe nicht ver— 





dringen beginne. 

Urania erbleichte troß all ihres 
Muthes. 

„Aber wie wird die Sade für 
uns ablaufen ?* fragte fie, zum erjten 
Male ſich dem Freunde ihres Vetters 
zumendend. 

„Seien fie beruhigt;“ antwortete 
Nomeo, „eine Gefahr zu ertrinfen, ift 
hier nicht. * 

„Und Anderes ift nicht zu bee 
jorgen ?“ 

Der junge Mann blidte fie einen 
Augenblick unficher an, dann entgeg— 
nete er, ohne feine gleichgiltige Miene 
aufzugeben: „Hoffen wir — nein.“ 

Die Unbehaglichkeit Urania’s ftieg 
von Minute zu Minute; vor Allen 
empfand fie diejelbe, wie man weiß, 
wegen Romeo’s, aber nun grollte fie 
auch fich jelbft, dem Boote, dem Fähr— 
manne, dem Po, den Negenftrönen 
Jim Derbfte und gar fehr, o wie fehr! 
— ſolchen fahrläfligen Vettern, welche 
ſich durch Freunde vertreten laſſen. 

„Ich beſorge,“ hub Romeo wie— 
der mit einer Gelaſſenheit, die einen 
Heiligen zur Verzweiflung hätte brin= 
gen können, au, „dab der giftige 
Zeitpunkt für eine Weiterfahrt am 
heutigen Tage vorüber ſei.“ 
| „Eine Schöne Auskunft!” rief 
Urania. „Niht an das Ziel zu 
\gelangen, das ift e3 wahrlich, deſſen 
es noch bedurfte, um einer jo anges 
nehmen Partie die Krone aufzuſetzen.“ 

Sie war ſchroff, beißend. 

Aber das Schickſal beſcherte ihr 
noch andere Urſachen zu übler Laune 
und Aergerlichkeit. Plötzlich blieb das 
Boot ſtecken; es war in eine Art 
Sumpf, den Sand, Stroh und los— 
geriſſene Zäune gebildet, hineinge— 
rathen. So ſollte die Partie ein Ende 
finden! 
| Nachdem man von der einzig fahr: 
baren Bahn im Ddiefem ſeit geftern 








lor, beugte jih auf den Boden des | ausgewühlten Waſſerbette abgelommen, 


Fahrzeuges Hinab und machte, nach— 
dem er ein Brett emporgehoben, aufs 


war man auf das Gerathewohl Hin 
über die Felder geftenert und nun in— 


ö—— — — 


mitten von Weinſtöcken und Ulmen, 
zwei Kilometer von Parma entfernt, 
aufgefahren. Ein ummwahrjcheinliches 
Ereignis, aber nichts deſtoweniger voll= 
fommen wahr! 

Dazı kam aber noch, daß die 
Sonne untergieng und ihre leßten, 
die Wipfel der Pappeln wie in flüf- 
figes Gold tauchenden Strahlen den 
nahen Einbruch der Naht verkün— 
deten. 

Romeo, ganz und gar nicht ver— 
drieplich, 309, nachdem er die Dante 
um Grlaubnis gebeten, feinen Rod 
aus, knöpfte die Manfchetten auf, 
Ihlang die Halsbinde los; afl dies 
legte er fein fäuberlich in eine Ede, 
dann griff er nad einem Ruder und 
machte ſich "zugleich mit dem Boots— 
manne an die ſchwierige Arbeit, das 
Fahrzeug wieder flott zu bringen. 

Ich hege nicht, wie Urania, eine 
üble Boreingenommenheit gegen blonde 
Männer; ich kann daher dem jungen 
Manne Gerechtigkeit widerfahren lafjen 


und jagen, daß er fich mit feinen 


durch die Anftrengung gefärbten Wanz 
gen, feinen fchönen, wirr durcheinans 
dergebrachten und über feine blendend— 
weiße Stirne herabflatternden Haaren 
ſehr gut ausnahm. Seine nicht min 
der weißen und fräftigen Arme hoben 
und ſenkten ſich regelmäßig, wobei 
ih unter dem Battifte des Hemdes 
jeine ftarfen Muskeln kenntlich mache 
ten. Er Hatte etwas von Hercules 
und von Apollo an ich. 

Unglüdlicher Weife blidte Urania 
ihn nicht an. 

As es nah einftündiger Arbeit 
gelungen war, das Boot im richtigen 
Fahrwaſſer wieder zu Haben, blinkte 
ſchon hie und da ein Sternlein auf. 
„Den Himmel fei Dank!“ mur— 
melte der Bootsmann, indem er ſich 
den Schweiß abwiſchte. 

„Du hältſt uns jetzt für geborgen, 
Mann?“ fragte Romeo, indem 
einen Fuß gegen den Rand des Bootes 


ſtemmte, das dadurch zu krachen be⸗ 


„Bei dem erſten Stoße wird wenig gewagt und keineswegs bern— 


gann, 





er 


429 


dies elende Gerippe in ein Dutzend 
Splitter zerjtieben. Darauf möchte ich 
ſchwören!“ 

„Aber Sie ſind wirklich ein Un— 
glücksvogel!“ warf Urania voll Er— 
bitterung ein. „Wenn ich nur ein 
bischen abergläubiich wäre, jo müßte 
lich mir der Glaube aufdrängen, daß 
Ihre Anwesenheit meiner Reife zum 
Unheil gereicht.“ 

„Wünſchen Sie, dab ich mich in 
das Waſſer ftürze, um Sie zu er— 
retten ? Ich bin dazu bereit.” 

Der Ton Romeo's war ruhig, 
fühl, und doch nicht ganz von Bitter: 
feit frei; das junge Mädchen ſchämte 
ih, dal es ich bisher durchwegs un— 
höflich erwiefen hatte. Es lächelte umd 
erwiderte, eine fcherzhafte Miene au— 
nehmend: „O Gott, wie empfindlich 
Sie find, mein Herr! Ich bitte Sie 
meiner üblen Laune wegen um Ver— 
gebung; gleihwohl geben Sie doch 
auch zu, dab ich zu bedauern bin...“ 

Nomeo verneigte fich. 

„Was follen wir nun machen ?* 
unterbrah der Bootsmann. „Leider 
nur zu wahr; Ddiefes Fahrzeug Hält, 
nad den erlittenen Stößen, die Laſt 
von drei Perfunen nicht aus.“ 

Einen Büchſenſchuß entfernt er- 
blidte man das Dach einer Behau— 
fung aus dem Waller, welches das 
Uebrige des armſeligen Bauwerkes 
überflutet hatte, hervorragen. Die Ber 
wohner diefer Bauernhütte hatten fie, 
für ihre Lebensrettung bedacht, im 
Stiche gelaffen und die Heine, durch 
das Dach gebildete Infel ſchien Romeo 
zu einer Landungsftelle geeignet. 

„Ich fchlage vor,“ ſagte er, „das 
einer von uns Beiden mit dem Fräu— 
lein auf jenem Dache feiten Fuß 
faffe und der andere Jchleunigft mög— 
ih nach Parma davonfahre, um ein 
in befferem Zuftande befindliches Boot 
anherzubringen. Etwas Anderes läßt 
fich nicht thun; welcher Meinung find 
Sie, Fräulein ?“ 

Der Vorſchlag ſchien Uranien ein 


— 
higend, um ſo mehr, als Romeo mit Keines von Beiden hatte die Hoff— 
eiligfter Kaltblütigkeit hinzujeßte: „Den nung, ſich da oben zu unterhalten. 
Dann da kenne ich und ich ftehe da= Wenn die Abneigungen wie die 
für ein, daß er Sie vor einer etwaigen | Zumeigungen leicht gegenfeitig find, 
Gefahr zu beſchützen willen wird.“ ſo mußte ein jchönes Duett erfolgen. 

Mithin wollte er davongehen ? es a. 2 * er 
“ f fang in der Mitte de aches — 
ante, Kg asien LE ran A, Tomte fe Th, bb 
Boots * nte?, Romeo ſich ſüdwärts wandte, flink 
el a. une auf der Nordjeite nieder — der Rauch— 
(88 Nr re ee vere | Fang trennte fie — aber das Wort: 
er 2. ud dap Sie mir Geſellſchaft figen ift im dieſem Falle eine gemagte 
leiſ Er ) di ine Ueb ab „Metapher. Urania kauerte ſich jo gut 
Mar 5 war Dies eine Lebergabe mit gs möglich zuſammen, inden fie ihr 
Warten und Gepäd; dennoch verrieth Heid a ſich 309, doch ohne da es 
Romeo nicht die leiſeſte Spur eines ihr gelang, ihre zierlichen hirſchleder— 
geckenhaften Düntels ; ruhig antwortete | yon Stiefelhen zu verdeden, die es 
er: — zen nicht wenig befremdete, fich im einem 
Es Au poste di der⸗ ſo harten und fröſtelnd kalten Ab— 
— Be ver Mir A ———— zu befinden; auch fröſtelnd 
D 9 —W =] * 
einerlei” verwundete die Gigenliebe ERDE AUBE- ER. DEIH. ER AP Se DONE 


des fhönen Mädchens auf das Gin. Den milden Klima Staliens nahe 


— ker or treten zu wollen, am zweiten October, 
pfindlichite. Wie viele würden wohl z unteren — 
aus dieſem Anlaſſe glücklich geweſen ———— Da Do 


fein, ihr Better zum Beifpiel! Waller, Sicherlich feine wohlige Wärme 


A u berjpüren. 
Es war doch jonderbar. In einer 3 N 


ar Romeo wäre gerne aufs und ab» . 
oder der anderen Hinſicht machte dies gewandelt; aber wie wäre ein Dad 


ler Herr Romeo ihr fortwährend zu | ; 

— Bi 1a a 

jetzt hätte fie ihn gerne erwürgt! —* andern Seite des Rauchfanges 
Sie fand ſchon im Begriffe aus | niederzufeßen. 

jurufen: „Nein, gehen Sie nur!“ „Der Gedanke, daß wir hier aus— 
Aber wel’ eine Rolle würde fie | galten müſſen!“ begann Urania, ohne 

gejpielt haben ? Hieß es nicht, einen den Kopf umzuwenden. „Wie lange 

zu großen Werth diefem Stußer bei- glauben Sie, mein Herr, dab wir 

zumefjen ? Und dann, offen geftanden, bier zu bleiben haben werden ?* 

war die Ausficht, mit einem Boots— „Das hängt von dem Bootsmanne 

manne einige Stunden auf einem | und den Hinderniffen, die erwachlen 

Dache verbringen zu ſollen, allzu abe können, ab. Es thut mir Ihretwegen 








ſchreckend . . . ſehr leid. .* 
Es ward demnach nichts weiter | „Sagen Sie nur auch Ihretwegen 
hierüber gejprochen. ſelbſt!“ 


Die zwei Schiffbrüchigen landeten „Der Fall könnte ſich anders ver— 
auf der ganz neuen Inſelbildung und | Halten!“ 


das Boot ſetzte vecht matt und ſchlen— „Aber er verhält ſich nicht an— 
fernd feinen Weg nah Parma fort. | pers,” 

„Schnell, he!“ schrie Nomeo, die „Nehmen wir au, daß es doch 
Hände als Sprachrohr verwendend. | fo wäre. .?“ 

„Recht ſchnell!“ unterftügte Urania „Dann Fiele es mir zu, Sie zu 
ihn nachdrücklich. bedauern.“ 








Plötzliches Stilljchweigen. 
Romeo beihäftigte fich, imden er bringen im Stande wäre. 


nit feinem Stode auf die Ziegel 
ihlug; Urania flocht zum Zeitvertreib, 


die Franſen ihres Umhängtuches ine 
einander. 

Es wurde empfindlich kalt. 

Ein zaghaftes Gefühl, eine pein— 
lihe Schwäche und Nievdergefchlagen: 


beit ſchlich ich allmählig in das Herz | 
‚aus einer unwillfürlichen und Holden 
Regung bei der Hand zurüd. 

ſich Alleinbe⸗ 
„wenn Sie einen Fall machten!“ 


Urania’s ein. So eine ſtarke Seele 
lie auch war, blieb jie doch immer 
ein Weib, und diejes 
finden mit einem Unbefannten, in 


einer jo außergewöhnlichen Lage, flöhte | 


ihr ein Bedürfniß mach Zuneigung, 
nah Zärtlichkeit ein; fie fühlte ſich 
erbärmlich Hein. Sie gedachte ihrer 
dahingejchiedenen Eltern, ihrer fernen 
Freundinnen, der  Fehlgeichlagenen 
Hoffuungen, der Kürze des Lebens, 
humderterlei ſämmtlich wehmüthig 
ſtimmender Dinge. 


ob man ſich darin beſſer unterzu— 


Der junge Mann nahm die Ar— 
beit mit Leichtigkeit in Angriff; auch 
ſcheute Urania ſich nicht, ihm mit 
ihren weißen, zarten Händen behilflich 
zu ſein. 

Nachdem die Oeffnung ausreichend 
war, ließ Romeo ohne Bedenken ſich 
hineingleiten; jedoch Urania hielt ihn 


„Beben Sie Acht,“ rief fie aus, 
„Beten Sie für mi und 


ich 
werde unverſehrt davonkommen.“ 

Jh weiß nicht, ob Urania ein 
Gebet verrichtete, wohl aber weis ich, 
dab ihr die Zeit fehr lange vorkam, 
und da fie jeden Augenblid jich zur 
Lücke vorbeugte und Hinabrief: „Derr 
Nomeo! Herr Romeo!” 

Und als Ddiefer endlih heraufs 


Yinfter wurde es noch dazu. Die Hetterte, ganz naß, mit einer Matrage 


wenigen Sterne waren verichwunden; 
ein eisfalter Wind trieb dichtes Ge— 
wölfe am Himmel einher. 





auf den Schultern, fühlte das be— 
berzte Mädchen jich einer heftigen Be— 
Hemmung enthoben. Sie hatte einen 


„Es ift unmöglich,“ fagte Romeo, | Augenblid lang Schon Angit gehabt, 


„dab Sie es fo aushalten Lönnen, | 
ohne durch die Feuchtigkeit der Nacht zu ſehen. 
zu leiden; erlauben Sie, daß id) Sie, 
mit meinen Rocke bedede; ich bin | 
gegen jedwede Witterung abgehartet. 
Das iſt der Vortheil, der uns Männern eingedrungen, das 


aus den Strapazen des Feldlagers dorben, man weiß 


erwächst.“ 
Urania ließ es geſchehen. 


‚gend, „das Waſſer 


ihn nicht mehr zum Vorſchein kommen 


„Die Hütte ift unbewohnbar ;” 
fagte Romeo, die Matrae niederle— 
ift in jeden Winkel 
Seräthe ganz vers 
nicht, wohin man 
den Fuß ſetzen fol. Die Borjehung, 


Bald | welche, wie man jagt, Beranjchte und 


darauf fragte fie: „Sie find Soldat | Verliebte beſchirmt, hat fi uns barm— 


gewejen ?* 


im ftehenden Heere; ich habe zwei 
Schladten mitgemadt.“ 

Bei einer Bewegung Romeo's 
Ioderte er einen Ziegel, der hinab» 
follerte und in das Waſſer fiel; dies 
fer zufällige Unmftand gab ihm einen 
Gedanten ein, welchem Urania volls 
fonmen zuftimmmte. 

Es handelte fih darum, ein Loc 
im Dache auszuweiten und dann in 
die Hütte hinabzufteigen, um zu jehen, 


herzig zu erweifen geruht. . .“ 
„Zuerft bei Garibaldi und dann 


„Wenngleich,“ fiel Urania ihm 
raſch in die Rede, „wir weder auf die 
eine noch auf die andere Bezeichnung 
Anspruch zu machen vermögen.“ 

„Und lieg“ — fuhr Romeo, ohne 
die Unterbrehung zu beachten, fort 
— „auf einem Dachboden dieſe ver— 
mutHlich mit Hundsgras geftopfte Ma— 
trage obenauf ſchwimmen. Meinen 
Sie nicht, daß diefelbe uns bei der 
afcetifchen Nadtheit der Ziegel jehr 
gelegen kommt ?“ 


432 


Nachden er die Matrage ausein— 
andergebreitet, wünjchte Urania aus 
Höflichkeit, daß ihr ritterlicher Be— 
gleiter auch Pla daranf nehme, und 
er nahm ihn ein. 

Anläßlich diefer Annäherung dachte 
Urania, daß, wenn ftatt Nomeo’s ihr 
Vetter Hier wäre, ſie nicht einem ſtar— 
ten Geruche von Nauchtabaft und von 
Fiſchthran, mit welchem er feine ſchwe— 
ren Jagdſtiefel einzuſchmieren pflegte, 
entgangen fein dürfte. 

Ganz beſtimmt war al3 Sitznach— 
bar auf einer Matrate dieſer junge 
feine Herr vorzuziehen. Dennoch ver- 
mochte fie nicht über diejes Alleinzu— 
ſammenſein mit ihm auf einem Dache 
zur Ruhe zu kommen. Mas wilrden 
ihre Freundinnen in Mailand fagen, 
wenn ſie hievon erführen? Unter ans 
deren Bewandtniſſen (fie geltand nicht 
offenherzig, welche fie meinte) konnte 
das Begebnis ein annehmbares Erz 
gebnis zur Folge Haben; doch jo war 
es etwas LYächerliches, oh, ſehr lächer— 
lich ! 

Und da dieſes letzte Wort lauten 
Tones ihren Lippen entjchlüpft war, 
fnüpfte Romeo daran: „Das Lächer: 
lihe grenzt an das Erhabene. Nie 
vermochte die Phantafie eines Dichters, 
wenn fie die goldigumgitterten Balz 
cone und granitenen Terraſſen ſchmei— 
chelnd umſchweift, um ihre idealen 
Geſtalten fo viele Poeſie zu vereinen, 
al3 wir auf diefem elenden Dache rings 
um uns haben. Bier giebt es fein 
ihmüdendes Fries, keinen blumen— 
umfächelnden Zephyr, feinen Straht des 
Mondes (Sie fehen ja, wie finfter es 
ift!), feine weißen Wölkchen, feine 
weichgepolfterten Gondeln, feine Nach» 
tigaflen, feinen Lautenklang, feine 
Liebeslieder — nichts Anderes, als 
einen Haltepunkt auf diefem unheil— 
vollen See. Um uns treiben die 
Trümmer zeritörter Hütten, einge— 
fürzter häuslicher Herde; das Kiffen 
einer Wiege trägt uns über das Ge— 
wäjler die Wehllage einer Mutter ber. 
Horhen Sie! Dort unten, wo wir 


an die Mauer eines überſchwemmten 
Meierhofes gedrängt wurden, ver— 
nehmen Sie nit die Schreie der 
armen Bauersleute? Sehen Sie nicht, 
wie das Elend zugleich mit den Wo— 
gen über die verheerten Gefilde au 
Ausbreitung gewinnt?“ 

Romeo ſprach ohne ſalbungsvollen 
Nahdrud, ruhigen Tones; nur faßte 
er, als er zu bemerken glaubte, dal; 
feine Gefährtin etwas zuſammenſchau— 
erte, nad ihrer Hand und dann fuhr 
er fort: „Wie viele Familien find 
obdachlos geworden! Wie viele Leute 
find um ihre Brot gebradht! Ganze 
Menschenleben voll harter Arbeit und 
Aufopferung liegen begraben unter 
diefem ſtehenden Gewäſſer; fo viele 
betrogene Hoffnungen, jo viele nutz— 
lofe Opfer! Frohgemuth waren die 
Inwohner zwifchen ihren eingeheims- 
ten Ernten, im Frieden ihrer jchlich- 
ten Behauſungen, in Schlaf geſunken 
und die furchtbare Geißel fiel über 
fie, die Wehrlofen, her. Welch ein 
Bild! Die Ausbrüche der Verzweiflung 
riefen einen Widerhall wach, der nie 
zuvor vernommen worden ; flammende 
Fackeln irrten wie verlorne Seelen 
auf Brüden, welche einzuftürzen droh— 
ten, auf Booten, weldhe in Trümmer 
geborften waren, umher. Ueberall 
Weiber in lofer, fliegender Gewandung, 
nadte Kinder, vor Schmerz und Schred 
wahnjinnige Männer. Bei jedem Ge— 
genftande, der unterfanf und verſchwand, 
erſcholl ein Schrei; jedem Dammı= 
bruche folgte ein Stöhnen und Ge— 
winmer nah. Auch in jener entjeß- 
lihen Naht ſchimmerten feine Sterne, 
leuchtete fein Mond — das Weinen 
und Jammern der Unglüdlichen flieg 
vom Gewäfler zum unfichtbaren Him— 
mel, vielleicht ungehört, empor. Eine 
erhabene und erfchütternde Poeſie, 
nicht wahr, mein Fräulein ?“ 

War die Frage ironisch gemeint ? 
Welch eine tiefwurzelnde Verbitterung 
trübte den hellen Klang feiner Stimme? 

Urania fühlte den Drud dieſer 
ftarlen und Falten Hand; mit dem 





verweichlihten Jünglinge war es vor— 


— 


„Beſteht ein Ausſchuß, eine Geld— 


bei; in dieſer zierlichen Geſtalt barg ſammlung, kurz: hat man etwas für 


ſich ein mannhaftes Herz, ein Herz 
voll Adel und Güte! 
„Sie Sprechen,“ ſagte das Fräu— 


fein, „wie wenn Sie bei dem Aus— 


die Opfer der Ueberſchwemmung ge= 
than ?” 
„Sch befaffe mich eben damit.“ 
„Wäre ich aufdringlid, wenn ich 


tritte des Fluſſes zugegen gewefen Sie bäte, mich diefem Werke der 


wären ?* 

„Ich war es auch.“ 

„Wie? Unter der Zahl jener Hoch— 
herzigen, die mit wenigen Booten ſich 
in den wilden Strom hineingewagt, 
um den Ueberſchwemmten Hilfe zu 
bringen... .? Aber Sie fagten nichts 
davon; Niemand mwuhte darum.” 

„Dies hielt ich nicht für nöthig.“ 

„Mein Better war Ihnen zur 
Seite?“ 

„Nein; er Hatte auf die Jagd 
zu gehen.“ 

Ein brennendes Reue- und Scham— 
gefühl, ſich To gröblich getäufcht zu 
haben, färbte die Wangen Urania’s. 

Ihr Erröthen war zwar in dem 
tiefen Düfter nicht wahrnehmbar, aber 
iherlih empfand Jemand den ſchwär— 
meriſch-zinnigen Drud ihres Hände 
chens, während fie ſagte: „Ich be= 
wundere die muthigen und ftarfen 
Männer. Wie fehr beneide ich die- 
felben des Guten wegen, das Sie zu 
vollführen im Stande find!” 


„Auch das weichherzige und zarte 
Franengefchleht vermag viel Gutes zu 
wirken. Der Manır leiftet materiellen 
Beiltand, die Frau richtet die Seele 
auf.“ 

„Slauben Sie wirklih, daß die 
Hrau ſolche Macht bejähe ?“ 

„Und wie wäre daran zu zwei— 
feln, wenn ein einziger Blick eines 
weiblihen Weſens uns erhebt und 
befier macht, wenn ein freundliches 
Wort, wenn ein Händedrud, wenn 
eine plößlihe und unſchuldige Re— 
gung jeines liebevollen Herzens uns 
für langes Mißachten oder Verkennen 
entichädigt 2” 

Bitterte wirklich feine Stimme? 
So dien es Uranien. 


Rofegger's „‚Geimgarten‘‘ 6. Heft, XI. 


Wohlthätigkeit anfchliegen zu dürfen ?” 

„Die Aufdringlichkeit ift meiner: 
ſeits, infoferne ich unverzüglich Ihren 
| Beitritt angenommen erkläre, um Ihnen 
nicht Zeit zu belaffen, dies zu bes 
reuen.“ 

Noch immer nicht von Bitterkeit 
frei! Urania fühlte fie heraus; aber 
fie hatte diefelbe verdient und fie ver— 
ſtummte. Erft nach einem fehr langen 
und dem Anfcheine nach jehr anziehen 
den Stillfchweigen rief fie, um ſich 
dem Zauber zu entziehen, aus: „Wie 
viele Zeit bereit3 vergangen fein mag! 
Der Bootsimann bleibt lange aus; 
mir ift kalt.” 

Nomeo rüdte ihr näher. Allmäch— 
tiger Gott, was follte er denn thun? 

Gewiß würde ihnen, wen fie ein 
ander mit den Armen umſchlungen 
hätten, wärmer geworden fein. Ob er 
ih wohl mit diefem Gedanken trug ? 

Wie dem auch gewefen fein mag, 
er konnte ihn doch nicht Mar und 
deutlich herausſagen! Er bejchräntte 
ih auf die Erwiderung: 

„Beben Sie mir Ihre 
Hände. So!“ 

Und er legte fie an fein Herz. 

Das ftarte Mädchen kam ſich ſchwä— 
her und Heiner, denn je, vor. 

„Was dann, wenn der Mann nicht 
mehr käme?“ 

„Dann zimmern wir uns, wie 
Robinfon, eine Hütte und harren auf 
eine günftige Gelegenheit, um im die 
Heimat zurüdzufehren.“ 

Während er lachend diefe Worte 
ſprach, preßte er ihre beiden Hände, 
die nach einer wärmenden Unterkunft 
begehrt, an feine Bruft und da die 
Arme jo nahe den Händen find, fo 
fanden auch die Shönen Arme Urania’s 
dort eine Zufluchtitelle. 


beiden 


28 


434 


Im nämlihen Augenblide geſchah Beſuch den Baſen abftattete, machte 


es, daß Urania ihm zuflüfterte: 


„Sie vergeben mir, ja? Ich Hatte | Ueberſchwemmungsgebiet 


Sie ſchlecht beurtheilt!“ 


Tiefbewegt und feierlich, erwiderte | 


Romeo: 
„Dank! Jetzt bin ich glüdlich.“ 
Der Bootsmann vermochte ganz 





fie Nomeo den Vorſchlag, mit ihr das 
in Augen 
Ihein zu nehmen. 

Die Häufer waren nenerflauden, 
i i ichtet, die 
Die 
einen reichen 





Zäune an ihrer alten Stelle. 
Fruchtfelder verhießen 


nach feiner Bequemlichkeit zu verfah- Ernteſegen; die Wieſen grünten, der 


ren; keines von den Beiden dachte mehr 
daran, ſich zu beklagen. Als er end— 
lich, gegen Zehn, anlangte und ſelbſt 
beftürzt jeine unfreiwillige Berfpätung 
zu entschuldigen verfuchte, fiel Romeo 
ihm in die Rede: 

„Über mein Lieber, uns kommſt 
Du vielmehr zu schnell!“ 

„Mertwirdig!" dachte der Boots— 
mann „was für findige Leute doch 
diefe Herrſchaften find! An elaftifche 
Sofas gewöhnt, verftehen fie ſich auch 


darauf, ein paar Stunden auf einem | 


Dache zuzubringen, ohne nur einmal 
das Ausjehen zu Haben, daß jie ji 
jchlecht dabei befänden.” 


Das Jahr nachher, zu dem Zeitz 
punkte, als Urania ihren gewohnten | 





Himmel blaute, und unter den riejigen 
Bappeln ruhte der Landınann ermüdet, 
aber froden Sinnes, aus. 

Das junge Pärchen machte vor 
einem Meierhofe Halt: im Schuße des 
Schattens, welchen das Dach, neu ges 
dedt, auf den Fußpfad warf, ſank es, 
von einer gleichzeitigen Regung er— 
faßt, einander in die Arme, und fühte 
fih, ohne eine Silbe zu fprechen, in 
berzinniger Umfchlingung. 

* * 

Eine Leſerin, die hieran Anſtoß 
nimmt: „Oh, oh, oh!“ 
Die Erzählerin: 

Brautpaar!“ 


„Es war ein 


Fin Belbfimord. 


Don P. R. Rofegger. 


DL Ien einem Haren, fonnigen Spät— 
— herſttag ſchritt ich durch den | 
Sue Stadtpart. Gott, wie dieſer 
Garten Schön ift, jelbjt noch wenn die | 





gelben Blätter niedergleiten wie golz | 
Wie friih grün noch 


dener Schnee! 
der Rafen, wie blau der Himmel, gegen 
den die entlaubten Baumfronen faſt 
übermüthig grotest auftragen. 

Raſch an mir vorüber jchreitet ein 
Mann, ſtramm aufrecht in voller Ju— 
gendlichkeit, mit einem weißen Batiſt— 
tuch troduet er von feinem blühenden 





— den Schweiß. Wer noch ſo 


jung wäre, ſich an einem ſcharflalten 
Herbſttage gegen die Glut der eigenen 
Kraft wehren zu muſſen! Eine elegante 
Geftalt, mitten im Leben, mitten in 
dem, was fie Glüd nennen. Bald ift 
er meinen Augen auf den Schlangen 
wegen entſchwunden. Sch humple au 
meinen Stode mühſam nach und freue 
mich an den Schäßen der Armen, an 
der reinen Luft, ar dem lieben milden 
Sonnenſchein. Auf glattem Rafen tum— 
meln fi muntere Kinder; und wenn 





morgen der erite Schnee fällt, fo werden 
jie von Neuem munter fein; wenn in 
ihren Stuben die Eisblumen an den 
Fenſtern ftehen, werden fie munter fein; 
wenn der graue Nebel draußen über 
dem Weihnachtsmarkte liegt, werden fie 
munter fein; fie haben es gut, fie 
werden den Frühling jehen, fie werden 
noch viele Frühlinge jehen.... . 


Ein Doppelfhug im Stadtpark. 
Ueber den Leichtjinn der Lente, nad 
Sperlingen zu fehießen, wo die Um— 
gebung voll Spaziergänger ift! — Et— 
was Anderes wars. Um einen Straud 
biegend fehe ich Leute zufanmenlaufen. 
„Erſchoſſen Hat jih Einer!“ 


Ich trete Hinzu, die Drahteinfaflung 
der Wieſe ift durchbrochen ; immer menu 
herbeieilende Menfchen bilden einen 
Kreis, die rüdwärtigen dehnen ihre 
Hälfe, um den vorderen über die Köpfe, 
über die Schultern ſehen zu fönnen. 
Erſchoſſen Hat jih Einer! Die Hunde 
verbreitet jich weitum, hier drängen jich 
die Leute Shweigend, was man 
ſieht, das braucht man micht erft zu 
erfragen, zu hören. 


Auch mir gelingt es, ſoweit durch— 
zufommen, daß ich unmittelbar davor 
itehe. Der Zodte ift jener Mann, der 
wenige Minuten früher fo beneidens= 
wert aufrecht an mir vorübergegangen 
war. Auf dem Rüden liegt er da, 
zuerft erjfehe ich die Füße, der rechte 
ift ‚gerade ausgeftredt, der linke im 
Knie etwas zur Höhe gebogen. Die 
Arme bingelegt auf den Raſen, die 
Finger unter den braunen Glacehand— 
ſchuhen kaum merklich gefrümmt. Der 
Kopf nach rüdwärts gebogen, das Ge— 
ſicht, foweit es ein wohlgepflegter blonder 
Bart nicht dedt, bereits blaß wie Lehm, 
blaß bis unter die Nafennüftern hinein. 
Zwifchen den halbgeöffneten Lippen 
Ihimmert eine Reihe weißer Zähne, 
die offenen Augen glogen in der Starre 
des Todes... . An der rechten Schläfe 
ein dunkelrothes Scheiben, kaum 
größer, als ein Kreuzerftüd. — Weiter 
bin liegt der elegante ſchwarze Hut. 


435 


Neben dem rechten Fuß der Revolver, 
faft noch raucht feine Mündung. 

Täglich liest man in den Zeitungen 
von Selbſtmorden; man liest die Notiz 
faum zu Ende, jo gewöhnlich ift das. 
Das Schattenbild einer Vorftellung der 
That, des Todten dämmert flüchtig 
‚borüber, und jchon haftet unfer Ge- 
danfe auf einem DBereinsbericht, auf 
der Theateranzeige — wenn nicht gar 
auf dem Curszettel. Und mun fteht 
man plößlich in der That vor einem 
jolden Ereignis und fann das Unges 
heuerliche nicht fallen. Ein Menfch ſich 
mit freiem Willen ſelbſt getödtet! Un— 
ſere Natur jchreit empört: Nein, nein, 
es ift nicht möglich! Aber der Leichnam 
verſchwindet nicht vor unſeren Augen, 
wir fönnen die gräßliche Wahrheit nicht 
fafjen und nicht leugnen und nicht 
abweijen, fie bremmt fich wild und un— 
auslöſchlich in unfere Seele ein. 

Wenn ih mich nun entjinne auf 
die Vorgänge in meinem Gemüthe, als 
ih vor der Leiche des Selbitmörders 
ftand, jo fällt mir nachträglich der 
raſche Wechfel der Empfindung auf. 
Zu allererit nicht etwa der Schred, 
fondern die Ueberraſchung. Man er— 
Ichridt ja nicht mehr heutzutage, wenn 
es heißt: ein Menſch Hat fich ges 
tödtet. Uber die Ueberrafhung, daß 
jener ſchöne Mann, der vorhin an mir 
vorübergieng und in mir faft das Ge— 
fühl des Neides hätte erweden können, 
wenn ich defjen fähig wäre, daß dieſer 
Mann von eigener Hand getödet nun 
vor mir dag. Und als ob man fich 
jet erjt darüber Mar werde, daß ein 
Kugelihuß in den Kopf wirklich todt 
macht ! 

Meine zweite Empfindung war 
jener der gemeinen Neugierde ähnlich. 
Wer iſt es? Warum bat er's gethan ? 
Er jcheint den „beſſeren,“ vielleicht den 
vornehmen Ständen anzugehören, feine 
Kleidung ift nah neuem Gejchmad, 
feine Züge find fein und tragen im 
Tode noch Spuren von Beilt, an feiner 
rechten Hand ein glatter goldner Ring. 
Ein leifes Fragen geht durch die Runde: 

28” 


436 


Mer mag es fein? Kühne Vermuthun— 
gen, aber feine Antwort. Ein reicher 
Mann, der fein Bermögen verloren 
hat? Es gibt Leute, die an Reichthum 
ihr Glüd, ihre Ehre, ihren Lebenszweck 
hängen; ſolche vermögen den Berluft 


ihrer materiellen Güter nicht zu er= | Gefühl der Genugthuung. 


fucht fie zu zerftören, und das Ende 
bei Vielen — welche die neue Lehre 
zu mörtlich nehmen — ift eine Kugel 
durch den Kopf, 

Eine weitere Empfindung im An— 
blide des Selbftmörders war — das 
Das war 


tragen. Eine Kugel durch den Kopf! ein Mann. Der hatte den Muth, ein 
— War's Einer jener Bedauernswerten, | Leben, das ihm vergällt und verdorben 


die dur gewiſſenloſe Berleumdung 
Ehre und Achtung verloren und demen 
da3 eigene gute Gewiffen zu wenig 
erſcheint, um in der Geſellſchaft zu 
leben, und die nicht den Muth und 
die Kraft haben, ihre zernichtete Ehre 
wieder herzuftellen? Eine Kugel durch 
den Kopf! — War es ein von Freun— 
den Betrogener, vom Weib VBerrathener, 
dem ein Jhöngeträumtes Familienleben 
plöglih furchtbar zufammengebrochen ? 
Eine Kugel dur den Kopf! — War 
es ein im Uebermaß der Weltfreuden 
Blafiertgewordener, im dürren Peſſi— 
mismus Bertrodneter, oder im Ringen 
nach Wahrheit lahm und wire gewor— 
dener Verzweifelnder? Eine Kugel durch 
den Kopf! — War es ein durch tra= 
giſches Gefchid der Schuld Auheimge— 
fallener, dem feine andere Löfung und 
Sühne mehr blieb, al3 die Bleikugel ? 
— Der blajje Mund ift ſtumm und 
fo beredt zugleich, fo furchtbar beredt. 

Die dritte Empfindung in mir, als 
ih vor dem Zodten ftand, war der 
Zorn über eine Welt, über gejellichaft- 
lihe Zuftände, die ſolche Opfer for- 
dern. Das phyſiſche wie moraliſche 
Elend auf Erden war zu allen Zeiten 
groß, aber der Menfch Hatte ein hohes 
Ideal in fich getragen, er war fähig 
eines erlöfenden Aufblides, er beſaß 
ein Gut, das außerhalb dem Vergäng— 
lihen lag, ein unzerftörbares Gut, fein 
Herz flüchtete, wenn ihm furchtbares 
Elend hienieden umgab, zur Vorſtel— 
lung von einer befjeren Welt, und fein 
Mannesideal lautete: ausharren in 
Geduld, bis das irdiiche Leben ein 
Höherer ausbläst, der es gegeben hat 
und deſſen Eigen es ift. Diefe ideale 
moralijche Kraft hat man zerftört oder 





| 


worden, von fich zu werfen. Ein 
Revolverſchuß ift ein lauter Proteft 
gegen unfere Zuftände und Cultur, 
eine fürchterliche Anklage und zugleich 
der Ausdrud tieffter Verachtung, der 
hochmüthigen, felbftgefälligen Welt ins 
Antlig gefchleudert. Der hat's gewollt, 
der hats vollbradht, das war ein Mann. 
Auch er hat fih den Fortſchritt zu 
Nutze gemacht, die Erfindung des Pul— 
vers, die techniſch vollendete Hands 
waffe; er bat den Ban des menſch— 
lihen Schädels ftudiert zu dem realen 
Zwed, um den ſicheren Weg in den— 
jelben zu finden. 

Diefem Gefühle hart auf dem Fuße 
folgte das der Verachtung. Ein Fah— 
nenflüchtiger! Ein Egoift! Haben nicht 
wir Alle unter denjelben Laften zu 
keuchen? Müſſen nicht wir Alle unter 
Selbftbeherrfhung, Nachſicht und Er— 
gebung mit uns und Anderen auszu— 
fonımen fuchen? Das Leben ift eine 
Pfliht und eine Kunft und eine Hel- 
denthat. Eine Pfliht, weil e3 die 
Natur will und der Gattung gefällt! 
eine Kunſt, weil das Leben, wenn es 
recht gelebt ift, Harmonie und Be— 
friedigung gewährt; eine Heldenthat, 
weil es ein Kampf ift, den die Menfch- 
heit gemeinfam für ihre Vervollkomm— 
nung zu führen Hat, und weil es 
ihon dem Einzelnen zum Siege wird, 
wenn er ſich brav und mannbar auf— 
recht hält. — Der, welcher vielleicht 
fonft die geringften Unarten ſeitens 
Anderer dur Säbel oder Piftolen zu 
fühnen pflegte, der liegt num da, eine 


wehrloſe Beute des meugierigen, fri= 
volen Pöbels. Alte Weiber guden ihm 


in den Mund, in die Nafenhöhlen 
hinein, ein übermüthiger Gafjenjunge 





faßt und zerrt ihn an den Beinen, 
oder ſchupft fein Haupt mit der fothi= 
gen Stiefelfpige hin und her. Der, 
welcher vielleicht feine perfönliche Re— 
putation al3 das Höchfte gehalten, 
welcher eine verlorne Ehre vielleicht 
wieder nei berdienen und gewinnen 
hätte müſſen, liegt nun als Gadaver 
da, und die Leute dichten ihm allerlei 
Niedertraht an, die ihn zum Selbſt— 
mord getrieben ; als zweifelhafter Cha— 
ralter, wenn micht gar als fehlechter 
Geſelle lebt er fort in dem Gedächtnis 
der Welt, auf deren Meinung er ſonſt 
all feine Karten gejegt hat. Wenn er 


437 


| Zodten ftand, kam das, was wohl ala 
Erſtes hätte da ſein müſſen — das 
Mitleid. Welche innere Kämpfe mußte 
der Unglückliche gerungen, welche Qua— 
len ausgeſtanden haben bis zum letzten, 
leichten Drucke am Hahn des Revolvers! 
Anfangs, je nach Laune und Stim— 
mung, hat er vielleicht aus Koketterie 
mit Selbſtmordgedanken geſpielt, hat 
muthwillig mit ſolchen geprunkt. Dann 
| famen Widerwärtigfeiten und die Selbſt— 
mordgedanken traten häufiger auf, fie 
wurden fogar manchmal unangenehn, 
ließen ficd aber nur ſchwer verfcheuchen. 
| Tägliche Zeitungsnotizen über Selbft- 


jelbft die Flinte ins Korn geworfen, |morde thaten auch das Ihre, um mit 
wer foll font fein Andenken verthei= | diefer Sache vertraut zu machen. Gleich» 
digen? — Das war etwa Einer, der zeitig verringerte ich die Freude am 
nichts Höheres gekannt hat, als Ehre | Leben, das Intereffe und die Kraft 
oder Geld. Armer Narr! Die Leute zum Kampf um's Dafein. Der herben 
hielt er für falſch, wankelmüthig, nie= | Welt wurde nicht mehr gehörig pariert, 
derträchtig, und wollte von ihnen ge= es kamen Schickſalsſchläge, Fremde und 
ehrt fein. Vom Gelde wußte er, daß eigene Sünden, der Feuerkreis von 
es für das wahre Glück nichts bedeute, | Ungemach und Elend zog fich immer 
und wollte es doch haben. Daß Pflicht enger um den Gepeinigten, finfter und 
treue und Seelenruhe mehr wert fei, |fchmeichelnd zugleich trat der Selbit- 
als die Ehre, die Meinung der Leute, | mordgedante in den Vordergrund, ganz 


daß ein anfprucdslofes Gemüth ein 
höheres irdifches Gut fei, als Geld und 


materieller Leberfluß, davon Hatte der, 


Tropf vielleicht gar feine Ahnung ge= 
habt. Weil ihm der Tant entzogen 
war, ift er flörrifch geworden, Oder 
er hat in wahnmißiger Verhöhnung 
aller treuen kindlichen Einfalt dünkel— 
haft Alles willen und begreifen wollen, 
bat fi im geblähtem Hochmuth über 
die Mitgejchöpfe, über die Naturreiche 


ftellen wollen, fein Eins und Alles 


war die „Erkenntnis,“ bis er eines 
Tages umfeligerweife zur Erkenntnis 
gefommen, daß er anftatt ein großer 
Geift zu fein — ein großer Thor war. 
Nun fah er, das Alles, was befteht, 
wert fei, daß es zu Grunde geht, und 
weil er das Weltall nicht zerftören 
fonnte, jo zerftörte er feinen Gehirn— 
faften. — 

Und endlich, als all dieſe Gefühle 
und Gedanfen mein Herz gejpenfterhaft 
umgaufelt Hatten, da ich vor dem 


und berrifch in den Vordergrund und 
ließ ich nicht mehr abweifen. Jetzt 
ftand gegen den Zodesgedanfen die 
unbändige Natur auf, der Wille zu 
leben. Es war zu fpät. Die Eriftenz- 
verhältniffe ftimmten nicht mehr mit 
feinen Forderungen. Er wollte leben 
und konnte nicht mehr. Welch quals 
volle Nächte, welch furchtbare Stunden 
der Einfamkeit! Diefer Zuftand war 
gräßlicher, als Sterben. Noch raffte 
er die legten Refte feines zertrünmerten 
Willens zufammen und plößlich war's 
fertig: Er konnte nicht mehr leben, er 
wollte nicht mehr leben. Er bereitete 
die Mordwaffe, er beitellte noch jein 
Haus oder ordnete was zu ordnen war. 
Er kleidete ſich Hochzeitlih an; eine 
Rofe an die Bruft, wenn es nicht zu 
fotett wäre, er hätte der Welt gerne 
zu verftehen gegeben, daß der Tag 
‚feiner Scheidung von ihr fein ſchönſter 
Feſttag ſei. Daraus erſieht man, 
dieſe Welt, ſie war ihm noch nicht 





438 


gleichgiltig, er beichäftigte ſich noch 
mit ihr in Gedanken. Und auf dem 
Meg hinaus ins Freie — denn unter 


dem Sonnenlichte follte fein frei— 
gewähltes Schaffot ftehen — padte 
ihn noch einmal das Leben und 


entzündete wilde Todesangſt in feinem 
Herzen. Mit feinem Batifttuch trod= 
nete er von feiner Stirne den falten 
Schweiß. — Die Schloßberguhr zeigt 
fünf Minuten vor Drei. Nun legt 
er einen Schwur ab: bei Allen, 
was ihm Lieb und heilig gewefen 
auf diefer Erde, bei Allem, was 
er gehaßt und gelitten hat — er ſoll 
den Stundenfchlag nicht mehr erleben! 
— Aber hier find fpielende Kinder, 
bier foll es nicht gefchehen. Einige, 
Schritte weiter. In der Hand, ſchuß— 
bereit den Finger, aber unter dem Rod | 
noch verborgen den Revolver. Da iſt 
der Ausblid auf die Domlicche. Eine 
Religion, die den Selbftmord verboten 
hat! Hier foll es nicht gefchehen. Die 
Uhr zeigt zwei Minuten vor Drei! — 
Meiter! Dort auf dem Sodel fteht ein 
ehernes Kunftgebilde, ein frohes Natur= 
find — erinnernd an die Unſchuld des 
Lebens. Hier! — Nein, hier foll es 
nicht gefchehen. — Meineidig werden! 
Da 
knallt's — munter fliegt der blaue | 
Rauch zur Höhe, der Mann ftürzt zu 


Boden. Zweimal zudt noch fein Arın, 
fein Auge, dann ift Alles aus. 

Auf dem Schloßberg jchlägt die 
dritte Stunde. — 

So Hatte ih es im Geifte ges 
fehen, als ich vor der Leiche ftand. 
Mittlerweile war der Zufammenlanf 
immer größer geworden, Polizeiorgane 
famen berbei- und das Außerordent— 
liche löste fih in die Proſa des Offi- 
ciellen auf. 

Ih gieng meiner Wege. Und als 
wieder das Alltägliche um mich war, 
durchzuckte mich plößlih ein Heiler 
Schred. — Ein Menſch Hat fich er— 
mordet, fich ſelbſt freiwillig ermordet! 
Iſt das möglih? — Jetzt erſt kam 
mir die ganze Ungeheuerlichkeit der 
That zum Bewußtfein. Halb betäubt 
taumelte ich in mein Haus. Die 
Stube war voller Leben und Jubel, 
denn die Kinder jpielten Ringel Ringel 
rein. — Kindeslachen! Kindesauge! 
Serlichter nennt fie ein finfterer Phi— 
loſoph. Möchten alle finfteren Philo— 
ſophen ſolchen Irrlichtern folgen. 

Am nächſten Morgen brachten die 
Blätter eine Notiz: „Geſtern um drei 
Uhr nachmittags Hat ſich im hieſigen 
Stadtpark ein den bejjeren Ständen an— 
gehöriger Mann durch einen Revolver— 
ſchuß entleibt. Das Motiv der That 
ift unbekannt.“ 


430 


Der Apoflel der Wildnis. ' 


(Jean Jaques.) 


Gine Charalterjlizze 


FC n Genf, im Angefichte der Alpen— 
ee Leite und des Montblanc, das 
hinter der blaue See, figt ein Mann 
von Bronze. Sein römischer Mantel, 
noch ganz men, zeigt die Büge, die 
der Stoff im Lager des Tuchhändlers 
befommen. Er ſitzt auf einer Art 
curuliſchen Stuhls, große Folianten 
als Unterlage und zur Stüße. ine 
Anfpiration erwartend, hält er einen 
Griffel in der Hand. 

Mehrmals im Leben und noch ganz 
vor Kurzem habe ich vor diefem Mo— 
nument gejeflen. Ich war im der 
Stimmung, an Rouſſean zu denken — 
wer denft nicht feiner am Genferſee? 
— aber vor diefem Manne in balb- 
römischer Gewandung vergieng mir alle 
Stimmung — id fand fie erft drei 
Tage Später am Bielerſee wieder. Zeigt 
mir Roufjean als jungen Streber, im 
jeidenen Frack und Kniehoſen, den 
Degen an der Seite, ein kleines Büch— 
lein in Sedez in der Hand; als Schrei— 
ber und freiwilligen Entbehrer in ſeiner 
runden Perücke, ein Notenheft unter 
dem Arme; zeigt ihn mir als Greis, 
gebrochen, in ſeinem langen Armenier— 
Anzug — und ſein Bild wird mich, 
je nach der Situation, intereſſieren oder 
ergreifen, aber mit dieſem fteifen Aka— 
demiler da habe ich nichts zu Schaffen. 
Wie ift der Kopf beichaffen, der fich 
Rouffeau fo vorstellt ? Aber man wendet 
mir ein, dies ſei Rouſſeau, der Weile, 
der Gefehgeber der Demokratie von 
1789, wie ihn die collective Phantafie 





von Alfred Meifhner.*) 


des Jahrhunderts geichaffen. Mit fo 
viel Arbeitsinaterial behaftet man den 
Denker doch nicht! Nicht Folianten, 
furze, ſchlagende Süße haben von jeher 
die großen Bewegungen hervorgerufen. 
Die „Proclamation der Menschenrechte” 
bat Pla auf einem Octavblättchen . . . 

Yın Bielerfee war es anders. Dort, 
auf der lieblichen Peters: Infel, hatte 
ih den Mann, der Hier fein Ainl 
fuchen wollte, ganz anders vor mir. 
Und während ich ſaß und jann, zog 
jein Leben an mir vorbei. Von Ve— 
nedig nach Paris, von Paris hieher 
und wieder weiter nah England, 
ſchließlich nach Ermenonville ſchweiften 
meine Gedanken. Ich überdachte fein 
Leben. Viel, was man veruriheilen, 
viel, was man entjchuldigen, manches, 
was man bewundern muß, beklagens— 
werte Verirrungen der menschlichen 
Natur neben edlen Zügen, eine wider- 
Ipruchsvolle, unſtete, getheilte Natur, 
eine problematische Natur höchſten Stils! 

Ich will es verfuchen, meine Ueber— 
Ichau zu fixieren. 

In den Jahren 1743 und 1744 
lebt in Venedig, der franzöſiſchen Ge— 
ſandtſchaft attachiert, ein Genfer, der 
zur katholiſchen Kirche übergetreten it. 
Vornehme Damen, feine Gönnerinnen, 
haben ihn, eine Art Mufilanten, der 
nie einen regelmäßigen Schulunterricht 
genoflen, eine zeitlang Bedienter, dann 
der Günftling einer vornehmen Frau 
gewefen ift, dem Gefandten Grafen 
Froulay empfohlen. Er ift bereits über 


*) Aus deffen im Decemberheft diejes Yahrganges eingeführten Buche: „Moſaik, 


Eine Nachleſe zu den gejammelten Werten. 


“ (Berlin. Gebr. Pactel). 


440 





die Dreißig, Der muſikaliſche und 
philofophifche Vagabund, der nie Ehiff- 
renfchrift gejehen, ift ein Organ der 
franzöfifhen Diplomatie geworden. Er 


lebhaften, wenn auch nur kurzen Tri— 
umphes. 

Das Glück macht ihn regelmäßig 
unbeſcheiden. Gegen Fürſten iſt er 
abſichtlich ungezogen. Als der Herzog 


hat glänzende Fähigleiten, Geiſt, Es. 
prit, und dies eigenthümliche Jahr- von Zweibrücken ihn nach der erſten 
hundert öffnet jedem Abenteurer von Darſtellung des „Devin du village“ 
Geiſt eine Bahn. Rouſſeau verdient freundlich anredet und ihn bittet, ihm 
ſich viel Geld mit Viſieren von Päaſſen, Compliment machen zu dürfen, er— 
überwacht die venetianiſche Signoria, widert er: „Meinetwegen, wofern es 


berichtet fleißig im Namen des Ge— kurz iſt!“ 


fandten nach Paris und macht die viel- 
fachen Mißgriffe feines talentlofen Vor— 
gefegten wieder gut. Er behauptet eifrig 
feinen Rang und bietet gerichtlich Ver— 
folgten im Gefandtjchaftshotel eine 
Freiſtätte. 


Bald nachher wird der Diplomat 
aus feiner angenehmen Stellung ver— 
drängt und geht nah Paris zurüd, | 
wo er wieder al3 unabhängiger Spa= 
ziergänger lebt. 
Gönnerinnen, wie Mademoifelle Gauf- 
fin von der Opera Francais, findet 
Sängerinnen, die ihn protegieren, zieht 
es aber vor, mit Thereje le Valle 
in wilder Ehe zu leben. Die Kinder, 
die ihm geboren werden, fchidt er ins 
Findelhaus, ohne ſich — fo wenig wie 
die Mutter — weiter um fie zu küm— 
mern. Der Leichtiinn kann gar nicht 
weiter gehen und verbrecherifcher fein ! 


Ganz Paris ift eben in zwei Par— 
teien gefpalten, don denen die eine für 
die National-Oper, die andere für die 
Italiener ift. Rouſſeau hat aus Venedig 
eine Schwärmerei für italienische Mufit 


mitgebracht und fteht zu Diderot. Er 


behauptet, daß die franzöfiiche Sprache 
für Mufit gar nicht gemacht, mithin 
eine franzöfifche Geſangskunſt gar nicht 
möglich jei. Die Arien und Recitative 
der franzöſiſchen Muſiker feien ledern, 


Er findet abermals 





ihre Harmonieen Schnlübungen. Als 
praftifches Beweisftüd für feine Anficht 


Es drängt ihn in die Neihen der 
fhönen Geifter. Er lernt Woltaire 
kennen, der ihn freundlich aufnimmt; 
er macht die Bekanntjchaft des ganzen 
Encyklopädiften=Streifes und wird in die 
Salons eingeführt. Um einen Anſpruch 
auf ſolche Auszeihnung zu verdienen 
und auf die Dauer zu behaupten, ift 
eine literarifche Arbeit nöthig. Eines 
Tages hat die Akademie von Dijon 
zur Beantwortung der Frage aufge— 
fordert: ob die Wiederherftellung der 
Wiſſenſchaften und Künfte binnen den 
legten drei Jahrhunderten zur Vered— 
fung und Reinigung der Sitten bei— 
getragen? Das ift eine fonderbare 
Frage, in welcher Urſache und Wir- 
fung verwechfelt find, denn wenn. auch 
Wiſſenſchaften und Künfte einen Ein- 
fluß auf die Völker üben, die fittliche 
Bildung oder Verbildung eines Volkes 
geht denfelben als wirfende Urſache 
vorher. Das Volt ſelbſt ift der Boden, 
die Künſte find die Vegetation darauf, 
und der Boden bedingt die Vegetation, 
nicht umgelehrt. 

Stleichviel. Die Alademie hat die 
Frage fo geftellt, nnd Roufjean — 
denn warum follten wir der Erzählung 
La Harpe's mißtrauen, der fich allent- 
halben als wahrheitäliebender Mann 
zeigt — Noufjeau begibt ſich zu Di— 
derot, dem er jagt, er habe die Abficht, 
die Frage mit einer fenrigen Lobrede 
auf Künfte und Wiffenfchaften zu be— 


hat er ein Singfpiel im italienischen | antworten. 


Geichmad, „Der Dorfwahrfager,“ com: 
poniert. 


Aber Diderot kennt feinen Manır ; 


Er gewinnt, der Eiferfucht)er weiß, daß dieſer feine Stärke im 
Rameau's zum Trotz, Zutritt dafür| Paradoren habe. 


Er räth ihn, das 


an der Oper und erfreut fich eines | Gegentheil zu behaupten nnd zu ver— 


441 


theidigen. Damit werde er Lärm und 
Auffehen machen. 

Das leuchtet Rouffean ein. Die 
Frage, die fih auf drei Jahrhunderte 
bezieht, wandelt er in die allgemeine 
Frage um: ob der Menſch dur Bil— 
dung beifer werde? und beantwortet 
fie mit einem fehneidenden Nein! 

Die mit der glänzenditen Beredt— 
ſamkeit geführte Vertheidigung des Pa— 
radorons machte Glück. NRouffeau Hatte 
fih wirkflih erwärmt, indem er für 
eine völlig willfürliche Lebensform ein 
trat. Die Berftändigen wurden durch 
einzelne ganz vortreffliche Einfälle und 
und Gedanken angezogen und verziehen | 
dem Autodidakten von gejtern die an— 
mapßenden Ausfälle auf Spinoza und 


und verwandte Geifter. Daß das Wort | 
Tugend und Vorſehung in der Schrift | 


immer wieder vorfam, freute die From— 
men; der Nachweis, daß Lernen Körper 
und Geift Schwäche, tröftete die Faulen, 
die es nun rechtfertigen hörten, daß 
fie nichts gelernt. Der Berftand der 
Maffe endlich ift gegen wohl verfoch- 
tene Trugſchlüſſe wehrlos. 

Die Widerlegungen, welche die, 
Schrift hervorruft, vermehren nur deren | 
Ruf. Die Alademie von Dijon hatte 
fie gefrönt. 

Den größten Eindrud aber macht 
die Schrift auf den Autor jelbit. Er 
wird der erſte glühende Convertit der: 
Lehre, die er jo unvermittelt aufge— 
ftellt, und geftaltet nun, feiner ver— 
änderten Dentweife gemäß, ſeine Le— 
bensweije um. 
Umwandlung, wofern überhaupt ein 
Gharakter fi verwandeln kann. Rouſ— 


ſeau bejchließt, fich von den vornehmen | 


Ktreifen, den verderbten Ständen zu— 
rüdzuziehen und nur der Zurüdges 
zogenheit, nur den Studien zu leben. 
Er will feinen Unterhalt durch Noten: 
Ichreiben verdienen. 
jeidenen Strümpfe aus, legt feinen 
Degen ab, entäußert fich feiner fämmt» 
lihen Juwelen, die in einer goldenen 
Saduhr beftehen, verkauft fie und trägt 
von da ab eine „runde“ Perüde, die 


Es vollzieht fich eine | 


Er zieht feine | 


| offenbar ſehr Schlecht Heide. Man 
fönnte beinahe die Sache fo anfehen: 
Ein Manu, der nie Auffehen gemacht, 
als er wie Andere einhergieng, ver— 
jucht es, auf den Kopf zu gehen, und 
erregt damit das größte Furore. Von 
da ab will er ſich der Welt nie anders 
zeigen. 

63 wird nöthig fein, an dieſem 
Orte eine Stelle aus jener gefrönten 
Preisſchrift anzuführen, da ſonſt Nie- 
mand glauben wirde, was Rouſſean 
damals Alles zu behaupten im Stande 
war. „Hinfichtlih der abſcheulichen 
Unordnung,” jchreibt er, „welche die 
Buchdruckerei in Europa verurfacht dat, 
und um auf die Zukunft aus den 
Fortſchritten zu Schließen, welche fie 
täglich macht, jo kann man leicht vor= 
ausfehen, daß die Fürſten nicht ſäumen 
werden, jo viel Sorgfalt anzuwenden, 
diese Schredliche Kunſt aus ihren Staaten 
zu verbannen, als fie angewendet haben, 
um fie dafelbit einzuführen. Der Sultan 
Achmet, den dringenden Bitten einiger 
jogenannter Leute von Geſchmack nach— 
J gebend, hatte eingewilligt, eine Druckerei 
in SKoftantinopel einzurichten; aber 
‚kaum war die Preſſe im Gange, als 
man ſich gemöthigt ſah, fie zu zer— 
Hören und die Werkzeuge in den 
Brummen zu werfen. Shalif Omar, 
‚befragt, was man mit der Alerandris 
nischen Bibliothek machen folle, ant— 
wortete: Wenn die Bücher dem Koran 
ı MWiderjprechendes enthalten, fo find jie 
schlecht, und man muß fie verbrennen; 
wenn fie nichts enthalten, al3 was im 
‚Koran ftebt, find fie überflüſſig. Unfere 
' Gelehrten Haben diefe Schlußfolge als 
Uebermaß von Dummheit angeführt. 
Sept aber Gregor den Großen an die 
Stelle Omar's und das Evangelium 
an die Stelle des Korans, fo wäre 
die Bibliothek auch verbrannt worden, 
und dies wäre vielleicht der fchönfte 
Zug dieſes berühmten Papftes.* Das 
ift das Urtheil Rouſſeau's über die 
Preſſe. 

Da nun die Schrift von vielen 
Seiten belkämpft worden war, ſucht 











442 





der Nutor im einer zweiten weitere ]zugten ausgenommen, empfanden ja 
Belege für feine Behauptungen beizu= | das Bedürfnis einer Reformation der 
bringen. So entfteht die zweite, nicht | Sitten, des Lebens, der Regierungs- 
gelrönte Preisfchrift: „Ueber die Un- formen. Alles jehnte fih nah Er— 
gleichheit unter den Menfchen.” Das neuerung. Nur diefe Lebensernenerung 
Ideal Roufjeau’s in diefer Schrift iſt in die Wildnis verlegen zu wollen, 
das Thierglüd. Die Ignoranz ift das war Unſinn. Und fo ift die Wirkung 
einzige Mittel, den Irrthum zu ver= |erflärlich, die diefe Schriften troß ihrer 
meiden. Es würde heutzutage für den  Ercentricität batten.*) 
Gipfel des Grotesfen gelten, bei den Indes fcheint Rouſſean ſelbſt zu 
Hottentotten, Lodronen und anderen | fühlen, wie viel ihm mangle. Er bes 
Wilden die Ueberbleibſel des verlorenen  ginnt aus dem Lateinischen zu über 
Menschen Fdeals fuchen und finden zu ſetzen, als wolle er, mit dem, was er 
wollen. Die Welt ſah es damals ame bisher geichrieben, unzufrieden, ſich 
ders an. Der Nuf: „Kommt in die einen neuen Stil fehaffen. Er arbeitet 
Mälder und werdet beſſer!“ ſchien und ftudiert raſtlos. Das politische 
etwas für lich zu haben... . ‚Gebiet verlaffend, ſchreibt er im der 
Es gibt feine geiftreichere Perfi= | Hermitage von Montmorench die „Neue 
flage als die Voltaire’s, dem Rouffenu | Heloife” und, von Gewilfensbiffen 
1755) diefe Rede einjchidte. „Noch ‚ wegen feiner ausgeſetzten Kinder ge— 
nie,“ ſchrieb er zurüd, „bat Jemand | foltert, das Erziehungsbuh „Emil.“ 
fo viel Geift aufgewendet, um uns zu Die Wirkung namentlich der „Neuen 
Beftien zu machen. Liest man Ihr Heloife“ war tief und ſtark und ver— 
Buch, wandelt Einen die Luft an, auf breitete fich über die halbe Welt. Es 
allen VBieren zu laufen. Jedoch, da ich war nicht nur die feine Dialektik der 
fhon über ſechzig Dahre dieſe Ge⸗ | Leidenschaft, die beraufchende Sprade, 
wohnheit abgelegt habe, fo fühle ich die den Lefer fortriß, es war vor allem 
leider, daß es mir unmöglich ift, fie | Andern die völlige Hingabe der Autor— 
wieder anzunehmen, und ich überlaffe | Perfönlichkeit mit allen Heimlichkeiten 
Anderen diefen Naturgang, die dejjen ‚ihrer Bruft, welche diefe Wirkung er— 
wiürdiger find als Sie und ich. Auch zielte. Alles war ſchon mehr oder 
tann ich mich nicht zu den Wilden in | minder Selbſtbekenntnis; nicht die Fa— 
Canada einichiffen, weil meine Krank- bel, der Autor ſelbſt war in Scene 
heit mir einen europäifchen Arzt noth- getreten. Das Anftöhige lag neben dem 
wendig macht, dann, weil jeßt in jenem | Bezanberden, die Ueberſpanntheit neben 
Lande Krieg Herricht und das Beifpiel 


: f : r | . *) Seit Rouſſeau ift man gewohnt wor: 
unferer Nationen die Wilden faſt ſo | pen, eben, der die Rettung der Gefellfehaft 


böje gemacht hat, wir wir ſelbſt und wahrer Gultur in der Nüdfehr zur 
nndd Einfachheit und Natürlichkeit erblickt, für 
Wohl hatte Voltaire Veranlaſſung einen Rouſſeauerianer zu halten. Es gibt 


© : ‘u | aber einen gewaltigen Unterſchied zwiichen 
zum Spotte, dennoch liegt den bier Rücktehr zum Thiere und vernunftgemäßer 


bis zum Fieber verzerrten Einbildun- gereinfagung der Vedürfnifie. Die Riüd: 
gen Ronſſeau's ein berechtigter Ges |fehr zum Thiere bedeutet Raub, Mord und 
dante zu Grunde. Es war der des | Robeit im Genufje; jelbft die theoretiſche 


- „| Nüdtehr zum Thiere, wie fie heute eine 
Kampfes gegen Die beftehende Geſell Philojophie der Naturwifienihait lehrt, 


ſchaft. Es war etwas daran, einer tommt ſolchem Ziele nahe. Die Einfachheit 
gemüthloſen, gleißenden, in Laſtern der Beduürfniſſe und die Beſchränkung der 
ſchwelgenden Cultur, voll harter Moral | Wünſche im Sinne der Vernunft concen: 


" : h „Eh: ; trirt das Leben, die Lebensfreude und hebt 
und lächerlichen Rangunterichieden, eine Sie Thatirafl zur Moirene una Dichtung 


einfachere, herzlichere Welt gegenüberz | per eigentlichen culturellen Güter, 
zuftellen. Alle, die wenigen Bevor— Die Red, 





443 


dein wahren Gefühl. Eine gleiche Ent- | Haß verfolgt, muß er die feine Pe— 
äußerung ihrer ſelbſt ift Später mur ters Infel, den Ganton der von ihm 
wieder bei Byron dagewefen und Hat ſo oft gepriefenen Schweiz verlaffen, 
auch bei ihm eine ähnliche Wirkung in dem er feine lebte Heimftätte ge— 
geäußert. fucht. Noch einmal jcheint die Sonne 
Mitden „Geſellſchaftsvertrag“ kehrt ihm aufzuleuchten, al& David Hume 
nun Rouſſeau auf das politische Gebiet ihn nach England mitnimmt und ihm 
zurüd. Die Fäden verwebend, die er in eine Penfion erwirkt. Aber es bricht 
den beiden Preisjchriften angefponnen, | Streit zwiſchen den zwei Philofophen 
und das Ganze mildernd, entwirft ee 008; mißtrauifch trennt er fich von 
feine neue Staatstheorie, in welcher | feinem neuen freunde, verläßt London, 
ganze Nationen nach dem Mufter der weicht allen Freunden aus, fondert 
tleinen Schweizer Gantone leben und ſich mehr und mehr ab. In der langen 
fih verwalten follten. Das Gemeine | Kleidung eines Armeniers wandelt er 
wohl ift überall höchſter Staatszwed, | trübfinnig unter den Parifern umher, 
die Minderzahl ift rechtlos. Das ift dichtet Romanzen, nährt ſich vom No— 
nun entjchieden ein Staat, in welcher | tenfchreiben. 
Unfereiner, der es fühlt, daß er zur Er ftirbt, jehsundjechzigjährig, im 
Minderzahl gehören wird, nicht leben | Landhaufe zu Ermenonville, wo ihm 
möchte. Und das mit Neht. Im; Graf Girardin eine Freiftätte geboten. 
Staate foll aber auch Neder frei jein Wenig jpäter als ein Decenninm 
in Allem, was den Andern nicht jcha= reißen feine Schiller und Verehrer, 
det. Es konnte Nouffeau, der feinen den Contrat social im der. einen, das 
Spinoza gelefen, nicht unbelannt fein, Beil in der anderen Dand, den alten 
was diefer unumſtößlich beweist: wie Bau der Gefellfchait ein und werden 
es nicht von unſerem Willen, fondern von den einftürgenden Trümmern be— 
von unferer Vernunft abhängig, wo— | dedt. 
bon wir ums überzeugen. Auch der Was vom alten Katechismus der De— 
Staat kann fomit vom Einzelnen nicht mofratie in die lich neu erbanende Stuats- 
mehr verlangen, als daß er nichts gegen | gejellichaft herübergenommen wurde — 
jein Syſtem gewahltihätig unternehme, | das zu vermitteln und feftzuftellen, 
wenn er fich ihm unterworien hat oder wäre eine Arbeit für ich. 
von ihm unterworfen worden ift. Daß 
er ſich von der Richtigkeit feine: Grund- ur 9 
princips überzenge, wenn diefes feiner 
Vernunft widerfpricht, kann er nicht Es iſt bemeidenswert, ein Mann 
verlangen. Die politifche Gewiſſens- zu fein, den Schiller und Lord Byron 
freiheit muß wie die in Glaubensſachen befungen. Rouſſeau ift ein folcher, er 
Jeden gewährt fein. lebt in ihren Verſen und durch dieſe 
Wie traurig der Lebensabend des in der Phantafie der Menfchen ; feine 
viel umberverfchlagenen Mannes ges Werke felbft — wir müffen es uns 
weſen, ift Allen gegenwärtig. Mit den | eingeftehen — haben ihr Leben einges 
Jahren Hatten fih Menfchenfcheu und büßt. Die „Heloiſe“ macht keine Wir« 
grämliches Weſen in. ihm gefteigert. fung mehr, die Zauber, die da wirkten, 
Er forderte von dem, den er Freund ſo lange der Magier lebt, find dahin. 
nannte, Alles, ohne jelbft die Meinfte AM diefe Pracht ift todt, der Epheu 
Laune aufgeben zu wollen. Die edel- ſchlingt fih um die Ruinen. Die 
ften Anlagen, Geift und ein tieffühlen | Sprache unferes Jahrhunderts ift eine 
des Herz waren jetzt nur noch wie ihm andere, unfer ganzes Gefühlsleben, der 
zum Verderben da. Ruhelos, arın, be= | Ueberſchwenglichkeit fremd, ein anderes. 
wundert eimerfeit?, andererjeit3 von Wir können den Enthufiasmus,- der 














444 


fih an den Namen Rouſſeau knüpfte, 
faum mehr begreifen. Auch feine Muſik 
war nicht talentlos, fie hatte ihr Publi— 
fum erfreut, wenn auch nicht hinge— 
riffen. Ein ausgezeichneter Kenner alter 
Mufike Literatur, ſelbſt Tondichter, fällte 
noch neulich im Geſpräche mit mir über 
den „Devin du village“ das günftigfte 
Urtheil. Es fei, jagte er, ein Sing 
jpiel von großer Begabung, melodiös, 
von einfacher, ſchöner, durchlichtiger 
Harmonik. Nun gut. Dieſer „Devin“ 


wurde, nachdem er mehr als ein halbes 
Jahrhundert im Theater-Archiv gele— 
gen, wieder einmal dem Pariſer Publi— 
tum vorgeführt. Das Publikum lange 
weilte fih, gegen Schluß flog eine 
‚alte Perücke auf die Bühne, und das 
Singfpiel wurde unter Reifen und 
Lachen begraben. 

Eine alte Perüde! 

Nur Einzelne in jedem Jahrhun— 
dert verftehen und begreifen die Aus— 
drudsweife einer früheren Zeit. 


Martin Salander. 


Gin Roman von Gottfried Reller. 
(Berlin. Wilhelm Herb.) 


ccht gar erquidiiche Sachen find 
es, die in diefem nenen Buche 
erzählt werden; jpürte man nicht faft 
auf jeder Seite den Hauch eines großen 
Genius, man möchte es fchwer zu 
Rande lejen, befonders, wenn Einem die 
gejellfchaftlichen Zuftände der Schweiz 
nicht nahe genug liegen. In erſter 
Linie handelt diefes neueſte Werk des 
Ichweizerifchen Erzähler von Politik, 
in zweiter von Geld, im dritter erit 
kommt die Tüchtigfeit des Mannes, 
die Treue der Frau, die Liebe der 
Jugend zur Geltung. 

Ein junger Mann, Martin Sa— 
lander, der ſich urfprünglich dem Schul— 
wejen zugewendet bat, verliert durch 
Schlechte Bürgichaft fein Vermögen. Er 
geht, wenn gleich bereits verheiratet und 
Tamilienvater, allein nach Amerika, 
erwirbt dort ein zweites Vermögen, das 
er ebenfalls verliert, und zwar durch 
dasfelbe Individunm, welches ihn das 
eritemal darum gebracht hat. So geht 
er nochmals nach Amerika, gewinnt das 
drittenmal ein Vermögen, das er nun 





nicht mehr verliert, ſondern damit, im 
die Heimat zurüdgelehrt, den Seinen 
die Wohlfahrt gründet; er gibt ſich 
mit Handel, geſellſchaftlichen Beſtre— 
bungen und Politik ab. Er Hat einen 
Sohn und zwei Töchter. Der Sohn 
Arnold ftudiert Jus, geht in die Fremde; 
die Töchter verlieben ſich in zwei 
junge Männer, Zwillingsbrüder; diele 
heiraten die Schweitern, treiben als 
Notare viel Politik, ftellen falſche Pa— 
piere aus, unterfchlagen Geldſummen, 
betreiben den Schwindel im Großen, 
bis fie vom Geſetz beim Schopf ge= 
nommen und auf zwölf Jahre zu 
ſchwerem Kerker verurtheilt werden. 
| Darob Scheidung ihrer Frauen von 
den Pumpen. Mittlerweile wird das 
Haus umlanert und heimlich bedroht 
von jenem Abenteurer, der den Sa— 
(ander ſchon zweimal um feinen Belik 
gebracht hatte. Nun kommt auch Sa— 
landers Sohn von feinen Reifen zurüd, 
die Familie ift wieder beifammen, im 
Hauſe herrſcht ftilles Glück und warmer 
Patriotismus. So ſchließt das Buch. 








44 


Diejer einfachen und unerbaulichen 
Familiengeſchichte wegen ſcheint Gott— 
fried Keller das Werk aber nicht ge— 
ſchrieben zu haben. Vielmehr wollte 
er darin ein Bild des ſchweizeriſchen 
Volkes von heute zeichnen. Das iſt 
num aber nicht ſehr ſchmeichelhaft für 
die Söhne Helvetiens ausgefallen. Die 
Fehler, Thorheiten und Lächerlichkeiten, 
die aus den politifchen Tugenden diefes 
Volkes herausgewachlen, find mit ſchar— 
fer Satire behandelt. Das find nicht 
mehr die Schweizer des Wilhelm Tell, 
das find im Großen und Ganzen die 
modernen Streber, Maulhelden, Ego— 
iſten, politifhen wie jocialen Charla— 
tane, die im unferen Tagen den Pas 
triofismus, unter deſſen Namen fie ihr 
Unmwejen treiben, fo jehr in Verruf 


* lautere Wahrheit!” 


[4 


+) 


Gallen geichrieben! Jede Stunde kann 
ich wieder Hin, wenn ich will!“ 

Er kramte einen Brief hervor und 
gab ihn dem Kameraden, der ihn las 
und befannte, das jei ein ſchöner Brief, 
nicht jeder könne dergleichen Zeugnifie 
aufweifen, ein jchmeichelhafter Brief, 
der Tauſend, ja wohl! 

„Es braucht ſich nichts Schmeichel= 
baftes zu jagen! Ich brauche Feine 
Speichelleder, ich bin ein freier Mann, 
nmabhängig, Stolz, wenn Du woillft, 
aber ich verachte die Schmeichelei!* 

„Ei, ich Schmeichle ja nicht, wo 
werd’ ich denn fchmeicheln! Es ift ja 


„Das iſt's! Aber ich geh’ nicht 


— ich will mich noch lang nicht bin— 


den, und ich weiß, daß er mir nur 


bringen. Nur Wenige in Kellers Ro— die Tochter anhängen will. Ich könnte 


man find da, denen es mit der Liebe 
zum Bolt Ernft ift, und Hierin ift 
freilich der wadere Martin Salander, 
obzwar er auch ſeine Unbegreiflichkeiten 
hat, das fchönfte Vorbild. 


Wie der die Zollheiten feiner 
Landsleute tractiert, davon ein Kleines 
Beifpiel. Saß er an einem Feiertage 
da im Wirtshaufe. Kamen zwei Leute, 
die ohne Weiters den übrigen Platz 
einnahmen und fich Bier geben ließen. 
Der Eine war offenbar ein Süd— 
deutjcher, der Andere ein Schweizer, 
und zwar aus dem Miünfterburggebiet. 
Er trug Schnurr- und Kinnbart nad 
franzöſiſchem Zufchnitt und den Hut 
ins Genid zurüdgefhoben, um verwo— 
gener auszufehen. Sie führten ein 





freilich zugreifen, auch meine biefige 
Koftfrau Hat eine Tochter, die mir über» 
all in den Weg fteht! Aber ich will 
mich nicht binden! Ich will noch gar 
nicht Meifter fein, obgleich ich meine 
Achtundzwanzig auf dem Budel habe! 
Da müßt’ ich ein Narr fein und mid 
plagen! Lieber cujoniere ich die Meiſter!“ 

„a, ja, Du bift Halt ein ftrammer 
Kerl!” 

„Wahrſcheinlich! Glaub’3 mur!“ 

„Ih für mein Theil Habe leider 
Frau und Kind und bin leider auch 
Meifter, das ift nun fo, ich bin an— 
gebunden und ein armer Teufel!“ 

„Warum. Haft Du fo früh ges 
heiratet ?” 

„Das Hab’ ich gethan, weil ich 


lautes Gefpräch, ohne fi um Jemand nicht mehr heim wollte, da hab’ ich 


zu kümmern. 
„Wie gefagt,“ meinte der Schweizer 


nit faft brutalen Zone, „Du kennſt tiebe 
mich! Ich bin ein Kerl, der fich nicht fönn 


foppen läßt!“ 

„Wer will Dich denn foppen? Ich 
gewißlich wicht!“ warf der Andere be— 
ſcheiden ein. 

„Ich ſage nicht wer, ich fage es 
ganz allgemein! Da ſieh den Brief, 
den mir mein früherer Meifter in St. 


gedacht, du heiratft hier bei erſter Ge— 
legenheit, dann bift du feſt gemacht!“ 
„Ha, ich begreif’ Shon, daß Du 
re in der Schweiz bift! Aber alle 
t Ihr doch nicht Hier Hoden, fo 
ſchön es bei uns iſt!“ 

„a, Ihr feid eben ganze Let’! 
Sapperment, ich hab's ſchon oft ge— 
dacht. Und Dir löst feiner die Schuh: 
tiemen auf!“ 

„Hin! das brauchſt Du mir nicht 
zu fagen, ich nehme Feine Schmeiches 


446 


leien an! Aber die Fliegen laſſe ich | habt! Sieh uns jebt nur aufmerkfam 
mir allerdings nicht auf der Naſe zu und lerne was Rechtes!” 
heiraten!“ Der Schweizer ſtrich fich | Salander konnte nicht mehr an ſich 
grimmig' gefchmeichelt den Schnurcbart | halten. Roth vor Zorn fchlug er auf 
und ftieß mit dem Deutſchen an: den Tisch umd rief dem Deutjchen zu: 
„Zrint’ aus, ich zahle noch ein Glas!“ | „Schämen follte man ſich, fo zu reden, 
Martin Salander hörte diefe Reden, | wenn man ein fo gewaltiges Vater 
die von einer gemeinen Gefinnung und land hat! Und Ihr, Herr Landsmann, * 
zügellofen Eitelkeit zeugten, mit Wer wandte er ſich an den Münſterburger, 
wunderung, indem er zu ſich ſagte: „ſolltet Euch ſchämen, einen argloſen 
„Diefer verfluchte Kerl! diefer Schreis | dremden jo zu bedrücken und Euch 
ner= oder Schuftergefell hat ſich ja ganz | von ihm anpreifen und beloben zu 
ausgezeichnet eingerichtet: Wie die laſſen! Zehn Jahre bin ich in Amerika 
Ameifen ſich Blattläufe halten, die ſie geweſen und habe nirgends einen jo 
melten, hält ſich der einen eigenen Lob: |eitlen Tropf und Prahlhans reden ge— 
hudler, einen Schwaben, wie man's hört, wie Ihr einer feid! Da find 
hier nennt!“ wir Schön beftellt, wenn das junge 
Er mußte nur weiter hören. Der Bolt ſchwatzt wie die Elftern und alten 


2 R A - u) , < Folie 
ann nenn neun und erft 
Selbftrühmen an, wie es nur ganz 1 i ee x 
ſchlecht erzogene he * 3 en 
Pe — — Meilen UM verhaltene Liebesleben und Eheleiden 
fühlen. er je mehr er prahlte und h 2 : 

) ' der beiden Töchter, in das Leben zweier 
ſich ſelbſt an Heinlauter Eheleute, bie ausch ihre Böhner Wenn 
— * nn — — = zogen hatten und dann die Folgen mit 
willen, was der Schläuling für einen heldenhafter Ergebung tragen. Wahr- 
Ba hatte, denn Flegel den Hof zu haft wmeifterhaft gezeichnete Geftalten 
madıen ö "treten uns in dem Kerncharakter der 
Allein je demüthiger ex fih be» Frau Salander und. in den Eltern 
Den deito übermüthiger wurde der HR 
— — geſtaltungsſtarken Dichter vor uns. 

Du biſt einer von den Geſcheitern,“ 5 — 
a D , Das Merk fchließt gewiſſermaßen 
BUT ET, mM — es doch — mit einem hoffnungsfrohen Blid in die 
ER in der Schweiz BD er MER Zukunft. Salander ift etwas unficher 
Nation un die meinige! Schau darüber, wie fich feines Sohnes Ar- 
mic an! Alles machen — nolds Charakter auf feinen Studien 
a — eine es haben wollen, | nd Reifen entwidelt habe. Eine gute 
und ich bin Einer davon und Trage Gelegenheit brachte ihm Beruhigung, 
weder Gott noch Teufel etwas nah! da Arnold eines Tages ſich erxbat, 
Heut’ noch geb’ ich in eine Berathung einige Freunde im Haufe bewirten zu 
über ein Gerichtsgeſetz, das über tauſend dürfen, da er etwas der Art ſchuldig 
Paragrappi hat, und morgen mad) fei. Es handelte ih um acht junge 
ich Blauen, denn e3 wird lang dauern, Leute, von denen ein Theil unbe: 
Der Meifter fan dafür aufftehen und | nittelt, wo nicht arm, ein anderer 








ſchaffen! Anerkennſt Du daß?“ Theil aber Söhne reiher Yanilien 
„Ich ſag' es ja immer, ich ſchaäme waren. Arnold wünfchte zugleich, daß 
nich, ein Deutjcher zu fein!“ der Vater feine Gegenwart ſchenke, und 


„Das ift nicht ganz aus dem Weg, tdiefer ſchlug mit dem raſchen Gedanken 
obgleih Ihr auch energifche Burſche ein, bei dieſem Anlaſſe des Sohnes 


et 


Umgang und Geſinnung greündlicher | 


zu erfahren. 

Die Gäſte ftellten ſich pünktlich ein, 
fat alle auf einmal, 
Salander bequemlich als der legte er— 
Icheinen konnte, ohne zu lange warten 
zu müſſen. Sogleih fand er ſich an— 
genehm berührt durch das gute Aus— 
jehen und das anftändig offene Be— 
nehmen der Gefellihaft. Bei Tiſch 
vollends wanderte er Sich insgeheim 
über den unbefangenen guten Ton, die 
Abwefenheit aller ſchlechten Sprech» 
manier verhodter Kreiſe mit ihren 
Triviolwigen und Zweideutigkeiten. 
Um bejjer zu hören, ſprach er ſelbſt 
nicht viel und hiütete ſich bejonders, 
von Bolitif anzufangen, in der Abjicht, 
daß die Freunde Arnolds und mit 
ihnen er felbft, um jo rüdhaltlofer 
darauf verfallen jollten. Er forgte auch 
genügend für Erneuerung der Getränfe, 
welche die Zungen löfen. Die jungen 
Herren wurden nur fröhlicher, Alles in 
geziemenden Grenzen, ohne einiger Vor— 
licht zu bedürfen. Die Unterhaltung 
betebte fi, und da die Theilmehmer 
ziemlich gleihmäßig gebildet, wohlun« 
terrichtet und auch lebendigen Geijtes 
waren, fo tauchten politiiche Gegenſtände 
nicht minder als andere hervor; allein 
nicht ein unfreifinniges Wort, nicht ein 
Wort, welches auf Mißachtung des 
Volkes hätte Schließen laffen, war zu 
hören, kaum etwa ein ungezwungen 
derber Ausdrud über diefen oder jenen 
gemeinen Syplophanten, der eben in der 
Preſſe oder in den Räthen jpufte; 
dann hieß es höchſtens: 


Ihr? Dem Kerl ift fein Weg vorge: | 


jo dab Vater, 


fonnte, bewegte ſich die Unterhaltung 
auf weiten freien Bahnen ; feiner that 
jih als Lehrer oder Prophet hervor, 
und Phraſen wurden noch weniger 
laut; man jah nur, dab es männliche 
Jünglinge feien, die ſich die Welt offen 
behielten und nicht in einen Tabals— 
beutel fteden ließen. Martin hatte 
einige Dlühe, neuen und neueften Anz 
regungen auf den Pfaden des allge- 
meinen Bildungszuftandes zu folgen; 
denn er war im manchen Dingen ein 
wenig viel zurüdgeblieben und mußte 
fich mehr als einmal Aufſchluß erbitten, 
der ihın ohne Wohlweisheit und ganz 
ohne Aufheben ertheilt wurde, als ſelbſt— 
verjtändlich, wie man Einem jagt, was 
draußen für Wetter ſei. Und durch 
Alles gieng ein Hauch underdorbener 
Ehrlichkeit, die ihn das Herz erfrifchte. 

„Bottlob!” dachte er, „wir haben 
unfer Geld nicht umfonft ausgegeben! 
Das find doch auch Erziehungsfrüchte!“ 

Doc unterfuchte er nicht, ob des 
Hauſes oder des Staates. 

Er theilte bald die heitere Laune 
der Tiſchgenoſſen; ritterlich dachte er, 
fein fichtliches Vergnügen damit zu 
bezahlen, daß er um zehn Uhr ſchon 
die Heine Tafelrunde Arnolds fich jelbit 
überließ und fi als Alter zurüdzog. 
Allein es gelang ihm erft um halb Eif, 
loszulommen und die Frauen in ihren 
Aſyl aufzufuchen, wo fie noch wach 
beiſammen faßen. 

„Kommft Du endlich, Du Knei— 
pier?“ ſagte die Mutter, „das muß 
Dir ja herrlich gefallen haben bei den 








MWas wollt | jungen Leuten! Wie war es dein?“ 


„Ich Habe mich, glaube ich beinah, 


zeihnet, er muß ihn laufen und wird | in meinem Leben nicht fo gut unter— 


jeinem Lohn nicht entgehen ! 


halten, wie diefen Abend!“ verficherte 


Indem Martin ſich nod über) der Mann, „es find ganz vortreffliche 


den erfahrungsmäßigen Ton wunderte, 
welcher diefer Jugend geläufig jchien, 
war der Gegenftand ſchon aus dem 
Geſpräch verfhwunden. Die Haben, 
dachte er, nicht die Fähigkeit, auf einer 
Idee zu beharren; ſie ſcheinen doch 
feine politifche Ader zu bejigen! Aber 
ehe er den Verdacht befjer ausfpinnen 


 Menfcen, helle Köpfe und nota bene 
geſittete Burfche, mit denen unſer 
Arnold verkehrt, Gejellen, von denen 
man jagen kann, fie jeien Alle gut 
aufgehoben, wenn fie bei einander find!“ 

„Das klingt ja ſehr erbaulich!” 
erwiderte Frau Marie froh, „und ift 
mir Tieb zu hören! Und was jpielt 


us 


denn der Arnold für eine Nofle unter gern verhindern und Hab’ jogar mit— 


ihnen ?* 
„Es Spielt Keiner eine Rolle! 
ind feine Streber, möchte ich be= 


fhwören, und willen dennoch, was fie 
obgleich oder weil fie nicht | 


wollen, 
Davon ſchwatzen! Glaub' nur, wenn 


es viele junge Mannſchaft der Art 
jo ift mir vor unferer Zukunft 


gibt, 
nicht bang'!“ 

Mit beredter Zunge ſuchte er den 
vergnügt laufchenden Frauen den uns 
gefähren Verlauf des Abends zu ſchil— 
dern amd von einigen der Freunde, 


die ihm befonders gefallen, ein Bild 
zu entwerfen, bis er durch einen Fräftig 


Ichallenden Gefang unterbrochen wurde, 


der von dem bejcheidenen Saale her 


ertönte. Sie fangen dort mit refoluten 
frifchen Stimmen ein lebensfrohes Lied, 


raſch und taftfeft, kurz und gut, und 


gleih darauf hörte man fie aufbrechen 
und ohne ftarfes Geräufch das Haus 
verlaffen. 

„Ei wie nett war das!“ 
die jungen Frauen, 
abgeichloffen, punktum!“ 


tiefen 


Sie 





„und jo rund 


gefräht, da es in Einem zu gieng!“ 

„Hr Hättet immer noch fortjingen 
mögen,“ jagte die Mutter „und doc) 
hat uns das entjchloffene Aufhören 
einen trefflihen Eindrud hinterlaſſen! 
Macht Ihr es immer jo?" 

„Ja, wenn wir einmal fingen; ich 
weiß nicht, wie es fich bei uns ein— 
gebürgert Hat! Die Luft muß hinaus 
und da wir feine Virtuofen jind, fo 
mögen wir doch auch Feine Frohnarbeit 
leiften ! Aber nun gute Nacht allerfeits 
und fchönen Dank für geübte Geduld! 
Ih will noch ein Stündchen leſen, 
eh’ ich ſchlafe!“ 

Als Arnold fort war, fragte die 
Mutter ihren Martin ganz erſtaunt: 

„Hat der gute Junge denn mur 
Maffer getrunfen ? Noch ein Stünd- 
hen leſen! Und ift fo ruhig wie eine 


windſtille Luft!“ „Den Teufel hat er 


Mafler getrunken!“ ſprach Salander, 
der Vater. „Er fchludte fo viel Wein, 
wie jeder andere! Er ift eben Dein 
Sohn, Du Here!“ 

Alle lachten über den komiſchen 


„Da feid Ihr Alle noch auf,“ Zorn und giengen zu Bett. 


fagte der mit einem Lichte eintretende | 


Arnold, „das ift gut, ich glaubte ſchon, 
unfer Geſchrei hätte Euch aus dem 
Schlafe gewedt. 


Zwecke verabfolgt, 
Ich mochte fie nicht 


Mit diefer Stimmung fließt das 
Buch, welches weit ernftere und tiefere 
al3 die gewöhn— 


licher Unterhaltung. R. 


Steirifhe Eifenhämmer. 
Eine Erinnerung von P. R. Rofegger*) 








5, ie Vierziger- Jahre hatten ftrenge ı 
‘= 2 Winter. Im März aber kam 


* plötzlich der Föhn und ſchmolz 


den Schnee in wenig Tagen. Wir 
freuten uns des wieder enthüllten Ra— 
ſens, der alsbald zu grünen begann; 
aber damit war die leichtlebige, heitere 





Tage brachten arbeitsſchwere Zeit des 
Pfluges und der Egge, der Sichel und 
der Senſe. Dieſe Zeit der blinkenden 
Werkzeuge hatte einſt ein kleines Vor— 
ſpiel. 

Noch tief in der Nacht weckte mich 
an einem Frühlingsmorgen mein Vater 


Wintersraft dahin, und die wachjenden | und fagte, er gehe heute in das Mürz- 


*) Aus der Gartenlaube. 


— 


thal. Wenn ich mitgehen wolle, ſo war es anders und heiß erſchrak ich 
möge ich mich eilig zuſammenthun, vor dem, was ich ſah. War denn der 
aber die ſcharfbenagelten Winterſchuhe Franzoſe wieder im Land? Oder gar 
anziehen, es ſei der Weg noch eiſig. der Türk'? In Kindberg, das tief unter 
Sonſt, wenn ich in früherer Stunde uns lag, lohte an vielen Stellen glüh— 
zur Alltäglichkeit geweckt wurde, be= |vothes Feuer auf. Auch im oberen 
durfte es allerlei Anftrengungen außer Thal, über Mitterdorf, bei Krieglach 
und im mir, bis ich die Augen zur) und Feiltriß, und gen Mürzzufchlag 
Noth aufbrachte, um fie doch wieder | hin waren rothe Feuerſäulen; im nahen 
auf etliche Minuten zufallen zu Lafjen, | Kindthal fprühten mächtige Garben von 
denn meine alte Ahne war der Mei- Funken empor. 
nung, ein allzuraſches Aus-dem-Schlaf— „Närrlein, Du kleines! ſagte mein 
ſpringen mache Kopfweh. Heute war Vater, als ich mich mit beiden Fäuſten 
ich mit einem Ruck munter, denn ins krampfhaft an ſeinen Rock hielt, „das 
Mürzthal mitgehen, das war in meiner iſt ja nichts. Das ſind ja nur die 
Kindheit das Herrlichſte, was mir paſ- Eifenhämmer. Lauter Schmiede-Rauch— 
jieren konnte. Wir waren bald reife | fänge, aus denen Funken Springen. 
fertig, der Vater nahm feinen großen | Hörft denn nicht das Pochen und das 
Stod, ich meinen Heinen; die Laterne | Klappern der Hämmer?“ 
nahmen wir nicht, weil es fterndell „Sch Höre es wohl, aber ich Habe 
war — und jo giengen wir davon. | gedacht, das wären die Kanonen und 
Die erjte Halbe Stunde war es wie Kugelſtutzen,“ verſetzte ich aufathmend. 
allemal, wenn ich früh Morgens mit „Kind, wo käme denn jetzt der 
dem Vater gieng, wir ſchwiegen ſtill Feind her? Der liebe Herrgott hüte 
und beteten während des Gehens jeder unſer Steirerland!“ 
für ſich das Morgengebet. Wir hatten „Aber wie ift es denn,“ fragte ich, 
wohl jo ziemlich das gleiche, aber ih | „daß die Dächer nicht brennend wer— 
wurde immer eim gut Theil früher | den, wenn fo viel Feier Herumfliegt ?“ 
fertig ald3 er umd mußte mich dann „Die Dächer find voller Staub und 
ftill gedulden, bis er den Hut aufs Aſche, das brennt nicht. Und diejes 
jegte und fich räufperte. Das war das | Feuer, das jo jchredbar wild ausfieht, 
Zeichen, daß ich ein Geſpräch beginnen | e8 ift nicht jo arg, es ift auch nur 
durfte, denn ich war fortwährend voll | glühende Aſche, Ruß und Gefchlad, 
von Fragen und Phantaftereien, auf wie e8 aus der Eſſe aufjprüht, wenn 
die der Vater bisweilen derart ein- | der Blaſebalg dreinbläst.” 
gieng, daß Alles noch räthjelhafter und „Und warum fprüht es denn juft 
noch phantaftiicher wurde. Gewöhnlich | in der Naht ſo?“ fragte ich. 
aber unterrichtete er mich in feiner „Es ſprüht auch beim Tag jo,“ 
gütigen und Haren Weife, daß ich | antwortete der Vater lächelnd, „aber 
Alles wohl verſtand. | gegen das Sonnenliht kommt diejer 
Nachdem wir an diefem Frühmor- Schein nicht auf, und was jeßt jo 
gen etwa zwei Stunden gegangen und | blutroth leuchtet, das ift bei Tag nur 
hinausgefommen waren über die ents | der rußige Rauch, der aus dem Schorn: 
waldete Berghöhe, lag vor uns das | feine auffteigt.“ 
weite Thal der Mürz. Von Mürzzu— „hun fie denn in den Schmieden 
Ihlag bis Kapfenberg dehnte es ſich nicht fchlafen 2” 
fundenlang, und wenn ich es jonft im „Das wohl, aber fie ftehen ſehr 
Morgengrauen ſah, lag im Thale der | früh auf, oder laffen im den größeren 
Nebel wie ein grauer See, aus welchem | Effen gar das Feuer nicht ausgehen, 
einzelne Höhen und die jenfeitigen | weil es fonft Schwer ift und viel Kohlen 
Berge blauduftig emporragten. Heute) braucht, bis die Hitze wieder erzeugt 


Rofegger's „‚Örimgarten‘*, 6. Heft, XI. 29 





wird. Da wachen und arbeiten die | 
einen Schmiede, während die anderen 


der weit drinnen im Gebirg fteht und 
mehr wert ift, als alles Gold und 
Schlafen.” Silber von Defterreih. Das Eifen, das 
„Gibt's denn jo viel Ochfen zu im Hochofen aus dem Erz rinnt, er= 
behufen im Mürzthal ?* war meine flarrt in der freien Luft fogleich, wird 
Frage, denn ich Hatte einmal dem Huf- nachher mit Hämmern zerichlagen und 
ſchmied zu Hauftein zugeſchaut, wie in fchweren Schoflen durch das ganze 
er einem Zugochſen Hufeifen an die | Land verführt, zu jeden Eifenhammer 
Klauen nagelte. ‚bin, wo fie aus diefem NRoheifen immer 
„D Knäblein, Knäblein!“ rief mein feineres Eifen, das Schmiede- Eifen, 
Vater, „die Schmiede haben noch ein den Stahl und daraus allerhand Ge— 
wenig mehr zu thun auf der Welt, rathe und Werkzeuge machen.“ 
als wie zu hufen. Du bift ein Steirer; | „Auch Schuhnägelvielleicht ?* fragte 
wenn wir auf unferen Gebirge auch ‚ich, weil mich einer davon durch die 
nichts Haben, als Feld und Alm und a in die Ferſe ſtach. 
Wald, ſollteſt Du doch Schon willen, | „Schuhnägel, Mefier, Stifte und 
wozu die vielen hundert Krippen von | Eifendrähte, das machen fie draußen 
Holztohlen verwendet werben, die unſere bei Stadt Steier herum. Bei uns im 
Nachbarn Jahr Für Jahr ins Thal Land machen fie in den Eifenhämmern 
hinaus führen. Soflteft auch wiſſen, Pflugfcharen, Eggenzähne, Strohſchnei— 
daß Dein Heimatland Steiermark das | demefler, Haden, Aerte, Drähte, Nägel, 
Land der Hammerfchmiede ift. Wenn | Schlöffer, Ketten, Pfannen und Aller 
Du jeßt, bevor der Tag aufgeht, vom lei, was Du aus Eifen an den Häu— 
hohen Himmel mit ſehr nn Augen | fern und Werkftätten unr fehen und 
herabſchauen könnteft auf unjere Steier- | denken magft. Die Heineren Schmiede, 
mark, jo würdeſt Du, befonders im die fahren damit auf die Jahrmärfte. 
Oberland, auch die anderen Thäler | Größere Hämmer gibt's, die auch Zeug 
jo ſprühen und leuchten fehen, wie! zum Lenteumbringen machen — mußt 
hier das Mürzthal. Es fprüht in Neu: | Du wiffen. Das Wichtigfte aber, was 
berg und bei Mariazell und im der in den ſteiriſchen Hammerwerken ges 
Veitſch, es ſprüht im Enusthal und; macht und auch weit in fremde Länder 
im Murtal, an der Feiſtritz, an der | verführt wird, find Senfen und Si— 
Kainach, an der Sulm und an der cheln. Millionen Stüd werden Dir 
Sanı, wo die Leut’ gar nicht mehr | verfchicdt alle Jahr, und darum können 
deutsch ſprechen, aber ſprühen thut's die Hammerheren mit ihren rauen 
doch. In Bordernberg, in Eifenerz, ſo vornehm herumfahren mit flinken 
in Hiflau follft es exit ſehen, und | Röflein. Und mit dem Geld prahlen 
überall, wo Hochöfen find. Im den fie, daß es nur fo praffelt im Land, 
Hochöfen wird das Erz, das fie aus und wo ein übermüthig Stüdel auf: 
dem Gebirg graben, geſchmolzen, daß | geführt wird, da ift gewiß ein Dame 
das Eifen herausrinnt wie ein hellz | merherr dabei. Iſt alleweil fo geweſen 
glühender Mühlbach. Da ſprüht's au, im Land: wo der Hammerſchmied, 
mein Bübel! Da find — wenn ihrer dort gilt der Bauer nit. — Wird 
zwei, drei Hochöfen neben einander auch einmal beſſer werden, verhoff' ich. 
ftehen — in der Nacht hier die Fels- Jetzt müſſen wir noch froh fein, daß 
berge roth vor lauter Schein. Und wir unfere Sohlen zu Geld machen 
jhauft in den Ofen, fo ſiehſt ein können. Gar zu Geſcheite ſind ge— 
ſchneeweißes Licht, blendend wie die weſen, haben es mit Steinlohlen pro— 
Sonne. Das iſt ein anderes Feuer, biert, die thun's aber nicht; das rechte 
als daheim bei unſerem Hufſchmied. Eiſen muß mit Holzkohlenfeuer gear— 
Tas Erz graben fie aus dem Erzberg, beitet werden, ſonſt iſt's nichts muß. 














Die Holzkohlen, die wir Bauern liefern, 
die machen es ja, daß fteirifch Eifen 
in der Welt fo gut eftimiert wird. 
Kommen Halt die polnischen und ruſſi— 
chen Juden und türkichjen Händler, auch 
aus Ungarn und Böhmen, werden von 
den Dammerherren brav bewirtet und 


kaufen ihnen die Eijenwaren ab, oft zu | 


taufend Gulden auf einmal. Sollen 
da drangen in einer großen Stadt die 
Schmiede von der ganzen Welt einmal 
zufammengelommen fein am einen 





vernünftigen Mann diefe Worte ge= 
ſprochen worden find, in Steiermark, 
wenige Stunden vom Semmering. 
„Nein, Bater,“ antwortete ich, 
„das werde ich gewiß nicht glauben.“ 
„Aber das ift wahr,“ fuhr er fort, 
„daß fie jet viel mehr Eifen brauchen 
in der Welt, als vor Zeiten. Es werden 
da und dort auch Schon große Eiſen— 
hämmer gebaut, wo mehr als Hundert 
Schmiede beihäftigt find, und wo fie 
extra noch mit Waſſerdampf arbeiten 


eifernen Tiſch, und Jeder wollt die ſollen, was weiß ich, wie! In diefen 
ſchärfſten Senfen haben, den feinften |großen Werken machen fie Alles, und 


Stahl drinn. Der fteirifhe Schmied 
hat nicht mitgeftritten, 
zulegt mit feiner Senfe den eifernen 


Tiſch mitten aus einander gehauen hört man, 


haben.” 


fondern fol! 


weit wohlfeiler, als in den Kleinen, 
und desweg wird's ein rechter Schade 
fein für umfere Eifenhämmer, und 
etliche jollen ſchon feine 
Arbeit mehr haben, zugefperrt oder an 


„Wird fie wohl fchartig worden |die großen Werke verkauft werden. 


fein, die Senfe. Nicht ?“ 


Nachher ift’3 traurig um uns. Weiß 


Ohne auf diefe müßige Frage | Gott, wie's noch wird mit der Welt!“ *) 


Antwort zu geben, fuhr der Bater — 
indem wir im Morgengrauen ſachte 
thalab ftiegen — fort zu ſprechen: 
„Wie die Anzeichen find, wird's 
nicht immer fo dauern mit den Eifenz | 
hämmern. Man hört allerlei Sachen. 
Mertwürdige Sadhen, mein Bübel, 
wie fie unſere Vorfahren nicht gehört | 
haben. Da draußen auf dem flachen 
Land irgendwo — fie fagen im Mäh- 
riichen oder wo — ba banen fie eine, 
Eiſenbahn.“ 
„Eine Eiſenbahn? Was iſt das?“ 
„Da legen fie auf der Straße hin 
und hin zwei eiferne Leiften, daß darz 
auf die Wagenräder recht glatt und 
eben gehen können. Auf diefe Weife 
follen ein Baar NRöffer ſchwere Wagen 
fünf und ſechs auf einmal ziehen kön— | 
nen. Es wird auch gelogen über die 
Sad’, daß fie eine Mafchine erfunden 
hätten, die das Feuer treibt, anftatt 
der Fuhrmann, und die vor die Wagen 
geipannt wird und wie ein Roß ziehen 
kann. Sind dumme Saden, ich Tag’ 
Div’s nur, daß Du’s nicht glauben 
jollft, wenn Du davon hörſt.“ 
Neununddreißig Jahr ift es her, 
jeit von einem zwar einfachen, aber. 


| 


Mittlerweile war es licht getworden, 
und wo früher die fenrigen Springs 
brunnen aus den Scorufteinen ge— 
ftiegen waren, da flog jeßt dünner, 
brauner Rauch auf. Wir waren in 


*) Die Wenderung ift vor ſich gegan- 
gen. Die größten Eijenwerfe des Landes 
find heute Zeltweg, Donawitz, Neuberg, 
Graz, Köflah, Gußwerl. Mittlere Werte, 
wovon eines doch immerhin mehrere hun— 
dert Arbeiter beihäftigt oder beichäfti- 
gen lann, find Krieglach, Wartberg, Kap: 
fenberg, St. Michael, Rottenmann, Au— 
mühl, Eibiswald, Store, denen fi an: 
Ihlieken die Werke in Turrad), Judenburg, 
Murau, Zeiring, Knittelfeld, Thörl, Mürz: 
zuihlag, Breitenau, Stanz, Eppenftein ꝛc. 
Außerdent florieren auch noch unzählige Heine 
Eiſenhämmer, wie fie hier bejchrieben find. 
Der Kammerbezirk in Oberfteiermarf ver: 
mag unter den heutigen Zuftänden jährlich 
an 2 Millionen Meter: Gentner Roheiſen zu 
erzeugen, nahezu 50% de3 in den geſamm— 
ten öfterreihiichen Kronländern jährlich er: 
zeugten Noheifens. Die Sichelfabrication 
bat in Oberfteiermarf aufgehört, hingegen 
ift die Senjenerzeugung gefliegen. Gegen: 
wärtig gibt e8 in Steiermark an 800 Senſen— 
ichmiede, welche jährlih gegen 2, Millio- 
nen Senſen verfertigen. Die Production von 
anderen Stahlwaaren, Gußwaaren, Bleden, 
Drähten, und Maidinen fteht auf hoher 
Stufe. Der Berfafjer. 


29* 


452 





das Thal gekommen, giengen an einem | und ber, bis das Geſchlacke von allen 
überquellenden Hammerbachfloß entlang | Seiten herausgehämmert war. Das 
und auf glattem, tohlfhwarzem Wege | weiße Glühen war immer röther und 
einer der Hämmerhütten zu, aus deren | matter geworden, und endlich hatte 
offenem Thor uns greller Glutſchein das Stüd nur mehr die graue Farbe 


entgegenleuchtete. des Eiſens. Es wurde hingefchleudert, 
Ueber dem Thore war das Berg: |der Hammer ftand fhill. 
mannszeichen, die gefreuzten Hämmer Ih war ein wenig dreifter ge= 


und Schlegel, über dem fchwarzen | worden und befah mir jeßt die Dinge, 
Dache ragten die weißgetünchten Schorn- | obwohl es ganz dunfel war, wenn das 
fteine auf, die an ihrer Mündung mit Feuer nicht leuchtet. Vor Allen fiel 
lenfbaren Klappen verjehen waren, wo= | mir ein großer Lederfaften auf, der 
mit man, wie der Vater belehrte, den | Athen fchöpfte. Der Blafebalg war's, 
Luftzug regeln könne. welcher, von Waſſerkraft aufgezogen, 
Sp waren wir der Schmiede ganz | durch Röhren in die Efje blies. Auf 
nahe gefommen. Ich ſagte nichts, denn | der Erde lag allerei altes Eifen um— 
ich wollte in die Schmiede gehen und|her. An den Wänden lehnten und 
hatte doch Angft vor dem Lärm, der|hiengen im ganzen Neihen Zangen, 
drinnen war, und dor den Funken, Hämmer, Schlegel, Feilen, Haden, 
die durch die finfteren Räume flogen. | Beile und anderlei, was ich gar nicht 
Mein Vater jagte auch nichts, jondern | kannte. Fest erit fielen mir auch die 
führte mich hinein. Bor dem Thore| Schmiede auf, über deren rußige Ge— 
hatte eine Tafel geftanden: „Fremden | fichter und entblößte Bruft die Schweiß— 
it der Eintritt nicht geftattet!” aber tropfen vannen. Wir giengen weiter 
ein Mann, den mein Bater fragend | und famen zu anderen Eſſen. wo die 
angeblidt, ſagte: „Nur zu!“ Schmiede mit Eifenfhaufeln Kohlen 
Was ich zuerft ſah, das war ein,in die Glut warfen, die fofort mit 
jprühendes Stüd Sonne, das von der | glanzlofer, blauer Flamme groflend zu 
brüflenden Efje mit Schwung herbei- brennen begannen. In einer Eſſe glühte 
gebraht wurde und auf den Amboß man Eifenftüde, die hernach unter 
geworfen, tonlos, als wäre es von kleinere, raſcher pochende Hämmer ka— 
Teig. Jetzt hob ſich auf maſſigem mem. Hier wurden fie — wie fie der 
Hebelbaume der Hammer und fiel nieder | Schmied wendete und drehte — in 
in die weiche Maffe, daß ein Meer | längliche Formen gehämmert, an denen 
von Funken durch die Hütte ſchoß. ich nah und nah die Geftalt der 
Sch barg mich vor Schred und Angſt Senſe erkannte. Weil das Eiſen bald 
hinter den Rüden meines Vaters, aber | fühlte und noch unrein war, jo mußte 
die Funken waren bereits angeflogen |e3 immer wieder in die Eſſe, aus der 
an mein Leiblein, und ich war nur es glühend und fprühend hervorkam. 
böchlich überraſcht, daß ich nicht lichter= | So wiederholte fi’, bis der Hammer 
(od brannte, ja nicht einmal einen | und das Heine Handgehämmer der 
Schmerz wahrnahm an den Händen, | Schmiede endlih eine volltommene 
an welche die feurigen Müden geſaust Senfe zumwege gebracht hatte, die dann 
waren. Auch der zweite und dritte! fchrillend auf einen Haufen von Senfen 
Hammerſchlag jagte ein Heer von Hinfiel. 
Schladen und Funken Hinaus, aber War der Lärm in der Schmiede 
je platter das Eiſenſtück geichlagen | auf einen Augenblid verftummt, jo 
wurde, je rajcher der Hammer darauf) hörte man draußen das Raufchen des 
niederfiel, defto weniger jprühte es. | Waſſers, das von hohem Floß auf die 
Ein Schmied fand da, der wandte | Räder niederftürzie. Aber der Lärın 
mit langer Zange das Eijenftüd Hin! gieng immer von Neuen los, und es 


— 


453 


geihah am den Eſſen und Hämmern 
immer dasjelbe. Auch meine Senfe, 
die ich werden ſah, war lange noch 
nicht fertig. Sie wurde neuerdings 
geglüht und kam unter die Hand» 
hämmer der Schmiede, die fie feiner 
formend in gleichem Takte bearbeiteten, 
bis der Henkel und der Rüdenrand 
und die Schneide und die Spibe fertig 
waren. Sie hatte nun eine Reihe von 
Heinen Narben bis zur Spike hinaus 
und war überlaufen mit einem jchönen 
violetten Blau. 

Mir fielen aber die Schmiede auf. 
Warum fie allemal noch einen leeren 
Schlag auf den Amboß machen, wenn 
die Senfe ſchon mweggezogen ift? fo 
fragte ih. Mein Bater antwortete: 
„Das thun die Schmiede überall; mit 
dem Schlage auf den Amboß jchmieden 
fie die Kette fefter, mit welcher der 
hölliſche Drach' gefeffelt ift; ſonſt thät’ 
fie endlich brechen und der böje Feind 
wär’ los und ledig.“ 

Nun kam die Senfe noch auf einen 
Scleifftein; der gieng jo ſcharf, daß 
die Stahlfchneide, die feſt auf ihn ge— 
drüdt lag, unter ohrenzerreißendem 
Geſchrille beftändig einen hellen Blitz— 
ſchein von fich gab, was noch das Aller: 
ihönfte war in der ganzen Schmiede. 

Wollte ich's genau nehmen, fo 
müßte ih auch das Perſonal aufzäh— 
len, dur deifen Hände ein Stüd 
Eifen geht, bis es Seufe ift, ich müßte 
den Fohlenbuben, Streder, Breiten 
heizer, Abjchinner und Kramrichter 
nennen und vor Allem den Oberften, 
den Efjemeifter. Ich müßte auch den 
Stredhammtr, den Breithammer und 
den Kleinhammer genauer bejchreiben, 


endlih das Abſchinnern (Abjchaben) ! 


der fertigen Senjen, und das Stem— 
peln mit dem Firmazeichen und das 
Kramrichten (das in den ſtram-, ins 
Magazin Bringen der Waare). 

Ich bin aber fein gelernter Schmiede: 
gejelle und werde wohl manche Hand- 
griffe und Vorgänge überfehen haben, 
bis das Werkzeug des Mähders fertig 
war. — Aehnlich, ſagte mein Bater, 


’ 








würden auch die Sicheln gemacht, aber 
ganz anders die Meſſer und alle 
Schneidewerkzeuge, die einen federigen 
Stahl haben. 

„Glückauf!“ rief mein Water den 
Schmieden zu. Dieſe hörten nichts. 
Wir giengen — ſtets angefochten von 
jprühenden Funken — ins Freie. Dort 
war es freilich noch Schöner ; wir giengen 
unter PBappeln Hin und hörten noch 
lange das dumpfe Hammerpochen und 
das Waflerraufchen Hinter uns. 


Ich Hatte ein blauſchimmerndes 
Stüd Schlade mit mir genommen umd 
betrachtete es jet wie einen errungenen 
Schatz. 

„Das iſt nichts,“ ſagte mein Vater 
und zog ein Schöllchen Roheiſen aus 
dem Sude. Das war roftfarbig und 
durchlöchert wie ein Schweizerläje. 
„Wenn's auch nicht jo glänzt wie das 
Deinige, es ift doch mehr. Aus diefem 
Ding — heb' einmal, wie ſchwer es 
ift! — fann man feine Werkzeuge 
machen, die wie Spiegel funfeln. Du 
ſollſt mir auch noch das Tüchtige vom 
Schimmernden unterjcheiden lernen.“ 


Nun giengen wir in den Marft- 
fleden Stindberg Hinein.*) 


Wir hörten an allen Eden die 
Hämmer pochen, und auf der Straße 
fuhren ſchwatze Kohlen- und Roheiſen— 
wagen, aber auch fertige Eiſenwaren 
in Kiſten, Fäſſern und Strohgewinden 
ſahen wir ſchleppen die weiße Reichs— 
ſtraße entlang gegen Graz und gegen 
Wien. 

Im Brauhaufe bekränzten fie das 
bogenförmige Einfahrtsthor mit Tan— 
nenreiſig und ſchmückten es mit Fahnen, 
mit Hämmern, Hacken und Zangen. 
Mein Vater fragte, was das bedeute? 
Ja, morgen hätten die Schmiede hier 
einen Ball, ſagte der Brauknecht. 


) Damals gab es in dieſem gewerbs— 
fleißigen und tüchtigen Orte noch viel ge— 
ſunden Frohſinn und treues Zuſammenhalten 
unter den Bewohnern. Später, als die 
politiſchen Heher ihr unſauberes Treiben be— 
gannen, iſt es auch hier anders geworden. 


454 


„Den eigentlichen Ehrentag des 


Schmiedehandwerks, den feierten fie 
doch erjt zu Jakobi!“ meinte mein 
Vater. 


Das fei Schon richtig — doch zur 
jelben Zeit jei etwas Anderes, da 
hätten die Schmiede einen zwei Wochen | 
langen Feiertag, da thäten fie nichts, 
als gut eſſen und trinken, tanzen und 
Scheibenſchießen, und da fämen die 
Hammerherren von weit und breit, um | 
Schmiede zu werben für das nächſte 
Jahr. Die Geworbenen friegen den 
Leihlauf auf die Hand und werden 
zu nächſten Sylveſter durch aufgepußte 
Magen oder Boten am ihren neuen 
MWerfsort gebradt. Vom Werksherrn 
friegen fie nebjt dem vereinbarten Jahr: 
lohne auch die Koft; der Efjemeifter 
jpeist gar mit der Herrichaft. 

„Ich weiß das Alles,“ verſetzte 
mein Bater dem geſprächigen Brauz | 
Inecht, „aber meines Buben wegen ift’ 3| 
mir lieb, daß Du’s erzählft, der iſt 
ſchon alt genug, 





teufel. 


ernburſch, kein Holzknecht blicken laſſen; 


denn dieſe Eindringlinge ſpotten die 
Schmiede ob ihrer Schwerhörigleit, ob 
‚ihrer Kröpfe und dergleichen, und ihr 


Trachten geht dahin, den Hammer— 
Ichmieden die Dirndlein wegzunehmen. 
Den Schmieden gehört der Tag, und 


der Markifleden und die Leute laſſen 


ſich's gefallen — es ſpringt Geld um. 

So kohlrabenfhwarz fie am Wert» 
tag find, die Schmiede,“ ſchloß der 
Brauknecht, „am Sonntag gibt's keine 
hochmüthigeren Menfchen als diefe Ruß— 
Und find doch jo viel Gaggen 
(Halberetins) dabei!" War aber nicht 
jo arg. 

Schon jeßt, als wir daftanden und 
das geſchmückte Hausthor bewunderten, 
famen fie herbei von dem unteren und 
oberen Dämmern, um nachzufehen, 
wie weit die Vorbereitungen gediehen 
feien, und ein Glas Bier durch die 
Gurgel zu jprengen. 

Da kam plößlich ein Bote gelaufen, 


und wenn er glei rußig im Geficht, aber weiß vor Stra= 


Bauer bleiben wird, fo fchadet e3 ihm | Benftaub an den Beinen, Einen Sturm— 


nicht, 


hab’ ihn darum vom Berge herabge- 
führt.“ 


dab er auch anderer Stände | hut hatte er auf, wie Landwehrmänner 
Arbeit und Brauch kennen lernt. 3 


zu Sriegszeiten. Ein langes Meifer 
hatte er an der Seite baumeln, und 


ſchier athemlos war er, als er rief: 


„Und bei folchem Schmiedefeſte,“ Kameraden! Kameraden!“ 


erzählte der Mann weiter, „da kommen | 


„Was gibt’3 ?* fragten fie ihm 


fie halt zufanmen, Jeder, der's hat, im | entgegen. 


Steirergewand, Jeder eine kecke Feder 
oder einen Gamsbart am Hute, Jeder 
eine fchwerfilberne Uhrkette mit Thaler— 


behängfeln an der Bruft, Jeder eine | 
volle Geldtafche im Sade, Jeder fein | 


Mädel am Arme, 
trommelnde Spielleute voran, fo ziehen 


fie ins Wirtshaus zum Trunk, zum Kaiſer Ferdinand ift fort. 





„Keinen Schmiedball gibt's! Kein 
Flanieren und Garefjieren gibt's! Yebt 
heißt's Meſſer, Spieß und Säbel 
ſchmieden, Kanonen, Kugeln gießen!“ 

„Ja,“ ſagten ſie, „wer gibt uns 


Schmetternde und dazu das Privileg?“ 


„Ich!“ rief der Bote. „Denn der 
In Wien 


Tanz und zu anderer Luſtbarkeit. Da iſt Revolution!“ 


darf ſich kein Bürgersſohn, kein Bau— 


Tara 


.— a 
. ® 





D' Hölln-Ongft. 


A Stüdl aus n Qulfslebn. 






N IT. tn in da Schluachtn, wo da „Da Geiftlinga mit feini hundert 
Ag Meg auſſi geht noch n Woffa, Metzu Korn is a Haſcherl,“ fog ih. 
fehts Irrkrenz. Nit weit davon is vor) „Denk da 3, Mühlhofer: die gonz 
an etla Johrn da Mühlhofer Simerl | Weitfug! war duch und durch aus 
gfundn worn olßa todta. U kernfrifche | hirtn Stodel; und alli taufend Johr 
Menſch mit dreißg Johrn. 's Schlag! | fam a Vögerl und that anoanzigsmol 
hotn troffn. ‚fein Schnobl wetzn an da ſtochlan Welt— 
Tanahit, in an Sunta Nochmatlag, kugl, fa wurd die Kugl ehanter z 
wir ih va da Kirchn hoamgeh, gſiach Schondn gwetzt fein, a5 wia d Ewig- 
id afn nämlin Plog mit weit von Jrr= | feit an End nimpp. Und war an iada 
freuz in oltn Mühlhofer knean, Hobb | Stern am Himel a ſelchti Stohllugl 
die zidantn Häud zſom und is kloan war, ja mochad die Zeit, bis wan | 





vazogg. ohgwetzt warn, kaum an Augnblick gegn 
„Do is er glegn,“ ſogg er, „do d Ewigkeit.“ 
is er ohgruafn worn, mei Simerl!” Af dos hot er nit viel gſogg. 


„Mühlhofer,“ ſog id, „hoſt Dih Meini Millionen Stochlkugln fein mit 
dan nouh mit tröſt't! Is ſcha zechn einigongan in fein Koupf. In Geiſtlinga 
Johr vabei.“ ſeini hundert Metzn Korn ſein beſſa 

„Zechn Johr!“ locht er auf, „wos gwen. 
ſein zechn Johr! — Hoſt heint die „Hundert Metznu!“ ruaft er wieda, 


Predi nit ghört in da Kirchn?“ „oba dos is fchredbor!“ 
Ahan, dent ih ma, aus den Louch „Worum?“ ſog ih. 
bloſt da Wind. „Wer in a Zodfünd ftirbb und 


„Daß d Ewigkeit fon lonk ſult muaß ewi in Höllafchn Feuer fein! — 
fein,“ moant aft der olti Baur, „däs | Viel Leut, jogg da Geiftlinga, viel Leut 
hät id ma mit denft!“ gehn nit um af da Welt, de nit a 

„Mia lonk iS j dan?“ Frog id. | Todfünd afn Bugl trogn. Mehrer as 

Draht fih der olt Mühlhofer za | oani! fogg er. A gaha Tod dazııa 
mir und fogg: „Wanſt Hundert Men | und Du bift ewi und ewi in da Höll.“ 
Korn Hoft, und as kimpp olli taufend Mir dabormt der olti weißfopfudi 
Johr a Vougl und frißt an ovanzigs Mon, hot eh nir guats af da Welt, 
Körndl, fa wern die Hundert Mebn | is milahfali und fronf, hot neamb, der 
ehanter aufgfreffn fein, als wia din a guats Wort jogad. 

Ewigkeit ans is. Nia wirds aus, d 39 feß mid nebn an Weg af an 
Ewigfeit, hot da Geiftlinga gjogg, nia | Stoan und jogg: „Nochbar, id hon a 
wirds aus!” Glaſerl Wein ba mir, geh kim, trink' 

„Is holt der Ewigkeit ihr Schul- ma 3 aus mitanond. “ 








digkeit, daß j mia aus wird.“ | „Wia mar an Wein kunt trink, 
„Dba Jeſſas Maria!“ ſchreit er, möcht ih wiſſn,“ fogg er, „in a jou 
„amol wirds douh auswern!“ an Ongft! Mittn in Todſündn!“ 


4566 


„Kimpp Holt drauf on, Mühlhofer, „id bin ah a Chriſt. Oba dos glaub 
wo3 mar unter a Todſünd vafteht.“ ih nit. Für fon fchlecht Holt ih unſern 


„Legg 3 jo eh da Geiftlinger aus 
ba da Predi,““ moant der Dlti. 
Meintswegn d Hoffort is a Todfünd. 
Wer hoffärti is af a ſchöns Gwond, 
af fei filberani Uhr, af an guldanan 
Fingaring, und er beicht’S mit, der 
timpp in die ewi Höll. Die Trägheit 
i3 a Todſünd, und wan ih in worman 


Früahmeß geh, und beicht's und büaß's 
nit, ja kim ih ins ewi Feuer. D 
Böllerei is a Todſünd, und man ih 
mar an Rauſch ontrink und beicht's 
nit, fa kim ih in d Höll. Und wan 
dar a Weibsbild gfollt — da Gedonkn 
aloan ſchon is a Todfiind, mei Menſch! 
Ih mochad ma jo aus a Todſünd nir, 
oba d Höll mocht ma wos, d Höll!“ 

„Dba Baur! Mühlhofer!“ fog ih, 
„wer bot dan Dir de Sohn aufs 
bundu?“ 

„Wanſt ba da Predi warſt gwen, 
ſa wurdſt as wul ſelba ghört hobn, 
wos da Miſſionsgeiſtlinga hot gſogg. 
— Und gach fuat müaſſn, wia mei 
Simerh! Die gonzn Nacht' fon ih nit 
ſchlofn; hörn fchrein und winjln und 


um Hilf ruafn, und fa Menjch fon an 
helfn, unfa Hergott hotn ei vadanıpp! brava Menſch gwen, und unſa Hergond 


— An vanzigi Minutn in an glüahdin 
Feurofn fein, wia fchredbor! Und erft 
die gonzi Ewigkeit. — Oh mei Simerl, 
mei Simerl! Und ih muaß ab nodhhi, 
weil d Eltern für die Kinda veront— 
wortli fein. Oll kema mar in d Höll, 
ollinitanonda!* 














Hergott nit. Ja, wan er a Menfch 
war! nochha trauad ihn nit. D Leut 
fein boußhoft und rochgieri. Ober unſa 
liaba Dergott, der uns ols ſchwochi 
Menſchn daſchoffn hot, der wird uns 
da Schwochheit holba nit ewi vadoma. 
Mer ſchwoch und fehlahoft is, der is 


a fou ſchon af da Welt gftroft gmug, 
Bett lieg, gſtot daß ih in die heili 


und an iada Sind muaßt büaßt wer, 
jou oda ſou. Do brauch ih fa Werk— 
ftott dazua. Oba woaßt, a3 gibb Holt 
Leut, de a Geldſchmittn brauch, va— 


ſtehſt? geh, loßn ma 8 guat fein, war 


ih ſou wos hör, da fim ih mih alla= 
mol 3 giftn. Und ouft denk ih ma: 


Wan unſa Eultusminifter an oanzigs 
mol a jou a Jeſuitapredi in da Dorf— 


fichn kunt hörn! Die Freimiatin, de 
lochn freili dazua, die Hortn bleibn 
vaftoundt trutz Höll und Zeufel; die 
woachn, gläubign, unschuldign Herzuoba 


triffts tödtli. De hobn zjombb eahnan 


frumen Glaubn d Höll ſchon af da 
Melt und fein valoſſn von olln Seitn. 
Da Stoot nimbb von ormen Bulk 
Geld und Bluat. Is er dan gor nir 
dafür ſchuldi? — Geh, Mühlhofer,“ 
jog id, „ſteh auf, Dei Simerl is a 


nimbb an Menjchn zan eahm, wan er 
un im leichtaſt friagg und wird ſcha 
wifin, wegn wos ern grod af den 


Plotz und za da febin Stund ohgruafn 


hot. Sein mar eahm die ewi Rua 
willi, er is in Friedn Gottes. Mir ofl 
fein unjern liabn himlaſchn Vodan feint 
ormen Kinder und er moonts guat mit 


Do nim ih in Oltn ba da Hond | uns. Und dent da: wanft Du nouh a 


und frogn: 
Du dos?“ 

„Wan 8 da Geiftlinga hot gſogg! 
Wer an Geiftlinger af da Konzil nit 
that glaubn, der begang erſt die olla= 
größti Todſünd, Hot er gfogg ba da 


„Mühlhofer! Und glaubft 


fon a ſchlechts Kind 
Ionthat, af ewi ins Feur werfn, däs 
daſt a3 nit. Afs Höchſt nahmaſt eahm 





häſt, des dar Olls 


s Leben, des d eahm gebn hoſt. Und 
ſchau, unſa Hergott is um ſa viel 
nouh beſſer, er vagißt af Koan, ohl 


Predi, und däs war a Sind gegn am! macht er ſezſom, ſeini Leut, und führts 
heilign Geiſt, de nit af der und nit hoam. Gewiß ah noh.“ 


in der ondern Welt vaziechn wern 
kunt!“ 


D Augn noh vul Woſſa, jo locht 
er mih hiaz on, der olti Mühlhofer, 


„Woaßt, Nochbar,“ ſog hiaz ih, gibb ma d Hond und ſogg: Donk da 


457 


Goud, Peda! Dei Wort is wir ahnen Glaubn aus n Herzen veifin 
Oel af mei brenendi Ongft.* möchtn! — 

— 33 ober auffema, wos ih jelm| a, meint linbn Lent, zun gehts 
zan oltn Mühlhofer gredt bon, und af da Welt! R. 
naht Suntogs drauf hot mit da Geift- ! 
linga ſchon auf da Konzil ghobb: A PP Amer she Se er 
Wulf in Schofftol! Aufpafin af die Stodel: Stahl. 
ſchlechin Leut, de an Menfchn in 


Don der großen Raiſerin. 
Von Friedrich Schlögl. 


IT ia Therefia! Sie war nicht blikum laut zurief: „Der Leopold 
u mr eine Huge, treffliche Herr= dat ein' Bub’'n*), kriegt!“ da 
icherin, fie war auch eine treue, liebende | war es wieder nicht die Kaiſerin, die 
Gattin (ihrem Gemahl Franz I. von ſo undiplomatiſch, fo menſchlich-na— 
Lothringen, am 4. October 1745 |türlich fprad, e8 war das Weib in 
zum deutichen Kaiſer gewählt - aber; ihr, das zum Durchbruch fam, es war 
ohne Einfluß auf die Regierungs- die glüdliche Mutter eines glüd— 
geihäfte — geltorben am 18. Auguſt lichen und theuren Sohnes, die in 
1765, gebar ſie ſechzehn Kinder), ſpontaner Herzensregung, in unge— 
ſie war eine fühlende, hochſiunige fünftelter, unberechneter Form ihrer 
Mutter, fie war ein Weib, ausge⸗ Freude Ausdruck gab und damit alle 
ſtattet mit den ſieghafteſten, ſchönſten Herzen gefangen nahm. Und ſchließ— 
Tugenden und Eigenſchaften des edel- lich war es — nebenbei bemerkt — 
ſten Frauenthums. Als fie in ihrer doch auch die Oeſterreicherin, 
Bedrängnis nah Preßburg eilte die gemüthliche „Vollblut-Wie— 
und am 11. September 1741 in der nerin“, die ſo flott, ſo „von der 
Landſtube erſchien, Für ihren ſechs Leber weg“ ſprach und fo zu ſprechen 
Monate alten Säugling (Hofe) um | überhaupt gewohnt gewejen. 

Hilfe flehend, da bejiegte und er— Und von welch’ glüdlichem Tem— 
oberte das Weib, die Mutter das | peramente wurde fie unterftüßt, wie 
vitterliche Voll der Magyaren und energiſch und refolut, wie frisch und 
dreitanfend Säbel fuhren aus den treuherzig wußte fie ſich in großen 
Scheiden und bligten in der Luft) Weltangelegenheiten und bei Heinen 
und die Luft erdröhnte von dem | bürgerlichen Anläffen zu geben und 
begeifterten Schwure: „Wir ſter- wie wuchs gerade durch diefe unge— 
ben für unfere Königin!“ — — | bundene Natürlichkeit, die ſich in 
Und als eines Abends die Thüre der Allem äußerte, ihre Popularität bis 
Dofloge im Wiener Burgtheater mit Io ——— 
Ungeſtüm aufgeriſſen wurde und eine — 7 
hochgeröthete Gran — die Kaiſerin BrB IN. SUnE ID 7 ERERE. TE 


" zweiten Sohnes Leopold, der damals in 
— alle Etikette vergelfend, dem Pu- | Florenz weilte, 











*) Aus defien neuem Werke: „Wien“. (Züri, Cäfar Schmidt.) 





in's Unermeßliche! Iedermann hatte | Lehrern? Schaut, daß ich feine lage 
ein Originale Gefchichtchen oder auch über Euch höre, ich erfahre Alles!“ 
mehrere in Reſerve, die fich auf die) Bei dieſer Apoftrophe an die ges 
Kaiferin bezogen und die gelegentlich | ſammte Liliputaner Zuhörerichaft fiel 
im traten Kreiſe funtelnden Auges ihre nun plöglic die Kleinſte der 
mitgetheilt wurden. Erzählte mir doch | Kleinen, in erfter Reihe ftehend, auf, 
felbft meine eigene Großmutter oft die Kaiferin büdte fi und frug das 
genug und Bielerlei und Heiteres und | Kind: „Wie heißt denn Du? Bilt 
Rührendes von dieſer genialen NED je gar ein badjchierlihes Paurerl!* 
wunderbaren, geiftig und förperlich | Und als der Lehrer bejtätigte, daß 
urfräftigen Frau, und fonnte befon= | das Mädchen eine der beiten Schüle- 
ders eine Epifode, die fie — damals rinnen fei, da hob fie es in die Höhe, 
vor faſt achtzig Jahren — erlebte küßte es herzhaft umd fagte: „Bleib 
und die fie, wie es ihr unerſchütter- ſo brav und ordentlich Für's ganze 
liher Glaube war, „mit der Saiferin | Leben; und wenn’st einmal was 
befannt machte“, noch immer wicht brauchſt und ich kann Die Helfen, jo 
vergeſſen. fomm nur zu mir! Und jetzt ſchaut's, 
Es war an einem ſommerlichen Kinder, daß 's 'n Gottesdienſt nicht 
Vormittage — circa 1755 — als verſaumt's! Der Himmel beſchütz' 
die geſammte Schuljugend des Grun- Euch Alle!“ — 
des (heute VI. Bezirl) auf dem Wege E3 war eine Scene, wahrhaftig 
zur Kirche fi befand, um, wie vor- aus dem Stegreif, nicht vorbereitet, 
gejchrieben, die heilige Mefje zu hören. nicht einftudiert, aber eben deshalb 
Die Schar marfchierte paarweife, na- von unbejchreiblicher Wirfung auf die 
türlih nach Gefchlechtern gefchieden, | dichtgedrängte Menge von Groß und 
da kam — die Scene [pielte ſich auf Sein, die Zeuge derfelben gewejen 
der Mariahilferftrnfe ab — eine | und num in lauteften Jubel ausbrach, 
Hofequipage in Sicht, der bekannte als die Kaiferin, nach allen Seiten 
Wagen der Kaiferin, der von Schönz | liebevoll lächelnd, grüßend, wieder den 
brumm nach der Burg fuhr. In dies | Wagen beflieg und weiter fuhr. 
ſem feierlichen Augenblide comman— Und die hübjche Scene blieb wohl 
dierte der Schullehrer feiner Heinen auch allen Anweſenden unvergeßlich, 
Armee „Halt!“ und befahl ihr, mies | namentlich meiner jeligen Großmutter, 
derzufmieen! Als dies die Kai- die ja ganz defonders ausgezeichnet 
ferin ſah, hieß fie dem Kutfcher an= wurde. „Wenn fie etwas brauchte, 
zubalten, jprang raſch aus dem Mas | möge fie zur Kaiſerin kommen!“ Dieje 
gen, forderte die Kinder auf, Tih zu Worte aus dem Munde der mächtigen 
erheben und trat zu dem beftürzten | Frau, an das winzige Kind gerichtet, 
Lehrer, ihm freundlich ernft verweifend: | waren der Stolz auch noch der Ma— 
„Wie kann Ahnen jo etwas ein- | trone und blieben ihre Wegzehrung 
fallen? Man kniet nur vor dem für's Leben. Sie ftarb, bald neunzig 
Allerheiligften, nicht vor Menſchen!“ Jahre alt, arm wie fie immer ges 
Und an die Kinder Sich wendend, weſen, aber es fiel ide nie ein, von 
die, wie Ejpenlaub zitternd, dor der, der huldvollen Erlaubnis Gebrauch zu 
gewaltig imponierenden Majeftät ſtan- machen, unter einem plaufiblen Vor— 
den und verlegen zu Boden ſchauten, wande als Bittjtellerin zu erfcheinen 
frug Sie diefe im leutjeligiten Tone: und die Kaiſerin an jene Stunde 
„Was ift’s mit Euch? Seid hr und jene gütigen Worte zu erinnern. 
brav? Seid Ihr gottesfürchtig ? Lernt Der „Laiferlihde Kup“, wie jie 
ihr fleißig? Seid Ihr folgſam und ihn nannte, genügte ihr. 
gehorcht Ihr Euren Eltern und Euren | 


Wie weit darf der Mationalismus gehen ? 


Brief eines Vaters an jeinen Sohn, 


Mein lieber Sohn! Beſtreben, deſſen materiellen, wie idealen 
2 ee a Güter zu vermehren und zu feftigen, 
Du biſt in eine Zeit hineinge- ohne aber dadurch amdere Völker in 
= vathen, in welcher der Nationas | ihren gleichen Beftzebungen zu ſchädigen. 
lismus das Schlagwort ift. Ich will Der politifche Nationalismus wird 
Dich darum nicht bedauern, denn es ſich mehr auf Begriffe einerfeit3 und 
hat viel Gutes; aber ich will Dich auf praktifche Ziele andererfeits grün— 
dazu auch nicht beglückwünſchen, denn den. Die Heimatsliebe im menfchlichen 
es fan — übel verfianden — zu) Sinne ift ein Anderes, fie wurzelt ele— 
großem Unheil führen. Es ift in der) mentar, one Nüdjicht auf Vor- oder 
That ein Schlagwort, ein Schlachte | Nachtheile, im Boden der Heimat; 
ruf. Du wirft Heute die Worte Vater: | Hermann Grimm jagt das ſchöne Wort: 
landsliebe, Patriotismus, Menſchen- üm fo höher die Blüte eines Menſchen 
würde, Freiheit, Gleichheit ſeltener der Sonne zuſtrebt, um jo tiefer ſchla— 
bören, als: Nationalismus ; diejelben gen feine Wurzel in den Boden, auf 
Begriffe find theils Hinter diefem ver- dem er geboren worden. — Der poli— 
borgen, tHeils von diefem ausgefchlofjen. | tijche Nationnalismus macht in feinen 
65 lann aljo Verwirrung anrichten bei | Organen die febhafteften Anftrenguns 
Menſchen, die noch den Idealen des gen, fich zu erflären und zu legiti— 
vorigen Jahrhunderts oder der Revo⸗ |mieren. Aber das Vaterland fannit 
Iution ergeben find. Diefe Ideale ſind Du micht erklären und nicht beweisen, 
die Seele der heutigen humanitären | pas fannft Du nur fühlen. 
Bildung und werden in unferen Schulen Der politifche Nationalismus kann 
ſtels men entzündet und genährt. In | feicht ungerecht werden und zu unge 
denfelben Schulen wird aber auch der | heneren Gewaltthaten führen; der 
Nationalismus gepflegt, aber nicht in menschliche Nationalismus ift eine Tu— 
dem Sinne, als ſchließe der Nationalise | aend. 
mus die anderen, die eigentlich hu— Der moderne Nationalismus, theils 
manitären Ideen aus. In dieſem Sinne aus politiſchen Strömungen, theils 
wird der Nationalismus nur don Po= aus wirtfchaftlihen Intereſſen hervor= 
litiſchen Parteien und manchen Zeiz | gegangen, ift feine Tugend, fondern 
tungen aufgefaßt. ein Inſtinct und im weiteren Sinne 
Es gibt da einen politifchen und eine Pflicht. Die Selbiterhaltung iſt 
einen humauen Nationalismus. Der| eine Pflicht, ohne Tugend zu fein, 
politifche will die ftrenge Abfonderung | und das Arbeiten und Ringen für 
der Völfer von einander und die möge | feine Nation ijt ein Werk der Selbſt— 
lichfte Ausbildung der nationalen Eis | erhaltung im Großen. 
genheiten, die Erhebung einer Nation Zu wünfchen wäre, dab es Na— 
auf Koften anderer Nationen. Der; tionen gar wicht gäbe, jondern da alle 
humane Nationalismus ift die Liebe und | Pölfergruppen, die im Grunde doch 
Opferwilligkeit eines Menfchen für fein | diefelben menfchlichen Bedürfniffe von 
Volt, der Stolz, ihm anzugehören, das | der Natur vorgejchrieben erhalten haben, 














460 


und mehr oder minder diefelben Fähig— | Volk geboren hat, ift Fein Berdienft, 
feiten zur Entwidlung im Sinne uns aber daß es mich und Dich und uns 
ferer Cultur befißen, und wovon jede! Alle für Hohe. weltumfaffende Ideale 


lieber Freunde als Feinde zu Nachbarn 
haben wird — daß alle Völfergruppen 
im Großen und Ganzen gemeinfane 
Sade hielten. Da dem aber nicht fo 
ift, da die Menfchen dazu verdammt 
zu fein fcheinen, sich gegenfeitig ſtets 
zu befehden und zu quälen, als ob es 
ohne das zu wenig Leid gäbe auf diefer 
Melt, fo müſſen wir uns dieſem Ver— 
dammungsurtheile vorläufig eben fchlecht 
und recht anbequemen. 

Mein Sohn! Ih jage das mit 
Freuden und mit Schmerzen: Du ges 
hörst dem deutfchen Bolfe au. Dem 
großen, edlen Volke der Germanen, dem 
urgefunden, ſittenherben, dem geiftes- 
hellen und herzensinnigen deutſchen 
Volke. Seine Tapferkeit und Treue, 
jeine Tüchtigkeit und Weisheit ift be— 
fannt im der ganzen Welt. Seine 
Meisheit aber ift ihm eher verhäng— 
nisvoll als vortheilhaft geworden, fie 
hat ihm zeitweilig dem Kosmopolitis— 
ns näher geführt, als es für die 
Nation gut geweſen ift. Aber ich halte 


es für feinen Fehler, wenn Einer aus) 
Mohlgefinnung für Andere ſich jelber | 


vergißt, ich halte es für Tugend; freis 


lich, prattiich find Tugenden jelten. | 


Mein Sohn! Dur gehörft zu jenem 
großen Volke an, welches weniger Eigen 


nutz, als andere Völker befigt, hingegen | 


aber um ſomehr Sinn für Humanität 
und Weltbürgerthum. Dieſe Eigen 


Ihaft, fie mag zwar den Feldherren und 
iſt 


Landsknechten unnütz erſcheinen, 
doch unſer größtes ethiſches Gut, viel— 


leicht baut ſich daraus eine neue, beſſere 


Weltordnung auf. Meine Liebe zum 
deutſchen Volk iſt naturgemäß, wie die 
Liebe des Kindes zur Mutter. Doch 
meine Verehrung für das deutſche Volk 
entſtammt meiner Erkenntnis feiner 
außerordentlichen Vorzüge und ethiſchen 
Anlagen. Hätte ich dieſe Erkenntnis 
nicht, jo wäre mein inniges Verhält— 
nis zu meinen Bolfe nicht viel mehr, 
als ein thierifches. Daß mich das dentſche 


| begeiftert und erzieht, das ift die große 
Tugend, die mir mein deutjches Volt 
ſo umendli thener und verehrungs- 
würdig macht. 

Der Fäden und Beziehungen, die 
fi Heute zwifchen Völker und Län— 
‚der ziehen, find unzählige, und fie 
mehren fi noch von Tag zu Tag. 
Und doch find wir, mein Sohn, in 
eine Zeit hineingerathen, im welcher 
mehr als je die Völker trogig und herb 
gegeneinander aufftehen und mit den 
Fäuften drohen. Näher bejehen ift die 
Fanſt eines jeden Volkes — eine Mil: 
lion Soldaten. Eine graufe Noth, in 
der fich die einander fo unſinnig be» 
drohenden Völker heute befinden! Wir 
wollen nicht unterfuchen, wer an dieſem 
Zuftande die Hauptſchuld hat, wir 
‚wollen nicht fluchen Denen, die unfere 
‚Ruhe zerftört, unferen edlen Idealis— 
mus zu Scanden gemaht haben — 
wir haben weder Zeit zum Philofo- 
\phieren noch zum Träumen, weder Zeit 
zum Unterfuchen, noch zum lagen; 
von Feinden umgeben, heißt heute uns 
jere nationale, unfere bürgerliche, unfere 
aufder Wadt 





| 


häusliche Pflicht: 
fein. 

Auf der Wacht fein, dab unferer 
Nation kein Unrecht, Feine Schmach 
widerfahre, daß unſer Bolt kein äußerer 
Feind fchädige und fein innerer eut— 
zweie, daß unfere guten deutjchen, der 
Eultur entiprechenden Sitten in Ge— 
ſellſchaft und Haus nicht durch Fremde 
verdrängt oder freiwillig vertaufcht wer— 
den, daß das gefittete, trene deutſche 
Leben in feiner Kraft und in feinen 
Ehren bleibe. Nicht alle Germanen 
fönnen und follen ihre Nation mit dem 
Speere vertheidigen und hüten. Der 
Eine thue es mit dem Hammer oder 
dem Pfluge, der Andere mit der Feder 
oder dem Griffel; deutjche Arbeit, deut: 
ſches Lernen, deutſcher Fleiß und 
Pflichternſt, deutſches Schaffen und 
Geftalten iſt auch eine nationale Wacht. 





Jeder gewiſſenhafte Meifter feines Be— 
rufes kann ein nationaler Held fein, 
nur das MWortheldenthum ift von Uebel. 
Am Worte allein liegt es lange nicht, 
mein Kind, und es ift ein Anderes, 
ob etwas mit einem Schwalle von 
deutfchen Wörtern gejagt, oder ob es 
deutsch empfunden wird. Schäße die 
deutſchen Dichter nicht nach dem, wie 
oft fie die Wörter „deutſch,“ „germa— 
nisch,“ „national“ fagen, fondern nad) 
dem, wie fie Dein Herz erwärmen und 
die Liebe zu dem deutfchen Tugenden 


461 








verschiedenen Leuten zufammenkommen. 
Brüfte Did in Worten nicht zu viel 
damit, 


daß Du ein Deutjcher bift, 
ſondern zeige es in Deinem ruhig 


ernten Benehmen, in der friſchen Herz— 


haftigkeit und im der meidlofen Wohl» 
gelinmung, die Du allen Menfchen 
entgegen bringſt. Witzle und fpotte 
nicht über die Schwächen und Eigen- 
heiten fremder Nationen, wie es lei— 


der heute Jeder thun zu follen glaubt, 


um zu beweifen, daß er national fei. 
Wenn Du aber von Fremden Deiner 


entfachen. Unter den deutjchen Tugen— deutſchen Nation einen Schimpf anthun 
den verſtehe ich, wie ich Dir ſchon ſiehſt, dann zeige Deinen deutſchen Zorn, 
angedeutet Habe: Treue und Wahrhaf- als ob Du die Ehre Deiner eigenen 
tigkeit, Liebe zur Yamilie, zur Heimat, | Mutter zu vertheidigen hHätteft. 


Schlichtheit und Befcheidenheit, Ta— 
pferkeit im Kriege, Tüchtigkeit im 
Schaffen, Einfachheit im Leben, ruhige 
Entjchiedenheit im Handeln. Du findeit 
diefe Tugenden auch bei anderen Böl- 
fern, doch nicht Jo in ihrer Angeboten 





Wenn Du in der Fremde, 3. B. 
in Amerifa bift, und Di begegneft 
zweien Männern, einem Engländer und 
einem Deutjchen, denen es gleich elend 
gebt, und Du fannft nur Einem der 
Beiden helfen, jo Hilf Deinem deutfchen 


| Bruder. Und wenn Dir der Engländer 


heit und Harmonie zu einander, als 
bei dem Deutjchen. Hingegen haben | für Deine Hilfe goldenen Dank ver- 
die Germanen auch ihre nationalen |jpräche, und der Deutfche Dir gar 
Fehler und Lafter, wie jedes andere feine Bergeltung in Ausſicht Stellen 
Bolt die feinen Hat. Und hier, mein könnte, fo Hilf Deinem deutfchen Bru— 
Sohn, magft Du getroft aufhören, |der. Und wenn der Deutjche in Amerika 
national zu fein. Aus Urochfenhörnern |einen Indianer, der fein eigen ift, 
fih Räuſche antrinken, bei jeder Nich= | herzlos mißhandelt, jo nimm gegen 
tigfeit wie Thoren einander paufen | Deinen deutjchen Bruder Stellung und 
und Schlagen, ſchwärmen, grübelm und ſchütze den Indianer. 
haarſpalten, das ift auch deutſcher Ih glaube, mein Kind, fo Habe 
Brauch, aber ein fehlechter, das find ich es Dir Har gemacht, wie weit der 
findifche Unarten, welche fich ein Volk, | Nationalismus gehen darf und foll, 
das fich ſelbſt erzieht, allmählich abge: | und wo er feine Grenze hat. 
wöhnen muß! Du wirft Heute häufig den Kosmo— 
Wenn es uns alfo gelingt, die |politismus verhöhnen hören. Das iſt 
nationalen Fehler abzulegen und die! nichts, als die faure Traube des Fuch— 
nationalen Vorzüge zu bewahren und | fe. Die Welt ift gewohnt, höchſtſte— 
zu befeftigen, dann kann uns nichts hende Güter, aus Aerger darüber, fie 
gefchehen, dann werden wir die Gefahr auf ihre Weife nicht erreichen zu kön— 
fiegreih überdauern. Dann wird auch nen, zu verfpotten und zu fchmähen. 
gar fein Aulaß vorhanden fein, miß- | Doch bedenke, daß es heute wahrlich 
günftig auf andere Nationen zu bliden, | nicht an der Zeit wäre, dem deutjchen 
Jo lange fie in Ausbildung ihrer Na= | Wolfe vorlaut feine Lieblingsidee vom 
tionalität nicht über die Schnur, heißt Weltbürgertfum zu predigen. Denn 
das, über die Grenze hauen. es ift von Feinden umgeben, und be= 
Du wirft, mein Sohn, in Deinem | droht find mit ihm die großen deut— 
Leben mit vielen, und vielleicht fehr ſchen Tugenden. So lange das herr— 





462 


rt - 


liche deutfche Volt aufrecht fteht, habe nach fürzerer, die lebensfähigeren nad 
ih Hoffnung, daß fich die Ideale feiner Jlängerer Zeit. „Reiche find,“ jagt der 
größten Geifter dereinft erfüllen werden. | Engländer Draper, „nur Sandhügel 

Dir bleibe, mein Sohn, das Bes im Stundenglafe der Zeit; fie zer— 
wußtjein, daß Nationalität ein großer |fullen von felbft durch den Verlauf 
edler Egoismus ift, durch den Dur die ihres eigenen Wachſens. Zeitgemäß ift 
Vortheile und idealen Güter Deines |das jo wenig, als der Ausspruch eines 
Volles zu vertheidigen, zu hüten und | andern Engländers (Mill), der da meint, 
zu mehren haft. Andere Völker thun Alles, was wirklich zur Mifchung der 
es auch. Diefer Wettftreit zwischen den | Nationalitäten und der Verſchmelzung 
Völkern ift darum fittlich, weil er/ihrer Gaben und Borzüge zu einem 
unter perfönlichen Opfern des Ein- |einigenden Bunde beitrage, fei eine 


zelnen zur allgemeinen Entwidelung 
des Menfchengefchlechtes beiträgt. Jeder 
foll das Beſte feiner Nation hegen 
und pflegen helfen, um es zum Ge— 


Wohlthat für das menschliche Geſchlecht. 
Dem feßt ein deutfcher Dichter (Bo- 
denftedt) halb vorwurfsvoll und halb 
wehmüthig hoffend bei: 


meingut der Welt zu machen. So 





kei „Bott will nicht, daß Volk und Volk fi 
reihen ſich Nationalität und Welt— meide, 
bürgerihum die Hände. Das Gebot | Das Meer, bis zu - — fernſten 
ndern, 


der nationalen Nächſtenliebe Tautet | 
nicht : liebe das fremde Volk wie Dein 
eigenes, ſondern: müße Deinem Bolte, 

d ölfer i U j 
ohne fremden Völkern ungerechterweiſe Kind, vergiß nimmer, was bie 


zu Schaden. Es wäre maßlos unflug Ra 
5 großen Dichter Jagen, die mit glühen- 
und der wahren Entwidlung Deines oe Alese iherın Belle Kben und Dam 


Bolfes nachtheilig, Nachbarvölfer vor— j i 
IR f „Nationalismus im Geifle weltumfaffen- 
wigig zu Beinden zu machen. Bergiß der Menſchlichkeit die wahre Weihe ver- 


Wogt als Vermittler zwiichen allen Ländern, 
Es trennt zwei Welten, und vereint fie 
beide.“ 





nicht, daß der Ausbildung wahrer 
Gultur manchmal ein geeordneter Staat 
günftiger ift, als eine begeifterte Nation; 
vergiß nicht, da Nationen vorüber- 
gehende Formen, Entwidelungsformen 
find, die feinen eigentlichen Selbftzwed 
haben, jondern mur der Weg zu einem 
größeren Ziele find. Nationen werden, | 
wie Individuen geboren, wachfen und. 
gedeihen bis zu einer gewiſſen Grenze: 


und fterben dann ab, die fchwächeren | 


leihen. An unferes Großmeifters Ha— 
merlings Wort erinnere ich Dich: 


„So lange taufendfältig Kain den Abel 

Unblutig oder blutig noch erichlägt, 

Und nicht der Streit, den einft erregt zu 

Babel 

Des Spradenfampfs Erinnys, beigelegt — 

So lang’ nicht Poefie als Taub’ im Schnabel 

Des ewigen Völferfriedens Delzweig trägt — 
o lange, ſag' ih Euch, troß der Fanfaren 

Des Fortihrittjubels, find wir noch Bar: 

baren.* 


Wenn einer „Midel“ heißt. 


Von M. 


Err hieß Michael Hartlopf und | 
EI wurde zeitlebens von tiefer Un-⸗ 
zufriedenheit gequält ſowohl über feinen 
Tunfnamen, als über feinen Familien— 
namen. Der leßtere wurde ihm fchon 
früßzeitig in der Schule verleidet, wo 
ihn feine Mitfchüler nie anders, als 
„Hartknopf“ hießen, was ihn unfäg- 
lich ärgerte. Biel ſchwerere Sorge aber 
machte ihm in fpäteren Jahren fein 
Vorname. So lange er noch ein Knabe 
war, wo man ihm mit dem Koſe— 
namen „Micherl* anrief, ließ fich die 
Sade noch leidlih an. Aber als er 
heranwuchs und aus dem „Micherl“ 
ein „Michel“ wurde, da dämmerte ihm 
allmählich die Erkenntnis auf, daß man 
ihm mit diefem Vornamen fein gutes 
Angebinde in die Wiege gelegt habe, 
und daß es viel hübfcher wäre, wenn 
man ihn auf den Namen Edmund 
oder Arthur oder Oskar getauft hätte. 
Aber da war nun nichts mehr zu 
ändern. Der Name ftand einmal im 
Tanfbuche und war nicht mehr abzu— 
ſchütteln. 

Mit zunehmenden Jahren ſteigerte 
ſich in Herrn Michael Hartkopf der 
Aerger über ſeinen Taufnamen. Hatte 
ihn im Knabenalter noch einigermaßen 
die Erwägung getröftet, da ja einer 
der vornehmſten Engel, der Erzengel 
Michael, fein Namensvetter ſei, fo 
wollte jeßt auch diefer Troft nicht mehr 
verfangen. Er fand immer mehr und 
mehr, dab der Name „Michel“ einen 
ungewöhnlich pöbelhaften Klang habe, 
daß er im der vornehmen Gejellichaft 
nicht üblich, kurz, nicht falonfähig fei. 
Vergeblich ſuchte er ſich hie und da in 
trüben Stunden vor Augen zu Halten, 
daß auch Hohe, ja allerhöchite Perſön- 
lichleiten diefen Vornamen führten, daß 





Glock. 


es in Portugal einen „Don Miguel“ 
und in Rußland einen „Großfürſten 
Michael“ gegeben habe, ja daß man 
jeloft die glorreiche deutjche Nation 
durch diefen Namen zu perfonificieren 
pflege. Aber was konnte es ihm helfen, 
daß portugiefiiche Königsjöhne und 
vnffifche Kronprinzen feinen Vornamen 
trugen. Der Name „Michel“ erjchien 
ihm nichtsdelloweniger pöbelhaft und 
gemein. Und pflegt man denn nicht 
auch den „deutſchen Michel“ als einen 
plumpen, ungeſchlachten Kerl darzu— 
ftellen mit Schlafhaube und ohne Frack 
und Handfchuhe? Kurz, Herr Hart- 
fopf war durch nichts zu beſchwichtigen 
und war und blieb umtröftlich über 
feinen unglüdlichen Vornamen, an den, 
wie er zu ahnen glaubte, dereinft fein 
Lebensglüd cheitern werde. 

Mas die fonftigen Lebensverhält- 
nifje des Herrn Hartkopf anbelangt, 
jo gehörte er zu jener zahlreichen Mens» 
Ichenclaffe, bei welcher das Zeitwort 
„Beld haben” fein Präfens und 
Perfectum, fondern höchſtens ein Fu— 
turum hat. Und auch dieſes Letztere 
ſchien ihm in jüngſter Zeit ſchon frag— 
lich geworden zu fein. Er hatte nad) 
verschiedenen verunglüdten Verſuchen, 
einen ihm zufagenden praftifchen Le— 
ben&beruf zu finden, ſich auf die Pho— 
tographie verlegt, die ihm jedoch bis 
jeßt nur färglich ermährte und ihm 
auch feine glänzenden Ausfichten für 
die Zukunft eröffnete. Nach veiflichem 
Nachdenken glaubte er endlich, das beite 
Mittel, feine Umftände gründlich zu 
verbeſſern, in einer reichen Heirat ge— 
funden zu haben, und in dem Streben 
nach diefem jchönen Ziele ſchien ihn 
auch das Glück in auffallender Weife 
begünftigen zu wollen. 


464 





In dem fchmalfrontigen Giebel: 
baufe, wo er im fechsten Stod fein 
photographifches Atelier aufgeichlagen 
hatte, wohnte im zweiten Stod ein 
etwas ältliches Fräulein gemeinfchafts 
lich mit ihrer Tante. Sie hieß Zer- 
line Rojenblatt und es gieng von ihr 
die angenehme Sage, dab fie im Bes 
fie eines baren Vermögens von 6000 
Gulden und außerdem die dereinftige 
Erbin ihrer wohlhabenden Tante ei. 
Als Zerline eines Tages in den ſechsten 
Stock hinaufftieg, um ſich ihr photo= 
graphiſches onterfei anfertigen zu 
lalfen, wußte Herr Michael Hartlopf 
die glinftige Gelegenheit, ihre Bekannt» 
Ichaft zu machen, jo meilterhaft zu 
benüßen, daß er im kurzer Zeit im 
zweiten Stod ein gern gelehener Hause 
freund war, und die Tante ſowohl 
als die Nichte von feinen gejellichaft- 
lihen Talenten ganz bezaubert waren. 
Er begleitete die beiden Damen in’s 
Theater und auf Spaziergängen, be= 


Ind ſich mit ihren Regenſchirmen und 
Shawls, führte den Mops der Tante, 


an der Schnur umd erwies ich ſtets 
als heiterer und liebenswürdiger Ges 
ſellſchafter. Bald ſaß er in der Gunft 
der Damen fo feſt, daß er dem Zeit: 
punkte nahe genug zu jein glaubte, wo 
er mit einer offenen Werbung bor die 
reizende Zerline treten durfte, deren 
Beſitz ihm als das wünjchenswertefte 
aller Ziele erjchien. Und im der That, 
wenn man von dem bedenklich vorge— 
rückten Alter des Fräuleins und von 
dem Umftande abſah, daß fie auf ihrem 
Kopfe fremdes Haar kämmte und ihr 
Brot mit fremden Zähnen faute, und 
wenn man ich dafür andererfeits den 
Umftand vecht deutlich zu Gemüthe 
führte, daß fie im Beige eines baren 
Vermögens von 6000 Gulden und 
außerdem die einftige Erbin ihrer wohl— 
babenden Tante war, konnte fie immer: 


hin als eine anziehende Erfcheinung | 
gelten. Und als folche erfchien fie denn 


auch Herrn Michael Hartlopf. 


Fräulein Zerline hatte viele Ro— 


mane gelefen, allerdings nicht immer 


die beiten. Den Inhalt derjelben hatte 
fie längft wieder vergejlen, dafür aber 
die Namen der Helden um fo treuer 
im Gedächtniſſe behalten. Dieſe hatten 
in ihrem zärtliden Herzen eine Art 
von Walhalla gefunden, wo fie uns 
vergehlich der Reihe nach aufgeftellt 
waren und aus denen ihr Gemüth 
ſtets melancholifche Nahrung ſog. Es 
gab da von Goethes Werther ange— 
fangen eine unabjehbare Reihe von 
Arthur's und Alfred’, von Bruno’s 
und Benno's, von Edmund’s und Eds 
gar's, von Reinhold’ und Richard’s, 
bon Dtto’3 und Oskar's u. ſ. w. 

Eines Tages erzählte Zerline ihrem 
Verehrer, daß ihr aus der Leihbiblio- 
thet ein Roman von einem gewiſſen 
Sohannes Scherrer mit dem unglaubs 
lihen Zitel: „Michel“ zugefendet 
wurde und daß fie nach einem flüch— 
tigen Einblide zu ihrem Entſetzen 
| wahrgenommen habe, daß auch wirklich 
der Held des Romans diefen unge 
heuerlihen Namen führe. worauf fie 
das Buch mit Entrüftung aus der 
Hand gelegt und zurüdgejendet habe. 

Herr Michael Hartkopf hörte mit 
Schwer definierbaren Gefühlen den Aus— 
lafjungen Zerlinens zu. Ihre unver: 
hohlene Vorliebe für wohlklingende 
Namen wollten nicht ganz zu feiner 
Rechnung ftimmen. Zwar konnte fie 
bis jet kaum eine Ahnung Haben, 
wie fein Vorname eigentlich laute, da 
er denfelben forgfältig hinter dem An— 
fangsbuchftaben M verftedt hielt. M. 
Hartkopf, Photograph, fo ſtand 
der Name auf ſeiner Karte. Für Zer— 
line bedeutete dieſes geheimnisvolle M. 
doch nichts Anderes, als Moriz oder 
Manfred. Daß dahinter ein Michel 
ftede, konnte ihrer zarten Seele gewiß 
nicht einmal im ZTvaume einfallen. 
Uber wenn e3 endlich zum Ernſt kom— 
‚nen follte, zur Verlobung und Heirat, 
mußten da nicht alle Schleier Fallen, 
und der „Michel“ endlich doch an's 
Tageslicht kommen? 

„Wird fich recht hübſch ausnehmen“ 
— dachte mit grimmigem Humor Herr 











465 


— 


Hartlkopf „die Verlobungskarte: ja doch Dein eigenes Vermögen. Wie 
Herr Michel Harttopf und Fräulein | haft Du es demm angelegt? Etwa in 
Zerline Rofenblatt, Werlobte. Man | Papieren? Aber die müſſen ja doch 
tönnte fich freilich auf Schiller berufen, | Zinfen tragen.“ 
der da irgendwo jagt: Wo das Strenge | „Was fprihft Du da von Ver: 
mit dem Zarten, wo Starkes fih und mögen? Ach und die Tante haben 
Mildes paarten, da gibt es einen guten „immer miteinander von ihrer Witwen 
Klang. Nun, die 6000 Gulden wenig= | penfion gelebt.“ 
ſtens jollen mir gut klingen, und auch „MWitwenpenfion ? Aber die Tante 
das Andere, was noch von der Tante | hat ja duch Vermögen. Oder nicht?“ 
zu Hoffen if. Wenn wie nur jchon | fragte Herr Hartlopf mit einiger Be— 
jo weit wären! Hemmung, 
x Was Du nicht Alles weißt! Ver: 

Noch vor Ablauf eines halben | mögen und nichts als Bermögen! Wie 
Jahres waren Herr Michael Hartkopf | kommſt Du mir heute vor? Ich Hoffe 
und Fräulein Zerline Rojenblatt Mann | doch, dak Dur mich nicht etwa wegen 
und Frau geworden. Fräulein Zerline | des Geldes, das Du bei mir vermuthet, 


Hatte fich zum großen Erftaunen Darts 
fopf’5 durch feinen unpoetifchen Fa— 
miliennamen und pöbelhaften Vor: 
namen auch nicht im mindelten ab— 
Ichreden laffen und feine Werbung mit 
holdſeligſtem Lächeln entgegengenome 
men. Am Tage nah der Hochzeit 
waren die Neuvermählten ſammt Tante 


und Mops in den ſechsten Stod über: | 


fiedelt und hatten fich in den engen 
Räumen der Photographenwohnung 
häuslich eingerichtet. Während einiger 
Koſewochen, die anf die VBermählung 
folgten, wagte es Herr Hartkopf nicht, 
nad dem baren Gelde jeiner Frau, 
noch auch mach der Höhe des Vermö— 
gens der Zante zu forſchen; auch 
wurde ihm während diejer Zeit von 
Seite der Frauen hierüber feine wie 
immer Namen habende Andentung ges 
madht. Als aber die Flitterwochen 
vorüber waren und eben in feiner 
Caſſe tiefe Ebbe, um micht zu jagen 
völlige Leere einzutreten drohte, bat 
er eines Tages feine Frau, vorkäufig 
bis zum Wiedereintritte güinftigerer ge= 
Ihäftliher Conjuncturen die Hauser: 
forderniffe aus ihrer eigenen Caſſe zu 
beftreiten. 

„Aus was für einer Cafe ?* fragte 
lachend Zerline. „Was könnte mir 
denn auch eine Galle nüßen, wenn 
fein Geld darin iſt?“ 

„Wie, fein Geld? Aber Du ri 


Kofegaer's „„Grimgarten‘*, 6. Geft, XL, ——— 











geheiratet haſt,“ erwiderte Zerline mit 
vorwurfsvollem Blicke. 

„Oh — — das nicht,“ ſagte Herr 
Hartkopf ſehr gedehnt und ſchwieg. 
Ihm war ungefähr zu Muthe, wie 
| Einen, dem in der behaglihen Wärme 
eines ruſſiſchen Dampfbades plöglich 
der eisfalte Waſſerſtrahl der Douche 
auf Kopf und Nüden fällt. Er jant 
auf einen Sefjel vor feinem Arbeits- 
tisch und fieng an, einige Bilder zu 
retouchieren, die heute noch abgeliefert 
werden follten. Während der mechani— 
ſchen Arbeit hatte er hinreichend Muße, 
ih von feinem Schreden zu erholen 
und feine Gedanken zu ſammeln. 

„Alſo kein Geld, weder Frau noch 
Tante! DO unglüdjelige Speculation, 
die mir nie hätte einfallen follen! Und 
mein verruchter Vorname, der mir nun 
doppelt und dreifach widerwärtig ift, 
weil er nicht einmal die Kraft gehabt 
hat, Zerline abzufchreden. Wie gern 
fie meinen Antrag angenommen hat! 
Jetzt leuchtet mir's freilich ein. O 


ich — — 1« 


Nach dieſem Monologe erhob ſich 
Herr Michael Hartkopf von ſeinem 
Urbeitstifche mit der felfenfeften Ueber— 
zeugung, daß „Geld haben“ für ihn 
ftet3 ein Zeitwort bleiben werde, wel— 
ches im Indicativ weder ein Präfens, 
noch ein Perfectum, noch ein Futu— 
rum bat. 


— 30 


Wie der Menſch geflikt werden kann. 





(Ne iſt faſt unglaublich, wie weit ärztlichen Kunft im diefer Richtung 
Se 5 die Merzte Schon gebracht ſchon unendliche Dienfte geleiftet. 
haben in der Kunſt und Geſchidlichkeit, An einem kleinen Orte ſah ich 
dem Menſchen verlorne oder unfähig einen Mezzgergeſellen, der durch einen 
gewordene Theile feines Körpers wieder | heftigen Schlag auf den Kopf bei einem 
zu erſetzen. \Raufhandel ein fat handgroßes 
Da finden wir in der flets inter Stüd feines Schädellnodhens 
ejlanten vortrefflichen „Deutjchen Re- | brandig verloren hatte. An diefer 


vue“ (E. Trewendt, Breslau) Januar 
1887, einen Auffag von I. N. von 
Nupbaum, der uns 


zählt. Wenn man je einen mittheilen« 
den Auffaß intereffant nennen fan, 


jo ift es dieſer; er verdient ganz und 


gar gelefen zu werden. Hier aus dene 


jelben nur etliche Andentungen, wie 


über dieſen 
Gegenftand des Wunderbaren viel er— 


‚Stelle war das Gehirn nur mehr von 
Haut bededt. Ein unbedeutender Drud 
mit der Hand darauf bewirkte, daß er 
Ihwindlig zuſammenſank. Um ein Uns 
glüd zu verhüten, ließ ihm fein Arzt 
ein Kleines Käppchen von Hartgummi 
machen, das durch ein elaftiiches Kine 
‚band am Kopfe genau anpafjend feſt— 
gehalten wurde, wodurch das Gehirn 


und auf welde Art ein an Theilen vor jeden Drud gefichert war. Es it 
feines Körpers verunglüdter Menſch bekannt, daß andere ſolche Defecte auch 
repariert werden fann. durch genau anpaljende Silbertäppchen 
Es iſt unglaublid — fagt Dr. erſeht werden. 
Nußbaum — wie viele und große Theile Die gläfernen Augen, womit man 
mancde Menschen verlieren können, | Natürlich nichts fieht, erjegen das ver- 
ohne ihr Leben dabei einzubüßen. Im lorene Auge jo tänfchend, daß ſelbſt 
Jahre 1855 war im Invalidenhauſe Augenärzte ein paar Secunden im 
zu Paris ein reich decorierter Soldat, Zweifel find. 
welcher im Kriege beide Arme und, Einige Kranke, welche ihre Naſen 
beide Füße eingebüht hatte und wie Verloren Haben, bejigen nicht Muth 
eine Stoduhr auf den Tifch hingeſtellt genug, um ſich aus eigenem Fleiſche 
wurde. Verſchiedene Kugeln hatten vom Arzte wieder eine Nafe machen 
jeine Knochen jo zerfplittert, daß ınan | ZN laffen, daher gibt es viele Nafen 
afle vier Extremitäten amputieren mußte. von Papiermade ꝛc. 
Die zahlreichen großen Gejchenfe Hatten | Manchmal gelingt es dem Arzte 
ihn bereits zu einem reichen Mann wohl, die Najenhaut aus der Stirn- 
gemacht, und manchmal gieng er mit oder Wangenhaut des Kranken zu er 
herrlichen fünftlichen Armen nnd Füßen ſetzen; aber die Nafe bekommt eine 
und ein paar zuverläfliger Krücken oder | ſcheußliche Form, weil auch die Knochen 
zu Wagen weit in die Stadt hinein ; fehlen, die das Einſinken der Haut 
und unterhielt ſich auf mannigfache verhindern. Oft wurde das Kno— 
Weiſe. ſchengerüſt der Naſe von Gold 
Die Phyſik und Mechanik hat der |oder Bernfteim zu erſetzen geſucht, 


— 


oder don einem Silberdraht-Geſtell, Sammlung jugendlicher Haare gemacht, 
womit der Kranke jeden Morgen feine | ondern meiftens aus gelauften Haaren 
häutige, zufammengejunfene Nafe aufs | arıner Mädchen oder aus todten Men— 
richtet. Bei Nacht wird ein folches | fchenhaaren. Der Ekel vor folchen 
Drahtgeitell herausgenommen. ı Haaren hat dazu geführt, auch Imita— 
Ohrenärzte erſetzen das Trom— tionen der Haare von gefärbten Fäden 
melfell fünftlich durch einen Heinen | tänfchend zu producieren. Allerdings 
Neif, über welchen eine feine Kaut- baſſen die Perüden nicht ganz in uns 
ſchulhaut gefpannt ift; auch geben fie ſere Betrachtung, weil fie nicht mit 
Schwerhörenden Hörapparate, wel» dem Haarboden verwachſen, ſondern 
he die natürlichen tonleitenden Theile Mur aufgellebt werden. 
erfegen follen. Obrenmufceln von) 3 gelingt aber aud) wirklich Haare 
Papiermaché werden oft mitteljt einer auf den fahlen Kopf hin zu pflanzen. 
unter den Haaren getragenen Stahl Man machte oft ſchon ſolche Verſuche 
jeder am rechten Platze feftgehalten, | mit volllommenem Erfolg in der Rich- 


haben aber für das Gehör feinen Wert, 


erjegen lediglich die Form. 


daufig if ns ja SR gefunde Menichenhaare ſammt ihren 


jchwerer Leiden, 
wird dom Arzte nur dann weiter hinaus 
geichoben, wenn der ganze frante Kehl— 
fopf herausgenommen wird. 


Damit nun der Kranke doch wieder | 
Ipreden kann, ſetzt man ihm einen | 
fünftliden Kehlkopf von Silber, 


ein, womit er zwar näfelt, aber ganz 
verſtändlich ſpricht. 


Haben Frauen eine Bruſt durch 
Operation verloren, ſo bekommen ſie 








tung, daß die eingeſetzten Haare feſt— 
wuchſen. Man machte in den kahlen 
Kopf Schnitte und ſteckte in dieſelben 


Haarzwiebeln. Die Haare wuchſen feſt 
und blieben; allein einen praftiichen 
Wert hat die Sache nie gewonnen, 
denn es iſt eine ziemlich große Ope— 
ration, 50 Haare überzupflanzen, und 
50 Haare nügen einem Kahlkopfe nicht 
das Geringfte. Die Sache ift und war 
nie mehr als ein intereflantes Er= 
periment, gerade fo, als wie die fran— 
zöſiſchen Aerzte am Ende des Krim— 
frieges aus Yangeweile den Ratten die 


einen ehr leichten und die Yorm tau- Schwänze abſchnitten und felbe auf 


Ichend liefernden Erfaß in jedem Kaut— 
Ihul-Warenlager. Eine folde künſt— 
lie Bruft ift hohl wie eine Blaſe 





die Nafe hinnähten, wo fie feſtwuchſen 
und erhalten blieben und nad Paris 


zurückgebracht als Wunder angeftaunt 


und deshalb viel leichter und bequemer | wurden. 


als jede andere Ausftopfung. 


Die untere Ertremität wird oft fo. 
gut erfeßt, dak Niemand ahnt, hier! 
einen fünftlichen Fuß vor fich zu haben. | 


Ein Heiner unbemerkter Drud genügt, 
um das Bein zu beugen oder zu fire 
den. 
fünftlihen Arme und Hände aus. Yit 
ein Arm Hoch oben amputiert fo darf 
man ſchon froh fein, wenn der künſt— 
liche Arm beim Effen eine Gabel oder 
bei der Arbeit einen Hammer hält. Das 
Schreiben und Knüpfen u. a. erreicht 
man jehr felten. 

Die Perüden und falſchen 
Haare überhaupt find felten aus einer 





Weniger gut fallen meift die! 


Nachbarſchaft angelittet. 


Das Berpflanzen der Zähne hat 
ihon ſehr Schöne Erfolge gehabt und 
wird heutzutage noch manchmal geübt. 
Wenn eine reihe Dame einen vorderen 
Schneidezahn verliert und ein arınes 
Mädchen gibt um einige Thaler einen 
ihönen Zahn aus ihrem Munde ber, 
jo gelingt e3 einer forgfältigen Mani— 


pulation, den Zahn feſt einwachſen zu 


lafjen. Die Zahnlüde wird gut des— 
inficiert wie der Zahn, welcher natür— 
li in die Alveole Hineinpaffen muB. 
Dort wird er feitgebunden und an bie 
Ein paar 
Wochen muß jede harte Nahrung ger 


| nieden werden ; dann fteht der Zahn 


30* 


468 


aber jo feit, daß man Bindfaden und | wirklich ein Meifterftiid nennen, die un 
Kitt nicht mehr bedarf. ducchfichtig gewordene Hornhaut eines 
Geſchichtlich intereffant ift die That: | Menfchen auszufchneiden und ein gleich 
fache, dab einem Ruſſen ein Stüd!| große: Stüd hefler durchſichtiger Horn— 
Schädel meggehauen war und ein haut eines gefunden Thieres dafür 
Arzt ein gleihgroßes Stüd eines ges | einzunähen. Wer die Zartheit diejer 
funden Hundefchädels dafür über» | Gebilde kennt, muß das Gelingen be- 
pflanzte. Daran knüpft fich noch die) wundern. Leider hatte auch die ge= 
Erzählung, daß der Papft über den lungenſte Operation feinen bleibenden 
Operateur den Kirchenbann verhängt | Erfolg. Die Mare, durchſichtige Horn— 
und nicht eher gelöst haben fol, als | haut, welche eingenäht war, trübte jich 
bis das Stüd des Hundejchädels wieder | von Monat zu Monat mehr, und das 
herauögenommen war. anfänglich ftaunenswerte Refultat gieng 
Die Sade gewinnt an Glaub: | wieder ganz verloren. 
würdigfeit, wenn man weiß, daß bor Auch die durchſichtige Hornhaut 
mehreren hundert Jahren auch das Ein= | eines joeben verftorbenen Lungenſüch— 
jprigen von Thierblut päpftlich ftrenge | tigen bemüßte man zum gleichen Zweck 
verboten war. und mit dem gleichen Erfolg; auch die 
Die Bluttransfufion, womit | todte Hornhaut wuchs feit, trübte fich 
man nicht allein Berblutungen, fondern | aber auch nach und nad wieder. Es 
auch viele Schwächezuſtände zu Heben | ift Höchft intereffant, daß felbft Theile 
glaubte, war eine Zeitlang vorzüglich | eines todten Individuums wieder ans 
mit dem Blute verfchiedener Thiere wachſen. Diefes Beifpiel fteht aber 
ausgeführt worden, was verboten wurde, | durchaus nicht allein da. 
weil man fürchtete, es könnten damit Seit langer Zeit heilen die Augen: 
auch thierifche Eigenschaften mit über- ärzte Schleimhäute des Kaninchen-Au— 
geführt werden ; es könnte 3. B. ein) ges auf kranke menschliche Augen auf, 
Menſch, dem man Schafsblut einfprigte, | und als ein Unicum ift zu erzählen, 
dem Schafe ähnlich werden. Obwohl daß es vor wenigen Monaten jogar 
fich dies nicht im geringften bewahr: | gelang, einem Menfchen, der das linfe 
heitete, jo ift doch auch die Jeßtzeit Auge verloren hatte, ein Kaninchen 
von der Benüßung des Thierblutes | Auge einzunähen. Nervenjcheide, Muss 
ganz abgefommen, und es wird nur keln und äußere Häute wurden ſorg— 
mehr Menjchenblut, ja meiftens und | fältig vereinigt. Das Auge wuchs feit, 
zwar mit dem beften Erfolge nur Salz | Gefäß-Verbindung ftellte ſich her, die 
und Zuderwaffer anftatt Blut einge: | Muskeln vereinigten fih, das Auge 
jprigt, weil man berausfand, daß es | konnte Hin und ber bewegt werben. 
bauptfählih auf volle Gefpanntheit | Alsbald fieng ed aber an fich zu trü= 
der Gefäße ankommt, was man dur ben, nah 4—5 Monaten hingegen 
Salzwafjer auf eine viel ungefährlichere | Hellte e3 fich wieder ganz auf. Das 
Weiſe erreicht. Eingefprigtes Thierblut | eingepflanzte Auge hat natürlich fein 
ift bekanntlich recht wirkungslos, weil! Sehvermögen; dasfelbe verhütet nur 
e3 nad ein paar Tagen mit dem Urin | die Entftellung, weil es ein wirkliches 
wieder abgeht. — Auge ift und vom Kranken willfürlich 
Mit großer Begeifterung arbeiteten | bewegt werden kann. 
vor 50 Jahren die Augenärzte an der Auch Nerven, wovon größere 
Ueberpflanzung einer hellen) Stüde verloren gegangen waren, fuchte 
Hornhaut, wenn Jemand infolge w mit eingepflanzten Zhiernerven 


— — — — — — — — — — — — = . ana 


einer Entzündung oder eines Unglüdes | zu erſetzen. 
dur Trübung feiner Hornhaut ganz Belanntlih find die Nerven wie 
blind geworden war. Man muß e8 | die Telegraphendrähte, fie leiten Em— 


469 


pfindung und Bewegung. Bei Thieren Andere Aerzte nehmen die Haut— 
eriftieren fehon gelungene Experimente, | Lappen zur Nafenbildung aus den Ellen— 
daß man 3. B. einen Hühnerner auf bogen oder dem Knie, das 3—4 Wo— 
ein Kaninchen überpflanzte und eine|chen, folange eben bis die Hautlappen 
feife Leitungsfähigfeit nachgewiefen | feftgewachfen find, enge mit dem Kopfe 
werden konnte. Beim Menfchen find | zufammengefaßt wird. 
wohl Thiernerven eingeheilt, die Em— Erft wenn der Lappenftiel fir die 
pfindung und Bewegung haben jie aber Ernährung nicht mehr nöthig ift, wird 
nicht erzeugt. er abgefchnitten und die Naſe vom 
Je weiter die operative Chirurgie | Ellenbogen oder Knie getrennt. -- 
fortfchreitet, defto mehr gelingt es, | Defterd wurde die verlorene Naſe auch 
Defecte des Körpers durch nachbarliche | Schon aus der Gefäßhaut wieder erjegt. 
und weiterher verpflanzte Theile des | Damit feßtere aber zur Nafenbildung 
eigenen Körpers wieder zu erfeßen. | brauchbar wurde, befam fie vor der 
Seit man die Erfahrung machte, 595— ſolange Pantoffel— 
auch ganz getrennte Theile nach jorg= ſchläge, bis fie ganz entzündet, Hart 
fältigem Annähen wieder anheilen, hat und blutreich war. 
ſich hierin viel Erſprießliches ergeben. Von außerordentlichem Werte tann 
Unglaubliche Zufälle haben hier mit— * künſtlicher Magenmund fein. 
gewirkt. — Wenn fih Jemand, wie das oft aus 
Hätte es nicht ein Berliner Unis | Verwechslung gleichjehender Subftanzen 
verlität3- Profejlor erzählt, würde es geſchieht, den Hals und Schlund ſo 
fein Menſch glauben, daß einem jungen | verbrannt hat, daß die Haut desjelben 
Burſchen im Raufhandel auf einer | brandig abftirdt. jo wächst der ganze 
Straße zu Berlin die Nafe abgehanen | Schlund vollftändig zu, nicht mehr ein 
worden war, auf den Boden fiel, vom | Tropfen Waſſers kommt hinunter, und 
Gegner getreten, von einem Hunde er- | da die Ernährung mit Klyſtieren nicht 
faßt und auf einen Schlag aus defjen | ausreicht, gehen ſolche Leute nach und 
Schnauze wieder ausgelaffen wurde | nach durch Abzehrung zu Grunde. Seit 
und daß diefe Nafe forgfältig gereinigt | man mit der antifeptifchen Methode 
und angenäht, wieder ganz ſchön an- die größten Operationen ungefährlich 
gewachſen ift. ausführen lernte, macht man oberhalb 
Gar Mancher trägt feine im Duell des Nabel eine Oeffnung in den 
abgehauene Naje in der warmen Achſel- Magen und bringt die Speiſen nicht 
höhle nachhaufe, und der Arzt reinigt | mehr durch den Schlund in den Ma— 
jelbe gut, näht fie recht genau am und | gen, jondern durch die meugemachte 
hat nad) wenigen Wochen die Freude, Oeffnung; allein die Speifen wurden 
das volllommene Gelingen feiner Ope- | nicht gut verdaut; es fehlte eben der 
ration zu jehen. wirkſame Speichel, welcher bei gefunden 
Im Durchſchnitte werden aber die | Menſchen während des Kauens aus 
Nafen, welche durch Krankheit, meift | den Speicheldrüfen heraus in den Mund 
durch frefiende Flechte zu Grunde gehen, | läuft, fich mit dem Speifebrei mifcht 
durch Hautlappen erſetzt, welche der, und die Speifen leicht verdaulich macht. 
Arzt ſo aus der Nachbarfchaft weg- Auch für diefen Fehler hat man 
nimmt, daß fie noch ein paar an ld. Hilfe. Wenn heutzutage der 
dur einen ſchmalen Stiel mit ihrem | Schlund zugewachlen ift und ein künſt— 
angeborenen Plage zufammenhängen, | licher Magenmund über dem Magen 
und erft wenn diefe Dautlappen am | gemacht ift, läßt man folche Leute die 
Najengerüfte feft angewachſen find, | Speifen im Munde kauen wie fonft, 

















weg. miſcht werden. Iſt das gejchehen, jo 


470 
ſpucken diefe Kranken den verdaulichen | nur jene Aerzte hineingehen, bei welchen 
Speifebrei in ein filbernes Rohr, wel- ſich Kunft mit Menfchenliebe paart. 
ches ganz genau in den Fünftlichen Erfreulich ift e8 wohl, wenn wir 
Magenmund über dem Nabel paßt, ſolchen Leiftungen begegnen. Und die 
und fo bekommt der Magen nur vers | Miffenfchaft im Dienfte der Men— 
dauliche Nahrung, was fi bald durch fpenliebe, fie wird es noch weiter 
Zunahme des Körpergewicht: nach- pringen. Wir grüßen fie mit dem 
weiſen läßt. | Spruche des Korans: 

Nun denke ich, ift es höchſte Zeit. 
daß ich die Feder weglege, denn mans |; Die Wiſſenſchaft, Ihr follt fie ehren, 


f ; All' dünkelhaftem Wahne fern! 
hen Lejer von weichen Gemüthe dürfte: Dean Getteh Muh hir Te Re hen 


ih Schon zu weit hineingeführt haben | Und Gottes find, die fie begehren; 
in die dunklen Krankenzimmer, wo | Und wer fie preist, der preist den Herrn. 


Ehre der Arbeit. 









Far 

NS un und Ehre jedem Fleiß! 
GE Ehre jeder Hand voll Schwielen! 
Ehre jedem Tropfen Schweih, 

Der in Hütten fällt und Mühlen! 

Ehre jeder naffen Stirn 

Dinter'm Pfluge! — Doch auch deilen, 
Der mit Schädel und mit Hirn 
Hungernd pflügt, jei nicht vergefien! 


Sreiligratb. 





Kleine Saube. 


— — 


Defregger's Alpenheim. 

Großen und bedeutenden Menſchen 
folgt die beobachtende Neugier der Mit- 
welt auf Schritten und Tritten. Dieſe 
ſchmeichelhafte Aufmerkjamfeit, welche 
dem ehrgeizigen Streber als der Gipfel— 
punkt ſeiner hochfliegenden Träume er— 
ſcheint, wird denen, welchen ſie gilt, nur 
allzuoit zur Plage und Beſchwerde. 
Selbjt der lebendigite Ehrgeiz jtumpft 
fih gar bald gegen dieſen Weihraud 
ab, und der Künſtler und Denfer, 
welder zu jeinem Schaffen Rube und 
Sammlung bedarf, findet fih dadurch 
nicht jelten peinlich berührt und geftört. 

In der Künftlerwelt find es zur 
meijt die bildenden Künftler, Maler und 
Bildhauer, denen ſich die bewundernde 
Neugier in ftörender Weije an die Fer— 
jen heftet; während die geiftige Werk— 
ftätte des Muſikers oder Dichters der 
banalen Neugier entrüdt iſt und nicht 
Jeder frevelnd in feine Phbantafiewelt 
einzubreben vermag, um das Werden 
einer Dichtung oder einer Compofition 
zu belaujchen, bleibt den im Wtelier 
ihaffenden Künftlern nur zwiſchen Dul— 
dung und Unböflichfeit die bange Wahl, 
denn die Negel ihrer Bejuchjtunden, wo» 
mit fie fich zu ſchützen ſuchen, wird une 
abläjfig wieder von Ausnahmsfällen ge 
broden, welche nur allzubäufig die Ar 
beitsftimmung des ganzen Tages zer— 
ftören und die natürliche Neizbarfeit des 
Künftlers bis zur Nervofität ſteigern. 
Ihnen iſt der Ruhm fürwahr 


feine | — verfolgt zu werden. 


leihte Bürde, und  begreiflicherweije 
traten fie, jo oft als nur möglich, 
jener bunten Menge zu entrinnen, „bei 
deren Anblick uns der Geift entflieht* ; 
ihr Künſtlerthum und ihre Nerven ver- 
langen gebieterijch, daß fie zeitweile von 
der Menichbeit Höhen herabjteigen, um, 
ferne vom Gedränge, in beſchaulicher 
Stille fich jelbit angehören zu dürfen. 

Am beiten hat es Franz von De: 
jregger verjtanden, jich für einige Wo» 
chen dem Geräufh und Gemühle jeines 
Malerhofes zu entziehen und jene tiefe, 
nervenjtärfende Raſt zu finden, aus der 
die jchöpferiiche Kraft men bejhwingt zu 
nenen Thaten jchreitet.*) Alljährlich im 
Juli, ſobald der Schnee aub in den 
Hochregionen der Blütenpracht des Früh— 
lings gewichen ift, verläßt der Künſtler 
mit Frau und lindern fein palaftgleiches 
Heim in München, um deijen behagliche 
Räume mit einer auf Alpenhöhe ges 
legenen hölzernen Hütte zu vertaufcen., 

In diefen Tagen muß man De 
fregger’3 Atelier 1900 M. über der 
Adria juchen, und dem da verlangt, des 





*) Es iſt vielleicht fein guter Dienit, 
den die „Oeſterreichiſche Touriften- Zeitung‘ 
dent berühmten Meifter erweist, wenn fie 
fein Alpenheim ausplaudert. Und doc ift 
der Gegenftand jo allgemein und bejonders 
für die unzähligen Verehrer Defregger's 
interefjant, daß wir die Andiscretion wie: 
derholen, indem wir vorftehenden Aufſatz 
aus der genannten Zeitung hier abdruden. 
Außergewöhnliche Menſchen müflen ſich's 
denn einmal gefallen laſſen — jo oder jo 
Die Ned, 


Meiſters Antlig und vielleicht auch einige 
Skizzen neuejten Datums zu jchauen, 
der muß Touriſt jein und darf eine 
dreiftündige Bergtour nicht ſcheuen; und 
wenn das Barometer nicht ſehr hoch 
iteht, mag er fi rüften, wie zu einer 
Wintertour, denn der Schnee iſt bei dem 
Alpenjohne Defregger fein jeltener Gaſt 
und erhöht häufig die Friſche jeines 
Sommeranfenthaltes. Uebrigens darf man 
in dieſem alle unbejorgt jein; der 
Malerfürft wird dem Gafte mit gewin- 
nender Serzlichkeit ein Plätzchen an ſei— 
nem wohlgebeizten Ofen anbieten, jowie 
man überhaupt jtet3 der liebenswür— 
digiten Aufnahme gewiß jein fann, denn 
auf jeinem Sommerfrijchplage ift Der 
fregger jtet3 in befter Laune, jei auch 
dad Wetter wie immer; der Gontraft 
mit dem ftädtiichen Leben und die Er- 
innerung an jeine Augendjahre, deren 
Schauplat dieje Landichaft geweſen, er- 
friſcht und erquidt feine Künſtlerſeele. 
Er freut ih, wenn ihn der Schnee um» 
wirbelt zu einer Zeit, wo fie im Lande 
drangen ſchwitzend und jeufzendb unter 
Schattenſpendern wandeln, und in bus 
moriftifcher Anwandlung jendet er feinen 
Kunftgenofien in München gemalte Bul- 
letins über jeine Situation, in denen 
das Weiß die Ölanz- und Hauptrolle jpielt. 

Defregger'3 Alpenheim blidt von 
weitjchauender Höhe des Ederplan auf 
das reizende Dörfchen herab, meldes 
ibm einen Weltruf verdantt und mo 
alljäbrlih Taujende, melde bier vorbei 
zu den Naturwundern des Glodners 
pilgern, jeines Namens gedenken und 
das berrlide Gemälde bewundern, wo— 
mit er die Kirche begabt hat, welche ihn 
zu ihren Pfarrkindern zäblt. 

Von der Station Döljah gejeben, 
liegt die Höhe, welche Defregger's Al— 
penheim trägt, recht3 vom Dorfe und 
hebt fih mattengrün über dunfle Wald- 
regionen empor, 

Der Aufftieg beginnt ſofort binter 
dem Gafthofe, deſſen Befiter, Joſef 
Putzenbacher, ein Jugendfreund Defreg- 


472 


Kleinigkeiten von Defregger’3 Künſtler— 
band bewahrt. Man kommt am Ederhof 
des jonnigen Stronacdhberges vorbei, einem 
fimplen, ganz im Style der dortigen 
Dauernhänfer erbauten Gehöfte, wo De- 
fregger geboren wurde. Die Stube, in 
der Meifter Defregger das Licht der 
Welt erblidte, ijt eim feuchtes Gelaß im 
Hintergrunde des Haujes und wird ber: 
zeit als Milchlammer benüßt, diente aber 
jeinerzeit der Familie als Schlafgemad, 
und deilen ungelunde Lage hätte der 
Melt leicht einen Defregger koſten fönnen, 
wie ihr vermuthlih Defregger's Vater 
im beiten Mannesalter zum Opfer fiel. 
Defregger hatte in jeiner Jugend oft 
Obnmahtsanfälle, wenn er aus dieſer 
Kammer trat; bier machte Defregger 
an jeines todtfranfen Vaters Bette, als 
plöglih draußen vor dem Haufe ein un— 
beimlihes Schleifen und Sollern ver» 
nehmlich ward, wie wenn ein Holzichlitten 
über den fteinigen Weg gezogen würde; 
in diejen Berggegenden aber findet bei 
ichneefreien Wegen der Schlitten mur 
dann Verwendung, wenn e3 ſich darım 
handelt, einen Dahingeſchiedenen nad 
dem Friedhofe zu befördern. Am Morgen 
ftarb der Vater. 

Bei den legten Häufern vorüber, 
dann durch Wald und Miejen auf einem 
zwar jteilen, aber noch zum Reiten ge 
eigneten Wege, gelangt man unter berr« 
lihen Ausbliden auf Hochgebirge, Thal- 
gründe und Gletjcher, zum unteren Plan 
und von da zum oberen Plan, mo jchon 
ganz nahe auf dem lekten Hange, der 
zum Gipfel auffteigt, Defregger’s Alpen- 
hütte fichtbar wird. 

Der obere Plan ift ein jchöner, mit 
niedrigem Gebüſch und üppigen Kräutern 
begrünter Alpenboden, auf dem zahlreiche 
Rinder grafen und drei Quellen ihr 
föftlihes Waller jpenden. Die in einer 
jeihten Mulde gelegene Hütte erreicht 
man von den Quellen in 10 Minuten; 
fie ift aus Paumftämmen, welde nur 
nah innen behauen jind, gefügt und 
enthält Küche, Wohnſtube und Schlaf- 


ger's, in feinem Haufe mehrere Familien» | kammer; eine offene Veranda wird von 


porträts, ſowie mande intereſſante 


| demjelben 


Dache überdedt. 


473 


Weit und großartig iſt die Ausficht 
von bier; gegenüber erheben ſich, bis zu 
2800 Meter Seehöhe reichend, zadige Do— 
lomitberge ; in der Tiefe liegt der reizende, 
grüne Thalboden von Lienz mit feinen 
Eulturen und Dörfern, dem grauen Ge- 
wäller der Drau, der pfeifengeraden 
Eiſenbahn und der eigenfinnig Erummen | 
Reichsſtraße; rechts davon jteigt das 
wald» und mattengrüne, mit Häuſern be 
dedte Gelände des Iſelberges hinan, wo 
jeitt 1885 eine neue Sunftftraße ihre 
Windungen zieht. 

Im Weiten öffnet ſich das Bujter- | 
tbal, aus welchem ferne Dolomitberge | 
berausbliden,; im Nordweſt ragen am 
Schluffe des Debantthales der Hoch— 
ihober und jeine ftolzen Nachbarn im 
Schneetalare auf; links davon fieht man 
ferne zur Venedigergruppe gehörige 
Schneeberge (Rödipige, Lasörling ꝛc) 
und die Deffnung des Iſelthales. 

An diejer erhabenen Stelle, umgeben 
von einer majeftätifchen Natur, groß im | 
den Umriſſen der Landſchaft und groß 
im Gange der Wollen und Wetter, u 








bringt Defregger mit jeiner Familie die 
beißefte Zeit des Jahres.*) Tage be- 
ihauliher Ruhe wecieln ibm bier mit 
bewegten Stunden, wo ſich der Plan 
mit voltsthümlichen Geftalten aus der 
Umgebung bevöltert. An Sonntagen, 
wenn das Wetter gnädig ift, fommen 
die alten Jugendfreunde, die zahlreichen 
Verwandten und auch mancder rende 
nengierige Gebirgsfohn zur Höhe ge 
pilgert. Mit den vertrauten Freunden 
ipridt er dann wohl gerne von jeinen 
Knaben» und Jünglingsjahren, von der 
Zeit, da er noch am jelben Plan als 
Hirte frank und frei herumſchweifte, und 
verjenft ſich durch Fragen und Hören 
wieder ganz in den eng umjchränften 
Kreis, über welchen er jo gewaltig bin- 
ausgewadhjen und der jeinen einjtigen 





*) Sein älteftes Söhnlein pflegt er 
bei ih im Wlpenhaus zu haben; jeine 
übrige Familie wohnt weiter herunten im 
Wirtshaus auf der Wadt. 

Tie Red. 


Kameraden noch immer die Welt be» 
deutet. 

Aber auch der KHünftler gebt an 
diejen Beſuchsſstagen nicht leer aus, und 
mander charafteriftiihe Hopf wird mit 
fabelhaft flinfen Strihen in die Mappe 
gebannt. Ueberhaupt jcheint Defregger'3 
Künftlerauge immer auf der Wade und 
jeine Phantafie bethätigt jelbft an der 
geftaltenarmen nächjten Umgebung ihre 
originell jchaffende Kraft. Die wunder» 
liben Formen der verfümmerten fnorrigen 
Baumwelt jener Hocdregion feſſeln jeinen 
Blick, er faßt fie jcharf in’! Auge und 
geftaltet fie durch ein Hinwegnehmen 
oder ein geringes Verändern in der 
überrajchendften Weije; er fand ein Nit« 
gebilde, das vom Stamme entfernt, täu— 
ihend einem Eletternden Affen glich, und 
ein anderes, das jeinem Hermann als 
Stedenpferd dient; ober dem Hüttenein- 
gange prangt ein gebleichtes Geäfte, das 
einem Geweihe täufchend ähnelt, und auf 
den Ausfichtsplage nächſt der Hütte gibt 
fihb ein Banumknorren, jo wie er ge 
wachſen, al3 Fautenil. Seine merfwür- 
dige Fertigkeit im Schnigen, welche ihn 
am Beginne feiner Laufbahn ſchwanken 
lieh, ob er nicht Bildhauer werden jolle, 
übt er während jeines Aufenthaltes am 
Plane noch immer an verjchiedenen Ge— 
genftänden und der Heine Hermann wird 
von feinem Kameraden, dem Hirtenbuben, 
in einem Wägelchen berumgefahren, das 
der Vater mit böchfteigener Künftlerhand 
verfertigt bat. 2 

Wenn dann im September füblere 
Tage und länger andauernder Regen 
den Herbſt andeuten oder gar ſchon ein 
ibarfer Reif als Vorbote des Winters 
die Alpenmatten zu bräunen beginnt, 
dann wird's auch auf der Höhe des 
Plan wieder einfam und ftill, denn der 
Meifter bat wieder fein bebagliches 
Münchener Heim aufgefucht, 

Möge er noch viele Sommer wieder» 
fehren und immer neugeftäblt zu neuem 
Schaffen von dannen ziehen ! 


Joſef Rabl. 


__ 474 


Bie Aclpler. 
Gediht von Paul Peuker. 


Die Berge ebnen fi, wo Städte ragen, 

Und jchnurgerade geht der Zug der Straßen; 
Was frumm und büglicht ift, wird abgetragen, 
Die Menschheit ſelbſt wird flah nah allen Maßen. 


Da fteht ein Damm aus Fels und grünen Lehnen, 
Belrönt mit jchimmernd blanten Eiszieraten, 

Ein Grenzwall allen Nivellierungsplänen, 

Ein Riegel den modernen Ausgleihsthaten. 


In Thälern, wintlicht, ſchief und engveräftet, 
Von weißen Gletjherarmen rings umſchlungen, 
Hat hinter ihm bewahrt ſich und gefeitet 

Der Väter Art vor manden Neuerungen. 


MWie dort gezogen ift die Welt in's Schiefe, 

Iſt wohl verſchroben manchmal Welplermeije; 
Doch blinft ein heller Stern in ihrer Tiefe, 

Den Weihraud gleih im Bau der Waldameije, 


So wie der Hochwald ſchaurig ift und duntel, 
Wenn aus der Ferne man ihn fremd betrachtet, 
Und doch in ihm der Sonne Glanzgefunfel 
Die Zweige all’ mit goldner Laft befrachtet, 


Und wie der Bergſee jhredt im Felſendüſter, 
Obgleih Seerojen jeinem Grund entiproffen, 
Obgleih im Wellenjpiel und Scilfgeflititer 

Ein anmuihvoller Reiz ift ausgegofien, 


So ftöht des Nelplers rauhe Außenweiſe 
Den ab, dem hohle Formen nur behagen, 
Den aus der Gtilette glattem Kreiſe 

Scheu in’3 Gebirge feine Schritte tragen. 


Doch wenn er fühlt des waderen Volles Plage, 
Mitfeiert feiner Feſte Freudenreigen, 

Dem hellen Jubel lauft und trüber Klage, 
Dann wird im Liebe er zum Volk ſich neigen. 


Ein friiher Zug gebt dur der Aelpler Treiben, 
Gin Hau, als käm' er von den weißen Firmen, 
Von den die Herzen ftar und feft verbleiben, 
Die Augen heil und unbewölft die Stirnen. 


Abendgana. 


Träumend zieh’ ich hin den Pfad, 

Herz und Sinn jo rege, 

Finfam und fein Störer naht. — 
Still find meine Wege. 


Grükend nun die Sonne jchied, 

Vöglein im Gehege 

Singt ein weihes Schlummerlied, — 
Still find meine Wege. 


Und ich bin jo frob, beglüdt, 
Keinen Grol ich hege, 
Bin der Noth, den Leid entrüdt. — 
Still find meine Wege. 
Äropold Hörmann. 


475 


Ein Paar Stiefeln. 
Gin Geſchichtlein 


An unjerer 


vom Grazer Fethenmarkt. 


Ariftolratie fann man 
im Allgemeinen nit gar viel Freude 
haben. Es fehlt ihr manchmal der Adel. 
Rühmliche Ausnahmen gibt es, und ber 
jonder8 bei uns in den Alpen zum 
Glücke recht viele. Aber ſonſt und be- 
ſonders der ariftofratiihen Nugend man- 
gelt der Adel der Gefinnung. Ihr Erites 
und Lehtes iſt der Sport, jei es der 
des Jagens, Reitens und Rennens, des 
Schwimmens, des Spieles, der Liebe, 
fie macht aus Allem einen Sport. Sie 
nimmt die Welt nicht ernit und fie 
muß es leiden, wenn auch fie von der 
Welt nicht ernit genommen wird, jo 
lange fie nicht in Amt oder Rang oder 
aus rein perjönlihem Triebe etwas für 
das Gemeinwohl leiſtet. 

Leiſtet aber der Ariſtokrat etwas 
für die Menſchen, dann iſt man ihm 
weit danfbarer, als anderen Leuten von 
Berdieuft, man jchlägt es ihm höher an, 
man freut fich, daß bei ihm fich der 
Mdel des Herzens mit dem der Geburt 
det. Gegen den Adel ift nicht das min- 
deite Borurtbeil da, jelbit in jenen 
Schichten nicht, die vom Adel Jahrhun— 
derte lang gefmechtet worden find. a, 
man bat die angeborne Kriecherei noch 
nicht abgelegt. Wem ein bürgerlicher 
Nimrod dem Bauer das Korn im die 
Erde jtampft, jo wird der Bauer jcharf 
aufbegehren, wenn's ein gräflicher thut, 
jo wird der Bauer jeinen Bückling 
machen. Dem Wriftofraten find alle 
Wege offen, jowohl zum Herzen des 
Volkes, als auch zu den höchiten Stellen 
des Meiches, jobald er nur einen leid» 
lich hellen Kopf umd ein warmes Herz zeigt. 

Ih erzähle bier ein einfaches Ger 
ſchichtchen, welch edle Ausnahmen unſer 
Adel noch bietet und wie mancher Ariſto— 
frat die Zuneigung wohl verdient, die 
das Volk jeinem Stande darzubringen 
pflegt. 

Im letztvergangenen Jahre war's, 
auf dem Grazer Fetzenmarkt. Stand ein 
Bäuerlein mitten in einem Wuſt von 


alten Käſten, Töpfen, Pfannen, Büchern, 
Nöden, Stiefeln, Bildern, Pelzen, roiti- 
gem Eijengerümpel u. j. w. Stand da, 
begudte und betajtete ein mausfarbiges 
Paar Stiefel, jhüttelte dabei den Kopf, 
pfiff abgerifjene Töne eines Liedels, zog 
dann einen zerichliffenen Geldbeutel aus 
der Hoſentaſche, bejichtigte und zählte 
deilen Inhalt und brummte. 

„Neunundfiebzig lumpige Kreuzer,“ 
brummte das PBäuerlein in den Geld» 
beutel hinein, „dafür friegt Einer jein 
Lebtag fein Paar Stiefeln, und fie möch— 
ten noch maufiger jein als dieſe da. 
Neunundfiebzig Kreuzer! Den Enterln 
daheim, denen hab’ ih eine Semmel 
verfprocden. Die Alte will eine Gicht- 
falben haben. Berdammte Gicht! Thut 
jo web und foftet noch Geld. Ein Glaſel 
Wein will Einer doch auch trinfen, un— 
terwegs beim. Pier Gulden, jagt der 
Herr Stramer. Vier Gulden, jagt er. 
Gh mit thener, wenns Ochſenleder iſt. 
Neunundfiebzig Kreuzer! Da heißt's 
Urlaub nehmen von den Stiefeln. 's iſt 
halt ein Kreuz auf der Welt,” 

Und wie der alte Bauer jo vor 
ſich binfimuliert und dabei manch’ einen 
Bid anf jein zerfahrenes Schuhwert 
und dann wieder auf die prädtigen 
Stiefelm wirft, legt ihm ein junger Herr 
der ihn von der Seite fchon eine Weile 
beobachtet bat, die Hand auf die Achſel 
und jagt: „Gefallen Euch die Stiefeln ? 
So verjuiht fie einmal, ob fie auch groß 
genug ſind.“ 

„Was hilft mir das?“ verjegt der 
Bauer. 

„Berjucht fie, Alter! Vielleicht find 
fie zu klein, dann braucht Ihr Euch 
fein schweres Herz darob zu machen.“ 

Na, da bat er Net, denft fich der 
Bauer und zog einen der Stiefel an. 

„Sit nichts,“ rief er, „das Herz 
bleibt jchwer. Das Leder taugt.” 

„Sp ſteckt Euch auch den andern 
an,“ rieth der junge Mann und jchaute 
freundlich drein. 

Jetzt war's aber ganz vertradt! 
Das Leder des zweien Stiefels taugte 
auch und das Herz wurde noch jehwerer. 


Der Bauer trittelte ein paar Mal bin 
und ber, that einen Pfiff und rief: 
„Das wär eine Paſſion! Wie hinauf- 
gewachſen find fie!” Als er hierauf An— 
ftalten trifft, um fich der guten Dinge 
wieder zu entledigen, jagt der Krämer, 
er jolle die Stiefeln nur an den Füßen 
laflen, wenn fie ſchon jo gut binaufge- 
wachſen wären. Sie wären auc bereits 
bezahlt. 

Jetzt ſchaut das Bänerlein um fich, 
der junge freundliche Herr jteht nicht 
mehr da. Der bat, wie der Krämer nun 
geitand, die Stiefeln bezahlt und, wie 
der Bauer nun ſah, fich eilig davonge— 
madt. Der Bauer ift jchier erjihroden. 
Er hat wohl gehört, dak man fich vor 
den „Herren“ in Acht nehmen müſſe, 
weil fie dem Bauern gern den Rod 
ausziehen; daß fie ihm aber Stiefeln 
anziehen, davon war nie eine Rede ge 
wejen. Nun, da die Füße verjorgt waren, 
jerbrad er fich den Hopf. „Wer denn 
diefer Herr geweſen jein muß!” knurrte 
er ein um's andere Mal. 

„Möctet Ihr es gern 
fragte ihn der Krämer. 

„Wiſſen will ich's!“ rief der Bauer, 
„und ich geh’ nit eher vom led.” 

„So will ih es Euch jagen, Den 
Namen werdet ihr fennen, der ift feinem 
Steirer unbelannt.” So der Krämer und 
nannte ihm den jungen Mann, der für 
den Bauer das Paar Stiefeln gekauft 
hatte. 

Jet war der Bauer noch mehr er» 
ihroden. Plöglich aber jtrampite er den 
Fuß auf's Pflafter und ſagte: „Ich geb’ 
bin zu ihm. Und jehen muß ich ihn und 
die Hand füllen, dem lieben guten Herrn, 
und das thu' ich!” 

Eilig band er jein altes jtaubiges 
Schuhwerk zujanımen, hieng e3 an jeinem 
Rüden in den Hofenbalter, wo es nun 
bei jedem Schritte emfig bin und her 
baumelte. So gieng er über die Mur- 
brüde und durch die innere Stadt und 
über den Hauptplak, ſchaute noch leuch- 
tenden Auges auf das Erzherzog Johann. 
Denkmal bin, gieng dann über den 
Stadtpark hinweg die Richtung, als ob 


willen 2" 


——— —— —— —— — — — — — — — — — — —— ———— —— —— — — — 


eis, 


er auf der alten Straße nab St. Leon— 
hart hinaus wollte. Bog aber bald — 
weil er fich jeinen Weg genau hatte be- 
ihreiben laſſen — links ein im einen 
Baumgarten, in welchem ein ftattliches 
Schloß fteht. Er hätte in feinem Leben 
nicht gedacht, dab er jo viel Curaſch 
aufbräcte, aber die Stabdtitiefeln, die er 
an hatte — das gab ihm gleih ein 
frifcheres Auftreten. Stadiftiefeln find 
nämlich allemal fed, auch wenn fie nicht 
bezahlt find von dem Träger. So trat 
der Bauer bin vor den Pförtner und 
fragte, ob der junge Herr Graf daheim 
wäre, 

Was er bei ihm wolle? war die 
Gegenfrage. 

„Bedanfen muß ich mich, er hat 
mir meine Stiefeln bezahlt. Das kann 
ih aber doch mit verlangen und wär’ 
eine rechte Grobheit, und die neunund— 
fiebzig Kreuzer, die ich habe, die gebe 
ih ihm gerne und die muß er wohl 
annehmen.“ 


„Die wird der Herr Graf wohl 
nicht annehmen,“ lachte der Piörtner, 

„Wär ein Unfinn!" rief der 
Bauer, 

„Beruhigt Euch, Better, und gebt 
Eurer Wege. Der Herr Graf wird's 
gern gethan haben und es freut ihn 
gewiß, dak Euch die Beihuhung jo wohl 
befonmt. Behüt' Euch Gott.” So der 
Pförtner. 

„Und mit einmal bineinlaffen thut 
Er mid!“ begehrte der Bauer auf, 
„und nit einmal bedanfen kann ich mich ? 
Das wär’ doch eine rechte Grobheit.“ 


„Er nimmt den Willen für's Werk. 
Gehabt Euch wohl, Alter!“ 

Kopfihüttelnd und ſäumig gieng der 
Bauer davon. Am Gartentbor aber 
fehrte er noch einmal um, eilte dem 
Pörtner zu, faßte ihn am Arm md 
flüfterte: „Das laſſ' ich ihm jagen: 
Beten will ih für ihn! Die Stiefeln, 
die thun mich ſackeriſch g’freuen. * 

Dann haftete er dahin, heimwärts, 
den Kindern und Enteln zu, um ihnen 
fein Glück zu verkünden. 


Diefes Gejchichtlein babe ih von 
vertrauenswürdiger Seite vernommen, 
Und wer dahinter jtedt, das ift für jeden 
Steirer leicht zu errathen. R. 


Ber pfiffige Räthfellöfer. 


(Eine Geihichte, wie man fie ih in Schwa— 
ben erzählt.) 

Ein Preuße und ein Schwabe reisten 
zujammen an einem heißen Sommertage ; 
müde jegten fie fich unter einen jchatti- 
gen Baum am Wege nieder. Nachdem 
der Preuße fih in allerlei Schwänfen 
über den Schwaben luftig gemadt hatte 
und eben eine Heine Pauſe eingetreten 
war, meinte der gutberzige Schwabe: 

„Jetzt will i au mol ebbes jage, i 
will Dir emol e Räthſel ufgebe; no 
will i jebe, ob Du's ausbringit.“ 

Der Preuße meinte: 

„Nur ber damit, im Räthſel-Auf— 
löjen babe ih jo wie fo eine große 
Force.“ 

Nun fing der biedere Schwabe an: 

„Sag mir emol, was iſt das: Es 
fangt mit A an, i haus und Du 
bojcht’3, aber e3 giebt au Leut, wos 
net hent?“ 

Nahdem der Preuße fih lang ge 
nug beſonnen hatte, meinte der Schwabe: 

„J ſeh ſchau, Du woiſcht's net, no 
muß i Dir's halt gan ſage, des ſend: 
A Paar Stiefel, No will i Dir 
aber no emal ebbes uſgebe, wenn Du 
aber das net woiſcht, no biſcht e dom— 
mer großmauliger Kerle. Was 
des? Es fange mit 3 an, i hau's, 
Du hoſcht's aber net und no viel Leut 
hent's au net?” 

Nah langem, vergeblihen Warten 
meinte der Schwabe: 


„Nicks woiſcht Du, des ſeh i jchau, | 


Narr, das find zwoa Paar Stier 
tel. No will i Dir aber zum Leßte 
mol ebbes ufgebe, wenn Du das net 
rausbringft, no biſcht der, größte Ein- 
falt3pinjel, wo auf ‚der Gottes Erde 
Welt rum lauft, dem das iſcht ebbes 
ganz Leichts. Roth e mol: was ijcht das ? 


iſcht 


's iſcht außen blau und innen gelb und 
in der Mitt hots en Stoi?“ — 

„Ha,“ rief der pfiffige Preuße, 
„diesmal friegit mich mich, das find 
drei Paar Stiefel!“ 


Das Ihränenkrüglein. 
Eine Volksjage. 


Der Mutter war ihr einzig Sind, 
Ihr Töchterlein geftorben. 

Sie weinte fi darob fait blind, 
Wär’ jelber bald verborben. 


Als nachts fie einft im Bette ſaß 
Und weinte zum Erbarmen, 

Erſchien ihr Kind, fo fahl, jo blak — 
Ein Krüglein in den Armen. 


Die Mutter jah's, ihr war jo bang, 
Zu Muthe ihr gar ſchaurig. 

Sie jah ihr Kindlein an jo lang: 
Wie war es dod jo traurig! 


„Mein Kind!“ entrang ſich's ihrem Mund, 
„Mein Kind, was ift Dein Wille?“ 

Da ſchlug die Uhr die zwölfte Stund”, 
Dann herrſchte Todtenftille. 


„D Mutter!“ rief das Kind jest hohl, 
Es Hang wie aus dent Grabe, 

„D Mutter!“ ſprach es wehmuthsvoll, 
„Weißt Du, was ich hier habe? — 


Sieh, hier in diefem Krüglein find 
Die Thränen drin, die Deinen, 

Und die fing auf Dein armes Sind: 
Drum, Mutter, mußt nicht weinen! 


Und liebteft Du Dein Kind jo jehr, 
Mußt mir die Laſt nicht mehren; 
Das Thränenfrüglein ift jo ſchwer, 
O wehre Deinen Zähren! 


! 

! 

Und riß der Tod uns voneinapd, 

Er wird ung wieder einen!* 

Das Kindlein ſprach es und verſchwand -- 
Die Mutter ließ das Weinen. 

A. F. 


— 


Bücher. 


Die Rinder von Wohldorf. Bon Fer: 
dinand Avenarius, (Dresden. Berlag 
von 23. Ehlermann, 1887.) Es ift ein Zei— 
hen der Zeit, daß Diejenigen, welche da 
am meiften über eine Verflahung der Dicht: 
kunſt unjerer Tage lagen, ſelbſt keine her: 


473 


vorragenden Leiftungen aufweijen. Der wahr: 
hafte Dichter fommt ftill und beſcheiden und 
legt jeine Gabe ohne Großſprecherei auf den 
Büchertiſch. (Nulla regula sine exceptione 
— doch als Ausnahme laffen wir nur das 
Kraftgenie gelten.) Ein folder wahrhafter 
Poet ift Ferdinand Avenariuß — er 
hat es dur jein Bub „Wandern und 
Werden’ bewiefen. Heute erfreut er uns 
mit dem Sang „Die Kinder von Wohl: 
dorf," dem man einen herrliden Grund: 
gedanken, tiefe Innerlichleit und gewandien 
dichterifchen Ausdrud wohl nahrühmen darf. 


Konnte der Dichter etwas Würdigeres be: 


fingen als die Madt der Menichenliebe ? 


Aus der Wahl des Stoffes jelbft ſchon leuchtet 


ein reiches Genüith hervor. Unbekannt jedod) 


bleibt das Leid, an dem der arme Spiele | 


mann krankt und an dem er als Selbft- 
mörder zu Grunde geht. Der Dichter gibt 
aljo ein Räthſel auf, die Lölung dem Scharf: 
finne des Lejers überlafiend. Und eben das 
iheint uns ein Fehler der Gompofition, dak 
die Löjung gewiffermaßen außerhalb der 
Dihtung liegt, wodurd der Eindrud, den 
ein volllommenes Kunstwerk auf uns machen 
foll, verfümmert wird. Oder — verjtehen 
wir den Dichter recht? — haben wir es mit 
einer Ullegorieder Menichenliebe zu thun, 
die wie ein Phönir nie völlig ftirbt? Denn 
am Grabe des Selbſtmörders noch reift die 
Frucht feiner Saat, die Menſchenliebe. Wenn 
wir ein nüchternes Fragezeichen in das zarte 
Gewebe der Dichtung werfen — der Dichter 
bat es jelbft verjchuldet. —tt— 





Die Leute aus der Lindenhütte. Nieder: 
ſächſiſche Walddorfgeihichten von Heinrich 
Sohnrey. Hülle und Schleſt. (Bernburg 
und Leipzig, 9. Bacmeifter). Gin gutes 
Vollsbuh, deſſen Lectüre veredelnd wirkt 





| Eine Wohlthat. Vollsdrama in vier 
Acten von Ferdinandvon Saar. (Hei: 
| delberg, Georg Weiß). Der ſceniſche Auf: 
bau ift wohlgelungen, die Charakterzeihnug 
eine fihere, die Sprache dem Vollstone rich: 
tig nadhgebildet — aber die Wirkung ift 
nicht die eines tragiihen Kunſtwerkes, fie 
reinigt nicht die Affecte, fie peinigt nur das 
Gemüth des Zuſchauers. —lt 





Heimat oder Siliſtria. Schaufpiel in vier 
Acen von Kemal Bey. Aus dem Tür: 
fiichen überjegt von Leopold Pekotſch. 
(Wien, C. Konegen.) Diejes Schaufpiel ward 
in Konftantinopel nur einmal aufgeführt. 
Mit dem Rufe: „Es lebe der Sultan!” 
Ihliekt das Stüd, die Zujchauer aber riefen: 
„Hoch Kemal!“ Es jcheint, daß diefer Vor: 
fall hohen Ortes übel vermerft wurde, denn 
das zweile Mal wurde das Stüd begonnen 
aber nicht zu Ende geipielt; Kemal wurde 
aus feiner Loge ſachte hervorgeholt und — 
als Gouverneur nad Gallipoli eriliert. — 
Und in der That, dieſes Stüd muß auf 
die Jujcher mit elementarer Gewalt wirfen 
— es ift das hohe Lied der Vaterlandsliebe, 
die den Dichter mit hehrer, echter Begeiſte— 
rung erfüllt, Dabei ift das Schaujpiel durd: 
‚aus bühnengerecht und die Hebertragung in 
das Deutiche recht gelungen, jo daß aud 
auf einer deutſchen Bühne eine gute Wir: 
fung zu erwarten flünde. — tt — 





Deutſche Syriker feit 1850. Mit einer 
literar:hiftoriichen Einleitung und biogra- 
| phifchefritifchen Notizen. Herausgegeben von 
Dr. Emil Kneſchke. 6. Auflage, Leipzig. 
Th. Knaus. 1886. 

Von Kneſchke's „Deutiche Lyriker” ift 


— was läßt ſich Beſſeres jagen? Die Cha ſoeben die jechste Auflage erfhienen. Eine 
rafterzeihnung ift freilich nicht jo ftranım, | fleißig und verftändnisvoll zufammengeftellte 
wie bei den Mufterfriftftellern der No: Sammlung bietet fie dent Leſer, und zwar 


velle, denen der junge Autor offenbar 
nachſtrebt. Dod finden wir gute Anläufe 
zum richtigen Erfaflen des Vollscharakters 
und des Volkstones. Sein gejunder Sinn 
wird den Verfafler wohl davor bewahren, 
bei der rührjeligen Schilderung der alltäg: 
lichen Lebensmiſére allzu lange dort zu ver: 
weilen, wo einige jharfe Stride zur Cha: 
rafteriftif der Menjchen und Situationen hin: 
reihen — anjonft hätten wir plöglih durd 
Degradation des rührjeligen idealiftiichen 
Nomans einen larmoyanten Roman der 
Plebs. Daß am Ende das Later beitraft, 
die Tugend belohnt wird und Alles eitel 
Mohlgefallen athmet, ift gewik nur löblich 
und jomit fönnen wir das Bud mit gutem 
Gewiffen den „großen und Heinen Leuten“ 
empfehlen. —tt— 


durdaus nicht zum Nachtheile derjelben viel: 
fad) Namen, welde wir in anderen derar— 
tigen Büchern vermiffen. Hingegen muß es 
befrendend erjcheinen, daß eine Anzahl wirf: 
lid bedeutender Namen aus der zweiten 
Hälfte diefes Jahrhundertes in dem Buche 
nicht vertreten erjcheinen, Eine Rückſichtnah— 
me auf diejen Unftand bei weiteren Auflagen 
würde dem Buche gewik zum Vortheile ges 
reichen. Guſt. Andr. Reſſel. 


Chronologiſch-Uberſichtliche Darſtellung 
der zehn widtigften Epochen der Weltgeſchichte 
feit den Kreuzzügen von 3. Rokos. (Preß— 
burg, G. Hedenaft3 Nadfolger: R. Drottleff.) 

Diejes Handbud führt dem Publikum 
alle jene Begebenheiten der Weltgejchichte im 


einer zufammenhängenden Erzählung vor 
Augen, für welche es fi in Folge der bild: 
lien Darftellungen, der Vorführungen in 
der Dichtung und auf der Bühne intereifiert, 
ohne jedod den eigentliden Zufammenhang 
diejer Darftellungen mit der Weltgeſchichte 
und der Zeit, in melde dieje Ereignifie 
fallen, näher zu kennen. 


Bibliothek der geſammten NUalurwiſſen— 
ſchaflen unter Mitwirkung hervorragender 
Fachmänner herausgegeben von Dr. Otto 
Dammer. Lieferung 2. (Otto Weijert 
Stuttgart.) 

Die zweite Lieferung bringt ihrem haupt: 
jählichften Inhalt nach eines der wichtigften 
Gapitel aus der Phyfiologie des Menichen, 
„die Phyſiologie des Blutes, des Herzens 
und des Blutfreislaufes.* Daß die enthal: 
tenen Abbildungen den Tert auf das wirt: 
ſamſte unterftüten, bedarf feiner befonderen 
Erwähnung. V. 


Unter den literariſchen Weihnachtskata— 
logen, die jedes Jahr erſcheinen, nahm der 
von der Verlagsbuchhandlung F. A. Brock— 
haus in Leipzig ausgegebene „Jullſtrierte 
Katalog‘ ausgewählter Werle ihres Verlags 
ſowohl jeines Inhalts als feiner typogra= 
phiſchen und artiftiichen Ausftattung halber 
eine hervorragende Stelle ein. Derjelbe 
war in neuer, bis auf die jüngfte Gegen: 
wart vervollftändigter Ausgabe erichienen 
und führt auf 64 Seiten Großoctav gegen 
500 Werle aus den verjchiedenften Litera— 
turgebieten vor; zahlreiche vortreffliche Ab— 
bildungen find als Proben aus den illus 
ftrierten Werten abgedrudt. % 


— — — — — — — —— — —— — ——— — 





Londinismen — Slang und Cant — 
alphabetiſch geordnete Sammlung der eigen⸗ 
artigen Ausdrucksweiſen der Londoner Bolts: 
ſprache, jowie der üblichften Gauner-, Ma: 
trojene, Sport: und Zucht-Ausdrücke mit 
einer gefchichtlichen Einleitung und Mufter: | 
ftüden. Ein Supplement zu allen engliſch 
deutjchen Wörterbühern von Heinr. Baus | 
mann. Diejes im Verlage von Langenjdeidt 
in Berlin erfchienene Wert ift nad der Me: 
thode Toufjaint: Langeniheidt verfaßt und 
für jeden Philologen, dem es nicht nur um 
eine Kenntnis der engliſchen Schriftiprade, 
fondern um ein tieferes Eindringen in den 
Geift diefer Sprache jelbft zu thun ift, faft 
unentbehrlich. —tt— 


Dem Heimgarten ferner zugegangen: 


. Geflerreih-ingarn im neunzehnlen Jahr: 
hundert.. 


19 


aller wichtigen Vorfälle in der Geſchichte, 
Wiffenihaft, Kunft, Induftrie und dem 
Volksleben geihildert von Moriz Ber: 
mann. Mit circa 200 IMuftrationen und 
8 Vollbildern in Farbendruck. (Wien. Gil: 
bert Anger.) 

Die Habsburgerfiftung Kifterzienfter-Abtei 
Neuberg in Steiermarf. Ihre Geſchichte und 
ihre Denfmale von Dr. F. S. Pidler. 
(Wien.) 

Die Riegersburg in Steiermark von Dr. 
8 S. Pichler. (Wien. Rudolf Brjezowsty 
& Söhne.) . 

Adalbert Stifter, Ein Bild des Dichters 
von Immanuel Weitbredt. (Leipzig. 
Antelang.) 

Aias. Tragödie in zwei Aufzügen. Nah 
Eopholles frei bearbeitet von Fritz Pich— 
ler. (Wien. St. Hof: und Staatsdruderei 
1887.) 

Das Bärgli Hus Vrenedi. Eine Erzählung 
aus dem Schweizerlande von E. von Brei: 
denbad, (Berlin. Wilhelm Friedrich Nad: 
folger. 1886 ) 

Brokenieufel, Ein Harzlied von Wil: 
beim Röſeler. (Berlin, Freund und edel. 
1886.) 

Aus dem geifigen Leben des Egerlandes. 
Ein Meberblid über die neueſte Literatur 
desjelben von Alois John. (Eger. Selbit: 
verlag des Autors 1887.) 

Appenzeller Kalender 1887 166. Jahr: 
gang. (Trogen. Schläpfers Verlag.) 

„Wegewart.* Gedichte von Hermann 
Yahn. (Meinhard's Berlagshandlung, Beer— 
felden.) 

Ein Stünddhen im Gymnafium. Schwan 
in einem Act von Ferdinand Linzer. 
(Linz. Drud Joſ. Wimmer. 1886). 

In den Alpen. Originalihwanf in einem 
Act von Ferdinand Linzer. (Linz. Drud 
Yoj. Wimmer. 1886) (das Bühnenauffüh: 
rungsrecht dieſer Stüde fann erworben wer: 
den bei Dr. Ferd. Kradomwiger in Linz an 
der Donau.) 

Die Rinderlaube. Ylluftrierte Monats: 
hefte für die Jugend. NRedaction Th. Sch ä— 
fer. (E. C. Meinhold & Söhne in Dresden). 

Deutfche Pol. Illuſtrierte en. 
Ihrift. Herausgegeben von E. Frei: 
berrn von Grotthuß. (Bein). 


Schneiders Kypenallas. Naturwiſſenſchaft— 
lich: geographijer Handatlas für Schule 
und Haus. Unter fünjtlerijher Mitwirkung 
von W. Claudius, H. Leutemann, E. 
Miüpgel und E. F. Seidel, Dritte ver: 
mehrte und verbefjerte Auflage. (Dresden. 
GE. E. Meinhold & Söhne). 

Frauenberuf, Zeitichrift für die Inter: 
efjien der gebildeten Frauenwelt, Verlag von 


Mit bejonderer Berückſichtigung Herm. Weißbach in Weimar. 


480 


Das Sandflurmgeleh. Populäre Darftel: 
lung aller Beftimmungen und Bollzugsvor: 
ichriften des Landfturmgefeges und feiner 
Wirkungen auf alle Kreife und Verhältniſſe 
der Bevöllerung. Bon Robert Stern. 
(Wien. 9. Hartleben.) 


Poftkarten des Heimgarten. 


xXxX 68 wird angelegentlichft erſucht, 
Manujeripte erft nad vorheriger Anfrage 
einzufenden. Für unverlangt eingejdidte 
Manufcripte bürgen wir nit. Externe Ar: 
beiten honoriert die Verlagshandlung nidt. 


m. 3. A., Billa: den Ultramontanen 
ift die heutige Strömung ja nit ungün: 
ftig. „Der heitere Liberalismus lodte gar 
Manden aus der fatholiihen Kirche, der 
ride Nationalismus ſcheucht ihn wieder 
zurück.“ 


M. F., Imnsbruch: Sie mülſen die 
Menſur nicht jo tragiſch auffaſſen. Dieſelbe 
iſt nichts weiter, als ein wohlthätiger Ader— 
laß für vollblütige Jungen. Das überflüffige 
Blut, nicht abgezapft, würde in ſo einem 
Bürſchchen allerhand Unheil anftiften. 

®., Stultgart: Eine Zeitung für Knaben 
wollen Sie herausgeben ? Hierin haben Sie 
unjern Beifall nit. Das Zeitunglejen ſchä— 
digt die Literatur zu jehr, als daß wir 
felbes aud der Jugend ſyſtematiſch ange: 
wöhnen wollten. Und es jhädigt aud die 
Jugend, weil — jelbft im beften Falle — 
die Eigenjchaften einer Zeitung, das Seidhte 
und Abgeriffene, die Oberflählichleit und 
Geſchwätzigkeit auf die jungen Leſer übergeht. 
Unjere nervoſen Stadtlinder follten außer 


Bute Jugendzeitungen werden gute Jugend: 
bücher nicht erjeten, 

AU. M., Breslau: Bon allen ethiſchen 
und wirtichaftliden Beftrebungen der heu— 
tigen Zeit ift die des Vegetarismus gewik 
eine der unterftügungswerteften. Achten Sie 
feinen Spott; die Welt fpottet nur dort, 
wo fie im Ernfte feinen triftigen Ein: 
wand hat. 

Dr. E. M., Tauchau: Sie wollen fih an 
dem allaugroßen Richard : Wagner : Eultus 
dadurch räden, dak Sie den Meifter mit 
Haut und Haar verdammen? Iſt es denn 
gar jo ſchwer, die goldene Mitte zu finden? 
Wir lehnen den zwar geiftreihen, aber ge: 
wiß ungeredten Aufjat ab. 

A. 3. Eifenerz: Sind jelbft Jägerianer 
und fönnen Ihnen von der Vortheilhaftig: 
feit diefer Belleidung die beften Beweiſe 
liefern. 

Pr. v. H. A. Braunfdweig: Ihre Hoff: 
nung, dab es gelingen werde, die deutjche 
Mythologie wieder als BolfSreligion ein: 
zuführen, jcheint uns dod etwas zu — ge: 
wagt. Das Chriſtenthum ift auch für uns 
Deutſche noch gut genug. 

a. 8. in 8. Danten beftens, find auf 
lange Zeit verjorgt. 

©. 3. A., Gras: Empfehlen für Ihren 
Standpuntt die „Deutſche Woden: 
ſchrift.“ (Herausgegeben von Dr. E.Ruj: 
jel und Dr. 8. Neijjer, Wien.) Dieje 
Zeitſchrift behandelt die jocialen, politifchen 
und idealen Fragen der Deutichen im Reiche, 
jo wie in fremden Staaten und in den 
Golonien. Das Blatt ift maßvoll, gut unter: 
richtet und durchaus ehrlich; es ſteht auf 


| höherer Stufe, als der einer Tagespartei. 


ihren Schulbüchern gar nichts lefen, jondern Zudem bringt es viel Unterhaltendes in ed— 


ſich wacker herumtummeln und ihren Körper | lerem Stile. 


Das Blatt gehört zu dem 


üben, das wäre das Befte. Wenn fie aber | Beiten der journaliftiichen Literatur, es hat 
ichon lejen, jo lieber Bücher, als Zeitungen. auch einen literariihen Wert. 


Für die Nedaction verantwortlid P. A. Mofegger. — Druderei „Leylam" in Graz. 





April 


—b nn - 










X1. Jahrg. 


Iakob der Pebte. 


Eine Waldbauerngeihichte aus unferen Tagen von P. R. Roſegger. 
(Fortjegung.) 


Sorgenlaft und Iugendluf. 
183, a5 war eine ftürmilche Monde 
— 
eu nacht. 

Jakob Steinreuter, der Reuthof— 
bauer, gieng von Sandeben her gegen 
fein Haus in Altenmoos. Er gieng 
über die Waldhöhen dei teilen fteinigen 
Fußlteig, den die Altenmooſer vor 
Zeiten gewandelt, als der Fahrweg 
unten an der Sandach noch nicht an— 
gelegt war. So wie diefer Fahrweg 
damals nicht gewelen, fo ift er nun 
wieder nicht, die wilden Waller haben 
ihn zerftört, und lange Streden, wo 
früher die Räder der Holz-, Kohlen- 
und Steirerwagen gegangen, rinnt 
jeßt die Sandach. Lange hatten ich 
die wenigen Angeſeſſenen, die in Alten= 
moos zurüdgeblieben waren, tapfer ge= 
wehrt gegen das Waller und den Fahr: 
weg mit Schugbauten vertheidigt. Dann 


Rofegger's „„Grimgarten‘‘ 7. Heft, XL, 






mußten fie mit ihrem Weg au die 
Lehnen hinauf, neue Brüden legen und 
Geländer ſchlagen. Dod, wie das 
Waller von unten drohte und grub, 
jo feindlich that der Berg von oben, 
warf Lawinen herab und vernichtete 
den Weg. 

Daher war der Jakob heute bei dem 
Berwalterder ſtampelherr'ſchen Beſitzun— 
gen geweſen — denn der größte Theil von 
Altenmoos gehörte nunmehr dem Kam— 
pelherrn — und hatte gebeten um Bei— 
teuer von Holzftämmen und Arbeits— 
kraft für den Weg. Da war er aber 
arg angelommen. Wieſo käme die Herr— 
Schaft dazu, diefen Weg herzuftellen ? 
fie brauche feinen Weg. Die Alten 
moojer Bauern follten fich ihren Weg 
jelber halten. — Uber — hatte der 
Jakob bejcheiden eingewendet — einen 
Gemeindeweg in gutem Zuftande zu 
halten, ſei die ganze Gemeinde ver— 

31 


482 





drang. Dann wieder war es plößlich 
die Mehrzahl der Altenmoojer Baus | heiterer Dimmel, bligartig blinfte das 
ernhöfe gelauft und fei fomit in alle) Licht, ſcharfe Schatten werfend, bis der 
Pflihten der Gemeinde getreten, die) Mond nenerdings hinter Wolfen flog. 
auf jedem einzelnen Hof lafteten. Man | Und jo war es bei diejen vom Winde 


pflihtet; nun babe aber der Herr 





hätte meinen follen, auf diefe verſtän- getriebenen Licht: und Scattenfpiel,- 


Dige Rede ſei nichts Schlagendes zu daß über Berg und Thal die milchi— 
entgegen gewefen. Dem war anders, |gen Tafeln flogen, und wo fie einen 
der Verwalter antwortete: Die Ge: | Fels trafen, oder ein reifes Stornäder- 


meindemitglieder jeien verpflichtet, Wege |lein, oder ein Waller, dort bligte es 


und Stege, Schule und Kirche u. ſ. w. |filberig auf, bis wieder die Nacht der 
in Stand zu halten, weil fie die Bor= |Molfen lag in der Sommernadt. 
theile diefer Dinge genößen; nun brauche Der Jakob flieg durch Lärchenan— 
aber der Kampelherr feinen Weg an wachs hinab; da war des Sandler- 
der Sandach, und wenn er ihn nad | Nachbarn beites Kornfeld gewejen. Der 
vierzig oder fünfzig Jahren, bis die alte Sandler ift längft gejtorben drau— 
Wälder jchlagbar feien, brauche, ſo ßen in der Fremde; feine Kinder find 
würde er ihn auch bauen, ohne fremde | verdorben. Vom Berge ber leuchtete 
Beiyilfe zu beanspruchen. So viel den | grell ein weißer Punft, das war die 
Altenmoofern zur Darnächachtung. Ofenmauer, die als letzter Ueberreſt 
Mit dieſem Beſcheid kehrte der vom Guldeiſunerhofe ſtehen geblieben. 
Jakob heim. Die Altenmooſer! Wie Dem Guldeiſner geht es freilich gut, 
viele waren ihrer demm noch? In draußen auf feinem Herrenſitz. Wo 
diefem Sommer jährt ſich's das zehnte- das Wegererhaus geftanden, lagen noch 
mal, feit der Guldeiſner fein großes einige modernde Zimmerbänme, Der 
Beſitzthum verkauft und die Anderen | Wegerer hatte fein Gut um Geringes 
mitgeriffen hatte. Won den einund- |verjchleudert und ſich damit getröftet, 
zwanzig Banern, die damals das Alten- es wäre ihm Halt jo aufgefeßt gewe— 
moos belebt und bewirtichaftet hatten, ſen. Seht war er im Sommer Alm— 
waren ihrer nur drei geblieben: der | halter, im Winter litt er Hunger. Er 
Hüttenmaufer, der Deifel, der auch that es ſeufzend, es ift ihm halt jo 
Ichon im Abrutfchen war, und der Reut- aufgeſetzt. — Endlich ftolperte der 
hofer. Außerdem war vom Steppenhof Jalob über einen mit Dollerbujch und 
noch eine Stube bewohnt, und in der | Brennefjeln bewucherten Steinhaufen. 
unfeltenfche, Jo wie im Hauſe auf) Da war des Nachbars Knatjchel Haus 
dem Not hHausten arme Familien, |geftanden. Aehnlich war es durch ganz 
deren Männer im Solde der Herr- Altenmoos. Junger Anwachs, wo Fels 
Schaft ftanden, deren Weiber und Kinder der und Wiejen geweſen, Steinhaufen 
in der Gegend umherbettelten, im Walde wo die Höfe geftanden. Der Jalob 
Beeren jammelten bei Tage, und auf| fehritt über einen großen Friedhof. 
den Aeckern der Bauern Erdäpfel und Als er zu feinem Haufe fan, war 
Korngarben ernteten bei Nacht. e3 ſchier Mitternacht. Der Kettenhund 
Als der Jakob nun auf die Hoch- bellte. An der Wand der Kammer, 
blöße kam, wo man in die Gräben des wo fein Töchterlein, die Angerl, ſchlief, 
Altenmoos Hinabfieht, ſtand er Itill. ſtand aufrecht ein ſchwarzer Schatten. 
Die Bäume raufchten, die Wolken flo= | Der Jakob ſchaute um ich, welcher 
gen in Feßen über die Baumwipfel | Baumftrunf denn diefen Schatten wer= 
bin und ftrichen oft an die Erde, fo fen fonnte. Aber dieſer Schatten ſcherte 
daß der Manderer im Nebel ftand, ſich um feinen Baumſtrunk, als der 
durch welchen der Vollmond gar nicht, | Jakob in die Nähe fam, huſchte er 
oder im Lichte einer halbblinden Scheibe "davon. — Es gibt nicht zu wenig, 











— 


es gibt am Ende noch zu viel Leute 
in Altenmoos, dachte ſich der Bauer, 
verriegelte die Thür und gieng zur Raſt. 
An nächſten Morgen früh trat der 
Bauer in die Kammer feiner Tochter. 
Die Angerl, eben im Begriffe, aufzus 
ftehen, zog raſch die blaue Dede bis 
an den Hals hinan, ftrich ſich die dich» 
ten Schwarzen Haarfträhne aus dem 
Geſicht und blidte den Vater mit ihren 
großen, hellen Augen befremdet an. 
„Bor mir braucht Du Dich nicht 


zu fürchten,“ fagte der Jakob, „ic 


will nur einmal ſehen, ob Du nicht 
Zugluft Haft, vom Fenfter Her; nichts 
ungejunder bei Nacht, wie Fenfterluft. 
Wir werden aber ein Gitter machen 
laſſen müſſen.“ 

„Die Zugluft geht auch durch das 
Gitter,“ lachte das Mädchen. 

„Das wohl, die Zugluft wohl, aber 
der Dieb nicht ...“ 

„Ih fürchte mich nicht,“ anwortete 
die Angerl. 

„'s ift nicht mehr fo, wie früher, 


der Jakob nicht ertragen; immer hatte 


er ihn mit einer raſchen Handbewe— 
gung verjchencht: dauert noch lang 
drauf, wer weiß, ob wir’s erleben. — 
Nun ftand aber die gefürchtete Zeit 
‚fnapp vor der Thür, und ſchon rief 
‚fie gleihfam: da bin ich, Neuthofer, 
Du erlebft mich! 

Biel muthiger Hatte die Bäuerin, 
die Maria, diefer Zeit entgegengejehen, 
‚denn e& war ihr unmöglich zu denken, 
daß ihr blonder Friedel je einmal im 
fremden Lande unter den Soldaten 
ftehen ſollte. Und das hatte fie ſich 
vorgenommen: wenn’s jo weit kommt, 
ich gehe zum Kaifer und kniee vor ihm 
nieder und ftehe nicht früher auf, als 
bis er mir den einzigen Sohn freige= 
geben hat. 

Dort, wo der Reußgrabenbach zur 
Sandach ftöht, in dem Altenleuthäufel 
des Grubbanernhofes war früher die 
Schule gewefen. Die Bauern Hatten 
dem Scullehrer — der lebte war in 
Ermanglung eines befjeren ein ausges 





zu Altenmoos,“ fagte der Vater, „vor |dienter Feldwebel — fein Geld ge= 
Zeiten, da hat man freilich kein Fen- geben, fondern ihn mit Lebensmit= 
itergitter gebraucht, und two doch eins teln verjorgt. Als hernach die Aus— 
geweien, da war es eher gegen das | wandererpeft eingeriffen, war der aus— 
Hinausfteigen, al3 gegen das Herein= gediente Feldwebel einer der erſten, 


ſteigen.“ 

Die ſchlaue Angerl that aber ſehr 
harmlos und ſagte: „Wenn ich im 
Stübel lieg’, wie fann denn wer was 
ftehlen ?* 

Der Jakob fagte nichts darauf; er 
bielt dafür, daß man in ſolchen Din— 
gen mit den jungen Leuten lieber zu 
wenig rede, als zu viel. Er hatte um 


feine zwei wohlgearteten Kinder manche 


heimliche Sorge. Das Mädel ift allzu— 
jauber geworden; er kann es Keinem 
verübeln, wenn es ihm gefällt. Und 
der Friedel, Schlank und friſch, wie der 
aufwächst! Der wächst fehnurgerade 
im des Kaiſers Rod hinein. Des Kai— 
jers Nod wäre feine Schande und das 
Heimatland muB feine Soldaten haben, 
dab es ſich wehren kann. Aber daß er 
fort muß — fo hölliſch weit im die 
fremde muß! — Den Sedanfen konnte 


geweſen, den fie hinweggerafft hatte. Er 
verdingte ſich in einem Eiſenwerk als 
Kohlenſchlepper. da gab es Geld. Zwar 
mußte er es für theuere Lebensmittel 
| wieder ausgeben, Jo dag ihm gar nichts 
‚übrig blieb, im Gegentheil, ex mauch— 
[mal noch geneigt gewejen wäre, Schul— 
bp zu machen, wenn er Credit ge= 
habt hätte. Aber nur Bargeld in die 
Hand kriegen und Bargeld ausgeben, 
Kleider nach der Mode tragen und 
Sonntags mit filbernen Uhrketten den 
Heren jpielen, für dieſen Krämer— 
ſpaß und Gedenflunfer opferten fie 
ihre Kraft, ja ihr Leben. Um die 
Altenmoofer Schule kümmerte fich Nies 
mand mehr. Die Bergbauern leijteten 
'zwar ihre Steuer auch für die Schule, 
aber um des Bauers Geld erbaut man 
‚in den Städten Schulpaläfte, Bilder» 
'gallereien, Komödienhänfer. In den 
81* 





484 


Gebirgen oft weit und breit feine Schule. | durch ein Stängleiu zur Hälfte aufs 
Dann gibt man dem Bauer die Schuld, | gejpreizt wurde. Diefe Spreize ruhte 
daß er roh und ungebildet ſei, und mit dem unteren Ende auf einem jehr 
jpottet feiner und bemachtheilt ihm. | leicht beweglichen Querbrettlein, wels 


Hilf Dir felbft, Bauer, wenn Du 
kannſt, fonft bift Du verlaſſen. 

Seht war der alte Pecholbrenner⸗ 
Natz herfürgegangen aus ſeinem Don— 
nergraben und hatte dargethan, daß 
er die Buchftaben kenne, ja viele der— 
jelben jogar mit Kreide auf die Wand 
zu fchreiben wiſſe, auch die Ziffern, 
und ob er diefe Künſte nicht den 
Heinen Leuten beibringen dürfe, jo 
lange fie noch zu ſchwach wären, eine 
andere Arbeit zu betreiben. So hatten 
die wenigen Sinder zu Altenmoos 
wieder einen Lehrer, und einen gar 
Inftigen! Erfah mit ihnen an Sommer | 
tagen gern unter dem Ahorn, welcher 
vor dem verfallenen Wegererhauſe 
ftand, oder er gieng mit den Kindern 
am Bade entlang, am Waldraine bin 
und plauderte über Bäume und Blu— 
men und Waller und Thiere und 
Steine, und erzählte Allee, was er, 
von diejen Dingen wußte. Der * 
Natz war auf einem Ohr ſchwerhörig. 
Er höre — ſagte er zu den Kindern 
gern — mit demſelben Ohr nur der 
Leute Reden nicht immer ganz genau, 
bejonders das Zifcheln und Munkeln 


und Tratſchen nicht, Gottlob, Hingegen | 


höre er etwas ganz Anderes. Sein 
Ohr — es war das rechte — habe 
die Gabe, die Thierfprachen zu ver— 
ftehen, die von anderen Leuten nur 
für Bellen oder Blöfen oder Zwit— 


ſchern gehalten würde. Wenn die Menz 
ſchen wüßten, was der Zugochs, oder 


der Kettenhund, oder Andere über fie, 
ſprächen? Zum Herzabdrüden wär's! 

Eines Tages führten mehrere Sıraz | 
ben den Nat hinab zu den Bachejchen. | 
Dort Hatten fie Vogelfang = « Häufeln | 


aufgeftellt und der Nab ſollte aud) 


mitthun. Da Hatten fie aus Stäben | 
vieredige Holzhäuschen jo gezimmert, 
daß man zwiſchen den Stäbchen ins 
Innere jehen konnte. Das Häuschen 
hatte über fih einen Yalldedel, der 


ches im Häuschen wagrecht geſpannt 
war. Auf diefes Querbretthen waren 
Hanfförner oder Brotkrümchen oder 
andere Köder gelegt. So war die 
Vorrichtung nun im Gebüſche oder auf 
dem Baum hingeſtellt. Kam der Vogel 
geflogen, um den Köder zu picken, ſo 
mußte er ſich auf das Querbreitlein 
ſetzen, im ſelben Augenblick fiel die 
Spreize, der Deckel klappte zu und 
der Vogel war gefangen. 

Als fie nun zu den Ejchen kamen, 
erhoben die Knaben ein Freudenge— 
jchrei, in einem der Fanghäuschen 
flatterte ein herziges Rothkehlchen. 

„Wie es luſtig hüpft und ſingt!“ 
tief einer der Jungen, denn das Thier 
flatterte angftvoll hin und her im engen 
Raum und zwitjcherte erbärmlid. 

Da Hletterte der Nah an den 
Stamm. „Muß ich doch willen, ware 
um Du gar jo Inftig biſt!“ ſagte er 
und hielt fein rechtes Ohr an das 
Häuschen. Mit dem Zeigefinger wintte 
er: Bit! fie jollten ruhig fein! und 
that, als horche er dem Thiere. 

„Das ift jeßt eine Schöne Geſchichte!“ 
fagte er. „Dem Vogel ifts nicht recht 
da drinnen.“ Dann horchte er wieder. 
— „Urmer Kerl!“ rief er endlich, und 
zu den Knaben gewendet: „Er klagt 
und weint, daß fi ein Stein könnt' 
erbarmen. Sein Weibchen, fagt er, 
fie im Neft bei den Jungen, und er 
ſei auögeflogen, Körner und Käfer zu 
juhen, um feine lieben Leute zu 
jpeifen. Und jegt fei er in diefes Un— 
glüd gerathen und die Seinen müßten 
‚verhungern und verderben.“ 

„Auslaflen, auslaflen!” rief einer 
der Knaben. 

„Sieht Du!” rief der Natz gegen 
den Vogel gewendet, „ſiehſt Du, wie 
Du Glüd Haft! Sie wollen Did aus— 
‚lafjen. Sind ja lauter brave Jungen, 
die ein Herz im Leib haben für ein 
arımes, liebes Vöglein.“ 











” 4 
[ 


485 


„Auslaffen, auslaſſen!“ jchrieen jeßt 
Alle. Der Nat hob den Dedel und 
der Vogel flog wie ein Pfeil in die 
freie Luft. 

Sp trieb er's, und wo der Nab 
war, da verjammelten fih Kinder. Auch 
hatte er alte Gejchichten, und wie es 
vor Zeiten zugegangen war in Alten— 
moos, wie die Leute gelebt und ges 
arbeitet hatten, fang unter Zitherbe— 
gleitung jogar Lieder, wie fie die Vor— 
fahren gefungen, und die Kinder muß— 
ten mitfingen. Da geſchah es aud, 
dab der Jakob — der ſchon etwelche 
graue Haare auf dem Haupte trug — | 
mitten unter den Kindern ſaß und 
horchte und mitthat und dann brüs | 
tend in fich verfanf. Wie diefer Mann, | 
ſchwerer Sorgen voll, zu altern be= 
gann, jo ward der Bechölbrenner-Nab 
wieder jung. Hatte er doch lauter 
frische, Fröhliche Jugend um ſich, und 
Jugend auch in den Erinnerungen an 
fonnige Zeiten. Er ſah den Untergang 
nicht, er ſah das Aufleben; an den 
Ruinen der Häufer gieng er wie ges 
danfenlos vorüber, an den jungen 
Lärchen- und Fichtenbeftänden freute er 
ih und fagte: das wird einmal ein 
ihöner Wald. Je weniger ſich Men— 
ihen fanden zu Altenmoos, deito mehr 
jah und hörte er Gevögel, Hafen und 
Rebe, im MWafler Forellen, in den 
Höhlen Füchfe, Marder und anderes | 
Gethier. Das kam ihm luſtig vor. 
Der Nat behauptete, daß ihm die 
grauen Haare ausgiengen und twieder 





ſucht. Da ſah er Ffreilih Wunder. 
Das Weib kam ihm mit gellenden 
Frendebezeigungen entgegen: „Der Ja— 
fob! Und wie gehts denn im meinen 
lieben Altenmoos ?* Nach Allen und 
Jedem fragte fie und wie er erzählte, 
daß auf dem Knatſchel-Feldgrund junge 
Bäumchen flünden und das Haus fein 
Fenſterglas und fein Dach mehr habe, 
da fuhr fie fih mit der Schürze über 
die Augen. 

„Ihr werdet ja gar fein Hochwafier 
mehr haben zu Altenmoos,“ rief der 
Knatſchel in guter Laune. 

„Warum?“ fragte der Jakob. 

„Nun, ich meine — jeit die Weiber 
ausgewandert find. Wie es jegt immer 
Mafjer gibt des lieben Altenmoos we— 
gen, Jo hat es dazumal Waſſer gege— 
ben, wenn Hagel oder Mißwachs oder 
andere Elendlichfeit ift gewest. Geh, 
Jalob, unterhalten wir uns mit was 
Anderem. Ein Kleines Nahmittagsbrot 
wirft uns nicht verſchmähen.“ 

Und er dedte den Tiſch gar vor— 
nehm mit fchneeweißem Linnen, feinem 
Befted und gefchliffenen Gläfern. Dann 
brachte er einen großen Laib Weiß— 
brot, einen breiten Zeller mit Aufge— 
ſchnittenem, brachte Butter und Käſe 
und eine bauchige Flaſche goldigen 
Meines. 

„Was man halt jo Hat im Haus, 
mußt Schon fürliebnehmen,“ jagte der 
Knatſchel, indem er den Jakob zum Tiſch 
drängte. „Sind halt nur Refteln, wann 
Du einmal zum Mittagsinahl kommt, 





braune wüchſen. Wenn es jo fort» | kriegft Schon was Rechtes. Pad’ an. 
gienge, da müſſe er nochmals ans Hei- |3 ift Eigenbau, bis auf den Trunk. 
raten denken, falls e3 unter den zwanz | Gelt, jo weis wachst das Brot bei 
zigjährigen Dirndeln eine gäbe, die für) Euch zu Altenımoos Halt nicht. Trin, 
ihn munter genug wäre. Nachbar, trink!“ 
Der Jakob ftieß an, nippte aber 
Imur wenig. Der Knatſchel leerte das 
Der Iahod Defuht feine fräßeren Glas In An Zug, dann verzog er 
Rachbarsleute. das Geſicht, ſog mit Zungenklatſchen 
Zur Zeit, als die Auswanderung ſeinen Gaumen aus und ſagte zu 
noch im beiten Schwunge war, hatte ſeinem Weib: „Alte, Du mußt einen 
der Jakob Steinrenter auf wiederholte | Friſchen anzapfen laſſen, dem riecht 
dringende Einladung feinen ehemaligen | man jchon das Faß an. Das bin ic) 
Nachbar Knatjchel in Sandeben bes nicht gewohnt. Tröpfel muß ich ein 





oo 


gutes haben im Haus. — Sud’ Dir!lehnten zwei Paar Wagenräder. Da 
Eine aus, Jakob.“ Mit dem legten |diefelben zu den „perfönlichen“ Yahr« 
Morten hielt der Gaftherr eine Hand niſſen gehörten, jo hatte der Verweſer 
voll verfchiedener Gigarren Hin. Das |des Kampelherrn nicht davon Beſitz 
ward dein arınen Bauer aus dem Alten- | ergriffen, und auch der Guldeifner, der 
moos Alles auf einmal vorgefchüttet, | wohl darauf vergeflen haben mochte, 
er wußte gar nicht, wo er zuerft an- ließ fie nicht fortbringen. So gieng 
greifen jollte. der Jakob einmal hinaus, um zu fras 
„Und nachher, rief der Knatſchel gen, ob der Guideiiner die Näder ihm 
feinem Weibe zu, „nachher mußt Du verkaufen wolle, es fei zu Altenımoos 
uns einen Kaffee kochen.“ Nebenbei | kein Wagner mehr, und gleichwohl fie 
gudte er den Jakob jo von der Seite | feine fahrbaren Wege hätten, Wagen= 
an, welchen Eindrud diefe Dinge auf |räder brauchten fie doch an den Feld— 
feinen Gaft wohl machten. Da diejer | farren. 
aber nichts desgleihen that, jondern | Das Haus der Guldeifner in der 
ganz ruhig ab, ſchlug ihm der Knat- Krebsau ftand ftattlih da und hatte 
ſchel plöglich die Hand auf die Achjel | viele Yenfter, wovon aber die meiften 
und rief: „Na, Jakob, was fagft da= | mit weisen Läden verjchloifen waren. 
zu? He! So leben wir halt in Sande | Eine Pferdeftallung mit Remife, im 
eben, Noth und Kümmerlichkeit leiden | welcher zwei glänzende Kaleſchen ftanden, 
wir feine, daran Haben wir zu Alten= weiße Kieswege vor dem Haufe und 
moos fatt bekommen. — Alte, was er ein großer Teich waren das erfte, was 
nicht ißt, das ſchlag' ihn in ein Par |dem Jakob auffiel. Er ftieg die breite 
pier, ſoll's feinen Leuten heimbringen.“ | Antrittstreppe hinauf und drüdte an 
Jet Stand der Jakob auf und der Thürklinfe. Das gieng aber hier 
fagte: „Vergelts Gott. Wir leiden |nicht jo, twie bei anderen Thüren, fie 
feinen Hunger daheim. Mich gefreuts, | war verjchloffen. Mehrmals Eopfte der 
daß es Euch gut geht, und ich wünfche | Jakob mit dem eingebogenen Finger, 
viel Glück.“ daß es drinnen laut wiederballte, bis 
Damit gieng er davon. Lieber, als er endlih den Glodenzug ſah. An 
das fürnehme Eſſen, wäre es ihm ger |dem zog er. Bald darauf rafjelte die 
wejen, went ihn der Knatſchel in! Thür auf und ein Mann in dunkel— 
feinem Hause und Wirtjchaftsgebäude | blauer, fait joldatifcher Kleidung mit 
umbergeführt hätte. Wie es mit dem großen funkelnden Knöpfen fragte, 
Korn- und Heuvorräthen und mit den was man wolle. 
Viehftand befteilt fei beim KAnatjchel, Der Jakob gab an, dab er mit 
das hätte er willen mögen. Nun, man dem Guldeifner fprechen möchte. 
fann ſichs denten, wer ein ſolches Wen er bei der Herrichaft zu 
Nahmittagsbrot auftiichen kann, bei | melden habe? fragte der Diener. 
dem werden Häften und Ställe auf „Ih bin der Reuthofer zu Alten- 
das Erkledlichite verfehen fein. moos und möchte dem Guldeifner 
Als der Jakob fort war, fahte der | gerne die MWagenräder ablaufen, die 
Knaätſchel mit beiden Händen die Reſte er in der Mühle ſtehen gelaffen hat 
und ftedte fie in den Mund. Dann |umd vielleicht nicht mehr braucht.“ 
wurden die Teller, Gläſer und Beltede Der Diener machte dem Jakob 
zum Wirt zurüdgeichidt und dem Wirte | die Thür wieder vor der Naje zu 
fagen laſſen: „Dazujchreiben.“ — und man hörte, wie er drinnen die 
Nicht lange hernach hatte der Jalob | Treppe hinaufitieg. Der Jakob fegte 
Anlaß, beim Guldeifner in der Krebsau ſich an den Antrittftein. Weil der 
vorzufprechen. Daheim in der zerfale ſchwarzblaue Mann lange ausblieb, 
lenden Getreidemühle des Guldeiiner ſo dachte er: Jetzt werden fie gewiß 


486 








— — — — — — — — —— — — — — 


487 


einen Empfang herrichten, ſo wie beim 
Knatſchel; ich brauch’ das aber nicht, 
ein redlich Grüß Gott und ein Trunk 


Waller ift mir lieber, als das ganze: 


herriſche Gethue. 
Endlich kam der Diener zurück: 
„Der gnädige Herr läßt ſagen: Die 


Ber darauf hieß es, er fei ges 


ftorben. 
Bon vielen Anderen hörte man gar 
nichts, nur ein ehemaliger Knecht des 
Stindl im Stein ftand in der Zei— 
tung, die der Sandebirer Pfarrer hielt. 
„Aus dem Gerichtsfaal” hieß der Artikel. 


Näder jchenkt er Ihm“. Klapps war Auch weiteren Bauernfnechten, die 
die Thür wieder zu und der Jakob | aus Altenmoos auswanderten, um in 
ftanıd da und wußte, wie er d'ran den Vorgegenden Dienſt anzunehmen, 
war. Nachdenklich gieng er nach Hauſe, ergieng es nicht auf's, Beſte. Sie 
und daß wir der Zeit vorgreifen, die fanden dort ſchmälere Nahrung, aber 
zwei Paar Wagenräder ſind in der augeſtrengtere Arbeit. In Altenmoos 
morſchenden Mühle vermodert. hatten ſie beim Bauer zur Familie 
Beim Rodel wäre es dem Jalob gehört, in den neuen Dienftorten 
fiherlich befjer ergangen, hätte er der. wurden fie wie nothwendige Uebel, mit: 
Einladung rechtzeitig Folge geleiftet. | unter fchlechter wie die Hausthiere 
Der Rodel hatte unten in Marienthal behandelt; natürlich, ein ſchlecht be= 
eine Mufterwirtichaft errichtet. Es Handeltes Hausthier verliert an Geld— 
war zwar in Marienthal ein anderer | wert. Der Dienſtbote, wenn er an 
Boden, als oben in Altenmoos, ein Kraft verliert, gehört in's Armenhaus, 
anderes Klima, es waren a ar Po fie eins Haben. Die gebornen Al⸗ 
andere Verhältniſſe; der Rodel hatte tenmooſer haben keins, ſie dürfen 
ſich in den Kopf geſetzt, den dortigen betteln gehen. 
Bewohnern zu zeigen, wie ein Banern- | Bon den langen Feierabenden, von 
gut zu betreiben iſt; er wirtſchaftete der üppigen Feſttagskoſt, wie in Alten— 
ihnen was dor mach Altenmooferart, | moos, dort feine Rede, jo fruchtbar 


und als der Jalob den Beſuch machen | 


wollte, Hatte der Rodel ſchon abge— 
wirtjchaftet. 

Klüger in feiner Art hatte es der 
Klachel angeftellt. Damit er nicht abwirt— 
ſchaften fönne, hatte er fich gar keine Wirt» 
ſchaſt mehr getauft, fondern im Wirts— 
haus zu Sanct Ulerih eine Stube, 
gemietet. Dort verthat er fein Geld. | 
Und als es vertdan war, kam er zum 
Jakob nah Altenmoos, mannte ihn 
feinen liebften Freund, den er nicht 
vergeflen könne und wollte von ihm 





die Gegenden auch waren. Selbſt au 
Sonntagen durften fie micht ihre 
eigenen Herren fein. Ein alter Knecht 
wollte jeiner Gewohnheit, alljonntägig 
mit den Hausgenoſſen laut den Roſen— 
franz zu beten, aud draußen gerecht 
| werden, et wurde darob verlacht und 
verhöhnt, bis er wieder in's Gebirge 
zurüchgieng. 


| Der Lohn war freilich viel größer 


draußen. In Altenmoos Hatten fie 
vom Hausvater das Gewand bekommen, 
drangen erhielten fie dafür das Bar— 


Geld ausborgen. Der Jakob entgegnete: gel. Aber die Stleider mußten feiner 
„Klachel! jet könnte ich Dir die | und vornehmer ſein, wie im Gebirge, 
Leviten leſen und dann zehn Gulden man durfte in der Mode nicht zurück— 
fchenten. Aber ich lefe nicht und ich bleiben, das koſtete Geld. Wirtshäufer 
Ichenfe nicht. Ein Stüd Brot, wenn! waren auch überall und andere Unter— 
Du magft ?“ haltungen, das koſtete Geld. Der 

Bom Sepp in der Grub, der Verkehr mit dem andern Gejchlecht 
weit fort gekommen war, hörte man war ein freier, Niemand nahm daran 
anfangs, daß es ihm und feinen Leuten | Anſtoß, aber Geld koſtete es, Geſund— 
gut ergebe, nur abımagere er, trotz heit koftete es, und wenn der Dienft= 
der fetten Gegend, in der er wohne. bote einen Verſtoß begieng, alsbald 


488 


die Drohung mit den Gendarmen. 
Und wenn er alterte, in den Wintel 
mit ihm, wie mit einem verbrauchten 
Beien. 

Was fchrieb doch eine Tochter des 
Fock, die nah Graz gegangen war, 
um eine Frau zu werden? „Herren— 
dienen ift wohl hart, jeit einem Jahre 
der dritte Dienst, “ ſchrieb ſie einer Freun— 
din nah Daufe. „Arbeit vom frühen 
Morgen bis in die Späte Nacht, und Efjen 
nur, was beim Herrſchaftstiſch übrig 
bleibt. Alle vierzehn Täg’ einmal ein 
paar Stunden freie Zeit zum Aus— 
gehen. Derſpart noch nichts, geht Alles 
für's Gewand auf. Aber viele Solda— 
ten, faubere Sterle. Die Gnädige ift ein 
Drad’, der Herr ift gut. Wenn's 
nur bald Ernſt thät werden mit dem 
Hausmeiſter, aladanı bin ich eine 
gemachte Frau.“ 

Ein früherer Knecht des Steppen= 
hofes war in ein großes Walzwerk 
gegangen, der fchrieb jeinem Wetter 
nah Altenmoos verworrenes Zeug 
von einer neuen Gerechtigfeit, von der 
rothen Welt, von Eroberung des 
Capitals, von Gleichtheilung der Güter 
u. ſ. w. „Sparen thun wir nicht,” 
ſchrieb er, „wenn's kracht, kriegen wir 
eh genug.“ 

Derlei und anderlei war von den 
Ausgewanderten zu erfahren. Der 
Salob wollte nichts davon hören. In 
Altenmoos war das anders gewelen. 
In Altenmoos war feiner Herr und 
feiner Sclave, keiner reich und feiner 
arın geweien. Je mu, wie fie ich 
betten, jo follen fie liegen. Gelber 
gethan, felber gelitten. Wen micht zu 
rathen, dem ift nicht zu helfen. 

Wie fo aber kommt's? fragte fich 
der Jakob. 


Eine junge Haushüterin und was 
fie für Gefahren beſteht. 

So hatte ſich es der Reuthofer 
allmählich abgewöhnt, feine früheren 
Nachbarn zu bejuchen oder nachzu— 
fragen, wie es ihnen ergebe. Wohl 


gieng er an jedem Sonntag hinaus 
nach) Sandeben zur Kirche, wovon er 
immer mit einer Rückentrage zurück— 
fehrte. In Altenmoos waren die Ge— 
werbsleute und Handwerker abgekom— 
men, weil fie bei der geringen Bevöl— 
ferung nicht mehr leben konnten. So 
mußte man Nöde und Schuhe, Pflug: 
Iharen und Holzgeräthe und was 
derlei Dinge waren, in Sandeben 
machen laſſen. Lebt ſah der Jakob, 
dak man ſelbſt in Altenmoos ohne 
Bargeld nicht mehr beftehen fonnte. 

Einmal — es war am Heiligen= 
dreifaltigfeitfonntag waren der 
Jakob, fein Weib und der Friedel 
nah Sandeben gegangen, um eiferne 
Eggenzähne und Futterſenſen nach 
Haufe zu tragen. Auch das Gefinde 
hatte fich zeritrent nach freiem Be— 
lieben. Die Zeit, da es auch an Sonne 
tagen dem Hausvater freiwillig einen 
Dienft erwiefen, war vorbei; er mußte 
froh fein, wenn ihm die paar Dienſt— 
boten auf dem Hofe blieben, jet, wo 
Jedes ih draußen etwas Beſſeres 
ſuchen will, al3 einen Bauerndienſt 
in der Dednijs. 

Die Angerl war allein daheint, 
um das Haus zu hüten. Sie verriegelte 
die Thür, Iniete an den Tiſch und 
hielt fill und Fromm ihre Sonntags— 
andadt. Zu den offenen Fenſtern 
leuchteten die gegenüberliegenden ſon— 
nigen Waldlehnen in die Stube, eine 
Hummel läutete zu einem Fenſter 
herein, zum andern hinaus, Es war 
ein Heiliger Frieden ringsum und 
das Mädchen betete zum Schußpatron 
des Haufes, zum heiligen Apoſtel 
Jakobus. 

Da ſchlug draußen der Kettenhund 
an. Am Fenſter erſchien der muntere 
Blondkopf eines jungen Burſchen. 

„Geld oder Blut!“ gröhlte er herein. 

„Ja Freilich,“ lachte die Angerlh, 
„der mich erſchrecken wollt', der müßt' 
ein anderes Ausgeſchau haben wie Du“. 

„Den Kettenhund könteſt juſt los— 
laſſen,“ ſagte nun der Burſche, „fünf 
Junge im Kobel. Mich erbarmt das 


Vieh. So eine Familie haben und an 
der Kette Hängen — es ift ein Hun— 
deleben.“ 

„Laß ihn nur los“, ſagte fie. 

„Ich bedank' mich“, antwortete 
er, „wir zwei ftehen micht gut zuſam— 
men, der Waldel und ich. Aber das 
magft mir glauben, wenn das BVieh 
ledig iſt, dann gibt's eine Ruh’ in 
der Nacht. Es beflt nur an der Fette.“ 

„Dich wird fein Bellen wohl nicht 


irren, drüben beim Hüttenmauſer— 
Haus.“ 
„Drüben nicht, aber herüben,” 


flüfterte dev Burſche, „willft jegt wicht 
die Dansthüre ein wenig aufmachen, 
Angerl?” 

„Mein Bürfchel, das will ich nicht, * 
antwortete das Dirndel in denfelben 
Tone. 

„Alsdann werde ich halt beim 
Fenſter Hineinfteigen.“ 

Sie nahın die breite Holzart, die 
an der Wand hieng, hielt diefelbe gegen 
das Fenſter und fagte mit drohender 
Geberde: „Sobald Du den Kopf herein 
ftedit, purzelt er unter den Tiſch 
hinab!” 

„Iſt Schon recht,“ antwortete er, 
„und ich will mich juft einmal von 
Dir köpfen laſſen.“ 

Er ſchwang ſich, ſteckte den Kopf 
herein, ſtemmte den Arm nach, ein 
Ruck und der junge hübſche Kerl ftand 
in der Stube. Dort war fein Erites, 
dab er die Art nahm und mit dem 
Daumen ihre Schärfe prüfte. „Sie 
hat wohl eine gute Schneid,“ ſprach 
er, „aber weißt, Dirndl, ich hab’ halt 
noch eine größere.“ 

„Seht, weil Du ſchon da bift, 
mußt Du mir beten helfen,“ fagte 
die Angerl und kniete mit dem Roſen— 
franz wieder an den Tiſch. „Zwei 
richten mehr aus, als Eins,“ 

„Das wohl. Aber nicht beim Beten,“ 
antwortete der Burfche und legte feinen 
Arm um ihren Naden. 

„Uh, wohin willft denn mit mir 
fahren, daß Du mir ein jo ſchweres 
Halsjoch anlegſt?“ fragte fie. 


489 


| Da rih er fie an fih und küßte 
ſie mit heißer Freude auf den Mund. 

Sie ftieß ihn ab und entwand 
ih. Glühend roth im Geficht gieng 
fie Hinaus in die Küche. Sie hätte 
wohl ein wenig jcherzen mögen mit 
ihm, aber an das, was ihr jeßt 
pafliert, hätte fie nicht denken können. 
Als er ihr nachgieng, fand er fie 
gegen die Wand gelehrt und weinend. 

„Anger,“ ſagte er mit weicher 
Stimme und legte feine Hand leiſe 
an ihren Arm, fie ließ den Arm von 
fih. Er ftand da, ſchaute vathlos um 
fih und wußte nicht, was er beginnen 
joflte. Sie weinte. 

„Biſt du böfe auf mich, Angerl?“ 
fragte ev endlich. 

Sie gab feine Antwort, Auf dem 
Fletz lag ein Holzipan, dieſen ſchob 
der Burſche mit der Schuhſpitze gegen 
die Wand Hin; er mußte dort aber 
nicht richtig liegen, denn jetzt büdte 
fih der Knab', Hob den Span auf 
und wendete ihn in der Hand mehr» 
mals bin und her. Daun gieng er 
langfam gegen die Holzafen und legte 
ihn darauf. Ein wenig hinter den 
Ohren kraute er ſich, hernach machte 
er einige Schritte gegen die Thür 
und fagte wie für jih Hin: „So, 
jet werde ich gehen“. Bevor er aber 
gieng, fehrte er nochmals zum Dirndl 
um und fragte ſchier verzagt: „Angerl, 
bift Du böfe auf mich 2“ 

Sie ſchüttelte kaum bemerkbar das 
Haupt, verhüflte aber immer noch ihr 
Angeficht und Schluchzte. 

Ihm war das leichte Kopffchütteln 
genug gewejen, wie auf Flügeln, jo 
leife eilte er zur Thür, entriegelte fie 
und gieng hinaus. Sie wird’s ſchon 
noch gewohnt werden, dachte er, jeßt 
gefällt fie mir erit. 

Als er duch den Reußgraben 
hinabgieng, ſah er unter einer Tanne 
den DOberförfter Ladislaus ſitzen, der, 
das Gewehr zwijchen den Beinen hal— 
tend, eben jeine Feldflaſche in den 
Mund ftülpte. Der Burfche wich ihm 
ans, Er hätte ihn Höflich grüßen 











490 


müſſen, und das wollte ev nicht. Die 
paar Bauern zu Altenmoos waren ja 
hier auf die Gnade des Förfters ans 
gewiefen, und der Hüttenmanfer ganz 
bejonderd. Der Oberförfter konnte 
Arbeit im Walde vergeben, an wen 
er wollte, jo auch Brennholz und 
Stallftren; der Hüttenmauſer Hatte 
kaum hundert Bäume mehr ftehen auf 
feinem Grund. Ueberall Heißt es, wäre 
gejorgt, daß die Bäume nicht in den 
Dimmel wacjen, an den Feldrainen 
de3 Hittenmauferd war dafür eben 
nicht gelorgt, dort fonnten die Bäume 
de3 Steppenwaldes jo Hoc in den 
Himmel Hineimvachfen, daß die Aecker— 
lei fchier feine Sonne mehr Hatten. 
Der Förfter ließ die Bäume an den 
Rainen weghaden. Er konnte den alten 
Hüttenmauſer gut leiden. Auch zur 
Erhaltung der Wege trug der Ober: 
förjter bei, hingegen jagte er häufig: 
„Meine lieben Hüttenmanfer= Leute, 
mit mir müſſet Ihr artig verfahren, 
ich kann Euch erftiden, wann ich will, 
ih kann Euch verdurften laſſen, wann 
ich will, Euer Hausbrunnen entipringt 
in meinem Steppenwald. Meine lieben 
Leute, Ihr gehört mir mit Daut und 
Haar!" Er mißbrauchte . feine Ober: 
macht nicht weiter. Sam aber oft 
herüber von feinem Yägerhaufe, das 
in einem Miefenthal des Stodwaldes 
ftand. Er Hatte, obzwar ſchon ein 
wenig Frumm an den Knien und am 
Nüdgrat, feine befonderen Paſſionen, 
die ihm der alte ſchlane Hittenmaufer 
verwirklichen Half. Der junge Hütten 
maufer jedoch, der Florian, war dei 
Oberförfter insgeheim nicht grün. Er 
verabfcheute den alten Sünder umſo— 
mehr, als er ihm unterthan fein mußte. 
Da hatte der Dberförfter erſt vor 
Kurzem eine lange Seidenſchnur ges 
zeigt und gefagt: „Florian, willft Du 
meinen Roſenkranz ſehen?“ Da der 
Burfche nicht wußte, wie das gemeint 
war, fo jehte der Ladislaus bei: „So 
einen wirt Du auch noch abbeten, 
wie Du ein Kernjunge bift auf und 
auf! Sicht Du, Knoten Habe ich 


d’ran, es Sind ihrer bald Hundert, 
wenn Du fie zählen willft. Jeder diefer 
Knoten, wenn Du willft willen, be— 
deutet ein ſauberes MWeibsbild, mit 
dem ich gute Kameradſchaft gehalten. 
Verſtehſt?“ 

Je älter der Kerl wurde, deſto 
ärger prahlte er mit ſeiner ſchmierigen 
Knotenſchuur herum, und er trug fie 
immer, in einen ledernen Beutel ge— 
faßt, mit ſich und Hatte noch die 
Dreiftigfeit zu Jagen: „Das iſt mein 
Naitzettel, jo viel Tagwerke ift mir 
der Herrgott Schon Jchuldig worden und 
wenn er einstmals Leute brauchen follte, 
das Altenmoos wieder anszurenten, 
jo foll ev mich nur voranlaffen. Ich 
bin ein alter Jäger!“ 
| Der Florian hatte ganz recht, jo 
Einem weicht man aus, wenn man 
ihm nicht eine Tracht Dafelitrauchenes 
über den Rüden ſalzen kann. Hätte 
der Burſche erit gewußt, wohin der 
| Oberförfter heute zielte! 

Der Ladislaus ftieg Hinauf zum 
Neuthofe und trat in's Haus. Das 
‚Mädchen erjchraf vor ihm, that aber 
ſchalkhaft und dachte: Foppen thuft 
ihn, aber jo nahe wie den Florian 
laͤſſeſt ihn nicht heran. 

Ob ihr nicht die Weile laug würde, 





jo mutterſeelenallein im Hauſe? war 
ſeine freundliche Frage, ob er ihr nicht 
die Zeit ſolle vertreiben helfen? 

„Wäre ſchon recht,“ meinte ſie, 
„Zeitvertreib hat man alleweil gern.“ 

Ob ſie nicht ein paar Schluck 
Meichjelgeift möge? Er zog ein irdenes 
Plutzerchen aus der Waidtajche. 

„Iſt mir gleich recht. Bin eh ſchon 
durſtig.“ 

Sie nahm den Plutzer und wie 
ſie ihn an den Mund führen wollte 
und er ihr noch zuſprach, tapfer ein— 
zufchlürfen, entglitt ihr das glatte 
Ding aus der Hand, dal auf dem 
Fletz Scherben und Weichjelgeift ſtern— 
artig auseinanderfprangen. 
| Die Anger erhob ein Gefchrei 
‚über ihre Ungefchidlichkeit ; der Ober: 





491 


förfter verbiß feinen Werger, ex lachte 
äußerlich, fie innerlich. 

Jetzt ſchlug draußen der Setten- 
hund an. Der alte Lufchel Peter! 
trippelte über den Anger baftig heran. 
Die Zeit und die Gicht hatten ihn ſchon 
ſoſehr nach vorwärts gebeugt, daß es 
zu jehen war, als fuche er immer 
eiwas auf dem Erdboden. 

„'s jegi wird leicht eppa namla wul 
fein,“ fagte er gerne in feiner befon- 
deren Nedeweife, „meine Liegerftatt ſuch' 
ih mir. Ja hiſch wul g'wiß ah, ja.“ 


und als es wieder zu fich kam, Hub 
es weidlih an zu fchelten über die 
unbarmherzigen Leute, die draußen in 
Sandeben Wein trinken und einer 
armen fterbenden Perſon Wafler und 
nichts als Waffer in den Mund gießen. 
Die NReuthoferleute machten ſich 
nichts draus, jondern ſchleppten das 
erbarmungswiürdige Geſchöpf mit ſich, 
labten es zu Hauſe mit einer warmen 
Suppe und brachten es zu Bette. 
„Mit ſo einer Perſon,“ meinte 
die Maria, „der ſie das Leben ver— 


Als der Hund die wohlbekannte giftet haben und die es ſich ſelber 


Geſtalt ſah, war er ruhig, hingegen 


‚immer wieder vergiftet, weil fie wie 


erhob er einen gellenden Lärm, als ein Arfenikeffer ohne Gift nicht mehr 
der Oberförfter aus dem Hauſe trat. leben kann, muß man doppelt gut fein. 
Ohnehin höchſt mißmuthig, ärgerte ihn | Da ift mir allemal, als fehe ich dem 
ein ſolches Hundegebell, welches, jchon |lieben Gott dor mir ftehen und die 
am Tage jo läftig, erft in der Nacht Hände falten: Leuteln, mit dieſer 
unansftehlich fein mühe. Zudem ver= | Pilgerin habet mir doch Geduld, fie 


Iheuche es das Wild in den nahen 
Maldungen. Er nabte den Kettenhund 
jo weit, daß diejer nach feinen Beinen 
Ihnappen fonnte. „Oho! beißen! 
Mart’, Bürſchel“, fagte er, „Du wirft 
bald Treierabend haben!" Nahm das 
Gewehr von der Achjel und ſchoß das 
Thier nieder. 

Die Anger! wußte fih vor Herz— 
weh nicht zu laffen, als fie den blu— 
tenden Leichnam des treuen Hause 
wächters an der Kette liegen jah, und 
die fünf Jungen winfelnd und die 
Wunde beledend ihn umkreisten. 

As am fpäten Nachmittage der 
Jakob und fein Weib Maria nad 
Haufe kamen, brachten fie mebft den 
Eifenzähnen und Senfen die taube 
Rebekka mit. Das war die alte Eins 
legerin, ein boshaftes, unfauberes Wei: 
bei, das nichts hörte und dem ganzen 
Tag keifte. Sie trug fehr viel Elend 
und Entbehrung, weil jie nirgends 
wohl gelitten war. Der Jakob hatte 
lie heute draußen auf dem Schutt— 
haufen, wo das Bachhäuſel geftanden, 


ift mir Halt ein wenig mißrathen und 
kann felber nichts dafür. Ich will fie 
ja bald zu mir nehmen, nur ein klein 
Meilchen noch achtet mir auf die Re— 
befta, fie ift Euere Schweiter, ſie ift 
halt auch mein Kind.“ 


Mod einmal paart ſichs in Alten- 
moos. 


In der darauffolgenden Nacht ge— 
ſchah es, daß der junge Florian Hütten— 
mauſer plötzlich geweckt wurde. Er lag 
im Schafſtalle ſo hoch an der Wand, 
daß die Schafe nicht emporlangen konn— 
ten, ihn zu belecken. Wohl aber war 
es ſchon geſchehen, daß ein Zipfel der 
Bettdecke hinabhieng und daß fie bei 
diefem Zipfel das Zeug zu Boden 
zerrten; da hatte der jchlafende Burſche 
nichts, um fich einzuhüllen, als die 
dichte dunſtige Finfternis des Stalles. 

„Knabe! Knabe, heb’ Dih!* Ein 
zweifacher Stoß mit der Fauſt, das 
ift genug. Das wedt fogar einen ges 
funden Bauernburfchen aus den erſten 


zwiichen Difteln und Nefleln kauern Schlaf. Und vor Mitternacht, das it 


gefunden, ſchier bewuhtlos vor Er— 
Ihöpfung. Er und die Maria hatten 





noch der erſte Schlaf. Da ſich der 
Florian nicht ſobald ermuntern konnte, 


das arme Weſen geatzt mit Waſſer; er war gewißlich in einem ſüßen Traum 


492 


geſchwommen, jo ziichelte ihm Einer 
ins Obr: „Florian, es brennt!“ 

Daß er — der da wedte und 
ſprach — e3 jo heimlich fagte, ift fein 
Wunder, denn ed war ein heimlicher 
Brand. Der Ladislaus ftand da, fein 
Anderer, als der Oberföriter der Mäl- 
der des Kampelherrn hatte fich im den 
Schafſtall geichlichen um den jungen 
Baner zu weden, denn heute fonnte 
ex diefen beſſer brauchen, als den alten, 
der nicht gelenkig genug war, um für 
alle Fälle... . 

„Florian!“ fagte der Oberförfter, 
al3 ſich der Burfche ein wenig empor— 
gearbeitet hatte, „ich weiß mir nicht 
mehr zu helfen, mein Rofenkranz muß 
einen neuen Knoten kriegen heute Nacht. 
In den Neuthof gehe ih hinauf. Du 
gehft mit, mußt auf der Wacht ftehen.* 


Wenn er ihm das Kopfabfchneiden | 


versprochen hätte — des Florian feiner 
fand Frifch und keck genug auf dem 
neunzehnjährigen Rumpf — es wäre 
dem Burfchen nicht jo arg gewejen, 
al3 diefer Befehl. Er wußte nur zu 
gut, was das zu bedeuten Hatte: der 
Oberförfter gebe in den Reuthof hin— 
auf. Für nächtig Stund’ ein Kreuz— 
zeihen machen ijt allemal gut, aber 





„Solls bleiben lafjen, der Herr, 
wenn er Schon allein —“ feine Kuraſch 
hat, wollte der Florian beifegen, zum 
Glüd gelang es ihm, das Wort zwi— 
chen den Zähnen todt zu beißen. 

„Der Hund ift ja hin. Wenn nur 
das alte Beeft nicht im Haus wäre,“ 
ſagte der Oberförfter, er meinte den 
Luſchel-Peterl, der nächtlicher Weile 
manchmal um’s Haus herumfchlich und 
Lärm fchlug, wenn er etwas Verdäch— 
tiges gewahrte. „Der lärmt ſchon,“ 
meinte der Yadislaus „wenn um Hol— 
lerbuſch einmal ein paar Nachtigaflen 
miteinander jcherzen. Natürlich, diefer 
Vogel, was Hat der ſchon für junge 
Leute verführt!“ 

Kurz, der Florian mußte mit dem 
Förſter gehen. 
3Zuwanzig Minuten Später ftand er 
beim Neuthof an der Hausede, wo er 
einerjeit$ die Wand mit dem tödtlich 
fühen Fenfter, an dem der Oberförfter 
ftand, andererſeits die Stallungen, den 
bekannten Moosbären und den Weg 
überſehen konnte. Ueber der Linde ftand 
der Mond, der machte ein Spitzbuben— 
gelicht, als wollte er dem Burfchen einen 
guten Math zuflüftern. Der am Him— 
mel jelbft jchien es zu begreifen, was 











befier, denn eins mit dem Daumen das für eine Bein fein muß, eine 
über das Geficht, ift eins vom Schmied | graufame Bein, wenn ein Anderer am 
im Fenſter. Am vorigen Somntag Fenſter Deines Liebchens fteht, und Du 
hatte es ihn gefrent, den Florian, dab | mußt fieben Schritte davon in den 
manche Fenſter im Reuthofe feine Gitter Erdboden gewachjen fein wie eine Pap— 
haben, heute ärgerte es ihn hölliſch. | pet. Und ſollſt zufchauen, wie des 
Der Jakob ift viel zu umvorfichtig. |fremden Buhlen Kopf zum Fenſter 

Wache Halten! An der Hausede hineintrachtet. Und Haft Du jemals 


Mache halten, ob nichts Gefährliches 
vorgehe, während der alte Sünder au 
ihrem Fenſter fteht. Den Dienft ver- 
weigern? Undentbar, und ſchließlich 
immer noch befjer, dem Vorgang in 
der Nähe fein, als im Scafftall zu 


geſehen, daß, wenn der Kopf irgend 
wo hin will, der übrige Kerl zurück— 
bleibt? Aber deß war der Florian 
entſchloſſen, wenn es zu dieſem Aeußer— 
ſten kommt, jo ändert er ſeine Stellung! 
| Das Herz that ihm weh zum Sterben. 





liegen, dieweilen die Angerl etwa eines | Ein Bengel, der ſchon öfter als fünf— 
Schützers bedarf. undvierzigmal Faſtnacht gefeiert, ein 

Doch machte der Florian noch den | Wirbelthier, dem man um feinen Hals 
Einwand: „Es kann aber regnen in den Anoten machen foll in der be= 
diefer Nacht.” kannten Seidenschnur, diefer Menſch am 

„Macht nichts," antwortete der Fenſter der laubfrischen Anger! — Das 
Oherförfter, „ich fommme unter Dach.“ ; Herz that dem Florian weh zum Sterben. 


493 


Plöplih war der Oberförfter vor auf den naſſen Raſen hinlegen. 
| mir liegt ja nichts.“ 


dem Fenfter verschwunden. 
Eilig lief der Florian hinüber zum | 
Moosbaaren. Bon früher her wußte 
er, daß dort der Luſchel-Peterl fchlafe. 
Mit dem wollte er ſich raſch verbinden. 
Mie das VBreiterthor des Moos— 
baaren jonft von außen zuzufperren | 





An 


Ein wirkſameres Wort kann Keiner 


finden. Im Augenblicke wurde das 
Dirndel übermannt, aber nur von 
Mitleid. 


„Hätteſt ja wohl Platz gehabt im 


Moosbarren,“ ſagte ſie, „wenn nicht 


geweſen, jo war es heute nach innen die alte Rebekka in meinem Stübel 


zugehängt, der Burfche riß das Kette 
chen mit Gewalt entzwei. 

„Wer ift da?" hörte er fragen in 
der Hammer. Eine Weiberftinmte. Der 
Florian ftand wie an die Schwelle ge= 
wurzelt, über ihn jchien der Mond | 
hinein, um zu kundſchaften; aber der 
kam nicht weit, hart vor den Burfchen | 
auf die Dielen legte er fich breit Hin, | 
und was im finfteren Hintergrunde 
war und gerufen hatte, das ſah er nicht. 

„Wer iſt da?“ rief es ein zweites— 
mal ſchneidig, nun brannte auch ſchon 
das Streichhölzchen, das ſie hoch em— 
porhielt, während ſie die andere Hand 
als Blende über die Augen legte. 

Der Florian lonnte die leichtfer- 
tigen Ausrufe Heiliger Namen nicht 
leiden, aber diesmal rief er jelbft, und 
fiher zum erſtenmal in feinem Leben: 
„Jeſus Maria Joſef! — die Anger!” 

Da ſaß fie auf dem Strohlager 
und weil das Flämmchen jchon ihre 
dinger bedrohte, fo zündete fie raſch 
die Talgkerze an, die neben dem Bette | 
auf dem Fle Stand. Und eilig hatte 
fie e$, das weiße Hemdlein über ihrem | 
Busen zufammenzuziehen, der Fühlen 
Nachtluft wegen. 

„Anger!“ jagte der Florian und 
jhier die Hammer begann zu tanzen 
um den berwirrten Jungen, der dor 
lauter Befangenheit nicht zu unter— 
Icheiden vermochte, ob er plößlich im 
Himmel oder in der Hölle fei. „Az | 
gerl, wie fommft Du da her?“ 

„Das will ih Dich fragen,“ ant— 
wortete fie ganz unbefangen; „wenn 
Du Dein Bett juchft, Florian, im 
Reuthof ftehts mit.“ 

Hierauf entgegnete der Burjche gar | 
verzagt: „Will ich mich halt draußen | 











thät liegen.” 

„Die alte Rebelka thut heut’ jchla= 
fen in Deinem Stübel?* fragte der 
Ylorian. 

„Junge Leute müſſen den alten 
allemal das Vorrecht laſſen, voraus 
wenn ſie ſo mühſelig ſind, wie die 
Rebekka. Für mich iſts da auch gut, 
ich mag auf Glasſcherben liegen, wenn 
ich fchläferig bin.“ 

Die Füße des Burſchen hatten mitt— 
| fermeite ein paar ganz beſcheidene 
Schrittchen gemacht hin gegen den Stroh— 
ſchaub. 

„Erlaubt es denn Dein Vater, daß 
Dur Licht brennſt in der Strohkammer?“ 

„Sonst thäte ich ja den jungen 
Hüttenmaufer nicht ſehen,“ ſpottete 
fie, „So ſaubere Leut’ muß man fich 
anschauen.” 

„Alsdann auch das lange Haar 
aus dem Geficht, font fiehit Du mich 
nicht,“ fagte der Schall und beugte 
fich zu ihr nieder, um die ſchwarzen 
Loden, die etwas verworren über ihr 
Antlif und den Buſen wallten, mit 
feinen fleißigen Händen zu ordnen. 

„Oho!“ verſetzte fie, „haarmachen, 
das kann ich Schon felber! Letztlich halt 
mich überliftet, heut’ bin ich gejcheiter, “ 
fahte mit ihren Händen die feinen 
und hielt fie feit. Den Ylorian freute 
es, daß er fie heute feder fand, als 
am vorigen Sonntag. Ein Leichtes 
wäre e3 ihm gewejen, fich zu befreien, 
aber nicht um Himmel und Erde hätte 
er ſich diefer Gefangenschaft entziehen 
mögen. Er fniete vor ihr und von 
ihren Armen gefeffelt ſchaute er ihr 
in die Augen, 

In diefem Augenblick gieng zur 
offenen Thür der Jakob herein. „Seht 


liegen fie fich freilich los, kauerten 
aber wie arme Sünder da und regten 
fih nicht. Die Angerl verdedte mit 


ihren Händen Bufen und Geficht, der 


Florian ftarrte trogig auf den Reut— 
bofer und nur feine Augenwimpern 
zudten. Der Jakob ftand in feinem 
Nachtkleide völlig ſprachlos da und 
ichaute fie aı. 

„Anger,“ ſagte er endlich mit ge= 
dämpfter Stimme, „das hätte ich nicht 
gedacht, daß Du Jo falfch fein könnteſt 
gegen Deinen Vater.“ 

Sie that einen Schrei, wendete ſich 
und wimmerte in ihr Kopfkiſſen hinein. 

„Wenn Du,“ fuhr der Vater fort, 
„die Thür Deiner Hammer nicht von 
innen willſt verjchliegen, fo wird Dir 
viel Unglüd hineingehen über Nacht.“ 

Da richtete ſich der Florian auf 
und fagte: „Sie Hat fie von innen 
verjchloifen gehabt. ch habe fie mit 
Gewalt aufgerijfen. Aber glaubt mir, 
Neuthofer, ich bin nur Hergefommen, 
um die Angerl zu ſchützen.“ 

„Ha ha!“ lachte der Jakob auf, 
„Du wirft fie ſchützen! Bedank' mic. 
Ich rathe Dir, Hüttenmaufer, daß Du 
allfogleich Deine Beine probierft, fonft 
könnten wir ungleich aufeinander ge= 
rathen !* 

„Fortgehen thu' ich jetzt nicht,“ 
ſagte der Burſche. „Wie es mit uns 
zwei ſteht,“ er deutete auf das Dirndl 
und fich felber, „Ihr könnt Euchs jetzt 
denfen. Wir haben uns gern. Und 
ih will wilfen, wie ich dran bin. 
Kann ich fie haben oder nicht ?“ 

Der Jakob wollte dieſem herriſchen 
Werber eine etwas dämpfende Antwort 
geben, er thats aber nicht. Er dachte: 
im Grunde hat er recht. Ich habe um 
mein Weib auch nicht viel gebeten. 
Wer eins ernähren kann, der hat das 
Recht auf eins; wer mit einem ſo 
gute Bekanntſchaft gemacht, wie es bier 
der Fall zu fein jcheint, der hat die 
Pflicht zu ihr. 
viel Bitten! 


Co fragte der Jakob nur: „Und 





Mas ſoll's da noch mal wird fein 


Es gieng lang ber, bis fie ein 
Zeihen als Antwort gab. Diefes 
Zeichen beftand darin, daß, während 
ihr Gefichtlein noch im Kiffen ver— 
graben war, fie ihre Hand ausftredte 
nach der des Burjchen. 

„Wenns Gott haben will!“ ſprach 
jetzt der Jakob. „Sie iſt halt noch 
nicht zwanzig Jahr alt. Aber das 
muß ich ſagen: Das Zuſammenhalten 
ledigerweiſe, das leide ich nie und 
nimmer, Wenn es Dein heiliger Ernſt 
iſt, Florian, und daß Du von Vaters 
wegen auf Dein Hüttenmauſer-Haus 
heiraten fammft, jo komme in einer 
Woche ehrfam zu mir umd meinem 
Meib und fage Dein Begehr. Wenn 
bishin Kleines was dagegen Hat, nicht 
Dein Vater und nicht mein Weib und 
nicht ich und nicht fie felber, Jo kann es 
uns gefrenen, daß zu Altenmoos fich 
auch wieder einmal etwas paart in 
Ehren. — Und jegt, Angerl, mad”, 
dab Du mit mir ins Haus kommſt.“ 

Der Florian drüdte dem Mädchen 
noch die Hand, berührte auch ein wenig 
die des Jakob, dann taumelte er hin 
aus und wußte nicht, wie jo plößlich 
das hatte kommen können. Er war 
jo viel al3 Bräutigam. Das, wozu er 
jeit länger als einem Jahr vergeblich 
Muth gefammelt hatte und wozu reich 
lich ein weiteres Jahr vonnöthen jchien, 
das war auf einmal vollbradt. Er 
war jo viel al3 Bräutigam. Und dazu 
muß erſt der Oberförfter fommen und 
ihn mitten in der Nacht aus dem 
Schlaf weden! 

Mo war denn aber der Oberför- 
fter? dort Hinter der Kapelle des hei— 
ligen Jakobus ftand er, fuhr ſich mit 
dem Taſchentuch iiber das Geſicht und 
fluchte Einiges in die Bretter hinein. 

„Bin ich noch vonnöthen?“ fragte 
ihn der Forian. 

„Geh' zum Teufel!“ knurrte der 
DOberförfter. Der Florian dachte: dies» 
Knoten gemacht in 
feiner Schnur. 

Am nächſten Tage fiel es den Leuten 


was wirft Du dazu Jagen, Anger ?* lauf, daß der Herr Oberförfler ein zer— 


ſchundenes Geficht hatte. — Mit einem 
Lämmergeier hätte er gerauft, erzählte 
er. Der Florian, der von diejer Mär 
hörte, meinte bei fih: Wenn ich ſchon 
einmal Oberförfter bin und kaun lügen 
wie ich will, fo Lüge ich gejcheiter. 

Mit der Heiratsgefchichte gieng es 
wirklich fo glatt weiter, als es anges 
fangen hatte. Der alte Hütlenmaufer 
halte Ja gefagt, der Jakob und fein 
Weib hatten Ja gejagt, die Verwand— 
ten hatten Ja gelagt, und es war 
Kleiner, der die Sache zu hintertreiben 
juchte oder böfe Umrede bejorgte, wie 
das fonft bei Heiraten, gleichfam als 
zu den Hochzeitsgebräuchen gehörig, 
üblich ift. Im feiner Herzensfreude war 
der Florian ungeſchickt genug, e3 der 
Anger! zu geftehen: „Daß ich Dich fo 
leicht ſollt' kriegen, das hätte ich nicht 
gedacht.“ 

„So ?“ entgegnete fie, „wer ſagt 
denn, daß Dur mich kriegſt? Die An 


deren, die Ja gejagt Haben, follen Dich | 


ja mögen. Ich mag Dich nicht.” 

So ernithaft brachte fie das vor, 
das ihm Hören und Sehen vergieng. 
Da dauerte er ihr und fie fiel ihm 
lachend um den Hals. 

Der Florian, durch die Liebe neu 
ermutbigt, wollte nun fein Gütel wies 


der aufrichten. Unter Anderem trachtete 


er etwas zu Ändern, was ihm ſchon 
lange ein Dorn im Auge, oder viel- 


inehr im Ohr gewefen war. Der Name 


Hüttenmaufer war ihm nicht recht. | den beiden 
henden lachten. 


Er behauptete, ſein Haus müſſe ur— 
ſprünglich zum Hüttenmoſer geheißen 


haben, und wollte ihn dahin abändern. 
Allein fein Schwiegervater widerrieth 
ihn das. Die Vorfahren, jo weit man 


zurüchdenke, hätten Hüttenmauſer ges 


495 





an 
Ich bin ritterlich genug, ihr Eigenthum 
zurüchkzuſtellen.“ 
Angerl einen Kuß geben, im Augen— 


dert von den Hochzeitsgäſten. Als ſie 
auf die Sandlerhöhe kamen, wo die 
Stiegel über den Zaun war, vitt auf 
diefem Zaun der Ladislaus und machte 
ein Feſttagsgeſicht, als ab er dazuge— 
hörte. 

„Hier rückt was Doppeltes an,“ 
ſchmunzelte er dem Paare entgegen, 
„und das follte ich eigentlich gar wicht 
über die Stiegel lafen ohne Maut— 
grofchen. Ein Küſſel, denke ich, wird 
nicht zu viel fein.“ 

„Bern!“ fagten die Zwei und 
küßten ſich. 

„So iſts nicht gemeint,“ verſetzte 


der Oberforſter. „Ich will das Küſſel 


haben.“ 

„Gern,“ ſagte der Florian, packte 
den Mann und gab ihm einen Schmaß 
auf die Wange. 

Mittlerweile waren auch Andere 
herbeigelommen und da wollte der 
Förſter nicht der Ueberliſtete fein. 

„Die ſchöne Braut ift ſehr be- 
kümmert,“ fagte er, „dab ihr Herr 
Bräutigam an diefem Tag einen Kup 
einen Oberförſter verjchentt hat. 


Damit wollte er der 


blit war der Florian dazwiſchen. 
„Oho!“ rief er und fuchte den Förſter 
bei Seite zu fihieben. Dieſer ſtemmte 
fih, es Hub ein Ringen an zwifchen 
Männern und die Umſte— 
Das Lachen währte 
nicht lange, bald fahen fie, das Ringen 


| war fein Hochzeitsſpaß, ſondern bite 


terer Ernſt. Der Förfter hatte feine 
Fauft dem Partner an den Hemd 
fragen gekrampft um ihn zu würgen, 
daraus erkannte der Florian, day Krieg 


heißen, und fo folle es dabei verbleiben. 

Es verblieb aber doch nicht lange | erflärt war, er nahm ihn auf als 
dabei, daß fie Hüttenmaufer hießen. | einen Kampf mit dem Nebenbubler, 

Die Trauung fand in Sandeben und nach einigem Hinundherfahren auf 
ftatt, das Hochzeitsmahl aber bereitete, dem Nafen ſchleuderte er den Hörfter 
die Maria auf dem Reuthofe. zu Boden. 

Auf der Heimfehr von der Trau— Scheinbar gelaffen erhob Tich diefer, 
ung gieng das junge Ehepaar — was | nahm vom Zaune fein Gewehr und 
ganz jetbfiverftändtich ift — abgeſon- ſchritt finfter davon. 





496 


— — — — 


„Der Oberforſter iſt gefallen!“ Zur Stunde wußten ſie nicht, wie 
jubelten die Leute. das gemeint war. 

Der Florian wendete fich langſam Später haben fie e3 wohl erfahren. 
zu ihnen und jagte: „Der Hütten- 


maufer ift gefallen.“ | (Fortjegung folgt.) 


Das große 9. 


Etijje von Paul Andor. 





—8 jeher war es mein ſtiller kommen die Köpfe verloren. Und ab— 
Wunsch geweſen, einmal einer! zuwarten, bis ſich fo viele krauſe 
jener Größen, die die Geſchicke der) Ziffernbehälter wieder beruhigten, dazu 
Welt lenken, allein im Eiſenbahncoupé fehlte es mir durchaus an Zeit. 

zu begegnen, um ihr einige derbe Die Tagesblätter hatten nämlich 
Wahrheiten zuzurufen, wie ſie ſie viel⸗ fataler Weiſe eben das Eintreffen 
leicht niemals zu hören bekommt. Eine eines weltberühmten Financiers im 
ſolche mehrſtündige Fahrt mit einem ihren Mauern brühwarm verkündet, 
Monarchen z. B., oder mit ſeinem eines Matadors, der es liebt „mit 
erſten Miniſter, auch allenfalls mit jedem jungen Jahr“ und ſei es auch 








dem Papſt, oder meinetwegen mit im Herbſte, als deus ex machina auf 
einem der Finanzkönige Europas, der Oberfläche irgend eines calamitoſen 
wide ein koſtbares Zwangsmittel Geldmarktes zu erſcheinen und die 


geben, um einen diefer Mächtigen der Welt mit Convertirungen, Orakel— 
Erde feftzuhalten. Ein Entrinnen wäre ſprüchen, dunklen Andeutungen und 


da kaum möglich, und er müßte nolens | 
volens hören. 
Diefen Hochgenuß Hatte ich mir 





myſtiſchen Operationsvorſchlägen durch 
einige Zeit in Athen zu Halten. 
Natürlich richteten ſich die Blicke 


Ihon oft mit der ſchönſten Schaden=|der ganzen Gejchäftswelt jofort mit 
freude ausgemalt, und richtig, im Früh= | Spannung den neneften Wundern und 
herbſt des vergangenen Jahres follte| Zeichen zu, die das Erfcheinen des 
ih auch endlich etwas erleben. Gewaltigen wenigftens in den Spalten 

Der Abſchluß eines wichtigen Ge- der Börfen= und national-ökonomiſchen 
ſchäftes führte mich um diefe Zeit) Blätter ſtets begleitete. Alles ſchnupperte 
nah X, einer großen Handelsſtadt; erwartungsvoll iu der Luft und Nies 
ih) hatte dort ſehr bedeutende Ab-⸗ mand verjpürte Luft abzufchließen. 
mahungen zu Ende zu führen. Unter! Was blieb mir Anderes übrig, als 
ſolchen Umftänden läßt e8 fich ermeffen, | wieder abzuziehen und mich auf einen 
wie groß mein Verdruß darüber war, | günftigeren Zeitpunkt zu  vertröften. 
daß ich, kaum angelangt und ſchon Das ich das goldige Geftirn, das 
nad den erjten Unterredungen mit den | meine filberhellen Pläne fo unliebjam 
Gejchäftsfreunden die Weberzeugung | vereitelte, nicht gerade fegnete, das wird 
gewann, daß ich mich umverrichteter mir Niemand verdenken. Aerger und 
Sache wieder umzukehren entſchließen Verdruß wirken auf gewiſſe Naturen 
mußte. Mit den Leuten war im gegen— | appetitreizend. So kam ich am Abend 
wärtigen Augenblick abfolut nichts an- meiner Rückreiſe mit einem Wolfs- 
zufangen; Sie hatten allefammt voll | hunger am Bahnhof an, was die Bes 


497° 


ftellung eines copiöjen Imbiſſes in der 
Reftauration zur Folge Hatte. Um die! 
Ungeduld meines Magens zu bezähmen, 
griff ih nach dem nächſten Brotforbe, 
und da in deilen unmittelbarer Nach- 
barſchaft das Abendblatt lag, langte 
ih es mit berüber. Natürlich! das 
erjte worauf mein Blid fiel — der 
Name des goldenen Kalbes. 

„Daß einen diejer lederne Geldfad 
mit feinem Geklimper bis in das 


Bierglas Hinein verfolgen muß’, jo 


oder ähnlich äſthetiſch mag eine innere 
Stimme bei mir geknurrt haben. Wie 
lächerlich! Ich Hatte den Mann nies | 
mals gefehen, und fo oft ich den omi— 
nöjen Namen las oder nennen hörle, 
erfhien vor meinen Sinnen immer 
ein ganz beſtimmtes, ſcharfgeſchnittenes 
Profil deutlich und bis in die Heinften 
Details ausgearbeitet, jo daß ich es 
hätte malen können. 

Oft ſchon war es mir troftreich, 
auch don Andern beftätigt zu hören, 
tie fich mit gewilfen Orten und Namen 
zuweilen jo beftimmte Vorſtellungen 


Außer mir und einigen anderen 
| Gepädsftüden war noch Niemand an— 
wefend. Die Paſſagiere füllten vor— 
läufig die Buffetzimmer. Das ge— 
dämpfte Licht und die Ruhe in dem 
mwohlteımperierten Raum Luflten mich 
bereit3 in ſüßes Wohlbehagen, als die 
Signalglode ertönte und die Reilenden 
ih zu verfammeln anfiengen. Männ— 
fein und Weiblein von recht alltäg- 
lihem, umintereflanten Anſehen er— 
ſchienen gepaart und einzeln, und erft 
mit dem zweiten Pänten kam etwas 
Leben in das nüchterne Bild. Es er— 
ſchien ein elegant gefleideter Herr, dem 
der Thürfteher unter tiefen Büdlingen 
‚Die Honneurs des Haufes zu machen 
ſchien. Ein livrierter Diener brachte 
das fein adjuftierte Dandgepäd herbei 
und empfahl fich mit demüthiger Miene. 
Selbfiverftändlich hatte diefes Gethue 
alsbald die allgemeine Aufmerkſamkeit 
‚ erregt ; mehr oder minder deutlich ſprach 
aus allen verftohlenen Bliden die 
Frage: „Wer mag das fein?“ 

Mir aber ſchien das Geficht nicht 











verbinden können, daß fie ſich unaus- ganz unbelannt, und ſchon langte ich 
rottbar im unſerem Gehirn feitiegen nach dem Nafenklemmer, ohne deſſen 
und merkwürdiger Weiſe jehr häufig | Hilfe es mir fchiwer wird, aus einiger 
in der Wirklichkeit ihre Beltätigung | Entfernung Gefichtszüge zu erkennen, 
finden. Diefe meinem Hirnkaſten inne- als das mahnende „Einſteigen“ jeden 
wohnende Eigenschaft nennen Freunde | weiteren. Recognoſcierungsverſuch ab= 


„eine lebhafte Phantafie” ; ich befürchte 
aber, daß fie in einiger Beziehung fteht 
zu jenem gewifen Samenforn, von 
dem ein befannter Piychiater behauptet, 
daß es, mehr oder minder entwidlungs= 
fähig, die meiften nervöſen Menfchen 
in ſich tragen. . 

Diejen Grübeleien machte das Auf— 
marſchieren der vollen Schüffeln bald. 
ein erwünſchtes Ende, und mac dem 
Souper fühlte ich mich mit dem Schid- 
ſal Schon jo ziemlich ausgeſöhnt. Ich 
begab mich in den Salon, wo ich die 
Abfahrtszeit abwarten wollte und in 


ſchnitt. 
Für eine Nachtfahrt ein leeres 


Coupé ergattert zu Haben, ift gewiß 
reichlicher Grund zu innerer Zufrieden= 
heit und im diefem angenehmen Bes 
wußtjein war die erfte Stunde bereits 
bergangen, als ich unverſehens auf 
einer Zwifchenftation, durch das Ein» 
fteigen eines höchſt unwillkommenen 
Zweiten aus all meinen Träumen ges 
riffen wurde, 

Es ijt merkwürdig, wie ſchnell dem 
Culturmenſchen unter gegebenen Ver— 
bältniffen die jogenannte gute Lebens— 


der weichen Sofaede und mit Dilfe|art, auf die man fich jo viel zugute 
einer trodenen Galanes waren in fürs |thut, abhanden kommen kann, und es 
zefter Zeit auch alle Vifionen von | würde mich gar nicht Wunder nehmen, 
Millionär» Vifagen gänzlih von mir wenn jenem Fremdling damals gleich 
gewichen. durch mein Benehmen ganz ähnliche 


Roſe gger'a „eianqgarten““, 7. Seft, XI. 32 


philofophiiche Gedanken aufgebligt fein 


jollten. Der erfte Impuls ift immer 
der richtige. 
„Entfehuldigen Sie mein Ein» 


dringen,“ ſagte er höflich grüßend, „in 
dem Sclafwagen war mir eim un— 
leidlicher Gefelle beigegeben worden, 
der eine ganz umerträgliche Atmoſphäre 
um fich verbreitete; eine andere Schlaf- 
ftelle ift nicht zu haben; fo blieb mir 
denn nichts übrig, als des Schaffners 
Rath zu. befolgen und in diefes Coupe 
einzufteigen. Ich will Sie fo wenig 
als möglich beläftigen. “ 

Die verbindlichen Worte waren mit 
unverkennbar ausländiſchem Accent ges 
ſprochen. Ein kühles: „Ich bitte“ — 
meinerſeits brach zwar alle weiteren 
Auseinanderfegungen ab, hinderte je— 
doch den Eindringling keineswegs, in 
den Vorbereitungen zu einer möglichft 
bequemen Nachruhe fortzufahren. Zu— 
erst wollte e& mir nicht gelingen, einen 
günftigen Beleuchtungsmoment zu er= 
haſchen, um feine Gefichtszüge zu er— 
fennen. — Man liebt es doch, zu 
willen, mit welcher Phyſiognomie man 
jein Lager teilt — bis er felbft eine 
zierlihe Zafchenlaterne anzündete, mit 
deren Hilfe er ſich nach einem Gegen: 
ftande in einem eleganten Reiſeneceſ— 
jaire auf die Sude machte. Beim 
erſten vollen PLichtftrahl, der mir die 


Züge meines Neifegefährten deutlich 


zeigte, fuhr ich aber wie eleftrijiert 
zufammen. Beim Dimmel! Das war 
die Millionär-Bifage wie ſie allemal 
vor mir auftauchte, ſobald der Con— 
verlionen-Goldprioritäten-Rentenmann 
in den Zeitungen zu ſpuken beganır. 
Und — ja wahrhaftig, es ift derjelbe 
Wichtigthuer, den vorhin der Thür 
fteher im Wartefalon fo heftig anfnirte. 

Ich war bei diefer Entdedung ur— 
plößlih ganz und gar wachgeworden 
und alles Ruhebedürfnis jchien mir 
abhanden gefommen zu fein. „Das 
wäre ja ein köſtliches Spiel des Zu— 
falls — doch nur ſachte — ftellen 
wir nur zuerjt weitere Beobachtungen 
an.” So bejänftigte ih das bewußte, 


—et — — — — 


108 


gefährliche Samenkorn, das ſich heftig 
zu regen begamıı. 

Mein ſchräges vis-A-vis hatte un— 
terdeifen aus tadellofen Reiſeutenſi— 
lien eine feine Reiſedecke und ein 
praftifches Kopftiffen ausgeframt, auf 
das nicht allzureich gelodte Haupt ward 
eine Sealskinmütze aufgeftülpt, und 
num langte er nach einem portefenille= 
artigen Stüd, auf deſſen Vorderſeite 
meinen Späherauge fofort ein kunſt— 
reich geichnörteltes großes H auffiel. — 
„Da haben wies — H! — kann auch 
das bloß Zufall fein? — Es ftimmte 
Alles dermaßen zu meinen Vorſtellun— 
gen, dab ich mich bald ziemlich ficher 
meiner Sade fühlte. Jetzt lag natürlich 
mir ſehr viel daran, die jo jählings 
abgebrochenen Beziehungen auf eine 
plaufible Weiſe wieder anzufnüpfen. 
Ich Hatte bemerkt dag meine mir in 
den Rachen gelaufene Beute nicht 
rauchte; ich z0g eine friſche Virginia 
hervor und begann aus voller Straft 
zu dampfen. Die nächte Folge davon 
war ein leichtes Räuſpern von drüben. 
— „Der Rauch fcheint Sie zu be= 
läftigen, mein Herr?“ — „DO lkeines— 
wegs,“ verficherte er lebhaft und fügte 
gleich redfelig und offenbar erfreut von 
dem Einftellen der Feindfeligkeiten hin— 
zu: „wo die gene anfängt, da hört 
die Gemüthlichkeit auf, das ift mein 
Grundſatz — bitte alfo nur immer zu.“ 

„Aha“ dachte ich, „alfo eine neue 
Variante; bisher hatte der Herr Come 
merzienratd das geflügelte Wort in 
anderer Form ausgegeben, es bie: 
„sn Geldfachen hört die Gemüthlichkeit 
auf.“ Er ſcheint, wenn es ihm 
paßt, auch fein Geiftescapital im die 
gangbare Münze umzufeßen. — Nun 
ih will mir jedenfalls die prächtige 
Gelegenheit zu Nuße machen und dem 
Goldmanne einmal ein Gedenkzeichen 
von dieſer Reife mit auf den Weg 
aeben. Diefe großen, mit allen Re— 
gierungen pactierenden Götter find 
blind und taub für das Unheil, das 
fie gefhäftlih über ein Land zu 
bringen vermögen, ihre Beeinfluffung 


499 


de3 Geldinarktes kann eben in diefem 
Augenblid von geradezu unberechen— 
baren Folgen für die nächſte Zukunft 
werden; er foll es von mir hören 
daß es eine Gewiſſenloſigleit iſt, kleine 
Leute durch ..... 

Heftiges anhaltendes Huften drang 
aus der dunklen Ecke herüber und un— 
terbrach meinen ſtillen Monolog. Ich 
hatte im Eifer meiner wortlofen Stand- 


herrlichen Wienern.“ 








Ich quittierte 
danfend im Namen meiner Landsleute 
und Holte aber gleichzeitig zu dem 
erften wuchtigen Diebe aus: „Die 
Charaltereigenſchaften eines Volkes muß 
man nicht nach einem kurzen Aufent— 
halt in der Reſidenz und noch weniger 


nach einem flüchtigen Verkehr mit jener 


Sorte von Menſchen beurtheilen, die 
Io Firnis der Wohlerzogenheit überall 


rede das ganze Coupe mit diden Rauch— mit einer jo dichten Schicht überzogen 


wolten erfüllt, und beeilte mich jetzt 
durch Oeffnen der Ventilation die Luft 
etwas zu verbeflern, den Glimmſtengel 
warf ich weit fort, in die Nacht hin— 
aus. Gegen diefe edle Handlung aber 
proteftierte mein ahmungslojes Opfer 
auf das entſchiedenſte: 

„Das faun ich wirklich nicht dul— 
den, Sie treiben die Gaftfreund- 
ihaft zu weit — erlauben Sie im 
Gegentheil, daß ich Ihnen eine frische 
Cigarre anbiete.*r — Das Eis fchien 
gebrochen, ich hatte meinen Zweck er— 
reicht umd ein Geſpräch war ange: 
fnüpft. Das eben berührte Thema der 
Gaftfreundfchaft, gab dem Fremdling 
Anlaß zu einer ſchwungvollen Dithy— 
rambe auf unſere öfterreichifche Hoſpi— 
talität. — „Das ift noch ein leßter 
Reſt guter alter Sitte“ wehrte ich 
bejcheiden „im großen Ganzen find 
wir in Nichts beffer und vielleicht in 
manchen Dingen weniger wert als die 
anderen Culturvölker.“ 

„Sie thun Sich fchweres Unrecht 
mein Herr“ — vertheidigte der Andere 
warmen Zone, — „wir Ausländer 
willen die Vorzüge unferer Stammes» 
genoſſen an der Donau befjer zu wür— 
digen. Ich jelbit komme in aller Herren 
Länder herum (ich ſpitzte die Ohren) 
und muß vermöge meines Berufes mit 
Menschen der verfchiedenften Geſell— 
Ichaftsclaffen verkehren (Aha! jubilierte 
ih.) — Nun ih kann Sie verfichern, 
daß ih in feinem Staate ein ſolches 
Entgegenfommen, eine jolche Fülle von 
prächtigen Eigenjchaften vereinigt ge— 
funden habe, wie in den Ländern Ihrer 
Monardie, und vor Allen bei Ihren 





hat, daß ihre eigentliche Natur gar 
nicht mehr zum Vorſchein kommt. Daß 
die vielbelobte Wiener Gemüthlichkeit 
einen unſerer Vorzüge bildet, will ich 
übrigens gerne gelten laſſen, nur 
wünschte ich, dak auch andere unſerer 
Tugenden ſich ebenfo in Aller Munde 
befänden und nicht fo beharrlich todt= 
geihwiegen würden. Wir befißen Ener— 
gie, Ausdauer, Arbeitstuft, Geſchmack, 
Geſchäfts- und Kunftiinn. Weshalb 
werden dieſe unfere guten Seiten nicht 
ebenfo belobt ? Glauben Sie mir, es 
ift traurig, daß jelbit ſolche Perſönlich— 
feiten, die vermöge ihrer Machtſtellung 
in die Lage kommen, ſich mit dem 
Mohle, mit der wirtichaftlichen Beſſe— 
rung in unferem Staate zu befchäftig- 
ten, fi nicht der Mühe unterziehen, 
unfere wahren Bedürfniffe zu jtudieren; 
ja, daß man e3 gerade von Ddiefer 
Seite nicht immer verfhmäht, unſere 
vielgerühmte Gemüthlichleit, auch ge= 
ſchäftlich, in nicht ſehr gewilienhafter 
Weiſe auszubeuten“ — Ciappa su e 
porta a casa — jagt der Venetianer. 
Meine Tirade hatte offenbar ihre Wir— 
fung gethan. Mein Gegenüber blidte 
ganz verdußt darein. „Sie fprechen 
da eine große Beichuldigung aus,“ ſagte 
er ziemlich Heinlaut, ich aber ließ mich 
nicht beirren und fenerte ihm mein 
volles Geſchoß in’s Gefiht: — „Mein 
Herr, ich gehe gern loyal zu Werke, “ 
verießte ich entichloffen, „ich bin 
mir wohl bewußt, mit wem ich die 
Ehre habe, diefes Nachtquatier zu thei— 
fen,“ — ich neigte leicht grüßend den 
Kopf — „und habe das Gefagte nicht 
ohne Abjicht geſprochen. Sie werden 
32* 


500 


meinen Freimuth entſchuldigen, 
Reifen darf man ſich manches erlauben, 
und ich glaubte es im Ihrem eigenen 
und in dem Intereſſe meines Vaters 
landes geboten, Sie über die wahre 
Denkweise der MWohlmeinenden aufzu— 
Hären !* 

Ganz beftürzt hatte fich der fo 
jählings Angegriffene aufgerichtet: „Er— 
lauben Sie,“ ſagte er mit fcharfer 
Betonung, „Sie Haben eine ſonder— 
bare Auffaffung von Loyalität; ich 
wenigftens habe bisher nicht gewußt, 
dal unter diefem Namen ein nächt— 
licher Ueberfall befannt it, wo einem 
Grobheiten an den Kopf geworfen 
werden, vor denen man fich gar nicht 
retten kann. Vielleicht werden Sie fi) 
wenigftens zu einer Erklärung herbei— 
laſſen, denn es kann mir wahrlich nicht 
gleichgiltig fein zu erfahren, was Sie 
zu ſolchen ehrenrührigen Anſchuldigun— 
gen berechtigt. Meine Unternehmungen 
tragen Alle den Stempel höchſter So— 
lidität an fi, niemals ift noch eine 
Klage über mein Vorgehen eingelaufen 
und die ganze Welt ftellt mir das 
Zeugnis eines reellen Gejchäftsinannes 
aus. Wie fommen Sie dazu, mir jolche 
Vorwürfe zu machen ?* Ich wollte er- 
widern, aber er hatte fi dermaßen 
in Diße geredet daß er, ohne mich zu 
Wort fommen zu laffen, jogleich wieder 
fortfuhr: „Meder ich ſelbſt, noch 
das große Unternehmen, das ich jeit 
Jahren zu vertreten die Ehre habe, 
würden jemals zu jenen Preſſions— 


auf mitteln unlauterer Art greifen, die 


heutzutage vielfach angewendet werden, 
und ich kann mich rühmen, dem guten 
Ruf meines Welthaufes in halb Europa 
mit begründet zu haben, und nun 
fommen Sie, mein Herr wahr 
jcheinlich ein Goncurrent, nicht wahr ? 
— und wagen ed, mir von Ausben— 
tung zu Sprechen ..?“ 

Ich verfuchte wieder, ein aufklären— 
des Wort einzufchalten, unmöglich); 
der gewedte Leu brüllte fort: „Hier, 
fehen Sie* — mit fieberifchen Zuden 
der Hand ein dides Portefenille aus 
der PBrieftafche ziehend — hier“ — 
er brachte ein großes Blatt nach dem 
andern aus den Fächern hervor. — 
„Eine Beltellung der Fürftin O., die 
den ganzen Troufjean ihrer Tochter bei 
mir angefhafft Hat — hier ein Auf: 
trag der Generalin von A., die für 
ihre Salons alle Möbelftoffe bei mir 
beitellte — hier —“ den Reſt hörte 
ih nicht mehr, — ih glaube, «es 
Ihwanden mir die Sinner Als ich 
meiner ſelbſt wieder mächtig ward, 
graute es bereits und bei anbrechendem 
Tageslicht las ih mechaniſch die in 
großen Goldlettern prangende und mit 
Medaillen überfäete Auffchrift einer 
mir im Schoße ruhenden Karte: 


I M. Halenius 


alleiniger Vertreter der Firma X. 9. 
in Berlin, k. Hoflieferanten für Mo— 
des, Gonfections, Ameublements und 
Nouveautés. 


Dorfrichter 


und Pope. 


Gin Culturbild aus dem Oſten von Ferdinand Schifkorn.“) 


X a3 rumänische SKarpathendorf 

unterjcheidet ih von all den 
berühinten und unberühmten Berg: 
orten des cultivierten Weſtens vorzüg— 
lich durch feine Waldeinſamkeit, feine 
Meltverlaffenheit in weiter und uns 
entweihter Wildnis. Vier Meilen bis 
zum nächften bewohnten Orte, act 
bis zum mächlten Marktflecken oder 
Städtchen find gewöhnliche Entfer- 
nungen für Starpathendörfer, und be= 
denkt man ferner, daß dieje Diltanzen 
zum geößern Theil auf Saumwegen 
zurüdgelegt werden müflen, auf wel— 
hen, fo lange die Welt fteht, kein 
Magenrad eine Spur zurüdgelaffen, 
daß das Echo diejer impofanten Berg— 
welt noch durch feinen Pfiff einer 
Lokomotive gewedt wurde, danı wird 
man leicht begreifen, wie der Wan— 
derer ſolch' menschliche Niederlaffung 


mit anderen Gefühlen und Gedanten | 


betritt, al3 jene Schweizer oder Tyroler 
Kunftdörfer mit ihren ftilgerecht 
erbauten Häuschen, ihren Hotels, ihren 
Poſthäuſern oder Bahnhöfen, Führern, 
Händlern und Speculanten jeder Art. 

Wir wandeln im ftillen, erniten, 
heiligen Urwalde auf ſchmalem, viele 
gewumdenem Pfade abwärts; da — 
eine jähe Wendung um die Felſen— 
fanten des waldumrauſchten majeſtäti— 
ihen Bergkolojjes und zu unſeren 
Füßen liegt das reizende Gebirgsporf 
wie dom Himmel gefallen, ſo friſch, 
jo urſprünglich, ſo eigenfinnig ein— 
gekeilt zwiſchen Fels, Wald und rau— 
ſchendem Bergwaſſer, jede Hütte für 
ſich ein eigenes Reich, eine Strophe 
der lieblichen Dorfidylle bildend, und 


alſo thalaufwärts aneinander gereiht, 
wohl eine Wegſtunde lang, ehe die 
legte menschlihe Wohnung wieder das 
Ende der Niederlaffung kündet. 

Es iſt Abendzeit. In dem kaum 
hundert Schritte breiten Thale iſt es 
längſt ſchattig geworden, dunkelt es 
ſchon, wenn die Höhen noch die feu- 
rigen Strahlenküſſe der ſinkenden Juli» 


ſonne empfangen. Feierliche Stille 
herrfcht, welche das Geräufch des in 
mächtigen Bogen abwärts eilenden 


Bergflufjes, vereint mit dem Rauſchen 
des die beiden Thalwände befleidenden 
Waldes, diejer köſtlichen Muſik der 
Natur, um jo harmonifcher wirken 
läßt. Das Dorf ſcheint wie ausge— 
jtorben ; die einzelnen, hinter Pflaumen— 
bäumen und Erlenbüfchen veritedten 
Häuschen verrathen jo wenig Leben 
wie der ſchmale Fußſteig, der ſich 
duch das Thal windet, oder die 
Ihwanfen Bretterftege, welche das 
reißende Gebirgswaller überſpannen. 

Doch ſieh', jetzt wirbeln bläuliche 
Säulen aus einem der niederen 
Schindeldächer zu dem ſchmalen Strei— 
fen Himmel empor, der das enge Thal 
für das Auge abſchließt; eine zweite 
und dritte Rauchſäule wird ſichtbar, 
und endlich gibt es keine Behauſung 
im Dorfe mehr, deſſen Dachluke nicht 
jene anheimelnde bläuliche Wolke ent— 
ſtiege, als untrüglicher Beweis von 
der Anweſenheit eines am häuslichen 
Herde ſchaffenden Weſens. Es iſt die 
Stunde, um rechtzeitig den eiſernen 
Waſſerkeſſel für den abendlichen Mais— 
fuchen (Polenta) über das Feuer zu 
hängen, und wie als Antwort auf jo 


*) Aus deſſen an anderer Stelle gewürdigtem Werte: „Eulturbilder aus dem Often“, 


(Leipzig, Eugen Beterjon, 1887.) 


erfrenliches Signal tönt harmoniiches 


902 


flüchtigen Gemſe auch den Menfchen 


Schellengeläute von der Höhe nieder, |eigen, und diefe Stege werden im 


nahende Herden verfündend, begleitet 
von den Tönen der Hirtenpfeife, deren 
bald melancholifche, bald heitere Na= 
tionalweifen zu folcher Zeit, in ſolcher 
Umgebung das Gemüth feltfam er— 
greifen. 

Nun beleben ſich wie mit einem 
Schlage Wege und Stege; Kinder, 
nur mit einem Hemdchen befleidet, 
und Frauen eilen Hurtig den heim 
fehrenden zwei- und vierfüßigen Daus- 
genofjen entgegen. 

Ei, wie viele Küffe und Um— 
armungen mancher Schöps, manches 
Zidlein und manch’ ehrjame Kuh von 
den herbeieilenden Heinen Hausgenoſſen 
empfängt — und beinahe hätte ich 
gejagt — erwiedert! Denn hier in der 
Wildnis find Menfhen und Thiere 
noch nicht durch die große ſociale 
Kluft der Bildung getrennt; hier 
wächst Menſch und Vieh ohne ABE 
und Einmaleins miteinander auf, kennt 
und liebt ſich, und es ift nichts Sel» 
tenes, daß ein junger Menfchenfproß 
in kühler Nacht gemeinſchaftlich mit 
dem Lieblingslämmlein bei dem Mutter- 


ichafe belebende Wärme jucht und 
findet. 
Auch des Popen junge, Schöne 


Frau eilt herbei, denn es ift Samstag, 
an welchem Tage der Gatte von der 
Stinna herablommt, um den ſonn— 
täglichen Gottesdienft abzuhalten. Das 
ſchlanke, 


auch nur aufzuſehen von ihrer Spin— 
del, während der friſche Junge auf 
ihrem Rücken ſich lachend über das 
ihn bergende Tuch biegt, mit Ent— 
zücken nach den weißſchäumenden 
Wogen des Bergfluſſes langend; — 


ein Fehltritt, ein Moment des Schwin⸗ 
dels, und Beide ſtürzen in die toſen⸗ 
den Wellen, da der Bergfluß nur an 


einzelnen Stellen, und jelbft da mur 
für kräftige Männer pailierbar iſt. 
Allein bier in der Wildniß find das 
fihere Auge, die Stahlnerven 


fräflige Weib überjchreitet | 
den hohen, geländerlofen Steg, ohne, 


der | 


Laufe des Tages Hundert und hun— 
dertmal auf diejelbe Weiſe von Frauen 
und Kindern pafliert, ohne dak man 
je von einem Unglüdsfalle hörte. 

Jetzt taucht die Hohe Geftalt des 
Popen aus dem Walde empor. Ein 
Fremder hätte dem fräftigen, wetter- 
gehärteten Marne, welcher ſich äufßer- 
lih von den männlichen Mitgliedern 
jeiner riftlihen Herde mur durch 
einen ftattlichen ſchwarzen Bollbart 
unterfcheidet, wohl kaum die geiftliche 
Würde angejfehen. Doch wie er elafti- 
Shen Schrittes auf der weichen San— 
dale einhergeht und das dunkle, intelli— 
gente Auge hHervorbligt unter dem 
breitrandigen Filzhute, muß man ihn 
einen jchönen Mann nennen. 

O Brigitta, Auserleſene unter 
den Meibern, wie verzeihlich ift Dein 
Stolz beim Anblide diejes Gatten, 
an welchen fich die Frauen, jung und 
alt, Herandrängen, um die jchmielige 
Hand des Gottesmannes erſt an die 
tief gejenfte Stirn und damı an den 
Mund zu drüden! Nur Du allein, 
die Auserwählte, darfft Dich ihm mit 
vertraulihem Lächeln nahen und ijt 
die gleichzeitige Kniebeugung offenbar 
nur eine Goncellion an die Welt, 
welche ja leiht meinen könnte, der 
Ihöne Mann fei Dir gegenüber nur 
zärtlicher Gatte und nicht auch Ge⸗ 
weihter des Herrn; flüſtern doch böſe 
Dorfzungen, nicht der hochwürdige 
Pope Girolamu, ſondern Brigitta ſei 
der Herr im Hauſe, und Erſterer 
unterwerfe ſich den Befehlen ſeiner 
Gattin weit unbedingter als den Ge— 
boten Gottes, was übrigens dem 
Manne von ſchönen Leſerinnen gewiß 
nicht als Verbrechen angerechnet wer— 
den dürfte. 

Und allmählich wird es wieder 
ſtill und einſam im Dorfe. Menſchen 
\und Thiere verſchwinden nah und 
nad) in den niederen Hütten, heiteres 
\ Lachen, behagliches Medern und Muhen 
tönt noch bisweilen durch die halb 








503 


offenen Thüren, doch je dichter die; Thales; mun gilt es, den langen 
dunklen Schleier der Nacht den Heim: | Winter über das Vieh zu bergen, jo 
lichen Erdenwinfel mit all’ dem, was! gut es eben geht, in Ställen und 
darin lebt und webt, einhüllen, um | Hürden, und zu ſchützen vor Wölfen 
jo tiefere Stifle herrfcht ringsum, und Bären, welche, unhold ob folcher 
alfo, daß des Käuzchens melancholi- | Wanderung ihres lebenden Fleiſch— 
ſcher Schrei neben dem NRaufchen des | proviantes, alsbald machziehen, um 
Flüſſes vernehmbar wird, und dann fih troß Hunden und Hirten die ge— 
und wann der Auffchrei eines beute- wohnten Braten zu verichaften. Na— 
gierigen wilden Thiered. Doch flört | mentlich find es die Wölfe, welche, 
leßterer die füRe Ruhe der Dorfbes | die finfterfien Nächte, die ſchlimmſte 
wohner nicht, Meifter Petz und Iſe- Witterung für ihre Unternehmungen 
grimm Find zu Hug, um ihr Diner) wählend, meijt einen oder auch zwei 
in verjchlofjenen Räumen zu fuchen, | gleichzeitige Scheinangriffe auf Die 
dieweil es noch auf der Alpein Hülle! ſchützende Verzäunung ausführen, um 
und Fülle und in aller Bequemlich | Hirten und Hunde nad einer Seite 
feit zu haben ift. zur Vertheidigung herbeizuloden, wäh— 
Und nun ſchlägt die Stunde Les | rend fie aufder entgegengejeßten Seite 
Iuftigen Geiftervölfchens, das bekannte | fich mit Bliesfchnelle der Fetteiten 
ih nächtlicher Weile auf der Erde) Stüde der Herde bemäctigen. Bes 
„ Ichaltet und waltet, fo lange es nicht | jcheidener und mäßiger erjcheint Meifter 
von der Bücher und Nafeweisheit| Peb, da er allerwärts Birnen, Aepfel 
der Eulturmenjchen vertrieben wird. | und Pflaumen, vor Allem aber feine 
Wichteln und Gnomen, Elfen und) Liebingslederbiffen, Brombeeren und 
Niren treiben fich num herum in Bufch | wilden Honig, findet, mit welcher Koft 
und Wald, auf Halmen und Gräfern | fih der feine Näfcher für ein Weil- 
und Wellenſchaum, auf Blättern und) chen wenigftens zufrieden gibt. Da 
Nadeln im luſtigen Reigen unter | begibt es fich denn zumeilen, daß einer 
Kichern und Schäfern, oder dringen | oder der andere der obftlüfternen Dorf: 
mit den Strahlen des Mondes in die burfche fich zum jelben Plätzchen findet, 
Schlafftätten der Menschen, um neu- das Meifter Petz erfiefen, und die 
gierig Alles zu durchſtöbern, nach Luſt beiden Näfcher urplößlich nicht wenig 
und Laune fördernd oder zerftörend, | verwundert einander gegenüberftehen, 
manchen jchlimmen Patron im Schlafe| bis der Zweifüßler, ſich befinnend, 
mit Schredlihen Träumen peinigend, | Reißaus nimmt, verfolgt don dent 
manchem lieben Kinde dagegen freu= | grimmigen Gebrumme des geftörten 
dige Zukunft verheißend, bis der erſte Vierfüßlers. 
Hahnenfchrei dem tollen Treiben ein Derlei Kämpfe und Begegnungen 
jähes Ende bereitet und das Tagewerk find übrigens für Karpathenmenjchen 
der Menjchen von Neuem beginnt, nichts weiter als ein anregender Zeit- 
So das Bild zur Sommerzeit. | vertreib, ein Erfa etwa für Sport 
Gegen Ende Auguft Schon ziehen | und Hazardipiel oder die gewohnte 
die hohen Bergherren oben den Her- | Whiftpartie des civilifierten Menſchen, 
melin über die Niefenfchultern, die nur daß der Einfaß nicht in rothem 
weiße Pelzmütze über die „erhabenen | Golde, fondern in rothem Blute beiteht. 
Häupter“, und nun ift es höchſte Doch gibt es auch minder gefähr- 
Zeit für Menfchen und Vieh, die ge- liche Winterbeluftigungen für den 
ſchützten Tiefen aufzufuchen. Bergdörfler. So namentlich jene Feſte, 
Einige Wochen noch und fchon | welche zur Feier geichloffener Herzens- 
reihen die Süäume des Hermelinz | bündniffe, Kindstaufen und Todes— 
mantel3 Hinab bis zur Sohle des fälle veranftaltet werden, wobei es 


S — — — — — — — — 


nicht an Mummerei und Zanz, noch |terlihen Zuſammenleben aufeinander, 
weniger aber an Branmtwein fehlt, | und da gerade die beiden höchſten 
dem das männliche Gefchleht — | Wirdenträger des Volkes an der Spitze 
leider muß dies geftanden werden — der ſich Vefeindenden ftanden, fo litt 
in den Starpathen ebenjo warm und) endiih das Gemeinweſen felbft unter 
innig ergeben ift, wie in St. Peters- fo harinädiger Fehde. 
burg, Berlin oder Wien. An der Spitze der Temperanzpartei 
Allerdings ift die Wirkung folcher | befand ſich nämlich niemand Gerin— 
Ergebenheit nicht die gleiche. Der gerer als der Pope Girolamn, reſpec— 
Karpathenmenſch trinkt jo viel und tive deilen fchöne Gattin Brigitta, 
wahrjcheinfich noch mehr als der Pro= | welche energisch, wie fie war, durch 
letarier der großen Städte, dennoch | eigene Agitationen ſowohl als durch 
fonmen bei den Erfteren Volltrunfene | des Gatten gewaltigen Einfluß mehr 
jehr jelten, verfommene Individuen | als drei Biertheile der weiblichen 
aber nach dem Mufter der catilinaris | Dorfbewohner commandierte ;das Haupt 
ſchen &riftenzen der Großſtädte nie der Gegenpartei aber war der nach 
vor. Allein jo unverwüſtbar die Natur | dem Popen wichtigſte und gewichtigite 
diefer Bergmenſchen auch iſt, das Mann im Dorfe, der Ortsvorfteher 
Banntweintrinfen wird deshalb inmmer | und Schwager der Popenfran, welch” 
nicht zur Tugend, und fpeciell für) legtere Beziehung — dem Manne 
unfer Gebirgsdorf wurde es fogar | fat zum Fluche geworden wäre. 
zum Anlaffe eines mehrjährigen Bürger: Das Hatte ſich Toniu Paleſtru, 
krieges. ſo hieß der Dorfrichter, allerdings 
Wie in dem großen Freiſtaate | nicht träumen laſſen, als er mit Mas 
Amerikas, hatte die Brammtweinfrage | rinzza, der reizenden Schweiter Bri— 
auch in dem Heinen Sarpathendorfe | gitta’s, an den Altar trat, um dom 
die Bevölkerung in mehrere Parteien | dem künftigen Schwager Girolamı 
getheilt, deren eine, zum größeren | getraut zu werden. 
Theile aus Vertreterinnen des Schönen War doch Mariuzza als Mädchen 
Geſchlechtes beſtehend, das Trinken und ſelbſt noch in den erſten Monaten 
überhaupt (Waſſer ausgenommen) für der Ehe weich und biegſam wie Wachs 
ein unerträgliches Lafter erklärte, wäh | gewefen, alfo dag Tonin ſich im fies 
rend die andere Partei, welche ſich benten Himmel wähnt. Es begab 
Freiheitsfreunde (Schnapsfreunde ſag- fih aber, das Marinzza an Sonntage 
ten die Frauen) nannte, in diefer  abenden, das heißt zur Zeit, wo Toniu 
Unduldjamfeit eine Beſchränkung a in zärtlichfter Panne aus der 
| 





eheberrlichen Unabhängigkeit (des ehes | Dorfichente kam, allmählich immer 
herrlichen Permanenzraufches meinten | härter und jpröder wurde und endlich 
die Frauen) ſah und trogig auf ihrem rund erklärte, wenn Toniu fie lieb 
Rechte des Trinfens bejtand. habe, müfle er das Schnapstrinken 
Zwifchen diefen beiden Ertremen | aufgeben, da fie fchon den Geruch diefes 
ftand eine dritte, meutrale Partei, häßlichen Getränfes nicht vertrage. 
welche, aus beiden Gefchlechtern ge= So fan es, daß Toniu, nachdem 
mifcht, unermüdlich an einer Verſöh- alle Verſuche fcheiterten, Marinzza’s 
mung der „Rechten und Linken” arbei- erfrantten Geruchsſinn durch Vers 
tete, in der nicht unberechtigten Ansicht, | munftgründe zu heilen, endlich zu 
dak auch im diefer Frage die richtige | „ſchlagenden“ Arqumenten feine Zus 
Antwort in der Mitte liege. flucht mahnı, und zwar mit folcher 
Indefjen wie es Mlittelparteien | Ueberzeugungstraft und Eindringliche 
meist zu gehen pflegt, jo gieng es auch | keit, day die arme Frau gar bald 
diejer, die Gegenjäge prallten im win- wenigitens einen „Waftenftillftand * 


eingegangen wäre, hätte die ener= 
giſche Schweſter nicht beiferen Rath 
gewußt. 

Die kluge Frau hatte die Nutz— 
loſigkeit des bisher geführten Guerilla— 
frieges längft erkannt und beſchloß 
daher, einen Hauptſchlag zu führen 
und zugleich die Schweiter zu rächen. 
Tonin Follte nämlich als Poltron und 
Trunfenbold gebrandimartt und dadurch 
nicht nur deſſen Herrichaft im Haufe, 
jondern die ganze Partei vernichtet 
werden. 

Der Plan war gut und Frauen 
it war um die Ausführung nicht 
verlegen. Zwar verfagte der biedere 
Girolamı, der im Grunde feinem 
Schwager Herzlich zugethan war, aus 
fangs ſeinen Beiltand, allein wie lange 
vermag ein liebender Gatte den Vers 
führungskünſten eines Schönen Weibes 
zu widerftehen? — Zonin’s Verder- 
ben ward bejchloflen. 

Es war,am Morgen des nmächiten 
Sonntages, daß der Ahnungsloſe nach 
einer äußerſt animierten Parteifikung 
in der Schenfe den Heimweg antrat. 


505 


winfchte ih im Stillen Glüd, daß 
er jo bald das Mittel gefunden, ein 
wideripenftiges Weib zu curieren. Ya, 
er dachte Jogar.ernftlich daran, Marinzza 
zu folgen, um ihr den gefüllten ſchweren 
Milchzuber zu tragen, als plößlich 
wüthendes Hundegebell erſcholl und 
gleich darauf die ſchlanke Frauengeftalt 
wieder erichien, doch ohne Gefäß, und 
im windfchneflen Lauf über den Steg 
eilend, jenſeits desſelben die Schafe 
eingehürdet waren; am  diesfeitigen 
Ufer aber ftürzte fie mit den Worten 
zu Boden: 

„Der Bär, Toni, nimm 
Tlinte! Der Bär! der Bär!“ 

Des Richters Gehöfte ftand eine 
Viertelftunde Wegs von den nächſten 
Hänfern de3 Ortes entfernt, im un— 
mittelbarer Fühlung mit der Wildnis, 
daher der Beſuch wilder Thiere gerade 
nicht zu den Seltenheiten gehörte und 
Toniu ohne Weiteres nach der Ttets 
geladenen Flinte griff und feinen 
Meibe zu Hilfe eilte. 

Kaum Hatte er mit wenigen 
Sprüngen den Uferrand erreicht, ſo 


die 


Sein Gang war in Folge deſſen etwwas ſah er in der That jenfeits des Flüß— 
wanfend und wich, wo es die Breite) hens im weißen Morgennebel die 
des Weges erlaubte, ſtark von der ungewifjen Umriſſe eines Bären von 
geraden Linie ab. Doch erreichte er geradezu fabelhaften Größendimen— 
gefährdet jein ftattliches Heim, auf) fionen. Gleichwohl ließ ih Tunin an 
deſſen Schwelle er Mariuzza traf. Mit | ber Seite der wie ohnmächtig dalie= 
Bergnügen bemerkte er den großen | genden Marinzza auf ein Knie nieder, 
Mithkrug in deren Händen, als Bes legte die einläufige, aber vortreffliche 
weis, daß es Zeit zum Melken der Kugelbüchſe an die Schulter und drückte 


Schafe war, und fagte daher, fich mit; muthig los. 


der ganzen Würde eines Dorfober- 
hauptes umgürtend: 
„Spute Dich, mich dürſtet.“ 


Ein entjeßliches Gebrüll folgte auf 
den Schuß, danı aber erhob ſich das 
Unthier im feiner ganzen erjchredenden 


Ein langer Blick der Gattin ruhte Größe und ſchritt, auf das Aeußerſte 


auf dem geitrengen Eheherrn, 
möglichft gerade weiter Schritt, und 
ein Zornesblitz leuchtete aus ihrem 
Auge, als fie erwiderte: 

„O forge nit, Du ſollſt Dein 
Frühftüd alsbald befommen“, worauf 
fe ih im der That mit eiligen 
Schritten entfernte. 

Toniu ſah ch jo ungewohnter 
Willfährigkeit verwundert 


der gereizt, mit weit aufgeſperrtem Rachen 


und erhobenen VBordertagen auf den 
unglücklichen Schüßen zu, ohne daß 
ihn das ſchwankende, wenig tragfähige 
Stegbreit aufgehalten hätte. — 
Einen Moment zeigte Toniu nicht 
übel Luft, fein Heil im der Flucht zu 
juchen, da er zwar ein tüchtiger Jäger, 
doch fein Freund gefährlicher Aben— 


auf und tener und Heldenthaten war, 


506 


Allein Marinzza, fein junges Weib, 
lag Scheinbar ohnmächtig noch immer 
zu feinen Füßen, und eher wollte er 
zerriffen werden, als dieſes ſchutzlos 
dem Unthier preisgeben; jo denkend 
riß er, ftatt zu fliehen, das Meſſer 
aus dem Gürtel und ſchritt entſchloſſen 
auf feinen gewaltigen Gegner zu, mit 
welhem er in der Mitte des Steges 
zuſammentraf. 

Solchen Heldenmuth ſchien der 
Bär allerdings nicht eriwartet zu haben, 
denn einen Augenblid wich er jicht- 
lich eingefchüchtert zurüd; doch zur 
Flucht war es zu fpät, nnd jo that 
er das Klügſte, was ein Bär unter 
folhen Umftänden thun kann, das 
heißt er umarmte feinen Feind mit der 
ganzen Wucht feiner Kraft, wodurch 
Lesterem der Gebrauch des Mefjers 
unmöglich wurde. 

Die Umarmung eines Bären ift 
auf feftem Lande meift verhängnisvoll, 
hier auf dem fehwanfen Stege aber 
hatte fie keine ſchlimmeren Folgen, als 
daß die innig Verfchlungenen fopfüber 
in das eislfalte Waſſer ftürzten und 
in der Tiefe verſchwanden. 

Nun aber denfe man ſich das 
Erftaunen Zoniu’s, als er, von den 
Armen des Ungeheuers glüdlich bes 
freit, auftauchte und bangen Herzens 
das Miederericheinen des lebteren er- 
wartend, ftatt deilen das angitvoll 
bleihe Antlitz feines Schwagers, des 
Popen, zu jehen bekam! 

Indeſſen fo wunderbar die Sache 
war, zit Fragen und Erklärungen 
war die Situation wenig geeignet, 
denn der Fluß war, wie ſchon er= 
wähnt, nicht breit, aber um jo reißen 
der, und es dauerte wohl zehn Minuten, 
ehe die beiden Gegner nach unerhörten 
Anftrengungen, zu  Zode erichöpft, 
triefend und bis in's Mark erfchauernd, 
am Ufer jagen und nach Athem rangen. 

„Schwager Girolamu,“ fagte Tonin 
endlich, welcher al3 rüftiger Schwim— 
mer weniger Waller getrunfen, ob= 
Ihon er dem verfappten Schwager 
hilfreich die Hand geboten hatte, „ich 


hörte Schon von allerlei Wundern, daß 
ih aber ein in's Waſſer gefallener 
Bär in einen Popen verwandelt, da— 
von hörte ich mein Lebtag nicht.“ 

Girolamu mußte ein paar mal 
nah Luft ſchnappen, ehe er erwidern 
fonute: 

„Ei, Toniu, fieh, es muß eben 
Alles ein erſtes Mal paſſieren.“ 

„Es Scheint fo,“ bemerkte Toniu 
troden, „hätte es mir übrigens den— 
fen follen, ein Zottelmann (Bär), der 
an der Schafherde vorbei einem Weibs— 


bild machläuft, könne nur ein ver— 
fappter Pfaffe fein.“ 
„Sa, Tonin, es gibt ſchlimme 


Leute auf diefer Welt,“ bemerkte Giro— 
lamu, tief auffenfzend und einen 
Heinen Waflerfall von ſich ſchüttelnd, 
„doch gibt es dagegen auch wieder 
gute Menfchen, welche ſolchen Pfaffen 
im Bärenfell mit eigener Lebensgefahr 
aus dem Waller ziehen, und fieh, das 
gleicht die Sache vor dem lieben Gott 
wieder aus; übrigens wäre der ge— 
rettete Pfaffe noch weit dankbarer, 
wenn ein helles Herdfeuer fein faſt 
erfrorened Herz aufthanen wiirde.” 

Tonin erhob ſich lachend. 

„Wahrlid. Du Haft Net,“ ſagte 
er, „ein kaltes Bad um diefe Jahres 
zeit ift eine froftige Sade für ger 
weihte und ungeweihte Leute.“ 

Damit legte er den Arın um des 
hocherfreuten Popen breite Schulter 
und wanderte mit Ddiefen feinem 
Haufe zu. 

„Hoffentlih hat Dir meine alte 
Büchje fein Loh in die Haut ges 
macht ?“ fragte er während des Gan— 
‚ges den zitternden Popen ironisch. 
| „Mein, Toniu,“ erwiderte diefer, 
„dafür forgten ſchon die Weiberleute ; 
doch kann ich Dir jagen, dak das 
‚blinfende lange Meffer in Deiner 
‚Hand ein um fo fchlimmmerer Anblid 
für mich war.“ 

„Kein Schlimmerer, meine ich,“ 
verjeßte Tonin, „als für mich ein fo 
himmelhoher Bope in der Bärenhaut.“ 


507 


So ſprechend traten ſie im die 
geräumige Wohnftube des Richlers. 
Wie behaglih jah es hier aus! Auf 
den großen, niederen Herde an der 
Breitfeite des Raumes prafjelte ein 
prächtiges euer, der Keſſel mit der 
Ihon gargelochten, köſtlich duftenden 
Malaia (Maiskuchen) ſtand daneben 
und ebenſo ein zweites Geſchirr, bis 
zum Rande gefüllt mit heißer Milch. 
Das war ein herzerfreuender Anblick 
für durchnäßte, halberfrorene Männer, 
noch herzerfreuender für Toniu aber 
das Erſcheinen ſeines anmuthigen 
jungen Weibes, das ſchluchzend vor 
Angſt und Neue die Kniee ihres 
muthigen Gatten umfchlang. 

„DO Toni,“ rief fie, „vergieb ! 
Du ſollſt nun mie mehr ein böjes 
Geſicht von Mariuzza fehen, magft 
Du auch Tag für Tag zur Scente 
gehen!“ 

„Run wahrhaftig,“ meinte Toniu 
gutmüthig und mit heimlichen Wohl: 
gefallen auf fein hübſches Weib her— 
abblidend, „wenn Du nichts dagegen 
haft, dann Liegt auch mir wenig an 
der Schenke, ja ſchwören wollte ich, 
nie mehr einen Zropfen über den 
Durſt zu trinken, Hätte ich jeßt ein 
einziges Gläschen Herzenstroſt!“ 

Da erhob ſich Mariuzza und 
brachte verſchämt und ſchüchtern eine 
ganz anſehnliche Flaſche des heiß— 
erſehnten Trankes und meinte, den 
verdutzten Blick des Gatten bemer— 
lend: 

„Was ſollte ich allein und ver— 
laſſen thun? Auch ich ſuchte in der 
Flaſche Troſt, da ich einen andern 
nicht Haben mochte.“ 

Da zog Tonin fein Weib herzlich 
an ſich und rief lächelnd: 

„Ei nun, da wollen wir uns 
fünftig lieber miteinander tröften, wenn 


wir überhaupt eines Troſtes bedür— 
fen,“ und fich zu dem Popen wen— 
dend, fügte er Hinzu: „Dir, Schwa— 
ger Girolamu, darf man wohl fein 
Gläshen anbieten, Brigitta möchte 
es merken und —“ 


„D, 0,“ fiel der Angeredete ein, 
„jo einfältig war ich nicht, Schwager 
Tonin, dab ich mir insgeheim nicht 
Herz und Magen mit Lebenswafler 
erwärmt und erquidt hätte, und von 
jegt an foll auch Brigitta —“ 
Girolamu hielt inne, denn die 
Genannte ftürzte eben aufgeregt und 
bleich zur Thüre herein. 


„Du lebſt — Du bift nicht todt, 
Birolamı!“ rief fie, den Gatten um: 
ſchlingend. 

Dieſer aber löste ſich ruhig aus 
den weichen Armen der ſchönen Frau 
und bot ihr das in ſeiner Hand be— 
findliche Scnapsglätchen. Brigitta 
erkannte fofort die Lage der Dinge, 
nahm das Gläschen, ſeufzte tief auf 
und — ließ den Inhalt regelrecht 
mit Einem Schlud in ihren rofigen 
Munde verfhwinden Toniu aber 
ladte. — 

„Da, ba, gehentt will ich fein, 
wenn Brigitta dies beim Brummen: 
wafler gelernt,“ und zu feiner Gattin 
gewendet, fuhr er fort: „Du aber, 
Mariuzza, laß das fettefte Lamm in 
der Herde Schlachten und lade unfere 
guten Freunde und beiten Feinde 
zum Mahle, denn mit dem heutigen 
Tage ſoll das Ende des dummen 
Haders gefeiert werden.“ 


Bei Gott, das ſoll er,“ fügte der 
Pope freudig Hinzu, „und zwar nicht 
nur heute, fondern Jahr um Jahr, 
als ein Tag des Friedens und der 
Verſöhnung!“ 


Der EZunkenEerl. 


Eine Sondergeitalt aus dem 


AT: an darf zur Frühlingszeit wohl 
EEE Iprechen dom MWeihnachsfeit ? 
Der Winter ift Schön, wenn man mitten 
in ihm drin fteht, und noch jchöner 
ift er, wenn man ihn im Schatten 
eines blühenden Apfelbanmes aufiwedt 
im Gedächtnis. Wohlan. 

Das Weihnachtsfeit pflege ich in 
meinem beimatlichen Gebirgsdorfe zu— 
zubringen. Die Großjtadt hat feine 
eigentlichen Felle mehr, fie hat nur 
Tage der Arbeit und Tage des Müßig— 
ganges. Im Dorfe fteht noch die Him— 
melsleiter Jakobs; es geht dort klein— 
lich und kümmerlich zu, allein zu den 
feftlichen Zeiten fteigen fie doch die 
Sproſſen hinan, der Eine höher, der, 
Andere weniger hoch, aber im Staube 
des Erdreiches bleibt Keiner. 

Sch liebe die Felte der katholischen 
Kirche. Es mag fein, dab mich aus 
denjelben die feligen Zeiten der Kind— 
heit umd Jugend wieder anwehen; es 
mag fein, daß diefer große Eultus mich 
darum bezanbert, weil er es vermag, 
das Gute mit dem Schönen zu vers 
binden und fo Beides volfsthümlich zu 
machen. Die Schäden und Mißſtände, 
die auch hier vorlommen, lernt man 
allmählich entjchuldigen, weil man zur 
Einſicht kommt, daß es auf Erden 
nichts Volllommenes gibt; manches 
Häßliche lernt man überjehen, manches 
Pharifäerhafte überhören; im Strahle' 
der Kerzen, unter den Klängen der! 
Orgel und des Voltsgefanges, inmitten | 
von betenden, weinenden, in Andacht, 
erhobenen Herzen feiert man till für 
ſich und frei von den Feſſeln ſeinen 
Gottesdienſt. 

So kam ich an jenem Weihnachts— 
tage in das Gebirgsdorf. Der Winter 
that ſein Möglichſtes, um dieſes heilige 








— 


Volke von P. R. Roſegger. 


Felt dem Norden würdig zu ſchmücken. 
Schon einige Wochen früher Hatte er 
über das Land eine feite Schneedede 
gelegt, die Dächer mit ſchützendem 
Mantel bededt, die Bäume mit weißem 
Pelzwerk gefüttert und die Straßen 
für Schlitten fein geglättet nach den 
Worten de3 Adventevangeliums: was 
neben ift, joll zu einem ebenen Mege 
werden. 

Und nun zum Feſte war nad 
einem tagelangen Stillen Nebelſpinnen 
der frische wogende Winter neuerdings 
niedergefunfen über das weite Alpen 
rund. Es ſchneite und ftöberte, da 
man nicht zwanzig Sceitte von ſich 
jah. Die Kirchengeher fchoben in den 
Schneemaffen gänſemarſchartig heran, 
der Pfad hinter ihnen ward fofort wies 
der verjchneit und verweht. Von den 
Düchern ftob der Mind dichte weiße 
Wolfen auf, trieb fie in die Fugen der 
Wände, in die Fenſterkiefen, in welchen 
fih Schnee und Eis aufftaute, in die 
Kleider und Bärte der Vorübereilen- 
den. Es ſchneite feine Flocken, es war 
ein dichter ſchwerer Nebelſtaub aller— 
wärts, jedes Waſſerbläschen war Schnee 
geworden und diefer ſank und flog und 
wirbelte unabläflig nieder und man jah 
endlich nichts mehr, als unter ſich das 
blendende Wei und über ſich das un— 
durrchdringliche Grau. Dort und da 
hub der Schnee, der Schon auf dem 
Boden lag, wieder an zu wirbeln und 
‚anfzufliegen, als vene es ihn, aus den 
Iuftigen Höhen, wo die Engel heute ihr 
Gloria jangen, niedergeſunken zu ſein. 

Die Leute hatten ſich in die Hut 
der Kirche getummelt, von deren Thutme 
jetzt die Glocken klangen, den Wind 
übertönend, welcher an den Mauer— 
eden toste und an den Thurmfenſtern 





509 


pfiff und den Schnee au das Eu 
warf. Hinter den Kicchenfenftern bes 
gann der rote Schein zu dämmern, 
während ich noch im Freien fand und 
unentſchloſſen war, follte ich das Weih- 
nachtsfeft drinnen mit den Menjchen 
feiern, oder heraußen bei dem winter: 
lihen Hochgelange der Natır. Man 
hält es am Ende doch lieber mit den 
Menschen. Als ich gegen das Kirchen 
thor ſchritt, ſah ich neben mir einen 
hohen Schneehügel, aus welchem ein 
paar Holzkanten hervorjtanden. Nun 
gewahrte ichs, daß Hier ein Sarg aus 
Tannenholz Stand, mit Striden auf 
die Zragbahre gebunden. Der war 
mit jeinem ftillen Bewohner heute wohl 
Ihon aus einem der Hochgebirgsthäler 
herausgekommen. Gar ohne allen 
Schmuck ftand er da und mußte warten, 
bis die Leute drinnen mit ihrer Freu: 
denandacht fertig waren und ihn ins 
Grab legen wollten. Mittlerweile wob 
ihm der emfige Winter vajch ein Leis 
chentuch und führte über ihm mit 
wirbeindem Staube einen Grabhügel 
von Schnee auf. — Welch eine aus— 
gebrannte Welt mag — die Hände 
über der Bruft gekreuzt — da drinnen 
liegen! 

Ih trat nun, an der fteinernen 
Schwelle den Schnee von den Stleidern 
Ihüttelnd, auch im die Kirche. In die 
Augen fiel der Lichterftrahl vom ver- 
goldeten Altare und den drei kryſtallenen 
Luftern, in die Ohren der Freitgefang 
vom Ghore, in die Naſe der Weihrauch, 
welcher aus dem hin- und herſchwin— 
genden Gefäh des Miniftranten in 
üppigen Wolten aufitieg: jo nahm die 
Kirche meine Sinne gefangen, Allein, 
während auf dem Chore die lieblichen 
Krippenlieder zu Ehren des göttlichen 
Kindes Hangen, mußte ich immer wie— 
der an den Schläfer denken, der draußen 
vor dem Thor in feiner lebten Wiege 
lag. Neben mir, am Pfeiler halb an— 
gelehnt und eifrig feinen Roſenkranz 
abbetend, ftand ein alter Bauer. Dem 
Ihielte ich lange auf die Yinger und 
als ich nun merkte, daß er am letzten 


— —— — —— — —ñ— — — —— — — — — — — — — — — ——— —— — —— —— — 





Knötlein feiner Roſenkranzſchnur an— 
gelangt war, ſo daß mir die Unter— 
brechung in ſeiner Andacht nicht allzu 
ſtrafwürdig erſchien, flüſterte ich ihm 
die Frage zu, wer es ſei, der draußen 
in der Truhe liege? Der Befragte 
betete den Reit des Baterunfers noch 
rasch von der Zunge weg, dann neigte 
er feinen Kopf zu mir und zifchelte: 
„Der Funken-Ferl.“ 

Die Auskunft war gering, ein 
Anderer vielleicht hätte damit wicht 
viel anzufangen gewußt; mich ſchob 
fie in eine Welt der Erinnerung und 
der Betrachtung. Und anftatt der hei— 
ligen Weihnachtsandacht nachzuhängen, 
war mein Gedanke plöglih an einen 
Menschen gefettet, der mir weltfremd 
geweien und für den ich mich doc 
manchmal heimlich interefjiert Hatte. 

Der Funken-Ferl! Vor fünfund— 
zwanzig Jahren war er als junger 
Menſch in die Gegend gekommen. 
Einige wöllten damals wiſſen, er fei 
ein verjagter Student, Andere erzähle 
ten, er wäre ein Militärflüchtling. 
Uebrigens fragte ihn Niemand nad 
jeinem Herkommen und er ließ auch 
nichts davon verlauten. Die Wahrheit 
wird geweſen fein, daß der etwa zwei 
oder drei Meilen weit, alfo „aus der 
Fremde“ hHergezogene Menjch ein va— 
jierender Schneidergefelle war, der die 
neue Gewerbefreiheit dazu benüßte, in 
unserer Gegend herumzuſchneidern. Für 
uns anderen Schneider war der „Neue“ 
merfwürdigerweife nicht ein Gegen» 
ftand des Neides, jondern des Bedau— 
erns gewejen. Denn erftens fand der 
„Schneider-Ferl“ jo wenig Arbeit, dal; 
er ſich kaum das tägliche Brot er— 
werben konnte. Und wenn er am 
Sonntag vor der Thür feines Stüb- 
leins ftand und fich vor der Leute 
Augen die Zähne ausftocherte, fo war 
das nicht ernft zu nehmen, er müßte 
denn eine verklemmte Kartoffelſchale 
loszuftochern gehabt haben. Und zwei— 
tens war der Ferl als Halbnarr aus» 
geichrieen. Er that zwar nichts När— 
riſches, war ein bejcheidener, hübſcher 


Burſche, der ſich nur darin von An— 
deren unterſchied, daß er lärmende 
Geſellſchaften mied, ſeine eigenen Wege 
gieng und daß er den Sonnenjchein 
nicht leiden konnte. Den Sonnenschein 
hat doch ſonſt Jeder gern, er macht 
belle Augen, ein warmes Blut und 
ein luftiges Herz. Beim Ferl war's 
anders, wenn die Sonne fehien, da 
war er verftimmt; kaum etwas war 
ihm öder und langweiliger, als ein Tag 
ohne Wolfen, ohne „Wind und Wet— 
ter,“ als ein Tag, der nichts hatte, 
denn heißen Sonnenschein vom Morgen 
bis zum Abend. Als einmal fünf 
Wochen lang eine ſolche Sonnenwülte 
war, wie er fi ausdrüdte, magerte 
er ganz erjchredend ab, obzwar er da— 
mals in einem Großbauernhof arbeitete, 
wo ihm nichts abgieng. Als endlich das 
Negenwetter fam und kalter Nordwind 
die Tropfen Scharf an die Fenſter 
ftrählte, lebte der Ferl wieder auf, 
pfiff und fang bei feiner Arbeit und 
am Feierabend warf er feinen Wetter— 
mantel um und eilte hinaus in Regen 
und Sturm. Unter den Bäumen, die 
om meiften ranſchten, ſtrich er Hin, an 
Abhängen gieng er entlang, wo die 
wildeften Gießbäche niederichoffen, im 
Waldſchluchten drang er ein, wo der 
Nebel am dichtelten lag, und vollends 
wenn Hochwaſſer war, fchwänzte er 
jeine Arbeit und gieng bei den Waſſern 
wm; wenn die Yluten wild und trübe 
beranwogten, Erdreih, Bäume und 
Felsblöcke mit fich rilfen, da war ihm 
zum Jauchzen; wenn der Sturm die 
ruppigen Wipfel zauste und die alten 
Stämme brad, das fie krachend zu Bo— 
den ftürzten, wenn im Aufruhr der Ele= 
mente die Raben und Geier Freifchend 
in den Lüften flatterten und ſchmet— 
ternde Blitze dreinfuhren und blaue 
Flammen auflohten aus getroffenen 
Strünfen, da war dem Ferl zum Jauch— 
zen. Menn er endlich aus jolchen 
Wildniſſen heimkam, über und über 
pudelnaß und zerzaust, da blühten feine 
Wangen in Friichen Roth, da leuchtete 
jein Auge, da fchlang er feinen Arm 


um den Naden des erftbeiten Ktnechtes 
und wußte fich vor frischer Luſtigkeit 
nicht zu faſſen. 

Ein ſolcher Schneider war noch 
nicht geſehen worden. Der Schneider— 
muth iſt allbekannt und im Ehren 
ſprichwörtlich geworden; dach das war 
ein außerordentlicher Schneider! Das 
war ein dämoniſcher Schneider. Die 
ihn nicht für einen Halbnarren hielten, 
die filtchteten ſich vor ihm und Jemand 
brachte es auf, daß der Ferl kein ge— 
wöhnliches Fleiſch und Blute habe, 
daß er ſicherlich zum Gefolge der wilden 
Jagd gehöre, von dem er ſich aus Gott 
weiß was für Gründen losgetrennt 
habe oder vom wilden Jäger in einen 
Schneider verwunfchen worden fei. 

Berwunderlich war aber Eines. Als 
ſich der Ferl einen Schatz ſuchte, nahm 
jer nicht etwa ein reſches Engerl, aus 
‚dem fich fpäter eine böfe Sieben ent» 
wideln konnte, jo daß er für fein 
Leben Sturm und Wetter genug im 
Haufe gehabt hätte. Nein, er wählte 
ein ſchüchternes, fanftes Ding, das nach— 
gerade einen wolfenlofen Ehehimmel 
mit inmterwährendem Sonnenschein be= 
fürchten ließ. Gegen diefe Art von 
Sonnenschein jedoch hatte ſelbſt der 
Ferl nichts einzumenden. Er war fehr 
glüdlih. Sein Geſchäft hob ſich all— 
mählich Jo anſehnlich, daß er daran 
denfen konnte, jeine Marthel von ihrer 
Dienftihaft in der Armut zu erlöfen 
und zur Meifterin zu machen. 

Da kam einmal die Kirchweih, und 
weil e5 gar fo ſchön ftürmte und Regen 
und Schneefloden fielen, gieng der 
Ferl auf den Jahrmarkt. Dort gedachte 
er feiner Marthel und kaufte ihr einen 
Ihönen elfenbeinernen Strähllamm. 
Der war zwar nicht weiß und auch 
nit von Bein, ſondern glänzend 
ſchwarz und federnd, aber der Krämer 
jagte, man trage fie jeßt fo und Die 
elfenbeinernen Kämme mache man Heut 
| zutage aus Kautſchuk. Das war dem 
Ferl auch recht. Er gieng nah Haufe, 
und weil er unterwegs mit feiner 
Marthel zufammentraf und weil der 





ol 


l 


regneriiche Abend für das Mädel gar | 
jo herb war, jo nahm fie der Burfche | 
mit in fein Stüblein. Dort gab er 
ihr den Schönen Strähltamm, legte 
ih auf die lange Bank und hörte 
glüdfelig zu, wie fie zu feinen Häup— 
ten fißend den Kamm pries, daß ein 
ſolcher Elfenbeinkamm lange fchon ihr | 
Verlangen gewefen, und wie fie nicht 
wiſſe, mit welcher Freude fie ihm diejes 
Geſchenk vergelten folle. Dabei ftreichelte 
das Dirndel mit ihrer Hand feine Stirn. 
Mittlerweile war es finfter geworden 
und num fragte die Marthel etwas un— 
gleich, ob fie denn nicht Schon Fortgehen 
müje? Er rieth, daß fie nur ſitzen 
bleiben folle zu feinen Häupten und 
daß fie jegt Gelegenheit hätte, ihm 
was Gutes zu thun. Ex habe nämlich 
noch von Mutters Zeit her eine fin» 
diſche Gewohnheit, der er freilich ſchon 
lange nicht mehr hätte fröhnen können, 
weil er Niemand habe auf der Welt, 
der es ihm thue. Er habe es nämlich 
jo gottloS gern, wenn Jemand zu feinen 
Häupten fie und ihn die Haare fträhle. 

„D Du lieber Ferl,“ jagte fie, 
„daß ih Dir die Haare fträhle, das 
will ich ja gerne thun.“ 

Er hatte ein ſchönes, langes, nuß— 
braunes Haar, was aber jeßt im Fin— 
ſteru kohlſchwarz war. Das begann fie 
nun zu ftrählen. Sie ftrählte es nad) 
vorwärts, fie ftrählte es nach rückwärts, 
fie ftrählte e$ aus den Winkeln der 
Ohren und dom Naden herauf, wo 
e3 gar wie der weichſte Flaum war. 
Sie ftrählte es in Sceiteln, glättete 
es und loderte es wieder auf, -zerftörte 
die Krauſe, um fie von Neuem wieder 
berzuftellen. Sie fagte nichts dabei. 
Er ſchwieg auch und genoß die ftillen 
Wonnen, die über ſein Haupt ausge— 
goſſen wurden. Wenn ihn jetzt Jemand 
gefragt hätte, was angenehmer ſei, ein 
Gang durch die ſtürmiſche Wetternacht, 
oder ein folches Haarftrählenlajfen von 
der Marthel, ich glaube ſchier, er hätte 
ſich nicht entjchieden, fondern ich baß 
geärgert über den Störer feines füheften 
Friedens. 


——— — — — — 


Als die Marthel lange jo geſtrählt 
hatte, fiel ihr ein feines Kniſtern auf, 
das in den Haaren war und ein ganz 
wunderjames Prideln, das au ihre 
Finger ſchlug. Plötzlich that fie einen 
leifen Schredruf, dann war fie wieder 
ſtill und ftrählte weiter. 

Was das gewefen jei? fragte der 
Ferl. 

Sie ſchwieg und ließ ihre innere 
Erregung nicht merken. Es war ihr 
geweſen, als hätten aus den Spitzen 
den Haare kniſternd blaue Funken her— 
vorgezuckt .... 

Nah einer Weile, da fie immer 
noch jtrählte, fagte fie leife und mit 
Befangenheit: „Werl, ich habe Dich 
ſchon lange einmal etwas fragen wollen.“ 

„Frage nur her,“ entgegnete der 
Burſche. 

„Du mußt mir aber nicht böſe 
werden. Es iſt halt um Leben und 
Sterben.“ 

„Was meinſt Du denn, 
Dirndel?“ 

Sie ſtockte, endlich ſagte ſie: „Biſt 
die letzten Oſtern wohl auch bei der 
heiligen Beicht geweſen, Ferl?“ 

Einen Augenblick war es ſo ſtill, 
daß man wieder deutlich das Kniſtern 
vernahm in ſeinem Haar. 

„Wie kommſt Du jetzt auf eine 
ſolche Frage?” verjegte der Burſche. 

„Der böfe Feind,“ ftotterte jie, 
„bat oft fein Spiel.“ 

„Seh, Marthel, ſchau, wie meine 
Stirn Heiß ift! Leg’ Deine Wange 
drauf.“ 

Das that fie nicht, ſondern ftrählte 
noch emſiger und fchiwieg. — Gählings 
that fie einen gellenden Schrei, ſchleu— 
derte den Kamm von ſich, ſprang auf, 
ftieß mehrmals an die Wand, bis fie 
Höhnend die Thürklinfe erhafchte und 
davonlief. 

Am nächſten Tage wußte es die 
ganze Gegend: Aus dem Haar des 
Schneider-Ferl ſpringen Funken! 

Der Mann war — man wollte 
es nicht ſagen, was er war. Nun 
fonnte man ſichs wohl erklären, daß 


mein 


512 


er feinen Sonnenftrahl leiden Tonnte. 
innen Feuer, außen Feuer, das wird 
freilich Niemand aushalten. Jebt wußte 
man, warım ev Sturm, Regen und 
Geſtöber fo Fehr aufluche, aber das 
höfliiche Feuer — wer es in ſich hat 
— das löjcht Fein Eisſchauer und fein | 
Molfenbruc. 

Die Marihel befreuzte fi, wenn 
vom Schneider-Ferl die Nede war, fie 
wich ihm aus auf Hundert Schritte, 
und an ihr Belt malte fie mit der 
Kreide ein Trudenkreuz, damit fie ver— | 
Ihont bleibe vor Anfechtungen. 

So hatte der FFerl feine ſaufte 
Marthel verloren, hingegen aber den 








von ihr wijlen. Er lebte allein dahin, 
wie bisher, fiedelte ſich allmählich feſt 
und ward ein geachteter Handwerker. 
Der Spitzname blieb ihn; die Geſchichte, 
wie er zu bemfelben fa, gerieth all» 
mählich in Vergeſſenheit, nur mir war 
fie num unter den MWeihnachtsklängen 
der Orgel wieder lebendig geworden, 
während der „Funken-Ferl“ draußen 


‚dor dem Thore auf das Begraben- 


werden wartete. 

Nah dem Hochfeftlihen Gottes= 
dienfte haben wir uns angejchidt, dem 
jewigen Schläfer fein letztes Recht an— 
zuthun. Mitten durch das twinterliche 
Geftöber gieng der lange Menſchenzug 


Spignamen „Funken-Ferl“ gewonnen. |der jchwanfenden Bahre nach, hinaus 


Fürs Zweite ſchadeten die Funken 
die aus feinem Haupte Sprangen, = 
feinem Geſchäft, ſie verfcheuchten ihm 
die Funden. Ein  feuerfprühender 
Schneider, das wäre fo was! 

Die Sahe kam bis zum Pfarrer. 
Der Ferl müſſe ſich mit Weihwaſſer 
beſegnen laſſen — wollten ſie — oder 
trachten, daß er weiter fomme! Der 
Pfarrer rietd den Leuten Folgendes: 
Sie Jollten Kautſchukkämme faufen und 
ih im Finſtern ſtrählen laſſen, es 
würde auch Funken geben. 


Ob ein Weibebild ftrählen müſſe? 


ward gefragt. 

Es käme nicht gerade auf das 
Weibsbild an, belehrte der Pfarrer, 
jondern eigentlich auf die Elektricität; 
und die fei mehr oder minder in jedem 
Menſchen vorhanden und entlade ich 
bei allerlei Gelegenheiten, in Luft und 
Lieb, in Zank und Zorn, wo es oft 
Schwere Wetter und Blitzſchläge gebe, 
bei Berührungen und Neibungen der 
Körper, bejonders auch beim Kämmen 
der Haare. 

Und jebt war im der Gegend das 
Haarftrählen Mode geworden. Alles 
ftrählte, Vieles gab Funken und in 
Manchem und Mancher zündete der 
Funke. 

Die Marthel trachtete nun wieder 
zurück zu ihrem urſprünglichen Mo— 
toren, aber der Ferl wollte nichts mehr 


über die Felder zum Friedhofe. Die 
vorderen Reihen beteten laut, wir hin— 


ten hörten vor lauter Schneeſauſen 


nichts davon, und um uns zu ent— 
ſchädigen, verlegten wir uns, ſo gut 
es gehen wollte, aufs Plaudern. Da 
erfuhr ich denn don meinem Nachbar, 
einem Bauern vom Gebirge, noch Eini— 
ges aus dem Lebenslaufe des „Funken— 
Ferl.“ 

„Ein ſolches Wetter!“ kaurrte 
der Mann und ſchnob ſich den Schnee 
aus dem Bart, „der Ferl, wenn er 
heut mit dabei ſein kunnt, der müßt' 
eine hölliſche Freud' haben. — Letzt' 
Zeit iſts ja noch ärger worden mit ihm. 
Sommerszeit, wenn anderen Leuten 
das Herz hat gelacht in Wald und 
Flur, bat er ſich in die Häuſer ver— 
krochen und geſchneidert, daß die Fetzen 
find geflogen. Winterszeit hat er die 
Arbeit Liegen und Stehen laffen und iſt 
in Wind und Schnee umgegangen, 
wie wicht geiheit. In Lodenhabit und 
Mafleritiefeln durch den ſcharfen Winter 
gehen, Belleres gibts nichts, hat er 
allemal gefagt. Sommerszeit, wenn 
gegen Abend die Wolken aufgeftiegen 
find umd es in der Dämmer ange— 
fangen hat zu bligen, da ift er nicht 
ins Bett gegangen. Dat ſich draußen 
auf den Anger bingeftellt, die Weite 
aufgefnöpft und dem Gewitter ent— 
gegengefchaut, wie es heraufgeftiegen 


513 





ift hinter den Bergen mit Feuer und Knie in den Schnee ein. Hinter meinem 
Krachen und der MWetterfturm von! Haus ift ein Bühel; wie es finfter 
ferne ber über Wald und Auen ift | wird und ich beim Feuſter hinausſchau, 
gefahren und ihm an die Bruft ges | weil manchmal jo ein befonderer Schein 
Iprungen. Der Bliß rechts herab und aufzudt, fteht auf dem Bühel ein 
der Blitz links herab und der Knall Mann und vedt ſich ins Firmament 
über Häupten Hin, jo ift er dageſtan- hinein. Schau, fag’ ich zu meinem 
den wie eine Säule aus Stein. Und! Weib, wenn der dort Steiner ift, der 
wie es vorbei ift, thut er einen hohen in der Thomasnacht das Wünſchhütl 
Athemzug umd geht ins Bett. — So | fuchen geht oder den Fünfguldenbeutel 
haben wir“ — fuhr mein Weggenofje oder den Thalerſchimmel, fo ifts der 


fort — „ihn einmal gefragt, ob er| 
denn nicht mehr leben will, daß er 
dem Tod jo entgegengeht. — Tauſend 
Jahr möcht’ ich leben! ift feine Ant— 
wort. Herrgott, was werden das noch 
für Schaujpiele fein, bis es aus ift mit 
diefer Welt! — Herr Beter, ich jag’ 
es Euch: wenn auf unferem Friedhof 
Gin Todter mit Sehnfucht wartet auf 
das jüngfte Gericht, fo ift es der Ferl. 
Da wirds ihm doch Spektakel genug 
geben, alsdann!“ 

„Er muß ja noch nicht alt ge= 
wejen fein,“ bemerkte ich. 

„Nicht fünfzig. Und kerngeſund 
no, vor drei Tagen,“ ſagte mein 


Schneider. Der ſchaut fich wieder ein— 
mal die Schöne Welt an bei der Nacht. 
Ich Hab’ Euch noch nicht ausgeredet, 
jo machts einen Blegezer (Blitz) und 
einen Schwachen Schlag, juft als wie 
| wenn bei dem Stadl draußen das Hof: 
thor umgefallen war. Jeſus Maria! 
fagt mein Weib, mich deucht gar, das 
ift ein Donmerwetter mitten im Wins 
ter! — Du, fag’ ich, jetzt ſteht der 
Mann nicht mehr dort auf dem Bühel. 
Daß ihm nicht etwa was geſchehen iſt! 
So eine Mahnung Hab’ ich gehabt. 
Wie ih Hinausgeh’ und nachſchau, 
‚liegt er im Schnee und if} maustodt.“ 
Wir ſchritten durch das Friedhofs— 


| 











Verichterftatter, indem wir uns eng; thor. Bon der hölzernen Einplanfung 
aneinanderschloffen, Einer den Andern | gudten nur die Bretterfpigen aus dem 
vor dem ſauſenden Schneeftaub ſchü- | Schnee. Bon einzelnen Kreuzen ragten 
gend, fo gut es gehen mochte. „Im die Dachbrettchen Hervor, von anderen 
vorigen Jahr ift der Ferl viel kränk- nichts. Am großen Erucifir, das mitten 
lich gewefen und zum Erbarnen vom | im Gottesgarten ftebt, waren die Füße 
Fleiſch gefallen. Es war zumeift eine) des Heilands unter dem Schnee. Zwi— 
Ihöne Zeit und Sonnenschein und der ſchen den Kreuzen hin war ein fchmaler 
Ferl ift außer in feiner Kammer nicht Gang ausgefchaufelt, in welchen fort— 
viel gejehen worden, Eine alte Dienft- während der Schneeftaub Hineinwirbelte. 
magd, Marthel heißt fie, hat ihn pfle= | „Es ift wohl feltfam,“ ſagte ich 
gen wollen, er hat Dank gejagt, und, zu meinem Meggenofjen, der mun des 
tunmts Schon aflein richten. Wie aber) ſchmalen Weges wegen Hinter mir 


jegt der firenge Winter ift gekommen, 
da ift er Hervorgelrochen, in Wind und 
Schnee herumgeftiegen, hat rothe Wan— 
gen bekommen, ift ganz luftig worden. 
Jetzt lommt der Thomastag. Das 
Firmament Liegt wolfenfiniter über 
ſchneeweiß Berg und Thal. Ein weis 
her Wind geht und die Bäume ſchüt— 
tel den Schnee ab, und fallen auch 


Negentropfen. Der Funken-Ferl fteigt, 


drangen um md bricht oft bis über's 


Rofeager's „‚Geimgarten‘*, 7. Geft, XI. 


dreingieng. 

„Wenn ichs micht felber gejehen 
hätt’,“ rief er mir über die Achjel Her, 
„Ich kunnts nicht glauben. Der Blitz 
hat ihn erfchlagen, jagt der Arzt. Es 
muß dem Funken-Ferl rein fo aufges 
jegt gewejen fein. — Alsdann hats 
angefangen zu ſchneien. Und fo viel 
Schnee, dab wir den Todten vier Tage 
haben müſſen liegen laſſen in feiner 
Kummer, bis jeßt zu den Feiertagen 


33 





[2 


der Weg ift aufgemacht worden von 
unferem Hintergebirg zur Pfarrkirche 
heraus. — So, jeßt hätten wir ihn 
glüdtich da.” 

Die Menge ftaute fi, voran die 
Träger mit dem Sarge fanden am 
Grab. Wir hörten im Saufen des 
Windes kaum den Grabgefang und 
nur wie fernes dumpfes Donnern war's, 
als der Sarg in die Tiefe des ge— 
frornen Erdreichs hinabrollte. Die 
üblihen Waterunfer wurden etwas 
ſchleunig abgethan, hierauf eilten die 
Leute faft fluchtartig in das ſchirmende 
Dorf zurüd. Bald ftand am Grabe 
nur ich allein und der Winter wollte 
dem Zodtengräber zuvorklommen und 
die Grube mit Schnee füllen. Erd— 
ſchollen und Schneefruften durcheinan— 
der rollten auf den blanken Sarg und 


dies einemal that es mir wehe zu) 


denken, daß da unten der flille ewige 
Friede ift. 
Ich wei von dem Schneider Fer— 


dinand weiter nichts zu erzählen, es | 
war ein arınes, verborgenes, umbedens | 


tendes Leben. Aber ich ſah in ihm ein 
gottbeguadetes Sein, welches als einen 
Gegenfaß feines Findlichen Herzens 
friedens die braufenden Gewalten der 
äußeren Natur ſuchte und liebte, und 
gleichjam im der erhabenen, bauenden 
und zerflörenden Bethätigung der Ele— 
mente den Schöpfer und Erlöſer ge— 
ahnt Hat. 

Nur wenige Minuten war ich von 
den Leuten zuriüdgeblieben, doch als 
ich den Mantel fefter um den Körper 
windend jet meinen Weg ins Dorf 
fuchte, war derjelbe jchon wieder fo 
jehr verjchneit und verweht, daß ich 
nur mit Mühe weiter fam, ſehr oft 
ftehen bleiben mußte, um mich auszu— 


ſchnaufen, während mir der ſchneidende 
Wind den Athem zurüdftieß in die 
Bruſt. Nun wurde ich gewahr, daß 
die Richtung verloren war. Mitten im 
Felde, ringsum Schnee, ſtellenweiſe jo 
völlig vom Sturme weggefegt, daß 
ftarre Halme hervorftanden, ftellen- 
weile in ellenhohen ruppigen Schichten 
tg zu fteilen Wänden mit 
Icharfen überhängenden Kanten, und 
ringsum Nebel und Geftöber, daß es 
war wie eine brandende weiße Finfter- 
nis. Das — dachte ih — das wäre 
wieder jo etwas für den Ferl! — 
Und es hat in der That feinen Reiz. 
Der Reiz wurde mir jedoch all— 
mählich zu groß. Ich irrte ganz plan 
08 in der winterlihen Wildnis und 
hätte mich immer weiter gegen die 
Heide hinaus verloren, wenn nicht 
durch das Gebraufe plößlich ein Glo— 
\dentlang halb erftidt an mein Ohr 
| gekommen wäre. Bon riidwärts kam 
‚der Klang der Glode, die dem Bes 
ftatteten noch den legten Gruß gab. 
Sch kehrte um, überwand etlihe Schnee— 
wälle und war endlich im Dorfe, two 
auf der Straße gerade ein Schlitten— 
geſpann fteden geblieben war, daß der 
Fuhrmann die Pferde losband und fie 
mit Mühe in den nächſten Stall brachte. 
Bon der traulih warmen Stube 
aus betrachtete ich nun durch das mit 
Sägeſpänen belegte und mit einem 
goldpapierenen Nikolo gezierte Doppel— 
fenfter den Wintertag. Draußen ein 
diifteres bläuliches Weik, an der Stu— 
benwand der röthliche Schein des kni— 
fternden Kaminfeuers — fo fieht ſich 
der Winter auch nicht übel an. Noch 
|beifer ift freilich der Funken-Ferl vers 
— 
| 's ihm auch recht ift? 











15 


— 


Vom Dichter der „Studien.“ 


Eine Stizze ſeines Lebens und Schaffens von P. R. Roſegger. 


> ) ber bei meiner Treu, ich ſag's: 
dieſer Bub’ fpricht wie der 
heilige Geiſt ſelber!“ 

So rief vor beiläufig ſechzig Jahren 
in einem Hauſe des Böhmerwaldes 
eine alte Bauersfrau aus, und zwar 
über einen Heinen, neunjährigen Entel, 
der dor ihrem Spinnroden ſaß und 
ihr die Bibel auslegte. Sonft war es 
immer fie, die Großmutter gewefen, 
die dem Kleinen Märchen erzählt Hatte, 
wie jie jede alte deutjche Frau aus 
ihrem Spinnroden heraus zu jpinnen 
weiß. Und plößlich jah fie jih nun 
überholt, und der Junge wußte wie 
ein Pfarrer, der zwölf lange Jahre 
wohl ftudiert, die Schrift auszulegen, 
und er Sprach ſchier wie der heilige 
Geiſt ſelber. 

Des Knaben Vater war ein Leine— 
weber in der Ortſchaft Oberplan. Zu 
dieſem ſagte nun eines Tages die 
Großmutter: 

„Weißt Du wu3, der Adalbert muß 
ſtudieren, in dem ſteckt ein Biſchof.“ 

Des war der Weber rechtſchaffen 
zufrieden, und jofort wurde es jo 
augeftellt, daß der Gaplan des Ortes 
dem Stleinen lateinischen Unterricht 
ertheilte. Freilich nur für kurze Zeit; 
erllärte eines Tages der geiftliche 
Herr dem Webermeifter: Der Burfche 
babe nacgerade gar fein Talent; es 
jei um jeden Grofchen ſchade, der für 
ihn verausgabt werde. 

Un den Webftuhl mußte der Adal— 
bett; die alte Großmutter aber lieh 
es ſich nicht nehmen, daß in dem 
Kleinen was Großes ftede, und wagte 
ſchließlich ſogar die Behauptung, der 
Adalbert ſei um eine gute Kopflänge 
geicheidter als der geiftliche Herr 








Gaplan. Und nah dem Tode des 
Mebermeifters, den eines Tages ein 
wmftürzender Ylahswagen erjchlagen, 
wußte es’ die alte rührfame Frau 
durchzufegen, daß der Knabe in die 
Benedictinerabtei zu Kremsmünfter in 
Oberöſterreich gebraht wurde. Ein 
der Familie befreundeter Prieſter nahm 
ih des Jungen an, und nun ftellte 
e3 ſich wirklich bald heraus, daß die 
Banersfrau recht gejehen hatte. Ein 
großes Talent zum  fchnellen und 
gründlichen Erfaffen der Lehrgegen— 
ftände, und ein heller Geiſt offenbarte 
ih im dem jungen Stifter Adalbert. 
Um den Seinen nicht zur Laft zu 
fallen, erwarb er fich durch Unterrichte 
geben feinen Bedarf, und in wenigen 
Jahren Hatte er die ſechs Gymnaſial— 
clajjen und die zwei Jahrgänge der 
Hochſchule zu Kremsmünſter abfolviert. 
Widmete ſich außerdem auch der Mufik, 
der Malerei und befonders dem Natur— 
ftudium in der herrlichen Umgebung 
von Kremsmünfter und im Angefichte 
der Alpen. 

— In den Briefteritand treten, 
der Welt entfagen zu einer Zeit, da 
fie gerade am begehrenswürdigiten ift 

- das bringt nicht Jeder, das brachte 
Stifter am wenigften über jih. Seine 
Seele wäre groß genug geweſen zu 
einer Prieſterſeelle — fein Zweifel! 
aber fein Herz glühte zu ſehr diejer 
Melt entgegen, mit ihrer Naturpract, 
mit ihrer Kunſtſchöne, die dem Welt: 
bürger, der fie, wie Stifter zu faſſen 
und zu verftehen weiß, Elyſien baut 
allerwege. Es ift immerhin eine be= 
achtenswerte Erfcheinung, daß To 
viele Künſtler und Dichter uriprüngs 
lih dem Prieſterſtande bejtimmt ges 


33* 


>16 





weſen. Eine Strede jind fie den Weg dazu gewefen fein; wenigftens fällt 
des Theologen gegangen, bis die eiges | feine erſte Liebe um jene Zeit. Aller- 
nen Füße, gekräftigt, eigene Wege | dings ſchlug Stifter ſogleich ein radi— 
einschlagen konnten. Große Genies cales Mittel dagegen ein, indem er 
ſah die Kirche ſcheiden und zur pro= feine Geliebte, ein armes aber braves 
fanen Welt zurüdtehren; aber wer | Mädchen, zur Frau nahın. Allein der 
weiß, ob fie deswegen auch. nur ein Hang zum Dichten war ſeltſamerweiſe 
einziges Mal ernſtlich geklagt, ob ſie geblieben. Fällt eines Tages ein be— 
nicht etwa doc) ſtets berechnet hat, daß ſchriebenes Heft aus feiner Rocktaſche; 
manche der Theologie erzogene Geifter | "Freunde heben es raſch auf, lefen es 
im Bereihe des Profanen mehr für hinter feinem Nüden durch. Das ift 


das Kirchenthum zu wirken vermögen, 
als unter Krummſtab und Soutane. 
Eie Hat ſich Hierin im Allgemeinen 
nicht getäufcht; am Stifter aber war 
ihre Erwartung doch nicht jo ganz 
in Erfüllung gegangen. 

In feinem einundzwanzigſten 
Lebensjahre (1826) gieng Stifter nach 
Wien, um ſich durch juridiſche Stu— 
dien eine Laufbahn zu erſchließen, die 
nicht wie der Prieſterſtand weltfreude— 
und hoffnungslos dunklen Weihrauch— 
nebel durchziehen muß, fondern die 
auf Jonnigen Höhen des Menjchen- 
thumes liegt. Neben feinen Fach— 
ftudien betrieb Stifter, und vielleicht 
mit größerem Eifer, als die herbtro= 
denen Documente des römischen Rech— 
tes, Mathematit, Naturgefchichte und 
Malerei. Bon diefen Gegenftänden 
endlich ganz Hingeriffen, gab er auch 
den Gedanken an eine Beamtenftelle 
auf. Das war kühn von dem jungen 
habloſen Mann; indes bewarb er ich 
mit Glück um Privatunterricht, und 
während er felbft feine Studien eifrigit 
förderte, ertheilte er manchem jungen 
Millionerben Unterweifung in der 
Mathematik und Naturgefchichte. Auch 
dem Sohne des Fürften Metternich 
hat Stifter Unterricht gegeben. 

Während ſich der junge Mann in 
Wiſſenſchaft und Kunft, befonders in 
der Malerei übte, ahnte fein Menſch, 
vielleicht auch er ſelbſt nicht, daß er 
dichtete. Die allgemeinfame Urjache, 
die den Legionen von Dichtern und 
Dihterlingen die erfte Feder in die 
Hand gedrüdt, mochte wohl auch bei 
unferem Wdalbert die DVeranlaffung 








ein ganz wunderſames Ding, in wels 
chem von einem Balloı erzählt wird, 
und wie ein übermüthiges Mädchen 
in die Luft fährt. Die Erzählung ift 
mit einer eritaunlichen Vollendung ges 
Ichrieben, befonderd mit einer Detail- 
liertheit und Wahrheit der Naturjchil- 
derung, wie Wehnliches die deutjche 
Literatur bisher kaum aufzuweiſen 
hatte. Stifter's Freunde gaben nicht 
nad, bis dieſes mahrhaftige Meifter- 
ſtück unter der Ueberſchrift: „Der 
Condor“ in der „Wiener Zeitjchrift” 
für 1840 zum Abdrude gelangt war. 
Da that das Publikum die Augen 
auf; das war einmal etwas Neues, 
Uriprüngliches mitten in der Mattheit 
und Scalheit der damaligen Litera= 
tur, an welcher die Genfur mit jo 
unnahahmlichen Eifer Pathen- und 
ZTodtengräberftelle vertreten hatte. Wie 
num auch in anderen Zeitjchriften und 
Yahrbüchern weitere Arbeiten von Adal— 
bert Stifter folgten, jo gab e& leider 
bei diefem Schriftiteller für die Cenſur 
faft nichts zu ftreichen, womit aber 
nicht gejagt fein fan, daß Stifter den 
Anforderungen der damaligen politis 
ſchen Verhältniſſe entſprach, vielmehr 
aber, daß er allen Calamitäten der geiſti— 
gen Corruption auf mehr als Schuß— 
weite aus dem Wege gieng. Schon 
damals wurde gejagt, Stifter ſtehe 
über den Parteien und über der Zeit, 
und der Geilter Finſternis vermöge 
den Glanz feiner Dichtungen nicht zu 
trüben. Im Gegentheile, Stifter’3 in 
den Jahren 1844 bis 1848 bei 
Guſtav Hedenaft im Peſt erſchie— 
nene Sammlung: „Studien“ warf 





in die Gefellfchaft einen mildfreunde | leicht ein reiher Mann. ine blen— 
lihen Strahl, dem ſich jedes beſſer dende Darftellung wäre mir wahr= 
geartete Gemüth jofort zumendete. ſcheinlich gelungen; wenn nun nichts 
Bei aller Liebe zur Freiheit — hinter derfelben zu fein gebraucht 
wohlgemerkt zur fittlichen Freiheit — | hätte, jo wären Bücher auf Bücher 
war das Nevolutionsjahr fein Ding gefolgt und den leichtfertigen Schrif— 
für Adalbert Stifter. Nach feinem ten wäre eine leichtfertige Leſemenge 
Dafürhalten durften die fittlichen Ideen | nachgezogen.“ 
der Menſchheit niemals mit umfitte Hätte unfer Dichter das nicht 
lichen Mitteln angeftrebt werden. ſchlechterdings verfchmäht, er wäre 
Stifter gieng dem Rieſenkampfe, der heute vergeffen ; während nun Jeder, 
nur zu bald in Raub und Mord der unferer Literatur nur halbwegs 
ausartete, aus dem Wege und ver- Intereſſe entgegenbringt, zum minde— 
legte ſeinen Wohnſitz von Wien in ſten ſeine „Studien“ kennt. 
die ſtillere und freundliche Donau— „Studien“, dieſer Titel ſelbſt 
ſtadt Linz. Schon iſt dazu geeignet, das Leſe— 
Wenige Jahre darauf (1850) publikum zu ſortieren, die leichtfertige 
wurde ihm ein Ehrenamt zu Theil, Menge, die von Studien niemals 
das ihm freilich in der wieder herein= | was willen mag, dem Buche fern zu 
gebrochenen Reaction bald zu einer halten, dafür aber ftrebjame, gründ— 
reht unerquicklichen Bürde heran⸗ ‚Lich angelegte Naturen demſelben zu— 
und über den Kopf wuchs, Stifter | zuführen. Und wahrhaftig, dieſe ſollen 
wurde Schulrath der Voltsichulen für | ihre Rechnung finden. Bon dem „Con— 
Dberöfterreich. dor“ an bis hinab zu dem „beichrie= 
Aber er zog Fih mehr und mehr benen Tännling“, welch ein Bilder- 
zurück im die ftille Weihe der Poefie. | und Ideenreichthum, welch edelerhabene 
Er lebte dem hohen Geifte der alten | Menfchengeftalten, welch mannigfache 
Dichter Griehenlands und unſerer Stimmungsihatten in Allem und 
deutfchen Heroen, befonders Goethe's, Jedem, troß der ursprünglichen Ein— 
Jean Paul's und Grillparzer’s. Und | fachheit! Wer Stifter’! „Hochwald“, 
er dichtete ſelbſt. „Narrenburg“ und „Hageſtolz“ ges 
Anfangs fand Stifter ſeltſamer- leſen hat, der wird mich eines über- 
weile den rechten Weg der Ausdruds- | triebenen Enthuſiasmus nicht beichul- 
weile nicht. Anſtatt der Feder wollte | digen. Ja, er wird das Buch über: 
er Sich des Pinfels bedienen. Auf! haupt nicht aus der Hand legen, 
Leinwand fuchte er feine Dichtungen | fondern auf feinem laufchigen Plätz— 
zu malen. Es entftand Gemälde um | chen — ich wiünfche jedem Lejer ein 
Gemälde, aber feines befriedigte. Dem | folhes — auch das arkadisch: idyllische 
Schreiber diejes jelbft hat Stifter eins | „Daidedorf”, die jeelenvolle Erzählung 
mal geäußert, die Leinwand ſei ihm „Aus der Mappe des Urgroßvaters“ 
wie ein Sieb, auf welchem nur das |und die tief ergreifende, grandiös— 
Grobe liegen bleibe, das Feine, Zarte | tragische Gefchichte des Juden Abdias 
und Wahrhafte aber durchfalle. — leſen. Und er wird auch alles Uebrige 
So bat er denn ein» für allemal|lefen und im Laufe feiner Jahre 
Apollo’s Griffel zur Hand genommen. | wieder leſen; — denn das Buch in 
Es war ihm heiliger Ernſt mit feinem | feiner heiteren Reinheit wird ihm eine 
Schaffen; fein literarifches Streben | Gemugthuung fein für die Mebel, jo 
war rein und ambeirrt von aller) ihn das Leben und — die Literatur 
Nebenrückſicht. — „Wäre ih ein jemals angethan. 
bloßer PBüchermacher,“ schrieb er einit Im Jahre 1853 erichienen Stif- 
an einen Freund, „Fo wäre ich viele |ter’3 „Bunte Steine“, Erzählungen, 








518° 


die eine außerordentlih tiefe Auf— 
fafjung des menſchlichen Charakters, 
bejonderd der Kindesſeele offenbaren 
und ſich im würdigſter Weiſe den 
„Studien“ anſchließen. Es mag hier 
befonders auf eine Novelle, „Berg— 
fryftall“, hingewiefen fein, in der 
zwei bilflofe Kinder, die fich in der 
Chriſtnacht im Hochgebirge verirrt, 
den Gewalten der Gletjcherwelt gegen 
übergeftellt werden. 

Den „Bunten Steinen” folgte ein 
Buch voll ftillen Gottesfriedens, „Der 
Nachſommer“ geheißen. Hier wird 
- uns ein Leben erzählt, welches zu 
dein inneren und Äußeren Sinne des 
Dichters in maher Beziehung fteht. 
In Eunftvoller Schöne liegt vor uns 
eine Heine Welt, und wir freuen uns 
an den treuen, lieben Menfchen, die 
bier wandeln, an der geruhlamen 
Wald- und Alpennatur, die bier fo 
weihevoll verehrt wird. Und mitten 
in folcher Idylle erheben ſich Stätten 
der Kunſt, auf denen wir nun frei— 
ih manche weitgedehnte Reflerion des 
Dichters anzuhören haben, Hingegen 
aber in dem Roſenhauſe, in welchem 


der Held der Erzählung wohnt, uns| 
jo heimisch fühlen, dak uns das Ende 


des gleihwohl dreibändigen Romans 
noch immer zu früh daraus vertreibt. 

Später gab Stifter feinen hiſto— 
riſchen Roman „Witiko“ heraus. Bei 
diefem Werke erreichte die einzige aber 
doppelte Rüge eines Theiles des 
Publikums, nämlich daß Stifter feine 


Arbeiten zu weitläufig ausführe und | 
dadurch oft ein wenig verflache, ferner | 


daß er auch den menjchlichen Leiden 
ſchaften zu geflifjentlich aus dem Wege 
gehe und dadurch feine Novellen der 
jpannenden Conflicte und Kataftrophen 
beraube 
„Witifo* ihren Gulminationspiunft. 
Ob mit Neht? Der Wert eines 
hiſtoriſchen Romans, 
nicht allein in der Darſtellung her— 
borragender Ereigniffe, die ja ſelbſt 
des Laien Auge zu finden und viels 
leicht zu zeichnen weiß, ſondern auch 








— dieſe Nüge erreichte bei 


dünft mich, liegt | 


und vielmehr in der Detailausführung 
aller Eulturverhältniffe der betreffenden 
Zeit, die jedenfalls das tiefite Stu— 
dium erfordert. Sind ja doc erft aus 
den jeweiligen Gulturzuftänden die 
Charaktere und Thaten ihrer großen 
Männer erflärlih. Wollte wünſchen, 
‚jeder Hiftoriter hätte jene Gewiſſen— 
|haftigteit inne, mit welcher Stifter 
Archive und Antiquare durchitöberte, 
bloß um ficherftellen zu können, wel— 
her Art die Mefjer und Gabeln waren, 
mittelft deren man zu Ottokar's Zeit 
in der Prager Königsburg getafelt. 
Diele halten den „Witilo”, was feine 
hiftorifche Treue und Darftellungs- 
weife betrifft, für das Mufter eines 
hiftorifchen Romans, der ja doc weder 
‚eine Tendenzſchrift, noch ausſchließlich 
eine Unterhaltungslectüre fein kann, 
der ganz von der Gegenftändlichkeit 
und den Spdeen der Zeit, in welcher 
er fpielt, erfüllt fein muß. 

Iſt übrigens nicht meine Auf— 
gabe, oben angedeutete doppelte Rüge 
zu entkräften; doch wäre es kaum 
ſchwer, die Thatſache, daß unſer Dich— 
ter „den menſchlichen Leidenſchaften 
aus dem Wege geht,“ als einen Vor— 
zug zu manifeſtieren. Wird doch geſagt, 
der Dichter müſſe die Welt und die 
Menſchen idealiſieren und dem irren— 
den, bedrängten Geſchlechte zu neuer 
Ermunterung und Zuverſicht verklärte 
Bilder und Geſtalten vor Augen 
ſtellen. — Der Leihbibliothef-Romanz 
zier thut das freilich nicht, denn der 
hat die Aufgabe, ſeine Leſer zu kitzeln, 
aufzuregen, zu ſpannen, und laſſen 
ſich Hierin die Leute gern ein wenig 
foltern. Aber ein Dichter wie Adalbert 
Stifter konnte und mußte feine Werke 
adeln. Auch er Hat Leidenschaften und 
Conflicte gefchildert, wer leugnet das ? 
‚Man müßte das „alte Siegel“, „den 
Abdias“, den „beichriebenen Tänn— 
ling“, den „Witifo“ leſen. Aber er 
‚hat die ſchroffen, finfteren Dinge nach 
Thunlichkeit gemildert und gelichtet, 
und wenn wir Umfchau halten in der 
freundlichen Schar feiner Geftalten: 








wir finden vielleicht irrende, fallende 
Menfhen, aber keinen bösartigen 
Charakter darin. Man labt ſich an 
der Milde, Ruhe und Liebe, und man 
wird im Lefen von Stifter's Schrif- 
ten ein beijerer Menfch. 

Die Gewiffenhaftigkeit in der Auf- 
faffung des Gegenftandes und die 
Klarheit in der Darftellung desjelben 
find ferner zwei Haupteigenjchaften 
Stifter's. — „Seit meiner Jugend“, 
Schreibt er einmal, „ift es mir eigen 
gewejen, nach Stlarheit zu ftreben; in 
der Jugend mach Klarheit in den 
Dingen, Später nach Klarheit in mir. 
Unklarheit im mir felber ift mir das 
peinlichfte Gefühl.“ *) 

In feinen letzten Jahren, obwohl 
von einer langwierigen Srantheit ge= 
drüdt, arbeitete Stifter an der Ver— 
vollftändigung älterer Schöpfungen 
und fchrieb auch noch Neues, welches 
nachher in den „Erzählungen“ und 
„Bermifchten Schriften” geſammelt und 
theilweife den „Studien“ angereiht 
worden ilt. 

Adalbert Stifter ftarb zu Linz, 
den 28. Jänner 1868. 

Wenn wir uns nach einer Parallele 
zu Stifter umfehen müßten, wir wüß— 
ten feine; ein Original fteht ja eben 
nur einmal da. Am eheiten wäre es 
vielleicht Theodor Storm, der uns in 
jeinen feelenvollen Stimmmmgsbildern, 
Gottfried Seller, der uns in feinem wohl» 
thuenden Humor an Stifter erinnert. 
Wenn ein befannter und ſonſt 
bedeutender Literarhiftorifer behauptet, 


) Mir verweilen bier auf den im 
Heimgarten II., Seite 121, enthaltenen Auf: 
jag „Mdalbert Stifter* von €. Ranzoni, 
welcher vorftehende Charakterſlizze vervofl: 
ftändigen mag. Die Red. 


gr. 


‚Stifter fei reiner Landichaftsinaler 
‚und die Menfchen feiner Dichtungen 
feien ihm bloß Staffage zur Land» 
ichaft, fo wäre dem entgegen nur 
darauf hinzuweiſen, daß ums bon den 
modernen Pichtern etwa neben Auer— 
bah und Fritz Reuter feiner eine fo 
große Anzahl von Menjchengeftalten 
mit fcharf ausgeprägten Eigenthüm— 
lichkeiten, Sonderlingen und Origina— 
len vorgeführt Hat, als eben Adalbert 
Stifter. Faſt jeder feiner Helden ift 
ein eigenthümlicher Charakter ; ſolche 
aber können niemals bloß wie Staffage 
fkizzirt, Sondern fie müſſen motivirt 
und ausgeführt werden. Und Stifter 
hat fie mit großer Liebe und vielem 
Humor zumeift gar eingehend gezeich- 
net und beleuchtet. Man leſe den 
„Waldfteig*, „Procopus“, den „Hage— 
ſtolz“ u. ſ. w. Wen wäre ferner der 
Liebreiz entgangen, in dem Stifter 
feine Kindesgeftalten, wen die Schön 
heit und der Mdel, womit er uns 
feine Franenbilder darftellt! Wer denkt 
bier nicht an „Katzenſilber“, „Bri— 
gitte“, an „die Schweſtern“, an die 
zwei Jungfranen im „Hochmwald“ ?— *) 

Allerdings Hat Stifter einen gro= 
Ben, viefleicht den bedeutenditen Theil 
feines Talentes auf „Staffage* ver- 
wendet. In der Schilderung der Natur, 
fie mag uns die Steppe, die Wüſte, 
die Heide oder den Hochwald dar— 
iteflen, ift Stifter unübertrefflich, und 
im Öegenfaße diefer Staffage zu feinen 
uns anheimelnden Menfchen weiß er 
Stimmungen in uns hervorzubringen, 
die uns entzüden und nachhaltig be= 
feligen. 


— — — — — — — — — — — —— — — 


*) Gegenwärtig erſcheinen bei Ame— 
lang in Leipzig Adalbert Stifter's „Aus— 
‚gewählte Werke* in 28 Lieferungen. 


520 


„Fauſt“ im Wienerwald. 
Ein Dorfbild von 3. R. Leder. 


Ne 5 war eine Sonntagsvorftellung | 
Se, md der Director hatte fein 
beftes Zugftüd, den „Dr. Fauſt“, 
nach dem Mittageffen und fpäter noch 
einmal nach der Vesper durch Trom— 
melfhlag und Ausruf amlündigen 
lafjen im Oberörtel, das feine Häufer- 
zeile in einen Graben des Wiener: 
waldes hinauf ftredt, und im Unter: 
örtel, deſſen letzte Scheunen ſchon 
auf der flachen Ebene des Tullner— 
bodens ftehen. An der Säule des 
Gemeindebrunnens, am Schilderhaus 
des Nachtwächters und an der Dorf: 
linde waren Halb gedrudte, halb ge— 
jchriebene Zettel angeflebt, die ein 
„göehrtes Buplikum“ auf Schlag Hals 
ber Achte zu dem Puppenſpiel ins 
Wirtshaus einluden; darunter hatte 
der Gaftgeber die Ankündigung ges 
frigelt, nach dem Theater gäbe es eine 
Tanzunterhaltung. Die Ausficht auf 
folche Fülle des Genufjes verfehlte die 
vom Jmprefario und vom Scenten 
erhoffte Wirkung nit. Schon nad 
dem Ave-Länten war auf dem Dorf: 
plaß vor dem Wirtshaus ein Ge— 
dränge wie beim Einlaß ins Burg- 
theater, wenn dort der „Fauſt“ Goethe’s 
in Scene gehen foll. Unter dem Thor: 
bogen der Hofeinfahrt erjchien zeit— 
weilig, um die Menge durch etliche 
handwerksmäßige Späße zu loden, der 
Puppenfpieler in höchfteigener Perfon, 
hemdärmelig und barhaupt, aufonft 
eine ganz ftattlihe Erfcheinung, im 
feinem grauen Sraushaare recht wür— 
dig troß der Weinröthe im falbungs- 
vollen, glattrafierten Antli und dem 
dunklen Quadrat auf jenem abjeiti- 
gen Theil der hellen Unausſprechlichen, 





welches vorab flidbedürftig zu werden | 


pflegt. Auch ich Jah mir den Mann 
mit micht geringerer Neugier an, als 
es die Heinen flahshaarigen Nachbar— 
dirndln thun mochten. Das war alfo 
Derjenige, welcher — Derjenige, auf 
deffen zwei Augen noch das alte 
claſſiſche Puppenjpiel fteht, der es 
noch pflegt und im feinen treuen Ges 
dächtniffe drei Vierteldußend der alten 
Vollsdramen bewahrt hat, von wel— 
hen etliche ihrem Haupt- Inhalte nach 
älter find, als unfer ganzes neuhoch— 
deutsches Theater-Nepertoire. In feiner 
Bude, rückwärts neben dem Kuhſtall, 
follte ich endlich die perfönliche Be— 
kanntſchaft mit jenem Doctor Fauſt 
machen, der vor fünf Vierteljahrhun— 
derten den jungen Wolfgang in Frank— 
furt angeregt hat zur großartigften 
und tieflinnigften Dichtung, 
unfere Nation ſich rühmen darf. 
„Mur bereinfpaziert, eriter Plaß 
einen Zwanziger, zweiter ein Sechſerl; 
wer eine Gigarre hat, darf raufen; 
gleich wird's angeh'n.“ Ich eilte, mir 
einen guten Sitz zu fihern. Die Gal— 
lerie war bereits voll bejeßt; fie war 
von Barterre durch einen ſtarken 
Ballen abgeiperrt und auf diefem 
faßen dicht gedrängt, wie im Winter 
die Spaßen unterm Firftvorfprung im 
fturmfreien Hofwinkel, an die zwei 
Dußend Buben, mit ihren Füßen 
freibaumelnd über den Köpfen der 
Sperrfiß- Inhaber auf den Breiter: 
bänfen. Etliche waren barfuß; das 
waren die von der Glaque und die 
Neclamemacer, welchen der Director 
freies Entree gewährt, damit fie ihre 
Kameraden zum Befuche anregen. Die 
Bühne wurde vor profanen Bliden 
geſchützt durch einen flilifirten Vor— 


deren 





521 


bang von ftreng alademifcher Mache, | wie der Eine oder der Andere gedenfet. 
auf welchem eine unmögliche Mufe im eg bift Du m dar Doctor? Bit Du 
braunrother Draperie mit etlichen | & DT ee nen a u per 

„Eder geiftlihen Schriften? Wahrlid, ich bin 
nadten Bengeln Wolkenkraut tritt für ein Doctor der geiftlihen Schriften; jo laf 
den olympifchen Ambroſiatiſch. Alle ih mid jehen und nennen. Aber leider, 


anti gi - : “ . ih bin arm. Und wenn der Menih arm 
mahlich füllten ſich auch die Bante; ig und bat noch fo viel Gelehrſamkeiten 


die angekündigte Anfangszeit war in jeinen Kopf bineingefaffet, jo ift er 
längft um, die Buben auf dem Gal- | dod nichts.“ 
leriebalcon wurden ungeduldig und Hier haben wir ja den Anſatz zu 
trommelten auf den Köpfen der Zwei- Goethe's Fauſt-Monolog, und die 
ſechſer-Protzen unter ihnen; es gab Abweichung von demfelben, welche das 
einen Zumult. Wie Bojeidon, der | voltsthümliche Buppenfpiel und die 
Wogenbändiger, erjchien der Puppen | alten Fauſt-Sagen fennzeichnet; der 
jpieler, die Nangen derbfräftig und | Fauft des Puppenfpiels und der Suge 
Iungengewaltig in gemejjene Schranz | hat zunächſt fein Bedürfnis nach einer 
fen zu weifen. Man brachte neuer- Ergründung des Welträthſels — das 
dings Bänke und Schemel, um für) kommt erſt Später und nebenbei — 
die nachkommenden Gäfte das legte fondern nach Reichthum und äußerer 
Plägchen auszunügen; das Gedränge | Geltung. Er führt in feinem Mono» 
ward entjeglih, die Hitze ebenfalls. | loge weiter aus, wie Jeder, von Tags 
Auch ein Echtwollener hätte zugeftehen | löhner bis zum König, über feinen 
müſſen, daß zu viel des Anthropin,) Stand hinausftrebe. Warum jollte er 
das nicht einmal duch die feuchten „bei jo Heinen Studien verbleiben, 
Virginias umd dem beißenden Bauern- daß er gerade das bißchen Leben mit 
tabat neutralifiert werden konnte, von | fnapper Mühe durchichlagen kann.“ 
llebei ſei. Wenigftens blieb man aber) „Warum  follte ich nicht auch das 
gegen den Hitzſchlag durch das Ab- Leben genießen, aus einem Theologo 
zugbier gefeit, das in flottem Schwung, | ein Nigromante (Nekromant) werden ; 
wie die Feuereimer beim Brand, herz | das heigt, aus einem Doctor der hei— 
eingereicht wurde. Wieder erfchien der ligen Schriften will ich ein berühmter 
Puppenſpieler, um an der Völle des) Schwarzfünftler oder Teufelsbeichwörer 
Raumes fein Herz zu erlaben. Auf werden.“ Yauft jchläft ein; zur Nech- 
die vernünftige Frage einer drallen ten erſcheint fein Schußgeift, um ihn 
Dirne: „Warn Sollen wir tanzen, zu warnen, zur Linken der Teufel, 
wenns jo viel lang nicht anfangts ?* um ihm zu locken; der Teufel ver— 
hatte er ein Einfehen und ſchlüpfte ſpricht ihm, ihn glücklich zu machen. 
hinter die Couliſſe. Nun begann die „Der mich glücklich machen will“ — 
Onverture: ein gar nicht übel auf ruft Fauſt, weist den Schutzengel ab 
einer Ziehharmonika geſpielter Länd- | und erklärt fich für den Teufel. Er 
ler, der in feierliche Bariationen über— | erwacht: „Still, mein Diener Wagner 
ging. Ein Glodenzeichen ; der Vorhang | fommt ganz eilig herein." Wagner 
fmattert mühjam in die Höhe. Feier- trägt Anzug und Bartjchnitt eines 
liche Stifle im Publikum. Wir jehen | modernen Livreedieners ; im Audito— 
eine leidlich gut gezeichnete, aber Schau | rium nimmt am diefen und fpäter au 
tig gemalte Zimmer: Decoration vor vielen ähnlichen Anachronismen Nies 
uns. Dr. Fauft, eine Puppe im mand Anſtoß. Wagner meldet „Sr. 
Ihwarzer Scolarentracht, ſteht auf Magnificenze,“ zwei Studenten, die 
der Bühne und hebt in wehmiütbhig | den Doctor ſelbſt fprechen wollten, 
ſchwerem Zonfall feinen Monolog an: hätten ein Buch gebradt. Fauſt er— 
„Ia, die gründliche Wahrheit muß ich leunt, daß dies zwei hölliſche Geiſter 
geſtehen, daß ich ein Doctor bin; aber nicht | gewefen, durch die ihm „Fürſt und 











nt 
to 
[06] 





Meifter Pluto die Schlüffel und Cirkel auch er ein metaphyfiiches Bedürfnis 
von der Hölle geichikt, woran er empfindet. Außer veligiöfen Idealen 
finden und fehen Tann, wie er die und den mit feiner veligiöfen Erzie— 
Geifter citieren und beſchwören kann.“ | Hung verwachlenen ethiſchen Begriffen 
Ganz begeiftert hierüber ruft er aus: kennt er nur die Ideale des Familien 

„D, ich werde noch glüdtich fein, ich lebens und des materiellen Erwerbes, 
weih - — Ja, hin Lin er den dieſe hart arbeitende Claſſe 


endlich. Nun gute Nacht, Ihr theologiichen 
Bücher! Viele Nähte bin ih über Eud) 
geiefien; ich habe jogar den Schlaf ver: 
geilen. Jetzt, Fauſt, ift die Zeit gelonmen, 
wo Du einmal jehen fannft, wie und auf 
welde Art, Fauft, Du jolft glüdlich wer: 
den, ja der Glüdlichfte auf Erden.“ 

Die derb materialiftiiche Auffaſſung, 
daß ſchrankenloſer Beſitz und der hie= 
durch mögliche ſinnliche Genuß des 
Menſchen vollſtes Glück bilde, kehrt 
auch in anderen Spielen, die ich nach— 
träglich mir anſah, immer wieder, 
findet aber ſeine Correctur in der 
tatechismusgerechten Betonung des 
höheren, idealen Wertes der Neligion 
und der praftiichen Befolgung ihrer 
Sahnngen, die in Dr. Fauft fich zu 
einer beim Durchſchnitts-Auditorium 
des Puppenſpieles äußerſt wirkſamen, 
ja geradezu gemütherſchütternden Scene 
zuſpitzt. Daß im Puppenſpiele vor 
einem Publikum, welches ſich heutzu— 
tage zumeiſt aus der Jugend abge— 
legener kleiner Dorfſchaften zuſammen— 
ſetzt, feinere philoſophiſche oder pſy— 
chologiſche Probleme ebenſowenig ent— 
wickelt werden können, wie ehedem 
vor dem kleinbürgerlichen Publikum 
der Städte und den Beſuchern der 
Kirchweihen und Jahrmärkte, iſt ſelbſt— 
verſtändlich. Jedes Theater darf ſeinen 
Zuſchauern nur bieten, was fie halb» 
wegs verjtehen und begreifen können, 
will es auf Gemüth und Phantalie 
einwirken und das erzielen, was man 
einen Bühnenerfolg nennt. Dem Bauer, 
jo weit er nicht zur fragewürdigen 
Gattung der „Aufgeflärten,” das heißt 
zu den ſchlankweg Indifferenten ges 
hört, löſen fich die Fragen des Welt: 
räthſels und die Räthjel des Menſchen— 
dafeins durch die Dogmen jeiner ans 
ererbten Weligion; auf diefer beruht 
feine höhere Weltanfhaunng, fo weit 


in ihrem mühjeligen Kampfe ums 
'Dafein, um die Erhaltung der Fa— 
milie und des Daufes, um die Ber: 
theidigung des Bodenbeſitzes gegen die 
Angriffe einer einfeitig capitaliftischen 
Zeitſtromung angewiejen iſt durch die 
Pfliht der Selbfterhaltung. Neben 
dem materiellen Erwerb fteht der ına= 
terielle Genuß, nach den harten Wochen 
will der Bauer die frohen Felte. Man 
darf übrigens mit der Bauernſchaft 
nicht hart ins Gericht gehen wegen 
dieſer Anſchauung der Weltverhältnifie, 
im welcher die Begriffe von Glüd und 
materiellem Belig und dem hiedurch 
ermöglichten Genuß zufammenfallen ; 
auch in der Mehrheit der jogenannten 
gebildeten Claſſen begegnet man ja 
der gleichen Auffaſſung vom Menjchen- 
glüde. Nur die idealiftiihe Jugend 
und einzelne alte Querköpfe, als wel— 
ben auch ich mich vorzuftellen die 
Ehre habe, Find anderer Meinung. 
Der Kafperl, dem im jedem der 
| Puppenppiete eine hervorragende Rolle 
zugewieſen ift und der zu den Haupt— 
trägern eines jeden Stüdes gehört, 
vertritt im Puppenſpiele dieſe materid— 
liſtiſche Seite auf derb-handgreifliche 





Weiſe. Er kennt nur das Geldver— 
dienen und ſchlägt das Erworbene 
wieder leichtſinnig im Wirtshauſe 


durch; ohne empfindliches Ehrgefühl, 
läßt er ſich aus Gewinnſucht auf die 
bedenklichſten Händel ein; er wird 
dabei ſogar waghallig” trachtet aber 
ſtets ſeinen werten Rücken vor den 
ihm reichlich zugedachten Schlägen zu 
ſalvieren, und verſteht es meiſterlich, 
auf ſeine dummpfiffige Art ein Trink— 
geld im firengften Wortſinne abzu— 
loden. Sonft feige, wird er fed bis 
zur Verwegenheit, jobald er berechtigte 
Ansprüche durchzuſetzen trachtet; im 


„Fauſt“ vauft der Kafperl zuletzt mit „So beihwöre ih Euch zum dritten— 


3 : :, |, und lettenmale! 
zwei Zeufeln, weil fein Herr in die Horibao, Yoridao 


Hölle geichleppt wurde, ehe er ihm Komm ber Styr und Ari! 
den fälligen Lohn bezahlt hatte. Er Komm über Stod und Stein! 

will die ſchwarzen Gefellen zwingen, Auf die Oberwelt erfchein! 

ihm die der Magnificenze bisher ges Nun Geifter, erjheint mir!“ 
ftundeten Silberlinge auszuburen. Nun fliegt mit dem entfprechenden 
Sonft ift der leichtjinnige Hallodri ein | Brer der böfe Geift Anerhahn herein. 
guter Kerl. In der „Genovefa“ wagt| Er ift fo ſchnell, wie die Kugel aus 
er fogar feine Haut und überredet | dem Rohre, aber diefe „wirklich Schöne“ 
feinen Gevatter Scharfrichter zur Ret- Gefhmwindigfeit genügt Yauft nicht; 
tung der Phalzgräfin. Im „Fauſt“ er will den „geichwindeften Geift aus 
führt er ſich al$ vacierenden Bedienten der Hölle,“ citiert von Nenem und 
ein, macht feine gewöhnlichen Späße, | Mefiltofilus erfcheint. Der ift „Jo ge— 
während er ein Langes und Breites ſchwind, als dem Menschen feine Ge: 
über jeine Koft und feinen Lohn | danken find.“ Fauft ftellt ihm auf die 
feilfcht, und geht fchließlich den „har= | Probe und ſchickt ihm zu „Fürſt und 
ten Thaler" Drangeld im nächften | Pluto Meifter”, wegen des eventuellen 
Mirtshaufe vertrinfen. Pactes anzufragen. Diefer wird ver— 
Der zweite Act beginnt mit der | einbart, Mefiftofilus verfpricht ihm, 
Beihwörungsfcene; Fauſt Steht auf) vierundzwanzig Jahre zu dienen, unter 
einen Waldwege im Zauberfreis „jehr der „Bedingnis,“ dab Fanſt vier 
feit“ und hebt an: Punkte einhalte. Der erite lautet dahin, 
2 — daß er ſich „unter die vierundzwanzig 
— —— Jahre nicht darf waſchen, nicht kam— 
Beſchwör' ich Euch! men und feines Nägel abſchneiden.“ 
Fürſt und Pluto, befiehl Du Deinen Teufeln, | Mefiftofilus würde ihn troßden jo 
— — —— rein und ſauber halten, daß er jedem 
Menſchen gleichſähe. Auf den zweiten 
Hinter den Couliſſen wird mit Punkt, ſich niemals zu verheiraten, 
einem Kochlöffel in einem zerfprums | geht Fauſt mit Freuden ein; den 
genen Eifentopf herumgeftochert und dritten Punkt hält der Teufel felbit 
der Gehilfe des Spielers läßt ein für etwas fehwierig; „unter die vier: 
dumpfes Brrr hören, welches phones | undzwanzig Jahre ſoll Fauſt in feine 
tifche Leitimotiv des Teufels fpäter | Kirche gehen, auch fich in feinen geiſt— 
auch immer wiederfehrt, fo oft der lichen Disputat mehr hineinbegeben.“ 
Schwarze im Bewegung gejeßt wird. | Der Leute wegen wird Mefiftofilus 
Fauſt fährt fort: „eine Perfon in forma” Fauſtens 
; i bilden, die ftatt feiner in die Kirche 
ee ee en geht. Der vierte Punkt ift die Unter» 
Ih beihwöre Euch zum zweitenmal! fertigung des Pactes. Fauſt will den 
Fürft und Pluto, befiehl Du Deinen Teufeln | Geift um Tinte, Feder und Papier 
au ia un seinen!“ in fein Studirzimmer fchiden, wird 
BE IESTERN FOREN aber bedeutet, daß er mit feinem eigenen 
Man hört nenes verſtärktes Ge- Blute fchreiben müſſe. Es gefchieht 
polter, Fauſt erinnert ſich, daß in dem und Fauſt jubiliert, „er werde jetzt 
ihm von zwei Studententenfeln über- der glücklichſte Menſch auf Erden wer— 
brachten „nigromantiſchen“ Buch eine den und vollenden, was er ji vor 
dreimalige Beſchwörung vorgefchrieben | vielen Jahren ſchon vorgenommen 
ift (Du mußt es dreimal fagen) und | habe.“ Er geht ab und Kaſperl tritt 
ruft mit tiefem Bruftton : auf. Der luſtige Strolch Hat in feines 


— — — — — — — — — — —— een — — — 


Meiſters Zauberbuch gegudt und fängt 
num auch eine Zeufelbejchwörerei an, 
was eine gar nicht üble Parodie der 
vorhergehenden Scene ergibt. Im 
dritten Act ruft Fauſt den Mefiftofilus, 
der im rothen Ritterwams al3 Ga: 
valier, wie andere Gavaliere, kommt, 
aber feine Schwarze Teufelsfraße bei- 
behalten hat. Mit feiner Hilfe treibt 
der Doctor am Hofe des Herzogs von 
Parma und anderwärts allerlei Zau— 
berftüdlein; Geift Mefiftofilus hat an 
ihm einen gar launifcheharten Here, 
der das Unmöglichſte verlangt. Kaſperl 
macht einen Verſuch, von dem ſchwar— 
zen Nitter im roten Federbarett Geld 
zu erlangen, und wird von ihm ſchnöde 
gehänfelt. Den vierten und legten Act 
eröffnet der Schußgeift mit einer ge= 
fungenen Mahnung an den auf der 
Straße liegenden Fauſt, ſich wieder 
Gott zuzumenden. Bei dem Doctor ift 
der pſychologiſche Moment eingetreten, 
der ihn für die warnende Stimme 
empfänglih macht; er Hagt: „Wie 
matt und ſchwach bin ich von diejen 
Teufeln!“ 


„Der Vogel iſt geboren zu ſeinem Fliegen. 
Der Menſch ſoll ſich über ſeine Arbeit biegen, 

Ich habe es nicht gethan, ich babe | 
nıid lieber dem Teufel jelbit in den Arın 
geipielt. Yegt ift die Strafe da.” 








Fauſt erzählt weiter, al3 er heute 
über die hohen Berge geflogen, habe 
er ein Kreuz geſehen; er verlangt vom 
Teufel, ihm diefes zu bringen. Mefi— 
ftofilus erklärt es für unmöglich, ftellt 
aber endlich, als Fauſt ſich auf den 
Pact beruft, ein Sreuz her, jedoch 
ohne die Anschrift. Fauſt tadelt ihn 
deshalb. Es entſpinnt ſich nun ein 
theologiſches Zwiegeſpräch, in welchem 
Mefiſtofilus bekennt, könnte er des 
Himmels Gnade theilhaftig werden, 
jo würde er, „wenn die ganze Welt | 
mit glühenden Nägeln befchlagen wäre, 
bis zum SJüngften Tage darauf bar: 
füßig berumgehen, um noch die Him— 
melsfeligkeit zu erlangen.“ Fauſt fragt, 
was die Döfle fei und was die ver— 








danımten Seelen leiden. Mefiftofilus 
antwortet: 

„Das fann ih Dir wohl jagen. Tie 
Hölle ift ein Schlund ohne Grund, wo 
alles Wbicheuliche, Grausliche zujanımen: 
fonımt. Was aber die verdammten Seelen 
darin leiden, ift wohl fein Menih im 
Stande auszufprehen und niederzuichreiben. 
Tu börft nur Winfeln, hörft fie bitten um 
einen Tod, aber es gibt feinen Tod in 
Ewigkeit und ewig bleibt auch ewig.“ 

Als der Teufel die Herrlichkeiten 
des Himmels fehildern foll, bezeichnet 
er dies Fir unmöglich und entflieht. 
Fauſt ift erfchüttert; des Mefiſtofilus' 
Belenntniffe Haben den Belehrungs= 
versuch des Schußgeiftes jo weit voll— 
endet, dab der arıne Sünder in ich 
geht, Fih auf die Knie wirft und ine 
brünftig zu beten anfängt. Der Teufel 
Ichleicht wieder ängftlih hinter einer 
Waldcouliffe hervor, ſieht, daß er Ge— 
fahr läuft, feine Beute zu verlieren, 
und greift nach dem letzten Mittel: 
er bringt, die jchöne Helena. Dieje 
ericheint im einem modernen Schwarzen 
Spitenanzuge mit Tournure und 
Schleppe und einem flotten Rem— 
brandt-Hut. Sie flötet in den ſüßeſten 
Tönen; Fauſt erliegt der Verfuchnng, 
fällt dem ſchönen Weibe in die Arme 
und ift wiederum des Teufels. Diefer 
ruft frohlockend: 

„Victoria, Victoria! Nun ift der Sieg ge: 
wonnen. 

Man ſieht auch ſonnenklar, 

Wie ein altes Sprichwort wahr: 

Was ich als Teufel jelbft nicht Tann, 

Hab’ ich geftellt durch ein Frauenzimmer 
an.“ 

Fauſt kommt zurüd. „Ah, Du 
abſcheulicher Teufel, grauſam hat er 
mich betrogen, ja ich glaubte den 
Ihönften Engel von der Welt zu haben, 
und als ich fie umfaſſen wollte, war 


| es der häßlichſte Teufel aus der Hölle.“ 


Dies ift ganz im Sinn der Hexen— 
richter gedacht; im „Hölliichen Proteus, 
einem clafifchen Werte aus dem ſieb— 
zehnten Jahrhundert, das etliche Schod 
Zauberz, Hexen- und Teufelögeichichten 
nach den Gerichtsacten echt wahngläu— 
big mitteilt, kommt dieſe Art des 


525 


Betruges Häufig dor, und ebenfo der eingeklemmt Jap, nahmen ihre Schwarzen, 
nun folgende. Mefiftofilus erklärt Fau- rotdgeränderten Kopftücher herab, um 
ften, die Zeit ſei abgelaufen, er mühe | den Zährenftrom von den diden Wan— 


zur Hölle fahren. 
im Pact feien vierundzwanzig Jahre 
ftipuliet, umd erſt zwölf derſelben ab- 
gelaufen. Mefiftorilus repliciert ihm: 
„O mein Fauſt, das ift nicht fo. 
Nimm Dir einen Diener, der dient 
Dir bei Tag, aber nicht bei Tag und 
Naht. Ich Habe Dir wie ein Knecht 
zu jeder Secunde und Minute gedient. 
ih habe feine Zeit zum Schlafen ges | 
braucht. Merke, fobald die Uhr Zwölf | 
geichlagen, bift Du mit Leib und! 
Seele des Teufels !* Fauſt fieht, daß 


er dom Vater der Lüge fhändlich bes | und 
trogen worden und ift feines Schick— 


ſals gewärtig. Kafperl kommt fingend 
und hält auf Bitte feines Herrn bei 
ihn Wacht bis zur verhängnisvollen 
zwölften und legten Stunde desfelben. 

Das Publikum Hatte jich während 
des zweiten und dritten Actes mehr 
für den Hauswurft, als den Doctor 
interelliert ; die Barfüßler auf dem rüd- 
wärtigen Ballen johlten und ihre 
Kameraden im Bundſchuh jubelten mit 
über Kaſperl's Späße. Die Zufchauer 
auf den „noblicheren” Bänken ſtimm— 
ten ein; der nett gejtrählte Bub des 
Doctors, der herunten unter den 
Honoratioren Jah, warf jehnfüchtige 
Blide nah vüdwärts; er hätte fo 
gern mitgethan mit feinen Schul— 
fameraden, wenn e3 ur feine geſell— 
Ihaftlide Stellung erlaubt Haben 
würde! Aber die Standesrüdjichten ! 
Im vierten Acte, während der theo- 
logiihen Geſpräche war das ganze 
Auditorium tief ergriffen und die laut: 
lofe Stille nur mitunter von unters 
drücktem Schluchzen unterbrochen. Man- 


her Schürzenzipfel wurde thränenmaß, | denen 








Diejer entgegnet, \gen zu wifchen. Diefe Rührung hin— 


derte ſie aber nicht, vergnüglich aufs 
zugröhlen und im ihrer Zerftreuung 
auch mir Eflbogenftöße zu verfeßen, 
als der Kafperl bei feiner graufigen 
Nachtwache ſehr verfängliche, auf die 
Ortöverhältniffe gemünzte Couplets 
fang. Je faftiger die Anfpielungen 
ausfielen, umſo luftiger war's. Auch 


in ferueller Richtung kommt da das 


Derbfinnlihe im Buppenfpiel zur 
Geltung; zarte Liebesverhältniffe kennt 
dasjelbe nicht. Im „Bayerischen Hiejel” 
„Schinderhannes“ fehlt dieſe 
menſchlich verſöhnende Seite im Cha— 
rakter der Helden, ſie ſind Schnapp— 
hähne glattweg, ohne die Romantik, 
welche das erzählende Volksbuch, auf 
Löjchpapier „gedrudt in diefem Jahr“ 
und ehedem auf jeder Münchener Dult 
zu kaufen, ihnen anrühmt. Das 
Puppenſpiel hat dafür den eiferfücd- 
tigen Ehemann, der als Pfalzgraf die 
Genovefa, ald König von Engeland 
feine Königin Roſamunde Hinzurichten 
befiehlt. Der Bauer in unferem Land 
ftrich macht meift eine Bernunftheirat, 
weil er Bargeld braucht bei Ueber— 
nahme der MWirtjchaft, und wenn er 
glaubt, daß die Bäuerin beim Grafen 
in der Donau Au mit den flotten und 
freigebigen Gefellen, den verwegenen 
Reitern der Schiffzüge, ſich zu lange 
verhalten Habe, wahrt er feine gefähr- 
dete Hausehre mit dem Stod. Für 


‚das Publikum des Puppenfpiels wären 


jentimental girrende Helden ebenjo 
dramatifh unwahrscheinlich, wie den 
Lejerinnen der goldfchnittgebundenen 
Dutzend-Dorfgeſchichten die Hagebu= 
Gefellen vom Dorf in ihrer 


und die beiden ins Breititodige ge- rohwüchſigen Derbheit. 


rathenen Mädel, zwifchen denen ich 


R 





Politik im Bauernhaufe. 
Aus dem Volksleben mitgetheilt von R. 


FIN ie die Leute überhaupt Politik 





er poſſierliche Eapitel ftellen. Am 
poflierlichhten aber treiben die Bauern 
Politik. Am Werktag thun ſie's nicht, 
und daran unterjcheiden fie ſich von 
den Stadtleuten. Am Sonntag thun 
fies, denn eine Unterhaltung muß der 
Mensch auch haben. 

Sigen ihrer Etlihe beim Jager— 
hanfel in der Stube. Ein paar Stans 
perln Schnape — und Tabakrauchen 
dazu. Der Roß-Maſel ift auch da; 
kommt weiter herum in der Welt, der 
Maſel, als die Anderen, denn er ift 
Pferdehändler und Hilft eigentlich dem 
Staifer regieren. Wenn Sriegsrüftung 
ift, jo wird der Mafel befragt, wo in 
der Gegend die beften Röſſer find. 
Freilich, der Mafel kann ſchon was 
willen. Sagt aber nicht viel aus 
faiferlihder Geheimrath könnte er fein, 
jo geheim Hält er's mit der Politik. 
Ja, wenn Der reden wollt‘! Im Jahre 
Neunundfünfzig, wie wir mit den 
Italienern Krieg befommen haben, Hat 
ev’3 monatelang voraus gewußt, aber 
nicht ein Sterbenswörtel geplaubdert. 
Erſt jpäter hat er’3 gejagt. Im Sechs— 
undjechziger Jahr hat er's vorausge— 
jagt: die Preußen kommen! Und find 
richtig gefommen. Ueber die Donau 
haben fie freilich nicht mögen, weil 
die Defterreicher in Maria-Taferl mit 
den geweihten Gloden fo viel geläutet 
haben, daß den Lutherifchen die Kuraſch 
ift vergangen! Das Läuten und das 
Beten, natürlich Hilft’s! Hätt’ 
Beneded bei Königgräb aufs 
nit vergeſſen, 
fallen. 
und falermentiert. Na, jo iſt Halt nach: | 
her die Sau fertig gewejen. 


der 


es wär’ anders ausge: | 


treiben, darüber ließe ſich | zulegen, 


Beten | 


So pflegt es der Roß-Maſel aus— 
Aber erſt wenn er ein paar 
Gläſeln „Geiſt“ in fih Hat. Ohne 
Geift kann er nichts machen, der Majel, 
ohne Geift Scheint er fo wenig zu 
wiſſen, als die Anderen. 

Heute fißt er unter den Bauern 
und erzählt. Sie fperren Mund und 
Augen auf, denn bei den Ohren allein 
fönnen die Neuigkeiten unmöglich Alle 
hineingehen, die der Mafel vorbringt, 
fie find zu groß. 

Anfangs hat ihn der Zaun- Peter 
gefragt: „Nau, Mafel, was gibts 
Neues 2“ 

Zudt der Mafel die Achfeln und 
nichts weiter. Kommt das erfte Glaſel 
„Geiſt.“ 

„Werden wir 
fragt der Peter. 

Wieder ein Aufſchupfen mit den 
Achſeln: „Möglich iſts ſchön!“ Und 
nichts weiter. 

Nach dem zweiten Glaſel thut er 
friſchen Tabak in den Mund, denn 
Raucher iſt er feiner, und fängt an: 
„seht werden wir bald Sauerampfer— 
blätter beizen müſſen; wie man hört, 
wollen die Ungarn feinen Tabak mehr 
ins Land lafjen.“ 

„Oho!“ jagen die Bauer. 

„Die Ungarn jagen, fie wollen 
mit DOefterreih nimmer zuſammenhal— 
ten und fie wollen ihren König allein 
haben und erlauben es nit, daß er 
nebenbei auch noch Kaiſer von Oeſter— 
reich iſt.“ 

„Sackra! nachher ſetzts was!“ knir— 
ſchen die Bauern. „Jagerhanſel, bring' 


Krieg Kriegen ?“ 


Der hat aber hölliſch geflucht noch ein Glafel!“ 


„Mit dem Nuffen, heißts, ſoll's 
losgeh'n,“ bemerkt der Peter. 


927 


„Uns thut er nichts, der Ruſſ',“ „Uh Narr, Bimontefer- König gibts 
berichtet der Mafel, „aber auf die auch ſchon lang’ keinen mehr. Nur 
Bulgarner bat er's fcharf! Die Bul- einen König von Italien. 
garner, das find fchon halbe Türken, „Na, To hats Halt Der gefagt,” 
die wollen dem Rufen das Rußland |verbeffert fich der Mafel, „aber die 
wegnehmen. Da bat der Ruff’ geſagt: Tiroler, jagt er, möcht ich Haben! 
Ueber mein’ Leich’ geht der Weg ind | Das find ſchneidige Leut und ſchießen 
Rußland.“ können ſie wie die Höflteufel, ſoll er 
„Kann ihnen auch fo paflieren, |gejagt haben.“ 
wie den Franzoſen Anno dreizehn,“ „a, die Tiroler werden ihm was 
jagt der Peter, „daß fie einfrieren, | pfeifen. Die werden ihm's accurat fo 
und im Sommer, wenn fie auflannen |macdhen, wie dem Franzofen Anno 
(aufthauen,) find fie hin.“ Neun!“ ruft der Peter. Ju's Gebirg, 
„Kein Türk’ ift fein Lebtag noch |wernn die Bauern mit wollen, kommt 
nit eingefroren,“ belehrt der Noi-Ma= kein Feind herein. Piff! Puff! Dei, 
jel, „der weiß ſich ſchon warın zu das möcht’ ich ſehen, was mir fo ein 
machen, mein Lieber, der thut fengen | Wällifcher ins Suppenhäfen zu guden 
und brennen!” hätt! — Schauts die Schweizer an! Ein 
„Haus Defterreih hat aber doch | Heines Häuflein, aber feit bleiben fie.“ 
den Türken Bosnien wegthan,” meint „Haft nichts gehört, Peter,“ jagt 
der Peter. jet der Roß-Maſel, „kürzlich hat ein 
„Iſt nur ein Köder, mein Menfch, |reicher Engelländer das Schweizerland 
nur ein Köder. Haben wir ums nur | kaufen wollen. — Verkaufen thun wirs 
erſt feſt verbiffen ins Bosnien, ſchwubs, |nit, haben die Schweizer gejagt, aber 
wird der Türk anziehen und uns drin \verpadhten auf ein Jahr wenn Du 
haben in der Türkei!“ willſt, und kannſt nachher in unſerem 

„Iſt mir auch recht,“ bemerkt jetzt Schneegebirg umſteigen, fo viel Du 
der alte Wagner-Toni, „nachher geh’ | magſt. — Ob er zum Schneegebirg 
ich kirchfahrien mach Jeruſalem ing den Schweizerfäs auch thät’ dazukrie— 


heilige Land.“ | gen ? fragt der Engelländer. Nein, den 


Daß aber das Heilige Land noch müßt er fich ertra kaufen. — Auf das 
alleweil den Türfenheiden gehört!” fagt hat ſich der Handel zerjchlagen.“ 
der Peter kopfſchüttelnd. | „Schon ſatriſch viel Geld müſſen 
„Weil ſies nit hergeben,“ belehrt haben, die Engelländer,“ meint der 
der Maſel. „Der Napoleon hats ch | TON- . 
haben wollen und hätt’ dem Türken „Iſt leine Kunſt, Geld Haben, 
ganz Italien mitſammt der Romftade | MA ih die vielen Soldaten und das 
geben mögen für's heilige Land, aber | STOP Rriegführerweien nicht zu er= 
der Türk' hat gefagt: Na, das Italien alten brauch bemerkt ber Peler. 
mag ich nit; fein mir z’viel Banditen. ZBei den Engelländern wirft nit jo viel 
Rauber drinnen.“ Kriegsgefpiel finden, wie anderswo!“ 


i ! „Ich dent’, Engel werden fie auch 
„Mit Haus Defterreich ſteht Ita- nit fein, umd wenn fie zehnmal Engels 
lien jegt fo weit gut ?* frägt der Peter. | (ander heißen.“ 


„Der Kaifer Franz Jofef ift mein)  „MWenn’s wahr iſt!“ fagt der Pe— 
Freund, hat der Victor Emanuel ges | ter, „Engländer heihen fie, mit der 
DT :... ‚Engel wegen, aber weil fie fo viel ein 

„Der Victor Emanuel lebt ja gar enges Land haben. Lauter Waller. 
nit mehr!“ wendet der Peter ein. Iſt mehr Fiſch als Menfch, der Eug— 

„Dit alles Eins, hats halt der länder. Deswegen foll er aud fo kalt— 
Pimonteſer-König gefagt.* ‚blütig fein. Beim Franzofen, fagt 





man, its umgekehrt, der thut lieber 
fliegen als ſchwimmen.“ 

„Daß die Franzofen halt alleweil 
noch feinen Kaiſer Haben, glaub’ ich!“ 
bemerkt der Toni. 

„Brauchen feinen,“ belehrt der Be- 
ter. „Die Franzojen, die thun ab» 
wechjeln mit dem Regieren. Heut’ zum 
Beiſpiel iſt's ein Doctor, der regiert 
gut; da kommt ein Kaufmann und 
jagt: Ich kunnts beſſer! — Gut, fagt 
der Doctor, jo ſetz' Did Du herauf, 
und fteigt vom Thron. Morgen kommt 
ein Landwirt, der fchreit: Nichts nutz, 
Kaufmann, wie Du regierſt! — Wer’s 
beſſer kann, jagt der Kaufmann, der 
joll Hergehen. Einer um den Adern. 
So jollen ſie's treiben. Ob's wahr ift 
weiß ich nit.“ 

„Krieg führen will der Franzos, 
hab’ ich gehört, mit dem Preußen 
Krieg Führen,“ weiß der Mafel zu 
berichten. „Soll ihm letztlich einen 
Brief gefchrieben haben, der Franzos, 
dem Preußen. Da drin foll geftanden 
fein: Preuß’, mit Dir Hab’ ich noch 
eine Abrechnung. Bon Anno Siebzig 
ber. Jetzt hab’ ich eine Million Sol— 
daten und neue Kugelſpritzen, die viel 
beiler find, wie diejelben von Auno 
Siebzig. Jetzt wollen wir’3 wieder 
probieren, wenn Du Schneid’ Halt! 
Gilts? — Der Preußenfönig ift hun— 
dert Jahr alt, der Hat ihn geantiwor- 
tet: Es gilt. Aber wenn Du fo gut 
jein willft und etliche Wochen warten. 
Ich bin mit meinen Soldaten nod 
nit ganz fertig. Nachher wollen wir 
uns Schon verläßlich einftellen. — Auf 
das geht der Bismard ber, zerreißt 
den Brief, Haut mit jeiner Yauft auf 
den Tisch und jagt: Wir find geftellt! 
Heut lieber wie morgen! Der 
Franzos ſoll fih mit mehr gemurt 
haben.“ — 

Das ift fo ein Heines Bild davon, 
wie in der hinteren Banernfchaft po- 
litifiert wird. In meiner Jugend kam 
eines Tages ein Handwerksburſche in 
unſer Haus, der wußte zu erzählen, 
dab der böhmifche König feine Haupt» 


— 


528 


ſtadt Prag verſpielt habe, und zwar 
beim Brandeln (ein beliebtes Karten— 
Ipiel) im Wirtshaus; aber man dürfe 
ch kein gewöhnliches Wirtshaus den— 
fen, fondern einen goldenen Palaſt, 
und die Spieifarten feien von Seiden 
gewelen. — Derſelbe Handwerfsburfche 
ſprach auch folgendes Prophetenwort: 
„Bei der Achtundvierziger Nevolution 
hat man Die gezählt, die gefallen find, 
bei der Achtundneunziger Revolution 
wird man Die zählen, die lebendig 
bleiben.“ 

Daß Joſef II. nicht todt ift, weil; 
man int Volke allenthalben, er ift nur 
irgendwo eingeferfert, aber wenn die 
Zeit kommt, wird ex befreit werden 
und das Volk erretten aus Noth umd 
Bedrüdung. MUebrigens aber iſt der 
Antichrift im Anrücken, der will nur 
eitel Geld und Gut haben und dem 
Papſt fein Land und feine Sclöffer 
wegnehmen und Gold und Edelgeitein 
aus den Kirchen rauben. Aber der 
Erzengel Michael wird den geldgierigen 
Antichrift bejiegen und dem heiligen 
Vater all feine irdischen Beſitzthümer 
wieder zurüderobern. 

Sp pflegen die Leute Altes und 
Neues durcheinander zu Stellen und 
manchmal vielleicht ſogar Eines durch 
das Andere bedeutfam zu machen. — 
Ein andermal wieder ift etwas ganz 
ans der Luft gegriffen. Da geht plöß- 
lich das Gerücht um: „Die Schweden 
fonımen!“ oder „der Türk' ruckt wies 
der an!” In Kriegsgefahr, wen viele 
Soldaten ausgehoben werden, fteigert 
fi die Phantafie der Leute ins Un— 
gehenerlihe. „Alles muß fort, Alles 
was Hoſen trägt. Auch die Weiber 
müſſen mit den Ofengabeln ausruden. 
Wien brennt. Drei Feldherren find 
ihon erfchoffen worden. Jetzt heißts 
nimmer, die blaue Donau, jetzt heißts: 
die rothe Donau. Man darf fein Salz 
und feinen Tabak mehr kaufen, Alles 
vergiftet! Der Garibaldi rudt an, der 
Joll gefagt haben: heuer wird ein gutes 
Jahr fein, werden auf allen Lärch— 
bäumen Bauern wachen!“ And fo 


>20 


fort. Einer oder der Andere Hält eine urdeutſch. Er weiß auch das nicht; feine 
Zeitung. Eine ſolche pflegt Schon für) Sad’ ift, daß er friedlich Tebt und 
fich zu übertreiben, der Bauer über | tüchtig arbeitet. Des Dimmellommens 


treibt weiter; wo fie aufhört, fängt er, 


an, und mißverfteht das Zeug und 
mischt allerhand durcheinander. 

Troßdem bleibt die Tagesordnung 
in ihrem Geleife, der Bauer mäht und 
heuet, fäet und ſchneidet, Hat feinen 
gewohnten Appetit und jeinen gewohn— 
ten Schlaf. 

Manch alter deutjcher Hintergebirg- 
fer, der fonft feine fünf Sinne ganz 
brav beilammen Hat, wenn ſichs um 
feine enge, greifbare Welt handelt, 
weiß heute noch nicht, daß ein deut» 


jches Reich eriftiert mit dem Kaiſer in! 
Berlin. Und er brauchts auch micht zu 


wiſſen. Er ift im Stenerzahlen und 
Soldatenerziehen ein guter Deftereicher 
und in feinem Blute, in jeinen Sitten 


wegen muß er Sonntags fleißig in 
die Kirche gehen und des Durftes 
wegen auch manchmal ins Wirtshaus, 
wo nachher manchmal ein wenig in 
obiger Weife politijiert wird. 

So treibt im unferem Gebirge 
die Mehrzahl des Volkes. Ach Tage 
nicht, ob das gut fei oder fchledht, 
denn ich habe mir vorgenommen, felbit 
nicht zu politifieren, wo es jo viele 
Andere thun. Ich weiß nur das, aus 
Kriegsluft wird der Bauer nicht aus— 
rücken, wenn aber der Feind einmal 
ins Land brechen will, dann nimmt 
der Bauer fein Beil oder feinen Knittel 
und ſchlägt gewaltig drein. 

Und Hierin ift die Bauernpolitif 
die gründlichſte. 


Aus meinem Wanderbüdel. 
Bon P. R. Rofegger. 


a A 


M 


eine allzugroße und vertrauens- und lieben fie auch den Ernſt im 
a jelige Bereitwilligkeit, Ein- naiven Gewande der Bauernmundart. 
ladungen auf Vorleſereien in ſteiriſcher Verzogen durch die Süddeutſchen in 
Mundart nachzukommen, bat —— Trieſt, Salzburg, München 
unvdorhergejehene Folge gehabt. Vater- u. ſ. w. Habe ih auch im Norden 
ländifche Wirte, Kaffeehausbefiger und bisweilen vorwiegend Luftiges gebracht. 
Fafhingsfeftgeber haben mich zu ſich Oefter als einmal ift darüber ein ge⸗ 
gebeten, um mit Volksſchwänken ihr wiſſes Befremden ausgedrückt worden. 
Publikum zu ergötzen. Ein paarmal Wenn ich einerſeits nicht verſchweige, 
gieng ich d'ran, Habe aber den ge— wie nach ernſteren Stücken der Beifalls— 
ſchätzten Zuhörern anftatt Schnurren ſturm oft Jo groß war, daß er mich 
und Spällen etwelche Sittenpredigten | faft niederbrüdte, fo darf ich anderer- 
und Sterbefcenen vorgeleſen. Diefe | jeits wohl auch erzählen, daß Schwänte 
gründliche Enttäufhung hat mir von | wie „Die Entdedung von Amerika”, 
ſolchen Seiten die Ruhe gelichert. „Mia der Odam 's Boterunferbetn 





Hierin liegt überhaupt der weſent— 
liche Unterschied zwiichen ſüddeutſchem 
und norddeutschen Wolle; im Süden 
kann man nicht genug Schalt und 
Schwank machen, im Norden veritehen 


Pofegaer's „„Geimgarten‘‘ 7. Geft, XI. 





Hot glernt“, als über die in Nord» 

deutichland gewohnten Grenzen des 

Humors gehend erflärt worden find. 

Derlei, hieß es, mache fich vielleicht für 

den Augenblick vecht unterhaltend, für 
34 


den, der daran Geſchmack finde, allein 
der ſolches vorbringt, jener Mann fei 
das nicht, der den „Waldjchulmeifter,“ 
den „Gottjucher,“ die „Bergpredigten,“ 
„Heidepeters Gabriel“ u. ſ. w. geſchrie— 
ben hat. Mich freut die Treue, Die 
folchergeftalt dem Verfaſſer genannter 
Werke bewahrt wird, da ich felbft es 
mir wiederholt jage, ich bin im Grunde 
nicht der, welcher als Vorleſer pudel- 
närrifcher Gefchichtlein vor das Pu— 
blikum tritt, ich bin ein Anderer. Aller: 
dings erinnere ich mich auch an den 
Ausspruch jenes alten Mannes in 
Magdeburg: „Laſſen Sie ſich nicht 


Dieſe weite raſche Winterreiſe — 
vom 21. Jänner bis 7. Februar — 
verbunden mit Vorlefungen, Feſtlich— 
feiten und fteten Verkehr mit Leuten 
war an und für fi anftrengend, dw 
fanı noch etwas Befonderes dazu. Ich 
hatte in den meilten der genannten 
Städte meine Vorlefung über den 
„Boltshumor in den deutfchen Dit: 
alpen* anfünden laſſen. So führe ic) 
das entjprechend zufammengeftellte und 
ſauber abgejchriebene Manufcript dieſes 
Vortrages mit mir und benüße es, 
wie ein Lahmer die Krücke. Im Bremen 
ift eg, wo mir unmittelbar nach der Vor— 


entwegen. Auch in Ihren Schwänten | |fefung das Manufcript abhanden kommt. 
liegt Wahres und Ernftes, Sie mögen | Abhanden fommt und nicht mehr ge= 
nach der Mode Ihres ſchönen Landes | funden wird. Diesmal hatte denn etwa 
vielleicht Antifemit fein, aber infoferne | ein fleißiger Autographenſammler einen 


halten Sie es doch mit Heine, als Ihr 


Dumor nad feinem Necept mit dem 
einen Ange lacht, mit dem andern 
weint. Verſchmähen Sie die Luftige 
Art durchaus nicht, wenn Sie zu einem 
großen Publikum ſprechen; wenn die 
luſtigen Geſchichten Erdgeruch und 
Herzblut haben, dann wirken fie auf 
das Gemüth und Sie erfüllen damit 
die Million des Poeten.“ 

So bleibe ih bei meinem alten 
Brauch und ziehe mit meinen beiteren 
und ernften Gefchichten munter durch 
die Lande. Gefällt das Luftige, iſt's 
mir recht, gefällt das Ernſte, iſt's mir 
noch lieber. 

Eben wieder bin ich von einer 
folhen Vorleſerreiſe nah Haufe ge— 


fommen, um — wie Jemand nicht ganz 


harmlos bemerkt hat — mich von den | 
Anftrengungen und Ehren daheim aus— 
zuruhen. Die Reiſe 


war bon wiſſenſchaftlichen, alpinen und 
faufmännischen Bereinen gerufen, konnte 
aber nur einem Theil der Einladungen 
nachkommen. Ich las innerhalb von 14 
Tagen der Reihe nah in Teplig, 
Dresden, Berlin, Braunfchweig, Ham— 
burg, Bremen, Bremerhaven, Eſſen, 
Elberfeld, Caſſel, Chemnitz, Planen 
und twieder in Dresden, 


gieng diesmal 
hinaus bis Inapp an die Nordfee. Ich 


tüchtigen Broden befommen. Aber er 
hätte bei feiner Vorliebe für Hand» 
Ichriften über den Volkshumor bedenken 
follen, was er mir anthut! ch, der 
ih kaum eine Zeile meiner eigenen 
Saden auswendig kann, follte den- 
ſelben Vortrag auf meiner Reife noch 
ſechsmal Halten, und zwar zunächft ſchon 
am folgenden Tage in Bremerhaven. 

Stand ih denn am nächſten Abende 
vor einem den Saal bis in den leten 
Winkel füllenden Publilum, das mit 
unvderfennbarer Neugierde den Ent— 
hüflungen über den Volkshumor im den 
deutichen Oſtalpen entgegenfah. Da 
erfuhr ich, was der Menſch Tann, 
wenn er muß; kheils aus alten Ex— 
‚cerpten, theils aus neuen flüchtigen 
Aufzeichnungen, größtentheils aber frei 
aus dem Gedächtniſſe, Hielt ich den 
Vortrag. Ein Flickwerk war's, das 
mag ich nicht leugnen, aber die Zu⸗ 
hörer — die von meiner Noth keine 
Ahnung Hatten — waren nächſichtig 
und liebreich. Der Schweiß ſtand mir 
in kalten Tropfen auf der Stirne, 
als ich mit vor Erſchöpfung zitternden 
Beinen die Stufen herabſtieg. Man 
hatte mir zu Ehren eine gejellige Zu— 
ſammenkunft im jchönften Locale der 
Stadt, dem grottenartig ausgeltatteten 
„Wintergarten * veranftaltet, liebreizende 





531 


Frauen umgaben mich, gottbegnadete In den Bergen des nördlichen Böhmens, 
Rhein- und Moſelweine kamen, die jenen in den Waldbereichen Sachſens und 
im Bremer Rathhauskeller bei den zwölf Thüringens, im Harz und im Teu— 
Apoſteln dem Abend zuvor nicht? nach- toburger Walde lagen noch gewaltige 


gaben, aber ich war vor Erſchöpfung nicht | 


mehr fähig, mich des Lebens zu freuen. 


Und ähnlich vollzogen fi die, 


weiteren Abende, nur daß ich im Vor— 
trage meines proviſoriſch zuſammen— 


geflidten ‚Vollshumors“ fiherer wurde, 


und mir das Bauen auf die Guther- 
zigkeit der ſtets Beifall ſpendenden 
Zuhörer eine gewifje Kühnheit verlieh. 


Und fo wäre ich nun ſchier auf dem 
Punkte dem „redlichen Finder“ meines 


„Volkshumors“ zuzurufen, er möge 


ihn fich behalten, wir in den Alpen 


hätten noch Humor genug vorräthig, um 
etliche Blätter dapsn an jpecielle Lieb— 
haber in der Ferne abtreten zu können. 

Schöner als Blumen und Kränze, 
Preisgedichte und wohlgeſinntes Zei— 
tungslob, die dem wandernden Poeten 
werden, ſind die goldenen Herzen, 
denen er begegnet. Ich gedenke ihrer 
in Dankbarkeit. Da ift, um nur wenige 
der Freunde die ich alle grüße, zu 
nennen, der Lehrer Möbins und feine. 
Familie in Dresden, da ift der Dichter 
L'Aronge in Berlin, der Hofichaufpieler, 
Guſtav Starke in Braunſchweig, die 
Familie des Buchhändlers Seippel in 
Hamburg, da ift Profeffor Sattler in 


Bremen, Schuldirector Hildebrandt in’ 


Bremerhaven, Rechtsanwalt Niemeier in 
Eſſen, Schuldirector Sattler in Chem— 


Maſſen des großen Decemberfchnees, 
über den Hügelgeländen des Rheines 
aber und über den märkiſchen Ebenen 
ruhte das Lichtgefättigte Blau und 
' aufden braunen, friedensftillen Gründen 
der Lüneburgerheide ſpannen Sommer 
'fäden. Bon der blauen Donau bis 
zur gelben Elbe, von der grauen Weſer 
bis zum grünen Rhein hatten fich die 
Lande meines geliebten deutfchen Volkes 
wonniglid ausgebreitet. In ftiller 
Weiheſtimmung begräßte ich den Boden 
der Hermannsfchlaht und der Bes 
freiungsfriege, begrüßte die Stätten, 
wo Luther und Leifing, Klopftod und 
Herder, Schiller und Goethe gelebt und 
gewirkt hatten. Ich Jah Bismard unter 
den Linden fahren und den ehrwür— 
‚digen Kaifer an feinem Fenſter ſtehen. 
Ih fand das deutſche Volk im männ— 
lihen Bewußtjein feiner Macht und 
im ftillen Bangen vor einem drohenden 
Kriege. Ih Fand bei den Bürgern 
des Neiches keine Sroßfprecherei, feinen 
waffenrafjelnden Haß gegen nachbar— 
liche Volker, ich fand ganz allgemein 
‚den heißen Wunſch, dab der Frieden 
erhalten bleibe. 

| Man fühlt ſich wohl daheim bei 
einen folchen Volke. Und doch vergieng 
‚fein Tag, wo mich nicht heftig das 
Verlangen mach den Alpen padte. Hätte 





niß, Emil Rittershaus in Barınen u. ſ.w., ich mich nicht durch die Zuſagen ge— 
die mir edle Gaftlichkeit und vielfältige bunden gehabt, ich wäre vor der Zeit 
Liebe angedeihen ließen. Im Haufe, heimgekehrt, fo jehr die Vernunft auch 
des Dichters Rittershaus zu Barmen | findlich redete: Kind, die Berge bleiben 
habe ich meinen einzigen Rafttag ge= | ja ſtehen. Menschen, ſoſehr fie manch— 
halten und mich erquidt an dem wahr= | mal auch raſen und withen mögen, 
haftigen Poetenheim und dem deutjch können Alles nivellieren, wenn fie ſelbſt 
innigen Familienleben diefes Lieblings= flach find, Alles verrüden, wenn fie 
ſängers des deutjchen Volkes. jelbft verrüdt find, aber die Alpen 
Nicht minder als den Menjchen, | können fie nicht umwerfen, ſonſt hätten 
danke ich dem Himmel für das holde fie es längft Schon gethan. Die Alpen 
Neifewetter, welches er über feine) bleiben Deiner Waldheimat und dem 
berrlihe Welt gelegt hatte, als ich | alten Defterreih ein feiter Hort — 
fie durchzog. Lauer thauender Nebel! jei getroft. 
wechjelte mit güld’nem Sonneunſchein. So Stand ich an jenem Nachmittage 


34* 


332 


in Bremerhaven am Waller. Das Meer 
gligerte unter dem blauen Sonnen— 
äther, und der Maſtenwald ftand faft 
regungs3los da und die Matrofen ftiegen 
im Takelwerk herum, wie die Eich» 
börnchen im Lärchenwald und ich Hatte 
das Herz voll Heimweh. Da nahte 
langjam ein großes Schiff heran, auf 
feinem Dede Hang Mufit, fehier fremd— 
artig melodiih, denn das Seemanns— 
lied flingt anders, al3 das der Welpler. 
Langſam, faft feierlich glitt das Schiff 
in den Hafen. Habsburg hieß es, und 
wie mir ein Nebenftehender mittheilte, 
aus Auftralien fam es. Gottes ift der 


nur Stumpfgeit und das Berlangen, 
fortzufommen; bei den Heimkehren— 
den, in der ferne Enttäufchten, fei es 
anders. Auch jetzt lachende, weinende 
Jubelrufe des MWiederfehens! Mancher 
war unter den Antömmlingen, den 
Niemand in die Arme fchloß, einer 
von dieſen kniete auf den Boden hin 
und küßte jchluchzend vor freude die 
Erde, die deutsche Erde! — In dieſem 
Augenblid wurde mir die fyrevelhaftig- 
feit meiner Heimfucht Kar. Gehe erit 
einmal nah Auftralien und Du wirft 
zurüdtehrend an der Wefermündung 
mit heißen Thränen Ddiefen Boden, 


Orient, Gottes ift der Occident! — |der Di heute fo fremd angemuthet, 
Ale Paffagiere ſchienen fich auf das |al8 Heimatserde küffen. 


Ded begeben zu haben und Aller Augen 
waren auf den Landungsplab gerichtet, 
wo eine große Menſchenmenge ver— 
fammelt war. Endlih nahm die An— 


Am nächſten Morgen gieng’s wieder 
dem Süden zu, der rothen Erde Welt: 
falens. 

Vom Rhein ber grüßte mid in 


kommenden ein Heineres Schiff auf und | der Abenddämmerung ein Alpenglühen. 


fie landeten. Bei den Auswandernden | 
— fo wurde mir gefagt — gäbe es 
rührende Abſchiedsſcene, 


jelten eine 


In der finfenden Sonne glühte der 
Don von Köln. 


Der Schnitzelbauer. 


Gine Erinnerung an den „glüdlichften Mann von Graz”. 


| N or Jahren habe ich die Keine) Schnedenhaus oder Bogelneft im Walde. 





WGeſchichte eines Heinen Mannes 
die merkwiürdigerweije länger 


erzäßlt, 
in Erinnerung der Leute blieb, als 
manche pathetifch angelegte Erzählung, 
die von hervorragenden Menſchen und | größer nicht haben wollte. 


Ihaten gehandelt. 

Und fo wird mancher meiner 
Landsleute noch jenes alten, gemüthlich, 
treuberzig, ader auch ein wenig ver— 
ſchmitzt lächelnden Alten gedenken, der 
in den Sechziger: Jahren in der Leech— 
gaffe zu Graz, unter Bush und Baum 
verftedt, fein Holzhaus gehabt Hat. 
Man fand es kaum, wenn man nicht 


etwa zufällig darauf fam, wie auf ein 


Der Yofef Stern hatte es fih darum 
jo Hein gebaut, weil er ein größeres 
nicht bauen fonnte und endlich ge= 
fiel e3 ihm fo gut darin, dab er es 


Meil aber die Miethe des Bodens, 


auf weldem das Haus ftand, etwas 


foftfpielig ift, wesweg der ſonſt all» 
zufriedene Mann einmal nicht zufrieden 
war, jo [ud er eines Tages jein Haus 
auf einen vierräderigen Wagen, ſpannte 
ein paar Pferde davor und jchleppte 
es hinan auf den Nofenberg. Dort 
auf ſonniger Lehne mit der Aus— 
ſicht über das öftliche Graz und die 


ihönen Berge von Maria Troft hatte 
er fich ein Grundftüd gefauft. Dasjelbe 
war zwar nur 53 Geviertflafter groß, 
hatte aber vollauf Raum für das 
hölzerne Bauernhaus, das ſchier vor— 
nehm zu Wagen aus der Stadt ge— 
fommen war, und ſpäter noch für un— 
erhört vieles Andere. 

Das Haus — es ſteht ja heute 
noch dort — ift eine überaus nied— 
liche Miniaturausgabe eines fteirifchen 
Bauernhauſes, genau nmachgebildet, 
ſelbſt bis auf die gelben Kulurutzzapfen 
im Söller unter dem Dachgiebel. Das | 
Haus Hat fein regelrechtes Vorgelaß 
mit der Bodenftiege, die in den „Dach— 
boden“ Hinaufführtt. In der Stube, 
die etwa 5—7 Fuß lang und breit 
und hoch ift, ſteht der Wandkaſten 
und der „Geſindetiſch“ und der Haus 
altar und die Schnigbant und das 
Bett des Hausvaterd und der grüne, 
Kachelofen. Weil aber das Bett felbit 
für einen Heinen Mann zu kurz if, 
jo wird zur Schlafenszeit eine Ofen= 
wand bejeitigt, um für die Füße 
Naum zu machen. Das ift fein Ofen, 
in dem geheizt wird, denn wir wiflen 
von der Kälte nichts. Wie viel Wär— 
megrad, Du gutes altes Herz, magft Du 
haben, daß zwifchen den dünnen Bret— 
terwänden bei der ruhigen Schnigarbeit 
im Winter die Ofenwärme überflüfjig 
it? Oder Haft Du das Blut des Weifen 
— Fiſchblut? Der Rauchfang ift doch 
da und ragt über das Dach empor; 
e3 Happert in ihm eine Windmühle, 
die unten in der Stube ein Gloden- 
jpiel treibt. Wenn draußen Sturm ift, 
hat der Mann drinnen klingendes 
Spiel — fo follt’ ſich's Jeder ein— 
richten auf der Welt. In einer ganz 
ſtillen Nacht, jagte der Mann, könne 
ev nicht fchlafen und wenn ihm eine 
Meile Alles nah Wunfch gehe, werde 
es ihm unheimlich, denn gejchentt 
bleibe ſie doch Keinem, die Kümmer— 
nis. In der Stube hängt ein 
gar feingeſchnitzter Vogelbauer, das 
Thörchen desſelben geht durch die 
Holzwand in's Freie. „Meine Vögel 


533 


jollen ihre Freiheit haben,“ jagte der 
Joſef Kern, „die Leibeigenjchaft ift bei 
mir nie gewefen. Der hohe Herr muß 
nicht Alles in feiner Yauft Haben 
wollen!” 

Als er ein MWeildhen auf dem 
Nofenberge gehaust und ſich mit 
Schnitzen von Kinderfpielzeugen und 
Damenfähern „die Zeit verdient“ 
hatte, hörte man, der Schnikelbauer 
bane fich eine Fabrik, um fein Gewerbe 
in größerem Mapitabe ausüben zu 
fünnen. Ich habe mir dann gelegent- 
lich eines Spazierganges die Yabrif 
angejehen. Sie war jo geräumig, daß 
der Fabrifant, der darin ſaß, von 
feinem Sitze aus mit der freien Hand 
in alle Eden und Winkel des Gebäudes 
zu langen vermochte, wenn er Schnitz- 
holz oder Werkzeug hernehmen wollte. 
Indes hatte er doch das Arbeiter— 
perfonale um das Doppelte verftärkt; 
neben ihm im  VBretterhüttchen ſaß 
feine Tochter, die im Schnigen nicht 
weniger anſchickſam und flink war 
als der Pater. Das Bauernhaus da= 
neben, stets höchſt reinlich gehalten, 
hatte nunmehr ftet3 eine feiertägige 
Stimmung, es war — feit nicht mehr 
in ihm gehämmert und gefägt wurde 
— zu einem Prunfgemäclein gewor— 
den, in das der Hausherr nur ganz 
bevorzugte Gäfte zu führen pflegte. 

Die Beſucher mehrten ſich, kauften 
dem Alten kleine Schnitzwerke ab, 
Vogelläfige, Spatzenſchießer, wachhol— 
derne Damenfächer, Holzlöffelchen, Pa— 
piermeſſer u. ſ. w. Kaufleute beſtellten 
bei ihm Arbeit und die Zeiten waren 
jo gefegnet, daß der Schnigelbauer 
mit dem Gedanken umgieng, ſich und 
allen Deren von Kern ein Stammſchloß 
zu erbauen. 

Und als ih nah einer Weile 
wieder einmal den Mann befuchte, fand 
ich als drittes Gebäude auf den 53 Ge— 
viertflaftern großen Grund ein Feltes 
gemanertes Haus, faft jo groß als 
ein Bahnmwächterhäuschen, aber Alles 
überaus niedlich und Klug eingetheilt ; 
jeder Raum auf das Sinnigfte aus— 


934 


genügt und wahrhaft wohnlih und wirkte nachgerade bezaubernd auf den 


behaglih eingerichtet. In Ddiefem 
„Schloffe* herrſchte nun das Weib des 
Schnißelbauers, welches bisher mit— 
fammt der Tochter in einer Nachbar— 
ſchaft gewohnt hatte, und beforgte Garten 
und Feld, Küche und Seller und die 
ganze Wirtichaft in mufterhafter Ord— 
nung. Denn Garten, Feld und Wiefe 
hatten auf dem angegebenen Flecke 
auch noch Raum neben den drei Ge— 
bäuden,. Unter Obftbäumen, an deren 
einem ein Muttergottesaltärdhen prangt, 
liegen Gemüfe= und Blumenbeete. Auch 
ein Weingarten ift da. Das ganze Be— 
ſitzthum ift mit einem Dornhedenzann 
umgeben, und wer hinein will, der 
muß an einem Glödlein läuten, dann 
geht wie „von Geifterhand bewegt“ 
das Thor auf, hinein zur Behaufung 
des „glücklichſten Mannes von Graz,“ 
die — bezeihnend genug — mit 
Dornen- gekrönt ift. 


Beſucher. Seine Bemerkungen waren 
voll Humor und manchmal wahre 
Ausfprüche der Weisheit, die er nicht 
bloß im Munde führte, fondern auch 
in feinem Leben bethätigte. 

Menn man den fünfundfiebzige 
jährigen Alten fragte, wie es ihm fein 
Lebtag ergangen fei, fo wußte er für's 
Erite kaum etwas anderes zu ent- 
gegnen, als daß er Gottlob alleweil 
hübſch gefund gewefen wäre und zu 
eflen gehabt hHäite. Und wenn man 
ihn fragte, wie er zur Welt ftebe, 
wie fie ihm gefalle, jo antwortete er: 
An Geldeswert fei er Niemandem was 
Ihuldig und er fenne brave Leute die 
Menge. — Und was er von der Zu— 
funft erwarte? Ya, er freue fich auf 
die Zeit, wo feine jungen Obſtbäume 
| Früchte trügen, erlebe er das nicht 
mehr, im Gottesnamen, fo würde ſchon 
wer Anderer da jein, der ſich daran 


Des Mannes Glüd beftand, wie) freue. Wenn man fi) wunderte über 


man etwa nad der Anlage diefer nied- 
lihen, aber im Grunde doch arınen 
Verhältniſſe ſchließen möchte, nicht in 
entjagender Beichaulichkeit; nein, es 
beftand im Schaffen und im Belik. 
Als Findellind war er aus der Stadt 
nach Neftelbah zu einem „Sochlöffel= 
macher“ gekommen, bei diefem erzogen 
und ein wenig im Holzſchnitzen unter: 
richtet, gieng er jpäter in die Stadt 
zurüd um durch Arbeit und Spars 
ſamkeit fich eine Eriftenz zu gründen. 
Er baute fi das Heine Haus in der 
Leechgaſſe, in welchem aber jein Weibel 
das er fich fpäter nahm, nicht Platz 


die winzigen Verhältnifje feiner Ge= 
bäude und MWirtfchaft, die mehr an 
eine Spielerei als an etwas anderes 
erinnerten, jo fagte er, es fei ihm nun 
aber doc fchier zu groß. Man könne 
ſich nicht Hein genug einrichten auf 
der Welt. Je weiter man feinen Rod 
ausbreite, deſto leichter könne bei 
irgend einem Zipfel das Unglüd an— 
beißen. 

In der neueften Zeit nun hat fich 
unfer Freund noch einfacher begeben, 
und Heiner, als er jetzt gemacht, 
fann man ſich nicht mehr einrichten. 
Sechs Schub lang und zwei Schub 


hatte. Das mußte freilich anders wer= | breit — jeßt kaun das Unglüd bei 
den. Nun hatte er ſich's geichaffen! Und | feinem Zipfel mehr anbeißen. 

ſelbſt geichaffen! Darin lag's. Wenn Der diesjährige Februarfchnee hatte 
er feine Heinen Erzeugniſſe aufzeigte, | ihw’s angethan. Er wollte feine Bes 
von feinen Feld» und Gartenarbeiten ſitzungen frei haben und ſchaufelte das 
ſprach, jo that er’s mit Selbſtbewußt- Zeug Hinaus, ermüdete ſich dabei zu 
jein und Selbftironie zugleih. Die | ftart und vorbei war's. Als ihn das 
treuherzige Gemüthlichleit des weiß- Fieber fchüttelte, Hatte man Mühe, 
füpfigen Alten mit dem ftets beiteren | ihm aus feinem hölzernen unheizbaren 
Gefichtlein, die Zufriedenheit, die ihm | Häuschen, in welchen er immer noch 
aus den Heinen Augen umd jo zu | gewohnt und geichlafen hatte, hervor 
jagen aus jeder Nunzel hervorlugte, und in das Heine gemauerte Wohn 


339 


Haus zu bringen. Er könne den Holz- den glüdlichften Mann von Graz ges 
geruch nicht milfen, meinte er, fieinannt. Mag fein. Heute ift er's 
follten ihm fein altes Daheim laſſen. | gewiß.“ 

„Das wollte ich den lieben Herr— Das Heine, jo originelle Anweſen 
gott bitten,“ jagte er einmal während | auf dem Roſenberg liegt jet verwaist, 
feiner achttägigen Krankheit, „wenn's | die Miniaturhäuschen find gefchlofjen 
ſchon fein muß, nicht zu langwierig | und fehen aus, als wären fie ſelbſt 
möcht’ er’3 treiben. Wenn’s mit dem |entjeelt. Für Andere ift das nicht 
Schnitzeln fchon nicht mehr geht, ſo mehr zu brauchen. Aber Vieles läßt 
foll er mich penfionieren. Ich habe die | fich dabei denken. Diefer Heine Kreis 
ihöne Welt lang genug genofjen.“ mit feinem findlichen Inhalte war die 

- Wenige Tage Später lag er aufs | Welt eines reichen Gemüthes, das in 
gebadrt in feinem Lieblingshäuschen. | der Nähe der großen Stadt täglich 
Haft lächelnd lag er da, ſchlau lächelnd | Gelegenheit hatte, fein enges Eigen 
wie Einer, welcher der Welt ein | mit der üppigen prunfenden Welt zu 
Schnippchen geichlagen. vergleichen, ohne an fich irre zu werden, 

Als der Sarg des weitbefannten | und das anf dem Todbette jagen 
and beliebten Mannes, von einer großen | konnte: Ich Habe die jchöne Welt 
Menfchenmenge begleitet, dem Fried- | genoffen. 

Hof zuſchwankte, hielt vor dem Zuge, Zu wünſchen wäre, das fteirifche 
der die Straße abiperrte, ein vornehmer | Landesmufenm möchte das winzige 
Herrihaftswagen mit vier feurigen | Holzhaus des Schnikelbauers im feine 
Hengften und zwei livrierten Lakaien. Hut nehmen als ein ftiflheiteres her— 
In der Kaleſche ſaß ein Mann, der) ziges Andenken an den weiland „glüd- 
blidte dem Sarge nah und murmelte: | lichten Mann von Graz.“ 

„Der Schnigelbauer! Sie haben ihu 








Da Vierkreuzabotzn. 


A floans Gſchichtl in da Gmoanſproch. 


Ber ip jog holt ollamol: Biel Geld | ma ſei Tröpfl Wein friagg. Heint 
& is nit vonnöthn, oba recht fein s durſti — mau, ih glaubs! 





onwendn muas ma's tina. Endler iS er do, da Bädnwirt 
Nahſt Sunta Ion ih an kloan md moant, ih ſult nit fa viel regnan 
Hondl ghobb mit n Bädnwirt. loſſn, er hät ſeini Ruabn gern drudn 


„Wirtshaus,“ jog ih, „geh Hera in Sefla. 
mol, ih muas Da wos jogn.“ Du Wirt“, fog ih, „loßn ma 


„Bleib gleih,“ ſogg er, „Tachft |.. ——— 
ze — hiaz Regn und Ruabn af da Seitn. 
03 dan nit, daß ih d Hand vul Glaſa Du wirft Dih erinern, daß mar in 


bon! D Leut fein durfti.” gi 
. : ! t d Nocht do ba dei 
Ahan, dent ih ma. Heint fein j =. une rn * en 


durſti. Sift, wan er mit da ſaubern j er — 
Frau Lederermoafterin banondaſitzt, do „Wird eh jein,“ joggda Bäcnwirt. 
„Und dos D ma — wir ih me 


dert ma ſih s Lungl ausfchrein, bis 





i 


536 


Zech zohlt hon — an Fünfabangganotn haſn ſtork afn Tiſch, „Ja kenad ih $ 


gwechſlt hoſt.“ 

„Dos kunt ih nit meh recht ſogn. 
Sein kons eh. Oba Du — mualt 
ſcha vazeichn, ih muas ſchaun, daß 
da Semeltoag auſſaknetn wird. Mei 
Bädnjung ftedt ſcha wieder in da 
Kucel, der Saggara! 
groſſi Bäck. D Dllaheilignfenmelr für 


Und Heint is 


Geld nit, moanft, oda hät Dih zfleik 
ongſchmirt! IH bin cha zwoanzg Johr 
Wirt und wir epper a went mehr 
Geld in da Hond ghobb Hobn, as 
wia Du Dei Leppa gehn boft, mei 
Liaber! Und ih ſchau mei Geld on, 
ob ihs hiaz ausgib oder einnimm! 
Wer woaß s, wo Du Dein Guldn 


die Ormen, Du kenſt jo den dumen vadredlt hoſt, ban Hoamgehn! Und 


Brauch, oba nau, wos kon ma mochn!“ ih hät folſch auſſagebn! 


Soggs, und will wieda davonrena. 

Do Schrei ih in die Kuchel aufji 
zan Bädnjung, er fult Semel auſſa— 
knetn gehn, da Herr Wirt miad in 
Gäſtn aufwortn. Is ab gleih ba fein 
Gſchäft gwen, da Bädnjung und da 
Wirt hot ba mir fißn bleibn müaſſn. 

„so, und dab ih ſog,“ red ih 
weita, „Du hoft mar in Kicchwahfunter 
af d Not an Fünfabangganotn gwech— 
jelt und Hoft mih ongſchmirt!“ 

„Ongſchmirt? I Did?“ 

„Knopp an Guldn Hot die Zeh 
ausgmocht.“ 

„Richti, iS eh wohr, Hiaz follts 
mar ein, und ih bon Da von Fünfa 
vier Silbaguldı zrugg geb,“ ſogg 
da Wirt und mocht ſchreckbor gleich- 
giltigs Gicht. 

„Du Wirt,“ jog ih, und thua 
mei lederanas Geldbeiderl ausanonda, 
„Du Hoft ma drei Silbaguldn und 
an Bierfreuzerbogn aufjagebn. 
Deina Todinbohrfungn hon ihs zwent 
gſechn und wir ih hoamkim und mein 
Weib in Geldbeidl gib, hoakt 3 mih 
mir nir Dir nir an Lumpnu, der in 
a Stund zwen gonzi Guldn vafauft 
und noh nit amol an Rauſch hoam= 
bringg — a Zoachn, daß ih mehra 
gwohnt war. Und kim ih Hiaz drauf, 
daß ſih da vadonkti a 


Ba) 


Do ſchauts 
her!“ 

— Er langnis, denk ih mar. Bin 
freilich feſt Übazengg, daß er mein 
Guldu hot, grod weil er a fo auf— 
begehrt. Oba weil er's amol laugnt, 
ja fun ih mir mochn; ih häts befier 
onfchaun fuln, s Geld, waı er ma 3 
in d Hond gibb. Kan Hondl und fa 
Feindſchoft mog ih va wegn ar an 
laufign Guldn nit onhebn. Loß eahm 
an, denk ih mar und ſog: „Nau, 
wanft Du s gwiß woaßt, daß D ma 
vier Guldn hoſt auſſagebn, fa muaß 
id Da 3 glabn.“ 

„Nau, ih moanads ah!“ ſogg er 
fernfeit und geht zan Bädnjung, der 
ban Bochtrog mit boad Händn in 
Toag Hin und herſchmotzt. Da Wirt 
wicht ſih ſei Hond a wenk in da Hoſn 
ob, greifft a Hoans Batzl aus n Trog 
und leggs ols Gwicht af d Wogſcholn. 
Klewa nußgroß iS s Batzl, klewa 
nußgroß. Und däs ſult in Ormaleut— 
Semeln eahna Gwicht wern? — Na, 
wort, Bäck! denk' ih ma. Und wir 
er in Bäcknjung ſchorf auftrogg, drei— 
hundert Stud, und jo nit ſchwarer 
z bochn, as wia die Gwichtſemel, de 
af da Wogſcholn ligg, und wir er nochha 
ba da Thür auſſi geht und da Bäckn— 
jung noh gſchwind im die Kuchl rent 
um ſei Staffeeladel, weil er mit da 





fürn viertn Guldn ausgibb. Hot ſih Köchin guat on is — huſch ih gſchwind 
holt vagriffn, da Bäcknwirt, denk ih hin zan Bochtrog und ſteck mein Vier— 
na, mei Gad, is jo leicht migla, daß kreuzabotzn ins Toagbatzl va da Gwicht— 
ma ſih amol vagreifft, da Botzn is ſemel. — So, dent ih ma, do hoſt 
ja groß und ab fa ſchwar, wir a dei Vierkreuzaſtückk wieda, dis d ma 


Silbaguldn.” 
„Do hört ſih Olles auf!” gromelt 
da Wirt, fteht auf und legg ſei Fauſt 


ja ſchön fein um an Gulon valafft 
hoſt, wird da guati Zinjn trogu. 
vahoff ih. 


537 





In ondern Tog in olla Her: nit fina ſchenkn. Kim grod recht, wir 
gottsfriia kemen F cha, die Olla- er jih höllaſch gift’t, da Bäcknwirt. 
beilignftriglfomla, die ormen Leut mit „Vadonkta Kletzu!“ jogg er und 
eahneri Sadler und vawundern ſih druckt die Gwichtſemel mitn Fingern 
hell üba die großmächtign Semeln, broad. Do zmedert er in Vierkreuza— 
de däsmol ban Bäcknwirt thoalt botzn auſſa. 
wern, und ma that n holt doh unrecht, Schautn a Weil on. „Du!“ ſogg 
wan man für an Geizhols ausſchreiad. | er und ſchiaglt gifti af mih her, „de 
Sa groſſi Semeln hät ma neama | Bosheit i$ va Dir! Du holt a Vier— 
gſechn ſeit zwoanzg John, wo 8 Korn kreuzaſtückl ghobb, däs a Kringerl hot 
onghebb hot, wulfeila 3 wern. „Va⸗- afn Rond !“ 
geltsgott, ztauſnd mol! Bageltsgott „So!“ ſog ih, „a Kringerl hots, 
Ollaheilign!“ mei Vierkreuzaſtückk? Wia biſt dan 

Endla kralt da Bäcnwirt va ſein go Ja guat bekont damit? Han ?“ 
Fedabett auffer und wir er oani va) „Do! Do hoſt m!“ jchreit er und 
die Ollaheilignſemeln fiacht, gibb 3 m | reißt fein Geldbeidl aus n Hojnfädl, 
ch gleih an Stich ins Herz. Und „do hoft m, in Silbaguldn ! Ih ſchent 
richti, ofl fein F fa groß, oani wir Dan! Ih wir derawegn nit orm wern. 
all! Hiaz gibbs a Metin! Ta Bächn-Do hoſt Dein Schmorn!“ 
jung vaſchwirt fein ormi Seel, er hats Und ſchmeißt ma ns Silbaſtüchl 
nit um a Grandl ſchwara bochn, wia vor die Füaß, daß s af d Hech 
die Gwichtſemel war gwen. — „Her ſpringg, davonhupft und untern Tiſch 








mit da Gwichtſemeh!“ ſchreit da Bäckn— 
wirt, „Siagſt as, wos däs für a netts 
Dingerl is! Und Du bochſt de olt— 
weltiſchn Knedl auſſa, de unförmign, 
daß s a Schond is!” 

„Ober ih bitt, Moafta! 5 Gwicht. 


eini radit. 

„Shört ah in Ormen!“ jog ih, 
„oba däsmol Hot a lumpiga Vier— 
kreuzabotzu mehr ausgridht't, wir a 
hellglonzenda Silbagulon. Derawegn 
ſog ih: Recht onwendn muas ma 
5 Geld kina!“ 


Thoan ma's weg!“ 


u a e | Erklärung: drudn: troden. Bang: 
Und mia fies richti wegn, jogg ganotn: Banknote. Todtnbohrfunzn: 


da Bädnwirt: „Hot dun do da Benennung für ein ſchlecht brennendes Herz 
Teuxl ſei Gſpiel! Akrat fa ſchwar!“ — | zenliht. gromelt: groflt. vadredit: 


i — verthan. zmedert: drückt, zermalmt, 
Ih geh ſiſt nit ins Wirthhaus in ſchiaglt: ſchielt. Kringerl: Meiner Ein— 


da Früa, oba däsmol hon ih ma jchnitt radlt: rollt. 


Die drei Mareien. 
Eine mythologiſche Unterhaltung von Th. Vernaleken. 


5 u Zürich ſaß eines Abends eine Zürich privätiſierender Pfarrer eintrat, 
—Geſellſchaft beiſammen, zu wel- und die Zahl 13 ergänzte. Um die 
her auch einige Fremde eingeladen . frohe Laune der Anweſenden zu er— 
waren. &3 war der Schluß des Tauf- | halten, ſtimmte der Dausherr, deſſen 
mahles. Man ab, tranf und war guter poetiſche Ader ſchon geöffnet war, fol= 


Dinge, als ıumerwartet ein alter, in; genden Rundgejang au: 









Wir fiten um einen runden Tiich, 
Es jchaufele jeder jein Kindlein friſch, 
Und finge von den Mareien etwas, 
Das madht uns Alten am meiften Spak. 
Wer ausgetrunfen hat, fängt an! — 
Das trifft mich ſelber — nun wohlan! 


„Nite, rite, Rößli, 
3’ Bade ftaht e Schlößli, 
3’ Bade ftaht e goldi’s Hus, 
'S Iueget drei Mareie drus. 
Die eint fpinnt Side, 
Die andre ſchnätzlet Chride, 
Die dritt Schniedt Haberftrau 
BHüt mer Gott mi’s Chindli au!“ — 


Darauf fiel der Chor ein: 


Und nun getröfte ſich jeder Chrift, 
Daß die Mareie geftorben ift. j 
Es geh’ das Glas die Neih’ herum, 
Dantt Gott, da feiner von ung jo dumm! 
Vivat sequens! 


Ein Fremder beginnt: 


Das Lied ift wahrlich noch nicht aus, 
Man fingt e8 anders bei mir zu Haus: 
„Sonne, Sonne jdeine, 
Fahr über Rheine, 
Fahr übers Glodenhaus, 
Gucken drei ſchöne Puppen raus. 
Eine die ſpinnt Seiden, 
Die andre widelt Weiden, 
Die dritte geht an's Brünnden, 
Find't ein goldig Kindchen; 
Mer joll’s heben ? 
Die Töchter aus dem Löwen. 
Wer foll die Windeln wäſchen? 
Die alte Schnäppertäſchen.“ — 
Kennt Ihr „des Anaben Wunderhorn* ? 
Das ijt der ſchönſten Lieder Born. 


Der Chor fällt ein: 


Und nun getröfte ſich jeder Chrift, 
Daß diejes Püppchen geftorben ift. 
Es geh’ das Glas die Reih’ herum, 
Danlt Gott, dak feiner von ung jo dumm! 
Vivat sequens! 


Der fremde Nachbar beginnt: 


Glaubt Ihr, das Liedlein wäre aus? 
Man ſingü's noch anders bei mir zu Haus: 
„Kling, kling Glödchen, 
Im Haufe fteht ein Döckchen, 
Im Garten fteht ein Hühnerneft, 
Drin fihen drei ſeidne Döckchen feft. 
Eins jpinnt Seiden, 
Eins fliht Weiden, 
Eins flieht den Himmel auf, 
Läßt ein bikchen Sonn’ heraus, 
Läßt ein bißchen drinn, 
Daraus die Liebfrau Maria jpinn 


538 





im Frühling, wenn die 
Maiglödcden läuten, 
Wer jagt uns aber, was ſoll's bedeuten? 


Die ganze Geſellſchaft — ausge— 
nommen der Herr Pfarrer, an den 
jeßt die Reihe kommt — wiederholt: 

Und nun getröfte fi jeder Chrift, 
Daß diejes Döckchen geftorben ift. 
Es geh’ das Glas die Reih' herum, 


Eo fingt man 


| Dantt Gott, daß feiner von ung fo dunm ! — 


Vivat der Herr Pfarrer! 


Verzeihung, meine Herren, ich finge nicht, 
Meil mir zum fingen die Stimme gebridt, 
Solch' heid niſche Lieder unter chriſtlichen 

Leuten! 
Erlaubt Ihr mir, dieſelben in Proſa zu 
deuten? — 

Auch recht, erwiedert der Hausherr, Ab— 

wechſelung ergößt, 
Unfre Poeſie wird doch wohl Proja zuletzt. 


„Es ſcheint faſt gewagt,“ begann 
der Herr Pfarrer, in unſerer von 
Cultur beleckten Zeit von alten, ver— 
achteten Dingen zu ſprechen. Ich weiß 
übrigens, daß Ihr keine Freunde von 
Modeartikeln ſeid und Euch über das 
Vollsmäßige nicht hinwegſetzet. Mir 
gewährt es in unſern lichtfreundlichen 
Tagen einen eignen Genuß, Dinge zu 
betrachten, über welche die „Aufklä— 
rung“ längſt den Stab gebrochen hat. 
Ich ſtreiſe gern zuweilen von der 
politiſchen Heerſtraße ſeitwärts, um 
ein verkrochenes Wieſenblümchen zu 
pflücken, nach dem Andere ſich kaum 
niederbücken würden. Es iſt mir nicht 
Ernft, wenn ich Enern Liedern das 
Heidenihum vorwerfe. Für die Poejie 
des Volles war das eine ergiebige, 
jugendlihe Zeit. Gleichwohl wollen 
wir uns getröften, daß jene Gejchöpfe, 
von denen Ihr gefungen habt, geftor: 
ben Find. Aber jo dumm, wie Ihr 
vielleicht glaubet, find jene Kinder— 
lieddden nicht, troß den heidnifchen 
Anklängen. Was der gejunde Volks— 
finm jo lange bewahrt, war urſprüng— 
ih gewiß nicht „dummes Zeug.“ 


Jetzt legt man freilich feinen Sinn 


mehr hinein, wie auch in manche 


andere Erbſchaft und Meberlieferung 


Gin Rödlein für ihr Kindelein.“ — nicht, die don der Mutter, Groß: und 


539 





Urgroßmutter herſtammt. Als Freund 
der Poeſie muß man bedauern, daß 
jo manches Schöne aus unferm Volks— 
leben verfhwunden ift. Darım fingt 


der dame aux neiges wurde bon der 
Kirche am 6. Erntemonat (Auguft) 
gefeiert, an denfelben Tage, an wel— 
chem die Schwyzer ihren Feſttag in 





auch Schiller (und man hat's ihm | „Maria zum Schnee” am Rigi haben. 


übel nehmen wollen): 


Holda oder frau Holle hatte dus 


„Schöne Welt, wo bift Du? Kehre wieder, | Amt einer mittterlichen Gottheit, die 


Holdes Blütenalter der Natur! 
Ad! nur in dem fFeenland der Lieder 
Lebt noch Deine fabelhafte Spur.” 


al3 ſpinnende Frau dargeftellt wird. 
Auch dieſe Eigenschaft wendet die 
Vollsſage auf Maria an. Das weise 


Unfere Zeit und — Boefie, welch | Gewebe, womit im Beginn des Früh— 
ein Abftand! ch könnte Euch beweifen, |lings die Felder bededt find, heißt 
daß bejonders die Vollsdichtung ur- Marienfaden, Mariengarn, weil ich 
Iprünglih mit der Bolfsreligion aufs |die meubekehrten Chriften auch Maria 
innigſte zuſammenhängt; allein wir als ſpinnend und webend dachten. Und 
wollen auf unfere Lieder zurückkommen. dieſe Vorſtellung Hat fich fo lange 


Man legt den Verfteinerungen, 
den gefundenen pflanzlichen und thieri= 
chen Ueberreften einer untergegangenen 
Melt eine Bedeutung bei, warum 
jollte nicht eine diegen im den — 
allerdings im Laufe der Jahrhunderte 
verunftalteten Trümmern und 
Bruchſtücken eines vorchriſtlichen und 
geiftigen Boltslebens ? 

Es lagern Sich Freilich um den 
Kern des lleberlieferten jo viele Rin— 
den, daß die ursprüngliche Geftalt 
Schwer herauszufinden ift. Ihm wenig— 
tens nahe zu fommen ift nicht une 
möglich, wenn man Aehnliches Herbei- 
zieht und vergleicht. 

Schon die „Mareie” deuten auf 
eine fatholifche Zeit Hin, aber die 
Verſe find noch älter als 300 Jahre; 
denn fie enthalten deutliche Anklänge 
aus der deutſchen SHeidenzeit. Die 
Gejchichte der Belehrung unjerer Vor— 
ältern lehrt, daß nicht jelten Heidni— 
jches auf Chriftliches übertragen wurde 
und umgefehrt. So gefchah e3 nament— 
lich mit den Feſten und Gebräuchen, 
jo auch mit den verehrten Perſonen. 

Wenn die deutjche Göttin Holda 
ihr Bett macht, jo fliegen die Federn, 


d. h. die Schneefloden vom Himmel 


herab. Dieſes wurde auf Marie über- 
tragen. In einem Wollsliede aus der 
Bretagne heißt es: Notre dame marie, 
sur votre tröne de neige! Das Felt 
der Maria ad nives (zum Schnee), 


erhalten, daß es noch in einem deut— 
ſchen Volksliede heißt: 
Preis, Mägdlein, preis 
Der Mutter Gottes Fleiß; 
Dieſe heil'ge Himmelskron 
Spann ein Röcklein ihrem Sohn. 
(An des Anaben Wunderhorn: Epinnerlied.) 


Auch die heidniſchen Göttinnen 
Bertha und Freya (Frigg) wurden 
in der ſpätern chriſtlichen Anſicht durch 
Maria erſetzt. War es übrigens ein 
Wunder, daß das poeſiereiche Volk 
bei dem Mangel aller Göttinnen ſpater 
| jo vieles, was den heidnifchen Göttinnen 
angeklebt Hatte, auf Maria übertrug, 
daß dieſe die Frau, Herrin, Dante 
und Donna borzugsweife wurde? 
Vom poetifchen Standpunkte aus jagt 
darüber J. Grimm in feiner Mytho- 
logie: „Wie zart duften diefe Märchen 
von Maria, und was hätte ihnen 
irgend eine andere Poejie entgegen zu 
ftellen! Blumen und Kräuter heißen 
nah Maria; fie ift göttlide Mutter, 
Spinnerin, und erſcheint als Hilfreiche 
Jungfrau. Der geſammte, weder in 
der h. Schrift begründete, noch von 
den erſten Jahrhunderten anerkannte 
Mariencultus iſt nur aus der tiefen 
Wurzel zu erklären, die im Volke 
Ihöne und jchuldlofe, aber heidniſche 
Anſchauungen geichlagen hatte, mit 
denen auch die Kirche allgemad eine 
feiner ausgelegte, in zahlreichen Le— 
genden und Predigten veriponnene, 





feierlihere Andacht zufammenfließen 


ließ.“ 


540 





Das Geihäft der Normen gibt die 
ältefte Quelle des nordgermanifchen 


Daher darf es auch nicht auf Glaubens, die isländiſche Edda, fol- 
fallen, wenn die Maria, wie ihre | gendermaßen au: 


heidnifchen Vorgängerinnen, verviel- 
faht wurde, wenn aus Maria — 
Marien wurden. Diejes ift der Fall 
im obigen Sinderreime, wo an die 
Stelle der drei Nornen, der Scid- 
jalsgöttinnen der heidniſchen Deutichen, 
drei Mareien getreten find. Die Drei— 
zahl der Normen ftört die Vergleihung 
Bertha's und Maria’ mit ihnen 
ebenfo wenig als die der römischen Par— 
zen, denn ursprünglich gab es au nur 
eine Parze, Venus Uriana. 

Die alten Griechen hatten ihre 
Moiren, die Römer ihre Parzen, die 
Romanen ihre Teen. Ueberall findet 
fih ihre Dreizahl. Dieſe weiblichen 
Gottheiten werden gedacht als weis» 
ſagende Schweltern, die jedem neuge— 
bornen Finde nahen und über das 
jelbe ihr UxtHeil fällen. Sie ſpinnen 
den ganzen Lebensfaden des Menschen. 
Durch die Namen unferer Normen it 
jehr paſſend das gewordene (Udr), 
das werdende (Werdandi) und werden 
jollende (Sculd) vder Bergangenheit, 
Gegenwart oder Zukunft bezeichnet. 
Ihnen ift das künftige Schidfal und 
Leben der Kinder gewilfermaßen ans 
heimgeftellt. Es zeigt ſich daher in 
ihnen der Gegenfaß des Guten und 
Böfen, und zwar fchon im Aeußern. 
Nah der Sage ericheinen zu heiligen 
Zeiten die drei Jungfrauen hinter 
einander; zwo Weiße voran, etwas 
zurück die dritte, weil bis zum Gürtel, 
abwärts ſchwarz, von einem fchrwarzen 
fürchterlichen Hunde begleitet. Aber 
auch im Handlungen zeigt ich der 
Gegenſatz. Eine von ihnen, die als 
Todesgöttin (Hela) gedachte „schwarze 
Marie,“ heifchte jogar Kinder zum 
Opfer, daher der Vers wohl nicht 
überflüflig war: „b'hüt mer Gott mi’s 
Chindli au!“ Nah einer Sage ſoll 
die Marie neugeborne Kinder mit ich 
genommen haben. Sagen von finder- 
jtehlenden Feen find nicht felten. 


l. 

63 war in früher Zeit 
Als die Are fangen, 
Floſſen heilige Waſſer 
Bon Himmelsbergen. 
Da hatte den Helgi, 
Den muthſtarken, 
Borghildr geboren 
Zu Bralundr. 


2 


Naht war in der Burg, 

Nornen kamen, 
Die edlen 
Alter beftimmten, 
Der jollte der Fürften 
Tapferfter werden, 
Und der Herrſcher 
Der befte fein. 

A. 

Drehten ſie ſtark 
Die Schichſalsfäden, 
Da war Burgenbruch 
In Bralundr. 

Sie breiteten aus 

Das goldene Seil 

Und unter den Mondſal 

Mitten feftigten fie es. 
4. 

Die öftlih und weftli 

Die Enden bargen, 

Da hatte der König 

Land in Mitte, 

Band Neris Schwefter 

Am Nordweg hin 

Einen Faden 

Den bot fie immer zu halten. 


Alſo altes Gebiet zwifchen dem 
öftlichen und weftlichen Ende des Seils 
follte dem jungen Helden (Helgi) zus 
fallen ; wahricheinlih that nun die 
dritte Norn diefer Gabe Eintrag, in— 
dem fie ein ewig haltendes Band 
gegen Norden hinwarf. Das Spimmen 
und MWeben, das Drehen und Feltigen 
des Seils hängt mit der Beſtimmung 
des Schickſals zuſammen. 

Auch in unſerm Kinderliedchen 
ſpinnt die Eine den Lebensfaden 
(Side), die Andere drehet (rollet) und 
entſcheidet, die Dritte ſchneidet den 


| Faden ab. Wozu der Ausdrud „Haber— 


8 


ſtrau“, iſt ſchwer zu enträthſeln. Nur 
das mag erwähnt werden, daß es 
eine Pflanze gibt, die man „Maria's 


Bettſtroh“ nennt (in Weſtfalen: Leiwe 


Früggeken Beddeſtrau, d. h. des lieben 
Frauchen Bettſtroh), dann eine Gras— 
art mit blauen Blumen, welche 
„Maria’s Flachs“ beißt. 

Das „guldi Hus“ unferes Kinder: 
reimes ift der Palaſt, in welchem die 
Nornen wohnen. Er ift unter dem 
Lebensbaume, deffen Dauer fie dadurch 
erhalten, daß fie feine Wurzeln täg— 
fi mit den Wafler aus den Urdar— 
quellen benetzen, damit er nicht ver— 
dorre. Die alten Germanen nannten 
den Weltbaum Iggdraſil, eine Ejche, 
deren 
treiben und über den Himmel hinaus— 
reihen. Drei Wurzeln 
nah drei Enden aus und verknüpfen 
Dimmel, Erde und Hölle. Unter jeder 
Wurzel quillt ein wunderbarer heili— 
ger Brunnen. Jeden Tag jhöpfen die 
Nornen Wafler aus ihrem Brunnen 
und begießen damit den Baum des 
Lebens. Es iſt intereffant, mit diefer 
deutichen Lebensanficht die morgen» 
ländifche zu vergleihen. Man leſe 


z. B. Nüderts Gedichte: „Der Baum | 


des Lebens“ und „Tod und Leben“ ; 


ferıter „Adams Tod* von Herder u. a. | 


Man dentt fih die Wohnung der 


drei Schweitern mit einem Brunnen | 
und Thore in Berbindung. Die gute) 


Schweiter Maria, welcher der Spulen 
in den Brunnen fällt, der fie nach— 
zieht, kommt durch das 
Thor,“ die böfe Grethe durch das 
„Ihwarze Thor“ zurüd. 

Die drei Marien kennt man in 
faft allen deutſchen Landestheilen, nicht 
jelten mit Beziehung auf die Brunnen 
der Nornen. Eine niederländijche 
Sage 3. B. lautet: Bei Löwen liegen 
drei Gräber, in denen die Körper dreier 
frommer Schweitern ruhen. Vor den 
Gräbern 
und dahin wallfahrten bejonders 
Frauen. Jedoch muß man fleißig 
dabei beten und ein Opfer bringen, 


Hefte durch die ganze Welt 
breiten ſich 


„goldene | 


quillen 3 Mare Brinmlein, | 


welches befteht aus einer erbettelten 
Nadel, einem erbettelten Faden Garn 
und etwas Korn. 


In Frankreich find viele Feen— 
quellen der Maria geweiht, bei Lüttich 
befand Sich früher eine Kirche der 
„drei Marien,“ und eine jehr bejuch- 
ter Wallfahrtsort in Belgien heißt 
„Dreibrunn.“ Darum ift es nicht 
ohne Sinn, wenn die Zürcher ſich 
dad „goldi Hus“ in Baden denken. 
Stellen doch die Hochländer der 
Auvergne die Mineralquellen von 
Murat-le-Quaire unter den Schuß 
der Feen. Die Einwohner von Glou— 
cefter behaupten, Feen hHüteten Die 
Warmbrunnen dieſer Stadt. 


Viele Sagen deuten darauf bin, 
daß Maria, wie fonft die Feen, den 
Quellen vorfteht. Nah der Achner 
Chronik bauete Karl der Große dort 
der Maria zu Ehren eine Sapelle, 
wo er eine Quelle gefunden. „Marias 
brunn“ findet man auch in Oeſterreich. 
| Die warme Quelle, die unſern Dome 
\remy unter dem ſ. g. Feenbaume 
\(arbre des fees) hervorquißt, unter 
welchen die Jungfrau von Orleans 
in Gefichten (visionen) mit der heil. 
Jungfrau verkehrte, ſoll der Wünſchel— 
rute der guten Feen ihren Urſprung 
verdanfen. Hier alfo ein Feenbaum 
an einer Feenquelle, wo ſeit der Ein— 
führung des Chriſtenthums Maria 
waltet. Man wird hier an die Na= 
jaden und Dryaden der Hellenen erin= 
nert. Auch das europäiiche Heiden 
thum dachte nicht anders. 


Ein Seitenftüd zu den Zürcherie 








Ihen Reimen findet ſich im des 
„Knaben Wunderhorn“ unter den 
Klinderliedern. Es ift dasjelbe, was 


mein Nachbar vorhin gejungen bat. 

Die drei fpinnenden Doden oder 
Tocken (Puppen) find eine Anjpielung 
auf die drei Feen oder Kindernornen. 

Die Wehnlichleit des andern, des 
Sonnenliedes, leuchtet ein. Das Zürche— 
riſche hört man auch im obern Thur— 
gau. Dort ſchließt es: B'hüt mi Gott, 





. —. 
. * 


Ein deutſches Märchen (Grimm's 
Kinder- und Hausm. J. Nr. 14) von 
De Batter iſt e Weber den „drei Spinnerinnen“ jchildert die 
De Muetter ift e Chüchlifrau, Nornen als alte Weiber, und kennt 
Und wenn fie bacht, jo git's mer au. | ihre hilfreiche, nicht mehr ihre weisſa— 
Der mythiſch-heidniſche Kern guckt gende Erfcheinung ; fie wollen zur Hoch» 
überall Heraus; die Äußere Form iſt zeit geladen und Bafen genannt fein. 
mannigfaltig, wie bei allen Volks-Aehnlich ift eine Schwedische Sage von 
liedern, denn die wahre Volfedichtung | den „drei Großmütterchen“ (Gavallius, 
zieht bei ihrer Wanderung durch die ſchwed. Bolksfagen Nr. XL) Ber 
Lande überall ein anderes Seid an, thurganifche Vers: „B'hüt mi Gott, 
wie es gerade zu der Oertlichkeit paßt. | mi alte Frau“ ſcheint aus einer folchen 
Mährend der Wanderung und | Borftellung hervorgegangen. 
Verwandelung der Bolfsdichtungen | Da auch Frau Holda und Bertha 
gehen bejonders die Vorftellungen von ſich des Spinnens und Webens befleigen, 
einer Perſon auf eine andere über. | jo darf es nicht auffallen, daß Marien 


542 


mi alte Fran. Und gewöhnlich feßt 


man noch Hinzu: 


So find bier die Vorftellungen von dei 


: jener eingerüdt find. Da jene Göttinnen 


Nornen jelbft auf Deren übergegangen. 
Nach einem miederdeutfhen Märchen 
ift eine Mutter unzufrieden darüber, 
daß ihre Tochter ftatt Flachs immer 


hier genammt werden, die ja nach ſpä— 
terer Vorftellungsweife in die Stelle 


auch Säuglinge und Kinder begaben, 
jo läßt fich der thurgauiſche Zuſatz 


Seide ſpinne. Einem Könige aber | „und wenn Sie bacht, jo git's mer 
gefällt diefes und er heiratet fie. Die au“ vielleicht darauf beziehen. 

junge Braut weiß indes, dab die Ich muß überhaupt daran erinnern, 
Mutter gelogen hat; und in ihrer daß es ſchon bei unſern Vorfahren 
Rathloſigleit begegnet fie drei alten | Sitte war, dem Neugebornen feinen 
Heren, die für fie Seide fpinnen Namen feierlich zu geben und das 
wollen, wenn fie zur Hochzeit einge Kind dabei zu bejchenten. Name it 
laden würden. Das geichieht ; die eine, das was man nimmt, zur Gabe em— 
erfcheint mit einem breiten Fuße, die: pfängt. Da man gern in den Namen 
andere mit einem breiten Daumen | des Neugebornen eine heilſame, weisſa— 
und die dritte mit einer breiten Lippe. gende Kraft für feine Zukunft legte, 
As der König fie fragt, wovon Fuß, ſo wurden Perfonen dazıı geladen, die 
Daumen und Lippe fo breit geworden beſondere Macht beſaßen. 

jeien, antworteten fie: dom Seide: Das Verhältnis der Nornen zu 
ſpinnen. Das beſtimmt den König, den Kindern ift aber noch ein näheres ; 
feine junge Frau nicht mehr Spinnen | denn jedem meugebornen Kinde — 
zu laſſen. Als fie aber einen Prinzen |fagt I. Grimm — nahen fie und 
geboren hatte, kam eine von den Weis | fällen über dasfelbe ihr Urtheil. Die 
bern, um ihn zu holen. Die erſchrockene in dem ſchweizeriſchen Kinderreime 





Königin weint und bittet, aber um— 
ſonſt. Endlich ſagt die alte Hexe: 
„Wenn Du binnen drei Tagen weißt, wie 
ih heiße, Jo ſollſt Du den Prinzen 
behalten.“ Zum Glüde entdedt ihr ein 
Kuhhirtenbube, dab die alte Here 
Numpentrumpen heiße. Und fo war 
der feine Prinz gerettet. 

Solchen kinderſtehlenden Weibern 
gegenüber kann eine Mutter wohl 
rufen: B'hüt mer Gott, mi's Chindliſau! 


ſich nicht undentlih äußernde Furcht 
‚dor ihnen bat auch darin ihren Grund, 
daß die nachfolgende Norne dasjenige 
zum Theil wieder vereitelt, was vor— 
ausgehende Begabungen Günftiges ver- 
‚heißen. Diefes ift gewiß vielen aus 
dem „Dornröschen“ befannt, wo ſol— 
| cher weisfagenden Frauen 13 auftreten. 
In einer nordiſchen Sage heißt es: 
Drei Weisfagerinnen fuhren im Lande 
umber. Die Leute boten fie zu ſich 





ins Hans, bewirteten und beſchenkten 
fie. Einft famen fie auch zu Norna— 
geſts Vater, das Kind lag im der 
Wiege, über ihm brannten zwo Ker— 
zen. Nachdem die zwei erjten Weiber 


43 


die legte Verderben bringend. Als Dorn— 
röschen geboren war, lud ihr Vater 
die 12 weilen Frauen feines Reiches 
zu dem Feſte, welches er deshalb an— 
ſtellte. Jede beichenfte das Kind mit 


e3 begabt und ihm Glückſeligkeit vor ihren Wundergaben, aber die dreizehnte, 
Andern feines Geſchlechts verjichert ‚welche nicht eingeladen war, rächte ſich 
hatten, erhob ſich zornig die dritte dadurd, dab fie den frühen Tod des 
oder jüngſte Norn und rief: „Ich ſchaffe, Kindes weisſagte. — Darin hat die 
dab das Kind nicht läuger leben ſoll, ominöſe Zahl 13 ihren Grund. Gibt 
al3 die neben ihm amgezündete Kerze es doch jeßt noch viele, die jich ſcheuen, 
brennt!“ Schnell griff die ältefte nach |zu dreizehn an einem Mahle zu ſitzen, 


der Kerze, löſchte und gab fie der 
Mutter, vermahnend, fie nicht eher 
wieder anzufteden als an des Kindes 
legten Lebenstag, welches davon den 
Namen Nornengaft empfieng. Daher 
erfläre ih mir auch folgende nord— 
deutſche Sitte. Aın Geburtstage eines 
Kindes ſchenkt man ihm einen Kuchen 
und ftellt ein Lebenslicht darauf. Das 
darf man aber nicht ausblafen, ſondern 
muß es bis zu Ende bremmen laffen. 
Licht und Lebenskraft find verwandte 
Begriffe; man fagt ja: Sein Lebens- 
licht ift erlofchen ꝛc. Ihr kennt ferner 
das Kinderjpiel: „ſtirbt der Fuchs, jo 
gilt der Balg.“ Dabei wird ein bren— 
nendes Holz herumgereicht, deflen Er- 
löſchen entfcheidet. 

Wie uralt diefer Zug ift, beweijet 
die altgriehifche Sage von Meleager, 
nach deſſen Geburt die dritte Parze 
weisjagte: „Der Sohn wird fo lange 
leben, als der eben auf dem Herde 
glühende Brand von Feuer nicht ver— 
jehrt wird.“ Daß den beiden erjten 
Nornen wohlwollende, der dritten üble 
Geſinnung zugefchrieben wird, ſtimmt 
ganz zu der Aufgabe, die einer jeden 
auf den Lebenswege des Menschen 
zugefallen ift. Die lebte bringt Unheil 
oder bricht den Faden des Lebens. 

Auch wenn 13 auftreten, jo ift 


und ich Habe wohl bemerkt, meine 
Fremde, welche Störung mein Ein— 
treten hier verurjacht hat. Aller Aber— 
glaube Hat einen heidnifchzreligiöfen 
Grund. Warum fürchten manche ein 
Unglück und ehren um, wenn ihnen 
beim Ausgang eine alte Fran be= 
gegnet? Das follten die Frauen übel 
nehmen, wenn es nicht bekannt wäre, 
daß ſich im Bollsglauben Nornen und 
Zauberinnen oft berühren und daß 
das Alterthum alten Weibern nicht 
bloß die Zauberkunde zufchreibt (viel= 
leicht weil fie ſonſt nicht viel arbeiten 
fönnen), Sondern fie auch Wahr: 
lagerinnen und ſelbſt Prieſterinnen 
‚fein läßt. Der Einfluß und die Macht 
| des weiblichen Gejchlehts grenzt jo 
an das Dämoniſche. Davon willen 
mande von uns vielleicht auch etwas 
zu erzählen. Nicht wahr, Herr Ge— 
vattermamı 2 

„Allerdings,“ ertwiederte der Hause 
herr, „wir wären jonft vielleicht Heute 
Abend bier nicht zufammen und hätten 
auch nicht jo ganz umerwartet eine 
angenehme Unterhaltung gehabt, To 
daß ich faſt beſchämt bin, den Herrn 
Pfarrer nicht förmlich eingeladen zu 
haben. Der Dreizehnte ſei uns alſo 
fünftig immer willkommen!“ 





Stille Pieder. 


Von M. Rartſch. 


Ein Tröpfchen Thau nur glänzt im Sonnen: 
ſchein, 

Ein Thränlein, wie ich unzählbare weine, 

Sagt mir, Du ließeſt mich nicht ganz alleine 

Und fühlſt, wie ich, der Trennung herbe Pein. 


Eisblume. 


hie ſtillen Dämmerſtunden 
ee In tiefer Winterszeit — 
Wie ſaßeſt im trauten Stübchen 
Du plaudernd an meiner Seit: 





Manch jühe Morte entiprangen Ich fuchte Dich im bleichen Mondenftrahl; 
Baht Deinem tiefen Gemüth, Mir ift, als ſollteſt Du herniederſchweben. 
Und ih — ih dankte den Himmel, Mit all der zarten Sorgfalt mich umgeben 
Der Dich mir zum freunde beſchied. Wie einft, und Br Me von aller 
ual. 
Wir tragen in treuer Gemeinſchaft 
re Luft und Seid; ſchef Ein fallend Sternlein ſchwebt vom Himmels: 
Weld Segen ift doc di dſchaft, raum, — 
34 Troft A * —— ſchaf Es bringt wohl Grüße mir vom ewig Lieben? 
Mag ringen die Welt, die tolle, Mir, die ih einjam hier zurüdgeblieben 
Und jagen nach wechſelndem Glücd, Mit der Erinnrung ſchmerzvoll fühem Traum. 
Der Friede der jegensvolle, Ich ſuchte Dich auf ſtiller A 
- “ : penflur, 
Lie Teinen Wunſch uns zurüd. Wo Du der Heimat Schönheit einft ge: 
Wie peiticht doch der Sturmmwind draußen prieſen, 
Schneeflocken ans Fenſterlein; Wo Du im Anſchaun ſtolzer Bergesrieſen 
Wir ſehen nicht nach außen, So glücklich warſt — im Tempel der Natur. 
In uns iſt Sonnenſchein 
Und Lenzesblühen und Prangen, Kein Lüftchen regt ſich und fein Laut ertönt; 
Und mwonnige Fefteszeit; Kein lebend Weſen will mich liebend grüßen, 
Mir will vor dem Glüd faft bangen — Du ſelber willft die Einſamteit verjüßen, 
O läge jein Ende nod weit! Getreuer Geiſt — erhabne Gottesipur! — 
Ih ſuche Dih am klaren Felſenquell, 
. Wo wir einit mande Stunde froh verträumt, 
Ich ſuche Dich. Der, mit des Waldes Blumen bunt um— 
ſäumt, 


Du kehrteſt heim — ins ewige Schattenreich, . : 
An banger Sorge Haft Du mid verlafien; Sein altes Liedchen fingt, jo ſüß und hell. 
Ih fann Dein — immer noch nicht Aus klarer Tiefe tönt's wie „Wiederſehn,“ 

— aſſen Wie leiſes Singen, herzbewegend, munter: 
Und ſuch' Dich raſtlos — Ahasverus gleich. Mein hohes Glüd, jo mußteſt Du vergehn, 
Ich ſuchte Di im griümen Waldgehege, | Wie jene flücht'gen Wellen ſankſt Du unter. 


Wo Du an meiner Seite gerne weilteft . z 
j Ich kehre heim; Du konnteſt allerwärts 

Das Du fe al, —— froh durd> Den jehnfughtvollen Nuf mir nit erwidern, 

. ou: Und jo verjent’ in Deinen holden Liedern 
Run führt mid die trauten Ich trauerd denn mein tief befünmert Herz. 
Gin Blümlein nur, ein blaues Sternelein, | Und horch! da Hingts mir zu, wie einft jo 
Das ih am Wege einfam blühen jehe, |. ‚ traut 
Sagt mir: Du dentit in alter Treue mein, | Dein edles Wort, in Deiner Stinme Laut; 
Dein jel’ger Geift, er weilt in meiner Nähe. | Du ſprichſt zu mir, in Deinen ewig ſchönen, 


Sa feste Diä So herzerquidend wahren, goldigen Tönen, 
Der Wald und Fels mit Zauberfarben | Dein Liederihat geleite mich im Leben, 

ſchmücket, Ein Leitſtern — jede Zeit — an jedem Ort, 
Die allezeit Dein Künſtleraug' entzüdet, | Du halt als Talisman ihn mir gegeben, 
Und Dein Gemiüth erhellt, jo edel, rein. Es lebt in ihm die alte Treue fort. 





Abfhiedslieder. 


I. 


Mein lieber, alter Birnenbaum, 
Sieh, er ift aus — der lange Traum 
Und der gewohnte Frieden; 

Mich treiben böfe Menſchen fort 

Von meinem trauten Nuheort: 

So ift3 mein Los bienieden. 


Du jehüttelft wild Dein altes Haupt, 
Als könnteft’3 Du nicht faſſen, 

Dak von daheim ich fcheiden joll, 
Daß ih mein Gärtel meiden foll 
Und alle Euch verlafien. 


Altjährig, wenn der Frühling fam, 
Da trug Dein alter brauner Stamm 
Die Blütenfron des Maien; 

Im Herbſt aus grünem Blätterdad 
Ih mande fühen Früchte brad; 
MWolltft fteis mein Herz erfreuen! 


In Deinem Grün — zur Sommerzeit — 


Boll Luft und Liebesjeligkeit 

Die Vögelein fih haſchen; 
Eichhörnchen als Dein muntrer Gaft 
Schwingt fih behend von Aft zu Wit, 
Von jüher Frucht zu nafchen. 


Auch haft Du fie mir treu bewahrt, 
Die Dir zu Füßen bunt geidhart, 
Die zarten feltnen Blüten; 

In Sturm und dunkler Wetternadt 
Haft über ihnen Tu gewadt! 

Wer wird jie ferner hüten? 


Ih war Dir gut und treu gefinnt, 
Als wäreft Du ein Menſchenkind 
Und trügft ein Herz im Leibe: 
Eich! unter Deinem Schattenraum 
Berweht der legte liebe Traum, 
Da ich dies niederjchreibe, 


Du haft mein Glüd — mein Leid gefehn 


Und fiehft mich weinend meitergehn 
Auf dornigen Lebenswegen; 

Ein Thränlein jet auh Dir geweint, 
Ade! Du alter, grüner Freund, 
Geleit uns Gottes Segen. 


Kofegoer’s „„Keimgarten‘*‘, 7. Geft, XL 


545 


Auch Du — auch Du bift nicht gefeit! 
Wer weiß ob nit in kurzer Zeit 
Zerſtörungewuth und Tüde 

Die Art an Deinen Stamm aud legt, 
Und roh und ohn Erbarnen jchlägt 
Dein treues Herz in Stüde. 


II. 


Du mein trautes Vögelein! 

Auf dem Giebeldade, 

Hältft bei Weib und Kinder Dein 
Treu am Neſt die Wade; 


Haft der Frühlings: Wonnezeit 
Holdes Mühn und Sproſſen, 
MWie des Sommers reiche Freud 
Unbeirrt genofien. 


Wenn der Herbft die Nebel jentt, 
Grau — in feudhter Schwere, 
roh und frei Dein Flug fidh lenkt 
Ueber Land und Meere; 


Wo ein neuer Frühling lacht, 
Läßt Du froh Dich nieder, 
Singft in fremder Erdenpradt 
Deine Heimatlieder. 


Findet Obdad überall, 

Kennft nit Zins noch Steuer, 
Iſt Dir auf dem Erdenball 
fein Logie zu theuer! — 


Sieh, auch ih muß weiter ziehn, 
Wenn die Blätter fallen 

Mub mein Heim, mein trautes, fliehn, 
Das mir lieb vor allen; 


Kann im Lenze nicht, gleih Dir, 
Heim zum Neſte fommen! 

Diefer liebe Troft ift mir 

Für allzeit genommen. 


Die Erinnrung fortan lebt, 
Wo dies Lied verflungen, 
Wo im Olüde ich gelebt, 
Und im Schmerz gerungen! 


Menſchenhaß — und Menſchenlieb 
Trieben mid von binnen: — 

Wenn „ein“ Herz noch treu mir blieb 
Mag der Traum zerrinnen! — 


Wie Trank fid) fein Heft und 
feine Iungen herridjtet. *) 


„Lieber Frank! Der Hochzeitätag ſoll 
ein verklärtes Bild fein des Ehelebens, 
wie man es zu halten gedenkt. Verſtehe 
mi wohl, mein Freund. Sch meine 
nicht, daß der Hochzeitstag aller Poejie 
entbehren joll; dafür ijt er ja ein ver- 
tlärtes Bild. Mer zur vornehmen 
Welt gehört, Abficht und Mittel bat, in 
dulei jubilo das Eheleben durdzufoiten, 
von einer Freude zur andern zu fliegen, 
wie der furzlebige Schmetterling, oder 
wer gewohnt ift, an einem Tage recht 
groß nnd weit zu thun, um dann Wochen 
lang zu jchmalbarten und an den Knochen 
zu nagen, die abfielen vom Iuftigen Mahl, 
der mag jo recht finnlich und prunkend 
das wichtigſte aller Familienfefte feiern, 
Wir einfachen Bürgersleute, die wir noch 
etwas halten auf jolides, ehrbar deutjches 
Mejen, wir dürfen fein Gefallen daran 





*) Aus dem trefflihen Büchlein: „Die 
Kunft jein Glüd zu machen.“ Bern. NR. 
Jenni's Buchhandlung. Diejes Werlchen 
follte man mit lauterem Gold aufwiegen; 
es enthält — jo klein und ſchmal es ift — 
einen folden Schag von Weisheit, dak man 
damit fchier fürs ganze Leben auskommen 
fann. Es will nicht etwa rei oder berühmt 
oder gelehrt, es will bloß glüdlih maden, 
Und wer die mit Geift und treuer Warm— 
herzigfeit ertheilten allerdings jelbftver: 
ftändlihen Rathſchläge befolgen könnte, 
ohne Frage, der würde glüdlich werden. 
Eines Verſuches wäre die Sade wert. 

Die Red. 


finden. Für bürgerliche Leute halte ich 
darum auch die modernen Hochzeitsreiſen 
für ein großes Unding. ine deutſche 
Scriftjtellerin bat in einem fein aus 
gejtatteten Büchlein über die Flitterwochen 
ein gewaltig Loblied gelungen von der 
Herrlichkeit diefer Hochzeitöreifen. Was 
für die Einen paßt, das paßt eben nicht 
für Alle, und das betreffende Büchlein 
it ja auch mur für Kreiſe geichrieben, 
in denen der Menſch mit dem Baron 
beginnt und gar oft das Menjchliche mit 
dem Baroı aufhört. Darum, lieber Frank, 
kann ich Dir nicht genug ‚danfen, daß Du 
von diejem Unding feinen Gebrauch machen 
willft; und ich fürchte fait, dab Du ohne 
mich die Reife machen müßteft, würdeſt Du 
nicht jo klug fein, darauf zu verzichten.“ 

So jprab meine Braut. 

Der Leſer ſchließt hieraus, daß meine 
Anverlobte erftens Haar an den Zähnen 
batte, und zweitens, daß fie eine jehr 
anftändige Frau zu werden veriprad, 
und ich kann bejtätigen, daß der Leſer 
vollftändig richtig jchließt. 

Still und prunflos fand die eheliche 
Verbindung ftatt. Still und prunklos ! 
Das gab ein fait europäifches Aufjehen. 
Schon das Ausbleiben der Verlobungs— 
farten war peinlih aufgefallen. Seit 
wann in aller Welt ſchickte man nicht 
Verlobungsfarten! Wenn auch jedes Kind 
von dem Ereignis wußte, jo jchidte man 
doch Berlobungsfarten. Und jetzt noch 
diefe einfache familäre Hochzeitäfeier ! 
Entweder ift der junge Mann ein Narr 


— — er © 


in Folio oder er iſt auf bejtem Weg, 
einer zu werden, wie die Weltgejchichte 
no feinen geſehen hat! Wie jpießbür- 
gerlih ! wie philifterhaft! wie poefielos ! 
warf mir ein aufrichtiger Freund in's 
Gefiht. Richtig, Du machteft die Sache 
poefievoller ab. Erinnerſt Du Dich noch 
an jenen herrlichen Sommermorgen, da 
Du auf Deiner Hochzeitsreije die Wengern- 
alp im Berner Oberland bereijen mwolltejt ? 
Tein Weibchen wagte nicht zu reiten; 
zu Fuß war fie gar ſchlimm  beftellt ; 
tragen wollte ſie ſich nicht lajjen und 
hinüber über den Berg wollte jie doc, 
dad gute eigenfinnige rauchen. Da 
jagteft Du, den Blick zur jtolzen Alpen- 
welt erhoben, voll Bewunderung und 
leiſer Vorahnung : 
züdend, wie großartig ift doch die Welt, 
wenn man geitorben ift und als Engel 
auf dieſe ſchöne Welt bernieder blidt! 

Zur vollen Bejtätigung, daß aus 
mir ein Narr geworden, „wie die Welt 
noch feinen geſehen“, war e3 am Tage 
nad der Hochzeit in meiner Werkſtätte 
ebenjo lebendig wie ehedem. Ha nicht 
einmal ein tüchtiger Kopfichmerz mahnte 
mich daran, daß ich gejtern feitlich feierte. 
Hie und da lief ich freilih, wie ein 
Kind, daß ein neues Spielzeug befommen 
bat, in's Haus und ergößte mid amı 
Walten der heiligen Cäcilie. Was es 
für das junge Weibchen jhon am eriten 


Wie jchön, wie ente 


947 


pußte dort, und wie eine richtige Cäcilie 
warf fie ein luſtig Lieblein hinein, jo 
dab ich dajtund, ftumm vor Verwun— 
derung, wie ein Aeffhen aus Porzellan 
und vor jeligem Staunen Hammer und 
Amboß vergaß. Wie durch das geheim- 
nispolle Wirlen einer guten Fee ver— 
wandelte fib bald die Wüſte meines 
Haushaltes zu einem traulichen, jonnigen 
heim. In meiner Frau jtedte aud jo 
eine Art „Narrheit”, die ſich wicht kehrte 
an Gewohnheit und hundertjährigen Ge— 
braud. Einfachheit war die Deviſe ihrer 
Reform. Im bürgerliben Haus der Ge— 
genwart iſt der „Salon“ der Mittel- 
punft der ganzen Einrichtung. it leßtere 
* jo einfach, im Salon hört das 
plöglib auf. Hier liegt wie im Aus- 
ſtellungspavillon eines onfifeurs der 
ganze Reichthum aufgetiicht. Nippſachen, 
buntes, verworrenes Zeug mit verworrenen 
Namen, stehende und gehende Uhren, 
Gemälde ohne Wert in breiten, bau» 
ihigen Goldrahmen, Spiegel und Spie- 
‚gelhen, Lampen und bunte läjer, 
Tiſchchen und Tabouretten, gebäfelte 
Teppiche, Leuchter, Cigarrenetuis, Muſik— 
dojen, elende Romane in Prahtbänden 
liegen dort aufgeitapelt, um einem all» 
fälligen Bejuch zu imponieren, ihm Sand 
in die Augen zu ftreuen. Aber wenn der 
Ehemann ein ruhiges Winkelchen auffucht, 


‚wo er einen Augenblick auszuſchnaufen 


Tage zu thun gab! Wenn eine junge hofft, und er verirrt ſich in dieſes Gemach, 
Hausfrau in eine Junggejellenwohnung | jo eilt das Mütterhen auf den Zehen 
Ordnung bringen muß, jo ann fie wahr: | herbei, zupft den Kühnen am Aermel 
haftig nit über Mangel an Arbeit | und bedeutet ihm, dab er fich anders» 
Hagen. Aber wie fann man jo ganz ums | wohin flüchte, jeine Glieder auszuftreden. 
vermittelt vom frohen Hochzeitsfeft jeine | Ja, jonft iſt Alles jehr einfach im Haus, 
junge Frau in ein ſolches profaiiches | Das kleine Schlafzimmer, in das fein 
Dunggejellenhaos führen! ruft Du ent- | Sonnenftrahl zu dringen vermag, Sieht 
jept aus. Wie proſaiſch! wie jchredlich ja jo nothdürftig aus, wie die Schlaf- 
nüchtern und abgeihmadt! Entjchuldige | jäle einer Infanteriefajerne. Das Eß— 
Freund ; da mut Du Dich halt mit meiner | zimmer, gewöhnlich auch als Wohnzimmer 
Cäcilie in's Reine ſetzen, fie hat's jo | bemügt, gleicht in jeiner fahlen Nüchtern- 
haben wollen. beit dem Innern eines proteftantischen 

Meine junge Frau hatte etwas an | Bergkirchleins. Die Küche liegt in der 
ih, dad man „angriffig” nennt. Alles | finfterften Ede des Hanjes; ob ihre 
gieng ihr frisch und schnell von der Hand; | Wände getündt find oder nicht, das 
wie ein Heinzelmännchen der guten Stadt | fommt aufs Gleiche heraus. — So 
Köln war fie überall, ordnete bier umd | veritand meine Frau die Einfachheit nicht. 


rn“ 
„br 


2) 


Der Salon war und blieb ihr eine un— 
befannte Domäne. Die Wohnjtube war 
aber luftig und geräumig, freundlich und 
ohne MUeberladung ausgejhmüdt mit 
Blumen und guten Bildern in bejcheidenen 
Nabmen. Es war fein Boudoir einer 
Dame der Pariſer demi-monde; es war 
das Gemach einer ehrbaren deutjchen 
Familie. „Fi done! wie gemein und 
ordinär”, jagte die aufrichtige Nachbarin 
Adelaide, und doh war mir in biejem 
jreundliden Raum zur Seite meines 
lieben Weibchens nach gethaner Arbeit 
jo wohl, daß ich mit feinem Könige der 
Erde, ja nicht einmal mit des Nachbars 
Adelaide getauicht hätte. So recht „hei— 
melig“ — mie es treffend der Schweizer 
nennt 
traulichen Raum. 





nur dann, wenn wir Eltern unjerer mit 
diefem Gottesjegen verbundenen heiligen 
Pflicht bewußt werden. Thatſache ift nun, 
daß wir uns trog unjerer Liebe viel zu 
wenig um das Wohl unjerer Kleinen be» 
fümmern. Ja, wenn man alles Nötbige 
jo gemüthlih mit Geld erfaufen könnte, 
wie einen Löffel oder eine Kaffeemühle, 
wie gute, mujterhafte Eltern wären wir! 
Aber wie ſteht's, wenn von unjerer per— 
jönlihen Bequemlichkeit ein erbeblides 
Opfer verlangt wird? GStillt die junge 
Mutter das Neugeborne jelber oder thut 
fie ihre ſüßeſte Mutterpflidt ab mit 
einer jener berühmten Ausreden ?_ Biit 
Du, junger Ehemann, zu jeder Stunde 


‚der Nacht zur Verfügung ohne Brummen 
war mir immer in dieſem und mit Freude, wenn es gilt, bei ein» 
Das größte, luftigſte getretenen 


Umftänden die Mutter zu 


Zimmer, an dem ein veritabler „Salon“ | unterftügen in der Pflege des Lieblings ? 


verloren gieng, bejtimmte mein 
Hansgeift zum Schlafgemad. Hein Zimmer 
gieng des bejcheidenen Schmudes ganz 
verluftig, weil in feinem derjelben aller 
Schmud des Hauſes ſich concentrirt batte. 

Als ih meinem erjten Neugebornen 
zum erften Mal in's Antlig ſah, gieng 
es mir, wie jedem jungen Ehemann — 
ib wuchs an Selbſtbewußtſein um ein 


großes Stüd; ich redte mich und ſtreckte 
mich und verwunderte mich ordentlich, 


dab meine Beinkfleider nicht plöglich zu 


fur; wurden, meine Weite nicht iprang , 


und der Hemdfragen nicht platzte. Dieje 
erbebenden Baterfreuden jind jo natürlich, 
daß fie jelbit den leichtjinnigiten Spring- 
insfeld, der ohne Bedenken und ohne 
jeglihe Tualification mit beiden Beinen 
in die Ehe jprang, zu ergreifen vermögen. 
In folhen Momenten aber, da unſer 
Herz ganz über und Meifter it, pflegt 
nicht jelten der Teufel jeine SHebelchen 
anzujegen; bier probiert er's mit der 
Affenliebe und mit der lieben Eitelkeit. 
Möge doch der junge Ehemann nicht ver- 
geſſen, daß das aus den erjten Vater: 
freuden wachſende Selbitbemußtjein ein 
erhöhtes Pflihtbewußtjein rufen ſoll. 
Mit jedem Kind, das uns der Himmel 
ihenft, fommt ein neuer Segen in's 
Haus, jagt der Vollsmund. Gewiß; aber! 


guter | Später, 





porgeſchwungen bat. 


wenn das Kind durch jein 
Iuftiges Geplauder die ganze Welt und 
noch jieben Dörfer ergößt, treibjt Du nur 
den Narren mit ihm oder beitrebft Du 
dich, fein ordentlih in Erziehung zu 
machen? Und wieder jpäter, da Dein 
Kind schulpflichtig geworden, überwacht 
du auch gemwillenhaft fein geiftig und för- 
perlib Wahsthum und Gedeihen? Be 
gnügſt Du dich mit Der Durchficht der 
Zeugnifje oder hältit Du es der Mübe 
wert, mit dem Lehrer in bejtändigem 
Rapport zu ftehen und gemeinjame Sache 
mit ihm zu machen ? 

Erziehbe Deine Kinder zur Sparjam- 
feit und Einfachheit. Ich fenne einen 
tüchtigen Berufsmann. Sein Kunſtgewerbe 
lohnt ihn reichlich. Jedermann ift einig 
im Urtbeil, daß dieſer Mann in ehren» 
bafteftem Streben ſich aus gedrüdten 
Verhältniſſen zu geacdteter Stellung em— 
Man bält ihn für 
einen aufgewedten, jharfblidenden Mann ; 
in Wirklichkeit ijt er aber der größte 
Narr, der auf der einen Seite leihtjinnig 
zerſtört, was er auf der andern Seite 
mühſam aufbaut. Dort fommen  jeine 
Kinder daber. Betrachte Dir einmal mit 
Muße diefe gedenhaften, aufgeblafenen 
Dingerchen. Wie jchade um die hübjchen 
Kleinen, daß fie in einem jo affenmäßigen 


neueften Ballettänzerinnencoftüm umber- 
gehen müſſen! Wie erbaulih muß es 
jein für den Papa, alle Augenblide für 
diejes Narrenwerk in die Tajche greifen 
zu müfjen! Ach Du Einfältiger! er gibt's 
ja mit allen Freuden, und wenn er mit 
ganzem Fleiß eine Stunde länger‘ an 
der Arbeit fit, jo geht ja ſchon wieder 
ein, was er bier für ein jeiden Band 
und dort für eine Chocolade und da für 
ein fein Hütchen allerneuejter Mode aus» 
gelegt hat. Armer Mann! Du klagjt am 
Ende des Jahres, wenn Du bei der 
Lampe ſitzeſt und jchwigend die Jahres» 
bilanz ziehſt, über die jchlechte Zeit, die 
immer jchlechter werde. Da morgen ein 
neues Jahr beginnt, jo beginn gerade 
morgen einmal verftändig zu werden. 


Arbeit und der Entbehrung dürfen Deine 
Kinder ſich nicht ſchämen. — Wähle die 
Schule für Deine Kinder nie aus Rüd- 
fihten der Eitelkeit und des Hochmuths 
und verjchone fie mit Unterriht & la 
mode. So ſehr Du fannjt, arbeite auch 
dagegen, wenn der Sinn Deiner Kinder 
| ausfchlieglich in „höheren Sphären” ſich 
bewegen will. Den Wert der Dinge und 
de3 Geldes jollen fie frühzeitig kennen 
lernen. Verwende fie häufig zu Beitel- 
lungen und kleinen Einkäufen, verbiete 
aber dem Kaufmann ausdrüdlich, fie mit 
Naichwert zu beſchenken. Zu Gunſten 
Deines Fleifches und Deines Blutes wirft 
Du Dich dieſen Ertrazug nicht verdrießen 
laſſen; ſonſt gebt auf der einen Seite 
| verloren, was auf der andern gewonnen 


Bedenke, dab Du vielleiht einmal ein wird. — Ob und wie viel Tajchengeld 
kleines Vermögen binterläffeit, troß Deiner | Du Deinen Kindern geben jollit, kann ich 
unzähligen Verjhwendungen an den Hin» nicht vorjchreiben, das hängt von Deinen 
dern, daß Du aber lauter Modeaffen bei | Berbältniffen und von manden andern 
dieſem Vermögen zurückläſſeſt; Dein lum- | Umjtänden ab, im Allgemeinen müſſen 


piger Sparpfennig wird den armen Din— 
gerchen, die nicht zu arbeiten und zu 
haushalten verftehen, zu wenig zum Leben 
und zu viel zum Sterben jein. 

Fange die Erziehung ſchon mit der 
Geburt an, jagt Karl Schmidt. Dann 
jagt er weiter: Verfüttere Dein Kind nicht, 
erziebe es nicht zur Begehrlichfeit, Laune 
und Trotz. Sei bedachtſam und vorfichtig 
in der Auswahl des Spielzeugs. Lak 
das Kind reht lange Kind bleiben! 
Diefe Negel bezieht fih auf Speis und 
Iranf, auf Kleidung, auf Unterricht und 
Umgang. — Wolle nicht glänzen und 
prunfen mit Deinem Kinde, weder mit 
jeiner Schönheit, noch mit feinem Pub, 
noch mit jeinem Geifte. Halte von ihm 
alle Beijpiele der Genußſucht, Hoffabrt 
und Verſchwendung fern. Aber begnüge 
Dich nicht hiemit; die Gewöhnung zur 
Wirtſchaftlichkeit muß dazu fommen. 
Laß Deine Tochter jo früb, als es ihre 
Kräfte erlauben, im Haushalt mitarbeiten ; 
die geringfte Mägdearbeit muß fie wenig- 
itend probeweile gethban haben. Aber 
auh Deinem Sohne, und wäre er zum 
Profefjor bejtimmt, darf das mwirtichaft- 
lihe Gebiet micht fremd bleiben. Der 


beide Ertreme als jchädlich bezeichnet 
werden, nämlich, dab den Kindern das 
Geld gar zu fremd bleibt und daß es 
ihnen gar zu gewöhnlich und zu gering 
wird. Nicht Jeder, der jein Geld pfennig« 
weile erwirbt, ijt ölkonomiſch. In 
jedem Falle aber muß jedes Geld, das 
durch der Kinder Hände gebt, jehr genau 
controlirt werden; fie müllen ftetS zur 
ehe über jeden Pfennig bereit jein. 
Stelle fie zuweilen auf die Probe und zeige 
= wenn's möglich ift, immer größeres 
| 





Vertrauen; denn fie jollen ja zur Auf— 
richtigfeit und zur Selbjtjtändigfeit er- 
jogen werden. Iſt eine Näjcherei, ein 
Verderb oder eine ähnliche Thorheit vor- 
gefommen, jo jtelle feine furchtbare Cri— 
minalunterjuhung an, jchrede die Kinder 
nicht durch tobende Drohungen und bar» 
bariſche Strafen, ſonſt wirft Du Lügner, 
Näſcher, Taugenichtje erziehen; wird es 
nit ganz jo jchlimm, jo hattet Du 
mehr Glüd als Verſtand. — Eine Spar- 
büchſe joll, mo möglich, jedes Kind haben, 
und an deren Stelle joll möglichit bald 
ein wirkliches Sparcafjenbuch treten. Den 
Eigentbumsfinn, auch wenn er einmal 
‚über’s 


Maß geht, ſchmähe und verfolge 





nit als gemein oder ſündhaft, aber 
lab ihn auch nicht zum Alleinherricher 
werden. Von demjelben Grundjag laß 
Tich leiten, wenn Dein Sind der Neigung 
zum Sammeln von Schmetterlingen, Briefe 
marfen u. dgl. nachhängt. 

Das find im Wejentlichen die Ziele 
der Erziehungsfunft im Gebiete der Spar» 
jamleit. Das bejte Erziehungsmittel, das 
am ficherften dieje Ziele erreicht, das bit 
Du jelber. Verzichte Deinen Kindern zu 
Liebe auf mande Bequemlichkeit, zeige 
ihnen täglich, daß e3 Dir Ernſt ift mit 
deinen Orundjägen der Sparjamfeit und 
dab Du fie nicht mur im Munde führft. 
Einfachheit in Speiſe und Trank, in 
äußerer Ausstattung der immer wird 
am nachhaltigiten in Deinem Kinde den 
Sinn zur Einfachheit wahrufen. Wenn 
Deine Kinder jeben, daß Du Dich gelegent- 
lich köſtlich amüſiren kannſt, ohne diejes 
Vergnügen mit einer Hand voll Münze 
erkaufen zu müſſen, ſo werden auch ſie 
von Deiner Klugheit profitieren und Dich 
nicht zu Tode quälen, wenn irgendwo 
in der Nähe der Jahrmarkt ſeinen 
Tingeltangel aufgeichlagen bat. Nur der 
Sparer fann Sparer erziehen. Ich fenne 
Leute, die ſich feierlichit befreuzen vor 
ſolch trodenen, materialiftiihen Grund» 
Sägen. Dieje Leute wollen vor Allem 
den „Idealismus“ auf den Schild er- 
beben, die Kinder aufklären über die 
Verwerflichkeit und Nichtigkeit des böjen 
Mammons, Sie juchen die liebe Jugend 
möglidft bald in „höhere Ephären“ 
zu ziehen und bilden fi ein, das 
Kind ziebe ans der griechiichen Göt— 
terlehre einem goldenen Apfel vor. Mit 
ſolchen Leuten mag ich nicht ftreiten. Die 
Erziehung iſt eben Geſchmacksſache. Der 
Eine erzieht Menjchen, die ihre Naſe jchon 
bei Lebzeiten in den fiebenten Himmel 
jteden und mit den Füßen in den Lüften 
baumeln; der Andere hinwieder wünscht 
daß jein Kind feit und ftramm einmal 
auf der Mutter Erde jtebe, daß es darauf 
marjchieren lerne und ſich ſchön büde, 
wenn irgend ein harter Valfen ihm in 
die Quere kommt. 





550 


Ein Merks für eroberungs— 
luſtige Völker. 


Im Angeſichte des ſtreitluſtigen Frank— 
reichs und in der gegenwärtigen allge— 
meinen Bangnis vor einem Weltkriege iſt 
es doppelt intereſſant, mit dem Gejchicht- 
jchreiber einen Blid auf das eroberungs- 
ſüchtigſte Volk der Welt zu werfen. 3. 
J. Honegger jagt in jeiner „Allgemeinen 
Culturgeſchichte“ gelegentlich eines ſumari— 
ihen Nüdblides auf das alte Nom: 

„Die zwei großen Phaſen in Roms 
Geſchichte ftehen jelbftftändig für ſich und 
haben ihre bejonderen Aufgaben, Die 
Republik zog ihr Volk zum Madt- und 
Gewaltmittel heran, um eine Welt an fie 
zu reißen. Das Kaiſerreich verbraudte es, 
bemächtigte fich diefer Welt, zehrte fie auf 
und nahm jchlieklich, geiftig und materiell 
gänzlich verarmt, das jämmerliche Ende 
eines Wüftlings. Der factiihe Hauptgrund 
jeines Unterganges war jener brutale Un— 
verjtand, welcher die Güter einer ganzen 
Welt verſchlang, wie ein jelbitiih ge— 
dankenloſer Praſſer thut, ohne für irgend- 
welchen Erſatz zu ſorgen. Im heimiſchen 
Sande jerftörte e3 den Aderbau, in Groß— 
‚grieenland und Karthago den Handel, 
in der ganzen Welt trat es die Induſtrie 
nieder. Dafür gab es ihr Kriegsheere, 
Kriegs- und NRaubflotten, ein geregelte: 
Recht der Gewalt und Untertbanenjcait, 
wenn es hoch fam ein ganz unfruchtbares 
römilches Bürgerrecht. Rom bemächtigte 
fich der Welt wie eines vollen Magazins, 
machte aus den Menſchen Schlemmer und 
Soldaten und richtete fie auf beiden Wegen 
zu grumde, obne einen human wertenden 
Erſatz zu bieten. Denn Rom war durd- 
aus unfruchtbar ; jelbjt für die Menjchen, 
die es verbrauchte, jchuf es ſchließlich Feine 
neuen. Das iſt das folgerichtige Ende 
eines Staates, der nur dur Eroberung 
grob geworden. Hatten fie doch ſchon als 
| Junges und Eleines Bolt wenig Zeit und 
Gelegenheit und noch weniger Geihmad 
dafür gebabt, an fich zu arbeiten und ſich 
harmoniſch bherauszubilden! Hatte doc 
ihon die ganze Thatkraft und Leidenichait 
der Jugend fi anf das va banque im 











m > | || 


Kriegsiviel, auf die gewaltjame Aufregung 
des Schlahtfeldes und der Eroberungs— 
politif geworfen! Und als dann die Zeit 
fan, da diejes Geſchäft durch Söldner 
und Sclaven berufsmäßig, durch Advocaten 
und Diplomaten ränfegewandt betrieben 
wurde, da blieb dem Wolfe nichts als 
jener unbezwinglice Hang nach Aufregung, 
den e3 befriedigen, betäuben mußte — 
coüte qui coüte. Das ijt die berauſchende 
Gewalt der Spiele und Feſte im Kaiſer— 
reich, eine Beichäftigung ohne geiftige und 
förperlihe Anftrengung, die Nervenan- 
ſpannung eines arbeitjcheuen und unfähi- 
gen Volfes, die Concentration auf das 
Gehaltloje und Nichtige, das greifenhafte 
Kinderipiel. — So war und blieb Nom 
ein über Naht reich gemwordener Prole- 
tarier; es wußte mit den Schäßen, bie 
es an ſich riß, nichts anzufangen, ver- 
praßte fie und gieng an den Lajtern des 
Emporlömmlings zu grunde. Das ift das 
Los jedes Eroberers, der nicht civilija- 
toriich wirft; und die Römer waren aus 
fih feine Givilifatoren. Graßberger hat 
Necht, wenn er jagt: „Die Römer find 
durch ihre praktische Richtung im einen 
Materialismus gerathen, in welchem Re- 
ligion und GSittlichkeit, Staat und Fa— 
milie zu grunde giengen. Das iſt das 
legte Reſultat ihrer realiftijchen Bildung 
gemejen. “ 


Veilchen. 


Ich weiß nicht, daß die Welt ſo bangt 
Und alle Herzen zittern; 
Es hat doch feinen noch verlangt 
Nach Sturm und Ungewittern. 
Die Mutter betet: Helf' uns Gott! 
Großvater jeufzt: Wird eine Noth, 
Wie Keine noch auf Erden, 


Und ift der Himmel doc jo blau 
Und warme Winde wehen, 
Daß überall, wohin ih ſchau', 
Die Blumen auferftehen. 
Ums Häuschen hüpft der fluge Star, 
Und jegnend, wie im vor'gen Yahr, 
Wohnt unterm Dad die Schwalbe. 


O Frühlingsluft! O Erdenqual! 
Ad, Sohn und Vater jcheiden. 

Die Mutter füht zum letztenmal 
Lautſchluchzend nod die Beiden, 


551 


——— —— — — — — — 


— — — —— — — — 
— — — — — — — 


Wer weiß es, ob Ihr wiederfehrt! 
Verlaſſen wird der ftille Herd, 
Veclaſſen Weib und finder. 


Was brauden wir des Thaues Pracht, 
Mo jo viel taufend Thränen 
Bei Tage fließen und bei Nadt 
Vor Leid und Liebesjehnen? 
Erliſch! Erliſch, o Sonnenlicht! 
Die Menſchen, fie verdienen nicht 
Dein väterliches Auge. 


Sie fehen, wie von Deinem Strahl 
Die Welt ift ſchön geworden, 

Und tragen in das tieffte Thal 
Des Krieges blutig Morden, 

Ih ſchaudre tief in mich hinein 

Und frage mid vor Angft und Bein: 
Was joll ih blühn und duften ? 

Laibach, Februar 1887. Edward Samhaber. 


Gute Worte, 


in denen die Horfahren nod zu uns fpreden, *) 


Dfenfprüde. 
Alles, was die Jungfern haben, 
Das gefällt den jungen Knaben. 
DOttenbronn. 


Könnt’ ih jhwimmen wie ein Schwan, 
Krähen wie ein Godelyahn. 

Hüpfen, tanzen wie ein Spatz, 

Wär ih aller Mädchen Schap. 


ebenda. 
Alte Thaler, junge Weiber 
Sind die beften Beitvertreiber. 
ebenda, 
Wenn Alles allhier wird’ geſchlicht't, 
Wozu wär’ no das jüngfte Gericht? 


ebenda. 
Wirtshbausfprüde. 
Sorgen 
Morgen; 
freude 
Heuie! Breslau. 


Bott jegne Deinen Eingang, 
Wenn Du Durft haft, 
Und Deinen Ausgang, 
Wenn Du zahlt haft. 
Voltäberg (Kreis Yabern). 


Am März muß me trinfen wie e Meis, 

Am April as wie e Geis, 

Im Mai as wie e Kuh, 

Do wird Eim's ganz Jahr d'r Wi nir thu. 
Elſaß. 

*) Aus „Urväter Hausratb in Spruch und 


Lehre” vom Herausgeber der „Deutihen Jnihriften 
an Haus und Gerätg.“ (Berlin. Wilhelm Herk.) 


352 


Heut’ um's Geld, 
Morgen umfonft. 
In ganz Deutichland. 


Aofleriprüde. 

In einem Corridore des Klofters zu 
Delenberder finden ſich folgende herrliche 
Reime auf Heinen Tafeln als Wandzier: 
rath: 


1. Den Reinen, 7. Frofinnig, 
Den Kleinen Herzminnig, 
Sid einen: Gottinnig: 

2. Biel leiden, 8. Aufftreben, 
Viel meiden Hingeben 


Sein Leben: 


Nicht weilen, 
Gleich Pfeilen 
Hineilen: 


Gern ſcheiden: 
Nicht zagen, 

Nicht fragen, 

Nicht klagen: 


4. Geborgen, 10. Gott loben, 
Nicht forgen Gehoben 
Für morgen: Nah oben 

5. Nicht Schlagen, 11. Das wähle, 
Still tragen D Seele, 
Die Plagen: Vermähle 

6. Ohn' Eigen 12. Dann ewig 


Sich neigen 
Und ſchweigen: 


Dem Herrn dich 
Als Braut! 


Autographenſchwindel. 


Jedes Volk hat ſeine eigene Art, wie 
es ſeinen Dichtern dankbare Theilnahme 
zu erkennen gibt. Wir, meinen nicht die 
Todten. Ihre Denkmale, und ſeien es 
auch Sterne dritten und vierten Ranges, 
ſchießen jetzt überall aus deutſchem Boden 
auf, weil man ſich durch die Beiträge 
ſelbſt verherrlicht, und dann hat man bei 
den Feſten eine erwünſchte Causa bibendi! 
— oder weil die Söhne die Sünden der 
Väter gut machen wollten, die den leben— 
den Poeten ruhig ſeinem Schickſal über— 
ließen. Und erſt die deutſchen Frauen ! 
Jetzt liegt der Gefeierte in Goldſchnitt auf 
dem Zoilettetiich, vorausgeſetzt, daß es 
eine Plennig-Ausgabe gibt, ſonſt findet 
man ihn ja im einer Anthologie. Die 
hätten ihm jchwerlich ein Loch im Aermel 
geflidt, jondern das Näschen gerümpft 
und den armen jalonunfäbhigen Teufel lau— 
fen laſſen. — Ih gieng zu München mit 
Melbior Meyer einft an der Sciller- 
Statue vorbei; er blieb ftehen und ſagte: 


„Dem wäre auch geholfen gewejen, wenn 
man ihm das Geld, weldes jein Stand- 
| bit foftete, ausgezahlt hätte. Wär’ er 
nad Münden gefommen, es hätt! ihm 
‚ Niemand ein Krüglein Bier aufgejegt, kein 
Mädchen eine Blume geſchenkt.“ — it 
das übertrieben ? Engländer und Fran— 
zojen faufen befanntlich Bücher, fie ehren 
aber auch die Poeten, von denen fie ein 
Werk erfreut, dur die That und jcheuen 
dabei eine Heine Auslage nicht. Daran 
denkt der Deutjche jelten. Er läßt fi 
lieber vom Poeten bejchenten, um dann 
bejcheiden fih der Bekanntſchaft zu rühmen 
oder mit der Gabe zu prunfen. Wenn 
man mit ihm vielleicht auch nie ein Wort 
gewecjelt, ihn gar nie gejehen hat, bittet 
man ihn um ein Eremplar, denn er muß 
davon genug haben, weil fie im Handel 
nicht geben, und da braucht dann der 
Verleger fih nicht vor den verdriehlichen 
Krebjen zu fürchten — man wünſcht jein 
Antlig wie das auf dem Tuche der Vero— 
nica zu verebhren, er darf daber eine Pho- 
tographie beilegen, die man allenfalls in 
einem Laden für etliche Pfennige befäme, 
und dann erjt der Autograpbenbettel! — 
Es ijt ein Gedicht, ein Feuilleton, eine 
Novelle von Dir erjchienen, die gefällt, da 
fliegen die Briefe daher wie die Motten 
an's Licht; Marke zur Nüdfrankierung 
liegt aber feine bei — behüte Gott! — 
das wäre nicht mobel, man darf ben 
Schriftſteller nicht befhämen, denn er bat 
gewiß eine im Pult. — Man ärgert fi, 
mandhmal lacht man und gibt nad. Co 
ſchickt Dir ein Badfiichlein Hundert Meilen 
weit da3 Bild des Städtchens, mo es 
wohnt, in einem Kranz gepreßter Blunten, 
oder ein Dorfichullehrer jendet ein Heines 
Herbar, weil er gehört bat, daß Du Na— 
turforfcher bift — immerhin! Was joll 
man aber dazu jagen, wenn der Auto- 
graphenbettel eine niederträcdtige Specu— 
lation iſt? — So ein Gauner jhrieb an 
allerlei Berübmtheiten jämmerliche Briefe 
aus dem Abgrunde des Elends; er machte 
dunkle Andentungen von Selbitmord, wenn 
der gute Rath ausbleibe. Da mußte eine 
intereflante Antwort kommen und dieſe 
wurde dann beim Händler verjchadhert. 


END ‚3‚‚ 


Ein Anderer ſchloß einen jentimentalen 
Brief mit der Bitte, ihm doch gleich 25 fl. 
beizulegen und ihn jo vom Hungertode zu 
retten. Da die Gelebritäten jet, durch 
viele Erfahrungen gewihigt, mit den Aue | 
tographen jparjamer geworden find, to | 
verjuht man allerlei Kniffe, man bittet 
zum Beijpiel einen Poeten, er möge die 
Gompofition eines Liedes gejtatten, der 
angebliche Compofitenr wohnt meinethalb 
in Burtehude und heißt Hans Schnaps 
oder hat jonft einen ganz unbekaunten 
Namen. — Ya, nit auffigen! Wenn es 
gerathen jcheint, zu antworten, jo lalie 
man e3 im Auftrag vom Sohne, der Toch— 
ter, am beften von der Küchenmagd ber 
jorgen, der Empfänger weiß dann, wie 
er daran ift, und Schreibt nicht mehr. 
Solche Stüdlein fönnte gewiß jede öffent: 
liche Perſönlichkeit dutzendweiſe erzäblen, 
wir laſſen die Bahn frei und machen nur 
einen unmaßgeblichen Vorjchlag, der jo 
einfach iſt, dab es uns wundern jollte, 
wenn er noch nicht gemacht ift. Wer ein 
Autograph wünjcht, faufe irgend ein Buch 
des Gefeierten, den er bisher wahrſchein— 
fh nur aus der Leibbibliothef kennt, 
ſchicke es ihm mit der Bitte, feinen Namen 
einzuzeichnen, vergelle aber ja nicht, eine 
Marke für die Rüdfrankierung beizulegen, 
und bringe jo die dentjiche Schmutzerei 
außer Curs. | 
Adolf Pichler. | 

| 


Die ſchen Stumd. 
Gedicht inoberöfterreihifher Mundart 
von Friedr. Frauz Scheirl. 


Da Frenud vo daboam roat!: 


Grüeni Bam, warme Nöftal 
Un und an? gat3® in Wald 
Dalt ſchnabln dö Vögl 
Und fingan mit Gwalt. 


Bamgrüen is dö Hoffnung, | 
In Nöſtl fit d Lieb | 
Und dö Luft dnetta® jeha N 
Macht di fodlgro 6 trieb? — 


Hau,? magft a3 nüt jeha 
Und lajsts da foan Rueh. 
Aft drah di halt? — oda 
Hab? d Augn föft zu! _ 





And i ſchrieb ichm zurüd: 


Haft recht mit da Hoffnung 
Und Lieb afn Ban, 

A mitn nöt Nuch gebn — 

Mitn Umdrahn fam,!® fam! 


S Umdrahn dös nußt nir, 

38 ganz umafift! 

Du laugnft!! as? MWeils d a nie 
Voliebt gwön bift! 


Ya, mein Brücdal dös kloan 
Machts jodl oft gnue: 

Kimmt d Mahm mit da Nuethn, 
Habt3 d' Augn gah !? zue 


Mit dö Handtal und draht jö, 
Moant, iS war nima da, 

Bis 8 d Mueda hintaufweist: 
Gel !> bift da Bue? — Yu ja! 


S nutzt ma nir, 8 Umdrahn 
Wann igs a unternimm, 

% bin ja nöt derifch !+ 

Und da Wald hat ja! Stimm! 


Dö Bam rauſchn, as fingan, 
Dö Vögl dö loan, 

Und ftiünd i ar!® aſchling,“ 
Woaß do jhon was j thoan. 


Und mwuri !% ftodderiich 
Und no dazue blind — 
As lieh ma foan Ruch nöt 
Döjl gfiedertö Gſind! 


In mir drin imeni !® 
Ganz hiba ?° bo da Seel 
Dal herat ı 5 Gſangl 
Finkfriſch und fintgell. 


Und i ſach dar a Bild! 
Leicht ſchena was?! draußt: 
Wie da Fint mit da Finfin 
Schwablt und haust. 


J bildat mar ein 
Mein Annal und i 
Warn a fhon bonand 
Ida Fint, Fintin fie 


Und in Häusl an Waldroan 
Gabs nir azwie?: Sunn: 
Zwoa Schnabl, van Schlag — 
Bis dak i mi bjunn, 


Dai ?3 blind bin und deriſch, 
Daß 5 Dierndl woaß wo 
Dai vanfiedIn mueß 

No a Yahrl a zwo. 


So a Biinna dös drudat 

Wie d Trud und wie d Flag !?* 
Viel ſchwara was s Gftanzt 

Und Gſchnabl in Hag. 


© Zueihaun, a8 zwidt wohl 
Und halb is 8 was Trüebs, 
Ava d Lieb afn Bam 

Us is a was Liebe. 


So was friſchs und was Gwiß 8, 
Eo was hoamlis: huſch, huſch! 
Gr Iodt und fie wilchpelt 3 — 
Siegft? — fan ſchon in Buſch! 


Ja, fein is 8 Bonandjein 

Und ranti?° machts a 

Tats an Herrgott anfrimma, ?7 
Wanns Dirndl da wa! 


Mein Schagal jo gſchmeidi 

So gihami und gicheid, 

So ſcheuch wiera Wildtaubn, 

So gſchmach * — 8 is a Freud! 


Han, daß d nöt bo mir bift, 
Mi blangt jo um di; 
Aloan öfin und trinfa 
Und — alls ohne di! 


Han Dirndl, mein Dirndl, 
Das is mwollta harb, 
A Wunda was nöt, 
Wani fich wurd und ftarb! 


Nana und ſtirib nöt! 
Statt fieh wir i?? gjund 
Und bal 5 Jahrl um is 
At fimmt dö ſchen Stund: 


Aft ſiech i man? Schatz 
Und gib iehm an Schmatz 
Daß 5 jchnalzt afanand 
Als warn zehni bonand. 


Aft limmt dö ſchen Stund 
Stöd afs Hüetl dös rund 

— Han lang bidn 3 draf!? — 
S Rosmarinftamo 33 af. 


Ruck d Arempn af d Seit 
Daß ma fieht i bon Schneid, 
Lög 3 Haozatgjhau an + 
Und hol ma mein Gſpan. 35 


Aft limmt dö ſchen Stund 
Woi friſch, wan i kunnt 
Stattn Jaſagn ſtad 

An Juchezer tat. 


Un Juchezer tat 

Daß 5 an Pfarra vodraht, 
Daßen Gantner?s vorik 
Und d Mößbuem umſchmiß. 


Aft limmt dö ſchenſt Stund, 
Wos ins s hoamgehn vogunnt 37 
Ins Häusl am Roan, 

Und aft jan mar alloan! — 





554 


Grüeni Bam, warme Nöftal 
An und an gats in Walp, 
Tal ſchnabln dö Vögl 

Und fingan mit Gwalt. 


Und wanns mar a and thuet 
Und lakt ma loan Rueh, — 
J drah mi nöt um und 
Hab d Augn a nöt zue! 





t) meint. 9 eins am andern. ?) gibt ed. *) da. 
5) nur. ®) fo fehr. °) ei sich. ) nun, jo dreh Di 
eben um. ”) halte. 6) kaum. *1) leugneſt. 19 jäh 
geſchwind. *3) nit wahr? *°) taub, 1) seine. 
‚2%, 1%, aud abgewendet. '°) würde ich. , *0) in« 
| wendig, nahebei; der ganze Ausdrud: im Inneriten 
| meiner Seele. *') als. -') al$ wie, *) daß ich **) die 
„Trud und Die MAlaag“ legt ſich nah dem alten 
Vollsglauben-Schlafenden auf die Brut und be 
 Hemmt ihnen mit furdtbarem Drud den Athem. 
=») pfeift. *) tühn, übermütig. =) forderte dem 
Herrgott heraus. **) Lieb. **) werde ich. +0) meinen. 
#) gewartet vgl. mhd. biteu, *) darauf. *°) den 
bodzeitlihen Rosmarinzweig. ?*) nehme die Miene 
an, wie fie einen friſchen Hochzeiter anfteht. *) Ge— 
ı fährtin. *) Gantor, #°) vergönnt. 











Der Unrichtige. 
(Eine Gerihtsverhandlung aus dem Ber: 
liner Bagabundenleben.) . 

Angellagter, was find Sie denn nım 
eigentlihb ?_ In den VBoracten find Sie 
einmal als Dachdederlehrling, dann wieder 
al3 Hlempner und zulept als Schuhmacher 
bezeichnet. Der Vorſitzende des Scöffen- 
gerichts richtete dDieje Frage an den zwan— 
zigjäbrigen Angeklagten Wilhelm Meijter, 
einen lang in die Höhe geihoflenen jungen 
Menſchen, welder durch jeine zuſammen— 
gefuchte Kleidung einen etwas fomijchen 
Eindrud machte. Er trug nämlich einen 
Rod nach Art der Jägerianer, der aber 
zweifellos früher einem viel kleineren Men— 
ſchen gedient hatte, jeine Füße ftedten in 
grellrothen Parifern, und in jeinen Händen 
bielt er ein jtarf defectes Eremplar einer 
Küraſſiermütze. Er war des Vettelns be- 
Ihuldigt. Angeflagter: Det jtimmt Allens, 
id bin det Allens jeweſen, jetzt ftimmt 
det aber nich mehr, denn id bin mu bei'n 
merfantilen Handelsitand injetreten. — 
Vorſitzender: Was wollen Sie damit jagen ? 
— Angeklagter: IE bin Handeldmann 
jeworden, — VBorjigender: Womit bans 
deln Sie denn jet? — Nngeflagter: 
Mit allerleiband, in Sommer mit Fliejen— 
jteder, in Winter mit Pfeffermünzkuchen 


Ge IE EEE EEE EEE Zn ER 


— u 


959 


un frische Waffeln, die id austrudeln 
laſſe. — PBorfigender: Sie meinen wohl 
ausmwürfeln ? Ungellagter: Jawoll, 
über zmwölme jewinnt, — Vorſitzender: 
Wie kommt e3 denn, daß Sie, ein jo 
junger Menſch, jo häufig Ihren Beruf ge 
mwechielt haben? — Angeklagter: Jd dente 
mir, da jebt mifcht drieber, wenn der 
Menſch wat jelernt hat. — Vorfigender: 
Haben Sie denn eins von den drei Hand» 
werfen gelernt? — Ungeklagter: Janz 
nich, mit die Meefters ift et heitzudage 
ooch nich ville mehr los, bei die Dach— 
dederei wurde id jchwindelig, bei den 
Blechſchuſter kriegte id mir die Frau det 
Erzürnen, jo dat id zun'n Meeſter jagte, 
entweder fie jeht aus'n Haufe, oder id 
jebe, un da bat er jemeent, denn jollte 





denjelbigten Abend uff'ne Banke, dichte bei'n 
jroßen Stern in'n Dhierjarten ſo'n Bis— 
fen, indem mir det Jeld um die Waffeln 
jerade ansjejangen waren. Mit eenem 
Male kriege id een'n jungen Mann int 
Doge, der mir noch em Jrojchen ſchuldig 
war, Er batte nämlich vor ſo'n Wochener 
viere bei mir in eene Kneipe in Char— 
lottenburg jetrudelt, un e'n Jrojchen ver: 
loren, und hatte bloß en Zehnmarkitüd, 
un id hatte jerade nich jo ville Kleenjeld 
injeftochen un der Wirt fonnte ooch nich 
wechſeln, woruff id als jebildeter Je— 
ihäftsmann denn jagte: Laſſen Sie man 
find, id creditiere Ihnen bis zum nächiten 
Mal. IE hatte ihn aber nich wieder je 
troffen. Als er da nu jo ranfommen dhat, 
da dadte id: der fommt mir jerade 


id man lieber jehn, un da bin id denn recht, um stehe uff und nehme den Hut 
jejangen. — Vorſitzender: Wie war es | ab bringe ihm den Iroſchen in Erinner- 
denn mit der Schufterei? — Det war | ung. — Vorfigender: Aber, Angellagter, 
noch ville mießer, jo'n Knieriminalrath, wie fönnen Sie uns dies Märchen auf- 
der mir auslernen wollte, verlangte, det) binden, der Herr, den Sie anſprachen, 
id ihn det Sonntagmorjens beit Kar- , hat ja einen Schugmann geholt, weil Sie 


toffelnbuddeln helfen jollte, un det konnte 
Wilhelm Meijtern doch nich pafjen. Da 
habe id mir denn uf't Handeln jelegt, wo 
id noch mein Brot ehrlich mit verdiene. 
— Vorfigender: Sie jcheinen aber doch 
feine Seide dabei zu jpinnen; Sie find 
im Laufe des Sommerd mehrmals ob» 
dachlos aufgegriffen und nah dem Mol- 
fenmarfte transportiert worden ? — An— 
geflagter: Det iS bloß Pifanterie von 
die Schupleite jeweſen, obdachlos bin id 
nich jemwejen, denn ick babe immer meine 
perjönlihe Wohnung jehabt. Ick babe 
blos mandmal det Abends in’n Dhier— 
jarten een biäfen jepennt, wenn id meine 
Waffeln alle in Charlottenburg verkooft 
hatte. — Vorfitender: Sie find nun aber 
wegen Bettelns von Polizeimegen in eine 
Gelditrafe von 3 Mark genommen wor- 
den, weshalb haben Sie denn biergegen 
Widerſpruch erhoben? — Angellagter: 
Weil id nich jebettelt habe. Ebenſo jut 
müßte jeder Koofmaunn bejtraft wer'n, der 
jeine Hunden mabnen dhut. — Vorſitzender: 
Mie meinen Sie das? Ich veritehe den 
Vergleich nit. — Angeflagter: Ick werde 
Ihnen det mal erzählen. Alſo id fie an 


ihn im ziemlich unverjhämter Weile an- 
gebettelt hatten? — Angeflagter: Det 
war ja eben mein Veh, det det der 
Richtige nich war! Id hatte mir 
verfieft; et war jchon en bisfen dunfel 
und wat mein Waffelkunde war, der ſah 
ibm jo ähnlich, als wenn et Brieder 
wären. — Vorjigender: Dieſe Ausrede 
it das Stärfite, was mir bisher vorge: 
fommen. — Die Verhandlung endete denn 
auch mit der Berurtheilung de3 Ange 
Hagten. „Werkſtatt.“ 


Wedanocht. 
Stoanſteiriſch. 


Mäicht a wenk fenſterln gehn, 
Heint ſteht da Maun (Mond) ſa ſchen, 
Vul iS er ah. 

Däidn an zwor d Wulfan zua, 
Oba mir geit3 fa Rua 

S Herz iS ma jchmwa. 

D Luft is ja low (lau) und lind, 
Gach zudt da Wedawind, 

S Nachtl is triab. 

D Fiaß fein ja federlgring, 

Daß ih wir a Reherl ſpring, 

— Heint plogg mih d Liab. 


D Liab wir a Vögerl is, 
Bis j ba da Negerl is 
Wiſchbelts ihr vor; 

Hupft af an Aeſtl Hin, 
Baut a woachs Neſtl in 
Ihrn Ihworzn Kor. 

D Wedanodt blitzt und jcheint, 
Wir ih mih gfrei af heint! 
Wir ih mih firdt! 
Hergoud, ih bitt Dih frei, 
Hilf und behiat uns treu, 
Daß heint nir gihiadht! 


Bücher. 


Aus dem Sturmgeſang des Lebens. Ge— 
fammelte Dichtungen von Franz Keim. 
(Minden in Weſtfalen, J. C. €. Brun’s 
Verlag. 1887.) 

Zumeift nationale Lieder edelfler Sorte 
begegnen uns in diefer Sammlung, die 
dem Großmeifter deutſcher Dichtung, Prof. 
Robert Hamerling in tiefiter Verehrung 
gewidmet ift. Auch Liebe, Heimat, Familie 
und Kunſt werden in jchönen Klängen ge: 
feiert. Kraft und Innigkeit, wie wir fie 
in Stefan Fadinger und Sulamith finden, 
find die Merfmale diejer bunten Reihe von 
Poefieren, aus welder hier einige Proben 
angeführt fein mögen. 


Keimmehß. 

Kennt Ihr das Lied „Zu Strafiburg auf der Ehanz'"? 
Sennt Ahr das Yied vom armen Echweizerjungen, 
Ber, heimwehtrant, tief in den Rhein gneiprungen 

Gier in der fremde, hier verſteh ich's ganz. 


Nah Norden eilt der Wollen luſt'ger Tany, 
Ah ſchau empor und hab’ das Lied gefungen, 
Allmächt'ges Heimweh hat mein Herz bejwungen, 
Das fremde Meer glüht auf in fremden Glanj. 


Mein Herz fteht ſtill, das Auge wird mir feucht, 
Ein einz'ger Sprung — ift Alles, wie mir däucht; 
Wer dentt an mich in weiter, weiter ferne? 


Gin Earg von blauem Marmor ift die Flut, 
Ein Sterbemantel, weid und weit und gut, 
Der Zodtentranz find Eonne, Mond und Sterne. 


Grillparger's Geifl. 

Fa, Du bift todt! O bitt're Schidialälaune! 
Ein großes, reiches Leben lang’ verfannt, 
Lebendig — ein Berihollener genannt, 

Begraben unter'm Sturmſtoß der Pofaunte. 


Ah fhäme mid, mein Baterland, und flaune, 
Daß Du den beiten Denker haft verbannt, 
Bis er zum Greis ward, undantübermeannt, 

Ih Ihäme mid, mein Baterland und ſtaune. 


Zu ſpät baft Du den Lorbeerfranz nereicht 
Dem adtzigjähr'aen Haupte, weißgebleicht, 
Gr iſt des Meiſters Todtentranz geworden. 


Zu ſpäte Ehre kränkt und kann ermorden; 
O dreimal weh dem Land, von dem es heißt: 
68 haft die Größe und verdirbt den Beift. 


Bath des weifen Meiflerleins. 
Mein Eohn, nimm meinen Eegen! 
Geh’ in Die Welt hinaus, 
Und findet Du Gollenen, 
So wähl’ fie weiſe aus. 


Du magit, wie immer, heißen, 
Magit gut fein oder ichlecht, 
Eie werden Did jerreißen, 
Du madit es feinem reiht. 


Was Du erfinnft mit Nöthen, 
Grfanden ſie ſchon längit, 
Und feiner wird fidh tödten, 
Wenn Du Di ſelbſt erhängft. 


Weh' Dir, wenn's Dich gelüftet 
Hinauf in’s Himmelreich, 
Dann rufen fie entrüſtet: 
Das ficht dem Kerle gleich! 





„Da Roanad.“ Eine Uebertragung des 
deutſchen Thierepos in den niederöjlerreis 
chiſchen Dialekt. Erfter Theil. Gramma: 
tiihe Analyje des niederöfterreihiihen Dia— 
leltes. Bon Dr. Hans Willibald Nagl. 
(Wien, 1886. Gerold.) 

Ueber diejes eben erfchienene, in feiner 
Art einzige Werk jchreibt Prof. A. Schön: 
bad unter Anderem: 

Vielleicht ergeht es noch Manchem, der 
Dr. 9. W. Nagl's „Noanad“ zur Hand 
nimmt, wie mir: es überfommt ihn ein 
Gefühl der Beiremdung, Noanad flingt 
jo erotiih, und es dauert eine Weile, bis 
man damit vertraut wird, daß unter die: 
jer ungewohnten Hülle der wohlbefannte 
Reinhart fi verbirgt, der oberdeutiche 
Zwillingsbruder des niederdeutjchen Neinefe 
Fuchs. Dr. Nagl hat das Epos Goethe's, 
welches die plattdeutihe Thiererzählung 
überjet, in den niederöfterreihiichen Dia— 
left übertragen. Oder vielmehr, er hat eine 
Bearbeitung, die dem Inhalte von Zeile 
zu Seile folgt, im demjenigen der nieder: 
öfterreihifchen Unterdialefte vorgenoimnten, 
welcher ihm jelbft von Kindheit an ge: 
läufig ift, dem von Neunfirden, Biertel 
unter dem Wiener Wald, In dem vor: 
liegenden Werte nun bat Dr. Nagl den 
jehsten Gejang jeiner Ueberfegung mitge: 
theilt, eine Einleitung über die hauptſäch— 
lichjten Zautverhältnifie des Dialektes vor: 
angeftellt und den Text ſeines „Roanad“ 
zur Grundlage einer überaus eingehenden 
grammatijchen Analyje gemacht, eine Ueber: 
fiht dazu und reichliche Indices ſchließen 
das Bud ab. Dem Kronprinzen Rudolf, 
„dem thätigen Förderer der Kenntniß 
unferes Vaterlandes,“ ift das Ganze ge: 
widmet. — 

Zweifellos ift dieſe Meberjegung, nad 
dem einen Geſange zu urtheilen, eine vor: 
treffliche, ja eine bedeutende Leiſtung. Ohne 
dak dent Inhalte etwas abgebroden wird 
(jeibft die Zahl von 434 Herametern bleibt 
bewahrt), bringt es Dr. Nagl doch zumege, 
wirflih Alles nit nur mit den Morten, 
jondern aud im Geifte der heimatlichen 
Mundart zu erzählen, die glatten, hoch— 
deutihen Phraſen ſtets durd die kräftigen, 
eigenartigen Wendungen und Bilder des 
Tialeltes zu eriegen. — 


557 


Nur ein paar Verſe aus der Nede 
König Nobel’s, durch welche die Begnadi: 


gung Reinhart's verfündigt wird, feien als 
Probe hierher gejet. Bei Goethe heißt es: 


„Aber der König begann mit großem Bedachte zu ſprechen: 
Schweiget und böret mih an, zuſammen Bögel und Tbiere, 
Arm’ und Reiche, höret mid an, ihr Großen und Meinen, 

Meine Baronen und meine Genofien des Hofes und Haufes! 
Meinele Neht bier in meiner Gewalt; man dadte vor Furzem 
Ihn zu hängen, doch hat er bei Hofe jo mandes Geheimnis 
Daraetban, Dass ih ibm alaube und volibedähtlih die Huld ihm 
Wieder ihente. Eo bat auch die Hönigin, meine Gemalin, 

Sehr gebeten für ibn; fo dafs ih ihm günſtig neworben, 

Mid ibm völlig verjöhnet und Leib und Leben und Güter 

frrei ihm gegeben: es ſchützt ihn fortan und ſchirmt ihn mein Friede. 
Run fei Allen zufammen bei Veibesleben geboten: 

Neinelen follt ihr überall chren mit Weib und mit flindern, 

Wo fie eud immer bei Tag oder Nadıt binkünftig begegnen: 


Dr. Nagl jchreibt: 


„Aiten nimmt fih der Aüni ein'n Rand 


Halt’s Ent ruewib und loist’s Ent fag' 


und jant oaner G'ftrenge: 
n da, Viecher und Wögel, 


Arme und Reihe! Paist’s amal auf bieht, Große und Kloane, 
Fürſſten und Grafen und meine Hausleut' alle und Hofleut'. 

Ah bab’ 'n Roanad in meiner Macht; was ih thue, das is rebt "than. 
'3 Henfa war ichm jueg’urtbelt; er joagt fib aber a foba, 


Dais ih ichm’s glaub’, er legt ein'n orndtlih'n Menſchen an; biehta 
Bin ih iehm weiter mit fyeind, -— weg'n was, das woals ıh ſchon jelber. 


Ah die Künigin bat für iehm ga’redt; dafür fiecht er von mir aus 

Wieder a G'ſicht! Mit Leib und mit Leb'n, mit Geld und mit üeter, 

Was 'hn halt g’hört, is er frei, uno ih nimm af a Neuchs mih um ichm an, 
Mörtt’s Enter's alle, wann in der vagna Haut (mt was b’ranlient: 

Daſe's mehr 'hn ja fortan regardiert3 mit'n Weib und 'n Kindern, 

Kümmt er Ent wo der well ünter, i8’5 Tah oder is's in der Finſter.“ 


Außer der genaueften Vertrautheit mit 
der Mundart jpriht darin aud eine jehr 
beadhtenswerthe natürliche Begabung. Man 
darf hoffen, dak der günftige Gindrud 
erhöht werden würde, wenn wir die ganze 
Uebertragung zu leſen befämen, und andes 
terjeitö find wir von der entichuldbaren 
Neugierde erfüllt, wie ji der Umdichter 
mit einer Anzahl heikler und jchmwieriger 
Stellen der übrigen Gejänge abfindet. 

Doh legt ja der Verfafler auf feine 
Ueberfegung zunächſt gar nicht das Haupt: 
gewicht, jondern auf den grammatiichen 
Commentar, welchen er dazu liefert. 

An einzelne Worte und Formen näms 
li, wie fie zufällig im Berlaufe der Ueber— 
jegung vorlommen, knüpfen ſich Die bisweilen 
ſehr ausführliden grammatiichen Erörte: 
rungen. So ift Alles in Stüde zerrifien, 
was zujammengehört, die Beugung der 
Dauptwörter oder Zeitwörter verjplittert 
fih auf mehrere auseinander liegende 
Stellen, ja jogar die mannigfahen Bedeu: 
tungen desjelben Dialeltausdrudes werden 
an verjhiedenen Pläßen behandelt, Dr. 
Nagl denkt ſich Leer, welche durch zu viel 
Grammatif auf einmal ermüdet würden, 
allein auf andere als ernfthafte Theilneh— 
mer darf das Bud ohmedies nicht zählen, 
und für fie wäre cine jpftematiihe Dar: 
ftellung ſicherlich erwünſchter geweien. Ueber: 
Ihau und Blattweijer können dieſem Man: 
gel der Anordnung nicht abhelfen. 

Helles Lob dagegen verdient der In: 
halt des Gebotenen. Der Verfaſſer beicheidet 
fih in zwedmäßigſter Weiſe, er will ſich 
nur mit einer einzelnen Untermundart be: 


faflen. Das ift ſchon deshalb das richtige 
Verfahren, weil fi erft, wenn genaue 
Beihreibungen aller Meinen Dialelte durch 
eracte Beobachter vorhanden find, darauf 
eine den heutigen Forderungen genügende 
wiſſenſchaftliche Darftellung des Defterrei: 
chiſchen, als eines Hauptaftes vom bajuva— 
riſchen Stamme, gründen läht. Dr. Nagl 
ift an eine jchwere Aufgabe volllommen 
geſchult herangetreten — 

Mit dem Reichthum an Stoff ver— 
bindet ſich bei Dr. Nagl das Beſtreben, 
auch den einfachſten Beobachtungen einen 
wiſſenſchaftlichen Charalter zu verleihen, 
inden er fie vergleiht und unter einem 
höheren Gefihtspuntte zufammenfaßt. 


Der Roman der Stiftsdame. Gine Le: 
bensgeihichte von Paul Heyje. (Berlin. 
Wilhelm erg. 1887.) 

In dieſem neuejten Werke des großen 
Novelliften treten uns Arm in Arm höchſt 
liebenswürdig die Vorzüge und Schwäden 
des Erzähler vor Augen. Wieder die jtarfe 
frau und der weihmiüthige, thatloje Mann. 
Aber die ftarke Frau — die Stiftsdame — 
eine höchſt gediegene fittenftrenge Perſon, 
begeht einen verhängnisvollen Irrthum, in— 
dem fie plöglid aus ihrer Familie davon 
und einem Kömödianten nadhläuft, den fie 
jofort heiratet. Es ift eine unglüdliche Ehe, 
und zwar in Gegenwart eines zweiten Man: 
nes, der von unermehlicher Liebe zur Frau 
erfüllt ift und den aud fie insgeheim liebt. 
Daß fie ihrem leichtjinnigen Mann treu 


558 


bleibt, verfteht fich, und qud dann noch treu | unterrichtes in Deutichland. Das Bud ent: 
bleibt, als fie ihn haft, von ihm getrennt | hält bedeutjame Winte für den Jugend: 
lebt, und dem Geliebten ihres Herzens nad): | bildner, - tt 
gezogen ift. Daß die Beiden, die einzig nur — 

für einander fühlen, ſich auch dann noch 
nicht nehmen, als der Gatte der Stiftsdame 
geſtorben und kein Hindernis mehr wäre, 
das iſt Heyſe'ſche Pſychologie und Moral, 
die man vielleicht nach Romanregeln, nicht 
aber nach dem Leben verſtehen kann. Des 
Weiteren iſt das Werk durchaus bedeutend, 
das Schickſal der Stiftsdame höchſt inter: 
eſſant und trotz des Außerordentlichen und 
ſcheinbar Widerſtreitenden in ihrem Weſen 
und in ihrem Handeln nicht unmöglich. 
Von den vielen intereſſanten Menſchen, die 
uns vorgeführt werden, ift der Gatte der 
EStiflsdame, der Schaufpieler, am meifter: 
hafteften gezeichnet, der Geliebte derjelben 
aber, ein junger Geiftlicher, der auch zu 
den Schaufpielern gebt und die ganze Ge: 
Ihichte in der Ichform erzählt, der unbe: 
deutenſte. Das Buch ift geeignet, oberfläch: 
liche Lejer zu unterhalten und erniter ge: 
artete Naturen zu tieferem Nachdenken an: 
juregen, es wird aljo einen großen Lejefreis 
finden und von verjchiedenen Standpunften 


aus beurtheilt werden. Uns hat es v 


Gollection Berne. Wien, Peſt, Leipzig. 
U. Hartlebens Berlag. 

Die Verlagsbuhhandlung A. Hartleben 
veröffentlicht joeben eine, einftweilen auf zehn 
Bände berechnete, volksthümliche Sammlung 
der ausgezeichneten naturwiſſenſchaftlichen 
Romane Jules Vernes zu dem billigen Preiie 
von fünfzig Kreuzer per Band. Bei der gro: 
ben Beliebtheit dieſes Schriftitellers in allen 
Schichten der Bevölkerung, jowie mit Rück— 
fit auf den erwähnten billigen Preis der 
Sammlung, glauben wir dem Unternehmer 
einen gewiß günftigen Erfolg vorheriagen 
zu können und dürfte durch einen joldhen 
die Berlagsbudhandlung wohl in die Lage 
verfeßt werden, der erften alsbald meitere 
Gollectionen der übrigen Romane diejes Au— 
tors folgen zu laſſen. Die Ausftattung der 
einzelnen Bände ıft eine durchaus tadelloje 
und ſteht zu dem Preife derielben in fait 
gar feinem Berhältnis. 

Guſt. Andr. Refjel. 


Anregung aber wenig Vefriedigung gewährt. 
M. 


en Grüß Gott! Diefen Schönen Gruß hat 
fi) eine neue, von Joj. Ambros heraus: 
gegebene Jugendſchrift (Wien. U. Pichlers 
Witwe & Söhne) als Titel ausgewählt. 
Grüß Gott! das ift in der That ein Pro: 
gramm, Es drüdt nebft dem fittlich religiö— 
jen Sinn das treuherzige Verhältnis aus, 
in welches fi die Zeitihreift zur Jugend 
ftellt. Die bisher angelommenen Hefte des 
monatlih zweimal erjcheinenden „Grüß 
Bott" haben de3 Unterhaltenden und Bes 
lehrenden in Fülle und wir glauben, daf 
diefes Blatt bald ein Liebling der leſelu— 
ftigen Jugend werden wird. Wir hoffen, 
daß die Nedaction dem leichten, flatterhaften 
Sinn der finder nicht zu viele Conceſſionen 
maden, jondern ſtets bejtrebt jein wird, auch 
Ernſt uud tieferen Gehalt in die Schrift zu 
legen, damit fie als Vollsbud von dauern: 
dem Werte jei. Die eriten Hefte ——— es. 


Elias Kegenwurm. Eine moraliſche Ge: 
ichichte für Große von H. Altona. (Ber: 
tag von N. v. Groningen in Annaberg.) 

Eine Geſchichte, die in feine Kunftform 
zu paſſen jcheint. Sie trägt zwar das Ge: 
wand einer Thierfabel, aber ſie ift offenbar 
— zehn Drudbogen laug — für diejes Kleid 
zu umfangreich gerathen. Der Leer kommt 
fofort darauf, dab im Negenwurm, der 
an und für fih zu einer Büchertiſchzierde 
zu wenig appetitlih ift, menſchliche Ver: 
hältnifie und Choraftere carilfiert werden. 
Mit diefer Erkenntnis ift das Intereſſe am 
Negenwurm, mit dem Intereſſe am Helden 
aud das Interefje am Buche jelbft geſchwun— 
den und das FFacit ift, daß dem Leſer das 
Bud um genau neun Bogen zu lang ericheint. 
Es ift nicht ohne Geift und Wit; gejchrieben, 
aber — „verlorene Liebesmüh.“ 

—t— 

Allein, Gedichte von Karl Boll. 
(Stuttgart. 3. B. Mehlerſche Buchhandlung 
1886.) 


Werkfiühe zum Anfbau des Arbeitsun- 
terrihtes, Gejammelte Vorträge und Aufjätze 
über die Erziehung der Jugend zur Arbeit Den poefierreichften Zug der vorliegen: 
von Dr. phil. Woldemar Götze. (Leips | den Gedihtiammlung finden wir gleich auf 
jig, Deine. Matthes.) | dem erften Blatte: „Seiner theueren Mutter 

Aus diefem Buche erfahren wir, wie der Verfaſſer.“ Dem Inhalte nad theilt 
weit die Erziehung der Jugend zur pral: |fih das Bud in vier Gruppen ein: Er: 
tiichen Arbeit bereits gedichen ift und ge: )zäblungen, Bilder, „Berenike“ und 
winnen einen interefjanten Einblid in den | Allein. Wer noch poetifch genug ift, ji 
gegenwärtigen Stand des Dandfertigfeits: | mit Poeſie abzugeben, den wird Poll's 


a — 


559 


„Allein“ eine lautere Freude bereiten. Uns 
gefielen befonders die Bilder aus der Bibel, 
welche abermals Zeugnis davon geben, mie 
unerihöpflih das Buch der Bücher an dich: 
teriihen Schönheiten ift; diefelben find tief: 
durchdacht und von wahrer Lebensweisheit 
durchwoben; — eine Perle unter ihnen ift 
Rachel,“ worin das Mutterglüd eine ſchöne 
Darftellung findet. Echt dichteriſcher Schwung 
liegt in dem Sonette „Allein!* — welches 
wir bier als Probe vorführen wollen: 

Ich beſaß es doch einmal, 

Was ſo köſilich iſt! 

Goethe. 

Allein! allein! Dies ganze Weh zu fallen — 
Wer's nie empfunden bat, verman’s wohl nimmer! 


Als ſchwände felbit der Sonne heller Schimmer, 
PVeginnen Luft und Freude zu verblafien. 


Gin Dafein iſt's, das, ohne Lieb’ und Haflen, 
Noch kaum des Lebens —— iſt und Flimmer. 
Und einſam, wie auf weiten Meer der Schwimmer, 
Fühlit Du von Gott und Menihen Dich verlafien. 


Wohl Dir, wenn das Gedenken jhöner Zeiten 
Dir Alraft verleiht, die Gegenwart ju tragen, 
Und nicht des Vorwurſs Qualen Di geleiten. 


63 täme ſonſt der Aunenblid, zu fragen, 
Ob's beiier nit, ein Ende zu bereiten, 
Und, willensftar!, dem Veben zu entfagen. 


Fr. Goldhann. 


St, Georg von Zwettl, von Dr. Ed— 
mund MWengraf. (Wien, M. Gottliebs 
Buchhandlung. 1887.) 

Inhalt diejer Schrift ift die Beweis: 
führung, „daß in unjerem Baterlande fein, 
Menſch Tebt, der die Sache des deutichen 
Volkes in Oefterreich jo tief und nadhaltig | 
geihädigt hätte, wie der Herr Abgeord: 
nete Georg Nitter v. Schönerer ; daß diejer 
Mann fein höheres Anterefie, al& das: 
jenige Seiner perfönlichen Eitelfeit lenne; 
und dab er in feiner maßloien Selbftver: 
nötterung und feinem blinden Hafle gegen 
Alle, die nicht an feine eingebildete Größe 
glauben, ſelbſt dort, wo er gute und ver: 
nünftige Neuerungen anjtrebt, deren Ber: 
wirklichung muthwillig behindere, indem er 
Hügere und tüchtigere, den gleichen Zielen 
zuftrebende Männer mit den ſchlimmſten und 
verwerflihften Waffen belämpfe.“ — Wie 
diefe VBeweisführung gelungen ift, davon 
möge fi der Leſer ſelbſt —— 


Das Duell vor dem Forum der Vernunft. 
Ton Dr. C. Helfer (Innsbruck. Ver: 
einsbuchhandlung. 1887.) 

Das Duellprincip, wie es als Beichen 
einer verwilderten Beitrihtung heute wieder 
auf der Oberfläche fteht, wird feinen gleich: 
giltig laflen, man mag num für oder wider 
Dasjelbe jein. Ih bin bisher ein Gegner 
des Duells, ich halte das Tuell für Schlecht 


und dumm, in feinen harmloieren Abarten 
für Aindiih und lächerlich. Nun möchte ich 
aber — falls ih Unrecht habe — mich gerne 
eines Beſſeren belehren laſſen. Ich wünjchte 
daher, daß ein Duellfreund dieje oben an: 
geführte Schrift leſen und fie mit Gewiſſen— 
baftigfeit, Vernunft und Scharffinn Bunkt für 
Punkt widerlegen möchte. Gelingt ihm das, 
dann will ich mich befehren. Es wird aber 
nit möglich fein, denn die Vernunft fteht 
auf Seite der Duellgegner, gegen die Ber: 
nunft mag man poliern, höhnen und Phra— 
fen dreichen wie man will — die Vernunft 
bleibt unverrüdbar. Und von diejer wird 
dem Duell jegliher Glanz ausgeblafen, wo: 
mit e8 fich zu rechtfertigen und zu ſchmücken 
ſucht. Wer es logiih und geiftvoll und mit 
der Wärme fittlicher Ueberzeugung bewielen 
ſehen will, dab dem jo ift, der leſe Dr. 
Helfers Schrift: „Das Duell von dem Fo— 
rum der Bernunft,* R. 


Eine Ueberraſchung bereitet die „Illu— 
Nrierte Frauenzeitung“ (Berlin, Franz Lips 
perheide) ihren Abonnenten durd die be— 
deutende Erweiterung, mwelde das Blatt — 
jet wöchentlich ericheinend — unter jeinem 
neuen Titel: „Die illuftrierte Zeit" er: 

‘fahren hat. Der Titel ift harakteriftiich ges 

wählt, denn die hervorragenden Beitereig: 
niſſe aus aller Welt vorzuführen, hat das 
Blatt ſich zur Aufgabe geftellt. 


Tem Heimgarten foeben zugegangen: 


Einführung in das Studium der neueren 
Runftgefdhite. Von Dr. Alwin Shuls. 
(Prag. F. Tempsty. Bis zur 12. Liefe— 
rung erſchienen.) 


Aus der ewigen Stadt. Novellen von 
Hans Grasberger. (Leipzig. U. ©. Lie: 
besfind. 1887.) 


Es werde Licht! Hiftoriicher Noman von 
Anton Ohorn. (Gotha, Friedrich Ans 
dreas Berthes. 1586.) 


Auf treuer deutfcher Wadt. Cine Er: 
zähblung aus dem nationalen Leben der 
Deutihböhmen von Wolfgang Schild. 
(Leipzig. Oskar Leiner.) Das Wert, in ſech— 
zehn Lieferungen herausgegeben, ift nun 
vollftändig erſchienen. 


Difonanzen, Zwei Novellen von GE, 
Vollbredt. (Weimar. A. Krüger. 1887.) 


@tiquelte. Cine Nococo:Arabesfe von 
OſſipSchubin. (Berlin. Gebrüder Pactel. 
1887.) 


»« 


960 


Heue Lieder und Gedichte in oberöfterreidji« 
ſcher Mundart von Leopold Hörmann. 
(Großenhain in Sahjen.Baumert & Ronge.) 

Ditungen von Edward Sambhaber. 
Caibach. I. v. Kleinmayer & F. Bamberg. 
1887.) 

Glück auf, Bulgaria! Zwei Zeitgedichte 
von Uli Schanz. (Aus einen größeren Lie: 
dercepllus: „Ein Sommer in Marienbad,“ 
(Leipzig, Brudner & Niemann.) 

Im Harnifd. Trutzgeſang aus der be: 
drängten Oflmart von Aurelius Pol: 
zer (Erich Fels). (I. F. Richter. 1887.) 


. Saienpredigten. Loſe Blätter der Lebens: | 
Ton Waldemar Sonntag. 


weisheit. 
(Halle a. d. S. Otto Hendel. 1886.) 


Poftkarten des Heimgarten. 


X x 68 wird angelegentlichft erfucht, 
Manuferipte erft nad vorheriger Anfrage 
einzufenden. Für unverlangt eingeididte 
Manuferipte bürgen wir nicht. Externe Ur: 
beiten honoriert die Verlagshandlung nicht. 

©. ©., Wien: Wenn jüngft ein geiſt— 
reicher Plauderer, der ſelbſt Dichter ift, be: 
hauptet hat: „Sobald man einen Dichter 
verreiße, jo kränke man nur einen Einzigen, 
wenn man ihn lobe, jo kränke man Biele, 
nämli die meiften feiner Gollegen,“ fo 
ift zu fragen, in welden Streifen jener 
Mann diefe Menihentenntnis erworben 


mindeſten wird er desjelben leicht Herr 
werden, 

E. R., Danzig: Ihren Kreuzzug gegen 
die deutiche (die Fractur) Schrift machen 
‚wir nit mit. Sie rufen „alle deutich- 
gejinnten Männer“ auf zu dieſem Kampf 
gegen die deutſche Schrift! 

V. M. D., Dresden: Beftrebungen, wie 
naturgemäße Lebensweiſe, Landaufenthalt, 
Obftgenuß u. f. w., find in dieſem Blatte 
jeit jeher unterftüßt worden. 

M. v. Sch. Wien: Die Menjhen wer: 
den aufeinander von Tag zu Tag härter. 
Mas ift das? 

a. W., Marburg: Es ift ganz über: 
flüfjig, den Leuten gejeglih das Heiraten 
verbieten zu wollen. Es will ohnehin Nie: 
mand mehr heiraten, Die Ehelofigkeit kommt 
billiger, wenigftens dem — WBater; dem 
Staate freilih nicht. 

3.8.,Wien: Der Winteldoctor (Baur: 
Orzt) ift bereits in „Zannenharz und Fich— 
tennadeln“ (Graz, Leylam) gedrudt. 

R., Mödling: Ihren Wünſchen dürfte 
„Brümmer’s Lerilon deutiher Dichter des 
19. Jahrhunderts” (Ph. Rellam, Leipzig) 
oder: „Biographiſches Schriftitellerlerifon 
der Gegenwart von Franz Bornmiüller* 
(Leipzig, Bibliographiiches Ynftitut) am 
nächſten fommen, 

mM. ©. £., Berlin: Jenes Blatt hat 
den Namen des betreffenden Schriftitellers 
ohne Willen und Willen des Letzteren in 
die Lifte ſeiner Mitarbeiter aufgenommen. 





habe? Dem wahren Poeten muß und wird Daß das Publikum auf diefe Weije ge: 
das Gefühl des Neides fremd jein, zum foppt wird, ift nichts Neues, 


Für bie Nedaction veranwortlich 9. A. 


Bofegger. — Druderei „Leykam“ in Graz. 














X1. Jahrg. & | 


— 


Stationen meiner Pebenspilgeridaft.*) 
Von Robert Hamerling, 
Yu. 


Zehn Jahre im Süden. 








Nie Vortheile, die ich mir von 
9 t 


7) der Verjebung nach dem Süden 


Tiſchler gegenüber zu wohnen, der 
fleißig Särge zimmerte. Einer meiner 


verfprechen durfte, blieben nicht aus. Collegen am Gymnaſium wurde in 
Aber fie wurden, wie ſich in der Folge den erften Tagen der Seuche von 
herausftellte, theuer erfauft. Für mein | derfelben ergriffen und Hingerafft. 


Äußeres Glück und Behagen als Menſch 
bedeutete der neue Aufenthalt und die 
nee Lebensftellung feine fonderlich 
günftige Wendung. 

Bald nach meiner im April 1855 
erfolgten Ueberſiedlung und dem Au— 
Aritie des Lehramts brach in Trieſt 
die Cholera aus; nicht in dem mäßigen 
Grade, wie ſie ſeither ein paar mal 
an der Adria ſpukte, ſondern als eine 
der bedeutendſten Epidemien, welche 
die Hafenſtadt erlebte. 

Es war nicht angenehm, in der 
engen, käſeduftigen Via Cavana einen 





Zufällig Hatten bei mir ſchon in 
den erften Wochen meines Zriefter 
Anfenthaftes, noch vor dem Auftreten 


der Seuche, ſich die erften Anzeichen 


eines Leidens eingeftellt, das mit 
einer Dartnädigfeit, von der es 
wenige Beijpiele geben dürfte, ab» 
gejehen von einer mäßigen Erleich— 
terung im der Zeit von 1870 bis 
1880, den Charakter meines leib— 
lichen Befindens bis auf den heutigen 
Tag beſtimmte. Nie jonderlich geſund 
und kräftig, war ich doch auch fein 
Schwächling und niemals ernſtlich 


*) Siehe „Heimgarten” 1883: Mai; 1885: März, April, October, November; 
1886: Juni, Juli, Cctober, November; 1887: März. 


Kofegger's „„Öeimanrien'‘* 8. Geft, XI. 


36 


krank gewefen, und meine zeitweiligen 
Beichwerden hatten ſich meilt auf 
rhenmatifche Anfälle bejchränft, für 
welche fi durch Umſtände meines 
findlichen Alters eine frühe Geneigt- 
heit bei mir entwidelt hatle. Von 
meinem Verdauungsſyſtem ſetzte ich 
boraus, daß es, in der Kindheit an 
MWiderftand gegen bedenkliche Einflüffe 
gewöhnt, ſich im einem guten, im 
einen, fo zu fagen, abgehärteten Zus 
ftande befinde. Jetzt aber Fündigte 
ohne dentbare Urfache ſich ein Uebel 
an, deſſen früheſtes Symptom eine 
Art von Waflerfpeien war. Andere 
Erfcheinungen traten Hinzu, die nad 
Ausbruch der Cholera meine Lage zu 
einer beunruhigenden und peinlichen 
machten. Ich erinnere mich unheil— 
drohender Momente, insbefondere ſchlaf— 
lofer Nächte, wo es des ganzen Auf— 
wandes vorhandener geifliger und 
moralifcher Kraft bedurfte, um feiner 
jelbft und feiner Stimmung Herr zu 
werden. Yeder, auch der Gefunde, hat 
in Zeiten größerer Epidemien Anfälle 
plötzlichen Unwohlſeins, krankhafte 
Stimmungen — nicht mit bloßen 
Angſtanfällen zu verwechſeln — von 
denen man glaubt, daß ſie Vorboten 
des Schlimmiften fein müfjen, bis man 
dur Erfahrung belehrt ift, daß fie 
doch meift ohne weitere Folgen vor— 
übergehen. So mancher meiner Eoflegen 
wußte davon zu erzählen. Einer der- 
jelben, Profeſſor U. Racheli, verdienſt— 
voller Herausgeber einer Biblioteca 
italiana, Lehrer der italieniſchen Sprache 
und Literatur am Gymnaſium, ſagte 
mir eines Morgens, er fei in der 
Naht plößli von einem eigenthüm— 
lichen, nie früher erlebten Uebelbefinden 
mit krankhafter Stimmung der ſchlimm— 
ften Art befallen worden; da habe er 
nad feinem Dante gegriffen, Habe 
mit aller Geiſtes- und Willenskraft 
fih an diefen „angeklammert“, feine 
Gedanken auf die Verje des geliebten 
Poeten vereinigt, und es fei ihm jo 
wirklich gelungen, aus dem bedroh= 
lihften Zuftande fich aufzuraffen. Mich 


ſelbſt verfuchte ein College in böfer 
Stunde mit einem ähnlichen Mittel 
aufzurichten. Ich Hatte mich im Gym— 
naſium krank melden müſſen und 
hütete das Zimmer. Da trat bejagter 
Eollege, Mathematifer und Phyſiker 
von Fach, bei mir ein und richtete 
an mich im eindringlicher Weife fol= 
genden Zuſpruch: „Denken Sie, lieber 
College, nicht weiter an Ihren Zuftand; 
denfen Sie einzig au das, was .ich 
Ihnen jeßt vortragen und erklären 
werde. Ein intereffantes Gapitel aus 
der höheren Phyſik wird Ihre Auf— 
merkfamfeit von dem Uebel ablenfen 
und Sie werden fi) bald genejen 
ſehen.“ Damit legte er eine Heine 
Sciefertafel auf den Tiſch, zog einen 
Stift hervor und ſchickte fich -an, feine 
gelehrte Erörterung zu beginnen. Halb 
gerührt, Halb erheitert, dankte ich dei 
freundlichen Helfer für feine wohl— 
meinende Abjicht, verlicherte aber, mich 
Ihon befjer zu fühlen und einer ge= 
waltfanen Ablenkung meiner Gedanken 
nicht mehr zu bedürfen. 

Das Schuljahr dauerte zu jener 
Zeit in Trieft bis zum erften Sep— 
teınber ; ausnahmsweiſe wurde es dies— 
mal, mit Rückſicht auf die Seude, 
nah Eintritt der heißeſten Jahreszeit 
geichloffen. Es waren nur noch die 
Maturitäts- Prüfungen am Gymnaſium 
abzuhalten. Die herrſchende tropifche 
Hitze, die Abgejpanntgeit in den 
Zügen der Glieder des Lehrförpers, 
die auf den Gefichtern der Prüflinge 
ih) ſpiegelnde Durchfallsangſt, das 
Alles drückte diefen angeftrengten Prü— 
fungstagen ein unbehagliches Gepräge 


auf. Das Unbehagliche der Lage wurde, 


auch dadurch nicht ſonderlich gemildert, 
daß der wadere alte Schulrath Foren, 
der bei den Prüfungen den Borfig führte, 
uns Profefjoren gegenüber immer wies 
der auf die Verſicherung zurückkam, daß 
er ſich durch die herrfchende Cholera 
nit im Geringften abhalten laſſe, 
 allabendlih feinen gewohnten, er— 
friſchenden Gurkenfalat zu verzehren. 
Anm Tage nach Schluß der Prüs 


fungen bracdte ein Poftwagen mid 
und meine Mutter langſam über die 
Höhe von Oplina nordwärts. ch 
athinete erleichtert auf, als ich den un— 
heimlichen Dunftkreis der Stadt Hinter 
mir zu haben glaubte, bis drei ſchwarze 
Särge, die vor dem Slirchlein eines 
Heinen Ortes auf dem Karſt neben 
einander ftanden, mich auf den Ge— 
danfen brachten, der bejagte Dunft- 
freis möge ſich wohl noch etwas weiter 
eritreden. . . 

Blaß, matt, elend fam ich im 
Graz, meinem Reifeziele, an, und das 
Leiden, das in leßter Zeit von mir 
Belig genommen hatte, troßte auch 
den frifcheren Lüften der grünen 
Steiermarf. 

Inzwiſchen ließ die Seuche in 
Trieft nah, und al3 ich zum Beginn 
des neuen Schuljahres dahin zurüd- 
fehrte, galt fie für erlojchen. Uber 
wenige Tage nah meiner Ankunft 
warf eine ernftliche Verſchlimmerung 
meines Befindens mich auf's Kranken— 
lager, das ich vierzehn Tage lang zu 
hüten gezwungen war. 

Unter fo trüben Umftänden gieng 
mein erſtes Zriefter Jahr dahin. Yon 
einem wirklichen Fortſchritte auf meiner 
Bahn, von einer Annäherung an die 
Ziele, denen ich nachftrebte, Hatte feine 
Rede fein können. 

Trieft mißfiel mir troßdem feines» 
wegs. Aber theils in meinen Geſund— 
heitsumſtänden, theils in den Verhält— 
niffen der Hafen- und Handelsftadt 
lag e3 begründet, dab ich nich per— 
ſönlich vereinfamt fand. Einen Erfah 
für entſprechenden gefelligen Verkehr 
boten indes die vier Theater ZTriefts, 
mit einer meift vorzüglichen italienischen 


563 


fanntjchaft mit dem damaligen Redac— 
teur der Triefter Zeitung, Dr. F. E. 
Pipig, den Berfafjer der „Memoiren 
eines Apoftaten“ und einer „Geſchichte 
Mirabeaus,“ woraus fich ein Verhält- 
nis zur Triefter Zeitung felbft ent— 
fponnen hatte, für welche ich nunmehr 
über Theater, Concerte u. ſ. w. Be— 
richte lieferte. 

Im folgenden Jahre (1856) ver— 
öffentlichte ich in unferem Gymnaſial— 
Programm „Proben aus einer 
Ueberſetzung von Dſchamis 
Behariſtan.“ 

Meinen Ferienaufenthalt nahm ich 
für eben dies Jahr in Venedig. Was 
ich von Erlebniſſen in der Lagunenſtadt 
— mohin ih auch ſpäter wiederholt 
mich wendete — zu. berichten Hatte, 
ift niedergelegt in einer Studie, welche 
das FFebruarheft des „Heimgarten“ vom 
Jahre 1884 brachte, und weldhe dann 
auch im meine gefammelte „Proſa“ 
übergieng. Ihre eigentliche Stelle wäre 
im Zufammenbang diefer Belenntniffe. 
Auch in „Sinnen und Minnen“ find 
nicht wenige Blätter venezianiſchen und 
norditalifhen Eindrüden gewidınet. 

Ein fo andachtsvoller und eifriger 
Kirchenbefucher bin ich niemals im 
Leben gewejen, wie zu jener Zeit in 
Venedig. Aber das Erbauungsbuch in 


‚meiner Hand, das mich .auf meinen 


täglihen Kirchgängen begleitete, war 
ein didleibiges Exemplar des beiten 
„Guida di Venezia,“ durchſchoſſen mit 
weißen Blättern, auf welchen ih an 
Ort und Stelle meine ftenographierten 
Notizen und Bemerkungen eintrug. 
Dabei las und ftudierte ich mit Eifer 
Kunftgeichichtliches, insbefondere Sel- 
vaticos ſchönes und gründliches Haupt» 


Dpern= und Balletfaifon im Winter, |werk über „Baus und Bildhauerkunft 


ebenfo gewählten italienischen Schau— 
jpiel, einer deutfchen Saifon von 
Poſſen und Operetten, mandınal auch 
franzöfifhem Schaufpiel. Der freie 
Mitgenuß alles deſſen was Trieſt in 
theatralifcher, mufifalifcher, überhaupt 
fünftlerifcher Beziehung bot, ergab fich 
für mi aus einer perfönlichen Be: 


in Venedig.“ Aber die Lagunenjtadt 
hatte auch fonft etwas Anheimelndes 
für mich. Der Marcusplaß, die traus 
licheengen, ‘aber mit jedem Schritt 
einen neuen Profpect entrollenden Gaſ— 
fen der Merceria, der Frezzeria u. |. w. 
boten namentlich bei abendlicher Be— 
leuchtung einen eigenihümlichen Reiz, 


36* 


564 

der zu behaglichem Umherſchlendern andere das endliche Ausgeftalten des 
und zu beftändiger Wiederkehr ver- | dichterifchen Entwurfes meiner „Ve— 
lodte. Im milden, weichen Scirocco: |nus im Exil.“ 

bauch entwidelte bei ſolchen Wandes 
rungen für den Zauber des Schönen 
ih eine doppelt rege Empfänglichkeit. 
Ich fühle in der Erinnerung mich noch 
heute jo heimisch in dem weitgedehnten 
Venedig, wie kaum in den Orten, an 
welchen ich Jahrzehnte meines Lebens 
zugebracht. Ich kannte fie alle, die 
ftillen Gaffen und Gäßchen, Pläße und 
Bläschen, Canäle und Canälchen, Brür 
den und Brüdchen Venedigs, nicht am 
wenigften aber die traulihen Wintel 
und Eden, in welchen die zahlreichen 
venezianishen Bücherkrämer ihre Läden 
und Auslagen im Freien hatten. 

Im October unternahm ich einen 
Ausflug nah Padua, Vicenza, Verona, 
und dachte denjelben noch weiter fort- 
zuſetzen; aber in dem Augenblide, als 
ih zu Verona mi auf den Bahnhof 
verfügen wollte, um nah Mantua zu 
geben, nöthigte mich ein plößlich ge= 
fteigertes, ernftliches Unwohlſein, den 
Rückweg nah Venedig einzufchlagen. 

Mein Zuftand hatte fih im Weſent— 
lihen gegen das Vorjahr nicht ge= 
beſſert; nun geftaltete er fich fo, daß 
ich viele Wochen lang faft ganz in’s 
Zimmer gebannt blieb. Als ich im 
November mein Lehramt wieder an— 
treten follte, ſah ich mich gemöthigt, 
um Urlaub anzufuhen. Ein tleiner 
Spaziergang in der Mittagsfonne auf 
dem Marcusplaß, in defjen unmittel— 
barer Nähe meine Wohnung (in der 
Calle larga a San Marco) lag, war 
nun das Meußerfte, was ib mir an 
bejonders günftigen Tagen erlauben 
durfte. 

Aber die Epoche der Zurüdgezogen- 
heit und unfreiwilligen Muße war Be— 
Ihäftigungen jehr förderlich, die ich 
jet aufnahm und mit fo regem Eifer 
betrieb, al3 mein Befinden es zuließ. 
Die eine dieſer Beichäftigungen war 
dad Studium des mir überaus wert übergehend — in ſich zu verförpern. 
gewordenen perfiihen Dichters Dſche- Daß diefe Verkörperung eben nur eine 
laleddin Rumi im der Urſprache; die vorübergehende, eine Hinfällige, und 





„Zieh bin, ein heiliger Bote, 

Und fing’ in freudigen Tönen 

Vom tagenden Morgenrotde, 

Vom lommenden Neidhe des Schönen !* 


Mit diejen Verſen, die aus meiner 
früheften Jugend ſtammen, und die 
ih der „Venus im Exil“ als Motto 
vorjeßte, fennzeichnete ih, was ich als 
meine poetifche Sendung erfannte. Das 
Werk ift von beicheidenem Umfang; 
aber e3 enthält das Wefentliche meiner 
ganzen Weltanfhauung, das Pro— 
gramm meines ganzen weiteren Stre= 
bens und Wirken: auf Literarifchem 
Gebiet. Es ift hervorgegangen aus 
dem lebhaften Widerftreite meines Em— 
pfindens gegen die herfümmliche An— 
ficht, dak Ideales und Neales, Wahr: 
heit und Schönheit, Geift und Natur, 
underföhnliche Gegenfäße feien. Das 
Ideale follte aufgezeigt werden als das 
was anzuftreben, aber nit dadurch 
zu erreichen ift, daß man vom Anbe— 
ginn das Natürlide und Wirkliche 
von fich Hößt und mißachtet, die Natur 
als einen „Siündenfall,“ als einen 
Abfall vom Geifte und der Idee be= 
trachtet. 


In meinem Weſen lag von Anfang 
an ein ftarfer realiftifcher Zug neben 
dem idealiftifhen — nicht in feind— 
lihem Widerftreit des einen gegen den 
andern, fondern in wirklicher Harmo— 
nie: woran nur ſolche zweifeln konnten, 
welche für „unllar* an und für fi 
und in mir bielten, was zufällig 
ihnen unklar blieb. Für ein Schwe— 
ben und Schwärmen in Nebelgebilden 
des Ueberirdiſchen, losgetrennt vom Ir— 
diſchen, war ich nicht gefchaffen; das 
rein und echt Menjchliche, das geift- 
verflärte, aber lebendige, blutwarme 
Dafein erfchien mir immer auch fähig, 
das Ideal — wenn aud nur vor— 


— — — — — — — — — — — — — — — — — — nn 





überdies eine jeltene it — läßt den zweiten in Beziehung auf das Welt— 
flimmungsvollen Klagen der Lyriker | ganze gedacht. — Diefe Göttin num 


über den Zwiefpalt zwifchen Ideal und | 


lodt den Helden unſerer Dichtung, 


Wirklichkeit troß des Gefagten noch , welchen der Schmerz der creatürlichen 


immer ein volles Maß von Berechti— 
gung. Auch rechtfertigt diefe Beſchränkt— 
heit des Irdiſchen es volllommen, daß 
der Stufengang des unendlichen menſch— 
lihen Sehnens und Strebens von den 
nur flüchtigen, Hinfälligen Verkörpe— 
rungen de3 deals fich zu immer 
Höheren erhebt, bis zu einem wenig— 
ſtens in poetiſchem Sinne Unend— 
lichen: nur daß dies Unendliche doch 
eben auch wieder als ein Wirkliches, 
nicht als ein bloßer abftracter Begriff 
zu fafjen ift. 

Wer eine Bürgfchaft dafür ver- 
langt, daß ich mein jugendliches Em— 
pfinden nicht etwa jet anders deute 
als e3 war, der lefe das Geleitswort, 
mit welchem ich feinerzeit die erjten 
Proben aus „Venus im Eril* im 
„Sangesgruß von der Adria“ ein— 
geführt habe. Es lautet: 

„Diefe Dihtung entlehnt ihre 
Motive den deutfchen Sagen von der 
„Frau Venus“, „Loreley“, „Wald- 
frau“ u. dergl., vertritt aber zugleich 
die Neaction des modernen Bewußt— 
feins gegen jene mittelalterlich trübe 
Auffaffung der Schönheits- und Lie- 
besgöttin und möchte diefe aus einer 
„Zeufelin“, aus einer verlodenden 
Göttin der (bloßen) Sinnlichkeit, was 
fie im Mitertfume nicht war und 
wozu erſt die nordiſche Sage fie 
geftemipelt, wieder zu dem machen, 
wa3 fie war, zur Göttin der Schön 
heit, der Liebe, des ganzen, vol— 
len, feligen Dafeind in ſinn— 
lich-geiſtiger Harmonie. 


Noh mehr, e3 wird auf Die 
Auffoffung des höheren Alterthums 
zurüdgegangen , welcher die himm— 
liſche und irdiſche Venus noch Eins 
war: Venus Aphrodite und Venus 
Urania ſind ein und derſelbe Begriff, 
nur im erſten Falle in Beziehung 


auf das irdiſch menſchliche Sein, im! 


Beſchränkung peinigt, zunächſt mit 
ſinnlichem Anreiz an ſich — denn als 
Verführerin zur Sinnlichkeit muß die 
Vertreterin des vollen härmoniſchen 
Dafeins dem einfeitig-Ipiritualiftifchen 
Sinne zuerft ſich darftellen — und 
läßt ihn fodann von Eros durch ihr 
Neih Führen, die erotiſche Stufen 
leiter hinan. Natur, Kunft und Leben 
gießen ihre Befeligung über ihn aus. 
Der Gipfelpuntt aber von Allem ift 
die Liebe, deren Zauber feinem jugend 
lihen Sehnen ein Unendliches vor= 
jpiegelt. Doch diefer Zauber währt 
nicht ewig. Venus erjcheint, nad» 
dem der höchſte Liebesinoment er= 
füllt ift, und vernichtet durch ihren 
Anblid jene felige Bezauberung. An's 
deal gehalten, erjcheint das Idol 
wieder in feiner Endlichkeit und Be— 
Ihränfung und genügt nicht mehr 
dem Streben de3 Herzens nad einem 
Unendlichen. Nun ift der Stufengang 
des irdiſchen Glüds vollendet, doch 
der menfchliche Geift ift zu noch Hö— 
herem berufen. Venus erſcheint dem 
bereit$ DBerzweifelnden wieder, und 
zwar jebt im ihrer uranischen Herr— 
lichkeit, als himmlische Venus und er= 
öffnet ihm ihre höheres Reich. Die 
Schönheit de8 Kosmos geht vor 
feinen Bliden auf; die Schranken 
der Zeit und des Raumes fallen, er 
Schaut das künftige Reich der 
Skhöndheit, die Verjöhnung 
von Geift und Materie auf 
Erden. Bor diefem Anblid verlinkt 
fein crealürliches Leben glei einem 
Traumbilde, er fühlt fich theildabend 
am Allleben, Allbewußtfein und fo 
erfcheint ihm mit der Stunde des 
Todes zugleich die Stunde des höch— 
ften, unendlihen Glückes. — Dem 
denfenden Lefer entgeht mit, daß 
hierin weniger eine beftimmte philo= 
ſophiſche Tendenz, als da3 Bild 
menſchlichen Strebens in ſei— 


nem ®Berlaufe 
will." — 

Sollte nah diefer Inhaltsangabe 
es doch auch wieder Manchen fcheinen, 
al3 ob jenes „Unendliche“ auf eine 
leere Allgemeinheit Hinausliefe, fo 
erinnere ih an daS zuvor Gefagte: 
das Allgemeine, „Unendliche” muß 
bier in poetifchem, nicht in abftractem 
Sinne genommen werden. Man über: 
fehe nicht, daß der Auffhwung vom 
Theil zum Ganzen, vom VBergänglichen 
zum Unvergänglichen immer noch im 
Bereihe des MWirklichen bleibt, daß 
die Rede ift von der wirfliden 
Herrlileit des Weltganzen, von 
einem anzuftrebenden wirklichen 


566 


ih darſtellen Unleugbar ift, und nit hinwegzu— 


herzen 
Des Leben: Qual, in der die 
Seele brennt; 
Doch iftunleugbaraud die Stimm’ 
im Herzen, 
Die Schmerz und Todesqualen 
übertönt. 
Sophismen find, was jonft als Troft in 
chmerzen 
Der Menſch erſinnt, ſein Leid bleibt un— 
verſöhnt. 
Nur jene Stimme hebt mit leiſem Worte 
Geheimnisvoll des Räthſels dunkle Pforte. 


So ſiegt zuletzt, ſich ſelber unverftanden, 

Der Creaturen heil'ger Lebens— 
wille, 

Und nimmer kann am Todesriffe ſtranden, 

Wer ſich durch — ob Leid ob Luſt ihm 
uille, 


Reiche des Schönen, der „Berfögnung Gept fühlt an's au mit Liebesbanden, 


von Geift und Materie auf Erden“. 
Auch was ich „Allwille,“ „Allteben“ 
nenne, iſt mir etwas MWirkliches. 


Ueber mein Verhältnis zu dem, | 


was ſich aus dem „Weltſchmerz“ 
Epoche either zum „Peſſimismus“ 
entwidelt hat, gibt die „Venus im 
Exil“ gegen den Schluß Hin eine 
entjcheidende, bündige Auskunft, auf 
welche ich micht oft genug verweifen 
fann: 


„So hab’ ich meines Strebens Bahn voll- 
endet: 


Der Schmerz des Erdenftrebens, ad), 
war groß, 
Doch meinem Blid, verflärt in's All ge: 
wendet, 


Erſcheint verföhnt num alles ird'ſche Los. 
63 wird mir wunderfan ein Troſt gejpendet, 
Der hold mich lodt wie in der Liebe 


hof, 
Und Iabend aus verborgnen Geiftestiefen 
Hervorquillt, vom Berftande nicht begriffen. 


Warum ih in den Abgrund ird'ſchen Seins 
Geftürzt, bedroht von Leid und Todes: 
grinme, 
Warum ich treib’ im Meer des bunten 
Scheins, 
Durch Schmerzeswogen nur zum 
Ziele ſchwimme, 
Ich weiß es nicht; gewiß nur iſt mir Eins: 
In meinem tiefſten Innern tönt die 
Stimme, 
Die freudig in das Los des Lebens mwilligt, 
Und diejes irdiſche Geſchicke billigt. 


Ind jelber in des Todes ew'ge Stille 
|Sinteeten ruft mit fiegesftolzem Blide: 
| Mein eig’'ner Wille billigt mein Geſchiche!“ 


Schlagender werde ich meine An— 


jener  fhauung im diefer Beziehung niemals 


ausdrüden fönnen, als es im diefen 
Strophen meines Erftlingswerfes vor 
30 Jahren gejchehen ift. 


Daß der lyriſche Ausdruck einer 
gewillen Sehnſucht nah Ruhe, jelbft 
nah ewiger, namentlich für viel« 
geprüfte Menfchenkinder, etwas Er— 
Härliches ift und feineswegs noth— 
wendig eine peflimiftifche Grundſtim— 
mung und Weltanfchauung voraus» 
jegt, follte nicht weniger einleuchtend 
fein, als daß Luft und Leid im Ge— 
miüthe des Menfchen wechjelt. Aber 
jelbft wenn es wahr, daß in alle Luft 
ein Tropfen Leid ſich mifcht, bejagt 
dies noch lange nicht, daß das Leid 
in diefer Mifhung immer überwiegen 
muß. Sp habe au ich als Lyriker 
neben der ewigen Dafeinsluft jo mans 
hesmal der Sehnſucht nah Ruhe, 
der „Todesluſt“ Gerechtigkeit wider: 
fahren laffen. Läge darin ein Wider 
ſpruch — bei weldem Dichter fände 
diefer Widerfpruh fih nicht? Ich 
halte beide Stimmungen für natürlich 
und für gerechtfertigt: ich halte jie 
ſogar für verträglich mit einander. 


67 


Als Beleg für meinen Peſſimismus 
wird oft jenes Heine Gedicht citiert: 


„Auf hohen Bergen liegt ein ew'ger Schnee: 
Auf hohen Seelen liegt ein ew'ges Weh!“ 
LT 


Nun ja! Der ewige Schnee be- 
dedt den Berg, er belaftet ihn; aber 
feine innern Tiefen füllt er doch nicht 
aus — er läht da fogar Raum für 
manchen gold’nen Schadt. — Und 
bleibt es micht immerhin auch ein 
Troſt für den Berg, dab fein ewi- 
ger Schnee unter dem Strahl des 
tommenden und fcheidenden Lichtes 
fih in Gold und Burpur, in Perlen 
und Diamanten verwandelt ? 

Schon durch die Nofle, welche 
von jeher der Eult des Schönen in 
meinem Gemüth und im meinen Dich- 
tungen fpielte, war eine blafierte, gräm— 
Iiche Abkehr von der Welt und dem 
Leben ausgefchlojjen. 

Mer die Welt Schön findet, der 
fann fie nicht Haffen, kann nicht das 
Dofein in ihr als ein unter allen Um— 
ftänden wertloſes, verächtliches be— 
tradhten. 

Ih verweile etwas lange bei dem 
Sdeengehalt meines Erftlingswertes ; 
aber manches Spätere wird dadurch 
leichter verftändlich werden. 

Man Hatte mir Urlaub bis zum 


Schluſſe des erften Semefters bewilligt 
und fo blieben, nachdem mein Be— 


finden Sich etwas gebefjert, noch ein 
paar Wochen, dem Treiben des vene— 
tianischen Garneval3 meine Aufmerk— 
ſamkeit zuzuwenden und jenen beſchau— 
lichen Antheil daran zu nehmen, den 
ich in den erwähnten „Erinnerungen 
an Venedig“ geichildert habe. 

Im Aprit 1857 nah Trieft zu— 
rüdgefehrt, ließ ich e$ mir dor Allem 
angelegen fein, einen DBerleger zu 
fuchen für das fertig mitgebrachte 
Manufcript der „Venus im Eril.“ 

Jeder junge Poet hält das Werk, 
mit welchem er in die Welt treten 
will, für etwas ſehr Merkwirdiges, 
für etwas, das bei Allen, welchen es 


vor Augen kommt, mehr oder weniger 
Auffehen erregen muß, und ift ſehr 
erftaunt über das unendliche Phlegma, 
mit welchem das Erzeugnis feiner Be— 
geifterung erſt von den Berlegern, 
dann von den Fritifern und endlich 
vom Publikum angefehen, oder viel— 
mehr nicht angefehen wird. So war 
demm auch meine Verdutztheit feine 
geringe, als der Leipziger Verleger 
erften Nanges, dem ich die „Venus“ 
zuwenden wollte, meine Sendung an— 
ftatt mit Ausdrüden der Heberrafhung 
und des Dankes, mit einer Höflichen 
Ablehnung erwiderte. 

Als das Beihämende des erften 
Eindruds diefer Erfahrung überwuns 
den war, faßte ich den Entjchluß, erit 
eine Heinere Probe meines dichterifchen 
Beitrebens auf eigene Koften in die 
Welt zu fenden. So trat im Sommer 
1857 ein niedliches Büchlein in Se— 
dezformat, vier Drudbogen ftark, unter 
dem Titel „Ein Sangesgruß 
vom Strande der Adria“ in 
der F. H. Schimpff'ſchen Buchhand— 
lung zu Trieſt an's Licht. Es ent— 
hielt eine Anzahl lyriſcher Gedichte, 
von welchen die meiften Später in die 
Sammlung „Sinnen und Minnen“ 
übergiengen und Proben aus „Venus 
im Eril“. 

Spät genug war nunmehr der 
Schritt in die Deffentlichkeit vollzogen. 
Die unerläßlichen Bemühungen zur 
Gründung eineräußeren Lebensftellung, 
die ernfte Geſundheitsſtörung der letz— 
ten Jahre bei feinesiwegs leichten Be— 
rufspflichten, und ſchließlich die Schwie- 
tigfeiten, auf die ich bei der Suche 
nach einen Verleger geflohen war, er= 
Hären hinlänglich diefe Verzögerung. 

Aber auch befcheidener ift kaum je 
ein Poet zuerft in die Deffentlichkeit 
getreten, als ich mit meinen vier 
Vrobebogen in Sedez. Das beichei- 
dene Anfehen diefer Mufengabe wurde 
dadurch verftärktt, daß ich als öffent— 
licher Lehrer in der lyriſchen Auswahl 
mi vorläufig auf Harmloſes be— 
Ichränfen zu müſſen glaubte, nament— 


68 


lich mit den erotifchen Stücken mich | Lyriker der Gegenwart halte? Er er= 
nicht recht hervorwagte. widerte: „Geibel!“. — Diefer Aus— 
Sattjaın bezeichnend waren indes ſpruch tröſtete mich beinahe ein wenig; 
die gegebenen Sangesproben ummere | — er erjchütterte, da ich Hermann 
bin: es befanden ſich darumter Lieder | Lingg unzweifelhaft höher ftellte als 
wie „Die Lerchen,“ „Raftlofe Sehn= | Geibel, mein Vertrauen in die fritifche 
ſucht,“ „Viel Träume,“ „Im der) Unfehlbarkeit des jungen Gelehrten. 
Waldſchlucht,“ „Meine Lilie,“ „Ga— Sein Urtheil machte mich nichts— 
nymed“ und noch manches Andere | deftoweniger für den Augenblid un— 
von dem, was hernach in „Sinnen glücklich. In Erinnerung desſelben 
und Minnen“ den meiſten Anklang | habe ich es fpäter niemals über's 
fand. Herz gebracht, einem Neuling gegen- 
Unmittelbar nach dem Erſcheinen über, der mir poetifche Proben vor— 
des „Sangesgrußes“ trat ich meine | legte, ohne allen Vorbehalt und 
Terienreife nach Graz an. ohne hHöflihe Umſchreibung mic 
An der Grazer Umiverfität wurde | des Furzen und fchroffen Ausdrudes 
die Lehrkanzel der deutschen Sprach- zu bedienen: „Sie haben fein Talent!” 
wiſſenſchaft und Literatur damals von | Wußte ih doch aus Erfahrung, wie 
einem jungen Maune verjehen, der fich | weh es thut, jo etwas rund und ıeit 
großer Achtung und Sympathie fowohl in's Geſicht gefagt zu bekommen. 
unter den Studenten als in der ge= Indeſſen Liegen ſich bald andere 
bildeten Bevölkerung überhaupt er: | Stimmen anders vernehmen. Der be— 
freute. Seine jugendlich fchlante Ges | fcheidene Sangesgruß des perfönlich 
ftalt, das lange, blafje, ernfte Geficht, | ganz unbekannten, außerhalb aller 
das lang und ſchlicht auf den Naden | Berührung mit der Literatenwelt ſte— 
berabfallende Haar, stellten das este | Gender Poeten an der Adria wurde 
Bild des deutfchen Gelehrten von der von der Kritik freundlich, zum Theil 
gerpinnenden Seite dar und flößten | herzlich erwidert. Der gefürchtetite 
auch mir Vertrauen ein. Ich Fam auf Kritiker jener Tage, Hieronymus Lorm, 
den Gedanten, obgleib bis dahin ein begann feine Belprehung mit den 
perfönlich Fremder für den Genannten, | Worten: „Poeten find wunderliche 
mein eben erjchienenes Büchlein ihm | Leute,“ und übergoß die VBorrede des 
zur Beurteilung vorzulegen. Ich gieng | Büchleins mit der Pauge feines Spottes ; 
zu ihm und bat ihn, e3 durchzufehen. | über die Gedichte felbft aber lieh er 
Er hieß mich nach acht Tagen wieder: | einige Worte fallen, wie man fie aus 
kommen. Als die Woche um war und feinem Munde nicht eben gewohnt 
ich Mopfenden Herzens bei ihm ein= war. Schmidt Weifjenfels wies in den 
trat, fagte er mir wörtlich: „Ich habe | „Kritiichen Blättern“, welche im Ver— 
Ihr Heitchen durchgefehen und ich lage des Buchhändlers J. L. Kober 
babe, aufrichtig gefagt, in den lyriſchen in Prag erfchienen, mit Wärme auf 
Gedichten keine poetiiche Begabung | das Werfchen Hin. Dies gab mir den 
entdeden Lönnen. Und was die Bruch: | Muth, das Manufeript der „Venus“ 
ſtücke aus der epifchen Dichtung „Venus |an Kober zu fenden. Es wurde an 
im Exil“ betrifft, fo legen Sie wohl | genommen, und die Dichtung exfchien 
felbft feinen befonderen Wert darauf?“ im Jahre 1858, mit einem lyriſchen 
So lautete das erſte Urtheil, | Anhang, in deſſen Auswahl ich nun 
das ich über den „Sangesgruß“ ver= | fchon mit weniger Aengſtlichkeit vorgieng. 
nahm. Ich war wie niedergedonnert. Der Triefter Buchhändler, bei wel= 
Im weiteren Verlaufe des Gefpräches | chem der Sangeigruß in Verſchleiß 
fragte ich meinen firengen Richter, | gegeben war, hatte in der erften Zeit 
wen er für den bedentendften deutschen | freilich mur ungefähr ein halbes Hundert 





— 


569 


Gremplare abgefegt. Ein paar Jahre die Geſchichte eines Wieſels, und fei 


ſpäler vertraute mir ein damals her— 
borragender Öfterreichifcher Lyriker, daß 
von ſeiner neueften Gedichtiammlung 
im erften Jahre Sieben Eremplare 


eine froftige Allegorie der weißen Yarbe 

oder der kindlichen Unſchuld. 
Aufmerkſam gelefen wurde alfo 

die „Benus im Exil“ nicht, ebenſo 


duch Kauf in’s Publikum gelangten. |wenig das Vorwort. Vielleicht ergeht 
Dies belehrte mich nachträglich, dak |es dem, was ich oben zur Erläuterung 
ih auf den buchhändlerifchen Erfolg | meiner Denkweiſe gejagt, nicht beifer. 
des „Sangesgrußes* jogar mit einigem | Liegt doch diefe Denfweife dem Ge— 
Stolz zurüdbliden konnte. \danfenfreis unferer Tage Scheinbar 

Der Hauptzwed des Heftchens | fern. Sie der jugendlich ſchwärmeriſchen 
war erreicht: ich Hatte einen Verleger | Form zu entkleiden und volllommen 





für die „Venus“ gefunden. 


Har zu machen, ihr Verhältnis zum 


Am günftigften fprach über das | Zeitbewußtfein umd ihren inneren Zus 


fleine Epos fih R. Gottfchall in der 
„Schlefiihen Zeitung“ aus. Im Alle 
gemeinen aber wurde von der Tages» 





ſammenhang mit den Ideen des ent— 
Ichiedenften Fortſchritis nachzuweisen, 
gelingt vielleicht exit dem größeren 


fritit mit dem Gedankeninhalt des | Profawerf, das meine Weltanſchauung 
Werkchens übel umgelprungen, obgleich \im Ganzen darzulegen beſtimmt iſt. 
ein Kritifer in den damals von H. Denjenigen, welchen „Benus im 
Marggraff redigierten,, Blättern für liter. | Exil“ nicht behagte, gefiel um fo beſſer 
Unterhaltung” die Aeußerung getdan | der Iyrifche Anhang, und fo bezeichnete 
hatte, „Venus im Exil“ fei eine der Erfolg des Ganzen immerhin 
Dichtung, welche aufmerkſame Beachtung | einen Schritt vorwärts. H. Lorm übte 
verdiene, und wie ſie mit beiligem auch jet die ganze Schärfe feiner 
Ernſt gegeben worden, fo fei fie auch |fritifchen Feder an meiner Leiftung, 
wert, mit Ernft aufgenommen und warf aber doch nebenbei die Worte 
durchdacht zu werden.“ Ein frommer hin: „Herr Hamerling wird ohne 
Wunſch! Nicht einmal das erflärende | Zweifel zu dem glanzvollen Reigen 
Geleitwort, das am Dentlichkeit nichts | öfterreichifcher Lyriker zählen, wenn 
zu wünfchen ließ, wurde beachtet. Es der Gejichtsfreis, den er feiner An— 


hatte nur dazu gedient, das Vorurtheil 


ih erweitert 


Ihauung umterwirit, 


zu bejtärlen, man Habe es hier mit) haben wird,“ 


einer „philofophifchen“, allegorifchen 


Das war eine Prophezeiung, und 


Dihtung zu thun. Nun mag man ja der Prophezeiung jchloffen ein paar 


immerhin alles Symboliſche für ein 
Verbrechen in der Poeſie halten; wenn 
man fi aber darauf einläßt, den 
Sinn umd Zufanmenhang eines ſym— 
boliſchen Gedichtes anzugeben, fo follte 
man ihn gewiſſenhaft angeben, 
befonders wenn der Dichter felbft fich 
far über feine Abficht ausgeſprochen 
hat. Aber bei Inhaltsangaben benehmen 
ſich Necenfenten oft jeher wunder 
lich. Erzählt der Dichter 5. B. ein 
Märchen von einer Lerche und er= 
Härt dann ausdrüdlich, er habe ein 
Bild vom frohen Auffchwunge der 
Seele geben wollen, fo fagt der Re— 
cenfent lieber, das Gedicht enthalte 


Vorzeichen, ein paar gute omina ji 
an. Das eine diefer omina, die zu— 
fällige Reife um die Welt, welche 
mein Erftlingswert gleih nad dem 
Erfoheinen an Bord der „Novdara” 
mitmachte, verſprach freilich entfchieden 
zu viel. Das zweite kam vom Ef. 
öfterreichifchen Internuntius in Gone 
ftantinopel, Baron Prokeſch. Diejer 
hatte von einer ihm befreumdeten, mir 
fremden Dame in Trieft ein Eremplar 
der „Venus im Eril* (ohme mein 
Miffen) zugefendet erhalten. Er fand 
Geſchmack an dem Büchlein, ließ dar— 
über ein ausführliches, aufınumterndes 
Schreiben an mich gelangen und fügte 


dd 
dazu das Geſchenk eines fogenannten 
türfifchen Talismans, der Glüd 
bringen oder verheißen foflte, eines 
gefehnittenen Carniols, mit einges 
grabener türkischer Inschrift. Ich habe 
diefen Carniol als Siegelring fafjen 
laſſen und bediene mich desfelben als 
folhen bis auf den heutigen Tag. 

Im felben Jahre 1858 hatte ich 
wieder eine Abhandlung für das Gym— 
naſial-Programm zu liefern und wid⸗ 
mete hierzu: „Ein Wort über die 
Neuplatoniter, mit Ueberſetz— 
ung&proben aus Plotin.“ 


Die Herbftferien von 1858 ver— 
lebte ich im Venedig, die des folgenden 
Jahres in Graz. Literarifch beichäftigte 
mich die Zufammenftellung der größeren 
Igrifchen Sammlung, mit welcher ber: 
vorzufreten ich nun an der Zeit fand. 
Unter dem Titel „Sinnen umd 
Minmen“ erjchien diefelbe gegen den 
Schluß des Jahres Hin bei Kober als 
ein hübſch ausgeftattetes Bändchen, 
freilich erft ungefähr die Hälfte von 
den umfafjend, was fpäter die zweite 
Auflage brachte. 

Der Titel des Buches findet feine 
Nechtfertigung in einem Einleitungs- 
gedicht der erften Auflage, welches, da 


70 


Doch noch fennt mein tief erregtes 
Herz nur fi und feine Qual: 
Und jo war's nicht meine Wahl, 
Iſt mein Sang ein holdbewegtes 
Tongewog, fein Bilderjaal. 


Ab, ein Meer find meine Lieder, 
Das der Haud der Sehnſucht hebt, 
Deſſen Welle, ſterndurchwebt, 
Klaͤngreich wogend auf und nieder, 
Hin in gold'ne Ferne ſtrebt. 


Und ſo ſcheint wohl arm an Sloffen, 
An Geſtalten mein Gedicht, 

Leer an Inhalt und Gewicht; 

Denn das Sehnen, Lieben, Hoffen, 
Sinnen, Minnen, zählt ja nicht! 


Immerhin! auf Klangeswogen 
Gautle, meines Liedes Schwan! 
Bis die Jugend abgeihan, 

Bis ihr ſüßer Rauſch verflogen 
Und ihr gold’'ner Traum zerrann. 


Bemerkenswert ift die Verſchieden— 
heit des Tons, den die Stritif jegt dem 
Dichter der „Venus im Exil“ gegen- 
über anfchlug, im Vergleich zu dem, 
welchen fie unmittelbar nach dem Er— 
icheinen dieſer Dichtung ihm gegen— 
über angefhlagen hatte. Die Art, wie 
jet die verfchiedenften deutſchen Blätter 
über mich ſich äußerten, Hatte faſt 
eiwad Ueberraſchendes für mid, und 
ichien zu beweifen, dab das Wenige, 
was ich bisher geleiftet, ſich doch ſchon 


es fpäter weggelafjen wurde, hier feine in einem weiteren Sreife und in einem 


Stelle finden mag: 


Eorglos auf des Wohllauts Wogen 
Gaufle, meines Liedes Schwan! 
Bis die Jugend abgelhan, 

Bis ihr jüher Rauch verflogen 
Und ihr gold’'ner Traum zerrann! 


Einſt wohl fing’ ih im Gedichte 
Alles Lebens bunte Pradıt, 
Tauchend in der Sage Schacht, 
In die Minen der Geſchichte 
Und in des Gedanlens Nacht. 


Farbenprächtig auszumalen 
Streb' auch ich ſodann im Lied 
Was am Meeresgrunde blüht, 
Und der Tropenſonne Strahlen, 
Die dereinſt am Pol geglüht.”) 


*) Anipielung auf die claffiiche erfte Sammlung Iprifche 


de: Gedichte Hermann Lingas, deren Findrud damals 
eben allgemein und frijc-lebendig war. 


höheren Grade Freunde envorben haben 
musste, als man es nad den über 
„Venus im Eril* erſchienenen Recen— 
fionen hätte erwarten dürfen. Es 
gereichte dem einſamen adriatiſchen 
Strandpoeten zur Aufmunterung, daß 
er, wie fih nun herausfteflte, ſchon 
etwas wie einen Nuf oder Namen 
hatte, daß er nirgends mehr als Neu« 
ling auf dem Parnaß behandelt wurde, 
und daß man anfieng, feine Leiftungen 
aus der großen Maſſe des Alltäglichen 
hervorzuheben. Kein fpäter von mir 
veröffentliches Werk ift von der Kritik 
in den deutfchen Gauen fo fait ein— 
mitthig gut aufgenommen, keines jo 
wenig derunglimpft worden, wie dieje 
Sammlung „Sinnen und 
Minen.“ Mihgönne man es mir nicht, 


571 


einen Augenblid in diefer angenehmen 
Erinnerung zu ſchwelgen. 

Es ift im Allgemeinen nicht Brauch 
bei den deutſchen Gomponiften, den 
Dichtern, deren Lieder fie in Mufit 
ſetzen, Freiexemplare ihrer im Handel 
ericheinenden Vertonungen zugehen zu 
laffen. Sie fürchten, fcheint es, eine 
jolhe Zufendung mit einer Honorare 
forderung ermwidert zu ſehen. Scheffels 
zornige Auslafjungen über die folten- 
freie Ausnüßung feiner Lyrit haben 
fie Ängftlich gemacht. So bin auch ich 
meijt nur zufällig zur Kenntnis der 
Eompofitionen meiner Lieder gelangt. 
Von ganzen Liederkreifen aus „Sinnen 
und Minnen“ ſind mir bekannt ge= 
worden: 

G. Henschel: „Sinnen und 
Minnen“ von R. H. Leipz., Breit: 
fopf und Härtl, 2 Hefte. 

Eduard Laffen: Sechs Lieder 
von R. H. Breslau, Hainaner. 

Ad. Wallnöfer: Sechs Gedichte 
aus „Sinnen und Minnen“ von R. 9. 
Berlin, Bote & Bod. drei Hefte. 

Adolf Jenfen: Balladen und 
Romanzen don R. H. Wien, Gott- 
hard, zwei Hefte. 

IM. Brava: Sinnen und Min: 
nen von R. H. (Offenbach, Andre.) 

2. C. Boumann: Drei Lieder 
von R. 9. (Leipz., Kahnt.) 

Eduard Laffen hat außer der an— 
geführten Sammlung nocd eine be= 
trädtlihe Anzahl von Vertonungen 
einzelner Lieder aus „Sinnen und 
Minnen“ im verjchiedenen Liederheften 
veröffentlicht. 

Es gibt Manche, welche nicht be= 
merkt oder von Anfang an bezweifelt 





A. Deproffe, A. Dietrich, W. Bünte, 
S. Wartereſiebicz, R. Becker, Meyer 
Helmund, Ernſt Ege, C. H. Döring, 
Arno Kleffel, Graf Ladislaus Tar— 
nowski, G. Langenbeck, Julius Janſſen, 
Max Sobel, Joſef Scheu, A. Schutzer, 
Alfred Oelſchlegel, Günther Barthel, 
F. v. Holſtein, 2. Roſenfeld, Hans 
Schmitt, H. Hofmann, B. Hamma, 
L. Pick, A. Bungert, Daniel de Lange, 
Joſ. Rheinberger, J. Sipergk, Alban 
Förſter, Rudolf Bäumen, Arnold Krug, 
E. Halven, Richard Hol, Fürſt von 
Montenuovo, Karl Schön, U. Stapeller, 
E. ©. Engelöberg, R. Metzdorff, O. 
Köhler, Wilhelm Kienzl, Eugen d’ Als 
bet. Don allen diefen Gomponiften 
find mir in Stich veröffentlichte Ver— 
tonumgen einzelner Lieder aus „Sinnen 
und Minnen“ befannt geworden. 

Am fleißigſten haben fich mit meiner 
Lyrik zwei eigenartige, abjeit3 der 
großen Heerftrage ihren Weg gehende 
Mufiter beihäftigt: E. D. van Bruyd 
und U. Wöll, der Componiſt des preis- 
gelrönten, allen Liedertafeln wohlbes 
fannten „Frühlingsliedes.“ Aber die 
ſehr umfangreichen Cyhklen diefer Beiden 
aus „Sinnen und Minnen“ haben 
noch nicht den Weg in die Oeffent— 
lichkeit gefunden. 

Die größte Anzahl von Vertonun— 
gen erlebte, das Heine Lied „Viel 
Träume;* ich kenne davon neunzehn. 
Je fieben find mir zu Gefichte ge= 
kommen von „Ach wühteft Du,“ „Wan— 
derlied ;“ je jechs von „An die Vögel,“ 
„O trockne diefe Thräne nicht,“ „Laß 
die Roſe ſchlummern,“ „Lebewohl;“ 
fünf von „Wirf in mein Herz den 
Anker;“ je vier von „Troſt,“ „Wald— 


zu haben ſcheinen, daß fich viel Sang- aſhl,“ „Meine Lilie.“ 


bares in „Sinnen und Minnen“ finde. 


Wer findet, daß ich zu viel Gutes 


Anderer Meinung waren, außer den von mir erzähle, der tröfte ſich; es 
joeben Genannten, die Herren C. Rein- kommt ſchon auch wieder ſchlimmer. 


thaler, W. Nifchbieter, W. Floderer, 


(Fortjegung folgt.) 





Iakob der Pebte. 


Eine Waldbauerngefhichte aus unferen Tagen von P. R. Kofegger. 


(Fortjegung.) 


Der Saifer kommt. 


B ei der nächſten Soldatenftellung 
PB war nur Einer vorgerufen aus 


et t, 





Altenmoos. Es hieß zwar, der hätte 
die Befreiung, weil er der einzige Sohn 
jei. In der That aber machte man 
geltend, daß fein Vater noch rüftig 
wäre, um die Wirtichaft zu führen und 
daß nöthigenfalls auch noch ein Schwie— 
gerfohn zu Handen fei, um fir die 
alternden Leute zu forgen. Friedrich 
Steinrenter, einundzwanzig Jahre alt, 
gejund, ſchlank, ohne Leibſchäden, aber 
eiwas zart gebaut. Tauglich! 


Der Friedel that einen Juchſchrei. thut, fie geht zum Kaiſer. 


verſetzen. Er hatte fie darauf vorbe— 
reitet und gefagt, das Soldatenleben 
dauere jegt im Verhältnis zur früheren 
Einrichtung mur wenige Jahre. Und 
der Urlaub, wenn Friedenszeit ift. Er 
fieht die Welt, erfährt was und kommt 
wieder heim! — Nun, als die. Gewiß- 
beit da: er ift geblieben! war die 
Maria gar nicht jonderlich erfchroden. 
Sie hats erwartet. Einen ſolchen Bur- 
chen, wie den Friedel, lafjen fie frei— 
willig nicht fahren, obwohl Steiner auf 
der ganzen Welt weniger zum Nieders 
geichoflenwerden geeignet ift, als der 
Friedel. Aber fie weiß auch, was jie 
Sie wird 


Für Kaiſer und Vaterland! Aber feine | Glück haben, das weiß fie gewiß. Ya, 
Augen ftanden voll Waller. Für Kaifer | das Glück kommt ihr ſchon entgegen. 
und Vaterland! Er verftand die Worte | In Sandeben reden ſchon Alle davon 


und verftand fie nicht; fie haben einen 
jo ſchönen Klang, einen gewaltig auf: 
rüttelnden Schall, wie Fanfarenftof, 


wie Kanonenkrachen. Yür Kaifer und | 


Vaterland! 


Als die Nachricht auf, den Neuthof | 


fan — der Friedel brachte fie felber 
— er ei geblieben, erftand im Haus 
ein tiefes Trauern. Das war der Letzte 
von den Sindern, der Liebling, die 
Freude, die Hoffnung. 

„Es muß wohl fo fein,“ jagte 
der Jakob und feine Stimme wollte 
ihm verfagen, feine Hand zitterte, die 
er dem Burfchen auf die Achjel legte, 
„es muß wohl fo fein. Du bift mein 
Alles, Kind. Für's Heimatland. Es 
iſt Schon recht. Es iſt Schon recht.“ 

Das Eine hatte der Jakob immer 
gefürchtet, der Berluft des Sohnes 
wirde feinem Weibe den Todesſtoß 


‚und ihr hats der Gemeindevorftand ges 
‚Sagt: der Kaiſer fährt in nächſter Zeit 
draußen in der Krebsau, wo die Lande 
ftraße ift, vorüber. Der hohe Herr be— 
ſucht des Land, um deijen Zuftände 
zu prüfen und auch diefen Theil feines 
‚großen Volles wieder einmal zu fehen. 
| Verdienfte wird er belohnen. Wo es 
Noth und Elend gibt, wird er lindern, 
Thränen wird er trodnen, wo es in 
feiner Macht fteht. Er ift ein guter 
Herr, fein Bolt jubelt ihm entgegen. 

Mie von Flügeln getragen, fo eilt 
die Maria über Berg und Thal und 
trifft Vorbereitungen. Der Schulmeifter 
zu Sandeben ſetzt ihr die Bittjchrift 
auf; diefe darf nur wenige Zeilen 
haben, fie weiß nicht, wie fie es an— 
gehen foll, ihr ganzes liebreiches, kuni— 
mervolles, hoffendes Herz hinein zu 
"bringen. Sie wollte den Kaiſer jagen, 








5 
Se 


513 


daß ihr ältelter Sohn auf eine noch 
unanfgellärte Weife ums Leben ges 
kommen fei, und wie das noch immer 
und immer im ihrem Herzen grabe. 
Sie the ihres armen Mannes wegen, 
dem es auch nicht viel beifer gehen 
dürfte, nur nichts desgleihen. Sie 
wollte dem Saifer Jagen, daß jie wohl 
eine brade Tochter verheiratet habe an 
den Florian Hütlenmaufer, daß es 
diefen Leuten aber felbit kümmerlich 
ergebe und fie daher für die Schwie— 
gereltern nicht viel thun fönnten, fo 
gern die Angerl auch wolle; und das 
um foweniger, al3 fie Nachkommenſchaft 
erwarte. Sie wollte dem Kaiſer er— 
zählen von ihrem Manne, wie liebreich 
und geduldig er jei, wie er arbeite und 
Hügle, wie er an dem Haufe feiner 
Vorfahren hänge und mur das Eine 
ertrachte, es auf feine Kinder zu über» 
bringen. Wie der Jakob aber jchon zu 


altern beginne, nicht mehr jo kräftig 
wäre beim Pflug, wie ehemals, wo ihm | 


ein Tag mit fechzehn Arbeitsftunden 
zu fur; gewefen fei, um nur ja recht 
viel für den Reuthof Haufen und 
Ihaffen zu können. 

Das Alles und noch viel mehr 
wollte die gute Maria auf dem Papier 
haben, aber der Schullehrer jagte ihr: 
„Das geht nicht. Der Kaifer hat ſechs— 
unddreißig Millionen Kinder und foll 
auf jedes hören, da kann er fich bei 
einem nicht Tange aufhalten.“ Der 
einzige Sohn, das Altern der Eltern 
und die Kümmerlichkeit der Wirtjchaft 
kaum furz gedrängt auf das Blatt, und 
die Bitte um Befreiung. Ja nicht 
einmal, daß fie auf den Knieen mit 
aufgehobenen Händen bitte und dem 
Staifer für Frau und Kind alles er- 
denkliche Glück erflehe von der Mutter— 
gottes zum Kalten Brunn, nicht ein— 
mal das wollte der Mann aufjchreiben. 
„Nur kurz und bündig die Thatjache,“ 
fagte er immer, „alles Weitere ift eher 
von Schaden, al& von Nuben.” 

So ward endlih die Bittfchrift 
forgfältig zufammengerollt und mit 
einem grünen Bande gebunden. Grün 


bedeutet Hoffnung. Schuldig fei fie 
nichts dafür, bedeutete der Schullehrer 
auf ihre Frage, doch wenn die Schrift 
was ausrichte, ſo könne fie ihm eine 
mal ein Körblein Waldfirfchen bringen 
aus Altenmoos. 

Die Maria nahın das Papier mit 

ſich und ein Prieſter kann das Sa— 
crament nicht ehrfurchtsvoller tragen, 
wenn er zum Kranken geht, als jie 
die Bittſchrift trug, leicht mit ihrer 
‚Schürze ummidelt, dab fie felbe mit 
‚der rauhen Hand nicht verſehre. 
Der Tag, an welchem der Sailer 
‚durchs Land reifen follte, fam heran. 
Schon am PVorabende brannten auf 
vielen Bergen um Sandeben und Krebs— 
au Schöne Höhenfener, wobei auch Pöl- 
ler traten und allerlei Luftbarkeit 
ftattfand. Dabei machte fich der Ober: 
förfter Ladislaus befonders wichtig; auf 
den Höhen des Kampelherrn, joweit fie 
vom Thale aus gejehen werden konnten, 
brannten nicht weniger als ſechzehn 
große Feuer; eines davon war gar 
künſtlich gemacht und ftellte, von der 
Ferne gefehen, einen glühenden Kaiſer— 
| adler dar. Bei demjelben gab es noch 
ſpät in der Nacht Hoch ins Firmament 
hinauffahrende Feuerkugeln und Muſik. 
Wenn der Kampelherr einen Orden 
friegt, Jo wirds auch des Oberförfters 
Schade nicht fein, fo viel ift ihm ſchon 
angedeutet worden. 

Im entlegenen Altenmoos brannte 
fein Feuer, Hingegen verjammelte der 
Jakob feine Leute an der Kapelle des 
heiligen Jalobus — wie das nur zu 
befonders feierlichen Gelegenheiten ge= 
Shah — und ſprach ein Gebet für das 
Kaiſerhaus. Der Friedel betete mit 
heller Stimme, Kaiſers Sache war jeßt 
ja auch feine Sache und der junge 
„SKaiferjäger” fühlte fich ordentlich geehrt 
in den Ehren, die dem Landesfürften 
dargebracht wurden. Was die Mutter 
vor hatte, darauf legte er fein Gewicht. 
„Ich glaub’ Dir wohl,“ jagte ihm 
fein Vater, „Jo lang Einer noch da— 
heim ift beim warmen Ofen, ift das 
Soldat fein ein guter Spaß.“ 








374 


Am nächlten Morgen war in Sands | 
eben Zapfenftreich der Dorfmuſikanten. 
Auf dem Kirchthurme und den Dach— 
giebeln einiger Häufer wehten Yahnen. 
Der Knatſchel wollte auch mitthun und 
fein Haus mit weißen Blachen und 
rothen Bettdeden beflaggen, bi man 
ihm beibrachte, daß ſolche Farben fich 


Sp gieng fie nach Krebsau. Die 
Straße dahin war belebt von Wagen 
und Fußgehern, die alle in die Krebsau 
wollten. Dort gabs Leute, wie an 
einem Jahrmarkt und die Hausdächer 
ſah man vor lauter Fahnen nicht. 
Etlihe Herren ftrihen um in kohl— 
ſchwarzen Nöden, die Hinten zugejpißt 


für das Saiferfeft nicht gut ſchickten. waren, und hatten buttenförmige Schwarz. 
Schwarz und gelb feien des Kaifers | glänzende Hüte auf. Auch der Guld— 
Lieblingsfarben. Als die Sonne aufs |eifner aus Altenmoos war fo, aber die 


gieng, war feierlicher Gottesdienft mit 
Kaiferlied und Tedeum. Die Holzleute 
der Kampelherrenwälder waren ausge— 
rüdt in ihrer Gebirgstracht und mad: 
ten zwei Reihen in der Kirche vom 
Eingangsthor bis zum Altare bin, fo 
daß die Maria, die jelbftverftändlic 
Ihon da war, ihre Bittfchrift in der 
Hand, vor Erwartung kaum  ftehen 
fonnte, weil jie der Meinung war, der 
Kaiſer müfje jeden Nugenblid herein 
treten und mit feiner goldenen Krone 
auf dem Haupt zwifchen den Reihen 
zum Altar jchreiten. Sie ftellte jich 
vor, wie der für gewöhnliche Menfchen 
unfichtbare Gott von Altar fteigen, dem 
Kaifer entgegengehen und ihn brüderlich 
begrüßen werde. „Und dah ich nicht | 
vergefje, Bruder,“ werde Gott jagen 
und dabei den hohen Herrn immer an 
der Hand Halten, „eine arıne Bäuerin 
ift da, die Reuthoferin aus dem Alten— 
moos, jie will Dir eine Bittfchrift über- 
geben, daß Du ihren einzigen Sohn 
vom Soldatenleben befreien möchteft. 
Sie Hat ſchon fo viel gebetet deswegen 
und ich möcht’ ein gutes Wort bei Dir 
einlegen. Geh, laß’ ihr den Buben.“ 

Nber der Kaiſer kam micht in die 
Kirche zu Sandeben. Es hieß, daß 
er um eilf Uhr vormittags draußen an 
Krebsau vorüberfahren würde. Auf— 
halten wollte er fih im der Gegend 
nicht. Der Maria wurde gerathen, fie 
folle fich beim Müllerkreuz, wo hinter 
Krebsau die Straße bergwärts gebe, 
aufftellen, dort müfje der Wagen lang 
ſam fahren und dort follte fie ihm die | 
Bittfichrift zum MWagenfenfter hinein 
werfen. 














Maria erfannte ihn auf den eriten 
Blid und mußte lachen, jo bange ihr 
auch um's Herz war. 

In Krebsau hielt fie fich weiter 
nicht auf. Eine Bekannte hatte ge— 
rathen, beim Fleiſchhauer einen Löffel 
warmer Suppe zu ſich zu nehmen, da 
fie von Altenmoos ber gewiß nod 
nüchtern fei. Die Maria aber wagte 
nicht, fich von der Straße zu entfernen, 
fie fürchtete dadurch den Kaiferwagen 
zu verfehlen und gieng hinaus zum 
Müllerkreuz. An der fteilften Stelle, wo 
die Straße bergwärts geht und das 
Votivkreuz fteht zum Andenken, daß 
dort dor Jahren der Müller unter die 
MWagenräder gerathen, wählte fie ihren 
Platz. Sie berechnete, wie ſie auf den 
Stein ftehen und das Papier in den 
Wagen werfen werde, aber ja nicht fo 
ungeihidt, daß es neben ab, oder gar 
ihm ins Geficht fliegen könnte. 

Sie wartete eine Stunde und län— 
ger. Gerade ſah fie hinab auf die 
Gafjen von Krebsau, und wie dort die 
Aufregung immer wuchs. Mehrmals 
fuhr ein Wagen durch, der die Men 
Ihenmenge in ein großes Hin= und 
Herwogen brachte, aber es war alles 
mal nicht der rechte. Ein den Berg 
beranfahrender Wagen war jo vor= 
nehm, daß die Maria ihre Schrift ſchon 
wollte hineinmwerfen. Noch rechtzeitig 
fah fie, daß zwei alte Frauen drin 
ſaßen. Jetzt betrachtete die Maria 
einmal ihr Papier. Sie erjchraf, wie 
die Rolle Schon arg zerfnittert war, 
an ein paar Stellen ſah man jogar 
die Spuren der Finger. Was er jid 
denken müſſe? An Ordnung und 


Sauberkeit muß fie nicht die erſte fein, 
die Reuthoferin zu Altenmoos . . . 
Aber mein Gott, eine Bauernhand ift 
das Feltangreifen gewohnt, und das 
leidet fo ein feiner Bogen nicht. 
Menn der Saifer nicht machlichtiger 
wäre, wie andere Leute, nachher wäre 
freilich wenig Hoffnung. 

Plötzlich huben auf dem Krebsauer 
Kirchthurm alle Glocken an zu läuten 
und Pöller krachten, daß es weitum 
an den Berghängen wiederhallte. Gleich— 
zeitig ſah die Maria auf der Straße 
eine lange Reihe von Wagen, die jept 
Schon durch den hohen Reiligbogen her— 
einfuhren. Einige derjelben waren ge= 
Ichloffen, andere offen. In einen offe- 
nen, dem zwei Schimmel vorgeſpannt 
waren, ſaß ein blauer Mann mit einen 
grünen, wallenden Federbuſch; er fuhr 
fortwährend mit der Hand an das 
Haupt, als die Menjchenmenge nun 
anhob, die Hüte zu ſchwenken, fchred= 
bar zu lärmen und „hoch“ zu rufen. 
Der it es. Der Maria wollen die 
Knie einbrechen vor Angft. 

Der Wagenzug bewegt ſich ſchon 
über die Brüde und beginnt den Berg 
beranzufleigen. Die Menfchenmenge — 
wie Hochflut, der die Schleußen ge— 
öffnet find — kommt in Fluß, wogt 


hinter und neben dem Zuge her, die 


Gelentigften gewinnen Vorſprung und 
ftellen jih deu Berg heran neben der 


575 


‚Neiter und ſchwingt die Waffe. Die 
Maria taumelt in den Hintergrund. 
| ALS fie zu Fich kommt, ift der Kaiſer— 
‚zug vorüber. Zuſammengeknittert unter 
ihren krampfigen Fingern hat fie noch 
‚die Bittjchrift. 

| 


Mein Altenmoos, behüt' Did 
Gott! 


Das war anı Abende desfelben Ta— 
ges. Die Leute waren heimgekehrt von 
‚der Krebsau und konnten nicht genug 
erzählen von dem lieben Herrin, und 
wie freundlich er gegrüßt habe. „Juſt 
auf mich her hat er gegrüßt,“ wollte 
Jedes willen, „und juft mich Hat er 
angeſchaut und ich Hab’ ſchon geglaubt, 
er will mich anſprechen.“ 

Der Schulmeifter zu Altenmoos 
fand an der Hausthür umd redete 
‚einen Holzfneht au, der mit der 
Bergkraxe des Weges kam, ob er noch 
heute nach Altenmoos gehe? 

„Hreilih wohl,“ antwortete der 
Mann, „morgen heißts frühzeitig an— 
'paden im Zwieſelwald.“ 

„Marxel,“ fagte der Schulmeifter, 
„willft fo gut fein und beim Reut— 
hofer eine Poft ausrichten ?* 

„Beim Jakob ?” verfegte der Holz— 
| necht, „ist Schon recht, geh’ eh vorbei.“ 








Straße auf. Weiber breden Blumen) „Sei fo gut, ſag ihm's, fein Weib 
ab, um fie in den Wagen zu werfen; liegt bei mir.“ Der Marrel lachte 
Etliche ſammeln Erdbeerſträußchen, Pflichtſchuldig, weil er glaubte, der 
fteflen fi damit auf die Straße, um Schulmeifter habe zu Ehren des Lan— 
fie dem Kaiſer zu überreichen. Die, desfürften ein Gläschen über Durft ges 
Maria fteht wie angewachſen auf ihrem | trunfen und mache feine Späße. 
Stein am Sreuze, die Papierrofle in‘ „ya im Ernſt,“ fagte diefer, „Tie 
der Schon gehobenen Hand, thut fie im liegt im meinem Haufe und ift ſchwer 
Herzen ein Gebet. Jetzt find plößlich | frant. Er foll herauskommen und ob 
Neiter da, die auf ihren hohen Roffen | er fie heimführen will? Ich meine aber 
mit blankem Säbel die Leute zurück⸗ — unter uns geſagt — es wird ſich 
drängen: „Zurück! Zurück!“ Gerade nicht auszahlen, daß er fie ins Alten— 
gegen den Stein hin trappen die Roſſe, moos führt, wo fie doch über kurz 
martialifch ſchnaubend, als wollten fie| wieder Herausgetragen wird. Der Schlag 
Alles unter ihren Hufen zermalen.|foll fie getroffen haben, jagt der Arzt. 
„Zurück!“ Ein finnbetäubendes Lär- Bring’ ihm's kleinweiſ' bei, daß ‘er 
men braust heran, „Zurück!“ ruft der, micht zuſehr erfchridt.* 


„Das laßt nur mich machen. Gute 
Nacht.“ Eilig flieg der Holzknecht 
anwärts. 

Es gibt Leute, die auf der Welt 
fein größeres Vergnügen kennen, als 
Jemand mit einer Nenigleit zu über— 
raſchen. Bon diefer Gattung war der 
Marrel. Er ftieg was er fteigen konnte, 
aber es war ſchon finftere Nacht, als 
er zum Neuthofe kam. Wie er die 
fnarrende Thorfchrante aufinachte, rief 
ihm vom Haufe ber der Jakob ent-— 
gegen: „Bift es, Maria? Lang’ bift 
aus, aber mit guter Botjchaft kommſt, 
gelt ?* | 

„Reuthofer,“ schrie ihm jeßt der, 
Holzknecht zu, „Ich bin der Holzer 
Morrel und Dein Weib Tommt Heut’ | 
nicht mehr. Sollft fie holen geben, | 
wenn Du fie haben willft, beim Schuls | 
meifter in Sandeben liegt fie. Wird 
fih aber nicht mehr auszahlen, daß, 
Dur fie ins Altenmoos fchleppeft, meint | 
der Schulmeifter, mühteft fie ch gleich 
wieder hiuaustragen. Der Schlag hat 
fie getroffen.“ 

„Was fchwaßeft denn daher, ver— 





976 


mal wie im Einfchlummern, als könne 
jie fih vor der Müdigkeit nicht er— 
wehren, und ſchlafen konnte fie doch 
nicht. 

„Es ift fo,“ ſagte fie halbleife, 
„gut lieg’ ich. — Wenn man jo nach— 
dentt — es geht Halt doch Alles — 
anders aus, auf der Welt — als man 
fihs denkt, in vorhinein. — Einen 
Schluck Waſſer, meinft? — Wohl, 
Waſſer mag ich alleweil. — So, dank 
Dir Gott. — Setz' Dich doch nieder. 
— MNärrifch, jebt Hab’ ich gemeint, 
der Jakerl fteh’ dort bei der Thür. 
— Iſt ja Schon lang geltorben — der 
Jakerl — Schon lang ift er geftorben. 
— Ein Biffel werd’ ich halt doch Fieber 
haben — weil mir jo Sadhen unters 
fommen. — Möchteſt jo gut fein, 
Jakob, das Kopftiffen ein Klein wenig 
eben rüden — ein flein wenig. So, 
ab, fo, jo! — jeßt iſts gut — fo viel 
gut. — Wenn der Menjch nur daheim 
ift — ſag ich alleweil — frank oder ge— 
fund — wenn er nur daheim ift. — 
Der Friedel — und die Anger — 
weit find jie wohl eh nit weg — gelt, 


—M 
ß 


dammter Pölli!“ rief der Jakob. Es weit wohl eh nit? — Brauch' ſie nit, 
war ein Glück, daß er es für einen jetzt — wenn ſie nur nit weit ſind. 
übermüthigen Tort nahm. Der Schreck — Ein Biſſel ſchlafen. — Am beſten 


fan noch früh genug. Den Friedel | 
wedte er auf. Dann fpannten fie zwei 
Ochſen an einen zweiräderigen Karren 
— ein beſſerer Wagen war nicht im, 
Hof — und fuhren auf fchlechten Um— 
wegen nah Sandeben. Aufathinte er, 
als fie nach ſechs Stunden mit dem 
franfen Weibe in den Neuthof fuhren. 
— Jetzt ift fie daheim. Gehts aus, 
wie Gottes Wille, jetzt ift fie daheim. 

Die Maria lag im Sclafe dahin, 
manchmal rief fie wie im Traume: 
„Det kommt er! ch will nicht zu— 
rück! Zu ihm, zu ihm! Mein Friedel !* 

Am zweiten Tage kam fie zu ich, 
erkannte Alle, erinnerte fih an den 
Kaifertag und was gefchehen war, blieb 
aber gleichgiltig, als ob fie das nichts 
mehr angienge. 

Mit ihrem Manne, der nicht dom 
Bette wich, Sprach fie noch, aber manch— 


— iſts halt doch — daheim.” 

Er gewahrte e3 kaum. Ohne einen 
weiteren Laut, ganz ſachte ſchlich fie 
fih aus diefer Welt. Als es den Jakob 
plößlich auffiel, e& gehe etwas Beſon— 
deres dor mit ihr, als er eilends Die 
Kinder rief, war's ſchon vorüber. 

Der Jakob blieb aufrecht wie ein 
Stamm, als der Friedel umd die An— 
gerl in herzzerreißenden Klagen vor 
der Leiche auf die Kniee fanten. Spä= 
ter erst gieng er hinaus in die Kapelle, 
und gleichjam, als wollte er es au 
diefer geheiligten Stelle feinen Vor— 
fahren Hagen, was über ihn gekommen, 
weinte er fich dort Stille aus. 

Am mächften Tage gieng er nad 
Sandeben, um für fein Eheweib die 
Glocken läuten und das Grab bereiten 
zu laſſen. Der Amtsbote hielt ihn auf 
der Gaffe an und fagte, wie froh er 


677 





fei, den Neuthofer zu treffen und nicht ſo fein. Es wird gewiß fo fein. Er 
ins Altenmoos zu müffen, den weiten iſt des Jakobs Sohn.“ 
Meg, er habe zwei Zuftellungen, eine Auf der Brüde am Steppenhof 
vom Steueramt, die andere vom Mi— ſetzten fie den Sarg nieder, wie es 
litär- Commando. Sitte war, wenn fie einen Zodten 
Wenn die Behörden dem Bauer | davontrugen, und ftimmten das alte 
„Zuftellungen“ fchiden, ift das ſelten Lied au: 
etwas Gutes. So oft ſich beim Bauer 
der Staat meldet, will er etwas haben. Pegel ee Be 
Gleichwohl, dachte ſich heute der Jalob, Sr; ie aa ar Ei" und Trant 
kann es diesmal anders fein und es | Auf meiner Pilgerftraßen. 
ift gar die Befreiung da für meinen | Und jei bedankt für Dad und Fad, 
Brieel —— ———— 
In der Schrift vom Militär;Com— Zu Alchen wirt en 
mando ftand, dab der Friedrich Stein 
enter binnen achtundvierzig Stunden Auch Friedel Herz Mang mit: 
fich bei feinem Regimente einzuftellen‘ „Mein Altenmoos, behiit’ Dich Gott!“ 
babe, widrigenfalld er al3 Deferteur | Nach dem Begräbniſſe, und als fie 
behandelt werden würde. beim Dorfwirt gegeflen und getrunken 
Bei einrüdenden Rekruten ift es und allfammt noch ein lautes Gebet 
befanntlich der Brauch, daß fie jauchzen. | verrichtet Hatten für die arıne Seele 
Der Friedel war diefer Sitte enthoben, | derjenigen, jo man vorhin in die Erde 
denn er verließ das Heimatshaus mit) gelegt, verabjchiedete ſich der FFriebel 
dem Leichenzuge, der hinter dem Sarg von allen feinen Belannten. Dann 
feiner Mutter gieng. Nichtsdeftoweniger | gieng er. Sein Vater, feine Schwefter 


„Mein Altenmoos, behüt' Di Gott! 


halte er am Hut einen großen Blu— 
menftrauß mit kirſchrothen, weithin= 
flatternden Bändern. Ein alter Mann, 
der auch im Zuge war und fich bei 
den Leuten ausfannte, der flüfterte 
während des lauten Gebetes feinen 
Nebenmann zu: „Wir Haben Heute 
zwei Leichen bei uns ?“ 

„Wie jo ?* 

„Die eine wird getragen und die 
andere geht zu Fuß.“ 

Mit der letzterem meinte er den 
blafjen Burfchen, der jich ziwar bemühte, 
ſtramm aufrecht zu bleiben und der 
Sonne Schuld zu geben, wenn er 
unterwegs den Hut dor die Augen 
hielt, dem aber doch anzumerken war, 
was in ihm borgieng. 

Der alte Mann fuhr im feinem 
Geflüfter fort: „Heute gehts noch, heute 
dat er zwei Wölfe in fih, da frißt 
der eine an dem andern. In vier 
Wochen jedoch, wenn auf dem Mutter- 
grab das erfte Gras wächst, wird das 
Leid um die Mutter ftill werden. Aber 
das Heimmeh! das Heimweh! Es wird 


Kofeager's „„Geimgarten‘‘, 8. Geft, XI. 





Angerl, und ihr Mann, der Florian, 
begleiteten ihn bis hinaus zu den zwei 
Ahornen, wo fih das Wiefenthal ein- 
engt und die Straße zwifchen Wald» 
bergen und meben der raufchenden 
Sandach davongeht. Sie wußten unter— 
wegs nichts mehr zu reden, es war 
Alles ſchon beſprochen und wiederholt 
beſprochen, und Einiges wiederholten 
ſie hier noch einmal. Als Vater Jakob 
an einer Stelle einen Augenblick zu— 
rüdblieb, um feine loſe gewordenen 
Schuhriemen zu binden, eilte die An— 
gerl mit dem Bruder voraus und hub 
neuerdings zu weinen an. 

„Ich Habe Dir halt,“ fchluchzte fie 
dem Friedel zu, „noch ein Anliegen, 
und dem Vater getrane ich mir’3 gar , 
nicht zu jagen. Er wird jet wohl bald 
ganz allein fein zu Altenmoos. Wir 
werden auch fortmüflen. Es wird nicht 
lange mehr möglich fein, daß wir uns 
halten. Du glaubft es gar nicht, wie 
uns der Oberförfter auflällig geworden 
it! wo er uns was anthun kann, da 
thut er's. Er verfagt uns die Stall» 


37 


578 


ftren. In den Hag Hinaus ift ein 
Zaun geflanden, daß unfer Vieh nicht 
in die Baumſchul des Kampelherrn hat 
kommen fönnen. Den Zaun Hat der | 
Oberförfter jebt weggeriffen, und ge: | 
ftern Hat er uns zwei Kühe, die in 
den Hag gegangen ſind, davongetrieben. 
Oben in der Schlucht Hat er das 
Waſſer auf eine Wieſe Ginauzgeleitet, | 
ift vecht, die Wieſe gehört nicht uns 
und braucht naß; aber das Waſſer 
rinnt jetzt auf unſerem Weg herab und 
hat ſchon Löcher geriſſen, daß man 
eine Heufuhr kunnt hineinwerfen. Du 
weißt es, Florian,“ fuhr ſie zu ihrem 
Mann gewendet fort, „wo Du Dich 
wehrſt, da wird er grob wie ein Büffel 
und verſpricht uns das Hausabtrennen. 
Wir ſtecken mitten in des Kampelherrn 
Wald, er kann uns erdrücken, wann 





haſtig drein, als ob des Sohnes Wort 
in ſeinem Weſen eine Schleuße ge— 
öffnet Hätte, „Ich muß ja Dein Bater- 
haus hüten! Und Du verfpric mir 
Eins, mein lieber Sohn: Bleib uns 
getreu. Und der Heimat, mach’ ihr 
‚feine Schand'. — Das Geld haft gut 
|eingeftedt ? Behüt' Did Gott!” 

„Auf's Wiederſehen, Vater, viel— 
leicht Schon über ein Jahr. Behüt' 
Bott!" — 

So find fie auseinandergegangen. 
Keiner hat mehr zurüdgeichaut auf den 
Andern. 

Der Jalob ftarrte auf den ſon— 
nigen Weg bin und murmelte bet 
ih: „Das ift heute ein Tag! Da 
hab’ ich gemeint, von dieſen Un— 
glüden wär’ ich ein einziges nicht im 
Stand’ zu ertragen, jet Find mir 





er will, wir haben ſchon Heut’ feinen 


Athen. Zu Altenmoos ift fein Bleiben | 


mehr.” 


„Wir wollen Dir nicht auch noch 
mit unferer Sach' hart machen,“ ſetzte 


der Florian bei. „Friedel, bis Du wies 
der heimkommſt, findeft Du uns viele 


leicht Heraußen auf der Sandeben oder 


gar in der Krebsau. Komm nur bald, 
wir wilnfchen Dir mur den lieben 
Gefund.” 

Mittlerweile war auch der Vater 


nachgelommen, und fie hatten die zwei 


Ahorne erreicht. Anflatt, daß fie dort 
ſtehen blieben, begleitete der Friedel 
feine Leute wieder eine Strede zurüd. 
Dann verabjchiedete er fih von Schwe— 
fter und Schwager; der Vater fagte, 
er gehe noch einmal mit dem Friedel 
bis zu den Ahornen. Dort angelommen 
ftanden fie eine Weile und der Burjche 
war beſchäftigt, mit feiner Schuhſpitze 
ein Steinen aus dem Radgeleife zu 
jchnellen. „Ja, alſo,“ fagte er plöglich, 
„einmal muß es fein. 
noch jagen wollte, Vater. hr jeid 
nicht mehr jo jung, laſſet es Euch 
leicht geichehen daheim. Thut Euch 
nicht gar zu arg abmühen. Für wen 
denn auch ?“ 

„Friedel!“ 


Nur was ich 


fuhr jeßt der Jakob ' 


beide aufgeladen zu gleicher Zeit und 
ich fall’ doch nicht zu Boden. Der 
Menſch kann was aushalten, wenn’s 
fein muß. Jetzt geh’ ich Heim.“ 
Setzte den Stod fefter ein und 
wanderte, gleichwohl gebeugt aber 
baftig, ſeinem ftillen Altenmoos zu. 
Der alte Luſchel-Peterl, ein paar 
Mägde und ein Hirtenjunge machten 
nun feinen Hausftand. Lauter fremde 
Leute, aber fie ließen fih mit Fleiß 
angelegen jein, dem Hausvater das 
große Kreuz nach Kräften tragen zu 
‚helfen. Sein Lieblingsgericht, Eier- 
kuchen mit Spedfalat, ftand auf dem 
Tiſch, als er heimkam, die Mägde 
fuhten Stube und Stall in denkbar 
beiten Stand zu ftellen, der alte 
Peterl Hatte die Kapelle mit Nelken 
geihmüdt. Er hatte fich vorgenommten, 
dem Yalob, wenn er vom Begräbniſſe 
und der Begleitung feines fortziehen- 
den Sohnes zurüdtäme, recht aus 
Herzensgrund die Hand zu drüden. 
Es war dem Alten tagsüber mehr» 
mals um's Weinen gewejen, aber, 
dachte er Jich, ſparſt es auf, bis der 
Baner heimkommt. Vielleicht freut es 
ihn, wenn er ſieht, daß ſein Unglück 
auch unſereinem Hart zu Herzen gebt. 
Als der Jakob nun in jpäter Abend 


| 





dämmerung ſchier gebrochen daher- Auf Diefe! 
wanfte, da brach dem alten Knaben e A 
das Schluchzen fo plöglich und heftig Eines Tages, als der Jalob a 
hervor, daß er aufgröhlte wie ein ver- der Wafferftube feiner Kornmühle ſaß, 
wundetes Thier und er eilends hinter | das ſchadhaft gewordene Rad aus⸗ 
die Kapelle fprang, weil er ſich ſchämte. zubeſſern, ſchaute ihm dabei der Pfar— 
„Peter,“ fagte der Jakob, und te von Sandeben zu, ohne daß ers 
gieng ihm nach, „was ift Dir wider- merkte. Im Rauſchen des vom Floße 
fahren 2 niederftürgenden Waſſers hatte er die 
„Die Bänerin!“ wimmerte der) SHritte des Nahenden micht gehört. 
alte Stuecht, „der Friedel!“ Er prefte Ein paar Schaufeln des Waſſerrades 
den Arm an den Lindenftann und REN loder ‚gervorden, der Jatob 
weinte in feinen Eflbogen hinein. nagelte fie mit einer ſolchen Ruhe 
„Peter,“ fjagte der Yalob und und Behaglichleit feſt, daß der Pfarrer 
feine Stimme war heiſer zum Ver: bei ſich dachte: Der fieht nicht aus, 


fterben. „Du bift jeßt gegen die acht— als ob ihm ſchlimm — 
zig Jahre alt und haft —*— En „Bott gelb Euch, Reuthofer. 
ſchon viel erfahren.” ſprach der Pfarrer, „Ihr feid halt 
„Das wohl, Bauer, das wohl,“ immer recht fleißig.“ 
antwortete der Alte und rieb fich mit| . Als der Bauer ah, wer ba Hand, 
den Arm derb das Feuchte vom Ge— richtete ” ſich auf und zog den Hut 
ſicht, „werd’ wohl ſchon an dreihun= vom Kopf. „Der dert Pfarrer!“ 
dert Geftorbene himausgeleitet haben ; fagte er „das if was Seltſames. 
hab’ auch ſchon viel Soldaten fort- Wir kriegen den Herrn Pfarrer nicht 
ziehen gefehen und viel heimtommen. gar oft zu jehen in Altenmoos.“ 
Aber jo was mag der Menfch halt „Das wäre ja eigentlich fein 
nicht gewohnt werden. Geh’ in die ſchlechtes Zeichen,“ meinte der Pfarrer 
Stuben, Bauer, geh’ was effen. Du lächelnd, „wenn ber Priefter und der 
wirft Hungerig und müde fein.“ Arzt viel in der Gegend umgehen, das 
Diefe Theilmahme der Seinen, ſind feine guten Zeitläufe.“ 
die doch nicht mehr die Seinen waren, „Es gefreut mich,“ ſagte der 
hat dem Jakob wohlgethan. Die Heiz Jalob, „ein wenig raſten!“ 
mat war’, die mit ihm empfand; Vor der Mühle war eine Bant, 
und jeder Baum und jeder Stein da |darauf ſetzten fie ſich zufanmen, der 
rings um ihn war in Trauer um) Pfarrer brannte fih eine Gigarre 
das, was diefem Haufe gefchehen. In | an und wartete auch dem Bauer eine 
der Kapelle des heiligen Jakobus kniete auf. Obwohl der Jalob fein Raucher 
der Bauer nieder und fagte halblaut war, jo lehnte er fie nicht ab, ſondern 
vor fih hin: „An neun Vorfahren paffte fie am Streihholz an, das ihm 
find angemerft dahier. Sie find alle der Pfarrer entzündet hatte. Er nebelte 
gewefen und es ift feiner mehr. Eine ſehr beftig, weil er glaubte, ſonſt 
lange Ketten vom Leiden und Sterben, | gebe das Feuer aus. Der Pfarrer 
bis zu mir herauf. Was foll ich's | blies mur don Zeit zu Zeit bedächtig 
beffer haben wollen, als fie! — In ein MWöltchen los und man hätte wohl 
Gottesnamen, morgen will ich weiter | merfen mögen, daß er mehr an etwas 
bauen auf dem Vatersgrund ... .” Anderes, denn an’s Rauchen dachte. 
Und als er wieder auf feiner‘ „Die Reuthoferleut’*, ſprach er 
Scholle waltete und der fühle Erd- nun, „ſtemmen ſich Halt alleweil noch 
geruch um ihn emporthante, ward ihm | feft in Altenmoos;“ 
leiht und er gewann neuen Muth „Das kann man juft nicht Jagen,“ 
und neue Kraft. antwortete der Jakob, „zu Theil 


37* 








tragen wir fie hinaus und zu Theil 
gehen fie auf den Füßen davon.“ 

„Geſcheiter ift’3 freilich, man geht 
auf den Füßen davon, als man wartet 
auf's Hinausgetragenwerden,“ fo der 
Pfarrer. 

Der Jakob ftarrte in die Luft 
und paffte viel Rauch von ſich. 

„Meint ihr nicht, Neuthofer ?* 

„Ich meine,” ſagte diefer, „ich 
werde wohl auf das Hinausgetragen- 
werden warten.“ 

„Jalob,“ verjegte der Pfarrer und 
legte feine Hand, die Cigarre zwijchen 
den Fingern, auf's Knie; „fo viel 
ich jehe, wächst Euch der Wald über 
den Kopf zufammen. Das ließe ich 
mir nicht gefallen. Des Menfchen 
Auge muß in den freien Simmel 
aufſchauen können. Jedes Menfchen 
Recht, ja Pflicht iſt es, ſein Daſein 
zu verbeſſern, wie er kaun. Die meiſten 
Altenmoojer haben das auch einge- 
ſehen; e8 geht ihnen nicht gut draußen 
in den Thälern, aber e3 gebt den 
meijten von ihnen beſſer, als in Alten— 
moos. Das Altenmoos wird eine 
Wildnis, wie heutzutage alle entle- 
genen Berggegenden wieder zur Wild» 
nis werben.“ 

„Und dem Herrn Pfarrer ift das 
recht?“ fragte der Jakob, „nein, das 
fann ih nicht glauben. Es ift ja 
auch ein Schaden für die Pfarre, für 
die Pfründe, für Sandeben, wenn 
Altenmoos zu Grunde geht.“ 

„Mein lieber Reuthofer,“ ſagte 
der Pfarrer, „da Habt Ihr wohl ſehr 
recht. Ya, ich ſehe noch mehr Schaden, 
als Ihr. Ich fehe den Schaden, den 
die Leute nehmen, wenn fie ihre Heim— 
ftändigfeit aufgeben und Hinausftreben 
in die weite Welt, die den Menfchen 
zum Merkzeug, zur Ware macht, ihn 
ausnüßt und dann wegmwirft. Ich ſehe 
den Schaden für die Religion, die 
nur in dem feftgefchloffenen Bauern 


thum ihren ficheren Ort hat. Aber 
wir fönnen den Zeitenlauf nicht 
ändern. Ih habe vor Fahren den 


Altenmoofer Bauern mißrathen, ihre 


Wirtſchaften zu verkaufen, habe fie 
gewarnt vor dem Fortziehen in die 
fremde Welt. Heute muß ich bei den 
MWenigen, die noch da find, das Ge- 
gentheil thun. Es ift traurig genug.“ 

„Euer Hochwürden werden willen, 
was zu thun ift,“ verjegte nun der 
Jakob, „aber ih dürfte nicht Pfarrer 
zu Sandeben fein, ih nit. Wenn 
ich ehe, daß es ſchlecht ift, wenn die 
Bergthalbewohner auswandern, fo 
würde ich reden und predigen dagegen, 
folange ich Athem Hätte in der Bruft. 
Wird denn auch fonft auf der Kanzel 
über allerlei geſprochen, was mit 
Reden doch auch nicht zu ändern ift, 
warum gibt man weich bei, wenn 
das Unerhörte gefchieht, wein die 
Welt aus Rand und Band geht und 
die Leute ihrer Heimat untreu werden. 
Wenn diefe Heften auslaffen, dann 
geht die ganze Welt aus den Fugen, 
ih ſage es Euch.“ 

„Ich möchte wünſchen, das Ihr 
Unrecht hättet, Reuthofer.“ 

„Ich auch, Herr Pfarrer.“ 

„Und ich wollte auch wünſchen, 
daß Ihr unter der Wahrheit, die Ihr 
feht, nicht zu Grunde gehen möchtet. 
Bleibt Ihr da figen, jo feit und fo 
lange al3 Ihr wollet, Ihr rettet Alten- 
moos nicht mehr. hr werdet ver— 
lafjen fein. Der Menſch gehört zu 
Menſchen, es taugt jonft nicht. Es ift 
verinefjen, die kalte Erdſcholle mehr 
zu lieben, als die Lebensgenofjen. 
Die Menſchenbruſt ift unfere Heimat, 
ſonſt haben wir feine auf dieſer Erde. 
Jakob, Iafjet diefen Boden, den Ihr 
jo jehr lieb Habet, laſſet ihn ralten. 
Laſſet Wald wachſen, lafjet dieſen 
Feldern Feiertag ſein auf ein Jahr— 
hundert. Dann werden wieder junge, 
friſche Menſchen kommen und reuten. 
— So geht der Weltlauf. Kommt 
heraus, Bauer, aus diefer aufwuchern— 
den Wildnis, wo Ihr nun ja ſchon 
allein feid, fummt mit Eueren Kindern, 
dem Florian, der Angerl.“ 

„Die bleiben auch in Altenmoos,“ 
jagte der Jalob. 


581 


„Ihr wiſſet es doch Schon, Reut- 
hofer?“ verfeßte der Pfarrer mit 
fragender Miene, „Ihr wißt es doch 
Schon, Reuthofer, daß der Hütten» 
manfer fein Gut verlauft hat? Es 
war ja nicht mehr möglich zu leben 
auf feinem led. Seit der alte Hütten 
mauſer todt, ift es noch ſchlechter. In 
der unteren Gemeinau, höre ich, fol 
fih der Florian ein Heines Giütel 
gepachtet haben.“ 

Der Jakob war aufgeftanden, 
war an der Wand der Mühle mit 
langfamen Schritten Hingegangen, 
dann umgekehrt und fragte nun den 
Pfarrer: „It das wahr, daß mein 
Schwiegerſohn verfauft hat?“ 

„Er hat mich erfucht, mein lieber 
Reuthofer, Euch die Nenigfeit zu 
bringen. Es ift ihnen bitter hart, 
aber es hat's nimmer gehalten und 
Euch mollen fie nicht im Stiche laffen 
in der Wildnis.” 

So jagte der Pfarrer, der Reut— 
hofer murmelte: „Alfo die Angerl 
geht auch. Macht nichts, fie gehört 
ohnehin micht mehr mein.“ Dann 
hatte er mit feinen Fingern die Gigarre, 
die er immer noch in der Hand hielt, 
zerqueticht, ohne dab er es felbit 
merkte. Jetzt fab er drauf Hin und 
murmelte: „Das Soll ſich einmal 
Einer in die Pfeife fteden. Mit dem 
Stängelrauchen können wir Alten— 
moofer Leute nicht umgehen.“ Und 
legte die zerquetfchte Gigarre auf 


einen Borfprung des MWandfchrottes. | 


Hernach kroch er langjam wieder in 
die Radftube zurüd und hämmerte 
an den Nadichaufeln. 

Der Pfarrer gieng kopfſchüttelnd 
feines Weges. 

So ruhig giengs nicht ab einige 


Moden jpäter, als der Florian und | 


die Anger! zum Water kamen, um Ab— 
ſchied zu nehmen. Sie hatten ſich 


Ihr mit dem Reuthof auf Niemand 


„Iſt Schon recht,“ rief er, „ift 
ſchon recht, das Ihr auch fortgeht. Es 
war mir lange ſchon verdädtig, daß 
Ihr allein die Braven Spielen und 
bei mir aushalten wolltet. Ich glaube 
Euch's ja, daß auf dem Hüttenmaufer- 
haus fein Bleiben mehr war, aber 
auf dem Neuthof hättet Ihr Platz ge— 
habt und mir Haufen helfen können 
und den Hof felber übernehmen. Mit 
mir laßt's nach, jeit mein Meib fort 
ift, ich hätt’ Euch gern unter diefem 
Dad gefehen. Aber Euch ift um's 
Davonlaufen, fo gut wie den Anderen. 
Ihr feid des freien Bodens, auf dem 
Ihr geftanden, nicht wert gewefen, ift 
gut, jetzt jeid Ihr Knecht auf fremden 
Boden.“ 

„Weil’s Halt jegt ſchon einmal fo 
ift, Vater,“ ſagte die Angerl, „und 
mehr zu warten braucht: Verkauft 
ihn. Geht mit uns.“ 

„Iſt gut gemeint,“ antwortete 
der Jakob, „mur weiß ich jeßt nicht, 
fadet Ihr mich ein, oder das Geld!“ 

„Auf das —“ verfeßte die An— 
gerl, „auf das kann ich nichts mehr 
ſagen“ und Hub zu weinen an. 

Der Jakob bemerkte: „Noch Keine 
ift fortgegangen aus Altenmoos, ohne 
daß fie geweint hätte. Geweint hat 
noch Jede, aber fortgegangen ift fie 
doch. — Nun, Angerl, ich wünſche, 
dab es das letztemal ift. Es foll Euch 
| gut gehen, ich wünſch' es Euch. Wenn 
Ihr aber einmal recht arm werden 
ſoultet und recht müde, dann kommt 
zu mir in's Altenmoos herein.” 

Nafcher, als es der ſteife Mann 
"Sonst gewohnt war, hatte er fih um— 
gewendet und ließ die beiden Aus— 


‚ wanderer Steben. 


„Bom Grab,“ ſchluchzte die An— 
gerl, „vom Grab der Mutter bin ich 


| 
Nicht jo Schwer weggegangen, als von 


vorgenommen, ihm über feinen Eigen= | diefem Haus, wo der Bater allein 
finn, in Altenmoos verlommen zu) zurüdbleibt. Und fein Haar wird weiß 
wollen, ihre Meinung ſcharf zu fagen. | und es wird Alles Wildnis.“ 

63 gieng aber umgekehrt, fie befamen | „Mas fein muß, muß fein,“ fagte 
die feine ſcharf zu hören. der Florian und zerrie fein Weib aus 


>32 


ihrem Heimatshaus und fort bis in 


die fünf Stunden entfernte Gemeinau. 
. Dort hatten fie ein Häuschen im 
Pacht, 
„Sehe ich, daß Ihr brave Leut' ſeid,“ 
hatte der Eigenthümer geſagt, „dann 
ſchließen wir auf länger ab.“ 

Als die Pächtersleute nun mit. 
ihren Habſeligleiten angerüdt famen | 
und auch zwei Ziegen bei fich hatten, 
Hatjchte der Eigenthiimer des Gütels 
mit beiden Händen an feine Ober 
ſchenkel und rief: „Scht! Fort mit 
dieſen Ungethümen! Gaißen leid’ ich | 





'feßte der Pechölbrenner bei, 
vorläufig auf ein Probejahr. |halten auf der Welt herunten aus, jo 





nur eines zueignen, die übrigen drei 
gehörten dem Naß. „Ich denke, Bauer, “ 
„Wir 


lang’ e3 geht.“ 
Da war eine alte Magd, die be— 


ſtandig im Haufe umherknurrte, ſich 


mit Niemand recht vertragen konnte, 
aber dem Jakob eine fleißige Haus— 
wirtin abgab. Wo fie dem Gefinde 
‚au Sunften der Vorrathskammer an 
Nahrung etwas abzwiden fonnte, da 
that ſie's, bis der Jakob einmal fehr 
‚Tchneibig zu ihr fagte: „Gardel! Beim 


nicht, fo lang’ wir nur auf ein Jahr | Schlechteſſen iſt noch Fein Bauer reich 
handelseins find; diefe Vieher möchten | | geworden, aber beim Gutarbeiten.“ 

mir die Wiefen und Sträuder fauber | | Gegen den Dausvater getrante ſie fich 
zunagen, daß nachher eine halbe Ewig: | nichts dreinzureden, weinte aber auf 
feit nichts mehr thät' wachfen. Eine | einen Verweis von ihm die halben 
Kuh, wenn Ihr wollt, aber Gaißen Nächte und drohte mit dem Davongehen 


nit. Oder wir find wieder ledig.“ 
So mußten fie es bald erfahren, 

daß es ein Unterfchied ift, auf eigenem 

Boden oder im Pacht zu fißen. 


oder gar mit dem Sterben. Und wenn 
fie dann dachte, wie fie daläge auf dem 


ſchmalen Brett und der Jakob hätte 
gar Niemand mehr auf der Welt, der 


ihn hege und hüte, da weinte fie noch 
mehr. Und gieng nicht davon und 


Das fremde Daheim und ein weher ſtarb nicht, fondern knurrte und fnaus 


Gruß aus der Ferne. 
Allein blieb eigentlich der Vater 


ferte und arbeitete und hatte heimlich 
Erbarmen mit dem armen Jakob. 
Da war der alte Lufchel: Beterl. 


Jalob nicht zurüd in Altenmoos, wie Der kauerte nur mehr die längfte Zeit 
die Anger! meinte. Es gab noch manche | — auch im Sommer — auf der 


Leutchen, die entweder in feinem Haufe | Ofenbant und jchlief. 


oder in den Huben und verfallenden 
Hütten des Engthales wohnten. 

Da war der alte Pechölbrenner- 
Natz. Der Hatte fich allmählich jo beim 
Jakob eingeheimt, daß weder eine, 
Rede mehr war dom Fortgehen, noch 
vom Dableiben. 


Gemeinschaft mit dem Bauer. „Unfer 


Haus,“ fagte er, „unfere Stüche. Und 
denn freilich fein Wunder, daß ihm 


wie wird’S unſerem Friedel gehen beim 
Soldatenleben ?* So rief er einmal, 
als fie in fternheller Nacht vom Felde 
heimfehrten: „Jakob, Jakob! Was 
wird's jein, wenn wir zwei einmal 
im Himmel find und unſere vier 
Meiber wieder haben 2?!“ Unſere vier 
Weiber. Der Jakob wollte ſich doch 


Er machte ftillwegs | 
in Allen, was Daus und Dof bot, 





Er ſchnitt ſich 
weder Haar noch Bart und ſein Haupt 
war wie der Kopf eines weißen Pint— 
ſchers. Wenn er wach war und die 
‚Leute um ihn xedeten, da nidte er 
fortwährend mit dem Kopfe und be= 
jahte Alles. „'s ſegi wohl, 's jegi!“ 
lallte er, oder: „Wird hiſch wahr 
fein!" oder: „Namla wohl gewiß! 
Wohl wohl!” Er jah aber faft nichts 
mehr und Hörte nichts. Ja, da iſt's 


Alles recht war. 

Da war im Reuthofe ein Junge, 
ein Waifenfnabe, den der Jakob bald 
nah dem Berlufte des Jalerls aufe 
genommen hatte. Der hatte fuchtrothes 
Haar und einen ſchifen Blid. Die 
Leute hießen ihn gern den Rothichiagl, 


583 


aber der Yalob litt das nicht. Der 
war gegen den nun hbalberwachjenen 
Burfchen bejonders gut und ſchenkte 
ihm Vertrauen. „Auf den Ferdinand 
muß man recht Acht geben,“ ſagte er 
einmal zum alten Naß, „daß er nicht 
Ichleht wird. Er hat rothes Haar und 
ſchielt.“ 

„Biſt Du auch ſo Einer, der ſolche 
Sachen glaubt?“ warf der Natz ein. 

„Freilich,“ antwortete der Jalob. 
„Leute, die ein unangenehmes Aus— 
ſehen haben, werden gern ſchlecht. 
Mußt aber das bedenken, Natz: So 
Einer ſchielt nicht, weil er etwa von 
Natur aus falſch iſt, ſondern er wird 
falſch, weil er ſchielt. Die Leute treiben 
ihn dazu. Er mag von Kind auf 
noch ſo brav ſein, ſie haben ihm kein 
Vertrauen, ſie bringen ihm alleweil 
nur Verdacht entgegen und halten ihn 
zu allem Schlechten fähig, er hat einen 
falſchen Bid. Unter rothem Haar 
und Bart ift felten gute Art. Du 
fennft ja diefe dummen Sprichwörter. 
So glaubt’3 der junge Menſch endlich 
jelber, dab er ein Gauch ift und gibt 
lich gar feine Müh, brav zu fein. Es 
Hilft ja doch nichts, er ſchielt, er muß 
falfch fein. Ich ſage das: Ye fchöner 
der Menſch ift, um fo leichter wird 
ihm das Bravfein; und die nicht ſchön 
find, denen muß man helfen dazu.“ 

Der Ferdinand war in der That 
ein ftiller, gutmüthiger und gelitteter 
Sunge. Und fo oft ſie ihn den Roth 
ſchiagl hießen, nannte ihn der Jakob 
einen braven Burſchen. 

Ta war eine junge, jivergige Dirn, 
die ſehr täppiich war und fortwährend 
lachte. Eine Tochter vom Guldeifner, 
wollten die böfen Leute willen. Die 
zwergige Dirn war fo beitellt, daß fie 
fih ihre Brot nicht verdienen konnte, 
fondern al3 Einlegerin hin- und her- 
geſchummelt wurde in Altenmoos. Alle 
Schäße hat der Guldeiiner mitgenome 
men, alle Leute hat er nachgelodt, 
aber jo etwas hat er dagelajfen. Der 
Zorn fam dem Jakob bei diefem Ge- 


danken, aber der arınen Dirn wollte 


er e3 nicht entgelten laffen. Die ge— 
ſunden Leut’ gehen fort, die Haſcherln 
bleiben halt zurüd und der Reuthof 
fieht manchmal, wenn ihrer mehrere 
Einleger und Einlegerinnen und andere 
Bettelleute in ihm zuſammenkommen, 
aus wie ein Armenhaus. 

Die zwergige Dirn war aber den 
Leuten zum Ergößen. Man foppte 
und narrte fie, machte fie zum Stich— 
blatt aller Schalkheit. Sie ſaß Jedem 
auf und fchüttelte fih dann vor Lachen. 
Wenn fie ih ausgeladht hatte, dann 
weinte fie über ihre Dummheit. Jeden 
Hagte fie ihre große Dummheit, jo 
wie Andere ihren Kopfſchmerz, ihre 
Gicht Hagen. Der Pechölbrenner-Natz 
fand fie eines Tages ſchluchzend am 
Brunnen ftehen. Der Schufter war 
im Haufe und der Hatte die zivergige 
Dirn erfucht, fie möchte ihm den Pech— 
lappen auswaſchen. Jetzt Hatte fie am 
Brunnen eine ganze Stunde gewaschen, 
ih die Hände wund gerieben, und 
der Lappen war immer noch jpröder 
und jchwärzer geworden. Nun war 
ihr eingefallen, daß fie möglicher Weiſe 
wieder die Gefoppte ei, und jo klagte 
fie es dem herbeikommenden Nab, daß 
fie halt gar fo dumm wäre, und ob 
es denn fein Mittel gebe gegen ihre 
Dummheit? 

Der Alte mochte ſich an den Spruch 
erinnern, daß Erfahrung klug mache, 
er ſagte zur zwergigen Dirn: „Ein 
Mittel thät' ich wohl wiſſen, daß Du 
geſcheit würdeſt.“ 

„Das wär' ein Glück!“ rief die 
Dirn und ſchlug ihre Hände zuſam— 
men, daß der Pechlappen quatſchte und 
ihr wie dem Natz daraus das Waſſer 
in's Geſicht ſprang. „Wird wohl gewiß 
recht hart zu haben ſein, das Mittel?“ 
fragte ſie. 

„Der gute Willen gehört dazu,“ 
belehrte er. „Paß auf. Wenn die 
Gardel wieder einmal den Ofen heizt 
und Brot badt, jo paß auf. Wenn 
fie die gebadenen Brotlaibe aus dem 
Dfen zieht, jo geh’ Her, wirf Dein 
Gewand weg und krauch' eilends in 


384 


den heißen Ofen. Die Badhig’ wird 
Dir die Dummheit auf der Stell’ 
ausziehen.“ 

Es war gefagt wie ein anderer 
Spaß und der Nat dachte nicht weiter 
d’ran. Einmal aber, nad einem Brot— 
baden hört die alte Gardel ein erbärm— 
lihes Winſeln und Jammern im Ofen 
und da drinnen wälzt fich richtig die 


denn Der fo Wichtiges zu denken, dachte 
der Jakob, daß er den Augenblid 
vergefjen hat, wie wir die Mutter be= 
graben haben. Iſt ja jelber dabei ge= 
weſen. — Daß aber dem Burfchen 
damals fein eigenes Abjcheiden von 
der Heimat beihäftigt und dab ji 
ein braver Knab' die Heimat ohne 
Mutter ſchwer vorftellen kann, daran 


zwergige Dirn über und über und hatte der Jakob nicht gedacht. 


hebt immer jänmerlicher an zu ſchreien. 
Sie kam glüdlich aus dem Fegefeuer, 
und inſoweit war fie auch wirklich 
gejcheiter geworden, in einen heißen 
Dfen kroch fie nicht mehr. 

Und ähnlicher Art waren die Haus— 
genofien des Jakob und die übrigen 
Leute in Altenmoos. E3 ftanden aber 
auch ſchlaue und verdächtige darunter, 
doch der Jakob war liebreich gegen 
Alle, faſt dankbar, daß nicht auch ſie 
in die Welt gezogen, ſondern ſittſam 
und getreu der Heimat verblieben 
waren. In der Zwieſelkeuſche hatte 
fih ein Gefindel zufammengethan von 
Strolhen und Zigeunern, die freilich 
nichts weniger als heimgefeflen fein 
fonnten. Mit diefen fand der Reut— 
bofer nicht auf gutem Fuß und mußte 
zur Nachtözeit ftets ein Knecht auf 
der Wacht fein, daß aus der Scheune 
nicht das Korn, aus dem Stalle nicht 
die Schafe, von den Feldwägen nicht 
die Eiſenbeſchläge geftohlen wurden. 
Der Bauer zahlte zwar gewiffenhaft 
feine Steuern — oder er wäre darum 
gepfändet worden — er konnte wohl 
vom Stante Schuß feines Eigenthumes 
verlangen. Der Herr Staat jedoch 
zudt die Achſeln: 's ift ein MWaldbauer, 
läßt fich nichts machen. — Dem Wald— 
bauer ift es halt einmal jo aufgejeßt! 
würde der MWegerer jagen. 

Eines Tages kam ein Schreiben 
vom Friedel. Es war etwa fieben 
Wochen nach feiner Einrüdung. Der 
Jalob wunderte ſich über die Maßen, 
wie der Brief munter war. 

„Liebe Eltern !* hatte er gefchrieben, 
das letzte Wort aber geftrihen und 
„Vater“ dafür geſetzt. — Was hat 


| 


Der Friedel jchrieb: 


„Lieber Vater! 


Sch mwünfche, daß Euch meine 
paar Zeilen in guter Gefundheit 
antreffen möchten. Ich bin Gott 
ſei Dank gefund und fehlt mir auch 
fonft nichts, wie fie Jagen, daß man 
jo Hunger leiden muß beim Militär, 
ich kann mich nicht beflagen. Das 
Ererzierenlernen ift wohl nicht leicht, 
kriegen Biele Straf’, ich bin derweil 
noch glücklich drauskommen. Sonft 
ift es wohl ganz anders, als man 
ſich's vorgeftellt Hat. Als Neuigkeit 
kann ich Euch fchreiben, daß unjer 
Treldwebel die Sandeben kennt und 
auch einmal durch das Altenmoos 
gereist if. Das ift mein befter 
Freund. Aufs Heimatl denke ich 
wohl oft und kommt's mir für, 
wenn nur dort etwas auf mich 
warten thät’. Die Berge werden 
Schon ſtehen bleiben, wenn ich nur 
das Leben glüdlich heimbring’! Auf 
meine Gefundheit jchau ich wohl 
gut und die Zeit wird doch vergehen. 
Weil ich nur nicht bei der Ehavalerie 
bin, die müfjen länger dienen, heißt's. 
Wenn wir Krieg friegen, das macht 
mir nichts, wird doppelte Dienjtzeit 
gerechnet und vor den Kugeln fürcht' 
ih mich nicht, Für mich ift feine 


’goffen. Geld Hab’ ih noch nicht 
vonnöthen. Daheim ift Alles gut 
aufgehoben. Bleibet recht gejund 


und ich laſſe alle Bekannten grüßen 
und fie follen nicht ganz auf mich 
vergeflen. Ich beſchließe mein Schrei= 
ben im Schuße Gottes und verbleibe 


585 


Euer dankſchuldiger Sohn bis in's 
kühle Grab. 
Friedrich Steinreuter, 
beim 27. Infanterie-Regiment 
König der Belgier u. ſ. w.“ 


„Munter“ nannte das der Jakob, 
weil er ein Schreiben voll bitterer 
Klage erwartet hatte. Ganz entgieng 
ihm aber der jchwermüthige Hauch 
des Heimweh's nicht, der den Brief 
durchwehte. So ſchrieb er im Anttworte 
brief dem Sohne: 


„Da ift mir was eingefallen, 
Friedel, wie Du gefchrieben halt: 
Wenn nur daheim etwas auf mich 
thät warten! Neben der Sapelle 
habe ich einen jungen Weichjelbaum 
gejeßt, der ift Dir vermeint; es 
wartet Alles auf Dih im ganzen 
Hof, aber der Weichjelbaum ift ganz 
Dein, der wächst Dir zu und ift 





noch jung und friſch, bis Du heim 
fonımft. Wenn ein junger Menſch 
um ein paar Jahre älter wird, das 
macht nichts, da wächst er erit in's 
rechte Leben hinein. Bei einem Alten 
iſt's freilich anders, aber ich ver— 
hoff's auch noch zu erleben mit 
Gottes Hilfe, dab Du das Heimats- 
haus übernimmft....* 


So tröfteten fie ſich gegenfeitig. 
Und den jungen Weichjelbaum betreute 
der Jalob, al3 wäre er ein Menſch. 
Der Mann bildete ſich ein, was er 
diefem Bäumchen zu Lieb’ the, das 
fomme dem Friedel zu gut. Und alle 
mal, wenn er in der Stapelle fein 
Abendgebet verrichtet hatte, machte er 
auch noch die paar Schritte gegen den 
Meichfelbaum Hin und jagte: „Gute 
Nacht, Friedel! Wie wird's Dir jept 
gehen in der Fremde! Gute Nacht, 
Friedel!” 


(Fortiegung folgt.) 


Emanzipierte unter ſich. 


HDumoresfe von Maz von Weikenthurn. 


L 
3. lies ; diefes Billet von Dliva 
ri Lange habe ich geſtern befom= 
men, und Du fannit Dir denken, wie 
bochgeehrt und beglüdt ich mich durch 
dasjelbe fühle.” 


Die Sprecherin war eine Heine, 
jierlihe Fran von höchftens zweiund— 
zwanzig Jahren, mit germanifchem 
Gelichtstypus, blonden Haaren, und 
blauen Angenfternen. Ihr gegenüber 
ſaß ein Mädchen von regelmäßigen 
aber etwas harten Zügen, ein Mäd- 
hen, das nicht unfchön zu nennen 
war, troßdem aber feinem Maler als 





Verfinnbildlihung echter Weiblichkeit 
hätte dienen können. 

„Laß Sehen, Elife, was jchreibt 
denn die Dliva, und wie fommft Du 
überhaupt mit ihr in Contact?“ 

Adele v. Stein griff nad dem 
Blatte, welches die Freundin ihr bot, 
während aber ihre Blide über dasjelbe 
hinglitten, lagerte ſich ein ſpöttiſcher 
Zug um den kleinen Mund, und als 
ſie die Augen emporſchlug, brauchte 
| man fein fcharfer Beobachter zu jein, 
um den Ausorud der Ironie in dene 
jelben zu entdeden. 

„Du gehft natürlich, Du fchägeft 
Dich glücklich, daß Oliva Lange Dich 








| 
! 


* 





in ihren auserleſenen Kreis ladet, in 
den Kreis, in welchen ſonſt nur jene 
Zutritt finden, die auf dem literarifchen 
Markt des Lebens eine Schuld ver— 
brochen oder jonft irgend wie für die 
Frauenbewegung eingetreten ſind.“ 

„Natürlich gehe ich, denke Dir 
nur, wie interejlant, jeder Mann aus— 
geichloffen, nichts als Frauen; Frauen, 
die anderes zu reden willen, als die 
langweilige Hauswirtichaft und Toilet— 
tenfragen im allen möglichen und uns 
möglichen Barianten zu verhandeln. 
Ich bin überzeugt, wenn Dliva Lange 
eine folche Gefellichaft zu Sich ladet, 
fo gefchieht es mit dem feſten Ent— 
ſchluß, einen Hohen Rath zuſammen 
zu berufen, der energiiche Schritte 
thun Soll für die frauenrechtliche Be— 
wegung. Es ift eine wahre Schande; 
bliden wir hinüber nah Amerika, ja 
nur nach Frankreich und nad England, 
welche Stellung nimmt die Frau dort 
ein, wie tritt fie in die Schranken für 
ihre Rechte, und was thun wir Deutjche ? 
Nichts als antheilslos zusehen, höchſtens 
unfere muthigen Schweltern aus der 
Ferne bewundernd anftaunen, ohne 
die Energie zu beſitzen, die Knechtſchaft 
von ums zu werfen, welche alle edlen 
Steime in ums zu erjliden droht.“ 

„Wer hat Dir denn diefen nicht 
ganz logiſchen Leitartifel eingelernt, 
Eliſe?“ fragte die Freundin mit jo 
unerjchütterliher Ruhe, daß die Er- 
regte, welche ſich offenbar in ihren 
Nedewendungen außerordentlich gut ges 
fallen, einigermaßen aus der Faſſung 
gerieth. 

„Wer, wer?“ fragte fie, ſich raſch 
fanımelnd, lebhaft; „glaubft Du denn 
wirklich auch, wir Frauen gehören zu 
Jenen, welche ftet3 eines Mentors 
bedürfen, der uns jeden Gedanten ein 
drillt oder mundgereht macht? Die 
Stimme der Empörung Hat aus mir 
geiprochen, ich will micht länger ge= 


„Und was jagt den Dein Mann 
dazu, wenn Du ihn mit diefen ganz 
merhvirdigen Auseinanderfegungen er— 
bauft ?* fragte Adele lächelud. 

„Mein Man. mein Mann? Du 
weißt, daß er in Gejchäften vereift 
ift, kehrt er zurüd, dann foll er finden, 
daß auch in mir jene Selbitltändigfeit 
und jene Thatkraft erwacht jind, welche 
in jeder von und ſchlummern, die aber 
durch die Tyrannei des Mannes nie— 
dergedrüdt werden. Dann foll eine neue 
Hera beginnen, dann ſoll er begreifen 
lernen, daß ich zu Beſſerem geboren 
bin, als in der Stille und Abge— 
Ichiedenheit unferer Häuslichkeit zu 
bertrauern md zu verkümmern.“ 

„Der Bräjident der Republit im 
MWeiberrode, Sollte er in Dir Sich 
verförpern? Haft Du übrigens Deinem 
Manne mitgetheilt, daß Du dieſe 
Weiberaufwieglungs-Verſammlung bei 
der Dliva mit Deiner Gegenwart be— 
ehren willft ?* 

„Wie Du nur fo aburtheilend von 
Dingen reden magft, die Du nie ges 
haut! Haft Du denn nicht einen 
Funken von Franenftolz und Frauen 
würde in Dir?” 


„Reden wir von Frauenſtolz und 
Frauenwürde, mein liebes Kind, wenn 
Du bei Dliva Lange gewejen bift. 
Wer weiß, ob Dir danı nicht die 
Einficht kommt, es jeien beide dort 
am wenigften zu finden, two die Ten— 
denzen der Frauen-Emancipation auf 
die höchſte Spike getrieben werden. 
Ih Frage aber nochmals, weil es mir 
in erfter Linie um Dein eheliches Glüd 
zu thun iſt, was fagt Dein Mann 
dazu, daß Du Did an den Reunions 
im Haufe der emancipierten Dame 
betheiligen willſt?“ 
| „Bon dieſer heute eingetroffenen 
| pofitiven Einladung weiß Karl noch 
nichts, daß ich aber aufgefordert wurde, 


tnechtet werden, ich will mich frei er= | dem Bereine „Die Emancipierte“ bei— 
heben, will tampfbereit und gleichbe= | zutreten, habe ich ihm längſt gefchrieben, 
rechtigt dem Herrn der Schöpfung und feine Antwort lautete, ex überlafje 
gegemüberftehen.“ es vollftändig meinem Gutdünfen und 


587 


Ermeſſen, das zu thun, was ich für 
angezeigt halte.“ 

„Ein ſprechender Beweis feiner 
Tyrannei,“ entgegnete Adele mit feinem 
Lächeln, das die Freundin mit unges 
duldigem Achfelzuden erwiderte. 


Weniger herzlich als ſonſt trennten 
fih die beiden Damen; ärgerte ſich 
doch Elife im Stillen, daß es ihr 
nicht gelungen, die ältere und wie lie 
ſich jelbft oftmals zugejtand, klügere 
Freundin für ihr Vorhaben zu inter- 
ejliren, fie mit in jene Geſellſchaft 
zu ziehen, die bei ihr in fo hohem 
Anſehen ftand. 


II. 


Der entſcheidende Abend nahte. 
Mit ſinniger Abſichtlichkeit Hatte Eliſe 
beſchloſſen, ein vollſtändig prunkloſes, 
puritaniſch einfaches, ſchwarzes Kleid 
anzuziehen, galt es doch in einem 
Kreiſe von Frauen zu erſcheinen, 
welche über wichtige Lebensfragen zu 
conferieren bejchloffen Hatten, die folg— 
lih über den YFlittertand der Toilette 
erhaben daftanden. Ein Hein wenig 
bange war ihr doch zu Muthe, je 
näher der entjcheidende Augenblid rüdte. 
Was dann, wenn im Wereine der 
Emancipierten, dem angehören zu dürfen 
fie ſich ftolz fühlte, der Beſchluß einer 
offenen, einmüthigen Rebellion gegen 
die Ehemänner getroffen ward, en masse 
ließ fih das ganz leicht ausführen, 
ob aber fie, die noch ein Neuling im 
Amte war, den Muth beiten wirde, 
in Allem und Jeden ihrem Manne 
DOppofition zu machen, ob diefe ftete 
Oppoſition fie auf die Dauer beglüden 
fönne, das waren Fragen, welche im 
tiefinnerften Herzensgrunde Eliſens 
doch einigermaßen zu beunruhigen an— 
fiengen. Uber es mußte fein, fie wollte 
Kraft und Muth ſchöpfen an ihren 
Vorbildern, denen fie heute Abend zum 
erften Male gegenüber treten würde. 
Als fie ſchon angelleidet bereit ftand, 
als der Diener bereit3 den Wagen 


gemeldet halte, brachte man ihr ein 
Telegramm, in welchen ihr Gatte ihr 
feine Ankunft ſchon für den heutigen 
Abend in Ausficht ftellte. Es war dies 
um mehrere Tage früher, als fie ihn 
erwartet, und e& durchzuckte fie ſchmerz— 
ih das Bewußtfein, daß fie nicht 
heute, wie bei früheren kürzeren Tren— 
nungen zu Haufe fein könne, um ihn 
zu umarmen. aber fie fühlte inftinctiv, 
daß es ihre Pflicht fei, ihr perjönliches 
Empfinden hier gänzlih der Sade 
unterzuordnen, die zu bertreten fie 
ih von nun an berufen fühlte. 

Raſch entichloflen trat fie daher 
an den Schreibtiih ihres Mannes 
und warf einige Zeilen auf ein Blatt 
Bapier. 

„Lieber Karl! Ich bedaure, Dich 


nicht erwarten zu fönnen, da aber 


bei Frau Dliva Lange Heute eine 
wichtige Sitzung flattfindet, zu welcher 
ih zugezogen wurde, wirft Du be— 
greifen, dab ich dem Gemeinwohle jede 
perfönlihe Empfindung hintanſetzen 
mußte. Eliſe.“ 

Jetzt, wo diefe Zeilen gefchrieben 
waren, dünkten fie ihre ſeltſam, ſagte 
fie ſich, daß ſie im grellen Contraſte 
ſtünden zu den liebevollen, herzlichen 
Briefen früherer Tage; aber damals, 
damals war ſie eben noch ein Kind 
geweſen, das ſich ihrer Rechte, ihrer 
Stellung nicht bewußt, dem jede höhere 
Einſicht gefehlt. Nun mußte ſie durch 
Wort und That ihre Aufklärung be— 
kunden, und je eher ſie dies voll— 
brachte, deſto beſſer. Ohne weiter zu 
überlegen, nahm ſie Hut und Mantel 
und ließ ſich nach dem in einer ent— 
legenen Vorſtadt ſituierten Haufe Frau 
Oliva Langes fahren. Sieben Uhr 
war die für die Sitzung anberaumte 
Stunde gewefen, und mit dem Glocken— 
Ichlage fieben zog auch Frau Elije die 
Hausſchelle. 

Ein reichgallonierter Diener öffnete 
ihr, maß die fremde Erjcheimung, 
welche in der glänzenden Umgebung 
des blumengezierten Treppenhaufes fo 
ultraseinfach erfchien, mit etwas be= 


588 





fremdeten Bliden und fragte mach ſei mir mit dieſem Kriege nicht immer 
ihren Begehr. Ihr ganzes Selbftbes | unerbittliher Ernſt.“ 


wußtfein zufammenraffend, entgegnete 


„Diefes Doppelfpiel ift Etwas, 


Elise, fie fei eine der zur Sigung der!das ich an Ihnen, ſchöne Frau, nicht 


Emancipierten befchiedenen Damen und 


wurde auf diefe Worte hin vom dem Ifenden mit leifen Tadel. 


Diener mit dem Benerfen, daß die 
Damen meift erſt zwiichen acht und 
neum zu kommen pflegen, in einen 
dunklen Salon geführt, in welchem 
der Mann fich beeilte, mehrere Gas— 
flammen anzuzünden. Als fich die 
junge Fran allein ſah, legte fie Hut 
und Mantel ab, blidte ih in dem 
nicht beſonders wohnlihen Raume 
um, in dem nicht einmal ein erwär— 
mendes Feuer brannte, 
ſich mit einiger Verftimmung, daß die 
Pünktlichkeit offenbar feines der Attri— 
bute wahrer Emancipation zu fein 
jcheine. Nachdem fie eine Weile finnend 
am Yenfter geftanden, hörte fie im 
angrenzenden Raume lebhaftes Sprechen 
und Laden, vernahm fie ganz deutlich 
Männerſtimmen. Vorſichtig trat fie an 
die Portière heran, welche die Glas- 
thür verhüllte, die in das Nebengemach 
führte. Mas fi bier ihren Bliden, 
ihren Obren bot, ließ fie angewurzelt 
wie eine Bildſäule ftehen bleiben. 
Dliva Lange ruhte in einer pracht- 
vollen, von Blumen durchwirkten weißen 
Attlasrobe auf einer Chaise longue. 
An Dals und Armen funfelten Edel- 


und ſagte | einmal 


|begreife,“ entgegnete einer der Aires 


„Warum 
geben Sie ſich dazu her, ſich auf die 
Männerhafferin zu fpielen, anjcheinend 
der Fahne der Frauen-Emancipation 
zuzuſchwören, Sie, die doch alle Eigen 
Ichaften befigen, einen Mann glüdlic 
zu machen?“ 

„Ich bin in der Regel nicht ges 
wohnt, Rechenſchaft abzulegen über 
mein Thun und Laſſen; im vertrauten 
Freundeskreiſe mag aber immerhin 
ein freies Wort geſprochen 
werden. Mir macht es ungeheuren 
Spaß, zu jehen, wie geringer Anregung 
von Außen es bedarf, eine jonft ganz 
gejcheite Frau zu montieren, und fie 
immer mehr und mehr in verichrobene 
Ideen hinein zu drängen. Wenn ein— 
zelne Schmwärmer, wenn erbitterte, 
wenn unglückliche Frauen zu Vertre— 
terinnen der Frauen » Emancipation 
werden, jo will ich das noch gelten 
lafjen; daß es aber auch folche gibt, 
welche einem glüdlichen Heim entjagen, 
welche dasjelbe geringer anjchlagen, 
als ihre vermeintlichen Rechte, als die 
Frauenbewegung, d. i. ein Ding, was 
mir ftets unfaßlich gewejen! Und ich 
denfe, für ſolche Heldinnen der Frauen— 


feine, das Haar war auf modernfte | Emancipation wäre der mitteralterliche 


Weiſe frifiert, zwifchen den roſigen 
Lippen dampfte eine Cigarette. Im 
zwanglofem Geſpräche um die jchöne 
dran herum ftanden mehrere ältere 
und jüngere Herren, man plauderte 
in fröhlichem Zone, bis endlich die 


Sceiterhaufen noch 
gut!“ 

„Und ich wiederhole nochmals — 
bei ſolchen Anfichten ift Ihr Haus 
doh der Sammelplag der Emanci— 
pierten, ziehen Sie Rednerinnen groß, 


immer viel zu 


Hausfrau fich widerftrebend aufrichtete | welche ihr höchftes Streben darin jehen, 


und Sprach: 

„Nun, meine Herren, muß ich 
Euch alle bitten, Euch zu entfernen; 
Ihr wißt, jeden Freitag Habe ich Sitzung 
des Vereines der „Emancipierten“ hier 
im Haufe, da wird Euh Männern 


der Krieg zugejchtworen bis an's Meſſer 


und das könnte ich gerade brauchen, 


einer Lonife Michel nach zu gerathen! 
Wozu diefes Doppeljpiel, warum nicht 
lieber Ihrer ifolierten Stellung ent- 
jagen, den Männerfeindinnen Walet 
jagen und irgend Einem Ihrer Wür— 


digen die Hand reichen zum Ehebunde ?” 


„Weil ih jo lange wenigftens 
jcheinbar an der Fahne der Emanci— 


dab meine VBereinsdamen ahnten, es | pierten felthalten will, bi$ es mir ge— 


589 


lungen dem Mannezu begegnen, welchen | fagen Sie denn zur dem neueſten Scans 
ich wahrhaft lieben fanı. Daß meine dal mit’ der Schönen Bolsti? — Sie 


erite Ehe eine Gonvenienzheirat war, 
in die ich durch Familienverhältnifje 
gezwungen ward, wißt Ihr Alle, wozu 
ein Hehl daraus mahen? — Da 
die dur unbefriedigte Häuslichkeit 
entftandene Leere mich der Emanci— 
pationsftrömung unferer Tage in die 
Arme getrieben — auch das ftelle ich 
nicht in Abrede — nun aber warte 
ih bis der Märchenpring kommt und 
mich befrrit, mit anderen Worten, bis 
ich den gefunden, dem ich aus Liebe 
zu eigen fein mag. Hält der erſt bei 
mir feinen Einzug, danı mag ſich der 
Club der Emancipierten anderwärts 
Sikungsfaal und Präfidium ſuchen — 
num aber Adieu, meine Herren — es 
ift die höchſte Zeit dak Ihr geht und 
ih mich in den Mummenſchanz Hülle, 
der mein koftbares Kleid ſtets verbirgt, 
wenn ich am Präfidententijch meinen 
Pla einnehme!“ 

Man küßte der ſchönen Frau die 
Hand, dann entfernten fich die Herren 
und gleih darauf verſchwand auch 
Frau Dliva durch eine entgegengejegte 
Thüre. Elife aber ftand noch immer 
regungslos; das, was fie vernommen, 
hatte fie geradezu erfchüttert. Wenn 
fo die Präfidentin dachte, welche doch 
als die Seele des Vereines angejehen 
werden Sollte, was ließ ſich da bon 
den Anderen erwarten ? Sie ſollte nicht 
lange im Zweifel darüber bleiben. Die 
Uhr im Beftibule ſchlug acht; Schritte 
nahten und glei darauf hörte man 
die Thür gehen, zwei Damen in 
ſchillernden Seidenroben mit langen 
Schleppen und kunſtvoller Goiffure 
traten, in lebhaften Geſpräch begriffen, 
ein; fie achteten im erften Augenblid 
der unfcheinbaren Frauengeſtalt nicht, 
welche jo jchen und ängftlich in der 
Ede ftand und mit fo großen ver— 
wunderten Augen m fich blidte. 

„Berade recht, liebe Wilfenburg, 


dab ih Sie allein treffe, ehe die Anz | 
deren kommen,“ ließ fich die größere 


der beiden Damen vernehmen. „Was 








wilfen doch — “ 

„Nichts weiß ich, befte Baronin, 
erzählen Sie doch, das intereffiert mich 
auf das Lebhafteite, Freilich gemunfelt 
hat man längft allerlei, aber — “ 

„Nun, laffen Sie ſich's nur raſch 
erzählen, durchgebrannt ift fie, ein» 
fach durdhgebrannt; freilich, daß der 
Mann Halb blöde gewefen, wer hätte 
es nicht gewußt, aber, die Schulden 
de3 Herrn Bapa! nun en fin, fie hat 
ihn genommen, aber jchon gleich nach— 
dem fie von der Hochzeitsreife zurück— 
gekehrt, ſchwebten allerhand Gerüchte 
in der Luft; man wollte von einem 
entlegenen Haufe willen in der Vor— 
ftadt, in dem die ſchöne Frau mit 
einem feſchen Hufaren-Officier regel- 
mäßige Zuſammenkünfte hielt, und 
bald brachte man in Erfahrung, dak 
Graf Lubow der Glüdliche ei. 
Nun ift fie plöglih aus dem Haufe 
ihres Gatten verfhwunden, man fpricht 
von einem Familienſchmuck, der auch 
abhanden gefommen, und Graf Lubow 
fei merfwürdiger Weife auf Urlaub; 
was jagen Sie zu der ganzen Ge— 
ſchichte?“ 

„Was ſoll ich ſagen?“ entgegnete 
die Gefragte, eine auffallend häßliche 
Dame, welche ihr halbes Jahrhundert 
wohl längſt hinter ſich haben mußte, 
„daß ſind Alles die natürlichen Folgen 
der Knechtſchaft des Weibes, darum 
plaidiere ich für die freie Liebe, für 
die Gleichſtellung der Frau mit dem 
Manne, dann kann derlei nicht vor— 
lommen, dann gibt es keine Feſſel, 
welche bindet, dann iſt die Liebe ein 
Geſchenl, welches geboten und zurück— 
gezogen werden kann, je nach momen— 
taner Aufwallung, nach individuellen 
Ermefjen; jo lange wir nicht auf 
diefem Standpuntte ftehen, können 
wir nichts Großes leiften, können wir 
von den Männern nun md nimmer 
als gleichberechtigt angefehen werden!“ 

Nun aber litt es die junge Frau 
nicht länger in ihrem Verſtecke; mit 


590 


einer haftigen Bewegung trat fie vor] lungen, wieder eine Geſinnungsſchweſter 
und in den Gefichtsfreis der beiden | unferem Bunde anzumerben, und zwar 


Andern, die, eine Fremde gewahrend, 
ihr Geſpräch nicht etwa auf ernitere, 
idealere Richtung, ſondern auf die 
Gemeinpläße von Dienftbotenklatich 
und fonftige medifante Bemerkungen 
richteten. 

Nah einer Meile trat die Dame 
des Haufes ein und begrüßte mit 
gemeſſener Würde ihre Gäſte. Wenn 
nicht der halb geiftvolle, Halb fpottende 
Blid der Augen geweſen wäre, life 
hätte nimmer in diefer Frau, die eine 
ftilgerechte griechiſche Toga trug und 
das goldblonde Haar am Hinterhaupte 
in einen Knoten gewunden hatte, die 
blendende Erjcheinung wieder erkannt, 
welche fie früher im Nebengemache 
geſehen. Ye weiter die Uhr vorrüdte, 
defto mehr drängten fich die Gäfte, 
falt lauter Frauen im glänzenden 
Salonroben; es wurde lebhaft dis— 
cutiert und in das fehrille Geſchwirre 
der Stimmen Ordnung zu bringen, 
ihien eine Siſyphusarbeit! Alle 
redeten auf einmal, Keines wollte dem 
Anderen das Vorrecht gönnen zuerit 
gehört zu werden, jo daß man endlich 
gar nichts verftand und die Präſi— 
dentenglode ungehört verllang. Unnüß 
war ed, daß einzelne Bejonnene den 
Discant mit der lauten Bitte um’s 


Wort zu übertönen ftrebten, es kam 


feine Ordnung und Symmetrie in 
dad Ganze; wo paarweile Damen 
feife zufammen redeten, befakten fie 
ſich mit irgend einer Scandalgeſchichte 


eine Frau, durch deren Beitritt wir 
einen wejentlichen Gewinn Haben — 
iſt fie doch die Gemahlin eines der 
| angefehenften Männer unferer Stadt, 
der, ich fpreche es mit Betrübnis aus, 
ftet3 einer der entichiedenften Gegner 
der frauenrechtlihen Bewegung ge— 
wejen ift — die Gemahlin des Staats= 
anwaltes Ewald von Möring!“ 


Ein „Ab“ der Befriedigung gieng 
duch die Neihen der Damen und 
man umdrängte Elife, welche von der 
Bräfidentin an der Hand gefaßt und 
in den Kreis der Frauen gezogen 
worden war, Sie bot einen jeltfamen 
Anblid, die zarte, ſchlanke, Heine Ge— 
ftalt, im dem fchlichten, ſchwarzen 
Kleide, umgeben von all’ den bunt— 
farbigen Schmetterlingen. „Ab, Sie 
Liebe, Sie Gute — mit Ihrem Bei— 
tritt ift Freilich dem Feindeslager eine 
empfindliche Breſche geichlagen, da 
find wir dem Siege ein gut Stüd 
näher!“ Sole und ähnliche Reden 
umſchwirrten Elife, der ſchon ganz 
wunderlih zu Muthe war von all 
dem Lärmen und Neben und welce 
— freilihd noch ohne ſich's fo recht 
einzugeftehen — anfieng, ſich nad) der 
Einſamkeit und Stille ihres Heims 
zu fehnen. 

„Nun aber,“ Hub laut und ver— 
nehmlich die Stimme der Präfidentin 
von neuem an, „gilt es auch den 
‚Eid zu leiften, welchen Jede von uns 
ablegen muß, ehe fie in den Bund 





oder verhandelten eine hochinterefiante "BD 
Liebesaffaire — hörbar wurden nur ab | Del Einancipierten aufgenommen wer 
und zu die fich ftets wiederholenden den fann.* Und mit einer gewiſſen 
Worte: Tyhranne des Mannes, Knecht- Feierlichkeit trat Oliva Lange an den 
ſchaft der Frau, nicht länger dulden in der Mitte des Gemaches befind- 
energifche Mafregeln ergreifen lichen Tiſch und forderte Eliſe auf, 
u. dw. Endlich — endlih — er= ſich zu ihrer Rechten zu ftellen. 
hob ſich die tiefe, fonore Stimme der „Frau Schriftführerin,“ ſprach 
Präſidentin, wußte ſich Bahn zu ſie dann zu der alten Dame gewandt, 
brechen und Gehör zu verfchaffen. welche früher in fo lebhaften Worten 
„Meine Damen!“ ſprach fie laut | für die freie Liebe plaidiert, „leſen 
und vernehmlih, „Sie werden mit Sie das übliche Formular unferer 
Vergnügen erfahren, daß es mir ges aufzunehmenden Vereinsſchweſter vor!” 


Die alfo Angeredete trat nun! 
ebenfalls zum Tiſche und nad einer 
umfangreichen Mappe greifend, im) 
welcher eine Menge Schriften aufges | 
ftapelt lagen, entnahm fie derfelben | 
ein bejchriebenes Blatt und las: „Ich 
— in diefem Falle“ — schaltete fie, 
erläuternd ein, „heißt es, ich, Elife, 
von Möring — erfläre, dab ich mit, 
heutigem Tage dem Bunde der Eman— 
cipierten beizutreten gejonnen bin — 
ih gelobe, daß die Intereſſen des 
Vereines don heute an die meinen 
jein follen — ich gelobe, daß ich jeßt 
und immer einftehen will für die, 
Wahrung, Aufrechtftellung und För— 
derung der frauenrechtlichen Bere: | 
gung, daß ich jedes perfönliche Em— 
pfinden Dintanzufeßen bereit bin, wenn 
es gilt, das Gemeinwohl zu wahren, 
dab weder Familienbande noch wie, 
immer geartete Jonftige Rüdjichten mich | 
hindern jollen, wenn es gilt, einem 
Rufe Folge zu leiften, welchen der 
Verein an mich fteilt — ich gelobe, | 
daß ich Gatten und Finder zu ver— 
lafjen bereit bin, wenn es fein muß 
— dab ich mit ganzem Können und‘ 
Wollen einftehen will, für das große, | 
hohe Ziel, welches wir im Auge haben, | 
die Befreiung des Weibes aus de— 
müthigender Knechtſchaft. Al dies 
thun zu wollen, gelobe ich mit meinem 
Eide — ich ſchwöre es bei Allen was 
mir heilig im Dimmel und auf Er— 
den !" | 

Die Stille, welche während der! 
Borlefung des ſeltſamen Schriftftüdes 
eingetreten war, wich nun abermals 
färmendem Zreiben und erft nad 
wiederholten Bemühungen gelang es 
der Präfidentin mit lautem Gloden= | 
Schall die redjeligen Zungen zum Stille 
ftand zu bringen. 

„Es gilt nun, meine Damen, den 
Eid Frau von Mörings entgegen zu 
nehmen ; treten Sie vor, Frau 
Schriftführerin und Sie, Frau Schab- 
meifterin — Sie, meine liebe, kleine 
Elife aber — muß ich bitten, mit 
lauter, vernehmliher Stimme Wort 











591 


—_ — 


‚aber Elife ſchwieg. 


für Wort von diefem Blatte die Eides— 
formel abzulefen, welche Sie foeben 
vernommen |” 

Elife von Möring griff mit et- 
was unſicheren Fingern nach dem 
Bapier, die Buchftaben tanzten vor 
ihren Augen Hin und her. War es 
das Erhabene des Momentes, war e3 
die Hiße im Saale oder der unge— 
wohnte Lärm? Merklihe Bläffe lag 
auf ihren Zügen und mit unficherer, 
leifer Stimme Hub fie zu fprechen 
an. „Lauter, lauter, Frau von Mö— 
ring,” erſcholl es ungeduldig von 
mehreren Seiten. „Für die Wahrung, 
Aufrehthaltung und Förderung der 
frauenrechtlihen Bewegung,“ erklang 


es deutlich von den Lippen der jungen 


Frau, dann aber trat eine bedenkliche 
Pauſe ein. — „Nun weiter, mein 
Kind,“ ſprach Dliva Lange, während 
ihre Augen mit fascinierender Gewalt 
ih auf die junge Frau richteten — 
„Mir ift nicht 
wohl — eine momentane Schwäche,“ 
hauchte fie entichuldigend und fuhr 
nach einigen Minuten mit ſchwacher 
Stimme zu Sprechen fort. Als fie 
aber zu dem Saße fam: „Sch gelobe, 
daß ih Gatten und Finder zu ver— 
fallen bereit bin“, da brach ihre Rede 
plößlich, noch ehe die Worte über ihre 
Lippen gelommen, mit einem jchluch- 
zenden Laut ab und todtenbleich Jan fie 
bewußtlos in die Arme der erjchroden 


herbeiſpringenden Präfidentin. 


„Die Situng ift aufgehoben, meine 
Damen !” rief diefe mit lauter Stimme, 
aus welcher ein fcharfes Ohr etwas 
wie Triumph herausgehört Haben 
würde. Dienftbefliffen machten ſich 
einige der Damen um die Bewußt— 
lofe zu Schaffen, die Mehrzahl aber 
rüftete fich zum Aufbruch. 

Zu ziemlich vorgerüdter Abend 
ftunde war es, als das elegante Coupé 
Dliva Langes dor dem Haufe hielt, in 
welchem Doctor von Möhring wohnte. 
Als der vom Bode jpringende Diener 
den Schlag geöffnet, entitieg Frau 
Elife, nicht hüpfend und fröhlich wie 


>92 


es ſonſt wohl in ihrer Art lag, ſon— 
dern langſam, als lafte ein ſchwerer 
Kummer auf ihr, dem Gefährte. 

„Nur Muth, Heine Frau,“ ſprach 
eine tröftende Stimme im Innern 
der eleganten Equipage, während eine 
feine behandjchuhte Rechte einen legten 
freundlichen Gruß winkte. „Nein, nein, 
mein Kind, ich kann Sie nicht be- 
gleiten, glauben Sie mir, derlei Heine 
Mipverftändniffe thut man am beften 
zu Zweien ab,“ entgegnete fie auf 
einige im Flüftertone gefprochene Worte 
Frau Elifens. „Der Kuß, welcher 
einem Heinen Streite folgt, foll ja 
immer am füßeften ſchmecken!“ ſprach 
die Dame leife vor ſich Hin, mit zu— 
friedenem Lächeln fich in die Kiffen des 
Magens zurüdlehnend. „Eine Geniale,“ 
ſprach die Dame leife vor fich Hin, 
„gäbe es deren nur recht viele, wir 
hätten dann mehr glüdliche Frauen, 
als es fo der Fall. — — — — 

Inzwifchen war Frau Elife lang- 
ſam und jchleppend die Stiege empor 
gegangen, welche zu ihrer Wohnung 
führte. Noch nie hatte ihr diefelbe fo 
beichwerlich gefchienen, 
noch mie Hatte fie gebangt, vor den 
Gatten treten zu follen, noch nie hatte 
fie ihm gegenüber das Gefühl der 
Schuld auf der Seele gehabt. 

Wie würde er fie aufnehmen, wie 
ihr Fortgehen aufgefaht haben? Was 
dann, wenn er ernftlich zürnte, wenn 
ihr Billet ihn verlegt und fie durch 
dasselbe in leichtlinnigem Unbedacht 
für immer das Glüd ihrer Ehe ge— 
ſtört, was dann, wenn er fie beim 
Worte genommen, wenn er fie von 
nun an wirklich ſelbſtſtändig und frei 
ihrer Wege gehen ließ, ledig der Th— 
rannei des Mannes? Thränen traten 
ihr bei dieſer Vorftellung nicht nur 
in die Augen, fie perlten auch uns 
aufhörlich über die Wangen nieder 
und haſtig z0g fie den Schleier vor 
dad Geſicht, damit das Mädchen, 
welches ihr nun, da fie vor der Thüre 
fand, fofort öffnen mußte, nicht ſehe, 
daß fie weine, 


al& eben heute, | 


„Der Herr zu Haufe?” fragte 
jie, beftrebt, ihrer Stimme einen ruhi⸗ 
gen Klang zu geben. 

„Nein, der gnädige Herr find 
gleich nah der Ankunft wieder fort> 
gegangen und Haben feinerlei Bot» 
ſchaft zurückgelaſſen.“ Bernichtet ſank 
die arme Frau auf den nächſten Stuhl, 
unbekümmert um das erſtaunt drein— 
blickende Mädchen brach ſie in einen 
unaufhörlichen Thränenſtrom aus. 
Vorbei war alſo alles Glüd, alle 
Liebe, vorbei, vorbei auf immer! Und 
wofür hatte fie e3 geopfert? Für ein 
Phantom, das ihr doch nimmer Bes 
friedigung gewähren fonnte. — Nur 
zu deutlih erfannte fie das — jeßt, 
wo es zu jpät. 

Nah einer geraumen Weile end» 
ih vaffte fie ih auf und gieng in 
das Zimmer ihres Gatten. Da lag 
noch auf dem Pulte der offene Zet— 
tel, welchen fie ihm gefchrieben, der 
ihn Hinausgetrieben Hatte aus dem 
Haufe, in dem e3 feine Gattin mehr 
gab, die Tiebevoll feiner Heimkehr 
harte. life fühlte ein intenfives 
Bedürfnis, allein zu fein und made 
dem fie von dem Mädchen noch er- 
fahren, daß der Herr binfichtlich der 
Zeit feiner Heimkehr gar nichts ge— 
fagt, hieß fie dasjelbe fich entfernen, 
um ungehindert ihrem Schmerze nach— 
hängen zu können. In diefer Stunde 
fühlte fie mit nie geahnter Deutlich« 
feit, wie aller Freiheitsdrang und alle 
Emancipationsgelüfte in nichts zurüd- 
ſanken, verglichen mit der heißen, innigen 
Liebe zu ihrem Gatten. Wie recht 
hatte die Freundin doch gehabt, fie zu 
warnen, aber ad, ſie Hatte nichts 
vernehmen wollen und nun war es 
über fie hereingebrodhen, das Verhäng- 
nis. Laut auffchluchzend verbarg fie 
das Antlig im beiden Händen — wo 
war er, ihr Karl, mach dem fie fich 
jehnte mit aller Kraft und Innigkeit, 
defien ihr thörichtes, Heines Herz fähig 
war, wer fand ihr dafür, dab er 
nicht, enttäufcht und gekränkt durch 
das Weib, welches feinen Namen 


trug, feinem Leben ein Ende gemacht, | umgeftalttet Hatte, das der Heinen 
und fie, o Gott, fie war feine Mör- Elife rieth, Hübfh Hah Haufe zu 
derin. Immer unaufhaltfamer floffen | gehen und mit dem geftrengen Ehe— 
die Thränen, immer bitterlicher ſchluchzte herrn Friede zu Schließen. „Verzeih, 
fie, bis endlich zwei Arme fie liebe= | Karl!“ bat fie nochmals reumüthig 
voll umſchlangen .und eine wohlbes | gleich einen gefcholtenen Kinde. 

fannte Stimme ihr mit nedendem „Bern. Und wenn Dir wieder 
Tone zuflüfterte: „Nun, ift die kleine Emancipationsgelüfte kommen, ſchick 
Emancipationtuftige jo vafch zur Ver- ich Dich zu Dliva Lange, eines 
nunft gelommen ?* Sie fchredte zu | Närrhen. ch geſtehe, daß der Mo— 
fanımen, fie blidte auf, ja das war ment bitter war, als ich von der 
er, ihr Karl, der frisch und lebendig | Reife heimfehrte, meine Hausfrau 
vor ihr ftand, er, den fie fchon wähnte nicht fand, aber ein luftiger Spazier- 
in den Zod getrieben zu haben! Die ‚gang durch die Falten Strafen Hat 
Reaction, der Umfchwung vom höchſten meinen momentanen Aerger abgekühlt 
Jammer zum größten Glücke war ſo — und als Zeichen meiner Thrannei 
gewaltig, daß fie nicht Worte fand ſoll Dir meine Verzeihung in Gnaden 


der Seele Luft zu machen und laut 
Ichluchzend ihrem Manne um den 
Hals fiel. „Verzeid mir, Karl!” 
flüfterte fie emdlich reumitthig, gebor— 
gen im ſicheren Schuße feiner Arme, 
und dann begann fie zu erzählen wie 
Alles gelommen, wie fie zum Bes 
wußtfein erwacht und wie ſich zu 
ihrem größten Erftaunen eine fanati« 
Ihe Vertreterin der Frauenemanci— 
pation zu einem warmherzigen Weib 


gewährt werden. Nun iſt's aber genug 
geweint, nun laſſ' ums zu den Kin— 
dern gehen.“ Sprad’3 und küßte 
Elife herzhaft auf den Mund und die 
Augen. 

Dliva Lange hatte recht, der Kuß 
nah der Berföhnung war doppelt 
ſüß, aber um alle Küſſe der Welt 
hätte Frau Elife doch feinen Mißklang 
in ihrer Ehe durch eigene Schuld mehr 
hervorrufen mögen. 


Drei Mittageflen. 


Eine Heiratsgeihichte von Karl Btaudad. 


Bel edermann Hält feinen eigenen 





Ich lebte von meinem neunzehnten 


Kopf für den Hügften, ſein bis zu meinem dreißigiten Jahr im 


eigenes Kind für das jchönfte, und) Städtchen B. als Heiner Steuerbeanter. 
feine eigene Liebes: und Heiratsge- | Ein Iuftiger Kerl, der ich war, hielt 
ſchichte für die interejlantelte. ih mit aller Welt gut Freundfchaft, 

Meine Heiratsgefchichte ift wirklich und fie mit mir. Cingemiethet hatte 
intereffant und ich würde glauben, ichlich mich in einer Hoffammer, was na= 
hätte fie au3 einem munteren Roman|türlich den ftändigen Wiß verurſachen 
gelefen, wenn nicht mein treues Ehe: mußte vom „Sammerherrn bei Hofe.“ 
weib Juliana neben mir weilte, zu dem Er war aber völlig ungerechtfertigt, 
ih unmöglich anders gekommen ſein denn ich war überall im Städtchen 
fann, als durch nachſtehende Heirats- daheim, nur nicht in meiner Wohnung. 
geſchichte. Die erſtere Zeit zwang mich mein Ka— 


Koſeggtr's „„Erimanrten‘‘, 8. Geft, XI. 38 


nari, dab ich täglich oder nächtlich 
einmal heimgieng in die Hoflammer, | 


Das wäre doch etwas viel gejagt, 
meinte Einer, und jo elaftifch dürfte 


um ihn zu füttern; Später trug ich das | jelbft die zähefte Freundſchaft nicht 


Vogelhaus der Bequemlichkeit halber | 


zum Lindenbräu, wo ich es im Ertras | 


zimmer aufhieng, und das Thierchen 
denn ordnungsgemäß jpeifen und trän— 
fen konnte. Da einmal der Bogel beim 
Lindenbräu war, und ich nicht ver— 
langen konnte, daß ihn die Kellnerin 
agen und Sich von ihm umfonft an— 
pfeifen laſſen follte, fo gieng ich täg— 
li hin, aber mur einmal, nämlich zu 
Mittag nach der Amtsftunde. Ich blieb 
— Genofjen find in DB. immer zu— 
wege — im Ertrazimmmer fißen bis 
jpät in die Nacht und legte mich dann 
der Bequemlichkeit halber unter meinem 
Vogelbauer auf die Bank Hin. Luftig 
war es immer, Poſſen gab es jeden 
Tag und an Alles dachte ich eher, als 
ans Heiraten. 


Da drehte fich eines Abends, als | 





fein, daß man dem ungeladenen Gaft, 
wanı es ihm beliebt, zu Zifche zieht. 

„Warum denn nicht ?* war meine 
drage. „Ich gehe eine Wette ein, daß 
ih in jeder Familie der Stadt B. 
jpeife, wanıı Ihr wollt! Ich gehe ins 
Haus und fie werden mich zu Zijche 
laden.“ 

„Was gilt die Wette, Du ſitzeſt 
auf! 

„Wer fie verliert,“ ſage ich. „der 
gibt den Stadtarmen eine Mahlzeit!” 

„Mader!“ 

„So werdet Ihr mir morgen um 
halb zwölf Uhr vormittags jagen, im 
welcher Familie ich zu Mittag fpeijen 
fol. Jh werde hingehen und fie wer— 
den mich zu Tiſche laden.“ 

„Angenommen.“ 

„Nur Eines bebinge ih mir. Arme 


meine Genofjen einmal recht vernünftig | Familien, denen ein Gaft Schwer fallen 
waren, das Geſpräch um das Wirts- würde, ſind ausgenommen.“ 


hausleben. Mitten im Wirtshaus er— 
dreifteten wir uns zu jagen, daß gegen 


„Selbftverftändlich.“ 
„Auf wie viele Tage wollt Ihr es 


den Trank zwar nichts einzuwenden | vorläufig verfuchen ?“ 


fei, daß aber die Speifen für die Länge 
in einem Privathaufe doch beſſer ſchmeck— 


„Auf eine Woche, fagten Einige. 
„Auf drei Tage,“ meinten Andere, 


ten, als das unabläffige Schnigel und | „Drei Tage, an welden Ihm wir 
Roaſtbeef im Gafthaufe. Das Geſpräch die Häufer feines Mittagsmahles vor— 
hatte einen philifteriöfen Beigefehmad, |vorfchreiben, werden reihlih genug 
und ſchon gar, als den vorhandenen ſein, um den Prahlhans gründlich zu 


Junggeſellen die Gründung eines häus— heilen. . 


lichen Herdes gerathen wurde. Empört 
über die ſüßelnde Moralfiederei des 
Abends rief ich urplöglic aus: „Ich 
brauche feinen eigenen Herd und wenn 
mir die Wirtshaustoft nicht anfteht, fo 
jpeife ich eben in einem Brivathaufe.“ 

„Wenn Du geladen bift,“ warf 
Einer her. 

„Bin täglich geladen, wenn ich 
will!“ 
meine Beliebtheit, deren ih mich in 
der Stadt erfreute, und hingeriſſen 
von dieſem ftolzen Bewußtſein ſetzte ich 
bei: „Webrigens warte ich nicht erft 
auf die Einladung, ich gehe ins nächſt— 
beite Haus und fpeije dort.“ 


rief ich, pochte kühnlich auf 


So ward e3 feitgenagelt. Ich be= 
ftellte beim Lindenbräu ſchon an dem— 
jelbigen Abende den Noftbraten des 
nächſten Tages ab und Schlief dann 
recht wohl auf der Bank unter meinen 
Kanarivogel. 

Am nächſten Tage von acht Uhr 
Morgens an ſaß ich wohlgemuth in 
meinem Amte. Die paar bodbeinigen 
Parteien, mit denen ich zu thun hatte, 
konnten mir den Humor niemals ver— 
derben. Etwa um Glockenſchlag eilf 
meldete fich dev Magen, höflich fragend, 
was heute zu gewärtigen ftehe? — 
Laſſ' Zeit, mein Kind, noch weiß ichs 
nicht. — Um Halb zwölf Uhr brachte 


J— 


595 


der Kanzleidiener ein verfiegeltes Brief— 
chen herein. Ich wog es in der Hand 
und roch einmal darauf Hin; nichts 
von Küchenduft, es war geruchlofes 
Kanzleipapier. 

Ich öffnete und las, daß ich heute, 
Donnerstag den 11. Juni 1885 beim 
Herrn Apotheker Bitterle ſpeiſen ſolle. 

— So, ſo! Beim Apotheker Bit— 
terle. 
Bitterle. Indes, ich hatte ihn erſt am 
ſelbigen Vormittag angeſchnauzt, weil 
er Umſtände mit der Einkommenſtener 
machte. Herr Bitterle ift ein etwas 
ſparſamer Mann, der das viele Schweins- 
fett, welches er jährlich kauft, nicht für 
die Küche eignet, fondern damit in der 
Apotheke die Hafen, Dachs-, Kreuze 
otterfetttöpfe und andere Salbendojen 
füllt. — Nun, im Gottesnamen, wir 
wollen e& verfuchen. 

Um zwölf Uhr ftieg ich die finftere 
Treppe hinan zur Wohnung des Apo— 
theferd. An der oberften Stufe lag 
ein großer Kater, der ſchnurrte mich 
an, blieb des Meiteren aber liegen. 
An der offenen Küchenthür blieb ich 
ftehen und fagte, höflich den Hut lüf- 
tend: „Guten Morgen, Frau von Bit— 
terle!“ Denn fie ftand beim Kochen. 

„Uh!“ verjeßte fie, „der Herr Karl! 
Sie ſuchen gewiß meinen Mann. Er 
ift in der Apotheke.“ 

„Er hat ganz recht," antwortete 
ih, „aber mir ift heute die deutjche 
Küche lieber, als die lateinische.” 

„Iſt auch geſünder,“ fagte die ges 
Scheite Frau, und glättete mit einem 
Handftrih ihre ſchneeweiße Küchen: 
ſchürze. 

„Beſonders wenn eine fo geſchmackige 
Köchin drin fteht,” verjegte ih. „Da 
kriegt Einer auch ordentlichen Ap— 
petit. Aber ich bitte, Frau von Bitterle, 
fein Schmuck und feine Seiden fteht 
“der deutichen Frau fo gut, als der 
Kochlöffel. Allen Reſpect! Wenn ich 
nur wüßte, womit die gnädige Frau 
den Salat einmacht. Tafelöl ift das 
nicht.” 


Ein ganz braver Mann, der) 








gegen; 


die 





„Mein Mann ißt den Salat nur 
mit Leinöl.“ 

„Nicht möglich!” rief ich aus. 

„Vortrefflich, fage ich Ihnen!“ ver— 
fiherte die Frau und träufelte das 
'goldige Del auf das Grünzeug, „wer 
Leinöl einmal gewohnt ift, der ißt fein 
anderes mehr. Und gefund für die 
Bruft!“ 

„Sein mags,“ fagte ich ernſthaft, 
„jein mag das wohl. Ich glaub’S ge= 
ſchwind. Soll ja das befte Det fein, 
das Leinöl, hab's immer gehört. De— 
licat muß es fein! Aber frifch wird 
man es felten haben können.“ 

„Wiffen Sie was, Herr Karl,“ 
Jagte das Frauchen und wendete mir 
ihr am Teuer geröthetes Geficht zu, 
„wenn Sie glauben, daß wir den 
Salat mit abgeftandenem Del einma= 
chen, jo rathe ich Ihnen, fich don Ges 
gentheil zu überzeugen, und einmal 
mit uns zu Mittag zu eſſen.“ 


„Liebfte Frau Bitterle!“ fage ich 
und halte die Hand hin, „es gilt. Ich 
ſpeiſe Heute mit Euch.“ 

Jet kommt der Apotheker die Treppe 
herauf, der Sater ift fill, aber der 
Bitterle knurrt. 

„Du Mann,“ ruft ihm die Frau 
entgegen, „denke Dir, wir haben heute 
einen lieben Gaft!” 

„Hol ihn der —“ brummte Bit- 
terle, „fo oft man im Steueramt zu 
thun Hat, ift der Humor für den ganz 
zen Tag weg. Wer ift es denn?“ 


Da trete ich vor. „Freund,“ ſage 
ih und halte ihm beide Hände ent— 
„die Schrift fagt: wenn Du 
Jemand beleidigt haft, fo lafje die Sonne 
nicht untergehen, ohne ihn zu verſöh— 
nen. Ih mag die Sonne nicht einmal 
den Zenith überjchreiten laffen, ohne 
Dir Abbitte zu thun. Im Drange des 
Geſchäftes entrollt Einem eben manch— 
mal ein berbes Wort, ohne, dab man 
Parteien eigentlich anfieht, wer jie 
find. Schlimm war's nicht gemeint, 
Franz, ih muß mit Dir heute eine 
Flaſche Wein ausftehen, Du, ftelpere 


38* 


596 u 


nicht, da liegt ein großer Kater. Grüß |die Unfterblichleit etwas thun will — 
Dich!“ ein wenig Propagande gemacht für den 
Da hätte ich den Kerl fehen mögen, | Altkatholiciamus und war deswegen 
der mich jet die Treppe hinabgeworfen! |von dem clericalen Wocenblättchen or= 
Gerührt reichte mir Herr Bitterle die | dentlich plattgebügelt worden, auf was 
Hand. ih Schon vergeffen Hatte, Und mu 
„Er gibt uns die Ehre mit uns |foll mich der Propſt, ein kirchenftrenger 
zu ſpeiſen,“ rief die Fran und war Mann, heute zu Zifche laden. Noch 
einſig bejchäftigt, das Zimmer zu rich |dazu war Freitag, da die Geiftlichen 
ten und den Tisch zu deden. „Müſſen kein Fleiſch eſſen. Die Bosheit meiner 
halt fürlieb nehmen. Wenn ichs nur Partner war grenzenlos. 
um eine Stunde früher gewußt hätte! Indes, der Muth verlieh mich nicht, 
Sch Habe zwei Hühner. Nun, verhuns |obzwar ich unterwegs ſchon den Speife- 
gern werden wir nicht. Sch bitte, iſts zettel zujammenftellte für das Mahl 
gefällig ?* der Stadtarmen. Als ich durch den 
Kurz, es ward ein munteres Mahl. Hof der Propſtei ſchritt, begann ich 
Ich wußte allerhand Schnurren und zu ahnen, daß die Wahl des Tages 
trällerte mitten durchs Nindfleifch und ‚beim Propft doch nicht ganz jo boshaft 
den Leinöl- Salat heraus tirolische | fein mußte, als ich mir vorgeftellt. Der 
Schnaderhüpfeln, denn mein Gaftherr beſtechendſte Schmorduft machte meine 
war ein Tiroler. Baterländifchen Wein | Sinne wirbeln; am Brunnen wurden 
tiichte er auf und nad) der erften Flaſche Filche ausgeweidet und ein Mann trug 
Ihon machte er Allem Ehre, nur nicht einen Flaſchenkorb die breite Stein- 
feinem Namen Bitterle. Die Frau | treppe hinauf. — Heute, wenn Du 
brachte zum MUeberfluß noch Aufge- ſchlau wäreſt, Heute lohnte es fich der 
jchnittenes, wozu ich insgeheim gerne Mühe, dachte ich, aber es fiel mir feine 
meine Wett- Partner eingeladen hätte, | Form und feine inte ein und Har 
die ih fhon unten auf der Straße wurde es mir, wenn der hochwürdige 
ftehen fah, jpähend, wie e& mir wohl! Herr mich aus eigenem Antriebe nicht 
ergienge beim Apotheker Bitterle. Wie zu Tifche lädt, mit Liften kann man 
waren fie erftaunt, als ich das Fenſter ihm nicht bei, abgejehen davon, daß 
öffnete, und in der einen Hand eine man fich bei folchen Herren nicht3 ver— 
Havannah, in der andern ein ſchäumen- | geben darf. ch bedauerte, in meiner 
des Stängelglas jchweigend, ihnen zu= Prahlſucht mich zu weit vorgewagt zu 
trank auf gute Gefundheit. haben, in jedem Haufe zu B. wird 
Sp war die erfte Probe glänzend für den Karl doch nicht gededt jein. 
ausgefallen und am nächſten Morgen Ich trat durch das Stiegenhaus, 
— ich geftehe es — ftieg ich abjicht- ſchritt durch einen düfteren Kreuzgang 
ih mit dem rechten Fuß zuerſt von und Hopfte an der Thür des Herrn. 
der Banf, auf daß ich nicht minder Als ich eintrat, fam er mir von feinem 
glüdlih fein möchte. Vormittags kam Pulte Her, wo er augenjcheinlich ger 
mir der Gedanke, ob ich mir gegen leſen hatte, mit falter Höflichkeit ein 
alle Fälle nicht ein Paar Frankfurter | paar Schritte entgegen. Das war's, 
holen lafjen follte, gewann aber die was ih am meiften gefürchtet hatte. 
Oberhand über das Gelüfte und er- | Gegen einen tüchtigen Zornerguß, wie 
wartete ruhig die Weiſung. Punkt er Halblegern doch offenbar gebührt, 
halb zwölf war fie da: Heute, Freitag war ich mit allerlei PHilofophie und 
den 12. Juni beim Heren Propſt. Humor gerüftet gewejen, aber ein glat— 
Beim Propſt. So ſchlimm hatte |ter Eiszapfen läßt fich nicht anfafjen. 
ichs nicht erwartet. Ich hatte die legte Mas mir zu Dienften wäre? war 
Zeit her — weil man doch auch für | feine Frage. 








ns 


„Herr,“ entgegnete ich, „es muß! 


nicht heute fein, es kann auch ein 
anderömal fein. Ich mollte nur ges 
beten haben, daß Sie mir einmal ein 
halbes Stündlein ſchenken möchten. 
Es läge mir dran, es wäre mir wichtig 
— Heißt das, wenn ih Sie nidht in» 
commodieren follte.” 

„Bitte,“ ſagte er fühl und deutete 
auf einen Lederjeflel. 

„hr ſeid, verſetzte ich raſch Platz 
nehmend, „in der Nähe beſehen doch 
nicht ganz ſo ſchlimm, als wir Ketzer 
Euch malen. Aber vollkommen trauen 
mag ich Euch nicht, es müßte mir denn 
gegönnt fein, anftatt mit dem hochwür— 
digen Herrn Propft, mit einem wohl— 
wollenden Freund zu plaudern. Auf 
hohem Kirchenſtuhl figend, könnten Sie 
mir meinen heutigen Befuch chredlich 
ſchief nehmen.“ 

Ih gebe mein Ehrenwort, daß — 
indem ich fo ſprach — mir nicht der 
mindefte Faden vorjchwebte, an dem 
ih entlang wollte. Der würdige Herr, 
der im Ganzen eine recht behagliche 
und gemüthliche Erfcheinung gab, mochte 
vermuthen, daß der ſonſt allenthalben 
wohlgelittene, fröhliche Stenerbeamte 
ſich bei ihm feines altlatholifchen Trei- 
bers wegen zu rechtfertigen fuchen | 
wollte, oder wohl gar Belehrung über 
diefen Punkt. Er war fein genug, 
jolhem Vorhaben die Wege zu glätten, 
er ſchmunzelte und Elingelte nach einer, 
Flaſche Wein. Das war verfahren. | 
Wer eine Flache Wein auftifcht, hat 
nicht die Ablicht, zum Mittagseſſen zu 
laden. Doch plötzlich zuckte durch meinem 
Kopf die rettende Idee. 

Ich war ſehr ernſthaft und ſagte: 

„Es ſollte mich nicht kümmern und es 
gienge mich nichts au. Ihr Herren 
mögt thun was Ihr wollt. Aber es 
gilt eine Wette. Ich behaupte, es iſt 
nicht wahr, daß die geiftlichen Herren 
das felbft niemals halten, was fie An— 
deren predigen. Es ift nicht wahr, 
daß Jich die Herren an Faſttagen Fleifch- 
jpeifen auftafeln laffen, Fiſche, Krebſe 
und Schneden natürlich ausgenommen. 


597 








Ja, es ift nicht einmal wahr, daß fie 
ihre Faſtenſpeiſen mit Schmweinsfett 
fohen. So behaupte ich, aber die 
Anderen betheuern, Ihr fülltet jelbft 
Euere Torten und Freitagskuchen mit 
Schinken, Ganslebern und anderem 
Tleifche. Das wäre fein Falttag, habe 
ich gejagt, und ich gebe es nicht zu. 
Alle find gegen mich und wir ftreiten 
bin und Her und endlich bin ich ihnen 
hereingefallen. Einen Eimer Reinig- 
baufer gilt es.“ 

Mit großer Dejparation brachte ich 
das dor und trank; der Propſt lachte 
und trank aud. 

„Sch hätte,“ fuhr ich fort, „zur 
Richtigftellung den kürzeſten Weg neh— 
men können, den in die Küche, welchen 
wahrfcheinlih meine Gegner finden 
werden. Aber ich halte das nicht für 
correct. Ich gehe ſtets den geraden 
Meg und bitte Ener Hochwürden, die 
Mette entfcheiden zu wollen.“ 

„Aber lieber Freund!“ lachte der 
Propſt, „wie foll ich in diefer Sache 
entfcheiden ? Umd wenn ich jeden Frei— 
tag eine ganze Fleifchbant aufäße, fo 
müßte ich es leugnen und im Worte 
wenigitens das Kirchengebot vertheidi— 
gen. Das follen Sie ja willen und 
wiffen es auch, und darıım werden Sie, 
und werden es Ihre Gegner mir nicht 
glauben, wenn ich fage, daß in meinen 
Haufe das Faſtengebot genau im kirch— 
lihen Sinne: gehalten wird.” 

„Herr!“ ſage ih und ftehe auf, 
„ich Habe das Vergnügen, Sie feit neun 
| Jahren perſonlich zu kennen. Ihr Wort 
genügt mir vollkommen.“ 

„Und ich werde es Ihnen trotzdem 
durch die That beweiſen,“ ſagte der 
Propſt, „daß wir katholiſche Prieſter 
auch nach unſerer Lehre leben. In 
zehn Minuten von jetzt iſt Mittag, ich 
werde mich mittlerweile nicht von Ihrer 
Seite begeben und Sie erweiſen mir 
die Ehre, Heute mit mir zu ſpeiſen.“ 

„Herr,“ füge ich und verneige mich 
tief gerührt, „die Ehre ift meinerſeits.“ 

Eine Biertelftunde ſpäter ſaßen 


‚wir, ihrer vier Heitere Priefter und 


meine Wenigfeit, im Refectorium umd 
Ihmausten. Ach muß wohl geftehen, 
daß ih mein Lebtag feinen ſtilgerech— 
teren Faſttag gehalten Habe, als an 
jenem Freitag. Erbjenfuppe, Salat mit 
harten Eiern, Forellen mit Krentunke, 
Rahmſtrudel, Hummer mit Mayonnaife, 
Obſt, Käſe, ſchwarzer Kaffee mit Gi- 
garren, Kerichbacher und Dfner-Weine. 
Als der Kaffee credenzt ward blidte 
mich der Propft triumphierend an; ich 
drüdte ihn die Hand. „So wird Euch 
halt immer Unrecht gethan von der 
böjen Welt,“ jagte ih. „Hoch! Es 
lebe die Cleriſei!“ 

Mährend unfere Gläfer aneinander- 
“ Hangen, erhob ſich draußen auf der 
Gaſſe ein Lärm. Meine Partner waren 
wieder dort verſammelt und ſtimmten 
laut in unfer Hoc ein. 

„Sie follen heraufkommen!“ rief 
der Bropft, „auch dieje Herren müſſen 
jih überzeugen!“ 

So fahen wir bald Alle zuſammen 
iu der Runde und hielten bei mun— 
teren Reden ein jcharfes Trinken, 

. Erft im Abenddunfel giengen wir 
mit illuminierten Köpfen nah Dauie, 
heißt das, ich zum Lindenbräu. Der 
Propft und ich waren dide Freunde 
geworden und mir fiel es nicht mehr 
ein, mich je noch einmal um den Alt- 


Stadt theilte den Hummer mit der 
jtillen, hochachtbaren Frau, Niemand 
aber wagte fie in ihrer Trauer zu 
ftören, fie wünfchte allein mit ihrem 
Knaben zu fein und das Andenken an 
den geliebten Gatten, mit dem fie kaum 
vier Jahre glüdlich verheiratet geweſen 
war, in der häuslichen Stille zu feiern. 
Ich, als übermüthiger Burfche und 
mitunter ganz raſender Witzbold be= 
faunt, war durchaus micht die richtige 
Berufenheit, um der trauernden Witwe 
einen Beſuch abzuftatten. 

Schon wollte ich mich meinen kück— 
iſchen Partnern ergeben, als mir ein— 
fiel, daß auf diefer Erde mitunter 
ganz unglaublihe Dinge zu geichehen 
pflegten, daß ein einziger Mann, wie 
Napoleon, die ganze Welt erobert hätte, 
warum follte e& mir nicht gelingen, 
ein einfaches Mittagseſſen bei der Frau 
Näthin zu erobern! 

Ih gieng in die Neugafje, wo ihr 
Haus ſtand. Schon von außen war 
dasjelbe mit einem gewiffen weihevollen 
Frieden umgeben; die Fenſter waren 
mit weißen Borhängen verjchleiert. Ich 
zog an der Klingel. Die Magd rief von 
der Küche her, es fei offen, was man 
wolle ? 

Ob die gnädige ran zu Sprechen ſei? 

„Ach Gott,“ fagte die Magd als 


fatholicismus zu kümmern, da es fich | fie mich erkannt hatte, „Sie will immer 
bei dem noch älteren fo trefflich leben ließ. | allein fein, und wie gut wäre es, 
Nach diefen zwei fo glänzend bes wenn fie fi etwas zerſtreuen ließe! 
ftandenen Proben hätte ein Anderer | Die gute Seele wird mir noch krank. 
an meiner ftatt wohl erwarten mögen, | — Berfuchen Sie es nur,“ flüfterte fie, 
daß am dritten Tage ih die Partner, wies gegen die Zimmerthür und machte 
felbft zu einem folennen Mittagsmahle mit dem gebogenen Finger die Gefte 
einladen würden. Aber der hätte meine des Anklopfens. 
Freunde fchlecht gelaunt. Am dritten, Das lieh ich mir freilich nicht 
Tage um Halb zwölf Uhr kam der zweimal gejagt fein. Nach wiederholten 
Befehl, dab ich bei der Frau Regie- elwas ängſtlichem Klopfen hörte ich ein 
rungsräthin Langen zu Mittag eſſen | heiferes Herein. Jch trat in das Zim— 
follte. Das war zu viel. Die Frau mer. Sie hatte eben — fo viel ich 
Regierungsräthin war ein junges hüb= noch bemerfen konnte ihr dreijähriges 
Iches Weibchen, dem erft wenige Wo= Knäblein geherzt, jetzt fand fie auf 
hen früher der Negierungsrath ges und gieng mir ruhig ein paar Schritte 
fiorben war. Die Witwe lebte feither entgegen. Ihr Geſichtchen war ſehr 
ganz zurüdgezogen mit ihrem Kinde | blaß und in den großen ſchönen Augen 
und einer alten Magd. Die ganze; waren Spuren von Thränen, die jie 


599 


jeßt wie durch eine zufällige Handbe— „Ich mag nicht,“ antwortete der 
wegung über das Gelicht zu verwiſchen Kleine und machte ſich zutranlich mit 
ſuchte. meiner rothen Halsbinde zu ſchaffen. 
Ich weiß gewiß nicht mehr, welche „Fritzchen,“ ermahnte ihn die Mut— 
Worte ich geftottert und was fie mir ter weichmüthig, „ſei brav, iß jetzt 
darauf zur Antwort gegeben hatte. Es deine Suppe.“ 
iſt wohl das Gleichgiltigſte geweſen, „Ich mag nicht,“ ſagte der Kleine. 
was man ſagen kann und ich ſah ſo— „Schau, Fritz, wie groß Du ſchon 
fort, hier ſei ein raſches Umkehren das biſt!“ ſagte ich und hob das Kind 
Beſte. Mit einer verfehlten Thür ent« | hoch empor, was ihm Spaß machte, 
ſchuldigte ich mich und trat mit einigen | „und Du wirft noch größer, viel 
Verbeugungen überaus plump den Rück» | größer, wenn Du Deine Suppe ißt. 
zug au. Als ich die Stiege hinabjchritt, | Dann wirft Du fo groß wie ein Baum.“ 
tief fie von oben nah: „Herr Karl, „Wirt Du auch fo groß wie 
erlauben Sie! Sie haben gewiß der|ein Baum, wenn Du Suppe ißt?“ 
Verlaſſenſchaftsſteuer wegen mit mir) fragte der Knabe. 
zu Iprechen und find zu zartfühlend.... . „Ei freilich.“ 
Ich bitte, wenn das der Fall ift, mur „So if. Dann effe ich auch.“ 
heranfzufonmen, mir jelbjt, die ſich „But, Junge,“ vief ich vergnügt, 
nun einmal im das Unvermeidliche | „wir wollen miteinander die Mittags» 
fügen muß, wird es angenehm fein, | juppe eſſen.“ 
wenn fi die Dinge endlich geordnet) Ich ſetzte mich zum Tiſch, nahm 
haben.“ ‚den Seinen aufs Knie und wir löffelten 
Ich trat wieder bei ihr ein. „Sie beide ganz emſig die Suppe aus. Hier— 
ind ja der Freund meines Mannes auf fchlang Fritz feine Aermchen um 
geweſen,“ fuhr die Witwe fort, „und | meinen Hals und fagte: „Papa, jebt 
ih muß mich auch noch bedanfen für darfit Du nicht mehr fortgehen.” 
die freundliche Condolenzkarte . . .“ Ich blidte auf die junge Witwe, 
„Das liebe Kind!“ rief ich aus unſere Augen zudten jo feltfam an— 
und beugte mich zum blondlodigen | einander, daß ich erfchrat. Und wie 
Knaben nieder. Diefer blidte mid mich dünkt, fie war auch erjchroden. 
etwas befremdet an und fragte dann Wir wechjelten hierauf wieder einige 
die Mutter: „It das Papa ?” | gleichgittige Morte, ich ſagte, daß ich 
Die Frau antwortete nicht, Jondern | meine Aıntsfache doch beſſer ein ander» 
wendete jich bei Seite und weinte. mal abmachen wolle; dem Kleinen ver— 
Sch hob das Kind auf meine Arme, ſprach ich, daß ich bald wieder fonımen 
trug es gegen die Mutter und flüfterte | würde, und jo verlieh ich die Wohnung. 
ihm zu: „Sage der lieben Mama, fie Unten fand einer meiner Partner 
foll nicht weinen; fie hat ein fo ber= | und machte ein triumphierendes Geficht. 
ziges Büblein, fie ift jo jung noch und | „Diesmal alſo abgeblitzt!“ lachte er. 
joll fich wieder freuen an der fchönen | „Wie ſo?“ fragte ich, „bin ein— 
Melt.“ | geladen worden und habe zu Mittag 
„Ih danke Ihnen,“ ſagte fie und | gegeffen.“ 
legte einen Augenblid ihre Hand auf) Drei Monate fpäter gieng ich mit 
meinen Arın, „die Leute meinen es) demfelben Partner ſchwarz befradt zur 
fo gut mit mir. Es ift eine traurige | Frau Negierungsräthin, aus welchen 
Zeit für mich.“ Anlaß — ihr werdet es vermutben. 
Seht kam die Magd mit einem | Sie zierte ſich nicht lange, fondern er= 
braunglafierten Zöpflein und einen | bat fih die Jährung des Todesfalles. 
Schüfjelhen herein und fagte zum Am 13. Juni 1886, es war das 
Knaben: „Fritz, Deine Suppe ift da!“ liebliche Pfingſtfeſt, Haben wir Hochzeit 




















600 


gehalten. An demfelben Tage gaben Jauf gute Gefundheit des Mannes, der 
meine Wett-Partner den Stadtarmen — ein Liebling der Stadt — nicht 
ein Mahl. Rindfuppe mit Mark und bloß zu Tiſche geladen wird von den 
Leber, Rauchfleifch mit ren, Schweins- | Wohlhabenden, fondern auch von Kin— 
braten mit Salat, Reispudding und |dern und Armen. 

Mein. Ich führte meine junge Frau Ich aber lieh vom Lindenbräu den 
in den Saal, daß wir uns an | Stanarienvogel holen und in unfere neue 
dem Behagen der alten, lahmen und Wohnung bringen, nahm von diefer 
tauben Zafelgäfte erfreuten. Alfogleich | Zeit feine Wetten des Mittagstifches 
boten fie uns einen Ehrenplag, wir wegen mehr an, fondern fpeiste ftets 
tranfen auf ihr Wohl, und fie tranten |bei mir felber. Und mit guten Appetit. 


Drei Frühlingslieder. 


Bon Guflau Slarke. 


I. 
"us dumpfer Zimmerſchwüle 





d Macht treibt'8 mic hinaus, 


Die engenden Gefühle 
Lak ich, gleih Fauft, zu Haus, 


Der Mai lat auf den Fluren, 
Grün jhimmert jhon das Feld, 
Mit Auferftehungsipuren 
Bededt fi rings die Welt, 


Nun, Du gedrüdte Seele, 
Breite die Flügel weit 
Und mit des Vogels Stehle 
Juble voll Seligfeit. 


11. 


Heb Did über Thal und Hügel, 
Lab den grünen Wiejenplan, 
Breite, Seele, Deine Flügel, 


Schwing Dich jaucdhzend himmelan. 


Bade Did im reinen Wether, 
Labe Did im Sonnenglanz, 
Blei dem andachtsvollen Beter 
Vor der heiligen Monftranz. 


Denn wohin Dein Blid fid) wendet, 
Staubbededt Dein Fuß auch gebt, 
Bon der Schönheit Macht geblendet 
Grüßt Dih Gottes Majeftät! 


III. 


Blüten, Blüten überalt, 

Blüten allerwegen, 

Blüten weh'n von Berg und Thal 
Grüßend mir entgegen. 


Blüten weh'n zu meinem Fuß 
Wie in flücht’gen Tänzen, 
Blütenmai und Blütengruf 
Kommt mein Haupt zu fränzen. 


O Du holder Blütenjchnee, 
Schönfter aller Boten, 

Schwing Di auf und grüfend weh’ 
In das Rei der Todten. 


Nicht nur mir mit Würzehaud 
Sollſt Du milde fädeln, 
Nein, den lieben Todten aud 
Gönne Frühlingslädeln; 


Denen nun fein Mai mehr ladt, 
Ihre Gräber kröne, 

Daß fie in der Todesnadt 
Ahnen Deine Schöne! 





601 


Der Maibaum. 


Ein Bild aus dem fteirifchen Vollsleben von R. 


um Maiengruß ein friiches mine 
Eniges Bild aus dem Leben. 
Wen es neu ift, der mag fich an der 
frohen Bolfsfitte ergößen, wen es be 
fannt ift, der bedenke, daß auch der 
Mai Jedem bekannt ift und doc 
Keinem langweilig, wenn er fich twie= 
derholt. Der Maibaum ift ja auch ein 
Stud Mai. — 

„Bauer,“ jagt der Stleinhäusler 
Poldel, „was foftet der Baum, der 
oben im Schaden fteht, wo ſich die 
Wege kreuzen, der junge hochaufge— 
ſchoſſene Fichtenbaum?“ 

„An dem das Vogelneſt 
entgegnet der Bauer. 





it ?“ 


„Schau, Bauer, Haft Du ihn ſchon 


jo genau begudt ?“ 

„Freilich, und mir fcheint, Du 
haſt's auch geihan, Poldel. Bielleicht 
nimmft einen Andern.“ 

„Ich brauch’ einen, der gut fteht.” 

„Eh, das weiß ich, dak Du einen 
folhen brauchſt. Für Welche dem, 
wenn man fragen darf?“ 

„Werden wir handelseind, Bauer, 
jo fage ih Dir’s. Was das Bezahlen 
anlangt: einen Tag zum Kornſchneiden 
Haft mich, im Sommer wern’s zeitig iſt.“ 

„Eine Ned’! Poldel, der Baum 
gehört Dein. Für meine Dreifaltigkeit 
thut's auch ein anderer,“ 

So wird’3 ausgemacht zwiſchen 
dem Großbauer und dem Stleinhäusler. 
Der Großbauer ift diefem weit über, 


on Bäumen und an Jahren. Er denkt 


nicht mehr d’ran, einem Dirndl den 
Maibaum zu jegen, er wendet feine 
Inbrunſt bereits einem Andern zu 
und ſimuliert, wie er am erften Mais 
tage dem lieben Gott eine Aufmerk— 


ſamkeit erweijen werde dafür, daß er 
es wieder Frühling werden laſſen, 
daß er das Korn, welches im vorigen 
Herbft in die Erde gelegt wurde, 
wieder aus dem Grabe ruft, und daß 
er den Baner diefe erfreuliche Zeit 
noch einmal lieh erleben. Vor dem 
Hofe auf freiem Anger fteht eine Feine 
Kapelle mit dem Bildnis der heiligen 
Dreifaltigkeit. Der Baner wird im 
Walde einen jungen jchlanfen Bann 
ſchlachten, wird ihn entrinden bis an 
den Wipfel, an Ddiefem die grünen 
Zweige ſchmücken mit bunten Bändern 
und xothen Roſen aus Papier, und 
‚wird diefen Baum an der Dreifaltig- 
keits-Kapelle aufrichten, daß es ‚ein 
| öffentliches Dantopfer fei, oder daß — 
wie einmal der Hegel-Naß jo unziem— 
ih gefagt hat — die Leute fehen: 
der Großbauer bleibe dem Hergott' 
nichts ſchuldig und er bezahle den 
ihönen Mai mit dem noch jchöneren 
Maibaum. Denn um die fünftlichen 
Blumen und Bänder ift lebterer erſte— 
ren „über“. 

Diefer Maibaum braucht das Tages: 
licht nicht zu ſcheuen; am Vorabende 
des erſten Mai wird er gelaffen und 
jorgfältig aufgeftellt, und ſetzt's für 
die Arbeiter hernach ein gutes Veſper— 
brot. Und wenn dann in der Däm— 
merung die Fledermäuſe hin- und her— 
zufahren beginnen, ſehen fie den Stamm, 
der jo weiß ift, dab er ihren ſchwachen 
Augen weh thut. Alfo wär's, wen 
die Menſchen Mai machen müßten: 
lauter table, trodene Stäbe, lauter 
| dürrer, bumtbefteichener Flitter! Aber 
den lieben Gott Freut der gute Wille 
doch, und reicher und gewaltiger an 
Schönheit und füher Pradt läßt er 





602 





den Lenz erftehen in den Thälern | Teufel. Noch öfter fteht er gerade 
und auf den Bergen. empor zum Himmel, und das ift — 
Degt aber, der SHeinhäusler Poldel, | Gottlob — beim Poldel der Fall. 
der muntere lebfrifche Burfche, der Nun — die Arbeit gethan — 
gibt feinem Maibaum eine andere wird ein wenig geminnt. Der Burfche 
Bedeutung und einen anderen Boden. ſtellt ſich anu's Fenfterlein und macht 
Sein Maibaum muß wachen über | mit halblautem Geflüfter feinen Spruch: 


Nacht, wie Pilze wachlen nach einen 
Negen; feinen Spatenftih darf man 
hören, ohne alles Geräufch muß der 
ſchwere, ſchlanke Stamm emporgehoben 
und in die Grube gefentt werden. Im 
Nübelhof ift fie daheim, die Kleine! 
die Liebe! Der Poldel ift ſchon fo 
weit mit ihr im Nichtigkeit, nur will 
fie's immer noch nicht vecht glauben, 
dab es fein Ernſt iſt. 
Burſchen machen oft Spähe mit folchen 
Dingen, und Mädchen, die d'rauf gehen, 
werden ausgelacht — und oft mehr 
als das. 

Da kommt der erſte Mai und mit 
ihm ein Landesbrauch, der den Poldel 
Gelegenheit gibt, es öffentlich aus» 


Uebermüthige ehr fo Sprüchlein 


„Mein Herz und mein Sinn 
Sit im Stamerlein drin, 
Wia ftell ih's denn an, 
Daß ih nad eini fann?* 


Junges Blut hat guten Schlaf, 
‚aber derlei wedt es doch. Nur ift das 
Dirndl im Nübelhof fo ſchlau und 
meldet fich nicht, denn fie will noch 
hören. Daher 





fährt er fort: 


„Du herzi liabs Schagerl, 
Du Himmelihlüfil, 

Steh’ auf und mach auf 
A Moanwinzigs Biſſl.“ 


Inwendig ift ihr ſchon über die 


zurufen: Er freit das Dirndl im Maßen heiß, mach außen bewahrt fie 


Rübelhofe! 

Im Walde oben, wo der Baum 
gefällt worden, wird er auch entichält 
— Alles ganz Heimlih — nur der 
Grüne Wipfel mit feinen weichen 
Zweiglein und Streuzlein bleibt gar 
forgfältig geſchont und Hat jich der 
Voldel viel Tabakgeld koſten laſſen, 
um ihn mit rothen und blauen Seiden— 
bändern zu ſchmücken, vielleicht noch 
ein Herz oder einen Reiter aus Leb— 
kuchen oder dergleichen hinaufzuhängen. 
Beim Entſchälen des Schaftes wird 
geachtet, daß hoch oben ein paar Rin— 
denkränze d’ran bleiben, die wie Kro— 
nen gezadt werden. 

Die Kameraden find beftellt, und 


kommt die Nacht, fo tragen fie diefen | 


Baum hinab in das Thal, und am 
Niübelhofe, gegenüber dem Kammer— 
fenster des Dirndl's wird er aufges 


‚immer noch die Rube. 
| Fe 
Da ſingt er: 


„Dirndl. bift ftulz 
Oder fenft mih nit, 
Oder is däs 

's recht Fenſterl nit?“ 


Jetzt gibt's Für fie kein Halten 
‚mehr, denn das letzte Liedel iſt voll 
von Irrthümern. Sie kennt ihn recht 
gut und iſt vor ihm auch nicht ſtolz, 
daher iſt es wohl wahrlich das rechte 
Fenſterl. Ein klein wenig thut ſie den 
Schuber auf und flüſtert heraus: 


„Ih bin nit ftulz 
Ih kenn Dih wul, 
Du biſt da Bua, 

Der kema jul.“ 








| 
Weiter zu horchen geziemt uns 
"nicht. Es muß uns genügen zu willen, 





ſtellt. — Im Haufe jchläft Alles; daß in ſtiller Naht der Maibanm 
der Kettenhund it beftochen, die Ar- ſeine Weihe erhält. Und was die 
beit wird mit Mühe vollbraht. Oft; Nacht huldreich verhüflte, der Mai— 
geräth es nicht, der Baum hängt, morgen macht es freudig offenbar. 
hängt nach einer Seite — das ift des. Als das Dirndl das Fenſter aufthut, 


603 


damit die Mailuft bereinfann — dem auf, um Gäfte berbeizuloden. In ein— 
Alles trachtet an diefem Morgen der |zelmen Gegenden pflegt man mit Wein 
Friſche zu, „Mailuft Schöpfen! Mais gefüllte, gut verkorkte Flafchen an den 
luft ſchöpfen!“ — da Sieht fie's: vor | Wipfel zu hängen, die dann im Früh 
dem Fenſter fteht ſchlank und blank | herbft, wenn der Baum umgelegt wird, 
in der hellen Sonne das Ausrufungs- ausgetrunten werden follen. Solcher 
zeichen der Liebe! Trunk ift für allerlei Herzweh gut. 

Was fagen die Leute dazu? — | Manchmal find auch ſchlimme Sachen 
Schau, hau! fagen die Leute dazır, [an dem MWipfel, Sachen zu Hohn und 
und das ift fehr viel gejagt. Der) Spott, denn fo ein Maibaum ver- 
Vater, die Mutter laſſen ihr Töchterlein | dankt feinen Ursprung mitunter der 
rufen. Eitelfeit, der Eiferfucht, der Tüde ıc.; 

„Vater, vielleicht hat's der Bruder das Bauernherz hat mehr Kammern 
geihan, er Hat mich gern.“ als vier. 

„Der Bruder, mein Kind, der Un Maibäumen ift Schon manche 
bat das nicht gethan. Schau hinüber | fröhliche, aber freilih auch manche 
dort an die Berglehne, vor dem Lehmer- | tragische Dorfgeſchichte gewachſen. Bon 
hof Steht auch ein weißer Stamm. ſchlimmer Bedentung ift ein verſtüm— 
Das hat Dein Bruder gethan.“ melter Maibaum. Es geichieht oft, 

„Mutter, jo haben fie es unferer | daß er Schon im der erjten Nacht, oder 
Magd gethan.“ in einer Späteren — denn er fteht 

„Leugne es nicht, Kind. Wenn's über den Hochſommer hinein — von 
fein Ernft ift! Wir können es uns | boshafter Hand, zumeift aus Eifer— 
ja wohl denken, wer Dir den Mais ſucht, beichädigt wird. Da hängt er 
baum gebracht hat. Aber jag’ nicht zu | am Morgen entweder nach einer Seite 
früh Ja. Lab ihn neunmal fragen, | hin — chief und quer, wie ein Strid) 
bis Du Ja jagft. Im Eheftand kommt durch die Rechnung, oder der weiße 
eine Zeit, wo ev Dir das vorzeitige | Stamm ift beflert, es flattern am ihm 
Ja vorhalten wird. Lab ihn neunmal ſchmutzige Fetzen, oder er ift gar aus 
fragen, damit Du ihm’s vorhalten | feinen Grundfeften gehoben, auf den 
fannft.* Boden Hingeworfen worden, und fein 

Das thut fe. Schon am nächiten | Wipfel ift zerzaust, geplündert, iſt 
Sonnabend kommt er und frägt fie | vielleicht vom Stamme getrennt, auf 
neunmal raſch Hinter einander. Nach den Dunghaufen Hingepflanzt und ge- 
dem neunten Mal jagt fie ebenfo | ziert mit zweideutigen Symbolen. Und 
raſch: ja. Der Vogel, der oben ii Bann, der don einem lieben 





Wald fein Neft gebaut, hat den ſchlanken Burfchen dem Dirndl zur Ehre auf: 
Baum nicht vergefjen, er muß ihm |geftellt worden, wird nun ihre zum 
wohl noch am Wipfel erkennen, denn | Schimpf, der nimmer vergeht. — 
er fliegt um den Maibaum, daß feine) „Ei Shan! Ei gud! Das ift Die mit 
Flügel an die zitternden Bänder | dem verftümmelten Maibaum!“ Das 
ſchlagen ... Wort verfolgt ſie ſo lange, bis ſie ſich 

Wenn Ihr, liebe Freunde, im Früh- in die Arme des Ehemanns zu retten 
ſommer durch's ſchöne fteieriiche Land | vermag. Nach Einer mit verſtümmeltem 
fahret, jo jeht Ihr in den Dörfern die Maibanme it aber feine große Nach» 
weißen Scäfte mit den bufcigen | frage; der ursprüngliche Geliebte wird 
Mipfelm hoch anfragen über die Dächer. | nachdenklich md argwöhniih. „Ganz 
Ihr wiſſet nun, daß fie entweder ohne Grund kaun's doch nit fein! 
frommen Sinn bezeigen oder helles | Es muß was dahinter fteden!* Wenn’s 
Liebesglüd bedeuten. — Auch die auch noch zur Heirat kommt, die 
MWirtshäufer Stellen mitunter Maibäume reinen Freuden find dahin. Und jo 


604 


braucht man gar nicht abergläubijch | 
neben mir dahergehen Jollit ?“ 
eines Maibaumes fchlimme Vorbedeu— 


zu fein, um an der Verſtümmelung 


tung zu ſehen. 


„Hab’ ih Dich gebeten, dan Du 


Beide blieben ftehen. Sie ftanden 
unweit dem Kammerfenſter der Schönen 


Ih weiß etwas von zwei Mänz | Haustochter Thrinel. 


nern. Die giengen in einer Nacht 


„Ich glaube gar, der alte Schragen 


neben einander über den Feldweg. will auch noch zum Fenſter!“ knurrte 


Der Eine war groß, hatte übermäßig 
breite Schultern, der Kopf, auf deijen 
Noden ein zerfchliffener Hut ſaß, war 
ſtark nach vorn eingefnidt. Er Hatte 
eine ſcharfkrumme pfufternde Nafe und 
unter derjelben einen buſchigen Schnurr— 
bart, der in der Nacht ſchwarz, beim 
Tage aber grau war. Er hatte mur 
noch das rechte Auge, das linfe mußte 
er einft in feiner Jugend der Herz— 
liebften opfern, oder vielmehr dem 
withigen Nebenbuhler, der es ihm 
bei einer Nauferei aus der Höhle ſchlug. 
Das war der Hoizfnecht-Werfel. 

Der Andere war ein fchlanfes, 
behendes Bürfchihen, aufrecht wie ein 
Kerzlein, Hatte den Halb ftädtifchen 
Hut tief in die Stirn gedrüdt und 
machte zwei jchlenlernde Schritte, jo 
oft der Große mit feinen krummen, 
hageren Beinen und mit Stüße des 
Stodes einen jchwerfälligen Schritt 
that. Der Stleine war der Schuiter- 
Sydel. 

Sie waren am Kreuzwege zuſam— 
mengetroffen. 


„Schuſter-Sydel!“ jagte der Holz= | 


fuecht, „wo gehft denn heut’ noch hin 
— fo fpat?* 

„Ich Hab’ Di auch mit gefragt, 
wo Du hingehſt,“ antwortete der 
Andere. 

Sie giengen neben einander, und 
jo oft fie an eine Wegzweigung kamen, 
hoffte Jeder, der Andere würde ab— 
biegen. Aber fie giengen nicht aus= 
einander, fie hatten den gleichen Weg, 
und der führte fie zum Kogelhof. 

„Biſt jet da daheim?" fragte der 
Schuſter. 

„Biſt Dur jetzt da daheim?“ fragte 
der Holzknecht. 

„Bei der Nacht brauch' ich keinen 
Schatten,” ſagte der Schuſter. 


der Schuſter. 

„Schenirt Dich das? Mich nit, 
und ich denk', fie auch nit.“ 

„Du Werfel! Bei dem Fenſter 
haſt nichts zu thun, das ſag' ih Dir!” 
„Höllfaggra!“ fluchte der Holz» 
knecht und ſchwang feinen Stod, „ic 
will Dir weiterhelfen !* 

Im felben Augenblide ertönte vom 
"Hofe her eine derbe Stimme: 
WWart's, Ihr Kater, Ihr ver— 
‚liebten, ih will Euch Sauborften in 
die Haut ſchuiſſen!“ 
| Die beiden Männer ftoben aus 
einander, und nun fah man's, wie 
flinf auch der Werfel noch laufen konnte. 


| Die Thrinel weinte die halbe Nacht 
darüber, daß der Bater den Sydel 
verſcheucht Hatte, deſſen Gaflelfprüchen 
fie fo gerne laufchen mochte. — 

Einer der nächſten Tage brachte 
den Mai. Als die Thrinel ihre blauen 
‚Augen aufjhlug, ſtand draußen vor 
‚dem Fenfter im goldenen Morgenfons 
nenſchein ein Maibaum. 

Sie erſchrickt in heißer Freude; 
der iſt vom Sydel. Aber geht denn 
ein Sturmwind, daß der Baum jo 
zittert und wanft? Sie eilt an's 
Fenſter, da fieht fie ed, am Fuße des 
Maibaumes ringen zwei Männer. Der 
Sydel und der alte Werfel. Den Baum 
"haben fie in der Mitte umd ringen 
‚mit verbiffenen Flüchen. Der Werfel 
will den Stamm aus der Erde heben, 
der Andere ſucht ihn zu Halten, zu 
Ihügen. Aber der Holzknecht weiß 
beffer umzugehen mit den Bäumen, 
als der Schufter — der Stamm hebt 
ich, noch ein Ruck! er wankt, neigt 
ſich, fällt und reißt die beiden Kämpfen 
‚den mit zu Boden. — Ein dumpfer 
‚Schrei, ein Blutjtrom aus dem Munde 








des Merfel — der Baum ift ihmſchen und Roſenknoſpen, das in Heime 
auf die Bruft gefallen. licher Nacht der Burjche der Auser- 

Die Leute eilen jammernd zuſam- | wählten an's Fenſterlein ftedt, hat für 
men. Die Thrinel ftürzt Hin auf den | Manche mehr Anwert, als der hoch: 
Sterbenden, herzt ihn, küßt ihn, als | ragende weiße Baum, aber da3 heim— 


wäre e& der Andere. | 

„SH babe genug,“ ftöhnte er 
Werfel, „Thrinel, diejes Blut, das ift 
ein ſchlimmes Blut gewejen. | 
mich tief in die Erden, daß ich die 
Weiber in Ruh' lab. Thrinel, geh’ 
zum Andern, der ift noch geſund.“ — 

Vor wenigen Jahren hat ji das 
zugetragen im einem Hochthale der 
Steiermart. Der Schufter wollte die 
Bauerstocher hierauf zum Weibe haben, 
fie ſagte: 

„Ich bin Dir nicht feind, Sydel, 
aber ich nehm’ Dich nicht. Der Werfel 
thäte zwifchen uns ftehen... .“ 

So Hatte fie der Alte herumge— 
friegt. Einen, der ihretwegen lebt, 
thatet umd leidet, können die Weiber 
vergefjen, aber Einen, der ihretwegen | 
ftirbt, den vergeſſen fie micht. Friſcht 
Ihon nicht immer die Liebe das Ge» 
denken auf, fo thut's doch die Eitel- 
feit gewiß. — 

Es gibt Leute, denen die Liebe 
ohne öffentliches Ausrufungszeichen | 
beſſer behagt. 

„So warm is fa feuer, 

Ka Gluath is jo hoaß, 

Als wia hoamliche Liab, 

Von der Neamand was woaß.“ 

Oder: 


„Wia ftiller die Nacht, 

Um fo jchöner jein d’Stern, 
Wia hoamlicha d’Liab, 
Defto mehr hab’ ih's gern. 
Ih thua Dih wohl liabn, 
Aba jagn därfft es nit, 


Wan’s d’Leut amal wifin, 
Nahher mag ih Dih nit.” 


Für dieſe Urt der Liebe ift der 
Maibanın nichts, ſie Hat nicht die 











Legt’ | Maibauıne 


lie Sträußchen — ih mödte es 
trogdem der Jungfrau nicht rathen — 


es ift ein gefährlich Ding. Aus dem 


fann man PBrautjtäbe 


ſchnitzen, wie folche früher als Zeichen 


der Würde des Cheftandes getragen 
worden find. Der Strauß welt aber, 


und wenn man jeine dürren Blätter 
in’3 Gebetbuch legt und fie in jpäteren 
Tagen wieder anfieht, jo muß man 


dabei weinen, — 


Ein junger Bauerndichter hat einſt 
feiner Liebften den Maibaum unter 
Couvert geichidt: 


„Der Mai, der jhöne Mai 
Is erfreulie Zeit, 

Is die ganz Welt voll Liab 
Und voll Luftbarteit. 


Im Waflerl drein glanzt’s 
Und in Lüften is 's z'hörn, 
Aufn Bamerl ſteht's g’ichriebn, 
Daß Du mein jollft wern. 

63 jung ſchon das G'ſangl, 

Es jung ſchon dä Weis 


Der Adam und dD’Everl 
In PBaradeis.* 


Diefer Maibaum oder Maiftrauf 
ift bis Heute noch nicht verdorrt; der 
Poet hat die Braut zum rofenges 
ſchmückten Altare und von demfelben 
in fein Haus geführt. Das Haus 
wird beſchützt von einem ftattlichen 
Yichtenbaume, der im Sommer die 
Blige wehrt, im Winter die Stürme, 
und im Frühling ein grünender Tum— 
melplaß ift all den munteren, jubelnden 
Vöglein, die das ftille häusliche Glück 
hell hinausfchmettern unter dem blau- 
enden Himmel über die blühende Erde. 


Iſt er Euch recht, diefer Blid auf das 


aus der Mode gekommene Eheglüd? 


Wege und nicht die Abficht, den Priefter Ich fage Euch das: der wahre Liebes: 
am Altare in ihre Sache dreinreden | Mai unſeres Lebens liegt in der Ehe. 
zu laffen. Ein Maiſträußlein von Veil- Alles Andere ift — April —! 





Dierblätteriger Klee. 


Plauderei von Th. Born. 















— 
—6— 
8 AN ER 


— 





Glück. Woher die Verheißung 
wohl ſtammen mag? Wenn man ſich 
ſo ein liebliches grünendes Etwas be— 
trachtet, genau, eingehend, kommt es 
einem wohl vor, wie ein glückbrin— 
gender Talisman. Die zierlichen Blät— 
ter in Herzform, die grüne Farbe, 
die Farbe der Hoffnung, das klingt 
ſo harmoniſch, denn Hoffnung und 
Herz ſind ja ſo eng verwebt mit dem 
Begriff Glück. 

Warum aber gerade das vierblät— 
terige Kleeblatt glückbringend ſein ſoll? 


Gewiß weil man es ſo ſelten findet, | 


jo felten wie — das Glüd. In jeder 
Menfhenbruft wohnt die Sehnfucht 
nach Glüd, nur die Auffaſſung ift ver— 
jhieden. Der Eine fucht das Glüd 
in Geld und Gut, der Andere in 
Ruhm und Ehre’, der Dritte in Lieb’ 
und trauter Häuslichkeit. Jeder ringt 
und fämpft und jagt nach feinem 
Ziele und glaubt er es erreicht, dann 
findet er's jo unvolllonmen, fo ganz 
anders als er ſich's vorgefteflt und ift 
enttäufcht, entmutdigt, die Sehnfucht 
ift nicht geftillt, der Kampf beginnt 
vom Neuen und endet aus — im 
Grab. 

Wie ſchön fagt der Dichter: „Das 
größte Glück ift ein befcheiden einfach 
Herz.” 

Ein einfach Herz, ein Herz, daß 
fich zufrieden gibt mit dem, was das 
Schickſal verhängt, das froh den Augen— 
blid genießt, das nichts Vollkommenes 
verlangt in der undolllommenen Welt. 

„Einst lebte ein Mann, der aus— 
geltattet war mit Allen, was der 
Menſch Glück nennt. Er hatte Geld 
und Gut, Ruhm und Ehr’, jedoch er 
war nicht glüdlid. Er verfagte ſich 


in vierblätteriges Sleeblatt bringt ! feinen Wunſch, er befriedigte all fein 


Verlangen, fein Jh war der Mittel- 
puntt, um den Sich Alles drehte, er 
flatterte von Freud zu Freude, aber 
fein Herz hatte fein Theil daran. 

Bon Sehnfucht überwältigt, brei— 
tete er die Arme aus und rief: „Wo 
bit Du Süd? wo ſuche ih Dich ? 
ih muß Dich haben, ich breche mir 
Bahn zu Dir und müßte ich mit der 
Hölle um Did ringen!“ — Da ver— 
nahm er eine Stimme, welche ihm 
geheimnisvoll zuflüfterte: „Dort oben, 
am Gipfel jenes Berges, da findeft 
Du das Glüd." Da jauchzte feine 
Seele auf und mühfam erflomm er 
die fteile Höh’. Oben angelangt, fand 
er zu feinen Füßen ein Fleckchen 
Erde, dicht befäet mit vierblätterigem 
Klee. „Da, nun falle ih Dich, nun 
halte ih Did, Glück, nun bift Du 
mein,“ rief er leidenſchaftlich und 
gierig entriß er die zierlichen Blätt- 
hen der Mutter Erde und barg ſie 
an feinem Buſen. Da ftrauchelte fein 
Fuß und von Schwindel erfaßt ftürzte 
er in die Tiefe. 

Nah langer Zeit gieng ein Wan— 
derer an einem Heinen ftillen Daufe 
vorbei, das abfeit$ von der Heerjtraße 
lag und da er hungrig und müde, 
begehrte er Einlaß und bat um Lager 
und Brot. Beides wurde ihn gewährt. 
Als er ausgerubt und gefättiget war, 
frug er nad dem Herrn des Haufes, 
um felben für das Erhaltene danken 
zu können. Da führte man ihn in 
ein freundliches Zimmer, das auf den 
Beſchauer einen eigenthümlichen Reiz 
ausübte. Man fah mur einfache Mö— 
bel, aber rings Blumen und Vögel, 
Bücher und Noten, Alles jo harmo— 
nifch geordnet, fo ſinnig vertheilt, daß 


man das Empfinden hatte, bier wohnt! 
ein zufriedener Menſch. 

Bor einem großen Schreibtifch 
Jah ein Mann mit durchgeiftigten Zügen 
in einem Schlafſtuhl, zu deſſen beiden 
Seiten Krücken lehnten. Ober dem 
Schreibtiſch hieng unter Glas und 
Nahmen ein Kranz aus getrodıetem 
vierblättrigem Klee und in Mitte des | 
Kranzes ftanden die Worte: „Semper 
felix“. — Stumm bejah der Wan: 
derer die trante Umgebung eine Weile, 
dann fragte er plöglich, auf den Klee— 
franz deutend: „Wer hat Dir das 
Bild geſchenkt? Das hält nicht was 
es verſpricht.“ 

„Du irrſt,“ rief der Mann im 
Lehnſtuhl, „es hält was es verfpricht, 
es brachte mir, wonach ich mich ſehnte 
— den Frieden.“ 

Vierblätteriger Klee bringt Glüd, 


woher wohl mag die Berheißung 
ſtammen? 
Ein alter Edelmann lebte mit 


ſeinen beiden Söhnen auf dem Schloſſe 
ſeiner Ahnen. Da rief Vaterlands— 
pflicht einen der zwei Jünglinge vom 
heimiſchen Herde. Als er hinauszog 
zum Kampfe, da legte der Vater beide 
Hände auf ſeines Kindes lockiges 
Haupt und ſprach: „Zieh' Hin im; 
Frieden und ſei glücklich.“ 

Und er zog hin. — — Längft 
ihon war der Kampf beendet und 
fiegestrunfen waren die Krieger heim— 
gekehrt; der Sohn aber fam nicht. 
Da jammerte der Greis: „Ich gab 
meinem Sinde Glüd- und Segens— 
wunsch mit als Geleite und er fehrt 
nicht wieder.“ 

„Bater, ih gehe den Bruder 
fuchen und bring ihm Dir oder ein 
Zeihen jeines Glückes,“ ſprach der 
jüngere Sohn zum Bater. 

Er zog weit hinaus in ferne Lande, 
um den Bruder zu fuchen, bis er 
ihn fand — in kühler Erde. Lange | 
ftarrte er thränenfeuchten Blides auf 





den einfachen Hügel, der fo ein reines | 


— 


Heldenherz deckte, dann dachte er 
ſchmerzbewegt an den Vater. „Was 
ſag' ich ihm? was bring' ich ihm?“ 
Da lugte ein vierblätteriges Kleeblatt 
aus dem duftigen Graſe am Grabes— 
rand. 

Schweigend nahm es der Jüng— 
ling an ſich und ging. 

„Du kommſt allein?“ fragte der 
Greis den rüdgefehrten Sohn. 

„Ich komme allein.“ 

° „Du fandeft ihn nicht?” 

„Ich Fand ihn.“ 

„O ſprich, iſt er glücklich? Wo 
haſt Du das Zeichen ſeines Glückes?“ 

Schweigend reichte der Jüngling 
das Kleeblatt hin. Da leuchtete das 
Auge des alten Mannes auf. 

„Sprich, gab er Dir dieſes?“ 

„Er gab es nicht, ih nahm es 
— von feinem Grab.“ 

Ein vierblätteriges Kleeblatt bringt 
Slüd, woher die Verheißung wohl 
ſtammen mag? Wenn ein Menfchen« 
find eine Blume oder ein Blatt bricht, 
um es zu zerftüden und wegzu— 
werfen, ohne dabei zu denfen, begeht 
es einen Frevel. Doch wer Blühen— 
des gepflüdt, um fi) oder was 
immer damit zu Schmüden, um jich 
zu erbauen, dabei zu denfen, zu füh— 
lei, der thut recht, denn Gedanken 
und Gefühle, die aus Menfchentopf 
und Menſchenbruſt entipringen, weihen 
und Heiligen. Wer aber könnte ge= 
danfen= und empfindungslos ein vier— 
blätteriges Stleeblatt brechen ? 

Die Berheißung, welche fich daran 
knüpft, ift ficherer Bürge dafür. So— 
wie das Auge darauf fällt, hat Kopf 
und Herz Theil daran. So mächtig 
ift in der menschlichen Bruft die Sehne 
juht nah Glüd, daß das geringfte 
Zeichen Schon Freude Schafft und die 
ift oft echter, als das Glück felbit. 

Menſchenkind, findet Du ein vier— 
blättriges Kleeblatt, trag’ Dir's heim, 
die Hoffnung ift ein großes Gut — 
ift Glüd. 


608 


Die Muſterzeitung. 


Eine Plauderei von Emil Peſchkau.“) 









8 






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n Winfelsroda febte ein Mann! Nun wollte er ein Blatt berftellen, 
Namens Stephan Mitfcherlih, das eine Mufterzeitung, ein Vorbild 
der zur Zeit diefer Geſchichte eine große | für die Zukunft werden follte. Er 
Zeitung leitete, die er vor furzem jel= | that das Menſchenmöglichſte— indem 
ber gegründet hatte. Mitſcherlich war er es am eigener Arbeit nicht fehlen 
in bejcheidenen Verhältniffen aufges ließ und feine Koften faheute. Er war 
wachſen und hatte unter mannigfachen Monate lang auf der Fahrt nach Re— 
Schwierigkeiten feine Studien volle | dacteuren, denn es ſchien ihm in 
endet. Er verfuchte es dann mit eriter Linie nöthig, feinen fogenannten 
literarifchen Arbeiten, die aber fein | verfehlten Eriftenzen, denen es mur 


Glück Hatten, weil er wohl den guten 


Willen, das tüchtige Herz und den 
hellen Verſtand beſaß, ohne die man 
follte, | 


ja überhaupt nicht ſchreiben — 
aber nicht jene Gabe der Darftellung, 
die allein Manchem jchon, wenn auch 
nicht zu bleibendem Ruhm, doch zu 
Geld und Ehre verhalfen. Der Er- 
zähler hätte fich denn auch mit Herrn 
Mitſcherlich kaum weiter zu beſchäf— 
tigen, wäre dieſem nicht, während er 
gerade noch in dem beiten Jahren 


ftand, eine reiche Erbichaft, die weit 


über eine Million ging, zugefallen. 
Nun konnte er feinen philantropiichen 
Neigungen, denen er bisher nur mit 


der Jeder in der Hand nachging, auch 


in Wirklichkeit leben und er traf ſo— 
fort allerlei Beranftaltungen, von denen 


er einen Nuben für die Förderung, 


der Menjchlichkeit erhofite. Die weit: 
aus bedeutendfte feiner Unternehmuns 
gen war eine große Zeitung, twelche 
er in Winfelsroda unter dem Titel 
„Die Bildungswarte* herauszugeben 
begann. 
hatten fein Intereſſe natürlich Frühe 
zeitig auf den Journalismus gelenkt 
und er hatte die tiefen Schäden, an 
denen derjelbe krankt, Schnell erlannt. 


) Aus defien trefflidem Buche: 


Seine literarifchen Arbeiten 


nm den Broterwerb zu thun ift, die 
Führung des Blattes anzuvdertrauen, 
fondern nur allfeitig gebildeten, ſchrift— 
ftellerifch begabten Männern, die ihr 
Amt mit dem heiligen Ernfte eines 
wahren Priefterd auszufüllen gewillt 
find. Er fuchte feine Mitarbeiter nur 
in den Reihen der Dichter, Künſtler 
und Gelehrten und verbannte jeden 
Dilettantisnus, Weder politifcher noch 
jonftiger Klatſch follte die Seiten des 
Blattes füllen und auch das Heinfte 
Artikelchen follte eine ſchriftſtelleriſche 
Urbeit fein. Er kaufte keine Scheren 
für feine Nedaction und befchloß, den 
Telegraphen, dieſes unermüdliche, tri— 
viale Slatfchweib der Gegenwart, 
feinen Lefern jo viel wie möglich vom 
Leibe zu halten. Mit diefen und an— 
deren ähnlichen Vorfäßen gieng er an 
die Gründung der „Bildungswarte“. 
Er war mit Leib und Seele bei dem 
Blatte, es gefiel ihm von Zag zu 
Tag beifer und er wäre ganz glüdlich 
geweſen, wenn er nicht aus allerlei 
Zufhriften die Wahrnehinung gemacht 
ı hätte, daß die Zeitung doch nicht Alle 
!befriedigte, und wenn ihm nicht die 
auffallend geringe Abonnentenzahl zu 
denken gegeben hätte. Das jollte an— 





„Zeitgloſſen.“ (Leipzig. W. Friedrid.) 


609 


der3 werden. Die „Bildungswarte“ 
mußte jo volllommen werden, daß 
Niemand an ihr etwas ausfegen konnte, 
und die Auflage — fo meinte er — 
würde dann von felbjt fteigen. Er 
entichloß ſich deshalb, die Wünſche 
und Meinungen des Publikums felbft 
zu ftudieren und an dem Werke, das 
ſchon jet fein ganzes Leben ausfüllte, 
nah Kräften zu meißeln und zu 
glätten. 

An einem Schönen Frühlingstage 
beftieg er vergnügten Herzens den 
Eiſenbahnzug, der nah dem Süden 
führte, Sein rundes Geſicht jah fo 
freundlid aus und feine Kleinen, 
grauen Augen blidten fo heiter hinter 
den großen Brillengläfern hervor, daß 
der Mann, welcher ihm gegenüber im 
Coupé ſaß, date: „Der Hat gewiß 
einen Treffer in der Lotterie gemacht 
oder einen Kunden recht über’s Ohr 
gehauen!" Und wirklich dachte Mit- 


„Sa. Sie hätte fein Temperament, 
e3 wäre Alles gelünftelt an ihr. Hat 
wahrjcheinlich ein Körbchen von ihr 
befommen, der Herr Necenfent ?” 


„Und deshalb ift das Blatt 
Schund ?“ 
„Schund, nichts als Schund. 


Alles jo hochtrabend und eingebildet, 
als hätten die Herren die Weisheit 
‚mit Löffeln gefreſſen. Da iſt doch 
unſer „Stadtblatt“ was ganz Anderes. 
Das verſteht man und da profitiert 
man was dabei. Da leſen Sie ein— 
mal, was das Stadtblatt über die 
geftrige Vorſtellung ſchreibt.“ 

Herr Mitſcherlich nahm das Blätt— 
ben und las. Er lächelte immer mehr, 
hell auf aber lachte er, al3 er wört— 
ih folgende Stelle fand: 

„Wir vermißten im der zweiten 
Hälfte des Stüdes eine wirklich warıne 
beifällige Theilnahme und folgern 
daraus wiederholt unferen Schluß 


isherlich im dieſem Augenblide, wie; für eine nicht gute Aufnahme des 
angenehm es doch ift, recht viel Geld | Dramas dahin, was um die dadurch 
zu befigen — denn man kann es ſo früh verloren gehende VBorzüglich- 


dann zum Beten feiner Mitmenfchen 
ausgeben. In feiner Herzensfreude 
wollte er fein vis-A-vis gleich um feine 
Meinung über die „Bildungswarte“ 
fragen ; e8 fiel ihm aber rechtzeitig ein, 
dab man doch micht gleich mit der 
Thüre in's Haus fallen folle und jo 
begann er ein gleichgiltiges Geſpräch, 
das er nah und nach immer mehr 
feinem Ziele entgegenlentte. Endlich 
war er jo weit und fonmte mit klo— 
pfendem Herzen fragen: „Und was 
halten Sie denn von der Bildungs- 
warte?" — 

„Diefes Schundblatt!” entgegnete 
der Andere achjelzudend. 

„Schundblatt ?* fragte Mitjcher- 
(ih mehr erftaunt ale erzürnt. „Ich 
hielt e3 für ein ganz gutes Blatt.“ 

„Schund, nichts als Schund von 
A bis 3. Wiffen Sie, was in dem 
Wiſch neulich über die Nahiejl ge- 
ftanden hat?“ 

„Sie meinen die Naide an uns 
ſerem Stadttheater ?* 


Kofegger's „„Geimgarten‘‘ 8. Geft, AI. 


feit der dramatifchen Geſammtdar— 
ftellung doppelt ſchade ift.“ 

„Sehr gut,“ fagte er, „ſehr aut.“ 
Dann brach er das Geſpräch ab und 
verſank in Gedanfen. Das „Stadt- 
blatt“ drudte 20.000 Eremplare, 
während die „Bildungswarte“ in Win— 
fel3roda circa dreihundert Abonnenten 
hatte. Das war doch feltfam, höchſt 
jeltfam. 

Der Zug hielt endlich in der 
Provinzialftadt, welche Herr Mitſcher— 
lich zunächſt abjolvieren wollte. Er 
flieg aus, ließ feinen Koffer in das 
Hotel tragen, nahm einen Heinen 
Imbiß zu ih und gieng danı fofort 
aus, um einen Mann zu befuchen, 
der auf feiner Lifte obenan ſtand. 
Das war der Doctor Rappe, Rector 
‚der ftädtifchen Realfchule, ein Mann, 
‚der durch feine Gelehrſamkeit ebenfo 
‚berühmt, wie durch feine Stellung 
einflußreih war. Es war Sonntag 
und er fand den Herrn Doctor im 
| Schlafrod im Garten promenierend, 


39 


in dichte Rauchwolken gehüflt, die aus 
einer langen Pfeife emporftiegen. 

„Schade,“ fagte Dr. Rappe, nach— 
dem man endlih auf das Haupt— 
thema gekommen war, „ich dachte, 
aus dem Blatte wiirde was Rechtes 
werden. Habe mich getäufcht. Nehm’ 
es auch im nächſten Quartal nimmer, 
nein, ih mag es micht ſehen. Bil— 
dungswarte! Was müßt alle Bildung 
in Deutichland, ehe wir nicht die 
Einheit haben.“ 

„Einheit ?* fragte Mitfcherlich 
verwundert. „Sch dächte, die haben 
wir doc.“ 

„Einheit — Schöne Einheit! Wie 
Ipricht der Leipziger, der Schwabe, 
der Baier, der Berliner? Potz Teufel, 
jeder redet ja eine andere Sprade. 
Das wird aber nie beſſer werden, 
wenn wir uns nicht über das ft einis 
gen. Da, lieber Herr Mitfcherlich, 
das ft und das ſp, da fißt der Halen. 
Ehe nicht jeder Deutjche das ft und 
das ſp gleich ausfpricht, eher gibt's 
feine Einheit. Und dafür hätte die 
„Bildungswarte” eintreten follen.” 

„Aber wie fonnte fie das? 

„Wie — pah, fehr leiht. Sie 
hätten die Gelegenheit nur bemüßen 
müſſen. Ich Habe vor Furzem ein 
Werk vollendet über die richtige Art, 
das ft und das ſp auszuſprechen — 
die Arbeit meines Lebens, zwei dide 
Bände. Ich fandte es Ihrer Redaction 
und fie ſchickte es mir zurüd. Natür— 
li, haben feinen Pla. Müffen Lie= 
besgefchichten druden und derlei dum— 
mes Zeug. Na — nehmen Sie mir 
nichts übel, Herr Mitſcherlich, aber 
Sie werden einjehen, dab ich hr 
Blatt in meinem Haufe nicht mehr 
erbliden mag.“ 

Am Abende diefes Tages ſaß 
Miticherlih ziemlich niedergefchlagen 
in der MWeinftube „zum alten Deut: 
ſchen“. Die Geſchichte im Eifenbahn= 
coupe, jene mit Dr. Rappe und nun 
noch ein weiterer Fall — das war 
gerade genug, um ihm troß feiner 
heiteren Gemüthsart zu verftimmen. 


en — — — — — — 





Beſonders der letzte Vorfall kränkte 
ihn, denn er entnahm daraus ſo recht, 
wie man nichts objectiv betrachten 
wolle, ſondern Alles in Zuſammen— 
hang mit Perſönlichem bringe. Ein 
den Ruf eines Gebildeten genießen— 
der Mann hatte ihm geſagt, dab er 
tein Judenblatt Halte. Darauf hatte 
Mitfcherlich feierlich erklärt, daß in 
der ganzen Nedaction kein einziger 
Jude befchäftigt fei. Der Mann aber 
lächelte höhniſch und fagte: „Nun, 
dann haltet Ihr es eben mit den 
Juden des Geldes halber, jonft hättet 
Ihr neulihd nicht das alberne Feuil— 
leton „Leiling in Winfelsroda“ ge= 
bracht. Miticherlich war e& bei diejen 
Morten, als hätte er einen Stich in’s 
Herz empfangen. Er Hatte dieſes 
Feuilleton ſelbſt gefchrieben in jenem 
Geifte, der ihm ganz erfüllte, jenem 
Beifte der Humanität, der die Größe 
des adhtzehnten Jahrhunderts ausmacht. 
Und in dieſem Geifte Hatte er jelbit 
den Antifemitismus wieder entſchul— 
digt, indem er ihn nur als das der 
menschlichen Natur entfpringende Zorn— 
gefühl über allerlei Ausschreitungen 
erklärte. Wenn diefer Zorn verflogen, 
dann werde man fich auch wieder 
hüten, das Kind mit dem Bade aus— 
zuſchütten . . Und nun war das die 
Antwort... 

Es that ihm wohl, jeßt in diefem 
behaglihen Raume zu ruhen und er 
erfreute fih an dem eichenen Gebälk, 
an dem Getäfel und dem Majoliten- 
fried, der es von der Dede trennte, 
an den alten mächtigen Stühlen und 
Tiſchen und namentlich an dem grünen, 
Ihimmernden Steldhe, aus dem ihm 
der wiürzige Rheinwein entgegendufs 
tete. Plötzlich zog ihn von feinen Ge— 
danken das Wort „Bildungswarte* 
ab, das aus einem im daneben be= 
findlichen Raume geführten Gejpräde 
deutliher an fein Ohr drang. Er 
ſah fih um und bemerkte, dal diejer 
Raum nur durch Gobelins, die zwi— 
Ichen hölzernen Säulen befeftigt waren, 
von dem Zimmerchen getrennt wurde, 


sm 


in welchem er ſaß. Nun fchob er den; darauf, feine Nedacion von Ddiefer 


Vorhang ein wenig zur Seite und 
gewahrte eine Geſellſchaft junger Leute, 
die fi, offenbar in ſehr angeheiterter 
Stimmung, recht ungeniert untere 
hielten. Wie er aus ihren Neden ent— 
nahm, waren es Commis aus kauf— 
männiſchen Gefchäften, die, wie es 
Ihien, im intimen Beziehungen zur 
„Literatur“ ftanden. Jeder von ihnen 
jpie Gift und Galle über die „Bil— 
dungswarte*, denn Jedem von ihnen 
hatte fie etwas angethan. Der Eine 
hielt fich berechtigt, um eine Nedac- 
teurftelle zu werben und war ab— 
ſchlägig bejchieden worden, dem An— 
deren war etwas Aehnliches paffiert, 
als er fich erbot, aus der Stadt für 
die Zeitung zu correfpondieren über 
„Zheater, Kunft und Handel”, dem 
Dritten hatte man feine Novellen mit 
dem Bemerken zurüdgeichidt, doc 
lieber das Schreiben jein zu laſſen 
u. ſ. f So war denn ihr Groll fo 
ſehr angefchwollen, daß fie heute, 
vom reihliden Weingenufje ermun— 
tert, befchloffen, fich an der „Bildungs- 
warte“ zu rächen. Jeder fchlug einen 
anderen Racheact vor, endlich aber 
einigte man ſich dahin, eine falfche 
Nachricht, unterzeichnet mit dem Na— 
men des Gorreipondenten, den man 
tannte, nad Winkelsroda zu telegra- 
phieren. Die Zeitung mußte auffigen, 
man war gerächt und hatte einen Ca— 
pitalfpaß dabei. 

Herr Mitfcherlih war vor Ems 
pörung ganz bleich geworden. Gein 
erfier Einfall war, feinen treuen Rohr— 
tod zu nehmen und die Mercurjünger 
auf die verftändlichite Art mores zu 
lehren. Uber er ſah jofort das Un— 
zufömmliche diefes Verfahrens ein und 
dachte daran, die Polizei zu Hilfe zu 
rufen. Nun wäre das allerdings mo— 
derner geweſen, Herrn Mitjcherlich 
ſchien es aber noch weniger human 
zu fein, als jenes erſte Mittel und jo 
verflog auch der erſte Zorn über 
diefes Bubencomplot und als richtiger 
Humanift befchräntte er Tich Schließlich 








Begebenheit telegraphifch zu benach— 
richtigen und diefe wertvolle Erfahrung 
zu feinen übrigen zu notieren. 


Am andern Morgen ging es weis 
ter und die liebliche Landfchaft, durch 
welhe der Zug dahinfuhr, ſtimmte 
Herrn Mitjcherlich wieder heiterer. 
Zudem brachte der nächſte Beruch, 
den er vorhatte, gewiß etwas Ab— 
wechslung und nach all den unan— 
genehmen Borfällen kam wieder ein— 
mal etwas Erfreuliches. Auf dem 
Schloſſe Eifenftein, deffen Bewohnern 
er don einem Freunde aufs Wärmſte 
empfohlen war, fand er gewiß eine 
freundlichere Aufnahme als bisher 
und — was ihm die Hauptiache war 
— gerechte Wilrdigung und guten 
Rath. Das Städtchen, in deſſen Nähe 
das Schloß lag, wollte er auf dem 
Rüdwege befuchen und deshalb jandte 
er fein Gepäd voraus, während er 
jelbft auf einer Nebenftation abftieg 
und von bier aus zu Fuße nad 
Eiſenſtein pilgerte. 

Kurze Zeit danach ſaß er in einem 
alterthümlichen Gemache, durch deſſen 
hohe Spitzbogenfenſter man das an— 
muthige Thal mit ſeinen Dörfern und 
Weilern, ſeinen Feldern und Wieſen 
und ſeinen mit Buchenwald geſchmück— 


ten Hügeln überſehen konnte. Er 
ſaß vor einem Tisch, auf dem ein 
Gläslein mit weißem Weine jtand 


und ein Zwiebäckchen lag, und ihm 
gegenüber ſaßen in hohen Lehnftühlen 
drei hagere jchmarzgelleidete ältliche 
Damen, die Yräuleins Eulalia, Her— 
mione und Sophonisbe von Eifen- 
ftein, Beſitzerinnen des Schlofjes und 
Abonnentinnen der „Bildungswarte*. 


„Eines,“ bemerkte Fräulein Eula— 
lia im Verlaufe des Gejpräches, „ges 
fällt mir an dem Blatte entjchieden 
nit. Es ift gut, daß Sie da find, 
demm nun werden Sie wohl die nö— 
thigen Anordnungen treffen, damit 
wir nicht gezwungen find, eine Lec— 
türe aufzugeben, welche uns der Herr 


39* 


Baron empfohlen hat. Ihre Zeitung ! 
ift unmoraliſch.“ 

Herr Mitfherlih fuhr im die, 
Höhe, als Hätte ihn eine Natter ges 
ftochen. „Unmoraliid — das hat mir 
doch noch Niemand gejagt.“ 

„Das ift wohl möglich. Unfere 
heutige Welt ift ja in dem Sumpf 
der Unmoralität fat untergegangen. 
Wir aber, wir find drei deutjche 
Jungfrauen —“ 

„Edeljungfranen, "unterbrach yräu- 
lein Hermione und Fräulein Sophos 
nisbe nidte energijch mit dem Haupte. 

„Drei deutjche Edeljungfranen und 
wir können ein Blatt nicht lefen, das 
uns in Gefahr bringt, erröthen zu 
müſſen.“ 

Herr Mitſcherlich ſah ſo ärger— 
lich aus, daß ihn Niemand wieder 
erkannt hätte. Er las doch ſeine Zei— 
tung tagtäglich auf's Genaueſte, aber 
es war ihm nie etwas Anſtößiges 
aufgefallen. Er war emſig beſtrebt, 
die „Bildungswarte“ rein zu Hals 
ten, denn er jagte ji, daß ein der— 
artiges Blatt, das nichi für beſtimmte 
Streife berechnet, das vielmehr, täglich 
ericheinend, jung und alt, vornehm 
und nieder, gebildet und ungebildet, 
Manı wie Weib von den Fortjchritten 
und Neuigkeiten auf allen Gebieten 
unterrichten ſoll, jeglihe Pilanterie 
ausschließen müfle. Und nun nannte 
man die „Bildungswarte“ unmo— 
raliſch. 

„Das iſt unmöglich,“ ſagte er 
zitternd. „Nennen Sie mir doch eine 
Stelle —“ 

„D das fünnen wir —“ 

„IH bitte darum —“ | 
„SH bringe es micht über bie 
Lippen. Hermione, fuche doch die 
Nummer —* | 

Es dauerte nur ein paar Minus | 
ten und ſchon lag das Blatt vor! 








6 12 


„Was Nitter Kuno einmal be— 
Ichloffen Hatte, das führte er auch 
aus. So ließ er am andern Morgen 
fein treues Leibroß ſatteln und ritt 
gegen Eppenheim. Es war frifh und 
fühl und Kuno ritt in ſcharfem Trab 
dahin, jo daß der ſtattliche Hengſt 
dampfte und fchnaufte, als man vor 
dem Burgthore anlangte.“ 

Herr Miticherlid ſchüttelte den 
Kopf und fragte: „Was foll da un— 
moralijch fein ?* 

Die drei Edeljungfrauen ſahen ſich 
mit einem Blide an, der auszudrüden 
ſchien: Siehft Du, auch diefer! Dann 
baten fie Herrn Mitſcherlich, die 
Stelle doch nochmals aufmerkſam zu 
lefen. Als diefer noch immer ohne 
Verftändnis blieb, nahm Eulalia eine 
Nadel von ihrem Stridfirumpfe und 
deutete auf ein Wort in dem leßten 
Satze. 

Herr Mitſcherlich ſah auf das 
Wort und dann auf die Damen. Die 
drei Fräuleins ſaßen mit niedergeſchla— 
genen Augen da und ſtrickten eifrig. 
Roth waren ſie nicht, nur die Naſen— 
ſpitze von Fräulein Eulalia ſchien et— 
was röther geworden. Es war eine 
unheimliche Stille in dem Gemach und 
Herr Mitſcherlich hätte ſie am liebſten 
unterbrochen durch ein recht herzliches 
Lachen. Aber die drei Edeljungfrauen 
ſahen ſo furchtbar finſter drein, daß er 
Mitleid mit ihnen Hatte und bat, die 
Sade zu entſchuldigen. Es könne 
jedem Menfchen einmal ein Malheur 
pafiren und auch dem  fittfamften 
Schriftſteller kann einmal das Wort 
„Hengſt“ entjchlüpfen, wenn er da= 
bei eben an nichts Anderes denfe, als 
das Wort Roß oder Pferd nicht zu 
wiederholen. Er werde feinen Re— 
dactenren in Zukunft Vorficht em— 


pfehlen. 
Auf diefe Erklärung Hin berubig- 


Herrn Mitfcherlih ausgebreitet und |ten fich die Damen und man verab— 
er las die Stelle, die ihm Fräulein | fchiedete fich auf's freundlichfte. Man 
Eulalia gezeigt hatte. ES war der/war jogar jo liebenswirdig, den 
Anfang eines Nomancapitels, der fol Neffen des Haufes, einen jungen 
genden Wortlaut Hatte: Mann von 18 Jahren, dem Gafte 


zum Begleiter mitzugeben und diefer 
führte Herrn Mitjcherlih auf feinem 
eleganten Wägelchen, das er ſelbſt 
futfchierte, binnen einer halben Stunde 
in die Stadt. Bevor man fich trennte, 
erfuchte der Nüngling Herrn Mit: 
fcherlih noch, fein Blatt doch etwas 
unterhaltender zu geitalten, jo etwa 
wie den Parifer „Figaro“, den er 
immer bei einem Freunde leſe. Die 
„Bildungswarte“ ſei zu wenig pi— 
kant. 

In der Stadt machte Herr Mit— 
Icherlih noch einige Beſuche und er: 
fuhr bald, daß die „Bildungswarte” 
zu wenig Bolitit bringe und bald 
wieder, daß fie zu viel enthalte; bald 
waren die Nomane zu wenig und 
bald zu viel romantisch, die Feuifletons 
waren jebt zu heiter und dann zu 
ernft, der Eine fühlte fich durch eine 
Notiz beleidigt, der Andere dadurd, daß 
jein Concurrent gelobt war u. ſ. w. Beim 
Abendeſſen erfuhr er, daß der Neffe 
in Wirklichkeit der Sohn des Fräu— 
leins Eulalia von Eifenftein und eines 
im übrigen ſehr frommen Herrn jei 
und als er im Speifefaal des Hotels 
das Localblatt zur Hand nahm, da 
fand er, daß es fat Wort für Wort 
ein Nahdrud der „Bildungswarte“ 
war und mur ein paar örtliche No— 


tizen als Driginal-Zugabe enthielt 
Diejes Blatt hatte eine Auflage von 
7000 Eremplaren und der Eigen 
thilmer war, wie man ihm erzählte, 
durch dasjelbe ein reicher Mann ges 
worden... . 

Herr Mitfcherlich befuchte Nieman— 
den mehr. Er machte noch eine Heine 
Erholungstour und kehrte dann nach 
Winkelsroda zurüd. In der Nedactiong- 
Gonferenz theilte er feine Erlebniffe 
in humoriftiicher Yorm mit und zu— 
gleich die Thatfache, dak er ein Gut 
im Gebirge erworben habe und fich 
dorthin zurüdziehen werde. Dort lebe 
ein Stamm unverdorbener Menfchen 
und vielleicht Fönne er da etwas — 
bilden. Die Zeitung gebe er ganz in 
die Hände des Chef-Redacteurs; er 
gebe fie nicht auf, weil es ihm ſchwer 
fomme, wadern Leuten die lieb ge— 
wordene Stellung zu fündigen und 
es ihm ja auf ein paar Mark nicht 
ankomme. „Und dann,“ fügte er hin— 
zu, „laflen Sie fih durch das Erzählte 
nicht beirren. . Ich Hatte eben Mal 
heur. Es gibt ja gewiß viele Leute, 
denen wir’3 recht machen. Beſchränken 
wir uns auf diefe und — redigieren 
Sie weiter wie bisher. Ich will’s mal 
inzwijchen mit einem Muftergute vers 


ſuchen. . . .“ 


Bekenntniſſe aus meinem Weltleben. 


Von P. R. Roſegger. 


XVI. 
Slüchtige Erinnerungen. 


in der vierten Claſſe fuhr und in Gaſt— 
häufern vierten Ranges oder auf Her— 
om ‚bergen übernadtete. Da lernt man 

az eine erite große Reife war für | Menfchen kennen. 

ee mich weitaus die fruchtbarfte E3 war im Frübfommer des Jahres 
und lehrreichfte. Damals hatte ich noch | 1870. Ich reiste durch Niederöfterreich, 
zu wenig Geld, um auf Eifenbahnen | Mähren, Böhmen, Sachen, Thüringen 
fahren und im bequemen Hotels wohe | Preußen bis zur Inſel Nügen. Bon 
nen zu können; wohl daß ich manchmal |dort gieng ich über Medlenburg nad 





614 


Hamburg und von da zur See über 
Helgoland nah Amſterdam. Durch 
Holland giengs und rheinaufwärts nad 
— Frankreich. Damal3 war es nad 
Frankreich noch nicht fo weit, als Heute; 
freilich Jah ih von Frankreich nicht 
mehr, al3 was vom Straßburger Mün— 
fter aus zu fehen war. Durch Schwaben 
und Wiürtemberg zog ich in die Schweiz 


er nah Graz zu feinem twaderen 
Abſender zurücdgelehrt, wo er meiner 
getreulich harrte. 

An Rhein beim Wein Hatte ich 
mich hübſch als Student betragen; im 
Vorarlbergiſchen ſah ich mich aber ver— 
anlaßt, den Handwerksburſchen hervor— 
zufehren; dort erbot ich mich einmal in 
einem Heinen Bauernwirtshaufe, Her— 


und dann über Vorarlberg, Tirol und |berge und Zeche durch Flickſchneiderei 
Kärnten zurüd nad Steiermark. Sad) |abzuftatten, was auch angenommen 
jen, Nügen, die Rheingegenden, den worden ift. Einen Reiſepaß trug ich 
Schwarzwald und die Alpen durchzog | in der Tafche, wurde jedoch auf der 
ih mit wenigen Unterbrehungen zu ganzen Reife nicht ein einzigmal dar— 
Fuß. Halb Handwerksburſche und Halb um befragt, außer in Marburg an 
Student, Jo reiste ih. Mit einem der Drau, bei der Heimkehr, wenige 
groben grauen Anzug, einem Stod, | Stunden von Graz. Ich glaub’s, der 
einer Wofllendede, einem Handkofferchen, | äußere Menſch an mir wird darnach 
das man an den Stod gehängt über der ausgeſehen haben. 

Achſel tragen kann, jo wanderte ich. | MWenn ich mich Heute auf die alle 
Mit achtzig Gulden in der Tafche, jo gemeinen Eindrüde jener Reife entfinne, 
zog ih fort — es war ja ohnehin ein jo finde ich, daß mich die großen Städte 
wahres Capital! Der alte Landes= | enttäufcht, die Kunftwerfe ziemlich gleich: 
hauptmann Saiferfeld war’ geweſen, | giltig gelaffen, die Menfchen angenehm 
der mir den Nath gab, einen Theil berührt, die Naturfchönheiten aber, als 
des Landesftipendiums, das ich damals 3. B. die Sächſiſche Schweiz, der 
bezog, auf Reifen zu verwenden. Mein | Thüringerwald, das Meer und das 
Gönner, der Großinduftrielle Reininge | Hochgebirge über die Maßen aufgeregt 


haus in Graz, ein geborner Weftfäler, 
trug mir auf, wenn ich in fein Heimat— 
land fäne, in Münfter auf dem Poſt— 
amt anzufragen, ob aus Graz nicht 
ein weiterer Zehrpfennig für mich be= 
reit läge. Meine Freunde U. Spoboda 
und Friedrich Marr, der Dichter, vers 
ſahen mich reichlich mit Empfehlungse 
briefen. Lebtere öffneten mir manches 
Thor, aber die Leute, denen ich em— 
pfohlen war, wußten doch nicht recht, 
was ſie mit mir anfangen follten ; als 
„Poet“ wurde ich ihnen vorgeitellt, 
leuchtete aber den Meiften nicht ein; 
endlich trafen fie im Verkehr mit mir 
doch das Richtige, fie luden mich zu 
Tisch und liegen mie nöthigenfalls auch 
die Stiefeln ausbeſſern. So fam es, 
daß ih in Münfter feinen Anlaß Jah, 
auf dem Poftamte nach dem bewuhten 
Zehrpfennig zu fragen. Derjelbe joll 
monatelang in der Stadt des Johann 
von Leydn gelegen, endlich aber war 





und begeiltert hatten. 

Ih hatte in den erften Tagen be= 
gonnen, liber die Dinge ein ausführ- 
liches Tagebuch zu ſchreiben. Bedeu— 
tendes und Unbedeutendes, Alles durch» 
einander, befann mich aber bald, daß 
Alles, Alles Schon hundertfach, und zwar 
von Kennern und erfahrenen Geiftern 
beichrieben worden war. So lieh ih 
die Dinge und Berhältniffe, die mir 
zufällig begegneten, auf mich wirken, 
ohne fie literariſch auszunützen oder 
für fpätere Zeiten zu firieren. Doc 
ift jene Reife auf mich von weſent— 
lihem Einfluß geworden. Mein Auge 
babe ich im der Fremde von jeher mehr 
auf die Natur geworfen, als auf das 
äußere Leben der Menfchen und ihre 
Werke, und jo kam es ftet3, daß ich 
in diefer Richtung nicht viele Erfahrung 
gemacht habe. Bei den Menfchen in— 
terejlierten mich mehr die Vorgänge 
des Seelenlebens, jo weit fie zu er= 


gründen waren, als das Äußere Ge= ſich das Heer. Aber ich kann nicht 
haben. Was meine perjönliche Er- unterlaſſen zu bemerlen, daß Sich im 
fahrung betrifft, fo muß ich geftehen, |jungen Volt von damals ein anderer 
daß mir auf meinen vielen Reiſen | Geift bemerkbar machte, al3 im dem 
durch verschiedener Herren Länder nicht | von heute, da Deutſchland wieder vor 
ein einziger Menſch vorgefommen ift, der Gefahr eines großen Krieges fteht. 
der mir meines Wiſſens mit Abſicht Damals war’3 noch wie ein Hauch von 
etwas Unangenehmes zugefügt hätte. |den Befreiungstriegen; die nationale 
Marme, wohlwollende Herzen überall. | Idee ſtand noch auf dem Boden von 
Daß fie überall auf ihren Bortheil | 1848, man citierte damals noch die 
ſehen, ift matürlich, ich jehe ja auch großen deutſchen Dichter als die Vor— 
auf den meinen; des Weiteren wüßte |läufer und Propheten der großen Zeit, 
ich weder von einer groben Uebervor- |die eriwartet wurde, und pries fie als 
theilung oder Rohheit zu erzählen. Ich die Erweder des nationalen Geiftes. 
lebe der Ueberzeugung, dab die Men- | Damals wäre es bei einem jungen 
chen verschiedener Völker fich innerlich | Menfchen nicht möglich gewejen, laut zu 
weit weniger unterſcheiden als äußer- jagen, daß 1848 ein Unglüd für das 
lich, daß die Herzen fich auch dort ver= | Volk fei, daß alle deutfchen Claſſiker zu— 
fteden können, wo die Sprache nicht ſammen überhaupt nicht fo viel bedeu— 
mehr vermittelt und dab, wo man ten, wie ein einziger Moltke. — Heute 
MWohlgefinnung entgegenbringt, man kann man derlei hören, und jogar 
zumeift auch Wohlgefinnung erfährt. | häufig und häufiger. Den Befonnenen 
Das gilt vor Allen’ von den breiten | gefällt das nicht. Das Schwert ſoll 
Volksſchichten. Das Perſonale in | nicht übermüthig werden, das Schwert 
lichen Etabliffements und großen Hotels | allein befreit und erhebt fein Bolf. 

it oft mehr Mafchine als Menſch. Mir Haben damals und ſeither 
und daß Mafchinen gefchmiert werden | immer wieder die Erinnerung und 
jollen, daß weiß man. Ich pflege in | Denkmale an Deutichlands große Geifter 
diejer Beziehung mehr nach dem Maß: |die Reife durch das Reich verklärt. 
ftade der Empfindung als dem des | Bloß der höderige Erdboden und die 
Vortheiles zu handeln. fteinernen Städte und die Durchſchnitts— 








Wenn ich die Namen der Menschen | leute, wie man fie überall findet, loh— 
alle nennen wollte, die mir im der nen nicht der Mühe, ſich mit wunden 
rende freundſchaftlich wohlgethan, die) Füßen durch die Länder zu darben. 
mir Liebes erwiejen haben auch ſchon Meine Reife war eine Art Wallfahrt 
zu jener Zeit, da ich noch vollftändig | zu den Weiheftätten der deutjchen Dichter 
unbefannt war — ich müßte Seiten und Denker. Die Neife war auf drei 
füllen. Monate berechnet gewejen, allein der 

Auf jener Reife im Jahre 1870 | Kriegslärn wurde immer lauter, er 
hatte ich es ein wenig gegen die Preu- ſchlug auch an die Felſen der Schweiz 
Ben. Das Jahr 1866! Ich Fand fie und cheuchte mich von dort vorzeitig 
aber nicht gar Jo arg anmaßend und | der ftilleren Heimat zu. 
berrifch, wie man fie gefchildert; das Im nächſten Jahre bereiste ich Uns 
Einzige, was mir damals an ihnen |garn, im übernächiten Italien; allein 
auffiel, war eine ziemlich ftarke, doch ich war nicht mehr arın genug, um 
nicht unliebenswirdige Selbjtgefällig: | mit dem eigentlichen Volke verkehren 
feit, die aber in jenen Tagen mit einer zu müſſen, ich gab hie und da ſchon 
bangen Aufregung vermiſcht war; denn der Bequemlichkeit die Ehre, eine 
es ſtand ein großer Krieg bevor. Schwäche, die ſpäter, beſonders der ſich 

Am Rhein begegnete ich vielem ſteigernden Kränklichkeit wegen, nur 
jungen reifenden Boll, Es ſammelte | zugenommen hat. Und dieſen Vorwurf 


616 

muß ich mir wohl machen, ich Habe !follte Schon ſterben! Mbgezehrt und 
die Neifen nicht immer jo ausgenüßt, |blutlos jah ich da in der Laube und 
als ich& der Anlage nach hätte thun |blidte auf die herrlichen Berge Hin, 
follen. Bahnhöfe, Hotels, Dampf- |die im Sonnenäther blau und rein 
ſchiffe, Mufeen, Bildergallerien, Theater, |daftanden, und dachte an dem Frieden 


manchmal ein Abftecher zu irgend einem 
renonmtirten Gebäude oder Landpunft, 
Natur mur, fo viel fich beim vorüber- 
fliegen durch die MWaggonfenfter bietet 
— das find die Hauptmerkmale der 


modernen Reifen. Es ift ja auch gut, | — 


aber man könnte für weniger Geld 
mehr haben. 

Heute reist man nur mehr mit 
Eilzügen oder Blitzzügen; weil’s am 
billigften ift, heißt es. Die Fußwan— 
derungen wären aber noch billiger, 
dächte ich; Freilich Führen fie nicht fo 
weit, aber fie führen tiefer ins Leben 
und zeigen die ſchöne Welt gründlicher. 

Wem ich twieder jung werden follte, 
ich wollt’ mir's gejagt fein lafjen. 


XVII. 
Wie ih gefund worden bin. 


Das war doch vielleicht das drofligfte 
Abenteuer meines Lebens. 

Ih fah am Rande meines Grabes 
und ſchlenkerte fo ein wenig die Füße 
hinab. Ein Weib, vier Heine Kinder 
und ein alter Vater hielten mich an 
den Händen und baten mich und be= 
Ihworen mich, nicht Hinabzufteigen. 

Wie Gott will. 

Das war ſchon im jechsten Jahre 
fo, und die Welt lachte freundlich auf 
mich ber umd das Grab war dunkel. 
Still und ſtändig ſiechte ich dahin. 
In meinem dünnen Blute war fein 
Temperament mehr. Der Arzt fagte, 
die Heimat jei der Moloch; der thöricht 
überfpannte Hang zur Heimat hätte 
mein Fleiſch verzehrt, mein Blut ges 
trunken. Ich hätte fort follen in ein 
milderes Klima, und konnte die trauten 
Berge nicht laſſen. Lieber in heimat— 
licher Erde ruhen, als auf fremder 
athmen. Ich Hatte das Hohe Lied 


ihrer Wälder. Die Leute draußen in 
den Flecken und Städten, ſie zanten 
und ftreiten um Phantome und haben 
fein Auge für ihre Heimat. Vor lauter 
Bolitil vergeflen fie des VBaterlandes. 
Ich Sehe die Schönheit Ddiejes 
Landes, den inneren underftandenen 
Wert feiner Bewohner und muß ters 
ben. — Weib und Kind! Im ihnen 
mich felbft verlieren, mach den Tode 
noch leben und mir jelbft nachweinen 
in’3 Grab und verwaist fein! 

Bor mir auf dem Anger fpielte 
mein jüngfter Knabe. Er band, in 
Erinnerung an einen Kirchhofsbeiuch, 
zwei Holzftüdlein zufammen zu einen 
Kreuz und ftedte es in die Erde. 
„Schau, Bater!“ jubelte er, „Schau, 
da ift Dein Grab!” 

Auch gut, dachte ich, nimm's für 
ein Spiel, Hans, Du bift der Klügſte. 

Weil mich ftets Fröftelte, fo ſaß ich 
‚gerne auf der fonnigen Gartenbanf 
und ftarrte in einer Art von ſüßer 
Stumpfheit vor mich hin. Da erinnere 
ih mich, dab ich eines Tages mit 
gewiflen Intereſſe zweien Rindern 
zuſah, die hinter dem Zaune auf der 
Meide mit einander im Zweikampf 
waren. Anfangs Hatten fie nur jo 
mit den Hörnern gegaufelt, gefcherzt 
und fich gegenfeitig beledt. Ich ſah 
die Urſache nicht, aus welcher fie all— 
mählich entichiedener gegen einander 
auftraten, jo zu jagen in fehärferer 
Tonart, brüllend mit den Vorderklanen 
die Erde aufwühlten und dann ſchnau— 
bend aneinanderfuhren. Mit gehobenen 
Schwänzen drehten fie fich im Kreiſe, 
einmal wild dreinftoßend, das andere= 
mal lauernd und berechnend, wie dem 
Partner die Hörner in den Hals, im 
die Flanke zu rennen feien. Es wäre 
auf dem Tod gegangen, wenn nicht 
ein Junge mit der Peitſche fie aus— 





meines Volkes noch nicht gefungen und ! einander gejagt hätte. Das liebe Vieh ! 


Gott fei Dank, daß wir a gehört dazu. Aber mir wäre ein 
find! Nur das nahm mich Wunder, | ehrliches: Menſch, ich will Dich nieder— 
daß dieſe vierfüßigen Nitter ſich in | Schießen! lieber geweſen, als dieje 
ihrer gewaltigen Deldenhaftigfeit durch | hämiſch verbiffene Artigkeit, bei welcher 
die Garnpeitſche des Jungen ftören | aus jeder Sapfuge Gift und Galle 
ließen. fidert. Daß es im gegebenen alle 
Ich muß mich an jenem Tage ein „Zurücknehmen“ nicht gab, das 
etwas unterer gefühlt haben, —— er ſo gut als ich. Meine 
Befinden und Stimmung ſchon zu Aeußerung über den „Säbelraſſler in 
wechſeln pflegen, ich empfand wieder | | Givil® hatte fih auf eine Type von 
die vielfachen ehernen Bande, mit denen Menſchen bezogen, welche einen jchar- 
man am Leben hängt, und da hielte | fen Peitſchenhieb manchmal verdient. 
man es für eine Sinde der Natur, | Nachdem die Bemerkung jedoch von 
fterben zu müſſen. Und die Natur einer beftimmten Perſon aufgefangen 
fündigt nicht. worden war, jo dachte ih: gut, fie 
Trat durch den Gartenzaun ein | wird willen, was ihr zugehört. 
hochgewachſener, breitfchulteriger Mann Anfangs Hatte ich dem Mann über 
zu mie herein, ein wahres Pracht- jeine Zumuthung hölliſch ungeſchickt 
eremplar von Kraft und Gefundheit. in's Geficht gelacht. Es war ein ge— 
Ich freute mich bei dieſem Anblid, | ſundes Auflachen, wie ſchon feit Lanz 
dab es noch ſolche Reden gibt aufge nicht mehr. Allmählich jedoch kam 
der Welt. Der Mann fam mit feier= I mir zum Bewußtfein, wie viel Nieder» 
lichem Eruſte auf mich zu und for« | tracht in diefer Forderung lag. Plößlich 
derte mich anf zu einem Duell. empfand ich einen glühenden Zorn. 
Ih lugte den Spaßvogel an und „Here!“ ſagte ich, „dieſe Ange— 
indem ich ihn einlud, neben mir auf legenheit haben Sie vom Zaun ge— 
der Bank Platz zu nehmen, ſagte ich, | brochen, um an mie Ihr Müthchen zu 
es wäre ein guter Wiß. fühlen. Was find Sie für ein Lands— 
„Das ift fein Spaß, mein Herr!“ | mann? Deutfche Männer machen einer 
verjegte er jchredbar erufthaft; „Sie! folhen Suche wegen fein Duell! — 
haben einen meiner politifchen Freunde | Was find Sie für ein Charakter ? Seit 
beleidigt, indem Sie ihn als Säbel- | wann fordert ein ftarker, waffengeübter 
raſſler in Civil öffentlich lächerlich ges | Haudegen einen Kranken ? einen waffen: 
macht haben. Sie haben den Mann unkundigen,  friedliebenden Poeten? 
zwar micht genannt, aber wir willen | Schämen Sie fih! — Den Pflug 
doh Alle, daß er gemeint if. Die und die Sichel Habe ich Führen ges 
Nedactenre der zwei Blätter, die lernt, wenn Sie mir einmal parieren 
Ihre Auslaſſungen nachgedruckt, die wollen! Arbeiten Sie fleißig, dann 
haben wir auf Biltolen gefordert, | wird Ihnen der lebermuth ſchon ver— 
wenn fie nicht widerrufen; es waren | gehen.“ 
Ehrenmänner, fie haben widerrufen. Der Mann fchüttelte fein ſchönes 
Und nun werden auch Sie widerrufen, Haupt und murmelte: „Ich begreife 
mein Herr, denn Sie haben eine grobe ; Ihre Erregung nicht.” 
Unmahrheit behauptet; wir find feine Darauf mein Belenninis: „Ich 
Sübelrajjler, mir contrabieren a re auch nicht. ES iſt ja zu 
Piftolen. Sie kennen mich schlecht, | droflig.” 
wenn Sie glauben, daß ich mit Dingen, | Wo das Droflige läge in dieſer 
die mir heilig find, Scherz treibe. Alſo ernſten Sache? fragte er. Er hätte 
ich bitte! zurücknehmen, oder —“ Ihon Hunderte von Affairen gehabt, 
Anfangs war der Mann ganz aber eine ſolche Erfahrung ſei ihm 
martialiſch Höflich gewefen ; ich glaube, neu. Er hätte ſich's übrigens gedacht. 





618 


„Und leicht denken können“, einmal das fonderbarfte Zeug durch— 
entgegnete ich. „Ein Auerochs fordert | einander. Ein Menfch, der ihn nieder— 
die Taube zum Zweikampf. Natürlich ſchießen wolle! 
fliegt die Taube davon und der Ochs „Bah,“ fagte der Arzt, „mir ift 
bleibt ftehen. I das Ihre Nitterlich | jener Kauz ja auch befannt. Por 
teit ? Nein, Herr, das ift gemeine) Kurzem foll ex feinen Schneider ge» 
Raufluft, gepaart mit Feigheit. Meinen | fordert haben, und warum? weil der 
Hausmeifter ftelle ich Ihnen, wenns | Schneider ihm gefordert hat. Man 
gefällig iſt.“ jieht, das Duell gewinnt wirtjchaftliche 

Der Gegner — anfangs fo ftolz | Bedeutung.” — „Na nu," fehte der 
und jelbfibewußt aufgetreten — War | Arzt bei und befühlte mir die Adern. 
blaß geworden. Das mußte dem ſchlag- „Na nu,“ fagte er, „das ift nun 
fertigen Manne noch nie pafliert fein, | wieder einmal ein Fräftiger Puls. Das 
als Chavalier anzulommen und als laſſe ich mir gefallen.“ 

Hägliche Figur abzugeben. Mit einem Und im der That. An jenem Tage 
wahren Armenfündergefichte machte er war — um mich hübſch mediciniſch 
ſich aus dem Staube — Hoffentlich auszudrücken — die Kriſis geweſen. 
wird er ein anderesmal vorſichtiger Der Zorn war vorbei, ich fühlte mich 
jein, dab er nicht zum Unrechten lommt. Frleichlert. ja räftiger, gewann Appetit 

Das alfo war das poſſierliche Aben | ind Schlaf und ward wieder aufge— 
— geweſen. legt zur Arbeit. 

Als meine Fran herbeikam, fand Es ift er nicht gut, immer wohl⸗ 


m fi ii 
an lade aber den Boden zumeinen, zu träumen und zu ſchwär— 
„Was hat Sn der Herr gewollt, | MEN, immer weichmüthig, verföhntich 


der fd eben davongieng 2“ fragte fie, | Und gemüthlich zu fein. Mir hatte ein 
un nich, ai Kr jeßt frischer, fröhlicher Zorn gefehlt. Der 
allein.“ war nun gelommen und hatte mic) 
Es aufgewedt, aufgerüttelt, indem er das 
Dich un an we Blut etlichemal tüchtig durch den Kör— 


per jagte und ſomit wieder für längere 
u BESDHE E00 IE De Zeit in einen lebhafteren Gang gebracht 
„Nichts von Bedeutung,“ antıwors hatte. 
tete ich, „wenn Du es ſchon durchaus Und auch das zwerchfellerſchütternde 
wifjen willft — niederſchießen wollte | Gelächter that mir ungemein wohl, 
er mich.“ jo oft ich mich fpäter an die drollige 
„Ein Näuber ?* Scene erinnert und Anderen davon 
„I bewahre, ein ehrlicher Mann. | erzählt habe. 
Er wäre ja nebenbei jo freundlich ge= Ich pflege Jedermann, der mit 
wejen, fich auch von mir niederſchießen einer Wohlthat in mein Leben tritt, 
zu laffen, wenn ich ihn getroffen hätte. | ein bejcheidenes Denkmal zu feßen. 
Es war ein recht gemüthlicher Batron.* | Diefe Zeilen find dem herrlichen Mann 
Meine Fran lief in großer Aufz | geweiht. Ich weiß nicht, wo in der 
regung davon und ließ dem Arzt rufen, | Welt er gegenwärtig herumraſſelt — 
es müfje dem Kranken das Geblüt in's mögen feine „ritterlihen“ Gelüſte 
Hirn gelommen fein, er jpräche auf) einmal griindliche Sättigung finden ! 











619 


Waffengänge gegen das Duell. 


en dem vorhergehenden Hefte Zwed des heutigen Duells bezeichnen : 
dieſer Zeitjchrift wurde einer die Ehre ift der Götze, dem ein mo— 
vorkrefflichen Brofhüre: „Das Duell dernes HeidenthHum Ströme von Men— 
dor dem Forum der Vernunft“ von | fchenblut zum Opfer bringt. 
Dr. Helfer*) Erwähnung gethan. Fur Ein bewußter und überlegter An— 
die Verbreitung gefunder, zeitgemäßer | griff auf das Leben eines Mitmenſchen 
Anſchauungen ſollen wir Sorge tragen, unter gleicher Gefährdung des eigenen 
und jo wollen wir in lofer Aneinz | Yebens ift nach Vernunft und natür- 
anderreihung die wichtigiten Brund- | Tichem Gewiſſen ohne Zweifel nur ſtatt— 
gedanken der Schrift hier wiedergeben. haft, wenn es einen entſprechend wich— 
Dr. Helfer ſagt unter Aunderem: tigen Zwed gilt, einen Zweck, der zu 
Seiner Form nad ift das Duell dem Werte des Lebens in Proportion 
ein auf Tödtung oder Verwundung fteht. Oder huldigen vielleicht die Ver- 
abzielender Zweikampf, welcher auf die |fechter des Duellprincips der Anficht, 
Privatautorität der Kämpfenden hin, | ‚daß der Menjch unbedingter Herr feines 
und zwar nad) vorausgegangener Vers | | | Lebens jei, derart, daß es Niemanden 
einbarung über Zeit, Ort, Waffen etwas angehe, wenn zwei miteinander 
u. ſ. mw. ftattfindet. Jm Duell kommt übereinkommen, ſich gegenfeitig tobt 
alſo zum allgemeinen Begriffe Zweie ſchießen zu wollen, falls es gelingt ? 
kampf“ ein dreifahes Moment hinzu: Ich halte es wohl für unmöthig, mit 
Erſtens daß er unternommen werde auf! einer ſolchen Anſchauung zu rechten, 
die Privatautorität der Kämpfenden | fie richtet ſich ſelbſt. 
bin; Zweitens daß er auf Tödtung oder Gefliffentlihe Gefährdung des ei— 
Verwundung abziele; Drittens daß er|genen oder fremden Lebens ift nad 
ftatthHabe nach vorgängiger Verabredung | Vernunft und Gewiſſen nicht ftatthaft, 
über Zeit, Ort, Waffen u. f. mw. ſondern ein verbrecheriſcher Frevel und 
Fehlt eines dieſer drei Momente, ſo ein ſtrafwürdiges Unrecht, außer wenn 
iſt ein Zweikampf nicht Duell, weder dieſelbe zur Erreichung eines ent— 
im Sinne des allgemeinen Sprachge- ſprechend wichtigen Zweckes erforder— 
brauch, noch auch im ftrafrechtlichen | lich ift. 
Sinne — denn auch das Strafrecht Triumphierend wird mir der Ver— 
befaßt ſich mit dem Duellbegriff, aber | fechter des Duellprincips, der „Mann 
leider mehr mit dem Begriffe al3 mit von Ehre,“ entgegenhalten, die Ehre 
der Sache. ſtehe ihm Höher, als das Leben, alſo 
Zweien Banernburfchen, welche mit | dürfe, ja müſſe er nöthigenfalls das 
wichtigen Fäuſten oder mit Knitteln Leben für die Ehre einfeßen. 
oder auch mit gefchliffenen Waffen etwas | Menn aber von Ehre die Rede ilt, 
unfanft an einander gerieihen, bleibt haben wir wohl zu unterſcheiden zwi— 
der „Ruhm,“ ſich duelliert zu haben, ae Ehre und Ehre. Obenan Steht 
eines Formfehlers verfagt. die wahre, die wirkliche, die innere 
Die Ehre läßt fich furzweg als | Ehre des Menfchen. Worin beiteht 
— dieſe? Die innere Ehre des Menſchen 
Pie: ; iſt identisch mit feinem objectiven Wert. 
1887. N Alles was einem Menſchen wirklichen, 








620 


inneren Wert verleiht, bedingt auch 
feine innere Ehre. Talente und Fähig— 
feiten, Vorzüge des Geiftee und Her— 
zens MWiffen und Können, befonders 
aber moraliſche Tüchtigkeit, Tugend, 
unerjchütterlihes Weithalten an der 
befieren Weberzeugung und am Ges 
wiffen machen den inneren Wert des 
Menschen uud zugleich auch feine innere, 
wahre Ehre aus. Gewiß verleiht auch 


Muth und Unerichrodenheit gegenüber | 


drohenden Gefahren einem Menfchen 
Wert, zumal wenn der befondere Beruf 
in diefer Richtung erhöhte Anforder- 
ungen fteflt, wie beim Soldaten. Aber 
der echte und tugendhafte Muth ift 
gleichweit entfernt von unfinniger Toll: 
fühndeit, welche zwecklos Gefahren ſucht, 
wie don feiger Schwähe und Zag- 
haftigfeit, welche vor dem Opfer, das 
eine gute Sade erfordert, zurüdjchredt. 

Man könnte mir bemerken, das 
Duell erhöhe den inneren Wert, die 
innere Ehre, joferne es den Muth 
fördere. Es liege in Intereſſe der für| 
den Ernftfall jo wertvollen foldatischen 
ZTüchtigfeit, daß der Soldat fich öfter 
der Zodesgefahr ausgefeßt jehe und 
ſich ſo in der Todesverachtung zu üben 
Gelegenheit habe! 

Gegen Ddiefes Argument ift wohl 
nicht ſchwer aufzulommen. Wenn die 
Uebung in der Todesverachtung im 
Intereſſe der ſoldatiſchen Tüchtigfeit 
liegt, warum wird diefe erforderliche 
Schulung nicht officiefll, durch die 
MWaffenübungen, beforgt, fondern dem 
Privatfleiße überlaffen ? Und wenn 
wirklich das Duell der foldatifchen Tüch- 
tigkeit dient, warum verbietet es das 
Mititärgefeß, und warum foll es nur 
für den Officier und nicht ebenfogut 
für den gemeinen Soldaten erforderlich 
fein, da ja im Ernftfalle muthige Of: 
ficiere an der Spiße einer muthlofen 
Mannjchaft feinen Sieg erfechten ? 

Die Ehre, welche dem Duell alles 
mal thatlählich zum Vorwande dient, 
ift die Äußere Ehre, welche in der 
Achtung und Wertichäßung der eigenen 
Perjon feitens der Mitmenschen befteht. 


| 


Unverftändig nenne ich jene äußere 
Ehre oder Achtung, welche fih auf 
falſcher Schäßung befamuter Werte, 
alfo auf pofitivenm Irrtum, auf grumd« 
lofem Vorurtheil aufbaut, fei es, daß 
man fchäßt, was wertlos ift, oder gar 
was Tadel verdient, fei es, daß man, 
was wirklichen Wert hat, entfchieden 
überſchätzt. Solche Ehre hat au ji 
gar feinen Wert. Um fol’ unverſtän— 
dige Achtung wird fich ein vernünftiger 
Mann, ein wirklicher Ehrenmann nicht 
bewerben. 

Berfegen wir uns in eine Irren— 
lanftalt; nehmen wir an, es gebe da 
— it einem Irrenhauſe ift Alles denk— 
bar — eine Nbtheilung von Irren, 
welche ſich „auf allen Vieren“ bewegen 
und fir und feft der Anschauung find, 
ein jeder Menfch, dem das Bewußtfein 
der Menſchenwürde nicht ganz abhan= 
den gekommen, müfje unbedingt „auf 
allen Bieren“ gehen. Ob ſich wohl 
‚der behandelnde Irrrenarzt ftart um 
die Achtung diefes Geſellſchaftskreiſes 
| bemühen und die verlangte Probe jeiner 
Menſchenwürde auf fich nehmen wird? 
Ih glaube, er bleibt bei feinem Un— 
glüd ganz ruhig! 

Ohne allen Zweifel muß fich der 
vom richtigen Ehrbegriffe geleitete Ehren: 
mann unbedenklich und entfchieden zu 
dem Grundſatze bekennen, jedenfalls 
lieber auf die Achtung von Mitmen— 
Shen verzichten zu wollen, als jeine 
innere Ehre, feine beſſere Ueberzeugung 
und fein Gewiffen zu verleugnen. 

Nach den in duellfreundlichen Srei- 
fen herrfchenden Anfchanungen und 
Grundſätzen gilt ein Mann, der gegen 
eine eventuelle Ehrenkränkung — dieles 
Wort im weiteften Sinn verftanden 
— nicht durch Forderung zum Zwei— 
fampfe reagiert, für ehrlos, weil er 








durch fein Verhalten an den Tag legt, 


daß er entweder fein Ehrgefühl im 
Leibe hat, oder daß er ein Yeigling 
ift, beides aber ift ein fchimpflicher 
Schandfled. Will jih alfo Jemand den 
Namen eines Ehrenmannes wahren, 
will er noch ferner als Ehrenmann 


gelten, jo muß er gegen eine erlittene | 
Ehrenkränkung durch die Forderung 
reagieren. Ebenfo ift es der Geforderte 
feiner Ehre fchuldig, die Forderung | 
anzunehmen; weist er fie zurüd, ſo 
befundet er verächtliche Feigheit und 
wird infolge deilen verfehmt. Dies die, 
duellfreundiiche Anſchauung. | 

Muß denn überhaupt ein ehren 
bafter Eharalter, alfo ein Ehrenmann | 
im wahren Sinne des Wortes, gegen 
eine Ehrenkränkung nothwendig rea⸗ 
gieren? Es iſt entſchieden in Abrede zu 
ſtellen, daß dies in allen Fällen ge— 
ſchehen müſſe. Ein Mann von Ehr— 
gefühl wird zwar jederzeit eine ihm 
zugefügte Beleidigung empfinden, aber 
er muß ſich nicht, ja er ſoll ſich nicht 
durch die Empfindung leiten laſſen. 
Haben denn die Verfechter der „ritter— 
lichen Ehre“ gar feine Ahnung, daß 
Selbſtbeherrſchung nicht weniger eine 
ehrenvolle Tugend tft, als Muth, ja 
dab ſie die Tugend der Tugenden, 
weil eine nothwendige Bedingung jeg— 
licher Tugend, ift? Iſt denn das Ehr- 
gefühl derart jouverain, daß es ſich 
vor feiner höheren Rückſicht beugen 
darf? In ungezählten, vielleicht in den 
allermeiften Fällen von Ehrenkränkun— 
gen, welche erfahrungsgemäß zum Duell 
führen, würde in den Augen aller 
Vernünftigen ein wenig mehr Selbjt- 
beberrfchung den ehrenhaften Mannes— 
charakter ungleich zuverläfjiger offen= 
baren und fo der Ehre ungleich wert- 
vollere Dienfte leiften, als das tolle 
Ueberfchäumen des verlegten Ehrge— 
fühls; ja noch mehr: es gibt eine 
Menge von jogenannten Beleidigungen, 
denen gegenüber eine vichtig verjtandene 
Ehre und felbit das gefunde Ehrge— 
fühl ein Reagieren eigentlich verbieten 
müßten; und doc werden derartige 
Händel blutig ausgetragen. Wie un— 
fiher muß doch ein Ehrenmann nad 
dem Begriffe unferer Duellfreunde in 








Blid eines Hohlfopfes, eines Bramar— 
bas, ihn aus dem Gleichgewicht zu 
bringen vermag! 

Das Duell ift eine ganz unver: 
ninftige Axt, gegen eine Ehrenkränkung 
zu reagieren. 

E3 können nur drei mögliche Po— 
fitionen im Betracht kommen: Entweder 
ift das Duell einer Ehrenkränkung 
gegenüber aufzufaffen als Rachemittel, 
oder als Beweismittel, oder ald Sa— 
tisfactionsmittel. 

Das Duell als NRachemittel. Im 
Gegenfaße zur Rache im edleren Sinn 
des Wortes, welche ich Satisfaction 
heiße, falle ich diefen Begriff hier in 
jeiner niedrigen, gemeinen Bedeutung. 
Nahe in diefem Sinne geht darauf 
aus, dem Feinde wehe zu thun. Wir 
brauchen aber wohl nicht zu befürchten, 
daß eine grundſätzliche Nechtfertigung 
des Duell3 unter dieſem Gefichtspunfte 
von irgend einer Seite verſucht wird. 
Zugleich läßt fi) aber auch nicht ver— 
fennen, daß es jelbit als Mittel zu 
diefem unſittlichen Zwede im hohen 
Grade ungeeignet ift, ja den Charakter 
der Lücherlichkeit am ich trägt. Oder 
ift es denn nicht lächerlich, auf eine 
Art an feinem Feinde fich rächen zu 
wollen, wobei die Wahrjcheinlichkeit 
des Gelingen: vertragsmäßig nicht 
größer fein darf, als die Wahrfchein- 
lichkeit, ſich Für die erlittene Kränkung 
noch eine Portion Prügel zu holen, 
wenn es nicht noch ſchlimmer endet! 

Das Duell als Beweismittel. Bei 
unferen Altvordern, den Germanen, 
ward das Duell, der Zweikampf, in 
der That als Beweismittel angewendet. 

Diefer gerichtliche Zweilanpf als 
Beweismittel, berubte bei unferen Ah— 
nen auf dem felten Glauben, daß Gott 
Recht und Unſchuld nicht unterliegen 
laſſe. Es kam daher auch wejentlich 
auf den Ausgang des Kampfes an. 

Ich kann aber die Bemerkung nicht 


dem Bewußtfein feines inmeren Wertes unterlaſſen, daß derfelbe weit mehr 
und jeiner Ehrenhaftigfeit begründet | Sinn hatte, und weit weniger Tadel 
fein, wenn Schon ein leichter Winde |verdient, al3 unfer modernes Duell. 
bauch: eim ſchiefes Wort, der firierende | Es kommt ja bekanntlich bein Duell 


622 


nicht auf den Ausgang, auf Sieg oder 
Niederlage, an; der Ausgang ent— 
Icheidet Höchftens, welcher von den 
beiden Duellanten der gewandtere Fech— 
tev oder der zielfiherere Schütze ift, 
aber Niemandem fällt es ein, aus dem 
Ausgange des Kampfes einen Schluß 
auf Recht oder Unrecht bezüglich der 
vorausgegangenen Ehrenkränfung zu 
ziehen. Es wird z. B. Jemand ein 
Dunmmtopf gefcholten, und noch dazu 
in einem Öffentlichen Locale; dieſe 


der Muth, welcher dem Manne zur 
Ehre gereicht, ſondern entehrender 
Uebermuth. Der „Muth, des Duells 
verhält fich zur Feigheit, wie Vers 
ſchwendung zum Geiz, welche beide, 
‚obwohl entgegengejeßt, entehrende La= 
fter find, zwifchen denen die ehren- 
volle Tugend der yreigebigfeit in der 
Mitte liegt. 

Dder ift etwa der echte Mannes— 
muth identisch mit blinder Berjerfer- 
wuth? ? Will man mir alfo den Mangel 


Dofis ift ihm natürlich zu flark, er | unbefonnenen Webermuthes als Feig— 
fordert, es kommt zu einer regelrechten | heit anrechnen, fo involviert dies that- 
Schlägerei, und fiehe da, er fäbelt ſächlich ebenfomwenig eine Ehrenkränkung, 
feinen Gegner glüdtih nieder. Kein als wenn man mir zur Laft legt, daß 
Mensch erblidt Hierin einen Beweis, | ich nicht einmal die Tapferkeit befige, au 
daß der erhobene Anwurf ungerecht: | einem Abend die Kleinigkeit von einem 
fertigt war; im Gegentheil ift hie und | halben Hektoliter Bier zu vertilgen! 
da Einer verfucht, zu glauben, er habe Für das Leben zwedlos eine ernfte 
den Beweis erbracht, daß der Vorwurf | Gefahr heraufbeſchwören, ift nicht tu— 
vollauf begründet war. Ein anderer | gendhafter Mannesmuth, dem die Feig— 
Fall. Da behauptet ein holländifcher | heit gegemüberfteht, ſondern ift viel= 
Nindviehhändler en gros, oder fagen | mehr frevler Uebermuth. Für den 
wir höfliher, ein Armeelieferant, der | grundfäglichen Gegner des Duells ift 
jein Material aus Holland bezieht, | Heutzutage ein ungleich größerer Muth 
feine Ochſen feien größer und fetter, | erforderlich, das Duell zu verweigern, 
als die deutſchen. Solchen Schimpf | als für feine Anhänger, fich zu Schlagen. 
lann der deutjche Beſitzer diefer Thier— Ein dem Ehrenmanne in’s Gejicht 
gattung, wenn er ein richtiger Mann | gefchleuderter Borwurf der Feigheit 
von Ehre ift, auf der Ehre der deut- | berechtigt ihm alfo nicht zu einer Probe 
Ihen Ochſen, ja der ganzen deutfchen | frevelhaften Uebermuthes, wohl aber 
Nation nicht ruhen laffen. Echt titter= | berechtigt fie ihn zu einer Probe ech— 
lich Steht er mit feinem Leben ein, ten Mannesmuthes. Hiezu muß er 


fordert feinen Gegner und jagt ihm 
ihlig eine Kugel in den Leib. Iſt 
damit vielleicht bewieſen, daß die Deut: 


ſchen die größeren Ochſen befißen, als 


die Holländer? Wie Jedermann fieht, 
iſt nichts bewiefen, als das Eine, daß 
der Mann zu folder Vertretung ent» 
Ichieden Beruf hat. 


Aber in dem Falle wenigitens, daß | 


aber eine pafjende Gelegenheit haben, 
eine Gelegenheit, in welder die Rüd- 
ficht auf einen entſprechend wichtigen 
Zwed den Einſatz des Lebes fordert 
oder wenigſtens geftattet. 

Bliden wir auf den tapfern Sol— 
daten im Felde, der unerjehroden (aber 
doch nicht unbefonnen) dem Zode in's 
Angeſicht ſchaut, jo haben mir eine 


Einem der Vorwurf der Feigheit in's Probe echten, ehrenden Muthes vor 
Geſicht gefchleudert wird, jcheint daß | und. Der tapfere Soldat kämpft nicht 
Duell, beziehungsweife die Forderung | für feine Ehre, er kämpft zum Schutze 
doch als Beweismittel geeignet zu fein;) des Rechtes und des bedrohten Vater- 
wer in die Duellarena herabfteigt, zeigt | landes, und das gereicht ihm zur Ehre. 


Muth und entkräftet hiedurch den Vor— 
wurf der Feigheit. 
Der „Muth“ des Duells ift nicht 


dieſen Zwed brauchen. 


65 bleibt alfo noch der Ehrener- 
ſatz. Vielleicht läßt fich das Duell für 
Die Eignung 


623 


de3 Duells Hiefür ließe fich nur in der | Nechtes beruht, was beim Duell, wie 
Voransjegung aufrecht erhalten, daß schon Früher hervorgehoben wurde, 
dadurch der Gegner wenigftens mit keineswegs der Fall iſt. Ein Staat 
wahrfcheinlichem Erfolge zum Ehrenz | erachtet ſich von Seite eines andern 
erfage gezwungen werden könnte, in feinem rechtlichen Intereſſe beichädigt 
Hier drängt ſich uns ein Vergleich | oder in feiner Ehre verlekt; er ver- 
des Duells mit dem Striege, dem langt Anerkennung oder Gewährleiſt— 
Kampfe zweier Völfer oder Staaten | ung feines Rechtes, er verlangt Satis— 
gebilde, auf. Allein es ergeben Sich | faction. Wird diefem Verlangen nicht 
zwifchen Duell und Krieg zwei weſent- eutſprochen, jo greift er zur Gewalt, 
lihe Unterjchiede. um die geforderte Leitung zu erzwins 
Einmal exiftiert thatfächlich fein | gen. Diefen Zwangscharakter, um mich 
über Völker und Staaten geftelttes | fo anuszudrüden, verräth der Krieg im 
Tribunal, welches Rechtsftreitigleiten | Gegenfap zum Duell zunächſt dadurch, 
aller Art definitiv entjchiede und die) daß der Gegner nicht erft gefragt wird, 
erforderliche Executive zur Seite hätte.) ob er fich den beabfichtigten Zwang 
Märe diefes der Fall, jo könnte dem | gefallen laffe, d. h. die Kriegserklärung 
in feinen Gonfequenzen jo furchtbaren | annehme, fodann aber und ganz be= 
Kriege feine Berechtigung zuerkannt | fonders auch dadurch, daß der inten— 
werden. Dagegen befteht, bei uns dierte Zweck nicht vom Striege als 
wenigftend und in allen civilifierten | ſolchem, ſondern von deijen Erfolge ab— 
Ländern, für Private ein folches Tri- | hängt. Eine Sutisfacion erzwingen 
bumal, welches im alle einer Rechts | zu wollen nach der Art, wie dies im 
verletzung überhaupt und ebenso auch | Kriege geichieht, hat einen Sin, das 
im Falle einer Ehrenkränkung die ent- | Duell aber als Mittel, Ehrenerfag zu 
Iprechende Remedur erzwingen fanı. | erzielen, ift finnlos, weil es dem Geg— 
Aber, Hält man mir entgegen, die Ge- | ner frei Steht, das Duell anzunehmen 
richte würden in den jelteften Fällen, | oder nicht, und weil der Ausgang 
welche thatſächlich Anlaß zum Duell | irrelevant ift. 
geben, gegen eine zugefügte Beleidigung! Uber das Duell darf nicht nad 
reagieren, d. h. eine Ehrenklage eut- Vernunft und Gewiljen, es muß nad 
gegennehmen. dem Gefühle beurteilt werden, Sagt 
Freilich, wenn Jemand im Kaffee— j man vielleicht. Kann es eine feichtere 
hauſe ein Zeitungsblatt vom Zifche | Phrafe geben, als diefe? Wurzelt nicht 
ftreift, ohne pflichtſchuldigſt ein „Par- auch die gemeinfte Nache im Gefühle, 
don“ oder „Ercufez“ zu rufen, und ja läßt fich dasfelbe nicht mehr oder 
man im diefem oder eimem Ähnlichen | weniger von allen, felbft den unge— 
Vorkommniſſe einen casus belli, ein heuerſten Laftern behaupten ? 
verbredherifches Attentat auf feine Ehre Soweit muß ih der Ehrenmanıt 
erblidt, da kann man allerdings die doch beherrſchen können, daR er jeine 
Gerichte nicht behelligen, ohne fich lä- wie immer gearteten Gefühle unter die 
herlih zu machen; aber eine Lächer- | Botmäßigteit der Vernunft und des 
lichkeit follte wichtig genug fein, wm) Gewiffens bringe. 
ihretwegen das Leben auf's Spiel zu Die erſte und heiligſte „Ehren— 
ſetzen! Ja wohl, das Duell hat un— pflicht des Ehrenmannes iſt denn doch 
geachtet ſeines blutigen Ernſtes unge- die Heilighaltung des Gewiſſens. Wer 
heuer viel Kindiſches an ſich. das nicht anerkennt, hat gar kein Recht 
Der zweite weſentliche Unterſchied mitzuſprechen, wenn es ſich um Ehre 
zwiſchen Krieg und Duell iſt darin zu handelt. Oder legen etwa wirklich un— 
entdeden, dab erfterer feiner ganzen |fere Duellfreunde bewußt einen Wert 
Natur nach auf der Erzwingbarkeit des | darauf, daß einer der Ihrigen den 





624 


Muth Habe, fich über ernſte Gewiljens- Das herrſchende Duellprincip ſchont 
bedenken himwegzufeßen ? ſelbſt der Heiligkeit des Eides nicht, 
Aber diefes Vorurtheil befteht ein= |twonit man die Treue gegen die Ge— 
mal, ich jehe mich ihm als einer That- ſetze beſchworen. Wem das Geſetz, 
Sache, die ich nicht ändern kann gegen= dem er Treue gefchtwvoren, wen das 
über, was foll ich denn thun? — eidliche Gelöbnis nicht mehr heilig iſt, 
ich mich gegebenen Falles nicht, io | wo ift die „Majeftät“ des Geſetzes, 
werde ich thatfählich als ehrlos ver= |die ihm noch zu imponieren vermöchte ? 
fehmt, ja meine Ehre ift Fo gut wie) „Darf auch der Mann von Treue ſpre— 
vagelfrei. Dies die lage vieler, welche | hen, der treulos war an feinen erſten 
im Princip dem Duell nicht huldigen, Pflichten 2” 
welche aber die pure Muthlofigkeit in Das Duellprincip ieiftet der Ver— 
die Neihen der „Muthigen“ ftellt. Aber |rohung Vorſchub. Seine Freunde rüh— 
ich frage, wer erflärt Dich denn für men dem Duell zwar nach, daß es der 
ehrlos, Vernunft oder Unvernunft? Roheit entgegenwirfe und zur Auf— 
Was gilt denn die Ehre der Unver— rechthaltung eines „feineren Tones“ 
nunft? Vor wen iſt denn Deine Ehre in der Geſellſchaft ungemein beitrage. 
vogelfrei, vor dem wirklichen Ehren- Indes, wenn unter dem „feineren 
manne oder vor dem bohllöpfigen Bra= | Tont“ etwas mehr verſtanden wird, als 
| 





marbas? Der wirklihde Ehrenmann, |die größere Eleganz beim Prügeln, jo 
deſſen kannſt Du verfichert fein, wird [will e8 mich bedünken, daß die Duell— 
Deine Heberzeugungstreue achten, felbft | freunde nicht gut thun, ſich auf diejen 
wenn er Deine Ueberzeugung nicht | „feineren Ton“ zu berufen; denn, ſo— 
theilen follte. weit er überhaupt im Gefolge des 

Mer einmal in dem Vorurtheil be- Duellwefens auftritt, kaun er nur die 
fangen, das Duell für eine Ehrenfache | Frucht einer gewiſſen Furchtſamkeit fein, 
ansieht, den bedauere ich und fuche ich | während dieſe Herren doch alle Welt 
thunlichſt eines Beſſeren zu belehren ; | glauben machen wollen, daß fie Furcht 
wer aber dem Vorurtheil feine Ueber- nicht kennen. Doch es kann ja fein, 
zeugung und fein Gewifjen preisgibt, | da das Duell auch eine gute Wirkung 
den muß ich verachten. bervorbringe, auch das Näuberhand: 

Das Duellprincip befördert die ıno= | werk fHählt den Muth, ſchärft den Geift 
ralifche Feigheit und Charakterlofigkeit. | und kaun ein ftrategifches Talent zur 
Tanfende gibt es, welche der Unfitt= |vollen Entfaltung führen. Kommt es 
lichkeit des Duells mehr oder weniger | bei unferem Handeln nicht vor Allem 
fi bewußt, als Sclaven der „öffent auf die inneren Triebfedern an? Aber 
lihen Meinung“ und aus feiger Furcht | felbft wenn wir davon abfehen, ift 
vor der Tprannei des herrjchenden Vor- | nicht jede Grobheit, jede Ungezogenbeit, 
urtheils durch das Duell ihre Ueberz | ja felbit die Lümmelhaftigkeit falonfäbig, 
zeugung und ihr Gewilfen verrathen. |wofern fie nur eventuell durch eine 
Aber das Preſtige der „Nitterliche | Prügelei im „feineren Tone“ gefühnt 
feit“ und noch mehr die Furcht dor | wird. Heißt das nicht ebenfo viel, als 
der Verfehmung überwiegen. Zritt hier die Noheit auf den Schild erheben ? 
nicht moralifche Feigheit und Charatter- | Das Duellprincip ſchädigt das ge— 
IagleN zu er) ſunde Ehrgefühl und protegiert fitt- 


.) Nur einen einzigen Fall gibt es, in welchem das Duell einen Sinn bat. 

Wenn fih Zwei jo tödtlih Hafen, daß gegenjeitig der Eine nicht leben will, wenn 

der Andere lebt, dann heißt die Lofung:; Du oder ih! Dann muß aber das Duell 

auf Leben und Tod geführt werden. Das wäre Bejtialität, aber vernunftlos im praf: 

tiijhen Sinne wäre das Duell hier nicht, weil es jeinen Zwed lennt und aud erreicht, 
D. R. 


625 
liche Gebrechen verjchiedener Art, wo: Damit ift das Duellprincip ges 
ferne diefe nur an dem Strafhaufelrichte. Das Duellprincip ift an jich 
vorbeilommen. undernünftig und unfittlich, in feinen 
Nach dem herrfchenden Duellprincip| Folgen höchſt verderblih. Das Duell- 
gilt die fingierte „ritterliche Ehre“ folprincip ift ein barbariſches Princip, 
hoch, daß unter ihren Fittihen ſo eine wahre Schande des Jahrhunderts. 
manches Schuß finden kann, was der So lange es jeine blutige Herrſchaft 
richtig verftandenen Ehre Eintrag thut. | führt, fchreitet eine legitime Königin, 
Der falſche Ehrbegriff macht ſich breit\entthront und in Trauergetwänder ge» 
auf Koften des wahren. Auch der hüllt, allenthalben Unterftügung ihres 
Schurke kann ſich mit Hilfe des Duells|Rechtes fordernd, durch die aufges 
zum „Ehrenmann“ erfchwingen. Härten Länder — die Bernunft. 


Der Einzigen. 









LE). u warft ein Menſch und Du logſt nicht, 
id Du warft ein Weib und gerecht, 

Du wurdeſt geliebt und betrogft nicht, 

Du wurdeſt geihmäht und bliebft echt. 

Tu bliebeft jo heute wie geftern, 

Du jchiedeft, doch floheſt Du nicht, 

Du wachteſt, doch nit um zu läftern, 

Tu ſchwiegſt, doch nit mir zum Gericht, 


Ob Alles im Schiffbruch zerftiebe, 
Eins prägte dem Herzen ſich ein: 

Sie, die ih am innigflen Liebe, 
Verdiente die Liebfte zu jein. 

Ein Quell noch im Sande mich grüße, 
Gin Baum noch im öden Revier, 

Ein Vogel noch fingt in der Wüſte 
Und erzählt meiner Seele von Bir, 


Kofegger’s „„Geimgarten‘,, 8. Geft, XI 40 


Kleine 


Saube. 


—7 


Im ſonnigen Süden. 
Eine landſchaftliche Slizze von der Adria. 


Abbazia! Schon das Wort klingt wie 
der Geſang eines tropiſchen Vogels. 

Wo liegt dieſes Abbazia, das man 
heute ſo oft nennen hört? Die Lexikas 
und geographiſchen Werke verſchweigen es 
ſchalkhaft; ſie werden es aber bald auf— 
zeigen müſſen. 

Dem Wiener iſt Abbazia ſpielend leicht 
zu erreichen, er jchläft fich einfach hinüber. 
Abends fieben Uhr läßt er fich auf dem 
Südbahnhof ein Eifenbahn-Eoupe auf- 
jperren, zieht die Fenſtervorhänge zu, macht 
ſich bequem, raucht noch ein paar Cigarren, 
legt fih dann Hin und — unter leichtem 
angenehmem Schaufeln, das wir noch von 
der Wiege ber in guter Erinnerung haben 
— jdläft er ein. 

Nach einiger Zeit wird er wach reibt 
den legten Reit Dufeligfeit aus den Augen, 
firedt fih und jagt: „Ab, das war ein 
töftliher Schlaf! — Wo find wir denn 
ſchon?“ Er zieht die Vorhänge auf: Ah! 

Italien in Morgenjonnenjcein ! 

Der Eiſenbahnzug fteht hoch an einem 
Ausläufer des Karſt in der Station Mat- 
tulie. Steil und größentheils kahl ftürzen 
die kalkfelſigen Berge ab und unten liegt 
blauend das Meer. 

Es ift die Bucht von Finme, die 
allerdings viele Achnlichkeit mit einem 


Binnenſee bat, weil fie in der Ferne von 
mehreren langgejtredten Inſeln begrenzt 
wird. Nur rechts, am iftrianischen Strande 
entlang öffnet fih eine Straße hinaus auf 
die freie, hohe See. Das ganze Bild ift ein 
ſüdliches und erinnert an italienische und 
ſpaniſche Hüften ; befondere Liebhaber mö- 
gen fihb auch an die Buchten Griechen- 
lands, an den Strand von Paläſtina, 
an den Fuß des Libanons verjegt fühlen. 
Die Höhen des Karſt und der croatiſchen 
Alpen, frei vom Meeresjpiegel aufiprin- 
gend, geben fih gar imponierend und ihre 
Scneegipfel ſchauen neugierig herab auf 
die immergrünen Lorbeer- und Palmen- 
haine an der Küſte. 

Dem Anfömmling wird gejagt, er 
babe von der Station Mattulie aus zu 
Magen nah Abbazia vierzig Minuten zu 
fahren, und auch nicht länger zu geben. 
Bei der klaren kühlen Witterung wählt er 
das Leptere. Mit jedem Schritte, den er 
abwärts thut, fteigert fih die Wärme der 
Luft. Seine Umgebung find graue aus 
der Erde quellende Felsblöde, Steinflege 
und dazwiſchen dort und da eine ärmlide 
Hütte aus Quadern, Gärtlein mit Del» 
bäumen und Weinreben, und kleinen Wie— 
jen, die terraffenartig mit Rohſteinwällen 
oder feten Mauern eingefaßt find. So 
ähnelt mander Gemüfegarten einem Ger 
bäude, manche Ziegenweide einer Yeltung. 
Da ift der Schafftall und die Hütte des 


62 


- 


‘ 


Bettler mailto, wie für die Weltges } tige Haine, bunte Rajenpläge, glatte Kies— 


Ichichte gemacht; und wenn das Schaf vom 
Erecutor dovongetrieben wird und der 
Bettler auswandert und das Strobdad 
einbricht, jo stehen die Steinmanern jo 
aut ihr Jahrhundert nach, als bei uns 
daheim die Nuinen der Nitterburgen. In 
der Gegend fieht man viele Häuferruinen 
ftehen; die Zeit bat bier ein armes 
Volk erdrüdt. Die neueften Tage bauen 
an diejen Hüften Palaſt um Palast, aber 
nicht für die Einbeimifchen, ſondern für 
die Fremden, die in ihren großen Städten 
müde geworden find und hier am Meeres» 
odem wieder erfrijchen wollen. 

Zu Füßen des Wanderes liegt nun 
bart, am Meere der Flecken Volesfa. Die 
Bauart italieniib, die Kirche mit den 
zwei Barofthürmen ausgenommen. Sla- 
viſches und romanijches Wejen ift hier ger 
miſcht, erfteres wiegt an Ausdehnung und 
Zahl vor, letzteres drüdt aber der Ge 


wege, wildes Gefelje und Ruinen von 
Bauernhütten wecdjeln zwijchen den Häu— 
ſern; jo finft die Fläche janft zum Meere 
hin, wo wildzerflüftete braune Steinwuchten 
und Klippen gegen die andonnerden Wogen 
ihre Vorwacht halten. Es ift wohl nicht 
zweifelhaft, wer am Ende fiegen wird, 
das weiche Waſſer oder das harte Ger 
jtein. Letzteres verliert bei jedem Wellen: 
ihlag Atome, erfteres zergilchtet jede Mi— 
mute md ift doch ewig geſund. Aber 
bis der Strand dahingewajchen jein wird, 
dazır hats noch lange Zeit; da mag früher 
wohl ein großer weltberühmter Gurort 
bier florieren und wieder aus der Mode 
fonmen und verfallen, wie die Wohnungen 
der früheren Anfiedler bier verfallen find. 

Hente it Abbazia in friſcheſtem Auf— 
blühen begriffen. Defterreih bat im ver- 
gangenen Winter jein Kleinod bier ge— 
bütet: die Gemalin des Kronprinzen. Die 


gend den Charakter auf. An diejer jüd- | anmuthsvolle Erzberzogin Stefanie, welche 
lihen Meeresbucht ift mir der Italiener , heute jchon der Liebling des Reiches ge— 


auch weitaus ftilgerechter, ala der Slo— 
vene. Von Voleska aus links führt eine 
ſchöne Kunſtſtraße nach dem nahen Fiume, 
rechts am Meere hin gebts nah Abbazia. 
Der Weg ift kurz, bald jtehen wir im 
vielgenannten Curorte. Die im Hinter 
grumde fich fteil erhebenden Berge — an 
der Spite der 1400 Meter aufteigende 
Monte Magiore — find unmirtlich und 
itellenweife armjelig bejtanden mit blatt- 
lojem Laubholz; fie lajien am Strande 
nur einen fümmerliden Raum für Men— 
ichen. Diefer Naum ijt von einem immer: 
grünen Wald von Lorbeerbäumen, Palmen, 
Eedern und Sebengewächjen beftanden. Dem 
entiprechend ift die Blumenwelt. Faſt ber 
täubt den Fremden anfangs die weiche Luft 
und der üppige Duft. Es ift, ald ob man 
in einem ungeheuren Gewächshaus ftünde, 
von welchem die Glaswände und das 
Dah weggenommen worden. Und in die 
jen Wald hinein bauen fie den Gurort 
Abbazia. Gegenwärtig ftehen nebit der 
alten Eleinen Abtei und dem älteren Land— 
hauſe „Angeolina* zwei große Hotels und 
eine Neihe von Pillen, Alles nad dem 
neueften Gejhmade eingerichtet. Tiefichat- 


— — — —— ——— — —— — — 


worden iſt, hat dem jungen Curort reichen 
Glanz verliehen. Dem Verfaſſer dieſer 
Zeilen war e3 gegönnt, zu Abbazia in 
Landhauſe Angeolina einen Blid in das 
häusliche Leben unferes Kronprinzenpaares 
thum zu dürfen. Nicht bewandert im Leben 
der Großen, hatte er kaum ahnen können, 
in diefem Haufe, gepaart mit Hoheit, 
jo viel gemüthliche Schlichtheit zu finden. 
Er freute fich des ſchlichten warmherzigen 
Tones und des Sinnes für das Schöne, 
für geiftige Intereſſen, welcher das hohe 
Paar noch bejonders adelt. 

Das Schönite, was Abbazia hat, iſt 
der Strandweg jüdweitlich gegen Ilka bin. 
Derjelbe, vom öſterreichiſchen Touriftenclub 
angelegt, ift noch ganz Natur; feine Billa 
ſteht an ihm, fein Kunſtpark befäumt ihn, 
jelbjt die Lorbeerfträucher geben nur ger 
zwungener Weile, nen und mühevoll ge— 
pflanzt, da hinaus, Ueberall das raube 
Geſtein und der Kampf des Meeres mit 
den Klippen. Man jegt ſich hin und kann 
ftundenlana dem Spiele des Waſſers zu— 
ſehen, e3 ift unendlich mannigfadh. Gerne 
treibt es — und das ijt bei gewöhnlicher 
Febhaftigfeit jein Gebahren — in langge- 


40 * 


628 


zogenen Wellen, wovon eine von der an» hat gefunden, daß die Naturſchönheit 
dern etwa zehn bis fünfzehn Meter ent« | hüben jener von drüben nicht bloß in 
fernt iſt, beran. Solch eine Welle macht | nichts nachgibt, jondern fie jogar über— 
einen hohen glatten Rüden, durch welchen | trifft. Wie es ferner mit der Heilung der 
das Licht jchimmert und fie wie grün. Kranfen jteht in Abbazia? Es wird jo 
lies Eis erjcheinen läßt. Nabe dem | fein, wie in anderen Gurorten, wer ſich 
Strande begegnet ihr aber eine von den dort wohl fühlt, der wird genejen. Mich 
Steinen zurüdgeworfene Welle, über dieje | läßt ein Curort als jolder freilich fühl, 
binwegipringend bricht fie fich im Gicht, | ja ich mweihe ihm aus; der Müfigang, 
fährt an den Strand, wo fie unbändig |der in einem jolchen zu herrſchen pflegt, 
emporwallt oder jchneeweiß aufiprigt, um | zeitigt nicht bloß die lächerlichiten Unge- 
dann wie ihre Vorfahren und ihre Nach» beuerlichkeiten der Putzſucht, des Tratiches, 
fommen zurüdzufinfen. An mehreren Punt- | des Spieles, jondern oft auch tragiiche 
ten, bejonders am jogenannten Teufels | Ereignifje. Die meijten Yajter und bie 
brunnen fichtbar, rinnt das Meermwaijer in | meilten Selbjtmorde werden verübt in 
mächtigen Strömen dur Höhlungen in den | eleganten Curorten. Die Naturſchönheiten 
Berg hinein, um an anderer Stelle wieder | find es und die bequeme Gelegenheit, fie 
bervorzubrehen. Dort und da gibt es bade- zu geniehen, welde mich Curorte auf- 
ſchwammartig durchlöcherte Steine, durch | fuchen lajien. 

welde das Waſſer gurgelt und drängt, | Das neue Aſyl am Quarnero bat 
um auf der andern Seite ſtoßweiſe her- für uns freilich jeinen bejonderen Wert. 
vorzufpringen. Die Färbung des Meeres | Wer den nordiichen Winter nicht liebt 
ift überhaupt von höchſter Mannigfaltig- | oder ihn der Gejundheit wegen fliehen 
feit, hier fommt noch dazu die Schattierung | muß und doch nicht ins ferne Ausland 
von den Inſeln Iveglia und Icherſo, deren | will, der jchlafe ih aljo in einer jchönen 
Berge bejonders in den fpäten Nahmit- Naht hinab nah Abbazia. Im milden 
tagsitunden in duftigftem Biolette ber- | Hauche des grünen Lorbeerhaines und im 
überlahen. Freundlich ſchimmert Fiume | Angefichte des jommerlich jonnigen Meeres 
und Porto Re am Fuße des croatiſchen kann er dort das frobe Chriſtmahl halten. 
Gebirges und im füdlichen Hintergrunde R. 
fteigen die hohen, weißen Bergzüge Dal— 

matiens hoch in den Himmel empor. Aehn- 

lich ift der Blid auf dem Bodenſee gegen 





die Gletfcher der Schweiz hin. Die Schön- 1 ' 
beit der See und die Herrlichkeit der Bett * machen! 
Alpen im Bilde vereinigt! Arme Leute ſind in mancher Bezie— 


In Sicht von Abbazia kreuzen ſtets | bung wie Kinder. Sie find unfelbititändig 
zablreihe Schiffe, große Steamer und | im Wollen und Handeln und zumeift auch 
Heine Dampfer und Kähne. Häufig läuft |in Denken, fie treiben Alles nur nad 
jo ein flinfer, nmiedliher Dampfer ein im | natürlichen Inftincten, haben daher ihre 
Hafen von Abbazia, mit welchem jelbit- | Unarten und ſtoßen mitunter an die harte 
verftändlih das eine Stunde ferne Fiume | Wand der Geſetze. 
in lebhaftem Verkehr iſt. Nach Trieft ift | Die Armen müßten moralijch erzogen 
die Seereife von bier aus lang; auf der | wären, wie Kinder, nach pädagogiſchen 
Eiſenbahn ift es in drei Stunden er- Grundſätzen. Die Armut in der heutigen 
reichbar. Geſellſchaft iſt mie ein Kind in einer 

Als drüben an der Riviera vor einiger | yamilie, das einen Stiefvater und eine 
Zeit das Erdbeben gewüthet hatte, famen | „rechte* Mutter hat. Unter dem Stiefvater 
Flüchtlinge herüber nah Abbazia, das fich | verftehe ich den Eigennuß der Befigenden, 
patriotiijher Weiſe anſchickt, die öfter | unter der Mutter die Wohlthätigkeit. 
reichiiche Riviera zu werden. Und man. Aber wie es jchon zu geben pflegt, je 


629 
jtrenger und berber der Stiefvater auf | Namen in den Zeitungen lejen. Sie können 
tritt, deito zärtlicher liebt die Mutter das | aud Diplome und Orden befommen. Ich 
arme Kind, deito eher wird fie e3, wenn fie | bin ganz damit einverjtanden. Biel be- 
Gelegenheit bat, verzärteln und verziehen. | denklicher jedoch ift es, das durch Wohl« 
Unjere Armut wird auch verzogen. Man | thätigkeit eingegangene Geld richtig an— 
(ehrt die armen Leute nicht jelbitftändig | zumenden. Gewöhnlich befommt der am 
werben — das mill ja der geftrenge Stief- | meiften, der am beften betteln kann; da 
vater nicht zugeben — man lehrt fie mur | lohnt fihs dann freilich der Mühe, das 
Almojen juchen und milde Gaben hin- | Betteln zu lernen. Und mancher ver« 
nehmen, man macht aus armen Leuten ſchämte, bejcheidene Arme, der vielleicht 
— Bettler. wirklich jchuldlos darbt, wird darben troß 
Die Wohlthätigkeit it das böje Ge- | aller wohlthätigen Vereine. 
wiflen der Neichen, würde der Sfeptifer Ein Blid in die Hauptftadt. In Wien 
jagen können, der nichts an fich Gutes | beftehen gegenwärtig zweihundertachtund— 
gelten lafjen will im Menjchen. So weit | dreißig Wohlthätigfeitsvereine.. Das ift 
gebe ich nicht; ich bin froh, wenn das gut. Denn da die Formen der Armut 
Gute geichieht und grüble nicht erft lange | jo überaus mannigfaltige, die Bedürfniffe 
nach dem Beweggrund desjelben. Maß—- | fo überaus vielgeftaltige find, jo läßt fich 
gebender als die Urjahen der Wohl- | auch nicht durch wenige Vereine dem Elend 
thätigfeit find die Wirkungen, und bierin | entgegenwirten. Wenn man aber aus 
hätte man an unjerem Wohlthätigfeits- | feinem anderen Grunde, als damit per« 
wejen manches auszujegen. jönliche Eitelfeiten befriedigt werden, Con— 
Mit unjerer Opferwilligfeit bürfte man | currenz-Wohlthätigfeitsvereine gründet, jo 
zufrieden fein, jo lange es fich nur um's miſcht ſich ſchon in did gute Abficht ein 
Geben handelt, dort, wo man zu geben | nicht zu billigender Nebenzwed, und wenn 
bat. Wir geben gern und viel, wir haben | die Vereine — mit gleichen Mitteln aus— 
ein menschlich Fühlen für die Armut und | geftattet, aus denjelben Quellen genährt 
möchten gerne überall helfen. Welche — denjelben Perfonen ihre Wohlthaten 
Summen in unjeren Ländern für mwohl- | zuwenden, jo ift das eigentlich ein Ver— 
thätige Zwede ausgegeben werden, läßt |jchleudern des zu humanitären Zweden 
fih mit Ziffern nicht ausdrüden, ich ver- | gefammelten Geldes. Wir könnten auf 
mutbe, fie fommen in einzelnen Ständen | eine Anzahl von Vereinen hinweiſen, die 
jener Summe nahe, die für Lurus aus» ſich nicht bloß ihre Spender gegenfeitig 
gegeben wird, und ich glaube das wäre | abzufifchen juchen, jondern auch darin ein- 
das richtige Marimum. ander Concurrenz machen, daß fie die 
Die größten und wahrhaftigiten Wohl- | „Armen“ gegenjeitigab-, reipective fich jelbft 
thaten, die Menjchen einander erweilen, | zuzumenden bemübt find, um nur mit 
werden erit offenbar, wenn die Todten | großen Ziffern brillieren zu können, Ans 
auferjtehn. ‚der Concurrenz der Wohlthätigfeitsvereine 
Ich denfe heute an jene Wohlthaten, | erwächst eine Gefahr, welche man nicht 
die im Sonnenlichte gethan werden, viel» |überjehen darf, und dieſe beiteht in der 
leicht nicht zum legten Zwecke, um ge: | Eprcnlation auf die Beriplitterung des 
jehen zu werden. Wir jehen die großen | Armenweſens. Alle Bemühungen, die Ver— 
MWohlthätigfeitsmaichinen der Corpora- |eine wenigitens infoweit zu centralifieren, 
tionen und Vereine und ihre weitverzweigte | daß über die Perjonen der Beſchenkten 
Tätigkeit. Wir jeben, daß die Lente von |und die aufgewendeten Einzelfummen ein 
ſolcher Seite oft förmlih gezwungen wer- | General-Statalog — der jelbitverftändlich 
den, wohlthätig zu fein, und fie follen nur für die Leiter zugänglih wäre — 
dafür auch etwas haben. Sie können für |verfaßt werden joll, find gejcheitert und 
ihre Wohlthätigkeit Mufif hören und tan» |die Folge davon ift, dab 238 Vereine 
zen, auch eſſen und trinfen und ihre mit vollen Händen geben — in Hände 








— 


geben, von denen es ihnen nicht geman 
Hefannt ift, ob es die rechten find. Die 
Zerjplitterung bat zur Folge, daß jet 
induftriöfe „Arme“ — es joll jolche geben 
— von Verein zu Verein geben, ſich 
überall eine „Heine“ Unterftügung er— 
wirfen fönnen und daß dann ihre ganze 
Grijtenz auf das Abſammeln diejer Unter- 
jtügungen fich gründet. Niemand bindert 
fie, auf ſolche Weiſe die Wohlthätigfeit 
geradezu auszubeuten und anf Vereins: 
foften jo zu leben, wie es eben dieje 
zahllojen Vereine, die untereinander feinen 
Zujammenbang haben, ermöglichen, Ferne 
liegt es .uns, der wahren Armut nahe— 
zutreten; wir willen, wie groß das Elend 
it und wie dringend mothwendig es er- 
ſcheint, demjelben mit allen Mitteln ent» 
gegenzumirfen. Aber die Art, wie man 
jegt Moblthätigfeit übt, können wir darum 
doch nicht billigen. So wie es jeht ge- 
ibieht, werden riefige Summen, mit denen 
man bei richtiger Verwendung wirklich 
viel Gutes ftiiten und den Erwerblojen 
zum Erwerbenden machen könnte, in kleine 
Einzelbeträge zeriplittert, mit denen nicht 
nur der momentanen Noth nicht entgegen» 
gewirkt, jondern durch die der Beſchenkte 
geradezu auf den Weg des Bettels ge 
drängt wird. Mas joll die arme Familie 
mit einem bis zwei Gulden, die fie in 
einem Momente erhält, anfangen? Die 
Gabe reicht oft nicht aus, um den augen» 
blidlihen Hunger zu ftillen; ſie muß aljo 
beim zmeiten und dritten Vereine das 
Bettelgeſchäft von vorne anfangen, um 
nur den Bedarf des Augenblicks zu be 
friedigen, und am nächſten Tage beginnt 
das Elend von Neuem! Auf diefe Weile 
wird die PVettelei förmlich großgezogen. 
Wie die Wohlthätigfeit geübt wird und 
große Beträge in Kleine umgejeht werden, 
jegen fih die Vereine außer Stand, in 
wirklichen Notbfällen belfend einzugreifen 
und dem wahren Zmwede ihrer Eriftenz 
gerecht zu werden. 

Es läßt fich auch nicht leugnen, daß 
faft alle Vereine ihren Appell um Beiträge 
nahezu an diejelben Verjönlichleiten richten, 
und ftatt, wie man es bei einem Beſtande 
von 238 Vereinen vermutben jollte, einen | 


30 


größeren Kreis von Mitwirfenden beran- 
zuziehen, durch ibre Wirkſamkeit eher den 
Kreis verkleinern und dadurd, troß der 
Vermehrung der Zahl der Vereine, eine 
Vermehrung der Spenden nicht erreichen. 


Die Autonomie der Vereine und die 
Befriedigung der Eitelfeit der Präfidenten, 
DPirectoren, und wie jonjt diefe Würden» 
träger fich zu nennen belieben, kann ganz 
gut neben einer geordneten Wirtjchaft 
tortbejtehen und befriedigt werden; ja wir 
glauben, die Vereine würden viel bejjer 
bejtehen, wenn die Berfplitterung durch 
die Centralijation erjegt würde, fie fönnten 
auf größere, nachaltigere Erfolge bin« 
weilen, noch größere Summen erhalten 
und mit diejen einen viel bedeutenderen 
Nutzen ftiften, als fie es jegt vermögen. 

Es kann ja überhaupt jo nicht jort- 
geben, dab erwerbsfähige Menjchen auf 
Almojen angemwiejen fein jollen. Das iſt 
der abjcheuliche Krebsſchaden unjerer wirt- 
Ichaftlihen Welt. Die Armut wird man 
nie abbringen, weil es immer erwerbs- 
unjäbige Menjchen geben wird, und dieſe 
zu unterſtützen, mit aller Liebe und Opfer— 
frendigfeit zu unterftügen ift die Aufgabe 
der Wohlthätigfeit. Den arbeitsfähigen 
Armen bat die Gejellihaft Arbeit zu 
geben, und nicht Almojen! Das Almojen 
muß die Yente von der Arbeit nur ab» 
halten, fie zu Faullenzern und routinierten 
Vettlern machen, wenn nicht gelegentlich 
zu Aergerem! 


Ihr Reihen und Mächtigen! Ahr 
thut nicht Euere Pilicht, indem Ihr mit 
vollen Händen Almojen gebt! den einen 
Theil der Leute ausnügen, um dem andern 
das Nichtsthun zu bomorieren, das iſt 
zweifach gefehlt. Und wenn es für va- 
cierende Arbeitskräfte ſchon wirklich gar 
nichts mehr zu thun gibt auf der Welt, 
jo laſſet bei anjtändigem Taglohn den 
Großglodner abtragen und denjelben über 
den Großvenediger aufbauen. Denkt nicht 
immer nur an Euren Gewinn, Arbeit 
kann Selbjtzwed werden, wenn fie vor 
Demoralijation bewahrt. M. 


Heue Lieder und Gedichte 


inoberöfterreidifder Mundart, 


von Feopold Görmann.*) 
Da Diſchkur mit ’n Bögerlt. 


J han amal, hat mi gar a fo blangt, ! 
Mit an Bögerl ön Wald an Diſchkur? 
angfangt. 


Für ’s Mäul is da Anfang allweil a Plag, 
So jagiada: ham ma heunt a ſchen Tag! 


Draf thuat fi "3 Vögerl ön Schnabel areibn, 
„Ja,“ moant's „Iunnt nu a Zeit a jo bleibn.“ 


Richti, Vögerl (und i tritt föfter für), 
I hät’ a kloans wenkerl was z'rödn mit Dir. 


„So?“ wiſchpelt "3 Vögerl neugieri, guat, 
Auf dös wiar i rebi 3 und ſammel man 
Muath. 


Vögerl, ſag i (do jan mar fein ftad,® 


Meil i gern ganz alloan danıit hoamlemma | 


that), 


Eag mar amal, ön Dreiteureldnam! 
Wia bringft denn nur Du Deine LiadIn 
zſamm? 


„I fing,“ gſteht 's Vögerl, „mehr woaß i 
nöt gwiß, 
Halt wia ma da Schnabel gewarn is.“ 


Sifra! röd i eahm blitzſchnell drauf, 
Hiast geht ma auf vanmal a Liadhtl auf. 


Fort mit dö Faxn, den Bahrn ön oa Roh, > 
J machs as wia Du hiatt, juft netta a jo! 


Afts richt i mi gſchwindi und fchnefl jan 


gehn, 
Vögerl, bfüat Gott! und i dank da redt 
ichen. — 


Dös is mei Difhlur mit 'n Vögerl gwöft, 
Heunt hats mas zan erjtinmal aufapröft. 


Und hiatzt derf i '3 varathn, 
mehr: 
J war bein Waldvögerl draußt ön da Lehr. 


Ai fing (und mehrafta woaß i nöt gwiß) 
So wia ma da Schnabel gewarn is. — 
!) darnach verlangt. °) Discurs. *) heiter, auf« 


geräumt. *) Mil Gorſichtigh. ) Bohren in ein Loch 
(Ecablone). *) dann. 


es madt nir 





*) Unter obigem Titel ift bei Baumert und 
Ronge in Großenhain eine neue Eammlung des ober» 
öfterreihiihen Vollsdichters erjchienen. Wir glauben 
das trefilihe Büchlein am beiten mit der Wiedergabe 
einiger Gedihihen zu daralterifieren. Diele Stüde 
werden weder die beiten noch bie ſchlechteſten im Wert- 
hen fein; es enthält föhtlihe Sachen, aber auch Fin» 
jenes, daS bei einer neuen Auflage beijer wegbleiben 
wird. Am Ganzen fanden wir Hörmann's: Schnee · 
taderln und Himmelſchlüſſeln? origineller, als dieſe 
neue Sammlung. M. 





| 





6 





3 med — und kann nöf. 


J war’ a Bleamer! gern — i hab vablüahrt. 

I medt a Fiſcherl fein — i hab mi grüahrt. 

J mecht a Vögerl fein — i fann nöt fliagn. 

% glang um d’ Stern jo gern — i Tann 
j'nöt friagn. 

J medt ön Himmel "iin — da Wög is z'weit. 

J medt a Enger! jein — und bin a Leut. 


A Liadsgrhidt. 


Alle zwoa fterbnsvaliabt, 
's Dirndl und da Bua, 
Denna koa Danileit, ! 
Nia Fried und Ruah. 


Eahm plagt dö Eiferfucht, 
Machtn fuchswild, 

Sie hat jo gwiße Grilln: 
„Harbfein“ wird gipielt. 


Sie id dö Trußige, 

Er tüdelt a — 

Ca Wort jo d' ganze Wis? 
| Guat wieder wa’. 


Da fallt 's nöt, dortn nöt, 
Koans roadht ? ja Hand, 

So lemman }’, fterbnnsvaliabt, 
Zlötzt ausanand. 


1) Einigfeit, ) Sade. *) reicht, 


’s fihare Mittl. 


Da Pfarrer 3’ Gahnling! jagt zu Dana — 
Denn dö hat eahm ’Hagt, 

Daß f' ihr Mann fo oft jchlagt, 

Sie muak fi nu z'taod flehn und woana: 
Kimmt da Mann fpat van Wirth jo thuat 
| a jelfiarn, 

‚Rah und feanzn, jtreitn und diſchpatiarn. 


Da Pfarrer alſo will da moana: 

Er woaß a Mittl, dös wirkt, 

Dos niamals lüagt, 

Glei aus war ’3 aft mit Flehn und Woana: 
„Wann da Mann wieder jpat van Wirt 
| thuat femma, — 
Giwindi 


ön 3 Mäul an Weihbrunn? 
nehma.“ 
Oen Mann hert j’ wia ſunſt ſchrein und 


klopfn. 
To heunt macht j’ glei auf — 
Lögt fi auf d’ Födern drauf, 
Z'erſt thuat fa fie ſchan 's Mäul vaftopfn. 
Da Mann will wia junftn ſrahn und ftimma, 
MWart't und ftugt und ritahrt fie nimma. — 


's bat gholfn ön Pfarrer ſei Mittl: 

Halt’ 's Mäul! hat a gihafft. 

Aber Glaubn und Kraft 

‚Gibt erft da jcheni, heilige Titl. — — 
‚A 58 andern finnis Enkas 3’ Herzn nehnta, 
' Wann Enfare Nanner jpat hoam than kemma. 


| !) Orlöname. *) Weihwailer, 





’s Ofäus. 


Durchs Giäuf’ bin i gfahrn 

Mit da rollatn Bahn — 

Mer a Wunder will jegn, 

Macht ma 's nad, ſchaut fi ’S an. 


Di Macht und den Gewalt 
Und wias rodlt und hallt, 
MWias jäufelt und braust, 
Daß dar grujelt und graust. 


Da Berg um den andern, 
Der rödt fi ön d' Heh, 
Und 's einzwängte Waſſerl 
Schreit: Auweh, aumweh! 


Und dd Schenheit und Macht 
Und dö Greh und dö Pradt, 
MWoft Di wendſt, wiaft Di drabft: 
Zwannſt ön Zauberland waſt. 

Durchs Gjäuf’ bin i gfahrn 

Mit da rollatn Bahn: 

Mer a Wunder will jegn, 

Macht ma 3 nad, ſchaut fi 's an! 


* 


Ein Concert im Poſtwagen. 
Von Karl Neumann-Strela. 


Ein Herr, der einen braunen Frack 
mit gelben Knöpfen, einen grauen Phan- 
tafie-Hut und auf dem rechten Arm einen 
grauen Ueberrod trug, bejtieg in Heidel- 
berg den Eilmagen, welder nah Stutt- 
gart fuhr. Die geftidte Reijetajche in 
feiner Rechten wurde in das Neck an der 
MWagendede gehoben, aber den Geigen- 
faiten, den feine Linke förmlich umflammert 
bielt, ftellte er neben ſich und bededte ihn 
mit dem Weberrod, al3 wollte er feinen 
Liebling vor Zugluft bewahren. 

Der Poſtillon blies ein luſtiges Stüd- 
lein; die Pferde zogen an. Der einzige 
Paflagier lehnte in der Ede, und nad 
dem er fih noch einmal von der ficheren 
Lage feiner Geige überzeugt, nabm er 
Pfeife und Tabaksbeutel, Feuerſtein und 
Stahl und Schwamm aus der Tajce. 
Bald ftieg der blaue Dampf zur Dede 
empor, und der Raucher freuzte die Arme 
über der Bruft und verfanf in tiefes 
Sinnen, 

Erjte Station. Das Gefährt bielt 
vor einem Heinen ſchmutzigen Haufe. Zwei 


32 

Poſtdiener fchleppten im Schweiße ihres 
Angefihts einen großen Reiſekorb herbei, 
der auf dem Wagen untergebradt wurde. 
Dann kam ein Dritter mit Schadteln und 
Käftchen, die jämmtlih in das Netz 
wanderten. 

Der Paſſagier wurde erjt aus jeinem 
Nachdenken geriffen, ald zwei Damen an 
den Schlag traten. Schweitern, der Aehn— 
lihfeit nad; Beide hatten dunkles Haar, 
dunkle Augen, fchwarzjeidene Kleider und 
Hütchen von ſchwarzem Flor. 

Die Größere ſetzte den zierlihen Fuß 
auf den Tritt, hüpfte in den Wagen und 
rief: „Marie, ein entjegliher Qualm! 
Wir werden erſticken!“ 

„Schrecklich!“ rief Marie, nachdem 
auch fie eingeftiegen, aber fie lachte dazu 
und nahm unter Lachen Pla. 

Der Herr und die Damen ſaßen ſich 
gegenüber. 

Der Herr zog die Brauen zujammen, 
grüßte und jagte: „Den Damen ijt der 
Tabaksrauch läjtig ?* 

„Wenn ic) bitten darf,“ nahm Thereie 
das Wort, „jo gönnen Sie Yhrer Pfeife 
ein wenig Ruhe. Der Rauch verurjadt 
mir Kopfichmerz.“ 

Mit einem ganz leiſen Seufzer ließ 
er die Pfeife in die Tajche gleiten. Wie- 
der freuzte er die Arme und ſchloß die 
Augen; er wollte jchlafen. Aber die ſüße 
Gewohnheit des Rauchens! Er wurde 
immer unrubiger, er rüdte nad rechts und 
nach links. Mit jeder Minute wurde die 
Sehnfuht nah feinem Pfeifchen größer, 
und er hätte fih zum Schwager auf den 
Dot gejegt, wenn nicht jeit der Abfahrt 
vom Stationshaufe ein feiner Negen ge 
fallen wäre. 

Die Damen, welche fi mit Lectüre 
befhäftigten, merften von dieſen Qualen 
nichts. 

Plötzlich fiel ihm ein: wenn du im 
Poſtwagen in Gegenwart des ſchönen Ge— 
ſchlechts nicht rauchen darfſt, ſo darfſt du 
wenigſtens geigen. Geigenſpiel im Boft- 
wagen verboten — wo ſtände das ge- 
jchrieben ? 

Gedacht, gethan. Der Ueberrod wird 
vom Kaften geworfen, Geige und Bogen 


zur Hand genommen — ein heller jrijcher 
Klang zieht durch den kleinen Raum. 

Die Damen find jo erjtaunt, daß 
ihnen die Bücher entfinfen. Aber fie 
niden ſich zu umd ihre Mienen zeigen, 
dab der wunderliche Einfall des Herrn 
ganz nad ihrem Sinne ift. 

Er phantafiert auf der Geige, Die 
Muſik hebt klagend an; beflagt er das 
falte Pfeifchen in der Taſche? Dann 
werden die Töne marliger und voller; 
über den Saiten jcheint das Wort Ent— 
jagung ! zu fchweben. Daun ift es, als 
wenn die Leidenſchaft wieder die Ober- 
band gewänne; immer wilder wird Die 
Muſik, immer graufiger, plöglich ein ſchnei— 
dender Ton — der Bogen finkt. 

Neguugslos, ſprachlos ſaßen die Da- 
men da. Erſt als der funfelnde Blid des 
Mannes fie traf, erwachten fie wie aus 
einer Eritarrung. Thereje bob den Arm 
und rief: „Mein Herr, Ihr Stüd hat 
feinen Schluß!” — „Bitte, den Schluß,” 
rief Marie, 

„Ein Schrei — das fei das Ende,“ 
jagte er, und in den Winkeln jeines Mun— 
des zuckte es ſeltſam. 

„Nein,” rief Ihereje, das Ende joll 
ein Danklied für alles Gute und Schöne 
ſein.“ 

„Ein Gebet aus vollſtem Herzen,“ 
warf Marie ein. „Schweſter, mache Du 
den Schluß.“ 

„Ah, Sie ſind Künſtlerin?“ 
er überraict. 

„Ich Ipiele ein wenig,“ gab Ihereie 
lächelud zur Antwort, 

„Ih bitte —“ er reichte ihr Geige 
und Bogen. 

Sie wehrte mit der Necdten. „Unfer 
Handwerkszeug haben wir ftet3 bei uns.“ 

Er bemerkte mit wachſendem Erftaunen, 
daß die Schweiter fich erhob, in das Net 
griff und zwei Geigen zum Vorjchein brachte. 
„Auch Sie? auch Sie?“ rief er. 

Sie neigte lähelnd das Haupt..... 
die Geigen wurden geftimmt, und die 
ſchelmiſche Marie rief der Schweiter zu, 
welche jhon den Bogen erhoben hatte: 
„Ein jo zablreiches Publikum haft Du 
noch nie gehabt.” 


fragte 


633 





Thereſe jpielte. Sie zauberte ein Bild 
vor das innere Auge des Mannes: im 
Sonnenschein wogte das Achrenfeld. Schnit- 
ter kamen mit ihren Senjen, e3 fam Alt 
und Jung und freute ſich der reichen 
Ernte. Dann knieten jie Alle nieder und 
priejen und dankten Gott für jeine Güte, 
bob im Blauen aber jubelte eine Lerce. 

In fih verſunken jaß der Hörer da; 
der traurige Zug um jeinen Mind war 
einem Entzüden gewichen, das wie Son» 
nenglanz aus feinen Augen ftrablte. Doc 
ehe er jeiner Bewunderung Worte leihen 
fonnte, wandte fich TIhereje zur Schweiter 
und ſprach: „Nun, mein Herzchen, kommſt 
Du mit dem rechten und echten Schluß.“ 

„Schweige ftill,“ vief fie mit fomijcher 
Geberde, „Der Schluß war recht und 
eht. Aber wie wäre e3 mit dem Tito 
von Kreutzer? Dur haft mit Deinem Spiel 
einen Funken in meine Seele geworfen ; 
ich könnte geigen bi3 im die tiefe Nacht 
hinein. — Alſo! Komm, Schweiterherz 
— eins, zwei, drei!” 

Das berrlihe Duo von Frenger, in 
jo meilterhafter Weife vorgetragen, bätte 
den größten Mufiffeind in einen Enthu— 
fiaften verwandeln müffen. Um jo bes 
geifterter war der Zuhörer. Seine Bruſt 
bob und jenfte fih, an feinen Wimpern 
perlten Thränen, und als der legte Ton 
verflungen war, da breitete ev die Arme 
aus und rief: „Ihr jeid himmlische Ge— 
jtalten oder die Geſchwiſter Milanollo !” 

„Nur das legtere, mein Herr,“ lachte 
die ſtets heitere Marie. „Das ijt die 
Therefe und ich bin die Marie,” 

„Grlauben Sie mir Ihre Hände,“ 
iprad er feierlichen Tones, und er legte 
die weißen zierlichen Hände auf jein wogen- 
des Herz. „Diefer Stunde werde ih ge 
denken, bis der Tod mir naht.” 

„Warum jo melandoliich, mein Herr 
College?" jagte Marie. „Ich habe ums 
verratben, oder vielmehr, Sie haben uns 
erratben; jegt aber hoffen wir, daß Sie 
mit Ihrem Namen nicht länger hinter dem 
Berge balten werden. Durch Ihr Spiel 
haben Sie bewiefen, daß Sie unfer Col» 
lege find. Alfo gejtehen Sie: Sind Sie 
Baillot oder Node oder Lafont oder gar 


634 


Kreutzer, deſſen Tuos unſere Lieblinge 
ſind?“ 

„Ich bin nicht ſo glücklich, mich Ihren 
Collegen nennen zu dürfen. Ich bin Di— 
lettant auf der Geige, meine Hauptbe— 
ſchäftigung iſt Verſe machen; und da Sie 
meinen Namen verlangen, jo habe ich das 
Vergnügen, mich Ihnen als Nikolaus Lenau 
vorzuſtellen.“ 

„Lenau, Lenau!“ jubelte Thereſe, 
„jetzt erlauben Sie uns Ihre Hände! 
Dort in der Taſche liegen Ihre Gedichte, 
die uns von Stadt zu Stadt begleiten 
und oft, oft unfer Verlangen nach der 
perſönlichen Bekanutſchaft des Dichters er» 
wedten. Endlich bat das gütige Geſchick 
unjern Wunſch erfüllt und — “ 

„Der Scidjalsgättin werde ein Hym- 
nus geipendet, wenn wir im Stuttgart 
find,“ fiel Marie ein, | 

„Warum erjt in Stuttgart ? Nein, | 
das währt mir zu lange. Im Poftwagen | 
haben wir unjere Belanntichaft gemacht, 
aljo werde im Poftwagen geopfert. Her! 
Dilettant, Sie kennen jedenfalls das Trio 
in C-dur von Streuner ? Gut. Sie jpielen 
es auswendig ? Deito befjer. Die Geigen 
beraus — in mafellojem Bortrage diejes 
Trios joll unſer Dankopfer beſtehen.“ 

Die Pferde ſchritten langſam und 
ſpitzten die Ohren; der Schwager Poſtillon 
ſpitzte die Ohren noch viel mehr. Seit 
dreiundzwanzig Jahren kutſchierte er von 
Heidelberg nach Stuttgart, aber ſolche 
Paſſagiere hatte er ſein Lebtag nicht gehabt, 

Als die Thürme von Stuttgart fich- 
bar wurden, batte fih die Bekanntſchaft 
ihon in Freundſchaft verwandelt. Gar 
oft iſt die Brieftaube aus dem Schwaben: 
land nah Paris und zurücd geflogen; 
das Babel an der Seine betrachteten die 
Milanollo'3 als zweite Heimat, welche fie 
nur verließen, wenn die Bitten ihrer viel« 
taufend deutjchen Bewunderer fie über den 
Nhein riefen. In Paris ſtarb Marie, 
„mein lieber Schelm,“ wie Lean fie oft 
genannt, im ranben Herbit des rauhen 
Jahres 1848; und als zwei Jahre jpä- 
ter, in Oberdöbling bei Wien, der arme 
Dichter die Augen ſchloß, da ward auf 
jein Grab ein Lorbeerfranz mit weißjei- 





denem Bande gelegt. Auf dem Bande 

ſtand geichrieben : 

„Und als Lebwohl er winfte mit der Hand, 

War's, ob der letzte Jugendtraum mir 
ſchwand. 


Dem Unſterblichen 


von 
Thereſe Milanollo.“ 


Lebt denn der alte Gott nicht 
mehr? 
Eine Parabel von W. Popper. 


Es war einmal ein Gott, der die 
Melt erichuf, und jeine Ehefrau war die 
Ewigkeit. Sie hatten drei Töchter. Die 
Aelteſte war die Schönfte und Blühenbdjte ; 
voll Kraft und Leben war fie des Vaters 
Ebenbild und Liebling. Schon als Kind 
bat fie oft: „Water, überlaffe mir nur für 
ein Weilchen das Welt-Negiment !” und 
Gott gab nach, obgleih ſie in kindiſchem 
Muthwillen ebenjoviel zerftörte, als ſchuf. 

Die zweite Tochter war nur der Schat- 
ten der Welteften. Ein blaſſes, willenlojes 
Kind, pflegte fie tagelang auf dem Schoße 
der Mutter zu fißen und ſich von diejer 
Geſchichten erzählen zu laſſen. Sie hatte 
einen Hang zur Träumerei und war die 
Liebreichite, deshalb auch der Mutter Lieb» 
ling. Die Jüngſte war ein rechter Wild- 
fang voll Grazie und Schelmerei, fie nedte 
die Schweitern wo fie nur konnte, ja fie 
verjuchte ihren unwiderſtehlichen Zauber 
auch an den ernten Eltern und Niemand 
fonnte ihr gram jein. 

Eines Tages trat die ältefte Tochter 
vor den erbabenen Thron Gottes und 
ſprach: „Nun, Vater, bin ich groß und 
jtart und Du bit alt genug, deshalb 
pflege der Ruhe und überlafje mir das 
Melt-Regiment |” 

Der Vater blidte voll Wohlgefallen 
auf jeine Tochter nieder, aber jeiner un— 
erjebütterlichen Gerechtigkeit eingedenf, ant- 
wortete er ihr: 

„Ih kann Div keinen Vorzug geben, 
Dir feine Rechte einräumen, die Deine 
Schweitern nicht teilen, rufe fie aljo auch 
vor meinen Thron!“ 


— 


Als nun die Zweite geſenkten Hauptes, 
voll demüthiger Ergebenheit einherſchritt, 
die Jüngſte in ſorgloſem Leichtſinn her— 
anhüpfte, ſprach Gott der Vater: 

„Ih will die Weltberrichaft unter 
Euch theilen! Dir, meiner ältejten Tochter, 
der Ihatkraft, die voll göttlichen Selbit- 
vertranens jtet3 im rechten Momente das 
Rechte thut, Dir, meinem Ebenbilde gebe 
ih das weite, das mächtige Reich der 
Gegenwart ! 

Dir dagegen, Dur Stille, liebereiche und 
liebesbedürftige Träumerin Erinnerung, 
die Dur zu jedem Kampfe unfähig biit, 
Dir verleihe ih das vor jedem feindlichen 
Angriffe geichügte Neich, in dem es nicht 
zu Schaffen, noch zu zerjtören, jondern nur 
zu erhalten gilt: die Vergangenheit ! 

Dir aber, Du lojer Engel voll Leicht: 
finn und Gnade, halb des Vaters, halb 
der Mutter Ebenbild? — Tir jchente ich 
das ımermeßliche Neich der Zukunft, das 
Du als ummmjchränfte Königin Hoffnung 
zum Wohle meiner Geichöpfe verwalten 
ſollſt!“ — Wie Gott ſprach, jo geichah es. 

So iſt es denn gefommen, daß nicht 
Gott Vater der Gerechte und die große 
Emwigfeit uns beherrſchen, ſondern nur 
ihre drei Töchter, die Königinnen: Gegen— 
wart, Vergangenheit und Zukunft. 

So fommt es, dab wir oftmals, wenn 
die eiferne Hand der Gegenwart uns unter 
ihr Joch zwingt, die Vergangenheit uns 
Schanergeſchichten erzählt und die Zukunft 
ſchäkernd unſerem verzweilelten Griffe ent- 
eilt — jo fommt es denn, daß wir in 
die Kniee finfend fragen: Lebt dem der 
alte Gott nicht mehr ? 


Der Poetenwinkel. 


Betrachtung. 


Von den Bäumen weh'n die Winde 
Welle Blätter in den Sand; 

Was der Lenz als Angebinde 

Einſt in kahles Aſtwerk wand, 
Sinkt zu Boden, 

Zu den Todten, 

Bis des Frühlings Zauberwalten 
Blatt um Blatt mag neu geftalten. 


Jahr um Jahr in gleicher Weiſe 
Geht der Menſch durchs Leben hin, 
Bis vollendet jeine Kreiſe 
Und die Bahre fein Gewinn. 
Mas wird bleiben 
Bon dem Treiben? 
Ginen rühmt man ungemefien, 
Und der And’re wird vergefien! 
Hans Aronderger. 


Frühling. 
O Frühling! o Du Wonnezeit! 
Mit Deinem Glücke kehrſt Du wieder! 
Die Erde ſchmückt Dein Saphirkleid, 
Und Blüten ftreuft Du darauf nieder. 


Erweckt von Deiner Sonne Strahl 
Im Moos die bunten Sterne laden. 
Wie plätjchert es vom Berg zu Thal! 
Natur, wie ſchön ift Dein Erwaden! 


Dein Blumenflor ziert Flur und feld, 
Berauichend find der Blüten Düfte, 
Und eine bunte Bogelwelt 

Erfüllt mit Sang die lauen Lüfte, 


Der Landmann fteuert feinen Pflug, 
Sät, hoffend auf des Herren Segen. 
Dem Himmel fingt in hehrem Flug 
Gin Lerchenpaar jein Lied entgegen. 


Und Alles, Alles athmet Luft, 

Und athmet Leben, athmet Liebe! 

Ein Wunſch bejeelt des Menſchen Bruft: 

Ach! daß es ewig Frühling bliebe! 
Oscar Pub. 


Dofen. 


Sacht hernieder fiel zur Naht der Regen, 
Leuchtend zudten hin auf Himmelswegen 
Glühe Blige, und zur Erde nieder; 

Und in hellem, lihtem Burpuricheine 
Glüht von Roſen es nun rings im Haine, 
Nachtigallen flöten ſüße Lieder. 


MWedte, jagt, Ihr zauberduftigen Roſen, 

Euch der holden Elfen füßes Koſen 

Oder Philomelens goldne Lieder, 

Oder trugen, unjer Sein zu jchmüden 

Und der Menſchen Herzen zu entzüden, 

Engel leuchtend Euch vom Himmel nieder ? 
Sarl Augufi HSüdingbaus. 


Tiebesweller. 


Wieder nach verliebtem Schmollen 
Halt' ich zärtlich ſie umfangen, 
Wieder nach dem bangen Grollen 
Küße ich die ſüßen, vollen 

Thränen ihr von Aug’ und Wangen. 


Wie fie Ihön ift im Vergeben! 
Wie entzüdend hold im Scerzen! 
Thränen zittern, Worte beben, 
Doch ein jubelnd neues Leben 
Blüht ihon wieder auf im Herzen. 


636 


Ueber'n Himmel felbft, den blauen, 
Zieht der Sturm, der braujend wilde, 
Nebel Hüllen ein die Auen, 
Wolkenſchatten dunkel ſchauen 

Auf die lieblichſten Gefilde. 


Sturmgemwdlt ift ſchnell verflogen, 
Helle blaut der Himmel wieder, 
Wölbet freudig ſeinen Bogen, 
Wonnig ſtrahlend hingezogen 
Ueber Blüten, Duft und Lieder. 


Wieder nad verliebtem Schmollen 

Halt’ ih zärtlich fie umfangen, 

Wieder nah dem bangen Grollen 

Kühe ich die fühen, vollen 

Thränen ihr von Aug’ und Wangen. 
Baymund Mayr. 


Kindesherz. 


Ich gieng im lieblichen Maien 
Hinaus in's grünende Feld 

Und hatte mir aus den Veilchen 
Die duftendften ausgewählt. 


Sie lugten aus laubigen Sträuden 
Herzinnig und traut hervor 

Und ladten mir fröhlich entgegen, 
Wenn ich fie mir erfor. 


In einem buſchigen Ahorn 
GEntdedte ih deren viel 

Und wollte fie eben pflücken, 
Und faßte fie jhon am Stiel — 


Da ſah ich ein nadtes Vöglein 
Inmitten zitternd vor mir, 
Und über dem Ahornftraude 
Kam ängftlid der Alte herfür. 


Ih lüßte des Jungen Schnäblein 
Und hauchte e8 wärmend an, 

Drauf hab ich's mit jorglichen Händen 
In's moofige Neftlein gethan. 


Und Dornen zog ich darüber 
Zutroß dem Fallengeſchlecht — 
So hat es der Lehrer befohlen — 
Gelt, Vater, jo war es recht? 


Johann Tanıer. 


Das fellfame Haus. 


63 fteht ein Fremdling auf der Strafe 
Unb blidet auf ein altes Haus, 

Wie er, jo ärmlich und fo traurig, 
Sieht auch das Wohngebäude aus. 


Er ftarrt zur Höhe bin und weinet, 
Biel Gaffer ftehen um ihn her, 

Die ſchau'n und fragen, dod vergeblich, 
Und bliden dann hinauf, wie er, 


Und dichter wird des Voll's Gedränge 
Um ihn, den fonderbaren reis, 

Und ungeftümer wird das Fragen, 
Doch Niemand eine Antwort weiß. 


Da fährt der tiefbetrübte Alte 
Erwachet wie vom Traum empor 
Und fieht erjchredt um fi die Menge 
Und ftanmelt leis die Wort’ hervor: 


„Dies Haus umſchließet gar nichts Selt'nes, 

Es iſt, ah ladet mid nit aus! — 

O gold'ner Traum entjhwund'ner Jugend !— 

63 ift mein theueres Vaterhaus!“ 
Sriedrid Saßſwander. 


An Emile Bola. 


Sonett. 


Du ſuchſt in farbengrellen Lebensbildern 

Verlomm’ner Menſchen grauenvolles Sein, 
| Erhellt von feinem fernen Hoffnungsicein, 
Mit des Talentes ganzer Kraft zu ſchildern. 


Doch Du verihmähft, mit Künftlergeift zu 
mildern, 

Und was Du dichteft, es ift blos gemein, 

Entſetzlich, jammervoll, unſchön allein, 

Nicht beffern wird's die Menfchen, nur ver: 
wildern. 


Ein Dichter bift Du, der ſich eifrig müht 

Mit Bildern, welde nur die Menſchheit 
ihänden — 

Des Scheußlichen Eopift, ein roh Gemüth! 


Doch Dein Triumph wird bald und ſchmäh— 
lich enden; 
Denn weſſen Herz für echte Kunft noch glüht, 
Mirft, was Du fchriebft, mit Efel aus den 
Händen. 
Srledrich Saßſwander. 


Geburtsanzeige. 


Es ift heraus, Freund! Da! Fin Heiner 
Band, 

| Der ſchon beginnt recht vielen Lärm zu maden ! 
In's Fäufthen fann ſich der Verleger laden, 
9 zweiten Auflag’ regt er ſchon die Hand. 
‚Ein ganzer Troß mwohlweijer Richter fand: 
' Das Befte ſei's von allen feinen Sadıen, 

| Die Sprade farbig ohne zu verfladhen, 

| Und ſchön're Form jei nirgend’swo im Land! 


und dann iſt Herz und Kopf darin! Ein 

großer Kopf! 

Ein Buch wie das nimmt Jeder gern beim 
Schopf. 

Man lann's der Tochter in die Hände geben! 





637 


Verſchrobne NRecenienten meinen eben, Im Buſen begann e3 zu Ichlagen, 
Daß Alles Form und Inhalt nicht zu Und endlich hatte ih Ruh; 
finden! Und diejer Sieges:Engel, 
Genug ift drin! Das merken ſelbſt die | Geliebte, wareft Du! 
Blinden! Zohann Fanıer. 


Italieniſch: Deutich: 


| 
Edmondo de Amicis. Alfres Friedmann. | Liebe gibts nicht ohn' Bertrauen. 


Liebe gibt's nicht ohn' Vertrauen, 
elöflaenünen. Auf die Liebe muß man bauen, 
— Und die Siebe ift micts wert 
63 gibt ein Glüd im Wirrjal diejes Lebens, | Hat der Schmerz fie nicht geklärt. 
Das nur der Auserwählten wenige fennen — | 
Nah Gold und Reichthum ficht man dieſe Denn in Freuden nur genojjen, 


rennen, Und in Freude nur geiprojien, 
Und jenen ift der Ruhm der Zwed des Iſt die Lieb’ gar bald zerflofien, 
Strebend. | Fortgeeilt auf jchnellen Roffen. 


Und alle ſuchen fie das Glüd vergebens, Doch in Schmerz und Leid erfämpft, 
Das fiedann falih und unbeftändig nennen — | Nichts mehr dieje Lieb" dann dämpft, 
Wonach die meiſten mit Begierde brennen, Flieht aud bald die Leidenichaft, 
Das ift nur Biel gemeinen Thuns und Bleibt der Liebe ftille Kraft. 
Mebens! . . 


| ». Shmidt. 
Nur Falſchheit übt die Menfchheit aller Orten | 
Auf diefem mwonnigihönen Erdenrunde, 
Und Ihre faule Gunft find — Schein und Hlödiner’s Abendlied. 
Lügen! — | Schwinge, Glode, ſchwinge! 


. E : Töne voll und töne laut, 
Nicht ſuch' das wahre Glüd an ihren Pforten! Daß Dein Ton die Nat durchdringe, 


68 wohnt in Deines Herzens tiefftem Grunde | <: R 
Und bleibt Dir ewig treu: das Selbſtge— Die zur müden Erbe niederthaut. 


r 
nügen! — Immer lauter halle 
Sodann Peter. | Durch die wundermilde Nacht! 
In der Töne vollen Schwalle 
Zeige Deines Klanges reine Pradt! 


Kampf und Sieg. Frieden bringe, Frieden, 
Einft rang ih in Jugendträumen Nah des Tages Muh und Laſt! 
Nach einem fernen Glüd Bring’ der Seele Frieden, 
Und fämpfte in düfterm Gemiüthe Und dem müden Körper ſuße Raſt. 


Mit meinem harten Geichid. Mo auf böfem Pfade 


Die jhönften Ideale Giner Arges bei ſich plant — 
Aus meinem Himmelstraum Wollte dod des Herren Önade, 
Zerrannen im Lebensgewirre, Daß Dein Klang ihn an das Nedhte mahnt! 


Wie perlender Sei . 
periender Seifenihaum Wo auf irrem Wege 


68 zerrten mich tiefe Gefühle 20a Au Ehre Mans vie MIAMI, 
Zum irdiichen Lebensgenuis, Weiſe ihm die rechten Stege, 
Es brachten mich andere Stimmen Daß er unf're Hütten heil erreicht. 
Zum Lebensüberdrujs. — 
Wo auf heißen Piühle 
Und Jahre zogen darüber Einer mit dent Tode ringt, 
Wie finftere Dämonen, Wollte Gott, dab Grabestühle 
In meiner jungen Bruſt Und Erlöſung ihm Dein Tönen bringt. — 


Hat es zu ſterben begonnen. 
Jetzo laſſ' Dein Klingen, 


Da aber kam ein Engel Glocke, und vertöne ſacht! 
Und lachte mir ins Geſicht Schützend breite Deine Schwingen 
Wie die Sonne im Morgenglühen, Ueber uns Du ftille, heilige Nacht! 


Da fie die Dämmerung bridt. — ) seopold Wurth. 


638 


Der Born der Schönbeit. 
Sonett. 


Wer lebt und ftrebt, hat reihlih Grund 
zu Hagen; 

Zu Boden prefien Leiden, immer nagen 
Sorgen, 

Und dämmernd bricht heran faum je ein 
Morgen, 

Der nicht ein neues Kreuz auflegt zu tragen. 


Das Volk bat meiftens Recht, manch— 
mal aud die Menge, 


— 
Niemand kennt ihn, als ſeine Flohe. 
* 
* 


In der Kunſt folgt auf die Tragödie 
das Satyrſpiel; ich fürchte nur, daß auf 


Wir müßten ob der ſchweren Laſt verzagen, das Satyrſpiel in der Politik die Tra— 
Wenn uns die frohe Kunde wär' verborgen, gödie folge. 


Daß holde Schönheitswunder ſtetig ſorgen 
Zu heilen Wunden, die der Schmerz ge— 
ſchlagen. 


Des Himmels Blau, das Dunkelgrün der 
Wälder, 





Bücher. 


Brokhaus’ Converſalions-Lexikon, drei— 


Der Berge Pracht, das Aehrengold der zehnte umgearbeitete Auflage, ift mit dem 


Felder, 
Der Wonneglanz im Auge zarter Frauen, 


Und alles Schöne, das die Kunſt ung ſpendet 


joeben erſchienenen 240. Hefte in der Heft: 
ausgabe vollftändig geworden. 
Unter den 4219 Artikeln, welche dieſer 


Nletzte Band enthält, nimmt vor allen andern 


Gin reicher Born iſt's, der das Heil ent | yer üher „Wilhelm I., Deutfcer Kaifer und 


jendet 
Auf diefer Erde glüdesdurftige Auen, 
Paul Peufer, 


Aus Tagebüdern. 
Von Adolf Pichler. 


* 
* * 


Was nicht von Innen wächst, taugt 
nichts. 


* 
* * 


Im Grund erzeugt fi jeder Geift 
jeine Sprade jelbit. 
* 2) * 
Beſſer lernit Du aus der Sadıe, als 
über die Sache. 
* 


* * 


Man ſpricht ſo viel vom Recht auf 








König von Preußen“ das höchſte Interefie 
in Anſpruch. Die nunmehr vollendete drei— 
zehnte Auflage zählt nahe an 90000 Artikel 
gegen nur etwa 30000 der vorigen Auflage, 
und während feine der frühern Auflagen 
mit Abbildungen verjehen war, bietet fie 
eine Fülle planmäßig nad) den verſchiedenen 
Wiſſensfächern geordneter Illuſtrationen auf 
411 beigegebenen Karten und Bildertafeln 
von vorzüglicher Ausführung jowie im Terte 
jelbft. Wie Brodhaus’ Converjations:Lerifon 
das ältefte und bewährtefte, ift e8 num zu— 
gleih aud wieder das neuefte und gegen 
wärtig das einzige, das abgeſchloſſen vor: 
liegt. Damit diefer Vorzug der Neuheit 
dem Werke erhalten bleibe, läßt die Verlags» 


handlung für die Befiter der dreizehnten 


Auflage einen Supplementband in 15 
Heften erſcheinen, welder alle Veränderun— 
gen, Ergänzungen und Zujäte, die während 
des Druds nit mehr aufgenommen werden 


konnten, bis auf die jüngften Tage in lexi— 


laliſcher Bearbeitung enthalten joll, 
V. 


Der Mont-Cenis. Europäiſche Wander: 


Arbeit, warum ſo wenig von der Pflicht bilder, (Orell Fühli & Co. Zurich) 


zur Arbeit ? 


* 
* * 


Der Verfafler, V. Barbier, ein Sohn 
Savoyens, der mit Liebe an feiner Heimat 


hängt, führt uns durch jein ſchönes Berg: 


Die Sünde ift der Kampf des In land dahin und weist uns alle die Stellen, 


dividuums gegen das Geſetz der Gattung. 


* 
* * 


Verzeih die Sünde, aber nicht die 


Unſittlichkeit. 


welche geſchichtlich oder naturhiſtoriſch merk: 
würdig find. Wir beſuchen mit ihm das 
anmutbhige Wir:les:Bains, Chambery, Die 
alte Stadt, aus der das Königshaus von 
Italien hervorging, die Ruinen der vom 
Zauber der Poeſie ummobenen zahlreihen 


Nitterfchlöffer. Wir überfteigen unter feiner 
fundigen Leitung die Bergjoche, von welchen 
aus er uns einen Finblid thun läßt in die 
erhabene Gletſcherwelt des Gebirges, das 
Frranfreih von Italien ſcheidet. Reminis— 
jenzen aus längft dahingegangenen Tagen 
miſchen fi mit dem rührigen Leben der 
Gegenwart, und mit fundiger Feder be: 
fchreibt uns der Autor das große Werk des 
erften Alpendurchſtichs. Nehmen wir die 
Niederfahrt nad Italien hinzu, wo wir an 
der Klauſe von Sufa der Kämpfe gedenten, 
von denen der Befit des ſchönen Landes 
abhing, wo uns eine Natur entgegenladt, 
die den Ernft und die Strenge der Alpen: 
welt mit den Reizen des jüdlichen Himmels 
vereinigt, jo müflen wir geftehen, dab uns 
Barbier eine Gabe von Wert bietet. 


Die Literatur über Vegetarismus ift 
ziemlich umfangreich und vergrößert ſich im: 
ner wieder. Bor ſturzem erſchien in zweiter 
Auflage eine recht lefenswerte Broſchüre von 
Meta Wellmer über „die vegetarifde Le— 
bensweife und die Vegetarier" in Paul 
Schettler's Verlag zu Eöthen. Die Ver: 
faſſerin bietet allerdings nichts Neues, fie 
ftellt vielmehr die interefjanteften und beften 
Bemerlungen aus anderen Büchern, fowie 
überaus zahlreihe Ausſprüche berühmter 
Männer, die dem Vegetarismus nidht ab: 
geneigt waren oder fih zu ihm befannten, 
jufammen. Sie ſpricht über den Vegetaris: 
mus in der Bejchichte und zählt eine lange 
Reihe Hiftoriich berühmter Perjönlichkeiten 
auf, die Vegetarier gewejen fein jollen, fie 
ipricht über den VBegetarismus aus religidfen, 
wiljenihaftlihen, Gejundheitsgründen, aus 
äfthetiihen, humanen, moralijdden, ölono: 
miſchen und anderen Gründen. Das Bild: 
lein enthält manche beherzigensmwerte Mah: | 
nung, wenn aud die Geitenhiebe auf die! 
„Thierleichentoft* oft allzu ſcharf find. Als 
Motto jegte Frau Meta Wellmer dem Büch— 
lein das Wort Schopenhauer’3 vor: „Der 
Mensch verfteht die Sprache der Natur nicht 
mehr — weil fie zu einfach ift.“ 


A 





t. 


Von Alfred Friedmann’s Did: 
tungen, welde im Berlage von Y. €. C. 
Bruns in Minden in Weftfalen (1886) er: 
ſchienen find, nennen wir heute Erlaubt und 
Anerlaubt, Novellen und Stizzenblätter, 

Bon den Novellen find mehrere durd 
finnige Erfindung und formvollendete, jelbft 
dur zart und duftig zu nennende Dar: 
ftellung ausgezeichnet. Ein gereifter Lebens: 


als Pechvogel“ zeigt. In den Reifeerinnes 
rungen ift Friedmann weniger glüdlid. 
Unter den literariichen Skizzen ift das über 
des Verfaflers Verlehr mit Gottfried Kintel 
Aufgezeichnete hervorzuheben, namentlich 
wegen der darin mitgetheilten, einige äſthe— 
tiihen Fragen betreffenden Briefe Kinkel's. 
(Fin weiteres Sammelwerk betitelt fi „Aus 
Höhen und @iefen. Ernſtes und PBrofanes.“ 
Die poetiſche Form, die hier ausſchließlich 
angewendet ift, Scheint dem Autor nod 
bandgeredhter zu jein, als die Proſa. Seine 
erzählenden und balladenmäßigen Dich: 
tungen zumal zeugen von einer reihen Gabe 
fünftleriihen Sehens und maßvollen, ziel: 
bewuhten und ficheren Geftaltens; „Jeſus 
anı ®runnen,* „Anna Boleyn* und „Die 
drei Brüder“ dürften den Preis verdienen. 
Außer dem Ton für ernjte Dinge ift aud 
der für die fcherzende Satire getroffen. Die 
ſprachliche und metrifche Form ift faft tadel— 
los. Nicht zuläſſig ift das Wort „Triere* 
(Schiff mit drei Neihen von Nudern) auf 
„verliere* zu reimen, wie es bier auf ©. 
227 geſchehen ift; „Triere“ iſt dreifilbig. 
V 


Von den Ummwälzungen im Weltall. „Drei 
Bücher:“ In den Negionen der Sterne. — 
Im Reihe der Wolfen, — In den Tiefen 
der Erde. Bon Nudolf Falb. Zweite 
Auflage. Mit 96 Abbildungen. (Hartleben 
Wien.) 

Es wird wohl wenige Bücher geben, 
denen ein jo tiefgehendes und allgemeines 
Interefie entgegengebradt wird, als dem 
bahnbredhenden Werte des berühmten Erd: 
bebenforjchers Nudolf Falb, das durch 
die gewaltige Beftätigung feiner Theorie 
in dem Erdbeben an der Riviera eine jeltene 
Actualität erhalten. Das Bud umfaßt in 
drei Abtheilungen das ganze Weltall und 
überall bewährt ſich die lichtvolle Darftellung 
von Falb's gejhidter und dem Geifte des 
Laienjorgjam angepafter Feder. Der Schwer: 
puntt des Werkes Liegt in dem lebten Ab: 
jhnitte: „In den Tiefen der Erde.“ Daß 
des Verfaflers Ausführungen über die Ur: 
ſache der Erdbeben durchwegs auf Beobad: 
tungen fußen, wird ſich dem Lejer auf jeder 
Seite verrathen und am deutlichiten zutage 
treten, wenn er objectiv und unbefangen die 
Gharakteriftil diejer Natureriheinungen mit 
den in den fetten Jahren eingetretenen hervor: 
ragendften Kataftrophen und ihrem Verlaufe 
vergleicht. i 


Den Heimgarten foeben zugegangen: 
Yon der Oſtſee bis zum Hordcap, ine 


ernft ift dem Berfafler eigen, do fann er Wanderung durd Dänemark, Schweden und 


auch echten Humor entfalten, wie „der Pfarrer | 


Norwegen von Ferdinand rauf. (Neu: 


640 





titichein, Wien und Leipzig. Nainer Hold) ) W. 9, Sleyer: Machen Sie aufmerf: 
Von diefen ganz ausgezeichneten Werte find | ſam auf eine eigenartige Karte von Ober: 
bisher 11 Hefte erichienen. Wir werden | öfterreich. Fine Kleine Geſellſchaft von ober: 
feiner Zeit Näheres darüber berichten. öfterreichifchen en bat es 
eimatskunde von Kärnten. Ron Ed m, | unternommen, die Generalftabsfarte des ge: 
a an und Iof. ne ITa. (Slagenfurt, dachten Kronlandes im Maßſtabe 1:75.000 
Ferd. von Kleinmayr 1887.) Won diefem in's Plaftiiche mit einer 2:3 maligen Ueber: 
Merle ift ſoeben die Schlußlieferung er: | höhung = 1:32.600 nad) den 100m Schich⸗ 
ſchienen. ten in Holz auszuarbeiten. Näheres darüber 
Die Weisheit Salomon’s. Schauſpiel in san F bei Herrn A. Lantz, Schul: 
fünf Acten von Paul Deyie. (Berlin, 3 
Wilhelm Herk 1887.) E. Gragen: Der treffliche Kärntnerlieder— 
Hans Wierauer. Drama in fünf Auf: | Componift Thomas Koſchat ift Hofopern— 
zügen von F. A. Subert. NAutorifierte fänger und wohnt in Wien IV. Panigl: 
Ueberfehung von Edmund Grün. (Leip: | gafle 5 
sig. E. Wartigs Berlag. 1887.) M. ©., Gras: Der Grund der Tratich: 
Rirdenraub. Zalſche Freundfhaft. Zwei ſucht beſteht vielleicht darin, weil fih mande 
Arbeiternovellen von Alfred Friedmann, | Leute freuen, an Anderen redjt viel Schlech— 
(Leipzig. Philipp Neclam). tes zu finden um ſich ſonach für das eigene 
Das fhwierige Problem, Humoresfe von gewiſſermaßen zu rechtfertigen. 
3.9. Dermold. Illuſtriert von E. Klein. S., Laibach: Beſten Dank. Das bisher 
(Stuttgart, Rob. Lutz. 1887.) noch ungedruckte Gedicht, welches Adalbert 
„Goldkörner aus dem deutſchen ev. Pre: Stifter als Student in Kremsmünſter ver: 
digtichat alter und neuer Zeit.” (Stuttgart, | faht hat, theilen wir hier mit: 





Greiner und Pfeiffer.) Die Greiſe. 
Atheroiden. Bon Rudolf Freiherrn (1824) 
F ‚ei liegt nzend 
7 — (Leon Elms.) Prag. H. Mercy. ie m ng —— — —— Haupte. 
Nimmer tilgen Dir die verhaßte Farbe 
Hausbuch. Miniaturzeitihrift. (Mer: Ealböl und Kränze, 
ningerode a. H. Dermann Kiehne). | freund! Di hat die Jugend mit mir vereint; 


Morgen rafft una Beide der Tod von binnen; 

Doch verdoppeln fannit Du durch hohen Ruf die 
Jahre, Gelicbter! 

Wellen Tod der Bürger beweint, o der hat 


Poſtkarten des Heimgarten. Lang gelebt. Fin Jeglicher ſchreib' zum Erben 


Eid den Ruf; den Andern führen farge 
xx 68 wird angelegentlichft erjucht, —— WIRKEN: 
Manuſcripte erft nad vorheriger Anfrage | ©. ©. 8., Dresden: Sie meinen, daß 
einzujenden. Für umverlangt eingejhidte | die Deutjhen Goethe leſen jollten? Wie 
Manuferipte bürgen wir nicht. Externe Ar: | naiv! Goethe jehrieb für die Ewigkeit, aber 
beiten honoriert die Verlagshandlung nicht, | nicht für's Roll. 








Bär Die Nedachon verantwortlid P. A. Bofegger. — Truderei „Leytlam“ in Gray. 







m. 


7 


9. Heft. 












Juni 1887. 


u, DE 





Fur 2 
— u — 





—— 3 
XI. Jahrg. & 


—— 


















Zakob der Pebte. 


Eine Waldbauerngefchichte aus unferen Tagen von P. R. Roſegger. 
(Fortjegung.) 


Der Jakob beſucht feine Kinder. 


Tun 


Nie jungen Pächtersleute in der 
+, Semeinau hatten ein Töchterlein 
befommen. Als ob es ablichtlich Keine 
geborene Altenmooferin fein wollte, war 
es erft etliche Tage, nachdem die Eltern 
das entlegene Waldthal verlafjen hatten, 
ans Licht der Welt gegangen. In der 
Gemeinau, wo weit und breit Fein 
Maldbaum war, fehien es auch viel 
heller und wärmer, al3 in dem Walde 
fhatten der Sandad). 

Die Angerl fehrieb dem Vater Jakob, 
er möchte kommen und feine Heine En- 
felin anfehen. „Iſt er nur erſt einmal 
da,” fagte fie zu ihrem Florian, „dann 
wollen wir es ihm bier jo lieb und 
gut machen, daß er auf fein Altenmoos 
vergefjen ſoll.“ 

Sie richteten ihm das gute Stübel 
ein und zogen fich felbft mit dem Kinde 
in die Nebenkammer, fie ordneten Alles 


Rofegner’s „„Grimgarten’‘ 9. Heft, XI, 





fo an, wie fie wußten, daß es der Vater 
gewohnt war, nur daß fie es biel feiner 
und freundlicher zu machen wußten, twie 
es im Reuthofe je gewefen war. 

Der Jakob machte fih im nächiten 
Frühjahre denn auch wirklich auf und 
reiste nach der Gemeinau. Als er in 
das weite Thal hinauskam, wunderte er 
fi, wie da Alles ſchon fo ſchön ſom— 
merli war, während im Altenmoos 
noch überall der Schnee lag, der 
Ihmußige, mit Fichtennadeln und 
Zapfenſchuppen durchſetzte Schnee. Auf 
den fchlechten Wegen lagen noch die 
Eisfruften oder es rann dastrübe Wajjer. 
Hier im Thale der Gemeinau waren 
die Straßen blendend weiß md troden. 
und der Maiwind fächelte Staub empor. 
Auf den Feldern grünte die junge Saat, 
Mepfelbäume blühten und auf den 
Miefenrainen fchnitten die Häuslerinen 
Ihon junges Futter. 

Der Jalob freute fih an der 

41 


642 


ihönen Welt und gönnte es den Leuten 
der Gemeinau, daß fie eine folche Heimat 
hatten. 

Das Haus feiner Kinder war ſchwer 
zu erfragen. Ueberall ftattliche Gehöfte, 
aber von den aus dem Gebirge ein- 
gewanderten Leuten wollte Keiner gehört 
haben. Endlich erinnerte fich ein Weib, 
daß im Steinhäufel feit einem Jahre 
fremde Pächterleute Haufeten. Man fehe 
fie faft nie, fie wären immer daheim 
auf dem Anweſen und fehr fleißig, aber 
fie verftünden nicht recht zu wirtjchaften, 
Sie machten Alles fo, wie fie es im 
Gebirge gemacht hätten, und das tauge 
nicht im Thale und fie wilrden tüchtig 
zu thun Haben, um fich aufrecht zu 
halten. 

Hinter dem Dorfe war ein dürrer, 
fteiniger Bühel, faft der einzige Stein- 
grumd im weiten, fruchtbaren Thale. 
Und dahinter dudte ſich das Häufel, 
in welchem die Altenmoofer Leute lebten. 
Ein alter, halbverdorrter Birnbaum ragte 
über den Dachgiebel Hoch auf, fonft war 
abjeitS noch einiges Buſchwerk, und 
danı lagen die Wederlein, auf denen 
in röthlihen Spitzen das Korn hervor— 
Iproßte. 

Die Angerl war vor der Hausthür 
eben damit bejchäftigt, weißen Feder— 
flaum auf ein Brett zu ftrenen und 
in der Sonne zu lodern. 

„Schau ſchau! was in der Ge- 
meinan die Schafe für eine feine Wolle 
geben!“ mit diefen Worten trat der 
Jalob vor und begrüßte feine Tochter. 

Diefe ſprang ihm mit einem 
Frendenſchrei an den Hals. So heftig 
war fie ihn in Altenmoos nie anges 
ſprungen. „3a,“ lachte fie hernach, 
„das ift aber feine Schafwolle, das 
find Bettfedern.* 

„Sp, Bettfedern! Hoch hinaus! 
Freut mich, daß Euch ſchon die Federn 
wachen. Hoch hinaus!“ 

„Iſt nicht fo vornehm, wie es aus— 
ſchaut,“ fagte die Angerl. „Wirkliche 
Federn, fo weit haben wirs freilich 
noch nicht gebracht. Das ift nur der 


Difteln wachst. Difteln haben wir genug 
auf unferem Grund und weil man Alles 
nußen muß, jo habe ich im vorigen 
Herbft den Flaum gefammelt, und man 
liegt juft fo gut drauf, wie auf Federn. 
— Aber fo fommt doch in die Stube, 
Vater, Ihr müßt ja die Heine Mirl 
anfchanen! Mir! Mir!“ rief fie in 
die Stube voraus, „der Aehndel (Groß— 
vater) kommt!“ 

Das Mädchen Hodte im Neft, gudte 
mit feinen blauen Aeuglein ein wenig 
befremdet auf den großen Mann, der 
jeßt eintrat, den e8 im Leben nie 
gefehen und dem es jetzt das Händel 
und einen Kuß geben fol! 

„Sanz dem Friedel feine Augen 
hat fie,“ fagte der Jakob mit Befrie— 
digung, „und es ift brad von euch, 
daß ihr der Stleinen den Namen von 
der Großmutter gegeben Habt. Nur 
folltet ihr den fohönen Namen Maria 
nicht in Mirl verunftalten.“ 

„Mirl, gefällt euch das nicht?“ 
fragte die Angerl, „in der Gemeinau 
ift es Halt fo der Brauch und jede 
Maria nennen fie dahier: Mirl. Ich 
will fie aber euch zu Lieb’ gern Maria 
heißen. — Was ich doch kindiſch bin! 
Da ſchwatzen, und ihr Habt nichts 
Marmes in Magen! Zuerft muß ich 
noch den Florian rufen, der thut auf 
dem Felde draußen Steine graben.“ 

„Ufo auch Hier in der Gemeinau 
müſſet ihr reuten!“ rief der Jalob, 
ſie war aber ſchon fort und er allein 
im Stübel bei feiner Enkelin. Da 
wurde ihm ganz warn ums Herz. 
Und als er das warıne weihe Händchen 
fefthielt und als ihn das liebe ſchöne 
blondlodige Kind fo treuherzig anblidte, 
da war ihm fehier, als wäre er nad) 
langem Irren im der Fremde heim— 
gefommen. 

So blieb der Jakob nun ein Weilchen 
im Steinhäufel. Am erften Tage that 
er nichts, al3 mit der Heinen Maria 
jpielen und ſcherzen und in der Heinen 
Wirtſchaft des Schwiegerfohnes, jowie 
im Dorfe herumgehen. Da ſah er aller— 


weiße Flaum, der im Herbſt auf den | hand Neues; Manches gefiel ihm nicht 


643 


übel, aber zu dem Meiften fchüttelte 
er den Kopf. Am zweiten Tage jchaute 
er fih nad einer Beichäftigung um, 
aber es gab michts rechte und die 
Werkzeuge waren ihm unhandlich. Der 
Florian ging ind Tagewerk aus, das 
war doch eigentlih der Haupterwerb. 
Das Efjen, welches die Anger! ihrem 
Vater verſetzte, wollte ihm micht vecht 
ſchmecken; gut war es freilih, ſogar 
Kaffee, Butter und Honig; aber der 
Jakob dachte mit jedem Billen daran, 
daß er um theures Geld gefauft werden 
müſſe, und ein richtiger Gebirgsbauer 
fieht darin den Untergang, felbft wenn 
eine jolhe Koft mit dem Erwerb im 
Verhältnis ſtünde. 

An feiner Tochter ſah er jebt eine 
Art Leichtfinn, den er Daheim nicht 
an ihr bemerkt Hatte. Nur heiter fein 
und gut leben, e3 wird fich ſchon geben. 
Nicht beftändig forgen und kümmern, 
wenn auch bisweilen die Noth anklopft, 
— es wird ſich Alles geben. — Das 
war ihr Denken. So denken die Welt: 
leute alle, bevor fie zu Grunde gehen. 
Dem Jakob gefiel es durchaus nicht. 
Je beiler fie ihm es meinte, je aufs 
merlfamer fie ihn betreute und bediente, 
deito unbehaglicher ward ihm. 

Eines Tages erzählte die Anger! 
ihrem Vater von einem Kapuziner aus 
dem Kloſter zu Krebsau. Diefer Kapu— 
ziner fei kürzlich zurückgekehrt von einer 
Reife ins Heilige Land. Auf dem rothen 
Meer — das fei genau dasjelbe, in 
weldem die Soldaten de3 Pharao, 
die den Moſes verfolgt, ertrunfen wären 
— fei der Kapuziner mit einem See= 
manne zufammengelommen. Der fei 
fo wild und braun geweſen, wie ein 
halber Mohr, habe aber deutſch ge= 
ſprochen. Er habe von Sandeben und 
Altenmoos gewußt und ſich erkundigt 
nah dem Reuthofer, dem Jakob und 
feinen Leuten ; er habe Alle beim Namen 
genannt, aber nichts weiter gejagt. Ob 
er, fragte die Angerl ‚den Vater, ich 
nicht denken könne, wer diefer Menjch 
gewejen jeil 

Mas kümmere das ihm! verjegte 


der Jakob, es fei wahrjcheinlich einer 
der Auswanderer gewejen, die fich in 
der ganzen Welt zerftreut Hätten und 
vor lauter Gram und Aerger über ihr 
Misgefhik allerlei Farben bekämen. 

Das Nichtsthun machte den Jakob 
allmählich ganz müde und verdrießlich. 
Einmal nahm er den Spaten und 
ging Hinaus an den Feldrein, um 
Steine auszugraben; es war aber feiner 
mehr da. Er ging Hinauf über den 
Bühel und Hub dort an, Steine zu 
(odern. Es wird nicht Schaden, wenn 
man den Bühel reutet, dachte er, wie 
fih3 Heute zeigt, haben fie im etlichen 
Sahren eine ftubenvoll Kinder, da 
werden fie den neuen Acker wohl brau— 
hen. Aber je mehr Steine der Jakob 
ausgrub, defto mehr waren noch drin. 
Und endlich kam der Eigenthümer des 
Anweſens herbeigeſchliffelt und fragte 
den Jakob barſch, was er da mache! 
Er laſſe auf feinem Boden nicht herum— 
wühlen.“ 

„Ihr ſollet ja froh ſein, wenn 
man euch die Steine fortſchafft,“ wen— 
dete der Jakob ein. 

„Froh fein!“ lachte der Eigen— 
thümer auf, „das auch noch! Und 
fich recht Schön bedanken bei den Herren 
Gebirgsdodeln, daß fie zu uns herab— 
fommen, und von ihren Geißen unfere 
Wiefen abnagen laffen, bis die Gras— 
wurzel Hin ift auf zehn Jahr lang ; 
Ihön bedanken dafür, daß fie uns 
mit ihrer vorweltlichen Bergwirtichaft 
die Felder verderben. Und den Pacht 
Ihuldig bleiben ſchon im erften Jahr! 
Ya wohl, ich bedank' mich fchön für 
ſolche Leut!“ 

Jetzt wollte es den Jakob gar 
‚nicht mehr freuen in der Gemeinau. 
‚Auch jagte er, es ſei ihm die Luft 
zu ſchwül, er habe immer die Empfin— 
dung, als ziehe ein Gewitter heran. 
Daß die Leute Hier anders gelleidet 
waren und anders wohnten, als zu 
Altenmoos, daß fie im Sprechen die 
Morte anders betonten, das war ihm 
gleih anfangs aufgefallen; jegt hub 
derlei nachgerade an, ihm ein Gefühl 


41* 


644 


des Elels zu erregen. Niedergefchlagen, | 
erichöpft und frank war er an manchem 
Tage. 

Und als der Frühling feine ganze 
Herrlichkeit entfaltet hatte, ja hochſom— 
merlich geworden war im Thal, da 
fagte der Jakob zu feiner Tochter: 
„Seht wird wohl zu Altenmoos 
der Auswärts gekommen fein. Jetzt 
will ich Halt in Gottesnamen wieder 
heimgehen und Kom und Erdäpfel 
und Kraut anbauen.“ 

Sie wollte ihn ſchon fragen, ob 
er ſich's denn micht überlegt Hätte? 
Ob es ihm nicht im ſchönen Thale, 
beſſer gefalle, al3 im Hintergebirg ? 
Wenn er älter würde und nad und 
nah mühſelig, ob ihm die guten Wege 
und Stege hier nicht recht wären ? 
Nabe in die Kirche, in’s Wirtshaus, 
wenn e3 ihm einmal nach einem Glaſel 
Wein gelufte. Er Habe ſich fein Leb⸗ 
tag gekümmert und geplagt genug, fo 
möge er ſich doch in den alten Tagen 
leichter gejchehen lafjen bei feinen Kin— 
dern und Sindesfindern. 

Das Alles wollte ihm die gute) 
Anger! noch einmal zu bedenken geben, 
aber der Vater kam ihr zubor und 
fagte: „Ehe ich wieder fortgehe, Angerl, 
hätte ich gern noch ein Mörtel mit 
Dir geredet. Auch mit Deinem Mann. 
Ich mein Euch's gut. IH muß mich 
taufendmal bedanten für alles Liebe, 
was ich bei Euch genofien hab’. Und 
was mich am allermeiften freut, daß 
Ihr fo glüdlich und zufrieden zuſam— 
men lebt. Ihr ſeid brave, fleißige 
Leut’, und thut’3 mir deswegen um 
jo weher ...“ 

Ob er was auf deu Herzen habe? 
fragte fie ihn. Da rüdte er heraus: 
„Sollft mir nicht böje fein, Angerl, 
aber ih ſag's aufrihtig und muß 
e3 jagen: Die Wirtfchaft da bei Euch, 
die gefällt mir gar nicht. Ya freilich 
ift es ſchön und luſtig in der Ge— 
meinau, wer hier heimgeſeſſen iſt und 
einen eigenen Hof hat. Aber wie Ihr 
da lebt, das gefällt mir nicht. So 
lang Dein Mann noch als Taglöhner 














bei den Nachbarn tüchtig arbeiten kann 
und Ihr alle gejund feid, jo lange 
mag’s zur Noth noch gehen. Sobald 
aber das geringfte Mißgeſchick kommt, 
feid Ihr Bettelleute. Nicht einmal 
in’s Armenhaus könnt Ihr kommen, 
weil ihr nirgends zuftändig jeid, als 
zu Altenmoos. Und in Altenmoos ift 
nicht3 mehr. Und wenn doch noch ein 
Hausgefeffener dort wäre, jo thät's 
bald heißen: So lang fie gefund und 
ftark find gewefen, Haben fie von Alten 
moos nichts willen wollen, haben es 
fürnehm gegeben draußen im Thal, 
haben feidenes Gewand getragen und 
Kaffee getrunfen. Jebt, weil fie betteln 
müffen, wiſſen fie ihre Heimat zu 
finden, jetzt find wir ihnen gut, jet 
fommen fie. — Nein, nein, das wollt’ 
ih mir nicht nachſagen laffen, da 
wollt’ ich mich bei Zeiten befinnen 
und haufen und bauen daheim, und 
mich von feinem Menſchen knechten 
und von keinem Menſchen ſpotten 
laſſen. Schau, Angerl, noch iſt es bei 
Euch früh genug. Packt Euer Sadel 
zufammen heißt das die Heine 
Maria und die Wiege, ſonſt Habt 
Ihr ohnehin nichts — und fommt 
mit mir auf den Reuthof.“ 

Die Anger! ſchwieg anfangs auf 
diefe Vorftellungen. Endlich fuhr fie 
fih mit der flachen Hand über das 
Geſicht und fagte: „ES ift halt gar 
fo traurig. Ihr kränkt Eu um uns 
Bater, und wir fränfen uns um Eud. 
Möchten gern beieinander fein und 
werden doch zur Zeit, wo wir uns 
beiftehen follten, weit auseinander fein 
und verlaffen fterben müſſen“. 

„An mir ift die Schuld nicht,” 
fagte er, und feine Stimme war trübe, 
„ih bin verblieben, wo mich Gott hat 
hingeſetzt.“ 

Einen Tag ſpäter nahm er Ab— 
ſchied im Steinhäuſel. Der kleinen 
Maria ſteckte er einen alten Silber— 
thaler hinter das Buſentüchlein, machte 
weiter nicht viel Worte und Zärtlich- 
\feit. Dem Florian fagte er nod: 
„Wenn ih weiß, daß es Eud fo 


recht ift, wie es iſt und kommen wird, 
fo will ich mir auch nichts d'raus 
machen. Haltet Euch in Ehren, das 
ift die Hauptſache.“ 

Damit gieng er davon. 


O Heimat! Heimat! Du bift mein 
Berderben! 


Unterwegs von der Gemeinau gegen 
das Gebirge traf der Jakob mit dem 
Staudenhuber zufammen. Das war 
ein Viehhändler, al3 ſolcher überall 
und auch zu Altenmoos befannt. Der 
Jakob kannte ihn als Ehrenmann, 
nur daß man fich bei einem Handel 
hüten müſſe vor feiner Pfiffigkeit. 
Nun, das gehört zum Gefchäft, ein 
Schelm, wer nicht auf feinen Bortheil 
ihaut beim PViehhandeln. Der Staus 
denhuber Hatte ein rothes, rundes Ge— 
jicht, das immer lächelte; ein jolches 
Geſicht foll jeder Viehhändler haben, 
es trägt Geld ein. Die beiden Männer 
giengen eine Strede lang miteinander 
und plauderten von allerlei. Begonnen 
hatte der Staudenhuber das Gefpräd 
mit dem Ausdrud der Befriedigung 
über das ſchöne Wetter und wie das 
eine gute Kornernte verfpreche. Aber 
ein VBiehhändler wird nicht lange beim 
Weiter und Korn verweilen, bald 
Iprang er über auf das Bieh und 
fragte den Jakob, wer etwa zu Alten— 
moos junge Zuchtochſen ftehen habe, 
oder faubere Salben ? 

„Zu Altenmoos wird nimmer biel 


ftehen“, antwortete der Jakob, „außer | 
Rehe und Hirfchen, wenn Du willft. | 


Solche ftehen genug bei uns“. 

„3 iſt Schade um's Altenmoos,“ 
verſetzte der Staudenhuber und trock— 
nete ſich mit dem blauen Sacktuch das 
Geſicht und den Nacken; das war Einer, 
der immer ſchwitzen mußte, „iſt alle— 
weil viel ſauberes Vieh geweſen zu 
Altenmoos. Etliche Altenmooſer, die 
ſich auf der Ebene draußen angekauft 
haben, wollen freilich auch dort den 
Gebirgsſchlag züchten, geht aber nicht 


on 


recht. Will nicht gehen. Ueberhaupt 
ftinkt’3 bei den Leuten, wie man hört.“ 

Hierauf erzählte er Einiges von 
ausgewanderten Wltenmoofern, und 
daß fie fein Glüd Hätten auf ihren 
neuen Pläßen. Die Einen Hätten ſich 
angefauft und abgewirtichaftet; Die 
Anderen hätten fi aus dem Betrage 
ihres Altenmoojergutes anderäwo gar 
nicht mehr anlaufen können, feien als 
Dienftboten eingeftanden in fremden 
Höfen oder in Fabriken gegangen. 
Man höre von Keinen viel Erfreuliches. 
Dem Knatſchel zu Sandeben habe 
man fürzlich fein Haus vergantet, er 
ſei ſammt dem Weibe fortgegangen — 
fie ein Handbündel, er ein Handbündel, 
fo hätten fie ihre ganzen Habſelig— 
feiten davongetragen. Der Guldeifner 
babe auch fein Herrenhaus verkauft 
und treibe jet den Pferdehandel, fei 
aber die längfte Weile beſoffen. 

Auf derlei Berichte empfand der 
Jakob eine eigenthümliche Befriedigung, 
die ihn aber im nächſten Augenblid 
Schon betrübte. Bit doch ein fchlechter 
Menſch, fagte er zu fich ſelbſt, wenn 
Du Did über das Unglück Anderer 
freuen fannft. Bleibe Du auf der Hut, 
dab es Dir und den Deinen nicht auch 
jo ergebe! 

„Wer jebt noch zu Altenmoos 
verbleiben will“, fprach der Jakob nun 
zum Staudenhuber, „der muß eine 
andere Wirtfchaft anheben. Die Felder 
werden alle wild und das Getreide 
frißt der Hirſch. Wenn mein Friedel 
dom Militär zurückkommt, der muß 
nur mit der Viehzucht arbeiten.“ 

„Ei richtig, Du Haft einen Sohn 
bei den Soldaten,“ verſetzte der Stau— 
denhuber, „wie fteht’3 mit ihm? it 
er wieder wohlauf ?“ 

„Wie jo?“ 

„Hat er’s überdauert ?* 

„Er hat mir ſchon eine Weile 
nicht mehr gefchrieben, aber fo viel 
ih weiß, ift er gejund und geht's 
ihm gut.“ 

„Geſtern habe ich in der Krebsau 
mit dem Thorbadher geſprochen, der 





646 


hat ein Baar feifte Ochjen, ich will 
fie wegtreiben, wird aber der Eine 
jchwerer, wenn er noch ein paar Wochen 
beim Trog fteht. Gut, ja, daß ich er— 
zähl’, dem Thorbacher fein Sohn — 
- der ift auch beim Militär, fie follen 
beifammen fein, der Deinige auch — 
der hat heimgefchrieben und daß Dein 


Friedel fo arg das Heimmeh thät 


haben. Im Spital wär’ er gewefen, 
wär’ wohl wieder heraußen, aber da 
fein thät’ von ihm mur mehr Haut 
und Knochen, Hat er gejchrieben, der 
Thorbacheriſche; übertreiben wird er, 
denfe ich. Was hätt’ jebt ein Soldat 
Zeit zum Heimweh Jetzt wird’ luſtig 
für die Soldaten. Krieg gibt's, jagen 
die Leute.” 

Das leidige Hörenfagen ! man weiß, 
was man davon zu halten hat und 
doch fißt der bittere Tropfen im Herzen. 
Berbittert war der Jakob vom Steine 
bäufel gefchieden und mit einem tiefen 
Weh vom Staudenhuber, als die Wege 
ih trennten. So kam er heim auf 
den ftillen, Öden Reuthof. Er erwar- 
tete dort einen Brief vom Friedel zu 
finden, und nahm fi vor, wenn fein 
Brief da fei, Alles für erlogen zu 
halten und den jungen Weichjelbaum 
noch liebevofler zu betreuen, wie bis— 
her. Es war in der That fein Brief 
gefommen und der Jakob hielt doch 
feinen Vorfag nicht, die Nachricht vom 
Viehhändler als für erlogen anzufehen. 
Weil der Burſch nicht ſchreibt, fo 
kaun's doch wahr fein, daß er im 
Spital liegt. Heimweh! Wie follte es 
auch anders fein Lönnen! Es kann 
freilih anders fein, wer ſtark ift. 
Menn ih in der Fremde bin und 
weiß, das Daheim fteht mir feit und 
ich komme zurüd — was foll Einer 
da viel Heimweh kriegen? Ein Vieh: 
händler lügt, fo oft er den Mund 
aufthut. 

Ein Glück war's, daß die Arbeit 
drängte und dem einſamen Manne 
nicht Zeit ließ zum Herzweh. Das 
Feld mußte geadert, der Garten ge— 
düngt, die Wieſe bewäſſert werben. 











Das Schneewaſſer im Frühjahre ſchießt 
raſch ab, reißt mitunter ein Stück 
Erde mit ſich, dann kommt auf die 
Lehnen der Sonnenbrand, und ſo iſt 
heute zu viel Waſſer und morgen zu 
wenig. Auf die Höheren Matten wurde 
das Vieh getrieben, kaum daß die erften 
grünen Hälmchen ſproßten. Die winter: 
lihen YFuttervorräthe waren faſt alle= 
mal aufgezehrt, bevor der Lenz fein 
frifhes Grün gab; da mußten die 
Rinder Reifig und Moos nagen, und 
wenn fie endlih in's Freie famen, 
waren die Thiere fo arınfelig, daß fie 
kaum Binfteigen konnten an den Lehnen 
und manches Stüd abrutjchte und die 
Beine brad). 

Un einem Samstagabend war's, 
daß bei der Heimkehr der Herde, 
welche dur die hellen Lodrufe der 
Stallmagd Herbeigeheiken wurde, eine 
Kalbin fehlte. Man fuchte no an 
demjelben Abende auf den Matten 
und in den nahen Schaden, entdedte 
aber feine Spur von ihr. Am nächften 
Morgen machte fi der Jakob auf, 
um in den weiteren Waldungen nad 
der braunen Kalbin zu fuchen und 
kam auch hinein in die Hinteren 
Schluchten, aus welchen die Sandad 
floß, und kam in jenen Winkel, wo 
die Felfen ſenkrecht aufragen und ein 
ftilles Waldthal einfchließen, wo das 
Waſſer Har wie Kryftall auf dem weis 
ben Sande lautlos dahinfließt. Im 
Gottesfrieden. Der Reuthofer war ſchon 
lange nicht mehr hier geweſen. Er 
vergaß auf feinen Zwed, die Kalbin 
zu fuchen. Eine feierliche Stimmung 
kam über ihn im diefer Ruhe und 
Einfamteit. Die goldige Sonntags: 
fonne lag an den Wänden, in den 
Baummipfeln. Andere Leute find jeßt 
in der Kirche und Hören die Predigt, 
das Hochamt. Unfereiner treibt ſich in 
der Wildnis um wie ein Heide. Aber 
wer beten will, er kann's auch unter 
freiem Himmel. Im  Gottesfrieden ! 
Keine Kirche hat einen ſchöneren Na= 
men. Wenn einmal der Weg nad 
Sandeben hinaus ganz verfchüttet fein 


647 





wird, jo will ih am Sonntag in den Friedel!“ er riß ihn an fi, „Biſt's 
Gottesfrieden hereingehen um zu beten. | Bift es wirklich? Gotts taufend Dank, 
Freilich, Gott wäre auch draußen im | mein Friedel iſt wieder da! Jetzt 
meiner Kapelle, in meiner Stube, bin ich nimmer allein. Aber,“ 
überall, aber man muß ein Uebriges ſetzte er ſeinen Jubel plöglich unter⸗ 


thun, ihn aufzuſuchen, ſo verlangt’s 
das Menfchenherz. Wir müſſen ja 
Alles, was Wert Hat, jchwer verdienen 
und fuchen, warum follen wir juft 
das Befte bei uns haben, ohne auch 
nur einen Schritt nah ihm zu thun? 
Se weiter der Weg zum lieben Gott, 
defto größer die Gnade. — Das waren | 
die Sonntagsgedanfen des Altenmooferz | 
Bauerd. Und wie das wunderlich ift, 
dachte er weiter, während all’ meine 
Nahbaren der Wildnis entlaufen, 
fomme ich immer tiefer in dieſelbe 
hinein. So wollen wir doch jehen, 
welcher der rechte Weg ift.... 

Er kam zum See und ſchaute in 
das wunderbare Grün desfelben. Scharf 
ftand fein Bild im Spiegel des Waſſers. 
Mohl wohl, dachte er, wir in der 
Wildnis haben auch unjere Spiegel, 
nur daß fie noch viel größer find ala 
die draußen in den Herrenhäufern. 
Zum Spiegelguden geht mir nichts 
ab, als die Schönpeit. 
noch jung war, da hat's mir einen 
guten Spaß gemacht, jo in’s Waſſer 
zn Schauen. 

Noch dachte er das, als im Waller 
hinter feinem Kopf ein zweiter auf: 
tauchte — fein Jugendbild. Erfehroden 
wandte er fih um, da ftand neben 
ihm, ganz nahe neben ihm, der Friedel. 

Der Friedel in der Soldaten» 
montur. 

Sein Geſicht war blaß und faſt 
verſtört; nun lachte er den Vater an, 
hielt ihm die Hand vor und ſagte: 
„Grüß Euch Gott. Ich bins.“ 

Dem Jakob geſchah ganz ſonder— 
bar. „Friedel!“ ſagte er mit unſicherer 
Stimme. „Wie ſo kommſt Du da her?“ 

„Ueber's Hochgebirg. Urlaub auf 
unbeſtimmte Zeit.“ 


„Urlaub!“ rief der Jalob. „Und 


da3 wär! Ich glaub’ nicht! Ich gewünfcht werde, 
glaub’s nicht! Lab’ Dich anfchauen, | unbegreiflich vorkam. 








Ya, als ich‘ 


brechend bei, 
Krieg gibt !* 

„Ich weiß es nicht, ich bin da,“ 
fagte der Burfche, „und ich will mine 
mer fort.“ 

Sie giengen neben einander hin. 
Der Jalob blidte feinen Sohn ver— 
‚ftohlen an. — Anders ift er doch 
jetzt, als er fonft gewejen. Etwas 
Fremdes, Ungewifjes ift an ihm. So 
Heinlaut ift er und einen verwirrten 
Bid hat er. Es Hat ihn recht zuſam— 
mengeriſſen. 

„Biſt frank geweſen, Tyriedel ?* 
fragte der Vater mit weicher, inniger 
Stimme. 

Da fiel ihm der Burfche um den 
Hals und Hub an zu beben und bitter 
zu Schluchzen. 

„Was ift das? Sohn, was ilt 
geſchehen?“ rief der Bater erfchroden. 

„Vor Freuden!“ ſchluchzte der 
Burfche, „vor Freuden, da ich wieder 
daheim bin.” 

„Das hätt’ ich mir nimmer ein— 
gebildet,“ jagte der Jakob, „in die 
weite Welt Hab’ ich Dir meine Ges 
danken nachgeſchickt und dieweil finde 
ih Dich da in der Hinterften Wild» 
nis. Haft Du unterwegs die braune 
Kalbin nicht gefehen? Die braune 
Kalbin ift mir davongelanfen,* fo der 
Bauer, bei dem ſich troß aller Ge- 
müthsbewegung die praftifchen Tages— 
angelegenheiten nie lange in den Hin— 
tergrumd drängen lichen. 

Erſt als fie gegen die erften Haus— 
ruinen des Altenınoos gekommen waren, 
follte der Friedel erzählen, wie es ihm 
denn ftets ergangen. Vom Safernleben, 
vom Erercieren, vom fluchenden Haupt— 
manne, auch wohl vom Spital — 
fonft wußte er nicht viel. Vom Krieg 
wußte er mur, daß er im Regiment 
was dem Safob 
Wie kann ein 


„Te jagen ja, daß es 





Soldat den Krieg wünfchen, da wird „Es wird Alles wieder gut werden,” 
er ja niedergefchoffen ! fagte der Jakob, „jebt Hab’ ich wieder 

Immer fpähte der Jakob unter: | Muth. Gottlob!“ 
wegs, ob er im Sande nicht die Dann traten fie in’ Haus. Der 
Spuren des verlaufenen Rindes ent= | Burfche ſtürmte voran. Als er die 
decke. Wildfpuren in Kreuz und krumm, | Stubenthür öffnete, prallte er zurüd, 
aber von der Kalbin nichts zu merken. als hätte ihm Jemand einen Schlag 

„Ih gud’ auf die rechte Seite,“ in's Geficht verfegt. Zwei Gendarmen 
fagte der Bater zum Sohne, „guck' mit aufgepflanzten Gewehren nahmen 
Du auf die linke. Du mußt Dich jegt ihn in Empfang. 
auch kümmern um die MWirtfchaft. Flüchtling! 

Magſt fie ganz übernehmen, ich hab’ Dem Yalob ward blau vor den 
nichts dagegen. Magft auch Heiraten, | Augen. Der Friedel that einen Seufzer, 
wenn Du Luft Haft. Es geht nicht) dann preßte er Mund und Augen zu 
gut, wenn feine Bäurin im Haus ift. und ließ fich Fefleln. 

Wenn unfer wieder Mehrere find, „So ſteht's mit Dir!" föhnte 
dann halten wir leichter feit in Alten- | der Vater. 

moos. Es wird alleweil fchlimmer, „Sie follen mich erſchießen, ift 
mein lieber Friedel. Aber nur tapfer | mir alles eins,“ knirſchte dev Burſche. 
feftftiehen auf dem Reuthof, nur wicht) „DO Heimat! Heimat! Du bift mein 
weichen. Wirſt fehen, die Anderen, | Berderben!“ 

die ausgewandert find, kommen auch Als er gefeifelt in einem Winkel 
wieder heim, oder möchten e3 wenig: |der Stube fauerte, verlangten Die 
ſtens, wenn fie fönnten. Es wird bald | Gendarmen etwas zu effen. Die alte 
aus der Mode kommen, das Davon | Gardel trug Mil und Brot auf und 
laufen, wenn ihrer draußen einmal | fragte zitternd, ob fie auch Geld haben 
genug verhungert find. — Du fchau, | wollten, und flehte, nur das Leben 
das ift die Spur von einer Rinds- | follten fie ihr nicht nehmen, um Got» 
Hane!* teswillen. 

„Sie ift zu ſchmal,“ antwortete Der Jakob befahl barſch, daß fie 
der Friedel, da er den Eindrud im nicht thöricht fein, fondern eine Eier- 
Sand betrachtete, „das ift eher von | fpeife kochen folle. Als die Speife 
einer Hirſchkuh.“ auf dem Tiſche ftand, drang er in 

„Mag auch fein,“ entgegnete der den Burfchen, etwas zu effen. Aber 
Jakob, „Du kennſt Dich ſchon beffer | umfonft. Der Friedel lehnte im Winkel, 
aus, als wie der Alte. Na, gefreut | vegungslos und todtenblaß und ſchien 
mich, gefreut mich, Friedel, daß Du theilnahmslos zu fein für Alles. 
wieder daheim bift. Schau, jebt ſiehſt Und als die Gendarmen endlich 
ihon den Reuthof. Grüß Dich Gott, | aufbrahen und den Burfchen empor— 
Daheim!“ tiffen, wendete fich diefer noch einmal 

Als fie zu den Ejchen kamen, die| gegen den Jalob und fagte faft trotzig: 
noch kahl waren und unter denen der) „Vater, heute ſehen wir uns das 
Hofbrunnen in einen langen Zrog letztemal.“ 
riefelte, ftand am Troge die zwergige „Sch geh’ ja mit Dir!“ fprach diefer 
Dirn und kicherte. „So viel fauber ihm zu, nahm eilig feinen Stod von 
find fie,“ lachte die Dirn vor ſich hin, der Wand und jo giengen fie davon. 
„und fo viel lange Spieße haben fie!“ Seht lief ihnen der Ferdinand 

Ohne darauf zu achten, führte der nach, genannt der Rothihiagl, und 
Jakob den Heimgefehrten zur Kapelle. | trug fih an, für den Friedel zu den 
Der Weichfelbaun daneben fand bee | Soldaten zu gehen. Sie fcheuchten 
reits in der Blüte, ihn zurück. Der Burjche Hetterte den 


—un 


Miefenrain empor, ſchaute ihnen don 
dort aus nad, Jo lange er fie fah, 
und winmerte vor Derzleid. 

Dem Waffer entlang giengen fie 
thalwärts. Den Flüchtling führten die 
Häfcher in der Mitte, Hintendrein jchritt 
der Jakob. Er Haftete Hart hinten 
drein und ſchnob manchmal, wie ein 
gereizter Eber. Als fie unweit des 
Steppenhofes einem Kohlenbrenner be— 
gegneten, der ftarr vor VBerwunderung 
den jeltfamen Aufzug angloßte, rief 
ihm der Jakob zu: „Sa, mein Friedel 
iſt's. Angeftellt Hat er nichts. Durch: 
. gegangen ift er ihnen. Ein Großoheim 
von mir ift auch deferteurt. Im Blut 
liegt’3. Heim hat's ihm gezogen. Ans 
geftellt Hat er nichts!” 

Als fie in die Schluchten hinaus 
famen, wo der Weg ganz und gar 
zerriffen war und der jchmale Fuß— 
fteig am Berghang Hinzog, begehrten 
die Gendarmen vom Jakob, daß er 
umkehren folle. 

„Bielleicht daß die Herren meinem 
Sohn was zu befehlen haben,“ ent» 
gegnete der Yalob, „mir nicht. Das 
ift ein freier Weg und ich gehe, wo 
ich will.“ 

Sie verlangten dringender, daß er 
eine Strede zurüdbleibe. 

„Ah jo, jeßt verftehe ich's wohl!“ 
lachte der Jakob bitter. „Gut, ich 
bleibe zurüd.“ 

Er blieb Hier zurüd, nahm einen 
Vorſprung über den Berg, und als 
fie gegen die Sandeben hinausfamen, 
wo die Schlucht ich weitet, fand dort 
neben einem fteinernen Kreuz der Jakob. 

„Ich thu' Euch nichts,” fagte er, 
„will nur Abjchied nehmen von meinem 
Sohn. Weiter gehe ich nicht mehr.“ 

Dann nahm er aus den Sad 
feine Brieftafche und ftedte fie dem 
gefefjelten Burfchen in die Brufttafche. 

„Und jegt,“ rief er, indem er vor 
dem Flüchtling auf die Knie fiel, 
„jeßt bitte ich Dich, Friedel, und bitte 
Dih bei Leben und Sterben, bleib’ 
brav und halt’ aus! Es dauert nicht 
ewig. Deine Heimat haft jeßt wieder 


649 





gefehen. Sie wartet auf Dich, die 
paar Jahr find bald vorbei. Halt’ 
aus. Ich will Div Alles wiſſen laſſen, 
was daheim gejchieht, ih will Dich 
felber bejuchen fo oft es fein kann. 
Sei Mann und Halt aus. Denk', es 
ift nicht umfonft, Du ſtehſt für Deine 
Heimat Wacht. In Ketten wirft mir 
jest fortgeführt, mit Ehren kommſt 
mir heim. Schau zum Himmel auf, 
wenn die Verfuhung fommt. Es ift 
diefelbe Sonne, die auf Did und auf 
mich ſcheint. Es ift derjelbe Gott, der 
Dich und mich behütet. Friedel! Friedel!“ 


Er ſchüttelte dem Burſchen die 
Hände, daß die Feſſel raſſelte, er 
preßte die Arme um ſeinen Hals. Die 
Gendarmen drängten ſie auseinander. 


Beim ſteinernen Kreuz war das 
geweſen, wo die Schlucht ſich weitet 
in das Thal von Sandeben. 


Sür’s Vaterland! 


Nun kam eine üppige Zeit. Fleisch 
gab’3 im jelbigen Sommer. 

Die braune Kalbin hatte ſich ge— 
funden. Im Dreifamfhadhen lag fie 
mit durchſchoſſenem Halfe. Der Jäger 
hätte fie wahrjcheinlich für eine Hirſch— 
fuh gehalten, meinte der Jakob. 

„Halbnarr!“ rief der Pechöl-Natz, 
„Hirſchkühe ſchießt ein Jäger ja nicht 
zu folcher Zeit.“ 

„Darum Hat er meine braune 
Kalbin gefchoffen,“ verfegte der Jakob 
bitter, „wirft in feinem Jagdfalender 
lefen, dak des Bauern Kühe Schon 
zeit haben. Das Vieh ift durdh den 
Zaun gebrochen und Hat auf dem 
Kampelherrn = Grund Gras gefreflen, 
vielleicht auch ein  Frifchgepflangtes 
Bäumel abgebiffen. Da ift es ja feine 
Pflicht und Schuldigfeit, daß er ſchießt, 
der Herr Förfter. Wenn er ftreng fein 
will, muß ich ihm noch das Pulver 
zahlen, dem Herrin Förſter.“ 

Sie ſchroteten die Kalbin in Heine 
Stide, die fie dann in den Rauchfang 
biengen. An jedem Tag, wenn nicht 


650 


Fafttag war, aßen fie zum Mittagsmahl 
davon ein Stüddhen mit Knödeln und 
Grubenkraut. Das hätte er fich nicht 
träumen laffen, der Jakob, daß er dem 
Jäger je einmal fo viele gute Bifjen 
follte zu verdanken haben. Wird ihm's 
nicht vergeſſen. 

Mitten im Sommer war's, als 
auf einmal der Befehl nach Altenınoos 
fan, die Leute follten Stroh und 
Hafer liefern nach Krebsau, fir durch— 
marfchirendes Militär. 

Die Leute in Altenmoos! das war 
der Reuthofer. Die wenigen Anderen 
hatten weder Stroh noch Hafer. Nun, 
der Jakob fpannte Ochſen ein und 
Ichleppte den verlangten Hafer und 
einen Bund Stroh hinaus. Das Stroh 
war den Herren zu wenig; der Jakob 
fagte, er habe nicht mehr, das andere 
ftünde noch in Halmen auf dem Feld. 
Wenn fie darauf warten wollten ? 

Marten könnten fie nit. Er habe 
den Wert des fehlenden Strohes in 
Geld zu entrichten. 

Der Jakob weigerte ſich nicht. 

Die Gegend war in Aufregung. 
Die Landftrafen voll Militär, Stun— 
denlang waren die Züge der vorüber— 
reitenden Gavallerie und Proviant— 
mwägen und Geſchoſſe mit Bededung 
in unabſehbaren Neihen. Mit fun— 
felnden Waffen, flatternden Fahnen 
und luftigem Spiel gieng's der Grenze 
zu. Krieg! Die Häufer waren beflaggt; 
Volt kam herbei aus allen Thälern. 
Aufrufe erfhhienen, Baterlandslieder 
erlangen; in den Wirtshäufern ver— 
ſammelten fich die Leute, hatten ſchmucke 
Kleider, führten muthige Reden, ſchrien 
„Hurrah!“ den Soldaten entgegen 
und veranftalteten muntere Öelage im 
Freien. Es war wie ein großes Volks— 
feft iiber das ganze Land. Natürlich, 
und zum Feſt wird geſchlachtet! — 
Schweine nicht, diesmal, aber Menfchen! 

Den größten Spaß hatten die 
Meibsleute. Man weiß ja, wenn das 
Meibsbild einen jungen Kerl auf dem 
Pferd fieht! Und Hier ritten Hundert 
und taufend ſolche Kerle daher, die 


Schnurrbärte aufgefpißt, ftachen fie mit 
ihren fcharfen Augen auf die Dirndeln 
herab oder warfen ihnen die Küſſe 
dandvollweis zu. An Raftitationen 
war’3 noch fchöner. Die meiften Reiter 
fprachen gar nicht deutfch, aber ſchmun— 
zeln und fehälern und herzen konnten 
fie; das Schwaßen ift nicht vonnöthen, 
fällt das leidige Fragen und Nein— 
ſagenmüſſen weg. 

„Wenn man fi Einen dabehalten 
funnt,“ war die Meinung einer Krebs— 
auerin, „zum Derjchoffenwerden iſt e3 
eh Schad um fie.” 

Bejonderd wichtig gab fih um 
diefe Zeit der Kampelherr. AM’ feine 
Häufer, die an der Straße fanden, 
ließ er beflaggen mit des Landesfürften 
Farben, aus allen winkte man den 
vorüberziehenden Truppen mit weißen 
Tüchern zu. Die Soldaten bewirtete 
er mit Wein und Brot und Gigarren. 
Den Officieren ftellte er feine Kaleſchen 
zu Dienften, lud fie zur Tafel, trant 
mit ihnen Champagner auf das Wohl 
der Armee und des oberflen Kriegs— 
herren, und jeßt erft zeigte ſich's, was 
diefer Mann für ein großer Patriot war. 

Etliche Bergbauern wußten zu er- 
zählen, daß der Kampelherr wohl ein 
ſehr hoher Herr fein müſſe, vierfpännig 
fei er gefahren! 

„Das macht nichts,“ antwortete 
der Jakob, „mein Heu fährt auch 
vierfpännig von der Wieſe herauf die 
fteile Leiten, und ift doch nur Heu 
und fonft nichts.“ 

„Geh geh,” entgegnete ein Anderer, 
„Du haft immer was gegen den Kam— 
pelherrn. * 

„Weil er unfer Unglüd ift,“ fagte 
der Jakob. 

Bald Huben die Frauen in Krebsau 
und Sandeben an, Leinwand zu zupfen 
und Berbandzeug zu ſammeln für die 
verwundeten Krieger. Mittlerweile 
kamen neue Rekrutirungen, auch der 
Florian vom Steinhäufel mußte fort. 
Die Abgaben an Materialien und 
Geld fteigerten fih von Tag zu Tag. 


Mer Wagen hatte, der mußte fie für 


651 


den Transport hergeben, wer Pferde | fchoffen worden, rief er lallend: „Das 
hatte, mußte fie ftellen. In den Wälz | felbe wird Teicht wohl g’wiß wahr 
dern waren die Holzarbeiten eingeftellt, | fein. Na ift recht, ift recht.“ Und ver— 
in den Fabriken wurden alle Arbeiter | ſank wieder in feinen Halbſchlummer. 
entlaffen; die micht mehr pflichtig 
waren, ließen ſich als Freiwillige an— 
werben, tranfen ſich Trotz und zogen 
mit Gefang und Gejohle davon. Manche 
Maid blidte ihnen nach mit rothge— 
weinten Augen. Den Männern aber 
waren die Herzen gejchwellt, und 
Manchem fiel ein: „Halloh! der Krieg 
iſt Inftiger als die Liebe!“ 

In der Pfarrkirche zu Sandeben 
wurden Betftunden abgehalten für 
Kaifer und Reich. Gott ward ange— 
rufen als der Herr der Heerjcharen. 
Zu folhen Gebete war auch der Jakob 
herausgelommen aus feinen Wäldern. 
Mit der ganzen Innigkeit eines Vater: 
herzeus flehte er um Schuß für feinen 
Friedel. Nah dem Gottesdienft wurde 
er in das Gemeindeamt befchieden. 
Dort erhielt er die Nachricht, daß fein 
Sohn in der Schlacht gefallen fei. 
„Als Held!“ ſetzte der Beamte tröftend 
bei, „al3 Held für Kaiſer und Vater: 
land. Für die Heimat! Ein weißgrünes 
Eorpsfähnlein war in Gefahr geweſen, 
vom Feinde genonmmen zu twerden, da 
ſtürzte ſich Friedrich Steinreuter in 
den Kampf und erhielt einen tiefen 
Bajonettftih in die Bruft.“ 

Der Jakob Hatte dem Bericht ſchein— 
bar ruhig zugehört, dann that er 
einen jchweren Atemzug und fagte: 
„Im Gottesnamen!“ 

Dann wankte er davon. 

Einige, die ihm nadhblidten, fagten 
zu einander: „Armer Mann! Alles 
für’3 Vaterland zu opfern und den= 
noch ſchutz- und Hilflos daftehen im 
Vaterland, an Heimatäliebe untergehen 
in der Heimat!“ 

Im Reuthofe war großes lagen. 
Und al3 der alte blödfinnig gewordene 
Lufchel Peterl auf der Ofenbant da— 
durch beunruhigt fich erfundigte, warum 
die Leute denn fo fehr hin= und her— 
liefen und meinten, und als er es 
erfuhr, der Friedel fei im Krieg er— 


Jagdluſt. Jagdleid. 


Hoch gieng es zu Altenmoos im 
Frühjahre Her, wenn die Dahnenbalz 
war, und noch höher im Serbit bei 
den Reh- und Hirfchjagden, da wurden 
fogar neue Wege angelegt, daß die 
Herrenwagen fahren fonnten. Hohe 
Herrichaften waren da, aber allmit= 
einander in verfchoffenem und vers 
Ihliffenem Bauerngewand. Es gibt 
Stadtlente, die am Werktag Herren 
und am Feiertag Bauern fein möchten. 
Und Feiertag machen fie, wann fie 
wollen. Es gibt Herrfchaften, die nicht 
genug Haben mit aller Unterhaltung 
des Stadtlebens, fie wollen auch vom 
Landleben noch das Befte haben. Das 
Jagdvergnügen! Eine Unterhaltung, 
die den Herren viel Ffoftet, und den 
Bauern mitunter noch mehr. Daß ich 
die Herren, wenn jie auf die Jagd 
gehen, in Bauerngewand fteden, ift 
ja eigentlihd ein Geftändnis, daß 
die Jagd dem Bauer gehörte. — 
Diefe Gedanken hegte Einer zu Alten 
moos, fo oft Jagdgejellihaften in die 
Gegend kamen. Hundegebell, Hörner- 
ſchall, Büchſenknall und Gtläferflang ! 
Es ift ja nicht wahr, Jakob Stein- 
reuter, daß e3 in neuer Zeit fo traurig 
zugeht in Altenmoos ! 


Aufder „Knatſchel-Eben“, die Hoch 
oben mitten im Walde lag, wurde im 
Freien gekocht und geſchmort, und Schon 
tagelang früher waren Arbeiter bejchäf- 
tigt gewejen, Hütten, fyeuerftätten, Faß— 
geftelle, Tiſche und Bänke aufzurichten. 
Alle Waldarbeiter und Häusler der 
Gegend wurden als Treiber aufgeboten ; 
fie befamen auch ihr Efjen und Trinken, 
aber jeitab von den Herrichaften, weit 
feitab; die Treiber, meinte ein Holz— 
bauer, jeien ja nichts als zweibeinige 
Jagdhunde. 


— — — — — — — — — — — — — — — — — — — — —— — — — 


652 


Und diefe zweibeinigen Jagdhunde 
liefen fo gut, wie die vierbeinigen, über 
Jakobs Wiefen, Felder und Saaten und 
ftanıpften Gras und Korn in den 
Grund. Und das Alles, weil der Jakob 
nicht zweihundert Joch Grund hatte, 
fondern ein Kleinbauer war, 

„Wieſo,“ fragte der Jalob, „haben 
nur die Herrfchaften und ihr Troß 
das Recht, mir mein Eigenthum zu 
zertreten ? Ich darf nicht einmal mit 
meinem Hund über meinen Grund 
gehen. Und das nennt man Eigenthun ! 
Und das Andere nennen fie den edlen 
Jagdſport!“ 

„Ja,“ ſagte ein Bauer, aus Sand— 
eben, „es iſt auch draußen in anderen 
Gegenden dieſelbe Sach'. Auch in den 
Gärten zu Sandeben und Gemeinau 
und Marienfeld graſen die Rehe, ſeit— 
dem die Bauerngüter aufgekauft oder 
die Jagden gepachtet werden von den 
Herren. Wenn das Altenmoos Hin ift, 
kommt Sandeben an die Weihe. Die 
Landwirtichaft gilt nicht mehr, das 
Wildhetzen ift wichtiger.“ 

Es wäre ſchon darüber zu veden, 
meinten Andere, aber es ſei gerathen, 
derlei Meinungen Hüglich für ich zu 
behalten. Die Herren feien obenan 
und einftweilen noch die Stärleren, 
da laſſe fih nichts machen. Jetzt fei 
es noch fo eingerichtet, daß ein Eine 
zelner, wenn er gegen Biele um fein 
Necht ftreite, zu Grunde gehen müſſe. 
Mären es Vollsfreunde gewejen, die 
bisher das Jagdgeſetz gemacht? Nein, 
Jagdfreunde hätten es aufgeftellt unter 
der Behauptung, für die Landwirt- 
fchaft fei e$ das größte Glück, wenn 
es recht viele Dirfchen, Rehe, Hafen 
und Jäger gebe. 

Der SKampelherr, ein Schlanker, 
noch immer faft jugendlich blondbär- 
tiger Mann, war überall, wo er ſich 
zeigte, außerordentlich artig und fein, 
und Hatte felbft aegen Untergebene 
eine überaus glatte und gefällige Höf- 
lichkeit. Wie es hieß, wollte er ſich in 
den Reichsrath wählen laſſen, als 
Nolfävertreter. 


Auch dem Jakob war bedeutet 
worden, fi al3 Treiber zu ftellen; 
der dankte und ließ jagen, er ſei jelber 
ein Gehetzter. 

Die Herbitjagden zu Altenmoos 
ergaben große Wagenladungen von 
Hafen, Rehen und Hirfchen. Der Jalob 
athmete allemal auf, wenn fie mit 
ihrer Beute abzogen. 

Leider war die Wildhegung eine 
fo vorzüglide, daß eine Jagd nicht 
viel ausgab. Für Bruttftätten war 
geforgt. Des ftrengen Winters wegen 
waren in den Wäldern Heuhütten und 
Krippen aufgerichtet, in welchen jich 
die Thiere das Futter holen konnten. 

Im felbigen Sommer, als auf 
dem Sriegsfelde der Friedel gefallen 
war, trug es fich zu, daß zur Nachts— 
zeit die Hirfchen in den Kohlgarten 
des Reuthofes drangen und die Blätter 
fraßen. Als der Jalob von feinem 
Fenſter aus das erftemal dieſe unge— 
ladenen Gäfte gewahrte, kam ihm der 
Gedanke: Niederichiegen! Man ſchießt 
heut zu Tag die Kalbinnen nieder, 
man ſchießt die Leut' nieder, warımm 
foll man nicht einen Hirfchen nieder— 
ſchießen, wenn er in den Gemüſe— 
garten bricht! 

Er that's aber nicht, fondern gieng 
am nächſten Tage hinaus in’s Thal 
zum Verwalter der Kampelherr'ſchen 
Beſitzungen. 

Der Herr Verwalter hatte ein 
Bierglas vor fih und im Mund eine 
wichtige Pfeife. 

„Das ift ja der Reuthofer aus 
Altenmoos,* ſagte er; „Freut mich, 
daß ich einmal die Ehre habe.“ 

„Ehre ift nicht viel dabei,“ ſagte 
der Jakob, „ih muß mich beklagen 
der MWildfhäden wegen. Das Wild 
frißt mir alles Gemüſe.“ 

„Da ift fein Bellagen nöthig,“ 
entgegnete der Verwalter, „wie Der 
Reuthofer willen wird, die Wildfchäden 
werden abgeſchätzt und vergütet.“ 

„Iſt Schon recht das,“ ſagte der 
Jakob, „es kommt darauf an, wer fie 
abjchäßt, die Herren oder die Bauern, 


653 


die Beichädigten oder die Jagdfreunde. | 
Für uns Bauern hat ein Kohlkopf 


mehr Wert, als für Euch Herrenleute. 
Menn Ihr uns die Wildfchäden wirt: 


li vergüten wolltet, jo müßtet Ihr 


unfere Dienftboten löhnen und ver- 


föftigen, unfere Familie ernähren und 


unfere Steuer zahlen. Das Wild frift 
uns Alles. Gegen Diebftahl kann man 
ih ſchützen, gegen Mißjahre und Hagel 
gibt's Berficherungen, aber das Wild 
kommt jet jchon jedes Jahr auf un 
fere Felder und wir müſſen zufchauen, 
was es frißt umd warten, was e3 
übrig läßt. Wenn des Nachbar's Vieh 
auf meinen Grund eindringt, jo kann 
ih es pfänden. Warum darf ih das 
Wild nicht pfänden ? Weil es den Her- 
ren gehört, weil das Gefeß die Herren 
gemacht haben. Gegen andere Räuber 
dürfen wir uns wehren, wer auf 
feinem eigenen Grund den Hirfchen, 
das Reh wegnimmt, wird eingejperrt 
wie ein Spitzbub.“ 

„a, lieber Freund,“ verjegte nun 
der Verwalter, „dürfet Ihr denn ein 
Kalb ſchlachten, daß Ihr verkauft habt?” 

„Nein,“ antwortete der Jakob. 

„Nun alfo. Auch die Hirfchen 
und Rehe habt Ihr verkauft.” 

„Wie jo? Ich habe keinen Hirschen 
und fein Reh gehabt, fo Habe ich auch 
nichts verkaufen können.“ 

„Aber die Gemeinde hat das Jagd» 
recht verfauft oder verpachtet.” 

„Ich bin nicht befragt worden, 
ob es mir recht ift,“ verjeßte der 
Bauer. „Kürzli Hat mir der Sand- 
ebner Gemeindevorftand fünfundfech- 
zig Kreuzer eingehändigt. Wofür ? 
frage ih. Der Jahresantheil vom 
Jagdpacht, der auf Dich fällt, hat's 
geheißen. So fage ich, daß die Herren 
Jäger über meine Felder und Wiefen 
laufen dürfen, daß fie mir den Hause 
hund niederfchießen, wenn er zufällig 
einmal über den Hofanger lauft, daß fie 
mir die Hausfaß’ niederbrennen, die 
ausgeht der Feldmäuſe wegen; daß ich 
hohe Zäune muß aufführen um Weder 
und Gärten, daß ich zur Jagdzeit meine 


| derbe nicht auf die Weide treiben, 
nicht Holz haden darf in meinem Wald, 
dafiir bekomme ich fünfundjechzig Kreu— 
zer. Daß der Jagdherr hundert Thiere, 
oder taufend, oder jo viel er will, 
das ganze Jahr auf meinem Grund 
äfen läßt, dafür kriege ich fünfund— 
ſechzig Kreuzer. Vorſtand! fage ich, 
wir dürfen die Jagd nicht mehr ver— 
padten! — Wird auch nicht mehr, 
‚Sagt er, gehört ohnehin fchier aller 
Boden dem Kampelherrn.“ 

Der Verwalter zudte die Achjeln. 

„Ich will nicht jagen,“ fuhr der 
Jakob fort, „unfer Derrgott hätte das 
Wild nur für die Armen erichaffen. 
Auch der Bettelmann darf mir nicht 
über das bebaute Feld laufen. Ach 
age: Der vertradte Brauch muß ab» 
fommen, das Wild gehört zum Boden, 
auf dem es fällt, und um's lebendige 
ſoll micht weiter geſchachert werden. 
Wer's hegen will, der mag's thun, 
verfaufen kann Einer das nicht, was 
frei in aller Welt umberläuft. Warum 
pachten fie die Sonnenftrahlen nicht ? 
Die fliegenden Waldfamen nicht? Die 
Heufchreden und Kröten nicht? Die 
Maulwürfe nit? Und die Kupfer— 
nattern nicht ?* 


„Richt confus werden, Reuthofer!” 
tief der Verwalter dazwiſchen. 

„Daß der reiche Herr feine Hirschen 
und Böde von den Bauern mäften 
läßt! Eine Schande für die Eavaliere, 
dab fie ihr Vergnügen auf Koften 
armer Zeufel treiben! Die Herren 
mögen ſchon machen was fie wollen, 
allemal geht der Schaden auf die 
armen Teufel aus.“ 

„Ihr habt Recht," entgegnete der 
Verwalter und nahm einen waderen 
Schluck aus dem Bierglas, „da mag 
der Teufel armer Teufel fein!“ 

„Da ift fein Spaß zu machen, 
Herr!” fagte der Jakob. „ES geſchieht 
uns Unrecht. Sie follen genug haben 
mit ihren Jagdrevieren in Wien und 
Steppen, Hochwäldern und Gemsge— 
birgen, daß fie nicht die Bauern ſcha— 


IE 


digen mühten. Wildfchaden ſchätzen! 
Geht mir mweg!* 

„Wiſſet,“ jagte der Berwalter und 
ſchlug den Bierglasdedel zu, „das ver— 
fteht Ihr nicht. Ich an Eurer Stelle 
wollte mir's anders machen. Den 
ganzen Krempel von Wirtfchaft würfe 
ih dem Jagdherrn an den Schädel. 
Jetzt ſchert Ihr Euch darum, würde 
ih jagen, ich will Euch feinen Narren 
machen! — Ei, Reuthofer, ein Glas 
Bier müſſet Ihr mit mir trinfen. Ihr 
werdet ja Durft haben, der Weg ilt 
weit heraus von Altenmoos, Wie ger 
jagt, Reuthofer, Ihr folltet Euch’s 
bequemer machen, der Menfch Lebt 
nur einmal auf der Welt. In einer 
wegjameren Gegend folltet Ihr Euch 
gut fein laſſen.“ 

„Mir wäre nicht gut, Herr Ver— 
walter!“ fagte der Jafob mit Nachdrud. 

„Ah was! Wenn man Geld Hat, 
ift’3 überall gut.“ 

„Aber daheim am beiten, Herr 
Verwalter.” 

„Habt Ihr doch juft geklagt, daß 
Euch daheim fehlecht fei.“ 

„In der Fremde noch fchlechter, 
Herr Verwalter!“ 

„Ich Lehre es um, lieber Bauer 
und fage, 's ift nicht überall gut, wo 
man daheim ift, aber man ift überall 
daheim, wo e3 Einem gut geht. Schaut, 
Euere Nachbarn haben das auch gewußt.“ 

„Meine Nachbarn! Das wären 
ſchlechte Beiſpiele, Herr Verwalter, zu 
Eurem Rath!“ 

„Jeder hat's nicht getroffen, es 
mag fein, jeder nicht, der von Alten— 
moos abgefahren ift, das ift wahr. 
Ihr aber, der letzte in der Wildnis, 
habt nicht3 mehr zu verlieren und viel 
zu gewinnen. Und Ihr werdet fehr 
viel gewinnen, das fann ih Euch 
fagen und ich will Euer Freund fein. 
Ich brauche nicht zum Schaden meines 
Heren zu Sprechen, wenn ich Euch 
zum Nußen fprede. Das kann ich 
Euch vertrauen: dem Kampelherrn 
wäre viel daran gelegen, feinen Beſitz 
abzurunden, das Reuthofergut ift ihm 


ein Pfahl im Fleiſche, ich vertraue 
es Euch in Freundſchaft. — Trintet, 
Neuthofer! Auf Euer Wohl, Reut— 
hofer! Ihr Habt Mißtrauen gegen uns, 
ih weiß es, aber daß Euch der Ver— 
walter Ebner ſchlimm mitgefpielt Hätte, 
des folltet Ihr Euch nicht beklagen. 
Ich Habe auch eine Heimat gehabt 
und weiß, was das heißt und werde 
fie nie vergeffen. Ich Habe Eueren 
Willen, auf dem Gute Eurer Bäter 
feft zu bleiben, ſehr geachtet und wollte 
nur wünſchen, auch Eure Nachbarn 
wären ſo feſt geblieben. Jetzt iſt's 
anders. Wie ich höre, hat Euch der 
Krieg Eueren letzten Sohn geraubt. 
Euere Tochter iſt ausgewandert. Für 
wen wollet Ihr den Reuthof noch 
halten? Bon Eueren Leuten iſt Nie— 
mand mehr, der ihn will, ihr werdet 
alt, Ihr ſeid Euer Lebtag fleißig ge— 
wejen und habt es nicht verdient, in 
der Wildnis verderben zu müllen. 
Seid Hug, Reuthofer!“ 

Der Jakob ſchwieg eine Weile, 
und dann entgegnete er: „Wenn ich 
jegt nein fage und wieder mein, jo 
wird der Herr glauben, e& wäre Troß 
von mir und nichts als Troß. Aber 
beim Herrgott im Himmel muß ich's 
jagen: ich kann nicht fort von meinem 
Reuthof, ich bin angewachſen, wie die 
alte Linde dort angewachſen ift, die 
meine Borfahren gepflanzt Haben. Den 
reihen vornehmen Herren, was kann 
ihnen d’ran fein, an dem armen ſtei— 
nigen Reuthof? Sie follen mich in 
Ruh’ Laffen, mir ift Alles d’ran. Wenn 
ih gefterben bin und von meinen 
Kindern meldet fich feines d’rum, nach— 
ber mag wmeinetwegen mit dem Reut— 
hof geſchehen was will.“ 

„Ich wiederhole e3 noch einmal, 
Euere Anhänglichkeit an die Vorfahren 
achte ich Hoch,“ verfeßte nun der Ver— 
walter, „und man wird heutzutage 
eine folhe Treue fobald nicht wieder 
finden. Es verlangt aber auch fein 
Mensch, dak Ihr den Reuthof verlaffen 
jollet; Ihr mögt Euer Lebtag darauf 
ſitzen bleiben und es ſoll Euch nicht 





mangeln. Der Kampelherr bietet Euch 
für den Neuthof-Grund, wie er Heute 
liegt und ſteht —“ 

„Ich will’s nicht Hören,“ unter: 
brach ihn der Jakob und wehrte mit 
der Hand ab, „mein Haus verkaufe 
ih nit. Ich bin gekommen, um 
meinen Wildjchaden anzugeben und 
dafür entjchädigt zu werden. Sonft 
will ich nichts. * 

„Sch werde den Schaden von Sach— 
verftändigen abfchäßen laffen und die 
Entihädigung wird Euch auf Amts— 


wegen zufommen.“ So fprad der 
Verwalter und fand von feinem Siße 
auf. 

Der Jakob trat feinen Weg nad 
Altenmoos an, den er taufendmal ſchon 
gemacht Hatte, den feine Vorfahren 
in ihren jungen und in ihren alten 
Tagen, in Glüd und Noth unzähligemal 
gegangen waren. So gieng aud) Heute 
den Weg in die uralte geliebte Berg- 
heimat Jakob Steinreuter — Yalob 
der Letzte. 


(Schluß folgt.) 


Auf der Gant, 


Aus dem tirolifhen Bauernleben von Bofef Bayer. 


R Puf der Gant fein“ oder „hat 

„gar g’macht“ ift ziemlich das 
Gleiche. Dies jagt man auf den Lande, 
wo es jeltener vorkommt; für die 
Stadt, wo täglich einer hinunter pur⸗ 
zelt, hat man die nobleren Bezeich— 
nungen Bankerott oder Falliſſement 
gewählt. 

Die Städter müſſen etwas voraus 
haben. Kommt dort ein folcher be= 
trübender Yall vor, madt man wenig 
Aufhebens. Der Betroffene hat ſchon 
fein Scherflein im Zrodenen (wird 
wenigftend von Vielen behauptet). 
Uebrigend in unferer fortjchrittlichen 
modernen Zeit kommt dies in den 
beiten Familien vor. 

Auf dem Lande ift’3 noch anders. 
Es muß Einen ſchon arg verfolgt 
haben, bis ihm feine Nachbarn Hilfreich 
unter die Arme greifen. Hat zum 
Beilpiel eine Lawine über Nacht Grund 
und Boden ruinirt, oder hat Hagel— 
ſchlag des ganzen Jahres Verdienſt, die 
Ernte zerftört, fie Helfen ihm. Heißt es 
aber: „Bauer, haft nit gut g'haust, jedes 
Handwerk nährt feinen Mann,“ wird 
der Vergantete gleichfam im Acht und 





Bann gethan, er Hat feine Berechtigung, 
das Mitleid und die Hilfe der Anderen 
anzufprechen. Dem ift in den meiften 
Fällen nicht anders zu helfen, als 
daß er ſich verdingt. Aber felbit als 
Knecht nimmt man ihn ungern — 
es fei wenig „Verlaß“ darauf. Jedes im 
Dorfe kennt diefe Satzung, Jeder ift 
ficher, wenn er nicht gut thut, ergeht’s 
ihm gleid — darum fürchtet fich jeder 
vor der Schande. Auch ift er an die 
Scholle Erde gebunden, die Qualität 
feiner Arbeit erfchwert ſchon eine Ver— 
änderung, abgefehen, daß doch immer 
ein Fünklein Liebe damit verbunden. 

Der Städter, unternehmender, läßt 
feine fieben Saden an einen Ort 
bringen, wo er noch unbekannt; Credit 
und Schid Helfen ihm leichter auf als 
dem Banern. 

Im Dorfe ift es Ereignis, denn 
ein Außergewöhnliches hängt faſt immer 
d’ran, haben's nun die armen Opfer 
verſchuldet oder nicht. 

Ih war von einer Gebirgstour in 
ein Kleines, freundlich gelegenes Dorf 
gekommen. Der Name davon hat feine 
Bedeutung. Weil ich müde war, und 


Hunger verfpürte, fehrte ich im nächſt— Im Haus war bald die altgewmohnte 
beten Wirtshaus ein. Die Kellnerin, | Ordnung abhanden gelommen. Der 
eine lebfrifche Dirne, brachte mir Wein, neue Herr wollte ſich überall als folcher 
der, allerdings ſauer genug, mir dem zeigen, traf andere Anordnungen, jchalt 


Mund verziehen machte. Sie lachte 
darauf und jagte, ich foll mich nur 
tröften, es gienge allen Fremden fo. 
Der Zuder jei jo koftjpielig und wenig 
ergäbe nichts. 

Außer mir ımd dem Mädchen war 
noch ein Greifenpaar im Zimmer ans 
wejend, welches auf der Dfenbant 
Platz genommen hatte. 


Sch wähnte, troß der armen, zer= 
flidten Kleidung, darin die Großeltern 
der Dirne, was ich ihr zu dverftehen gab. 

„Beileid, *) find nur Vergantete, 
find nur Vergantete,“ warf fie laut 
und geringfchäßend hin. Die alte Frau 
wandie ihr das Geficht zu, ein aufs 
gedunfenes, rothes, mit verglasten 
Augen, welches gar ſeltſamvom üppigen, 
ſchneeweißen Haar abſtach, entgegnete 
jedoch nichts. 

Nun erfuhr ich, ihm Hätte man 
Federhanns geheiken. Den Hut keck 
auf der Seite, mit einem Spielhahn= 
ſchweif d’rauf, hätt’ ihm fein Mädel 
im Dorf und im Gai**) widerfteh'n 
fönnen. Die Alten im Ort jagen nod), 
wie der Hannes, kann feiner mehr 
bei den Weibsleuten reden. Und hätt 
er auf der Alm einen Jubfchrei ab» 
gelaffen, hätt’? man ihn über's Thal 
g'hört. 'S Jodln und Zitherfchlagen 
ſeien ihm überhaupt lieber geweſen 
als die Bauerſchaft. 

Der Vater des Hannes, ein biederer 
gerader Charakter, wurde beim Holzen 
unter einen Baum geriffen; als man 
ihn berausholte, ſah man’s, es hatte 
ihm ein Aft den Bruftlorb eindrüdt. 

Der damals erft zwanzigjährige 
Hannes ſah fih auf Knall und Fall 
als Beſitzer eines prächtigen Hofes, 
war jelbfteigener Bauer, mit unter 
die Reichſten gezählt. 


*) Beileib — Gott bewahre. 
*) Gai — im Gau, 


hier und dort, während der Groffnecht 

Alles befjer veritehen konnte und ſich 
auf den bisherigen Erfolg berief. Das 
hatte zur Folge, daß ein ganz neuer 
Boden gelegt wurde. *) Die älteren 
erfahrenen Dienftboten mußten jun 
gem Bolfe weichen. — Wäre er fort- 
gefahren in feiner Belümmernis um 
die Wirtjchaft und hätte er fich darin 
eingelebt, ja dann wär’s recht gewefen. 
Aber das Schaffen und Commandieren 
hatte nur furze Dauer, das Selbft- 
arbeiten noch die kürzere. Segelftatt 
und Schießſtand, ein G'ſangl oder 
ein Dirndl waren fein Clement. 
(Manchmal kam er erft am frühen 
Morgen nah Haufe. Konnte er dann 
ſchon mit den Uebrigen zur gleichen 
Stunde bei der Arbeit fein? Nein, 
da3 nicht; aber früher heim hätte er 
geh'n follen. Er hatte das Schaffen 
des Großknechtes nicht vertragen, hat 
ihn d'rum geh'n laflen; jebt that 
Yedes im Haus was ed wollte, und 
er getraute fich nichts zu jagen, weil 
er fpürte, er felbft fei vom geraden 
Meg ab. 

Der Ledergurt, den der alte Hajl- 
hofer als Vorforg für befondere Fälle 
— man weiß ja nie, was der Herrgott 
Ihidt, und nacher ift’3 gut Herzunehmen 
— hinter den mächtigen Leinenballen 
verftedt hatte, ſchmolz wie Schnee 
unter der Mittagsfonne und wie die 
Leinwand — der Stolz der Bäurin, 
ſelig — ſelbſt; es wanderte Pad 
um Pad zum Händler. Spiel und 
Wirtshaus frefien Geld! 

Se mehr e& im Haus abwärts 
gieng, deſto Luftiger und lauter war 
der Hannes. Das fchreiende Gewillen 
mußte iüberfchrien werden. Und da 
gibt es Fein befjeres Mittel als fleißig 
„Aufſchütten“, im Kreiſe guter Freunde 





*) Meuer Boden gelegt — Tandläufig 
für Dienjtbotenwedjel. 


Zerſtreuung fuchen. Solche Hatten fich 
bald gefunden ; freilich nach feiner 
Anſicht; lärmende, wüſte Gefellen, 
welche mit ihm aushielten, ſo lange 
er es wollte und zahlte. Sie gaben 
ihm in Allem recht, wußten ſtets Neues 
zu finden, was den Sinn reizte, daß 
er nie aus dem Zaumel herauskam. 

Roh wies er jedes warnende, wohl» 
meinende Wort zurüd, bis ihn feine 
echten Freunde mieden. Ein folcher 
hatte vom Heiraten zu ihm gefprochen. 
Die Idee gefiel ihm. Er, der beliebte 
Gejellfchafter, der Haſlhofer, der ſchmucke 
Mann durfte fi an Jede wagen. Und 
in Wahrheit, feiner im Dorfe hatte 
ihm die Tochter verweigert. 

Nun gieng Hanns Umſchau Halten 
unter den Schönen. Weberall fam man 
ihm freundlich entgegen, wäre ja jede 
gern Haflbäuerin geworden. Wenn’s 
d’rauf und d’ran kommt, möchte jedes 
Mädel unter die Haube, aber befonders 
fein fröhliches Geſchwätz übte die größte 
Wirkung. Es ift ja was Altes, wer 
am meiften redet, ift der Belte, nur 
viel reden gilt bei den Weibsleuten, 
was, ift gleichgiltig. 

Befonders das Lenerl fehte auf 
diefen ähnlichen Entſchluß große Hoff— 
nungen. Die zwei haben ſchon längft 
ein heimliches „Tächtlmächtl“ *) mite 
einand gehabt‘; aber zu Lenerl's Recht⸗ 
fertigung fei gefagt, fie hat ihn recht— 
ſchaffen gern gehabt. 

Die Wanderfchaft des luſtigen 
Brautwerbers, dem feine fidele Luſt— 
barkeit über Alles gieng, fiel ganz 
ander3 aus, ala ſich ſelbſt die höchften 
Vermuthungen vorausfegen ließen. Er 
ift außigrast, d. 5. tiber das Weich» 
bild des Dorfes, und hatte eines ſchönen 
Morgens über die Grenze Eine herüber- 
gebracht. 

Eine ftattlihe Figur ber! Man 
grollte über den Hochmithigen, dem 
feine im Ort gut genug, und das 
erftemal wurde das arme Lenerl ver- 





*) Tächtlmächtl — Liebſchaft, eigent: 
lich Liebelei. 


Koſrgget'sa „„Geimgnrten“*, 9. Geft, XI. 


657 





theidigt. Sonft war der Neid über fie 
gewejen. 

Die große Starke, meinten ſchaden— 
froh die Einen, werde ihm’s ſchon 
fein. Doc fie hatten ſich verrechnet. 
Nach wie vor bliebs am Haſlhof unter- 
haltig. Eine gewiffe Sorte Männer 
fehrte dem Hannes die Freundſchaft 
wieder zu und kamen nun öfter als 
üblih in den Heimgarten. Derweil 
wurde mählich abwärts gehaust. — 
Poft um Poſt wurde auf den Hof 
angefchrieben. Der körperlich ſtarke 
Mann glih in feiner Willenskraft 
einem bilflofen Finde. Er war zu 
ſchwach, feiner Gewohnheit Einhalt zu 
thun, zu Schwach, einen gefaßten Vor— 
jaß durchzuführen. Schwach und felbft 
ohne Halt mußte er fein Weib jehen. 
Ohne einen rechten Begriff von einer 
braven Bäuerin zu Haben, ahnte fie 
auch deren Pflichten nicht; wo eine 
andere für zehn Hände Arbeit Hatte, 
wußte fie nicht einmal für fich eine. 

Das Vertrauen in einander war 
erſchüttert. Eins fürchtete fich vor dem 
Undern, beiderfeit3 vermied man Er— 
Härungen, bis endlich der zurückge— 
dämmte, langverhaltene Unmuth in 
hellen Flammen durchbrach. Der An— 
fang gemacht, fehrte der Streit täglich 
wieder. Aus dem Freudhof war ein 
Streithof. 

„Was braud ich noch weiter zu 
erzählen,“ ſagte das Mädel, „es ift 
fo gefommen, wie fich’3 jeder an allen 
Fünfen abfingern hat können, auf die 
Sant feins fommen. Die Brettelbohrer*) 
und Spielleut fein durftige Leut und 
ſel**) thut mit gut. Das Gut ift 
unterm Hammer einem Andern zus 
gichlagen worden,“ 

Darauf feien die zwei verſchwunden, 
man glaubt fie Haben fich als Dörcher***) 
in der Melt herum getrieben, bis fie 
vor etlichen Jahren in die Gemeinde 
zurüdbefördert wurden. Weil nun die 


*) Brettelbohrer — Standſchützen. 
*) jel’ — Dasjelbe. 
**) Dörcher — Landftreicer. 


42 


658 





Gemeinde felbft dürftig, fich fein Armen 
haus zu bauen vermag, müſſen fie 
täglid als Einleger um ein Haus 
weiter gehen, und bei dem ſie ein— 
fehren, der mitffefie einen Tag verpflegen. 
„Uber jelber than, felber tragen.“ 
Uebrigens kämen fie jeßt felbander 
gut aus, der Hannes habe ſich auf’s 
Beten verlegt und erfehe in Allem 
eine Fügung der göttlichen Borfehung, 
fie aber faufe was ihr unterfäme, 
Heuer, in meinen Ferien, führte 
mich mein Weg wieder durch jenes 
Thal in das freundliche Dorf. Ich 
geftehe aufrichtig, des wunderlichen 
Paares Hatte ich längft vergeffen. Da, 
im Ort ruft mid Eins an, mir die 
Hand Hinftredend: „Grün Di Gott, 
Schreiber! Wie lebt?" Es war 's 
Moidl, des Sonnenwirt3 Tochter, von 
dazumal. Mit der den Junthalern 
eigenthümlichen Freimüthigkeitplauderte 
ſie nun weiter. Wie ſie mir nur eigent— 
lich hat ſagen wollen, daß ich mich 
gar nichts verändert, ſo daß ſie mich 
gleich wieder erkannte und daß ſich 
aber doch wieder mentiſch viel verän— 
dert habe, nämlich bei ihnen. Aber 
ganz eigentlich wolle ſie mir nur er— 
zählen, wie der Federhanns und ſeine 
Alte eines Tages im Mühlbach erſoffen 
aufgefunden worden ſeien. Man ver— 
muthe, ſie habe im Rauſch den Steg 
verfehlt und den halbblinden Mann 
mitgeriſſen. Gott ſtehe den armen 
Seelen beil Ich werde ſchon wiſſen 
und mich daran erinnern können, von 


wegen denen ich ihr eine ſolche Predigt 
gemacht habe, weil ſie ſo geringſchätzig 
damit gethan. Sie ſehe wohl ein, man 
werde erſt als verheiratet geſcheit, 
das ſei fie jetzt. Wenn es ihr gerade 
einfalle, ließe fie wohl auch für die 
Berganteten eine Gralle fallen. *) 

„Und jegt pfüati!“ Ich gab meinen 
Dankgott zurüd und wollte fürbaß. 
Richtig, noch Eines falle ihr ein, 
was fie mir jet ſchon jagen könne, 
als Weib hab's feine Gefahr mehr. 
Ihr Alter fage alleweil, Heutzutage 
miffe man bei der Feder fein, die 
hätten das Heft in der Hand. Ich 
fei ja ein foldher, und allen Reſpect! 
Sie thue nichts davon, aber, wie ich 
damals Hier gewejen, wäre ich ihr zu 
dafig **) vorgelommen. Wen ich mich 
etwas umgethan hätte, nun ich würde 
mich wohl auskennen. Mein Gott! 
man ift jung und nit von Holz. Es 
fei nur für einen andern Yall, fie 
mein’ mir’3 gut, man tragt nit ſchwer 
d’ran. „Wohlaufleben! und nit zu 
reſch!“ rief fie mir noch lachend nach. 
Und ih? Was fonnte ich befjeres 
thun, als wieder lachen. 


Das ift die Gefchichte von den 
Berganteten, tiber die ich die blauen 
Augen eines mir wohlgefinnten Mäd— 
chens überſehen. — Würd’ ich’3 heute 
auch noch? 


*) Gralle fallen lafjen — beim Rojen: 
franz ein Baterunfer beten. 
**) dafig — wenig geiprädig. 





659 


Bo geht's auf der Welt. 


Eine Begegnung im Drientzug von Hans Malfer. 


972 
—E 


or 










ines Abends fuhr ih von St. 
Pölten nah Wien. Da alle 
anderen Züge in diefer Richtung ſchon 
abgelaufen waren, fo mußte ich den 
Drientzug benüßen, der ohne Um— 
jchweife und Säumnis von Paris kam 
und ohne Umfchweife nach Conſtan— 
tinopel gieng. Bon Paris bi$ Con- 
ftantinopel in 82 Stunden! Wie 
weit wir es doch gebracht haben. 

Den Fuß vom trauten nieder- 
Öfterreichifchen Boden emporziehend und 
auf das Trittbrett ſetzend, war ich 
plöglich in einer fremden Welt. Diefer 
Drientzug vergleicht fi am beiten 
mit einen hocheleganten internationalen 
Hotel en miniature. Aller Comfort ift 
da. Nebft den abineten für eine, 
zwei oder mehrere Berfonen, find 
wohlerleuchtete und mit geſchmackvollem 
Luxus ausgeftattete Speifefäle, Rauch— 
und Spielfalond, Lejezimmer mit 
Büchern und Zeitungen, Zoilette- 
cabinete u. f. w. vorhanden. Der größte 
Borzug diefes Zuges befteht wohl darin, 
daß man in ihm weder ein Rütteln, noch 
einen Räderlärm merkt, das gleitet 
glatt und leicht dahin und nur ein 
gleihmäßiges dumpfes Dröhnen erin- 
nert daran, daß man fi auf einem 
ſich bewegenden Fahrzeuge befindet. 
Die Wände beftehen faft durchgehends 
aus maſſiven Spiegelfcheiben, wer es 
aber traulicher haben will, der mag 
die Tapetenrollen Herablaflen und er 
ift in einem fenfterlofen Gemache mit 
Gasbeleuhtung und er mag fich ein- 
bilden, daß er daheim im wohlgebor— 
genen Stübchen fißt. 

Jedem Reifenden ftehen — da es 
nur erſte Claffe gibt — all’ dieſe 
Räumlichkeiten und Einrichtungen zur 


Verfügung und man kann bequem 
den ganzen Zug durchwandern und 
ſich niederlaffen, wo es, Einem gefällt 
und Platz if. Die Stunde zwiſchen 
genanntem Städtchen und der Nefidenz 
bietet gerade Zeit genug, um Alles 
flüchtig in Augenschein zu nehmen und 
auch noch die Reifenden ein bißchen 
zu beobadten. Zum Theil haben fie 
ih wohl ſchon zurüdgezogen in ihre 
Gabinete; Andere figen im Reftaurant, 
ejfen, trinken oder plaudern, Andere 
fpielen Karten, Andere lehnen in dem 
Sofa, rauchen, lefen, träumen vor 
fih Hin oder ſchlafen. Da find gelang— 
weilte Engländer mit blonden Flügel— 
bärten, jchläfrige Türken mit rothem 
Fetz, vor Allem aber Franzoſen mit 
echt galliſchen Gefichtern und einer 
ftet3 nervöſen Behendigkeit. Es find 
wohl zumeift hohe Herrichaften, die 
auf diefem Zuge durch Europa gleiten, 
große Kaufleute, Diplomaten, auch 
etwa Fürften darunter und andere 
Granden von hohen und höchſten Stellen 
und Würden. Mein Geld aber, das 
ich bezahlt, macht mich ihnen hier eben» 
bürtig. Im ganzen Zug herrſcht Fran 
zöfifches Geld und faſt ausſchließlich 
die franzöfifhe Sprache, die Zugs— 
bemannung radebrecht nothgedrungen 
ein nachgerade unheimliches Deutich; 
ich verſtand mich zwar mit ihr, aber 
wie ſich's zeigen wird, nicht auf's beſte. 

In einer Ede des Speiſeſaales 
lehnte ein junger Menſch von etwa 
zwanzig Jahren. Er fiel mir ſofort 
auf, denn in meinem Leben habe ich 
feinen jo krank ausjehenden Menfchen 
erblidt, als diefen. Ein kahler Todten— 
ſchädel ift micht ſchrecklich, aber ein 
ZTodtenjchädel, über den noch Haut 

42° 


660 


und Haar gefpannt find und aus wies, auf melden er fo fürforglich 
defien Höhlen ein Paar müde roflende | feine Hand legte. 

Augen ftarren, deflen weiße Zahnreihen „Kanarivogel,“ fagte er, dann 
zwifchen den dünnen Lippen der ein- [nepte er wieder feine trodenen Lippen, 
gefunfenen fahlen Haut fozufagen her- nidte zufammen und feine Bruft 
vorquellen, das ift fchredlich zu fehen. | wogte rafjelnd. Hinlegen konnte er 
Daneben auf dem Lederpolfter ftand | fich nicht, weil der Sitz zwiſchen Fenfter 
einin Zeitungspapier gefchlagener ediger | und Thür zu ſchmal war. 
Gegenftand, auf welden der arme Ein Eonducteur paflierte den Saal, 
Menſch feine abgezehrte, todtenblafie |ich redete ihn an, ob man im Zug 
Hand legte. Zeitweilig war es, als denn feinen Pla Habe, wo fich der 
ſchlummere er, ſein Haupt knickte nach arme Menſch hinlegen könne. 








vorne ein, dann hob er es wieder und „Dafür find wir da!“ ſchnarrte 
ſchlug fröflelnd von feinem dünnen mich der Bedienſtete an. 
ſchwarzen Rod den Kragen empor über | „Er ift jeher Frank,“ war meine 


den Hals; danıı wieder irrte fein Blick Bemerkung. 
umber zu den Gruppen der Efjenden, „Das fehen wir!” Damit ſchlug 
Trinfenden, Rauchenden und munter der Mann die Spiegelthür Hinter ſich 
Plaudernden. Plötzlich richtete er fih zu und der Sterbende blieb Tauern 
mühſam auf, taumelte an das Tiſchchen, unter Zehern und SKartenfpielern, 
an welchem ich abgefondert ſaß, und | Hilflos wie in einer öden Wüſte. Keiner 
murmelnd: „Bitte, ift frei ?* langte | dachte daran, daß er ſelbſt einen Freund, 
er nah der Wallerflafhe. Diefe in | einen Bruder, einen Sohn haben könne, 
der Hand fnidte er an feinem Plage |der in fremden Landen einmal elend— 
wieder zufammen und trank mit Mühe |lich fo dahinfterbe. Die Spiellarten 
und Anftrengung aus dem tragen der | laffen derlei Sentimentales nicht auf— 
Flasche. Ich rief den Aufwärter, daß | kommen. Im Gegentheile knurrte ein 
er ein Trinkglas bringe, ſchenkte es Here mit einer wahrhaftigen Louis 
voll, ftellte e3 vor den Kranken und |Napoleon »Vifage immer noch über 
fragte, ob ihm ſchlecht fei. da3 Unangenehme, mit einem ſolchen 
„Sehr! ſehr ſchlecht!“ Hauchte er. | Individuum, wie diefer Kranke, in 
Ob er nit einen Schlud Wein | Einem Raume reifen zu müſſen. Mir 
trinten wolle ? wollte das Herz brechen über Jene, 
Er fehüttelte den Kopf. die feines Haben und über diefes, das 
Einige Herren waren aufmerkſam in kurzer Zeit ftille ftehen wird. 
geworden und äußerten fi, wie mir Hinaustretend ftieß ih auf dem 
Ihien, etwas mißgünftig über den | Perron an den Gonducteur. Noch ein= 
früheren Vorgang. mal fagte ich höflich den Wunſch: 
Bon woher er fahre? fragte ich „Ich bitte Sie, Ddiefem armen 
den jungen Menfchen. Menſchen eine Schlafftelle anzumeifen !* 
„München,“ gab er zur Antwort. Der Mann wandte fich an mich und 
Und wohin? ſagte achfelzudend in einem Deutſch, 
„Bulareft,“ ftammelte er, und das ich verbeſſere: „Schlimme Krank— 
ſetzte bei: „Su Haufe morgen Nachts heit! Iſt verloren.“ 
ſwölf Uhr. Vater, Mutter.“ „Man follte ihm doch einen Platz 
Sein Auge leuchtete ein wenig | anweifen, wo er ruhen kann. Er bricht 
auf, al3 wäre er dankbar, daß auf vor Erfhöpfung ja zufammen!“ 
diefem weltfremden Eiland ein Menfch „Was wollen Sie!“ ſchnarrte mich 
fih nach ihm kehre. der Conducteur an, „ſchon das zwei— 
Was er mit fih führe? war meine temal mischen Sie fih in etwas, das 
Frage, indem ich auf den Gegenftand | Sie nichts angeht.“ 


Seht trat ich aber ſehr nahe vor 
feine Bruft und fagte: „Wer find 
Sie, daß Sie in ſolchem Tone zu 
mir Sprechen? Sie find hier mein 
Diener, und das foll Ihnen jehr bald 
far werden, wenn wir den Bahnhof 
Wien erreicht Haben. Und wenn Sie 
glauben, dag mich ein fterbender Menjch 
nichts angeht, der mitten im einem 
Wuſt von Lurus und herzlofen Leuten 
ohne Zroft und ohne Labung ver— 
ſchmachten muß, jo — — ! Alfogleich 
treten Sie mir aus den Augen!“ 

Wenige Minuten fpäter wurde 
der Kranke aus dem Saale entfernt. 
Er vergaß aber nicht, taumelnd nad 
dem Käfig zu haſchen, in welchem der 
Vogel nun wild umberflatterte, und 
ihn mit ſich zu tragen. 

Als er davon war, unterbrachen 
die Herren ihr Kartenfpiel, um jeßt 
ganz unverhohlen den Menfchen zu 
tadeln, der aus dem Halfe einer ge= 
meinfamen Waflerflafche getrunfen hatte. 

„Er fchien einer Ohnmacht nahe 
gewefen zu fein,“ ſuchte ich ihn zu 
entichuldigen, „und feine Stimme ift 
nicht mehr mächtig genug, nach einem 
Trinkglaſe zu rufen.“ 

Das zeige jeher wenig Lebensart, 
bemerkte das Napoleongeficht, und wie 
leicht Fönnten Andere angeftedt werden, 
die nah ihm die Flaſche benüßten! 
Es ſei doch unerhört! 

Mit einem jo Schwerfranten müſſe 
man wohl Nachſicht haben, war meine 
Meinung; ein Sterbender frage nicht 
mehr nach dem, was fich Ichidt. 

Sie murrten fort und als fie jchon 
lange wieder das Spiel begonnen hat» 
ten, murrten fie immer noch fort, bis 
ih über eine ſolche Herzlofigfeit em- 
pört, von meinem Tifchchen laut hin— 
überrief: „Meine Herren! Ich mahne 
Sie daran, daß wir auch einmal fterben 
werden! Gott gebe, daß es nicht auf 
der Reife ei!” 

Sie fagten nichts mehr, ſondern 


N 
1 


| 


— 


Eigennutzes und der Uebervortheilung. 
Als ich in Wien im Begriffe war 
auszuſteigen, faßte mich der Herr mit 
dem Napoleongeliht am Arme, fagte: 
„Vous et un home!“ ließ mich raſch 
wieder los und gieng in’s Gelaß. 
IH gieng meiner Wege. Erſt in 
ftillee Mitternacht ward e3 mir be= 
wußt, daß ich ſelbſt — der Anderen 
Menschlichkeit gepredigt — die Aus— 
übung der Menfchlichleit verfäumt 
hatte. Hätte ich mich nicht emergiich 
darıım kümmern müffen, was aus dem 
armen Burfchen weiter werden follte, 
ob fie ihn in Wien ausladen und 
einem Spital übergeben, oder ob jie 
ihn auf dem Eifenbahnzuge fterben 
laffen wollten? Nun, ich überließ es 
der Menfchlichleit des Zugsperjonales 
und der Paflagiere; aufmerkſam find 
fie ja auf den Kranken, das Weitere 
wird der homme beforgen. Der Kanari— 
vogel wird freilich lebendig nach Bukareſt 
fommen, dachte ich, er mag den troft- 
lofen Eltern fingend den legten Gruß 
ausrichten vom geliebten Finde. 


Einige Tage fpäter ſaß ih mit 
einem guten Belannten in der Re— 
ftauration „Gaufe* in Wien. Das 
Heine Begegnis auf dem Drientzug 
hatte ih Schon vergellen, denn wir 
Großſtädter haben alle ein ſehr fFlüchtiges 
Herz. Mein guter Belannter aber 
erinnerte mich daran auf die wirk— 
famfte Weife. Er war ein Mediciner, 
der fi viel im anatomischen Saale 
bejchäftigte und davon mit vielem Be— 
hagen mancherlei Schauderhaftes zu 
erzählen liebte. Bor den Menfchen hatte 
er gar feinen Refpect, nur vor feinen 
Kleidern. Ein todter, Heidlofer Menſch 
ift ihm nichts mehr, als Gadaver; aber 
vor einem Zodten, der den Anzug 
noch am Leibe Hat, vor dem graut 
ihm. Da erzählte er von einem jungen 
Lebemann, den auf dem Balle mitten 


vertieften ih in ihre Kartenblätter, | im Reigen der Schlag getroffen hatte. 


als in das Glementarz Lehrbuch des In Arad, 


weißer Gravatte, Glaces 


— 


handſchuhen und Glanzſtiefeln lag er 
da und ſollte ſecirt werden. Mit 
Schaudern wendete ſich der Profeſſor 
ab, der iſt ja noch Menſch! Diener, 
entkleidet ihn! 


„Geſtern haben wir einen inter— 
eſſanten Fall gehabt,“ erzählte mein 
Profeſſor während unſeres Soupers, 
„wenn Sie ihn nicht weiter ſagen, ſo 
will ih ihn Ihnen mittheilen.“ 

„Weiter Jagen, wohin denfen Sie!“ 
rief ich, „bloß druden laſſen werde ich 
ihn, wenn er wirklich intereffant iſt.“ 


„Das können Sie thun, denn dann 
wird eine Novelle daraus, deren Ur— 
ſprung und Wahrheit Niemand nach— 
forſcht —“ 

„— und nachzuforſchen das Recht 
hat. Alſo!“ 

„Vor vier Tagen“ — ſo erzählte 
der Brofefjor — „kam uns aus einem 
Spitale der Gadaver eines jungen 
Menfchen zu, der auf der Heimreife 
von München nach Bukareſt unterwegs 
geitorben ift. Zuberculofe. Ein Han— 
deläcommis oder Studiofus, man Hat 
nichts bei ihm gefunden. Nermliche 
Verhältniffe, ſcheint feine Habe d'ran— 
gejeßt zu Haben, um mit dem rafcheften 
Zug weiterzulommen. Achtzig Kreuzer 
hatte er im Sad und einen lebendigen 
Kanarivogel fol er bei ſich gehabt 
haben, wie fpäter verhandelt worden. 
Da man den Cadaver fozufagen für 
herrenlos hielt, fo Hat man darüber 
verfügt, allerdings etwas voreilig. Da 
erſchien geftern im Sectionsfaale ein 
Mann und begehrte die Leiche feines 
Eohnes zurüd, die irrthümlich in's 
anatomische Inftitut gekommen. Er 
fei aus Bufareft eiligft hierhergereist, 
um feinen Jungen, der fterbend von 
Wien aus telegraphirt habe, noch ein— 
mal zu fehen. Leider zu fpät, aber 
die Leiche wolle er haben. Wir wußten 
nur zu bald, um welchen Gadaver es 
ih Handle, konnten ihm aber nicht 
fagen, daß derfelbe Schon der Willen: 
Schaft zum Opfer gefallen fei, denn 
genau genommen, wir hatten 


das | 


Recht nicht dazu, wir hatten die ger 
jegliche Frift nicht abgewartet, inner— 
halb welcher die Leiche von Verwandten 
reclamiert werden kann. Wir bedeuteten 
nun den Vater, daß die Leiche wohl 
Ihon jo ſehr an Berwefung gelitten 
habe und wie es nicht rathſam wäre, 
das ſchöne Bild, welches er etwa von 
feinem Sohne in der Seele trage, 
dur die Wirklichkeit zu zerftören. 
Als der alte Rumäne unfere Aus— 
flüchte hörte, ballte er die Fäuſte und 
ſchrie: Wenn mir die Leiche meines 
Kindes nicht ſofort ausgefolgt wird, 
jo ſchlage ih Allarm, der im ganz 
Wien wiederhallen foll! Herr, 
jagte ich begütigend, das. wird nicht 
nöthig fein. Wir begreifen Ihre Auf— 
regung Sehr wohl und wir werden 
dem Baterherzen das Seine nicht vor— 
enthalten. Doch ift gegenwärtig der 
Saal geſchloſſen. Kommen Sie in 
drei Stunden wieder und Sie follen 
Ihren Sohn Haben. 

Beruhigt gieng der Mann von 
dannen. Ich eilig zu den Studenten 
und fragte, wer den Cadaver Num— 
mer 29 behandelt habe? Der und 
Der. Sei aber nichts mehr davon da, 
al3 der gut erhaltene Kopf, den fich 
einer der jungen Mediciner präparieren 
wolle. — Her mit dem Kopf! Und 
auch ſchnell einen beliebigen Körper 
herbei! Ein männlicher fei mo= 
mentan nicht vorhanden, wohl aber 
jener der Selbftmörderin, der aus der 
Donau gezogen worden. — Es fei 
drum! Man enthaupte fie, hefte den 
Kopf des jungen Rumänen d’ran, 
befleide die Leiche mit defjen Anzug 
und bahre fie auf! 

Als die drei Stunden vorüber 
waren, ftand auch der Alte fchon vor 
der Thür. Er ward zur angeblichen 
Leiche feines Sohnes geführt. Davor 
ſank er nieder, füßte da8 Haupt und 
weinte, — Dann wurde der Sarg 
in den Leichenwagen geſchoben und 
der Vater folgte ihm auf den Central— 
friedhof. Wir Haben von den Beiden 
weiter nichts mehr gehört.“ 


663 


Diefe Erzählung Hatte mich un- Bildung und Wiſſenſchaft! Im Orient» 
ſäglich verſtimmt umd auch die Aus= | zug laſſen wir ihn lablos verſchmachten 
flucht des Profeffors, daß es ein wohl= | und in der Klinik betrügt man den 
thätiger Betrug gewejen fei, konnte Vater um die theueren Reſte des Stindes. 


mich nicht beruhigen. Der Fluch, arm 
zu fein! O Humanitätsfchwindel der | 


Mir find ſchon die Wahren! 


Unfere Ahlandfeier. 


Der Nachdem zur Feier des hundertften 
Se Geburtstages Ludwig Uhlands 
(26. April 1887) die ſchönen Feſt— 

gedichte verflungen, die herrlichen Feſt— 
reden verhallt, die vortrefflichen Feſt— 
ejfen verbaut, in den Zeitjchriften 
das Bild des Dichters mit dazuge— 
hörigem Texte gefehen worden find 
und Uhlands Werke nach wie vor im 
Staube der Buchläden ruhen, weihen 
wir bier einen Franz aus des Dichters 
eigenen Boefien den Manen des Uns | 
fterblichen. | 


Die Aapelle. 
Droben ftehet die Kapelle, 
Schauet ftill ins Thal hinab, 
Drunten fingt bei Wies und Quelle 
Froh und hell der Hirtenfnab. 


Traurig tönt das Glödlein nieder, 
Schauerlich der Leihendor; 

Stille find die frohen Lieder 

Und der Knabe laufcht empor. 


Droben bringt man fie zu Grabe, 
Die fih freuten in dem Thal. 
Hirtenfnabe, Hirtentnabe, 

Dir au fingt man dort einmal. 





Scdäfers Sonntagslied. 


Das ift der Tag des Herrn. 
Ih bin allein auf weiter Flur, 
Noh Eine Morgenglode nur, 
Nun Stille nah und fern. 


Anbetend nie’ ich hier. 

O fühes Braun! geheimes Wehn! 
Als Inieten Biele ungejehn 

Und beteten mit mir. 


Der Himmel nah und fern, 
Er ift jo Har und feierlich, 
So ganz, als wollt’ er öffnen jid. 
Das ift der Tag des Herrn. 


Fauf der Welt. 


An jedem Abend geh’ ih aus, 
Hinauf den Wiejenfteg. 

Sie ſchaut aus ihrem Gartenhaus, 
Es ftehet hart am Weg. 

Wir haben uns nod nie beftellt, 
Es ift nur fo der Lauf der Welt. 


Ich weiß nicht, wie es fo geichah, 
Seit lange fü’ ich fie. 

Ich bitte nicht, fie jagt nicht: ja, 
Doch fagt fie: nein aud nie. 

Wenn Lippe gern auf Lippe ruht, 
Wir hinderns nicht, uns dünlkt es gut. 


Das Lüften mit der Roſe ſpielt, 
Es fragt nit: Haft mich lieb? 
Das Röschen fih am Thaue fühlt, 
Es fagt nicht lange: gieb! 

Ich liebe fie, fie liebet mic, 

Doch keines jagt: ich liebe Did. 


Rechtfertigung. 


Wohl geht der Jugend Sehnen 
Nach manchem ſchönen Traum; 
Mit Ungeftüm und Thränen 
Stürmt fie den Sternenraum, 
Der Himmel hört ihr Flehen 
Und lächelt gnädig: nein, 

Und läßt vorübergehen 

Den Wunſch zufammt der Pein. 


Wenn aber nun vom Scheine 
Das Herz fih abgefehrt 

Und nur das Echte, Reine, 
Das Menſchliche begehrt, 


664 


Und doch mit allem Streben 
Kein Ziel erreichen kann: 

Da muß man wohl vergeben 
Die Trauer aud dem Mann. 


Erflorbene Liebe. 


Wir waren neugeboren, himmliſch belle 

War uns der Liebe Morgen aufgegangen. 

Wie glühten, Laura, Lippen Dir und 
Wangen! 

Dein Auge brannt’, es ſchlug des Bujens 
Welle, 


Wie wall!’ in mir des neuen Lebens Quelle! 
Wie hohe Kräfte raftlos mich durchdrangen! 
Eie ließen nicht des Schlafes mich verlangen, 
Lebendig lurzer Traum vertrat die Stelle, 


Ya, Lieb’ ift höher Leben im gemeinen; 
Das waren ihre regen Lebenszeichen ; 
Nun ſuch' ich fie an Dir, in mir vergebens. 


Drum muß ih, Laura, Did und mich ber 
weinen; 

Wir Beide find erlofchner Liebe Leichen, 

Uns traf der Tod des liebelojen Lebens. 


Die Nonne. 


Im ſtillen Kloftergarten 
Eine bleiche Jungfrau gieng, 
Der Mond beſchien fie trübe; 
An ihrer Wimper hieng 
Die Thräne zarter Liebe. 


„DO wohl mir, daß geftorben 
Der treue Buhle mein! 
Ih darf ihn wieder lieben; 
Er wird ein Engel jein 
Und Engel darf ich lieben. 


Sie trat mit zagem Schritte 
Wohl zum Marienbild; 

63 ftand in lihtem Scheine, 
65 ſah jo muttermild 
Herunter auf die Reine, 


Sie ſank zu feinen Fühen, 
Sah auf mit Himmelsrub, 
Bis ihre Augenlieder 
Im Tode fielen zu; 
Ihr Schleier wallte nieder. 


Der ſchwarze Ritter. 


Pfingſten war, das Feſt der Freude, 
Das da feiern Wald und Heide, 
Hub der König an zu fpreden: 
„Auch aus den Hallen 

Der alten Hofburg allen 

Soll ein reicher Frühling brechen.“ 


Trommeln und Trommeten fchallen, 
Rothe Fahnen feſtlich wallen. 

Sah der König vom Balcone: 

In Lanzenſpielen 

Die Nitter alle fielen 

Vor des Königs ftarlem Sohne. 


Aber vor des Kampfes Gitter 

Nitt zuletzt ein Schwarzer Ritter. 

„Herr, wie ift Eur Nam’ und Zeichen?“ 
„Wiürd’ ich e3 jagen, 

Ihr möchtet zittern und zagen: 

Bin ein Fürft von großen Reichen.“ 


Als er in die Bahn gezogen, 
Dunfel ward des Himmels Bogen 
Und das Schloß begann zu beben. 
Beim erften Stoße 

Der Jüngling fant vom Roffe, 
Konnte faum fich wieder heben. 


Pfeif' und Geige ruft zu Tänzen, 
Dadeln dur die Säle glänzen; 
Wankt ein großer Schatten drinnen. 
Er thät mit Sitten 

Des Königs Tochter bitten, 

Thät den Tanz mit ihr beginnen. 


Tanzt im ſchwarzen Kleid von Eiſen, 
Tanzet ſchauerliche Weifen, 

Schlingt fih falt um ihre Glieder, 
Von Bruft und Haaren 

Entfallen ihr die klaren 

Blümlein well zur Erde nieder. 


Und zur reihen Tafel kamen 

Ule Ritter, alle Damen. 

Zwiſchen Sohn und Tochter innen 
Mit bangem Muthe 

Der alte König ruhte, 

Sah fie an mit ftillem Sinnen. 


Bleich die Kinder beide jchienen; 
Bot der Gaft den Becher ihnen: 
„Goldner Wein macht Euch genejen.“ 
Die Kinder tranfen, 

Sie thäten Höflih danken: 

„Kühl ift dieſer Trunk geweſen.“ 


An des Vaters Bruſt ſich ſchlangen 
Sohn und Tochter; ihre Wangen 
Thäten völlig ſich entfärben: 
Wohin der graue 

Erihrodne Vater ſchane, 

Sieht er eins der Kinder ſterben. 


„Weh! die holden Kinder beide 
Nahmſt Du hin in Jugenfreude: 
Nimm auch mid, den ÄFreudelojen!* 
Da ſprach der Grimme 

Mit hohler, dumpfer Stimme: 

„reis, im Frühling brech' ich Roſen.“ 


vu: ' 


Des Goldſchmieds Töchterlein. 


Ein Goldſchmied in der Bude ſtand 
Bei Perl' und Edelſtein: 

„Das beſte Kleinod, das ich fand, 
Das bift doch Du, Helene, 

Mein theures Töchterlein!“ 


Ein jhmuder Ritter trat herein: 
„Willtlommen, Mägdlein traut! 
Willkommen, lieber Goldſchmied mein! 
Mad’ mir ein Löftlih Kränzchen 

Für meine fühe Braut!“ 


Und als da3 Kränzlein war bereit 
Und jpielt’ in reihen Glanz, 

Da hängt’ Helen’ in Traurigfeit, 
Wohl als fie war alleine, 

An ihren Arm den franz: 


„Ad, wunderfelig ift die Braut, 
Die's Krönlein tragen foll. 

Ach, jchentte mir der Ritter traut 
Ein Kränzlein nur von Rofen, 
Wie wär’ ich freudenvoll!“ 


Nicht lang, der Nitter trat herein, 
Das Kränzlein wohl beſchaut': 
„O fafle, lieber Goldſchmied mein, 
Ein Ringlein mit Demanten 

Für meine ſüße Braut!” 


Und als das NRinglein war bereit 
Mit theurem Demantftein, 

Da ſteckt' Helen’ in Traurigfeit, 
Wohl als fie war alleine, 

Es halb ans Fingerlein: 


„Ach, wunderfelig ift die Braut, 
Dies Ringlein tragen joll. 

Ach, jchenkte mir der Nitter traut 
Nur jeines Haars ein Löcklein, 
Wie wär’ ich freudenvoll!* 


Nicht lang, der Ritter trat herein, 
Das Ninglein wohl befhaut’: 

„Du haft, o lieber Goldſchmied mein, 
Gar fein gemadt die Gaben 

Fir meine ſüße Braut. 


„Doch daß ich wiſſe, wie ihrs ſteh', 
Tritt, ſchöne Maid, herzu, 

Daß ih an Dir zur Probe jeh' 
Den Brautijgmud meiner Liebften! 
Sie ift jo jhön wie Du,“ 


Es war an einem Sonntag früh, 
Drum hatt’ die feine Maid 

Heut angethan mit jondrer Müh', 
Zur Kirche hinzugeben, 

Ihr allerbeftes Kleid. 


Von holder Scham erglühend ganz, 
Sie vor dem Ritter ftand: 

Er jest ihr auf den goldnen Kranz, 
Er ftedt’ ihr an das NRinglein, 
Dann faht’ er ihre Hand: 


66 


5 


„Helene jüh, Helene traut, 

Der Scherz ein Ende nimmt. 
Du bift die allerfhönfte Braut, 
Für die ich's goldne Kränzlein, 
Für die den Ring beftimmt. 


„Bei Gold und Perl’ und Ebdelftein 
Bi Du erwachſen hier, 

Das jollte Dir ein Zeichen fein, 
Daß Du zu hohen Ehren 

Eingehen wirft mit mir.” 


Der Wirthin Töchterlein. 


63 zogen drei Burfche wohl über den Rhein, 
Bei einer Frau Wirthin, da kehrten fie ein: 


„Frau Wirthin, hat Sie gut Bier und Wein? ' 
Wo hat Sie ihr ſchönes Töchterlein ?" 


„Mein Bier und Wein ift friich und Klar, 
Mein Töchterlein liegt auf der Todtenbahr,“ 


Und als fie traten zur Hammer hinein, 
Da lag fie in einem ſchwarzen Schrein. 


Der erfte, der ſchlug den Schleier zurlid 
Und ſchaute fie an mit traurigem Blid: 


„Ad lebteſt Du noch, Du jhöne Maid! 
Ich würde Dich lieben von diejer Zeit.“ 


Der zweite dedte den Schleier zu 
Und fehrte fih ab und weinte dazu: 


„Ah, daß Du liegſt auf der Todtenbahr! 
Ich Hab’ Dich geliebet jo manches Jahr.“ 


Der dritte hub ihn wieder jogleich 
Und füßte fie an den Mund jo bleich: 


„Dich liebt’ ih immer, Dich lieb’ ih noch 
heut, 
Und werde Did lieben in Emigfeit.* 


Bon den fiedben Behbrüdern. 


Ach lenne ſieben luſt'ge Brüder, 
Sie ſind die durſtigſten im Ort; 
Die ſchwuren höchlich, niemals wieder 
Zu nennen ein gewiſſes Wort, 
In keinerlei Weiſe, 
Nicht laut und nicht leiſe. 


Es iſt das gute Wörtlein Wafler, 
Darin dod fonft fein Arges ftedt, 
Wie fommts nun, dab die wilden Praſſer 
Dies ſchlichte Wort jo mächtig jchredt ? 
Merkt auf! ich berichte 
Die Wundergeſchichte. 


Ginft hörten jene durft’gen fieben 
Von einem fremden Zehlumpan, 
63 fer am Waldgebirge drüben 
Ein neues Wirtshaus aufgethan, 
Da fliehen jo reine, 
So wiürzige Weine, 


666 


Um einer guten Predigt willen 

Hätt' feiner fih vom Pla bewegt: 

Doc gilt es, Gläfer gut zu füllen, 

Dann find die Burjche gleich erregt. 
„Auf, laſſet uns wandern!“ 
Ruft einer dem Undern. 


Sie wandern rüftig mit dem Frühen; 
Bald fteigt die Sonne drüdend heiß, 
Die Zunge lechzt, die Lippen glühen 
Und von der Stirne rinnt der Schweiß: 
Da riefelt jo Helle 
Dom Felfen die Quelle, 


Wie trinken fie in vollen Zügen! 
Doch als fie faum den Durft geftillt, 
Bezeugen fie ihr Mikvergnügen, 
Daß bier nit Wein, nur Waſſer quillt: 
„D fades Getränfe! 
O ärmlide Schwänte!“ 


An jeine vielverwobnen Gänge 
Nimmt jet der Wald die Pilger auf. 
Da ftehn fie plöglich im Gedränge, 
Verworrnes Didiht hemmt den Lauf: 
Sie irren, fie ſuchen, 
Sie zanlen und fluden, 


Derweil hat fih in finftre Wetter 
Die jhwille Sonne tief verhüllt ; 
Schon rauſcht der Regen durd die Blätter, 
Es zudt der Blig, der Donner brüflt; 
Dann fommt e3 geflofien, 
Unendlich ergofien. 


Bald wird der Forft zu taufend Infeln, 
Zahlloje Ströme breden vor; 
Hier hilft fein Toben, hilft fein Winfeln, 
Gr muß hindurd, der edle Ehor. 

O gründliche Taufe! 

O Töftlihde Traufe! 


Bor Alters wurden Menjchenfinder 
Verwandelt oft in Quell und Fluß; 
Auch unj’re fieben arme Sünder 
Bedroht ein gleiher Götterſchluß. 
Sie triefen, fie ſchwellen, 
Als würden fie Quellen. 


So, mehr geihwommen, al& gegangen, 
GBelangten fie zum Wald hinaus, 
Doch feine Schente jehn fie prangen, 
Sie find auf geradem Weg nah Haus: 
Schon riejelt fo helle : 
Bom Felſen die Quelle, 


Da ift’s, als ob fie raufchend ſpreche: 
„Willtommen, ſaub're Brüderſchar! 
Ihr habt geſchmähet, thöricht Freche, 
Mein Waſſer, das Euch labend war. 
Nun ſeid ihr getränket, 
Daß ihr daran denlet.“ 


So kam es, daß die ſieben Brüder 
Das Waſſer fürdteten hinfort, 
Und daß fie ſchwuren, niemals wieder 
Zu nennen das verwünſchte Wort, 

In keinerlei Weiſe, 

Nicht laut und nicht leiſe. 


Graf Ederflein.. 


Zu Speier im Saale da hebt fih ein 
Klingen, 
Mit Hadeln und Kerzen ein Tanzen und 


Springen; 
Graf Eberftein 
Führet den Reih'n 
Mit des Kaifers holdjeligem Töchterlein. 


Und als er fie ſchwingt nun im luftigen 
Reigen, 
Da flüftert fie leife (fie lanns nicht ver: 
ſchweigen): 
„Graf Eberſtein, 
Hüte Dich fein! 
Heut Nacht wird — gefährdet 
ein.“ 


„Ei!“ denket der Graf „Euer kaiſerlich' 
Gnaden, 
So habtIhr mich darum zum Tanze geladen!“ 
Er ſucht ſein Roß, 
Läßt feinen Troß 
Und jagt nach feinem gefährdeten Schloß. 


Um Gberfteins Weite da wimmelts von 
Streitern, 
Sie fhleihen im Nebel mit Hafen und 


Leitern. 
Graf Eberftein 
Grüßet fie fein, 
Er wirft fie vom Wall in die Gräben hinein. 


Als nun der Herr Kaiſer am Morgen ge: 
fonımen, 
Da meint er, es feie die Burg ſchon ge: 
nommen. 
Doh auf dem Wall 
Tanzen mit Schall 
Der Graf und feine Gewappneten all: 


„Herr Kaifer, beſchleicht Ihr ein andermal 
Schlöſſer, 
Thut's Noth, Ihr verſtehet auf's Tanzen 
Euch beſſer. 
Euer Töchterlein 
Tanzet ſo fein, 
Dem ſoll meine Veſte geöffnet ſein.“ 


Im Schloſſe des Grafen da hebt ſich ein 
Klingen, 
Mit Fackeln und Kerzen ein Tanzen und 


Springen: 
Graf Eberftein 
Führet den Neihn 
Mit des Kaiſers holdſeligem Töchterlein. 


667 


Und als er fie ſchwingt nun im bräutlichen | „Schön Yungfräulein, 
Neigen, Hüte Di fein! 

Da flüftert er leife (nicht kann er's ver: | Heut Naht wird ein Schlößlein gefährdet 
ſchweigen): ſein.“ 


Des Sängers Flud. 


Es ftand in alten Zeiten ein Schloß fo hoch und hehr 
Weit glänzt es über die Lande bis an daS blaue Meer; 
Und rings von duft’gen Gärten ein blütenreiher Kranz: 
D'rin fprangen frifhe Brunnen in NRegenbogenglanz. 


Dort ſaß ein flolzer König, an Land und Siegen reich; 

Er faß auf feinem Throne jo finfter und fo bleid: 

Denn was er finnt, ift Schreden, und was er blidt, ift Wuth, 
Und was er jpricht, ift Geißel, und was er ſchreibt, ift Blut, 


Einft zog nad diefem Schloſſe ein edles Sängerpaar, 
Der Ein’ in goldnen Loden, der Andre grau von Haar: 
Der Alte mit der Harfe der ſaß auf ſchmuckem Roß; 
Es ſchritt ihm frifch zur Seite der blühende Genoß. 


Der Alte ſprach zum Jungen: „Nun fei bereit, mein Sohn! 
Denk unfrer tiefften Lieder, ftimm an den vollften Ton! 
Nimm alle Kraft zufammen, die Luft und auch den Schmerz! 
Es gilt uns heut, zu rühren des Königs fteinern Herz.” 


Schon ftehn die beiden Sänger im hohen Säulenjaal 

Und auf dem Throne figen der König und fein Gemahl: 
Der König furdibar prächtig wie blut'ger Nordlichtſchein, 
Die Königin ſüß und milde, als blidte Vollmond d’rein, 


Da ſchlug der Greis die Saiten: er ſchlug fie wundervoll, 
Daß reicher, immer reicher der Klang zum Ohre ſchwoll; 
Dann ftrömte himmliſch helle des Yünglings Stimme vor, 
Des Alten Sang dazwischen wie dumpfer Geiſterchor. 


Sie fingen von Lenz und Liebe, von felger goldner Zeit, 
Bon Freiheit, Männerwürde, von Treu’ und Heiligfeit; 
Sie fingen von allem Süßen, was Menjhenbruft durchbebt, 
Sie fingen von allem Hohen, was Menjchenherz erhebt. 


Die Höflingsihar im Kreiſe verlernet jeden Spott; 

Des Königs trotz'ge Krieger, fie beugen ſich vor Gott! 
Die Königin, zerflofen in Wehmuth und in Luft, 

Sie wirft den Sängern nieder die Roſe von ihrer Bruft. 


„Ihr habt mein Volk verführet; verlodt ihr nun mein Weib?“ 
Der König fchreit es wüthend, er bebt am ganzen Leib; 

Er wirft fein Schwert, das bligend des Jünglings Bruft durchdringt, 
Draus ftatt der goldnen Lieder ein Blutftrahl hoch aufipringt. 


Und wie vom Sturm zerftoben ift all der Hörer Schwarm. 
Der Yüngling hat verröcelt in jeines Meifters Arm: 

Der jhlägt um ihn den Mantel und fest ihn auf das Roß; 
Er bind't ihn aufrecht fefte, verläßt mit ihm das Schloß. 


Doch vor dem hohen Thore da hält der Sängergreis, 

Da faht er feine Harfe, fie aller Harfen Preis: 

Un einer Marmorfäule da hat er fie zerjchellt; 

Dann ruft er, dab es jhaurig durh Schloß und Gärten gellt: 


„Web Euch, Ihr folgen Hallen! Nie töne füher Klang 
Durh Eure Räume wieder, nie Saite noch Gefang, 

Nein, Seufzer nur und Stöhnen und feuer Sclavenfdritt, 
Bis Euch zu Schutt und Moder der Rachegeiſt zertritt! 


668 


„Web Euch, Ihr duftgen Gärten im holden Maienlicht! 
Euch zeig’ ich dieſes Todten entjtelltes Angeſicht, 

Daß Ihr darob verdorret, daß jeder Quell verfiegt, 
Daß Ihr in fünftgen Tagen verfteint, verödet Liegt. 


„Weh Dir, verruchter Mörder, Du Fluch des Sängerthums! 
Umfonft ſei al Dein Ningen nah Kränzen blutigen Ruhms: 
Dein Name jei vergeflen, in ewge Naht getaucht, 

Sei wie ein letztes Röcheln in leere Luft verhaudt!* 


Der Alte hats gerufen, der Himmel hats gehört: 

Die Mauern liegen nieder, die Hallen find zerftört; 
Noh Eine hohe Säule zeigt von verfhwundner Pradt: 
Auch diefe, jhon geborften, fann ftürzen über Nadt. 


Und rings flatt duftger Gärten ein ödes Heideland: 

Kein Baum verftreuet Schatten, fein Duell durchdringt den Sand. 
Des Königs Namen meldet fein Lied, fein Heldenbuch: 
Verfunfen und Vergeſſen. Das ift des Sängers Fluch. 


Der qute Kamerad. 


Ih hatt’ einen Kameraden, 

Einen beffern findft Du nit. 

Die Trommel jhlug zum Streite: 
Gr gieng an meiner Seite 

In gleidem Schritt und Zritt. 


Die verfunkene Krone. 


Da droben auf dem Hügel, 
Da fteht ein Meines Haus; 
Man fieht von feiner Schwelle 
Ins ſchöne Land hinaus, 
Dort figt ein freier Bauer 
Am Abend auf der Bant; 

Er dengelt feine Senie 

Und fingt dem Himmel Dant. 


Eine Kugel fam geflogen: 
Gilts mir oder gilt es Dir? 
Ihn hat es mweggerifien, 

Er liegt mir vor den Füßen, 
Als wärs ein Stüd von mir; 


Da drunten in dem Grunde, 
Da dämmert längft der Teich. 
63 liegt in ihm verfunfen 
Eine Krone ſtolz und reich; 
Sie läßt zu Naht wohl jpielen 
Karfunfel und Sapphir: 

Sie liegt feit grauen Jahren 
Und Niemand fuht nad ihr. 


Will mir die Hand noch reichen, 
Derweil ih eben lad': 

„Kann Dir die Hand nicht geben, 
Bleib Du im ew’gen Leben 

Mein guter Kamerad !* 


— — — — ——— —— — nn 4 


Zugenderinnerungen an Rudolf Zalb. 
Von P. R. Roſegger. 


die ſich einmal um mich angenommen 
hatten, hielten mich in der Hauptſtadt 
undzwanzig Jahren — aus den ober= | felt, obwohl ſie eigentlich nichts Rechtes 
ländiſchen Bergen gekommen — in mit mir anzufangen mußten. Ein 
der großen Stadt zugebracht Habe. | Bengel mit Bauernmanieren, ohne 
Wenige Tage war ih in Laibach ger | Schulbildung, aber mit einem Anflug 
wejen, von wo ich entimuthigt und! bon Schwärmerei, einerfeitS mit dem 
verzagt nad Steiermart zurüdgelehrt Drange, etwas zu lernen und zu 
bin. Ich wollte geradeswegs heim in werden, anderſeits von Heimſucht er— 
die Bergwälder; jene Männer in Graz, füllt und einem bäuerlichen Fatalis— 


AA ic graut, wenn ich an die erjten 
SE Wochen denke, die ich dor zwei— 














669 


mus ergeben: geht's wies geht! — 
was läßt fich mit fo einem Gefellen 
machen ? 

Mein Gönner Doctor Spoboda 
hatte wiederholt Verfuche gemacht, um 
mich in eine Lehranftalt oder auch 
nur bei einem Gewerbsmann in der 
Stadt unterzubringen. Es war ver— 
gebens, man kümmerte fich nicht um 
den „Naturdichter,“ als der ich durch 
Doctor Svoboda öffentlich eingeführt 
und in die Stadt gebracht worden 
war. Nebſt Spoboda war es noch 
der Großinduſtrielle Peter Reininghaus, 
welcher mit Entſchiedenheit mich ftüßte 
und jozufagen in der Stadt feithielt. 
Allein, teils mochte es meine Blödig— 
feit gewefen jein, und das Ungewohnte, 
bon fremden Wohlthaten zu leben, 
theils der Hang, in der Stadt frei 
und ungeleitet für mich Hinzuleben, 
ich hielt mich die erfte Zeit nicht all» 
zufehr an die beiden Freunde, fondern 
bummelte ganz mir felbft überlafjen 
in dein mir neuartigen und anlodenden 
Leben der Stadt dahin. Ein zwei— 
undzwanzigjähriger gefunder, naiver 
Burſche mit leidlich empfänglichen Sin- 
nen, voll Bertrauensfeligkeit und ohne 
jeglihe Welterfahrung, fo lebte ich 
und vagierte von einem Tag zum ans 
dern, bon einer Stadtergötzung zur 
andern, fo weit e3 meine Mittel er- 
laubten. 

Wo ich die erften vier oder fünf 
Tage, die ich in Graz zugebracht, ge- 
wohnt und gejchlafen, das weiß ich 
heute nicht mehr ficher anzugeben, ich 
vermuthe, bei einem jungen Schrift- 
feger Namens Robert Wagner, der 
mir von allem Anfange feine treu— 
herzige Freundſchaft entgegengebradht 
hatte. Faſt wahrſcheinlich jcheint es 
mir, daß ich gar nirgends wohnte, 
meine paar Saden aber in Wagners 
Stübchen, welches er in Aftermiethe 
befaß, liegen gelaffen Hatte und nur 
gelegentlih in demfelben ein wenig 
Ihlief. Ih weiß nur, daß ich eine 
mal die ganze Naht mit Wagner, 
der zu allem Abentenerlichen aufgelegt 





war, auf dem Scloßberge herumſtrich 
und über Gott und Unfterblichleit der 
Seele ftritt. Der junge Schriftſetzer 
war nämlich ein Hartgefottener Frei— 
geift und das befümmerte mich fo 
tief, daß ich ihn befehren wollte. Bei 
jenen Geſprächen, vom Gegner fcharf 
angeſpornt und in die Enge getrieben, 
entdedte ich zu meinem inmerlichen 
Staunen, dab ich eigentlich jelber 
fegerifiche Anwandlungen hatte und 
an — die Seelenwanderung glaubte. 
Ob dieſe Stimmung nicht in der Wand— 
fung, die zu jener Zeit mit mir vor— 
gieng, ihren Grund hatte? 

Auf das Drängen Spoboda’s und 
Reininghaus’ nahm ich mir endlich ein 
Zimmerhen auf; zudem befam id 
einen Jnftructor, der mich täglich eine 
Stunde im Schreiben und Rechnen 
unterrichtete. Die übrige Zeit war ich 
frei, und damit mir das Warten auf 
eine geordnete Schule nichl zu lang— 
weilig wurde, unterhielt ich mich fo 
gut es gieng. Ich ftrich in der Stadt 
und Umgebung herum, ich gieng in 
die Kirche zu Gottesdienften, ich be— 
gleitete pomphafte Leichenzüge auf den 
Friedhof; in den Beifeln, wo Bäntel- 
fänger waren, genoß ich mein Mittags- 
und Abendbrot und machte Bekannt— 
ſchaften, die freilich eine Woche felten 
überdauerten.. Der Theaterdirector 
Gjerniß, der von dem „Naturdichter“ 
gehört, wollte dad Seinige thun, in— 
dem er mir freien Eintritt ins Thalia- 
theater (heutiges Stadttheater) be= 
willigte. Nun gieng ich jeden Tag 
in’3 Theater; damals kamen eben die 
Offenbach'ſchen Operetten auf, an 
deren ich mich Höchlichft ergögte. In 
denfelben fiel mir aber nur das Derb- 
fomifche in den Situationen und Ge— 
iprächen und die leichten flotten Arien 
auf. Weitere Reize Habe ich nicht 
wahrgenommen, jondern wunderte mich 
nur, als mein Freund eines Tages 
jagte, ich follte mich von der „Schönen 
Helena“ nicht verführen laſſen. 

Eigentlih wohl war mir aber bei 
dieſem Schlaraffenleben nicht ; ich fühlte 


670 


nur zu fehr, daß es jo nicht in Ordnung 
fei. Die Anforderungen meines Inſtruc— 
tors machten mir zum Glüde viel zu 
schaffen. Ich faßte die rein theoretifchen 
Gegenftände ſchwer auf und das Ge— 
dächtnis war ſpröde; was ich heute ge= 
lernt, war in wenigen Tagen wieder da= 
hin. Wo ich gieng und fand, dachte ich 
an die Lehrgegenftände, und die Schwie- 
rigkeiten derſelben verleideten mir alle 
mählih jedes Vergnügen. Und es 
war doch nichts weiter, als der ſehr 
einfache Unterricht über die Grund 
regeln der Grammatif und Arithmetik. 
Wenn ich dachte, was ich mir Alles 
aneignen müßte, um überhaupt nur 
zu den Gebildeten zu gehören, ge— 
fhweige denn, um etwas zu leiften, 


möchten ihm nicht entjpredhen, es 
gienge Halt gar fo ſchwer. Da pflegte 
er mir feine Hand auf die Achjel zu 
legen und zu fagen: „Ich gebe auf 
Fleiß und guten Willen mehr, als 
auf Talent. Bleiben Sie um Gottes— 
willen nur brav! Alles Weitere wird 
fih finden.“ 

Als ih fünf oder ſechs Wochen 
fo dahingelebt Hatte, theilte mir eines 
Tages Doctor Spoboda mit, daß 
mich der Religionsprofefjor der Grazer 
Handelsafademie kennen zu lernen 
wünſche. Derfelbe wolle verfuchen, mich 
als Gaft in die Handelsakademie zu 
bringen, wo mir Gelegenheit geboten 
fei, ordunungsmäßig zu ftudieren. Der 
Profeſſor hieße Rudolf Falb, fei auch 


war ich oft bis in die Seele verzagt. | ein Bauernſohn aus Oberfteier, fei 


Eine Unterritsanftalt aber erfchloß | 


ſich mir nicht. In eine Elementarfchule 
wollte man den Bengel nicht fteden 


ich zu wenig Vorbildung. Ich vermuthe, 
dak meinem Doctor Spoboda manch— 
mal meinetwegen angft und bang ge 
worden fein mag. Was er thun konnte, 
das that er getreuli, er fehrieb mir 
Lebensregeln vor, war mir Nathgeber 
in dem, was ich leſen follte, ermahnte 
mich zur Strenge gegen mich jelbft, 
zur Gewiffenhaftigkeit, zum Fleiß, und 
weil er wohl fah, wie ſehr ih Muth 
bebürfe, fo wies er immer wieder auf 
„die Schöne Zukunft“ Hin, der ich 
entgegengehe. Faſt täglich brachte ich 
ihm Proben von meinen Gedichten ; 
er war mit den wenigften zufrieden, 
blieb dabei, daß ich vorwärts müſſe. 

Reininghaus hatte mir fein Haus 
mittlerweile ganz und gar geöffnet; 
doch war es bon meiner Wohnung 
jo entfernt, daß ich von folder Güte 
nicht in vollem Maße Gebrauch machen 
fonnte. Wöchentlich zweimal ſpeiste ich 
bei ihm zu Mittag und durfte dem 
Zeichenunterrichte feiner Finder bei- 
wohnen und jelbft mitzeichnen. Manch— 
mal wenn er mir Geld gab, glaubte 
ih ihm es geftehen zu müſſen, daß 
ich fürchte, meine Hortfchritte im Lernen 


Dorflaplan gewefen und erft vor Kurzem 
aus Kainach nad Graz an die Han— 


| delsafademie berufen worden, weil 
und für alle anderen Schulen hatte | 


er ein fehr ftrebfamer und gelehrter 
Mann wäre. 

Ich Habe den Herrn Profeſſor noch 
an deinfelben Tage beſucht. Er war 
ein hübſcher, freundlicher Mann im 
Vrieftertalare und wohl nur um wenige 
Jahre Älter als ih. Sein Zimmer 
war faft ringsum mit Büchern beftellt 
bis hinauf zur Dede; mitten im Zim— 
mer ftand eine große Weltkugel und 
ein mächtiges Fernrohr, woran er mir 
alsbald etwelches erklärte. Als er fich 
nad meinen DVerhältniffen erkundigt 
und mid dann in eine Reftauration 
zum Mittageffen geführt Hatte, wobei 
ich fein Gaft war, lud er mid) ein, 
am Abend wieder zu kommen, da 
wolle er mir durch das Fernrohr den 
Mond und einige Sterne zeigen. 


Bon diefem darauffolgenden Abend 
kann ich mich nur erinnern, daß der 
Profeſſor fih wunderte, wie fo ich 
von der Geftalt des Mondes und von 
der Größe der Sterne nit mehr 
überraſcht ſei. 

„Ja,“ gab ich ihm zur Antwort, 
„ich wußte wohl, daß die Sterne in 
Natur viel größer find als fie ausſehen.“ 


671 





Hierauf belehrte er mich in einer 
überaus leichtfaßlihen Methode, wie 
diefe Sterne viel größer feien, ala 
unfere Erde, wie die Erde felbft fo 
ein runder Körper wäre, der von 
einer Luftfchichte umgeben im unend— 
lien Raum ſchwebe, daß der Mittel- 
punkt der Erde fiir alle ihre Wefen und 
Dinge der Anziehungspunft fei; die 
Richtung nach diefem Anziehungspunkt, 
dem Alles zufällt, was fallen Tann, 
nennten wir „unten“ im Gegenjaße 
zu dem „Oben“, das von der Erbe 
nah allen Seiten Hin im Himmels— 
raume ift. 

Auch das überrafchte mich nicht 
eigentlich, fondern ich fand es ſelbſt— 
verftändlich, daß es fo fei, und hier— 
auf fagte der Profeffor, er würde 
traten, mich in die Handelsafademie 
zu bringen. 

Ein nächſtesmal lud mich Rudolf 
Falb ein, feine Bücherſammlung zu 
ordnen, infofern, als ich die Merle 
der verjchiedenen Sprachen ſondern 
follte; durch eine Ueberſiedlung waren 
die Dinge in Unordnung gekommen. 
Nicht zehn Minuten bedurfte er, um 
mir die in das Auge fallenden Unter- 
ſchiede und Eigenheiten der verjchiedenen 
Spraden, als griechiſch, Hebräijch, 
lateinifch, franzöſiſch, engliſch u. j. w. 
begreiflich zu machen. Er Hatte eine 
merlwürdige Manier, die Dinge mit 
wenigen Worten und Beifpielen zu 
beftimmen und zu erllären, und zwar 
fo, daß man das einmal Berftandene 
gar nicht mehr vergeffen konnte. Schon 
in nächſter Zeit durfte ich mit Falb 
Ausflüge in die Umgebung von Graz 
machen, wobei wir fortwährend luftig 
über allerlei plauderten, und jedes 
Wort aus feinem Munde war Unter: 
tiht. Bei Gratwein war es, wo er 
eines Tages am Wegrain eine lebendige 
Natter mit freier Hand fieng, und 
mir den Bau ihres Körpers, fowie 
ihr ſcharfes Gebik zeigte und erklärte. 

Um diefe Zeit borgte und ſchenkte 


gelegen fein, mich in der Auswahl 
meiner Lectüre zu leiten, und nun 
gieng mir ſachte ein Licht auf, daß 
e3 in der Literatur noch etwas Höheres 
gibt, al3 Volkskalender und Zeitungs 
romane und Gebetbücher, jo bislang 
mein Herzenstroft gewejen waren. 

Außerdem war Yyalb beftrebt, mich 
in Familien einzuführen, fo beim Lan— 
desausſchuſſe Dr. Neicher, Herrn von 
Rebenburg, an denen ich warmherzige 
Gönner fand und Freunde, die es 
bis auf den heutigen Tag geblieben 
find. Auch verfehaffte er mir für das 
landſchaftliche Theater eine beftändige 
Sreifarte, weil er wie Spoboda der 
Anfiht war, mir thäte nicht bloß die 
Schule noth, fondern auch die Bekannt— 
ſchaft mit den großen Geiftern der 
Bölfer und dem Kunſtleben der Zeit. 
Und ich denke, das Letztere ift für 
mi nicht ganz ummwichtig gewefen, 
hat mir Manches, was fonft Gym- 
nafiale und Univerfitätsftudien bieten, 
lebendig erfeßt. 

Um diefelbe Zeit war es, daß 
Profefforen der Handelsafademie einen 
Cyklus von öÖffentlihen Vorleſungen 
veranftalteten, anfangs im Saale der 
Akademie und fpäter, weil diefer zu 
Hein geworden war, im Ritterjaale. 
So viel ih mich erinnere, las Pro— 
feffor Dawidowski über das Leben der 
Blume, Director Alwens über die 
Luft, Profeffor Biſchof über den 
Menjchengeift in Natur und Geſchichte, 
Profeffor Winter über den Luftballon, 
Profeſſor Falb, der den Anfang machte, 
hatte den Sternenhimmel zum Gegen 
ftande feines Vortrages gewählt. 

Zu diefen Borlefungen erwirkte 
mir Profeflor Falb den freien Eintritt 
und zwar unter dem Vorwand, daß 
— was feine Borlefung anbelange — 
er meiner Mitwirlung bedürfe. Der 
Profeffor Hatte nämlich eine Anzahl 
großer Sternfarten, welcher er bei 
dem Vortrage für die Zuhörer zur 
Erläuterung bedurfte. Diefe Karten 


mir Halb auch Bücher und ließ fich | hatte ich num während der Vorlefung 


im Vereine mit Doctor Spoboda an- |bei den betreffenden Stellen 


aufzus 


67 


o 


hängen oder abzunehmen, und zwar (gegründet worden. Die Privatanftalt 
im Wngefichte der vielen Menfchen. | hatte feine Satzung, weldhe die Auf- 


Daß das Selbftbewuhtfein, welches | 


diefe wichtige Aufgabe in mir wach— 
tief, fein geringes war, kaun man 
fih denken. Es mag ja fein, daß ih 
die nördliche Hämifphäre einmal mit 
der jüdlichen verwechſelte, oder das 
Planetenjyften auf den Kopf ftellte, 
doch das brachte weder das Weltall 
in Allgemeinen, noch den Profeſſor 
im Befonderen aus dem Gleichgewichte. 
Der Profeffor Hatte mich für meine 
Obliegenheit mit einem neuen Bein 
fleide und einem ſchwarzen Rode aus» 
geftattet, weil es doch zu fürchten ges 
wejen, daß mein gewöhnlicher Anzug 
im Glanz der Legionen Sterne, denen 
ih fo nahe war, nicht mit vollen 
Ehren beftehen dürfte. Dieſes erfte 
öffentliche Auftreten als Famulus des 
Aftronomen hatte für mich zunächft 
den Vortheil, daß ich dadurch in jenen 
akademiſchen Kreis gezogen wurde, in 
welhem ich meine allgemeine Aus— 
bildung genießen follte. Zudem regten 
mich die Gegenftände, vor Allem der 
Vortrag Über die Sternenwelt und 
das Leben der Blume mächtig an, 
und die falt weihevolle Stimmung, 
welche im bellerleuchteten Saale war 
und in welcher das Publikum den ges 
wählten Worten der Vortragenden 
laufchte, warf einen wunderfamen 
Nimbus auf die Wifjenichaft, die ſich 
nie bier fozufagen im Feſtgewande 
darftellte, nachdem ich von ihr bisher 
nur die Proſa der Spradlehre und 
des Nechenbuches kennen gelernt hatte. 

Im April desselben Jahres war's, 
nachdem ich an zwei Monate diejes 
wunderliche Leben geführt, als mir 
Profeffor Falb den Tag beftimmte, 
an welchem ich als Hofpitant in die 
zweite Vorbereitungsclaffe der Akademie 
für Handel und Induſtrie in Graz 
eintreten follte. Diefes Inftitut, welches 
heute no in Glanz und Ehren be— 
fteht, war damals ein par Jahre früher 
von einigen opfermuthigen Kaufleuten 
und Induftriellen der Pandeshauptftadt 


nahme eines arınen, ganz ungejchulten, 
aber lernluftigen jungen Menjchen vers 
boten hätte. Und die Berwaltungsräthe, 
als die Herren J. Kleinoſcheg, Ober» 
ranzmeyer, Zeiler u. ſ. w., ſowie die 
Herren Profeſſoren hatten Berftändnis 
genug dafür, daß eine Berpflichtung 
da ift, Jedem, der etwas lernen will, 
dazu Gelegenheit zu bieten. 

Profefjor Falb führte mich per— 
fönlih ein, ftellte mich erftens den 
Lehrern vor und empfahl mich ihrer 
Nahficht, ftellte mich dann den Stu— 
denten dor, lauter Biblein von 12 
bis 15 Jahren, deren größten ich um 
Kopfeslänge überragte. — Sollte ich, 
fagte er beiläufig zu diefen, an Schul— 
wiſſen vielleicht etwas zurüdftehen, jo 
fünne ich Hingegen Gedichte machen 
und Sternfarten auf den Nagel hängen 
und wäre ein fleißiger Schüler. Im 
Ihwarzen, etwas fchlotternden Gewand, 
die Haare glatt nad rüdwärts ge— 
kämmt, die langen Arme an beiden 
Seiten hinabhängen laffend, jo fand 
der Gefelle da, der den Sternenhimmel 
auf den Nagel hängen konnte. Etliche 
der neuen Gollegen wurden bald zu: 
traulih und fragten den Profeſſor, ob 
fie mich mit Schreibzeug oder gar mit 
Büchern beſchenken dürften, was ihnen 
natürlich Herzlich) gerne geftattet war, 

Falb trug in unferer Claſſe Deutſch 
und Religion vor. In erfterem fchrieb 
ich die beſten Auffäge und machte die haar— 
ſtäubendſten orthographiſchen Fehler; 
in letzterer, was den Katechismus und 
die kirchlichen Gebräuche anbelangt, 
wußte ich mehr, als die ganze Claſſe 
zuſammen. Das Hatte ich noch von 
heim mit. 

Falb's Religionsunterricht war 
freilich fein gewöhnlicher. Vom obli= 
gaten Katechismus ausgehend, verweilte 
er gerne bei der Unendlichkeit und 
Allmacht Gottes. Er ſprach von Gottes 
Größe im Weltall, von Gottes Wun— 
derfraft im regelmäßigen Lauf der 
Geftirne, von Gottes Majeftät im 


um 


673 
Sturm des Meeres und im Beben, lachte und fagte: „Nicht darauf kam 
der Erde. Er erläuterte uns hierauf|es mir au, dab Sie den Mond mit 
ſolche Naturerfcheinungen und fagte| jeinen Kratern auf's Papier, fondern 
einmal, daß der Mond und die Ge- daß Sie ihn in Ihr Gedächtnis 
ftirne am Himmel Anziehungskraft | zeichneten. Da haben Sie ihn mun 
ausübten auf die Erde, was auf den | Hoffentlich d’rin.“ 
Meeren Flut umd Ebbe zur Folge Da der Religionsprofefjor gleich- 
babe. Und er fagte, daß bei einem zeitig auch unfer Beichtvater war, Jo 
richtigen Zufammenwirken mehrerer | fonnte unter Anderem der bekannte 
Geftirne am Himmel auch im Innern | Beichtzettelverfchleiß auf unferer Anftalt 
der Erde, welches ja flüffig fei, Flut | wicht floriren. Ein Beichtkind, das die 
und Ebbe entjtehen könne, daß dabei | Sache etwas tiefer nahın, mußte wohl 
Erplofionen im Erdinnern ftattfinden | erfahren, daß der Manı nicht allein 
fönnten, welche möglicher Weiſe die| in die Geheimniffe der äußeren, fondern 
Urſache der Erdbeben wären. — Sol|aud in jene der inneren, der menjch- 
waren die Schüler der Grazer Hans | lien Natur zu ſchauen vermochte. 
delsakademie vielleicht die Erften, welche) Manchmal mögen die Geheimniſſe des 
die Grundzüge von Falb's Erd-j Menfchenherzens wohl grauenhafter 
bebentheorie vernommen haben. fein, als jene des glühenden Erdinnern. 
Ih fand in folchen Ercurfionen | Im Ganzen mochte ihm die Menfchen= 
feinen Mißbrauch des Religionsunters | jeele als fteriler Boden erjcheinen und 
richtes, im Gegentheil, ich Habe bei| ich glaube es wohl, daß diefer Forſcher— 
feiner Predigt und Chriftenlehre eine! geift ſich allmählich von dem Amte 
jolche Ehrfurdht vor der Größe des des Priefters ab» und dem des Ge— 
Weltſchöpfers empfunden, als im den! lehrten zuzumenden begann. 
damaligen Religionsftunden der Aka— Kaum länger als ein Jahr genof 
demie. Die aufmerkfameren Schüler|ich auf der Akademie feinen Unter— 
pflegte der Profeſſor damit zu beloh= | richt, dann nahın er eine Erzieherftelle 
nen, daß er fie einlud, an heiteren an, welche ihm mehr Freiheit und 
Abenden zu ihn zu kommen, um duch) Muße für feine Studien gewährte 
das Fernrohr den Himmel zu betrach- | und deren PBenfion ihn fpäter in 
ten. Halb hatte damals indem ſoge- Stand feßte, ſich ganz der Wiſſen— 
nannten Keplerthurm (in der Stempfer= | [haft zu widmen. Mit der Oeffent— 
gaffe zu Graz, wo einft der große) lichkeit verbanden ihm noch die von 
Altronom Johannes Kepler den Studien | ihm herausgegebene aftronomifche Zeit- 
oblag) fein Fernrohr aufgeteilt. Und fchrift „Sirius“ und feine Vorleſun— 
in diefem Thurme kamen wir — die! gen über Sternfunde und Erdbeben. 
Tleißigeren — zufammen, um unter| Daß Rudolf Falb hierauf zum Prote- 
unſeres Profeſſors Erklärungen die ftantismus übergetreten ift und in 
Wunder des Himmels zu betrachten. | den Siebziger- Jahren eine große Reife 
Wie frod erregt er war, wenn wir nach Siüdamerifa unternommen hat, 
im Monde gewijle Spigen und Srater, iſt befannt. Diefe Reife dauerte über 
oder beim Saturm den Ring, oder in drei Jahre. Falb wanderte ein halbes 
der Milchftraße befondere Sternhaufen | Jahr in Chili, zwei Jahre in Peru 
jehen fonnten, auf die er uns aufmerkfan | und Bolivien umher und lebte längere 
gemacht. Da Falb an mir ein gewifjes| Zeit bei den Kitſchna- und Aimara— 
Zeichentalent eutdeckt Haben wollte, jo lud | Indianern auf dem Hochlande der 
er mich eines Tages ein, mit ihm eine| Cordilleren; er beftieg mehrere der 
große Mondkarte nach der Natur zu) größten Bulcane, u. U. den Mifti 
zeihnen. Die Karte fiel zwar nicht (bei Nrequipa), auf deifen 17.000 
zur Zufriedenheit aus, aber Falb Fuß hohem Gipfel er drei Tage und 


Kofegaer’s „„Hrimgarten‘‘ 9. Geft, XT. 43 


— — — — — — — — — nn — — — — — 


674 


drei Nächte Hinter einander feine 
wiſſenſchaftlichen Beobachtungen an— 
ſtellte. Er bereicherte aber nicht nur 
ſeine Erdbebenkenntnis, ſondern machte 
auch intereſſante Funde auf dem Ge— 
biete der vergleichenden Sprachwiſſen— 
ſchaft und Archäologie. Ueber Kali— 
fornien, wo ihn eine ſchwere Augen- 
franfheit, welche fih Ausländer oft | 
bei längerem Aufenthalte auf ben! 








Um von jeiner MWeltreife aus» 
zuruben, hatte Falb im ſeinem ſtillen 
Heimatsorte Obdach, wo er 1838 
geboren, ſich miedergelaffen. Da er 
als Forſcher jo viel für die Menſch— 
heit geleiftet Hatte, wollte der Mann 
von feinen Rechten nicht zurückſtehen; 
aus dem ehemaligen katholischen Prie— 
ter wurde ein glüdlicher Familien— 
vater. Aber das ſahen manche feiner 


Gordilleren zuziehen, auf ein langes | Sandsleute nicht gern, und wie es 
Kranfenlager warf, und fiber Nord- von Uebel ift, wenn irgendwo ein ges 
amerifa fehrte Falb im März 1880 | ſchnitzter Herrgott fteht, den die Leute 
nah Europa zurüd, wo übrigens die; noch als Birnbaum gefannt haben, 


Zeitungen bereits feinen Tod duch! 
Indianerhand Fäljchlich gemeldet Hatten. 
Seine Erdbebentheorie war mittlerweile 


jo befannt geworden, daß der heimge- 





jo ift e& nicht minder von Uebel, 
wenn irgendwo ein Birnbaum  fteht, 
den die Leute einmal als Herrgott 
angefehen haben. So hat der Ge— 


fehrte Forſcher neben derjelben mit ſei- lehrte eines Tages Weib, Kind und 


nen vergleichenden Sprachſtudien, zu 
welchen ihn die Reife angeregt, nicht 
recht in den Vordergrund fam, Laut 
Ipradhen für Falb die gewaltigen 
Erdbeben von Belluno (1873), von 


Agram (1880), in Griechenland und) Erinnerung an 


Segel zufammengepadt und ift ausge— 
wandert. 

Heute lebt Rudolf Falb in Leip— 
zig, umgeben vom Nimbus des Erd» 
bebenpropheten. Ich glaube, daß diefe 
feine Prieſterzeit 
Manchem von Intereſſe fein dürfte. 


Nordamerifa (1886) und an der] 
Riviera in diefem Jahre. Der Forſcher Lieb ift mir die Gelegenheit, «es 
hatte diefe Erdbeben faft gemau vor= | laut ausfprehen zu können, wie 
ausgefagt und fomit den Beweis er= | mwejentlih Yalb in mein Leben ges 
bracht für die Richtigkeit feiner Theo= | griffen, und daß er zu den Schuß 
tie, die von den Zunftgelehrten | geiftern gehört, die mich damals aus 
kaum mehr länger wird ignoriert wer= | Gefahren den rechten Weg geleitet 
den können. haben. 


Verſchiedene Gefahren für unfere Erde. 


Nah Rudolf Talb.*) 


=. war im Anfang aller Dinge? 


2 m Anfang war der Raum. Es 
Re 2 iftvorauszufehen, daß man diejem 
re nicht nur die volle Zuſtim— 
mung geben, jondern ihn jogar trivial 
finden wird; denn bevor irgend etwas 





entfteht, muß der dafür nötige Raum 
vorhanden fein; wo fein Raum ift, 
fann fein Gott auch nur ein Sande 
lorn zu Stande bringen. 

Und doch behaupte ich: jener Aus— 
ſpruch ift falſch. Denn damit über- 
haupt von Anfang oder Ende die 


*) Aus BR Werke: „Bon den Ummälzungen im Weltall.” (Wien. A. Hartleben.) 


675 


Nede jein kann, muß der Begriff Zeit 
vorausgehen, ohne Zeit gibt es weder 
Anfang noch Ende. 

Vielleicht könnten wir aljo jagen: 
„Im Anfang war die Zeit.“ 

Was ift die Zeit? Wie kommt 
die Zeit zu unferem Bewußtſein? 
Einzig und allein durch die Verände— 
rung der Dinge in, an und um uns. 
Wenn ftet3 Alles, was in, am und 
um uns ift, unverändert bliebe, würden 
wir nie zu dem Begriffe deilen kommen, 
was wir jeßt Zeit nennen. 

Und umgelehrt, wenn wir Augen 
hätten, die wie Mikroſtope 6000mal, 
10.000mal und mehrmals noch ver— 
größerten, ſo daß wir z. B. das 
Gras wachſen ſehen lönnten, dann 
würden wir in einem Momente ſo 
viele Veranderungen wahrnehmen, daß 
uns eine Secunde wie ein Tag er— 
ſchiene. 

Und wenn wir dieſes Auseinander— 
zerren der kleinſten Zeiträume fort— 
ſetzen würden, etwa herab bis zur 
Wahrnehmung der Heinften Theilchen 
der Materie, die wir Atome nennen, 
dann würden wir die Entdedung 
machen, daß Veränderung nichts anderes 
ift als Bewegung, Bewegung Ddiejer 
fleinften Theile oder Atome. 

Vielleiht war alfo im Anfange 
die Bewegung? Zur Bewegung ge: 
hört vor Allem Etwas, das ſich be— 


wegt: der Stoff. Es würde fchön 
Hingen, zu jagen: „Im Anfang war 
der Stoff“. Doc diefer allein reicht 


zur Bewegung nit aus; es muß 
etwas da fein, das den Stoff in Be— 
wegung feßt: die Kraft. 

Aber auch damit kommt noch 
immer feine Bewegung zu Stande; 
es ‚gehört noch ein Drittes dazır, 
worin fih die Bewegung vollzieht: 
das ift der Raum. Und Hiermit 
ftehen wir wieder auf dem Bunte, 
von welchen wir ausgegangen find, 
und können den Kreislauf von Neuem 
beginnen, ohne daß uns je die Aus— 
ſicht dämmert, dieſem Gedanken-Labh⸗ 
rinthe zu entlommen und je herauszu— 





friegen, was denn eigentlich am Anfang 
war. 

Da wir alfo den gordifchen Knoten 
unſeres Jdeengewebes nicht zu löfen 
vermögen, jo zerhauen wir ihn, ins 
dem wir fagen: es gab nie einen 
Anfang, ewig ift die Zeit, ewig die 
Bewegung, ewig der Stoff, ewig die 
Kraft und ewig der Raum. 

Damit ftellen wir uns allerdings 
in Widerfpruch mit althergebrachten 
Traditionen, alten Mythen und alten 
Documenten; allein wer in dieſer 
Frage competent ift, darüber kann 
heutzutage wohl fein Zweifel mehr 
‚walten. Wenn es fich darum Handelt, 
die Entjtehung einer Wollte zu er— 
forschen, fo kümmern wir uns nicht 
um alte Traditionen, fondern fragen 
nad den Thatfachen der Beobachtung. 
Dder wenn wir nach dem Urfprunge 
des Regens fragen, ziehen wir nicht 
alte Mythen zu Rathe, jondern einzig 
und allein phyſikaliſche Unterſuchun— 
gen und gründen darauf unſere 
Schlüſſe. Warum follten wir nun 
ein anderes Mittel wählen, wenn es 
fih um die Erforfhung der Gefchichte 
der Erde handelt, warum follten wir 
einen anderen Weg einfchlagen und 
nach alten Weberlieferungen greifen, 
wenn wir zur Kenntnis der Ent: 
ftehung der Sonne, des Sonnen 
ſyſtems, der Sterneninfel,- in welcher 
ih) das letztere befindet, ja des 
ganzen Univerfums überhaupt ges 
langen wollen? ft es nicht natür- 
lid und vernunftgemäß, auch Hier 
dem altbewährten Wege zu folgen 
und nur Thatfachen der Beobachtung 
Iprehen zu laffen, nur auf Grund 
phyſikaliſcher Wahrnehmungen unfere 
Schlüffe zu ziehen? Bon dieſem 
Standpunfte wolle der Leſer die fol— 
gende Auseinanderfeßung betrachten. 

Damit ift allerdings ein Irrthum 
noch nicht ausgefchloffen; doch der 
Irrtum, welcher aus falfchen Beob— 
achtungen und unrichtigen Schlüſſen 
entſpringt, kann im Laufe der Zeit 
controliert und verbeflert werden ; allein 


43* 


676 


der Irrthum, der ausjchließlih auf 
dem Autoritätsglauben beruht, ift une 
controlierbar und incorrigibel. Das ift 
der Unterjchied. 


Die Erde wird ih der Sonne 
näbern. 


Wohl liegt uns dor Allem das 
Schickſal des Planeten am Herzen, 
anf deffen Rinde unſere Füße wan— 
dein. Was ift die Zukunft der Erde? 
Und zunähft: Wird fie ewig den 
Pfaden folgen, die ihrer Bewegung 
um die Sonne heute vorgezeichnet 
find, oder tritt im Laufe der Zeiten 
hierin eine Veränderung ein? Wird 
fie der Sonne näher kommen oder in 
größere Entfernung von ihr hinaus 
geichleudert werden ? 

Diefe Frage liegt im Bereiche 
unferer Wiſſenſchaft. Schon der große 
Mathematiler und Aftronom Laplace 
hatte fie vor Hundert Jahren aufges 
worfen und dahin gelöst, daß die 
Erde, wie alle Planeten, ſich im regel— 
mäßigen Perioden abwecjelnd um 
einen ſehr Heinen Betrag der Sonne 
nähere md ſich wieder von ihr ent» 
ferne, im Ganzen aber ftets in einer 
beftimmten mittleren Entfernung ver— 
harre, die ewig gleich bleibt. Heute 
jedoch müſſen wir dieje Frage in ent— 
gegengejegtem Sinne beantworten. 
Deute wiffen wir, daß alle Planeten, 
fo auch unfere Erde, im Laufe künfti— 
ger Jahrmillionen ihre mittlere Ent- 
fernung von der Sonne ändern, in— 
dem fie dieſem Geftirne mehr und 
mehr näber rüden muß. Die Exde 
wird alfo dereinft in die Sonne 
ftürzen. 


Anwendung der Beobachtungen 
auf den Mond. 


Doch — was mir bezüglich der 
Erde gefunden, gilt auch für den 
Mond. So wie die Erde um Die 
Sonne wandert, freist der Mond um 


die Erde. Auch diefer unfer nächſter 
Nachbar kann feinen Flug nicht ohne 
MWiderftand vollführen, auch er hat 
ih durd Schwärme von Meteoren 
Bahn zu breden. Es wird alfo auch 
die Bahn des Mondes um die Erde 
immer enger und enger werden, das 
heißt: der Mond muB ſich der Erde 
nähern und dereinft auf fie ftürzen. 

Heute weiß der Aftronom nun in 
der That, daß eine Annäherung des 
Mondes ftattfindet, und wir kennen 
jogar die Größe derfelben ; fie beträgt 
in je Hundert Jahren neun Fuß! Da 
wir zugleich die gegenwärtige Entfer= 
nung des Mondes von der Erde 
genau kennen — fie beläuft ſich auf un— 
gefähr Fünfzigtaufend geographiſche 
Meilen, jo wäre es nicht ſchwer zu 
berehnen, wann endlich der Sturz 
des Mondes auf die Erde erfolgen 
muß. 

Doch viel früher ſchon würde fich 
da3 Heranrüden diejes Himmelskörpers 
bemerfbar machen. Zunächſt müßte 
die Bewegung des Meeres, die wir 
Ebbe und Flut nennen, immer größere 
Dimenfionen annehmen. Denn fie 
wird durch die Anziehung des Mondes 
hervorgebracht. Je näher der Mond 
zur Erde gelangt, deito höher muß 
das Waller zur Flutzeit ſteigen. Es 
wird dann die Meereäwelle von Jahre 
hundert zu Jahrhundert tiefer die 
Küften überfluten, bis das Mailer 
endlich fein altes Bett gänzlich verläßt 
und mit furdhtbarer Gewalt feine 
Wanderung über alle Feſtlande an— 
tritt. 

Auch in den aftronomifchen Be— 
obachtungen würde der Mond jein 
Heranrüden verkünden. Denn die 
großartigen Bewegungen der Wajler- 
maflen ſtören die gleichmäßige ruhige 
Achſendrehung der Erde, und es müßte 
die Rotation derfelben immer geringer, 
daher der Tag länger werden. Die 
Atmoſphäre würde von fchredlichen 
Bligen durhzudt, der Boden unter 
den heftigiten Erjchütterungen erdröh— 
nen und alle vulcaniichen Schlote 


677 


müßten geöffnet, die feurigen Einge— 
weide der Erde ausgeworfen werden. 
Endlich wirde der furchtbare Moment 
eintreten, in welchem der Sturz des 
Mondes auf die Erde und damit 
der Untergang aller lebenden Weſen 
erfolgt. 

Indeſſen gibt es noch andere 
Himmelskörper, mit welchen ein Zu— 
fammenftoß in Betracht gezogen wer— 
den muß. 


Bezüglich der Planeten in unferem 
Sonnenſyſtem ift allerdings ein folcher 
faum zu fürchten. Denn, es bewegen 
ſich dieſelben ſammt und jonders in der 
nämlichen Richtung, können daher nicht 
von verjchiedenen Seiten auf einander 
prallen. Ferners find die Diftanzen 
zwiſchen den einzelnen derjelben (die 
fleinen Planeten ausgenommen) jo 
bedeutend, dak auch deshalb ein Zus 
fammenftoß unmöglich wird. Gerade 
diefer harmonische Ban des Sonnen— 
ſyſtems war es, welcher zur Verbrei— 
tung der irrigen Anficht beitrug, das 
Weltall fei vor allen Kataftrophen 
gelichert, und eine zeritörende Um— 
wälzung undentbar. 


Der Zuſammenſtoß der Erde mit 
anderen Planeten. 


Wir glauben Heute deshalb um 
fo lieber au ſolche Kataſtrophen, weil 
eine eigene Gattung von Himmels— 
förpern ſich geradezu als die Weite 
bon zertrümmerten Planeten entpuppt, 
Es jind dies die Meteoriten und die 
Kometen. Jene Theorie, welche dieſe 
Körper al3 die feſten und flüffigen 
Beltandtheile einer zugrunde geganges 
nen Melt auffaßt, entjpriht am 
meiften den Thatſachen, die in neue— 
fter Zeit über diefe Himmelsförper 
bekannt geworden find. 

Würde alfo die Erde mit einem 
anderen Planeten eines fremden Syſtems 
in Gollifion gerathen, jo müßten nad) 
der erfolgten Zertrümmerung die Feten 
Stüde der Erdrinde und die innere 


noch Heikflüffige Lava, in ZTaufende 
von Heinen Tropfen zerjtäubt, als 
Sternfchnuppen und Meteorfteine, das 
ganze Duantum des vorhandenen 
Waſſers, nachdem es ſich mit dem 
aus der heißflüſſigen Eifenmafje aus— 
geichiedenen Kohlenftoffe zu Kohlen 
wafjerftoff verbunden, als ein großer 
Komet erfcheinen. Das ganze Trüm— 
merwerf, Komet und Meteoriten, würde 
nun zufammen als ein loſer Haufen 
wegen plößlicher Verminderung ihrer 
Shwungfraft eine Aenderung ihrer 
Bahn erleiden; an die Stelle einer 
nahezu Freisförmigen Ellipfe würde 
eine jehr geftredte Bahır treten; das 
lofe Band, welches die Trümmer 
durch gemeinfane Anziehung anfangs 
noch umfchlingt, würde bald durch 
die Einwirkung von Nahbarfonnen 
und Planeten gänzlich gelodert und 
im Laufe der Zeiten würden fich die 
leichteren Maſſen (Kometen) -von den 
Ichweren (Meteoriten) ganz trennen. 
Es bleibt dann nur noch die gemein 
ame Bahn, welche den fpäteren Jahr 
taufenden verräth, daß Alles einftens 
ein einziger Himmelskörper gewefen. 

Indes ift eine ſolche Kataftrophe 
bezüglih unserer Erde noch lange 
nicht zu fürchten. Denn keine fremde 
Sonne ift der unſrigen fo mahe ge— 
rückt, daß eine Einwirkung derjelben 
auf die Bahnen der Planeten merk— 
bar wäre. 


Können Somelen mit der Erde 
zufammenfloßen ? 


Aber es gibt eine Gattung von 
Dimmelsförpern, mit welchen ein Zu— 
ſammenſtoß Thon im fehr kurzer Zeit 
möglih iſt. Es find dies die Ko— 
mieten, die bereit durch ihre Aus— 
jehen, durch den langen Schweif, der 
die meilten derfelben auszeichnet, noch 
vor wenigen Jahrhunderten Furcht und 
Schreden erregt haben. 

Diefe gelangen aus dem fernen 
Dimmelsraume in unfer Sonnenſyſtem 
Iumd bewegen ſich darin, micht wie 


—— — — — — — — — — — — — — — — — — —— — 











678 


Planeten unabänderlih von Oft nad | Sterne durchleuchten fehen, und zwar 


| 


Met, ſondern 
Richtungen. Sie find die wahren | 
Zigeuner -des Univerſums. Kometen 


fönnen daher an jeden Punkt des 
Planetenfyftems gelangen; fie Können 
mit jedem Planeten zufanmenftoßen. 

Da find es nun vorzüglich zwei, 





welche der Erde früher oder ſpäter 


einmal gefährlich werden dürften. Der 


Komet I von 1866 durchfchneidet die 
Erdbahn gerade in dem Punkte, im 
welchem die Erde fich alljährlich am 


13. November befindet. Wenn nun 


diefer Komet, 


der im Jahre 1899 


wiederfehrt, etwa einmal am 13. No— 


vember weder außerhalb, noch inner— 
halb der Erdbahn, fondern genau in 
derjelben fleht, danıı ift fein Zuſam— 
menftoß mit der Erde unvermeidlich. 


hervorzubringen. 


Erdgewichtes betragen 


Aehnlich verhält es ſich mit dem 


Kometen, 
Auch dieſer durchſchneidet die Erd— 


bahn, und zwar in dem Punkte, an 


welchem fie alljährlid am 27. No— 
veınber ſich befindet. Sollte nun, 
was allerdings nicht außer der Mög— 
lichleit liegt, diefer Komet am 27. 
November des Jahres feiner Wieder: 
kehr genau auf die Erdbahn zu ftehen 
fommen, dann ift ein Zufammenfto 
mit unferer Erde gewiß. 


Folgen eines folden GEreigniffes. 


Die Folgen eines folhen Zufamz | 
menſtoßes? Man hat jchon wieder: | 
holt darauf aufınerffam gemacht, daß 
die Materie, aus welcher die Koıneten 
beftehen, eine äußert lodere, Die 
Mafle diefer Himmelskörper, wie man 
ih auszudrüden pflegt, eine fehr 


der Biela genannt wird. | 





in allen möglichen! mit ungefhwächten Glanze. 


Außerdem läßt fi aber die ge— 
ringe Mafje der Kometen noch ſchärfer 
beweifen durch die Beobachtung, daB 
fie gar feine Anziefungswirfung auf 
Planeten oder Monde, denen fie in 
ihrem Laufe nahe kommen, ausüben. 
Sp gieng der Komet Lerell im Jahre 
1776 mitten durch die Monde des 
Jupiter, ohne fie im ihrer Bahn im 
geringften zu flören; und derjelbe 
Komet kam auf das Sechsfache der 
Entfernung unferes Mondes an die 
Erde heran und vermochte gleihwoh! 
feine merkliche Uenderung ihrer Bahn 
Man Hat "daraus 
berechnet, daß fein Gewicht nicht 
einmal den fünftaufenditen Theil des 
fan, Nun 
muß man bedenken, dab diefe Him— 
melslörper an Wusdehnung unjere 
Erde viele Tauſendmale übertreffen ; 
ja, Schweife, deren Länge der Ent: 
fernung der Erde von der Sonne, 
das ift zwanzig Millionen Meilen, 
gleihlommt, find gar nicht felten. 

Wenn alfo ein fo großer Himmels— 
förper eine fo geringe Maſſe beſitzt, 
jo folgt daraus, daß der Stoff, aus 
welchem er befteht, außerordentlich 
loder fein muß. — Beim Zufammenz 


‚treffen mit einem Kometen kann daher 
von einem Stoße, aljo auch von einer 


Zertrümmerung feine Rede fein. Und 
danıit Hat man die Menfchheit bisher 
getröſtet. 


Das Erlöſchen der Sonne und 
deſſen Folgen. 
Wir wollen nun die Betrachtungen 


geringe iſt. Dies zeigt zunächſt ſchön über die Gefahren, welche aus der 
ihr Anblid, indem nicht jelten Sterne Durchtreuzung der Bahnen entſtehen, 
durch die Subſtanz derfelben durch: | verlaſſ ſen, und jene erörtern, welche 


ſchimmern. So konnte man 3. B. 


in der phyſikaliſchen Beſchaffenheit der 


beim ſchönen Kometen von Donati, | Planeten und Sonnen liegen. 


der im Jahre 1858 erjchien, und 
wohl der größte fein dürfte, deſſen fi 
die gegenmwärtige Generation erinnern 


Die Sonne, welche gegenwärtig 
die Quelle des Lichtes und der Wärme 
‚nicht mur für die Erde, fondern für 


fann, durch alle Bartien des Schweifes das ganze Planetenfpftem bildet, ift 


im Grfalten begriffen; fie verliert 
täglich eine große Menge von Wärme 
duch Ausſtrahlung in den Falten 
Weltraum und muß einst vollkommen 
dunfel werden und ſich mit einer 
ftarren Kruſte umziehen, wie dies auf 
der Erde und dem Monde bereits vor 
Millionen Jahren gefchah. 

Doch wird diefe Erfcheinung nicht 
plötzlich, ſondern langjam und all— 
mählich eintreten. Deshalb iſt der 
Untergang der Menſchen, Thiere und 
Pflanzen auf der Erde nicht noth— 
wendig mit dem Erlöſchen der Sonne 
verbunden. Alle Lebeweſen find bis 
zu einem gewiſſen Grade im Stande, 
ſich neuen Lebensbedingungen anzu— 
quemen, wenn die Veränderung ſo 
langfam vor ſich gebt, dak die zur! 


679 





Umgeſtaltung ihres Organismus nöthige 
Zeit vorhanden ift. Wir find über- | 
zeugt, dab es auf Neptun ebenfalls 
tebende, organische Wefen gibt, ob⸗ 
gleih er jo weit von uns entfernt 
if, daß wir mit einem Gilzuge, | 
welcher in der Secunde 20 Meter: 
zurüdlegt, ununterbrochen 7315 Jahre 
fahren müßten, um dahin zu gelans 
gen. Auch fir diefen Himmelskörper 
ift die Sonne das belebende und er— 
baltende Princip; allein ſie erſcheint 
den Bewohnern daſelbſt nicht größer, 
al3 uns der Planet Jupiter in feiner 
günftigften Pofition. Licht und Wärme 
find auf Neptun dreißigmal geringer, 
als auf unferer Erde. | 

Aber mit dieſer Erkaltung der) 
Sonnenoberflähe würden zugleich 
andere Proceſſe eintreten, die plötzlich 
den Untergang aller Lebeweſen auf 
der Erde herbeiführen müßten. Wir 
meinen die Entſtehung des Waſſers 
auf der Sonne. Daß auch die Sonne 
dereinſt Waſſer erhalten muß, ſteht 
außer Zweifel. Die dafür nöthigen 
Gaſe: Sauerſtoff und Waſſerſtoff, find 
heute ſchon daſelbſt vorhanden; doch 
iſt die Temperatur noch viel zu hoch, 





um die Bereinigung dieſer beiden N 





Gaſe zu geftatten. 
der 


Iſt die Erfaltung 
Eonnenoberfläche aber in jpäteren 





Zeiten weit genug vorgejchritten, dann 
wird und muß diefe Vereinigung ge— 
ſchehen. Die Folge davon können wir 
im chemifchen Laboratorium beobachten. 
Wenn dort Waflerftoff und Sauerftoff 
zu Waller verbunden wird, entwidelt 
ih das fogenannte Knallgas mit 
plöglicher umd bedeutender Wärme— 
Entwidlung. 

Dasjelbe müßte alfo auch auf 
der ſchon erfalteten Sonne eintreten, 
nachdem zuvor durch Jahrtaufende 


| bereits das Menfchengefchlecht auf der 


Erde ſich an eine ſehr niedere Tempe— 
ratur und an eine völlige Dunkelheit 
gewöhnt hatte. Und jo müßte diejes 
plögliche Aufleuchten der Sonne mit 
einem Schlage alles organische Leben 
der Erde vernichten. 

Es ift die Schilderung diefes Pro— 
ceffes fein Hirngefpinft. Wir haben 
ihn ſchon wiederholt am Himmel bei 
anderen Sonnen beobachtet. Es find 
gegenwärtig etwa zwanzig folche Fälle 
bekannt. Am beften bejchrieben wurde 
zuerſt jener, welchen der berühmte 
Aftronom Thcho de Brahe felbit beob— 
achtete. Als diefer Gelehrte am 11. 
November 1572 Nachts aus feinem 
Laboratorium in die Wohnung zurück— 
fehrte, ſah er einen hellglänzenden 
Stern an einem Puntte des Himmels, 
wo er nie zuvor einen ſolchen beob= 
achtete. Die Helligkeit war jo be— 
deutend, daß der Stern felbft am 
Tage fihtbar war und viele Menfchen 
‚auf den Straßen ftehen blieben, bie 
Fuhrleute ihre Wagen anhielten, um 
das Wunder am Himmel zu betrach— 
ten. Der Stern nahm jedoh an 
Glanz beftändig ab und verfchwand 
nahdem er fiebzehn Monate lang 
fihtbar war, und ſich feine Farbe, 
die anfangs weiß gewefen, in Roth 
und am Schluffe wieder in Weiß ver— 
wandelte, jpurlos für das freie Auge. 

Die legte diefer Erfcheinungen er— 
eignete fih am 27. November des 
‚ wo Julius Schmidt, 
Director der Sternwarte in Athen, 
plöglich einen neuen Stern zweiter 





Größe erblidte, deſſen Licht gleichfalls 
bald wieder bis zum völligen Bere 
ſchwinden abnahm. 

Es iſt allen zwanzig Fällen, die 
wir bis heute kennen, eigen, daß der 
Glanz plötzlich erſcheint und dann 
langfam verſchwindet. Wir haben alſo 
in der That hier einen chemifchen 
Proceh vor uns, dur weldden auf 
längft erlalteten Sonnen eine furcht— 
bare momentane Entwidlung von Licht, 
und alfo ficherlih auch von Wärme 
eintritt, und wir können vollkommen 
überzeugt fein, wenn jene fremde 
Sonne gleihfalls ihre Planeten Hat, 
wie die umferige, und diefe Planeten 
von Organismen bewohnt find, dann 
find am 27. November des Nahres 
1876 in wenigen Stunden Millionen 
von Lebeweſen plößlich zugrunde ge= 
gangen. 


Abnahme des Meeres. 


Der entgegengejeßte Proceß, nicht 
das Entfiehen, fondern das Verſchwin— 
den des Waſſers, ift eine Gefahr für 
die Erde, die ohne Zweifel viel näher 
liegt, al& jene, welche wir foeben er= 
Örtert haben. 

Das Meer ift im Berfchwinden 
begriffen, die Menge des Waflers war 
auf der Erdoberfläche einftens viel be= 
deutender, als gegenwärtig. Auf den 
höchſten Spitzen der Berge, wie in 
den Tiefen der Thäler jehen wir die 
Ueberrefte von Waiferthieren, ſelbſt im 
Innern der Gontinente, weit von allen 
Meeresküften entfeınt. Und überall 
finden wir im Boden, zwiſchen den 


680 


allenthalben, wo wir tief genug zu 
bohren vermögen. 

Diefer Proceß ſetzt fi ununter— 
brochen fort. Tiefer und tiefer rückt 
die Erſtarrung der inneren Schichten 
und gierig verbinden ſich die kalten 
Geſteine mit dem durch ſeine Schwere 
nachrückenden Waſſer. Sie verbinden 
ſich nicht nur mechaniſch, ſondern auch 
chemiſch. Und dieſe letztere Verbin— 
dung iſt eine dauernde. Daher kommt 
nur ein Heiner Theil des Waſſers, 
welches als Regen in den Boden 
dringt, als Quelle wieder an die 
Oberflähe. Der größte Theil iſt 
bleibend im Innern gebunden. 

Und fo muß langſam eine be= 
ftändige - Verminderung des Meeres 
ftattfinden, jo lange, bis alles Waller 
von der Erde verfchwunden fein wird, 
wie das auf dem Monde Heute jchon 
der Fall if. Der Mond erlaltete 
als fleinere Kugel viel raſcher als die 
Erde. Es ift fein Zweifel, daß auch 
auf ihm dereinft Waller fich befand; 
allein Heute kann man ftreng nach— 
weifen, daß davon fein Tropfen mehr 
vorhanden ift. Er hat Alles wie ein 
Schwamm in ſich eingefaugt. Im 
Monde ſehen wir, wie in einem 
Spiegel, auch unfere Zukunft. 

Doch hat es auch damit gegen 
wärtig noch feine Gefahr. Bevor die 
gänzliche Austroduung der Erde vor 
fich geht, müſſen noch Ereigniffe ein— 
treten, welche für Jahrtauſende eine 
Vermehrung des Waflers zu ſchaffen 
Icheinen, indem gewaltige Niederjchläge 
und Wolfenbrüche eine neue Sintfluth 
herbeiführen werden. 


Gefteinsschichten unter umferen Füßen | 


Maffer, welches einft, als die Tempes 
ratur der Erdoberfläche noch jehr hoch 
war, als Dampf in der Atmojphäre 
vorhanden gewejen fein und fpäter 
nach der Gondenfation diefes Dampfes, 
als Meer die ganze Erdoberfläche be= 
dedt haben mußte. In dem Maße, 
als die heißflüffigen Maſſen der Erde 
erftarrten, drang das Waller in die 
Tiefe und findet fih als Grundwaſſer 


Das Weltall gleicht einer Uhr, bei 
welcher die Gewichte durch den Aether— 
drud, dus Näderwerk, das den raſchen 
Ablauf des Ganzen verhindert, durch 
die Rotationsbewegungen dargeſtellt 
find, und welche Uhr fich, ſobald fie 
abgelaufen ift, durch die Spanntraft 
der entmwidelten Wärme von ſelbſt 
ı wieder aufzieht. 





681 


Wir Haben Glied um Glied im 
Meltenprocefle verfolgt, und als wir 
glaubten, an das letzte gelangt zu 
fein, jehen wir, daß es zugleich wieder 
da3 erfte war. Nachdem wir das 
Meltall zufammenftürzen ſahen, erhob 
es ſich — wie der Phönix — ver— 
jüngt aus der Ajche. 

Weltuntergang 
tenaufgang. 

Nun werden wir phylifalifch bes 
greifen, was das uralte Symbol der 


it Wel— 


Schlange bedeutet, die das Ende ihres 
Schweifes im Munde hält. Wir wer: 
den phyſikaliſch erfallen die Ewigkeit 
von Bewegung, von Stoff, Kraft und 
Raum und mit Harem, wiſſenſchaft— 
lien Bewußtſein erfennen, was der 
Dichter nur in dunkler Ahnung fingt: 


„Burdtbares Meer der ernten Gwigfeit! 
Uralter Cuell von Welten und von Zeiten! 
Unendlih Grab von Welt und Zeit! 

Die Aſche der Vergangenheit 

Iſt Dir ein Keim von Sünftigfeiten !" 


Das Volksbuch, 


wie es vor zweihundert fünfzig Jahren war. 


ET HA 





\ Mürzthales fand ſich ein altes 
Buch. E3 war in gewöhnlichen Ge— 


betbuchformat, aber an drei Zoll did Lascives birgt. 


und in gelbbraunes, wohlgeprehtes 
Schweinslederfeit gebunden. Der Rücken 
diefes Einbandes war jchon derart 
zufammengedorrt, dab das Buch nach 
vorne hinausgedrängt längs des Schnit- 
tes einen Wulſt machte und demnach 
die Lederllappen nicht mehr einhäleln 
foınten. Das Papier war durch das 
Alter ſchier nußbraun geworden und 
mit Fractur bedrudt. Es war weder 
ein Gebet: noch ein Predigtbuch, 
noch ein anderes geiftlihes Wert, 


es war für „Belehrung und Untere | 


haltung“ im weltlichen Sinne, etwa 
wie ein heutiger Volkskalender. Sein 
Titel lautete: „Der große Schauplak 
luſt- und lehrreicher Geſchichte“. Ge— 
ſchrieben war es von Johann Michael 
Ditderr um das Jahr 1637; den 
Drudort Hatte die Maus weggebifjen. 

Der Inhalt dieſes Buches iſt höchſt 
mannigfaltig, zumeiſt kleine Erzäh— 
lungen, wovon jede ihre zwölf mit 
arabiſchen Ziffern bezeichnete Abthei— 
lungen hat. Die Stücke ſind reich 


J neinem Bauernhauſe des oberen | a 
= el 


bibliſchen Eitaten und anderen 
frommen Redewendungen, hinter wel— 
hen Sich jedoch viel Barodes und 
Die Leute des be> 
treffenden Bauernhaufes wußten mit 
dem Buche nicht viel anzufangen, troß= 
dem auch allerhand Räthfel und Haus— 
mittel drinnen Stehen. Da hörte die 
Bänerin don einem jungen Menjchen, 
der Alles zufammentefe, deifen er hab— 
haft werden fönne; den lieh fie fragen, 
ob ev nicht fo gut fein und auch ihr 
altes Buch leſen wolle. Denn gelejen 
müſſe es doch endlich einmal werden, 
bevor es die Mäufe und die Schaben 
fräßen. 

Das wäre mir fehon recht! lieh 
ich ihr fagen, und ich käme am nächſten 
"Sonntag, das Buch zu Holen. Ich 
habe es wiederholt durchgelejen und 
‚als die Bäuerin es erfahren, wie 
weidlich ich mich daran ergößt hat 
‚fie es mir zum Gefchent gemacht ; ich 
ſolle zu Lohn für fie eimmal ein 
Vaterunſer beten. 

Das gute Weib! Wenn e3 gewußt 
hätte, wie viel Gift und Gottlufigfeit 
in dem Buche ftedt, fie hätte es wahr: 
‚lich lieber den Mäuſen und Ratten 











682 


zum Genuffe gegeben, als mir, dem 
l6jährigen, warmberzigen Menſchen. 
Zum Gtlüde hatte ih damals ſchon 
jo viel verfchiedenes Zeug durcheinane 
dergelejen, daß eins das andere gewiljer= 
maßen aufhob — Gift und Gegen- 
gift — ich Hatte mir den Grundjah 
angelejen, daß man Alles prüfen und 
das Befte behalten foll. Ob jedoch ein | 
16jähriger Junge auch allemal weiß, 
was das Befte ift? Das war der 
Hafen. Mit einem Iuftigen Gedanfen- 
ſprung fagte ih mir: Das befte ift, 
fremderlei nicht eunft zu nehmen, das | 
Bapier ift geduldig und mancher Schrei= 
ber ift ein Narr oder ein Verführer. 

Der „große Schauplaß luſt- und 
lehrreicher Geſchichte“ war für das 
Volk berechnet, es hatte allerlei Ritter», 
Räuber: und Liebesgefchichten, allerlei 
gute Lehren und Rathſchläge für aller= 
lei geheime Anliegen, auch etliche 
Zauberformeln darunter, dann wieder 
„Wiſſenſchaftliches“ über Natur, Ge— 
Ihichte und Glauben, wobei e3 aber 
zumeift die Schlußwendung in die 
Melt galanter Abenteuer nahın. Das 
Buch ift eine Art „Lachender Philoſoph“ 
des Jiebzehnten Jahrhunderts, nur 
weitaus frivoler und ſchwerfälliger, 
als K. 3. Webers „Demokritos“. 

Wenn ich den „Großen Scans 
platz“ charakterifieren will, fo kann ich 
es hier nur nach jener Richtung Hin 
thun, in welcher er am barmlofeften 
it. Ich gebe aus dem alten Buche 
zwei Stüde zum beften, welche jo 
eine Art von culturgefchichtlicher oder 
philoſophiſcher Efjays find und einen 
recht lehrreichen Einblid in das Geiſtes— 
leben der Zeit des dreikigjährigen 
Strieges bieten. 








Die Einbilder. 


Ir jagen in dem Sprüchwort: 
Einbildung ift ärger als Peſtilentz. 
Was die Belt für Unheil mit ſich brin— 
get, ift ſonderlich denen befant, welche 
ihre Freunde und Belante an dieſer 
Seuche fallen fehen: Die aber fo in 


ihrer Einbildung verderben, nehmen 
wir faft nicht inacht, weil es jo ge— 
mein, daß wir es für feinen Fehler 
erkennen. Wie nun die Pelt eine an— 
ftedende Srandheit ift, alfo machet 
auch ein Einbilder (ich wil nit jagen 
Narren) derſelben zeben, und Hat 
Seneca recht gefagt: Daß ihrer viel 
zu der Weißheit und Wilfenfchafft ge— 
fommen wären, wann fie nicht ver— 
meynet, fie wären ſchon darüber weit 
hinauf, und die alten Hebräer haben 
ein Sprühwort: So lang du lerneft, 
jo biftu Hug; jo bald du vermeyneſt, 
du könneſt es, jo bift du ein Thor. 

2. Die Erkantnüß der gegenwär— 
tigen Sachen ift nit genug zu Er— 
haltung dei Leibes, jondern erfordert 
auch das Vergangene und Zulünfftige: 
Deßwegen Hat die fürfichtige Natur 
nicht nur fünff äufferlihe Sinne den 
Menſchen ertheilet, vermittelft welcher 
das Gegenwärtige erfennet wird, ſon— 
der auch den gemeinen Sinn (sensum 
communem) alles zu unterfcheiden, die 
Bildungs-Kräffte, das abweſende für— 
zumahlen, und die Gedächtniß ſolches 
Gemähld zu erhalten, ertheilet. Wie 
num unter den Äufferlihen Sinnen 
das gute Auge am beften fiehet, das 
gute Ohr am beiten höret, aljo Hat 
auch das wohlbefchaffene Hirn die 
ftärdfte und befte Bildung: Iſt es 
feucht, jo würdet der gemeine Sinn 
am Fräfftigften, ift das Gehirn truden, 
jo drudet das Gedächtnüß ihr Bildung 


‚gleihjam in ein War, ift es hitzig, 


jo fan ſich das Bild Teichtlich ver— 
farmen, und hafirliche Gedanden darauf 
werden. Wann aber das Gehirn kalt 
und trucken zugleich, verurfachet ſolches 
reiffes Nachfinnen, wie bey den alten 
und melancholiſchen Leuten. 

3. Hier iſt fih nun zu verwun— 
der, daß die Einbildung den Verftand 
und Willen beherrjchet, ja wider den 
Berftand und den Willen ihre Würdung 
leiftet: Mafjen die Mütter ihren Fine 
dern Mahle anhangen, und wann die 
Schlaffgänger fih in Gefahr begeben, 
auff die Haußdächer fteigen, in das 





083 


Waſſer gehen, 20. welches fie nicht 
thäten, wann ihre Cinbildung nicht 
verleßet wäre, Alfo fürchtet ſich mancher 
in der Finfterniß, wo nichts zu fürchten 
ift: Was ift die Urfache, dak man 
denen, welche im Zodesgefahr gehen 
jollen, Wein zu trinden gibt, als daß 
deilelben auffteigende Dämpffe verhin- 
dern, daß ſie ihnen nichts furchtſames 
einbilden follen, oder man mahlet ihnen 
mit Worten den Sieg, die Großmütig— 
feit, die Ehre, die Beuten und der- 
gleihen für, daß fie dadurch kühn 
angehen follen. 

4. Diefe Einbildung wird auch 
genennet der Wahn, welchen man von 
einem Dinge fajlet, und im folchen 


ſtehet faft alle Eitelkeit unfers menſch— 


lichen Weſens. Die erfte Einbildung 
welche wir fallen, beharret lange Zeit, 
es ſey ſelbe gegründet oder nicht, und 
machet uns ſolcher Wahn glüdjelig 
oder unglüdjelig, als welcher gleich— 
ſam zum Richter unferer Gedanden 


genennet wird, was nun dieje Ein- 
bildung für eine überauß groſſe Krafft, 
wollen wir noch mit etlichen Erzeh— 
lungen beglauben, wiewol wir hievon 
\bereit an einem Ort auch gehandelt 
haben. 

6. Ein Jud in Hifpanien ift auff 
einem Efel entfchlaffen, und das Thier 
wuſte den Weg, und gienge über eine 
ſehr Schmale Brüde, die zwischen zween 
hohen Bergen war. Der Jud fame 
wol naher Haufe, al3 er ihm aber 
eingebildet die Gefahr in welcher er 
gewejen, und wie leichtlich er den Half 
brechen können, hat er ſich fo jehr 
| entſetzet, daß er vor Schreden geftorben. 
L. Vives in dem 3. Buch von der Seele. 

7. Montaigne erzehlet von einem 
Weib, welche ihr eingebildet, fie habe 
ein Stecknadel mit Brod eingefchlungen, 
und wolte ihr ſolches nit laſſen aufs 
reden. Der verftändige Arkt gibt ihr 
ein Getränd ein, das fie brechen machte, 
und wurffe eine gebogene Stednadel 











ift und für gut oder verwefflich, für in das Beden, welche die Frau er— 
ſchätzbar oder verächtlich außſpricht, ſahe, und darnach wieder genefen. 
was man ihm fürhält. Dieſe Krafft Dieſe beredete ein Edelmann im Scherz, 


der Einbildung haben auch die Thiere, 
jedoch nach der Vollkommenheit, oder 
Unvollkommenheit ihres Leibes Zuſtands, 
und erſcheinet unter andern auch dar— 
auß, daß die Hund in dem Schlaf 
traumen, und dem, der ihnen guts 
thut, von andern wol zu unterſcheiden 
wiſſen. 

5. Alſo muß auch das Ungeziefer 
etlicher maſſen mit den Einbildungs— 
kräfften begabet ſeyn, weil ſie ohne 
ſolche nicht wiſſen oder faſſen können, 
was vortheilig oder nachtheilig, dien— 
lich oder ſchädlich, wie die Immen 
oder Biene die Blume zu unterſcheiden 
wiſſen, die Omeiſen ihre Nahrung 
zufammen zu tragen, und weil die 
Einbildung von den Bildern, welche 
fürgeftellet werden, ihren Namen hat, 
läffet ji zweifeln, ob auch der blinde 
Maulwurff folder fähig. Die Poeten 
erwärmen das Gehirn und ftärden 


ihre Einbildung mit dem edlen Reben: 


fafft, welcher auch der Poeten Pferd 


er hätte ihr für einen Hafen eine 
Kat zu effen gegeben, darüber entjeßte 
fie ſich fo beweglich, daß fie ihr diejes 
für wahr eingebildet, und darüber in 
ein Fieber gefallen und geitorben. 

8. Martin Weinreich meldet cap. 
17. von Wundergeburten, daß ein 
Weib für einem Ragen erfchroden, und 
auch einen Napen zur Welt gebohren 
habe. Ein andere ift für einem Leich- 
nam erfchroden, und ihr Kind hat 
die Zeit feines Lebens einem Zodten 
gleich geſehen. 

9. Viel die man ſchertzweiß zum 
Tod verurteilt, find auß Furcht und 
Einbildung geftorben, darunter Donella, 
deß Herkogen don Ferrara Tiſchrath 
geweſen, welcher feinen Heren in das 
Waſſer geworffen, ihme das Fieber 
abzuhelfen, und deßwegen die Flucht 
nehmen müſſen: Nachdem er aber in 
dem Barmefanifchen Gebiet etliche 
Waſen gekaufft, und ich daranff auff 
einem Karen führen laffen, fürgebend, 


er wäre auff feinem Grund und Boden, 
bat der Herkog den Karn zu zerbrechen 
befohlen, und ihn, wie gejagt, zu dem 
Schwerdt, welches ein Hein Stäblein 
war, verurtheilt: von dem Schlag aber 
ift er auß Einbildung geftorben. 

10. Einem Weibe in Beauffe ift 
ein Froſch in die Hand gebunden 
worden, daß fie foldhen darinnen ſolte 
ſterben laſſen, und ihr dei Fiebers 
damit abhelffen: ſie hat ihr aber das 
Thier ſo ſtarck eingebildet, daß ihr 
Ktind einen Froſchkopff bekommen, 
welches fie damals empfangen hatte. 
Paräus. 

11. In Weſtphalen Hatte ein Edel— 
mann die heiligen drey Könige im 
feiner Kammer abgemahlet, darumter 
einer als ein Mohr gang ſchwartz ge= 
ftaltet. Diefen bildete ihr die Edelfrau 
fo ftard ein, daß fie ein ganz ſchwartzes 
Kind mit groffen auffgelauffenen Lippen 
zu der Welt gebahre. 

12. Zu Pariß bildete ihm einer 
ein, er hätte ein Glode in dem Kopff, 
und hörte fie Hingen. Ein ander fagte, 
er wäre von Butter, und wolte mit 
in die Sonne gehen. In dem Lymofi= 
nischen Gebiet hatte ein wildes Schwein 
einen Edelmann zu Boden geworffen, 
welchem doch die Jäger zu Hülffe ges 
fommen, und dem Schwein fo viel 
Fänge gegeben, dak der Edelmann 
nit verwundet worden: Er hat ihm 
aber ungezweiffelt eingebildet, das 
Schwein Habe ihm mit den Waffen 
das rechte Bein abgefchlagen, und 
wollte jich feines andern bereden laſſen, 
bin endlich ziween Mönche bey ihm 
eingefehret, deren der eine ihme er= 
zeblet, daß er auch einen Schendel 
verloren, aber durch Fürbitte des 9. 
Frantzen, denjelben wieder bekommen. 
Diefen ftellte er Glauben zu, und 
fame alfo, ohne Wunderwerd, wieder 
zu vet. 


Der Warheils-Bwang. 
Vdel leichter iſt, nach dem Sprich— 





man noch viel Mittel erdacht, 








findet, als welche ſolche reden: Deß— 
wegen jener, als man ihn gefragt ? 
Wie weit die Lügen von der War— 
beit ? recht geantwortet, fo weit die 
Augen von den Ohren, weil nemlich 
nme das für wahr gehalten wird, 
was man mit den Augen ſihet, und 
nicht was man höret. Man foll der 
Lügen ein Hauß bauen, auffer der 
Stadt, wie ein Peltilenghauß, aber 
nur auf drey Seulen, dab fie der 
Wind reinigen fan. Bon ſolchen Wars 
fagern wollen wir etliches in Ddiefer 
Erzehlung anmelden, und bemerden, 
wie ſolche auff nicht gemeine Weiſe 
erzivungen wird. 

2. Wir wollen bier nicht wieder— 
holen, was wir von der peinliche 
Frage, an umterfchiedlihen Orten, 
beygebracht, auch mit gedenden, dat; 
der Mein und die Weiber durch an— 
genehmen Zwang, die Wahrheit herauß— 
preilen fönnen, und daß man obne 
Belantnig dei Verbrechens niemand 
zu dem Zod verurtheilen fan, deß— 
wegen die Nichter auff jolche Mittel 
gedacht, die ſchmertzlich aber micht 
tödtlich find, und umterwerffen feinen 
ſolchen Proben, wann nicht gnugſamer 
Beweiß, oder Zeugſchafft wider einen 
Ubelthäter vorhanden, und er doc 
mit der MWarheit nicht herauß will. 
Da dann die Marter ein Antheil feiner 
Strafe wird. 

3. Über die gewöhnliche Marter- 
banf oder Folter, da man die Glieder 
deß Menfchen aufeinander ziehet, Hat 
die 
Mifjethäter zu peinigen, und ift eines 
der Hunger und Durft, welchen der 
Mensch nit gar lang ertragen fan: 
Sonderlich aber der Durft, indem man 
ſolchen Leuten täglich gefalgne Speifen 
zu eſſen gibet, und feinen Tropffen 
zu frinden. Weil aber etliche wenig, 
etliche gar nit trinden, wie Dr. Schend 
viel ſolche Erempel erzehlet, ift dieſes 
jegiger Zeit nicht mehr gebräuchlich. 
Die Pilulen von Tabak machen, daß 


wort, die Warheit hören, al3 res man Hunger und Durft leichtlich er— 


den, weil man mehr Zuhörer derfelben 


dulden fan. 


685 


4. Von den grofjen Plagen eine) befchwerlih ift, 


ift, daß man einen folchen Ubelthäter 
der nit befennen will, viel Speife und 
ſtarckes Getrände zuläffet, bindet ihn 
aber auff eine Band, da er die Fülle 
nicht auffitellen fan, und die 2 ent: 
blöjten Arm über fich, jo offt er nun 
ſchlaffen will, ſtoſſen ihn die Henders» 


der doch feine fo 

fpigige Füſſe Hat, als ein Käfer. 
8. Es ſcheinet auch, daß die Men— 
ſchen auff noch wunderliche Qualen 
ſich bedacht, indeme fie einen UÜbel— 
thäter auff eine Band gebunden, die 
Füſſe entblöffet, und die Sohlen mit 
Sal gerieben, oder mit Saltz-Waſſer 


buben mit brennenden radeln im die) angefeuchtet, hernach eine Gaiß, welche 
Eeiten, und ift feine Bein ſchmertz | unter allen Thieren die rauefte Zungen 
liher und dei Menjchen Leib weniger | haben, das Saltz ableden laſſen, da 
Ihädlicher, malen dann einem ſoichen man geſehen, daß die Gaiß alles Fleiſch, 


die Ruhe und den Schlaf verſpricht, biß auff die Gebeine weggefrettet. 


ſo bald er die Warheit bekennet. 
5. Ferner hat man ſich vor Alters 


dei Feuers und dei Waſſers gebrauchet, | 
und zwar dei Feuers auff zweyerley 
daß fie entweder die Ubelthäter 


Meife; 
gezwungen auff glüenden Kohlen zu 
gehen, dardurh die Fußſohlen gang 
verbrennt, und ein folder die Zeit 
feines Lebens mit mehr gehen konnte; 
oder befchmierten die Fußſohlen mit 
Schweinsfett, und Lieffen fie von ferne 
alſo braten. 

6. Das Waſſer gebrauchten die 
Alten alfo: Sie banden dem UÜbel— 
thäter die Hände und Fülle, ſpannten 
ihm den Mund mit einem Knöbel 
auff, goſſen hernach einen Kübel nad 
dem andern über fein Angelicht, daß 
zu Zeiten ein folcher erftidet ift. Et— 
liche haben gar Kalckwaſſer genommen, 
etliche Eflig, oder Waller mit Effig 
vermifcht, und es auch wol in die 
Naßlöcher gegoflen ; ift aber feine pein= 
liche Frage, Jondern eine Strafe, mit 
welcher man die leibeigenen Knechte 
zu belegen pflegt. 

7. Lächerlich ift, aber noch viel 


| 





verdrüßlicher was folgen ſoll. Man 


hat den armen Sünder angezogen, 
und ihm einen Käfer auff den Nabel 
gefeßet, folchen mit einem Glaß oder 
einer Stürtzen bededet, und aljo beedes 
den Menfchen und befagte Stürken 
aneinander gebunden, daß feines weichen 
tönnen. Es joll nicht aufzufagen fein, 
was dieſes Grüffeln deß Käfers für 
eine Plage, und ift leichtlich zu glau— 
ben, weil ein Floh in dem Ohr fehr 


9. Indeme nun der Richter die 
MWarheit herauf zwingen will, muß 
man befcheidentlich verfahren, damit 
der Unſchuldige darüber nicht leide, 
und er ihme die Strafe GOttes auf 
den Hals ziehe. Wann genugfame 
Proben zu der Beinlichen Frage vor— 
handen, und der Ilbelthäter eine Perfon, 
welche nach den Geſetzen an die Folter 
gefpannet werden fan (dann man die 
Knaben, fehwangere Weiber, krancke 
oder ſonſt ſchadhaffte Leute verſchonet) 
muß man erſtlich betrachten das Ver— 
brechen, alsdann mit Schreckworten 
bedrauen, mit Binden, mit dem Daum— 
ſtock, mit Anhaugung deß Heinen 
Steins. Wann alles diejes zu unter: 
fchiedlichen Zeiten vorgenommen, nichts 
belffen will, mit den größten Steinen 
verfahren. 

10. Will diefes alles nicht gnug— 
ſam fein, pflegt man den Ubelthätern 
faltes Waſſer in den Nitden zu gieſſen, 
läffet ihn an der Folter bangen, er= 
Ihüttert die Stride daran er gebun— 
den, jedoch, daß man länger nicht als 
eine Stunde darmit umgehe, in wels 
cher Zeit man ihn raften laſſen muB, 
dab er fih verichnauffen, bedenden 
und bekennen fan: Hat er aber Diele 
peinliche Frage zum drittenmal auß— 
geftanden, jo hält man ihn für uns 
Ichuldig, und wird der Verhafft ent— 
(allen; jedoch nach Beichaffenheit der 
Sachen, und wird diejes zu unters 
Ihiedenen Tagen, und allezeit vorge— 
nommen, wann der Mifjethäter zuvor 
geilen hat. 


11. Hier fragt ſich nun zweyerley, 
erſtlich: Warım man die Ubelthäter 
zu bejcheeren pflege; und wann ders 
jelben viel, welche man am erften mit 
der Frage angreiffen foll? Daß fie 
ohne Haare befennen, lehret die Er— 
fahrung, und wiſſen wir, daß Same 
fon feine Stärde in den Haaren ge= 
habt. (Richt. 16. dv. 19.) bey dem 
Dvidio Hat Nifus nicht können über- 


wunden werden, jo lange er die Haare 
auff dem Haupt Hatte, welche ihm 


Scylla abgejhoren. Mit den Haaren 
nimmet man vielen auch die Künheit 
und Zapfferfeit, daher alle Leibeigene 
abgejchorne Haare tragen müffen, und 
ift befandt, daß die Verfehnittenen und 
Meiber, welche feine Haare um den 
Mund Haben, furdtfam und verzagt 





unter den Haaren zu verbergen pflegen, 
und gejchiehet folches, wann fie das 
eſtemal nit befennen wollen, und dann 
weil fie gröflern Schmergen an dem 
entblöften Haupt leiden, indem alle 
Schweißlöcher eröffnet werden, und 
die Feuchtigkeit der tieffgewölbten Ge— 
fängniffen, welche die Haare auffhalten, 
nicht kan gehindert werben. 

12. Auff die andern Frage finden 
ih unterfchiedlihe Meynungen, und 
wollen etliche, man foll den älteften, 
welche am verftändigften jeyn, und 
die andern abmahnen follen, am eriten 
angreiffen : andere wehlen den Jüngſten, 
al3 den Einfältigften, der die andern 
om leichtften verrathen ſolte: Etliche 
aber nehmen den, deſſen Angelicht am 
tyranniſchſten außfiehet, und ift micht 


find. Es werden ihnen aber die Haare |zu zweilfeln, dak in den Augen das 
abgeschnitten, wegen verdächtiger Zauz Hertz gleichſam erfcheinet, und fehlet 
berhändel, und weil ſolchen Beſchornen man nicht leichtlih, wann fonderlich 
auch die Kälte das Haupt ſchwächet andere Umftände, die einen ſolchen 
und Schmerken verurfachet ; welche ſie befchweren, darzu kommen. 


Anſere Alpen-Wirtshäufer. 


Von 3. R. Feder. 










— 


A 






fann auch die Hochjoche überfchreiten 
ohne Gefahr, unter eine Lawine zu 
gerathen. Das ift die Zeit der Nüfte 
für al’ die zahlreichen Leute, welche 
de3 Sommers über durch den Frem— 
denzufluß einen Berdienft erhoffen 
dürfen. Bergführer laffen ihre Schnüre 
Ihude Frisch ſohlen und nageln, Stell 
nerinnen beftellen bei der nächſten 
Stadtjchneiderin ein feiches, ländliches 
Gewand, deſſen Stil „meſſing“ ift, 
halb Dorfdialect, Halb international 
nad der allerneneften Modezeitung 
von 1885; Krämer und Wirte wer: 
den von den Neifenden der Weine 





98 9 und Steg in den Alpen |handlungen und Eßwaarengeſchäfte 
RN find wieder gangbar, und man |überlaufen, damit fie Beftellungen 


machen, weldhe fie auch zur Bedienung 
feinerer Gäfte in Stand ſetzen. Im 
hinterften Ziroler Badel lodt der 
Maftel den Schulmeifter an einem 
fonnigen Feiertage zu einem Liter 
Special, damit er ihn eine Einfchals 
tung auffege für die Zeitung, im 
welcher die Vorzüge feines Waflers, 
die Güte feines Trunfes und die Bil- 
ligleit feiner gediegenen Hausmanns— 
foft mit naiv befcheidener Unverſchämt— 
heit angepriefen wird. Wer höher 
hinausftrebt und es nobel gibt während 
der Saifon, bedrängt wohl auch einen 


Freund Landsmann in der Nefidenz, 


687 


der den langen Winter Hinter feinem 
Bureautiſch verhockt Hat, 
liebenswürdigen Einladebrief auf einen 
gemüthlichen Beſuch bevor das Ge— 
wimmel der Zugvögel aus dem Nor— 
den, die „Berliner“, Zirbenegg, Fich⸗ 
tenhalde, Lärchenkogel und wie die 
lockenden Namen alpiner Penſionen 
heißen mögen, ungemüthlich 
er ſtellt, 
Nachdruck zu geben, einen luſtigen 
Horellenfang in Ausficht oder einen 
alten, billig zu erhandelnden Kaſten, 
den er da hinten in einem Graben 
beim Keufchler entdeckt habe. Zwiſchen 
den Zeilen kann man lefen, Du wirft 
Dir nmatürlih aus dem Ausflug ein 
Heine Schriftwerf zurecht machen, bei 
welhem auch für mich eine Reclame 
abfällt. AM’ das gehört zum Gefchäfts- 
rummel, den man mit feiner ernften 
und komischen Seite eben nehmen 
muß, wie er wächst; ich Habe mich 
über jede Regung des erwachenden 
Erwerbsſinnes gefreut, welcher nach» 
gerade auch im unſeren Alpenländern 
die Fremden - Induftrie nußbar zu 
nahen weiß. Bringt diefelbe vor» 
läufig bei uns nicht ſolche Unſummen 
herein, wie in der Schweiz, fo weist 
doch die jeweilige Bilanz der lebten 
Jahre immerhin etliche Millionen auf; 
und das will ſchon etwas bedeuten für 
Gebiete, in denen die landwirtichaftliche 
Production nicht fehr ergiebig und die 
gewerbliche eine ebenſo magere ift. 
Ueberdie8 hat man neben dem wirt» 
ſchaftlichen Gewinn auch einen cultu— 
rellen zu verbuchen. Jahrhundertelang 
abgejchloffene Bevölkerungen treten mit 
den Fremden in Berührung, erweitern 
dadurch ihren Geſichtskreis, erlangen 
neue Anschauungen über Menjchen 
und Dinge, werden weltläufiger und 
ſomit widerftandsfähiger in dem ſchwe— 
ren Kampfe ums Dafein, den fie auf 
ihrer wenig ergiebigen Scholle führen. 
Die Duldung, welche gegen den geld= 
bringenden Sommergaſt geübt werden 
muß, damit er ſich wohl fühle, wird 
allgemacd ein Dulden, ein Geltenlaffen 


nit einem | alteverbten heimischen abweicht. 


macht; Imeuer Gulturfamen 
um der Einladung mehr Brachland auf; fpärlich anfangs und 


fremder Art, wenn diefe auch von der 
Die 
ftarre bäuerliche Excluſivität, die neben 
ihren guten fittlihen Seiten das 
Schlimme bat, jede Neuerung, die ein 
Hortichritt, eine Verbeſſerung wäre, 
abzumweifen, wird auf Hundert und 


| Hundert Punkten durchbrochen und ein 


Iprießt im dem 
nur kümmerlich gedeihend, erſtarkt 
derjelbe allmählich und wirft geradezu 
berjüngend. Am auffälligften fanıı man 
dies in den von Touriften am meilten 
bejuchten Landftrichen von Tirol wahr 
nehmen und am allerauffälligiten längs 
der Arlbergbahn. 

Unfere Volkswirtſchafter Haben den 
Wert der Fremden-Induſtrie richtig 
tariert und geben fich viele Mühe, die= 
jelbe mannichfach zu fördern. Hand 


in Hand mit ihr gehen die ftaatlichen, 


die Landes= und die Gemeindebehörden, 
die Eifenbahn-Unternefmungen, die 
Touriſten- und Alpenvereine u. ſ. w. 
Sie haben zahlreihe und mitunter 
auch recht glüdliche Verſuche geinacht, 
den Fremdenverkehre die Wege zu 
ebnen und den Gäften aus der Fremde 
den Aufenthalt jo angenehm wie mög— 
ih zu machen. Wir befißen bereits 
eine ziemlich umfangreiche Literatur, 
die einzig diefen Zweck verfolgt, eine 
gute Organifation des Führerweſens 
und wenigftens auf vielen Punkten, 
wenn auch micht auf allen, wo es 
wünfchenswert, ganz leibliche Ver— 
fehrömittel. In manden Orten find 
muftergiltige Hotel3 entftanden oder 
haben fich die alten Wirtshäufer, den 
neuen Bedürfniffen entjprechend, ver— 
jüngt und einen Ruf erworben, der 
von Jahr zu Jahr in weitere Kreiſe 
getragen wird und dem Beſitzer die 
aufgewendete Mühe reichlichſt lohnt. 
Im Großen und Ganzen aber bleibt 
der Janımer über die Wirtshäufer in 
den dfterreichiichen Alpengebieten, und 
zwar auch auf jenen Punkten, welche 
von Fremden viel befucht werden, die 
allezeit wiederkehrende Klage der Frem— 


688 


den und der ftete Trumpf der Schwär= 
mer für die Schweizer Reifen. Nicht 
dab gerade über Koſt und Getränfe 
viel raifonniert würde; man findet im 
Gegentheil diefelben meift gut und 
zugleih preiswürdig; auch bezüglich 
des Mangels an Reinlichkeit werden 
nicht viel Beſchwerden laut, wohl aber 
wegen des mangelnden Comforts. In 
diejer Richtung ift es um die Wirts— 
bäufer in unferen Alpen meiſtens 
Häglich bejtellt und geſchieht von Seite 
der berufenen Förderer des Touriften- 
wejens viel zu wenig, um eine Aen— 
derung und eine Bellerung der pri— 
mitiven Zuftände herbeizuführen. ‚Die 
Schweizer hatten e3 von Anfang an 
mit den Engländern zu thun, welche 
jehr anſpruchsvoll in dieſem Punkte 
und durchaus unnachgiebig gegenüber 
dem altererbten Schlendrian waren. 
Diefe reifenden Engländer haben in 
der Schweiz jene wohlthätige Reform 
in den Einrichtungen der Wirtshaus 
zimmer und gewiſſer Dertlicheiten, 
fowie jene Neinlichleit der Straßen 
und Plätze an den Kreuzungspunkten 
der Zouriften herbeigeführt, welche in 
unferen öfterreichifchen Alpen beinahe 
überall vermißt werden. Dem Einfluffe 
der engliihen Pfadfinder in den 
Schweizerischen Alpen ift e& zu danken, 
dak dort auch der dümmſte Dorfteufel, 
wenn er fich entjchließt, irgendwo au 
einem  Halbverftedten Bergweg ein 
MWirtshäuslein aufzuthun mit zwei, 
drei Touriftenzimmern, diefe vollftändig 
ausreichend mit dem zum Behagen 
der Gäſte Nothwendigften ausrüftet, 
wenn auch jeder noch jo leife Anklang 
an Lurus fehlt. Es Hat ſich im Ber» 
lauf eines Menfchenalters in der gan— 





jen Schweiz die richtige Kenntnis | 


dejien verbreitet, was ein den gebil— 
deten Ständen angehörender Weſt— 


europäer als unumgänglich nothiwendig 


erachtet für die Ausftattung eines Abs 
fteigequartiers, in dem man mächtigen 
und allenfalls auch etliche Tage wohnen 
möchte. Und diefe Bequemlichkeit läßt 
ih denn auch der Ofteuropäer, der 


' 
! 





ja allgemach ebenfall3 verwöhnter und 
aufpruchsvoller geworden, mit Ber: 
guügen gefallen. Davon aber hat 
man, die eriten Gafthöfe abgerechnet, 
in unferen öfterreichifchen Alpenwirts— 
häufern noch feine Ahnung; die Gaſt— 
geber fteden ihr Geld zum Theil in 
ganz unnöthige Lurusfachen, mit denen 
fie ihre Zimmer ausftaffieren, und laffen 
es an dem Nothwendigiten ermangelı. 
Sie find um ein gutes Halbjahrhun— 
dert hinter ihrer Zeit und deren Anz 
forderungen zurüd. 

Da zum Rechten zu jehen und 
eine durchgreifende Reform anzubahnen, 
wäre Sade unferer Touriſten- und 
Alpenvereine; ihmen find eigentlich 
diefe Zeilen gewidmet, ihmen die 
dringende Mahnung ans Herz gelegt, 
durch Wort und That, durch Schrift» 
werte und lehrſame Beifpiele eine 
Wendung zum Beffern herbeizuführen. 
Sie leiften damit zur Hebung der 
Fremden Induftrie in unferen Alpen 
ländern weit mehr noch, als fie dies 
thun mit ihren Wegmarlirungen und 
ihren Bublicationen von populären 
Neifehandbüchlein und SKartenwerfen. 
In der Schweiz Hat man neben der 
touriftifchen Literatur der dortigen 
Alpiniſten-Vereine auch eine nicht zu 
verachtende Fachliteratur für Gaſt— 
wirt. Bei den zahlreichen Iocalen 
InduftrieeAusftellungen wird allıwegs 
auch die Fremden-Induftrie, die Gaſt— 
haus-Induſtrie berüdfichtigt, und die 
Wirte aus der mäheren und weiteren 
Umgebung holen dajelbft Anregung 
und Belehrung. In unferem öfter« 
reihifchen Schriftenſchatz aus meuelter 
Zeit finden ſich wohl einige Bücher 


‚iiber das feine Städtische Hotelweſen, 


in welchem ganz mebenbei auch die 
Eigenart der Zonriftenhotels berührt 
wird; wir habeu aber fein, auch für 
den bäuerlichen Lefer verftändliches 
Lehrbüchlein, im welchem die Beher: 
bergung und Bewirtung von Touriſten— 


‚und Sommerfrifchlern in Heinen Lands 


‚wirtshäufern auf praftifche Weiſe er— 


örtert würde. Auf einer der vielen 





__ 089 


Ausftellungen, welche die legten Jahre 
über in Städten unferer Boralpen 
und Alpen veranftaltet wurden, kam 
die Fremden-Induftrie, vom Stand: 
puntte des Wirtes aus betrachtet, zur 
Veranſchaulichung. Diefe Unterlaffungs- 
fünden emdlih zu beifern und das 
Verſäumte nachzuholen, wäre ein gar 
verdienftliches Wert; es bedarf wohl 
nur irgend einer fräftigen Anregung 
von berufener und einflußreicher Seite, 
damit ein entjprechender Anfang ge— 
macht werde und dieſer danı aller= 
wärts löblihe Nahahmung finde. 
Biel ift es ja nicht, was da ver— 
langt wird: Nichts, was über das 
Können und Vermögen der Gaftgeber 
in unferen Alpen hinausgeht, fondern 
lediglich über ihr — Kennen. Leider 
geht es zum Theile auch über das 
Kennen unferer gebildeten Glafjen, die 
zwar gewilje Lurusbedürfniffe ſchwer 
veriniffen, aber oft auf den befcheiden- 
ften Comfort verzichten, weil fie mit 
ihm noch nicht in nähere Bekanntſchaft 
getreten find, Wer im den öfterrei= 
hifchen Stronländern viel herumge— 
fommen, wird oft mit Verwundern 
in ſehr behäbigen Privathäufern, in 
denen er zu Gaft war, diefe That- 
ſache conftatiert haben. Die Bettwäſche 
ift von einer Feinheit, daß aus den 
Linnentühern die allerfeinften Hemden 
gefertigt werden könnten; an echten 
Teppichen, an Kryftallfervice und der— 
gleihen ift ein MWeberfluß, der faft 
unbequem wird, und das Silberzeug 
ift von gediegener Schwere, aber das 
Mafchgeräth auf der ſchönen Marmor— 
platte des Zoilettetifches und Die 
Waffercaraffe dafelbft find fo winzig, 
al3 wären fie für einen Däumling 
berehnet. Ein Gefchirr, um das 
ſchmutzige Wafchmwafjer aufzunehmen, 
ift ebenfowenig vorhanden, wie ein 
ausgiebiger Krug, um das Waſchwaſſer 
zu erneuern. In diefem Stile iſt 
auch Anderes gehalten. Die Dorf: 
wirtshänfer ftehen natürlich auf der 
gleichen Eulturftufe, nur etliche Grade 
der Scala niedriger und entjprechen 


Rofegger's „‚Geimgarten‘‘, 9, Geft, IT. 


demgemäß dann „verwöhnteren" Ans 
forderungen nicht; die Wirte können 
beim beiten Willen den MWünfchen der 
Gäſte nicht genügen, weil fie diefelben 
nicht verftehen, weil fie und ihre 
Dienerfchaft die allereinfachften und 
bilfigften Wünfche der Gäfte als eine 
berrifche Seccatur anfehen. Wie oft 
bin ich nach einem ſcharfen Tages— 
marjche in ein mir vielgerühmtes und 
verfprechend ftatilich ausfehendes Dorf- 
wirtshaus gerathen, um fofort, nach— 
dem ich das mir angewiefene Zimmer 
betreten, meine liebe Noth mit der 
Kellnerin zu haben, weil ich mit dem 
auf den Waſchtiſch geftellten Viertel» 
liter Waſſer nicht ausreichen konnte 
zu einer erquidlichen Reinigung, und 
das Moidele abfolut nicht verftehen 
wollte, daß fie mir frifchweg von dem 
rauſchenden Brunnen vor dem Feniter 
noch ein ganzes Schaff voll Waſſer 
und einen leeren Büttel für das 
ſchmutzig gewordene Waſſer zu bringen 
babe. So frevelhaft, ein Beden für 
das Fußbad, für Zouriften eine wahre 
Erquidung, zu verlangen, wagte id 
gar nicht zu fein, troß des aufmun— 
ternden Biertelguldens, den ich vor— 
weg bei Stellung meiner Sonderfor— 
derung dem dienftbaren Geifte in die 
Hand gedrüdt. Wie mir, ergeht es 
vielen taufend Anderen alljährlich, und 
fie werden der ewigen Balgerei müde, 
gehen das nächſtemal in die Schweiz, 
wo fie das ihnen felbftverftändlich 
Sceinende auch jelbftverftändlich finden. 
Nicht minder läßt bei uns die übrige 
Einrihtung der Herbergzimmer zu 
wünjchen; das Bett ift beinahe inuner 
gut, aber dumpfig, weil nach Bauern= 
art der Raum nicht gehörig gelüftet 
wurde; und bei aller Güte ift e3 für 
größere Perfonen zu kurz und bei— 
nahe immer zu ſchmal. Der Spiegel 
hängt unzwedmäßig, das Glas ift viel 
zu Mein, bat aber dafür eimen un— 
nöthig breiten Goldrahmen. Auf dem 
Tische ift ein Teppich, den man ent» 
behren könnte, Fehlt aber ein Schreib» 
zeug mit guter und friſcher Tinte umd 


44 





mit brauchbaren Federn. Mitunter iſt 
auch unter dem Tiſch ein Teppich, 
der unnöthig, dafür fehlt aber der 
Vorlegteppich vor dem Bette. Ebenfo 
ift im Gaftzinmer felten Alles, wie 
es auch nach bejcheidenen Anforderuns 
gen fein ſollte. Es kann Einem 
paffiren, daß man ein ſchweres Silber» 
beftet vorgelegt bekommt, der Löffel 
hat laut eingravierten Namen und 
Datum die Bedeutung eines Blattes 
aus der Familienchronik, er ift ein 
Pathengeſchenk für das ſchmucke Töch- 
terlein, das den Schilder credenzt 
oder den rothen Traminer; troß diefer 
bürgerlichen Solidität werden aber die 
ſchmackhaften Gerichte auf anbrüchigen 
Steinguttellern ferviert, deren grau ges 
wordene Glaſur fo viel Sprünge 
zeigt, wie altes Nankinger Eraquele- 
Porcellan, und doch ift Heutzutage ein— 
fach weißes Porcelan, das allezeit 
appetitlich bleibt, im Preiſe kaum 
theurer wie Steingut. — Und will 
man dann nah Zifh einen Gang 
machen, ſchwirren Einem die greu— 
lichften Eitate aus dem Taucher durch 
den Kopf: „Da unten aber ift’s 
fürchterlich.“ Die Schweizer Haben 
von den Engländern Das engliſch 
einzurichten gelernt; auch die Anıpez= 
zjaner find bereits auf den Witz ger 
fommen und in einer ihrer berühmtes 
ften Fremdenherbergen findet man 
Das in Einem fauber tapezierten 
Gabinete doppelt nebeneinander; die 
Belikerin mag gedacht Haben super- 
flua non nocent! Zu diefem fpecielle= 
ren Abjchnitte gehört auch das Gapitel 
über die Straßenreinlichkeit, die ſelbſt 
in vielbefuchten und berühmten Som: 
merfrifchorten Alles zu wünſchen 
übrig läßt. Im einem angehenden 
Curort an einem reizenden See Jind 
die Schweinekoben mit befonderer 
Vorliebe nach der Straßenfeite geehrt 
worden und meben denjelben liegen 
die Miftftätten; bei Regenwetter gibt 
ihre Jauche dem Straßenfoth wohl ein 
recht warmes Sepiabraun, das zwar 
hübſch abftiht von dem Saftgrün der 


690 


Grasraine, aber den Geruchdorganen 
ebenſo unangenehm ift, wie an trode- 
nen Sommtertagen die Ausdünftung 
ihrer Urfprungsftätte. 

Die Neihe ähnlicher Beſchwerden 
ließe fich fortfeßen in’s Endlofe, aber 
mit dem Klagen in Zeitjchriften wer— 
den die Beſchwerden noch micht bes 
feitigt.. Dazu bedarf es einer au 
Drt und Stelle nachdrücklich und 
nachhaltend empfundenen Einwirkung, 
einer planmäßig betriebenen Reform— 
propaganda, zu welcher ſich alle be— 
rufenen Organe, Behörden und Ver— 
eine verbinden müßten. Am beſten 
wäre es, zur Leitung der nöthigen 
Arbeiten einen beſonderen Verein oder 
einen beſondern Ausſchuß für Reform 
der Wirtshäuſer in unſeren Alpen— 
ländern niederzuſetzen, in welchem die 
zahlreihen alpiniſtiſchen touriſtiſchen 
Verbindungen und die Geſellſchaft zur 
Förderung des Fremdenverkehrs im 
Alpengebiete entſprechend vertreten 
wären. Was dieſer Ausſchuß für ge— 
eignet zur Ausführung erachtet, hätten 
dann die zahlreichen Seckionen jener 
vorerwähnten Verbindungen, jede inner- 
halb ihres engeren Wirkungsfreifes, 
zu fördern. Die Aufgabe diefes Aus— 
fchuffes der Alpiniften= und Zouriften- 
vereine für Reform der Wirthshäufer 
in den Alpenländern wäre nicht zu 
hoch zu greifen; man Hätte fich nicht 
mit dem bei uns vorläufig undurch— 
führbaren Gedanken zu befallen, das 
urwüchſig eigenartige und in feiner 
Weiſe ja vortrefflich veranlagte Wirts- 
hausweſen unferer Öfterreichifchen Aelp— 
ler über den fosmopolitifchen Schweizer 
Leiften zu fchlagen, fondern nur Das» 
jenige zu verbefjern, was unbedingt 
einer Bellerung bedarf, ſollen die 
Fremden ſich bei uns wohl fühlen. 
Die Propaganda hätte ſich dement- 
Iprechend auf wenige Anforderungen 
zu befchränfen, diefe aber umſo inten— 
fiver zu betreiben: Auf eine Aende— 
rung der Binmereinrichtungen und 
Abftellung der oben erwähnten Uebel— 
fände; auf eine entſprechende Mo— 


691 


dernifierung des Service und des 
Servierens und auf jenes Neinlich- 
feitscapitel, deſſen Paragraphe die 
Engländer den Schweizern geläufig 
gemacht Haben in Haus und Straße. 
Betrieben’ werden jollte diefe Propa- 
ganda durch Verbreitung Heiner ge— 
meinfaßlicher belehrender Schriften und 
durch Einbeziehung des Wirtshaus- 
weiens, der Wirtshaus = Induftrie in 
alle Regional = Ausftellungen, welche 
irgendwo im Alpengebiete veranftaltet 
werden... Die Herftellung der belehren 
den Flugſchriften würde fehr wenig 
foften, da die ihnen beigegebenen, aber 
mit planmäßiger Auswahl von der 
Nedaction zu fichtenden Inſerate einen 
guten Theil der Auslagen deden wür— 
den. Auf den Wusftellungen hätte 
man nicht das luxuriöſer eingerichtete 
Wirtshaus und Sommerfriſchlerheim 
in erfter Linie zu berüdjichtigen, fondern 
vorab das einfache Wirtshaus. An— 
ftatt daß bei diefen Ausftellungen, wie 
es Mode getvorden, „altdeutfche Zim— 
mer“ mit echten Yundftüden aus der 
Urpäterzeit und mit Gfchnas heraus- 
gepußt werden, wären Wirtshaus: 
zimmer der allereinfachften Art, aber 
ausgerüftet mit den für den Comfort 
unentbehrlichen Gegenftänden aufzu— 
ſtellen und die Preiſe dieſer Einrich— 
tungen, ſowie ihre Bezugsquelle anzu— 
geben. Es würden ſich alsbald einige 


Muſtertypen ergeben, mit denen die 
Wirte ſich in ihrem eigenen wohl— 
verſtandenen Intereſſe vertraut machen 
und dieſe nachahmen würden. Aller 
Luxus, alle nicht abſolut nothwendige 
Zier wäre zu vermeiden bei Beibe— 
haltung einfach geſchmackvoller Formen. 
Die kunſtgewerblichen Schulen in den 
Alpenländern fänden hier eine Auf— 
gabe, um auch ihrerſeits veformatoriich 
einzugreifen, indem fie den Dorfhande 
werfern die Mufter an die Hand 
geben und die Wirfe damit von 
dem Bezuge foftipieliger Einrichtungs— 
Gegenftände aus der Ferne emancipie= 
ren. Das Befte würde hiebei Die 
mündliche Belehrung und Ueberredung 
thun.*) 

Jeder Wirt, der auf Sommer- 
gäfte Bedacht nimmt, beftrebt fich, jo 
gut er es eben berfteht, den Bedürf— 
niffen derſelben entgegenzufommen. 
Wird fein Gefichtskreis über dieſe Bes 
dürfniffe erweitert, fo finden auch feine 
Säfte ihre Rechnung und es verſchwin— 
den allmählich jene Frictionen, die den 
Fremdenverkehr in unferen Alpenlän— 
dern bisher jo mannigfach erfchwert und 
den Aufſchwung der Fremden-Induſtrie 
geftört haben. („Preſſe“.) 


) Siehe den Aufſatz: „Bon der Un: 
zwedmäßigfeit unferer Zimmereinrichtung.“ 
Heimgarten, IX., Seite 909. 


Das Pandleben hat Gott "geben — fo heiter und froh! 


Bilder aus dem Bolte von P. R. Rofegger. 


Ankunft zum Tanze. 


na 9 enn das Dorf rhythmiſch wird, 
N da gehts luſtig zu! Auf der 
Kichweih! Auf der Hochzeit! Der 
Himmel ift nur darum fo jchön, weil 
er voll Geigen hängt. Denft Euch’s, 
auf dem Zanzboden: Die Schranfen 






* 





fallen, der Burſche geht zur Dirn, 
umarmt fie, tanzt mit ihr im Kreiſe, 
da3 Haupt legen fie einander auf die 
Schultern, die Bruft drüden fie eine 
an die andere, fein Herz Hopft heftig, 
fHlopft an ihren Bufen an. Es darf 
fein. Jetzt auf einmal darf es fein, 
was Eltern, Vormünder und Pfarrer 


44* 


692 


fonft fo firenge verbieten, jet auf 
einmal iſt's erlaubt. Der Tanz ift 
ein Gottesfriedenkreis, in welchem ſich 
auch ſolche umfangen dürfen, die ſich 
ſtill und ohne Hoffnung lieben, die 
auseinandergehalten werden, als hätten 
ſie ihre Verdammniß durchzumachen 
ſchon auf dieſer Welt. 

Vielleicht zählt manches Kind die 
Tage des Jahres nur darum, weil 
e3 in demfelben einen Kirchweihſonntag 
gibt; vielleicht beſchließt es mit dieſem 
Tage ein altes Jahr voll vergeblichen 
Hoffens und Harrens umd begimmt ein 
neues boll vergeblihen Harrens und 
Hoffens. Aber fo reih an Glüd ift 
die eine Stunde, da fie beim Zange 
ihr Haupt lehnen darf an feine Bruft, 
jo reih, daß fie ein ganzes Jahr 
verflärt. 

Um wie viel freudiger ijt der Kirch— 
weihtag erſt Für andere Paare, die 
fih nad) mancherlei Frohem und Zärt— 
lichem einmal auch muſikaliſch gern 
haben können! 

Man foll den Wirt in Gold faflen, 
der es verfteht, feine große Stube mit 
fo vielen Himmlichen Freuden auszu— 
ftatten. Seine Boreltern, die Gründer 
des Haufes, längft Schon find in der 
Beinfammer ihre weißen Knochen aufs 
geihichtet, aber wohlweislich haben 
fie fi malen laffen vor Zeiten, da— 
mit fie wenigftens im Bilde nieder- 
Schauen können von der Wand auf 
den Kirchweihtanz. Iſt daneben im 
Bilde doch gar auch die Muttergottes 
da, um zur Abwechslung einmal auch 
eine irdiſche Seligfeit zu betrachten. 

Die Mufitanten ftimmen ihre Gei— 
gen und Pfeifen; feine Stlapper ſperrt 
ji. Keine Seite jpringt. Die Wand- 
uhr hat man vergefjen aufzuziehen, 
doch heute bleibt fie nicht ftehen, gebt 
freiwillig weiter, aber ganz leife, wie 
auf Soden, und der Zeiger weift be- 
reits der guten Stunden erfte. In 
der Küche unten wer borüber- 
gehend Hineingudt — da leuchtet, 


prafjelt und duftet es; Ochfen, Kälber, | 


Schweine, Hafen, Enten, Hühner — 





die halbe Arche Noahs hat fih opfern 
loffen und macht zum ſchlimmen Spiel 
jetzt gute Miene. Im Keller werden 
Fuͤſſer „angebeilt“, Flaſchen aufge— 
richtet vom Boden, wo ſie, halb mit 
— bedeckt oder mit Staub, manches 
'fhöne Jahr verjchlummert Haben. 
Sie kommen aber noch früh genug. 

In den Feſtſtuben find die Tiſche 
zurecht geftellt und ſchier hochzeitlich 
gededt. Ein Pärchen oder das andere 
fit Thon da um einmal etwas Wein 
zu foften, denn heute wollen wir einen 
fühen, weil „fie“ da ift, und einen 
leichten, weil wir's bei etlichen Gläfern 
nicht bewenden lajlen können. 

Hallo, jet Hört man munteren 
Lärm unten vor dem Haufe, die 
Treppe herauf erfchallen kräftige Fuß— 
tritte, auch weichere tappeın mit — 
fie rüden an. 

Die Thür fpringt auf. Der Birn- 
baumfepp von Dunnersbach und feine 
Liebfte, die Margarethel, Juch! Der 
Krarentoni und die Seinige. Juch! 
Der Oberftamer Michel und feine 
Negerl. Und ihre Schwefter, die 
Kathrin. Juch! Juch! Die Knie— 
reiter-Buben und die Dirndln von 
Sunnberg; dort find fie ſchön zeitig 
worden in der „Sunn“, haben Wan— 
gen wie die Bartelımei = Nepfel, fo 
berzig weiß und roth; und Zähne 
wie Kirfhbaumblüh’ lachen hervor 
zwischen den nellenrothen Lippen. 

„Grüß Gott, Buben ;“ 

„Grüß Gott, DirndIn! Ihr lieben, 
ihr herztaufigen, ihr himmelherrgotts— 
vertrampelten Weiberlenut! Juch! Juch! 
Such I” 

So fahren fie zufammen. Der 
Schützenhans ift von feinem Stuhl 
aufgefprungen, hopst ihnen entgegen 
und jchnalzt mit den Fingern, mit 
der Zunge. 

Der Tonel von Sunnberg taumelt 
Pe zu und triflert: 








„Mein Dirndl i8 fauber 
In Sunntagwandl, 
| Und vor lauta Liab 
| Fibern ihr d' Fürtabandl! 


693 


Mein Dirndl fon tonzn, heute wollen fie einmal gemüthlich bei— 
er Yu zn —— ſammen fein, heißt das, wenn —. 
Wan’s da rehti Bua nimmt!“ Ganz hinten am Tiſch, fchier im 


Spielleutwinfel, dort fißt er und 

Der Kumpfhies, auch der Dodl: |lauert. Der müßte fhon Manche 
raufer find da, und Andere. Die zu friegen, weiß aber Steine feftzu- 
Kathrin fchreitet Tühnlich voran, ihr halten, und darum will er Anderen 
thut feine Wahl weh, wen fie ihre auch Keine gönnen. Ihm geht’3 Heute 
Grußhand foll bieten. Dem Hies. gar nicht um's Tanzen und Gingen, 
Aber der läßt ſich mit einer Hand ihm geht's um's Stänfern. Ihm geht's 
nicht genug fein, er nimmt auch die nicht um die Dirndl, aber um’s 
zweite und fo ftehen fie da und lachen Raufen. 's ift auch Einer von denen, 
ih an. Man merkt es gleich, das die feine Unterhaltlichkeit finden bei 
find alte Bekannte. einer Kirchweih, wenn micht gerauft 

„Iſt das Unkraut auch da!“ fagt wird. Allerhand Finten hat fich die 
die Kathrin, denn bei den Bauers- rau Wirtin ſchon ausgedacht, wie 
leuten: je fpottender das Grußwort, |fie den Studel-Stin heut’ aus dem 
deito befjer iſt's gemeint. Haus brädte. Es ift ein Jammer 

„Hreilih bin ich da“, antwortet um die Gläfer, um die Fenſter, um 
der Hies, „ich will mich neuzeit halt die Stuhlfüße, die Der allemal koſtet. 
alleweil vor den ſauberen Weibsleuten Mitten in die Fröhlichkeit ſchreit 
verfteden und fo bin ich auf den die dünne Stimme des Heinen Bart— 
ZTanzboden her, daß fie mich mit |wedel-Peter hinein: „Leut’, aus iſt's! 
finden ſollten.“ Geht's eilends! Im untern Dorf beim 

„Ein rechter Lapp bift!“ ruft fie | Kreuzwirt foll ein gottäfträfliches 
und fächelt mit der flahen Hand Raufen fein. Mit Drefchflegeln ſchla— 
gegen fein Geficht hin, „mir fcheint, gen fie fich die Köpf’ ein und bei der 
Du bift no der nämlich’ Spigbub, | Hausthür rinnt Schon das helle Blut 
als der Du in Grosdorf bift gewest!” | heraus!” 

„Kann ſchon fein“, ſchmunzelt er. Der Studel-Stin hörts. Er hebt 
Sie verftehen ich. fich, Schleicht pfauchend an der Wand 

Am Tiſch, dort fteht der Schlägler | hin, Hufcht zur Thür hinaus. 
Franz — der mit dem Blondkopf. Der Heine Bartwedel-Peter Hebt 
Er ift Schon im einer Unterhandlung an zu fichern, da verftehen fie ihn 
mit der Chriſtel. Schier befcheiden und laden und laden ihn ein, ihr 
neigt er fein Haupt vor und wartet | Gaft zu fein den ganzen Abend. 
auf Antwort. Sie macht ſich mit „Aber wenn er wieder zurück— 
den Fingern was zu thun und fchlägt | kommt!“ gibt der Birnbaum-Sepp zu 
auch ihre Augen d’rauf nieder und | bedenfen. 
fteflt fi, als ob ihr die Fingernägel | „Der kommt Heut’ nimmer zurüd,” 
wichtiger wären als das Anliegen des |verlichert der Peter. „Das Kreuz— 
Franz. Die kurzen Worte, die fie wirtshaus ift voller Leut’, Holzknecht' 
nebenbei fo heraushaucht, die deuten | find dort, Schmiede find dort, ungarische 
hier mehr auf nein, als auf ja, | Drefcher find dort, Italiener und allers 
aber plötzlich thut das Köpfchen ein Hand Leut'. Wenn nicht ſchon ge— 
ganz leichtes Niden. Der Franz hat's rauft wird, bis er hinkommt, der 
nicht überfehen. Er fchiebt ihr den | Stin, fo hebt er frisch vom Fleck weg 
Stuhl Hin zum Niederſitzen. Die  felber was au und macht nicht früher 
Frau Wirtin ift Schon da mit Wein. | Feierabend, als bis er aufgeladen hat. 
Ein Bruderwein wird's, wo ihrer Und wen die Schmiede und Italiener 
Mehrere mit einander trinken, denn einmal den Budel voll laden, der geht 








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am jelbigen Tag nimmer auf den 
Tanz aus.“ 

„Wahr iſt's. Trink, Heiner Peter! 
Trinken ſollſt!“ 

„Und nachher, wenn wir ſtark find, 
nachher, Spielleut’, rührt's Euch!“ 

Noch Eins. Habt Yhr die Kleine 
ſchon ftehen gejehen Hinter der Thür, 
beim Ofen? Die ift gar fill und 
ernftHaft, begnügt ſich einftweilen nur 
mit dem Sehen und Hören, was da 
vorgeht und bleibt ſtehen wie ange— 
wachſen. Derſelbige, den ſie meint, 
der iſt noch nicht da. Sie wartet 
auf ihn, das kann ſie ſich ſelbſt nicht 
leugnen, aber fo oft Einer draußen 
die Stiege heraufgeht, zittert ihr das 
Herz aus Angft, er möchte kommen. 
Sie geht überall Hin, wo ſie glaubt, 
dab er zu fehen fein könnte, und ift 
er nahe, jo weicht fie ihm aus. Sie 
ift allemal troßig, jo oft er ihr was 
Freundliches anthut, fei es ein Gruß, 
ſei e8 ein gutes Wort; und fie weint 
fi allemal die Augen roth, wenn er 
vorbei ift. — Sie fteht da und iſt 
in ihrer Unschuld, fie weiß noch nicht, 
was kommen muß. 

Er wird fommen und fie einladen 
zum Tanz. Sie wird widerfireben 
und doch an feinen Armen Hängen, 
zitternd wie eine Taube, die im bie 
Hände eines kecken Jungen gerathen. 
Er wird ihr fühen Wein vorfeßen, 
fie wird ſich weigern zu trinken und 
doch das Glas, das er ihr felber zum 
Munde führt, nicht zurüditoßen. Er 
wird treuherzig anfragen, ob er fie 
einmal am Fenfterlein darf begrüßen. 
Sie wird ihn empört abweifen und 
doh in der nächſten Samstagsnacht 
vergeflen, das Fenfter zu ſchließen. Er 
wird die Leiter anlehnen, fie wird ihn 
angftvoll befhwören, davon abzulafjen 
und wird von ihrem Fenſter aus doch 
die Leiter halten, daß fie nicht ums 
fällt. Wenn er heranfteigt, wird fie 
das Fenfter zumachen, aber verfäumen, 
den Weiber vorzufchieben. Wenn er 
hineinfteigt, wird fie drohen mit 
Lärm und Hilferuf, und wird flehen, 


daß er leife auftrete, leife! Sie wird 
fih zur Wehr fegen, aber ihre weichen 
Urne werden ſich biegen, mit den 
Händen wird fie ſich das Geficht ver- 
deden und fchluchzen..... 

Das ift nicht Koketterie, ihr lieben 
Leute, das ift der Kampf zweier Ge— 
walten, die im Weibe wohnen. Welche 
von den beiden fiegt? Ich vermuthe, 
Ihr wiſſet es. Iſt der Bann ge= 
brochen — mit dem erſten Kuß geht 
eine neue Sonne auf. 

— Dirndl, er kommt! Er ſieht 
ſie ſtehen, allein und zagend. Ohne 
viel Gruß und Fragen nimmt er ſie 
an dem Arm juſt heben die 
Spielleute an — Juchhe! der Tanz 
beginnt. 


— 


Sepps Brief. 

Die Wirtstochter zum „Löwen“ 
ſchickt zu ihrer Freundin, der Kathrin, 
fie ſollt eilends fommen, es gäbe was 
Neues. 

Lange genug hat’3 gedauert, ſechs 
Wochen lang, bis der Herr Kaiſer— 
jäger jo gnädig war, einen Brief zu 
ihiden. „Seine Andere mein Lebtag 
nicht!” Diefes Wort hat er beim Ab— 
Ichied gerufen und hat dabei die Hand 
an die rechte Bruft gelegt. — „Du 
Sepp!" hatte damals die Grethel ge- 
fagt, „wenn Du bei diefem Schwur 
die Hand aufs Herz willft legen — 
das ift auf der linken Seiten!“ — 
„Dirndh!“ war feine Antwort, „bei 
mir ift es anders, ich habe das Herz 
auf dem rechten led!” — So hatten 
fie fi damals auseinander gefcherzt, 
und Heute ift endlich ein Brief da. 
Ein Brief und eine Photographie. 
Die Beine ferzengerade gefpreizt, den 
einen Arm an ein fürnehmes Tiſchel 
geſtemmt, die andere Hand am Bajon— 
nettgriff, „Bauch hinein, Bruft Heraus“, 
auf dem munter gehobenen Köpfel den 
Tſchako, fo fteht er da, ſchier wie ein 
General, aber ein junger. 

Das Couvert ift arg zerfeßt, man 
merkt, daß die Finger etwas unge— 
duldig gewefen find. Kein Wunder, 


den 
eigenen Fingern! 


695 


Schatz auszugraben mit blut- Wort vom bitteren Tod Nächte voll 


Thränen gefoftet habe und daß fie 


Und was fchreibt er? Die Kathrin | ihn ſchließlich um Gotteswillen bitte, 


gudt der Grethel über die Achſel. 


nicht auf das Schlachtfeld zu ziehen, 


Daß alle Zwei fo vergnügt lächeln | weil fie dort auf Leute ſchießen thäten. 


wäre unbegreiflih, wenn man nicht | S 


wühte, daß die Kathrin ihren Lieb | 
baber Schon im Trodenen hat — fie 
ift verlobt mit dem Bäder Lois. 
Troßdem verlangt ſie's zu willen, was 
der Sepp jchreibt. 

Der Brief ift ſehr ſchön und am 
Rande mit Blumen bemalt, 


Sein Bild, das hienge bereit3 über 
ihrem Bett, aber mit dem Geficht 


‚gegen die Wand; ehevor der Pfarrer 
‚nicht ſeinen Segen gegeben, könne fie 


es anders nicht dulden, denn er folle 
einft an ihr ein tugendjames Weib 
haben, wie er es verdiene u. |. w, 

Lahend bringen die beiden 


„Herzliebfte Grethel!“ fchreibt der, Schalkinnen diefen Brief zu Stande 


Sepp. 
werden 


„Wann Du diefen Brief lefeft, 
Dir 


diefein Brief foll bereits ein brenn= 
heißer Kuß fein! Alsdann, wir fein 
zwar jeßt nun ziemlich weit von 
einand, aber ift mein Sinn doch ftet3 
immer bei Dir, Tag und Naht und 
ſonſt auch! Nur das thut mich ängfti- 
gen, warın Du mir wohl gewiß treu 
bleibt, und wann ich vor dem Feind 
ftehe und die Kugel in dM Bruft, 
Dih kann ich niemals und im bitteren 
Tod nit vergeſſen!“ — 

So geht's fort und es ift gottlos, 
daß die fchönen Leferinnen lachen. 
Wüßten fie, wie dieſer liebesinnige 
Brief zuftande gefommen ift, fie wür— 
den nicht lachen, die Grethel noch am 
allerwenigften. Der Sepp hat einem 
Kameraden für das Brieffchreiben eine 
Maß Bier zahlen müſſen und fiir die 
„Kugel in der Bruft“ und den 

„bitteren Tod“ wollte der Schreiber 


noch ein paar Würſte obendrein Haben. fie ih das aus: 


1000 güldene Grüße 
entoegenftrömen! Denn jedes Wort in 











und geben ihn auf die Bolt. 

Faſt „umgehend“ Schreibt der Kaiſer— 
jäger zurüd, ihr geliebtes Schreiben 
mache ihn glüdlih über alle Maßen 
und am meiften gefreut Habe ihn, daß 
fein Bildnis über ihrem Bette hienge 
und fein Geficht gegen die Wand fehre. 
Das fei die gebührende Stellung, womit 
er verbleibe ihr ewig treuer Sepp. 

Jetzt lacht die Löwenwirtstochter 
nicht mehr. Jetzt weint fie vor Zorn. 
Und das ſchwört fie: „Wenn er erft 
der Meinige ift, den Spott foll er 
mir büßen!“ Früher hat fie ihn ge- 
foppt, aber jet haßt fie ihn, und 
habt ihn fo jehr, daß fie ihn heiraten 
will. 


In der Sennhütte. 


Die Hübjchefte jchidt der Bauer 
nicht hinauf in feine Sennhütte, das 
ift wahr; fie geht Schon felber. Schou 
am Leihlauftag, wenn der Bauer die 
Dirn dingt Für's nächſte Jahr, nimmt 
„Mit Lohn und 


Jetzt halten die Freundinnen Rath. | Gewand will ih Dich nit überhalten, 


Sollen fie den Brief unbeantwortet 
laffen oder follen fie den luſtigen 
Kaiferjäger ein wenig foppen? Sie 
entjchließen fich für das Letztere; der 
Sepp hat auch ſchon Manche gefoppt. 

Die Grethel fehreibt ihm, daß, 
feitbem er fort fei, die Welt ein Loc 
babe, daR jein Herz — gleihwohl es 
am rechten Fleck fie — liebeskranf fein 
müſſe, wenn es an ihrer Treue zwei— 


aber gehen thu' ih nur Fir’s Vieh, 
Bin auch Heuer beim Vieh. Zum 
Vieh kann ich mich fchiden, das wird 
Dir mein jeßiger Bauer fagen, das 
Dieb Hat mich gern. Wenn Du auf 
mich anſtehſt, ich Komme ſchon zu 
Dir, ich bleibe mein Lebtag beim 
Vieh. Und im Sommer Takt mid 
auf die Alm.“ 


„Ah na,“ meint der Bauer, „auf 


feln fönne, daß ihr fein trauriges die Alın, das wär Schad’ um Dich.“ 


696 


„Nachher mögen wir mit gleich 
werden. Sted’ ihn nur wieder ein, 
Deinen Leihkauf.“ 

„Zum Dunner! Wesweg willſt 
denn juft auf die Alm?“ 


„Bon wegen der Gefundheit. Der 
Doctor hat's geichafft, jagt er, ich thät 
blutſchwach fein, da ſollt' ich Almluft 
haben, jagt er.“ 

Wenn man fie anfchaut, fie ift 
richtig ein wenig bla im Gefichtel, 
kunnt ihr nicht ſchaden, ein Feder, 
friiher Almwind. 


„In Gottesnam'!“ fagt der Bauer, 
und alfo geht fie zum nächſten Some 
mer in Gottesnam als Sennerin auf 
die Alın. 

Einen Jalobi-Segen hat die Dirn 
— noch von ihrer Ahne Her, einen 
Brief mit Leiden-Chrifti- Bildern ge— 
ziert und „fräftige Gebetter“ ent— 
haltend. Schon ganz braun vor Alter, 
abgegriffen, abgefüßt und arg ver— 
Inittert. Das macht aber nichts, die 
heilige Weih' hat er doch, fie ftedt 
den Segen an den Bufen, wohlver- 
wahrt Hinter dem Mieder. Jetzt kann 
ihr nichts gefchehen, er beſchützt, wie 
e5 zu lejen fteht, vor Krieg und Belt, 
vor Feuer und Brand, vor Räuber 
und Mörder und aller Gefahr des 
Leibes und der Seelen. 


So einen Segen möchte er 
auch Haben, meint der Holzknecht 
Domini, der in der Sennhütte ein— 
fehrt. „Wo Haft ihn denn 2" 

Sie jagt es nicht, er kann fich’s 
denen und hebt an zu fuchen. 

Und mag es bei Anderen auch jo 
fein. Der Bechtoni fürchtet fich vor 
dem Krieg und geht auf die Alm; 
der Geier im Hag-Veit hat Angft 
vor der Peſt und geht auf die Alm; 
der Friefele Bub hat einmal ein Haus 
brennen jehen, feitdem träumt er alle 
Nächte von Feuer und Brand, er 
fuht Schuß bei dem Jalobi-Segen 
und geht auf die Alm. So wird die 
Sennhütte eine YZufluchtsftätte von 
allerhand Leuten. Die jeßen ſich des 


Abend: um die Sennerin herum, 
rauchen ihr die Hütte mit ftarfen 
Tabak voll und auch ihre Neben, die 
fie mit der Dirn führen, find ftarker 
Tabak. Das macht ihr nichts, fie ift 
da3 Rauchen gewohnt und bleibt ge= 
fund dabei. Darum ſage ih, e& geht 
nichts über das Abhärten in der 
Jugend. In der Bauernfhaft weiß 
man es ſchon mit zehn Jahren, wo 
Barthel den Moft Holt; man kann's 
ja in jedem Stall, an jeder Hühner- 
fteige erfahren — und ift weiter nichts 
d’ran. Iſt beſſer, wie das Neugierig— 
machen mit dem Geheimthun, das 
Vertufchen und Abſperren, während 
Jeder das warme Blut im feinem 
eigenen Leib Hat. Das Blut will 
ehrlich behandelt werden, verjteht Ihr ? 
Und bei gelunden Leuten, die nicht 
durch prüde Bücher und pädagogische 
Schliche verdorben werden, die wader 
arbeiten müflen und bei denen Sich 
manche Begierde durch das Ventil 
derber Reden auspfeift, iſt's im All— 
gemeinen wicht Jo ſchlimm. Es müßte 
ja fonft bei der herrfchenden Zügel: 
lofigleit in wenigen Generationen 
Alles zu Grunde gehen da draußen 
in Dörfern, Wäldern und Bergen. 
Die junge Sennerin auf der Alm 
wird nicht mehr leicht überrafcht; fie 
fann ruhig bleiben und die Vernunft 
mitreden laſſen, fie ift fchlagfertig und 
gibt den kecken Burfchen ihr Theil 
zurüd, daß fie mit langer Nafe ab= 
fahren müſſen. 

Eine Einfiedlerflaufe ift die Senn» 
hütte nicht, das verfteht ſich, obwohl 
alfo mitunter ein frommer Waldbru— 
der darin hodt, der das gewiſſe Glöd- 
lein läutet und nach den Jakobiſegen 
jpäht. Und warum foll die einſame 
Dirn nicht ihren Kameraden haben ? 
Einer ift ihr genug; Mehrere wären 
ihr zu wenig, jagt fie, denn fie will 
einen ehrlichen, braven, tüchtigen Bur— 
chen haben. — Man hätte wohl auch 
andere Erfahrungen, aber ich meine 
das: Was Sich Jeder denken fan, 
das braucht man nicht laut zu jagen. 


697 





Der Capitelbot'. 


Ein alter Volkstypus aus Niederöfterreich. 
Geſchildert von E. 3. Freunthaller. 





= 


5») ecanat=Poft-Erpediteur nennt er 
u ji und hat das Recht dazu; 
denn er befördert die Verordnungen, 
Decrete und Ähnliche Dinge im ganzen 
Decanate, 

Er ift Boftillon des Decanat-Vor— 
ftehers und Hat zum Gefährt” des 
Schufters geflidte Rappen. Er hat 
Anspruch auf Unfterblichkeit, denn er 
geht ſchon mehr als feit einem Jahr— 
taufend von Pfarrhof zu Pfarrhof, 
vor 1870 auch von Schulhaus zu 
Schulhaus und die heutigen Poſt— 
beamten nennt er nicht Gollegen, ſon— 
dern Enkel (Ahnln). Gibts einen 
ewigen Juden, fagt er, fo gibt's auch 
einen ewigen Gapitelboten und damit 
troßt er dem Dampf und der Elektri— 
cität, und troßt auch dem zwanzigſten 
Jahrhundert entgegen und hat mur 
fein Lächeln dazu. 

Freilich ſetzt ihm die Neuzeit das 
Meſſer Schon an die Kehle und der 
arme Mann ift ein Hinfälliger Greis 
und ZTodesahnungen füllen ihm fein 
Gehirn im Traum und Wachen, doch 
lann ihn, wie er behauptet, nur der 
heilige Vater in Rom den Todten— 
ſchein ausftellen. 

Stolz trägt er feinen Gapitelboten= 
fopf, denn er Hat Geheimniſſe in 
feinem Ranzen. Er bringt Luft oder 
Leid in die Pfarchöfe, oder ſonſtige 
Lehre. Und er ift auch der Thermo— 


meter feines geſtrengen Heren, welcher | 


Dechant in N. ift. Bringt er Freude, 
tritt er fchmeichelnd auf, bringt er 
aber Leid, nachher tritt er fo ftolz 
auf, daß er feine Kehle weit vor der 
Nafe Hat. Und fomit weiß der Pfarr— 


herr nachher allemal, ob der Mann 
Gutes oder Schlimmes bringt. 

„Der apitelbot’ kommt!” Der 
Ruf ift allemal eruft und fchallt durch— 
dringend im ganzen Pfarrhofe. 

Schon am Geläute der Thür— 
| glode erfennt der Pfarcherr, was er 
(bringt. Ertönt die Glode ruhig, ge= 
meſſen, ſo bringt er gewöhnliche, harm— 
loſe Dinge; ſchrillt ſie aber auf in 
lurzen, heftigen Tönen, nachher iſt 
Wichtigkeit in der Botentaſche. Der 
Pfarrherr erjcheint jelber. Nur einen 
furzen Blid wirft er auf die eintretende 
Botengeftalt; denn er weiß alsbald, 
was er zu hoffen oder zu fürchten Hat. 
Tritt ein entblößter Scheitel zuerft 
ein, nachher glättet ſich des Pfarr: 
herrn bejorgtes Geficht. 

Schier zwölfmal im Jahre tritt er 
|feine Nundreife an und allemal for= 
dert er das Poftporto zum Empfang 
— don jedem Pfarrgehöfte dreißig 
ſchöne Kreuzer. 

Schon im Dorfwirtshaufe wird er 
refpectvoll begrüßt. Mancher Bauer, 
der dor feinem Pfarrherrn zeitlebens 
den Hut nicht rüdt, reißt vorm Ca— 
pitelboten feinen Sopfdedel weg und 
füßt die Gapitelbotenhand mit geſtam— 
meltem: „Euer Erellenz! Gnaden!“ 

„Es iſt Halt dennoch gut, wenn 
ein Gapitelbot’ gut lefen kann!“ jagen 
|die Banern nud Knechte, nachdem der= 
jelbe ihnen aus feiner geheimnisvollen 
Tasche eine Vorlefung gehalten. Und 
fomit erfahren die Pfarrkinder alle 
Decan-Nahrichten um Vieles früher 
als der Pfarrherr felbjt und muß der 
noch dreißig Kreuzer nebit Jauſe darauf 








zahlen. Nun ja, der Gapitelbot’ ift 
freilich nirgends beeidigt und getheilter 
Schmerz ift halber Schmerz, getheilte 
Freude aber doppelte Freude, 

Bor 1870 fprang er aud die 
Schulmeiſter an, ihnen gleich auf Bruft 
oder Genid mit einem Sprung. Se 
nachdem fo eine Schulmeifterfeele im 
weißen oder jchwarzen Büchlein ftand, 
darnach benahm fich der Bot’. Benahm 
fi entweder ſehr hHerablaffend, mit 
halbgejchlofjenen Augen und Lippen, 
dabei ein Lied ſäuſelnd, oder er gudte 
ftarren Leibes unabläflig an die Zim— 
merdede, dabei mit hervorquellenden 
Augen nad allen Seiten jchielend. 

Brachte er Gutes, dann fagte er 
Ihon bei der Thür: „Wir können 
diesmalen gratulieren, denn wir find 
diesinalen zufrieden mit Ihm! Mög’ 
Er uns ſtets erfreuen mit Seinem dies— 
maligen Eifer und Seiner diesmaligen 
Verwendbarkeit im Dienfte!” 

Bradte er Schlimmes, nachher 
hüftelte er vornehm, ſtrich fih das 
Kinn und rief zur Zimmerdede empor: 
„Wir find diesmalen höchſt mißge— 
ftimmt zu Ihm! Er mag hier leſen!“ 

Oder er trat gar polternd auf und 
gab dem todesgejchredten Schulmeifter 
eine derbe Lection. Gab Rügen und 
behielt den Hut auf dem Kopfe. So 
ein. Rapitelbot’ rügte oft fogar den 
Kinderfegen im Schulmeifterhaufe. 

Auf gleiche Art echot er auch in 
den Pfarrgehöften. Gegen Stapläne 
benimmt er ſich ftetS ſehr referviert, 
wann er auch zeitlebens nicht fo viel 
Jahre ernft gearbeitet hat als fo ein 
armer Kaplan im harten Studium 
verbrachte. Herr ift er! 

Nun bildet ſich fo ein Gapitelbot’ 
auch allemal zum ordentlien Pfarre 
bof-Spion aus, und darum Hat er 
Stielaugen. Gapitelbotenaugen find ab— 
norme Augen, fie können Hinterrüds, 
fönnen im Winkel und in Spiralen 
bliden. 

Geht jo ein Capitelbot’ mit Pad 
vom Dechantshof weg, dann fteflt er 


698 


bei diefem oder jenem Pfarrhofe gut 
frühftüden, gut mittagmahlen, gut 
nachteffen, etwa noch gut übernachten 
fann, überhaupt, daß er's gut trifft. 
Und er trifft's gut, geht aber vorher 
noch in die Wirtsftube, um diverſe 
Dolce, Mefler, Scheren u. dgl. ge= 
börig Schleifen zu laffen durch böfe 
Mäuler — aljo, um auszuplaudern 
und auszuhorhen. Plaudert aus, 
borcht aus und macht darnach feine 
Geſchichte. 

Wie gefagt, ſetzt die Neuzeit ſchon 
das Mefler an feine Kehle und hoch 
oben greift man jchon nach der Feder, 
um feinen Zodtenjchein auszuftellen. 

Bor feinem Herrn, dem hochwür— 
digen Heren Dechant, hält er den 
Scheitel ftets im Niveau mit feinen 
Sohlen, denn juft fo tief büdt er fich. 
Thut’s aber vorlings. Vor dem Pfarre 
herrn macht er den Bückling rüdlings, 
juft, daß er nicht überfchnappt. Des— 
wegen hat der Pfarrer den Capitel— 
botenleib mit Wein derart zu erweichen, 
daß derjelbe wieder mehr nad vorne 
rüdt, und thut gut daran. 

Kam einmal fo ein Capitelbot’ zu 
feinem Herrn nach der Rundreife und 
lobte diefen und jenen Pfarrhof über 
alle Maßen, während er andere hoch— 
verdiente Priefter ſchandvoll in Schatten 
ftellte. Der Herr Decan aber witterte 
den Wein und that darnad). 

Nah etwa vierzehn Tagen ließ er 
den Gapitelboten rufen. Auf dem 
Decantifch aber ftanden fünfzehn wein— 
gefüllte Gläfer. 

„Hab’ da von jedem Pfarrhof im 
Decanate ein Flaſchel bringen lafjen ! 
Kommt Her jebt, Gapitelbot’, und 
probieren wir mitfammen die Pfarr— 
höf’, ob fie was taugen!“ 

Der Capitelbot' hodte fi hin und 
foftete, trank und koſtete wieder. 

„Der da von Albertshauſen!“ 
machte er. Der Decan fchüttelte den 
Kopf. 

„Von Simonshofen!“ entgegnete 
er. Jetzt fuhr der Capitelbot' in die 


es allemal an, daß er zur rechten Zeit Höh 


„Hab' ich's micht gejagt? Hab’ 
ich's nicht gefagt? Alles Falfch, was 
von Simonshofen fommt! Der Wein 
ift ein Albertshaufer allemal!” 


„Und doch iſt's ein Simonshofer !” 
machte der Decan mit überlegenem 
Lächeln, und fo war es aud. 


„Ich ſehe ſchon,“ fuhr der greife 


699 


in der Folge bitter an dem mißlie— 
bigen Pfarrhof. 

Er ift fonft ein ganzer Mann, 
doch Fehlt ihm die Hauptſache: der 
Zopf Hinten, den er mit aller Berech— 
tigung tragen dürfte oder müßte, 

Doc lafjen wir ihn wandern; der 
Gapitelbot’ nähert fih ja doch als 
legte „Hauptftüd” einem neuen „Ab— 


Decan fort, „aus Euch fpricht micht ſchnitte“ und die Zeit wird ihm allen- 


der Wein, denn im Weine joll Wahr: 


falls den Schlußpuntt als Denkmal 


heit liegen; fondern aus Euch fpricht ſetzen. 


der Saufmagen, der gezahlten Bauern= 


Auf einem Grabkreuze irgendwo 


ſchnaps geſchluckt Hat!“ und hieß ihn | fteht zu lefen: 


gehen. Der Eapitelbot’ wußte jedoch, 
daß er allmächtig fei und rächte fich 


„Bier ruht Franz Roth, 
Geweſener Eapitelbot',* 


Schnakfn. 


Luftigi GihichtIn und BildIn in ſteiriſcha Gmoanſproch. 


In Pfora fei Bruada! 


Mitn Pforer in Kirchboch is 8 
2 baftn guat ohlema. Der nimbb 
fürs Werk und moant, wos 
da Menſch täuat und loßt, entjcheidet 
Wiſſn und Obfiht. Is ah gonz richti. 

Do kimbb da Pforer amol af da 
Goſſn mit fein Bruadan zfom, der a 
Baur is z Kirchboch. 

„Recht is 3 ma, dak ih Dih ſiach, 
Bruada,“ redtn da Pforer on, „ih don 
a por Wort z redn mit Dir.” 

„30,“ fogg da Baur, „ih holt fcha 
till; red ber.” 

„Bruada,“ fogg da Pfora, „in 
borign Sunta hoſt ma wieder amol 
nit gor viel Ehr gmocht! — Hoft 
wieder amol trunkn!“ 

„Ah, wegn den!“ moant da 
Baur. „Derawegn wirft ma nit bös 
fein, Hochwürdn. Schau, a went 
trinfn is jo douh nir Schlechts. Wan 








„Schön!” fogg da Pfora. „Dos 
is alfo foan Raufch gwen, in da vorign 
Suntanodht, wia’s Dih ban Hoamgehn 
bin und ber draht hot, daß da d Lond— 
ſtroßn 3 eng is worn!“ 

„Di hi,“ locht da Baur, „d Land- 
ftraßn, moanft! Hin und Her draht! 
Wettn will ih nir, Pforar, a3 war a 
Räuſchl! Oba woaßt, Pforar, as hots 
Neambb gſechn. Und däs is d Haubb— 
foh. Nur fan Vergernuß! ſog ih 
ollamol.“ 

„Neambb gſechn, moanſt? Daß fa 
Menſch af da Stroßn war, moanſt, 


Obnds, wan d Leut von Wirtshaus 


hoamgehn!“ 

„Sn Gottsnom, fo hobn | mih 
holt gſechn, wos ligg dan dron! Wan 
| mih na nit dafennt hobn! Däs is 


d Haubbſochn.“ 


„Nit dakennt hobn!“ ſogg da 
Pfora gonz gſchmirt. „Sa wern holt 


da Bruggnhiaſl und da Stoanſchloga 


ma Durft hot! Daß oana koan Raufch | Thomas an frem bbin Menſchn af da 


trinkt, ja gicheit is mar a ſou.“ 


Stroßn zſomklaubn, vana z Kopfn und 


700 


vana z Füaßn onpodn und in Dei 
Haus trogn! Han!“ 

„AH wos!” fchreit da Baur, „dar 
fennt bin, dafennt ber. Wan ih na 
jelba nir davon woas.“ 


Die Gonsleber. 


Wia da liabi Herr Ehriftus und 
da Petrus noh af der Welt umanon— 
dagonga fein, do fein | amol mit an 
Hondwerhäburfhn zjomlema. Und 
wia 3 da Hondwerchsburſch hot wohr— 
thon, daß die Zwen a foafti Gons ba 
je hobn, a zedfoafti Sons, de da Herr 
Ehriftus fürn Pfingftfunta kafft hot — 
loßt er ſih meamer ohſchittn und 
zodlt mit. 

Do legn ih die Zwen, da Herr 
und da Petrus, amol in da Mittogshik 
awenf unter an oltn Birnbam, dab | 
a Schlaferi mochadn, und trogn in 
Hondwerchsburſchn auf, der ſul fa guat 
fein und ſul dameil die Sons brotn. 
Gern thuat er 3, da Burſch, ei jo, is 
a famodta, williga Menſch. — Nau 
aft nochha, wia die Zwen munta wern 
und guats Muats onhebn zan ſchmauſn 
ban Gonsbradl, fogg da Herr gach: 
„Ees, wo is dan d Leber?“ 

„D Leber ?” frogg da Hondwerchs— 
burfch, „wos für a Leber?“ 

„Dba die Gone wird doh a Leber 
ghobb hobn!“ 

„Sult ma moan,“ fogg da Hond- 
werchsburſch, „ih glaubs felba, daß 
ah a Leber do fein fult, gleihwul ih 
ghört hon, daß s in der Gegnd do 
a Gottung Gäns gebn ful, de oa 
Leber hobn, oder a fo a kloanwinzigi 
Leber, daß ma | Ilewa gſiacht.“ 

„Du Bua!“ fogg da Herr Chriſtus 


gitreng zan Hondwerchsburſchn, „laugns | 


nit! Du hoſt da d Leber jelba zuaga— 
glegg!“ 

Do ſpringg da Burſch auf und 
ſchreit: „Na, do muas ih bittn! Ih 


d Leber gftuhln! Ih, der nir bot af| 
„das Bulk fennft Du nit. Dos is a 


da Welt wia fein ehrlihn Nom! Den 


ah noh raubn! Is ma mei Leppa noh 


— — — — — — — — nn — — 








nit poſſirt. Dos is da Donk, daß ih 
Hulz zſomtrogn und Feur gemocht und 
die Gons brotn hon, daweils Ges af 
da fauln Haut ſeits glegn! Dos wir 
ih ma mirkn!“ 

„Nau, nau, nau!“ ſogg da Herr, 
„brauchſt derawegn nit gar a fo auf- 
zbegehrn. Wird jih jo weiſn.“ 

In Tog drauf is 3, wia die Drei 
über a Bruggn gehn, wird in Hond— 
werchsburſchn af canmol wirbli und 
er follt in Boch. 

„Hoft d Leber geſſn?“ froggn da 
Herr. 

„Und man ih dafaufn muas!* 
gurgelt da Burſch, „ih bin unſchuldi.“ 
— Af dos kimpp er glüdler afn feftn 
Bodn auſſa. 

Wieder in Tog drauf ſchlofn die 
Drei af an Heuftodl ; da Hondwerchs— 
burſch thuat mit feina Tabakpfeifn um, 
af jo und na brinnt da Stodl und da 
Burſch iS mittn in Feur. 

„Hoft d Leber geſſu?“ froggn da 
Herr. 

„Und wans mih brotn wir an 
Odin!“ ſchreit da Burſch, „ih woas 
nir da da Leber!" Af dos hotn da 
Rachfonkkirer aus n Feur griſſn. 

Wieder in Tog drauf kemmen ſoll 
Drei af an Kiata. Do wird an Kroma 
ſei Geld gſtuhln; in Hondwerchsburſchn 
hobn j as ziechn, pockn an zſom, wölln 
an aufhenkn. 

Wian ſcha da Strick um an Hols 
is, froggn da Herr Chriſtus: „Hoſt 
d Leber geſſn?, 

„Und warn 3 mid ba die Füaß 
aufhentn!“ ſchwirt da Burſch, „Ih 
hons nit und ih Hons mit gfrejin!“ 
— Hoaßts: da Kroma hät fei Geld 
wieda gfundn; hobn au Hondwerchs— 


burſchn ausglofin. 


Diaz is da Herr fuchti und er 
fogg zan Petrus: „Du, däs is a va— 
donkta Strik, der Hondwerchsburſch. 


Ih fon mochn wos ih will, ih bring 


eahms nit auſſa!“ 
„Herr,“ ſogg da Petrus Holblaut, 


Böhm! Lok mid mochn. Ih wir n 


gleih hobn. Leg Did ſelm Hinta d Sogg da Jogerl: Na, voraus 
Hedſchuſtaudn, und gitell Did, as wia laffn wir ih n nit!“ 


wanft ſchlofn thaſt.“ — „Is er leicht üban Berg 
Richti, da Herr geht drauf ein. | gſprunga?“ 
„Ih woas nit,“ ſogg er laut, „daß — „Na, untern Berg durchi nit!“ 
ma heint da Schlof aſo zuageht! D — „vBiſt leicht finkfaul af der 
Hi mochts. Ih muas mih awenk in Erdn glegn ?“ 
Schotn legn.“ — ,Na, afı Firmament obn 
Daweil er jhloft, thuat da Petrus | nit!“ 
fein Geldbeidl auffer, laart n af a — „Nau gfreu Did, Jogerl, Dir 
Bret aus und thoalt 3 Kupfageld in) wir ih die Gons von Lohn ohziachn!“ 
vier gleihi Häufla. Do fchleiht da — „Na, draufgebn werd a 
Hondwerchsburſch ſchen ftad zucha, qugg ma | nit!“ 
und gampp aweil und frogg af d Leßt: — „Kerl Du! muaßt dan olla= 
„Bruada, wos thuaft dan do?“ mol 8 leßti Wort hobn!“ 
„Geld zähln,“ fogg da Petrus, — „Na, 3 erfti loßt a ma nit!“ 
„woaßt, unfere Weg wern biaz bold — „Wart, ih wir da mweitahelin!“ 
ausanondagehn und fa miafin mar — „Io — ſtehnbleibn wir ih 


unter uns in Bedlpfening thoaln. | mit!“ 
Schau amol, däs Häuferl, däs ghört 
in Heren; s zweiti do, däs is Deins, 
und 5 dritti ghört mei.“ Da Baron und fei Reitknecht. 
„Und 8 vierti ?* frogg da Burſch. Ya, wia da Baron gflorbn is — 
„Hreunderl,“ moant da Petrus und | de fcheni Lei! A wundafcheni Teich! 
leggn d Hand af d Ochſel, „va den Sechs Röſſa hobn 8 ongfpont, üban 
friagft Du nir. Däs Häuferl ghört Wogn obnauf Hot an eifnana Ritter 
in Sebin, der dafür gjorgg hot, daß auſſagſchaut, weil er amol an Ofazier 
mir Ondern uns in Mogn nit va— is gewen, da Baron, und hintn hobns 
dorbn hobn. Nir Schlechters fürn Mogn, an gonzn Haufn Kranzlwerch noch— 
as wir a Gonsleber. Däs Geld ghört | gfchlepp, und die Gloggan hobn gicheafelt 
Den, der d Leber Hot gfreſſn.“ a gonzi Stund, daß ma 5 Winfeln 
„Mir ghörts!“ jchreit da Hond- | nit hot ghört. 
werchsburſch, „meina Seel und Goud, Wos für a Winfeln? Jo!da Herr 
d Leber — ih hons gſchmaust!“ Baron iS damweil jhon in da Höll 
gſeſſn und Hot gwinfelt. ; 
In erſtn Tog, nau, do is 3 no 
Da Gonsholda-Jogerl. gonga, do Hot du Zuifel noh gſogg: 
Auweh! Wos is dan in Jogerl „Heint fonga ma noh nit on, Herr 
widafohen! In Gonsholda = Jogerl?| Baron, heint fon Er an Spoziergong 
Hudt ſelm afn Roan und rehrt. Kimbb | mochn dur d Höll, dak Er die Oert— 


fei Baur daher. lichkeitn und Einrichtungen und Bräuch 
„Nau,“ fogg er, „Sogerl, wos awenk fon kena lerna. Wird ah guat 
flenft dan?" fei, wan er ſih in ondern Zuifeln 


Sogg da Jogerl vadriaßli: „Na, | vorftellt. Ma kon nit wiſſn!“ 
lochn wir ih mit!“ Mar recht. Oba viel Schens hot 
Frogg da Baur: „Hot da leicht | er nit gſechn af fein Spoziergong und 


da Fuchs a Gons gftuhln ?“ funt ah nit fogn, daß er n extra guat 
Sogg da Yogerl: „Na, bringa ongſchlogn hät. Guatn Belontn is er 
wird er ma | nit!“ begegnt: In Dolter Eifnbort, in 


Frogg da Baur: „Yo, bift n dan | General PBumperer, in Brolotn va 
nit nochglaffuı ?* Sand Anton, in Hofroth Kraucher, 





und af oamol fiat er ah fein liabn 


702 


bon id. In ormen Leuin Geld oh— 


Reitknecht Johann, der an etla Wochn | zogn, eahna va mein Hirfchn 5 Kraut 


vor eahm geftorbn is. 

„Euer Gnodn!“ ſchreit da Johann 
und reißt fei Butin von Kopf, „jo 
wos is dan dis? Wos gibb na d 
Ehr, mein liabn gnädin Herrn do her— 
untn z ſechn? Wul do eppa nit af 
länga? Wul doh nar af an Hoan 
Bſuach ?“ 

„Mei liaba Johann!“ ſogg da 
Baron, „freili wul af länga.“ 

„Jo, wia war 3 dan migla!“ 
ſchreit da Reitknecht, „o ſo a guata, 
brava Herr! Sa viel ormi Leut be— 
ſchäftigg, daß ſnit gonz dahungert fein! 
DM Wohn in guatn Freundn a por— 
mol groſſi Tofeln gebn! Fleißi in die 
Kirchn gongan und ofli Freitog lauta 
Fiſch und Humern und Mehlfpeifn! 
Und hiaz do Heruntn! Io, däs war 
doh nit zan glabn !“ 

„38 holt doh a fo, mei Du!“ 
jogg da Baron gonz vazogg, „woaßt, 
id — as is holt a joa Sohn — 
woaßt, a wenk 3 viel Bauen gſchundn 


frejin loſſn und nit daftot’t. Oflaweil 
na mei Vamögn gröffa mochn wölln 
— Baurndörfa zſomkafft, Gſchlöſſa 
zſomkafft, af da Bank gfpielt, oflaweil 
na Geld, mehra Geld — und olls 
bawegn an nirnußign Sohn, der hiaz, 
wia ma hört, die gonz Wir wieda 
durgbringg. Röſſa! Spiellortn! Ment- 
ha! Sauba ful er & treibn hiaz, der 
nirnußigi Bengel! — Oba fog ma, 
Sohann, wia fimft dan Du do her? 
Dllaweil fa brav und treu und horm— 
los gwen! Wos Hoft dan nur Du 
gmocht?“ 

Krotzt ſich da Reitknecht hintern 
Ohrwaſchl und ſogg: „Holt ebn in 
nixnutzign Bengel!“ 


Erklärung: Hain: faſt. ohkema: 
zu verfehren, umanondagonga: umber- 
gegangen. ohſchittn: abſchütteln. fuchti: 
jornig. gampp: ſchielt. in. Sebin: den: 
jelben. rehrt: weint, gſchnafelt: ge 
läutet, geſchrillt. 


Ara 
mi 


Alleine Jaube. 


Habt Dank, * guten Leute! 


Habt Danlk, Ihr guten Leute, Ich werde nimmer milde, 

Für diefes reihe Mahl, Des Himmels Glanz zu jhau'n, 
Das Ihr mir aufgetragen | Auf feiner Wollen Spiele, 

In buntbefränzten Schüffeln i Auf feiner Floden Reigen 

Und Goldpocal. Mein’ Luft zu bau'n. 


Mein Herze dürftet nimmer Der Lüfte ſanftes Wiegen 
Nah Weltgenuß und Ehr’, Und wild gewaltige Madt, 
Im ftillen Dorf zu leben Der Wäller Steigen, Stürzen 
Als Menſch bei jhlihten Menfchen, Hat ſtets mir Seligfeiten 
Was joll ih mehr? Ins Herz gebradt. 


Daß ih im Frieden athme Und finf ich einft zu Grabe 
Und dankbar, angefidhts Bon heitrem Tageslicht, 
Der heiligen Wunder Gottes Die Erde, ewig Nojen 
Mich meines Lebens freue, Aus ihrem Schoße fendend — 
Sonft will ih nichts, Ich furcht' fie nicht. 
F. 8. BRoſegger. 


iſt? Ich danke ſchön. Zwar kann man 
Ein Keiſeabenteuer. haufig hören, im einſamen Hochgebirge 
Erinnerung = den Bergen von Tirol. je; e3 weit fiherer zu wandern, als 
— — etwa in belebten Gegenden, in der Um— 
Ich bin meines Zeichens Naturfreund, gebung von Städten. Mag ſein, in 
und doch zweiundvierzig Jahre alt ge- ſolchen Gegenden wandere ich eben erſt 
worden, ohne eine Landpartie zu Fuß recht nicht. Die perſönliche Sicherheit 
gemadt zu haben. Das Leben bat un« |ift doh das Erſte, wenn man einen 
vermeidliche Gefahren, wozu fi noch | Genuß haben will, Webrigens, wenn es 
muthwillig in vermeidliche jtürzen! Ich d’rauf ankömmt, weiß ich mich auch aus 
habe ohne Begleitung niemald eine Fuß- der Patſche zu fchlagen ! 
partie im Gebirge gemacht; wenn Einer | Wenn ih in Tirol oder Oberbaiern 
in einer Bergſchlucht von Raubferlen | in der wohlverwahrten Poſtkutſche ſaß, 
angefallen, ftumm gemacht und in den | voran ein Paar flinfe Röſſer, auf dem 
Graben geworfen wird, wer gibt was | Bod ein kräftiger Burſche, da fühlte ich 
dafür? Wird nicht Jeder jagen: Hat mich geborgen und fonnte mich der Natur» 
er's noth gehabt, daß er allein gereist kneiperei nach Herzensluft ergeben. Doch 


babe auch ich die Erfahrung machen 
müſſen, daß der Menſch feinen Schidjal 
nicht entgeht. Nur Kopf aufrecht, das 
ift die Hauptſache. 

Im Sommer des vorigen Jahres 
war's. Ich reiste mit einigen meiner 
Bekannten in Tirol. Während die Anderen 
zu Fuß durch's Land ftolperten, war ich 
vernünftig genug, mir einen Wagen zu 
gönnen. So fuhr ich mit dem Pojtwa- 
gen durch das obere Innthal gegen 
Innsbrud. Es waren fonnige Tage, 
weshalb ih den Magen jchließen lieh, 
des läftigen Staubes wegen; id war 
faft immer der einzige Paflagier. Nur 
einmal fuhr ich zwei Stunden lang mit 
einem kranken Italiener. Ach weiß übri— 
gens nicht, ob er wirklih franf war, 
oder ſich bloß jo ftellte. Ich beobachtete 
die nöthige Vorſicht und ift auch meiter 
nichts gejchehen. Der Mann bat, als 
er ausftieg, ganz artig gegrüßt umd fich, 
weil er mir ein bißchen auf die Zehen 
getreten, höflich entſchuldigt. 

Mit dem Poftwagen kann man wohl 
auch in der Nacht reifen. Nu, man wird 
ſehen. 

Eines Abends ſpät, es war hinter 
Nauders, blieb der Wagen vor einem 
Wirtshauſe ſtehen, man kennt ja den 
Brauch der Poſtillons. Ich blieb im 
Wagen ſitzen und dauerte es diesmal 
wirklich nicht lange, bis der Kutſcher 
auf dem Bock ſein Glas geleert haben 
mochte und weiter fuhr. Aber nicht fünf 
Minuten waren wir gefahren, bei einer 
Straßenjcheide, wo unter einem Schaden 
eine gemauerte Kapelle ſtand, hielt die 
Kutſche wieder ftil, ein Mann machte 
den Wagenihlag auf und fragte mic, 
wohin ich reije ? 

„Rab Innsbruck“, antwortete ich. 

So müfje ih bier ausſteigen, dieſer 
Wagen gehe in's Graubündnerische. Es 
füme unverweilt ein zweiter Wagen 
nad, der mich aufnehmen würde und 
nah Innsbrud bringe. 

„Es iſt eine leidige Sade, das Um- 
fteigen,” ſagte ich und juchte meine fieben 
Saden zujammen; es iſt gut, denn 
ib finde mib in Alles hinein, Dann 


war ich draußen und der Poftwagen 
rollte davon. 

Stand id allein da in der finiteren 
Naht und im ſchweigſamen Wald. Blidte 
um mid, ſah aber nichts. Ward mir 
etwas ungleich. Hörte aber bald den 
Wagen beranrollen, der mich aufnehmen 
jollte 

„Sit das der Wagen nad Inns— 
brud ?” rief ich den Kutſcher an. Wurde 
alebald der Schlag geöffnet und id 
jammt meinem Reijegepäd bineinerpediert. 
Dann gieng’s raſch voran. Iſt gut, 
dachte ich. 

Als wir etwa eine Stunde gefahren 
waren — die Kutſche war auch mwejent- 
lich fümmerlicer, als die erfte geweſen 
—  merfte ih, daß der Weg immer 
bolperiger und armjeliger wurde. Das 
fährt ſich nicht wie eine Landftraße in 
die Hauptjtadt. Ein paarmal rief ich 
durch das Fenſter den Kutjcher zu, ob 
wir nicht bald in den näditen Ort 
fämen, ich ſei müde und wolle über- 
nadten. 

Der Kutſcher brummte etwas Une 
verftändliches und es rafjelte und holperte 
weiter. So viel ih bei Sternenjchein 
ſah, wir famen immer tiefer in eine 
Wildnis hinein; links war ein fteiler, 
hoher Berg, rechts ein tiefer Abgrund, 
aus welhem ein wildes Wafler herauf 
raufchte. Plöglih ftand der Wagen 
jtil, ganz als ob er im Steingerölle, 
welches vom Berge niedergegangen, fteden 
geblieben wäre. Sachte wurde der Wagen- 
ſchlag aufgemacht, davor ftanden etliche 
baumftarfe Männer, wovon der Eine mich 
artig um meine Geldtajhe und andere 
Wertſachen angieng. 

„Boftillon !* wollte ich rufen, aber 
die Stimme blieb in der Kehle jteden wie 
eingeroftet. E3 war aber bloß Klugbeit. 
Nichts gefährlicher bei dergleichen Ueber- 
fällen, als Schreien. 

Der Poſtillon würde mich nicht hören, 
bedeutete der Mann, ich hätte den Poſt— 
wagen ja längjt verlaffen, um mich diejer 
Kutſche zu bedienen, die mir ihrerjeits 
zur Verfügung geftellt worden. Sie hätten 
ſchon gehört, dab ich mich auf meinen 





705 


Touren vor Räubern fürdte und daraus 
geichloflen, dak ich Geld bei mir haben 
müßte. Ich möge weiter Feine Umjtände 
machen, e3 wäre für mich weitand am vor— 
theilhafteften, wenn ich meine Sach' ruhig 
und vertrauensvoll in ihre bewährten Hände 


legte. Dann möchte ich meinen Weg zu 


Fuß fortießen, in zwei Stunden wäre ich 
wieder beim Inn und dann rechts, mur 
immer recht3 halten, bis Innsbruck. 


So habe ih mir gedadt : Im Gottes» 





namen, bier friegt man ein Leben zu kaufen, | 


ih faufs. Und hab’ ihnen Alles gegeben, 
auch den Revolver, den ich bei mir ge- 
tragen und von dem fich$ gezeigt, daß er 
nichts müßt, — Du wirft zugeben, lieber 
Leſer, daß ich mich ganz tapfer gehalten; 
ein Anderer an meiner Stelle hätte ſich 
etwa gemweigert, das Verlangte auszufolgen 
oder hätte gar breingejchoflen. Das wäre 
das Unfinnigfte gewejen; eben weil ich 
meinen Muth bezähmt, bin ich mit dem 
Leben davongefommen. 

Wir find hernach leidlih gut aus- 
einandergefommen und heute freut mich das 
Abenteuer ganz unbändig und jollen es 
Kinder und Kindeskinder willen, das da— 
mals unter einer gewaltigen Räuberbande 
einzig nur meine Bejonnenheit mich ge 
rettet bat. 


Später hat man mir aber die Freude 
verderben wollen. Erhielt ich eines Tages 
ein Paket zugejchidt — ungenannter Ab- 
jender — und darin fanden fi aile meine 
Saden, die mir damals in der Berg- 
ſchlucht geraubt worden, die Geldtajche, 
die Uhr, der Brillantring, das Tajchen- 
mefjer, auch der Revolver dabei, und jtaf 
in der Mündung des legteren ein kleiner, 
natürlicher Hajenfuß — was ein Witz 
hätte jein jollen. Und jagen meine Freunde, 
ih wäre gefoppt worden. 

Das ſpricht jo recht für die Art ihres 
Charakters. Mögen jie fich vielleicht mit 
Mummenjchanz zufrieden geben — gut. 
Meine Sache ijt das nit. Wenn ich 
mib im Wald einmal anfallen laſſe, jo 
müſſen e3 echte Näuber jein, und nicht 
faliche. 


Kofeoger's „„Keimaarten’,, 9. Geft, X. 


Zlieg’ fort, Bu ungetreue Seele! 
Lieder von Sophie Khuenberg. 


I 


Weltfern geichieden und doch Hand in Hand, 
Sein Blid ift kalt, ihr Herz voll bittrer 
Blut 


u 
Und jeufzend ftirbt die vielgequälte Liebe; 
Mondhell liegt draußen das verjchneite Land 
Und träumt von Haß und Krieg und 
Menſchenblut, 


Sie aber träumen von verlorner Liebe. 


II. 


Eisblumen wahjen an den Scheiben, 
Der Tag ift falt und blau und Mar — 
Was foll ih thun, wo foll id bleiben, 
Da Alles Trug und Täujhung war. 


An fremde Herzen pocht Dein Lieben, 
An fremde Lippen dent Dein Ruf, 
Bon Heim und Glüd bin ich vertrieben, 
Ein jhmwanfend Boot auf wildem Fluß. 


Aufihäumen hoch die weiken Wellen, 

Es heult der Wind, es finft das Land — 
Werd' ih am Uferrand zerjchellen 

Oder mid reiten mit fühner Hand?! 


III. 


Flieg' fort, flieg’ fort, Du ungetreue Seele, 

Nicht Bitte und nit Thräne ſend' ih nach, 

Die Ferne blaut, entfalte Deine Schwingen, 

In ſehnſuchtsvollem Ton erftirbt Dein 
Singen 

Und hinter Dir liegt Glüd und Leid und 
Schmach. 


So flieht der Vogel aus dem engen Stübchen, 
Wo treue Liebe ſorgend ihn bewacht. 
Es locken ihn die flatternden Geſellen, 
Die Wieſe grünt, die weichen Lüfte ſchwellen 
Und Alles jcheint ihm jonnenhelle Pradt! 


Doch mählih, wenn die erfien Dämmer 
finfen, 

Sieht er mit leifem Zagen ſich allein. 

Im Schatten liegt der Wald, die Pfade 
dunfeln, 

In kühler Höh’ die matten Sterne funfeln 

Und einjam fliegt er durch den öden Hain. 


Was ift ihm dann die freiheit, was das 
Leben ?! 

Kein traulich Neft, fein Zweiglein harret jein, 

Die Fremde fremd, die Heimat ihm ver: 
loren — 

Weh Dir, weh Dir, der ſolches Los erloren, 

In Schmerzen und in Reue denkt Du mein! 


45 


Yon Begrühungsformeln. 


In alten Zeiten finden wir Die 
Höflichkeit im Urzuftande der Naivetät. 
Die Berührung von Perſon zu Perjon 
war vertraulih und bedurfte feine ber 
fondere Ausdrucksweiſe. Man redete 
einander mit Du an, wie bie und ba 
noch jeßt geichieht, aber nur im mehr 
abgelegenen Gegenden. Später bemühte 
man fi, dem Angeredeten zu gefallen 
und ihn höher zu ftellen. Dies geichah 
zuerſt in der römijchen und byzantini- 
ſchen Kaiſerzeit und pflanzte ſich fort 
durh das Mittelalter bis zur Neuzeit. 
Die verſchiedenen Höflichkeitsformen, wie 
ihon das Wort höflich andeutet, ent- 
ftanden auf den Höhen der Gejellichaft. 
Die übrigen Stände ahmten das nad, 
wie ja das auch mit den Moden ger 
ſchieht. Alles fällt jchließlih von der 
Höhe in. die Tiefe und umgelehrt will 
wieder Alles höher hinauf. Heute heißt 
auch der Geringite ein „Herr*, die Frau 
it eine „Madame“, das Wort „Fräu— 
lein“, das einjtige Prädicat für Fürſten— 
töchter, trifft man jetzt ſelbſt auf Briefen 
an Dienſtmädchen, die aud feine Yung» 
frauen oder Jungfern mehr fein wollen. 


Charakteriſtiſch für das Geſellſchafts— 
leben find unjere Grußformeln. Sie 
find vielfah, je nah den Standesunter- 
jchieden, je nach dem gegemjeitigen mehr 
oder weniger freundichaftlichen Verhält— 
niffe; fie find heimisch oder entlehnt, 
ernst oder ſcherzhaft. Das Grüßen ift 
gewiß eine humane Sitte, allein es haben 
fihb dabei auch mande leere Redensarten 
eingeſchlichen. Darauf bezieht fich der 
alte Volksſpruch: Leerer Gruß geht bar- 
ſuß. Der pafjendfte, auch außer Deutjch- 
land üblihe Grup „Guten Morgen, 
guten Tag, guten Abend“ ſcheint bei 
vielen Stadtlenten in Vergeſſenheit zu 
geratben, und doc iſt er anwendbar für 
alle Stände, und es klebt ihm nichts 
Dienerlihes an. Er ift anzuwenden beim 
Vegegnen wie beim Fortgehen. Das 
„Küſſ' die Hand“ hat zwei Seiten: es 
it theils ehrerbietig, wie bei Kindern 
und Dienjtboten ; theils unterthänig, mebr 


— 


ſlaviſch als deutſch, darum hört man 
es mehr im deutſchen Oſten als im 
Weſten. Ein herzlicher Gruß iſt: „Grüß 
Gott! Gut Heil! Glück auf!“ 


Beim Abihiede jagt man: „Leb’ 
mohl! Gott befohlen! B'hüt Gott!“ 
u. a. Das kurze „Ade“ (mit betontem 


Auslaut, aus dem franzöfiichen à dien) 
ift feit dem 16. Jahrhundert ganz volfs- 
thümlich geworden und wird in ber 
Dihtung noch immer gern gebraudt ; 
auh im Bolfe Häufig in der Form: 
Adjüss Adies! Grimm jagt (Wörter- 
buh I, 176): „Die Berbildung des 
18. Jahrh. ftrebte, dies längſt einge: 
bürgerte Alde oder Ade zu tilgen und 
ein ganzes franzöfiiches adieu herzu— 
ftellen.“ Dem Deutjchen Elingt ja von 
jeher alles Fremde viel vornehmer, daher 
auch die vielen, zu 70 Percent, unnöthis 
gen Fremdwörter. 

Manche Anreden” und Begrüßungen 
find der Mode unterworfen. Bei uns 
in Defterreih hat jet Jedermann „die 
Ehre“, als ob dA Gegrüßte als ein 
böher Geftellter von dem Grüßenden 
etwa einen Beſuch empfange.  Diejes 
„Hab’ die Ehre* fann nur einen Sinn 
haben, wenn dabei gedadt wird: — Sie 
zu grüßen, zu ſehen ober dergleichen. 
Sonſt ift es ein nichtsſagender Gruß, 
für den 3. B. ein Vorgeſetzter einem in 
feinen Dienften Stehenden nicht mit der— 
jelben Phraje danken kann. Hat der 
Vorgejegte auch „die Ehre?" — 

ferner hört man: „Ahr Diener!” 
fogar „Korſchamer Diener! Servus 
(serviteur)! u. a. das „Tſchau“ haben 
die Dfficiere aus Italien mitgebradt, 
als den Defterreichern Venedig und Mai- 
land noch gehörte. ES iſt das italienische 
schiavo, d. 5b. Sclave.: Ein jolder 
Gruß ift doc jelbjt als gedanfenloje 
Phraſe gegen alle Menjchenwürde, mehr 
als das fkameradjchaftlide „Servus“, 
das auch ausgeiprocen wird, ohne etwas 
dabei zu denken, 

Die Höflichleit hat einen fonderbaren 
Entwidlungsgang. Indem fie für eine 
Erböhung der fremden Perjon forgt, gibt 
der Redende jcheinbar jeine Selbftahtung 


107 


auf. Man kann einen Andern noch jo 
jehr erheben, ohne fih dabei herabzu— 
jegen, wie das beionder3 am Schluffe 
der Briefe und jonftiger Zujcriften ge 
ihieht. Im der Sprade der alten 
Römer und Griechen findet fich feine 
Spur dieſer unmwahren, von echter Be- 
jcheidenheit weit entfernten Selbjterniedri- 
gung, zu der fich die oftafiatifchen und 
leider auch moderne europäiſche Völker, 
insbejondere die Deutfchen, verleiten ließen. 
Hinter einer ſcheinbar demüthigen Phraje 
ftedt oft eine große Eitelkeit. Ich fragte 
einft einen Glavierjpieler, wer den von 
ihm geipielten Marſch componiert habe. 
Er antwortete: „Nun, meine Wenigfeit 
bat einmal eine ſchwache Stunde gehabt.” 
Das Ich, welches ſonſt im Leben eine 
jo große Nolle jpielt, hat er vermieden, 
um bejcheiden zu — ſcheinen. 
Vernalefen. 


Anſinn und Haturalismus in 
Schulbüchern. 


In Deutſchland erſchien vor einiger 
Zeit ein bibliſches Leſebuch für die Jugend, 
verfaßt von Otto Schulz, herausgegeben 
von Dr. G. A. Klix (Berlin, Dehmigte's 
Verlag). Das Buch ift in vielen Schulen 
de3 deutjchen Reiches verbreitet. 

Dem Vormworte gemäß ift der Zwed 
des Buches, „eine Auswahl der wichtigften 
biblifhen Erzählungen in ihrer einfachen, 
urjprünglihen Form zu geben, bloß mit 
Weglaſſung folder Stellen und Ausdrüde, 
die für das jugendliche Alter entweder un— 
verftändlich oder anſtößig ſein könnten.” 

Das klingt ſehr hübſch und derjenige, 
der fih die Mühe gibt, das Vorwort zu 
lejen, wird diejen Principien jeine volle 
Anerfennnng nicht verfagen. Doch auf den 
erſten Blick erkennen wir, daß das Schulz. 
Klixſche Buch ein Wert ganz bejonderer 
Art ift. Da finden wir wunderbare Dinge 
in Hülle und Fülle: erjtens Wörter, Sätze 
und Ausdrüde, die entweder völlig un— 
verftändlich find, zweitens andere Wörter, 
Säte und Ausdrüde, die dur ihre brut- 





gefühl aufs Tieffte verlegen. Im „Ma- 
gazin“ gibt Gurt Abel einen Auszug 
ſolcher Stellen, die er eintheilt in Sprach— 
ih Anftößiges und in Unzüdtiges. 

Spradlid Anftößiges. 

©. 10. Nach diefen Geſchichten begab 
fih’s, daß zu Abraham geihah das 
Wort des Heren im Geſicht. (Soll 
bedeuten, der Herr offenbarte fih dem 
Abraham im Traume.) 

©. 15. Da ließ der Herr Schwefel 
und Feuer regnen von dem Herrn 
vom HimmeM"herab auf Sodom und 
Gomorra. 

©. 16. Hundert Jahre war Abraham 
alt, da ihm fein Sohn Iſaak geboren ward. 
Und Sarah jprah: Gott hat mir 
ein Lachen zugeridtet; wer es 
hört, der wird mein lachen. 

©. 22. Er aber jprah: Dein Bruder 
ift gefommen mit Lit und bat Deinen 
Segen hinweg. Da jprad er: Er heißt 
wohl Jokob; denn er bat mich nun zwei 
Mal untertreten. 

©. 24. Und er blieb die Naht da 
und nahm von dem, das er vor 
banden hatte, Geſchenk jeinem Bruder 
Gjau. 

©. 25. 
feinder, 

©. 26. Als fie ihn nun jahen von 
ferne, ehe denn er nahe bei jie Fam, 
ihlugen fie an wider ihn. 

©. 30. Warum Habt Ihr jo übel 
an mir gethban, daß Ihr dem Manne an« 
gejagt, wie Jhr noch einen Bruder habt? 

©. 31. Da ſprach Joſef zu jeinem 
Haushalter: Auf, und jage den Männern 
nach und wenn Du fie ergreifeft, jo Iprich 
zu Ihnen: Warum habt Ihr Gutes mit 
Böſem vergolten? Habt Ihr nicht 
das, daraus mein Herr trinfet, 
und bamiter aud weisjagt? 

S. 39. Denn der Herr verftodie das 
Herz Phoraos, des Königs in Aegypten, 
dab er den Kindern Iſrael nadjagte, Aber 
die Kinder Iſrael waren dur eine hohe 
Hand anägegangen. 

©. 39. Und die Wolkenſäule machte 
fih auch von Ihrem Angefiht und trat 


Da wurden fie ihm noch 


tale Natürlichkeit das Anjtandss ı hinter fie. 


45 * 


©. 55. Denn fie (die Kinder Yirael) | der Hütte. Und fie waren beide, Abraham 


verließen je und je den Herrn und dieneten 
Baal und Aftharoth. 

S. 59. Deflelben gleichen alles Uebel 
der Männer Sichems vergalt Ihnen Gott 
auf ihren Kopf und fam über jie der 
Fluch Jonathans. 





und Sarah, alt und wohlbetagt. Darum 
lachte Sarah bei ſich ſelbſt. Da ſprach 
der Herr zu Abraham: Warum lacht 
Sarah? Sollte dem Herrn etwas un— 
möglich jein ? 

©. 18. Und fie war eine jehr jchöne 


©. 62. Da er nun von feinem Schlaf | Dirne von Angeficht, noch eine Jungfrau. 


erwachte, gedachte er: Ich will ausgeben, | 


wie ich mehrmals gethan habe, und will 
mich ausreißen. 

S. 62. Da madte fie fih auf mit 
Ihren zwei Schnüren (— Schwägerinnen.) 

©. 65. Siehe, es wird die Zeit 
fommen, daß ich entzwei brechen will Deinen 
Arm und den Arm Deines Vaters Haujes, 
daß fein Alter ſei in Deinem Haufe. 

©. 65. Und der Herr jprad zu Sa- 
mual: Siehe, ich thue ein Ding in Jirael, 
daß, wer das hören wird, dem werden 
feine beiden Ohren gellen. 

&.72. Und er jtand und rief zu dem 
Zeuge Ifraels und jprah zu ihnen: Was 
jeid Ihr ausgezogen, Euch zu rüſten in 
einen Streit? 

©. 73. Denn wer ift der Philifter, 
der den Zeug des lebendigen Gottes höhnet ? 

©. 75. Der König begehret feine 
Morgengabe ohne hundert Häupter von 
den Philiftern, daß man ſich räche an des 
Königs Feinden, 

©. 80. Siehe, Deine Magd hat 
Deiner Stimme gehorchet, und habe meine 
Seele in meine Hand gejeht, daß ich 
Deinen Worten gehordte. 

©. 93. Werben Deine finder ihre 
Wege behüten ... jo joll an Dir nimmer 
gebrechen ein Mann aufdem Stuble Iſraels. 

©. 94. Ad), mein Herr, ich und diejes 
Weib mwohneten in einem Haufe und ich 
gelag bei ihr im Haufe. 

Unzüdhtiges. 

©. 10. Da erſchien der Herr Abraham 
und fprah: Deinem Samen will ich dies 
Land geben. 

©. 12. Und Abraham jprad weiter: 
Mir haft Du feinen Samen gegeben. 

S. 13. Da jprad er: Ich will wieder 
zu Dir fommen übers Jahr, fiehe, fo joll 





©. 86. Und es begab fi, dak David 
um den Abend aufitand von feinem Lager 
und gieng auf dem Dach des Königshauſes 
und ſah vom Dach ein Weib fih waſchen 
und das Weib war jehr ſchöner Geitalt. 
Und David jandte hin und ließ nach dem 
Meibe fragen, und man fagte: Das ift 
Bathieba, die Tochter Eliams, das Weib 
Urias. . . Und da Urias Weib börete, 
dak ihr Mann Uria todt war, trug fie 
Leid um ihren Hausmwirt. (Anmerkung. 
David bat nämlich den Tod des unbe— 
quemen Gatten mittlerweile veranlaßt.) 
Da fie aber ausgetrauert hatte, jandte 
David hin und ließ fie in jein Haus holen 
und fie warb jein Weib und gebar ihm 
einen Sohn. Aber die That gefiel dem 
Herrn übel, die David that. 

©. 99. Denn Du haft meine Nieren 
in Deiner Gewalt, Du wareſt über mir 
in Mutterleibe. Jh danfe Dir darüber, 
daß ich wunderbarlich gemadt bin; wun— 
derbarlich find Deine Werke und das er- 
fennet meine Seele wohl. Es war Dir 
mein Gebein nicht verhohlen, da ich im 
Verborgenen gemacht warb, da ich gebildet 
ward unten in der Erbe. Deine Augen 
jahen mich, da ich noch unbereitet war... 

©. 113. Ich bin nadend von meiner 
Mutter Leibe gekommen, 

&.154. Wer ein Weib anfiehet, ihrer 
zu begehren, der hat jchon mit ihr die 
Ehe gebrochen in jeinem Herzen. 

©. 188. Nun find bei uns gemejen 
fieben Brüder. Der erite freite und ſtarb, 
und dieweil er nicht Samen hatte, lieh 
er jein Weib jeinem Bruder. 


* * 
Das genügt! Sole Früchte trägt 
das Beitreben „Stellen und Ausdrüde, die 


Sarah, Dein Weib, einen Sohn haben. | für das jugendliche Alter entweder un— 
Das hörte Sarah hinter ihm in der Thür ; verftändlich oder anftößig fein könnten,“ 


709 


fortzulafien ! Im bejten Falle verjteht das 
Kind nicht, was es liest — dann bietet 
man ihm etwas Unverdauliche und das 
fann doch unmöglich in der Abficht einer 
gejunden Pädagogik liegen. Man follte 
meinen, daß das Schulz-Kliriche Buch eine 
unerhörte Erjcheinung ift, doch nein! Faſt 
alle biblijchen Lejebücher der höheren Schu» 
len machen ſich desjelben gemeingefähr- 
lihen Vergehens jchuldig. 

‚Und neben ſolcher Nohheit in reli- 
giöfen Schulbücern fteht die Prüderie 
gegenüber von Volksſchriften für Erwach— 
jene. Wir müſſen um Entjchuldigung bitten, 
dab wir das Schulbuch citiert haben. 


M. 


Der Mahnbrief eines Fürften 
an feinen Sohn. 


Man kann fih von dem Eindrud 
der erjten franzöfiichen Revolution auf 
die Fürſten ein ziemlich deutliches Bild 
machen, wenn man ſich in den Brief 
vertieft, den der Herzog Ernſt II. von 
Gotha-Altenburg zu Anfang diejes Jahr- 
bundert3 an feinen Sohn Friedrich jchrieb. 
Der Brief befindet fih im berzoglichen 
Arbiv zu Gotha und lautet: „DO, mein 
Kind! wir leben in jchlimmen Zeiten 
und jehen einer unerwarteten Zukunft 
entgegen, Deren Folgen und Endſchaft 
Niemand zu beftimmen im Stande it. 
Bedenke dies, mein lieber Sohn und 
folgere die Lehren daraus, die ich Dir 
gegeben habe. Alles, ja Alles will 
unjerem Stande zu Leibe, will ihn ver- 
drängen und vernichten. An ihm jelbit 
würde nad meinem Gefühle eben nicht 
jehr Bieles verloren geben, dies gibt 
wohl ein Jeder zu; allein hiermit iſt 
noch nicht Alles gethan, jondern die 
Ordnung der Dinge, die nun einmal in 
der Welt jtattfindet, gehet zu Grunde, 
die gejellfchaftliche Verbindung löst fich 
auf, eine allgemeine Anarchie und Wer- 
wirrung der Geſinnungen und Leiden- 
ſchaften muß jene Stelle in der Zukunft 
vertreten. Daraus folgt natürlich, daß 
alle Diejenigen, die bisher zu irgend 


einem Stande erzogen worden find, nicht 
mehr zu demjelben taugen werden ; daß 
Vermögensumftände, wo ſolche noch zu 
retten find, micht mehr in dem Maße 
werden angewendet werden fünnen, wozu 
man ſolche anzumenden gewohnt war; 
ja, daß die mehrſten Güter diejer Erde 
verloren gehen werden, und dab Die- 
jenigen, die jet darauf rechnen, in der 
Folge Äh in ihrer Rechnung gewaltig 
irren und verrechnen werden. Bu fiebit 
leicht ein, mein guter Fritz, daß Dir’s 
nicht beijer als anderen ehrlichen Leuten 
gehen wird, und daß Du bei Zeiten 
Dich darauf vorbereiten mußt, um nicht, 
wenn das Schidjal auch uns, Dich und 
mich, trifft, in der Verlegenheit Dich zu 
befinden, einmal betteln zu gehen. Noch 
bift Du jung genug, etwas Ernſthaftes 
zu lernen, was es auch fei, um einmal 
Dein Brot zu verdienen und der dann 
noch übrigen menjchlichen Geſellſchaft nicht 
zur unnützen Laſt zu fein. Bedenke 
dies, mein guter Fritz, und bedenke es 
ernftlih, wie ein Mann. Etwas mußt 
Du doh anfangen, um Dir nicht jelbit 
zur Laft zu bleiben. Ich für meinen 
Theil, ih bin ganz gefaßt. Kann ich 
nicht mit dem Kopf arbeiten, jo babe 
ih von Gott Gejundheit, Hände und 
Muth als Gnadengefchent erhalten, jo 
dab ich hoffen darf, nit vor Hunger 
zu fterben; aber Du und Dein Bruder, 
hr macht mir Sorgen und Kummer, 
Ih bitte Dich, fange an, ernftlich über 
die Zukunft nachzudenken und irgend 
einen vernünftigen Plan zu entwerfen, 
was Du dermal einft anfangen willit, 
wenn ich Dich nicht mehr zu unterftügen 
im Stande fein werde, Du haſt mir 
Dein Bildnis überfhiden wollen, mein 
guter Frig, es joll mir herzlich lieb fein 
und ich danke Dir aufrictigft dafür; 
aber jhide mir Deinen feſten, erniten 
Entihluß, ein Mann — ein deutjcher 
Mann zu werden, damit wirft Du mic) 
noch weit mehr verbinden; denn Du 
wirft mir die Sorge erleichtern, die mir 
Dein fünftiges Schidjal madht. Nur 
werbe beftimmt etwas, damit Du Dich 
nicht vor Dir jelber zu ſchämen braucht. 


Nun leb’ wohl! Behalte mich Lieb, und 
jei von meiner Zärtlichkeit überzeugt! 
Ich babe Dir vielleiht unangenehme 
Dinge gejagt: mag's jein, wenn Du 
nur noch ein brauchbarer Menjch wirft, 
der nur zu Etwas müge it. Aber mein 
Ernft, mein voller Ernſt iſt es; denn 
die Seiten werden immer vermworrener, 
und am Ende kommt da3 Auswandern 
gar an uns ſelbſt. rnit.“ 

Wenn man heute diejen Brief liest 
und damit die Gleichgiltigfeit und Sorg- 
lofigfeit unferer befigenden und gebildeten 
Claſſen, namentlich des in den Irrthümern 
des „Sichſelbſtüberlaſſungsſyſtems“ befind- 
lichen Theiles, vergleicht, jo muß man 
dem paradoren Ausſpruch Recht geben, 
daß die Gejchichte für den Menjchen 
nur den Zweck habe, nichts daraus zu 
lernen, 


Yifitkarten des Lebens. 


Bon Wilhelm Huſchakl. 


Vhantafie ift der Großgrundbeſitz des 
Geiſtes. 


* 
Hoffnung iſt das Pathengeſchenk des 
Himmels an die Menſchheit. 


* 
* * 


yür Ordensjäger wäre ein Jaäger— 
orden zu creiren. 


= 
* 


Statt Wereindmeierei lieber — Meies 
reivereine! 


* 


* * 
So mancher Dickſchädel iſt doch nur 
ein — Schwachkopf. 
* 


Nicht immer ſind die empfindlichſten 
Naturen auch die feinfühlendſten. 


* * 
Die Mode it die Ymangsjade der 
eleganten Welt. 
* + 
Auch der Taube kann einer Schmeiche- 
lei williges Gehör ſchenken. 


710 


Loſe Gedanken befigen jelbft auch Ger 


danfenloje. 


+ 


* * 


Wer die Franenwelt zu jtark liebt, 
wird leiht ſchwach. 


* 


Die Geburtstage find die Ratenzah— 
lungen auf den Tod. 


* 
+ 


Durch das, worauf wir am meiſten 
ſpitzen, werden wir am leichtejten abge- 
ftumpft. 


* 


* 


Durch einen „Schatz“ 


arm geworden. 


* 


it Mancer 


* 
* 


Man kann au zu Fuße abfahreı. 


* 


— — — — — — — 


* J 
Du wirſt trotz allen Verſtandes oft 


nicht verſtanden. 
* 
* 


Warum zum Gurbaus, wo Hauscur 
' genügt? 


* 


> 
+ 


Bei Gejhmiftern wird dem männlichen 
Theil mehr Gewillenhaftigfeit zugemuthet, 
weil man immer die brüderliche Theilung 
betont. 


* 





* 


Nicht Alles, was aufrecht, baſiert 
auf Recht. 





Moderne Frauen ſprechen das Wort 
Gemahl nicht derart, als fie es denlen: 
„Geh mal!“ 


* 
* 


Wie ſich die Zeiten ändern, früher 
galt der Rübezahl, jetzt die Rübenzahl. 


* 


* 


Sei im Lieben und im Hallen immer 
ruhig und gelaffen; will das Glüd Dich 
irgend fallen, hüte Dich, es auszulaſſen: 
fannft Du jelbft nicht jubeln, praffen, 
„willſt in Noth den Freund verlafien ?* 
Zu dem Weib, zu Deinen Kaſſen jollit 


| Du doch nicht Jeden laſſen! 





11 


Geiftvolle Frauen bewähren oft wenig | ftoßartigen Schlag auf die Magengrube. 
Seele und jeelenvolle Wejen nicht jelten | Wenn dies nit im Stande ift, den 


wenig Geiſt. 


Zur Rettung von Berunglüdten. 


Schon eine Menge Menjchen haben 
durch Weberjchwenmungen, beim Baden 
und Fiſchen, durch Umſchlagen oder Ver- 
finten der Schiffe, durch Einfinfen unter 
Eis — im Waſſer das Leben verloren 
und verlieren ed noch immer. Wie manches 


Patienten aufzumweden, jo muß man weiter 
verfahren, um das im die Lungen und 
den Magen eingedrungene Wafler heraus 


zubringen und zwar nach Vorfchrift zwei. 


II. Zweite Borfärift. 

Mendet den Patienten fanft um auf 
fein Gefiht, jo dab die Magengrube, 
über ein zufammengefaltetes Gewand gelegt, 
etwas höher als der Mund zu liegen 
fommt. Uebet eine oder zwei Secunden 


berzige liebe Kindlein hat zum Jammer fang einen feften Drud auf den dem 
der oft durch Nacläfjigkeit ſchuldigen Magen und der Lunge gegemüberliegenden 
Eltern im Jauchetrog ein jchredliches Ende | Theil des Nüdens aus, und wiederholt 
gefunden! Wie unzählig viele Unvor- | diefen Drud ein oder zwei Mal, bis die 


ſichtige oder Verzweifelnde haben fich mit 
Kohlendämpfen erftidt und am Stricke 
erwürgt! Wie oft meldet man, daß in 
den Kellern von gährendem Mojte Per- 
jonen todt geblieben jeien, welche fich nad) 
dem SHerzerfreuer umjehen wollten und 
Andere, welche fie retten wollten, mit in 
den Tod hineingezogen haben ! 

Viele, man darf wohl jagen, die 
meiften dieſer Menjchenleben, find nur 
durh die Unkenntnis des Volkes über 
zwedmäßige Rettungsverjuche zu Grunde 
gegangen. Der „Heimgarten“ bringt daher 
ein von den maßgebenditen Aerzten ge« 
billigtes Rettungsverfahren, durch welches 
ſchon viele jcheinbar todte Perjonen zum 
Leben zurückgebracht worden find und ferner 
zurüdgebradht werden können. 

Es berubt diejes Verfahren auf Wieder- 
einleitung des ftodenden Athems, und es 
ift nicht nur bei Erftidten und Ertrun« 
tenen, jondern ſogar bei durch raſch 
tödtende Wflanzengifte (Alkaloide) und 
Blauſäure Vergifteten mit großem Erfolg 
angewandt worden, bejonderd wenn man 
fihb in den Bemühungen nicht dadurch 
abjchreden ließ, daß der Erfolg nicht vor 
einer halben Stunde oder noch jpäter 
eintritt. 

I. Erfie Borfärift. 

Leget den im Waſſer Verunglüdten 

auf den nächſten trodenen Platz an freien 


zlüffigfeit aufhört, dem Munde zu ent« 
fließen. 
III. Dritte Borfdrift, 

Dann kehrt den Patienten ſchnell 
wieder auf den Rüden, wieder mit dem 
Kleiderbündel unter ihm, jo dab der 
untere Theil der Bruftbeine (Rüdgrat und 
unterjte Rippen) etwas höher zu liegen 
fommt als der übrige Leib, Es knie 
Einer an jeiner Seite, oder noch beſſer 
mit ausgejpreizten Beinen rittlings über 
ihn (natürlich ohne in letzterer Stellung 
ib auf ihn zu ſetzen), lege feine Hände 
auf beide Seiten feiner Magengrube, auf 
die Vordertheile jeiner unterften Rippen, 
jo dab die Finger von jelbit auf die 
Zwijchenräume zwilchen diefen Rippen zu 
liegen kommen und mit ihren Spiten 
gegen den Hintergrund, dem Rücken zu, 
ſich erjtreden. Nun faſſe er die Taille jo 
an, bediene fich jeiner Anie als Dreh— 
punkt, treibe auf diejem feine eigene 
Körperlaft vorwärts, indem er die Bruſt 
des Patienten beraufdrüdt, wie wenn er 
den Inhalt von deſſen Bruft und defien 
Magen gegen den Mund binaufdbrängen 
wollte. Diejer Handgriff bringt die nach— 
giebigen Rippen des Scheintodten näher 
zufammen, vermindert aljo den Umfang 
der Brufthöhle und zwingt die verborbene 
Luft hinaus. Es ijt dies die Einleitung 
mit Ausathmung. Der Retter vermehre 


Luftzug, zieht ihm die Kleider vom Ober- | den Drud jtetig, indem er Eins, Zwei, 


leibe und gebt ihm eimen nicht zu ftarfen | Drei! zählt. 


Dann aber lafje er nad 


712 


einem Schlußſtoße plötzlich die Bruft den 
Händen entfahren und kehre in feine 
aufrecht knieende Stellung zurüd; die 
Brufthöhlung erweitert ſich wieder und 
in die Leere, welche zu entjtehen im 
Begriffe, wird jofort frische Luft ein 
ftrömen. Es ift dies der MWiederbeginn 
der Einathmung. So bringt man das 
Arhmen wieder in Gang. Sobald der 
Netter wieder aufrecht auf feinen Knieen 
ilt, zähle er Eins, Zwei, werfe wieder 
jein Körpergewicht vorwärts und verfahre 
ganz wie das erſte Mal. Er wiederhole 
dieje blasbalgartig fuetende Bewegung 
zuerſt etwa fünf Male in der Minute; 
nachher vermehre er fie bis zu 15 Malen 
in der Minute und jeße fie mit ber 
Regelmäßigkeit und Taftmäßigfeit des 
natürlichen Athmens, welches man ja nad» 
ahmen joll, fort. Sit noch eine andere 
rettende Perſon gegenwärtig, jo ſoll dieje 
mit der linfen Hand die Zungenſpitze des 
Patienten erfaflen, fie zur linfen Seite 
aus deſſen Mund herausziehen und zwijchen 
dem Daumen und dem Zeigefinger feſt— 
halten, die er mit einem Handtuche (Na$- 
tuche) bededt. Diejes Herausziehen der 
Zunge bat zum Zwede, daß fie nicht 
auf den Kehlkopf zurüdiinfe und den— 
jelben verjchließe, und das Tuch dient 
zum befjeren Halt der Zunge. Mit der 
rehten Hand kann dieſer zweite Netter 
die beiden Handgelente des Verunglüdten 
paden und über deſſen Kopfe auf dem 
Boden feithalten, welche Lage jehr geeignet 
it, die Ausdehnung des Bruftfaftens zu 
befördern. 


Das Nahverfaßren. 

Wenn das wirkliche Athmen endlich 
wiederfehrt, jo Iprige man mit Kraft von 
Zeit zu Zeit ein wenig faltes Waſſer in 
das Geficht des Patienten. Sobald das 
Athmen natürlich geworden, ziehe man den 
Patienten rajch ganz aus, trodne ihn ebenjo 
raſch und vollitändig und widle ihn bloß 
in eine wollene Dede ein. Man gebe ihm 
Branntwein mit warmem MWafjer vermiſcht, 
während der erjten Halbjtunde einen Thee— 
löffel voll alle fünf Minuten und darauf 
während einer Stunde einen Ehlöffel voll 


alle fünfzehn Minuten. Weun die Glieder 
falt find, jo erwärme man fie durch Reiben. 
Man geitatte dem Kranken Ueberfluß an 
frischer Luft und laſſe ihn in vollftän« 
diger Ruhe. 

— Bei Erftidung durch Kohlengas, 
heiße Dämpfe, Rauch oder auch durch Hän- 
gen wende man bloß die Vorjchriften I 
und III und das Nachverfahren an; die 
II ift überflüffig, da durch fie die ver- 
dorbene Luft und die giftigen Gaſe doch 
nicht aus dem Munde entweichen würden, 


IV. Noh einige praßtifhe Winke, 


1. Vermeide jede Säumnis, Raſches 
Verfahren ift von höchfter Wichtigkeit. Ein 
Moment verloren, ift oft ein Leben ver- 
loren. Man verliere feine Zeit mit Auf 
juchen eines Obdachs; wenn auch gefunden, 
jo jchadet e3 dem Patienten oft mehr, als 
es ihm hilft. 

2. Verhindere, dab ſich Neugierige, 
überhaupt viele Leute um den Patienten 
anhäufen. So ſchwer dies oft zu erreichen 
it, jo ift e8 doch dringend geboten. Der 
Luftumlauf darf nicht gehemmt werden; 
auch darf der Patient, wenn er fih er- 
holt, nicht zum Neden veranlaft werben. 

3. Bermeide die Anwendung jeder an— 
reizenden Arznei, da eine ſolche nur die 
Athmungswege verftopft und den Patienten 
erftiden fann. 

4. Vermeide übereilte, unregelmäßige 
Demegungen mit dem Körper des Scheine 
todbten. In der Aufregung des Augen— 
blides find jolche faft unausweichlich. Aber 
gerade jo wie eine fladernde Kerze, jorglos 
bewegt, erlifcht, gerade jo braucht das 
menjchliche Herz, wenn es nur noch uns 
merklich jchlägt, nur einer ganz wenig ver« 
fehrten Bewegung, nur einer ganz geringen 
Störung, um für immer ftille zu ftehen. 
Die nah Vorfchrift III vorzunehmenden 
Bewegungen follten daher mit großer Sorg- 
falt und Regelmäßigfeit geicheben. 

5. Vermeide überbeizte Stuben. Die 
thieriiche Wärme, welde für das Leben 
erfordert wird, kann nie von außen er- 
jeßt werden, Dies geſchieht am beften durch 
freie Zufuhr friiher Luft und durch Ges 
branch innerlicher Reizmittel. Die daraus 


entjtehbende Lebenswärme wird aber am 
eheiten bewahrt durch Umhüllung des nadten 
Körpers mit wollenen Deden. 

6. Man überlajje den Scheintodten 
nicht zu schnell dem Tode als Beute. — 
Man kann bis zu einer Stunde, ja bis 
zu zwei Stunden Hoffnung auf einen glüd- 
lien Erfolg des Rettungsverjuches haben, 
obſchon noch fein Vorzeichen desjelben ficht- 
bar if. Der Erfolg ift jogar felten in 
weniger als in zwanzig Minuten gefichert. 
Aljo ermüde man nicht; ein Menjchen- 
leben iſt doch wahrlich wohl wert, dab 
man fich eine, ja zwei Stunden lang an- 
itrenge, e3 zu retten, jogar wenn e3 einen 
ganz fremden Menjchen, geichweige, wenn 
es ein theures Familienglied zu retten gilt. 

T. Der Batient muß fich, jelbit wenn 
er bergejtellt ift, noch einige Tage jehr in 
Acht nehmen und vor jeder Schädlichkeit 
hüten, da jonft jehr leicht Bruſtkrankheit 
eintreten fönnte, 


Auf der Wanderfdaft. 


Sadt jchritten aus dem Dorf hinaus 
Zwei Iuftige Vagabunden, 
Sie hatten Münzen gejanmelt, jedoch 
Blutwenig nur gefunden. 


Vor einem großen Bauernhof, 

Da madten fie Halt verftohlen, 
Der Eine fprah: „Herzbruder mein, 
Iſt drinnen 'was zu holen?" 


Der Zweite drehte fi den Bart 

Mit einem grimmen Flude: 
„Bergang’'nes Jahr beehrt ich das Haus 
Mit meinem werthen Beſuche. 


Der Hausherr iſt ein rarer Mann 
In feinem Schalten und Walten — 
Er wollte mid um jeden Preis 
Zum Efjen dort behalten. 


(Er beste feinen Hund auf mid, 
Der fuhr mir in die Knochen . 
Seitdem hab’ ich in diefem Haus 
Nicht wieder vorgeiproden.* 


Aus vollem Halje lachten d’rauf 
Die beiden im Vereine 

Und madten fih mit Schnelligkeit 
Auf ihre langen Beine. 


3. M. Toscafio. 


23 


Was ſich in eine Kubikmeile 
Alles einſchachteln ließe. 


Denken wir uns vier Bretterwände, 
von denen jede eine Meile lang und eine 
Meile breit iſt; fügen wir dieſelben zu 
einer Kiſte zuſammen und legen darauf 
einen Deckel, der ebenfalls eine Meile 
lang und eine Meile breit ſein muß; 
ſo umſchließt die Kiſte den Raum einer 
Cubikmeile oder einfacher einer Würfel— 
meile; denn Jeder wird zugeben, daß 
die Kiſte einen Würfel bildet, von dem 
jede Seite eine Meile lang und hoch iſt. 
Da wir nun willen, was eine Cubik— 
meile ift, wollen wir einmal ſehen, was 
jolh’ eine Eubifmeile zu jagen hat oder 
einfacher, was ſolch' eine Eubifmeile an 
ſich bat. 

Zu dieſem Zmede wollen wir den 
Dedel der jegt noch leeren Kiſte öffnen, 
die Kiſte mit Allem, was wir zur Hand 
haben, vollzupaden. Die Stadt Wien 
fiegt uns jo recht bequem; wir nehmen 
fie wie Kinderjpielzeug und werfen fie 
in die Kiſte. Darauf laufen wir jchnell 
nach Larenburg und nehmen beiläufig 
alle Dörfhen auf dem Wege mit und 
paden Alles zujammen und werfen’s in 
die Kiſte. Da aber mit all dem nicht 
viel mehr als der Boden der Kiſte ber 
dedt ift, jo müſſen wir weiter ausholen. 
Wir ergreifen ganz Paris mit allen 
Säulen, Thürmen, Triumphbogen und 
Kirchen und werfen's hinein; da aber 
all das noch faum zu merfen ift, müſſen 
wir auch ganz Yondon mit hinzuthun. 
Daß Berlin mit hinein gehört, verfteht 
fih von jelbft, und, um den Frieden 
nicht zu ftören, wollen wir auch Peters- 
burg hinzuthun. Da aber all das noch 
nicht bilft, um die Kiſte merklich zu 
füllen, wollen wir anfangen, Provinzial 
Städte bineinzuthun, amd, um feinen 
| Neid und Rangftreit auflommen zu laſſen, 
\mollen wir alle sFeitungen, Dörfer, 
Schloſſer, Geböfte beilegen. 

Aber all das zieht noch nidt. Wir 
werfen Alles, was Menjchenhände in 
Europa gemacht haben, hinein; aber das 
‚füllt kaum den vierten Theil der Kiſte. 


— 


Wir thun alle Schiffe vom Meere dazu; tere achtundvierzig Millionen einzupacken: 


es hilft nichts. 

Wir greifen nach der alten und 
neuen Welt und werfen Egyptens Pyra— 
miden und Nordamerikas Eiſenbahnen 
und Maſchinenfabriken hinein; wir thun 
Alles, was wir don Menſchenwerlken in 
Afrika, Mfien, Amerika und Auſtralien 
vorfinden, in die Kiſte — und fie wird 
faum zur Hälfte gefüllt werden. 


Nun wollen wir die Kiſte ein bißchen 
ihütteln, dann ſackt fich Alles beſſer und 
legt fih in Ordnung; und da wir's 
uns einmal in den Kopf gelegt haben, 
die Kiſte vollzupaden, jo wollen wir 
verfuchen, ob wir fie mit Menjchen voll» 
befonmen. 


Wir raffen nım alles Stroh zujam- 
men, das auf der ganzen Erde zu haben 
ift, und breiten dies in der ganzen Stifte 
aus; da es jedoch nicht ausreicht, um 
das Gerümpel darunter zu bededen, jo 
müſſen wir Baumlaub zu Hilfe nehmen 
und jtellen jomit eine weiche Schichte 
ber, um Menjhen darauf paden zu 
fönnen. 


Da wir für Jeden etwas mehr als 
zwei Drittelmeter Breite brauchen, jo 
legen wir der Kiſte entlang, eine 
Reihe von zmwölftaufend Menſchen; md 
da wir's den Menjchen gern bequem 
maden, wollen wir die Höhe der Men- 
ſchen zu micht ganz neunzehn Decimeter 
annehmen, jo daß wir auf das Stroh. 
lager viertaufend ſolche Neihen legen 
fönnen. Nun weiß es aber Jeder, daß 
viertaufendmal zwölftaujend netto acht— 
undvierzig Millionen betragen; und da 
Amerifa kaum die doppelte Zahl Men- 
fhen bat, jo Hat die amerifanijche 
Menihheit jammt den vier Millionen 
Auftraliern in den beiden unterſten 
Schichten Plap. 

Nun deden wir ſämmtliche Menſchen 
Amerikas mit irgend einer weichen Schicht 
von einunddreißig Gentimeter Höhe zu und 
legen auf diejes Lager achtundvierzig Mile 
lionen Menjchen aus Aſien darüber. Deden 
wir nun auch diefe Schicht zu und be= 


— — —— — — — —— —— —— — — — — — — — — — — — 


jo gehören faum ſiebzehn Schichten dazu, 
um die achthundert Millionen Menjchen 
Afiens hinzulagern; für Afrika, wo circa 
einhundertneunzig Millionen Menjchen woh- 
nen, brauchen wir vier ſolche Schichten in 
unferer Kiſte und die dreihundert Mil« 
lionen große europäifche Menjchheit, für die 
ſonſt die Welt zu klein ift, mimmt, in 
unferer Kiſte eingepadt, etwas über ſechs 
Schichten ein. 

Im Ganzen alſo fönnen wir in ums 
jerer Kiſte neunundzwanzig Schichten mit 
Menſchen vollpaden; und wenn wir für 
jede Schicht nebjt Strohverpadung einen 
Meter rechnen: jo nimmt die ganze Menich- 
beit des Erdballs in unſerer Kifte nur 
nennundzwanzig Meter Höhe weg, jo daß 
wir bundertfünfzigmal jo viel Menicen, 
als in der Welt eriftieren, brauchen, um 
die nur balbvolle Kifte ganz zu füllen. 


Was bleibt uns nun übrig? Wollen 
wir auch die Thierwelt in die Stifte paden 
und Oben, Ejel, Schafe, Pferde, Maul— 
ejel, Kameele, Elephanten über die ein- 
gepadte Menjchheit werfen und darauf 
Geflügel und Fiſche und Schlangen und 
Alles was kriecht und fliegt: fie würde 
doch nicht voll, wenn wir nicht zu Wellen 
und Gebirgen unfere Zuflucht nehmen. 

Und das Alles ift nur eine einzige 
Gubifmeile! Gewiß, man befommt Reipect 
vor einer Cubikmeile. Bernitein. 


Räthfel. 


Bon Amandus Jamann. 


Ich bin in jedem Reich vorhanden 

Und bin der Erfte, Größte dort; 

Der Ruhm wird ohne mih zu Schanden, 
Ohn’ mid vergeht ein jeder Drt. 


Die Sünde hat mich ſtets gemieden, 
Obgleich die Tugend mir blieb fern 
Und ich dem Lafter mich verfchrieben, 
Mich hütet wohl der Morgenftern. 


Der Tod wird niemals mid ereilen, 
Doch bin ih fhon im fühlen Grab 
Und muß im engen Sarge weilen, 


reiten immer neue Lager, um immer wei- | Dort ſchnarrend, wie ein heij'rer Rab’. 


715 


Auch in dem Herzen muß ich walten, 
Ya jelbft in jeder Leberwurit. 

In jeder Thrän’ bin ich enthalten, 
Ohn' mich gäb's wahrlich feinen Durft, 


Im Nirgends gar bin ih zu finden — 
Id bin führwahr ein jhlaues Ding — 
Du Suche mid, wenn Sträuße binden 
Die Mädchen, dann in ihrem Ning. 
(Auflöfung in den Poftfarten.) 


Büder. 


Ein neues Bud von Sans Grasderger. 


Dak Hans Grasberger ein feiner 
Kenner Italiens ift, wuhten wir bereits, 
dab er aber einer der beften deutſchen 
Novelliiten jei, darüber find wir ung erft 
aus der Lectüüre der Novellen „Aus der 
ewigen Btadt‘ (Leipzig. Verlag von A. ©. 
Liebeskind) Far geworden. Schon der Titel 
hat etwas für fich, denn er dedt der Mehr: 
zahl nad Novellen, deren Schauplag man 
nach beliebtem Mufter nicht auch ebenjo gut 
nah Spanien oder China verlegen dürfte, 
denn es pulfiert echt römisches Blut darin, 
das durd den Gontraft, den die fremden 
Flemente dazu bilden, um fo eigenartiger 
und lebendiger bervortritt. Dem ECharalter 
der ewigen Stadt angemefjen, könnte man 
einige Novellen als „Künftlernovellen” be: 
jeihnen. Im dieſen jchildert der Dichter 
mit Vorliebe das Unzulängliche des künſt— 
leriihen Könnens mit einer Variante der 
Nedensart des Ben Aliba und zeigt ung 
mit wunderbarer Poeſie die endliche Befrie— 
digung dur die Allgewalt der Liebe. 
Tiefer Gedanle fommt am wirffamften im 
„Berpfändeten Maler“ zum Ausdrude, Daß 
in diefer Novelle ein, wie man annehmen 
muß, ungebildetes Mädchen Taſſo's Verſe 
declamierte, um den Maler zu injpirieren 
und zu begeiftern, ift für den Kenner des 
italienifhen Bolfes feine Ungereimtheit. 
In Italien lebt der gemeinfte Mann mit 
feinen Unfterblihen auf vertrauterem Fuße, 
als mander Deutjche der jogenannten ge: 
bildeten Stände, dem die Sprade des 
Sportsman viel vornehmer dünft als ein 
Bers Schillers. Daß Grasberger treffend 
haralterifiert und ficher motiviert, verfteht | 
fi bei ihm von jelbft und ift für den) 
Meifter der Novelle unerläßlich. „Il 





befist. Dasjelbe gilt auch von „Vicolo 
cieco“. — Ueber der Erzählung „Das 
Aloeblatt*, das wir für die formreifite 


und lieblichfte der Sammlung halten, wenn 
fie auch nicht jo jehr von tieffinnigen Ne: 
flerionen und Sentenzen ftroßt, wofür fie 
jedoch einen unmittelbaren, lebendigeren 
Eindrud hervorbringt, lat der italienische 
Himmel in feiner ganzen  beftridenden 
Heiterkeit. — In allen diejen Erzählungen 
wird, was für Viele verlodend geweſen 
wäre, ein Hereinzerren des geiftlihen Rom 
mit künftleriicher Beſchränkung vermieden, 
ja die „Daberwirtin“ bat nit einmal 
italienifhen Boden zu ihrem Schauplage. 


Aber jener Geift, der von Nom aus ftrahlen: 


förmig über die ganze Erde fich verbreitet 
und eine ftaunenswerte Adhäfion ausübt, 
jenft etwas wie ein verirrtes Strahlenbündel 
über das Schidjal zweier junger Licbesleute, 
wird jedod noch redhtzeitig von der flugen 
„Haberwirthin* erfannt und gebannt. — 
So ift in geiftreiher Art feiner der Macht: 
factoren der ewigen Stadt in Grasberger's 
Bud unvertreten, denn aud die Revolution 
jpriht im „Vicolo cieco* ein Wörtlein 
darein. — Es iſt uns jeit Langem nicht 
ein fo anjprehendes Buch zu Geficht ge: 
fommen — ein ſolches Werk ift der befte 
Sturmbod gegen eine gewiſſe gefinnungs: 
und cdaralterloje Riteratur unfere Tage. 


Ein Meifter der deutfhen Novelle. 


Ton Hermann Menfes. 


Mehr als alle andere hat die deutjche 
Literatur die Eigenthümlichleit, auswärtige 
Strömungen und Richtungen in fih auf: 
zunehmen, fih gleihjam der herrſchenden 
literariichen Mode unterzuordnen und nicht 
geradewegs den ihr von der Geſchichte, von 
ihrer eigenen urſprünglichen Entwidlung 
angemwiefenen Pfad zu wandeln. Die Trou— 
badours beeinflußten die Minnejänger, die 
Vermwilderung der franzöfiihen Literatur 
zu Zeiten weiland Gottſchieds gieng auf die 
deutſche über, und jeßt, in unferem nüchternen 
Zeitalter, trägt die Schule Zola's und Eon: 
jorten bei uns wild mwucdernde Früchte, 
Die Zeit des BVerfalles der deutjchen Lite: 
ratur hatte die mädligen Stimmen, die 
beldenhaft fämpfenden federn eines Leſſing 
und Bodmer, die als Netter und Weg: 
weijer auftraten. Aber unjere Zeit? Jetzt 


Beppone“, würden wir gerne miffen, wenn | entftand eine neue Schule in Frankreich 
er nicht als eine Ergänzung, gewifjermaßen | und ihr Heros ift Emil Zola. Der Natura: 
als ein Schlagſchatten des fonft jo freund: lismus aber befämpft nicht nur einen Hyper— 
lihen Bildes nothwendig wäre. „Tag! Romanticismus, er jet jeine Aufgabe nicht 
und Nacht“ ift eine fein piychologiih aus: | bloß darein, die Erzählung wie jede dichte: 
gearbeitete Novelle, die ihre Stärke nicht | rifche Production dem Leben, dem wir: 
jo jehr in Fünftlerifcher Abrundung und Boll: | lichen Leben, mit Allem, was dasjelbe durch: 
endung, als piydologiiher Gijelierarbeit | braust und durchglüht, näher zu bringen, 


716 


jondern er jucht feine Aufgabe darin, das Zweck der Poeſie, veredelnd zu wirken, er: 
Leben mit al’ feinem — Schmutz, füllen. 
ſeiner Verwilderung und rniederung mit aul Heyſe iſt gleichſam ein poeliſcher 
den häßlichſten Farben zu copieren! Solches — F — Fr Wer 
ift das nur im Haſchen nad) dem Effectvollen menjhlice Herz, die menſchliche Seele zu 
neu entitandene feld, das er ſich für feine ergründen, das ift die Aufgabe, die er ſich 
fruchtbare, aber verderbliche Thätigleit aus⸗ ſeit dem Anbeginne feiner Titerariichen 
erwählt hat! Und dieſe neue, allerdings Thätigleit, von der Erftlings : Novelle 
urſprünglich franzöſiſche, literariſche Manie 7, ’Arrabiata“, bis zu feiner legten Arbeit 
bat in Deutichland viele Nadbeter und geftellt hat. Durch jede Novelle zieht ſich 
Nachahmer gefunden und von Producten | wie ein rother Faden ein pſychologiſches 
dieſer Gattung jheint der deutſche Bücher: Hroblem. Und als feiner Seelentenner 
marft faſt Uberſchwemmt zu werden. Der | yerfteht er dasjelbe meifterhaft zu löfen. 
herrſchen! Zuſtande und Conflicte handeln müßie? 
In ſolchen Zeitläufen iſt es doppelt Dieſe Frage ſcheint ſich Heyſe beim Beginne 
erquicklich, zu ſehen, wie ein Dichter wie der Arbeit zu ſtellen, und erftaunlich iſt es, 
Paul Heyſe von diefen literarifchen Aus: | wie confequent, wie harmoniſch er dieſe 
wächien fi fern hält, ja diejelben als ein, frage löst. Aber noch erftaunlicher ift es, 
Leſſing der Gegenwart mit allen ihm zu wie er immer neue originelle pſychologiſche 
Gebote fiehenden reihen Mitteln, durd | Probleme aufzufinden verfteht. Vor Allen 
eigene Mufter, jowie dur das fih an die | aber ift er gleich Meifter Goethe ein Kenner 
Sade richtende Wort befämpft. In der | des meibliden Herzens, des Weibes, das 
That ift Paul Heyie der NRepräfentant des | bei allem Zartfinn fo viel zu dulden, bei 
Idealismus in der deutfchen Literatur der | aller Launenhaftigfeit jo viel zu vergeben 
Gegenwart. Er hat aber auch nie einer| und zu vergejjen vermag. Jede Regung der 
Mode gedient und ift bloß fih und feinen | Seele ift ihm befannt, jede Nuancirung des 
Idealen treu geblieben, im Bewußtſein, Gefuhls ihm vertraut! Denn er ift der 
dak nur Beherzigung der eigenen und echte und rechte Dichter mit dem warmen 
inneren Stimme zum wahren Dichter madt. | empfänglihen Herzen für jedes Leid und 
Er ift ein Ydealift! Aber trogdem ſchafft Menſchenweh! ... 
er dur den Idealismus feine umnebelten Spricht man von Heyfe als don dem 


— — von Blue an — feinen Pſychologen, fo fennt man ihn auch 


verbindet meifterhaft den Idealismus mit als Meifter der novelliftiigen Form. Es if 


n : r bezeichnend für ihn, dab er immer zur 
geiundem Realismus, wodurch jeine Novellen . — ** 
einen feffelnden Reiz ausüben. Novelle zurüdtehrt, diejer lieblihen Did 


: - j de tungsart. Denn in allen Gebieten der 
Wie er fi von jeder literarijhen Mode | Ppoefie mit Erfolg producierend: in fein und 
fern hält, jo ift er auch von der grund: 


j ſo i ſinnig empfundenen Gedichten, denen meiſter— 
ſätzlich peſſimiſtiſchen Richtung nicht ange- hafte, vollendete Form eigen iſt, im Drama 
lränlelt. Denn Heyſe ift fein „Welt- und Epos, wie im Roman, iſt doch die 
ſchmerzler“, und wenn er oft jeine Helden 


( : 1 Novelle fein eigenftes Gebiet und feine 
ein tragiſches Ende finden läßt, jo athmen | eigenfte Schöpfung geblieben, wo er formt 
fie jene milde Verſöhnung mit ihrem Schid: | und vollendet. Seine eigenfte Schöpfung! 
jale, die uns das Gelommene als Erlöjung | Denn zu dem, wozu Goethe und Wilhelm 
erſcheinen läßt, und wobei man fi jagen | Hauff, Ludwig Tied und Heinrich Zichofte 
muß, dab es jo fommen mußte, dab es den Grundftein gelegt — nämlid zur 
nicht anders jein Tonnte! novelliſtiſchen Erzählung in Form von 

Aber feine Figuren holt er fi nicht | „Dekamerone“ — dazu hat er den voll: 
aus den oberen Schichten, er ſchildert nicht; endeten Bau ausgeführt, und was die Novelle 
das hohle Ariftofratenleben: — nad) unten | jet in der deutfchen Literatur geworden ift, 
richtet fih fein Blich, dorthin, wo fich die | das ift zum großen Theil jein Werf, jein eigen 
Tragik des Lebens in ihrer ganzen Größe | ftes Gebiet! Als Novellift fann er fi nie 
abipielt. Als echter Nealift aber weiß er | verleugnen, nicht in jeinen Romanen, denn 
uns die Menichen, von denen uns jonft| die zwei Nomane „Sinder der Welt“ und 
aelellihaftliche Grenzen trennen, näher zu| „Im Paradieje“, Die er gejchrieben bat, 
bringen, fie uns mit einer Reinheit des | find, jo recht betrachtet, eigentlich jeder für 
Gharafters vorzuführen, fie mit der ganzen 


fi eine Novellenfammlung, die nur durch 
Macht edler Menſchlichkeit auszuftatten, die ein leichtes Band zu einem Romane ver: 
uns den wahren Menſchen zeigen. Das ift| bunden find, und Heyſe ſcheint dieſes breitere 
ja der jhöne Zug des Jdealismus, uns Feld nur darum für einen furzen Auf: 
den Menihen in jeiner Unbedeutenheit | enthalt fih ausgejudt zu haben, um jeine 
wichtig zu machen, und nur dies lann den | Piydhologie en gros zu bethätigen.... 


ev 





Aber noch eine Abſicht dürfte ihn bei 
feinen Romanen geleitet haben! Er wollte 
den ihm gemadten Vorwurfe, dab er, 
weil er als echter Dichter das Individuum 
höher ftellt als die Gejammtheit, es mit 
mehr Liebe behandelt, für die jocialen 
Leiden, an denen die moderne Geiellichaft 
frantt, fein Herz babe und gegen diejelben 
indifferent jei, begegnen. Und glänzend ift 
ihm dies gelungen, denn Alles, was unjere 
Zeit durdglüht und durchſtürmt, die reli: 
giöjfen Ideen und die ermeiterten Welt: 
anihauungen der „Kinder der Welt“, die 
fociale Frage, ſowie die gejellichaftlichen 
Zuftände der oberen Zehntaujend, fie find 
hier mit einer Meifterfhaft, mit einer 
Märme geichildert, wie fie nur einem Gutzlow 
und Freytag eigen find. Sein Stil, der ja 
jonft an den Olympier von Weimar er: 
innert und der wie ein fühler, lauterer 
Bach dahin fließt, zeigte in diejen beiden 
Werfen, daß er aud leidenihaftlih auf: 
ſchäumen fann, und voll und feurig find 
die Accente, die er dort anſchlägt. Zugleich 
zeigt fi darin eine neue Seite jeiner Be: 
gabung: das große Talent, marfige Typen 
zu zeihnen und die Zahl der dort Ges 
jhilderten ift geradezu frappierend. 


Weil er der Sänger der Liebe ift, weil 
er über menſchliche Vergehen milde urtheilt, 
ift ihm aucd der Vorwurf nicht erſpart ge— 
blieben, daß das Sinnlihe fein Haupt: 
element ſei, und ein Band „Moralijche 
Novellen” war die Antwort darauf. Geradezu 
düftere Lebensjchatten lagern ſich über 
diefes Buch, und hier hat er das einzige 
Mal peſſimiſtiſche Accorde angejchlagen. 
Gleihmwohl tritt er darin nicht als Raiſon— 
neur und Moralprediger auf, denn nur der 
fafl jhaurige Lebensernft jpiegelt fich darin 
ab. Und jo ift er frömmtelnden und ſub— 
jectiven Kritikern nie die Antwort ſchuldig 
geblieben !!.... 

Heyſe ift auch Satiriker, aber freilich | 
ift feine Satire mild: pridelnd, aber nicht | 
verwundend, janft berührend und nicht 
verlegend, aber aud voll Ironie und Spott 
gegen gejellihaftlihe Fäulnis und jefuiti- 
iches Pfaffentyum. Und der Humor ift ihm 
aud eigen da, wo e3 gilt, feiner heiteren ! 
MWeltanihauung Ausdrud zu verleihen. | 

Italien ift ihm zur zweiten Dichter: | 


heimat geworden, und italienifche Luft und | 
Friſche find es, die jeine Kunſtwerke (umd | 
‚von Iohann Peter. 
|der Iluftr. Yagdzeitung. 1887.) 


ſolche find feine Novellen durch die abge: 
rundete, vollendete Form und plaftiiche 
Darftellungskunft) durchwehen, die niemals 
veralten, die ung Weiheftunden der Poeſie 
verſchaffen! 


717 


ganz entwideln zu lönnen: eine herrliche 
Phantafie, eine glüdlich zurüdgelegte Jugend 
und eine harmoniſche Natur, und jegt fann 
er, im Zenith feiner Schaffenskraft ftehend, 
auf ein Leben zurüdicdhauen, das ruhig und 
blühend wie ein Frühling dahinfloß. Im 
ſchönſten Mannesalter ift er noch von jener 
Schaffensluſt bejeelt, wie damals, als ihn 
einft der funftjinnige Marimilian von Baiern 
in die liebliche Muſenſtadt Minden berief, 
und jeine Mufe jcheint nie ermüden zu 
wollen. 
Rührend ift fein Abjchiedswort an die 

Jugendlichkeit: 

Schöne Jugend, ſcheideſt Du? 

Wohl! Du bliebſt mir lange treu, 

Weil ib Dir im Arm gerubt, 

Schien die Welt mir lieb und quf, 

Kampf und Ruh’, 

Ammer freudig, immer neır. 


Nicht entwidhit Du über Naht, 
Wie uns Dirnengunft verläßt, 
Heiſchteſt jögernd Dir zurüd 
Gab’ um Gabe, Glüd um Hlüd, 
Und mit Macht 

Hielt ih noch die Fliehende feit. 


Wie ein feines Lieb Ah kräntt, 
Das vom Liebiten ſcheiden joll: 
Immer nod ein lehter Auf — 
Noch ein Winten, nod ein Gruß — 
Fern noch ſchwenkt 

Sie ihr Tüchlein, thränenvoll.... 


Ad, und nun, dem Blid entfloh'n, 
Trifft mich nod der Stimme Alang. 
Schweig! DO ode nit von fern! 
Sieh, im Blau der Abendftern 
Schimmert ſchon; 

Um den Schlaf bringt Dein Geſang! ... 


Aber die Jugend, die er entfliehen zu 
jehen glaubte, war hartnädig und fie 
ift geblieben! Seine ſchöne männliche 
Geſtalt ift noch von jener goldigen Jugend: 
Iihhleit ummoben, die nad des Dichters 
Worten „nie entjliegt* und den Stempel 
der Yugendlichleit tragen noch alle jeine 
leiten Dichtungen. Wir aber dürfen hoffen, 
daß es ihm noch recht lange vergönnt fein 
wird, aus dem „Jugendbrunnen“ der Poefie 
zu ſchöpfen, zur ffreude Derer, die fi noch 
an der idealiftiihen Dichtkunſt, die an 
Heyſe als Epigonen:Erbidaft von Goethe 
und Schiller übergegangen ift, begeiftern. 


Buchengrün. Neue Geftalten und Ge: 
fhichten aus dem deutſchen Böhmerwalde, 
(Leipzig, Berlag 


Die Leſer dieſes Blattes werden gerne 
nach dem Buche greifen, denn fie fennen 


den geſchähten Berfafler aus vielen gedie— 


Ein Sonntagsfind in der Kunft, ifter | genen und intereifanten Aufjäten über das 


auch 


ein Sonntagsfind im Leben. Ein Vollsleben des Böhmerwaldes. 


Seinem 


gütiges Schidial verlieh ihm Alles, was | Erftlingswerfe: „Charakter und Sittenbilder 
ein großes Talent bedarf, um ſich voll und |auS dem deutſchen Böhmerwalde.” (Graz, 


Leylam) ift rafh ein zweites gefolgt und 
wahrlih nit minder inhaltsreih und 
liebenswürdig, als jenes. Es ſchließt ſich 
den „ESittenbildern* gewiſſermaßen an, nur 
näbern fi im neuen Bude die Aufjäte 
mehr der Dorfgefhichte, während erfteres 
faſt ausſchließlich ethnographiſch if. Wir 
werden gerne noch eine Reihe ſolcher Bänd— 
chen erleben, weil wir gegenwärtig Keinen 
wüßten, der uns jenen ſchönen Erdwinkel 
und ſein geſundes Voll treuer und an— 
muthiger ſchildern könnte, als unſer Johann 
Peter. Kräftiger Realismus vereint ſich 
in dieſem Schriftſteller mit edlem Idealis— 
mus und die Liebe zu feiner Heimat (er iſt 
ein Böhmerwäldler) verflärt Alles, — Das 
Buch iſt dem deutihböhmiichen nn 
Wilhelm Reſſel zugeeignet, 


Es werde Licht! Hiftoriiher Roman 
von Anton Oborn (Gotha. Friedr. 
Andr. Perthes.) Mit geipannter Erwartung 
nahmen wir den Roman in die Hand, eiwas 
enttäufcht legten wir ihn weg. Man jollte 
glauben, wir hätten die Tendenzromane 
aus der Reformationszeit längft hinter uns: 
Der Verfaſſer belehrt uns eines Beſſeren 
und beihwört noch einmal den ſelig. Ablaß— 
Krämer Tegel herauf; auch einige Hufliten 
müflen erftehen — dazu Mord, Brand, Auf: 
ruhr als Staffage für einige Liebesleute. Wir 
finden einen verliebten Mönd, der Dant 
der Reformation feine Huffitin friegt. Abs 
geliehen von der Unerquidlichfeit des Stoffes 
bat das Buch viele der Vorzüge des be: 
fannten und beliebten Autors, —tt— 


Schlichte Gefhihten nennt Nanna 
Hart drei im Verlage von Guſtav Lange 
in Plauen i. V. erjchienene Erzählungen, 
womit fie wohl das Erſtemal vor die 
Oeffentlichkeit tritt. Gin productives Ta: 
lent wollen wir der Dame nicht abipreden, 
aber Mervorragendes zu leiften, müß: 
ten um vorerft Bhantafie und Geihmad 
in der Wahl der Themata geläutert 
und dem wirklichen Leben alle die Heinen 
Züge abgelauſcht werden, ohne die feine 
zutreffende Charalteriftif gelingt; das Er: 
periment mit dem verichludten und nad 
Jahren wieder zum Vorſchein gelommenen 
Knochenſpitter mag vielleicht vor Prof. 
Billroth beftehen: vor dem Meithetiler be: 
fteht e8 nicht. Und warum, möchten wir 
fie fragen, ftellt fie uns durchwegs breit: 
bafte, unglüdlihe Frauen vor? Sollte 
dahinter etwas wie Peſſimismus ſpulen? 
Wir hoffen ihr noch einmal in Begleitung 
einer fröhlicheren Gejellihaft zu begegnen, 
und freuen uns darauf. 


—tt— 





Echten, anmuthenden Humor zeigt die 
Seminariftengejchichte : Der verzauberte Apfel 
von H. Bauer (Stuttgart. Verlag von 
Robert Zub), die uns in Vielem an die 
Jobfiade erinnerte, aber mit geringerem 
Bedenken der Jugend in die Hand gegeben 
werden darf, Das Büdlein kann als 
Unterhaltungslectüre mit gutem Gewiſſen 
empfohlen werden, —tt— 


Frau von Stael, ihre Freunde und ihre 
Bedeutung in Politik und Literatur. Bon 
Charlotte Lady Blennerhajjett. 
Mit einem Borträt der Frau von Staäl, 
(Berlin, Gebr. Baetel,) 

Vorliegende Biographie umfaßt die 
Ereigniffe der franzöfiihen Revolution und 
des Staiferreichd, der eriten und zweiten 
Reftauration, die Philofophie des XVII. 
und die religiöfe Reaction der Anfänge des 
XIX. Jahrhunderts. Innerhalb eines Zeit: 
raumes von fünfzig Jahren, von 1766 bis 
1817, bat fie das geiftige Leben in Frank— 
reih und England, in Deutihland und 
Italien, und fajt alle berühmten Perſönlich— 
feiten, von Boltaire bis Lord Byron, von 
Mirabeau, bis Lord Wellington, von Gibbon 
bis Chateaubriand, zu ſchildern. Frau von 
Staöl, die Schülerin von 3. J. Noufjeau, 
die Freundin von Goethe und des FFreiherrn 
von Stein, repräjentiert fie, was lebensfähig 
in den Ideen von 1789 geweſen ift und 
was enticheidend für den Entwidlungsgang 
der conftitutionellen Monardie in Frank— 
reih wurde. Mit „Corinna“ hat fie eine 
unfterblicde Geſtalt gejhaffen, mit dem 
„Buch über Deutihland* eine unfterbliche 
That vollbracht. Die Geſchichte ihres Lebens 
ift ein würdiger Beitrag der deutjchen 
Literatur zum Gentenarium von m 


Die Erde in arten und Bildern nennt 
fich ein neues, groß angelegtes Unternehmen, 
das A. Hartleben’3 Verlag in Wien uns 
joeben anlündigt. Das Werk, deilen glän— 
zend ausgeftatteter Profpect uns vorliegt, 
ift das erfte feiner Art, inden es einen 
großen Dandatlas von 60 gediegen aus— 
geführten Karten in Folioformat, mit einent 
geographiihen Handbuche von 125 Bogen 
gleihen Formates und 800 fünftleriich 
vollendeten Ylluftrationen vereint und ſo— 
mit ein Gejammtbild der Erde in Mort 
und Bild bietet. V. 


Mit einer weſentlichen Beränderung 
hat die beliebte Deutſche Jugend für Knaben 
und Mädchen von 9 -14 Jahren, heraus: 


gegeben von Julius Lohmeyer (Berlin, | 


Bernhard Simion) am 1. April ihre Leſer 
überraſcht. Sie hat das unhandlide Quart: 
format in ein bequemes groß DOctav ver: 
wandelt, dabei ihren Umfang erweitert, 
Als der unübertroffene Meifter finnigen 
Thierhumors bewährt fih immer wieder 
Feodor fFlinzer, deſſen launige Thierfiguren 
von Niemand ohne Heiterfeit betrachtet 
werden fönnen, Sorgliden Eltern ſei diejes 
anerkannte Werk für Unterhaltung und 
Belehrung der Jugend empfohlen, V. 


Yorfchriften für den Sandflurmmann, 
eine gemeinfablih zufammengeftellte und 
mit Erläuterungen veriehene Sammlung 
aller militärgejeglihen Beitimmmungen in 
ihrer Anwendung auf Officiere und Manns 
ſchaft im Landfturm der k. k. Armee, ſo— 


wie für Wehrpflichtige Überhaupt. (Wien, 
Kreifel & Gröger.) 
Handarbeit, Vortrag von Julius 


Leifing (Berlin, Leonhard Simion.) 
In diefer Darftellung wird das Ber: 
hältnis der Handarbeit zur Mafchinenarbeit 
jowohl im Allgemeinen wie in den einzelnen 
Gewerben erörtert. Es wird gezeigt, mie 
zunädft die Einführung der Majchinenarbeit 
auf fait allen Gebieten die Handarbeit bis 
zur Vernichtung verdrängte, dab indes jeit 
Jahr und Tag eine ftarfe Reaction ſich geltend 
macht und heutzutage vielfah die Hand: 
arbeit gejuchter ift als zuvor. p 


Im Flugſchriften-Cyklus: Gegen den 
Strom (Wien. Karl Gräſer) find neuerdings 
folgende Schriften erjchienen : 


Moderne Aunftliebhaberei, 
Das Zeitalter der Deutlidfeit. 
Die Corruption im Kleinen. 


Dem Heimgarten ferner zugegangen: 


Literarifdye Modelle und andere Geſchichten. 
Von Ferdinand Grof. (Berlin.S.Fiicer. 
1887.) 


Derurtheilt, Roman von Yriedrid 
Franfe, (Karlsruhe. Gebr. Bollmann. 
1887.) 


Ausjurandum, Roman vonJdaflein. 
(Prag. 9. Mercy. 1887.) 

Aus den Ratakomben Berlins. Bon A. 
Shuppe (G. Schuh und E. Münden.) 


719 





Oskar Blumenthal, der Dichter des 
deutichen Theaters und der deutichen Preiie 
von Eugen Wolff, (Literariiche Volls— 
hefte. Gemeinverftändlihe Aufſätze über 
literarifche Fragen der Gegenwart. I. Heft.) 
(Berlin. Rihard Edftein Nachfolger.) 


Adam Asnyk’s ausgewählte Gedidte, 
Deutih von Ladislaus Gumplomicz. 
(Wien. Karl Konegen. 1887.) 


Sebensbilder. Neue Dichtungen von 
HermannFriedrichs. (Zürich, Verlags: 
magazin. 1887.) 


Strophen. Bon 5* Henckell. (Zürich, 
Verlags-Magazin. J. Schabelitz). 


Schwijer⸗Dütſch. Aus dem Canton Zürich. 
Siebentes Heft. Gejammelt und heraus: 
gegeben von D. Sutermeifter. (Verlag 
von Drell Fuüßli & Eo. in Zürich.) 


Das Weib in der Natur: und Völker: 
funde, Anthropologijhe Studien von Dr. 
9. Ploß. Bearbeitet von Dr. Mar 
Bartels. Mit vielen Abbildungen. I. Lie: 
ferung. (Leipzig. Th. Griebner’3 Verlag. . 
1887.) 


Lexikon der Elektricität und,des Magne: 
tismus. Ein Hand: und Nachſchlagebuch 
von Wilhelm Biscan. (Graz. Leylam. 
1887.) 


Geſchäft oder Funſt? Privat:Pirection 
oder Kädtifde Regie? Ein Beitrag zur Reform 
des Mainzer Stadttheaters. Herausgegeben 
von Heinrich Hirſch. (Mainz. I. Diener.) 


Deutfdland. Monatsichrift zur Hör- 
derung einer friedlichen Socialreform. 
(Baden: Baden. Bubenheim-Harxheim-Zell. 
Rheinpfal;z.) 


Poftkarten des Heimgarten. 


xx 63 wird angelegentlidhft erfucht, 
Manuferipte erft nad vorheriger Anfrage 
einzufenden. Für unverlangt eingeichidte 
Manufcripte bürgen wir nicht. Externe Ur: 
beiten honoriert die Berlagshandlung nicht. 


A. R., Magdeburg: Mit Dank ange: 
nommen, 


3. 8. 6, Görlik: Mein. Laſſen Sie 
das Dichten fein. 


Mm. M., Palau: Lefen Sie die Er: 
zäblung: „Die Belagerung von Pfalzburg“ 
oder „Ein Necrut von Anno Dreizehn“, 
von Erdmann:Chatrian, und Sie werden 
mit Ihren phantaftisch aufgeftelzten Kriegs: 
geihichten hoffentlich beſcheiden zurüdtreten, 


720 
E. R. 8: Hilfe! Das Waſſer ift da! | 3.0.9., Wien: Poeten find ſchon jo, 
Bon allen Eeiten fluten die Iyrijchen Ge: | Geheimniſſe, die fie ihren intimften Freunden 
dichte heran. Yft denn feine Rettung! nit anvertrauen mögen, laflen fie — 


V. Srat: Schön Dank. Das Geſchid | Duden. 

der guten Alten ift rübrend. W. Klagenfurt: Die Zeitichriften pflegen 
X Auflöfung des Räthſels von Seite Nur eingefandte Bücher zu beipreden. 

714 der Buchſtabe r. x Ym Glödnerlied, Seite 637, 4. und 
mM. 3. W., Wien: Das Gedichtchen, 6. Strophe, joll ftatt „Wollte: Walte, 

weldes Alfred Meiner auf das Söhnden | und in der 6. Strophe flatt „heiken*: 


feines Freundes 4. 9. Huſchak in Wien heiſſem gelefen werden, 
gemadt und in Begleitung einer Tajgen: | 





idt bat, Iautet: 3. J. W., Berlin: Sie junger Grün- 
a fpeht mollen den verdienftliden Autor 
An Wilfelm Aufgak! fritifh vernichten? Merten Sie ſich's: Nur 


Was ich Dir, lieber Wilhelm, fende, 
Es ſei mit einem Spruch geweibt. 
Nicht Freuen bloß ſoll Dich die Spende, 


ein Meifter fann meiftern. 


Cie mahn' auch an den Wert der Zeit. j x Bom 1, Yuni an find alle Zu: 

* ine Uhr Nuheht feit ab fhriften an die Redaction des „Heim: 
enn meine rm e et „Jahren, “ . N 

Mein Name aud Frinnerung nur, garten nad 8 rieglach (Steiermark) „au 

Dak fih die Bäter Freunde waren, richten. Alle Adreſſen an die Adminiſtration 

Daran gemahne Dich die ühr. und Expedition wie bisher nach Graz, 


Bregenz 5. Februat 1873. Alfred Meißner. Verlag „Leylam“ 


Don den Jahrgängen I bis VI des „Brimgarfen“ geben wir 
nod eine beftimmte Anzahl von Exemplaren zu dem ermäßigten Preife von 
fl. 180 — Mt. 3:60 pro Jahrgang ab. 

Diejenigen unferer geebrten Abonnenten, welche diefe Jahrgänge zum 
ermäßigten Preife bebufs Ergänzung noch zu erwerben wünfhen, mögen 


mit ihren Beftellungen nicht zögern, da nad Derbraud der zu diefem Zwede 
beftimmten Exemplare der frühere Ladenpreis von fl. 5°60 — Mt. 7:30 
pro Jahrgang wieder eintritt. 

Jede Buchhandlung nimmt diesbezüglihe Beftellungen entgegen. 


Derlagsbudhandlung „Leykam“ in Graz. 


Für die Nedaction verantwortlib P@. A. BMofegger. — Druderei „Leytam“ in Graz. 





Br — 


—J 








Zakob der Pehte. 


Eine Waldbauerngefhichte aus unjeren Tagen von P. R. Kofegger. 
Schluß.) 


Die Schatten wachſen. 


inter den Eſchen des Reuthofes 
lag ein großer Steinhaufen. Es 
waren jene Steine, welche die Vor— 
fahren des Jakob aus den Feldern und 
Weidegründen gegraben und hier zur 
fammengetragen hatten. Das Erdreich 
ſchien zeitweilig zur Freude des Jakob 
ſteinlos, aber alljährlich von Neuem, 
fo oft der Pflug über den Ader gieng, 
riß er Steine hervor, und fo oft die 
Senfe über die Wiefe glitt, Hang fie 
in den Steinen. Die Bauern fagen, 
es wüchſen die Steine in der Erde wie 
die Kartoffeln, und es wäre beinahe 
fo. Immer wieder mußten fie diefe un— 
liebfame Frucht fammeln und auf den 
Steinhaufen tragen, der denn auch bon 
Jahr zu Jahr größer wurde. 
Auf dem Steinhaufen mucherte 
other Holler, Himbeergefträuche und 
Gediftel, auch ein paar Fichtenbäums 


Rofegger's „„Gelmparien‘‘ 10. Heft, XI. 


hen fanden auf, fo daß der Jakob 
einmal fagte: „Da heißt es, das Alten— 
moos wäre eine unfruchtbare Gegend, 
und wachſen doch fogar auf dem Stein- 
haufen allerhand Sachen.“ 

Als e3 nun ſtark zu Herbften bes 
gann beim Jakob, und zu wointern 
bein Pechöl-Natz, daß fie die Somne 
auffuchten, wann und wo es gieng, 
fahen die beiden Männer gerne auf 
dem warmen Steinhaufen und fehauten 
in die Gegend hinaus. Den ftattlichen 
Reuthofer von ehe hätte man kaum 
mehr erkannt. Haar und Bart unge— 
pflegt, grauend, die Wangen eingefallen, 
die Naſe noch fchärfer gejchnitten, die 
fonft fo ſchönen blauen Augen trüb 
und müde, und manchmal grell aufs 
zudend, als wolle fi) der Jugendmuth 
in ihm nicht fo ohmemweiters begraben 
laffen. Wenn das Herz der beiden 
Männer munter war und fie ſich was 
Gutes anthun wollten, fo redeten fie 


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von alten Zeiten, da es noch lebendig Ina, wir werden bald ausgeftorben 


und luftig gewefen in Altenmoos. 

„Gegen dreihundert Menjchen find 
da geweſen,“ fagte der Jakob, „Gute 
Arbeiter, dazumal, tüchtige Soldaten. 
Ein feſter Menſchenſchlag! kernfriſche 
Leut'!“ 

„Und heute nur etliche Krüppel und 
Hafderin und ein Paar alte Männer, 
die auf dem Steinhaufen ſitzen.“ So 
fügte der Naß bei. 

„Sefungen ift worden und ge— 
jauchzt, daß es nur fo hat angefchlagen 
drüben im Nodwald; munteres Ge— 
jpiel mit Zither und Hadbrett Haben 
fie getrieben an Sonn- und Feiertagen. 
Die Hugelbahnen haben gefmattert im 
Sommer, die Herbitpeitichen gefnallt, 
wenn die Frucht eingeheimst ift ge= 
weſen, die Eisſchießſtöcke haben ge— 
Hungen im Winter.“ 

„Heut’ ifts todtenftill,“ fagte der 
Nah. 

Einundzwanzig ftattlihe Häufer. 
Zwölf Großbauern. Hat jeder einen 
Wagen gehabt und ein Roß oder zwei, 
ift flott ins Kirchdorf gefahren, im 
Winter mit dem Schlitten. Hats ge— 
heißen: aufgefhaut die Altenmoojer- 
Bauern fommen! Wein her und Braten 
ber, Geigen und Pfeifen her, die Alten— 
moojer-Bauern fommen!* 


„Heut' ſchleifen wir mit der Gicht 
um, teinfen Wafler ftatt Wein, efjen 
ftatt Braten Krautrüben und wenn der 
Wind dur die Wandfugen pfeift, das 
ift unfere einzige Mufil,“ jo fagte 
der Natz. 

„Die Leut’ Haben zufammenges 
halten. Hat Einem was gefehlt, haben 
ihn die Andern geholfen. Zu Grund’ 
gegangen ijt Feiner.“ 

„Heut’ traut Einer dem Andern 
nicht und ich glaub’, wenn's zum Ster— 
ben ift, fucht fi Jeder dazu den öd— 
weiligften Winkel, daß ihn Niemand 
dabei fieht,“ fagte der Natz. „Bei den 
wilden Thieren gehts auch fo zu. Ich 
fag’ das und ich bleib’ dabei: uns 
fehlen die Kinder. Nichts wachst mehr 


fein. * 

„Ich weiß nicht,“ bemerkte der 
Jakob, „ift es Einbildung oder ift es 
wirflih wahr: Zu Altenmoos ſcheint 
die Sonne nit mehr jo hell, wie vor 
Zeiten. Es mag wohl an meinen alten 
Augen Tiegen.* 

„Es mag aud an was Anderem 
liegen, mein lieber Jalob,“ entgegnete 
der Natz. „So lang’ ih noch in den 
Hohmaldgräben drinnen geweſen bin, 
iſts mie oft aufgefallen, daß in den 
Maldgräben mehr Nebel geweſen iſt, 
als heraußen zu Altenmoos, wo die 
freien Bauerngründe find gelegen. Jebt 
\ift auf Ddiefen Bauerngründen auch 
Wald gewachſen, Wald auf den Wiefen 
und Wald auf den Feldern, jetzt legt 
ih der Nebel auch ins Altenmoos 
herein und bleibt liegen, wenn draußen 
überall die Sonne ſcheint. Alle Jahr 
wird der Winter länger und der 
Sommer Fühler. Haft vor Zeiten zu 
Beter und Pauli Reif gejehen auf 
Deinem Rain ?* 

„Es will auch der Hafer nicht mehr 
zeitig werden vor dem erften Schnee,“ 
fagte der Jakob. 


„Bor Zeiten, wenn Du Dich er- 
innern fannft, find alle Wiefen weiß - 
und blau und roth gewejen vor lauter 
Blumen. Heut’ blühen fogar die Difteln 
nimmer jo ſchön roth, wie früher. 
Ueberall zu viel Schatten. Draußen 
jagen fie, fie hätten zu wenig Wald, 
wir haben zu viel. Die Leut’ können 
fein Maß Halten, das können fie nicht. 
Wie es der gefehwindefte Gewinn ver=, 
langt, fo treiben fies, die Herren, und 
es mögen ganze Gemeinden darüber zu 
Grund’ gehen, darnad fragen fie nicht. 
Mein Troft dabei ift der: Es geſchieht 
Ihnen auch felber nicht wohl dabei, 
trug Geld und Luftbarkeit. Umbringen 
thun ſich mehr Leute draußen in der 
luftigen Welt, als herinnen im traue 
tigen Winkel.“ 

„Weils ihrer draußen mehr gibt,“ 
wendete der Jalob ein. 


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„Nicht fo, Jalob, nicht fo,” be= 
deutete der Naß, der einmal feinen 
guten Tag hatte, „nach dem Perzent 
muß man's nehmen. Hab’ neulich erft 
gehört, wie Einer aus der Zeitung 
gelefen hat draußen in Sandeben : im 
Berhältnis genommen thäten ſich ein 
ganzes Dritttheil mehr Weltleute jelber 
umbringen, al3 Waldleute. Es fehlen 
die Kinder, draußen wie da, es fehlen 
die Kinder. Die Leut’ kommen heut— 
zutag Schon alt auf die Well. — 
Meinetwegen, wir werden's ohnehin 
bald überftanden Haben.“ 

Derlei war ihr Geſpräch auf dem 
Steinhaufen, wenn die Sonne ſchien. 

Da trieb8 doch der Almbalter 
Megerer anders. Kümmerlich war wohl 
auch er. Die Rinder, die ihm von 
den Bauern in Sandeben anvertraut 
waren, daß er fie in den Geſchlägen 
und auf Almen weide und hüte, wur— 
den fett, er felber aber blieb zaun— 
marterdürr. Eines Tages trieb er aus 
feiner Weidegegend einen Ochfen durch 
Altenmoos und gegen Sandeben dem 
Fleiſchhauer zu. 

„Mach' Dir aber nichts draus, 
Falber,“ ſprach er zum Ochſen, „Ichau, 
mußt Dir denken, Dir ift es halt ſchon 
jo aufgefet, daß Du geſchlachtet und 
aufgegelfen werden mußt.“ 

„Du bift ein Ochs, und das if 
Dir Halt ſchon fo aufgeſetzt!“ erſcholl 
plöglid vom nächſten Busch her eine 
Stimme. 

Dem Wegerer war etwas uneben, 
er wußte nicht ganz genau, hatte diefer 
Gruß dem Rinde gegolten, oder ihm. 

Der Yalob bemerkte darüber zum 
Natz: „ES wird ja wohl etwas MWahres 
dran fein. Die Einfalt ift angeboren, 
aber dumm muß der Menfch jelber 
werden." — 

Was die Wildſchäden anbelangt, 
jo wurden diefelben dem Jakob richtig 
allemal vergütet. Abgefhäßt aber wur— 
den fie von Jägern, Jagdliebhabern 
oder anderen Leuten, die unter der 
Gnade oder unter dem Drude des 
Kampelherrn lebten. 


Die Hirfehen haben ihm das Kraut 
gefreſſen. Was ift ein Kohlpflanzel 
wert? Das Hundert zehn Kreuzer. Aber 
die Arbeit? Der Zeitverluft? Mer 
zahlt’ 3? Was ift im Herbft ein Kohl— 
fopf wert? Um vier Kreuzer, meinten 
die Schäßmänner, könne man fogar 
draußen in der Krebsau die jchönften 
Kohlköpfe Haben. An zweihundert Stüd, 
wenn man’ hoch nimmt! — fagten 
fie — find gefreffen, macht acht Gul— 
den. Bar befam der Jakob das Geld 
auf die Hand ausgezahlt. 

Diefer hielt die Scheine in der 
fladen Hand fo Hin und fagte: „Was 
mad’ ich damit? Draußen im Thal 
mag man den Kohl Friegen, aber wer 
führt mir ihn herein, wo alle Wege 
zerriffen find! Oder wachjen jegt im 
Spätherbft die Kohilöpfe bei mir da, 
wenn ich diefes Papier anjäe? Ahr 
lieben Herren, für mich hat der Kohl 
einen andern Wert als für Euch; für 
mich iſt er Hauptkoft, für Euch ift er 
Zuſpeiſ', mit Verlaub!“ 

Es half ihm aber nichts. Wenn 
ihm die Entjchädigung zu wenig, fo 
möge er fi an's Gericht wenden. 

„Daß ich ein Narr wär’!“ lachte 
der Jakob auf. „Da wollt’ mir mein 
Recht hübſch theuer zu ftehen kommen ! 
Das kennen wir!“ 

Einmal, als ihm das Wild fein 
Haferfeld arg mitgenommen hatte, ward 
ihm wieder die Schadenabjhägung in 
Ausficht geſtellt. Sie ließ auf fi 
warten; der Hafer aber, fo viel noch 
vorhanden, war ſchon reif und wollte 
geihnitten fein. Der Oberförfter ließ 
dem Jalob auf feine Vorftellung fagen, 
wenn er den Hafer jchneide, bevor die 
Commiſſion käme, fo friege er nichts. 

Der Jakob wartete, bevor jedoch 
die Abſchätzung kam, kam der Schnee 
und vernichtete die ganze Ernte. 

Bald hernach war auch die löbliche 
Commiſſion da. Sie machte eine fehr 
bedenklihde Miene und fragte: Wieſo 
da von Wildfehaden die Nede fein 
fönne? Da miüfje der Reuthofer ſchon 


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den SHerrgott verklagen, für das 
Schneien könne fein Menſch etwas. 


Da ballten fi dem armen Manne 
wohl oft die Fäufte im Sad. Und 
den ſchlimmſten Wildſchaden Hatte er 
doch noch nicht kennen gelernt, von dem 
man draußen in den Gegenden, two 
Obſtbau ift, zu erzählen weiß. — Im 
Neuthofe war der Haushund abgefchafft; 
durch das fortwährende Gebelle, gab 
der Jäger bor, würde aus der ganzen 
Gegend das Wild verfcheucht. Es war 
nun zwar des Jakobs Recht, einen 
Haushund zu halten, aber dem armen 
Thier, es mochte nun an der Slette 
liegen oder nicht, paffierte immer etwas, 
das eine ftarb an Blei, das andere an 
einem Pulver, welches nicht knallte, 
und da dachte fich der Jakob: Ich mag 
die Todesqualen nimmer fehen! — 
und verzichtete auf den Hauswächter. 
Eines Tages, al3 wieder ein Hirfch 
in den Gemiüfegarten gebrochen war, 
nahm der Jakob feine mit Waffenpaß 
wohl verflaujelte Hausflinte von der 
Mand, öffnete das Stubenfenfter und 
ſchoß das Thier über den Haufen. 


Der alte Nat that einen Freuden 
ſchrei. „So ifts recht, Jakob! Ehevor 
der Hirsch uns frißt, freifen wir den 
Hirſchen!“ 

Aber der Yalob ſagte: „Das iſt 
nicht fo, mein lieber Bruder. Die 
Freude follen fie nicht haben, daß fie 
mich als Wilddieb paden könnten. Sie 
fönnen mir die Wirtjchaft zu Grund' 
richten, fie können mir die Haut ab— 
ziehen, aber zum ſchlechten Kerl machen 
fie mich nicht.“ 

Er gieng hinaus ins Thal zum 
Verwalter. 

„Herr!“ fagte er zu dieſem, „ich 
hab’ gebeten und gellagt. Ich Hab’s 
ertragen. Ich Hab’ dad mit der 
Wildſchädenvergütung erlebt. Aus ifts, 
beftehen kann ich nicht, wenn ich mich 
nicht felber ſchütze. Heut’ ift wieder 
ein Thier in meinen Garten gekommen. 
Wenn Ihr es wegſchaffen wollt, es 
liegt dort, wo es geſtanden iſt.“ 


„Reuthofer!“ 
walter auf. 
„Ja,“ antwortete der Jakob, „ich 
hab' es niedergeſchoſſen.“ Ich will's 
auch hertragen, wenns verlangt wird.“ 
Der Verwalter ſchwieg ein wenig. 
„Ich hab’ das Thier niedergefchofen, “ 
wiederholte der Jakob. „Bor etlichen 
Tagen hat der Jäger meine laß’ nie= 
dergejchoflen, weil fie den Rebhühnern 
hätte Schaden thun Flönnen. Wird in 
Ordnung fein. Ich babe den Hirfchen 
niedergeſchoſſen, weil er mir das Kraut 
gefreffen. Wird auch in Ordnung fein. 
Der Verwalter murmelte: „Das 
thut mir leid,” und zog eine Slingel. 


Auf das trat ein Jagdburſche eiıt. 


„Es thut mir leid,“ wiederholte 
der Verwalter zum Jakob gewendet, 
„daß wir zwei Heute auf folche Art 
auseinander gehen müflen. Ich wollt’ 
Euch's immer gut; ich habe Mitleid 
mit Euch gehabt, ich Hab’ Euch wahrlich 
Vieles entfchuldigt. Den Bauerntroß 
läßt man hingehen, der Eigenfinn zehrt 
fih jelber auf. Die Bosheit aber! Die 
Bosheit kann ich nicht verzeihen. — 
Franz, thu’ Deinen Hirfchfänger um 
und führe mir den Mann nad) Krebsau 
zum Gericht !* 

„Einfperren!“ rief der Jakob. 


„Einfperren, "mein lieber Reut- 
hofer,“ entgegnete der Verwalter in 
geſchmeidiger Weife. 

„Einfperren, weil ich ehrlich ge— 
weſen bin und die Nothwehr ſelbſt 
angezeigt habe!“ 

„Nothwehr? Hat Euch der Hirſch 
nad) dem Leben getrachtet ?” 

„Er hat mir nad dem Leben 
getrachtet. Wenn ein fremder Menſch 
ins Haus fällt, um mir das Brot zu 
ranben, jo ift Nothwehr erlaubt. Und 
babe ich den Hirfchen geftohlen ?* 

„Dem MWildfhügen gehts um's 
Schießen oft mehr, al3 um's Stehlen.“ 

„Haben wir denn fein Recht mehr 
auf unferem Boden ?1* ſchrie der Jakob. 
„Hat in diefem Land denn das Wild 
einen größeren Schuß al3 der Menſch?! 


begehrte der Ber- 


725 


„Laſſet jegt das Spintifieren. Wenn 
Ihr im Schatten fitt, Habt Ihr Zeit 
genug dazu. Marjch!” 

Der Schatten, ja das mar ber 
Kotter. Achtundvierzig Stunden ſaß 
der Yalob drin und Hatte Zeit nach— 
zudenfen über mancherlei. Wenn ihm 
der Staat ſchon nicht3 zu geben ver— 
mochte für alle Steuern an Geld, Blut 
und Treue, die er ihm fein Leben 
lang gebracht: fein gutes Necht, hatte 
er geglaubt, würde ihm gefichert fein, 
wenn e3 einmal darauf ankäme. — 
Nun ſaß er im Kotter und meinte, 
er müſſe vergehen vor Scham und 
Entrüftung. 

Er wußte damal3 noch nicht, 
daß der Kampelherr bereits im Reichs— 
rathe ſaß. Gerade in jenen Tagen, 
al3 der Jakob eingefperrt war, hielt 
jener eine glänzende Rede vom „ehr= 
lihen Mann der Arbeit mit der ſchwie— 
ligen Hand,“ und daß dem nieder- 
gehenden Banernftande aufgeholfen 
werden mülle. 

Ein Wunder war's noch, daß fie den 
Jakob endlich frei ließen — fie hätten 
ihn nad feiner Meinung gerade fo 
gut Wochen, Monate, ja Jahre lang 
gefangen Halten können, kein Menjch 
hätte fih des armen Waldbauern ge— 
fümmert. — 

Als fie ihn freigelaffen, eilte er 
auf Ummegen ins Wltenmoos. Den 
Dörfern und Häufern, den Menfchen 
wid er aus. „Der Sträfling! Der 
eingefperrt war!“ Man weiß ja, wie 
es die lofen Mäuler treiben, die es 
nur dann für fich felbft zu einem ge- 
wiffen Tugendglanz bringen können, 
wenn ihnen gegenüber ein von amts— 
wegen armer Sünder fteht. 


Us er erſchöpft und abgezehrt 
heimkam, Höhnte ihn Niemand, mur 
die zwergige Dirn lachte ihn aus, daß 
er im Reuthofe davongegangen ei, 
dieweilen im Garten der Hirſch von 
den Krähen verloftet wurde. Das 
Hügfte Lachen, das man von der zwer— 
gigen Dirn je gehört Hatte. 


Seierlide Wildnis. Das Zauchzen 
verboten. 


Nah Sandeben gieng der Jakob 
jeit diefer Zeit nicht mehr. Es ſchüt— 
telte feinen Körper vor Efel, wenn er 
an die Leute dachte. An Sonn= und 
Feſttagen das Glodengeläute gieng ihm 
ab. Er flieg mehrmals auf die Sand= 
lerhöhe, wo man es Hingen hören konnte, 
wenn der Südwind z0g. Wenn er 
aber dachte, daß der Glodenftrid von 
einer Creatur gezogen wurde, war auch 
die Freude an dem Slingen dahin. 
Bald ftieg er nicht mehr auf die Sand— 
lerhöhe, fondern betreute feine Kapelle 
und das uralte Holzbildnis, das einer 
feiner Vorfahren geſchnitzt hatte. Neben 
der ſtapelle ftand und gedieh der Weichfel: 
baum; er blühte alljährlih und trug 
Früchte, als ob der Friedel, dem er 
geweiht, nicht ſchon längft in einem 
Mafjengrabe des Schlachtfeldes moderte. 
Es ift fein Band und fein Verftehen 
und Mitleben in der Natur. Jedes 
Weſen für fih allein. Danklos ent» 
ftehts, lieblos genießts, in heißen 
Schmerzen vergeht3; es ift gar zu 
ſchlimm. 

Wenn die ſtillen Tage der Nebel 
waren, da das Altenmoos zugedeckt 
ſchien mit einem grauen bleiernen Deckel 
und die Tropfen an den Bäumen 
ſpannen, gieng der Jakob bisweilen 
der Sandach entlang aufwärts durch 
die Schluchten bis in den Grund, 
genannt im Gottesfrieden. 


Er gieng an den Felſen hin, am 
See vorüber und bis zum braufenden 
Waflerfall. Wenn der fintende Luftzug 
das Braufen niederdrüdte, daß die Steine 
zu beben fchienen in der lauten Ges 
walt, das that dem Jakob wohl. Stun— 
denlang jtand er da und blidte in das 
aus den nebeligen Höhen endlos nieder- 
gehende ungeheuere Wafjerband, welches 
weiß und ſchwer und flodend wie eine 
unaufhörlide Schneelawine in den 
quirlenden flutenden Keſſel ftürzte. Wie 
in wilden Zorne fprangen die weißen 
Giſchten wieder hoch empor, ſchlugen 





726 


mit hundert Fittichen an die Felſen- | war, fo ift es noch. Hätte ſich nicht 
blöde, umkreisten diefelben im ihren auch hier etwas zu Geld machen laffen ? 
Tümpeln, als wären fie auf der Flucht Die Menſchen find doch ohnmächtiger, 
und könnten den Ausweg nicht finden. als ſie glauben. — 
Neben dem Haupffall giengen in Striden | Das gehobene Herz, das der Jalob 
und Schleiern Heinere Nebenfälle, von aus dem Gottesfrieden allemal mitge— 
Vorſprung zu Vorſprung hüpfend, grell bracht, ſank im Reuthofe ſtets bald 
flüſternd wie ziſchelnde Bosheit neben wieder in Sorge und Traurigkeit zus 
der graufen, wüthenden Leidenſchaft. 'rüd. Es war feine Freude mehr auf 
Diefer Waflerfall der Sandad war, dem Hof, es galt nur, das arıne 
fein Gebet geworden und fein Lied. | Leben zur Noth zu friften. Vieh und 
Und fo, wie das Waſſer dann ftill und! Hafer verkaufte der Reuthofer längit 
Mar dur den Felſengrund floß, ſo nicht mehr, e& war Alles jo lümmer— 
gerubigt ward auch allemal fein Gemüth. * geworden und reichte kaum aus 
Er vermochte es nicht zu deuten, warum für den häuslichen Bedarf. Indes 
es ſo war, aber aus der Kirche war. bedurften fie auch michts, gar nichts 
er niemals mit feierlicherer und be= mehr von draußen. Als Salz ver 
ruhigterer Stimmung getreten, als aus | wendeten fie getrodneten Kümmel. 
dem Felsgrunde im Gottesfrieden. So Gieng ein Fenfterglas in Scherben, 
wußte er nun, wo feine Kirche ftand. | fo gab eine alte Hauspoftille Blätter 
Und einmal fiel es ihm ein: Mer her, um das Loch zu verkleben. Loden 
weiß, obzu Sandeben ſchon eine Pfarrz | aus der Schafwolle, Leinwand aus 
firche gewefen zur Zeit, als die erften dem wenigen lach, Leder aus den 
Neuthofer den Reuthofgrund gereutet Häuten der geſchlachteten Thiere ward 
hatten! Wer weiß, ob der erſte Jalob ſchlecht und recht bereitet mittels der 
nicht mit dem Waſſer im Gottesfrieden | alten Vorrichtungen, die aus befferen 
getauft worden ift! Was war zu Alten= | Zeiten ſich noch im Haufe fanden. 
moos nicht vorgegangen in den Jahre Wie der Yalob im Gottesfrieden 
hunderten! Die Anfiedler, arbeitfam | die Kirche entdedt hatte, fo hatte der 
und bedürfnislos, hatten ſich fefte| Pechöl-Natz im Walde die Apothele 
Stätten gegründet, zur Gemeinde zu= gefunden. Er fammelte Wurzeln und 
Jammengethan, Hatten Ordnung und Kräuter, fochte Saft daraus oder rieb 
Zucht gehalten, hatten fich im Frieden | fie zu Pulver. Wenn dann die Kranl- 
vertragen und das entlegene Thal heiten und Gebrechen kamen, wurden 
zwifchen den hohen Bergen und Wilde | die Mittel mit gutem Bertrauen an— 
niffen war ein heiteres, gefegnetes | gewendet; manchmal halfen fie, mauch— 
Menſchenheim geworden für lange Zeit. | mal halfen fie nicht, manchmal ſcha— 
Dann war die Peft der Zeit, die, deten fie, ganz wie die Sahen aus 
Gewinngier und der Streberwahn ge= | der lateinischen Küche. 
kommen, Hatte die Menfchen treulos Einmal in einer mondhellen Som= 
gemacht gegen die Heimat und ihre mernacht wedte der Nat den Jalob 
Sitten, hatte fie in das Elend der aus dem Schlafe. Es wären wieder die 
Welt hinausgejagt. Die wenigen Zus |vierfühigen Schelme draußen. Drei 
rüdbleibenden find von der Herrſchſucht Rehe fliegen im Garten um und 
und den Eigennuß der Mächtigen er= | grasten die jungen Kohlpflanzen und 
driidt worden. Ein großes Leben ift!den Salat weg. Der Nah war heute 
aufgeflanden im Altenmoos, und ein | befonders exbittert, er hatte vor wenigen 
großer Mord ift an ihm begangen | Tagen exit die Kohlpflanzen bei dem 
worden. ... Im Felfengrunde zum | alten Weibe der Lunſelkeuſche erbetteln 
Gottesfrieden hat fich nichts geändert. | müflen. Das alte Weib hatte noch ge= 
Wie es zu des erfien Jakobs Zeiten |zetert, was das für eine faubere 





—— — — — — — — 


727 


Bauernwirtichaft wäre, nicht einmal 
Sehpflanzen zu haben! — ber das 
Wild hätte fie gefrefien ! berichtete der] 
Nah. „Warum hat denn mir das Wild 
die Pflanzen nicht gefreffen ?* rief 
das Weib. „Weil ih mein Bett 
draußen im Garten ftehen hab’ und 
weil ich die ganzen Nächte wach bleib’ 
und Striimpf frid’ uud Lärm Schlag”, 
wenn die Beltien aufchleichen. 
Ihr's Halt auch jo machen. Aber na, 
die Herren vom Reuthof wollen fich 
die Naht gut fein laſſen und nachher 
die Sebpflangen von den arınen Häus— 
lerinnen erbetteln. Da haft ihrer. Ych 
hol’ mir Milch dafür.“ — Als hernach 


über lange Mühe die Pflanzen glüdlic | 


Müpt 





(braucht «3 lange, bis er ein Spitz— 
bub wird”, 

Bon diefem Schuß an hatte der 
Garten eine Weile Ruhe. Die Rehe 
und Hirfche kamen bis zum Rain 
herbei, ſchauten zwiſchen den Efchen 
mit langen Hälfen herüber auf den 
grünen Kohl, gewannen aber‘ nicht 
recht den Muth, ihre Verlangen zu 
ftillen. 

So ftredte einmal der Nab fein 
altes, weißbärtiges Gefiht vor und 
munfelte: „Jakob! Jakob! 's ift doc) 
das rechte Mittel geweſen!“ 

Es gefhah von nun an nicht all— 


zuſelten, daß in der Umgebung des 


Reuthofes ein Büchslein knallte. Manch— 


im Garten ſtanden, hübſch der Reihe mal ſah man den Oberförſter Ladis— 
nach geſetzt und mit Jauche gedüngt, | Haus durch die Gegend haften und um 
wollte es erft nicht regen, mußte der den Hof ſchleichen. Er war ſchon fehr 
Nah alle Abend vom Brunnen viele gebückt und fein ftets furzgefchnittener 
Kübel Waller Herbeifchleppen und die Bart war grau wie Eis, aber feine 
Setzlinge nach der Reihe begiehen. Und Augen fprangen noch ſcharf und 
wie fie jet anhuben zu gedeihen, ſtechend in’s Grüne aus und die Beine 
waren die Thiere da, um fie abzu- waren flinf. In den früheren Jahren 


freien. 


hatte man dem Oberförfter ftets be— 


Der Nah gab dem Jakob das |häbig des Weges fommen gefehen ; 


Gewehr in die Hand. 
die Wandlude hinaus. Machte eines 


Paff! durch jetzt, da er alterte, lief er gebüdt und 


baftig, jo daß es immer war, als 


der Thiere den Sprung in die Luft |fchleiche er Jemanden an. So geht's, 


und fürzte zu Boden. Die zwei an— 
deren jeßten in hohen Sprüngen über 
den Zaun und dem Walde zu, daß 
der Boden dröhnte. 


„Wirf den Rod um,“ fagte der wurmte ih. 


Jakob zum Natz, „wir gehen hinaus, 
Diesmal will ich gefcheiter fein. Sie 
haben mich eingefperrt, weil ich's an- 
gezeigt; jetzt zeig’ ich's nicht an, fo 
werden fie mich nicht einfperren. Man 
macht's, wie ſie's haben wollen.” 

Sie trugen das Thier zum Bruns 
nen, weideten es aus, trugen es in 
den Seller und legten fich wieder zu 
Bette. 

Um nähften Morgen war der 
Jakobstag. Die Bauern feiern an 
ihrem Namenstage gern auch das Ge- 
dächtnis ihrer Geburt. „Vierundfechzig 
Jahre!” fagte der Jakob erfchroden 
zu fich jelbft. „Bei manchem Menfchen 


wenn Lift die Kraft erfeßen muß. 
Der Oberförfter ſchien Verdacht zu 
haben auf den Reuthof, aber e3 war 


Inicht dahinter zu kommen, und das 


Er jeßte fein Leben 
d’ran. Die Hirfchen und die Wild- 
ſchützen waren ihm die zwei wichtigften 
Dinge auf der Welt. 

Nun Hatte ihm aber die neue 
Zeit eine neue Landplage gebraht — 
die Touriften. Das waren weder Hir— 
Ihen noch Wildſchützen, alfo ehr 
verächtlihe Greaturen. Steigen auf 
allen Bergen umher und verfcheuchen 
das Wild. Zrotten mit ihren ver— 
fluchten Bergftöden höflich blöde und 
gleichgiltig dahin und verfcheuchen es 
doch. Können den Schildhahn nicht 
vom Rebhuhn umterfcheiden, und ver— 
ſcheuchen fie doh! Auf dem Weg, 
heißt’s, wollten fie bleiben, dieſe gotts— 


728 


vermaledeiten Luftbummler. Es gibt 
gar keinen öffentlichen Weg in unferen 
Gebirgen ! Brivatgrund! Da wird nicht 
aufgetreten ! 

Die Touriften aber wußten nur 
von einer ſchönen Gotteswelt und 
nichts von einer, die dem Kampelherrn 
gehört; fie fliegen alfo auch hier wie 
überall auf die Berge. Da nahm der 
Oberförfter eined Tages Einen gefan- 
gen. Der hatte nad feinem Wilde 
geſchoſſen, ja nicht einmal eins ge— 
jehen, denn er war fehr kurzſichtig 
und trug über feinen gewöhnlichen 
Augengläfern Numero Acht noch ein 
paar blaue Brillen gegen das grelle 
Sonnenlidt. Diefen Menjchen hatte 
der Oberförfter feitgenommen, weil er | 
oben auf der Nodhöhe einen Jauchzer 
gemacht. „Wen fchon der Teufel ums 
hertreibt in unſerem Revier, der foll 
wenigftens feinen Lärm machen!“ 

„Aber Herr Jäger,“ rief der 
Touriſt, „wenn die Welt halt allzu- 
Ihön ift! Wenn's Halt gar zu luſtig 
ift auf der Alın, wer foll da nicht 
jauchzen! Juh! Juh! Juh!“ 

Klingend wiederhallte es weitum 
in den Wäldern. 

Der Oberförfter war - außer ich. 
„Die Hände kann man fo einem Kerl 
feffeln, aber um die Gojchen läßt ſich 
fein Schloß anlegen.” 

„Sub, Juh!“ fehmetterte der Tou— 
riſt in alle Winde und machte einen 
Frendenſprung um den andern. 

Ganz unwillfürlich legte der Ober- 
förfter die Finger an den Hahn. 
„Hol der Teufel das ganze Jagdge— 
je, wenn man jo einen Maulaffen 
nicht über den Haufen ſchießen darf!” 
Inivfchte er und ftieß den Gewehr- 
folben auf den Boden. Der Zourift 
mußte mit. Erft unten an der Sandach 
ließ er ihn los, wo das Wafler den 
Quftfchrei übertäubt hätte. Der Halb- 
blinde aber gieng nicht weiter, fondern 
ftellte jih Hart vor den Förfter und 
rief: „Ihe Habt es weit gebracht mit 
der Welt, daß man jeßt nimmer 
jauchzen foll dürfen im grünen Wald! 


Das Fluchen ift nicht verboten, wie 
ih an Euch bemerkt habe. Schön! 
So verdamm’ Euch Gott, Ihr Herren, 
die Ihr Eu’rem Jagdvergnügen die 
Eriftenz armer Leute opfern Könnt. 
Derdamm’ Euch Gott, die Ihr den 
Mordknall aufgebradht habt im Wald 
und das Frohe Jauchzen verdrängt: 
Zu Pulver foll Euer Blut werden 
und zu Blei Euer Herz und zu Rauch 
Euere ſchwarze Seele! Guten Morgen!“ 

Und war davon. 

Auf feinem weiteren Wege be» 
gegnete der Oberförfter dem Almhalter. 
Der ſchlich mäuschenftill daher auf 
dem fteinigen Weg, und zwar barfuß. 
„Daß ich die Hirschen nicht verſcheuche!“ 
fagte er zum Förfter. Die Wahrheit 
war, daß er feinen Schub befah. 

Der Herr Ladislaus wollte feinen 
Aerger zerftreuen und Hub mit dem 
alten Wegerer ein Geſpräch an. 

„Na, Wegerer!“ fagte er, „was 
fann jo einem Kerl aufgefeßt fein, der 
im Wald wie toll umberfchreit und 
das Wild verjagt ?* 

„Für's Erſte,“ antwortete der 
MWegerer, „kann er heiſer werben. 
Nachher kann's ihm durch die Siraf 
Gottes aufgefeßt fein, daß er taub» 
ftumm wird! ganz taubftumm. Und 
blind und lahm und nah und nad 
todt, mauſetodt!“ 

„Schön,“ jagte der Förfter, „und 
weil Du Dich ſchon einmal fo gut 
ausfennft, jo fage mir, was zum 
Beifpiel dem Bauer dort drüben auf— 
gefeßt ift ?“ 

„Dem NReuthofer? der muß ver— 
hungern, wenn er nicht gejcheit ift 
und fich als Wildſchütz einfperren laßt. 
Iſt ihm aufgeſetzt, ich ſag's! Und 
nachher dem Pechöl-Natz iſt aufgeſetzt, 
daß er mit achtzig Jahren noch ein— 
mal in den Eheſtand tritt mit einem 
ſchönen Weib, weil er Kinder haben 
will,“ 

„Da wird ihm wohl auch etwas 
Anderes aufgefeßt werden!“ bemerkte 
der Oberförfter witzig. „Schau her 
da, Alter, Haft Du ſchon einmal eine 


729 


folde Schnur geſehen?“ Er zog feine 


Der Jakab ſaß zur Feiertagsruh' 


Seidenſchnur mit den Knoten hervor. an ſeinem Tiſche und blätterte wieder 


„Weiß ſchon, weiß ſchon davon!“ einmal in der Bibel. 


ſchmunzelte der Almhalter. 

„Jetzt ſag' aber auch einmal, was 
unſerem gnädigen Herrn bevorſteht!“ 

„Dem gnädigen Herrn?“ ent— 
gegnete der Wegerer, „dem Kampel— 
herren ? Wenn ſich der nicht bald än— 
dert, fo muß ich Schon fagen —“ 

„Heraus mit der Farbe!“ 

„Daß er Baron wird!” 

„Und was meinft, Alter, was mir 
aufgejeßt iſt?“ fragte der Förfter, die 
Schnur wieder in den Sad jchiebend, 

„Dem Heren Waldimeifter?* 

„Aufrichtig fein!“ 

„Darf ich's fein ?“ 

„Ich zahl’ einen Schnaps.“ 

„Iſt ein gutes Fürnehmen, Herr 
Waldmeiſter, ein jehr gutes Fürnehmen. 
Dem Herrn Waldmeifter wird's noch 
recht gut gehen.“ 

„Und weiter? Ich will wiſſen, 
was für ein Glück mir aufgeſetzt iſt.“ 

„Nach meiner Meinung,“ ſagte 
der Wegerer zögernd, „aber nicht für 
übel halten, fein Menſch kann dafür, 
was ihm aufgefeßt ift. Nach meiner 
Meinung müßte fi) der Herr Wald— 
meifter an feiner Seidenſchnur aufs 
henfen, zum feligen End'.“ 

„Und dafür willt Du Schnaps 
haben, Taugenichts!“ fuhr der Ober- 
förfter auf. 

„Muß nicht gerade Schnaps fein. 
SH mag auch Wein.” 

„Schau, daß Du weiter fommft |“ 
herrschte ihm jener zu. 

Der alte Almhalter ſchlich kopf— 
ſchüttelnd davon. „Ich glaube gar,“ 
murmelte er, „der Mann ijt beleidigt. 
Iſt es mir accurat aufgefegt, daß ich 
den muß beleidigen, der mir einen 
Schnaps wollt’ zahlen.” 

Und ſchlich dahin. 


Ein Narr müßt’ Einer fein. 


Im Herbfte war's, am Frauentag, 
genannt Maria Geburt. 


Das Blättern 
gieng gar mühſam von ftatten, weil 
das Bapier feine Art ift und kein 
Spaten. a, wäre ed eine Art ge= 
wejen oder ein Spaten, dem Manne 
hätte es beſſer belommen. Die herbe 
Arbeit erfrifchte ihm das Herz, die 
Schrift machte ihn immer noch nad)» 
denflicher, als er ſchon war. Und nach— 
denken foll ein Menſch nicht, der fo 
betrübt ift, al$ der Jakob es war. 

Ein Luftzug vom offenen Fenſter 
herein hatte auch ein wenig geblättert 
und fchlieglih das Capitel vom ver- 
lorenen Sohn aufgeſchlagen. — Was 
geht den Jalob der verlorene Sohn 
an! Ehevor er ein Lejeftüd ausge: 
wählt hatte, ſchob ſich die zwergige 
Dirn zur Thür herein und berichtete 
fihernd, daß ein Bettelmann draußen fei. 

Man folle ihm ein Stüd Brot 
geben. 

Das habe er ſchon, aber er fibe 
auf dem Antrittftein und wolle nicht 
fortgehen,, berichtete die Dirn unter 
heftigen Lachen. 

Nah einer Stunde, als der Jakob 
hinausgieng gegen die Stallung, ſaß 
der Bettelmann noch auf dem Anktritt— 
ftein und ftüßte den Kopf auf die 
Hand. Er trat zu ihm Hin, blidte 
ihm in's Geficht und erſchrak bis in’s 
Herz hinein. — Das ift doch nicht 
möglid. Er kann's nicht fein. In 
einem ſolchen Zuftand, zerriffen und 
verfommen. Der Bart war ſchon grau 
und bewucherte das ganze Geficht; die 
fleinen Augen zudten wirr, faſt mun— 
ter, aber der wetterfahle Hut ift jo 
tief in die Stirne geftülpt und fo 
gedrüdt Hein ift das Kerlchen. 

„Mit Verlaub,“ fagte der Yalob, 
als er eine Weile fo dageftanden war, 
„Ih muß mich doch vielleicht irren.“ 

„Wirſt Did nicht irren,“ ante 
twortete der Bettelmann, „Röffer laufen 
gehe ih um, wenn Du ihrer halt.“ 

„Ufo richtig der Guldeiiner!” 
rief der Jakob, „gut ausfchauft! heißt 





das, alt, ſchon woltern alt werden wir 
halt miteinand.“ 

„At und leg, und arm und 
dumm,“ knurrte der Andere in feinen 
wulftigen, beflidten Mantel hinein. 

„Wirft nicht eine Weil’ fißen 
bleiben da, Nachbar!“ fagte der Jakob, 
„in der froftigen Herbftluft da! Geh’ 
ein wenig in meine Stuben hinein.” 

„Wenn Du ein Wirtshaus hätteft. 
Ueber Nacht bleiben möcht” ich da.“ 

„Wirft Plaß haben,“ jagte der 
Jakob und dachte bei fih: Armer 
Menfh! Mut betteln und willft es 
nicht merken laffen. 

Er Hatte Vieles vorausgejehen. 
aber das hatte er nicht erwartet. Das 
Mitleid fam. Er will es ihm nicht: 
fühlen laffen, dem Guldeifner, was diefer 
einft in feinem Hochmuth gefündigt hat. | 

„Mich Freut es recht, Nachbar, | 
dab ih Dich Heimen kann und daß 
Du mein Dad nicht verſchmähſt. Mach 
Did nur bequem da in der Stuben. 
Braucht nicht jo Hill umzuthun, der, 
Peterl ſchläft feit auf der Ofenbant. | 


1 


den kümmerlichen Eriftenzen der Aus— 
gewanderten, von folden, die ihr 
Gütel hätten und darauf Noth litten, 
und von jolden die Haltlog herum— 
firomerten in der Welt, und von 
ſolchen, die verſchollen waren. 

Der Jakob konnte fih nicht genug 
wundern über das vertrauenzjelige 
Geplauder des einft jo fehroffen, wort— 
fargen Mannes. E3 Hatte in der That 
den Anfchein, als fühle er fich jetzt 
als Menſch, der nichts mehr zu ver— 
lieren, behagliher und gemüthlicher, 
denn früher als reicher Großbauer und 
Billenbefiger. 

„Dummer Bauer!” fagte der 
Guldeiſner plößlih und ſchaute den 
Jakob verädtlih an. 

„So!“ entgegnete diefer. 

„Kommft vom Tiſch bis zum Ofen 
und weißt nichts. In die Fremd’ muß 
man! Die Welt mu man fehen! 
Einen Unterfhied muß man fennen 
lernen! — Du lebft und ftirbit auf 
Einem Fled und meinft, was für ein 
Schelmenftüdel Du geleiftet haft! Bift 


Ein Krügel Holzapfelmoft, wenn Du vierfpännig gefahren? Haft Cham 
magft. Dies Jahr ift er wieder ein- pagner getrunfen? Haft betteln ge— 
nal geronnen. Leg’ ab Deinen Wet⸗ | lernt ? Nichts haft erfahren. Ein Narr 
termantel. Ift das befte Zeug, jo ein müßt’ Einer fein! Der Apfel Hat zwei 
alter Loden, wenn man in den Regen Seiten, mein Lieber! Auf der einen 
fommt. Aber dag Du jegt Röſſer ſuchſt ift er voth, auf der andern grün. Du 
zu Altenmoos !“ bift hausgeſeſſen geblieben und gudit 
„Sud auch feine,“ antwortete der auch fauer drein. Wenn’ was gilt, 
Guldeifner und pfufterte. „Ein Narr) Reuthofer, ſchlafen will ich beijer, wie 
müßt Einer fein! Den Guldeifnerhof Du!“ 
möcht’ ich wieder faufen, heißt das, „Magft Recht haben,“ verfeßte der 
wenn er noch ftehen thät’ und wenn | Jakob und dachte bei ih: Hochmüthig 
ih Geld hätt’. Der Kampelherr heit muß der immer fein, das einemal ift 
es, will ihn wieder los haben. Will er's auf feinen Reichthum, das ande= 


ganz Altenmoos wieder los haben. 
Hat einen Kracher gemacht, beim Kam— 
pelheren. Mir kann's gleich fein. Aber 
errathen Haft es, Reuthofer!“ 

Er trank den Krug Moft auf 
einen Zug aus. 

„Wie Du's nur gar jo fein haft 
errathen mögen!“ fuhr er geiprädig 
fort, „oft hab’ ih an Dich gedadt. 
Aber den Anderen geht’s auch Schlecht.“ 
Und nun hub er an zu erzählen von 


remal auf feine Bettelhaftigfeit. 

Im Wandwintel hodte die zwer— 
gige Dirn und kicherte. Das verdroß den 
Guldeiſner. „Dumme Drulle, Altene 
mooferische!* knurrte er fie an. Da 
brach fie in ein ſchallendes Gelächter aus. 

Als der Guldeifner und die zwer— 
gige Dirn fo nebeneinander auf der 
Bank fahen, fiel es dem Jakob ein, 
was die Leute fagten, und daß diefe 
Zwei näher verwandt mit einander 


731 


wären, als fie es felbft ahnen mochten. | Her den Bettel! — Sapperment, ift 


Der ganz gefcheite Guldeifner und die 
dumme Dirn! Da fiten fie neben- 
einander. 

Laſſen wir Gras darüber wachſen, 
dachte der Yalob, wer weiß, ob er 
Freude daran hätte, der alte Jung» 
gefell, in feinen alten Tagen eine 
ſolche Stüße zu finden. 

Die Abendfuppe lieh fich der Guld— 
eifner wohl fohmeden. Mo aus er 
morgen feinen Weg nehme? fragte 
ihn der Jakob während des Eſſens. 

„Nachſchauen muß ich gehen,“ ant= 
wortete er, „die vertraften Kerle fchla= 
gen mir Jungwald nieder. Sag’ einmal, 
Winkelbauer, find da oben im Knatſchel— 
oder im Oberftödelhaus, oder im Sand» 
lerhof Leut’ drinnen ?“ 

„Liegt feit funfzehn Jahren kein 
Zimmerbaum mehr auf dem andern.“ 

„Alſo kann man nicht einmal bet- 
teln bei diefen Neftern? Na, Hörft, 
Bauer, dieſes Altenmoos ift fauber 
heruntergefommen !* 

Als er fein Leibel auszog, um es 
über den Strohſchaub zu breiten, den 
ihm der Jakob in die Stube als Schlaf- 
fätte getragen hatte, kletzelte er ein 
Papier aus der Taſche. „Da hab’ ich 
einen Brief,“ murmelte er, „hätt’ eh 
bald vergefien, ihm abzugeben. Dem 
Jalob Steinreuter gehört er, Bauer in 
Altenmoos bei Sandeben, lebte Poft 
Krebsau in Steiermark. Kaiſerthum 
Defterreih. Weit her muß er fein, 
weil er fo lang umfrägt in der Welt 
nad dem Yalob Steinreuter. Da haft 
ihn.“ 

„Wie kommft denn Du dazu ?* 
fragte der Jakob den großen verfiegelten 
Brief in die Hand nehmend. 

„Zraurig ſtünd's mit Eurer Boft, 
wenn Unfereiner nicht wär’. Der Bot’ 
in Sandeben, wohin ich gienge ? fchreit 
er mir nad. Heim, fag’ ih. Ob ich 
mir einen Botengrofchen wollt’ vers 
dienen und gefälligft einen Brief wollt’ 
mitnehmen für den Reuthofer. Lumpig! 
fage ih, daß Ihr fogar die Gavaliere 
beläftigen müßt mit Eurer Briefpoft. 


das einmal ein Federbett!“ 

Damit ſank er in das Stroh. „Ab, 
jegt werd’ ich bald König fein.“ Und 
ſchnarchte auch ſchon. 


Ein Schreiben aus Neu-Altenmoos. 


Als die Leute alle fchliefen und 
der Jakob eine Kerze anzündete um 
den Brief zu leſen, Hatte er freilich 
noch feine Ahnung, was ihm die nächte 
Stunde bringen follte. Er wollte an- 
fangs dem Papier nicht trauen, dann 
rieb er fich die Augen, dann pußte er 
die Kerze. An die heiße Stirn griff er 
fih. Daß ihm diefer Brief jo wunder 
lich vortam. Will ihn Jemand foppen ? 
Der Brief ift mit feinem eigenen Namen 
unterfchrieben. Seine Schrift ift es 
nicht, einen andern Jakob Steinreuter 
gibt es auch nicht in der Verwandiſchaft, 
jo viel er weiß. Aus Neu=-Altenmoos 
in Oregon. Wo ift das? „Mein 
Vater!“ begann das Schreiben. Da 
zudte es dem Jakob durch die Seele. 


Der Brief war mit feften Zügen 


 geichrieben und lautete alfo: 


„Mein Bater! 


Ihr werdet von diefen Zeilen 
wohl jehr überrafcht fein. Wie ich 
höre, habt Ihr mich für todt ge= 
halten und taufendmal bitte ich um 
Verzeihung, dab ich fo viele Jahre 
nichts don mir habe hören laſſen. 
So lange e3 mir ſchlecht ergangen 
ift, Hab’ ich Halt gemeint, e3 wäre 
beifer, Ihr hieltet mich für geftorben, 
als für elend. Wohl arg iſt es 
mir ergangen und ich Habe mein 
Davonlaufen von den guien Eltern, 
von der lieben Heimat hart büßen 
müſſen. 

Ich will's ganz kurz erzählen, 
denn mir zittern die Hände und 
das Herz, wenn ich daran denke. 

Von heim fort bin ich übers 
Hochgebirge und ins Land hinaus. 
Mit Raſtelbinderleuten bin ich bis 
nach Trieſt. Dort als Schiffsjunge 


73 


auf einem Schiff nah Oftindien. O 
Vater, die Welt ift jchredbar weit. 
Anfangs ift mir gewefen: nur fort, 
recht weit fort. Wäre mir endlich 
aber doch ſchier zu weit worden. 
Als Matroje fieben ein Halb Jahr 
lang. Zu erzählen wüßt' ich viel. 
Geweſen bin ih auf allen Meeren 
und in allen MWelttheilen. Einmal 
Schiffbruch, da hätten mi und noch 
ihrer Drei die Wilden bald aufge= 
frefien. Engländer haben uns ge= 
rettet. In Gapftadbt, das ift in 
Afrika, habe ich einen Altenmoofer 
getroffen. Ein Grubbauernfohn, der 
hat mir von Euch erzählt, daß die 
Mutter geftorben ift und der Friedel 
bei den Soldaten, und dab ich als 
todt gelte daheim. Später Habe ich 
erfahren, daß der Friedel gefallen 
ift und die Angerl geheiratet hat 
und dab Ihr fafl allein wäret zu 
Altenmoos. Ich Habe mir borge- 
nommen zu jchreiben, aber bis es 
mir beſſer gebt, hab’ ich mir gedacht. 
Denn ih bin nah St. Francisco, 
das ift in Amerika, gereist, nad 
Californien umd habe angefangen 
in Gemeinschaft mit zwei Ruffen 
mit meinem Sparpfennig eine Gold» 
mine zu betreiben. Nah ein paar 
Jahren habe ich fo viel Geld gehabt, 
daß ich ganz Altenmoos Hätte kaufen 
fönnen. Iſt mir aber zu wenig 
gewefen und ift das Goldfieber über 
mich gelommen. Gold, nur Gold, 
fonft Habe ih an nichts mehr ge= 
dacht, und meinen Namen babe ich: 
Jaques gefchrieben. Das ijt meine 
unfeligfte Zeit gewefen, da vergißt 
man auf alles Chriſtenthum und 
auf alle Nächftenliebe. Bis an die 
Knochen abgemagert bin ich vor 
lauter Begier. Zum Glüd hat es 
nicht lange gedauert. Bei einer 
Speculation mit einem tauben Berg» 
werk babe ich Alles verloren. Mehr 
als Alles; meine Gläubiger wollten 
nich todtjchlagen, ich bin geflohen, 
jo arın wie aus dem lieben Alten 
moos, ohne Schuh und Hemde bin 


2 


— 


ich landeinwärts geflohen ins Ge— 
birge der Sierra. Unterwegs in einer 
Wüſte habe ich zwei deutſche Familien 
gefunden, die, von einem Speculanten 
nach Amerika gelockt, hilflos waren 
und zu Grunde gegangen wären. 
Ich habe ſie mit mir geſchleppt. 
Nach zwei Tagen ſind wir in ein 
Gebirgsthal gekommen, das noch faſt 
unbewohnt war aber voller Eichen— 
und Föhrenwälder, und auch Tannen 
und Fichten darunter. Und ſchöne 
Weidegründe. Aber auch Granit— 
felſengebirge. Es iſt faſt vergleichbar 
mit unſerem Altenmoos daheim, nur, 
daß die Bäche im Sommer verſiegen. 
Viele Marder und Wölfe gibt es, 
aber die werden ausgerottet. Hier 
haben wir uns niedergelaſſen und 
Blockhäuſer gezimmert und ange— 
fangen, eine kümmerliche Wirtſchaſt 
zu betreiben. Wie mühevoll und 
lümmerlich, das iſt nicht zu be— 
ſchreiben. Wie die erſten Menſchen 
nach Erſchaffung der Welt, ſo haben 
wir anfangen müſſen, und oft habe 
ich mir gedacht, das iſt die Strafe, 
daß Du Deine Heimat ſo treulos 
verlaſſen haſt, jetzt mußt Du Dir mit 
blutiger Müh' eine ſchaffen, die viel 
ſchlechter iſt. Denn fo war mein 
Wille: Das Umirren in der weiten 
Welt Hab’ ich ſatt, ich will eine 
Raftftätte Haben. Die Wälder reuten, 
die Thiere zähmen, die wilden Frucht— 
bäume veredeln, die Hütten Süßen 
vor Winter und Sturm und feind- 
lichen Ueberfällen, und dabei Krank— 
beit und Entbehrung leiden aller 
Art; oft ift mir die Verzweiflung 
nahe gewejen. 

Aber unabläffig haben wir ge= 
arbeitet und nach etlichen Jahren 
ift es jo weit gewefen, daß wir uns 
fagen fonnten: Wir find hier da— 
heim. Auch ein paar Engländer 
haben fich bei uns angeliedelt, und 
felbft eine Rothhautfamilie; wir 
vertragen und miteinander. Meine 
Hütte fteht auf einer Anhöhe, unten 
rinnt ein Waſſer, jenfeits ift Wald. 


Wir haben auch einen Weg ange- 
legt thalwärts bis zu einem nächften 
größeren Gut, das einem Franzofen 
gehört. Ich Habe Arbeiter genom- 
men und mein Anmejen vergrößert. 
Ich treibe Viehzucht, welche erträglich 
ift, und etwas kümmerlichen Ader- 
bau. Mein Haus habe ich den Reut— 
hof genannt, und nebenan habe ich 
eine Kapelle gezimmert und für die— 
jelbe eigenhändig aus Ahornholz das 
Bild des heiligen Jakobus gefehnißt. 
Und das Thal heißt Neu-Altennmwos. 
Wir kommen wöchentlich zweimal zu— 
ſammen in meinem Haufe, um uns 
fere deutſche Sprache zu pflegen, 
die etliche ſchier vergeſſen könnten, 
um deutfche Lieder zu fingen, deutjche 
Zeitfehriften und Bücher zu leſen 
und die Sitten der alten Heimat 
zu halten. Bor fieben Monaten 
babe ich von einer meiner deutfchen 
Nahbarsfamilien ein Mädchen ge— 
heiratet, und ich hoffe nach den An— 
zeichen, daß man mich Jakob den 
erften nennen wird zu Neu-Alten- 
moos. 

Das, mein Vater, iſt in flüch— 
tigen Umriſſen mein bisheriger Le— 
benslauf. Und jetzt, glaube ich, darf 
ich ſchreiben. Wie gerne möchte ich 
Euch ſehen, aber nun bin ich hier 
feſtgenagelt, wie Ihr dort. Jetzt 
verſtehe ich das Feſtgeſeſſenſein ſchon 
beſſer, wie dazumal. Es iſt ja wahr, 
Gottes iſt die Erde überall und 
Pilger ſind wir Alle. Doch der 
rechte Menſch muß eine Heimat 
haben, daß er und ſein Geſchlecht 
ſtark ſei. 

Wenn Ihr aber doch einmal 
kommen wolltet, Vater, um das 
Neu-Altenmoos zu ſehen, welches 
faſt nach dem Muſter des alten iſt: 
Ihr gehet einen Tag zu Fuß, fahret 
zwei Tage auf der Eiſenbahn, drei— 
zehn Tage auf dem Meere, dann 
wieder ſieben Tage auf der Eiſen— 
bahn und endlich drei Tage mit 
Wagen oder reitet auf dem Pferde, 
dann ſeid Ihr bei mir. Ich ſchreibe 


733 


Euch noch den Reifeplan. Vielleicht, 
daß Euch gar die neue Heimat beffer 
gefiele, als die alte, denn meine 
Gertrud ift ein braves Weib, die 
gar feinen andern Fehler hat, als 
— troßdem alle ihre lieben Leute 
bier find? — mandmal noch ein 
wenig Heimweh nach dem deutjchen 
Baterland. Aber liegt nur erft das 
Kind in der Wiege, daß fie vor fich 
ſchauen muß, ftatt hinter fih, dann 
wird auch das gut fein. Und bei Euch 
wirds auch jo fein, Vater. Die Heinen 
Kinder find bei den Eltern daheim, 
die alten Eltern bei den großen 
Kindern. Kommet zu uns, Vater, und 
überzeugt Euch, daß Euer Yaderl 
doch nicht ganz umfonft davonge— 
laufen ift. Meine Gertrud bittet mit 
mir, daß Ihr uns Alle lieb Habet. 

Und vor Allem fchreibet mir, 
daß Ihr mir verziehen habt, fchreibet 
mir recht viel, wie es Euch geht, 
und von der Angerl und ihrem 
Mann, die ich vielmals grüße. 
Meine Adreffe ift zu madhen: An 
Herrn Jakob Steinreuter, Beliger 
des Reuthofes in Neu - Altenmoos 
bei Fort Fremont in der Sierra. 
Dregon in Nordamerika. 

Und nun, mein theurer Vater 
lebt wohl und es hofft ein Wieder— 
fehen Euer dankbarer Sohn 


Jakob 
NeusAltenmoos, den 15. Auguſt 188*“ 


Im GHoftesfrieden. 


Jakob legte fich im derfelben Nacht 
wohl zu Bette, aber die Lider ſanken 
ihm nicht. 

Am nächften Morgen, als der 
Guldeifner umberftolperte und knurrend 
nad dem Neuthofer fragte, um ihm 
nocheinmal zu jagen, daß er ein dummer 
Bauer fei, war der Jakob nicht zu 
finden. Der alte Sauertopf, dem die 
Welt heute wieder nicht fo drollig vor— 
fam, wie geftern bei dem Apfelwein, 
mußte underrichteter Sache weiterziehen 


und den „dummen Bauern“ in feinem 
eigenen Kopf verſchimmeln laſſen. 

ALS der alte Nat die Ochfen an 
den Pflug fpannte, um damit auf die 
Herbftbrache zu fahren, war der Jakob 
immer noch nicht zu finden. Der ftrich 
auf den Rainen um und in den Wäl- 
dern, als ob heute auch noch Feiertag 
wäre, wie geftern. Erſt um die Mittags- 
zeit faß er auf dem Steinhaufen und 
ſchaute ſinnend aufdie tanzenden Müden, 
die fih im Sonnenftrahl, welcher zwi— 
Shen dem Ahorn und dem Sauerdorn 
quer einfiel, kreisrund herumtummelten. 
Ueber der Gegend lag ein blauer, wäſ— 
feriger Sonnenäther, der fo dicht war, 
daß die Bergzüge nur im ſchwachen 
Umriffen durchſchimmerten und der jeden 
Augenblid bereit ſchien, fich in Herbſt— 
nebel zu verdichten. Weber einige Berg» 
kämme wälzten fi in der That graue 
Nebelballen herein. — Stein Lufthaud, 
fein Bogelfang, kein Grillenzirpen. Daß 
es gar fo ftill fein mag in folchen ver— 
lorenen Herbfitagen! gar jo herzbe— 
Hemmend fill! 

Der Nah gieng hinauf gegen den 
Steinhaufen zum Jalob und fragte, 
ob fie denn Heute die Ochfen nicht 
einfpannen wollten ? 

„Die Ochſen verlaufe ih,“ ante» 
wortete der Yalob. 

„So wollen wir zwei uns felber 
an den Pflug ſpannen?“ fragte der Natz. 

„Ich reife nach Amerika.“ 

Der Natz blidte erfchroden den 
Jakob au, diefer erzählte ihm von dem 
Briefe. 

„Sch reife hinüber,“ fagte er. 

Der Na war fill, aber endlich 
fonnte er des Gedankens doch nicht Herr 
werden, den er hatte. 

„Wenn Du ins Amerika gehft, 
Jalob,“ fagte er, „Du wirft dort nicht 
lang’ leben.” 

„Ih will ja nicht dortbleiben, ich 
will nur meine Leut' holen und her— 
übernehmen ins Altenmoos.“ 

„Müpt’ man wohl gut überlegen,“ 
meinte der Naß; „etwan geht es ihnen 
drüben doch noch immer befjer wie da. 


134 


Dort geht3 aufwärts, bei uns gehts 
abwärts.“ 

„Und ich Hol’ fie doch herüber,“ 
fagte der Jakob. „Es Tann nicht fein, 
dab das Altenmoos ganz foll zu Grund’ 
gehen müſſen, es kann nicht fein.” 

„Pſt!“ machte jetzt der Nab und 
zeigte mit dem Finger gegen das reife 
Haferfeld Hin, „ſiehſt Du!“ flüfterte 
er, „ein Reh. Mitten im Feld! Wart’ 
Jakob, und rühr Dich nicht!” 

Dom Haufe heran kam ſchon der 
Knecht Ferdinand und brachte das Ge- 
wehr. Mit einer gewiſſen Haft erfaßte es 
der Jalob und jhlih an. Am Feldrain 
ließ er fi auf ein Knie nieder, richtete 
den Flintenlauf zwifchen den Halmen 
durch auf das Thier, das ahnungslos 
im Hafer ftand und die Rifpen von 
den Halmen graste. Juſt wollte er 
losdrüden, da war ein jehmetterndes 
„Halt!“ 

„Halt!“ rief es vom Erlenftraud 
ber, „Bäuerlein, jetzt hab’ ich Dich!” 

Der Oberförfter Ladislaus Tauerte 
dort und fuhr mit dem Schafte feines 
Doppelftugens gegen die Wange. Der 
Jakob hielt feine Fliute feft und als 
er jah, daß gegen ihn gezielt wurde, 
wendete auch er fein Rohr. 

„Das Gewehr wirf weg!“ ſchrie 
der Oberförfter. 

„Thuſt Du’s, thu' ichs auch,” ant— 
twortete der Jalob und blieb in feiner 
Stellung. 

„Das Gewehr weg, oder ich brenne 
Dich nieder!” 

„Ich wehre mich,“ fagte der Jakob, 
und die beiden Feuerrohre waren ge= 
geneinander gerichtet. 

„Reuthofer!“ rief der Oberförfter, 
„es elelt mid, Dich zu tödten und 
ih rathe Dir gut. Mein Gewehr hat 
zwei Läufe!“ 

„Das meinige hat einen,“ ent— 
gegnete der Jakob und fein Auge hatte 
einen feltfamen Glanz. „Ich wehre 
mi um mein Leben; bevor Yhr mich 
noch einmal in den Kotter fledt —“ 

Hart an feiner Wange pfiff die 
Kugel vorüber, da drüdte er los und mit 


einem gräßlichen Schrei jprang derÖber- 
förfter auf und flürzte im nächften Mo- 
mente mitten im Gebüfche zu Boden. — 

„So, jegt bin ich fertig,” fagte der 
Jakab, warf die Flinte weg und fahte 
mit beiden Händen fein Haupt, als ob 
er e3 vom Rumpf reißen wollte. „Mör— 
der! Mörder!“ ſchrie er mit gellender 
Stimme, „Jo muß es enden! Zum 
Geriht! an den Galgen! fo muß es 
enden !“ 

Der Nat auf bebenden Füßen war 
berbeigeeilt, der Jakob hatte ihm einen 
Schlag verfegt mit der Fauſt und hub 
an zu fpringen, wie ein VBerfolgter. 
Er fprang am Raine Hin, er fprang 
über die Matte abwärts gegen die 
Waldſchlucht. Der Natz eilte ihm nad), 
und rief: „So bleib’ doch ftehen, ich 
bin ja der Natz!“ An den Ufern der 
Sandach — einmal am rechten, einmal 
am linken — oder auch mitten im Bache 
dahin liefen fie. Noch ſah der Nah 
den Fliehenden zwifchen Bush und 
Baum, bald aber entſchwand er ihm, 
und der Alte brach endlich vor Auf- 
regung und Erſchöpfung zufammen. 

Als er nad einer Weile wieder zu 
ſich kam und ſich befann, was ge- 
Ihehen war, raffte er fich auf, um dem 
Jakob neuerdings nachzueilen. Zwifchen 
Hafelnuße und Erlgebüſche mußte er 
ih mwinden, zwiſchen Himbeer- und 
Brombeergefträucdhe. Sand- und Stein- 
halden famen, und auf dem Sand die 
Spur eines Menfchenfußes! Der Nat 
tief und rief nach dem Jakob, bis er 
heifer war. Dann wankte er weiter, 
immer weiter. Gewaltige Felsblöcke, 
von den Hohen Bergen niedergebrocdhen, 
lagen in der Schlucht, von Wildfarren 
und Schierling umwuchert. Ueber einen 
Steinwall mußte er Klettern und jene 
jeitS wieder hinabfteigen zum Waffer, 
wo e3 ftill war und klar war. Finfters 
graue, ſenkrechte Felſen ragten auf 
neben und vor ihm. — Da kann er 
nicht weiter, dachte der Natz dem Flie— 
henden nad, da muß ich ihn erreichen. 
Den Förfter hat er erfchoffen, ich will 
ihn tröften; es ift gar nicht wahr, 


diefer falſche Menſch Hat fich nur ver— 
ftellt, ift umgefallen, um bald twieder 
aufzuftehen. Die Schergen will er holen. 
Die Schergen follen den armen Jakob 
nicht finden, dafür wollen wir forgen. 
Der Jalob ift unfchuldig, ganz uns 
ſchuldig, ein gehegtes Wild. Sind 
ihnen die Rehe und Hirfchen nimmer 
genug, müfjen auch noch Leut' heben. 
Nothwehr war's, es kann ihm nichts 
gefchehen. „Jakob! Jakob!“ rief er, 
„geh’ Hervor! Ich bin’s, der Natz. Es 
ift nichts. Du triffſt ſchandbar ſchlecht 
und der Yörfler hat einen Spaß ge— 
maht. Komm, wir laden d’rüber.“ 


Der Jakob ift nicht mehr gefommen. 
Mitten auf dem tiefen grünen See ift 
er gelegen und Hat fi langfam um 
ſich ſelbſt gedreht. 

Hier im Gottesfrieden, auf der ſtillen 
Waſſerfläche iſt der Jakob Steinreuter 
auf der Bahre gelegen einen ganzen 
Tag, bis die Amtsperfonen kamen. 
In den Helfen ſaß ein Habicht, der 
blidte mit fcharfem Auge auf den 
Körper im See, aber als er abflog, 
hat er Sich micht gefenkt gegen die Tiefe, 
ſondern war kreiſendemporgeſchwommen 
zur Höhe und über die Häupter der 
Berge dahin. 

Das war eine große Wichtigtduerei 
jet um den Zodten. Protokoll um 
Protokoll wurde aufgenommen und der 
alte Naß ſaß itundenlang im Verhör 
und fagte was er gefehen und gehört 
hatte. 

Die Leiche des Oberförfter3 wurde 
mit Gepränge hinausgetragen auf den 
Kirchhof in Sandeben. Der Mörder 
und Selbfimörder wurde verfcharrt in 
der öden Hochſchlucht, genannt: im 
Sottesfrieden. 


In der erften Nacht, als der Jakob 
ruhte in feinem Sandgrabe unter den 
Felſen, blieb der treue Na bei ihm 
und wachte. Hoch im Gewände ſchien 
der Mond und von ferne ber donnerte 
der Wafferfall. Der Alte ſaß auf einem 
Stein und redete halblaut auf den 
Grabhügel Hin:. „Alſo Feierabend ge= 


736 


macht!” ſagte er, „Haft recht, Jakob, 
haft recht. Auf diefer Welt ift nichts 
zu machen heutzutag — und ſchon 
gar wenn man ein Bauer zu Alten- 
moos ift. Aber warte nur, bis wir 
aufftehen am jüngften Tag! Da wollen 
wir e3 ihnen ſchon jagen, denen Je— 
nigen! Da wirds ſchon auflommen, 
wer Recht Hat. Vielleicht auch noch 
früher. Vielleicht noch früher! — Und 
Du, mein guter Jakob, ſollſt Schlafen. 
Schlafen in der Altenmoofer Erden, 
die Dir ja das Liebfte geweſen ift auf 
der Welt. Ein fehönerer Friedhof ift 
nimmer zu finden. Sch möchte mich am 
liebften auch zu Dir legen, aber was 
Anderes habe ich mir fürgenommen. 
Der alte Reuthofer Hat mir fo viele 
Gutthat erwiefen, daß ich mich beim 


jungen dafür bedanken will, und Vaters 
Segen überbringen. Ich bettle mich 
um die halbe Weltfugel hinüber. Der 
Jaderl kriegt Kinder. Ich bettle mich 
hinüber. — Gute Naht, Jakob!“ 

Am nähften Tage gieng der Natz 
hinaus zum Reuthof. Da war au 
wieder der Amtmann mit feinen Schrif— 
ten. Der Alte kümmerte fich nicht drum, 
nahm Art und Säge und zimmerte 
aus Lärchenholz ein Kreuz. Das Kreuz 
fteht heute noch in der öden Hochſchlucht 
hart an der Felswand nahe am See, 
und auf dem Querballen find die 
Worte: 

„Hier raftet im Gottesfrieden Jalob 
Steinreuter, insgemein Reuthofer, der 
leßte Bauer zu Altenmoos,“ 


Hodhlandslieder. 


Nah R. Burns, in der Alpen:Mundart wiedergegeben von Dr, $. S.*) 


An die Waldamfel. 


(0 stay, sweet warbling wood-lark, stay!) 


Bathlos, 
(My heart is a breaking, dear Tittie!) 


a leib, Vögerl, fliach wegn meiner nit! Frau Godel, mih gfreuet glei 8 Sterben; 


A Sing fort af dein'n Wfl, ih bitt; 
ar Du jollft mein'n Franken Herz damit 
A weng a Lindrung bringen. 





Das Gſetzel mödt ih nochmal hörn; 

Geh, fing mr's für, bis ih's drlern! 

Da miüaht ja d' Hanni holder wer'n; 
As fan nir filaßer klingen. 


Han, hat’3 dein Schatzel ah fo gmadt, 
Und hat dih peinigt und veracht't? 
35 han fie rihti in Verdacht; 

Du möchſt jüft nit jo fingen. 


Du fingft va lauter Hartifeit 

Und Kränkung und Berlaffenheit — 

Hör auf! hör auf! Barmherzigkeit! 
Mir will jha 3 Herz zeripringen, 


Gebbs denna’r an Rath! ih bitt ſchön; 
Ih möcht's nit mit Alle verderben; 
Wia wirds aber mit n Franz Kren? 


Ih moan, mit an fo frifchen Buaben 
Miücnkt 3 Haufen ja kloanweiſ' wohl gehn ? 
Mas frag ih um Häufer und Huaben, 
Wann er nit drin i8, der Franz ren! 


Dr Hofbauer fpreizt feine Haren: 
„Hants, Menſcher, habbs ghörſcht?“ is fein 


edn 
Aft Blast er und pralt mit die Maren, 
Ja, tanzet er wia der Franz Kren! 


Mei Muater thuat nix als wia prödign: 
„Du, hüat Dih vor den und vor den! 
Die Burſchen jan Lotter, die lödign" — 
Wer funnet das glabn van Franz ren? 


*) Eiche Heimgarten X., Eeite 684 und Heimgarten XI., Seite 135. 


737 


Mei Bater jagt, taujend Guln friag ih 
Ban eahm, warn ih'n Franzi liaß jtehn; 
Wanns aber nit Bftimmung is, lüag ih, 
Dak ihn muaß nehm, 'n Franz Kren. 


Erſt nadten ban Lößln ifts offen: 

Bar worn, ma hat's milaßen verftehn; 
Drei mal han ih's Nämliche troffen, 
Wo gihrieben is gftanden: Franz Kren. 


Und ſchon z Allerhalign vor'n Spinnen — 
Die Wäſch han ih ghüatt Hintern Tenn — 
33 er m’r leibhafti drichienen, 

Grabhofet und — fur; dr franz ren. 


Gehts, rath3 mr, Frau Godel, ih bitt Ent; 
Ih ſchenk Ent mein jchopfete Henn, 

Wann’s raths, ih joll nehmen, wen ih den, 
Mein n Buaben, mein n liaben Franz fren. 


Irrwurzen.*) 
(Weary fa’ you, Duncan Gray.) 
Schlecht hiaz geht's dr, Yofef Grau — 
Hm, dd dumme Wurzen! 
Recht hiaz gſchiecht's dr, Iofef Grau — 
Hm, dö dumme Wurzen! 
Wann alle Annern Kögel ſcheibn, 
Muak ih dahoam in Stübel bleibn 
Und mit n Fuaß die Wiagen treibn, 
Als wegn der dummen Wurzen! 


Han van Tanz und Luftbarkeit — 
Hm, dd dumme Wurzen! 
D Lena fpat noh hoam begleit't — 
Hm, dö dumme Wurzen! 
Da liegg a Wurzen überquer, 
Und bumsdi, ſchmeißt's ins Allzwoa her — 
„Geh, Sepp, ih mag Dih gar nit mehr! — 
Aumeh, dd Teüireld:Wurzen !" — 


„Aber, Sepp! machſt Ernft damit" — 
Hm, dd dumme Wurzen! — 
„Sean ih Dr an iadn Schritt.” 
Hm, dö dumme Wurzen! — 
„Belt ja? aft wird's mr wieder leicht: 
As fofl't n Kopf nit, warın ih's beidht’ ; 
Und bal dr Pfarrer 5 Wegerl weidt, 
Sa irrt Dan’n mehr loan Wurzen.“ — 


Dreififbig. 
(Wha is that at my bower-door.) 


Wer is ba meiner Kammerthür? 
„Ra, wer denn, als der Sigmund ?“ 
Geh, Du willft doh nit noh za mir? 
„Das will ih,” jagt dr Sigmund. 
Was frallft denn um as wie r a Diab? 
„Kimm fchauen!* jagt dr Sigmund, 
Stöllſt noh was an mit Deiner Liab! 
„Das möcht ih," jagt dr Sigmund. 





*) Irrwurzen, eine Baummurzel, nad ber 
Boltsfage jo verzaubert, dak, wer darauf tritt, im 
Walde fehlgehen muß. Daber die fpöttijche Redensart: 


Steh ih hiaz auf und lak Dih ein — 
„sa, thua mr’3!” fagt der Sigmund, 
Wird's mit n Schlafen nir mehr fein. 
„Das moan ih,* jagt dr Sigmund, 
Und bift amal herin ba mir, 
„Da bin ih,* fagt der Sigmund, 
Sa bleibft lacht ga bis in dr Früah. 
„Das will ih," jagt dr Sigmund. 


Berfländnis. 
(O whistle, and T’II come to you.) 


O pfeif, und ih fimm za Dir, mein Schatz, 
'n Bater, dr Muater und Allen jan Trob; 
O pfeif, und ih fimm za Dir, mein Schaf! 


Pak auf, und fimm nit roaten mit mir, 
Sieht nit halb offen die hintere Thür! 
Aft fteig über d' Stigel, und ſchau guat für, 
Und fimm, as fameft nit za mir! 

Und fimm, as :c. 


Begegnit af'n Marlt oder Kirchgang mir, 

Sa geh a3 wia für a Wildfremde für! 

Nur ſchau mih liab an, Du woaßt ſcha wia; 

Aber ſchau, as galt dr Bid nit mir! 
Aber ſchau, as x. 


Thua ſchwören, e3 lag dr nir an mir! 

Kannft jagen, Du findeft nirSchöns an mir; 

Nur larel foan An’re, in Gipoak ah nia! 

Sie kunnet Dein'n Sinn alehren va mir. 
Sie funnet dein'n ꝛc. 


O pfeif, und ih kimm za Dir, mein Schatz, 
'n Bater, dr Muater und Allen jan Troß. 
O pfeif, und ih fimm za Dir, mein Schatz! 


Warnung. 
(I do confess, thou art sae fair.) 


Wohl jhön bift, Dirn! daß ih mih grad 
Bis über d'Ohrn vrliaben mödt; 

Doh mit Dein’'n Herzel, das is Schad, 
Mit Deiner Gunft da mwirtichafit ſchlecht. 
Wohl füaß bift, aber ga jo gihwind 
Nudft aus mit Deiner Süaßigkeit, 

Daß 5 Hafen is, as wia der Wind 

Un iaden Stod jein Buſſel geit. 


A Roſen blüaht fo friih in n Hag; 
MWirds aber brodt und umergichmiert, 
Sa ſchau, wia f glei in erften Tag 

'n G'ruch und d'ſchöne Gſtalt vrliert! 
Ih fürcht mih, Dir geht's ah noh fo: 
Hiaz blüahſt und is um Dih a G'riß; 
Agſchmudelter verſchimbbelſt wo, 


Du bift auf a Irrwurz treten, d.h. haft Di geirrt. | Daß Daner fragt: Was! Dö da iſ's? 


Kofegger’s „Geimgarten’,, 10. Geft, X1. 


47 


738 


Als ein angefhoffener Haaſe vorbeifloß. 


(Inhuman man! curse on thy barbarous 
art.*) 


Verfluachter Mensch mit Deiner Teuxelskunſt! 

Blind follt’ das Mörderaug wer'n, was fo 
zielt hat, 

Das Herz koa Mitleid finden, was foans 
gefühlt Hat, 

Koa Luft habn, dö'sd'an ſöchten Vieh nit 
gunnft! 


Mein armer Has’, wia humpelft über's feld 

'n Boſchach zua, und fiecft nit, wia's hiaz 
ſchön is, 

Mas jüft dein liabefts Tummelplagl gwe'n is, 

Dein ZTiicheldeddih, ja dein ganze Welt! 


Geh, letzer Haſcher! un dei hoamligs 


Za letter Nuahftatt ars dr heunt noh 
taugen, 

'n grüan'n Sader um die ftarren Augen, 

Die bluatig Bruft af's kalte Flötß anpreßt! 


Oft wirds mr andthoan, daß ih Dih nit ſiech 

Zan Fruahftud fürer hupfen aus'n Schaden, 

Bald niederbuden und bald Mann’! maden; 

At fluadh ih noh den Mordferl; arm’s 
Vieh! 


Sans Gerfienkorn, 
(There were three kings into the east.) 


Drei reihe Künig im Morgenland, 

So hoaßt's, dö hätten gſchworn 

Un jhwaren Eid mit Mund und Hand: 
„Es fterbe Hans Gerftenlorn!* 


Und richti! tiaf in n Boden pflliagt 
Und zuag’eggt is er worn; 

Und ſchon die Grabichrift hat er kriegt: 
„Hier liegt Hans Gerftenlorn!* 


Da hat der Lanz linds Wetter bradt, 
Und gregent hat's und thaut; 
Dr Hans iS wieder auferwadt, 
Und g’ftanden — d'Leut habn gſchaut. 


Und wia dr Summer warm worn i3, 
Sa wird er groß und fett, 

Ba’'n Kopf obn umer voller Spieh, 
Daß Neamd loan Angriff hätt. 


Dr Hörift bat eahm nah und nad 

Sein Wadhsthum unterdrudt; 

Die Farb is bloach worn, 5 Fuaßgſtell ſchwach, 
Und 3 Köpfel hat fid budt. 





*) Offenbar gab es damals in Schottland wenig 
Hafen und Objtbäume; bei uns würde das Mitleid 
eines Bauers wie Burns mit dem Hafen nicht bloß 
vom Jäger verladit. 


Hiaz wia die Feind habn gjegn aus Alln, 
Daß 3 neamer beifer wird, 

Da hambb f'n gahlings überfalln 

Und graufan mafjafriert. 


Ferft mit an Schneidzeug, ſcharf und frumbb, 
Habn f'n üntern Ania aghadt; 

35 bunden worn a3 wier a Qump 

Und af an Wagen padt. 


Aft habn j’n af an Hifel gitedt, 
Wo Wind waht umadum, 

Aft af'n Tennboden niedergftredt 
Und prügelt: bum, bum, bum! 


Viel Waſſer holen d' Henfersleut 
Und füln a Loch damit; 

Da habn jn Hanjen einbi feit, 
Drfauft er oder nit, 


Sein Leiden hat fie noh nit grührt, 
Hambb n ausbroat’t überquer, 

Und warn ma wo a Leben gjpürt, 
Umgftöffen hin und her. 


Hambb ünter eahm a Foir anfendt, 

Und hambb eahm 8 Boanmarch gröft’t, 
Mit Mühlſtoan maln f'n loan zan End, 
Aft war er doch drlöst. 


Diaz habn j erit noh fein Herzensbluat 
Azapft as wier an Wein, 

Und trinken's voller Uebermuath 

Mit Lärm und Vivatſchrei'n. 


Ma ſolt's nit glaben; foftet man's, 
63 böbt Dan wunnerbar; 

Ma fieht wol, dak dr arme Hanns 
A ganzer Kampel war. 


Durch eahm wird oft a plagter Mann 
Getröftet und drfriicht ; 

A Wittib fangt zan Singen an, 
Drweil fie d’ Augn noh wiſcht. 


Drum hoch! Hanns Gerftentorn joll 
lebn, 

Und ſoll van Hand zu Hand 

Uns Allen guat zu trinten gebn 

In liaben Vaterland! 


Den Hanns i5 gſetzlich angetraut 
Die Jungfrau Hopfenbliah; 

Er mödt ah gar loan an’re Braut 
Und mir foan an’re Brüah.*) 


) Dieſe Shlußitrophe fehlt im Original (war da⸗ 
mals vielleicht nicht zeitgemäß) und ift aus bairifchen 
Archiven ergänzt. (D. Web.) 


739 


Feierfagwerk. 

(Up wi’ the carles o’Dysart.) 
Auf, Manner va Mautern, 
Und Buaben va Bruggern, 
Und Weiber va Winklern, 
Und DirnIn van Tauern! 

Gehts dan, geht3 dan! 
Gehn mr d Arbat an! 
Is noh viel nit than. 


Mir haben Gihichten 3’ drzählen, 
Und Gſanger jan finga, 
Und Geld ausz’geben, 
Und Trünf zuaz'bringa. 
Geht3 dan, gehts dan! 
Gehn mr d Arbat an! 
33 no viel nit than, 


Mir lebn ünfer Zeit; 

Und dö nad Uns kemma, 

Solln ah jo gſcheit 

Ausgebn was f’ einnehma. 
Gehts dan, gehts dan! 
Gehn nır d Urbat an! 
Is noh häufti nit than, 


Erklärungen: agibmu'lt (abgejchmudelt) 
jerdbrüdt und beihmupt. anten dt, angezündet. Flötz, 
Erdboden. haſen (mit hohem a) adj. glatt u. weich, 
adv. faft, beinahe. Haider, armer oder ſchwacher, 
bebauernöwerter Menih. Hampel, 1. Aamm, 2, 
Kämpe. hacht (mit hohem a), vielleiht. Tarelm, 
Ioden. lek, wund, frant. Lößeln, loofen durch ir⸗ 
gend ein abergläubiiches Epiel, nahten (mit hohem a), 
geftern Abends. roaten (raiten, rechnen), ſich ber 
ipreden, Sader, Riedgras, Segge. weicht, weiht. 


Räthſel des Herzens. 


Aus den Erinnerungen eines jungen Witwers. 






Nie Heine Hans gudt wieder ein 
wenig durch die Fuge der halb 
angelehnten Thür. Da drinnen geht 
jeit einigen Tagen wa3 vor. Blumen 
duft, Lichterglanz, die Leute fchleichen 
nur fo und thun geheinmisvoll. Kinder 
dürfen aber nicht hinein. — Weihnacht 
ift erft vor Kurzem gewefen; follte 
wieder Ehriftbaum fein? 

Dept find viele Männer drinnen 
und Einer Hopft und macht etwas. — 

Ich nehme den Knaben an feinem 
warmen, weichen Händchen und führe 
ihn von der Thür hinweg. 

„Sie Sollen nicht fo hämmern,“ 
fagte der Heine Hans, „da wird die 


Mutter wach.“ Befann fich aber und, 
„Ja, fie ſoll wach werden,“ ein 


jeßte bei: 


Draufen ertönte wie gedämpfter 
Orgelton der Choral der Priefter. Ich 
riß den Knaben an mich, preßte ihn 
an meine Bruft, daß er die quellenden 
Thränen nicht follte ſehen können, 
aber er fühlte das Beben und Stoßen 


der Bruft. Mit Befremden blidte er 
nich an, er wußte ja nicht, was das 


war, er hatte feinen Vater noch nie= 
mals weinen gejehen. 

Im Nebenzimmer derbe Männer- 
chritte. Sie hoben den Schrein... . 


„Bater, ſchau!“ jubelte der Kleine. 
Er ſah durch's Fenfter auf der Gaſſe 
den Wagen mit den goldenen Säulen 
und dem goldenen Kreuz auf dem 
Dedel. Er ſah die vier Rappen und 
die wallenden Federbüſche auf ihren 


Haäuptern. Eine große Menfchenmenge 


hatte ich verfammelt, fo daß Stadt- 
wächter die Gaffe frei machen mußten. 
Jebt trugen vier Männer etwas, das 
über und über mit Kränzen, Blumen 
und Bändern bededt war, zum Wagen 
und fchoben es hinein. Der Chor fang 
Lied. 
„Wie ſchön!“ jubelte mein Hans 
und rieb die Heinen Hände in einander, 
„ach, wenn das doch auch die Mutter 
ſähe!“ 

Der Wagen ſetzte ſich langſam in 
Bewegung. 

Raſen und toben würde der Menſch 
in ſolcher Stunde, aber Gott läßt ihn 


47* 


740 





betäubt fein. Wie durch einen Flor 
halb verhüflt jieht er das Glüd feines 
Lebens untergehen. 

Nah einer Weile trieb es mid), 
die Thür des Nebenzimmers zu öffnen. 
Kein Menſch war da, Schleier, Blumen- 
blätter und Blüter lagen herum und 
die zwölf Herzen brannten am leeren, 
Ihwarzen Trauergerüfte. 

Einen Monat früher hatten wir 
in demfelben Zimmer Alle fo felig den 
Weihnachtsbaum umjubelt. Wie Herzte 
fie den vierjährigen Knaben! Mit 
leuchtenden Augen fog fie die Freude 
des Kindes im ihr treues Herz. Sie 
war jung und ſchön. Sie war mein 
Alles. — Us fie nad neuntägiger 
Krankheit mih und das Kind anblidte 
da fagte fie die Worte: „Das Sterben 
ift jo hart — Euretwegen. Eines thue 
mir zu lieb, mein Mann, fage e8 dem 
Hans nicht, daß ich geftorben bin. In 
feinen Gedanken möchte ich weiter- 
leben.“ 

Das war faft ihr letztes Wort 
gewefen. Als der Priefter fein Gebet 
unterbrach, die blafjen, ruhig gewor— 
denen Züge betrachtet und zu den Um— 
ftehenden das Wort geſprochen hatte: 


Jugendgenofle, mein Bruder. Nichts 

wollte ih um mich, als mein — ihr 
Kind. In diefem Tebendigen Theil 
ihrer vergangenen Wefenheit follte ich 
fie nun tröften darüber, daß fie geftorben 
war. Menfchenleben, wie bift Du räth- 
ſelhaft! 

Als ich mit Hans allein war, 
verſuchte ich, mit ihm zu ſpielen! 
aber im Antreiben der Pferde, im 
Commandieren der Bleiſoldaten war 
ich heiſer; im Aufſtellen der Bauſteine 
war ich ungeſchickt, weil mir die Hände 
zitterten. Der Knabe zeigte heute auch 
fein Intereffe daran. So gaben wir’s 
auf und faßen ftifl neben einander da. 

Lange Hatte die Abendröthe zum 
Fenſter Hereingeleuchtet und Alles mit 
Roſenſchein übergoſſen. Jetzt war fie 
verdämmert, dunkel war es in der 
Stube und bis auf ein feines Kniſtern 
der verglühenden Dfenglut feierlich 
ftill. — Zur Stunde ſinkt der Schrein 
in den tiefen Grund. — Der Knabe 
| Hatte fein lichtes Lodentöpfchen an 
meine Bruft gelehnt, als wolle er 
Schlafen. Aber hier Hub er leife an zu 


ſchluchzen. 
„Hanſel!“ ſagte ich und mußte 


„Sie iſt im Frieden Gottes!“ und dabei acht geben, daß meine Stimme 


als mich das kurze, wahnſinnige Wüthen 
des erſten Schmerzes zu Boden ge— 
worfen hatte, dachte ich an ihr Kind. 
SH nahm mir dor, ihr Wort zu er= 
füllen. 

Und fo fchlief die Mutter nun feit 
drei Tagen. Aber ewig kann fie nicht 
Schlafen. Jetzt wieder bat mich der 
Kleine, die Mutter zu weden. Ich 
brachte ihn in fein Spielflübchen und 
framte Pferde und Wagen, Bilderbücher 
und Baufteine, Pfeifen und Trommeln 
um ihn aus. Zröftende Freunde und 


nicht brach, „was ift Dir, mein Kind?“ 
„Die Mutter!“ wimmerte er, „die 
Mutter ſoll kommen!“ 
So iſt die grabende Sehnſucht, 
das unfaßbare Weh plößlich laut ge— 


worden im Munde des Kindes, das 
doch von nichts wußte. 


„Was?!“ rief ich und hob das 
Haupt des Knaben in die Höhe, „ich 
glaube gar, da gibt's Wafler! Pfui! 
Ein junger Mann und flennen!“ 

Ich merkte aber bald, daß uns 


gutgerzige Nachbarinnen kamen. Ich mit diefer Art von Tapferkeit nicht 


dankte Allen für ihre Wohlmeinung 
und bat, mich allein zu laffen. Wie 
waren mir die Freunde und Belannten 
fo widerli, da fie Verſuche machten, 
mich nun zu tröften, fich gewilfermaßen 


‚gedient war. Der Spott, den ich auf 


den Sinaben warf, verwundete mich 
jelbit noch tiefer. Mir war weh zum 
Sterben. 


„Webrigens,* fagte ich dann, „Du 


an die Stelle der Dahingefchiedenen |haft ganz Necht, Hans, e3 wäre Zeit, 


zu feßen. Weltfremd war mie mein 


daß ſie käme. Wir wollen fie recht 


741 


auszanfen, daß fie uns fo lange allein 
gelajjen Hat.“ 

Der Han fhüttelte fein Köpfchen: 
„Auszanfen nicht!” 

„Zwar, der Weg ift weit.“ 

„Wohin ift fie denn gegangen, 
Bater ?" 

„Und das weißt Du nicht?“ rief 
ich. „Nun, dann mußt Du Dich freilich 
berwundern,. daß fie nicht ſchon da 


ſuchen, wo die Wolfen ein Loch haben. 
Da wird's freilih Nacht unterwegs, 
doch die Zwei feßen fi auf einen 
Stern und raften.“ 

„Aber auf einem Stern fann man 
doch . nicht ſitzen,“ meinte der Hans, 
„der ift ja viel zu Hein.“ 

„Der Engel zündet bernah an 
dem Stern fein Laternlein au,“ er= 
zähle ih, „und leuchtet der Mutter 


ift. Sie wird noch eine Weile auf fi |voraus. Vor der Himmelsthür haben 
warten laffen. Sie ift auf Bejuch bei fie wieder Aufenthalt, und die Mutter, 
der Großmutter, und Du weißt ja, wie fie den heiligen Petrus mit dem 
wie das geht, wenn Frauen zufammens Himmelſchlüſſel fieht, ſucht in der 
fommen.” Zafhe nah einem Zehnkreuzerſtück. 

Jetzt hatte ich den rechten Ton, »Laß gut fein,« lispelt ihr aber der 
der mir nicht weh that. Wie wunderlich | Engel zu, »der nimmt nichts. Wir 
ift doch das menſchliche Herz ! wollen Hier feitwärts ein wenig ftehen 

„Über Vater,“ wendete der Feine |bleiben und uns die Leute betrachten, 
Hans ein, „Großmutter iſt ja im die in den Himmel gehen. Sieht Du, 
Himmel!“ ‚Alle gehen Hinein, Keiner beraus« .. 

„Eben!“ antwortete ich, „und Du Da hinkt der alte Michel heran, der 
erinnerft Dich ja, wie fehr der Mutter | krumme Pfründner, Du fennft ihn ja, 
nad der Großmutter bange war. So haft ihm mandmal einen Grofchen 
fommt heute ein Engel, er ift juſt geſchenkt. Schau, wie er luftig hinein— 
mit dem Chriftbaumaufräumen fertig huſcht! Der verlangt gewiß nicht mehr 


worden auf der Welt und will in den 
Himmel zurüd. Der fieht die Mutter 
Schlafen und jagt: Wenn fie ohnehin 
immer jchläft, jo wird fie ja Zeit 
haben. Ich kehre in den Himmel 
zurüd, wenn fie mitgehen mag? — 
»Bigott, jal« fagt die Mutter, »eine 
jo gute Gelegenheit trägt ſich nimmer 
zu. Auf den Hanfel gibft Acht, Alter, 
und fochen foll Euch die Roſa.« Und 
padt den Neifefad. — »Geh, wirft 
ihn felber fchleppen!« jagt der Engel 
und nimmt ihr den Sad aus der Hand 
und lauft ſchon voraus. Kaum noch 
ein »Behüt' Euch Gott beifanmen ! 


ein Küßchen dem Hanfel umd er ſoll 


brav fein!« Und fort ift fie. Ich ſchau' 
ihr nach, der Engel führt fie bei der 
rechten Hand und fo fteigen fie gegen 
den Himmel auf.“ 

„Der ift heut’ voller Wolfen ge— 
weſen,“ bemerkte der Knabe, „wie 
fönnen fie denn da durch?“ 

„Das ift eben,” fage ich, „darum 
müſſen fie den Uintweg machen und 


zurück auf die Welt. Ei der Taufend! 


Ein König kommt daher. Die goldene 
Krone, auf die man fo viel hat gehalten, 
ſchwups, reißt er fie vom Kopfe, ſchleu— 
‚dert fie mit einem Juchſchrei in den 
Nebel hinab und tanzt munter wie 
ein Hirtenfuabe auf der Alm durch 
‚die Himmelsthür. Nicht einmal der 
verlangt auf die Welt zurück. Jetzt 
‚kommt eine fchöne, junge Frau, die 
bleibt ftehen an der Himmelsthür und 
beſinnt fih. Lange fteht fie und Schaut 
zurüd, auf die Welt hinab. Liebe 
Menſchen hat fie verlaffen dort unten. 
Weil fie den Leuten den Weg verfteht, 
jo knurrt fie der Heilige Petrus an: 
»Nu, entweder Du gehſt hinein, oder 
Du bleibt heraußen!« — Thut fie 
einen Seufzer, wendet ſich und fteigt 
wieder in die dunlle Welt hinab. 
Schaut jet der Engel Deine Mutter 
‚fragend an. Uber die, weil fie ſchon 
"einmal fo weit ift, fie will die Groß— 
nıntter fehen. Gut, fo treten fie in 
den Himmel ein. Jeſſes, da verfchlägt’s 








742 


ihr fchier das Aug’ vor lauter Lichten! 
— »Gud,« jagt der Engel, »halt her 
Deine Nafel« und ftedt ihr blaue 
Augengläfer auf. So hat vergleichs— 
weife auch der Menſch auf der Welt 
blaue Brillen auf der Nafe, wenn er 
gegen den Himmel aufſchaut.“ 

„Und die Großmutter ?* frägt der 
Hans. 

„sa richtig,“ erzähle ich weiter, 
„und wie die Mutter jo dafteht und 
von der Menfchenmenge Hin= und 
bergeftoßen wird (als ich das fage, 
thut mir Schon wieder das Herz weh), 
ſpricht fie plößlih ein rothwangiger 
Burſche an: »Grüß Gott, Frau!« Die 
Mutter ſchaut Hin und jagt: »Die 
Stimme kommt mir befannt vor und 
ic weiß doc nicht. —« »Das glaube 
ich,« jagt der Burjche, »die Frau hat 
mich immer nur in Schwarz gefehen; 
ih bin der Schornfteinfegergejelle, der 
im vorigen Jahre geltorben ift.« »Das 
ift ſchön!« fagt die Mutter, »aber 
jetzt muß ich Schon Fragen, hat Er 
hier nicht die Großmutter, die alte 
rau Riedel, irgendwo gejehen ?« 
»Iſt mir nicht unter die Augen ge= 
kommen,« antwortet der Burfche. Da 
ift die Mutter todeserfchroden: »Am 
Ende! Wenn fie gar nicht da wäre!« 
Zupft fie auf einmal Jemand bei der 
Nodfalte. »Da bin ih!« Hört fie und 
ſieht auch ſchon die Gropmutter auf 
dem Lederſeſſel Hoden, nah' beim war— 
men Ofen. »Geh Du, komm ber da 
geihwind,« flüftert die Gropmutter 
zur Mutter, »da neben meiner hab’ ich 
ein gutes Platzel für Dich aufgeho- 
ben.« »Aber da fieht man ja nichts,« 
fagt die Mutter. »Dingegen ift es 
ſchön mwarm,« jagt die Großmutter 
und ſchmiegt fih an den großen 
Kachelofen.“ 

So Habe ich geplaudert und iſt 
mir jchier mild und warm geworden 
dabei und das ganze Bild, das ih 
dem Kleinen vorgedichtet, ift wie ein 
inwendiges Gefiht vor mir geftanden 
und freudig erfchroden bin ich darüber, 
daß der Menſch die Todten erweden 





und Himmel bauen kann in feinem 
Gemüthe. 

Der Knabe ſchwieg ein Weilchen, 
dann fragte er: „Kommt die Mutter 
bald ?” 

„Ja, und weil fie ſchon einmal 
dort ift,“ fuhr ich fort, „fo muß fie 
wohl auch einen guten Pla ſuchen 
für Did und für mid. Wir wollen 
ja nicht weit vom lieben Herrgott 
fiten und dab wir die Engel muſi— 
cieren hören, nicht wahr? Die Cäcilia 
thut Orgel Spielen und der König 
David die Harfe dazu. Da wird fich 
die Mutter verweilen und nicht fort 
wollen.“ 

„Für die Roſa foll fie auch einen 
Pla machen,“ ſagte der Hans in 
foft müdem Zone, 

Die Roſa war eine neunzehn— 
jährige Nichte der lieben Heimgegan— 
genen, die im Daufe jeßt die Heine 
Wirtſchaft beforgte; fie war ein wohl— 
gemuthes Mädchen und der Knabe 
hatte fie lieb. 

„Freilich ſoll auch die Rofa ihren 
Pla friegen,“ gab ich bei, „aber den 
beiten wollen wir doch der Lieben 
Mutter laffen, daß fie raften kann 
und träumen, mein Sind, von Dir.“ 

Meiter gieng’3 micht mehr, mir 
ſchnürte es die Gurgel zufammen. 
Der Knabe ſchwieg und als ich mit 
dem Lichte nach ihm fah, war er ein— 
geichlafen. 

Ich Hüllte fein Bettchen auf, fo 
gut ich's verftand,; es war eim neues 
Kreuzigen des Herzens, als ich die 
Kiffen und Deden berührte, mit innie 
ger Mutterforge bereitet von ihr, die 
jet begraben war. Danı legte ich das 
Kind fanft hinein und ſaß an jeinem 
Bette und mir war, al3 wäre e3 aus 
mit aller Zeit. Im Vorzimmer Inarrte 
die Thür, 

„Die Mutter kommt!” Tallte der 
Knabe im Schlafe. 

Rofa trat ein, ftand an der Thüre 
ſtill und ſchaute traurig auf mich und 
das ruhende Kind. 


— nn 
* * 


„Was willft Du da?“ Herrjchte|fchloffen worden war. Sie wollte den 


ih fie an. Ich konnte feine Fremde 
Perfon fehen an der Stelle, wo ſie 
geweilt. 

„Bon der Beltattungsanftalt,“ 
hauchte Rofa und wollte mir etwas 
in die Hand geben. 

„Was ift das?“ fragte ich. 

„Der Schlüffel zum Sarg,“ ant— 
wortete fie zagend. 

„Was geht das Dih an! Ich 
will nichts von Dir, geh!” 

Ohne ein Wort zu fagen, trat fie 
leife hinaus. Das kreuzförmige Stahl: 
ſchlüſſelchen war in ihrer Hand ge= 
blieben. Ich fragte mich num, warum 
ih fo Herb gewefen. An die Thür 
trat ih, um fie zu rufen. Da hörte 
ich, wie fie draußen fchluchzte. Rofa 
war immer bejcheiden und ſanft ges 
wejen. Auch fie Hatte viel verloren, 
aber ſich wohl vorgenommen, durch 
häusliche Anhänglichkeit und Fürſorge 
diefe Zeit zu erleichtern dem, der 
Alles verloren. Sie wollte mir in die 
Hand legen das zum Kreuz geformte 
Symbol, den Schlüffel zum Schrein, 
in welchen mein ganzes Glüd ver- 


Knaben betreuen und ihn zur Ruhe 
bringen, wie das echt und recht nur 
ein weibliches Weſen kann. Und ich 
hatte fie zurüdgeftoßen. Nun lehnt fie 
draußen in der finfteren Kammer und 
weint ftill vor fih Hin. Mein krankes 
Gemüth hörte die Geliebte weinen an 
jenem Abend, als ich ihr in Mißmuth 
über ein unverſehens zerfchlagenes 
Glas ein rauhes Wort gejagt hatte. 
E35 war das einzige Mal gewefen, 
aber mir brennt diefes Weinen in der 
Seele. Und ih glaube, die wahre 
Liebe zu ihr ift mir erſt auferftanden 
in jener Stunde, als ich ihr Hatte 
weh gethan. Sie ſchlief in der Erde 
und ich hörte in der Borlammer ihr 
bitteres Schluchzen. 

Der Knabe ſchlummerte ſüß. Ich 
fan nicht weinen hören, ich muß ihr 
jagen: jo ſchlimm wäre es nicht ge= 
meint gewefen, das Unglüd habe mich 
verwirrt, fie möge ein wenig Nachficht 
haben... . 

Ih öffnete leife die Thür und 
trat hinaus. Wie Hätte ih ahnen 
können, zu wen ich Hinaustrat ? 

Der Knabe hatte recht gehabt. — 


Der befte Tröfter. 






een \ 

29) 
Kummer, 

Und ftreut Dir mild BVergefienheit; 

Gr fühlt des Bujens wilde Gluten 

Und ftillt die Wunden, die noch bluten 

Und fräftigt Di zu friſchem Streit ! 


Wem mid’ im Kampf die Arme janten, 
Wer fiber marternde Gedanken 

Des Schaffens Freudigkeit verlor, 

Wem frank das Herz in dunleln Qualen: 
Sie trinfen all’ aus feinen Schalen 

Zu neuem Hoffen fi) empor. 


ler befte Tröfter ift der Schlummer, | Daß doch aud Dein Herz Schlummer fände, 
Er jcheucht die Sorgen, jeheucht den | Du Armer, dab Dein Gram entjhwände, 


Der alte Lebensmuth Dir län; 

Das lindernd um Dein weh’ Gemüthe 
Der Mohn mit feinen Gaben blühte 
Und alle Trübnis von Dir nähm'! 


Ah Deiner Liebe bitt’re Leiden, 

Sie werden nimmer von Dir jcheiden, 
Sie wandeln mit Dir Tag und Nadt; 
Seit Dir das Liebfte jäh genommen, 
Mag Dir nur nod ein Schlummer frommen, 
Aus dem das Herz nie mehr erwacht! 


Alwin Römer, 


744 


Bellrafte Bauernfdlauheit. 


Eine lehrreiche Geſchichte. 


eher Zeifel und fein Weib giengen 
we de Weges. Er Hatte einen 
tothen, bauſchigen Regenfhirm unter 
dem Arm, und e3 war doch Heiterer 
Himmel über der ſchönen Gegend von 
Ulbach. Sie trug in ein blaues Tuch) 
geſchlagen einen Brotlaib auf dem 
Rüden, und fahen doch beide hübſch 
jattgegeffen aus. 

„Wohin die Reif’? fragte fie der 
Kerſchbauer, der vor feinem Haufe ftand. 

* „Auf Heiligen-Kreuz wollen wir 
im Gottesnamen,*“ fagte die Zeifelin, 
„3 it die Mutter fo viel jchlecht ge= 
worden, und daß wir ihr eine glück— 
lihe Sterbftund’ möchten erbitten, um 
Gotteswillen.“ 

„Gute Verrichtung!“ rief ihnen 
der Kerſchbauer nach, und als ſie davon 
waren, jagte er es in die ftille Luft 
hinein: „Wenn der Sohn und die! 
Schwiegertochter auf Heiligen = Kreuz, 
hinüber gehen, dieweil die Alte daheim | 
ftirbt, jo fteig’ ich jebt Hinauf zum 
Zeiſelhof und thu' ein biffel erb— 
ſchleichen.“ 

Saß eine Stunde ſpäter auch ſchon 
bei der Kranken, faßte ihre hagere kalte 
Hand und ſagte: „Ich mag nit eſſen 
und nit ſchlafen, ſo hart iſt mir, Muhme, 
daß Ihr ſo krank ſeid. Meine armen 
Kindeln, die Ihr aus der heiligen 





Taufe habt gehoben, weinen ſich heiſer 


und blind um die liebe Muhme und 


Godel (Pathin). Wollen ſchon fleißig 


beten, daß Ihr wieder bald aus dem 
Bett kommt.“ 

„Laßt mich drinnen,“ entgegnete 
die Kranke unter ſchwerem Athem, „das 
Sterben muß auch ſein.“ 

„Aber Muhme!“ rief der Kerſch— 
bauer, „redet doch nit vom Sterben. 


— kunnten wir Euch entrathen auf 
der Welt?“ 

„Ich Hab’ 
ſagte ſie. 

Der Bauer hielt ſich ſein blaues 
Sacktuch vor die Augen und ſchluchzte: 
„Was follen denn meine armen Würmer 
anfangen, wenn die Muhme und Godel 
ftirbt !” 

„Will ſchon auch auf fie denken,“ 
fagte die Krante. 

Da drüdte er ihr die Hand: 
„Muhme! Ihr ſeid alles zu gut für 
diefe Welt, alles zu gut. Nein, Euer 
Sohn und fein Weib müfjen fein Herz 
haben. Jetzt davongehen und die Mutter 
| freinden Dienftboten überlaffen! Mein 
Weib ſchick' ih Euch herauf, Muhme 
und Godel, daß fie Euch pflegt. Als 
job Ihr unſere Mutter wäret, ſo gern 
‚haben wir Euch. Auch auf meine 
Kinder denken, jagt Ihr! — Wie viel 
kriegen fie denn ?* 

E3 war etwas unbedacht gefragt. 
Uber eine Sterbende nimmt derlei nicht 
fo genau. „Zweitaufend Gulden find 
ihren vermeint,“ fagte fie. 

„Bott Lob und Dank!“ rief der 
Kerſchbauer aufathmend. „Ich vorhoff', 
die Muhme wird wieder geſund, muß 
uns wieder geſund werden. Na mein! 
unſer Aller Leben ſteht in Gottes Hand. 
Keiner weiß es, wanns aus iſt. Und 
desweg iſts gut“ ſetzte er bei, „daß 
man ſich für alle Fälle — der lieben 
Ordnung wegen — und daß nachher 
nicht etwan ein Verdruß herauskommt 
— um Gotteswillen nur kein Verdruß 
unter Nachbarsleuten! Soll ich Euch 
nit das Kiſſen rücken, Muhme?“ 

„Vergelts Gott,“ entgegnete ſie, 


„ich lieg' ganz gut.“ 


mir genug gelebt,“ 


‘ 


„Was ich Jagen hab’ wollen,“ fuhr 
der Rerichbauer ſtets einlenfend fort, 
„zweitaufend, jagt Ihr. Gelt, Muhme, | 
wir thun die Sad’ beim Notar ein! 
wenig richtig ftellen.” 


45 


Sie Hat denn ihre Schuldigfeit 
auch getreulich gethan — iſt geſtorben. 
Als das Begräbnis vorüber war 
und vom Gerichte die Verlaßabhand— 
lung angeordnet, kam denn der Kteerſch— 


Sie Hatte nichts dagegen einzu= bauer mit feinem Schuldſchein. Darob 
wenden. Der Bauer lief nad Ulbach waren die rechtlichen Erben höchlich 
zum Notar. Dieſer machte ihn anfe | erflaunt. Wie jo hat die alte Frau 
merkſam, daß die zweitaufend Gulden, noch im Sterben zweitaufend Gulden 
welche die alte Zeifelhoferin feinen aufgenommen, da in ihrem Staften 
Kindern vermachen wolle, eine Schen= | ohnehin Bargeld lag? Wiefo hatte e3 
fung feien und daß demnach der Bauer ihr der Kerſchbauer geliehen, der be= 
eine Steuer von Hundert Gulden zu, fanntermaßen ein arıner Teufel war? 


zahlen Haben werde. 


Das fam dem Kerfchbauer ſauer 
vor. Er gieng zum Schmied Joft. Der, 


war Huffchmied und Mechtsgelehrter 


und jagte zum Bauer: „Hundert Gulden 


Steuer zahlen! Das wär’ nit jchlecht ! 
Da wiſſen wir das Geld beijer zu 
brauchen. Nachbar, das machen wir jo: 
Du leiheſt jeßt der alten Zeifelhoferin 
zweitaufend Gulden! — Sei nur ftill, 


Schuldſchein aus. Und wenn fie ge— 
jtorben ift, gehft mit dem Schuldichein 
zu ihren Erben und begehrit Dein 
Geld. So kommt Du zu den zwei— 
taufend Gulden und Haft nicht einen 
Kreuzer Schenfungsfteuer zu zahlen.” 


„Du bift ein verflucht feiner Kampel!“ 


„Dafür kennt man das Geſetz,“ 
entgegnete der Schmied beicheidentlich. 


Jetzt, was Hatte der Kerfchbauer 


zu thun? Er nahm bei einem guten 
Freund auf etliche Stunden zweitaufend 
Gulden zu leihen, gieng damit in 
Begleitung des Notar zur Franken 
Zeifelhoferin, die in die Sache ſchon 
eingeweiht war, gab ihr unter Zeugen 
Schaft das Geld in die Hand, worauf 
fie ihm den Schuldfchein ausftellen lieh. 
Als der Notar davon war, 
das Geld wieder in die Tafche und 


trug es zum guten Freund zurüd. Den 
Schuldſchein verwahrte er forgfältig| — und hat gejagt: 
und wartete nun, daß die Alte fterben | auf das gehen wir nicht ein. 
möglich, dab Euch oder Eueren Kin— 


würde. 


Kerſchbauer ausgeftellt Hat, 
„Schmied!“ fagte der Kerſchbauer, gel : 


— Aber der Schuldſchein lag da, war 


in allen Punkten correct und nicht 
anfechtbar. 

Es fam zum Gericht; da fagte der 
Schmied Joft dem Kerſchbauer, er folle 
ganz ruhig fein, das Gericht enticheide 
nach dem Gefeß und die Zeifelleute 
müßten die zwei Tauſender ſchwitzen, 
da helfe ihnen fein Gott und kein 


Heiliger. 
pro forma, meine ich. Die Zeifelhoferin 
ftellt Dir darüber Form rechtens einen 


Was aber hat das Gericht gefagt ? 

Das hat gefagt: Wir entjcheiden 
freilich nach dem Geſetz, aber das Geſetz 
bat zwei Theile, den Buchftaben und 
den Geift. Wir Halten uns an den 
leßteren und Jagen: Bei diefem Schuld- 
brief, melden die Sterbende dem 
ftedt ein 
großer Schwindel dahinter. Es Fol 
unterfucht werden, wie ſich die Gefchichte 
zugetragen hat und nachher wollen wir 
weiter reden, 

Die Sache ift laut geworden. Ber 
fonders der gute freund, der das Geld 
auf etliche Stunden hergeliehen, Hat 
Alles verdorben. Der Kerfchbauer hat 
freilich gefchrien: Sei e3 gewejen wie 
immer, das gienge Niemand was aı, 


‚der Schuldfchein fei da, fei mit Willen 


und Willen der kranken Zeifelhoferin 


‚ ausgeftellt worden und er begehre fein 
ftedte er 


Geld. 

Das Gericht hat dazu gelächelt — 
auch das Gericht kann mitunter lächeln 
„Nein, lieber Manıt, 


St ja 


746 


dern das Legat vermeint gewejen. Ihr |iheuer zu ftehen kommt, wenn man 
habet der Steuer entgehen wollen und |den Staat um die Steuer betrügen 
nun duch Euren Firlefanz die ganze |mwill. — Hier ift die Nechnung für 


Erbjchaft verfcherzt. Uebermachet Euren 
Kindern anftatt der zweitaufend Gulden 
die gute Lehre, daß e3 manchmal gar 


das Gerichtsverfahren, fie macht hun— 
dert dreißig Gulden.“ 


Beltfame Bagen. 


Mitgetheilt von Kofegger. 


Drei Anoten und doch nicht ge- 
Anüpft. 








Na, mein lieber Freund! Der 
DR Teufel, das ift fein Guter! 

Das DorfHamersleben liegt draußen 
im Reid, und vor dem Wirtshaus in 
Hamersleben liegt ein großer moos— 
grauer Stein. Diefen hat vor Zeiten 
der Teufel nach dem Wirtshans ge= 
worfen. Im Zorn, mußt Du mwiffen, 
weil er um drei arme Seelen ift be= 
trogen worden. 


Sind da ihrer drei Gefellen ges 
jefien, haben gezecht und Karten gefpielt 
und dabei geflucht und fakermentiert, 
Einer mehr als der Andere, Beim Ofen 
figt ein altes Weib und wiegt im 
Strohbettlein ein Heine Kind. Bittet 
die Gejellen, fie follten doch nicht fo 
fluchen und fchreien, das Kind könne 
nicht ſchlafen. War ihnen Alles eins 
— geftochen das Aß, was geht uns 
das Kind an? — Das Fluchen ift 
verflucht Sünd’! hat der Knecht Marcus 
gern gejagt, aber das Falſchſpielen 
geht über’3 Fluchen, fage ich, weit 
überd Fluchen, nnd felbft wenn man 
nur um Erbfenbohnen fpielt. Den 
Dfcherer gehen fie an, er thäte falſch 
fpielen, hätt’ mit Nadeln die Karten 
durdlöcdhert und fein krummer Blid 
fteige den Nahhbarslarten über den 
Rand hinein. Wer gut Karten jpielt 
muß gut trinken und nicht jchlecht 
fluchen fönnen. So ſchreit der Oſcherer, 


der gottverdammt’ Höllteufel ſollt' ihn 
holen, wenn e3 wahr ſei, daß er falſch 
jpiele! 

Nun läßt ſich aber der gotiver= 
dammt’ Höllteufel nicht fpotten; er 
hält auf Decorum, möchte des Grafen 
Hofmeifter fagen. Heutzutage käme er 
in Frad und Eylinder, feine Klauen 
fäuberlich verdedt von weißen Glacé— 
handſchuhen. Damals ift fpät um 
Mitternacht ein ftattlider Rittermann 
hoch zu Pferd in den Hof geritten. 
Als der Hengſt — es war natürlich 
ein ſchwarzer — ſeinen Stall und 
ſeinen Hafer hatte, gieng der Ritters— 
mann, ſein rothes Mäntlein zierlich 
umgeworfen, ſeinen Degen blank an 
der Seite und über die linke Wange 
eine Schramme, zum Zeichen daß er 
tapfer iſt, in die Stube und bedeutete 
den Spielern leutſelig, ſie ſollten ſich 
durchaus nicht ſtören laſſen. Das war 
ihnen auch gar nicht eingefallen. Sie 
fluchten und ſakermentierten, daß die 
Fenſter klirrten, und der fremde Ritter, 
der bei ſeinem Trunke ſaß, war ganz 
Ohr und murmelte entzückt vor ſich hin, 
jo ſchön fingen hätte er ſchon lange 
nicht mehr gehört. Etwas unangenehm 
war ihm nur das Heine Kind, das 
am Ofen in der Wiege lag. Kleine 
Kinder find läftig und fehon gar, wenn 
man der Zeufel ift. 

Jetzt auf einmal ift den Spielern 
eine Karte zu Boden gefallen. Zorkelt 
das alte Weiblein, das beim Kind 


747 


gefefjen, mit der blechernen Ampel herbei 
und fucht auf dem Fletz das Karten— 
blatt. Wie fie aber fo mit der Ampel 
unter Tiſch und Bank herumleuchtet, 
fieht fie hinter dem rothen Mantel des 
ſchönen tapferen Ritters einen Pferde- 
fuß. Sie fohlägt ein Kreuz, da zudts 
den Ritter wie Gicht und Gall’ durch 
das Bein. Weiter thuts nichts. Weil 
der Ritter nun weiß, daß er erfannt 
ift, macht er auch weiter fein Ge— 
heimnis draus, fondern fagt, er fei 
auf Wunſch des Dfcherer da, um den 
Hugen Falſchſpieler, den er fehr lobe, 
mit fich zu führen. Aber auch die 
übrigen Gejellen feien höflich einge- 
laden, mitzufommen, fie hätten nicht 
minder falſch geipielt und dazu noch 
wader geheuchelt. 

Da war es noch Einem eingefallen, 
ob man dem Zeufel nicht könne den 
Hals umdrehen, ift aber im felben 
Augenblid ein jo unerquidlicher Duft 
ausgeftrömt aus dem jchönen tapferen 
Rittersmann, daß den Gefellen ſchier 
Hören und Sehen vergangen. 

„Ihr ſeid Hin wie des Juden 
Seel',“ ſagte jetzt der Teufel, denn 
jeit er dur) den Erzengel Michael aus 
dem jüdischen Himmel verftoßen worden, 
fonnte er die Juden nicht leiden. „Daß 
Ihr aber ſehet, ich bin nicht ganz fo 
ſchwarz, als mich Mancher malt, jo 
will ih Euch eine Möglichkeit offen 
laffen, mir zu entkommen. ch will 
Euch zur Unterhaltung ein Räthjel 
aufgeben, wenn Ihr das löfen könnt, 
fo feid Ihr frei.“ „Laß' hören, ich 
löfe Dir's!“ fchreit überlaut der Oſcherer. 
Und Hat ihnen der Teufel darauf das 
Räthfel gejagt: „Dreimal Knopf und 
und doch nicht gefmüpft — was ift 
das?" 

Mein himmliſcher Gott — dreimal 
Knopf und doch nicht gefmüpft — was 
kann das fein? Sie rathen Hin, fie 
rathen ber, der Oſcherer ift ſonſt ein 
findiger Räthjellöfer, es wird ihm ſo— 
bald Keiner zu gefcheit, aber heute ifts 
aus und auf der Stirn ftehen ihnen 


„Alsdann, fo wollen wir uns auf 
die Reife machen,“ jagt der Teufel; 
im jelbigen Augenblid fehen die Ge— 
jellen, wie das Kind beim Ofen im 
Scheine der blechernen Ampel aus dem 
Bettfiroh einen Strohhalm hervorzerrt 
und mit dem Heinen Händchen in die 
Höhe hält. 

„Ich hab's, ich hab's!“ rufen jet 
die Spielgejellen zugleich, „drei Knoten 
und doch nicht gefnüpft — der Stroh— 
halm iſts, der Strohhaln mit feinen 
Knoten!“ 

Jetzt hat's einen Knall gethan in 
der Stube, und als ob eine Rakete 
wäre zerplaßt, ift viel Dunft und Ge— 
ftanf da gewefen, aber Fein feiner 
Ritterdmann mehr. Und draußen ift 
durch die Lüfte ein Stein an's Wirts- 
haus geflogen, daß die Erden hat ge= 
zittert. Der Stein liegt heute noch 
vor dem Wirtshaus; doch die Gefellen 
haben nicht mehr geflucht und nicht 
mehr falfch gejpielt. Geftochen das Aß, 
aber das Kind geht uns doch was an. 

Es war nicht das erftenal, daß 
ein unfchuldiges Kind vor dem Teufel 
ſchützte, und es wird nicht das letztemal 
gewejen fein. Am Strohhalm hängt 
manches Gejellen arme Seele — wer 
öfters auf das unfchuldige Kind wollte 
ſehen ...! 

„Ei, geht mir weg mit den Kin— 
dern!“ ſagt der Teufel. Ich glaub's! 


Das Irrlicht. 


Einſt gieng durch nächtlichen Wald 
ein Prieſter mit dem Sacrament. Voran 
ſchritt der Küſter mit der Laterne. 

Alland der Schäfer Hatte den Weg 
verloren und da er ihn in der finfteren 
Nacht nicht Finden konnte, ſchritt er 
dem Lichte des Küfters nach. Der Weg 
ftieg bergan über Geftein und Geröfle. 
Da zudte vor den Füßen dee Aland 
plötzlich ein Jrrlichtlein. Es war blau 
wie ein Spiritusflämmchen, fprang das 
einemal in die Erde hinein, hüpfte das 
anderemal dem Schäfer bis zum Knie 


die Schweißtropfen vor Zodesangft. Iherauf, als wollte es fich ihm in den 


748 


Weg ftellen. Weil fih Aland aber] fladerte das Jrrlicht zu, und Alland 
nicht irremachen laſſen wollte, fo be= | jchlicht und fletterte ihm nach. 
gann das Jrrlichtlein zu reden und Als er über das Geſimſe geftiegen, 
ſprach: „Lieber ſchöner Schäfer! Wohin [in Gemache war und ſich von dem 
willft Du denn? Weißt Du auch, was | Inhalt desfelben auf das Angenehmfte 
Dein Ziel ift, wenn Du jenem Lichte | Überzeugt Hatte, fragte das Irrlicht, 
dort folgft? Du wirft zu einer elenden |ob es noch weiter dienftbar fein dürfe? 
Hütte kommen, und darin wird ein Der Schäfer entließ es. — 
ſchwerkranker Greis liegen, und der Seit diefer Nacht waren drei Jahre 
wird dor Deinen Augen die Qualen |verfloffen. Alland der Schäfer hatte 
des Todes leiden. Nein, Aland, um die Miüllerstochter zum Weibe nehmen 
einen Bettler fterben zu fehen, dazu müſſen. Oft blidte er fie num ver- 
bift Du wahrlich zu jung und lebens- ftohlen an und wollte nicht begreifen, 
luſtig. Laſſ' diefes traurige Licht umd | wiefo er vom Jrrlicht fich diefe Perſon 
komme mit mir, Ich führe Dih zu als das fchönfte Weib auf der Welt 
Luft und Freuden, wie Du fie Schöner | anflunfern laſſen konnte! Zwar fuchte 
nicht denken kannſt. Ich erfülle Dir die Müllerstochter das Jrrlicht zu recht- 
Deine geheinften Wünſche. Zu drei | fertigen, indem fie ſchöne Kleider und 
Zielen will ich Dich führen, zwei davon | Schönes Gefchmeide an ihren Leib hieng. 
magft Du felber wählen, das dritte, Dem Alland wäre e3 aber lieber ge= 
wähle ih. Willft Du’s mit mir ver- weſen, das Weib hätte das Kleid ge= 
ſuchen?“ ſchmückt, als umgelehrt. Ferner waren drei 
„Das will ich,“ antwortete Alland Kinder da, gegen welche Alland weiter 
der Schäfer. „Bei einem Sterbenden nichts einzuwenden hatte, als daß ſie 
wüßte ich in der That nicht, was an- immer nach Brot ſchrieen. Der Schäfer 
zufangen. Sch will Leben, nichts als konnte mit feinem Erwerbe ſchon lange 
Leben, unermeßliches Leben, fo viel, nicht mehr auskommen und hatte nun 
daß es ein einziger Menfch gar nicht Jauch die Weberei gelernt, um, damit 
ertragen kann.“ er fein Weib kleide und feine Kinder 
„Alſo Sprich,” fagte das Irrlicht, nähre, mächtiger Weile die Wolle zu 
„wohin foll ich Dich führen 2* verwebern, die feine Schafe ihn ab- 
„Darüber thut mir feine Wahl geworfen hatten. So jab * oft * 
weh,“ antwortete der Schäfer, „führe pater Stunde bei dem tummerlichen 
mich zum ſchönſten Weib auf der Welt.“ Lampenlicht und knüpfte und fchiffelte 


Sp: „an feinen Fäden. Und einmal, wie er 
„Das iſt leicht und das ift ſchwer,“ ſo müde umd verzagt bei feiner Arbeit 


verjegte das Irrlicht und wunderte ſich 
insgeheim, daß der vierundzwanzig— — Ma Dr Fadengeflechte 
jährige kernfriſche Burſche keinen Namen Aland!“ te es ihn an, „fo 
zu nennen wußte. Nun um fo befier, finde ich Dich wieder! E⸗ ht. fein 
Danchem ift das nachſte Weib an das den Geſchäft, als Fäden zu 
ſchönſte. „Wohlan, folge mir! tnüpfen, die das Schichal zerriſſen hat, 
Und das Irrlicht begann voran- und noch dazu bei der Todtenampel, 
zuflattern wie ein bligblauer Falter, | Hei der man kaum genug fieht, um eins 
über Stod und Stein hin und theil⸗ zuſchlafen, geſchweige um zu Mebern. 
wärt3 gegen einen fühlen Grund. Beſinne Di einmal, Schäfer, ob Du 
Und im fühlen Grund, da fand es nicht lieber wieder einmal mit mir 
eine Mühle. Hinter den Elappernden | verfuchen willft.* 
Rädern war ein Fenſter, es war offen „SH danke,“ antwortete Aland, 
und die weißen Vorhänge wehten ſachte „Du Haft mich einmal geführt und 
in der Nachtluft. Diefem Fenſter ordentlich in die Patjche gebracht.” 





nn nr nn ————— 


749 


„Ich verſtehe Dich nicht,“ verſetzte 
das Irrlicht. „Ih Dich in die Patjche 
gebracht? Haft Du nicht felbft das 
Ziel gewählt? Ich Habe nur Deinen 
Wunſch erfüllt. Wähle heute klüger 
und folge mir.” 

„But,“ fagte er, „zu verlieren 
habe ich nichts aber viel zu gewinnen. 
Ih brauche Geld.“ 

„Beld magft Du wohl haben,” 
ſprach das Irrlicht. „Komm und folge 
mir getreulich, die Nacht ift finfter und 
ſtürmiſch. Nimm auch eine Waffe zu 
Dir, die Gegend ift unficher und Geld 
muß, wie Du weißt, nicht allein er» 
worben, fondern auch bewacht werden.“ 

Aland ftedte fein Meffer in die 
Lederfcheide, feßte feinen Hut auf und 
folgte dem Irrlicht. Diefes flog voran 
über den Weg und über die Heide und 
einem Meierhofe zu, der einfam und 
ftifl daftand auf der meiten Ebene. 
Dort glitt das Irrlicht an der Holz- 
wand bin und ber, als ob es den 
Eingang ſuchte. Da die Thür ver» 
ſchloſſen war, fchlüpfte es durch die 
Spalte eine! rüdmwärtigen Fenſters 
hinein und winfte dem Schäfer, daß 
er nachlomme. Diefer wußte fich nicht 
zu helfen, das Fenſter war ja mit 
einem Laden verfchloffen. Weil aber 
der kalte Wind fo unmenſchlich pfift, 
daß Aland glaubte, er müſſe erftarren 
in diefem Winterfturm, fo erbrach er 
mit ftarker Hand den FFenfterladen, 
um unter ein fchüßendes Dah zu 
fonımen. Im Gemach, in welchem er 
nun ftand, ſah er etwas ſehr Seltfames. 
Auf dem Tiſche lag ein Haufen von 
alten Thalern und das Srrlichtlein 
tanzte Tuftig um denfelben herum, daß 
e3 fich fpiegelte in blanfem Silber. 

„Sollte das mir gehören,“ fagte 
der Schäfer zum Irrlicht, „fo ift es 
ein finniges Gefchenf, da3 Du mir da 
macheſt. Du Hältft Wort und ich danke 
es Dir.” 

Damit ftredte er feine Hand aus 
nad dem Silber. Im felben Augen 
blid aber gieng die Thür auf und der 
Pächter mit blinkendem Beil fürzte 


herein, um feine Summe, die er Tages 
zuvor für Weizen eingenommen vor 
Diebeshänden zu wahren. Alland dudte 
fi) behendig vor dem nad ihm ge= 
führten Schlag, riß fein Meffer aus 
der Scheide und ftieß e5 dem Manne 
ins He. — 

Seit diefer Nacht waren drei Wochen 
vergangen. Aland der Schäfer ja im 
nädhtigen Kerker. Aus dem einzigen 
Tenfter Hoch an der Wand blinkte ein 
Sternlein herab vom hohen Himmel. 


„Bas müßet er mir!“ murmelte 
Aland für ih. „Allnächtig leuchten die 
Sterne iiber der Erde und die Menſchen 
gehen doch zu Grunde. Wollte lieber, 
daß mein Freund, das Jrrlicht wieder 
füme. Diesmal wüßte ich das beite 
Ziel, das mich nimmer gereuen jollte. 
— Hinaus in die Freiheit!“ 

Kaum Hatte er jo gedacht, als aus 
einem Winkel des Sterfers das blaue 
Flämmchen aufzudte. „Ich bin ſchon 
bier," fagte es, „mich freut es, daß 
Du mid Deinen Freund nenneft. Aber 
die Wahl will ih Dir diesmal er— 
fparen, Du bift in derfelben nicht juft 
immer ganz glüdlich gewejen, und das 
dritte Ziel — fo iſts abgemacht — 
wähle ih Dir. Steh’ aufund folge mir.“ 

Alland erhob fich, da fiel von feinem 
Fuß die Stette, da fprang Inarrend die 
eiferne Thür auf und draußen harrte 
feiner ein Geleite. 

Zwifchen dieſem fchritt er nun 
langfam in nächtlicher Stunde und 
voran zudte umd tänzelte das blaue 
Licht. Einmal war's, als beleuchte e3 
borübergleitend das blaffe Geficht feines 
Weibes, die mageren Geftaltlein feiner 
Kinder, dann wieder fhaurige Finfter- 
nis und durch die Schwere Luft zitterte 
der lang eines Glöckleins. 

Plöglih war auf dem Hügel ein 
Holzpfahl fihtbar, an welchem das blaue 
Flämmchen zwinfernd und büpfend 
auf und niederglitt. Oben ſtand wag— 
recht ein Querbalten hinaus und darauf 
feßte fi das Irrlicht — dem reis 
mann leuchtend bei feinem Werke. 


750 


Eine granfame Fodesart. 


Die Abelöberger, das find von jeher 
die Klügften gewejen im Land. Die 
fanden zu jeder Spalte den richtigen 
Keil. In der Staatöllugheit, Ge— 
meindedifciplin und  wirtfchaftlichen 
Verwaltung find fie namentlich muſter— 
giltig geworden. ine der bewunde— 
rungswürdigften ZThaten der Abels— 
berger war, wie fie die Maulmwürfe 
eingefhüchtert Haben. 

Die Wiejen um Abelsberg waren 
alljährli, bejonders im Herbft und 
Frühjahr, voller Maulwurfshügel. Des 
war der Gemeinderath betrübt und der 
Bürgermeifter feufzte oftmals auf: 
„Liebe Genofjen, wir fommen ganz um 
unfer Gras!“ 

Da geichah es, daß der tapfere 
Knab' Gofel, Bürgersfohn von Abels- 
berg — der Name diejes Braven fteht 
im Ehrenbuche der Stadt mit goldenen 
Lettern — eines Tages einen leben 
digen Maulwurf fieng und in eimem 
Eifenkäfig nah Haufe bradte. Auf 
dem Marktplag wurde ein Tiſch er— 
richtet, auf denfelben wurde der Käfig 
geftellt und genagelt und das Volk der 
Stadt ftrömte zufammen, um den 
grauen Böfewicht zu fehen. Unter Ver- 
wünſchungen und Fäufteballen ftürmte 
die Menge auf den Gefangenen ein 
und die Polizei hatte zu thun, um 
ihn zn ſchützen vor der Volkslynche, 
damit er ordnungsmäßiggerichtet werden 
fonnte. Das Todesurtheil war gefpro= 
chen, der Stab gebrochen über den arınen 
Sünder, der hier auf dem Pranger 
ftand. Selbiger geberdete fich aber zur 
allgemeinen Entrüftung ſchier wohl— 
gemuth, guckte mit feinen hellen Aeuglein 
neugierig auf die Menge und ſchnup— 
perte ſchalkhaft mit dem Schnäuzlein 
zwiſchen den Eifenfpangen hervor. 

Noch war aber der hohe Rath 
wegen der Todesart nicht einig. Das 
ftand feit: Ein Beifpiel follte an diefem 
Gejellen aufgeftellt werden, wie ein 
ähnliches das wühlende Gefchleht noch 
nicht erfahren hatte. Einige waren für 


da3 Hängen, aber der Delinguent Hatte 
dafür einen zu kurzen und diden Hals, 
es wäre der Strid abgeglitten. Andere 
wollten ihn enthaupten, das fand der 
Rath jedoch viel zu ehrenvoll für den 
Schelm. Das Verbrennen wurde zurück— 
gewiefen, weil der Feuertod erſt recht 
eine glänzende Aureola um das Haupt 
des Berbrechers gelegt haben würde. 

Und als fie dergeftalt uneinig waren, 
erhob fich ein weiglodiger, Iangbärtiger 
Greis — faft fteht zu vermuthen, daß 
er nicht zu Abelsberg gebürtig war — 
und begann unter lautlofer Stille der 
Menge fo zu reden: 

„Wohlweifer Rath von Abelsberg! 
hochanſehnliche Berfammlung ! 

Wichtig ift die Stunde und folgen- 
reich die That, die wir zum Wohle 
unſerer geliebten Stadt zu vollbringen 
im Begriffe ftehen. Wir haben ein 
Individuum dom Leben zum Tode zu 
bringen, aber wir haben in deimfelben 
nicht allein das Individuum, fondern 
fozufagen das ganze Geſchlecht vom 
Leben zum Tode zu bringen. Es ift 
das Geſchlecht, das aflmählih und 
tüdifh die Grundfeſten unterwühlt, 
auf welche unfere Vorfahren und wir 
jelbft unfere Eriftenz und Eultur ges 
gründet haben. Es ift wohl überflüflig, 
daranf hinzuweiſen, daß die Maulwürfe 
unſere Erbfeinde ſind, daß es zwiſchen 
uns und den Maulwürfen keine Ver— 
ſöhnung gibt und geben kann.“ 

Ein ungeheurer Beifallsſturm un— 
terbrach den Redner. Selbſt der kleine 
Gefangene ſpitzte die Ohrlein und fteflte 
ſich dann höchſt poſſierlich auf ſeinen 
Hintertheil, weil er glaubte, die Leute 
wollten ſich von ihm ergötzen laſſen 
und der Beifall gienge ihn an. Der 
Redner fuhr endlich fort: „— daB 
e3 zwijchen uns feine Berföhnung gibt 
und geben kann!“ worauf ſich der 
Beifalläjubel nochmals wiederholte. 

„Werte Verſammlung!“ jagte der 
Greis mit faſt mißbilligender Miene, 
„der Gegenstand ift zu ernft, als daß 
wir ihn mit Zurufen wie bei einer 
Komödie entweihen wollten. Es handelt 





fih darum, daß wir an diefen Tage 
ein Erempel aufftellen, welches geeignet 
ift, das elende Geſchlecht vor Schred 
ftumm zu machen, wenn e3 nicht ſchon 
ſtumm wäre, und vor Angft grau zu 
machen, wenn es diefe Farbe nicht 
ſchon hätte. Des Grauens voll ſollen 
fie ſich ſammeln in Rotten, die Gauen 
von Abelsberg auf Nimmerwiederjehen 
verlaffen und es ihren Kindern und 
Kindesktindern erzählen, was zu Abels— 
berg einem ihrer Genoflen gejchehen ift. 
Nicht hängen und nicht köpfen, nicht 


Ipießen und nicht braten wollen wir 
den Böfewicht. Den gräßlichiten Tod 
ſoll er fterben, der je geftorben worden 
ift. Diesmal ift fie eine Bürgertugend, 
die Grauſamkeit, mit der ich die Todes— 
art verfünde: Der Schelm foll 
lebendig begraben werden!” 

Rath und Volk überboten fih in 
Beifall. Sie führten den Käfig hinaus 
auf den freien Anger, hoben den Maul» 
wurf behutfam hervor und nach wenigen 
Minuten war das Urtheil vollzogen. 


Auf Bäubercommando. 


Novelle von Paul Maria Sacrroma, 


J. 


—F enug geraftet! Vorwärts, marſch!“ 

7) erſcholl die tiefe, jonore Stimme 
des Lientenants Géza Sändor. 

Die Truppe war zwar noch müde 
und wenig gelabt durch das haſtig 
eingenommene, kärgliche Mahl, ſprang 
aber dennoch auf, wie ein Mann; denn 
Disciplin vor Allem iſt ja das be— 
geiſterte Loſungswort des Soldaten. 

Im vorliegenden Fall trat auch 
noch die außerordentliche Anhänglich— 





keit hinzu, welche die Mannſchaft | 31 


ihrem ftrengen und troßdem gütigen 
Vorgeſetzten bezeugte. 

Einfam im entlegenen Konak zu 
leben genöthigt, ſchloß ſich der Lieu- 
tenant mehr als üblih an feine Un— 
tergebenen, meiftens Bollblutungarn, 
Ihlihte, redliche Pußtaſöhne, mit 
denen er Freud und Leid der bos— 
niſchen Garnifon zu theilen pflegte. 
So ftand er denn auch geftern Abends 
im hellen Lichterglanzge des Chriſt— 
baumes in ihrer Mitte. 


Anm Frühen Morgen ſchon war 


Geza in die Berge gegangen, oder 
vielmehr geflettert, weil ja der Weg 


hinan ein blos illuſoriſcher ift; auch 
ohne Schnee und Eis taugt er mehr 
für Ziegen und Gemſenals für Menfchen. 

Nicht wie gewöhnlich von der Laft 
reichlichſter Jagdbeute ſchier erdrüdt, 
kehrte der Lieutenant diesmal heim. 

Kein Echo trug den Knall eines 
Flintenſchuſſes in die Ebene hernieder. 
Blos ein ſchlankes Tannenbäumchen 
war es, das der fühne Jäger in Hän— 
den hielt; doch ſchien ihn feine Ero— 


berung mit nicht geringerem Stolze 


erfüllen, ja faſt mehr noch zu 
freuen, als der mächtige Bär, den er 
vor wenigen Tagen zur Strecke brachte. 
Die beiden prächtigen Borftehhunde, 
Blad und Flott, Hingegen jchielten 
mit ziemlich verächtlichen, unzufriedenen 
Bliden zu dem fonderbaren Wild hin— 
über, das fie weder gewittert, noch 
apportiert und deſſen Auffindung ihrem 
Herrn jo viel Mühe gefoftet. 
Stundenlang hatte er darnach ge= 
fahndet, bis er endlich auf der Höhe 
der fahlen Bergkuppe, wo fogar die 
fpärliche Zmwergholzvegetation und das 
bischen Wachholdergeftrüpp ein Ende 


fand, das liebe Bäumchen entdedte. 


752 


Nimmer hätte er es vermocht, den 
zarten Lebenskeim zu tödten und die 
luftig grünende Tanne abzufchneiden. 

Sorgfältig, ſammt Erde undWurzel, 
hatte er fie bis in fein Zimmer hinab» 
getragen, raſch einen Kübel herbei— 
gefhafft, um das Bäumchen mit der 
gebotenen Borfiht Hineinzupflanzen. 

Und nun ging e8 Hurtig an's 
Aufpußen. 

Daheim freilich pflegte er dies nie= 
mals felbft zu beſorgen; die liebevolle 
Mutterhand, die es ſtets für ihn ges 
than, hatte aber wenigftens das Ma— 
terial hiezu aus der fernen Heimat 
gejendet, und bald fand aud der 
dunkle Zannensproß im Schönften Weih- 
nachtsſchmucke da. — Doc) leider fehlte 
der gewohnte Kamilienkreis : keine theure 
Mutter, Feine blühenden Schweitern, 
feine bausbadigen Kinder verherrlichten 
wie in trauten Vaterhaus das Schöne Feſt. 

Geza war allein, ganz allein — 
nein, derartig ift feine Freude denk— 
bar, und rasch entjchloffen, ließ er 
durch feinen Feldwebel die Mannjchaft 
hereincommandieren. Seine Soldaten 
waren ihm ja wie feine Kinder und 
jo jollten fie denn auch gleich folchen 
die finnige feier des Chriftabends mit 
ihm theilen. 

Groß war der Jubel der guten 
Leute. Die an folche Pracht und folchen 
Kerzenglanz ungewohnten „Baka“ 
mußten geblendet die Augen jchliegen 
beim Anblid des von buntfärbigen 
Ketten, Raufchgold und allerlei Zierrath 
prangenden Baumes. 

Keiner von ihnen Hatte jemals 
Aehnliches gefehen, ja kaum gedacht. 

Geza gab jedem Soldaten ein 
Glas guten alten Weines und ein 
Stüd Kuchen dazu. 

Der Wein — in jener Gegend jelten 
und theuer — jollte für den ganzen 
Winter reichen, wie die forgliche Mutter 
beim Verfenden gedacht, und nun langte 
er kaum für den einen Abend, ward 
den vielen durftigen Kehlen fogleich 
geopfert. 


— — — — — — — — — — — 


nun auch aus all' den Augen! Mit 
welch' enthuſiaſtiſchen, donnernden Hochs 
und Eljens auf das Wohl des guten 
Lieutenants wurden da die letzten 
Gläſer geleert! | 

Ya, das hätte ſelbſt ein Mutter- 
herz und nicht blos den freigebigen 
Geza für dem gefpendeten Wein reich- 
lichſt entſchädigen können. 

Und mitten in dem Feſtesjubel, 
mitten .in dem freudigen, ſorgloſen 
Treiben hatte fie der Befehl zum mühe 
jeligen Marih auf Räubercommando 
ereilt. 

Bon der nahen Stadt, wo der 
Stab des Negimentes ftationierte, hatte 
Geza durch eine berittene Ordonnanz 
den Befehl zum fofortigen Aufbrud er: 
halten, und jo marfchierten die Aermſten, 
troß des Hohen Fyeiertages, num ſchon 
fieben Stunden lang und befanden fi) 
auf der Sude nad) dem verwegenften 
aller bosniſchen Banditen, dem gefürd)- 
teten Harambaſcha Branko Brankovié. 

Wie viel lieber wäre Géza dem 
Landesfeinde im offenen, ehrlichen 
Kampfe entgegengetreten, anftatt dieſe 
Razzia zu commandieren, von der nichts 
zu erwarten war, als höchſtens ein 
ruhm- und Eanglofer Tod von tüdifcher 
Räuberhand. Ueberdie3 widerftrebte es 
ihm, einen armen, irregeführten alten 
Mann menchlings zu überfallen; denn 
Branko Brankovié, der Schreden der 
ganzen Umgebung, Hatte vor vielen 
Jahren noch unter der Türkenherrſchaft 
blos aus Rache zu den Waffen ges 
griffen, weil ijm feine Gattin und 
feine ältefte Tochter von einem hoch» 
geftellten türliſchen Wüſtling gewalt- 
fam entführt wurden. — Als er dem 
Elenden, der feine Gaftfreundfchaft To 
Ihnöde mißbraudt, den Dolch in’s 
Herz geftoßen hatte, flüchtete er in die 
Planinen der Witoroga-Berge, wo er 
eine kühne Schaar todesveradhtender 
Männer um fich ſammelte, an deren 
Spitze er mordend und fengend durch 
die Lande ftreifte. 

Jet war er wohl nur noch dem 


Aber welch’ frohe Luft Schimmerte Namen nah der Harambafcha der 


753 


wilden Rotte, wie Viele behaupteten, 
die den alten, gebredlichen Greis von 
Angefiht gefhaut und feiner Groß— 
muth das Leben verdankten. Ja einer 
diefer Glüdlihen, der aus Habfucht 
und Geldgier an feinem gütigen Retter 
zum Berräther geworden und nun den 
Soldaten als Wegweifer diente, ver— 
fiherte fogar, daß Branko Brankovié 
ganz gewiß vor acht Tagen in einem 
mörderifchen Gefechte mit einer Sol— 
datenabtheilung gefallen, dab e3 feine 
Leute jedoch der eigenen Sicherheit 
wegen geheim hielten. 

Wie dem immer fei, war und 
blieb es dem Lieutenant dennoch un— 
gemein peinlich; aber dem militärischen 
Machtwort konnte er ſich nicht wider- 
jegen und fo ſchritt er denn nad 
furzer Raft an der Spitze feiner tapfer 
ausholenden Mannfchaft muthig weiter. 

Stunde um Stunde marfchierten 
fie bei einer grimmigen Kälte von 
neun Grad Reaumur, theils bis zu 
den Knöcheln in Schnee verſinkend, 
theil3 auf glatter Eisbahn dahin= 
ſchreitend. 

Durch des Urwalds niederhangendes 
Geäſt, durch finſtere, wildromantiſche 
Schluchten, durch Triften und lieb— 
liche Thalgründe führte ihr Weg, bald 
in todesftiller, trauriger, Öder Gegend, 
die nur der widrige Schrei des Aas— 
geiers belebte, bald inmitten buntbe— 
völferter Dörfer, deren Einwohner 
ihnen entweder Fluch oder Segen nach— 
tiefen, je nach der Partei, zu der fie 
zählten ; denn gleich dem leidenfchaft- 
lien, in feiner Liebe und feinem 
Haſſe fo ſchrecklichen Volke der Abruzzen 
hielten auch Hier die Leute zu ihren 
Banpiten.- 

Schon drohte die Dämmerung ber> 
nieder zu ſinken, bebor es der wag— 
balfigen Schaar gelungen, der Räuber 
habhaft zu werden, als endlich eine 
zum Recognoscieren vorausgeſandte 
Patrouille mit der Meldung zurück— 
kehrte, daß die Banditen entdeckt ſeien. 

Vorwärts mit Aufbietung aller 
Kräfte, war nun die Looſung. 


Kofegger’s „„Geimgarten‘‘ 10. heſt, XI. 


Der Lieutenant ftellte fih an die 
Spige der Vorhut — wiewohl ihn 
fein alter Feldwebel ganz fuburdina= 
tionsmwidrig beſchwor, ſich nicht der— 
artig zu exponieren — vertheilte ſeine 
kleine Truppe in drei Treffen und ließ 
die Mannſchaft mit gefälltem Bajonnet 
vorſichtig A cheval der Straße vor— 
wärtsjchreiten. 

Sp marfierten fie langfam und 
bedächtig ein Biertelftündchen dahin, 
bogen dann, den gangbaren Pfad ver— 
lafjend, lauernd in einen fchmalen 
Hohlweg ein und nach weiteren zehn 
Minuten bangen Harrens hieß es 
plötzlich: „Wir Haben fie!“ 

In einem tiefen, finfteren Berg— 
feffel, von dräuenden Felſen rings um— 
rahmt und befhüßt, Tagerten ungefähr 
vierzehn bis fechzehn Räuber, offenbar 
von Müdigkeit und Schlaf übermannt. 
Ein vorfihtshalber nur nothdürftig 
unterhaltenes Feuer warf grelle Licht- 
ftreifen auf die vermwitterten Männer 
geftalten und beleuchtete beſonders ſcharf 
eine abfeit3 gelegene, kleinere Gruppe 
von drei Perfonen, deren eine zweifel— 
108 der gefürdhtete Räuberhauptmann 
zu fein ſchien. 

Der alte Bosnak lehnte, von Decken— 
und Thierfellen umgeben, an einem 
Felfenvorfprung neben einem theilweije 
zu Eis erftarrten Waflerfall, der ein 
wunderbolles Bild bot und wie ein 
Stalaktitengebilde von der ftarren 
hohen, ſenkrechten Steinwand her— 
niederhing. 

Bon dem berüchtigten Harambaſcha 
war nichts zu fehen, als ein langer, 
weißer Vollbart und eine fehr defecte 
Nationaltradt. Somohl der um den 
Leib gefchlungene, von Piſtolen und 
Dolden ftarrende Shawl, als das um 
den Fez turbanartig gewwundene, bunte 
Tuch bezeugten, daß fie mit ihrem 
Träger alt geworden. Und recht alt 
und gebrechlich, ja ſchwachſinnig mußte 
der NRäuberhauptmann fein, der ſich 
fammt feiner Bande einem jo ſorg— 
lofen Schlaf hingeben konnte, indeß 


48 


754 


Tod und Berderben ihn allenthalben 
umlauerte. 

Und das Verhängnis ereilte fie 
denn aud. 

Jahlings und fürchterlich wurden 
Alle aus ihrem Schlummer emporge— 
fchredt, dur ein unheilverlündendes 
Trommtelgewirbel und eine Stentor= 
ftimme, die, das Attaque-Signal über» 
tönend, rief: 

„Ergebt Euch, oder Ihr feid des 
Todes !* 

In wilder Verzweiflung ſprangen 
die Banditen empor und griffen zu 
den Waffen — allein vergebens. Ba— 
jonnete und Gewehrläufe bligten rings= 
umher. Geza hatte feine Leute fo gut 
zu poftieren gewußt, daß an ein Ent— 
rinnen nicht zu denfen war. 

Nah kurzem Kampfe, bei welchem 
dem Befehle des Lieutenants gemäß 
ein allzu großes Blutvergießen ver— 
mieden ward, ftredten fie insgeſammt 
die Waffen und flehten um Pardon, 
bi3 auf den Hauptmann und feine 
beiden Gefährten, die fich tollfühn zur 
Wehr ſetzten. 

Der Eine bievon hatte den Spion, 
der die Soldaten geleitet, mit den 
Worten niedergeſchoſſen: „Fahr' zur 
Hölle, elender Verräther!“ Der Andere 
ftellte fi vor feinen Harambaſcha, den 
ſchmächtigen Greis mit feiner herku— 
lifchen Geftalt vollends dedend, und 
drohte Jeden zu durchbohren, der ſich 
zu nahen wagte. 

Der Lieutenant zögerte feinen Au— 
genblid, feinen Säbel mit dem hoch— 
erhobenen Handſchar des Wütherichs 
zu freuzen, der gar bald einſah, daß 
er e5 mit einem durchaus micht zu 
veradhtenden Gegner zu thun Hatte; 
denn was dem jungen Officier dieſem 
Riefen gegenüber allenfalls an Stärke 
mangelte, erſetzte unſer Held durch eine 
außerordentliche Gewandtheit, und ſchon 
nach dem erften Gange glüdte es ihm, 
den Räuber durch einen regelrechten 
Prim-Hieb derartig am Kopfe zu ver— 
wunden, daß er befinnungslos zurüde 
taumelte. 


Da fiel ein Piſtolenſchuß — der 
alte Banditenführer hatte nad dem 
Lieutenant gefchoffen. Die Kugel traf 
den Nagel des Ringfingers feiner rechten 
Hand und fehleuderte ihm den Säbel 
aus der fehnigen Yauft; doch, ſchnell 
gefaßt, firedte Geza feine Linke aus, 
die eben noch zurechtkam, den Griff 
eines Dolches zu erfaflen, den Branko 
Brankovié auf ſich ſelbſt gerichtet Hatte. 

Der Lieutenant riß die Waffe zurüd 
und fieng den anjcheinend ſchwerver— 
wundeten Greis in feinen Armen auf. 
Raſch büdte er fih, um deffen Wunde 
zu unterfuchen, und ebenfo raſch prallte 
er wieder zurüd ... gleichfam ver— 
fteinert vor Staunen. 

Der fonft fo energifche junge Mann 
ftand rathlos da: erfchroden, über» 
mwältigt, betäubt — wahrfcheinli von 
dem beraufchenden Rojenduft, der den 
Gewändern des Räubers entitrönte. 

Schließlich ermannte fih Geza und 
leiftete dein Ohnmächtigen die nöthige 
Hilfe, ja jogar mit ganz bejonderem 
Eifer. Er flöhte ihm Cognac ein, rieb 
ihm Stirn und Schläfe damit und 
verfuchte es liebevoll, mit dem Hauche 
feines Mundes die eisfalten Hände 
des Bewußtloſen zu erwärmen, bis er 
endlich die Augen auffchlug. 

Ein leifes Stöhnen ... Haftige, 

erihrodene Laute, wie fie nur die 
ZTodesangft einem qualerfüllten Herzen 
zu erpreffen vermag, dringen an Géza's 
Ohr. 
Beihwichtigend ergreift er das 
Dort. Ein kurzes, im Flüftertone ges 
führtes, doch höchſt leidenschaftliches 
Geſpräch erfolgt, dann richtet fich der 
Lieutenant wieder firamm empor und 
gab feinen Soldaten die nölhigen Be- 
fehle mit gewohnter militärischer Schnei- 
digkeit. 

„Schafft Waſſer herbei! Labt die 
Verwundeten und theilt den übrig ge= 
bliebenen Proviant unter den Gefan— 
genen aus! Raſch! Wie mir der Haupt» 
mann bier fagt, haben feine Leute feit 
vier Tagen blos von Waller und Wur— 
zeln gelebt.“ 


u — — 


755 


Die braden Ungarn liegen fich dies nach und konnten ſich nicht enthalten, 
nicht zweimal jagen und gaben Alles | halblaut zu bemerken: 
ber, was ihr Tornifter noch an Lebens— „Ischten ütsche! Laitnant ihs 
mitteln barg. ober gor zu gut!“ 

„Zwölf Mann brechen fogleich mit „Igen! olter oosgedorrter Spigbub 
den Gefangenen auf!“ fuhr Géza ihs zwor mit gor ſchwer, ihs laicht 
fort. „Sie, Ferenz,“ wandte er ſich wie ind, ihs ober doch Spitzbub.“ 
nun an den Feldwebel, „übernehmen 
das Kommando. Laſſen Sie die Räuber II 
Scharf überwachen und jeden nieder- ü 
Ichießen, der einen Fluchtverſuch wagen Der Feldwebel hatte die Befehle 
follte! — Tradten Sie ferner, den genau und umfichtig ausgeführt. 
Konak jo ſchnell als möglich zu er— Nachdem er die forgfältig gefeffelten 
reihen. Bis zu meiner Ankunft muß | Gefangenen in einer Halle des Hin- 
mein eigenes Zimmer zur Aufnahme |tergebäudes untergebracht, ließ er ihnen 
de3 Harambaſcha hergerichtet fein.“ Inochmals Speife und Trank reichen, 

„Zu Befehl, Herr Lieutenant!“ |ftellte die nöthigen Wachen bei und 

Der Feldwebel führte die erhaltene hieß bie Übrige Mannfhaft zu Bette 
Ordre aus und marfehierte fodanın mit | geben, da ſich ja die meiften vor Schlaf 
feiner Mannſchaft im Schnellfhritt ab, | und Müdigkeit kaum auf den Beinen 
während der Officier fi feinem Ge halten fonnten. 
fangenen zuwandte und diefem Greife|,, Nunmehr wandte ſich Ferenz an 
gegenüber mehr denn je ſeine befannte die alte Malicla — das einzige 
Güte und Menſchlichkeit entwickelte. weibliche Weſen, das den Konal bes 


wohnte — um mit ihrer Hilfe des 
Der Böjewicht gab ſich aber auch go; . 
ſehr fanft, ja fihien ganz ruhig und Lieutenants Zimmer herzurichten. 


efaßt. Den Blutverluft an feiner a Re a 
Wunde hatte Géza durch einen noth— J—— 
dürftigen Verband geftillt, Hob dann SULLGERHUNDE. DNB: DEN BEMEN, Be 
eigenhändig den alten Räuber auf die tijliger, aus dem Stroh Frieden zu 


. : : müſſen, do war fie ſchon jo weit 
improvifierte Tragbahre, die abwech⸗ 4 militärifche Disciplin gewöhnt, daß 


jelnd je vier Mann trugen, und nun auch ihr Befehl als Befehl 
galt. Ferner 
folgten Alle dem vorangegangenen that fie ſich micht wenig darauf zu 


Trupp. 
— gute, das Factotum des Hauſes zu 
b Zurüd geht es belanntlich ammer | fein, ihm fo zu ſagen als „Stopanica“ 
eſſer; nicht blos die Pferde drängt | yorzuftehen, welde die Ordnung aufe 
es, in ihren Stall zu gelangen, ſelbſt yecht zu halten hatte 
die Menſchen eilen beflügelten Schrittes So fchnell es ihre fteifen Beine 
Hasen überdies führte der Weg erlaublen, eilte fie deinnach in Géza's 
ergab, auch hatten ja die Träger wenig | Zimmer und Leiftete in kürzefter Zeit 
Miühe mit ihrer leichten Laft, und fo Unglaubliches. 
erreichten Alle bereits im Morgen- Als der Lieutenant im Verlauf 
grauen, als eben ein Glödhen im | einer Stunde das nett geordnete Ge— 
nahen Kloſter die Frühmeſſe kündete, | nach betrat, fand er es vollfommen 
den heißerſehnten Konak. in Stand geſetzt, gut durchwärmt und 
Wieder war es der Lieutenant, traulich beleuchtet. 
welcher eigenhändig den Räuberhaupt- „Das haft Du brav gethan, Ma— 
mann bon ber Bahre herabhob und lieka,“ gab Geza feiner Zufriedenheit 
auf feinen Armen bis in's Haus trug. |Ausdrud, während er den Harambafcha 
Staunend fahen ihm die Soldaten |mit großer Vorficht auf das am Feſtes— 


48* 


———————— — — — — 


756 


morgen fchneeweiß überzogene und noch | harmlos fheinenden Gefangenen. Sie 


unberührte Bett niedergleiten ließ. 

Dann ſprach er feinen Gefangenen 
in ehrfurdhtspollftem Zone an, wenn 
auh mit dem im Lande gebräud- 
lien Du. 

„Hier haft Du ein gutes Lager, 
wie Du es im ganzen Kaimakamlik 
nicht beſſer finden fannft. ch ver— 
dankte es der Fürſorge meiner Mutter 
und überlaſſe es Dir gerne. Die alte 
Malidta, die ih Dir zur Bedienung 
beigebe, ift ein braves Weib Deiner 
Nation; fie wird Dir in Allem bes 
bülflih fein... Schon ift ein Bote 
nah dem nahen Kloſter geeilt, um 
den Popen Gregor Poliſſovié zu holen, 
der Deine Wunde gleich dem beiten 
Arzte heilen wird. Er ift ein alter, 
ehrwürdiger Mann,“ fügte der Lieute- 
nant raſch hinzu, als er in des Räu— 
bers Antlik einen Zug bemerkte, der 
Beſorgniß auszudrüden fehien. 

„sh kenne ihn,“ hauchte des 
Banditen matte Stimme, 

„Umfo beffer! — Ich verlaffe 
Dich jebt, doch komme ich in einer 
Heinen Stunde wieder, um Dich, ehe 
ich fortreite, zu begrüßen.” 

„Wohin?“ fautete die bange Frage. 

„In die Stadt, zum Rapport. 
Ich muß dem Regimentscommando 
Alles melden,“ bedeutete Geza. 

„Alles ...?“ 

„Alles,“ war die feſte Erwi— 
derung, die einen unerſchütterlichen 
Entſchluß bekundete. 

Ein ſo ſchwerer, herzergreifender 
Seufzer folgte dieſem einen Worte, 
daß der Lieutenant an der Thürſchwelle 
nochmals ſtehen blieb und ſprach: 

„Beruhige Dich! Es ſoll ſo ſchlimm 
nicht werden, wenn Du mir nachher 
die volle Wahrheit bekennſt.“ 

Dann gieng er. Ohne an ein 
Ausruhen für ſich ſelbſt zu denken, 
ſah der junge Officier überall nach 
dem Rechten, gab die nöthigen Befehle 
für die Dauer feiner Abmwejenheit und 
prüfte die ergriffenen Maßregeln zur 
Bewachung der übrigens durchwegs 


fhhliefen faft Alle, und die Wenigen, 
welche erwacht waren, fpraden fich 
dankbar über ihre Behandlung aus 
und baten flehentlihft um Pardon. 
Geza poftirte ferner zwei Mann 
vor die Thür feines Zimmers, ihnen 
die größte Wachſamkeit einfchärfend. 
Dem Feldwebel übergab er den Schlüffel 
zu dem proviforifchen Gefängniß des 
Harambaſcha mit der firengen Weifung, 


außer dem Popen und der Malilta 


Niemanden aus und ein zu laflen. 

„But gemerkt, Ferenz,“ wieder— 
holte der Lieutenant, „Niemand darf 
diefe Schwelle überfchreiten, auch Sie 
nicht! Und dag Sie mir den Popen 
und die Maliéka ja ſcharf in's Auge 
faffen! Den Leuten ift nicht zu trauen; 
fie halten doch Alle zufanımen. Sobald 
Sie etwas Verdächtiges an den Beiden 
beinerlen, find fie zu arretiren. Sie 
haften mir mit Ihrer Perſon dafür, 
daß Branko Brankovic während meines 
Fernſeins nicht flüchtig wird. Ver— 
ftanden? —“ 

„Zu Befehl, Herr Lieutenant!” 

Unterdeffen ſott das Waſſer im 
Theekeſſel und nachdem Géza die ihm 
gewohnte Labung mit einer Geſchick— 
lichkeit zubereitet hatte, um die ihn 
fo manche Hausfrau beneiden konnte, 
ordnete er auf einem Theebrett da3 
appetitlichfte Frühftüd, das man fi 
nur denfen konnte, 

In einer feinen, mit altdeutjcher 
Stiderei umränderten Serbiette waren 
die weichgefottenen Eier eingemwidelt 
und neben der glänzenden Hanne aus 
Neufilber prangte ein Teller mit Bad 
werk von fernem Heimat3land, ja jogar 
Perlkaviar und Orangenmarmelade in 
Schönen Glasbehältern vervollftändigten 
den lederen Imbiß. 

Der Lieutenant Tieß ſich durch 
Malieka beim Harambaſcha melden. 

Die Alte Hatte auf ihrem gut— 
müthigen Geficht einen halb verlegenen, 
halb ſchelmiſchen Ausdrud, als fie die 
Thür öffnete und dem Officier mit 
dem Theebrett voranfchritt, um fich 


* 


dann, nachdem er ihr dasfelbe abge» 
nommen, auf fein Geheiß zu entfernen. 

Géza trat zögernd, ja troß feiner 
Tapferkeit, feiner martialifchen Geftalt 
und feines mächtigen ſchwarzen Schnur= 
bart3 faſt ſchüchter an das Bett 
heran. Mit etwas zitternden Händen 
placirte er das Frühſtück auf ein be— 
reitftehendes Tiſchchen. 

Bei dem Lärm des aneinander 
Happernden Theegefhirres Iugte ein 
Kopf aus den Betttüchern hervor — 
und fiehe da! es war nicht des alten 
Räubers bärtiges Antlig, fondern ein 
gar reizendes, in erfter Jugendfrifche 
und jeltener Schönheit erftrahlendes 
Mädchengeſicht, das da in fehämiger 
Verwirrung, purpurübergoffen, zum 
Vorſchein kan. 

„Herr, wie gütig!“ Tispelte die 
lieblihfte Stimme. „Gott wird Dir’s 
lohnen!" — 

„Thue mir Befcheid,“ bat Geza, 
feiner Gefangenen nach Landesfitte vor 
Allem Salz und Brod darbietend. 


Sie genügte dem finnigen Brauch 
und bot ihm dabei jo unbefangen und 
jelbftverftändlich die Wange zum Kuſſe 
hin, dab ſich der junge Mann fchon 
um diefer rührenden Arglofigfeit willen 
gezwungen Jah, dem SHöflichkeitsacte 
nachzukommen — freilich nicht ohne 
ein klein wenig Thee auszuſchütten, 
den er ihr eben in eine Taſſe goß, 
und als ſie ihn ob ſeiner ſichtlichen 
Verlegenheit aus großen erſtaunten 


Kinderaugen fragend anſah, über: | 
ſchwemmte er zum Weberfluß auch noch | 
den theuren Caviar; doch fchnell ges | 


faßt, ſprach der fonft fo ſicher auf- 
tretende Dfficier: 

„Nimm von diefem Getränf, es 
wird Dich laben und ſtärken!“ — 


„Wenn Du mir nun Beſcheid 


thuſt, will ich's gerne annehmen.” 


Da bei einer unfchuldigen Taſſe 


Thee kein ceremonieller Kuß zu be— 





757 


Sie aßen und tranken wie zwei 
alte Belannte; anfangs jchmweigend, 
aber nad) und nach gelang e3 Beiden, 
die Scheu zu überwinden, die ihnen 
die fatalen VBerhältniffe einflößten, und 
al3 einmal das Eis gebrodhen war, 
erfuhr Geza in harmlofeftem Erzähler- 
ton die ganze, fonderbare Gefchichte, 
die er durch nachftehende Frage ein— 
geleitet. 

„Nicht wahr, am 17. December 
wurde der alte Brankovié bei einem 
Rencontre zwiſchen Räubern und Mi— 
litärs ſchwer verwundet ?“ 

„Jawohl. Armer Vater!“ feufzte 
das jchöne Mädchen, und eine Thräne 
umbdunfelte den reinen Glanz der wun— 
derbarften fchwarzen Sammetaugen. 

E3 wäre zu beftimmen ſchwer ges 
wefen, ob das mandelförmige Auge 
jelbft, ob feine Farbe, oder ob die 
langen feidenen Franſen, die e8 ums 
rahmten, das Entzüdendfte daran waren. 

„Ich traf wenige Stunden nad 
den befannten Scharmüßel, nur von 
zwei treuen Dienern begleitet, bei der 
Bande ein, um meinen unglüdlichen 
Bater zu pflegen,“ fuhr fie weitaus— 


holend fort, während der Lieutenant 
| ihren Worten mit nicht geringer Span= 


nung folgte. 

„Ich befhwor ihn, Heimzufehren ; 
allein er behauptete, kein Heim mehr 
zu befigen. Zwar hatte man unfer 
Haus verbrannt, doc) dies geſchah vor 


‚vielen, vielen Jahren, als mein armer 


Bater von unferem Padiſchah in Acht 
erklärt ward, und längft ſchon Hatte 
mein guter Onfel ein neues, jchöneres 
aufgebaut; der altersihwahe Mann 
wollte aber nicht daran glauben und 
beharrte bei feinem Ausſpruch. Manch’ 
ſchwere Kopfwunde Hatte fein Denk— 
vermögen erfchüttert, und er vermochte 
es nicht mehr, die Vergangenheit von 
der Gegenwart zu jondern. — Leider 
erwies ſich auch fein Zuftand weit 
bedenflicher, al3 ich anfänglich gemeint, 


fürchten war, holte ſich Geza feine fo daß an eine Reife nicht zu denken 
Scale herbei und ſetzte fich zu dem fo, war. Wir zogen und, nur bon den 
merfwürdig entpuppten Darambafehe. | zwei Dienern gefolgt, in eine Felſen— 


geotte zurüd, wo mich mein armer, 
ah! leider fterbender Vater ſchwören 
ließ, in feiner Stleidung und mit einem 
weißen Bart vermummt — es war 
hiefür vorgeforgt — die Räuber ſo— 
lange über feinen Tod in Unwiſſen— 
heit zu halten, bis fie die Landesgrenze 
überfchritten hatten. Er fürchtete fonft, 
dab ih die Leute den Defterreichern 
ausliefern fönnten, und ein ſolches 
Ende feiner ftolzen Bande wäre ihm 
ſchrecklich geweſen. — Um feine leten 
Augendblide nicht zu verbittern, ver— 
ſprach ich, feinem Wunfche zu will« 
fahren, ohne die Tragweite desjelben 
zu ermeſſen. Ferner befahl er mir und 
den treuen Dienern, feinen Leichnam 
in der Höhle zu verbergen und erft, 
wenn meine Miſſion geglüdt, in ge= 
weihter Erde zu begraben. Als wir 
es verſprochen und ih ihm nochmals 
feierlichft gelobt, jeinen Auftrag aus— 
zuführen, fegnete er mich und — ver— 
ſchied.“ 

Das Mädchen ſchwieg, tief er— 
griffen. Auch den Lieutenant hatten 
die ſchlichten Worte des Schönen Kindes 
nicht unberührt gelaffen. 

„Es geſchah, wie mein armer Vater 
befohlen,* fuhr die liebliche Gefangene 
fort. „Die Täuſchung gelang volle 
fommen. Die Banditen folgten mir 
blindlings. Ich ftellte mich an ihre 
Spike und wir bejchlofjen insgeſammt 
— meine treuen Diener miteingerechnet, 
deren Verweilen an meiner Seite der 
ſchweren Wunde halber nicht auffallen 
fonnte — die Grenze fo jehnell als 
möglich zu erreichen. Leider wurden wir 
hart verfolgt! Wir fanden das ganze 
Land fireng bewacht. Tagelang irrten 
wir in den unwegſamſten Felsfchluchten 
umber. Die Kräfte der faft durchwegs 
verwundeten Leute jehwanden. Wir 
mußten uns Ruhe gönnen, umfomehr, 
al3 wir feit drei Tagen nichts als 
trodenes Brod zu effen hatten. Wir 
verftedten uns demnach in dem Dir 
befannten Bergkeſſel, wo wir uns 
fiher glaubten, und ich fandte nad 
allen Seiten um Lebensmittel aus. 


758 


Während wir unter unfäglihen Qualen 
darauf Harrten, verfielen wir in eine 
todtenähnliche, lethargiſche Erftarrung. 
Du wurdeſt eigentlih unfer Retter. 
Und id — ih ſchoß nah Dir. O, 
vergib! Doch Du Haft es ja bereits 
getan. Wie edel haft Du an mir 
gehandelt, daß Du meine thörichte 
Hand bewahrt, mir felbft den Tod zu 
geben, was ich im erſten Verzweif— 
lungsanfalle thun wollte —“ 

„Aus Zucht vor mir ?* fiel Geza 
ein, und fein Blid, fein Lächeln ließen 
fie beſchämt die Lider jenken. 

„Und welches Loos fteht mir nun 
bevor ?* ftammelte fie verlegen. 

„Ich Hoffe Deine Freilprehung zu 
erlangen. Ich will Alles, was men= 
Ihenmöglich ift, dazu beitragen!“ 

„Wirktih, Du mwolltet? — DO, 
dann laſſe mich entfliehen! Laſſe mich 
der Schande entrinnen —* 

„Nein!“ Hang es rauh zurüd, 
„das nicht! Meine Pflicht ift mir 
heilig — heilig, Mädchen, hörft Du? 
Rüttle nicht daran, es wäre ver— 
geben !* 

Sie brad in Thränen aus. 

„Weine nicht, Mädchen! Deine 
Thränen können Dir nichts frommen. 
Mer e3 vermag, den blutigen Zähren 
einer Mutter zu widerftehen und ji 
ihren Armen zu entreißen, um fein 
Leben im Schlachtfelde Hinzuopfern, 
den rühren feine® anderen Weibes 
Thränen. — Doc beruhige Dich nur! 
Es foll ja Alles gefchehen, um Dir 
zu helfen. — Da kömmt gewiß der 
Pope, ih höre ein Pferd.“ 

Und Schon trat der alte, ehrwür— 
dige Priefter ein. 

Dem Lieutenant entgieng der ſelt— 
ſame Blid des Einverftändniffes, den 
die Beiden raſch gewechfelt, während 
er den Popen auf's Zuvorkommendſte 
einpfieng. 

Beſcheiden zog fih Geza hernach 
zurück, um die ſchöne Verwundete den 
kundigen Händen des bei ähnlicher 
Gelegenheit ſchon oft erprobten Mannes 
zu überlaſſen. 


ü— EEE 


759 


Der Ausspruch des Popen war 
ein günftiger: die Wunde ei eine blos 
oberflächliche Hautabfhürfung, die ein 
einfaches Pflafter Heilen könnte. 

Der Briefter entfernte ich, um aus 
feinem ambulanten Medicamentlaften 
das Nöthige Herbeizufchaffen, und diefen 
Augenblid benugte Geza, um don 
feiner ſchönen, intereffanten Gefan— 
genen Abjchied zu nehmen. 

Und wahrlich ſchön, ja bezaubernd 
war das Mädchen mit dem dunklen 
Sammetauge und dem nußbraunen 
Haar, auf welchem ein ganz eigen- 
thümlicher Goldfhimmer lag, dem be= 
rühmten doree der antiken Bronzen 
gleich. 

„Sage mir, holdes Mefen, bei 
welhem Namen ih Dich in meiner 
Erinnerung nennen darf?” ſprach der 
Lieutenant. „Ih muß nun fort, und 
fehr’ ih auch in wenigen Stunden 
wieder, jo kann ich ja nicht willen, 
ob ih Dich nochmal allein fprechen 
darf.“ 

„Ich Heike Zora,“ Tispelte fie, 
während ein leichtes Incarnat ihre 
Wangen übergoß, lieblih wie die 


Morgenröthe, nah der fie benannt 
wurde. — „Und hier, ich bitte Dich,“ 
fügte fie flehend Hinzu, „mimm dies 
Heine Andenfen von mir an!“ Dabei 
tiß fie eine filberne, ſonderlich ge— 
formte Halskette entzwei und reichte 
ihm ein Stüd davon. „Ich behalte 
die Hälfte... zur Erinnerung an 
Did und die große Güte, die Du 
mir bewiefen.” 

Nicht blos die Kette, auch diefer 
Ring möge Did an diefe ſchöne 
Stunde gemahnen!” rief Géza feurig 
aus, während er einen Diamantring 
— das Vermächtnis einer theuren 
Schweſter — von feiner Uhrfette löste, 
der reizenden Zora an den Finger 
ftedte und erklärte: „Nimm ihm zum 
Pfand meiner redlichen Abficht, Dir 
nad) Kräften beizuftehen in den ſchwe— 
ren Kämpfen, die Du im kindlichen 
Gehorfam unbedacht heraufbefchworen ! 
— Leb' wohl! Gedente mein! — 
— Mid ruft die Pflicht.” 

Ein leter Blid, ein Händedruck ... 
dann ſchieden fie — vielleicht auf 
immer. 


(Fortſetzung folgt.) 


760 


Dichtungen 


von Edward Bamhaber.*) 








— Zus Alofter. Doch horch — durch ſtille, die träumende 

A 
Mas Poſthorn thät ſchon blafen, £ acht 

— — ae Was hor' id von ferne erſchallen? 
Muß in den ſtloſtermauern Iſts Wodan, der in des Mondes Pracht 
Mein Leben jung vertrauern, Durchbraust die grünenden Hallen? 


D'rob iſt mir gar ſo weh. 
Es blüht auf grünem Rajen 
Und glüht, wohin ich ſeh'; 
Auf allen Zweigen fpringt es, 


O feltfamer König, fo furdtbar allein 
An mitternägtlihem Wehen! 
gu hoch und zu hehr, um verftanden ‚zu 


Aus allen Lüften Klingt es: Jen, 
Lieb Mütterhen, ade! Zu einfam, die Welt zu verftehen. 
Ob Dir den funlelnden Sternenraum, 
Alpenrofe. Um Dich jhwarzmäntlige Tannen, 
Ich ftehe luhn und unverzagt Lichthehr die Gedanken, die Seele ein Traum, 
In Sturm und Ungemittern; Was eilft Du fo rublos von dannen? 


Dod jo man mich zu breden wagt, 
Da muß ih bang erzittern, 
Die Menſchen thun mir gar fo weh, 
Drum bleib’ id in der Wollen Nah’ 2. 


Und Tann nur dort gedeihen. D geh’ nicht zu weit an des Sees Rand! 


12. Juni 1886. 


O böfer Knabe laß mich ftehn! Wie oft, dak aus grünlichen Tiefen 
Mas wilft Du mich verderben? Yungfrauen famen in feuchten Gewand 
Jetzt als lieb Röslein anzujehn, Und Jünglinge lodten und riefen. 


Muß id gebrochen ſterben. 
O Mägdlein, Mägdlein, bite Dich, Das Auge ſo düſter, die Stirne ſo bleich, 
Gr wird Dich brechen jo wie mid, Die Saiten der Seele zerrifien — 
Und Deine Wang’ verglühet. O bete, mein Land, o bete, mein Neid! 
Ihr möchtet ihn ſchmerzlich vermiſſen. 
An £udwig Il. von Bayern. 
1. Zu jpät! O zu ſpät! — Der König tobt! 
63 zittert der bläuliche Mondlichtal Der ärmſte Mann in dem Bolle. 
a Alle — ng Ob den Bergen verglimmet das Wbendroth, 
Sylphiden umſchweben in heiterem Tanz | Und den Himmel dedt Wolfe an Wolke. 
Moorwiejen, die feuchten, und flüftern. 14. Juni 1886. 


*) Fur das Bud, dem wir diefe Poefien entnehmen (Dichtungen von Edward Samhaber, Laibach, 
von Slleinmayr & Bamberg), ift officiellerfeits eine große Reclame gemadt worden. Der Landesihulratb von 
Krain hat eb für die Schüler» und Lehrer-Bibliothelen Arains verboten, wegen feine „politifchen, irreligiöfen 
und unfittlichen Geiftes“, wie es heißt. Wir willen nicht, auf was fib obige Begeihnungen ke Fe follen, 
im Bude fanden wir nichts, was fo ſchwere Vorwürfe rechtiertigen Lünnte. Ein treueß beutiches Herz. 
erglübend für Heimat und Familie, für das deutiche Bolt und deſſen hehte Ideen und edle Männer, das ih 
uns überall im Buche begegnet. Der Dichter, ein geborenet Oberdfterreiher, liebt den alten, ehrwürdigen 
Kaiferftaat, nennt das fhöne Sand Arain feine zweite Heimat, was ihn freilid nicht hindert, außzurufen : 
„Ah will noch fterbend für Di beten, gelicbtes, deutiches Baterland ! — Wir finden darin feine Gefahren 
für die beutfhe Jugend in rain. Man möge nur die Gedichte der Abtheilungen: „Iugendftiimmen,“ „Aus 
Wald und Feld‘, „Meine Mutter*, Iefen, um dad kindlich innige Dichtergemüth Lieb zu gewinnen. Die 
Abtheilung: „Antife Formen“, verratben uns clafftihe Bildung und Humanität, während der Sang: 
„Walfrieda* jih mit den alten Germanen befaßt. Die Gedichte: „Nadı fremden Motiven“, ſowie die 
„Epigramme und Sprücde* und bie „Sonette*, endlich die vollathümlichen Märdpenerzählungen und Poeſten 
in oberöjterreihiiher Mundart enthalten viel des Schönen. Dak auch etwelche Spreu zwiſchen den Blättern 
fliegt, ift nicht zu leugnen. Im Ganzen haben wir an Eambaber einen echten Dichter * ze 

ie Red, 


761 


Den Antifemiten, 


Schwöret die Zeit nicht herauf, die dunkle, die wir begraben! 
Wollt Ihr kämpfen, jo kämpft, aber mit Würde und Ernft. 
„Sie beherrſchen den Markt, und fie die Prefle des Tages, 
Selbft die Halle der Kunſt that den Profanen fih auf!“ 
Alfo ruft Ihr mit Net, denn Wahrheit liegt in den Worten; 
Aber das Mittel ift falfch, wie ſolche Wunde Yhr Heilt. 
Lernt von ihnen den Fleiß, den nimmer müden, und tradtet 
Nah dem jprühenden Geift und der gejhmeidigen Form. 
Lernt von ihnen die Blut der theuren Liebe zum Volle 
Und den forgliden Sinn, der den Penaten ſich weiht; 
Und verbindet damit die deutſche männliche Tugend: 
Und der herrlichfte Sieg frönet den friedlihen Kampf. 


’s SKügerl. 
A Stubn aus jehs Bredern Das iS nu, mein Liaber, 
Deppa Schartn dazue, Dein vanzige Hab. 
Du liegft wia af federn, Do drudt Di ah 's Hügerl 
Haft ewigd Rue. Recht föſt und recht hart, 
Bilderln und Bleameln, Mia lang wird's Di druda, 
Nan, wann's Die nöt iren, Wia lang denn? Nan roat! 
Y gab Dir’s halt mit, Moaft nöt, dak a Zeit fimmt: 
Daß's Di ah a weng ziern. Berllart ftehft Du af 
A Kreuzl bei Dir Und friagft für dös Druda 
Und a Kreuz af'n Grab, Nu d' Seligfeit draf. 


Die Parafiten zu Athen und Rom. 


Eine ſtels zeitgemäße Erinnerung von Bohann Fozek. 






Zu den harakteriftiichen Eigen= | Genuß, als auf Gemithserheiterung, 
SI haften der alten Hellenen über= | welche je nad der Bildungsftufe der 
haupt, der Athener insbejondere, ge= Mahlesgenoſſen bald mit mehr, bald 
hört die Neigung zur heiteren Geſellig- mit weniger Feinheit erzielt wurde, 
keit. Naturgemäß belundete ſich dieſelbe war es abgeſehen. So wenig dem 
unter andern durch die Vorliebe für | Spmpofion®lumentränge fehlen durften 
gemeinfame Mahle, welche theils bei | ebenfo wenig pflegte man — ſchon 
feftlihen Antäffen (3. B. Hochzeiten, im homeriſchen Zeitalter — des Ge- 
Geburtstagen u. j. w.), von der bes ſangs zu entrathen, welchem ſich ges 
treffenden Hauptperſon veranftaltet, | wöhnlich noch Flötenfpiel und Tanz 
theils von den Mitgliedern eines beigefellten. Schön bezeichnet Anakreon 
Freundelreiſes der Reihe nach gegeben, die helleniſche Sitte im Gegenſatze zu 
theil3 von einer Gefellfchaft durch Bei— ı Darbarenart mit folgenden Verſen: 
träge (symbolae) der Einzelnen beftritten „Wohlan, nicht alfo laßt uns 


wurden. Wie aber die Sophrofyne, Mit Lärm und Kampfgetöfe 
die überall maßhaltende Befonnenpeit, Gin ſtythiſch Zehen üben 

recht eigentlih den Grundzug des Deim Beine, jondern mäßig 
ganzen heflenifchen Wefens bildet, fo Mit ſchoönem Gange trinten! 


ließ fie auch die Zechgelage im All— Außer den vorgenannten Erheite— 
gemeinen micht zn roher Schwelgerei |rungsmitteln gab es aber ſowohl zu 
ausarten. Nicht ſowohl auf materiellen | Athen und in allen an Sitte ver— 


762 


wandten beflenifchen Städten, als auch Komödie, welche nicht mehr (wie die 
zu Rom (während der lebten Zeit ‚als deren Repräfentant Ariftophanes 
der Republif und unter der KRaifer- vor uns Steht), die Uebelſtände des 
herrſchaft), und nicht minder in den Siaalsweſen⸗ freimüthig zu rügen 
römiſchen Provinzialſtädten, welche vermochte, ſondern ſich begnügen mußte, 
nach dem Muſter der Hauptftadt zu die Thorheiten und Verlehrtheiten des 
leben ſich befleißigten, noch eine Art | ‚alltäglihen Lebens im ihrer Lacher— 


von Unterhaltung. 
nämlih beim Mahle auch Leute ein, 
die fich ihr befonderes Geſchäft daraus 
machten, die fröhliche Stimmung der 
Tafelgenofien auf mancherlei Weile 
zu erhöhen. Dies waren die Parajiten. 

Das Wort Barafitos bezeichnet 
überhaupt einen Theilnehmer am Eifen. 

Gewiffe Bertreter der Gemeinde, 
welche, den Prieftern beigeorbnet, an 
der Opferhandlung und dann am 
Opferfhmaufe ſich bethätigten, hieken 
Barafiten. Auch nannte man jo die= 
jenigen Perſonen, welche auf Koften 
des Staates im Prytaneion gejpeist 
wurden. 

Bon diefen beiden Arten foll nicht 
die Rede fein. Gegenftand unjerer 
Beſprechung find jene Männer, welche 
dadurch, daß fie mit Poflenreißerei 
oder fonft irgendwie fich gefällig zu 
machen verftanden, an fremden Zijchen 
ihren Unterhalt fuchten. Die Parafiten 
find alfo Schmaroger von Profeſſion. 

Man kann fie füglih in zwei 
Glaffen eintheilen. In die erfte find 
nämlich jene einzureihen, welche ſich 
an eine beflimmte Perfon anſchließen. 
Beide Glaffen Haben natürlich die 
Haupteigenfchaften gemein, unterſchei— 
den fich aber im Bejonderen mehrfach, 
jedoh nur jo, daß nad den Zeitum— 
ftänden dasjelbe Judividuum bald der 
einen, bald der andern beizuzählen ift. 

Die einzelnen Züge zu dem Bilde 
der Barafiten finden fi) vorzugsweiſe 
in den Komödien des Alterthums. Daß 
Leute, melde ja in der Wirklichkeit 
darauf angewieſen waren beluftigende 
Rollen zu fpielen, bald als Perſonen 
des Luftfpiels verwendet wurden, er— 
fheint ſehr natürlich. Epicharmos 
brachte ſie zuerſt auf die Bühne. Die 
ſogenannte mittlere und neue attiſche 


Es fanden ſich lchleit darzuſtellen, hatte die Paraſiten 


zu ſtehenden Figuren. Zwar liegt kein 
einziges Drama dieſer Periode voll— 
ſtändig vor, und die aus ihnen über— 
lieferten Bruchſtücke beſtehen nur aus 
vereinzelten Verſen, die überdies der 
Mehrzahl nach ganz allgemeine Sen— 
tenzen enthalten; allein die auf ung 
gelommenen lateinischen Nahdichtungen 
geben ziemlich getreue Abbildungen 
der verloren gegangenen Originale. 
Freilich verſchmolzen Plautus und 
Terentius mehrere griehifche Komö— 
dien zu einer und mifchten im 
Einzelnen genug ſpecifiſch xömifche 
Zuthaten hinein; aber die Charaktere 
der aufgeführten Berfonen erlitten 
hierdurch nirgends weſentliche Modi» 
fication, weil die neue (und mittlere) 
Komödie nicht die Zeichnung beftinnmter 
Individuen, fondern ganzer Gattungen 
anftrebte. Garrifaturen, wie fie die 
alte Komödie vorführte (3. B. Sokrates 
in den „Wolfen“, Euripides in den 
„Thesmophoriazuſen“ und in den 
„Fröſchen“ u. ä.) ftellte die neue nicht 
dar; deshalb dürfen wir annehmen, 
dab der PBarafit im wirklichen Leben 
nicht jonderli von dem auf der Bühne 
vorgeführten verfchieden war, obgleich 
leßterer, weil er den Charakter der 
ganzen Gattung zur Anſchauung bringen 
follte, ein etwas jchärferes Gepräge 
haben mußte. Manches zur Vervoll— 
ftändigung einzelner Züge bieten die 
Briefe Altiphrons. Der Verfaſſer ent— 
lehnte offenbar viel aus den Werken 
der neuen Komödie, namentlih aus 
Menandros, Fernerliefert uns Lukianos, 
der mißigfte griechiſche Schriftiteller 
nächſt Ariftophanes — den er jedoch 
an feiner Grazie eben fo weit über- 
trifft, al3 er an Kraft der Komik hinter 
ihm zurüdbleibt — in einem Dialoge, 


worin er, die philofophiichen Discuſ— 
fionen feines Zeitalter8 parodierend, 
die Schmaroßerei als eine Kunſt in 
des Wortes höchſtem Sinne darftellt, 
eine förmliche, wenngleich ironisch ge— 
baltene Theorie der Paraſitik. 

Auf Grundlage diefer Quellen fei 
verfucht, die allgemeinen Eigenſchaften 
der beiden, oben unterfchiedenen Elaflen 
in ein Gefammtbild zu faſſen. 

Weil der Barafit, aus Unkunde 
oder aus Zrägheit unvermögend ſich 
in einem ordentlihen Berufe feinen 
Lebensunterhalt ehrenhaft zu erwerben, 
zu feiner Aufgabe macht mit möglichft 
geringen Beſchwerden an reihen Tischen 
möglichſt gute Atzung zu erlangen: jo 
ericheint als feine erfte Pflicht, um 
jeden Preis fih angenehm zu machen. 
Gefallen fol man an ihm finden, an 
feiner Unterhaltung ſich amüfieren ; 
auf adtungsvolle Behandlung erhebt 
er im vorhinein feinen Anſpruch. Bei 
der Tafel gibt er Wie und pifante 
Anekooten zum Belten, thut fich wohl 
auch als Sänger hervor. Der Parafit 
Pfihofnauftes (zu deutsch etwa „Broden- 
Hauber“) 3. B. rühmt fich (bei Alki— 
phron) gegen feinen Freund Bulion, 
daß er mit einigen Collegen an der 
Zofel des freigebigen Charifles in 
„Abfingung wohlklingender Anapäften, 
die von lieblihen Scherzen und echt 
attiſchen Feinheiten ftroßten,” gewett— 
eifert habe. Zugleich iſt der Paraſit 
ausgebildeter Gourmand; bezüglich der 
Vorzüge und Mängel ſo mannich— 
faltiger Gerichte und Ragouts ent— 
wickelt er gründliche Sachkenntnis und 
wird über die Geheimniſſe der höheren 
Gaſtronomie zu Rathe gezogen. Leider 
muß er ſich auch gefallen laſſen, paſſiv 
zur Beluſtigung der Geſellſchaft zu 
dienen. Artepithymos (z. d. „brot— 
gierig“) ſchreibt (bei Alkiphron) an 
ſeinen Freund Kniſozomos (z. d. 
„Brühenduftſchnüffler“): „Nächſtens 
wirſt Du mich erhenkt ſchauen. Ich 
fan weder die Ohrfeigen und die 
anderweitigen Mifhandlungen länger 
aushalten, noch meinen unerfättlichen 


763 


Magen bändigen. Mein Geficht ver— 
trägt nicht diefe Badenftreiche; ich 
ſchwebe in Gefahr, das eine Auge zu 
verlieren in Folge der Schläge. Wehe, 
wehe, was zu erdulden zwingt uns 
diefer gefräßige Magen!” Hetoimokofjos 
(3.d. „bereit, Obrfeigen zu belommen)“ 
Hagt gar rührend, wie er nur durch 
die energifhe Hilfe eines gejchidten 
Arztes vom Tode ſei gerettet worden, 
nachdem er bei einem Gelage von den 
übermüthigen Sympofiaften gezwungen 
gewejen, eine Unmaſſe zu trinken, 
während ihm zugleich allerlei Speijen= 
überrefte in den Mund geftopft, und 
„ein Spüliht von Senf und Fiſch— 
fauce und Ejfig gleihwie in ein Faß“ 
eingegofien wurden. Trapezoleichon (3. 
d. „Zifchableder*) jchreibt einen Troft- 
brief an feinen Freund, dem Naje 
und Kinnbaden mit einer Trinkſchale 
war zerjchmetiert worden, und fchließt 
mit den Worten: „Wer kann noch 
diefe ver— — Leute ertragen, wenn 
fie ung die Sättigung fo theuer machen, 
wie aber aus Furt vor dem Hun— 
gertode das Leben mit Gefahr erkaufen?“ 
Etwas befjer, gleichwohl noch immer 
ſchlimm genug, ergieng es dem Phloio— 
glyptes (3. d. „NRindengraber”). Er 
erzählt, wie ihm die Haare mit Pech 
eingefalbt und die Augen mit Brühe 
angeſpritzt wurden. Endlich jchleuderte 
man ihm eine blutgefüllte Blaſe an 
den Kopf, daß fie zerplaßte und fein 
Gefiht beſudelte. „Es erſcholl ein 
helles Gelächter der Schmaufenden ; 
ich aber trug für meine Leiden feinen 
gebührenden Lohn davon, fondern 
Vergeltung diefer Mißhandlungen war 
die Füllung des Magens, weiter nichts.“ 
Indeſſen derlei Unannehmlichkeiten find 
einmal von dem Schmarogerbandwerte 
unabtrennlich, und treffend läßt Plautus 
(in feiner Komödie „Captivi”) den 
Ergafilus die Marime ausſprechen: 
„Ein PBarafit, der nicht im Stande 
ift Ohrfeigen zu ertragen und ſich 
Töpfe an dem Kopf zerwerfen zu 
laſſen, fol lieber flugs den Betteljad 
ergreifen.” 


Hängt der Parafit einem Einzelnen] PB. Haft Du Schreibtafeln bei Dir? 
ausfhließlih au, fo bemüht er ſich A. Du fragft noch? Ya; auch einen 


vor Allem durch Schmeichelei die 
Gnade feines Gönnerd zu fefjeln. Eine 
Probe von der Converjation eines 
Schmaropers mit feinem „rex* oder 
„dominus“ finden wir bei Plautus in 
„miles gloriosus“. Pyrgopolinifes (3. 
d. Stadtzinnenftürmer*) tritt auf und 
fieht ſich nad feinem Paraſiten Artot— 
rogus (3. d. Brotnager) um. „PB. Wo 
ift Artotrogus? U. Hier. Er fteht 
neben dem beglüdten, königlich geſtal— 
teten Helden. Einen folden Kämpfer 
wagt jelbft der Mars ſich nicht zu 
nennen, nod feine Tapferkeit gleich- 
zuftellen der Deinigen. B. Wen habe 
ih doch auf den gorgonidonijchen Ge— 
filden gerettet, wo Bumbomadides (3. 
d. „der mit Getöfe Kämpfende“), der 
Sohn de3 Elutomeftoridyfardhos, der 
Enkel des Neplunus, Oberfeldherr war ? 
A. Ich erinnere mi: Du meinft ja 
den mit den goldenen Waffen, deſſen 
Legionen Du auseinandergeblafen, wie 
der Wind die Blätter oder Stoppel. 
BP. Das heißt noch gar nichts. A. Oder 
wie Du in Indien dem Elephanten 
mit einem Fauſtſchlage den Arm zer— 
fchmettert haft. PB. Wie, den Arın ? 
U. Ih wollte jagen, den Schenkel. 
P. Ich ſchlug nur fo achtlos. A. Traum, 
hätteft Du Dich angeftrengt, Du 
ſchlügeſt durch Haut, Eingeweide und 
Knochen eines Elephanten. P. Laſſen 
wir das! U. Es flieht auch wahrhaftig 
nicht dafür, daß Du es mir erzäplft, 
da ich ja Deine Tapferkeit kenne. (Für 
fih.) Der Magen jchafft mir all’ dies 
Leid. Was er immer lügen mag, id 
muß es mit den Obren auffangen, 
muß beiftimmen, daß meine Zähne 
etwas zu beißen befommen. PB. Was 
wollt’ ich denn jagen? U. Hm, weiß 
Ihon, was Du fagen wilft. Es ift 
wirklich geſchehen; ich erinnere mich. 
P. Was ift es? A. Gleichviel was.*) 


) D. h. mag P. aud die größten 
Unfinnigfeiten vorbringen, A. beſchwört 
Hi Wahrheit noch bevor fie ausgeiproden 
ind. 





Stilus. P. Recht hübſch aufmerkſam 
biſt Du gegen mich. A. Mir ziemt es, 
genau Deine Gewohnheiten zu er— 
forſchen und Sorge zu tragen, daß 
ih Deinen Wünſchen zuvorkomme. 
P. Erinnerſt Du Dich? A. Ja; hun— 
dert und fünfzig in Kilikien, hundert 
in Kryphiolathronien, dreißig Sar— 
dinier, ſechzig Maledonen — das find 
die Leute, welche Du an einem Tage 
erſchlugſt. P. Wie groß ift hiervon 
die Gefammtzahl? A. Siebentaufend. 
P. Soviel muß es fein; Du merfft 
Dir die Ziffer richtig. A. Ich habe 
fie nicht aufgefchrieben, doch erinnere 
ich mich jo. P. Du haft ein vortreff- 
lies Gedädtnis. A. Des Futters 
wegen. PB. So lange Du Did aufführft 
wie jebt, wirft Du immer zu efjen 
befommmen: ich will Dir ftet3 an meinen 
Tiſche Antheil gewähren. U. Wie wars 
in Sappadofien, wo Du fünfhundert 
Feinde zugleich mit einem Streiche 
getödtet hätteft, wenn nicht das Schladt- 
mefjer zu ftumpf geweſen wäre? P. 
Meil ich das Gemetzel fatt hatte, ließ 
ih fie leben. U. Wozu fol ih Dir 
jagen, was alle Menjchen wifjen, daß 
Du, Porgopolinikes, einzig auf Erden 
lebſt an Tapferkeit und Schönheit und 
Thaten ganz umübertrefflich 2“ 
Abſolute Charakterlofigkeit ift über- 
haupt für den Paraſiten conditio 
sine qua non. Juvenalis (Sat. V) 
ſchildert ausführlich die Herabwürdi— 
gungen, denen der Schmaroßer am 
Tiſche des Reichen ſich blopftellt, und 
folgert daraus, daß derjenige, welcher 
jolde Schmach verträgt, auch den 
legten Funken des Chrgefühlse muß 
verloren haben und der ärgften Schmach 
wiürbig if. „Omnia ferre si potes, 
et debes.“ (3. d. „Wenn Du Alles 
zu ertragen vermagft, ſollſt Du es 
auch“). Kein Schimpf Fällt dem did- 
häutigen Barafiten zu ſchwer, wofern 
er nur das alleinige Ziel feines Stre— 
bens, Befriedigung der Magenbedürf- 
niffe, nicht verfehlt. Charakteriſtiſch ift, 


765 


dab faft alle Parafitennamen in mehr 
oder weniger directem Zufammenhange 
mit dem Effen ftehen. Außer den be— 
reits gelegenheitlich erwähnten begegnen 
uns bei Plautus noch: Gurculio 
(3. d. „Koruwurm“), in der gleich- 
namigen Komödie, und Peniculus 
inden „Menächmi“, der feinem Namen 
(3. d. „Scheuerbürfte”, womit man 
die Tiſche reinigte), felbft fo erklärt: 
Die jungen Leute gaben mir den 
Namen Peniculus deshalb, weil ich, 
wenn ich efje, den Tifch rein abpuße*, 
db. h. alle aufgetragenen Speifen ganz 
aufzehre. Natürlich find dies nicht die 
urfprüngliden Gigennamen, fondern 
beigelegte, gewöhnlich vom Publikum 
ertheilte — wie Beniculus ausdrüdlich 
erwähnt — manchmal auch felbftge- 
wählte. So jagt ein Paraſit bei 
Plautus (Stihus): „ALS Heiner Knabe 
befam ich von meinem Water den 
Namen Gelafimus (3. d. „lächerlich“), 
weil ih ſchon von frühefter Jugend 
an jpaffig war. Jetzt aber in be= 
drängten Umftänden heiße ich Micco- 
trogus,“ d. i. Einer, der nur Kleine 
Biffen nagt. Daß dergleichen Beinamen 
in Wirklichkeit üblid waren, nicht 
bloß der Bühne angehörten, erfehen 
wir aus Athenaios „Deipnosophistae“, 
wo berichtet wird, daß der Paraſit 
Philorenos Pternokopis (3. d. „Schin— 
fenhauer*), und Mofhion Parama= 
jetes (3. d. „Miteffer”) zubenannt 
wurde. Bei Alkiphron ſchreibt ein 
Parafit: „Nebft allem Andern kränkt 
mi nit am wmenigften der Verluſt 
meines Namens. Die Eltern nannten 
mid PBolybios; das Schidfal aber 
nöthigte mich von meinen Kunſtgenoſſen 
den Namen Hydrosphrantes (j. d. 
„Wafferriecher“, deffen Nafe felten vom 
Meindufte erquidt wird) mir gefallen 
zu laſſen.“ 

Daß der echte Parafit nicht der 
Mann ift, der fich irgend durch eng— 
berzige Scrupel beirren läßt, leuchtet 
von felbft ein. Diefe Gewifjensweite 
tritt insbefondere bei jenen hervor, 
die als Wohldiener Einzelner allerhand 


Gommiffionen beforgen. Ueber die 
Nechtlichleit des aufgetragenen Ge— 
ſchäftes Hat ein ſolcher Agent niemals 
Bedenklichleiten; in der Wahl feiner 
Mittel ift er eben nicht ängſtlich; feine 
angeborne, durch die Praxis geftählte 
Trechheit läßt ihn möthigenfalls bei 
feinen Streiden energiſch auftreten. 
Wie man nicht anderd erwartet, ift 
e3 ihm jederzeit nur um den eigenen 
Bortheil zu thun; nie bemüht er fich, 
aus Ergebenheit für feinen Gönner 
etwas zu thun, obgleich er es verfteht, 
fih den Schein des treuen Dieners 
zu wahren. Daher fommt es, daß der 
Parafit auf der Bühne nicht immer 
bloß als „Iuftige Perſon“, fondern 
oft auch als Intriguant eine Rolle 
jpielt. Das Mufter eines ſolchen Pa— 
raliten erbliden wir in Phormio, der 
Hauptperfon in der nach ihm benannten 
Komödie des Terentius, 

Sclauheit, fogenannter Mutter- 
witz und ein gewifler Grad von Bil- 
dung find jedem unentbehrlich, der 
ſyſtematiſche Schmaroperei ald Ge— 
werbe treibt. „Zu willen, was man 
bei jeder Gelegenheit zu reden und zu 
thun bat, um fi dem, der und zu 
efien gibt, angenehm und nothiwendig 
zu machen und ihn von unferer gänz— 
lichen Ergebenheit zu überzeugen, dünkt 
Dir das nicht eine Sache zu fein, 
die viel Verftand und einen gefunden 
Blick erfordert?“ fagt der doctrinäre 
Parafit bei Lulianod; und weiter: 
„Weder ein dummer noch ein unges 
zogener Menſch kann Parafit fein.” 
Der Parafit gehört nicht unter die 
Gaufler, welche fi bei Gaftmälern 
mit Zafchenfpielerei und ähnlichen 
Kunftftüden producieren, mag er auch 
zuweilen etwas derartiges verfuchen, 
wie 3. B. bei Xenephon (Gaftın.) 
Philippos die gymnaſtiſchen Sche— 
mata nahmadt. Er fteht ferner auf 
einer höheren Stufe, als Poſſen— 
reißer don dem Schlage eines Sar— 
mentu3 und Eicirrus, deren Andenken 
Horatius der Nachwelt überliefert 
hat; denn ‚obgleih diefe Scurrae 


766 


durch Witze und gegenfeitige Verfpot- 
tung die Schmaufenden unterhalten, 
fo fehlt ihnen doch das Mefentlichfte 
eines Barafiten: fie haben nämlich) am 
Schmauſe jelbft feinen Antheil. Freilich 
wird der Barafit nicht felten mit 
ſchlechteren Gerichten tractiert, als die 
bonneten Gäfte, was Juvenalis in 
feiner Satire umſtändlich darthut. Oft 
fieht er ſich fogar auf die Ueberrefte 
angewiejen, wie Saturio im „Perſa“ 
des Plautus. 

Im geraden Berhältnis zu der 
Befähigung und Bildung des Para 
fiten fteht die größere oder geringere 
Vornehmbheit der Girkel, in die er 
Eingang findet. Jener zudringliche 
Windbeutel, weldher durch Vermitte— 
lung des SHoratius bei Mäcenas 
Zutritt erlangen will, kündigt ſich 
als einen Literaten an und rühmt 
feine Birtuofität im Verſemachen, 
Tanzen, Singen. Genau bejehen, 
jpielte felbft der geiftreihe Philo— 
ſoph Ariftippos beim Tyrannen Dio— 
nyſios zu Syrakus feine andere Rolle, 
als die eines Parafiten. Da er die 
Hoffnung, am ficilifhen Königshofe 
glänzende Bewirthung zu finden, offen 
für das einzige Motiv feiner Reiſe 
erklärte; fich einft, um irgend ein Anz 
liegen wirkſamer vorzubringen, auf 
die Knie warf, was er freilih mit 
der wißigen Bemerkung, „es ſei nicht 
feine Schuld, daß Dionyfivs die Ohren 
an den Füßen habe“, zu entichuldigen 
vermeinte; und nachdem er bei einem 
Trinkgelage von dem beraufchten Könige 
war befpieen worden, gelaffen äußerte, 
„auch die Fiſcher ließen fich auf ihren 
Beutezügen vom Meerwafler beſpritzen“ 
— fo hat er ohne Zweifel den voll— 
giltigften Anspruch auf den Parafiten- 
titel, welchen ihm auch zu ertheilen 
der freimüthige Kyniker Diogenes kein 
Bedenken trug. 

Philoſophiſche Schmaroger fanden 
fi zu Rom in großer Menge, als 
es während der Saiferzeit bei den 
Reihen Mode geworden, fih Haus» 
philofophen zu halten. Bei weiten 





die Mehrzahl derfelben waren „Grae- 
euli.* Man kann fie für eine beſon— 
dere Glaffe von Barafiten anfehen, 
mit dem unterfheidenden Merkmale, 
dab fie, anftatt durch Witze und 
Schmeicheleien zu ergößen, vielmehr 
durch tiefjinniges Weſen, pedantifches 
Moralifieren und, jo weit es gerathen 
ſchien, durch erheuchelte Freimüthigkeit 
fih ehrwürdig zu machen ftrebten, in 
Wahrheit aber nur zur Beluftigung 
dienten. Wie wenig ehrenvoll die 
Stellung diefer Leute war, erjehen 
wir anı beften aus den Schilderungen 
des Lulianos. 

Die Subfiftenz der Parafiten war 
— tie dies in der Natur der Sade 
liegt — eine höchſt prefäre.. Gar 
mander Tag des Mangels erſchien 
im Jahre, denn nicht alltäglich glüdte 
ed, an einem gededten Tifche ein Pläß- 
hen zu erobern. Launig läßt Altiphron 
einen durch langes Tyaften bereits halb— 
verdungerten Paraſiten, Trechedeipnos 
(z. d. „Schmausläufer*), an dem 
Tage, wo er endlich wieder zu einer 
Mahlzeit geladen ift, neben der Son— 
nenuhr aufe und abrennen, ungedul— 
dig harrend, bis der Zeiger die fo 
heiß erjehnte Stunde meist. Bei 
Plautus (Stihus) nennt Gelafimus 
die Fames (z. d. „Hunger“) jeine 
Mutter und treue Gefährtin. 

Wer feine Schmarogerkunft gründe 
lich verftand, konnte ſich allerdings 
auf einige Zeit recht behaglich befin— 
den, wie der Paraſit Gnatho bei Te— 
ren; (Eunuchus), der folgenden Mo— 
nolog hält: „Unſterbliche Götter, wie 
hoch fteht ein Menſch über dem andern! 
Welcher Unterfchied herrſcht zwifchen 
dem Thoren und dem Verftändigen ! 
Dies fam mir fo recht durch folgenden 
Umftand zum Bemwußtfein: Ich traf 
heute mit einem der Herkunft nad 
mir gleichen, keineswegs verwerflichen 
Manne zufammen, der ebenfalls fein 
väterliches Vermögen verſchwelgt hatte. 
Ich ſehe ihm ftruppig, ſchmutzig, ver⸗ 
fommen, mit Qumpen und Runzeln 
bededt. Was ift das für ein Ausſeh'n? 


767 


fage ih. »Siehe, wie weit ift es 
mit mie gefommen, weil ich Unfeliger 
Hab und Gut verloren Habe. Alle 
Bekannte und Freunde verlaffen mich.« 
Da verachtete ich den Menfchen im 
Bergleih zu mir. Wie, Du Erz— 
ſchwächling, Haft Du Di fo geftellt, 
dab Du feine Hoffnung mehr in Dir 
jelber findeft ? Haft Du mit Deinem 
Gelde zugleich den Verftand eingebüßt ? 
Betrachte mich, der ich von Geburt 
aus Dir gleich bin. Farbe, Aussehen, 
Kleidung, Geftalt — wie trefflich! 
Ich habe Alles und Habe Nichts ; ohne 
Beſitzthum geht mir doch nie etwas 
ab. »Aber ich Unglüdliher kann 
weder Pofjen treiben noch Prügel aus— 
halten.« Wie, meint Du, darin bes 
ftehe die Parafitit? Da bift Du ganz 
auf dem Irrwege! Freilich einft exi— 
ftierte diefer Geſchäftsgang bei der 
Generation; jetzt herrſcht ein meues 
Ausbeutungsſyſtem: eben ich habe zu— 
erſt diefe Bahn entdedt. Es gibt eine 
Gattung Leute, welche in allen Stüden 
die Erften fein wollen und es nicht 
find. Diefen Hänge ih an. Ich ftelle 
mich ihnen nicht zu Dienften, daß fie 
laden, fondern ich lache ihnen von 
felbft zu und bemwundere ihren Geift. 
Was fie jagen, lobe ih; wenn fie es 
wiederum in Abrede ftellen, lobe ich 
auch dies. Sagt einer nein, ich gleich- 
falls; jagt er ja, ich gleichfalls: kurz 
ih Habe mir zur Pflicht gemacht, 
Allem beizuftimmen. Das ift heutzutage 
bei weiten da3 einträglichite Gewerbe. 
Mährend wir unter diefem Geſpräche 
auf dem Fleiſchmarkt anlommen, laufen 
mir freundlich alle Delicateffenverkäufer 
entgegen: Seefifhhändler, Fleiſcher, 
Köche, Wurftmacher, Fischer, denen ich 
in meinen früheren guten Umftänden 
und auch nachher Gewinn brachte und 
noch bringe — fie grüßen mich, laden 
mih zu Zifche, freuen ſich meines 
Kommens. Als jener arme Hungerleider 
Jah, daß ich fo fehr in Ehren ftehe, 
fo leicht meinen Unterhalt finde, be— 
gann der Menjch mich zu befchwören, 
ih möchte ihm erlauben dasjelbe von 


mir zu lernen. Ich hieß ihm mein 
Jünger fein, wenn er's im Stande 
ift. Wie die Philoſophenſchulen nad 
ihren Stiftern die Benennung führen, 
fo follen die Parafiten Gnathoniker 
genannt werden“. 

Soldes Glüd hatte felten Beftand. 
Jedenfalls war die Ausficht auf das 
binfällige Alter fehr trübe. Kapnos— 
phrantes (3. d. „Rauchwitterer“, das 
heißt den Küchen nadhfpürend), ergeht 
fih bei Altiphron (in folgende troft= 
loje Betrachtungen: „O Daimon, dem 
ih durchs Los des Schidfals anheim— 
fiel, wie arg bift Du, da Du mid 
immer zum Schmerze an die Armut 
feſſelſt. Wenn ich Niemanden auftreibe, 
der mich einlädt, bin ich genöthigt, 
Kerbel und Schneden zu verzehren, 
oder mit Kräutern borlieb zu nehmen 
und mit Röhrbrunnenwafler den Magen 
zu füllen. So lange mein Körper die 
Mißhandlungen ertrug und durch 
Jugendkraft geftärlt war, fie zu er— 
dulden, ließ ſich der Uebermuth aus— 
halten. Nachdem ich aber halbergraut 
bin und das Greifenalter herannaht, 
welches Mittel gibt e$ da gegen das 
Ungemad ?“ 

Schließlich drängt ſich die Frage 
auf, aus welchen Ständen die Para— 
fiten im Allgemeinen hervorgiengen ? 
Entweder fuchten vormals wohlhabend 
gewefene Männer, nachdem fie ihr 
ererbtes Vermögen, gewöhnlich ſchon 
in jungen Jahren, vergeudet hatten, 
auf fremde SKoften das gewohnte 
Schwelgerleben jo gut es gehen wollte, 
fortzufeßen; oder e3 waren von Haufe 
aus mittellofe, ernfter Berufsthätigleit 
abholde, jedoch mit dem erforderlichen 
Talent begabte Individuen, welche in 
der Schmarogerei den bequemften Un— 
terhaltserwerb und zugleich den Weg, 
fih im „beſſere Geſellſchaft“ einzu— 
ſchleichen, erlannten. Zu den Erſtge— 
nannten gehörte der oberwähnte Gnatho. 
Auch der früher genannte Hydrophrantes 
war ein herabgekommener Reicher. Er 
ſchreibt (bei Alkiphron) an ſeinen 
Freund Meridas: „O Herakles, was 


768 


hatte ih für Mühe, um mit Seife 
den lange anklebenden Schmuß von 
der Sauce, die man geftern auf mich 
ausſchüttete, wegzuwaſchen. Und bie 
Mißhandlung kränkte mich nicht fo 
fehr an fi, als daß ich fie gegen 
meine Würde ertragen muß. Denn 
ich bin der Sohn des Anthemion, des 
reihften Mannes von Athen und der 
Ariothea, welche von Megafles*) ſtammt. 
Nachdem ich aber das väterliche Be— 
ſitzthum durchgebracht Habe, muß ich 





*) Diefer Name fommt häufig in ber 
hochadeligen familie der Alfmaioniden vor. 
Auch Ariftophanes („Wollen“) bezeichnet 
damit Überhaupt Bornehmpeit. 


mid in meiner Erniedrigung glüdlich 
fhäßen, wenn id dem Magen die 
nöthige Füllung verſchaffe“. Es traf 
ſich auch, daß die Söhne der Para— 
ſiten das väterliche Metier ergriffen. 
So rühmt ſich bei Plautus Saturio 
ſeiner, Ahnen folgendermaßen: „Ich 
behalte und behaupte das alte ange— 
ſtammte Gewerbe und übe es mit 
großer Sorgfalt. Denn keinen einzigen 
meiner Voreltern gab es, der ſich nicht 
durch Schmarotzerei gefüttert hätte: 
Vater, Großvater, Urgroßvater, Urur— 
großvater, Urältervater ſie alle 
aßen wie Mäuſe ſtets fremdes Brot; 
und kein Menſch vermochte ſie an Ge— 
fräßigkeit zu übertreffen.“ 


Leſſing in meinem Sorgenſtuhl. 


Mitgetheilt von Friedrich Rottenbader, 






9 FA icht jeder Recenfent ift ein ernfter 
ee Minos und mancher nimmt den 
gelungenen Scherz eines Mimen, der 
einen mwohlgezielten Hieb mit der feinen 
Klinge des Humor pariert, nicht 
frumm. Wenn auf Leſſings Todestag 
die Spradhe kam, pflegte der Schrift» 
ſteller & . . zu behaupten, der 15. 
Februar fei au fein Todestag, denn 
an diefem Zage fei er durch einen 
Spuf vom Leben zum Tode gebracht 
worden, um als ein ganz Anderer 
wieder zu erflehen. Er erzählte: „Es 
war am 15. Yebruar 1881, alfo hun— 
dert Jahre nach Leffings Tode. Im 
Schaufpielhaufe wurde nach einem Feft- 
fpiele von den Hofſchauſpielern Minna 
von Barnhelm aufgeführt. Nach 
Werners: „Ueber zehn Jahre ift Sie 
Frau Generalin!“ fuchten wir Bericht- 
erftatter die Schente zum weißen 
Hahn auf, um nad guter deutfcher 
Sitte Eins zu trinten zu Ehren der 
Manen Leifings. 


Wir huben eben zu bechern an, 
als bie Hoffchaufpieler Tärmend ein— 
traten und ſich mit überſchwänglichem 
Jubel zu uns gefellten, ala hätten wir 
fie nur immer gelobt. 

„Champagner!“ rief »Werner.« 
„Luftig, Kinder, Iuftig! ich bringe 
frifches Geld!“ — Da fand ich auf 
und fagte ernft: „Wenn wir Leffing 
feiern, fo begießen wir den Altar der 
Erinnerung mit deutfhem Reben- 
ſaft!“ — 

„Das iſt ein Wort!“ fiel »Tell⸗ 
heim« ein und ließ fih an meiner 
Seite nieder. „Rheinwein !" — 

„Rüdesheimer!* — 

Der Wirt lüpfte verlegen fein Käpp- 
hen und ließ fich vernehmen, daß fein 
Keller zwar feinen Rüdesheimer, jedoch 
einen guten Tropfen ungarischen Weines 
berge. „Der ungarifche Wein —“ 

„Iſt gut Ding, wahrlich gut Ding!” 
unterbrah ihn »Juſt.« „Aber auch 
die Wahrheit ift gut Ding. — Herr 


769 


Wirt, Er ift — fein Batriot, wenn] gewiffermaßen zwängen, uns Rede 
Er feinen deutfchen Wein ſchenkt!“ zu ftehen, aus ihrer Ruhe aufgeftört, 
„Auch Schilder,“ meinte Heinlaut | uns auffuchten; er wiſſe eine höchſt 
der Wirt. merkwürdige Geſchichte von feiner ver— 
„Schilder? — La hören, alte) ftorbenen Braut. — 
Ejjiglanne, wo diefer Wein wächst, Inzwiſchen hatten wir nach einem 
welcher Geruch und welcher Geſchmack folennen Zrauerfalamander Leffings 
ihm eigen find ?* fo frug Einer; der| Andenken reichlih mit Schilder ge= 
Wirt war jedoch ſchon fortgeeilt und | feiert, und da ein Gewitter ſich an— 
fan jeßt mit einem Kruge voll Hell |fündigte, riß ich mich von der Gefell- 
rotem Naß zurüd. Der Wein perlte | fchaft los. Fride gieng mit mir, aber 
gar einladend im den grünen Römern. erſt vor meinem Hausthore erfahre ich, 
Nun erklärte »Juft,« ein vielgereister | daß er im erften Stockwerke desjelben 
Mann, daß der Schilcher in der grünen | Haufes wohne, im defjen letztem Stode 
Steiermart wachſe, und führte in nach der ehrwürdigen Weberlieferung 
finniger Rede aus, wie der Wein der deutfchen Dichter mein Heim war. 
gleihfam das Blut eines Landes vor= Lachend erzählte er mir, daß er einft 
ftelle und alle guten und böfen Eigen | über eine Necenfion erbittert, bis zu 
haften der Eingebornen beſitze. | meiner Wohnung „empor geklettert“ 
Nun, wenn dem fo ift, dann mag der war, daß fich jedoch fein Blut voll- 
Steirer ein Hinterhältiger Gefelle fein, |fonımen abkühlte, als er vor meiner 
der dem, welcher ihn liebend in die niedrigen „Dachkammerthür“ ſtand. 
Arme ſchließt, flug einen Haarbeutel Diefe Rede kränkte mich und ich fagte 
anbindet. Wir Alle waren auch bald fpig: „Wenn Du zu mir »empors 
heiterfter Laune. Ich unterhielt mich | ettern« und unter mein »niedriges« 
mit meinem Tifchnachbar, dem Schau- | Dad) eintreten willft, will ih Dir echten 
ſpieler Fricke- »Tellheim« auf das Mofelwein vorfegen, während Du 
Beite, obwohl er feinen befonderen | Deinen Gaft faum mit etwas Anderem 
Grund Hatte, mir freundlich gefinnt zu als mit einer alten Käſerinde bewirten 
jein, denn bei aller Anerkennung feiner | kannſt.“ Ich erinnerte mich nämlich 
guten Darftellungsgabe hatte ich ihn | des wohlgefüllten Flaſchenkorbes, den 
doc oft Scharf getadelt. ride fchien ich für ein ſchwungvolles Hochzeits— 
jedoh Heinen Groll zu hegen. Ich carmen als Ertrahonorar don meinem 
ſprach auch von meiner Bücherei, welche | großmüthigen — Verleger? — Gott 
Anregung und Belehrung ich ihr danke, | bewahre! — von meinem Speifewirt 
wie ich fie al3 den im Schranfe ein= | erhalten Hatte. Nach diefer Einladung 
geſchloſſenen Geift der großen Autoren | ftieg ich ftolz zu meinem Parnap im 
verehre, ar dem ich mich wie an einem | vierten Stod empor. Als ich in das 
immer lebendig und erfrifchend ſpru- fleine Vorgemach trat, blies der Wind 
deinden Quell erquide; wie mir oft) mit folcher Heftigkeit durch das offene 
in nächtlicher Stunde der Gedanke durch | Fenfter, dab die Thür Hinter mir 
den Kopf fährt, die in den Schrank krachend in das Schloß flog. Regen— 
gebannten Geifter könnten die Hülle) Schauer ſchlug mir entgegen und der 
Iprengen und Herausfluten, und die), Donner rollte unter Wetterleuchten aus 
fo lange in Reih und Glied ftumm weiter Ferne. Mein Blid ruhte auf 
beijammen geftanden, könnten plößlich | den Umriffen des Bücherfchrantes. „Ihr 
beredt werben. guten, Ihr edlen Geifter, die diefer 
Darauf erwiderte ride ernfthaft, | Schranf einschließt,“ fo rief ich, „kommt 
e3 jei nicht unerhört, daß die Seelen | hervor und umfchrwebt mich! Und wenn 
Abgeftorbener, mit denen wir uns leb= |ich, ein Zauberlehrling, Euch auch nicht 
haft bejchäftigen und die wir dadurch mehr bannen kann, gleichviel, kommt 


Kofegger’s „Geimgarten‘‘, 10, Geft, XI. 49 








770 


hervor!” Ich glaube, der Schilder 





‘oder ein Laut? Ich horchte Scharf Hin 
hatte mich zu diefer Ansprache begeiftert. | 


und vernahm weiters: „Warum läßt 


Lange blieb ih vor dem Schranke) Du mich nicht ruhen? Warum quälft 
ftehen und Horte, während meine Du mich nutzlos?“ — 


Gedanten bei den Geiflesheroen weilten 


Ich halte mich mit der Hand am 


und meine Phantafie in eine ferne Pulte feſt und ſage mit bebender 


claſſiſche Zeit zurüdjchweifte. Ich ließ 
die großen Männer vor meinem geiftigen 
Auge erftehen, ich folgte ihnen in ihre 
Studierftube — da fchredte mich ein 
Bligftrahl empor, dem raſch ein kra— 
chender Donnerfchlag folgte! Ich raffte 
mich auf, um in mein Schlafzimmer 
zu gehen, vorher nahm ich ein Buch 
aus dem Schrank, es follte Leſſing 
fein: wußte ich doc im Finftern jedes 
Buch zu finden. Ich öffne aljo die 
Thür zum Schlafzimmer — horch! ein 
eigenthümliches Geräufh! Ich blide 
um mic, kann jedoch nichts ſehen — 
nun trete ich in das Zimmer — wiſcht 
da nicht eine eifige Todtenhand tiber 


Stimme: „Ih will Dir ehrlih nach— 
ſtreben.“ 

Ih ſah gar nicht, daß die Geftalt 
zum Sprechen den Mund bewegte und 
doch hörte ih — als ob die Stimme 
bon tief unten käme: „DO, man ift 
auch verzweifelt wenig, wenn man weiter 
nichts ift als ehrlih. Mir nachftreben ? 
Habe ich Alles im Namen der neun 
Mufen verdammt? Habe ich um Vor— 
theil gelobt? Habe ich der Zeit und 
ihren Schwäden geihmeichelt ? Habe 
‚ich gejchrieben, um Mädchen erröthen 
zu machen? Habe ich den Ausländern 
'nachgeeifert ? Habe ich Häusliche Zucht 
und Sitte und die Ehe, die Wurzeln 





meine Stiin? Ich ftoße einen kurzen! der deutſchen Kraft, in den Koth ge— 
Schrei aus. Ertönt da nicht Hinter | zerrt? Habe ich die nach dem frijchen 
mir ein leifes, heiferes Lachen ? Oder | Quell der Wahrheit durftenden Lippen 
— war es nur das Raufchen des der Jugend mit ſcharfer Lauge und 
Negens? Mir wird heiß. Mit un— ſchmutziger Jauche benegt? Habe ich 
jiherer Hand reibe ich ein Hölzchen an das Schlagwort Brotliteratenthun er= 
und halte e8 an die Kerze auf dem funden? Dder die Namen Freifchärler 
Schreibpult. Beim fladernden Scheine | und Gratisbliger für alle jene Geifter, 
der Kerze — ſehe ich eine Geftalt in welche die göttliche Poefie nicht hand— 
meinem Sorgenſtuhle! Ich will nad | werfsmäßig ausbeuten? — DO, Ihr feid 
den Degen fpringen — die Sterze brennt barbarijcher al3 Eure barbarifchen Vor— 
heller — ich bleibe wie gebannt ftehen : | eltern, die die Frage, ob ein Barde 
es ift das Antlig, die Geftalt, das oder Einer, der mit Bärenfellen und 


Eoftiime Leffings — wie ich das Alles 
aus Abbildungen kannte; den Kopf 





Bernftein handelt, der nüßlichere Bürger 
wäre, für die Frage eines Narren ge= 


hielt er fteif, die großen halb erlofchenen | halten hätten!” 


Augen Hatte er auf mich gerichtet, das 


Ich Hatte an Sicherheit gewonnen 


Geſicht war leichenfahl. Sein Finger | und fo wagte ich einzuwenden: „Jede 
zeigte auf das Buch in meiner Hand. | Zeit ftellt an die Menfchen andere 
SH taumle, greife mit den Händen | Forderungen — und der Zeit nicht 
nah der Stirn — wadhe ih? — |dienen, heißt im Elend leben.“ — 

träume ih? — Sitzt diefe Geftalt in Ich hörte wieder und ſchon etwas 
Wirklichkeit da? — ift fie eine Hal- deutlicher: „Ale ob die Zeit dem 
lucination? — bin ih wahnſinnig? Menſchen und nicht der Menfch der 
— Das Blut will mir erflarren. „Bift! Zeit fein Merkmal aufprägte! Mehr 
Du Leffing?* fragte ih und Hörte| als Euren Wanft füllen und den Leib 
nicht den Ton der eigenen Stimme. | mit Seide behängen könnt Ihr auch 
Da gieng e3 wie ein Hauch durch das nicht. — Ja, ja, die Gelehrten jelbit 
Zimmer: „Ja.“ — War das Täuſchung | find Hein genug, die Nation in der 


771 


Geringſchätzung alles deſſen zu beftärken, | — „Schreibe den Schwur nieder!” —- 


was nicht geradezu den Beutel füllt. 
Mer fchlüge wohl heute eine gute An— 
ftellung aus, nur um nicht alle Jahre 
an den König eine Lobrede halten zu 
müſſen? Ihr jchreibt nicht vom Herzen, 
aus dem Hirn, aber in den ledernen 
Geldbeutel, und fo jchreibt Ihr in drei 
Tagen einen Drudbogen fertig, anjtatt 
drei Zeilen für die Emigfeit. Dabei 
dünft ihr Euch groß — nichts ift groß, 
was nicht wahr ift., — 

Ich glaubte die Beitrebungen unferer 
Zeit vertheidigen zu müſſen und fagte: 
„Wir jind allerdings Realiften — aber 
Realismus und Wahrheit deden fich.“ 

Der Geift fenkte den Kopf auf die 
Bruft — dann hob er ihn plößlich und 
warf ihn mach rechts, als horche er in 
die Naht hinaus, während das Zöpf- 
hen nad links baumelte. „Was ift 
Poeſie?“ fo Hub er wieder an. „Poefie 
ift Wahrheit — aber nicht jede Wahr: 
beit ift Poefie. Was ift Euer Realis— 
ns ? — Oftmals wahrhaftiger Unrath. 
Euere Vaterlandsliebe hält Euch nicht 
ab, nicht nur den Franzoſen fondern 
auch den Rufen es im Realismus 
gleichzumachen. Leute in den Jahren, 
in denen man Luft und Leichtigfeit fo 
gerne für Genie hält, rechnen fich ſchon 
zu den Unfterblichen, während fie in 
franthafter Zweifelfucht oder Gemeinheit 
verſinken.“ — „OD, Leſſing,“ rief ich 
nun außer mir vor edlem Drange, 
„was foll ich thun, um Dir nachzu— 
ftreben ?* — „Schmwöre,” fagte er mit 
einer Stimme, die fi wie unheim— 
liches, aus der Tiefe fommendes Groflen 
anbörte; dabei firedte er fich, als 
wollte er durch die niedrige Zimmers 
dede wachſen, und mit dem Grollen 
feiner Stimme vermifchte ich das Rollen 
des Donners, während ihn der Blitz— 
ſtrahl für Augenblide in gelben Yeuer- 
Schein hüllte, „ſchwöre bei den neun 
Mufen, daß Du nichts verdammen 
wirft, was nicht ſchädlich iſt — und 
nichts loben, was nicht nüglich ift: 
ſchädlich und müglich für die Moral 
und das Schöne.“ — „Ih ſchwöre!“ 


Ih nahm ein Blatt Papier und zeich- 
nete mit zitternder Hand zollhohe Buch— 
ftaben darauf. 

„Hoch, ih höre den Rappen 
ſcharren und wittere Morgenluft! Wenn 
Du einen guten Tropfen im Haufe 
haft, jo laß uns nach deutjcher Art 
zum Abſchied Eins trinken!“ — Ich 
wußte bisher nicht, daß Geifter leibliche 
Bebürfniffe Hätten, aber ich brachte 
ohne Zaudern und mit gaftfreundlicher 
Nührigkeit den Mofelwein und zwei 
Gläſer herbei, die ich bis an den Rand 
füllte. 

Der ungewöhnliche Gaft ergreift 
das Glas: 


„Es donnert! — Freunde laſſ't uns trinfen! 
Der Frevler und der Heuchler Heer 

Mag Inehtiih auf die Knie finten. 

Es donnert! Macht die Gläſer leer! 
Lafj't Nüchterne, laſſ'ſt Weiber zagen! 
Zeus ift gerecht, er flraft das Meer: 
Sollt er in feinen Neltar ſchlagen?“ 


Wir ftießen an, ich trank — trant 
— trant — ein lautes Klirren! Ich 
jeßte ab — der Geift war verſchwunden 
wie er gelommen. Sein Glas lag zer— 
ſchmettert am Boden, ſonſt nirgends eine 
Spur von dem Gafte — ich finfe wie 
betäubt auf einen Stuhl, ftüße meinen 
Kopf in die Hand und — — — 

„Herr Doctor, das Frühſtück!“ — 
IH Fahre aus tiefem Schlafe empor und 
finde mich angelleidet vor dem Tiſche 
ſitzen — es ift heller Tag — das 
Mädchen der Hausmwirtin fteht mit dem 
Hrühftüdbrette vor mir und betrachtet 
mich verwundert. Aber mein Kopf! 
D, mein armer Kopf! Der fteirifche 
Schilder! der Mofelwein! Am Boden 
zu meinen Füßen liegen noch die 
Scherben des zerbrodhenen Glajes. 
„Unna,“ ſage ich weich zu dem Mädchen, 
das kopfſchüttelnd das Frühſtück auf 
den Tiſch geftellt Hatte und fich eben 
entfernen will, „Anna, beforge mir — 
etwas Häringſalat — Hüäringfalat, 
fonft nichts!“ — 

Ih Hatte geträumt — ha, da liegt 
ein Blatt Bapier, beſchrieben von meiner 


49* 


Hand mit zollhohen Buchſtaben! Alfo 
war Leifing wirklich und wahrhaftig 
bei mir! Mich durchzuckt ein gelinder 
Schauder vom Wirbel bis zur Sehe 
und ich würde noch heute glauben — — 
da kam das Mädchen kichernd zurüd 
und trug ein abfonderlich Ding zwifchen 
ihren Yingerfpigen, das ich anfänglich 
für eine Ratte hielt. Später ſah ich, 
daß es eine Perüde war, die das ſchel— 


mifche Kind am Zöpfchen gefaßt hatte. 
„Wo fandeit Du das?” — „Im Bor: 
zimmer, “ 

„Anna,“ fo befahl ich nach einer 
Heinen PBaufe, „trage das Ding zum 
Hoffchaufpieler Fricke hinab — id 
ließe mich fchönftens empfehlen! Er 
fönnte das Ding da brauchen — wenn 
er einmal Leſſing fpielte.* 


Der Schwindel bei ehrlidhen Peuten. 


—5 Jeben der Corruption im Großen, 
die man endlich angefangen hat, 
ſcharf zu bekämpfen, gibt es eine 
Gorruption im Kleinen, die in allen 
Volksſchichten verbreitet ift und der 
auch nicht vergeſſen fein foll. Die 
Flugfchriftenreihe „Gegen den Strom“ 
(Wien, Carl Graefer) brachte neulich 
eine überaus beachtenswerte Brojchüre 
über „die Gorruption im Kleinen“, 
aus welder Hier einige blitartige 
Streiflichter auf unfer gefellfchaftliches 
Leben geleitet werden mögen. 

Ein Blid auf unfere Zeit zeigt, 
wel ausgedehntes Terrain das weite 
Gewiffen auf dem Rechtsgebiet 
erobert hat. Aus der Legion von Bei— 
jpielen feien einige hervorgehoben. 

Man frage einmal unfere Haus 
meilter, ob unter einem Dußend Einer 
es für Diebftahl anfieht, wenn er 
bei pafjender Gelegenheit aus dem 
Keller der Miethparteien, ohne dieſe 
zu befragen, feinen Holz= und Kohlen— 
vorrath ergänzt. Er würde eine der- 
artige juriftifhe Qualification feiner 
Handlungsweife al3 Ehrenbeleidigung 
auffallen. 

Nicht minder entrüftet würde die 
überwiegende Mehrheit unferer Köchin 
nen fein, wenn Jemand das Inſtitut 
der „Marltlreuzer*, auch „Körbel— 





geld“ genannt, al3 Betrug bezeichnen 
würde. „If es nicht mein Verdienft,“ 
docierte einmal eine der culinarifchen 
Vertreterinnen einer höchſt praftifchen 
Bhilofophie, „wenn ich billiger und 
bejler einzulaufen verftehe, als eine 
Andere? Muß ich nicht eine Gefahr- 
prämie gegen das Vergeſſen beim 
„Auffchreiben" Haben? So einen 
Heinen „Nebenverdienft“ ausfchlagen, 
das fönnte Eine nur aus Ueberſpannt— 
beit thun.“ 

Sollte übrigens eine Köchin am 
Ende rigorofer fein, als viele font 
ganz ehrenhafte Angeftellte und Be- 
dienftete in Gefchäftshäufern und 
Comptoirs, denen man vielleicht ruhig 
Taufende bon Gulden anvertrauen 
fünnte, die fi) aber Fein Gewiſſen 
daraus machen, gelegentlich Kleine 
Bedürfniffe ihrer Perfon oder Fami— 
lie aus dem MWaarenvorrathe des 
Chefs zu deden, fein Schreibmaterial 
für ihre und der Familie Corre— 
Ipondenz zu verwenden, mit feinen 
Briefmarken ihre Briefe zu frankiren zc. 

Und melde Marimen herrſchen. 
unter manchen Sandeltreibenden in 
Bezug auf die Crida? Man eröffnet 
ein Geſchäft, geht's gut, ift es recht. 
Wenn mit fo ſchmeißt man um. 
Vetter Hinz und die Frau Gemahlin 


773 


haben bei Zeiten Forderungen gegen! Ware, auch zu fträflihen Zweden 
den Eridatar erworben; ift man vor= | verkaufen. 
jihtig, jo legt man rechtzeitig etwas Wie viele ſonſt ehrliche Diener 
auf die Seite, natürlih dorthin, mwo‘'gibt es, die ihrem Seren feinen 
man es nicht leicht findet, und der | Kreuzer entwenden würden; aber deſſen 
Vetter Kunz ſchließt einen brillanten | Eigarren, ohne erft zu fragen, mit— 
Ausgleih zu 10 oder 20 Procent. rauchen, das fehen fie für feinen 
Die Gläubiger — manche unter ihnen | Diehftahl an. 
denlen: „Heute Dir morgen mir" — Wenn wir einem unferer guten 
find zu Tod froh. Freunde ein Buch, insbejondere ein 
Was ſchadet es dem Kunden, |foftbares oder jeltenes Werk leihen, 
dociert der Fleiſchhauer Wurzel, wenn | Jo thun wir dies gewiß in der Voraus— 
er flatt 1 Kilo nur 95 Deka bekommt? ſetzung, daß jener es uns wieder 
Für ihm macht der Unterfchied nichts | zurückgeben wird. Sehr häufig ent= 
aus, mich aber macht er reich. Und | lehnt jedoch unfer Freund das Buch 
ob eine Semmel etwas größer oder| in der entgegengefeßten Abſicht. Cr 
Heiner ift, das hat doch feine De- betrachtet die Entlehnung als eine 
deutung. Satt effen kann man ſich abgeleitete Art der Eigenthumser— 
an einer Semmel nicht. Sind die] werbung. Es gibt Leute, welde auf 
„Borten“ und der „Hanſel“ beim ſolche Art ihre Bibliothek weſentlich 
Bier nicht eine prächtige Erfindung? | bereichert Haben. nn 
Iſt es nicht glücklich von der Natur Es bereitet Dielen ein inniges 
eingerichtet, daß Hoiz und Kohlen im Vergnügen, im Gaſthauſe eine Cigarre 
naſſen Zuſtande mehr wiegen als im ein Stück Brot, ein Glas Bier we— 
trockenen? | niger beim Zahlen der Zeche anzu— 
Es aibt Werate, welche den Kehl. | geben; dieſe Erſcheinung findet fü 
tritt — Frau —— — — mitunter bei Gäjten, die recht Splendid 
zu fühnen wiffen, weiche unter Ueber» mit dem Zrinfgeld umgehen. 
treibung der Gefahr, in welcher der Einen guten Oreund de El 
Patient ſchwebt, ihre Beſuche verviel- „betrügen“, „bemofeln ‚ „betateln“, 
fachen umd aus dem gefälfchten Be- | „beidunmeln“ — der Workreichthum 
weile ihrer Heilungsfunft klingenden deutet Ion auf bie Verbreitung a 
Dank zu ziehen willen. 3 ſeine — —— * s Eine 
Es gibt Beamte, die durch die ER De ER N 2 


. | direct corrigieren, mit einem Worte, 

Macht der Gewohnheit verlernen, in : t —— 
— emein häufi 

der Annahme eines Geſchenkes in ſaiſch ſpielen, lommi ung häufig 


, f vor, 
a erde Se. Mac Henkenoner Ad m 
Meife vorgehen, welde diefe zum der redlichfte Menfchenjchlag, den man 


j ih denken kann. Im ihren Dörfern 
Geſchenle, zur Veſtechung zwingt. hat der Fremde es kaum nöthig, ſeine 
Es gibt öffentliche Lehrer, welche 


Habe zu verſperren und ruhig kann 
ſich nicht ſcheuen, die Beurtheilung man bei offenen Thüren fchlafen. 
ihrer Schüler durch pecuniäre, ſtatt Aber Wild auf fremden Grund und 
durch fachliche Gründe beeinfluffen zu) Boden erlegen und als Beute mit 
laffen, und deren vernichtende Strenge 


nah Haufe bringen, das verbietet dem 
ſich nur durch den erftrebten Privat: | prauften Burſchen nicht das Gewiſſen, 
unterricht des Zöglings mildert. 


davon Hält ihm nicht der Michter, 
Es gibt Schriftfteller, Gelehrte, noch der Pfarrer zurüd. 
Nedactenre und SJournaliften, welche 


Auch davon nicht, wenn Bauern, 
gewerbsmäßig ihre Meinung wie eine wie dies jo häufig geſchieht, ein Stück 


— — ee 


774 


vom Nachbargrunde an den ihrigen 
anadern, oder wenn fie ihr Vieh uns 
befugt auf fremder Weide grajen 
laffen, u. dgl. mehr. 

Als in Wien die Gallınayer und 
Geiftinger auf dem Gipfel ihrer Be- 
fiebtheit ftanden, fuchten zwei Volks— 
fängerinnen von deren klangvollen 
Namen zu profitieren. Die Eine nannte 
ſich Gnallmayer, die Andere dagegen 
Geiftiger. Ein Wiener dürfte hier 
kaum aufgefeffen fein. Einem „Frem— 
den“ konnte es aber leicht paflieren, 


Notdwendigkeit gezogen wurde. Um 
fo größer war nun freilich feine Ueber= 
rafhung, als er fih am Schluß eines 
jeden Monats einem Deficit gegenüber 
ſah, deffen Entftehen er ſich durdaus 
nicht erklären fonnte, und das am 
Ende des Jahres eine ftattlihe Sumnte 
ergab. 

Er rechnet und rechnet — nirgends 
ein Fehler. Woher die Mehransgabe ? 
Mer lebt auf feine Koften? Iſt er 
das Opfer eines pedantiſchen Diebes, 
der ihm jeden Monat eine beſtimmte 


daß er in der Meinung, die berühmte | Summe entwendet? — da plößlicdh 
Soubrette zu Hören oder der gefeierten | überlommt es ihm wie eine Erleud- 


DOperetienfängerin zu laufchen, Ber: |tung. Das Räthſel ift gelöst; 


treterinnen der Brettelmufe anbörte 
und dann weiblich über die erwähnten 
Künftlerinnen fchimpfte, die diefe Be— 
einträchtigung.ihres Renommees ruhig 
erdulden mußten, 

Der Bapa, der mit feinem baum— 
langen Jungen auf der Eifenbahn 
fährt und ihn als Kind unter „LO 
Jahren“ ausgibt, um ein halbes 


er hat 
einfach vergeflen, die Zrinfgelder im 
fein Budget aufzunehmen. Und nun 
rechnet er wieder und macht die Probe. 

Hans fpeist in einem Gaſthaus 
dritten Ranges und gibt Mittags und 
Abends wenig genug, je zwei 
Kreuzer Trinkgeld; man behandelt ihn 
auch nicht gerade ſehr reipecivoll, eben— 
fowenig wie in feinem Staffeehaufe, 


Billet don Wien nah Meidling zu in welchem er täglich diefelbe Summe 


eriparen, oder die Mama, 


die auf! vertheilt: macht monatlich: zwei Gulden 


der Tramway das bereits franzöſiſch | vierzig Kreuzer. 


parlierende Töchterchen auf den Schof 
nimmt, um es auf diefe Art foftenlos 
zu transportieren, die merkwürdigen 
Verwandtichaften, die ſich ergeben, 
wenn eine Eintrittsfarte für Herrn 
N. ſammt Familie lautet, ac. 

Ein Statiftifer Hat einmal den 
platoniſchen Verfuch gemacht, die wirt- 
ſchaftliche Schädlichkeit des Trinfgeldes 
an einem Wechenerempel zu demon— 
ftrieren. 

„Hans ift in einem Handlungs— 
haus augeftellt, Staat3- oder Privat 
beamter und bezieht einen monatlichen 
Gehalt von 75 fl. Er Hat es verfucht, 
feine Lebensweife feinem Einkommen 


Hans ift fehr ſolid; nur an Sonn 
und Feiertagen gönnt er fich den 
Luxus, ein Theater zu befuchen, in 
welchem er einen der letzten Plätze 
nimmt. So fehr er auch nad Haufe 
eilt, kommt er doch immer erft nad 
10 Uhr und muß daher dem Hause 
beforger einen Obolus von zehn Kreu— 
zern entrichten : macht monatlich fünfzig 
Kreuzer. 

Hans ift nicht eitel, und fein 
Bartwuchs ift nicht allzu ſtark; nur 
zweimal in der Woche überantwortet 
er feinen Kopf den Händen des 
Friſeurs, nur zweimal im Monat 
befucht er ein Bad, und ein Douceur 


anzupafjen. Die einzelnen Boften feines |von je fünf Kreuzern ift das Aeußerſte, 


Budget3 waren genau feitgeftellt; 


fo und fo viel fiir Kleidung, u. f. w. 
Niemals geftattete ſich Dans 


| 
und fo viel für den Lebensunterhalt, | ſechzig Kreuzer. 


wozu er ſich aufrafft: macht monatlich 
Alle diefe Ausgaben, 
welche in jedem Monat vorkommen, 


eine | ergeben für das Jahr eine Summe bon 


Ertradaganz, niemals eine Ueberſchrei- zweinndvierzig Gulden. — Einigemale 
tung der Linie, die ihm von der im Jahr ift Hans bei feinem Chef 


775 


geladen, Hie und da zieht man ihn 
einem Hochzeits- oder Taufſchmaus, 
einem Namensfeft bei, auch Weih— 
nadten und Shlveſter verbringt er 
in Geſellſchaft. Hans ift feine noble 
Natur und glaubt mit einem Trink— 
geld von je fünfzig SKreuzern bei 
diefen Anläffen bereits Bedeutendes 
geleitet zu Haben; macht, die zwei— 
fahe Sperrtare mit eingerechnet, 
jährlich ungefähr fünfzehn Gulden. 

Dann kommt Neujahr. Wie freund- 
li, wie zuvorkommend ift alle Welt 
auf einmal gegen Hans! Der Haus: 
beforger ftammelt fchüchtern einen 
Glückwunſch, der mit einem Gulden 
wahrlih nicht zu theuer bezahlt ift; 
ein freundliches Lächeln des Stuben— 
mädchens iſt auch micht billiger zu 
haben; der Marqueur beſchenkt unfern 
Hans mit einem Notizlalender — 
was bleibt Hans übrig, als fich zu 
rebandieren ? — der Frifeur hat einen 
Teller aufgeftellt, auf dem einige als 
Lodmittel ausgelegte Silbergulden eine 
ftumme und doch beredte Sprade 
führen; der Amts- und Bureaudiener, 
deſſen Gehalt mit Nebenbezügen dem 
Einkommen unfere® Hans mindeftens 
gleihlommt, Hält jo treuherzig die 
Hand Hin, das man feine Erwartung 
unmöglich täufchen kann; die Brief: 
träger treffen eine jo weife Eintheilung, 
daß e3 Hans möglich ift, einem jeden 
für feine Glüdwünfhe zu danken, 
kurz — von zehn Gulden bleibt 
unferem Hans wohl nicht allzuviel 
übrig. 

Nehmen wir noch dazu, dak Hans 
im Laufe des Jahres bei den Sen— 
dungen feiner Lieferanten die Bekannt— 
Ihaft zahlreicher Lehrjungen macht, 
die eine ausgeiprochene Vorliebe für 
Zehntreuzerftüde haben; dab bei dem 
Heinen erienausflug, den Hans fi 
gönnt, ihm auf Schritt und Tritt 
Gelegenheit geboten wird, fich freigebig 
zu zeigen, und rechnen wir noch eine 
beftimmte Summe für jene vielen un— 
vorhergefehenen Fälle, welche von Zeit 
zu Zeit an feine Großmuth appellieren, 





und bewerten wir all das zufammen 
auf acht Gulden. 

Wie man fieht, ift Hans durchaus 
fein Berfchwender, durchaus nicht 
beftrebt, in den Ruf eines freigebigen 
Menfchen zu gelangen; im Gegentheil, 
er fügt fi nur widerwillig einem 
Zwang und begnügt fich überall mit 
dem Minimum, und doch gibt er 
jährlich für Zrinfgelder eine Summe 
aus, welde einem vollen Monats— 
gehalt gleichfommt. 

Er muß einen ganzen Monat 
angeftrengt arbeiten, um Zeute zu er= 
halten oder deren Eriftenz zu ver— 
beffern, die ihm perfönlich feine Dienfte 
leiften, die für ihre Arbeit bezahlt 
werden, die feinerlei Verpflichtungen 
nah außen Haben, die weder Capital, 
noch Mühe, noch Studium auf ihre 
Ausbildung verwendet haben. 

Hans ift leider befchränft und 
findet die ungerecht, aber er fann 
dem MUebelftand nicht abhelfen. Um 
auch ferner feinen Berpflichtungen 
nahlommen zu können, und um das 
Gleichgewicht in feinem Budget her- 
zuftellen, wird er fich ſelbſt irgend 
eines Vergnügens berauben, feine 
fargen Genüffe noch vermindern. 

Immerhin. Dafür erlebt er die 
Freude, den Marqueur, der täglich in 
freumdlichfter Weife feine armfeligen 
vier Kreuzer nimmt, im Fiaker an 


ſich vorüberfahren zu ſehen; dafür 


wird ihm die tröftliche Gewißheit, daß 
der Hausbeforger mit feiner Yamilie 
fih die Primeurs der Saifon ver— 
gönnen kann; daß der Friſeurgehilfe 
bon einem bequemen Sitzplatz der 
Borftellung folgen Tann, die Dans 
jelbft ftehend mitanfieht; daß es dem 
Dienftmädchen möglich ift, die neueſte 
Mode mitzumahen und den Hunger 
eines ſchmucken Soldaten zu ftillen.“ 

Das vorftehende Rechenexempel 
zeigt, wie jchädlih in wirtſchaft— 
liher Hinfiht das Trinkgeld unter 
Umftänden auf den Geber wirkt. 
Weit ſchädlicher und gefährlicher aber, 
al3 in wirtfchaftliher Hinficht durch 


776 


die ſyſtematiſche Ausſaugung der 
Spender bon unten, wirft das Trink: 
geld in moraliſcher und redt- 
licher Beziehung auf die Empfänger. 
Wie muß fich der Charakter eines Men— 
Shen geftalten, der fein Einkommen 
vorzüglich aus einer Art von Vettel 
zieht, deffen ganzes Sinnen und Trach— 
ten auf Erhaſchung von Gejchenten 
gerichtet ift! Muß fein Ehrgefühl nicht 
ertödtet, fein Egoismus auf das höchſte 
aufgeftachelt werden? Kann fich echter 
Mannesftolz und Würde bei dem be= 
haupten, für den Heuchelei, Kriecherei 


und MWopldienerei die Mittel zur 
Yriftung feiner Eriftenz find? Soll 
man dort Widerftand gegen Gorruption 
erhoffen, wo fie aus Indolenz oder 
falfeh verftandener Nobleffe in einem 


Heere von Schmarogereriftenzen künſt— 


lih gezüchtet wird? Das Trinkgeld 
in verfchiedenartigfter Geftalt und Ver— 
Heidung, in feiner weitreichenden tief- 
und hHochgehenden Verbreitung ift der 
Dünger, aus dem die Saat der ufuel= 
len Gewifjenserweiterungen und des 
Schwindel ihre kräftigſte Nahrung 
zieht. 


Das heilige Bildnis. 





N 9 ie kurz die Lebenszeit und 





RR wie lang eine Nacht für den 
Kranken, der nicht fehlafen kann! Und 
wie furchtbar das, was ich einſt er= 
fahren habe! 

Erſchöpft und ſchlaflos lag id) da 
und zählte die Stunden, und zählte 
das Zitat der Uhr — die Pulse 
jchläge der Zeit. Nach einer Heinen 
Ewigkeit, in der ſich phyſiſche Schmerzen 
und beängftigende Träume fortwährend 
durch meine Seele geflochten Hatten, 
war es drei Uhr. Dann die zweite 
Ewigkeit. Gottlob, nun wird es bald 
tagen. Die Gaslaterne draußen, welche 
die ganze Nacht über ihre ruhige 
Tenftertafel auf meine Zimmerdede 
gelegt Hatte, wurde ausgelöſcht. Auf 
den Gallen rollten ſchon die Wagen, 
der Zeilig im Bauer begann die Schläf: 
rigfeit von feinen Fittichen zu Schütteln, 
aber der blaſſe Dämmerfchein an der 
Wand wollte ſich noch nicht einftellen. 
Es mußte Schwerer Nebel liegen über 
der Stadt. Es ſchlug fieben Uhr, es 
gieng gegen acht Uhr. Mas ift 
denn da3? Noch immer finftere Nacht ! 


Plöglih kommt mir ein gräßlicher 
Gedanke, ich Springe aus dem Bett, 
ich ftreiche ein Reibholz, Heil auf zudt 
das Flämmchen. ch athme auf, er= 
blindet bin ich micht. Ich gehe zur 
Uhr, der Zeiger rüdt auf Neun und 
e3 Schlägt diefelbe Stunde. Ich eile 
an's Fenſter, draußen ift ein ſeltſames 
Lärmen, Bandlaternen zuden bin und 
her und am Himmel bleibt es finiter. 
Ih ſchlage den Kalender auf, feine 
Sonnenfinfternis fteht drin. Durch 
die Thürfuge wird wie gewöhnlich das 
Morgenblatt Hereingeftedt — politifches 
Gezänke, vermifchte Nachrichten, ge— 
Ihäftliche Ankündigungen, marktſchreie— 
tische Unterhaltungsanzeigen für diefen 
Tag die Menge. Es bleibt finfter. Ich 
faſſe mid an den Gliedern, rüttle 
mich, um aus dem beängftigenden Traum 
zu fommen, aber ich wade ja, ſehe 
von der Lampe beleuchtet alle Gegen— 
fände meines Zimmers Har und be» 
ſtimmt. Sehe an der Wand die Bild- 
niffe der lieben Menfchen, die auf dem 
Kirchhofe Schlafen, fehe und höre 


meinen freifchenden Vogel, der unruhig 


777 


flattert und mit angfterfüllten Augen 
auf mi herſchaut. Meine Stirne if 
nicht heiß, mein Puls geht kaum ſtärker 
als gewöhnlich, Fünfundfiebzig Schläge 
in der Minute. Der Zeiger fteht auf 
halb Zehn, im Zimmer Nacht, draußen 
Naht. Heute bleibt die Sonne aus, 
oder ich bin wahnfinnig geworden. 
IH eile nun aus dem Haufe. 
Auf der Gaffe verwirrte Menfchen, 
fie fchreien, ſtöhnen oder huſchen ſtill 
dahin und prallen aneinander. Man 
ruft, die Straßenlaternen follen wieder 
angezündet werden. Welch ein Ver— 
langen! fie brennen nicht einmal in 
Bollmondnädten, wie erſt mitten im 
Tage! Die Uhren jchlagen die eilfte 
Stunde, am Himmel feine Wolfe, es 
funfeln die Sterne, aber mancher 
Himmelskundige will bemerken, daß es 
fremde Sterne feien, oder aus ihren 
Geleifen gefprungen. Da werden auch 
Ihon Rufe laut: Die Welt ift ent— 
gleist! Schredliche Rufe der Verzweif— 


lung, aber noch fchredlicher die der|f 


Gottesläfterung, des Aufruhrs, der 
wilden Gier und Freude an der neu 
einbrechenden Geſetzloſigkeit. 

Ich eile zu einem befannten Doctor 
für Nervenleidende, um ihn zu bitten, 
daß er mich in eine Heilanftalt für 
Geiftesfranfe bringen möge Er ift 
umringt von Vielen, die ähnliches Be— 
gehr Haben, er hält mit beiden Händen 
feinen Kopf und fagt: „Liebe Leute! 
Auch ih bin wahnfinnig geworden, 
oder es ift das Weltende da!“ 

„Wenn es bloß das wäre!” ver— 
jegte Einer, „aber ich fürchte, die 
Melt ift nur verrüdt, wir haben die 
nordiſche Nacht, die vielleicht ein halbes 
Jahr dauert, oder ein ganzes, oder 
immer, wir verhungern und erflarren 
eines langfamen Todes. Nicht das 
Sterben fürchte ih, fondern das, was 
wir früher noch erleben werden.“ 

Ih gehe zu einem Aſtronomen. 
Mit Noth tafte ich mich die finfteren 
Treppen empor in feine Stube. Da 
fißt er bei der Ampel und rechnet. 
Simulirt und rechnet, jchüttelt den 


Kopf, rechnet dann gelafien weiter. 
Plöglich beleben fich feine Züge. „Es 
ſtimmt,“ murmelt er. 

Ich bitte ihn um wiſſenſchaftliche 
Erklärung des unerhörten Naturzus 
ftandes. 

„Wie aus Ddiefen Ziffern erficht- 
ih,“ jagt der Gelehrte, „tritt das 
Ereignis in regelmäßigen Zwijchen- 
räumen von 196734099 Sonnen= 
jahren ein. Muß aber bemerken, daß 
der Decimalbrud, um mid populär 
auszudrüden, ein umendlicher ift, da= 
her bei Berehnung der Rotirung 
unferes Planeten während feines Laufes 
auf der elliptifchen Bahn genauer als 
auf das Fünftel einer Secunde nicht 
wohl beſtimmt werden fan. Dasjelbe 
Verhältnis — um mid) populär aus 
zudrüden — auch im Raummaße. 
Theilt man nämlich die Planeten in 
Bezug auf die Entfernung von der 
Sonne in Theile wie 4 : 13, bei An— 
deren in 197 : 9801 u. f. mw. ein, 
fi) an 

Da ſehe ih: Auch hier ift es 
finfter. Als ich wieder auf die Galle 
komme, iſt das Menjchengewoge ein 
noch wilderes, als vorhin. Viele Leute 
haben — wie man bei den jegt an— 
gezündeten Laternen ſieht fahle 
Gefichter und eisgraue Haare. Andere 
find ausgelaffen und treiben e& wie 
bejeffen. Schon ift ein neuer In— 
duftriezwweig da, ein Mann jchreit in 
cynifcher Weile feine neuerfundenen 
Patent-Lampions aus, die man auf 
den Hut fteden kann. Ueberall auf 
Strafen und Pläßen transparente 
VBergnügungsanzeigen. Manchem ift das 
zu wenig, fie find auf Zinnen und 
Thürme geftiegen, um auszubliden 
nach einer Morgenröthe. Ein lauer 
Wind trägt vom Parke her die Blüten 
der roten Quitte und des Apfel— 
baumes und — wie unheimlich zu ſolcher 
Tagesftunde ! — in einem Buſche Schlägt 
die Nachtigall. 

An heimlichften iſt's noch in den 
Weinkellern, Bierhallen, Theatern und 
in jonftigen Räumen, die man nur 


bei fünftlihem Lichte zu betreten ge= 
wohnt ift. Aber der Wahnfinn feiert 
bier überall fein Gelage und den 
Ballettänzerinnen wird zugejubelt, als 
wären e3 freifende Sonnen. 

Ich will mir Zerfireuung und 
Troft in der Kunſt ſuchen. Ich höre 
wohl die nervendurhmwühlenden Zöne 
der Oper, aber immer muß ich denfen: 
Es ift finfter. Ich ſehe wohl die 
- Stulpturen der Hellenen, aber ich weiß, 
die Sonne hat uns verlaffen und mir 
ift ah und weh zum Sterben. ch 
irre auf Öden Straßen und in Wild» 
niffen um. Zwiſchen fchaurigen Ber— 
geswuchten fteht ein Kirchlein und 
ftill leuchten darüber die Sterne des 
Himmels. Ich trete ein und jehe, von 
zwei Kerzen milde beleuchtet, ein wun— 
dervolles Bildnis. Es ift die Mutter 
mit dem Kinde. Maria mit dem Kleinen 
Heiland. Ich ſchaue in das milde, 
reine, himmlische Angeficht, da ift mir, 
als gehe ſachte, Jachte die Morgenröthe 
auf. Hinfinfe id vor das Bildnis, 
Hoffnung und Vertrauen erwacht. Eine 
Frau figt im Himmlifchen Rath, da 
fönnen wir nicht verloren fein. Ein 
heitiges Weinen überwältigt mid, da 
fühle ih auf meiner Stirme eine 
Janfte Hand. Die Augen ſchlage ich 
auf, es ift lichter freundlicher Tag 


78 


und an meinem Bette fteht die ge= 
liebte, treue Lebensgefährtin und frägt 
mich Tiebreih, was mich im Traume 
denn fo jehr bewegt habe ? 

„Anna,“ fage ich, fo lange id) 
lebe, joll das Bildnis, welches dort 
an der Wand hängt, mit Jınmergrün 
und Rofen befränzt werden. 

Ih habe diefe Muttergottes eben 
im Traume gefehen. Sie hat nid) er— 
(ö8t aus Grauen und Bangnis. Lege 
Deine Hand an meine Bruft, nicht 
wahr, wie wild es noch tobt, da 
drinnen! Nichts ift denkbar, das fo 
fchredlich wäre, wie Yinfternis. Die 
Himmlifche Hat mich getröftet, Du haft 
mich aufgewedt. In dieſem lieblichen 
Bildnis will ich die Himmliſche und 
die Irdiſche verehren. Dieſer heiligen 
Maria mit dem Kinde will ich die 
Lieder weihen, die ich edlen Frauen 
ſinge; dieſer göttlichen Königin will 
ich die Kränze opfern, die ich Dir, 
mein geliebtes Weib, flechte. Welch' 
gräßliche Nacht auf Erden, wenn nicht 
Frauenaugen leuchteten! welch' ein 
dunkles Leben müßte ich vertrauern, 
wenn Du nicht wäreft! 

Das Licht des Glaubens ift die 
Fran im Himmel, das Licht des Le— 
bens die Frau auf Erden.” R. 





779 


Don Mon, der koan Prozeh hobn will. 


Aus dem Platten des Frik Reuter in’s Steiriihe übertragen. 


A Kamberg ban Bochwirt dazähln fih 
Die Gäft gern a Raubagſchicht. 
Im peitn dabei gonz vadeifelt — af 

wos? — 
Afs Faiferli Londesgericht. 





Der Dani dazählt an endslongi Wurft, 
A Gſchicht vor grauen John, 

Der Onderi dazählt von Patrimonal: 
Und Schwurgeridts:Berfohrn. 


„A Stodtgericht,” jogg Numero Drei, 
„Däs ful da Teifel holn!“ 

Da Vierti ſchreit: „Bezirksgericht, 
Däs fon ma wern gleih gituhln!* 


Und oll zſom ftimens ein: 

„s Schlimft fuln die Advocatn fein! 
Wan Dan fo die Advocatn dronfriagn, 
Wia do die Tholer aus n Sädl fliagn! 
Wan 5 funtn, wos j van thatn!“ 

— Die ormen Advocatn! 


Drauf drängg an olta Militär 

Sih durdn Haufn brumelnd her: 

„Wos Se da jogn, meine Her'n, 

Das glaub ich gern! 

Denn ih hob gonz wos onders noh erfohren 
Das wor vor circa fieben Johren. 

Wor dozumolen noh Major, — 

Do nimm ih mir denn ernftlich vor, 
Dat meine Kinder auh wos lernen müſſen. 
Avaſchmang ift nit mehr, wie S' wiſſen, 
Beruht nit mehr auf Heldnthaten. 

Ih nim mir alio einen Gandidaten, 

Uht Tage long aud jehr zufrieden; 

Den Suntog drauf ein Heines Dejchench, 
Wo ich, wie gewöhnlich meini Freinde jeh. 
Der Gandidat auch hinbeichieden. 

Gonz nett, gonz jauber, gonz ala Bonehr. 
Ein jhwarzer Frad, auch weilfi Weite, 
Kurzum giogg, ich freu mich jehr! 

Man ſpricht jo Mandes Hin und her, 

Do miſcht der Menſch fih in die Gäſte 
Und redet mit, 

Red't leibhoft mit, 

As wär er uns gonz ebenhürtig! — 

Das pahte mir natirlih nicht! 

Ih ſchau ihm alfo grade ins Geſicht. 

Er madt ſich nir und bleibt beim Wort. 
Ih leg mein Meſſer und mei Gobel fort, 
Und richt’ mich etwas in die Hech, 

Und jeh ihn jehr bedeutend on — 


Und, meini Herrn, wann ich fo ſeh, 

Wie ich zumeilen fehen fon, 

Dann — äh — äh — äh — dann — äh — äh, 

Don bleibt mir Jeder aus der Näh! 

Doch er, er fehrt fi gor nit dron, 

Fohrt fred in dem Erzählen fort. 

Na, hier wor freili nit der Ort, 

Gehörig Büldung ihm zu lernen. 

Ich werd ihn nochmol jchorf onjehen, 

Und fong dann on, hinauszugeben, 

Und werde mich fogleih entfernen, 

Und — denten Se! — er bleibb gonz froh 
und heiter! 

Spricht nit allein — nein, ißt aud 
weiter!” 


„Ei ei,* fogg Dana, „Herr von Buag, 
Den hobn Se noh nit ongihaut gnuag! 
„Na na,“ jogg drauf da zweiti Mon: 
„Den hobns nit gugg noh ſchorf gnuag on!“ 


„Na, meini Herrn, ich jag es ja, 
Daß ih nad ihm ganz bölliich Jah. 
So fah ih auf den Menſchen nieder!" 


„Is 8 migla!“ jogg biaz ah da Britt, 
Daß er däs ausholt!t? — Ih ſcha nit. 
Und der vadomti Kerl iht weiter ?* 


„Na, ich natirlich fee mich nun hin, 

Und tichentelmentif, wie ih bin, 

Thu ftandepede einen Brief ihm jchreiben: 

Das könnt natirlid nicht jo bleiben, 

Mir thäten nit zujammenpafien, 

Und der Gandidat foll gleid mein Haus 
verlaſſen. 

Dos thut er auch, verloßt mein Haus; 

Und ich denf! mir, die Sad iſt lange aus, 

Do fumt ein Brief fo mit der Poft 

Von einem Kerl von Advocaten, 

Worin er für den Gandidaten 

Berlangt an Lohn, an Wohnung und an Koft 

Und funftigen Alimentazionen — 

Wia viel? — Nau, rothen Sie! — Zwei: 
hundert! 

Ich bin natirlich jehr verwundert 

Und jchreib ihm, er möchte mich verjchonen, 

Die Sache wär jo längit vabei, 

Und id wär gar nicht fürs Procefjen! — 

Drauf dent ih mir, 8 ift Alles in der Reih', 

Die Sad’ ift aus der Welt, Jetzt krieg ich 
unterdeflen 

Ein Schreiben der Yuftizlanzlei, 


780 


Ein’ großen Brief. Das find ih merfwürdi, 

Ih brih ihn auf — und Tel’ — ver: 
wunder mib, 

Denn, denken Sie, nun fordert das Gericht, 

Mid in der Candidateng'ſchicht' 

Vor der Kanzlei zu offenbaren!” 


„As warn Se," jogg der Erft, „a Schuafta 
warn!” 


„Na, däs wird imma netta!* fogg da Zweit, 
„0, dos fein Gſchichtn!“ moant da Dritt, 
„Dak d Herrn nir Gfceiters 3 mochn hobn, 
Mia do in oltn Feiner umagrobn, 

Ba wegn a jo an Gandidatn! 

Ah Jeß — de Herrn! De Advocain!“ 


„Nun, ich,“ ſogg Herr von Buag, „ich jet 
mih nieder — 

Der Kanzlei Director ift mein Freund, 

Und ſchreib ihm horrflein Alles wieder, 

So wär’ es nicht gemeint. 

Erzähl ihm die Geſchichte noch einmol, 

Wie ih den Menſchen dreimol ongegudt, 

Wie er dabei fih nicht gemudt, 

Und wie die Sade längft begraben; 

Und an Prozeß wollt’ ih durchaus nicht 
haben. — 

Jetzt, natirlih, dent’ ich, iſts vorbei; 

Ich hatt’ mich deutlich ausgeſprochen; 

Do, denfen Sie, erholt’ id nad vier Wochen 

Ein zweites Schreiben von der Kanzelei: 

Ih hätt’ ſchon eine Friſt verſeſſen, 

Bei Androhung von weiterem Schaden 

Werd’ ich darin zum zweitenmol geladen. 

Und ich, ich wollt’ ja nicht procefien !” 


„Wan Dana,” fogg der Erfti, „ſcha mit 
will!“ 


„Mit Gmwolt jo an Prozeh! Na das is 
3 viel,* 

Moant drauf da Zweit, „Däs is gemein!” 

Sogg ah da Dritt, „na, liaba Herr, 

Wan ih wos dreinzredn hät, ba meiner Ehr!“ 

„Mir ift die Sad’ notirlih nicht egal, 

Ich ſetz' mich hin und Schreibe nocheinmal: 

Mein erfter Brief wär" wohl verloren, 

Man jult’ mi loſſen ungeſchoren, 

Ich hätte nichts nicht mit dem Gandidaten, 

Auch nichts nicht mit die Mdvocaten, 

Die Advocaten wären Raben, 

Und an Procek wult’ ich durchaus nit haben.” 


„Recht,“ moant der Erft, „do hobns eahms 
tüchti gſogg!“ 
„Und is a Rua gewen?“ drauf da Zweiti 


frogg. 
„An Unfinn jo wos!“ ſchreit da Britti. 


„Na, denk’ ich, nun ift es abgemadt,“ 

Sogg Herr von Buag; „da, nad) at Wochen, 

Als ich ſchon lang an nichts gedodt, 

Do fummt ein dider Brief zu mir; 

Kummt mir glei nicht richtig für, 

Und als das Siegel ift erbroden, 

Da leſ' ih Euch, ih bin verurtheilt, 

Die gonzi Summe und die Koften, 

Bujammen ein recht netter Poſten, 

Den ich fogleih bezahlen follte! 

Proceß verloren, den ih gar nidt 
wollte! 

Ich gud den Brief wohl dreimal on — 

Se wiſſen, wie ih guden fonn! 

Die Sache war ja längft begraben, 

Und ein’ Proceß wullt! ih ja gar nit 
haben! 

Und nun, trogdem ihn dod verloren! — 

| Das nennt man ein Gerichtsverfohren!* 





Kleine 


Saube. 


a en 


Yor dem Bilde, 


Prolog 


zur fFejtvorftellung anläßlich der Enthüllung des Widenburg-Denfmales in Gleichen— 
berg am 22. Mai 1887, vorgetragen im Theater des Curortes*) 


verfaßt von Anton Schloſſar. 


Die Queſſennymphe fritt auf und ſpricht: 


Seid Alle froh begrüßt im fillen Thale, 
Wo edlen Heilgewäffers Gabe quillt, 
Genefung winkt aus meiner vollen Schale, 
Auf daß die Bruft zu neuem Leben jchwillt, 
Und die Ihr wandelt hier im Sonnenftrahle 
Und die Ihr athmet dieſe Lüfte mild, 
Zum ſchönen Tag, der heute und entglommen, 
Ruf’ ih den Gruß Euch zu und froh Will: 
fommen! 


Kaum ift ein Halb Jahrhundert noch ent: 
flogen, 

Da lag verödet rings hier Strauch und Baum, 

Durd wilden Sumpf nur ftille Bächlein zogen, 

Raum eine Blume nidt an deren Saum, 

Dort in der ferne mochten Felder wogen, 

Das Thal bier lag mie ein verlorner 
Traum, 

Es firih darüber nur von ſchwülen Lüften, 

Die mengten fih mit feuchten Moorespüften. 


Da kam der Mann, deß Bild jegt aus der 
Fülle 
Der duft'gen Roſen und Violen blintt, 
Er hatte raſch erkannt die ſchlechte Hülle 
Des Bodens, draus der Heilung Segen winkt 
Im edlen Tranf und in des Thales Stille 
Der morihen Bäume Zahl zu Boden fintt, 
Bald dufteten die Trauben der Syringen, 
Um deren Stamm fi andere Blüten 
ſchlingen. 


All' dieſe Au'n und dieſe Blütenbäume 
Erſtanden auf den Winf nur jener Hand, 
Sie ſchuf, daß der Genefung Quelle jhäume, 
Sie madhte rings zum Paradies das Land, 
Und immer präcdht’ger wurden dieje Räume, 
Wo der Gejundheit ftolger Tempel ftand, 
Bei dem ſich Viele aus den fernften Landen, 


Die Heilung ſuchten, hofinungsfreudig 
fanden. 

Und mehr nod hat die Thatfraft uns er: 
rungen 


Des Edlen, deifen Bild hier leuchtend fteht, 
Was feinem Walten hier im Land gelungen, 
Viel reiher Segen ward dafür erfleht, 
Ihn preijen taufend Herzen, taufend Zungen, 
Sein Name bleibt in Steier unverweht, 
Als deſſen erfter Lenker er vor Zeiten 
Das Schiff lieh ſicher durch die Wogen gleiten. 


Die Thränen, die auf feine Gruft gefallen, 
In deren Naht man drüben ihn gejentt,, 
Darob er jelber jchuf des Tempels Hallen, 
Sie mweihte ihm das Volf, das er gelenft, 
fein Steiermärler ſoll vorübermallen, 
Vergefien Keiner, was er uns geichenft, 
Was er dem Land, was er dem Reich ge: 
boten, 
Wir zählen ftolz ihn zu den beften Todten. — 


Doc galt dem Quellenthal fein tiefftes Lieben, 
Drum denfen wir nur defien, was im Gau 
Von feinem Schaffen hier uns ift geblieben, 


) Matb. Gonftantin Widenburg, dur eine Reihe von Jahren (bis 1849) Gouverneur der Steiermarf, 
fpäter Minifter, + 1880. Er ift der Begründer des Curortes Gleihenberg, woſelbſt er auch eine Kapelle 
erbaut hat, in deren Gruft er kei ift. Die Entbüllung des ſchönen Monumentes an dem oben genannten 


Tage gab Reranlafiung zu gro 
Berfönlichkeiten des Landes betbeiligten, 


artigen Feitlichkeiten in Gleichenberg, an denen ſich die hervorragenditen 


782 


Es weift dies herrlich mander ftolze Bau, 
Auf jeder Blume fteht es eingeſchrieben, 

Die aufftrebt zu des milden Himmels Blau, 
Er bot den Becher dar, aus dem wir trinten, 
Die Perlen, die im Glafe Heilung winken. 


(Der rüdwärtige Vorhang hebt fih, man erblidt die 
Büfte des Grafen Widenburg, umgeben von den Ber» 
tretern verſchiedener Nationen, die zu berfelben 
emporbliden,) 


Herbei, Ihr Völker, Kinder aller Zonen, 
Quält Euch das Leiden, ſeid Ihr matt und 


frant, 

Weilt hier im Thal, e8 wird fi reichlich 
lohnen, 

Schöpft guten Muthes dieſen Haren Tran, 


Friſchen Fröhlihen Krieg? 
(Eine Zuſchrift.) 
Lieber Heimgärtner ! 


Neulich haben wir etwas im einer 
Zeitung gelefen, das hat uns gar nicht 
gefallen. Es ift — mit Reſpect zu jagen 
— jternbligfonnenflar erlogen. „Selbit 
den unteren breiten Volksmaſſen,“ beißt 
e3 dort, „wird der gegenwärtige Zuftand 
zu arg, fie find eines faulens Friedens 
fatt und wünſchen den frifchen fröhlichen 
Krieg.“ 

Mer der Menih ift, der jo etwas 
ſchreibt, das willen wir nicht, denn jo ein 
Zeitungsichreiber drudt feinen Namen nie 
dazu, damit man ihm nicht beim Schopf 
nehmen fann und damit es ausfieht, als 
wäre das Ding nicht der Ausdrud eines 
Einzelnen, fondern die öffentliche Meinung. 
Mer aber unter den „unteren breiten 
Volksmaſſen“ gemeint ift, das wifjen wir, 
nämlich der Bauern- und Slleingewerbe- 
ftand, der deshalb jo tief unten ift, weil 
er von jeber unterdrüdt worden, und der 
deshalb jo breit ift, weil er eigentlich die 
Grundfefte für den ganzen Staat fein muß. 

Wir alſo — die unteren breiten Volks— 
maſſen — haben uns um jolche Zeitungsjachen 
niemal3 gekümmert, und ift uns jchier 
immer alles eins, was die Herren jchreiben, 
nur dab es mandmal was zu lachen gibt. 
Meil wir jedoch willen, daß Andere find, die 
in der Zeitung gerade ihr Evangelium jehen, 
haben wir uns Etliche zujammengethan 


Ihm aber, Ihr aus allen Nationen, 

Bolt Euren beften, Euren wärmften Dant, 

Ihm, deſſen Edelfinn dies Heim gegründet, 

Das feinen Ruhm längſt durch die Welt 
verfündet, 


Ya, dankbar bliden heut wir auf das Ganze 
Und danfbar ſei dies theure Haupt geſchmückt 
In Eurem Namen mit dem grünen range, 
Den weihevoll Erinnern ihm gepflüdt, 
Der Marmor drüben mahn’ im Sonnen: 
glanze 
Un den, der uns mit ſolchem Wert beglüdt, 
Der Segen, den bier alle Welt gefunden, 
Graf Widenburg bleibt ftet3 mit ihm ver— 
bunden! 


und gejagt: So eine Lug’, ald ob wir 
Bauern Krieg haben möchten, müflen wir 
doch einmal auf die Wand nageln. 

Seit die Welt fteht, bat der Bauer 
noch feinen Krieg haben wollen. Haben 
wir Sonntags einmal gerauft im Wirts« 
haus, nu, jo ift3 gemwejen, weil wir einen 
Rausch gehabt haben; am Montag find 
wir wieder nüchtern geweſen, und fleißig 
an die Arbeit gegangen. Sind Räuber 
ins Haus gebrocden oder find uns endlich 
die hohen Herren zu arg geworben, wenn 
fie uns haben wollen die Haut abziehen, 
jo haben wir auch einmal zugejchlagen, 
haben Hausrecht geübt und find nachher 
wieder an die Arbeit gegangen. 

Einen „faulen“ Frieden fennt der 
Bauersmann nicht, von einem „faulen“ 
Frieden fann nur der Müffiggänger ſprechen, 
der nicht arbeiten will und vor lauter 
Langweile ftintend wird. Solche Leute 
werden zur Friedenszeit Lumpen und Nicht« 
linge und wollen den Krieg, damit fie auch 
was leijten können, nämlich dreinihlagen 
— jonft haben fie ja nichts gelernt. Solche 
mögen fih im Krieg mandmal auch was 
ergattern. Für den Bauer ift jeder Strieg, 
auch der fiegreichfte, ein Unglüd. Wir 
wollen feinen Krieg, der Bauernftand ift 
hart genug, um unfere Kraft, unferen Muth 
zu üben, und macht der Frieden nicht faul 
und nicht fchleht — wir arbeiten. 

Und das foll man fich auch merfen: 
Nicht allein der deutjche Bauer denkt jo, 
jondern gewiß auch ber ruffiihe und der 


— ——— 


783 





türfiijhe und der franzöfijche. Der Bauer 
ift überall Bauer, er hat jeinen Grund 
und Boden und braucht den Frieden dazu 
— den frijchen fröhlichen Frieden. 

Immer liest man von der Kriegsluſt 
des franzöfiihen Volles. Von diejem 
„Volk“ muß man aber abziehen den Bauer 
und Gewerbsmann, den Gejhäftsmann, 
den Schulmann, Gelehrten, Priefter und 
Künftler, all die Weiber und Kinder, alle 
Männer, welche erwadhjene Söhne haben; 
was dann no übrig bleibt vom franzöfi- 
ſchen, Volk,“ das vielleicht will den ſtrieg, 
und macht ihn auch. Diefer kleine Ueber- 
reſt würde ihn jchwerlid machen können, 
wenn das Voll laut feinen Willen jagen 
wollte. Wenn nur Niemand hebt, dann 
ifts nicht jo gefährlich mit dem Angefallen- 
werden; wenn nur Niemand hebt, das 
Ihier im Menfchen ift micht jo ſchlimm, 
al3 man vorgibt; wenn nur Niemand 
best, die Völker wollen Ruhe haben und 
bie Feindſeligkeiten Fojten ihnen zu viel. 
Das Volk der Arbeit will feinen Krieg, 
nicht hüben und nicht drüben, und das 
ift unjere feſte Meinung. 

Wir laffen e3 gelten, für gewiſſe ver— 
lotterte Kreiſe und tolle Verfahrenheiten 
mag manchmal der Krieg wohlthätig jein. 
€3 gibt Körper, denen mitunter ein Ader- 
laß noth thut, die den Krieg brauchen, 
um den Frieden ſchätzen zu lernen, die 
gezüchtigt werden müllen, damit fie brav 
werden. Bei und Bauern ift das nidt. 
Wir müſſen einrüden, wenn wir gerufen 
werden, wir werden tapfer jein, wenn 
wirklich unjer Heimatland, unjer Herricher- 
haus, unjer Glauben in Gefahr ift — aber 
wünjchen werden wir den Krieg nicht und 
niemals, wir baffen ihn, wir fürdhten ihn 
— Gott im Himmel bewahre uns vor 
dem Krieg! 

Sollen wir uns erjt erinnern, wie e3 
in der Bauernihaft zu Kriegszeiten aus— 
fieht ? Der Boden brad, oder die Frucht 
verbirbt auf dem Feld. Klein Mann da, 
lauter Weiber, Kinder, Greije, Krüppel. 
Raubhorden, Hunger, Seuchen, Zerfahren- 
heit, Zudtlofigfeit, Elend allerart. Dazu 
der Reft von Hab und Gut noch fortge- 
nommen; was der Feind nicht nimmt, 


braudt das Vaterland. Alle Wohlhaben- 
beit und Sitte, alle Frucht der Bravbeit, 
des Fleißes von langen Jahren zerftört. 
„Gottesgeißel“ jagt der Menſch und flicht 
fie jelber und peitjcht fich jelber wie ein 
Wahnfinniger. 

Das iſt der „friſche fröhliche Krieg.“ 
Und erjt wer ein Schlachtfeld gejehen hat! 
Ich Habe es gejehen, es ift nicht möglich, 
dem, der es nicht geſehen hat, eine Vor— 
ftellung zu geben von dem unerhört Gräß- 
lien, das auf dem Schlachtfeld ift. Gott 
ift auf dem Schlachtfeld noch barmberzig, 
er läßt die Menjchen ftumpffinnig werden, 
ſonſt fönnten fie den Jammer, die Schreden 
nicht ertragen, — Unſere Söhne, die wir 
mit Liebe umgeben baben in ihrer un— 
ihuldigen Kindheit und frohen Jugend, 
denen wir die Gebote der Gerechtigleit 
und Nächſtenliebe ind Herz geprägt haben, 
die wir zu Gefittung und Glüd erzogen 
haben — dort liegen fie ächzend, mwim- 
mernd nah Vater und Mutter, nad) Ge- 
ſchwiſtern und Heimat gräßlich verftümmelt 
in der Lache ihres eigenen Blutes, oder 
bingemordet, das gebrochene Auge noch 
gegen Himmel ftarrend nach dem rächenden 
Gott. Wen trifft der Fluch? Den Mann, 
der die Kugel hergeſchoſſen hat? Nein, 
Jene, die den Krieg gemadt haben, 

Merkt es Euch, ihr Herren Weltlenfer 
und Beitungsjchreiber, wir — die unteren 
breiten Volksmaſſen — wollen den friichen 
fröhlichen Krieg nicht. Unſer Batriotismus 
ift die Arbeit. 

Lieber Heimgärtner! Wenn Sie das 
in Ihre Schrift druden wollen, jo können 
Sie davon überzeugt fein, daß Sie damit 
die Meinung und den Willen des Volkes 
ausſprechen. 


In brüderlicher Geſinnun 
ein Landmann. 





Was KRriege koften. 


Es gibt, mein lieber Landmanır, 
wohl auch Zeitungen, die nicht für den 
Krieg find. Durch ſolche Blätter geht — 
nah den Aufzeichnungen de3 berühmten 
Statiftifers Dr. Engel gemaht — eine 


Au Be 


784 


—— 


interefjante Notiz darüber, was die Kriege 
der legten 30 Jahre (mit Ausschluß des 
ſerbiſch⸗ bulgariſchen, des Tonking⸗ und 
Birmakrieges in den letzten Jahren) an 
Menſchenleben verſchlungen und an Geld— 
opfern gefordert haben. 


— — —— — — — — — — 
Zu — Ge Id» 
rear | ei: In 


Rrimtrieg . 








—— 750000 7960° 
Stalienifher Krieg von 
1. PURE 45000) 1200 
Daniſcher Krieg von 1864 3000 140 
Amerilanifhe Bürger: 
friege: 
a) Nordftaaten -.... ' 280000 18800 
b) Südftaaten ...... 520000 9200 
Deutſcher Krieg von 1866 | 45000) 1320 
Erpedition nad Meriko, 
— Maroklo, 
Paraguay... ........ 65000 800 
dagg ⸗ ranzöfifger 
Krieg: 
a) Branfreid......- 155000 12000 
b) Deuticdland...... 60000 — 
Bulgariih = ſerbiſcher 
Aufſtand ........... 235000 700 
Ruffiich » türliſcher Krieg 250000 4500 
Capkriege .. ... ....... 30000 35 
Afghanifher Krieg..... | 25000] 534 
Summe... 277 567084 


Jede Bemerkung it überflüffig. Man 
mag ſich jein Theil denken. 


Heimat und BYaterland. 
Von Theodor Vernalelen. 


Warum benennt man die Spracde 
nah der Mutter und das Yand nad 
dem Vater (Mutterſprache — Baterland) ? 
Die Mutterſprache ift die von der Mutter 
ber überfommene, und al3 die natürliche 
beimatlihe Spracde bezieht fih die Be— 
nennung bejonder3 auf die Landesmund- 
art. Mütter, die ihre Kinder fremden 
Bonnen zur Erziehung überlafjen, ver- 
dienen dieſen Ehrennahmen nidt. Die 
Väter ſtehen der Erziehung ihrer Kinder 
anfangs etwas ferner als die Mütter, 
deren Liebe und Sorge höher ift; daber 
jagt ein alter Schriftiteller: „Was der 
Mutter an's Herz gebt, das geht dem 
Vater nur an die Knie“. Der Vater 
bat mehr den Erwerb und da3 öffentliche 





Leben im Auge und man jagt mit Recht 
die „Vaterſtadt“, aber die „Mutter 
ſprache.“ 


Dieſe Betonung der Mutter und bie 
Bedeutung der Sprache derjelben und 
der Umgebung führt von jelbft auf den 
Begriff: Heimat. Das Heim bezeichnet 
da3 Haus, in dad man gehört; die 
| Mohnftätte der Eltern. Heimat ift das 
Land oder auch nur der Landitrid, in 
dem man geboren ift oder bleibenden 
Aufenthalt hat. So jagt Schiller (im 
Tell): „Leider ift die Heimat zur Fremde 
Dir geworden“. Auch in Bezug auf 
Pflanzen und Thiere, 3. B. die Heimat 
diefer Pflanze ift ungewiß. Ein Heim- 
gang ift das Gehen nah Haufe. Heim- 
garten bezeichnet ſowohl den bei einem 
Heim gelegenen Pla als aud die trau- 
lihe Zufammenkunft, Unterhaltung, wie 
fie auch dieje Zeitjchrift gewährt. 

Die Eindrüde, welde die Heimat 
gibt, find dauernd für das ganze Leben 
des Menſchen. Darum jagt Scheffel im 
Eltehard: „Der Ort, wo Tage jtrebjamer 
Jugend verlebt wurden, wirkt wie Mag- 
netjtein auf's Herz; es braucht jo wenig, 
um angezogen zu jein; nur der ift arın, 
dem das große Treiben der Welt nicht 
Zeit vergönnt, fih örtlich und geiftig an 
einem ftillen Plage niederzulafien“. 

Das Wort Vaterland enthält 
den örtlich erweiterten Begriff von Heimat. 
Letzteres ift ſowohl das Geburtsland als 
auch das Gebiet, in welchem man id 
dauernd niedergelafjen bat. Hit diejes 
Gebiet zugleih Geburtsland, jo find 
Heimat und Vaterland dasjelbe (identiſch). 
Hat man in der fremde eine neue Heimat 
gefunden, jo braucht dieje deshalb nicht zum 
Vaterlande zu werden, denn der Begriff 
Vaterland hängt mit der Geburt zu— 
ſammen. Wo ich geboren bin, da ijt mein 
Vaterland, aber jedes Land kann meine 
Heimat werden, das liegt in dem Begriffe 
von Heim. Das Geburtsland bedingt 
— mie dad Wort jhon jagt — die 
Nation (lat. natio, d. h. das Geboren 
werden, der Vollsſtamm). Die Sprade 
diefer Nation ift meine Mutterfprade 
und wer fie Ipricht, ift mein Landsmann. 


vr 


Der Begriff Nation ift erjt im neuerer 
Zeit auf das Staatlihe oder Politiſche 
übertragen, daher jpricht man fäljchlich 
von einer ungarifchen, böhmilchen ꝛc. 
Sprade, die es jo wenig gibt, als 
eine jlavifhe oder eine germanijche 
Sprache. Die meiften Staaten und mande 
Staatentheile ſchließen Bruchtheile ver- 
ſchiedener Völkerſchaften (Nationen) in 
bh, von denen im Laufe der Zeit eine 
in die andere übergebt; 3. B. Franken 
find geworben zu Franzoſen (daher der 
Name), Longobarden zu Jtalienern (Lom— 
bardei), jlavishe Stämme zu deutſchen 
u. ſ. w. Das bringen Macht; und Eul- 
turverhältniffe mit fih. Der Deutjche 
nimmt zu leicht das Fremde in fih auf, 
er bat wohl ein ftarfes Freiheit3- und 
Selbftgefühl, aber bisher hat er wenig 
nationalen Sinn bemwiefen. Er möchte 
Alles lernen und willen, und dabei ver- 
gißt er oft feine Abſtammung; er hält 
häufig Fremdſprachen für vornehm und 
lernt weit über Bedürfnis fremde 
Spraden. Der Deutjche hat einen regen 
Ausmwanderungstrieb und dabei verliert 
er jein Volfsthum und gibt jogar feinen 
ehrlihen Namen auf. Solde Perjonen 
nennt man Mechjelbälge. Sie haben den 
leichtfertigen Grundſatz: Ubi bene, ibi 
patria, oder wie ©. Brandt jagte: 
Mein Vaterland ift, wo ich bin. 

E3 kommt übrigens aud vor, daß 
einer von einem Lande al3 DBaterland 
ipricht, das andersjpradige Völkertheile 
in fih faßt, 3. B. ein in der deutjchen 
Stadt Zürich geborner und zuftändiger 
nennt wohl den Kanton Zürich feine 
Heimat, aber die Schweiz fein Vaterland; 
ein in Klagenfurt geborner, nennt Kärnten 
feine Heimat, aber Oeſterreich hat er bis— 
ber immer fein Vaterland genannt. Da- 
raus geht hervor, daß auch die politifche 
Zufammengebörigfeit in Rechnung gebracht 
wird. Der in Augsburg geborne und 
dort bürgerlich zuftändige, auch wenn er 
zeitweilig feinen Wohnfig anderswo hat, 
nennt Augsburg und Bayern jeine Heimat 
und das deutſche Reich fein Vaterland. 
Gibt er aber feine Heimatrechte auf, und 
wird zuftändig in Salzburg, fo ift diejes 


Rofegger's „‚Geimgarten‘‘, 10. Geft, XI. 








jeine neue Heimat, und erjt jeine in 
Salzburg gebornen Kinder werden wirk— 
liche Oeſterreicher. 

In gewiſſen Fällen kann ein fremdes 
Land auch ein Adoptiv-VBaterland werden, 
3. B. Fürſt Mlerander von Bulgarien 
ward durch Berufung von der Nation 
ein Adoptiv-Bulgare, Nach feinem Weg: - 
gange aus Sofia dankte er dem Bür- 
germeijter von Darmjtadt für die freund» 
lihe Aufnahme in „die theure Heimat“ 
und nannte fi einen: „Helfen“, nachdem 
er wie Peter Schlemihl jeinen Schatten 
verloren hatte. 

Wie e3 feine rein kirchlichen Staaten 
mehr gibt, jo auch feine rein nationalen 
Staaten, darum hat der Staat die Pflicht, 
gegen feine anders Gläubigen und gegen 
feine anders Sprechenden tolerant zu fein 
und jedem gewaltjamen Uebergriffe zu 
wehren. Die Gleichberehtigung der Be— 
wohner bezieht fih aber nur auf Die 
bürgerliche Stellung; ihre Spracde 
und Eultur find jelten gleihwertig. Bei 
uns in Dejterreih treiben einige Bruch— 
theile ſlaviſchen Stammes mit verjchie- 
denen Spraden, ebenjo die Magyaren 
in Ungarn nur nationale Politif; die 
Deutfchen denfen nur daran, den Gliedern 
ihrer Familie im In» und YAuslande die 
eigenthümliche Entwidlung gefihert zu 
jehen, die Entwidlung einer Cultur, von 
deren Früchten die Anjpruchsvollen fremd- 
ſprachiger Stämme jelbjt den größten 
Nutzen gezogen haben und heimlich noch 
ziehen. 

Da das deutjche Volksthum daheim 
theils wächſt, theil3 Verlufte erleidet, denkt 
man jegt mehr al3 je daran, den Auswan— 
derern die neue Heimat zu fihern. Dazu 
iſt aber nöthig, daß dieje jelbit zujam- 
menftehen und ihr Volksthum nicht auf- 
geben und mit ihrem Mutterlande die 
culturelle und materielle Verbindung 
erhalten. Dies wird dur die neuge— 
ihaffene deutihe Seemacht ermöglicht. 
Der Begriff „Vaterland“ darf nit in 
die Landesgrenzen eingezwängt werden. 
Wir Deutjhe fommen zwar jpät, aber 
wir fommen, und die Colonijationen in 
und bei New-Guinea, in Dft- und Weft- 


50 


786 


afrita, jcheinen gerade noch rechtzeitig 
unternommen zu fein, und „wo Tauben 
find, da fliegen Tauben zu.“ 


Mein Zubiläum. 
Ein literariſches Modell von Ferdinand 
Gro$. *) 


Vor einigen Tagen waren e3 fünf- 
undzmwanzig Jahre, daß ich zum erften 
Male etwas habe druden laſſen. Aus 
berechtigter Bejcheidenheit äußerte ich nichts 
über diejes Jubeldatum; die Beobachtung 
verjchiedener, in neuerer Zeit ftattgefun- 
dener Jubiläen bat mich darüber belehrt, 
wie viel Verlogenheit, faliche Biedermeierei 
und erfünftelte Rührung bei jolden Ge— 
legenheiten mitunterläuft, und ich wollte 
nicht mitmachen, was ich an Anderen weidr 
lih verladt hatte... . Nun denten Sie 
fi meine Ueberrajhung, wie ih an dem 
von mir jo jorgjam verheimlichten Felt 
tage erwache, und nachdem ich mich über- 
zeugt, daß die Sonne in mein Yung- 
gejellenheim nicht anders ſchien als jonft, 
hierauf gefrühftüdt und einen Blid in 
die Depeihen des Morgenblattes ger 
worfen — plötzlich den Entſchluß falle, 
feierlihe Toilette zu mahen .... Zu 
meinem maßlojen Erjtaunen legte ih, als 
ob das jelbftverftändlih wäre, jchwarze 
Beinkleider, ſchwarze, en coeur ausge- 
jchnittene Weſte, ſchwarzen Frad (ich habe 
feinen anderöfarbigen), weiße Gravate, 
weiße Handſchuhe an und vervollftändigte 
meinen äußeren Menſchen durch meine 
Laditiefletten, welche jpiegelblanf glänzen, 
und dur einen mechaniſchen Eylinder- 
but, der beim Aufllappen das Geräuſch 
einer losgehenden Zimmerpijtole täufchend 
nahahmt. Nachdem dies gejchehen, ver— 
ließ ich meine Wohnung, ging aber nur 
ein Stodwerf abwärts, fehrte dann zu— 
rüd, läutete an meiner Thüre und fragte 
den bdiejelbe öffnenden Diener: „Bin ich 





) Entnommen ber Sammlung „Literariihe 
Modelle und andere Geſchichten? von Ferdinand Groß. 
(Berlin, 6, Fiſcher. 1887.) Wir glauben daß neue 
Werkchen des geifivollen Ecdhriftitelle.3 nicht befier 
empfehlen zu können, als indem wir daraus bie vor« 
ftehende Eatyre unferen Leſern —— ua 

e Medi 


ihon zu ſprechen?“ Johann ſah mid 
ein wenig verdußt an, jagte wie geiftes- 
abwejend „Ya“ und ließ mich ein. Ich 
begab mich in meinen Salon, ftellte mich 
vor den Wandipiegel, machte eine tiefe 
Berbeugung und hielt an mich folgende 


Anſprache: „Verehrter Herr! Gefeierter 


Beitgenofje! Ein Vierteljahrhundert ift 
in den Schooß der Emigfeit verjunten, 
jeitdem Sie bie jeder ergriffen, die in 
Ihrer Hand ein fiegreihes Schwert ge- 
worden. (Ich machte eine abwehrende 
Bewegung, die der Spiegel getreulid 
reflectirte.) Sie errathen, weshalb id 
bier erjchienen bin. Die gebildete Welt 
fann diefen Tag nicht vorübergehen laſſen, 
ohne Ihnen einen Beweis anerfennender 
Würdigung darzubringen, ohne Ihnen zu 
erklären, daß wir Alle Ihre Bedeutung 
zu ſchätzen willen, und dab Sie fid 
jagen dürfen, fih jelbjt genug gethan 
und darum für alle Zeiten gelebt zu 
haben. Ich jpreche in Ihrem eigenen 
Namen, wenn ich Ihnen Glüd und Heil 
wünſche auf den weiteren Wegen Ihres 
Lebens und Schaffens. Das Selbit- 
bewußtjein ift das ſchönſte Bewußtſein, 
das eines tüchtigen Mannes Bruft zu 
erfüllen vermag. Darum lafjen Sie fih 
in Ihrer enthufiaftiichen Beurtheilung Ihrer 
bisherigen Wirkſamkeit nicht irre machen 
dur Eritifche Nergeleien von Seiten Un- 
berufener! Beachten Sie nicht Gegner- 
ihaften und Feindlichkeiten, welche fi 
würdig zu drapieren meinen, indem fie 
fih auf jahlide Gründe ftügen! Hören 
Sie nicht auf die Ffeifenden Stimmen 
Derer, welche Ihnen den Lorbeer, den 
Sie fih aus Weberzeugung um’3 Haupt 
geflochten haben, ftreitig machen möchten ! 
Bliden Sie nit nad aufwärts, fondern 
nah abwärts, und Sie werden nidt 
wanfend werden in der großen Werth— 
ſchätzung, mit der Sie fich beehren ! Brauche 
ih Ihnen heute Ihre Verdienfte einzeln, 
eines nad dem anderen, aufzuzäblen, um 
darzuthun, wie viel Urſache Sie haben, 
auf fich ftolz zu fein? Sie ftellen wenige 
Menſchen jo bod, wie fi, und zwar 
mit vollem Rechte. Jede Zeile, die Sie 
jchreiben, gilt Ihnen als Ausfluß eines 


- 


‘ 


hohen Geiſtes. Sie willen, daß Ihre 
Leiftungen immer von einer edlen Ten— 
den; getragen find, und mo Gie dieſe 
nicht auf deu erften Blick erkennen, da 
nehmen Sie lieber Mangel an Verftändnis 
al3 den wirklichen Abgang einer jolchen 
Tendenz; an. Früher oder jpäter ent- 
deden Sie doch, was Ihnen auf den 
erften Blid verborgen blieb, und erjcheint 
die Stunde, in mwelder auch Ihre an- 
fänglih verfannten Leiftungen zur Gel- 
tung fommen und fi Ihren enthufia- 
ftiihen Beifall erringen. Es ift feine 
Phrafe, ſondern der Ausdrud innerfter 
Ueberzeugung, wenn ich Ihnen verfichere: 
Sie dürfen mit Beruhigung auf das ab- 
gelaufene Vierteljahrhundert zurüdbliden. 
Sie dürfen ſich zugeftehen, daß Sie Ihr 
Können während diejer Zeit in einer Weije 
verwendet haben, die Ihnen Ihre rüd- 
baltloje Achtung abringen muß. Bliden 
Sie um fich (ich befolgte diefen Rath), 
und Sie werden Niemanden gewahren, 
aus defjen Auge Neid oder Mikgunft 
ſpricht, Sie werden feiner Miene morofer 
Mipbilligung begegnen. Prüfen Sie jeden 
Schritt, den Sie durch fünfundzwanzig 
lange Jahre gethan, und Sie werben ſich 
bie allgemeine Achtung nicht verfagen. 
Eie ftehen im Hochſommer Ihres Lebens 
(ih trodnete mir den Schweiß von der 
Etirne), in voller Kraft genießen Sie 
die Früchte Ihres Strebens und Ringens, 
und vorausfichtlih werden Sie auch im 
Herbft und im Winter Ihres Erdenwandels 
ebenjo Nütliches, ebenjo Lobensmwerthes 
zu Zage führen, wie bis nun. Was ic 
beute bier thue, ift mur die natürliche 
Eonjequenz Ihrer Laufbahn, die an einer 
bedeutungswollen Scheide angelangt iſt. 
Nach Ihren Antecedentien konnte es nicht 
anders fommen, al3 daß Sie zu Ihrer 
filbernen Hochzeit mit dem Schriftthume 
fih die herzlichſten Glückwünſche zollen 
mußten, bictirt von einer Liebe zu Ihnen, 
die Niemand wärmer empfindet als Sie. 
Es hätte nicht mit rechten Dingen zu— 
gehen müflen, wenn Sie dieſe Gelegenheit 
nit benüßt haben würden, um endlich 
einmal auszufprecen, was Ihnen jo lange 
im verjchwiegenen Bujen gewohnt. Sie 


87 


erfüllen eine heilige Pflicht, wenn Sie 
fih heute den Tribut des Dankes ent- 
richten für al’ das, was Sie in- zwei- 
einhalb Jahrzehnten bervorgebradt. Ich 
weiß, dab Sie fein Freund vieler Worte 
find. Deshalb begnüge ih mid, Sie 
meiner Verehrung zu verfichern und den 
Wunſch auszubrüden, daß Sie fih nod 


lange, lange Zeit mögen erhalten bleiben,’ 


friih an Körper und Geift. Der Jubilar 
lebe hoch, hoch, Hoch!“ Ich fiel in diefen 
Ruf einftimmig ein. Nun wollte ich 
danken, aber die Stimme verjagte mir 
vor Rührung; ich hatte feinen Grund, 
an der Ehrlichkeit des joeben Gehörten 
zu zweifeln, und deshalb bewegte e8 mich 
in der tiefften Seele. Ich jchüttelte mir 
mit der Rechten mehrmals die Linfe und 
jftammelte, während ih in Thränen aus 
brad, unzufammenhängende Saptheile. 
„Ihre Güte überfhägt mein Verdienſt, 
weldes nur . . . Können ſchwächer als 
Wollen... . nicht gefaßt auf ſolche Wür- 
digung . . . verjpredhe, auch fernerhin 
mih dem Guten, Schönen und Wahren 
zu widmen . . . Ihre mir unvergeßliche 
Rede wird mich anjpornen .„.. . ich bin 
unfähig, ganz unfähig ... . taufend Dank 
Ihnen und Ihren Gefinnungsgenofien ... 
ein folder Tag entihädigt für alle Un. 
bil ... ich hätte nie geahnt, daß eine 
jolde Ehre . . . jeßt gebe ich neugeftärkt 
wieder an die Arbeit . . . mein feuchtes 
Auge mag Ihnen jagen, was meine Lippen 
nicht verdolmetihen können .„ . . ver- 
zeihen Sie, daß ih weich werde... . 
Leben Sie wohl.“ 

Ich athmete erleichtert auf. Die Scene, 
auf die ich nicht vorbereitet gewejen, hatte 
mich tief ergriffen. Alles hätte ich mir 
eher träumen laſſen, als daß ich mir zu 
meinem Jubiläum in jo berzlicher Art 
gratuliren würde. Nachdem der Schleier 
des Geheimnifjes nun einmal gelüftet war, 
hatte ich feine Urſache mehr, Berjtedens 
zu spielen. Ich lud mich daher theil- 
weiſe zu einem feinen Frühſtück, theil« 
weiſe zum Mittagefjen und theilweije zum 
Souper ein. Zum Wrübftüd Tieß ich 
mir das Beſte jerpieren, was ein menjd- 
liher Magen des Morgens vertragen kann. 


50* 


» 


788 


Toaſte wurden der frühen Stunde wegen 
nicht ausgebradt. Ih ließ nur einige 
auf den Anlaß bezügliche Anjpielungen 
fallen, die ih lächelnd aufnahm, ohne 
näher darauf einzugehen. Nach dem Früh— 
ftüd zog ich mich in mein Arbeitszimmer 
zurüd, bedeutete dem Diener, daß ich für 
mich nicht zu fprechen fei, und bejchäftigte 
“mi zwei Stunden hindurch ruhig und 
gejammelt wie jonft. Aber man weiß, 
was ein Jubiläum mit fih zu bringen 
pflegt: eine Fluth von Telegrammen, 
Briefen, Karten, Geſchenken u. ſ. w. Da 
ih von dem Jubiläum ſchon Notiz ger 
nommen hatte, durfte ich dieſem Beiwerk 
nicht entgehen. Aber da ich die gratu« 
lierende Menge bei mir vertreten hatte, 
mußte ich nun auch beforgen, was eigent* 
lib die Sade Anderer gewejen wäre. 
Ih raffte zujanmen, was fich in meiner 
Wohnung an fremden Viſitkarten fand — 
e3 waren etwa hundert — ſchrieb auf 
jede einige pallende Zeilen, couvertierte 
fie, fette auf die Couverts meine Adreſſe 
und jchidte fie zur Poft. Dann verfaßte 
ich zwei Dugend Telegramme, in Berjen 
und in Proſa, jomohl mit der Unter« 
jchrift guter Freunde wie auch von fern. 
ftehenden Berühmtheiten, mit denen ich 
nie in irgend eine Berührung gefomnıen, 
endlihd anonyme, mit den unbeftimmten 
Bezeichnungen: „Einige Berehrerinnen“, 
„Eine Dame, die fih nicht nennen darf” 
u. dgl. m. Ich trug Johann auf, die 
Depeſchen gleich erpedieren zu lafien; ferner 
gab ich ihm den Befehl, für fünfzig Gul- 
den Bouquet3 zu kaufen, fie nah Haufe 
zu jchiden, mir aber vorher nichts davon 
zu jagen. Rechtzeitig erinnerte ich mich, 
dab ein Jubiläum ohne Ehrengaben ein 
unvolllommenes wäre. Ich ging alfo 
aus, nachdem ih Straßenkleider genommen 
— nur fein Auffehen! — und faufte: 
ein filbernes Tintenzeug; eine goldene 
Feder, einen filbernen Lorbeerfranz (e3 
war zu fpät, um auf die einzelnen Blätter 
die Titel meiner Bücher gravieren zu 
laffen, aber ich werde das Verſäumte 
nachholen); einen Spazierftod mit einem 
Griffe aus Maladit; einen geftidten 
Rolfter; eine Schlummerrolle ; ein Paar 


Pantoffel mit prächtiger Ornamentif; eine 
altdeutjche Bierfanne mit zwölf Trintglä- 
fern; ein Eigarren-Etui aus Hundsleder; 
ein Rauchzeug aus cuivre poli; einen 
engliichen Regenihirm. Für jedes diefer 
Geichenfe miethete ich einen PDienftmann, 
dem ih einjchärfte, meinem Johann zu 
erklären, er wiſſe nicht, wer ihn jchide, 
er babe nur den Auftrag, den Gegen: 
ftand mit einer böflichen Empfehlung 
abzugeben... Auf dem Heimmege weidete 
ih mich an der Wahrnehmung, wie gut 
e3 mir gelungen, die Welt zu täufcen. 
Unbeachtet gieng ich durch die Straßen, 
Niemand deutete mit Fingern auf mic, 
die Leute jahen mir nicht nad und 
flüfterten nit: „Das it er“ — ih 
lachte ſchlau in mich Hinein, denn ich 
wußte, wie Alles anders gelommen wäre, 
wenn ich gewollt hätte. Zu Haufe an- 
gefonmen, fand ich etwa Hundert BVifit- 
karten, ein paar Dutzend Telegramme, 
zehn Bouquet3 zu fünf Gulden und al’ 
die Geſchenke, die ich eingelauft hatte. So 
etwas macht Einem freude — ich leugne 
nicht, daß dieſe Beweiſe meiner Popu— 
larität mir einige Befriedigung gewährten. 
Ein wenig eitel find wir ja doch Alle, 
warum follte ih eine Ausnahme bilden ? ! 
Ich öffnete die Couvert3, las die Karten 
und die Zelegramme, beſichtigte die 
Blumenfträuße und die Präfente, und jo 
fam die Zeit des Diners. Diejes hatte 
ih ausnahmsweiſe nicht zu Haufe kochen, 
fondern aus einem nahen Reftaurant 
holen lafjen. Das Menu war folgendes: 


Potage: Tapioco. — Mayonnaise de 
poisson. — Boeuf braise au macaroni. 
— Asperges à la Polonaise. — Oison 
röti. — Salade..e — Dessert. — 
Getränfe: Old Sherry. — Chäteau 
Larose. — Hautes - Sauternes. — 


Heidsick monopole.. — Ich legte raſch 
wieder Felt-Toilette an, wie es fih für 
ein Yubiläumd» Diner geziemt. Dann 
betrat ih mit Haltung mein Speije- 
jimmer und begann alsbald in bewegter 
Stimmung zu eſſen. Als ich beim Cham« 
pagner angelangt war, klopfte ih mit 
dem Mefjerrüden an das Gtengelglas, 
erhob mich und ſagte: „Mein Herr ! 


789 


Da ih Ihnen (ich jage ſonſt nie „Sie“ 
zu mir, diesmal jcheint die Jubiläums» 
Atmoſphäre mich dazu gebradt zu haben) 
heute Morgens jchon nach meinen Schwachen 
Kräften dargelegt, was ich von Ihnen 
halte, und wie jehr ich die Bedeutung 
des heutigen Tages für die deutiche Nation 
zu würdigen weiß, bin ich jet gerne 
beſchränkt (ich lachte herzlih) und leihe 
nur der Hoffnung Worte, daß Sie über 
fünfundzwanzig Jahre ebenjo froh und 
lebensluftig mit ſich beifammen ſitzen 
werden. Ich bin Ihrer Zuftimmung ge 
wiß, wenn ich erkläre, daß Sie eine 
Zierde der Menschheit find, und wenn 
ih in diefem Sinne mein Glas leere auf 
Ihr ferneres Mohlergehen.” Ich hatte 
vor diefem furzen, aber kräftigen Speech 
ein zweite Glas gefüllt, um nad Gebühr 
anftoßen zu fönnen. Nachdem das ge- 
fchehen, entgegnete ih: „Die Aufregungen 
diefes Tages find zu groß, als daß ich 
im Stande wäre, die Gefühle, die mich 
durdftrömen, in mwohlgejegter Rede zu 
verfünden. Erlaijen Sie mir jede weitere 
Antwort. Ich kann nur jagen: Ich danfe 
mir, ih danfe mir,“ 

Nun war e3 mit meiner Kraft wirklich 
zu Ende. Ueberdies hatte ich eine große 
Flaſche „Heidsick monopole* ausge. 
trunfen — ich legte mich auf das Sopha 
und jchlief bis zum Abende wie ein Er- 
ichofjener. Nach dem Erwachen fragte ich, 
ob Jemand mich gejucht. Niemand. Briefe ? 
Auch nit. Das war mir eben recht. Ich 
Heidete mich für die Straße um und 
begab mid in einen angenehmen Hotel» 
garten, um das Feſt⸗-Souper im Freien 
abzuhalten. Gaftfreundlih wie ich bin, 
ließ ich mir einige meiner Lieblingsgerichte 
jerviren, trank auch mehrere gute Tropfen 
dazu — hielt aber feine Rede, weil ſich 
das vor jo vielen Leuten nicht gejchidt 
hätte. Ganz im Stillen ftieß ich mit 
mir auf meine Oejundheit an, einige 
toaftähnliche Wendungen dachte ich mir, 
ohne die Lippen zu öffnen, that aber 
fonft nicht3 dergleichen. Gegen Mitter- 
nacht, bei lieblich abgefühlter Temperatur, 
bezahlte ich meine Rechnung. Dem Kellner 
gab ih einen Gulden Trinkgeld. Er 


machte Miene, zu jprehen ... Ich unter» 
brach ihn: „Es ift gut; ich weiß, was 
Sie auf der Zunge haben — Sie wollen 
mir die Ehren-Mitgliedichaft des Kellner- 
vereined antragen. Ich danke Ihnen, aber 
ih muß ablehnen, weil ich jonft andere 
Vereine beleidigen würde, die mich gewiß 
auch gerne al3 Ehrenmitglied hätten. 
Laſſen Sie es gut ſein.“ ... Einfach 
und ſchlicht verließ ich den Hotelgarten. 
Wer mich jo dahingehen ſah über das 
Pflafter, auf den Beinen geradeaus, ber 
mochte nicht ahnen, was ich Hinter mir 
hatte. Ich hütete mih, den Jubilar 
berauszufehren, Unterwegs überlegte ich, 
es wäre doch gut, wenn ich diefem Tage 
ein bleibendes Denkmal jegte, dauernder 
al3 filberne Tintenzeuge, Cigarren-Etuis 
aus Hundsleder, Spazierftöde mit Griffen 
aus Maladit u. j. w. Zuerſt hatte ich 
die dee, ein anſehnliches Gapital zu 
einer Stiftung für arme Schriftfteller zu 
verwenden. Aber rajch wurde ich mir 
Har, daß zu eimem jolchen Acte nichts 
als jchnödes Geld gehöre, und daß ich 
etwas MWerthvolleres opfern müſſe. Da 
durchzudte mich ein Gedanfe... Ich 
ftürmte, ich rafte, ich flog nah Haufe — 
füllte das filberne Schreibzeug mit Tinte, 
tauchte die goldene Feder hinein, ſetzte 
diefe auf das Papier und ſchrieb den 
Titel eined Buches nieder, an dem ih 
nunmehr fleißig arbeiten will: „Ich, mein 
Leben und mein Wirken.” E3 wird eine 
Feſtſchrift aere perennius werben. 

Nachſchrift. In der freude über 
diejes literarifche Project hätte ich beinahe 
vergefjen, meinem Jubiläum den unver« 
meidlichen Abſchluß zu geben. Ich thue 
das, indem ich alle Zeitungs=-Redactionen 
um freundliche Aufnahme folgender Zeilen 
bitte: „Deffentlicher Dank, Bei Gelegen- 
beit meines Jubiläums find mir von 
mir jo viele Beweiſe von Theilnahme 
und Mohlwollen zugegangen, daß id 
mich außer Stand jehe, mir für jedes 
Liebeszeichen bejonder3 zu danfen. Ich 
ergreife daher diejen Weg, um mir den 
aufrichtigen Dank von Nah und ern 
auszudrüden.“ 


790 


Wie der Profeflor zu feiner Fran kam, 


Es foll zu den gewöhnlichen Dingen 
gehören, daß gelehrte, geiftig hochſtehende 
Männer bei der Wahl einer Lebensge- 
fährtin ſich für ganz einfache, ſchlicht er- 
zogene trauen entjcheiden, Auch ich Fannte 
mebrere Beijpiele bievon, war aber doch 
höchlichſt überrafcht, als ich bei furzer 
Anweſenheit in der Univerfitätsftabt 9. 
ganz zufällig die Gattin des berühmten 
Spracdgelehrten und Handſchriftenkenners 
W,...n fennen lernte. Das war ſchon 
mehr als einfach und jchlicht ; diefe Frau 
mit der vierfchrötigen Figur, ben ent« 
jhloffenen Bewegungen, den braunrothen 
Wangen und Händen und vor allem der 
urwüchfigen Mundart erinnerte nicht jo 
wohl an eine befcheidene, vielleiht länd— 
lihe Erziehung, fondern vielmehr an den 
Beſen und das Kafferoll; — jeder Zoll 
war ein Küchendragoner. Jch mußte meine 
Verwunderung gegen Andere ausſprechen 
und erfuhr, als ich die Frage aufwarf, 
wie der gelehrte Herr zu folder Frau 
getommen, Folgendes: 


Der Profeffor war ſchon den Fünf— 
jigen nahe, ohne je an eine Vermählung 
gedacht zu haben; feine einzige, ſchwär— 
merifche Liebe gehörte den alten Büchern 
und Handſchriften, die er im feiner Jung- 
gejellenwohnung aufhäufte, und feine heißere 
Wallung fannte jein Herz, als wenn er 
irgend ein verjtäubtes, ſeltenes Stüd in 
Schweinsleder entdedte und womöglid in 
feinen Beſitz bradte. Den Heinen Haus- 
halt bejorgte jeit Jahren die biedere 
Köchin Augufte, eine Jungfrau von nahezu 
feinem Alter. Sie kannte alle feine Ge— 
mwohnbeiten, alle jeine bejcheidenen Bebürf- 
niffe; ja, als fie eines Tages beim Ab- 
ftäuben der Bücher einen Blid in das 
eben aufgefhlagene that und es als 
Sammlung alter Voltslegenden und ro- 
mantifcher Sagen erfannte, begann fie fi 
fogar für die Schäge ihres Profeflors 
zu intereffieren. Ohne Rüdfiht auf den 
Inhalt, nur nach dem vielverjpredhenden, 
d. h. vermitterten Aeußeren jehend, faufte 
fie für ihre Erſparniſſe alle alten Bände 
ein, die ihr in den Weg famen und war 


ſtolz auf ihren geheimen Beſitz, wie der 
Profeffor auf feine Bibliothel. Eines Tages, 
da fie mit ſolchen Einfäufen beladen nad 
baufe fam, wurde fie durch ihren Herrn 
gerufen, jo daß fie fich nicht die Zeit 
nahm, abzulegen, jondern mit den Büchern 
in's Zimmer trat. Eins derſelben fefjelte 
fogleih die Aufmerkſamkeit des gelehrten 
Herrn; er nahm es zur Hand und be- 
fihtigte e3 voll Neugierde. Aber mie 
leuchtete fein Auge in freubiger Ueber- 
rafhung, als er darin die äußerft jeltene, 
erfte Ausgabe eines berühmten Wertes, 
ein wahrhaft unbezahlbares Stüd er- 
fannte. 

„Wie viel haben Sie dafür gegeben ?* 
fragte er, zitternd vor Spannung, die 
Köchin. „Dreißig Kreuzer," erwiderte 
Augufte. 

„Dreißig Kreuzer !* jchrie der Pro- 
feffor außer ſich; „was denken Sie? 
Dieſes Werk ift ein paar taufend Gulden 
wert." In diefem Augenblide fiel ihm, 
leider zu jpät, ein, wie thöricht er ge- 
wejen, den Preis des Buches zu ver- 
rathen, und er beeilte fi, fein Wort 
zurüdzunehmen. „Das beißt, Auguſte,“ 
fagte er Eleinlaut, „ich bin bereit, Jhnen 
zehn Gulden dafür zu geben.“ 

„Aber, Herr Profeffor,“ wandte die 
Köchin ein, „Sie fagten mir eben, dab es 
ein paar taufend Gulden wert fei; geben 
Sie mir zweitaufend, jo ift es das Ihre.” 

Der Profeſſor hatte auf eine foldhe 
Ausbeutung feiner Unvorfichtigleit nicht 
gerechnet ; er bot hundert Gulden, zmei-, 
drei«, fünfhundert, — Augufte war nicht 
zu erweichen. — Er jeufzte. 

Mas war zu thun? Konnte, durfte 
er das foftbare Kleinod in den Händen 
der Ungelehrten laſſen? Nein, e3 mußte 
jein werden um jeden Preis. Aber mie? 
In feinem Beſitz war nicht die geforderte 
Summe, wie jollte er die Habſucht der 
Unerbittlichen befriedigen ? Blutenden Her- 
zens ſah er, wie fie das Buch feiner 
Wünſche forttrug, mit abjchweifenden Ge» 
danken kehrte er zu feiner Arbeit zurüd. 
Plötzlich haftete fein Blick auf einem 
Morte; das Wort „Gütergemeinſchaft“ 
war e3! Gütergemeinihaft! Mann und 


— 


791 


Weib im gemeinfamen Genuffe jedes noch | Nothwendigfeit dient diefer al3 Richt. 


fo Heinen BefigthHums, — mas ihm ge 
hört, gehört auch ihr und umgekehrt, — 
wenn Augufte feine Yrau wäre, dann 


ſchnur bei der Verwerthung jener. 
- 


* - 
Groß ift der Mann, der dem Bater- 


wäre das Buch fein; bah, warum denn | land weite Örenzen geichaffen ; doch größer 
nit? Sie beforgt ihm Alles fo gut, wie |ift der, welcher die Grenzen ber Welt 
ihwerlih eine andere, und das gleiche | ausgedehnt hat. 


Interefje für wertvolle Bücher ſchien fie 
zu bejeelen, warum follte er nicht heiraten ? 
Wie leicht konnte ein Anderer ihre Ber 
kanntſchaft maden und mit ihrer Perjon 
au das Buch, — das theure, einzige, 
unſchätzbare Buch in jeinen Befik bringen ? 
Nein, das durfte nicht fein; der Ent- 
ſchluß des Profeſſors war unwiderruflich, 
und er ließ nicht drei Tage verftreichen, 
ohne die Werbung anzubringen, die mit 
Erftaumen zwar, aber aud mit allem 
Aufwande verjhämten Erröthens, deſſen 
die braunen Wangen noch fähig waren, 
bochbeglüdt angenommen wurde. 

Die Hochzeit hat denn aud bald 
ftattgefunden, der Profefjor hat das Buch 
al3 Morgengabe erhalten und auch jonft 
die Ermwartungen, die er von feiner 
Lebensgefährtin hegte, nicht getäujcht ge- 
jehen. Sein Leben ift im Ganzen unver» 
ändert geblieben, nur bin und wieder 
bat er den kleinen Aerger, in den Bliden 
des Fremden die Frage zu lefen: Wie 
iſt nur der gelehrte Mann zu diejer Frau 
gefommen ? L. (2. 2.) 


Sprüche und Gloffen. 
Bon R. Zopf. 


Wir haben einerlei Metier, jagte ber 
Pfaffe, da er den Hirten bei der Schaf- 


ſchur antraf. 
”* 
+ 


* 

Wenn Glüd foviel bedeutet als Zu— 
friebenbeit, jo ift Befcheidenheit die Vorbe— 
dingung des Glüds. 

* 


* * 

Die Exiſtenz der Welt und ihre 
Form iſt die Wahrheit und die Folge 
davon die Nothwendigleit. 

* 


* * 
Wahrheit iſt der Brunnen, aus dem 
die Weisheit ſchöpft; das Geſetz der 


+ 


* * 
Kriegslorbern ſchimmern blutig. 
* 


* * 

Die größte Sünde derjenigen, welche 
die Geſchicke der Völker leiten, iſt: Die 
Menſchen durch Nichterziehung in Dumm- 
heit zu laſſen, oder dieſelben durch falſche 
Erziehung zu verdummen. 


Geiſtige Frühreife. 

Ueber dieſen für Erzieher hodinterej- 
fanten Gegenftand veröffentlicht Paul Rade- 
ftod inder „Deutjchen Revue” (Sept.1886) 
eine beachtenswerte Studie, der wir Fol, 
gendes entnehmen: 

Wo möchte e3 Eltern geben, welde 
die bei ihren Kindern frühzeitig zu Tage 
tretenden Anzeichen einer hohen geiftigen 
Begabung nicht mit lebhafter Freude be- 
grüßen? Wenn auch Lehrer oft jo grau- 
ſam find, nicht in das Urtheil der Eltern 
einzuftimmen, wenn fie feine außerordent- 
lihen Anlagen an dem Anaben bemerken 
wollen, ja wenn ber falte und nüchterne 
Verftand der Mutter zumeilen jelbft zu- 
flüftert, daß andere Kinder von gleichem 
Alter eben jo große, wenn nicht größere 
intellectuelle Yortfchritte gemacht haben al3 
ihr eigenes — jo läßt fih das Herz der 
Mutter doch ſchwer überzeugen, daß ihr 
Kind nit ein Mufter von Klugheit fei, 
dab der jugendliche Kopf, der fich einft 
an ihren Bufen gejchmiegt, nicht etwas 
Ungewöhnliches und ganz Beſonderes berge. 
Liegt aber feine derartige Täuſchung vor, 
die etwa das Mutterauge geblendet, ftime- 
men nicht nur Freunde und Belannte, 
fondern auch der Lehrer in die Anficht der 
Eltern ein, oder machen fie diefelben wohl 
gar erjt richtig darauf aufmerfjam, daß 
ihr Sohn eine ungewöhnliche Begabung 
befige, ein frühreifes Genie fei, zu außer— 


orbentlihen Hoffnungen und Erwartungen 
berechtige, dann fennt wohl, wenn aud‘ 
ber Vater die freude darüber nur innerlich 
genießt, den Stolz in der ftillen Bruft 
verfchloffen hält, der Jubel der Mutter 
feine Örenzen. 

Wenn aud die Eltern das Kind mit 
janften Worten vor allzugroßer Anjtren- 
gung warnen, jo ſehen fie es doc nicht 
ungern, wenn der mit einer hohen Be- 
gabung meift verbundene Drang zu fteter 
intellectueller Bejchäftigung dasjelbe zu 
reger Thätigfeit antreibt und es weniger 
am Spiele jeiner Altersgenofjen als am 
Lernen Vergnügen finden läßt. Und das 
Kind empfindet ja jelbjt Freude und Ger 
nugthuung darüber, daß es den Kreis 
jeiner Kenntniſſe immer mehr erweitert 
und alle Alterögenoffen jchnell und bei 
weitem überflügelt. So lernt es denn 
immer eifriger, e3 übt das Gehirn auf 
Koften aller andern Organe und — legt 
dadurch den Grund zu jpäterer Krankheit 
des Körpers oder Geiſtes. Oder wenn, 
wie e8 oft der Fall ift, der Krankheits— 
feim infolge von Vererbung bereits jeit 
der Geburt in ihm liegt, jo läßt es ihn 
bald und jchnell wachſen, es weiß den 
Wert eines gefunden Körpers noch nicht 
zu jchäßen, raftlos und nicht achtend des 
öfteren Unwohlſeins jtrebt e3 weiter und 
— fällt dem Siehthum oder einem frühen 
Tode anheim. Seine Kränklichkeit erfüllt 
die Mutter mit Beſorgnis und Angſt, fie 
ſucht den Liebling vor allen rauhen und 
ſchädlichen Einflüffen zu bewahren, welche 
nad ihrer Meinung die Krankheit veran- 
laßten und befördern; das Hauptmoment 
aber, die geijtige Anftrengung, wird meijt 
zu wenig oder zu jpät berüdfichtigt, Nur 
wenige Eltern befigen genügende Einficht 
und Energie, mit Strenge, mag fie zumeilen 
auch hart erjcheinen, darüber zu wachen, 
dab die allzujchnelle geiftige Entwidlung 
des frühreifen Kindes mehr gehemmt und 
gehindert, als gefördert und etwa noch 
beichleunigt werde, daß fie in ber Hebung 
der förperlichen Organe und der Aus- 
bildung ihrer Functionen ein gewiſſes Ge— 


und bei deſſen Thätigkeit hauptjählich 
verbraucht, ſondern, gleihmäßig vertheilt, 
auch in anderen Gebieten zur Wirkfamfeit 
fommen, zu anderen Leiftungen verwendet 
werden. So müſſen denn mande die bittere 
Erfahrung machen, dab der Götter Lieb- 
linge, die auch ihren beſten Schaf bildeten, 
früh jterben, daß die Freude über deren 
außerordentliche Begabung ihnen nicht un- 
vermischt zutheil wurde, ſondern ſchon 
Leiden in fih barg und die Quelle noch 
größerer Leiden wurde. Wie drüdt aber 
vollends die Laſt der Vorwürfe, die fi 
Eltern, Erzieher und Lehrer machen müffen, 
wenn fie fich nicht davon freifprechen können, 
daß fie hochbegabte, frühreife Kinder zu 
übermäßiger Anftrengung in zartem Les 
bensalter anjpornten, dab fie das Be— 
ftreben hatten, aus ihnen „Wunderkinder“ 
zu machen, die durch eminente Leiftungen 
in ungewöhnlich früher Jugend die Welt 
in Erftaunen jeßen jollten, — fie als 
leuchtende Beijpiele ihrer glänzenden Un- 
terrichtserfolge hinzuftellen. 

Geihichte und Erfahrung lehren, daß 
oft diejenigen, welche im jpäteren Leben 
fih dur eine ungewöhnliche Geiftestraft 
auszeichneten und ihre Zeitgenojjen in in— 
tellectueller Beziehung weit überragten, bie 
das Alter erreihten, um die in ihnen 
liegenden herrlichen Anlagen vollftändig zu 
entwideln, auszubilden und zur Reife zu 
bringen, ihre Anftrengungen von Erfolg 
begleitet und belohnt zu jehen und deren 
Früchte zu genießen, die Werke jchufen, 
welche das Staunen und die Bewunderung 
nicht nur ihrer Mitmenjchen, jondern auch 
fpäterer Generationen nah vielen Jahr— 
hunderten noch erregten, — daß viele 
folder Geifteshelden in ihrer frühen Jugend 
nicht gerade eminent vor andern bervor- 
ragten. Newton, der Entdeder des Gra— 
vitationägejeges, einer der größten Ger 
lehrten aller Zeiten, war nach jeiner eigenen 
Angabe als Knabe in der Schule zu Gran— 
tbam wenig aufmerffam und längere Zeit 
einer der Unterften. Erjt als der Schüler, 
der über ihm war, eines Tages ihm einen 
jo harten Stoß gegen den Unterleib ver- 


gengewicht erhalte, dab die Kräfte des jepte, daß er heftige Schmerzen fühlte, 
Organismus nicht im Gehirn concentriert | wurde fein Ehrgeiz erregt und jein Fleiß 


793 


ein größerer; um biejen brutalen Burfchen | in früher Jugend mannbar find, die Gei- 
zu überholen, fing er eifrig zu arbeiten | ftesfräfte meift in der Entwidelung zurüd- 


an und machte befjere Fortichritte. Als 
er fünfzehn Jahre alt war, nahm ihn jeine 
Mutter nah Haufe, damit erDefonom werden 
und ihr in der Verwaltung des Gutes bei- 
jtehen ſollte; da ihm dies aber wenig zu— 
ſagte und er fich lieber mit Büchern und 
mechaniſchen Erfindungen als mit der Land- 
wirtichaft beichäftigte, ließ ihn die Mutter 
nad) der Schule zurüdfehren und zu feinem 
Glücke die Laufbahn eines Gelehrten wählen. 

Klopfitod und Schiller zeigten im Kna— 
benalter nicht die Spuren der künftigen 
Größe. 

Man weiß von manden, jpäter be- 
rühmt gewordenen Männern, daß fie als 
Knaben nichts verſprachen, wie jtumpf und 
müßig oder träumerisch in den Schul» 
bänfen faßen, unter den Kameraden 
liefen. 

Man hat leichter gejcheit jein, wenn 
man oberflählih ift; in welchem Gründ- 
liches wogt, der braucht Zeit zur Ab- 
Härung und Berichtigung der Gedanken 
duch den Perftand. 

Aus gejheiten Kindern werden nicht 
jelten dumme Menſchen. — Könnte e3 
nicht für mande Eltern und Erzieher ein 
warnendes Zeichen jein, daß z. B. junge 
Lämmer Hlüger in die Welt hineinjchauen 
als ein altes Schaf? — Umgefehrt ver- 
nimmt und erfennt oft der Lehrer zu jeiner 
großen Verwunderung, daß aus einem 
jrüheren dummen Schüler und Zögling ein 
Eluger, geiftig bedeutender Mann geworden. 
Rouffeau weist im „Emil“ mit Recht 
darauf bin, daß bei den Kindern ber 
Mangel an Faljungsfraft, überhaupt die 
wirflihe Dummheit ſchwer zu unterjcheiden 
jei von der jcheinbaren, welche Bedeutendes 
anfünbige; daß das zu leichte Lernen die 
Urjahe des Nerderbens der finder bilde 
und eigentlich beweije, daß fie nicht3 lernen, 
weil ein wirkliches Aneignen und Verar— 
beiten eben Zeit erforbere. 

Geiftige Frühreife zeigt fich nicht jelten 
bei ferophulöjen und rhachitiſchen Kindern ; 
fie beruht meift auf nervöjer Eonftitution. 
Wie bei denen, deren Körper ſich unge 
wöhnlich jchnell entwidelt, oder die bereits 


a —————————————— — —— — — — —— ————— — — ———— ————— —— — — 


bleiben, ſo iſt andererſeits mit einer ab— 
normen intellektuellen Frühreife Schwäche 
und Kränklichkeit des Körpers verbunden, 
welche durch geiſtige Anſtrengungen noch 
vergrößert wird, Die Lebenskraft der 
eigentlihen Wunderfinder wird bald er- 
Ihöpft und aufgezehrt, .und ſolche Indi— 
viduen jterben meift nach kurzem Dajein. 
Ehriftian Heinrih Heineden, am 6. Fe— 
bruar 1721 in Lübed geboren, hatte fich 
bereit3 vor Beendigung jeines erjten Le- 
bensjahres wit allen Erzählungen aus 
den Büchern Mofis und im vierzehnten 
Monate mit der ganzen biblifchen Geſchichte 
befannt gemadt, war, als er dritthalb 
Jahr alt geworden, im Latein, in der 
alten Geichichte, der Geographie und 
Anatomie bewandert, fonnte vor Ende 
des dritten Jahres die Genealogien der 
europäifhen Regenten nah der Schnur 
herſagen, hatte zur jelben Zeit das Studium 
der Inftitutionen und der däniſchen Ge- 
ihichte beendigt und — ftarb im fünften 
Jahre. Bei ihm traf offenbar verfrühte 
natürlihe Neizbarfeit mit methodijcher, 
aber nicht vernünftiger Ausbildung durch 
den Vater zuſammen. Es ergab fidh die 
Merkwürdigkeit eines ſchönen Kindes, das 
mit fünf Jahren eine lateinijche Anrede 
von zwanzig Minuten an den König von 
Dänemark richtete, ohne aus der Faſſung 
zu fommen, dabei noch die Mutterbruft 
genoß und bald darauf über deren Ent- 
wöhnung ftarb. Malin las und jchrieb 
in der Kindheit engliih, Lateinisch und 
franzöfiich, hatte ausgebreitete Kenntniſſe 
in der Geographie, faßte überhaupt Alles 
ungewöhnlich jchnell und zeichnete jehr gut; 
er jtarb 1802 als jechsjähriger Knabe 
zu Hadney in England. Baratier, am 
19. Januar 1721 als Sohn eines fran- 
zöſiſchen Predigers zu Schwabad in Franken 
geboren, konnte im dritten Jahre lejen, 
im vierten franzöfifh und deutſch, im 
fünften lateinifch ſprechen, verjtand im achten 
Jahre das Griechiſche und Hebräifche, auch 
das Chaldäiſche, Syrijhe und Arabijche, 
wurde im bdreizehnten Schriftiteller, im 
vierzehnten nach öffentlich gehaltener Dis— 


794 


putation Magifter, war im achtzehnten ein | befundeten, außerordentlihe Hoffnungen 
Greis und im zwanzigften eine Leiche. und Erwartungen erregten, diefelben aber 

Die Zahl derjenigen, melde, wenn ſpäter nicht erfüllten, fondern in ihrer 
auch nicht in den erften Lebensjahren, jo | Entwidelung ftill ftanden, ift Legion ! 
doch in früher Jugend eine hohe Begabung 


Fin Mißerfolg der Menfdlidkeit. 


Vergang'nen Maitag brachte meine Rate 

Zur Welt ſechs allerliebfte Meine Kätzchen, 
Maikätzchen, alle weiß mit ſchwarzen Schwänzden! 
Fürwahr, e3 war ein zierlih Wochenbettchen! 
Die Ködin aber — Köchinnen find graufam, 
Und Menſchlichkeit wächſt nicht in einer Kühe — 
Die wollte von den ſechſen fünf ertränfen, 

Fünf weiße, ſchwarzgeſchwänzte Maienfägchen 
Ermorden wollte dies verrucdhte Weib, 

Ich half ihr heim! — der Himmel fegne 

Mir meine Menjhlichleit! Die lieben Kätzchen 
Sie wuchſen auf und fhritten binnen Kurzem 
Erhobenen Schwanzes über Hof und Herd; 

Ya, wie die Köchin au ingrimmig d’rein jah, 
Sie wuchſen auf, und Nachts vor ihrem fyenfter 
Probierten fie die alerliebften Stimniden. 

Ich aber, wie ich fie fo wachſen ſahe, 

Ich pries mich jelbft und meine Menſchlichkeit. 
Ein Jahr ift um, und Katzen find die Kästchen, 
Und Maitag iſt's! — Wie foll ich es bejchreiben, 
Das Schaufpiel, das ſich jet vor mir entfaltet! 
Mein ganzes Haus, vom Keller biß zum Giebel, 
Ein jeder Wintel ift ein Wocenbettchen! 

Hier liegt das eine, dort das and’re Kätzchen, 

In Schränken, Körben, unter Tifh und Treppen; 
Die Alte gar — nein, es ift unausſprechlich, 
Liegt in der Köchin ſäuberlichem Bette! 

Und jede, jede von den fieben Katzen 

Hat fieben, denlt Euch! fieben junge Kätzchen, 
Maikätzchen, alle weiß mit ſchwarzen Schwänzchen. 
Die Köchin rast, ich kann der blinden Wuth 
Nicht Schranken ſetzen dieſes Frauenzimmers; 
Erſäufen will ſie alle neun und vierzig! 

Mir ſelber, ach, mir läuft der Kopf davon. — 
O Menſchlichkeit, wie ſoll ich dich bewahren! 
Was fang’ ih an mit ſechs und fünfzig Kahen! — 


Theodor Storm. 


: daß die mit dem ganzen Stolze ihres 
Romifdje Li uelle. Englands umgürteten Injulaner in Sachen 


Das Duell ift Heutzutage in England |de8 Duelld jehr nüchtern denken und 
im Heere ebenſowenig wie in den anderen | handeln gelernt haben. Die Duellwuth 
Geſellſchaftskreiſen Brauch. Eine drafonifche | hat nirgends in höherem Maße ihr Un- 
Gejeggebung, welche den Zweikampf als | wejen getrieben al3 vormals im engliſchen 
gemeines Verbrechen behandelt und den | Heere. Ein joeben bei Ward und Domney 
fiegreihen Duellanten wie einen Mörber |in London erjchienenes® Bud „Duelling 
mit dem Tode bedroht, ift jchuld daran, Idays in the army“, deſſen Perfafler, 


795 





MW. Douglas, ein ehemaliger NReiter- 
DOfficier ift, gibt darüber intereflante 
Aufihlüffe. Vor fünfzig oder jechzig 
Jahren fam e3 häufig genug vor, daß 
fih Officiere ohne Zeugen bei geichloffenen 
Thüren ſchlugen. Ein ſolch' merkwürdiges 
Duell war jenes, welches Capitan Stoney 
mit dem Redacteur der „Morning Poſt“, 
dem Geiſtlichen Bate, zu beſtehen hatte. 
Die Veranlaſſung zu dieſem Zweikampf 
gab ein Artikel der genannten Zeitung, 
in welchem eine dem Capitän naheſtehende 
Dame ſchwer beleidigt worden war. Man 
war übereingelommen, daß ſich die beiden 
Duellanten in einem geſchloſſenen Gajt- 
bauszimmer zunächſt auf Piftolen und, 
wenn nöthig, auf Säbel ſchlagen jollten. 
Nahdem ein zweimaliger Kugelwechſel 
fein Ergebniß gehabt hatte, nahm man 
Säbel zur Hand. Beim erften Gange 
erhielt der Geiftliche einen furchtbaren 
Hieb über den Schenkel. Im zweiten 
wurde wieder der Capitän an Arm und 
Bruft erheblih verwundet. Bei dieſem 
Streih hatte der Reverend Bate feinen 
Säbel am Bruftbein des Gegners ver- 
bogen, nnd im Augenblide, als der Geift- 
liche ſich anſchickte, ſeine Waffe wieder in 
Stand zu ſetzen, eilten die durch den 
Lärm aufgeſchreckten Wirtsleute herbei; 
die Thür wurde erbrochen und die Kämpfer 
getrennt. Dieſe machten der tragikomiſchen 
Situation raſch ein Ende, indem ſie ſich 
zum Zeichen der Verſöhnung kräftig die 
Hände ſchüttelten. Nach einigen Tagen 
heiratete Capitän Stoney die Schöne, 
für deren Ehre jo ausgiebig Blut ver- 
Iprigt worden war. — Ein nod eigen- 
artigered Duell war jenes, welches ber 
Militärarzt Young mit einem NReiter- 
Dfficier ausfoht. Dr. Young unternahm 
mit mehreren Damen eine Spazierfahrt 
auf der Themſe nah Vauxhall und blies 
dabei die Flöte. Bald bemerkte er, daß 
ein Boot, in welchem fih Officiere mit 
mehreren Damen befanden, dem jeinen 
bartnädig folgte, und hörte mit feinem 
Muficiren auf. In grobem Tone herrichte 
ihn einer der Officiere mit der Frage 
an, warum er nicht mehr auf der Flöte 
blajen wolle. „Weil's mir jo gefällt“, 


erwiderte Dr. Young. „Und mir gefällt 
das nicht”, rief der Andere. „Sie werden 
fofort weiter jpielen oder ich fentere Ihr 
Bot und werfe Sie in’3 Waſſer.“ Dr. Young, 
der nicht ſchwimmen fonnte, jeßte, ber 
Roth gehorchend und nicht dem eigenen 
mufifaliihen Drange, die Flöte an bie 
Lippen und blies, jo ſchön wie er nod 
nie geblajen, bis Vauxhall. Dann jprang 
er an's Land, half jeinen Damen aus— 
fteigen und wandte fih an den Officier 
mit folgenden Morten: „Mein Herr! 
Um meiner und ihrer Gejellihaft feine 
Unannehmlichfeiten zu bereiten, babe ich 
Ihrer frehen Zumuthung Folge geleiitet. 
Jet aber verlange ih Genugthuung von 
Ihnen, Wenn Sie Muth haben, werden 
Sie fih morgen früh an diefem Orte — 
dabei wies Dr. Poung mach einer ent- 
legenen Allee — einfinden, Wir werden 
uns bier auf Säbel jchlagen. Ih will, 
daß die Geihichte ganz unter und bleibe 
und halte deshalb Secundanten für über- 
flüſſig.“ Der Dfficier nahm die Heraus- 
forderung an und erſchien zur feitgejeßten 
Stunde in der Alle. Auch der Arzt 
hatte ſich pünktlich eingefunden. Nicht 
wenig überrafcht war jedoch der Officier, 
als Dr. Voung aus jeiner Taſche eine 
— Piſtole hervorholte und nad jeinem 
Kopfe zielte. — „Was joll das heißen ?* 
ſchreit der Dfficier, „mir find doch 
übereingefommen, uns auf Säbel zu 
ſchlagen!“ — „Ganz richtig,“ entgegnete 
der Doctor, „ed handelt fih auch nur 
um eine Heine Vorübung. Sie werden 
nämlich jofort ein bischen Menuett tanzen, 
ih werde Ihnen dazu auf meiner Flöte 
aufipielen. Falls Sie es unter Ihrer 
MWiürde halten, auf meinen Wunſch ein— 
zugehen, ſchieße ih Sie nieder.“ —- 
„Das ift ein heimtüdifcher Hinterhalt ! 
Das ift Mord!" — Der Doctor blieb 
ungerührt. „Tanzen oder jterben!* war 
feine Antwort. Und der Dfficier zog es 
vor, zu .tanzen; er tanzte und tanzte 
eine geichlagene Biertelftunde lang. Dann 
jtedte Dr. Young jeine Flöte wieder ein 
und jagte zu dem DOfficier, ber ſprach— 
und athemlos daftand und ihm mit 
wüthenden Bliden anſah: „Jetzt, mein 


796 


Herr, find wir quitt, 
geftern zum Blafen, ich habe Sie heute 
zum Tanzen gezwungen. Wenn Sie fi 
ſchlagen wollen, ich ftehe Ihnen zur Ver— 
fügung. Aber nur vor Zeugen. Auf 
Miederjehen !" Und dabei blieb's. 


Büder. 


Pramatifhe Literatur. 


Es liegen uns heute nicht weniger als 
fieben dramatiſche Novitäten unterſchiedlichen 
Werthes vor. Wie fie der Zufall zufammen: 
gewärfelt hat, geben fie, merfwürdig genug, 
jo ziemlih ein Bild der dramatiſchen Ge: 
jammtproduction der ®egenwart. Die drama— 
tiſchen Dichter fönnen oder wollen — nulla 
regula sine exceptione — der Tagesftrömung 
nit folgen: entweder ift ihnen der Puls: 
ſchlag der Zeit nit fühlbar, oder fie dünken 
fih darüber erhaben, genug, e8 treten Ge: 
bilde zu Tage, denen von allem Anbeginne 
an echt dramatijches Leben, warm pulfiren: 
des Blut mangelt. Wohl Hilft hie und 
da ein berühmter Autorname dem ſchwäch— 
lihen Kinde auf die Beine, das ſchwache 
Fundament verfpriht aber feine lange 
Lebensdauer. Anftatt aus dem vollen 
Menſchenleben, der lebendigen, frifch quellen» 
den Gegenwart zu jhöpfen, welche — großen 
revolutionären, focialen Ummälzungen vor: 
arbeitend, gewaltige Erjchütterungen vor: 
bereitend — doch intereffant und dankbar 
genug wäre, oder auf welthiſtoriſchem 
Grunde ihr ein Spiegelbild vorzubalten: 
Hügelt ein Dichter aus dem biblijchen König: 
thum der Juden einen Stoff heraus, wäh: 
rend ein Anderer feinen Geift tief in ein 
mythiſches Zeitalter verjenkt, oder endlich 
ein Dritter, dem die nationale Begeifterung 
als Entjhuldigung dienen mag, unijere 
Phantafie in nordiſch nebelhaften Sagen: 
freis bannt. Was ſchon der Gegenwart 
entnommen wird, ift nidhtig, bedeutungslos, 
zu gejchmweigen eines gänzlih mißglüdten 
Auffluges zur Leuchte der täglich und ftünd: 
lid, in Poefie und Proſa, mikbraudten 
„Breiheit*. Es kann fi jegt aljo nur 
darum handeln, zu erörtern, wie alle diefe 
Erperimente beſchaffen find. 

Zuerſt bejuchen wir den Hof des weijen 
Salomo und es ift fein Geringerer als 
Paul Heyje, der uns mit feinem das 
17. Bändchen der (im Verlage von Wilh, 
Hertz in Berlin erfeheinenten) Drama: 
tiſchen Dichtungen bildenden Schau: 
jpiel „Die Weisheit Salomo's“ hiebei das 
Geleite gibt. Es ift erftaunlid, mit wel: 
her Vorliebe der gefeierte anmuthige, 


| 





Sie haben mih |graziöje Novellift den dramatiſchen 


Pegaſus befteigt. Zwar gelingt es ihm in 
der Regel, den Schimmel dur ſanften 
Schenfeldrud und jühe Worte zu einem 
Paßgange zu beiwegen, wobei wohl auch der 
Reſpect vor dem hochanſehnlichen Reiter das 
olympiſche Rob im Zaum hält. Salomo 
gibt feine Weisheit in guten fünffüßigen 
Jamben, glatt und fließend, zum Bejten, 
aber weder er noch irgend eine andere Ber: 
fon vermögen fo recht unſer Interefje zu 
weden. Salomo ift, Alles in Allem, ein 
Phrafenheld — nicht weife, fondern Hug — 
jo flug wie der Fuchs, dem die Trauben 
zu hoch hingen. Sein großer Vorrath an 
Klugheit erlaubt es ihm, den Großmüthigen 
auszujpielen, wobei feine Großmuth weniger 
biblifh judiſch als chriſtlich modern ift. 
Bei Sulamith ift man anfänglid im Un- 
Haren, ob fie den König lieben oder ihrem 
eigentlihen Liebhaber treu bleiben wird, 
einem Liebhaber, defjen Berſerkerwuth feinen 
angenehmen Gemahl vorherjagen läßt und 
defjen gelegentliches Pathos durchaus nicht 
jeiner Herkunft angemefjen ift. Die Königin 
von Saba, die zum König Salomo fommt, 
aus dem einfadhen Grunde, weil dieſer — 
nicht zu ihr fommt, befigt die beneidens- 
werthe Doppeleigenſchaft, gleichzeitig zu 
lieben und zu haſſen; wir wollen darüber 
nicht grübeln, welde Seite am Ende vor: 
wog, und eingedenf des weiſen Sprudes 
am Schluſſe des Schauipiels: 


— „Fremden Freuden 
Sich neidlos freuen, ift aller Weisheit 
Krone" — 


uns diefe Krone bei den Bühnenerfolgen 
des immerhin achtenswerthen Stüdes billig 
genug erwerben. 

Einmal nicht allzumeit davon ſuchen 
wir die Griechen in ihrem Lager vor Troja 
auf und finden den wohlbefannten Wias, 
Sohn des Telamon, den klugen Odyjjeus, 
den Bölferfürften Agamemnon und alle 
die anderen Helden; wir verfolgen im @eifte 
den Wettftreit des Wins und des Odyſſeus 
um die Waffen des Adhilleus und müſſen 
der trefflihden Schilderung dieſes Streites 
in Ovid's Berwandlungen und weiters der 
gewaltigen Tragödie des Sophofles ge 
denlen, Nah der letzteren frei bearbeitet, 
hat Dr. Fri Pichler feine Tragödie 
„Alas‘ und als Geparatabdrud aus dem 
16. Jahrgange der „Diosfuren* (Wien, 
8. tt. Hof: und Staatdruderei) heraus: 
gegeben. — Nachdem fih bei dem Namen 
Aias wie dur eine Zauberformel ein 
wundervoller Mythenkreis uns erſchloſſen, 
fragen wir jetzt einigermaßen erſtaunt nach 
den Zwecke der freien Bearbeitung — 
und wie dieſer Zmwed erreicht wurde, Sollen 
die Schönheiten der clajfiihen Dichtung 
durh ein modernes Kleid unjerem Ber: 


— 


ſtändniſſe vermittelt werden, fo iſt die Liebes- Degen zu ftrangulieren — um fo mißlicher, 


müh’ wohl eine verlorene, denn wer liber: 
haupt fähig iſt, diefe Schönheiten voll: 
fonımen zu würdigen, perhorrescirt jede 
moderne Bermummung. Es fann fi aljo 
nur darum handeln, den „Aias“ in Be: 
jiehungen zur modernen, auf humaner 
Grundlage geflärten Anſchauung zu bringen 
— ihn furzweg für unfere Zeit möglid 
zu maden und bühnengerecht zu geftalten. 
Daß der Dichter diefen Zweck vor Augen 
hatte, zeigt ſchon der meitausholende Ber 
ginn, in welchem er uns das, was Sophofles 
geipräcdhsmweife erwähnt, zum Theil als 
Handlung vorführt und das, was dort 
Götterwerk ift, bier zum Theil als eine 
logische Folge der Leidenſchaften ſich ent: 
wideln läßt. Wir fagten zum Theil, 
denn der Dichter weiß fih wohl vom Chor 
der alten Tragödie zu emancipieren, jedod) 
die Gottheit, hier Pallas Athene, läßt auch 
er in einem geeigneten Zeitpunfte erfcheinen. 
Dadurh verjegt er uns nun mit einem 
Male wieder mitten in den griedijchen 
Mythos, jo daß uns unbewußt ein Sehnen 
nad deſſen unverfälſchtem Interpreten, nad 
Sophofles, bejhleicht, den er und ja wollte 
vergefien lafjen. Das hat er nun davon! 
Er hätte vielleicht beffer gethan, ſich mit 
Pallas Athene in die Büſche zu ſchlagen 
und den Dvid vorzujdieben. Die etwas 
eigenthümlich gezeichnete Stellung des Teu— 
tros zu Telmefja und der Selbftmord diejer 
legteren haben uns befremdet; diefe Zu: 
thaten find nicht hellenifher, eher roman« 
tifcher Abfunft. Die opernhafte Apotheoje 
am Schluffe bradte uns endlich feine ge— 
ringe Enttäufhung und wenn irgendwo, jo 
paſſen hier die Worte Schiller's am Schlufje 
feiner Recenfion über Egmont. — Die Verſe 
find wohl gefeilt, der Dialog ftellenmweije 
von bedeutender dramatifcher Präcifion und 
dichteriſcher Schönheit, jo daß diejes Wert 
als Buchdrama ohne Yweifel Beadhtung 
verdient. . 

Nun wenden wir uns vermöge des 
Hodfluges der Phantafie dem fagenhaften 
germanifhen Norden zu. Gehoben von 
nationaler Begeifterung, wie wir annehmen, 
ſchrieb Auguft Linde ein dramatijches 
Gediht in 5 en: „Gudrun (Moskau, 
Buchdruderei €, Liehner u. J. Roman), in 
welchem das mittelhochdeutjche Heldengedicht 
Gudrum mit einiger Licenz, die ſich der 
Berfafler herausnahm, in Acten und Scenen 
ausgejhrotet wird. Es ift immer ein miß— 
liches Unternehmen, aus einem breit ange: 
legten Epo3, in dem fi das Intereſſe nicht 
einem, jondern, ſchon der Natur der Dich: 
tungsart gemäß, mehreren Helden zu: 
wendet, alle Fäden an fi zu ziehen, zu 
vereinigen und zu einem einzigen Knoten 
zu jchlingen, um daran den Helden des 
Dramas auf Koften mehrerer vortrefflicher 


wenn das Wollen bei Weitem nicht an das 
Können eines Hebbel oder Geibel hinan— 
reiht. Es gehört zur Bewältigung und 
fünftlerifhen Begrenzung eines jo maſſigen 
Stoffes eben auch eine bedeutende dichteriſche 
Kraft. Wenn Sprade und Dialogführung 
gleih viel zu wünſchen übrig laffen, jo 
wollen wir doch gern zugeben, daß diejes 
Buch auch Spuren dramatiicher Begabung 
aufweift. 


Zur Gegenwart eilend, madhen wir 
noch an der Rüfte des adtzehnten Jahr: 
hundert3 kurzen Halt. Aufhebung der Leib: 
eigenihaft dur Joſeph II. — Freiheit — 
gewiß ein dankbares Sujet mit Rüdficht 
auf gegenwärtig noch ungelöfte fociale 
ragen! Jedoch — es kreist ein Berg und 
gebiert eine Maus und diefe Maus heißt: 
Hans Wierauer. Drama in fünf Aufzügen 
von 3. U. Subert. Ueberſetzt von Ed. 
Grün. (Leipzig. Ed. Wartig's Verlag.) 
Die Leibeigenihaft ift aufgehoben, die Or: 
donanz hat das Decret bereits in der Tajche, 
warum alſo das Gejhrei? Warum nicht 
weniger al3 vier Todesfälle coram publico 
durch Knüttel, Ejen, Blei und Spiehruthen, 
Abgejehen von dem ganz unmögliden Cha: 
rafter des Wierauer vermag und feine Ge: 
ftalt Sympathie einzuflößen. Es jchreien 
hier Leute nad) der Freiheit, die die Frei— 
beit nicht verdienen und denen diejelbe doch 
ſchließlich ohne eigenes Zuthun nad einem 
bischen Spießruthenlaufen, mit deſſen Un: 
blid uns der Berfafler gnädig verſchont, zu 
Theil wird. Nun, wir beneiden dieſe Bauern 
weder um die durch Nuthenhiebe gewürzte 
Freiheit, noh Herrn 3. U. Subert um 
feinen Hans Wierauer. 


Das Vollsſtück „Der Bildlthaler‘ von 
Leopold Winter, Gefangsterte von 
Leopold Hörmann (Reg. London. Stat. 
Hall. Münden), das jhon in die Gegen: 
wart fällt, ift nit ohne Geſchick und Ge— 
wandtheit verfaßt. Wir zweifeln nicht, daß 
es auch bühnenwirkſam ift, wenn ſchon ber 
Verfafler allen zeitbewegenden Fragen aus 
dem Wege geht und durdaus nad vor— 
handenen Muftern, wir wollen nicht jagen, 
nach der Schablone, im Sinne einer feinen 
Epigonenwelt, die das Volksſtück ſchon ges 
zeitigt hat, verfährt. Mit den zwei Schwänfen 
„In den Alpen“ und „Ein Btündden im 
Gymnaſium“, beide von Werd. Linzer 
Linz, Selbfiverlag), beide flott geſchrieben, 
amijant zu lejen, die, wenn frijch gejpielt, 
auch bei den Zuſchauern eine erheiternde 
Wirkung hervorbringen und johin ihrem 
bejcheidenen Zwede genügen, wollen wir für 
heute diefe ſchon über Gebühr lange Be: 


iprehung abſchließen. F. Rottenbader. 


798 


Martin Greif’s neue Schaufpiele. *) 
Bon Emil Eoffe. 


Nah längerem Stillſchweigen betritt 
Greif wieder das dramatiſche Gebiet. Er 
bietet uns zwei Scaujfpiele, welche den 
Hohenftaufenftoff tangiren, Wir befigen eine 
ganz hübſche Anzahl Dramen, die in jener 
Zeit jpielen; der platte oberflähliche Rau: 
pad hedte nicht weniger als jehzehn aus, 
der ungleich begabtere Brabbe war be- 
ſcheidener und ließ es bei zweien bewenden, 
Immermann endlih hinterließ auch eine 
banale Liebesgeichichte, die fi in der Um— 
gebung Friedrich's II. abjpielt. Nun greift 
auch Martin Greif in jene Zeit. Ihm, dem 
Baier, lag weniger an Friedrih Barbarofja 
und Heinrich VI, fie find nicht die Helden 
feiner zwei neuen Schaujpiele, doch greifen 
fie einſchneidend und beftimmend in die 
Handlung ein; — Greif ftellte den Baiern- 
herzog, Deinrih den Löwen, und defjen 
Sohn in die erfte Linie; auf fie foll ſich 
unſer Intereffe richten, für fie verfchwendet 
er feine glänzendften farben. 

Das erſte Schaufpiel: Es hat den 
Eonflict zwifchen Friedrih Barbarofja und 
Heinrih dem Löwen zum Inhalt. Kühn 
und vorwärtsdrängend erfcheint uns. der 
Herzog. Sein Ehrgeiz treibt ihn, nad dem 
höchſten Erdengute, der Kaiſerkrone, zu 
fireben. Andererjeits fühlt er fih dem Kaijer 
durch manderlei empfangene Gnadenacte 
verbunden. Er liebt in Friedrich den milden 
Herrn und Verwandten und fürdtet hin— 
wiederum mißtrauiſch deſſen berechnendes 
ſtilles Wirlen, die Hausmacht zu vergrößern 
und die Kaiſerwürde in ſeinem Hauſe erblich 
zu machen. So kann er nicht rein bleiben, 
und ſein herriſches Temparament treibt 
ihn bis zum Treubruch und zur offenen 
Rebellion. Uber er, der feinem Herrn und 
Kaifer nicht die Treue bewahrte, muß jehen, 
daß ihm mit gleihem Maße gemefjen wird, 
Da bridt er zufammen; doch Friedrich ift 
ihm ein zwar firenger, doch nit unbarm: 
berziger Richter. 

Auf Heinrih und Friedrich ifl alles 
Interefje concentrirt. Der Dichter hat e3 
verftanden, den oft behandelten Stoff neu 
und anziehend zu geftalten. Mit kräftiger 
Hand ftellt er die Charaltere hin und weiß 
geihidt den Knoten zu ſchürzen und den 
Lefer, reſp. Zuſchauer in Spannung zu 
erhalten. Dramatifches Leben pulfirt in den 
Neden, melde fi, mebenbei bemerkt, dur 
reihen poetiſchen Shmud auszeichnen und 
nur jelten in epiſche Breite verlieren. 

Das zweite Stüd „Die Pfalz im 
Rhein“ ift dramatisch ſchwächer, aber poetiſch 
reicher und tiefer empfunden. Es ift kein 


*) Heinrich der Pöwe. Edaufpiel in 5 Acten. — 
Die Pfalz im Rhein. Ehaufpiel in 5 Acten. — 
Etuttgart 1887. 3. G. Cotta'ſche Buchhandlung. 





| 


rechtes Hiftorifches Drama, fondern eine 
Liebesgefchichte zwischen Heinrid von Braun: 
jhweig, dem Sohne Heinrich's des Löwen, 
und der Tochter des Pfalzgrafen bei Rhein. 
Raifer Heinrich VI. wie der Pfalzgraf 
Eonrad haffen den jungen Braunſchweiger, 
aber „amor vincit omnia“ und ſchließlich 
findet eine allgemeine Berjöhnung und 
Amneftie ftatt, bei der auch der alte Löwe 
nit ausgeſchloſſen wird. 

In diefem Schauspiel Schlägt Martin 
Greif Töne an; die Sprade ift von jeltenem 
Wohlklange und großer Fülle Es ift ein 
romantifher Stoff, dem fi der Dichter zu— 
gewendet hat, und Greif liebt dergleichen; 
leider geht durd das Romantifche der feſte 
dramatische Kern verloren, das Märchenhafte 
berrjcht vor, dem Zufall wird zu viel Spiel: 
raum gewährt — aber andererjeit$ paßt dies 
wieder ganz zu der romantijchen Liebes» 
geihichte, und es läßt fi eins ohne das 
andere gar nicht denken. Pſychologiſch inter: 
eſſant ift in diefem Stüde der Charalter 
Heinrich's VI. gezeichnet. Das Tyranniſche, 
Berechnende, Finftere diefes Fürften ift mit 
großer Kunſt betont und der Gharafter 
äußerft glüdlih durdgeführt. Heinrid VI. 
ift eine der beften dramatiſchen Geftalien, 
die Greif je gezeichnet, und erinnert an 
Shafefpeare'3 Richard II. 

„Heinrich der Löwe” wie „die Pfalz 
im Rhein“ zeigen einen bebeutenden ort: 
ſchritt, den der Dichter des „Eorfiz Ulfeldt“ 
auf dramatijgen Gebiete gemadht hat. 
Möchten beide Schaufpiele bald von der 
Bühne herab ihre Lebenskraft beweiſen. 





Robur der Sieger. Bon Julius Berne, 
Autorifierte Ausgabe. (Hartleben. Wien.) 
Im „Robur“ geleitet-der Verfaſſer den 
Lefer nad der interefjanten in Philadelphia 
fpielenden Einleitung im fühnen Fluge eines 
mechaniſchen Quftichiffes über einen Theil 
der Bereinigten Staaten, des engliſchen 
Nord:Amerila, über den ftillen Ocean nad 
Japan, Ehina, Indien, Berfien, über Europa, 
einen Theil von Afrila und den Atlan— 
tifhen Ocean nad der Südjpige Amerikas 
über das unbelannte antarttiide Polar: 
gebiet, mit einem Worte, er bietet ihm ein 
MWandelpanorama der Erde aus der Vogel: 
ſchau, untermifcht mit unterhaltenden Epi— 
joden, aber ebenfo reihlih geihmüdt mit 
belehrendem Detail aus verſchiedenen natur: 
wiſſenſchaftlichen Disciplinen. 7 





Ein Sotterie-Soos. Bon Julius Berne. 
Autorifierte Ausgabe. (Hartleben. Wien.) 

Ein eigenartiges Idyll ift das Werk 
„Ein Lotterie: 2008", daB im Herzen der 
Ihönften -Gegend Norwegens, in Telemar: 


799 


fen, ſpielt und auch eine Herzensſache 
nah langen Widerwärtigfeiten zum er: 
wünſchten Abſchluß bringt. Hier findet der 
Leſer ebenfo die großartige ſchöne Natur des 
weftlichen Theiles der jlandinavifchen Halb: 
infel mit photographiider Treue wieder: 
gegeben, wie er mit den einfadhen, biederen 
Bewohnern in Freud und Leid denfen und 
fühlen lernt. — Ein Heiner novelliftijcher 
Anhang „Fritt!... Flacc!“ — ein nebel: 
haftes Nahtgemälde — zeigt, wie umfafjend 
die Phantafie des berühmten Autors ift. 
V. 


Im Jahre 1870 ließ die Spamer'— 
ſche Verlagsbuchhandlung in Leipzig den 
erſten Band eines Bllufrierten Konverfations: 
Lexikons in groß Quart erſcheinen, einer 
Neuheit auf diefem Gebiete, jofern auf die 
Illuſtration der Schwerpunft gelegt wurde. 
Das Unternehmen ward in act ftarfen 
Bänden zum Abſchluß gebradt. In 15 
Jahren war eine neue Auflage nöthig ge: 
worden, 1885 begonnen, ift diefelbe bis 
zum Buchſtaben F vorgeſchritten. Die ſeit— 
dem fertig vorliegendendreierſten 
Bände geben ein erfreuliches Zeugniß von 
der Leiftungsfähigfeit der Firma. Der Tert 
ift vollftändig umgearbeitet, die Illuſtra— 
tionen der erften Ausgabe find gefichtet, zu 
einem großen Theil durch andere erjegt, 
alle aber techniſch neu hergeftellt. Durch 
forgfältige und taftvolle Behandlung des 
Inhalts im Ganzen hat die NRedaction in 
der That, wie fie beabfichtigt, ein Buch ge: 
liefert, da3 die Namen „Hausſchatz für das 
Voll“, „Orbis pictus für die ftudierende 
Jugend“ verdient: Gemeinverftändlichkeit, 
möglichfte Kürze zu Gunften einer größeren 
Anzahl von Stihworten, im Allgemeinen 
die Beihränfung auf das Nothwendige. 
Die vorliegenden drei Bände zählen 3082 
Illuſtrationen, welde in den Text gedrudt 
find, 38 Zonbilder und 26 Karten. Als 
Encyllopädie umfafiend Philofophie, 
Theologie, Naturwiffenihaften, Erd: und 
Himmelsfunde, Staats, Eulturs, Literatur: 
und Kunſtgeſchichte, Nautik, Aftronomie und 
Technik, Baufunde, Haus: und Landwirth— 
ihaft, Handelswefen, Heilkunde, Statiftif 
und mande anderen Fäder find mit ge: 
wiflenhafter Gleihmäßigkeit behandelt — 
erftredt Das Spamer'ſche Bud feine Be: 
lehrung überall bis auf die Gegenwart, V. 


Es wird wohl kein zweites Gebiet in 
ganz Defterreich geben, daS eine jo gewaltige 
Anziehungstraft befigt, als das Alpenpara— 
dies des Bemmering, dem alljährlich jo viele 
Zaujende und Mbertaufende 
Moriz Band hat im Verlage von M, Gottlieb 
in Wien ein recht elegant ausgeftattetes drei 


zuftrönen. | 188 


Bogen ftarkes Büchlein herausgegeben, das— 
felbe enthält alles Wünfchenswerte über den 
Semmering und feine Umgebung und bietet 
den Stoff in überfihtliher Weiſe. Die 
Sprade reiht über den Tandläufigen 
Bädekerſtil hinaus, jo daß das Buchlein aud 
eine angenehme Lectüre für die Semmering: 
fahrt bildet. V. 


„Die deutſche Sappho“ (Anna Luiſe 
Karſchin), ihr Leben und Dichten. Ein 
Literatur: und Culturbild aus dem Seit: 
alter friedrich des Großen, Bon Dr. Adolf 
Kohut. (Dresden. E. Pierſon's Berlag, 
1887.) Wir befigen noch keine erſchöpfende Bio: 
graphie und Charafteriftif der „deutſchen 
Sappho,* wie Unna Luiſe Kari von 
ihren Zeitgenofjen genannt wurde. Zum 
erften Male bietet hier nun der befannte 
Literatur: und Eulturhiftorifer Dr. Adolf 
Kohut eine aus den beften Quellen geſchöpfte 
biographijche Charalteriftif der durd ihre 
tragiſchen Schidjale, wie ihre Natur:, Volls— 
und Striegsdichtungen und Impropifationen 
merkwürdigen frau. In anziehender Weiſe 
ſchildert er die Beziehungen der Karſchin zu 
ihren berühmten Zeitgenofjen, wie Friedrich 
der Große, Friedrich Wilhelm IL., Ferdinand 
von Braunſchweig, Prinz Heinrid, ©. €. 
Leifing, Mofes Mendelsjohn, Gleim, Sulzer, 
Klopftod, Wöllner, Graf von Hergberg u. 4. 
und entrollt jo ein Literatur und Eulturbild 
aus dem Zeitalter Friedrich des Großen. 
Das Buch enthält zugleich eine reihe Aus: 
wahl der fhönften, originelliten Gedichte und 
YImprovifationen der Karſchin. Das Werl 
ift vollsthümlich geſchrieben. V. 


„Die Nichtigkeit der ganzen päpſtlichen 
Uachfolgerſchaft Petri jammt ihren allum— 
fafjenden Anſprüchen in Staat und Kirche“ 
nennt fi eine von Theod. Müſcke geſchrie— 
bene und bei J. Wiefile in Brandenburg 
erſchienen Brojchüre, deren Empfang wir 
regiftrien, die aber für unfere Lejer belang: 
los ift. 





Dem Heimgarten ferner zugegangen: 


Die Feute aus der Findenhütle. Nieder: 
ſächſiſche Walddorfgefhichten. Für große 
und Feine Leute erzählt von Heinrich 
Sohnrey. Friedeljuhens Lebenslauf, — 
(Bernburg. J. Bacmeifter.) 

Die Yantoffeln des Hofmeifters. Eine weis 
berfeindliche Gefhichte von Oscar Welten. 
(Berlin, Wilhelm Bleib. 1887.) 

Eine Pfingffahrt. Novelle von K. R. 
W. Uſchner. (Zürih. Berlagsmagazin., 

7. 


) 
Moderne Alänge, Dichtungen von Bo: 
gumil Eurtius, (Berlin, Wilhelm Latte.) 


Naturkinder. Gedichte von Margot 
Werner. (Hamburg. J. F. Nichter 1887.) 

Maria. Eine Legende von Margot 
Werner. (Hamburg. 9. %. Richter 1887.) 

Efays von Margot Werner. (Hanı: 
burg. 3. F. Richter 1887.) 

Vögel der Heimat. Unſere Bogelwelt in 
Lebensbildern gejhildert von Dr. Karl 
Ruf. Mit 120 Abbildungen in Farbendrud, 
Bis zum 11. Heft erſchien. (Prag F. 
Tempsty.) 

@inführung in das Studium der neueren 
Bunftgefdidte. Bon Dr. Alwin Shult 
15. Heft. (Prag. F. Tempsty.) 

Beitfhrift für deutfche Sprache, heraus: 
gegeben von Dr. Daniel Sanders, 1. 
Jahrg. (Hamburg. 3. F. Richter.) 

Ein Stük Beitungsgefhidte. Von Dr. 
Heinrih Friedjung. (Wien. Genoſſen— 
fhafts:Buchdruderei.) 

Bofef Haydns lebte Huldigung in Wien, 
Nah Berichten damaliger Zeitgenofjen neu 
zufammengeftellt von Zudwig®ermonif. 
(Wien. Grillparzer:Berein.) 

Zur Gefdidte der Holkslieder aus Rärn- 
ten. Stizzierte Andeutungen von Ludwig 
Germonif, (Wien. Grillparzer:Berein.) 

Bur Geſchichte des Kärntner Liedes, Stiz: 
zierte Andeutungen von Ludwig Ger 
monif. (Wien. Grillparzer: Verein.) 

Alpenglühen. Lieder und Dichtungen von 


das Richtige erfahren will, darf man fid 
nit an Sebaftian Brenner wenden. Die 
Verfönlichteit des Grafen Auersperg war 
durdhaus edel angelegt und nur der Partei: 
haß kann ihm Handlungen unterjchieben, die 
er weder gebilligt noch vollbracht hat.. Derlei 
Manöver kennt man, fie bedeuten nichts. 

3. 9., Sörlik: In Kreifen, die fih für 
Theater und Literatur interejfieren, erwartet 
man ja auch bier mit Spannung das Er: 
Iheinen der Memoiren des General:Inten: 
danten von Hülfen. Die Publication diejer 
Memoiren joll im nädftfolgenden Hefte der 
Deutihen Revue beginnen. 

6. 3., Marburg: Die Eilpoftfahrten 
zwiſchen Brud und Mariazell find feit erften 
Juni wieder eröffnet. Sie fünnen die Tour 
faum bequemer und billiger maden, als 
wenn Sie dieſe Eilpoft benügen. Sie fahren 
mit dem VBormittagszug bis Brud, wo die 
eleganten Wagen bereit ftehen und find 
Abends zur guten Stunde in Mariazell. 
Glückliche Reife! 

T.&, Hernals: Ihr Vorſchlag hat viel 
für fi, ift aber aus manderlei äußeren 
und inneren Gründen nicht gut durdführ: 
bar. Wir müflen uns hierin der auß lite: 
rarifhem Intereffe hervorgegangnen Ge: 
pflogenheit fügen, wie es aud die übrigen 
Monats: und Wochenſchriften thun, und 
ift es eben eine unjerer Abfichten, den Leier 


Ludwig Germonit, (Wien. Grillparzer: | für die Erjcheinungen der Literatur nad: 


Verein.) 
Der einzige Rettungsweg. Von Michael 
Flürſcheim. (Bubenheim. J. Schmitt.) 
Blluftrirtes Wiener Tarokbuch. Leidfaden 
zur Erlernung aller Arten des Tarofipiels. 


haltiger zu intereffieren. 

©. 8. Linz: Der Leitfaden darf allge: 
mein fein und ift mit einem Worte X. Stifters / 
leicht gefunden: Güte, Häuslichkeit und Ein= | 
fadhheit der Sitten an feinem Weibe macht 


Mit einer Sammlung von 33 Problemen | jeden Mann glüdlih, und wenn er es durd 


und einem Anhange: Tarok-Coder, die 
Spielgefege enthaltend. Bon S. Ulmann. 
(Hartleben, Wien.) 

„Die Nordfeebäder auf Sylt“. (Hamburg. 
Dito Meißner.) 


Poftkarten des Heimgarten. 


X X 68 wird angelegentlihft erſucht, 
Manufcripte erft nad vorheriger Anfrage 
einzufenden. Für unverlangt eingefdidte 
Manuferipte bürgen wir nicht. Erterne Ar: 
beiten honoriert die Berlagshandlung nicht. 

A. S., Schmiedeberg: Allerdings, wenn 
man über Anaftafius Grüns Privatleben 


dieje Eigenschaften eines Weibes nicht wird, 
jo ift er ſelbſt Schuld und verdient das 
Weib nit. 

A. W. A. Innsbruck: Ihre Erzählung: 
„In Sankt Mirt, oder wo, bot der Wirt, 
oder wer, ein’ Hirt, oder wen, mit der Girt, 
oder wia, derjchlogn, oder wos,“ ift die 
Bariation eines in den fliegenden Blättern 
geftandenen Stüdes. 

+ Drunfehler: Seit 715, Spalte 2, 
Zeile 3 von oben ftatt „das“ die zu lejen. 
Seite 718, Spalte 1, Zeile 17 von unten 
zu Iejen: „aber um Hervorragendes zu 
leiften, müßten vorerfi* u. j. wm. Beim 
Auffag — Maiheft —: „Im jonnigen Sü— 
den“ hat's anftatt Ungeolina durdgängig 
Angiolina zu heißen. D. Red, 


Für die Redaction verantwortlich F. A. BMofegger. — Druderei „Leykam“ in Graz. 


— 


— — — — — 


— FE 


beiut 








Da Simer 


garden, 


Auguſt 1887. 


“At 











a 


in Rrew. 


U Bericht aus oltn Zeitn in der fteiriihn Gmoanjprod 
von P. R. Hofegger. 





Fe hauts, meint liabn Leut, ſchauts 
. S Ent amol 3 fe Haus on, däs 
dofcht obn afn Rigl fteht. Hintawärts 
da finfta Woldſchochn, voron owa gegn 
an Boch greani Wiefan und Felder, 
und afn Roan Stoanhäufn, Eſchan 
und Felberaſtaudn. D Hulzwänd von 
Haus leuchtn grod gulder in Sun— 
ſchein, gleihwul einwendi da Hulz— 
wurm ſcha nogg und klöpfelt, daß die 
oltu Weiba, die gſchrecktn, hell nit 
onderſta moan, as wia, s Todtnmandl 
that klopfu. Ih wia mih nit irrn, 
warn ih ſog, länger, a3 a holbs Johr- 
taufend mogs her fein, ſeit däs olti 
wurmftichigi Haus ols junga friſcha 
Wold gftondn is afn Berg. Und wan 
d Lent af amol aufftandn, de in den 
Haus eahnan Huat Hobn afn Nogl 
ghenkt, ban Feuſta hobn aufjagichaut, 
afn Betſtuhl ſein kniat, ban Tiſch ſein 
gſeſſn und af die lonk Bonk ſein hin— 
glegg worn af d Leßt: wan | heint 


Bofegger's „„Geimgarten‘* 11, Geft, X. 


aufitangadn af amol, da holbadi Freid— 
hof wa vula Leut, wia da Kicchploß 
afn Johrmorkt. 

Ehrfürchti wirds mar und ſchau— 
derli, far oft ih däs olti Woldhaus 
onſchau, in Hullkreuzhof, wia j n 
hoafin jeit olta Zät. Hot fih eh va 
Zeitu in den Haus amol a ſchreckhori 
Gſchicht zuatrogn, de der Olti in 
Jungen, und Daner in Ondern das 
zählt und um fa wenka vageſſn wern 
fon, weil heintigetogs a jo wos wul 
nit leicht meh geſchechn wird. 

Hot in Hufltreuzhof amol a Mon 
ohaust: da Simer in Kreuz Hobu | 
n ghoafin, a brava, gſtrenga Mon, 
ehrnfeft und felſnfeſt. Zorni Hot 
neampp gſechn, und doh hot d Schlech= 
tigkeit zidert, warn er ſtill mit fein 
Aug bot aufgſchaut. Bamſtork ful er 
gwochſn gwen fein und am braunen 
Bort ſul er ghobb Hobn, der va 
die broadn Badır nieda wir a große 


Sl 


802 


mächtige Scheibn üba die Bruft gongan 
is. Fünf Sühn hot er ghobb, da 
Simer in Kreuz, wul ab recht brav 
eahm nochgwochſn, bis af van. Holt 
bis af an Oanzign, wias ſchon unfeli 
fein muas imeramol, daß bravi Eltern 
an ungrotns Kind hobn. Oba gern 
hot er 5 ghobb, da Voda däs Kind, 
ſchier liaba wia die Ondern, weils fa 
bagfhirli und ausbündi gwen is, und 
aufglegg zan Luftifein. Gottliab hot 
da Simer in Kreuz das Büabl hoaſſn 
Iofin ba da Tauf, oda — wia fa ſih 
ehzeit bot zoagg — da jungi leicht— 
Iuftigi Burſch Hot fein Nom mit viel 
Ehr gmocht; Weibaliab, wan er ghoafin 
hät, wurd ſih beſſa hobn gmocht. Nit 
der ältefti und mit da jüngafti is er 
gwen, da Gottliab, oba doh der erfti, 
der fein Vodaleutn a Schwiegatochta 
hot ins Haus brodt. Und gut Hot 
er's troffn: bluatjung und muatjauba, 
freuzlufti und lamfrum, und wan die 
Simer in Kreuzin, d Schwiegammada, 
jelber amol fogg: Ka Befleri hät er 
nit findn fiman, und däs is a Barl, 
wos die Taubn hobn zſomtrogn! 

Hot oba nit gor long daurt mit 
da Freud. Ban ihr häts ſcha daurt, 
die Traudl Hot in Gottliabl unſini 
gern ghobb; obo ban eahm hots koan 
Bſtond ghobb. Ban Fiſcherwirt die 
Kellnerin, an aufgramfts kotznkecks 
Meibmentih. Ba da kloan Zehn wa 
die Traudl fchöna, wia die Sellnerin 
ban Kopf, ober imeramol is 's, wia 
wan da Teifel fei Gfpiel hät: 's keck 
Meibmentich Hot3 in Gottliabl onthon, 

Ma hots oflamol kent, warn da 
Gottliab von Fiſchawirt kemer is; va— 
drofin Hot er ſih Hin und her draht 
dahoanı, und wan an jei Weib guat- 
herzi Hot ongredt: „Wos fahlt da dan, 
Gottlieb? Schau, wanft an Onliegu 
julft hoben, thua ma 8 ſogn!“ fa fohrt 
er grob her: „Wos geht dan dos Dih 
on! Und won ih oans hät, Du 
nahmſt ma 5 nit oh!“ 

Zan a felhta Stund is 3, fteht 
jei Muada ban Bruntrog, wir er hoame 
timpp. Er hot an Krompn af der 





Ochſl, weil er wegmochn gemein is 
untu in Thol; 's hotn Weg ban leßtn 
Reg 3 Woſſa ftork zriſſn. Da Sicherſti 
is er heint nit in fein Gong! Dentt 
ihr d Mutter und redtn befümert on: 
„Biſt ban Fiſcherwirt herbei gwen, 
Gottliab?“ 

„Wegnwos ſul ih ban Fiſchawirt 
nit ſein herbeigwen?“ ſogg da Suhn, 
„ba den Stoankralln in gonzu Tog 
wird ma durſti.“ 

„Ih glab da 's wul eh,“ moant 
d Muader, „und a Krüagl Wein wird 
da gwiß vagunt ſein. Oba, ſchau, mei 
Kind“ — fie wiſcht ihri noſſn Händ 
mitn Fiatazipf oh und geht ſchön ſtad 
af eahm zua, und gehtn noch in d 
MWognhütn, wo er fih niedalegır will 
auffi af an Loatalorm. „Do mit, 
Gottliab,“ ſogg fie und willn ba da 
Hond nehma, „do is fa Ploß zarı 
Schlofn. Wan ſcha heint wieder: 
amol vorzeiti ſei muas, ſa woaßt jo 
Dei Bett.“ 

An Brumla mocht er und mitn 
Orm ſchupft ers af d Seitun. Ober 
a Muada, de ihrn Kind wos Guats 
will thoan, de is nit fa leicht zrugg— 
ſchreckt. Nohamol leggs ihr Hond af 
ſeini Ochſt und ſogg völli foanlaut: 
„Schau, mein Sind! Ih muas redn 
mit Dir, mir drudts 8 Herz oh! Mit 
da Wein ziacht Dih zan Fiſchawirt, 
wos Onders ziacht Dih. Jeſus Maria 
und Joſef, mei Gottliab, wos war 
d05! Tog und Nocht ligg mar a Stoan 
afn Herzn. Schau Dein VBodern on 
und Deini Brüader! Olls is in Ehen. 
Seit da Huflfreuzhof fteht, feit a Hütn 
steht im der Gegud, is ka ſelchts 
Aerganuß firkma. An Aerganuß, weiter 
is s nir, däs woas ih gleihwul, ja 
weit kunt Dih s Heili Taufwoſſa nit 
hobn valoſſn, daß d a Schonditud, 
a ſelchts Schondftud . . .“ 

Ba lauta Woanan fon | meama 
weite. Da Burſch wurd ihre kam ja 
long ſtillholtn; ma woas oba nit, ob 
er ihr zuahört, mitn Elbogn fpreizt er 
fein Kopf afn* Loatalorın ; todtubloß 
in Gſicht, zan valterbn is n Jchlecht. 


303 


Ih fürdt na, 8 is wos omders, und 
nit 3 ſchlechti Gwiſſn. 

„Und denf, mei Suhn,“ hHebb d 
Muada nohamol on, ihr Stim is fa 
triab, a3 wia warn | mit an ſchworzn 
Schloar umwidelt wa, „dent doh af 
Dei bravs Weib. 3 todt fümert fie 
ſih Deinetiwegn, wohin ſul däs führn! 
Gottliab, um olla Heiligu Willn, ftürz 
uns nit ins Unglüd!“ 

„Jo — jo —“ ſogg er tömi, 
„loßts mid hiaz gehn. Ih will a Rua 
hobn.* 

Drei Tog Steht on, do fimpp da 
Sottliab wieda von Thol hoam, und 
jpot nadti. Sei jüngaſts Brüaderl 
ſchloft ſchön in fein Strohladl, oba 
die drei gröffern fein noh munter und 
wortn afn Bruadan. 

„Wos ftellft Du on!“ frogg n 
da Martin in da finftern Vorlabn, 
„Bottliad! An iada von uns drei, 
wia ma do ftehn, loſſn uns die recht 
Hond ohhockn mit Yreudn, nur dos 
jul nit wohr fein, wos ma va Dir 
redt!“ 

„Dumheitn!“ 
„d Lent redn gor viel. 
af Enk ſelba!“ 

Do vaſtehn s eahm die Thür in 
ſei Schlofkomer und da Martin ſogg 
ſtad und holblaut: „Da Voda woas 
ah davon. Er wills onderſt hobn, ober 
ih ſog da s, Bruada: Wans wohr 
fult ſei, das mit da Kellnerin, oda 
Gfohr war, daß s wohr ſult wern, 
ih müaſſad heint noh owi ins Fiſcher— 
wirtshaus und müaſſaden niedaftechn, 
den Satan!“ | 

„Za der Ehr gratalir ih!“ locht 
da Burſch und reißt in fei Koma die 
Thür auf. 

Togs drauf, wia Hintern Gebirg 
Iha d Morgnröth aufleudht’t, und da 
Simer in Kreuz mit fein Buabnan 
um an Tiſch kniat und s Morgngebet 
bet't, do kniat da Gottliab ah dabei. 
Und wia 3 zan Sotz keman in Votr— 
unfer: Bergib uns unſere Schuld! 
zudt da Voda mit da Stim auf und 
Ihaut in Gottliab on. 


fnurt da Gottliab, 
Schauts ees 


Mäuſerlſtill is s an Augnblid — 
von Morgnrot ongſcheint, jo ſchaut 
da Voda fein Suhn ins Gſicht, und 
der ſchlogg d Augn nieda. 

Aft bein s weite. 


Noch den Tog ftehts on a Wohn 
long. Do is 5 am Obnd, daß die 
olt Muader und die Traudl alvan 
dahoam fein. Da Gottliab hot wieda 
wos zthoan in Thol, da Voder md 
die ondern Buabır fein noh nit zrugg 
van Wold, wo ſ mit n Loataforın 
Hulz ziomgfchleift Hobn für n Winta. 
Däußt, üba d Ejchnbam her fcheint 
ha s Manſcha. In da Stubn todıt 
3 Herdfeur, und zudt don und won und 
Ihnolzt a went. 3 Fuaßend af ihen 
Bett jigt die Traudl und woant ftill. 
Die olt Muada fon fo wos nit hörn, 
fie fchleicht Hin, ftreicht in jungen Weib 
5 Köpfl und fogg: „Muaft nit, Traudl. 
Muaft Did mit gor a fo omigrinte. 
35 bet Tog und Nocht und unja 
Hergott kons nit zualofin. Ih woaß 
3, ja ſchlim wirds nit fein, wia d Leut 
Ihwaßn. Glaub ma's, mei Tochta, da 
Gottliabd hot Dih gern. Und die 
Kellnerin, bon ih ghört, ful bold wek— 
fema von Filchawirt, weit überi in 
d Sarau; nochher it a Fried. Munter 
Did auf, Traudl, wirft ſechn, s wird 
Olls wieda guat, geh, munter Did auf.“ 

AU fo Hot3 ihr zuagredt. Da kno— 
bat3 daußt vor da Thür und da Gott» 
liab tirggelt in d Stubn. Tirggelt 
einer, deutt nix und fogg nix, ziacht 
ſeini Schuah aus, fein Uebagwond, 
und fetzts hin übas le. Long redn 
In nit on. Endla jogg d Muada: 

„Spot bift meh dron.“ 

„Sein die Ondern ſcha dahoam 2“ 
fohrt da Burſch auf. 

„Däs is wos onders;“ fogg Tie, 
„die Ondern fein ba der Orbat, Du 
kimſt — ih wir mid mit groß irrn — 
aus n Wirtshaus.“ 

„Kim ih nit Hoam von Wirtshaus, 
far is s nit recht; kim ih hoam, far 
is s ab nit recht,“ brumelt da Burich. 


51 * 


804 


„Doß d oba gor a jo henkſt ba]wipfeln wijchbelt da Wind und imer 
den Fiſchawirtshaus!“ redt m d Muader a Wulfnfegn fliagg über s Manſcha, 
entgegn. daß ſchworzi Schotn wia Gſpenſta 

„Sul Unſeroang dan gor nix meh laffn übers Feld her. Da Gottliab 
hobn af da Welt!“ fehreit da Gottliab | jchleiht um 8 Haus. — Hon ibs 
und reißt jei Danger! von Leib und daſchlogn oda nit? fo frogg er jih 
wirfts untern Tiſch Hin. jelber und ſei Herz dogazt, wir in da 

„Gottliab,“ fogg hiaz die Traud! | Schmitn da Homer afs hoaß Eifn. 
mit güatiga Stim, „id bon dar a — Hon ihs dafchlogn oda nit? — 
Suppu wormgitellt.“ 3a da Hausthür geht er und will eini. 

„Holt s Maul!" fchreit er F on.) Sie is vajpiert. In Mold lafft er 

Diaz Steht fie auf und stellt ſih Hin, borſuaß, koan Rod afn Leib, 
gonz ftad vor eahm Hin: „Gottliab, kdan Huat afn Kopf; fein Bidlin 
a ſelchts Wort Hoft ma noh nia gebn!“ | beidelt!, er woas nit, is s vor Kältn 

„Wirt as ſcha gwohnt wern!|oda vor Ongit. 3. 
Oda willft ma hiaz epper an Hern Diaz gach nimbb er wohr, wia fei 
zoagn, weil die Hetl do untn aus m) Voder und feini Brüada nochn Weg 
Haus muas wegn Deina, folſchas daher kemen gegn $ Haus zua. Er 
Luada, vadonkt's! Hin fulft fein, duckt fih Hinter an Gräſſing und ſiachts. 
wegn meiner!" und gibb ihr an Stop | Seini zwen ältern Brügda ziachn in 
in die Bruft, daß f mit an Heſchaza Loatalorm; afn Loatatorm ligg ſei 
hintirgglt und zfombricht in Wintel. er u. da Ferl, — ſechs 

„Jeſus Maria!“ ſogg ſei Muada; Johr olt. Nuad 13 er worn, da Kloani— 
en a fha ba da u ; ‚in Wold, Hiaz ſchloft er. Hintern Korm 

Mit Woffa, mit guati Wort fpringgs geht da vierti Bruader und wo d Rader 
Bing um, bie ot * * Ente Ta über a Bamwurzn müalfır, do ſchiabb 


— noch und hilft weita. Gonz hintn 
Zeit zan gſchreckt fein, die Traudl liegg * 9 ; | & 
afn Fle und aus ihrn Mund gurglts —0 TEEN 
Oluat. Mit Woſſa, mit guati Wort Diaz kimpp eahna d Muader ent—⸗ 
— do fimpp 8 ormi, Weib noch und gegn. „Long ſeids aus, Maner,“ a jo 
noch wieda zan ihr ſelba. D Herd⸗ redt ſie aft on, „ma moant, ma 
Bun ſcheint afs Fletz hin, * ſiacht kunt Enk neama dawortn.“ Nochha 
die Traudl in Gottliab ſeini Schuach, draht fa ſih zan Oltn und frogg Hoau- 


jei Joppn, fein Huat. „Solt is s . 
daußt,“ fogg | völli ſtad und bitte ie ehe DE RO 


trauri. 
i j „Is er noh nit dahoam ?* frogg 
„In da Höll wirdn ſcha wieda da Moder und feina Stim fent ma $ 


worm tern,“ jogg d Muada. on, as gſchiachtn Hort, warn d Ned is 
Da Gottliab fimpp mit zrugg in von Gottliab. 
d Stubn, die Ondern wölln heint ah „Dahoam gweſn is er,“ ſogg d 
ollaweil noh mit hoamfema; "3 Manfcha Muader, „oba bold wieda fuat, Holb 
Iheint ban Fenſter einer aſs Bett, | nodad fuat, ih dent er fon mit long 
wo die Traudl hiaz ligg, onzihaun | ausbleibn. Oba daß ih da 3 fog, 
wir a Leichh. Voda, ſchreck Dih nit z viel; da Bua 
Endla ſchlofts ein. Und wia || Hot wos ongftellt und wan er wieda 
ſchloft, ſchleicht die olt Muader aus n|fimpp, ja därfn ma nm neamer eini 
Haus und dab ſ in Vodan entgegn lofjn in unfa Haus.“ 
gang und eahm 3 Unglüd dazählad. „Weib, wos is gſchechn?“ frogg 
Daweil is da Gottliab daußtn uma= da Simer in Kreuz und bleibb ftehn. 
ghellrazt in da Kältn. In Bam- Do dazählt eahın 3 Weib mwoanand, 














8305 


wo3 da Gottliab Hot gſtondn und wos 
er hot ongitellt. 

Da Gottliab Schleicht Hintern Baman 
nebn an Weg ber, und dag er im 
Finftern zwifchen in Ondern ba da 
Thür eini Hunt fchlupfn, daß er in 
Stodl fam afs worm Heu, däs is fei 
Valonga. Ka Wort wird meh gredt 
afn Weg. Se keman zan Haus. Da- 
weil d Muada mitn hülzeran Schlüfil 
d Hausthür auffpirt, ftupft da Voder 
3 Hoan Büabl afn Korm und fogg: 
„Berl, damunter Dih auf, mir fein 
dahoam.“ Da Hoan Ferl jegt ſih auf, 
reibb mit da Fauſt in fein Augnan, 
do ſchiaßt da Gottliab‘ za da Thür 
und will eini. 

„Oho!“ fogg da Martin, und 
podtn fejt on, „Du bift es, Gottliab. 
In dos Haus gehit neama!“ 

Dia | ringen oll zwen fimpp ab 
da Hond und da Hart in Martin 3 
Hilf, und mia | n Gottliab afn Bodn 
bobn, ſogg da Voda: „Daweil thuats 
n nir. Werfts n afn Loatalorın und 
bindts n feit on.“ 

Se reiſſn an afd Hech, werfn an 
afn Korm, daß er gmegazt, ziahn an 
Orm und Füaß ausanonder uud bindn 
an feft in Loatafprüffin, daß er mir 
a Krenzigta doligg afn Korn. In 
Kopf hot er oanzi noh frei, da Gott- 
liab, den wirft er bin und her und 
wer n in d Nahad fimpp, den will 
er beifin. 

„Mei liaba Gottliab," ſogg da 
Noder und ftellt jih vorn Hin, „däs 
hilft da nir meh. Du woaßt, wos Du 
thon Hoft und woaßt, wos da gſchechn 
wird. Dei Weib konſt gichlogn hobn, 
3 mog fein; da Hergott in Dimel wirds 
rihtn. In Ehebruch ftroft noch oltn 
Brauh Dei Richter auf Erde. Du 
bot Dei Weib varothn, hoſt Eltern 
und Gſchwiſter in d Schond brocht. Mir 
oda Du. A der Welt nebnanonda 
fina mir neama lebn.“ 

Ban Manjhaliacht jiht ma 8, zan 
Schaudern vazogn is in Gottliab fei 
Gicht. Nit a Sterbnswort jogg er, 
feft grobb er ſeini Zähnt in d Lefzu, 


daß F bliatn. D Muader iS af die 
Thürſchwelln hingſunkn, af ihen Schoß 
ligg 3 Köpfel von jüngaftn Büabl. 
Sie vadedt ihr Gficht mitn Fiater und 
denft afn Gottliad. A liabs Kind is 
3 jo doh, wos do Hinz ja fehredbor 
muas 3 Grund gehn und fon an nit 
helfn, und därf nm mit helfn, und 
möchtn nit helfu, war ſ ah kunt und 
deafad. 

Die Altern Briada ftehn finfter 
und Shaun afn Vodan. 

Der’ ruaft in kloan Ferl und fogg 
drauf zan Martin: Martin, Heb in 
Kloan afn Korm, daß er in Gottliab 
übers Gſicht a Kreuz mocht.“ 

Da Martin Hebb mit van Orm 
3 Bitabl af d Hech, mit der ondern 
Hond Holt't er in Onbundnan feit ban 
Horen, daß er nit ſchneblazn kon mitn 
Kopf. Da Ferl ftredt jein Daum, 
mocht drei Kreuz übern Gottliab feina 
Stirn, fen Mund, ſeina Bruft und 
fogg mit da woachn gloggnhelln Stim: 
„Im Namen Gott des Vaters, und 
des Sohnes, und des heiligen Geiftes, 
Amen.“ 

Oll eahnri Hüat hobn j von Kopf 
zogn, „Amen!“ jogn Toll. 

„Hong,“ ſogg da Voder und ſei 
Stim is töwi, „loß in Storm Hinteri 
nieda!“ Da Hons hHebb voran die 
Deichſel af d Hech, dab da hinteri 
Korm mitn Kopf gegn an Bodn noagg. 
Da Voda nimbb fei Hulzbeil, ſei ſchwars, 
und wir ers hoch hebb in da Luft, 
do glitznuts in Manſcha wia Silba. 
Schwar mitn eiſernan Ruggn, jo loßt 
er s niedafaufn afn Gottliab fein Kopf, 
dab & an tumpern Scholl gibb. A 
pormol laut auf rodlt da Gottliab, 
oba da Voda vaſetztn ſchon in zweitn 
Schlog und in drittn; Mord und 
Blut ſpritzt hoch auf und da Kopf is 
zerſchmedert. 

Hiaz finft n Vodan s Hulzbeil aus 
do Hond und er ſelber ſinkt afn grean 
Woſn. 

„Dos bot fein müaſſu!“ fo ſeufzt 
er. Und nochher is s ſtill um und um, 
‚in Bamwipfeln wachelt da Wind. — 





Noch a Weil flieht da Simer in 
Kreuz auf, winkt in Sühnen und fogg: 
„An Korm, wir er ligg, fo ziachts 
n hiaz owi in Grobn. Afn Mosgrund, | 
wo Wulfsmilh und Schirling und, 
Nochtlirzn wohin, grobb s n ein. — 
Nochha hobbs Feirobnd.“ | 


Erklärung: Simer in Kreuz: 
Simon im Kreuzhof. bagidirli: niedlich | 


Zerdinand, 


und drollig. ausbündi: flug, geiceit. 
Fiata: Schürze. Loatalorm: zweiräde: 
tiger Leiterwagen. 3 Manjha: der Mond. 
todnt: todt werdend, im Verldſchen be: 
griffen. fnobat:poltert. tirggelt:torfelt. 
Hangerl: Bruftfled, den man mit einer 

Hlinge über den Naden hängt. umag: 
hbellerazt: umbergeirrt. Dogazt: podt. 
Gräffing: Junger Zannling. gmegazt: 
ächzt. Lefzu: Lippen. jhneblayn:mwadeln. 
tömwi: dumpf. rodlt: rödelt. 


der Dieb. 


Gine Geſchichte. 


INT an fanıı in Familien oft die 
EA DBemerlung machen, daß Kin— 
der, jowohl der Geftalt als dem Geifte 
nad, bald vom DBater, bald von der 
Mutter Eigenjchaften an fih tragen; 
und jo fommt auch manchmal der Fall 
vor, daß ein Kind die Naturen beider 
Eltern auf eine beiondere und ver— 
wundernswürdige Weife verbindet. 
Hiervon war ein junger Menſch, 
den ich Ferdinand nennen will, ein 
auffallender Beweis. Seine Bildung 
erinnerte an beide Eltern, und ihre 
Gemüthsart konnte man in der feinigen 
genau unterſcheiden. Er hatte den 
leiten und frohen Sinn des Vaters, 
jo auch den Trieb, den Augenblid zu 








genießen, und eine gewille leidenjchaft: | 
liche Art, bei manchen Gelegenheiten | 
nur Sich ſelbſt in Anſchlag zu bringen. | 
Bon der Mutter aber hatte er, fo ſchien 
es, ruhige Leberlegung, ein Gefühl von 
Recht und Billigkeit und eine Anlage 
zur Kraft, ich für Andere aufzuopfern. 
Man ſieht Hieraus leicht, daß Die- 
jenigen, die mit ihm umgiengen, vft, 
um jeine Handlungen zu erklären, zu 
der Hypotheſe ihre Zuflucht nehmen 
mußten, daß der junge Mann wohl 
zwei Seelen haben möchte. 

Ih übergehe mancherlei Scene, 





ganzen Charakter ins Licht jet, und 
in jeinem Leben eine entjchiedene Epoche 
machte. 

Gr hatte von Jugend auf eine 
reichliche Lebensart genofjen‘: denn feine 
Eltern waren wohlhabend, lebten und 
erzogen ihre Kinder wie es ſolchen 
Leuten geziemt; und wenn der Vater 
in Geſellſchaften, beim Spiel und durd 
jierliche Kleidung mehr als billig war, 
ausgab, jo wußte die Mutter als eine 
gute Haushälterin dem gewöhnlichen 
Aufwande ſolche Grenzen zu ſetzen, 


daß im Ganzen ein Gleichtgewicht blieb 


und niemals ein Mangel zum Vor— 
ſchein kommen fonnte. Dabei war der 


Vater als Dandelsmann glüdlidh; es 


geriethen ihn manche Speculationen, 
die er ſehr kühu unternommen hatte, 
und weil er gern mit Menſchen lebte, 
hatte er ſich in Gejchäften auch vieler 
Verbindungen und mancher Beihilfe 
zu erfreuen. 

Die Kinder, als firebende Naturen, 
wählen ſich gewöhnlich im Haufe das 
Beiſpiel deſſen, der am meilten zu leben 
und zu genießen jcheint. Sie ſehen in 
einen Vater, der fihs wohl fein läßt, 


‚die entjchiedene Negel, wornad fie ihre 


Lebensart einzurichten haben ; und weil 
lie ſchon früh zu dieſer Einficht ges 


die im feiner Jugend vorfielen, und langen, jo jchreiten meiſtentheils ihre 
erzähle nur eine Begebenheit, die feinen |; Begierden und Wünfche in großer Dis» 





proportion der Kräfte ihres Hauſes ſich hervorzuthun und zu gefallen 
fort. Sie finden ſich bald überall ge= |wiünfchte, in ihrer Hanshaltung ges 
bindert, um fo mehr al3 jede neue, drängter fein als jemals: anftatt aljo 
Generation nene und frühere Anfordes | feine Forderungen wie fonft zu bes 
rungen macht, und die Eltern den |friedigen, fing fie an, feine Vernunft, 
Kindern dagegen meiftentheils nur ge= | fein gutes Herz, feine Liebe zu ihr in 
währen möchten, was fie jelbft im | Anspruch zu nehmen, und feßte ih, 
früherer Zeit genofjen, da noch Jeder- indem fie ihn zwar überzeugte, aber 
mann mäßiger und einfacher zu leben nicht veränderte, wirklich in Verzweif— 
fih bequemte. lung. 

Ferdinand wuchs mit der unan— Er konnte, ohne Alles zu verlieren, 
genehmen Empfindung heran, daß ihm was ihm jo lieb als fein Leben war, 
oft dasjenige fehle, was er an feinen |die Verhältniffe nicht verändern, in 
Gejpielen ſah. Er wollte in Kleidung, |denen er fich befand. Won der erften 
in einer gewiſſen Liberalität des Lebens | Jugend an war er diefem Zuflande 
und Betragens hinter Niemand zurüdz \entgegen, er war mit Allem, was ihn 
bleiben ; er wollte feinen Vater ähnlich | umgab, zufammen gewachlen ; er fonnte 
werden, deſſen Beilpiel er täglich vor keine Fafer feiner Verbindungen, Ge- 
Augen Jah, und der ihm doppelt als |jellfchaften, Spaziergänge und Luſt— 
Mufterbild erjchien, einmal al3 Vater, |partieen zerreigen, ohne zugleich einen 
für dem der Sohn gewöhnlih ein alten Schulfreund, einen Gefpielen, 
günftiges Vorurtheil hegt, und dann | eine neue ehrenvolle Belanntichaft und, 
wieder weil der Knabe ſah, daß der was das Schlimmfte war, feine Liebe 
Mann auf diefem Wege ein vergyügs zu verlegen. 
liches und genußreiches Leben führte Wie Hoch und wert er jeine Nei— 
und dabei von Jedermann geihäßt und gung hielt, begreift man Leicht, wenn 
geliebt wurde. man erfährt, daß fie zugleich feiner 

Ferdinand hatte hierüber, wie man | Sinnlichkeit, feinem Geifte, feiner Eitel— 
ſich leicht denfen kann, manchen Streit |feit und feinen lebhaften Hoffnungen 
mit der Mutter, da er dem Vater die ſchmeichelte. Eins der fchönften, an— 
abgelegten Röde nicht nachtragen, ſon- genehmſten und reichjten Mädchen der 
dern jelbft immer in der Mode fein | Stadt aub ihm, wenigflens für den 
wollte. So wuchs er heran und feine | Augenblid, den Vorzug vor feinen 
Forderungen wuchjen immer bor ihm |vielen Mitwerbern. Sie erlaubte ihm 
ber, jo daß er zuleßt, da er achtzehn | mit dem Dienft, den ev ihr widınete, 
Jahre alt war, ganz außer Verhältnis | gleichfam zu prahlen, und fie fchienen 
mit jeinem Zuftande fich fühlen mußte. wechſelsweiſe auf die Stetten ftolz zu 

Schulden hatte er bisher nicht ge= | fein, die fie einander angelegt Hatten. 
macht: denn feine Mutter Hatte ihm Nun war es ihm Pflicht, ihr überall 
davor den größten Abſchen eingeflößt, Ian folgen, Zeit und Geld im ihrem 
fein Vertrauen zu erhalten gefucht und | Dienfte zu verwenden und anf jede 
in mehreren Füllen das Aeußerſte Weiſe zu zeigen, wie wert ihm ihre 
gethan, um feine Wünſche zu erfüllen Neigung und wie unentbehrlich ihm 
oder ihn aus Heinen Berlegenheiten ihr Beſitz jei. 
zu reißen. Unglücklicherweiſe mußte fie Diefer Umgang und diefes Bes 
in eben dem Zeitpunkte, wo er nun | Streben machte Ferdinanden mehr Auf— 
als Jüngling noch mehr aufs Aenßerſte wand, als es unter andern Umftänden 
ab, two er durch die Neigung zu einem natürlich gewejen wäre. Sie war 
ſehr Schönen Mädchen, verflochten im | eigentlich von ihren abwefenden Eltern 
größere Geſellſchaft, ich Andern nicht einer jeher wunderlihen Tante anverz 
allein gleichzuftellen, Jondern vor Andern | traut worden, und es forderte mancherlei 


808 


Künfte und feltfame Anftalten, um 
Ottilien, diefe Zierde der Gefellichaft, 
in Gefellfchaft zu bringen. Yerdinand 
erichöpfte fih in Erfindungen, um ihr 
die Vergnügungen zu verjchaffen, die 
fie fo gern genoß und die fie Jeden, 
der um fie war, zu erhöhen wußte. 

Und in eben diefem Augenblide 
von einer geliebten und verehrten Mutter 
zu ganz anderen Pflichten aufgefordert 
zu werden, von diefer Seite feine Hilfe 
zu jehen, einen fo lebhaften Abjchen 
vor Schulden zu Fühlen, die auch feinen 
Zuftand nicht lange würden gefriftet 
haben, dabei von Jedermann für wohl: 
habend und freigebig angejehen zu 
werden, und das tägliche und dringende 
Bedürfnis des Geldes zu empfinden, 
war gewiß eine der peinlichiten Lagen, 
in der ſich ein junges, durch Leiden 
ſchaften bewegtes Gemüth befinden fann. 

Gewiſſe Vorftellungen, die ihm 
früher nur leicht an der Seele vor- 
übergiengen, hielt er nun feiter; ge— 
wiſſe Gedanken, die ihn fonft mur 
Augenblicke beunrubigten, ſchwebten 
länger vor ſeinem Geiſte, und gewiſſe 
verdrießliche Empfindungen wurden 
dauernder und bitierer. Hatte er ſonſt 
ſeinen Vater als ſein Muſter ange— 
ſehen, ſo beneidete er ihn nun als 
feinen Nebenbuhler: von Allen, was 
der Sohn wünſchte, war jener im 
Beſitz; Alles, worüber dieſer fich 
ängſtigte, ward jenem leicht; und es 
war nicht etwa von dem Nothwendigen 
die Rede, ſondern von dem, was jener 
hätte entbehren können. Da glaubte 
denn der Sohn, daß der Water wohl 
auch manchmal entbehren follte, um 
ihn genießen zu laſſen. Der Vater 
dagegen war ganz anderer Geſinnung; 
er war von den Menſchen, die ſich viel 
erlauben und die deswegen in den Fall 
foınmen, denen, die von ihnen ab— 
hängen, viel zu verſagen: er hatte dem 
Sohne etwas Gewiſſes ausgefeßt und 
verlangte genane Rechenſchaft, ja eine 
regelmäßige Rechnung von ihm darüber. 

Nichts Tchärft das Auge des Men- 


Ihränft. Darum find die Frauen durch— 
aus Hüger als die Männer; und auf 
Niemand find Untergebene aufmerf- 
ſamer als auf den, der befiehlt, ohne 
zugleich durch fein Beifpiel vorauszu— 
gehen. So war der Sohn auf alle 
Handlungen feines Vaters aufinerfam, 
bejonders auf folche, die Geldausgaben 
betrafen. Er horchte genauer auf, wenn 
er hörte, der Bater habe im Spiel 
verloren oder gewonnen; er beurtheilte 
ihn ſtrenger, wenn jener ſich willkürlich 
etwas Koftipieliges erlaubte. 

Iſt es nicht fonderbar, ſagte er zu 
fich ſelbſt, daß Eltern, während fie ſich 
mit Genuß aller Art überfüllen, indem 
fie bloß nach Willfür ein Vermögen, 
das ihnen der Zufall gegeben hat, be: 
nutzen, ihre Kinder gerade zu der Zeit 
von jedem billigen Genuffe ausschließen, 
da die Jugend am empfänglichiten 
dafür ift? Und mit welchem Rechte 
thum fie es? und wie find fie zu diejem 
Rechte gelangt ? Soll der Zufall allein 
enticheiden, und kann das ein Recht 
werden, wo der Zufall wirkt? Lebte 
der Großvater noch, der feine Entel 
wie feine Kinder hielt, es würde wir 
viel beifer ergehen; er würde es mir 
nicht am Nothwendigen fehlen lafjen: 
denn ift uns das wicht nothwendig, 
was wir in Berhältniffen brauchen, zu 
denen wir erzogen und geboren find? 
Der Großvater würde mich nicht darben 
laffen, jo wenig er des Vaters Ber: 
ſchwendung zugeben würde. Hätte er 
länger gelebt, hätte er klar eingejehen, 
daß fein Enkel auch wert ift, zu ge 
nießen, fo hätte er vielleicht in dem 
Teftament mein früheres Glüd ent— 
ihieden. Sogar habe ich gehört, daß 
der Großvater eben vom Tode übereilt 
worden, da er einen legten Willen 
aufzufeßen gebadhte: und jo Hat viele 
leicht bloß der Zufall mir meinen frühern 
Antheil an einem Vermögen entzogen, 
den ich, wenn mein Vater fo zu wirt— 
ſchaften fortfährt, wohl gar auf immer 
verlieren kann. 

Mit diefen und andern Sophiftereien 


ihen mehr, als wenn man ihn ein |über Beſitz und Recht, über die Trage, 





ob man ein Geſetz oder eine Einrich- anlehnen: undermögend, ihn zu halten, 
tung, zu denen man feine Stimme |ftieß er gewaltfam an die Ede des 
nicht gegeben, zu befolgen brauche, und | Schreibtifches, und der Dedel defjelben 
in wiefern es dem Menſchen erlaubt | flog auf. Er fah nun alle die Rollen 
fei, im Stillen von den bürgerlichen vor ſich liegen, zu denen er manchmal 
Geſetzen abzuweichen, bejchäftigte er nur hineingeſchielt hatte, ſetzte ſeinen 
ſich oft in feinen einſamen verdrieß⸗ Kaſten nieder und nahm, ohne zu 
lichſten Stunden, wenn er irgend aus denken und zu überlegen, eine Rolle 
Mangel des baren Geldes eine Luſt⸗ | von der Seite weg, wo der Vater ge— 
partie oder eine andere angenehine Ge« | wöhntich fein Geld zu willfürlichen 
ſellſchaft ausſchlagen mußte: denn Schon | Ausgaben herzunehmen ſchien. Er 
hatte er Heine Sachen von Wert, die | drüdte den Schreibtifch wieder zu und 
er beſaß, vertrödelt und jein gewöhnz |verfuchte den Seitenftoß; der Dedel 
lies Taſchengeld wollte feineswegs | flog jedesmal auf, und es war fo gut, 


hinreihen. Sein Gemüth verſchloß ſich, 
und man kann ſagen, dal er in dieſen 
Augenbliden feine Mutter nicht achtete, 
die ihm micht Helfen konnte, und feinen 
Vater haßte, der ihm, mach jeiner 
Meinung, überall im Wege ftand. 
Zu eben der Zeit machte er eine 
Entdedung, die feinen Unwillen noch 
mehr erregte. Er bemerkte, daß fein 
Bater nicht allein fein guter, ſondern 
auch ein umordentliher Haushälter 
war: denn er nahm oft aus feinem 
Schreibtiihe in der Geichwindigfeit 
Geld, ohne es aufzuzeichnen, und fieng 
nachher manchmal wieder an zu zählen 
und zu rechnen, und fchien verdriehlich, 
doß die Summen mit der Gafle nicht 
übereinftimmen wollter. Der Sohn 
machte dieſe Bemerkung mehrmals, 
und um Fo empfindlicher ward es ihn, 
wenn er zu eben der Zeit, da der 


Vater nur geradezu 'in das Geld hineins | 


griff, einen entichiedenen Mangel jpürte. 

Zu diefer Gemüthsftimmung traf 
ein jonderbarer Zufall, der ihm eine 
reizende Gelegenheit gab, dasjenige zu 
thun, wozu er nur einen dunkeln und 
umentichiedenen Trieb gefühlt hatte. 

Sein Vater gab ihm den Auftrag, 
einen Kaſten alter Briefe durchzufehen 
und zu ordnen. Eines Sonntags, da 
er allein war, trug er ihm durch das 
Zimmer, wo der Schreibtiih ſtand, 
der des Vaters Galle enthielt. Der 
Staften war fchwer, er hatte ihn uns 
recht gefaßt, und wollte ihn einen 
Augenblid abjeßen, oder vielmehr mur 


als wenn er den Schlüffel zum Pulte 
gehabt hätte. 

Mit Heftigkeit ſuchte er nunmehr 
* Vergnügung wieder, die er bisher 
hatte entbehren müſſen. Er war fleißiger 
um ſeine Schöne; Alles, was er that 
und vornahm, war leidenjchaftlicher ; 
feine Lebhaftigkeit und Anmuth hatten 
ih im ein heftiges, ja beinahe wildes 
Mefen verwandelt, das ihm zwar nicht 
übel lieh, doch Niemand wohlthätig war. 


Was der Feuerfunke auf ein ges 
ladenes Gewehr, das ift die Gelegenheit 
zur Neigung, und jede Neigung, die 
wir gegen unjer Gewiſſen befriedigen, 
zwingt uns, ein Uebermaß von phy— 
licher Stärfe anzumenden; wir han— 
deln wieder als wilde Menfchen, und 
e3 wird ſchwer, äußerlich dieſe An— 
ſtrengung zu verbergen. 

Se mehr ihm jeine innere Em— 
| pfindung widerfprach, deito mehr häufte 
Ferdinand fünftliche Argumente auf 
‚einander, md deito muthiger und freier 
ſchien er zu handeln, je mehr er fich 
ſelbſt von Einer Seite gebunden fühlte. 


Zu derjelbigen Zeit waren allerlei 
Koftdarkeiten ohne Wert Mode gewor— 
den. Ottilie liebte fich zu ſchmücken; 
er ſuchte einen Weg fie ihr zu ver— 
Ihaffen, ohne daß Ottilie ſelbſt eigent— 
lich wußte, woher die Geſchenke kamen. 
Die Vermuthung ward auf einen alten 
Oheim geworfen, und Ferdinand war 
doppelt vergnügt, indem ihm ſeine 
‚Schöne ihre Zufriedenheit über die 


Geſchenke und ihren Verdacht auf den 
Oheim zu erkennen gab. 

Aber um ſich und ihr diefes Ver— 
guügen zu machen, mußte er noch 
einigemal den Schreibtifch feines Vaters 
eröffnen, und er that es mit defto 
weniger Sorge, als der Vater zu ver— 
Ichiedenen Zeiten Geld hineingelegt und 
herausgenommen hatte ohne es aufs 
zufchreiben. 

Bald darauf follte Ottilie zu ihren 
Eltern auf einige Monate verreifen. 
Die jungen Leute betrübten fich äußerft, 
da Sie ſcheiden follten, und ein Umſtand 
machte ihre Trennung noch bedeutender. 
Dttilie erfuhr durch einen Zufall, daß 
die Gefchente von Ferdinanden kamen; 
fie jeßte ihn darüber zur Rede, und 
als er es geftand, fchien fie ſehr ver- 
drießlich zu werden. Sie beftand darauf, 
dal er fie zurüdnehmen follte, und 
diefe Zumuthung machte ihm die bit— 
terften Schmerzen. Er erklärte ihr, 
dan er ohne fie nicht leben könne noch 


— 


ſchiefe Weiſe Habe durchführen und 
dadurch eine unerlaubte Handlung be— 
Ihönigen können. Es ward ihm nad 
und nach deutlich, daß nur Treue und 
Glauben die Menjchen ſchätzenswert 
mache, daß der Gute eigentlich leben 
müſſe, um alle Gejeße zu beſchämen, 
indem ein Anderer fie entweder ums 
gehen oder zu feinem Vortheil ge— 
brauchen mag. 

Inzwiſchen ehe diefe wahren und 
guten Begriffe bei ihin ganz Far wurden 
und zu Herrfchenden Entjchlüffen führten, 
unterlag er doch noch einigemal der 
Verſuchung, aus der verbotenen Quelle 
in dringenden Fällen zu ſchöpfen. 
Niemals that er es aber ohne Wider: 
willen, und nur wie von einem böjen 
Geifte an den Haaren hingezogen. 

Endlich ermannte er ſich und fahte 
den Entſchluß, vor allen Dingen die 
Handlung fih unmöglich zu machen, 
und feinen Vater don dem YZuftaude 
des Schloffes zu unterrichten. Er fieng 


wolle; er bat fie, ihm ihre Neigung |e8 Hug an und trug den Kaften mit 
zu erhalten, und beſchwor fie, ihm ihre den munmehr geordneten Briefen in 
Hand nicht zu verfagen, fobald er ver= | Gegenwart feines Vaters durch dus 
jorgt und häuslich eingerichtet fein | Zimmer, begieng mit Vorſatz die Un— 
würde. Sie liebte ihn! fie war gerührt, | gefchidlichkeit, mit dem Kaſten wider 
fie fagte ihm zu was er wünfchte, und den Schreibtifch zu ftoßen, und wie 


in dieſem glüdlichen Augenblide vers 
fiegelten fie ihr Berfprechen mit den 
lebhafteften Umarmungen und mit tau— 
jend herzlichen Küffen. 

Nach ihrer Abreife fchien Ferdinand 
lich Fehr allein. Die Gefellfchaften, in 
welchen er fie zu ſehen pflegte, veizten 
ihn nicht mehr, indem fie fehlte. Er 
bejuchte nur noch aus Gewohnheit ſo— 
wohl Freunde als Luftörter, und nur 
mit Widerwillen griff er noch einiges 
mal in die Caſſe des Vaters, um Aus— 
gaben zu beftreiten, zu denen ihn feine 
Leidenschaften nöthigten. Er war oft 
allein, und die gute Seele jchien die 
Oberhand zu gewinnen. Er erftaunte 
über ſich jelbft bei ruhigem Nachdenken, 
wie er jene Sophiftereien über Necht 
und Beliß, über Anjprüche an fremdes 
Gut, umd wie die Nubrifen alle heißen 
mochten, bei ſich auf eine jo falte und 


! 


| 





| 


erflaunte der Vater, als er den Dedel 
auffahren ſah! Sie unterjuchten beide 
das Schlof und fanden, daß die Schließ— 
haken durch die Zeit abgenußt und die 
Bänder wandelbar waren. Sogleid 
ward Alles repariert, und Ferdinand 
hatte feit langer Zeit feinen vergnüg— 
tern Augenblid, als da er das Geld 
in fo guter Verwahrung fah. 

Aber dies war ihm micht gemug. 
Er nahın fich jogleich vor, die Summe, 
die er feinem Vater entwendet hatte, 
und die er noch wohl wußte, wieder 
zu ſammeln und fie ihm auf eine oder 
die andere MWeife zuzuftellen. Er fieng 
nun an aufs Genauefte zu leben und 
von feinem Qafchengelde was nur 
möglich war zu ſparen. Freilich war 
das nur wenig, was er hier zurüds 
halten konnte, gegen das, was er jonit 
verschwendet hatte; indeljen ſchien die 





811 


Summe fohon groß, da fie ein Anfang 
war, fein Unrecht wieder gut zu machen. 
Und gewiß ift ein ungeheurer Unter— 
Ichied zwifchen dem legten Thaler, den 
man borgt, und zwiſchen dem erften, 
den man abbezahlt. 

Nicht lange war er auf dieſem 
guten Mege, als der Vater fich ent» 
Schloß, ihn in Dandelsgefchäften zu 
verſchicken. Er follte fih mit einer 
entfernten Fabrikanſtalt befannt machen. 
Man hatte die Abficht, in einer Gegend, 
wo die erften Bedürfniſſe und die Hand: 
arbeit ſehr wohlfeil waren, ſelbſt ein 
Gomptoir zu errichten, einen Compagnon 
dorthin zu feßen, den Bortheil, den 
man gegenwärtig Andern gönnen mußte, 
jelbft zu gewinnen, und durch Geld 
und Gredit die Anftalt ins Große zu 
treiben. Ferdinand follte die Sade in 
der Nähe unterfuchen und davon einen 
umftändlichen Bericht abftatten. Der 
Bater Hatte ihm ein Neifegeld aus» 
gejeßt umd ihm vorgejchrieben, damit 
auszufommen; es war reichlich, und 
er hatte fich nicht darüber zu beklagen. 

Huch auf feiner Reife lebte Fer— 
dinand ſehr ſparſam, vechnete und 
überrechnete und fand, daß er den 
dritten Theil feines Neifegeldes er— 
Iparen könnte, wenn er auf jede Weiſe 
ſich einzufchränfen fortführe. Er hoffte 
num auch auf Gelegenheit, zu dem 
Uebrigen nach und nad zu gelangen, 
und er fand fie: denn die Gelegenheit 
ift eine gleichgiltige Göttin, ſie be= 
günftigt das Gute wie das Böfe. 

In der Gegend, die er beſuchen 
joflte, fand er Alles weit vortheilhafter, 
als man geglaubt hatte. Jedermann 
gieng in dem alten Schlendrian hand— 
werlsmäßig fort; von men entdeckten 
Vortheilen hatte man feine Kenntnis, 
oder man hatte feinen Gebrauch davon 
gemacht. Man wendete nur mäßige 
Eummen Geldes auf und war mit 
einem mäßigen Profit zufrieden, und 
er ſah bald ein, daß man mit einem 
gewiſſen Capital, mit Vorſchüſſen, Eins 
kauf des erſten Materials im Großen, 
mit Anlegung von Mafchinen durch 


die Hilfe tüchtiger Werfmeifter eine 
große und folide Einrichtung werde 
| machen lönnen. 

Er fühlte fich durch die Idee diejer 
| mögticjen Thätigfeit jehr erhoben. Die 
herrliche Gegend, in der ihm jeden 
Augenblick feine geliebte Dttilie vor— 
ichwebte, ließ ihn wünſchen, daß fein 
Vater ihn an dieſen Plaß jegen, ihm 
das neue Etabliſſement anvertrauen 
und jo auf eine reichlihe und uner— 
wartete Weiſe ausftatten möchte. 

Er jah Alles mit größerer Auf— 
merfjanfeit, weil er Alles ſchon als 
das Seinige anjah. Er hatte zum 
erſtenmal Gelegenheit, feine Stenntniffe, 
feine Geiftesträfte, fein Urtheil anzu— 
wenden. Die Gegend ſowohl als die 
Gegenftände intereflierten ihn aufs 
höchfte; fie waren Labjal und Heilung 
für fein verwundetes Herz: denn nicht 
ohne Schmerzen konnte er ſich des 
päterlihen Haufes erinnern, in welchem 
er, wie in einer Art von Wahnjinn, 
eine Handlung begehen konnte, die ihm 
nun das größte Verbrechen zu fein ſchien. 

Ein Freund feines Hauſes, ein 
waderer, aber fränfliher Mann, der . 
jelbit den Gedanken eines folchen Eta— 
bliſſements zuerſt in Briefen gegeben 
hatte, war ihm ſtets zur Seite, zeigte 
ihm Alles, machte ihn ınit feinen Ideen 
bekannt, und frente fich, wenn ihm der 
‚Junge Menſch entgegen, ja zuvorlam. 
Diejer Mann führte ein fehr einfaches 
Leben, theils aus Neigung, teils weil 
feine Gefundheit es fo forderte. Er 
hatte feine Kinder; eine Nichte pflegte 
ihn, der er jein Vermögen zugedacht 
hatte, der er einen wadern und thä— 
tigen Mann wünfchte, um mit Unter— 
Hügung eines fremden Capitals und 
frifcher Sträfte Dasjenige ausgeführt 
zu jehen, wovon er zwar einen Begriff 
ae wovon ihn aber jeine phyſiſchen 
und öfonomijchen Umftände zurüc— 
' hielten. 

Kaum hatte er FFerdinanden ges 
ſehen, als ihm diejer jein Mann zu 
fein ſchien; und feine Hoffnung wuchs, 
als er jo viel Neigung des jungen 





812 


Menschen zum Geſchäft und zu der 
Gegend bemerkte. Er lieh feiner Nichte 
feine Gedanfen merken, und dieſe ſchien 
nicht abgeneigt. Sie war ein junges 
wohlgebildetes, gefundes und auf jede 
Weiſe gutgeartetes Mädchen ; die Sorg— 
falt für ihres Oheims Haushaltung 
erhielt fie immer raſch und thätig, und 
die Sorge für feine Gefundheit immer 
weich und gefällig, Man konnte fich 
zur Gattin keine vollkommenere Perfon 
wünſchen. 

Ferdinand, der nur die Liebens— 
würdigkeit und die Liebe Ottiliens vor 
Augen Hatte, ſah über das gute Land— 
mädchen hinweg oder wünschte, wenn 
Dttilie einft als feine Gattin in diefen 
Gegenden wohnen würde, ihr eine 
ſolche Haushälterin und Beſchließerin 
beigeben zu können. Er erwiederte die 
Freundlichkeit und Gefälligfeit des 
Mädchens auf eine ſehr ungezwungene 
Meile; er lernte fie näher kennen und 
fie ſchätzen; er begegnete ihr bald mit 
mehrerer Achtung, und ſowohl fie als 
ihr Oheim legten fein Betragen nad 
ihren Wünſchen aus. 

Ferdinand Hatte fih nunmehr ges 
nau umgefehen und von Allen unter» 
richtet. Er hatte mit Hilfe des Oheims 
einen Plan gemacht, und nach feiner 
gewöhnlichen Leichtigkeit nicht verbor— 
gen, dab er darauf rechne, ſelbſt den 
Plan auszuführen. Zugleich hatte er 
der Nichte viele Artigfeiten gejagt und 
jede Haushaltung glüdlich gepriefen, 
die einer jo forgfältigen Wirtin über« 
lafjen werden könnte. Sie und ihr 
Onkel glaubten daher, daß er wirklich 
Ablichten habe, und waren in Allem 
um defto gefälliger gegen ihn. 

Nicht ohne Zufriedenheit hatte Fer— 
dinand bei feinen Unterfuchungen ges 
funden, daß er micht allein auf die 
Zukunft Vieles von diefem Plabe zu 
hoffen habe, fondern daß er auch gleich 
jegt einen vortheilhaften Handel ſchlie— 
ben, feinem Water die entwendete 
Summe wieder erjtatten und fich alſo 
von diejer drüdenden Laſt auf einmal 
befreien fönne. Er eröffnete feinem 


Freunde die Abjicht feiner Speculation, 
der eine außerordentliche Freude dar= 
über Hatte und ihm alle mögliche Bei— 
hilfe leiftete, ja er wollte feinem jungen 
Freunde Alles auf Eredit verfchaffen, 
was diefer jedoh nicht annahm, ſon— 
dern einen Theil davon fogleih von 
dem Ueberſchuſſe des Reiſegelds be— 
zahlte, und den andern in gehöriger 
Friſt abzutragen verſprach. 

Mit welcher Freude er die Waaren 
paden und laden ließ, war nicht aus— 
zufprechen ; mit welcher Zufriedenheit 
er feinen Rückweg antrat, läßt ſich 
denlen: denn die höchſte Empfindung, 
die der Menfch Haben Tann, ift die, 
wenn er fich von einem Hanptfehler, 
ja von einem Verbrechen durch eigene 
Kraft erhebt und losmacht. Der gute 
Menſch, der ohne auffallende Ab— 
weihung dom rechten Pfade vor ſich 
binwandelt, gleicht einem ruhigen, lo— 
benswürdigen Bürger, da hingegen 
jener als ein Held und Leberwinder 
Bewunderung und Preis verdient ; und 
in dieſem Sinne ſcheint das paradore 
Wort gejagt zu fein, daß die Gottheit 
jelbft an einem zurüdfehrenden Sünder 
mehr Freude habe als au meun und 
neunzig Gerechten. 

Aber leider konnte Ferdinand dur 
feine guten Entſchlüſſe, durch feine 
Bejlerung und Miedererflattung die 
traurigen Folgen der That nicht aufs 
heben, die ihn erwarteten, und die fein 
Ihon wieder beruhigtes Gemüth aufs 
Neue Schmerzlich kränken follten. Wäh— 
rend feiner Abweſenheit hatte ſich das 
Gewitter zufanmengezogen, das gerade 
bei feinem Eintritte in das väterliche 
Haus losbrechen follte. 

Ferdinands Vater war, wie wir 
willen, was feine Privatcafje betraf, 
nicht der ordentlichlte, die Handlungs— 
fahen hingegen wurden von einem ges 
fhidten und genauen Aſſocié jehr 
richtig beforgt. Der Alte hatte das 
Geld, das ihm der Sohn entwendete, 
nicht eben gemerkt, außer daß unglüd- 
licherweife darunter ein Padet einer 
in Ddiefen Gegenden ungewöhnlichen 


Miünzforte gewejen war, die er einem 
Fremden im Spiel abgewonnen hatte: 
dieje vermißte er, und der Umſtand 
ſchien ihm bedenklich. Allein was ihn 
äußerſt beunruhigte, war, daß ihm 
einige Roflen, jede mit Hundert Du— 
caten, fehlten, die er vor einiger Zeit 
verborgt, aber gewiß wieder erhalten 
batte: erwußte, daß der Schreibtifch jonft 
durch einen Stoß aufgegangen war; 
er jah al3 gewiß an, daß er beraubt 
jei, und gerieth darüber in die äußerfte 
Heftigkeit. Sein Argwohn jchweifte 
auf allen Seiten herum. Unter den 
fürchterlihften Drohungen und Ver— 
wünſchungen erzählte er. den Vorfall 
jeiner rau; er wollte das Haus um 
und um kehren, alle Bediente, Mägde 
und Kinder verhören lafjen; Niemand 
blieb von feinem Argwohn frei. Die 
gute Frau that ihr Möglichites, ihren 
Gatten zu beruhigen; fie ftellte ihm 
vor, in welche Verlegenheit und Dis— 
eredit diefe Gejchichte ihn und fein 
Hans bringen könnte, wenn fie ruchbar 
würde; daß Niemand an dem Unglüd, 
das uns betreffe, Antheil nehme als 
nur um uns durch fein Mitleiden zu 
demüthigen ; daß bei einer ſolchen Ge— 
legenheit weder er noch fie verſchont 
werden würden; daß man noch wun— 
derlichere Anmerkungen machen fönnte, 
wenn nichts Herausfäme; dak man 
vielleiht den Thäter entdeden und, 
ohne ihn auf zeitlebens unglüdlich zu 
machen, das Geld wieder erhalten könne. 
Durch diefe und andere VBorftellungen 
bewog jie ihn endlich, ruhig zu bleiben 
und durch ftille Nachforſchung der Sache 
näher zu kommen. 

Und leider war die Entdedung ſchon 
nahe genug. Ottiliend Tante war von 
dem wechſelſeitigen Verſprechen der 
jungen Leute unterrichtet; ſie wußte 
von den Geſchenken, die ihre Nichte 
angenommen hatte. Das ganze Ver— 
hältnis war ihr nicht angenehm, und 
jie hatte nur gefchtwiegen, weil ihre 
Nichte abwefend war. Eine fichere Ver— 


313 


war ihr unerträglid. Da fie alfo 
vernahn, daß der junge Menſch bald 
zurückkommen follte, da jie auch ihre 
Nichte täglich wieder erwartete, eilte 
fie, von dem, was gejchehen war, den 
Eltern Nachricht zu geben und ihre 
Meinung darüber zu hören, zu fragen, 
ob eine baldige Berforgung für Fer— 
dinanden zu hoffen ſei, und ob man 
in eine Heirat mit ihrer Nichte willige. 

Die Mutter verwunderte ſich nicht 
wenig, als fie von diefen Verhältniſſen 
hörte; ſie erfchraf, als fie vernahm, 
welche Geſchenke Ferdinand an Dttilien 
gegeben hatte. Sie verbarg ihr Er— 
ftaunen, bat die Tante, ihr einige Zeit 
zu laffen, um gelegentlich mit ihrem 
Manne über die Sahe zu Sprechen, 
verlicherte, daß fie Ottilien für eine 
vortHeilhafte Partie Halte, und daß es 
nicht unmöglich fei, ihren Sohn näch— 
ftens auf eine jchidliche Weiſe aus— 
zuftatten. 

Als die Tante fich entfernt Hatte, 
hielt fie es nicht fiir räthlich, ihrem 
Manne die Entdedung zu vertrauen. 
Ihr lag nur daran, das unglüdliche 
Geheimnis aufzuklären, ob Ferdinand, 
wie fie fürchtete, die Gefchenfe von 
dem entiwendeten Geld gemacht habe. 
Sie eilte zu dem Kaufmann, der dieje 
Art Geſchmeide vorzüglich verkaufte, 
feilfchte um ähnliche Dinge und jagte 
zuleßt, er müſſe fie nicht übertheuern: 
denn ihrem Sohn, der eine folche 
Commiſſion gehabt, habe er die Sachen 
wohlfeiler gegeben. Der Handelämann 
betheuerte Nein, zeigte die Preife ge= 
nau an und fagte dabei, man müſſe 
noch das Agio der Geldforte hinzu— 
rechnen, in der Ferdinand zum Theil 
bezahlt Habe: er nannte ihr zu ihrer 
größten Betrübnis die Sorte, es war 
die, die dem Vater fehlte. 

Sie gieng nun, nachdem fie jich 
zum Scheine die nächſten Preiſe Hatte 
auffegen laffen, mit ſehr bedrängtem 
Herzen hinweg. Ferdinands Verirrung 
war zu deutlich; die Rechnung der 


bindung mit Ferdinanden fchien ihr! Summe, die dem Vater fehlte, war 
vortHeilhaft, ein ungewifjes Abenteuer | groß, und fie ſah nach ihrer forglichen 


814 


Gemüthart die fchlimmfte That und 
die fürchterlichiten Folgen. Sie hatte 
die Klugheit, die Entdedung vor ihrem 
Manne zu verbergen ; fie erwartete die 
Zurüdkunft ihres Sohnes mit getheilter 
Furcht und Verlangen: fie wünfchte 
ih aufzuflären, und fürchtete das 
Schlimmfte zu erfahren. 


Endlich kam er mit großer Heiterkeit 
zurüd: er konnte Lob für feine Ge— 


Ichäfte erwarten, und brachte zugleich 


in feinen Waaren heimlich das Löje- 
geld mit, wodurch er ſich von dem ge= 
heimen Verbrechen zu befreien gedachte. 


Der Bater nahm feine Relation 
gut, doch nicht mit folchem Beifall auf, 
wie er hoffte; denn der Vorgang mit 
dem Gelde machte den Mann zerftreut 
und verdrießlich, um jo mehr als er 
einige anfehnlide Poften in dieſem 
Augenblide zu bezahlen hatte. Dieje 
Laune des Waters drüdte ihn Sehr, 
noch mehr die Gegenwart der Wände, 
der Mobilien, des Schreibtifches, die 
Zeugen feines Verbrechens gewefen 
waren. Seine ganze Freude war Hin, 
feine Hoffnungen und Anſprüche: er 
fühlte fich als einen gemeinen, ja als 
einen ſchlechten Menjchen. 


Er mollte fih eben nach einem 
ftiffen Betriebe der MWaaren, die nun 
bald ankommen jollten, umfehen, und 
ſich durch die Thätigkeit aus feinem 
Elende herausreihen, als die Mutter 
ihn bei Seite nahm, und ihm mit 
Liebe und Ernft fein Vergehen vor— 
bielt und ihm auch nicht den mindeften 
Ausweg zum Leugnen offen ließ. Sein 
weiche? Herz war zerrilfen; er warf 
ih unter taufend Thränen zu ihren 
Füßen, befannte, bat um Berzeihung, 
betheuerte, daß nur die Neigung zu 
Dttilien ihn verleiten können, und daß 
ich feine andern Lafter zu diefem je= 


ih im Stande ehe, Alles wieder zu 
erjeßen. | 

Die Mutter, die nicht gleih nach— 
geben konnte, beftand darauf zu willen, 
wo er mit den großen Summen hin 
gekommen ei, denn die Geſchenke be= 
trügen den geringiten Theil. Sie zeigte 
ihm zu feinem Entfeßen eine Berech- 
nung deilen, was dem Vater fehlte; 
er konnte fich nicht einmal ganz zu 
dem Silber befennen, und Hoch und 
theuer ſchwur er, von dem Golde nichts 
angerührt zu haben. Hierüber war die 
Mutter äußerſt zornig. Sie verwies 
ihm, daß er in dem WUugenblide, da 
er durch aufrichtige Neue feine Belje- 
rung und Belehrung wahrſcheinlich 
machen follte, feine liebevolle Mutter 
noch mit Leugnen, Lügen und Märchen 
aufzuhalten gedenfe, daß fie gar wohl 
wiſſe, wer des Einen fähig fei, ſei 
auch alles Uebrigen fähig. Wahrjchein- 
lich Habe er unter feinen Kameraden 
mitſchuldige, waährſcheinlich ſei der 
Handel, den er geſchloſſen, mit dem 
entwendeten Gelde gemacht, und ſchwer— 
lich würde er davon etwas erwähnt 
haben, wenn die Uebelthat nicht zu— 
fällig wäre entdedt worden. Sie drohte 
ihm mit dem Zorne des Vaters, mit 
bürgerlihen Strafen, mit völliger Ver— 
ftoßung; doch nichts kränkte ihn mehr 
als daß fie ihn merfen ließ, eine Ver— 
bindung zwiſchen ihm und Dttilien 
jei eben zur Sprache gelommen. Mit 
gerührtem Herzen verließ fie ihm im 
dem traurigften Zuftande. Er ſah 
feinen Fehler entdedt, er ſah ſich in 
dem Verdachte, der jein Verbrechen 
vergrößerte. Wie wollte er feine Eltern 
überreden, daß er das Gold nicht an— 
gegriffen ? Bei der heftigen Gemüthsart 
feines Vaters mußte er einen öffent— 
lichen Ausbruch befürchten; er Jah ſich 
im Gegenfaße von alle dem, was er 


mals gejellt hätten; er erzählte darauf | fein konnte: die Ausficht auf ein thä— 


die Gefchichte feiner Neue, daß er vor— 
ſätzlich dem Vater die Möglichkeit, den 
Schreibtiſch zu eröffnen, entdedt und 
daß er durch Eriparnis auf der Reife 
und durch eine glüdlihe Speculation 


tiges Leben, auf eine Verbindung mit 
Ottilien verſchwand; er Jah fich ver— 
ftoßen, flüchtig, und in fremden Welt- 
gegenden allem Ungemach ausgefebt. 
| Aber jelbit alles dieſes, was feine 


Einbildungsfraft verwirrte, feinen Stolz 
verlegte, feine Liebe Fränkte, war ihm 
nicht das Schmerzlichfte. Am tiefjten 
verwundete ihn der Gedanke, daß fein 
redlicher Vorſatz, fein männlicher Ent— 
ſchluß, fein befolgter Plan, das Ge— 
Ichehene wieder gut zu machen, ganz 
verkannt, ganz geleugnet, gerade zum 
Gegentheil ausgelegt werden ſollte. 
Menn ihn jene Vorftellungen zu einer 
dunklen Verzweiflung brachten, indem 
er befeunen mußte, daß er fein Schidfal 
verdient habe, jo ward er durch diele 
aufs innigfte gerührt, indem er die 
traurige Wahrheit erfuhr, daß eine 
Uebeltdat jelbjt gute Bemühungen zu 
Grunde zu richten im Stande it. Diefe 
Rückkehr auf ſich ſelbſt, dieſe Betrach— 
tung, daß das edelſte Streben ver— 
gebens fein follte, machte ihm weich, 
er wünſchte nicht mehr zu leben. 

In diefen Augenbliden dürſtete 
feine Seele nach einem höhern Beiftand. 
Er fiel an feinem Stuhle nieder, den 
er mit feinen Thränen beneßte, und for— 
derte Hilfe von göttlichen Wejen. Sein 
Gebet war eines erhörenäwerten In— 
halts: der Menſch, der ſich ſelbſt vom 
Lafter wieder erhebt, Habe Anſpruch 
auf eine ummittelbare Hilfe; derjenige, 
der feine feiner Kräfte ungebraucht 
lalje, könne ji da, wo fie eben aus— 
gehen, wo fie nicht hinreichen, auf den 
Beiftand des Vaters im Himmel bes 
rufen. 

In diefer Ueberzeugung, in diejer 
dringenden Bitte verharrte er eine Zeit 
lang und bemerkte faum, daß feine 
Thüre fich öffnete und Jemand herein 
trat. Es war die Mutter, die mit 
heiterm Gefichte auf ihn zukam, feine 
Verwirrung ſah und ihn mit tröft- 
lihen Worten anredete. „Wie glüdlich 
bin ich,” ſagte fie, „daß ich Dich wenig» 
jtens al3 feinen Lügner finde, und daß 


815 


Ivergefien. Mit dem Silber ſtimmt 
Deine Angabe ziemlich zufammen ; die 
Summe ift nun viel geringer. Ich 
fonnte die freude meines Herzens nicht 
verbergen, und verſprach dem Vater, 
die fehlende Summe wieder zu vers 
Schaffen, wenn er jich zu beruhigen und 
weiter nach der Sache nicht zu Fragen 
verjpräche. 

Ferdinand gieng ſogleich zur größten 
Freude über. Er eilte, fein Handels— 
geſchäft zu vollbringen, ftellte bald der 
Mutter das Geld zu, erjeßte ſelbſt das, 
was er nicht genommen Hatte, wovon 
er wußte, dab es bloß durch die Un— 
ordnung des Vaters in feinen Aus— 
gaben vermißt wurde. Er war fröhlich 
und heiter; doch Hatte dieſer ganze 
Vorfall eine fehr ernſte Wirkung bei 
ihm zurüdgelaffen. Er hatte ſich über- 
zeugt, daß der Menſch Kraft habe, das 
Gute zu wollen und zu vollbringen ; 
er glaubte nun auch, daß der Menich 
das göttliche Wefen für jich intereffieren 
und ſich deſſen Beiftand verſprechen 
könne, den er eben ſo unmittelbar er— 
fahren hatte. Mit großer Freudigkeit 
entdedte er nun dem Vater ſeinen Plan, 
ſich in jenen Gegenden niederzulaſſen. 
Er ſtellte die Anſtalt in ihrem ganzen 
Werte und Umfange vor; der Vater 
war nicht abgeneigt, und die Mutter 
entdedte heimlich ihrem Gatten das 
Verhältnis Ferdinands zu Ottilien. 
Dieſem gefiel eine jo glänzende Schwie- 
gertochter, und die Ausficht, feinen 
Sohn ohne Koſten ausftatten zu können, 
war ihm jehr angenehm. 

Bereit don der dridenden Laſt 
eines jo häßlichen Vergeheus, nicht 
ohne beicheidene Zufriedenheit mit ſich 
jelbft, dachte er nun an fein fünftiges 
Süd, und erwartete jehnfuchtsvoll die 
Rückkunft Ottiliens, um ſich gegen fie 
zu erklären und fein gegebenes Wort 


— — — — — 


— — — — — — — — — — — 





ich Deine Reue für wahr halten kann! im ganzen Umfange zu erfüllen. Sie 
Das Gold hat Sich gefunden: der fam in Gefellfehaft ihrer Eltern, er 
Vater, als er es vom einem Freunde) eilte zu ihr, er fand fie Schöner ud 
wieder erhielt, gab es dem Gajfier aufs | heiterer als jemals. Mit Ungeduld 
zubeben, und durch die vielen Beſchäfti— | erwartete er den Augenblid, in welchen 
gungen des Tages zerftrent, Hat er es er fie allein ſprechen und ihr feine 





816 


Ausfichten vorlegen könnte. Die Stunde 
fam, und mit aller Freude und Zärt— 
lichkeit der Liebe erzählte er ihr feine 
Hoffnungen, die Nähe feines Glücks 
und den Wunſch, es mit ihr zu theilen. 
Allein wie verwundert war er, ja wie 
bejtürzt, als fie die ganze Sache ſehr 
leichtſinnig, ja man dürfte beinahe 
jagen, Höhnisch aufnahm! Sie ſcheigle 
nicht ganz fein über die Enſiedelei, die 


er ſich ausgejucht habe, über die Sigun, | 


die fie beide fpielen würden, wenn fie 
ih als Schäfer und Schäferin unter 
ein Strohdach flüchteten, und was 
dergleichen mehr war. 

Betroffen und erbittert kehrte er 
in ſich zurüd; ihr Betragen hatte ihn | 
verdrofjen und er ward einen Augen 
blid falt. Sie war ungerecht gegen 
ihn gewefen, und nun bemerkte er 
Fehler an ihr, die ihm ſonſt verborgen 
geblieben waren. Auch brauchte es kein 
jeher helles Auge, um zu fehen, daß 
ein fogenannter Vetter, der mitange- 
fommen war, ihre Aufmerkſamkeit auf 
ih zog und einen großen Theil ihrer 
Neigung gewonnen hatte. 

Bei dem unleidlihen Schmerz, den | 
Ferdinand empfand, nahm er ſich doch 
bald zuſammen, und die Ueberwindung, 
die ihm ſchon einmal gelungen war, 
ſchien ihm zum zweitenmal möglich. 
Er ſah Ottilien oft, und gewann über 
ſich, ſie zu beobachten; er that freundlich, 
ja zärtlich gegen ſie, und ſie nicht 
weniger gegen ihn; allein ihre Reize 
hatten ihre größte Macht verloren, und 
er fühlte bald, daß ſelten bei ihr etwas 
aus dem Herzen kam, daß fie vielmehr, 
nach Belieben zärtlich und falt, reizend 
und abfloßend, angenehm und launiſch 
fein fonnte. Sein Gemüth machte fich 
nah und nah von ihr los, und er 
entſchloß ſich auch noch die legten Fäden 
entziweizureißen. 

Dieje Operation war jchmerzhafter | 
als er fich vorgeftellt hatte. Er fand: 
fie eines Tages allein und nahm fich 





fie beide, durch das zartefte Gefühl ge= 
drumgen, eine Abrede auf ihr fünftiges 
Leben genommen hatten. Sie war 
freundlich, ja man kann fait fagen, 
zärtlich ; er ward weicher und wünſchte 
in diefem Augenblide, dag Alles anders 
fein möchte als er fich vorgeltellt hatte. 
Doch nahın er fih zufammen und trug 
ihr die Gefchichte feines bevorftehenden 
GFtabliffements mit Ruhe und Liebe 
vor. Sie ſchien ſich darüber zu freuen 
und gewiffermaßen nur zu bedauert, 
daß dadurch ihre Verbindung weiter 
hinausgeſchoben werde; fie gab zu er= 
fennen, daß fie micht die mindefte Luft 
babe, die Stadt zu verlaffen; fie ließ 
ihre Hoffnung ſehen, daß er ſich durch 
einige Jahre Arbeit in jenen Gegenden 
in den Stand jeßen fönnte, auch unter 
jeinen jegigen Mitbürgern eine große 
Figur zu jpielen; fie ließ ihm nicht 
undeutlich merken, daß fie von ihm 
erwarte, daß er künftig noch weiter 
als fein Vater gehen und ich in Allen 
noch anjehnlicher und reichlicher zeigen 
werde. 

Nur zu jehr fühlte Ferdinand, daß 
er von einer jolchen Verbindung kein 
Süd zu erwarten habe; und doch war 
es ſchwer, jo vielen Weizen zu ent» 
jagen. Ya vielleicht wär er gang uns 
Ihlüffig von ihr weggegangen, bätte 
ihn nicht der Better abgelöft, und in 
feinem Betragen allzuviel VBertraulich- 
feit gegen Ottilien gezeigt. Ferdinand 


ſchrieb ihr darauf einen Brief, worin 
er ihr nochmals verlicherte, daß fie ihn 


glüdlih machen würde, wenn fie ihm 
zu jeiner neuen Beftimmung folgen 
wollte; da er aber für beide nicht 
räthlich hielte, eine entfernte Hoffnung 
auf künftige Zeiten zu nähren, und 
fih auf eine ungewiſſe Zukunft durch 
ein Verſprechen zu binden. 

Noch auf diefen Brief wünſchte er 
eine günftige Antwort; allein fie kam 
nicht, wie fein Herz, fondern wie fie 
feine Vernunft billigen mußte. Ottilie 





ein Herz, fie an ihr gegebenes Wort gab ihm auf eine ehr zierliche Art 
zu erinnern und jene Augenblide ihr. fein Wort zurüd, ohne fein Herz ganz 
ins Gedächtnis zunrüdzurufen, in denen |loszulaffen, und eben fo ſprach dus 


87 


Billet auch von ihren Empfindungen ; | ordentlich und fleißig, und ward es 
dem Sinne nach war ſie gebunden und um jo mehr, als das gute, natürliche 
ihren Worten nad frei. Mädchen, die wir ſchon fennen, ihn 
Was foll ich nun weiter umftändlich als Gattin beglüdte, und der alte 
fein? Ferdinand eilte in feine fried« | Obeim Alles that, feine häusliche Lage 
lihen Gegenden zurüd; feine Eine zu fihern und bequem zu machen. 





rihtung war bald gemadht: er war Goethe. 
Auf Bäubercommando, 
Novelle von Paul Maria Sacroma. 
(Fortjehung.) 
II. | Kopfichüttelnd leerte Géza bereits 


das vierte Glas Waller und ſah' dann 
unſchlüſſig den Oberften an, der ebene 


falls an der Officiersinenage theilnahm. 
er blos mit einem Leinwandjtreif ums ‚Run, laffen Sie nur hören, 


ee —— — Lieutenant Sändor!“ ermunterte ihn 
geilen hatte, meldete ſich nun plötzlich jein hoher Dorgejepter. „Wollen den 
auf ſehr unangenehme Art. Er fühlte orbnnngsmäßigen Rapport nach Diſch 
bedeutendes Vrenmen darin, das bei entgegennehmen, einfhweilen aber doch 

ein klein wenig von der Geſchichte ver— 


dem raſchen Reiten in der ſtrengen 
Kalte von Minute zu Minute zunahm: Se un — 
— — Ik, en Gefangennahme, jo viel als möglich 
fo umerträglihes Stopfiveh, daß er ae was das arıne Welen 
wirklich Mühe Hatte, fih im Sattel Gr ärgerte ſich nicht wenig über 
zu behaupten. er : ; die ſpöttiſchen Mienen feiner Stameraden 
Der Schnee fiel in großen, dichten „ud über die unzarten Bemerkungen 
öloden hernieder, Mann und Roß von] betreffs feines wohlfeilen Heldenthums 
allen Seiten umwirbelnd und trotz aller im Kampfe mit einem Kinde und halb— 
Anftrengung weiterzufonmen, erreichte derhungerten Gegnern. 
der Lieutenant den Si des Regiments- Den Teufel aud, Kamerad, haben 
commando erft nach zwölf Uhr. da ein leichtes Stüd Arbeit gehabt !* 
Die Herren ſaßen bei Tiſch und „Und obendrein ein »Chriſttindl« 
Inden ihm fofort ein, mitzuhalten. | aufgefifcht!* 
Geza konnte nicht eſſen, nur feinen „Haben verdammt viel Glüd ges 
immenfen Durft ſtillen. habt bei der ganzen Affaire!“ 
„Nun, SKamerad, was ift denn „Machen Alle den Zug mit um 
los?“ — „Was hat Dir den Appetit ſolche Beute!“ 


G 6za ritt eiligft von binnen. 
—) Die Wunde am Finger, die 





verdorben ?* — „Sit der Yang etwa „Sinderjpielerei, nichts weiter!“ rief 
nicht geglüdt ?* rief man ihm von man hitzig durdeinander. 
verfchiedenen Seiten zu. „Meine Herren!“ brauste Geza auf. 


Rojıgger’s „„Geimgarten‘‘, 11, Gef, X. 52 


818 


„Gemach, gemach!“ fiel der Oberft 
ihm ind Wort, und den vorlauten 
Bemerkungen mit einem Stirnrunzeln 
ein Ende ſetzend, ſprach er ftreng ver— 
weifend: „Das Verdienſtkreuz auf der 
Bruft des bereits zum Oberlieutenant 
defignierten Officiers follte ihn denn 
doch vor derlei Anzüglichkeiten ſchützen. 
Das geht überden Spaß, meine Derren!* 

Er ftand auf und wintte Geza, 
ihm zu folgen. 

Der Regimentsarzt hatte die Wunde 
des Pientenants genan unterfucht und 
fie durchaus nicht fo unbedenklich ge— 
funden, ja er befürchtete fogar einen 
Anfang von Wunpdfieber bei dem durch 
die Strapazen der letzten Tage höchſt 
angegriffenen jungen Mann. Die im 
Kreife der Kameraden erlebte Scene 
hatte das Unbehagliche feines Zuftandes 
bedeutend verjchlimmert, und jo mußte 
er fich vor Allem zwei Stunden volliter 
Nuhe gönnen. Dann erft konnte er 
an die Rückkehr denken. 

Auf Befebl des Oberften ſchloß ſich 
dem Lieutenant ein Hauptmann, der 
Auditor nebſt zwei Prototollführern 
und der Regimentearzt au. Erſtere, 
um die gefangenen Räuber und deren 
fo harmlos entpuppten Anführer einem 
ftrengen Verhör zu unterziehen, und 
Leßterer zur Pflege der Verwundeten. 

Die Herren fuhren in einem Karren, 
dem nebſt zwei Paar Ochſen auch noch 
Géza's Pferd vorgejpannt war; allein 
da half kein Dreinjchlagen, kein Fluchen, 
fein Schreien; die ZTerrainhinderniffe 
weren derartig, daß die Gefellichaft erft 
um zehn Uhr Nachts im Konak ankam. 

Sie fanden Alles todtenftill, die 
Schildwachen frierend, aber getreu aus— 
herrend troß Sturm und Schnee. 

Selbftverftändlih übernahm mun 
der Hauptmann das Commando, der 
denn auch den Feldwebel zum NRapport 
beordnen ließ. 

Geza wagte zwar die fchüchterne 
Benrerfung, ob es nicht angezeigter 


zu warten; doch der Hauptmann fuhr 
ihn ziemlich barſch an und erwiderte: 

„Könnt mir nicht einfallen! Weiß, 
was ich zu thun Habe. Laſſe mir von 
»afademifchen Jungens« nichts vor— 
jchreiben. Und damit bafta!” 

Géza mußte, daß er nun fein 
weiteres Wort fagen durfte, wenn er 
dem armen gefangenen Mädchen nicht 
Schaden, ftatt helfen wollte; denn wenn 
Hauptmann Huſſa von akademiſchen 
Jungens Sprach, konnte ihm Niemand 
beikommen. 

Der Hauptmann war eine jener 
typiſchen Officiersgeſtalten von Anno 
dazumal, die von Pick auf gedient, 
und die Heutzutage in den Armeen faſt 
ausgeftorben find, ihren Platz aber 
vielleicht gerade deshalb umſo eifer- 
füchtiger und mißtrauiſcher behaupten. 

Die jungen Officiere waren dem 
‚alten Haudegen ein Greuel, befonder® 
die von der MWiener-Neuftädter Aka— 
demie. Es däuchte ihm wenig Ehre, 
auf der Schulbank zum DOfficier zu 
abancieren und den verdienten Militärs 
über'n Kopf zu wachen; denn er hatte 
zu feinem nicht geringen Aerger man: 
hen Lientenant, dem er al3 bartloien 
Jungen das Necruten-Drillen beige: 
bracht, als Stabsofficier wiedergeſehen. 
Daher fein Haß gegen die alademiſchen 
Jungens. Und zum Unglüd mußte 
Géza auch einer von diefen fein, und 
ein ſehr gelehrter obendrein, der das 
Studium militärischer Willenfchaften 
ftetS eifrig betrieb und ſich, wie der 
Hauptmann mit ftillem Grimm zu 
wiſſen meinte, Schon jet für den Stabs— 
officiercurs vorbereitete — für dielen 
fatalen Eur, der des Hauptmanns 
Dual und Sehnſucht zugleih aus— 
machte. 

Jahr um Jahr hoffte er darauf 
und Jahr um Jahr — vergeblicher; 
dennoch wollte er es nimmer begreifen, 
daß er dazu beftimmt war, als alter 
Hauptmann in Bosnien zu verſauern, 
ja er glaubte num mit Gewißheit an— 





wäre, bis zum mächjten Morgen mit nehmen zu können, daß ihn der Oberft 
den nöthigen Meldungen und Befehlen | dies ſchwierige Commando bloß deshalb 





819 


übergeben, um ihm die Gelegenheit zu 
ganz befonderer Entfaltung feiner Bra— 
vour zu:bieten. 

Und daran follte er jich vielleicht 
durch den „bejler= willen - wollenden- 
Dinkel eines akademischen Jungens“ 
verhindern laſſen? 

Nimmermehr! Er wollte num den 
Beweis liefern, daß er für den Stabs— 
officierScurs reif wäre. 

Der arme Narr abnte freilich nicht, 
dab er hiezu bereits überreif war und 
das man ihm Fchon feit geraumer Zeit 
jedes feccante Commando, wo feinerlei 
Lorbeern zu holen waren, in die Schuhe 
jchob. 

Nachdem der Hauptmann den armen 
Géza fo mürriſch zurechtgewiefen, jchritt 
er Ichnurftrads auf das Zimmer der 
Gefangenen los, die davor poftierten 
Machen mit einer herrifchen Handbe— 
wegung zurückweiſend, und ri un— 
geftüm und rückſichtslos die Thür 
auf... doch wer bejchreibt das Ente 
ſetzen des bejorgt herbeiftürzenden Lieu— 
tenants und aller Anderen, als fie das 
Gemach — leer fanden! 

Der Felwebel war höchſt beftürzt 
und konnte ſich die Sache abjolut nicht 
deuten, gejchweige denn die Uebrigen 
darüber aufflären. Geza war faft froh 
über die Wendung, welche die Dinge 
genommen, wiewohl ihn dieje räthfel= 
hafte Flucht jehr peinlich berührte. 

Der Hauptmann war wüthend, 
fluchte und tobte auf erjchredende Art 
und behauptete fteif und feft, daß Ver— 
rath im Spiel fein müfje, dak Jemand 
nicht jo ohneweiters verſchwinden könne. 

„Entſchuldigen, Herr Hauptmann, * 


„Was, Harambaſcha!“ fiel der 
Hauptmann ein. „Zum Zeufel mit 
Deinem Harambafha! Ein Mädchen 


war's — feine Tochter, die uns da 
ſo verflucht entwiſcht.“ 
| „Was,“ ſchrie der Feldwebel er— 


ſtaunt auf „a Mädel? Meiner Seel, 
die hätt’ ich laufen laſſen!“ entfuhr 
‘es ihm unwillkürlich. „Ich Hab’ es 
aber nicht gewußt und nicht verichule 
det! Bei meiner Soldatenehre, ich hab’ 
es nicht gewußt!” beihenerte er wies 
derholt. 

| „Und wer ift denn moch mit ihr 
geflohen ?* ließ fich der Auditor ver 
nehmen. 

| „Gehorſamſt zu melden, Herr Au— 
ditor, die beiden Adjutanten, die der 
| Bope von twegen der Verbindung der 
‚ Wunde hereingerufen.“ 

| „Die find alfo auch durchgebrannt ?“ 
wetterte der Hauptmann. 


| „gu Befehl, Herr Hauptmann; 
‚im Ganzen fünf Perſo . . . Herrgott!“ 
‚unterbrah er ſich, „der Chriſtbaum 
‚dom Deren Lieutenant ift auch davon!“ 
| „Er ift ein Ejel, Ferenz!“ ſchrie 
‚der Hauptmann, der fich perjifliert 
‚glaubte, wiüthend auf. 
„Entichuldigen, Herr Hauptmann, 
‘aber im Reglement fteht, Sie find ein 
Eſel.“ 

„Donnerwetter noch einmal hinein! 
Was unterſteht Er ſich? — Laſſe Ihn 
krummſchließen! Laſſe Ihn durchprü— 
| gefn, dak Ihm Hören und Sehen 
vergeht! Laſſe Ihn . . .“ 

„Bitte, Herr Hauptmann, mäßigen 
Sie ſich!“ flüfterte der Auditor ihm 








ftotterte der Feldwebel, „es handelt ſich in's Ohr. „Was Sie da jagen, fteht 
nicht allein um Jemand, es find im, micht im Reglement, hingegen, daß 
Ganzen fünf Perfonen, die... die... die Chargen und Mannſchaft unferer 
die Reihaus genommen —“ Armeen per »Sie« anzuſprechen find, 

„Was — will Er mich zum Narren und darauf hin hat der Manı wohl 
halten 2!” donnerte der Hauptmann. gezielt, dem Sie denn doch zu arg 

„Entſchuldigen, Herr Hauptmann, zugeſetzt. In Arreſt önnen Sie ihn 
geborfamft zu melden, es ift doch ſo, ſchicken, weiter aber nichts anthun.“ 
wie ich gejagt.“ Und auf den Fingern | „So — ſo — richtig — richtig!” 
ftanımelte der Hauptmann, feinen bor— 


abzählend fuhr er fort: „Der Bope, | 
die Malicka, der Harambaſcha —“ ſtigen, ſpitzzugewichſten Schnurrbart 
52" 





820 


unmuthig drehend. „War eben zu 
meiner Zeit ganz anders... hätte ihn 
eigenhändig durchgebläut . . . Dieje 
verdammte Chriſtbaumgeſchichte . . 

„Kann uns Lieutenant Sändor 
viefleicht erklären,” fiel der Auditor 
abermals befänftigend ein. 

Géza beftätigte, daß ein Chriſt— 
baum allerdings da geweſen, von wel— 
chem jedoch nur noch der bunte Flitter 
am Boden zu ſehen war; der Tannen— 
baum ſammt Kübel war räthſelhaft 
verſchwunden, ebenſo wie die fünf 
Perſonen, von deren Flucht auch nicht 
die geringſte Spur aufzufinden war. 

Die hereinbefohlenen Wachen ſagten 
alle dasſelbe aus, nämlich, daß ſie gar 
nichts Verdächtiges bemerkt. Bei dem 
einzigen Ausgang des Zimmers, war 
ſeit vier Uhr, zu welcher Stunde die 
alte Maliéka Bandagezeug hineinge— 
tragen, Niemand aus- und eingegan— 
gen. Die Fenſter des fatalen Gemaches 
waren ſämmtlich hochgelegen, klein und 
überdies vergittert, wie es in türkischen 
Behaufungen gebräuhlid. Das eine 
hievon gieng auf das freie Feld, das 
zweite auf den nun feitgefrorenen Fluß 
und das leßtere führte in den Hof— 
raum des Sonal, wo die zur Ber 
wachung der Räuber aufgeftellten Boften 
fortwährend patrouillierten. Aus dem 
Fenſter konnte daher Niemand ent- 
flohen fein und aus den anderen nicht 
minder, weil ſich die Eifengitter in 
denjelben fanden und die Feniteröffnung 
überhaupt derartig war, daß faum ein 
Kind Hindurdichlüpfen konnte, ge— 
ſchweige denn erwachilene Leute. 

Die Thatfache der Flucht war offen- 
bar; doc) das Wie blieb unergründlich, 
auch als man am hellen Tage die 
forgfältigiten Nachforſchungen wieder- 
holte und am eine wohlorganifierte 


“ 
* 


Verfolgung der Flüchtlinge jhritt, was | 


jedoch ebenso refultatlos blieb, als die 


in der vergangenen, ftodfinfteren Nacht, 


begonnenen Streifungen. 
Der Hauptmann, der feine leßte 
Hoffnung bezüglich des Stabsofficiers— 


Und Geza? 

Geza lag im heftigen Wundfieber 
und Delirium. Die Anftrengung, die 
Gemüthsbewegung und aud die für 
jo unbedeutend gehaltene Wunde Hatten 
ihn aufs Srantenlager geworfen. 

Der Regimentsarzt drang darauf, 
ihn in's Spital transportieren zu 
laffen, wo er erft nach mehreren Wochen 
genas. 

Anfangs März wurden die Ur— 
lauber nach Ungarn entlaſſen. Der 
Oberſt beſtimmte Geza zum Comman— 
danten der Heimkehrenden. Seine 
Bläſſe, ſeine verdüſterte Stimmung be— 
zeugten nur zu ſehr, daß er der hei— 
matlichen Luft bedurfte; doch gerne 
verließ er das Land nit. 

Er dachte oft daran zurüd, bes 
ſonders aber und mit eigenthümlicher 
Beklemmung an jein Weihnachts Aben- 
teuer. 


IV. 


Faſt drei Jahre waren feit den 
geihilderten Ereigniſſen verfloſſen. 

Géza war inzwiſchen Oberlieute— 
nant geworden. Der fatale Ausgang 
feines Räubercommandos blieb für feine 
Garriere ohne üble Folgen. 

Der Aufenthalt im Bruder Lager, 
wohin er im Sommer nad feiner Bes 
förderung commandiert wurde, und 
ein langer Urlaub daheim im nächſten 
Winter Hatten viel zu feiner Auf— 
munterung undZerſtreuung beigetragen. 
Phyſiſch war er gänzlich erholt, doc 
jeelifch nicht. Er hatte zwar hie und 
da für eine oder die andere lichtblonde 
Schönheit gefhwärmt — dem Genre 
huldigte er von jeher — allein in feinem 
ganzen Weſen war eine bedeutende 
Veränderung eingetreten. Er fang und 
tanzte weniger — er dachte mehr. 

Vielleiht an Sammetaugen und 
goldigbraunes Haar? — 

So verging ihm das zweite und 
dritte Jahr nach feiner Rückkehr aus 
Bosnien, ohne daß irgend etwas Bes 


curſes ſchwinden ſah, war wüthend. | merkbares in dem träumerifchen Da— 


— — —— 


hinleben jeiner Eriftenz vorgefallen 
wäre. 

Da wurden die Mobilbataillone 
errichtet. Baron Freitag, ein bild» 
ſchönes Mutterföhnchen, follte mit einem 
derjelben nad) Bosnien rüden. 

Seine Schwelter, eine Tiebliche 
Blondine, welche ſich feſt einbildete, 
Géza's Herz auf ewig gefeffelt oder 
wenigftens tief verwundet zu haben, 
Hagte bitter über des Bruders graue 
fame Beſtimmung. 

„Das Land ift jet gänzlich paci= 
ficiert und feinerlei Gefahr mehr zu 
befürchten“, meinte der Oberlieutenant. 

„Über die Wölfe auf den Planinen, 
wohin er bejtimmt ift, bleiben ftet3 zu 
fürchten, und das gräßliche Baraden- 
lager in entlegener Bergwildnis nicht 


s2ı 


Aufnahme und erfuhr auch jo Mans 
des, das jein höchſtes Intereffe er— 
wedte und ihm einen Lichtblid auf 
das traurige Nachfpiel jeines Näuber- 
commandos gewährte. 

Der Pope war zwar nicht mehr 
zum Borfchein gekommen, Hatte aber 
einem Better im Stlojter gefchrieben, 
daß es ihm derzeit ehr gut gienge. 
Er habe zwar damals, al3 er vor drei 
Jahren jo plößlich das Kloſter verlieh, 
eine unendlich mühjelige und gefähr- 
liche Reife gemacht, fei aber glüdlich 
in feinem Beſtimmungsort angelommen 
und mun trefflich untergebracht, nach» 
dem er Seine Miflion vollendet und 
nicht bloß die Tochter feines ehemaligen 
Wohlthäters einem beichämenden Pro= 
ceſſe entriffen, fondern auch den Leich- 


minder. — Ach Gott, es ift ein Jammer! nam des alten Brankovic in gemeihter 
Mama wird e3 gar nicht verwinden | Erde beigejegt hatte. 


tönnen und mix ijt der ganze Faſching 
dadurch verdorben !“ 

Ward Géza von den Thränen der 
Ihmactenden blauen Augen gerührt 
oder zog ihn die Sehnjucht nach Bos— 
nien ? — 

Genug. Er meldete jich am nächſten 
Morgen 











Obwohl der Brief alten Datums 
war, enthielt er dennoch eine für Géza 


‚völlig neue und überrafchende Nad)= 


richt aus dem nahen Konak. 

Der jetzige Bewohner von Goza's 
ehemaligem Zimmer, in dem ſtets ein 
arger Luftzug geherrſcht, hatte durch 


beim Reſervecommandanten | mehrere der Maurerarbeit fundigeS ol⸗ 


mit der dringenden Bitte, mit Baron daten die Riſſe in den Wänden ringsum 
Freitag tauſchen zu dürfen. |teparieren laſſen, wobei eine merkwür— 

Auf die Anfrage nah Wien kam dige Borrichtung zutage kam, die 
die Antwort, daß Oberlientenant Sänz | bisher unbefannt geblieben, Das ganze 
dor jeiner Energie, feiner Perſonlich- Fer fter gegen den Fluß zu ließ ſich 
feit und Hauptjächlich feiner Sprachen— durch einen Druck auf eine mechaniſche 


kenntniſſe halber viel beſſer für den | 
Poſten palle, und daß er ihm denn 
auch fogleich bewilligt werde. 
Baroneſſe Adele war voll unfäglicher 
Dankbarkeit, bedauerte aber dennoch | 
das heroiſche Opfer des Officiers, der 
ein jo guter Tänzer war, 


troß des Bruders Bleiben gefährdet. 


— — — — — — — — — — 


Nah kurzer Station im Baracken— 


in das von feiner ehemaligen Garniſon 
zwei Stunden entfernte Stlofter trans 
feriert. 

Er fand dort die allerfreundlichite 


umd im 
Stillen dünkte ihr der Carneval nun 





Feder verjenten, wodurch in der Wand 
eine große Deffnung entitand, die auch 


von Außen verichlojfen werden fonnte, 


Das war des damaligen Räthiels 
‚Föfung, wenn auch immerhin noch 
Manches zu erklären blieb. 

Von Zora, der liftigen Betrügerin, 
wie fie Géza in feinem Grofl nannte, 
wenn er ihrer — ad, jo oft! — 
gedachte, vernahm er feinerlei Kunde, 


und fragen wollte er nicht. Wozu auch ? 
lager wurde Géza ſeltſamerweiſe gerade, 


Der junge Officer hatte ziemlich 


‚viele freie Stunden, die er aber nicht 


im Müßiggang verrinnen lieh, viel= 
mehr jeher gut auszufüllen wußte. 
Von der Jagd und dem Filchang 


8 


brachte er flets reiche Beute Heim, die 
dem Bruder Koh höchſt willkommen 
war und das Menu der Stlofterküche 
wejentlich verbejjerte. 

An Regentagen, deren es leider 
jehr viele gab, erwies ſich die Biblio- 
thef des Kloſters als ein höchſt an— 
nehmbarer Zeitvertreib! ja es gewährte 
Géza nicht geringes Vergnügen, in 
den alten Folianten und noch älteren 
Pergamentbüchern zu ftöbern, wie er 
denn überhaupt recht gern in den ftillen 
Ktlofterräumen Umſchau hielt. Bei 
einer ſolchen Erpedition fand er ein- 


mal in einer entlegenen Sammer ein 


freilich ſehr arg zugerichtetes, jümmer— 
lich verſtimmtes Glavier, deſſen Auf- 
findung ihn aber troß der verjchiedenen 
Schaden unendlich erfreute. 

Sr ließ es fogleih in das ihm 
zugewiejene große Gemach transpors 
tieren und machte ſich mit großem 
Geſchick daran, den ftaubigen Klimper— 
faften mit militärischer Nettigkeit zu 
abjuftieren, wie er fich den Fratres 
gegenüber äußerte, die jeinem Treiben 
erſtaunt zuſahen. 

Mit Hilfe eines Gewehrpiſtons 
gelang es ihm, das Clavier beſtens 
zu ſtimmen, und nun wurde luſtig 
darauf los muſiciert und ganze Meſſen 
einſtudiert, ja ſogar Chöre, die nicht 


22 


Keine im Gloria, bald im Agnus Dei, 
Dpernreminifcenzen auftauchten, Dies 
merkten bloß die Officiere der nahen 
Garnifonsftadt, welche ſich ebenfalls 
zur Verherrlichung des Feſtes eingeftellt 
hatten, und denen Géza's Orgelipiel 
allerdings jo Manches verrieth, in 
erfter Linie, daß er troß feines ernſten 
Weſens und feiner zeitweiligen Mes 
landolie ein Erzſchelm war. 

Im Großen und Ganzen war aber 
die Production der Meſſe derart aus: 
gefallen, daß ſich Alle ohne Unter: 
ſchied auf eine Wiederholung gelegent- 
lid der nahen MWeihnachtsfeiertage 
freuten, für welche große Vorbereitungen 
getroffen wurden — auch von geheimnis- 
voller Seite. 

Géza ſah dem Feſte durchaus nicht 
mit der gewöhnlichen, weihevoflen Stim— 
mung entgegen, die ihn vor drei Jahren 
fogar veranlaßte, über Stod und Stein 
nach einem Chrifibaum zu fahnden. 
Er war wieder einmal tief traurig, 
ohne ſich des eigentlichen Grundes be— 
wußt zu fein; denn daß die Erinne— 
rung an fein Weihnachtsabenteuer ihm 
irgendwie nahe gehen fönnte, wollte 
er nicht gelten laffen. Eines war 
'jedoch gewiß, daß er den Gedanken an 
jeinen EHriftbaum geradezu perhor— 
reſcierte und fih auch von Daus aus 


immer geiftlichen und heiligen Tertes jede diesbezüglihe Sendung mit dem 
waren, auch in der Tonart weder an Bemerken verbeten Hatte, daß er denn 
die Choralmelodien des berühmten Pas doch nicht mehr fo kindiſch fei, um 
leftrina, noch an defjen niederländifchen | fein Herz an derlei Dinge zu hängen. 
Rivalen Orlandus Laſſus gemahnten ; | Und dennoch erfüllte es ihm mit 
doch dies ftörte die guten Mönche nicht, | namenlofer Freude, als er zu feinem 
die ihren Chormeifter geradezu ver- großen Erftaunen am Weihnachtsabend 
götterten und Alles blindlings mache | im Neflectorium einen immenſen, reich— 
fangen, was er ihnen „einzuleiern“ | behängten Chriftbaum fand. Darunter 
für gut befand. | lag, auf weiches Moos gebettet und 

Als die würdigen Herren endlich |von den breiten Zweigen der hoben 
joweit gekommen waren, um fich öffent: , Tanne halb verftedt, eine elegante Cha— 
lich hören zu lafjen, wurde anläßlich | touille aus Gedernholz, der ein föft- 


eines Hohen Feiertages eine gefungene 
Meile aufgeführt, zu welcher die ge= 


ſammte chriftliche Bevölkerung der Uime | 


gebung herbeiſtrömte. Andächtig lagen 
fie insgefammt auf den Anien und 
liegen Sich dadurch nicht ftören, daß 


‚licher Rofenduft entftrömte, wie ihn 
‚die orientalifchen Frauen jo ſehr lieben 
und vorzugsweiſe gebrauden. 

Und wenn es Pandora's Büchſe 
gewefen wäre, und wenn er gleich dei 
fagenhaften Epimethens die Welt mit 





— ——— un — 
— 


allem erdentlihen Elend hätte über! Bald meinte er, das heißgeliebte 
fluten müſſen, und wenn felbft die Mädchen in der Schar frommer | Beter 
Hoffnung verflogen wäre, deren MWohls | ‚zu entdeden, die nun an jedem Sonn— 
that er im felben Augenblid fühlte, | und Feiertage die Kloſterkirche füllten, 
da ſie ihm das Herz ſchwellte in nie bald in Geſtalt einer dichtverſchleierten 


gekannter Luſt: 
noch geöffnet haben, das reizumloderte 
Käftchen, nach welchem er feine zitternde | 
Hand verlangend ausftredte, als gelte | 
es, Golkonda's Diamantenfhäge ſich 
zu erringen. 

Und wer da glaubte, daß Géza 
lich enttäufcht fühlte, als er bloß Thee, 
Badwert und ein Heines Fäßchen 


Caviar vorfand, der irrte ſich ganz aus 


gewaltig ; denn er wurde blutroth beim 
Anblid diefer Dinge, jein Herz ſchlug 
ungeftün, wallte auf, ja erwadte| 
endlich im hellen Glanz der Weih— 
nachtslichter, der bis in feines Herzens | 





jo würde er es den» |türlifchen Frau der nahen Stadt, wo 


Géza ebenfalls auf's eifrigſte nach der 
ſchönen Räuberstochter forſchte, aber 
leider — vergebens. Immer wieder 
hatte ihn bloß feine Phantafie geäfft 


* das liebliche Bild dorgegaufelt. 


Der jungeOfficier verfiel in Schwere 
muth. Er wurde immer tieflinniger 
und trauriger. Nichts vermochte ihn 
feiner trüben Stimmung zu rüttelı. 
Die guten Mönche wußten ſich gar 
nicht mehr zu helfen. Géza war der 
allgemeine Liebling geworden, und es 
gieng ihnen jehr nahe, ihn jo bleich 
und verzweiflungsvoll umherſchleichen 


Tiefen drang, und die lange Nacht | zu ſehen; ja fie fanden es ſogar ge= 


darin erftrahlte nun im ſonnigen, 
roſigen Morgenſchein der Liebe. 

Jetzt mußte er, was ihn nad | 
Bosnien gezogen: Sammetaugen, gol— 
digbraumes Haar und NRofenduft. 

Obwohl es Géza an den forg- 
fältigften Nachforſchungen und Nach— 
fragen nicht fehlen ließ, fonnte er es 
doch nicht in Erfahrung bringen, wie 
die geheimnisvolle Gafjette in’s Kloſter 
fan, und wer denn eigentlich der ſin— 
nigen Gaben Spender war. 

Daß die Mönche den Chriftbaum 
angeſchafft hätten, wie man ihm wieder- 
holt verjicherte, war allenfalls glaub» 
haft; allein daß die prächtige Chatouifle 
mit ihrem wohlig beraujchenden Nojen= 
duft don den frommen Brüdern her— 
rühren Jollte, war geradezu unmöglich. 

Géza wußte, daß dieſe über- 
raſchende Weihnachtsbeſcherung nur 
von Zora ſtammen fonnte. Ex fühlte | 








boten, ihn auf feinen einfamen Streif— 
zügen in den Bergen bewachen zu 
laffen. Und wenn er Stunde um 
Stunde in der romantiſchen Schlucht 
verbradt, im welcher die Räuber ent- 
dedt wurden, fand fich allemal ein zu— 
fällig daher fommender Mönch, der den 
jungen Mann in's Kloſter escortierte. 

Tags darauf wiederholte ſich das— 
jelbe Spiel; denn Géza pilgerte, To 
oft es ihm fein Dienft erlaubte, zur 
Stelle hin, wo er Zora, al3 Haram— 
baſcha verkleidet, aufgefunden. Da 
ſaß er in tiefes Brüten verfunfen und 
vergegenwärtigte fi den Augenblid, 
im dem ſich feinen ſtaunenden Bliden 
anftatt der rauhen Männerbruft ein 
feufcher Mädchenbufen geoffenbart ... . 
Doch von der Heißgeliebten, ſchwär— 


meriſch Erjehnten war feine Spur zu 


eutdecken — und dennoch mußte fie 
in der Nähe weilen! Dies bewiejen 
die prächtigen, frischen Theerofen, die 


ihre Nähe, ihr ſorgliches Walten, das | G6ya noch jedesmal auf dem Steine 
ſich ihm in nächſter Zeit auch noch durch | gefunden, auf welchem er von feiner 
herrliche Blumenfpenden offenbarte; doch | langen Wanderung auszuruhen pflegte 
das Geheimnis ihres Aufenthaltes war|.. . allein die Spenderin jelbft hüllte 
und blieb unergründlich, jo ſehr er fih | fih nah wie vor im väthielhaftes 
bemühte, e3 zu durchdringen. Dunkel. Schluß folgt.) 


324 


Wo Barthel den Moft holt. 


Bon P. R. Rofegger. 






ZEN ahein bei meinem Water ging's | 
eigentlich immer hoch her, denn 
wir wohnten auf einem dreitaufend 
Fun hohen Berg — und den Witz 
hat der Knecht Barthel aufgebracht. 
Menn aber ein fruchtbares Jahr mit, 
qutem Kornbau, glüdlicher Viehzucht 
oder einem erfledlihen Holzgeſchäft 


werde ich nicht Schöneres mehr feben, 
als jenes grünglafierte Trinkkrügel 
war, das ich unter die Pipe Halten 
durfte; klare Zröpflein ſchwitzte es, 
und der eiskalte Moft pridelte jo un— 
vergleihlich in die Nafe, wie gar nichts 
ſonſt jo fein pridelt auf dieſer Welt. 
Es war bisweilen gewejen, daß 


gewejen war, jo legten wir uns nach | die Geifter gejtodt hatten, des Abends 
dem Laftvollen Sommer einen ganz in der Stube. Der Jungfneht wollte 
bejonders fröhlichen Winter bei. Die nicht Zither fpielen, es fei eine Saite 
Einen thaten tagsüber Korn drejchen, | gefprungen. Der Altknecht wollte nicht 
die Anderen Vieh füttern, die Weibs- | Gefchichten erzählen, er fei jchläfrig; 





leute Flachs und Ränke jpinnen, und 
am Abend kamen wir zufammen in 
die Stube um den warınen Ofen und 
den großen Tiſch und thaten plaudern, 
fingen, Geſchichten erzählen, Moft 
trinfen und bisweilen auch ein wenig 
Icherzen miteinand. 

Unter Moft, den wir tranten, ift 
gegohrener Apfelwein zu verfiehen, der 
aber nicht aus den Fichten und Lärchen- 
zapfen gepreßt wurde, die auf unferen 
Bänmen biengen, fondern aus den köſt— 
lihen Borsdorfer, Weizer und Pöllauer 
Hepfeln, die draußen im weiten Lande 
wuchſen. Die Wirte drüben im Pfarr- 
dorf verkauften ihre Getränke nicht 
allein in Gläfern und Krügen, fondern 
auch in Fäſſern. Schidte dann in 
manchem Jahr mein Vater jo etliche 
Tage vor Weihnachten den Knecht mit 
einem Baar Ochfen und Schlitten aus, 
um Moft zu kaufen. An folchen Tagen 
waren wir Sinder arg aufgeregt: 


"Stunden nicht wußte, | 
‚Ohr zu wenden, jo hub auch ich hell 


der MWeidfneht Barthel gab feine 
Näthielfragen zum beten; er fagte, er 
müſſe Hoſen fliden, und dabei fiele 
einem nichts Gutes ein. Die Stall« 
magd wollte nicht fingen, fie war 
brummig, und wenn ihr einer was 
Liebes ins Ohr „drifcheln“ wollte, 
jo gab fie ihm einen Stoß mit dem 
Ellbogen, der woltern ſpitzig war. 
Wenn aber an fol langen Winters 
abenden in der Stube der Moſtkrug 
freiste, da ward es eheſtens anders. 
Der Jungknecht griff in fein Saiten: 
jpiel; der Altknecht ftopfte jein Rauch— 
zeug und hub eine Mär an; der Barthel 
fragte, wo der Adam den erften Löffel 
genommen, und die Stallmagd lie; 
das „Ihöne Schweizermadel, ihre Haar 
jein voller Dradel“ aus der Kehle 
wirbeln. Weil ich im folch ergiebigen 
wohin mein 


an zu jauchzen und zu jodeln. — Al 


„Heut' kommt der Moſt! Heut’ kommt das zufammen waren eigentlich nicht 


der Moſt!“ Jedes 
Geſchirrlein her, um — 


richtete ſich ein wir, es war der Moſt, 
wenn das möchte es nicht glauben, wie fchön jo 


und man 


Glück im Faſſe Heimlam — al&bald ein frischer Trunk Zither fpielen und 
etwelches ins Glas, ins Töpfchen, ins, fingen kann. 

Schüſſelchen herausſprudeln zu laffen 
und zu verloften. 


Mar es denn auch einmal vor 


In meinem Leben Weihnachten, daß mein DBater zum 





Weidknecht Barthel ſagte: „Bua 
Barthel, ſpann die zwei falben Ochſen 
an den Schlitten und fahr um Moſt. 
Zum Kirchenwirt fahrſt. Da halt 
fieben Gulden auf einen Halben (halben 
Startin): mas über bleibt, gehört 
Dein. Aber daß er verjefen (ausgegoren) 
ift! Und bring ihn gut Heim.“ 

Der Knecht ſpannt ein, thut Ketten 
und Stride auf den Schlitten, daß 
er das Faß tapfer feſt binden fann, 
ſetzt Ti darauf, jagt: „Vorwärts in 
Gott'snam', daß nichts bricht und fallt 
nichts z'ſamm'!“ Und Fährt munter 
davon. 

Wie er mit feinem Fuhrwerk 
hinter den Schaden kommt, wo die 
zwei Wege ſich theilen — der eine gebt 
eben über die Höhe hinaus ins Kirch 


825 


fein der Iufligen Sellmerin immer 
Sommer ift. Daß ich Alles jage: We— 
nige Wochen vor diefem Tage fchien 
es, al3 wollte bei der Finerl plötzlich 
Winter kommen. Ein Zahn war ihr 
auzgefallen iiber Nacht; darüber grämte 
fie fich fchier zu Tod, und die Gäſte 
verwunderten ſich baß, warum die jonjt 
jo Schäferluftige Kellnerin Kein Wort 
mehr ſprach. Aber fie getraute ich 
den Mund micht zu öffnen, obwohl 
man die Lücke gar nicht gejehen hätte. 
Da fam der Barthel von Berg herab, 
der machte fie lachen, und als fie jelb- 
ander den ansgefallenen Zahn bes 
| Danerten, fanden fie gleichzeitig, daß 
wieder friich einer nachwuchs. 

Heute ift der junge Sprößling ſchon 
‚To weit, daß die Finerl nach Herzens 











dorf, der andere führt fteil in das luſt lachen darf, und das thut fie denn 
Engthal Hinab zum Grabenwirt —, auch, und der Barthel hilft ihr. Ein 


da jagt der Barthel zu den Ochfen: gelachtes Duett ift noch weit ſchöner 
„Was werden wir da gar zum Kirchen- | ats ein gefungenes. 


wirt hinaustrotteln, Moft hat auch der 


Grabenwirt umd einen viel beſſeren.“ 
Wirft die Sperrfette unter die Schlitten= 
kufe umd rutſcht in das Thal hinab. 
Beim Grabenwirt Fährt er in den Hof, 
ſpannt aus, tut die Ochfen in den 
Stall und geht in die Stube. 

„Was Ichaffit, Barthel?” fragt die 
Kellnerin, die junge Ziehtochter des 
finderlojen Grabenwirtes. 

„Moft,” fagte der Knecht. 

„Eine Halbe?“ 

„Mehr!“ 

„Haft denn Dir Heut’ einen 
großen Durſt?“ jagt die Kellnerin 
ſchmunzelnd und teilt ihm eine Map 
hin. 

„Finerl,“ jagt der Barthel 
da bat er fie jchon bei der Hand er- 
wiſcht —, „eine Maß tit viel zu wenig. 
Du fannft Div gar nicht denten, wies 
viel ich Heute haben will . . .* 

Jetzt treffen ſich ihre Blide, und 
nun weiß man ſchon, was es geichlagen 
hat. Uebel ift ſie micht, die Finerl, 
wen ihr weizenitrohgelbes Haar und 
ihre Sommerſproſſen gefallen, die auch 
im Winter dableiben, weil es im Herz— 


ſo 


Am Ofentiſch ſitzt aber Einer, dem 
dieſes Duett gar nicht gefällt. Der 
Fuhrknecht Zengg iſt es, eine auf— 
dedunſen⸗ Rothhaut in blauer Blonſe, 
ſäuft wie ein Faß und iſt verliebt 
wie ein Kaninchen. Er trägt Silber— 
geld bei ſich, eine ſchwere ſilberne Uhr— 
De und bat den Aberglauben, daß 
alle Dirndeln in ihm verliebt ſein 
| mühten. Etliche thun auch fo und 
hören feine verfilberten Liebesſchwüre 
nicht ungern. Sein ſtärkſtes Verlangen 
aber geht nah Sommerjprößlein und 
Weizenſtroh; und jetzt macht ſich dort 
| der verdammte Bauernlümmel an dieſes 
Saar 


„Eine Halbe Guldenwein!“ knurrt 
der Fuhrknecht Zengg und ſtößt fein 
Glas auf den Tiſch. Er ift feiner, 


der Apfelmoft trinkt, er mag nur 
Guldenwein! 
„Katherl!“ ruft die Stellmerin in 


die Küche hinaus, „Sei fo gut, bring 
dem Zengg eine Halbe Guldenwein !* 

Kommt der alte feifende, Haus— 
droche, die Schweiter der Graben= 
wirtin, und bringt das Verlangte. 





526 


Und die Finerl Hodt beim „Bauern 
lümmel“ wie angenagelt. 

Endlich tritt der Wirt in die Stube, 
da wird das Moftgeichäft abgethan. 

„Sechs ein halb Gulden, weil 
Du's bift,“ jagt der Grabenwirt, „aber 
dus Faß kommt zurüd.“ 

„Es gilt.” 

„Alsdann laſſ'ich aufpaden. Trink, 
was Du magft, es geht ein.“ 

Seht kommt auch zum Barthel 
Guldenwein, die Finerl bringt ihn; 
auch Klegenbrot zum Dazubeißen, oder 
eine Gigarre, was er halt lieber hat, 
fagt fie und feßt fich wieder an feine 
Seite. — Gott, wie ſchön ift die Welt! 

Nach einer Meile fällt dem Barthel 
ein, er müſſe nachſehen gehen, was 
die Ochſen machen im Stall. Sie 
jollen Heu kriegen, und er könne feinen 
Mein auch draußen austrinten, er jei 
nicht dafür: Alles auf einmal in die 
Gurgel. Er wolle länger was haben. 

Geht alſo hinaus, und die Finerl 
trägt ihm den Wein nad. 

Dentt fi der Fuhrknecht Zengg: 


vom Haufe her. Der Fuhrknecht zieht 
ein funfelndes Mefferlein aus der Taſche. 
' „Barthel,“ murmelt er für ſich, „heut' 
geht's Dir allzu gut, möcht’ mich wun— 
dern, wenn Du ohne Malheur Heime 
fünft mit Deinem Moft! Möcht' mich 
arg wundern!“ Und jehnigt fo ein 
wenig an den Striden herum. 

Dann fchleift er langſam jeitab. 

Nicht lange hernach wird im Stall 
irgendwo gejagt: „Sapperment, jeßt 
iſt's Zeit, daß ich einſpann'!“ 

Bald iſt's auch gejchehen. 

„Ja, behüt Gott, Barthel, komm 
glüdlich Heim!“ ruft die Finerl. 

„Und das Faß kommt zurück,“ jchreit 
der Wirt dem Schlittwerk nad. 

Der Barthel geht voran und führt 
die Ochſen an den Hörnern. Er it 
heute ein glüdjeliger Menſch. Daß der 
Weg ftark bergan fteigt, macht nichts, 
ziehen müfjen doch die Ochjen. Wenn 
er Salendermacher wäre, der heutige 
Tag mühte voht werden. Und daheim 
wird's auch wieder hoch hergeben, wenn 
er mit dem Moft kommt. Daß die 


Schau, jean, die find gejcheit! — | Finerl lieb ift, das hat er wohl ge= 
Er jieht nämlich durch das Fenſter wußt, aber daß fie fo lieb, jo lieb jein 
Schneefhaufler, die den Schnee aus kunnt', das hätte er fich nimmer gedadt. 


dem Weg in den Bach werfen — da 
trägt ihn das Waſſer davon. 

Weil es in der Wirlsſtube jeßt 
öde geworden ift, jo fteht auch der 
Zengg auf und geht hinaus. Er 
ichlenfert über den Hof, bört das 
MWiehern der eingeftellten Röſſer, hört 
das Miefeln des Baches, hört das 
Grunzen der Schweinen aus dem 
Pfränger. An der Wand hängt ein 
Pferdegeſchirr mit Niemzeug; davor 
fteht er ſtill und ſchaut es an. Dann 
ichlüffelt er weiter. Auf dem Schlitten 
ruht das große Moftfap; ev ſteht davor 
ſtill und betrachtet, wie es mit Striden 
frenz und quer Feitgebunden iſt. — 
Immer gefeſſelt ift jo ein Trunk, nur 
wenn er in die Leute kommt, wird er 
ungebunden. — Der Zengg denkt aber 
an etwas Anderes. Jetzt Ingt er einmal 
in die Runde; 's iſt Niemand in der 
Nähe. Der Holzſtoß verdedt den Bid 





Verflucht ſtark bergan geht's; wenn 
der gute Schlittweg nicht wär', möchte 
ſo ein Paar Ochſen dieſen wanſtigen 
Moſtplutzer nicht vom Fleck kriegen. 
Daß ſich die Weibsleute ſchämen, iſt 
ganz natürlich. Aber der Kirchenwirt 
bat feinen ſolchen Moft. Wer jich Die 
anheiraten kunnt', das wär’ doch ein 
Guſto! Wenn er ſchmeckt daheim, nach— 
her ſag' ich's, wo ich ihn geholt hab. 
| Zu der geh’ich öfter, das weiß id. 
Di, Falber! Ya, das glaub’ich, daß 
wir Shwißen. Wenn man's bedentt, 
wieviel Näufch’ wir da hinauffchleppen. 
Ich hab’ heut’ wohl auch ein bifjel einen 
gehabt. Mein Lebtag hätt’ ich's nicht 
geglaubt, daß der Menfch jo fed werden 
tunnt’. Sie hat mich aber auch ordentlich 
Red' anlaſſen. Jetzt noch ein Ruckerl, 
hup, wir werden bald oben ſein! Au— 
heiraten, das wär' ſchon ein Guſto! 
— — So hätten ji die lieblichen 














Gedanken des Barthel noch weiter- 
geflochten, da fieht er, wie hinten am 
Faß plötzlich ein Strid losſchlägt; 
ein zweiter beginnt ſich mit Haſt aus— 
einander zu ringeln. Jeſſes, die Moſt— 
butten rutſcht! kann der Barthel noch 
denken und will zurückſpringen und 
feſthalten, da gleitet das Faß über den 
Schlitten hinab und ſchlägt über. Einen 
Augenblick iſt's, als wolle es liegen 
bleiben im Schnee, noch träge wälzt 
es ſich um, da beſinnt es ſich, unten 
ſei es ihm lieber wie oben, und begimmt 
über das Schneefeld hinab feinen Lauf. 
Sadte, aber ſchwer, zuerft fchiebt es 
ſich über, munterer wird's, tanzend 
wird's, hüpfend wird’s, große Gruben 
ſchlägt's im Schnee und jpringt doch 
wieder heraus, immer feder und wilder 
faust e3 drein, dab der Schneeſtaub 
ſtöbert nach allen Seiten, und wie es 
zum hohen Rain kommt, unter welchem 
ih das Grabenwirtshaus dudt, fliegt 
das alte, dide Faß Hoch, in die Lüfte 
und im einem weiten Bogen der Ziefe 
RER 
Starr wie ein Schneemann hatte 
der Barthel dem fliehenden Faß nach— 
geihaut. Als es feinen Augen mu 
entichwunden war, that er einen lauten 
Pfiff und fagte feierlich: „Jet ift der 
Moft Hin.” Die Ochſen merkten ihren 
Vortheil und mollten mit dem feder- 
leichten Schlitten bergan. „Das glaub’ 
ich !* rief der Knecht und hieb ihnen 
den Beitjichenfteden auf die Stirne. | 

Erſt nach einigem Nachdenten war 
er jo weit, als es die Ochſen ohne 
Nachdenken gewejen. „Was nüßt’s,“ 
jagte er, „wenn wir da flehen bleiben, 
das Faß kugelt nicht mehr Herauf, 
und von meinem Jahrlohn ift ein 
Trumm din. Das Beite, fed heimfahren 
und die Wahrheit jagen.” 

Mein Bater war fein jchlimmer 
Mann. Als er hörte, was gejchehen 
war, jagte er die Worte, die den 
Sprüchen der Weisheit einverleibt zu 
werden verdienen: „Macht nichts. | 
Haben wir feinen Moft, fo trinken 
wir Waſſer.“ 








„Ich weiß nicht, was das iſt,“ 
betheuerte an demjelben Abende eine 
Magd unten beim Grabemwirt. „Heut 
find die Schweine toll!“ 

Und als der Wirt mit der Laterne 
gieng, um nachzufehen, und die Thiere ' 
vor feinen Augen grunzend tanzten, 
ſich munter auf der Streu wälzten, 
eines auf das andere jprang, mit ver— 
glasten Neuglein dann Jchelmifch drein— 
Ingten, ihre Rüfjel gen Himmel redten 
und mit chiefgehaltenem Kopf lauertei, 
um hernach wieder toll dreinzufahren, 
und als der Wirt in der Luft Hin und 
her roch und Moftgeruch witterte, rief 
er aus: „Der Teufel Hole mich, die 
Säue find beſoffen!“ 

Zu einer ähnlichen Erkenntnis 
kam an demſelben Abende auch ein 
anderer. Der Fuhrknecht Zengg, als 
er gemerkt Hatte, beim Grabenwirt 
jeße es heute feine Unterhaltlichleit, 
nicht einmal ein Sartenfpiel mit dem 
Wirt, noch weniger ein Fingerhäkeln 
mit Burichen und Dirnen (er war ein 
leidenſchaftlicher Fingerhäkler), Führte 
er feine Pferde aus dem Stall zum 
Brunnen, und als fie nach ihrer Hafer: 
jaufe tüchtig geſoffen Hatten, ſpannte 


'er fie an feinen Roheiſenwagen. Als 


fein Fuhrwerk auf dem ruhigen Geleiſe 
der Thalftrage war, legte er ſich der 
Länge nach auf die Noheifenftüde des 
Wagens, den Mantel darüber, den 
Hut aufs Gelicht geftülpt — jo! zwar 
ein hartes Bett, aber ein andermal 
iſt's wieder befler. — „Dia, Schimmel!“ 
Der Schimmel und der Fuchs 
ließen ſich's aber Heute nicht zweimal 
Jagen, fie trabten flinf, wieherten und 
warfen ihre Köpfe Hin und Her in 
der Abficht, einander zu beißen. 
„Was Haben fie denn heut’, die 
Vieher!“ jchreit der Zengg und pfeift 
ihnen mit der Beitiche ein paar Merks 
über die Nüden. Schwups, richtet ſich 
der Schimmel empor, Stangengerade 
wie ein Korporal, und fteht trappelud 
auf feinen Hinterfüßen, der Kamerad 
macht's nah — ein Peitſchenhieb — 
die Pferde raſen davon. Kaum vermag 


828 
nicht viel anders wie früher das Faß, 
den Berg herab und wurde Graben— 
wirt. Schier fein Erftes war, dab er 
meinem Vater als Erſatz ein großes 
Tab Apfelmoft auf den Berg jchidte, 
aber mit Fleiß feſtgebunden im Wagen. 
Mein Bater ließ ihm jagen: „Junger 
Grabenwirt, das hätte ich nicht ver— 
langt, Du wirft Deinen Moft ſchon 
jelber brauchen.“ — „Moft genug, 
Nachbar!” ließ der Barthel zurüdjagen. 
„Trinkt ihm auf unfere Gefundheit. 
Deine font wohlgefitteten Schweine, Weil ih ſchon jo tief herabgekommen 
fondern auch Deine Pferde betrunken | bin, jo laßt mich wenigftens einmal 
machen und jo das DVerderben deines hoch leben!” 
Haufes werben. Hoch und lang! Wir Haben es 
Nun weiß ich wohl, Du fragft nicht | wader gethan. Ich Habe zwar beim 
nah der Moral, fondern nach dem | Anftopen mein Thontöpfel in Scherben 
Verlauf des trauten Verhältniſſes gefchlagen, daß der ganze Moft dem 
zwifchen dem Barthel und der Finerl. | Heinen Halterdirndel über das Haupt 
Der Verlauf war gar fein übler. Als |gefloffen ift. Das hat weiter nichts 
es in der Gegend des dadongelaufenen | gemacht als den Wiß von der Kinds— 
Faſſes und der davongelaufenen Nöffer | taufe, und der Barthel lebt heute noch. 
wegen laut geworden war, wo der — Wenn Du einmal des Meges 
Barthel den Moft holt, brauchten die kommſt, jo rathe ich Dir, beim Graben 
beiden auch weiter fein Geheimnis | wirt einzufehren. Bei der Wirtin if 
draus zu machen. Ein Jahr jpäter | immer noch Sommer, und der Baribel 
übergab der Grabenwirt feiner Zieh- ſoll Dir erzählen — er kann's beſſer 
tochter das Geſchäft. Hipfte der Barthel, | als ih —, wo er den Moft geholt hat. 


der Zengg noch abzufpringen, und 
wie er fpäter draußen auf dem Wieſen— 
plan fein Fuhrwerk wiederfieht, ift der 
Wagen zertrümmert, und die Pferde 
ftehen losgeriſſen am Bach, Heben ihre 
Köpfe hoch und wiehern. 

Darum, mein lieber Leſer, ſchneide 
nie aus Bosheit die Stricke entzwei, 
mit welchen ein Moſtfaß an den 
Schlitten gebunden iſt, das Faß könnte 
den Berg herabrollen, in der Waſſerrinne 
zerplatzen und am Troge nicht allein 





Pieder einer Mutter. 
Von Frau M. Holm. 





R Gebetserfüllung. Vorwurf. 

Ya nd kannſt Du alles, lieber Gott, Lieber Gott, das haft Du wirklich 

> Sm Himmel und auf Erden, Sei nicht böje! — ſchlecht gemacht, 
& la mich wiederum ein Kind, Daß nicht Alle fingen können, 
Ein luſtges Kindchen werden!” Wie doch Jeder weint und ladt. 
Und wunderbar hat Gott erfüllt, Trug's am ſchwerſten ftets im Frühling, 
Mas ich erbeten habe: Da die ganze Welt erklingt, 
Auf meinen Armen liegt ein Kind, Da die Lüfte jubilieren 
Ein allerliebiter Knabe. Und der Wald in Chören fingt. 
Und fonnenhell und jubelfroh Doppelt leid und bitter wehe 
Iſt wieder mir zu Sinne: Mir's in diefen Lenze thut, 
Zum übermüthgen Kinde macht Meil ein allerliebftes Kindchen 


Mich jelige Mutterminne, Schreiend mir im Arme ruht. 


— — ————— —— — —— —— — ——— — 





Trag es zärtlih Hin und wieder — N Mein Bube. 

Immer ftärfer wird das Schrein — Mein Bube ift noch dumm und Hein: 
Könnt’ ih fingen! könnt' id fingen! Zu taujend Malen 

Schlummerte mein Kindchen ein. Griff er bei hellem Sonnenjdein 
Nah Sonnenftrahlen. -— 


Und trag ih meinen Heinen Wicht 

Auf freien Wegen, 

Und bläst der Wind ihm in’s Gefiht — 
Er bläst dagegen. 





Lieber Gott, das haft Du wirklich — 
Sei nit böje! — ſchlecht gemadt, 
Daß nit Alle fingen lönnen, 

Wie doch Jeder weint und ladt, 








Mir Großen lachen, jpotten noch 
Darüber heiter, 

Und find zum Glücke meiftens dod 
Nicht viel geſcheiter. 


Die ante Preſſe während der Franzoſenzeit. 


wenn man als den vornehmſten | zufchlagen und mit den franzöfifchen 
ee und idealiten Ziwed der Preſſe Zeitungen in den maßlofeften Schmei⸗ 
die Verbreitung von Licht und Wahrheit | cheleien gegen die Franzoſen und in 
und die Erwedung des Gefühls für den niedrigften Schmähungen ihrer 
Ehre, Recht und Geſetz im Volke betrach⸗ ı Gegner zu wetteifern. Und das find 
tet, jo muß man eingeftehen, daß die die harakteriftifchen Merkinale der da— 
deutſche Preſſe in jener Zeit, während ‚ maligen deutfchen Preffe; auf der einen 
welcher Napoleon I. Deutjchland in | Seite ängftlide Zurüdhaltung jeder 
Feſſeln Hielt, fich jo weit wie möglich | eigenen Meinung, auf der andern Seite 
bon dieſem idealen Ziele entfernte. ſchamloſeſte Verherrlichung der Unter— 
Zwar kann man es den deutſchen drücker des eigenen Volkes. 

Zeitungen nicht allzuſehr zum Vor— Napoleon kannte und fürchtete den 
wurfe anrechnen, daß fie unter dem gewaltigen Einfluß der Preſſe auf die 
Drude der fremden Machthaber ſich | öffentliche Meinung zu fehr, als daß 
hüteten, auf die fich abjpielenden welt» \er ſich nicht bemühte, jeden unab— 
erſchütternden Ereigniffe näher einzu= | hängigen Meinungsaustaufch in der= 
gehen oder gar Schlußfolgerungen und | jelben zu unterdrüden umd fie zu einem 
eigene Meinungen laut werden zu laſſen, ſclaviſchen Werkzeug in ſeiner Hand 
denn man wußte genau, was man in zu geftalten. Er erließ deshalb nad 
folgen Fällen von Napoleon zu ges | der Unterwerfung Deutſchlands außer 
wärtigen habe. Hatte doch das uns | den befonderen VBorfchriften, nach denen 
glückliche Schidjal Palm's zur Genüge ſich die Zeitungen der einzelnen Staaten 
bewiejen, daß Napoleon im Uebermuthe | je nach Lage der Verhältniſſe zu richten 
feiner Macht ſelbſt bei unbedeutenden | hatten, als allgemeine Richtſchnur für 
Dingen nicht vor einer ruchlojen Ge- die Preſſe zwei Verordnungen, deren 
waltthat zuriidjchredte. Um fo ſchmach- erfte, vom 21. Auguft 1809, in dem 
voller und ehrlofer war es jedoch, dak | Punkte gipfelte: „ES darf feine bei= 
ein großer Theil der deutjchen Preſſe Bende Schreibart gebraucht, am wenig⸗ 
ſich nicht entblödete, den Ton der ekel— | ften illegale Angriffe auf irgend eine 
hafteften Striecherei vor Napoleon an- öffentliche phyſiſche oder moralische 








830 





Perfon gewagt werden.“ Die zweite, 
vom 29. Mai 1811, verfchärfte noch 
die erfle, indem fie genau beftimmte, 
was für politifche Nachrichten über» 
haupt von deutichen Zeitungen ges 
bracht werden durften. Sie lautete: 
„Jedes Blatt wird unterdrüdt werben, 
welches andere politifche Nachrichten 
bringt, al3 die den „Moniteur“ ent= 
nommenen ; die Nedacteure würden fich 
außerdem noch perfönlihen Strafen 
ausfegen.“ Durch letztere Verordnung 
war der Selbftftändigfeit der deutſchen 
Preſſe der Todesſtoß verſetzt. Sie ſank 
herab zur ohnmächtigen Nachtreterin 
der officiellen franzöſiſchen Zeitung, 
deren lügnerifche oder gefärbte Berichte 
fie unverfürzt und ohne Zuſatz wieder- 
geben mußte, jo daß die Leſer die Be— 
gebenheiten felten in ihrer wahren Ge— 
ftalt fennen lernten. Die Folge der 
Napoleonifchen Verordnung war, daß 
die deutjchen Zeitungen, zumal die ans 
ftändigeren, die nicht in den allgemeinen 
Jubel über die franzöfische MWirtfchaft 
einſtimmten, überaus fahl und dürftig 
erſchienen. Die lebte und dürftigſte 
Stelle nahm ſtets die Rubrik „Deutjch- 
land“ ein. Hier umſchiffte man die 


worden. Wirft man einen Blick in 
die Berliner Zeitungen aus jenen Tagen, 
ſo muß man erſtaunen über den heraus— 
fordernden, bramarbaſierenden Ton, 
der in ihnen angeſchlagen wurde. Da 
war überhaupt an feine Niederlage zu 
denfen, das Heer Friedrichs des Großen 
galt für unüberwindlich. Die „Berliner 
Zeitung“ veröffentlichte Bardengejänge 
und verſicherte, daß noch mie der 
preußiſche Geift fich fo voll und kräftig 
erwieſen Habe, als gerade jegt. Selbit 
die harmlofeften Blätter, wie der 

„Hausfreund“, dev „Freimüthige“ und 
der „Beobachter an der Spree“, hetzten 
förmlich zum Kriege. Der „Telegraph“ 


ſtimmte einen Hymnus am, der mit 
den Morten ſchloß: „Auf zu den 


Waffen ! Ihr fechtet für eine Sache, 
die Eure eigene; ‚Schöpfung ift; ſie 
kann nicht anders als groß fein. Schön— 
heit und Tapferkeit Haben fich für Euern 
Kampf erklärt, vereinigt, verbunden. 
Ihr werdet jiegen oder — men bes 
ruhigt dieſes micht? — bedauert von 
der ſchönſten Gebieterin fallen.” — 
Dann kamen die Tage von Jena und 
Anerftädt. Dumpfe Gewitterſchwüle 
lagerte über dem ganzen Volke, Ge— 


bei der geringſten Unvorſichtigkeit ge⸗ | rüchte überftürzten fih, man verlangte 


fahrdrohenden Stlippen dadurch, daß 


nach authentiſchen Nachrichten. Als 


man ſich begnügte, über irgend eine dieſe endlich eintrafen und wie ein 
Hoffeſtlichkeit, einen Unglücksfall oder | Donnerjchlag aus heiterm Himmel die 
eine Auffahrt der Madame Blanchard | Niederlage der verbündeten Preußen 
im Luftballen in behaglicher Breite | und Sachen verfündeten, änderte ſich 
zu berichten. So füllte einmal die mit einem Nud der Ton in der Preſſe. 
„Augsburger Zeitung“ mit der Schil- | Man jchimpfte jeßt über die unfähigen 
derung der württembergifchen Hofrang= preußiſchen Generale, über die maängel— 
ordnung, im der ganz genau ausein— | hafte Ausrüftung des Heeres und über 
andergejeßt war, in welcher Reihenfolge die Leichtfertigkeit, mit der der Krieg 
die Hofpaufer, Silberpuger u. ſ. w. angefangen fei. , „Ruhe ift die erfte 
rangierten, 4 Spalten. Doc laſſen | Bürgerpflicht“ war bekanntlich die aus— 
wir, um ein vollftändiges Bild von gegebene Lofung, und Ruhe bewahrten 
den Zuftande der damaligen deutfchen | auch die Zeitungen. „Wir haben“, 
Preſſe zu erhalten, die wichtigeren Bes | fchrieb der „Telegraph“, „nichts zu 


— 


gebenheiten aus der Zeit der franzö— 
ſiſchen Fremdherrſchaft in der Geftalt, 
die fie in den Schilderungen der 
deutjchen Zeitungen angenommen haben, 
an uns borüberziehen. 

Der Krieg von 1806 war erklärt 


thun, als dieje Krieger (die heran 
rüdenden Franzofen) mit Achtung und 
Bereitwilligfeit aufzunehmen.” 
Dasfelbe Blatt berichtet dann über 
den Einzug Napoleon’ in Berlin: „Am 
27. October zwischen 3 und 4 Ubr 


aaa nn nn — nn — — — 
— 


831 


Nachmittags kam Sailer Napoleon 1. 
unter dem Geläute aller Gloden und 
unter dem Jubelgejchrei vieler taufend 
Bürger und Einwohner Berlins in 
diefer Stadt an. Der majeftätijch- 
prachtvolle Zug gieng durch die Linden 
nah dem Schloſſe zu. Die vortreff- 
lie Haltung der hier eingerüdten 
Truppen, ihr martialifches Anfehen, 
ihre Freundlichkeit und Munterfeit er— 
weden allgemeine Bewunderung.“ Ob 
wohl ein Parifer Blatt bei dem lebten 
Einzuge des deutschen Heeres in Paris 
in ähnlicher Weife gejchrieben haben 
wirde? Doc noch nicht genug damit, 
in einer fpäteren Nummer — um dieſes 
Blatt gleich abzuthun — wagte es der 
Herausgeber fogar, die Ehre der Königin 
Lonife in ſchamloſeſter Weife zu ver- 
dächtigen. 

In der ſächſiſchen Preſſe herrſchten 
ähnliche Zuſtände. Die „Leipziger 
Zeitung“ wurde gleich nach der Be— 
ſetzung Leipzigs von den Franzoſen 
in Beſchlag genommen; ſie mußte ſofort 
einen aus franzöſiſcher Feder gefloſſenen 
„unparteiifchen Bericht über die Schlach— 
ten don Jena und Auerftädt” ver— 
öffentlichen, der Alles, was vorher hier= 
über gejchrieben war, in einer den 
Herausgeber lächerlich machenden Weife 
widerrief. Im Juli 1807 follte Na— 
poleon, der inzwifchen mit Sachjen 





teite Wohlergehen des allergnädigjten 
Kaiſers und Königs Napoleons des 
Großen begleiteten Jhn, den größten 
Negenten und Feldherrn der Welt- 
geichichte, der unjermBaterlande Selbſt— 
ftändigkeit und danerhaftes Glüd zu 
verschaffen verſprach.“ Iſt dieſe Schweif— 
wedelei ſchon widerwärtig genug, ſo 
erſcheint das Folgende geradezu hirn— 
verbrannt. Die Univerſität beabſich— 
tigte nämlich noch eine beſondere Aus— 
zeichnung für Napoleon; ſie dachte 
daran, „Napoleon dem Unſterblichen 
ein bleibendes Denkmal ihrer Ver— 
ehrung am unvergänglichen Firmament 
zu ſtiften“. Zwei Profeſſoren wurden 
zu Rathe gezogen. „Dieſe urtheilten, 
daß zu einem neuen, der Würde des 
Gegenſtandes entſprechenden Sternbilde 
fein ſchicklicher Platz an dem, unbe— 
waffneten Augen ſichtbaren Sternen— 
himmel ausgemittelt werden könne; daß 
aber (wie ſchon im Alterthume und 
auch in neueren Zeiten geſchehen ſei) 
Theile eines bereits befannten Stern— 
bildes zu jenem Zwede gewählt werden 
fönnten.“ Daraufhin wurde bejchlofjen, 
die zum Gürtel und Schwerte des Orion 
gehörigen Sterne, die noch feinen bes 
jonderen Namen Hatten, fünftig die 
Sterne Napoleon’s zu nennen. 

Die Zeitungen der Rheinbunds— 
ftanten wetteiferten im jener Zeit mit 


Frieden gejchloffen hatte, nad) Leipzig | ihren deutjchen Genoflinnen in Ehr— 
kommen. Zu feinem Empfange waren, |lofigfeit und Kriecherei, ja fie über- 
wie die „Leipziger Zeitung” vom trafen die leßteren Hierin jehr bald. 
23. Juli berichtet, die großartigiten | Ueberall können die Leutjeligleit und 
Anftalten getroffen. Ehrenpforten und | Herablafjung der franzöfifchen Empor: 
grüne Laubgewinde ſchmückten die kömmlinge nicht genug gepriefen werden ; 
Straßen, 50 Kaufleute „in Schöner | Jerome, ſchmachvollen Angedentens, 


Uniform“ follten den Kaiſer zu Pferde 
einholen, weißgefleidete Mädchen ihn 
ein Gedicht überreichen. Zum großen 
Leidweſen der Leipziger vereitelte Na— 
poleon dieje Ausführungen, indem er 
Morgens um 5 Uhr in Leipzig ankam 
und ohne den mindelten Aufenthalt 
die Reife fortfeßte. Die „Leipziger 
Zeitung“ unterließ jedoch nicht, ihrem 
Berichte Hinzuzufügen: „Nur unſere 
feurigften Wünfche für das danerhaf: 





wird ftet3 „heißgeliebter Landesvater“ 
genannt. Statt vieler nur ein paar 
Beilpiele: In „ Weftfätifhen Moniteur“ 
heißt es im Januar 1808: „Wir em— 
pfinden bier und im ganzen König— 
reich bereit3 die erwärmenden und er— 
quidenden Strahlen der neuen Sonne, 
Ale Handlungen und Berfügungen 
unferes geliebten Monarchen, welche 
bis jegt zur allgemeinen Kenntnis ges 
langt find, tragen das Gepräge feines 


—— —— 


832 


erhabenen, huldvollen Charakters und |des Kaiſers Napoleon über Wien unterm 
zeugen von feiner Herzensgiüte. Manche | 24. Mai erhalten. Dieſe ſprechen von 
Thräne des Kummers ift ſchon ges | einer jehr glänzenden Affaire, in welcher 
trocknet und die Ausficht in eine beſſere, ſich die Franzoſen wie gewöhnlich mit 


frohe Zukunft träufelt heilſamen Balz | 


Ruhm bedeckt Haben, obgleich ein ganz 


fan ſelbſt in die Gemüther Derjenigen, | unerwarteter Zufall verhinderte, daß 


welche, unvermögend das große Wert 
der Weltregeneration zu begreifen, im 
banger Erwartung den künftigen Tagen 
entgegenjeufzen.“ Dann iſt don der 
Liebe und dem Vertrauen eines jeden 
Meftfälingers zu „feinem neuen Aller 
durchlauchtigſten Souverain“ und der 
Bevorzugung der Unterthanen bei Bes 
jeßung der höheren Staatsämter die 
Nede, eine Lüge der gröbften Art, da 
belanntlih die ſämmtlichen Minifter- 
ftellen und faft alle übrigen höheren 
Aemter durch Franzöfiiche Abenteurer 
verwaltet wurden. Troßdem machte 
diejer Bericht die Runde durch die 
deutichen Zeitungen. Im einen an— 
deren Berichte über den Befuch Jerome’s 
bei den Bergleuten von Clausthal heißt 
es: „ . endlich der intereflante An— 
blick einer ganzen Volksmenge, welche 
gekommen war, ihren Herrſcher zu 
feiern nach Art ihrer Väter und den 
treu bewahrten Brauch uralter Zeiten, 
Alles dieſes bildete ein ebenſo feier— 
lies als merkwürdiges Schaujpiel. 
Diefe Huldigungen der unbefangenen 
Liebe eines biederen und einfachen 
Volles, das von der Welt nichts kennt 
als feine Berge, ſeine Schachten und 
feinen Fürſten, ſchienen auch feine 
Majeftät zu rühren.“ 

1809 tobte der öfterreihifch- franz 
zöjische Krieg. Die deutſchen Zeitungen 
bradten über ihn die glänzendften 
Siegesberichte der Franzoſen, die ihnen 
meift ımmittelbar von den franzöfie 
ſchen Heerführern zugiengen, da ſie oft 
mit den Worten: „Bon hoher Hand 
uns zugelommen“ begannen. Der Ber 
richt über die Schlacht von Aipern, 
die erſte offenbareNiederlageNapoleon’s, 
in den deutjchen Zeitungen enthielt 
faft nicht ein wahres Wort. „Man | 








hat geftern,“ jo lautete der Anfang, 
„Nachrichten aus dem Hauptquartier 





der Erfolg davon nicht vollkommen 
enticheidend fein fonnte.“ ... Der 
Herzog von Braunfchweig = Del, der 
bekanntlich auf eigene Hand an dem 
Kampfe gegen Napoleon theilgenonmmen 
hatte und durch den Abſchluß des 
Friedens zwiſchen Frankreich und Oeſter— 
reich zu dem ſtrategiſch berühmt ge— 
wordenen Rückzug nach Norddeutſch— 
land behufs der Einſchiffung nach Eng— 
land gezwungen wurde, wurde damals 
von vielen deutſchen Zeitungen nad 
dem Vorbild franzöfifcher Blätter mit 
allen möglichen Schimpfnamen, wie 
„Bandenführer* und „Räuberhaupt: 
mann“ bedaht, was indellen nicht 
verhindert hat, daß fein Name jtets 
zu den gefeiertften aus jener Zeit ges 
hören wird. Bon allen europäifchen 
Staaten Teiftete damals allein nod 
England Napoleon den hartnädigiten 
Widerſtand. Anſtatt jich nun hierüber 
zu freuen oder wenigſtens mit Still— 
ſchweigen der Entwickelung der Dinge 
entgegenzuſehen, beeiferten ſich Die 
deutſchen Zeitungen in geradezu fang— 
tiicher Weife über England Herzufallen. 
Mag man auch ein gut Theil diejer 
Aeußerungen einem Drude von oben 
zufchreiben, jo läßt doc ‚der Leber: 
eifer, der Hierbei entwidelt wurde, und 


‚die niedrige Art der Schmähungen 
‚feinen Zweifel übrig, in welcher er— 


bärmlichen Weiſe die deutiche Preſſe 


um die Gunſt Napoleon's buhlte. Als 
dann Napoleon zur Vernichtung des 


auswärtigen Handels Englands die 
unerhörte Continentalſperre anordnete, 
durch welche auch der deutſche Handel 
um Millionen geſchädigt wurde, da die 


‚in den deutſchen Städten lagernden 


englifhen Waaren ohne Weiteres ihren 
Eigenthümern fortgenommen und durch 
feuer vernichtet wurden, erjcholl in 
der deutschen Preſſe ein geradezu tragis 


- 





833 


tomisches Jubelgeſchrei. 
wahrlich ein hoher Grad von Erbärm— 


Es gehörte] Gegenftand wahrhaft widerlicher Bes 


ſprechung in den Zeitungen, die gar 


lichkeit und Frechheit dazu, über diefe nicht zu fühlen jchienen, wie taftlos 


Anordnung Napoleon’3 zu frohloden 
und ihr eine für den Handel wich— 


fie im ihrer Unterwürfigfeit waren. 
Napoleon Hatte ſich befanntlich jelbft 


tigere Bedeutung zuzufchreiben, als der | einen Sohn „decretiert“, indem er be= 


Entdedung Amerikas, wenn man bes 
dentt, dab Napoleon zugleich den 


Maaren der deutichen Bajallenjtaaten | 


ſtimmte, daß der zu erwartende Thron 
erbe den Zitel „König von Rom“ 
führen ſollte. Als fih am 20. März 


die Ausfuhr nach Frankreich verfagte, | 1811 feine Hoffnung erfüllte, wollte 
den franzöfifchen dagegen die unge | der Jubel in Deutfchland fein Ende 
binderte Einfuhr nad Deutjchland er- nehmen. Man veranftaltete im ganzen 


zwang. 

Das Jahr 1811 war für Deutſch— 
fand ein Friedensjahr, ohne daß es 
der Wohlthaten des Friedens theils 
haftig wurde. Die Laften der frau— 
zöfifchen Beſatzung wurden immer un— 
erträglicher, umd neue Steuern trugen 
das Ihrige zur Ausſaugung des Volkes 
bei. Wie jehr auch die Bürger in 
den Städten unter dem Drude der 
Fremdherrſchaft im Stillen murrten, 
die Zeitungen waren in Lobpreifungen 
der franzöſiſchen Herrichaft unerſchöpf— 
lid. Zwei Ereignifje aus dem Jahre 
1811 find durch die Art und MWeife, 
wie fie in dem deutfchen Zeitungen 
behandelt wurden, bejonders charaf- 
teriftiich für die damaligen Prebzuftände, 
nämlich der Tod der Königin Louiſe 
und die Geburt des Sohnes Napo— 
leon’s, des Königs von Nom, Ueber 
da3 erftere bemühten fie fich, Jo kurz 
wie möglich zu berichten, um ja nicht 
bei den franzöfiichen Aufpaſſern An— 
ftoß zu erregen. So enthalten mehrere 
Zeitungen neben der einfachen That- 
ſache nur noch den Zufaß: „Mehrere 
Einwohner Berlins hatten an diejem 
Tage Trauer angelegt“. Um fo wills 
fommeneren Stoff gab ihnen aber die 
Geburt des Königs von Rom. Hier 
fonnten die Herausgeber ihrer Feder 
jo recht von Herzen freien Lauf lafjen 
und in Sriecherei und fclavifcher Unter— 
wirfigfeit ſchwelgen. Schon wochen: 
lang vorher war dem deutjchen Volke 
das bevorftehende frohe Ereignis an— 
gelündigt worden. Der Zuftand der 
Kaiferin vor der Geburt wurde der 


Rofegger’s „„Grimgarten‘‘ 11. Geft, XI. 


Lande Frendenfeſte, die die gemanefte 
Beſchreibung in den Zeitungen fanden ; 
es regnete in ihnen Gedichte der ge» 
ſchmackloſeſten Art. Es kennzeichnet 
die damaligen Zuftände recht genau, 
daß gerade die tollften Kundgebungen 
im Schooße der geiftlig höheren Ge- 
jellfehaft entftanden, das Volk dagegen 
fich Hierbei jchroffer und theilmahınslofer 
zeigte. In der folgenden Zeit brachten 
die Zeitungen bis ins Stleinfte gehende 
Berichte über den Zuftand und die erften 
Beihäftigungen des jungen Erden 
bürgers, die dem heutigen Lejer äußerſt 
fomifch erjcheinen. Man fühlte nicht, 
oder wollte nicht fühlen, wie lächerlich 
man ſich durch die Veröffentlichung 
folgender „Bulletins“ machte: „Seine 
Majeftät der König von Rom geruhte 
ohne Weiteres die Bruſt ſeiner Amme 
anzunehmen”, und: „S.M. der König 
von Rom haben die verflojfene Nacht 
verhältnismäßig gut zugebradt, mur 
wurden Sie zeitweife durch Grimmen, 
wie es ſich in diefem Alter einzuftellen 
pflegt, beunruhigt.“ Ueber die Tauf— 
feierlichleit, die mit einem Prunke 
fondergleihen und unter Beobachtung 
der fteifften Etifette vor fich gieng, be— 
richteten die deutfchen Zeitungen, daß 
„der König von Rom von Seiner 
Gouvernante, der Marquije von Mon— 
tegquiou, unter Boraustretung der 
Dfficiere von feinem Dienft und ums 
geben von Seinem Gefolge in den 
Saal getragen wurde.“ Nach dem Tauf— 
act erfolgte die Cour der höchſten 
MWirdenträger vor dem finde, die in 
der Weiſe vor fich gieng, daß diefelben 
53 


unter tiefen Verbeugungen Anfprachen 
an den Thronerben bielten, die die 
Gonvdernante jedesmal an Stelle des 
jungen Königs erwidern mußte. 
Ueber die weitere Entwidelung der 
politifchen Ereigniffe durften die Zei— 
tungen nicht das Geringfte bringen, 
fo daß das deutfche Publikum erſt 
Kenntnis von dem bevorftehenden Kriege 
gegen Rußland erhielt, als derjelbe 
bereitö zum vollen Ausbruche gelangt 
war. Die raftlofen Rüftungen, der 
ununterbrochene Durchmarſch Franzd- 
ſiſcher ZTruppenmaflen und die An— 
ſammlung größerer franzöfifcher Streit— 
träfte an der Oſtſee waren allerdings 
nicht unbemerkt geblieben, doch wurden 
alle auftauchenden Kriegsgerüchte in 
den Zeitungen einfach geleugnet und 
die Anſammlung der Truppen an der 
Dftfee mit der Befürchtung einer Lane 


E 


Zeitung“ eine anonyme Aufforderung 
erſchien, daß der preußiſche Rittmeiſter 
von Colomb ſein zweites Verſprechen 
ebenfo gut Halten möchte, wie ſein 
erfte8, wurde der Leiter der Zeitung, 
der Schriftfteller Mahlmann, von dem 
franzöfifchen Gouverneur ohne Weiteres 
ins Gefängniß geworfen, obwohl er 
erklärte, daß er weder den genannten 
Rittmeifler, noch deſſen militärische 
Thätigkeit kenne. Erft auf energifchen 
Einfpruh der ſächſiſchen Behörden 
wurde er nach einiger Zeit freigegeben. 
Ueber die Schlachten des Jahres 1813 
durften die Zeitungen lange Zeit gar 
nichts bringen, bis endlich die Nieder: 
lagen der Franzofen im Lande offen- 
bar wurden. Als Urfache des Ver— 
Iuftes der Schlaht an der Katzbach 
wurde in den Zeitungen das Anſchwel— 
len des Bobers und feiner Nebenflüſſe 


dung der englifchen Flotte begründet. | angegeben, dagegen habe Napoleon, 
Als dann der Kampf begonnen halte, als er am 4. September erjchienen 
trafen regelmäßige Nachrichten in fei, „den Feind wieder angreifen und 
Deutfchland ein, die ftet3 von großen)am 5. September den ganzen Tag 
Siegen der Franzofen handelten. Weber | über mit dem Säbel in der Fauſt bis 
die Vernichtung der „großen Armee“ Görlitz verfolgen lafjen.“ ' 

und die Flucht Napoleon’s ans Ruß— Mit dem Aufhören des franzö- 
land brachten die Zeitungen anfangs ſiſchen Einfluffes auf die deutsche Preife 
nicht ein Wort, obwohl ſchon die) verfchwanden auch fofort die Männer 
Gerüchte hierüber von Mund zu Mund | der Kriecherei von der Bildflähe und 
giengen ; erſt das berühmte 29. Bulletin | mit ihnen zugleich ein großer Theil der 





Napoleon’s verkündete gegen Ende De: | 
cember mit furchtbarer Nüdhaltlofigkeit 
das entjehlihe Ende des ruflischen 
Feldzuges. 





von ihnen herausgegebenen Blätter.*) 


*) Diefen Aufſatz, welden vor Kurzem 
die „Täglihe Rundſchau“ in Berlin ver: 


Die ſächſiſche und ſüddeutſche Preffe öffentlicht hat, glaubten wir unferen Lejern 


mußte die franzöfiiche Beauffichtigung 
no bis zu den Tagen der Schlacht 
von Leipzig ertragen. Als im Juni 


1813 im Anzeigentheil der „Leipziger 


ar Zur end > — — — — 


nicht vorenthalten zu dürfen. Er iſt ein 
lehrreicher Beitrag zu dem Capitel über 
politiſche Geſinnungstüchtigkeit der Leute. 


Die Red. 


835 








Ein literarifhes Dreigeſtirn. 
Beitrag zur Gejchichte der Vollsliteratur von Emil Soffé. 


7, eben den erhabenen Erſcheinungen 
% einer großen Literaturepoche 
geben immer niedrige und triviale. 
Häufig laſſen fie ſich auf diefelben Ur- 
ſachen zurüdführen; fie entjpringen 
denselben Gefühlen wie jene, aber die 
hohen Gedanken erfcheinen vergröbert, 
der edle Drang breitgetreten, das Ideale 
iſt ins Roh-Sinnliche Herabgezerrt und 
für die ewig denkfaule Menge hübſch 
hausbacken zubereitet. Das ablaufende 
achtzehnte Jahrhundert mit ſeinen ge— 
waltigen genialen Dichterfürſten beſaß 
ebenfalls eine ganz anſehnliche Reihe 
ſolcher literariſcher Garköche, unter denen 
jedoch Vulpius, Spieß und Cramer 
ihr Gewerbe am ſchwunghafteſten be— 
trieben. 

Jahrelang brachte jede Leipziger 
Meſſe mindeſtens ein Werk dieſer 
Schriftſteller; heute iſt über ihre Namen 
ſchon ziemlich viel Moos gewaächſen, 
ihre Werke ſind verſchollen, ſie ſind 
vergeſſen. Am beſten ergeht es noch 
dem Autor des Rinaldini. Zwar ſeine 
Romane und Schauſpiele werden auch 
nicht mehr geleſen, kaum daß noch eine 
ältliche, im literariſchen Studium zu— 
rückgebliebene Nähmamfell ſich in die 
Lectüre des berühmteſten aller Räuber— 
romane vertieft, kaum daß man noch 
das ſchöne Lied „In des Waldes fin— 
ſtern Gründen“ zu hören bekommt, 





das Glück gehabt, der Schwager Goethe's 
zu werden und entgieng dadurch dem 
Schickſale Cramer's und Spieß'. 


Die Entwickelungsgeſchichte Vul— 


pius' bietet nicht viel Intereſſantes. 
Wir ſehen eine Jugend voll Drud, 
Schmutz und Noth. Im Elternhaufe 
herrſcht Elend. Der Vater, obzwar in 
der Stellung eines Kanzleiarchivars, 


i 





ift phyſiſch und moralifch verkommen ; 
er ift ein Säufer, der nüchtern und 
im Naufche feine Kinder mighandelt. 
Die Kinder Hungern, der Vater ver- 
braucht fein Gehalt für ich, ja er ver— 
fauft die Stleider und wenigen Habfelig- 
feiten, um feiner Leidenjchaft Fröhnen 
zu können. So wächst Ehriftian auf. 
Das wirtschaftliche Elend, der Familien- 
janımer fniden feinen Muth, machen 
ihn zaghaft und rauben ihm fein Selbſt— 
vertrauen. Das Traurigfte dabei ift, 
daß fein Charakter kein fittlih feiter 
wird, daß der Drud, der auf ihm 
faftet, im ihm nicht den Gegendrud, 
der nad) geiftiger Befreiung ftrebt, er— 
zeugt, fondern ihn in dem engen, dum— 
pfen reife niedriger, finnlicher Leiden 
ſchaften feſthält. Hier liegen ſchon die 
Keime feiner fpäteren literarischen Ver: 
ireungen: ine wüſte, ausfchweifende 
Vhantafie, die ſich an den fonderbarften, 
abenteuerlichften Gebilden erfreut und 
das Bedenklichite wagt. 

Bulpius begann feine Schriftiteller= 
laufbahn als Ueberſetzer franzöſiſcher 


und italieniſcher Ritterbücher. An ſolche 


Vorbilder lehute er ſich in feinen ſelbſt— 
ſtändigen Schöpfungen an, ihre Technik 
ahmte er nach. Er ſchrieb viel und 
raſch. Er hat ſich ſo ziemlich auf allen 
Gebieten der Dichtkunſt verſucht. Schon 


da er ſich — eben zum Doctor der 
aber Chriſtian Auguſt Vulpius hatte 


Philoſophie ernannt — in Nürnberg 
als Secretär bei dem Reichsgrafen 


Friedrich Julius Heinrich von Soden, 





der die dramatiſche Muſe durch ver— 
ſchiedene Producte beleidigte, aufhielt, 
regte ſich in ihm die Schaffensluſt, und 
als er ſpäter Theaterſecretär, dan 
Bibliothekar und endlich Oberbibliothe— 
kar in Weimar wurde, gab ihm ſeine 
amtliche Stellung Muße genug, Ge— 


53* 


dichte, Schaufpiele, Poſſen, Singfpiele, 
Näuberromane, Novellen und felbft 
wiſſenſchaftlich angehauchte Compila— 
tionen in die Welt zu ſetzen. Die 
Krone aller ſeiner Schöpfungen iſt der 
Räuberroman Rinaldo Rinaldini. Ri— 
naldo wächst in niedrigen Verhält— 
niſſen auf, gilt für den Sohn eines 
Landmannes, während er thatſächlich 
der Sohn eines Fürſten — im Romane 
als der Alte von Fronteja eingeführt — 
iſt. Ein Klausner unterrichtet ihn, er 
bütet die Ziegen feines Pflegevaters 
und — liest dabei in feinem Plutarch. 
Die Lebensbeichreibungen der großen 
Männer erhigen feine Phantalie und 
jpornen ihn zur Nahahmung an. Er 
wird Soldat. Wegen eines Subor— 
dinationsvergehens wird er flüchtig, 
wird Räuber und führt nun ein zügel— 


ſich nach einer verwegenen, großen That. 
Auch Zſchokke's Näuberroman Abällino, 
der 1793 erſchien und zwei Jahre 
nachher zum Drama umgearbeitet wurde, 
lieferte ein brauchbares Vorbild, nicht 
zu vergefien des Goethe'ſchen Groß— 
cophtha’s, des Armeniers in Sciller’s 
Geifterfeher, die wenigſtens theilweile 
bei der Schöpfung des Alten von Fron— 
teja mitwirften. 

Zu den fraftgenialifchen und ero= 
tiſchen Hauptſcenen fügte Vulpius noch 
allerhand Myſteriöſes bei, rüttelte Alles 
wohl durcheinander, übergoß dies ſcharf— 
papricierte Miſchmaſch mit einer ſen— 
timentalen Brühe und ſetzte das Ganze 
dann feinen Leſern vor, die vor Ent— 
züden aus Rand und Band geriethen. 

Betrachten wir dieſe Ausgeburt 
einer franfen, überhitzten Phantafie, 





loſes, abentenerliches Leben. Der tapfere | jo fönnen wir nicht leugnen, daß auch 
Räuber ift natürlich ſehr galant, räubert | hier etwas von dem gewaltigen Sturme 
immer ein Hein wenig, dann liebt er und Drange zu fpüren ift, der in den 
wieder u. ſ. f. in infinitum. Immer |fiebziger Jahren des achtzehnten Jahr: 
wird er von dem Alten von Yronteja | hunderts in der deutfchen Literatur fich 


beihüst. Wer ſich von der Wirkſamkeit 
diejes Don Juan ein ungefähres Bild 
machen will, dem mögen folgende 
Frauennamen dienen, deren Trägerin 
nen den liebefiehen Capitano tröften: 
Aurelie, Rofalie, Olympia, Yaura, die 
Gräfin Dianora, Serene, Yortunate, 
Ismunde, Serafine, Milita, Marvalija 
und noch viele andre Chriſten-, Juden 
und Zürfenmädchen. Schließlich findet 
der Räuber noch ein rühmliches Ende 
im Sampfe. 

Der Roman Hat eine wirkliche 
Grundlage. Vulpius fand in einer 
fleinen italienischen Schrift das Leben 
des hiſtoriſchen Räuberhauptmanns be= 
ſchrieben; auch im Journal del’ Europe 
ftieß er auf eine Notiz über das Ende 
Rinaldinis. Wichtiger find die lite 
rarifchen Grundlagen. Der Charalter 
Karl Moor's und der Don Juan’s 
find hier zuſammengeſchweißt. Wis 
naldini wird wie Karl Moor durch die 
Biographien des Plutarch begeiftert, 
auch ihm efelt vor feinem tintenkled- 
ſenden Säculum, feine Feuerſeele jehnt 


‚zu regen begann. Auch dur den 
Rinaldo geht die Idee der Fyreiheit, 
aber bloß die dee der phyſiſchen Freie 
‚heit und Befreiung und der gejchledt- 
‚lichen Ungebundendeit; es ift jedoch 
nicht der geringite Wunſch nach der 
idealen Befreiung zu verjpüren. 

Dus Shidjal des Rinaldinibucdhes 
war günftiger, als es felbit Vulpius 
‚erwarten fonnte. Der Roman wurde 
—— überſetzt und wiederholt auf— 
gelegt. Als Vulpius den Erfolg ſeines 
Werkes ſah, verarbeitete er, als prak— 
tiſcher Mann, den Roman zu einem 
fünfactigen Schauſpiel. 

Man urtheilt heute wegwerfend von 
dieſem Buche. Gewiß, es hat keinen 
poetiſchen, keinen äſthetiſchen — nur 
einen culturhiſtoriſchen Wert, aber es 
verräth troß feiner Auswüchſe mehr 
Erfindungstraft als viele unferer zeit: 
genöfliihen Romane. 

Intereffant ift Goethe's Verhältnis 
zu Vulpius. Goethe erwähnt feinen 
Schwager ab und zu in den Annalen, 
nennt ihn einen thätigen Theaterdichter, 





837 

führt auch eins oder das andre feiner | mit der Bühne und dem Bühnenwirk- 
Stüde an, aber dies Alles gejchieht | jamen Hatte für feine nachherigen dra= 
in einem zwar wohlwoflenden, doc) matiſchen Berfuche immerhin den Vor— 
fühlen Tone. Wunderlih nimmt fich | teil, da er einige Zugftüde zu ſchreiben 
dagegen die alte Weimarer Anekdote im Stande war. Er verlieh das Theater, 
aus, Goethe Habe an dem Rinaldini- wurde Defonom und brachte es bis 
ftoffe joldhen Gefallen gefunden, daß | zum Wirtfchafts- Director auf dem gräfe 
er ſelbſt des Spaßes halber einige | lich Kinigl’fhen Gute Bezdiekau. Zu- 
Gapitel dazu gedichtet habe. Wie bes erſt verfuchte er ſich im Luftfpiele und 
ſchaffen immer das Verhältnis der beiden | fchrieb „Die drei Töchter“ (Wien 1782). 
Schwäger zu einander gewejen, ganz | Das Stüd gefiel, darum jchrieb er 
gleichgiltig war Goethe'n das Treiben | weiter. Er kaunte im Allgemeinen den 
feines Schwager? gewiß nicht, und die | Geſchmack des Publifums und mußte, 
Bemerkung Wolfgang Menzel’s, Goethe | was gefiel. Das Ritterfchaufpiel mit 
fei im zweiten Theile jeines Fanft dem | feinen Tournieren, Gottesurtheilen, 
Jdeengangeeines Romans feines Schwa- Burgverließen und pomphaften Auf— 
gers — diefer Roman heiht „der Zwerg“ | zügen, wie es jpäter der Theatergraf 
— wejentlich gefolgt, verdient immer- | Hahn liebte, war ein rechtes Freſſen 
hin Beachtung, wenn fie auch cum für die Zufchauer. In diefer Manier 
grano salis aufzufallen iſt. verfaßte Spieß mehrere Schaufpiele, 

Rinaldo Ninaldini hatte zahlreiche) z. B.: „Friedrich, der lebte Graf von 
Nachahmungen hervorgerufen. Bulpius | Toggenburg“ (Prag 1794) und „Clara 
ſelbſt gab noch zwei Fortſetzungen des- von Hoheneichen.“ Das letztere war 
ſelben heraus, den Fernando Fernan- ſein bekannteſtes Schauſpiel. Es war 
dini und den Lionardo Montebello oder | aber auch ein Stück, das den beneidens- 
den GarbonarisBund. Der Räuber- | werten Zufchauer für fein Geld alle 
roman gefiel dem Publikum; man cul- | Schreden, Entfegen und Schauer des 
tivierte aljo diefe Specialität. Hier Burgverließes durchkoſten ließ, und bei 
nur einige Titel der damals gelefen= | dem man fih an allen Höflenflüchen 
ften Romane: Romalino, der furchts | und Verwünſchungen ſatthören konnte. 
bare Mädchenräuber, Salardo der Für die Darftellerin der Clara war 
Schreckliche, Moraldini der edle Ban- das Stüd eine Perle; es ficherte ihr 
ditenjohn, Zofefine die Banditenbraut | zum mindeften ein Dußend Hervorrufe. 
im Nonnenklofter, Arango der edle) Das Stüd erhielt fich lange auf dem 
Räuberhauptmann. Repertoir der meiften Bühnen, noch 

Wir gehen einen Schritt weiter. | 1811 ſah es Körner in Wien aufs 
An Bildung tiefer, an Talent und | führen. Ein weiteres Stüd diefes 
Popularität größer ift Chriftian Dein | Autors ift „General Schlenzheim und 
rih Spieß. Seinerzeit war er ein | feine Yamilie“ (Regensburg 1786), 
jehr populärer Autor geweſen; für ge= | welchem Heinrich Kurz den Vorzug vor 
wife Leſerkreiſe lieferte bloß er, jowie| den übrigen gibt, da es weniger an 
fein Gefinnungsgenofle K. ©. Eramer, | Uebertreibung leide und nicht ohne 
ferner Auguſt Lafontaine und der frucht- dramatijches Intereffe fei. Meiner Mei- 
bare Kotzebue das Leſematerial. Später nung nach ift aber feine „Maria Stuart“ 
wurden die Genannten von dem tms fein relativ beftes Theaterftüd. Es war 
erichöpflichen Glauren aus dem Felde | fo beliebt, daß es mit der Schiller’fchen 
geichlagen. Tragödie concurrieren fonnte; dem 

In feiner Jugend war Spieß Schau: | großen Publikum gefielen fogar die 
fpieler; er zog mit verfchiedenen Trup- | hochtrabenden Spieß'ſchen Tiraden beijer 
pen herum, brachte e& aber nicht über | als die herrlichen Verje Schiller’s. Spieß 
die Mittelmäßigkeit. Die Bekanntſchaft war im Grunde ein befcheidener Menſch, 











838 


der das Unzulängliche in feinem poe— 
tiihen Schaffen ſehr wohl erkannte. 
Hätte er das Erſcheinen der Sciller'- 
hen Maria Stuart (1800) erlebt, 
er wäre mit feinem Stüde ftille bei- 
feite getreten. Uebrigens ift dasjelbe 
nicht wertlos; namentlich ift die Cha— 
rakterzeichnung des Herzogs Norfolf, 
der ähnlich wie der Schiller'ſche Lei— 
cefter zwifchen den beiden Königinnen 
fteht, gelungen. Norfolf liebt Maria, 
Elifabeth liebt ihn. Um Maria zu 
retten, zettelt er eine Verſchwörung an, 
die entdedt wird. Dieliebende Elifabeth 
verzeiht ihm. Während er aber meint, 
Eliſabeth habe ‚„auch der Gefangenen 
verziehen, iſt das Todesurtheil bereits 
gefällt und unterſchrieben. Verzweifelt 
bricht er gegen die Königin los, die 
ihn nun verhaften laſſen will; er aber 
tödtet jih vor ihren Augen. 


Im Ganzen find feine Komödien 
befier als feine Tragödien. Außer der 
bereits früher genannten jei noch „Liebe 
und Muth macht Alles gut“ (Prag 1793) 
zu nennen. 


So verlodend jedoch auch der Lorbeer 
de3 Dramatifers ift, ein Bühnenwerf 
bedarf immer eines fefteren Gefüges, 
eines Scenariums und anderer Vor— 
arbeiten, was Alles dem flüchtigen Spieß 
zu bejchwerlid war; er meinte im 
Roman eine leichter zu behandelnde 
Dichtungsart gefunden zu haben. 


wiſſem Sinne Tendenzromane, er will 
bejlern. Uber wie greift er das an? 
Seine Eharakteriftit ift roh, die Con— 
trafte zwifchen Gut und Böſe unge— 
heuerlih ; bei ihm gibt es nur ganz 
tugendhafte und ganz bösartige Men 
ſchen, rojenrothe Tugend und ſchwarze 
Ruchloſigkeit. Alles Huperbolifch ! 

Zu feiner Vorliebe für das Ritter- 
thum tritt noch feine Hinneigung zu 
dem Spufhaften, dem Unerktärlichen, 
dem Wunderbaren. Es lag dies in der 
Zeit. Das achtzehnte Jahrhundert be= 
ichäftigte ſich troß feiner Aufklärung 
ſehr eifrig mit Leuten, wie Mesmer, 
dem Grafen von St. Germain, Schre= 
pfer, Gaglioftro und ähnlichen, was 
Wunder, daß man auch in der Poeſie 
nah ähnlichen Charakteren ſuchte! 
Diefent Zuge kam eine ganze Reihe 
von Schriftitelleen nad); meinten fie 
doh fogar in Schiller's Geifterjeher 
ein Borbild zu fehen; aber fie ver- 
ſtanden nicht die tiefe Abficht des Dich- 
ters, fie ahmten nur dasjenige nad, 
was fie mit ihren ftumpfen Sinnen 
wahrnahmen und begriffen. Sie blieben 
hinter Schiller zurüd und erreichten 
auch die engliichen Vorbilder, Horace 
MWalpole, Anna Nadcliffe, Clara Reeve 
u. ſ. w. nicht, obgleich fie diefen Schon 
näher famen. 

Spieß' bejjere Erzählungen jind: 





| „Der Mäufefallen= und Hechelfrämer, “ 
„Der alte Ueberall und Nirgends, “ 


Seit 1794 bewohnte er die alte) „Das Petermännchen,“ „Die Deutich- 
Burg in Ellbogen bei Karlsbald. Diefes | Herren,“ „Dans Heiling,” „Die zwölf 


Pocale war für einen Dichter von 
Nitterromanen und Geiftergefchichten 
wie geihhaffen. Hier konnte er feinen 
literariichen Liebhabereien fo recht nach— 
bängen. Nun begann eine wahre Maſ— 
fenproduction. Mehrere feiner Heineren 
und beſſer durchgearbeiteten Erzählun— 
gen erjchienen in Auguſt G. Meißner's 
„Upollo.” 


Spieß’ Romane unterjcheiden ſich 
von denen anderer Zeitgenofien, 3.8. 


des 
bei 
des 


üppigen Bulpins, dur das auch 
A. G. Meißner ſichtbare Beſtreben 
Moraliſierens; er liefert in ge— 


ſchlafenden Jungfrauen,“ „Die zwölf 
ſchlafenden Jünglinge,“ „Die Löwen— 
ritter“ und „Die Ritter mit güldnem 
Horn.“ 

Talent ift dem Manne nicht ab— 
‚zufprechen, aber die Form iſt ſchwer— 
fällig und unbehilflich, und der Mangel 
an Erziehung ift bemerkbar. Er war 
ein derworrener Kopf. Das Poetiſcheſte, 
was er ſchrieb, ift fein „alter Ueberall 
und Nirgends,“ worin er ein dem 
Ahasverſtoff jehr ähnliches Thema be= 





"handelt. Die Idee ift ſehr glüdlich 
‚durchgeführt. 


u 


Leider find die legten Productionen 
diejes Autors geradezu abgefchmadt, 
und man ift im Zweifel, ob man mehr 
über die Verrüdtheit des Autors, der 
ganze Bücher voll Biographien von 
Selbftmördern und Wahnjinnigen ver— 
Öffentlichte, oder über die Dummheit 
des Publikums, das ſich folchen Uns 
ſinn bieten ließ, ftaunen fol. Spieß 
wurde übrigens ein Opfer feiner Pro— 
duction. Die Geifter, die in feinen 
Erzählungen ſpukten, Hatten ihm feinen 
Verſtand geraubt, er verfiel in Tobjucht, 
fo daß vier Männer ihn kaum be= 
wältigen konnten, und ftarb am 17. 
Auguft 1799. 

Auch Spieh fand Nahahmer. Hie 
und da kann man noch in Leihbiblio- 
thefen auf die greulichen Romane jener 
Tage ftoßen, deren Titel allein ſchon 
Ihaudern machen. Wir finden da die 
„Beifterzwillinge, * die „blutende Geftalt 
nit Dolch und Lampe,“ den „Schre= 
ckensthutm am See oder die mitter- 
nächtliche Todtenglode* u. dgl. 

Sultan Schmidt ftellt Spieh über 
Auguft Gottlieb Meißner, damit thut 
er ihm aber zu große und unverdiente 
Ehre an. 

Umd nun zu dem Dritten aus jenem 
Bunde, zu Karl Gottlieb Cramer! 

Vulpius war üppig, Spieß platt, 
Cramer — gemein. 

Menzel hebt bei Cramer — troß 
zahlreiher Mängel — die gefunde, 
träftige Jägernatur hervor. Das ift 
richtig, aber es ift auch beinahe das 
Einzige, was an diefem Autor zu loben 
ift. Diefer frifche Zug läht ſich wohl 
daher ableiten, dak Cramer ſich zum 
Forſtweſen Hingezogen fühlte und ſelbſt 
Forſtmann war. Indeſſen iſt der Wald— 
geruch, den Menzel bei Cramer ent— 
dedte, nur ſelten zu verſpüren; häu— 
figer dringt uns ein Mifthaufengeruch 
entgegen. 


Eine Zeitlang hatte Cramer feine | 
‚Herzog von 


Stellung aufgegeben und findierte in 
Leipzig und Wittenberg Theologie, gab 
aber den Gedanken auf das Prediger: 
amt wieder auf, und daran hat der 


839 


gute Mann wohl gethan, denn das 
Wort Gottes hätte fich in feinem Munde 
gar fonderbar ausgenommen. Aus der 
mißlichen Lage, in die er gerathen war, 
rettete ihm Herzog Georg Friedrich von 
Sadhjen-Meiningen, der ihn zum her— 
zoglih Coburg-Meining'ſchen Foritrath 
ernannte, ſpäter übertrug ihm der Herzog 
auch eine Lehritelle an der zu Dreißig— 
ader bei Meiningen errichteten Forſt— 
akademie. Hier jtarb er am 7. Juni 1817. 

Cramer war ungemein fruchtbar, 
man könnte Jagen: jchreibwiüthig. Sein 
eriter Roman war „Karl Saalfeld oder 
Geſchichte eines relegierten Studenten, “ 
(Lg. 1782), ein unreifes, aumaßendes 
Werk, ftatt Charakteren Fragen ent— 
haltend. Es liegt jedoch, nebenbei be= 
merkt, viel Subjectives darin; der Held, 
ein aufgeblafener, ſchwülſtiger Flachkopf, 
it Gramer ſelbſt. Die Rennomagen 
Saalfeld's entfprechen dem Tone, den 
Cramer im gewöhnlichen Leben anzu— 
wenden beliebte. Diefem Buche folgten 
noch 55 Erzählungen; im Ganzen hat 
Cramer 93 Bände gefchrieben, und jo 
ift ihm, mie J. W. Appel treffend be= 


merkt, „immerhin gelungen, feinen 
Namen in den Tempel der Unsterblichkeit 
einzukratzen.“ 


Cramer zählt als verſpäteter Stür— 
mer und Dränger; auch er wäünſcht 
„ſich über eine Trommel ſpannen zu 
laſſen, um eine neue Ausdehnung zu 
kriegen;“ auch ſeine Helden geberden 
ſich wie Karl Moor, ihnen wird die 
Welt zu enge, auch bei ihm ſehen wir 
ſtändiſche Eonflicte wie in „Cabale und 
Liebe,“ aber Cramer ift mitten im 
Fieber ſtecken geblieben, er behielt den 
Krankheitsſtoff im Sich, er konnte ſich 
nicht emporarbeiten zur hohen geiftigen 
Freiheit. Alle feine Schöpfungen tragen 
den Stempel der jittlihen Verrohung 
und Plattheit ; roh ift auch die Mache. 
Seine Helden: Erasmus Schleicher, 
Dalper a Spada, Graf von Jericho, 
Hudriſchackſchak, Jakob 
Luley, Gotthold Tamerlan, Graf Victor 
von Zedro, Goralli, Septimus Storar 
u.ſ. w. — recht geichmadvolle Namen! — 


840 


find aufgeblafene Poltrone. Was diefer 
Schinderknecht der deutſchen Literatur 
an Bombaft leiften konnte, dafür möge 
eine Stelle aus feinem Erasmus 
Schleicher zeugen, wo er bon dem 
Finanzrath Hamfter jagt: „Ein blü— 
hendes Land unter dem rechten und 
die weinende Menfchheit unter dem 
linfen Fuß, in der rechten Hand eine 
Geigel in der linfen ein Stußglas 
voll Bauernfchweiß, der wie Cham— 


fein „Zanthen Nosmarin,” aber er 
hat nie die Abſicht, durch Frivolität 
lüfterne Lejer zu födern, und eine 
kräftige, geiſtige Geſundheit Schlägt im— 
mer durch. Freilich, gegen die Romane 
Clauren's gehalten, athmen Cramer's 
Erzählungen jungfräuliche Reinheit. 
In einigen Romanen betritt Cramer 
das politiſche Feld. Hier will er do— 
cieren und über die Schlechtigleit der 
Großen zu Gerichte ſitzen. Aber um 


pagner mouſſiert, und im Auge einen | dazu fähig zu fein, hätte er weniger 


Bafitistenblit — jo würde ich fein | einfeitig fein müſſen. 


Bild für die Ewigkeit malen.” 


Alles Erbärm— 
liche, Niederträchtige, jede Gemeinheit 


Indeſſen gelangen ihm doch hie des Geiftes und des Herzens ift auf 
‚und da Heinere anmuthige, ja ſelbſt die Vornehmen, Adeligen und Mäch— 
lieblihe Partien, jo 5. B. in jeinem | tigen übertragen ; ihnen gegenüber ftehen 


„Jägermädchen,“ das ich für fein beftes 


Mert halte. Hier weht frifchere Luft. | männer, Bauern und Bürger. 


Bon diefem Jägermädchen urtheilt der 
fonft weder objective noch liebenswiür= | 
dige Menzel folgendermaßen: 
verdient aber noch um feiner befonderen 
Gaben willen Auszeihnung. Wie roh 
und gemein er jchrieb, jo war doch eine 
frifche und gefunde Kraft in ihn, und 
feine Oppofition gegen die falſche Em— 
pfindfamfeit und Vornehmthuerei war 
eine echt vollsthümliche. Das Erfreu— 
liche an ihm ift die derbe, Ferugejunde 
Jägernatur, die den Waldgeruch auch 
ins Boudoir mitbringt, ſich nichts ver— 
ſagt und noch mitten im Exceß eine 
gewiſſe Liebenswürdigkeit bewahrt.“ 
Dem Erotiſchen gewährt Cramer 
in allen ſeinen Schriften einen breiten 
Raum. Er ahmt hier nicht ſo ſehr 
Wieland, von deſſen liebenswürdiger 
Schalkhaäftigkeit ſich bei ihm nicht viel 
vorfindet, als vielmehr ſolche Autoren 
nach, welche wie A. G. Meißner dem 
Dichter des Agathon das Aeußerliche 
abgeguckt hatten. „Das Harfenmäd— 
hen,“ „Das Hirtenmädchen,“ „Das 
blonde Nantchen,“ „Nettchens Hoch— 
zeit” find dergleihen leichte Ware; 
gutmüthige Dingerhen mit weichent, 
weiten Herzen umd einer ganz ans 
jehnlichen Portion Sinnlichkeit. Auch 
Zichofle hat uns manches Bedenkliche 
vorgeführt, man erinnere ſich nur an 


die arınen, ehrlichen, ehrbaren Bieder— 
Um 
unſer Intereſſe zu feſſeln, müßten dieſe 
| Figuren weniger ſchablonenhaft fein. 


„Gramer Wenn man Ddiefes Anhäufen craffer 


Lafter, dieſes Goquettieren mit ber 
Moral, diejes unvermittelte Vorführen 
Icharfer Gegenfäße in’3 Auge faßt, dann 
wird man unwillkürlich an Hogarth's 
Darftellung gemahnt. Aber wo bleibt 
Hogarth’3 genialer Griffel! Zu ſolchen 
Nomanen zählen die „Leiden und Freu— 
den des ehrlichen Jakob Luley,“ „Leben 
und Meinungen des Baron Hirlus“ 
(eine politifche Satire) und endlich fein 
befannteftes Wert „Leben und Mei— 
nungen, auch ſeltſame Abenteuer Eras— 
mus Schleicher’3, eines reifenden Mes 
chanikus“ (zuerft Lg. 1789 — 91). 
Diefes Wert, fowie fein „lahmer Wade 
telpeter“ und der ſchlüpfrige „deutiche 
Alcibiades“ erfreuten fich eines be— 
fonderd großen Rufes. 

Auch bei Cramer erfcheinen Geifter, 
und überirdifche Stimmen jchallen plöß- 
lih an unfer Ohr, aber er war Hüger 
al3 der arme Spieß, er wußte fich die 
Geifter vom Leibe zu Halten und wurde 
dabei did und behäbig. Tied, der ihn 
im Phantafus ein wenig gezaust hat, 
Jah ihn einmal (1803) und bezeichnete 
ihn als eine ordinäre Erjcheinung. 
„Das Geſicht'“ ſchreibt Tied, „war 
podennarbig, der Auzdrud platt und 


Ss 


gewöhnlich, die Stimme Hart und rauh. dieſen und andern Nomanen fürftliche 
Die Paujen der Rede füllte er durch | Näthe, die dem rechtslojen, hartgeplag- 
lange Züge aus einer großen Meer- |ten Bauer das »letzte Neftchen Fell 
Ihaumpfeife; im diden Cualmwolfen |über die Ohren zogen,« abgejeßt und 
blies er den Rauch number. Er Sprach |des Landes verwiefen, in Saus und 
in einer Jonderbaren Mifchung der über» | Braus lebende adelige Schurken ent— 
Ihwänglichften und niedrigften Redens- larvt und unterbrüdte Unſchuldige wie= 
arten, Schimpfwörter wurden in feinem | der im Triumph herbeigeführt wurden, 
Munde zum Ausdrud der Anerken- ſo Hatte dies zugleich feine praktische 
mung.“ Bedeutung für die damaligen Lefer, 
Gramer’s fonderbare Leiltungen | und mancher arme Teufel erlabte feine 
müflen im Zuſammenhange mit den gepreßte Unterthanenfeele an folchen 
Zeitverhältniffen betrachtet und beur- ſtark aufgetragenen Gemälden der vor- 
teilt werden ; dann wird unfer Urtheil nehmen Bosheit und ihrer wohlver- 
bedeutend gemildert. Wir jehen, auch | dienten Niederlage.“ 
fie refultieren aus der Auflehnung gegen | Während uns aber faft alle diefe 
geſellſchaftliche Mißverhältniſſe. Uns | Anspielungen unverftändlich geworden 
erfcheinen jegt feine hartherzigen Räthe, find, geben uns die Schöpfungen 
feine ſchlechten Minifter und teuflifchen | Gramer’s wie auch die Wulpius’ und 
Kammerherren als Zerrbilder, feine | Spieß’ ein Kriterium für die äfthetifche 
Zeit fand die Anfpielungen und die Bildung der unteren Stände jener Zeit; 
Driginale Heraus oder glaubte fie aus diefen Schichten recrutierten ſich 
wenigftens zu finden, und fo erklärt doch zumeift ihre Leſer. Haben wir nun 
fih die Wirkung feiner Schriften auf |ein Recht zu jagen, daß unſere Zeit 
die unteren Claſſen der Bevölterung. | ‚auch in diefer Hinficht einen Schritt 
„Wenn alſo“ fagt I. W. Appel, „in |vorwärts gethan hat ? 





Zohann Bäfenpfeifer. 


Eine Geftalt aus modernen Tagen von Hans Malfer, 


AES eboren war er zu Abelsberg und konnte er fih ums Lernen nicht viel 
s zwar nach dem Ausweife des bekümmern, denn er wollte fich der 
dortigen Kirchenbuches im Jahre 1837. Politik widmen. Anfangs hielt er bei 
Seit einiger Zeit will es mit feinem | Kneipen große Reden, denn er hatte 
Alter nicht recht vorwärts und bejinnt eine vortrefflihe Lunge. Er war Op⸗ 
er ſich ſchon ſeit Jahren, von der poſitionsmann ſelbſtverſtändlich. Es 
Kraft des Mannes in die Weisheit kam ſein Vater und wollte, daß er 
des Greiſes zu überſpringen. Er iſt ſich einem Beruf zuwende und ſeine 
ein Kraftgenie, und ſo eines braucht | Prüfungen mache. Er war Oppoſitions— 
Meisheit nicht. mann. Es famen Belkredi, Schnerling, 

Bon feiner Kindheit weiß er nicht! | Auersperg — er war Oppoſitionsmann. 
viel mehr, als daß „gerauft worden | Es famen die Gläubiger, die ihre 
iſt.“ Als Student hatte er das Ber: | Sache vorm ihm forderten — er war 
gnügen, mehrere feiner Profefjoren Oppofitionsmann. Es famen Andrafiy, 
perjönlich fennen zu lernen; im Ganzen | Hohenwart, Taaffe — er war Oppoſi— 








842 


tionsmann. Es famen Weiber, die ihn 
an mancherlei Verſprechen erinnerten, 
er ſchwieg und blieb im Stillen Oppo— 
itionsmann. 

Sein Name ift Johann Häfen- 
pfeifer. Er wird jagen feine 
Freunde — genannt, jo weit die 
deutfche Zunge reicht. Du mußt ja 
auch ſchon von ihm gehört haben, 
erinnere Dich, lieber Lejer. Bor Kurzem 
bat er in Deiner Stadt einen politis 
ſchen Bortrag gehalten. Er pflegt 
Bolksverfammlungen zu  veranftalten 
um wirtichaftlihe Fragen zu befprechen, 


_— 


drud lautet — ihrem Bolfe zu leben. 
Und nicht etwa nur in Phrafen leben 
jie für ide Boll, nein, ſie greifen 
thatſächlich ein und ftellen in dem Be— 
wegungen der Nation fo zu fagen den 
Regulator dar. Der Berein „Fanfaria“ 
zu Oberabelöberg heilt nämlich nad 
allen Seiten des. öffentlichen Lebens 
bin Vertrauens- oder Mißtrauensvoten 
aus, Eine landwirtfchaftliche Gefellichaft 
Deutfhlands faßte vor einiger Zeit 
eine Rejolution gegen die Annahme 
der Steuererhöhung. Sie erhielt eine 
Bertrauensadreffe von der „Yanfaria“. 


aber fein feuriger Geift bleibt bei den | Die Adreſſe war ein merkwürdiges 


armfeligen Bauern- und Srämer- 
angelegenheiten nicht lange ftehen, mit 
einem graziöfen salto mortale jpringt 
er fopfüber in jein Element, in die 
große Bolitif hinein, in welcher er 
anfangs munter umberpläfchert, all— 
mählich aber mit Händen und Füßen 
jo gewaltig dreinzuhauen pflegt, daß 
Wellen ſchäumen, die Gifchten hoch 
aufjprigen und ein recht miedlicher 
Sturm zu Stande fommt. Die Ver— 
ſammlung ift begeiftert, bingeriffen. 
Trompetenſchall und Pöllerſchüſſe wirken 
auf die Menge immer, jo auch gewiſſe 
Worte und Sätze. Trompetenftöße in 
die Luft und leere Schüſſe find Phrafen, 
nit ihrem Berhallen verhallt auch die 
Wirlkung. 

In Oberabelsberg hat Johann 
Häfenpfeifer einen politiſchen Verein 
„Fanfaria“ gegründet. Der Name iſt 
viel zu beſcheiden, der Verein könnte 
„Weltſteuerrad“ oder „Generalcompaß“ 
oder „Völlkergericht“ oder „Nationaler 
Regulator* heißen. Der Verein „Fans 
faria“ zu Oberabel&berg befteht zwar nur 
aus fünfunddreigig Mitgliedern, lauter 
Ihlihte Leute, aber lauter Patrioten, 
filtriertenationale und politifche Hell- 
jeher. Eine jo edle Uneigenützigkeit 
wird man nicht bald anderswo finden, 
als in der „Fanfaria“; die Mitglieder 
laſſen ihre eigenen Geſchäfte verlottern, 
ihre Wirtfchaften zu Grunde geben, 
ihre Familien verlommen, um ganz 
und voll — wie der technijche Aus: 


politifches Memorandum, in welchem 
die Erhöhung’ der deutjchen Wehrkraft 
und die Verringerung der Steuern 
befiirwortet wurde. Die Abelsberger 
Logik ift Schon fo. Ein Reichsraths— 
abgeordneter hielt eine Rede über die 
Nothiwendigfeit der Ylußregulierungen 
in den Alpen. Der Verein „Yanfaria“ 
ertheilte ihm ein Mißtrauensvotum, 
weil er im feiner Rede nicht gegen 
die Juden polemiefirt hatte. Einer 
Zeitung fchidte der Verein „Fanfaria“ 
das Mißtrauensvotum, weil fie anftatt 
Schriftleitung immer noch das ketzeriſche 
Wort: Redaction gebrauchte. Einem 
Schneidermeifter ſandte der Berein 
„Fanfaria“ eine Belobungsadrefje, weil 
derjelbe unter der Rechnung für feine 
Kunden zu fchreiben pflegte: „Mit 
germanischen Gruß ſaldirt Wenzel 
Czochiczek. Als Bismard das Septennat 
verlangte, ward ihm die Auszeichnung, 
von dem Vereine „Fanfaria“ in Ober: 
abelsberg mit einem warmen Vertrauens— 
votum bedacht zu werden. Hingegen 
ein Mißtrauensdecret dem deutſchen 
Kronprinzen, als derfelbe auf feinem 
Landgute die Garteneinplankungen 
braun und nicht ſchwarz- weiß- rot) 
anſtreichen ließ. „Euere kaiſerliche 
Hoheit!“ hieß es in dem wackeren 
Schriftſtück. „Das große Deutſche Volk 
wendet ſein Auge voll Zuverſicht den 
Stufen des Thrones zu. Wie, wenn 
dort anſtatt der herrlichen Farben der 
Hohenzollern maikäferbraune Garten— 





843 


planten ſtehen? Wohin ſoll das führen ?! „Ja, ja,“ fagte einer der Bürger, 
Soll e3 dann ein Wunder fein, wenn „wie ich höre, joll das Reichsraths— 
der nationale Geift wieder erblaßt? gebäude einen unſinnig großen Saal 
Wir befhwören Euere Kaiſerliche Hoh- haben, da muß Einer fein der reden 
beit u. ſ. w.“ fann! Der eine Stimme bat! Ein 
Der Vereinsfecretär der „Fanfaria“ | Zwitfcherer thuts nicht in Jo bewegter 
las feine Zeitungsnummer, ohne ſich Zeit.“ 
aus Dderjelben Vorfälle des Inn— Da war aber ein Zeitungsfchreiber 
oder Auslandes anzumerfen, welche — eine niederträchtige Schreiber: 
mit Hundgebungen zu bedenfen wären. | jeele! — Der ließ druden: Man folle 
Natürlich der franzöfifhen Regierung |Tih den Mann nur einmal näher an= 
ein Mißtrauensvotum, als fie Bellfort | fehen, ob Einer, der nicht einmal fein 
befeftigte, und dem Papſt ein Miß- | eigenes Haus aufrecht zu halten wiſſe, 
trauensvotnm, als er friedensvermit- | für das Allgemeine wirken könne? 
telnd jich für die Sache der Deutſchen Ob ein Menſch, der feine Familie 
Negierung entjchied. Und wenn dann | vernadläfligt, ein Herz für fein Bolt 
folde Kundgebungen gar im den haben könne? Ob ein Wiühler und 
Blättern verzeichnet ftanden, da hüpfte| Heer auf den Frieden und das 
jedem Mitgliede vor Freude das Ver- | Gedeihen feiner Nation hinarbeite? Ob 
einsherz. dieſer Johann Häfenpfeifer nicht am 
Man muß jagen, der politijche , Ende ein eitler Tropf wäre? — Man 
Scharfblid der „Fanfaria“ war ſo mag ſich vorftellen, was auf Soldes 
weitreihend, daß ihm fein Anderer zu) Hin diefer Zeitungsschmierer von dem 
folgen vermochte. Man hörte auf den | Vereine „Fanfaria“ für eine Adreſſe 
von ihr veranftalteten Wanderverz | erhalten hat. 
jammlungen viel Neues, und wenn Bei der Wahl erhielt Johann 
Gevatter Böttcher oder Senjenjchmied | Häfenpfeifer von dem halben Tauſend 
ſprach, da eröffneten fich oft ganz uns | Wählern fünfunddreißig Stimmen, 
geahnte Perfpectiven im die politische | weil auch feine eigene. Nun begann 
Zukunft. Daher waren folche Ver- er zu grollen gegen die Undankbarkeit 
ſammlungen auch ftets jo gut befucht, | des Vaterlandes. Er fand diefen Boden 
daß einmal ein berühmter Komiker, | nicht mehr wert, daß er den großen 
der zu gleicher Zeit in der Stadt! Patrioten Johann Häfenpfeifer trage 
gaftierte, leere Häufer fab, während die! umd er wanderte aus. Aber nicht für 
Bierhafle der „Fanfaria“ die andräns | immer, das fagte er wohl, er gebe 
gende Menfchenmenge kaum fallen ins Weich Hinaus, um dort für die 





konnte. nationale Sache Propaganda zu machen, 
Nur wenn der Vereinsobmann, er gehe, um den deutſchen Brüdern 
Herr Johann Häfenpfeifer — den zu Hagen, wie armſelig es beſtellt ſei 


Humpen Bier zu Handen, im Munde in ſeinem Vaterlande, und er wolle 
die Cigarre — ſprach, hörte man nichts mit mächtigen Verhündeten wieder— 
Neues, hingegen wurden die alten kehren und ſiegen. 

Schlagworte und Sprüche mit ſo In B,, einer norddeutſchen Pro— 
oppofitionsgemwaltiger Wucht hingewor- | vinzialftadt, ließ er große Plalate an— 
fen, daß es eine freude war. Nebſt- Schlagen: Johann Häfenpfeifer werde 
dem war Häfenpfeifer ein jehr jovialer | eine öffentliche Nede halten über die 
Mann, Jeden, an dem er vorbeilam | politiichen Zuftände Oeſterreichs. Zur 
auf feinem Wege zu und von der ſelben Zeit hatte die Stadtvertretung 
Tribune, drüdte er die Hand, oder|von B. von dem Vereine „Fanfaria“ 
Hopfte ihm wenigftens auf die Achſel. zu Oberabelsberg eine ftilvolle Zus 
Es jind die Wahlen vor der Thür. ſtimmungsadreſſe erhalten darüber, daß 





544 


B. die Schöne Stadt, ein Schohkind 
der Germania, edlen Batrioten ein 
gaftlihes Aſyl bereite. Der Rath ließ 
in arten und geographfchen Werten 
nachſchlagen, ohne DOberabeläberg zu 
finden, bis der gelehrte Archivarius 
erflärte, Oberabelöberg ſei nur ein 
Dedname für Schildburg und die Zus 
Schrift fei al3 munterer Gruß von den 
weifen Schildbürgern zu betrachten. 
Nicht beſſer als dem Rathe ergieng 
es den guten Bewohnern von B., fie 
durchblätterten alle Lexikas, alle etwaigen 
Berzeihniffe der Staatsmänner, Redner 
und Volksvertreter des In- und Aus: 
landes, der Name Johann Häfenpfeifer 
war nicht zu finden. Die angekündigte 
Rede konnte wegen Theilnahmsloſig— 
feit des Publikums nicht abgehalten 
werden. 

Nun ließ Häfenpfeifer ſich in einen 
nationalen Verein von B. eintragen 
und für eine nächte Verſammlung 
erbot er fi, im dem Bereine eine 
Rede über die politifhen Zuftände 
Defterreichs Halten zu wollen. Natürlich 


mit Dank angenommen, dem für das | 


ſchöne alte Defterreich haben die Reichs— 
dentjchen ſtets JInterelfe und ein warmes 
Herz. 

Die Verſammlung tagte, Häfen 
pfeifer wurde mit großer Zuvorkom— 
menheit behandelt und als er feit und 
ernſt die Nednerbühne beftieg, war alle 
Aufmerkfamfeit der zahlreichen Anwe— 
fenden auf ihn gerichtet. 

Der Redner begann mit einem Appell 
an die deutfche Nation. Dann gieng 
er auf die Zuftände Defterreihs über 
und machte dabei das einemal eine 
geringfchägige, das amderemal eine 
tiefbefünmerte Miene, rang auch gele= 
gentlih die Hände, als flehe er um 
Hilfe. Bittere Klagen führte er über 
die Fahrläffigleit der Deutjchen, die 
fich lieber mit Aderbau, mit Eifennägel- 
fabrication, Leinmeberei und Leders 
gärben bejchäftigten, als mit politischen 
Thaten. Bittere Klagen gegen die 
fatholifche Kirche, welche gegen die 
deutfhe Nationallirche ſtets Front 


mache. Bon feiften Pfaffen und lederen 
Nönnlein war die Nede, die paraſiten— 
artig. . » In der Verfammlung war 
ein Zifchlaut zu hören. Was ift das ? 
Mitten im katholiſchen Defterreih iſt 
derlei ftets Hell bejubelt worden, und 
bier im proteftantifchen Norden? — 
Der Redner fuhr fort und führte 
bittere lagen gegen die Öfterreichifchen 
Schulen, die immer noch den Patrio- 
tismus don dazumal vorbeteten; bit= 
tere Klagen gegen die öfterreichijchen 
Schriftſteller und Dichter, welche lau 
gegen die nationale Idee einen efeligen 
Humanitätsdufel trieben, als lebe man 
noch zur Zeit Leſſing's und Goethe's; 
leidenſchaftliche Klagen gegen den 
Beamtenftand, welcher Eriecherifch ſeine 
habsburgiſche Stefansthurmpolitif. . . 

Der Redner wurde unterbroden. 
Ein Manır des Gejeges, mit der preußi- 
Ihen Mütze auf dem Haupte, war auf: 
gejtanden und erklärte nun mit einer 
ganz eigenthiimlichen Schneidigfeit, er 
fönne den Sprecher in dieſem Zone 
nicht fortfahren lafjen. 

Johann Häfenpfeifer hatte es ſonſt 
geliebt, bei jeinen Reden die Polizei: 
organe zu probocieren; ein Ordnungs— 
ruf im Namen des Geſetzes hatte feinem 
Ejel erft den richtigen Sattel aufgeſetzt. 
Aber heute, an diefer Stelle und in 
dieſem Lande erſchrak er vor dem 
ı Bolizeiorgane fofehr, daß er den Faden 
feiner Rede verlor. Er tappte eine 
Meile herum, erwiſchte noch einige 
Phrafen von nationaler Größe, von 
politifcher Verbrüderung u. ſ. w., in 
Dee er feine fonore Stimme Träftig 
'austönen ließ. 

Keine Hand rührte ſich zum Bei: 
fall, als er geendet Hatte. Stark ver- 
blüfft flieg er von der Tribune, und 
um feinen Platz, wo er beim Glaſe 
Bier nun ſaß, blieb es öde. Nur ein 
mitleidiger Gandidat der Theologie 
trat zu ihm heran und fragte, ob er 
nicht erfchöpft ſei? Es fcheine der Saal 
nicht befunders afuftifch zu fein. Der 
mohlwollende Gandidat erhofft für diejen 
| Samariterdienft einen Sig im Himmel. 





845 


Nun 
Vereines die Tribune und fagte: 
dem ich dem Deren Häfenpfeifer für 
jeinen Bortrag höflich danke, wollen 
wir zur Tagesordnung übergehen.“ 

Das war Alles. Herr Häfenpfeifer 
machte ſich bald unauffällig davon, 
feine heutige Tagesordnung war ein 
rajender Werger, bis der gute More 
pheus ihm die Augen fchloß. 


beftieg der Vorſtand des 


„In— 


ehren gewiß die heutigen ſchweren 
Sorgen der Dentſchen in Oeſterreich, 
wir freuen uns des deutſchen Bewußt— 
ſeins, das im ihnen erwacht iſt, wie 
wir geloben, unfere deutjchen Brüder 
in der Noth nicht zu verlaflen, aber 
mit einem Renegatenthum jchließt der 
Deutsche feinen Palt.“ 

Nun ift Herr Johann Häfenpfeifer 


Kar heimgelehrt nach Oberabelsberg. 
Am nächften Tage jtand in dem Er fpricht nicht mehr fo viel, wie 
K. Regierungsblatte von B. gelegen= früher, am wenigiten von feinen 
tlich des Referates über die Verſamm- politiſchen Erfolgen in Deutfchland. 
lung des nationalen Vereines: a Die „Fanfaria“ tHeilt nach wie vor 
nun erfolgte Rede eines Herrn J. ihre Kundgebungen aus und hat erft 
Häfenpfeifer aus Defterreich -glauben | vor Kurzem im einem energifchen 
wir nicht ernft nehmen zu jollen. Der, | Schriftftiid den Rothichild aufgefordert, 
Mann Hat ſich jo wüthig ins eigene | fofort nach Jeruſalem zu überfiedeln, 
Neft geipudt, daß auf den Gefichtern um dort König der Juden zu werden, 
der Zuhörerfhaft nachgerade ein mit- | widrigenfalls u. ſ. w. — 

leidige Befremden zu fehen war. Auch derlei Schrullen zeitigt das 
Wahrlich ſchlecht ſtünde es um das erregte politiſche Leben eines Volkes. 
deutſche Volt, wenn es viele ſolcher Ihr Fluch liegt in ihrer Lächerlichkeit 
Individuen unter ſich hätte, welche und es iſt beſſer, wir ſelbſt ſehen und 
ihre Lebensaufgabe darin erblicken, alle | brennen diefe Schäden an unſerem 
Autoritäten ihres VBaterlandes zu be= Fleiſch, als daß es der Feind thue. 
Ihimpfen und zu verhöhnen. Wir! 


Der Grünberger Thomas und feine Brüder. 


Skizze von Bordan Raj. Markus. 


AST fo zu Friedberg! Von der ober- 
ER öfterreichifchen Seite ber an— 
geiehen liegt Friedberg auf einem 
grünen Hügel ausgebreitet, der gegen 
die Mittags» und Abendjeite zur Mol» 
dau abfällt. Der füdliche Abhang 
Ichließt mit einem Häuschen, welches 
ih an den grünen Hügel lehnt, die 
Leute nennen es das „Orlinberger= 
Haus,“ den Beſitzer desjelben den 
„Srünberger* und die Mitbewohner 
diefes Häuschens die „Grünbergerleut;“ 
aber vor etwa fünfzig Jahren hat es 
weder einen „Örünberger“ noch „Grün— 
bergerleut“ gegeben, ſondern 





nur 


„Srünberger Buam,“ denn die da= 
maligen Inſaſſen des Grünberger Haufes 
waren fünf Brüder, und da fie ſämmtlich 
underheiratet waren, nannte man fie, 
wie es in diefer Gegend ja überall 
gebräuchlich iſt, „Buam;“ erſt wie 
dann der Eine davon, der „Lenz“ ge— 
heiratet hat, gab es einen „Grünber— 
ger“ und eine Gruͤnbergerin⸗ und 
wieder „Grünberger Buam.“ 

Der Verheiratete bezog nun den 
vorderen Theil des Hauſes, d. h. die 
vordere Stube, und die ledigen Vier, 
nämlich der „Hieſel,“ der „Jakob,“ 
der „Hanſel“ und der „Thomai“ blieben 


846 


im hinteren Theil, im „Stübel.“ Diefe | verlegte, und feine Liebe nicht allein 
vier „Buam“ muß man fi aber nicht auf „Bauerntöchter,“ fondern auch auf 
als 12= oder 14jährige, jondern als | „Dirnen“ *) erfiredte, die er dann 
40-, 50= oder gar Schon 60jährige | mit „Lebzelten“ gehörig abfütterte, — 


„Buam“ denken und das „Stübel,“ 
das fie bewohnten, eigentlich bewohnen 
jollten, als einen Raum, wo gerade 
ein Kachelofen und ein Webſtuhl Platz 
hatten, und wo man fich zwiſchen bei= 
den gerade noch umdrehen konnte. 

3a, wird man fragen, wie haben 
oder jollen denn die Vier im dem 
Stübel dann wohnen, wenn ſich kaum 
Einer noch umdrehen konnte? 

Nun das ift jo! 

Geſchlafen hat Einer auf der Ofen 
banf, der Andere unter dem Webftuhl 
und die andern Zwei auf dem Boden 
über dem „Stübel.“ Bei Tag war 
nur Einer zu Daufe, der ift im Web: 
ſtuhl gejeffen, das war der „Dielel;” 
die anderen Drei find „umg’läufcht.“ 
Zwei find den „Menjchern“ nachge— 
gangen, der Dritte dem „Broterwerb,“ 
d. h. er ift von Haus zu Haus ge- 
gangen, um Brot und andere Gefchenfe 
zu erbitten. Das war der „Hanſel.“ 
Der Arme war von Geburt aus taub 
und in Folge dejjen auch ſtumm; die 
Kinder erfchrafen vor ihm, denn er 
holperte, ſtets aufeinen großen „Stecken“ 
geftüßt, umher, und feine Gefühls- 
äußgerungen beftanden im jchredlichen 
Grimafjen und unarticulierten Lauten. 
Und war eines der Kinder etwas uns 
wirſch und wollte auf das Wort der 
Mutter nicht hören, fo hieß es plößlich: 
Der „Grünberger-Hanfel* kommt! — 
und lautlofe Stille herrſchte. 

Uber der „Jakob“ und der „Tho— 
mai,“ das waren die verliebten Zwei, 
doch wieder verfchieden in ihrer Art. 
Während Jakob, eine edel angelegte 
Natur, wie er war, die nicht auf Stand 
und Beſitz fieht, fein „Gäu“ für Lie 
besabenteuer in die Bauerndörfer, na= 
mentlih in den „hinteren Winkel“ *) 


) Eo nennt man nämlich einen Theil 
der zur Pfarre gehörigen Dörfer, die hinter 
dem „Hohenmarterwalde,* Hohenfurt zu 
liegen. 


neigte ſich Thomas ſchon mehr den 
‚ ariftofratifchen Anfchauungen Hin: nie 
ſah man ihn auf der „Bäuer,“ — 
feine Liebesfahrten machte er im Markte 
jelbft, und zwar in den Häuſern der 
„Großbürger“ ab, die er täglich der 
Reihe nach mit einem Beſuche beehrte. 
Und nicht etwa durfte fich die nächſte 
beite Batricierötochter einbilden, jich fo 
„mir nichts, Dir nichts“ in die Gunſt 
unſeres Don Juan's jeßen zu können, 
— weit gefehlt, fie mußte einmal kör— 
perlich mit Fchönen, üppigen Formen 
ausgeftattet fein und überdies ein gutes 
Herz beſitzen, d. 5. fie mußte ihm 
immer etwas Gutes zu ejjen geben. 
Doch in dem einen hatten die 
beiden verliebten Brüder wieder das— 
ſelbe Schidjal, daß fie erftlih nie zum 
Heiraten kamen, dann aber auch ihre 
Herzensdamen Häufig wechjelten, jo 
daß es bei Groß und Stein, fo ihnen 
begegnete, ſchon Sitte war, zu fragen: 
„Run — was haft denn jebt für 
Eine?" Dann verzog „Jakob,“ der 
Gutmüthige, gar ſüßlich den Mund, 
als wäre er mit Honigſeim beftrichen, 
und nannte die Glüdliche, ohne feiner 
Ungetreuen je ein bitteres Wort nach— 
zuflagen. Denn er hatte, nebftbei ge— 
jagt, das Unglüd, day ihm alle feine 
Liebihaften, ehe e8 zum „Berrufen“ 
gefommen, einen Korb gaben. Anders 
war es bei Thomas, der ein gar heikler 
Prinz gewejen. Da war er immer der 
Ungetreue und Verſchmähende, und 
wenn er eine Hübfchere ſah, die dem 
Aeußern nach auch noch „vermöglich“ 
ſchien, erklärte er fich raſch für dieſe 
und kehrte der anderen den Rücken. 
Und wurde er gefragt, warum er denn 
dieſe oder jene „nicht mehr möge,“ 
fieng er an, ihre unſchönen Eigenſchaften, 
ihre etwaigen körperlichen Gebrechen fo 


*) Das find die weibliden Bauern: 
dienjtboten. 





zu kritiſieren, das fi die Schaden: 
frohen vor Lachen die Bäuche hielten, 
die anderen Leute ſich aber verwun— 
derten, wie ein Menfch, der fonft zu 
den Geiftesarmen gezählt wurde, der— 
artiges nur bemerken und erfafjen könnte. 

Der „Hieſel“ alfo war die eigent- 
lihe Hausmutter und verdiente durch 
Weben einige Kreuzer, wuſch und 
reinigte im Hauſe und kochte auch die 
Morgenſuppe, die in warmer Milch 


beſtand, wozu eine alte „Gais,“ die 


er oft am Stricke auf die Weide zog, 
behilflich ſein mußte. Und als ſie das 


Zeitliche ſegnete, war gerade der Herr= 


ſchaftsdirector von Roſenberg in Fried— 
berg, der, von dieſem Unglüd hörend, 
bereitwilligft das Geld zu einer anderen | 
gab. 

Da konnten die Anderen freilich 
wie Gavaliere leben — aber als der 
„Hieſel“ ftarb, da gieng es ihnen nicht 
mehr recht zuſammen umd es legte jich 
der „Danjel” Hin und ftarb auch. Nach 
„Hieſels“ Zode war es an „Jakob“ 
den Gefcheiteren zu machen und das 
Hausweſen zu führen — und nun 
wäre es dringend geboten gewefen, da} 
ihm eine Ehehälfte zur Seite ftünde. 
Doch es wollte fich Feine finden — und 
auch er flieg als ewiger Bräutigam mit 
dem Lilienftengel in der Hand und 
nit unzähligen „Körben“ bejchwert in 
die Grube. 


Nun war „Thomas“ einſam und | 
alleine. War es, daß er überjättigt von 
all’ den Nichtgenüffen, die ihm die Liebe 


geboten, war es, daß fein Herz älter 
geworden und an Empfänglichkeit ab= | 
nahm, oder waren es die traurigen | 
überzeugenden Erfahrungen feines Bru— 
ders, die ihn zum Bewußtſein brachten ? 
Wer weiß es! — Kurz, er verzichtete 
auf alle Liebichaften, und wenn ihn 
Einer darnach fragte, fo hatteer „Steine“ 
mehr und mochte auch „Seine“ mehr 
haben. Etwas Gutes zu eſſen fei ihm 
lieber, fjagte er jeßt, und da er zum 
„Fleiſchbeißen“ keine Zähne mehr hatte, 
lo begehrte er „abgeſchmalzene Nudeln.“ 
Und wenn er früher einer oder der an— 


‘art von friiher gefannt, 


847 


‚deren Hausfrau, die eben in feiner 
Gnade ftand, hölzerne Kochlöffel und 
Sprudler (Quirl) ſchnitzte, fo that er 
auch das nicht mehr, denn er fei krank, 
und franfe Leute dürfen nichts arbeiten. 

Schwerhörig waren jie alle, die 
Brüder, und er wurde nun ganz taub, 
jo daß man nur durch Zeichen und 
Mundbewegungen fi mit ihm ver— 
ſtändlich machen konnte, er aber fchrie 
‚defto mehr — und als ihm der Herr— 
gott den Jakob nahm, da gieng er mit 
'geballter Fauft in die Kirche und 
machte ein Heidenfpectafel. 

In Friedberg ift St. Bartholomäus 
‚Kirchenpatron. Derjelbe foll wie die 
Legende erzäßlt, lebendigen Leibes ge= 
ſchunden, d. h., wie es jetzt noch 
; öfters geichieht, ihm die Haut über 
den Kopf gezogen worden fein, und 
iſt daher der Heilige mit einem Meſſer 
abgebildet. 

Ich weiß nicht, wie es kommt, 
aber ebenſo, wie man in Wien, wo 
die Friedhöfe vor den Linienwällen 
liegen, ſagt von Einem, der den Tod 
nahe hat: „der iſt ſchon bald bei der 
Linie,“ ſo ſagt man in Friedberg im 
gleichen Falle, „der gehört ſchon hin— 
unter zum heil. Bartholomäus!“ — 
Sei es, daß Thomas dieſe Redens— 
oder iſt es, 
daß er des Meſſers wegen den Bartho— 
lomäus für Denjenigen anſah, der 
die Leute „todt macht“ — kurzum, 
er hatte die eigenthümliche Gewohn— 
beit, wenn er meinte, Diejer oder 
Jener wäre reif für das Jenſeits und 
hatte auf dieſer Welt nichts mehr zu 
ſuchen, in die Kirche zu ſchleichen, 
ſich vor die Statue Vartholomäi hin— 
zuſtellen und die Namen der künftigen 
Himmelsbürger zu nennen. Nahm aber 
Bartholomäus einen ihm Liebgewor— 
‚denen, jo mußte er fi die ärgften 
Zurechtweifungen gefallen fallen. So 
gieng es ihm auch, als der Arzt des 
Ortes, der auch den Thomas öfters 
behandelt haben mochte, ſtarb. Höchlich 
'entrüftet erfchien Thomas vor Bartho= 
lomäus und machte ihm die bitterjten 








8348 





Vorwürfe über feine Ungerechtigkeit. | lieh er alte „Patſchen“ (Ueberſchuhe), 
„Ja,“ ſchrie er, „gelt den alten Brot: daß er ſich die Füße nicht erfriere. 


fiber, der- eh’nicht mehr recht gehen 
tan, gelt, den laßt Du da, aber den, 
den wir brauchen tönnten, den nimmſt 
Du uns!“ 

Wie mit Bartholomäus, fo verkehrte 
er auch mit den übrigen Heiligen in 
der Firche, jedem wußte er etwas zu 
fagen. Merkwürdig aber mied er den 
Kirchenbefuh mit Andern, außer es 
nahte fich ein „liebend Paar,“ — bei 
Hochzeiten fonnte man ihn von der 
Emporkirche herunterfchauen fehen, um 
ih Hier Stoff zu feinen Geſprächen 
zu holen. Bei Meſſen und anderen kirch— 
lihen Feierlichkeiten ſah man ihm nie. 

Aber auch den Menſchen konnte 
er die ärgſten Wahrheiten jagen, und 
fie mußten oft ftaunen über feine ur— 
wüchſigen Einfälle und gelungenen 
Urtheile. 

An einem fehr Falten Wintertage 
nahm er einmal den „Herrgott“ von 
der Wand und ftedte ihn mitten in 
den Schnee Hinaus, fprechend: „So, 
jet weißt Du auch, wie gut es ift!“ 
Dem heil. Franciscus mit den fünf 
Wunden in einer Feldkapelle hingegen 


Anſer 


Ueberdies beurkundete er einen 
guten Geſchmack: was ſchön war, gefiel 
ihm, was häßlich ſchente er. Bei 
Feierlichkeiten könnte man feine Wahr— 
nehmungen hören und oft ſtand er 
mitten auf dem Marktplatze und kriti— 
fierte, wenn nicht Alles im Ordnung 
war. — Doc blieb er bis zu Ende 
feines Lebens jo zu Sagen der „Orte 
narr“ und die Kinder fuchten ihn zu 
neden und ihren Spott mit ihm zu 
treiben. Nah und nach wurde er fehr 
gebrechlich, daß er nicht mehr gehen 
und feine Eriftenz fuchen konnte; auch 
hatte er Niemand, der ihn betreute, 
Die Gemeindevorftehung gab ihn daher 
zur Berpflegung in das Bürgerjpital, 
wo er auch mit Hinterlaffung einer 
„zwiegehäufigen“ filbernen Saduhr und 
anderen » Heinen Habſeligkeiten farb. 

Thamas ift todt, doch micht ver— 
geſſen! Sein Name, jo einfältig er 
fingen mag, wird heute noch genannt: 
Will man Jemanden, der nicht recht 
bei Troſt ift, im Friedberg als folchen 
bezeichnen, — jo nennt man ihn — 
„Brünberger Thomai!* 


Peter. 


Eine Charafterjfizze aus der Vogelwelt von 3. Huſchak. 





A —N ir find vorAllen die Bunten, Schönen, 
Die auserleſ'ne Lieblingsſchar, 

= Melt erfreut fih an unjern Tönen, 

Wir jprehen noch mehr als Rab’und Star. 


So komme Du, der heiterfte Deiner 
Genofjen! und zeige Dich dem natur= 
freundlichen Lefer, wenn Du uns auch 
über Dein Freileben nichts Näheres 
mittheilen kannſt, weil hierüber ſelbſt 
die Gelehrten nur wenig willen. Wir 
tennen nur Deinen Familiennamen: 








Kleiner hellgelb gehäubter Kakadu 
(Psittacus sulfureus), Perroquet ou 
Cacato a tete blanche — Lesser 
White Cockatoo — meift auch Salon 
Kakadu, und erfuhren, dab Deine 
Heimat ſich über Gelebes, Buton, 
Lombod, Timor, Flores, Sumbawa 
und die Injeln in der Tominibucht 
erſtreckt. 

Der früher citierte Vogelpoet ſagt 


von Dir: 








Kakadu — ein Vogel wunderjam 
Und unihuldfarbigen Kleides, 
Doch zeigt er an jo mander Stell’ 
Das Schwefelgelb des Neides. 


Er trägt auch einen Federbuſch, 

Wie ein Fächer auszubreiten, 

Er Schlägt ihn auf und Happt ihn zu, 
Wie's ihm beliebt zu Zeiten. 


Die Gröhe einer Taube meiit, 

Der Schnabel ift did und ſchwärzlich, 
Die Augenfterne meift dunfelbraun, 
Damit blidt er gar herzlich! 


Von Scherzen und Belehrigfeit 
Gibt er wohl gute Proben, 
Deshalb find ſolche Kaladu 
Zu Stubenvögeln erhoben. 


Sie folgen pünktlich, verftehen gut 
Und wiſſen zu erfreuen, 

Und ihre Fehler verfteden fie 
Dur zärtlihe Schmeicheleien. 


Sie haben Ausdrud des Gefühls 
Und mande janfte Regung, 
Und ihre Schönheit wird erhöht 
Durch grazienhafte Bewegung. 


Sie lernen aud der Fünfte viel 
Und üben fie mit Freuden, 
Mit wenigen Ausnahmen find 
Sie wirklich gut zu leiden. 


Oft find fie Iuftig, drollig, fed, 
Eie jpielen ſelbſt die Loſen, 

Eie küſſen gern, lieblofen gern 
Und laſſen fi gern liebfojen! 


Es mag Menfchen geben, die alle 


Dögel unverftändig nennen und jagen: 
Vögel haben keine Gedanken! 
tanıı im eines Vögleins Hirn fehen, 
ob Gedanken darin find? 

Wenn wir im Leben zu Jemandem 
erhöhte Grade der Sympathie empfinden, 
möchten wir ihn nicht in Verwirk— 
lihung des Spridmwortes auf den 
Händen tragen ? Macht ich dies auch 
nur bei einem Menjchen » Diminutiv 


Mer 


ja mit feiner Behaufung (wie es zu— 
meift der Fall zu fein pflegt) mich t 
als lediglicher Zimmerjchinud und wenn 
fih der Reiz der Neuheit verlor, als 
Unterhaltungsobject für Beſuchsem— 
pfang. Er dient nicht als Spiel= 
zeug, das dem igenihümer gleich- 
giltig, überdrüſſig wird und in feiner 
Berpflegung endlich gar einem Dienſt— 
boten überlaffen, ein freudlojes, befla= 
genswertes Schidjal genießt. Es ift ein 
begabtes Gefchöpf, welches feine Gleich- 
giltigfeit von feinem Pfleger erträgt, 
zu dem es in fein Freundfchaftiver- 
hältnis tritt, wenn ihm diefer für fein 
liebebedürftiges feines Herz nicht mit 
Zumeigungsbeweifen entgegenkommt! 
Der Kakadu liebt feinen Herrn ent— 
weder mit heißer Leidenfchaft oder er 
febt, wie man zu jagen pflegt — mit 
ihm auf dem Kriegsfuße. 

Der harmlofe, droflige Complimente 
wiederholende Schützling betrachtet dei 
werten Gaft, dem er nun vorgeführt 
zu werden die Ehre genießt! Sollen 
wir die Neugierde für diefen verargen, 
die befanntlih bei ihm und ſeinen 
Artgenofjen unbegrenzt ift? Der Blid 
fagt uns ſchon fein Intereſſe, ver- 
mischt mit Erftaunen und Klugheit. 
Mit einem Kinderftimmchen nannte 
er bereit3 über geitellte ragen jeinen 
Familiennamen; doch der Befucher will 
vielleicht feinen Bornamen willen. „Wie 
heißt Du noch?“ Der Name wurde Dir 
zwar nicht im jeßigen Domicile gegeben, 


Ilieber Vogel, Dein Erzieher war aus 


dem fonnverflärten Lande, wohin jo 
gern die Künftler und Touriſten ziehen, 
deſſen Sprache fo melodienreich, defjen 
Temperament jo feurig und das Die 
Erfinder des dolce far niente beher— 
bergt haben mag. Aus fatholijchen 


möglid — ob num auch Einzelne Reiche, konnte Jener wohl faum eine 
für ein erwacfenes „Ichönes Kind“ | Blasphemie beabfichtigt Haben, als er 
noch freudigere Tragbereitwilligfeit äu- | Did mit dem Namen eines Apoftels 
Bern — fo ift der liebe Vogel über | angerufen; — nennt man doch auch 
den ihm gegebenen Winf bereits am|den Graupapagei Jako: „Jacques“, 
Arme, Hettert von dieſem auf die Giacomo, abgejehen von der Anwen— 
Achſel und entbietet dem Gafte feinen |dung des Dialectnamens „Hanſel“ 
Grup durch lebhaftes Niden. Er dient.bei Nußthieren. — Er beablichtigte 


Rofegger's „‚Geimanrten‘, 11. deſt. XT. 54 


850 


Dich auszuzeichnen mit der Anſprache 
„Pietro!“ Und als Du in Wien 
heimisch geworden, äußerte Deine Rück— 
erinnerung den gewohnten Ruf. 

Was war fomit natürlicher, als 
daß ihm der felbfibezeichnete Name be= 
laffen wurde! Wer würde aber ein= 
jeitig. felbft bei aller Sympathien für 
die Kunftichäße, für die gefühlsreiche 
Sprade des jeebegrenzten europäischen 
Edens in einer deutfchen Metropole 
einzig italienische Gonverfation führen ? 
Troß den Stalieniffimi, mußte der 
feine Zögling auch „deutſch“ vers 
ftehen und sprechen lernen. 

„Ich bin der Peter!” wird Diefer 
auf eine wiederholte Frage zu erwi— 
dern kaum zögern. Bei heiterer Laune 
zeigt er in neckiſchen Tönen auch feine 
Verſuche einer Liedeompofition. Der 
Muſik Hold, verweilt er befonders gern 
in unmittelbarer Nähe feiner Derrin, 
fobald fie in dem unermehlichen Be- 
reiche jener ausdrudsvolliten, wenn auch 
wortlofen Weltijprahe am Piano den 
Wiederhall feeliiher Empfindungsiöne 
findet. Wie ruhig und finnig laufcht 
er den Bariationen der Accorde und 
ihres Geleites. Mit dem Zauber diefer 
überall, auf der ganzen Erdfugel, durch 
die Apoſtel der Eivilifation verbreiteten 
und verftandenen Sprache pflegt man 
jogar die Mißlaune eines Kindes zu 
beichwichtigen. — Obzwar Peter mit 
dem Letzteren nicht ernftlich verglichen 
werden darf, jo wird er trotzdem das— 





jelbe in feiner Ausdauer übertreffen 
und nicht wagen, durch Miktöne oder 
gar unliebfames Gejchrei die Wantel- 
müthigfeit jugendlicher Neigungen zu 
erfennen zu geben. Much dem Gafte 
gegenüber geberdet er ſich nicht vorlaut, 
das Gebot guter Sitte beadhtend. Ver— 
wundert fich ein jolcher über einzelne 
Umftände, dab 3. B. der Folgſame 
nicht zumeilen mit Lederbifien, diverfen 
Süßigkeiten erfreut werde: ihm bleiben 


Verköſtigung, welche durch eine Kleine 
Gabe in Kaffee, zumeilen in Thee ge= 
tauchter Semmel für feine Neigung 
vermehrt wird, weil grelle Unkenntnis 
des Bedürfniffes und Unverftand nicht 
jelten die Papageien mit den für jolche 
Koſtgänger meift fo gefährlichen Erzeug— 
niffen der menfchlichen Küche regaliert, 
vor deren Darreihung nicht genug ge= 
warnt werden kann. 

Welch' kümmerliche „Broſamen“ 
als Erſatz für Genüſſe in der fernen 
Heimat durch Domicilswechſel. Dort 
Freiheitsbeſitz! Hier Gefangenſchaft, 
wenn auch ohne Ketten! Verſtünde es 
doch der Papagei, insbeſondere der 
Kakadu, mit feinem Schnabel und be= 
wunderungswerter Ausdauer bei Ent— 
feſſelungsbeſtrebungen derlei unzeit— 
gemäße Zwangsmaßregeln illuſoriſch 
zu machen! 

Vielſeitige Beweiſe vertranens— 
reichſter Zuneigung bietet er ſeinen 
Pflegern, ohne Rückſicht auf eine Tag— 
oder Nachtſtunde. Lebhaft, freudigſt 
begrüßt er jederzeit ihre Heimkehr, um 
dann an feine Lieblingsftellen zu ges 
langen. Für die Gewährung freund 
licher Annäherung verläßt er, fich ſelbſt 
vergefiend, auch den Ort, wo er Speije 
und Zranf findet. Lebteren will er 
höchſtens durch den jchüchternen Ruf: 
„Acqua“ erringen ; er vergißt dann ſei— 
nes Spiel=, Nage- und Beidhäftigungs- 
mittels, welches er in feiner Behau— 
fung ſtets vorräthig findet: der Weiden 
ftäbchen und in deren Ermangelung 
Spüne weichen Holzes. Dieje dienen 
nicht allein als theilweifer Nahrungs» 
ftoff, jondern auch zur Borbeugung 
einer gar böjen Eigenſchaft, des Schön— 
heitsjelbftmordes, der Manie des Selbit- 
ausrupfens des Gefieders. 

So geſprächig geberdet ſich der 
Heine Schelm! In feiner Sehnſucht 
nad) menschlicher Freundſchaft und 
deren Gunftbezeiguugen verzichtet er 


fie, principiell und hygieniſch bedingt, |auf die Geſellſchaft aller Artgenofien 


jederzeit verfagt ; feine Ernährung bes | 


ſchränkt fi auf einfache, wenn auch | 
aus mannigfachen Körnern beftehende | 


und Naturberwandten. 
Was auch dem Heinen, hilfsloſen 
Kinde eben erſt durch Marimen der 


851 


Decenz, einfachſter Sittenübung, Sorg- Wo Vorzüge, find auch Schmwäden. 
falt, des gejellichaftlichen Anftandes von | Nur Heinlihe Naturen lenken auf 
Seite mütterlicder Erziehung mehr oder | leßtere einzig das Augenmerk. Auch 
weniger ſchwierig beizubringen ift, hat | für ſolche und deren Berringerung 
der Reinlichleit3-Repräfentant erlernt. |bedarf es feiner Züchtigung durch rohe 
Sobald er die Gefahr fühlt, feine Lob- | Gewalt, wenn wohl das Thier die 
redner ob diefer feltenen Eigenthüms | Oberherrfchaft des Menſchen aner= 
lichfeit mit dem Gegentheil etwa Lügen |tennen fol. Es genügt das barjche, 
zu trafen, gibt er durch eim italieni- ernſte Wort des Verweifes, der frenge 
ches, in faſt ängſtlichem Zone ger | Ton der Rüge. Der Kakadu bedarf 
jprohenes Wort den Wink, ihn zu fo wenig wie der Menfch einer Züch— 
entfernen. Eich aber bewußt, daß ein tigung durch Prügelmethode, welche 
derartiger Mahnruf nicht unbeachtet nur abftumpft; im gravierendften Yalle 
bleibt, dient er ihm zumeilen als — iſt ihm ein Warnungsfchlag auf den 
Nothlüge. Schnabel — jelbftverftändlih ohne 

Minder gute Laune refultiert be- Zornbekräftigung — genügender Aus— 
fanntlih oft aus dem Mangel an Bes druck des gerechten Unwillens, und 
ſchäftigung; ift er nun überdrüffig an |zwar mit weit beiferem Erfolge, als 
ein und derjelben Stelle länger zu er ſich bei vorwißigen oder vorlauten 
verweilen, ohne duch Muſik zerjtreut | „Intelligenzſtolzen“ zeigt. In der 
oder aufgeheitert zu werden, jo verhilft | Ausdauer verfiändnisvoller Zuneigung 
ihm der Nothruf zum beabfichtigten und Geduld, in fih Mar bewuhter, 
Nejultate feines Wunſches. hochherziger Nachlicht bei natürlichen 

Sieht er, daß feine Pfleger oder | Gebrechen, ſomit in der echten Huma— 
der Gaft durch Anziehen der Ober- |nität, welche den wahren Fortichritt 
Kleider oder Erfafjen des Hutes die Ab- | kennzeichnet, bethätige ſich der Menſch 
ſicht, ich zu entfernen, künden, fo ver- auch dem Thiere gegenüber; wir vari— 
fäumt der Sich wechjelnd „Papagei“ |ieren die Sentenz eines Thierfreundes : 
Beterl, zumeilen auch jcherzweife „der 
fede Peter“ nennende Beobachter mensch- 
lihen Thuns gewiß nicht, mit freund» 
lichſtem „Addio!“ ſich zu empfehlen. | 


„Wenn e8 au nur Thiere find, 
Nicht wahr, Huges Menichenfind ? 
Meinft es doch mit ihnen gut, 

Nimmft fie treu in Deine Hut!“ 


Der Herr von Sonnwendfein. 





Di or vielen Jahren ftand ich eines | fait mitleidigen Blid — fagte Guftav 
2 Tages auf dem höchiten Punkte | Jäger: „Sehen Sie, im Vergleich zu 
des hohen Stuhled, und neben mir Stuhleck nimmt fich diefer Sonnwend— 
der bekannte Wiener Zourift Guſtav ſtein aus, wie ein Halterbübel gegen 
Jäger, der zu: jener Zeit auf Stuhled | einen Großbauern.“ 

eine Unterfunftshütte gegründet hatte. Traun, jeit jener Zeit ift es mit 
Als wir wiederholt die gewaltig wir- | diefem Halterbübel anders geworden; 
fende Rundficht bewundert hatten und nicht als ob es in die Höhe gewachlen 
auch einen Blick Hinabwarfen auf die; wäre bis zu des breitfehulterigen Groß— 
Spige des Sonnwendſteines — einen. bauern Didfopf, nein, es ift gefüg und 


54 “ 






na 





852 


ſchmächtig geblieben. Aber anderartig | erzählten, und „wir dev Semmering! 
ift diefes Halterbübel emporgelommen | Wir, die erfte Gebirgsbahn!“ anders 
weit über Stuhlet und es gibt im ſprach er gar nicht von ſich ſelbſt. So 
Lande feinen merfwürdigeren Parvenne, kommt man vorwärts, heute trägt der 
als diefen Sonnwendftein. Ein großer | Herr von Sonnwendſtein am Bande 
Herr ift aus ihm geworden, ftolz ift |eines ſchönen breiten Bergweges einen 
er! Seine Halterhütten hat er abge- Orden. Diefer Orden ift das Friedrich 
worfen, jeiner gewundenen Ochjenfteige | Schüller-Touriftenhaus. 
bat er fich geſchämt, eine wahre Kunſt— Es fteht wenige hundert Schritte 
ftraße hat er ſich angefchafft von Sem- unterhalb des Yelsplatenu des 1523 
mering hinauf, wo KHunftftraßen aller | Meter Hohen Sonnwendſteines an der 
Sorten auf dem Lager find, und ein ) füdöftlichen Seite, an einer Stelle, wo 
Herrenhaus hat er ſich bauen lafjen | man gegen Often über den Otter hinaus 
auf feiner Spitze, wie auf feiner Berge |die von den ſchnurgeraden Strängen 
jpige unferer Alpen ein vornehmeres |der Eifenbabn und der Reichsſtraße 
fteht; und allerlei Herrfchaften, Grafen | durchzogene Ebene von Wiener Neuftadt, 
und Gräfinnen, Bifchöfe, Fürften und |gegen Welten über das Mürzthal Hin 
Kronprinzen, und auch bürgerliches Volk | die Hochſchwabkette fieht. Die Matten 
in Hülle und Fülle, fpazieren und des hochrüdigen Stuhled, der beiden 
fahren hinauf, und dieweilen der Großes | fcharf in den Himmel eingejchnittenen 
bauer dort drüber gelangweilt daliegt | Pfaffen, des breitgeftredten Wechſels 
und etwas aus dem alten Anfehen | bieten im Süden dem fliegenden Auge 
gelommen if, muß man zu dieſem des Beſchauers die anmuthsreichiten, 
Emporlömmling „Herr von Sonne |erquidendften NRuheftätten. Und wer 
wendſtein!“ jagen. vom Schutzhauſe die paar Hundert 
Ked vordrängen muß man fich, | Schritte Hinauffteigt zum Gipfel, um 
das ift das Geheimnis des Erfolges. |nah Norden zu bliden, der muß im 
Während die hohen Berge feit jeher erſten Augenblid faft erjchreden ob der 
ftill und befcheiden im Hintergrunde | wilden Pracht, die da plögli vor ihm 
ftanden und fi damit begnügten, über |fteht. Der Schneeberg und die Rax 
die Köpfe ihrer VBormänner frei und und der Windberg und die Veitſch Find 
ernft in die Welt Hinauszufchauen, hat |feine Maulwurfshügel, denen ift es 
fi der Sonnmwendftein fo ſcharf an | Ernft mit dem Hochgebirge. Senkrechte 
die Reichsſtraße, an die Eiſenbahn vor- Wände und Schutthalden, finftere 
gedrängt, ſich den P. T. Reifenden, Tou= | Schründe und lichte Schneefelder, und 
riften, hohen und höchften Herrjchaften | über Allem der zarte blaue Schleier 
vor die Naſe geftellt, Hat einerfeits mit | des Aethers, weil manche Stunden der 
dem Wienerwald, mit dem ungarifchen | Luftlinie dazwijchen find, von dem 
Hügelland, mit den mährifchen Ebenen | ſchauenden Auge bis zu dei ftarrenden 
geliebäugelt, andererfeits mit dem Hoch= | Riefen dort. Und wenn nun der Be- 
gebirge des Schneeberges, der Rar, der ſchauer feinen Blid in die Tiefe ſenkt, 
Veitſch, des Hochſchwab, mit dem lieb- da erfhhridt er von Neuem. Es iſt ein 
lihen waldreihen Mürzthal, mit den | gewaltiger Abgrund. Uber in diefen 
ihönen Almen des Stuhled und des | Tiefen liegt nicht das Grauen. Tief 
Wechſels, felbft mit unterfteirifchen |unten da liegt eine freundliche Gegend 
Höhen und dem Schödel bei Graz, kurz, |von Berg und Thal: dämmernde 
wußte nah allen Seiten freundliche | Wälder, blinfende Felswände, hellgrüne 
und wohldienerische Blide hHinzumerfen, | Matten; über die Matten hin jchlän- 
war das Kraut in allen Suppen, gelt ſich das fchneeweiße Band der 
ſchmuggelte ſich in alle Reifebücher ein, | Reichsſtraße von dem Semmeringpaß 
die dom weltberühmten Semmering | hinab zur Engfchlucht, in welcher Schott= 


— — —— —— — — — —— —— — — — — — — — — — — — — — — — — 


wien eingekleumt ruht. Die Thürme 
von Mariaſchutz ragen hart am Fuß 
unſeres Berges über dem Walde auf. 
Hinter dieſem ammuthig ländlichen Bilde 
fteht das Werk, welches vor wenigen 
Jahrzehenten noch als das achte Melt: 
wunder bezeichnet wurde — der Bau 
der Semmeringeifenbahn. Er fteht da in 
jeiner ganzen meilenlangen Ausdehnung 
von Gloggnitz bis Spitai mit feinen 
Stationen, Viaducten, Tunnels, mit 
feinen großen Windungen, bis es ihm 
gelingt, den Zug aus den Tiefen der 
Adlig zu der Höhe des Semmering 
emporzubringen. Vom Semmering» 
bahnhof, der hart am großen Tunnel 
liegt, wo ſich die Bahn endlich ganz 
und gar in dem grünen Berg verliert, 
gehen nach allen Richtungen ſchöne 
Straßen und Wege dahin, denn der 


Semmering ift der Miener Wildpark | 


geworden: Wirtshäufer, Hotels, Aus— 
fihlswarten, Ruhebänke überall; und 
wie in der Stadt jede Gaſſenzweigung 
an den Mauern ihre Auffchrift und 
Namen Hat, jo ftehen Hier im ganzen 
weiten Gebiete des Semmering an allen 
Straßenzweigungen und ſchönen Punk— 
ten Wegweilertafeln und andere Auf— 
ſchriſften. Und wo vor vierzig Jahren 
noch die tiefite Einfankeit war, nur une 
terbrochen von dem Schrei des Geiers 
und den Flüchen der Fyuhrleute, die 
dort an der fteilen Bergſtraße die Laften 
mit ihren ſchweren Röſſern und den 


auf dem Semmering“ bejchrieben wor= 
den. Seither bat ſich diefe Sommer 
frifche ausgedehnt und mit der Gegend 
verwachjen, und feitden Hat fie kühn 
und ficher auch emporgegriffen auf die 
Spibe unſeres Sonnwendfteines. Im 
Spätherbfte des vorigen Jahres ift hier 
auf dem Berge dad Schughaus und 
Hotel eröffnet worden, welches Winter 
und Sommer offeu fteht und im Winter 
wie im Sommer feine entzüdten Gäfte 
bat. Es ift einen Stod hoch, wovon 
das Erdgeſchoß aus Steinen, der erite 
Stod aus feſten Bäumen gezimmert 
und aus: wie immwendig wohl ver= 
ſchalt ift. 

Fürs Erſte befremdet den Fremden 
der Lurus, der in diefem Alpenhaufe 
herricht. Der „ölterreichifche Touriſten— 
| Club,“ der Erbauer des Haufes, hat hier 
oben zwijchen den Almen und Steinen 
ein wahres Prunkkäſtlein Hingeftellt. 
Zwei elegante Gaſtzimmer, wovon das 
eine „für Damen und Nichtraucher,“ 
das Ertraftübel, altdeutſch eingerichtet 
und mit einem pußenjcheibenfenfterigen 
allerliebften Erler verſehen ift, nebft 
zwei gemeinfamen großen Schlafräumen 
acht Wohnzimmer, wovon eines durch 
den Wiener Möbelhändler Schmied mit 
Wachholderholzmöbeln, und ein anderes 
durch die Wiener Touriftengejellichaft : 
| „D Boitsthaler” ebenfalls altdeutich eins 
| gerichtet wurde Wenn man da drinnen 
auf Ichwellendem Sopha zwiſchen eitel 


Anrufungen des Teufel weiterzubrins  Lurusgegenftänden ſitzt. gegenüber dent 
gen hatten, dort ift jet jeder Baum umd | Venezianerfpiegel, und zu einem geöff— 
Pfahl geſprächig, und jeder wei einen neten Putzenſcheibenfenſter hinausge— 
Ausſichtspuntt, ein Wirtshaus, eine blickt in die ſteinige, urſprüngliche Alpen— 
— Der Mittelpunkt landſchaft, ſo iſt das ein Gegenſatz, der 
dieſer großen Luſt- und Erhotungsftätte | Manchen vielleicht mehr verblüffen als 


im Gebirge iſt das Hotel Semmering, 
welches mit feiner nächſten Umge- 
bung wie ein ftattlicher Curort dort 
unten am Dange des waldigen Pings | 
genkogels ſteht, mit feinen Fronten | 
etwas dem Sonnwendftein ab= und 
dem Hochgebirge zugewendet. Das Hotel | 
Semmering ift im diefer Beitfchrift | 
VI Jahrg., Seite 840 — 844 unter 
dem Zitel: „Die neue Sommerfrifche 


anmuthen mag. Der Herr von Sons 
wendftein ift eben ein Parvenue, und 
otihen Leuten ſoll es mitunter paſ— 
ſieren, daß ſie ſchweren Schmuck und 
Prunk gerade dort ausſtellen, wo er 
nicht eigentlich hingehört. 

Traulich wird uns bald wieder bei 
der guten und micht thenren Haus 
mannsfoft, die der Wirt umſichtig her— 
ſchafft, die Wirtin ſchmackhaft kocht und 





die Kellnerin freundlih und munter 
auiträgt. Wenn dem Hausherren der 
Gedanke gekommen wäre, im dieſes 
Haus der noblen Einrichtung gemäß 
befradte Kellner aufzupflanzen — ich 
mag den gräßlichen Gedanken nicht 
ausdenten. 

Mer Zeit und Sonftiges hat, um 
ih einmal auf längere Weile da oben 
einzuheimen: es muß ein gutes Wohnen 
fein im Friedrich Schüler Zouriften- 
haus. Da kann man etwa einmal zwei 
Tage zu gleicher Zeit jeden, in Oeſtereich 
einen Negentag, der das ganze Land 
mit düfterem Grau einhüllt, und in 
Steiermark einen heiteren Sommertag, 
da über zarten Flockenwölklein die 
Sonne leuchtet auf die grünen Ganen. 
Das Semmeringgebiet ift die Waſſer— 
und die Metterfcheide, und jo kommt 
es auch oft vor, daß in Steiermarf 
das weiße Nebelmeer liegt, aus welchem 
nur wenige Bergfpigen wie Inſeln 
ragen, und in Defterreih ſchimmern 
die Mauern von Gloggnig, Neunkirchen 
und Neuftadt in eitel Sonnenfihein. 
Mer wollte die Luft: und Waſſer- und 
Lichtfpiele alle zählen, die auf den | 
Höhen find, wer die Geftallen des 
Steinreihes und die Mannigfaltigkeit 
der Pflanzenwelt andeuten, geſchweige 
erſchöpfend betrachten! Man darf ja 
nicht glauben, einen Berg, feine Eigen 
thümlichkeiten und feinen Ausblid ſchon 
zu kennen, wenn man einen Tag da 
oben zugebracht hat. Wie man einen | 
Menschen erſt fennen lernen kann, wenn 
er länger mit uns ift, im guten und 
ſchlimmen Zagen, jo wird man auch 
die Natur, befonders die Alpennatıur, 
erit erfallen und verftehen und unbe— 
Schreiblich lieb gewinnen, wenn man in 
Sonnenschein und Sturm, am Morgen 
und am Abend, in finfterer Nacht und 
im Mondenlicht bei ihr iſt. Auch die 
Alpennatur Hat ihre ganz bejonderen 
Stunden, wann ſie ihren heiligen Frieden 
fenft in des Menfchen Herz und durch 








854 


geſchiehts! inne wird, was es 
heißt, Menſch zu ſein. 

Und fo dient es mir wahrlich zur 
Genugthuung zu willen, das auf einen 
der Shönften Punkte meiner heimat— 
lichen Berge ein freundliches Aſhl fteht, 
welches offen iſt und mich aufnehmen 
kann zu aller Zeit, wenn meine Seele 
nah Bergesrug und Alpenſchönheit 
dürftet. — Der Sonnwendftein hat ja 
noch fein befonderes Intereſſe. Der kalt» 
fteinerne graue Gipfel desfelben ift ver— 
muthlich eine altheidnifche Cultusſtätte. 
Altjährli werden dort am 24. Juni 
große Sonnwendfeuer angeziindet, wohl 
als Ueberbleibjel der Feuer; die vor— 
einft dem Gott Donar Hier gelodert 
haben. Das Haupt diefes Berges iſt 
dem Volksmunde nah von Eifen, die 
Bruft von Silber und der Fuß von 
Bold. Bei fol edlem Gehalt darf 
man fich über das Emporkommen diefes 
„Zwerges“ freilich nicht wundern. Das 
Eifen am Gipfel Hat man in der 
That ſchon ausgebeutet; das Silber 
und das Gold ift großmüthig unferen 
Nachkommen überlafjen, die es im der 
Kunft, Berge auszuhöhlen und abzu— 
tragen, hoffentlich noch weiter als wir 
bringen werden. 

Sch wüßte feinen Berg, der au 
Ausfiht und Pracht gleich lohnend, 
leichter zu befteigen wäre, als der Sonn- 
wendftein. 

Bon vier mwöhlbegangenen Wegen 
fan man ſich den Aufiteig wählen. 
Der eine führt von dem jchöngelegenen 
Mariafhug in Schlangenwindungen 
duch Wald unmittelbar hinauf zur 
höchſten Spike. Für Bergferen iſt 
dieſer Aufſtieg weitaus der angenehmſte, 
weil der ſteilſte und beſchwerlichſte. 
Leider iſt auch bier eine Gefahr voll» 
ends ausgefchloffen, außer man jteigt 
auf einen Baum und will wie das 
Eichfägchen von einem Wipfel auf den 
andern fpringen. Der andere Weg 
geht durch die Wildnis des Mirten- 


ihre ewigen Wunder fo eindringlich zu grabens und ift der „romantifchefte,“ 
ihm Spricht, daß es ein feliger Schauer | der dritte Weg von Steinhaus aus 
erfaßt und inne wird — wie felten! durch den Dürgraben bietet dem Wan 


u 


855 . 


derer am Ziele die größte Leberrafchung, | werden aus der nahen Großftadt auch 
weil man unterwegs nichts fieht vom folhe „Zouriften“ an ihm hinauf— 
Hochgebirge, das fich oben ganz plößlich | fommen, die auf der Alm anftatt Milch 
vor dem berauchten Auge entfaltet. | und Butter Trüffelpafteten und Cham— 
Der vierte Weg ift die neue ‚oltane | DOBhet haben wollen. Der Herr von 
von der Station Semmering und dem! Sonnmwendftein ſchmunzelt, er kann 
Hotel zum Erzherzog Johann aus. auch mit ſolchen Dingen aufwarten. 
Diefer kaum zwei Stunden lange Weg | Trug ji) der ingeniöfe Herr doch ſogar 
ſchmiegt ſich jo Hug am die mildeſten einmal mit dem Plan, ſich eine Zahn— 
Stellen des Berges, weicht jedem fteilen | radbahn zu bauen und fein Alpenhotel 
Bühel jo gefhidt aus, legt ſich auf zur Nachtzeit mit elektriſchem Lichte zn 
der Höhe jo freundlich am den wind- | beleuchten. Nun, was nicht ift, kann 
ſtillen ſonnigen Hang und ift überhaupt | werden. Wir wollen dem Herrgott die 
jo fein angelegt, daß ich fürchte, es Welt noch einmal gründlich corrigieren! 


R. 








Spaziergang mit dem Rnaben durd Wien. 


Bon P. R. Rofegger. 


a > ch bin fein Freund von Städten, rückten wir an. Es war ein jonniger 
—adadber daß ich's geftehe, die Stadt | ‚ Vormittag und die Zinnen nnd Thürme 
Wien ift mein Stolz. Ich meine nicht |ragten im den blauenden Duft, der 
das Leben in Wien, fondern die Stadt durch feinen zarten, lichtdurchwirkten 
als ſolche, wie ſie ſich dem Auge Schleier die Gebände ſcheinbar in die 
darſtellt, im Architektoniſchen und Ma- | Ferne rückte und impofanter erſcheinen 
leriſchen. Wer auf den alten Bafteien uͤeß. 
ſpazieren gieng, wer die Ringſtraße An der Eliſabethbrücke fonıten wir 
entjtehen und wachlen Jah! Was Wien kaum weiter, es war ringsum ein 
innerhalb feiner Häufer bietet, mich , wogendes Meer von Menjchen, Pferden, 
gelüftet’3 nicht darnad; ein Gang um Wagen und ſich bewegenden Laſten 
den Ring, ein Blid vom Stefansplaß | aller Art. Wenn ich mich allein durch 
auf den Thurm oder vom Thurm auf ſolches Gewoge und Gewirre gedrängt, 
die Stadt ift mir lieber als alles hatte ich nie an die Gefahren gedacht, 
Andere. die da walten; heute dachte ich daran. 
Und was gar zu Schön ift, das Feſt umd enge hielt ich das Kind an 
will der Menfch mit mehr Augen ans mich und zerrte es am Arm, bier 
hauen, al3 mit zweien. So rückte zögernd, dort Haftig mit mir weiter. 
ich eines Tages mit vier Augen aus, Als wir endlich geborgen auf dem 
wovon das zweite junge frische Paar | Steinpflafter der Brüde landen, ſagte 
meinen jehsjährigen Knaben gehörte. | ‚der Knabe: „Du, Vater, ich jag’ Dir 
Ih freute mich im Vorhinein auf das was. Weißt Du, was ich jetzt gethan 
Erjtaunen und die Freude des Kindes, habe? Wie wir im großen Gerudel 
wenn es die Herrlichleiten der großen | drinnen waren, babe ih die Augen 
Stadt, wie es Ähnliche noch nie ge= | zugemacht.“ 
ſchaut, plöglich vor ſich ſehen würde. Ein Solcher biſt Du! Allerdings, 
Bon der Seite des Südbaähnhofes heute geht das noch, Heute magſt Du 











dich blind der Führung des DBaters | 
vertrauen, aber wenn Du einmal allein | Bilder aufbewahrt 


E 


Für die Hofmuſeen, wo „die ſchönen 
werden“, zeigte 


bift in der fremden Welt, da wird mein Junge weiter fein Intereſſe; um 


das Augenzumachen ein fchlechter Spaß 
fein. Augen auf, Fauſt zu! wird für 
die Zeit, die ich kommen fehe, der 
vehte Wahlſpruch fein. 

Ich blidte hinüber auf die Säulen 
und Kuppel der Karlskirche, auf das 
Mufitvereinsgebäude, das Künſtlerhaus 
und auf das weite Nund der Paläſte 








jo wichtiger fuchte ich ihm das Parla— 
mentsgebäude zu machen. 

„Sieh’ Dir einmal diefes Gebäude 
an,“ jagte ih, „es ift Fehr groß und 
ehr ſchön und man kann mit Roß 
und Wagen in den erſten Stod hinauf: 
fahren. Es ift ein ſehr wichtiges Haus, 
mein Kind, denfe Dir, da drinnen“ 


bis zu dem Herrlichkeiten des Schwar- | — man erzählt dem Kinde ja gerue 
zenbergs-Gartens und des Velvederes. I manchmal ein hübſches Märchen — 

„Du, Bater!” bemerkte mein Junge, | „da drimmen kommen die geſcheiteſten 
„ich jag' Dir was. Werden die Forellen | Leute von allen Öfterreihifchen Ländern 
nicht Hin? Weil das Waſſer fo trüb zuſammen und machen die Gejeße; 
ift da unten.“ denn wenn die Gejeße nicht wären, 

Hatte der Heine MWicht im die könnten wir feine Ordnung Haben 
Wien hinabgeblidt, während ich ihn und im Frieden feine Werke ſchaffen 


im Anfchauen der fteinernen Prachten und feinen Lohn genießen.“ 


verfunfen hielt. 


„Schau!“ unterbrah mic der 


Unter folhanen Umftänden bielt Knabe und blidte auf ein Bäumchen, 
ich es für gerathen, den Knaben vafch | „da ſitzt ein Spaß oben. Lieber Sterl !” 


weiter zu führen. 


Ein Bogel, wie der Junge daheim 


Zur Ringftraße gelangt, zeigte ich deren täglich unzählige fieht, zog ihn 
ihm durch die Lücke der Kärntnerſtraße mehr an als der herrliche griechijche 
hin den Stefansthurm. Jetzt ereignete | Bau und die Bedeutung des Reichs: 


ich wieder das Selbfiverftändliche. 
Stau noch ein anderer Stefans— 


rathsgebäudes. 
Das Rathhaus hielt er für eine 


thurm in Wien?“ fragte der Knabe. | Kirche, weil es einen Thurm hat, das 


Diefer Thurm war ihm nämlich 
nicht Hoch genug, er hätte gemeint, 
der Stefansthurm ftehe fat bis im 
den Himmel hinauf. 

„Warte nur,“ entgegnete ich, „er 
wird Schon höher werden.“ 

Am Opernhaufe felfelten feinen 
Bid die erzenen Pferde, die auf den 
Zinnen fliehen. Aber nur auf kurze 
Zeit, die lebendigen Nöffer auf der 
Straße intereffierten ihn mehr; beſon— 
ders für die edigen, hinfälligen Thiere, 
die an riefige Straßenbahnmwagen ge= 
Ipaunt waren, hatte er mehrmals Aus— 
rufe des Mitleids. 

Meiterhin zeigte ich ihm das „Kaifere 
haus“. Das hatte fein Intereſſe. In 
diefem Hauſe ſitzt nah des Kindes 
Vorftellung ja der Kaiſer im Burpur- 
mantel, auf dem Haupt die goldene 
Krone. 


— — — — — — * — 


Burgtheater nannte er „ſchön“, weil 
es weiß ift. 

„Und Hier,“ rief ich, „Hier ift die 
Univerfität! Wenn Du groß wirft 
und brav leruft, in diefem Hauſe ſollſt 
Du einmal ftudieren.“ 

„Bin ich dann Student?“ 

„Freilich.“ 

„Und bekomme ich dann auch ein 
weißes Kapperlh?“ 

Da merkte ih, daß der Junge 
bereit3 cine Ahnung hatte davon, was 
beim Studenten die Hauptſache ift: 
die Kopfbededung. 

Hierauf lenkte ich feinen Blid 
mehr nad rechts, und als links die 
Votivkirche in ihrer, ganzen berüdenden 
Schönheit daftand, jagte ih: „Dans! 
Jetzt wende Dich!” 

„Hui!“ rief er überrafcht, „gibt's 
da die Menge Wagen!“ 








„Aber ſiehſt es denn nicht ?* 

„Schöne Orangen hat Einer feil.“ 

„Siehft es nicht, was dort ſteht 
— mit den zwei Thürmen?“ 

„Ja,“ antwortete er. „Dus iſt 
eine Kirche.“ 

„Und was für eine!“ rief ich faſt 
empört bon feiner 
„Denke Dir,“ fuhr ich fort, um fein 


Interefje zu erregen. „Da hat einmal 


ein Böfewicht unſern Kaiſer ermorden 
wollen, iſt ihm aber nicht gelungen 
und zum dankbaren Andenken hat der 
Kaiſer diefe Herrliche Kirche erbauen 
laſſen.“ 

„Und iſt er in der Kirche drinnen?“ 

„Wer ?“ 

„Der Böfewicht.“ 

Da zerrte ich ihn weiter. 

Beim Sühnhaus erinnerte ich den 
Knaben an den großen Ihenterbrand, | 
von dem daheim oft geiprochen wurde. 

„Du, Vater!” verjegte der Knabe. 
„Ich ſag' Dir was. Wie viel Leute 
find verbrannt ?“ 

„Gegen vierhundert.“ 

Da machte er ein munteres Geficht 
und rief: „Weißt Du, was gefheit 
it? Daß nicht taufend Leute vers 
braunt find.“ 

Als wir zum Börfengebäude kamen, 
deutete er mit dem Finger mach den 
fteinernen Wandfiguren und fagte: 
„Da find aber viele Heilige oben!“ 

„Bewunderſt Du nicht die ſchönen 
Gebäude, die hier überall ſtehen?“ 

„Ja.“ ſagte er. Weil diejes Ja 
aber jehr gleichgiltig Hang, jo führte 
ih ihn am Ning nicht mehr weiter, 
ſondern bog mit ihm in die Stadt ein. 

„Wenn Tu nur erit groß und 
vernünftig bift,“ war meine Meinung, 
„dann werden Dir diefe Sachen ſchon 
gefallen !” 

„O!“ rief der Junge, „bis dahin 
iſt Wien längſt zuſammengeſchoſſen. 
Der Baumgartner hat gejagt, es thäten 
die Rufen kommen und Alles zuſam— 
menſchießen.“ 

„Der Baumgartner iſt ein dummer | 
Junge!” rief ich ärgerlich, „und Du 


biſt auch einer.“ Indes machte mich 
die Wendung, — Ich war 
ſo ſtolz geweſen auf die Schönheit und 
Pracht diefer Stadt; jeßt beledrte mich 
das undernünftige Kind, wie all’ das 
eitel iſt — fo jammerlich eitel, daß 
von Natur wegen ein Vogel auf dem 


Sleichgiltigkeit. | Baum mehr bedeutet, ‚als der prun— 


fende Palaſt von Menjchenhänden. 

Mir Ätrebten durch das Gewühl 
‚und den Lärm der inneren Stadt dem 
Stefansplaß zu. Plöblich fanden wir 
vor der dunklen Maſſe des Domes. 

„Was ift das?“ fragte der Junge 
und ſtarrte mit zurüdgebogenem Haupte 
den Thurm an. 

„Der ift es!” antwortete ich. 

—* habe in meinem Leben manche 
| Thürme geſehen und höhere als dieſen, 
‚aber das muß ich Jagen, der Stefans— 
thurm it einzig. Wenn man an der 
Ede der Goldſchmiedgaſſe ſteht, da 
jiedt man ihm in feiner ganzen wun— 
derbaren Schönheit. Ich wüßte fein 
Merk aus Menſchenhand, das mir jo 
jehr gefiele, al& diefer Thurm. Man 
mag fragen, ob ich den Apollo vom 
Belvedere und die Gapitolinijche Venus 
nicht gejehen Hätte? O ja. Allein ich 
habe den Menichenleib in der Schön- 
heit des Lebens gejehen, der Stein 
erjegt ihn nicht. Diefer Thurm ift das 
in Wahrheit und Wejenheit, was er 
jein will: Ein eherner Freudenſprung 
des Menjchen gegen Dimmel. — Das 
muß ich geftehen, als ich diejen ge= 
waltigen Steinftrahl, diefen Jichtbaren 
Kanonenknall, diefe nicht für's Ohr, 
ſondern für's Auge ſchmetternd auf: 
ſchießende Rakete das erjtemal ſah, 
war der Eindruck tief und groß, und 
er ift es bis heute geblieben. 

Ich Habe den Stefansthurm ges 
jehen an ſonnigen Sommertagen, röth— 
leuchtend aufragen ins Blau, ſein 





— — — — — — — 


goldenes Kreuz funkelnd wie ein leben— 
diges Flämmlein. Ich habe ihn geſehen 
in träumenden Mondnächten, als dunk— 
len, faſt unheimlichen Rieſen ſtehen, 
hoch und einſam inmitten der Million— 
faadt. Ich habe ihn geſehen an trüben 


858 


Wintertagen, wie die Flocken ihn um- Rund der thurm- und Fuppelreichen 
wirbelten und feine Nadel ſich verlor | Stadt, welches fi im Norden bis 
im grauen Nebel. Ich Habe den Ste | zum Donauftrom Hinzieht, im Welten 
fansthurm gefchaut zur Morgenftunde, | gegen die Anhöhen des Stahlenberges 
wenn — Dämmerung no in der/anfteigt, im Süden und Oſten über 
Stadt — feine Spiße ſchon in's Helle | fachte Höhungen und weite Flächen 
Gold der Sonne getaucht war; im hinausſtrebt, jich mählich mit dem zahl: 
Abendgrauen, wenn die Schatten em- | lofen Bororten verwebend. Diefes weite 
porkrochen an feinen Gezade; ja ſelbſt Rund mit feinen unzähligen Geftalten, 
im Frühlings-Negenbogenftrahl ſah ich | mit feinem reichen, wilden, nie ver— 
ihn einmal verflärt und da war’, | fiegbaren Peben lag vor mir. Aus 
als Springe der Jiebenfarbige Bogen  fonnigem Süden leuchteten die weißen 
von feiner Spige aus und fliege Hin | Flächen des Schneeberges herein. 
in die fchönen, lieben Lande der Oſt— Als ich wieder zu mir jelbit kam, 
mark. Auch als der Aufruhr wüthete war mein Knabe nicht da. Die Aus: 
in der Stadt und als grimme Feinde ſicht an dem Fenſtern ſchien ihm zu 
drohten vor den ZThoren, ſtand der) langweilig geworden zu fein, er hatte 
treue Thurm im feiner ruhevollen | in der Thurmftube ein paar Kanonen: 
Majeftät, und wenn aus Feuerfchlünden | kugeln entdedt, die vor Zeiten der 
einmal eine Kugel hinanflog zu feiner Türke und der Franzoſe als Souvenir 
Krone, that er, als fei es eine Mücke, heraufgefchidt hatten. Diefe Kugeln 
und ſtand. hub der Junge an Hin» und herzu— 
Oft, wenn ich ihn fo betrachtete vollen md war mun eben mit dem 
und er verſchiedene Stimmungen in) Thurmmwächter darüber in Unterhand: 
mir aufwedte, habe ich mir gedacht: | lung, ob man fie nicht zu den Fenſtern 
aus Stein und Erz allein befteht er Hinausrollen könne. 
nicht, er muß eine Seele haben. *) Co bin ich mit ihn endlich wieder 
„Du, Vater!” fagte der Knabe, | herabgeftiegen, und zwar um eine Er— 
„gelt, da hinauf kann fein Menſch?“ fahrung reicher. Und es ift doch ſelbſt— 
„Komm,“ antwortete ich. Mit | verftändlih: Ein Handliches Spielzeug 
dem Piörtner war die Sache bald |hdat für das Kind mehr Wert, als 
abgemacht und wir ftiegen die dunkle) der Anblid ftolzer Menſchenwerke und 
MWendeltreppe Hinan. Etwa an der) Naturgröße, für welche ursprünglich 
dreigigften Stufe vief der Knabe: „Wi, | kein Auge vorhanden ift. Es muß die 
das ift aber hoch !* Nach der hundertſten Genupfähigfeit des Sehens aljo dem 
bemerkte er, wir müßten ums verirrt | Menschen erſt anerzogen werden. 
haben und längft Schon über die Spitze Als wir dur die Kärntnerſtraße 
hinaus fein. Umd als wir der Stufen | hinausgiengen, erkundigte ſich der 
un die dreihundert hatten, hielt er fich | Knabe, ob in Wien denn micht les 
an mich, „weil der Thurm fchaufle.* | bendige Bären, Hpänen, Schlangen 
Endlich waren wir in der Stube und Affen zu Sehen wären? — „DO 
mit den Ausfichtsfenftern. Ich führte ja,“ gab ich ihm im Gedanken zur 
den Knaben zum Fenſter, dann berlor | Antwort, „aber Dur würdeft fie für 
ich mich im Anblid deifen, was da Menſchen halten.“ Indeß wollte ich 
unten ausgebreitet lag. Das weite | feine Wünſche nicht ganz leer aus— 
— gehen laſſen. Damals wurde in einem 
*) So ſchön und ſtimmungsvoll hat | Local der Wallfiſchgaſſe eine Heine 
den rg seh — mn von | Gefetfchaft von auftralifchen Canni— 
einer Höhe Keiner geſchüudert, a alber ‘ . n 
——— ſeinem Artikel: „Auf dem Ste: | baten gezeigt». Menfchenfreffer: — 
fansthurm“. Heimgarten VII. Seite 670, Mann, em Weib und ein Knabe. Das 
auf den bei diejer Gelegenheit hingewieſen jei. ‚waren dieſelben, die etliche Tage früher 














bei einem Wiener Yinanzbaron einge | und reichte meinem Knaben artig die 
laden gewefen, um dem übrigen Gäften, | Hand. Diefer war zuerft todtenblaß vor 
den Blahgelichtern, eine ſeltene und) Schred, hernach glühroth vor Freude 
angenehme Ueberraſchung zu bereiten. | geworben. 

Es murde ihnen dort nämlich ein Der Wilde aber: ließ die Heine 
lebensgroßes Kind aus Zuderwerk aufs | Hand, die er fo jovial gedrüdt hatte, 
getifcht, über welches die Menjchen= | nicht mehr aus den fchwarzen rollen« 
freifer auch alsbald Herfielen und es den Augen. Ob er etwa Appetit nad) 
zum allgemeinen Gaudinm ihr habe? fragte ich den Imprefario. 
verzehrten. So ſieht es manchmal mit! „J bewahre!“ verfegte diefer, „er ift 
unferen hochgebildeten Leuten aus, die ja jo weit ſchon cultiviert. Er blidt 
in den Baläften wohnen. Mein Knabe, | nur auf die Hand, ob ihm der Stleine 
Du Haft am Ende doch recht, wenn | Geld geben wird.“ 

Du geringihäßig durch die Großftadt Und fo blieb al3 Errungenschaft 
geht! Um jo mehr, wenn auch nicht | von unferem Spaziergang duch die 
gerade Neigung, jo doch Intereſſe größte Culturftätte des Neiches, daß 
zeigte er hier für die ſchwarzen Canni- mein Knabe, heimgekehrt, ſich damit 
balen, wovon das Weib allerlei ſchim- etwas zugute thun konnte: er habe in 
mernden Schmuck am Leibe, der Mann | Wien gute Belanntjchaft mit einem 
einen ſchneeweißen Menſchenknochen als | Menfchenfrefjer gemacht. Allerdings war 
Zierde quer an die Najenlöcher geſteckt es einer der harmlofeften; er hätte in 
hatte. So thun's die auftralifchen | der Großftadt weit fchlimmere finden 
Stußer. Der Mann fam auf uns zu, | fönnen. 

gröhlte mit feinem Stimmlein etwas 









Wie warft Du einft... 
FAN 


en 
sy Iie warſt Du einft jo leicht em— 
Van pfänglich 

Für Freud und Leid, für Luſt und Schmerz, 


Du wollteſt auch, daß man Dich nennte, 
Wenn man von allen Beſten ſpricht, 
Daß Dich die Mit: und Nachwelt kennte: 





Nun ſiehſt Du, daß dies all vergänglich, | Heut’ ſchiert's Dich nicht! 
Mein armes Herz! | 
68 war einmal in Yugendtagen, Du weißt, Dein Los ift, ſich beicheiden, 
Da hatteft Du Dein Ideal; Was auch die nähfte Stunde gibt, 
Ih hörte Dih um Liebe Hagen, | Du fannst nicht einmal Glüd beneiden, 
Ach, dazumal! | Und den, der liebt! 


Du Sieht die Schatten niederfinten 

Zur Erde, morgen jhon Dein Grab; 

Und wirft gefaßt den Leibe trinken, 
Der Allen noch Vergejien gab! 


Alfred Friedmann. 


Kleine 


Was ein Gebirgsbauer ſchreibt. 


Vielgeliebter Heimgarten ! 


Einmal muß ih Dir doc jchreiben, 
antrage ich jchon jahrelang. Unſer find 
drei Nachbarn, die wir Dieb halten jeit 
Du gedrudt wirft. Beitweilig find wir 
verſeſſen auf Dich, zeitweilig möchten wir 
Dich auszanfen. Es find Sachen gemejen, 


Saube. . 


zeigt. Die Augen find uns naß worden 
bei dieſer Geſchichte, fie bat fih ja auch 
bei uns zugetragen, in Dejterreid, in Steier- 
marf, in Salzburg, überall trägt fie ji 
zu; mich jelber hat's ſchon beim Zwickel; 
wahr iſts und wahr ijts, die hohen Herren 
bringen uns ganz um. Du bijt unfer treuer 
Freund und wir jehen es wohl, jcharf gehit 
Du drein, und wie Du uns jchon auch 


die uns nicht gefallen haben. Bejonders | unſere Fehler vorgehalten haft, jo thuſt 
der „Bottiuher.“ Daß der Heimgarten | und anderstheils wieder achten und heben 
jo grauſam jein kann, hätten wir nicht und nimmt uns in Schuß, wenn wir arme 
gedadbt. Iſt aber unweit von uns ein Bergbauern jchon Niemand mehr haben 
Eurrat, der jagt, jelber Roman wäre im und uns alle Parteien zu Grund richten 
Heimgarten das Beite jeit Jahren geweſen. | wollen. Ja es ift, auch die Geiftlichen ver« 
So find die Guſto halt ungleich. Anderlei | lafjen uns etwa, wenns auf Ernft ankommt. 
baben wir nicht recht verftanden md zum) fie fönnten manchmal was für ung thun, 


Nachdenken in jolben Sachen hat Unjereiner 
feine Zeit, Die kleineren Bauerngeichichten 
haben wir anfangs auch nicht gar gern 
gehabt; jolche Geſchichten willen wir ohne: 
bin und brauchen fie nicht erjt zu lejen, 
haben wir gemeint. Iſt uns aber doc 
nah und nad das Licht aufgegangen und 
jegt müſſen wir beim Leſen immer wieder 
jagen: So iſts! und wahr its! und er 
it auf unferer Seiten! Wir finden nicht 
gar viel Gedrucdtes, was auf unjerer Seiten 
wäre, und was aus der Stadt kommt, 
den darf der Bauersmenſch nicht recht 
trauen. 

Daß Tu es uns ehrlich und aufrichtig 
meinst, Das hat Deine Waldbauerngejchichte, 
Jalob der Letzte genannt, jehr deutlich ge 


wenigjtens bekannt machen, wie es uns 
gebt. Viele willen es md jagen michts, 
weil fie es auch lieber mit dem Geld halten, 
das mir nicht haben. Biele jagen das 
Unrichtige, und wenn ſchon der Sailer 
wirflih einmal was für uns thun wollte, 
er weiß von nichts und ftellen fich allerlei 
andere Stände zwiſchen ihn und uns und 
jagen: Da, uns gib ber, der Bauer leidet 
ohnehin feine Noth, der baut alle Jahr 
fein Korn. Morgen jagen fie ſchon anders, 
da heißts: Der Bauernitand iſt nicht mehr 
zu retten und muß balt im Gotteänamen 
zu Grunde gehen, Ein jauberer „Gottes- 
namen!“ und wahr wirds jein. Du bait 
es im Jakob dein Legten wohl getroffen: 


| Die hoben Herren faufen die Banerngüter 


zuſammen der Jagden wegen, und wer jein | 
Haus und Grund nicht hergeben will, den 
drüden und jchinden fie jo lang und thun 
ihm Alles an, bis er es hergeben muß. | 
Du haft viel gejagt, auch wegen der Wild- 
ihäden ; aber Eins haft Du doch vergefjen, 
womit fie Bauern abtrennen und das oft 
noch wichtiger ift, als die Wildichäden, 
Wir Bergbauern find Viehzüchter, haben 
aber jelber nicht genug Weide, und iſt es 
jeit vielen Jahren der Brauch, dab mir 
unjer Vieh zur Sommerzeit auf die Almen 
der Großgrundbefiger treiben, denen wir 
für das Stüd Vieh jo viel und jo viel 
Gulden zahlen, (Für ein paar Ochjen 
10 fl.) Sind auf einer größeren Alm oft 
4—500 Stüd Vieh, was für den Guts— 
befiger, der wohl den Halter dazu jtellen 
muß, gar fein jchlechtes Geſchäft iſt. Ge— 
ſchenkt wollen wir's ja nicht, obgleich das 
Gras auf den Hocmeiden ohnehin ver- 
derben müßte, und haben uns die Herr- 
ichaften das Nuftreiben auf ihre Almen 
auch immer geitattet. Jet auf einmal geht 
das micht mehr und heißts: Das Bieh 
tbäte die jungen Waldeulturen verderben. 
Iſt aber nur eine Ausrede; Schafe und 
Ziegen verderben wohl die jungen Bäumeln, 
aber das Großvieh nicht. Sind fie auf- 
richtiger, jo jagen fie, des Wildes umd 
der Jägerei wegen nehmen fie fein Vieh 
mehr auf ihre Almen. In Wahrheit aber 
ift es vielen, vielleicht den meiſten Herr- 
ichaften darum zu thun, daß fie dem Klein— 
bauern die Viehzucht unmöglich machen und 
er Haus und Grund, nachdem fie geluften, 
verfaufen muß. Und der reiche Herr kriegt 
nachher das Gütel recht billig, und der 
Bauer kann Weib und Kind auf den Budel 
nehmen und davongehen wie die Dirn vom 
Tanz. 

So ift e3. Und die Regierung jehaut 
der Bauernabtrennerei ruhig zu und be» 
laftet den Bauern nur immer noch mit 
größeren Steuern. E3 muß brechen, wenns 
jo fortgeht und ich ſags, wir kommen jchön 
tleinweis wieder in die Hörigfeit und Leib— 


nn — — — — — — — — — — — nn 


eigenſchaft hinein. Sind erſt fertig worden 
mit der Grundablöſung und ſolls wieder 
von Neuem angehen. Hööh, Schimmel, 
nach hinter gebt3 zum Schinder. Auf— 
richtig, man möchte oft ganz verzagt werden 
und it es wohl gar fein Wunder, wenn 
fein Menſch mehr Bauer fein will, mur 
möchte ich willen, ob e3 dem Staat nachher 
bejier gefällt, wenn das Land eine Wildnis 
it. Bei uns herum in der Sceibbjer- 
gegend, und e3 wird auch in Steiermarf 
und Kärnten u. j. w. nicht viel anders 
jein, werden die Landgemeinden, die im 
Gebirge liegen, Heiner von Jahr zu Jahr, 
die Bauerhäufern ftehen leer oder es werden 
in diejfelben fremde Leute, Böhmen, Ita— 
liener, oft ein zweideutiges Bolt aufge 
nommen, bi! die Häujer zujammenfallen. 

D, liebjter Heimgarten, da gäbe es 
was zu thun für Dich, wenn Du den 
Eigennuß und die Gemillenlofigfeit der 
Herren recht durchpeitichen wollteſt, find 
alles Juden, hebräijche und chriftliche durch— 
einander. Wir denfen aber, Du mwirjt nicht 
viel ausrichten, weil Du auf unjerer Seite 
ſchier allein jtehit; Du und der Morre 
und der Schlinfert und der Nagl und noch 
ein paar Andere — Ihr machet das Kraut 
nicht fett, und wundern thuts uns, daß 
Ihr Euch nicht auch auf die Seiten jchlagt, 
wo das Geld iſt. Gefreut uns wohl, daß 
Ihr der Ansgebeuteten und Verlafjenen 
gedenft, gleichjam, als ob wir Bauern 
auch Menjchen wären, die in ihrem Stand 
ehrlih arbeiten und fortflommen wollen. 

Das habe ih Dir jagen müſſen, viel- 
geliebter Heimgarten, bleibe gejund und 
tapfer und damit mein dürrer Gaul einen 
ihönen Schweif hat, jo lege ih Dir das 
Geld für dem mächften Jahrgang bei. *) 


*) Diejes Schreiben ift aus der Ybbs—⸗ 
gegend gelommen. Der Abdrud ift und ges 
ftattet worden unter der Bedingung, daß 
wir einftweilen feinen Namen nennen (jolde 
find bei uns aufbewahrt); die „Herren“ 
jcheinen in jener Gegend ſchon ſtark obenauf 
zu jein. Die Red, 


862 


Wieder afund worn! 
Ein Andenten von Karl Morre, 


Beim alten Joppenſchneider Ehriftl 

Da fein die Fenſterln heunt all heil und liadht, 

Und d Keuſchn is aufpugt, wie wann Umgang wär, 

Ha Sacra — jet muaß i denna jhaun gehn, was dort gihiadt. 

So fimuliert der Burger Tondl — Ehriftls Nahbarsmann — 

Und was er jagt, dös wird ah glei gethan. 

Kradt in der Finfter übern Stiegl übri, 

Tappt übern Roan und nad) n Feldweg für, 

Und ſieahſt es nit — af ja und na 

Steht er jhon bein Chriftl feiner Stubenthür, 

Greift nah der Schnalln und mit an „Gut'n Abend !* 

Steht er ab ſchon drein! 

Na ja — bei uns am Land ift nit der Brauch, 

Daß man erft wart’t — bis Aner ruft: Derein, 

Denn warn man erft fagen muß: Kannft jhon einer gehn — dos ſchaut grad fo ber, 
Als obs denen in der Stubn mandmal gleiwohl funnt paffirn, 

Daß warın ma jo plögli, ungmeldt eini klöſcht, 

Dans oder 8 Andre — von dd die drinnen jein — ſich müaßt wegn was genirn. — 


Gutn Abend, jagt er — aber a fa Wörtl mehr, 

Denn jet verihlagts ihm d Ned! 

No ja! So ſchön aufpugt als wia heunt 

Mars beim armen Joppenſchneider Chriftl no ſei Lebtag nöt. 

Der Tiſch war gwegen vol — mit Bratl, Baderei und gar mit Zuderwerd zan Naſchn, 
Und trunfen habens nit eppa bloßen Wein — 

Ei beileib! — an ertrafein in zupetfchierten Flaſchn, 

Und wann mans auf hat gmadt, 

Da hat der Stöpfl — vor lauter Güatn wia a Pöller fradt. 

Guatn Abend hat er gſagt — und fa Wörtl mehr — er war völli dumm 
Und ſchaut fih ganz derfämen in der Stubn um. — 


Beim großen Tiih am Ehrenplag — iS der alt Joppenjchneider Chriſtl gwein, 

Sei Weib die Sepherl gleim bei ihm, danebn 

Bom alten ChHriftl, Gſicht zu Gſicht af den Pla ift der ältefte Suhn, der Herr Ober: 
lehrer giefin, 

Und dem habn j jei Schwefter — die Wirtin 3’ fyraunberg als Kameradin gebn. 

Obn und unt vom Tiſch — auf bade Spit, 

Da war vom jüngern Suhn, vom Schlofjermeifter und vom Schwiegerfuhn, vom Fraun— 
berger Wirt der Sit. 

Der Wirtin ihr Büberl, erft vierjährig, aber junft friſch und gjund, Gott fei Dank, 

Hat ſchon a wengerl zuviel vom fühen Wein dawiſcht — drum habn jes hinlegn müſſn 
auf die Ofenbank. 


Die alte Sepherl hat mit Himmelsfreud ihren gutn braven alten Mann betrat 
Und die Kinder habn voller Seligkeit auf'n Vater und auf d Muatter gladt. 


Vater — Muatter — Sühn und Toter in Fried und Liab jo jhön beinand — a 
jeltner Fall, 

Dem Burger Tondl, dem hats grad ziemt — er ftund vor ein heil’gen Abendmahl. 

Wia der Yoppenjchneider ChHriftl fein Nachbarn hat erjehn, 

Steht er glei auf und halt zum guaten Gruß ihm d Hand entgegn. 

Freut mi, freut mi, daß mi bjudts — i hätt Ent felber gladen, liaba Nahbarsmann, 

Doch bei dem Feft (jegt hüftelt er a weng), bin i nit da Herr — dös geht meine 
Kinder an. 

38 leicht a Namenstag? moant drauf der Tondl — no recht verlegn. 

Der Schneider Chriftl macht wieder an Hufter und jagt: U na, nit deramwegn: 

Wir feiern in der heutign Nadt 

Das Ungedenten, das i von Gleichenberg mein Kindern Hab gebradt. 

Bon Gleichenberg a Angedenten? Dös kimt dem Tondl unverjtandli vor, 

Er fteht und jchaut, grad wie die Kuah vorn neugen Stadlthor. 





Bi. 


Des ſchauts mi groß an, jagt der Ehrifil, fönnts dös mit capiern? 

No jegis Ent ber zu uns, i wills Euch deutli erpliciern. 

D Sepherl ftellt glei a Teller ber und a Glas Wein 

Und alle Andern laden freundli ihn zum Zumifiten ein. 

Der Chriſtl jest fih ah — nimts Glas und jagt: mei liaber Nahbarsmann, 

Ehvor i red — (jekt huaft’t er wieder), ftoß ma alle af gute Gſundheit an, 

Grad wie die Glödlan hell thun alle Gläfer klingen, 

D alt Sepherl moant, 8 müßt ihr vor Freud das Herz grad z'jpringen, 

Und mit an ertern Bivat afn Nahbarsmann 

Huaft't fi der Chriſtl aus und fangt jegt zum erzählen an: 

Vor anign zwoanzig Jahrn — ös ward$ no nöt im Ort, 

Hab i für d MWeibsleut Joppen gmadt und Spenſer — han damit Arbeit ghabt fort 
und fort, 

J Ienn a altes ſchönes Bauernliad, 

Dös jagt: Nit Geld! Die Arbeit gibt a frohes Gmüath. 

Und YAusnam dem, wann i dahoam bei Weib und Kind bin giefin, 

Mei größtes Glück — mei größte Freud 

35 mir Verdienſt und Arbeit gwein 

Zu aller Zeit. 

Drum hab i's immer äftimiert als Gottesgab, 

Wann i Arbeit findt und Kraft zur Arbeit hab, 

Und hat das Schneidern ah jhon dazumal nit gar viel tragn, 

Mir habn do z'lebn ghabt, und vor jedm Schlafengehn kunnt i dem KHerrgott mei 
„Vergelts Gott“ jagn, 

Do mitn Menjhenglüd gehts grad jo wie beim Kegelſcheibn, 

A anzigs Stoand! afn Laden fann die Kugel auf die Seiten treibn, 

Und dös Stoandl, was mei Glüd hat bin zum Unglüd triebn, 

Dös war, mir is da liabe Gjund nit bliebn. 

Das Schneidern Tag für Tag, gebudt af an led hudn, 

Bon Fruh bis Naht — hat angfangt auf mei Lungel zdrudn, 

Aus'n Hüftln iS mit der Zeit a trudna Huaſtn word'n, 

Brennt hats mi da wies hölliſch Feuer und den Appetit, den bon i ganz verlorn, 

Dod all der Schmerz, der hat mir weit no nit jo weh gethan, 

Als daß i Weib und Kinder hab, die i bald nit mehr erhalten fann. 

D ihlaflofen Nächt habn d längften Stund, 

Und ſchlaflos bin i im Bett drein gfeiin, 

Hab unjern Herrgott bitt aus Serzensgrund, 

Er möcht af mi — nit ganz vergefin, 

Nur jo lang mir den Gjund und 3 Lebn borgn, 

Bis dak i meine Kinder rehtli funnt verjorgn, 

Denn Kinder, die allan ftehn, die habns hart, 

Weils leicht verlummen und ins Schlechte falln, 

Und den Gulden, der beim Aufziehn: wird erjpart, 

Den muaß man jpäter doppelt oft fürs Strafhaus zaln, 

Ya, ja, mei liaba Burger Tondl, ah die Sterbftund iS nit die größte Not! 

Die Sorg um die, dö hinten bleibn, thuat mehr noch wia der Tod, 

Und Nacht für Naht in wodenlangen Stunden 

Hab i dö Sorgen taujendfah empfunden; 

Und erft mei armes Weib! was dö hat glitten und getragn, 

Dafür gibts loane Wort, dös künnen fi nur d Herzen jagn! 

Die halbn Naht hats gwoant und bet dem Grucifir zu Füaßn, 

Daß i, der i der Kranke war, no fie, die Gſunde, han beguaten*) müaßn. 

Und do hat mi durh d ganze Ehſtandszeit 

Die Liab vom Weib nie jo wie dazmıal gfreut, 

Denn Noth und 3 Unglüd jein das glühend Eifen, 

Anı Kranlenbeit muaß Mann und Weib die wahre Liab beweiſen, 

Obs aus Gihäft habn gheirat, ob bloß von finnlih Luft berauſcht, 

Oder obs, weil wirkli zſamma ghörn, die Ring habn ausgetaujdt. 


Und wia er jo erzählt und redt, da woant ſei Weib gar bitterli danebn, 
Als müaßt fie all die Traurigkeit erft hiazt beim Tiſch erlebn. — 


) Berubigen, tröjten, einjchläfern. 


“ 


864 


Was woanſt denn, brummt der Chriſtl, dö Gſchicht iS ja nit neu. 

Aft wird er wieder freundli, jagt: Die Freud is bliebn! Das Load iS lang vorbei, 

Die Freud iS bliebn, jagt er, ja und grad juft deramegn 

Muak i aus Dankbarkeit mein alten Weib a junges Buhl gebn. 

Die Kinder dö habn hoamli glaht, wie d Muatter fih zum Schein hat gwehrt vor 
ihrem Mann, 

Der Chriſtl aber hat ſei Alte mentifh bußt“) und hebt dann wieder weiter jan ber: 
zählen an: 

68 gibt foan Bauerndoctor, zu dem i mit mein Flajchl mi nit hin hätt plagt, 

Und dös is wahr, ja, daß i d Huaftn han, hat Jeder kennt und hat mir Jeder gjagt, 

Und Jeder hat jei allerbeit und heilfamfte Arznei mir gebn. 

I ſags wias war; do helfen, helfen hat mir Koaner mögn, 

Und wia i gfürdt hab, dak bald ganz zu End gehn jollt, 

No aftn, aftn han i unfern Bader gholt, 

Und mögn die Bauersleut jhon reden wia jö wolln, 

Behaupt i denna hiazt und bleib dabei, man joll glei z’allererft den glernten Bader holn, 

Meil mir des Baders guater Nath 

Von meiner Krankheit gholfen hat. 

3 Gleichenberg hat er mir grathen, in Unterfteier unten, 

Da hättn d Leut a jehr a guates Waſſer gfunden, 

Dös müaht ma frinfn dort und aft a weng a Mili drauf, 

Aftn wird die Lungel rein und friichweg hört die Huaſtn auf. 

Nach Gleichenberg — han i aft gmoant, Du mein, dorthin iS weit! 

Da ghört viel Geld dazua — dö Hilf is nur für d’ reichen Leut. 

Drauf jagt der Bader, wer brav und fleißi war, für Weib und Kind hat gjorgt in 
giunden Tagn, 

Der hat was z Guatn bei die Leut, der braucht im Unglüd nit 3’ verzagn. 

Gr nimmt fein Huat und geht und no in der jelben Nacht 

Hat mir der guate Bader dur fein und fremd Barmberzigfeit das Noasgeld bradt. 

J ſoll nur fort thun und mög Muath habn und mi fafin, 

Man würd a 3’ Gleichenberg an Armen nöt verderben lafin. 

Gar müahjelig und jchleht bin i von hoam weg fortgefrocen, 

Aber Burger Tondl! nur anſchaun hätts mi müaßn nad ſechs Wochn! 

Ya meiner Seel! daß i nit lug, i ſags wies is, 

Ya wie i zrud bin käma — mir hats rein ziemt — i war a Nies, 

Und do, jo ftarf i war, jo hätt mi d Freud bald 3 Boden zjogn, 

Wie mir mei Weib und meine Finder fein entgegen gflogn — 

Wohl hat der Kummer und der Hunger alle wahsblah und mager gmadt, 

Aber d Augen habn ſo friih und liacht wie d Himmelsftern mir entgegen gladt. 

No jet wars mit allem Elend aus und hat fihs Hüaftla a glei zeitweis gmeldt, 

3 han do wieder fleifi ſchneidern mögn und 3 hat nie an Verdianſt mehr gfehlt. 

Die Kinder kunnt in d Schul i jhidn — das größte Glüd, die größte Gnad, 

Denn Alles fann verloren gehn, nur das nit, was man glernt hat. 

Der Franzi is a Schlofier wordn und er verfteht jei Gſchäft mit Schlecht 

Und hat jeit vier Jahrn ſchon drein in der Stadt das Mafterredt. 

Die Seff, die Wirtin da, habn wir in Gottesfurdt und bei der Arbeit aufgezogn, 

Und Treu und Fleiß, dös Heiratsguat hat no Tan Mann betrogn. 

Mei ältfter Suhn, der hat durchaus ftudieren wolln — no freili, 3 durft ihn mit 
verdriaßn, 

Wir habns nit ghabt — er hat bei guatn Leuten in der Stadt fihs Mittagbrot 
erbittn müaßn. 

Er hats zum Dberlehrer bradt, is hiazt a gmachter Herr 

Zu feiner und zu unjrer Ehr. 

Und daß in alten Tagn wir Neamd zu Laſten falln, 

Than alle Kinder fleißi für uns zſammen zaln. — 

Der Kaiſer und 8 Land habn an mein Kindern brave Leut, 

Denn das, was die Erziehung foft, dös bringt fie reichli ein, 

Und war i gfturben vor der Zeit, der Ausgang thät ſchier anders fein. 

Daß i mein Gjund hab gfundn, dös hat fünf Menjhen glüdli gmacht, 

Und dös, mei liaba Tondl, iS das Angedenfn, was i von Gleichenberg hab mitgebradt. 

Aft labt er n Vadın und d Muatter lebn und a Jeder nimmt fei Glas, 

Und wie die Gläjer all — waren ah die Augen naß. 


*) Abgetüft, 





65 


Wie's der Rukuk treibt. 


Allgemein befannt jollte es freilich jein, 
ift es aber leider noch immer nicht, daß 
der Kukuk weder jelbft jein Neſt baut, noch 
jeine Eier in eigener Perſon bebrütet: er 
ichiebt fie eben anderen Heinen Bögeln unter 
und überläßt e3 denen, freundlichit für die 
Nahlommenihaft zu jorgen. Die Gründe 
für diefes Schmarogerthum zu finden, will 
immer noch nicht jo recht gelingen, wenn 
man auch Manches fennt, wodurd das: 
jelbe zu erklären wäre. Es legt zum Bei- 
ipiel ein Weibchen, wie durch fichere und 
glaubmwürdige Beobachtungen von verichie- 
denen Seiten nachgewieſen it, in einer 
Fortpflanzungsperiode 20 Eier und dar- 
über, und man nimmt an, daß der Kuknk 
nicht im Stande jei, eine jo zahlreiche 
Nachkommenſchaft zu ernähren. Diejenigen 
fleinen Vögel, denen der Gauch fein Ei 
unterjchiebt, find hauptſächlich unſere Sän- 
ger, Bachſtelzen, Rothkehlchen, Pieper, 
Schwätzer, Schilfjänger u. ſ. w. u. j. w., 
und man fennt bereit3 über 60 Arten, 
welche Pflegeelterndienjte beim Kukuk ger 
tban haben, Nicht alle Arten verhalten 
fih dem Kukulsei gegenüber in gleicher 
Weije in Bezug auf willige Annahme; die 
Regel it: Je ähnlicher das Kuükulsei dem 
Neftei ift, deſto williger wird es ange 
nommen, je unähnlicher aber, dejto ſchwie— 
riger. Hierbei fommt dem Kufuf die Größe 
und Farbe jeiner Eier jehr zu ftatten; 
diejelben find verhältnismäßig jehr klein, 
faum jtärfer al$ ein Spaßenei und von 
einer umbeftimmten jtumpfen Färbung, 
welche bisweilen mit der der Nejteier Aehn— 
lichkeit hat. So finden wir, dab unſere 
Bachftelze, die Grasmüde und der Ufer: 
ichilfjänger die Eier des Kukuls am leich- 
tejten annehmen; damit ift jedoch nicht 
gelagt, daß die genannten Vögel fih das 
Ei ohne Wideritand auibürden lafjen, jon- 
dern mur, dab fie das in ihrem Neſte 
vorgefundene Kuknksei annehmen, wie wir 
unten weiter jehen werden. Sehr häufig 
geſchieht es aber auch, daß die Nefteigen- 
thümer ihr Neft, nachdem der Kukuk jein 
Ei hineingelegt hat, verlafjen, jei e3 nun, 
daß die Nejteigenthümer durch eine be- 


Rofegaer's „„Heimaarten’,, Il. Geft, XI. 


— — u — —— * 


ſondere Empfindlichkeit überhaupt gegen 
jegliche Störung, oder durch das durch 
Größe und Farbe auffällige Kufufsei zu 
diejem Schritte veranlaßt werden. Es ijt 
aber meines Wifjens fein verbürgter Fall 
bekannt, durch welchen nachgewiejen wäre, 
daß die Pflegeeltern das ihnen aufge 
bürdete Kukuksei aus dem Nefte entfernt 
hätten; es gibt eben mur die beiden an— 
geführten Möglichkeiten: das Ei wird zur 
Bebrütung angenommen oder das Neſt 
verlaſſen. 

Wie ſucht nun der Kukuk die für ſeine 
Zwede nothwendigen Neſter auf? Es kann 
dieſes auf zweierlei Weiſe geſchehen und 
geſchieht immer durch das Weibchen, ohne 
Hilfe des Männchens. In dem einen Falle 
ſucht das Weibchen die fertigen Neſter auf, 
indem es ſyſtematiſch jeden Strauch, Buſch 
und die Hecken durchſucht; in dem andern 
Falle beobachtet das Weibchen den bauen— 
den Neſtvogel, der ihm durch ſein Ab— 
und Zufliegen mit Bauſtoffen den Neſtplatz 
verräth. Bei dieſem Neſterſuchen und auch 
beim Ablegen ſeines Eies ſieht man, wie 
ſo ſehr ungern die kleinen Vögeln die Eier 
eines Kuluks ſich aufdrängen laſſen, unter 
Geſchrei und heftigem Stoßen und Beißen 
ſuchen ſie den Strauchritter aus der Nähe 
ihres Neſtes zu verſcheuchen; aber dieſes 
iſt für den Hufuf ein ſicheres Zeichen, daß 
er ein Neft finden werde, und jpornt ihn 
zum eifrigeren Suchen an. Der Volks— 
mund freilich behauptet und mit ihm auch 
gewichtigere Stimmen, daß die Nefteigen- 
thümer unter deutlichen Freudenbezeigun— 
gen dem Kufuf freiwillig Pla geben, ja 
wohl gar jelbjt ihn zu ihren Neftern 
führten, damit er um jo beijer jein Ei 
ablegen könne, und daß fie, voller Freude, 
ihre Verwandten und Belannten berbei- 
riefen, damit auch dieje Zeugen des den 
Nefteigenthümern widerfahrenen Glückes 
ſeien. — Die Wahl der Pflegeeltern it 
nicht etwa eine willfürliche, jondern ge» 
ihieht nach einer feiten Regel, und nur 
in einem bejtimmten Falle findet ein Ab- 
weichen von derjelben ftatt. Dem heran 
wachjenden jungen Kufuf nämlih haben 
fih die erſten Eindrüde über feine treu 
für ihn jorgenden Pflegeeltern, welche ihn 


55 


866 


niemals Noth leiden lichen, für jein ganzes 
Leben eingeprägt; denn fo oft er nur den 
jtet3 hungrigen Schnabel laut jchreiend und 
nach Nahrung verlangend öffnete, und das 
geihah fait unaufhörlich den ganzen Tag 
über, jo waren ftet3 die Stiefeltern be- 
mübt, ihm den Schnabel vollzujtopfen mit 
allerhand Lederbijien, ihr eigenes Wohl 
bintenanftellend. Auch jeine Wiege, in 
welcher er, vor allen Unbilden geſchützt, 
heranwuchs, und die Umgebung derjelben 
baben fib dem jungen Gaud jo genau 
eingeprägt, daß er noch al3 erwachlener 
Kukul wohl im Stande iſt, ein Neft derart, 
in welchem er jeine Wiege hatte, von allen 
anderen zu unterſcheiden. Dieſe in feiner 
Jugend erhaltenen Eindrüde veranlafjen 
das Hufufsweibdhen dazu, feine Eier in 
den Neftern derjenigen Vogelart abzulegen, 
welder einitmals jeine Zieheltern ange— 
börten, und nur in dem Falle, daß fein 
Neft diejes Vogeld vorhanden iſt, wird 
eine Ausnahme gemacht und ein anderes 
Neſt gewählt. 
(U. Meier. „Han. Cour.“) 


Ber Poetenwinkel. 


Die ſchlechte Beit. 


Man hört jest faft aus jedem Munde 
Die Klage über ſchlechte Zeit, 

Als hab’ das Weltherz eine Wunde, 
Wohl Millionen Klafter breit. 

Die Armen wollen ſchier verzagen, 

Doch hört man au die Reichen klagen, 
Hört, wo man hin fommt, nah und weit, 
Die Klage über — ſchlechte Zeit! 


Was haft Du eigentlich begangen, 
Tu Tochter der Unendlichleit, 
Taf jo viel Kläger Di belangen, 
Bezichtigen der Schlechtigkeit? 

Es ſei, von Deinen Uebelthaten 
Tie Hauptcapitel zu errathen, 
‚Ein Viertelſtündchen Dir geweiht, 
Dir, vielverſchrie'ne ſchlechte Zeit! 


Vernichteit Du die Frucht der Felder? 
Verbeereft Du mit Flut und Brand 
Die Städte, Dörfer, Gärten, Wälder? 
Ziehft Tu, Berftörung in der Hand, 
In diejes Erdenfterns Bezirken 

Umber, wo treue Menichen wirfen ? 
Nein, denn wie ſonſt bift Du noch heut’ 
Nur ein Gedanke — Mutter Zeit! 





— 


Die Menihen find’s, aus deren Herzen 
Das angellagte Unheil ſprießt; 

Ihr Geift ift jener Quell der Schmerzen, 
Aus dem der Strom der Klage flieht! 
Die Habſucht und das tolle Wagen, 
Das hoch gebäumte Nafentragen, 

Die Trägheit und der arge Neid, 

Ya, das ift ihre — ſchlechte Zeit! 


Es find Herr X., Frau 3. Verehrer 

Vom Qurus und vom Modetand; 

Wird nun die Gafje immer leerer 

Und will Gehalt und Geldbeitand, 

Will der Erwerb zu ihrem Schreden 
Nicht mehr den großen Aufwand deden, — 
So ift der Jammer los, man fchreit 
Gewaltig über jchlehte Zeit! — 


Die ganze Welt will jest florieren, 
Nimmt nicht mit Wenigem vorlieb; 
Man wagt und fpielt bis zum Berlieren, 
Wird derowegen jein eig'ner Dieb. 
Wohin die Väter fonjt gegangen, 

Mill man zu Wagen jegt gelangen, 

Und reicht die Gafje nicht jo weit, 

So klagt man über — jchlechte Zeit. 


Es gilt als erfte Lebensfrage: 

Wie laſſ' ih mich recht glänzend ſeh'n? 
Momöglid täglid Gallatage 

Und Alles modern, nobel, jhön! — 
In Kleid und Wohnung ftels Parade, 
In Sammt und Seide und Pontade, 
Und reicht die Caſſe nicht jo meit, 

So Hagt man über — jchlechte Zeit. 


O böret einmal auf zu Hagen 

Und werdet Euch der Zeit bewuht ; 

Mie jegt war's auf in früher'n Tagen, 
Nur damals weniger Hang zur Luft! 
Zerbroch'ne Töpfe gab e3 immer, 

Und klagen madt das Ding nur ſchlimmer, 
Der Mangel an Genügjamfeit 

Iſt Fabritant der ſchlechten Zeit! 


Mhön- Werra. 


Stoßgebetfein für Leute, die auf dem 
Wege zur Derübmtbeit find, 


Dieweil ein günftiger Schidjalswind 
Mein Lebensjegel fachte, 

Und mein Tichinafel ganz gelind 

Und jadht' vom Flecke bradte 

Und führet auf das hohe Meer, 

Wo mid ummimmeln freuz und quer 
Die Notabilitäten, 

Stimm’ ih ein Stohgebetlein an 

Und wünſch', es möcht’ ein jeder Mann 
In gleihem Fall es beten. 


867 


Wenn etwa in mir ftedt was drin, Er ladt der Schlöfler, von Geihüt bewachet, 
Was wirlend aus mir quillet, Berhöhnt den Kummer, der an Höfen ladet, 
Floß es zum großen Strome hin, Verhöhnt des Geizes in verichlofjnen Mauern 
Der alle Welten füllet. Thörichte8 Trauern. 


Und hab’ ih Funken angefadht, 

Und ift ein Feuerlein erwacht, 

So wirkten's äuß’re Dinge. ngen, 

D’rum trat’ ich nicht nach Gunft und Ehr', Die dur die Lüfte fi dem Aug’ ent: 

Und wie ih über And’re wär’ ſchwingen; 

Und ſie mit Stolz bezwinge. Hört ihm vom en auf den 
Höhen 


Er lobt den Schöpfer, hört ihm Lerden 


Denn ſchau' ich mich im Kreife um, Gin Loblied wehen. 


Mo viele Scifflein treiben, 
Fürwahr, ih wäre fhredlih dumm, 
Ließ ih den Stolz nicht bleiben. 
Mie Mander bläst die Baden auf 
Und meint, damit in flotten Lauf 
Sein Lebensichiff zu bringen; 
Derweil iſt's Better Blafius, 

Der ihm das Fahrzeug jeht in Fluß 
Und füllt der Segel Schwingen. 


Er fieht auf Rafen Thau wie Demant bligen ; 
Schaut über Wollen, von der Berge Spiten, 
Wie ſchön die Ebene, die ſich blau verlieret, 
Der Lenz gezieret. 


| 
Er geht in Wälder, wo in Schilf und 
Sträuden, 
In krummen Ufern Silberbädhe jchleichen, 
Wo Blüten duften, wo der Nadtigallen 
Luſtlieder jchallen. 
Wie Mancher trägt den Naden hoch 
Und rühret nicht die Hände, Jetzt pfropft er Bäume, leitet Wafjergräben, 
Bermeinend ein Genie ih nod, Sieht Bienen ſchwärmen, führt an Wänden 
Das jede Kunft verftände, Neben; 
Mozu das führt, man fann es jeh'n, Jetzt pfropft er Pflanzen, zieht von Roſen— 
Wie reht3 und links fie untergeh'n töden 
Im grimmen Weltenipiele. 
Sie ſchwanken, purzeln hin und ber, 
Verfinten bier und da im Meer 
Und fommen nit zum Ziele. 


Sich Schattenhecken. 


Kein Knecht der Krankheit miſcht für ihn 
Gerichte, 
Unſchuld und Freude würzen Milh und 
Früchte. 
Kein bang Gewiſſen zeigt ihm Schwert und 
trafe 


D'rum will ih meine Hände feft 

Und mein Gewiſſen regen, 

Daß die Vernunft mid nie verläßt 

Und ew'ger Mächte Segen. 

Beicheiden bleib’ ich lebenslang, 

Und ſuche, was mir aud gelang, 

Das Glüd in meiner Klaufe. 

Dann kann ich, wie mein Los aud fällt, 
Empfehlen mi von diejer Welt, 

Als gieng ih nur nad Haufe. 


(„Bollsarzt“.) Dr. 8. Eidborn. 


In fühem Schlafe. 


Freund! laſſ' uns Gelddurft, Stolz und 
Schlöſſer haſſen, 

Und Kleinigleiten Fürſten überlaſſen. 

Komm! Damon ruft uns! fomm zum Sitz 
der fjreuden 

Auf feine Weiden! 


Ewald Ehrifian v. Aleifl. 


Das LSandleben. 


O Freund! Wie jelig ift der Mann zu 
preijen, 
Dem fein Getümmel, dem fein ſchwirrend 


Wollt ihr Iene dort Beneiden? 


MWolt Ihr Jene dort beneiden, 

Die, geziert in Sammt und Seiden, 

In Fortunas Gunften fteh'n? — 
Eifen Kann es uns denn glüdlih machen, 

Kein Schiff, das Beute, Maft und Baum | Müfjen wir nad Noten lachen 
verlieret, Oder nah der Mode geh'n? 

Den Schlaf entführet. 


Ich fürwahr bin es zufrieden, 
Der nicht die Ruhe darf in Berge jenfen; | Iſt vom Himmel mir bejchieden 
Der, fern vom — — von Wechſel- Stets zur Thätigfeit die Kraft; 
Denn viel beſſer jhmedt die Speife, 
In eignem Schatten ar * Weſt gelühlet, | Die mit eignem regen Fleiße 
Sein Leben fühlet. ‚Meine Hand fi jelber jchafft! 


Will nie zu den Göttern flehen, 
Dak fie mid mit Gold verfehen. 
Glücklich macht Zufriedenheit 

Und ich geh' im Leinenkittel, 

In der Hand den rauhen Knüttel, 
Stolz wie Ihr im Atlaskleid. 


$- &. Bad. 


Im Walde halt’ ih Raſt! 


Im Walde halt’ ih Raſt, 
Um unter jeinen Bäumen 
Vergefienheit zu träumen. 
MWenn Sorge mih umfaht, 
Im Walde halt’ ich Naft. 


Die munt’re Feljenquelle 
Gniführt mein Leid jo jchnelle, 
Und Wonne füllt die Bruft. 
Da mag mein Herz gejunden 
In diejen Feierſtunden, 

In jel’ger Waldesiuft. 


Willkommen, ſüßer fFrieden, 

So ſelten doch beſchieden 

Mir in des Lebens Streit, 

Seh’ ih der Menſchheit Strehen 
So oft in diefem Leben 

Um Nichtiges entzweit. 


Im Walde halt! ih Raſt! 
Wenn in dem Streit der Racen 
Und in dem Kampf der Glafjen 
Gin Elel mich erfaht, 
Im Walde halt’ ih Raſt. 
Anton Schmidt. 


Am Brünnlein, 


Am Brünnlein weil’ ih oft und gern 
In früher Morgenftunde, 
Waldgloden Hingen nah und fern 
In walddurchrauſchter Runde, 

Des Bächleins heller Murmeltlang 
Erzählt mir holde Sagen 

Von Elfenreiz und Nirenjang 

Aus alten jhönen Tagen. 


Ich bade mih im Sonnenlicht 

Und lab’ mid an der Friide — 
Wohl befjer trintt man wahrlid nicht 
An eines Königs Tiſche. 

Was uns Natur voll Güte gab — 
Das liebe, klare Waſſer: 

Das Beſte iſt's, die reihite Hab’, 

Die nur verjhmäht der Praſſer. 


Das macht die Augen licht und hell 
Und gibt uns reine Triebe 

Und jpendet der Gejundheit Quell 
Mit treuer Mutterliebe. 


Drum weil’ ih gern am Brünnlein ſchlicht 


Und lab’ mid an der Friſche, 
Denn befier trinkt man wahrlid nicht 
An eines Königs Tiſche. 


doß. Peter. | 


868 


Im Auge. 


Siehſt Du ein liebliches Geſicht, 

In welches ſich die Roſe flicht, 

So iſt es ſchön noch immer nicht, 
Wenn ihm des Auges Glut gebricht. 


Das Aug' der Seele Spiegel iſt, 

Ein off'nes Buch, aus dem man liest, 
Was im Gemüthe keimt und ſprießt, 
Welch' Leben in den Adern fließt. 


Es ſpiegeln ſich darin der Schmerz, 
Der Frohſinn und der heit're Scherz, 
Es blickt beſeligt himmelwärts, 
Wenn Liebe hoch beglüdt das Herz. 


Vor Wonne und vor Luft es lacht, 
Wenn es aus ſüßem Schlaf erwacht 
Nach einer ſtillen Sommernacht 
Mit ihrer Träume Zaubermadt. 


Der ganze Menih im Auge liegt, 
Sein Blid den Gegner oft bejiegt, 
Wenn dieſer fih im Wahn noch wiegt, 
Daß fiher ihm der Sieg zufliegt. 


Was in der Pruft mag immer glüh'n, 
Gleich Blumen wunderbar erblüh'n 
Und ungehemmt wildflammend fprüh'n, 
Das leuchtet aus dem Auge Fühn! 


Franz Tiefendader. 


WBaldmärden. 


Sie waren Beide befangen 
Und räthjelhaft verwirrt — 
Sie waren waldein gegangen 
Und hatten fid verirrt. 


Holdjelige Träume webend, 
Die Welt im Dämmer lag; 
Sie lauſchten Beide bebend 
Auf ihres Herzens Schlag. 


Das junge Menjchenpärden 
Schritt weiter, Hand in Hand; 
Ein goldnes Wundermärden 
Hielt Beider Sinn gebannt. 


Das Märchen war jo nedend, 
So ſchalkhaft und jo dreift — 
Sie fühlten jüß erichredend 

In fih des Märchens Geift... 


Sie ſahen fih an und dachten, 
Wie ihön die Liebe jei, 

Sie jahen fih an und ladten — 
Ihr Zagen war vorbei. 


369 


Das ängftlih icheue Bangen 
Des Herzens war entiloh'n: 
Es hielten fich liebumfangen 
MWaldfee und Königsiohn... 


Eie haben fi leiſe geftanden 
Ihr wonnig Herzensgeichid, 
So dak den Weg fie fanden 
Zu leuchtenden Erdenglüd. 


3. Mm. Toscalio. 


Der [echte Gulden. 


Menn Du noch einen Gulden haft, 
So ziehe nit die Stirn in Falten, 
Blick' friſch und fröhlih in die Welt 
Und jegne mild des Schidials Walten. 


Der vielen Hungerleider dent", 

Die geldlos find und dod geduldig, 
Dann eſſ' und trink' nah Herzensluft — 
Und bleibe flug die Zeche ſchuldig. 


Weit beſſer iſt's — das merle wohl! — 
Du ftehit beim Wirth ſchön angelreidet, 
Als wenn Tein theures Amulet, 

Der legte Gulden, von Dir jcheidet, 


O, halt’ den leiten Gulden feit, 
Als wäre er mit Dir geboren — 
Vereint mit ihm bift Du ein Gott, 
Getrennt jeid Beide Ihr verloren! 


3. Mm. Toscalio. 


Heber die Prüderie der deutſchen 
Zamilienblätter. 


Zu jeiner neueſten Erzählung: „Die 
Pantoffeln des Hofmeiſters“ (Berlin. W. 
Ißleib) hat Oscar Welten ein geijtvolles 
Torwort: „Die Prüderie in der Literatur“ 
gejchrieben. Bon allgemeinem Intereile in 
demjelben ift der Theil, welcher die deutjchen 
Familienblätter fennzeichnet und den wir 
bier wiedergeben. Welten ſchreibt: 

Was heißt „Familie?“ Und da er- 
halten wir zur Antwort: Familie bedeutet 
eine Anzahl Menjchen der verſchiedenſten 
Altersjtufen, welche durch die innigiten 
Bande des Blutes mit einander verbunden 
find. Eine Familie kann bejteben aus einem 
Manne von 50 Jahren, dem Bater, einer 
Frau von 40 Jahren, der Mutter, einem 
Sohne von 20 Jahren, zwei Töchtern von 
17 und 15 Jabren, und dann noch einem 


Jungen von 12 und einem Mädchen von 
9 Jahren. (Den möglichen Säugling laſſe 
ih fort, weil ja dieſer jo verworfen iſt, 
daß er eine ftroßende Frauenbruſt allen 
geiftigen Genüſſen vorzieht). Das bejagt 
aber nichts Anderes, als daß in der Regel 
die Mehrzahl der HFamilien-Ölieder zu 
künſtleriſchem Genießen überhaupt noch nicht 
| befähigt it. Es bejagt aber weiterhin 
noch ganz bejonders, daß es undenkbar 
tft, eine jchöne Literatur für die „Familie“ 
zu jchaffen, weil die geiftigen Ansprüche 
diejer angeführten verjchiedenaltrigen Men» 
ſchen wejentlich verihieden jein müſſen, jo 
verichieden, da eine Gemeinſamkeit ihrer 
geiftigen Genüſſe nothwendig ausgeichloi- 
ſen it. 

„Aber das iit ja jelbjtverftändlich! * 
höre ih rufen. 
| Sehr wohl! Dann aber ift e3 auch 
jelbjtverjtändlich, dah; der „Familienſtand— 
| puntt« auch äſthetiſch-literariſch abjolut 
feine Berechtigung bat. Denn jobald eine 
Gemeinjamkeit der geiftigen Genüffe für 
die Familie ausgeichloifen iſt, dann hat 
auch der Dichter feine Verpflichtung, bei 
‚feinem Schaffen, bei der Wahl und Aus— 
geſtaltung Seiner Stoffe darauf Nüdficht 
| zu nehmen. 

Tramilienblatt ! Nah den bis— 
herigen Ausführungen tit „Familienblatt“ 
ein Unfinn, weil wir die Gemeinjamteit 
der geiftigen Genüſſe für die Familie als 
ansgeicloiien erfannt haben. Das Fa— 
milienblatt aber tritt freb und dumm auf 
und jagt: „Ich ermögliche Euch eine jolche 
Gemeinjamfeit. Ich biete Euch ein Blatt, 
welches an Tert (und Jllnjtrationen) die 
Aniprühe der Erwachſenen befriedigt und 
auch dem halb erwachjenen Jungen, dem 
Backfiſch ohne Bedenken in die Hand ges 
geben werden, auch von dieſen gelejen 
werden fan.” 

Wir bören die Botjchaft, und wenn 
uns auch der Glaube fehlt, jo jeben wir 
uns doch jolb ein Monitrum von Blatt 
an. Und da fällt uns vor Allem, wenn 
wir zuerſt eines der Ylluftrierten durch— 
blättern, darin die Menge von mehr oder 
minder nadten Frauen: und Männerge- 
jtalten auf, Nahbildungen von Werken der 


8 


Malerei und bildenden Kunſt moderner 
Meifter. Hierzu kommen dann noch bie 
Bilder zu den Schilderungen der Reifenden 
aus jenen fernen Welttheilen, wo ed noch 
Mode iſt, daß die Männer ohne Hojen 
und die Weiber ohne Hemd gehen, wes— 
balb e3 auf jolchen Bildern natürlich der 
„Nuditäten” die Hülle und Fülle gibt. 
Ich erinnere mich jogar, die Weit- und 
Offenberzigfeit eines Familienblattes im 
diefer Richtung an der Geſtalt eines fräf- 
tigen Wilden einmal bis zum äußerjten 
getrieben gejehen zu haben. Der gute 
Mann ſaß (und figt heute noch) auf jeinem 
Bilde „türkiſch“ auf der Erde, dem Be— 
ſchauer Drei-Viertheile feiner Vorder-An« 
füht zumendend, völlig nadt, und der naive 
Künftler war befliffen gewejen, jeden Theil 
jeines Körpers mit gleicher Gewiſſenhaf— 
tigkeit auszuführen, während er anderjeits 
die Verwendung eines Feigenblattes bei 
einem Wilden für unftatthaft halten mochte. 
— Mit einem Wort, der Bilderjhmud 
unjerer Familienblätter bietet eine jolche 
Fülle von Schaujtellungen männlicher und 
weiblicher Reize von dem feimenden Bufen 
einer Piyche bis zu den vollen Hänger 
brüjten der Negerin, von den prachtvollen 
Schenkeln eines Achilles, der fih den Pfeil 
aus der Ferſe zieht, bis zu der Feigen— 
blattlofigfeit eines Südſee-Inſulaners, daß 
man den Herrn Redacteuren den Vorwurf 
ber Prüderie, was die bildende Kunſt bes 
trifft, wahrhaftig nicht machen fanı — 
aber bei Betrachtung eines ſolchen illu— 
jtrierten Blattes anch niemals auf die Idee 
fommen fönnte, ein „Familienblatt“ vor 
fih zu haben. Jedenfalls aber jollte 
man glauben, daß die Prüden im Lande 
gegen die Schauftellung aller Nadtheit 
in den „Familien-Blättern“ heftig eifern 
müßten. Und ich bin auch überzeugt, 
daß fie es verjucht haben, doch hier find 
fie an der Geichäftsraifon der Verleger 
geicheitert, welche in Kaffeehäuſern, Hotels 
u. ſ. w. ein großes Abjaggebiet für ihre 
yamilienblätter eigentlih mur um der 
luftrationen, und zum Theil auch um 
der nadten Bilder willen haben, Dieje 
Geſchäfts-Raiſon aber können die Herren 
überdies noch mit dem Hinweis darauf 


— 


‘ 


— — ——— ———— —— — — — — —— — — —— —— — — — — — — — — — ——— — — — — —— 


0 


bemänteln, daß fie ja niemals Abbildungen 
bringen, welche „unfittlihe“ Vorgänge dar- 
ftellen. Und wie jchon einmal in der Welt 
fih Alles, auch das Unfinnigfte, einzubür- 
gern vermag, jo haben auch die bildlichen 
Darftellungen des Nadten in unjeren Fa— 
milienblättern Bürgerrecht erlangt, zumal 
ja die bildenden Künſtler materiell unab» 
bängig find von Zeitichrift-Honoraren, alio 
einen Zwang, einen Drud von diejer Seite 
auf ihr künſtleriſches Schaffen nicht zu 
dulden brauchen, und auch nicht dulden. 

für den literariſchen Inhalt dieſer 
Blätter ift aber der Maßſtab peinlichiter 
Prüderie bei der Untrennbarfeit der Be 
griffe „Literatur“ und „Familie“ für das 
deutſche Volk unabweislich und die Prüden 
im Lande unterdrüden dur Entrüftungs: 
Kundgebungen an die NRedactionen jeden 
noch jo leiſen Verſuch einer freieren Ne 
gung in dieſer Beziehung. Hier alfo wird 
ein freder Zwang geübt. Und die jchöne 
Literatur in Deutſchland erliegt dieſem 
Zwange aus Gründen der materiellen Eri- 
ftenz. Der Buchhandel in jchöner Literatur 
ift gleih Null, denn die Leihbibliothefen 
verjorgen für einen Bettelpfennig die Leſer 
mit Allem, auch mit dem Neueften. Nom 
Buchhonorar kann aljo der Autor nicht 
leben. *) Er ijt auf die Honorare aus den 
Zeitungen und yamilienblättern angewie- 
fen. Und jo wird der deutjche Dichter und 
Schriftiteller, auch der berühmte, nur um 
leben zu fönnen, der echten Poeſie ab- 
trünnig werden und jener Pjeudo-Muie 
dienen müſſen, welcher die Familienblätter 
Tempel bauen. Er wird lernen müſſen, 
jeine Liebesgejchichten jo zu erzählen, dak 
Mama (Papa liest das Zeug ohnehin 
nicht) die volle Verſänglichkeit des Er- 
zählten auszugenießen vermag, die fieb- 
zehnjährige Tochter, ohne vielleicht noch 
diejes volle Verſtändnis zu befigen, dabei 
doch jchon heftiges Herzklopfen und bren— 
nende Wangen befommt — während der 
Badfifh und der vierzehnjäbrige Knabe 
über das zu grübeln beginnt, was ibm 





*) Der Verbrauch für „geiftige Nah— 
rung” beläuft fib in Deutichland auf 50 
Pfennig pro Kopf und Jahr!! 








871 
bier verhüflt — und verheißend angedeutet | Unglüd für ein „Finger“ geweſen ijt ? 
wird. Denn das ift ja ein mwejentliches | Doch ich bin nicht jchadenfrob, jelbit nicht 
Stennzeihnen der deutichen Familienblatt- gegen Pharijäer, die in ihrem Fanatismus 
Literatur, daß fie ſich faſt ausnahmslos |jo weit gehen, daß fie jih dem eigenen 
um Liebe und Ehe — aljo um die Con- | Kopf an die Wand rennen; aber meinen 
flicte in Liebe umd Ehe — drehen muß, | Finger (nicht den Finger Gottes) hehe 
wenn fie des „Familien-Intereſſes“ ficher ich doch und ſage: Gebt Acht! Gebt Acht! 
jein will, wie ja auch ein modernes deut- | Menfchen dort mie bier, ein gräßliches 
ſches „Luſtſpiel“ ohne zwei oder drei Braut» | Sterben dort wie bier, und Menjchenjchuld 
betten am Schlufje nicht gut denfbar ift. | dort wie hier Uns Allen geziemt es, 
Liebe und Ehe nun berühren die Geſchlechts- liebreich und nach Kräften das Elend und 
iphäre, find vom Gejchlechtlichen untrenn» | den Jammer der Mitmenjchen zu mildern, 
bar; die Prüderie aber verbietet, was |anftatt jeiner zu jpotten, uns geziemt es, 
bier fünjtleriich darzuftellen wäre, das das Urtheil demüthig dem Herrn zu über- 
Schöne und das Häßliche, pſychologiſch | laflen. R. 
vertieft, aljo wahr zu jchildern. Jedes — 
kräftige, kernige Wort, jedes plaſtiſche Bild 
und Gleichnis, jeder warme Ausdruck der Rleine Ausfälle. 
Empfindung, jede unverfäljchte Bezeichnung Bon Ludwig Fulda. 
und Darftellung von Zuitänden, Gedanken, 
Leidenſchaften und Situationen, wie fie die ’ Einem Arit ißer. 
Liebe in unerjchöpflicher Mannigfaltigkeit Sn feigerifig, Du Trtlijiter MDeih, 

—7— Daß Dir noch immer der Frühling gefällt? 
erwedt und herbeiführt, iſt verpont. Und Er gleicht dem Lenz vom vorigen Jahr 
jo entjtehen jene jeichten, halbwahren oder > este — Lenzen; 
ganz verlogenen, mehr minder inneren | Alles geſtohlen ganz und gar, 

Lebens baren und durch die gebotene Ver» — ie 

bülltheit der Darjtellung um jo verfäng- 

licheren Novellen und Romane, deren lite 
rariicher, alfo fünjtleriicher Wert in der 
übermwältigen den Mehrzahl gleich null ift. 


— 
Sprachmeiſterei thut erſt in Bann, 
Wollt Ihr der Jugend Bildung ſchenken! 
Mer ſieben Sprachen plappern kann, 
Kann ſelten in Einer richtig denken. 


Einem L[chemann. 
Dich haben die Freuden zu früh ſchon um: 
ftridt: 


Nun ſchiltſt Du die bleiernen Stunden; 
Ya, wer die NRofinen herausgepidt, 
Dem wird der Kuchen nicht munden. 

* * 


Ihr Pharifüer, gebt Acht! 

Wie vorfihtig man jein muß, wenn 
man fremdes Unglüd verhöhnen will, das 
zeigt wieder der folgende Fall. 

Um 25. Maid. J. giengen bei dem 
Brande der Komiſchen per in Paris r 
140 Theaterbejuder zu Grunde. Und wiederholt im Lande weit und breit 
Dieſes Unglück nannten damals viele — gleichen Satz mit kühler Ueberlegung, 
fromme Blätter einen „Finger Goltes“ Dann haben wir in äußerſt kurzer Zeit 
zur gerechten Strafe für die verderbte Die große Anti-Müllerknecht-Bewegung. 

Menſchheit. (2.2). 

Ein paar Wochen darauf verunglüd- 
ten bei Pals in Ungarn auf einer Ueber- . . . In: 
fabrt über Die — 208 Wall— Ein literariſcher Dieb. 
fahrer. Wir erhalten von unſerem Mitarbeiter 

Nun läge es nahe, bei jenen frommen Herrn Friedrich Schlögl nachfolgendes 
Blättern anzufragen, was denn das letztere Schreiben mit der Bitte um Veröffent— 


* 

Sagt Einer heut’ auf hohem Rednerpult 
Mit etwas Zungenkunft und Spiegelfechten: 
„Die Miüllerinechte find an Allem jchuld, 
An allem Schädlichen und allem Schlechten,“ 


lichung. „Geehrter Herr Nedacteur! Wie paar Jahren: „Aus meiner Wander- 
titulieren Sie ein Individuum, das, zum |mappe“ (Dresden, Grumbkow), „Karls— 
Unterjchiede von dem muthigeren Straßen | bader Schlendertage” (Karlsbad, Feller) 
räuber, der nur mit dem Knüttel bewaffnet | und „Brunnengeifter, Marienbader Saijon- 
und auf die Gegenwehr jeines Opfers bilder“ (ebenda) in die Deffentlichkeit. 
gefaßt jein muß — mit der Scheere in | Wie diefe Bücher entitanden? Etwa auf 
der Hand, in den Wäldern der deutjchen ‚dem bisher üblichen Wege des Selbit- 
Literatur und Journaliſtik berumjchleicht | denfens? O nein; dieſe ehrlich bürger- 
und bier aus dem Buche eines Dichters | liche, altväteriihe Methode ift unjerem 
oder Schriftitellers ein paar Seiten tief- — Poeten aus gewiſſen Gründen 
ſinniger Betrachtungen, dort aus einem unbequem, er nimmt den Stoff, wo er 
augeſehenen Blatte etwelche Reiſeſtizzen ihn findet, und benützt ſodann bei der 
und wieder aus einem anderen ein Viertel- weiteren „Verarbeitung“ ein „Appretur— 
dutzend Feuilletons ausſchneidet, die alſo verfahren“, um deſſen Anwendung ihn 
„gewonnenen“ Stücke zuſammenklebt, das Meiſter Spiegelberg und ſein College 


Ganze einem naiven Verleger als ſein 
eigenjtes Opus offeriert, fih dafür hono— 
rieren, das Machwerk in Drud geben und 
unter jeinem vollen Namen auf dem Bücher- 
marfte erjcheinen läßt ? Ein fiherer Johann 
Karl Böttcher (geb. 12. Mai 1852 zu 
Dennheritz in Sadjen), „Ichreibt Bücher“, 
das heißt er veröffentlicht ſolche unter 
jeinem Namen. 

Wie diejelben zuftande fommen, dar— 


über belehrt uns eine Soeben erſchie— 
nene jenjationelle Brojhüre, mit der 
prägnanten Signatur: „Ein deutſcher 


Schriftſtehler. Aritiihe Analyje von M. 
v. Eckſtadt.“ (Hagen in W. bei H. Riſel.) 
Die Verfafjerin unterzog ſich, als redliche 
Finderin und Netterin geiftigen Eigen« 
tbums, vorläufig nur der Mühe, drei 
„Werke“ diejes famojen „Autors“ kritiſch— 
anatomisch zu zerlegen, faſt jede Seite 
auf ihren legalen Urjprung zu prüfen 
und die rechtmäßige Vaterjchait der diverjen 
Artikel „actenbeftändig“ nachzumeiien. Man 
traut da, jelbjt nur bei flüchtiger Durch 
fücht dieſes in jeinen erbarmung3>, jchonungs- 
und wmitleidslojeiten Enthüllungen eines 
ſchmählichen Handwerkes dennoch luftigen 
Büchleins, 


geboten wird, und mit welch' — eiſerner 


Stirne, ohne Scheu ver möglicher Ent-— 


dedung, ein ſolcher „Literariicher Uhrab— 
zwicker“ jein jauberes Gejchäft jahrelang 
unverjchämteit fortzuführen magt. Der 
Mann gab — um heute eben nur von 


— ER 
drei „Werfen“ zu jprehen — vor ein‘ 





faum jeinen Augen, was Alles | 
und wie e$ dem bdeutjchen Lejepublikum | 


Schufterle ohne Zweifel beneidet hätten. 
Nehmen wir zuerjt die „Vrunnengeijter* 
(Marienbader Saijonbilder). Die Yabri- 
cation diejes „Werkes“ iſt einfach und 
funjtlosg. Es wird anfänglib „etwas“ 
Turgeniem („Waldregion“ und „Wald 
und Steppe”) glimpflich ausgedrüdt „co 
piert“, hierauf eine Partie von Daudet 
(„Brovengalijche Briefe”) abgejchrieben, 
jodann ein halbes Feuilleton von Wilhelm 
Singer (über das „Flanieren“ in der 
„Neuen Freien Preſſe“) ſtibitzt, weiter 
eine tüchtige Portion ans Scherr („Sommer« 
tagebuch“) angefügt, dann wird uns Lucian 
Herbert in Erinnerung gebracht, nochmals 
JTurgeniew, und wieder Johannes Scherr 
(viele Seiten lang), der ſich von Franz 
und Paul Schönthban, Börne, Mar 
Schlefinger („Wiener Salonblatt*) ab- 
löjer laffen muß, worauf abermals Wilhelm 
Singer („N. F. Pr.“) ericheint, welchem 
raſch nacheinander neuerdings Turgeniew, 
Scherr, Börne — ſämmtlich in wieder— 
holten „Benützungen“ folgen und wobei 
auch noch Sacher-Maſoch's „Auf der Höhe“ 
an zehn Seiten eines intereſſanten Auf— 
jates beizufteuern batte, bis der „Schrift- 
ſtehler“ Johann Karl Böttcher mit diejem 
jeinem Werke zu Ende war. Und der 
gleiche nette Modus unverfrorener „Ans 
nerion“ wurde auch im zweiten Buche 
„Karlsbader Schlendertage” als bewährt 
in ungeniertefte Anwendung gebradt ; auch 
‚bier wechſeln Börne, Daudet, Turgeniew, 
Scherr, Singer — und zwar wiederholt 
in ellenlangen Partien miteinander ab, 











Be 


373 


da fie wiederholt zu ericheinen haben, Luſtige Zeitung. 
und ebenſo ergeht es im dem dritten 
Buche: „Aus meiner Wandermappe”“, 
worin bejonders Daudet arg gerupft wird, 
der aber jein Los mit dem Wiener Pötzl 
zu theilen hat, welcher eine jeiner Criminal— 
jfiszen bier injofern wunderbar „vers 
arbeitet“ finden fan, als aus jeinem 
(Wiener) Kilian Stippel ein Signore 
Nincenzo, aus der Wiener Kneipe eine 
Matrojenipelunfe in Neapel und aus dem | 
Communalbad das Meer entjtanden ift. | 
Anſonſt wurde feine Beränderung an dem 
drolligen Aufjage vorgenommen. Yit dies 
nicht Alles hübſch? Und darf ich mun 
auch von meiner Wenigfeit jprechen ? Ja, 
auch ic, der bejcheidene, anipruchsloje 

Local-Feuilletoniſt, wurde von dem großen 
Annectator für wert und würdig erklärt, 
um für jeine Werfe „benützt“ werden zu 
fönnen, 

Und jo geihab mir die Ehre, daß 
drei meiner Feuilletons, welche ich im 
Frühjahre 1884 aus Arco der „Deut— 
ichen Zeitung“ jandte, im zwei (verjchie- 
denen) Büchern Böttcher's ihre Nejurrection, 
das beißt ibren „Neudruck“ — wenn auch 
in mehrere Abjchnitte vertheilt — erlebten, 
natürlih als ſeine ureigenjte Arbeit. 
Wenn ich nun den MWunjch eines mir jehr 
werten Verlegers ausführe und meine 
mannigfaltigen „Reijebilder” in dem projec» 
tirten Sammelbande: „Aus meinem Fell 
eifen“ aufnehmen jollte, jo erſcheine ich bei Eine Falle Ein Bauer fommt 
einem Lejer der Bottcher'ſchen „Werte“ als einem Advocaten, trägt ihm einen 


Allerlei geſammelte Anekdoten. 


EinWort Napoleon's. Der General 
Moreau, der bekannte Freund Pichegru's 
und Gegner Napoleon's, war beſonders 
berühmt wegen ſeiner meiſterhaften Rück— 
‚ süge, Als in der Umgebung Napoleon's 
einmal Moreau's Erwähnung getban 
wurde, jagte der Kaiſer ernſthaft: „Ger 
wis it Morean ein bedeutender General 
nur“, nidte er lächelnd, „bat er mit der 
Trommel zu viel Aehnlichkeit!“ Man 
bat den Kaiſer um Aufklärung über diejen 
jonderbaren Vergleich und er jagte: „Ei, 
man bört von der Trommel auch nichts, 
bis fie geihlagen wird,“ 





Bei einem Felte, das zu Ehren einer 
in Tübingen tagenden Naturforjcher-Ber- 
ſammlung in dem nahen Bade Niederau 
gegeben wurde, ſchlug ein Fremder einen 
Toaft auf Ludwig Uhland vor. Auf 
Uhland’3 ablehnende Entgegnung: das 
Feſt gelte den Naturforjchern, nicht den 
Dichtern, rief ein anderer Fremder ent- 
rüftet aus: „Werft den Kerl zur Thür 
hinaus!“ Natürlich zur großen Erbei-, 
terung Derer, die Uhland kannten. Er 
jelbit lachte, daß ihm die Thränen im 
den Augen jtanden, und jagte, das jei 
eine der merfwürdigiten Ovationen, die 
ihm je zu Theil geworden. 


Dieb, der den „beliebten“ Autor Johann | Streitfall vor und fragt ihn dann, ob 
Karl Böttcher frechſterweiſe abgeichrieben | er den Proceß annehmen und gewinnen 
und jomit ihn, wie jeinen Verleger bes | könne. — Advocat: „Ja natürlid — 
ſtohlen hätte. Iſt das nicht Alles erqui⸗ den Proceß nehm” ich an, der wird ger 
dend, ja erbebend, und verdient es micht | wonnen!“ — Bauer: „Alſo meinet der 
öffentlich und ausführlichſt beiprocen zu | Herre wirkli', des Proceßle müeßt gemwonne 
werden ? ſei'?“ — Advocat: „Unbedingt — ih 
Sie fragen endlich, ob Herr Johann ſtehe dafür ein.” — Bauer: „Ja — 
Karl Böttcher bei jeinen piratenmäßigen | wiſſet der Herre, da will i' 's doc 
Eompilationen gar nicht3 Eigenes hinzu—⸗ bleibe’ laſſe' zu klage! — denn i' babe 
thue? O ja, die „Uebergange“ beſorgt Ihna des Proceßle von mein'm Gegner 
er, von einem geplünderten Schriftſteller verzählt.“ 
zum andern. Daß Gott erbarm'! Mit 
deutſchem Gruß! Ihr achtungsvoll und 
treuergebener Friedrich Schlögl.“ 


Der Ideal-Globus. Frau Com— 
miſſionsrath P., ſo erzählt man uns, 
hatte es ſich nun einmal in den Kopf 


874 


geiebt, dab ein Erdglobus die Conjole] Weiteres beforgt die Erpedition dieſes 
der rechten Ede im guten Zimmer vor- Blattes." — Im „Stettiner Gen.-Anz.“ 
züglich jhmüden werde. Sie trat in einen) vom 29, März findet jich folgende drollige 
Laden und juchte dajelbft einen Globus aus, | Anzeige: „Wenn fih Frau Trettin ibre 
— „Wie theuer ?* — „Dreißig Mark,“ Sachen binnen drei Tagen nicht abholt, 
fagte der Verkäufer. — „Das iſt jehr | betrachte ich fie als mein Eigenthum. 
theuer,* meinte Frau P. und betrachtete die | Karl Weitzing.“ Doch wohl mur die 
Erdkugel von allen Seiten; „willen Sie,| Sachen, und nicht etwa auch die arme 
ich werde den Globus nehmen, aber nur | Danıe! 

dann, wenn Sie mir im die leeren Stellen 


noch ein paar Länder hineinmalen lafjen.“ Ausder Inftructionsftunde, 
Unterofficier: „Moran erkennen Sie einen 


Die ae m. bat ſich dem Officier?“ Recrut: „An den Epaulettes.“ 
Jabrmarkte von ber Hand ihres ater Unteroffizier: „Können Sie mir ſagen, 
J——— ne wie die Epaulettes ausjehen ?* Recrut: 

e " ’ R di „u 
Herrn ohne ein Feines Mädchen gejehen ?* mbar DIE JEDE Sgarıg WeiR "OB 


Definition. „Was ijt die Kunſt?“ Der Chefder befannten Cham— 

— „Kunſt ift etwas, was man nidt|pagnerfabrif Röderer erhielt 
fann; denn wenn man’ einmal fann, | eines Tages einen rief folgenden Ans 
iſt's keine Kunſt mehr!“ halts: „Mein Herr! Ich habe keinen 
Der Manie des Preisaus— Sou⸗ * Belt au Champagner —* 
ſchreibens für Gedichte widmet Edwin — Sie Bir Güte, mir einen Korb 
Bormann in jeinem bei Bonz in Stutt— ic Ihres — Geträntes su Ieuben. 
gart erjchienenen „Büchlein von der m Bone 10 ka sie sh 
ſchwarzen Kunſt“ das folgende nette geſſen. „Dein Herr .“ antwortete Röderer 
Gpigramm: umgehend: „Ihr Mittel, Ahr Elend zu 
Die Yotab her dene Dah vergeſſen, taugt nichts. Die unaufhörlice 
& 5 mag nigis willen non Vreisdichterei! und hartnädige Bräjentation meiner 
Merft, was Ihr wollt, mir dagegen ein — Rechnung würde Sie jeden Augenblid 
Der Pegafus foll fein Nenngaul jein, wieder an Ihre traurige Lage erinnern.” 


Und wer die Welt beſchickt mit Liedern, 


+ 14 
Der ſoll ſich nimmer zum Jodey erniedern! Die richtige Methode. Schul— 


director: „Wie bringen Sie es denn zu 

Provinzialblätter finden ſich häufig Stande, daß, jo oft Sie vor dem Schul— 

Proben eines ganz fköftlihen, wenn auch | Inſpector eraminieren, jedesmal alle 

nicht immer freiwilligen Humors. So) Schüler die Hände aufheben und jeder 

bringt u. A. der „Dresd. Anz.” Nr. | Öefragte die richtige Antwort weiß?“ — 

90 folgende Annonce: „Eine — „Ja, wiſſen Sie, Herr 
| 


An den Anferatentbeilen der 


— — — — — — — — — 


ſaubere Wäſcherin und Plätterin ſucht Director, das kommt auf die Methode 
noch einige Herrſchaften in Wäſche zu an; ich habe es bei mir ſo eingerichtet, 
nehmen. W. Adr. bittet man ꝛc.“ Es daß die Schüler, die was wiſſen, die 
iſt doch immerhin fraglich, ob die ber rechte, und diejenigen, die nichts wiſſen, 
treffenden Herrſchaften ſich auch gutwillig | die linfe Hand aufheben. Dann kann fein 
werden wajchen lafjen wollen. — Ein Irrthum geſchehen.“ 

Injerat des „Anzeiger von Stabtilm“ 

lautet: „Ein ftarfes Mädchen, im 13. Gute Geſellſchaft. Mutter (zu 
Jahre ftehend, wünscht die Mutter desjelben | ihrem jpät nah Haufe zurückkehrenden 
bei ordentlichen Leuten, wo jelbige zu) Sobne): „Aber Scani, mit wem bijt 
allem Guten angehalten wird, unterzu- denn heut’ wieder jo lang umg'ſtrolcht, 
bringen, jedoch kann nichts gegeben werden. | Tu Lump?“ — Schani: „Mit Batern!“ 








875 


Sehr ribtig. Hausknecht (zu 
Studenten, die in früher Morgenftunde 
vor einem geſchloſſenen Gaje lärmend 
Einlaß begehren): „Meine Herren! und 
Sie wollen Bildung baben ?!* 
Studenten: „Nein — Kaffee!” 


Glüdliber Zufall. U: „Wie, 
Sie leben noch, Sie unverſchämter Menjd ! 
Wie fönnen Sie fich unterjtehen, noch zu 
leben — baben Sie nicht in unſerem 
amerifaniihen Duell die ſchwarze Kugel 
gezogen ?* — B.: „Entichuldigen Sie 
— id hab' mich nicht getroffen!“ 


Immer böflid. Ein bayerijcher 
Feldwebel, der von zwei vorübergehenden 
jächfiihen Soldaten nicht gegrüßt wird, 
ruft diejen wüthend zu: „Sennt Ihr 
feinen bayeriſchen Feldwebel?“ — Jene: 
„Ei, Herrjejes, wie ſoll er denn heeßen?“ 


Rache iſt füß. Officiersburſche (der 
ſich wegen ſeiner ſchlechten Gewohnheit, 
im Treppenhauſe zu pfeifen und zu fingen, 
ſchon mehrmals Injurien von Seiten des 
Hauswirtes zugezogen): „Aber, Herr Lieu— 
tenant, unſer Hausherr iſt doch ein echter 
Grobian. Als ich heute wieder pfiff, hat 
er mich ſogar einen Lümmel genannt; da 
hab' ich's ihm aber ordentlich ge— 
geben!“ — Lieutenant: „Was haft Du 
ihm denn getban? Tu haft ihn wohl gar 
geſchlagen?“ — Burſche: „Nein, jo roh 
bin ich nicht.” — Lieutenant: „Dann 
bait Du wohl wieder geſchimpft?“ — 
Buribe: „Nein, das gerade auch nicht.“ 
— Lieutenant: „Na, was haft Du denn 
getban? — Burſche: „Ah babe ge 
dacht, Du fommijt mir jshon mal 
wieder!” 


Sehrridtig. Civiliſt: „Sagen 
Sie mal, Artillerifte, das muß doch furcht- 
bar fnallen, wenn Sie beim Schiehen jo 
dicht bei der Konone ſtehen.“ — Han 
nier: „Dees is ſchon wahr; aber jäh'n 
Ce, wenn mer nich derbei jtehe dhut, da 
fnallt’3 grade äb'n fo laut.“ 


Deigeibmad. Lijette: „Nun, 
Gretle, wie gefällt Tir Dei’ Trompeter ?“ 
— ÖGretle: „OD, guet, aber jei Küßle 
ihmedt a biſſel nach Meſſing.“ 


—€——————————— Le nn — 


Die Fremdenbuch-Poeſie it 
meijt eine recht originelle. Wer ermüdet 
und durftig und hungrig nah heißem 
Marihe im Gaſthauſe einkehrt, deſſen 
Humor pflegt mit den vorgejegten Er- 
frijchungen doppelt gemedt zu werben; 
der Humor aber will wie die Jugend 
austoben — und da bietet denn das 
Fremdenbuch gewöhnlich den geeignetiten 
Turnierplag. Zu den originelljten Fremden» 
büchern gehören die des Kynaſt, der alten 
herrlichen Veſte der Schaffgotihe. Ein 
luftiger Philoſoph muß es geweſen jein, 
der dajelbit Folgendes niederſchrieb: 

„Arm wie ein Befenbinder, 

Die Taſchen leer wie nie — 

Und doch vergnügt fein, Kinder: 

Das ift Philoſophie!“ — 

Ein zweiter luftiger Kauz läßt „des 
Drahmanen Weisheit“ in folgenden Rei— 
men ertönen: 

„Der Länder und der Städte Namen wiſſen 
Und alle Bergeshöhen nennen, 

Iſt bloße Theorie — 

Der Länder und der Städte Mädchen küſſen 
Und alle Bergesfneipen kennen, 

Iſt praftiiche Geographie!" 

Ein Vater und ein Sohn bradten 
folgendes gedanfenreihe Verslein zu 
Papier: 

„Der Bater fneipt Natur, 
Der Sohn den Wein; 

Der Bater bezahlte, 

Der Sohn ließ es fein!" — 

Sicher ein Peſſimiſt war der „Lebens 
Iuftige*, der am Faſtnachtstage ſchrieb: 
„Das Leben ift ein Pfannenkuchen, 

Der ein gar fühes Mus umhüllt; 
Doch ah! — ih muß dem Schickſal fluhen — 
Ter meinige war ungefüllt!" — 

Zum Schluß jei noch das Votum 
eines Berliner Herrn über all’ dieje Kynaſt— 
Reimereien wiedergegeben: 

„Biel wird gedichtet, viel wird gefungen 
Auf dieſe verfallene Veſte — 

Mandes ift Ähleht und Manches gelungen: 
Die Natur bleibt immer das Beſte!“ — 


Die hilfreibe Säule. Student: 
„Herr Profeſſor, ich möchte Sie bitten, 
mir das bei Ihnen gehörte Colleg über 
Logik zu teſtieren.“ — Profeflor: „Aber 
ih babe Sie ja nie bei mir geſehen!“ —- 
Student: „Ab ſaß immer binter der 
Säule!" — Profeſſor: „So, Sie find 


876 


jegt Schon der Zwölfte, welcder hinter 
der Säule gejeflen bat.“ 


Bon jeinem Standpunkt, Eriter 
Student: „Du, was hältſt Du von dem 
Gommilitonen M?“ — Bmweiter: „Das 
ift ein ganz gefährlicher Menſch, der be 
trinkt fich nie.“ — Erſter: „Etelbafter 
Streber!” 


InGeſellſchaft. „Ich age Ihnen, 
meine Gnädigite, als ich den neuen Noman 
lag, da lief es mir eiäfalt über den 
Rüden.“ — „Ach, dann leihen Sie mir 
doc, bitte, das Buch während der Hunds— 
tage.“ 


Zärtlid. „Schau, lieber Mann ! 
Wir find erit ſechs Monate verheiratet und 


Du bijt Schon oft jo gleichgiltig und zer | 


ftreut. Sage mir aufricht ig, woran Du 
jetzt denſſt?“ — „Aufrihtig? An den 
fürzlich verjtorbenen Zauberfünjtler Her- 
man, der eine Frau jo hübſch verſchwinden 
laſſen konnte,” 


Einegute Natur. Tame: „Beiter 
Doctor, es gebt mir entjeglih! Von 
meiner Migräne, meinem Magendrüden, 
meinem Obrenjaujen, meinem Nerven— 
zittern will ich gar nicht reden, aber die 
Schwere in den Füßen, das Zuden in 
den Armen, das Vibrieren des Herzen, 
das Flimmern in den Augen, das Prideln 
in den Haaren, und dieſe Träume! ..“ 
— Arzt: „Wie gejund müſſen Sie jein, 
gnädige Fran, um alle dieje Krankheiten 
aushalten zu können!“ 


Gutes Gehör. Lehrling (zum 
Freund): „Dur, da kommt Jemand, mad, 
daß Du fortlommit, ich glaube es is der 


Meifter.“ — Freund: „Wielo denn?" 
— Lehrling: „Ih kenne ſeinen .... 
Tritt!“ 


Schmeichelhaftes Urtheil. 
„Wenn Herr X. ſich aus meinem Zimmer 
entfernt, ſo iſt mir immer ſo zu Muthe, 
als ob ein geiſtreicher Mann einträte.“ 


Aus dem Gerichtsſaale. Richter: 
as ft Ihr Mann?“ — Weib: „Mein 


DEN 
pr += 


Mann iſe Optiker; aber mit Optifer, 
was machte Augengläfel und auch mit 
Optifer (Apotbefer), was tabrizirte Mer 
dizine, ſondern ije Optiker (Abdeder), 
was fangte Hund ohne Halsbandel!” 


Draſtiſcher Bemeis. „Ich babe 
immer Glück in der Liebe gehabt.” — 
„Und doch jind Sie noch immer lediq ?* 
„Das beweiſt ja eben mein Glüd.“ 


Büder. 
Neue Büder von Offip Schubin. 


Wir entfinnen uns, eine gute Abhand: 
lung über Bücertitel von Oscar Welten 
| geleien zu haben und möchten ihn fragen, 
was er von der Wahl des Titels: „Gloria 
vietis!“ hält — ob er nicht unjerer Mei: 
nung ift, daß „Vae vietis!“ treffender wäre? 
Die Berfaflerin ſelbſt wollen wir nicht fragen, 
fie würde wahrſcheinlich jo wenig einen trif: 
tigen Grund anzugeben wiſſen, al$ darüber, 
dab fie ihr reich beladenes belletriftiiches 
fahrzeug unter der urgermanifchen Flagge 
Djjip Shubin jegeln läßt. Sie gehört 
zu denjenigen jchriftftellernden- Frauen der 
Gegenwart, die, mit ungewöhnlihem Talente 
begabt, der Menge — vorerft den Redac- 
tionen und deren Leierkreiien — zu Ge: 
fallen jchreiben und dabei ihre Rechnung 
finden. Der Gedanle an die Unſterblichkeit 
plagt fie jehr wenig und fie folgen hierin 
faft unbewußt einem realiftifchen Drange der 
Zeit. Ihre Werke mögen noch jo jdhillern: 
Die klingenden Erfolge werden die Werte 
jelbft überbauern, der ſonſt jo ſchnöde 
Mammon wird ficdh treuer erweijen, als der 
Geift der Bücher, Die Handlung des No: 
| mans „Gloria vietis* baut fih auf dent 
Fehltritte einer ariftofratiihen Dame auf. 
Wer kennt nicht die Geihichte vom Reit: 
Inehte John? Nur jpielt Hier ein 
elender Parvenü einmal deſſen Rolle. Ein 
edler junger Mann, die Frucht dieſes Fehl: 
trittes, fällt mit unerbittliher Logik den 
ipäteren Folgen der Eünde zum Opfer, 
indem er jeinem eigenen Bater, jenem 
Yohn, die Piftole in die Hand drüdt und 
fih wie ein Opferlamm tödten läht. Ge: 
wiß ein delicates Thema fir eine jchrift: 
ftellernde Dame! Trogdem die Epifoden 
oft trefflich ausgearbeitet find, konnten wir 
in der Individualifierung der Hauptper: 
fonen feine ganz glüdlihe Charalteriſie— 
rungsgabe entdeden. Muß der junge, hoff: 
nungsvolle Mann zu Grunde gehen? Nad 
| der ganzen Anlage des Romans: ja, weil er 








troß der modernen Gewandung einen berb ; Handlung ift dürftig, aber was erzählt 
fataliftiihen Zug an fi trägt. Wie lommt | wird, entbehrt nicht der Lebenswahrheit und 
diejer Mataliftiihe Zug im unjere moderne | eines poetiſchen Neizes. Uns muthete Diele, 
Zeit? Mie viele edle Jünglinge mühten | ftellenweile rührende und erihütternde, vom 
ihm zum Opfer fallen? Und mander Sproffe | Hauche echter Frömmigkeit durchwehte Er: 
von 16 Ahnen müßte ob der Sünde einer | zählung mehr an, als die meiften Sen— 
geilen Ahnfrau vorzeitig verderben. Darum | jationsromane berühmter Berfaflerinnen. 
balten wir den Roman nit nur aus | Weniger fünnen wir uns einverftanden er— 
moralifhen und äfthetiichen, jondern aud | flären mit der Art, wie der Dialect in die 
aus fünftleriihen Gründen für verfehlt und |; Erzählung eingeflodhten wird. „Das Bärgli 
dünft er uns eine Gonceifion an die Lee: | Hus Vreneli“ widmet die Verfafjerin ihrem 
wuth gewiiler jenjationslüfterner Leſerkreiſe. Vater. —tt— 
Der Roman ift in der Stärfe von 2 Bänden ” 

im Berlage der Gebrüder Baetel in Berlin | ü ; — 

erſchienen und loſtet geheitet 8 Mart, einen! Vie Herausgabe einer billigen Volfs: 


Betrag, für den man nunmehr Scdiller's 
Werke faufen fann. 

In demjelben Verlage erſchien von der: 
jelben Verfaſſerin „Eliquette“. Eine Rococo— 
Arabeske. Gewiß ein glückicher Gedanle, 
über Etiquette ein — Feuilleton zu ſchreiben; 
aber was vor ung liegt, ift eben fein Feuil— 
leton, jondern wie der Titel bejagt, eine 
Arabeste im Nococoftile. Diele Arabeste 
befteht zum Theile aus biftoriihen Remini— 
jcenzen, dem Tode des fünfzehnten Ludwig, 
des Vielgeliebten, daran fi etwas unver: 
mittelt die unglüdjelige Liebelei einer Prin— 
zeifin von Savoyen:Carignan ſchließt. Man 
fönnte das Ganze aud ein Gapriccio nennen, 


nnd Jugendbibliothet wie jene von 
A. Ehr. Jeſſen (Verlag von U. Pichler's 
Wim. & Sohn in Wien: ift ein verdienit: 
liches Unternehmen. Das 69. Bändden 
enthält die Biographie Kaifer Marimi: 
lians 1.: „Der lebte Ritter‘ von M. Glod, 
die qut und verftändlich geichrieben ift. Wir 
wollen nicht unterjucdhen, ob es dem heutigen 
| Standpunfte der Geſchichtsſchreibung ent: 
ſpricht, für das Volk und die Jugend eins 
zelne Figuren aus dem Zujammenhange 
‚der Staaten: und Culturgeſchichte heraus: 
zuſchälen. Gewiß empfiehlt ſich dieſer Bor: 
gang bei ſolchen hiſtoriſchen Helden, deren 
Belebung geeignet ift, den Patriotismus 
; und die nationalen Gefühle unierer Jugend 











| zu heben. Allerdings befinden fid unter 
| : ' den Habsburgern, die freilih in erfter 
a — die — — mit | Linie, eingedent des „Bella gerant alii, tu 
orliebe * rührende Schickſa x Sung- felix Austria, nube!* bejtrebt waren, ihre 
Sn See u Genie Mast Die: Aa ee ee 
: — ‚m an Kaiſer 
nanzen nennt 6, Vollbredt, den wir Jofef IL. zu — ae; V. 
auch ohne Prof. Kürſchner die Pſeudo— 
nymität auf den erſten Blick abguden, die 
im Berlage von Alfr. Krüger in Weimar 
erichienenen Novellen „Fräulein Charlotte‘ | Blumen und Lieder von Johannes 
und „ante Jutta“. Die Erſtere lommt | Stauffader. (E. T. Wistott. Breslau.) 
nit unter die Haube, weil ihr Freier be⸗ Das iſt eine der herzigſten kleinen 
reits — verheiratet iſt, obwohl er das Dichter: und Künftlergaben. Da liegen in 
Möglichfte thut, wa3 ein guter Chriſt in einer zierlichen Mappe acht Blätter, jedes 
einem ſolchen Falle thun fann, nämlich die mit einem hübſchen Gedicht und mit über: 
— — a * a ne = eng * gr 
weite fieht den fühen Traum von Eheglüd | Ganze muthet maienhaft an und eignet fi 
ae BEN ee ———— — Menſchen, — 
geſcheitert. ir halten die zweite, kürzere traut und ferne find. r 
Erzählung für die beffere, da fie in ihren 
Motiven lebenswahrer if. Die Schreib» E ” 
die Verfafferin befitt ohme Zweifel feine attas in 60 Ba, nebjt 125 Bogen Kent 
unbedeutende Erzählungsgabe, wenn fie auch mit 800 Iluftrationen. In 50 Lieferungen, 
in der Zeichnung männlier Charaktere, Groß:Folio-Fornat. (A. Hartleben, Wien.) 
nicht glüdlich ift. = Die Erwartungen, welde man an den 
_ Fortgang diejes nützlichen und eigenartigen 
. . j Werles Inüpfen durfte, find nicht getäuſcht 
Einen recht freundlichen Eindruck machte worden. Es liegen von demſelben nur vier 
u I ee eu zus en —— — — 
reneli“ von E. v. Breidenba erlag pbyjifaliihe Geographie, reich aus: 
von Wild, Friedrich Nachf. in Berlin). Die ; geftattet mit einer großen Zahl von Illu— 





ftrationen, welde mit ihrer fachlichen Be: 
deutung als bildlide Tert:Erläuterungen 
den nicht zu unterjhäßenden Bortheil künft: 
lerifcher Auffaſſung und trefflicher techniſcher 
Ausführung verbinden. Die ſchönen, großen 
Karten laſſen es ſchon jetzt außer allem Zweifel, 
daß der fartographıjhe Theil des Wertes | 
fih auf gleiher Höhe mit den Elan 
Kartenwerten befindet; der Text, welder 
fi in den vorliegenden Lieferungen mit den 
phyſikaliſchen Berhältniffen des Feſtlandes, 
des Waſſers und der Lufthülle befaßt und 
zulegt auf das „Organifche Leben der Erde” 
übergeht, geftaltet ſich — weit entfernt, sine 
Anhäufung dürrer alademijcher Definitionen 
zu jein — zu einem fejjelnden naturwiſſen— 
ſchaftlichen Eſſay; und was ſchließlich den 
reihen Bilderfhmud (in 4 Lieferungen über 
90 Bildern!) anbetrifit, jo kann dem Werfe 
thatſächlich nichts Aehnliches an die a 
geftellt werden. i 


Slluftrierter Zührer durd die Alpen von 
Salzburg, Ober : Defterreih, Steiermarf, 
Kärnten, Krain, Küftenland und Berchtes— 
gadner Land. Bon Julius Meurer, 
Präfident des Defterreihiichen Alpen-Club. 
Mit 56 Holzichnitt:$Muftrationen, 12 Kärt: 
hen, 4 Panoramen und einer Diftanzfarte. 
(Hartleben. Wien.) 


Der in der Touriftenwelt hochgeſchähzte 
Verfaſſer bietet in dem vorliegenden Führer 
den dritten und legten Theil feines, die 
geſammten Hocalpen Oeſterreichs behan— 
delnden Werkes, das nunmehr in drei 
Bänden — Weft:Tirol, Oft-Tirol und dem 
vorliegenden — vollendet wurde. Diejelben 
Vorzüge, die Julius Meurer’s früheren 
Werten jo viele freunde erworben haben, 
befist auch das vorliegende neue Bud, das 
den weitaus größten und jchönften Theil 
der Öflerreihiichen Alpenwelt behandelt. Bon 
der Donau bis zur Adria, von den Tauern | 
bis weit in's windiſche Land hinein führt 
uns in glüdlid combinierten Nouten der 
Verfafjer über Berg und Thal, auf eifige | 
Bergeshöhen und lieblide Seen, überall in | 
vollendet ſchöner, Inapper und zuverläjfiger 
Weile. Es wird faum ein Neijehandbud 
geben, das mie das vorliegende dem Rei— 
fenden vor, während und nad jeiner Tour 
zu nüten im Stande ift. Seine Ueberſicht— 
lichleit geftattet an der Hand des Buches 
im Boraus die ſchönſten Reijen zuſammen— 
zuftellen, fih genau über Alles zu infor: 
mieren 2c.; während der Weile ift es als 
Führer und Nahichlagebuh von außer: 
ordentlihen: Werte, während es nad der 
Neife dur feine reihe Ausſtattung ein 
Ihönes Andenken bietet. V, 


Bufteierter Führer durd; Salzburg, das 
Salzlammergut und Berhtesgadner Land, 
mit bejonderer Berüdfichtigung der lim: 
gebungen von Salzburg, Jichl, Berchtes— 
gaden, der Salzlammergut: Seen und des 
Gebietes der Hohen-Tauern. Bon Yojef 
Rabl. Mit 62 IMluftrationen, 2 Pano— 
ramen und 7 Karten. (Hartleben. Wien.) 


Das Gebiet, welches der nunmehr be: 
reits in zweiter, rei vermehrter und ver: 


! befferter Auflage vorliegende Führer ums 


faßt, fann am deutlichften durd die Eiſen— 
bahnftreden Lambach - Gmunden - Iſchl— 
Hallftadt — Auſſee — Steinad - Shladming- 
Radftadt-Biihofshofen und Salzburg-Gol: 
ling-Bilhofshofen-St. Johann-Lend-Zeil 
am See-Saalfelden bezeichnet werden, wobei 
man fich bloß die reftliden Salzlammergut: 
jeen, den herrlihen Oberpinzgau, Lungau 
und das eben jo anmuthige als großartige 
Berhtesgadnerland als nothmwendige Er: 
gänzung hinzuzudenien braudt. Es iſt mohl 
überflüjfig, über die Naturjhönheiten der 
dur pbige Namen angedeuteten Landſchaf— 
ten viel Worte zu verlieren. Wer fie nicht 
ſchon jelbjt gejehen, kennt fie doch dem Rufe 
nad. Wenn irgend ein Theil der Deutichen 
Alpen die viel und oft beiprodene Riva: 
lität mit der Schweiz unbeftritten einzu: 
gehen vermag, jo find Hierzu vor Allem 
diefe Gegenden berufen. Nirgends im Alpen: 
gebiete findet man eine ſolche Abwechslung 
der Landjhaftshilder, wie in den Gauen 
Salzburgs, melde von der frudtbaren 
üppigen Ebene und der grünen Voralpen: 
welt hinanreichen bis zu den ftarren Schnee: 
wüſten und Eisgipfeln der Hohen Tauern; 
nirgends eine jo zauberiiche Bereinigung 
von Anmuth und Erhabenheit, wie in dem 
von muajeftätiihen Bergen umſchloſſenen 
Berchtesgadener Thalkefjel, und nirgends 
gibt es jo hberrlihe und mannigfaltige See: 
londichaften, wie das reizvolle Salzlanımer- 
gut fie bietet. Auch hinſichtlich des den 
Neijenden gebotenen Comforts jtehen die 
erwähnten Landftrige zumeift auf einer 
hoben Stufe und brauden den Vergleich 
mit der Schweiz nicht zu jcheuen. W; 


Die öflerreidifde Gebirgswelt in Chrono: 
Lithographien nah Naturaufnahmen von 
U. Geraſch. (Graz. Leykam.) 

Um die großartige, vielbefuchte Gebirgs: 
welt Defterreichs mit feinen Bergrieien und 
zahlreihen Seen im Bilde wiederzugeben, 
ift der rühmlichft befannte Maler U. Geraſch 
vermodht worden, die herrlichſten Punkte 
unjerer Alpenwelt nah der Natur aufzu: 
nehmen und bat fein geübter Blid Die 
ihönften, malerijcheiten Anſichten zu finden 
und mit eminenter Tehnil auf dem Papiere 
in farben zu firieren gewußt. 








879 


Die hier gebotenen Reproductionen in 
Chrom: Lithographie dürfen als jehr ge: 
lungene Gopien der Driginalbilder von 
Gerafch bezeichnet werden, diejelben werden 
deshalb auch im den Streifen der Alpen: 
freunde Beifall finden. 

„Die öfterreihiiche Gebirgswelt“ wird 
in zwangslojen Heften, je 6 fünftleriich 
ausgeführte colorierte Anfichten auf Carton 
enthaltend — erjcheinen, 

Das erfte Heft bringt die Bilder: 
„Koppenthal“, „Gojauzwang“, „Goſau— 
ihluht“, „Goſauſee“, „Goſau gegen den 
Donnerfogel*, „Dachſtein von der Zwiejel: 
alpe*. 


Ueber daS ſ. 3. in dieſem Blatte be: 
ſprochene Steiermärkiſche Dichlerbuch, heraus: 
gegeben von C. W. Gawalowski, Verlag 
von Fr. Pechel, Graz, urtheilt die Preſſe auf 
das Günſtigſte. 
illuſtrierte Zeitung“ 1887, Nr. 19: 

„Das Buch bietet dem Leſer ein ge— 
lungenes Bild des gegenwärtigen Standes 
der Poefie in der grünen Steiermarf. Sämmt: 
lie Dichter derjelben, joweit fie einen An: 
ſpruch auf das Bürgerreht auf dem deut: 
Ihen Parnaß befiten, find mit Beiträgen 
vertreten. — So bietet dieje Sammlung den 
erfreulichen Beweis, daß auch auf der jüd- 
lichften Linie der deutſchen Sprachgrenze ein 
jo üppig entwidelter Dichterwald eriftiert, 
wie man ihn in jener, an das ſlaviſche 
Ydiom hart angrenzenden Gegend faum noch 
vermuthet, Schon aus diefem Grunde jollte 
man auberhalb Steiermarf dem Buche die 
größte Anerkennung und Aufmerkſamkeit 
entgegenbringen.* 


fations» Sexikon. Zweite gänzlich umgear: 
beitete Auflage, in größten: Lerilon:Octav: 
Hormat, Mit etwa 600 Tert:Abbildungen, 
jahlreihen Tonbildern, Karten zc. (Otto 
Spanter. Leipzig.) 

Die befannte Berlags: Buchhandlung 
bietet in ihrem „Gonverjations » Leriton“ 
den meiteiten Kreiſen des Publikums ein 
verbienftvolles Unternehmen dar, eine Ency: 
tlopädie, wie ſie jet für jedes Haus faft 
zu einem Bedürfnis geworden ıft. Alle 
Zweige des Wiffens, des öffentlichen Lebens, 
der Kunft, des Handels ꝛc. find im dieſer 
Encyllopädie vertreten. Die einzelnen Artikel 
find je nah der Wichtigfeit des Stoffes 
länger oder fürzer behandelt; bejonders 


So jagt 3. B. die „Neue 


Graz in der Weſtentaſche. Mit Eijen: 
babnfahrordnung. (Graz. Franz Pedel. 
1887.) 

Diejes überaus handlihe Büchlein ent: 
hält das Wichtigfte von Graz, als Ueber: 
fihtlies und Orientierendes, Verzeichnis 
der Straßen, Gafjen und Pläge, Behörden 
und Anftalten. Fialertarif, Omnibus: und 
Dampfihiff-Fahrordnung, von Ho: 
tels, Reftaurationen, Theater, Sehenswür— 
digfeiten, Ausflüge u. ſ. w. ferner die 
genaue Fahrordnung und Preis der mit 
Graz und Steiermark correipondierenden 
Eijenbahnen. Das Büchlein koftet 15 Kreuzer. 
Gin praftiiheres und billigeres Werfen 
derart ift uns noch nicht vorgelommen. Es 
ift fein Grazer und fein Beſucher diejer 
Ihönen Stadt mehr denfbar, der Graz nicht 
in der MWeftentafche trägt. R. 


Dem Heimgarten ferner zugegangen: 


Hellenifdye Erzählungen von Aug. Bol;. 
(Halle. Otto Hendel.) 

Waldferien. Ländlihe Geihichten für 
die reifere Jugend, gewählt aus den Schriften 
vonP. K.Rojegger. (Wien. U. Hartleben.) 


Mit der Tonſur. Geiftliche Novellen von 
Emil Marriot. Zwei Bände (Berlin. 
F. u. P. Lehmann. 1887.) 

Sanct Mihael. Roman von E. Werner. 
Zwei Bände. (Leipzig. Ernft Keil's Nach— 
folger.) 

Sagen und Märden. Umdichtungen von 
U. Baudler Zweite vermehrte Auflage. 
(Wien, Karl Konegen. 18837.) 


Cäfars Roffer. Die farben der Natur- 
Humoresfen von U. von Winterfeld. 


(Dresden. €. E. Meinhold & Söhne.) 


’ | 
Otto Spamer’s dilufrierles Eonver- | von 2. Haidheim. (Berlin. Otto Jante, 


| 1887.) 


Schloß Favorite. Roman in drei Bänden 


@reu und Trei. Erzählung für das 
Volt von Reimar vom Rhein. (Duis: 
burg. 3. Ewid. 1887.) 

Sieben Freier im Haufe. Quftipiel in 
fünf Aufzügen von Ludwig Schmidt: 
Stoltenberg. (Dresden. €, Bierjon. 
1886.) 

Fiedereygklus aus P. K. Roſeggers 
„Sonntagsruhe.“ Fünf Lieder mit Beglei— 
tung des Pianoforte componiert von Lud— 
wig Burger (Prefburg und Leipzig. 
G. Heckenaſt's Nachfolger.) 

Neues Buch der Lieder von Paul Baehr. 


(Halle. Otto Hendel.) 
Der gute Kon für Damen. Eine An: 


reichhaltig ift das Lexilon auf dem Gebiete | feitung, ſich in den veridiedenften Verhält: 


der Biographie. 


Von Malvine von Steinau. 


nifjen des Lebens und der Gejellihaft als 
wohlerjogene, gebildete Dame zu betragen. 
Vierte, 


880 


durchgeſehene und veränderte Auflage. (Hart— 
leben, Wien.) . 

Die Schädigung der Sandwirtfhaft durch 
Meideverbote und Grundauffäufe von Seiten 
des Öroßgrundbefites. Bon Franz Sclin: 
tert. (Wien, 1887. Verlag der „Deutichen 
Worte” (Engelbert PBernerftorfer.) 

Geſchichte der Weltliteratur in überſicht— 
liher Darftellung von D. Adolf Stern. 
Bis zur 5. Lieferung erichienen. (Riegers 
Verlagshandlung. Stuttgart. 1887.) 

Henrik Ibfen und das Germanentihum 
in der modernen Literatur von Leo Berg. 


Der Zuggeiſt. Erzählung aus dem baie— 
riihen Hochgebirge von Marimilian 
Edhmidt (Münden. F. W. Callwey. 1887.) 

Der Herrgottsmantel,. Gulturbild aus 
dem baieriſch-böhmiſchen Waldgebirge von 
Marimilian Schmidt. (Münden, F. W 
Gallwey. 1887.) 

unge Dichtungen in freier Torm, (Ulrich 
von Liechtenftein, Spinnerin am Kreuz, 
Waldemar, die Speiler im Namathal, Al: 
bion, Thaſſilo, Samnitermädchen. — An: 
bang.) Von Johann Tanzer. (Neun: 
tirchen. Viltora’3 Druderei.) 

Deutfde Blätter. Monatshefte, heraus: 
gegeben von Hans N. rauf. I. Jahrg. 
(Eger ) 

3eitfhrift für deutſche Sprache. I. Jahrg. 
Heft 3. (Hamburg. 3. F. Nidhter.) 

Miürzufdlag als Terrain-Cur-Ort im 
Semmeringgebiet. Nah dem Syſtem des | 
Prof. Dr. Dertel geſchildert und dargefteilt | 
von Dr. Adalbert Kupferjhmied. 
(Wien. R. dv. Waldheim. 1887.) 

Meberfihtskarte des Gerrain: Kurories 
Reichenau. Nah Prof. Dr. Oertel. (Rei: 
denau, d. ö. Alpenvereins:Section.) 








Poftkarten des Heimgarten. 


xx 63 wird angelegentlichft erſucht, 
Manujeripte erſt nad vorheriger Anfrage 
einzujenden. Für unverlangt eingejdidte 
Manufcripte bürgen wir nicht. Externe Ar: 
beiten honoriert die Berlagshandlung nicht, 

Dr. Aron M., Wien: Ihre „Neuen Mit- 
theilungen aus Heinrich Heines Leben“ find 
epohemadend. Nachrichten, dab der Dichter 
des Morgens gefrühftüdt und des Abends 


(Berlin. Rihard Edjtein Nachfolger.) 
| 


Mm. O. Münden: Sie fragen: Wie 
wird nan Schriftjteller? Ludwig An: 
jengruber, Friedrich Bodenftedt, Georg Ebers, 
Paul Heyfe, Paul Lindau, Hieronymus Lorm 
und Friedrih Spielhagen u. U. haben der 
Schriftleitung von Laufer’s „Allgemeiner 
Kunft:Chronif* in Wien Antworten auf dieie 
Frage ertheilt und zum Theil auch ihre 
Eritlingsarbeiten zur Verfügung geitelt. 
3. W., Wien: Auf Ihre Klage feinen 
beſſeren Troft als K. Geroks Wort: 

„Dein wahres Glüd, o Menichentind, 

O alaube dod mit nidten, 

Daß es erfüllte Wünſche find; 

Es find erfüllte Pflichten.“ 

Ph. U., Oppeln: Wenn Sie es in jeden 
Ihrer Gedichte einmal jagen, daß die Welt 
ein Jammerthal ift, jo willen wir's ja zur 
Genüge. Wir geftatten Ihnen zudem nod. 
es auch in jedem Ihrer Privatbriefe einmal 
zu jagen, aber nicht öfter. Anbringen mögen 
Sie es zum Anfang, in der Mitte oder am 
Schluß, ganz nah Belieben. 

D. 5. Bodenbady: das Stüd „Ein Judas 
von Anno Neun“ ift natürlid nit von 
Roſegger, wie e8 auf jenem nordböhmiichen 
Theaterzettel heißt, jondern von Anton Yan: 
ger, weicher Name ja aud als Verfaſſer auf 
dem Zettel fteht. Der Leiter jenes Thespis: 
farrens wird eben gedadt haben, Zwet vor: 
gejpannt ziehen befjer als Einer. 

F. M. T., Gra}: Da ift nichts zu 
machen. Erinnern Sie fih an Hamerlings 
Sprud: 

„Ratbend, mahnend, icheltend, zücdtigend, 

Dentit Du Wunder was es nut. 

Aber bilft die Brille Blinden ? 

Und der Eſel, wird er flüger, 

Wenn man ibm die Obren jtußt ?" 

Br., Wien: Die Sonnenfinfternis am 
19. Auguft ift des Morgens zu ſehen, er 
reicht gerade während des Sonnenaufganges 
ihren höchſten Grad und endet gegen halb 
acht Uhr. 

F. M. Allrichs: Wir ſind nicht in der 
Lage, darüber zu entſcheiden. Eine Frage 
ift ja frei. 

++ Der Herausgeber dieſes Blattes 
findet ji veranlaßt, wegen unregelmäßiger 
Beantwortung von an jeine Perſon gerich— 
teten Briefen ꝛc., um Entſchuldigung zu 
bitten. Dieje Unregelmäßigfeiten, reip. Ber: 
fäumniffe haben ihre Urfache in den häufigen 
Reifen und aud in anderen Obliegenbeiten, 


joupiert hat, jo wie daß er eine duntelbraune | weldde Genannten hindern, des angenehmen 
und au eine ſchwarztuchene Pantalon be: | Verkehres mit den P. T. Eorreipondenten 
ſaß, find für den Literarhiftorifer der Zus | in dem Maße, als er es felbjt wünſchte, zu 
funft unendlich wertvoll. | pflegen. 


vär die Redaction verantwortlib P. A. Bofegger. — Druderei „Leyfam’ in Graz. 





12. Heit. 


September 1887, 





X1. Jahrg. 





Stationen meiner Pebenspilgerfdaft.*) 
Ton Hobrt Hamerling, 
vu. 
Zehn Jahre im Süden. 
(Fortjegung.) 






Zi inen Wendepuntt, 


der mir zu 
—E 3 





Echiferfeier des Jahres 1859. Sie 
erwedte die dee eines „Schillervereins“ 
zur Pflege deuticher Muſik, Literatur 
und Gejelligkeit. Unter der Leitung 
des tüchtigen jungen Vereinskapell— 
meifters Julius Heller befam man 
fortan an der Adria deutjchen Chor— 
geſang, Quartette der großen Meiſter 
und ſelbſt Beethoven'ſche Symphonien 
in guter Ausführung zu hören. Das 
im Verein Gebotene war für Trieſt 
jo neu, daß auch viele Italiener Fich 
einfanden, und der Verein war Hug 
genug, im Anterefje des Deutſchthums 
die fremden Elemente lieber anzuziehen, 
als abzuſtoßen. 


Eine neue förderliche Anregung 


ftatten kam, bildete die Triefter | wurde mir zur felben Zeit auch durch 


die Nüdfehr der „Novara“ von ihrer 
Reife um die Welt zu Theil. Die 
Hafenftadt ſah die waderen Argonauten 
landen; Einige bderjelben verweilten 
länger in Zrieft, fo namentlich Karl 
v. Scherzer, der im Schillerverein 
wiederholt über die Erlebnifje und Er— 
gebnilfe der Weltfahrt Borträge zum 
Belten gab und mir lehrreihen Stoff 
bot zu Berichten für die ZTriefter Zei— 
tung. Im März 1860 wurde eine No— 
vara = Ausftellung veranftaltet, welche 
alles von der Novara in fernen Zonen 
Gejammelte, in cultur- und religions— 
geichichtlicher, völferfundlicher und na— 
turwiſſenſchaftlicher Hinſicht Merk— 


*) Siehe „Heimgarten“ 1883: Mai; 1885: März, April, October, November; 
1886: Juni, Juli, October, November; 1887: März, Mai. 


Rofegaer's „‚Geimgarten‘‘ 12, Geft, XI. 


56 


wirdige zu eimer im ihrer Art einzigen 
Ueberficht vereinigte. Das gab Anlaß 
zu einem Artikel „Bei fremden Göttern 
und Menfchen“, der einer tieferen Auf— 
fafjung der Sache Raum gab, und 
den ich in meine geſammelte „Proſa“ 
mitaufnahn. Die perfönliche Be— 
rührung mit K. v. Scherzer bleibt mir 
eine erfreuliche Erinnerung. Er hatte 
in einem Öffentlichen Vortrage auch 
intereſſante neuſeeländiſche (maoriſche) 
Volkslieder mitgetheilt, von welchen 
ich eine Anzahl metriſch ins Deutſche 
übertrug und zu veröffentlichen Ge— 
legenheit Fand. 

Die Herbitferien des Jahres 1860 


verliebte ich wieder in Graz, wo ich) 


mich mit dem Plane der Dichtung 
„Sin Shwanenlied der Ro— 
mantik“ trug, die im Frühling des 
nächften Jahres vollendet wurde. Sie 
ergänzte die „Venus im Eril*, indem 
fie den Mapftab der dort aufgeftellten 
und gefeierten Ideale an unſere Zeit 
legte. 

Die Formeln und Wege der 
deutſchen Speculation fowohl, als die 
der claſſiſchen und romantischen Poefie 
ſchienen Jich überlebt zu haben. Aber 
man zeigte micht übel Luft, mit den 
Formen und Formeln auch das MWefen, 
mit dem Bergänglichen auch das Blei— 
bende preiszugeben — das Kind mit 
dem Bade auszujchütten. 
beginn Hatte ich mich als begeilterten 
Apoftel der Zukunft gefühlt; aber 
gerade das, was mir als die Grunde 
lage einer neuen Welt und Zeit ge= 
golten, ſah ich jet vielfach nicht mehr 
verftanden und vernachläſſigt. Was 
im Hochfluge der deutichen Geifter vom 
Ausgang des vorigen Jahrhunderts 
bis zu Goethe’3 Tod als das Evans 
gelium eines neuen Menſchenthums, 
als deal einer auf fich ſelbſt geftellten, 
innerlich freien Humanität fich heraus: 
gebildet, ſchien im einer einfeitig be= 
ſchränkten, ſchwungloſen und flachen 
Zeitftrömung nur jehr nothdürftig zur 
Geltung zu kommen. Bei aller Achtung 
vor der beſonnenen Forſcherarbeit, die 


auf naturwiſſenſchaftlichem Gebiete plaß- 
griff, und dem ebenjo wohlberechtigten 
Streben nach politifcher und nationaler 
Neugeftaltung des Völferlebens konnte 
ich doch nicht glauben, daß dies Alles 
anders zu einem gedeihlichen Eude 
führen könne, al3 im engen Anſchluß 
an die höheren geiftigen Errungen— 
haften der Menfchheit. Denn es war 
mir früh aus der Gefchichte Kar ge— 
worden, daß alles Zeitlihe und Dert- 
liche nur im der Verbindung mit dent 
ewig Giltigen, allgemein Menfchlihen, 
Vernünftigen und Nechten das wirf- 
ih „Praktiſche“, Erfolgreiche, Dau— 
ernde, zu allen Zeiten wirklich Zeit: 
gemäße: das Einfeitige, außerhalb der 
Strömung des Ewigen Liegende da— 
gegen das ewig Unzeitgemäße, Unpraf- 
tische und Hinfällige fei. Viele Propheten 
des angeblich Neueflen und Zeitgemähen 
ahnen nicht, daß ihr bischen Weisheit 
nicht bloß nicht neu, ſondern ein fehr küm— 
merlicher, verwahrloster Reft der alten, 
ewig neuen ift, die von Größeren als 
fie ſind, längft beifer als von ihnen 
gewußt, verftanden, gejagt und ges 
jungen worden, und daß diefe Weis: 
heit nur in der Theorie alt, von der 
Ausführung aber noch um fo ent— 
fernter ift, je riefiger, Heinlicher, lücken— 
hafter fie gepredigt wird. Die Ber: 
üchter der Bergangenheit wiſſen nicht, 





Von Anz daß es immer die Blüte der Ber: 


| gangenheit ift, welche den Samen der 
Zukunft trägt und aufbewahrt. 

Aus diefer Anſchauung der Dinge 
erwuchs die Stimmung, die dm 
„Schwanenlied der Romantik“ ihren 
Ausdrud fand, Ein etwas geziert 
klingender Zitel, der vielleicht nicht 
ganz glüdlich, wenigftens nicht allge= 
I mein verfländlich genug das Wejen- 
\hafte, was ih im Schiffbruch der 
Formen und Formeln für die Zukunft 
retten zu müſſen glaubte, unter der 
Bezeihnung der „Romantik“ — der 
Poeſie des durchgeiftigten Gemüths — 
zufammenfaßte. 

Ih begann das Werk in Ganzonen- 
form zu schreiben, verfuchte es dann 





sss 


mit dem Hexameter, gab aber auch Bedürfnis entſprochen hätte. Zwar ſtand 


diejen bald auf und griff zur Nibes 
lungenftrophe. Was in jener urſprüng— 
lihen Geftalt ausgeführt und dann 
bei Seite gelegt wurde, findet fich 
mitgetheilt in C. W. Gamalowsti’s 
„Steiermärkifchen Dichterbuch“. (Graz 
Pechel, 1887.) 

Die Dichtung erfchien im Juli 
1861 bei Stober in Prag. Sie wurde 
günſtig aufgenommen. Aber während 
ein Kritiker erklärte, daß fie „in den 
Ihönften Nibelungenftrophen gefchrieben 
fei, die je ein Poet gebaut“, fehlte es 
auch nicht an einem folchen, der nicht 
umbin konnte, zu wünſchen, dies 
„Schwanenlied der Romantit” möge 
das Schwanenlied meiner Mufe jein. 
Einen lebhaften Eindrud machte in 
weiteren Streifen das feither fogenannte 
Vaterlandslied, mit welcher diefe etwas 
weichmüthige Elegie einen frifchen und 
fräftigen, zum Herzen des deytjchen 
Bolles ſprechenden Ausklang fand. 

SH machte übrigens bei dieſem 
Werkchen zum erftenmal die Erfahrung, 
daß eine fih bis zur Schwärmerei 
fteigernde Wirkung meiner Poefie, ins— 
befondere auf jugendliche und auf 
Hranengemüther, nicht ausgejchloffen 
fei, und Diejenigen irren, welche glauben, 
meine Mufe Habe erft mit dem „Ahas— 
ver in Nom“ fich warm begeifterte 
Freunde und Freundinnen erworben. 


Dieſe Erfahrung machte ich jedoch 
zunächſt nicht im meinen heimischen 
Trieft, fondern in der freundlichen 
Murftadt, wo mich, als ich im Sommer 
wieder dahin kam, eine feine ftille 
Gemeinde von warmfühlenden Lefern 
und Lejerinnen meiner Dichtungen, 
insbeſondere des „Schwanenlieds der 
Romantik”, mit einem Male der per= 
Jönlichen Abgeſchloſſenheit entriß. 


Trieft bot mir fo manches eben= 
jowohl Angenehme als Erſprießliche. 


ich nicht unmittelbar allein, ich Hatte 
nunmehr meben meiner Mutter auch 
meinen Vater um mich, den, nachdem 
er das fechzigfte Lebensjahr erreicht 
hatte, eine Stätte jorgenlofer Ruhe 
zu bieten war. Aber der Befuch ge— 
jelliger Vergnügungsorte war mit der 
Führung eines eigenen Haushaltes 
nicht leicht zu vereinigen, umd durch 
meine Gefundheitsumftände war ich 
verhindert, gejelligen Verkehr überhaupt 
zu fuchen und zu pflegen, auch dort, 
two ſich zu einem folchen eine des Ver— 
ſuchs werte Gelegenheit zu bieten 
ſchien. 

Zum Stubenfißer wurde ich da— 
ducch freilich nicht. Das Sißen war 
und ift überhaupt nicht meine Sache, 
und nad dem Hervortreten des Unter» 
leibsübels war eine Stellung, die einen 
Drud aufden Unterleib mit ſich brachte, 
mir peinlich geworden. Liegen (auf 
dem Sopha) oder Gehen wurde mir 
zum Bedürfnis und zur Gewöhnung, 
und ich darf jagen, daß, fo weit ic) 
zurückdenke, nur ftarles Unwetter oder 
beftiges Unwohlſein mich einen halben 
Tag lang innerhalb meiner vier Wände 
zurüdzubalten vermochten. Schon als 
Berichteritatter der Trieſter Zeitung 
veranlaßt, von Allem, was auf dem 
Gebiete des öffentlih zu Sehenden 
und zu Hörenden vor ſich gieng, 
Kenntnis zu nehmen, erweiterte ic) 
den Kreis meiner Anfchauungen in 
ziemlich reihem Maße und buntem 
Wechſel. Aber ich ſah, hörte, genoß 
Alles nur als passer solitarius mitten 
im Gedränge, und Dr. Pipik, der 
‚damalige Mitherausgeber der Zriefter 
Zeitung, bezeichnete mein jtilles, aber 
aufmerkſames Umherwandeln mitten 
im Getriebe der Hafen- und Handels— 
ſtadt ſehr glücklich, indem er mich den 
„Osservatore Triestino“ zu nennen 
pflegte. Ein Dichter, der zehn Jahre 


Aber was ſich dort immer drückender lang jeden Tag auf die Borſe geht, 
für mich geltend machte, war der iſt gewiß eine Seltenheit; nun, ich 
Mangel gerade an jener Art von ge= war diefer Dichter; ich befuchte jeden 
jelligem Verkehr, der meinem inneren | Tag die Triefter Börfe, als Mit- 


56 * 


884 


abonnent des Leſeſaals derſelben, und zur Schau, 


las da die Zeitungen, umſchwirrt vom 
Geſpräch und Getümmel der immer 
regen Geld- und Handelswelt. 

Spät Abends ſtreifte ich gern auf 
den Molos und in den Gaſſen der 
Stadt umher, in ſchwülen Sommer— 
nächten, wenn hier und da eine auf 
den Balkon herausgeſtellte Nachtigall 
im Bauer ſchmetterte, aber auch zur 
Minterszeit, im feharfen, erfrifchenden 
Hauch der Bora, welcher ich damals 
noch einigermaßen troßen konnte. Der 
Lefer braucht nur „Sinnen und Mitte 
nen“ aufzufchlagen, und die „Lenz- 
naht im Süden“ nachzulefen, neben 
einigen anderen Hpynmen und Sonetten, 
um ih von dem finnenden Herum— 
jchweifen des einfamen Poeten am 
Strande der Adria den rechten Begriff 
zu machen. 

Unter ſolchen Umftänden trat na= 
türlicher Weife jene Frage, welche der 
Franzoſe la question de femme nennt, 
immer peinlicher an mich heran. Was 
wäre der Poet ohne jeden weiblichen 
Umgang? Es gibt glüdlide Manns— 
leute, für welche la question de femme 
niemals eine brennende wird, jo lange 
weibliche Lippen, gleichviel von welcher 
Art, noch ein gefälliges Lächeln für 
fie haben. Zu diefen Glüdlichen zählt 
aber ein Dichter in der Regel nicht. 
Trotzdem ift es eine leidige Thatjache, 
daß die Sehnfucht jugendlicher Ge— 
müther, die doch zunächſt nach dem 
Schönen und Lauteren gebt, zumeift 
im Sumpfe geftillt wird, jo daß ein 
auf die Dauer unerträgliches Hinund— 
herſchwanken gerade der befjeren Na— 
turen zwifchen Sehnfuchtsdrang und 
Elel ſehr begreiflich ift. 

Zum Glück für den Poeten fand 
ih in Trieſt hinlängliche Gelegenheit 
wenigftend zu platonifchem Cultus 
Ihöner Weiblichkeit. Die füdlichen 
Schönheiten der Hafenftadt, die bes 
zaubernden Italienerinnen, Griechinnen 
und Jüdinnen ftanden für dieſen 
meinen platonishen Schönheitscult alle 
abendlih im den Yogen der Theater 











wie Heiligenbilder in 
Niſchen. Manches von diefem Eult bat 
fih in Sonetten aus der Trieſter 
Zeit erhalten. Zuweilen fiel doch auch, 
wie in unbewußter Erfenntlichkeit für 
ſtille Huldigung, ein gnadenvoller Blid 
auf den nachdenklichen Beobachter im 
Barterre. 

In einem gewillen alle war nicht 
die Theaterloge, fondern ein Ballon 
der Altar, unter welchem ich mein 
unfichtbares Rauchfaß ſchwang. Eine 
Ihöne junge Dame, eine Perle ihres 
Geſchlechts, war auf dieſem Balkon 
täglich zu fchauen, wenn ich aus dem 
Gymnaſium nah Haufe gieng. ch 
blidte andächtig zu ihr hinauf, und 
fie blidte gnädig zu mir herunter. Das 
gieng jo eine Weile fort. Wozu follte 
es führen? Da machte der nedifche 
Zufall auf eine etwas unzarte, aber 
zwedentjprechende Weife der Sade ein 
plößliches Ende. Ich pflegte aus dem 
Gymnaſium die griechifchen und latei= 
nischen Penſumhefte, die ich durchzu— 
fehen hatte, perfönlich nachhauſe zu 
tragen. Aber bevor ich am jenem 
Ballon vorüberkam, nahm ich die Hefte 
an meine Bruft und fnüpfte den winter: 
lichen Lleberrod feft darüber zu; denn 
wer in Zrieft ein Padet trägt, wird 
nicht für einen Signore, jondern für 
einen Facchino angejehen. Das geſchah 
nun eines Tages wieder. Aber gerade 
als ih vor dem Ballon angelangt 
war, jpielte mir der nicht feſt genug 
gefnöpfte Ueberrod einen Streih und 
dreißig blaue griechische Penſumhefte 
rollten in den Staub der Straße unter 
den Augen der Schönen. Jh war 
genöthigt, alle dreißig zerftreut umher— 
liegenden Hefte aus dem Schuß der 
Straße aufzulefen — unter den Augen 
der Schönen. 

Bon dieſem Tage an machte ich 
immer einen großen Ummeg, um jenen 
Ballon zu vermeiden. 

Einen vertrauten Freund und 
Geſpielen hatte ich indeſſen doch. Auch 
hier muß ich den Leer auf „Sinnen 
und Minnen“ verweilen: auf den darin 


enthaltenen  biographiichen 
„Mein Eihhörnden“. 

Als ich, wie gefaat, im Sommer 
des Jahres 1861 meinen Ferienauf— 
enthalt wieder in Graz auffchlug, ver— 
fehrte ich viel mit dem älteften meiner 
Grazer Freunde, Fri Pichler, 
deilen „Balladen“ mich entzückt Hatten, 
und der jpäter das Eigenartigfte, Duf— 
tigfte, was jeine für diefe Dichtart 
unleugbare Begabung zu Tage förderte, 
in dem epifchen Liederbuhb „Runen 
und Reime“ vereinigte. Diejer ſagte 
mir, daß ein paar für meine Dich: 
tungen ſchwärmende Frauen mich fennen 
zu lernen wünſchten. Ich folgte der 
Einladung, machte die Bekanntſchaft 
der beiden Frauen und eines Keinen 
Kreifes, welchem ich ſchon lange als 
Dichter nicht fremd war. 

Da die Befreundung mit den 
Hauptgeftalten diefer „ftillen Gemeinde” 
eine dauernde wurde und fpäterhin 
zum Theil auf meine Lebensgeftaltung 
nicht ohne Einfluß blieb, jo kann ich 
nicht umhin, diefelben den Lejer vor— 
zuftellen. 

Ich will die beiden Frauen, welchen 
der Freund mich zuführte, Minona 
und Fanny nennen. 

Minona entſtammte einem alten 
Nittergefchlechte, welches in den öfter- 
reihiichen Alpenländern begütert war. 
In den Tagen ihrer Kindheit war ihr 
Vater noch Belier zweier Güter in 
Kärnten und fuhr als Mitglied der 
Miener Ariftofratie mit einem Vier— 
geipann ; die Yamilie verarnıte jedoch 
und nah den Zode des Familien— 
hauptes jiedelte die Witwe mit ihren 
Kindern von Wien nach Graz über. 
Hier verehelichte jich die herangewachjene 
Tochter mit einem jungen Advocaten, 
der leider Schon nach wenigen Jahren 
ftarb, ohne daß er vorher für die Zu— 
funft feiner Gattin irgendweldhe Für: 
ſorge hätte treffen fönnen. Ein Bruder 
des Verſtorbenen, gleichfalls Advocat, 
überließ der vermwitweten Schwägerin 
feine ländliche Belikung in der Nähe 
von Graz zur Bewirtichaftung. Hier 


N 
Sr 


Hymnus hauste unn Frau Minona in einfachen, 


aber angenehmen Verhältniſſen und 
gab ſich den romantiſchen, poeſie— 
freundlichen Neigungen hin, welche ſie 
von früher Jugend an gepflegt Hatte, 
im Verfehr mit gleichgelinnten rauen 
und mit feingeiftigen jungen Poeten, 
Gelehrten, Literaten. Der hoch und 
ſchön gelegene Landfiß konnte an fich 
ichon einen lodenden Zielpunft für 
ländliche Ausflüge bilden; die Heiter- 
feit, Gaftfreumdlichkeit und geiſtige 
AufgewedtHeit der Herrin verlieh ihm 
ein höheres Intereſſe. Man fühlte 
ſich fogleich poetifch angeregt, wenn 
man auf der weitfchauenden Höhe des 
grünen Bühels angelangt war und 
einem aus der ländlichen, aber male— 
riſchen Behauſung die freundliche Be- 
wohnerin in blaufeidenem, ſchäferlich 
geſchürztem Gewande, das Haupt von 
gefräufelten Loden unmmvallt, entgegen— 
trat. Und fo pilgerten denn micht 
Wenige von Zeit zu Zeit gern hinaus 
nach dem arfadifchen Muſenſitz zwiſchen 
dem Hilmteih und der ragenden 
„Platte“. Der feiner Wiſſenſchaft 
zu früh entriffene fchweizerifche Geo» 
loge Zoflitofer, der fich längere Zeit 
in Steiermark aufhielt, der nachmalige 
Nationalölonom Emanuel Hermann, 
der feither als Chemiker rühmlich her— 
vorgetretene Nihard Maly, der Mu— 
fiter Wilhelm Treiber, Dr. Valentin 
Pogatſchnigg, die Gebrüder Mitter- 
bacher, der früh verftorbene junge Poet 
Bogensberger, deijen Nachlaß F. Pichler 
berausgab, und Andere, fühlten ſich 
hier wohl im engeren oder weiteren 
Kreiſe. 

Mittelpunkt und Seele dieſer ganzen 
geſelligen Bewegung war der Dichter 
der „Runen und Reime“. Er führte 
die neuen Gäſte ein, er ſetzte kleine 
ländliche Feſte und Vergnügungen in's 
Werk, er ließ ſeine Meldungen durch 
das Milchmädchen, das zwiſchen der 
Stadt und dem Landſitz Minonas 
regelmäßig Hin = und hergieng, an 
leßtere gelangen und verfehrte fo, wie 
er mit ſcherzhaftem Anklang an Mi— 


886 





nona’3 Witwennamen zu jagen pflegte, !Haufes ftundenlang allein und war 
„aufder Milchſtraße mit den Ge= durch Feine Bitten und Vorftellungen 


ftirnen.“ 

Die natürliche, zwar ſchwärmeriſche, 
aber von jeder Geziertheit freie, heitere 
Weiſe Minona’3 fand einen inters 
ejjanten Gegenfag in der jchroffen, 
gegen alles ihr nicht nahe Verwandte Jich 
ftreng abjchliegenden Natur Yanny's. 
Auch fie war die Gattin eines Advo— 
taten, dem fie aber nur unter hoch— 
romantiihen Bedingungen ein paar 
Jahre zuvor die Hand gereicht hatte. 
Sie Jah wie eine junge Burgfrau des 
Mittelalterd aus und Hatte auch ihr 
Heim nah Möglichkeit ritterburgmäßig 
eingerichtet. An ihrem Tiſche wurde 
nur aus Bechern getrunfen, ftatt aus 
gewöhnlichen profaischen Gläjern, und 
fie dachte eruftlih daran, ſich auch 
mittelalterlich zu kleiden. Sie hätte 
für ihr Leben gern eine Potosblume 
gejehen, aber unmittelbar am Ganges 
hätte fie gepflüdt fein müflen. Meine 
Idee, einen „Sonnenblumenorden” für 
romantische Gemüther zu ftiften, be= 
grüßte fie mit Begeifterung. hr fitt- 
licher Idealismus kannte feine Grenzen. 
Das Gafel „Ih will ja nihts!“ 
war ihr das liebfte meiner Gedichte, 
und von jedem männlichen Wefen, das 
in ihre Nähe kam, verlangte fie, daß 
es die Schwärmerei für diejes Gedicht 
theile. ch erinnere mich noch der 
beinahe tragischen Entrüftung, mit 
welcher fie davon ſprach, wie ein be= 
rühmter Schaufpieler, der fie entzüdt 
hatte, von ihr eingeladen und der 
Einladung folgend, während des Ge— 
ſprächs vertraulich ihren bloßen runden 
Burgfrauenarm zu fallen ſich erfühnte, 
und durch einen vernichtenden Blid 
aus den jchönen, aber ftrengen Burg» 
frauenaugen über das Irrthümliche 
feiner Vorausſetzungen aufgellärt wer- 
den mußte. War fie bei ihrer Freun— 
din Minona zu Beſuch, und es fanden 
Leute ſich ein, die nicht zum engeren 
Kreife der ftillen Gemeinde gehörten, 
fo verlieh fie das Zimmer, blieb draußen 
auf der offenen hölzernen Gallerie des 


zur Nüdlehr zu bewegen. Fanny's 
Idealismus erftredte fich auch auf ihr 
geliebtes Schoßhündchen, Flora ges 
beißen. Man erlannte in Flora, 
wenn fie vom Schooße ihrer Herrin 
aus Häffend gegen einen neuen Beſuch 
Verwahrung einlegte, auf den eriten 
Blid die fireng erzogene, altjüngfer- 
lihe Kleine Bellerin. 

Fanny's einzige auserforene Freun— 
din war Minona. Beide Frauen bes 
ſaßen neben unleugbarem poetischen 
Sinn und VBerftändnis eine jchöne 
Bortragsgabe und führten gern Scenen 
aus claſſiſchen Stüden zu ihrem und 
zu Anderer Vergnügen auf. Konnte 
e3 Anfangs faft erheiternd wirken, wenn 
lie Scenen aus Fauft darftellten und 
dabei die ſchlanke, jugendliche Fanny 
fih’8 nicht nehmen ließ, den Fauſt zu 
jpielen, während die beleibtere Minona 
das Gretchen übernahm, fo mußte man 
ſchließlich dieſe Rollenwahl dennod 
gutheißen und fand, dab fie dein Per: 
fönlichkeiten beſſer eutſprach, als die 
umgekehrte entfprochen haben würde. 

Einer dritten eigenartigen Der: 
treterin ihres Geſchlechts führte der 
Treund mich zu: der damals dem 
Grazer Theater angehörigen Sängerin 
‚Frl. Schwefelberg, die wir mit dem 
flangvollen Namen Solferina zu bes 
zeichnen pflegten. Die Solferina war 
eine geborne Ungarin, wenn ich nicht 
irre; ein geniales Naturkind mit 
Ihwarzen Zigeuneraugen und Naben» 
(oden, und dem ungezwungenen Bes 
nehmen einer Theaterdame, aber von 
durchdringendem Verſtand, und ehr— 
lichem, offenem, auch für Höheres nicht 
unempfänglichem Gemüth. Im Kreiſe 
Minonas — denn Freund Fritz, der 
Allvermittler, hatte ſie in denſelben 
eingeführt — vertrat ſie bewußt und 
unbewußt die Ironie, die „Reaction“ 
gegen die Kundgebungen der höheren 
„Romantik“, wobei ihr, foviel ich mich 
erinnere, der Pianiſt Treiber als vers 
wandte Natur zur Seite ftand. Aber 


u 





887 


die Spiben der Gegenfäße zwischen | auf, die mir durch Jugenderinnerungen 


Solferina und der „stillen Gemeinde“ 
wurden nicht gerade zu verlegenden 
Stadheln; nur zwifchen Fanny und 
Soflferina bildeten fie Pole, die ſich 
entschieden abſtießen. 

In diefe bunte, anregende Gejell- 
jhaft war ih nun eingeführt und 
nahm an den gejelligen Vergnügungen 
derjelben Theil, fo weit es meine Ver— 
bältniffe zuließen. Steine Feſte, mit 
theatralifchen Aufführungen, einem 
Tänzchen u. dgl., vereinigten und zu— 
weilen auf dem Landfife Minonas, 
bi die Sterne über uns funfelten wie 
Freudenfeuer. Das Einzige, was da= 
bei Schlimmes ſich ereignen konnte, 
und in der That auch oft ich ereignete, 
war, daß Fanny das Zimmer verließ 
und auf der umlaufenden Gallerie des 
Haufes ihren Schmollwinfel auffuchte. 
In ſolchen Fällen blieb dann nichts 
übrig, als daß ich — fo ziemlich der 
Einzige, der e3 wagen durfte — ihr 
auf der Gallerie Gefellfchaft leiftete. 
Und das lohnte ih. Da wurde 
dem Sänger des „Schwanenlieds der 
Romantik“ die Romantit und die 
„blaue Blume“ lebendig in reizvoll: 
linnigen Geplauder, die Stunden 
flogen, der Abend dunfelte, die Blüten 
der rieligen Linde vor dem Haufe 
dufteten, ein Vogel fang im Wipfel 
jo Schön, al3 wär's fein Schwanen= 
lied, Sternſchnuppen ftoben wie Nas 
feten aus der Höhe des Abendhimmels, 
tief unten und weit hinaus dämmerte 
das Grazer Feld mit der Stadt umd 
dem Murftrom und dem ragenden 
Halbrund der Gebirge. 

Mären mir im Leben tiberhaupt 
ungetrübt jchöne Stunden gegönnt 
geweſen, jo würde ich vor Allem die 
Stunden diefer für mich neuen an— 
muthigen Gejelligkeit dazu zu rechnen 
haben. Leider wurden auch fie mir 


ſchon durch mein immer mehr oder, 
‚andere gaſtriſche Yuftände, verbunden 


weniger ſchlechtes Befinden verkümmert. 





heilig waren. Ich beſuchte die Familie, 


welcher Regiswinda entſtammte, die 


ich bei dieſer Gelegenheit ſelbſt auch 
wiederſah, als Mutter, beglückt durch 
ein talentvolles Söhnlein; ferner Ra— 
phael's „Madonna im Grünen“ im 
Belvedere — auch eine Jugendliebe 
von mir und meinen Freund 
Cajetan Cerri. Auf zufälligen Anlaß 
machte ich auch eine neue Bekanntſchaft, 
die des geftrengen Kritikers Emil Kuh, 
der zu jener Zeit die Dichter Grün, 
Treiligrath, Lingg und Andere ver— 
nichtet Hatte und fpäterhin mit Vor— 
liebe mich vernichtete. Noch ſehe ich 
ihn dor mir, bei meinem Eintritt am 
Schreibtiſch ſitzend und ſitzen bleibend, 
mit einer kleinen Bewegung der Rechten 
meine höfliche Begrüßung leicht er— 
widernd, mit der Linken in Papieren 
der Schreibtiſchlade weiterkramend. Er 
flößte mir ſo im erſten Augenblick 
einen ehrfurchtsvollen Begriff ein von 
der Erhabenheit eines Kritikers über 
gewöhnliche Menſchenkinder, ließ es 
aber dann im Geſpräch a einer ge— 
wiſſen Leutſeligkeit wicht fehlen. 
Vorläufig galt e& mit Beginn des 
Dctober wieder von Graz zu jcheiden 
und an die Adria heimzufehren. Freund» 
liche Beziehungen waren, wie der Leler 
gejehen Hat, augeknüpft; aber es war 
noch nicht abzusehen, mach welcher 
Seite Hin ſich etwa Höheres und 
Bleibendes daraus entwideln würde. 
Im Folgenden Jahre (1862) brachte 
der Eintritt der wärmeren Jahreszeit, 
wie gewöhnlich, eine Verſchlimmerung 
meines Befindens mit ich, die aber 
diesmal einen ernfteren Charakter ans 
nahm und mich für den ganzen Monat 
Juni bettlägerig machte. Oefteres, 
nicht veichliches Waſſerſpeien, wobei 
die Färbung des Ergofjenen eine leichte 
Beimiſchung von Blut verrieth, Heftige 
Schmerzen in der oberen Bauchgegend, 


Vor meiner Nüdtehr nach Trieft | mit Anfällen großer Schwäche und 


gieng ich noch auf ein paar Tage nach | 


fieberhaften Anwandlungen, waren 


Wien und fuchte die Stätten wieder herrſchend. Der mich behandelnde Arzt 


888 


überließ mich, ſelbſt Allöopath, einem 
Domdopathen — feinem Schwieger— 
john —, weil er zu bemerlen glaubte, 
daß ich Arzneien nicht gut vertrüge. 
Der Homöopath, mit dem Badearzte 
Dr. vd. Kottowitz im Tobelbad bei 
Graz befreundet, empfahl mir Tobel— 
bad al3 Sommeranfenthalt, wohin ich 
in der That, als ich etwas mehr zu 
Kräften gelommen, begleitet von meiner 
Mutter, mi auf den Weg machte. 

SH verweilte da vom 10. Juli 
bis 27. Auguft. Die erwähnten Krank— 
heit3fymptome dauerten in geringerem 
Grade fort, aber zuletzt geftaltete fich 
das Befinden erträglich. 

Es gefiel mir recht wohl in Tobel— 
bads reizendem Maldthal, wo ſchon 
der erfte Schritt ins Freie nach allen 
Seiten hin in waldjchattige, nadelbolz- 
duftige Gründe und zuangenehmen Ruhe— 
punkten führt. Die üppig wuchernde, 
bunte Pflanzenwelt dieſer Gegend er— 
weckte in mir Luſt und Eifer für ein 
Studium, das ich bis dahin vernach— 
läſſigt hatte: für die Botanik. Auf 
Selbſtunterricht angewieſen, machte ich 


freilich nur langſame Fortſchritte; aber 


ih kam doch vorwärts und betrieb von 
da au Jahre lang mit Vorliebe diefe 
Wiſſenſchaft, welche mich das Vers 
gnügen des Herumfchweifens in Wald 
und Flur fortan dreifach genießen ließ: 
als Menſch, als Dichter und als 
Pflanzenfreund. 

Der Dichter fand bei dieſen bota— 
nischen Erholungsftudien auch feine 
Rechnung. In einer romantischen 
Waldſchlucht bei Tobelbad kam mir 
zum erften Mal eine eben erblühte 
Genziane zu Geſicht, von jener Art, 
welche, wie ich Später fah, den Wäldern 
der Grazer Gegend gegen den Herbſt 
hin einen befonderen Schmud verleiht. 
Sie regte mich zu der Hymme „Vor 
einer Genziane“ an, einem Gedichte, 
das in weiten Kreiſen bekannt geworden 
it. Ich pflüdte die Pflanze mit ihren 
Blumengloden vor dem Verwelken, 
preßte fie ein und machte damit nad 
Jahren dem Schauspieler Guſtav Starde 





ein Geſchenk, der, wie früher fchon 
Lewinsty, duch trefflihen Vortrag 
jenes Gedichts ſich ein Anrecht auf 
meinen Danf erworben hatte. 

Neben dem Naturgenuß, der Bo— 
tanik und der Poelie, war es die Muſik, 
bei welcher ich Erholung von geiſt— 
lähmenden körperlichen Leiden fuchte — 
aber freilih nur Muſik in einer ihrer 
einfachften Gejtalten: in der des Gui— 
tarreflimperns, da ein anderes Zone 


werfzeug mie nicht zur Berfügung 


ſtand. 

Ein paarmal beſuchten mich die 
Grazer Freunde: Pichler, Minona, 
Fanny. In der kleinen Badecolonie 
des Ortes bewegte ich mich anfangs 
völlig fremd und vereinzelt. Das 
änderte fich aber mit einem Male, Kurz 
bevor mein dortiger Aufenthalt zu Ende 
gieng. Wiederholt tauchte in Tobelbad 
Leopold dv. Sacher-Maſoch auf, warın 
befreundet mit den Badearzte und mit 
deſſen reizender Gattin. Diefe Danıe 
galt mit Necht als eine Schönheit und 
bildete den glänzenden Mittelpunkt des 
gefelligen SKreifes von Zobelbad. Der 
genannte, gegenwärtig in Deutjchland 
ziemlich mißliebig gewordene Schrift» 
fteller hatte damals erjt den Roman 
„Eine galiziſche Geſchichte“ veröffent- 
licht, aber er ftand in der jugendlichen 
Blüte feiner Liebenswürdigfeit als 
Menſch. Mit polnischer, oder — um 
ihn nicht zu kränken — Heinrufjischer 
Nitterlichkeit und Gefchmeidigfeit des 
Benehmens verband er die Kedegabe 
und Nedeluft des geiftreichen jungen 
Mannes und genialen Erzählers. Rüde 
haltslos offen, wie er war, gieng er, 
nachdem die erfte Bekanntſchaft zwiichen 
und Beiden gemacht mar, bald zu 
vertraulich » gejprähiger Mittheilung 
über und ich erfuhr durch ihn ſelbſt, 
was in Graz, nur nicht aus jo guter 
Quelle, jo ziemlich alle Welt wußte, 

Der Roman war damals eben in der 
Wirklichkeit angeiponnen, den er fpäter 
in feiner „Geſchiedenen rau“ 
literarifch ausgeftaltet hat, wobei ihm 
die erwähnte Offenheit jeines Weſens 








zu ftatten fam, das Geheimfle jo 
zum poetiichen Gemeingut der deutichen 
Lefewelt zu machen. Noch ahnte weder 
er, noch jonft Jemand, melde Wen— 
dungen der damals in der Wirklichkeit 
angefponnene Roman nehmen, und 
noch weniger, welden Ausgang er 
haben würde. Sacher-Maſoch's Gemüth 
war voll jugendlich fenriger Wallungen 
und kühner Lebenspläne. Er ſprach 
damals immer von feiner Abficht, fich 
in Galizien, feiner Heimat, in den 
Reichsrath wählen zu laſſen, fobald er 
das gejegliche Alter dazu erreicht haben 
wirde, einzig um als Volksvertreter 
für ein neues Ehegejeb zu wirken und 
jo auf gejeglichem Wege jene Schei— 
dung der von ihm geliebten Fran zu 
ermöglichen, die bald hernach auch ohne 
das, auf zwar nicht gefeglichem, aber 
friedlihem Wege, zu feinen Gunften 
erfolgte. Aber ich greife den Ereig- 
niffen vor; ich werde Sacher-Maſoch's, 


mit dem ich viele Jahre hindurch auf) 
freundjchaftlichem Fuße verkehrte, ſpäter 


noch zu gedenken haben. 

Den Neft meiner Sommerferien, 
bis Ende September, verlebte ich wieder 
in Graz, im regem Verkehr mit dem 
im vorigen Jahre mir erjchloffenen be= 
freundeten Kreiſe. Die freundjchafts 
lihen Bande, die mich mit den Frauen 
Minona und Faunh verknüpften, ges 
wannen an Feſtigkeit, insbejondere der 
Erfteren gegenüber. Solferina war 
aus Graz ich weiß nicht wohin ver— 
ihlagen worden. Ich machte die Be- 
fanntjchaft des jungen Officierd und 
Poeten Albert Guzman, defjen 
„Erinnerungen aus den italienischen 
Feldzuge des Jahres 1859“ und poeti= 
ihen Nachlaß ich ſpäter herausgab, 
al3 ein Bruftleiden dem Leben des 
jeher begabten und liebenswürdigen 
jungen Mannes ein frühes Ende ges 
macht Hatte. 





889 


An dem Unternehmen Heinrich 
Penn's, der eine ſehr Hübjche belle— 
triftifche Wochenschrift „Hoch vom 
Dachſtein“ zu Graz in’s Leben rief, 
nahm ich regen Antheil. 


Auch entjtand im jenen Tagen des 
Grazer Aufenthalts meine Ganzone 
„Bermanenzug“. Sie wurde 
binnen elf Tagen vollendet und erjchien 
zunächſt in Emil Kuh's „Dichterbuch 
aus Oeſterreich“ (Wien. Gerold 1863), 
dann auch in beſonderer Ausgabe 
(ebenda 1864). Wie im „Schwanen= 
lied der Romantik“ an das Zeitalter 
überhaupt, fo legte hier der Poet an 
das deutiche Volt den Mapitab der 
höheren Ideale. Die Dichtung hat 
vielen Beifall gefunden, und es gab 
nicht Wenige, welche fie Allen vor= 
jogen, was ic) bis dahin gefchrieben. 
Ein Wiener Kritifer fertigte fie jedoch 
mit einer einzigen wißigen Zeile ab: 
„Diefe Ganzone ift ganz ohne.“ 
Eine Begründung diejes wigigen Aus— 
ſpruchs fügte er nicht bei, was ganz 
natürlich, denn hat ein Necenjent ein- 
mal einen glüdlichen Einfall über ein 
Bud, jo braucht er es nicht weiter 
anzuſehen. 

In Trieſt fiel mir nach den geiſt— 
anregenden geſelligen Ferienfreuden, 
die ich nun wiederholt verkoſtet hatte, 
die alte Abgeſchloſſenheit doppelt ſchwer 
aufs Herz. Meine Stimmung bers 
diüfterte fi und nur die Mufe bot 
mir Troft. Der Plan des „Ahasver 
in Rom“ hatte angefangen mich zu 
beichäftigen. 

Da trat wider Erwarten in meinen 
Triefter Lebenskreis eine weibliche Er— 
iheinung, welche berufen war, mir 
das ſchmerzlich Vermißte in einem 
Uebermaß, das mich weit mehr auf— 
regte, als befriedigte, zu gewähren. 


(Fortiegung folgt.) 








Mein deutfdhes Volk. 


Gedanfen der Liebe und Treue von Edward Samhaber. 


Ss ſprach jo oft in Liedern und Gebeten 
Ara Zu Dir, o Voll, mit tief empfund’nem Wort; 
Ob's auch die Feinde tückiſch mir verdrebten, 

63 flingt doch tief und mädtig in mir fort. 

Ih wühte Keinen, Kleinen hier int Lande, 

Der mir das feuer in dem Buſen dämpft, 

Und ſchlügen jie mein Lied in eh’rne Bande, 

Mir bleibt der Geift, der ungebrochen kämpft. 


Zwar bin ih arm und habe Weib und Kinder, 
Und Dornen find’s, die mir das Leben bringt, 
Doch glaubet nicht, ich fühlte darum minder 
Die Noth des Volfes, die zum Herzen dringt. 
Ten eignen Jammer will ich gern vergeſſen, 
Seitdem der Deine über alles Maß; 

Nicht von Verſöhnung rede man vermeſſen, 

Die Saat war Liebe, dod die Ernte Haß. 


O laßt uns denten jener behren Schatten, 

Die einft gefämpft im Teutoburger Wald! 
Auf ftanden die Cherusfer, Marien, Chatten 
Und ſcharten fih um Armin’: Trußgeftalt. 
Wie Donnerrollen von den Felſenwänden 
Erſcholl ihr Ruf unheimlich dur die Nadt; 
Der Himmel flanımte, wie von fFeuerbränden, 
Und Sturm und Regen tobten in der Schladt. 


Und mahnen nicht die fühngezadten Spitzen 

Der grauen Alpen flündlih unier Land, 

Mie unj’re Väter aus den engen Sitzen 

Der Heimat zogen nad des Südens Strand, 

Wo Romas Neich, vor dem die Welt gezittert, 
Da es die Adler in die Fernen trug, 
Zufammenbrad, ein Baum, vermorſcht, verwittert, 
Als Odoaler an die Wurzel ſchlug. 


Und laujchten wir den Tannen oft und Fichten, 
Mas fie fich flüftern in des Mondes Strahl, 

Sie würden uns mand’ Wunderding berichten, 
Wie Barbarofja über Berg und Thal 
Hinunterzog, nicht bangend vor dem Toben 

Des Waldfiroms und des Weges dunkler Schludt, 
Daß deutiher Name, durd das Schwert gehoben, 
Eid Geltung jchaffte in der Zeiten Flucht. 


DO Rhein und Donau mit den ſüßen Neben, 
Mer hält nicht inne von der Wanderfahrt, 
Wenn er die Dome, die zum Himmel ftreben, 
Und die ergrauten Burgen all gewahrt! 

Tas Leben zieht in farbigen Gemälden 

An uns vorbei, die Nitterharfe tönt, 
Kreuzfahrer zieh'n, von Gott entflammte Helden, 
Trunzune fliegen und der Palas dröhnt, 





891 


Doch kaum verichollen jene Pilgerfahrten 
Und ſank zu Grab das ſtaufiſche Geſchlecht, 
Begannen Reich und Ritter zu entarten, 
Aufwucherte ein blindes Fehderecht. 

Der ſchwarze Tod hielt eine reiche Ernte, 
Von Huſſens Flamme leuchtete Conſtanz; 
MWüft lag das Feld, wo izle ſich entfernte, 
Dem Halbmond fiel das goldene Byzanz. 


Und dur die Menichheit gieng ein dunfles Ringen, 
Sich zu erheben aus des Nebel Dunft. 

Fin neuer Geift entfaltete die Schwingen, 

Alt Hellas zog in Wiſſenſchaft und Kunft. 

Die Sonne ftand in der Planeten Kreiſe, 

Das Weltmeer ſich den Staunenden erichloß; 

Gin Gutenberg wies herrliche Geleije, 

Und Luthers Wort in alle Herzen floß. 


Mir ift, ich jeh’ des Dorfes grüne Linde, 

In deren Schatten predigend er ftand; 

Ihm lauſchte man vom Greiie bis zum Kinde 
Und mweinend küßte Mander jeine Hand. 

Gr aber zog mit gläubigem Vertrauen 

Nah Worms hinab, der alten Stadt am Rhein: 
„Und wären jo viel Teufel dort zu jchauen, 

Als Ziegel find, ich geh',“ ſprach er, „hinein.“ 


Und mie ein König zog er durd die Straßen, 
Und Wlles jah den wunderbaren Mann. 

Gott ift mit ihm! Gott wird ıhm nicht verlafien! 
So dachte Mander, der ihm zugetihan. 

Ein ſchlichtes Möndlein, ftand er vor dem Throne 
Des Kaifers, der verähtlih auf ihn jah, 

Und rief beherzt trog Biſchofsſtab und Krone: 
„Ih kann nicht anders, jo wahr Gott mir nah.“ 


Und von dem Fürften bis herab zum Bauer, 
Der hinterm Piluge unbeadhtet jchritt, 

Sie überfam ein tiefgeheimer Schauer 

Vor jenem Mönche, der jo mannhaft ftritt. 
Indeſſen fchrieb er in der Wartburg Beite 
Die deutſche Bibel, jenen echten Hort, 

Der in die Hütten, wie in die Paläfte 
Verjüngend trug das reine Gotteswort, 


Und wieder ſcholl vieltöniges Gejchmetter 

In Stiller Werkitatt, wie auf grüner Flur; 

In alle Winde flogen jene Blätier, 

Darauf es Hang von Liebe und Natur. 

Der Burjche zog durch's graue Thor in's Städtchen, 
Und gleich der Lerche jubelte jein Lied 

Von Lieb’ und Treue zu dem holden Mädchen, 

Von dem er weinend mit dem Herbſte jchied. 


O fahret wohl, ihr jommerjhönen Tage! 

Der Winter kommt, der eifige, heran. 

Ich ſeh' des Krieges dreikigjähr'ge Plage 

Und all das Weh, das er uns angethan. 

O armes Neid, von Freund und jyeind veripottet, 
Faſt wie ein Greis mit einem Fuß im Grab; 
Buſchklepper rings und Söldner, die verrottet, 
Nur plünderten, wo e3 zu plündern gab. 


s02 





Auf brachem Feld in ftunmer Trauer ragte 
Mandh grauer Thurm aus Trümmerſchutt empor, 
Und aus des Waldes tiefftem Dunfel wagte 

Der Räuber fi, der grimme Wolf hervor. 

Tie Senje ſchwieg, der Hammer ruhte feiernd, 
Der Meifter todt, geihändet Weib und Kind; 
Ein blinder Wahn den Glauben überjchleiernd, 
Und ehrlos Ale, Herren und Gejind, 


O laßt mich ſchweigen von dem düftern Bilde, 

Das fi entrollt im weiteren Verlauf! 

Zwar grünt die Saat auf's Neue im Gefilde 

Und das Gewerbe athmet wieder auf; 

Doch Deutihland zieht an Frankreichs Siegeswagen, 
Verwelſcht die Sprade und verwelicht der Braud), 
Vergeſſen find die alten Heldenſagen 

Und durch die Kunft weht ein gelehrter Haud. 


O Deutihe! Ihr verdientet Eure Feileln, 
Die Ihr geftritten, heil'gen Eifers voll, 

Wer da auf gränen, wer auf rothen Sefjeln 
Im Regensburgerjaale fiten joll. 

Indes fiel Straßburg in des Näubers Hände, 
Zu Epeier jant der alterägraue Dom, 

Alt Heidelbergs geborftne Mauerwände, 

Sie ſeh'n noch heute auf den Nedarftrom, 


Geftorben war das hehrſte der Befühle, 

Die Lieb’ zum Volle und zum Vaterland, 

Gen deutiches Weſen war man vornehm fühle, 
Für fremdes in Bewunderung entbrannt. 

Drob fann ih nie, o Corſe, Dich erheben, 

Bon Deinem Lorbeer reiß' ih Blatt um Blatt; 
Ein Volk zu fröhnen, das fih aufgegeben, 

Iſt eines Helden würdeloje That. 


Im PBurpurmantel, bleib von Angefichte, 
Giengft Du dahin, ein blutiger Komet; 

Und blutig find die Blätter der Geſchichte, 
Worauf Dein Name jludhbeladen fteht. 

Ein Attila, bift Du im Sturm gelommen, 

Als hätte Gott als Geißel Dich erwählt; 

Doch aus der Prüfung, die von ihm genommen, 
Erftand das Volk geläutert und geftählt. 


Iſt aus dem Grab Leonidas geftiegen ? 

Strömt nah dem Feld von Marathon die Schar? 
Da jelbft die Knaben zu den Fahnen fliegen, 

Und frauen weih'n das goldgelodte Haar? 

Die Greife beten und die Mütter weinen, 

Den Säugling bält der Vater noch empor: 

„Sei Gott mit Dir und fämpfe für die Deinen!* 
So ruft die Gattin fcheidend an dem Thor. 


O, armes Bolt! Wohl war der Stern erbliden 
Des Corſen, der jo blutigroth geflamnt; 

Doch war die äuß're Knechtſchaft nur gewichen, 
Die inn’re blieb, fo ſehr Du fie verdammt. 

Du haft jo viel in jener Zeit gelitten, 

Mit Teinem Blut der Fürften Ruhm bezahlt, 

Doch für das Neih Haft Du umſonſt geitritten, 
Die Freiheit lähmte eherne Gemalt. 





LT Au 


893 


Zwar an den Ketten rüttelten die Geifter, 

Im Hörjaal ftritt man, wie auf blut'gem Feld; 
Ein Vater Jahn erihien als Waffenmeiſter, 
Und jeder Sänger war zugleih ein Held. 

Man ihwärmte laut für Oftrolenfas Fläden, 
Für Miffolongbi war das Herz entfadt; 

So jhmwillt die Flut in Frühlingswetterbäcden, 
So wädhst der Sturm in Hocdgemitternadt. 


Wohl griff beiorgt der Gallier zum Schilde, 

Es war ein Kampf des Kaiſers um den Thron; 
In Strömen rann das Blut durd das Gefilde, 
Jedoch der Sieg, er frönte Louifens Sohn, 

Nun blüht das Reich, des Sieges ſich erfreuend, 
Doch hält’s die Hand am Pfluge, wie am Schwert, 
Ten Frieden liebend, doch den Krieg nicht ſcheuend, 
Sobald der fFeind verwegen ihn begehrt. 


Und wir, ein Zweig von der Germanen Stamme, 
Wir fühlten nicht, was defien Bruſt bewegt? 

Wo immer drohender des Hafjes Flamme 

An unjer Volt und unjre Krone jchlägt? 

O Oeſterreich! Nicht grolle dem Geſchicke, 

Das Did getrennt vom deutihen Bruderreich; 
Trau’ nicht dem Slaven mit dem falihen Blide, 
Tu glaubft, er lächelt, doch er knirſcht zugleich. 


Schon ftehen auf die edlen Markomannen, 

Die Söhne regen fih im Wlpenthal; 
Verjährten Irrthum gilt es zu verbannen, 
Ein Wort erwedt vieljtimm’gen Wiederhall: 
Germania mit Auftria verbündet, 

Den Frieden hütend in gemeiner Noth, 

Es ift ein Wort, das aller Welt verlündet: 
Wir fürdten Niemand, denn mit uns ift Gott. 


Der Franzoſenbauer. 
Gine Geſchichte von P. R. Rofegger. 


As war im Sommer des Jahres | wieder an.“ Der Pfarrer hatte auf 
De 1809, ala beim Bauer Thomas der Kanzel davon geredet und der 
in den Stanzgräben eines Frühmorgens | Richter in der Gemeindeftube, was zu 
der Almhalter Rochus zum Fenſter thun ſei, wenn die „Blauen“ wieder 
hereinrief: „Auf, Leut’, zum Franzofen | da feien. Jeder foll vorher in Sicherheit 
derſchießen iſt's!“ bringen, ſoviel er kann. Weib und 

Schon lange hatte man davon Kind und Vieh in's Gebirg hinauf. 
geredet, auf dem Kirchplak, im Wirths- | Die Männer beim Haus bleiben, dem 
haus, und auch Haufirer hatten es | Feind geben, was er verlangt, ſich 
gejagt, die als Zeitungen mit zwei nicht widerfegen. Er iſt nun einmal 
Füßen umgiengen: „Der Franzos ruckt der Herr im Land, da kann man nichts 











894 


machen. Mit ihm ausfommen, fo gutlihr eigenes Land, und wir geben 
e3 geht. Es muß ja wieder einmal | unferes nicht her! Kreuzverfluchte Zeit, 


befjer werden. 

Das waren faubere Vorfchriften, 
aber die Holzleute in den Wäldern 
und die Hirten auf den Almen, die 
Jäger und Wildſchützen, ja jogar die 
Soldatenflüchtlinge, die fich dem Militär- 
dienft durch die Flucht entzogen hatten 
und in den Wildniſſen umſtreiften, die 
waren anderer Meinung als der Richter 
und der Pfarrer, fie hielten dafür: 
die Wölfe und die Franzoſen müſſe 
man todtfchlagen, das fei das einzige 
Mittel; denn daß diefe Raubthiere Herr 


im Lande wären, dazu müßten auch | 


Gott im Himmel und die Waldınänner 
auf Erden ja jagen. Und jo führten 
diefe Waldleute ihren befonderen Krieg 
gegen die Welſchen; wenn fie ihnen 
auch juft feine offenen Schlachten 
lieferten, jo wußten fie durch Abbrechen 
von Brüden und Stegen, durd Los— 
lafjen angeftauter Bergwäller, durch 
Niederwälzen von Felstrümmern, durch 
Flintenſchüſſe aus dem Hinterhalte 
u. ſ. w. den Feind weidlich zu ärgern. 
Sie mahten es damit wahrlid nicht 
beiier, und mancher Hausgefeflene be= 
Ihwor die Wäldler: „Wir bitten Euch 
mit aufgehobenen Händen! Seid nicht 


wo da3 Heimatland nicht mehr ficher 
geht !” 

So Sprachen die Männer, die beſitz- 
[08 waren, denen das Heimatland nidts 
gegeben als den grünen Wald umd den 
blauen Himmel darüber. Und fie liebten 
es doch. 

Der Halter Rochus hatte auch noch 
feine bejondere Urſache gegen die 
Franzoſen; ihm Hatten fie bei einem 
früheren Einfalle den Bruder erfchlagen, 
der fein Weib vor den Nachſtellungen 
‚der Weljchen ſchützen wollte. 
| Alſo Schrie an jenem Morgen der 
Rochus dem Bauer Thomas zum 
Fenſter herein: „Auf, Leut’, zum 
Franzoſen derſchießen iſt's. Sie find 
ſchon im Mürzthal.“ 

„Fahr ab, Unglücksrabe!“ knurrte 
der Bauer Thomas, während er ſeine 
Schuhe zuſammenriemte. 

„Geh, Bauer!“ ſagte der Rochus, 
„ruf' Deine Knecht', nehmt Senſen 
und Hacken und Stallgabeln her und 
kommt mit. Wir dverjagen fie.“ 

„Haben nicht Zeit, heut wird ein 
Ihöner Tag. Müſſen Heu maden.* 

„So follt es auch freifen,“ brummte 
der Rochus und gieng davon. 








Ihr unfer größter Feind! Was ihr! Ya freilih, der Bauer Thomas 
ihnen anthut, wir müſſen es entgelten!| hatte es genöthig. Die ganze Puch— 
Ihr verftedt Euch in der Wildnis und | wiefe war abgemäht. „Ein wunder: 
habt nichts zu verlieren; aber unſere Schönes Heu, wenn wir’ derwiſchen. 


Häufer zünden fie an und uns henken 
fie auf. Wenn Ihr's fo fortmacht, 
müſſen wir gegen Euch aufftehen! Wir 
Jagen Euch's!“ 

Es war nahe daran, 
wirklihde Fehde ausgebrochen wäre 
zwiſchen den fFriedliebenden Bauern 
und den fampfluftigen Wäldlern. Und 


daß eine 


Zehn Schöber und drüber, wenn wir's 
derwifchen. Iſt Kleeheu, riecht wie 
Thee, wenn wir's derwiſchen und fein 
Regen kommt. Alfo auf, Leut’, mit 
Gabeln, Neben und Stangen, in's 
Deu!" 

„Das Vieh in den Wald jagen. 
Fleiſch und Sped in die Hrautgruben 





wenn der Amtınanı auf die Gemeindes | verfenten und zudeden mit WReilig. 
tafel nagelte: Die Truppen des Kaiſers Das Haus gut zufperren. Im Mürz- 
von Frankreich find nicht unfere Feinde. | thal jollen fie fhon unten fein. Wer 
Seid ihnen nicht feindlih. Der Kaiſer weiß, ob's wahr ift; es wird fo arg 
von Defterreich will es fo haben! — |nicht fein. In’s Heu!“ 

jo predigte der Halter Rochus im Walde: | „Wenn’s dem Kaifer recht ift. Uns 
„Was Kaiſer! Die Welliichen gehören | kann's Alles eins fein. Die Franzofen 


Tepe A ni De h 
nicht in's Steierifche herein. Sie haben | find feine Türken, werden uns nicht 


we 


805 





freffen. Bringen Geld in's Land, die) Bauer, auf der Puchwieſen thät’ ein 
Franzoſen. Und jet auf, Lent’, in's fremder Mann Heu machen. 
Heu!“ „Wird gewiß ein diebifcher Kohlen— 


Das Find die Erwägungen und; brenner fein“, meinte der Bauer. 
das ift das Commando gewejen beim „So ſchaut er nicht aus,“ ſagte 
Bauer Thomas in den Stanzgräben. | feine Tochter. 

Die Weidmagd Barberl und die Als fie hinkamen, jahen fie felbit. 
Haustochter Agnes giengen voraus, Jede | Emſig frante er das Heu auf, und 
über der Achjel einen Rechen und die) jo fremdartig er ausjah, die Arbeit 
Meidmagd am Arm noch einen großen | ging ihm handlich. Der Bauer Thomas 


Trinkkrug. Die Puchwieſe lag weit | 


drinnen in einem Engthal, rings von 
Wald umgeben und die Ränder und 


Naine bewachſen mit Haſelnuß- und 
Himbeerftränchern. Auch Anderes war | 
da, und die ledere Agnes — ein freuz: | 
fauberes Dirndl — flieg hochgeſchürzt 


im Gebüſch um, zu fehen, ob nicht 
auch die Stachelbeeren ſchon reif wären. 


über und über. Sie biß das Knorbel— 


Beere zujammen und fog fie aus. 


In demjelben Augenblid flüftert | 
die Weidmagd durch das Geftrüpp der| S 


Agnes zu: „Du ſchau! Dort auf der! 
Wiefe it ein Manu!“ 


Sie Iugten durch das Blattwerk 
— „Ich 


hinaus. „Kennſt Du ihn?“ 








ſchaute eine Weile auf ihn Hin, ſagte 
aber nichts. Das war ganz recht. War's 
wer immer und dom em immer 
geſchickt, man kann nicht zu viel Leut’ 
haben im Heu. Der Fremde feinerjeits 
fagte auch nichts. Er blidte nicht einmal 
ordentlich beifeite, ſondern arbeitete 
flint weiter, und bald war er mitten 


Inter den Knechten und Mägden und 
Da, da hatte fie gleich eine großbauchige 
mit braunen Adern und zarten Härchen | 
He dunſtete ein würziger Geruch 
hen ab, preßte mit zwei Fingern die! 


arbeitete wie fie. 
Die Sonne wurde heiß, aus de 


auf. As es auf der ganzen Wieſe 
umgekehrt war, beganı man es bom 
Wieſenrand, wo immer noch ettweldher 
Schatten lag, Hinweg zu rechen und 
‚auf ſonnige trodene Pläße zu ſtreuen. 

Der Fremde that wie alle Anderen, 
aber er ſchwieg, und auch Sie jagten 
nichts zu ihn. Schon ftanden ihn die 


tenne ihn nicht. Von unſeren Knechten Schweihtropfen auf der fonngebräunten 


iſt's feiner. 
nicht jo groß. 's ift auch von der 
Nachbarschaft feiner; ihrer ſteht leiner 


Unſere Mannerleut' ſind Stirne. Er lüftete ſeine braune Mütze 


und trocknete ſich mit dem Aermling 
den Schweiß, des Weiteren hantierte 


ſo grad'. Und was er für ein Gewand, er mit feinem gabeligen Baumaft flinf 
hat! Die engen Hofen jet im der; voran, bis ihm der Bauer eine wohl- 
Hitz'. Gar fein Schuh’ hat er an; geformte ftattliche Heugabel binwarf ; 


die Füſſ' mit Lappen verbunden. Und 
feine Bfaidenärmlinge, die ſchauen 
Ihön aus! Der Ellbogen gudt ſchon 
nach einer Fliderin herfür. Und das 
Sicht Shaun Dir an! Na, fo einen 
braunen barteten Kerl möcht’ ich micht 
haben. Wetten will ich nichts, das iſt 


ein Krawat! Und wie er das Heuauf- 
wideln fann! Einen gabligen Bauntaft | 


hat er dazu. Was nur das für Einer 
iſt!“ 

Die beiden Mädchen eilten zurück, 
bis fie den nachlommenden Leuten | 
begegneten. Alſogleich erzählten fie dem 





's iſt Schad’ um einen fol baum— 
ftarfen Kerl, wenn er fein ordentliches 
Zeug in der Hand hat. Der rende 
warf feinen Baumaft weg, nahm die 
ordnungsmäßige Gabel auf und arbeitete 
wie die Anderen und blidte nicht viel 
um ſich und fchwieg. 

Als das Heu nun jo recht unter 
der Sonne lag, rief der Bauer Thomas 
die Leute zum Mittagsmahl. Dasjelbe 
hatte die Bäuerin vom Haufe mit— 
gebracht und unter dem Schatten einer 
alten Buche bereitet. Die Knechte und 
Mägde kamen herbei, der Fremde mit 


806 


ihnen. Er trodnet ſich noch fortwährend | — Bor Schred Hatte die Agnes den 
den Schweiß, fraut mit den Fingern | Löffel weggelegt, al3 fie bei einer leichten 
den berwilderten Vollbart zurecht, dak | Lüftung feines Wanıfes diefes Meijer 
zur Noth der Mund frei wurde und hatte hervorblinten gejehen. Sie fagte 
jest fich unter die Neihe der Uebrigen aber nichts. Wenn ich den Mund 
auf den Nafen zur Schüſſel. aufthu', dachte fie, fo bin ich die Erſte, 
Der Bauer theilte die Löffel aus, die er niederjticht. 
auch dem Fremden einen. Eins um Als fie nach dem Eſſen das Tiſch— 
das Andere fprah ein Wort über die |gebet beteten, faltete auch der Fremde 
Hitze, über das ſchöne Heu, auch über |die Hände über feinem Knie und ſchlug 
die Heufchrede, die in die Schüſſel über Gefiht und Bruft ein Kreuz wie 
gehüpft war. die Anderen. Das berubigte die Agnes 
„Wenn du Schwimmen kunnt'ſt, erklecklich. Und nun wieder in’s Deu! 
ftatt hupfen, jeßt wär’ es gefcheiter,“ | Der Bauer Thomas trug lange Stan 
fagte ein Knecht und langte das hilf- |gen herbei und ftedte fie an verſchie— 
lofe Thier mit dem Löffelftiel heraus. |denen Stellen der Wieſe ſenkrecht in 
Der Fremde fchwieg, und die die Erde. Um dieje Stangen begannen 
Anderen thaten, als ob er nicht da die Leute nun das Heu zuſammenzu— 
wäre, obwohl die Weibsleute ganz im |treiben, die Einen mit Gabeln, die 
heimlichen Beobachten des ſeltſamen Anderen mit Rechen, und wo größere 
Geſellen aufgiengen. Als das Kraut Heuſchichten waren, da fetten Einzelne 
und die Knödeln kamen, bandhabte er oder ihrer Mehrere die Gabel- und 
Löffel und Gabel dabei nicht ganz in |Rechenftiele an und ſchoben fie an die 
der landlänfigen Weife, wie früher die | Stange. Der fremde Arbeiter machte 
Heugabel, aber nichts deftoweniger, | Alles wie die Anderen, und als aud 
er handhabte fie gut. Uebrigens war | die Agnes einmal eine folhe Heufchichte 
er nicht häßlich. Man müßte lügen, vor ſich herichob und es nur kümmer— 
wenn man fagen wollte, daß er häßlich |Tich weiter gieng, merkte fie an ihrer 
wäre, dachte die Weiddirn bei ſich. | Seite plöglich einen Gehilfen — und 
Das geringelte fuchsbraune Haar — es war der Fremde. Sie that nichts 
wer ſich daran einmal gewöhnt — dergleichen, Beide fchoben, und der 
macht ſich micht übel, überlegte die) Heuhaufen glitt vajch vor ihnen ber. 
Agnes. Die fcharfen Augenfterne und Ohne daß fie fih weiter anſchauten, 
das viele Weihe in den Augen, die |gieng Eins dahin, das Andere dorthin 
anderen Knechte haben es nicht ſo. und kraute im Heu und: job und 
Die Nafe ift zwar fehredbar groß und | rechte, und es gieng wohl von Statten. 
hat einen Sattel wie ein Kameel; Der Bauer Thomas warf mit feiner 
aber wenn Nafen zu Hein find, das Gabel das Heu um die Stange, ein 
ift noch garftiger. Und Zähne! Wenn | Stnabe lief um diefelbe Herum und trat 
der Meinige folhe Zähne hätt’! Wie es feit, und über Alles brannte die 
Porzellan fo weiß, und fein einziger | funfelnde Sonne herab vom hoben 
fehlt. Ich ſehe feinen, der fehlt! Den | Himmel. Als der eine Heuſchober fertig 
Händen fieht man’s nicht an, daß ſie war, gieng es an dem zweiten, md 
gar viel arbeiten; jo feine fchlante immer von Neuem glitten die Deus 
Finger! Ring bat er feinen dran. |fchichten über die glattgemähte Wieſe 
Sonft Hat er mancherlei funkelndes | hin; hie und da eine barfche Anordirung, 
Zeug am Leib. Knöpfe, Schnallen und ein derbes Witzwort, ein munteres 
einen verwunderlich glänzenden Reifen | Lachen, denn es ift eine Iuftige Arbeit, 
am ſchwarzen Ledergürtel. Hinter dem | das Heuen. Bisweilen hüpfte ein Froſch 
Gürtel ftedt ein eifernes Deft. Jeſus über den Fuß — freifchten die Weiber; 
Maria, das ift ja ein großes Mefler! |danın und wann fprang ihnen eine 


— — —— —— —— — ———— — 


— — — — — — — — — — —— — — — 


897 


Heufchrede an die Nafe, kreiſchten fie 
wieder und lachten fich dann ſelber aus. 
Wo e3 gerade nicht unter den Augen 
des Bauers Thomas war, da fugelte 
fih wohl einmal ein übermüthiger 
Burſche in's Heu und redte alle Biere 
von fih und ſchob den Weibsleuten 
feinen Gabelftiel unter die Füße, daß 
fie ftolpern follten. Und als es fo 
feinen fröhlichen Lauf hatte, knallte im 
nahen Wald ein Schu — mit einem 
ächzenden Laut taumelt mitten unter 
den Arbeitern der Fremde und ftürzt 
zu Boden. 

Die Leute ftanden wie erftarrt da, 
und der Bauer Thomas fagte: „Was 
ſind denn das für Gejchichten ?* Dann 
trat er zum Fremden Hin und fah, 
wie zwiſchen den braunen Rodfalten 
an der linken Bruftjeite das Blut her— 
ausquoll. Die Weiber, anfangs un— 
entichloffen, ob fie nicht fliehen follten, 
tamen nun mit friſchem Waſſer, mit 
Ampferblättern, um das Blut zu ſtillen, 
und die Agnes riß ihre blaue Schürze 
ab, um die Wunde zu verbinden. Die 
Wunde war unter der Achſel und als 
fie die Kleider herabgeriſſen hatten, 
tiefen fie, zwei Löcher wären! Der 
Schuß war vorn hinein umd Hinten 
unter dem Sculterblatte hinausge— 
gangen. Das Antlit des Mannes war 
blaß wie Lehm geworden, und als 
Agnes nun feine Stirne, feine Lippen 
mit Waſſer beneßte, erhob der Fremde 
ein wenig feine Hand, um mach ihrem 


Arm zu taften und hauchte: „Bien 
merci!“ 
„Heiliger Sebaſtianus!“ rief die 


Bäuerin, „das ift ja ein Franzos!“ 


„So ift’3 halt Einer,“ ſagte der 
Bauer Thomas. 

„Nur glei todt machen, ift das 
Beſte,“ rief einer der Knechte und 
traf Anftalten dazu. 

Der Bauer ftieß ihn weg. „Was 
gibt’3 denn da viel zu ſchreien. Ein 
Menſch wird's doch wohl fein, fonft 
hätt’ er nicht fo brav heuen können. 
Macht's, tragt's ihn dort im den 
Schatten hinüber, Eins foll bei ihm 


Rofegger’s „Geimgarten‘*, 12, Geft, IT, 


bleiben und aufpaflen, daß nicht wieder 
Blut kommt. Die Anderen follen fich 
ſchlaunen Tafjen, daß wir wieder zum 
Heu kommen.“ 

Es war eine höchſt unliebjame Un— 
terbredung und ſchon gar, als die 
Bäuerin wollte, der arme Angejchofjene 
jolle ins Haus gebracht und e3 müſſe 
der Bader gerufen werden. Sei es 
wer immer, fo fönne man ihn nicht 
umkommen lajlen. 

Da fluchte der Bauer: „Ein ſau— 
berer Gehilfe das, beim Heuen, der 
auch Andere abhält von der Arbeit. 
Lange möchte es nicht mehr anhalten 
dad Wetter, und nachher das faure 
Hey über den Winter, und da folle 
der Menſch ein braves Vieh züchten!“ 

Bald war e3 laut in den Stanz: 
gräben: Ein Franzoſe erfchoffen! Die 
Knete des Bauers Thomas waren 
in den Wald gegangen, um zu fpähen, 
wer gefchoffen Habe. Gegen Abend, als 
der Fremde endlich in den Bauernhof 
gebracht worden war, gieng aus dem 
Walde der Halter Rochus hervor, mit 
dem Kugelftugen in der Hand und den 
Finger an den Hahn gelegt, fo auf 
den Bauer Thomas zu. 

„Ergib Dich!“ ſchrie 
Bauer an. 

„Was machſt für Dummheiten!“ 
rief der Bauer, „arbeiten iſt geſcheiter.“ 

„Thomas,“ verſetzte der Halter und 
hob ſein Gewehr, „Du biſt unſer 
offener Feind worden. Die Franzoſen, 
| die unſer Heimatland verderben, nimmſt 
|Du zum Heumachen, gottverdammter 
Wucherer, und gibſt ihnen Unterſtand!“ 

„Haſt halt Du auf ihn geſchoſſen?“ 
fragte der Bauer. 

„Aber Dich treff' ich beſſer, mein 
lieber Thomas. Rühr' Dich nicht. 
Solche Feinde, wie Du biſt, ſind noch 
gefährlicher wie die Fremden. Iſt kein 
| Punber, wenn wir die Franzoſen 
nimmer losfriegen, da es ihnen jo 
gut geht bei uns. Neu’ und Leid mad”, 
Franzoſenbauer!“ 

Man weiß es nicht, wie es dem 
Bauer vor dem wüthigen Halter Rochus 


57 





er den 








sus 


ergangen wäre, wenn nicht plößlich der ‚ohne Labe und Troſt. Hatten es ja 
Wald ein eigenthümliches Leben be= ‚auch die Knechte nicht befier, wenn fie 
fommen hätte. Es trabte und fchrillte | frank waren, wie follten fie es dem 
und glißerte zwiſchen den Stämmen | Franzofen beſſer maden wollen! Und 
ber; grelles Gefchrei, Pferdegervieher | wenn nun die „Herren,“ wie der 
— die Blauen waren da. Bauer feine paar Dutzend Begleiter 
Der Halter machte fi) davon; der | unterwegs nannte, den Kameraden in 
Bauer Thomas glaubte bei dem Feinde folher Lage fänden, würden fie Re— 
Schutz zu finden vor feinen eigenen chenſchaft verlangen. Und wie derlei aus» 
Landsleuten. Da kam er aber an! geht, das weiß man. — In das Hans 
Ein paar derbe Franzofenkerle fprangen | tretend, gab der Bauer Thomas Bes 
auf ihn zu, padten ihn an den Armen, |fehl, altfogleih ein gutes Mahl zu 
und in einem jchlechten Deutjch gaben | bereiten, das Beſte und das Letzte nicht 
fie ihm zu verftehen, daß er ihmen zu jparen für die „Herren Gäfte.” 
gefälligft den Baum bezeichnen möge, | Freilich blutete ihm das Herz, wenn 
an dem er hängen wolle. — „Aber er daran dachte, das Heute all’ fein 
um Gotteswillen, warum denn das Sped und Fleifch und Nindsfeit ver— 
wieder! Eben hat mich Einer niederz | freffen werden würde; aber noch lieber 
brennen wollen, weil ich es mit den |war ihm dieſes Herzbluten, als ein 
Herren Franzoſen halte?" — Das anderes ... 
jei ihnen einerlei, ſagten fie, fie wollten Der Bauer athmete auf, den ver— 
nur ihren Kameraden rächen, der an wundeten Franzoſen fanden fie in der 
diefem Tage Hier erfchoffen worden wäre. | „guten Stuben,“ im wohleingerichteten 
Vorher wollten fie nur noch willen, | Handwerkerbett, auf ſchneeweißem Lein— 
wo man den Ermordeten hingebracht tuch und Kiſſen und mit hHellrother 
hätte ? Dede forgfältig zugehüllt. Ohne zu 
Da vergaß der Bauer Thomas auf ahnen, daß eine geftrenge Juſpection 
fein Heu, und al’ feine geifligen | erfcheinen wiirde, Hatten die Weibs- 
Kräfte Spannte er an, um dem Fran- leute den armen Menfchen dorthin 
zofen begreiflich zu machen, daß der | bringen laffen. So fremd und jo hübſch 
Mann mit ihm auf der MWiefe ge= und ſo Hilflos und fo durdhfchoffen jein 
arbeitet, mit ihm zu Mittag gegeflen | — welches Frauenherz möchte einem 
habe, daß er dann plößlih vom Walde ſolchen Burſchen nicht das befte Bett 
her angeſchoſſen worden ſei, er wife des Daufes gönnen! 
jelbft nicht von wen, er ſchwöre «es Die herben bärtigen Gefellen, die 
bei der heiligiten Mutter Gottes, von | mit dem Bauer Thomas gekommen 
ihm oder feinen Leuten aus wäre es waren, unterfuchten jet den Ver— 
nicht gefchehen. Todt wäre er aber |wundeten, wechjelten mit ihm weliche 
nicht, ihr Herr Kamerad, er läge in Worte, ließen ihn liegen umd giengen 
jeinem Hof und würde gepflegt wie | hinab in die große Gefindftube, um 
ein Bruder vom Haus. Die Herren | zu verzehren, was zu verzehren war. 
fönnten ſich ja überzeugen. Der Bauer trug auf, die Knechte be= 
Sie giengen und ritten mit ihm, | dienten, indem jie das Eßbeſteck reinig— 
und er war ihr Gefangener. Auf dem ten, Brotlaibe zerjchnitten, Trinkkrüge 
Wege gegen feinen Hof war ihm gar füllten. Mein hatten die Herren ver— 
Uebel zu Muth. Er fah es ſchon vor: |langt; da hatte der Bauer das leere 
weg, wie fie den verwundeten Welſchen Faß unter den Hausbrunnen geftellt, 
finden würden: In der Strohkammer | hatte Eſſig dazugegoffen : Auf ihr Wohl, 
oder im Stall auf Streuhaufen, ohne | einen Befjeren Hätte er nicht. Dann 
Kiffen und Dede, allein und verlaflen |bedienten die Knechte auch die Röſſer, 
hinliegend, in Fieber verſchmachtend, | welche drangen angebunden waren und 








899 


fih gar nicht genug Heu und Hafer) Bauer, „ich zahle feinen Kreuzer. Ich 


freilen fonnten. Das viele gute Heu! 
Und dieſe verfluchten Schindmähren ! 
Dem Bauer war ad und weh. 


Die Weiber hatten ſich in der 
Scheuneverftedt. Die Haustochter Agnes 
weinte. Sie weine aus Furcht vor 
den Tranzofen, dachte ihre Mutter. 
Wir willen es beijer und jagen es 
frei: Sie weinte aus Angft um den 
Trranzofen. Da liegt er jeßt allein. 
Die Knechte müſſen bedienen, die Weibs— 
teute dürfen fich nicht Herfür wagen. 
Der Bader ift noch nit da. Er kann 
verbluten und fterben. Und ftirbt er 
nicht, jo werden ihn die Franzoſen 
mitjchleppen, und diefe Raubkerle, das 
find feine Krankenwärter. Der Feld— 
fobelwagen ift fein Bett für Einen mit 
einer ſolhchen Wunde, oder fie laſſen 
ihn liegen auf der heißen Straße. Wie 
doch mancher Menfch gar jo arm muß 
fein auf der lieben Welt! 

Als die Welfchen fatt waren, hieb 
einer derjelben dem Bauer Thomas 
die flache Hand auf die Achfel umd 
jchlug dazu ein lautes Gelächter. Das 
bedeutete Zahlung und Dank. Dann 
giengen fie davon, und die Reiter be— 
ftiegen ihre Pferde. Den Verwundeten 
ließen fie, wo er war. Der gienge fie 
nichts an, war ihre Meinung ; der 
ihren wäre es Steiner. Die Knechte 
fteflten fich auf die Yaner, ob die Rotte 
wohl auch ihre kürzeften Wege nahm. 
Und als endlich in den Wäldern das 
Gejohle verhallt war und die Truppe 
weit draußen im Thale bunt und ord— 
nungslos dahinzog, athmeten fie exit 
auf im Hofe des Bauers Thomas. 

„Natürlich !” rief der Bauer, „den 
Verfterbenden lafjen fie uns da.“ 

„Er kann wieder gefund werden,“ 
jagte der Bader. „Die Wunde ift zwar 
fchwer, die Kugel ift ihm durch und 
durch gegangen. Aber Pflege und Ruhe 
bedarf er, den Transport könnte er 
jegt nicht aushalten. Ich werde jeden 
Tag kommen.“ 


begehre noch meine Bergütung!“ 

„Was man da diefes Franzoſen wegen 
für Gefchichten macht!“ meinten die 
Stnechte untereinander. „Dummer Ro— 
chus, dab er nicht einen Zoll tiefer 
hat gezielt.“ 

Dede der Mägde wollte die Chriſten— 
pflicht übernehmen und den Sranten 
pflegen, aber die Daustochter Agnes 
war der Meinung, einen jo harten und 
verantwortlihen Dienft, der Tag und 
Nacht feine Raft und Ruh’ gönnt, könne 
man den guten Mägden nicht aufs 
bürden; fie feien für die gewohnte 
Banernarbeit aufgenommen und müß— 
ten in der Nacht ihren Schlaf haben. 
Eins müſſe aber doch das ſauere Ge— 
Ihäft übernehmen, und fo wolle jie 
jelber es mit Gottes Hilfe verfuchen. 

„D gutes Kind!“ rief ihre Mutter, 
die Bänerin, gerührt. „Zum Kranken 
warten muß eine erfahrene Berfon fein. 
Men wird's treffen, als wie mich. Jın 
Gottesnamen!” 

Aber das gute Dirndl ließ es ſich 
nicht nehmen, der Mutter bei dem 
riftlichen Liebesdienft wenigftens be= 
Hilflich zu fein. Nach zwei Tagen war 
die Fiebergefahr bejeitigt, und einmal, 
al3 Agnes ihm ein Glas Milch reichte, 
hub er zu Sprechen an. Es war wohl 
fein laudläufiges Deutich, aber es war 
verftändlih, und mehr war e3 die Uns 
beholfenheit in den Gedanken, als die 
in den Worten, wenn er ftotterte,} Bes 
fangenheit zeigte und nicht recht fveiter 
fam. Es waren Worte des Dantes, 
die er zuerft Sprach, danıı Worte der 
Bitte, man möge doch ein paar Tage 
mit ihm Geduld haben, hernach werde 
er feinen Weg weiter fuchen können. 
Faſt Herrifch rief ihm das Mädchen 
zu, daran ſei jeßt micht zu denfen, 
vorerft Habe er gefund zu werden! — 
Befund zu werden, das ließ er Ti) 
freilih gerne gefallen, aber einmal 
fagte er, es wäre ihm beſſer, noch lange 
invalid zu ſein, noch lange in dieſem 
Haufe verbleiben zu dürfen. Wohin 


„Daß es der Herr weiß,“ rief der er ich auch wenden möchte, jo wohl 


57* 


800 





wiirde ihm nirgends gefchehen als hier. | davon nicht3 willen — fragte ihn die 


Seit jeine Muter geftorben, jei ihm 


Bäuerin, was es denn mit ihm eigent- 


nicht mehr jo gut gewefen, als hier. | lich fei? 


Und wenn er denke, daß ihm all’ das 
in Feindesland gejchehe, jo könne er 
es nicht begreifen und könne es nicht 
fajjen, warum denn die blutigen Kriege 
fein müßten zmifchen den Menſchen, 
wenn fie hüben und drüben jo gut jeien. 

Als die Agnes wieder einmal der 
Anrede wegen verlegen war, fagte der 
Fremde: „Jules! Jules heißen.“ So 
hießen fie ihn den Jules. Und ſaßen 
denn — es war Regenzeit gekommen 
und die Arbeit im Heu eingeftellt — 
Mutter und Tochter öfterd am Bette 
de3 langjam Genefenden und plauder= 
ten mit ihm. Es war doc ein gut— 
müthiges Gefiht, das ihnen da aus 
der Bartwildnis entgegenfchaute. Wenn 
es ernfthaft blidte, da war eine ſchöne 
ruhige Mannhaftigkeit in ihm; aber 
wenn es lächelte, da war es cin fo 
wehmüthiges, betrübtes Lächeln, daß 
es der Daustochter Agnes durch Mark 
und Bein gieng. 

Und nun geihah etwas, das ſchon 
am erjten Tage hätte gejchehen müſſen, 
wenn es der Bader nicht jo ftreng 
verboten. Es hatte den Meibsleuten 
ohnehin ſchon ſchlafloſe Nächte getoftet, 
nicht zu willen, was es mit dem 
Fremden doch für ein Bewandtnis hätte. 
Den Halter Rochus hatte die Agnes 
einmal, als er des Weges vorbeigieng, 
zugerufen:: 

„Mörderfnecht! Auf den Du ges 
ſchoſſen, das ift ja gar fein Franzos 
gewejen!* 

„Narr, Heiner!“ Hatte der Halter 
zurüdgefchrien, „wenn’s fein Deutjcher 
ift, muß e& wohl ein Franzoſe jein. 
Es gibt feine anderen Leut’ mehr auf 
der Welt, heutzutag.“ 

Und mun, al3 eines Morgens der 
Jules auf feinem Bette ſaß und die 
Wunde begutet war — die Agnes 
machte es jchon jo gut, wie der Bader 
und als der Fremde die Warme 
Weinbrühe getrunken hatte, er befam 
fie heimlich, der Bauer Thomas durfte 


„Ja, ich gehe ſchon, ich will gleich 
gehen,“ entgegnete der Fremde. 

„Nicht fo,“ rief die Bäuerin und 
hielt ihn auf dem Bett zurüd, „nicht 
vom Fortgehen ift die Rede, aber wie 
es mit Euch von Kind auf ift und 
wie Ihr auf unfere Wiefen gekommen 
jeid, das möchten wir gern wiljen. Die 
Leut’ haben nichts auf der Welt, als 
ih einander jelber, fie ſollen fich 
aneinander halten und Hilfe geben 
und Hilfe nehmen, wenn's von Nöthen 
ift. Wenn Ihr uns Vertrauen jchenten 
wollt, wir meinen es gut mit Eud, 
ihr feid auch ein Menſch und deswegen 
nicht fremd bei uns.” 

Die Rede war nicht übel geſetzt, 
und jo gut konnte es der Jules nicht. 
Allemal, wenn er ſprach, Hub er Deutſch 
an, und allemal kam er ins Weljche, 
daß ſich die Weibsleute unr jo an» 
fhauten. Uber die Hauptfache baben 
fie nah und nad) denn doc erfahren. 


Jules war um das Jahr 1780 in 
einem Dorfe des Elſaß geboren. Seine 
Eltern waren Gärtnerleute in einem 
Schloß gewejen. Es waren ihrer zwei 
Brüder, der Jules und der Charles. 
Der Charles war der Jüngere, ein 
lieber, feiner blaffer Junge. Wie nun 
der Buonaparte immer und immer 
frifche Soldaten brauchte, es war, als 
ob fie die Erde verſchlinge, traf es 
eines Tages bei der Loſung den Charles. 
Das war ein großer Janımer. Der 
Charles war zart und der Liebling der 
Eltern, und er lag tagelang auf dem 
Anger und meinte, und er follte nun 
fort ind heiße Spanien. Da entſchloß 
fi der Jules: 

„Bruder, Di biſt kränklich und 
weichherzig, bleibe Du daheim, ich gehe 
für Did.“ Das war freilich ein heller 
Freudenſchrei, und die Eltern jegneten 
den braven Jules und verfprachen, recht 
für ihn zu beten, daß er gefund wieder 
beimfehre. Aber — um ſchon Alles 


zur jagen — wer Anderer lebte im 
Dorf, und dem war e3 gar nicht recht, 
dab Jules fortgieng. Hermine war fie 
geheißen, ihre Eltern waren aus Schwa— 
ben eingewanderte Webersleute. Es 
war zum Erbarmen, wie das liebe 
Kind an feiner Bruft lag und fchluchzte, 
ald er mit dem ZTornifter am Rüden 
das letzte Mal vor ihr ftand. Ewige 
Treue er, ewige Treue fie — und 
Adieu, Jules! Adien, Hermine! jonft 
vermochten fie nichts zu fagen. Dann 
gieng’3 davon und hinab ins wilde 
Spanien und ins ferne Portugal, wo 
die Welt aufhört. Soldatenleben! Es 
ift weiter nichts zu Jagen. Aber nad 
zwei Jahren gieng fein Regiment zurück 
und er durfte heimziehen. 

„Ei Schade!“ riefen ihm die Dorf- 
leute entgegen, „Jules, wärft Du um 
zwei Tage früher gekommen, Du hätteft 
mittanzen können bei Deines Bruders 
Hochzeit.“ 

Jetzt Hatte der Charles die Hermine 
geheiratet. 

Gr habe weiter nichts gemacht — 
erzählte Jules weiter — er habe ji 
auch nicht aufgezeigt im Dorfe, um jo 
weniger, als auch feine Mutter jchon 
auf dem Kirchhof gelegen, er fei wieder 
zu den Eoldaten gegangen, weil dabei 
die befte Hoffnung war, bald erſchoſſen 
zu werden. Der Buonaparte habe ſie 
dann ins Deutfchland gejagt, und fo 
oft er — der Jules — auf den Feind 
geichoflen habe, fei e& ihm gewejen, der 
Charles ftünde dort, und alfo jei auch 
faft immer Einer gefallen. Dann fei 
e3 ihm aber in den Kopf gekommen 
und Tag für Tag lebhafter drin ums 
gegangen: Was habe denn die Schie- 
Berei für einen Sinn? Es find ja 
lauter Landsleute von der Hermine, 
auf die du ſchießeſt! Es hat auch 
Mancher feine Braut daheim. — Da 
babe jein Arm gezittert, wenn es zum 
Schießen gewejen. Einen guten Ka— 
meraden habe er gehabt, einen Pie— 
montejen, der fei in wenigen Monaten 
von feiner Seite weg aufgeltiegen bis 
zum Oberlieutenant, er jelber fei unten 


901 


geblieben im jchlehten Kanonenfutter. 
Das habe ihn verdroffen. Und wie fie 
da in die jchöne Styria gekommen 
wären — er hätte ſchon früher ge— 
hört von diefem Land — und wie er 
die frifchen Wieſen und netten Lande 
güter habe gejehen, da fei ihm wieder 
fein Elfaß zu Sinn gekommen und er 
habe fich gedacht, wenn er freiwillig zu 
den Soldaten fei gegangen, fo könne 
ex auch freiwillig wieder von ihnen 
gehen. Es fei doch ein hölliſches Hand— 
werk, der Leute Feind fein zu müflen, 
die Einem nichts getan Haben. Und 
wenn er gelehen, wie fie auf den Fel— 
dern und Wiefen und in den Gärten 
arbeiteten, die Hand voller Erden und 
fein Blut dran und dvergnügt dabei — 
ja da ſei es über ihn gekommen, ex 
habe feine Waffen und Abzeichen von 
ih geworfen. Der Eidſchwur, den er 
dem Buonaparte geleiftet! „Ah pah! 
Der Buonaparte hat Hundert Eid- 
ſchwüre gebrochen zu der Leute Unglüd! 
Wenn ih gehe, iſt's Seinem zum 
Schlechten. Von Gloire verftehe ich 
nichts, das Leben ift kurz, ich will 
Frieden haben, will mein Brot ver- 
dienen umd nicht rauben.“ — So ſei 
er im Gebirge dahingezogen, und mo 
er arbeitende Leute angetroffen, da 
habe er ich zu ihmen gefellt und mit- 
gearbeitet und mitgegeſſen, bis fie ihn 
dadongejagt, oder bis die Arbeit voll- 
bracht und er ſelber weitergegangen. 
Und fo ſei er auch auf die Wiefe ge— 
kommen, die drinnen im Wald liegt 
— das Weitere hätten ſie felber ge= 
ſehen. Den franzöſiſchen Soldaten, die 
in den Hof gebrochen, habe er ſich 
verleugnet, und jo Hätten fie ihn in 
Frieden gelaffen. Er fei nun geſund, 
er werde dieſes Haus verlalfen, wo er 
jo gute Menjchen gefunden, die er 
wohl fein Leben lang nicht werde ver— 
geſſen können. 

Wohin er wolle? fragte alddann 
die Haustochter Agnes. 

Das wiſſe er nicht. 

In's Elſaß zurüd? 

Dort habe er nichts zu ſuchen. — 


902 


Nun Fam die Schöne Frühherbftzeit, 
es fam das Spälhen. 

„Hort will er, der Tagedieb!“ rief 
der Bauer Thomas. „Das müßt” auch 
mir recht fein. Er bleibt da und dient 
mir feine Schuld ab. Das Bett, die 
Stuben, die Wartung, das Eſſen und 
Trinken, was er bei mir hat gehabt! 
Die Verbandleinwand, das Kerzenlicht 
bei der Nacht! Und was ich fonft für 
Geſchichten Hab’ gehabt feinetwegen. 
Hin wär’ er, wenn mein Haus nicht 
it! Sein Leben, wenn ich böf’ fein 
will, ift er mir ſchuldig! Den Spiß- 
namen: Franzoſenbauer, wer wajcht 
mir ih weg? Mein Lebtag kann ich 
ihn Schleppen. Und der Kerl will das 
Alles umfonft haben und fortlaufen ? 
Dieweilen bleibt er, bis wir das Heu 
drin haben, nachher reden wir weiter!“ 

Die Haustochter Agnes dachte für 
ih: Mein Vater hat ganz Necht, der 
Jules ſoll bleiben, bis wir das Heu 
drin haben. 

Und als fie das Heu drin hatten, 


Es war ein unbedachtes Wort, und 
es war ein prophetifches Wort. Der 
Jules blieb im Bauernhof, und es 
war vom Fortgehen feine Rede mehr. 
Gerade in dem Jahre, als der Buona— 
parte bei Leipzig feinen Lohn erbielt, 
befam deſſen ehemaliger Soldat, der 
Jules, den feinen — die Haustochter 
Agnes. Ueber dem Bauer Thomas 
wuchs damals Schon das Heu. 


Als das Brautpaar zwiichen den 
luſtigen Hochzeitögäften von der Kirche 
her über die Wiefe gieng, fiel ein 
Schuß. Der Jules zudte zufamınen. 
Der alte Halter Rochus Hatte ge— 
Ichoffen, aber diesinal in die blaue Luft 
hinaus, zu Ehren des Paares. 


Noch heute Heißt jener Waldhof 
„beim Franzoſenbauer.“ Es ift eine 
ftattlide Wirtſchaft und ein gefundes 
Geſchlecht. Als vor Jahren unjer Va— 
terland von dem Feinde bedroht wurde, 
rüdten alle Männer des Hofes, die 
alten wie die jungen, freiwillig aus. 


war er munter, der Jules, und ſprach „Anfangen,“ fagten fie, „anfangen thun 
ichon beifer deutfch, daher war e& leicht wir nicht. Aber wehren, wenn der 
weiter reden mit dem Baner Thomas, Feind unſer Heimatland angeht, wehren 
Der Jules blieb als Knecht im Hof fünnen wir uns. Vorwärts!" 

für's nächſte Jahr. Er arbeitete tüchtig Recht brav das. Allein die Fa— 
und begehrte feinen Lohn. „it brav,“ | milieneigenthümlichkeit zeigt fich auch 
fagte der Bauer Thomas aus Vers | in allen Nachkommen des Jules: mehr 
gnügen über den billigen Knecht, „ſollſt als im Kriege leiften fie im Frieden. 
wie das Kind von Haus gehalten fein.“ 


Auf Häubercommando. 
Novelle von Paul Maria facroma, 
ESchluß.) 






V. 
So fam der Garneval herbei, von 
3 welchen ſowohl die in der Um— 


gebung verjtreuten Officiere, als auch 
Géza, nur dom Hörenjagen erfuhren. 





Umſo erftaunter war, oder jchien | 


wenigften& der Prior des Kloſters, als 
an ihn folgender Brief gelangte: 
Ehrwürdiger Herr Prior! 
Ich, Beg Huſſein Zaikovié, zwar 
Gutsbeſitzer im Sandſchak, aber ſehr 
gut auf die Oeſterreicher zu ſprechen, 


u 








die ich für unſere Befreier und Ver: 
breiter einer höchſt nothwendigen 
Givilifation betrachte, wende mich 
mit einer allerdings etwas fonder- 
baren Bitte an Sie. 

Ih möchte zur Berlobungsfeier 
meiner einzigen Tochter und Erbin 
am legten Faſchingstag ein groß- 
artiges Felt geben, und zwar foll 
e3 ein glänzender Ball werden. 

Nun bin ich Freilich mit allem 
Nöthigen dazu verforgt, aber mit — 
Tänzern geht es uns ſchlecht. (Wie 
ich höre, foll dies auch anderwärts 
öfter der Fall fein.) 

Meine Tochter behauptet, die 
beiten Tänzer der Welt ſeien Officiere, 
namentlich Lieutenants. Vielleicht 
gelingt es Ihrem Einfluß, beim 
Oberften des nicht gar fo weit fta= 
tionierten Regiments die Gnade zu 
erwirten, mir gütigſt etwa ein 
Dutzend diefer unentbehrlichen jungen 


Leute auf 48 Stunden zu übers | 


laſſen? — Am Donnerstag wären 
Alle wohlbehalten wieder daheim. 

Ich würde jelbftverjtändlich für 
den beiten Transport, für eine gute 
Unterkunft und für ſämmtliche often 
Sorge tragen. 


In Erwartung einer günftigen ; 


Erledigung meiner dringenden Bitte 
zeihne ich als 
Euer Ehrwürden 
ſehr ergebener 
Huſſein Zailovic. 

NB. Nebjtbei erkundige ich mich, 
ob Sie mir wohl gütigft gejtatten 
würden, dies Meßgewand, das meine 
Tochter geftidt, im Namen derjelben 
für Ihre Kirche zu Spenden ? 

Es wurde herzlich über die jonder- 
bare Epiftel gelaht; doch der Prior 
nahm e8 ernft und fuhr Tags darauf 
zum Oberften, mit dem er auf recht 
gutem Fuß fand. 

„Bewilligt!“ rief der greife Prieſter 
bei jeiner Rückkehr aus, und gerades 
wegs auf Geza losjchreitend, der nebft 


den übrigen Stlofterbewohnern an der 


903 


 Mittagstafel im Refectorium ſaß, fuhr 
er triumphierend fort: „Zehn Officiere 
— mehr jind im Moment nicht dis— 
ponibel — wurden zur Schandſchak— 
Erpedition commandiert, und Sie, 
lieber Oberlieutenant, find als Führer 
der luſtigen Geſellſchaft auserjehen. 
| Siütteln Sie nur mit den Kopf! 
Da müßt fein Wollen und Nichte 
wollen — Sie müſſen ganz einfach. 
Befehl ift Befehl, wie Ihr Militärs 
ſagt. Montag über acht Tage werden 
die ex oflo- Tänzer abgeholt und 
Donnerstag unverjehrt zurüdgeliefert. 
So hab’ ich's mit dem Oberſten aus— 
gemacht, und dabei bleibt es.“ 

Géza ſah recht mürrifch drein. 
Natürlih mußte er ſich nun fügen, 
wenn auch nicht gern, und ein fein 
wenig neugierig ſchien er doch auf 
die ganze Gefchichte zu fein, wie der 
Prior zu bemerken glaubte, der den 
jungen Mann fcharf beobachtete. 

„Nun,“ meinte er, „wenn es der 
Dberft befiehlt, muß ich mich wohl 
den Kameraden anſchließen; allein 
nicht als Tanzbär, was ich geradezu 
entwürdigend finde. Ich werde mich 
an’s Clavier ſetzen und der Gefellfchaft 
die ganze Nacht den „Schönen blauen 
; Donau-Walzer« vorpaulen.“ 
| Diemit war die Sache erledigt. 

Schnell waren die paar Tage ver— 
gangen, die aber leider einen dichten 
Schneefall brachten ; doch am Faſchings— 
montag war es wieder überrafchend 
Ihön, wenn auch bitter falt. 

In den Bormittagsftunden trafen 
die zehn zum Ball befohlenen Officiere 
im Kloſter ein; fie wurden ſämmtlich 
vom Prior zu Tiſch geladen, und 
Ihon um Halb zwölf hr, etwas früher 
noch als gewöhnlich, begann das reich: 
liche, Fröhliche Mahl. Geza war der 
Einzige, der den köſtlichen Speiſen 
und Weinen nur mäßig zufprad, ja 
überhaupt jehr einfilbig und verſtimmt 
daſaß. 

Beim Deſſert erklang plötzlich von 
der Straße her munteres Schellen— 
geklingel und helles Peitſchenknallen. 








Es waren jehs höchſt elegante und 
ſogar luxuriös ausgeftattete Schlitten, 
die an der Slofterpforte vorfuhren, wo 
fie denn auch gar bald die mit fo 
vielen Ehren abgeholten Gäfte auf- 
nahmen. 

Man kann ſich das freudige Er- 
ftaunen der DOfficiere denken, als fich 
für jeden von ihnen ein prächtiger, 
nit Blumenfträußchen geſchmückter 
Belz in den offenen Schlitten vorfand. 

Mahrhaftig, bis jetzt Hatten fich 
die ex offo-Tänzer über gar nichts 
zu beflagen; denn mobler konnte fein 
König für feine Gäfte Sorge tragen! 

Die lebensluftigen jungen Leute 
ſahen denn auch der weiteren Ent: 
widlung des Übenteuers mit begreiflicher 
Spannung und freudiger Erwartung 
entgegen, Géza ſogar mit Herzklopfen, 
da er an feinem Pelz, in den ihn der 
Prior lachend und doch herrifch zu— 
gleich eingehüflt, eine — Theerofe ent— 
dedte. Nun zögerte unfer Held keinen 
Augenblid mehr, an der Seite des 
würdigen Priefterd, der die Erpedition 
mitmachte, im erften Schlitten Plab 
zu nehmen. 

Bon Roſenduft umgaufelt, wäre 
er ja an's Ende der Welt gegangen ! 

Die Heinen, jedoch äußerft kräftigen 
und flinten türkifchen Pferde, die den 
Schlitten paarweife vorgejpannt waren, 
flogen förmlich über den faft meter— 
boden, feitgefrornen Schnee dahin. 
Dur die gleihmäßig wiegende Be- 
wegung des Fahrens waren die Reis 
jenden gar bald ſammt und fonders 
in ihren guten warmen Pelzen ein- 
genidt, und als fie endlich durch das 
Anhalten der Gefährte aus ihrem ſüßen 
Schlummer auffchredten, war es bereits 
finftere Nacht. 

Die Schlitten ftanden vor den 
gaftlich geöffneten Thoren eines großen, 
wenn auch bloß ebenerdigen Gebäudes. 

Geſchäftig eilten Diener herbei, 
um den Officieren beim Abfteigen be= 
hilflich zu fein. 

Und wer empfing fie? — Wer 


bewillkommte fie auf's Herzlichſte? — 
Der Pope, Gregor PBolifjovic. 

Géza war im erften Augenblid 
ganz betreten und ſehr unangenehm 
berührt. Empörend dünkte ihn die 
ungenierte, ja faſt unverſchämte Art, 
in der fi der Pope ihn gegenüber 
äußerte. 

„O, amice! da find Sie ja leib- 
baftig! Wie oft dachte ih an Sie! 
Wie ſehr fehnte ich mich, Sie wieder: 
zufehen! Wie geht es? Wie geht es? 
Gratuliere dem Herrn Ober: 
lieutenant. Wie gefällt's diesmal in 
Bosnien? — Nun, es hat Ihnen ja 
immer gut angefchlagen. Freut mic, 
freut mich ganz außerordentlich, Ihnen 
wieder einmal die Hand drüden zu 
können!“ 

Am liebſten hätte der junge Mann 
den läſtigen Schwäßer heftig unter: 
brochen und ob feiner Verrätherei zur 
Rede geftellt, dody die Hoffnung, durd 
ihn über Zora's Aufenthalt endlich 
Gewißheit zu erlangen, ließ ihn feinen 
Zorn verbeißen. Auch ftellte ſich ſo— 
eben der geiftlihe Herr den übrigen 
Officieren als Bevollmächtigter des 
Begs vor, der wegen der Vorberei- 
tungen des morgigen Feſtes noch in 
der Stadt weilte und ihn mit dem 
Empfange feiner Gäfte betraut Hatte. 

„Und nun, meine Herren, machen 
Sie ſich's bequem! Sie find hochwill— 
kommen im Landhaufe meines Freundes, 
in defjen Namen ich Ihnen Hiemit 
Salz und Brot anbiete.* 

Man fchritt direct in den Speile- 
faal, wo ein vorzügliches Souper der 
Säfte harrte. 

Hierauf zogen ſich die Officiere in 
die ihnen amgemwiefenen Zimmer zus 
rüd, die für ſolch' weltentrüdten Erden: 
winkel weder an Eleganz, nod an 
Comfort etwas zu wünſchen übrig 
ließen. 

Da Statt der erwarteten zwölf 
Tänzer bloß elf eingetroffen, glüdte 
es Géza, allein zu fein, was ihn jehr 
lieb war; denn er hätte das banale 
Geplauder feiner Kameraden, die zu 


awei umd zwei im den berichiedenen 
Gemächern einlogiert waren, in feiner 
jegigen Stimmung unmöglich ertragen 
fönnen. 

Géza Hatte eine der netteften 
Stuben inne, und bei Prüfung der- 
jelben gewahrte er auf einer Marmor— 
confole in herrlichen chinefifchen Vaſen 
die denkbar ſchönſten — Theeroſen. 

War es bloß der Zufall, der ihm 
immer wieder die Königin der Garten— 
flora in den Weg führte? 

Von tauſenderlei Gedanken und 
Gefühlen beſtürmt, war der junge 
Mann erſt ſehr ſpät eingeſchlafen. Die 
thörichſten und extravaganteſten Träume 
plagten ihn bis tief in den Tag hinein. 
Erſt der helle Sonnenſchein ſchreckte 
ihn aus ſeinen theils unerquicklichen, 
theils wonnigen Traumgebilden auf. 

Schnell angekleidet, beeilte er ſich, 
die Kameraden aufzuſuchen, die aber 
bereits beim Frühſtück ſaßen, was ihn 
nicht wenig ärgerte. 

Der Pope, der den Herren aber— 
mals die Honneurs machte, kam ihm 


außerordentlich freundlich entgegen, er⸗ 


kundigte ſich nach ſeinem Befinden und 
beſtrebte ſich offenbar, den jungen 
Officier abſichtlich auszuzeichnen. 

Die Frage, ob er mit der Unter— 
kunft zufrieden geweſen, mußte Géza 
der Wahrheit gemäß bejahen, wiewohl 
er, durch das gute Logis im Stlofter 


verwöhnt, durchaus nicht das Ent: | 


züden der anderen Dfficiere theilte, 
die den Unterfchied zwifchen den harten 
treldbetten ihrer Baraden nie genug 
hervorheben konnten, ebenfo die Wohl» 
ihat, von den widrigen Serenaden 
der Wölfe endlih einmal verichont 
gewejen zu fein. 

Nach dem vortrefflichen Frühſtück, 
bei welchem ſich Tabak und Mofta 
als glei vorzüglich und echt türkiſch 
erwiejen, wurden die Schlitten aber: 
mals befliegen. 

Diesmal waren deren Inſaſſen 


905 


|Geftein, von der blendend weihen ' 
Schneedede allenthalben eingehüllt, wie 
aus Marmor gemeißelt im goldigen 
Sonnenschein erglänzten. 

Schlag zwölf Uhr hielten die Sclit- 
ten dor dem mächtigen Portale eines 
impofanten, burgartigen Schlofjes, das, 
auf hoher Bergzinne erbaut, von feden 
Thürmen flankiert, gar ftolz und troßig 
die Ebene beherrjchte. 

Sie waren am Ziele. 

Der Beg Stand auf der Thorfchwelle 
und begrüßte feine Gäfte. Es war 
ein großer ftattlicher Mann von un— 
gefähr ſechzig Jahren, der ihnen da 
in der maleriichen Nationaltracht ent— 
gegentrat. Seine intelligenten und 
höchſt ſympathiſchen Gefichtszüge ums 
rahmte eisgraues Haar und ein lang 
herabwallender. dichter Bollbart, welcher 
der markigen Geftalt etwas Majeitä- 
tiſches verlieh. Dunkle, freundliche 
Augen jchienen das Lächeln des ſchön 
geformten Mundes zu begleiten, und 
mit fräftiger, Hangvoller Stimme rief 
er den Officieren fein biederes Will— 
fommen zu. 

„Nochmals willkommen, meine 
Herren, und taufend Dank für Ihre 
Sitte! — Sie jehen einen Mann vor 
ih, der Ihrem Lande große Achtung 
zollt, der ſich glücklich ſchätzt, deſſen 
tapfere Krieger in ſeinem beſcheidenen 
Heim beherbergen zu können! Möge 
es Ihnen mohlergehen in den alten 
Mauern meiner Väter! Sie dürfen 
ſich darin nicht fremd fühlen, meine 
Herren; denn mein Haus it Ihr 
Haus, mein Hab und Gut ift Ihr 
Gut, meine Leute find Ihre Leute, 
‚mein Brot ift Ihr Brot,“ ſchloß er, 
‚auf Geza zufchreitend, den er dur 
‚eine vorftellende Handbewegung des 
Priors al! Anführer zu betrachten 
ſchien, und obwohl er in der Mehr» 
zahl Sprach, meinte man dennoch durch 
die eigenthümliche Betonung feiner 
Morte herauszufühlen, daß ſie einzig 

















durchwegs wach und bewunderten die und allein mur dem jungen Mann 
wildromantische Berglandichaft, deren | gegolten, den er während feiner Rede 
gigantifche Contouren und zerklüftetes Felt angeblidt umd dem ev nun als 


Eriten ſowohl Salz und Brot veichte, ! 
als auch die Wange zum Kuſſe bot. 
Ein donnerndes Zivio feitens der 
ringsum derfammelten tributpflichtigen 
Kmets und der Dienerfchaft des Begs 
begleitete diefen Act, deſſen Feierlich— 
feit eine faft ergreifende zu mennen | 
war und der Geza umfomehr berührte, 
als er ihn an einen anderen ceremo— 
niellen Kuß gemahnte, der, ach! jo 
ſüße Erinnerungen in ihm wachrief. 
Jeden feiner Gäfte begrüßte nun 
der Beg im gleicher Weile, der Schönen 
Sitte ſlaviſcher Volksſtämme durch 
feine gewinnende Liebenswürdigkeit 
doppelten Reiz verleihend. Dann betrat 
er, von fänmtlichen Officieren gefolgt, 
fein bejcheidenes Haus, deſſen kühn— 
gewölbte Marmorhalle feinen früheren 
Morten durchaus nicht entſprach, und 
wies Jedem ein eigenes Zimmer an. | 
Um zwei Uhr wurden die biels | 
gefeierten Tänzer zu einem fplendiden | 
Diner von dreißig Gededen entboten, 
welches zwar die geſammte Herren | 
gejellichaft des Haufes vereinigte, doch 
durch keine einzige Dame berherrlicht 
wurde, 
Sie Schienen ſämmtlich mit der 
Balltoilette befchäftigt zu fein. 

Der Beg ftellte die Anvefenden 
gegenfeitig vor. In erſter Linie und 
beſonders warm einen jungen Guts— 
beſitzer, den er als ſeinen lieben Nach— 
bar und intimen Freund des Hanſes 
bezeichnete. 

„Aha!“ dachte ſich Géza, „gewiß 
der Bräutigam.“ 

Er hätte es nicht vermocht, ſich 
die feindfeligen Gefühle zu deuten, die 
ſich bei diefer Vermuthung in feinem 
Innern regten; Mar war es ihm nur, 
daß er den bildſchönen Mann in feiner 
fleidfamen Nationaltraht geradezu 
haßte. 

Bei Tiſch erwies ſich der Beg als 
ein ganz charmanter Hausherr, der 
jeden jeiner Gäſte Superft tattvoll aus— 
zuzeichnen wußte. Den zu jeiner Rechten 
jigenden Oberlientenant Sandor über 
bäufte er förmlich mit Aufmerkſam— 


| 








| 


| 





brachte, 





feiten jeder Art. Der gewandte Mann 
veritand es meilterhaft, ihn immer 
wieder in längere Gejpräche zu ver- 
wideln, wobei er die verfchiedenften 
Themen, wenn auch fehr geihidt, doch 
abfichtlih zu berühren ſchien; ja es 
wollte Geza jogar bedünken, als ob 
er gerazu ausgeforſcht und beobadiet 


würde, was eben nicht beitrug, feine 
ohnehin irritierten Nerven zu be= 
ruhigen. 


Beim Defjert wurde mit ausge— 
zeichnetem Champagner toaftiert. Zue 
erſt erhob fich der Hausherr und trank 
auf das Mohl der öfterreichiichen 
Armee, die er al3 tapfer im Gefechte 
und menſchlich und gütig felbft gegen 
Feinde priee. — War es bloß Zufall, 
daß der Beg ſich bei dieſen Worten 
ganz beſonders tief vor Géza verneigte? 

Man erwiderte wie üblich, indem 
man auf die Geſundheit des liebens— 
würdigen Gaſtgebers ein Hoch aus— 
das allſeits ſtürmiſch accla— 
miert wurde. 

Um fünf Uhr erſt kehrten die 
Officiere in ihre verſchiedenen Ge⸗ 


mächer zurück — einige in ſehr ge— 


hobener Stimmung — und nachdem 
ſie ſich zwei Stunden nothwendiger 
Ruhe gegönnt, gieng's aun's Anziehen, 
| Bomadifieren, Parfümieren und Fri— 
ſieren; denn darin geben manche Herren 


der Schöpfung der eitlen Damenwelt 
‚durchaus nichts nad. 


Punkt acht Uhr betraten die viel— 
gefeierten Tänzer den blendend erleuch— 
teten Ballfaal. Und wahrlid, niemals 
noch hatten fie Schöneres gejeben! 

Es war eben die ganze verſchwen— 
deriihe Pracht des prunkliebenden 
Orients, die ihnen da entgegenblintte 
und ſich an den feidentopezierten 


Wänden, golddurchwirkten Möbelftoffen 


und marmornen Lambris Fundthat. 
Dazu wunderbare,  bernfleinfarbige 
Parquets, auf deren glänzender Fläche 


ſich's Föftlih tanzen mußte, 


Derrlihe Spiegel von wahrhaft 
rieſiger Dimenſion ſchmückten den luxu— 
riöſen Raum, deſſen feenhafte Aus— 


007 





ftattung auch noch durch feltene Blatt- und — eine hohe, zarte, wohlbefannte 
pflanzen gehoben ward, Die, zu ale  Mädcengeitalt, in mattgelbe Bruſſa— 
muthigen Gruppen höchſt maleriich und | Seide gehüflt, mit friſchen Theeroſen 
linnig vereint, die Eden des Saales im goldigihimmernden Haar, erblidte 
gar vortheilhaft abrundeten und dem fein ſtaunendes Auge. Keines Wortes 
etwas zu länglichen Bau ein ſymme- mächtig, in ftummer Seligfeit um— 


triſches Oval verliehen. 


Beim Eintritt der Officiere ertönte | 


die Vollshymme, von einer der beiten 
Zigeunerfapellen Ungarns geſpielt. 
Géza traute feinen Augen faum, als 
er am Dirigentenpult der hohen, von 
Marmorſäulen getragenen Gallerie den 
ihm perfönlich bekannten berühmten 
Räcz Pal erblidte. 

Das hätte er im Herzen Bosniens 
wohl nicht erwartet. 


Man erfah aus alledem, daß der 


Beg weder Koften noch Mühe geſcheut 
hatte, um das Berlobungsfeft feiner 
Tochter zu verherrlichen; doch fie, die 
Vielgefeierte, 
Dfficiere nicht wenig neugierig waren, 
blieb noch immer unfichtbar, wenigſtens 


hatte der Beg bei der gegenfeitigen | 


Voritellung noch feine der vielen ſchönen 
Damen als die Königin des Feſtes 
bezeichnet. 

Enttäufcht hatte Geza den reichen 
Damenflor gemuftert. Er hoffte, die 
Heißgeliebte darunter zu finden, nach 
der fein thörichtes Herz jo krankhaft 
ich Tehnte, und nun jah er die lete 
Hoffnung ſchwinden, jie jemals wieder- 
zuſehen. Wie vernichtet unter der 
Wucht diefes Schlages, ſchloß er die 
Augen und wiünjchte ſich meilenweit 
hinweg. 


NL 


Die Tanzmufit hatte begonnen: 
Feurig, hinreißend, verlodend, 
fascinirender Macht durchglüht, 
nur Zigeuner zu ſpielen vermögen. 

„Wollen Sie wohl jo freundlich 
fein, Herr Oberlientenant, 
mit diefer jungen Damezu eröffnen ?” 

Pflichtſchuldigſt, wenn auch nicht 
ſehr entzückt, wandte ſich Géza bei 
dieſen Worten des Begs raſch um, 


auf welche ſämmtliche 


von 
wie 


den Ball’ 


| ſchlang er die theure, langerjehnte Zora, 
und im der nächlten Secunde ſchon 
flog das Ihöne Paar dahin, von dem 
‚leidenschaftlich bewegten Tempo unga— 
riſcher Weifen getragen. Ihnen nad) 
‚wirbelte die ganze große Schar ver— 
gnügungsſüchtiger Ballgäfte, die bloß 
‚anf dies Signal gewartet Hatten, um 
‚ihrer mühſam verhaltenen Zanzluft 
‚zu fröhnen. 

Dreimal mkreisten fie den Saal. 
Geza meinte zu träumen. Betäubend 
war dies unverhoffte Gtüd über ihn 
gekommen, jo daß er es faum zu fallen 
| vermochte; darüber nachzuſinnen dachte 
er gar nicht; er wußte nur: die Schöne 
| Zora endlich gefunden zu haben. 
| Am dichteften Theil der üppigen 
Pflanzengruppen hielt Die reizende 
ı Tänzerin Géza's, mit leifem Hände 
drud ihren Wunsch auszuruhen bekun— 
dend; fie verfchwand dann auch Jogleich 
in dem kleinen Palmen- und Camelien— 
hain, der ich allmählich zu einem aus» 
gedehnten Wintergarten geftaltete. Durch 
einen Wink ermuthigt, war ihr der 
junge Mann gefolgt und fand nun 
flopfenden Herzens vor der Lieblichen 
Erſcheinung, die auf einen aus dunkel— 
grünen Plüſch täufchend imitierten 
Moosſitz Platz genommen. 
| „Iſt es möglich!?“ begann ber 

ſonſt fo redegewandte Officier in ſicht— 
‚licher Verlegenheit. 

„Jawohl, ich, Ihre einftige Gefan= 
gene, begrüße Sie in meinem Heim. 
Es ift mir endlich gegönnt, den gütigen 
Freund wiederzufehen, dem ich jo viel 
verdanke, deffen Edelmuth ich jo jchlecht 
belohnt.“ 

„Sie erfennen es alſo! Sie... 
‚Sie begreifen, im welch’ gräßliche Lage 
‚Sie mich gebracht hatten... . wie fehr 
"Sie mich als Officier, als Menſch ge— 
‚schädigt. 








008 





„D, halten Sie ein! Sprechen | um ihm ebenfalls ihre Gunft zu fchenfen, 
Sie nicht weiter!” rief das erblafjende | war der Einzige, der ſich durch Schwim— 
Mädchen flehend aus. „Steine Vorwürfe! men zu retten gewußt, und duch ihn 
können denen gleichen, die ich mir felbft | gelangte fie auch zur Kenntnis dieſes 
gemacht! Ich wurde zur Flucht gedrängt ſchrecklichen Fallfirides. Die gute Alte 
— ich ſelbſt hatte fie nicht erfonnen. | betrachtete es als eine Art von Sühne, 
Die Furt, die Angft, die fo begreifliche wenn dies verhängnisvolle Fenſter 
Scheu vor einem öffentlichen Procefje auch einmal Jemandem zur Rettung 
ließen mich darein willigen. Verſetzen gereichte. Der feitgefrorene Fluß ge— 
Sie fih in die Lage eines armen !ftattete uns Allen, ungefährdet zu 
Mädchens, das fich plößlich der firengen | fliehen, und wie man einem mweinenden 
Zucht eines Militärgerichtes ausgeſetzt Finde ein Spielzeug in die Hand 


fieht. Ich durfte nicht erwarten, alle 
DOfficiere jo lieb und rückſichtsvoll wie 


Sie zu finden.“ — Diefe Worte hatten 


ihn entwafnet; fie ſah es an dem 
gutmüthigen Lächeln, das feine Lippen 
umfpielte, und fuhr nun zuderfichtlicher 
fort: „Der Pope Gregor Poliſſovié 
ift ein alter, ergebener Freund unferer 
Familie, der meinem armen DBater zu 
großem Dank verpflichtet war; er 
hätte mich mit Gewalt hinmweggefchleppt, 
wenn ich nicht endlich verſprochen hätte, 
ihm freiwillig zu folgen. Da lieh er 


drückt, fo ließ der gute Pope den Chriſt— 
baum mitgehen, dem mein Diener auf 
feine breiten Schultern lud, als er 
den Schmerz gewahrte, welchen mir 
die Trennung von dem trauten Gemache 
verurſachte. — Sie können das liebe 
Bäumchen morgen in unſerem Garten 
jehen ; es hat Wurzel gefaßt und grünet 
fuftig fort, al3 ob e& niemals anderen 
Boden entflanmt wäre! — Doch um 
auf unfere Flucht zurüdzufehren, muß 
ich Ihnen noch erzählen, daß wir uns 
volle acht Tage in den Souterrains 


meine beiden Diener unter dem Vor-— | des Kloſters verftedt hielten. Wir Hatten 
wande der nothiwendigen Hilfeleiftung dieſe fchauerlichen Gewölbe durch einen 
bezüglich meiner Wunde hereinlommen, | unterirdifchen Felſengang erreicht, der 
und fie beſchloſſen gemeinschaftlich, mich | bloß dem Popen und dem Prior des 





um jeden Preis zu retten, Die alte 
Maliöla war bald für den Fluchtplan 
gewonnen, und während noch bie 
Männer über die Ausführung desjelben 
nachſannen, geitand die fchlaue Alte, 
einen ficheren, ungefährlichen und ver— 
ichwiegenen Weg biefür zu kennen. 
Gegen die VBerficherung, fie mitzunehmen 
und lebenslänglich für fie zu forgen, 
theilte fie uns das Geheimnis des 
Daremsfenfters mit. Sie hatte ſchon 
vor Jahren in dem Sonaf gedient, 
als ihn noch der türkiſche Kaimakam 
mit feinen rauen im Sommer be— 
wohnte. Eine Hievon, die ſchöne doch 
grauſame Selima, bediente fich diejes 
Fenſters, um ſich ihrer Anbeter zu 
entledigen, die in den Tiefen des 
Fluſſes einen grauſamen Tod fanden, 
anftatt des ficheren Entlommens. Der 
Sohn der alten Maliẽka, den die ſtolze 
Georgierin nicht als zu gering betrachtet, 


Kloſters befannt war. Leßterer, auf 
deſſen Verſchwiegenheit wir rechnen 
konnten, wurde noch in derjelben Nacht 
vom Popen in's Vertrauen gezogen, 
welcher deſſen Zelle unbemerkt zu er— 
reihen gewußt. Er war es aud, der 
uns die ganze Zeit hindurch perjönlich 
mit Lebensmitteln verſah. Am vierten 
Tag fandten wir meinen treuen Diener 
Josko zu meinem Onkel, um mit 
feiner Hilfe die weitere Flucht zu 
bewerfftelligen. Der gute Onfel war 
natürlich nicht wenig entjeßt, über 
mein jchredliches Abenteuer und beeilte 
fi, die legten Folgen hievon hilfreich 
von mir abzuwenden. — In der Neu— 
jahrsnacht verließen wir insgefammt 
unfer Sicheres Verſteck. Die flinkiten 
| Pferde von Onkels berühmten Geftüte 
harrten unfer am Ausgang des unter- 
irdiihen Hohlwegs; wir jchwangen 
uns in den Sattel, und fort gieng's 





909 


in Nacht und Grauen, über Stock und dem Unglückstage geſtanden, au welchem 
Stein hinweg, der ſicheren Führung | mein armer Vater Rache nahm an dem 
unferer Hugen Thiere vertranend. In Verruchten, der unjere inzwijchen aus 


der Dämmerung des zweiten Tages 
waren wir Alle glüdlic daheim und 
in den feſten Mauern von Onkels 
Felſenſchloß vor jeder Verfolgung ge— 
borgen. Meine Wunde war bald gänzlich 
geheilt, und auch die alte Malicka, 
welcher der ſcharfe Ritt denn doch etwas 
zugeſetzt, troßdem fie, wie jede Bos— 
nialin, von Kindheit an daran gewöhnt, 
erholte fich in wenigen Tagen, jo daß 
wir durchwegs mit dem bloßen Schreden 
davongelommten.“ 

„Nun, dann ift es Ihnen wahrlich 
befjer ergangen, als mir. Sie werden 
faum willen —“ 

„Ach ja! leider erfuhr ich von 
Ihrer Krankheit!“ unterbrach ihn die 
tieblihe Zora thränenfenchten Auges. 
„Ich erfuhr aber auch, dab die fatale 
Geſchichte dienſtlich wenigftens ohne 
Holgen für Sie geblieben. Dennoch 
war ih jo herabgeſtimmt, fo ange— 
griffen, jo unglüdlich, daß mein theurer 
Oheim mein leben erhörte und mich 
furz nach Ihrer Abreife ebenfalls ver— 
reifen ließ. Und zwar erlaubte er mir, 
nich in Maliéka's Begleitung nach der 
Schweiz zu begeben, wo ih in ein 
ausgezeichnetes Penfionat trat und bis 
zu dieſem Herbfte darin verweilte, um 
meine mangelhafte Erziehung zu ver— 
vollftändigen.“ 

Géza hörte mit Entzüden die 
melodiiche Stimme im reinften Deutſch 
Alles dies erzählen. Stumm faß er 
da, nur feine Augen jpraden — und 
es ſchien, daß fie VBerftändnis fanden; 
denn die blidten ebenfo traut in die 
Ihwarzen Sammetaugen des feinen 
Träuleins, wie zur Zeit, al3 er noch 
it feiner Gefangenen das landläufige 
Du wechjelte, das der diftinguierten 
Dame gegenüber wohl nicht mehr am 
Pla war, wie ihn ihr erftes Wort 
belehrte. 

„Bei meiner Rückkehr,“ fuhr Zora 
fort, „adoptierie mich mein Onkel, 
unter deſſen Schutz ich bereits feit 


Gram und Schande verftorbenen Lieben 
graufam und tückiſch dem heimiſchen 
Familienkreiſe entführte. — Sie wiſſen 
doch darum?“ 

Der junge Mann beſtätigte, die 
traurige Geſchichte des berüchtigten 
Harambaſcha haarklein zu kennen, 

„Dann brauch' ich Ihnen nur noch 
zu ſagen, daß mein unglücklicher Vater 
erſt zu den Waffen griff, als durch 
die Indolenz türkiſcher Juſtiz jeder 
Verſuch geſcheilert war, ſich und den 
Seinen, im Rechtswege Genugthuung 
zu verſchaffen. Niemals hat mein Vater 
muthwillig Menſchenblut vergoſſen oder 
fremdes Gut ſich angeeignet. Die vielen 
Greuelthaten, welche unter ſeinem 
Namen vollbracht wurden, begiengen 
bloß die zügelloſe Horde, die ihm zur 
Seite ſtand und den alten kindiſch 
gewordenen Mann ſchmählich miß— 
brauchte, indem ſie ihm immer wieder 
den Dolch in die Hand drückte, um 
ſeine Ehre zu rächen. Er vermochte 
nicht mehr zu unterſcheiden, daß er 
dies bereits gethan ... es war eben 
zur firen Idee geworden bei dem be= 
dauernswerten, verblendeten reis. 
Möge der Arme im Frieden ruhen, 
und ebenjo die Mifjethäter, die ihn 
zum Banditen geftempelt!! — Bon 
deren ftandrechtlichem Tode durch Pulver 
und Blei habe ih ſchaudernd ver— 
nommen. — Der Name Brankovpiéè 
ift mit meinem Vater erlofchen. Ich 
habe ihn auf Wunfch meines Ontels, 
eines Stiefbruderd meiner armen 
Mutter, abgelegt und ftelle mich Ihnen 
nun dor als Zora — Zailovié.“ 

„Ha!“ rief der entjeßte Officier 
wild aus, „dann find ja Sie die 
Tochter des Begs, deren Verlobung 
man Heut’ Abend feiert! ?* 

Das Schöne Mädchen beftätigte dies 
mit einer für den armen Géza geradezu 
vernichtenden Ruhe. 

„Ih finde es wahrhaft graufam, “ 
jugr er, Sich jelbft vergeſſend, fort, 


910 


„dab Sie mich zum Zeugen Ihres 
Glückes mahen. — Mußte ich dem 
dabei ſein!?“ — 

„Es gieng eben nicht anders.“ 

Ohne den ſchelmiſchen Zug zu 
bemerken, der bei diefen Worten ihren 
fieblihen Mund umfpielte, fügte der 
erregte junge Mann Hinzu: 

„Beltatten Sie mir nur noch eine 
Frage: Kam der Ehriftbaum, kamen 
die Blumen und die vielerlei Aufmerk— 
famfeiten, die mich im leßterer Zeit 
förmlich verfolgten —“ 

„Bon mir? — Gewiß; doch eine 
Verfolgung ſollte dies micht fein,“ 
unterbrah fie ihn hocherröthend — 
„nur ein Beweis meiner großen Dank— 
barkeit!” 

„Sie geftehen alſo! Und angefichts 


Ihrer Verlobung konnten Sie derlei 
thun?“ 

„Quadrille! — Quadrille! — 
ein Vis-à-vis!“ ſcholl es aus dem 


Tanzſaale herüber. 

Sie hatten Ort und Zeit vergeſſen, 
der Ball aber nahm inzwifchen feinen 
Hortgang, und eben traten die Paare 
zur Quadrille an. 

„Ach, ich bin ja engagiert, “ erinnerte 
ih Zora, „und da fommt auch Schon 
mein Tänzer.“ 

Am Arm des jchönen Bosniers 
entſchwand fie den Bliden des unglüd- 
lichen Géöza, der ächzend auf feinen 
Moosſitz zurückſank und mit unfäglicher 
Bitterkeit vor fih Hin murmelte: 

„Befunden und verloren! — O, 
wie ich dieſen Menfchen Hafje, der 
ihren Arm jo fiegesbewußt in den 
feinen ſchlang! Er muß der Bräutigam 
fein — es ift nicht mehr daran zu 
zweifeln... DO, diefe Weiber!" — 

„Find' ich Dich endlich, Aus = 
reißer!“ — 

Schade, daß Géza unterbrochen 
wurde, man hätte vielleicht etwas Neues 
über die Falſchheit, Treuloſigkeit und 
Leichtfertigkeit des ſchönen Geſchlechtes 
vernommen. 

„Nun, das muß ich ſagen, Du 
machſt es Dir bequem!“ rief ihm 





Lieutenant Geldern ſchon von Weiten 
entgegen. „Stredit da die faulen Glieder 
auf weichem Moos aus — wirft Dir 
übrigens einen ordentlichen Rheuma— 
tismus holen — während wir uns 
drinnen fchier zu Tod tanzen. Sind 
verdammt ſchwer dieje guten Bosnie— 
rinnen! Ih ſag's Dir, die reinen 
Mehlſäcke! Habe da ſoeben eine Maſchine 
im Saal herumgedreht, die eine ganz 
refpectable Quantität türkifchen Harems— 
fettes aufweist. Wenn die nicht ihr Leben 
lang bloß in Mitch gelochten Weis 
gegellen hat, ſoll mich der Teufel Holen. 
Kann einmal die diden Leute nicht 
ieiden! Ziehe die fchlanfen vor, zum 
Beilpieldas Hausfräulein .. Sapperlot, 
Kamerad, ift das ein feiches Ding! 
Würde fogleih Anlauf nehmen, wenn 
die fatale Berlobung nicht wäre! 
Würden uns übrigens Alle auf's Hof: 
machen verlegen, wenn die Schöne Zora 
no zu Haben wäre. Gelt, Freund 
Sandor? — An der Caution wiirde 
e3 hier nit mangeln — He? — 
Famoſes Haus das, famofer Cham— 
pagner, ganz famo —“ 

„Bitt’ Dich, lieber Geldern, ver: 
ihone mi nur heute mit Deinem 


Famos! — Mir ift gar nicht famos 
zu Mutde, und Du begreifit —“ 
„No, was ift denn los? Wo 


fehlt'5 denn? Lab Dih einmal ans 
Ihauen! Herrgott, hat der Menſch eine 
Leichenbittermiene! Du mußt ja frant 
fein !* 

Bevor Géza antworten konnte, 
ftürzte ein zweiter Officier herbei und 
erklärte athemlos: 

„Man wünſcht eine Lanciere. 
Schnell! Beeilt Euh! — Ich Habe 
Dich bereits als Arrangeur gemeldet, 
Sandor.“ 

„Sandor iſt nicht ganz wohl,“ 
ließ ſich Lieutenant Geldern vernehmen. 

„Ach, was! Narrenspoſſen! Was 
ſollte ihm denn fehlen? daß Du Dein 
Diner, oder beſſer geſagt, den — 
Champagner mit Andacht hier verdauen 
willſt, laſſe ich allenfalls gelten, aber —“ 








„Dürfte ich bitten, Herr Ober- 
lieutenant?“ tönte plötzlich Zora's 
melodiſche Stimme dazwiſchen. 

Géza 
und reichte dem holden Mädchen ſeinen 
Arm, um es bereitwilligſt zum Tanze 
zu führen. 

„No, das muß ich ſagen, der 
war bald curiert! Ich ſag's Dir, da 
ſteckt etwas dahinter. Soll noch eine 
famoſe Geſchichte werden, das!“ ſchloß 
Lieutenant Geldern ſchmunzelnd, 
während er mit feinem Kameraden 
den Baullfaal betrat. 


Die Lanciere war in vollem Gang. | 


Eben begrüßten ſich die Paare mit 
jenen graciöfen tiefen Berneigungen 
des ancien regime, welche diefen Tanz, 
wenn auch nicht mehr an der Tages- 
ordnung, dennoch immer wieder zu 
einem der reizendften geftalten. 


Géza hatte vollauf zu thun, um 
feine etwas unkundige Tänzerſchar 
gebührend zu dirigieren; es gieng aber 
troßdem recht gut, bis er ſelbſt bei 
der Schlußfigur Halb und Halb fein 
Merk verpfufchte, als ihm die fchöne 
Zora zuflüfterte, das fie bereits im 
Inſtitut jehr viel über feine aus— 
gezeichnete Art, Tänze zu arrangieren, 
vernommen. 

„Wie, im Inſtitut ſprach man von 
mir?“ ſtaunte der junge Mann. „Das 
ift mir unbegreiflich. Wer konnte Ihnen 
nur derlei erzählen ?” 

„Nun, meine  befte 
Ihre—Schweſter.“ 

„Wa—a—as!? Sie waren mit 
Sa in Lauſanne?“ rief er verblüfft 
aus, während er beim jchönften Com— 
pliment in etwas unzarter Weiſe mit 
dem nachbarlichen Paare carambolierte. 

„Sagte ih Ahnen nicht vorher, 
daß ich in einem Schweizer Penfionat 
gewejen ?* 

„Aber nicht in Lau—lau— fanne,” 
fotterte Géza, der ſich vor lauter 
Erſtaunen gar nicht zu fallen wußte. 

„Ihre große Ueberrafchung beweist 


Freundin, 


ol 


ſprang bligichnell empor | 


und mich niemals in ihren Briefen 
an Sie verrathen Hat.” 

| „Das ift ja ganz abicheulich !” 
„Ich finde es im Gegentheil fehr 
löblich; denn ich hatte meine Gründe, 
mich Ihnen bis zu einer gewiſſen Zeit 
‚nicht in’s Gedächtnis zu bringen.“ 

„Als 0b das einzig und allein 
von Ihnen abgehangen wäre! Als ob 
ich nicht immer wieder an Sie gedacht 
hätte!” entquoll es feinem übervoflen 
Herzen. 
7, Wirklich 2“ 

Zu einer Betätigung fam es nicht 

mehr. Der Tanz war vollendet, und 
die Schöne Zora wurde von allen 
Seiten derartig umringt, daß es für 
Géza unmöglich war, ein weiteres 
Wort mit ihr zu wechſeln. 
Nah einer ſtürmiſchen Schnell— 
polla, bei deren Klängen die tanzluftige 
Welt ein leßtes Mal den Saal durch— 
fegte, Ichritt man zum Souper. 

Dem glüdlihen Bosnier wurde 
die Ehre zutheil, das Hausfräulein 
‚zu führen, worin Géza eine weitere 
Beſtätigung feiner Brautichaft erblidte. 

Ihm felbft Hatte das Schidjal 
eine jener fürchterlich ftarlen Bosnie— 
rinnen bejchert, die Lieutenant Geldern 
jo jchredlich fand, die jedoch ganz nett 
gewejen wäre, falls fie fich in der 
Schauftellung ihrer üppigen Reize we— 
niger generös gezeigt hätte. 

Der Speifefaal ftand dem Tanz— 
ſalon an luxuriöſer Entfaltung be— 
häbiger Pracht durchaus nicht nach, 
wenn er auch nicht geradezu ſtilgerecht 
zu nennen war. Aeußerſt gemüthlich 
geftalteten ihn die vielen Heinen Tiſche 
für je vier Perfonen, welche den Gäften 
ein zwangloſes Zuſammenſein nad 
Wunſch und Laune gewährten. 

Geza ſaß mit feiner ftattlichen 
Dame an demfelben Tiſche, den Zora 
und ihr muthmaßliher Bräutigam 
inne hatten, welcher aber zum maß— 
lojen Erſtaunen des galanten Officiers 
ih viel mehr mit dem luculliſchen 
Mahl beichäftigte, als mit feiner 











| 





— — — — — 


mir, daß meine gute Ilka Wort gehalten | reizenden Nachbarin. 


Es braucht wohl nicht gefagt zu 
werden, daß Geza diefe günftige Situg— 
tion weidlich auszunützen wußte, umſo— 
mehr, als ſich feine Partnerin ebenfalls 
einzig und allein mit dem Souper zu 
Schaffen machte. 

Die beiden Leute hätten an Heiß— 
hunger mit Dante’3 Conte Ugolino 
tivalifiren fönnen, fo tapfer feßten fie 
ihren mit beneidenswerthen Zähnen 
beipidten Kiefer in Bewegung, Meſſer 
und Gabel erft gen Ende des Mahles 
bei dem ſtarken Tuſch der Muſik er— 
ſchrocken fallen laſſend, die ſchallend 
den erſten Toaſt verkündigte. 

Der Beg hatte ſich erhoben und 
ſtand mit feierlicher Miene da, während 
die Dienerſchaft eiligſt ſämmtliche 
Gläſer füllte. 

Den ſprudelnden Champagnerkelch 


hoch emporſtreckend, ſprach der Beg 
mit lauter, doch merklich bewegter 
Stimme: 


„Trinkt mit mir auf das Wohl 
meiner Tochter und des edlen Mannes, 
den fie chen feit Jahren innigſt liebt 
und hochſchätzt und dem fie mit meinem 
Segen, nach forgfältiger Prüfung 
feiner Gefühle aus freier Wahl die 
Hand reicht!" 

„Falls er nichts dagegen einzu— 
wenden hat,“ flüſterte Zora dem ver— 
wirrten Géza zu, indem fie ihm die 
zitternde Nechte, an der jein Diamant— 
ring funkelte, entgegenftredte, und das 
thränenfeuchte Auge flehenden Blickes 
zu ihm erhob. 

Man kann fich leicht denken, daß 
der höchſt überrafchte junge Mann, 
deſſen Glückſeligkeit fich jeder Beſchrei— 
bung entzieht, gar nichts dagegen ein— 
zuwenden fand; ebenſowenig der ge— 
fürchtete bosniſche Bräutigam, der ſich 
als ein ganz ungefährlicher, harmloſer 
Ehemann entpuppte, welchen man ab— 
ſichtlich als Strohmann gelten ließ 


und der denn auch ſeine Rolle aus— 


gezeichnet geſpielt, allein beim Souper 
dennoch nicht umhin konnte, mit ſeiner 
„dicken Hälfte“ bei Speiſe und Trank 
in gewohnter Harmonie ſich zu vereinen. 


912 


Als das Frühjahr in's Land gezogen, 
fand an einem herrlichen Maientag die 
Trauung Geza Sandor’3 uud der 
Ihönen Zora in der Kloſterkirche ftatt. 

Géza's Schwefter, die um Zora’s 
Liebe gewußt und als glänzende Wider: 
legung weiblicher Tratſchſucht der 
Freundin Geheimmis forglich behütet, 
ſtand als Brautjungfer am Altare. 
Auch unferes Helden greife Mutter 
hatte die weite Reife vom fernen Ungar= 
lande nicht gejcheut, um des Sohnes 
Ehrentag durch ihre Gegenwart zu 
verfchönern. 

Der Oberft des Regimentes, deſſen 
Dfficiersforps faſt vollzählig zur Hoch— 
zeit geladen war, fungierte als Zeuge 
nebft dem impofanten alten Beg, der 
die Verlobung der Liebenden fo geſchickt 
zu infceniren gewußt. 

Unter den martialiichen Geftalten 
der DOfficiere fehlten natürlich weder 
der noch immer in Bosnien ftationierte, 
bärbeigige Hauptmann Hufla, noch 
der joviale Lieutenant Geldern, welcher, 
als Géza's befter Freund, mach und 
nach in die Geſchichte feiner Liebe ein— 
geweiht ward und das Ganze fo „famos“ 
fand, daß er — im Anblid der rei» 
zenden Jlfa, die ja jeßt, wo der Bruder 
ein halber Paſcha wurde, auch für 
einen cantionspflichtigen Menſchen er- 
reihbar war — aus purem Uebermuth 
dem ihm zur Seite ftehenden Haupt: 
manı das Geheimnis des Harambafcha 
ins Ohr flüfterte. 

„Donnerwetter!“ brummte der alte 
„Commißknopf“, dem feine Avan— 
cement3-Hoffnungen neuerdings durch 
den Kopf ſchwirrten, „ich werde die 
Perſon augenblidlich denunzieren !“ 

„Die Frau eines Kameraden? — 
Pfui doch!” 

„Richtig, richtig — es geht nicht 
mehr! Berdammt! muß ich denn 
allemal zu jpät fommen?! — Aber 
es geht jet wirklich nicht mehr.” 

„Das will ich meinen! Lajien Sie 
uns daher lieber unferen guten Sandor 
gratuliren, zu dem glücklichen Ausgang 
feines Näubercommandod.* 


Anferes Schillers Schweſter Hanette. 


Eine Stijje von Heumann-PBtrela. 


21 b us der Garnifon in Ludwigsburg | mußte, obgleich jie müde war. Hatte 

2%), wurde der Hauptmann Schiller fie doch tüchtig in der Wirtjchaft und 
nach dem Luftichloffe Solitüde befohlen. der Magd auf dem Felde zu Helfen, 
Er Hatte fich eifrig mit Bodencultur | da Schiller’3 farge Bejoldung den Be- 
beſchäftigt und eine Schrift über die) trieb der Landwirtfchaft gebot. Zur 
Landwirtichaft in Württemberg ver= | weilen kam er früher von feinen Bäumen 
faßt. Herzog Karl, der diefelbe „avec | heim, von denen er im Laufe der Jahre 
plaisir“ gelefen, riefen den Autor auf über Hunderttaufend pflanzte. Die 
die Höhe des Hafenberges, wo fich das! Kinder an der Hand, gieng er dann 
Schloß erhebt. oh in den Park oder führte fie auf 





Dort wurden der Forſt und die| die Kuppel des Schloſſes, wo er, von 
Baumſchule feiner Obhut anvertraut. | Fri und feiner Zukunft als Geiftlicher 
Aus dem Grün der Eichen, Kaftanien |vedend, ihnen den Thurm der Lud— 
und Linden tagte das Schloß mit wigsburger Kirche zeigte, in der er 
goldener Kuppel empor. Kirche, Opern= | einft predigen jollte. 
haus, Marftall und Kaferne umgaben Zwei Jahre jpäter fuhr die Familie 
ed; weit über den Berg zog ſich der in einem Wagen, der dem Oberhof: 
Bart, mit Bildfäulen und Fontainen | gärtner gehörte, „ins Nelidenzel,“ wie 
geſchmückt. Am Portal begann die man Ludwigsburg im Vergleich zu 
Allee nah Ludwigsburg, eine zweite) Stuttgart nannte. Fritz wurde con— 
führte nah Stuttgart, und am Aus- | firmiert und mußte im nächiten Winter 
gange derjelben, im der Nähe des | in die „wilitärische Pflanzſchule“ treten, 
Parkes, ftand ein Waiſenhaus für) in die der Herzog das Waifenhaus auf 
Soldatentinder, die der Fürft in Tanz | der Solitüde verwandelt hatte. Die 
und Gefang, Gartenkunft und Sculptur| Schweitern freuten fi, ihm jeßt jo 
unterrichten ließ. nah zu willen, aber die Eltern waren 

Im Frühling 1770 traf Schiller | betrübt. Der Befehl des Fürften raubte 
mit feiner Frau, der „Kodweiſſin,“ ihnen die Hoffnung, den Sohn als 
und den Töchtern Chriftophine und Prediger zu fehen. In einem blauen 
Loniſe, die dreizehn und vier Jahre! Rode nebſt Kamifol ohne Aermel, mit 
zählten, auf der Solitüde ein. Fritz fünfzehn Büchern und dreinndvierzig 
war in der Penfion in Ludwigsburg | Kreuzen im Lederbeutel kam er au. 
geblieben, wo er die Schule bejuchte. | Dann folgte fein Einzug in die Stutt- 
Am Abend, wenn die Arbeit ruhte, | garter Aladentie, und mur am den 
ſprach man viel von ihm. Dann ſaß | Feiertagen durfte er die Eltern be— 
der Vater, ein Heiner „adretter“ Mann, | fuchen. 
mit feiner Pfeife im Sorgenftuhl, und Im September 1777 ſah ihn eine 
die Mutter, ſchlank, mit vöthlichem | neue Schweiter an. Ein „Hübjches 
Haar und „einer Menge Sommer: | Heines“ Weſen lag in der Wiege; jo 
iproffen im Geficht,* Hinter dem Spinn= | zart, daß er das Kindchen kaum zu 
rad auf der Ofenbanf, Die kleine Lonuiſe berühren wagte. Es wurde Karoline 
ichlief fchon in der Kammer, während | Chriftiane getauft, aber Nanette, und 
Chriſtophine noch mähen oder ftriden | von Frig nur „Nane“ genannt. Die 


Rofenger’s „„Geimgarten‘‘, 12. Geft, XI. 58 








914 


Jüngfte, das Nefthälchen, ſchloß er be= 
jonders ins Herz, und wenn die Nach— 
richt begründet, ift er einſt heimlich 
von Stuttgart gelommen, um Nane 
zu jehen. 

Sicher erhielt er Erlaubnis, bei 
ihrer Taufe zu fein. Chriſtophinens 
Freundin, Ludovifa Reichenbah in 
Stuttgart, war des Kindes Gevatterin. 
Nah dem Brauche jener Zeit gieng 
die Mutter von Thür zu Thür und 
zeigte die Stleine, die im Wald und 
Garten trefflich gedieh. Erftaunt mochte 
ihr Blid auf dem Bruder ruhen, als 
fie ihn zuerft in der Uniform eines 
Feldſcherers ſah. Im Rode nach altem 
preußifchen Schnitt, mit didem Zopfe 
und drei flarren vergipften Rollen, die 
Loden vorftellten, an jeder Seite der 
Stirn: jo fam er 1780 zu Beluch 
und trug Nane auf dem Rüden durch 
den Park. Auf feinen Schultern brachte 
er fie auch zur Schloffuppel hinauf 
und fie fie über Berg und Thal in 
die Ferne ſchauen. Dort ragte die rauhe 
Alp mit der Veſte Stauffen, und im 
Blau des Aethers ftiegen der Schwarz 
und Odenwald empor. 

Es ift nicht erfichtlich, wer Nanette 
den erften Unterricht ertheilte. Ver— 
muthlich war Ehriftophine ihre Lehrerin. 
Die nächſten Jahre vergiengen ihr un— 
getrübt, Glüd und Frieden war um 
fie her, bis Sie plößlich die Thränen 
der Mutter und die Verzweiflung des | 
Vaters ſah. Frik war nad Mannheim | 
geflohen, wollte Geld und immer Geld, | 
doch der Vater ſah ſich außer Stande, 
ihm nah Wunſch zu Helfen. Zwei 
Goldftüden, die er ihm fandte, fügte 
er die Worte bei: „Ob ich ſchon als 
ein ehrlicher Mann befannt bin, fo 
weiß man doch meine Vermögensum— 
ftände, meine Bejoldungseinnahmen, 
und daß ich außer Stande wäre, eine 
Schuld von 2 bis 300 Gulden von 
meiner ordinären Einnahme wieder 
heimzahlen zu können.“ Dies fei die 





letzte Sendung, erflärte er ihm und 
Ichrieb ſpäter nach wiederholten Bitten 
um Geld: „Das Verhältnis zwifchen 





einem guten Vater und deflen obſchon 
mit vielen Berftandesfräften begabten, 
doch aber dabei in dem, was zu einer 
wahren Größe und Zufriedenheit er— 
forderlich wäre, immer noch jehr irre= 
gehenden Sohne, kann den Lebtereu 
niemals berechtigen, das, was der 
Erftere aus Liebe, aus Weberlegung 
und aus jelbitgemachter Erfahrung jenen 
zu Gute vornimmt, als Beleidigung 
aufzunehmen. Was die verlangten 300 
Gulden ambetrifft, jo weiß es leider 
Jedermann, dem meine Lage nur einiger 
maßen befannt, daß es mir micht 
möglich fein fann, nur 50 Gulden, 
geichweige deun fo viel im Vorrath zu 
haben; umd daß ich eine ſolche Summe 
borgen follte, zu immer größerem Nach— 
theile meiner übrigen Kinder für einen 
Sohn borgen follte, der mir don dem 
jo Vielen, was er verfproden, noch 
das Wenigſte hat halten Fönnen: da 
wäre ich wohl ein ungerechter Vater.“ 

Zu diefen Sorgen kamen Streitigs 
feiten zwijchen den Eltern, die auf 
Nanette troß ihrer Jugend nicht ohne 
Eindrud blieben. Die Mutter Hagte, 
daß ihre Töchter in geiftiger und ges 
jelliger Beziehung vernachläfjigt wire 
den, während der Vater ihr vorwarf, 
daß fie die Finder weit über ihren 
Stand, „zu Staat und Großthun,“ 
erziehen wollte. Es fam zu den heftig- 
ten Scenen, jo daß ſich Ehriftophine 
— Loniſe war. in Stuttgart, um Putz— 
arbeit zu lernen — über einen Brief 
aus Meiningen freute, im dem der 
Bibliothekar Neinwald feine Ankunft 
Ichrieb. 

Im Sommer 1784 traf er ein, 
und mit ihm, wie Ehriftophine gehofft, 
fehrte der Friede in Sciller’3 Haus 
auf der Solitüde zurüd. Der Zwilt 
verftummte, der Gaft fühlte fich wohl; 
der Blick aus dem Fenfter feines Stüb- 
hens über den Garten und in die 
Ferne war ihm „unbefchreiblid an— 
genehm.“ Mit dem Hauptmann gieng 
er in den Wald, mit den Töchtern in 
die Orangerie, wenn das Abendroth 
auf den Bäumen lag. Noch hallte in 





Chriſtophine der Gram über die Flucht 
des Bruders und den Streit der Eltern 
nad, doch in Nanettens kindlichen Ge» 
müth Hatte ſich diefer Eindrud bald 
ganz verwiſcht. Reinwald fah fie nur 
fröhlich, ihr Singen und Lachen durch— 
Ichallte da3 Haus; er nannte fie vor 
jeiner Abreife ein Engelsmädchen, das 
„ſchon Verſe macht.“ 

Im nächſten Jahre fuhr ſie mit 
der Schweſter nach Stuttgart. Beim 
herzoglichen Leibarzt, dem Onkel von 
Ludovika Reichenbach ſtieg fie ab. Dieſer 
zeigte ihr das Haus auf dem Kleinen 
Graben, wo ihr Bruder als Medicus 
gewohnt, und den Gaftbof „Zum 
Ochſen“ in der Hauptjtätterfiraße, wo 
er Segel ſchob. An den Eden ſah fie 
Theaterzettel: „Cabale und Liebe* vom 
Verfaſſer Herrn Schiller. Ein neues 
Stüd de3 Bruder wurde zum erften 
Male aufgeführt. Da bat und quälte 
fie jo lange, bis Schweiter Louiſe Tie 
mit ins Theater nahın. Diefe erzählte 
jpäter, mit wie großer Spannung und 
verhaltenem Athem fie das Aufrollen 
des Vorhanges erwartet hätte. Kein 
Wort entfchlüpfte ihren Lippen, wohl 
aber zeigte der erhöhte Glanz ihres 
Auges und die von Act zu Act fteis 
gende Berflärung ihres Gejichts, wie 
innerlich erregt fie war, Der ftürmijche 
Beifall, mit dem das Publitum das 
Stüd begrüßte, machte den tiefjten 
Eindrud auf fie. 

Die Künftler erfchienen ihr in einem 
Zauberlichte, und beim Berlaffen des 
Theaters jagte ſie der Schwefter, Tie 
wolle Schaufpielerin werden. 
mußte über den Einfall des Kindes 
lachen, und auch der Bater nahm ihn 


ſcherzhaft auf. 


Augen kam: Lieder in der Hauspoftille 
oder Gedichte von Hagedorn, Uz und 
Gleim. Darüber vergieng ein Jahr, 
und wieder traf Reinwald auf der 
Solitüde ein. Er warb um Ehriftophine, 
in der Kirche neben dem Schlofje ward 


die Trauung vollzogen und Nanette 
jollte Nanette kommen. Ihre Ankunft 


freute dem Paare Blumen auf den 


915 








— 
Louiſe 


Er ließ ſie gewähren, 
als ſie nun declamierte, was ihr vor 





Weg. Beim Abſchied nahm der Vater 
300 Gulden aus dem Schrein, die er 
der Tochter unter Thränen reichte. Die 
Summe babe er geſpart, und Chri— 
ftophine brauche nicht zu fürchten, daß 
ihre Gefchwifter benachtheiligt würden, 

Als die Trennung überwunden war, 
ſah Schiller jeit Jahren wieder heiterer 
aus. Die leten Briefe ded Sohnes 
ließen fein Bemühen erfennen, fich eine 
feftere Lebenzftellung zu ſchaffen. Nie 
vergaß er, nach dem „Nefthäfchen“ zu 
fragen, und Louife, die ihm mehrfach 
über Nanette jchrieb, theilte ihm deren 
Leidenschaft für das Theater mit. Der 
Glanz, in dem ihr die Künſtler er: 
ſchienen waren, hatte ſich nur verftärkt. 
Ihre Phantafie rief ftets die Geftalten 
zurüd, durch die des Bruders Dichtung 
ihrem Auge und Berftändnis zugeführt 
war. Seine Tragödien einft auf der 
Bühne darftellen zu können, war ihr 
ein herrlicher Gedanke, den fie nur 
eifriger nährte, je mehr ihn die Eltern 
zu verſcheuchen fuchten, 

In Dresden und Weimar, vor 
Friedrich's Ankunft in Jena, begte er 
den Wunsch, Nanette in feine Nähe 
zu ziehen. Er bat den Vater, ihre 
geiltige Entwidlung leiten zu dürfen, 
doch ſchlug ihm diefer, da jeine Ver: 
hältniffe noch zu unficher waren, die 
Bitte ab. Erft nad feiner Ernennung 
zum Profeſſor in Jena und feiner Ver— 
mählung fam er auf feinen Wunſch 
zurüd, und nun war der Bater geneigt, 
ihm die Schwefter zu jchiden. Wieder: 
holt ſchrieb er „Arien und der herz— 
liebjten Frau Schwiegertochter,“ daR 
„die Nane* die jchönften Hoffnungen 
erwedte. Er rühmte die Güte des jeßt 
dreizehnjährigen Mädchens und Hob 
ihre Fertigkeit im Rechnen hervor. Sehr 
artig, ſchrieb er weiter, jpielte fie „Stück— 
gens“ auf dem Glavier und verfaßte, 
worüber der Bruder eritaunen wiirde, 
ein Trauerſpiel. 

Doc vergiengen noch einige Jahre, 
bevor zur Reife nah Jena gerüftet 
wide. In Begleitung der Mutter 


58* 


016 


—— 
meldend, jchrieb der Vater 1792 einen [im feinem Herzen wedte. „Sie ift gut,“ 
rührenden Brief. Es ſchmerze ihm tief, | jchrieb er an Körner, „und es fcheint, 
daß er nicht auch die Freude haben |dah etwas aus ihr werden könnte. 
follte, nad) zehnjähriger Trerung den Sie ift noch fehr Kind der Natur, 





Sohn und defjen Gattin zu umarmen; und das ift noch das Beſte.“ 


in feinem hohen Alter fei ein Wieder» 


fehen auf diefer Welt doch dweifelhaft. 


Aber für das, was er ſelbſt entbehrte, 


follte ihn das Glück entjchädigen, das | viele Freude. 
die Heimkehr der Seinigen und ihre die Schwiegermutter gefallen, 


Ihre Schwäbische Naivetät übte den 
günftigften Eindrud auf feine Stim— 
mung und machte auch feiner Gattin 
Weniger mochte diejer 
deren 


Erzählungen ihm und Louife bereiten | praftifcher Blid an der Errichtung der 


wilrden. 


Diefem Briefe folgte ein zweiter, 
in dem er, vielleicht wegen der adeligen 


Mohnung und am Haushalte Man— 
ches zu rügen fand. Ueber die „äußerft 


| nachläſſigen“ Geldgejchäfte des Sohnes 


Schwiegertochter, Nanetten’s einfache eutſetzte fie fi, und der wenig be— 


Erziehung entjchuldigte. Obgleich fie 
beiferen Unterricht als die Schweftern 
genofjen hatte, meinte er doch, daß er 
nicht mehr an fie wenden könnte, da 
feine jährlide Cinnahme kaum auf 
500 Gulden ftieg. Doc hätte fie Kopf 
und das beite Herz, auch viel von des 
lieben rigen Bildung im Aeußeren; 
der Sohn würde jelber fehen und die 
Schweſter beurtheilen können. 


Erft nach diefen Briefen beftiegen | 
Mutter und Tochter den Reifewagen. 
Nanetten war ausdrüdlich eingefchärft, 
die Mutter unterwegs zu pflegen, auf 
ihre Sachen zu achten und das „Be— 
fondere“ auf der Reife aufzufchreiben, 
damit fie, wie der Vater bemerkte, mit 
Nugen reife und nach ihrer Heimkehr 
„Alles richtig erzählen könne.” Der 
Abſchied war jehr bewegt, und Hopfen 
den Herzens jahen die „Solitüder,” 
wie man damals jagte, der erften Nach— 
richt aus Jena entgegen. 


Schwer konnte fi) Nanette in das 
Ausſehen des Bruders finden. In der 
Uniform eines Feldfcherers mit diem 
Zopfe und ſechs Loden an der Stirn, 
wie fie ihm zuleßt gejehen, ſchwebte er 
ihr vor. Jetzt ſah fie einen beiden, | 
tränklihen Mann, dem aber die Freude 
des Wiederſehens das Antlig verklärte. 
Ihre Schönheit überrafchte ihn, und 
mit innigem MWohlgefallen ruhte fein | 
Auge auf dem thenren Mädchen, das 
die länge der Heimat und Kindheit 














fannte Bericht eines jungen Reijenden, 
der Schiller damals beſuchte, enthält 
die Mittheilung, da der Dichter wäh- 


rend der Anwefenheit feiner Mutter 


plöglich rechnen lernte. „Luftig war 
e3 anzuhören, wenn er nun ins Nechnen 
fam. Einft erklärte er in vollem Ernft, 
mit wie Wenigem der Menjch leben 
fönnte, und die ganze Summe belief fi) 
auf ſechs Thaler. Die Rechnung war 
etwa in diefem Sinne: Man fauft ich 
ein Laib Brot, man hat an einem halben 
Kreuzer genug und ißt wöchentlich 
einmal eine warme Wurſt.“ 

In einer ruhigen Stunde, ais fi 
Nanette mit der Schwägerin und deren 
Schwelter, Karoline von Wolzogen, in 
einem Garten befand, ſprach die Mutter 
mit ihrem Sohne über des Mädchens 
Hang zum Theater. Louiſe Hatte ihm 
öfter davon geſchrieben, und da er dem 
Schauſpielerleben abgeneigt war, ver— 
ſprach er, mit Nanen eindringlid zu 
reden. Es geſchah in feinem Zimmer, 
doch ergriff fie die Gelegenheit, wo fie 
ohne Zeugen waren, und jprad ihm 
einige feiner Gedichte und ganze Scenen 
aus feinen Tragödien fo jeelenvoll und 
verfländnisreich vor, daß er verftummte 
und fein Verfprechen vergaß. Sie bat 
ihn flehentlich, auf die Eltern zu wirken, 
damit fie ihr erlaubten, auf der Bühne 
zur Verherrlichung des Bruders bei— 
tragen zu können. Auch rau bon 
Molzogen, an der fie eine Fürſprecherin 
fand, juchte ihn zur Umftimmung der 


917 


Eltern zu bewegen, doch erklärte er die 
Schwefter no für zu jung und ver— 
ſprach, die Sache zu überlegen. 

Mit freundlicher Hoffnung auf Er— 
füllung ihres Wunſches kehrte Nanette 
heim. Sie und die Mutter brachten 
dem Vater die Nachricht, daß Frig ihn 
befuchen werde. In diefer Ausficht 
verlebte, er die nächſte Zeit, und als 
ein Brief aus Jena die Ankunft von 
Sohn und Tochter im Auguſt 1793 
verhieß, wurde Nanette erft nad Stutt- 
gart geſchickt, um Nähen und Putzarbeit 
zu erlernen, beſonders aber, um ſich 
„im Umgange mit anderen guten Men— 
Shen beffer formieren zu können.“ Sie 
wohnte wieder bei ihrer Pathe Ludovika 
Reichenbach, die inzwiſchen den Lieu— 
tenant Simanoviz geheiratet hatte. So- 
bald der Bruder aber eingetroffen war, 
eilte fie zu ihm nach Heilbronn. Dort 
und fpäter in Ludmwigsburgs, wo der 
Herzog ihn wohnen ließ, ohne noch an 
die Beitrafung des Flüchtlingd zu den— 
fen, blieb fie beitändig in feiner Nähe. 
Zu Fuß eilte fie nach der Solitüde, 
um die Erfte zu fein, die den Eltern 
die Nachricht brachte, daß ihnen ein 
Entel geboren fei. Der erfte Sohn 
nnjeres Dichters wurde Karl genannt, 
und bei der Taufe trug Nanette ein 
weißes Seid mit Puffärmeln, ein 
Fichnu mit Silberfäden durchwirkt und 
rothe Rojen im Haar. 

Um diefe Zeit wurde der Haupt» 
mann zum Obriftwachtmeiiter ernannt, 
und Ludovifa Simanovdiz, eine treffliche 
Künftlerin, malte den Dichter in Del. 
Doch ftörte eine verheerende Krankheit, 
die unter den Truppen entftand und 
ih aus den Lazarethen über die ganze 
Gegend zu verbreiten drohte, das trau— 
liche Beifammenjein. Da mußte Schiller 
an die fchleunige Rückkehr nah Jena 
denken. Immer neue Proben ihrer Bes 
gabung für die Bühne hatte Nanette 
ihm abgelegt und ihre Bitten um feinen 
Einfluß auf die Eltern dringend wies 
derholt. Auch jegt erichien fie ihm noch 
zu jung, doch ſagte er wieder, daß er 
ihren Wunfch auch ferner erwägen - 





werde und die Einwilligung der Eltern 
zu erreichen hoffe. 

Dieſe Aussicht blieb ihr Troſt in 
der nächſten Zeit. Sie ſchloß ſich in 
die Bodenkammer ein, declamierte und 
übte ſich im Attitüden, bei denen fie 
ein weißes Tuch benußte. Louiſe, die 
ins Vertrauen gezogen war, ſchrieb es 
dem Bruder und theilte ihm mit, daß 
Nane beim Aublid feiner Büfte, die 
Danneder nad der Solitüde gejchidt, 
Freudenthränen vergofjen hätte. In— 
zwiſchen erwog Schiller ihren Plan 
mit der ihm eigenen Sorgfalt, und 
als er mit Frau und Schwägerin noch 
einmal Alles gründlich befprochen Hatte, 
trug er Goethe die Sache vor. Seit 
fünf Jahren lag diefem die Leitung 
des Weimarer Theaters ob, und falls 
die Eltern einmwilligen würden, follte 
Nanette die dortige Bühne betreten. 
Unter Goethe's Augen wurde manche 
Klippe vermieden, die dem Schaufpieler= 
ftande bei den damaligen Berhältniffen 
leicht gefährli war. 

Bevor aber Schiller noch an den 
Bater Schrieb, um deifen Zuftimmung 
zu erbitten, trafen von diefen tief er» 
fhütternde Nachrichten ein. Er ſelbſt 
war frank und konnte nur mit großer 
Mühe jchreiben, daß in Folge des 
Krieges zwiſchen den Saiferlichen und 
den Franzofen auf der Solitüde ein 
Lazareth errichtet fei. Ein furchtbares 
Fieber wüthe in der ganzen Gegend, 
das nun — im März 1796 — auf) 
Nanette ergriffen hätte. Zwiſchen feinem 
und ihrem Lager, fügte der Greis Hinzu, 
giengen die Mutter und Louife Hin und 
her. Acht Tage ließ er die Nachricht 
folgen, daß wenig Hoffnung fei. „Ach, 
wenn der liebe Gott nur der Nanette 
wieder aufhilft, die fih in ihrem ge— 
genwärtigen Alter jo gut gefaßt hat, 
ein fo vortreffliches Herz und mehr 
Kopf hat, als wir je von ihr erwartet 
haben, kurz, die uns ebenfo viel Freude 
wie unſere anderen lieben Kinder ver— 
ſprochen bat.“ 

„Ih geftehe,“ schrieb der Sohn 
zurüd, „daß ich das Schlimmſte fürchte, 


918 


weil fie ſchon vor dem Anfall diefer | 


Krankheit nicht ganz gefund gewejen 
ift.“ Mit Zittern ſah er dem nächften 
Briefe entgegen, der ihn die entjchei= 
dende Nachricht bringen mußte. „Wie 
werde ich es ertragen,” rief er aus, 
„eine jo liebe hoffnungsvolle Schweiter 
zu verlieren, zu deren künftigen Aus— 
fihten ich gerade jeßt einige Vorkeh— 
rungen treffen wollte, die vielleicht ihr 
Glück gründeten!” 

Yın April erhielt er die Trauer— 
funde. Noch in den lebten Stunden, 
nach mündlicher Mittheilung der Frau 
von Wolzogen, hatte die Kranke aus 
den „Räubern“ und „Don Carlos“ 
declamiert. Der Brief des Vaters war 
ein Schmerzensſchrei: „Gott hat ſie 
zu ſich genommen, und ihr Los kann 
nicht anders als glücklich ſein, denn 
ihr Leben iſt reine Unſchuld geweſen. 
Wir haben viel, viel an ihr verloren; 
Gott ftehe uns bei und erhalte ins» 
befondere die liebe Mutter, die fi 
zu meiner großen Beruhigung in den 
Willen Gottes ergibt. Er ſetze unjeren 
lieben übrigen Kindern die Jahre zu, 
welche Nanette hätte erreichen können. 
— O Ihr liebſten Kinder, wir find 


eben fehr betrübt. Ich, der ich nicht 
aus dem Bette kann, fonnte jie nimmer 
fehen, fie nicht tröften, ihr nicht bei= 
ftehen. Ich kann micht mehr!“ 

In dem weißen Kleide, das fie bei 
der Taufe ihres Neffen trug, doch mit 
weißen Rofen und Myrthen im Haar, 
lag fie im Sarge. Auf dem Friedhofe 
des nahen Dorfes Gerlingen ward fie 
beftattet.. Ihr und dem Vater, der 
noch in demfelben Jahre ftarb und an 
ihrer Seite begraben wurde, hielt Bicar 
Frankh die Trauerrede. Er vermählte 
fi fpäter mit Louife und nahm die 
| Mutter feiner Frau zu fich ins Haus. 

In wenigen Worten meldete Schiller 
dem Freunde Körner Nanetten’s Tod: 
„Meine jüngfte Schweiter, ein Mäd— 
hen voll Hoffnung, von Talent, und 
die auch hübſch war, ift geftorben.“ 
Wohl ſchwebte auch ihm die Liebliche 
Geftalt der früh Verklärten vor, als 
er fih jelbft und Vielen zum Zrofte 
lang: 


„Noch köſtlicheren Samen bergen 
Wir trauernd in der Erde Schoß, 
Und hoffen, daß er aus den Särgen 
Erblühen joll zu jchönerm Los.“ 


Staatshülfe für die deutf—he Sprade ? 


Von Auguſt Mühlhaufen in Hamburg. 


MD er hat nicht heutzutage ſchon 
irgend einen ſprachlichen Ver— 
ar gehabt ? Den Einen hat e3 ge= 
fräntt, daß der Sohn ſich dem Bater 
überlegen dünft mit feiner „neuen“ 
Orthographie, hält er doch mit Herrn 
von Treitzſchke für Recht, daß die Kinder 
von den Eltern lernen ſollen und nicht 
umgefehrt die Eltern von den Kindern. 
Der Andere ärgert fich darüber und kann 
es gar nicht fallen, daß ein jo einſichts— 
voller Mann, wie der deutjche Reichs— 





fanzler, ſich Jo entſchieden gegen die 
Einführung der Antiqua, der lateini- 
ſchen Schrift, wehrt; hat ihn doch der 
väterlihe Bücherfchrant belehrt, daß 
diefe Schrift nicht einmal die Ver— 
breitung lyriſcher Poeſie behindert ; 
find doch 3. B. Matthifons rührſame 
Gedichte mit Lateinifchen Lettern ge— 
drudt und Hingegen ältere lateinifche 
Bibeln mit den doch nur jo genannten 
deutichen, den Buchftaben der ge— 
brochenen Mönchsſchrift, Hat alfo doch 


919 


die ganze Sache mit unferer Natio« 
malität nichts weiter zu thun, als daß 
wir unter den ulturnationen am 
längften das Mittelalter, wenigftens 
in der Schrift, conferviert. Der Dritte 
endlich, der Mann der bequemen Ruhe 
und Ordnung, möchte gern, mit Wils 
helm Bush zu veden, ein für alles 
mal willen, was an der Sade it. 
Und jo hält er's für's Beſte, alle 
fprahliche Angelegenheit werde von 
Antswegen geordnet, da brauchte er 
nicht erft zu wählen, und Wahl, das 
fagten ſchon die ehrwürdigen Groß— 
väter, die doch nichts vom Reichstage 
wußten, macht doch auch immer Qual. 
Sonft gewiß Fein Franzofenfreund, 
wünscht er ſich doch einen Zuftand, 
wie ihn einst Wilhelm Grimm ges 
Ihildert: „Wenn ein Franzoſe uns 
fiher ift über den Begriff eines Wortes, 
wenn er nicht weiß, ob e3 überhaupt 
in der Schriftfprache zuläflig ift, wenn 
er fürchtet, einen orthographiichen 
Fehler zu machen, jo Holt er fein Ge— 
ſetzbuch berbei, ich meine dad Wörter- 
buch der Alademie. Er fchlägt nad 
und findet eine Entjcheidung, welche, 
um mich juriftiich auszudrüden, Kein 
Gericht wieder umftoßen darf, mit 
anderen Worten, er jchreibt correct 
und iſt gegen jeden Zadel gelichert.” 

Das Verlangen nach einer folchen 
Staatsantorität auch in prachlichen 
Fragen fehen wir in unjeren Tagen 
unterftüßt von etlichen militäriſch ge— 
ſchulten Gelehrten, die am Liebften 
unfere geſammte Bildung ſchwarz-weiß— 
roth anftreichen oder doch mindeltens 
amtlich aichen möchten. Um mit etwas 
recht Unverfänglichem zu beginnen, wird 
da gern in der Einleitung angeführt, 
daß ſchon am Ausgange des fiebzehnten 
Jahrhunderts der große Leibnitz eine 
Art Akademie für deutfche Sprache ge⸗ 
fordert hätte. 

Ehe wir indeſſen weiter gehen, 


haben wir feſtzuſtellen, daß es mit, 


dieſer „Forderung“ des großen Leib⸗ 
nitz doch eine ganz eigene Bewandt- 
nis hat, die ehrlicher Weiſe dem Leſer 


nie verfchwiegen werden darf. Es gibt 
nämlich zwei verfchiedene Bearbeitungen 
desjelben Themas: die Ältere vom 
Jahre 1679 „Ermahnung an die 
Teutſche, ihren Berftand und Sprade 
beffer zu üben” und die jüngere vom 
Jahre 1697 „Umvorgreifliche Gedanken 
betreffend die Ausübung und Bere 
bejlerung der teutſchen Sprade”. 
feine von beiden ift jemals zu 
Leibnigens Lebzeiten in Drud gegeben ; 
die ältere erſchien zuerft in dem 1716 
| zu Hannover herausgefommenen Buche : 
V. Godofr. Guilelmi Leibnitii Colle- 
ctanea Etymologica, illustrationi Lin- 
guarum, veteris Celticae, Germanicae, 
Gallicae, aliarumque inservientia, 
cum praefatione Jo. Georgii Eccardi. 
Aus dieſem Buche ift die übrigens * 
deutjche Abhandlung zuerft wieder ab: 
gedrudt in Gottſched's Beyträgen zur 
Gritifchen Hiftorie der deutfchen Sprache, 
Poeſie und Beredfamfeit 1732, dann 
erft wieder 1831 in einer Sonder: 
ausgabe von H. Lindner, darauf in 
Wild. Wadernagel’3 deutſchem Leſe— 
buch 1836 und endlich, in der An— 
nahıne, daß nicht allen Lejern der 
Tert zur Hand fein möchte, in dem 


dritten Bande des Weimarer. Jahr: 
buchs 1857. 
Die ältere Bearbeitung: „Ermah— 


nung an die Zeutjche* ijt aber gar 
erit 1846 durch E. 2. Grotefend der 
ftillen Ruhe in den hannoverſchen 
Archiven entzogen, 

Darum kann man auch nur im 
des freilinnigen Hoffmann v. Fallers— 
leben Urtheil einſtimmen, wenn er jagt: 

„So zeitgemäß die PVorfchläge 
waren und jo erfolgreich fie hätten 
werden fönnen, wenn fie von Leibnitz 
ſelbſt noch veröffentlicht worden 
wären, fo blieben fie doch nach feinem 
Tode unbeachtet, verftedt in einem 
lateinischen Buche, nur den eigent- 
lihen Gelehrten zugänglich, und find 
heutigen Tages nur eine Guriofität, 
um daraus zu lernen, wie Leibnig 
‚über deutſche Sprache und Literatur 
dachte und mit welchen Mitteln er 


920 





ihnen aufzuhelfen meinte; fie haben 
nur noch ein Hiftorisches und perſön— 
liches Intereſſe. Wie viel hätte Leibnitz 
mit diefen Vorſchlägen wirken können, 
wenn er bei feinem hoben Anfehen 
bei Bornehin und Gering damit felbft 
hervorgetreten wäre! Aber leider fand 
er e3 bequemer, die Ergebniſſe feines 
Forſchens und Dentens in einer ihm 
geläufigeren Sprache darzulegen, wobei 
denn auch er von einer Anficht, die 


nicht ohne Beimiſchung von Eitelfeit 


nämlid, daß dent | nachdrüdlicher, als wittelft einer ge— 


deutfchen Gelehrten feine Theilnahme | 


war, ausgieng, 
und Bewunderung im Auslande er— 
wiüchfe und ermwachlen konnte. 

Fügen wir noch Hinzu, daß jchon 
ein Zeitgenofje, der klar denkende 
Charaktermenſch Thomafius im Winters 
ſemeſter 1686/87 den Muth der That 


| 








dahin zu trachten fein, wie allerhand 
nachdrückliche, nützliche, auch annehm— 
liche Kernſchriften in deutſcher Sprache 
verfertigt werden möchten.“ 

In der ſpätern Bearbeitung findet 
ih die Akademie betreffend nur die 
eine fnappe Bemerkung: 

„8 30 Weilen aber die Sade von 
einem großen Begriff, fo jcheinet jel= 
bige zu beitreiten etwas größer als 
Privatanftalt nöthig, würde demnach 
dem ganzen Wert micht befier noch 


willen Verſammlung oder Vereinigung 
aus Anregung eines hocherleuchteten 
vornehmen Haupts mit gemeinen Rath, 
und gutem Verftändnis zu helfen fein. 

$ 31. Das Hauptabfehen wäre 
zwar der Flor des geliebten Bater- 
landes deutfcher Nation, jein beſon— 


gefaßt und an das fchwarze Brett | derer Zwed aber und das Vornehmen 
der Univerfität zu Leipzig das erfte) (oder objeft) diefer Anftalt wäre auf 
deutſche Programm geichlagen, das | die deutſche Sprache zu richten; wie 
zum Beſuche einer in deutfcher;mehmlichen ſolche zu verbeilern, aus— 


Sprade zu haltenden Borlefung aufe 
forderte. 

Das Verlangen, um das es ich 
hier handelt, findet ſich in der Älteren 
Bearbeitung am ausführlichiten aus— 
geſprochen. Es heißt dajelbit: 

„Und weil aus allem Obſtehenden 
ſo viel erſcheinet; daß vor allen Dingen 
die Gemüther aufgemuntert und der 
Verſtand erwecket werden müſſe, als 
der aller Tugend und Tapferkeit Seele 
iſt, ſo wäre das meine unvorgreifliche 
Meinung, es ſollten einige wohl— 
meinende Perſonen zuſammentreten 
und unter höherm Schuß eine deutſch— 
geſinnte Geſellſchaft ſtiften, 
deren Abſehen auf alle dasjenige ge— 
richtet ſein ſollte, ſo den deutſchen 
Ruhm erhalten und auch wieder aufs 


— — — 


richten könne, und ſolches zwar im) 


denen Dingen, 


ſo Verſtand, Gelehr— 


zuzieren und zu unterſuchen.“ 

Und als eigentliche Leiſtung, um 
die es ihm mit Gründung ſolcher Ge— 
ſellſchaft ſo recht zu thun ift, bezeich— 
net er ein deutſches Wörterbuch, deſſen 
Plan er eigentlich recht vollſtändig 
darlegt, indem er erwartet: eine Muſte— 
rung und Unterſuchung aller deutſchen 
Worte, welche, dafern ſie vollkommen, 
nicht nur auf diejenige geben ſoll, 
jo jedermann brauchet, fondern auch 
auf die, fo gewillen Lebensarten und 
Künften eigen; und nicht nur auf die 
jo man Hochdeutſch nennet, und die 
im Schreiben anigo allein bereichen, 
fondern auch auf Platedeutih, Mär: 
kiſch, Oberfähliih, Fränkiſch, Baye— 
riſch, Oeſterreichiſch, Schwäbiſch, oder 
was ſonſt hin und wieder bei dem 
Landmann mehr als in den Städten 
bräuchlich; auch nicht nur was in 


ſamkeit und Beredtſamleit einigermaßen Deutſchland in Uebung, ſondern auch 
betreffen kann; und dieweil ſolches alles | was von deutſcher Herkunft im Holl- 


vornehmlich in der Sprade erjcheinet, | und Engelländifchen: 


worzu auch für— 


als welche iſt ein Dolmetſcher des Ge- nehmlich die Worte der Nord-deutſchen, 
müts und eine Behalterin der Wiſſen- das iſt der Dänen, Norwegen, Schweden 


ſchaft, 


jo wird unter anderm auch und Ißländer (bei welchen letztern 


fonderlih viel von unſrer uralten 
Sprach geblieben,) zu ziehen: umd 
leglichen nicht nur auf das jo noch in 
der Welt geredet wird, ſondern auch 
was verlegen und abgangen, nehme 
lihen das Alt-Gothiſche, Alt-Säch— 
fifche und Alte fränkische, wie fichs in 
uralten Schriften und Reimen findet.“ 

Und diejes große Werk, zu dem 
mehr als Privatanftalt nöthig, es ift 
ja feitdem in die Erſcheinung getreten, 
ift wahr und wirklich geworben und 
noch dazu weit herrlicher, als man es 
damal3 hat ahnen fünnen: e3 nennt 
fich Schlicht und recht: Deutjches Wörter- 
buch von Jakob Grimm und Wilhelm 
Grimm. Es ift auch ein Verein, der 
ihm zum Dafein verholfen, aber ein 
Verein, wie allein er der hohen Sache 
würdig und wie er ftets zum Seile 
der Nation beftehen jollte: zuſammen— 
gehalten nicht durch Pflicht und 
Satzung, ſondern einzig durch das 
gemeinſame Band gleichen Strebens 
und gleicher Verehrung für die edlen 
Forſcher, die hier Baumeiſter werden 
wollten der Ruhmeshalle deutſcher 
Sprache; auf ihren Ruf eilten, ohne 
jedweden äußeren Vortheil, die wader- 
ſten Männer herbei, um thätig Hand 
mit anzulegen; und die für ſich ſchon 


durch ſolche Erfolge, die ihrer Natur 
nach allerdings nur durch ein Zu— 
ſammenfaſſen — aber doch ſchon 
vorhanden geweſener, nicht etwa. exit 
nen entftandener — in Freiheit erwach— 
jener Kräfte möglich geworden, gar 
zu leicht, den Wert rechter Freiheit 
für alles geiftige Leben zu jchäßen. 

Unfere ganze Lage ift heute eine 
andere. Und fo ift es nicht recht er= 
fihtli, wie die Vorkämpfer für eine 
Akademie der deutichen Sprache immer 
wieder Leibnig und allenfalls auch 
‚Herder anführen mögen. Sie hätten 
vielmehr zu zeigen, daß Beide auch 
heute an ihrem Plane feithalten würden, 
heute, wo jede deutſche Univerſität 
ihren germaniftiichen Lehrſtuhl hat 
und wo 3. B. in Sachen jeder Philo- 
loge deutſche Eollegien muß gehört 
haben. 

Herder mit feiner 1787 auf An— 
fordern des Markgrafen Karl Friedrich 
‚don Baden abgefahten Dentichrift: 
| „Idee zum erften patriotifchen Inſti— 
tut für den Allgemeingeift Deutich- 
lands“ Hat im Grunde dasfelbe Ziel 
wie Leibnig: fie wollen Beide durch 
die Liebe zur Sprache und ein ges 
meinfames Inftitut für deren Pflege 
den Gemeinfinn fördern; bei dem 








einen Namen hatten, bier waren ſie's inneren Zerfall des Heiligen römischen 
zufrieden, ungenannt ihre Dienfte zu | Reiches deutſcher Nation wollen fie 
thun: der Meifter Ehre — ihre Ehre; | mit ihrer Anftalt den Gedanken kräftig 


und ihr Lohn — die Freude am ge- 
lingenden Wert. Dat auch das uns 
vergleichliche Brüderpaar die Krönung 
des Gebäudes nicht erlebt, jo find wir 
doch Zeuge geworden der Geifter feſ— 
jelnden Macht ihres lebensvollen Planes: 
jehen wir doch Männer wie Rudolf 
Hildebrand, Morik Heyne und Mat— 
thias Lerer in des Wortes eigentlichfter 
Bedeutung die beite Kraft ihres Lebens 
und Denkens der Förderung des be 
gonnenen Werkes weihen; und das 
ift ganz unbedingt eine Wirkung, wie 
ie nur die freie Wahl möglich 
macht, wie fie entjchieden als Amts-— 
leiftung nicht möglich ift. Wir ver- 
geilen eben in unſeren Tagen, geblendet 


erhalten, daß wir nur Ein Volk ſind; 
daher müflen fie als klardenkende 
Männer zu verhindern ſuchen, day mit 
der Verjelbftändigung der Provinzen 
zu Kleinſtaaten fich nicht aus den 
Sprachprovinzen der Dialecte am Ende 
gar noch Heine Literärftaaten bilden: 
es iſt alfo ihr Vorhaben ein politiiches 
im vollen Sinne des Wortes. Eine 
Sprade, Ein Volt, Ein Staat, das 
war ihre Hoffnung. 

Das kann aber doch jekt nicht 
mehr das Programın fein einer Aka— 
demie der deutſchen Sprache. Wird 
unfer Nationalftolz nicht lebendig ge= 
halten durch unfern Staat, durch unfer 
inmerpolitiches Leben, können dieſe 





wahrhaft gewaltigen Kräfte und das 
in einem Volke fo ungemijcht wie 
wenige, ed nicht bewirken, daß unfere 
Sprache, im natürlichen Einflange mit 
dem lebendigen Denlen und Ringen 
der Nation, eine edle, würdige werde, 
rein, Fark und ſtolz: jo taugen die 
berrjchenden Gedanken nichts und feine 
Akademie der deutichen Sprade kann 
da helfen. Es ſchickt ſich nicht für 
ung, zu vergeſſen, wie unfere Gemein— 
ſprache entftanden. Hat doch der 
herzenzwingende Inhalt aller der 
Lebensſtrömungen, die wir unter dem 
Namen der Reformation zuſammen— 
fallen, ſich Frei die angemefjene Sprache 
geichaffen ; hat doch diefe Sprache ſich 
frei, das heißt durch die Macht des 
Geiftes, dejjen Träger fie war und in 
der Folge der Zeiten mehr und mehr 
ausjchliegend wurde, fogar das am 
längften widerftrebende Bayern erobert, 
wo in den Jahren 1722—27 vier 
Dctavbände herauskommen konnten 
unter dem Zitel: „Parnassus Boi- 
cus, oder Neu = eröfneter Mufenberg, 
worauf verſchiedene Denk- und Leß— 
würdigkeiten auß der gelehrten Welt, 
zumalen aber auß denen Landen zu 
Bayrn abgehandlet werden. Vier und 
zweyntzig Unterredungen. Mit Er— 
laubnuß der Oberen. Getrudt zu 
München bey Joh. Luc. Straub“, in 
denen fi unter anderen bemerkens— 
werten Auslaſſungen auch diefe findet: 
„in diefem Unformbe — (feine land» 
laufige Mutterſprache in das Hoch— 
teutjche eindringen zu wollen) — hat 
e3 niemand Luthero bevor gethan“ ; 
er bat „in feiner teutjchen Afterbibl 
feine andere Abficht gehabt, al3 feiner 
Oberſächſiſchen Sprache die Univerfal- 
Monarchi einzuranmen“ ; es wird ferner 
getadelt, daß fogar einige Katholifche 
„wenn fie ein dergleichen Proteftantiich 
Luftwort erfchnappen, Sich, weiß nit, 
wie breit zu machen ſuchen.“ 

Und nad 1779 fogar noch ver: 
ſuchten es unter Karl Theodor die 
Jeſuiten, harmloſe Evangelienbücher 


„weil die Wortſchreibung lutheriſch, 
die Sprache ketzeriſch wäre.“ 

Was aber Luther, als ein anderer 
Philipp, unerobert zurückgelaſſen von 
deutſchen Provinzen, das ſollten ſeine 
würdigen Söhne im Geiſt, das ſollken 
Leſſing, Goethe und Schiller der 
deutſchen Gemeinſprache mit ſiegender 
Gewalt erringen. 


So bliebe denn der neuen Aka— 
demie wohl nur noch eine ähnliche 
Aufgabe, wie fie die franzöſiſche eine 
lange Zeit wirklich gelöst, wie fie in 
Italien die Erusca verfuht hat. Ob 
die aber des Schweißes der Edlen wert, 
ob gewiffe Gefahren nicht unerwünſchter 
als der gehoffte Nutzen? 


Kein anderer als Leibnig erzählt, 
und zwar eben in den Unvorgreif— 
lichen Gedanten $ 18, daß die italie— 
nische Gefellfhaft der Erusca Anfangs 
ganz Italien Habe an die florentinifchen 
Geſetze binden wollen; ein vornehmes 
Glied der Gefellfchaft aber Habe fi 
gegen ihn (L.) geäußert, er wäre 
jelbft im feiner Jugend mit ſolchem 
toscaniſchen Aberglauben behaftet ge= 
wejen; bei der lebten Ausgabe des 
Wörterbuchs Habe man viele Worte 
zur Hinterthür eingelaffen, die ınan 
vorher ausgejchloffen. Auch die franz 
zöſiſche Akademie, berichtet Leibnitz, 
18 36, weiter, habe die Sunftwörter 
anfangs ausgeſchloſſen; er (2.) habe 
auseinandergejeßt, daß das nicht wohl: 
gethan fei, es werde von einer Ver— 
jammlung jo vieler trefflicher Leute 
in einem blühenden Hönigreiche unter 
einem fo mächtigen Könige mehreres 
erwartet; aber, aber — fie find ($ 37) 
bei der einmal angefangenen Wrbeit 
geblieben, ein gewiſſer Furetiere bat 
ih aus eigener Luft über die Kunſt— 
worte gemacht, die Akademie aber Hat 
ed übel genommen (2. eigene 
Worte), Sein Werl verhindert, 
und — da es doch in Holland heraus: 
gekommen, Hat fie einem Andern aus 
ihrer Mitte eine gleiche Arbeit aufge— 


ans den unteren Echulen zu vertreiben, | tragen. So haben, ruft Leibnitz aus, 


923 





die Leidenſchaften zumege gebracht, was 
die Bernmunft nicht vermocht. 

Ein enticheidendes Wort aber Hat 
in neuer Zeit Wilhelm Grimm ges 
ſprochen auf der erften Germaniſten— 
verfammlung zu Frankfurt am Main 
im Jahre 1846. Bor diefer wirklich 
erlauchten Verſammlung — glänzten 
doch als Sterne erfter Größe unter 
den Anwejenden Dahlmann, Gervinus, 
Häußer, Lappenberg, Mittermaier, 
Verb, Pfeiffer, Raumer, Schmeller, 
von Sybel, Uhland, Bilmar, Wader: 
nagel — führte Wilhelm Grimm Fol— 
gendes aus: 

„Napoleon drüdte ſich vortrefflich 
aus, ſcharf, beftimmt, wie es die fran— 
zöſiſche Sprache vermag, er ſchlug den 
Nagel auf den Kopf, das wird ein 
Jeder eingeftehen, auch wer ihn fo 
wenig liebt al3 ich: aber er ſchrieb 
erbärmlih. Auf St. Helena fragte er 
den Vertrauten Las Cafes, der feine 
Mittheilungen auffaßte, ob er Ortho— 
graphie verftände, und fügte verächt- 
lich Hinzu, das fei das Gefchäft derer, 
die ich zu dieſer Arbeit handwerks— 
mäßig bergäben. In der That, felbft 
geiftig ausgezeichnete Männer, zumeift 
aber Schriftftellerinnen, deren ſich dort 
nicht wenige geltend machen, wiſſen 
nicht richtig zu ſchreiben, fie übergeben 
die Handſchrift jenen Handlangern, 
die das Unzuläſſige ftreihen, das 
Fehlerhafte beifern, die Orthographie 
berichtigen, kurz, die Sprache auf ge= 
jeglichen Fuß bringen. Jetzt erſt wird 
da3 Buch gedrudt und die Welt er: 
fährt nichts von dem Zuftand, der da= 
hinter beſteht und allein der wahre ift. 
Diefe Einrichtung hat etwas Bequemes 
und ſorgt für den äußern Anftand, 
ja man fönnte in Verſuchung ges 
vathen, der verwahrlosten, hingeſudelten 
Sprache, die bei uns oft genug in 
ihrer Blöße fich zeigt, eine ſolche polizei= 
liche Auffiht zu wünſchen. Allein 
die matürliche Freiheit der Sprade, 
die feine Feſſeln duldet, Hat fich in 
Frankreich gegen jene Allgewalt ſchon 


m — —ñ— — — — — — — — — nm uns — — — 


von 


aufgelehnt. Es gibt eine Partei, welche 


die Ausſprüche des Wörterbuchs der 
Akademie nicht mehr anerkennt und 
ihre Sprache nad eigenem Belieben 
bildet, nicht bloß frei, fühn und keck; 
auch rüdfichtslos und gewaltſam; man 
fofettiert in der Bildung neuer Wörter, 
wie in dem Gebrauch der befannten. 
Das ift die Gefahr, welche jede Rüd- 
wirfung gegen übergroße Spannung 
nit fich führt und es wird noch zweifel— 
haft fein, was dieſes plößliche Umz 
ftürzen der alten Grenzpfähle herbei— 
führt, größern Vortheil oder größern 
Nachtheil. So fteht es nicht bei uns, 
und ich glaube, wir dürfen fagen, zu 
unferm Glüd. Unſere Schriftipradhe 
fennt feine Gefeßgebung, feine richter- 
lihe Entfcheidung über das was zu— 
läflig und was auszuflogen ift, fie 
reinigt ſich felbft, exfrifcht ſich und 
zieht Nahrung aus dem Boden, in 
dem jie wurzelt.“ 

Was MWilheln Grimm bier von 
der franzöfifchen Akademie al3 werdend 
ankündigt, Heute ift es eine vollendete 
Thatſache. Sein Franzofe, wenigftens 
feiner, der etwas Eigenes zu fagen 
hat, denkt daran, erſt da3 Wörterbuch 
der Akademie um Rath zu fragen, ja 
manche Akademiker, und gerade die 
beiten, brauchen in ihren Schriften 
Wörter, denen fie den Eintritt in’s 
Wörterbuch verwehrt: Das Tprachlich 
Schöne ift eben die That der bewegten 
Seele des Dichters, nicht aber das 
Hündlein einer ordnungsgemäß in 
nüchternfter Alltagsftimmung zufam= 
mengetretenen Verſammlung. 

Und die Gelegenheit, bei der Wil- 
helm Grimm die angeführten Worte 
geiprochen, ift jo recht bezeichnend: 
er will nämlich die gelehrte Welt auf- 
merffam machen auf das in Angriff 
genommene deutjche Wörterbuch. Mit 
diefem Werke ſoll fein Gejegbuch ge= 
liefert werden, das irgendwie vorjchriebe, 
wie geiproden werden ſoll; nichts, 
gar nichts ſoll darin befohlen werden, 
nie ſoll es heißen, jo muß es fein, 
Autoritätswegen, die Grimm 
haben es gejagt, jondern lediglich: Jo 


024 





ift unfere Sprache geworden und ges mögen mit darunter fein: Brauche 
wachen, ſieh ſelbſt: Hier ift ihr Schaf: | Deines Rechtes als Sohn der gegen- 
haus, bier findeft Du gefammelt das | wärtigen Stunde, wähle frei nad 
leuchtende Gold der Dichtkunft, das eigener Einjiht, was Du bedarfit zu 
belle Silber der gewichtigen Rede und | Deinem Leben: Freiheit der Wahl ift 
das jo nöthige Kupfer des täglichen: die Sonne aller Entwidiung zur 
Marktverkehrs; auch einige Falſchſtücke | Schönheit. 


Wunderliche Heilige. 


Aus mythiſchem Dunkel in's profane Licht geſtellt von Hans Malſer. 


Jung Jakob. 


i >) a3 war fein übler Spaß, Vater 

= Laban. Aber ih an Deines 
Schwiegerſohnes Stelle möchte mich 
dafür bedanten. 

Es war ja recht nett, wie Jalob 
der Schäfer am Brunnen die Rachel 
gefehen hat. Bon diefer Zeit an hatte 
der junge Mann feine Himmelsleiter 
und die Engel, welche daran auf- und 
abftiegen, ganz vergeljen, es gefiel ihm 
auf dem feiten Erdboden zu gut, auf 
dem der ſchöne Heine Fuß der Rachel 
ftand. Und wenn fie mit ihrem Kruge 
am Brunnen war, da hatte er Durft, 
aber fie gab ihm nicht zu trinken, weil 
er jo jchnaufend berbeigelaufen war, 
und in der Hitze ein gäher Trunk — 
das wußte die kluge Rahel — ift 
jungen Leuten nicht gefund. 


So dachte fih Jakob: Wenn ich 
erft ihr Herr bin, danı muß fie mir 
zu trinken geben, wanı ich will, und 
warb um fie beim Better Laban. 


Der lächelte und ſprach: „Du 
lieber Junge, das glaube ih Dir, daß 
Du diefes Kind haben möchteft. Aber 
Haft Du auf dem Markt je eine Wein 
traube geſchenkt erhalten? Niemals. 
Und Du wilft das Koſtbarſte und 
Schönfte und Wohlſchmeckendſte auf 
Erden zum Gejchent haben? Diene 





dann magft Du wieder von ſolchen 
Dingen mit mir jprechen.“ 

Ich wäre über einen ſolchen Be— 
ſcheid in Verzweiflung gerathen, aber 
jung Jakob fagte mit Freuden Ya, 
denn er date: Sie käme doch täglid 
zum Brunnen mit ihrem Krug. Allein 
die Alten willen in folden Saden 
nur zu gut, was fich die Jungen denten, 
Laban ſchickte mun micht mehr die 
knoſpenfriſche Rachel zum Waſſer, jon- 
dern feine ältere Tochter, die Lia. Die 
war freilich feine Knoſpe mehr, ſon— 
dern eine Nofe, bei der die Blätter ſich 
Ihon welt nah auswärts zu legen 
begannen; fie hatte auch hervorftehende 
Augen, die faft, wie bei einer Schnede 
die Fühler, noch mehr hervor wuchjen, 
wenn Jakob in die Nähe kam. Aber 
Jakob fam ihr nicht fehr in die Nähe 
fondern hütete auf der Flur die Schafe 
und war nicht in befter Stimmung. 

Sieben Jahre vergehen unter ſolchen 
Umftänden höchft langweilig, aber end» 
lih waren fie do dahin, Jakob trat 
zu Laban und begehrte den Lohn. 

„Welchen Lohn?” fragte der Vetter. 

„Den Du mir verfproden Halt, 
daß Du mir die Rachel zum Weibe 
gibſt.“ 

„Ei Knabe!“ rief Laban, „was 
Du da ſagſt! Meine Rachel Dir zum 
Weibe! Davon war keine Rede. Ich 


mir ſieben Jahre und hüte meine Schafe, habe nur geſagt, daß — wenn Du 








mir fieben Jahre dieneft — Du von 
ſolchen Dingen mit mir wieder jprechen 
magft. Nun, und geſprochen Haft Du 
jeßt davon. Wenn Du aber die Rachel 
zum Weibe haben willft, fo mußt Du 
mir noch Sieben Jahre die Schafe 
hüten.“ 

Auf diefes troftreihe Wort nahm 
jung Jakob eine ſehr demüthige Stel» 
lung an und fagte: „Mein lieber 
Better Laban, Du bift ein Erzgauner. 
Die Rahel wird beim Zuwarten nicht 
mehr beijer. Ich habe fie ehrlich ver— 
dient.“ 

„Ehrlich?!“ fagte Laban und zog 
den Zon jehr in die Länge „Darf 
ih Dih an die weißen Lämmer er- 
innern 2“ 

„Sa, Better, Du Haft mir alle 
weißen Länmer zum Eigentum vers 
ſprochen, welche Deine ſchwarze Schafe 
herde hervorbringen würde.“ 

„sa, mein feiner Jakob, und Du 
haft die Wände des Schafftalles weiß 
angeltrichen zur Zeit, wenn die Schafe 
Blitterwochen hielten. ch Hätte nicht 
gedacht, daß Du fo Hug wäreft. Die 
weißen Lämmer, die geboren wurden, 
find Dein gewefen, ich habe gefchwiegen, 
doch nun rathe ich Dir, fprih Du 
nichts don Ehrlichkeit.“ 

Jakob hielt dem Alten die Hand 
hin und fagte mit weicher Stimme: 
„Vetter, alfo gibft Du Deine Tochter 
feinem Unmiürdigen. Zweimal fieben 
Jahre wirbt man nicht um ein junges 
Weib. Ich weiß auch andere Töchter 
unter Abrahams Stamme.“ 

Diefe Worte haben ihre Wirkung 
nicht verfehlt. 

„Wohlan, Jakob,“ ſagte Laban, 
„ih will Dir meine Tochter geben, 
morgen foll die Hochzeit fein.“ 

Jung Jalob erſchrak faft über das 
Glüd, das nun plöglich fo nahe war, 
Eilends ließ er fich die Loden kürzen 
und wujch feine Füße. Und am näch— 
ften Tage geleitete ihn Vetter Laban 
bis zum Eingang des dunklen Braut: 
gemachs. 


IV 
ST 


Als der Morgen Fam und durch 
eine MWandrige die Sonne hineingudte, 
nahın jung Jakob mit Schreden einen 
großen Irrthum wahr. Er ftürzte 
hinaus, ftürzte mit fliegendem Gewande 
zu Laban und rief: „Das ift nicht 
die Rahel! Das ift ja nicht Die Rachel !“ 

„Iſt fie es nicht?“ fragte der 
Better ſchmunzelnd, „nun, dann wird 
es die Andere fein.” 

„Better! Du Haft mir die Nachel 
verſprochen!“ 

„Da biſt Du in einem Irrthum, 
mein Freund,“ ſagte Laban, „ich habe 
Dir meine Tochter verſprochen, und 
Lia iſt auch meine Tochter. Ein Mann 
mit Ordnungsſinn wird niemals ſeine 
jüngere Tochter vor der älteren ver— 
heiraten. Du ſollſt Dir ihn auch an— 
gewöhnen, dieſen Ordnungsſinn, mein 
Sohn.“ 

Weil Laban ſah, daß Jakob troſt— 
los war, ſo legte er ihm die Hand 
auf die Achſel und ſprach: „Ich bin 
fein Stein. Wenn Du mir weitere 
lieben Jahre dieneft, fo follft Du auch 
die Rachel haben, und zwar noch in 
diefer Woche.“ 

So geihah es, daß jung Jakob 
nun plößglich zwei Frauen hatte, von 
denen ihm aber jeltfamerweife die jün— 
gere und die fchönere weitaus die 
liebfte war. 

Nun, fie hatte auch mehr gefoftet. 


Der ſyriſche König. 


Der gute König David! Wenn 
man ihm jo zufieht, wie er mit feinem 
langen weißen Haar und Bart dajikt 
und harfenfpielt, jo möchte man's nicht 
glauben. 

Einer der größten Männer des 
jüdiſchen Volles war er, heute ſitzt er 
unter den heiligften Heiligen im Him— 
mel und jpielt die Harfe zum Lobe 
Gottes. Die älteften Leute, nämlich 
jene, die das Buch der Könige ge- 
ſchrieben Haben, willen ſich wohl noch 
zu erinnern an die tollen Streiche. 
Hreilih Hat er gebüßt, aber Könige 


büken nicht jo hart, wie andere Leute. 
Thränen ſoll er vergofjen haben, als 
der Freund ihm formhalber die Leviten 
lad, denn er war eine lyriſche Natur 
und jpielte auch die Harfe. 

Das, was hier erzählt werben ſoll, 
war zur Zeit, als König David Krieg 
führte gegen die Ammoniter. Er ſchickte 
fein ganzes Heer ab gegen den Feind, 
für feine Berfon aber ließ er ſich un— 
paß melden und blieb daheim in feinem 
Balafte zu Jerufalem, und fang zum 
Saitenfpiel Kriegslieder aufdie Schlach— 
ten, die draußen gejchlagen wurden. 
Es war zwar etwas langweilig daheim, 
aber doch nicht jo unwirtlich, wie dort 
vor den Speeren der Ammoniter. Als 
ker einmal vom Söller hinabfah in den 
Garten, erblidte er dort ein Weib, 
welches eine Roſe von Jericho mit 
Waller begoß. Sie gefiel ihm, aber 
nicht die Rofe jondern das Weib, denn 
er war eine Iyriihe Natur. Es war 
ein dralles, ſchönes Weib und hatte 
ährengelbes Haar. Das ijt was Sel— 
tenes bei diefem Stamme, ährengelbes 
Haar, und weil der König ſchwarzes 
hatte, jo meinte er, man könnte etwas 
Schmwarzgelbes veranftalten, obzwar da= 
mals Defterreich noch nicht zu berüde 
lihtigen war. 

Der König wintte einen Aufwärter 
herbei und fragte ihn, wer das Weib 
ſei, welches dort die Rofen mit Waller 
begiehe. Der Aufwärter antwortete, das 
jei das Weib eines Mannes, der unten 
im Kidronthale fein Haus Habe. Sie 
fönne jehr ſchöne Roſen ziehen, daher 
verdinge fie fih manchmal in die könig— 
lihen Gärten. 

„So fteige hinab,“ jagte der König, 
„und hole fie herauf. Und die fchönfte 
Rofe foll fie mitbringen, die fie ge— 
zogen hat, damit ich ſehe, ob fie ihren 
Lohn wohl verdient in den königlichen 
Gärten.“ Denn er war geredt. 

Sie fam mit Freuden herauf, allein 
lange war fie nit im Gemad, fo 
nahm fie Anlaß zu flüftern: „Herr, 
ih bin das Weib des Urias.“ 


König, „Du magft es auch in Zukunft 
fein. Seße Dih nur einmal zu mir 
und erzähle mir von Deinen Rofen.“ 

Sie jagte: „Herr, Du bift ein 
recht leutfeliger König. Mein Main 
fünmert fi wenig um die Rojen und 
das hätte ich mir nicht träumen laſſen, 
daß ich meinem großen König einmal 
von Rofen follte plaudern dürfen.“ 

„Das ift ja recht Schön,“ verjeßte 
der König und nahm fie bei der Hand. 

— Hier madht das Buch der Könige 
einen Sprung. Es überfpringt mehrere 
Moden und ich deute es exit wieder, 
als der König einmal durch die Gärten 
Schritt und wieder das Weib mit den 
ährengelben Haaren ſah. Sie Iniete 
auf der Erde, begoß wieder eine Roſe, 
aber Heute nicht mit Waller, jondern 
mit Thränen. 

Der König trat zu ihr und fragte, 
warum fie weine? 

„Urias wird mich  verftoßen,” 
chluchzte fie, „denn ich muß es ihm 
bald mittheilen.“ 

Der König ftußte einen Augenblid, 
endlich fagte er: „Das ift ja redt 
ſchön.“ 

Dann gieng er hinauf in ſeinen 
Palaſt und dachte nach, was da zu 
machen ſei. Denn er war kein ge— 
wöhnlicher König, er wollte das Weib 
des Urias den Mißhandlungen ihres 
Mannes entziehen und es zu ſeiner 
Frau machen. Weil er ſelbſt zugleich 
hoher Prieſter war, ſo brauchte er 
der Trauung wegen nicht verlegen 
zu ſein, aber nach dem Geſetz ſtand 
ihm der Urias im Weg. Er ließ ihn 
rufen. 

Als der Mann erſchien, fragte ihn 
der König, ob er nichts gehört habe, 
wie es auf dem Felde ſtehe? Er ſei 
ein tapferer Mann, ob es ihm nicht 
geluſte gegen die Ammoniter zu ziehen? 

„Herr,“ antwortete der Urias, 
„gerne will ich gegen die Feinde meines 
Königs ſtreiten, wenn ich erſt mein 
Weib wieder gefunden babe.“ 

„Sehe jebt zu meinem Feldherrn 


„Das ift ja recht Schön,“ fagte der Joab und überreiche ihm diefen Brief.“ 





927 


Sp ſagte der König. Der Urias nahm 
den Brief und follte mit demſelben 
nun zum Kriegsheere wandern. 
verneigte ſich bis zur Erde und gieng. 
Kam aber nur vor das Thor des 
Palaftes. Dort an den Marmorftufen 
jeßte er fich zu den Dienern des Königs, | 
aß mit ihnen, betete mit ihnen und 
ſchlief mit ihnen. 

Am nächften Morgen gewahrte ihn | 
der König und fragte ftreng, warum 
er nicht abgereist ſei ins Lager des 
Joab ? 

„Herr,“ antwortete der Urias jehr 
demüthig, „weil ich mein Weib noch 
nicht gefunden Habe.” 

„So komm' an den Tiſch und 
trinfe Wein, damit Du fröhlich wirft,” 
fagte der König mit Güte. Denn er 
war fein gewöhnlicher König. 

Der Urias trank Wein, wurde aber, 
nicht Fröhlich, Jondern gieng hinaus an 
die Stufen des Palaftes, betete mit 
den Dienern und fchlief mit ihnen auch 
die zweite Nacht. c 

Am weiteren Tage ſah ihn der) 
König wieder und da das Weib immer | 
noch nicht gefunden war, fo ließ er| 
dem Manne nochmals Wein vorfegen, 
und bejjeren als geftern. Da wurde 
der Urias Fröhlich, gieng, um dem 
Joab den Brief zu überbringen, kam 
aber auch diesmal nicht weiter, als bis 
an die Stufen des Palaftes, wo er 
betete und einschlief. 

Am nächſten Tage ließ ihm der 
König den beiten Wein vorſetzen und 
auch Muſik dazu machen. Nun vergak 
der Urias feines Weibes, wurde aus— 
gelafjen Iuftig, tanzte, füßte dem König 
den Saum des Kleides, eilte dann voll 
der Freuden hinaus ins große Lager 
des Jaob, und übergab dem Feldherrn 
angelihts der Ammmoniter den Brief 
des Königs. 

In dem Briefe aber ftand ge— 
fchrieben, daß Joab den Weberbringer 
desjelben fFeithalten und in die vor— 
derften Reihen der Streiter einitellen 
folle, damit ihn der erfte Speer der 
Anmoniter treffe. | 











So ift e3 auch gefchehen, und der 
König trauerte um feinen braven Sol» 


Er daten. Denn er war eine Iyrifche Natur. 


Hierauf nahm er das Weib des 
Urias zur Frau und fie fchenkte ihm 
einen ſchönen Knaben. Als derſelbe 
aber geſtorben war, als die Frau welk 
und fiech geworden war, griff der König 
zum Harfenſpiel und fang die Pſalmen, 
die heute noch zu den beliebteften Ge— 
ſängen der Welt gehören. 


Samfon der Starke. 


Wenn er Heute lebte, er reifete mit 
einem Impreſario und ließe feine 
Tähigfeit für Geld fehen. Damals hub 
er zu feinem Vergnügen Stadtihore 
aus und erfchlug mit Efelstinnbaden 
Bhilifter. Heute kämpft mancher Phi— 
lifter mit denfelben Waffen, indem er 


mit vollen Baden ſchreit, läftert. 


Einmal hat Simfon einen brüllen= 
den Löwen mit bloßen Händen in 
Stüde zerrijfen. Ein anderesmal hat 
er dreihundert lebendige Füchſe bei den 
Schwänzen zufanmmengebunden und 
mitten hinein Fackeln geftedt. Dieſe 
Tadeln zündete er au, da liefen die 
zufanmengebundenen Füchſe grauen— 
haft hin und her, liefen in die Stadt 
der Philiſter und zündeten ſie an. 
Wieder ein andersmal hat Samſon 
den Leuten einen großen Bären auf— 
gebunden, denn er war ſehr ſtark. 
Schließlich Haben ihn die Weiber um feine 
Kraft gebracht, wie das ſchon fo geht. 

Der Mann Hatte nicht allein Kraft, 
ſondern auch Wiß, obzwar diefe Eigene 
Ichaften ſich jelten zu vereinigen pflegen. 
Als er mit feinem erſten Weibe Hoch— 
zeit hielt, gaben ihm die Einwohner 
feiner Stadt dreißig Jünglinge zu 
Gefellichaftern, was für die Honig— 
wochenzeit ein jehr merfwürdiger Brauch 
war. Damit num auch die Yünglinge 
ihrerfeit8 eine Zerſtreuung hätten, gab 
er ihnen ein Räthſel auf. Sollten fie 
dasselbe während der fiebentägigen Hoch- 
zeitöfeier löfen, jo wirden fie von ihm 
dreißig neue Unterhojen aus Leinwand 


0928 


erhalten, wenn nicht, fo mühte jeder 
von ihnen feine Unterhoje ihm über: 
liefern. Sie giengen auf den Spaß 
ein. Das Räthſel aber lautete: Was 
ift ftärker als ein Löwe und füher als 
Honig? 

Als die fieben Tage den Ende 
naheten, wurde den dreißig Jüng— 
lingen bange um ihre Hofen. Einer 
von ihnen war aber vertraut mit 
Samfons jungem Weibe, der bat jie, 
daß fie ihrem Gatten die Löfung des 
Räthſels entloden und ſolche ihm mit— 
theilen möchte. Da ſie denn einmal 
toſeten, das Weib und der Richter 
Samfon, meinte die ſchlaue Geſponſin, 
fie wäre begierig zu erfahren, ob die 
dreißig Junggefellen zuſammen wohl 
fo Hug fein wirden, wie ihr Bräu— 
tigam, oder ob Sanıfon am Ende 
felber des Räthſels Löjung nicht wüßte. 

Das ftachelte ihn an und er ſprach; 
„Ich will Dir nur die eine Hälfte der 
Löfung fagen, die andere folft Du 
felber errathen. Samſom ift ftärfer 
als ein Löwe —“ 

„— und füßer als Honig!“ rief 
das Weib jubelnd. Damit gieng fie 
zu dem gewiſſen Junggefellen, den fie 
auch nicht bitter fand. 

Am Ende des fiebenten Tages 
famen die dreißig Jünglinge zu Sanı= 
fon und fagten einftimmig: „Stärfer 
al3 ein Löwe und ſüßer als Honig 
it Samfon.“ 

Das mar jehr fchmeichelhaft für 
Samfon, aber er gieng zornig davon, 
erichlug mit dem bewußten Kinnbacken 
dreißig Philifter, nahm ihnen die Bein 
tleider weg und gab fie den Jüng— 
lingen als verſprochenes Prämium. 

Mittlerweile Hatte fein Weib ſich 
jenem vertrauten Geſellen zugewendet 
und als fie Samſon darob zur Rede 
ftellte — denn er war in ſolchen Sachen 
einfältig — da antwortete fie: „Ich 
habe geglaubt, Du liebſt mich nicht 
mehr, daher wollte ih Dir nicht zur 
Laft fein.” Er ließ fie laufen. 

Das war die Erfte. Dann fam 
die Zweite. Die hieß Dalila und war 





noch viel fchöner, al3 die Erite. An 
ihm war aber ein Yehler. Er wußte 
nämlich nicht, daß fie von den Phi: 
liftern gefchidt war, um ihn auszu— 
tundjchaften, wo denn feine große 
Stärke liege. 

An erften Tage, als fie traut bei- 
fammen waren, ftreidhelte fie ihm feine 
Hände und fagte: „Du bift ein jehr 
ftarter Mann. Es ift ganz außer— 
ordentlich, wie Du ftark bift. Deine 
Kraft liegt wohl in den Muskeln?“ 

„In denen liegt fie bei Anderen,“ 
fagte Samſon. 

„Nun, wo liegt fie denn eigentlich 
bei Dir?“ 

Dachte Samſon bei fih: Diejes 
Weib will ich aber doch einmal blau 
anlaufen laſſen. Es Hat mir fchon 
einmal Eine ein Geheimnis entlodt. 

„Wenn Du fehr verfchwiegen biſt,“ 
ſprach er zu Ihr, „ehr — ganz außer— 
ordentlich verfchwiegen, jo will ih Dirs 
anvertrauen. Wenn man mich mit 
fieben nafjen Striden bindet, dann bin 
ih kraftlos.“ 

„Das kann ich ſchier nicht glauben, “ 
ſagte fie. 

„Es kommt nur auf einen Ber- 
fuh an.“ 

Sie band ihn mit fieben naflen 
Striden an Händen und Füßen, da 
waren auch ſchon die Philifter auf der 
Lauer, um ihn zu mißhandeln. Wis 
fie aber vortraten, zerriß Samfon die 
Stride und jagte damit, fie zu Peit- 
chen gebrauchend, die Feinde davon. 

Der Schönen Dalila war von den 
PhHiliftern nämlih ein großer Lohn 
ausgefegt — goldene Armjpangen und 
ein Neifen mit Edelfteinen ins Haar 
— wenn e8 ihr gelänge, den Samſon 
zu überliften. 

Am nächſten Tage fagte fie zu ihm 
alfo Folgendes: „Wie gut, mein 
theurer Mann, ift &8, dab Du nod 
ftärler bift, al$ Du glaubft. Geftern 
hätten uns die Feinde zur ſchlimmen 
Stunde überfallen. Wenn fie Deiner 
mächtig geworden wären, ich hätte mich 
fofort getödtet.“ 


929 





„Ich bin davon überzeugt,“ ante 
wortete Samfon, 

„Aber Du follteft es genauer wiſſen, 
wo Deine Schwäche liegt,“ fagte fie 
und ftreichelte mit großer Zärtlichkeit 
feine braunen Wangen, „damit Du 
Did hüten möchtet, und ich helfen 
fönnte, Dich zu hüten.“ 

Hierauf fagte Samſon: „Hätteft 
Du mich nur mit fieben neuen Striden 
gebunden, in denen ein Frauenhaar 
hineingewoben worden, e3 wäre anders 
gelommen.“ 

„Man müßte es verfuchen,“ jagte 
das Weib. „Neue Stride find in der 
Seräthelammer, ein Frauenhaar webe 
ih hinein. Aber wir wollen das Thor 
verichließen, damit uns die Feinde 
nicht etwa nochmals überfallen.” 

„Du bift ein ſehr liebes, kluges 
Weib!“ rief er aus. Und dann band 
fie ihn mit bejagten Striden Hände 
und Füße. 

Kaum die Arbeit gethan war, pol— 
terten draußen die Philiſter, als er- 


unaufgörlichen Thränen, fchlang ihre 
weichen Arme um jein Haupt und rief 
fortwährend: „Du bift mein einziger, 
füßer, goldener Mann!“ 

Da ward der ftarfe Samjon ge= 
rührt bis in die Seele hinein und er 
ſagte vorwurfspoll zu fich ſelbſt: diejer 
habe ich Unrecht gethan. Wahrlich, 
ih mill ihre Genugthung leiften. — 
„Dalila,“ fagte er dann und ſchmiegte 
ſich wie zur Zuflucht an ihren Bufen, 
\„Dalila, Du bift anders, als jonft 
die Weiber find. Ich Sehe es nun, 
bei Dir ift mein Geheimnis wohl ver: 
wahrt. Höre denn. Meine Schwäche 
liegt in etwas, das ich nicht behüten 
fann, wenn ich ſchlafe. Wenn ich 
ichlafe und Du wadelt, ſei Du der 
Hüter meiner Loden. Mein Haupt ift 
noch niemals gejchoren worden, denn 
ih bin ein Nazarder. Wenn meine 
Haare dahin find, dann bin ich 
fraftlos.* 

Nun liegt das wohl in den meisten 
Männern fo, wenn einmal ihre Haare 





brächen fie das ohnehin angelweit offene | dahin find, dann find fie Fraftlos. 
Thor, ftürmten herein, um den Sams | Delila aber jubelte im Herzen, denn 
jon zu quälen. Diefer zerriß die Bande, | fie gedachte der goldenen Armjpangen 
ald wären es dünne Fäden, die vom und des Neifens mit Edelfteinen. Als 
Feuer verjengt find, und jagte die er jchlief, kam fie mit der Scheere und 


Feinde aus dem Haufe. 

Einen Franenhaar zu troßen, dazu 
muB man freilich der ftarfe Samſon 
fein. Hätte fie aber das erjtemal die 
Stride mit Franenthränen durchnäßt, 
ic vermuthe, folchen könnte auch ein 
Samfon nicht widerftehen. 

Am dritten Tage jchluchzte Dalila, 
das liebe, treue Weib und jagte, wenn 
fie an das Unheil denke, daß fie mit 
ihrem Vorwitz hätte anrichten können, 
jo vergehe ihr Hören und Sehen. Sie 
wolle nicht mehr fragen, wo jeine 
Stärke liege und fie bitte ihn, fich zu 
hüten, daß er diejelbe feinem Menjchen, 
auch ihr micht, verrathe. Denn er fei 


ihr Leben, ihre Süßigleit auf Erden. — 
Dabei herzte und küßte fie ihm unter 


Kofegger’s „„Örimgarten’,, 12. Geft, Xl. 


trennte ihm die fieben üppigen Loden 
vom Haupte. 

Als er erwachend feinen Verluſt 
gewahrte, ward er jehr zornig. Aber 
der Zorn eines ohnmächtigen Mannes 
ift lächerlich. Die PhHilifter Haben ihm 
die Augen ausgeftochen, als ob ihn 
die Liebe nicht ohnehin jchon blind 
gemacht hätte, haben ihn in den Sterfer 
geworfen und das legte Reftchen jeiner 
Kraft noch dazu benüßt, daß er eine 
Handmühle treiben mußte, wie der 
elendefte Knecht. 

Er trieb die Mühle fort und fort, 
und jo oft er daran den Hebel um: 
drehte, ſagte er leife vor ſich hin:, Die 
Weiber! — Die Weiber! Die 
MWeiber! — “ 


Die alte Pori. 


Eine Sondergeftalt aus dem Dorfe von P. R. Rofegger. 






* 


» 


Auer — 


om Dorfe gegen das Waſſer hin, 
wo die alten Eſchen ſind und die 
Lache liegt — die in naſſen Zeiten ein 
See und in trockenen ein Sumpf iſt 
— dort fieht ein Haus, das auf vier 
großen Spreizen ruht, wie ein Pfahl« 
bau. Das ift aber nicht des Waſſers 
wegen, fondern die vier Spreizen — 
welche nur an einer Seite, an der Berg— 
fehne, eine Untermauerung haben — 
bilden eine Hütte für Schnittholz, als 
Breiter und Zimmerbäume, und tragen 
unter dem Dache zwei Sammern. 
Diefe Dachkammern machen das Haus. 
Die eine diefe Kammern hat ein Heines 
Fenſter gegen das Waſſer Hin; das 
ganze Jahr, die Sonne mag hoch ftehen 
oder tief, fommt von ihr fein Strahl 
in diefe Kammer. Das weit vor— 
Ipringende Dach dedt das Fenſter fchier 
zu; folches erinnert an den Tadel- 
Schuſter, der nur ein Auge hat und felbft 
über das noch fein breites Mübenfchild 
berabzieht, wenn er ſchmollt. Im dieſer 
Kammer wohnt der Eigenthilmer des 
Haufes, Pankraz Lagler wohl befchrie= 
ben. Die andere der zwei Kammern 
des vierfüßigen Haufes hat zwei größere 
Fenſter gegen das Dorf Hin, die Sonne 
Ihaut Hinein im Sommer und im 
Winter und herrliche Blumen Schauen 
heraus im Sommer und im Winter, 
In diefer Kammer wohnt die Mietherin 
Fräulein Eleonore Maifeau, gemein» 
hin genannt die alte Lori. 

Die zwei Leute wohnen unter 
einem und demfelben Dache — wie 
lange ſchon? Sein Menfch rechnet nach ; 
die jüngere Generation fieht den Sumpf 
und die Eſchen und das vierfüßige 
Haus, und wenn fie überhaupt dar- 
über nachdächte, jo würde fie meinen, 
es müſſe fo jein, das gehöre jo zum 






Dorfe und zur Welt, etwa wie die 
Straßenmauth und die Regenwürmer. 
Die zwei Leute wohnen Wand an 
Wand; Nahts, wenn Pankraz Lagler 
feine Krampfhuftenanfälle Hat, kann 
Fräulein Eleonore Maifeau nicht ſchla— 
fen, und des Tags, wenn das Fräu— 
lein in der alten Blechpfanne den 
Kaffee röftet, brenzelt das Ding ſtark 
hinüber zum Pankraz. Trotzdem ver— 
kehren die Beiden das ganze Jahr 
nicht miteinander, außer wenn jie auf 
der engen Stiege zufammenkommen, 
wo fie fich gegenfeitig einen „Guten 
Tag” gönnen, und zu den Quatember- 
zeiten, wenn das alte Fräulein ihm 
den Wohnungszins entrichtet. Man 
jagt, fie follen einander nicht geneigt fein. 

Bei dem Pankraz wäre das kaum 
zu wundern, der ift Niemandem ge= 
neigt; er hatte Jeden, wie fie da 
Sonntags auf dem Kirchplatz umher— 
ftehen oder unter dem Rajen liegen, 
Ihon übervortheilt, und fo bildet er 
fih ein, fie wollten’s ihm heimzahlen 
und traut Niemanden. Pankraz ift 
feines Zeichens Holzhändler, der durch 
jahrzehntelange Lieferungen von Bau- 
und Brennholz fich ein Vermögen er— 
worben haben fol. Jetzt ift er ſchon 
ein alter Schrumpf, aber er handelt 
immer noch, denn, jagt er, jo viel 
müſſe er fich erwerben, was er braudt. 
Da er keinerlei Familie hat und für 
feine Perfon höchſt ſparſam lebt, jo 
erfpart er ſich noch — jetzt in feinen 
alten Tagen. Beſcheiden muß Einer 
fein in den Bedbürfniffen, nicht trinken, 
nicht rauchen, geſchweige ſpielen, nicht 
dem Schneider wirthichaften helfen und 
nicht dem Nafierer; die Leute wiſſen 
gar nicht, mit wie Wenigem Einer 
leben fanıı. Brav muß man fein! — 





Und feine ganze Bravheit befteht im 
Sparen. 

Die Natur hat aber auch an ihm 
Thon zu Sparen begonnen, längft ſchon, 
er bat feine Zähne mehr, faft feine 
Haare mehr und die Leute jagen, er 
würde von Tag zu Tag Heiner. Seine 
Baden ſehen immer aus wie ein Stop— 
pelfeld, auf welchem aber die Schnitter 
etwas ungleich gearbeitet haben. Seine 
Heinen Augen find immer hochroth und 
unabläflig muß er mit dem Knollen 
feines blauen Sadtuches fich die Thränen 
trodnen, jo daß man weiß Gott wel 
rührende Weichherzigleit in ihm ver— 
muthen müßte, wenn es feinen chro= 
nischen Augenkatarrh gäbe. Sein Stleid 
befteht aus braunem Loden, welcher — 
foweit die Dorfinfaflen ſich erinnern 
fünnen — nie neu war und alfo nie 
alt werden kann. Etwelche Schadhafte 
Stellen werden wieder heil und die 
vielen Rippen der Nähte halten das 
Gewand fteif aufrecht, auch wenn der 
Inhalt immer mehr in fich zuſammen— 
Ihrumpft. Den alten Banker! heißen 
fie ihn. Wenn der Pankerl fo dahin= 
Schleicht durch die Dorfgaffe, mit der 
linfen Hand den Stod fahte voran= 
jet wie einen Fühler, ob der Weg 
wohl verläßlich ift, jo kann beobachtet 
werden, wie er mandmal mit der 
rechten Hand gegen die Bruft, gegen 
das Herz zudt, als gäbe es ihm dort 
mandmal einen Stih. Hat er ein 
gutes Geſchäft gemacht — was bei 
den fchlechten Zeiten, welche die Grund— 
und Waldbeliger jet haben, für einen 
Holzhändler jehr leicht möglih ift — 
fo belohnt er ſich, der alte Pankerl, 
er geht zum Lindenwirt, ſetzt ſich dort 
an die Ofenbant, und damit er die 
Ofenwärme umfonft haben kann, läßt 
er fih ein Achtel Apfelwein foınmen. 
Der Lindenwirt, der ftet3 und mit 
Recht bei guter Laune ift, Eopft dem 
Pankerl manchmal auf die Achjel und 
fragt: „Na, Pankraz, wie geht's, wie 
ſteht's?“ Er ift um mehr als dreißig 
Jahre jünger, als der Pankraz, aber 
diefer nennt ihn den Herrn Bater, 


931 











und wenn's zum Zahlen kommt, fo 
zahlt er ftets beim „Herrn Vater”, 
denn bei der Kellnerin ift meuzeit eine 
Unfitte eingeriffen — das Trinkgeld. 
Und wieder fährt er mit der Hand 
gegen das Herz, während das Geld- 
beutelchen doch tief im Hofenfad hodt, 
aus dem es hernach langſam und mit 
vieler Umſtändlichkeit herausgeholt wird. 
Meil ihm Niemand im ganzen Dorf 
und Umgebung auf die Achjel klopft 
al3 der Lindenwirt, fo hat er diejen 
zu feinem Bertrauten erforen. Und 
manchmal huſcht der Banker! dem Wirt 
nach in die dunkle Selleritiege, erhaſcht 
ihn am Arm und zielt: „So viel 
gern was fragen thät ih, Herr Vater, 
jo viel gern was fragen!“ 


„Nu, Hat der Banker! ſchon wieder 
ein Anliegen ?* 

„Freilich wohl, Freilih. Wegen 
der Sparcafje halt, wegen der Spare 
cafe. Ob's Halt wohl ficher ift, was 
man einlegt? Ob's wohl ſicher ift ?” 

„Ei veriteht ih. Wenn ih nur 
recht viel drinnen hätt’ in der Spar— 
caffe, mir wäre es ficher genug,“ ſagt 
der Wirt. 

Das tröftet den Pankerl unjäglich. 
Denn er hat Geld in der Sparcafie, 
obgleich vorfichtshalber nur einen Theil 
feines Vermögens. Den andern Theil—? 
Nächſt feinem Haufe fteht eine hohle 
Eiche. In Hohlen Eichen Haben vor 
Zeiten Gefpenfter gewohnt. Wenn der 
Blitz einfhlägt!... Der Banker! zudt 
mit der Hand an's Herz. 

Das nächſtemal jest ihn Jemand 
eine Miüde in den Kopf, und dieſe 
jummt ganz fchauderlih da drinnen 
im dunklen Raum und läßt dem Alten 
Tag und Naht feine Ruhe. Seine 
Zuflucht ift endlich wieder der Linden- 
wirt. „Herr Vater! Herr Bater! Ein 
Mörtel. Die Leut’ thun fo viel reden. 
So viel reden thun fie. Die Funf— 
jigernoten thäten ablommen, die Funf— 
iger. Wenn das wär’, müßt’ man’s 
hergeben, müßt man’s hergeben.“ 

„Halt ihrer?“ Fragt der Wirt. 


59* 


„Hab' ihrer rund, hab’ ihrer rund!“ 
flüftert der Pankerl vertrauensjelig, 
„werden doch um Gotteswillen mit 
hin fein, werden doch nit Hin fein! 
Mas meint denn der Herr Vater?“ 

Der Lindenwirt tröftet ihn und 
meint, wenn der Pankerl ihm die 
Fünfziger anvertrauen wollte? 

„Ah, das nit, Herr Vater, das 
nit,“ geinst der Alte und trocknet jich 
die Augen, „aus der Hand geben thu' 
ih fie nit, Hergeben thu' ich fie mit. 
Auswechſeln, wenn fie follten abkom— 
men, ausmwechjeln. Mein Gott, die 
Sorgen, die der Menſch alleweil hat, 
die Sorgen, die Sorgen!” Nebit den 
Thränen trodnet er fih auch den 
Schweiß von der platten Stimm. — 

Das wäre der Pankraz. Nun zu 
feiner Nachbarin, dem Fräulein Eleo- 
nore. Verzeih' mir, Du gute Seele, 
daß ih Dich ſchildern muß, Du kannſt 
ja nichts dafür, daß Did Gott fo 
erschaffen hat. Einmal jolft Du ja 
auch jung und ſchön geweſen fein, 
jagen die älteften Leute. — Die Lori 
war eine ſchlanke Geftalt, die nad 
oben ſich ſtark verdünnte, nach unten 
aber luftig in's Breite gieng, weil fie 
einen Reifrod trug. Seit der fran— 
zöfifchen Revolution find alle Moden 
an ihrem Leibe gehangen, der Reife 
rod aber Hat ihr am beiten gefallen 
und der ift an ihr verblieben. Einmal 
hatte es die Lori einer Freundin ver— 
traut, daß fie eigentlich alle ihre Tage 
Trauer tragen follte; in der That war 
aber davon nit das Mindefte zu 
jeden, ſie trug ſtets ein Hellbuntes, 
flatterndes Gewand, über und fiber 
voll Bänder und Spitzen, Knöpf— 
hen und Täfchchen. Auf dem dünnen 
langen Hals, der zwiſchen den zwei 
ſpitzigen Achſeln Hoch emporftand, ſaß 
ein kleiner Kopf und auf demſelben — 
auch im Winter — ein großer Stroh— 
hut in Muſchelgeſtalt, mit rothen und 
gelben Maſchen und Bändern und 
grellen Kunſtroſen ſchreckbar prächtig 
aufgeputzt. Mitten im kleinen gelb— 
lichen Runzelgeſicht ſaß eine Adler— 


— 


naſe kühnſter Gattung, über derſelben 
zwei ſtechende Augen, deren beide 
Sterne ſo entſchieden in den Naſen— 
winkeln ſteckten, daß nicht von einem 
„falſchen Blid“, ſondern nur von 
einem höchſt ehrlichen Scielen die 
Nede fein konnte. Die Stimme des 
Fräuleins war fo Scharf und fchneidend, 
daß fie — Gott verzeihe mir's — 
ftet3 an das Krähen eines Hahnes er» 
innerte,. Und wenn irgendwo ein 
ſchriller umarticulierter Laut vernom— 
men wurde, jo hieß es: „UB, die Lori, 
die Lori!“ Sie Hatte, wenn fie fo 
mit ihrer großen, blumigen Armtafche 
durch das Dorf gieng, einen bopjen- 
den, tänzelnden Schritt, ſang aud gern 
ein Liedel, wozu fie mit dem dürren 
Fingern ſchnalzte. Sie war voller 
Scaltheiten und Iuftiger Sprüdlein, 
wovon aber die wenigften verftanden 
werden fonnten. Ihr zahnlofer Mund 
niit der lallenden Zunge ſprach ein 
ſchwer zerimartertes Deutſch mit fran— 
zöſiſchen Ausdrücken und Naſenlauten 
über Gebühr vermiſcht. In einer der 
zahlloſen Kleidertaſchen hatte fie eine 
große braune Schnupftabalsdofe, die 
an einem grünen Schnürden hieng, 
das Schnürchen aber Hatte die Lori 
um den Dal3 gelegt, wie ein Uhr— 
band. Diefe Dofe zog fie mandınal 
hervor, um diefelbe, aber ohne daraus 
zu Schnupfen, wieder in die Ziefe 
gleiten zu laſſen. 

Die alte Lori war eine noch mehr 
pofjierliche als häßliche Geftalt, und 
Niemand wollte ihr übel. Gern war— 
teten ihr die Leute gelegentlich mit 
einem Gläschen Wein auf, das ſchwang 
fie und brachte dem Spender ein fräf- 
tiges Sprüchlein zur Gejundheit. Wenn 
man etwas Luftiges und Tolles haben 
wollte, fo rief man die alte Lori, die 
trällerte, tanzte den Leuten was vor, 
Ihwang feuerrothe Bänder in großen 
Neifen durch die Luft, ftreute Blumen 
auf die Leute und klatſchte dann voll 
Freude in die Hände. Sekt war fie 
Ihon über achtzig Jahre alt und trieb 
es immer noch fo. Ich Habe nicht 


933 


erfahren können, ob fie ihren heiteren 
Irrſinn von der Jugend her mitge- 
bradt, oder ob er die Nachblüte eines 
großen Leides war. Ne vertrauter 
fie ward, deito mehr VBerworrenheit 
fam in ihr Weſen. Manchmal fchien 
es, daß Alles an ihr nicht jo närrifch 
fei, wie es ſich gab. 

Eine Halbe Stunde vom Dorfe 
entfernt, am Fuße des Berges in einem 
Wildpark Schön gelegen, fteht ein ftatt- 
liches Schloß. Einft zur Franzoſen— 
zeit — jo wußten die Leute zu jagen — 
wäre eine fremde Herrſchaft in die 
Gegend gelommen, habe das Schloß 
gekauft und darin gewohnt. In kurzer 
Zeit feien diefe Menjchen aber dahin- 
geftorben, nur ein Fräulein fei übrig 
geblieben, habe auch noch eine Weile 
im Schloffe gewohnt und geherrſcht; 
dann fei die Behörde gekommen und 
babe diefe Herrin aus dem verſchul— 
deten Gut getrieben. leonore de 
Maifeau, wie fie ſich hieß und durch 
Buchſtaben auf alle ihre flitterhaften 
Saden zeichnete, war in das Dorf 
gezogen, wo eine nachbarliche Herr- 
Ihaft aus Erbarmen für fie den ge— 
ringen Wohnungszins emtrichtete, den 
die Dachkammer im Haufe auf den 
vier Füßen betrug. Um ihren weiteren 
Unterhalt zu erwerben, verfertigte fie 
aus Papier Blumen und Sränze für 
Hochzeiten, Kirchenopfer und Begräb: 
niſſe. Auch wußte fie aus alten bunten 
Lappen, welche fie in den Häufern 
fih erbat, hübjche Kinderpuppen und 
fomifche Popanze zu machen, die fie 
dann verkaufte. Zur Weihnachtszeit 


baute fie Heine Srippen, zu Oftern | 
färbte fie Eier und beflebte jolche mit! 


Goldſchaum, zu Pfingſten machte fie 
papierene „Tauben“, die den heiligen 
Geiſt darftellen follten, in Wahrheit 
aber weder einer Taube, noch etwas 
Anderem ähnlich fahen. Derlei brachte 
fie in die Häufer, um damit Skins 
der, Weiber und ſelbſt Männer zu 
beſchenken. Natürlich gab man Gegen- 
geichenfe, die fie ftets mit einem Freuden— 
Ihrei annahın. So wie die Jahres» 


u 





— — — — :me — — — — — — — — 





zeiten, wußte ſie ſich auch die Ereig— 
niſſe im menſchlichen Leben zunutze 
zu machen. War eine Taufe, ſo kam 
fie herbeigehopst, um das Kind mit 
einem rauſchgoldgeſchmückten Amulet— 
lein zu beſchenken. Gab es Hochzeit, 
ſo verſperrte ſie dem Zuge die Gaſſe 
zur Kirche hin, indem ſie querwegs 
ein rothes Band zog und dasſelbe 
hüpfend und jauchzend ſolange ange— 
zogen hielt, bis man ihr die Mauth 
entrichtete. Nur bei Leichenbeſtattungen 
blieb ſie abſeits, derlei ſchien ihr zu 
traurig zu ſein. 

Und doch wollte die Schwermuth 
manchmal nach ihr Jagd machen, daß 
ſie ihre Beute ward. Wenn ſie allein 
ſaß, da brütete ſie vor ſich hin 
und die hellen Bänder hiengen ſchlaff 
und traurig an ihr nieder. Da zog 
fie wohl auch einmal die runde braune 
Schnupftabatspofe hervor, hielt fie in 
der zitternden Hand, ſchnupfte aber 
nicht, ſondern ſchob fie wieder fachte 
in das Täſchchen. Bei der Arbeit 
war fie emſig und hatte ſich im Papier— 
fleben und Lappenheften eine folche 
Fertigkeit erworben, daß der Buchbinder 
eines Nahbardorfes hier einmal Luft 
gehabt hätte, fie wegen „unbefugt aus— 
übenden Gewerbes“ zu verflagen. Der 
alten Lori guter Freund war ein 
Beamter des Hofburgtheaters, welcher 
alljährlich zur Sommerzeit auf etliche 
Mochen in's Dorf fam. Mit dem 
ſprach fie franzöſiſch, und zwar auf 
eine Art, daß ihm die Haare zu Berge 
ftanden. Troßdem brachte er ihr, wenn 
er aus Wien kam, abgetragenen Theater: 
tand, als falfche Seide und Spiken, 
ja ſelbſt echten Glasdiamantenſchmuck, 
hölzerne Goldreifen und dergleichen 
mit. Damit Schmücdte fie ſich ſelbſt 
oder erzeugte Figuren, die bon den 
Dorfleuten nicht mehr belächelt, jondern 
geradezu bewundert wurden. 

Das war die alte Lori, und fo 
ift fie heute noch im Gedächtnis der 
Leute, unter denen fie fechzig Jahre 
lang wie ein harınlofes Geſpenſt herum— 
geflattert war. Fremd geblieben tft 


934 


fie den Menfchen, unter Flittern ver- | warf fie über die Köpfe hin. Dann 
borgen hatte fie ihr wahres Weſen |unterfuchte fie mit unheimlicher Haft 
und die Schatten der Vergangenheit, |alle Tafchen und Falten ihres Kleides 
ihr wehes Erinnern und das Zittern | und betheuerte immer wieder: Es fei 
ihrer Seele — Niemand bat darnad dahin! ES fei geftohlen! und ſchlug 
gefragt. Da Hat fih einmal plößlich | mit den Armen um ſich und fchrie 
etwas zugetragen, was den Schleier wie rafend: „Es ift dahin! Es ift 
ein wenig lüftete. geſtohlen!“ 

Am Vorabende eines Marienfeſtes | In derfelben Nacht jchlief das arme 
war’s, in der Kirche wurde die Veſper Weſen freilich nicht in ihrer Dach— 
gehalten. Die Leute hatten Feierabend | kammer nächft dem Pankraz, ſondern 
gemacht und giengen in das dämmernde |in einem Stübchen des Armenhaufes, 
Gotteshaus, an deſſen beleuchteten | wohin man fie gebradt. Sie foll aber 
Altare der Weihrauch aufftieg. Auch nicht viel gefchlafen, Jondern die ganze 
der Pankraz Schlürfelte am Stod ge— ‚Nacht geſchluchzt haben, und dann ihre 
ſtützt hinein und ſeine rechte Hand Kleider und Taſchen durchſucht und 
zudte ein wenig gegen das Herz. Un- immer wieder geſeufzt: „Es iſt da— 
weit von ihm hopste die alte dori hin! Am nächſten Morgen verlangte 
heran, auch fie gieng in die Kicche, | fie nah dem Ortsrichter und nad 
und am Thore noch die € Schnupftabats- den Pfarrer. Diejen erzählte fie merk— 
doſe fafjend, war's, als befinne fie ſich, würdig gefaßt und Elar allmählich eine 
und ſchob diefelbe wieder in die Tajche. abenteuerliche Geſchichte. 

In der Kirche fangen fie ein Da habe fie ein rundes hörnernes 
Marienlied, dann jpendete der ah bei; gehabt und das habe jie ſtets 
mit dem Hochwürdigſten den Segen. |bei fich getragen und mit einer Schnur 
Als die Glödlein geflungen hatten und Jan dem Leib gehangen. 
es num ftill war unter den Andächtigen, „Die Dofe ?* 
hörte man plößlich einen Frächzenden Nein, ſchnupfen thue fie nicht. 
Schrei: „Banterl! Du haft mir mein | Das Gefäß habe fie noch gehabt am 
Herz geſtohlen!“ Die alte Lori frampfte | Abend, als jie in die Kirche einge: 
ihre Finger in den Naden des alten |treten. Dann jei der Pankraz neben 
Holzhändlers, der noch auf dem Pflefter | ihr geltanden und Habe beftändig an 
tniete, und vief wiederholt: „Mein ihre Seite hergejcielt, und auf ein 
Herz! Der hat mein Herz geſtohlen!“ | mal fei das Gefäß dahin gewefen mit— 

Die Leute fuhren zufanmen und |fanımt der Schnur. Es fei ein ver 

bildeten einen Snänel um die Gruppe; | dammtes Schelmenftüd. 
Etliche waren beitrebt, die Yori, von „Und wenn Du nicht Fchnupfelt,“ 
der man glaubte, fie fei wahnfinnig |verfeßte der Pfarrer, „was haft Du 
geworden, von dem ächzenden Pankraz |denn in Deinem Gefäß herumge— 
loszulöfen. Sie aber rief: „Er ift| tragen ?“ 





neben mir geftanden! Mein Herz! „Sein Herz," ächzte fie auf. 
Er hat's! O weh, mein Herz, mein „Wellen Herz ?” 
Herz!“ Auf ſolches Wort ftarrte fie den 


Das Erfte, was man in diefem | Pfarrer an, wie verblüfft und empört 
Augenblid an Pankraz bemerkt hatte: er | zugleich, daß er e& nicht wiſſe. 
zudte mit. der Hand nad) dem feinen. | „Sein Herz,“ fagte fie noch ein— 
„Die Here!" röchelte er jebt, „die mal, aber leife wie im Zraume. Und 
alte Here!” Als er losgelommen war, endlich erzählte fie die Geſchichte. Aus 
torfelte er todtenblaß aus der Kirche. | Elſaß ſei fie mit ihnen hergelommen. 
Die Alte begann heftig zu weinen, viß Aber als fie das Schloß getauft, Hätte 
die Bänder von ihren Kleidern und fie — die Mademoifelle — der Eine 





93 


zur Frau Haben wollen und der Andere 
hätte von ihr nicht gelafjen. Dann 
wäre ein Zweilampf gewefen und hätte 
der Eine ihren Bräutigam erftochen. 
Weil die Kriegszeit war, fei das ftill 
abgelaufen, aber was in ihr, der Braut, 
vorgegangen, das ſei über allen Krieg 
und über alles Elend gewejen. Den 
Mörder, als er ihr genaht, habe fie 
mit dem Meſſer von ſich geſcheucht. 
Der alte Hausarzt jei noch gewefen, 
der habe den Bräutigam in die Erde 
Iharren wollen. Dem habe fie fi 
mit Gewalt widerjegt und von ihm 
begehrt, daß er dem Zodten das Herz 
aus der Bruft löſe, bevor er ihn be= 
grabe. Das Herz, das für fie gefchlagen 
und verblutet, wolle fie mit jich tragen 
alle Tage und alle Tage, und es folle 
ihr in den Sarg gelegt werden, wenn 
fie fterbe. So fei fie mit dem Bräu— 
tigam geweſen die lange, lange Zeit. — 
„Eine heimliche Liebſchaft!“ kicherte 
fie, „eine luftige Liebſchaft! — Und 
jet —“ 

„Das Herz hat er mir geftohlen !” 
ſchrie fie wieder auf und fehüttelte den 
Leib, daß aller Flitter daran flatterte, 
„er hat's! der Pankraz, fein Anderer!” 

Weil die Sache nun gewiljermaßen 
einen realen Hintergrund gewonnen 
hatte, jo wurde der alte Pankerl ge— 
rufen. Er kam ganz verftört an, ballte 
das Sadtuh in der Hand und trod» 
nete mit demfelben die Augen. 

Er ſolle ſich ausfuchen laffen! ver— 
langte die Lori. 

„Ich — ausfuchen laſſen?“ ver— 


feinen Kahlkopf vor, „ausſuchen laſſen 
wie ein Dieb? Das thu' ich nicht. 
Das thu' ich nicht.“ 

„Warum micht ?* fragte ihn der 
Richter, „das ift ja der beſte Beweis, 
wenn Du unfchuldig bift.“ 

„Das thu' ich nicht.“ 

„Iſt verdächtig!” 

„Ausſuchen laſſen, das thu' ich 
nicht!“ rief der Alte, „die Schand' 
und Schmach erleben! In alten Tagen 
die Schand' und Schmach! 





ehrlicher Mann! Ein ehrlicher Mann! 
Das thu' ich nicht!“ 
So müſſe man Gewalt anwenden. 


Nun zudte der Arm des Pankraz 
gegen feine Bruft. Blaß ward er bis 
in den Mund Hinein. „Ach bitt', 
Herr Pfarrer!” ftöhnte er halb flehend, 
halb drohend, „ich bitt', Herr Pfarrer! 
Eine Ungerechtigkeit! Ich bin ein ehr— 
liher Mann. Hab’ meine Sad’ ehr- 
(ih verdient. Eine Ungerechtigkeit ! 
Eine Ungerechtigkeit !* 

Aber der Knecht Hatte ihn ſchon 
den Rod vom Leib gezerrt, und als 
er jebt die Weſte öffnete und darinnen 
etwas Feſtes tajtete, fagte er: „Was 
ift denn das?“ 

„Ich hab's ehrlich verdient!" wine 
merte der Alte und ſank mit gerungenen 
Händen auf die Knie, „nur nicht weg— 
nehmen, wicht wegnehmen. ch hab's 
ehrlich verdient.“ 

Sie fanden wirklich etwas an ihm, 
aber nicht das vermißte Herz, ſondern 
ein dickes Packet Yünfzigernoten, in 
Leinwand gewidelt und von Schweiß 
durchfeuchtet. Es war fein Erjpartes, 
da& er nicht der Sparcafle anvertrauen 
wollte, das er wie ein Heiligthum bei 


ſich trug, gleichſam ſein Herz, wie 


die alte Lori das ihre hatte in dem 
Horngefäß. 

„Das Herz haft Du mir geſtohlen!“ 
tief die alte Lori wieder aus. 

Jetzt wurde der Pankraz herb und 
fagte: „Wer wird denn Dir Dein Herz 
ftehlen, Du alter Radftubengeift. it 


jeßte der Banker! entrüftet und ftredtte | nicht einen Grofchen wertd. Iſt nicht 


einen Grofchen wert.“ 
Faſt zu rechter Zeitließ der Meßner 


| melden, er babe an diefem Morgen 


beim Ausfegen in einem Winkel am 
Kirchenthor eine braune Horndofe ge= 
funden, mit einer grünen gebrochenen 
Schmur, und er glaube, da3 Ding 
gehöre der Lori und es hätte fich im 
Gedränge zufällig losgeftreift. Scharf 
ftürzte die Lori auf den Meßner los. 
Diefer hielt die Dofe nedend hoch über 


Bin ein das Haupt, daß fie felbe nicht zu er= 


—na.n I 


reihen vermochte, dann ſuchte er fie 
zu Öffnen, was ihm aber nicht gelang, 
weil die Alte ihm ſchon in die Hände 
fiel und mit fpießedigfter Kraftan— 
ftrengung dem Frevler das Heiligthum 
entrang. Dann jhoß fie heim in ihre 
Dachkammer, um dort bei verfchlofjener 
Thür das Gefäß zu Öffnen und fi 
von der Unverjehrtheit des Inhaltes 
zu überzeugen. 

Bon diefer Zeit an ſah man die 
alte Lori nur felten mehr; fie blieb 
die meifte Zeit in ihrer Sammer. Und 
wenn jie doch Herborgieng, um Lebens» 
unterhalt zu fammeln, fo tänzelte fie 
nicht mehr, fondern fchleppte fich ſchwer— 
fällig dahin. Wollte man fie zu einem 
ihrer früheren Schelmenftüde veran— 
laffen, fo war’3, als beginne fich ihr 
fantaſtiſcher Flitteranzug ſachte auf: 
zufträuben, wie das Gefieder eines er— 
regten Hahnes, aber es ward nichts 
weiter und das alte Weſen blieb in 
ſich gefehrt. 

Einmal blieb fie zwei Tage lang 
ganz ungefehen und der Panfraz fagte 
aus, feine Nachbarjchaft fei fehr ftill. 
Da gieng man, um Nachſchau zu 
halten und fand fie am Fußende ihres 
Bettes auf einem Schemel fißend, der 
Körper in den Winkel gelehnt, das 
fleine Haupt mit den lojen weißen 
Haarfträhnen nach vorne an die Bruft 
gejunfen. 

Zu ihrem Begräbnis war das 
ganze Dorf da, denn es war ausge— 
Iprengt worden, man wiirde das braune 
Gefäß — bevor man es ihr in den 


wie e3 ſich mit deſſen Inhalt verhalte 
und ob er mit der Ausfage der Alten 
flinme. Und wo märe das Weib, 
das nicht wilfen möchte, wie ed aus— 
fieht, ein don diefen Männerherzen, 
an welche fie das ihre hängen, mit 
denen fie fpielen und felig find, oder 
verdammt! Inſonderheit merkwürdig 
ift ein Männerherz, das wegen der 
Liebe zu einem Weib den Tod erleiden 
mußte. — Die Geſchichte der Lori war 
ja bald befannt geworden. Als das 
fümmerliche Geftaltlein, mit etlihem 
Flitter gefhmüdt, nun im Sarge fo 
dalag und der Schreiner ſchon mit dem 
Dedel daneben ftand, nahm richtig 
Jemand die braune Horndofe in die 
Hand und begann am ihr herumzu— 
drehen. 

Da langte nad ‚dem Gefäk der 
Pfarrer und fagte: „Es war ein Ge— 
Heimmis und es foll eins bleiben.“ 
Dann legte er es der Todten auf die 
Bruft, in den Ellbogenwinkel des linten 
Armes, der über dem rechten gefreuzt 
war. Und der Dedel wurde auf den 
Sarg genagelt. 

Der Pankraz trodnete mit dem 
Sadtuchballen feine Augen und wim— 
merte: „Wer wird mir jet den Zins 
zahlen, wer wird mir jet den Zins 
zahlen !" 

Etlihe Weiber, die voller Neu— 
gierde zugegen waren, fürchten feither 
nicht mehr den jüngften Tag; ſie 


plangen darnach, Hoffend, dak an jenem 


Tage, der Alles offenbaren foll, auch 
die braune Dofe der alten Lori ge⸗ 


Sarg legte — öffnen, um zu fehen, | öffnet werden wird. 


Zwiſchen den Wänden. 


Stizze aus dem fteirifchen Oberlande von R. 


Aalen wir fie nur laufen. Ihnen 
— geht es nach Hochgebirge im 
Ganzen und Groben, fie wollen über 
Schnee und Eis fteigen, fie wollen 
auf die höchften Gipfel und von den— 
jelben wieder nur hohe und höchfte 
Gipfel, Steine und Gletſcher fehen. 
Es ift was Herrliches drum, befonders 
für Leute, die ihr Leben in einer 
Heinlichen verkünftelten Welt für Tant 
und Thorheit verfchachern müfjen und 
deren Blick nicht Höher zu fliegen 
gewohnt ift, als etwa auf die Gefimfe 
vier und fünf Stod hoher Häufer. 
Mer jedoh auf dem Lande lebt und 
immer die großen Verhältniſſe der 
Natur vor Augen hat, fei es nun eine 
weite Ebene oder ein gebirgiges Wald- 
land oder die freie Himmelsrunde, der 
wird nicht erft die großen allgemeinen 
Bilder ſuchen, die auf den hohen Bergen 
find, er wird auch jene Größe fehen, 
welche der Natur in ihrem Einzelnen 
und Bejonderen inne wohnt. 

„Ich ſehe mir die Berge am liebiten 
bon unten an,“ diefen Ausspruch fann 
man oft hören, er Hingt banal und 
e3 hat eine Zeit gegeben, wo er mir 
geradezu frivol erfchienen ift. Erft all: 
mählich bin ich feiner tieferen Wahrheit 
dadintergefommen. Das wird uns ja 
auch der Maler beftätigen, daß die 
Berge von unten gefehen fchöner find, 
als von oben. Die von hohen Bergen 
aufgenommenen Rundfchaubilder werden 
nie in dem Maße künftlerifch wirken, 
als die begrenzten Landfchaftsbilder, 
auf welchen einige Sträucher und 
Bäume und FFelfen und, wenn's hoch 
fommt, eine Bergjpige im blauen 
Hintergrunde genug Find, um uns zu 





entzüden. Wohl vergeſſe ich nicht anderer ! 


Vortheile, die man im Gebirge hat; 
ih gedenfe der Haren Quellen und 
Maflerfälle, nur foll man nicht der 
dürren Hochwüſte zuftreben, wo man 
Gefahr läuft zu verdurften; ich gedenfe 
der Alpenflora, nur muß man nicht 
immer über diejelbe hinaus in die fahlen 
Telfen emporfteigen; ich gedenfe der 
reinen leichten Luft, die geradezu glüd- 
jelig machen kann, nur muß man nicht 
fo Hoch Hettern, daß diefe Luft eilig 
wird und inihrer Verdünnung Hemmend 
auf unfere Organe wirkt. 

Das Hochgebirge ift am jchönften 
und Hat feine lieblichſten Reize und 
jeine wilde Größe vereint in den wafler- 
durchrauſchten Engſchluchten und auf 
feinen grünen Borhöhen. Und jolcher 
Punkte gibt es in unjeren Alpen un— 
zählige, viele derjelben auf bequemen 
Wegen erreichbar. Kein Bergſchuh und 
fein Alpſtock, feine jchlaflofe Naht in 
den Unterfunftshütten, und am wenig« 
tens ein Menjchenleben braucht dafür 
ausgefpielt zu werden ; die Natur Hat 
Freiſtätten, wo fie den Menfchen ihre 
intimften Schönheiten zeigt und die 
edelften Genüſſe ſchenkt. Oben auf 
den wilden Höhen kommt der Belteiger 
erichöpft und abgeſpannt an’s Ziel; 
hier tritt der Beſchauer friſch und 
empfänglih in's Alpenbild und kann 
ih, von Stürmen, Nebeln und drohender 
Nacht unbehelligt, ftundenlang der Herr— 
lichkeit und dem Bergfrieden ergeben. 

Solche Stellen ſuche ich am Liebiten, 
und erit vor Kurzem habe ich, von 
Freunden aufmerffam gemacht, eine 
neue entdeckt, deren Nähe und Schön— 
heit ich bisher nicht ahnen konnte. 

Zwiſchen Mürzzufchlag und Neu— 
berg ift die Eiſenbahnſtation Kapelle. 


8 


Dort thut ſich ein Seitenthal auf, jeinem Heiligenſchein umgeben. Die Heu- 


über dejjen Waldbergen die Wände 
der Schneealpe und der Rar hernieder= 
blauen. Ein Weilchen dem Raxenbach 
entlang biegen wir bald links, als ob 
wir über den Nakfamm ins Höflen- 
thal hinüber wollten, und kommen 
zu dem Dörfchen Altenberg, wo uns 
mande Spuren des wohlthätigen 
Wirkens der Wiener Touriſtengeſell— 
haft: „d'Altenberger“ auf das Ange— 
nehmfte auffallen. Beſonders das neue 
ftattlihe Schulhaus dajelbft, fowie die 
alljährlihden Chriftbaumfpenden für 
arıne Finder des Ortes geben Zeugnis 
davon, daß das heutige Touriſtenweſen 
manch edle, wahrhaft hochherzige Zivede 
verfolgt. 

In Altenberg zweigt ſich unfer 
Engthal in den Altenberggraben rechts 
und in den Lahngraben links, dazwischen 
erhebt jich ein bewaldeter Bühel, auf 
deijen flacher Höhe eine weite Alm— 
blöße liegt, genannt die Beltleben, 
Wir fteigen links den Lahngraben 


fuppe und der Hochſtein, das jchroffe 
Gamseck und der hohe Gupf, und das 
in der Ferne blauende Nordgewände 
der Rax, welches gegen Nakwald und 
das Höllenthal niedergeht, fie zeichnen 
den großartigen Gebirgsftod, auf dem 
fo mancher übermüthige oder ungeübte 
Befteiger fein Leben gebüßt hat. 

Zur linken Hand unmittelbar aus 
unferer Hochfläche fteigt zuerſt im 
Matten, dann in Waldlehnen, dann 
in fteiler Alm mit Knieholz der Ameis— 
bühel auf, dem jich weiter links der 
Schneealpenftod anſchließt. Hinter uns 
und gegen Mirzzufchlag Hin haben 
wir freundliche Waldberge, aus welches 
die Kampalpe bei Spital hervorragt. 
Das Ganze ift ein Hochgebirgsbild, 
in welchem das Lieblide mit dem 
Wilden auf das Entzüdendfte ſich eint. 
Auf diefer Heinen Hochebene am Fuße 
des Ameisbühels liegt in reizender— 
Einfamteit das Banerngehöfte zum 
Beltl. Bon demfelben her jah ich eimmal 





hinein, als wollten wir in das Hoch zwei knoſpenfriſche Dirnlein über die 
gewände der Schneealpe empor. Zahls |bethaute Wieſe gehen. Sie fangen ein 
reihe große Quellen fprudeln zwiſchen altes Lied vom Brombeermädchen und 
Rajen und Steinen aus der Erde vom Jägersmann. Da trat ein junger 


hervor und bilden einen ftattlichen Bach, 
der munter zu Thale jpringt, Wir 
haben vor uns den jchroffen Lahnſtein 
und die mit Schutthallen übergoflene 
fteile Engſchlucht, aus deren hohem 
Dintergrunde die weiße Fläche der 
„haſen Wand“ (glatten Wand) herab- 
leuchtet. Wir wenden uns rechts den 
ſachten Waldhang hinan, wir treten 
oben in die Lichtung hinaus und 
müſſen jauchzen. Jauchzen vor Freude 
über die fchöne Welt, die uns bier 
umgibt. Ein weiter, faft ebener von 
einzelnen jungen Bäumen bejtandener 
Grasboden liegt vor uns, eingefaßt von 
Tunnene, Fichten» und Lärchenwald. 
Und Hinter den Wipfeln fteigt in ihrer 
vollen ftarren Herrlichleit die ſchroff— 
wändige Rar auf. Man jieht nicht die 
Tiefen, aus denen fie emporlteigt, 
aber man Jieht das hohe Haupt, von 
filberigleuchtenden Wolfen wie von 


Touriſt auf fie zu und ſagte, die 
Brombeeren wären reif. 
Sie antworteten: „So gefegne Sie 
Gott!" und giengen ihres Weges. 
Der junge Touriſt gieng ihnen 
nah und fang: 
„Mädel, willft Du Brombeer broden, 
Brock' Dir Dein Körberl voll!“ 


Sie ficherten, fliegen auf einen 
Fels und fangen herab zum Zouriften : 
„Und willft ein willigg Madel han, 

So ſuch' e8 nit im Wald. 
Im Wald geits Shlimme Tirnlein, 
Gefoppt ijt Einer bald.” 


Darauf Hin ift der junge Touriſt 
bald nicht mehr zu fehen gewejen. 

Auf diefem Schönen Hochanger, die 
Beltleben genannt, ift auch ſchon manch 
ernfter Sang erklungen und aus hun 
dert Kehlen hob fih empor in An— 
dachtsſchwingen das deutjche Lied! In 


939 


folder Stunde weint und jubelt das 
Herz des Xelplers vor Glüd über jeine 
Ihöne deutſche Aipenheimat. — In 
folder Stimmung war auch ih an 
jenem Hocfommertage, als ich dort 
im Grünen gerubt und Hinter dem 
Ameisbühl und der Rar finftere Wolfen 
aufitiegen, da über der Schneealpe noch 
die are Sonne ftand. Grelle Donner: 
Ihläge knatterten und hallten fcharf 
und fur; in den Wänden, einzelne 
Ihwere Tropfen fausten nieder, aber 
die Wollen lösten fich wieder und der 
blaue Himmel lächelte auf’3 Bergland. 
Gott hüte Dich, mein deutſches Heimat- 
land, daß jede Gefahr ober Dir alfo 
vorüberziehe, wie diefes drohende Ge— 
twitter! 

Indem mir wieder berabfteigen 
gegen das Thal der Mürz, kommen 
wir zu jener Hütte, wo der Köhler 
Thomas mit feinen Ziegen wohnt. 
Ic kam gerade zurecht, wie der Thomas 
feine Lebensgenoffinnen herbeirief: 
„Magerl, geh” ber, geh’ her! — 
Sretherl, geh’ ber, geh’ ber!” Ich 
date anfangs, er rufe feine Kinder, 
da famen vom Berghang herab die 
beiden Ziegen gefprungen, die eine 
weiß und die andere jchrwarzgefledt, 
die eine mit Stumpfen, die andere 
mit langen Hörnern, und mit vollen 
Eutern beide. Jetzt gieng der alte 
Thomas vor ihnen her und fie trap— 
pelten ihm nad. Er gieng die Straße 
entlang bis‘ zu dem Dorfe Stapellen 
und fie trappelten ihm nach. Er trat 
in das Dorfwirtshaus, und die Ziegen 
trappelten ihm nad. Der Wirt bes 
deutete dem Alten alsbald, daß ſolcher— 
lei Gäfte nicht in die Gaftitube ge= 
hörten. 

„Alsdann, nit in die Gaftitube, “ 
entgegnete der Köhler, „Jo wirft uns halt 
in's Grtraftübel hineinlaſſen müſſen. 
Weißt Du, meine zwei Ziegen begehen 
heut’ ihren Namenstag und da will 
ih ihnen einen guten Kaffee zahlen. 
Kann ihnen anders auch mit erkennt— 
lich fein für die viel! Milch, die fie 
mir alleweil geben; einen guten Kaffee 





thun Sie wohl verdienen. — Drei 
Schalen Kaffee, Frau Wirtin!“ rief 
er in die Küche hinein, „hübſch ſtark 
machen und recht viel Zuder hinein! — 
Alfo Kinderln!“ damit wendete er fich 
wieder an die Ziegen, „wenn wir 
Drei Schon zu fürnehm find für die 
Gaftftuben, fo wollen wir halt auf 
dem grünen Anger heraußen bleiben. 
Thut's Euch unterhalten diemweilen, 
die Jaufen wird bald fertig fein.“ 

„Schau, ſchau!“ xief der in’s 
Haus tretende Schufter Stindel, „der 
KöhlertHomerl mit feiner Famil ift 
heut auch da!“ 

Das war dem Alten aber doc 
nicht recht. 

„Bott ſei Dant, ja!” begehrte er 
gegen den Schufter auf, „jo viel 
Famil Hab’ ih auch noch wie Du, 
und daß ich die unfchuldigen Gaifen 
nit brauch’ dazu zu rechnen. Dir, 
ja Dir haben etwan Dein Weib die 
Gelſen davonzarrt, Du Schufter Du! 
Schuſter ift ein Käfer und Käfer ift 
ein Miftvieh, oder was D’ bijt oder 
wie's D’ heißt oder wem'ſt g'hörſt!“ 

So ift gar Mander diefer Wald- 
bären, gegen Thiere zärtlih, gegen 
Menſchen rauh und biffig, aber weder 
die Einen, noch die Anderen allzu 
ernſt nehmend. 

Die beiden Ziegen haben ſich ihren 
Namenstagskaffee, den ihnen der Tho— 
mas in weißen Schalen vorhielt, ſehr 
gut ſchmecken laſſen und ſchließlich auch 
noch den Zuderfaß fein aufgeledt und 
darauf munter gemedert, was den zwei 
Kaffeeſchweſtern gar nicht übel anftand. 

Solch Heine Vorfälle begegnen 
Einem da drangen auf allen Wegen. 

Wenige Stunden in's Yand hinaus, 
in’s Volk hinein genügen, um uns für 
eine Weile wieder mit friſchen Ein- 
drüden zu verforgen. Der Freund 
‚des Volkes und feiner Urjprünglichkeit 
wird natürlich in den Engthälern, auf 
Holzihlägen und Almen mehr des In— 
tereffanten finden, als hoch oben am 
Nande der Gletſcher. Alljährlich ein- 
mal mit Gefährdung des Lebens oder 


940 


der Gefundheit von dem Gipfel eines 
hohen unmirtlichen Berges aus die 
Welt und den Himmel zu fehen, wäre, 
dächte ich, für normal geartete Menjchen 
genug. Uber den Wald und feine 
MWäffer, die Almen und ihre Felſen, 











die Gebirgsdörfer umd ihre Menſchen 


zu bejuchen, das fönnen wir jeden 
Sonntag. In unferen Gegenden kann 


das ohne viel Anftrengung und Koften 


und der Gewinn ift ein 


geichehen 


großer. 


Ber Teufel im Balzburgerland. 


Ein Beitrag zur Seelentunde des Volkes von 3. Hofer, 


— 
ALT 





rade in folchen Ländern am liebften 
aufhält, wo die frömmften Leute wohnen. 
Im Intheriichen Norden hört man vom 
Teufel blutwenig, während man ihn 
in Zrol, in Steiermark, im Salzbure 
giſchen auf Schritt und Tritt fpürt 
und denjelben mandınal — wenn man 
den Leuten glauben darf — fogar zu 
ſehen befommen fan. Daß der Teufel 
nah Menfchenfeelen jagt, ift belannt, 
wir wiſſen es von unferen Vorfahren, 
aus Heiligen Büchern und örtlichen 
Urkunden; dab viele Leute ohne den 
Teufel nicht leben können, ift weniger 
befannt, doch nicht minder wahr. Und 
jo ftellen fie ſich einander beftändig 
nah und fürchten fich voreinander und 
brauchen einander. 

Daß der Menſch alles Böfe und 
Stindige, alles Unfelige und Verderb— 
liche mit dem Namen Teufel bezeichnet, 
ift ganz in Ordnung. ber daß er 
aus dem Zeufel eine Perſon macht, 
fie mit allem Häßlichen ausftattet, alles 
Sündige und Niederträchtige in die— 
felbe hineinftedt, fie läftert und ver— 
abſcheut und ihr dann doch wieder 
zuftrebt, eben weil alles Sündige und 
Niederträchtige in ihr ftedt, das ift 
curios. Der Menſch muß einen Schrant 
haben, in welchen er das Böfe, wenn 
es ihm juft nicht Handlich ift, hinein— 
legen kann, und aus welchem er es 
wieder herzumehmen weiß, jobald er 


| 
| 
| 





ine eigenthümliche Laune des es Haben will; diefer Schranf ift der 
5 Teufels ift es, daß er ſich ge- Teufel. Er muß auch einen Sünden— 


bod Haben, dem er die Schuld geben 
fan, kurz, er bedarf etwas, daß das 
Thieriſche und Abſcheuliche zeitweilig 
von ihm losgelöst jei, damit er fich die 
Hände wachen und wie ein Engel 
geberden mag. Der Teufel übernimmts, 
aber nicht umfonft, wer ihn an die 
Wand malt, dem fpringt er von der 
Wand gem in die Arme und die 
Beiden unterhalten ſich ein Weilchen 
recht gut miteinander, Aber nur ein 
kleines Weilchen. 

Wir unterhalten uns Heute eben= 
fall3 mit dem perfönlichen Teufel und ' 
betrachten fein Berhältnis zum Lands 
volfe. Die Unzahl von Teufelsſagen 
beweist uns, daß diejes Verhältnis ein 
intimes ift troß all der Schreden. Nur 
das Heine Salzburgerläftdchen, und 
von dieſem wieder bloß, was an Teu— 
felsfagen ganz obenauf ſchwimmt, it 
unfer Feld. Wie ergiebig ift es! Welch 
eine Unzahl von Zeufelzfleinen, Zeus 
felsfeen, Teufelsbrüden, Teufelsmühlen, 
Teufelsftuben u. ſ. w. im Lande! 

Am Funterſee fteht eine Teufels— 
mühle, welche goldene Thaler mahlt. 
Eines Tages fand ein frommer Jäger 
ſolche Thaler, gieng damit in die Kirche 
zu Berchtesgaden, tauchte fie in den 
Weihbrunnleſſel, und die Thaler wur— 
den zu Siefelftein. 

An der Lammer, oberhalb der 
Duſcher Brüde find zwei zu einer Art 


041 


von Brüde aneinandergelegnte Helfen. | Braut, um ſich da drinnen trauen zu 
Diefe hat einft der Teufel aneinanderz laſſen. Sie follen nicht mehr zum 
geworfen aus Wuth darüber, daß ein. Vorfchein gefommen fein. Wenn der 
Raubſchütz, den er Ion in den Klauen | Teufel fein Spiel Hut, jo ſoll es auch 


gehabt, ihm von einem frommen Ein- | heute noch geichehen, daß zwei Liebes: . 


jiedler abgejagt worden war. leute zur unrechten Thür hineingehen. 

Am Schoberberg nächſt Mondſee Bei Schleedorf in einem Felſen 
befindet ſich hoch an der Wand ein bewacht der Teufel einen großen Schatz. 
Loch durch den Felſen. Einft hatte der, Derlei wird von vielen anderen Felſen, 
Teufel ein altes Weib nur darum ge=  Tümpeln und Löchern erzählt. Bei 
bolt, weil es fich immer für eine Jung: | Großgmair ift ein Teufelsloch, in 
frau ausgegeben hatte. Als er mit) welches einft der Teufel einen Fuhr— 
demfelben durch die Lüfte gefahren, | mann geichleppt Hat, als dieſer Die 
ftieß er unverfehens an die Wand und | müden Pferde mißhandelte. 
rannte das Loch durch. Im Mirabellgarten zu Salzburg 

Auf den Höllberg, jowie auch über | ift eine große aus Stein gehauene 
das Hörndl, das Höoll-Neideck, über Waſſerſchale. Diefer Stein ſoll nicht 
die Haid und Oed hat der Teufel bei von der Stelle zu bringen fein, weil 
Erſchaffung der Welt den Schweif ge- einft der Satan mit einer Buhlerin 
legt, darum ift die Gegend fo unfruchte | darauf ausgeruht habe. 
bar und unwirtlich, und foll auf folchem ; Auf der Straße über den Rad- 
Grunde niemals Edelweiß wachſen. ftädter Tauern fteht eine Hohe fteile 

In Filzmoos ftand feit Urzeiten | Wand, fie heißt: „Die Freud am End’.* 
ein gemauertes, unübertünchtes Haus, | Einft gieng des Nachts ein Burjche 
das einzige im der Gegend, welches vom Liebehen nah Daufe und fürzte 
von Stein war. Das foll der Teufel | unterwegs underfehens über dDiefe Wand. 
erbaut Haben, da ihn einmal das Ge= In der Nähe dafelbit liegt ein Stein, 
Lüfte fam, ein Landwirt zu werden. in welchem die Fußtritte des Teufels 
As aber das Wunder Gottes geichah | zu jehen find. 

‚und auf dem Felde Korı aus der Im Roſenthale nächſt der Burg: 
Erde ſproßte, wurde ihm unheimlich ruine Hieburg iſt der Teufelsſtein. 
und er rannte davon. Dieher von Friedburg, der Bewerber 

Bei Oberfritz wollte der Teufel um das Burgfräulein, Hatte ſich einſt 
ebenfalls einmal ein Haus bauen, fieng mit ſeinem Blute dem Teufel ver— 
aber damit don oben an, gieng ihm ſchrieben, damit dieſer den Nebenbuhler, 
das Material aus, fo daß er den der die Braut zum Altare führte, tödte. 
Unterbau nicht mehr fertig brachte. Nichtig warf der Teufel einen gewal— 
Das Haus, dem die Edſteine fehlen, tigen Felsblock gegen die Kirche, in 
hängt heute noch halb in der Luft. demſelben Augenblid läutete das ge— 

Zwijchen Dienten und Mühlbach | weihte Glödlein zur Trauung, dadurch 
ift eine Slamım mit einem tofenden | verlor der Stein feine Schwungkraft, 
Wildbad. Das ift des Teufels Bad- | fiel jenkrecht zu Boden und erfchlug 
ftube, in welcher er vor Zeiten mit den Diether, deſſen Schwarze Seele 
den Hexen zu baden pflegte. jofort in die Hölle fuhr. 

Auf einem Wege zur übergofjenen Als dor Zeiten das Wallfahrts- 
Alpe ift ein tief abwärts gehender | firchlein Zell an der Ziller gegründet 
Schlund mit einem firchthürartigen Ein- | worden war, erboste darüber der Böfe 
gang Jihtbar. An diefer Stelle Hatte| derart, daß er an der Kreuzjochſpitze 
der Teufel einjt einen Jäger verblendet, ein wuchtiges Felsſtück brach und es 
daß er dieſes Loch für eine Kirchthür gegen das Kirchlein jchleuderte. Der 
hielt. Der Senne kam mit ſeiner lang der zum Gebet läutenden Glode 


vereitelte auch Hier jein Werk, das 
Felsſtück fiel nieder am Krummbach— 
Waſſerfall, wo e3 heute noch liegt und 
die Epur der Teufelöfrallen zeigt. 

Bei Zell am See ift die Pfond- 
eben, eine Hochfläche mit einer fteinernen 
Platte. Einft erfchien hier ein Fremder 
und blies mit der Schwegelpfeife zum 
Tanz auf. Alfogleih verſammelte ſich 
das junge Volk und tanzte fich fchier 
das Blut aus den Adern, bis Knaben 
und Mägdelein erſchöpft auf den Rafen 
fielen. Als der fremde Muſikant wieder 
davon war, fah man auf der Stein 
platte, wo er geftanden, Vertiefungen, 
welche er während des Spieles mit 
dem Fuße ausgeftrampft hatte. Daran 
erkannte man, daß e3 der Teufel ge= 
wejen. 

Bei Biſchofshofen ift ein Dörfchen, 
in welchen einft während eines Hoch— 
gewitterd eine laute Tanzunterhaltung 
ftattfand. Der Geinfeldbah brauste 
fürchterlich und die Hohen Fluten 
wogten gegen das Wirtshaus. In 
demfelben jaß aber ein Geiger und 
geigte fo luftig und verlodend, daß die 
Leute wie toll hüpften und tanzten 
und das Unheil nicht wahrnahmen. 
Alle ertranlen in den Fluten. Der 
Geiger fuhr durch die Lüfte davon und 
jpielte noch zwifchen Bliß und Donner 
hindurch feine ſchauerlich-ſüßen Weifen. 

In einer Nebenſchlucht des Sal» 
zachthales ift die Tauglbrüde, ein ur— 
alter großer Bogen über das Wafler. 
Vor vielen Jahren hatte es hier der 
Teufel mit einer ſchönen Müllerin zu 
thun, die es ihrerfeits mit einem fchönen 
Jäger hielt. Sie wünfchte über den 
Wildbach eine Brüde zum Jagdhaufe, 
Der Teufel verſprach ihr eine zu bauen. 
Bringe er diefe fertig, ehe fie das Kind 
gebäre, jo ſei das Find fein. Faft 
war er mit dem Werk fertig, nur noch 
ein Stein follte eingefeßt werden, da 
ichrie das Kind. Wüthend und ohne‘ 
Lohn fuhr der Teufel zur Hölle, rief 
aber zurüd: „Das Kind ift mir ver- 
jpielt, aber der Erſte, der über diefe 
Brücke geht, gehört mir!” Gut ifts, dachte 


fich die Müllerin und jagte ihren großen 
Hausfater über die Brüde. Der Teufel 
padte ihn und fuhr mit folcher Beute 
in die Untiefe, in welche heute bie 
Taugl wildſchäumend hinabftürzt. 

Auf den Almen pflegen ſich Die 
Schweine auf dem Boden herumzu— 
wälzen und an den Steinen ihre Rüden 
wund zu reiben. Da heißt's, es reite 
lie der Teufel. Das befte Mittel da— 
gegen ift, daß man mit einer Taufe 
ferze den Schweinen drei Kreuze auf 
den Rüden brenne. 

An die Geiermühle bei Oberfritz 
fam manchmal nächtliher Weile ein 
fremdes Männlein, welches neben der 
Mühle jo raſch zu wachſen begann, 
daß es zum Dachfenſter hineinjchaute, 
wie der Müller drinnen aus den Säden 
der Hunden Mehl ftahl. Einmal ſchlug 
diefer vom Zwerge zum Rieſen ge- 
wahfene Mann am Dachfenfter ein 
hölliſches Gelächter an und rief: „Au— 
fangs ftahl er's löffelvollweis, dann 
bandvollweis, dann ſchaufelweis, jetzt 
fadvollweis. So ſchnell und jo groß 
wächst der Teufel." In der Mühle am 
Strid hieng der Müller. 

In einer andern Mühle unweit 
Oberfritz verfammelten fih an einem 
Muttergottesfefte lebensluftige Dirnen 
zum Zanz. Als die Abenddämmerung 
anbrach, ſprang ein ſchwarzer Bod durch 
den Tanzboden, worüber in die tanz— 
(uftigen Beine ein folches Zittern fuhr, 
daß fie fih auf die Kniee niederlafjen 
mußten. Aus der Tanzftube wurde ein 
Bethaus und der Teufel wimmerte, 
daß die Sache diesmals fo jchief ge- 
gangen war. 

Der Oberarler Schmied zu Plan: 
fenau Hatte einft dem Zeufel feine 
Tochter, die ein Eretin war, verſchrie— 
‚ben, wenn er ihm bis zum nächſten 
Hahnenruf aus der Großarler Klamm 
eine warme Quelle herausleite. Der 
Teufel begann in den Felſen ſo grauen— 
haft zu rumoren, daß dem Schmied 
die Angſt kam und das Erbarmen mit 
‚feinem Kinde. Er weinte und betete 
und rief um Hilfe. Jetzt faßte der 





043 
Eretin wie fpielend den Haushahn und Nun war auch der jchwarze Jörg da, 
ichleuderte ihn in den Fluß. Der Hahn ein ſtämmiger Holzknecht, der noch 
frähte ob des falten Bades, der Teufel |bei jeder Kirchweih ein Mädel gefoppt 
fuhr ohne Beute ab und die warme und dann fißen gelaffen Hatte. Auch 
Quelle blieb fteden in dem Felſen. dieſer haſchte nach den Stiefelu, und 

Schlimm ergieng e& den Burfchen |fiehe, vom ſchwarzen Jörg ließen fie 
zu Maria Pfarr. Diefe wußten in ſich fangen. Er ftreifte fie raſch an 
ihrem Webermuthe oft micht, was fie feine Füße und begann mit ihmen zu 
beginnen follten, um die Nachbarn zu | tanzen, jo fein und gefchmeidig, daß es 
ärgern. Ta fiel es ihnen einmal in |zum verwundern war. Als er jedoch das 
der Chriſtnacht ein, Rößlein aus Stroh drittemal herumgetanzt hatte, nahmen 
zu flechten, dieſelben zwiſchen die Beine die Stiefel plötzlich Reißaus und ſpran— 
zu nehmen und damit im Dorfe um— gen in klafterlangen Schritten mit dem 
herzugaloppiern. Da gabs großen Lärm Jorg davon. Später ſoll man draußen 
und Schabernack. Auf einmal, als ſie in der Haſelſchlucht halbverſengte Theile 


an der großen Linde vorbeiritten, wur— 


den die Rößlein lebendig und flogen 
mit ihren Neitern faufend durch die, 


Lüfte davon. — Roß und Reiter jah 
man niemals wieder. 

Im Schloſſe zu Moosham lebte 
vor vielen Jahren ein reicher, geiziger, 
harter Mann, der aber für fich ſehr 
auf äußeren Anftand und Prunk hielt, 
wo er nichts Foftete. Als er geftorben 
war, fuhr beim Schloſſe eine ſchwarze 
vornehme Stalefche mit vier Rappen 
vor. Ein ſchwarz gefleideter Herr mit 
feiner Perrüde ftieg aus, doch aus der 
Perrüde ftanden Hörner hervor. Er 
meldete fich jehr höflih an, trat in 
das Leichenzimmer, nahm den ftarren 
Gutsherrn über die Achfeln, trug ihn 
zum Wagen hinaus und fuhr mit ihm 
jo raſch davon, daß die Straßenfteine 
tauchten. 

In Mauterndorf bei der Kirchweih 
ſah man einmal auf dem Zanzboden 
ein Paar Stiefel, ohne daß Jemand 
dein ſtak, eim Sehr feines Tänzchen 
machen. Die Leute ftoben auseinander 
als fie diefes jachen, die Mufitanten 
hörten auf zu blajen, allein die Stiefel 
tanzten den Reigen munter fort. Als das 
Entjegen gewichen war, begannen es 
die Leute poffierlich zu finden und ein 
alter Kohlenbrenner machte den Vor— 
ſchlag, die tanzenden Stiefel abzu— 
fangen. Er verfuchte es, Andere ver- 
ſuchten e3, allein die Stiefel entfchlüpften 
den hafchenden Händen allemal wieder. 





feines Nodes gefunden haben. 

Yungfrauen wenden als Schuß: 
mittel gegen den Satan das Kudlkraut 
(Feldthymian) an. Sie flechten am 
Frohnleichnamstage in ihren Kranz 
Kudltraut, dann hängen fie den Kranz 
in ihrer Schlaffammer über den Bette 
auf. Sollte der Teufel in Geftalt 
eines Schönen Bauernburfchen fenjterin 
kommen, fo benimmt ihm das Kudlfraut 
die Macht. Anders ifts, wenn der 
Ihöne Bauernburfche ſelber kommt, 
gegen diefen gibt3 gar fein Schuß- 
mittel, befonderd wenn er der Jung— 
frau Liebiter ift, jo ift er gefährlicher 
wie der Herr Teufel. 

Bei Hallein ift ein Waldweg, den 
früher die Leute nicht gehen wollten. 
Es hiüpfte über den Weg der Teufel 
bin und ber, fpie die Wanderer mit 
Flammen an und wollte Keinen vor— 
beilaſſen. Da kam eiu Slofterpater, 
um dem Wegelagerer zu bejchwören, 
den lachte der Teufel küchtig aus und 
gab ihm ſchlimme Namen. Hernad kam 
ein Propft, der Teufel lachte noch mehr; 
endlich kam der Erzbijchof jelber, an— 
getan mit allem Ornat und allen 
hohen Weiden. Der Teufel hielt ji 
den Bauch vor Lachen, umtanzte den 
Biſchof und peitfchte ihn mit feinem 
Schweife. Nun verfuchte es noch ein 
arıner Weltpriefter aus Lofer, den 
Böfen zu bannen. Und fiehe, vor dieſem 
Manne floh der Teufel winfelnd und 
it feither nicht wieder gejehen worden. 


— 


Am Fuße des Dachſtein wurde winen zudecke, damit fie Niemand finden 


einft in einer Sommernadt in den 
Lüften ein Pferdegerippe gejehen. Auf 
dent Gerippe ſaß ein langer bagerer 
Mann, der loderte wie weißglühendes 
Eiſen, daß die ganze Gegend beleuchtet 
war. Der Kopf des Reiters war fleiſch— 
los wie ein Zodtenfchädel, aus den 
Angenhöhlen zudten blaue Flämmchen. 
Auf dem Scheitel hatte er ein ſpitzes 
Hütchen mit rother Feder. An den 
Schmwanzwirbeln des Pferdegerippes war 
eine lange Kette befeftigt, an welcher 
ſechs Bauern aus der Umgebung bien 
gen, die als ſehr ſchlimme Gejellen 
befannt waren. Dieje ſechs Bauern 
mußte der Schmied des Ortes, von 
einer umerllärlichen Gewalt getrieben, 
mit ſechs Paar Hufeifen bejchlagen. 
Der Zug flog dann gegen die Scheu— 
henjpige empor. Im Geftein der 
Scheuchenſpitze waren ſpäter die Huf— 
eiſen zu ſpüren; von den ſechs Bauern 
iſt nicht Einer mehr geſehen worden. 

In Gaſtein wollte der Teufel einmal 
bei finfterer Nacht eine Heilquelle ent- 
führen. Schon war er mit derjelben 


gemacht worden. 


folle. 

Mit großem Fleiße hat derlei Sagen 
R. vd. Freisauff gefammelt (Salzburger 
Bollsfagen. A. Hartleben, Wien), doch 
die Quelle des Vollsmundes ift une 
erſchöpflich. Manch halbverkommenem 
Geſellen wäre es gar nicht recht, wenn 
es auf einmal keinen Teufel mehr gäbe. 
Denn er hofft auf ihn. Er will noch 
einmal zu Geld kommen, er will ſeinen 
Feinden die Rinder und Felder ver— 
hexen, er will Liebestränfe brauen — 
wer ſoll ihm dazu helfen, als der 
Teufel! Zwar will der dafür die Seele 
verſchrieben haben. Sei es drum; 
geht ohnehin das Gerede, der Meuſch 
hätte feine unfterbliche Seele, dann iſt 
der Schwarze betrogen. Ja in der 
That, ſolche Leute mögen materialis 
ftiicher Offenbarung glauben und ſich 
troßdem don ihrem Zeufelscultus nicht 
abbringen laffen. — Vielen der vor— 
ftehenden Beilpiele ift der Urfprung 
leicht anzufehen; fie find nicht naider- 
weife entftanden, ſondern mit Abjicht 
Heute ift mand 


bis Stegenwacht über das Gebirge ge- wiürdiger Landpriefter beftrebt, den Teu— 
fommen, da begann in St. Johann |felg-Aberglauben auszurotten, allein 
die Morgenglode zu läuten. Bon dies auch hier werden fie der Geifter, die 
ſem Augenblide an brachte er die Quelle | fie einst riefen, nicht mehr los. Daß 
nicht mehr weiter; noch heute fließt das Volk noch immer den perfönlichen 
fie dort in der Bachlluft, Niemandem | Teufel und die Hölle mehr fürchtet, 
zum Deile. Bon einer warmen Quelle |als3 das Böſe und Häßliche in der 
an der Großarlerarche wird auch er- |Menjchennatur, das eben ift des Teu— 
zählt, daß fie der Teufel in Gaftein |fels. So hat man ihn an die Wand 
geftohlen und dorthin verjeßt habe, gemalt, und jo ift er lebendig ge— 
wo er fie noch zeitweilig mit Erdla- worden. 


Septembertag. 


Milde Sonnengluten 
Auf die Erde fluten, 
Fäden, zart wie Duft, 
Gauleln dur die Luft. 


Ruhe herrſcht im Raume... 
Wie im ftillen Traume 
Liegt die weite Welt 
Unter'm Himmelszelt. 


Weller Blätter Rauſchen 

Muß ich finnend laufen, 
Wenn dur Baum und Straud 
Streit des Todes Hauch ... 


Gin Hinüberfchlafen 

In des Todes Hafen, 
Eanft und hehr und groß, 
Iſt des Lebens 208... 


Wär’ auch mir beichieden, 
So in Ruh' und Frieden 
Aus der Welt zu geh'n 

Zu des Lichtes Höh'n! — 


Derfländigung zwiſchen einem geift: 
lichen und einem weltlihen Chriften. 


Ungebogen jchide ih dem „Heim— 
garten“ zwei Briefe, von denen ich glaube, 
dab fie weiteres Intereſſe beanjpruchen 
dürften. Es gibt Menſchen, in deren 
Denk» und Empfindungsweife fie eingreifen, 
und fie jollen, wie ich vermuthe, in mancher 
Beziehung wohlthuend wirken. 

Für's Erfte muß ich mich voritellen, 
da ich Gegenftand der beiden Briefe bin. 
Sch lebe unabhängig als Privatmann in 
einem Marftfleden der Dftalpen. Die 
geſellſchaftlichen Verhältniſſe meines Ortes 
find bejcheiden aber nicht unangenchm 
und ich erfrene mich einer gewillen Ach— 
tung, troßdem meine Beichaffenheit mit 


Kofegger's „„Heimaarten‘‘ 12. Geft, XT. 





Joh. Peter. 


jener der meijten Menſchen nicht immer 
übereinftimmt, 

Vor einiger Zeit erhielt ich von dem 
Herrn Pfarrer meines Sprengels ein 
Schreiben, welches zu veröffentlichen ich 
mir nachträglich die Erlaubnis einholte, 
wie e3 ja in der That der Verfaſſer 
leiht verantworten kann. Das Schreiben 
lautet: 

„Euer Wohlgeboren ! 

Urjache diejer Heilen iſt eine Eleine 
jeeljorgliche Angelegenheit, die jich immer— 
bin beſſer ichriftlich als mündlich fchlichten 
läßt und die Sie mir — ich bitte Sie 
jehr darum — nicht mißverſtehen dürfen. 
Sie haben ja meine, oft nachgerade ver- 
trauensjelige Offenheit immer geachtet, 
daber finde ich leicht den Muth, Ihnen 


60 


ein ganz feines Bedenken mitzutbeilen, 
welches Sie jelbjt betrifft. Bei Ihrem 
mir jeit Jahren befannten Charakter und 
religiöfen Sinn nimmt es mid Wunder, 
dab Sie an hoben Feſttagen mandmal 
dem firchliben Gottesdienft fernbleiben, 
was bejonders am lettvergangenen Frohn— 
leihnamsfejte aufgefallen it. Ich maße 
mir nun micht an, Sie etwa deswegen 
zur Rechenſchaft ziehen zu wollen, doc 
muß ich bemerfen, daß etliche unjerer 
Pfarrgenofjen daran einen gewiſſen Ans 
jtoß nehmen und wenn fie jchon für fich 
jelbjt fein Beijpiel daran machen, jo 
doch auf Ihre werte Perſon ein miß— 
günſtiges Licht werfen könnten, was Nie— 
mandem mehr leid thäte, als mir. Ach 
will Ihnen fein Lehrftüd jchreiben über 
die Bedeutung der hoben kirchlichen Feſte 
für des Chriſten Herz und Gemüth, ja 
ih vermuthe, dab Cie die Bedeutung 
jehbr wohl erfennen und bochhalten und 
das etwa eine mangelhafte Begehung, wie 
fie in Landkirchen wohl vorfommen fann, 
mit diefer Ihrer Hochhaltung nicht ganz 
übereinftimmt. Wenn es dieſer Grund 
wäre, warum Sie unferen hoben Feſten 
fern bleiben, jo würden Sie mir mit der 
Mittheilung bderjelben eine Art Befrie— 
digung gewähren. Und wenn Sie mich 
anfmerfjant machen wollten auf etwa vor- 
fommende Unzufömmilichkeiten, jo würde 
ih jehr dankbar jein und trachten, ſolche 
abzujchaffen, Mir als Pfarrer muß natür- 
lih daran liegen, daß auch den Gebil- 
deten das Edle und Erbebende der Kirche 
und des Gottesdienjtes geboten werde. 

Ich bin jicher, geehrter Herr, dab 
Sie dieje Zeilen, die mein Herz erleichtert 
baben, jo annehmen, wie fie gemeint find, 
und jomit zeichne ich mit bochadhtungs- 
vollem Gruße ganz ergeben 

MN. 
Pfarrer.* 


ie Antwort: 


„Euer Ehrwürden! 


Ihr Schreiben babe ih erhalten und 
ich geitehe, dab mich jelbiges angenehm 
berührt hat. Ich finde im ibm jene 
Milde und Treuberzigfeit, der ich nie 


046 





| zu widerftehen vermag, und Ihre Offen— 
beit alaube ich damit am bejten zu ebrei, 
daß ich derfelben gleiche herzliche Offen- 
beit entgegenjete. 

Ich kenne, wie Sie jelbjt vermutben, 
freilib die Bedeutung des kirchlichen 
Gottesdientes für des Chriften Herz, und 
Niemand kann mehr als ich davon über« 
zeugt jein, wie nöthig und wichtig für 
die Gemeinde eine gemeinjame Andacht 
it. Darum babe ich mich jelbit ſchon 
gefragt, ob ein zeitweiliges Wegbleiben 
bei firchlichen Feiten, jo unauffällig ich 
e3 auch thue, nicht etwa ein Aergernis 
jei. Daranf habe ich mir allerdings zur 
Antwort geben müſſen, daß es nicht vor« 
geichrieben ift, anderer Leute wegen dem 
Gottesdienite beizumohnen, ja daß dem 
Ghriften für feine Andacht das ftille 
Kämmerlein vorgeihlagen worden, 

Meiner Meinung nah hat der Menich 
mehr Bedürfnis nach Erhebung des Geijtes 
zu Gott, als er es jelbit ahnt, aber die 
äußeren Zuftände hindern ihn und bie 
Stimmung mangelt ihm ſehr oft, jolder 
Erhebung zu pflegen. Ohne Stimmung 
ift feine Andacht möglid. Die meiiten 
Menſchen finden die nöthige Stimmung 
in der feſtlich geichmüdten Kirche und 
in der Gegenwart der Mitmenſchen, die 
alle in der gleichen Abficht gekommen 
find, zu beten. Auch ich fühle mich in 
jolher Umgebung und in folden Ge— 
danken ſehr oft erhoben — ich ſage jehr 
oft, aber nicht immer. Manchmal it es, 
da meine Andacht die einfame Hammer 
verlangt, oder eine Betrachtung des Hoch— 
gewitters, oder den grünen Wald und 
das Himmelszelt, und ih bin ſchwach 
genug, ſolchem Verlangen nachzugeben. 

Euer Chrwürden ziehen mich des 
legten Frohnleichnamstages wegen ja nicht 
zur Rechenſchaft; in dieſem Falle würde 
ich fie vielleicht verweigern; nun aber 
gebe ich fie freiwillig. Bei der unbejchreib- 
lichen Yieblichfeit jenes Frühſommertages 
| wäre es mir nicht möglich geweien, in 
der überfüllten Kirche, im Gedränge und 
Straßenſtaube der Proceilion die wahre 
Feſtſtimmung zu finden. Ich blieb dem 
Begängniſſe nicht fern, um das Feſt zu 


mibachten, jondern um es zu feiern, Ich 
will mich gar nicht auf jene Pantheiften 
binausjpielen, die den Herrn nur draußen 
in der freien Natur anbeten fönnen, ob» 
zwar ih an diefem Tage freilih auch 
binausgieng in dieſe freie Natur. Ich 
that es micht, um der kirchlichen Feier 
auszumeichen, jondern um fie mitzuber 
gehen. Auf dem Eſchenkogel ſaß ich und 
blidte hinab in's Thal, wo die Gloden 
Hangen und die Pöller fnallten und die 
Fahnen flatterten und die Deter bins 
giengen in langer Reihe. Die hoben 
Berge jtanden feierlih, im Walde jubi« 
lierten die Vögel, die weiten Fluren 
leuchteten in Blütenpracht und über Allem 
das Himmesblau mit feiner herrlichen 
Sonne und mit der ewig mwandelnden 
Pracht jeiner lichten Wolken. Ich hörte 
unten die Stimme der Menihen: „Das 
it der Tag des Herrn!“ Und ich hörte 
neben mir und über mir und in weiter 
Nunde die Stimme der Natur: „Das 
ift der Tag des Herrn!“ 

Es mag ja wohl richtig jein, daß 
bei kirchlichen Begängniffen manchmal und 
zumeijt zufällige und unbeabjühtigte Ge- 
ihmadlofigfeiten vorfommen, die jtörend 
wirfen. Ich ſah fie nicht und dachte 
- nicht an fie. 

Nicht das bunte Gepränge der Menſchen 
war um mich, nicht ihr oft gedanfenlojes 
Gebet, nicht ihre Eitelfeit und Scheel- 
ſucht, die fie auch bei der Proceſſion mit 
fihb führen wie Kinder am Arm, als 
jollte jie der Herr jegnen, dab ſie groß 
würden — ich jah aus der Ferne vom 
Menjchen nur die wirflihe Andacht, fein 


gottesfreudiges Herz und feine Seligfeit. 
All das zujammen bat mich erhoben zu 
jener Feſtſtimmung, die verwandt fein 
muß mit der wahrhaften Anſchauung 
Gottes. 

Es mag ja ein Vergehen jein an 
der Gemeinichaft, welche die Kirche wünſcht, 
und doch war mein Gewinn ein großer, 
denn es erhob fich mein Geijt zu Gott, 
und damit war das erreicht, was uns 
die Religion vorjchreibt. Anderen zur 
Nahabmung the ich es wahrlich nicht, 
wenn ih mich manchmal jolchergeftalt 
abjondere ; den Meiften würde derlei nicht 
wohl bekommen. Was ih bier ange 
gedeutet habe, möge nichts Anderes jein, 
als eine Nedtjertigung ſtillbeſchaulicher 
Gemüther, die in ihrer gewiß auch harm— 
lojen Weiſe der Andacht pflegen. 

Wie jehr ich den Cultus achte, der 
jo vielen Millionen Menjchen ein uner» 
jeglihes Gut iſt, wie jehr diefer Cultus 
wie er ja im Stile mwürdevoller 
Kunſt dazuſtehen beftrebt it — auch 
mich erhebt, das glaube ih nicht erſt 
hervorheben zu müllen. Die Oottesan- 
dacht als ſolche jedoch kann ſih — wie 
Euer Ehrwürden ſelbſt vor Kurzem ſo 
‚schön gejagt haben — weder an eine 
| Zeit noch an einen Ort fmüpfen, jondern 
wird traten müfen, der Allewigfeit und 
Allgegenwart des Herrn zu entjprecen., 
Und jomit glaube ich, daß wir immer— 
hin noch fo ftehen, um uns gegenjeitig 
die Hand reichen zu fönnen. Ich thue 
‚es in ungeheuchelter Verehrung. . 


| RM 


— EEE 








's Anglük ſpoziern führn. 


(Steirifhde Mundart.) 


L 


An Obnd, warn hintern Berg d Sun owi ſinkt, 
Und d Leut ofli porweis flaniern, 

Nim ib ah mein Gipon, geh auffi in Wold 

Und führ mein Unglüd jpoziern. 

Wia groß is da Wold und wia hoch fein die Berg, 
Und wia tiaf iS däs ftilli Thol! 

DO ba größer und höher und tiafa bift Du, 

Mein Unglüd taujndmol. 


60* 


948 


An Moin, afn grean, 

Wo ſiſt Bleamerla blean, 

To ligg a ſchwara Stoan; 

Biel taufndmol ſchwara, wir olli Stoan afn Roan, 
Biſt Du, mein Unglüd alloan. — 

Kublfinfta wird d Nocht; ob, ja finfla wird's nia, 
Daß Dana fein Unglüd nit fiadt, 

Da Blindi ſiacht's funteln, 

Da Taubi hört’s krunkeln, 

Wan's jchleichend zan Herzn kriacht. 


Il. 


Mia ipringg aus n Herzn a helltotha Brun! 

Wia hot nit da friſchi Brun glonzt in da Sun! 
Aus guldenen Kelch hobn ma trunfn, 

Mit Nojan, mit rothn, hobn ma gwunfn, 

Bis d Augn jein gjunfn. 

Und gor noh in Tram hot's nit dunfel wern wolln, 
O liabi, glüdjeligi Quelln! 

Do limp hiaz däs Unglüd und legg fih ſtad 

Zan Brun, und fauft, bis $ n d Wompn aufblaht, 
Und bioffn tonzt’3 tul um mei Herz herum, 

Und da Nochtvogl pfeift: Didl dei, did! dum! 

Hei prächtigi Welt, wia luſti geht's zua! 

— Ih donf für de Luft. Ih bon gmua. 


II. 


Ih gmua va da Welt? Däs follt ma nit ein. 
Den Tonzbärn, den wern ma noh über ſih fein. 
Sei a Mon, 

Pod n on! 

Ueber's Unglüd nit her hobn — wa doh dalogn! 
Un Strid um a Flaßl, 

U Lo durdn Rüaßl, 

Und a fein durdzogn! 

Meini Damen und Herrn! 

Do hobn nmıa dreifiert 

An tonzandn Bärn! 

Bitt hereinipaziert, 

Wer will jehn, wia ma’3 Unglüd 

An da Ketn führt! 


Frommer Müßiggang. | Emil Bola’s Wahlſpruch. 
Ein frommer Mühiggang hat mich erfaßt, Der große literariiche Hadernjammler 
u ze eg eg Auch ur an der Seine bat einen Wahlipruh und 
D te eın ea . , . 9 

In einem Reich doll Sang und Blüten, in — — EIER, 
Diejer Wahlſpruch iſt hübſch. Mit 
r dem erſten Theil desſelben muß man ſich 

— den kr Sem ſchreiten unbedingt einverſtanden erklären, mit dem 
"zweiten Theil nur dann, wenn Zola uns 

jagt, daß er die Wahrheit in jenem großen 
Sinne verfteht, wie fie bisher philojophiich 
und fünftlerifch verftanden zu werden pflegt. 
Nun bat uns aber Zola jhon gejagt und 
bewieſen, was er Wahrheit nennt; ihm 


Was dies Jahrhundert Großes gab 
Und was vergang'ne ſchön're Zeiten: 





Mit Schaffensdrang geichwellt die Bruſt, 

Da werden Deine Thränen fließen — 

Doch liegt viel ungetrübte Luft 

Im Mitempfinden und Geniehen. 
fropold Hörmann. 





- Bi Fin 


ift die künſtleriſche Wahrheit nichts weiter, 
als die naturtreue Darftellung des Häb- 
tihen. Bei uns erftredt ſich aber die 
fünftleriiche Wahrbeit auch auf die natur- 
tree Daritellung des Schönen. Auch das 
it Naturalismus, denn man wird doc 
nicht leugnen wollen, daß der Natur das 
Schöne abgehe. Zola jchildert nur den 
Sumpf, aber nicht auch die Blume, die 
darauf wächst. Zola jtellt den Dünger jo 
naturgetreu dar, dab jelbjt die Naje zur 
Kritiferin wird, aber er zeigt uns nicht 
die hohe Aehre, die darauf reift. Zola 
bejchreibt uns ſtets das Faulende, aber 
nie das Keimende, jtet3 das Niederträc- 
tige, aber nie das Erhebende, ſtets das 
Verjtimmende, Peinigende, aber nie das 
Erfreuliche. Und das iſt jeine Wahrheit. 
In dieſem Sinne jedoch ift der zweite Theil 
jeines Wahlſpruches nicht zu brauchen. „In 
der Kunſt Wahrheit.“ Aljo in der Kunſt 
nur Sumpf, Dünger, Faulendes, Nieder- 
trächtiges und Peinigendes! E3 muß uns 
doch allzugut jein auf diefer Welt, dab 
wir uns das Elende nachgerade mit Ge— 
walt recht draftiich vor Augen rücken. Wir 
müſſen uns jchon jehr gejättigt haben, daß 
unjer Magen jo lebhaft nach pifanteftem 
Käſe verlangt; und finden wir feinen 
jolchen, jo laufen wir dem Erjtbejten nach, 
von dem wir vermuthen fönnen, dab er 
zwiichen den Beben Surrogat bat. Auch 
diejer KHäjejtoff ijt Natur und Wahrheit, 
wer leugnet es? Und nur diefe Gattung 
von Wahrheit, die häßliche und efelhafte, 
will Emil Zola in die Kunſt legen. 
Zola erkennt die Kunſt als ſolche gar 


049 


ichaften einen Dichter gefunden haben, der 
fie entichuldigt, oder die Schuld von den 
Einzelnen abe und auf den Staat wälzt, 
als jeien für die jchlehten Handlungen der 
Staatsbürger die jchlechten Geſetze Schuld. 
Eine bequeme Ausrede. 

Die brutale Gewalt, mit welcher Zola's 
Muje die Lefer padt, erinnert mich an 
jenen Schweinehirten, der den Forſtjungen 
anfiel, zu Boden warf und in die Jauche 
jchleifte - aus Aerger darüber, daß der 
Forſtjunge jonft immer frischen Wald- 
duft geniehen fonnte, 

E3 mag ja angehen zu jagen, einmal 
müſſe auch die niederträchtigite Seite 
der Menſchheit naturgetren, ja der Wir: 
fung wegen jogar mit Phantafie geichildert 
werden; wenn aber dieje Richtung als 
die Zukunft der Kunft, der Dichtung aus— 
gerufen wird, als die einzig richtige Art 
der erzählenden Literatur, dann müſſen 
wir dieſe Herrn Weithetifer zum Tempel 
binausjagen. 

Die Kunft und die Dichtung ift nicht 
da, um ewig nur zu zeigen, wie elend 
wir find, das willen oder ahnen wir jchon 
auch jo; die Kunſt und die Dichtung it 
auch nicht da, um zu befehren; die Kunſt 
und die Dichtung ift da, um uns zu ers 
frischen, zu erfreuen, durch Erjchütterung 
zu lautern und ums ſeeliſch ſchöner zu 
machen. Dadurch wirft fie in zweiter Linie 
freilich auch reinigend und jittigend und 
verbindet jonach ganz von jelbit das Nüß- 
lihe mit dem Angenehmen. 

„Sn der Wahrheit feine Kunſt, in 
der Hunft Wahrheit,“ der Spruch iſt gut, 


nicht an, feine Lehre iſt: Zerſetzung der | wenn er in jenem weiten Sinne veritanden 
Kunſt durch triviale Wahrheit. Mit dem | wird, der nicht bloß das Häßliche, jondern 
Schönen, jagt er, jei der Welt nicht gedient, | auch das Schöne im fich ſchließt. 


jeit Jahrhunderten habe ihr die Kunſt das 
Schöne und Erfreuliche vorgehalten und 
fie habe ich nicht befehrt; jetzt will er 
ihr das Häßliche und Yafterhafte vor- 
halten, das in ihr ift, vielleicht befehrt 
fie fih danı. Die Menſchen, meint er, 
jollen fich davor erbrechen. Bei den feiner 


angelegten Lejern der Zola'ſchen Schriften | 


Ein Wort in Sachen meines 


Jugendbuches „Waldferien.“ 


Schreiben an Herren Lehrer M. R. in Wien. 


Geehrter Herr! 
Ta Ihre Anfrage in Betreff meines 


trifft diefes Erbrehen in der That zu, | Jugendbuchs „Waldferien“ nicht vereinzelt 


die Mehrzahl freut ſich deilen, dab ihr 
Schmutz, ihre Later und niedrigiten Leiden: 





daſteht, jo nehme ih Anlaß, 
öffentlich zu beantworten, 


diejelbe 


950 


Seit Jahren bin ich von Nolksihul- 15 Jahren, jondern für die reifere Jugend 


Lehrern und Pädagogen angegangen worden, 
aus meinen Schriften, die von den Kindern 
gern gelejen würden, ein Buch für die 
Jugend zujammenzuitellen. Die Berfäng- 
lichkeit der Sache vor Augen, lieh ich 
dieje Anregungen lange nicht anf mich 
wirken, bis ich endlich im „Heimgarten“ 


berechnet, und dieſes öffentlich zu erflären, 
nehme ic bier Anlaß. Daß ein Buch 
für die reifere Jugend gleichzeitig auch 
ein Volfsbuch jein kann und muß, liegt 
in der Natur der Sadı. 
Ihr jehr ergebener 
P. 8. Rojegger. 


die Lehrerſchaft aufforderte, mir ſelbſt 
anzugeben, welche Stüde aus meinen 
Schriften fih etwa für ein Jugendbuch 
eignen könnten. Anjtatt bejtimmter Vor— 
Ichläge famen mir immer noch neue Wünſche 
auf die Herausgabe eines Jugendbuches 
zu, und jo entſchloß ich mich, jelbjt ein 
jolches zufammenzuftellen, und zwar aus 
jenen Werfen, von denen ich wußte, daß 
fie von Lehrern und Erziehern jelbit jchon 
der Jugend in die Hand gegeben wurden, 
oder aus denen fie diejer gelegentlich 
Manches vorgelejen hatten. 

Obzwar ich wußte, welches Verjtänd- 
nis in gejchlechtlichen Dingen der State 
hismus, die Schulbibel, die deutſchen 
Kindermärcen u. j. w. den Kindern zu— 
mutben, jo war ich doch in der Aus— 
wahl strenge. Wo ſchon etwa von 
„Liebe“ die Rede war, da juchte ich ſie 


Bücher. 


Meues Bud der Lieder, Von Paul 
Baehr. (Halle a. d. S. Otto Hendel.) 
Es ift gerade fein origineller Dichter, der 
uns bier entgegentritt; wer wäre heute nod) 
originell! Die es fein wollen, find es noch 
am wenigften. Aber es ift ein echter Poet, 
der das ewige Lied von Menjchenglüd und 
Menihenleid in tiefer Empfindung und 
edler Form wiederjingt. Dem tollen Haſchen 
und wilden Gähren eines Theiles unſeres 
Dichternachwuchſes gegenüber muthen dieje 
jhlichten warmen Lieder bis in's Herz 
hinein an, es iſt der traute, innige deutiche 
Klang, es ift, wie wenn man nad Tönen 
und Schrillen und Scallen, Paulen und 
Knallen der großen Welt wieder einmal 
das Klingen der Dorflirhenglode hört auf 
ländlider Flur. Seinen Weibe a der 
: znß Verfaſſer das Buch geweiht, gleichſam als 
ſtets BR ihrer — ‚ gemitpligen, Empfangsbeftätigung des Glüdes, welches 
moraliſch opferwilligen Seite zu zeigen, | eim deutiches Weib dem deutſhen Manne 
damit die jungen Lejer die Liebe früher in's Haus zu bringen pflegt. Nebft dem 
von der ſchönen, als von der — anderen | warmen Gemüthe ift es ein weifer Geift, der 
Seite fennen lernen jollten, Freilich wird | in dem Büchlein wohnt. Einige Proben 


: — ſeien uns geſtattet: 

die Prüderie nie zugeben, daß ein ſolches * a ae 
Jugendbuch auch nur halb jo weit gebe, gie —— = a. _ ——— 
als das Schulbuch, als der Naturge— a a * u EN 

. 's ihr, o r mer; und Leiden 
Ihichtslehrer, als der Katechet gehen | Eie ie zwei Herjen jät die Saat! 
müſſen. | —* Bi jo vun wi ipiken Steinen 

. F — de, bis tjweit; 
Etwaige Rügen in diefem Sinne De niit e8 ihr, od Biel. — 

würde ich nicht ernſt nehmen. Anders iſt Berträmmerte Gtädjeligfeit! 
e3, wenn gejagt wird, daß in den „Wald- 
ferien“ Manches vorfomme, wofür in 
Kindern von 10 Jahren noch fein In— 
| 
} 





Nur Dein Gewiſſen mußt Du fragen, 
Dod was die Welt ipricht, achte nicht: 
Sie lobt Dir’s nit, wenn im Entiagen 
Das Herz Dir fHumm zuſammenbricht. 
* h — Wenn Pir Pein hoſdes Liebchen. 

terelle vorhanden jein kann. Das läßt jich Wenn Dir Dein holdes Lieben 

in der That bejonders von der Abtheilung Fin perben Ebert geiagl, 

„Ein Bater an jeinen Sohn” jagen. 

Darum freut es mich, dab Sie erfannt 

haben, wo der Hauptiehler des Büchlein 

liegt, nämlib im Vorwort. Das Büch— 

lein-„Waldferien” ift nicht, wie e3 dort | 


Und Dir ein biti’res Webe 
An Deinem Herzen nagt: 
irrthümlich beißt, für Kinder von 10 bis) 


Dann in Grinnerungen 
Dein ganzes Herz verfent' 

Und an die jel’'gen Stunden 
Der eriten Aüſſe dent". 


Das lindert bald Dein Webe, 
Weib wird Dir Herz und Zinn, 
Und über Deine Ecele 
Weht janfter Frieden bin. 


MM, 


en I — — — 


An meine Fran. 


Nicht hofft" ich mehr auf meiner Leiden Ende, 
Als mich des Lebens Sturm bat wild umtoät; 
Da reichteſt Du mir liebend beide Hände 

Und warft mir alles, Hofinung, Friede, Troit. 


Da habe id; geflebt zum Herren der Welten, 
Der mid jo namenlos dur Dich beglüdt, 
Zu feanen Deine Liebe, jun dergelten, 

Daf Du den Pfad mit Blüten mir gefhmiüdt. 


Dem Herren Dant! Mein Frühling tehrte wieder, 
Nichts gibt's, was unsre Piche heut ermißt — 

O fühes Weib, Du Seele meiner Lieder, 

Wie jauchzt mein Gerz. daß Du jo glüdlich bift! 


Daheim. 
Herzliebe, fühe Weihnachtszeit, 
Du traumummob'ne Zeligfeit 
Für groß und Mein! 
An Waldespuft und Ammergrin 
Viel bunte Kerzen hell erglühn 
Mit gold'nem Schein, 


Dod wer verwaidt — 0 berbes Veid, 
Dem iſcheint die Welt in Trauerkleid 
Gebüllt zu fein. 

Die Blide Ienft er beimatwätrts, 

Und doppelt fühlt er heut den ta 
„Allein, allein!” 


O dankt dem Herrn mit Lob —* Preis, 
Die Ahr Euch dürft’ im trauten Kreis 

Der Liebe weih'n. 

Und ob es friert und ftiirmt und ſchneit — 
O Selig, wer zur Weihnachtszeit 

Daheim kann fein! 


Die alte Jungfer. 


O richtet nicht fo ftreng und hart, 
Die einfam ftcht bienicden ; 

Euch blieb der Scelenfampf eripart, 
Der ihrer Bruft beichieden. 


«uch hat des Lebens ſchönſten Kranz 
Der Liebe Lenz gewunden, 

Euch find erfüllt mit Himmelsglanz 
Hold ber Frinn'rung Stunden. 


Dod ihr bat ja ein berbes Los 
Der Liebe Glüd vernichtet, 

Auf welches Still und hoffnungslos 
Für ewig fie verzichtet, — 

Die Eine liebte wahr und tief, 
Wie nur ein Gerz fann lieben; 
Ob ihn der Tod von binnen rief, 
Ihm ift fie treu geblieben. 


Die And're traf das bitt're Leid, 
Die Treu’ warb ihr nebroden ; 
@ie aber bleibt für allezeit 
Treu’, dem fie Treu’ veriprocen. 


Und pflegt fie heute treu und lieb 
Die ftummen Greaturen — 
rennt Ahr nit in diefem Trieb 
Des warmen Herzens Spuren ? 


D’rum laßt den Spott, den ſcharfen Ederz 
Aus Gu'rem frohen Sreiie; 

Dentt, daß ber alten Aungfer Herz 

Nur eine arıne Waiie. 


Einem Pidter. 
Nur fein einenes Leben 
Zingt der Dichter im Lied; 
Aus der Bruſt will er beben, 
Was im Innern er Sicht. 


Wie die Herzen veridieden, 
Zo verſchieden der Zang; 
Darum gib Dich zufrieden, 
Wenn fein Go ihm klang. 


In’s Grab der Liebe. 
Zollt' Deine Yiebe fterben, 
So feg’ id ihr in's Grab 
An Lieb' und Treu’ den Glauben 
Zur ew'gen Ruh hinab. 


Fiedeslieder. 


Oft Viebeslieder franten 
An Mangel tiefer Wedanten 
! Doch in zu tiefen Gedanken 
| Auch oft ſchon Gefühle ertranten! 
i 
) 


R. 


| Rirhenrand — Falle Treundfdaft. 
' Zwei Arbeiternovellen von Alfred Fried: 

mann. (Leipzig. Ph. Reclam jun. Unis 
| verjalbibliothet Nr. 2260.) 


Troß der bejcheidenen Form, in welcher 
dieſe beiden Erzählungen erſcheinen, bieten 
diefelben einen reichen, bis zum Schluß das 
Intereſſe des Lejers rege haltenden Inhalt. 
Der Verfafer verfolgt darin offenbar den 
Gedanken, welchen er am Schluß der zweiten 
Erzählung ausfpridt: „Der Menih kann 
nicht volllommen glüdlich fein, wenn nicht 
jein Denten ihn glüdlih macht!“ Er will 
zeigen, wie die Unzufriedenheit, die jo viel: 
fah in Arbeiterkreiſen fich findet, ihren 
erften Urfprung zumeift in der eigenen Un— 
tücdhtigfeit und Charafterlofigfeit hat, aus 
diejer erwächst das Gefühl des Neides gegen 
über denen, die ein befieres Dajein ſich zu 
erringen willen, und der Reid veranlaßt 
das Verbrechen. Der Diebjtahl eines Kelches 
in der Stephansfirde zu Wien, den der 
Held der erften Erzählung begangen bat, 
nur um’ eine Heine Summe zur Begrün- 
dung eines Hausftandes zu gewinnen, ver: 
giftet ihm fein ganzes ferneres Leben und 
treibt ihn jchließlih zu graufigen Selbft: 
morde; die Selbitantlagen des Gemifjens 
find bier piychologiih außerordentlih fein 
geihildert. Der „falſche Freund“ in der 
zweiten Gejchichte bleibt zwar unentlarvt, 
aber auch ihm ift das Glüd für immer 
veriagt. Die Lebensanjhauung der arbei: 
tenden Claſſen, vorzüglih aber das Volks— 
leben, wie e3 fi am Sonntage in und um 
Wien entfaltet, find vortrefflid wieder: 
gegeben, ohne dab der Verfaſſer den guten 
Geſchmack außer Acht läßt. V. 


Einführung in das Studium der neueren 
Aunftgefdihte von Dr. Alwin Schultz. 
(Prag. F. Tempsly, 1887.) 

Von diejen jhönen Werke, weldes in 
300 Tertabbildungen und 14 Yarbendrud: 
tafeln die bedeutendften Malerwerle der 
neueren Seit zur Darftellung bringt, ift 
eben die 17., als die Schluflieferung, er: 
jchienen. Der von dem gewiegten Wejthetiler 
gelieferte Text ift äußerſt überfihtlih und 
inftructiv und erreiht mehr als jeinen be: 
ſcheiden geftellten Jwed: Einführung in das 
' Studium der neueren Kunſtgeſchichte. M. 


— — — — — — — — — — — — nt — — — — — 





Aus Frankreid. Bilder und Skizzen M. J. G., Rlagenfurt: Auch wir halten 
von J. C. Peterſen. (Berlin. 3. Zenker. die vor flurzem eingerichteten erſten Thurm: 
1887.) gloden zu Serajewo für ein jchönes Zeichen 

Diefe in gutem FFeuilletonftil geichrie: | der dort ſtets ſich verbreitenden abendlän: 
benen Skizzen wollen nicht eigentlid) ————— Cultur. Aber Ihr Gedicht über 
zufammenhängendes, noch weniger den Ge: | diefen Gegenftand ift uns doch zu jehr 
genftand erjchöpfendes Werk bilden, ge: | Plagiat von Schillers Glöde. Für eine 
währen aber interefiante und wichtige Ein: | Glode ift e8 genügend, wenn fie jhön 
blide in das Leben des franzöfiihen Roltes. | Hingt und nadflingt, von einem Gedichte 
„Die Deutihen in Frankreich“ nennt ſich aber wird mehr verlangt. 
der erſte Auffag, der den großen geiftigen R. 3., vVillach: Einem Politifer mit 
und materiellen Einfluß zeigt, den die dort | dem Hauptgrundjaß, die Interejjen der 
lebenden Deutjchen in Franfreih ausüben. | Arbeit zu vertreten, mögen Sie ſich 
Die Feder: Zeihnungen aus der Provinz, | unbedenklich anſchließen; das ift der echt 
ſowie allerlei Heiteres und Ernſtes aus voltsthumliche Standpunft und, wenn Sie 


Paris geben dem Bude eine amüjante, | polen, in gewiſſem Sinne der praftijche 
bunte und oft movelliftiihe Färbung und | Yutiiemitismus. . 


beanſpruchen in mander Beziehung ethno: — 
graphiſchen Wert. Uebrigens wird die un a. : Angenommen. Mit Dant 
Sammlung den Franzojen weniger gut M. 3. 8., Brünn: Ihre frage, ob der 


gefallen, als den Deutjchen. Richterſtand als folder „national oder 
— vpdlierrechtlich“ fein fol, richtet ſich wohl 


: von jelbft. 
Poflkarten des Heimgarten. J—— Sa dan Via 


X X 68 wird angelegentlichft erjucht, | erfreut, geehrt und ausgezeichnet haben, 
Manujcripte erft nad vorheriger Anfrage | bejonders den Ungenannten, die mir die 
einzufenden. Für unverlangt eingejchidte | Möglichkeit, perjönlih zu danfen, vorent: 
Manuſcripte bürgen wir nicht. Erterne Ar: | hielten, auf diefem Wege meinen ſchönſten 
beiten honoriert die Berlagshandlung nicht. | Dant. Nojegger. 


Zur Barhrüdht. 


Mit dem nächſten Hefte tritt der „Deimgarten“ in feinen zwölften 
Jahrgang. Aus dem reihen und mannigfachen Inhalte desjelben wollen wir 
nicht zu viel verrathen. Wir nennen aber bejonders die Yortjegung der 
Selbfibiographie von Robert Yamerling, welche nun bei der Gegenwart ans 
gelangt ift. Bon dem Herausgeber I. R. Bofegger beginnt im nächiten 
Octoberhefte ein neuer großer Noman unter dem Titel: „Martin, der 
Mann.“ Es dürfte das vielleicht das anmuthigſte und eigenartigfte Wert 
diefes Autors fein. Aus feinen Lebenserinnerungen theilt derjelbe jchon dem— 
nähft mit: „Beim Kronprinzen Nudolf* und „Unfer dreis 
jähriges Gretchen“, fowie neue Schilderungen aus dem unerjchöpflichen 
Volksleben, Iuftige Geſchichten, mundartliche Gedichte und Schwänte. 

Friedrich Schlögl, Karl Morre, Hans Grasberger, Hans Malfer, 
Friedrich Rottenbacher, E. 3. Freunthaller, 3. Peter, 2. Hörmann und viele 
Andere werden auf das Belle dazu beitragen, die Gediegenheit unferes 
„Heimgarten“ ſtets zu erhöhen. 

Materieller Vortheil ift bei diefem Blatte nicht angeftrebt und nicht 
zu ſuchen. Großer Lohn ift uns die Anerkennung, welcher der Tendenz des 
„Heimgarten*: Ohne Scheu und Reu' dem Volke treu! in fo 
hohem Grade zu Theil geworden. 


Die Berlagshandlung. 





Für die Nedaction verantwortlib P. A. Wofegger. — Druderei „Leyfam* in Graz. 






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