Heimgarten
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Eine Monatsfärift \
gegründet und geleitet von
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Stationen meiner Lebenspilgerfhaft. Bon Robert Hamerling. (Forlfegung . 1
Zwei Mägdlein und ein Auab, Dorfgefhicdhte von P. K. Rofeager .-... 12
Die Gaiferburg. Eine Rittergefhichte aus der Vorzeit von Hans Maljer .. 18
Mein Freund Franz, Aufzeihnung eines PBrieflerts . 2 2 0 2 2 nen 29
Am Grabe eines Ddenlihen. Gedicht von R. » >»: 2 nn nen 36
SEE EEE 37
Schlumpetliedeln oder wie der Doigtländer feine Liebe ind - »- » » 2 2220. 44
Am Baume des Schwaben. Eine Wanderung in der Heimat von P. KH. Rojegger 47
Die Thiermarter im Yogelbaner. Bon Dr. I. B. Holzinger . .. 2... 52
Aus dem Tagebuche eines Aunfjüngers. Bon M. Blod .». . » 2:2: 22mm. 55
Die erſte Schwalbe in Gefterreih. Bon B. K. Nofegger » >: 2220 en 63
Baernblume; Bon Bayıert Bamerling:: : : Su 32 7 880 8 82 2 66
Mleine Enube.
Zuitgt 003 15:4 Die eb, 67
Den Manen Ferdinand Raimund's. Bon Ludwig Unzgengruber ..... 67
Der Thurmbeld. Eine Gefhichte aus der Gegenwart von J. Bernhard .... 68
m: Erler. Benile 713
Mein Herz, das farb in diefer Nacht. Gedicht von U. 3. - 2 2 22 20. 63
Das größte Leid. Ein Märden von Emil Eril. »-. »- 2» - 2: 222 220. 74
Dia der Odam 5 Vodrunjabetn hot glemt. . » - 22 2 2 nenn 75
76
Poſtlarten des Heimgarien . » » 22 200 ea ae A 79
Erfte und größte
Mufikinftrumenten- und Saitenfabrik
Horm. Trapp in Neukirchen bel Eger
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biefiger Gegend ift die Inftrumenten: und Eaitenfabris
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ausichlieklid von der Erzeugung aller Gattungen vor:
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E12 777 sche ın Eripyig
Eine Monatsfchrift
gegründet und geleitet
von
R- KR. Rofleygger.
XI. Jahrgang.
GBrn:.
Drud und Derlag von „Cevfam*.
1887.
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en
Inhalts: Bexzeichnis
& Heimgarten, X. Jahrgang.
Novellen und Erzählungen. Scite
Zwei Mägdlein und ein Knab. Dorfgeihichte von P. KH. Rojegger. . .. . 12
Die Baiherburg. Eine Rittergeihichte aus der Vorzeit von Hans Maljer. . 18
Mein Freund Franz. Aufzeihnung eines Prieftert . . 2 2 2 nn une 29
Der Thurmheld. Eine Geichicdhte aus der Gegenwart von Y. Bernhard . . . 68
Zwei Stüdlein aus dem Handwerferleben. Yon PB. K. Rofegger ..»... .» 81
Gine moraliihe Erzählung. Aus berühmten Schriften mitgetheilt von 9. M. . 100
Die Reiſe nah Bethlehem. Ein Weihnachtsgruß von PB. K. Nofjegger . . . 161
Die rothe Evi. Dorfgeihichte von Friedrih Nottenbader. ..... - 170
Ter Schmied von Kodel. Ein Weihnachtsbild aus der Geihichte von R. . . 181
Jakob der Letzte. Eine Waldbauerngeihichte aus unjeren Tagen. Von P. K.
ROTE. 241, 321, 412, 481, 572, 641, 721
Irrlicht,. Stizze von Hans Fraungruber .. : 2: 2 2 ernennen 255
Ter junge Vollsſchullehrer. Eine Erzählung aus dem Leben von R....- 260
Wer zahlt den Hammel, Eine Shmugglergeihichte von Friedrih Rottenbader 9336
Der Küſter am Kreuze, Eine Geihichte aus Sanct Jalob von P. K. Rojegger 349
Auf einem Dade. Bon Neera. Aus dem Italieniichen übertragen von Moriß
2.131 Per Eee ae Er en Br Ara 426
Das große H. Skizze von Paul Undor. ... 2: 222er 496
Gmanzipierte unter fih. Qumoresfe von Mar von Weifentburn ... . 585
! Drei Mittagejjen. Eine Heiratsgeihichte von Karl Staudad. ......- 593
; Auf der Gant. Aus dem tiroliihen Bauernleben von Jojef Bayer . . . 655
i Eo geht's auf der Welt. Eine Begegnung im Drienizug von Hans Malfer 659
Ein Reifeabenteuer. Erinnerung aus den Bergen von Tirol, Von J. Haas . 703
r Räthſel des Herzens, Aus den Erinnerungen eines jungen Witwerd. . . . . 139
Beitrafte Bauernihlauheit. Fine lehrreihe Geihichte. - = -» = 2 nen en 744
. Auf Räubercommando. Novelle von Paul Maria Lacroma. . . 751, 817, 902
5 Ferdinand, der Dieb. Eine Geſchichte von Goethe. » 2» 2: 2 2 0 en un 806
; Wo Barthel den Moft holt. Bon P. K. Rofegger. ... 824
| Der Grünberger Thomas und jeine Brüder. Skizze von Jordan Kaj. Markus 845
Der Franzofenbauer, Eine Geihidhte von P. KH. Rojegger : ».- 22.20. 893
Wunderlihe Heilige. Aus mythiſchem Dunkel in's profane Licht geftellt von
DER RRHETL 25 8 a ae ee nie 924
Alpines und Bolksthümliches aus den Alpen.
Eommertage im Waldland. Bon B. KH. Roſegger -. : : 22 22mm. 37
Am Saume des Schwaben. Eine Wanderung in der Heimat von P. K. Nojegger 47
3 Zwegn wos ih af d Olm geb. Von R.. ne 67
C Wia der Odam 3 Vodrunjabetn hot glernt... 75
0 : ; 169506
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IV
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Hoclands:Lieder. Gedichte von Nobert Burns, in die Alpenmundart überjegt
WET a rw 135, 736
's Müatterl. Gedicht von Hans Grasberger . 2. Hm 146
Ein EEE IRRE 7 ee Er a en 188
DIE DEREN: 4.3.15: 20 ae een 227
U bifferl was. In öfterreihiicher Mundart. Bon Mori; Shaded .... 232
Der Menſch in den Alpen. Von Dr. Friedrihd Umlauft - . 22 22.2. 270
Die Gſchicht vom Stanglpuger, Bauern-Mähr, im niederöfterr. Gebirgs:Dialect
erzählt von Ed. 3. Fennthaller „vun a a 294
A wiſſenſchäftliches Geſpräch in da ſteiriſchn Gmoaniproh - ». » 22... 310
ESteiriihe Eifenhämmer. Eine Erinnerung von P. K. Rojegger ...... 448
D’ Hölfn:Ongf. A Stüdl aus n Qullslebn . 2 2 2 2 m nennen 455
Der Funlken-Ferl. Eine Sondergeftalt aus dem Volle von P. K. Rofegger . 508
Politik im Bauernhaufe. Aus dem Vollsleben mitgetheilt von R.. ... . . 526
Da Vierfreuzabogn. U Moans Gihichtl in da Gmoaniprod . . » 2.2... 535
Die ihen Stund. Gedicht in oberöfterreihiiher Mundart von Friedr. Franz
BREITE. a a N a ee ee a Aa 553
DE 2 a en . .. 555
Der Maibaum. Ein Bild aus dem ſteiriſchen Vollsleben von R.. 601
Neue Lieder und Gedichte in oberöſterr. Mundart von Leopold Hörmann. 631
Unjere Alpen: ®Wirtshäufer. Bon 3. K. Leder.» 2: 2 2 2 nn 686
Das Landleben hat Gott ’geben, jo heiter und froh! Bilder aus dem Volfe von
nn R NReſeggee — 691
Schnadin. Luſtigi Gſchichtln und BildIn in ſteiriſcha Gmoanſproch .. — 699
Von Mon, der koan Prozeß hobn will. Aus dem Platten des Fritz Reuter
in's Steiriſche Ubertrageennnnn. ae 779
Da Simer in Kreuz. MBericht aus oltn Zeitn in der ſteiriſchn Gmoanſproch von
ERBE a a ee res 801
Der Herr von Sonnwendftein von R.. - - 2 22 er rennen. s5l
Was ein Gebirgsbauer ſchreibt.. 860
Wieder gſund worn! Ein Andenken von Karl Morre . » 2.2 222m. 862
Zwiſchen den Wänden. Slizze aus dem ſteiriſchen Oberlande von R.... . 937
Der Teufel im Salzburgerland. Ein Beitrag zur Seelenkunde des Volkes von
— ya ae te a ee 940
Eultur: und Naturgeſchichtliches, Eſſais, Plaudereien.
Stationen meiner Lebenspilgeridaft. Yon Robert Hamerling 1, 87, 401, 561, 881
Die Thiermarter im Bogelbauer. Bon Dr. 3. B. Holzinger. . . 2... - 52
Aus dem Hochdeutſchen in's Deutſche überjegt. Eine Spradhplauderii . . - - 115
Die Schildfröte, Eine Erinnerung aus dem Leben meiner Kinder, Bon P. K.
Balesser-: 4. a ae een 131
Betrachtungen über den Philofophen vom Primesberge. Bon Wilhelm Taſchelt 147
Ueber die ethiihe Aufgabe der Hauptvölfer Europa » 2: nennen 199
Belenntniffe aus meinem MWeltleben. Bon BP. K. Rojegger . .....- 219, 613
Drei Haupturfachen, warum fich heutzutage die Zahl der Verbreden fteigert . 224
Bits un ta en ee een 230
Ein Gapitel über den Hochmuth. Nah Eduard KReih - ». » : 22.20. 279
Bine Verabrebist 2 0a u 282
Briefe über die Ehe. Bon Raymund Mayr... 2. 22 20mm 239, 362
Wintertage in der Stadt. Bon R. » . 2»: 2 2 nennen 301
— ⸗**
Wie weit darf der Nationalismus gehen? Brief eines Vaters an ſeinen Sohn 459
Wie der Men i
Die drei Mareien, Eine mythologiſche Unterhaltung von Th. Vernaleken 537
und feine Jungen
Ein Goncert im Pofiwagen. Bon Karl Neumann: Strela . . ». 2.2... 632
YJugenderinnerungen an Rudol
Die PBarafiten zu Athen und Rom. Eine fteis zeitgemäße Erinnerung von Johann
EEE EEE TE EEE EEE DE DELETED EEE N
Sohann Häfenpfeijer. Eine Geftalt aus modernen Tagen von Hans Maljer. 841
Unfer eter. Eine Charalterſtizze aus der Vogelwelt von 3. Huihafl. . .. 848
i Wien. Bon P. K. Roſe
Unſeres Schillers Schweſter Nanette. Eine Slizze von Neumann:Strela . 913
Staatshülfe für die deutjche Sprade ? Von Auguſt Mühlhauſen in Hamburg 919
Berftändigung zwiſchen einem geiftlihen und einem weltlihen Chriſten. . . . 945
Zand und Zeute, Eharakterbilder.
Schlumperliedeln oder wie der Voigtländer jeine Liebe fingt . » 2... - 44
Londoner Sommertage. Sklizzen und Plaudereien von Rudolf Kleinede 124, 204
Unjer „Weinfafien*. Eine Jugend:Erinnerung von Ed. Ig. Freunthaller. 14
Gin Brief aus wilder Fremde» 2 200 nn 150
Herr Mader. Ein Porträt nah dem Leben gezeichnet von J. 9. Wehle . . 303
Amerikaniſche Eigenheite.. 306
„A G'raff.“ Ein Vollsbild aus dem Böhmerwalde. Bon Joh. Peter. . . . 990
Wenn einer ‚Michel“ heit. Don M. Glok..... 463
Z orfrichter und Pope. Ein Eulturbild aus dem Tften von Ferdinand Edif:
BEN 2 en ee a ri ee ne ec 501
VI
Seite
Der Schnigelbauer. Eine Erinnerung an den „glüdlihften Mann von Graz" . 532
Im_fonnigen Süden. Eine landſchaftliche Skizze von der Adria. Bon R. . . 626
Der Gapitelbot’. Ein alter Bollstypus aus Niederöfterreih. Geidildert von €. J.
reunthaller
Die alte Lori. Eine Sondergeftalt aus dem Dorfe von P. K. Nojegger . . 930
Zunft und Titeratur. Aus dem Künftler: und
Scuriftftellerleben.
Gine Heine Komödie Raimunds. Stadtgefhichte von Auguft Silberftein . 211
uflucht bei den Künftlern. Eine Erinnerung an Münden von P. RK. Rojegner 285
Abgebrannte Komödianten. Bon Joſef Lemwinaln. 2» 2 2 m m nn
Soll_der Schaufpieler während der Darftellung empfinden oder niht? Ron
Gugen Sierfe
Ein literarifches Dreigeftirn. Beitrag zur Geſchichte der Bollsliteratur von Emil
Gedichte.
Am Grabe eines Idealiſten. Gedicht von R... 36
Ich liebe mein Oeſterreich Bon Robert Hamerling.. 2 ne. 66
Den Manen Ferdinand Raimund’'s, Bon Ludwig Unzengruber ..... 67
Im Erler. Gedidhte von Ludwig Foglär. ... 2.2: En nen 73
Mein Herz, das farb in diefer Naht. Gediht von A. Z. 65
Todesfürdten. Gediht von Leontine Groß. 131
Du haft Dein Glüd auf Lieb’! gebaut. Gediht von Adolf Bihler ..... 147
Zuflucht im Walde. Gediht von 9. MW. .. 150
Dir Deeiiawinlel . 2: a 205 aa. a aaa nes 151, 228, 635, 866
Dichterfreiheit. Bon Alma Friedland . . 2.2 2 2 En nen 151
Ein Sommerbild. Bon F. ©. Adolf Weib . . . 2:2 2 2 000. 151
Waldandadt. Von U. Shmiedl ». Kr nn 151
Gin fteinern Kreuz. Bon DI. Dalwin.. ne 152
Roje im Herbfte. Bon Ernft Mojer . ». : 22 rennen 15%
Befimmung. Bon D. Saul . . .». .- 2.0 r en me 108
wei Roſen ſaßen auf einem Stiel, Bon Pius Lindes . ..... 152
Dem Glüd entge en! Bon ERHERETNDER _
& anzin in nieberd err. Mundart. Von Friedri ablwander. . 153
i 22
enlet der Alte! Don
Te m Ders ———— ZEIGTE 635
Frühling. Bon Oscar Dub . » : >: N En en 635
Noien. Bon Karl Auguft Hüdinghbaus . nm rn 635
Liebeswetter. Bon Raymund Mayr . 2. 2. m rennen 635
Kindesherz. Von Johann Tanzer : 2 2 Er n 636
Das ſeltſame Haus, Von Friedrih Haflwander. ... 2... 636
An Emile Zola. Bon Friedrich Haßlwander 636
Geburtsanzeige. Bon Edmondo de Amiciss. 676
Selbfigenügen. Bon Johann Peter . .». 2»: 2: 2 m nn ne 637
Kampf und Sieg. Bon Johann Tanzer .» . >: 2: nn nennen 637
Liebe gibt's nicht ohn’ Bertrauen, Von W. Shmidt. . . 2... 637
Glöchner's Abendlied. Bon Leopold Wurthb . . . 2 2 2 22 nu. 637
Der Born der Schönheit. Von Paul Peuker.. 638
DNE TRIEBE BE 2 u re ee a a ee 866
Stoßgebetlein für Leute, die auf dem Wege zur Berühmtheit find. Bon
20 BiRbarn 5 2 5% 200 a a re 866
Das Landleben. Bon Ewald Chriftian v. Kleift -. . . 2 22 .. 867
Wollt ihr Jene dort beneiden! Bon F. & Bah . . .» 2 22200. 867
Im Walde halt’ ih Naft. Yon Anton Shmidt . .. 2.2 22.0. 868
An Brünnlein. Bon Joh. Peter... : 2: En nen 868
Im Enge Bon Franz Tiefenbacher.... 0% 868
MWaldmärden. Bon 3. M. Toscalio -» » 2»: 2 nenn 868
Der legte Gulden. Bon 3. M. Toscalio . . . 2: 2 nen 869
„Grüaß Gott!" Gedicht von Chrih yelE . : HH 156
VIII
Bor dem Bilde. Prolog zur Feſtvorſtellung anläßlich der Enthüllung des Wicken—
burg = Dentmales in Gleihenberg am 22. Mai 1887, vorgetragen im
Theater des Eurortes, verfaht von Anton Shlofjar . . :. 2...
Ein Miherfolg der Menichlichkeit. Von Theodor Storm —
Lieder einer Mutier. Von Frau M. Holm...
Wie Warſt Du einli? Gedicht von Alfred Friedmann...... —
Kleine Ausfälle Von Ludwig Fulda.. ne
Mein deutiches Volt, Gedanten der Liebe und Treue von Edward Samhaber
Septembertag. Gediht von Joh. Peter » .» 2»: 2 nun
a Unglück ſpoziern TRBEN.S: 2 ae are
Frommer Müßiggang. Gediht von Leopold Hörmann... 2 20m.
Zileine Gefchichten, Sagen, Märden, Schwänke.
Das größte Leid. Ein Märden von Emil Ertl... 2:2 2 20mm
Bollsjagen aus den fteirijchen Bergen. Bon Hanns von der Sann.
Zaiae UNE 3 5. 00 aan 153, 395,
Wie das Volk über die Schneider ſcherzt Bon Th. Bernalelen. .....
Ein Paar Stiefeln. Ein Geſchichtlein vom Grazer Feenmarlt . x...»
Der pfiffige Räthjellöfer (Eine Geſchichte, wie man fie fih in Schwaben ze
Das Thränenlrüglein. Eine Vollsſage. Gediht von U. F. . - . -
Lebt denn der alte Gott nicht mehr? Eine Parabel von W. Popper
Seltſame Sagen. Mitgetheilt von Roſegger
. [Teer
Berichiedenes.
Weltgedanten. Bon C. U. Helvétius...
Voltsjtüd:Koftüme, und was darüber ein Kaiſerlicher feiner Schwefter ſchreibt. Bon R.
Schneealpe. Ein Naturgefang von Marie Reinhard
—— TOTRENEE > en ar ar ee re A Base ee re
Arm in Arm mit einem DOlympier - - 2 2 2 2 0 m re ren
Stenographiihes. Bon Hamerling » : 22 a m nun
Ein Merfs für eroberungsluftige Völler 2 2 nn mm nen
Gute Worte, in denen die Vorfahren noch zu uns Äpreden - » » 22220.
Autographenfhwindel. Yon Adolf Pihler . ». 2: 2: mn nenn
Der Unrichtige. (Eine Gerihtsverhandlung aus dem Berliner Yagabundenleben)
Aus Tagebücdern. Bon Udolf Pihler . 2: 2 nn
Unfinn und Naturalismus in Schulbüdern. Von M.. e00.
Der Mahnbrief eines Fürften an jeinen Sohn - » » » 2 2 2 nn nenn
Vifitfarten des Lebens. Von Wilhelm Huſchak
Zur Rettung von Berunglüdten - - © oo 2 2 0 m m en ee ee ren.
Was fi in eine Cubifmeile Alles einfhachteln liche. Von Bernftein
Näthiel. von Amandus Jamann
Das heilige Bildnis. Bon R.e R.
Wie der Profeffor zu feiner Frau fan. Von 2: 2 2 rennen
Sprüde und Glofjen. Bon N. Zopf
Berlie DE 5 5 2: a ec ea ar Feat ee
SIDE. Pharifäer, gebl Acht! Von ..
Pojtlarten des „Heimgarten“ 79, 160, 240, 320, 400, 480, 560, 640, 719 800, 880,
ı BET Tuer Mu Der EL Dee DE SE Ve.
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Seite
781
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552
554
871
952
XI. Jahrg.
Stationen meiner Pebenspilgerfhaft.*)
Bon Kobert Hamerling.
Fehrjaßre und Wandertage.
zunächſt Gefchichte und Phyſik; von
— 1850—1851 Anatomie bei Hprtl,
1848 fehrte ich felbftverftändlich zu | Mineralogie bei Zippe, Sangcrit bei
meinen friedlichen Studien und Be- | Boller; von 1851—1852 Chemie bei
ftrebungen zurüd, | Redtenbadher, topographifche Anatomie
Hätte ich ein anderes als ein rein bei Hyrtl, Sanscrit bei Voller, Ges
dichterifches Lebenzziel im Auge ges ſchichle des Mittelalters bei Grauert,
Habt, jo wäre es nun an der Zeit griechifche Literaturgefchichte bei Bonitz.
geweſen, mich für ein beſtimmtes Man wird die Auswahl Ddiefer
Facultatsſtudium, für das, was man Collegien vielleicht ſeltſam, und gerade
ein Brotſtudium nennt, zu entſcheiden. vom Standpunkte eines allgemeinen
Aber ein Blick in meine Lectionsfata= | Wiffensbedürfniffes aus nicht recht er=
foge der nächftfolgenden Jahre zeigt, | Härlich finden, Aber meine Studien
daß ich nur einem allgemeinen Wiſſens- | erftredten ſich über ein weiteres Gebiet;
drange zu genügen dachte, bis ich für) das meifte betrieb ich privatimı, und
das, mas ih als meine eigentliche faft nur ſolche Gegenitände hörte ich
Berufsthätigkeit erfannte, gereift fein | öffentlich, bei welchen ich durch den
wiirde. Ich hörte von 1849— 1850 | mündlichen und durch den, bei Chemie,
£ 7 a Ablauf des aufgeregten revo«
lutionären Zwifchenfpiels von
*) Siehe Heimgarten 1833, Mai; 1885, März-April, October:Rovember ; 1886,
Juni⸗Juli.
Kofeager's „„Heimoarten’‘, 1. Geft, XT. 1
—
2
Anatomie, Phyſik u. dgl. faft umente der Tafel die Ziffern nicht mehr gut!“
behrlihen Anfchauungsunterricht ent= |die Prüfung abgebroden, und ich
chieden mehr zu gewinnen Hatte. ſchlüpfte mit der Glaffe durch, welche
Nichts lag mir ferner, als irgende | der Präfect auf Grund meiner angeb-
welche Vorliebe für ein beſtimmtes | lichen Leiftungen während des Schul—
Wiſſensfach. Ich empfand diefelbe na— | jahres mir zuzuerfennen für gut fand.
türliche Neigung, dasjelbe menschliche | Hätten P. Berthold Sengfhmitt und
Intereffe für alle. Aber die Muſen P. Ferdinand Schojer den Menfchen
des Willens, eiferfüchtig wie die der | vom reinsmathematifchen Standpunkte
Künfte, kamen meiner Neigung nicht | und nicht lieber die Mathematil vom
alle mit gleicher Gunft entgegen, Die, rein-menſchlichen Standpunkte betrach—
der Mathematik und der mit der Mathes | tet, jo wäre ich „durchgefallen“, hätte
matit zufammenhängenden Phyſik ent | ein Handwerk lernen müflen, und man
widelten eine fofette Sprödigfeit, die |wilrde jet Schuhe oder Kleider ftatt
ih um fo peinlicher empfand, je leb—
bafter es mich zu ihren Geheimniffen
hinzog. Nach den Unruhen des Jahres
1848 waren uns Hörern des zweiten
philofophifchen Jahrganges die ent=
fcheidenden Prüfungen des abgelau—
fenen Studienjahres nachgejehen wor—
Prologe und „Feſtblätter“ bei mir
beftellen.
Die Mathematit wäre eine fehr
Ihöne MWiffenfchaft, wenn es nur feine
Ziffern in ihr gäbe. Es waren wirklich
nur die Ziffern, die Quadratwurzelir,
die Logaritdinen, die Formeln, bei
den; ohne Zweifel, weil man wünſchte, deren Anblid mir immer dunkel dor
daß die gewefenen Legionäre ohne
Hindernis
Fortſetzung ihrer Berufsftudien mache
ten. In diefer Fügung, die mir in
Betreff der mathematischen Prüfung
ſehr zu ftatten kam, bewährte fich eine
alte Schidjalsgunft. Wenn ich als
Gymnaſiaſt bei den Schotten in der
Mathematit Secundam (Zweite) und
in den übrigen Gegenftänden primam |
eminenter (erſte mit Vorzug) befoms
men follte, jo glich der gute Pater
Berthold Sengſchmitt die Sache da—
durch aus, daß er mir in allen Gegen—
ſtänden accedentem ad eminentiam
(beinahe. vorzüglich) gab. Und ſchon
im Stifte Zwettl wußte der Präfect P.
Ferdinand, wenn er am Scluffe des
Schuljahres uns Sängerfnaben zu den
Piariſten nad Krems brachte, um Hier
die Öffentlichen Prüfungen abzulegen,
e3 jo einzurichten, daß aus der Arith-
metif immer zuletzt geprüft und alle
den Augen wurde. Was im Ddiefer
und Verzug fih an die) Wiffenfhaft mit Worten, ohne Zif-
fern, ausdrüdbar ift, damit habe ich
mich wenigftens jpäter gern und ohne
fonderlihe Schwierigleit befaßt; in
ihren höheren Regionen, wo ſie mit
den großen Problemen des Raumes
und der Zeit, der höheren Naturlehre,
der Bhilofophie zuſammenhängt, da
erheflte fich mein Blid, und da ift ſie
mir jeit Jahren ein Bereich, in welchen
ich mit wachjender Luft mich ergebe.
Beiler und glaubwilrdiger, als ich
es durch Erzählung aus bloßer Er—
innerung vbermöchte, werde ich mein
jugendliches Verhältnis zu den Wiſ—
ſenſchaften durch einige Tagebuchblätter
aus jener Zeit verdeutlichen, die ich
wörtlich bier einfchalte.
10. März 1849.
Seit den neuen Jahre beichäftige
ich mich faſt ausschließlich mit Fichte
Anderen vor mir aufgerufen wurden. | und Scelling. Die Vormittage bringe
Kam dann die Neihe an mich, fo ich bei diefem Studium in der Hof—
dunfelte es — die Prüfung fand | oder Univerjitätsbibliothel zu. Wiewohl
Nahmittags ftatt — meift ſchon ſtark ich noch lange nicht zum vollen Ver—
im Prüfungsſaale; da wurde mit ſtändniſſe des Idealismus gekommen
einem: „Es iſt genug! man ſieht auf bin, ſo iſt doch bereits eine neue
Epode in meinem ganzen Denken ein=
getreten.
20. März.
Heute begannen die Vorlefungen
3
Jutereſſe zu finden an der wiſſenſchaft—
lichen Hiftorie der erften Epochen. Die
Urwelt ift mein Göttin-Liebchen mit
dem Iſisſchleier, den ich gern lüften
der philoſophiſchen und juridifchen möchte. Wil ich die Gefchichte eines
Facultat. Ih habe mich unter An- Volles ftudieren, fo komme ich über
deren einfchreiben laffen für die Vor— die Urgefchichte nicht hinaus; die Neu=
lefungen über neue deutſche Philo= gier drängt mich ‚bon einen Autor
jophie bei Dr. Robert Zimmermann, ‚zum andern. Mit der griechifchen
einem jungen Manne, der bereits ein Geſchichte fieng es an. Ich wollte an—
Wert über Leibnig und Herbart heraus- fangs mir bloß ein Gompendium der
gegeben. Ich verſpreche mir viel davon. | Dauptbegebenpeiten der griechifcden Ge-
Ihichte zufammenfchreiben. Das Erfte,
10. April. was ich über die griechifche Urzeit las,
Herodot — das gute Väterchen, | genügte nicht, regte nur die Neugier
das da „laden muß, wenn Leute jan; Anderes, was ich durchſah, wider:
jagen, die Erde fei rund und Aſia fei Tprad dem Früheren oder eröffnete
größer al3 Europa“ — ift, fünfbändig, | ganz neue Gefichtspunfte. Bon Nepos,
deutfh von Degen, in Bauſch und
Bogen diefer Tage von mir verfchlungen
worden. Und ich fange ſogleich wieder
von borme an — er ift gar zu füß.
1. October.
Die legten Ergänzungsbände zu
Rottel's Weltgefhichte von Hermes
haben mir die Höchft intereffante Kennt—
nis der neueften Gefchichte und hier
durch das Verſtändnis der allerneueften
gewährt.
11. December.
Herodot — namentlich die perſi—
hen Kriege, die großartigfte Hiftorie
in lebendigfter Darftellung! Was find
gegen die Bejchreibung vom Zuge des
Xerxes unſere didleibigen Gefchichts-
bücher? Eitel trod’ne Eompendien. |
Herodot erzählt nicht wie ein Pro-
fefjor — feine Darftellung ift fo
lebendig und ergreift fo wie die
eines Augenzeugen. Die topographi-
'Suftin und Herodot fiel ih auf Schlof-
|fer, bon diefem auf DOttfried Müller.
Ottfried Müller! — Die drei mäch-⸗
tigen Bände der „Geſchichte griechi-
her Stämme und Städte“ erwiefen
mir, noch bevor ich fie auffchlug,
(durch das Ehrfurchtgebietende ihres
Umfangs die Unermeßlichleit des Ge-
biet's, auf das ich mich gewagt. Aber
von ‚den ſchönen helleniſchen Küſten
ſchweifte bald mein Blick hinüber
nach der Heimat der Pyramiden —
und der der Patriarchen — nach der
Wiege unferes Geſchlecht's! Mit dem
glühendften Intereffe Habe ich in Kolat—
ſchel's „Deutfcher Monatsfchrift” eine
Necenfion Fallmereyer’3 über Röth's
Werk gelefen. Uebrigens theile ich diefe
Sehnſucht nah Aufhellnug der Urzeit
mit meinem ganzen Zeitalter, mit
allen ſtrebenden Zeitgenoſſen: ſowie
ich überhaupt meine Tendenzen nach—
gerade oft auch als die meines Zeit—
schen Karten in meiner Ausgabe von alters erkenne. Was drängt uns in
ig Reifen erleichtern — vn demfelb en biftorischen Moment nach
Verſtändnis. So find mir Xerxes, der ur-erſten Vergangenheit zurück, in
Leonidas, der Helleſpont, Thermopylä welchem —— Zukn nft jo ph
befannt und lieb wie Heimatgeitalten | SG zu gründen beflifien find? Will
und Heimatberge. ‚der Geift der Geſchichte uns vielleicht
aus dem Schachte der Vergangenheit
1. März 1850. die Nefultate, die Ideen gewinnen
Ih darf nicht unerwähnt laſſen, laſſen, die wir zur Gründung der Zu—
daß ich gegenwärtig anfange, höchſtes kunft benöthigen? Jedenfalls dürften
1*
4
bei jenen Forſchungen NRefultate zus
tage kommen, geeignet, geiftige Revo—
Iutionen anzubahnen.
1. Juni 1850.
Der erfte Band von Becker's Melt:
gefhichte hat meinen Heißhunger nad)
Urgefchichte wenig befriedigt. Poſſelt's
deutsche Gefchichte leſe ich mit Eifer.
Louis Blanc's „Gefchichte der lebten
Jahre“ interefjierte mich auf's Höchſte.
Salluft ift mie theuer als Vorbild
claffifcher Gefchichtsfchreibung.
20. October 1851.
Boller hat feine Borlefungen über die |
Leitungen der vergleichenden Sprach:
wiljenfchaft begonnen, und zwar mit
der Lehre der Hieroglpphen, die uns
etwa einen Monat befchäftigen wird.
Er bringt zu den Vorträgen die Haupt:
werke Champollions und Bunfens mit
und demonftriert daraus die Rudi—
mente.
Pforten des unheimlich dunklen, groß—
artigen Wunderlandes,
ſchichtsbücher ſeine Gräber find.
Ob es mir gegömmt fein wird, aus!
diefem Studium große wiſſenſchaft—
liche Refultate perfönlich zu ziehen?
Ich zweifle. Kann ich je die Lyra
an einen Yöhrenaft hängen und den
Elfen und Lilien und Rofen Lebewohl
fagen, um im ägyptiſchen Todten—
grüften die Geifter vermoderter Jahre
taufende zu beſchwören? Doch — Soll
ih darum dem Tüfternen Zuge, der
mich zu dieſem wunderbaren Quell
des Wiſſens drängt, weniger folgen ?
Iſt die Erholung nichts, welche die
Befriedigung wiljenfchaftlicher Neugier
gewährt, und michts der großartige
Eindrud, den Ur weltſchauer auf
den Geift machen? So töne mir denn
die vielfagende, aber noch wenig ge—
deutete alt= ägyptilche Gräberſtimme,
miteinftimmend in den ehren Welt»
hor, der an mein Ohr raufcht wie
Sphärenmuſik, und deſſen einzelne
Stimmen herauszuhören mir mehr
So ſtünde ih denn plötzlich
wie durch einen Zauberſchlag vor den
deffen Ge-⸗
und mehr Luft und Beruf wird. Aber
noch Eins: Wenn Roſe und Lorbeer
mir einst verblüht — oder niemals
‚blüht — So gehe ich nach Aegypten
‚und leje die Hieroglyphen.
Unter den Aufzeichnungen von
1850 —1851 finde ich folgendes Blatt
ohne Datum, das Bruchftüd eines
Briefes, wie es ſcheint:
„Ih will das Wifjenswürdigite
kennen lernen, Was kann ich dafür,
dab man die Wiſſenſchaft in Fächer
geſchieden, und daß ich das Willens:
‚witrdigfte nun im derfchiedenen, abge:
| grenzten Gebieten auffuchen muß? Sich
in ein foldhes Fach auf Lebenszeit
zu vertiefen, ift Sache der Profefjoren
und eigentlichen Fachgelehrten. ch
bin aber fein Profeſſor und kein dad):
' gelehrter, fondern ein Menſch, ein
‚freier Mann. Legen Sie mir das
nit als Oberflächlichkeit aus
= es ift eben Liebe zur Gründe
lichkeit. Ih will den einzelnen
MWiffenfchaften auf den Grund kommen,
und bin überzeugt, daß ich das nur
‚mit Hilfe aller andern Wiſſenſchaften
— |fann. Die einzelnen Wiſſenſchaften
verhalten ih zur Einen und echten
Wiſſenſchaft, wie ſich die Süße einer
einzelnen Wiſſenſchaft zu einander ver—
halten. Nehmen Sie einen Sab aus
einer Wilfenfchaft Heraus und bejchäf-
tigen Sie fi, fo lange Sie wollen,
damit; das rechte Berftändnis wird
Ihnen doch erft daun aufgehen, wenn
Sie ihn im Zufammenhange mit den
übrigen Süßen leſen.“ —
Profefjor Anton Boller war ganz
und gar, was man einen „Autodi—
dakten“ nennt. Er hatte als mittel-
lofer junger Mensch fich mit den un—
zulänglichften Behelfen auf das Stu:
dium des Sanscrit geworfen. Nachdem
er, wie er zu erzählen pflegte, fich die
Bedeutung der Wörter fowie die Re—
geln der Sprache faft nur ans einigen
Sanscritterten jelber, die er mit Ueber—
ſetzungen verglich, ergrübelt hatte, ver—
faßte er eine Sanseritgrammatif, die
er jedoch ſpäter ſelbſt, mamentlich
der vielen Drudfehler wegen, die fie
enthielt, für unbrauchbar erklärte. Es
gab noch feinen Lehrftuhl für Sans»
crit und vergleidende Sprachwiſſen—
ſchaft an der Wiener Univerſität; man
nahm alſo das Anerbieten Boller's,
Collegien über dieſe beiden Gegen—
Hände gegen einen höchſt beſcheidenen
Gehalt zu leſen, an, obgleich ihm das
erſte Erfordernis einer akademischen
Laufbahn, der Doctortitel, fehlte. Aber
e3 wollten fich feine Zuhörer finden.
IH war drei Jahre lang Boller's fait
einziger Schüler. Andere kamen eben
nur md verloren fich wieder:
barrte treulih aus. Eine vorzügliche
Lehrgabe beſaß Boller eben nicht; aber
der ruhige Ernſt, die Einfachheit, die
Milde, das PVerftändige feines Weſens
batten etwas Gewinnendes. In der Leo-
poldftadt beſaß er eine ärmliche Woh—
mung, von deren zwei Heinen Gemächern
eines er jelbft, das andere feine noch
weit anjpruchslofere Gattin inne hatte,
eine Frau, bei welcher er ſchon früher
in eben diefer Behaufung als After:
mieter heimisch geworden. Man fagte,
er habe jie geheiratet, um im zwang—
loſem Berfehr mit ihr das Ungarische
— fie war eine Ungarin — gründlich
zu erlernen, was ihm für die finnis
Shen Studien, die er mit Eifer betrieb,
ſehr förderlih war. Er trug fich mit
dem Plane eines großen ſprachver—
gleichenden Werkes, ftarb jedoch vor
Vollendung desfelben. In den Dent-
Schriften der Wiener Akademie find
zahlreiche Abhandlungen von ihn, na—
mentlich über die finnischen Sprachen,
abgedrudt. Ich konnte mir's nicht ders
jagen, dieſe Zeilen dem Gedächtnis
eines Mannes zu widmen, deſſen freud—
loſes und anfpruchsiofes, ftilles, ganz
der Wiſſenſchaft Hingegebenes, dabei
von aller Pedanterie freies, fait kind—
Inhes Weſen und Dafein für mich
immer etwas Nührendes hatte.
Einer Fertigkeit muß ich gedenfen,
ich |
— — — — — — ——— ———— — — —
Gebrauch gemacht habe. Ich weiß nicht,
ob von Allem, was ich je gelernt, ſich
mir etwas ſegensreicher, hilfreicher für
die Verrichtung meines irdiſchen Tage—
werks erwieſen hat als dieſe Fertigkeit.
Ich meine die Stenographie.
Nachdem ich als Student vor Allem
durch fleißige Führung von Collegien—
beften darin mich eingeübt, zog ich
weiterhin bei meinen literarifchen Stu—
dien, Entwürfen und Arbeiten einen
außerordentlichen Gewinn daraus. Viele
meiner Werke erforderten ausgedehnte
culturgeſchichtliche Vorſtudien. Für
„Ahasver in Rom, und „Aſpaſia“
verjenkte ich mich in das römische und
griechische Altertgum, Für den „König
von Sion" in das Neformationszeit-
alter, für „Danton und NRobespierre”
in das fFranzöfifche Nevolutionzzeit-
alter. Da gab es Unzähliges anzu—
merken, eine Fülle bedeutender Einzel:
züge zur Auswahl und Verwendung
im Werke überfichtlih feſtzuhalten.
Nur duch die Stenographie wurde
mir dies ohne allzugroßen Zeitverluft
mögli. Und nun erft die Ausführung
und Feile eines folchen Wertes bis
zum legten Federſtrich! Man wendet
vielleicht ein, dab ja der Dichter, der
Shhriftfteller fein Erzeugnis nicht fo
raſch auf's Papier zu werfen in der
Lage Sei, um dazu der Schnellfchrift
zu bedürfen. Aber wer fo Spricht, be=
denft nicht, daß der Autor, bevor er
einen Satztheil, einen Bers, eine Lied-
Hrophe mit ihren Reimen nieder—
Schreibt, diefen Saptheil, diefen Vers,
diefe Strophe im Kopfe fertig
haben muß. Hat er fie aber fertig,
fo ift es durchaus nicht gleichgiltig,
ob er ſich beim MNiederfchreiben der
gewöhnlichen oder einer Schrift be=
dient, welche den Aufwand von Zeit
und Mühe auf ein Zehntel zurüd-
führt. Was an mechanischer Arbeit
beim Schreiben erfpart wird, kommt
ohne Zweifel der geiftigen zugute.
die ich mir zu jener Zeit anzueignen | Desgleichen fpringt der Zeitgewinn,
begann und von welcher ich feither welchen die Schneflfchrift dem Schrift:
unumterbroden den
ausgedehnteiten ſteller Teiftet, bei Aenderungen, Strei—
6
Hungen, Zuſätzen u. f. w. in's Auge, jeit gemacht. Im Laden eines Buch—
Nur diefe Erjparnis an Zeit und Händlers Hatte ich ein Büchlein ges
mechanischer Arbeit hat es mir 3. B. ſehen, betitelt: „Die Kunft zu
bei der Abfaſſung des „Königs von ſchwimmen.“ Ich faufte es, lernte
Sion“ möglich gemacht, Hundert und es auswendig und wünfchte mit Un—
mehr Herameter in ein paar Morgen= | geduld die Ferien herbei, wo ich bei
ftunden aufs Papier zu werfen. Better Koppenfteiner in Schweiggers
Nicht felten ift der Schriftiteller die erlernte Kunft glänzend würde
veranlagt, wichtigere und ausführs | bethätigen Können. Zu Schweiggers
lichere Briefe entweder vorher zu ent= | angelangt, ftürzte ich alsbald mich toll«
werfen oder eine Abfchrift davon zu- kühn in den nächſten Bach, brennend
rüdzubehalten. In beiden Fällen lommt | vor Begier, mich auf feinen Wellen
ihm die Schnellfchrift ungemein zu zu wiegen, aber ich ſank unter mie
ftatten. Auf Reifen laſſen fich mittelft | ein fturmzerfchelltes Wrad. Ich begriff,
derfelben Notizen im Fluge verzeichnen | daß ed mir zur Fertigkeit noch au
und Tagebücher laffen ſich in einem Uebung fehle. Der Bach war nur nad
Umfange führen, der beim Gebrauche großen Negengüffen tief genug, um
gewöhnlicher Schrift ohne Beifpiel wäre. | darin zu ſchwimmen. Ich benützte die
Es war Bruckner, der mich auf Zeit der Trockenheit, meine Uebungen
das Gabelsberger'ſche ſtenographiſche einſtweilen auf dem Heuboden des
Syſtem aufmerkſam machte, nachdem Vetters anzuſtellen, d. h. ich ſtürzte
er ſelbſt bei Heger, einem Schüler mich in's Heu und machte zur Uebung
Gabelsberger's, einige Vorträge dar- in demſelben all’ die wohleingelernten
über gehört. Sofort verfhaffte ich mir! Schwimmbewegungen fleißig durdh. Ein
die von Heger herausgegebene Anlei- Wolkenbruch war miedergegangen —
tung und brachte es, mich am dieſe neuer Verſuch, mich den Wellen an
haltend, ohne fonftige Unterweiſung, zuvertranen — neues Scheitern. Ich
durch beharrlichen Eifer zur erwünfchten | merkte endgiltig, daß ich nicht ſchwim—
Fertigleit. men fonnte. Erfahrungen folcher Art
Es will mir, mebenbei bemerkt, machen mißtrauifch und vorfichtig...
feinen, als ob die edle Kunft Ga=- Während ich Eofllegien itber natur«
belsbergers in Oeſterreich feither nicht: wiffenfchaftliche Gegenftände und über
gerade Fortfehritte, fondern in mancher Sanscrit hörte, wurde das hiſtoriſch—
Beziehung cher Nüdfchritte gemacht | philologifche Seminar an der Wiener
hätte. Nach den Proben wenigftens, | Umiverfität gegründet, und tüchtige
die mir im Laufe der Jahre zufällig Gelehrte waren aus Deutfchland zur
zu Gefichte gelommen, dünkt mich die, Leitung desfelben berufen worden. Die
heutige ftenographifche Schrift etwas | Gelegenheit, in das claſſiſche Alter:
plump im Bergleich zur genauen, feinen thum tiefer einzudringen, als ich es
und zierlihen Weiſe Heger’s. auf Grund der früheren, im Griechi—
Wie die Stenographie habe ich ſchen äußerſt dürftigen Gymnaſialvor—
auch die modernen Sprachen, die Mufik bildung vermochte, hatte viel Berloden-
und Anderes durch Selbftunterricht des für mich. Aber es geſellte ſich noch
erlernt. Ich brauchte nie einen Meifter ; ein Umftand Hinzu, mich zur Theil—
für das, was ich ebenfogut aus einem nahme an den Webungen des Semi—
Buche lernen konnte, und lernte nie nars zu veranlaffen. Es mar mit
aus einem Buche, was mir das Leben |diefer Theilnahme der Genuß eines
jelber bot oder wozu eine natürliche | Stipendium verbunden — eine Aus—
Gabe mich befähigte. Wenigftens folgte | Hilfe, die in meiner Lage für mich
ih diefem Grundſatz, ſeitdem ich eine; fehr wertvoll war. An eine hierdurch
üble Knabenerfahrung mit dem Gegen- ſpäter zu erringende geficherte Stellung
dachte ich nicht; noch immer wiegte
ich mich im idealen Traume des Hof:
theaterdichtertJums — und went dies
unglaublich erfcheint, dem können meine
Tagebücher die Beweife dafür liefern.
Ueber meine Anmeldung für das
Seminar und einige fih daran knüpfende
Erfahrungen berichtet das Tagebuch in
ziemlich drolliger Weiſe wie folgt.
23. September 1851.
Heute Habe ich den ganzen Vor—
mittag mit den drei Vorftehern des
Hiftorisch-philologifchen Seminars we—
gen Aufnahme in dieſes zu kämpfen
gehabt.
Profefjor Grauert fagte mir, daß
in der hiſtoriſchen Abtheilung feine
Stelle Teer ei, ih möge mich im
der philologifchen anfragen. So gieng
ih denn zu Boni. Er fragte: „Ha—
ben Sie claſſiſche Philologie öffent-
lich ſtudiert?“ „Nein,“ erwiderte ich,
„ih Habe mich bloß privatim damit
beichäftigt.“
fih der Profeffor bedenklich auf feinen
Stuble. „Was haben Sie denn grie-
chiſch gelefen ?” fragte er weiter.
„Anakreon — Sophofles — Ghrefto-
mathien!“ —
„Sophokles?“ rief Bonitz, ſich noch
weit bedenklicher auf dem Stuhle wies
Auf dieſes Wort wiegte
kles und bezeichnete mir eine ſchwierige
Stelle in der „Antigone“. Nachdem
ich ſelbe in Gottes Namen überſetzt,
zog er neue Saiten auf. Er ſagte,
daß er nun jehe, wie mir die Sade
nicht Fremd fei, und da ich allerdings
fähig fei, au den Vorträgen im Semi»
nar mich zu betheiligen. Noch mehr,
er war fehr freundlich, lieh mir Die
Formenlehre des jonifchen Dialects im
Homer von Lukas, und äußerte fchlieh=
ih, es fei zwar eine große Anzahl
von Mitgliedern, und er zweifle, ob
die Zeit ausreichen werde, dab Jeder
einen Vortrag halten könne, er wolle
jedoch ſehen, daß ich zum Bortrag
komme, jelbft wenn er die Stunden
zahl vermehren müßte, „damit doch
folche, die beweifen, daß fie Kenntniffe
befigen, Gelegenheit zu deren Bethäti—
gung finden.“ Ferner fagte er mir,
wenn ich feines Rathes bedürfe oder
jeiner wiſſenſchaftlichen Dilfe, To fei
er mit Vergnügen immer bereit.
Sehr erfreut über den philologi—
Shen Erfolg, den ich hier gehabt, trat
ich die dritte der nöthigen Expeditionen
an, nämlich zu Profeffor Gryſar, der
den Iateinifchen Uebungen des Semi—
nars vorfteht. Er nahm großen An—
ftoß an dem Umſtande, daß ich Latein
und Griechifch treibe und dazu medi—
cinische Fächer Höre. Er erklärte, Philo-
gend und fopfichüttelnd; „Sophofles ? | logie ganz allein, und ſonſt durchaus
und Homer nicht? und feinen Leiche
teren Autor 2”
„Meine Vorliebe für Sopholles ver-
anlaßte mi, ihn vor allen Anderen |
willig mich jelber jo zu bejchränfen,
vorzunehmen.”
nichts, müſſe ich treiben, wenn ich
darin weiter fommen wolle. Die alte,
ewige Nede! Ein Fah und ſonſt
nichts, durchaus nichts! Nein, frei—
Bonitz gerieth in großen Eifer, kann mir ſo wenig beifallen, als mich
ließ mir die Aufnahme als unmöglich
erfcheinen, tadelte heftig meine auto: |
didaltiihe Methode und redete mir
dermaßen zu, daß ich mir felber bereits
ganz erbärmlich vorkam.
Er wollte nicht glauben, daß ich
den Sophufles habe verftehen können.
Ih verficherte ihn, daß es doch der
Tall gewefen fei..
„Das werden wir fehen!“ rief
er, Iprang auf, brachte einen Sopho—
‚tung. Er jagte:
freiwillig vierer Sinne zu berauben,
um den fünften intenfiver zu bilden,
und mir 3. B. die Augen auszu—
ftehen, nm beffer zu hören. Ich bat
Gryſar um ein Thema zur Bearbei—
„Schreiben Sie 'mal
was über Horat. Od. I., 1.“ — Als
ih fortgieng und er mich zur Thür
begleitete, äußerte er, daß heute doch
wieder einmal ein ſchöner Tag ſei.
„Tandem venit post multos hora
serena dies!“ antwortete id, „Da,
ift jebt felten, eine folde serena
dies!“ fagte er. (Hoho, Herr Pro—
fellor!)
4. October 1851.
Mein Tractat über Horat. Od.I., 1.
ift vollendet. Er umfaßt vier Quart—
blätter und ſcheint mir ein wahres
Monftrum von Gelehrfamfeit und feiner
Latinität. Er befteht ganz aus grund-
geledrten Gitaten und auserleſenen
Iateinifchen Phrafen. Es wird darin
Erwähnung gethan der Paralleljtellen
bei Archilochus, Pindar, Solon, Vir—
gil, Properz, ferner: der hieherbezüg-
lien Ausſprüche und Meinungen
eines Barter, Bentley, Mitfcherlich,
Jani. Am meilten thue ich mir auf
die prächtigen lateinifchen Redensarten
zugute; es kliugt Alles fo wunder—
Ihön, daß ich, wenn ich es lefe, gar
nicht glaube, es ſelbſt gejchrieben zu
haben. Morgen höre ih Gryſar's
Urtheil darüber. Vederemo!
5. October.
Fahr” wohl, blühende Latinität;
fahr’ wohl, Syntaxis ornata; fahrt
wohl, ihr tres linguae latinae vir-
tutes: Puritas, Elegantia, et Copia!
Gryſar hat über meine Schönen Phra-
fen, meine ausgefuchten Phrafen, meine
üppig [prudelnden Phrafen ſchoönungs—
[08 den Stab gebrochen. Statt „sibi
metatur locum will er sibi tri-
buit locum, flatt arva sarriunt
will erarva colunt x. x. 2. „Der
lateinische Stil,“ jagt er, „ift ganz
einfah. Man muß immer das aller=
einfachſte Wort wählen.“ — It das
wahr oder habe ich's mit einem Pe—
danten zu thun?
6. October.
IH Habe den icero zur Hand
genommen und mit Nüdjicht auf den
Stil etwas darin gelefen. Ich er=
ſtaune! Das ift das Mufter, der Canon
der Latinität? Es ift in der That Alles
jehr einfach, Fat nachläſſig — wenn
ich’5 gegen meinen Tractat halte. Nun,
fo mag denn Gryſar in Gottes Namen
Recht behalten. Aber dies weiß ich
doch, dab es für einen Philologifchen
Gandidaten immerhin ein Wageſtück
bliebe, die Simplicität zu feiner Haupt»
aufgabe zu machen, in Arbeiten, wo
er glänzen will; denn wie leicht könnte
da fein freiwilliges Sichentfchlagen als
Armut gelten.
7. October.
Gicero’3 „Lälius“, den ich Der
Form wegen zu leſen anfieng, hält
num mein Jutereſſe gefpaunt durch
den Inhalt. Mich entzückt die reine,
hohe Moral, die darin athmet.
So weit das Tagebuch, deſſen
‚Bericht, was den erſten Beſuch bei
Granert anbelangt, aus der Erinne—
rung ergänzt fein mag. ch fand den
Heinen, budeligen aber würdevollen
Mann umgeben von einigen feiner
älteren Schüler, die, mit Einſchluß
des Meifters, auf den jugendlich ſchüch—
teren Neuling etwas von oben herab
blidten. Grauert ſchien es ſeltſam zu
finden, daß ich, aus den Hörfälen der
Anatomie, der Chemie, des Sanscrit
herlommend, nun auch Diftorifer fein
wollte. Er erfundigte fih nach meinen
hiſtoriſchen Studien; zuleßt fragte er
mich, ob ich den Thufydides gelefen
hätte, und als ich dies bejahte, fragte
er, ob ih ihn im der Urſprache ge—
lefen hätte. Dies mußte ich verneinen,
und da meinte der gelehrte Herr achiel-
zudend, ohne Kenntnis des Thukydides
in der Urſprache fcheine ich ihm für
die Uebungen der hiſtoriſchen Abthei—
lung des Seminars noch nicht ſattſam
vorgebildet; auch ſei die Zahl der
Mitglieder Schon zu groß und, ſozu—
jagen, feine Stelle leer. Der Schäfer!
Ich bin überzeugt, daß kein einziger
feiner damaligen Wiener Schüler den
Thulydides, den ſchwierigſten aller
griechischen Autoren, in der Urſprache
gelefen hatte. Bon ihm ſelber will ich
glauben, das er ihn gelefen hatte;
denn es war fein Lieblingsfchriftiteller,
er hatte ihn immerfort aufgeichlagen
9
anf feinem Echreibtiiche liegen, und
täglih las er, wie er fagte, einige
Blätter daraus mit Andacht wie ein
Brevier..
Später fand ih doch Aufnahme
auch in die Hiftorische Abtheilung des
Seminars, woran mir — dei Sti—
pendinms halber — viel gelegen war.
Es waren tüchtige Kräfte in diejer
Abtheilung damals vereinigt, zum Theil
Ihon über die Jünglingsjahre hinaus:
Zhisman, Karl Tomafchet, fpäter als
Germanift bekannt geworden, Ottolar
Lorenz u. N. Bei den Vorträgen der
Mitglieder, nad) deren Beendigung der
Bortragende ſich gegen die Einwürfe
der Zuhörer zu vertheidigen hatte, war
Tomajchel der jchneidigfte, unermüd—
lichte Kämpe, und es ſchmeichelte mir
nicht wenig, als er nad) meinem Vor—
trag über Mahomed's Leben und Lehre
auf meine Frage, warum er diesmal
gegen feine Gepflogenheit gänzlich
ſtumm geblieben, exwiderte, er habe
diesmal in der That nichts einzuwen—
den gefunden.
Die griechiſchen Uebungen des Se—
minars leitete Hermann Bonitz, als
Gelehrter berühmt, als Schulmann
unübertrefflih, ein Mann von ſcharfem
Berftande, rubigeflarem, ernſt-freund—
lichem, einnehmendem Weſen. Seine
harmonisch = ausgeglichene Natur lieh
nichts von Stathedereigenheiten oder
Angewöhnungen irgend welcher Art bei
ihm aufkommen, aber auch feine glän—
zenden Eigenschaften drängten ſich nicht
in eitler, ehrgeizig befliffener Weife
vor. Seine Leitung des griechifchen
Seminars war mufterhaft, und feine
Bereitwilligkeit, den Mitgliedern des—
jelben durch Darleihen von Büchern
aus feiner Bibliothek förderlich zu fein,
fannte feine Grenzen. Ich erinnere
mich, als ih 1853 Wien verließ, ihm
einen großen Wäſchkorb voll entlehnter
Bücher zurüdgeftellt zu haben. Er war
mir gewogen, lobte meine Vorträge und
er mich für einen Menjchen hielte, der
eines Tages, ftatt ſich als Philologe
anszuzeichnen, eine Nordpolreife ans
treten oder ein perpetuum mobile
erfinden oder einen Band Gedichte
herausgeben könnte.
Gryſar, der Latinift, als ſolcher
geihäßt, aber gänzlich auf dies fein
Fach beichränft, kränkelnd, zeigte in
Haltung und Miene einen etwas pe—
dantiſchen Anftrich ; aber was ihm von
Vedanterie eigen war, wurde Durch
eine gewille Gutmüthigkeit unschädlich
gemacht.
Grauert, bochverehrt von feinen
Schülern, entwidelte im Gegenfaß zu
feiner Zwerggeftalt und feinem Höder
eine gewifle geiftige Vornehmheit. Er
fitt an Aſthma, einer folge feiner
förperlihen Mißbildung und erlag ſei—
nen Uebel leider allzubald.
Ein harmloſes und koſtenfreies
Vergnügen war es mir in jener Zeit,
die Vorträge der Akademie der Wiſſen—
ichaften zu befuchen, wo es mich be=
Iuftigte, die verſchiedenſten Sorten der
Weisheit und des Willens fließen zu
jehen, wie die verfchiedenen Weine
forten aus den Spundlöchern einer
großen Kellerei. Mir find aber mur
zwei lebhaftere Erinnerungen aus dieſer
Geſellſchaft hoch- uud tiefgelehrter
Herren geblieben: die des Heinen,
aber rührigen und energifchen Ham—
mer-Purgflall, der im Stande war,
einem vorlefenden Mitgliede in bare
ſchem Tone zuzurufen: „Bitte den
Herren PVortragenden, lauter zu leſen;
man verſteht ihn nicht!“ und die des—
jenigen Mitgliedes, das einer ſolchen
Mahnung immer am meiſten bedürftig
ſchien: des blaſſen, gichtbrüchigen, wenn
ich nicht irre gar lahmen Sinologen
| Pfigmayer, der Jahr aus Jahr ein über
allerlei Chineſiſches und Japaneſiſches
Vorträge hielt, und der dieſelbe Be—
ſchäftigung vielleicht heute noch fort—
meine Abhandlungen, machte aber doch ſetzt. Denn obgleich er ſchon damals
immer den Eindruck auf mich, als ob mehr todt als lebendig ausſah, ſcheint
er mir nicht recht trante, und als ober doch noch am Leben zu fein; ic
erinnere mich wenigftens, geraume Zeit
nach dem deutfch-franzöfiichen Kriege
von 1870—71 in einer Wiener Zei:
tung gelefen zu Haben, der Sinologe
Pfitzmaher habe neulich zu irgend
Jemand von befagtem Kriege zu ſprechen
angefangen, von welchem ex, wie er
fagte, durch die letzten aus Peding
eingetroffenen Blätter Kunde erhalten.
Andere Zeitungen als chineſiſche liest
er nämlich micht — alfo wohl au
nicht den „Heimgarten“.
Weniger leicht zugänglich als die
Quellen der Wifjenfchaft waren mir
die des Kunſtgenuſſes. Das Theater
fonnte ich felten befuchen, hörte aber
doch das eine und andere claffische
Stid im Burgtheater, und wohnte
den erften Aufführungen einiger Halın’z
ſcher und Mofenthal’fcher Stüde bei;
häufiger aber war es mir vergönnt,
in der Vorftadt mich an Neftroy's und
Kaifer’3 neuen Erzeugniflen zu er—
bauen.
Oeffentliche Concerte hörte ich eben
falls nicht oft; aber zu Daufe betrieb
ich nach meiner Weife die jelbiterlernte
Glaviermufit. Ein muſikaliſch gebildeter
Beamter, Herr Theodor MWiderhaufer,
erbot fich freundlich, mich in wöchentlich
einer oder zwei Stunden ein wenig
zu drillen, was mir überflüffig ſchien,
aber ih nahm die Einladung des
waderen Mannes an, nachdem ich ent—
dedt hatte, daß er dem ganzen Jean
Panl beſaß, und Hielt wirklich bei ihm
aus, bis ich den ganzen Jean Paul
von ihm ausgeliehen und durchgelefen
hatte. ch fang auch, Jo weit es meine
Stimmmittel erlaubten, klimperte auf
der Guitarre, quälte mich eine Zeit»
lang fogar mit einer eigenfinnigen,
peflimiftifch verftimmten Geige, und
ertheilte einem meben uns wohnen
den hübſchen Fräulein Gefangsunter-
richt. Ich ſpielte der Schülerin auf
der Violine die Töne der Scala zum
Nachſingen vor; da fie aber zu be=
merken glaubte, daß ich noch falſcher
geigte als fie fang, fo wurde fie ftußig
und entzog mir ihr Vertrauen. Wurde
a0
ich doch auch einmal als Glaviermeifter
für ein Fräulein aufgenommen! Nach
einigen Monaten aber fand der Ges
liebte des Mädchens, ein Studiofus,
der dasſelbe „ausbilden ließ,“ und
mir monatlich zwei Gulden zahlen
wollte, die er in der Regel ſelber nicht
beſaß — fand, ſage ich, daß ich „ihr
nicht mehr genüge!“ Wen verdantte
aber dag Mädchen diefen raſchen, fo
bald den Meifter felbft überholenden
Erfolg, al3 eben mir, meinem vor—
trefflihen Unterriht? —
Bon ziemlich eigenthünlicher Art
waren die Niregungen, die ich in
meinen Studienjahren der bildenden
Kunft verdantte. Betrachtungen über
eine Stahlftihfammlung ſchließt das
Tagebuch dom 1. Jänner 1849 mit‘
den Worten: „Ich hole mein Moral—
ſyſtem aus Geftalten und Gefichten ;
aus Schönen Naturen und Kunſtwerken
lerne ich die große Kunſt zu fein.“
Ich las Windelmann und blätterte im
Montfaucon, „um duch Betrachtung
der Abbildungen in leßterem meine
| Begriffe von Schönheit zu vervoll—
kommnen.“ Ich nahm Aergernis am
altveutfchen Saale der Gallerie des
ı Belvedere. „ES ift eine verfrüppelte,
armfelige Menſchheit,“ Hagt das Tages
buch vom 15. März desfelben Jahres.
„Um wie viel herrlicher blühte die,
von welcher die Antiken Zeugnis geben!
Die Betrachtung diefer Geftalten trägt
viel zum Hiftorifchen Verſtändniſſe des
Mittelalters bei. Mögen kommende
Hiftorifer in den Bildwerfen, die ſich
aus unferem Zeitalter erhalten, nicht
unfere Schande leſen!“ —
Bon welchem Standpunkte aus ich
die Anſchauungen der Kunſt und die
des Lebens verknüpfte, mag aus fols
gendem Blatte deutlich werden.
18. November 1851.
Das Sonett „Afpafia“ gedichtet.
Diefe Anſchauung Hat in mir das
Gefühl der Männlichkeit, tieferes Ver—
11
Händnis und reges Gefühl für das
Schöne gewedt, ja meinen Sinn auf
ewig dem Schönen zugewendet. Nun
erſt verſtehe ich ganz die griechischen
Stolien und die römischen Elegien —
num folgt mein Auge mit Sinn und
hohem Intereſſe den Gontouren, die
Pinfel und Meifel formt — nun geh’
ich gleichgiltig vorüber an der Mehr»
zahl weiblicher Geſicher — unn miße |
fällt mir viel mehr al3 früher an mir
ſelbſt! —
Die Erwägung diefer großartigen
und mohlthätigen Einwirkungen auf
mein Innerftes Führt auf den Wege
befonnener Erfahrung mich zur feften
Ueberzengung don dem innigen Zu—
fammenhange, in welchem das Schöne
und feine Betrachtung mit unferer
Veredlung und Entfaltung fteht. Aus
der Erfahrung ſchöpf' ich die Lehre,
dab der Anblid des Schönen, ſelbſt
auf der materiellften Stufe, frucht-
reicher fein kann, als die befte Kirchen—
predigt und als das Manuale des
Epittet, ſammt der Tafel des Kebes!
Freilich wohl mag die Schule der
Und nicht bloß leer ausgehen vom
Mahle der Schönheit dürfte jo Manz
cher; Viele könnten fogar den Tod
ih in Nektar trinten — zum Weibe
erichlaffen, ftatt zum Manne zu reifen.
Hat nicht ſchon Euripides in den
„Bachen“ gezeigt, wie Dionyfos den
Einen al3 Gott, den Andern als
„Dämon“ ergreift? Sehen wir nicht
am Schluffe des „Fauſt“, wie die
himmliſchen Rofen, die ſonſt Alles
vergöttlihen, den Teufel noch teufli-
ſcher machen ? — Anakreon haucht die
Geiſter des Wein’s in feurig ſüßem
Gefang, während der Alltagsınenfch
fih beraufcht im Kothe wälzt. —
Ich weiß nicht mehr, auf welde
„Erſcheinung“ diefe Zeilen fich be=
zogen und wie die ſchon im Tagebuch
felbft durch Gedankenſtriche bezeichnete
Lücke auszufüllen iſt. Wahrfcheinlich
‚wurde der Herzenserguß durch die ſpa—
nische Tänzerin Pepita de Dliva ver-
anlaßt, die damals Europa bereiste und
einen unauslöfchlichen Eindrud auf mich
I machte. In der bezauberndften Sinn:
lichteit lag hier ein claffifch = idealer
Zug, der die echten „Bacchen“ be—
Charis nicht für Jeden die beſte geifterte, den „Böoziern“ aber under-
fein. Gar Manden ſchredt die Ruthe ftändlich umd entbehrlich war, fo daß
der Moral mehr von Böſen zurüd, | fie an den unzähligen „Falfchen Per
als ihn die Roſe der Charis zum
Guten lodt.
Thu'n die Himmel fih auf und regnen,
jo träufelt das Waſſer
Ueber Wellen und Gras, Mauern und
Bäume zugleid.
Kehrt die Sonne zurück, jo verdampft
vom Steine die Wohlthat:
Nur das Lebendige hält Gabe der Gött—
lichen feſt.“
(Sorthe.)
pitas“, die hinter der echten überall
hervortraten, ſich ebenjo oder noch
mehr als an diefer ergößten. Sennora
Pepita de Dliva’s Bildnis ift in der
' edelften, vollften Herrlichkeit ihrer Er—
Iheinung jeit mehr als drei Jahr:
zehnten ftet3 über meinem Schreibtische
'gehangen und hängt noch heute da.
Und was fie mir zu jagen hatte, das
ift bis heute nicht verſtummt.
(Fortjegung folgt.)
Bwei Mägdlein und ein Rnab.
Dorfgefhichte von P. R. Kofegger.
IT: lEdanı in Gottes Namen, jegt)auf den Baum zu fteigen, ſagte die
z fteige ich hinauf!“ ſagte der Anna-Mirl zu ihm: „Da muB ich
Div doch voreh ein Kreuz machen
„Steig zu!” gab ihm die Bethel über's Geficht.“
zur Antwort. „Kann mit ſchaden,“ antwortete
Das war im Wald, unter einem der Martin, „aber mit einem Buſſel
großen Fichtenbaum. Der Martin war | feftnageln wirft mir’s müſſen, ſonſt
ein Burfche mit vierumdzwanzig Jahren hält's nit.“
und nadten Knieen. Die gelbe Leder- „Jeßl und Joſef!“ rief die kleine
hoſe muß beſonders angeführt werden, Bethel, „jetzt Hab’ ich heilig gemeint,
nicht minder auch der blane Brufifled, |es fahrt der Bauer Schon daher mit
die gebleichten Hemdärmeln, die grünen |dem Leiterwagen.“ Damit zerftörte jie
Strümpfe, die rothen Wangen und fehr Hug das Feltnageln des Kreuzes.
die grauen Augen, um die ganze Far— Der Burſche Hletterte Flint den
benpracht diefes jungen ſtämmigen Kerls | glatten Baumſtamm empor, diefen mit
zu ermeſſen. Nur muß man fich vor= |den Armen umfangend und feit mit
Martin.
ftellen, daß die Farben, mit Ausnahme den Steigeifenzaden einfegend.
der frifhen Wangen, arg verſchoſſen
waren, und der ganze Burſch war
verſchoſſen in die Bethel, oder in die
Andere.
Die Bethel ſchildere ih nicht, Haben
fann fie einfiweilen doch nur Einer,
wozu denn allen Anderen die Zähne
nad der Kleinen, |
wäſſerig machen
munteren, thaufriſchen Dirn. Neben
der Bethel ftand aber noch eine Zweite,
die hieß Anna-Mirl und war viel
ftattliher und fein rundlich ausge⸗
Rindern in ihren Ställen allwöchent—
wachſen, aber ſonſt ein wenig ernſt—
haft, ſo daß man ſich denken könnte:
ſie dürfte ſchwerer zu kriegen ſein als
die Andere, hingegen nachher aber
umſo leichter zu behalten.
Das waren drei Dienftleute des
Kalchleithofes, fie aßen aus Einer
Schüffel, jchliefen unter Einem Dad
und ftanden nun unter Einem Baum.
Als dam der Martin die
ſcharfzackigen Steigeifen an die Beine
—
geichnallt, das blinkende Beil rückwärts zulegen.
in den Gurt geftedt — ſich anfchidte,
Die Anna-Mirl ſeufzte. — Ad,
wenn ev mich jo Haljen möchte wie
das dumme Holz da! — So fünnten
es boshafte Leute auslegen, es war
jedod gar fein Seufzen, es war nur
ſo ein Luftfchnappen, wozu ift dem
die Luft, wenn man fie nicht ſchnappen
will! — Endlich war er oben im
‚dichten Aſtwerk, der Martin, da fuhr
er mit der einen Hand mach dem Beil
und begann Weite herabzuhaden.
Der Kalchleithofer pflegt feinen
lih einen Fußteppich aus grünem
Reiſig zu legen, den er dann alljähr:
lid ein paarmal als Fürtrefflichen
Dünger wieder herauszieht. Ein ſolcher
Teppich follte auch aus den Aeſten
werden, die der Martin nun von der
Fichte ſchlug, daß fie raufchend nieder:
fielen. Und die zwei jungen Mägde
waren vorhanden, um die herabge—
fallenen Aeſte in Biüfchel zuſammen—
Da hätte man's juft einmal
jehen jollen, wie jede nach dem längften
13
trachtele, Eine der Andern die bufchig-
ften Zweige aus der Hand riß, um
jelbige auf ihr eigenes Büſchel zu
legen.
„Seh, was braucht denn Du den
Wachel!“ fagte die Bethel und wollte
der Anna-Mirl einen herabgeflogenen
buſchigen Aft aus der Hand winden.
„Oho!“ fagte die Anna-Mirl, „der
ift auf meinen Kopf herabgefallen, der
gehört mein.”
„Derfchlagen hätt’ er Dich follen, “
knirſchte die Bethel.
Sie rangen um den Aſt.
„Laßt nit aus?“ fragte die Bethel.
„Kannft mir die Händ' abbrechen,
jonft friegft ihn mit!“ antwortete die
Anna⸗Mirl.
Da biß ſie die Andere in den
Finger. Mit wutherglühten Geſichtern
fuhren fie aufeinander los, und ohne
einen Laut von ſich zu geben, zer-
zausten fie fich gegenfeitig das Ge—
wand und die Haare.
Der Martin Hoch auf dem Baum
Ihanfelte fi mit dem Wipfel Hin
und ber, jodelte Eins und hatte feine
Ahnung, dag unten die zwei Weibs-
bilder um feine Aeſte auf Leben und
Tod rangen. Das Hätte ihn toll freuen
müffen, denn es gieng ihnen nicht
nad den Welten, fondern nad den,
der fie herabwarf. Als die Bethel der
Andern den Aft aber entwunden hatte,
als fie ihn mit dem Schrei: „Da
gefilze jo arg zerjaust wie das der
beiden Anderen. Ihr Geficht beitand
aus zwei jcharfen Spitzen: der Nafe
und dem Kinn. Die dritte und ſchärfſte
Spitze ſah man nicht, die hörte man
nur, ed war die Zunge.
„Lottervolf, vertradtes!“ zeterte
die Traudel, als fie gegen unfere
Reifigarbeiter heranlamı, „zwei Aeſt—
Hanberinmen bei einem Schneidler! das
ift mir eine faubere Wirtfehaft! Euch
fol man mit Schufterpech einbalfa=
mieren, daß Ihr nit ſtinkend werdt's
vor lauter Faulheit! Zwei Klaube—
rinnen bei einem Schneidler! Ein»
ander Flöh' ausflauben oder noch
was Schöneres, ja! Sonft wüßt' ich
nit, was Ihr fo viel zu Hauben
hättet unter Einem Baum. — Anna—
Mirl! geh Her, ich brauch’ Dich im
Dörrofen zum Holzlegen !”
„Soll die Bethet gehen!“ fagte
die Anna-Mirl, „die hat leichter Platz
im Ofen, die ift Heiner wie ich.“
„Na na, fol nur die Große
gehen,“ wehrte fich die Bethel, „der
ſchadet's gar nit im Ofen, wann ihr
die Fetten ein biffel herausgebraten
wird,”
„Sei Du die Gefheitere, Annas
Mirl, und geh mit,“ fagte die Alte,
denn fie hielt es mit der Größeren.
Und diefe wußte auch, dab die Trau—
del, als die Schwefter des Bauers,
ein großes Wort Hatte; fie muß alfo
— —— — — ———— —
gehört er Dir hinauf!“ der Annas den grünen Wald verlaffen und in
Mirl über den Rüden hieb, nahm es den finſteren Flachsdörrofen kriechen,
der Burſche oben wahr, was in der um darin die Scheiter aufzuſchichten,
Tiefe ſeinetwegen vorgieng. Er hub die ihr die Alte hineinſchiebt. Es war
an zu lachen. Dann that er einen, ein ſchlimmer Nachtheil!
Priff und rief herab: „Dirndin ! welche „Traudel,“ ſagte die Anna-Mirl
will herauf zu mir? Da heroben ift unterwegs und ordnete während des
ein Bogelneft !“ Und er zwitjcherte, | Sehens zur Noth ihren Anzug, „Trau—⸗
daß es zu hören war, als ob ein del, heut' thäteſt Du mir einen großen
lebensluſtiges Böglein das andere lockte. Gefallen, wenn Du die Bethel lieber
Wer weiß, was geſchehen, wenn
jetzt nicht vom Hof her die alte Trau—
del gekommen wäre. Auf deren Haupt
war fein grüner Aſt berabgefallen,
mit ihr Hatte feine Nebenbuhlerin ge=
rauft, und doch war ihr granes Haar—
hatteſt als mich. Der Ofenſtaub thut
mir für die Augen ſo viel ſchlecht.“
„Mach’ feine Flauſen!“ entgegnete
die Alte, „wenn Dir nur der Martin
die Scheiter hineinſtecken wollt', nach—
‚ber thäteſt Du Dir den Ofenſtaub
18
gern gefallen fallen. Das kennen wir!
— Uber hau, Dirn!“ Sie nahm
die Hand der Anna-Mirl zwifchen
ihre eigenen Rungzelpfoten und ftreis
helte fie, „hau, Diem, ich bin Dir)
den Martin willig. Wirft es bald |
jehen, daß Du feine beflere Gut—
meinerin haft als wie mid. Wenn
Du mit jegt mit mir zum Ofen geht, |
wohl aber die Bethel, und Du thuſt
beim Martin Aeſt' klauben und weißt
von nichts, Fo kannſt Heut einen guten
Tag haben —"
„Wie er pfeifen thut!“ rief die
Anna-Mirl aus und blieb horchend
ftehen, man hörte fo ſchön fein Zwit—
Ichern vom Baummipfel ber. :
„— fannft Heut’ einen guten Tag |
haben,“ fuhr die Alte fort, „und in
drei Wochen liegft maustodt auf dem
Schragen.“
„Wie jo?" fuhr die Anna-Mirl auf.
„sa ja, immer einmal wifjen alte
Leut’ auch was, meine liebe Dirn!
Und immer einmal ift das Dörrofen-
lo auch was wert, mein Schaß! Da
find wir ſchon. Krauch' hinein.“
Der Dörrofen, von außen eher
einem Steinhaufen gleichſehend, denn
einem Baue, ſteht im Freien unter
Obſtbäumen. Hinterwärts ſteht ihm ein
windſchiefgewordener Holzſchoppen an—
gefügt, in welchem der Flachs vor dem
„Brecheln“ an der heißen Wand ge—
trodıset zu werden pflegt. Die Annas
Mirl kroch in das finftere Ofenloch
und die Traudel ftedte Scheiter hinein,
die fie drinnen über freuz und quer
aufbaute bis empor zur MWölbung.
Durch diefen Holzftoß war jie felbft
fo jehr eingeengt worden, daß fie fich
faum umzuwenden vermochte, als es
wieder zum Herausfriehen war. Sie
blieb noch ein wenig im Loch boden
und fagte: „Jetzt, Traudel, wann Du
was weißt, fo gib's von Dir!“
Die Alte kauerte fich neben an die
rußige Maner Hin, langte mit der
Hand in den Ofen und rüttelte die
Anna-Mirl beim aufgeftülpten Knie,
als wollte fie jagen: Erwache aus
alte Sreuzhäuslerin
Deiner Umwiffenheit, wehre Dich Dei—
ned Lebens!
„Weißt denn gar nichts davon,“
fragte fie die Dirn im Ofenloch, „daß
am vorigen Sonntag die Bethel beim
Pfarrer ift geweft ?“
„Beim Pfarrer?” fragte die Annas
Mirl, „verfprechen ? Mit dem Martin
versprechen ?“
„Berfprechen, das nit. Der Martin
wird nit wollen mit ihr, fo lang’ Du
lebjt. Drei Meſſen Hat fie gezahlt.“
„Für den Martin?”
„Zropf. Für Dich Hat die Bethel
drei Meilen gezahlt. Sterbmefjen!
Todtbeten will fie Dich laſſen.“
„Jeſus Maria und Joſef!“ rief
die Anna-Mirl und fprang aus dem
Ofenloch; jo rußig fie war im Geficht,
daß fie todtenblak wurde, al3 wollten
die Meſſen jetzt ſchon wirken, das war
doch zu erkennen.
Sterbemeflen! Sie wußte wohl,
was das heißen follte, man Spricht ja
weitum davon, und wir glauben gar
nicht, was Die alles glauben, die
für's Glauben einmal eingerichtet find.
„Du bift aber ſchlecht,“ fagte nun
die Anna-Mirl, während fie fich mit
der Schürze den Schweiß trodnete,
„daß Du mich mit einem Spaß jo
erfchreden kannt.“
„So!“ begehrte die Alte auf, „fo!
Ein Spaß, ſagſt! Mit heiligen Saden
einen Spaß, treiben! Du vielleicht !
Ich nit. — Rait nad. Der Stiegel-
bauer, vor zwei Jahren, ift auch fo
geftorben. Weil fein Weib fein Gift
kriegen hat können, jo Hat fie drei
Sterbineifen für ihn lefen laffen. Die
ift don ihrem
Schwiegerſohn todtgebetet worden. Wie
fie den Holzmeifter-Rodel im Wald
todt gefundey und der Bader feine
Todesurfah’ Hat aufweifen können,
haben Alle gejagt, daß fein Bruder
für ihm drei Sterbmeffen leſen Hat
fallen. Und ift mit anderd. Mein
Vetter Tomel, meinem Aehndl ein
Bruder, foll auch an Sterbmeijen ge:
15
ftorben jein. — Mann das bei Dir „Nachher fterben wir allzwei!“
ein Spaß if! Wirt es ja mohl| meinte die Magd.
jehen.“ „Thät' Dir leid um die Andere 2“
„Um Gotteswillen!” rief die Magd „a, Schneden, wenn fie mag!
und preite die gerungenen Hände an Um mich thät’ mir's leid,”
den Buſen, al3 wollte fie um dene „Dirn, Du verftehft nichts. Die
jelben einen Reifen legen, daß er vor | Meffenzahlerin muß dabei fein bei der
Herzweh nicht zerfpringe. „Und kann Meſſ', wann fie kräftig fein ſoll und
ein Pfarrer jo was angehen laſſen?“ den Feind todtbeten. Deswegen nur
fragte fie. recht bitten, den Herrn Pfarrer, daß
„Nicht Jeder kann's,“ belehrte die er die Meilen, die Du zahlit, früher
Traudel, „Der Eine kann's und will | liest, als die andern. Du beteft fleißig,
nicht. Unferer kann's und will.“ die Bethel ftirbt, kann bei den Meſſen,
„Aber das ift doch!” feufzte die die Di umbringen follen, nit mehr
Magd auf. „Ja, fein kann's eh, daß | dabei fein und der Martin gehört Dein.”
es möglich it. Mit einer heiligen Meſſ' Die Anna-Mirl that einen tiefen
tann man Alles machen, das laßt ich | Athemzug und fagte: „Ich zittere an
leicht denken. Die Kraft, die d’rin ‘allen Glieder.“
ftedt in fo einer Mei’! Laßt ſich „Das glaub’ ich,” verſetzte die
denfen. Und wer — wer hat’s denn | Alte, „geh’ nur zum Pfarrer, und daß
gejehen, daß fie die Sterbmeſſen ges |er die Deinigen zuerft liest. Hein
zahlt Hat?” zuerſt! Und wann er Ausreden hat:
„Ich jelber, mein Menfch!” be- Wer zuerst kommt, der mahlt zuerit,
thenerte die Alte, „zu allem Glück ſo ſag' einen ſchönen Handkuß von
fällt's mir im der Kirche ein: gehſt der SKalchleithofer » TZraudel und geh’
heit’ zum Herrn Pfarrer wegen der nit früher fort, al3 bis er dir's vers
Seelenbruderfchaft anfragen, weil jetzt Spricht. Sei geſcheit!“
eine neue herausfommen ſoll, mit dem Die Anna-Mirl war gefcheit, wir
dreifachen Ablaß. Wie ih die Thür) wollen fehen, wie fie das angeftellt Hat.
aufmach’, fteht die Bethel beim Pfarrer, An dem Abende desfelben Tages
gibt ihm einen Silberthaler in die) ſtand fie allein und ſinnend vor dem
Hand und ih hör noch die Red’ von Hyrrofen, an welchen fie heute die
dem drei Sterhmeſſen. Küß' die Hand, wunderlichen Sachen gehört hatte. Sie
Nochwürden, ſag' ich, was thuſt denn gätte der Traudel doch recht danken
Du da, Bethel? Iſt fie darauf rotd| soffen, die gute Haut rettet ihr ja das
worden, wie ein gefoltener Krebs.“ | genen. Nun hielt die Magd einen
Ich glaub's gern, daß fie roth brennenden Zündfpan in der Hand,
ift worden, bei jo was! Aber daß Dit) um damit im Ofen den Scheiterſtoß
mir's nit früher gejagt haft!“ in Brand zu fteden. Da fie aber vor
„Ich hätt’ Dir's gleich erzählt, er lauter Nachdenken nicht dazu Fam, fo
wird aber die Meſſen ohnehin vor | blies ihr der Wind die Flamme aus.
drei Wochen mit leſen Können, weil Frottete der Martin dom Malde
jet die Pfarrämter find.“ daher und erfüllte die Luft mit fri-
„Jetzt, was thu' ich 2” Hauchte die| ſchem Harzgeruch, der von ihm aus=
Anna-⸗-Mirl vathlos. gieng. — Ob fie Feuer Haben wolle?
„Annas-Mirl,“ fagte die Alte und| war feine Frage an die Magd. a,
padte fie feft am Arm. „Jetzt loſ' das fei ihr recht.
auf. Dir gehft hent' oder morgen zum „Gib her!“ fagte er, nahm ihr
Pfarrer und zahlft drei Sterbemeſſen den Span aus der Dand und ftedte
für die Bethel.“ ihn bald brennend in den Ofen.
16
Alsbald ſtand der Holzftoh in heller
Lohe über und über. Wenn der Mar-
tin einmal anzündet! Die Anna-Mirl
glaubt es!
Als die Magd fpäter in’s Haus
trat, fand in der Thür die Bethel.
Sie blidten einander trogig und mit—
feidig an und giengen ihres Weges.
Der Martin trottete, die Hände in
den Hofentafchen, noch etliche Male
um den Hof herum, jodelte einen
Amer in das abendlich dämmernde
Thal hinaus und gieng Schlafen. Es
Annas Mir, blidte fie eine Weile an
und fragte: „Wie heißeſt Du?“
„Küß die Hand, Anna Maria
Sandlerin.“
„Aunaga Maria, ich will Dir was
jagen,“ ſprach der Pfarrer, „Wenn
es wäre, dab Du jeßt todt vor mir
niederfieleft, ich könnte Dich nicht
hriftlih begraben. Ich müßte Dich
hinter der Mauer einfcharren laffen,
wo die Heiden und Ungläubigen liegen
Kun die unbußfertigen Mörder. Und
die Schwärzeften Teufel müßten kom—
war ihm wachend nicht eingefallen, | men und Deine arme Seele in die
daß und in welcher Weife die beiden unterſte Hölle hinabjchleifen. Du bift
Mägde tödtlih um ihm rangen, und ein recht ſauberes Dirndel und wird
es fiel ihm im Zraume nicht ein.
Am mächlten Morgen — e3 war
der Tag des heiligen Leonhard —
bat fih die Anna-Mirl aus, daß fie
in die Kirche gehen dürfe, es habe
ihr Vater felig Leonhard geheißen und
dejjen wollte fie gedenken.
Nach dem kurzen Gottesdienft Hopfte
fie an die Pfarrhofthür. Drei filberne
Zwanziger aus Saifer Franzens Zeit
hielt fie Schon.lange in der Hand, daß
fie warın und feucht waren — thatſäch—
ih Sündengeld, an dem der Schweiß
des Volkes Hebte. Dann teilte fie
vertrauensfelig dem Pfarrer ihr An—
liegen mit: Drei Sterbemeifen will fie
zahlen für die Bethel Mooshuberin,
und todtbeten !
Das verftehe er nicht, meinte der
Pfarrer, das nehme er nicht an.
Aber von der Bethel Haube er e3
der Kalchleithofer gewiß auch mit
Deiner Bravheit zufrieden fein. Troß-
dent muß ich Dir Jagen, Du bift die
größte und gottlofefte Heidin, die man
ſich vorftellen fan. Der Heiligen Meſſe
zuzumuthen, daß fie wie meuchlerifches
Gift Menfchen tödte! Einem Briefter
zuzumuthen, daß er ſich als Henker
dingen laſſe! Du biſt ficherlich ein
gutherziges Dirndel und Haft nicht
weiter gedacht, als Dich von der Fein—
din zu befreien, gewiß ift Eiferfucht
im Spiele; aber wie — wenn Dein
| Verlangen erfüllt werden lönnte —
das Dirndel ſtarr und kalt daliegen
würde auf dem Bahrbrett, und das
böfe Gewiffen Dich verfolgen müßte
Tag und Naht, Dein Leben lang,
und Dir zurufen: Du Haft fie er-
Ichlagen! Das Gericht Gottes kommt!
— Das Haft Du nicht bedacht. —
Vor einer Viertelftunde ift da draußen
doch angenommen! hielt fie ihm vor. | ein Gendarm vorübergegangen , um
Sie bitte um tauſend Gotteswillen | einen Holzdieb einzufangen. Ich möchte
und daß er fie Halt wohl gewiß Früher | ihn am liebften zurüdtufen und ihm
lefen wolle, die Meffen, als der Bethel jagen: Laſſ' den Holzdieb bis morgen
ihre und fie habe einen Schönen Hands | [aufen; oder einen Brandftifter, einen
fuß auszurichten von der Kalchleit- Todtſchläger hat er einzuliefern, laſſ'
hofer Traudel. fie bis morgen laufen. Heute nimm
Lange Fonnte der Pfarrer nicht | Die mit, Die da, fie ift eine vorfäß-
Hug werden aus den Darlegungen der liche Mörderin. — Ja, mein Kind,“
Magd, als er endlich aber doch ahnte, | fuhr der Pfarrer nah einer Pauſe
um was es fih hier Handle, als er fort, da die Anna-Mirl wie verfteinert
und gebannt vor ihm ftand, „ja, die
ih es erklären ließ, twas Die Magd
meine, trat er langſam Hin vor die Bethel Mooshüberin iſt am vorigen
17
Sountag bei mir gewefen und Hat
drei Sterbemeſſen gezahlt für die Seele
ihrer verftorbenen Mutter... .“
Jetzt verhüllte die Magd mit der
Schürze ihre Gefiht und taumelte der
Thür zu. Der Pfarrer Hielt fie zurüd.
„Anna Maria,“ fagte er in liebreichem
Zone. „Möge Di der allmächtige
Gott erleuchten, daß Du den unerhör-
ten Aberglauben, der Dich bejellen
bat, in feiner ganzen Thorheit er—
fennft! Möge Gottes Liebe die Rach—
gier Deines jungen Herzens löſen!
Was bat fie Dir denn gethan, die
Bethel, daß Du ihr an’3 Leben willft ?“
Nun fiel die Magd vor dem
Pfarrer auf die Kırie und unter Hände-
ringen und frampfhaften Schluchzen,
daß ihre Worte kaum zu verftehen
waren, rief fie: „Nichts, nichts hat fie
mir gethan, den Martin bat fie gern,
ih bin feiner nicht wert, fie ift tau=
ſendmal befjer wie ich, fie foll ihn
haben. Ich bin verblendet gewesen,
die alte Zraudel hat mir Alles fo
gejagt. Ich bitt' um Verzeihung!“
„Geh’ Heim!“ fagte der Pfarrer,
„Tide mir aber die alte Traudel ber,
mit der will ich anders reden!”
Unterwegd nah Haufe Tam die
Anna-Mirl an dem mittlerweile auf:
geſchichteten Stoß des Reiſigs vorbei,
da3 der Martin geftern von Baum
geichlagen Hatte. Der Hohe Fichten—
baum ftand völlig entäftet ftarr in die
Luft, nur der grüne Wipfel war noch
oben ; den hatte der liebe Kerl gewiß
des Bogelneftes wegen gefchont. Hinter
dem Reiligftoß war ein Flüſtern. Die
Annas Mir dudte ſich nieder und hatte
bald weg, wer dahinter war. Endlich
verftand fie fogar etwas.
„ . . . und mußt mir verfprechen,
daß Du keine Andere gern haſt!“
flüſterte eine weibliche Stimme.
„So,“ ſagte eine männliche.
„Gar keine! Auf der ganzen Welt
feine! Dein Lebtag feine!”
Rofegger's „Geimgarten‘‘, 1. Geft, X1
„Das kann ich Dir nit versprechen!”
„Berfprih mir’s, Martin! Wie
bor dem Altar!“
„Der Graßhaufen (Reifigftoß) ift
ja fein Altar, und Heiraten will ich
noch nit. Will noch ein Eichtl frei
bleiben und mir die Zeit vertreiben,
mit wem's mich g’freut.“
„Du biſt Schon der Wahre! Heut’
g’freut Dich die Zeit mit mir, morgen
mit der Anna-Mirl!“
„Kann eh fein.“
„Du bift ein fpottfchlechter Bub!“
„Wann ih Dir mit gefal’ —
kaprizier' Dich mit.“
„Martin! Schlechter Bub! Her—
zensbub! Ich laß' Dich nit. Mein
tauſendlieber Schatz!“
„Oh, oh! Druck' mich nit gar
ſo feſt!“
„So feſt will ich Dich drucken,
daß ich Dir alle Lieb' ausdruck' in
meinem Arm! Daß Du zu einer An—
dern feine mehr Haft... . .*
Der armen Anna-Mirl vergieng
fhier Hören und Sehen. —
Erft am fpäten Nachmittag kam
fie heim. Der Bauer verwies ihr
fcharf das lange Ausbleiben. Ueber
das Gedenken an den Vater Leonhard
diirfe ein brades Dienfibot’ auch des
Flachſes nicht vergeffen im Dörrofen,
„Mein Bauer,“ fagte die Magd,
„ich ſehe es wohl, ich bin nichts mehr
nutz. Schid’ mid fort. Ih mag nicht
mehr bleiben in Deinem Haus, mid
gefreut nichts mehr, ich ſuch' mir einen
andern Platz.“
„Ei ei, was Du für Muden Haft !*
tief der Kalchleithofer, „geh' jet zum
Flachs.“
Im Holzſchoppen war auch ſchon
der Martin beſchäftigt, den getrock—
neten Flachs, der in Büſchel über—
einandergeſchichtet lag, zu wenden.
Nachdem die Beiden eine Weile ſtumm
nebeneinander gearbeitet hatten, ſagte
der Burſche: „Ich möcht' nur Eins
wiſſen.“ Weil fie darauf feine Ant—
wort gab, fo jeßte er bei: „Ich möcht’
2
18
nur willen, warum Du heut’ wieder
fo ſtolz bift auf mich.“
Sept wußte die Magd wie fie
daran war. Er hatte fie lieb, in Eruft
„Ih werde fein können wie ich und heilig lieb. Und wo eine ſolche
will, was geht denn das Dich an!“ Liebe vorhanden ift, da wird feine
Nah diefer Herben Antwort war
er ganz fill und wendete eifrig die
Flachsbüſchel um. Plötzlich ließ er ab,
ftellte fich vor die Magd hin und fagte:
„Jetzt, das ift mir zu dumm! Ent—
weder oder. Haft mich gern oder nit ?“
„Kann Dir Alles eins fein. Geh’
Du zu einer Andern.“
„Das thu’ ih au, wann Du
mich mit magſt. Mit Dir hätt’ ich's
aufrichtig gemeint, Andere fopp’ ich.“
Mebenbuhlerfchaft gefährlich, da thun
feine »Sterbmeffen« noth, felbft wenn
es ihrer gäbe.
Sie gab dem Burſchen die Hand
Hin und jagte: „Martin, ohne Deiner
hätt’ ich mit leben mögen. Nur Dein
Treufein. . .“
„Anna Maria, ich verfpreche Dir's!“
In diefem Augenblid kreiſchte hin—
ter den Brettern eine Stimme: „Schau!
ſchau! Der Grashaufen iſt kein Altar,
aber der Dörrofen iſt einer!“
Die Gaißerburg.
Eine Rittergeſchichte aus der Vorzeit von Hans Malſer.
>), er Fremde, welcher das Schol-
lingtdal durchwandert, wird
ihon am Eingange des Thales weit
im Dintergrunde desjelben eine wüſte,
felfige Bergmaſſe erbliden, von der er
fein Auge nicht jo leicht mehr zu
wenden vermag. Diefelbe fteht gar fo
troßig da, alle übrigen Berge in der
Runde — und die laſſen fi) an Maffige
teit und Höhe doch auch nicht ſpotten —
weit überragend. Man nennt ihn den
Kolber. Er fteht, von der Ferne ge=
fehen, wie ein blauendes Dreied da,
deſſen obere Spitze ſcharf abgebrochen
iſt. Ihm näher kommend, treten Ein—
zelheiten hervor, Felsgruppen, die an
und für ſich ſchon ein kleines Gebirge
bilden, tiefe Runſen, die wie Sprünge
oder Fältlein ausſehen und in denen
doch ganze Dörfer ſtehen könnten,
wenn ſie am Hange klebend gedacht
Scheitel bis tief an die Vorberge weiße
Streifen, ſeien es nun Sandrieſen
oder Schneemulden oder Waſſerfälle,
deren es, beſonders im Frühjahre,
wenn auf den Hochrücken und Mulden
der Schnee ſchmilzt, viele gibt.
Und wenn man dem Kolber endlich
ſo nahe iſt, daß die dreieckige Form
des Berges in die Zerriſſenheit der
Vorwände übergeht, kann man hoch
oben am ſchwindelnden Hang eine
bräunliche, zinnenartige Steingruppe
ſehen, die man für eine Burgruine
halten möchte, wenn es in der Men—
Schenmöglichkeit läge, an ſolcher Stelle
ein Schloß zu bauen.
Sa, es liegt in der Menſchen—
möglichkeit, und die Steingruppe dort
oben, wo ſchon die Vegetation er—
ftirbt, ift im der That eine Schloß—
ruine. Die Gaißerburg nennen fie die
werden. Dort und da gehen faft vom |die Leute und Manche jagen, das
müſſe doch ein muthiges Rittergefchlecht
gewefen fein, welches an fol’ uns
erhörtem Pla fein Schloß gebaut.
Ih wäre der Meinung, es fei vielmehr
ein feiges Geſchlecht gewesen, welches
fih vor den Feinden verfrochen hatte
da hinauf in den Geierhorft. Es gehört
wahrlih feine befondere Tapferkeit
dazu, eine ſolche Burg zu befchügen,
welche die Natur jelbft befeftigt hat.
Die Sage erzählt, daß bald nad)
dem lebten Kreuzzug Herren in das
Alpenthal gekommen feien, fi” Land
und Leute theils erworben, theils eigen—
mächtig angeeignet hätten und dann
im Gewände des Kolber den gewal—
tigen Frohnbau aufführen ließen, um
in demfelben die ungeheueren Schäße
zu verwahren, die fie mitgebracht. Die
Herren waren unter dem Namen „Die
Hohen Ritter” bekannt, erftens wohl
der hohen Lage ihrer Burg wegen,
dann auc, weil jie eine hohe, reden
bafte Körpergeftalt Hatten, und endlich,
weil fie hohen Sinnes waren. Ihren
Handlungen und Gebaren nach zu
Ihließen, hielten fich die Hohen Ritter
den anderen Geſchlechtern des Landes
weit überlegen an Macht und Adel,
und fie hegten nur Brüderlichfeit mit
Fürften fremder Länder, Das leib-
eigene Volk im Thale war ihnen felbft-
verftändlich nichts als eine Herde von
Nutzthieren — Ochſen, die ihnen das
Feld furchten, Efel, die ihmen die
Lebensmittel zur Burg emporfchleppten,
Bienen, die ihnen allerlei Früchte
jammelten und gelegentlich auch ver—
wendet wurden zur blutigen Verthei—
digung deflen, was fie mit nimmer—
taftendem Fleiß erworben hatten und
was doch nicht ihnen gehörte. Denn
an Feinden hatten die hochmüthigen
Ritier feinen Mangel und e3 waren
deren manche, die ſich von der ſchein—
baren Unzugänglichleit der Kolberburg
nicht abjchreden ließen. Die Burg
Ihien, von unten aus gefehen, enge
an die Hinter ihr aufragende Fels—
wand gebaut zu fein; indes war aber
jwifchen dem Gebäude und der Wand
19
eine tiefe Schlucht, in welcher ein
Waflerfall donnerte. Da ſoll es öfter
als einmal gefchehen fein, daß die
Burg in Gefahr war, von kühnen
Stürmern eingenommen zu werden,
denn die Beſatzung war abgerichtet
wohl für das Berftedenfpielen, aber
nicht für den offenen Kampf. Und
da hätten fi die Hohen Ritter ein
paar Mal den Spaß gemacht und
auf die den fteilen Graben heraufs
ftürmenden Feinde den Waſſerfall
hinabgeleitet, da Alle wie Kehricht
zugrunde geſchwemmt wurden.
Als der Schwedenfrieg kam und
e3 überall friedlos war auf der Welt,
zog auch der Herr der Solberburg
aus mit einem anſehnlichen Fähnlein.
Ob er e3 gethan hatte, um dem römi—
ſchen Kaifer zu vertheidigen oder den
Glauben zu ſchügen oder fich neue
Schätze und Macht zu erobern, dar—
über ift die Frage bis heute offen ge=
laflen. Der Hohe Ritter kam nicht
mehr zurüd an die Hänge des Kolber;
fein Fähnlein hatte fich verflüchtigt in
den böhmischen Wäldern und er jelbit
fiel bei der Schlaht auf dem Weißen
Berge.
Nun hatte der Mann aber feinen
Bruder hinterlaffen, auch Feine Frau
und feinen Sohn, wohl aber eine
Tochter. Diefe Tochter war um folche
Zeit achtzehn Jahre alt; fie war auf
den Namen Iſanthe getauft worden,
der Name gefiel ihr aber nicht recht.
Sie nannte fih Sirene, der Name
gefiel ihr beifer. Sirene war der
Obhut des Burgfaplans und eines
‚ alten Oheims anvertraut, welch leßterer
fein Leben dem Studium der Hoflitten
geweiht Hatte und ſohin für den Er—
zieher eines ſolchen WRitterfräuleins
höchft geeignet war. Aber diejer alte
Oheim war ſchwachſinnig geworden.
Als die Nachricht von dem Tode des
Herrn eingetroffen war, ließ der Oheim
den alten Schäfer Gutram holen, von
dem die Sage gieng, daß er Lebens—
|etigiere zuftande bringen könne.
2*
———— —— — — — — ——— — ———— — — — — — —— — — —
20
„Iſt es wahr,“ fragte er diefen
mit vornehm lallender Stimme, „könnt
Ihr Leute — mannbare Leute wieder
jung machen? ganz jung ?*
„Das ift ja feine Kunſt,“ ant—
wortete der alte Gutram klüglich.
„Warum machet Ihr Euch denn
felber nicht jung ?“ fragte der Ritter:
Oheim und zwinferte mit den blöden
Augen.
„Wer jagt Euch denn, dab ich
mich nicht jung mache?“ verſetzte der
Gutram. „So oft ih will!“
„Ich verſtehe,“ ſchmunzelte der
Ritter-Oheim. „Seht, Alter, ich bin in
den beſten Jahren — faſt noch in den
beſten. Es iſt Uebermuth, daß ich noch
jünger ſein will. Ein Jüngling mit
fünfundzwanzig —“
„Könnt' fie haben.“
„a, ſchier ein Kind zu fein, ges
füftet’3 mich bisweilen.“
— Hat nit weit mehr dazu,
dachte fich der Schäfer, Zähne, Haare
und Berftand fehlen ihm bereits. Hier—
auf Hub er an, mit dem Ritter-Obeim
ein ergößlih Spiel zu treiben und
trug manch güldenes Münzlein herab
auf feine Weidematten.
Sirene war ein munteres, über-
aus pußiges Fräulein. Ihr Gemach
war angefüllt mit Schnud, Spitzen,
Bändern und allerhand niedlichen
Dingen, die mehr Spielzeug als Ge—
brauchsgegenftände find. Selten trat
fie Hinaus in die freie Luft, den ganzen
Tag ergößte fie fi, indem fie ſchwere
Seide und prangenden Ehmud an
ihren gejchmeidigen Leib Hieng, mit
ſich felbft plauderte, wobei fie recht
viele fremde Worte und höfiſche Aus—
drüde gebrauchte und fi wie eine
Prinzefjin geberdete. Der Burgcapları
fünmerte fich nicht viel um das Fräu—
lein, jondern oblag in feiner Stube
dem Lieblingsftudium lateinifcher, ſcho—
laftifher Schriften. Er fpürte der
Wahrheit nah und war auf dem beten
Wege, ficherzuftellen, wie es dann
mit der Menſchheit ſtünde, wenn die
Stammutter Eva nicht in einen Apfel,
fondern in einen Pfirfich gebiffen hätte.
Um fo fleißiger war der Ritter-
Oheim bei dem Fräulein. Sirene hatte
ein weißes, ſehr feines Pulverchen,
mit dem fie ihre rothen Wangen zu
beftäuben pflegte; mit diefem Pulver
beftäubte der Oheim auch bisweilen
die feinen, bis ihm das Fräulein
einmal rieth, nicht fo ſehr die Baden,
fondern vielmehr die Nafe mit einem
zarteren Zeint verfehen zu wollen.
Hräulein Sirene Hatte nämlich
viele natürliche Schallhaftigkeit, die fie
freilich gern in Efprit umzufeßen liebte,
außerdem — da e3 doch ſchon einmal
gejagt werden muß — war Sirene
ſehr ſchön, daß nicht einmal der lächer-
liche Aufpuß die Tiebliche Geftalt ganz
zu unterbrüden vermochte.
Nun lebte in demſelben Thale und
auf denfelben Matten, die auch der
alte Schäfer Gutram bewohnte, ein
junger Mann, Namens Walther. Er
war dor einiger Zeit in die Gegend
gelommen und Hatte nach Arbeit ums
gefragt.
Was er könne? Er könne nichts
als leſen, fehreiben und Gott den
Herrn anbeten, aber er werde Alles
lernen, was man verlange, daß er thue.
Wer er wäre? Er wäre nichts als
der Sohn eines Stadtjchreibers, deſſen
Dater ih in fünfzigjähriger Amts»
treue ein Haus erworben. Aber das
Haus feines Vaters habe der Feind
zerflört, fein Vater fei aus Gram
geftorben, er felber fei dann im ein
Klofter gebracht worden, wo er als
Novize etliche Jahre Schöne Kunft be=
trieben. Dann feien die Schweden
gelommen, hätten das Kloſter nieder-
gebrannt und die Mönche verjagt.
Er habe fih nicht wollen fangen
laffen, ſondern fei lieber im Gebirge
der niedrigfte Knecht, als mit den
räuberiſchen Schweden zu gehen. Er
wolle überhaupt vom Kriegshandiwerf
nichts willen, viel lieber finge er im
grünen Walde Lieder. Aber das wiſſe
er wohl, zum Singen wirden ihn die
Banersleute nicht aufnehmen, und den
Schloßherrſchaften wäre heutzutage die
Luft zum Gefang vergangen, fo bitte
er nur um Arbeit, um fich fein Stüd=
lein Brot erwerben zu können.
Da beriethen ſich die Leute unter:
einander, denn fo einen hübjchen und
manierlichen Burfchen läßt man nicht
gerne ziehen. Endlich that fi einer
der Dorfälteften hervor und fagte:
„Seitdem den fchwarzen Lufchel der
Teufel geholt hat, haben wir feinen
Gaißhirten. Gunnen fi die hohen
Herrfchaften auch ihre Paffionen, die
Einen treiben Jagd, die Anderen Krieg,
wesweg jollen wir gemeinen Leut’
nicht einmal einen geftudierten Gaiß—
hirten haben! Wenn er will?“
Der junge Mann wollte. So
fonnte er ja doch im grünen Wald
jein und im feinem Frieden -fich des
Lebens freuen und Gott verchren. Es |
wollte ihm beſſer gefallen, als mit
jungem Blute eingefargt zu” fein in
den Kloſtermauern.
„Vielleicht holt Dich bei uns auch
der Teufel,“ fchrie einer der Bauern
dem Walther in's Geficht.
„Mie fo?" fragte Walther.
„Weil Du etwan auch die Kunft
weißt wie der jchwarze Lufchel und
die Böde melfeft bei den Hörnern!
Dem Lufchel Hat ein Gaikbod über
die Sullwand hinabgeftoßen, daß fein
Knochen ift ganz geblieben an feinem
Leib. Hüte Di!”
„Sch Hüte mich und die Gaiken,“
lagte Walther, da war der Handel
geichloflen.
In einer Strohfcheune des Ge—
meindeftadel3 heimten fie ihn ein, dort
hatte auch der ſchwarze Lufchel ge—
wohnt. Und an jedem Morgen vers
jammelte er die Gaiken der drei zu—
fammengehörigen Dörfer und führte
fie hinaus auf die Heiden des Thales,
auf die Hänge und Matten der Berge.
Ein Stüd Gerftenbrot und ein Topf Milch
war feine Nahrung, im Webrigen lebte
er von dem Manna, das vom Himmel
A
fiel, nämlich von den wilden Früchten
der Wälder und Weiden und von der
Freude an dem Sonnenschein nnd an
den Nofen. Waren Stürme, fo hüllte
er fich in den MWettermantel des Lufchel,
aber der war ihm viel zu kurz, denn
der Lufchel war ſchier ein Zwerg ge=
wejen und Walther war jchlank wie
ein junger Lärhbaum und aud fo
frifch und ſchmiegſam. Lange, jchwere
Loden hatte er, die glänzten in der
Sonne wie gefponnenes Gold und
floffen ihm breit und weich auf die
Schultern hinab.
Einigen war die große Schönheit
des neuen Gaißers — befonders, wenn
er ſie mit feinem großen hellen Auge
munter anblidte — verdächtig und fie
meinten, da3 wirde feinen Beltand
haben und die erftbefte Witfrau würde
eines Abends nebſt ihren Gaißen auch
den Gaißer an fich fordern. Anderen
gefiel es nicht, daß der Hirt einen
aus Burbaunholz fein gejchnigten
Kamm beſaß, womit er fich jeden
Morgen die langen Haare fträßlte.
Ein Gaißer, der ſich kämmt! Was es
doch in diefer neuen Zeit für wun—
derliche Leute gibt!
An den alten Schäfer Gutram
hatte fih Walther angeſchloſſen. Der
Schäfer konnte zwar fonft die Gaißen,
folglih auch die Gaißer nicht leiden,
denn er behauptete, die Gaißen nagten
der MWeltkugel nicht bloß das Gras
und Gefträuch bei Pub und Stingel,
fondern auch die Haut ab und ließen
den Schafen nichts übrig. Den weich—
müthigen, heiteren Walter aber hatte
er lieb, weil er die Weidepläße nicht
vorwegs wegnahın, wie es der Luſchel
hatte gethan; und Walter wieder
freute fih an den Schnurren und
Polen des Alten, und wenn fie auf
dem grünen Raſen ausgeftredt lagen,
hedten fie mitfammen mand feines
Stüdlein aus. Ward e3 Schon nicht
immer voflführt, jo ergößten fich die
Hirten in der Borftellung desjelben,
und fo gewann ihr Leben einen, wenn
auch flüchtigen, aber heiteren Juhalt.
22
Eines Tages, als Walther feine
Herde in das Gewände des Stoller
binangeführt Hatte, zwiſchen deſſen
Gefelfe auf ſchwarzer Erde ein gar
feines Gräslein wuchs, Hetterte Wal:
ther — es war ein heißer Julitag —
zur Schattigen Rinfe, wo das Wafler
niederſchoß; und feitwärts, wo es in
einen binnen Schleier vom Felsvor—
fprung riefelte, Iniete er hin und hielt
fein Haupt unter das Waller, daß
die Loden mitſammt dem Wafler vorn
über dad Antlitz herabgoſſen. Nach
wohl das Ritterfräulein, aber werben
darf er nicht um ſie. Ich denke,
einſtweilen ſollſt auch mit dem Lie—
ben genug haben. Zwei Wächter Hat
fie. Der eine ift nicht gefährlich,
der ftudiert eben in alten Schriften,
ob Gott-Sohn auch dann die Welt
hätte erlöfen können, wenn er als
Kohlrübe auf die Erde gekommen wäre.
Der andere Wächter ift auch nicht ge=
fährlich, der will fich Häuten und aus
einem alten Zatel ein frifcher Knabe
werden. Den übernehme ih. Mit
diefer Erguidung wollte er wieder | dem Fräulein mußt Du es abmachen.
feinen Gaißen zugehen, da hatte er Aber fachte, Junge, ſachte!“
plöglich dor fich die -Ritterburg. Mit
diefer wäre er aber leicht fertig ge—
worden, allein in einem der Fenſter
ftand das Burgfräulein, und das
bradte ihn — mie eine leibhaftige
Eirene — auf der Stelle aus Rand
und Band. So fehr zitterten ihm die
So tief Walther einerfeits über
fein Schickſal bekümmert war, fo machte
e3 ihm andererſeits doch Spaß, als
Hirtenjunge in ein Schloßfräulein ver—
liebt zu fein. Er fühlte fich wie der
Held einer Gefchichte, die mit einem
tüdhtigen Trumpf ausgehen muß —
Knie, daß er nur mit Noth niederkam fo oder ſo — aber nicht in den Saud
an den Wänden in’s Thal. Dort verlaufen, das ift er feiner Hirtenehre
ftrich er dur Erlen» und Haſelnuß- ſchuldig. In alten Zeiten haben die
büfche hin, bis er den Schäfer Gutram | Hirten bei folhen Dingen immer ges
fand, dem klagte er es: „Heut ift
mir was pafjiert. Das Burgfräulein
da oben, das hat mich in Brand ge—
ftedt.“
„Knabe!“ antwortete der Schäfer, | „ieder
„da mußt Du löfchen.”
ſiegt, nur Schade, daß das Burgfräu—
lein nicht gar eine Königstochter iſt!
In einer Engſchlucht des Kolber,
dort, wo der Waſſerſturz vom Berge
in einen tiefen Tümpel fällt,
ftand ein Dornftrauh. Weil niemals
„Mit kühler Erde,“ murmelte Walz | ein Sonnenftrahl darauf fiel, jo waren
ther jehr niedergefchlagen, „ein Burgs |daran immer nur verfümmerte Kno—
fräulein kann der Gaißhirt ja nicht | fpen, ſchwindſüchtige Blüten und un—
haben.“
„Warum denn nicht?”
entwidelte Fruchtfnoten zu fehen ge=
fragte | weſen. Daher fiel es dem alten Schäfer
der Schäfer munter, „gebe Hin umd auf, als eines Tages am Dornftrauc
nimm fie.“
Walther blidte den Alten eine
Meile an. Endlich fagte er: „Du haft
Recht, Gutram, ich bin ein junger
Mensch und fie ift ein junger Menfch,
warum follten wir uns nicht haben!
Sie ift ja ihr eigener Herr, ich gehe
noch Heute hinauf in die Burg und
werbe um fie.“
„DH Kind!“ rief der Alte, „und
willft Schon werben! Das mußt Du
Hüger anftellen. Lieben darf der Hirte
ein vollerblühtes Röslein prangte.
„Das wundert Dich!” rief Wal
ther, „Ichaue doch hinauf zur Burg.
Dom Erferfenfter kann ihr Blick herab—
leuchten auf den Strauch, das ift mehr
als die Sonne.”
Darauf wurde verabredet, die Roſe
dem Fräulein zu überfenden. In der
Taſche ein Fläſchchen Lebenselirier für
den Ritter-Oheim, in der Hand ein
Körbchen aus Brombeerlaub geflochten
und darin die friſchbethaute Rofe, fo
ra
23
ftieg der Schäfer Gutram hinauf zur Damit jchleuderte fie das rothe Rös—
Burg.
Die Pforte war für den Alten
immer offen. „Ih bringe Jugend,“
tief er dem Oheim zu, der ihm ges
büdt entgegenhaftete, „aber Ihr müßt
aus diefem Fläfchlein täglich nur einen
Tropfen zu Euch nehmen. Sonft
fommt fie jählingd und wirft Euch
über den Haufen, mit Berlaub. Ihr
müßt erft wieder reiten lernen, gnä—
diger Herr, ehe Ihr diefen Hengiten
befteigt.“
Der Oheim war's zufrieden. Dem
Schäfer gelang es hierauf, dem Fräu—
lein Sirene die Rofe zu übergeben,
wobei er folgende Worte ſprach:
„Snädigfte Jungfrau! Zürnet mir
nit, wenn ich als arınjeliger Bote
des Frühlings zu Euch komme. Tief
unten in der finfternen Schlucht fteht
ein Strauch, und feit Gott der Herr
die Welt erſchaffen, hat es der Früh:
ling nicht vermocht, einen Sonnenblid
darauf zu lenken und eine Roje daran
zu entfalten. Nun fiel wohl der Blid
Eueren Auges auf die Knoſpe des
Straudes und der hat diefe Roſe
entfaltet, denn er ift mehr als die
Sonne. So fagte der Frühling, die
Nofe gehöre Euch, gnädigfte Jungfrau,
und da ift fie nun.”
Das Fräulein Sirene lächelte gnä—
dig und die ſchallhafte Rede gefiel ihr.
Doch fonnte fie nicht denken, daß ihr
nitten in der Natur Ueberfluß Jemand
eine gewöhnliche Nofe zum Gefchent
machen wolle. „Ei ei,“ ſagte fie, „wie
nett! Was man doch heutzutage für
hübſche Sahen macht aus Papier und
Seide! Wie frifh! Wie weih! Gar
zu täuſchend! Ich danke Euch, lieber
Alter!“
Der Schäfer madte fie aufmerk—
fan, daß es feine Fünftliche, fondern |
eine natürliche Roſe fei.
„Was jagt Ihr da?“ verjeßte
das Fräulein. „Seine künſtliche aus
Sammt und Seiden? Und man wagt
es, mir eine gemeine Rofe zu ſchenken,
wie fie auf allen Heden wachjen ?*
lei zu Boden und raufchte zornig
davon.
Als der Schäfer zum Gaißer zurück—
fehrte, lag diefer im Heidefraut und
firedte alle Biere von fi. Der Schä—
fer fchüttelte den Kopf. Walther erhob
fih ein wenig, ftrih die Mähne aus
dem Gefiht und fragte: „Nun, wie
iſt's?“
„Nichts iſt's, wenn man den Kopf
ſchüſttelt,“ berichtete der alte Gutram
„Sie hat die Roſe zu Boden gewor-
fen, weil fie nit von Seiden war.
Es hat fie gefräntt, daß die Roſe echt
und gerecht war.“
Walther fprang auf und ftampfte
in den Boden.
„So wäreft Du eben einmal weg—
geworfen worden, ſchöner Gaißer,“
fpottete der Schäfer.
„Daß fie mich weggeworfen hat,
erzürnt mich nicht,“ ſagte Walther,
„denn ſie hebt mich wieder auf. Aber
daß in dieſem himmliſchen Leib eine
fo jämmerliche Seele wohnt, der eine
unechte Blume lieber ift als eine echte,
das betrübt mich. Jedoch, Gutram,
erinnere Dich einmal d’ran, was id
jet jage: Ich werde die arıne Seele
diejes Burgfräuleins noch auseinander«
ziehen, wie der Bäder den verſchrumpf—
ten Zeig. Jetzt ift mir die Sache kein
Spaß mehr, ih wage mich ernftlich
an diefes verdammt ſchöne Kind.“
„Du mußt erft noch etliche Angeln
ausmwerfen, ehe Du Dich felber ſtellſt,“
rietd der Schäfer. „Lab Dir fagen:
ſchice ihr einen Vogel. Mit derlei
ſchmeichelt man fich bei den Weibern
immer ein.“
„Wäre nur ein Paradiesvpogel
ſchickſam,“ meinte Walther.
„Bei uns ift Schidfam, was Gott
‚bei uns hat wadjen laſſen,“ verjeßte
‚der Schäfer. „Die Scharlbuben haben
‚einen Zeifig, den haben fie im Jung»
wald aus dem Neft genommen und
fingt er allerhand feine Liedeln. Den
faufeft und ſchickeſt der Schönen.“
So ward es. Und der alte Schäfer
flieg mit dem Käfig hinan zur Burg
der Hohen Ritter. Schon auf der
Schloßbrücke kam ihm der Oheim ent»
gegen, der wollte zornig fein, war
aber nur kläglich. „Schäfer,” mur—
melte er und ſchaute zu Boden, als
ob er dort etwas fuchen wollte, „Euer
Elirier wirft nicht.“
„Wie fo ?*
„Es wirft nicht.“
„Das wäre mir unerklärlich.”
„Es wirkt einmal nicht. Geh’ her.“
Er zerrte den Schäfer in den Winfel
hinter die Pforte und flüfterte: „Ich
babe geftern eine Maid küffen wollen.
Sie hat mich wohl geftreichelt. Ja,
geftreichelt, aber zu ſtark.“ Er hielt
feine Hand an die Wange, da war es
„Wird ihr der Bräutigam wohl
lieber geweft fein,“ bemerkte der Schä=
fer, um für feine Sache etwas zu
erfahren.
„Den Laufpaß Hat fie ihm gegeben,
dem Ritter von Dreilaufen, und hat
gemeint, wenn der Herr Ritter glaubt,
daß ihm fogar ein hölzerner Vogel bei
ihr gefährlich werden möchte, fo müßte
an ihm nicht viel fein. — Flug ift
fie, meine Nichte, da3 gnädige Fräu—
lein!“
So ſchwatzte der Oheim, und als
Fräulein Sirene vom Vogel hörte,
war ſie außer ſich vor Freude, und
als ſie das grüngelbe Thierlein hin—
und herhüpfen ſah im Käfig und als
ſie ſein helles Zwitſchern vernahm,
rief ſie: „Der iſt noch ſchöner als der
leicht zu verſtehen, wie er es meinte. Andere! Der iſt ſo nett und fein, daß
Geſtrenger Herr,“ ſagte nun der
alte Gutram, „das wirkt ja zu heftig.
Ihr habt gewiß mehr als täglich einen
Tropfen zu Euch genommen. Alsdann
iſt's freilich fein Wunder, wenn die
Hand der Schönen fo feharf ange»
zogen worden if. E3 war in der
That, wie Ihr ganz richtig bemerkt
habt, ein Streicheln.”“
„Und ih Dummkopf habe mich
zurüdgezogen. Was Habt Ihr denn
da im Käfig ?*
„Da im Käfig habe ich einen
Vogel, ein gar künſtliches Thier.“
„Wollet Ihr ihn denn nicht meiner
Nichte verehren ?* fragte der Oheim;
„lie liebt folcde Stüde über die Maßen.
Dor einem Jahr ift ein Zigeuner
gekommen, der Hat auch fo Sachen
gehabt und fie fpielen laſſen. Einer,
das war glaube ich eine Nachtigall,
der hat immerfort: ſchöne Sirene! ge=
rufen. Wir haben dem Manne das
Zeug abgelauft und das Fräulein hat
ih Tag und Naht damit ergößt. Da
kam eines Tages ihr Bräutigam, der
Ritter von Dreilaufen, der Hat den
Vogel zertrümmert, weil er das: fehöne
Sirene! nicht Hat leiden können, der
Eiferfucht wegen, wenn ich ſchon Alles
joll ſagen.“
man glauben könnte, er fei lebendig.“
„Auf Sprungfedern geht er, nicht
wahr?“ näfelte der Oheim.
„Muß er aufgezogen werden ?“
fragte das Fräulein, „und habt Ihr
ihn felber gemacht, Alter? Und was
foftet er denn?“
„Der Wald ſchickt ihn Euch, gnä—
diges Fräulein,” ſagte der Schäfer.
„Es war ein todtes Holz, der Wald
hat ihm Athen eingeblafen, wie den
Anderen, aber es ift nicht lebendig
worden. Da bat er ihm das Mort:
Sirene eingebaut, Hierauf ift es als—
bald lebendig worden und feither fingt
es ohne Unterlaß.“
„Wie ?” rief das Fräulein, „les
bendig ift er mworden ? Und es wäre
nur ein gewöhnlicher Waldvogel ?
Pfui!“
Tief bekümmert kam der alte
Schäfer zurück zum jungen Gaißer.
„Sie hat den Vogel nicht genom—
men?“ fragte Walther.
„Sie hat ihn verſchmäht, weil er
nicht von Holz iſt und nicht künſtlich ſingt,
ſondern weil er echt und gerecht iſt.“
Walther ſchwieg. Der Vogel ſang.
Er ſang, bis die Sonne übergieng,
dann ſetzte er ſich zur Ruhe. Walther
ſagte uun aber: „Na, warte, Du
25
Ihönes Fräulein, wenn Dir das Echte} verliebt fei im das Burgfräulein Si—
und Gerechte nicht genehm ift, ich will|rene. Er Habe ihr zu Ehren Lieder
Dir was auffpielen, und das foll Dir | gedichtet, woran die Anfangsbuchftaben
fünftlih und falfch genug fein.“ der Zeilen ihren Namen bildeten. Ya,
er habe die ſchönſten Thiere feiner
— — Herde nah den Buchſtaben benannt,
die im Worte Sirene vorfämen, und
Nun vergieng eine geraume Zeit. | diefe feine Lieblingsthiere lode er täg—
Auf der Burg am Kolber war e3 lich unzählige Male an fich heran und
recht langweilig. Der Ritter» Oheim | füttere fie mit Lederbiffen. Da wurde
wurde nicht jünger, aber von Tag zu ſie zomig. in Ziegenhirt wagt es,
Tag findifcher, und der Burgfaplan,) in fie, die Edle der Hohen Ritter,
geriet immer mehr in Zmwiefpalt mit | verliebt zn fein? Sie weinte vor
feinem gelehrten Problem. Ganze Nächte) Zorn — es war aber ein Weinen
lang fauerte er bei feiner Lampe und vor Herzeleid, und das wollte fie ſich
fann und grübelte. Da waren nach | nicht geftehen.
langem und tiefem Studium zwei Eines Tages fragte Walther feinen
Löfungen herausgekommen. Die eine | Freund Gutram: „Du fagit, die Söhne
lautete: Gott Hätte die Welt erlöst, des Bauers am Bach wären von
auch wenn er als Kohlrübe erfchienen | den böhmischen Schlachtfeldern heim—
wäre, den bei Gott ift Alles möglich, | gelehrt.“
folglich auch die Verwandlung in jeden „So habe ich gehört. Ich glaube,
beliebigen Gegenftand. — Die andere daß fie davongelaufen find.“
lautete: Wenn Gott auch als Kohlrübe „Und fie hätten die wertvolle
die Melt hätte erlöfen lönnen, warum | Rüftung eines Fürſten als Beute mit-
ift er Menfch geworden und hat den | gebracht ?“
Tod gelitten? Da er dies gethan, fo „Auch eine fürnehme Gewandung
muß die ewige Heilwirfung durch die aus Sammt und Seiden, geſtickt mit
Kohlrübe nicht möglich gewefen fein. — — Gold und Gefchmeiden. Halten es
Der Burgcaplarn härmte ſich ab, ach, aber Heimlich und Haben Recht. Hohe
und Niemand will es glauben, wie| Herren, die fo was heimbringen, nennt
jelbftlos umd ernft des Forfchers Nin- | man Helden, arme Schluder heißen
gen nad Wahrheit ift im der flillen | Räuber.“
Studierftube! „Die Gewandung ift gewiß noch
Aber auch im das junge Leben des | recht gut erhalten.“
Fräuleins Iſanthe oder Sirene, wie Der Schäfer fehlittelte den Kopf.
fie fi lieber nannte, war Unruhe! „So verliebt fein und fi um ge=
gefommen. Die Verwaltung ihrer Burg | ftohlenes Zeug kümmern!“
und Güter machte ihre wenig Sorge, Malther hat jedoch von dieſem
dafür war der Wirtfchaftswart da. | Gegenftand nicht fobald abgelaffen.
Nöthig erwies fi die Anwerbung An einem der nächften Tage führte
neuer Snappen zur Befagung der der Gaiker feine Herde auf weiten
Feſte, ſowie die Bildung eines fri= | Ummegen empor zu den Höhen des
ſchen Fähnleins, denn der Zeiten Uns | Kolber. Am Rande des Schnees gibt
ruh' hallte manchmal unheimlich durch | es ein zwar furzes, aber Föftliches
das Alpenthal. Aber all’ das küm- Gras. Und Walther ftieg hinaus auf
merte Fräulein Sirene, die Herrin, | die fchroffe Felszinne und ſchaute hinab
nicht. Was Anderes war. Das Fräus | in die weite Welt und ſchanute hinab
fein Hatte in Erfahrung gebracht, daß) auf das grane Dad) der Ritterburg,
im Thale ein umvergleichlich ſchöner das tief unten, fcheinbar am Thal-
Hirt lebe, der ganz unvergleichlich ande, wie ein winziges Steinplättlein
26
dalag zwifchen anderen Steinen. Wenn
man jenes graue Steinchen aufheben
fönnte, fo würde ein Käferlein er-
Ihroden davonriefeln. Und das Käfer—
lein müßte man einfangen in die
hohle Hand und es ein wenig neden
und es ein wenig herzen... .
„Sirene!“ rief er laut in die
Lüfte hin. „Geftrenges, gnädiges Fräu—
lein in der Burg der Hohen Witter,
wie bin ich jet höher als Du!“ —
Im Frühherbſt war's desselben
Jahres. Vom Thale ſah man nicht
mehr hinauf zur Kolberburg, denn der
Berg hatte feine Nebelhaube herabge—
zogen weit über die Stirne. Eines
trüben Abends konnte der alte Schäfer
Gutram auf ſeiner Thalweide hören,
wie oben die Schloßbrücke niederraſſelte.
Er ſchmunzelte ein wenig, dann kniete
er vor einer Wegſäule hin, an welcher
ein Muttergottesbild hieng, ſie möchte
machen, daß Jedem das Seine werde:
wer getäuſcht ſein wolle, dem die
Täuſchung, wer geliebt ſein wolle,
dem die Liebe.
In der Burg der Hohen Ritter
war zur ſelbigen Stunde ein ſelt—
ſamer Gaſt angekommen. Ein Flücht—
ling aus den kriegeriſchen Gegenden
hatte Schutz im entlegenen Alpenthale
geſucht. Ein junger Rittersmann, das
Roß Hatte man ihm unter dem Leibe
todtgefchoffen, er entkam mit Noth und
Gefahr, war tagelang in den Wäldern
umgeftrichen, habe von wilden Früch—
ten ſich ernährt, Habe ſich auch keiner
Burg zu nahen gewagt, aber die hohe
Feſte an dieſem Berge, die fo welt-
fern und friedfam daliege, habe ihm
Bertrauen eingeflößt. Er bitte um
Gaftfreundfchaft für etliche Tage, um
ſich für feine noch weite Neife, er wolle
nad dem heiligen Land, ein wenig zu
erholen.
Das hatte der Fremde in bejcheis
dener Art der jungen Herrin vorge—
tragen. Fräulein Sirene wußte kaum,
wie ihr geſchah. Das zart aufgetragene
Weiß auf ihrem Gefichtlein vermochte
die Flammen nicht ganz zu deden, die
jet auf ihren Wangen leuchteten. Der
Fremde war jung und hatte vornehme
Manieren und feine Rüftung verrieth
hohe Abkunft, die zu verbergen er fich
bemühte.
Die Gaftfreundfchaft wurde ihm
mit vieler Höflichkeit gewährt. Ein
prunfhaftes Gemah im vorderften
Erker, anftopend an den Ritterfaal,
ward ihm angewiejen, ein betagtes
Dienerpaar ward ihn zugetheilt. Der
Fremde ließ ſich fofort nieder auf ein
Nuhebett und firedte und redte ſich,
und wie weit er ſich auch auseinander»
thun mochte, immer noch fonnte er
die prächtigen Räume nicht ausfüllen,
denen er jebt gebot. Dann erhob er
ſich und machte mit Hilfe des gro»
ben Metallfpiegel$ den feinen Anzug
und die Loden zurecht nad höfiſcher
Art, hernach gieng er an ein Fenſter
und blidte zufrieden Hinab im die
dämmernde Tiefe. Sein Zuftand, fo-
wie der Empfang don dem Burgfräu-
lein und ihre Erſcheinung ſchienen dem
Gafte in hohem Grade zu behagen.
Er war auch jofort bereit, als man
ihn zum Abendmahl rief.
Beim Abendmahl ſaß zu feiner
Linken der NRitter-Oheim und ihm
gegenüber das Scloßfräulein. Der
Oheim trank den Humpen Weines
zweimal leer, dabei machte er mancher—
lei jugendliche Scherze und drehte mit
den Fingern zwei Spißen an feinem
fpärlihen Schnurrbart. Als diefe Spitz-
chen leidlich gefehärft aufwärts ftanden,
legte er ſich in den Lehnftuhl zurüd
und fchlummerte ein. Diefes Ereigniß
brachte fowohl den Fremden als auch
|das Fräulein nachgerade aus der Faſ—
fung. Bor Allem hatte fich letzteres
raſch erhoben, fo war auch er aufge—
ſprungen. „Ihr jagt mich frühzeitig
in die Einfanfeit meines Gemaches
zurüd,* fagte er, „und ich werde
diefelbe benugen, um "über die Vers
gänglichkeit der menſchlichen Macht und
des irdifhen Glüdes nachzudenken.“
Hierauf jagte das Fräulein, aber
ohne den Fremden anzufehen: „Es
—
27
Scheint, Ihr Habt viel
verloren.“
„Snädige Jungfrau,” ſprach nun
der fremde, „als der Mond das letzte—
mal voll war, ſchien er nieder auf
mein jchönes, friedliches Land, auf
meine glüdlihen Unterthanen. Wenn
ich auszog, begleitete mich ein frohes
Gefolge, Blumen waren geftreut auf
meinen Wegen, aus grünem NReifig
Pforten waren geflochten über meinem
Haupte, Muſik, Gefang und Jubel
ringaum mich; wenn ich heimfehrte,
läuteten die Gloden meiner Dörfer,
gelitten und
und die ſchöne Welt war mein, fo weit |
ich bliden fonnte.“
„Und das Alles ift verloren!”
tief das Fräulein.
„Das Alles und noch mehr,“
Kreuzes erlöst werden, und weil man
eine Kohlrübe nicht Ereuzigen kann, fo
mußte Gottes Sohn die Geftalt des
Menfhen annehmen. So und nicht
anders! ch bitte nochmals um Ver—
zeihung, aber meine Freude ift zu
groß.”
„Es ift gut,“ fagte das Burg»
fräulein, „ich beglüdwünfche Euch. Nun
geht zu Bette, möglicherweife bedarf
ich Euer morgen zur zeitlichen Stunde.“
Und wozu bedurfte fie feiner am
nächſten Morgen zur zeitlichen Stunde?
Um fi mit ihrem jungen Gafte vom
Hoflapları das heilige Sacrament der
Ehe reichen zu laffen.
Man wundere fich nicht fiber der
fühen Angelegenheit raſchen Verlauf.
Wenn es ftets nach dem Willen der
fagte der Fremde traurig, „eine Fa- | Liebesleute gienge, vollzöge ſich's fchier
milie —“
allemal fo raſch als dazumal, wo die
„Weib und Kind!“ ſtieß Fräulein |außerordentlihe Zeit und die Ver—
Sirene hervor.
„Habe ich gottlob noch nicht be- Brautpaares ermöglichten.
lonnten ganz wohl erjt nachher folgen
ſeſſen.“
haltniſſe volle Selbſtverfügung des
Die Feſte
Sie athmete auf und ſank auf bis die Herzen ein wenig geruhigt
ihren Seſſel zurück.
„Prinz,“ ſagte ſie und winkte mit
großer Anmuth, daß er wieder Platz
nehme. Er that es, ohne ihre An—
ſprache zu berichtigen ; da wußte fie,
mit wen fie e3 zu thun hatte.
„SH Habe einen Burgfaplan,”
verjegte nun das Fräulein, „ein wür—
diger, gelehrter Mann, der meint, zum
Ertragen großer Freuden und großer
Leiden ſoll fih der Menſch immer
einen Gefährten fuchen. Dieſer Nath
paßt auch für Enere Hoheit.”
Der Fremde ftand auf, hielt die,
‚dazu aufgelegt fein würden.
Am dritten Tage nad) der Trauung,
als ſchräg die Bergwand bernieder
wieder die liebe Sonne ihre Strahlen
warf, als das junge Ehepaar, die
Arme fich gegenfeitig um den Naden
ichlingend, am offenen Fenfter fand,
fagte Frau Iſanthe denn bei
diefen Namen rief fie ihr Gemahl —
mit etwas zögernder Stimme: „Du
haft mir in diefen Tagen fo viel Liebes
gefagt und gethan, mein Theurer, daß
ich mich wundere, warum Du mir
noch kein Lob erwieſen haſt darüber,
beiden Arme hin und ſagte mit leiſer, daß ich im Stande bin, die weibliche
zitlernder Stimme:
Gefährte ſein?“
Im ſelben Augenblick war draußen
ein mächtiges Gepolter, die Thür flog
auf, der Kaplan ſtürzte herein mit
leuchtendem Geſicht: „Gnädiges Fräus |
lein! Verzeihung! Endlich! Endlich
habe ih es gefunden: Weil Eva in
eine Baumfrucht gebilfen Hat, jo mußte
biſt,“ ſagte fie.
die Menſchheit durch den Baum des
„Wollt Ihr mein Neugierde ſo lange zu bezähmen und
Dich nicht
zu fragen nach Deinem
fürſtlichen Namen.“
„Ich Halte eine ſolche Bezähmung
für unmöglich,“ antwortete er, „und
ſchloß aus Deinem Schweigen, daß
Du Name und Herkunft Deines Er—
wählten ja kennen müßteſt.“
„Ich weiß mur, daß Du ein Prinz
28
„Wenn Du das glaubteft, meine
fühe Ifanthe, fo wäreft Du in einem
großen Irrthum,“ verfehte er, „ich bin
durchaus kein Prinz, jondern ich bin
meine Standes der Gaißhirt der drei
Dörfer, die dort unten im Thale liegen.“
Sie fuhr — als er fein Belenntnis
wiederholte — wie ein Freifel im Zim—
mer umher und mannte ihn einen
Betrüger, der fie in ihrem Wahne
belaffen und beftärkt Habe.
Er fieng die Empörte ein, drüdte
ihr Köpfchen feft an feine Bruft und
fagte: „Das habe ich Dir zu Liebe
gethan, Iſanthe. Du mollteft nichts
Echtes. Ich Habe Dir eine Rofe ge—
ſchickt, Du Haft fie Hingerworfen, weil
fie eine echte Roje war und nicht eine
falfche. Ich Habe Dir einen Vogel
gefandt, Du haft ihn nicht angenom—
men, weil er ein wirklicher Vogel war
und fein fünftliher. So habe ich ge—
daht: Wenn der ſchönen Jungfrau
das Unehte und Falfche fo viele
Freude macht, jo wollen wir ihr einen
falfhen Prinzen ſchicken. Und den
bat fie auch genommen. Uber deſſen
mag fie gewiß fein: Wenn der Prinz
auch falſch war, der Menfh und
Gemahl wird doch treu fein und fein
liebes Weib ehren und glüdlich machen.“
Er wollte einen Kuß auf ihre
Wangen drüden, aber über diejelben
rannen falzige Thränen. „Du Haft
mich belogen!“ ſchluchzte die Be—
dauernswerte, „als Du von Deinem
Hofſtaat ſpracheſt.“
„Da irrſt Du wieder, meine
Liebe,“ antwortete er, „von meinem
Hofſtaat habe ich nicht geſprochen.
Ich ſprach von meinem Land, deſſen
Schönheit mein iſt, ſo weit ich blicken
kann; da unten liegt es und ſeine
Schönheit kann meinen Augen Nie—
mand nehmen. Ich habe glückliche
Unterthanen, ein munteres Gefolge,
das mich begleitet, wenn ich ausziehe
und wenn ich heimkehre; das iſt meine
Herde. Auf meinen Wegen, Matten
und Wieſen hat die Natur Blumen
geſtreut, über meinem Haupte hat der
Wald grüne Pforten gebaut. Hörner—
Shall und Bogelfang umklingen und
umjubeln mich jeden Tag, und wenn
ich heimfehre, jo ift es ftets um die
Zeit, wenn die Abendgloden Täuten.
Was ih vom Kriege und meiner
Flucht erzählt, es ift mein perſön—
lies Schickſal. Ich Habe die Wahr—
heit gejagt.”
„Und diefes Kleid ?* fragte die
junge Frau, an feirier fürnehmen Ge-
wandung zupfend.
„Diefes Kleid ift an mir das ein-
zige Falſch,“ antwortete Walther, „aber
ein Kleid läßt fih zum Glück aus—
ziehen und ich thue es, ſobald ich
davon überzeugt bin, dab Du von
nun an das Echte lieber haben wirft
al3 das Falſche. Erkenneſt Du mich
als den Herrn diefer Burg, ſowie Du
mich als den Herrn Deines Herzens
anerkannt haft, fo hülle ich mich in
die Rüftung Deiner edlen Vorfahren,
und werde diefe Burg und mas ihr
zufteht vedlich verwalten; ziehft Du
es vor, mit mir auf die grünen Matten
niederzufteigen zu meinen Dörfern und
Unterthanen, jo werden fie Dich gern
al3 ihre liebwerte Frau Gaißerin an—
ertennen. Es fteht in Deinem Be—
lieben.“
Auf das verfegte fie rafh: „Wenn
mir mein Gemahl Alles fo leicht machen
wird, als diefe Mahl, dann werde ich
doch zufrieden fein.“
„Ufo fteigen wir hinab ?* fragte
der Schall.
Eine Stunde ſpäter ſchritt Wal-
iher, der Gaißer, in der Rüftung der
Hohen Ritter klirrend durch den Rit—
terſaal. —
Das erfte Jahr war noch Tange
nicht um, als der alte Schäfer Gutram
in die Kolberburg berufen wurde zur
Taufe des nenerfchienenen Söhnleins.
Im Geremonienfaal Hodte auch ſchon
der Nitter-Oheim, eingefhrumpft und
gelb wie eine Mumie, mit blöden
Augen und zahnlofem Munde.
„Aha,“ lallte er, als er ven Schä—
fer ſah. „Da ift der Schelm, der mir
29
die Jugend verfprodhen hat.
fie denn, he?“
„Hier,“ ſagte der Schäfer und
deutete auf das Find.
So ift das Ende der Gefchichte
vom Gaiker und dem Burgfränlein,
die der Erzähler im Sagenfreis des
Volkes ſtückweiſe aufgelefen und nad
beitem Können zufammengelittet hat.
Die zerbrödelte Burg an den Wänden
des Kolber kann ınan nicht mehr fo
zufammentitten. Die Hohen NRitter
waren bald vergefjen, im der Felſen—
burg entwidelte ſich ein harmloſeres
Wo iſt
Geſchlecht, das ſich allmählich im
Lande zerftrent und manches Gute für
die Menjchen gewirkt hat. Der Leßte
diefes Gefchlechtes ift erft vor fechzig
Jahren zu Linz an der Donau ges
ftorben.
Sei es, dab fih das Volk Heute
noch an die Geſchichte vom Gaißer
erinnert oder weil in der Ruine des
Bergichloffes an ſchönen Sommertagen
manchmal Gaigen und Gaißer herum
Hettern, die einen um Sräutlein, die
anderen um Himbeeren zu ſuchen —
man nennt das graue, zerriffene Ge—
mäuer am heutigen Tage noch die
Gaikerburg.
Mein Freund Fran.
Aufzeihnung eines Priefters,
er
A ls ich im Jahre 1879 meine
a theologischen Studien vollendet
hatte und die Primiz bor der Thür
ftand, fanden meine Leute, dab ich
nothwendig der Erholung bedürfe und
Schidten mich auf einige Wochen nad
Gleihenberg. Der heitere, zwangloſe
Frieden im Hofpiz, in welchem ich
Wohnung und Verpflegung hatte, die
reine, milde Auguftfonne, die iiber der
berrlihen Gegend lag, that mir un:
fäglih wohl. Ih kam mir vor mie
ein Vogel, den fie nach langer Gefan-
genſchaft im Käfig einmal ein wenig
auf die Zweige der Linde hinaus
flattern laffen, bevor fie ihn wieder
in einen zwar weniger engen, hinge—
gen aber unzerreißbaren Bauer fteden.
Da fah ih oft fundenlang im
fie ſchienen doch jo viel Geld zu haben,
und ſchöne Frauen waren dabei —
wunderſchöne Frauen. So fein und
weiß war fie freilich nicht, die Maria
daheim im Ennäthal, aber lieber wäre
mirs doch gewejen, wenn die Maria
den Park auf und abgewandelt wäre
und mandmal auf mich hergeblidt
hätte. Doch die will ſchon Kränze
flehten daheim für meine Primiz. Sie
meint mir damit was Liebes zu thun.
Solches Hätte man ſich auch. nicht
denfen können, dab mir das liebfte
Dirndel auf der Welt den Prieſter—
franz winden foll.
Kaum eine Woche war ih in
Gleichenberg, als ich einen Brief aus
dem Ag bon meinem Better,
dem Arzte D. erhielt, folgenden In—
Brunnenpark oder am Springauell vor | Haltes:
dem Curhauſe und betrachtete die vor—
nehme Welt. Den meiften jah man
e3 leicht an, daß fie einer ſchweren,
Schleihenden Krankheit, der Langweile
halber hierher gelommen waren, und
„Lieber Karl!
In ein paar Tagen wirft Du
zum Gurgebrauch einen guten Ka—
meraden befommen. Der Moringer
50
Franz hat3 auf der Bruft und muB Jaber der Huften nicht beifer worden.
ich ihn in's Bad ſchicken. Zu Michelli | Im Mat nachher iſt's beſſer worden,
will er heiraten und da möchte er aber jegt im Juli herum, da Hab ich
bishin gerne gefund fein. Er fürdh | wieder jo viel den Katarrh bekommen
tet in Gleichenberg den Zeitlang |und bei der heißen Sonne wird mir
(die lange Weile), und da fei ſo nie reht warm — weiß der taufend
gut und gib Di danıı und wann was das ift! — Uber jebt, Gott Lob
mit ihm ab. Ich Hoffe, daß Ihr in und Dank, weil ich nur da bin, jeßt
einigen Wochen beide recht friſch wird fich3 bald wieder machen.“
und munter heimkehren werdet zum So find wir viel beiſammen ge=
neuen Lebenslauf, den jeder von weſen im jenen Tagen, der Moringer
Euch beginnen will und wozu ihr | Franz und ih. Manchmal wäre ich
Kraft brauchet. Mit Fchönften | gerne ins Albrechtswäldchen gegangen
Grüßen D.“ oder hinauf in den ſtillen Kiefern—
ſchachen hinter der Kirche, aber der
Franz war vom Brunnen nicht weg
zu bringen; da ſaß er am liebſten
auf einer Bank an der Wandelbahn,
ſtarrte vor ſich hin und konnte die
Trinkſtunden kaum erwarten.
Wenige Tage ſpäter war der Mo—
ringer Franz da. Er hatte ſich im
Vereinshaus eingewohnt und fein |
Doctor hatte ihm die gewöhnliche Cur
vorgejchrieben. Ih war erjchroden,
als ich den kaum einundzwanzigjähti« Einmal famen wir bis zum Brün—
gen, font fo kerngeſunden und über» erkaus hinauf, wo man den fehönen
mälhig luſtigen Burſchen vor NE) Ausblick he MWiejenthal,
ſtehen ſah. Ex ftand aber nicht lange; | ;,, die nördliche Hügelreihe, auf das
noch bevor ih ihm einen Platz NE ſtattliche Schloß Gleichenberg und auf
tragen konnte, fagte er, er müſſe ſich Yen Kogel hat
niederjeßen, er jei müde geworden den AH, da ifts gut,” fagte der Franz
Derg herauf. Der Dann, ber fl und ließ ſich mit zitternden Füßen
an einem Nachmittag auf den Zeiritz⸗ auf die Bank nieder, „ah, da ifls
kampel lief und Abends wieder zuruͤck ſhn! j i
war zum Kirchweihtanz, der tonnie Bon nun an frebte er immer
das Qugelchen laum mehr erjteigen diefer Stelle zu und immer hauchte
zum Dofpiz heran. Scier gebrochen } ,.. „Da ifs ſchoni⸗
war er, und wo die rothen Wangen Es ift ein fo freundliches Land—
geweſen da waren jept blafje Höhlune | ſchaftsbild“, verjegte ich, „fo viel Grün,
gen, über denen bie Gefichtstnoden |, viel Wald! So viel Sonnenfchein
Iharf hervorftanden. Dir kam er ganz | Yariiher!«
fremd vor und ich hatte zu thun, die „Nicht wahr,“ fragte er einmal und
Ueberraſchung leidlich zu verbergen. deutete mit zuckendem Arm gegen
„Ufo Du biſt nicht ganz wohl?“ Norden, „nad dieſer Seite Hin ift
fragte ich, „D. hat mirs gefegrieben | unfere Heimat ?*
und es ift Schön, daß Du Dir Erho-| Mum erft ahnte ich, warum es ihn
lung gönneft in dieſer lieblichen Ges hier fo ſehr gefiel, nun erft wußte ich,
gend. Aber jage, wie haft Du Dir warum er immer über die Berge hin—
denn Dein Leiden zugezogen ?* aus in den Himmel Hineinblidte, wo
„Das weiß Gott!“ antwortete er die fernen weißen Wölklein ftanden,
mit einem fchweren Athemzug. „An- dieſe Wölklein ftanden über feinen
gefangen hat es im vorigen März, | Heimatsbergen.
daß ih auf einmal den Schragen in „Siehe,“ jagte ih, „da unten auf
der Holzhütte nicht mehr heben kann. der Straße fommen ſchon wieder Wa-
Süßholzwaſſer Habe ich getrunken, ift gen, Leute aus freinden Ländern, die
31
hier geſund werden wollen. Auf dieſer es in mir: Nein, von dem dummen
Straße ſind wir auch gekommen und! Holz laſſe ich mich nicht bedauern. Ich
auf dieſer Straße werden wir nach will einmal jehen, was ein braver
einigen Wochen geſund und munter Kerl vermag.
heimwärts fahren.” |
„Slaubft Du?“ fragte er und in —
feinen Augen glühte ein eigenthum—⸗ Am nächſten Tage Hopfte ich beim
liches Feuer. „Du freilich wohl, Du Doctor an, der den Franz in Bes
gewiß, aber ih — ?“ Er fehüttelte Handlung hatte, eim freundlicher Mann
den Kopf und wendete fi) ab. Große mit ſchon etwas grauenden Bollbart,
Thränen ftanden in feinen Augen. '
„Hranz,“ fagte ih und nahm ihn
bei der Hand „ſchau, verzagt mußt:
Du nit fein. Jetzt greift Dich die
Gur an, das ift zuerft immer jo. Und,
da iſt man auch jo niedergedrüdt. Ich
fenne Dich ja gar nicht mehr! Was
Tu für ein Iuftiger Kampel bift ges
weien! Wenn Dich Deine Braut jetzt
jo ſähe! Die hätte feine Freude
Wegen des bißchen Statarıh da fo,
topfhängerifch fein! Erzähle mir doch
einmal von Deiner Braut!“ |
„Du ſollſt fie ja fchier kennen,“ |
gab Franz zur Antwort. „Eine Liezne= |
rin ifts. Die Steiregger Maria.“ |
„a,“ ſagte ih, „Die kenne ich
wohl.“ Mir verjchlugs beinahe die
Rede.
Noch an demfelben Tage gieng ich
hinüber in den Taferl- Wald und
frid in demfelben um, und Die
Stimmung die mich peinigte, möchte
ih meinem größten Feind nicht wün—
ihen. Ih Hatte aber damals noch gar
feinen, außer wenn ich den —
Moringer Franz als ſolchen betrachten
mit hoher Stirne und offenherzigem
Gefiht. Man mußte Vertrauen zu ihm
haben. Ich war da, um ihn zu fra=
gen, wie es mit dem Kranken eigent=
lich ftehe.
„Sie find wohl ein Bruder von
ihm?“ fragte der Arzt entgegen, „nicht ?
Nur ein guter Belannter. Wollen Sie
doch einen Augenblick Pla nehmen!“
Ich verſank faft im dem weichen
Lehnftugl. Das Cabinet war kühl und
traulih, an den Wänden biengen große
PhHotographien der Stadt Venedig, in
den Eden prangten tropische Gewächſe
und zum Fenſter leuchtete Helles Buchen
grün herein.
„SH kann Ihnen,“ begann der
Doktor, „über Ihren Freund leider
nichts Angenehmes fagen. Er kann
immerhin noch einige Zeit leben, aber
zu retten ift er nicht mehr. Der Pro—
ceß in feiner Bruft fchreitet raſch vor=
wärts. Ich glaube, daß zu dieſer
günftigen Jahreszeit feine Gebirgsluft
ihm vortheilhafter fein dürfte als die
hiefige doch manchmal etwas ſchwüle
und feuchte Atmoſphäre.“
„Und die Möglichkeit einer Gene—
wollte. IH dichtete der Stimmung fung ift vollkommen ausgeſchloſſen?“
allerhand ſchöne Namen an, unter „Mein Gott!“ antwortete der
denen ich den Märtyrer ſpielen konnte: | Doctor achſelzuckend, „die Möglichkeit!
Tauſchung, betrogene Liebe, mißbrauchte Man hofft, fo lange Leib und Seele
Freundſchaft — ganz allmählich kam zuſammenhält.“
ih drauf, daß es Neid war und jeßt| Mit dieſem Beſcheid verlieh ich
tief ih laut: „Armer Teufel, der Du pen Arzt und mit diefem Wiflen follte
das, was Du felber nicht haben kannſt ih mun Hintreten vor den armen
auch Anderen nicht gönneft! Sei froh,
dab es fo ift, Haft Du nichts mehr
zu überwinden. Armer Teufel!“
„Arnıer Teufel!” wiederholte das
gegenüberftehende Buchengehölz, da tief|
Franz.
Er ſtand am Brunnen, füllte ſein
Glas ſorgfältig bis zum Mark und
trank es mit einer Art frommer In—
nigleit aus. Andere Trinker drängten
32
hinter ihm drein, einer drüdte ihn
feitwärt®, daß er wankte und faft zu
Boden tanmelte. Dann ſchritt er ges
beugt und mit fehleppenden Füßen
gegen die Bänke hin. Afles war be=
jeßt. Er blidte um fich nach einer
Stätte, daß er raften könne. Mir
wollte das Herz zerfpringen vor Er—
barmen. Ich ſah in ihm mur mehr
einen wandelnden Leichnam. An meis
nem Arm jchritt er dann tiber ben
Plan gegen das Hügelwäldchen hin,
in welchem die Waldfapelle fteht. Ein
Gezelt aus Baumrinden, im welchem
bor einem Muttergottesbild die rothe
Ampel brannte. Auf der hölzernen
Kniebank davor ſetzten wir ung nieder.
Eine Dame in fehwarzem Seiden-
Heid kam und ftedte an das Mutter-
gottesbild einen Blumenftrauß. Im
ihrem glüdjeligen Gefichte Tas ichs,
es war ein Zeichen des Dantes für
die wieder erlangte Gefundheit. Mit
Hreude und Wehmuth zugleich verlafjen
die Genefenen das liebliche Gleichen—
berg, über deſſen paradiefifchen Ge—
fielde der Friede Gottes ausgebreitet
liegt. — In einem Baradiefe fterben
zu müſſen!
„Auch Dir ift heute nicht wohl!"
bemerkte Franz, da ihm meine Nieder-
geſchlagenheit auffiel.
„Wenn Du mird anfiehft, Franz,
ich will e3 nicht leugnen. In Gottes—
namen! Ich mache mich gefaßt, in
meinen jungen Jahren zu fterben. Es
ift vielleicht beifer, al8 nad) einem lan
gen Leben von Enttäufchungen und
Berirrungen. O Welt voll Eitelleiten,
Melt voll Leiden! Ich freue mich
darauf, beim lieben Gott zu fein.“
Es ift leicht zu errathen, warum
da3 gejagt war, Franz aber entgegnete
darauf wie für fih hinmurmelnd:
„Wenn auch ich jo denken könnte!
Nein, ich nicht. Ich will nicht fterben.
Ich mag nicht fterben !“
In diefem Augenblick fiel vom
Altar der Blumenftrauß herab auf
feine Achjel.
„Siehe,“ ſagte ih, „die Mutter-
gottes gibt Dir Blumen. Das wollen
wir für ein gutes Zeichen Halten.‘
„Mir ift feit ein paar Tagen au
ſchon beſſer,“ antwortete er.
Ein andermal ſaßen wir in der
Schlucht. Ueber uns das grüne Luftige
Dad der Buchenfronen, unter ung
der fäufelnde Waldbach. Franz hatte
diesmal über den Wangenknochen einen
rofigen Hauch. Er war voller Freuden
und ſammelte all feinen Athen, um
in berausgeftoßenen Sätzen mitzu—
theilen, daß er ein Schreiben erhalten
babe von ihr. Er rik den Brief aus
der Tafche, wollte mir ihn vorlefen,
weil aber feine Hände und feine
Stimme dabei zu fehr zitterten, fo über«
gab er ihn mir: „Lies Du! Lies Du!“
Der Brief ift feither mein Eigen»
thum geworden, er lautet:
„Mein Herzlieber Franzi!
Keine größere Freud häft mir
nit machen können, als mit der
Nachricht, daß es Dir beffer geht.
Ich zähl Thon die Tage, in drei
Wochen ift Michelli! Du mußt um
acht Tag früher kommen, weil wir
zuſamm Leut einladen müſſen gehen
und ſonſt auch noch zu thun haſt.
Iſts Dir recht, daß wirs beim
Schwannenwirt halten? Das muß
ich wiffen. Sechs Hochzeitbuben und
ſechs Kranzeljungfrauen, ifts genug ?
Haft mit den Mufikanten nit Du
Schon geredet oder fullt ich die Rot—
tenmanner anhalten? Das wirft
wiflen, daß im Sonntag vor Mi—
chelli beim Schwannenwirt dem
Hallftieger Karl feine Primiz if.
Grad zwei Tag auseinander, meine
zwei liebften Leut, Du und der
Karl. Wann der fein Geiftlicher
worden wär, weiß nit, ob wir zwei
uns hätten kennen gelernt. Das ift
fo viel ein lieber Kerl gewefen als
Student. Wann ich& kunnt zwegen—
33
bringen, daß er ung copuliert! Was
meinft dazu? Jetzt ift er noch nit
da, thun aber ſchon all Kränz'
winden für die Primiz. Schreibe,
wann Du fommft und bringe fein
volle Baden mit. Zu taufendmal
grüßt und küßt Dich Deine treue
Maria Steiregger.
Liezen, *8. September 1879.
Beim Lindegg draußen wird ſchon
ein Zrinmpfbogen gebaut. Der ift
aber für den Primizanten.“
Ih lanns nicht fagen, was diefes
Schreiben in mir angerichtet hat.
„Nicht wahr?” fragte nun der
Franz, „in vierzehn Tagen kann's
doh fo meit fein mit mir, dab ich
heimfahre ?“
„Wir wollen es hoffen,“ antwortete
id. Ein Böfewicht, wer immer die
Wahrheit fpricht! Hätte ich in diefem
Augenblid gefagt, was ich dachte,
mußte, es wäre ein Mord gewefen.
„Es fehlt mir — auch nichts
mehr,“ verfegte der Franz und mußte
den Saß vertheilen auf zwei Athem—
züge, „nur nod. ein Biffel Schwach,
aber daS kommt, weil ich nicht viel
eilen Hab können. Heute — wirds mir
wohl ſchmecken.“
In der Bereinsreftauration giengs
lebhaft und heiter zu. Franz beftellte
ein großes Stüd Saftbraten, genoß
davon zwei Heine Biffen und fchob
den Teller dann von fid — er habe
feinen Hunger.
As wir am felben Abende vor
dem Curſalon beim Gartenconcert
faßen, fiel e8 meinem armen Freunde
ein, er müſſe an die Rottenmanner-
Mufitanten ſchreiben. Mit zitternder
Hand jchrieb er auf einer Karte: „Will
anfragen, ob die Mufit fiir meine
Hochzeit zu —“
Weiter lam er nicht. „Lieber Holz
baden — mie fhreiben,“ murmelte
er und wijchte ſich den Schweiß von
der Stirne,
Kofegger's „„Grimgarten‘*, 1, Geft, XI.
Un einem der nächften Tage war
das letzte Ballfeft der Saifon. Die
in den Saal drängenden Curgäfte
hatten ihre Feſtkleider und Ballgefich-
ter an. Die Ballgefihter find eine
eigene Gattung — ein Gemifh von
Feierlichkeit, Heiterkeit und Langweile.
Auch mein Franz wollte in den Saal,
wo Schon die Muſik raufchte. Ich
hatte Mühe, ihn davon abzubringen,
der Abend im Freien fei ihm befjer.
Sp wollte er zum Brünnerhaufe hin»
aufgehen, wo man die Ausficht gegen das
Oberland hat. Mit großer Noth brachte
ih ihn, den auf mich Geftüßten, zur
Heinen Anhöhe hinauf. Als wir dort
in einer Laube ſaßen, ſchritt Franzens
Arzt vorbei. „Herr Hallftieger,” rief
er mie zu, „wollen Sie das Kibitzen-
neft ſehen, von dem ich Ihnen ge=
Iprodhen Habe, fo kommen Sie einen
Augenblid mit.“ Wir wandelten gegen
da3 Hubertushaus, da fagte der Arzt:
„Sie müfjen Ihren Freund nicht zu
viel umberjchleppen,, fonft bleibt er
Ihnen unterwegs einmal todt im Arm.
Lange wird er’3 nicht mehr machen.“
Das war das Kibikenneft. Ich kehrte
um und fand den Sranten, wie er
feuchten Auges einem Wagen nad»
blidte, der unten auf der Straße
davonfuhr.
Ih Hatte viel nachgefonnen, wie
ih ihn tröften würde, wenn ihn
plöglih die Todesahnung überfalle,
oder gar, wenn die Gewißheit auf—
leuchte, daß er fterben müſſe im kurzer
Zeit, ohne feine Heimatsberge, feine
Braut je wieder zu fehen. Aber er
war meines Zroftes nicht bedürftig.
„Schon bald!” flüfterte er nun,
da der Wagen feinen Augen entſchwun—
den war, „Schon bald fahre ich auch.
Wie bin ich glüdlih! Ich fage Dir,
Karl, in der Nacht höre ich ſchon oft
die Hochzeitägloden läuten. — Höre!
fie läuten auch jet wieder."
Es ift wirklich oft im ftillen rei—
nen Herbfttagen, als ob die Luft
Hänge. Wie fonnig hell fand der bu—
henbewaldete Kogel uns gegenüber
3
34
und fein Haupt ragte heiter im die) dort follten fich unfere Wege trennen —
Bläue des Himmels auf. Kein Vogel |der feine zum Brautgemach, der meine
war zu hören, auf der gemähten zum Altar. — Es find ſchon Manche
Wieſe fproßten junge Herbftzeitlofen. |genefen, denen berühmte Aerzte das
Und neben mir faß der fterbende | Leben abgefprocdhen; und es ift ſchon
Burfhe und hörte feine Hochzeits- | mancher Priefter vor dem Kranken,
gloden Klingen. dem er die legte Delung gefpendet, in
Lange mußte i weigen. — |die Grube geftiegen.
„Iſt — — ih ug, | No einmal machte ich meinen
„als ob die Natur, wenn fie fo freund. | Rundgang im Lieblichen Gleichenberg.
lich ift wie heute, den armen Men | 36 befuchte die Plägchen, wo ich
ichen tröften, befänftigen wollte im beſchaulicher Gottesandacht gepflogen
feinem herben Leiden oder in feiner | Und Naturfreude genofjen. Ich ſchritt
unbändigen Zuverſicht. Als wollte ſie vom Schweizerhaus, das mit ſeinen
ſagen: Erdenkind, traue nicht zu ſehr herrlichen Sprüchen wie ein offenes
dem Glüde, nur in Stunden mißt es Puh -bafteht im grünen Wald, zum
Dir die Freude zu. Sei demüthig, fei Neuen Prinz Johann⸗ Denkmal hinan,
ergeben, vertraue mir. Ich habe noch über den Wierberg hinaus, um dem
Anderes, Beſſeres für Dich, als diefes ſchönen Hochſtraden noch einmal an
Dein kurzes Leben, das vergänglich ift Die Bruſt zu ſchauen. Ich flieg zur
wie eine Blume, Liebe Menjchenblume Albrechtshöhe empor, um einen Blid
Du, mit der die Natur heute ihren ius weite Land zu thun, über die
bräntlichen Bufen fchmüct, wohl Dir, Hügel und Höhen meiner einzig einen
morgen fühleft Du den heißen Puls— Steiermark, bi3 zu den blauenden
fhlag der Welt nimmer. Morgen Alpen in der Ferne. Ich ſtieg zum
rubeft Du in meiner dunklen Wiege | Praterwäldchen hinab und zur Kirche,
und daneben fißt Dein treuer Gott | WO ich Gott für die erquidenden Tage
und ſchaulelt Dich . . .” dankte, die ich auf dieſem heiterfried-
j . HHicdhen #Fledlein Erde genoffen, und
Aehnliches habe ich geſagt, ſchein⸗ wo ich bat um Gnade und Kraft für
bar mehr für mich allein. Da taftete | den ſchweren Beruf, der meiner harrte.
der Franz nad meiner Hand, drüdte Später gieng ich ins Telegraphen-
fie und fagte: „Nein, Karl, jo traurig amt, um daheim meine Ankunft an—
mußt Du nicht denken. So ſchlecht zuzeigen. Im felben Augenblide gab
ſtehts doch nicht mit Dir.“ auch der PDirectionsdiener eine Des
So habe ich gefehen, wie felfenfeft | pefche durch den Schalter. Ich werfe
feine Hoffnung war. Und die folgen= |ganz zufällig einen Blick Hin und jehe
den Tage ſchien es, als richte ihm |die Worte: Franz Moringer eben ver-
die Hoffnung wirklich auf. Er verlor ſchieden.
von feiner Bläffe und verzehrte ein
größeres Stüd von feinem Braten.
Er müſſe nun an das Abledigen den—
fen, fagte er und begann feine Rech— Auf feiner Brunnenbanf, au die
nungen zu begleichen und feine Hab= Lehne zurüdgefunten, war er todt ge—
feligfeiten in den Koffer zu legen. | funden worden, nachdem er ein Halb—
Auch erfuchte er mich, Fir ihm einen | ftündchen früher noch den Trunk ge—
Wagen nah dem Bahnhofe in Feld: than hatte.
bach zu fichern. Ich traf felbft An— Man erwartet e3, und wenn's ein—
ftalten zu meiner Wbreife und fo tritt, fann man's doch nicht glauben.
wollten wir zufammen fahren. Bis | Etwas, das eben noch geiprochen, ge=
zum: Schmwanenwirt im Eunsthal, |fehen, gedacht, geliebt und gelitten
wer
35
bat, wie ih, nun eine ftarre Mafle —
todt und falt wie ein Stüd Erde. Es
ift kaum zu fallen. Als er in der
Leihenfammer zu Zrautmannsdorf
lang ausgeftredt vor mir dalag, war
in feinem Antlige jo viel Frieden umd
Beiriedigung zu leſen, daß ich mir
dachte: Franz, läge ich dahier an Dei-
ner Statt! Dih hätten auf Erden
ihre warmen Arme umfangen. . Das
welfende Reilig an meinem Triumph
bogen wird doch nicht mehr Frifch,
auh wenn ih durch ihn einziehe.
Beſſer ifts für den Zodten, im Grabe
zu ruhen, als unter Lebendigen zu
wandeln.
Am nächften Tage habe ich den
Gurort verlafien.
Daheim war Jammer über Jam
mer. Aber der Maria hatte man das
Unglüd noch nicht mitgeteilt. Keiner
von ihren Verwandten und Belannten
hatte den Muth, ihr die Nachricht von
dem Tode ihres Bräutigam zu über—
bringen. Sie war, wie in Luft und
Glüd, fo auch leidenſchaftlich .im
Schmerze. Man wid ihr aus. Sie
bemerkte das und ward unruhig. Da
feitend der Moringer-Leute die Vor—
bereitungen zur Hochzeit einjchliefen,
fo ahnte fie nichts Gutes und fragte
einen Better ihres Bräutigams, ob
es den Franz vielleiht gar gereut
hätte, fie zu Heiraten, weil er nicht
fäme und auch nichts von fich hören
laffe, ob er im Unterland Eine gefun—
den hätte, die ihm beffer anftünde ?
„Das nit,” meinte der Better,
aber ſchlechter ſoll's ftehen mit ihm,
wie man hört.”
Mehr brachte, er aber nicht über
die Lippen. Maria wollte jofort ihre
fieben Saden zufammenpaden und
nach Gleichenberg reifen.
Um diefelbe Zeit kam ich nad
Haufe, und jeht beſchworen mich ihre
Verwandten, dab ich ihr die Nachricht
beibringen möchte. Auf mich hielte fie
was und das Zröften, dad müßte ich
al3 Geiftliher wohl auch beſſer kön—
nen, al3 andere Leute,
Das war ein harter Tag. Schon
die vorhergehende Nacht hatte ich nicht
gefchlafen, aus Sorge und Nachdenten,
wie ih ihr das Unheil ihres Lebens
am mildeiten beibringen könnte.
Zeitlih morgens gieng ich zu ihr
und fand fie im Garten beichäftigt,
Rosmarin und Nellen an die Stämm—
hen zu binden. Sie lief mir nicht
entgegen wie fonft, daher ſagte ich
herzhaft: „So gehts, fo fällt Unſer—
einer in Ungnade bei den feinen Dirn-
deln auf Erden.”
„Wenn’s wahr wär’,“ verſetzte fie
und blidte mich ſchalkhaft an, „den
geiftlihen Heren wollt nicht viel darum
gelegen fein.“
„Wie fannft Du
Maria ?”
„Was follen wir Zwei viel Um—
ſtänd machen?“ fagte fie, „ich bin
eine Braut und Du ein Bräutigam
— freilih wohl ein himmliſcher.“
Ich wußte nicht, was auf fo
etwas geantwortet werden follte, merkte
aber, das wäre nicht der rechte Au—
lauf. Sie wifchte mit ihrem Schürz—
fein die Erdfläubdhen von den Hän—
den. „Und jeßt ſteh,“ fagte fie zum
Rosmarinftamın, „fteh’ fe, bis wir
heimkommen. — Fort muß ich Heute,“
ſprach fie zu mir, „haft Du nichts
gehört, mein Franz joll ſchlechter fein
— in Gleichenberg.“
„Ich komme von dort,* antwortete
ich, „er ift freilich ſchlechter.“
„Komm ber,” rief fie und führte
mich in die Laube, „fage mir — es
ift doch nichts? Es ift doch nichts ?*
Als wir in der Laube ſaßen —
ganz nahe beifammen, weil das Bänf-
lein kurz war — und als ich zwiſchen
den Zweigen Hinausblidte auf den
üppigen Blumenflor, fagte ih: „Dein
Garten fieht aus wie im Frühling.“
„Halt fleißig gepflegt will er fein,”
war ihre Antwort. Dann jehmwiegen
wir beide und immer größer wurde
meine Bellenmung.
„Die Sonnentofen!” fagte id.
ge
das wiſſen,
U un 4
36 77
„Ja wohl,“ ſagte fie, „Herbſt | gerichtet ſtand fie da mit geballten
wirds, da Hilft Alles nichts.“ Fäuſten, gefchloffenen Augen und rang
„Er ift Schon feit länger ampaß nach Athen. Endlih ſank fie am
geweſen,“ verſetzte ich. Strauchwerk zuſammen und weinte
„Ich weiß nicht,“ war ihre Ant- ſtill in ſich hinein.
wort, „mir hat er ſchon im Sommer Ich war auf einen wilden Schmerz
nicht mehr gefallen wollen.“ ausbruch gefaßt gewefen, ich Hatte ge=
„Was Hältft Du eigentlich von zittert davor — aber nicht fo tief
feinem Zuftand ?* hätte er mich erfchüttern können, als
Mein Gott —” fie wollte weiter | diefes ihr ftilles Weinen. Ich bin zu
ſprechen, that3 aber nicht, fondern Hob ihr Hingelniet, Habe meine Hand an
einen tiefen Athemzug aus der Bruft ihre Loden gelegt, an ihre Stirne —
hervor. „Mit Gottes Hilfe,“ fagte fie) da fant mir ihr Haupt an die Bruft
endlih, „daß es doch noch einmal| und den warınen Arın an meine Achfel
bejjer wird. In einer gefunden Haut |gefchmiegt hauchte fie: „Karl, Hilf
ftedt er nicht. Die Hochzeit muß ver= | mir!“
ſchoben werden, das ſehe ich ſchon.“ Ich weiß nicht — weiß es heute
„Es ift vernünftig von Dir, daß noch nit — was das war, das in
Du Did in das Unvermeidliche Fügft. | diefem Augenblid mein Haupt nieder-
Auf diefer Welt müffen wir allzeit auf) zog über ihr Geficht, meine Lippen an
Alles gefaßt fein.” ihre Lippen. Ih Hatte das Gefühl,
„In Gottesnamen!“ ſagte fie. als verfinfe ich in eine ſchwüle Nacht
„Maria,“ verfegte ih und faßte — ein berber Stoß an die Bruft
ihre Hand, die auf den Schoße lag, brachte mich zum Bewußtſein. Maria
„wie würdeft Du es ertragen, wenn warf einen zornglühenden Blid auf
Dir heut’ oder morgen Einer die mich und eilte mit fliegendem Saar
Nachricht brächte, daß er geftorben...?“ | von dannen.
Sie entzog mir die Hand und
preßte fie an ihre Bruft. „Weißt Du
was, Karl?” fragte fie ſcheinbar ruhig
und ſchaute mir mit einem durchdrin—
genden Blid in das Auge.
„Ja, Maria, leider — id bin
diefer Unglüdsbote.“
Sie war aufgefprungen. Hoch auf«
Bei meiner Primiz war fie nicht
anwefend gemwejen. Heute find fieben
Jahre feither verfloſſen. Maria lebt
im Haufe ihres Vaters und foll immer
noch ein fchrwarzes Kleid tragen.
Ich predige den Sündern.
Am Grabe eines BDealiften.
Ei glüdliher Menſch fteigt hier zur | Er hat das Elend in Liebe geweiht,
a Ruh’, Der Jämmerlichkeit fi verſchloſſen,
Don einem Himmel zum andern; Er hat mit dem Blut von Eurem Blut
In hehren Geftalten zieht er dur 8 AU, | Ein höheres Leben genofien.
Wie jelige Geifter wandern.
Er bat ein reicheres Daſein geführt, Er hat genofien in fröhliher Ruh’,
Als al! Ihr Schlemmer und Prafier, Was Yhr jelbft im Kampf nicht erjagtet;
Gr bat ein edleres Feuer genährt, Er bat gebetet, gehofft und gejauchzt,
Als alle die Hetzer und Haſſer. | Dieweilen Ihr klagtet und zagtet.
37
Dieweilen Ihr geifernd das Leben verfludt,
Und geifernd darnach habt gehaftet,
Hat er fi im Lichte des Himmels geſonnt,
Im Schatten des Waldes geraftet.
Ihm war ein heiterer Traum diefes Sein,
Das Eud ein drüdender Alp ift;
Das fommt, weil Euch der Magen beichwert
Vom Fraße am goldenen Ralb ift.
| Dieweil Yhr auf allen Vieren friedt,
Er fuhr auf dem Sternenwagen,
Ihn hat die göttliche Phantafie
Durch Ewigfeiten geträgen,
Ihr fintet als Aas in’s finftere Grab,
Als Samentorn fällt er zur Erde.
Hab’ einft ih im neuen Sein die Wahl,
Mit wen ich’3 wohl halten werde?
„ Ein glüdliher Menſch fteigt hier zur Ruh’,
Bon einem Himmel zum andern;
In hehren Geftalten zieht er durch's A,
Wie jelige Geifter wandern,
Sommerlage
"a3 größte Raffinement
Weltgenießenden ift die Rück—
‚tehr zur Einfachheit. Wer fih an
Auftern und Champagner überfättigt
hat, dem ſchmeckt Schwarzbrot und
frifches Waller wieder.
Ich Hatte an den prunfvollen
Stadthäufern und geiftreihen Stadt-
leuten gerade wieder einmal genug.
Die Akademien, Theater, Kunftgalles
rien und wiſſenſchaftlichen Cirkel lang»
weilten mid. Meine Bücherfäften und
Büchertiihe und Bücherladen und
Bücherftellen und Bücherfendungen der
Poſt waren mir läftig. Die Journale,
Zeitſchriften, Feſtprogramme, Partei—
manifeſte, die mir durch alle Fugen
meiner Wohnung zugeflattert kamen,
efelten mich an. Ich hieng die Reife-
tafhe um, that die Gedichte von
Schiller hinein und einen Band von
Goethe, den ich mit geichloffenen Augen
wählte, nahm den Wanderftab und
gieng in's Gebirge.
In den Mauern beunruhigt uns
täglich drei- bis viermal die Poſt, fie
R.
im Waldland.
eines | Postboten entgegenfieht, um fo heil-
famer, wenn diefer ganz ausbleibt und
man am Morgen von den Göttern
den Tag al3 Eigenthum in Empfang
nehmen kann, ohne befürdten zu
müffen, daß er durch fremde Wünſche
und Willfür geftört werden könnte.
Es ift nichts, das man fo ſchwer zu
veriniffen vermeint und fo leicht ver—
mißt, al3 den Briefträger — heißt das,
fo lange uns die Zauber des Wald—
lebens umftriden. Vergißt man in
ihnen ja fogar feiner eigenften Ge—
wohnheiten, förperlihen Gebrechen und
Leiden.
Mo weitum fein Wirtshaus und
feine Boftftation war, fehrte ih in
einem Bauernhofe zu, in der Abficht,
dort alt zu werden umd zu fterben,
fall3 mich nicht etwas wieder zurück—
triebe in das Weltleben. Eine be—
fondere Stube konnte ich nicht haben,
wohl aber ftand mir die gemeinfame
offen, in welcher Hausvater, Hausmute
‚ter, Kinder, Großeltern und das übrige
‚ Gefinde, einſchließlich der Hunde, Katzen
greift wie eine fremde Macht im uns und Hühner, zu den Mahlzeiten oder
jere Tage. Ye größer die Spannung auch zur Schlafenszeit ſich einfanden.
und Erregung, mit der Mancher dem; Mir wurde in der Heufcheune ein
38
Bett aufgefchlagen und die Erlaubnis
ertheilt, ein Dachbrett zu verfchieben,
falls es mir im Raum zu finfter wäre.
Nun ift aber in einem Bauern»
hofe eine abfolute Finfternis gar nicht
denfbar; zu allen Yugen lodert das
Sonnenlicht herein, ja felbft die Sterne
in der Naht guden noch in den
Frieden und in die Geheimniſſe der
Kammern.
Manchmal aber vernehmen im
MWaldhofe die Ohren des Menfchen
mehr, als die Augen des Himmels.
Bisweilen find es zwar nur Nach—
Hänge. Es mußte im Haufe geftern
der Ausdprud: „Alte Margerl” ge—
fallen fein. In diefer Nacht "hörte ich
aus der benachbarten Knechtekammer
ganz deutlich folgenden Erguß: „Bon
Dir hätt’ ich's am wenigſten gedacht,
Kafpar, daß Du mir den Spignamen
»Alt« aufbringft, von Dir thut mir’s
am allerweheften. Einmal bin ich Dir
jung genug gewejen. Weißt Du nod,
wie Du mir das erfteinal nachge—
Ichlichen bift auf den Heuboden ? Her—
genommen Haft mich, und fo ein jung
frifh Brödel Gottesgab, Haft Du ge—
fagt, kann der Ehriftenmenfch nicht ver—
achten. So ein jung Brödel, haft Du
gejagt! — Aber Margerl! höre ich eine
männlide Stimme, das ift ja vor
dreißig Jahren ‚gewejen! — Dreißig
Sahr Hin, dreißig Jahr Her! ruft fie,
eine Dirn, die dem braven Burfchen
einmal jung gewefen, wird er fein
Lebtag nit alt fehimpfen. Und
bin ih’3? Schau her, ob ich's bin!
— Blutjung bift, jagt er, weil’s bei
der Naht finfter ift; aber geftern
beim Zag ift’3 licht geweſen. Schau’
mich an bei Tag, ob ih nicht auch
meine grauen Haar’ und meine Rune
zen Hab’. — Desweg ift’3 am beiten,
wir Schauen uns bei Tag gar nicht
an. — Iſt mir ganz vet, und bei
der Nacht jehlafen wir. Gute Nacht.”
Was weiß ih? Unangenehm genug,
daß ich aus meiner guten Ruh’ ges
ſchwamm ich draußen im der warmen
Juliluft dur die Wälder, Berg:
ſchluchten und Hochmatten.
Manche beſitzen ihr Taſchenmeſſer
in ſcharfem Zuſtande nur kurze Zeit,
im ſchartigen tragen ſie es viele Jahre
lang mit fi herum. So geht's auch
mit der förperlichen Gefundheit. Ach
fchneide meinen Wanderftab in Wald
und Berg längft ſchon mit der ſchar—
tigen Klinge und wundere mich nur,
daß der alfo gefähnittene Stod manch—
mal, wie beim heiligen Joſef, noch
grüne Zweige treibt.
Wie erquicklich waren mir alfo die
Tage im Waldland !
Der Himmel war ftet3 wolfenlos
und die Luft jo troden, daß der Rauch
eined in weiter Ferne bremnenden
Waldes in mildhftragenartigen Bän—
dern tagelang am Firmament zu
ſehen war.
Gerne ſaß ich auf einem hochge—
legenen MWaldanger, der mit jungen,
üppigen Fichten umftanden war; über »
den ſcharfzackigen gefreuzten Wipfeln
blaute ein fernes Felsgebirge herein,
in weldem man zur Nachmittagszeit
die leuchtenden Kalkfteintafeln und die
ſchattigen Schründe und die Schnee=
refte in denfelben genau fehen konnte.
Mitten auf dem Unger ftanden zer=
ftreut etliche Lärchenftämme im ihren
regelmäßigen, lichtgrünen, weichen Ke—
geln auf. Ein einziger folder Baum
ſchon ift wert, dab man ihn tagelang
betradhte. Hoch hinauf der äfteloje
Schaft mit feiner rauhen, in wunder—
barer lUnregelmäßigleit zerfprungenen
Rinde. Diefe Unregelmäßigkeit inner:
halb des höchſten Ebenmaßes kann
fein Menſch machen; das menſchliche
Auge iſt in dieſen Dingen doch ſo
plump, die menſchliche Hand ſo un—
beholfen! Wer nur an einem Buche
einen marmorierten Schnitt machen
will, der muß die Naturfelbftzeihnung
einer mit Yarbe marımorierten Waſſer—
flähe dazu benützen. Wer einen Ster-
ftört worden. Jh mußte mein Obdach | nenhimmel zeichnen will, der muß, um
nur zur nächtlichen Raft, tagsüber |die ſcheinbare Unregelmäßigkeit zu fin»
den, Körner auf die Fläche ftreuen.
Ya ſelbſt der Maler einer baroden
Arabeste findet feine erften Anhalts=
puntte nur, wenn er Heine Hölzchen
oder Sand wie zufällig auf das Blatt
fchleudert. In diefer äußerlichen Uns
ordnung liegt das Geheimmis der höch-
ften Ordnung. Wer die rauhe Rinden—
geftaltung eines Lärhbaumfchaftes aus
eigenem Augenmaße nadhbilden wollte,
der brächte ein lächerliches Ding zu—
wege, das mit der Natur nicht die
geringite lebendige Aehnlichkeit hätte.
Bon einem ursprünglich angelegten,
mit wunderbarer Begabung ausge—
zeichneten Menfchen jagt man: er ift
genial. Kann man das auch von der
Natur jagen? Gewiß nicht. Die Natur
fteht unendlich erhaben über dieſer Be—
zeihnung. Betrachten wir den Lärch—
baum noch in feiner Aſt- und Zweig»
bildung. Es gibt an dem ganzen
Baum feinen Aft, feinen Zweig, der
einem andern Aſt oder Zweig ganz
gleih wäre. Es gibt am Baum feine
Nadel, die einer andern genau eben=
bürtig wäre, ſowie behauptet wer—
den kann, dab auf der ganzen Welt
nicht zwei Laubblätter wachſen, die in
allen ihren Theilen volllommen gleich
wären. Welch eine ſcheinbar willkürliche
Unregelmäßigfeit in dem Geäfte, Ge—
zweige, und welch eine unbejchreibliche
Harmonie und Einheitlichkeit im gan—
zen Baum! Wer befiehlt es jedem
einzelnen Aft, daß er fo lange hinaus
wachſe und firebe und feine Zweige |
ftrede, bis dieſe die gleiche Linie mit
allen Anderen erreicht haben? Wer!
ruft ihm Halt zu, fobald er in Ein»
Hang mit allen Anderen fteht, fo daß
der Lärhbaum im Großen genau die
länglich tegelförmige Geftalt hat, wie
das rothe Blütenkätzchen, das dieſer
39
Aufſchluß, wie das eigentlich zugeht,
ſchuldig geblieben oder haben denfelben
in eine Art gekleidet, mit der uns
gewöhnlichen Leuten nicht gedient ift.
Ich denke mir meinen Theil, oder
vielmehr, ich empfinde ihn, und ich
bin tiefinnerlich froh, wenn ich in
Waldeinſamkeit die Thaten der Natur
ahnen und fchauen kann. Da felbit
im Walde, im Baume aus der unend—
lihen Verſchiedenheit der Individuen
die Einheitlichleit des Ganzen hergor«
geht, beruhigt mich; auch unter uns
Menſchen gibt es viele abfonderliche
und widerhaarige Gefellen, Parteien,
Völker, fie gehören eben auch dazu
und werden dem Ganzen wicht fchaden,
Immer darf man aber auf die
Verwandtihaft und Verftändnisinnig-
feit zwischen dem Menfchen und feinem
Gegenüber, der Äußeren Natur, nicht
bauen. Bor mir ftand .ein junger,
ftrammer Fichtenbaum, der hatte fo
dichte, geſchmeidige Aeſte, jo faftige
| Zweige und fein Wipfel war üppig
vollbeladen mit dunkelrothen, harzigen
Zapfen. Wie manches ziweibeinige Ge—
ſchöpf, fo dachte ich ihm zu, kann
Dih wohl niederhauen mit der Art,
aber Deine ftrogende Jugendkraft kann
er ſich nicht aneignen. — Da kam
ein Windftoß, die. Baumhäupter rauſch—
ten und bogen ſich, der junge Wipfel
mit den Samenzapfen aber brad unter
‚feiner eigenen Laft und ftürzte zur
Erde. Hier hat e8 doch an dem rich-
tigen Verhältnis gefehlt zwifchen Kraft
und Kraft; die Kraft des Indivi—
duums war zu Jchwach, um die Kraft
des Gefchlehtes ertragen zu können.
Oder ſoll derlei nicht manchmal auch
Ian Menjchen vorkommen ?
Zum Walde gehört der Jäger,
Baum im Frühjahr auf feinen Zweis |aber er zerftört mitunter die Stim—
gen wiegt? Daß es nicht Engel find, mung. So ein ftattliher Burfche mit
die da ſtutzen umd glätten, und den
Baum jozufagen frifieren, das haben
a es und Hirfchfänger fieht
recht tapfer aus; ich vermuthe aber,
die Männer der Wifjenfchaft mit einer daß lange nicht fo viele ſchmucke Jäger
faft leidenſchaftlichen Beſtimmtheit feſt—
geſtellt. Gleichwohl ſind ſie uns den
‚in den Wald gehen würden, wenn Die
| Rehböde und Auerhähne ebenfalls
40
Doppelgewehre und Hirfchfänger bei
ſich hätten.
Der Jäger Florian in hieſiger
Gegend hat vor kurzem einen „Reh—
rufer” gelauft. Das ift ein Mefling-
pfeifchen, durch welches man den Lock—
ton junger Rehe und Rehweibchen
nachmachen fann. Damit wird der Reh—
bod herbeigelodt um niedergefchofjen zu
werden. Beim Familienfinn alfo wird
das Thier dur den Herrn der
Schöpfung gefaßt, um es zu über-
liften. — Ich freue mich über die
Maßen, daß ich nicht fo bin wie die
Thiere, fondern das „edelfte Geſchöpf“
— ein Menſch. —
Am traulichften ift mir im der
Waldſchlucht, wo das kalte Waſſer
giſchtet. Wo nicht ein Gebirgsbach
rauſcht, dort iſt keine echte Sommer—
friſche. Nichts Erquickenderes, als die
fühle, thauende Luft, die über ſolchen
Waſſern uns anhaudt. Wir ftehen
am Bade fill und bliden in das
porüberziehende Waller und meinen,
wir feien die Feſtſtändigen. Das ift
aber wieder einmal umgekehrt; die
Menfchen, die Gefchlechter ziehen vor»
über, der Bach hat unferen Boreltern
das Taufbeden gefüllt und wird une
feren Nachkommen die Gräber bethauen.
Die Menfchheit ift wohl mit Waſſer
vergleihbar, aber nicht mit über
Kiejelfteinen fließendem, fondern mit
gen Himmel fteigendem und vom Him—
mel in Tropfen zur kühlen Erde fal-
lendem.
Die Freundſchaft mit dem Wald—
bach iſt übrigens nur bei einiger Ent—
fernung gut. Wer ſich aus Liebe zu
ihm in fein Bett legen wollte, dem
ergienge es übel. Und fo trifft es ſich
ja häufig, daß die Wefenheiten der
äußeren Welt, die der Naturfreund jo
begeiftert verehrt, bei näherer Berüh—
rung unfere Feinde werden. Platonifch
wollen fie don uns geliebt fein, ſonſt
hätte der jchönfte Bach Luft, uns zu
ertränfen, der freundlichſte Baum, uns
todtzujchlagen, das herrlichſte Felsge—
birge, uns in den Abgrund zu ſchleu—
dern. Wenn ich durch Wald und Flur
wandere, begehre ich keinen Nutzen.
Ich beſcheide mich und bin doch im
Vollbeſitze höchſter Güter. Ich konnte
einmal nicht verſtehen, was die Reli—
gion ſagt, nämlich daß die Auserwähl—
ten in der ewigen Anſchauung Gottes
ſelig ſeien; und nun bin ich ſchon
ſelig, wenn ich fortwährend die Matten
und Wälder, die Waller und Wollen
anfchaue!
Dazu bedarf es freilich noch eines
Zauber, der aus unſerem Innern
fommt und dort gewedt werden muß.
Ein oder zwei Bücher ftehen zur
großen äußeren Welt im richtigen
Verhältnis. Sonft haben wir zu viele
Bücher und zu wenig Natur. Wer in
feinem ftillen ländlichen Kreiſe nichts
al3 einen Band von Schiller oder
Goethe in der Tafche Hat, und Hinter
derjelben ein wahrhaft lebendiges Herz,
der wird — und er braucht feinen ge=
lehrten Ausleger dazu — die Reich—
thümer allmählich entdeden, die in
dem Buche miedergelegt find und an
denen er fonft etwa durch andere,
durch nichtige Bücher beansprucht, zer=
ftreut und irregelodt, fein Leben lang
vorüber gegangen wäre. Verſuche e3
einmal Einer und leſe in der ſtim—
mungsvollen Waldeinfamteit ein Ge—
dicht von einem jener Großen! Das
wird anders fein, als wenn er ben
Band in feiner Arbeitsftube aus dem
Bücherlaften gezogen. und fo im Vor—
beiblättern ein wenig darin genajcht
hätte. Glaubt mir nur, man kann bei
zu vielem Lefeftoff das Leſen ganz
curios verlernen! Man wird flatters
haft, genäfchig, ohne zu genießen, wäh—
lerifh, ohme zu wählen, launenhaft
kritiſch, ohne wirklich zu urtheilen.
Eine Bibliothek ift wie ein Haren, aber
ein einziges Buch ift wie eine Geliebte,
mit der man allein jein muß, wenn
man ihre Süßigkeit und ihren Gehalt
inne werden will. Wenn mich im
Walde aus meiner Lectüre das Brauſen
des Wildbaches aufwedt oder der helle
Schlag einer Amſel oder der fill
J
heranwehende Duflhauch einer Ciclame,
ſo zerſtört das die Stimmung nicht,
erzeugt ſie vielmehr.
Gefährlich wird im Walde dem
Buche nur die trällernde Hirtin oder
die leichtgeſchürzte Beerenſammlerin.
Dagegen kann kein begeifterter Hymnus
Schillers, fein glühendes Weltlied
Goethes auflommen. Wenn ich ſchon
den Stein und den Baum und bie
Blume und das Käferchen des Waldes
fo aufmerkſam und eingehend betrachte
und auf mich anwende, warum fol
ich ein Gleiches nicht mit der jungen
Hirtin thun? Sie gehört doch auch
zur Natur, im die ich mich ja ganz
und gar verfenfen will, und Goethe
räth' mir jelbft, ich folle fein Buch
in's Gras werfen und der Holden
Schäferin nadeilen. Der Mann ver—
fteht fih d’rauf, und wen die Kleine
auch noch nicht über fiebzehn Sommer
zählt, fo Hat doch die Sonne diefer
Sommer ihr Gefichtlein, ihre Arme
und rundlichen Schultern fo friſch
bräunlich gefärbt, die Glieder fanft
geihwellt und im den Schwarzen Aeug—
lein eine Glut entfacht, daß man fie
wohl vergleichen kaun mit der reifen
Himbeere, die fie in ihr Körbchen
fammelt.
Ich erhebe mich jachte von meinem
Moostiffen, um mir von ihr eine
Beere zu erbitten, da huſcht aus dem
Didiht Flint wie ein Hirfch ein Jäger:
fnab’, wirft Gewehr und Weidtafche,
Hut und Rod von fih und in Hemd—
ärmeln Taßt er die Maid um die
Lenden und fchwingt fie fo hoch, daß
er an ihren rothen Lippen fangen |
lann. Sie wehrt fi, aber je framıner|
fie ihre runden Arme gegen feine
Bruft ſtemmen will, deſto feiter ums
jpannt er fie und preßt fie an fich.
Sie würde um Hilfe rufen, fürchtet
aber, das fie Jemand Hören und fich
in den Handel mifchen könnte. Jetzt
haben ſich noch dazu ihre nußbraunen
Haarflechten gelöst und jo unfelig um
den Naden des ſchlanken Knaben ges |
muß, wenn er fie wieder auf den
Boden ftellen will. Ehe denn aber ein
Jägersfnab’ den Naden beugt, eher
fniet ex hin. Ich erfenne bald, daß
hier meines Bleibens nicht länger
fein könne; die Natur hat ihr Aller:
heiligftes, in das wir nicht zu jeder
Stunde bliden dürfen.
An demjelben Tage zeigt mir das
Waldleben auch eine ganz andere Seite,
Ich bin noch durchglüht von dem
idylliſchen Ereignis, dem ich entfliehen
mußte, al3 ich auf dem fteilen Hohl—
weg, den ich abwärts gehe und auf
dem wegshin die rinnförmige Spur
eines geichleiften Holzblodes ift, eine
dunkle Maffe liegen ſehe. Aus der
Ferne halte ich es für einen zuſam—
mengeballten Mantel, al3 ich in die
Nähe komme, ſehe ich eim zu einem
Ballen zufammengewalztes Menſchen—
weſen daliegen, deflen Glieder noch
ein wenig zuden. An dem ſchier
zwifchen die Beine durchgepreßten
Haupt erkenne ich den Sepp am Rain,
einen Häusler, deſſen Vermögen in
zwei Pferden beftand, mit denen er
durch Holzfuhrwert feine zahlreiche
Familie ernährte.
„Aber Sepp!" rief ih, „was ift
das? Was ift gefchehen ?”
Er rollte langſam fein Auge gegen
mich und todtenblaß bis an die Lippen
fagte er: „Geh', Hilf mir ein wenig
zurecht. Mich hat's arg erwilcht.“
Us ih den Mann aber zurecht
rücken wollte, ächzte er vor Schmerz
und fagte: „Laß' mich, wie ich liege,
und gehe meinem Fuhrwerk nach, das
ift davon mit meinem Bübel; weiß
Gott, was dem gefhieht! — Wir
haben,“ fuhr er unter Athembeklem—
mung fort, „Holzblod gefchleift. Da
fliegen Wildtauben auf, die Röfjer er=
Ichreden, thun einen, Sprung und
rafen davon. Ich will einfchleifen,
ftolpere, komme unter das Holz. Hat
mich mitgefchleift, Hat mich fo zuſam—
mengewalzt. Auweh, mit mie iſt's
wunden, dab er ich tief niederbeugen vorbei. Ich bitt' Dich und bitt! Dich,
42
lauf’ den NRöffern nad — mein arnıes
Bübel! Auweh!“
Man muß freilich den Sterbenden,
den man doch nicht retten könnte,
verlafjen in feiner größten Noth, wenn
ein Anderer in Lebensgefahr unfere
Hilfe Heifcht. Ich ließ ihn liegen und
lief wegabwärts, wit jeder Wendung
erwartend, den Knaben ebenfo wie den
Vater zermalnt auf dem Wege liegen
zu fehen. Es war aber nichts, als die
gleihmäßige Spur des gefchleiften
Holzblodes. Zehn Minuten lang mochte
ich fo dahingeeilt fein, eine Ewigfeit
waren fie mir, und eine Ewigkeit
fönnte man laufen in folder Auf:
regung, ohne zufammenzubrechen. Und
fein Menſch glaubt es, wie viel man
denkt, im Geifte Sieht, im Herzen
empfindet bei folder Jagd Hinter dem
Unglüde her!
Endlich an einer gefchlofjenen Thor»
ſchranke ftanden die Pferde mit dem
zweiräderigen Blodwagen. Und auf
dem Blode ſaß der etwa fiebenjährige
Knabe und ſchaute verblüfft drein, daß
anstatt des Vaters ein Fremder kam.
Ich hob den Knaben auf den feiten
Boden herab, ſpannte an einer Aus—
weichitelle den Wagen los und führte
die Pferde und das Kind eilig hinab
zum Häuſel am Wiefenrain. Als wir
demfelben nahe kamen, fieng der Knabe
an zu rufen: „Simon! Simon!" Das
war ein alter, fTrüppelhafter Mann,
der in dem Häufel auf der „Einlege*
ſaß. Er kam aber nicht hervor, weil
ihn feine Beine nicht tragen fonnten,
hingegen eilte, von ſechs unerwachſenen
Kindern umgeben, das Weib des Sepp
aus dem Hauſe, und als ſie den frem—
den Mann mit den Pferden kommen
ſah, wollte fie zuſammenſinken vor
Schrechk.
„Seppin!“ rief ich ihr zu: „Euer
Mann, geſchädigt iſt er worden.“
„Arg?“ fragte ſie mit gefalteten
Händen, „un Gotteswillen, arg ge—
Ichädigt ?“
„sh weiß es nicht.
Wald liegt er.“
Oben im
„So hat er Sich gar einen Fuß
gebrochen ?* jammerte fie.
Wir giengen jo ſchnell wir konnten
der Unglüdsftelle zu. Während des
Laufens war ich beftrebt, fie vorzu—
bereiten, ih wußte, wie glüdlich und
liebevoll das Ehepaar mitſammen ge=
lebt hatte. — „Ein Fuß dürfte frei-
li Hin fein, vielleicht beide. Er Hat
Schmerzen. Wenn ihm nur nicht auch
die Arme gebrochen find, er jcheint
unter das Holz gelommen zu fein.
&o etwas kann grob verlegen, grob...“
Zufammengelauert, wie er früher
gelegen, jo Haben wir ihn gefunden.
Keine Spur des Lebens war mehr in
ihm. Das Weib riß ihn empor, fein
Haupt ſank auf ihren Schoß, mit ge=
brochenem Auge, die Schmerzenszüge
noch um den Halboffenen Mund, jo
erzählte er ftumm, was gejchehen war.
Das Weib labte ihn, tröftete ihn,
berzte ihn mit den rührendften Wor—
ten, riüttelte ihn und rief ihn laut
beim Namen, als fei er aus tiefem
Schlaf zu weden; da aber fein Lebens—
zeichen mehr wiederfehrte, als er kalt
und ſtarr wurde, da preßte fie ihr
Angefiht an feine Bruft und begann
herzzerreißend zu weinen.
Am Morgen, als der Sepp mit
ſeinem Söhnlein ausgefahren war,
hatte er ihr noch heiter zugerufen:
„Lieſel! Heute mußt Du uns aber
doch einen guten Sterz kochen zum
Fruͤhſtüch!“
„Nichts da!" Hatte fie ſcherzend
erwidert, „für fo zwei Zotter, wie Ihr
feid, ift die Milchſuppe auch gut genug.
Den Sterz Friegt Ihr auf den Abend,
wenn Ihr heimkommt md ich ſehe,
daß Ihr ihn auch verdient Habt." —
Am mächlten Tage, als ich das
Häufel wieder befuchte, lag er im
Vorgelaß aufgebahrt. Auf zwei Stüh—
len ein langes Brett, über dem darauf
ſchmal und Schlank ausgeftredten Leich-
nam ein Leintuch gehüllt. Zu Häupten °
auf eimem Bänklein ein Zrinfglas,
in welchen ſchwimmend auf dem Del
das Aemplein brannte; ein Kinder—
43
ſchälchen mit Weihwaſſer und Tannen—
zweig und das hölzerne Crucifixlein
vom Hausaltar — das war Alles.
Die Kinder ſtanden an der Bahre
herum und Hatten fih mit der felt-
jamen Thatſache, daß hier unter dem
weißen Tuche der Vater ſchlafe, be=
reits vertraut gemadt. Als fie ihn
todt in’3 Haus gebradt, ihn, der
- jonft mit ihnen immer fo munter ges
wejen, da braden die Größeren in
Weinen und Rafen aus und riffen
bierin auch die Hleineren mit, die doch
nicht einmal ahnten, um was es fi
handle. Nun ftanden fie Alle da
herum und der Familienvater, Er—
nährer und Schüßer, der einzige treue
Freund auf der Welt, lag ftill und
ftarr auf dem Brette; im Haufe und
in der Nahbarfchaft wurden Anftalten
getroffen, ihn fortzutragen und zu be=
graben.
Das Weib war gefaßt. Weinen
fonnte fie nicht mehr, mit lagen war
der unermeßliche Stein, der ihr auf
dem Herzen lag, nicht zu heben. In
dumpfer Stimmung — wie halb»
träumend — verrichtete fie die ge—
wohnten häuslichen Arbeiten, hegte die
Kinder und ordnete das Leichenbes
gängnis an. Allemal aber brach ihr
Schmerz los, wenn ihr einfiel, wie
fie ihm an feinem legten Tage das
gute Frühftüd verfagt Hatte. — So
— hr lieben Freunde — fo ift unfer
Gemüth. An Unbedeutendes oft Hanı=
mern fih die Gewalten des Herzens,
wenn das Bedeutende zu groß, zu
allgemein ift, um es zu faflen.
Wie manches Yamilienvaters Le—
ben, Arbeiten, Kümmern, Leiden und
Sterben ift ein unausgefeßtes Brand:
opfer für Weib und Kind. Nicht anz |
ders iſt's bei Manchem, als daß er willig
feinen Leib an's Kreuz fchlägt für das
Leben der Seinen, daß er unter feinen
Mühen und Laften, unter den Schlä—
gen, die ihm im Kampf um fie ver-
fegt werden, langjam verblutet oder
auch, wie es hier der Tall gewefen,
plöglih ein Opfer feines Berufes,
feiner Arbeit wird. Glüdlich das Weib,
welches jich keines anderen Fehls anzu—
Hagen hat, als daß e3 dem Einzigen
fein Lieblingsgericht anftatt am Mor—
gen erft am Abend vorjegen wollte.
So hat aud das Waldland- feine
bunten Neuigkeiten, und es ift faft
allemal Herzblut dabei. Ich ſchaute
hinab auf den langen Leichenzug, als
er fih nah einem Morgengewitter
durch das grüne Engthal bewegte. Die
Leute von der ganzen Gegend — und
der Wald ift durchaus nicht jo men—
jchenleer, al man glauben möchte —
waren zufammengefommen, um dem
armen Weib das fchwere Kreuz tragen
zu helfen, das fo plößlih vom Him—
mel gefallen war. Auch der jchlante
Jägerknab' und die Schäferin giengen
hinter dem Sarge drein — bei ihnen
wird's auch einmal fo fein. Nebenhin
rauſchte das Waller, auf den Wipfeln
der Lärden und Fichten jubelierten
die Vögel, und am Himmel ftand hoch
und hell ein Regenbogen. Und wie
der Jaftiggrüne und blühende, von
Waldhöhen umrandete Thalkefjel unter
dem Regenbogen jo dalag, war e3 zu
fehen wie ein ungeheuerer Blumen—
forb, der einen Jiebenfarbigen Henkel—
reifen bat.
Wenn die frivole Welt wieder
einmal um meine Seele werben will
— diefen Korb gebe ich ihr.
Schlumperliedeln
oder
wie der Voigtländer feine Liebe fingt.
T 1 N, mus * N Sander | he ne — ich,
ihre Vierzeiligen un nader= —
hüpfeln hätten, ift eine irrige. Das — ne tr Peter ae
vierzeilige Volksliedchen ift in vielen
Ländern, felbit bei den Romanen und
Griehen, verbreitet. Hier veröffent-
lichen wir eine Reihe von Schlumper- FE ra aaa
liedeln, Schlemper- oder nadläffig i
hingeworfene Bummelliedchen, wie : AG und mei Schatz
|
|
Schneeweik und eislalt
Und mei Bett ficht im Wald,
in Sadfen, im Thüringerwalde und Senn an an’n Tog geburn,
befonders im Voigtlande ganz ähnlich Drum jemm’'r mit 'nanner
wie in unferen Alpen entftehen und | Su ſchwarzaget wurn.
gefungen werden. Diefelben erbringen
einen neuen, wenn auch überflüffigen
Beweis, dab die deutjche Volksfeele im
Norden wie im Süden die gleiche ift.
Wos fümmt do drübn bun Bergel rei?
Mei Schat iS vun Adel,
Bun Adel is er,
Er hot naer an'n Tadel,
Kanne Wadel hat er.
Do drübn fümmt a Fuhrma rei,
Fuhrma Halt fill, Halt ſtill.
Wer werd der Fuhrma fei,
Der mid habn will?
Kan’n Fuhrma mog ich net,
Fährt ze weit aus,
Ich mödht an Schneider habı,
— Blabt in man'n Haus.
He guchhe!
Es muß bo wuhl mei Schogel jei?
He guchhe!
Er giebt Bee und flmmmt net rei,
Er muß 8 doch net geweſen fei.
Wenn Du mei Stäärla bift
Und ih Dei Staar,
Herz ich Dich, Füh ih Dich,
Friß ih Di gar.
Herzig Schäpele,
Gib mir a Schmäpele,
Ned Dei Schnäbele her ze mir,
Drüd Dei Herzele
An mei Serzele,
Nachher meinft Du’s gut mit mir,
Kan'n Schneider mog ich net,
Schneid’t ze viel zu,
Ich möcht an'n Schufter habn,
— Macht mir a Paar Schuh.
Kan'n Schufter mog ich net,
Hot ſchwarze Händ;
Ich möcht’ an'n Weber habn,
Werlt mr a Hemd.
Mei Schatz is ſchie fleif, Kan'n Weber mog ich net,
Und wie fünfelt fei Pfeif, Niecht jehr noch 2
Und wie fünkelt ſei Hut, Ich möcht an'n Kaufma habn,
Dem Luder bin ich gut. Woegt nochn Gewicht.
Mei Schaf is ſchie Ma Kan'n Kaufma mog ich net,
Und aufridtig a, Woegt ze viel aus,
Wos nugt mr de Läng, Ih möht an'n Bauerſchbubn
Wenn je net aufrichtig jenn? Mit an'n ſchön'n Haus,
45
Die Bauern jenn luftig,
Drum gibts ’re fu viel,
Weil jedes ſchänns Madel
An'n Bauer habn will,
Me Shah is a Soeger,
A Goeger in Bett,
Do braudt er fa Buchs
Und fa Gogdtaſchen net.
Mei Schaf is a Schandarm,
Und a Schandarm muß's fei,
Die Schand is'n Küenig,
Und der Darm der is mei.
Bon’ Wien kumm ich ber,
Und von Wien jenn de Pfer’,
Und von Wien is der Wogn
Und an Wiener muß ih hobn.
Drei ſchnieweiße Gäns
Und a ſchöß bairiſch Menſch
Und a Beutel voll Geld
Is mei Freud af dr Welt.
Ich Ho mrſch amol überleggt,
Bun manen Schat do loß ich net,
Und der muß's amol ſei, muß's fei,
Und der muß's amol ſei.
Und loß ih a a wing drova,
Do häng ich mich gleich wieder na,
Denn der muß's amol fei, muß’ ſei,
Denn der muß's amol jei!
Mei Schaf is im Himmel
Und id af der Er’n,
Wie lang werd's no dauern,
Bis mr zfamm fumme wern.
Kerſchen fei ſüß,
Sei Stiel-la dra, Stiel-la dra,
Börjchle ſei falſch,
Dos waß ich ſcha, waß ich ſcha,
Börſchle ſei falſch,
Dis waß ich ja,
Mei Herz und Dei Herz
Is a Klumpen,
Mei Hemm und Dei Hemm
— Is a Lumpen.
Wadel, wenn de freie wißt,
Sp nimm Dir an Supertend.
Der wird Dir Dei Sind vergebn,
Gottſchlipperſchlapperment.
Unter dem Berlebam
Mach' mrih net aus, net aus,
Hänge ze viel Berla bra,
Die redens aus,
Mei Schatz hot a Wieſel,
Is a Brünnel drinn-a,
Werſch Wiefel werd mähe,
Werds Brünnel finn-a.
De Leut hamm mir an Brief gefhriebn,
Ih ſoll mei Schogel nimmer liebn,
Do lieb ichs halt noch immer fort,
— Den Leuten grod zu Tort,
Wenn ich ze man'n Schogel gieh,
Hot3 an Reif und an Schnie,
Wenn ich widder rüdwärts gieh,
Noch blüht der Klie,
Hausthürriegel, Stallthürriegel,
Mei Schat haft Anne-Minel,
Anne-Minel ſtih auf, mad auf,
Anne-Minel mad auf!
Schöner Bu, feiner Bu,
Schnür mir mei Leibel zu,
Net ze eng, net ze weit,
Döß's mich recht freut.
Beh net in Boden nauf,
Is der Boter drobn!
Wos bift'n für a Trampel,
Hof de Schuh net auszogn!
Uf de Frei bin ich gange
gr Nahbarih Hann-a,
Die hot a Paar Ba
Wie die Waflerfann-a,
Ludeln, Ludeln ik ich gern,
Senn noch net gefotten,
Klane Madle lieb ich gern,
Drubn in Öbern Boden.
Drubn 'ne Bueden leit a Bret,
Wenn’s naer net fu wadeln thet,
Wadelt auf und nieder,
— Schotzel, kumm bal wieder,
Wer Epfel faft und koſt't je net,
Wer a Mabdel freit, und probiert fe net,
Döos muß a rechter Dummer jei,
Der fieht dös Ding net ei.
Alles in der Welt, Alles in der Welt,
Naer fa Hans Kind,
Klane Kinner machen Shimpf und Schand,
Treib de gunge Börihla af'n Land,
Alles in der Welt, Alles in der Melt,
Naer fa klans Kind!
Wenn ich glei trugig ſchau,
Falſch bin ih ober net,
Dös iS mei alter Braud,
Kennt 'r mich denn net?
Du Quder, Du dids,
Du bift mr niſcht nüß,
Ih mog Did net hobn,
Und wenn De Lautholer jhwist.
Unter der Schupf leit Haberftroh,
Und über der Schupf do leit Heu,
Der mir mei Herz erfreut,
Der iS fu weit.
Ich wölt, id wär geftorben
Und läg im fühlen Grab,
Und fünnt mein Schatz umarmen,
Den ich verlafien hab,
Und wenn mich mei alter Schaf nimmer mog,
Do bo ich ſcha widder zwa, drei.
Vormittig gieh ih ze Branntemei,
Nomittig gieh ich ze Bier,
Meine Mutter froegt mi alle Tog,
Sb ich nanet (no nicht) heiern mog,
| Heiern möcht ich alle Tog
Wenn mid aner mog.
Und wenn mich mei alter Schag nimmer mog,
Do bo ih ſcha widder drei, vier,
Is is aus, ih iS aus,
Itze is 's ſcha geſchehn,
Ihe hot der Bun'5 Dendel ghalst,
Und ich ho's geſehn.
Madel, wos hot denn Dei Freier gſoggt,
Weil er is gange vun Dir?
Do hinter man'n Voter ſein' Ochſenſtall,
Do kribbelt und krabbelt a Hos —
No is mr denn kane vun Gott beſchert,
Ei thunne je alle ju groß?
Af der Melt is niſcht ſchönerſch
Als a ledigs Paar Leut,
Wenn's Wiegel net rumpelt,
Und's Kinnel net fchreit.
„Hot geioggt: Wenn ih fa Shännere frieg,
Kumm ich Halt widder ze Dir“,
Madel, wos hoſte denn drauf gejoggt,
Als Du die Red hoft gehiert?
„Do gedacht, gieh naer, Du dummer Bung,
Bift jo mei Gerz gor net wert.“
Hob ich Dir'ſch, hob ih Dir'ſch,
ob ich Dir'ſch net längſt geſogt,
öß ich Dich, Döß ich Dich,
Döß ich Dich nimmer mog?
Mei Schogel is gewannert,
Weit ilber die See,
Drüm thutt mr mei Herzel
Su innerlich weh.
Su innerlich weh,
Ich thu nimmer laden,
Wos werd denn mei Schogel
In dr Fremm daußen maden?
Der Schat, den ich net mog,
Den fieh-n-id alle Tog,
Klane Kügla muß mr giehen,
Wemmr Vögla ſchießen will,
Schwiegermuütter muß mr grüßen,
Wemmrſch Töhterla hamm will.
Nepünzela, Repünzela
Die wahjen untern Schnie,
Und wenn die Madel Weiber wern,
Do fehnne fe nimmer die,
Mei Fra und Dei fra
Dös ſei a Paar rechte Luſchen,
Meine ſäuft den Kaffee gern,
Deine will's vertuſchen.
Mei Alie hot's Kalte (Fieber),
Hot's alle drei Tog —
's is Schod iim mei Alte,
Döß ſe's Kalte ſu hot.
Hübn a Teichel, drübn a Teichel,
Mitten is a Feuerla,
Is das Madel noch ze Ela,
Liebt je ſcha ihr Freierla
47
Am Baume des Bchwaben.
Eine Wanderung in der Heimat von P. R. Rofenger.
— —
ES
= einmal den Staub von den sperren,
Füßen und gieng davon. Bei diejem | Thal-Bauer anrudt ?
„Staubvondenfühenschütteln“ braucht |
man ſich bequemer Weife nichts zu
denken, falls man fich nicht fehr viel
dabei denken will.
Fort ins Gebirge!
Der Hochſchwab breitet die ſteiner—
ven Falten feines Manteld weit iiber
das Land, und noch weiter Hin legt
er die Schleppen feiner grünen Wäl—
der und Almen, beſetzt mit den Silber:
fäumen Harer Bäche. Ein wonnig
Wandern ift e3 in diefem Bereiche —
ich habe mir's wieder einmal gönnen
fönnen feit langer Zeit.
Erfte Station: Vom oberen Mürz-
thal über das Dorf Veitih und den
Berg Predal nah Turnau. Beim
Stiftwirth, wo ich einfehrte, ſaßen ein
Bauer vom Thal und ein Almhalter.
Erfterer Hatte eine Geldfage um den
ftattlihen Bauch gebunden und wollte
daher den Andern, der etwas zerfahren
ausjah, feinen alten Hut aber voller
Alpenrofen Hatte, ein wenig hänfeln.
„Fabian,“ fagte er, „wenn Du
auf den hohen Berg kommſt, klopf ein
wenig an bei der Himmelsthür; ich
ließ’ den heiligen Petrus ſchön grüßen
und er fol doch ein Einfehen haben
und bald einmal regnen laffen. Sonft
friegft fein Kraut im Winter; 's dorrt
Alles ab.“ |
„Regnen laſſen,“ verfeßte der alte
Halter, „regnen laffen, meinst, foll er,
der heilige Petrus. Hab’ ihm's eh
Schon gejagt anı vorigen Sonntag, wie
er auf der hohen Veitſch jpazieren ge=
gangen if. — Haft denn Du Zeit!
zum Spazierengehen ? rede ich ihm
ines Tages jchüttelte ich wieder lan, mußt
nicht Himmelthür aufs
wenn jeb fo ein braver
— Ah bei—
leib, ſagt er, ruckt keiner mehr an.
Hollt ſie all der Teufel. — Wenig—
ſtens kunntſt regnen laſſen, ſage ich,
die Wieſen ſchauen ſchon all' aus,
wie eine Hundshaut, ſo gelb. Der
Himmel iſt wie zugenagelt, ſeit vier
Wochen keine Oeffnung mehr —
denk' Dir's, die armen Leut! Sie
wollenDir eh einen Bittgang machen,
habeı fie gejagt. — Aha, gibt d’rauf
der heilige Petrus zurück, wenn fie
mich brauchen können, da finden fie
mich. Aber Feiertag halten an meinem
Ehrentag zu Peter und Pauli, das
fällt ihmen nicht ein, da heißt's Heu
machen, Ben mahen! Die Thal-
Bauern voraus. Im vorigen Jahr
iſt's naß genug gewejen, mannshoch
iſt das Futter geſtanden auf den Wie—
ſen, hab' mir ein Dankamt verhofft
zu Peter und Pauli, und daß ſie den
armen Haltern ein Trinkgeld geben
werden und ein Stückel Fleiſch im
Winter, anftatt alleweil nur Kraut.
Ya, Schneden, nicht einmal in die
Kirchen find fie gegangen, Heu machen,
Heu mahen hat's geheiken, wie am
hellen Werktag. Ich will mir's merken.”
Der Bauer mit der Geldkatze hat
fich ftifl verzogen, der Halter hat in
feinen Bart geichmungelt. Welcher von
Beiden ift bier der Stärfere gewelen ?
In Turnau machte ich die Ber
kanntſchaft mit einem hohen Heren aus
ı Klagenfurt.
Der war die Nrtigfeit
jelber und lud mich fogar in feinen
Wagen, um nach Aflenz mitzufahren.
Ih ſuchte mit ihm Geſpräche über
Land und Leute, über Kunft und
Bücher, über die Weltlage und Kämpfe
der Geilter anzuknüpfen; vor lauter
Höflichkeit fagte er zu Allem ja oder
ſchaute fill und gutmüthig drein und
wir famen nicht d’ran. Das war
einer jener eingefeiften Kletterbäume,
an die man micht hinauf kann, weil
fie zu glatt find. Mit Steigeifen, heißt
das, wer ihmen fcharf zufeßen, wer
fie verwunden wollte, käme ihnen viel—
leicht bei, daß fie ihre Individualität
offenbarten. Ich kenne Leute, die an
den niedrigen Thliren der Alınhütten
nicht vom Fleck kommen, weil fie eine
- ander den Vortritt laſſen mollen.
„Bitte, nah Ihnen! Ich bin Hier zu
Haufe!“ „Bitte, ih auch!“ —
Geſchwätz, feiner von Diefen ift bei
der Natur zu Haufe und es müßte
eigentlich Jeder vor dein Andern zur
Hüttenthür hineinhuſchen.
Da war mir doc der Kohlen—
brenner bei Turnau noch lieber. Bei
dem beflagte ſich ein altes Weibel,
daß fie ihr Lebtag noch feine gute
Stunde gehabt Habe. „So,“ fagte der
Kohlenbrenner theilnehmend, „Schau,
da darfit Du nur aufs Troißeck
gehen, da Haft Du eine gute Stunde
hinauf.”
„Da weiß ih Dir was Anderes,"
entgegnete auf den alten Spaß ein-
gehend das Weibel, „von Zurnau
bis Aflenz ift leicht eine ſchwache
Stunde, wenn Snab’ und Mädel mit—
einandergehen.“
Wohl, das erinnerte mich an den
deutfamen Ausspruch jenes Kärntner
am Lengfee: „Ja, Derr, ja. Bis zum
Platz, wo fih das arm Dirndlan in’s
Mailer geftürzt hat, ift halt nur ein
ſchwaches Stündlan.“
Zweite Station: Von Turnau
bis zum Hochſchwab. Ein Abend in
einem Bauernwirtshaufe in der Schwa=
bengruppe drohte mir mit der be—
wußten ſchwachen Stunde. DerSchnaps-
ler und der „Spedjager“ (Bettelmann),
die beim Ofentiſch ſaßen, drohten
zwar nicht. Die ergößten fich und
Andere.
OH ſich Feiner mehr heran.
>
„Seht geht's Geſchäft wieder,“
tief der Schnapsler und wifchte fich mit
der Abachjeite der Hand den fettigen
Mund, er aß Brot und Sped. „Jetzt
geht's Gefchäft wieder!" Es war näm—
lich feit Langem nicht mehr gegangen.
Die Leut’ werden überall herriſch und
trinken Bier, andere find wie die
alten Weiber und trinken Moſt oder
tunfen die Semmel ein, noch Andere
find jo grundverdorben und verkom—
men, daß fie Waller faufen wie die
Ochſen. „Halbgewachſene“ Burfchen
gehen auf die Alm und trinken, wie
die Fatſchkinder, Milch bei den Weibs—
bildern. Zum gebrannten Waſſer traut
Haben eh
fein Feuer im Blut und trinken Waller
und Milch! Wohin mit der Welt! —
Aehnlih mochte der Schnapsler oft
taifonniert Haben, aber feine Plußer
jelber leeren, nein, das wäre fein Ge—
Ihäft gewefen, und der Menfch Lebt
nicht allein vom Schnaps! Einen
Bierkreuzerbagen Hatte er noch in der
Taſche, und Hungerig ein Wirtshaus
verlaffen, daß ift fogar für den Schnaps-
ler, der doch allerhand gewohnt ift, ein
unbehagli Ding. Da kam der Speck—
jäger. Der war fleißig die lete Zeit
ber, wußte zu beten, wo es fette
Gabe feßte, und zu fluchen, wo es
nichts feßte, und den Bäuerinnen
Artigkeiten anzuthun, daß fie girrten
vor Vergnügen. Sein Bündel, das
er auf dem Rüden trug, troff vor
Sped. Sonft aber war Mangel in
allen Taſchen und der Menſch Lebt
auch nicht allein vom Spede. Durch
Schickung Gottes hatten ſich nun bie
Beiden hier zufanmengefunden, der
Schnapsler und der Spedjager. That
der Schnapsler den PVierfreuzerbagen
hervor und fagte: „Kamerad, da ſchau,
echtes Kupfer! Gib mir ein Trumm
dafür!“
- Der Spedjäger that fein Bündel
ab, widelte es auf, bis er zu einem
großen Ballen von Ampferblättern
fam. Diefe ſchlug er auch auseinander
und da war eine Menge von Speck—
49
Ihwartlein, die anfangs Fleberig noch
aneinanderhiengen, allmählich aber auf
dem flachen Tiſch auseinander fielen.
Der Spedjager bob ein Schwartel,
wog e3 ein wenig in der Hand und
warf es dem Schnapäler zu. Dann
befah er fi den Batzen und mur—
melte: „So fo, jegt hätt’ ich wieder
Schnapsgeld. Lang’ her ein Stam—
perl (Gläschen), Kamerad!“
Der ftedte vafch fein Stüd Sped
in den Mund, hob aus feinem Korb
einen Thonplußer hervor umd ein
Bläschen, das er mit dem Inhalt des
Plugers füllte und dem Spedjager hin—
ſchob. Der Bagen war wieder fein
Eigenthum.
„Kamerad,“ fagte der Schnapsler
nah einem Weilden, „da Haft den
Batzen wieder, gib mir noch ein
Trumm.“
Das geſchah. Und wieder nach
einer Weile ſagte der Spedjager:
„Kamerad, noch um vier Sreuzer
Schnaps!”
So trieben fie es eine Weile fort
Hell und lieblich wie zwei harmo—
nirende Gloden, bei Begleitung der
Zither, fangen fie das Lied:
„Wia Iufti is 8 ſcheani Olmalebn,
’3 fon af da ganzn Welt nir ſcheaners gebn,
An grean Woin,
Siacht ma die Kuala grofn,
Wan da Viachbua ſchnolzt, daß Hollt in Thol,
So gfreut mich s Olmalebn Holt ollamal.
Und in ollafrua, kaum daß da Morgen locht,
Wern die Kuala gmulchn (Kühe gemolken)
Kas und Buda gmocht,
Aft wird ziomagjefin,
Kas und Milli gefin,
Nochha woſchn mar Olls in da Hüttn fein,
Weil an Urbnung af der Olm muaß jein.
Wan mar in da Hüttn olles zjomgorbatt
——— hobn,
Gehn mar afdie Woad und fangen zſingen on,
Drauf fimts Nohbarn Küabua,
Und der ftimpp van gleih zua;
Af der Olm, do fein jo lauta frifchi Leut,
De an Muat hobn und hibſchi Schneid,
Wer ſih gleib mit Grilln und viel mit
Kloanmuat fränft,
Ba jeda Ihworzn Wulfn gleih af Unglüd
dentt,
Der hot loan gfundn Muat,
und darum lächelte der Schnapsler | Taugg af die Olm nit guat,
fo vergnügt: „Gott fei Dank, jeßt
geht das Geſchäft wieder!”
Durch ein einziges Bierkreuzer-
füd hatte ſich zwiſchen den beiden
Producenten und Conſumenten Handel
und Verkehr entwidelt.
In der Stube waren ferner eine
junge Wirtin und ein Mädchen aus
der Nachbarſchaft. Sie kümmerten
ſich nicht viel um die beiden „Stante=
raden“ am DOfentifh und fiel es der
Wirtin nicht einmal ein, für den von
den Gäften felbft mitgebrachten Trunk
Stoppelgeld einzuheben. Die beiden
munteren und hübſchen Weibsbilder
fpielten eines ums andere eine Zither
und fangen dazu die Iuftigften und
Ihalkhafteften Lieder.
Wenn gerade nicht gefungen und
nicht gelacht wurde, hörte man das
Raufhen des Gebirgsbacdhes, der
draußen zwifchen dem Wirtshaufe und
der gegemüberftehenden Kapelle vor-
beifloß.
Bofegaer’s „„Geimgarten‘‘, 1. Geft, XI.
|
%0, der ful fih vo der Olm entferna meit,
Der vadirbb oans noh die gonzi Freud!”
Draußen Hangen die Schellen der
heimmärtäfehrenden Herden und der
Halter knallte dazu mit der Peitſche.
Am Waffertrog tranken fie und
gaufelten mit den Hörnern und der
Almbub fehlang feinen Arm um den
Naden des Stieres und beugte ji
vor, um ebenfall® aus dem Troge zu
trinten. Die Schwaigerin trug einen
Korb duftenden Futters in den Stall,
und die Rinder folgten ihr. Selbft
diefer harſche Werktag draußen muthete
mich wie Feiertag an.
Lange hatte von dem Hochgewäude
ber der Schein des Alpenglühens zu
den Heinen Yenftern in die Stube ge=
leuchtet. Endlich zog die Wirtin hell—
rothe Vorhänge über die Scheiben und
zündete die Kerze an. Dieweilen klan—
gen unter den Fingern der Anderen
fortwährend die Saiten; fie ftimmte
nicht viel und es that auch nicht noth,
4
wie ein unverfiegbarer Tonquell ſpru—
delte es hervor aus der Zither und
aus den, Kehlen.
Da hörte ich die alten trauten
Lieder: „Auf der Olm, do is 8a
wohri Freud,“ „Wan ih geh auf die
Dim," „Mei Geliebte is an Olmerin,“
„Bin a luftiga Steirerbua,* „Wan's
Monſcha Schön leuchtn thuat,“ „Entern
Bader! fteht a Hütterl,* „Ih hob
Dir in d'Aeuglein gſchaut,“ „Bhüat
Manchmal, wenn mir in dem
nationalen Gezänke, in dem politiſchen
Strohdreſchen unſerer Tage bange
wird — weil Einem die Sache ja un—
möglich gleichgiltig fein kann
flüchte ich in die Engthäler des Hoch—
gebirges und hole mir die Zuperficht
an die Urkraft unferes Ddeutjchen
Volles von Neuem bei den Nature
menschen.
Freilich zittert Schließlich auch Hier
Did Gott taufendmol, heint is 3 dos wie allenthalben und zu allen Zeiten
leßtimol,“ „Wos mocht mei Dirndl in |
Grobn drein?“ „Io in mein Steier-
morf, do fein d'Leut frisch und ftorf,*
„3 Büaberl von ſteiriſchn Landl.“
Und ſo fort — ein glüchſeliges Jauch—
zen der Lebensfreude, der Heimatsliebe
und Almluſt! Dier wieder, wie oft in
leßterer Zeit, machte ich die Erfahrung,
daß bei unferen Gebirgsleuten Die
Liebe zum Steirerland nicht erfaltet,
ſondern ſich fteigert und immer wies
der neue Töne findet, dieſelbe auszu—
jauchzen. Es ift, als ob mit dem na—
tionalen Bewußtfein der Gebildeten
das Heimatsbewußtfein der Natur-
menjchen Hand in Hand gienge, gleich-
wohl man unter erfleren manchmal die
verfchrobene Anficht Hören kann, diefe
beiden Dinge jchlöffen ſich einander
aus und die Liebe zur engeren Hei—
mat und ihren Eigenheiten beeinträch-
tige die Nationalität. Von diefen
merkwürdigen Standpunfte aus ift es
auch erklärlich, wenn manche junge
Heißfporne ſich ihrer engeren deut—
ihen Heimat jchämen, die Hüter
und Förderer derjelben ſchmähen, ja
jelbft das Elternhaus mit ihrem na—
tionalpolitiihen Gepolter entweihen
und die eigenen auch der heimatlichen
Scholle noch treuen Eltern verhöhuen
„im Namen des deutichen Volks“, das
diefe Grünfchnäbel beftändig eitel nen—
nen, ohne au nur eine Ahnung zu
haben davon, was der wahren Wohl-
fahrt unferes deutfchen Volkes frommt.
Die Liebe zur Heimat, die Treue zur
Familie find die Hauptgrundpfeiler
eines unbeliegbaren Volkes.
jedes idealere Denken und Empfinden
in warmblütige Menſchlichkeit aus.
Man ift der Wendung ja eigentlich
nicht abhold.
Die beiden Geſchäftsleute am Ofen
tisch waren verſchwunden; fie Hatten
einander ſtark aufgezehrt und aufges
trunfen und in weſſen Hand der
Kupferbagen ſchließlich verblieben ift,
das weiß ich nicht zu berichten. Da
wir uunmehr unfer drei allein in
der Stube waren, rüdten wir einiges
näher zuſammen. Die Zither war eine
unermüdliche Werberin gegenfeitiger
Zuneigung. Dazwifchen plauderten wir
wieder Eins, und zwar in „floans
fteirifcher" Mundart, in welcher ich
mich immer — auch in weniger reis
zender Gefellichaft — behaglich fühle.
Wenn ich Hochdeutih ſprechen muß,
da habe ich ein ähnliches Gefühl, als
läge ic) unter einer Bettdede, die oben
und unten zu kurz ift; da muß ich
immer acht geben, daß ich micht Hier _
einen nadten Fuß, dort ein nadtes
Knie herausftrede. Die fteirische Munde
art Hingegen ift eine Hülle, die nach
allen Seiten reichlich langt, da mag
ih Hinundherrüden und ftrampfeln
nach Belieben, es wird fich fein Theil
meiner Wenigfeit eine Blöße geben.
Auch Font ift die hochdeutſche Sprache
manchmal ein wenig unzulänglic.
Es gibt Dinge zwifchen Himmel
und Erde, die fie nicht aussprechen
kann und darf, weil fie aus ihrem
Munde zu plump oder zu lüftern
fingen würden. Wie frei und offen=
herzig iſt Hingegen die Sprache der
öl
Natur, die ohne Kofetterie und Um—
ſchweife in feufcher Naivetät Sachen
nennt, jo mehr oder weniger uns Alle
intereflieren.
Die Finger des flachshaarigen
Dirndls Hatten auf der Zither ein
zartjinniges Präludium gefpielt, als
die junge Wirtin mit ihrer anmuthig
weichen Stimme anhub:
„Dirndl, wo hoft dan dei Liegerftott,
Dirndl, wo hoſt dan dein Bett?
— Ueba zwoa Staffel muaßt auffifteign,
Draußt af da Gofin ftehts net.
Wans Bettftad! drauft af da Gofin fland,
Hät ih die gonz Nocht fa Rua,
Un iada Bua, der üba die Gofin gang,
Kehrad ban Bettſtadl zua.“
„Jetzt aber,“ unterbrach fich die
Wirtin fchnefl, „jegt ein Anderes —
ein Narriſches!“ Und fang:
„Ba der erſtn Hüttn
Sein ma niedagjefin,
Ba da zweitn Hüttn
Hobn ma Milderl gefin;
Ba da dritin Hüttn
Hobn mar einigſchaut,
Sitzt a Jaga diner,
Ißt a Kraut.”
„Haft es nit recht gelungen,“
wendete das junge Dirndl ein, „der
Schluß ift anders.“
„Seh fei fill!“ rief die Wirtin
und klatſchte mit zwei Fingern dem
Dirndl auf dem Mund. Dieſes lieh
ih nicht beirren fondern fang zur
Zither:
„Ba da drittn Hüttn
Hobn mar einigſegn,
Is da Jaga ba da —“
Die letzten Worte wurden von der
Zither derart übertönt, daß ich ſie
nicht verſtanden habe.
So waren wir ſchalkhaft alle drei.
Die ſchalkhafteſte weitaus war aber die
Kerze, die, bis zu ihrem Blechpfandlein
niedergebrannt, nun auslöfchen wollte.
Im Finftern kann man auch noch
Zitherfpielen — wißt Ihr da3? —
Dritte und legte Station. Von
St. Ilgen über Tragöß nach Vordern—
berg. Sanct Peter hatte fi befonnen.
Die Leute brauchen Futter, es gibt fo
viele Rindvieher auf Erden ; man muß
do rinnen laſſen. Und jo war an
diefem Tage das Alpenland voll Re—
gen und Nebel.
Der Menſch ift ein fehr warm—
blütiges Thier und Hat daher eine
eigenthümliche Abneigung gegen das
Naßwerden. ch traf unterwegs mit
meinem „Spedjager“ von geftern zu—
fammen. Der erzählte mir, wie er
einmal auf dem Wege von Wildalpen
iiber den Hochſchwab bis auf die Haut
naßgeworden ſei. Das „bleifchwari
Gwandgſchlampp“ wollte er nicht län=
ger am Leibe fchleppen; er dudte ſich
in eine Felſenkluft, riß fich die Klei—
der vom Leib, fettete die Haut über
und über mit Sped ein, um der Er—
fältung vorzubeugen und lief in ſol—
chem Anzuge hinab bis zu den Holz—
fnehthütten der Tramiefen.
Als ich auf die Höhe des Berg—
zuges fam, wo das Chriſtuskreuz fteht,
hatte der ChHriftus über fi einen
großen rothen Regenſchirm aufgeipannt.
Der war aber nicht allein für ihn,
fondern auch für die Beterin, die
am Fuße des Kreuzes kniete und auf
dem Wege war nach Mariazell. Wenn
Gott fie befchirmen foll auf der wei—
ten Reife, warum ſoll fie nicht auch
ihn bejchirmen ?
In Tragöß beſuchte ih unter
freundlicher Führerichaft des Herrn
Pfarrers die Stätte, aus welcher die
Idee zum Roman „der Gottfucher“
aufgeleimt ift: die Grabftätte des
von feinen Bauern erjchlagenen Pfar—
vers Melchior Lang. Eine Stunde
jpäter ſaß ich auf einem Stein am
grünen See und ſchaute den Nebel:
fahnen zu, die an den Wänden der
Pribig und der Meßnerin empor-
ftiegen und fich auflösten. Das Waſſer
des kleinen aber vielgliederigen See's
ift Erpftalllfar und von einem wunder—
baren Grün. Diefe optifche Wirkung
4*
92
fommt wohl von den grünen Pflanzen
in feinem tiefen Grunde, Es ift ein | wahrlich, das gienge noch ab, daß auch
Gebirgsauge, welches uns zwifchen den die Berge und Thäler und Bäche und
Brauen der Fichten und Lärchen her Seen geiftreih wirden. — Mohin
ruhig ernſt und fast geiftreich anblidt, dann flüchten, um Vernunft und
wie jener Huge Herr Doctor aus | Weisheit zu finden ?
Wien fo ſinnig bemerkt Hat. Ja,
Die Thiermarter im Vogelbauer.
Bon Dr. 3. B. BYolzinger.
E gibt befanntlih in Stadt und | und kaum fünfzehn Gentimeter Höhe eine
5 wenige bewohnte | Kohlmeife hart in der Nähe des fchrifl
fi nicht irgend | tönenden Klingelwerkes im erften Stod-
Jemand den Lurus eines Käfige | werke am Gange hängen, der von allen
vogels gönnt. Die viel beredete, mit | Paffagieren des vier Etagen zählenden
Rüdfiht auf den rationellen Vogels | Haufes und dem ſämmtlichen Dienft-
wirt jedenfall nicht leicht zu beant- perfonale desſelben pafliert werden
wortende Frage, ob das Halten eines | mußte, fo daß der Vogel, bis tief in
Bogels in der Gefangenſchaft nicht ein die Naht Hinein fort und fort aufs
„Unrecht gegen das freiheitäliebende | gefheucht, ohne Unterlaß herumflatterte
beſchwingte Gefchöpf, ein plummper Ein= | und, da er bei jeder feiner haftigen
griff in die Natur” ift, mag Hier außer | Bewegungen an Wand und Dede ſei—
Erörterung bleiben und foll an diefer nes winzigen Kerkers anfchlug, bis
Stelle auch nicht von den mannigs | zur Unkenntlichkeit abgeftoßen und zer—
fachen traurigen Praftifen der Vogel- ſchunden war. Als ih dem Stuben-
händler die Rebe fein, im deren | mädchen, das wohl hundertmal des
Händen der Vogel unbedingt zum Mär: | Tages an dem gemarterten Thier
tyrer des Gefchäftes feines Verge- | vorübertrampelte, ohne für deffen Noth
waltiger8 wird. Borliegende Zeilen) auch nur das Geringfte zu empfinden,
ftellen fich lediglich die Aufgabe, auf) den Vogel abkaufte, um ihm in Frei—
die leider nur allzubäufige fehr üble) heit zu feßen, meinte dasfelbe ent-
Behandlung der Vögel aufmerkfam zu) fchuldigend, der Spengler, welcher
maden, wie fie fih unter unferen | derlei Käfige verfertige, Habe behauptet,
Augen bei Privaten vollzieht und gegen „je Heiner das Häusl, je jchneller und
welche einzufchreiten felten Jemand | lauter finge ein Vogel, weil er immer
Beranlaffung nimmt. hinaus möcht'“, umd der noch weifere
Entipriht vor Allem der Käfig, | Zimmerkellner habe ihr gejagt: „Ein
in welchem der Vogel zumeift in Ein= | Vogel muß unter die Leut’, damit
ſamkeit fein Dafein zu friften Hat, | was wird aus ihm!“
durchfchnittlich der Aufgabe, dem Ge— In Graz konnte man in dem
fangenen fein Los nah Möglichkeit er⸗ Fenſter eines Haufes in belebter Straße
träglich zu mahen? In einen Wiener | wieder eine Amſel in einem Käfig ein-
Hotel fah ich in einem Eiſendrahthäus- gepfercht fehen, worin unter andern
hen von nur zwanzig Gentimeter Länge | das einzige (!) darin befindliche
53
Sprungholz; jo dünn war, daß der
Vogel daran feinen natürlichen Ruhe: |
punft und nur mittels kramp haften
Umflammerns des Stängelchens einen |
ſchwanken Halt zu finden vermochte.
Belanntlih Hat die Amfel ziemlich
große Gangfühe, benöthigt daher auch
zum Springen und Aufſitzen ınehrerer,
mehr al3 daumenftarler Sprunghölzer,
die überhaupt erjt dann die richtige
Dide haben, wenn fie der Vogel nicht
ganz umfangen kann. Aber abgefehen
davon, daß nur felten Jemand daran
denkt, daß mit den Sprunghölzern dem
Vogel die Möglichkeit geboten werden
fofl, in jeinem Käfige, wo ihm ſchon
hundert andere Dinge ganz verjagt
find, wenigftens naturgemäß boden
zu fönnen, geht der Geiftreichthum
mancher Bogelbefier jo weit, Sprungs
hölzer mit [hneidigen Kanten
in den Käfig zu fteden, damit ja das |
Thier nicht bloß ein bejchtwerliches,
fondern auch jchmerzliches Fußen hat
und in Folge deſſen nothwendig franfe
Füße befommt.
In Deutfchfeiftrig Jah ich einen
etwa erjt zwei Jahre alten, gleichwohl
ftellenmweife ganz fahlen Stanarienvogel
in einem ebenfalls lächerlich Keinen
Käfige, der von Schmutz und Mift
farrte und über und über voll Mil-
ben war. Nachdem die Wogelmilbe
befanntlih ein Spinnenthier ift, über
das man micht ftolpert, fo haben ge=
wiſſe Leute auch feine Idee von der
Eriftenz dieſes biſſigen Vogelpeinigers,
jelbft wenn ganze Klumpen desfelben
an den Sprofjen des Käfigs hängen,
wie es hier efelerregend der Fall war.
„Ich Hab’ mir Halt immer nicht den—
fen mögen, warum denn der Sanari
alle Tag grad auf d'Nacht gar fo
luſtig wird,” fagte die ländliche Eigen
thümerin desfelben, die offenbar auch
niemals gehört Hatte, daß die licht-
ſcheue Milbenbrut nad Sonnenunter:
gang lebendig wird und blutgierig den
durch Herumfpringen zu entkommen
fuchenden Vogel überfällt, um ihn aus
zufaugen und des bißchen Schlafes zu
berauben. Das Eine aber kann Jeder=
mann willen, dag man ein bewohntes
| Vogelgaus nicht ein volles
Jahr lang ungereinigt laſſen darf,
eine Unflätigkeit, welche das alberne
Weib, das durchaus einen Vogel haben
mußte, mit der Bemerkung zugab,
„daR man da viel zu thun hätte,
wenn man alleweil auch noch bei den
Bogelhänfeln ftehen und pußen müßte!“
Im Sommer vorigen Jahres konnte
ich bei einem Bürger in Graz eine
Nachtigall in einem Käfige trauern
fehen, in welchem der Koth des Thieres,
der bekanntlich längs der Sprunghölzer
abgejeßt wird, von der Schieblade aus
bis über die beiden Sprunghölzer
hinauf, gleich zwei Mauern empor—
tagte, welche zum Weberfluffe noch von
den Maden der Schmeißfliege bevöl-
fert waren! Man kann bezüglich dieler
Sorte von Bogelfreunden leicht zu
der Anficht kommen, dab diefelben
mit beftändigem Stodfchnupfen behaftet
find, denn die Zimmer, im welchen
ihre VWögelfäfige hängen, erinnern ver—
mög ihres Geftanfes eher an einen
Schweineftall, denn an ein Wohnge—
mah, wo ein normal veranlagter
Menſch es auch nur eine Biertelftunde
lang aushalten könnte,
Daß dergleichen ehrenwerte Vogel—
wirte anderfeit3 auch feinen Sinn
dafür haben, für die ihren Gefange-
nen zufagende Temperatur zu jorgen,
wird kaum mehr Wunder nehmen.
Sie hängen den Käfig, deſſen Situierung
nicht etwa die nothwendige Rücſicht
auf die Nude, die Behaglichkeit und
das Gedeihen des Vogels, fondern
einzig der Grundfaß leitet, „daß er
Niemanden im Wege iſt,“ an einen
Plaß, wo der Vogel weder Licht noch
ausreichend Luft Hat oder einem, für
ihn in allen Fällen höchſt nachtheiligen
Zuge ausgefegt ift, ftellen ihn im
irgend einem Winkel auf einen Kaften
oder hängen ihn, was noch beliebter
ift, ganz in die Nähe des Plafonds
hinauf, wo Hitze und Dunft am in—
Itenfivften find und der Vogel in Yolge
54
deffen auch zum Trinken beftändig nur) der Liebhaber eines „recht lebhaften
lauwarmes Wafler Hat, oder fie hän-
gen ihn im Sommer ungededt zum
Tenfter hinaus, wornad das Thier zu
gewiffen Stunden des Tages in der
Sonnenhiße förmlich röftet. Ein Fräu—
lein in Graz, welches während der
Tagesftunden nur felten zu Haufe ift,
beim Nachhauſekommen aber, wie fie
fagt, „Frifche Luft im Zimmer haben
will,“ pflegt auch in Falter Jahres—
zeit beim Berlaffen der Wohnung
„immer alle Fenfter aufzureißen,“ jo
daß ihre Vögel, von denen der ftärfit
organifierte, in die Stube eingewöhnte
zum mindeften -+ 15° Reaumur be=
darf, den ganzen Tag über halber-
ftarrt im Käfig zumeilen bei einer Tem—
peratur eingefchloffen bleiben müſſen, die
mitunter dem Gefrierpunfte nahe
foınmt! „Haben ja doch warme Federn
und was thun denn draußen im freien
die Vögel, wo fie fogar beim Schnee
am Baum figen müſſen,“ replicierte
mir fchlagfertig die auf die Graufam-
feit ihres Verfahrens aufmerkſam Ge—
machte, ohne daran zu denken, daß
jene wenigen Vögel, die bei ung zu
überwintern vermögen, die nöthige
Körperwärme durch die unbehinderte
Flugbewegung und die beftändige, an—
ftrengende Suche nad) der Nahrung
ſich beſchaffen.
—————— — ——— ñ ñ ñ ñh— — — — — — —
Daß bei der, mitunter der unzu—
verläffigen Obforge Heiner Kinder an—
vertrauten Fütterung den Vögeln
u.a. erft dann das Wafler im Napfe
erneuert wird, wenn man denfelben
— gelegentlih au&getrodnet findet,
ift etwas ſehr Gewöhnliches und der
dent Vogel zum Baden unentbehrliche
Mailerbehälter Vielen ein ganz unbe—
fanntes Object. Mancher wieder küm—
mert ſich beim Anfchaffen eines Vo—
gel3 nicht einmal darum, ob derjelbe
ein Körnerfreffer oder aber ein Weich»
freier ift, weshalb es Perfonen gibt,
die 3. B. eine Nachtigall Lediglich mit
Hanf (!) erhalten zu können vermeis
nen. Der erbarmungslofe — nebenbei
bemerkt, ganz unnütze — Gebrauch
Nachtigallenſchlages,“ Ddiefen edlen
Thieren in der Singzeit lediglich
frifche Ameifeneier, dagegen gar Fein
Waſſer zu reichen, findet immer mehr
Nahahmer. In fogenannten „vor—
nehmen Familien“ macht häufig der
„Schönheitsſinn“ irgend ein koſtbares
Vögelchen zum Paradeftüd des Salons.
Damit felbes recht gut und bequem
befehen werden kann, placiert man auf
einem Heinen Tiſchchen an zugäng=
lihem Platze den aus ſehr feinen
Draht kunftvoll geflochtenen chlinder—
förmigen, von allen Seiten volllom-
men durchlichtigen Käfig, der gemeis
niglid um fo „herjiger” gefunden
wird, je unzulänglicher er an Bewe—
gungsraum ift. In diefem Gefäng—
niffe findet das erponierte Thier abſo—
[ut fein Plägchen, weldhes ihm auch
nur die Illuſion eines geſchützten Win-
felhens und das damit verbundene
Gefühl der Ruhe und Sicherheit, die
einzige AUnnehmlichleit im dem ihm
aufgedrungenen Folterraum bieten
würde.
Was ſoll man aber erſt gar zu
der, glüdliher Weife doch nicht allzu
häufigen ingeniöfen gläfernen Glode
Jagen, welche mitten in ein Aquarium,
und zwar von unten derart hinein
ragt, daß der Bogel darin anſcheinend
im Waffer ift und in Wirklichkeit im
Kreife um ihn herum Tag und Naht
lebende Fiſche, Salamander, Scild-
fröten, Fröſche und fonftige Ereaturen
ſchwimmen, friehen und hüpfen!!
Daß in folchen, wie in allen ähn—
lien, von einem Dummkopfe erfun—
denen wandlofen fogenannten Thurm—
oder Glodenfäfigen in Folge des un—
abläffigen ängjtlihen Herummendens
und rubelofen Umfichblidens die un—
glüdlichen Bewohner derfelben mit der
Zeit nothwendig drehkrank werden
müſſen, wird jeder Berftändige be=
greifen.
Indes genug der Beifpiele von
Mißhandlung gefangener Bögel, die
ihren Grund größtentheils in Gleich-
Pr :
+)
giltigkeit, in Gedanfenlofigkeit und | ernften Willen hat, einen Vogel menfch-
Borniertheit findet und gegen welche |lich=vernünftig zu beherbergen und zu
ih Jedermann mit Wort und That | pflegen, dem follte mit Nahdrud zum
auflehnen follte. Wer nicht das Ver- | Berftändnis gebracht werden, daß das
ftändnis befißt, wer nicht in der Lage | Halten eines ſolchen abſcheuliche Thier-
ift oder vielleicht gar nicht einmal den | quälerei ift.
Aus dem Tagebuche eines Runſtjüngers.
Don M. Glock.
Wien, 3. Jänner 1847.
Sie laumenhaft ift doch die liebe
a ortuna. Einen Corregio
(äßt fie in Mühfal und Kummer den
Lebenspfad dahinteuchen und Rubens
hebt fie auf die höchften Sonnenhöhen
des Glüdes. Freilih den Nachruhm
haben fie Beide.
Aber das ift eitel Dunft und
Mind, eine wefenlofe Subftanz ohne
nöhrende Beitandtheile. O holde Glücks- Denmner'ſchen Köpfe betrachtet, die
göttin, wenn Du einmal bei vecht guter! greich im erften Saale hängen. In
: mit dem Farneſe'ſchen Hercules,
Laune bift, jo ſchenke auch mir al Heiden Köpfen, fowohl in dem des
an dem ich nun ſchon fo lange arbeite
und mit dem ich doch micht zurecht
fonımen kann. Ad, wenn man doch
ihon als Maler geboren wiirde und
das leidige Studieren nicht wäre!
Wien, 10. Jänner 1847.
Geftern war ich wieder einmal in
der Belvederegallerie und habe, wie
ſchon oft, mit großem Intereſſe die
einen freundlichen Blick und ſchüttle Männleins als des MWeibleing iſt die
ein bißchen Dein Füllhorn über meinem Naturwahrheit auf die außerſte Spitze
Haupte, es thäte wahrlich noth. getrieben. Kein Fältchen, fein Härchen,
Da zeichne ih num ſchon ein volles | fein Wärzchen hat uns der Maler vor—
Jahr nach der Antile und gebe mir enthalten. Ob dies wohl wirklich die
alle erdentlihe Mühe; aber ich weiß | höchſte Aufgabe der Kunft it? —
nicht — es will nicht recht vorwärts. | Zwar Profeſſor Waldmüller, der
Und nie ein Wort der Aufmunterung | uns ja einmal gejagt hat, daß, wenn
von Seite der Lehrer. Es geht über: | man einen Bettelbuben malt, nebſt
haupt recht fonderbar zu an unferer dem Incarnat der Wangen auch noch
Akademie. Die Profefforen leben wie die Schmußkrufte fihtbar gemacht wer—
Hund und Fake nebeneinander und den müſſe, die fich allenfalls darauf
Waldmüller ſpricht es uns gegen= | abgelagert hat, würde bier fein deal
über ungeniert aus, daß wir durch | gefunden Haben.
den bisher üblichen Unterricht nichts In der Abtheilung, wo die Bilder
lernen können. Alles Copieren nach | der neueren Meifter hängen, blieb ich
Vorlagen und alles Zeichnen nach | lange bewundernd ftehen vor einem
Gyps fei eitel Zeitverfchwenduug und | Bilde von Ranftl, welches eine Do—
nur das Zeichnen nah der Natur) nanüberfhwenmung mit einem men—
führe zum Ziele. Möglih, daß er) fchenüberfüllten Rettungsfahn darftellt.
Recht Hat; aber wozu plage ich mich | Welch’ meifterhafte Sicherheit in der
Zeihnung, welche Schönheit in der] thode vor Augen zu führen. Ich gieng
Gruppierung der zahlreichen Figuren!
Als diejes Bild zum erftenmal öffentlich
ausgeftellt war, jagte man dem jungen
Wiener Maler eine glänzende Zukunft
voraus. Diefe Hat er denn auch er-
reicht, jedoch in anderer Weiſe als es
gemeint war. Er heiratete die Tochter
eines fehr reihen Wiener Fabrikanten
und malt feither nur noch zn feinem
Vergnügen und faft ausfchlieglich mur
— Hunde. „Ih bin der reichfte, der
Ihönfte und der glüdlichfte Mann auf
der Wieden“, joll er erft fürzlich einem
Bekannten gegenüber geäußert haben.
Wohl befomm’s!
Mien, 28. Jänner 1847.
Meine akademischen Kunftcollegen
Scheinen es darauf abgejehen zu haben,
mir den denkmöglichſten Werger zu
bereiten. Schon zu wiederholten Malen
fand ich, wenn ich, in den Studierfaal
tretend, an die Arbeit gehen wollte,
an meinem Farneſe'ſchen Hercules von
fremder Hand mit Kohle hingeworfen
Anz und Beifügungen der frechſten Art,
die mich jedesmal fo in Wuth verfegen,
dab ich dem Thäter gewiß den Schä—
del einjchlüge, wenn ich ihn entdedte.
Aber wie ihn herausfinden aus der
Schar der übermüthigen Jünglinge,
die alle jo harmlos d'reinſchauen, wenn
id mit muthblißenden Augen im
Schweiße meines Angefichtes die Un—
that wieder hinwegzuſchaffen mich be=
mühe? Ih Habe zwar Einen auf’s
Korn genommen und werde ihn fcharf
ebenfalls in den Ausftellungsjaal hinauf
und ſah mir die Saden an. Der
Eindrud war immerhin verblüffend
genug. Allerdings Hatte der Meifter
flüglich feine beften Schüler in's Tref—
fen geführt, vor Allen den gemialen
Zichy. Waldmüller gieng im Saale
umber und erläuterte einzelnen An—
wejenden im urwüchſigſten Wiener
Dialecte die Eigenthümlichkeiten und
die wunderbaren Erfolge feiner Lehr—
methode.
„Segn's,“ ſagte er eben zu einem
Herren, indem er ihn vor ein Bild
hinfchob, „der das g’malt hat, war
vor an halb'n Jahr noch a Zifchler-
g'ſell und jet malt er ſchon jo.“
Ein junger Mensch ftellte fich ihm
vor und Sprach den Wunfch aus, ala
Schüler in die Akademie einzutreten.
„Was wollen's denn in der Aka—
demie?“ fagte Waldmüller, „da kön—
nen’3 ja nir lernen.“ Auf die weitere
Trage, welcher Weg dann einzufchlagen
wäre, um die Höhen der Kunft zu
erklimmen, fagte Waldmüller:
„Schaun's, Sie haben g'wiß z'
Haus an Vatern oder a Mutter oder
an Bruder oder a Schweſter oder an
Vettern oder a Mahm'. Gut, jo gehn's
ber, ſetzen's Ihnen einen oder eine
davon Hin umd zeichnen Sie’3 ab, wie
Sie's feg’n. Da werden's dann was
lernten. *
Es ſcheint mir immerhin etwas
MWahres an der Sade zu fein, ob—
gleich es micht die ganze Wahrheit
im Auge behalten. Der frechfte Geſelle fein kann. Daß endlich mit dem aka—
in der ganzen Bande, leider aber auch | demifchen Schlendrian gebrochen wer—
der talentvollfte. Wehe ihm, wenn ich | den muß, leuchtet mir ein. ch wenig»
ihn ertappe! tens bin auf dem bisher betretenen
Wege nicht vorwärts gefommen. Gut,
Wien, 12. Febr. 1847. ſo will ich denn auf dem meuen Wege
Heute ift großer Menfchenandrang | mein Heil verfuchen.
zu den Räumen des Alademiegebäts
Wien, 28. März 1847.
des. Profeflor Waldmüller hat eine
Ih Habe der Akademie Lebewohl
öffentlihe Ausftellumg der Arbeiten
feiner Schüler veranftaltet, um dem! gejagt und zeichne mum im meinen
großen Publikum die Wortrefflichkeit Kämmerlein fleißig nach der Natur.
feiner naturaliſtiſchen Unterrichtsmes | Zwar Habe ich weder »Vater noch
57
Muiter, noh Better und Mahm'é«, ſern Kriehuber an. Freilich find
dennoch mangelt es mir feineswegs | wir Pygmäen gegen ihn, er iſt von
an geeigneten Modellen. Ich nehme uns micht zu erreichen ; aber immerhin
fie eben, wo ich fie finde, und in iſt es wohlgethan, ſolch hohem Vor—
meinem Skizzenbuche ift faft fein leeres
Dlatt mehr vorhanden.
Wien, 16. Mai 1847.
Geftern Habe ich mit meinem
Hreunde Strirner — einem vor—
trefflichen Porträtzeichner, der bei Krie—
huber beichäftigt it — und einem
andern jungen Maler einen Ausflug
nah Neumaldegg gemacht, um dort,
Landichaftsftudien zu malen. Wir lie
Ben uns an einem geeigneten Platze
nieder, ſpaunten unfere Schirme auf
und wählten alle Drei das gleiche |
Object, eine alte, Inorrige Eiche, die
wir von verfchiedenen Standpunften
aus zeichnen und mit Aquarellfarben
malen wollten. Als wir mit unferen
Arbeiten fertig waren, verglichen wir
fie wechjeljeitig und machten unſere
Bemerkungen darüber.
„Der reine Spinat,“ fagte Strir-
ner, als er meine Arbeit betrachtete.
„Siehft Du denn wirklich die Bäume
grün ?“
„Wie ſoll ich fie denn anders
ſehen?“ erwiderte ich, „fie Sind ja
doch grün,“
„Dede andere Farbe darfft Du bei
einem belaubten Baume anwenden,“
fuhr er fort, „nur fein Grün,”
„Aber wenn ich das Grün leib-
haftig vor mir ſehe?“
„Du darfft es nicht fehen.“
„Wenn ich es aber dennoch ſehe?“
„Dann, Unglüdlicher,“ fuhr er
pathetiich fort, „dann fehlt Dir der
Farbenfinn. Den kannt Du auf feiner
Akademie erlernen, der ift ein freies
Geſchenk der gütigen Natur, das fie
Dir verfagt hat. Dir leuchtet dieſe
Dimmelsfadel nit. Darum höre mei=
nen Rath. Wende Dich vechizeitig der
Ihwarzen Kunſt zu, dem Zeichnen auf
bilde nachzuſtreben.“
Mährend des Heimweges debat-
tierten wir noch lange Zeit über Farbe
und Farbenanihanung. Ich befämpfte
hartnädig Strirner’3 Behauptung, daß
man beim Malen eines grünen Bau—
mes fein Grün verwenden dürfe, und
ang zuleßt fröhlich im die Nacht
hinaus:
„Grin, ja grün, nur grün allein,
Grün fol meine farbe fein!“
Die beiden Anderen fielen begleitend
ein, umd fo fangen wir dem jchönen
Storch'ſchen Chor zu Ende, leider nur
mit drei Stimmen.
Als wir an die Hernalfer Yinie
gekommen waren, blieb Strirner plöß-
lich ftehen und fagte: „Nun, etwas
'weniges Grün darf man ſchon an—
‚wenden, aber nur um Dimmelswillen
‚fein anderes als Dlivengrün.“
Wir gaben ns lachend die Hände
und trennten uns.
Wien, 6. Aug. 1847.
Strirner’s Bemerkung bezüglich der
„Schwarzen Kunſt“ ift nicht auf dürres
Erdreich gefallen. Ich habe mich ent»
ſchloſſen, Porträtlithograph zu werden.
Da braucht man, gottlob, keinen Far—
benfinn, da hat man es ausschließlich
mit der Form zu thun. Und, was
‚das Beſte an der Sache ift, man ver—
pen Geld dabei. Hat man feine Bes
‚ftellungen, jo gibt ed immer noch
‚Arbeit für Kunſthändler. Man fieht
es ja an Kriehuber. Er zeichnet faſt
ausſchließlich nur auf Stein und führt
dabei trotz feiner zahlreichen Familie
einen fürftlichen Haushalt, während
geſchickte Landfchafts- und Hiftorien-
| .
maler am Hungertnche nagen. Die
Stein, der Lithographie, fo wie ich Technik des Steinzeichnens werde ich
es gethan habe. Da kannſt Du es; bald os haben. Ich habe die Zeit
noch zu etwas bringen. Schau uns| feit unferen Neumwaldegger Ausfluge
58
wohl benußt und bin ein gutes Stüd
vorwärts gekommen.
Mien, 14. Oct. 1847.
Triumph! Mein erftes lithogra=
phifches Porträt ift gedrudt und ich
habe das Honorar von 20 Gulden in
meiner Taſche. Als Erſtlingswerk be=
trachtet, ift e& gar nicht übel gerathen
und — was für den Befteller die
Hauptſache — es iſt ſehr ähnlich.
O ſei mir geſegnet, Du holder Jüng—
ling, der mir ſein theures Haupt an—
vertraute, um es durch meinen Griffel
zu verewigen. Freilich, das Porträt
im Schaufenfter der Kunſthandlung
Mechetti am Michneler Plabe öffentlich
ausftellen, wie es gewiß fein ſehn—
lichſter Wunſch wäre, darf er noch
nicht, denn er ift noch nicht berühmt.
Er will es aber demmächft werden.
Der Eigenthiümer des Porträts ift
nämlich ein angehender Sänger, ein
Bariton, der in nächſter Zeit in Linz
öffentlich auftreten wird. Nun, Gott
gnade den Linzern. Eine Stimme wie
verroftetes Blech, eine Geftalt, wie der
Ihwindfüchtigfte Schneider, und eine
Selbftüberfhäßung, mit der man drei
erſte Tenore ausstatten könnte. Wenn
der nicht bei feinem erften Debüt das
glänzendfte Fiasko macht, will ich
Vitzliputzli heißen. Aber, es lebe die
Gitelfeit! Sie fomımt hie und da dem
Porträtmaler trefflich zu ftatten.
Mien, 17. Dec. 1847.
Geftern bemerkte ich beim Vor—
übergehen an dem Schaufenfter der
Kunſthandlung Mechetti ein Porträt
Saphir's, das vielleiht ſchon län—
gere Zeit dort hängt, mir aber bisher
nicht aufgefallen iſt. Es iſt von Krie—
huber lithographiert, in ſehr kleinem
Format und wunderbar ähnlich. Das
kurze, gedrückte Geſicht mit dem grin—
ſenden Ausdruck, die runden Brillen—
gläſer und die lodige Perrücke — der
reine Affenpintfcher. Zu treffen war
er natürlich leicht, denn wo die Natur
I\fhon carifiert, da Hat der Maler
nicht viel zu thun. Unter dem Bilde
ftehen von Saphir's Hand folgende
Zeilen:
„Der Menſch entgeht dem Drude
nie, Im Leben auf dem Stein, zum
Spredhen, im Tode unter dem Stein,
zum — Schweigen.”
Auch ein anderes neues Bild Krie—
huber'3 jah ich, das Porträt des jugend—
Ina Glaviervirtuofen Franz Lifzt,
der jeßt fo viel Aufiehen erregt. Ein
intereffanter Hopf mit langem Mähnen—
haar und genial gefchnittenen Zügen.
Auch unter diefem Bilde ftehen einige
Zeilen von Saphir's Hand, die ich
aber nicht vollftändig im Gedächtnis
behalten Habe. Ich erinnere mich nur,
daß — da das Porträt ein Bruftbild
ift — der Dichter fragt, wo denn die
wunderbare Hand geblieben ift, die
|die Natur ein zweitesmal nicht wieder
schafft und die der Zeichner uns nei—
difh verborgen hat. Das Gedicht
Ichliegt mit dem echt Saphir’fchen
Wortwitz: „Das ift Lift gegen Lifzt.“
Wien, 20. Jänner 1848.
Es Lebt ſich doch ganz Herrlich in
Wien. Ich glaube in feiner Stadt der
Welt könnte ich fo glücklich einher:
wandeln, al3 auf dem Granitpflafter
unferer lieben Wienerftadt. Zumeilen
wohl ift mie im Sommer diejes
Pflafter etwas heiß geworden, wenn
ih, ohne Sohlen an den Stiefeln
und das Dberleder mit Bindfaden
zuſammengeſchnürt, ftolz dahin jchritt.
Aber das focht mich wenig an. Aus
den Spiegelfcheiben, an denen ich in
der Kärntnerſtraße oder auf dem Kohl—
markt vorübergieng, blidte mir ja doch
nur der obere Theil meines Ichs ent—
gegen. Und diefer war angethan mit
einer ftattlihden Sammtbloufe und einem
ihmwungvollen Künftlerhut. Und ich ſah
dann fröhlich aufwärts an den hohen
Häufern umd in den blauen Himmel
darüber und vergaß ganz auf das,
was da tief unter mir im Staube
wandelte,
rn
Heute bin ich mit einem jungen
Manne befannt geworden, einem neu—
gebadenen Doctor der Medicin, defjen
intereffanter Kopf mich veranlaft hat,
ihn zu bitten, mir zu einem Porträt
zu fißen, worauf er bereitwilligit ein—
gieng. Morgen ift die erfte Sitzung.
Wien, 29. Jänner 1848.
Das Eonterfei meines neuen Freun—
des, Dr. 9... ift fertig und fehr ge—
lungen. Er bat eine große Freude
darob und Hat ſich fogleich ein halbes
Hundert Abdrüde davon machen lafjen.
Mährend der Sibungen erzählte er
mir manches aus feinen Leben. Er hat
als armer Student ſich mühſam durch
das Gymnaſium Hindurchgehungert und
ift während feiner Univerfitätsftudien
duch einen wohlhabenden Wiener Bür—
ger unterftüßt worden, der ihm auch
das Geld für feine Rigorofen vorge—
ftredt hat. Aus Dankbarkeit hat er
ſich mit einer der beiden Töchter diejes
Bürgers verlobt und wird fie näch—
ftens als feine Gattin heimführen.
Mien, 5. Yebr. 1848.
Heute fam Dr. H.. wieder zu
o
9
in die Wohnung feiner Schwieger-
elteru, um mir nur vorläufig die bei—
den Mädchen anzufehen und zu bes
urtheilen, ob fich ihre Köpfe für eine
lithographifhe Wiedergabe eigneten.
Uber Himmel, wie erfchraf ich, ala
ih der beiden Huldinnen anfichtig
wurde! Das waren zwei Weien, die
die Natur in ihrer übelften Laune
gefhaffen zu Haben ſchien. Wenn fie
häßlich geweſen wären, das hätte mich
wenig beirrt. In der Häßlichkeit ift
Charakter, fie ift gewißermaßen eine
umgelehrte Schönheit. Aber was foll
der Maler anfangen mit Zügen, jo
nichtsfagend, fo verwifcht und ver—
ſchwommen, ala ob die Natur mit
einem naſſen Schwamm darüber ge-
fahren wäre, um ihr mißlungenes
Werk wieder auszulöfchen.
Es wurde mir fofort Kar, daß
aus diefen beiden Frauenköpfen nichts
zu machen fei, und daß ich mich der
Gefahr ausfeße, durch Uebernahme
diefes Auftrages meinen eben im Auf—
blühen begriffenen Künftlerruf zu ſchä—
‚digen. Schon wollte ih unter irgend
einem Vorwande die Arbeit ablehnen,
aber — ich bedadhte die tiefe Ebbe in
— — — — — — — — —
mir und theilte mir mit, daß ſeine meiner Börſe — und dieſe gab end—
Schwiegereltern in spe über fein Por- | lich den Ausſchlag. Alſo auf, Curtius!
trät, von dem er ihnen einen Abdruck Stürze Did muthig in diefen Ab—
überreicht, ganz entzüdt feien und daf | grund, e& wird den Hals nicht foften.
fie den Wunſch äußerten, auch ihre
beiden Töchter durch meinen Griffel Wien, 20. Yebr. 1848.
verewigt zu jehen. Ich wehrte mich Gottlob, ich bin mit den beiden
anfangs lebhaft dagegen und machte) Bildern fertig. Während der Sißungen
meinem Freunde begreiflih, daß es hatte ich Gelegenheit, mit der Familie
für einen Anfänger ein fehr gewagtes | näher befannt zu werden. Der Bater
Unternehmen fei, einen weiblichen Kopf ift ein ganz gemüthlicher Wiener Spieß—
zu lithographieren, da die weichen, ver= | bürger und die Frau ein wiürdiges
ſchwomnmenen Züge fihdurchdiefchwarze Seitenftüd. Es find brave, achtbare
Kreide nur Schwer wiedergeben laffen Leute. Die beiden Schweftern zeigten
und da felbft der Meifterhand Krie- | fich im geiftiger Beziehung ganz ent—
huber’3 die Frauenköpfe nicht immer | fpredpend ihrer äußeren Erjcheinung.
gelingen. Aber das war Alles in den | Eulalia heißt die eine und Euphemia
Mind geredet. Je lebhafter ich mich! die andere, So werden ihre Namen
wehrte, deſto ungeftümer drang ex im | gefchrieben, ausgefprochen werden fie
mich. Und ih — im Hinblid auf die Lali und Femi.
tiefe Ebbe in meiner Caſſe — gab Als ich nach dem letzten Kreide—
endlih nad und gieng fofort mit ihm, ftriche die Arbeit für beendet erklärte,
————
betrachtelen Valer und Mutter die
beiden Bilder und die Mutter äußerte,
die Mädchen ſeien ganz wohl zu er—
fennen, nur etwas zu alt ſähen fie
ihr aus. Ich dachte bei mir felbft:
Ihr lieben Leute, wartet nur; jeßt,
auf dem warmen, mattgrünen Stein»
grunde fehen die Köpfe noch einiger-
maßen erträglich aus, aber wenn fie
erft auf dem grell weißen Papier ge—
drudt find, da werdet ihr eure Wun—
der Sehen.
As ih um den Preis meiner
Arbeit gefragt wurde, Jah ich mich
in meines Nichts durchbohrenden Ge—
fühle veranlaßt, denfelben auf die Hälfte
der gewöhnlichen Forderung zu redu—
cieren. Dann ſchlich ich mich davon
und ftröjtete mich auf dem Heimwege
mit dem Gedanken: Es find ſchon
ſchlimmere Unthaten verübt worden,
ohne daß die Welt aus ihren Fugen
gewichen ift.
Wien, 1. März 1848.
Die Neugierde trieb mich heute
hinaus auf die Wieden in die Drude-
rei von Döfelich, um nachzufehen,
ob meine beiden Mleifterwerte ſchon
gedrudt find und wie der Drud aus—
gefallen ift. Es gehört nämlich zu den
Annehmlichkeiten der Schwarzen Kunft,
daß der Erfolg zur Hälfte vom Druder
abhängig ift. Wenn diefer den Stein
zu ſtark äßt, fo bleiben beim Abdrud
die Mitteltöne aus und die Contouren
treten zu Scharf hervor. Bei zu Schwacher
Aetzung kommen andere Webelftände
zum Vorfchein, die oft noch ſchlimmer
find. Es gehört zum richtigen Aeßen
eine genaue Beurtheilung der größeren
oder geringeren Härte des Steines
und viel Uebung.
Der Druder mar eben mit der
Vorbereitung zur Aetzung befchäftigt
und meine beiden Steine lagen offen
da. Ih ließ mein Auge ſcheu über
die Zeihnung Hingleiten — aber Him—
mel, was erblide ich da? Aus dem
Rahınen der fauftgroßen Brofche, welche
eines der Mädchen — ich weiß nicht
mehr, war es die Femi oder die Pali
— am Halfe trug und in welche ein
ganz weißer Stein, ich glaube ein
Milchopal, gefaßt war, grinste mir
jegt ein Eulenfopf entgegen. Wer
fonnte die freche That verübt Haben?
Ohne Zweifel hat jener geniale Gau—
ner, der mir Schon auf der Akademie
jo viel Uerger bereitet Hatte, umd der,
wie ich weiß, häufig in der Druderei
verkehrt, auch Hier wieder feine ruch—
loſe Hand im Spiele gehabt. Ich
unterließ es aber, den Druder nad
dem Thäter zu fragen und gieng ſtill—
Ihweigend meines Weges.
Wien, 10. März 1849.
Der Sturm, der in den März:
tagen des vorigen Jahres ſich erhoben,
hat nun ausgetobt und es herrfcht
wieder Ruhe. Aber lieber Himmel,
wie fieht e& jet aus in der Künſtler—
welt! Das politiiche Intereſſe hat jedes
andere verfchlungen. Sein Gedanke an
Kunft, feine Aufträge, feine Arbeit,
fein Verdienft. Maler und Bildhauer
Hagen, dah es zum Erbarmen ift, und
nicht nur den Heinen, auch den großen,
den berühmten Künſtlern geht es recht
übel. Der Hofmaler Einsle, der
vor der Revolution fein Delporträt
unter dem Breife von 600 Gul—
den gemalt hat, äußerte erft unlängft
einem feiner Belannten gegenüber, daß
er mit Vergnügen das Bild um zwei—
hundert Gulden malen würde, wenn
er nur Aufträge bekäme. Nur Krie—
huber macht glänzende Gefchäfte.
Ich befuchte geftern meinen Freund
Strirner in Sriehuber’s Mtelier
und fand ihn eben beichäftigt, des
Meifters legte Arbeit, ein Bivouak nad
der Schlacht bei Schwechat daritellend,
zu copieren. Das Bild ift in Aquarell
gemalt und die Köpfe find wunderbar
ähnlich, vor Allem der des Jelladid,
den Kriehuber ſchon fo oft litho-
graphiert Hat, daß er ihn gewiß ſchon
aus dem Gedächtniffe zeichnen kann.
Der Kunſthändler Neumann hat das
Aquarell um den Preis von fieben-
61
hundert Gulden angefauft. Ach, wer
doch auch fo etwas machen Fönnte!
Mien, 16. Mai 1849.
Ich bin nun bereits bis zur fünfte
leriſchen Taglöhnerarbeit herabgeftiegen.
Aber was thut man nicht Alles, wenn
die Noth drängt. Für ein lithogra=
phiertes Bildnis unferes jugendlichen
Kaifers Habe ich von einem Kleinen
Kunfthändler ein Honorar von fieben
Gulden bekommen. Und für diefen
Schandpreis Habe ih noch obendrein
die Arbeit zweimal machen müſſen,
nachdem ich in der Eile bei dem erften
Bilde dein Kaifer den Säbel auf die
rechte Seite gezeichnet Hatte. Aber als
ih das Honorar in die Tafche ftedte,
that ich den feierlihen Schwur: Nie
wieder einen Sreideftrih für einen
Kunfthändler! Lieber werde ich ein
Bauernknecht und pflüge im goldenen
Sonnenschein draußen das Feld, und
höre dabei die Lerchen fingen und
blide in den blauen Himmel hinauf.
Doch — da ich eben vom Sonnen-
Schein rede — warum fiße ich denn
eigentlich Hier in der dumpfen, öden
Stadt, wo ohnehin nichts zu machen
ift und wo noch obendrein gerade jeßt
die todte Saifon oder, wie fie auf
deutich Heißt, die saison morte be=
ginnt? Warum nicht hinaus in eines
jener großen Bäder, wo die reiche und
vornehme Welt fich verfammelt und
wo es für Unfereinem noch immer
etwas zu thun gibt? Wohl, ganz
gut, aber in welches Bad? Yeden- |
falls im eines der neuen, erſt jüngft
in Aufſchwung gelommenen, wo noch
feine ftändigen Porträtmaler fich ein—
geniftet haben und wo es noch feinen
Kunfthändler gibt. Etwa Gräfenberg ?
Gut, es fei befchloffen; morgen pade
ih meinen Koffer und dann fort!
Gräfenberg, 8. Juni 1849.
Da fige ih denn nun ſchon feit
drei Wochen und fühle mich behaglich,
wie ein Fifchlein im Waſſer. Ein guter
Freund hat mir das Reifegeld gepumpt,
aber ich habe es ihm jchon wieder zu—
rüdgezahlt, und ich hoffe ſogar —
wenn es hinfort jo geht, wie jeßt —
mit anftändig gefüllter Börſe nad
Wien zurüdzufehren.
Gleich nah meiner Ankunft in
Freiwaldau ftieg ich den ziemlich fteilen
Meg nah Gräfenberg hinan, wo mir
Ihon von weiten das riefige Curge—
bäude entgegen blidte. Ich trat in den
großen Curſaal hinein und hieng, ohne
Jemand zu fragen, an eine Wand,
wo ih ähnliche Dinge hängen fah,
mein eigenes, durch den Spiegel ſtiz—
zenhaft Hingeworfenes und mit etwas
Aquarellfarbe angehauchtes Gonterfei ;
darunter mein Name mit der Beifü-
gung: Maler und Lithograph. Preis
eines Bildes 5 Gulden.
Hierauf fpeiste ich an dem gemein
ſamen Zifche zu Mittag. Obenan faß
Prießnitz. Die Tafel nahm die
ganze Länge des ungeheuren Speiſe—
faales ein. Aber lieber Dimmel, wie
diefe Leute aßen! Können wirklich
ſolche Onantitäten Pla finden in
einem menschlichen Magen ? Und welche
Haft, welche Gier! Das mar fein
Eſſen mehr, es war ein Verſchlingen.
Wenn die Gräfenberger Waſſercur in
dieſer Weiſe den Appetit reizt, und
die Stärke desſelben der richtige Maß—
ſtab der fortſchreitenden Geſundheit
iſt, dann iſt die große Zahl der hie—
ſigen Curgäſte — es ſollen deren bei
2000 anweſend ſein — allerdings er—
klärlich.
Am dritten Tage nach meiner An—
kunft machte ich einen Spaziergang
auf einem jchönen Waldwege, der hin
ter dem Gurhaufe ſich den Gräfenberg
binanzieht und zu den Quellen Führt,
denen die Gurgäfte im Vorüberwan—
deln ihr Trink- und Heilwafler ent»
nehmen, und deren höchſt gelegene
eine Temperatur von + 49 Reaumur
haben fol. Die Quellen find jehr
forgfältig gefaßt, mit beftimmten Na—
men bezeichnet und faſt alle mit ges
ſchmackvollen Bauwerken geziert. Eines
diefer Monumente der Naturheilkraft
62
— — —
iſt mir beſonders aufgefallen. Es beſteht
bloß aus einem rieſigen Steinwürfel,
auf welchem ein Löwe ruht. Gewiß
ein glücklicher Gedanke!
Gräfenberg, 20. Juli 1849.
Nachdem ich während meines hie—
ſigen Aufenthaltes nun ſchon minde—
ſtens zwei bis drei Dutzend Porträt—
ſtizzen gezeichnet, Habe ich heute durch
das Comité der Curgeſellſchaft auch
eine größere Beltellung erhalten, und
zwar eine Anficht von Gräfenberg von
einem beftimmten Standpunkte aus
gezeichnet, und ein Porträt des Prieß—
niß, beides in lithographifcher Aus—
führung. Für das erftere Bild habe
ih den unverſchämten Preis von
Hundert Gulden verlangt, der mir auch
ohne Anftand zugefagt wurde. Dann
gieng ih hinauf zu Prießnig, um
jeine Zuftimmung einzuholen und ihn
um wenigſtens eine oder zwei Sitzun—
gen zu bitten.
Prießnitz! Der Name klingt wie
eine friſch ſprudelnde Felſenquelle.
Ein höchſt merkwürdiger Mann und
von der Mehrzahl feiner Curgäſte wie
ein Halbgott verehrt. Nun ftand er
leibhaftig vor mir. Eine feitgefügte
Geftalt, breit und flämmig, wie aus
einer Eiche gehauen, in dem blattern=
narbigen Gefichte einen feitgefchloffe-
nen Mund und hellgraue, durchdrin-
gende Augen. Und ſchweigſam ift der
Mann, wie ein Karthäuſer. Als ich
mein Anliegen vorgebracht hatte, fette
er fi, ohne eine Miene zu verziehen
und ohne ein Wort zu fpredden in
einen Armſeſſel, und ich nahm mein
Skizzenbuch Hervor und begann zu
— nn
zeichnen. Aber e3 dauerte feine zehn
Minuten ih Hatte kaum eine
dürftige Skizze entworfen — als er
ihon entſchlief. Ich ſuchte nun von
feinen Zügen noch zu retten, was zu
retten war und entfernte mich danır,
ohne ihn zu weden.
Nachmittags gieng ich nad Linde—
wiefe hinüber, einem Heinen Dorfe
in der Nähe von Gräfenberg, in wel—
hen die Schrott’fhe Heilanftalt
fih befindet. Zwei merkwürdigere
Gegenfäße, als Gräfenberg und Linde—
wieje hat es noch nie gegeben. In
Gräfenberg ift das Waller Medicin,
in Lindewiefe ift es Gift. In Grä-
fenberg heilt das Trinken, in Lindes
wieje der Durft. Prießnitz betrachtet
den menfchlichen Organismus als ein
dürres Feld, das man unter Wafler
feßen, Schrott dagegen als einen
Sumpf, den man austrodnen muB.
Yede der beiden SHeilanftalten dient
gleihjam als Gorrectiv der andern,
denn manche Kranke, die nach mehr:
jährigem Gurgebraucdhe in Gräfenberg
feine Genefung finden und endlich die
Geduld verlieren, verfuchen zuleßt ihr
Heil in Lindewiefe und fo auch ums
gekehrt. Obgleich die Lindewiefer Ent-
ziehunggcur allgemein als legte Sta—
tion auf dem Leidenswege aller ſchon
verfuchten Heilmethoden gilt, jo zählt
doch auch fie ihre begeifterten Anhän—
ger, und Schrott wird von feinen
Patienten mindeftens eben jo ab—
göttifch verehrt, al Prießnitz von
den feinigen. Wo liegt nun die Wahr-
heit? Wohl dem, der fich nicht darıım
zu kümmern braucht.
Die erſte Schwalbe in Oeſterreich.
Von P. R. Rofegger.
gm
—* ——
J Er
(ge 5 war in den Dreißiger- Jahren.
N Die „Spaziergänge eines Wie—
ner Poeten“ und „Schutt” waren er-
fhienen. Die Leute waren verblüfft
über die in die DOeffentlichfeit kühn
hinausgerufenen Worte: „Wir find fo
frei, frei fein zu wollen! — Frei das
Wort, frei der Gedanke!“, verblüfft
über den lauten Hinweis auf die That-
ſache, daß „in unferm guten Lande
es Manchem vor dem Geifte graue.“
— Die Polizei fahndete nad dem
Verfaſſer.
Ein ſicherer Anaſtaſius Grün, hieß
es. — Wer iſt Anaftafius Grün? —
Ein junger Menſch, der auch ſchon
früher ein Bändchen Gedichte: „Blätter
der Liebe,“ und ein anderes, genannt
„Der legte Ritter,“ Herausgegeben hat.
— Der junge Manıı wird vorgeladen.
Der Polizei- Beamte fährt ihn Inurrend
an: „Sind Sie der Verfaſſer dieſer
Bublicationen ?* und fchleudert ihm
die beiden Bände „Spaziergänge“ und
„Schutt“ vor. — „Hier fteht der
Name Anaftafius Grün,“ bemerkt der
junge Mann, „ich heiße Anton Auers—
perg.“ — „Na, wir kennen das,“ rief
der Polizeimann, doch gelang es ihm
nicht, der Sache auf den Grumd zu
fommen, und der junge Auersperg
wurde mit einer mürriſchen Handbe—
wegung entlafjen.
Bald darauf, zur Ferialzeit, kehrte
Graf Auersperg auf fein Landgut
mung und etiwelchen Manufcripten
umzuſehen. Pflichtgetreu machte ſich
‚eines Tages der Mann auf den Weg.
Und fiehe, er wurde im Schloffe der
Anersperge über Erwarten freundlich
‚aufgenommen, Graf Anton zeigte jich
„Höchlichft erfreut, auf feinem einfa=
men Landfige einen fo geehrten Gaſt
begrüßen zu können,“ und er gab ſo—
fort Befehl, daß Küche und Seller
und was das Schloß und feine Um—
gebung ſonſt Angenehmes zu bieten
vermochte, in den Vordergrund rüden
jolle. Der Polizei-Chef von Laibach
war — wie es auch recht und billig
— ein Lebemann, er gönnte jich einen
guten Tag auf Thurn am Hart, und
als er ſpät fich mit allen Zeichen
vollfter Befriedigung bei dem liebens—
wirdigen Gaftheren verabfchiedet Hatte
und auf feinem Landwäglein der
Hauptftadt zufuhr, fiel es ihm ein,
daß er vergefien Habe, auf Thurn am
Hart fih nah der Stimmung und
etwelhen Manufcripten umzuſehen.
Eine fol’ gröbliche Verabſäu—
mung mußte gutgemacht werden. Er—
hielt denn Graf Anton Auersperg
eines ſchönen Tages die höfliche Ein—
ladung, wenn er gelegentlich nad Lai—
bah käme, am Haufe des Polizei—
Directors ja nicht vorüber zu gehen,
ohne auf ein Halb Stündchen zuzu—
ſprechen. — Sehr freundlich das von
den wadern Manne! Doch hielt es
Thurn am Hart in Krain zurüd. Doc |der Graf für bloße Höflichfeit und
blieb er ftet3 mit ſorgſamſter Fürſichtig— | würde der Einladung zu folgen kaum
feit bewacht. Eines Tages erhielt der Anlaß genommen haben, wenn auf
Polizei-Chef zu Laibach den Auftrag, einen zufälligen zweitägigen Aufents
dem jungen Grafen auf Thurn am | halt zu Laibach fein danlbarer Gaſt
Hart einen Beſuch abzuſtatten und von dazumal ihm nicht eine zweite
ſich dort ein wenig nach der Stim- Einladung zugeſchickt hätte.
So fand fih Graf Auersperg zur
Ihidfamen Stunde in der Wohnung
des Polizei Chefs ein. Diefer empfing
ihn mit mehr Gravität, als man ihm
auf dem Schloſſe Thurn zugetraut
hätte. Er führte den Befucher in fein
Arbeitszimmer, bot ihm Platz und
fagte ohne jegliche Umfchweife: „Herr
Graf, ich habe eine Frage an Sie zu
ftellen, die Sie mir direct und ent:
fchieden zu beantworten die Güte
haben werden. Es find vor Kurzem
im Auslande unter wahrfcheinlich fal=
Shen Namen zwei Bücher erfchienen.
Das eine betitelt ſich „Schutt,“ das
andere „Spaziergänge eines Wiener
Poeten.“ Der Verfafler ift offenbar ein
Defterreiher. Man hat Sie als ſolchen
genannt, Herr Graf. Es ift eine
wichtige Sache, und ih frage Sie
daher im Namen des Gefeßes: find
Sie der Verfaffer diefer Schriften oder
nicht 2”
Graf Anton war allerdings ein
wenig verblüfft darüber, dab aus ſei—
nem Etikette-Beſuche ein fo ſtylge—
rechtes Verhör geworden war. Er er—
bob fih und fagte: „Wenn das eine
jo wichtige Sache ift, feien Sie im—
merhin getroft, mein Herr; ich will
Ihnen in diefer Angelegenheit des
Meitern jeden Landausflug und jedes
andere Manöver erfparen und befenne
mich als den Berfaffer der „Spazier-
gänge“ und des „Schutt.“
Die Sade war richtiggeftellt. Ara»
ftafins Grin zu welchem Graf
Anton Anersperg nun officiefl gewor—
den war — verließ Laibah und kam
unangefochten nah Thurn am Hart
zurüd. Raſcher als font die Aemter
ihre Arbeiten abzuthun pflegen, folgte
ihm eine Erledigung nach: Graf Anton
Alerander Auersperg, befannt unter
dein Namen Anaftafins Grün, ift we—
gen Uebertretung des Geſetzes zu fünf—
undzwanzig Ducaten Strafe verur—
theilt. — Der Dichter der „Spazier-
gänge“ konnte fih noch beglückwün—
ichen, mit ſolchen Fünfundzwaänzig
davongefommen zu fein. Der Straf:
64
ſchilling fiel glüdlicherweife den Armen
der Ortsgemeinde zu, und fo zogen
auch diefe — welche die verkündete
Zeit wohl faum mehr erleben follten
— einen Gewinn bon der geiftigen
Heldenthat des TFreiheitsdichters.
Indeß fchienen den Grafen Anton
Auersperg die Nergeleien und die
Mapregelungen doch ein wenig ver—
deoffen zu Haben. Zur felben Zeit
gieng er mit dem Plane um, aus
Delterreih auszuwandern und nad
Baris zu gehen, wo Heine und Börne
lebten. Das Auswandern gieng aber
damals nicht eben leicht. Auersperg
wußte, daß fein Auswanderungsgefuc
gar big zum Fürſten Metternich hin—
anfzufteigen habe, um dort vielleicht
geftrichen zu werden. Er begab fi
nah Wien und beſchloß, ſelbſt zu
Metternich zu gehen, um dieſem ſei—
nen Plan und die Urfachen desfelben
offen darzulegen und um baldige Er:
ledigung feiner Sade zu bitten.
Zum Fürften Metternich war es
ebenfo ſchwer hin- als von ihm weg—
zufommen. Graf Auersperg ließ fich
zweimal vergebens anmelden. Der Be—
ſcheid war: Durchlaucht wären eben
in Gefchäften mit Gefandten u. |. w.,
man möge ein andermal kommen. Eines
Tages zur vorherbeftimmten Stunde
— um 3 Uhr — erfchien er wieder
und wurde vorgelaflen. Das Arbeits—
zimmer de3 Staatsmannes war durch
eine leichte Wand in zwei Theile ge—
theilt; der Fürſt trat aus der rück—
wärtigen Abteilung hervor, muſterte
den Eintretenden fcharfen Auges und
bot ihm dann einen Pla.
„Sie alfo find diefer Anaſtaſius
Grün, der uns die Welt umwenden
will?“ Sprach der Fürft.
Graf Auersperg verbeugte ſich.
„Durchlaucht,“ fagte er dann, „wenn
damit meine poetifchen Verſuche ge—
meint find, fo geichieht denjelben eine
vielleicht zweifelhafte, jedenfalls aber
unverdiente Ehre. Ich habe niemals
den Umſturz der Zuftände angeftrebt.*
r
„Sie reizen zum Aufftand,“ fagte
Metternih. „Ihnen ift die gute Ord—
nung nicht recht, nicht die Genfur, die
Sie umgehen, nicht die Sicherheits-
Drgane, denen Sie ein Schnippchen
Schlagen. Sie machen böſe Gefchichten
gegen die Religion, Sie vergelfen fich
gegen die Heiligkeit der Majeftät ; jelbft
die Grenzpfähle find Ihnen im Weg
— Sie haben mir und meiner Po—
litik den Krieg erklärt.“
Wenn ſo der Allmächtige Oeſter—
reichs ſprach, konnte der Poet nur
froh ſein, mit heiler Haut aus dieſem
Palaſte zu entlommen, um ſofort den
fürzeften Weg über die Grenze einzu—
Schlagen. Indes ließ er ſich im Be
wußtjein feines guten Menfchenrechtes
nicht einfchüchtern.
„Durchlaucht,“ entgegnete er auf
obigen Ausfall, „ich geftehe ein, daß
mir im meinem Baterlande Manches
nicht gefällt; doch wird im meinen
Gedichten nicht ein einziges revolu—
tionäres Wort zu finden fein. Mein
Ideal ift die Verföhnung der Parteien,
der allmähliche friedfertige Uebergang
zum Beſſern, der heitere Sieg des
Lichtes.“
Metternich ſchwieg einen Augen
blid, dann fagte er in wohlwollendem
Tone, mit der ganzen Glätte des
MWeltmannes: „Lieber Freund, Sie find
noch jung und die Jugend täujcht ſich
nur allzu oft jelbft durch ſchöne Worte.
Sie kennen den Weltgang nicht. Ver—
ſöhnung der Parteien ift eine Phrafe
— Sie entſchuldigen. Für Ja und
Nein gibt es feinen gemeinfamen Weg.
Dad Predigen und Singen ändert
weder die Bedürfniſſe noch die Wünſche
der Menfchen. Wem die herrjchenden
Zuflände nicht vecht find, der ändere
fie mit Macht und Gewalt!“
„So wären die Lieder eines Poeten
ja völlig ungefährlich," wagte Graf
Auersperg einzuwenden.
„Lieder werden fein Reich erobern
und feines ftürzen,“ verfeßte der Fürſt,
„aber die Menge können fie aufregen,
verwirren und verblenden, jo daß der
Bofegger's „„Geimgarten‘*, 1, Heft, XI
Dihter das Gegentheil erreicht von
dem, was er wollte — er wollte be=
freien und feßt eine Regierung nur
in die Lage, noch ſtrammer fefjeln zu
müſſen.“
In dieſem Augenblicke raufchte eine
Robe. Die Fürſtin trat in das Cabinet,
machte ſich Einiges an einem Schranfe
zu Schaffen, warf einen angelegentlichen
Bid auf Auersperg, ermwiderte leicht
feinen Gruß und raufchte wieder davon.
— Wollte es doch gerne wiffen, die
durchlauchtigſte Dame Metternich, wie
ein Freiheitsdichter denn eigentlich
ausfieht.
„Werden Sie wieder was ſchrei—
ben?“ fragte jegt der Fürſt.
„Allerdings wird der Vogel das
Singen nicht laffen können,“ meinte
der Poet; „jedoch,“ ſetzte er ſogleich
ſchlichtend hinzu, „Durchlaucht, ich ge=
denfe auszuwandern.“
Metternich zog die Augenbrauen
zufammen. „Auswandern wollen Sie?
Warum denn?“
„Weil ich nicht immer bon der
Polizei verfolgt fein will,“ war die
Antwort.
Der Staatsmann warf einen ras
Shen Blid gegen die Wand, die das
Zimmer in zwei Theile jchied. Hierauf
fagte er: „Die Polizei verfolgt Sie
nicht, mein Freund, aber Sie ver—
folgen die Polizei!”
„Für jeden Fall dürfte es beſſer
fein, wenn ich hinwegziehe,“ entgegnete
Graf Anuersperg.
Fürſt Metternich ſchlug die flache
Hand auf den Schreibtifch, eine gewiſſe
Aufwallung war an ihm zu bemerken ;
doch gieng das bald vorüber, und ganz
ruhig fagte er: „Sa, ja, das ift der
Patriotismus diefer Herren. Da wollen
fie auf Leben und Tod das Vaterland
beglüden, und glauben fie fich durch
irgend etwas gekränkt, allfogleich zei—
gen fie ihm den Rüden. — Wollen
wahrfcheinlih nah Paris? Na ja,
das ift das Eldorado der flotten Köpfe
und Idealiſten. Je mu, ich hab’ nichts
dagegen.“
5
66
„Und fo wollte ih denn bitten,
Durchlaucht — *
„Nur merkwürdig finde ich es,“
unterbrach der Fürſt, „daß alle brauch—
baren Leute auswandern wollen.“
Und von diefer für einen letters
nid völlig naiven Bemerkung aus
begann er im feiner gefprächigen Weife
des Langen und Breiten auseinander:
zufegen, wie denn doch begabte Na=
turen auch in Defterreih nicht über-
flüffig wären und daß ihnen in Oeſter—
reich ſchönere Roſen blühen würden
als irgendwo anders, wollten ſie ſich
nur ſtets an die Regierung ſchließen.
Auersperg ſaß auf Nadeln. Er
war an dieſem Tage um 4 Uhr zum
Diner geladen, und zwar in einem
Hauſe, in welchem man ſein Zuſpät—
kommen — da es eine erſte Einladung
war — leicht übel vermerken konnte.
|
der Freiheit
„Ah, Parbon! Ich hab’ dem Gra—
fen Sedlnigly feinen erwiſcht,“ ent»
Ihuldigte fich der Diener, und bald
war der Mißgriff gutgemacht — der
rechte Rod umfieng den rechten Mann.
As unfer Anaftafius Grün die
Treppe niederftieg, hatte er Zeit, über
den Habit des Grafen Sedlnigfy feine
Betrachtungen anzuftellen. Sedlnitzky
war damals Polizei-Präſident
Polizeiminiſter. Wenn der Rock im
Vorzimmer hieng, wo konnte der
Mann geweſen ſein? Im Cabinete des
Fürſten war er nicht geſehen worden.
Aber das Cabinet des Fürſten war
durch eine Tapetenwand in zwei Theile
geſchieden. ...
War's wie immer, am unglaub—
lichſten — wenngleich buchjtäblich wahr
— ift das Eine, daß unfer Dichter
einmal in dem Rode
Er wagte e3 daher, fachte feine Uhr eines öfterreichifchen Polizeiminiſters
aus der Weftentafche zu ziehen, worauf | geftedt hat.
der Fürſt lächelnd bemerkte:
entlaffen mich!" — fein Geſpräch fo-
fort abbrach und fich erhob.
dem Dichter eilfertig einen der zwei
braumen Ueberröde, die am Geftell
hingen, und half anziehen. Was war
das für ein Meberzieher! — er fchlug
hier zweimal um das Bereich des
Poeten zufammen. „Das ift nicht mein
Rod!“ bemerkte Anersperg.
„Ab, Sie!
Was die in den Tagen gerechten
Unmuthes geplante Auswanderung be=
trifft, iſt troß alles und alledem Ana—
Im Borzimmer langte der Lakai
ftafius Grün nicht nach Paris gegan—
gen; er ift feinem armen, ſchönen
Baterlande getreu geblieben, ahmend
und endlich geniegend den glorreichen
Treiheitsfrühling, von dem er fang,
— als die erite Schwalbe, da noch
Winter war.
3) liebe mein Oeſterreich.
F $ liebe mein Defterreich,
Die Wälder der Heimat,
Die Berge, die Auen,
Die Ströme, die blauen —
Gott jegne die Herrſcher,
Gott jegne das Land!
Es bluhe, gedeibe:
Doch inmitten der Fülle
Des Segens erblüht,
|
Erftartend erhebe
Sich immer auf'3 Neue
Das deutihe Gemüth,
Wie die Blume, die blaue,
Holdjelig und traut,
Die mit Augen der Liebe,
Mit Augen der Treue,
Aus dem Golde der ehren,
Der mwogenden, haut.
Bodert Hamerling. (Echorerd yamilienblatt.)
ü @
Bur
Kleine Saube.
————
Den Manen Ferdinand Raimund's.
Ein Prolog von Ludwig Anjengruber.
Grdärhfnisfeier bei des Dichters Grab in Gufenflein am 8. September 1886, als
50. Jahrestag des Begräbnilfes Raimund's.
„Als man vor fünfzig Jahren ihn zur Erd’ gebettet,
Ihn, defien finn’ger Ernſt und heiterer Humor
Dft unf’rer Bäter forgenvolle Stirn geglättet,
Da wußt' die Welt noch nicht, was fie an ihm verlor;
Sie wuht’ es nicht in jenen leichtbewegten Tagen —
Und mochte fein Berluft fie ſchmerzen no fo tief —
Daß fie in ihm den Meifter hat zu Grab’ getragen
Der Poefie, die fill im Volkesherzen fchlief;
Die wußte er, wie nah ihm feiner, zu ermweden,
Er hüllte Freud’ und Leid in märdenhafte Pradt,
63 war wie froher, farbenreiher Träume Neden,
Aus denen reinern Herzens man dann aufgewacht!
Wir aber ftehen hier an feines Grabes Scholle
Ein anderes Geſchlecht, als wie fein Tag geihaut,
Es ift in harter Zeit uns eine ernft’re Rolle,
Ein mächtig’ Ringen um die Zukunft anvertraut,
63 lieget unferm Sinn das Feenreich verfchlofien,
Dei’ Märdenzauber unſ're Eltern einft entzückt,
Ob wir dur eig’'ne Schuld uns nun daraus verftoßen,
Ob rauhe Wirklichleit demfelben uns entrüdt!
Doch können vollbewußt wir ihn jest höher werten,
Den Meifter, der die edelften Gebilde jchuf,
As Yene, die mit ihm gewandelt auf der Erden
Und deren Urtheil oft verwirrte fein Beruf.
Was er mit liebevollem, fünftlerifhem Walten
In kühnen, fihern Strichen hatte conterfeit,
Die kernigen, die rührend treuen Bollsgeftalten,
Die finden lebend wir noch unter uns zur Zeit;
So Öffnet ſich troftreiher Ausblid in die Ferne:
Da zäh’ das Boll der Zeiten Wedel halte Stand,
Und daß fich ſtets in feines Weſens tiefftem Kerne
Berftändnis für das Schöne und das Edle fand!
Daß jener Bilder Treue lebend ſich erneuet,
Bezeugt die Meifterfchaft der fFeder, die fie jchrieb,
Und daß er reicher Hand des Edlen Saat geftreuet,
Das zeugt für jeines warmen Herzens Menſchenlieb',
5*
den
68
Obgleich ein Herb’ Geſchick ihm dorn'ge Pfade Ientte.
Und uns, entrüdet feiner Tage Neid und Gunft,
Gilt er, den man vor fünfzig Jahren hier verjentte,
Als edler Menſch und echter Meifter jeiner Kunft!
Und wenn wir heute, ihn zu ehren, fommen,
Eo wiffen wir, e3 rührt ihn Schmähung nit noch Dank,
Seit er in das Urewige mit frommem
Und ftillergeb’nem Sinn zurüdefanf,
So treuer müſſen wir die heil’ge Pflicht bewähren:
Sein Angedenlen zu erhalten reg’ und wach;
Ein Volk, das feiner Todten wohlverdiente Ehren
Verlümmern läßt, das lebt fich jelber bald zur Schmad!
Wenn wir mit duft’gen Kränzen nun und Zweigen
Die Gruft Dir ſchmücken — heilig fei uns deren Ruh’! —
So wollen wir nur Deiner wert ung zeigen,
Du edler Menſch und liebenswerter Meifter, Du!”
Bwegn wos ih af d Olm geh.
Ih woas nit, zwegn wos ih jo gern
af die Berg jteig.
Ih bi nit ftorf z Füaſſn und bild
mar ab ein nir, wann ib hoamkim und
ſogn fon: Af den bin ib obn gwen.
Ih bin ab fa Jaga, der in Gamslan
gern nochfteigg, gleihwul ihs gern an—
jhau, mans hupfn üba d Wänd Hin.
Die Dloaman afn Olmbodn, miad
lüagn, wan ih jogn mwult, je gfolladn
ma bell nit. Oba brockn thuar ih
foani. 's Bleamerl jteht jauber am
Dirndl ihrn Buajerl; oba noh beija
ftehtS lebendi afn Olmbodn.
Und daß ih eppa ftoanbedn gangad
mit an Hamerl, fürs Gloskaſtl eini zan
aufhebn! Za den Sohn bin ih zwent
glehrt, ih.
Und go zwegn da Schwoagarin —
wan ih von Hirtn afs Moadhi will
jpringa, von Stoan afn Buda — da
Schmwoagerin megen ſteig ib nit jo hoch
auffi, fie fimpp jo im Hiaſchd wieder
ower ins Dörfl.
Und konſt das nit roatn, zwegn wos
ib af d Olm geb, ja denf af dein Schoß,
den jt gwiß gern ins Gicht ſchauſt.
Mei Schogerl is d Steiermorf —
warn ib der von an aufgupftin Berg
fon ins Gſicht Shaun, do bin ih glüdjeli.
R
Erklärung: miad luagn: müßte
lügen. Hirtn: arten, Buda: Butter,
Hiaſchd: Herbſt. roatn: denken.
Der Thurmheld.
Eine Geſchichte aus der Gegenwart
von 3. Bernhard,
An einer Gejellihaft von Her—
ren war eines Tages die Rede bar-
über, wie im Xeben faft eines jeden
Menjhen ein Zeitpunkt jei, in welchem
ein feindliher Dämon jeinen Hebel ein«
feße, um den Menſchen aus jeiner ge—
wohnten ſicheren Bahn entgleifen zu
laffen. Die Entgleifung geichehe zumeijt
auch wirflih, doch der Entbahnte finde
ſich gewöhnlich wieder zurecht, der eine
mit geringerer, der andere mit größerer
Mühe, und rolle dann um fo ficherer
und gefeftigter auf feiner Lebensftraße
weiter. Mancher ftürze freilich über den
Damm oder verlaufe fib in Sand und
Strupp und finde fich nicht mehr zurecht.
Etliche in der Geiellihaft hatten
über dieſen Oegenftand jehr ſchön und
philoſophiſch geiprodhen und Beiſpiele
aus dem Leben befannter und berühmter
Br
69
Verjönlichkeiten zum beiten gegeben. | bürgermeijter war ein höchſt beliebter,
Ein Einziger, es war der Ihurmdeder | überaus populärer Mann — jetzt hatte ichs.
Herr Bernhard, erzählte zur Erhärtung Am Vorabend des Feſtes machte ich
der Sade aus jeinem eigenen Leben | in meiner Wohnung eine acht Meter
eine Heine, jchier merkwürdige Geſchichte, lange Fahne mit den Stadtfarben von
die bier wieder gegeben ſein joll. F. und mähte in großen Papiergold-
Zur Zeit — jo erzählte Herr Bern | buchftaben die Worte daran: „Hoc der
bard — als ih fünfunddreißig Jahre | Oberbürgermeijter !* Diefe Fahne muß
alt und alle Lebensregifter aufgezogen auf die Spite de3 Domthurmes fommen,
waren, fam e3 mir vor, es mülle in und zwar während der Nacht. Nun war
meinem Leben nun etwas Bejonderes | die Belteigung des Thurmes während
geichehen, ich müſſe etwas Außerordent- | der Nacht freilih nicht geftattet, ja es
liches vollbringen. Das Leben eines war vom Beginn der Pyramide bis zur
Thurmdeckers iſt ziemlih einfach; die Spitze nicht einmal eine eigentliche Treppe.
meiften Thürme find nicht hoch genug, | Zudem durfte der Thürmer nichts ge—
um intereffant zu fein, und dennoch wahren, da er jonft Alles vereitelt hätte.
immerhin jo hoch, um fich bei einem un Nun gut, dafür ift man Thurmbdeder.
bewachten Augenblide das Genid brechen | Vor Mitternacht iſt's nichts, da gibt es
zu fönnen. E3 war aber — wie gejagt es noch zu viele Leute, die über den
— ein Drang in mir. Wenn heutzutage | Domplag geben. Um zwölf Uhr aber
ihon alle Welt hoch hinaus will, jo iſt fährt der beftellte Wagen an. Ich bin
das bei einem Thurmdeder erjt gar |grau gekleidet, damit man mich in den
fein Wunder. Und da ich meine Arbeiten | Steinen nicht jo leicht jehe, denn es
überall zur Zufriedenbeit machte und im | scheint der Mond, Die Fahne rolle ich
der großen Stadt F. für Die Eindachung um den Stab und jchnalle fie mir an
der Edtbürme des neuen Rathhaufes viel |die Hüften. Cinen langen Strid binde
Lob erntete, jo jeßte ich mir plößlich in jich mir über die AUchjel und einen Eijen-
den Kopf, ih müſſe es zum ftädtifchen | hafen. Ein Fläſchchen Rothwein ftede ich
Dom-Thurm-Dah-Deder bringen. Die in den Sad. Sonjt brauche ich nichts.
Stadt F. hat nämlich einen großen alt- |&o fahre ih auf den Domplag. An der
deutihen Dom, deſſen gothiſcher Thurm | Ede der Kirche jteht ein Wachmann, ich
an vierhundert Fuß Hoc ift. Er fteht, |fahre bloß noch um den Sodel des
von der Ferne gejehen, als fchlanfer, | Thurmes, jteige aus und laffe den Wagen
ipiger Stift ganz ungebührlich hoch über | davongeben. Zur Hauptjahe babe ich
der Stadt auf, jo daß mir allemal Arm | mir den Weg fchon Tags zuvor zurecht
und Beine zudten, wenn ich diefen Thurm | gejhaut. Der Bligableiter ift auch eine
anjah. Das Schlimme an der Sache | Leiter, obzwar feine weibliche, das macht
aber war, daß er jo recht eigentlich gar nichts, es Hlettert fich, Freilich zumeilen
fein Dach batte, jondern von der oberften |unter Veihilfe des Strides, ganz gut am
Krone aus in neun Steinrippen jachte Eifen empor, wenn’s feucht und roftig
zur durchbrochenen Spike zujanımenlief. |ift. An den Unerftangen fann man Halt
So war meinerfeit3 das Deden diejes | machen und fefttehen. Dan raftet nir«
Dades eine Kunft und das mohlbe- gends fo gut, als an den Querftangen
nannter ſtädtiſcher Dom-Thurm-Dach- | der Bligableiter auf Domthürmen. Wird
Deder-werben eine noch größere. das Stlettern an den Eijenftangen empor
Mein Ehrgeiz jedoch kam nimmer zur |zu langweilig, jo fann man es mit der
Naft. Ih hatte Tag und Nacht hinein | Quadermauer angehen, fie hat Fugen,
feine Rube, wußte genau, dak etwas | Spalten und jcharfe Eden, wovon man
geſchehen müſſe, nur wußte ich nicht ger unten nichts fieht. Ich bin ſchon ungefähr
nau, was. Da fan das Geburtsfeft des | beim Geſimſe des Kirchendaches, als ich
Oberbürgermeifters von F. Der Ober: 'wahrnehme, dab unten auf dem Platze
——— ———— —— ———— — — — — —— — — — —— ———— — FF — —
—— — — — —
—
Fußgeher ſtehen bleiben und zu mir her—
aufſchauen. Ich babe zuviel Geräuſch ger
führt und muß eine Pauſe machen. Als
die Leute endlich vorüber ſind, wandere
ih weiter. Nun fommt aber eine etwas
beichwerlihe Stelle. Der Thurm jpringt
gerade über mir in einem Erfer hervor
und der Blikableiter biegt fih unter
demfelben nah außen, aber jo nahe au
den Steinen, daß ich wie eine liege
an der Stubendede hätte klettern müſſen,
wenn ih nicht lieber umgelehrt wäre
und meinen Weg, zwijchen zwei fteinernen
Ungebeuern, einer Mulde empor über ein
wahres Staub» und Sandmeer genommen
hätte. Damit hatte ich den Vortheil,
daß mir der Mond auf die Route jchien,
während der Blitableiter-Aufftieg größ-
tentheils im Schatten lag. Ich war jchon
über dem Kirchendach und hatte bereits
die mondbejchienenen Gebirge aller Haus»
däcer unter mir. In einer Mauerfpalte
ichredte ich Fledermäufe oder dergleichen
auf, die eine Weile um das Gewände
gaufterten. Es fam nun ein glattes, hohes
Aufipringen von Pfeilern; wie eine Hate
Hammerte ich mich in die Fugen, die
Finger hielten feft, aber die Stiefel-
fpigen waren zu plump, um einzugreifen.
Ih ſchwang mich auf einen Löwenkopf,
der die Gieß ableitet und zog das Schuh—
werf aus, welches ih dem Unthier in
den Rachen ftedte. Das Waſſer wird
mir die Stiefel jhon hinabbringen. Nun
gieng e3 wieder ein Viertelftündchen ganz
bequem vorwärts, nur daß mich Die
Fahnenftange bisweilen ein wenig in-
commobdierte, weil ich mit derjelben linfs
und rechts anitieß, jo dab ich fie mir
ſtreckenweiſe ſenkrecht an den Rüden binden
mußte,
Um rajcher im die Höhe zu kommen,
mußte ich mich endlich doch wieder an
den Dligableiter machen, der aber ftellen«
weile jo weit vom Mauerwerk abjtand
und fo jpärlich mit Querjtangen befeftigt
war, daß gerade dieſe Strede zu den
ermüdenditen gebörte.
Endlich gelangte ich zu einer Fenſter—
iharte, in welcher ich bequem ausruhen
fonnte. Bisher hatte ich nicht länger als
eine Stunde und vier Minuten gebraucht.
Das ſchien mir noch nicht an der Zeit,
ben Imbiß zu nehmen, bejonder8 wenn
ih an den großen Marſch dachte, den
ih noch vor mir hatte. Nüftig Elimme
ih in einem Rud an drei bis vier
Klafter weiter, ala ih plöglih hart
neben mir den Ruf höre: „Wer da?!“
Ih war am Fenſter des Thurmwächters ;
raſch ſchwang ich mich über demfelben
empor und antwortete nur: „Sch, der
IhurmsDeder Bernhard bin’s, nichts
weiter. Ih will mal bloß bis zur
Spite hinauf und dem Oberbürgermeifter
zu Ehren eine Fahne auffteden, weil ic
den Mann jhon gar zu lieb habe.“
Der Wächter rief, ih follte um-
fehren und bedrohte mich jogar, womit,
das weiß ich nicht, weil ich ihm mittler-
weilen ſchon aus der Gehörmweite war.
Seht hub im Thurm ein gottsläfterliches
Gerafjel an und die Glocke ſchlug halb
zwei Uhr. Ich ftemmte mid an die
Zeigerachie des Zifferblattes, nahm meine
Ihwarze Haube vom Kopfe und band fie
an die Spike des Stundenzeigerd, da-
mit die Leute jehen follten, ih wäre
auch dageweſen. Das war der Uebermutb,
wofür ich ſpäter eigentlih ganz mit
Recht vierundzwanzig Stunden lang ein-
gejperrt worden bin. Es fteht nun zwar
nit im bürgerlihen Geſetzbuch, daß
man feine Haube nit an den Zeiger
der Thurmuhren binden dürfe, aber bie
Nader haben den Paragraphen wegen
muthwilliger Gefährdung fremden Eigen-
thumes auf mich gehetzt.
Nun endlich bin ich bei der oberften
BZadenfrone; ich fteige über die Quader—
reifen empor und jebe mun vor lauter
Binnen und Thürmchen, die um mich find,
nicht mehr in die Tiefe. Hier kann ich
nich niederlaffen und Wein trinken. Im
Djten ziehen fih ſchon ein paar lichte
Streifen des Morgens. Im ferneren
Umfreife der Stadt jehe ich die Lichter
der Straßenlaternen und den Schein der
Fabriksſchlote. Dort und da erwacht der
Lärm eines fahrenden Wagens.
Nun voran den legten Rud! An
einer der Rippen der Pyramide ſtieg ich
71
behaglich weiter und nach weiteren zwan—
jig Minuten war ich an der Roje. Das
war nım aber da3 ſchlimmſte Stüd.
Unter der Roſe könnte bei Regen eine
große Familie jammt Dienerjchaft bequem
Dach finden. Es galt nun, meinen Strid
über die Roje hinauf an einen jcharfen
Vorſprung zu werfen, was erft nad
einer Weile gelang. Jh faßte den Strid
und wurde für's Erfte hinaus in die
Lüfte geichnellt. Bald jedoch war id
binangeflettert und ftand auf der Roſe.
Nun noh ein paar Klafter den Hals
binan zum goldenen Anauf; über dem-
jelben mußte ih das zweite Mal den
Strid zur Hilfe nehmen, bis ich oben
ftand. Die Luft war ruhig, aber mic
deuchte, ala jchwanfe der Thurm mit
mir wie ein Baum, Da merkte ich wohl,
ih müſſe mir eine größere Raft gönnen.
Ih lehnte mich mit dem Nüden an das
Thurmkrenz und hielt die Hand vor das
Auge. Tief unten auf dem Domplage
hörte ich Gefurre und ſah nun, daß fich
viele Leute angejammelt hatten, welche
zu mir beraufichauten. Von einem vierten
Stod aus wurde mir durch ein Sprad-
rohr zugerufen, ich jolle aushalten, es
fäme Rettungsmannicaft mit dem Sprung-
tuche. Da ftieg ich rajch das Kreuz hinan,
am zweiten QUuerbalfen klammerte ich
mih ein, mwidelte die Fahne los und
band fie an Kreuz und Thurmſpitze feit.
Ein leichter Wind ließ die Fahne im
die Luft hinauswirbeln und das Morgen-
rotb beleuchtete fie. — Auf demjelben
Weg, den ich gefommen, trat ich ben
Abftieg an. Zwei Punkte ausgenommen,
wo ich wieder zum Seile meine Zuflucht
nehmen mußte, gieng es ungleich mühe—
lofer und rajcher al3 beim Aufjtieg. Um
drei Uhr fieben Minuten bin ich auf
das Pilafter des Domplages geiprungen,
mitten hinein in ein Jubelgejchrei von vielen
bundert Menjchen, wovon mich Einige um—
armten und mir auf die Zehen traten.
Mein erfter Blid war hinauf zur Spitze,
wo das helle Fähnlein luſtig flatterte.
Viele blicdten mit Operngndern hinauf und
riefen: „Hoch der Oberbürgermeifter !*
und umjnbelten mich immer von Neuem.
Beſonders feierlihd aber nahmen mich
zwei Wachmänner in Empfang, welche
mi ſofort in eine Kanzlei führten.
ort gings ernithaft ber, ich mußte
meinem Namen, mein Alter und Gewerbe
und was weiß ich fonft Alles angeben
und eingeftehen, weshalb ich die Fahne,
und zwar auf jo ungewöhnlichen Wege,
auf den Thurm getragen hätte.
„Ach Gott!“ ſage ich, „es ift weiter
nichts. Ich habe eben unjern Herrn Ober»
bürgermeifter viel zu gern.“ Darauf la—
hen fie und laffen mich frei. Wie ich vor
das Hausthor trete, umringt mich fchon
wieder ein Menſchenſchwarm, wie ich bin
— barfuß und barhaupt — heben fie
mich in einen Wagen und führen mich
mit Hurrabgeichrei durch die Stadt.
„Das ift Schön,“ fage ih, „aber
ein Frübftüd wäre mir lieber.“
Verſteht ih, das erfte Hotel war
jur Ehre erlejen, den „Thurmhelden“,
von welchem wie im Nu die ganze Stadt.
wußte, zu bewirten.
Und jo begann diefer Tag als der
erjte einer Neihe von Freuden» und Feſt—
tagen, die mir nun geworben waren.
Ich fam aus dem Taumel gar nicht
heraus, und heute, wenn ich daran dente,
jehe ich wie durch verihwommene Augen
zwei trabende Pferde vor mir, manchmal
jogar vier, die mich in eleganter Kaleſche
führen, jehe eine Menfchenmenge, die mir
nit lautem Hurrah die Hüte und Taſchen—
tücher zufäcelt. Sehe gededte Tafeln
mit Silbergeihirr und Champagner ;
jebe Zeitungen, Flugblätter, mit meinem
Bildnis und der Beichreibung der „Hel«
denthat*, wie fie's hießen; in allen Gaſſen
und Straßeneden ift mein Bild ausge
ftellt, es gibt „Bernhardhauben”, „Bern«
bardfahnen“, „Bernhard - Opernguder“,
und „Bernhardſtiefel“ nennen fie es,
wenn Einer in puren Strümpfen geht.
Auch Höre ich überall Muſik, fühle hef—
tige Händedrüde, ja jogar Küſſe auf
Mund und Wangen — und über Allem
das Fähnlein auf dem Thurme,
Nun kommen Befiger von Unterhal-
tungslocalen zu mir, bieten mir Geld,
wenn ich mich von ihren Gäſten anſchauen
laffe; ja Einer will, daß ich mit ihm
von Stadt zu Stadt ziehe, er wolle mich,
den „waderen, hochgemuthen Thurmhel—
den“, jehen laffen und bot mir Summen
an, daß ich erfchraf. „Greif zu!” jagten
meine Freunde, „jeßt wirft eim reicher
Mann! Nutze aus Dein Glüd, brauchit
Dein Lebtag niht mehr zu arbeiten!“
Ih ſchwamm in einem Meere von
Seligkeit. Ja dachte ih, das ift freilich
noch beſſer, als ein ſtädtiſcher Dom—
Thurm-Dach-Decker zu ſein! Wer hätte
gedacht, daß etwas, jo ich hundertmal
gethban babe und im Fleiß und Arbeit
nicht getragen hat, jebt, weil ich's heim—
lih und unrechtmäßiger Weije vollbracht,
mich zum berühmten, reihen Mann macht!
Damals, als ih einem vom Thurm
fallenden und am Wandvorjprunge hän-
genbleibenden Arbeiter mit eigener Ge—
fahr das Leben gerettet, damals hat
ih fein Menſch um mich gekümmert,
- bhente, wenn ich mich anjchauen laſſe,
fliegt mir das Geld jcheffelweife in den
Schoß. Mir kann's recht recht jein, ich
bin entjchloffen, daß Glück beim Schopf
zu faffen.
Schon will ich die Verträge unter
ichreiben, welche mir ein Tuftiges und
lorgenfreies Leben eröffnen ſollen, als
ein Vote vorſpricht, ſich verfichert,
dab ih der Thurmbeld Bernhard
bin und mir einen Brief vom Ober—
bürgermeifter überreicht. Mit zitternden
Händen erbreche ich ihn, jegt wird wohl
erit die Hauptjahe kommen, denke ich,
und babe mich auch nicht geirrt.
Der Oberbürgermeifter jchreibt::
„An Seine Wohlgeboren,
den Herrn Joſef Berubard,
bürgerlichen Thurmdecker,
derzeit in F.
Lieber Herr Bernhard !
Indem ich für Ihre mir darge:
brachte höchſt originelle und gewiß
wohlgemeinte Dvation bejtens danke,
möchte ich mir erlauben, Ahnen einen
Beweis meiner freundfchaftlichen Ge-
finnung anzubieten, der meiner Achtung
für Sie entipringt und den nicht miß—
verftehen zu wollen ih Sie aufrichtig
bitte.
So jehr mich der Geburtstagsgruß,
den Sie mir von jo hoher Warte zu«
winken, wie auch das jchöne Zeugnis
Ihres perfönlihen Muthes erfreut ha—
ben, fo fann ich doch der Sorge nicht Herr
werden, daß eben diefe Ihre muthige
That Veranlaffung für Sie werden
könnte, einen neuen Weg einzufchlagen,
der wohl viel gefährlicher, als jener
auf die Thurmſpitze unſeres Domes
zu werden droht. Ich höre, dak man
Sie durch Geld und Verſprechungen
aus Ihrem ehrlichen Gewerbe heraus
auf die Bahnen eines Abenteurerd
foden will; ich möchte nicht, daß meine
Perſon dazu die Veranlaffung werde
und rathbe Ihnen in freundſchaäft—
licher Weiſe, Ihrer bürgerlichen Arbeit
treu zu bleiben, welche allein die dauer-
haften PVortheile und wahren Ehren
bringen kann. Wollen Sie ſtets als
Ihren Freund betrachten Ihren
Dr. M. Standert,
Oberbürgermeifter zu F.
Mißmuthig fchleuderte ich den Brief
von mir. Natürlich, mit dem Glüde
fommen auch die Neider. Ich ſehe nichts
Unebrenhaftes darin, wenn ſich Einer
als nachahmenswertes Beifpielvon Mannes»
muth dem Volke zeigt und wenn das Vol
den Mann aus freiem Antrieb honoriert.
Schon am nächſten Abend war ich
im Paradieje, wie da3 PVergnügungs-
local der Vorſtadt heißt. Als ich, be
gleitet von meinem Imprejario, durch das
Hinterpförtchen jchlüpfe, fteht an die
Mauer gelauert ein mir befanntes Mäd-
hen. Das wirft mir einen Blid
zu, der mich faft aus der Faſſung
bringt, Aber ih bin Schmied meines
Glückes und denke, mit allen bisherigen
Verhältniffen muß jet gebrochen werden,
Meinend wendet fie fich abjeits, ich trete
in das Haus, Der Saal ijt überfüllt,
und welcher Nrt das Publikum, das
habe ſogar ich einfältiger Dachdeder auf
den erſten Blid dur eine Bretterjpalte
Pu
73
— — —
erkannt. Als erſte Nummer erſchien eine
Gruppe von „Volksſängern“, welche es
Uebertretung ſchuldig gemacht, die beſtraft
werden muß. Ich erinnere, daß Sie
mit ihren gut geſalzenen Liedern dem verurtheilt ſind zu vierundzwanzig Stun—
Publikum zu Danke machte. Hierauf fam
eine üppige Seiltänzerin, die das, was
das Lied vorhin mur ſchelmiſch angedeutet,
zur Klaren Darftelung bradte. Die Zus
ſchauer johlten und ftöhnten vor Ver—
gnügen;
— ein jo freches MWeibsbild bisher noch
nicht geſehen. Plöglih, als fie ihre
„Künfte* gezeigt, eilte fie unter Zurüd-
laſſung de3 allergrößten Theiles Ihrer
Garderobe hinter die Couliſſen, padte
mih am Arm und wollte mi vor das
Publikum zerren. Jetzt gehen mir bie
Augen auf. „Schöne Dame,“ jage ic,
„noch gehören wir Beide nicht zufammen!“
nehme Hut und Stod und verlafle das
Local. Da ftehe ich lieber bei Nacht und
Sturm auf der Thurmſpitze des Domes,
als auf foldem Podium da drinnen.
Von diefer Stunde an babe ich mich
in der Stabt nicht mehr bliden laſſen.
Die Fahne war vom Thurme amtlich
entfernt worden; ich gieng wieder meinen
Arbeiten nad, die fih freilich nun jo
jehr mehrten, daß ich eine Anzahl Ge-
bilfen nehmen mußte. Der Bürgermeijter
jelbit kümmerte fih um meine Firma
und griff mehrmals, wenn ich in meiner
unpraftiichen Weiſe etwas Verkehrtes zu
thun im Begriffe ftand, regelnd und för—
dernd ein. Nun heiratete ich meinen Schatz,
das war jelbiges Mädchen, welches am
Piörtlein des Paradiefes ftand, an jenem
Abend. Nun waren wir Beide darin, aber
in einem anderen, al3 jenes mit ben
Bänteljängern gewejene. Ein halbes Jahr
nach unſerer Tramung fragte mich der
Dberbürgermeifter, ob die Flitterwochen
ſchon vorüber wären. In diefem Falle
wäre er fo frei, meine Perſon auf vier-
undzwanzig Stunden in Beihlag zu
nehmen. „Es ift,“ fuhr er fort, „etwas
Hohes um den Muth eines Mannes, es
ift mir durch die Huldigung an jenem
Tage etwas ſehr Schönes geichehen ; aber
Sie, meiu lieber Meifter Bernhard, haben
fih dur die eigenmächtige und uner—
laubte Erkletterung des Ihurmes einer
den Arreſt.“
Im Erker.
ih hatte — aufrichtig geftanden | Vier Fenfter und zwei Yenfterlein
hellen dieſe Stube mein,
Darunter blüht der Garten,
| Ten treue Hände warten,
| Bor meinen Erler Spielt ſich ab
Das Schaufpiel: „Bon der Wieg’ zum
Brab’*,
Das Großes mit dem Kleinen
Zum Bunde weiß zu einen.
Sie ahnen nicht, daß von der Höh’,
Ich all ihr Thun und Treiben ſeh',
Ich fit’ da, wie „Bott Vater“ —
Bon ferne ihr Berather,
Wär’ ih da unten, mitten d’rinn,
Gleich ihnen mit bewegtem Sinn,
Ich wär’ der Ihren Einer,
Ein Schuld’ger, obgleich reiner.
So aber hat e3 Keiner adt,
Daß ih vom Erker fie betracht',
Unfihtbar jelbft mitleidend,
Mitfreuend, doch fie meidend,
So dunk' ich mich der Fels im Meer,
Die Flut beherrichend weit umher —
Die Wogen mögen branden,
Nicht Eine fann da landen.
Ludwig Foglär.
Mein Herz, das farb in diefer Hadıt.
Ich fand im diefer Nacht Dein Bette leer.
— „Beim kranken Kinde hätteft Du gewacht.“
Ich hab’ gelobt Dir Liebe bis zum Tod;
Mein Herz, das ftarb ın diefer Nacht.
Die Stunden, da das Kind allein verſchmacht',
Hat fie bei einem fremden Mann verbradt.
Ich Hab’ gelobt ihr Liebe bis zum Tod;
Mein Herz, das ftarb in diefer Nacht.
Gin Särglein für mein Herz und fr mein
Kind
ind.
Und in der Jasminlaub’ ein glüdlih Paar!
ALS Gott, der liebe Herr, das Weib erſchuf,
Ob er wohl aud bei Trofte war?
A. 3.
74
Das größte Leid,
Ein Märden von Emil Erti.*)
und ſprach: „Du guter Pechbrenner, kannſt
Du mir nicht den Weg zeigen, der aus
diejen finftern Walde binausleitet ? Denn
Es war eine Mutter, die liebte ihr | ich fürchte mich ſehr, daß mir die Liebe
Kind nicht. Und als es berangewachjen
war, rief fie es zu fih und ſprach: „Ich
bin arm und fann Dir nicht länger zu
eſſen geben. Geb hinaus in die meite
Welt und fieh, wie Du fortkommſt.“
Als aber das Mädchen herzbrechend
hier begegne oder ein anderes Ungemach.“
„Die Liebe?“ fragte der Pechbrenner;
„was iſt die Liebe?“
„Die Liebe,“ erwiderte das Mädchen,
„iſt das größte Leid.“
„Ich habe die Liebe nie in dieſen
zu weinen anfing, fühlte ſie doch ein Wäldern geſehen,“ ſagte der Pechbrenner.
wenig Mitleid mit ihm und ſagte: „Das
Einzige, was ich Dir auf den Weg mit—
geben kann, iſt eine gute Lehre. Fürchte
die Liebe und flieh ſie, wo Du kannſt,
denn die Liebe iſt das größte Leid. Das
weiß ich gut, weil ich einſt Deinen Vater
geliebt habe; der war ein gottverlaſſener
Mann und ftieß mich aus feinem Haufe.
Es iſt schon lange ber, und ich hab's
verwunden. — Das Letzte aber, was
mich noch an ihn erinnert, das bis Du.”
Damit nahm fie ihr Kind bei der
Hand und führte es hinaus, Dann ging
fie in ihre Hütte zurüd und ſchob den
Niegel vor die Thür.
Das Mädchen wußte nicht, was es
anfangen jollte, umd fchritt mweinend in
den grünen Wald hinein. Weil der grüne
Wald aber fein Ende nahm, jo irrte e3
fieben Tage und fieben Nächte darin um—
ber und ftillte feinen Hunger mit ſchwarzen
und rothen Beeren, und ftillte feinen Durft
mit den Thautropfen, die des Morgens
an allen Blättern hingen. Nachts famen
die heulenden Wölfe; aber das Mädchen
klatſchte in die Hände, da liefen fie fort.
Am achten Tage wurde der Wald
ſehr finfter, und dem Mädchen Elopite
das Herz, da es Schritte im dürren
Laube rajcheln börte, Als fi aber die
Büſche theilten, ftand ein hochgewachſener
Mann vor ihm, der ein längliches Fäß—
hen umgehängt trug, um Harz darein
zu fammeln ; denn er war ein Pechbrenuer.
Das Mädchen freute ſich ſehr, daf
e3 wieder ein menjchliches Weſen erblidte,
ſchaute bittend zu dem Manne hinauf
*) Aus deſſen „Liebesmärden*, (Reip:
zig. A. ©. Liebestind, 1886.)
„Aber komm mit mir in meine Hütte, dort
will ih Did Dein ganzes Leben lang
vor der Liebe beichügen und vor allem
andern Ungemad. Denn Du bift ein
herziges Mädchen, und ich bin Dir gut.“
„Du freundlicher Mann,“ jagte das
Mädchen, „ich möchte auch mein ganzes
Leben lang bei Dir bleiben, denn in
Deiner Nähe wird mir jo froh und wohl
zumuthe, wie jonft nicht.“
Sie fühten fih auf den Mund und
gingen zu feiner Hütte, Und das Mäd-
hen ward des Pechbrenners Weib,
Die Deiden wurden aber jehr glüclich
mit einander, obgleih fie hart arbeiten
mußten und jo arm waren, daß fie oft
tagelang nichts Anderes zu effen hatten,
als die Veeren des Waldes. „Zuſammen
trägt fih auch das Schwere leicht,“ fpra-
hen fie zu einander; „und jo lange uns
Gott nicht die Liebe jendet, jo lange ift
Alles gut.“
Nachdem eine Zeit verjtrichen war,
befamen fie einen kleinen Knaben, den
nannten fie Schmerzenstind, denn er war
unter vielen Schmerzen geboren worden.
Sie freuten fi beide unſäglich über den
Knaben, und der Pechbrenner näbrte ihn
mit Ziegenmild, denn die Mutter war
iterbensfrant. Der Pechbrenner aber
pflegte fie bei Tag und bei Nacht.
ALS fie nun ſehr Schwach wurde und
der Mann zu weinen begann, weil er
glaubte, er müßte fie verlieren, da that
fie den Mund auf und jagte: „Weine
nicht, Trauter! Mein Leben an Deiner
Seite ift glücklich geweſen, denn ich babe
nie erfahren, was die Liebe iſt. Dir aber
bleibt noch unfer Schmerzenstind, wann
ih todt bin.“
er
7
*
5
Sie ftarb aber nicht. Denn er pflegte | den Himmel! Kommt nur gleich mit mir,
fie jo treu und warm, daß fie wieder | daß ich Euch binausgeleite, ch der liebe
gejund wurde,
Nahdem abermals eine Zeit ver-
ftrihen war, wurde Schmerzensfind jehr
frant und ftarb. Sie begruben e3 im
Walde und pflanzten Blumen auf das
Grab. Als fie lange gemeint hatten,
trodnete der Mann feine Thränen und
ſprach: „Weine nicht mehr, mein treue
Weib, denn wenn auch Schmerzenstind
todt ijt, jo haft Du doch mich, und ich
babe Dich. Lak uns vielmehr dem Tieben
Gott danken, daß er uns bislang vor
dem größten Leid bewahrt hat, vor der
Liebe.“ Da trodnete auch die Frau ihre
Thränen, und die Beiden fielen einander
um den Hals und küßten fih auf den
Mund,
&o lebten fie noch viele, viele Jahre
mit einander und waren jehr glüdlich
in ihrer Armuth. Wann ihnen jedoch ein
Ungemach wiberfuhr, jo jchauten fie ein-
ander nur in die Augen, und eine ftille,
friedliche Glückſeligkeit kehrte fogleich in
ihre Herzen ein.
Nachdem fie aber alte Leute geworden
waren, empfanden fie eine große Müdig—
feit. Und eines Tages legten fie fich auf
ihre Blätterftreu, drüdten einander noch
ein letztes Mal die Hand und ftarben.
Als fie über die MWolfenftufen in
den Himmel gelangt waren nnd den
lieben Gott erblidten, knieten fie nieder
und beteten. Es fam aber gerade der
heilige Petrus gegangen, und da er die
beiden Alten vor Gott knieen jab, redete
er fie an und ſprach: „Ihr guten Leute,
was wollt Ihr denn bier? Ich hab’ Euch
ja gar nicht gejeben, wie Ihr berein-
gefommen jeid !*
Da erwiderte der alte Pechbrenner:
„Heiliger Petrus, wir möchten nur dem
lieben Gott Dank jagen für unfer Leben
auf Erden, weldes weitaus glüdlicher
war, al& das Leben vieler anderen Men-
jhen. Denn das größte Leid, die Liebe,
haben wir nicht gekannt,”
„Ei, ei,“ rief der heilige Petrus
erichredt, „Ihr habt die Liebe nicht ge
fannt? Da gehört Jhr ja gar micht im
Gott Euch erblidt.“
Kaum hatte er das gejagt, jo wandte
der liebe Gott jein Haupt und fragte:
„Petrus, warum bift Du jo jehr er-
ihroden ?*
„Ach Herr,“ ſprach der heilige Petrus,
„es Find bier zwei Menjchenkinder, welche
in ihrem Erdenleben die Liebe nicht ger
fannt haben; die will ih hinausweiſen,
denn fie gehören nicht in den Himmel,“
Wie der liebe Gott das hörte, er»
ſchrak er ſelbſt in feinem Herzen, daß
ſolche Menjchen in den Himmel ger
fommen wären, Als er aber genauer hin-
jhaute und den alten Pechbrenner mit
feiner Frau erfannte, da lächelte er, daß
es durch den ganzen Himmel leuchtete.
„Lieber Petrus,“ jagte er, „geb nur
an Peine Himmelspforte und laß bie
guten alten Leute bier, denn ich fenne
fie genau. Sie jollen ſich an meine rechte
Seite ftellen und mit dem Chor der Engel
meiner Herrlichkeit lobfingen. *
Win der Odam s Bodrunfabetn
hot glernt.
Wia da Goud Voder in Paradeis
in Odam daſchoffn hot ghobb, do jogg
er zan Odam: „Ddam, zan a jchuldiga
Donfjogung julft ma biaz an Vodrunſa
betn.“
„Jh?“ jogg der Ddam, „Vodrunſa
betn? Bodrunja betn fon i mit.“
„Wos?“ fogg da Goud Voda, „Du
font n Bodrunja nit? Du mwillft in
Leutn eahna Stomvoda wern und font
n Vodrunfa nit? Du Schlanggl Du,
mih zimbb, Dir gehts z guat. Du bift
nob fa Noth ine worn, und d Noth lehrt
betn! — Leg Dih nieda !*
Der Odam legg ſih nieda, draht
ih umd renzt ſih a Weil und aft is er
zichlof kema.
Noch a Meil, wir er munter is
worn, ſtehts Weibsbild do. Af da Stell
follt in Odam da Bodrunfer ein und
füfti bet’t ern ber nochanonda, bis zan) des Winters draußen und des heinteligen
erlöje uns von Uebel An.
Erklärung: Vodrunjabetn: Vater: |
unjerbeten. mih zimbb: mid dünft.
renzt fi: ftredt ſih. 3 Ihlof fema:
eingeihlafen. Lüfti: geläufig.
Bider.
Liebesmärden von Emil Ertl, Leipzig.
Verlag von U. ©. Liebestind. 1886.
Märchen zu ichreiben ift beinahe wider
die Zeit. Die Kleinen wollen nicht mehr jo
naiv fein, an jo etwas zu glauben, und
wer liest fie dann noch, außer bie und da
in einfamer MWaldandadt ein verliebtes
Mädchen oder ein fi ganz langmweilendes
Mannesgemüth? Aufein ſolches Minimunt,
denft man, mülſſe fi im „eifernen Seit:
alter” die Märchenlejerichaft reducieren, un:
gefähr wie die Liebhaber von Gedichten.
Nichts deftoweniger ift foeben wieder ein
Buch „Liebesmärdhen* erſchienen, in felten
jhöner Ausftattung mit dunkelroth und
gold’nem Einband, alterthümlihem Drud
und überaus hübjchen Bildern und Zeich—
nungen. Den Stoff bat die Liebe her:
gegeben. In halbem Gewand fitt auf dem
erſten Bildchen eine lächelnde Märchenmuſe
mit Buch und Schreibſtift und hört zu,
wie ihr der leicht beflügelte Amor — er
lann nicht ſein ohne Schmetterlingsflügel
— Geſchichten in's Ohr erzählt; eine Para—
bel nach dem Beiſpiel des Gil Blas und
zehn „Liebesmärchen“ folgen einander dann
in dem Bude. Und „wem e3 im Kerzen
klingt und wiederhallt, der baut ſich dankbar
aus unjheinbarem Ecalle ein hohes Lied,"
heißt es in der Parabel, Tod ift der
Schall nicht jo unfcheinbar und unbedeu:
tend, Das ſchönſte der Märden ift das
„Dornröschen,“ das dritte; es ift eine Um:
deutung des allbelannten, herrlichen deutſchen
Voltsmärdens und erzählt von einem jun:
gen Mädchen, wie fein Herz traumhaft ver:
loren war, ehe es feine Liebe recht ahnte;
wie fie träumte und ihr etwas fehlte und
fie dod von nichts wußte, und wie fie mit
Weinen, Laden und Jauchzen erwadte, da
fie an des geliebten Mannes Bruft lag.
„E83 war ihr, er babe fie aus einem tiefen,
tiefen Schlaf erwedt. . . . .“ Das ift das
wertvolljte Sttid des Heinen Werkes, und
Ertls eigenthümliche Begabung tritt darin
am beften hervor. Ein wenig Humor und
viel echte Poefie find in das Ganze ver:
webt, und der Märdenton nirgends jo voll
getroffen, wenn ſich auch nicht gerade viel
Wunderbares im „Dornröschen“ begibt. Es
ſtimmt Alles zuſammen, die Schilderung
Spinnſtubenlebens, wie der Peter neben
dem Rocken der Hirtenrojel fit und fie ſich
in den Finger ftiht, und wie fie Später im
Sommer in die Berge zieht mit ihrer Herde
— das ift jo anmuthig geichrieben, wie der
Gedante anmuthig ift, in den es ausgeht.
Von den andern Märden wird wohl das
' „Scheune Reh“ am meiften gefallen, die Ge-
schichte von der Königstochter, welche ihres
| Baters zorniges Wort in ein Reh verwan:
delt hat und welde ein armer Jäger er:
löst, der ihr einen Pfeil ins Herz jchiekt.
Auch da bricht die Liebe dur, die überall
den bald hellen und bald dunfeln Hinter:
grund bildet; und dak dermaßen ein tiefer
Gedante die Ertl'ſchen Märhendichtungen
durchzieht, gibt ihnen einen angenehmen
Borzug vor den Baumbach'ſchen, mit denen
fie in anderen Beziehungen mande Aehn—
lichleit haben. Wogegen ihnen freilich wieder
der reizende, feine Schimmer von Jronie
und der moderne Zug fehlen, welche Baum:
bad) auszeichnen und ihn fo populär ge:
macht haben. Ein drittes Märden handelt
von „König Bitterwurzel,” der, ein unter:
irdiſches Gezwerg, ein Erdenmädden geraubt
hat, ihrem Liebften Hannes aber heraus:
geben muß, als fih Sonne, Mond und
Sterne gegen ihn verbündet zu haben jdhei:
nen. Bitterwurzel enthält eine richtige
Märcenidee in dreifader Steigerung mit
Glück durdgeführt, und erinnert nur eimas
an Baumbads „Zirbel.* Das „größte
Leid," ) die „Dimmelsihlüffel* und „Dujel:
dumm und Nugentroft* find rührende Hin:
dergeihichten, hinter denen, wer fih Mühe
gibt, doch aud mehr als einen feilelnden
Gedanlen finden wird, Zu tragiiher Höhe
indeſſen erhebt fih der Schmied in dem
„Herz aus Eijen” Der Mann hatte ſchwe—
res Weh in feinem Leben erfahren und
fih ein eifernes Herz geichmiedet, um
gegen alles Elend fühllos zu werden,
und ſich's von einem Alten einjehen
lafien ftatt des feinen. Doch daß er feinen
Schmerz mehr empfinden fonnte, darüber
fam er fi endlich jo verdammt vor, daß
er fih an einem Baum im Walde er:
bentte. Der Alte — der Teufel — hatte
ihn fein Herz nicht wiedergeben wollen,
Was er nun zu demjelben von feiner Sehn:
ſucht, zu leiden, fagt, vom Schmerz und
den Thränen, von Leid und Mitleid, die
das Leben treu begleiten, find Worte von
ergreifender Gewalt, über denen man ver:
geilen muß, daß fie in die einfache, naive
Märdenftimmung nicht hineinpaſſen. Das
Märchen bietet im allgemeinen wenig Ge:
legenheit, Charaktere zu zeichnen, und umſo
—
*) Wohl eines der ſinnigſten Stüde.
! Die Rev.
fräftiger padt einen die Geftalt dieſes | eines Patrioten und in der freiwilligen Er:
Schwiedes, der unter den Königen, Zwer- | gebenheit eines freien Mannes einem hoch—
gen und Dorfmädchen wie aus einem rie- | finnigen Denker und edelmüthigen Fürſten
figen Granitblod gehauen dafteht. gegenüber gezeichnet wird. fern don der
Mitunter Mlingen die Ertl’jchen Märchen | modernen Schmeichelei, die von dem Ge:
auch an Leander'3 „Träumereien an frans | feierten jelbft nicht ohne Ironie empfunden
zöfiihen Kaminen” an. Allein fie find im: wird, die oft Verdienfte vergöttert, deren
merhin das Werk eines unabhängigen | Borhandenjein vom Dichter ſchwer erwieſen
Kopfes von nicht gemeinem Beift und mit
ihrem oft prächtigen Inhalt und dem wun—
derhübichen Kleid, das ihnen der Berleger
Liebestind und fein Zeihner Kunz Meyer
werden fönnte, tritt uns in diefen jchlichten
Liedern des großen Drientaliften, des
„legten Claſſilers,“ wie Beyer ihn nennt,
eine brave, kerndeutſche, ungeheuchelte Be:
gegeben, wert gefauft zu werben. Daß | geifterung für ein erlauchtes Geſchlecht und
fie nit unbeadhtet vorlbergehen werden, | deſſen berühmtefte Söhne entgegen; eine
dürften aud die Borlefungen von Le: | Huldigung, die um jo wertvoller ift, als
winsfy dargethan haben, der fie nod | fie vom Dichter felbft niemals ins Licht der
vor ihrem Erſcheinen beinah alle in Wien, | Deffentlichleit gebradt wurde, heute aljo
Graz, Linz u. ſ. w. an jeinen lite
rariſchen Abenden gelefen und einen jchd:
nen Erfolg mit ihnen erreicht hat. Eine
andere Frage ift es, wie lange fie ihre
Zeit überdauern merden. Der moderne
Menſch ſteht auf feinem Märdenboden mehr,
das Jahrhundert ift im der zarten und
innigen Märdengemüthlichleit ſozuſagen
nicht in feinen Element, und es fann darum
dem Dichter diejenige findlide Stimmung
nicht mehr verleihen, die aus den unnach—
ahmlihen Grimm'ſchen Hausmärden jpricht.
| Berzogs Ernſt I.
Inur ein Bermädtnis bildet, das Fürft und
Dichter ehrt. Wir begrüßen dieſes Bud
um jo freudiger, als es uns die Geftalt
von Sadjen:Eoburg:
otha in dem vollen und reinen Glanze
eines jelbitlofen, muthigen Mannes, eines
freifinnigen Regenten, eines hochbegabten
Beiftes zeigt. Neben dem Sterne von Wei:
mar, der Sonne von Wittelsbach, dent
ftrablenden Geftirn der Hohenzollern, wird
die Muhmesgeihichte des deutihen Bolfes
immer mehr und mehr auf diefen Licht:
Ein joldes Meifterwerl braucht jeine Zeit. |glanz meifen müfjen, wenn fie wahrhaft
Ertl — ein junger öfterreihijcher, in Graz
lebender Scriftfteller — bat lange die
Abſicht gehabt, einen groß gedachten Roman
zu verfaflen, zu welchem das Elend auf
Erben den Vorwurf geliefert hätte, und in
weldem die moderne Weltanidauung —
e3 ift feine peffimiftiiche - - in einige Bände
jufammengedrängt wäre. Un den großen
Greignifien und aus den Charalteren der
Gegenwart heraus würde fi die Handlung
entwidelt haben, Will Ertl nicht zu diejem
Fauſtiſchen Thema zurüdtehren? Er hat in
einem, vor einigen Jahren erjchienenen
Märden „Abdéwa“ eine nicht bedeutungs—
loje Vorarbeit dazu gethan, und wer weih,
ob er mit der gewaltigen Welt der That:
fahen nicht no mehr anzufangen wüßte
als mit den Phantafien jeiner Märchenfee,
Wien. K.N.
Zriedrih Rüchert und das Hegentenhaus
von 8. Coburg:Gotha, von Prof. Dr. E.
Beyer. Stuttgart. Drud und Berlag von
Greiner und Pfeiffer, 1886.
Es ift eine warm empfundene „pietät:
volle Studie, die uns der verdienftvolle
Berfaffer der „Deutſchen Poetil* in diefem
Buche darbietet. Intim und neu, eine an—
heimelnde Ueberraſchung aud für den
Kenner Rückert's, der uns hier von feinem
bewährteften Interpreten im jchönften Lichte
und dankbar jein will,
franz Keim.
Heimatskunde von Aärnten, (Klagen:
furt. F. v. Stleinmaper.)
Edmund Aelſchker, Profeffor an
der Sllagenfurter Oberrealjchule, der Ber:
fafler der „Geſchichte Rärntens von der Arzeit
bis zur Gegenwart‘ (1885), übernahm die
Darftellung des hiftoriichen Theiles der Hei:
matölunde, während Herr Joſef Palla,
BProfefior an der Lehrerbildungsanftalt da—
jelbft den geographiihen und ftatiftifchen
Theil der Bearbeitung unterzog.
Die Perjönlichkeit diefer beiden Auto:
ren ift Gewähr dafür, daß das Bud feiner
Beftimmung entſprechen werde. Es joll nicht
nur zum gründlichen Unterrichte in der
Heimatsfunde an den Mittelſchulen und der
Lehrerbildungsanftalt des Landes beitragen,
den Stoff für heimatsfundliche Belehrungen
an unfjeren Bolls: und Bürgerſchulen lie:
fern, ſondern au ein Familienbuch wer:
den, au8 dem jeder Kärntner das Willens:
wertefte aus der reihen Gejchichte feines
KHeimatlandes und über die geographiſch—
ftatiftifchen Verhältniſſe desjelben zu ſchöpfen
vermag. V.
78
&h. de Quinteys Bekenniniffe eines Opiums
effers, deutih von 2. Otimann. (Stuttgart,
Verlag von R. Zus, 1866).
.... das. Buch jchildert die Entzückun—
gen der Opiumnarkoſe mit lebhaften Far:
ben und großer ftiliftifcher Ausdrudsfähig-
feit. Es liest ſich außerordentlich ei ai
Ein fonniger, feinjatirifher Humor
lat uns aus der Erzählung: Der verzau—
berte Apfel von H. Bauer (Stuttgart,
Rob. Lug) entgegen. In dem MWerfchen er:
fahren wir die Leiden und Drangfale eines
jungen Seminariften, der, in eine kleine
Evastochter verliebt, plöglich jeine Carriere
unterbreden muß und in die Welt hinaus:
flüchtet, um fpäter in einer etwas jeltfamen |
Wandlung ein Hamburger Bürger zu wer: |
den. Das hübſche Bud) darf als eine der
| der allerort3 graffierenden Dichteritis u. ſ. w.
ı Die mwibigen Saden treffen den Nagel
| zumeift auf den Kopf und leſen ſich jtets
‚anmutig. Xiteraturfreunden befonders fann
das Büchlein empfohlen werden, M.
!
| Bulgarien und das Fürftendrama zu
Sophia ftehen im Vordergrunde der Ereig:
niſſe, die alles Interefje für fih in An—
ſpruch nehmen. Es muß daher Jedermann
erwünſcht fein, über Land und Leute diejes
‚ Ballanftaates Näheres zu hören, Handel
‚und Wandel dajelbft kennen zu lernen, um
den Greigniffen mit Verftändnis folgen zu
können. Das in U. Hartleben’3 Berlag in
Wien erjcheinende Prachtwerk „Zwiſchen
|
Donau und Kaufafus“ (25 Lieferungen),
wird das Balfangebiet berühren, die neuefte
und erihöpfendfte Darftellung Bulgariens
und feiner Bewohner bringen, die ſchon die
ökli i is |. —
ergoͤtzlichſten Erſcheinungen unſerer Tomi jungſten Ereigniſſe mitberückſichtigt und dem
ſchen Literalur der neueſten Zeit bezeichnet
werden.
Bliche in das Menſchenleben. So nennt
ſich ein größeres bei Fr. Frothermel in
Schaffhauſen erſchienenes Werk von Dr.
Eduard Reich. Dasjelbe enthält höchſt
lehrreihe Abhandlungen über die menſch—
lien, befonder8 modernen Leidenjchaften,
Rafter und Verbrechen, ſowie Winte zu
deren Heilung und Verhütung. Alles, was
den Eulturmenfhen bewegt, erhebt und zu
Grunde richtet, ift an der Hand der Sta-
tiftit behandelt; realiftifh mie ethifch ift
das Werk vertieft und mit Ausſprüchen be—
deutender Männer und Fachgelehrten er:
härtet. Bon Standpunft des Arztes, des
Nichterd und des Philofophen wird der
ganze Menich aufgededt; kaum eine geheime
Falte jeines Weſens bleibt verhüllt, In
diefen treuen Spiegel zu bliden, mag Sei:
nem jchaden. Er wirft viel Herbes zurüd,
aber die Wahrheit ift aud etwas wert,
Und die Abficht, zu rathen, zu beffern, macht
das Buch zu einer guten That. M.
Zeitgloſen. Eſſays, Plaudereien, Sa—
tyren von Emil Peſchkau. (Leipzig. W.
Friedrich.)
Das Buch iſt ein Sammelwerk von
Feuilletons, aber von guten Feuilletons,
von ſolchen, die Uber den Tag hinausreichen
und die Zeit angehen. Da ift die Rede
vom Beitalter der Poſtkarte, von der Un:
finnigfeit unferer Kleidung, von der Mode,
von Kunft und Erziehung, von Büchern
und Beitungen, von Redacteuren, Dichtern,
| Werte fomit den actuellften ECharafter ver:
leiht. Das mit mehr als 200 Illuſtrationen
ausgeftattete Wert behandelt die gefammten
' Kuftenländer des Schwarzen Meeres, Süd:
rußland, den Kaukaſus, die afiatiiche Türkei,
‚und die Baltanländer, die es in anziehen:
den, lebensvollen Bildern bejchreibt. V.
| Die dreizehnte Auflage von Brodhaus’
Gonverfations-Lezikon naht fih mit raſchen
‚ Schritten ihrer Vollendung. Mit dem joeben
erijchienenen 210. Hefte wurde der vierzehnte
Band abgeihloffen. Er endet mit dem
Artikel Spahis und enthält die große Zahl
von 6425 Artikeln; in der vorigen Auflage
‚hatte der entjprehende Band deren nur
2248, mithin bat eine nahezu dreifache
Vermehrung ftattgefunden, Nicht minder
umfaſſend find die Bereicherungen, melde
dem Inhalt der einzelnen Artikel zutheil
geworden. Dies tritt namentlih hervor
‘auf dem Gebiete der Staatengeſchichte und
‚im Bereich der Statiftif: die innere und
äußere Geſchichte Rußlands, Sacdjens,
ı Schweden, der Schweiz, Serbiens reicht
bis auf die letzten Tage herab; aud der
Serbiih:Bulgarifche Krieg von 1885 findet
ſchon eine zufammenhängende Schilderung
nad den beften Quellen, und alle ſtatiſti—
ſchen Zahlen beruhen auf dem Refultat der
neueſten officiellen Erhebungen. Reich ver:
‚treten ift die zeitgenöſſiſche Biographie.
F
In der Zeit der allgemeinen Publi—
eiſtik iſt es zweifellos ein glücklicher Ge—
danle, auch der lieben Jugend eine periodiſche
79
Zeitihrift zur Anregung und Belehrung Bruder Erik, Erzählung von J. Her:
zu bieten, und zwar um fo mehr, wenn loßſohn.
dazu das neutrale Gebiet der Muſik gewählt Schutt, Dichtungen von Anaftafius
wid; Wine. Jolie Wufpabe Sek A en leramnn or nngt 2
neues Unternehmen geftellt, das fich in erfter 3:
Nummer unter dem Titel „Mufikalifhe Zu: EIN Reg zungen en
gendpoſt,“ Berlag von PB. 3. Tonger in ** u \ ne et
Köln, uns präjentiert. Der Inhalt ift ein | Der Götterhimmel der Germanen. Von
jo friſcher und anmuthender, daß wir diefe Ferdinand Schmidt. (Wittenberg, R.
Zeitſchrift empfehlen lönnen, v. Herroſé.)
Altdeutfche Weifen aus dem 12, bis 17.
Jahrhundert. Urtert und Uebertragungen
, von Ernft Moſer. (Brünn, Friedr. Irr—
Dem Heimgarten ferner zugegangen: | gang. 1886.)
Bighelife. Von B. v. Suttner (Min: Gedichte aus der Heimat und aus Ita—
den. Otto Heinrichs. 1886.) lien. Von 5. 9.0. Weddigen. (Norden.
Früdte der Erkenntnis. Neues Novellen: 9. Fiſcher Nachfolger. 1886.)
buh von Ostar Welten. (Berlin. W. Orgien und Andahten. Dichtungen von
Ißleib.) Ernſt Wechsler. Leipzig. Wilhelm
Aus Herrn Walters jungen Tagen. Eine Friedrich.)
Geſchichte aus Defterreihs Vorzeit von Pihtungen von John Henry Mackay.
Bictor Wodiczka. (Reipzig. H. Haeſſel. (Münden. Otto Heinrichs. 1886.)
1886.) Grammatiſche Analyfe des niederöfter-
Auf treuer deutfher Wacht. Eine Er: reichiſchen Dialerles im Anſchluß an den
zählung aus den nationalen Leben der | YJ, Gejang des Roanad. Mit ausführlichen
Deutihböhmen von Wolfgang Sqild. | Naciglagebuc von Dr. Hans Wili—
(Leipzig. Oslar Keiner.) |bald Nagl. (Wien. Karl Gerold's Sohn.
Einblicke durch Fenfter, Thür umd Dad) | 1886.)
in das Innere des Menden. Eine Quin— Aniverfalbibliothek der bildenden Rünfte,
teſſenz von Beobadtungen und Forſchungen. Nr. 1-9. (Leipzig. Bruno Lenner.)
DEE FOBnlen, al, PERL Maget; Naturkundliche Yolksbilder von 2. Bu-
David u. U. m. Bon Fr. Seidel. (Weis: h u
RR : femann. 1—16. (Braunschweig. Friedrich
mar. Friedrih Voigt. 1886.) Wicses und Eofn,)
Zufinus Rerner und die Seherin von / : ’ E
Prevorft. Yon Carl du Prel, un einer Dierundfiebzigfler Dahresberidt des fleier-
i märk. landfdaftlihen Boanneums zu Graz.
DD Serge un irn Een Ueber das Jahr 1885. Herausgegeben vom
bude von Gabriel Mar. (Leipzig. Th. Steiermärkfiihen Landesausſchuß. (Graz.
Grieben's Verlag. 1886.) —— DEE
i rajer Schreibkalender für ‚Mi
m — — Win. Illuſtrationen. 103. Jahrgang. (Graz. Ley—
(Leipzig. J. J. Weber.) kam.)
Karpathenlieder von Ludwig v. Kartok. Der Volksbote. Ein gemeinnütziger Bolfs:
Erinnerung an die ungarifchen Alpen. Den | talender auf das Jahr 1887. 50. Jahrg.
Magparifiien —— er Adolf (Oldenburg. Schulze'ſche Hofbuchhandlung.)
Silberſtein. (Budapeſt. Franklin-Verein. Siegfried. Illuſtrierter Kalender für
1386.) 1887. Herausgegeben von P. F. Krell.
In der Geifblattlaube. Ein Märden: | (Stuttgart. Guſtav Wieſe.)
ftrauß ım Garten der mütterlichen Freun—⸗ Fromme's Oeſterreichiſcher Mädchen ·
din Joſephine Scheffel. Gewunden und Ralender, redigiert von Gabriele Sil:
ergänzt von Alberta von Freydorf. |jardt, Mit Porträt Ihrer k. 1. Hoheit
Mit Porträt und Handjhriftprobe. (Dress | Frau Kronprinzeifin Erzherzogin Stephanie
den. 2.2. Meinhold und Söhne. 1886.) und Töchterchen.
Erinnerungen an Dr, Bofef Victor von Kalender des deutſchen Schulvereins au
Schefſel. Erlebtes und Erfahrenes von Geb⸗ das Jahr 1887. aller von Ada el
hard Zernin. (Darmftadt. Eduard Zer- Müller: Guttenbrunn. (Wien. K.
nin. 1886.) Fromme.) (Das ganze Reinerträgnis diejes
Deutih:öfterr. National:Bibliother; | Kalenders fommt dem deutſchen Schulver—
(Prag. D. H. Weidhelt.) er zu.)
Die unheilbringende Arone. Zauberfpiel @rewendis Volkskalender für 1887.
in 2 Acten von Ferd. Raimund, | 48. Jahrg. (Breslau. E, Trewendt.)
80
Der Stil. Zum Gebrauche für Mittel:
fhulen und zum Selbftunterridte von Leo:
pold Auſpitz. (Karl Prodasfa. Teichen.)
Der junge Schachſpieler. Darlegung des
edlen Spieles für die Jugend. Bon Jean
Dufresne (Weimar. Fr. Voigt. 1886.)
101 Winke und Wünfde für Geſund—
heit von Dr. Guſtav Eufter. (Bürid.
Schröter und Meyer. 1886.)
Das Bud) der Geſellſchaftsſpiele. Heraus:
gegeben von Edmund Wallner. (Erfurt,
Fr. Bartholomäus.)
Rofen = Beitung. Organ des Bereins
deutfcher NRojenfreunde. Herausgegeben von
defien Vorſtand. Redigiert von C. P.
Straßheim. (Frankfurt a. M. Jäger'ſche
Buch- und Landkartenhandlung.)
Poftkarten des Heimgarten.
x X Es wird angelegentlichft erſucht,
Manufceripte erſt nad vorheriger Anfrage
einzufenden. Für unverlangt eingefchidte
Manufcripte bürgen wir nidt.
%. M., Gras: Das PVierzeilige „So
warm iS fa Feuer“ ift ein altes Volkslied:
hen und nicht von Roſegger. Wie auf jenes
Programm der Name unter das Liedchen
fam, willen wir nicht.
„Liebesgedihte eines Lünglings“: Ya,
wenn wir Ihre Angebetete wären, da möch—
ten uns dieje jo ſehnſüchtig galoppierenden
Trohäen jhon gefallen. Wie die Dinge
aber thatfächlich ftehen, gehen uns und die
Welt Ihre Verſe nichts an.
R. M., Wien: Offen geftanden: Das:
felbe.
17.M.: Es hat halt doch feinen Hafen.
's boarifh Pirmdl: Der Heimgarten
bringt grumdfätlich feine Bilder. Für Ge:
— —— — — — —— nn — — — — — —— ——
dichtchen ſchönſten Dank, müſſen aber in
Sachen lyriſcher Poeſie viel Verzicht thun.
St. B., Gras: Der erſte Kindergarten
Steiermarls in Graz, gegründet von Frl.
Eleonore Kopper, begeht am 2. October
d. J. ſeine 20jährige Jubelfeier.
F. RA, Prag: Am klarſten bat die
Nationalität jüngft Ernft Renan beleuchtet:
Eine Nation ift eine Seele, ein geiftiges
Princip. Zwei Dinge machen dieje Seele
aus, das eine ift der gemeinfame Beſitz
einer reichen Hinterlaffenihaft von Anden:
fen, das andere ift die gegenwärtige lieber»
einftimmung, das erlangen de3 gemein:
famen Zuſammenlebens, der Wille zur
MWeitervererbung de3 überlommenen Erb:
theils in feiner Geſammtheit. — Nationen
find feineswegs etwas Ewiges, fie beginnen
und werden zu Ende fein; in Europa wird
die Eidgenofienihaft an deren Stelle treten,
— Wenn bei der Pflege der Nationalität
das geiftigefittlihe Element vernadläjfigt
wird, a führt fie zum Unheil.
R., Warusdorf: Rouſſeau's Aus:
REN (mg. X., ©. 765) ift unſeres Er:
achtens weniger auf die Fachgelehrten als
auf die Laien anzumenden. Die Gelehrten
find weder „moralifcher* noh „unmoralis
ſcher“ wie Andere aud.
F. A. Wien: Daß Kürnberger’s Werte,
trog eines feit Jahren dafür beftehenden
Gomites, immer no nicht zur Ausgabe
gelangen, ift jehr bedauerlih. Wo der
Haken fist, wiſſen wir jelber nicht.
©. W.A., Gras: Tröften Sie fi und
badern nicht in Gedichten; ſolche verfangen
bei Männern jelten. Bedenten Sie das
Sprüdel:
Und bleibfi Du fihen, Mägbdelein,
Glaub’ nit verfehlt Dein Leben ;
Es gibt nicht jede Traube Wein,
s muß auch Rofinen geben,
Und eines ift auch gany gewiß —
65 wird Dir trönlih fein —
63 find Rofinen alle Süß,
Doch fauer mander Wein.
Für die Mebaction verantwortlih 9. A. Mofegger. — Druderei „Leytam“ in Gras.
2*
27: J Ph
j| —— ———
er
}
ut
November 1886.
* 2
m far,
LA:
wei Stüclein aus dem Handwerkerleben.
Von P. R. Roſegger.
ſchon in der Arbeit ftünden, änderten.
— oO 4 Sp ungerecht war der Meifter nicht.
DE. u in unſerem Salender Hand Gr höchftens über »den Zeug,«
= Sonnenfchein und trübes Wet- der Heim Bügeln zufammenfchlieft oder
ter, unabhängig von Sturm oder blauen ſchon urſpruͤnglich zu wenig gewefen
Himmel draußen. für ein Bloch übereinand, als es die
Noch pfiff der Meifter ein Fröhlich Eugelrunde Bäuerin ift. Ein einzigmal
Liedel, rief die Bäuerin herbei: „Geh' Hatten die Mäufe Schuld, die ein
her, will Dir einmal etwas hinauf- Joppenmufter derart zugenagt, daß es
hängen.” Die Bäuerin fam, der Meifter den Meifter beim Zuſchneiden arg irre
warf ihr das loſe zufammengebeftete geführt hatte. Es begann dann ein
Jöppel um, ſtrich da mit der Kreide, unerguidiid Schnitzeln und Stüdeln
au, zerrte dort am einer alte und und trübfelig war es in der Stube,
Sonnenfitaßlen.
fagte: „Gut iſt's, paſſen thut's“. Aber
das Pfeifen war dahin. Zu trennen
begann er und zu ſchneiden am Jöp—
pel, umd zu brummen dabei. Der
Geſelle Chriſtian ſchimpfte, wenn ein
Kleid nicht lag, ſchimpfte über die
Weibsbilder, die ſo hölliſch ſchlecht
gewachſen wären und fo unzuverläſſig,
daß ſie ſich noch, während die Joppen
Roſtager'a q̃timaarten““, ©. Heft, XI.
es mochte draußen die Sonne noch
jo freundlich leuchten.
Wenn hingegen die Joppe in der
‚That wie angegofjen auf dem MWeibel
ſaß, da pfiff der Meifter luſtig d'rauf
(os, pfiff heil wie eine Drofjel und
war gar vergnügt. Wenn e3 zudem
auch noch war, daß wir in eimem
Hauſe gut gefüttert wurden, fo hatten
6
wir Alles erklecklich beiſammen, was
bienieden zu einem echten Schneider-
glüde nothwendig ift.
So glüdlich fahen wir einmal im
Stabhofe. Die junge Bänerin hielt
viel auf Schmud und Zier und nach—
dem der Meifter gefehen Hatte, daß
ihr die neue Sammtjoppe wie anges |
malen ſaß, beichloß er, fie mit untere
ſchiedlichem Zierat, als »Perteln,«
Schnürlein, Seidenmaſchen, Knöpflein
u. dgl. jo prächtig auszuputzen, wie
man in der Gegend bisher an Pracht
nichts Mehnliches erlebt. Meberlaut|
fagte die Bäuerin zwar: So Schön!
Das wäre wohl aus der Weil’, ſo
ſchön thäte ſich's für eine Bauersfrau
doch nicht ſchicken, ſo ſchön hätte es
nicht eimmal die Baderin, und die
Schulmeiſterin ſchon gar nicht!
Insgeheim flüſterte ſie aber dem Meiſter
zu, wie ſie es bei der Amtmännin
geſehen, daß jetzt die Perteln und
»Paßpulaturen« angenäht würden, und
ſo ein Goldſchnürl an den Aufſchlä—
gen, wie es die Verwalterin trage,
ftünde freilih wohl fauber. „Soflten
ſich gerad’ einmal giften, die Herren—
frauen, wenn's jet auch die Bäue—
rinnen nachmachen oder beſſer machen;
möcht’ wiflen, weßweg' die Bauers—
frauen alleweil zurüdftehen follten.
Man hat eh fonft feine Freud’ auf)
der Welt, wenn man fein fauberes |
Gewand auch nit hat, nachher tann
ſich Eins gleich lebendig eingraben
laſſen.“
Dachte ſich insgeheim mein Meiſter:
Dumm biſt, Statzhoferin, aber mir
tann's recht fein. Kommt die Aus—
bandlerei auf beim Weibergewand, ſo
gibt's mehr Arbeit, und ſo gut, wie
der ungariſche Schneider bandeln wir,
auch noch aus, Gott fei Dank.
Um diefelbe Zeit fiel unter Anz |
dern der erfte April. Und beim Statz-
bofer Hatten fie eine miedliche aber
einfältige Magd, die auch ein wenig |
lüftern war nah uns Schneidern,
heißt das nad) unſerer Ausbandlerei, |
obwohl ich einen ganzen Tag lang auf.
dem Wi herumritt: Mit Der möcht’
ih lieber anbandeln al3 ausbandeln,
mit Der!
Der muntere Meifter mochte auch
fo ein Bödlein reiten, denn plößlich
fagte er zu mir: „Was meinft, das
treuherzige Wabel ſoll man doch ein
wenig in den April ſchicken?“
„Thu'n wir das! Foppen wir fie!“
ſtimmte ich bei. Es zeigte fich aber
bald, dab des Meifters Auffaſſung
lange nicht fo nmiederträdhtig war als
die meine.
„Wabel,“ rief er die Magd, als
er ſah, wie fie an ihrem Kaſten fand
und ein TFeiertagsrödel anzog, „mir
ſcheint, Wabel, Du gehft in die Haupt—
ftadt Fiſchbach hinab.“
„Freilich,“ antwortete fie, „die
— | Bänerin ſchickt mich um Kaffee und
Zucker.“ Mir fprang vor Freuden das
Herz auf die Zunge und es fchrie
zum Mund heraus: „Juchhe!“
„Wabel,“ ſagte der Meifter, „weil
Dur Schon nach Fischbach geht, wollteft
nicht fo gut fein und mir beim Ban—
delfrämer was holen ? Für der Bäuerin
ihre Joppe thät' ich drei Ellen Sons
nenftrahlen brauchen zum Aufnähen.
Aber von der feineren Sorte.”
„Bern,“ antwortete die Magd,
„was werden fie denn foften 2“
„Zwölf Kreuzer, denfe ich, die
Elle. Aber vom vorigen Sommer
müffen fie fein, gut getrodnete, und
daß fie Dir nicht etwan abgelegene
geben! Sag’ für den Schneider-Naßel,
und ſoll's aufichreiben.*
„Auffchreiben thut er nicht, der
Bandelkramer,” wußte die Mabel zu
jagen, „wie ich vorige Wochen Sei—
denbandeln hab’ aufmerken laſſen wol=
‚Ten, bat er gefagt: Das Rechnen hätt’
er wohl gelernt, aber das Schreiben
nit,“
„Nachher muß ich Dir fchon zwei
Zwanzigerlein mitgeben,“ fagte der
Meifter, „was übrig bleibt, wirft mir
wohl fleißig zurückbringen.“
„Halt ja,“ verficherte das Wabel
und gieng.
ww.
Als Hierauf die Magd beim Ban—
delframer zu Fiſchbach für den Schnei—
der-Natzel drei Eflen Sonnenftrahlen
begehrte umd die zwei Zwanziger hin—
hielt, jagte der Krämer: „Saggra,
Dirndl, diefe Waar’ ift mir ausge—
gangen! Noch ein altes Büchel vom
Sechsziger-Jahr ift da, aber das ift
ganz abgeftanden, weil es in demſel—
bigen Sommer jo falt gewefen ift,
daß die Sonnenſtraählen gefroren find.
83
er wolle ihr eine neue Joppe anmeflen.
Uber der Meifter erinnerte fie höflich
an die zwei Zwanzigerlein.
„Schneider,“ ſchmunzelte fie, „gud’
einmal in den Salender. . .“
Mit dieſer Erfahrung bereichert,
fom mein Meifter Heinlaut zu mir
zurüd. „Und das,“ jo machte er end»
‚lich feinem Gemüthe Luft, „das iſt das
einfältige Wabel!“
Don dieſer Zeit an hatten wir
Sie find alles zu ſpröd' und laffen | Keine mehr im den April geichidt.
fih nicht biegen, die kann er nicht Der Staghoferin fand die neue Joppe
brauchen, der Meifter. Ich geb’ Dir!
aber einen guten Rath, Wabel, geh’
in’s Wirtshaus hinüber, lafj’ Dir für
‚MWeiberjoppen wieder einmal aufges
die zwei Zwanziger eine Halbe Wein
geben und einen Schweinsbraten und |
Dir's auf die Gefundheit des
laſſ'
Meiſters ſchmecken.“
So hat die treuherzige Magd denn
auch gethan. Als ſie am Nachmittag
nach Hauſe kam, hatte ſie ein ſo ſtrah—
lendes Geſicht, daß es ſchier hell ward
in unſerer düſteren Stube. Wir ahnten
aber nicht, daß dies die Sonnen—
ſtrahlen wären, um die wir ſie ge—
ſchickt hatten.
Den Pad mit Zucker und Kaffee
legte fie in die Hand der Bäuerin. |
„Run,“ fragte der Meifter, „und auf
uns haft vergeſſen? Was ift mit den
Sonnenftrahlen ?*
„efleles ja!” rief das Wabel,
„er bat jet feine. Alte hätt’ er noch,
jagt er, wären aber ganz abgeftanden |
und nicht mehr zu brauchen.“
Der Meifter ſchwieg und ſchmun⸗
zelte. Nach einer Weile fragte er die
Magd: „Wabel, fällt Dir nichts auf?“ |
„Bar nichts,“ antwortete fie.
„Geh',“ ſchmunzelte er, „geh',
Wabel, guck' einmal in den Kalender!“
Sie gieng ihrer Arbeit nach und
that nichts desgleichen. „Sonderbar,“
ſagte der Meiſter gegen Abend zu mir,
„ſie thut nichts desgleichen.“
Nach dem Abendinahl, als man ſich
allerſeits zum Schlafengehen rüſtete,
gieng ihr der Meiſter nach, fie blieb |
an der Kammerthür ftehen und glaubte,
land ohne Sonnenftrahlen vortrefflich
und mein Meifter bemerkte, als der
Spaß von der vornehmen Zier auf
tifcht wurde: „Mit Sonnenftrahlen
arbeiten ift nicht Jo einfach. Ach Habe
mir damit einmal die Finger ver—
brannt.“
Der Zuſchauer.
Der alte Kerl beſchloß ein weiſer
Mann zu werden und machte ſein
Teſtament. Sein Werkzeug verſchrieb
er dem Meiſter Natz, ſein Gewand
dem Trödler Abſalon, ſeine Seele Gott
dem Herrn und feinen Leib der brau—
nen Schafmarl.
Die braune Schafmarl aber fagte:
„Wozu brauch' ich ſeinen Leib, ich
hab' ſelber einen.“
„Eben deswegen,“ hatte hierauf
ein lofes Maul bemerkt, „Gott iſt
‚dreifach, und wann der Menfch Gott
ähnlich werden will, wie es auf der
wird, fo muß er
'wenigftens zwiefach fein, ſonſt Tann
er dreifach fein Lebtag nicht werden.”
So thöricht redete der lange Toni
nicht, der bejchloffen hatte, ein weiler
Mann zu werden.
„Wann fie meinen Leib nicht will,
‚die braune Schafmarl,“ fagte er, „es
macht nichts ; er foll der arınen Seel’
noch als Ansgedinghänfel gut fein,
bis fie Gott der Herr zu ſich nimmt,“
6*
Nun bedurfte aber das Ausge—
dinghäufel ein Dad. Der weife Toni
hätte fi zwar nicht geſchämt, das
84
„Du Haft ein Eintrittsgeld ge—
zahlt? Wie fo ?*
„Dder meine Eltern für mich.“
Ebenbild Gottes unverhüllt herum— „Deine Mutter vielleicht. Dein
ipazieren zu laffen, aber die Leute Vater ſchon gar nicht, der Hat bei
haben ſchwache Augen, und endlich Deinem Eintritt noch was herausbes
durfte er es auch der edlen Schneider kommen. Ja, mein Lieber! Der Ein
zumft nicht anthun, fie mit einem ' tritt in dies Theater ift umfonft ges
neuen Brauch zu Grunde zu richten. ;wejen, aber den Austritt mußt Du
Alſo der Trödler Abfalon muß das zahlen!“
Gewand noch ein wenig hängen laſſen „Ich kaprizier mich nicht auf den
auf dem langen Anton und ſonach Austritt,” lachte der Toni, „ich bleibe
darf der Meifter Na einftweilen feine meinetwegen in Ewigfeit da ſitzen und
Hand auch nicht an's Werkzeug legen, 'fchan’ der Komödie zu. Langweilig
das ibm von dem liederlichen Hands | wird mir nicht, wenn ich sehe, wie
werksburſchen Schulden halber zu Necht der dumme Zeufel gefchunden wird
verfchrieben ift.
So blieb es äußerlich beim Alten.
Mer aber, wie ich, Gelegenheit hatte,
näher mit dem Gefellen zu verkehren,
der lonnte wohl erfahren, was der
Toni für eim fchredbar weifer Mann
geworden war.
„Leute,“ jagte er troflweife, wenn
ihnen irgend etwas chief gieng, und
als der Schnaller Hies der Welt die
Drohung in das Geficht fchleuderte:
wenn fie fortfahre, jo jämmerlich zu fein,
jo werde er fich erhängen! „Leute,“ fagte
der Toni, „machen wir den Spaß mit,
jo lange er dauert. Er dauert nicht
lang und wir haben noch immer Zeit
genug, todt zu fein.“
Der Shelm! Nah diefem Grunde
ja kann der größte Weltverächter das
Leben Hundert Jahre oder länger tra-
gen. Zum Zodtjein Haben wir immer
noch Zeit genug. Der Grumdzug der
Weltanſchauung meines Gefponjes war
aber ein anderer. Sp fagte er einmal
zu mir: „Sind, die Welt ift ein
Theater.”
„Banz recht,“ warf ich ein, denn
auch ich mollte weile fein, „ein
Theater! Aber ein Trauerſpiel, und
wir müſſen mitfpielen, mein Lieber!“
„Wer Schafft (befiehlt) mir's denn?“
fragte der Toni. „Ih bin Zuschauer, |
babe mein intrittsgeld gezahlt und.
will mich unterhalten.“
und der Schlechte zieht die Häute der
Geihundenen an, bis er darunter
jelber erſtickt.“
„Schindeſt Du oder wirft geſchun—
den ?*
„Ich thu' micht mit, ich bin Zus
ihauer. Ich Pfeife oder Hatjche, und
geht’3 mich weiter nichts an.“
„Und wenn fie vor Deinen Augen
Deinen Bruder fengen und brennen ?“
„sa, mein Schäbbarer!” rief hier—
‚auf der lange Toni, „das, was man
'fo unter Brüdern Mitleid nennt, das
muß man fi abgewöhnen, fonft ift
man das elendefte Gefchöpf auf Gottes
‚Erden. Bei Auftritten, wo Du nicht
‚laden kannſt, mußt Du weidlich
Ichimpfen, und wo das auch wicht
geht, da halte Dir Augen und Ohren
zu und gib Acht, daß Dich felber
nichts zwickt.“
„Aber ehrenhalber mußt Du Dich
doch kümmern um die Mitinenfchen !“
| „Ehrenhalber ? Mein junger Ge—
noſſe und Milchbruder beim friſchen
Waſſer, was heißt ehrenhalber? Ehre
‚it das, wenn Du fo tapfer und klug
bit, Dir die beiten Biſſen zu ver-
Ihaffen, und Schande ift das, wenn
Du ein armer Schluder bleibt.“
„sa, Herr Schneidergefelle!“ rief
ich aus, „Ihr feid ja ein Nindvieh !-
„Nicht ganz genau,“ antwortete
er, „Rindvieher haben bei diefem ſchö—
‚nen Theater zwar auch feine großen
Br
Rollen, fie find Choriſten; ich aber
bin Zuschauer, und wie oft foll ich
Dir das Jagen ?*
Einmal war ein Kirchweihfeſt und
als Glanzpunkt desfelben beim Schanz—
wirt ein martialiſches Raufen. Der
lange Toni war auch dabei, aber er
dudte fi Hinter den Ofen und gudte
hervor und kicherte und fchrie „Bravo!“
als fie aneinandergeriethen. Sie zogen
die Schlagringe und Mefler, die Une
betheiligten wollten befchwichtigen, der
Zufchaner Hinter dem Ofen aber
klatſchte — als der erfte Gefchlagene
auf den Boden bingetaumelt war —
mit den Händen und fchrie: „Bravo!
Bravo!” Alsbald rief Einer: „Was
geht's Den an, Hinter dem Ofen!
Frotzeln will er uns!“ Sie zerrten
ihn hervor und tractierten ihm den
Budel unter gewaltigem Applaus aller
Anweſenden.
Als der Philoſoph arg zertrillt zur
Thür hinauswankte, zifchelte ihm Einer
zu — wetten mag ich nicht, ob ich's
nicht felber war — diesmal hätte der
Zufchauer auch feinen Theil befommen
an der Handlung, diesmal fei es ums
gelehrt geweſen, hätten die Schaufpie=
ler Beifall geflaticht. Da ward der Zu—
Shaner zum Recenjenten und knirſchte:
„Hundsgemeine Bande, das!“
Damit war es aber noch nicht
vollfommen abgethan. Die Gerechtigkeit
firedte ihre Hand aus, nahm etliche
der Raufer beim Schopf, und darunter
auch den weifen Toni. Der fei die
eigentliche Urſache, hieß es, der habe
mit feinem Gellatfche und Bravoges
ſchrei jo lange gehegt, bis die Metten
losgegangen. Wurde Hierauf der Toni
feierlich in den Gemeindekotter gethan.
Früher hatte er mehrmals geäußert,
er werde fein Lebtag nicht „ſitzen“,
dazu könne man Seinen zwingen;
fperr” man ihn Schon ein — was
übrigens unmöglich fei, weil er ich
ja grumdfäglid am nichts betheilige
— fo wolle er ftehen, damit man
nicht jagen könne, er fei eimmal „ges
ſeſſen“. Im Gemeindelotter gieng das
nun aber micht, denn der war für
‚den langen Bengel zu niedrig. Er
j fanerte alfo auf jeinem Stroh und
wenn man zum winzigen Fenſterlein
hineingudte, fo ftellte er fich todt.
Ih bin gegen fehr weife Leute
von jeher boshaft gewejen, fo rief ich
eines Tages durch das Loch hinein:
„Buten Abend, Zufchauer! Du gibft
es aber vornehm, jetzt Haft Du gar
eine Loge!“
| Er that das Klügſte des Weifen,
er ſchwieg.
| „Einen Guder haben fie Dir au
hergethan,“ fuhr ich fort, auf das
Fenſterchen dentend, „nur ein Kein
biſſel Schade, dah Dir das Haus des
‚ Gemeindevorftandes feine hintere Sei—
ten zufehrt. Ein Kehrichthaufen und
das Bretterhüttel daneben.”
„Es ift Höchft langweilig,“ knurrte
der Toni.
„Bielleiht geht Dir das Welt—
‚theater bald zu Ende,“ tröftete ich,
| „bereite Dir Dein Austrittsgeld. Wenn
die Zwei fterben, die Deinetiwegen nie=
dergeichlagen worden find, fo koſtet's
Dir bloß den Kopf.”
„Meinetwegen, wenn’ feine edles
ren Körpertheile trifft!” verfeßte er;
daraus ſchloß ih, daß er noch bei
| Humor war.
In denjelben Tagen Hatte der
DOchenberger auf feiner Dedgart Feuer
angezündet, um das abgehauene Ge—
ftrüppe zu verbrennen. Zur nächtlichen
Zeit erheflte diefes Feuer auf dem
Berghang das ganze Dorf. Ich gieng
‚zufällig zur Nachtitunde wieder am
‚Gemeindetotter vorüber. „Schläfſt Du
| ihon, Zuſchauer?“ rief ich zum Loch
hinein.
„Hol's der Teufel!” knirſchte er,
„mach', Kamerad, dab fie mich aus—
laſſen.“
„Schau, Toni, ich bin jetzt auch
auf Deinem Standpunkt; bei dieſer
Weltkomödie iſt es wirklich am beſten,
man miſcht ſich nicht drein, macht den
Zuſchauer und unterhält ſich. Man
müßt’ fonft aus der Haut fahren bei
dem Elend. Zum Beifpiel jetzt. Denk'
Dir, Toni, das Unglüd! Das Dorf
brennt. Am unteren Rand hat e3 ans
gefangen. Drei Hänfer find ſchon Hin,
=
„Höhne mich,“ fagte der Toni in
ſich zuſammenbrechend. „Höhne mid,
wie Du willft, ich hab's verdient.”
„Wenn Du fagft, Du haft es ver—
dient,“ rief ich, „Jo Haft Du es nicht
alle Schindeldächer her, fiehft Du den
Schein! Siehft Du ihn? Das ganze
Dorf gilt's! Schau Du, juft hebt ſchon
den Gemeindevorftand fein Hausdach
an zu brennen!“
Der Toni war dermaßen aufges
ſprungen, daß fein Kopf in die Dede
fchier ein Loch ſtieß. „O Freund,
edler, treuer Menfch!* rief er und
hielt die Arme zum Fenſterchen Heraus,
„befreie mich! Nette mich! Sie ver—
geilen meiner!”
„Beniere Dich nicht, verbrenne
ganz ruhig,“ jo mein Zuspruch, „mir
geichieht nichts, ich bin ſchon fo flug,
etwas zurüdzutreten, wenn mir's zu
bei werden follte. Und wenn Du mir
Thon einen Spaß machen willft: ftirb
recht heldenmüthig, jo etwas ſieht fich
innmer gut an. Halt, jegt ift mir ein
Funke an den Rod geflogen.“
„Saderments = Gefindel I" wiüthete
der Toni, „verbrennen laflen fie Eis
nen! Keine Nächftenlieb’, feine Menfch-
lichleit mehr auf der Melt!“
„Mach' Dir nichts d’raus, Kame—
rad. Es iſt eben ein Theaterbrand,
ih laſſe es gelten, aber wir jind
Zufhaner und Mitwirkende zugleich.
Leiden und mitleiden, fich freuen und
mitfreuen, das heißt Menfcheuleben.
So halten wir’, fo tragen wir’s, bis
es Mingelt und der Borhang fällt —
unter Glodenläuten der Zodtengräber
die Erdfchollen wirft auf den Sarg.”
Der Toni winmerte in feinen
Kotter.
„Gute Naht, Toni. Der Brand
ift gelöfcht. Morgen, hat der Gemeindes
vorftand gejagt, wirt Du frei, dann
ftreiche einen Theil Deines Teftaments
duch. Dein Werkzeug und Dein Ge—
wand behalte für Did. Deine Seele
magft Du Gott dem Herrn empfehlen
und Deinen Leib der braunen Schaf»
mar; Freuden auf Erd’ und im
Himmel, Freuden im Ueberfluß, aber
lauter gemeinfane. Gute Nacht, Toni.”
Ob der weile Toni twieder „thö=
richt“ genug geworden, um ein guter,
echter Mensch zu fein, ich weiß es
nicht. Wenige Tage nach feiner Bes
freiung aus dem Kotter hat er ſich
wo auch die Zufchaner mit zugrunde | bei meinem Meifter fremd gemacht und
gehen. Nichts weiter. Aber verdammıt
heiß wird’3 da, vor Deiner Loge.“
ift in die weite Welt gegangen.
87
Stationen meiner Pebenspilgerfhaft.*)
Bon Robert Hamerling.
LFehrjaßre und Wandertage.
(Schluß.)
and was iſt während dieſer Stu—
Se dien aus dem Poeten ge—
worden ?
Ich Habe ſchon erzählt, da, nach—
dem ih den „Hermann“ endgiltig
fallen gelafjen, ich mit gleichem Eifer
mich auf einen neuen dramatifchen
Plan „Aurora“ geworfen.
Es liegen einige Blätter aus jener
Zeit vor mir, mit flüchtig hingekritzel—
zeitgemäß im höchften Sinne. Den
Strom der Zeit braufen hören und
ihm die Richtung geben! Befone
nenheit! Beſonnenheit! Be
ſonnenheit! Dann ift das Höchfte
zu erwarten.“
„Der Sinn der Bachen des
Euripides: Wie der Gott Einen als
ı Teufel (Dämon) ergreift.“
| „Tiefſte Verzweiflung des Helden
ten, auf den Aurora Plan bezüglichen im zweiten Act. Er findet Orpheus
Notizen, die zwar feinen Begriff geben und Helena, die ihn aus feiner Ver—
von dieſem Plane jelbit, aber doch von | zweiflung reißen. Er macht ſich nun
den Ideen und ideellen Richtungen, | entfchloffen auf zur Wanderung. Der
welche dazumal im meinem Kopfe ſich Genuß befriedigt ihm nicht, er ſetzt
freuzten.
„Die Entwidlungsweife der Menſch—
heit an einem Individuum dargeftellt.
— Aber fein bloßes Gemälde, ſondern
eine Handlung, deren Keim ſchon
im erſten Acte liegt — eine Handlung,
einfach, Schön gegliedert — die Idee
ganz aufgegangen in ihr, jo daß das
Ganze aud ohne Symbolik faßbar und
ein durch das bloße Gefchehen inter-
eſſantes Drama bleibt —“
„Der Heros ſucht die Umgebung
in Uebereinſtimmung zu bringen, bes
wußt, duch das, was er thut,
Aurora, abſichtslos, durch das,
was fie ift.”
ſich ein univerfelles Ziel.“
„Ahasver — der nenefte Geift in
feiner Haltloſigkeit — endliche Erlö—
ſung durch Schönheit und Liebe.“
„Anfang und Ende Märchenwelt
— auch blitze ſie unterwegs öfter in
das Werk hinein.” U. ſ. w., u. ſ. w.
Aber es blieb auch bei dieſem
Plane nicht. Eines Tages vollzog ſich
eine förmliche „Kriſe“, eine Umwäl—
zung, eine völlige Neugeſtaltung des—
ſelben — das Ergebnis einer be—
geiſterten Stunde, die ihrerſeits wieder
zurüdzuführen war auf die Spende
eines — Gläschens Punſch aus der
Hand eines ſchönen jungen Mädchens,
„Dämoniſch nennen twir Sterbliche | einer Nachbarin, von welcher ich ſpäter—
das Göttliche jelbft, wo wir es nicht hin mod zu erzählen haben werde.
begreifen, jagt Feuchtersleben. Dies In feiner überſchwänglichen Weife bes
und Der große Proceß unferer Tage | richtet dad Tagebuh vom 13. Yes
foll dargefteflt werden — politisch und | bruar 1850:
*) Eiche Heimgarten 1883, Mai; 1885, März April, October:November; 1886,
Juni-Juli, October.
88
„Der wichtigfte, vielleicht folgen
reichfte Tag meines Lebens! — Ju
Roſa's Familie war geftern Unterhalz
tung mit Punsch, und von dieſem
ſchickte mir Roja heute früh ein jehr
Heines Gläschen vofl herüber. Kleine
Geſchenke Find die erfreulichſten; man
lichen Bewußtſein zurück und vor mir
‚auf dem Papier fand ich Idee und
Plan der Tragödie „Phasverus.“
Co wurde der Geift, der im der
‚Hlüffigleit des Punſches geichlummtert,
in mir, dem Poeten, dDihtend!’—
Nun, was ih am jenem „wich—
gibt fie, bloß um zu geben und guten, tigften und folgenreichften Tage meines
Willen zu bezeigen, während große, Lebens“ als dee und Plan der Tra—
Gaben immer den Anfchein von Wohl: | gödie Ahasverus auf's Papier ge—
thaten und Almoſen haben. Wie flüf | worfen fand, als ich „zum gewöhnz
figes Heuer ſtrömten die geiftigen lichen Bewußtſein zurückkehrte“, das
Tropfen mir durch Adern und Nerven liegt auf drei vergilbten Blättern
— ih fühlte mich in efftatifche Be⸗ | ebenfalls vor mir. Aber ich bin nur
geifterung verfeßt, Fühlte mich aufges | mit einiger Mühe im Stande, eine
legt zu einer göttlichen That! ‚nothdürftige Ueberfiht des Veabſich—
Und die Blätter der Weltgefchichte tigten daraus herzuftellen.
lagen vor mir aufgerollt — lange I. Act. Reflexionsloſes, feliges
haftete mein verklärter Blid darauf — Naturleben des Urmenſchen (Ahasver).
und fiehe, die Buchftaben verſchwam- Lucifer, ſich zu ihm gefellend, zeigt
men in ein wirres Chaos von Blüten, ihm die Herrlichkeit der Welt und
Moder, Blut, Molchen Goldfrüchten, | yerführt ihn.
blauen Augen, Harfenklängen, Kanos| Siündenfall (Reflerion) — Fluch.
nendonner, Todesachzen — — — UMd Dem YAusgeftoßenen aus dem Para-
aus den Wogen dieſes chaolifchen dieſe wird ein Exlöfer verheisen. Er
Meeres hob fi eim edles, bleiches, | verlaßt das Paradies mit ber Gabe des
männliches Antlig, in welden der Gedanten's — und einem Fortis
Ausdrud — Wehmuth ver- natusfäckel — aber unfelig.
eint mit prometheiſchem Trotze lag. ——
Tief ſchaute ich im ſein flammendes a
Auge und rief in hoher Begeifterung: | ſich zu Ahasver. Poefie — Kunft —
„Ahbasverus! Ahbasverus!
Warum ift Deine Wange noch bleich,
Dein Auge noch müd und brennend?
‚Schönheit — Das Weibliche.
III. Act. Am Schluß diefes Actes
die befannte Scene mit Ehriftus.
Warum irrſt Du noch im unbefries J ſt.
digter Sehnfucht frieden- und freudelos Losſagung von der poſitiven Religion.
durch die weite, ſchöne Welt? Harrſt Von da an ſteht Ahasver allein auf
Du eines überirdiſchen Exlöfers? Nein, | ſich — der Paradiefesfluh beginnt
hehrer Titane, Du haft den äußeren nun erſt recht lich an ihm zu erfüllen
Meſſias verfhmäht, ihn von Dir ges und zu vervielfachen.
ftoßen — nun denn, fo erlöfe endlich IV. Act. Die Geburtswehen des
Dich ſelbſt! Ja, erlöfe Dich ſelbſt! ſelbſtbewußten Geiftes, der den äuße—
Du kaunnſt es, wenn Du ſtrebeſt, ren Schwerpunkt aufgegeben und den
ganzer Menſch zu ſein — wenn Du inneren noch nicht gefunden hat —
nicht bloß Mann biſt, ſondern auch Hieraus entſtehende Umwälzungen —
die Weiblichkeit in Dich auf- Lucifer iſt beſonders thätig. — Ahas—
nimmſt — die Arbeit der Männlich- ver hat ſich nun zur That ent—
keit vereint mit der Magie des Weib- ſchloſfen, tritt an die Spitze einer
lichen werden die göttliche That Deiner großen politiſchen Bewegung — Greuel
Selbſterlöſung vollführen! — — — — Mißlingen — Strafe des Düne
Mein Geiſt fehrte zum gewöhn- kels, der die Vorrechte des freien
Geiftes ohne feine Würde will —
Folgen davon. Unfere Zeit.
V. Act. Erlöfung. Ahasver hat
die Melt durhwandert — die Männ—
lichkeit, welche duch Thatkraft das
Merk der Neflerion, des Berftandes,
des Gedanfens vollenden wollte, kann
es ſchließlich nur im Bunde mit der
Magie des ewig Weiblichen (Natur und
Gemüth). Der Kreis des menschlichen
Strebens iſt vollendet, und es tritt
num wieder die Seligkeit des alten
Paradiefes ein.
Es tauchen, wie man fieht, in
dieſen Ahasver-Entwurfe Motive und
Geftalten des Aurora-Entwurfes wies
der auf, Aber Ahasver, der in diefem
nur eine Nebenrolle gefpielt, ift jetzt
zur Dauptperfon geworden. Es war
nicht die leßte gründliche Ummälzung
und Umwandlung, welchen der poeti—
sche Hauptplan meiner Jugend durch—
zumachen hatte. Aus den dramatifchen
Entwürfen geftaltete nah und nad)
ein epifcher ſich heraus, deflen endliche,
ſpäte Ausführung michts Anderes ift,
als die feit 1857 der Lefewelt vor—
liegende Dichtung „Venus im Exil.“
Es befindet ſich unter meinen Pas
pieren eine furze Skizze diefer epifchen
Dichtung, in welchem noch Vieles aus
den Aurora Plan und ſelbſt noch der
Titel „Aurora“ feitgehalten ift, wäh—
rend das gedrudte Merk kaum noch
eine Spur davon aufweist,
Uebel vermerkt es vielleiht Mans
89
haben. Hätte nur zur Durhführung
jener Ideen meine jugendliche Kraft
ausgereicht, Jo wären die Ideen ſelbſt
nicht von Uebel gemwejen. Uebrigens
war e3 ja doch nicht die falte, abftracte
Idee, von welcher ich ansgieng ; irgend
eine Geftalt der Sage, der Gefchichte,
ein Erlebnis, ein Gefchehnis war es,
was zuerst den zündenden Funken im
| mein Inneres warf, und erft wenn
aus dem Symbol die dee ich los—
| gerungen, gieng es an’s gedantenhafte
| Bertiefen, welches doch wohl ein reales
Geſtalten nicht ausschließt.
Auch der bejtändige Fluß, die
Proteusnatur meiner jugendlichen Ent=
würfe darf nicht befremden. Da im
Innern des Jünglings ebenfo viele
‚Gedanken als Gefühle gähren, fo ift
‚es naturlich, daß er jene wie dieſe jo
‚dollftändig als möglich in feinem Erſt—
‚lingswerfe unterbringen will. Inden
num aber diefe Gedanken- und Ge—
fühlswelt bei den ralchen Fortichritten
‚der jugendlihen Entwidlung beſtän—
digen Wandlungen unterworfen ift, To
ſprengt der wachjende und fich wan—
delnde Gehalt immer wieder die Form,
‚die er gefunden zu haben glaubte, bis
‚der Strebende bei größerer Reife merkt,
| daß einem wirklichen Geftaltungsdrange
nur durch Beſchränkung Genüge ges
‚leiftet werden kann.
| Zu den hochfliegenden und weit—
ausjehenden dramatifchen Plänen
meiner damaligen Epoche bildete die
!
|
her, daß ich bei meinen poetifchen Einfachheit meiner gleichzeitigen Iyris
Entwürfen mir fo viel mit Ideen ſchen Verſuche einen nicht bedentungs—
zu Schaffen machte. Aber das Denken loſen Gegenfag. Vielleicht war und ift
ift eine Gewöhnung, welcher — wenige diefer Gegenfab nicht bloß in meiner
tens in den höheren Dichtgattungen | perföntichen Natur, ſondern auch in
— mehr oder wenig fih alle deut: ‚der Natur diefer beiden Dichtgattungen
ihen Poeten ſchuldig machen. Man begründet. Breite, fogenannte Re—
nehme Goethe's und Schiller’ Brief:
wechjel zur Hand, und man wird er=
ftaunen, wie viel felbft unfere größten
deutichen Dichter der „naide“
Goethe nicht zum wenigften — bei
ihren ſcheinbar einfachften Arbeiten
gedacht, gegrübelt, gewollt, beabfichtigt,
Iymbolifiert und „hineingeheimnißt“
flexionslhrik war nicht meine Sache.
Ich versuchte mich am liebſten im
‚ Liede, neben welchem fat nur noch
die Sonettforn bei mir fich einſchmei—
chelte. Goethe's Lyrik und das Volks—
‚lied waren mir dor Allem wert. Nach)
einer Durchſicht des Göpel'ſchen „Lie—
der- und Commersbuches“ und des
90
Halle'ſchen „Liederbuches für deutſche ſchöner Traum, Ganyıned,
Studenten“ ſchrieb ih am 2. April
1849 in's Tagebuch:
„Bas ift’E, das aus den Tra—
gödien des Sophofles wie aus dem
ſchlichten Volksliede uns anweht mit
olympiſchem Hauch? — Natur iſt's!
Natur! — Das echte Volkslied iſt der
Gipfel der Lyrik. Es drückt einen
ſchönen Lebensgedanken aus in claſſi—
ſcher Kürze, in Ausdrücken, die nur
der finden konnte, der das Ausge—
ſprochene ſelbſt erlebte; und endlich
bei der innigften Gemüthstiefe mit
einer Objectivität, die und den Ge—
fühlsftoff in reinfter Kunſtform, d. h.
allfeitig Har und überfhaubar darz
ftellt, jo daß ein ſolches Lied, wenns | Poeten zu verjchaffen.
gleich der Inhalt traurig und düſter
fein follte, doch heiter und innerlich
befreiend, als ein echtes Kunſtwerk,
uns anfpricht. So hat 3. B. das Lied
„Ich ſchieß' den Hirfch im
tiefen | veranlaßte, etwas beizufteuern,
Herzloſe
Schönheit, Freudloſe Jugend, Roſen—
lied, Ich ſeh' Dich heut zum erſten
Mal, die Ghaſelen: Ich will ja nichts,
Spielzeug.
Ein Anzahl diefer aus früher
Zeit ftammenden Lieder ift hernach in
die Dihtung „Venus im Exil“ vers
flochten worden.
Im Herbfte 1851 erjchienen von
mir einige Gedihte in Gruppe’s
Mufenalmanad für 1852: An
Sidonie, Mein Herz ift in der Ferne,
und Liebesgruß (Ich bin Dir, ad, fo
ferne). Gruppe hatte fih an einen
Miener Freund mit dem Erfuchen
gewendet, ihm Beiträge von Wiener
Diefer raffte
zufammen, was ihm unter die Hände
fan, zum Theil von ganz unbekann—
ten jungen Leuten, von denen einer,
der mir befreundet war, auch mich
und
Hort“ jo viel naturwahre Züge aus | Gruppe nahm diefe Wiener Beiträge,
dem Wald» und Yägerleben, daß nur neben dem vielen Trefflichen, das ge—
ein Jäger es gedichtet haben kann. rade jener Muſen-Almanach von 1852
So etwas ergößt uns dann auch mehr, enthielt, mit einer merkwürdigen Nach—
als die ſchönſte Ode, wenn fie bar
ift aller individuellen Lebenszüge*. .
Bon den in „Sinnen u nd
Minnen“ aufgenommenen und auch,
in den ſpäteren Auflagen beibehalz | Kritit — eine Kritik,
tenen Gedichten entftanden in der hier
behandelten Periode meines Lebens die
folgenden:
ſicht auf.
Bei diefer Gelegenheit bin ich zwar
‚nicht zum erſten Male gedrudt wor—
den, erlebte aber die erjte öffentliche
mit welcher
meine eigentliche literarische Laufbahn
nicht viel beſſer anfieng als die Woche
des am Montag Gehenkten. Die k.k.
Im Jahre 1848: Die Lerchen, | Wiener Zeitung machte fich über den
Liebesgejpielen ; 1850: Wanderlied | Almanach her und xupfte unbarm—
(Wohlauf in’s neue Leben), Sonne herzig uns arme Wiener Neſtlinge, die
und Strom (haſel), die Sonette: wir uns erdreiſtet hatten, im Chorus
Ein weller Kranz, Letzter Reigen, | der deutjchen Sänger vorzeitig mitzus
Gewitter im Walde; 1851: Die Braut zwitichern. Sie that uns in alpha=
(Romanze), Elfenrede, Zarte Liebe, betdifcher Ordnung ab. Ich ſuchte in
ſpricht in Farben ; die Sonette: An | Fliegender Haft meinen Namen. Da
Jadviga, Ermüde nicht, Aſpaſia; 1852: | ftand zu leſen: „Hamerling —
Lebe wohl (Nun ich Dein Auge feucht fiehe Eiſenmeyer.“ Mein jpähender
geſeh'n), Zweites Wanderlied (An den Bid flürzte ſich mit Ungeduld auf
Höhen, an den Wäldern), drittes. Eifenmayer; da hieß es: „Berfe,
(Reich' mir, Schenkin), Meine Lilie, | wie man ſie auf Bonbonsſchachteln zu
Klänge und Schmerzen, Lenzeszwang, ſetzen pflegt.“ Im Augenblid wußte
Im Frühling, In der Waldjchlucht, lid nicht recht, ob das ein Lob oder
Viel Träume, Meine Braut, Ein ein Tadel fein folle und gas mir ein
9
paar Tage lang viele Mühe, Bonbons
ſchachteln zu Gefichte zu befommen,
um zu erfahren, von welcher Art denn
die Verſe feien, die man auf folde
Schachteln zu feßen pflegt, und mit
welchen gerade meine und Eiſenmayer's
Lyrik eine jo auffallende Aehnlichkeit
haben jollte.
Vielleicht Hätte ich den Umſtand,
daß es zufällig die f. f. Wiener Zei—
tung war, durch welche ich zum erften
mal in Ddiefer Art vecenfiert wurde,
gleih damals als ein Vorzeichen be=
trachten können für meine künftige
Stellung gegenüber der officiellen und
officiöfen Literaturkritik in Oeſterreich
— vorausgeſetzt, daß es eine folche gibt.
Aber id muß nun auch von
deu Wandertagen ſprechen, den
Oetſcher befteigen wollten — auf
den Wellen des breiten Donauftromes
uns in Booten jchaufelten — wie
wir einmal zwei Tage lang in ſtrö—
mendem Regen giengen, Kleider und
Schuhe an den Herden der Dorf:
Schenken trodnend, in welchen wir ein=
fprahen — mie einmal ſchon nahe
vor dem legten Ziel der Wanderfchaft
ein Landregen mich bei Bruckner's
Eltern in Grafenſchlag Feitgielt, wo
wir Tag für Tag Morgens Milchfuppe,
Mittags Milchfuppe und Startoffeln,
Abends Kartoffeln Hatten, an welche
Koft ich mich wunderbar ſchnell ge=
wöhnte — wie dann auch Brudner
zu Schweiggers manchmal wochenlang
der Gaft des Gaftes im Haufe meiner
Verwandten war — wie wir mitfams
Yeltzeiten meiner Lehrjahre. Die Zeit men die Gegend durchftreiften und auf
diefer Wanderungen waren die Som—
merferien, ihr legtes Ziel die Heimat
in der niederöfterreichischen Waldmark
zwifchen der Thaya und dem Kamp,
der Weg ein beliebiger, wochenlanger
Umweg, der durch mehr oder weniger
reizende Gegenden des Kronlandes ſich
fchlängelte. Brudner war dabei mein
unzertrennlicher Genoffe.
Ich könnte viel davon erzählen,
wie wir, die blaue Donau von Krems |
Kirchweihfeſien tanzten. Davon und
von meinem Aufenthalte in Schweig—
ger, ſowie dem bei Onkel Leopold
in Kirchberg am Walde könnte ich er=
zählen. Aber ich will lieber früher
oder jpäter Urkundliches aus meinen
Ferientagebüchern mittheilen, welche
nicht bloß mein Thun und Treiben,
Dichten und Trachten, Schwärmen
und Träumen im der Heimat am
beiten jchildern, ſondern auch einer
bis Weißkirchen entlang wandernd, in Mädchengeftalt ihr Necht widerfahren
den Felsgrotten am Stromufer Naft lafjen werden, Die beanfpruchen darf,
hielten, das Göpel'ſche Commersbuch in der Gejchichte meiner Jugend dem
bervorholten und fröhlichen Liederſchall Leſer vorgeſtellt zu werden: der „Lilie“
in's Ranſchen des Stromes mifchten von Schweiggers — meiner Wald—
— tie wir eine ausnehmend holde lilie — der Heldin eines noch vor—
Schenkin zu Weißkirhen an der Donan | handenen Sonettenfranzes.
Jahr für Jahr bei flüchtiger Gintepr) Hier fei nur Eines noch erwähnt:
mit Vergnügen wiederfahen — wie dab zu Schweiggers und Kirchberg am
wir alle die ſchönen Stifter, Heiligen= | Walde viele der früher erwähnten, in
freuz, Lilienfeld, Göttweih, Melk, bes
fuchten und nach fahrender Studenten
Brauch die Gaftfreundichaft derfelben
genofjen — wie wir jeßt zur Seite,
der entzückend-kryſtallklaren Zraifen,
jet zur Seite des braufenden Aggs—
baches fürbaß ſchritten, die wild»
romantische Wachau durchpilgerten —
zu ragenden Felsburgruinen empor—
ſchauten und emporkletterten — den
„Sinnen und Minnen“ aufgenommenen
Jugendgedichte entſtanden. Drei der
am meiſten belaunt gewordenen: „In
der Waldſchlucht“, „Viel Träume“,
und „Ganymed“, wurden im Schatten
‚der Niefentannen und Riefeneichen des
Thiergartens zu Kirchberg am Walde
gedichtet.
Der Einklang mit meinem Jugend
‚freunde blieb doch auch nicht immer
völlig ungeflört. Eine VBerwandtfchaft, | lehramt vorbereitete, während ich meine
welche zwei Stnabenfeelen vereinigte, Studien an der Univerfität fortjeßte.
wird fich nicht leicht in gleichem Maße) So fiengen wir an uns immer feltener
auch auf das entwidelte und reifere' zu fehen. Er übernahm eine Sup—
Jünglings- oder Mannesalter erfireden. | plentenftelle an der Realſchule in Ofen,
Zwei Blüten von gleicher Geftalt auf und eines Tages — es war im Jahre
einem Baume twerden fich ſchwerlich 1853 — überraſchte er mich mit der
auch zu zwei richten von völlig brieflihen Nachricht feiner bevorftehen-
gleicher Geftalt und Größe entwideln. | den Hochzeit. Ich beiheiligte mich an
Brudner, derſelbe Brudner, der Jahre der Freier mit folgendem Sonett, das
lang ſich mothdürftiger als ich hatte) als Denkmal der wärnften und dauernd—
durchichlagen und ein paar Mal jein | ften meiner Jugendfreundfchaften hier
Nachtquartier unter freiem Himmel eine Stelle finden mag:
hatte nehmen müſſen, wurde fast zum
Feinſchmecker, als feine Verhältniſſe „Biſt Du es nicht, mit dem ich lange Zeiten,
ih etwas behaglicher geftalteten, und
es that dem guten Einvernehmen der
Wandergenoſſen manchmal einigen Ein
trag, daß der Freund des Geldes wenig
achtete, während ich mit dem Kleinen
Betrag, den ich beim Abgange von
Wien in der Tafche Hatte, für fo und
jo viel Tage oder Mochen ausreichen
mußte und wirklich ausreichte.
Mir war e3 eigen, frisch von der
Leber weg zu ſprechen; Bruckner zog
vor, den Kopf zu drehen oder in feine
Fauſt zu beißen, empfand aber Alles
um fo tiefer, befaß eine große Selbſt—
tändigfeit des Charakters und einen
gewiflen Stolz, die ihn vberanlaßteı,
Nathichlägen oder Mahnungen gegen:
über ſich Schweigend auf ſich ſelbſt
zurüdzuziehen.
So fehlte es zwiſchen uns nicht
an einem Gegenſatz. Aber e3 waren
zunächft doch nur Äußere VBerhältniffe,
die ums allmählich trennten, Brudner
übernahm Privatlehritunden in einer
Familie, im welcher er bald wie hei—
mifch wurde. Er fand im diefer Fa—
milie das Mädchen, das er wenige
Jahre nachher zum Zranaltar führte.
Es ift begreiftich, daß ein ſolches Vers
hältnis ihm dem täglichen Verkehr mit
dem Freunde entrüdte, um fo mehr,
da er jeßt in der Nähe jener Familie,
am entgegengefegten Ende der Stadt,
feine Behanfung auffchlug, eine Stunde
Weges von der meinigen entfernt.
Dazu kam, daß er lich aufdas Realfchul-
Ya, lange Jahre, die gemach verflofien,
Selbander gehend, ſtrebſam durchgenoſſen
Der Hoffnung Luft und rauhe Wirllichkeiten ?
Mo fänd' ich je, wo fändeft Du den Zweiten ?
Wir lebten faft, ſprichwörtliche Genoſſen,
Bald forgenvoll vom ftillen Dah um:
N ſchloſſen,
Bald fröhlich wandernd durch die grünen
Weiten.
Fern auseinander hält uns jeht daS Leben:
Ich darfan feiner treuen Bruft erwarnıen,
ı Nur einam aufwärts wie der Adler ftreben;
Dich bettet Hymen weich in Liebesarmen! —
O lächle nicht! Nur Antwort wollt’ ich
geben,
Und jchreibe nun beinah' ein Hochzeitscar:
men!"
Bruder machte mir bald darauf
einen Nbjchiedsbefuh in Unter» St,
Veit bei Wien, wo ich mich eben auf:
hielt. Wir brachten einige Stunden
mit einander in traulichem Gefpräche
zu und verficherten uns wechjelfeitig,
daß wir nichts gegen einander auf
den Herzen hälten, daß es eben wur
die Zeit und die Verhältniffe feien,
welche ihre Nechte geltend machten
unter dem twechlelnden Mond. Bon
diefer Art find die Nedensarten, mit
| welchen man die großen Riſſe und
Sprünge im Gefüge des inneren Les
|bens zu übertünchen ſucht. Auch die
Freundſchaft ift ein indisch’ Ding, und
dein folches nimmt ein matürliches
Ende: eine Wahrheit, die ich zwar
früh begriff, in die ich aber für meine
93
Perfon mich erſt Spät zu finden und | „genial,“ Der Himmel weiß, was den
zu fügen lernte,
Brudner erhielt eine definitive An—
ftellung an einer Belter Realſchule.
Zu Anfang der Sechäziger:Jahre ge—
langte an mich die Nachricht von ſei—
nem plößlichen und Spurlofen Ver—
ſchwinden. Man glaubt, daß er den
Tod in den Wellen der Donau ge—
ſucht; aber fein Leichnam ift nie ges
funden worden und auch die Beweg—
gründe zu feinem freiwilligen Ver—
Shwinden find nicht aufgeltärt. Die
innere Leidenfchaftlichleit bei äußerer
Verfchloffenheit, die ihm Schon im der
Ingend gefennzeichnet hatte, mag fich
bei ihm zu einer Seelenfrantheit ge:
fteigert haben, welcher er erlag.
Aber das Bild Diefes meines
älteften und vertrauteften Freundes
lebt in blühenden Söhnen und Töch-
tern fort, umd einer der Söhne, Dr.
Bruno Brufner, ein hoffnungsvoller,
edeldenfender und warmfühlender jun—
ger Mann, bat e3 fich zur Ehrenfache
gemacht, die freumdfchaftlichen Be—
ziehungen, welche den Namen Bruder
mit dem meinigen verknüpfen, nicht
ganz erlöfchen zu laſſen.
Die nächfte Stelle nah Brudner
nimmt in der Reihe meiner Jugend
freunde Johann Gebhart ein. Es
mag im Jahre 1848 oder 1849 ge=
weſen fein, daß ich zuerst feine Be—
beweglihen jungen Mann, dem es
nicht an Gefellfchaft fehlte, zu dem
Nillen Träumer hinzog; er kam fo oft
als möglich im unfere Stube geramnt,
erzählte im leidenjchaftlicher Aufregung
und fprudelnder Rede feine Tages—
erlebniffe, gab mir von den Theater—
vorftellungen, die er befucht Hatte,
nicht bloß Bericht, ſondern agierte
und declamierte mir die aufgeführten
Stüde mit draftifcher Wiedergabe der
Eigenheiten und Manieren aller Schaue
jpieler, welche darin befchäftigt waren,
vor, oder riß meine Geige von der
Wand und parodierte eben fo glüdlich
in halsbrecherischen Länfen und Sprün-
gen die Art eines Geigenpirtuofen,
den er Tags zuvor im Concerte ge=
hört hatte. Genial, wie gejagt, und
wißig, regte er durch Heine Nedereien
auch meine Laune an, und es fanden
förmliche Wigduelle zwijchen uns bei—
den Statt, jo daß er einmal einen
Freund, der es ihm micht glauben
wollte, daß ich auch muthwiflig fein
fönnte, zu mie mitbrachte, bloß um
Zeuge eined folchen Zweilampfes zu
fein. Von meiner Poeſie hielt er nicht
viel, wohl aber von meiner Gelehr-
ſamkeit, während Brudner mich für
einen guten Poeten nahm, aber den
Gelehrten in mir iiber die Achſel anſah.
Gebhart ſchrieb auch eine Tra—
gödie „Zwei deutſche Kaiſer“, welche
fanntfchaft machte. Sein Weſen war von Grillparzer im Manuſcript mit
dem Bruckners jo unähnlich als mög- | Beifall geleſen wurde, aber nicht in
lich, und auch dem meinigen fo wenig
verwandt, daß ich anfangs nicht glaubte,
in ein näheres Verhältnis zu ihm ver—
flochten zu werden. Dennoch geichah
ed. Ein junger Menſch von gefälligem
Aeußern, gewandten Manieren, leicht:
lebigem Charakter, lebhaft, gejellig und
beredt, wollte er fich zur Zeit, als ich
ihn kennen lernte, der theatralifchen
Laufbahn widmen und nahın Stunden |
die Oeffentlichfeit gelangte.
Die geniale Periode im Leben
Gebharts endete am Ausgang von
mancherlei Lebensirrwegen, die ihn
mir entfremdeten, mit einer Anftellung
als Profeſſor — auch Du, Brutus ?
— an einer Realichule.
Eine warme, auf Achtung und herz—
lihe Zuneigung gegründete Freund—
Ichaft verfnüpfte mich ein paar Jahre
in der Bortragstunft, wenn ich nicht lang mit Eduard Hamerski, einem
irre, bei einem Hofſchauſpieler. Neben- jungen Polen aus Galizien, der im
bei machte er Verfe, fpielte die Geige, hiſtoriſchen Seminar mein College
und benahm fich in jeder Beziehung war und fich auf das Gymmafiallehr-
04
amt vorbereitete. Es beftand zwiſchen
uns feine Gemeinfamteit poetifcher oder
fonfliger Beftrebungen, aber die ideale
und gefühlswarme Natur des jungen
Mannes knüpfte zwifchen uns das
Band eines ſympathiſchen Verkehrs,
deſſen ich mich gern erinnere.
Die einzige meiner Jugendfreunds
Ichaften jedoch, welcher es durch die
Verhältniſſe geftattet war, ich bis in’s
Mannesalter fortzufpinnen, war die
mit Leopold? Schulz dv. Strasznicli,
dem Sohne des rühmlich bekannten
Miener Mathematilers und Schul—
mannes. Leider wurde auch dieſer
Freund mir noch allzufrüh entriſſen.
In verhältnismäßig jungen Jahren
zur Stelle eines Sectionsratbhes im
— — vorgerückt, ver—
fiel er, ein Mann, der zu einer glän—
zenden Laufbahn berufen ſchien, in
unbeilbaren Irrſinn, ans deflen Um—
nachtung ihn vor einigen Jahren der
Tod befreite. Als eine edle Natur,
feingebildet, von beftechender Liebens-
wiirdigfeit, lebt er fort in meinem
Gedächtnis.
Ich Habe nicht umhin
gekonnt,
bier Derjenigen zu gedenken, deren
freundichaftlihe Hingebung meinen
jugendlichen Lebenspfad erfreulicher
machte. Thäte ich aber recht, nicht auch
Wenn ich bei dieſer Gelegenheit
eine ziemliche Anzahl weiblicher Ge—
ſtalten die Muſterung paſſieren laſſe,
jo wird gegen den Vorwurf der Flat—
terhaftigfeit mich die Beichaffenheit der
Beziehungen ſchützen. Auch kann ich
zur Beruhigung des Leſers verſichern,
daß ich in keinem ſpäteren Abſchnitte
meiner Lebensſtkizze wieder fo vielerlei
von Ddiefer Art zu erzählen Haben
werde.
Das Tagebuch berichtet von Frühe
lingstagen, wo „der lang eingefruftet
gewejene Quell meiner Poeſie“ im
Belvedere: Garten unter einem jchönen
warmen Srühlingshimmel und unter
denn Augenſtrahl eines in der Nähe
| figenden jungen Mädchens plößlich wies
der aufthaute — von Tagen, wo unter
jolden Umftänden aus trüben Schmer—
zen mir beitere Lieder entftanden, „wie
die dunkelſchwarze Flut fih an Klip—
‚pen zu hellweißen Perlen bricht“ —
von Abenden auf dem Waſſerglacis,
wo ih an Brudner’s Seite hinter
‚einer einſam wandelnden Huldgeftalt,
hinter einem „feinen, behenden Figür—
‚chen, mit zartem, roſigem Gefichtchei,
| fenrigebeweglichen Augen und einem
‚Heinen rothen Mündchen“ einhergieng,
‚bis ein latonifch-derbes, aufflärendes
Wort des älteren und erfahrneren
der Blumen zu gedenken, welche die, ‚Freundes mich aus dem Himmel des
Meiblihfeit auf meinen Weg Idealismus riß — eines Idealismus,
freute? Es foll nur in dem Maße der bei mir ziemlich lange herrſchend
geſchehen, als es der Zweck einer Le⸗ geblieben iſt.
bensgeſchichte an und für ſich erheiſcht. | Eines Tages traf ich bei Brudner
Die Stellung eines Menjchen zur zwei junge Mädchen, „friſche Men—
Weiblichkeit ift immer bedeutfan,- und fehenblüten, Naturkinder, obgleich übri⸗
wenn ich feſtſtelle, von welcher Art meine gens Trampelthierchen“, wie das Tage—
Herzensangelegenheiten in der Epoche, buch vom 22. Juli 1849 ſich aus—
um welche es ſich handelt, waren, ſo
dürfte dies dem Leſer genügen, der
von dieſer Skizze nicht mehr erwartet,
als fie fein will: der kurze, treue
Dericht eines Sehr einfachen Lebens
laufes, einzig zu dem Zwecke nieder-
geichrieben, den willfürliden
Phantaſien der Verfafjer „bio-
grapbifher Skizzen” einen
Niegelvorzufchieben.
drückt. „Mir,“ fo beißt es weiter,
„der ich durch Umftände vom Leben
ziemlich fern gehalten bin, gewährt
‚die geringfügigfte Lebenserfcheinung
‚großes Intereffe. Es war für mid
‚ein Schmaus, zu beobachten, wie die
guten Kinder fo altllug und haus—
miltterlich Sprachen, wie fie die Lieder,
die wir fie lehrten, jo ſchnell merkten,
wie bie und da ein Liebesflänmmchen
95
auffladerte. O es ift ein Glühen, deren der Lefer aus einem früheren
Blühen, Entfalten, Eleftrifieren und | Abfchnitte dieſer Mittheilungen ſich
Ausftrahlen, wenn jugendliche reine erinnern wird, und im welcher ich
Gemüther beiderlei Gejchlechts in Bes | fortfuhr, an freien Nachmittagen zu
rührung kommen und fich naiv ihren | Uebungen auf dem Glavier mich ein—
Empfindungen überlaffen! — Wie! zufinden, waren nah Regiswinda’s
läutert Schönheit und Liebe — er- | Verheiratung ein Paar Mädchenblüten
Icheine fie num als blaues Auge, als herangediehben, auf welche ich einen
ein Curtiustod oder als Waldblumen= | Theil der ftillen Huldigung, die ich
duft — — 08 regnen ja vielerlei der älteren Schwefter gewidinet Hatte,
Schönheits- und Liebesblüten vom übertrug. Ich pflegte fie bei mir jelbit
Baume der Schöpfung! — die „Blume“ und das „Vöglein“ zu
„Nun verftehe ich,“ fagte ich zu nennen, weil die eine ſchön, ftill und
Brudner, als die Mädchen fort waren, | ernft wie eine Blume war, die andere
„nun verftehe ich die Liebezrofen Goes | herzig und munter wie ein Vogel. Die
the's (Fauſt, 2. Theil, 5. Act). Got- Blume nannte ih in Verſen auch
tesfunten, fallen fie nieder, vermählen | Iduna. In ihr ſchien mir etwas von
fih dem verwandten promelheiichen dem madonnenhaften Ernfte und der
Funken (der Schönheit), der im Weſen | Sanftheit Regiswinda’s fi zu er—
glimmt, verzehren fein Häßliches, und | neuen, aber mehr von dem Ernſte als
es brennt mehr oder weniger unge- von der Sanftheit.
trübt die Rofenflanme der Schönheit Lebhafter geftalteten fich die Be—
und Liebe. Nur auf Mephifto, den | ziehungen zu der erwähnten „Lilie.*
abfolut Häßlichen, können dieſe Ihr ftand als anmuthiges Gegenftüd
Roſen (Schönheits- und Liebesblüten) | eine blühende Schweiter, die „Nofe”,
feine gute Wirkung üben! Ein Funke) gegenüber. Das poetiſch-erotiſche Wald—
Schönheit muß im Wefen noch glims | idyfl, das in den Ferienmonaten zu
men, wenn es das Schöne ergreifen Schweiggers ſich abjpielte, deſſen han—
foll. Wenn aber dann Schönes das | delnde Perfon ich aber freilich fait
Schöne liebend umfaßt, fo ift es allein war, ift nebft dem dazu gehörigen
felig. Gegenfeitige Erfaffung des | Sonettentranze aufbehalten in meinem
Schönen ift Liebe, ift Seligleit — Ferientagebuch von 1850, das ich dem
ift Selbfibefhauung, Selbftfeligfeit Lefer Später vorzulegen gedente.
Höchſten! — — — D wie viel lerne Ich komme auf jene Rofa zurüd,
ih,“ fügte ich noch bei, „weiblichen , von welcher mir an dem Tage, welcher
Weſen gegenüber!” ‚der „tolgenreichfte und wichtigfte mei—
Brudner lächelte, weil ev mich nicht nes Lebens” hätte werden follen, dos
verftand, ſagte aber glei) darauf : | begeifternde Gläschen Punsch credenzt
„Studieren thu' ich zwar nichts bei | worden war. Diefes zarte, ſchlanke
den Mädchen, aber e3 wird mir unter Geſchopf— das Kind einer mittellofen
ihnen jo wohl, wie einem Hund mit Yamilie, die Thür an Thür neben
Flöhen, wenn er in’3 Waſſer kommt!“ | uns wohnte, war die Geliebte eines
— ,„D berlih, herrlich, Freund: feither berühmt gewordenen Architekten,
Brudner! Das war zwar fein Hegel’= | ber fie an Sonntag-Nachmittagen im
ches, aber ein Jean Paul’sches, ein | Wagen zu Spazierfahrten abholte. An
Leibgeber'ſches Wort! Ich werde es | Mocentagen aber war fie nichts weiter
nicht vergeffen. Du verfpürteft die als Arbeiterin in einer Druderei. Sie
Goethe'ſchen »Rofen«! Du dentft | hatte ein feines Weſen, das über diejen
nicht wie ich, aber Du fühlſt wie, ihren Stand und Beruf binausgieng.
ih!" — Doch ich halte mich lieber wieder an die
In der Familie Regiswinda's, Urkunden des Tagebuchs — die wört—
96
lihen Urkunden, was der Lefer nie
bergeffen möge.
20. Jänner 1850.
„Eine gewiffe Nofa, jung, hübſch,
jchönäugig, naid, feurig — befucht
uns jeden Abend und lernt Glavier-
jpiel und Singen von mir. Wir —
den Brudner natürlich miteingefchloffen
— unterhalten uns ganz köſtlich; es
wird gelungen, getanzt, gefcherzt, oft
bis in die tiefe Nacht.
Mir ift Alles, was Abwechslung
in mein Leben bringt, unendlich will—
fommen ; und fo bin ich ganz entzüdt
über diefe Heine Gunft des Schidjals.
Freilich muß ich fehen, daß die gute
Rofa fi ganz und gar zu meinem
blühenden Freunde Hinneigt, und daß
ich auf die Rolle des Zufchauers be—
ſchränkt bin. Aber für den Poeten ift
auch Zufhauen ein Glück — id
ſchaue nicht fruchtlos zu: ich rolle
meine Mappe auf und zeichne und
flizziere nach der Natur. Ich glaube,
dak der Poet wie der Maler Studien
nah der Natur zu feinem Frommen
machen kann und foll; es läßt Sich
dem wirklichen Leben viel Poeſie ab-
laufchen. Manches ift fogar jo bedeu—
tend, daß man es, fo wie es ift, in
ein Drama dibertragen könnte. Ich
habe wenig gelebt; und doch Habe ich
Thon mehr des Schönen im Leben
gefunden als in der Kunſt. Aus man
chem Frauenauge und Antlig Hat mich
das Göttliche oft reiner und ergreis
fender angefirahlt, al3 aus den groß
artigften poetifhen und Kunſtwerken.
Malt der Poet die Geftalt? bildet
der Maler das Wort und die Bewe—
gung nah? Nur im Leben erfcheinen
die Momente der Schönheit beiſam—
men. Des Menfchen Sinn und Thun
bleibt die angemellenfte Erſcheinungs—
weile des Göttlihen und Schönen;
wäre es nicht jo, jo hätte Gott ftatt
der Menschen und der Natur, wie ich
meine, lieber gleich Statuen und Verſe
erschaffen.“
12. Mai 1850.
„Ich habe meine Schülerin, die
Nofe, verloren. Da wir am 7. d. M.
die neue Wohnung bezogen, fo hören
die Elavierlectionen zu meinem großen
Verdruſſe auf. Nichtsdeftoweniger wäh
ren die freundfchaftlichen und anmuthi—
gen Verhältniſſe fort: Heine Geſchenke
und zarte Worte werden wie früher
gewechjelt. Zu Oftern überreichte ich
ihr ein rothes Ei in meinem und
Bruckner's Namen mit der Upfchrift:
Süße Nofe, zarte Rofe,
Nimm dies Ei mit vother Schale!
Du bift jelbft ein Ei, Du Loſe,
Unſer Herz ift Deine Scale:
Und wie Der, der diejes Ei ikt,
Erit die Schale muß zerbrechen,
Muß, wer Dich zu frei'n jo frei ift,
Vorher, ad, das Herz uns breden!
Neulich begegnete ich ihr Abends.
Ich fragte fie, ob fie heute nicht, wie
ſonſt öfter, eine Nofe für mich Habe.
„D ja, Sie jollen eine haben,” fagte
fie; „warten Sie hier beim Thore —
wir fanden vor ihrem Haufe — ich
werfe fie Ihnen vom Fenfter herunter.
Geben Sie acht!“ — Sie gieng hinein,
ich blidte unverwandt zu ihrem Fenfter
hinauf. Dies that ſich auf, eine Roſe
fiel nieder, aber leider verhinderte mich
die Dunkelheit, fie zu finden. „Warten
Sie," rief fie, „vielleicht finde ich eine
andere!” — Nach einiger Zeit fiel
— feine Rofe, aber ein Rofenzweig
herab, mit unaunfgeblühten Knoſpen
bededt. Sie hatte feine volle Roſe
mehr gefunden,
Arme Knoſpen! jo Früh mußtet
‚ihr Sterben, durftet euch micht ent—
‚falten und des Lenzes freuen wie ihre
Schweſtern! Doc, tröftet euch: wenn
die Blätter eurer Schweltern Tängft
in alle Winde verweht find, werdet
ihr noch aufbewahrt und heilig ge=
halten fein; wenn eure Schweltern
‚längft mit der Blüte den Duft ver-
loren, werdet ihr, wenn auch verblüht,
mie noch lieblich duften! Lenzes= und
Liebesboten fterben ja meiftens Früh
— doch eben der frühe Tod macht fie
97
unfterblih. Ich preife euch glüdlich, | widelt. Der Tifh, an welchen wir
füße, frühgeftorbene, unſterbliche Ro- | unfere abendlichen Schreibeübungen an=
fenfnofpen! (Befler findet der Lefer ftellten, ftand in der Nähe des ftarf
das ausgedrüdt in dem fpäter gedich- geheizten Ofens. Das hatte natürlich
teten Sonette „die Rofenknofpen“, Einfluß auf den Hitzegrad meines
„Sinnen und Minnen“, ©. 265.) | Empfindens, und ich kam immer lichter-
Als ich mach einigen Tagen Roſa lod-glühend aus Jadviga's Gemach.
wieder ſah, fagte ih ihr: „Die Ro— Wer weiß, bis zu welchem Grade
ſenknoſpen,' dir-Sie mir gefchentt, find | Réaumur die Temperatur in ihrer
zwar ſchon welk, aber fie duften noch Nähe noch geftiegen wäre, Hätte die
immer. Wiffen Sie, warum das ſo ſchöne Polin ſich nicht plöglih ver-
fein mag?" — „Nun?“ fragte fie. anlaßt gejehen, das Haus, in welchem
— „Weil fie von -Ihnen find.” — ſie weilte, zu verlafjen und Gott weiß
„Nein,“ erwiderte fie, „weil fie bei wohin zu ziehen. Sie verjprad mir
Ihnen find!“ —
Ein Geift ohne Bildung und ein
Herz ohne Liebe — und ein fo ſchöner
Gedanke! Wie vereint ſich das ?
Sie liebt mich nicht — das hat
fie mir oft faſt beleidigend = deutlich
bewiefen — aber fie erjeigt mir bei—
nahe abſichtslos unendlich viel Liebes
und Gutes. Ein folches Verhältnis ift
da3 geeignetfte für mich als Dichter,
Studien zu machen und insbejondere
das oft jo rätdfelhafte Leben und
Weben eines Frauenherzens zu belaus
Shen. Ein wirkliches Liebesverhältnis
dagegen würde mich mehr aufregen,
verwirren und feſſeln.“ —
Nun, ein „wirkliches Liebesverhält-
nis“ blieb mir zwar noch lange er—
part — nicht aber die „größere Auf:
regung, Verwirrung und Feſſelung.“
Jadviga war eine junge Polin von
reifer Schönheit, welche zwar deutjch
ſprechen, aber micht fchreiben gelernt
hatte. Sie wünſchte das Verſäumte
nachzuholen, und ich bot ihr meine
nneigennüßigen Dienfte an. Sie hatte
winderbare Augen und Hände, die
ih für die fchöuften der Welt hielt,
bis ich ſpäter die der Harfenkünftlerin
Marie Mösner kennen lernte. Mas
ihren Stand betrifft, fo lebte fie zivar
in der vornehmen Gefellichaft, gehörte
zu fchreiben, aber bis heute Hat fie
nichts weiter von fich Hören laſſen.
Ich will mich hier nicht in die Ein-
zelheiten verlieren; aber ich muß ge—
ſtehen, wenn ich unter den Huldinnen
(nicht Heldinnen) meiner erſten In—
gendzeit jetzt noch zu wählen, oder,
beſſer geſagt, zu erklären hätte, mit
welcher nicht vertrauter geworden zu
ſein ich jetzt am meiſten bedauere,
jo würde meine Wahl nur zwiſchen
Zweien ſchwanken. Die erſte nenne ich
nicht — die zweite wäre Jadviga.
Ich verweiſe den Leſer auf das Sonett
„An Jadviga“ in „Sinnen und Min—
nen“ S. 201.
Das war im November und Des
cember 1850; im Februar des nächften
Sahres kam es zu einer neuen, aber
für jene Epoche legten Aufregung und
Verwirrung diefer Art.
Bei Jadviga bewahrte mich eine
baldige raſche Trennung vor jeder Art
Enttäufchung. Jetzt war mir's vom
Schickſal verhängt, einen Schritt weiter
zu machen auf der Bahn der Liebe
— bis zu einer förmlichen Erklärung
beiderſeits und bis zu einem Stell—
dichein. Aber wie nichts leichter ent—
flammt iſt als ein Dichterherz, ſo iſt
auch nichts leichter erklältet durch den
geringſten rauhen Hauch der Wirklich—
eit. Die idealen Anforderungen eines
aber nicht derſelben an. Ich glaube jugendlichen Herzens ſind ungeheuer.
bei längerem Verkehr mit dieſem weib— In der mehrerwähnten Familie
lichen Weſen hätte ſich bei mir eine Regiswinda's war ich im Februar
wirkliche gefährliche Leidenſchaft ent- 1851 zu einem Hausballe miteinge—
Koſegger's „„Geimgarten‘‘ 2. Heft, XI. 7
laden. Die Gäfte waren verfanmmelt, |
der Tanz war angegangen, da trat
noch ein junges, fchönes Paar ein —
Bruder und Schweſter. Die Beiden
wurden bewillfommt und alsbald aufs |
gefordert — fie waren aus Graz nad |
Mien gelommmen und erſt feit Kurzem |
da anfäffig — einen ſteiriſchen;
Tanz zum beften zu geben. Sie,
thaten es und man konnte nichts
Schöneres fehen als den Tanz diefer
Geſchwiſter, die an MWohlgeftalt und
an fefjelnder Anmuth der Bewegungen
mit einander wetteiferten. Ich war
entzüdt umd verlor das Mädchen wicht
mehr aus den Augen.
Wir kamen neben einander zu ſitzen,
und eh’ ich mich beffen verfah, war
ein Geſpräch angelnüpft, das wunder—
bar in Fluß gerieth und gar fein
Ende mehr nahın. Ich fprudelte von
Poeſie. Und als num gar der Cham—
pagner kam, und wir, welivergefien
neben einander fißend, tranfen, und
ihre Augen wonnig funfelten,
claffiich = feingefchnittenes Antlitz ſich
roſig verflärte, da wurde ich dieſer
Rofe gegenüber förmlich zur flötenden
und trillernden Nachtigall. Die Töchter |
des Haufes, die feit Jahren gewohnt
waren, Alles eher von mir zu et=
warten, als daß ich einmal den Mund |
auftgun und zehn Worte hintereinan—
der ſprechen könnte, waren förmlich
verblüfft von der Wahrnehmung diefer
plöglicden Beredtfamfeit. Aber die
Schleußen waren nun einmal geöffnet,
und es gereichte mir zu einer Art von
Genugthuung, zu beweifen, daß ich
am Ende fein todtes Stüd Holz, ſon—
dern eine Flöte fei, die ganz gute
Töne von fich gebe, wenn man nur
verftehe darauf zu ſpielen. Sidonie
— Schon der Name war bezaubernd —
hatte es verftanden, und der Cham—
pagner that das Uebrige.
Wir ſaßen thatfählich die ganze
Naht hindurch plaudernd beifanmen.
Hatte ich mit einer andern als ihr
getanzt, jo feßte ich mich doch immer
wieder neben fie, und auch fie fehrte
ihr |
immer wieder auf ihren Play neben
mir zurüd.
O diefe Ballnacht! fie war etwas
für mich moch nicht Dagewefenes —
fie war das Schönfte in meinem bis—
bherigen Leben!
Ich wußte damals noch nicht, daß
man allen jchönften Momenten ihre
Schönheit und Unvergänglichleit mur
bewahren Tann, wenn man feinen
Verſuch macht, fie zu wiederholen. Ich
erfundete, daß Sidonie mit ihrem
‚Bruder einer Strohhutniederlage in
der inneren Stadt — im Krämer—
| gäßchen — vorftehe. Jh gieng auf
| Entdedung diefes Strohhutladens aus,
ſchlich vor denfelben des Abends im
| Dämmerfchein der angezündeten La—
ternen auf und ab und fchidte in einem
Moment, wo Sidonie allein Hinter den
Strohhiten ſaß, ein müßig umher—
(ungerndes Büblein mit einem Chklus
von acht Liedern „An Sidonie* zu
ihr hinein. (Eines davon fteht in
„Sinnen und Minnen“ unter dem
‚Titel „Liebesgruß.*) Sidonie las die
Blätter — ich beobachtete fie dabei
‚von der Gaffe aus und dann fam der
Knabe mit der Einladung zurüd, „für
einen Augenblid bei ihr einzutreten“.
Ich glaubte nicht recht gehört zu ha—
ben. Darauf war ich nicht vorbe-
reitet! Ja, wahrhaftig — ih „traute
mich nicht“ einzutreten! — Aber ich
ſetzte meine abendlichen Wandelgänge
vor dem Laden fort. Bruder, durch
meine begeifterten Schilderungen des
Mädchens neugierig gemacht, fieng
ebenfall® an, durch das Krämergäßchen
zu fchleichen und versprach mir unaufe
gefordert, Sidonien im Auge zu bes
halten „um meinetwillen“. Ich
erfuchte ihn, dies bleiben zu laſſen —
„um meinetwillen“.
Was ih von Sidonien wollte, war
ein Brieflein — ein zartes Brieflein ;
zur Antwort auf das meinige. Ein
zartes Brieflein an mich von Mädchen
hand — das fchien mir der Gipfel
alles Wiünfchenswerten! Ich ſchrieb
99
ihr menerdings und bat fie, meine erften Anzeichen eines Schnupfens ver—
Lieder zu vernichten; nächſten Don- fpürte. Sidonie erwiderte, ich fei ihr
nerstag abends würde ich einen Boten | „Fehr wert und angenehm“, aber ihr
zu ihr in den Laden fenden mit der Bruder werde eine „Bekanntschaft mit
Frage, „wie ſich die Nahtigallen einem Studenten“ niemals dulden.
befänden?“ und wenn fie mir dann | Eine Belanntfchaft! Du lieber Hine
fagen ließe, die Nachtigallen „feien | mel! was hatte ich denn gewollt, als
erfroren, weil die Witterung noch durch das Krämergäßchen luftwandeln
zu kalt if,“ fo folle mir dies ein und ihr Berslein „an Sidonie“ zus
Zeichen fein, daß fie meiner Bitte! fenden? Die Berufung auf den Bru—
willfahrt und die Lieder vernichtet der baute meinem Nüdzug aus der
habe. Das würde fie doc) zu einer) Brofa in die Poelie des Herzens eine
brieflichen Aeußerung zwingen, meinte
ih. Aber auf meine poetifche Blumen—
ſprache gieng Sidonie nicht ein, weder
brieflih, noch mündlich, ſondern lieh
mir durch den Donnerstagsboten ein=
fach Jagen, ich möge un 7 1/, Uhr Abends
in der Galle auf fie warten. .
Ih wartete. Sie kam. Wir ftan-
den einander gegenüber, ich ſprach fie
an, und wir giengen zufammen fort.
Mas konnte ich anders, al3 von
meiner Liebe reden? Leider herrſchte
eben ein garftiges Nebel- und Regen—
wetter, wir mußten die Schirme auf:
Ipannen, und unfer Geſpräch wurde
alle Augenblide durch Rippenftöhe der
im Koth der Straße ſich drängenden
Menge unterbrochen. O wie verjchie=
den war diejer Abend von jener Ball:
goldene Brüde. Als wir das Kärntner—
thor hinter uns hatten und der Negen
immer flärfer miederträufelte, machte
ih Halt und verabſchiedete mich von
dem lieben Kinde. Entjprechende Worte
wurden dabei gewechlelt, warm ge=
meint, aber naßkalt angehaucht. Allein
ftehend auf dem finfteren Glacis unter
dem aufgelpannten Regenſchirm, kam
ih mir wie ein Philifter vor und be—
taftete mich unwillkürlich, ob ich nicht
einen ſpitzen rad anhätte und einen
Cylinder auf dem Kopf und eine weiße
Binde um den Hals...
So liebte ih mit zwanzig Jah
ren! —
Als ich das Hiftorisch-philologische
Seminar befuchte, lagen diefe miß—
Iungenen Berfuche zu lieben und ge—
nacht bei ftrahlenden Kerzen und pers | liebt zu werden ſchon Hinter mir. Im
lendem Champagner! — Auch trug| Jahre 1852 bedurfte man am There-
Sidonie ein altes Umfchlagetuch von | ſianum eines philologischen Supplenten
etwas verblichener braumcother oder und wandte ſich an Boniß: dieſer
braungelber Farbe, das ihren zierlichen | ſchlug mich vor. Sch dachte nicht, mit
Leib entitellte. Das Alles raubte mir | dem Gymnaſiallehramt Ernst zu machen;
Stimmung md Befonnenheit. Aber | aber warum follte ich micht durch eine
ih mußte reden, mußte dom meiner solch’ vorläufige Veſchäftigung meine
Liebe ſprechen, und als ich damit zu | finanzielle Lage verbefjern ? Ih nahm
Ende war, blieb mir nichts übrig, als alſo an, und als man im nächſten
Sidonie zu fragen, ob auch ſie mich Semeſter meine Aushilfe für das
liebe. Es gibt nichts Fataleres, als | atademifche Gymnaſium beanſpruchte,
eine Liebeserklärung oder die Frage: nahm ich "ebenfalls an, und als man
„Lieben Sie mich, mein Fräulein 9° | zu Beginn des nächſten Schuljahres
bei einem Hundewetter im Freien oder | meiner am Grazer Gymmafium zu bes
ſonſt zu ungelegener Stunde, befonders | dürfen glaubte, folgte ich auch dieſem
wenn man fich kaum noch kennt. Ich Rufe, bereit, auf diefem Wege aus—
ſelbſt fühlte mich durch die an Sidonie | zuharren, bis ein dichteriſcher Er—
gerichtete Frage Jo ernüchtert und er- folg mir eine unabhängige Stellung
kältet, daß ich unmittelbar darauf die jicherte.
100
Ich verlebte da ganz
Die Vormittage
Terlago in Unter-St. Veit bei Wien | brachte ich fpazierend, leſend, dichtend
gefolgt, wo ich Gaftfreundfchaft genoß
und dafür mit dem Söhnlein des
Grafen täglih eine Stunde lang den
in den prädtigen Laubgängen des
nahen Schönbrunner Parkes zu.
Eine moralifdhe Erzählung.
Aus berühmten Säriften mitgetheiltvon 9. M.
en einer italieniſchen Seeſtadt
blebte vor Zeiten ein Handels—
mann, der fi von Jugend auf durch
Thätigkeit und Klugheit auszeichnete.
Er mar dabei ein guter Seemann und
hatte große Reichthümer erworben, ine
dem er felbft nad Nlerandrien zu
ſchiffen, koſtbare Waren zu erfaufen
eben an einem jährlichen Feſte, das
befonders der Kinder wegen gefeiert
wurde. Knaben und Mädchen pflegten
nad dem Gottesdienfte in allerlei Ver—
Heidungen ich zu zeigen, bald in
Vroceffionen, bald in Scharen dur
die Stadt zu herzen, und fodanı im
Felde auf einem großen freien Platz
oder einzutaufchen pflegte, die er al3= allerhand Spiele zu treiben, Kunſt—
dann zu Haufe wieder abzufeßen oder
in die nördlichen Gegenden Europas
zu verfenden wußte. Sein Vermögen
wuchs von Jahr zu Jahr um jo mehr,
als er in feiner Gejchäftigfeit felbft
das größte Vergnügen fand und ihm
feine Zeit zu Eoftjpieligen Zerſtreu—
ungen übrig blieb. Bis in fein fünf-
zigftes Jahr Hatte er fi auf diefe
Weiſe emfig fortbefhäftigt, und ihm
war bon den gefelligen VBergnügungen
wenig befannt worden, mit welchen
ruhige Bürger ihr Leben zu woiirzen
verftehen; eben fo wenig hatte das
Ihöne Gefchleht, bei allen Vorzügen
feiner Landsmänninnen, feine Aufs
merkſamkeit weiter erregt, als infofern
ftüde und Gejchidlichkeiten zu zeigen,
und in artigem Wettftreit ausgeſetzte
Heine Preife zu gewinnen.
Anfangs wohnte unfer Seemann
diefer Feier mit Vergnügen bei; als
er aber die Lebensluft der Kinder und
die Freude der Eltern daran lange
betrachtet, und fo viele Menſchen im
Genuß einer gegenwärtigen freude
und der angenehmften aller Hoffnungen
gefunden Hatte, mußte ihm bei einer
Rückkehr auf fich felbft fein einfamer
Zuftand äußerſt auffallen. Sein leeres
Haus fieng zum erjtenmal an, ihm
ängftlich zu werden, und er klagte ſich
felbft in feinen Gedanfen an.
O ich Unglüdfeliger! warum gehen
er ihre Begierde nah Schmud und mir fo fpät die Augen auf? warum
Koftbarkeiten ſehr wohl kannte und fie
gelegentlich zu nußen mußte.
Wie wenig verfah er fich daher
auf die Veränderung, die in feinem
Gemithe vorgehen follte, als eines
Tages fein reichbeladenes Schiff in
den Hafen feiner Baterftadt einlief,
erkenn' ich erft im Alter jene Güter, die
allein den Menfchen glücklich machen ?
So viel Mühe! fo viele Gefahren !
was haben fie mir verfhafft? Sind
gleih meine Gewölbe voll Waaren,
meine Kiften voll edler Metalle, und
meine Schränke voll Schmud und
Während der Trerienmonate 1853 | Homer las.
war ich einer Einladung des Grafen | angenehme Tage.
— —
Kleinodien, ſo können doch dieſe Güter
mein Gemüth weder erheitern noch
befriedigen. Je mehr ich ſie aufhäufe,
deſto mehr Geſellen ſcheinen ſie zu
verlangen; ein Kleinod fordert das
andere, ein Goldſtück das andere. Sie
erkennen mich nicht für den Haus—
herrn; ſie rufen mir ungeſtüm zu:
Geh' und eile, ſchaffe noch mehr un—
ſeres Gleichen herbei! Gold erfreut ſich
nur des Goldes, das Kleinod des
Kleinodes! So gebieten ſie mir ſchon
die ganze Zeit meines Lebens, und
erſt ſpät fühle ich, daß mir in Allem
dieſen fein Genuß bereitet iſt. Leider |
jest, da die Jahre kommen, fange ich
an zu denken und fage zu mir: Du
genießelt diefe Schäße nicht, und Nie—
mand wird fie nach dir genießen! Haft
du jemals eine geliebte Frau damit
geſchmücht? Haft du eine Tochter da—
mit ausgeftattet ? haft du einen Sohn
in den Stand gefeßt, fich die Neigung
eines guten Mädchens zu gewinnen |
und zu befeftigen ? Niemals! Bon
allen deinen Beligthümern haft du,
bat Niemand der deinigen etwas be=
feffen, und was du mühſam zuſam—
oft denen, die fie zu Früh vom Him—
mel erhalten, zur Laft werden und
zur Verwirrung gereichen.
Als er durch diefes Selbſtgeſpräch
feinen Vorſatz bei ich befeftigt Hatte,
tief er zwei Schiffsgefellen zu ſich und
eröffnete ihnen feine Gedanken. Sie,
die gewohnt waren, in allen Yällen
willig und bereit zu fein, fehlten auch
diesmal nicht, und eilten, fich in der
Stadt nach den jüngften und fchönften
Mädchen zu erkundigen; denn ihr
Batron, da er einmal nad diejer
Waare lüftern ward, follte auch die
befte finden und befigen.
Er jelbit feierte fo wenig al3 feine
Abgefandten. Er gieng, fragte, ſah
und hörte, und fand bald was er
‚fuchte im einem Frauenzimmer, das
‚in diefem Augenblid das ſchönſte der
ganzen Stadt genannt zu werden ver—
‚diente, ungefähr ſechszehn Jahre alt,
‚mwohlgebildet und gut erzogen, deren
Geftalt und Wefen das Angenehmſte
zeigte, und das Befte verjprad).
Nah einer kurzen Unterhaltung,
durch welche der vortheilbaftefte Zu—
mengebradht haft, wird mach deinem | Hand, jowohl bei Lebzeiten als nach
Tode ein Fremder leichtfertig ver—
praſſen.
O wie anders werden heute Abend
jene glücklichen Eltern ihre Kinder um
den Tiſch verſammeln, ihre Geſchick—
lichkeit preiſen und fie zu guten Thaten
aufimuntern! welche Luft glänzte aus
ihren Augen, und welche Hoffnung
fhien aus dem Gegenwärtigen zu
entipringen ! Sollteft Du denn aber
jelbft gar feine Hoffnung fallen können ?
bift du denn ſchon ein Greis? Iſt es
nicht genug, die Verſäumnis einzu—
fehen, jetzt, da noch nicht aller Tage
Abend gefommen ift? Nein, in deinem
Alter ift es noch nicht thöricht, an's
Freien zu denfen; mit deinen Gütern
wirft du ein bravdes Weib erwerben
und glüdlih machen: und ſiehſt du
noch Kinder in deinem Haufe, jo wer:
den Dir diefe jpätern Früchte den
größten Genuß geben, anftatt daß fie | Liebe gegen das Gefühl
dem Tode des Mannes, der Schönen
verfichert war, vollzog man die Heirat
mit großer Pracht und Luft; und von
diefem Tage an fühlte ſich unfer Han
delsmann zum erſtenmal im wirklichen
Belig und Genuß feiner Reichthimer.
Nun verwandte er mit Freuden die
Ihönften und reichiten Stoffe zur Be—
Heidung des ſchönen Körpers, die Ju—
welen glänzten ganz anders an der
Brut und in den Haaren feiner Ge—
liebten als ehemals im Schmudkäſtchen,
und die Ringe erhielten einen unend—
lihen Wert von der Hand, die fie trug.
Co fühlte er ſich nicht allein jo
reich, Sondern reicher als bisher, indem
‚feine Güter fich durch Theilnehmung
‚und Unwendung zu vermehren fchie=
men. Auf diefe Weiſe lebte das Paar
faft ein Yahr lang in der größten
Zufriedenheit, und er fchien feine
häuslicher
102
Glückſeliglkeit gänzlich vertaufcht zu
haben. Aber eine alte Gewohnheit
legt fich fo leicht nicht ab, und eine
Richtung, die wir früher genommen,
fann wohl einige Zeit abgelenkt, aber
nie ganz unterbrochen werden.
So hatte auch unfer Handelsmann
oft, wenn er andere fich einfchiffen
oder glüdlih in den Hafen zurück—
fehren ſah, wieder die Regungen feiner
alten Leidenfchaft gefühlt, ja er hatte
jeloft in feinem Haufe an der Seite
feiner Gattin manchmal Unruhe und
Unzufriedenheit empfunden. Diefes Ver:
langen vermehrte fich mit der Zeit und,
Freilich ift es ein gewagtes Unter-
nehmen, ſich von einer jungen liebens=
wirdigen Frau zu entfernen. Iſt es
billig, um ein veizende& und reizbares
Mädchen zu freien, und fie nach einer
furzen Zeit ſich ſelbſt, der langen
Meile, ihren Empfindungen und Bes
gierden zu überlaffen ? Spazieren diefe
jungen, feidenen Herren nicht fchon
jet vor meinen Fenſtern auf und ab?
ſuchen fie nicht ſchon jetzt in der
Kirche und in Gärten die Aufmerk—
ſamkeit meines Weibchens an ſich zu
ziehen? Und was wird erſt geſchehen,
wenn ich weg bin ?- ſoll ich glauben,
verwandelte ſich zuleßt in eine ſolche daß mein Weib durch ein Wunder
Sehnſucht, daß er fich äuferft unglüd= gerettet werden könnte? Nein, in ihrem
lich Fühlen mußte, und — zulegt | Alter, bei ihrer Gonftitution wäre es
wirklich frank ward. ‚thöriht zu Hoffen, daß ſie fich der
Was fol nun aus dir werden 2. Freuden der Liebe enthalten könnte.
fagte er zu ſich ſelbſt. Du erfährft | Entfernft du dich, fo wirft du bei
num, wie thöricht es ift, im fpäten deiner Nüdkunft die Neigung deines
Jahren eine alte Lebensweife gegen
eine neue zu dertaufchen. Wie follen
wir das, was wir immer getrieben
und gefucht Haben, aus unfern Ges
danken, ja aus unfern Glieder wies
der herausbringen ? Und wie geht es
mie nun, der ich bisher wie ein Fiſch
das Mafjer, wie ein Vogel die freie
Luft geliebt, da ich mich in einem
Gebäude bei allen Schäßen und bei
der Blume aller Reichthümer, bei einer
fhönen jungen Frau, eingefperrt habe?
Anftatt daß ich dadurch hoffte Zufries |
denheit zu gewinnen und meiner Güter
zu genießen, jo ſcheint es mir, daß
ih alles verliere, indem ich nichts
weiter erwerbe. Mit Unrecht Hält man
die Menfchen für Thoren, welche in
1}
Weibes und ihre Treue zugleich mit
der Ehre Deines Haufes verloren haben.
Diefe Betrachtungen und Zweifel,
mit denen er fich eine Zeit lang quälte,
verichlimmerten den Zuftand, im dem
er fich befand, auf's Aeußerſte. Seine
Frau, feine Verwandten und Freunde
betrübten ſich um ihn, ohne daß fie
die Urfache feiner Krankheit hätten
entdeden können. Endlich gieng er
nochmals bei fich zu Nathe und vief
nach einiger Ueberlegung aus: Thö—
richte Mensch! du läſſeſt es dir fo
fauer werden, ein Weib zu bewahren,
da3 dur doch bald, wenn dein Uebel
fortdanert, fterbend Hinter dir und
einem Andern fallen mußt! If es
nicht wenigſtens klüger und beſſer, du
raſtloſer Ihätigleit Güter auf Güter | fuchtt das Leben zu erhalten, wenn
zu häufen ſuchen: denn die Thätigkeit | du gleich in Gefahr kommſt, an ihr
ift das Glüd, und für den, der die dasjenige zu verlieren, was al3 das
Freuden eines ununterbrochenen Bez höchſte Gut der Frauen gefchäßt wird ?
firebens empfinden kann, ift der er- Wie mancher Mann kann durch feine
worbene Reichthum ohne Bedeutung. | Gegenwart den VBerluft diefes Schabes
Aus Mangel an VBeihäftigung werde | nicht Kindern, und vermißt geduldig,
ich elend, aus Mangel an Bewegung | was er nicht erhalten kann! Warum
frank, und wenn ich feinen anderen | jollteft du nicht Muth Haben, dich eines
Entſchluß faſſe, fo bin ich im kurzer) jolhen Gutes zu entſchlagen, da von
Zeit dem Tode nahe. |biefem Entſchluſſe dein Leben abhängt!
Mit diefen Worten ermannte er
ih und ließ feine Schiffägejellen rufen. |
Er trug ihnen auf, nah gewohnter
Weiſe ein Fahrzeug zu befrachten und
Altes bereit zu halten, daß fie bei dem
erften günftigen Winde auslaufen Fönn-
ten. Darauf erllärte er fich gegen feine
Fran folgendermaßen:
„Lab Dich nicht befremden, wenn
Du in dem Haufe eine Bewegung
fiehft, woraus Du ſchließen kannſt,
daß ich mich zu einer Abreife anfchide !
Betrübe Dich nicht, wenn ich Dir ges
ftehe, daß ich abermals eine Seefahrt
zu unternehmen gedenfe! Meine Liebe
zu Dir ift noch immer diefelbe und
fie wird es gewiß im meinem ganzen
Leben bleiben. Ich erfenne den Wert
des Glüds, das ich bisher an Deiner
Seite genoß, und würde ihn noch
reiner fühlen, wenn ich mir wicht oft
Vorwürfe der Unthätigkeit und Nach—
läffigkeit im Stillen machen müßte. |
Meine alte Neigung wacht wieder auf
und meine alte Gewohnheit zieht mich.
wieder an. Erlaube mir, daß ich den
Markt von Alerandrien wieder ehe,
den ich jet mit größerem Eifer be—
fuchen werde, weil ich dort die köſt—
lichen Stoffe und die edelften Koftbars
feiten für Did zu gewinnen denfe. |
Ih laſſe Did im Beſitz aller meiner,
Güter und meines Vermögens; bediene |
Did deflen und vergnüge Dich mit,
Deinen Eltern und Verwandten. Die
Zeit der Abweſenheit geht auch vor—
über, und mit vielfacher Freude wer-—
den wir uns wiederjchen.”
Nicht ohne Thränen machte ihm
die liebenswiürdige Fran die zärtlichiten
Vorwürfe, verficherte, daß fie ohne ihn
feine fröhliche Stunde Hinbringen werde, |
und bat ihn nur, da fie ihn weder,
halten könne, noch einfchränten wolle,
daß er ihrer auch in der Abweſenheit
zum Beten gedenken möge.
Nahdem er darauf VBerichiedenes
mit ihr über einige Geſchäfte und
häusliche Angelegenheiten geſprochen,
fagte er nach einer Heinen Pauſe: „Ich
habe nun noch etwas auf dem Herzen, |
'
davon Du mir frei zu reden erlauben
mußt; nur bitte ich Dich auf's Herz-
lichjte, nicht zu mißdeuten, was ich
fage, fondern auch ſelbſt in dieſer
Beforgnis meine Liebe zu erfennen.“
„sch kann es errathen,” verfeßte
die Schöne darauf. „Du bift meinet-
wegen beforgt, indem Du nah Art
der Männer unfer Gefchlecht ein- für
allemal für ſchwach Hältft. Du Haft
mich bisher jung und froh gefannt,
und nun glaubft Du, daß ich in Deiner
Abweſenheit leichtiinnig und verführbar
fein werde. Ich ſchelte diefe Sinnesart
nicht, denn fie it bei Euch Männern
gewöhnlich; aber wie ich mein Herz
fenne, darf ih Dir verfichern, daß
nichts fo Leicht Eindrud auf mic
machen und fein möglicher Eindrud
fo tief wirken foll, um mich von dem
Wege abzuleiten, auf dem ich bisher
an der Hand der Liebe und Pflicht
hinwandelte. Sei ohne Sorgen, Du
follft Deine Fran jo zärtlich und treu
bei Deiner Nüdkunft wiederfinden als
Dur fie Abends fandeft, wenn Du nad
einer Heinen Abweſenheit in meine
Arme zurückkehrteſt.“
„Diefe Gefinnungen trau’ ich Dir
zu,“ verfeßte der Gemahl, „und bitte
Did, darin zu verharren. Laſſ' uns
aber an die äußerſten Fälle denken !
warum ſoll man fich nicht auch darauf
vorſehen? Du weißt, wie ſehr Deine
Ihöne und reizende Geftalt die Augen
unferer jungen Mitbürger auf ſich
zieht: fie werden fich in meiner Ab—
wefenheit noch mehr als bisher um
Dih bemühen; fie werden Jich Dir
auf alle Weife zu nähern, ja zu ges
fallen fuchen. Nicht immer wird das
Bild Deines Gemahls, wie jeßt feine
Gegenwart, fie von Deiner Thüre und
Deinem Herzen vericheuchen. Du bift
ein edles und gutes Kind; aber die
‚ Forderungen der Natur find rechtmäßig
und gewaltfan, fie ftehen mit unferer
Vernunft beftändig im Streite und
tragen gewöhnlich den Sieg davon,
Unterbrich mich nicht! Du wirft gewiß
in meiner Abwefenheit, ſelbſt bei dem
pflichtmäßigen Andenken an mich, das
Verlangen empfinden, wodurd das
Meib den Manı anzieht und von ihm
angezogen wird. Ich werde eine Zeit
fang der Gegenftand Deiner Wünſche
fein; aber wer weiß was für Um—
ftände zufammentreffen, was für Ge—
legenheiten fich finden, und ein An—
derer wird in der Wirklichkeit ernten,
was die Einbildungsfraft mir zuge—
dacht hatte! Werde nicht ungeduldig,
ich bitte Dich; höre mich aus!
laß mir die ganze reine Hoffnung, Dich
bald wieder im meinen Armen zu
jehen !*
Nachdem er auf alle Weife feine
Gattin zu beruhigen gefucht, ſchiffte
er fih den andern Morgen ein; feine
Fahrt war glüdlih und er gelangte
bald nach Alerandrien.
Indeſſen lebte feine Gattin im dem
ruhigen Beſitz eines großen Vermö—
gens nach aller Luft und Bequemlich-
feit, jedoch eingezogen, und pflegte
Sollte der Fall kommen, deffen außer ihren Eltern und Verwandten
Möglichkeit Dur leugneft, und dem ich | Niemand zu fehen; und indem die
auch nicht zu befchleunigen wünfche, | Geſchäfte ihres Mannes durch getreue
daß Du ohne die Gefellichaft eines) Diener fortgeführt wurden, bewohnte
Mannes nicht länger bleiben, die) fie ein großes Haus, in deffen präch-
Freuden der Liebe micht wohl ent= | tigen Zimmern fie mit Vergnügen
behren könnteft, fo verfprich mir nur, täglich das Andenken ihres Gemahls
an meine Stelle feinen von den leicht- erneuerte.
finnigen Amaben zu wählen, die, fo| So ſehr fie aber auch fich ftille
artig fie auch ausſehen mögen, der | hielt und eingezogen lebte, waren doch
Ehre noch mehr als der Tugend einer die jungen Leute der Stadt nicht un—
Frau gefährlich find. Mehr durch Eitel- | thätig geblieben. Sie verfäumten nicht,
feit als durch Begierde beherrſcht, be⸗ haufig vor ihrem Fenſter vorbeizu—
mühen ſie ſich um eine Jede und fin⸗ gehen, und ſuchten des Abends durch
den nichts natürlicher, als eine der Muſik und Geſänge ihre Aufmerkſam—
andern aufzuopfern. Fühlſt Du Dich keit auf ſich zu ziehen. Die ſchöne
geneigt, Dich nach einem Freunde um- Einſame fand anfangs dieſe Bemüh—
zuſehen, ſo forſche nach einem, der | ungen unbequem und läftig; doch ge=
diefen Namen verdient, der bejcheiden | wöhnte fie ſich bald daran und lie
und verſchwiegen die Freuden der an den langen Abenden, ohne fich zu
Liebe noch durch die Wohlthat des | befünmtern, woher fie fünen, die Sere-
Seheimmiffes zu erheben weiß.“
Hier verbarg die Schöne Frau ihren!
Schmerz nicht länger, und die Thrä-|
nen, die fie bisher zurüdgehalten Hatte,
ftürzten veihlih aus ihren Augen.
| naden als eine angenehme Unterhal«
tung ſich gefallen, und konnte dabei
manchen Seufzer, der ihrem Abwejen-
den galt, nicht zurüdhalten.
AUnftatt dag ihre unbekannten Vers
„Was Du auch bon mir denken magft,“ ehrer, wie fie hoffte, nad und nad
rief fie nach einer leidenfchaftlichen Une | müde geworden wären, Schienen fich
armung aus, „ſo iſt doch nichts ent⸗ | ihre Bemühungen noch zu vermehren
fernter von mir als das Verbrechen, und zu einer beftändigen Dauer an—
das Du gewiflermaßen für undermeids | zulaffen. Sie konnte nun die wieder—
ih hältft. Möge, wenn jemals auch | tehrenden Inftrumente und Stimmen,
nur ein foldher Gedanke in mir ent= | die wiederholten Melodien ſchon unter-
fteht, die Erde fih auftgun und mich | fcheiden und bald ſich die Neugierde
berichlingen, umd möge alle Hoffnung | nicht mehr verfagen,
der Seligfeit mir entrilfen werden, die
uns eine fo reizende Yortdauer un—
ſeres Dafeins verfpricht! Entferne das
Mihtrauen aus Deiner Bruft, und
zu willen, wer
die Unbelannten und befonders, wer
die Beharrlihen fein möchten ? Sie
durfte ſich zum Zeitvertreib eine folche
Theilnahme wohl erlauben.
105
Sie fieng daher an, von Zeit zu Gemahls auch feine Welt: und Men
Zeit durch ihre Vorhänge und Halb—
Ihentenntnis, befonders die Kenntnis
läden nad der Strafe zu fehen, auf) des weiblichen Herzens zu bewundern.
die Vorbeigehenden zu merken und
befonders die Männer zu unterjcheis
den, die ihre Fenfter am längften im
Auge behielten. Es waren meift ſchöne,
So war es alfo doch möglich, was
ich ihm fo lebhaft abftritt, fagte fie zu
fich felbit, und jo war es alfo doch
nöthig, im einem Jolchen alle mir
wohlgelleidete junge Leute, die aber Vorſicht und Klugheit anzurathen !
freilich im Geberden fowohl als in
Doch was können Vorficht und Kluge
ihrem ganzen Aeußern eben fo viel!heit da, wo der unbarmherzige Zufall
Leichtſinn als Eitelkeit ſehen ließen.
Sie ſchienen mehr durch ihre Auf:
merkſamkeit auf das Haus der Schönen
ſich merkwürdig machen, als jener eine
Art von Verehrung beweilen zu wollen,
Wahrlich, Jagte die Dame manch—
mal ſcherzend zu fich ſelbſt, mein
Mann Hat einen Hugen Einfall ge:
habt! Dur die Bedingung, unter
der er mir einen Liebhaber zugeiteht,
nur mit einem unbeftinmten Verlangen
zu Spielen ſcheint! Wie foll ich den
wählen, dem ich nicht kenne, und bleibt
bei näherer Belanntichaft noch eine
Wahl übrig ?
Mit ſolchen und Hundert andern
Gedanken vermehrte die Schöne Frau
das Uebel, das bei ihr Schon weit
genug um fich gegriffen Hatte. Ver—
gebens ſuchte fie ſich zu zerſtreuen;
ſchließt er alle Diejenigen aus, die ſich jeder angenehme Gegenftand machte
um mic bemühen und die mir allenz ihre Empfindung rege, und ihre Ems
falls gefallen könnten. Er weil wohl, |
daß Klugheit, Beicheidenheit und Ver—
ſchwiegenheit Eigenſchaften eines ruhi—
gen Alters find, die zwar unſer Ver—
ftand ſchätzt, die aber unfere Einbil«
dungskraft keineswegs aufzuregen, noch
unfere Neigung anzureizen im Stande
find. Vor diefen, die mein Haus mit
ihren Wrtigkeiten belagern, bin ich
jicher, daß fie fein Vertrauen erweden, |
und die, denen ich mein Vertrauen
ichenfen könnte, finde ich micht im
mindeften liebenswiürdig.
In der Sicherheit diefer Gedanken
erlaubte fie fich immer mehr,
Vergnügen an der Mufit und an der
Geftalt der vorbeigehenden Jünglinge
nahzuhängen; und ohne dab fie es
merkte, wuchs nach und nach ein un—
ruhiges Berlangen im ihrem Bufen,
dem fie nur zu ſpät zu widerftreben
gedachte. Die Einſamkeit und der Müßig—
gang, das bequeme, gute und reichliche
Leben waren ein Element, im welchen
fich eine unregelmäßige Begierde früher
als das gute Kind dachte, entwideln
mußte.
Sie fieng nun an, jedoch mit ftiflen
Seufzern, unter den Vorzügen ihres
dent |
pfindung brachte, auch in der tiefjten
Einſamkeit, angenehme Bilder in ihrer
Einbildungsfraft hervor.
In ſolchem Zuftande befand fie
fih, als fie unter andern Stadtneuig—
feiten von ihren Verwandten vernahm,
e3 jei ein junger Nechtsgelehrter, der
zu Bologna fiudiert Habe, foeben in
jeine Baterftadt zurüdgelommen. Man
wußte nicht genug zu feinem Lobe zu
fagen. Bei außerordentlihen Kennt—
niffen zeigte er eine Klugheit und
Gewandtheit, die ſonſt Jünglingen
nicht eigen ift, und bei einer ſehr
reizenden Geftalt die größte Beſchei—
denheit. Als Procurator hatte er bald
das Zutrauen der Bürger und die
Ahtung der Richter gewonnen. Täg—
lih fand er fih auf den Rathhaus
ein, um daſelbſt feine Gejchäfte zu
beſorgen und zu betreiben.
Die Schöne hörte die Schilderung
eines fo vollfommenen Mannes nicht
ohne Verlangen, ihn näher kennen zu
lernen, und nicht ohne ftillen Wunsch
in ihm Denjenigen zu finden, dem fie
ihr Herz, ſelbſt nach der Vorſchrift
ihres Mannes, übergeben könnte. Wie
|
aufmerkſam ward fie daher, als fie
vernahm, daß er täglich vor ihrem
Haufe vorbeigehe! wie forgfältig beob—
achtete fie die Stunde, in der man
auf dem Rathhauſe fich zu verſam—
meln pflegte! Nicht ohne Bewegung
fah fie ihn endlich vorbeigehen; und
wenn feine ſchöne Geftalt und feine
Jugend Für fie nothwendig reizend
fein mußten, fo war feine Beſcheiden—
heit von der andern Seite Dasjenige,
was fie in Sorgen verjeßte.
Einige Tage hatte fie ihn heimlich
beobachtet und konnte nun dem Wun—
ſche nicht länger widerftehen, feine
Aufmerkſamkeit auf fich zu ziehen. Sie
fleidete ih mit Sorgfalt, trat auf
den Balkon, und das Herz ſchlug ihr,
als fie ihn die Strafe herfommen jah.
Allein wie betrübt, ja beſchämt war
fie, als er wie gewöhnlich mit bedäch-
tigen Schritten, in fich gekehrt und
mit niedergefchlagenen Augen, ohne fie
auch nur zu bemerken, auf das Zier-
lichfte feines Weges vorbeigieng !
Vergebens verfuchte fie mehrere
Tage hintereinander auf eben dieſe
Meife von ihm bemerkt zu werben.
Immer gieng ev feinen gewöhnlichen
Schritt ohne die Augen aufzufchlagen
oder da= und dorthin zu wenden. Ne
mehr fie ihn aber anfah, defto mehr
ſchien er ihr Derjenige zu fein, deſſen
fie So Sehr bedurfte. Ihre Neigung
ward täglich lebhafter. und, da fie ihr
nicht widerftand, endlich ganz und gar
gewaltfam. Wie! fagte fie zu fich ſelbſt,
nachdem dein edler, dverftändiger Mann
den Zuftand vorausgefehen, in dem
du dich im feiner Abweſenheit befinden
wirdeft, da feine Weisfagung eintrifft,
dab du ohne Freund und Günftling
nicht leben kannſt, Follft du dich nun
verzehren und abhärmen, zu der Zeit,
da dir das Glück einen Yüngling
zeigt, völlig nach deinem Sinne, nad
dem Sinne deines Gatten, einen Jüng—
ling, mit dem du die Freuden der
Liebe in einem undurhdringlichen Ges
heimnis genießen kannſt? Zhöricht,
— — — — — — —— — nn — — — — —
wer der gewaltfamen Liebe widerſtehen
will.
Mit folchen und vielen anderen
Gedanken Fuchte ſich die ſchöne Frau
in ihrem Borfage zu ftärfen, und nur
kurze Zeit ward fie noch von Unge—
wißheit Hin umd her getrieben. Endlich
aber, wie es begegnet, daß eine Leis
denschaft, welcher wir lange wider—
ftehen, uns zuletzt auf einmal dahin-
reißt, unfer Gemüth dergeftalt erhöht,
dab wir auf Beſorgnis und Furcht,
Zuridhaltung und Scham, Berhält-
niffe und Pflichten mit Verachtung
als auf Heinliche Hinderniffe zurück—
jehen, jo faßte fie auf einmal den
raſchen Entichluß, ein junges Mädchen,
das ihr diente, zu dem geliebten
Manne zu Schiden und, es koſte nun,
was es wolle, zu jeinem Befige zu
gelangen.
Das Mädchen eilte und fand ihn,
als er eben mit vielen Freunden zu
Tische ſaß, und richtete ihren Gruß,
den ihre Frau fie gelehrt hatte, pünkt—
lich aus. Der junge Procurator wun—
derte ſich nicht über diefe Botjchaft ;
er hatte den Handelsmann in feiner
Jugend gekannt, er wußte, dab er
gegenwärtig abwefend war, und ob er
gleih von feiner Heirat nur don
Weiten gehört hatte, vermuthete ex
doch, daß die zurückgelaſſene Frau, in
der Abweſenheit ihres Mannes, wahr—
ſcheinlich in einer wichtigen Sache
feines rechtlichen Beiftandes bedürfe.
Er antwortete deswegen dem Mädchen
auf das Verbindlichſte und verjicherte,
daß er, jobald man von der Tafel
aufgeftanden, nicht ſäumen wide,
ihrer Gebieterin aufzuwarten. Mit
unausfprechlicher Freude vernahm die
Ihöne Frau, daß fie den Geliebten
nun bald fehen und jprechen follte.
Sie eilte, ſich auf's beſte anzuziehen,
und lieh gefhwind ihr Haus und ihre
Zimmer auf das reinlichſte auspußen.
Drangenblätter und Blumen wurden
geftreut, das Sopha mit den Föftlichten
Teppichen bededt. So gieng die kurze
wer die Gelegenheit verfäumt, thöricht, | Zeit, die er ansblieb, bejchäftigt Hin,
— ___
die ihr fonft unerträglich lang ges
worden wäre.
Mit welcher Bewegung gieng fie
ihm entgegen, als er endlich ankam!
mit welcher Verwirrung hieß fie ihn,
indem fie fih auf das Ruhebett nie-
derließ, auf ein Zabouret jigen, das
zunächſt dabei fand! Sie verſtummte
in feiner jo erwünfchten Nähe, fie
hatte nicht bedacht, was fie ihm Jagen
wollte; auch er war ftill nnd ſaß bes | äußerste VBorfiht und verlangte aus—
ſcheiden vor ihr. Endlich ermannte fie
ih und fagte nicht ohne Sorge und
Bellonmenbeit:
|
den würde, frei und ohne Anitand
folgen wollte.“
Sie Hielt einen Augenblid inne,
aber bald gab ihr ein vielverſprechen—
der Blid des jungen Mannes Muth
genug, im ihrem Bekenntnis fortzus
fahren.
„Eine einzige Bedingung fügte mein
Gemahl zu feiner übrigens jo nachlich-
tigen Erlaubnis. Er empfahl mir die
drücklich, daß ich mir einen gefeßten,
zuverläffigen, klugen und verjchwies
genen Freund wählen follte. Erſparen
„Sie find noch nicht lange in; Sie mir das Uebrige zu jagen, mein
Ihrer Vaterftadt wieder angefommen, Herr, erfparen Sie mir die Verwir—
mein Herr, und Schon find Sie alleus rung, mit der ih Ihnen bekennen
thalben für einen tafentreichen und würde, wie fehr ich für Sie einge:
zuderläffigen Mann bekannt. Auch ich | nommen bin, und errathen Sie aus
feße mein Vertrauen auf Sie in einer diefem Zutranen meine Hoffnungen
wichtigen und Jonderbaren Angelegen-
heit, die, wenn ich es vecht bedenke,
eher für den Beichtvater als für den
Sachwalter gehört. Seit einem Jahre
bin ich an einen würdigen und reichen |
der, fo lange wir,
Mann verheiratet,
zuſammen lebten, die größte Aufmerk—
ſamkeit für mich hatte und über den
ih mich nicht beklagen würde, wenn
nicht ein unruhiges Verlangen, zu
reifen und zu handeln, ihn feit einiger
Zeit aus meinen Arınen geriffen hätte.
Als ein verftändiger und gerechter
Mann fühlte ev wohl das Unrecht,
das er mir durch feine Entfernung
anthat:
Weib nicht wie Juwelen und Perlen
verwahrt werden könne! er wußte, daß
fie vielmehr einem Garten voll Schöner
Früchte gleicht, die für Jedermann, ſo—
wie für den Herren verloren wären,
wenn er eigenfinnig die Thüre auf
einige Jahre verfchließen wollte. Er
fprah mir daher vor feiner Abreife
ſehr ernſtlich zu, er verſicherte mir,
dab ih ohne Freund nicht würde
leben konnen, er gab mir dazu nicht
allein die Erlaubnis, ſondern er drang
in mich, und möthigte mir gleichjam
er begriff, daß ein junges
und meine Wünſche.“
Nah einer kurzen Panfe verfeßte
der junge, liebenswürdige Mann mit
gutem Bedachte: „Wie Fehr bin ich
Ihnen für dag Vertrauen verbunden,
durch welches Sie mich in einem fo
hohen Grade ehren und glüdlich machen !
Ich wünschte nur lebhaft, Sie zu über»
zeugen, daß Sie fih an feinen Un—
wirdigen gewendet haben. Laſſen Sie
mich Ihnen zuerit als Nechtsgelehrter
antworten. Und als ein folcher geitehe
ih Ihnen, daß ich ihren Gemahl be=
wundere, der fein Unrecht fo deutlich
gefühlt und eingefehen bat; denn es
it gewiß, daß Einer, der ein junges
Weib zurüdtäßt, um ferne Weltgegenz
den zu befuchen, als ein Solcher an—
zufehen ift, der irgend ein anderes
Beſitzthum völlig Dderelinquiert und
duch die deutlichſte Handlung auf
alles Recht daran Verzicht thut. Wie
es nun dem erjten Beiten erlaubt ift,
eine ſolche völlig in’s Freie gefallene
Sache wieder zu ergreifen, ſo muß ich
es um jo mehr für natürlich und
billig halten, daß eine junge Frau,
die ſich in dieſem Zuftande befindet,
ihre Neigung abermals verſchenke, und
das Verfprechen ab, daß ich der Nei- | fich einem Freunde, der ihr angenehm
gung, die fich im meinem Herzen fin- und zuverläffig erjcheint, ohne Ber
denfen überlaffe. Tritt nun aber gar, geſchickt zu machen, verfiel ich in eine
wie hier, der Yall ein, daß der Ehe: | fchwere Krankheit, die, wo nicht mein
mann felbft, feines Unvechts fich ber | Leben zu zerftören, doch meine kör—
wußt, mit ausdrüdlihen Worten feiner | perlihen und Geifteskräfte zu zerrütten
hinterlafienen Fran Dasjenige erlaubt, | drohte. In der größten Noth und unter
was er ihr nicht verbieten kann, ſo den Heftigften Schmerzen that ich der
bleibt gar fein Zweifel übrig, umſo- Mutter Gottes ein Gelübde, daß ich,
mehr da Demjenigen fein Unrecht ges wenn fie mich genejen ließe, ein Jahr
Ichieht, der es willig zu ertragen er= lang in firengem Falten zubringen,
Härt bat. und mich alles Genufjes, von welcher
Wenn Sie mich mun,“ fuhr der Art er auch fei, enthalten wolle. Schon
junge Mann mit ganz andern Bliden |zehn Monate habe ich mein Gelübde
und dem lebhafteſten Ausdrude fort, Jauf das Treulichſte erfüllt, und fie
indem er die fchöne Freundin bei der find mir im Betradhtung der großen
Dand nahm, „wenn Sie mich zu) MWohlihat, die ich erhalten, keineswegs
Ihrem Diener erwählen, fo machen |lang geworden, da es mir nicht be=
Sie mich mit einer Glüdfeligkeit bes |fchwerlih ward, manches gewohnte
fannt, von der ich bisher feinen Bes und bekannte Gute zu enibehren. Aber
griff Hatte. Seien Sie verfichert,“ rief zu welcher Ewigkeit werden mir nun
er aus, indem er die Hand küßte, zwei Monate, die noch übrig find, da
„daß Sie feinen ergebenern, zärt mir erſt nah Verlauf derfelben ein
lihern, treuern und verjchwiegenern | Glück zu Theil werden kann, welches
Diener hätte finden können.” alle Begriffe überfteigt! Laſſen Sie ſich
Mie beruhigt fühlte fich nach diefer |die Zeit nicht lang werden und ent—
Erklärung die Shöne Fran! Sie fcheute |ziehen Sie mir Ihre Gunft nicht, die
ſich micht, ihm ihre Zärtlichkeit auf's Sie mir fo freiwillig zugedacht haben!“
Lebhaftefte zu zeigen, fie drüdte feine! Die Schöne, mit diefer Erklärung
Hände, drängte fih näher an ihm und nicht fonderlich zufrieden, fahte doc)
legte ihr Haupt auf feine Schulter. | wieder beſſern Muth, als der Freund
Nicht lange blieben fie im diefer Lage, nad) einigem Nachdenken zu reden
al3 er fich auf eine fanfte Weife von |fortfuhr: „Ich wage kaum, Ihnen
ihr zu entfernen ſuchte umd nicht ohne | einen Vorſchlag zu thun und das
Betrübnis zu reden begann: „Kann | Mittel anzuzeigen, wodurch ich Früher
fich wohl ein Mensch in einem ſelt- von meinem Gelübde entbunden wer—
ſamern Berhältniffe befinden? ch bin den fann. Wenn ich Jemand fände,
gezwungen, mich von Ihnen zu ent- der jo ftreng und ficher wie ich das
fernen und mir die größte Gewalt | Gelübde zu halten übernähme, und die
anzuthun in einem Wngenblide, da | Hälfte der noch übrigen Zeit mit mir
ich mich den füßeften Gefühlen über» |theilte, fo würde ich um fo geſchwin—
laffen follte. Ich darf mir das Glüd, der frei fein, und nichts würde ſich
das mich in Ihren Armen erwartet, unſern Wünſchen entgegenftellen. Soll»
gegenwärtig nicht zueignen. Ach, wenn ten Sie nicht, meine ſüße Freundin,
nur der Auffchub mich nicht um meine um unfer Glück zu befchleunigen, willig
Ihönften Hoffnungen betrügt!“ fein, einen Theil des Hindernifjes, das
Die Schöne fragte Angftlih nach uns entgegenfteht, binwegzuräumen ?
der Urfache diefer fonderbaren Aeuße- | Nur der zuverläffigften Perfon kann ich
rung. einen Antheil an meinem Gelübde über-
„Eben als ich in Bologna,“ ver= | tragen: es ift fireng; denn ich darf des
jeßte er, „am Ende meiner Studien | Tages nur zweimal Brot und Wafler
war und mich aufs Aeußerſte angriff, | genieken, darf des Nachts nur wenige
mich zu meiner künftigen Beflinmmung | Stunden auf einem harten Lager zu—
bringen, und muß ungeachtet meiner
vielen Geſchäfte eine große Anzahl
Gebete verrichten. Kann ich, wie es
mir heute geſchehen ift, nicht vermei—
den, bei einem Gaftmahl zu ericheinen,
jo darf ich deswegen doch nicht meine
Pflicht Hintanjegen, vielmehr muß ich
den Neizungen aller Lederbiffen, die
an mir borübergehen, zu widerftehn
fuchen. Können Sie fich entjchließen,
einen Monat lang gleichfalls alle diefe
Geſetze zu befolgen, jo werden Sie
alsdann ſich felbft in dem Beſitz eines
Freundes defto mehr erfreuen, als Sie
ih durch ein jo lobenswirdiges Un—
ternehmen gewiflermaßen felbjt erwor—
ben haben.“
Die Schöne Dame vernahm ungern
die Hindernifje, die fich ihrer Neigung
entgegenfegten; doch war ihre Liebe
zu dem jungen Manne durch feine
Gegenwart dergeftalt verinehrt worden,
daß ihr feine Prüfung zu ftreng fchien,
wenn ihr nur dadurch der Beſitz eines
fo werten Gutes verfichert werden
fonnte. Sie fagte ihm daher mit den
gefälligften Ausdrüden: „Mein füher
Freund! das Wunder, wodurd Sie
Ihre Gefundheit wieder erlangt haben,
ift mir ſelbſt jo wert und verehrungs—
würdig, daß ich e3 mir zur Freude
und Pfliht mache, an dem Gelübde
Theil zu nehmen, dad Sie dagegen
zu erfüllen ſchuldig find. Ich Freue
mich, Ihnen einen fo fichern Beweis
meiner Neigung zu geben: ich will
mi auf das Genauefte nach Ihrer
Borfchrift richten, und ehe Sie mich
losfpredhen, fol mich nichts von dem
Wege entfernen, auf den Sie mid
einleiten.“
Nahdem der junge Mann mit ihr
auf’s Genauefte diejenigen Bedingun—
gen abgeredet, unter welchem fie ihm
die Hälfte feines Gelübdes erfparen
fonnte, entfernte er fich mit der Ver—
jiherung, daß er fie bald wieder be=
fuhen und nah der glüdlihen Be—
harrlichkeit in ihrem Borfage fragen
würde; und fo mußte fie ihm gehen
lafien, als er ohne Händedrud, ohne
109
Kuß, mit einem kaum bedeutenden Blicke
von ihr ſchied. Ein Glück für fie war
die Beichäftigung, die ihr der felt-
ſame Vorſatz gab; denn fie Hatte
Manches zu thun, um ihre Lebensart
völlig zu verändern. Zuerft wurden die
Ihönen Blätter und Blumen hinaus
gekehrt, die fie zu feinem Empfang
hatte ftreuen laffen; dann fam an die
Stelle des wohlgepolfterten Ruhebettes
ein hartes Lager, auf das fie fich,
zum erftenmal im ihrem Leben nur
von Wafler und Brot kaum gefättigt,
des Abends miederlegte. Des andern
Tages war fie bejchäftigt, Hemden
zuzufchneiden und zu nähen, deren fie
eine beftimmte Zahl für ein Armen—
und Sranfenhaus fertig zu machen
verfprodhen Hatte. Bei diefer neuen
und unbequemen Beſchäftigung unters
hielt fie ihre Einbildungskraft immer
mit dem Bilde ihres fühen Freundes
und mit der Hoffnung künftiger Glück—
feligleit; und bei eben diefen Vorftel-
lungen ſchien ihre ſchmale Koft ihr
eine berzitärlende Nahrung zu ges
währen.
So vergieng eine Woche, und ſchon
am Ende derjelben fiengen die Rofen
ihrer Wangen an einigermaßen zu
verbleichen. Kleider, die ihr fonft wohl
paßten, waren zu weit, und ihre fonft
jo rafhen und muntern Glieder matt
und ſchwach geworden, als der Freund
wieder erfchien und ihr durch feinen
Befuh neue Stärke und Leben gab.
Er ermahnte fie, in ihrem Vorſatze
‚zu beharren, munterte fie durch fein
Beilpiel auf, und ließ von Weiten
die Hoffnung eines ungeftörten Ge—
nuſſes durchblicken. Nur kurze Zeit
hielt er ſich auf und verſprach bald
wiederzukommen.
Die wohlthätige Arbeit gieng auf's
Neue munterer fort und bon der ſtren—
gen Diät ließ man keineswegs nad.
Uber auch, leider! hätte fie durch eine
große Krankheit nicht mehr erjchöpft
werden lönnen. Ihr Freund, der fie
am Ende der Woche abermals bejuchte,
fah fie mit dem größten Mitleid an
und ftärkte fie durch den Gedanken,
daß die Hälfte der Prüfung nun ſchon
vorüber jei.
Nun ward ihr das ungewohnte
Taften, Beten und Arbeiten mit jedem
Tage läftiger, und die übertriebene
Enthaltfamteit fchien den gefunden Zus
ftand eined an Ruhe und reichliche
Nahrung gewöhnten Körpers gänzlich
zu zerrütten. Die Schöne konnte fich
zuleßt nicht mehr auf den Füßen
halten und war genöthigt, ungeachtet
der warmen Jahreszeit, fich in doppelte
und dreifache leider zu Hüllen, um
die beinahe völlig verſchwindende in—
nerlihe Wärme einigermaßen zuſam—
menzubalten. Ja fie war nicht länger
im Stande aufrecht zu bleiben, und
fogar gezwungen, in der lebten Zeit
das Bett zu hüten.
Welche Betradhtungen mußte fie
empfinde. Sie haben mich mir felbft
erhalten: Sie Haben mich mir felbft
gegeben, und ich erfenne, daß ich mein
ganzes Dafein von nun an Ihnen
Ihuldig bin. Wahrlih, mein Manı
war verftändig und Hug und kannte
das Herz einer rau; er war billig
genug, fie über eine Neigung nicht zu
jchelten, die durch feine Schuld in
ihrem Bufen entftehen konnte, ja er
war großmitthig genug, feine Rechte
der Forderung der Natur Hintanzıt=
halten. Aber Sie, mein Herr, Sie
find vernünftig und gut; Sie haben
mich Fühlen laſſen, daß außer der
Neigung noch etwas in uns ift, das
ihr das Gleichgewicht halten kann, daß
wir fähig find, jedem gewohnten Gut
zu entfagen und jelbft unſere heißeſten
Wünſche von uns zu entfernen. Sie
haben mich in diefe Schule durch Irr—
da über ihren Zuftand machen! wie thum und Hoffnung geführt: aber
oft gieng dieje ſeltſame Begebenheit beide find micht mehr nöthig, wenn
vor ihrer Seele vorbei und wie ſchmerz—
ih fiel es ihr, als zehn Tage ver—
giengen, ohne daß der Freund er—
ſchienen wäre, der fie diefe äußerften
wir uns erſt mit dem guten und mäch—
tigen Ich bekannt gemacht haben, das
jo fill und ruhig in uns wohnt, und
fo lange bis es die Herrſchaft im
Aufopferungen Eoftete! Dagegen aber| Haufe gewinnt, wenigftens durch zarte
bereitete fich in diefen trüben Stunden | Erinnerungen feine Gegenwart unauf—
ihre völlige Genefung vor, ja, fie ward | hörlich merfen läßt. Leben Sie wuhl!
entfchieden. Denn als bald darauf ihr) Ihre Freundin wird Sie künftig mit
Freund erfchien und fih an ihr Belt | Vergnügen fehen; wirken Sie auf
anf eben dasſelbe Tabouret ſetzte, auf Ihre Mitbürger wie auf mid! Ent»
dem er ihre erfte Erklärung vernommen
hatte, und ihr freundlich, ja gewiſſer—
maßen zärtlich zufprach, die Kurze Zeit
noch ſtandhafi auszudanern, unterbrach
fie ihm mit Lächeln und fagte: „Es
bedarf weiter feines Zuredens, mein
werther Freund, und ich werde mein
Gelübde diefe wenigen Tage mit Ge—
duld umd mit der Meberzeugung aus—
wideln Sie nicht allein die Verwir—
rungen, die nur zu leicht über Belih-
thümer entjtehen, fondern zeigen Sie
ihnen auch durch Sanfte Anleitung
und durch Beifpiel, daß in jedem
Menſchen die Kraft der Tugend im
Berborgenen keimt. Die allgemeine
Achtung wird Ihr Lohn fein und Sie
werden mehr als der erſte Staatsmann
dauern, daß Sie es mir zu meinem und der größte Held den Namen
Belten auferlegt Haben. Ich bin jetzt Vater des Vaterlandes verdienen.”
zu ſchwach, als daß ih Ihnen meinen Goethe.
Dank ausdrüden könnte, wie ich ihn
——
Der „Rönig von Zion“.
Von Dr, Adolf Rohut.
SITE IS vor einer Neihe von Jahren !des Feindes im eroberten Lande die
pPrrofeſſor Adolf Stahr ſeine ſchlimmſten Greuelthaten verfichert und
Gharatteriftiten römischer Imperatoren | geglaubt werden ; und auch hier wieder
fchrieb und fich dabei von dem üblichen |ift die Wahrheit immer jchwieriger
Anschauungen befreite, indem er micht herauszufinden, je weiter die Ereigniſſe
nur die Quellen nachſchrieb, ſondern in der Zeit zuriücdliegen.
diefelben zuvor auch auf ihre Glaub» Bis jeßt Hat noch Niemand ver—
würdigfeit prüfte, da wurde für fein fucht, den feltfamen Propheten der
Verfahren das Wort „Rettung“ ges | Wiedertäufer, den fogenannten „Kö-
braucht, denn er Hatte in der That
den Ruf des Saifers Tiberius und
einiger anderen argverleumdeten antie
nig von Zion“, deffen Herrlichkeit
fein volles Jahr währte, in der öffent:
lihen Meinung zu rehabilitieren. Er
fen Perfonen zu retten gefucht und iſt wiederholt von der Poeſie als
jedenfalls nacdhgewiefen, daß die Stim- Gegenftand fantaftifcher Auffaffungen
mung der Hiftorifer aus alter Zeit oder als Träger ausfchweifender oder
nicht unberüdfichtigt bleiben darf, wenn auch großer Ideen dargeltellt wor—
ein Gefchichtsforscher gewiſſenhaft ver—
fahren will. Seit der Erfindung der
Buchdruderkunft, namentlich aber, ſeit—
dem das Zeitungswefen eine jo ge=
waltige Ausdehnung erlangt hat, weiß
man, dab ein Gefchichtsforjcher die
verichiedenften Parteifärbungen ſtudie—
ren und gegen einander abwägen muß,
wenn er einigermaßen gerecht ſein will,
und doch ift troßdem nicht zu vermei—
den, daß auch der perfönliche Stand
punft des Forſchers mitredet. Wie viel
mehr muß dies letztere der Fall ges
wejen fein, als die Geſchichtsſchreibung
in den Händen einzelner Individuen
lag, weldhe einzig nach den Erzäh-
lungen betheiligter Perfonen urtheilten
und deren ganze Eriftenz fogar häufig,
von dieſen leßteren abhieng. Nament—
lich gilt dies in Bezug auf die römi—
ſche Saiferzeit, wo die lebenden Herr:
ſcher alles aufboten, um ihre Vorgänger
Schwarz zu machen und ſich ſelbſt in
das glänzendſte Licht zu ſetzen.
es doch ein ähnlicher Fall, wenn nach
einer Kriegführung von dem Gebahren
Iſt
den. Scribe hat ihn zum Hel—
den der bekannten Meyherbeer'ſchen
Oper „Der Prophet“ gemacht und
ſein kurzes Regententhum zu glanz—
vollſten Ausſtattungskünſten benutzt;
vor Allem wurde der „König von
Zion“ von Robert Hamerling
in deſſen poefievollen epifchen Ges
‚dichte als Vertreter einer grandiofen
gefchicht&philofophiichen Idee hinge—
ftellt. Liest man num die Hiftorischen
Ueberlieferungen, welche in tief ver—
ächtlichen Ausdrüden von dem „Schnei—
derfönige* reden, der einem Verrückten
gleich in der Stadt Münfter gewirt—
ſchaftet und in den gröbften finnlichen
Ausſchweifungen gefchwelgt Habe, bis
das Strafgeriht ihn ereilte und er
unter fchrediichen Martern für feine
Unthaten als Strafe den Tod em—
‚pfieng, So bleibt doch immer das
Rathſel ungelöst, wie es möglich war,
daß ein ſolcher Menſch auch nur für kurze
Zeit fänmtliche Bewohner einer grö—
ßeren Stadt bethören konnte. Als die
IIungfrau von Orleans ihre
—
112
wunderbare Einwirkung auf das fran—
zöſiſche Heer im Kriege gegen die
Engländer ausübte, war die Meinung
über den Geiſt, der ſie beſeelte, ſehr
verſchieden. Den Franzoſen galt ſie
als eine Heilige, und feitden Schiller
fie in der Ddeutfchen Literatur als
mafellofe Jungfrau Hingeftellt hat, die
Ihon die reine Liebe zu einem Manne
als fündhafte Regung empfindet, ftrahit
ihr Bild in der höchſten Glorie irdi—
jcher Vollendung. Die Engländer be=
ſchuldigten fie der Buhlfchaft mit den
Heerführern, gaben fie in der Gefan—
genschaft der Willkür roher Soldaten
preis und verbraunten fie fchließlich
als Here zu Rheims. Der große
Menſchenkenner Shalejpeare bradte
fie noch einige Jahrhunderte fpäter als
Here von Drleans auf die Bühne.
Wenn der Nationalhaß und der relis
giöje Fanatismus in's Spiel kommen,
greift die Phantaſie zu den extremſten
Mitteln und die Wahrheit iſt ſchwer
herauszufinden. Weil die irdiſchen
Machthaber dem Aberglauben des Vol—
kes häufig viel zu verdanken hatten,
find fie von jeher Freunde und Gön—
ner aller myfteriöfen Beftrebungen ges
weſen. Sterndeuterei und Goldmacher—
funft wurden an den Höfen eifrig
betrieben; die Gaglioftro’s, Ca—
fanova’s, bis auf die Cumber—
land’s unferer Tage fanden in den höch—
ften Streifen ftet3 die meiften Anhänger.
Der thörichte Schneiderlönig von
Münfter Hatte nun aber die wahn—
finnige Idee, ſelbſt ein gefröntes Haupt
vorftellen zu wollen und dem Yürft-
bifhof Grafen von Walde, fowie
deifen Vettern und Standesgenofjen
den Krieg zu erflären; ferner ſpukten
in feinem Kopfe die immer von Zeit
zu Zeit auftauchenden Projecte der
Gütergemeinſchaft und Wielweiberei,
wie fie gegenwärtig am Salzfee bei
den Mormonen wieder einmal verwirk—
licht find. Der hirnverbrannte junge
Mann wurde Schließlich hingerichtet,
wenn auch die Art, wie dies gefchah,
nur einen Beweis für die entfegliche
Roheit der Zeit gibt. Immerhin bleibt
noch manches in feinen Wefen unauf-
geflärt, und wenn auch die Gejchichte
feine Queflen mehr findet, aus welchen
fie neue Auffchlüffe ſchöpfen könnte,
jo eröffnet fih dem Piychologen ftets
eine interefjante Aufgabe, fobald er
die Widerfprüdhe in den Berichten
vergleicht. Ein vielgelefener Roman
aus dem 16. Jahrhundert „Eordula”
von Adolf Glafer*) enthält als Epi-
fode der Gefammthandlung, welche
Greigniffe zur Zeit der Banernfriege
Ihildert, eine Erzählung jener Vor—
gänge in Münfter, die der Verfaſſer
mit feiner Heldin in den engften Zu—
ſammenhang bringt, indem er fie eine
der Frauen des Königs von Zion
werden läßt. Cordula ift ein leiden
ſchaftliches, ſchönes und geiftreiches
Weib, und Adolf Glaſer hat ſich
ſchon dadurch in die Lage gebracht,
den Leſer glauben zu laſſen, daß Jo—
hann Eigenſchaften beſaß, welche ein
ſolches Weſen für ihn einnehmen konn—
ten. In den Thatſachen hat er ſich
dabei ſtreng an die hiſtoriſchen Facka
gehalten. Es iſt niemals in Abrede
geſtellt worden, daß Johann ein ſchö—
ner, ſtattlicher Mann war, der die
Pracht liebte und ſich berufen glaubte,
ein neues Gottesreich auf ganz beſon—
deren Grundlagen zu errichten. Münſter
ſollte der Mittelpunkt dieſes Reiches
werden und erhielt daher von den
dortigen Widertäufern den Namen „das
neue Zion“. Die Geſchichte weiß
ferner, daß ſchon beim Ausbruch der
Bauernunruhen Thomas Münzer den
Gedanken faßte, irgend eine feſte Stadt
als Mittelpunkt feiner Umwälzungs—
pläne zu erwählen. Johann von Ley:
den ift alfo nur eine veränderte und
reich ausgeftattete neue Auflage jenes
früheren NRebellenführers.
Der Dichter des Romans „Cor—
dula“ Hat mit richtiger pfychologifcher
Einfiht im Vorleben des jpäteren
*) Leipzig. Wilh. Friedrich's Bude
handlung.
113
Königs von Zion nachgefpürt und
dort die Mittheilung gefunden, daß
derjelbe urſprünglich das Schneider-
handwerk feines Vaters Bodelfon ge—
trieben, dann aber fich einer wandern
den Schaufpielertruppe angefchlofien
hatte. Die Gefchichte des Theaters
aber berichtet uns, daß gerade zu jener
|etraie zu entziehen, läuft er im die
Welt hinaus. Als er dann jpäter
zurückkommt, trifft er die inzwiſchen
verwaiste Cordula im Haufe feiner
Mutter und erzählt ihr don den Wun—⸗
dern der Fremde. Er kommt dabei
auch auf die Schauſpielkunſt und will
ihr klar machen, welch eine Macht
Zeit fih nach dem Mufter der eng= |über das Gemüth dieſelbe ausübe,
liſchen Komödianten in den Nieder: | wenn die großen SHeldenrollen von
landen einzelne Gefellfchaften bildeten, | fchönen, ftattlihen Männern gegeben
die fih aus jungen Raufleuten und
Handwerkern recrutierten und gewiſſer—
maßen den Uebergang von den Schul=
fomödien zu den eigentlihen Berufs-
fhaufpielern repräfentieren. Nun war
der rothe Faden gefunden, der im
Leben Johann Bodelfon’3 vom Hand—
werfögefellen zum König von Zion
führen konnte. War doch diefe ganze
wunderliche Gefhichte von dem König—
thum der Wiedertäufer nichts weiter,
als eine Komödie im Stile der da—
maligen großen Staat3actionen, nur
freilich mit einem unerwarteten graufig
tragischen Ausgange. In dem erwähn—
ten Romane ift diefe theatralifche Seite
in Johann’ Weſen ſehr gefchidt mo—
tiviert und in die Handlung verfloch-
ten. Cordula wird von einem jungen
Manne geliebt, der ſich der Theater:
laufbahn widmen möchte Schon als
Knabe hat er in den Schulkomödien
feiner Baterftadt mitgewirkt und war
zu der Ueberzeugung gefommen, daß
diefe dramatiſchen Schulübungen fich
überlebt Hatten und einer höheren
Kunftgattung weichen mußten. Bei der
Vertheilung der Rollen verfuhren die
bochgelahrten Schulmonarchen mit der
größten Willfür. So geſchah e3 häufig,
daß in jener Stadt der Sohn des
Nectord, der ein winziges Kerlchen
mit einer hochklingenden, fchreienden
Stimme war, die erften Heldenrollen
jpielte und dadurch die ganzen Auf—
führungen lächerlich machte. Der junge
Mann, welcher fpäter fih in Cordula
verliebt, zettelt eine Art Aufruhr unter
den Schülern an, aber die Sache wird
ruchbar und um Sich der firengen
Nofegger’s „„Geimgarten“‘, 2. Heft, X
„Mit demfelben Nechte könntet Ihr
verlangen, daß die Königinnen und
Heldinnen don rauen gefpielt wür—
den,“ meinte hierauf Gordula.
„Welh ein Gedanke!” erwidert
der junge Mann in wegwerfendem
Tone. „Wie follte fich eine Frau dazu
verftehen, vor Zufchanern eine Rolle
zu fpielen und von Liebe zu reden ?
Daran wird niemals zu denken fein.
Man darf nicht Dinge verlangen, die
unferem ganzen Gefühle zuwider find.
Und wozu auch? Sind unfere jungen,
unbärtigen Schüler nicht volllommen
ausreichend für die Darftellung weib—
‚licher Rollen? Was ich verlange, ift
nur eine Nothwendigleit, wenn nicht
jede Darftellung an die Phantafie un—
erfüllbare Forderungen ftellen fol. In
den Niederlanden ift man bereit dar—
über vollftändig einig, und man nimmt
ſchöne, ftattlihe Männer aus allerhand
Berufskreiſen und läßt von ihnen die
Heldenrollen fpielen. Dort gibt es
ganze Gefellfchaften, welche im Lande
Iumberziehen und Scaufpiele auffüh-
ren, wofür fie nicht nur von den Zus
ſchauem reichlich bezahlt werden, ſon—
dern auch in gutem Anſehen ſtehen.
Ich ſelbſt habe mich bei einigen dieſer
Truppen längere Zeit umhergetrieben,
aber ich konnte nicht viel ausrichten
mit meiner unanfehnlichen Geftalt und
verlegte mich darauf, Stüde zu ſchrei—
ben und bei der Einübung behilflich
zu fein. Dadurch aber kam ich nad
und nach gar fehr in Noth, bis ich
endlich wieder nach Deutfchland zurück—
kehrte.“
=
8
Cordula hatte diefen Mittheilungen
mit großer Aufmerkfamfeit zugehört.
„Ih kann nicht begreifen,“ fagte fie
dann, „wie e3 in ſolchen Fällen auf
die Äußere Perfönlichleit ankommen
fol. Darin mögt Ihr Net haben,
daß es fomifch wirkt, wenn ein zier=
licher Knabe von großen Heldenthaten
Spricht, die er vollführt haben will,
aber man weiß doc immer, daß er
nur an Stelle eines anderen redet
und es fann Niemand einfallen, den
Schaufpieler wirklich für diejenige Per-
fon zu Halten, deren Schidjal er uns
vorführt.“
„Das kommt daher,“ erwiederte
Jener, „weil Ihr eben nie erfahren
habt, welche gewaltige Wirkung ein
Schaufpiel macht, wenn e3 derart dar—
geftellt wird, daß man wirklich ver=
geflen kann, es fei nur ein Schaufpiel,
und ſich vielmehr in dem Wahne be=
findet, man ſehe das Alles leibhaftig
vor ſich. Bringt einem einfachen Volke,
das noch nie etwas derartiges gejehen
hat, ein folhes Schauspiel vor Augen, |
und die Leute werden glauben, was
fie da fehen, begebe ſich wirklich, und
die Menfchen auf der Bühne fühlten
den Schmerz oder die Freude, von
denen fie declamieren, und hätten Alles
erlebt, was fie erzählen. Ich ſelbſt
habe es gejehen, wie einzelne Schaus
jpieler eine ganz merkwürdige Gewalt
auf die Zuhörer ausübten. Namentlich
ift mir einer im Gedächtnis, der aus
Leyden in Holland gebürtig und ure
prünglid ein Schneider war, ein
Menſch von ſchönem Wuchſe und aus
drudsvollen Gefichtszügen, der Frauen
und Männer bezauberte, fie bald zu
ie.
Selbftüberfhägung, die zuweilen dem
Wahnſinn gleih kam. Er wußte, daß
er bon der Bühne herab oder auch im
Leben, wenn er gerade wollte, alle
Herzen eroberte und Mann und Weib
lenfen konnte, wie er wollte, darum
glaubte er, es bedürfe nur der Ge—
legenheit, um mehr Geltung zu er—
werben als irgend ein anderer Menfch
auf der Welt. Wenn Ihr diefen Mann
hättet fpielen fehen, fo würde Euch
nicht mehr unbegreiflich jein, wie fehr
es auf den Eindrud der Perfönlichkeit
ankommt, wenn e5 ſich darum Hans
delt, die Phantafie der Menfchen zu
entflammen |“
Damit ift die Geftalt des fanati-
Shen Wundermannes unferen Begriffen
viel näher gerüdt, ald wenn man ihm
eine geheimnisvoll dämonifche Kraft
zufchreibt; Glaſer fehildert ihn viel—
leiht in etwas nüchterner Art, aber
er geht der Sache auf den Grund und
befreit ung von den myſteriöſen Ver—
fhleierungen, wie fie jonft beliebt
wurden. Der maßlofe Ehrgeiz eines
Hiftrionen, der beflehende Zauber fei=
es theatralifchen Weſens, das alles
ift uns verftändlich, denn wir jehen
es jeden Tag vor Augen und werden
unwillfürlich daran erinnert, daß gar
manche hohe Perjönlichleiten, Mitglie=
der herrjchender Familien, ja ſogar ſou—
veräne Fürſten lieber fich mit Theater-
prinzeflinnen al3 mit wirklichen Fürſten—
töchterı vermählt Haben. Auch liegt es
nabe, ſich einmal den Fall zu denken,
welhe Wirkung es machen würde,
wenn auf einen erledigten Fürſten—
thron irgend ein gefeierter Held der
Bretter berufen würde. Die enthu—
Thränen rührte und bald zu lauten fiaftifchen Verehrer Ddiefer modernen
Jubel begeifterte. Nach der holländi= | Erdengötter würden ihnen unbedingt
Ihen Sitte nannten fie ihn Bodelfon, | nachfolgen und für ihre treue Au—
weil fein Water Bodel hieß. Mit ihm
wurde ich herzlich befreundet. Er be=
diente ſich meines größeren Willens
bei mancherlei Gelegenheiten. Der räld« |
jeldafte Zauber, den ihm die Natur
verliehen Hatte, wurde für ihn faſt
zum Unheil, denn er litt an einer
bänglichkeit Huldreih mit Auszeich-
nungen bedacht werden. Was aber die
Verehrerinnen betrifft, fo würde ſich
wahrſcheinlich die Nothwendigkeit herz
ausftellen, irgend eine Form zu fin—
den, um die Erfüllung von deren
jehnfüchtigem Verlangen nach einer
15
Bereinigung mit dem untiderftehlichen
Künftlerfürften zu ermöglichen. Der
befte Ausweg wäre dann die Anſiege—
lung, wie fie bei den Mormonen
üblich ift. Die betreffenden Damen,
gleihviel welchen Alters und Aus»
fehens, würden dann wenigitens de
jure, wenn auch nicht de facto Ge-
mahlinnen ihres Ideals werden kön—
nen, dürften fi als betheiligt an
feinen Triumphen betrachten und uns
gehindert für ihn ſchwärmen, als für
ihren Herrn und Meifter.
Bon dieſer einen Abjchweifung
fehren wir wieder zu dem Romane
zurüd, der uns dazu veranlaßt hat,
und zwar, um noch zu erwähnen, in
welcher Weife die gefährliche Klippe
der Vielweiberei des Johann von Ley:
den darin umfchifft wird. Hier mag
nun allerdings die Phantafie des Autors
ein Uebriges gethan haben, aber die
Sade hat doch etwas ungemein Glaub—
würdiges. Bei feinem theatralifchen
Königsspiel ſchielt Johann gern nad)
Heinrich VIIL von England, der, gleich-
folls mit Rom zerfallen, ſich als welt—
liches und geiftliches Oberhaupt be—
trachtete. Seine erfte Gemahlin Katha—
tina don Wragonien hatte Heinrich
verftoßen und Anna Boleyn, die zweite,
mußte das Schaffot befteigen. Die
hiftorisch beglaubigte erjte Königin von
Zion zu Münfter war Katharina Di-
vara, die Witwe des erften Propheten
| Mattpyfon. Glaſer läßt num die Schöne
Heldin feines Romans Cordula den
König Johann derart durch ihre Reize
beitriden, daß Katharina Divara,
weniger föniglich gefinnt, aber weit
ſchlauer als ihre Namensjchweiter in
England, ihrem Gatten felbjt den Ge—
danfen einflößt, mehrere Frauen zu
Königinnen zu erheben, um ihrerfeits
auf diefe Weile dem Schidjale der
engliichen Königinnen zu entgehen.
Mit der Einführung der Viel—
weiberei, heißt e8 dann in dem Ro—
mane weiter, begann jedoch die Macht
des nenen Königs don Zion in feinem
eigenen Reiche zu wanken. Umgeben
von Schönen Weibern, welche die Gunft
des fünfundzwanzigjährigen Mannes
als einen Vorzug erfehnten, mußte
Johann nach kurzer Zeit einer Form
des Wahnſinnes verfallen, welcher ſchon
die römischen Gäfaren oft zum Opfer
fielen und die fih in unfinnigen Grau—
famfeiten und Willfüracten zu er—
fennen gab.
Man Sieht hieraus, daß es ich
feineswegs um eine Rettung des wahn—
wißigen Königs von Zion, ſondern viel-
mehr um eine pſyhchologiſche Motivie-
rung feines abjonderliden Wefens
handelt, und da ſchon diefe einzelne
Epifode aus dem erwähnten Romane
fo viel Anregendes enthält, darf man
denselben wohl ungeſcheut als eine
intereffante Lecture empfehlen.
Aus dem Hochdeutſchen in’s Deutſche überfcht.
Eine Spradplauderei.
—
Zen
@
ch Habe oft darüber nachgedacht,
was denn die Urfache fei, daß
unfer deutjcher Bauer die hochdeutſche fih in der Vollsmundart Manches jo
Sprade fo ſchwer verfteht. Verſteht
‚Schulbildung genoffen hat. ferner
habe ich darüber nachgedacht, warum
‚kurz und treffend jagen läßt, was im
er doch in derfelben jedes einzelne | Dochdeutfchen troß vieler Umſchreibung
Wort, bejonders wenn er eine Heine und gefchraubter Umftändlichkeit noch
8*
116
unzulänglih zum Ausdrucke kommt. gemengt. —
Und da Habe ich gefunden, daß in
unferer deutfchen Sprache ein fremder
Geiſt ift, der fih den Wörtern und
Sabformen gar nicht anpaſſen will,
der ganz abweicht vom altdeutſchem
Stil, aus fremden Sprachen und
schlechten Sitten hineingefommen zu |
fein Scheint und gegen den man ebenfo |
entjchieden auftreten müßte, als gegen |
die Fremdwörter, die heute doch wader |
bekämpft werden.
Da Hat
ftehende Säße, die vor Allem von Dilet-
tanten und Maulhelden gebraucht wer=
den. Immer wiederfehrende Wort: und
Gedankenbilder, geiftlofe
Wendungen eines einfachen Gedanfens
wegen, machen unfere Schriftiteller fo
hölliſch langweilig.
Da drechſelt die Sprache allerhand !ins Auge fällt.”
Redefiguren, entlehnt für nehm mag es für eine Schaufpielerin,
geſpreizte
vielſilbige Hahn hielt,
„Wir fordern uns auf,
unſere Nationalität zu kräftigen.“ Wie
das klar und einfach wäre! Aber es
klingt nicht gelehrt, es flunfert nicht,
es find in dem Saß zu wenig Worte,
um die Lunge zu üben, und feine
\eigene Stimme Hört doch Jeder gern
ſo lange als möglich.
Ein überaus vitterliher Satz ift
‚der folgende: „Wir verfolgten feine
Erzählung mit gefpannter Aufmerk-
ſamkeit.“ Die arme Erzählung! fie
unfere Sprache ftarre | flieht vor den VBerfolgern, bis fie
erichöpft zufammenfintt; aber es war
fo ſchlimm micht gemeint, was fie an
den Verfolgern für einen gelpannten
das war nur eine ge—
ſpannte Aufmerkfamfeit.
Gefährlicher ift für den Lefer eine
„Lectüre, bei welcher eine gute Mache
Und unange=
den Ausdrud eines einfachen Begriffes |die eine koſtbare Robe am Leibe trägt,
fremde Begriffe, welche die Aufmerk- fein, wenn fie mit überſchwänglichem
ſamkeit des Leſers oder Hörers zer: Applaus überfchüttet wird, während
ftreuen und verwirren, fpielt mit Bil- etwa bei einem Collegen, der felbft
dern und Gleichniffen, die in uns
mancherlei Borftellungen eriweden, welche
man gar nicht braudt. Da heißt es
z. B.: „E3 tritt an uns die dringende
Aufforderung für die Befeftigung uns
ferer Nationalität.” Was gibt diefer
gleichwohl einfache Sa dem Gehirn
ſchon für eine Arbeit! Zuerft tritt
etwas heran, man hört die ehernen
Schritte, endlich fieht man das Her—
angetretene, es ift aber was ganz Kör—
perlofes, das man eigentlich unmöglich
ſehen kann, es ift die dringende
Aufforderung. Was mill fie?
Wozu fordert fie auf? zu einer Be—
feftigung. Sofort fieht man eine
Burg und Hunderte von Arbeitern, die
Steine herbeifchleppen, behauen und
eine fefte Ringmauer aufführen. Für
wen aber die Feſtung? für die Na—
tion ? ja, das wäre etwas, aber die
Feſtung ift wieder bloß für einen Be—
griff, nämlich für die Nationalität.
— So werden ſinnliche Borftellungen
und Begriffe unpafjend durcheinander:
eine unbedeutende Rolle fpielt, der
Ehrgeiz eine bedeutende Rolle
jpielt. Ein grober Gefelle war jener
Dichter, denn er ſchlug — und zwar
nod in fpäteren Tagen — eine lyri—
Ihe Richtung ein.
Wenn uns plöglih ein Sritifer
mit der Nachricht überrafcht, „daß der
Schatten der Herannahenden Neuges
ftaltung des modernen literariſchen
Schaffens ſcharfe Contouren annimmt,“
fo müfjen wir uns tummeln, daß wir
die in den verfchiedenen Winkeln uns
feres Hauptes ſchlummernden Vor—
ftellungen rechtzeitig zufammenbringen.
Wir brauchen einen Schatten und
Scharfe Contouren nebſt der Neugeſtaltung
und dem literarifchen Schaffen.
Wenn Hemandens Name einen
guten Klang hat, fo fommt das
vielleicht auf die Vocale an, oder auf
die Helle Stimme deſſen, der ihn aus—
ruft; aber wenn ſich plößlid — viel—
leicht gerade da man ungeſtört jein
will — unwillkürlich eine Frage aufs
drängt, fo ift das von der Frage,
gelinde gejagt, etwas taftlos.
Es gibt Leute, die täglich allerlei
Dinge finden, ohne den Fund zurüde
zugeben. Der Eine findet, daß die
Adlerwirtin troß ihrer vierzig Jahre
immer noch jugendlich ausfieht,; der
Andere findet, daß man beim Spiel
in einer einzigen Nacht fein Vermögen
Wenn eine Tageseintheilung ges
troffen wird, wenn der Poet die
Berühmtheit ſeinen Werken ver—
dankt, wenn Schiller's Muſe die
lauteſten Triumphe auf dem Theater
feiert, wenn etwas den „Eindrud des
Schredes“ macht, wenn Einer etwas
in Verbindung bringt, jo find das
harmloſe Nedeblüten, die wir zu tau—
verlieren kann; wieder ein Anderer fenden anwenden. Zur Vervollkomm—
findet fich veranlaßt u. f. w., ich nung der Sprache aber tragen fie
finde, daß das Zeitwort finden in nicht bei, weil fie den Sinn des zu—
vielen Fällen eine lächerliche Anwen⸗ Sagenden oft überwuchern, und nebſt—
dung findet. Beſſer ift das finden aber bei Vorftellungen in uns erweden, die
immerhin noch, al3 wenn Jemandem | mit der Sade nichts zu thun haben.
etwas „unerfindlich“ ift.
Wenn Du einem Fremden, welcher
Da meint ein Politiker, es wäre, der deutschen Sprache mur zur Noth
höchſt wünſchenswert, wenn den For—
derungen der Oppoſition Ausdruck vers |
liehen würde. — Ob der langweili-
gen Leimfiederei! So foll er's wün—
ſchen, wenn es ſchon wiünfchenswert
ift, daß den Forderungen etwas ver—
liehen werde, nämlich ein Ausdrud
u. ſ. mw. Wenn unfer ſprachgewandter
Politicus fchriebe: Die Gegenpartei
foll ihre Meinung jagen! fo wäre das
deutjch und gut geſprochen.
Wenn jener Verwaltungsrath an—
deutet: „Eine SpecialeBilanz würde
die Handhabe bieten zur ftricten Be—
urtheilung der Poſition“, fo brauche
ich nebft der famofen: „Special-Bi—
lanz“ einen Steg oder eine Treppe,
um die Handhabe anzubringen, und
diefe Handhabe erft führt mich „zur
Beurtheilung der Polition.“ Wenn
der Mann gejagt hätte: „Eine bejon-
dere Rehnungsprüfung würde Haren
Einblid in die Sache ſchaffen,“ fo
wäre das weniger gefchraubi, aber
leichter verftändlich geweſen.
Ein Vollsausdrud fagt von einem
guten Porträt: Es ift zum Sprechen
gemalt. Das ift natürlich, wenn aber
ein gemalter Glasbehälter mit Gold—
fiihen fympathifh anſpricht, wie
jenen Recenfenten das bekannte „Still-
leben“ eines modernen Malers, jo iſt
das bei dem Stillleben der File nach—
gerade ein Wunder.
mächtig ift, ſagſt: „Ich ſchlage Ihnen
bor, einen Abftecher nah Salzburg zu
machen,“ ſo ſchrickt er zurück und denft
an ein Duell, er hat von Schlagen
und Stehen gehört. Und wenn Du
fagft, dah Du zu feinem befjeren Ver—
ſtändnis „beitragen“ wolleft, fo ftellt
ſich in feinem Gehien für einen Au—
\genblid das Bild, wie Einer etwas
| aufgeladen hat und herbeiträgt, vor
| den eigentlihen Sinn des Wortes.
Ich fage damit nicht, daß man im
‚gewöhnlichen Sprachgebrauch alles
Sinnlide und Bildliche vermeiden
müſſe, diefes gehört ja in die Sprache
und macht, recht angewendet, ihre
Schönheit aus. Ich will aber jagen,
wie leicht man hierin des Guten zu
viel thun kann.
Anders ift es freilich, wenn die
Sprade einem Dichter zum Stoffe
dient. Dann trägt das gleichnisweile
Bilderwerk zum wahren Verſtändniſſe
bei, anftatt, wie in der Alltagsſprache,
davon zu entfernen. Wir Alle ſündi—
gen im diefer Sache, am meiſten aber
noch die zünftigen Schriftgelehrten.
Ich gebe nur noch einige nächſt—
liegende Beifpiele. Da heißt e8: „Die
Sittenlofigfeit birgt in fich den Keim
des Verderbens.“ Ach würde lieber
fagen: Aus der Sittenlofigleit folgt
das Verderben. „E3 mag geeignet er=
| ſcheinen,“ warıım nicht: Es mag paſſen.
|
118
„Das Intereffe der Gebildeten wendet |
fih diefer Erfcheinung zu.” Beſſer:
Die Gebildeten neigen fich diefer Sache
zu. „Wir werden noch darauf zurück—
tommen.“ Wir ſprechen noch davon.
„Die große Maſſe der Gelehrten zieht |
auf den breiten Wegen des Altherge-
Die nachfolgenden Betrachtungen
über dem unermeßlichen Gegenftand
werden nicht erfchöpfend fein. Be—
fannte Dinge werben fie nicht wieder—
holen, fie wollen nur beitragen, das
Berftändnis der Dichtung zu erleich—
tern, indem ſie eine zwar ſorgfältig
brachten dahin.“ Wie einfach wäre es benützte, aber nicht immer verſtandene
zu ſagen: Die meiſten Gelehrten haben
die alte Gepflogenheit. „Es kann nur
den Zufall zur Laft gelegt werden.“
So viel als: Es iſt zufällig, oder:
Der Zufall ift Urſache. „Es beruht auf
einer irrthümlichen Auffaſſung.“ Es wird
irrthümlicher Weiſe augenommen. „Wir
können dem Gegenſtand feine einge—
hendere Erörterung widmen.“ Wir
fönnen uns auf den Gegenftand nicht
weiter einlaſſen. — Und fo fort in’s
Unendliche. Auf jeder Seite eines
deutſchen Buches finden wir derlei,
und je gelehrter der Mann, welcher
das Buch geſchrieben, deſto ſchwülſtiger
der Stil.
Da heißt es in der Einleitung zu
einem Fauſt-Commentar:
„Die nachfolgenden Betrachtungen
erheben nicht den Anspruch, den un—
erimeßlichen Gegenftand, dem fie ge—
widmet find, nach irgend einer Rich-
tung Hin zu erjchöpfen.
es vermeiden, die befannten Dinge zu
wiederholen, fie wollen lediglich einen
Beitrag zum Verftändnis der unfterb-
lichen Dichtung liefern, indem fie ein
Princip der Erklärung vertreten, wel—
ches zwar jorgfältig benüßt wird, aber
noch immer nicht genügend anerkannt
und in feine Gonfequenzen verfolgt ift.“
Für einen
ohnehin noch wunderbar einfach. Aber
man fönnte das Ding noch einfacher |
machen und etwa Jagen:
Sie wollen |
Langes
Sprache des ſchlichten, kernigen deut—
Gelehrtenſtil iſt das |
Auffaſſung erklären und daraus folgern.
„Die Aeſthetik muß ihren Anſpruch,
eine apriore Wiſſenſchaft zu ſein, fahren
laſſen.“ — „Unſere Lyrik, die faſt
nur das ſurrogative Verfahren der be—
wußten, reflectiven Production ver—
räth.“ — „Es ift den Anschauungen
vollflommen analog, daß die Genera=
tionen, als fie ohne phyſiologiſche
Kenntniffe darangiengen, ihre Auf—
merkſamkeiten folchen phyſiologiſchen
Fähigkeiten ihres Innern zuzuwenden,
welche ebenfalls mehr oder minder den
Charakter der Unwillkürlichkeit an ſich
trugen und Aehnlichkeit mit den er—
wähnten phyſiologiſchen Reflexbewe—
gungen verriethen, davon in hohem
Grade betroffen ſein mußten.“
Ich frage, ob eine ſolche Art zu
ſprechen oder zu ſchreiben wirklich im
Geiſte unſerer deutſchen Sprache liegt?
Und ich antworte: Nein. Wenn auch
die deutſchen Gelehrten gerne ein
und Breites machen: die
Shen Volkes ift Schliht, marfig und
‚treffend. Kurz und Elar, das ift
ihr volfsthünmliches Merkmal, kurz und
‚Mar, das tft das Geheinmis des guten
Stiles und des Erfolges bei dem
deutſchen Redner und Schriftfteller.
Wo die Schule ift für die Ein—
fachheit und Natürlichleit unferer
Spradhe? Bei den deutjchen Volks—
mundarten.
Br v
119
Ein Tag mit zwei
deutſchen Dichtern.
Bon Gebhard Zernin.9
—
ger Herbft lam, der Winter gieng, |
—da mußte es, wie nicht bloß
der Dichter fagt, doch wohl wieder
Frühling werden. Und als num auch
die heißen Sommertage herangefommen
waren, hielt es mich micht länger zu
Haufe, und eine Anfrage gieng nad)
Karlsruhe, wann etwa ich den verehrten
Freund Scheffel in feiner Sommer—
friſche am Unter-See befuchen dürfe?
Umgehend traf folgende Antwort
ein: „Sch bin von Rheuma geplagt,
diefen Juli in Karlsruhe und komme,
wenn Alles beſſer geht, erſt Mitte
Auguft an den See.” Wenige Wochen
jpäter empfieng ich folgende ergänzende
Zeilen:
„Radolfzell, Seehalde, 19. Aug. 1881.
Ich bin zwar bier, aber noch
ziemlih angegriffen; Ihr Beſuch
wird mich freuen, wenn ich auch
feine Ausflüge oder Seefahrten vor—
Schlagen kann.“
Einige Tage darauf ſaß ich in der
Eifenbahn, durchfuhr das badische Länd-
chen von Nordweften bis Südoſten und
war ſchon in der dritten Nachmittags
ftunde in Radolfzell. Als ich einige Mi—
nuten jpäter in die „Seehalde” eintrat,
begrüßte mich zuerft der jehr in die Höhe
geichofjene junge Victor, Sohn des Dich—
ter, der mir zugleich mittheilte, daß
Tags vorher Berthold Auerbad
zum Beſuch bei feinem Vater einges
troffen ſei. Ich freute mich Fehr, auch
diefen Dichter wiederzufehen, nachdem
ich feit mehreren Jahren nicht mit ihm
— —
*) Aus deſſen für Literaturfreunde Außerft anziehendem Werkchen:
zuſammengetroffen war, und hörte mit
Bedauern, daß Dr. v. Scheffel
noch nicht ganz wohl ſei, weshalb der
Karlsruher Hausarzt diesmal den Auf—
enthalt in der geſünderen Seehalde,
ſtatt auf der etwas feuchten Mettnau
empfohlen habe. Wir plauderten dann
über dies und das mit halber Stimme,
da der Dichter der Schwarzwälder
Dorfgeſchichten noch im Nebenzimmer
Sieſta hielt. Bald darauf erſchien
dieſer mit den an ihm gewohnten,
kurzen ſchnellen Schritten, begrüßte
mich mit großer Herzlichkeit und fügte
beim Erblicken des durch die heiße
Mittagsſonne ſtark gebräunten Ge—
ſichts des Wanderers die Worte Hinzu:
„Aber was ſehen Sie prächtig aus!“
Eigenthümlicherweiſe hatte ich fait
in demſelben Augenblid von meinem
Gegenüber gerade das Entgegengejfeßte
gedacht. Mit Beforgnis blidte ich in
fein Antlig. Es war zwar immer noch
derjelbe charakteriftiiche, große und
ausdrudsvolle Kopf mit den klugen
und lebhaften Augen und der ſtäm—
migen, gedrungenen Seftalt, deren Be—
wegungen noch nicht das Mindeſte
von ihrer alten Schnellfraft eingebüßt
hatten, aber es war lange nicht mehr
die frifche und Ferngefunde Geſichts—
farbe, die mir an dieſem Geficht früher
ſtets fo wohlgefallen hatte. Ein eigen—
thümlicher, faſt dunkelgelber Schatten
hatte fih um alle Züge, von der
breiten Stimm Bis zum feſten Kinn
herunter, gelagert, jo daß ich fofort
auf den Gedanken fam, der Dichter
„Erinnerungen
an Dr. Iofef Victor von Sceffel.* (Tarmftadt, Eduard Zernin. 1886.) Vorftehender
Aufſatz ift dort betitelt: „Wiederum in der
Seehald*. D. Red,
120
müſſe leberleidend fein. Ob diefe Ver—
muthung begründet war, weiß ich nicht,
aber ich habe inzwiſchen irgendivo ge=
lefen, daß das genannte Uebel Auer—
bah in feinen legten Lebensjahren
ergriffen hätte. Allein auch geiftig nie=
dergedrüdt erfchien der Dichter damals,
befonder3 in unbewachten Augenbliden,
wie das wohl Jeder beftätigen muß,
der ihn im Jahre 1881 mäher be=
obadhtet, oder auch nur einige Mal
gejehen und geſprochen hat.
Sehr bald entſpann fih an dem
gaftlihen Tiſche unſeres höchſt auf:
merkſamen Wirtes eine bald ſehr leb—
hafte Unterhaltung. Auch Auerbach
nahm trotz ſeiner anfänglich trüben
Stimmung wachſenden Antheil an der—
ſelben. Wer ihn kannte, weiß, daß er
in diefer Richtung einen niemals aus—
zubeutenden Schaf befaß, daß er in
der Negel der Gebende, feltener der
Empfänger war. Er verftand es ganz
meifterhaft, jedem fellelnden Gegen
ftande, welcher vom Gefpräc berührt
wurde, eine tiefere Bedeutung zu vers
leihen ; er verflocht in feine Rede die
ihm dabei einfallenden finnigen Ver—
gleiche, anſchaulichen Bilder, Humor»
vollen Einzelzüge, kurz, er hielt ſich
ftet3 auf der geiftigen Höhe des Ge—
genftandes und beherrjchte das Feld.
Ebenfo wußte Dr. dv. Scheffel, defjen
voller Bruftton in der Wiedergabe
feiner trefflich gejegten, ſtets natür—
lichen, urdentich = behäbigen, oft von
urwüchſigem Humor begleiteten Worte
dad ruhige Ebenmaß beibehielt, die
Bedeutung und Lebendigfeit des Ge—
ſprächs zu fleigern und im richtigen |
Fahrwaſſer zu erhalten. Eine fleine
confejlionelle Anfpielung ftellte dabei
heraus, daß Dr. v. Scheffel katholiſch,
ich lutheriſch und auch Dr. v. Schef—
fel's einziger Sohn evangeliſch ſei;
letzterer Umſtand ſchien Auerbach recht
zu verwundern, doch gieng er nicht
näher auf denſelben ein.
Nah und nah wurde Auerbach
belebt und ſelbſt heiter. Er Sprach mit
großer Wärme von feinem Freunde
Profeſſor Bleibtreu, und berichtete
Näheres über deffen für das Berliner
Zeughaus beſtimmte Gemälde: „Aufruf
an mein Volk“; er erzählte dann einige
hübſche Aneldoten, wobei er bewies,
daß feine Birtuofität in der Nach—
ahmung der Dialecte noch nicht das
Mindefte eingebüht Hatte. Auerbach
Ichien ſich überhaupt in eine Art
Sonntagsftimmung Hineinzuplaudern
und ſich ſehr angenehm angeregt zu
fühlen. Die Behaglichkeit der äußeren
Umgebung mochte auch ihren Einfluß
äußern, denn er wandte fich einmal
lebhaft zu mir, blies mit fichtbarem
Vergnügen den Duft feiner Havannah
in die Luft und fagte mit einer faſt
unnahahmlichen Handbewegung: „Der
Scheffel Hat es doch zu gut!” worauf
der Hausherr mit großem Ernſt replis
cierte, daß er es ſich auch ſauer genug
habe werden laffen, um unter Dad
und Fach zu kommen.
Mittlerweile war es 4 Uhr ge=
worden, und Victor erjchien mit der
Meldung, dab der Diener mit dem
Kahn vorgefahren fei. Es war nämlich
für den Nachmittag ein Ausflug zu
Waſſer nach dem Radolfzell gegenüber:
liegenden Dorfe Moos beſchloſſen wor»
den. Wir verließen die gaftliche Bes
haufung und ftiegen zu dem Ufer des
Unter-Sees herab, wo bereits der
freundliche Fährmann mit dem Nachen
unfer harrte. Dr. v. Sceffel machte
fofort die für das leichte und ſchmale
Fahrzeug geeignetfte Eintheilung, über—
ſchritt bedächtig die Sikpläße und
nahm zuerft auf der äußerſten Spiße
Pla; ihm gegenüber ſaßen Auerbach
und ich, dann kam der Fährmann mit
den zwei Rudern, und Hinten am
Stenerruder nahm der junge Victor
v. Scheffel feinen Sit. Sofort ſtachen
wir in den See und nahmen die
Nihtung quer über das Waller. Bald
trat das freundlich gelegene Radolfzell
hinter uns zurüd, und wir befanden
uns auf der Mitte des Hier ziemlich
breiten und gerade damals außer»
ordentlich ruhigen Unter-Sees. Fröh—
121
lich und in munterem Gefpräch zogen
wir dahin. „Wer follt’ auch traurig
fein“ — fagt Victor v. Scheffel felbft
bei der Schilderung der Fahrt Elle-
hard's über den Bodenfee — „wenn
er über die kryſtallklare Waſſerfläche
dahinfchwebt! Die baumbeſäumten Ge—
ftade mit Mauern und Thürmen ziehen
im bunten Wechſel am ihm vorbei,
fern dämmern die fchneeigen Firnen,
und der Widerjchein des weißen Segels
verzittert im Spiele der Wellen!" Ein
weißes Segel führte unfer Kahn zwar
nicht, wohl aber erfreute auch uns das
befländige Spiel der Wellen.
Nachdem wir das weltliche Ufer
de3 Unter-Sees erreicht und vor dem—
jelben förmliche Waſſerſtraßen zwiſchen
dem mannshohen Scilfrohr pafliert
hatten, landeten wir in der Nähe des
Dörfhens Moos. Unſer freundlicher
Gaftgeber übernahm nun die Führung
und brachte uns bald zu einem ihm
befannten ländlichen Wirte, deſſen junge,
Tran uns herzlich willfommen hieß. |
Dr. v. Scheffel's erfahrener Blid er—
fpähte fofort das für eine Gefellfchaft,
wie die unſrige, geeignetjte Pläßchen
im Freien, und fo ließen wir uns
denn um einen einfachen, rohgezim—
merten Tiſch auf hölzernen Bänken
nieder, der unter grünen Bäumen, auf
einer jaftigen Heinen Wieſe ftand und
einen prächtigen Ausblid darbot. Die
junge Wirtin hatte fogleich mit weib—
lichem Scharfblid errathen, daß ihr
berühmter Nachbar von jenfeits des |
Sees Jeltenen Befuch ihr zuführe, und
\fege dv. Scheffel mit jchneller Gegen
wart des Geiſtes es ausſprach, daß
wir nur ſeiner Anweſenheit dieſe Aus—
zeichnung zu verdanken hätten. Beide
| Dichter trugen während des ganzen
Tages und des folgenden Morgens
das Sträufchen wie einen wohlver—
dienten Orden an fi, und Auerbach
blidte oft auf dasfelbe finnig und
wehmiüthig herab. Allerdings weh—
miüthig, denn, wie mir Dr. v. Scheffel
am andern Tag erzählte, waren ihm
gerade am Borabende, al3 er mit dent
Veliger der Mettnau zu deflen Land»
haus auf der äußerſten Landſpitze
hinausgepilgert war, wirkliche Todes—
ahnungen gefommen. Er Hatte, in
Dr. dv. Scheffel’3 Arbeitsftube ſitzend,
gebeten, ihn allein zu laffen, und fo=
dann für das „Fremdenbuch für das
Haus v. Scheffel* ein äußerſt finniges
Gedentblatt verfaßt.
| Nachdem wir auf unferem idpflis
hen Plägchen längere Zeit berweilt
und uns am fräftigem Landbrot mit
umübertrefflihen „Rady“, ſowie an
einem landesüblichen rothen Seewein
erlabt hatten, wurde die Nüdfahrt ans
getreten.
Im Sceffel’fhen Eßzimmer ent—
ſpann fi danır wieder eine lebhafte
Unterhaltung. Auerbach erbat ſich Rath,
wie er feine leßtvollendete Erzählung
taufen folle, und Dr. v. Scheffel ver—
wendete ſich in längerer, überzeugender
Rede für den Titel, den fie nun auch
erhalten Hat: Meifter Bieland und
feine Geſellen. Auerbach trug den-
vielleicht in Auerbach mit feinem Node | jelben fofort in fein Notizbuch ein und
von eigenthümlichem Schnitte, wie er entwickelte zugleich ſeine Anſichten von
ihn faſt immer trug (eine Art Wams, der Wichtigkeit eines richtigen Titels.
einreihig bis an den Hals hinauf zu Von den Aufzeichnungen aus ſeinem
fnöpfen, ähnlich wie der Rod eines | Leben ſprach Auerbah an jenem Tage
fatholijchen Geiftlihen, nur fürzer), |
einen Künſtler vermuthet. Sie erfchien |
mit vier einfachen, Heinen, aber vecht
Hübsch zufammengebundenen Sträußen
und ftedte jedem der Gäſte davon einen
in's Knopfloch. Die Heine Huldigung
that dem ſchwäbiſchen Dichter ſehr
wohl, zumal da fein Freund und Col—
gar nicht, wohl aber vereinigte er ji
mit mie zur Bitte an unferen gütigen
Wirt, doch nunmehr fich der Gefan-
genen feines Schreibpults zu erinnern
und die begonnenen Arbeiten freizu—
geben. Hier wich Dr. v. Scheffel uns
jedoh aus, er gab Feine beſtimmte
Erklärung ab und überließ uns die
122
ftille Hoffnung, dab unfere Wiünfche | Freund in Schwaben, und nun mar
doh einmal ihre Erfüllung finden
würden. Wie wir bei diefer Gelegen—
heit erfuhren, Hatte ein langer Proceß
mit den Fifchern von Reichenan immer
noch nicht fein Ende gefunden; ber
Dichter wurde recht unmuthig, als bei
einer Wendung des Gefprächs die Nede
auf diefen Gegenftand Fam.
Nah manchen Tangen und ſtets
anregenden Gefprächen, in deren Pau—
fen wir den altdeutfchen Humpen mit
echtem „Höflenbräu” (einem vortreff—
lihen Bier der „Hölle“ von Radolf:
zell) wader zugefprochen Hatten, war
e3 recht ſpät geworden, als wir uns
trennten. Längft hatte es 11 Uhr von
dem Thurm der alten Stadtlirche ge=
Schlagen, als ich meine Lagerftätte auf:
fuchte und fo manches fchöne und
tiefe Wort mir in’s Gedächtnis zurüd-
tief, das ich von den beiden füddert-
Shen Dichtern vernommen hatte.
E3 war für mich ein gemuß= und
lehrreicher, ein — mit Auerbach zu
reden — „wunderſamer“ Tag ge:
wejen! Auch einige freundliche An—
denfen an Dr. 3. v. Scheffel hatte
er mir eingebracht. Der junge Victor
überreichte mir drei intereflante Ver:
vielfältigungen: die in Lichtörud von
C. Bihler in Bern ausgeführte Zeich-
mung des Scheffel’fchen Wappens, ſo—
danı die Urkunde über den älteften
Lihtdrud von Schober und Baeckmann
ausgeführte Zeichnung der borromäi-
ſchen Juſeln, letztere aus den Reiſe—
Album Scheffel's vom Jahre 1852.
Dieſelbe zeigt das Talent des Malers
von Landſchaften im beſten Lichte.
Am nächſten Morgen beim Früh:
ſtückstiſch offenbarte Auerbach den Ent—
ſchluß, noch an demſelben Vormittag
abzureiſen. Es wurden die vortreff-
lichen Rettige gebracht, deren nähere
Bekanntſchaft wir Schon am Tage zu—
vor in Moos gemacht Hatten. Der
Hausherr beftimmte einen derjelben,
e3 wieder Auerbach, welcher den Dich-
ter des „Ekkehard“ mit dem Erfuchen
auf den Leib rüdte, einige gereinte
Begleitworte dem herrlichen Gewächfe
des Moofer Erdreichs mit auf den
Meg zu geben. Dr. v. Scheffel lieh ſich
gar nicht lange möthigen: er ftieg die
zwei Treppen zu feiner Arbeitsftube
mit den herrlichen freien Blid auf den
Hohentwiel empor und erſchien kaum
eine Viertelftunde fpäter wieder unter
uns, um uns die Strophen des ſchnell
entftandenen Heinen, aber von belann=
tem, echtem Scheffel’fehen Humor durch—
wehten Gedicht3 vorzutragen. Auerbach
überlas fie nochmals und ftedte fie
mit den Morten: „Wie fchön, das
wird ihn freuen!“ in die Brufttafche.
Dann aber brachen wir auf und fliegen
zum Radolfzeller Bahnhof hinunter,
wo wir nicht lange auf den Zug von
Eonftanz zu warten hatten. Schnell
brauste er heran, Auerbach flieg ein
und brachte nicht ohne Mühe fein
überaus zahlreihes Handgepäck unter
— ein förmlicher Rattenfonig von Spas
zierftöden und Regenſchirmen machte
dabei befondere Schwierigkeiten —;
dann noch ein Händedrud, ein Gruß
mit dem Auge, ein Zuniden, und fort
eilte der Zug nach Nordweften. Er
entführte uns den Dichter, den ich
‚nicht mehr wiederfehen follte.
Befigwechfel der Metinau umd eine im |
Dr. v. Scheffel, fein Sohn und
ich blieben noch den ganzen Tag zu—
ſammen. Wir machten zunächſt einen
Gang auf die Mettnau und befichtigten
wieder das neue Landhaus. Unterwegs
(erzählte mir der Dichter gar man—
cherlei von Auerbach.
Alles Tantete
ichmeichelhaft für den Schöpfer der
Schwarzwälder Dorfgefhichten und
ehrte ebenfo den Berichterftatter. „Wäh—
vend der ganzen Zeit, die ich ihn kenne“
— fagte u. A. Dr, v. Scheffel — „Hat
er mir niemals etwas in den Weg ge=
legt. Ich Habe mich auch diesmal be—
müht, befondere Freundlichleiten ihm
ein wahres Prachteremplar, als Mit- zu erweifen, weil fein Gemüth durch
gabe für einen gemeinschaftlichen guten | die rauhe Welt mit ihren antiſemiti—
123
ſchen Beltrebungen fo jehr verlegt ift.“
Wie Dr. v. Scheffel über diefen Ge—
genftand dachte, ergibt ſich Far aus
einem „Gedenkſpruch“, den derſelbe
einige Monate vorher dem belannten
Selbftjchriften = Album des Deutſchen
Reihes „aus Sturm und Noth“,
weldes im Auftrage der Deutfchen
Gejellihaft zur Rettung Schiffbrüchiger
herausgegeben worden ift,*) überlaflen
hatte. Dort heißt es:
Gedenkfprud.
Stoßt an: Ein Hoh dem Deutjchen Reich !
Un Kühnheit reich, dem Adler gleich
Mög’: täglih neu fi ftärken.
Doch Gott behüt’s vor Claſſenhaß,
Und Raſſenhaß und Maſſenhaß
Und derlei Teufelswerfen !
Karlsruhe, 16, Februar 1881.
J. V. v. Scheſſel.
Das hier angegebene Datum zeigt,
was den Gedenkſpruch noch eindring-
licher machen muß, den 55. Geburtstag
des Dichters.
Dann erzählte Dr. v. Scheffel
noch manches Hübſche, u. A. auch von
dem Verhältnis Auerbach's zu Din
geljtedt, woraus hervorgieng, daß
der Erjtere äußerſt fchlagfertig mit
treffenden Erwiderungen zur Hand
fein fonnte; kurz, ich ſah bier, daß die
beiden fo verfchieden gearteten Dich-
terfürften wahre, aufrichtige Achtung |
miteinander verband,
Ueber die Art, in welcher Auerbach
zu arbeiten pflegte, machte mir Dr.
v. Scheffel intereffante Mittheilungen
und fagte dabei u. U. Folgendes:
„Sobald Auerbach fich einen Stoff
zu einer Arbeit erdacht und zurechte
gelegt hat, d. 5. fobald das literari-
ſche „Skelet“ von ihm in feften Zügen
und möglichſt genauen Umriſſen feit-
geftellt worden ift, beginnt die Aus—
arbeitung im „Rohen“.
folches Skelett foll
nicht arbeiten, fügte der Sprecher
hinzu. Zu dieſem Zwed nimmt der
*) Berlin, 1881, 3. 9. Schorer, Ber:
fagshandlung des Deutſchen Familienblatts.
Dichter einen gewandten Stenographen
auf fein Zimmer, und nun geht das
Dictieren los. Auerbach geht dann
baftig im Zimmer umher und fpricht
fich felbft den Wortlaut des zu ſchaf—
fenden MWerfes vor, der dann fofort
— alfo faft ohne jede Aenderung —
von dem aufınerffamen Schriftführer
in Gabeläberger’fhen Zeichen ausge—
drüdt zu Papier gebracht wird. Dies
dauert mehrere Stunden hintereinan—
der, fo daß in mehreren Sigungen
jelbft ein mehrbändiger Roman in
feiner ganzen Faſſung feitgeftellt wer:
den kann. Hierauf wird die Ueber—
tragung der ſtenographiſchen Zeichen
in deutſche Schreibjchrift vollzogen,
wozu mit weißem Papier durchfchoffene
Hefte verwendet werden. Nun aber
beginnt erſt die Hauptarbeit: die Fei—
lung und die VBervollftändigung durch
eingeftreute Bemerkungen. Die erfte
Arbeit, die Nachfeilung, nimmt wohl
jeder Schriftfteller mit feinen geiftigen
Schöpfungen vor, dagegen twird Die
Vervollftändigung und Ausſchmückung
durch Einftreuung gewilfer philoſophi—
icher, pſychologiſcher, moralifierender zc.
Süße, oder auch nur Heiner derartiger
Einzelzüge eine befondere Eigenthüm—
lichleit Auerbacdh’3 fein. Von ſolchen
zu Einſchaltungen geeigneten Sätzen
allgemeinen oder befonderen Ynhalts
hat Auerbach ſtets eine micht geringe
Anzahl bei ſich in der Brieftafche; fie
fommen ihm beim Nachdenfen, beim
Spazierengehen 2c., ähnlich wie dem
Gomponiften die mufitalifchen Gedan—
fen zugehen, und werden dann fofort
zu Papier gebracht. Hierin ift zugleich
die Erklärung zu finden, wie es kommt,
daß man in Auerbach's Schriften ganz
underhofft die Spuren geiftiger Ver—
tiefung antrifft.“
Ohne ein|
man überhaupt |
Es wird dem Lefer von Intereſſe
fein, zu erfahren, welchen Eindrud
Auerbach felbft von feinem legten Be—
juche bei Dr. dv. Scheffel mit fich ge—
nommen bat. Glüdlicherweife hat er
perfönliche Aufzeichnungen darüber Hin-
terlaffen, welche im dem nach feinem
Tode erfchienenen Werke: „Berthold
Auerbach, Briefe an feinen Freund
Jakob Auerbach” veröffentlicht worden
find.
Dort leſen wir:
„Radolfzell, 22. Auguft 1881.
Aus dem Haufe Victor Scheffel’s
ſchreibe ih Dir. — Ich bin feit
geftern Mittag Hier und habe gern
d’rein gewilligt, noch bis morgen
bier zu bleiben. E3 ift wunderfam
behaglih und ſchön hier... .
... Geftern Morgen fuhr. ich
mit bis Rorſchach und dann allein
hierher. Ich Hatte telegraphiert, und
der junge Scheffel erwartete mich
am Bahnhof; Scheffel kam mir beim
Haufe entgegen. Es ift ein ftatt-
liches Haus, das er ſich hier an der
Seehalde erbaut und mit einem
felbftgepflangten Garten umgeben
hat ; Alles zeugt von Wohlftand und
Ihönheitsvollem Behagen.
Ich mag viel Fehler haben, aber
neidifch bin ich nicht, ich gönne
Jeden fein Gutes und freue mich
deijen, nur möchte ich eben auch fo
was haben, ein eigenes Heim, eigene
Bäume. Echt gaftfreundlich, wie ein
homerifcher Held, ift Scheffel, und
124
I wir ſchmausten bei Tische den beften
Fiſch aus dem See und das beite
wilde Geflügel und tranfen dazu
den echten griechifchen Wein.
Nach der Mittagsrube, die durch
Reife und Trunk micht ſehr ruhig
war, wanderten wir am Ufer ent—
lang nad der Inſel Mettnau, die
das große Landgut Scheffel's aus—
macht. Das Haus mit dem fchönen
Thurme ift mittelalterlich, mit dem
beiten Geſchmack eingerichtet; ein
Schönes aber, wie ich noch nichts
gefehen zu Haben glaube, ift das
Zimmer im Thurme, mit der Aus:
ficht über den Weinberg, über den
See und nad dem Hohentwiel und
den Bergen des Hegau’s. Dort ſaß
ich lange aflein in dem großen Lehn—
ftuhl mit den maffig breiten Hand—
lehnen und fehaute hinein im die
untergehende Sonne, die in einer
unbefchreiblichen Pracht Alles ver—
Härte, und da ſaß ich und erinnere
mich nicht, daß ich je im Leben eine
höhere, über Alles emporgehobene
Stunde hatte. Mein einziger Wunſch
| mar: jeßt fterben zu können, und
| das fchrieb ih dann auch bei Licht
in das Fremdenbuch Scheffel's.“
Pondoner Sommertage.
Stizjen und Plaudereien
I.
Bon der Straße.
7. cd gehört gemeiniglich nicht zu
BE meinen böfen Eigenfchaften —
in vollem Maße ift er im mir immer
nur erwacht, wenn ich jo ein biederes
Bäuerlein in den Straßen unferer,
Stadt umberirren ſah. Diefes Schauen,
Stehenbleiben und Gefchobenwerden,
von Rudolf Rleinede,
\diefes Staunen und dieſes Verwun—
dern! Mer doch auch einmal fo ftau-
nen könnte!
©’ ift ja wahr, es gefchehen in
unferm Jahrhundert Dinge, wo man
wohl Mund und Augen aufreigen
kaun — aber man Hat dabei doch
noch nicht das Gefühl, das jo ein
ſchlichter Waldbauer haben muß, wenn
er zum erften Male die Wunder der
zu
Großſtadt fieht und welches Gefühl
auch einmal haben zu können bei mir
faft zur firen Idee geworden tar.
Wer doh auch einmal fo faunen
föunte! —
— Verzogenen Kindern muB man
ihre Wünfche erfüllen — und fo fand
ich mich denn eines jchönen Tages in
der Eity of London, wie ich, Hin und
her geichoben, geſtoßen und gedrängt
und jelber ftoßend und drängend fo
recht das erfehnte Gefühl genießen
fonnte. Nun Bäuerlein aus der Kai—
jerftadt, nun Hilf dir felbft, dacht’ ich
mir, ließ mich ein paarmal gehörig
auf die Fußſpitzen treten, um mur erft
ein wenig zum Bewußtſein zu gelans
gen, und trat dann meine Wanderung
jo gut als möglid an.
Und gut war e3 eigentlich nicht
möglich — denn hatte man die lebens—
gefährliche Pafjage tiber die Straße
hinter fih, jo kam man ſozuſagen
vom Regen in die Traufe, da, abge-
ſehen von der fcheinbaren Unmöglich-
feit, dab da am Trottoir noch Einer
Platz finden follte, auch die Engländer
auf der Straße eben nicht zu den
böflichften zählen, fo gentlemanlife jie
auch in ihrem Haufe find. Das drängt
und fchiebt und haftet durcheinander
und Hat man gerade Eile (und die
Scheint hier Jeder zu Haben), jo gehört
wirflih die ganze Kaltblütigkeit eines
echten Engliſhman dazu, um bei dem
faft an jeder Straßenfreuzung wieder—
holten Warten nicht die Geduld zu
verlieren.
Was hülfe es auh? Fährt ja
doch, unbeirrt um jeden Einzelnen,
Wagen an Wagen in eng gefchlofje=
ner Phalanı daher, undurdhdringbar
für den Fußgeher, bis zum Glüd der
an der Ede ftehende Gonftabler durch
eine Handbewegung endlich Halt ge»
bietet. Nun ergießt fih der jchon eine
ziemliche Weile geftaute Strom der
Fuhrwerke aus der andern Gaſſe in
fein Abzugsgebiet und nah fünf Mi-
nuten — wenn's gut geht — Tann
die erſte Wagenreihe ihren Weg wie—
der fortjeßen.
Und wie bunt das durcheinander
gewirfelt ift — hier eine bornehme
Equipage, deren Kutſcher felbft es ver—
ſchmäht, auch nur einen Blid auf den
zu Fuße fich fortbeiwegenden Pöbel zu
verſchwenden, da ein riefiger Omnibus,
auf deffen Dach ein Herr mit dem
Winde ringt, der ihm fortwährend die
umfangreihen Blätter der „Times“
zu entreißen fucht, dann wieder ein
Schwerer Laftwagen oder ein leichter
eleganter Gab, Alles bunt durcheinan—
der geworfen wie die Ideen im Haupte
eines jugendlichen Dichters.
Ein Wunder nur, daß Fein Bich—
clift dazwischen ftedt — denn Bicyele
fährt in London Alles, was Beine und
ein Fahrzeug Hat, vom eleganten
Sportsman bis herab zum Lehrling
oder Gehilfen irgend eines Gejchäftes,
der mittelft Trichcle den Kunden die
Mare zuführt, und wieder bis herauf
zur Lehrerin, die ich jeden Morgen,
einen Bad Bücher an ihrem Dreiräder
hängend, zur Schule fahren Jah.
Uber find wir erft in der Region
der Bichcles, fo find wir ja auch ſchon
fozufagen „gerettet,“ da geht es, wenn
auch immerhin noch lebhaft gemug,
doch ſchon ftiller zu al3 im Centrum
der Riejenftadt, in der City, wo man
im Anfange ganz betäubt wird von
dem koloſſalen Verkehr.
Der Wunſch ift ja befriedigt, ich
habe geftaunt wie ein richtiges Bäuer-
lein, das von der lieben Welt noch
nicht? gejehen außer fein Dorf —
ih kann getroft meinen Weg fort»
jegen nach ftifleren Stadttheilen.
Im MWeftend zum Beifpiel, im
Quartier der vornehmen Welt, da ift
e3 in den fchönen Strahen fo feier-
lich ſtill wie in einer Kirche; kaum
daß hie und da eine Equipage übers
Pflaſter rollt oder ein Erdbeerenver—
käufer mehr aus alter Gewohnheit als
in der Erhoffnung eines Gejchäftes
fein: „Strawberry, Strawberry!“
ſchreit. — Auch manche Partien der
——
großen Parks mit ihren weidenden
Skhafheerden bieten willkommene Zu—
fluchtsftätten vor dem Lärm der Welt-
ftabt.
Bis man aber diefe erreicht, wird
dak man ſich ja in London befindet.
— Ganz abgefehen von den zwei—
rädrigen eleganten Gabs, wo der
Kutfchbod an der Rüdwand des Was |
gens angebracht ift, und der Fahrgaſt
fomit gezwungen ift, mit feinem
Kutſcher durch eine Luke des Daches
zu conferiren, giebt es noch unter—
Ichiedlihe Fahrzeuge, von denen wir
uns daheim nichts träumen laflen. So
verkehrte am Leicefter- Square eine
Zeit lang ein Gefährte, auf dem eine
veritable Küche eingerichtet war. Ein
weißgelleideter dider Koch waltete da
geichäftig feines Amtes, während da—
neben bei einem Zifchchen ein dünner
ſchwarzgekleideter Schreiber (London
ift ja die Stadt der Extreme) nicht
fleißig genug fein konnte, um alle die
Beftellungen auf das an der Seit,
fommenden Männer mit Annoncen=
tafeln find eine ftereotype Straßen
'figur, und bei dein Make der ausge—
theilten Ankündigungen eröffnet ſich
hierin einem Händler mit Maculatur-
Weniger foftipielige Reclame, aber
mehr Gefchrei machen die durch rothe
Blouſen gekennzeichneten ſchmierigen
Buben, die mit Kennerblick den Rein—
heitszuſtand unſerer Schuhe prüfen
und Alle bereit ſind, gegen einen Obo—
lus von einem Penny unſerer Fuß—
umhüllung friſchen Glanz und ſchönes
Ausſehen zu geben. Die Zurufe der
Omnibuskutſcher und Conducteure iſt
man ja ſchließlich gewohnt, ebenſo die
Hauſirer mit Zündhölzchen und ſonſti—
| gen Lebensbedürfniffen, und wie nad
und nad die Straße ruhiger wird,
wird ınan es ſelber aud.
Aber bald gibt's wieder etwas
Neues. Auf der andern Seite fteht
eine Gruppe Zufchauer um einen auf
der Erde hodenden Mann herum, der
‚da eifrig, wie es feheint ohne Nuß und
wand annoncirte — Badpulver zu res Zweq. auf dem Boden herumwiſcht.
giſtriren. Urtheile man nicht zu früh — der
Ueberhaupt wird in Reclame Groß: | Mann iſt Künſtler! Auf einer alten
artiges geleiftet. Oder ift es etwa feine | Nummer der in leßterer Zeit jo viel—
geniale Idee, einen Ballon captif über genannten „Pall Mall Gazette“ hat
den Häufern ſchweben zu laffen, der er fein Material — ein paar färbige
in riefigen Lettern irgend eine Schwin= | Kreiden — liegen, die großen Stein=
deliware anpreift ? platten des Trottoird dienen ihm als
Alles und felbft das Undenkbarſte Leinwand und funftbegeiftert ſchmiert
ift zu Neclame und Annonce bemüßt. | — pardon! zaubert er da Gemälde
Die gelben Tafeln, die auf jeder her, die vielleicht troß aller böswilligen
Bahnftation des Königreichs „Keen's ‚Kritit undergänglich wären, wenn fie
Mustard“ anpreifen und deren Zahl | — nicht eben der nächte Regen ſchon
Legion ift, find ja eigentlich Ion
etwas ganz Gewöhnliches und Selbit-
verftändliches, beffer ift noch Pear's
dee, fein Feldgeſchrei „Pear's Soap“
auf Geldftiide einzuprägen — nalürs
lich nur auf franzöfifche vier Centimes—
Stitde, die als Penny curfieren, da
er bei folder Benügung engliſchen
Geldes ftrafbar wäre.
Die im Gänſemarſch (gerade wie
die Eonftabler, wenn fie zu Mehreren
ind) Einer Hinter dem Anderen daher—
wieder wegwüſche. Er iſt Colorift —
Malart ift fein Vorbild. Alle feine
Gemälde — Schiff im Mondfchein,
hellgrüne Berglandſchaft, Charakter—
‚töpfe, Thierſtücke ze. — ſind von einer
Farbenfülle, die ihres gleichen ſucht
und beinahe zu dem ungerechten Ver—
dacht verleiten könnte, der Künſtler
wolle durch möglichite Grelle blos die
Blide der blöden Menge auf fich len—
fen, damit diefe einen dem Genie ſchul—
digen Tribut in den neben dem Kunſt—
werk fliegenden Hut des Künftlers ı freilich weniger ideal als in Uhland's
werfe. Ballade — arbeitet einem Obrenarzt
Solder Stragenmaler gibt es eine |ausgiebigft in die Hände und fteht
Menge und find es hauptfächlich Taube | ‚nicht an, flatt der Föniglichen Nofe
ar die duch Ausübung dieſer ganz gemeine Pennyſtücke anzunehmen.
Kunft ihren Brüdern im Apoll’, Ben Späterhin wird's aber ungemüth—
— Werkelmännern Goncurrenz zu lid. Ih kann mit gutem Gewiſſen
machen fuchen. Denn auch diefe giebt jagen, im meinem ganzen früheren
es in London — freilich micht in fo Leben Habe ich nicht fo viel betrun—
erichredender Zahl wie im unferer kene Weiber gefehen als in London
Heimat. an einem Tage — Sonntag nicht
Diefes Minus wird jedoch mehr | ausgenommen.
als wettgemacht dutch diverfe Blase! Warum denm auch? Sanıftag find
mufifen md einzelne Birtuofen, die ſie's ja doch fhon und Montag find
auf den Straßen ihre Kunſt nad fie es noch — warum alſo gerade
Brod gehen laſſen. Befonders war es Sonntags nicht?! Die übrige Woche
ein Solotrompeter, der mich — bei trinkt man nur aus alter lieber Ge—
aller Achtung vor feinen Leiftungen wohnheit.
— faft zur Verzweiflung trieb und So gehört es denn auch gar nicht
mir beinahe den Glauben an Mars: zu den Seltenheiten, daß zwei ftreis
garethens Liebe zu Yung Werner |tende Weiber (von den mitunter braun
raubte. und blau gefchlagenen Männern gar
nicht zu Sprechen) plößlich einen ganz
regelrechten Gang boren — zum
größten Gaudium ihrer Mitmenfchen
— Da wir nun ſchon fo plans natürlich, die in Erhoffung eines ſol—
103 dahinbummeln, machen wir einen chen Schaufpieles oft mit unfäglicher
Heinen Abftecher im eine der Neben= , Geduld warten, bis das Wort endlich
ſtraßen. zur That wird und ſchließlich eine
Eine Nebenſtraße freilich dem allge- oder die andere in gebührender Aner—
meinen Verkehr — eine Hauptſtraße kennung eines kunſtvoll gegen fie ge—
aber den in dieſem Stadttheil Woh- führten Schlages den Kampf aufgiebt.
nenden. Es ift Samftag Abend und Laut eines vom Bolizeichef Hen—
man macht feine Einkäufe für die derfon veröffentlichten Ausweiſes twur-
Mode. Die Gefchäfte find bis fpät den denn auch von 78416 in Haft
in die Nacht geöffnet, Buden umd genommenen Berfonen, 12434 wegen
Berlaufsftände mit allen möglichen | Trunfenheit aufgegriffen, was immer-
Eßwaren, dazwischen ein Buchantiquar, | Hin eine ganz Hübfche Nummer reprä—
der jedes Stüd — fei es nun ein ſentirt, befonders wenn man bedenkt,
Band Shakespeare’fher Dramen oder dab die löblichen Hüter der öffentli—
ein Strauß’fcher Walzer — um dreiichen Ordnung in derlei Eleinlichen
Pence verkauft, Haben fich etablirt, und | Fällen ſehr glimpflich umgehen und
dazwischen ftreifen die Ladies der gewöhnlich fünfe g’rad fein laſſen.
Borjtadt mit ihren Einkauflörben. Hie Auch die öffentliche Sicherheit, für
und da, daß es doch an Unterhaltung | die übrigens gegen 12000 Boliziften
nicht fehle, kommt aus einem der nach beiten Willen und Gewiljen ſor—
Publikhäuſer ein Betrunfener und gen, wird dadurd in feiner Weile
bringt, don den vielen Lichtern phanz |irritirt, und ruhig Tann man die
taftifch beleuchtet, einen Grotesktanz nächtlihen Straßen durchwandern,
zur Aufführung. Ein edles Sänger: ohne für fein theures Leben fürchten
paar — in umferer profaifchen Zeit zu müſſen.
„Vergeblich Müh’n, mir zu entflieh'n,
Ih blafe ruhig weiter —.“
128
Den Nrmenquartieren an der
Themfe freilich, denen muB man hübſch
aus dem Wege bleiben. Diefe ſchmutzi—
gen und verwahrloften Diftricte ſucht
man ja jelbft tagsüber höchſtens
aus Wiffensdrang auf und zur Nacht:
zeit — zur Nachtzeit durchftreifen ſelbſt
die Gonftabler nur zu Vieren und
Sehfen diefe anmuthigen Gegenden
und ein gewöhnlicher Sterblicher thut
am beften, ſich „zu drüden”.
Der Mensch verfuche die Götter
nicht! —
Es ift überdies fpät und Zeit,
unfern Spaziergang zu enden.
„Ohne auch nur ein Wort über
die englifchen Frauen gefagt zu haben?“
Ueber die Frauen? Das erfordert
doch wohl ein eigenes Gapitel, meine
Gnädige.
„Und Sie werden es ſchreiben?“
Mit nichten. Dem Stoff, fürcht'
ich, ſind meine Kräfte nicht gewachſen
und meine Beobachtungen zu ſubjectiv,
obgleich, oder vielleicht eben weil ich
eingehende Studien gepflogen. —
„Man ſchilt ja die Ladies alle
erſchrecklich langweilig —“
Verleumdung, Madame. Alle ſind
es nicht und die, die es ſind —
„Nun die?“
Die amüſieren durch ihre Lang—
weile.
En famille.
Mir hatten eine furchtbare Unter-
lafjungsfünde begangen. Hatten eine
ganze zwei Spaunen lange und zwei
Finger dide Stearinferze bis zum letz—
ten Stummel herabgebrannt umd was
ren ausgezogen, ohne die dafür ſchul—
denden zwei Pence erlegt zu Haben!
Unferer guten, lieben Hausfrau fo
etwas anzuthun! Der Frau, die in:
mer jo freundlich war gegen uns und
von uns nahın al3 von anderen Leu—
ten. Sie hatte und, da einer der
erften Tage nach unſerer Ankunft in
London gleih ein Sonntag war, aud
fürforglich verfchiwiegen, wie an einem
ſolchen nur die deutſchen oder franzö—
ſiſchen Gaſthäuſer das Recht haben,
offen zu halten, hatte uns, immer be—
ſorgt um unſer Wohl, auch nicht ver—
rathen, wo ſich ſolche befinden und
ließ uns, ſo ſchwer ihr dies auch
ankommen mochte, lieber den ganzen
Tag mit hungrigem Magen herum—
laufen, als daß ſie mitſchuldig hätte
ſein wollen, falls wir uns an den
ungewohnten Speiſen den Magen ver—
dorben hätten.
Und trotz all und alledem ſind
wir ihr ſchnöder Weiſe die Kerze
ſchuldig geblieben, und ſie, ſie hat
ſelbſt hier noch Vergebung geübt und
die ruchloſe That nicht etwa Gott ge—
klagt, ſondern bloß den Nachbarn er—
zählt, die glücklicherweiſe ihrerſeits
genug Gerechtigkeitsliebe beſaßen, um
die Sache weiter zu Jagen, bis fie end—
fi auch uns zu Ohren kam und wir
durch Abtragung der Hingenden Schuld
auch einen winzigen Theil unſerer
moraliſchen tilgen konnten.
Die lieben Deutfchen in der Fremde,
fie find manchmal fo gut — — —
Bon Ddiefem Haufe kamen wir
in ein echt engliſches Bürgerhein.
Unfere paar Broden Schulengliſch
ſchmolzen angeficht3 des hier dominie=
renden Londoner Dialectes wohl in
Nichts zufammen und in den erften
acht Tagen waren wir nicht felten
gezwungen, zur Zeichenfprache unfere
Zuflucht zu nehmen. Aber abgejehen
von derlei Kleinigkeiten, die man mit
nur ein wenig Humor recht gut er—
trägt, hatte die Sache einen unleug—
baren Vorzug — wir fahen mit einem
Male mitten in einer englifchen Fa—
milie, für einen Fremden eine be=
fanntlich feineswegs leichte Sache. Wir
ftudierten engliſches Familienleben,
die, trotzdem wir doch eigentlich Lands- lernten Sitten und Gebräuche kennen
leute waren, doch nicht mehr Zins und dankten in unſerer Sündhaftig—
129
feit Gott, daß mir unferer lieben | gewöhnlichen Memı des Londoner
Landsmännin am Fitzroy-Square die | Mittelftandes aus Hammelfleifch mit
Wohnung gekündigt und — die Kerze | Kartoffeln und gefottenen grünen Erb—
bezahlt Hatten. fen und aus Pudding beſteht, machen
Um unſere Freude voll zu machen, die jüngeren Mitglieder der Geſell—
erhielten wir von verfchiedenen Ver⸗ ſchaft unter Führung des Tuftigen
wandten unferer Wirtin Einladungen, |Ontel® einen Heinen Berdauungs:
und wenn es einen verehrten Lefer ſpaziergang. Es geht ziemlich weit
nicht verdrießt, ſo möge er nur ge— hinaus aus den Häuſern, über Wie—
troſt mitlommen — es wird im den Ten md wellige Halden, den Thurloe—
nüchternen England wohl viel auf Hill hinauf.
Etiquette geſehen, doch iſt auch noch Man ſieht von ſeiner „Spitze“
finden und der von Bekannten einge- und findet an einzelnen Thurmſpitzen
ein gutes Stück Gaſtfreundſchaft ee 1 in den dunftumbüllten Koloß
führte Fremde findet jederzeit gaftliche
Aufnahme.
Unfer Weg zieht an der altehr-
würdigen MWeftminfter-Abbey vorüber
und an dem prachtvollen neuen Par:
lamentshaufe mit dem Big Ben, der
riefigen Uhr, auf feinem Thurme,
hinüber die breite Weftminfter- Bridge,
unter der die ſchmutzigen Wellen der
Themfe träge dem Meere zurollen.
Am jenfeitigen Ufer liegen die mäch-
tigen und doch ſchönen Gebäude des
Sct. Thomas-Hofpitals, links ſtromab
erblickt das Auge den aus Alexandrien
gebrachten Obelisk („Nadel der Cleo—
patra“) und in weiter Ferne den
mächtigen Bau der Pauls-Kathedrale.
In einem der Public-Häuſer neh—
men wir, wie üblich an der Bar
ſtehend, einen friſchen Trunk Bier oder
Limonade, oder beides zuſammenge—
mengt, und beſteigen dann die Tram—
way, die uns nach längerem Geholper
endlich an unſeren Beſtimmungsort,
nach Brixton, führt.
Das Häuschen unſerer Gaſtgeber,
mit einem zwei Schritt breiten Gärt—
hen davor, iſt wie alle andern rings
um. Wir fommen beim Eintritt im
einen langen Flur, von dem die Thü—
ren zu den Familienzimmern und
weiter rüdwärts zur Küche einmün—
den. Un der Rücdfeite des Haufes
breitet jih ein Garten aus — der
Stolz und die Freude feines Befigers.
Nah dem Efjen, das nad dem
Rofegger's „„Geimgarten‘‘, 2. Geft, XI.
fihere Punkte zur Orientierung. —
Eiwas weniger weit in entgegenge-
feßter Richtung liegt der breite, mäch—
tige und doch fo leicht aus Eifen und
Glas gewölbte Bau des Eriftall- Palace.
In feinem Innern birgt er Samm—
lungen aller Art, Reftaurationen,
Theater, Concert-Saal, und was im—
‚mer das Auge zu ſehen verlangt, es
fann es finden dafelbft. Riefige Park—
anlagen ziehen fih im Rücken des
ı Gebäudes hin und von feiner Terraffe
| bietet fih ein einzig ſchöner Anblid
den Befucher.
Das Alles ift vom Thurloe-Hill
aus freilich nicht zu fehen und nur
die Erinnerung ruft die Bilder wach,
wenn ſich das Auge geblendet abwen—
det von dem merkwürdigen Gebilde,
auf dem der Strahl der Sonne tau—
jend neue Lichter wedt, wenn er drü—
ber hingleitet.
Die Wege nah Loughborough und
Dulwich dürften wohl von Fremden
jelten begangen werden. Sie bieten
auch außer dem faftigen Grün der fie
umgebenden hügeligen Wieſen oder
einigen hübſchen Billen weiter nichts
Bemerfenswertes. Mehr belebt find
Denmarl- und Champion-Hill, die
befonders an Sonntagen von Spa=
ziergängern wimmeln.
Im Hauſe unferes Gaftfreundes
erwartete uns bereits die Jaufe: Thee
nit Butterbrot und Kuchen, Heinen
Seefchneden,, fogenanntee Winkles,
9
und winzigen, kaum zolllangen Krebs—
Ken (Shrimpe).
Onkel E. war übrigens einer von
denen, die ihre Erzählungen immer
mit: „Als ich noch in X war“ begin-
nen, und er ſetzte ftatt des X einmal
Amerika, ein andermal Afrika und ein
drittesmal Auftralien. Solcher Leute
gibt es in London nicht wenige und
man erfieht ſchon daraus, falls man
es nicht bereit3 früher in der Geogra=
phie-Stunde gelernt hat, die Größe
und Bedeutung der Engländer als ſee—
fahrende Nation. — Er zeigte uns
die von feinen Reifen mitgebrachten
Euriofitäten — chineſiſche Vaſen und
indianiſche Schneefchuhe, Bärentagen
und Mineralien und verfchiedenes an=
dere Zeug und Geriimpel, das meift
nur für den Eigenthümer oder ver—
rückt gefcholtene Leute, die auch derlei
ſammeln, Intereſſe und Wert hat.
Nachdem man uns noch das faft
Unmögliche zugemuthet hatte, nad all
den gaftronomischen Anſtreugungen des
Tages auch noch Fräftig zu Abend zu
effen und wir auch unfer Möglichites
geleiftet hatten, ließ man uns endlich
Abschied nehmen umd, einen Zug der
unterirdifchen Bahn benügend, flogen
wir unferem Stadtiheile entgegen. Die
Erinnerung an mancherlei auf dieſer
Bahn überftandene Abenteuer vers
fürzte die Fahrt und gab genügend
Stoff zum Lachen.
Die Metropolitan Railway ift der
naturgemäße Feind aller nicht voll—
ftändig mit ihr Vertrauten. In tiefer,
nur durch das im Coupe brennende
Lämpchen erhellter Nacht faust der
Zug dahin, ob auch über den Häu—
fern heller Sonnenschein lacht — die
Bahn fährt ja unter diefen weg.
Mit faft unverminderter Schnelligkeit
fährt man in die Station ein, hält
ohne jedes weitere Zeichen au; wer
heraus will, eilt Heraus und wer
hinein will, hat nur ſchnell die Thüre
aufzureißen und einzufpringen, denn
wie der Train gelommen, fährt er
130 _
auch wieder ab, ohne Signal und
natürlich ohne Nüdfiht zu mehmen
auf den Einzelnen. Da kann es denn
dem Neuling jehr leicht pafjieren, daß
er, wenn auch nicht wochenlang in
den unterirdifhen Gängen umherirrt,
wie jener Mann, von dem „Bund“
feinerzeit erzählte, doch verſchiedene
Stationen durchlaufen kann, ohne daß
er weiß, im welcher Dimmelsrichtung
er fich eigentlich befindet. Die Sta—
tionsnamen werden nicht ausgerufen
und ehe er in dem, die ganzen Wände
bededenden Wufte von Annoncentafeln
die Tafel mit dem Stationsnamen
erfpäht, ift der Zug längft wieder
unterwegs. — Zum Glüd verkehren
die Züge mindeftens alle 10 Minuten
und ein vorgekommener Irrthum ift
da immer leicht zu reparieren — falls
unſer junger Freund nicht bei der
Rückfahrt auch den Ausgangsort ver—
paßt, was übrigens Alles ſchon dage—
weſen ſein ſoll.
Nun, wir kamen diesmal glücklich
in Victoria-Station an, und nachdem
wir uns noch eine Viertelſtunde von
einem Omnibus, in deſſen einer Ecke
ein junger Staatsbürger fein Talent
zum Süängertfume mit mächtigen
Stimmmitteln documentierte, Hatten
durchfchütteln Taffen, waren wir zu—
baufe.
Die Großmutter unferer Wirts-
leute, die fich eines jo üppigen Bart-
wuchfes erfreut, daß fie ſämmtliche
junge Männer South: Stenfingtons
lebhaft darum bemeiden, ftand bereits
in der Area (umgitterter Raum vor
dem Haufe) und öffnete uns jelber
die Hausthüre. Iriſh Whisky, meinte
fie, wäre gut vor dem Schlafengehen
und credenzte uns noch ein Gläschen,
das wir auf ihr Wohl leerten.
An demfelbigen Abend habe ich
allen Engländern, die ich je ſammt
ihren rothen „Bädedern“ verwünſchte,
Abbitte geleiftet und zugleich einen
heiligen Schwur gethan, der Mitwelt
zu erzählen, wie ſolche nur Ausnah—
131
men feien von der Regel und wie die| „Landsleuten,“ die ftet3 auf ihre Un—
Regel, die im Lande felber herrjche, | entbehrlichkeit und auch auf die Unkennt—
eine gar gute fei. Und ich dachte, wie nis des Andern pochen, als Melkkuh
ich vorkommenden Falles lieber wieder zu dienen. Was letzteres ſich übrigens
— eine Kerze ſchuldig bleiben wolle | jeder nach London kommende „Grüne“
und mich zu Fremden ziehen, ftatt bei | hinter's Ohr fchreiben möge.
Todesfürdten.
A icht iſt's der frühe Tod, der mich erjchredt!
Se It Sterben doc nur endlos Ruhen, Schlafen —
Und wer ift tüdiih graufanı wohl genug,
Ein friedlih Ruh'n fich felber zu mißgönnen
Nah harten Tagwerk's mühevollem Schaffen.
Nicht iſt's der frühe Tod, der mich erjchredt,
Nur daß, wenn fühl die Erde bald mich dedt,
Mand liebes Aug’ um mich wird meinen,
Läßt gar zu ſchwer das Sterben mir erfcheinen.
Nicht iſt's der frühe Tod, der mich erjchredt!
Wer jeine Jugend hat zu Grab’ getragen
Und mit ihr abgeftreift den Farbenſchmelz
Bon Eintagsfalter, den fie Leben nennen,
Wird auch vor'm legten End’ nicht Teicht verzagen.
Nicht ift’3 der frühe Tod, der mich erjchredt;
Die Neue nur, vom Abſchiedsſchmerz gewedt,
Daß ih mand theu’res Haupt mußt’ kränken,
Läßt ſchwer und bitter mi an’s Sterben denken.
Nicht iſt's der frühe Tod, der mich erfhredt!
Hätt’ ich fie all’ verloren meine Lieben
Und des Verluftes herbe, tiefe Qual,
Berblutend, bis zur Neig’ erdulden müflen, —
Wär’ ih verlafien und allein geblieben —
Nicht wär's der frühe Tod, der mich erfchredt!
Der Kummer nur, zu tiefft in mir verftedt,
Im Tod noch Herzleid zu bereiten,
Läßt ſchwer dem Sterben mich entgegenfcreiten,
Aeontine Hrof.
Die Schildkröte.
Eine Erinnerung aus dem Leben meiner Kinder von P. R. Roſegger.
AZ ines Tages kam ein fremder, So eigentlich geftohlen, antwortete
Mann in unfer Haus, der ‚der Mann ebenjo treuberzig, hätte er
hatte eine Schildfröte zu verkaufen. fi zwar nicht, aber er gebe fie trotz—
Ob er fie irgendwo geftohlen | dem billig.
hätte? fragte ihn die alte Haushäl- | Als die Haushälterin das Thier
terin treuherzig. ‚aus dem rothen Sadtuch herauslugen
9*
ſah, that fie einen fehredbaren Schrei
undverhülltedas Geficht. Das ſchmutzig—
gelbe Wefen mit dem ruppigen Schilde
und dem bdreiedigen Kopf mit den
Glotzaugen war auch gar zu häßlich.
Uber die Kinder famen zuſammenge—
laufen, fanden das Thierchen herzig
über die Maßen und wollten es ha—
ben. Für ein Mittagseffen war es feil,
und als der Mann zu den zwei Sped=
Inödeln mit Sauerkraut auch noch ein
Stüdlein Fleifh drauf befam, gab er
bereitwilligft no die Gebrauchsan—
weifung bei, heißt das, was zu thun
wäre, daß das Thier nicht Hin würde.
Man dürfe nur feinen großen Stein
draufwerfen, fonft könne man alles
thun und es fei unglaublid, was fo
ein Ungeheuer für ein zähes Leben habe.
Der Heine Hans unternahm fo=
fort eine Probe, er fahte das Wefen
mit zwei Yingern behutfam an der
Scale, ftellte e8 auf den Erdboden
und flieg darauf. Im Augenblid hatte
die Kröte Kopf, Schwanz und Pfoten
unter das ſchützende Dach gezogen
und al3 wir es aufhoben, floß es
zwifchen feinem gelblichten Bauch= und
feinem hübſchgewölbten brauncarrirten
Rüdenfchilde wieder gemüthlich aus—
einander.
Hierauf wurde eine Kleine Stifte
herbeigeholt, der Boden derfelben mit
Gras bededt, die Kröte Hineingeftellt
und damit waren alle Bedürfniffe
diefes befcheidenen Gefchöpfes Gottes
befriedigt.
Täglich mehrmals, ‚wenn es den
Kindern einfiel, wurde die Schildkröte
auf den runden Gartentifh heraus—
Ihre Feuchtlalte warzige Haut, ihr
langfan auf und zu gähnender zahn-
lofer Rachen war überaus widerlich.
Nur ein paar Augen Hatte fie, die
bisweilen glühend wie Rubinlein zwi—
ſchen den wulſtigen Lidern hervor=
funfelten.
Zange hatten wir dad Thier vor
dem Haushund zu ſchützen gefucht,
weil wir fürchteten, der Sultl wiirde
ihm den Garaus machen. Einmal aber
ftürzte der Hund auf die Schildkröte
(08, fchredte jedoch wieder zurüd, zog
den Schweif ein und ſchlich mit fchief
gefenttem Kopfe davon. Das Ding
war ihm zu häßlich gewefen. Seitdem
fam er gar micht mehr zu uns an
den Gartentifch, wenn die Kröte darauf
| umherkroch.
| Bisweilen waren wir ganz allein
am Tiſch, die Schildkröte und id.
Und das war merkwürdig, mein Ab—
ſcheu vor ihrer Häßlichkeit verwandelte
ſich almählid in Zuneigung und
Liebe. Die Natur ift doch überall mit
Schönheit durchhaucht, auch dort, wo
fie nach unferen Gewohnheitsgefühlen
häßlich iſt. Häßlich kann nur ein
| Stümperwert von Menjchenhand fein,
abjolut häßlich kaun nur das böfe
Princip und die ablichtliche böfe Hand—
lung des Menfchen fein. Und wie war
unfere Schildkröte ein gutmüthiges,
harınlofes Geſchöpf! Wenn es fo zu
meiner Hand herankam, feinen Kopf
zuerft vorfiredte, fie dann ein wenig
berührte, wenn es endlich fein mit
ſcharfen Häckchen beſetztes Humpiges
Pfötlein an meinen Finger legte,
wenn fein fenchtkalter Leib auf mei—
ner Hand ruhte, da war ich fehler
gethan, auf demfelben herumfpazieren verfucht, dasfjelbe zu thun, was zu
gelajjen und genedt. Man verrammelte | meinem Entſetzen da3 zweijährige
ihr die Richtung, die fie eingefehlagen | Grethen jo oft gethan hatte. Das
hatte — da wendete fie fich langjam | Gretchen pflegte die Schildkröte mit
feitwärts; man fißelte fie mit einem, beiden Händlein zu fallen, an feine
Strohhalm am Kopf, da zudte diefer | rofigen Wangen zu drüden und ihr
unter den Schild hinein. Wenn ſie auf den dreiedigen Kopf herzhafte
zum Zifchrande kam, ftredte fie den | Küffe zu verfegen.
Hals aus, ſchaute vorfichtig in den Manchmal ließen wir dad Thier
Abgrund und Fehrte ſich jachte um. auf dem grünen Anger frei herum—
133
fpazieren, und e3 war eine Mühfal,
bis es jeinen Eafterlangen Weg zurüd-
gelegt Hatte. Einmal hatten wir feiner
vergeflen und als wir es am Abend
auf dem Raſen fuchten, war es fort.
Einestheild freute ich mich darüber,
daß es micht mehr gefangen und von
Menſchen bevormundet war, fondern
im Freien, unter Büſchen und auf
Moorgründen ein krötenwürdiges Da-
jein führen fonnte; andererjeit3 hegte
ih Beforgnis, ob es wohl mündig
genug fei, um ſich allein durch die
Welt zu bringen.
Einige Tage nachher trat ein Bauern-
fnecht, der jeden Tag am Angerzaune
vorübergieng, in die Umfriedung uns
feres Sommerhäuschens und rief den
Ichaufelnden und fpringenden Kindern
zu, ob fie einen Vogel haben wollten,
er hätte einen Vogel bei ſich.
Ob er lebendig wäre?
Lebendig wohl, aber Flügel hätte
er feine, Hingegen jedoh auf dem
Nüden und auf dem Bauch eine
beinerne Haut! Und zog aus feiner
Taſche die entlaufene Schildkröte. Na-
türlich großer Jubel! Das Thier ſah
etwas abgehärınt aus und ftredte uns
feinen Kopf entgegen.
Jetzt genoß die ſchöne Schild—
kröte wieder mehr Auszeichnung, deren
ſie ſich zu freuen ſchien. Nur wenn ſie
in die Hände des kleinen Gretchen fiel,
zog fie Kopf und Beine eilig unter
die Schalen, weil fie mit ihrem falten
Blute von allzu leidenfchaftlichen Lieb-
fofungen doch fein Freund fein mochte.
Anders wurde es, als die Erd—
beeren reiften. Da waren die Finder
den ganzen Zag im Walde, und als
da3 Heumahd kam, fprangen fie
draußen auf den Wiefen um und
halfen den Leuten beim Heuen, bis
man eine Magd dem geſchäftigen
Gretchen zurief: „Weg da, Heine
Grill’, ſonſt nudle ih Dich unter den
Schober hinein!” Der Hans fand,
da das Aufdemkopfſtehen gar nirgends
jo gut laffe, als im Hen. Kein Wun—
der, dab des Abends den Kindern die
Augen zufielen, bevor fie noch ihre
Milhfuppe zu fich nehmen konnten.
Erft als die Regentage kamen,
war der Taumel aus. So fuchten fie
ihre alten Spielfahen hervor, und
al3 fie auch die Schildfröte wieder
einmal aus der Kiſte haben wollten,
war fie tobt. Zodt — und ftredte
ihre fteifen, gekrümmten Pfötlein
himmelwärts.
Der Hans war im erſten Augen—
blick dieſer Entdeckung etwas blaß ge—
worden; faßte ſich aber bald und
fagte: „Das macht nichts. Der Model—
bub giebt und ein Kaninchen, da brau—
hen wir feine Schildkröte!“
„Hans !” fagte ih, „komme ein-
mal mit mir, ich will Div was err
zählen.“ Ich gieng in den Baum—
garten, er trippelte mir nad. Auf
der Bank unter dem Apfelbaum ſetzte
ich mich nieder und nahın den Kna—
ben auf den Schoß. Er blidte mir
mit feinen ſchwarzen munteren Augen
in das Geficht, ſchon begierig auf die
Neuigkeit.
„Hans,“ ſagte ich, „ſiehe, hier iſt
ein Apfel vom Baum gefallen.“
„Darf ich ihn effen ?*
„Er ift noch Hein, noch lange
nicht reif — muß verfaulen,“ ant—
wortete ih, „Kind, auch wir können
abfallen zu diefer Stunde und in’s
Grab finten.“
„Vater!“ rief der Knabe Luftig,
„der Engel wedt uns wieder auf.”
„Er wedt Did wieder auf. Er
führt Dich zum Nichte. Der Engel
und der Böfe ftreiten Schon um
Deine Seele. Da frägt der Gott Richter:
Warſt Du Deinen Eltern gehorfam ?
Haft Du allzeit die Wahrheit gefagt ?
Haft Du Deine Gefchwifter lieb ge—
habt ? Bift Du nicht trogig und nicht
zjornig geweſen? Wohlan, mein liebes
Kind, fo nehme ich Dich zu mir in
den Himmel herein. — Jetzt aber in
\demfelben Augenblid kraucht zwifchen
den ſchwarzen Erdſchollen hervor ein
träges, armſeliges Thier — eine
134
Schildkröte.
Herrgott auf ein Wort.
Engel zu. — Engel, jagt der Herr—
gott, laſſe fie zu mir, fie ift auch
mein Geſchöpf. Was willft Du, armes
Thier? — Herr, mein Gott, jagt die
Schildkröte, ich bin elend gemug ge=
wejen auf Erden. So häßlich!
verachtet! So hilflos. Ad, wäre ich
noch häßlicher geweien! Die Häßlich—
feit war mein einziger Schuß. Aber
gerettet Hat fie mich doch nicht. Ich
habe das Unglüd gehabt, einen ſchö—
nen NRüdenfchild zu befißen, da haben
mich die Menjchen gefangen, über das
Teuer gehalten, bis der Schild ſich
losgelöſt Hat,
Sie thät’ bitten beim
— Spute
Did, häßliches Ding! pfaucht ihr der
SS
haben den Schild in,
ihren Sad geftedt und mich dann hat's nicht gewußt.
„der Gott Richter feine Hand aus,
um Dich von ſich zu weifen, da riecht
die Schildfröte herbei zu feinen Füßen,
biegt die vorderen Pfötlein, als ob
fie fnien wollte, und jagt: Herr mein
Gott! verftoß ihn nicht von Dir! Aus
böjem Willen bat er's nicht gethan.
Er hat's nicht gewußt, nicht wiffen
fönnen, wie wehe es thut. In feiner
Jugend Freuden hat er meiner nur
vergeffen. Den Bogel Hat er gehört
fingen und hat ihn geaßt, den Donner
bat er gehört krachen und hat gezittert.
Ih Habe keine Stimme, mich hat er
nicht gehört. Er ift in Jubel geweſen
auf ſonnigem Unger, ih bin nicht
weit von ihm in meinem Gefängnis
fill und qualvoll Hingeftorben. Er
Verzeihe ihm!
wieder ins Gras geworfen, bis der — Da legt Gott die weiße Hand auf
Schild neuerdings gewachſen. Ich Habe | Deine Achſel und fagt:
das Unglüd gehabt, von Menfchen ge-
liebt zu werden. Sie haben mich ge-
genährt und durften lafjen.
hätte weniger gelitten.
haben fie mich gequält, geliebloft, Hin |
und hergefchleudert zu ihrer Quft wie
verhungern, vergehen laſſen. — So
Ipricht die Schildkröte. Da befiehlt
Gott der Richter: Nenne mir Deine
Mörder! — Das Thier ftredt lang-
ſam feinen braunen, ſchuppigen Hals
aus, hebt den Kopf, deutet auf Dich
und jagt:
— Du?! ruft Gott und blidt Dich
firenge an.
dann fteht die Sadhe anders! — Da
bebt der Böfe ſchon an, vor inneren
Subel zu kichern. . . ."
Mein Hans hielt bei diefer Darz |
ftellung den Athem ein umd ich fah |
die Angft, die nun in feinen Zügen |
hervortrat. Ich wollte ihn auf dei,
Raſen niederlaſſen, allein er klammerte
fich feft an meinen Arm und begann
zu Schluchzen.
„Schon ſtreckt,“ jo fuhr ich fort,
| werfen will ih Dich nicht.
Dich wieder zurüdichiden auf die Erde
fangen, eingeferfert, mit faulen Gras |
Märe |
mein Leben nicht jo zähe gewefen, ich |
Nah Willfür
da höre ich Deinen Schrei.
einen Spielballen, haben mich in die,
Hinfternis gethan, haben mich frieren, | jagt:
Da fteht einer von ihnen!
Knabe, wenn Bon jo ift, | den.
Hans, ver—
Ich will
und Du wirft dein Vergehen büßen.
Nicht als der flinfe Knabe follft Du
über die blumigen Wiefen hüpfen,
ſondern auf ſchlammigem Boden foltft
‚Du als Schildkröte... . Mein Kind,
Aber die
Schildkröte ftreiht an Dich heran und
Sei getroft, Freund, auf ſchlam—
migem Boden, in Wald» und Sumpf:
gründen iſt es micht ſchlimm. Bitte
Gott; daß er dir nicht den zierlichen
Panzer auf den Rüden fehnaflt, bitte
ihn, daß du eine Kröte ohne Schild
fannft fein, bitte ihn um recht viele
Häplichkeit, daß dich nicht das Unglüd
treffe, don Menfchen geliebt zu wer—
— Dann ift es feine Strafe,
Sagt der Gott Richter, dem Thier im
‚Schlamm ift oft wohler, als dem
Menschen, der aufragt gegen Himmel
und dejjen Kopf und Herz im heißen
Sonnenſchein muß reifen. Nein, Kind,
werde ein Menſch, bleibe ein Menſch,
ſei der große Leidträger, der unter
‚feinen eigenen Schmerzen wimmert
und noch Mitleid Haben muß mit allen
übrigen Gefhöpfen der Erde. Und
haft Du Dich fo ausgelebt und ausge—
135
litten, dann komme zu mir, dann bift „Und wenn fie lebendig würde,
Du mein.“ So hatte ih mehr zu mir was wollteft Du mit ihre machen ?“
jelber, al3 zum Knaben gefprochen. „— Zum Teihfchlamm hinaus—
Der Heine Hans Hatte fein Haupt |tragen und fie frei laffen,“ war die
an meiner Bruft geborgen und zitterte. | Antwort des Knaben.
„Aber die Schildkröte ift ja noch Und feither haben wir feine Schild—
todt!” rief er fpäter, als er fie in | fröte in der Stifte, Fein Goldfifchchen
der Kiſte auf welfem Gra3 liegen fah. | im Glafe, keinen Vogel im Käfig mehr
Er nahm fie in die Hand umd vers |gehabt. Der Hans hat feines diefer
fuchte, ihr Leben einzuhauchen. Leben!| Thiere mehr geliebt, und zwar —
Es ſchien ihr nicht mehr darnach zu aus Liebe zu ihnen,
gelüſten.
Hodhlands:Picder.
Gedichte von Robert Burns, in die Alpenmundart überjegt von 8. Sp.“)
Die böfe Bäurinn.
(There Jived a carle on Kellyburn braes.)
4 Bauer hat ghaust üntern Kellibach-Eck;
at (Die Rauten wadhst ban Thymes gern)
Erin Weib, dd war granti und banti und fed.
(Sie blücht erft, wann er wel will wern.**)
Amahl, wie dr Bauer a Holz führt, a jchnöds,
Begegnt n dr Teufel, und fragt n: Wie gehl's?
„Ih Han a böj’s Mei, füften gang’s nit ſchlecht um;
Denn mit Vrlaub 3 rödn, gegen dö jeid’3 Des frumm,*
„Ghalt Du Deine Oechsln und Roß, was Dih gfreut,
Ahr gib mr Dein Weib, Bar! af dö hiet ih Schneid.“ —
„O mein Gott, wie ge'n!“ jagt dr Bauer, „Des gipoakts!
Wann dd Ent fo gleichfiecht, ſeid's örger als's hoaßts.“ —
Dr Teufel, der Takt iehm nit zwoamal dös fagn,
Und hat bugglfraren die Alte forttragn.
Ban Höllenthor fest x fein MWeichfahrtl a,
Sagt: „Das ij Dein Hoamat! biez, Queder, bleibft da,“
Und fufzg va fein Bandl ausſuechter ſih gſchwind,
Dö waren den Weibl ihr Wacht und ihr Gſind.
Die Bäurinn fahrt drein wie-r an angſchoſſner Bär,
Und wen fie drlängt, der vrlangt fih nie mehr.
*) Eiche Heimgarten X. Jahrg. Eeite 684.
“) Die zweite und vierte Zeile kehren im Original in jeder Strophe ebenſo eingeichaltet wieder, wie
in nordiſchen Balladen,
136
Dan pehichwarzes Fanggerl hat anghöbt is fchrein:
„D helfts, Moafter! helfts Uns; ba der gehm mr ein!“
Dr Teufel hat gfluecht feine ſchwareſten Flüech:
A Man, der a Weib hat, drbarmet iehm ſchiech!
Er dankt ünfern Herrgott gar hali und hoch,
Daß er in den Loc ij und nit in den Jod.
Drauf hat fih dr Satan glei wieder aufgmadt,
Und hat fein'n Schak zu ihren Alten zrudbradt.
„Ih bi hiez ſchon Teufel, jo lang a8 ih dent;
Aber d Höll kenn ih ext, feit ih
Ssausfrenz.
(O aye my wife she dang me.)
Mein Alte hat mih ſchiech angſchmierſcht;
Und wie ſ mih oft amal kunierſcht!
Laßts nur an Weib ſein'n Willen,
Mein Dad, da jeid’3 petichierjcht.
35 han in Fried und Rueh wöllt’ lebn,
Und bi der Narr und heirat;
Hätt’s nit vriehrter an funnt hebn:
Us warn Danr 8 Haus anfeurat!
Dan Troft if, der mr’3 noh vrſüeßt
Das furfchze Leben-Trimmel:
Ih han mein Höl ſchon da abüeßt,
Und fimm van Orſcht in Himmel.
Mein Alte hat mih ſchiech angſchmierſcht;
Und wie j mih oft amal funierjcht!
j geholt Han ban Ent.*
Laßts nur an Weib ſein'n Willen,
Mein Dad, da ſeid's petichiericht.
Hausmũhle.
(Cauld is the e’enin’ blast.)
Es blast a hölliſch Talter Wind
Um Weihnachten af d Nadt;
Und i dr Fruüeh hat's ſchon an Froft,
Daß über d Höch alla kracht.
Es tost der Wind, es beikt der Froſt,
Wer draußten if, hat gnue;
Und Schnee waht wi-r a finfter® Gwülk
Die Berg und Graben jue.
378 aber noh fo finfter giwen,
Und gwaht hätt’8 wie dr will,
| Die Gretl hat doh Malter ghabb
Af ihrer kloan'n Mühl.
Alpendlume.
(Yon wild mossy mountains.)
Die miefige Ulm, dö fo broat dort auffleigt,
Und dö unfer Mur als a Fatſchlindl jäugt,
Wo die Brombenn ihr Bruet zwiſchnen Haadah umführt,
Und der Halterbue fingt, und dr Enzian blücht --
Und der Halterbue fingt :c,
Die Iuftigfte Gegend und 8 prädtigfte Gſchloß
Vronüegt mih nit jo wie das mieſige Moos,
Tort if in an oanſchichtign Graben dahaam
A gar a ſüeß's Dirnl, mei Sinn und mei Traanı,
A gar a ſüeß's Dirnl :c,
Der Alm gehn ih zue, und fort auf nachn Bad;
As faamt an ieds Waſſerl ſein'n Ninnfali nad;
Dort fteig ih min Dirn! viel Tag umanand,
Mir zölen foa Stund, wie d Brliebten ſcha thant.
Mir zölen koa Stund ꝛc.
Sie if nöt die Saüberfte, fauber juft wol;
Sie hat nit viel glernt, a8 is 3 weit i die Sdul;
ge! a lödige Mueter, va der fie nir ierbt —
Ih lieb halt das Haſcherl, weil fie mih jo liebt.
35 lieb halt das Hafderl :c.
—
Wann Oane recht ſchön if, as if ſchon a Luft,
Schlagt d Augen bald auf und bal nieder af d Bruſt,
Bald jeufzt fie, bald lat fie und jpigt ihri Rödn:
Das blendt Oan'n und brennt Dan’n, ma fan’s nit drwöhn.
Das blendt Oan'n ꝛc.
Glanzt aber mein'n Schagl fein Blid voller Lieb,
Dagögn if dr Schein von an Edelftoan trieb;
Und klopft ihr guets Herz, warn | nıih nimmt um n Hals —
Da nimmt | mr mei Herz und n Kopf mit und Wlls.
Da nimmt | mr mei Herz ꝛc.
Adendflunde.
(When o’er tbe hill the eastern star.)
Wann's Ste'n! dort dr Sunn nadfintt,
Und Alles fuecht fein Rueh,
Die Ochſen gehn von Baugrund miled
Und jhwar dr Hueben zue,
Es rauſcht dr Bad, es reist dr Thau | „Diaz dust ih halt“ zc.
Da meld ih gihmwind mein Huch,
Und af n Birfenbödn! obn
Kimm ih za Dir, mein Bue!
In tiefften Grabn, um Mitternadt,
Ban Fürdten war foa Spur,
Wann ih dur felln finftern Grabn
Dir zuegang, lieber Bue!
Und war die Naht glei noh ſo ſchiech
Und müd war ih ſchon gmue,
Af's Birkenbödnl fam ih doh
3a Dir, mein lieber Bue!
Dr Jager ſuecht in fritehen Thau
As Ned: und Dirfhengipur;
Um Mittag ftöbert nah n Bad
Dr Fiſcher mit dr Schnur,
Gebb’3 mir die Stund wann's dumper wird!
Da geit mei Herz foa Rueh,
Und jchlagt n Birkenbüher! zue
Und Dir, mein lieber Bue!
Die „Menſchinn““.
(Good e’en to you, Kimmer.)
Wohin fo jpat, Menſchinn?
Hab fill zan an Plauſch!
Wia geht's Dr? — „Buat,“ fagg fie,
„Woaßt, ih han an Rauſch.
Diaz dus! ih Halt hoam,
Dust ih, dusl ih halt hoam.“
„Die Kathi hüatt's Haus,
Und fie kocht fi an Schmarn;
Dr Teufel follt j holn,
Wann j ah dusli war worn,
Diaz dusl ih halt“ :c.
Wia lebft denn aft, Menſchinn?
Was haft für a Koft? —
Dort hintern Wald, in Queger-Grabn,
! „Halt zwoa Krüagl Wein
Oder vier Krüagl Moft.
Diaz dus! ih halt“ ꝛc.
Wia ſchlaunt's Dr? frag ih.
Mia viel haft denn Sinner? —
„Halt fünf,“ fagg fie.
| Und füften, han Menſchinn,
San f alle van Hanjel?
„Ba dreien is 8 gwiß!
Zwoa han ih befemm,
Wiar r ausgweſen ij.
Diaz dus! ih halt“ ꝛc.
„Die Kath frißt gen Milch
Und ge'n Gſchnattel dr Hund;
Und dr Bua fraß’ die Dirn,
Und fie eahm, wann fie funnt,
| Diaz dus! ih Halt hoam,
| Dust! ih, dust ih halt hoam.“
|
Nani.
Gehind yon hills where Lugar flows.)
Wo d Alnı auffteigt jo ftaani, o,
Hat d Winternaht die Sunn begrabn —
Ih will zu meiner Nani, o!
Wann Wind und Negn af's Fenfter ſchlagn,
Schleich ih mih hoamli dani, o,
Und tapp in mein’'n Lodenfragn
'n Steig zu meiner Nani, o!
Mein Nani if jo jung und friſch,
Gfallfünften braucht fie faani, o;
Das giftet mih ſchon ſakeriſch,
Vrlaxlet Daner d Nani, o!
Bildſauber's Gſichtl, und a Gmileth,
As geit foa zweit nöt, maan ih, o:
U NRuderl, dös in Thau aufblüeht,
Init fo rein wie d Nani, o!
Ih bi nr glei a Bauernbue,
Mein Freundſchaft if a klaani, o —
Und war j noh fleaner, mir if | gmue,
Ih gfall ja meiner Nani, o!
Mei Reihthum if mein Arbetslohn,
Und noth zan Klugſein han ih, o;
Mir lag in Geld und Guet nir dran, |
Es war nr für mein Nani, o!
138°
Mein Bauer lobt fein Viech und Troad
Und ib — ban Pfluegſterz lahn ih, o,
Und dent: Lob zue, mir if nir load —
Was denkt hiez ebba d Nani? o!
Kimm’s wie dr will, guet oder ſchlecht,
Mih kümmert nur dös
Mani, o
Dak ih recht lang noh jagen möcht,
Ich leb' und lieb mein Nani, o!
Dolksfagen aus den ſteiriſchen Bergen.
Von Hanns von der ann.
IV.
Arſprung der Sirde Maria
Sreienflein. |
|
IN ohl Jedem, der ſchon auf der
Siraße zwiſchen Leoben und
Trofaiach luſtgewandelt, iſt das males |
riſch auf einem ungefähr 100 Meter
hohen, ſteilen Felſen gelegene Wall—
fahrtslirchlein Maria Freienſtein bei
St. Peter aufgefallen. Gar Manchem
wird es gelüſtet haben, da hinanzu—
klimmen zu dem pittoresken Gottes—
hauſe, und wenn er dann oben ans
gelangt war, wird ihn ficher die Schöne
Ausfiht von bier die übrigens nicht
jo großen Mühen des Hinanftieges
vergefien Haben laſſen.
Diejes Kirchlein ift erbaut auf den
Nuinen eines gleihnamigen Schlofies,
in früherer Zeit insgemein „die Burg |
bei St. Peter“ genannt.
Bon den lebten Befigern diefer |
Burg erzählt man ſich, daß fie nicht
}
zu Spulen. In der Naht zwifchen
11 und 1 Uhr war ftet3 von der
Ruine zu dem gegenüber liegenden
Felſen eine gefpenftifche Mauer, welche
den Yuhrleuten den Weg -verfperrte.
Zugleich hörten die Leute, welche um
diefe Zeit auf der Straße giengen,
Schon von weitem den Häglichen Ruf:
„Hanns, wo bift Du?“
Diefer Ruf Hang fo ſchaurig durch
die ftille Nacht, dak es Jedem, der
ihn hörte, angft und bange wurde;
daher, wenn Jemand gezwungen var,
hier um die Geifterftunde zu geben,
er trachtete, nur bald ein ſchützendes
Haus zu erreihen, um den böfen
Geiftern auszuweichen.
Nun Hatte eine Herrichaft, welche
in der Nähe der Burgruine Freien—
ftein ein Schloß befah, einen Hof—
narren, welcher Hanns hieß. Als diefer
einft um die Mitternachtsftunde mit
feinem Gebieter an dem Felſen vor—
überfuhr, fonnten die Pferde plößlich
nicht mehr weiter, die geſpenſtiſche
fo gewefen, nicht fo gelebt hatten, wie | Mauer fperrte die Straße ab. Auf
es hätte fein follen. Sie bedrüdten | einmal ertönte der Ruf: „Hanns, wo
die Unterthanen, begangen viel Un- biſt Du?“
veht und häuften Neichthümer auf „Bier!“ antwortete der Hofnarr,
Neichthümer. Als nun der lebte Ber |ftieg aus dem Wagen und jehritt den
ſitzer, welcher es am ärgften getrieben | fteilen Pfad zur Burgruine hinan.
haben foll, ftarb, zerfiel auch die Burg Als er beim zerfallenen Schloßthor
und es begann zwifchen dem Gemäner | anlangte, Jah er ein Kleines, ſchwarzes
Männlein auf einer überaus großen
eifernen Stifte ſitzen, das Geficht in
den vorgehaltenen Händen verbergend.
Der Hofnarr fagte zu dem Männchen:
„Haft Du mich gerufen? Sag’ nun,
was Du willft!”
Der Heine Schwarze fprang be—
hende von feiner Sipftatt auf und
verfuchte die ſchwere Kiſte zu ziehen
und zu heben, was er aber nicht zu
thun vermochte. Endlich ſagte er zum
Narren: „Geh’, Hilf mir die Stifte
heben, fiehit ja, daß ich es allein nicht
zumegen bringe, bin ſchon ganz mid’
und matt!“
Hanns aber rührte fich micht von
der Stelle. „Könnt mir nicht ein—
fallen,“ ſagte er, „verſuch's mur, es
wird ſchon geh'n!“ Num verlegte fich
das Männchen auf's Bitten, aber der
Hofnarr blieb unerbittlih und ſprach:
„Hilf Dir ſelbſt!“
Nah diefen Worten machte das
Männlein einen Saß und jubelte:
„Nun bin ich erlöst von meiner Bein!
Das Geld, welches da drinnen ift in
Schleier der geheimnisvollen Sage,
üben einen gar eigenartigen Eindrud
auf das Gemüth des Wanderers, der
feinen Fuß hieher ſetzt, und erfüllen
ihn mit heimlichem Schauder. Nur der
Anblid des Dörfleins Waldra, welches
zu feinen Füßen liegt und gar freund
ih herauffchaut, vermag den düſtern
Eindrud ein wenig zu mildern; aber
auch Diefes bietet ein romantifches
Bild, denn feine Häufer liegen ein=
gezwängt zwifchen zwei Giekbächen,
die ſich knapp an der Straße gäh in
eine nicht unbeträchtliche Tiefe ftürzen.
Auf der Höhe des Waldraftein joll
nun vor Alteräzeit ein Schloß ges
ftanden haben, von dem noch die um—
liegenden Steintrümmer herrühren;
auch Fünf fteinerne Stufen, die bier
erfichtlich find, follen davon herrühren.
In der Höhle felbjt aber wohnten
früher die Unifrauen.
Es waren dies Wildfrauen, gar
wunderſchöne weibliche Wefen, die fich
ftetS unbekleidet zeigten. Der Oberleib
war ganz wie der eines Holden Frauen—
der Stifte, gehört jeht Dir.“ Darauf) zimmers, die Hände fchön weiß und
verfchwand es, und feilden hörte jeder
Spuk dafelbft auf.
Der Hofnarr gab das Geld der
Herrichaft, diefe aber mochte es auch
nicht gerne behalten und fchenfte es
den Sefuiten, welche der Saifer da=
mals
Diefe erbauten dann auf den Ruinen
der alten Burg das Hirchlein zu Ehren
der heiligen Mutter Gottes.
V.
Die Anifrauen auf Waldraſtein.
Ein Ausläufer des als Aufent—
halts- und Verſammlungsort der Hexen
berüchtigten Hochſtradners iſt der Wald—
raſtein, ein Baſallfels mit breiter, ſchroff—
abfallender Wand und einer Höhle.
Es iſt eine recht ſchauerliche, wildro—
mantiſche Gebirgslandſchaft. Die zer—
ſplitterten Baſaltfelſen mit ihren dun—
keln Schluchten, umwoben von dem
in das Land gerufen hatte. |
glänzend; der Unterleib aber war rauh
und Hatte etwas Thierartiges, insbes
ſonders zeigten die Füße ein eigen
artiges Aussehen.
Die Unifrauen waren jehr men
ſchenſcheu und flüchteten ſich ſogleich
in ihre Höhle, wenn Jemand ihnen
nahe kam. Im Uebrigen waren ſie
braven Menſchen ſehr zugethan und
verrichteten für ſie ſelbſt die Feldarbeit,
was meiſt des Nachts oder in früher
Morgenſtunde geſchah. Beſonders zeig—
ten ſie ſich den Bewohnern von Waldra
ſehr geneigt und richteten für ſie die
Arbeit, wenn ſolche dringend war.
Die Bäuerinnen aber hatten dafür
diefe Wildfrauen recht lieb und zum
Dante für ihre Hilfeleiftung ftellten
fie ihnen tagtäglich das Eſſen aufs
Feld. Und die Unifrauen verfhmähten
ſolchen Dank der fchlichten Bewohner
ganz und gar nicht, vielmehr ließen
fie ſich das Gebotene trefflich ſchmecken
und thaten fich dabei gütlich. Und
wenn fie dann ihre Mahlzeit vollendet Aber am anderen Tage, frühmor-
und in ihre Höhle fich zurüdgezogen | gens, fahen die Leute des Dorfes am
hatten, kamen die Bäuerinnen und Hofthore des Haufes, im dem der
trugen das geleerte Geſchirr wieder | Knecht diente, einen ganzen Fuß, wie
nach Haufe.
Einmal jäteten die Unifrauen für
eine Waldraer Bäuerin Hirſe auf dem
Felde. Die Bäurin kam nun früher als
es au der Zeit war und brachte ihnen
das Efien. Da fah fie nun diefelben
und war entzückt über ihren wunder—
Ihönen Oberleib. Aber als fie dann
die Füße befah, entfuhr ihr ein leifer
Ausruf des Entjeßeng, und im Nu
waren die freundlichen Gejchöpfe vor
ihren Bliden verſchwunden.
Lange Zeit follen diefe menfchen-
freundlichen Wildfrauen in der Höhle
am Waldraftein gehaust haben. Einft
aber, mitten in der Nacht, ericholl von
dem Felſen her ein jchauerliches Heulen,
Meinen md jämmerliches Stöhnen,
darauf ein fchredliches Gepolter und
Krachen, als ob der ganze Berg ein—
ftürze. Sämmtliche Bewohner von
MWaldra hörten den furchtbaren Lärm
und waren in größter Aufregung, denn
jo viel ſchien es ihnen klar, dort oben
auf dem Waldraftein mußte es gar
wild und ungeheuer zugehen.
AS Tags darauf einige beherzte
von der Hüfte heruntergeriſſen, hängen ;
es war wirflih ein Fuß der armen
Unifranen.
v1.
Die weiße Fran von Fraufeim.
Eine Stunde von St. Georgen an
der Stiefing entfernt liegt auf einer
Anhöhe das ftattlihe Schloß Frauheim,
feit mehr als zweihundert Jahren Eis
genthum der Freiherren von Kellers—
perg. Dieſes Schloß ſoll erbaut wor—
den ſein, nachdem die alte gleichnamige
Burg, welche im nahen Schindlgraben
geftanden, in Trümmer gefallen war.
Im Schloſſe Franheim foll nun
des Nachts zeitweilig die weiße Frau
umwandeln.
Einmal war der Schloßherr mit
‚feiner Frau, Schweſter und einem
fremden Gafte um die ſechste Nach—
mittagsſtünde beim Spieltiſche, welcher
‚in einem Gabinete neben dem großen
ı Saale Stand. Es war gerade die Gebet-
‚läutftunde, da gieng plößlich die Sa—
Männer aus dem Dorfe dein Felsberg | lonthür auf undeine ehrwürdige Frauen—
binanftiegen, fanden fie die Höhle ein- geftalt in weißem Gewande trat herein.
geftürzt, von den Unifrauen aber keine) Sie gieng auf den neben der Thür
Spur mehr. Alfo mußte in der Nacht
der Teufel, welder auf dem Hoch—
ftraden mit feinen Buhlerinnen, den
Deren, fein Unweſen trieb, die freunde
lien Wildfrauen zerriffen haben.
In ebenderfelben Nacht ftand ein
ftehenden Betſchemel zu, kniete nieder
und verfanf in ein jcheinbar andäch—
tiges Gebet. Nach einer Weile ftand
‚die Geftalt wieder auf, gieng auf einen
Wandſchrant zu, machte eine Hand—
bewegung, als wenn fie etwas hinein
Knecht aus dem Dorfe gerade im thäte, und jperrte hierauf wieder den
Hreien, auf dem Felde, und ſtrei- Staften zu. Sodann aber verfchwand
helte feinen Humd, welcher „Teurxl“ ſie plößlich vor den Augen der Spiel»
hieß. Mit einem Male ertönte das | gefellfchaft, welche ſtarr vor Schreden
Jammergefchrei der armen Unifrauen | dagejeffen war und dem Thun diefer
bom Waldraftein herüber. Nun rief Erſcheinung zugeſehen hatte,
der Knecht, welcher wohl wiſſen mochte, Ein andermal ſaß die Schloß—
was da oben vorgieng: „Huß! huß! herrin mit einem Herrn im felben
Teuxel, padt an, mir ab an Biegel!“
Und der Hund lief davon und fehrte
nicht mehr zurüd.
Gabinete und comvderfierte mit ihm.
Da erſchien die weiße Frau abermals,
gieng auf den Schreibtifch zu, machte
141
die einzelnen Laden dafelbft auf und |
ſuchte darin umber. Darauf verſchwand |
fie wieder. Die Schloffrau fah in dem
Laden nad), bemerkte aber nichts, daß
daraus etwas entnommen oder etwas
bineingethan worden wäre.
Nun lebte in der zur Pfarre‘
St. Georgen a. d. St. gehörigen Ge—
meinde Badendorf ein arıner, aber
ehrlicher Bauer. Er war zur Herrichaft
Frauheim unterthänig und gieng es
ihm, unverfchuldet in Noth und Elend
gerathen, Jo ſchlecht, dak er nicht ein—
mal die Stift, d. i. die der Herrichaft
gebührende Abgabe, bezahlen konnte.
Als ihm gar Pfändung und Verkauf
feiner ganzen Wirtfchaft angedroht
worden, nahm ex fich dies fo zu Her—
zen, daß er das fünftige Elend feiner
zahlreihen Familie nicht ferner mehr
ansehen wollte, und nahm deshalb
einen Strid, gieng damit in den wal—
digen Schindelgraben und fuchte eine
recht düftere Stelle dajelbft, um ſich
bier das Leben zu nehmen.
Endlih kam er an einen Ort, der
jehr finfter war, und noch einmal
überdachte der Bauer feine traurige
Lage, die bittere Noth feiner Lieben
daheim. Da wurde es mit einem Male
fiht und Helle mitten im dunklen
Wald. Der Bauer verwunderte fich
darüber und ſchaute um fich, was denn
dies zu bedeuten habe. Seine Augen
fielen auf eine weiße, ſchöne Frauen-
geftalt, welche ernft durch das fchattige
MWaldesgrün auf ihn zufchritt und ihn
holdfelig fragte, warum er fo traurig
fei und ob ihn ein ſchwerer Kummer
bedrüde. |
Dem Bauer däuchte die Erfchei-
nung eine überirdifche zu fein, es war
ihm, als Hätte der Himmel in legter
Ich bin
den Worten:
‚jedesmal hierher kommen
Stunde einen feiner Engel berabge:
fendet, um ihm Hilfe zu bringen. Die
fanften Worte der Holden Frauenge-
ftalt waren dem Armen entzüdende |
Klänge einer himmliſchen Muſik, und.
er erzählte der weißen Frau fein
ganzes Unglüd und auch, wie dasjelbe
über ihn gefommen.
Darauf fagte die ſchöne Geftalt:
„DBerzage nicht, ich kann Dir helfen
und werde ed auch, denn Gott Hat
Dih und mich hier zufammengeführt.
die Burgfrau des alten
Schloſſes, bewohne diefes noch und
habe daſelbſt auch meine Schäße auf:
bewahrt. Alfo komm' und folge mir!"
Und fie führte ihn zu einem alten
Gemäuer, das er früher niemals hier
im Walde bemerkt Hatte. Dasfelbe
hatte eine Thür mit einem fehr alten
'verrofteten Vorhängſchloß. Die weiße
Frau nahm num einen großen Schlüf-
ſel,
den ſie an der Seite hängen
hatte, ſperrte damit das Schloß auf
und zeigte ihn dann dem Bauer mit
„Hier dieſen Schlüſſel
werde ich Dir geben und Du magſt
und dieſe
Thür auffperren, wenn Du in Nöthen
bift und Geld braucht; aber fage ja
Niemandem etwas davon, micht ein
Sterbenswörtchen darfſt Du verrathen,
denn ſonſt ift Alles wieder weg und
für Di verloren!”
Der Bauer verſprach ftrenges Still-
Schweigen, und nun traten Beide in
einen hohen gewölbten Gang. Es jchien
dem Bauer, als befände er jih in
einen herrlichen Palafte; an den Wän—
den und dem Gewölbe glänzte es, als
wäre Alles bier eitel Gold, Silber und
Edeljtein. Endlih kamen fie im ein
großes Gemach, im dem viele Butten
ftanden, wohlgefüllt mit Gold» und
Silbermünzen.
Auf Geheiß der ſchönen Frau
ftedte mun der Bauer davon fo viel
zu ſich, als er für den erften Augen
blid benöthigte, um feine Schulden zu
bezahlen und feine Wirtſchaft wieder
emporbringen zu fönnen. Darauf ver-
ließen Beide das geheimnisvolle Schloß.
‚Die feltfame Burgfran verfperrte die
‚änßere Thür und gab dann den
Schlüffel dem Bauer, ihm nochmals
das ftrengfte Stillfhweigen gebietend.
Diefer wiederholte fein Verſprechen,
und als er nun der jchönen Frauen:
geftalt für ihre Güte danken wollte,
war fie Schon auch feinen Bliden ent= | Bauer auf das Schloß Frauheim und
ſchwunden. Er ftand wieder wie zuvor
im dunkeln Walde, und nur durch das
Gebüſch und Laub der Bäume leuchtete
eine ferne Helle herüber.
„War es ein Traum oder nicht?*
fragte fich der Bauer und befühlte feine
Tafche, aus welcher er blinfende Sil-
bermünzen hervorzog. Nun hätten fein
Kummer md feine Sorgen ein Ende,
jubelte er und eilte Fröhlich heim zum
treuen Weibe, zu den lieben Kindlein.
Don da ab entrichtete der Bauer
feine Stift an die Herrfchaft ftets mit
blanfen Silberftüden. Er vermehrte
feinen Biehftand, richtete fich fein
Häuschen recht wohnlich ein und that
kurz umd gut Alles, was nöthig, um
feine Wirtfchaft zu heben.
Darob aber verwunderte fich Alles,
Männlein und Weiblein im Dorfe und
in der Gegend weit und breit umher.
Viele gönnten dem braven, ehrlichen
Badendorfer, der aus einem armſeligen
Keuſchler in kurzer Zeit ein wohlha—
bender Bauer geworden war, Ddiefes
Glück recht vom Herzen, andere aber
beneideten ihn darum und verdäch—
tigten ihn beim herrfchaftlichen Pfleger.
Diefem und nicht minder feiner Herr-
Schaft war «3 gleichfalls aufgefallen,
daß der Bauer feine Stift feit einer
Zeit her ſehr regelmäßig und ftets
nur in blanfer Münze entrichtete; man
argwohnte, ob er wohl auf rechtlichen
Wege zu dem Oelde gelangt fei, ob
er ſich dasſelbe nicht etwa auf ver—
brecherifche Weife verfchafft hätte. Und
als num unter den böjen Leuten in
verlangte von ihm das Geftändbnis,
wie und wo er zu dem vielen Oelde
gefommen ſei.
Anfangs nun ſchwieg der Bauer
beharrlied und betheuerte nur, daß er
auf rechtliche Weile zu demfelben ge—
kommen ſei. Aber der Pfleger gab ſich
damit nicht zufrieden und drohte fogar
mit den Qualen der Folter und dem
Berließe im grauen Thurm. Da wurde
es dem armen Bauer angft und bange
und er erzählte Alles Haarklein. Nun
mußte er den Schlüffel bringen und
den Pfleger wie aud die Herrſchaft
zur Stelle führen.
Wohl fanden fie das alte Ge—
mäner, aber feine Thür war mehr
da zu jehen. Alles Suchen war ver—
gebens und enttäufcht begaben fich Alle
wieder heim.
Was mit dem Badendorfer Bauer
weiter gejchehen, darüber berichtet uns
die Sage nichts, wohl aber, daß die
Herrihaft den Schlüfjel für ſich be—
hielt und aufbewahrte. Er fol auch
no heutigen Tages in der Kanzlei
im Schloſſe Frauheim fich befinden,
groß und maſſiv gearbeitet und an
einem eifernen Ringe befeitigt. Ob es
aber wohl auch derjelbe ift, wer kann
dies beweifen? Bon der alten Burg
im Schindlgraben follen keine Spuren
mehr zu finden fein. Docd wollen
Leute willen, wo fie geftanden, und
jagen, es ſei an dieſer Stätte recht
unheimlih; man Höre geifterhaftes
Lärmen und verjchiedene gefpenftifche
| Geftalten werden dort jichtbar, unter
der Gegend allerlei dunkle Gerüchte! anderen auch ſchwarze Hunde mit feu=
verlauteten, bejchied der Pfleger den
rigen Augen.
143
Anſer „Weinfaflen“.
Eine Jugend:Erinnerung von Ed. Ig. Freunthaller,
SDR liebe Herrgott Hatte einmal;
ee alle Schulmeifter der alten Welt |
Auch mein Vater, der im Dunkel—
feiner Wald fehulmeifterte, las viel
zufammen gerufen und Conferenz ge- und oft und einige Male durfte auch
halten mit ihmen und drei Erläffe | ich fefen mit ihm.
gegeben:
Mein liebftes Mitlefen gefhah in
|
„Gebt Gott, was Gottes ift und den MWeingärten, und davon will ic)
den Kindern, was der Kinder ift!“ jetztund erzählen.
„Lefet und lehret lefen, fchreibt und |
lehret Schreiben, rechnet und lehret
rechnen! Denn wofür hätte ich die
Es war an einem ſonnenklaren
Octobermorgen, als mein Bater, mit
einer langen, blauen Latzſchürze ange—
Welt jo wunderbar und ſchön gemacht, than, in den Keller flieg, um eim altes
wenn die Menfchheit follte nichts
wiffen davon ?“
„Fünf Tage der Woche gehören
den Kindern; der fechste ift Euren
Weibern, erſt der fiebente, meiner, ges
Doppeleimerfaß zum ZTageslichte herauf
zu befördern. Das Faß war leer und
follte heute mit „heurigem Wein-Moft“
gefüllt werben; der Moft felber aber
ſaß noch tropfenweiſe verftedt in den
hört Vormittags der Orgel und Nach: | Weingärten der Bauern, die Heute zur
mittags der — Gurgel!“ Haben fie) Lefe mit Hall und Schall ausfuhren.
verftanden, obwohl er wieder Orgel
fagte.
Das Faß wurde zum Brummen
gewälzt. Ich mußte den Henkel ziehen
Und die Verſammelten gingen | und fleißig Wafler ſchöpfen, während
auseinander, giengen Heim und thaten | mein Water wuſch, rieb und fpülte.
alfo.
Sie gaben denr Pfarcherrn ihren
Leib, ihre Seele (Geift) aber gaben
fie den Kindern der Schule.
Sie lafen von den Früchten der
Felder und Gärten und von allen
Producten, rechneten in ihren „Faſſio—
nen” (Einnahmen) und fchrieben No—
ten, Sataloge, Zeugniffe, ſchrieben
Taufe, Firm- und VBeichtzettel und
beſchrieben die Seelen der Bauern.
Laſen, rechneten und ſchrieben und
lehrten dazu.
Lehrten in den fünf erſten Tagen
der Woche Kinder und in den beiden
Nach dem Mittagsmahle, zur Zeit,
als die Weinbauern in den Hügel—
gärten ſchon emjig moftelten, wander—
ten wir dem nächſten Dörflein, das
zwifchen den Weingärten lag, muthig
entgegen. Mein Vater trug Gießkanne
und Schöpf-Sechter — ich Achtjähri—
ger aber ſchob den Heinen Karren,
auf dem das Doppeleimerfaß lag, und
war guter und heiterer Dinge.
Im Dörflein bat mein Pater
einen Bauern um irgend einen Frei—
plag in defjen Keller. Der fagte Topf»
nidend zu.
Nachdem das leere Faß in den
übrigen Tagen leerten fie die Gläfer. | Keller geroflt und regelrecht geftellt
Heißt das, mit guter Manier.
Und lafen.
war, nahm mein Vater die Kanne,
ih den Sechter, und fo zogen wir
mitfanımen den Higel hinauf, wo die
vielen Weingärten grünten.
Der ganze Hügel ſchimmerte im
Grün der Reben, alle Stöde waren
auf und auf fehwer behangen mit
gligernden Trauben und an den Rai—
nen der einzelnen Gärten lachten die
Kürbiſſe und lächelten die duftigen
Pfirfihe. In die reine Herbftluft aber
ragte hoch empor die leuchtende, hell—
weiße Hüterftange mit dem feltfamen
Kreuz: und Quer-Zierrath an der
Spike und der urkomiſch verzerrten
Tenfelsfrage unten. Ein kohlſchwarzer,
gehörnter Kopf mit Borften rundum,
mit vothen Augen umd Geisbart und
einer fenerrothen, tief herabhängenden
Zunge.
„Diefe Stange“ — warnte mid)
der Vater ſchalkhaft — „diefe Stange
ift der finger Gottes, der dem Hüter
den Trauben=Dieb fofort thut zeigen!”
„Ein ſchöner Ring, der an ihm
ift !* wagte ich die Einrede und wies
auf den jchrederregenden Stangen=
Krampus.
Wir kamen endlich zu den erſten
Leuten.
Ein ſeltſames Leben wogte in den
Gärten. Kinder und Weiber giengen
mit Körben in den Reihen der Stöcke
und ſchnitten die Trauben von den
Reben, ab und zu kam Eines über—
laſtet zum Wagen gelaufen, auf dem
das Rieſengefäß ſtand, in das ſie die
Trauben leerten und in welchem die
mächtigen Moſtſtößel der Burſchen und
Männer polternd und plätſchernd auf
und nieder fuhren. Unfern aber ſtand
der Hüter mit dem weinlaubbefrängten
Hute, mit der tiefblauen Schürze und
fäbelbewehrt ; der blies zeitweije fein
„ti, ta, ti — ta —“ aus dem Horne
oder Schoß feine alte Franzoſen-Piſtole
ab und aß Trauben dazu.
„Buten Nachmittag!” redete mein
Dater die Leute an — „wie macht
fih’3?*
Da lachten fie alle Hellauf, hielten
248
was
ſagte
„So viel gut iſt das Jahr! Grüß
Vott, Schulmeiſter! Heut' dürft Ihr
‚Eure Gießkanne von meinem Moſt
ganz füllen jo hauptgut und
reich fällt die Lefe Heuer aus! Juhu —!”
Und ſchwang ben Hut gegen die
Abendfonne, fuhr aber gleih damit in
das Rieſenfaß, füllte ihn vol und
fuhr dann mit ihm zum gierigen
Munde.
| „Gar fo viel füffig macht er ſich!“
meinte der Bauer nah dem Teßten
Zuge. Mein Vater aber ftieg auf
den Wagen.
„Weil Ihr mir erlaubt Habt, fo
thu' ich nicht eine Weile bitten darum!“
fagte er und füllte die Gießkanne ſchier
voll. Als er damit wieder vom Wagen
ftieg, bedankte er fich freundlich und
Zeug hielt. Der Bauer aber
wir giengen wieder nieder in das
Dörflein und hinein in den Steller
und leerten den vielen Wein-Moft in
unfer Faß. Leerten und mühten uns
dann wieder den Hügel hinauf und
bettelten den mächften Hauer an.
„Thäte auch Schön bitten um mei—
nen Theil!“
„Halt ja!” fuhr ihn diefer un
wirrfh an — „wenn man nur auch
wüßte wofür und warum!“ Und
moftelte fort.
Nun kehrte mein Vater feinen
ganzen Schulmeifter heraus und er-
Härte dem geizigen Bauern in freunde
licher Weife, wofür und warum er zu
geben habe. Kam aber nicht weit mit
feiner Aufllärung, denn der Bauer
fuhr ihm grimmig drein:
„Euch Schulmeifter follte man
allzeit geben und nichts als geben!
Hab’ andere Leute auch zu füttern
genug! Und für das MWettergeläut’,
jagt Ihr, fei die Gab’? Hör Euch
weiter nie MWetterläuten, würde mir's
auch verbieten, verfteht? Ein Miß—
brauch iſt's, und ſaufen wollt Ihr
daheim! Ich gebe nichts! Punktum
und ausgeredet!“ Schwieg jet und
ein mit ihrem „Moſteln“ und jauchzten, | moftelte emfig weiter.
E3 war unfer gutes Recht, ftand
ſchwarz auf weiß in der Schulmeifter-
Faſſion und bildete einen Theil des
jährliden Gehaltes, der auf 210 fl.
132 fr. beziffert war.
Wir Schauten uns alſo verbußt
in's Geficht, lächelten und marfchierten
um ein Gärtchen weiter. Der nächſte
Hauer zeigte uns eine lange Nafe und
taufte uns „Bettelvolk.“ Unter Schimpf
und Schande zogen wir weiter und
mir liefen Schon die Thränen aus den
Augen. Doch mein Vater verlor die
Geduld nicht; er feufzte nur tief auf,
fhaute mir feltfam in's trübe Ges
fiht und gieng dann den nächſtbeſten
Hauer au.
„Hofbauer — Fällt für mich diefes
Jahr auch ein Tropfen ab?“
„Mehr dennoch wohl!” lachte jener
und flieg grüßend vom Wagen. „Nur
her mit der Gießkanne! Hab’ das
dumme Gefchrei von dei zwei Geiz:
bälfen da vorne gar gut gehört; will
daher Euch, Schulmeifter, heuer mehr
geben als fonft der Brauch und der
Mup!
Könnt’ Eure Kanne wohl zweimal
füllen; denn heuer haben wir ein ge=
fegnetes Jahr!" Sprach's und füllte
die Kanne hier übervoll.
Wir fliegen danıit nieder, leerten |
und famen wieder. Diefes Mal kam
gar die Bäuerin herzu, küßte meinem
Bater und auch mir Buben den Ell—
bogen und füllte mein Zafchentuch
mit etlihen Trauben.
„Nur meinen Qumpenbuben ftrenge
halten, Schulmeifter, und die Ruthen
nicht fparen! Morgen bringt er Euch
ertra noch eine Flafche voll Moft und
einen Korb voll Trauben!“ fagte der
gießfannefüllende Bauer zum Vater.
Die Bänrin aber ſetzte noch Hinzu:
„Etliche Eier werden der Schulimeifter-
frau auch gut taugen, nicht wahr ?*
Kofegger's „„ueimgarten‘*, 2, Geft, IT.
Giebigfeit bleibt Giebigkeit!
| Ich mar gerührt. Diefes Mal
küßte ich der freundlichen Bäuerin fels
‚ber die diden Hände, was mir noch
‚ein Stüd Weißbrot eintrug.
Noch bettelten wir fo manchen
Hauer an und gab uns der Eine
wenig, jo gab Hingegen der Andere
mehr und gaben auch nicht Alle, fo
bradten wir im Laufe des Abends
dennoch mehr als anderthalb Eimer
zuſammen.
Hundsmüde waren wir Beide, als
wir die letzte Gießkanne voll Moſt
thalwärts trugen. Dieſes Mal — es
war das zwölfte Mal — trug ich die
Kanne. Und trug und — ſtolperte
richtig über einen Kürbis, ſo daß ich
den ſteilen Rain hinabfiel. Die Kanne
voll Moſt fiel auch mit und ich er—
hob mich keuchend und durchnäßt. Der
Vater aber riß mir die entleerte Kanne
‚aus der Hand, ſchaute vorfichtig um
und um, ob uns dennoch wohl feine
Hanerjeele gefehen und prüfte hernach
‚den Inhalt der Kanne.
„Zrin® aus die legten Tropfen!”
fuhr er mich an und ich ließ es mir
nicht zweimal jchaffen.
Im Seller unten wälzte der Va—
ter das Doppeleimer= Yyaß auf den
Karren, gab die vielen gejpendeten
Trauben in den großen Korb und
fuhr damit heimwärts. ch felber aber
nahm Kanne und Sechter und gieng
voran. Leber den Brachersberg leuch—
tete das Mondhorn und ich fang md
pfiff und fchlug dazu den Sechter an
die Blech-Kanne, alfo daß es tie
Trommel Hirte und Hang. Dann
fam uns die Mutter entgegen und
ichob den Karren vollends heim und
der gute Vater gieng mit dem Korbe
nebenher.
Daheim aber aßen wir von den
Trauben, tranfen vom gejammelten
Mofte und — ließen Gott und die
Bauern leben dazır.
10
's Miüntterl.
Von Hans Grasberger.
I. Ya, mei Müatterl hat gladt,
— Hat glacht ſoviel gern,
Hat a kloans Stübl ghabt, Und was that ih nöt Als,
ED Mei Müatterl, mein alts,
Und a kleanas hats friagt,
Recht a finftas,.a kalts.
ſtint ih's noch amal hörn!
III.
Stoaßt Dih überall an,
Nöt zan Umdrahn is s drin... t. Gertraud.
Ih hätt denna no Plahtz, Er ee
Ziemt mih oft in mein Sinn! | Nöt va weit bin ih her,
Bi von Obdader Bodn
Und a Steirer bleibt Steirer
II. | In Tuach wiar in Lodn,
O mei Milatterl, mei ſtads! | Eid de Zirbign ſcho,
Wenn ib Dih neama hör, | Gear ih aufi in Grabn
Naher g’freut mih as fingati | Und a drei, a vier Stund
Gipiel neamma mehr. | That ih hHoamzua nur habn.
Is a Liadl mir kemm, Für d Füaß war's a Gſpoaß,
Han i z'öberſt mih gfragt, A Sprüngl nöt z'rödn,
Obs mei Mitatterl vaftund, | Wann’ dahoam a jo war,
|
Ob mei Milatterl jo ſagt; Wia's cahnta is gwödn.
Und iS 8 grathn oft köck,
Mas hats denn a gmadt?
35 fa Sind — han ih gmoant —
Wal mei Müatterl no lad.
Daß der Tauernwind wahl,
33 trat Schad, is krat Schad,
Denn was thuat denn dahoam,
Wer fa Miüatterl mehr hat?
Kleine Taube.
Bu haft Bein Glük auf Lieb’ gebaut.
Zu einer Bermählung von Adolf Pichler.
Motto: „Ne sit tibi ancillae amor pudori !*
Horatius,
Wie ſollte Dich, mein alter Franz Und den gewünschten Lorber legt
Die Lieb’ zur Magd entehren? — Sie Dir in Sauce und Brühen,
Rein Fräulein trug den Yungfrau’nkranz | Den nirgends deutſcher Boden hegt,
Wie fie mit folden Ehren. Wo nur Kartoffeln blühen.
Und wenn fie in die Küche geht | Gemeinpeit ſchießt bei uns in’s Kraut,
Und dort den Braten wendet, | Die Plattheit reiht die Krallen; —
So bift Du — Lieber! — ein Poet, Du Haft Dein Glüd auf Lieb’ gebaut:
Dem fie die Mufe jendet. Lab’ Dir’s bei'm Herd gefallen!
Zu efien findeft Du bei ihr — Und weil nur vor Gitaten ſich
Mag's trivial auch klingen! Die deutſchen Michel beugen:
Der Deutihe läht um Schwarzbrot jchier | Berufe ftolz auf Horaz Di
Die beften Dichter fingen. Als Deinen beften Zeugen.
Betradjtungen über den Philo- |dungsitufe geftanden; daß er auf feiner
ji
. eiftigen Höhe eine ausgeprägte Welt-
fophen vom Primesberge. | anfict haben mußte, arg Eis in
Bon Wilhelm Taſchel. Schriftwerken an die Nachwelt vermittelte,
Selten wohl dürfte ein Buch feine Was wäre aljo an dem ganzen Bil
Leſer mit ſolchem Intereife erfüllt haben, | dungsgange Bewundernswertes, Abjon-
al® jenes über Konrad Deubler von | derliches, wenn nicht etwa jein Anfang ?
Dodel-Port.*) Behandelte es die geiftige | Der Fortgang würde fih von taufend
Entwidlungsgeihichte eines berühmten | ähnlichen Fällen wohl nicht wejentlich
Gelehrten, eines Literaten von Ruf — | unterjcheiden ! Anders die Nachrichten über
traum! es würde und bei weitem nicht K. Deubler, der ein Ungelehrter war,
in jener Spannung zu erhalten vermö- | dem nichts jo jehr fehlte, als gerade das
gen, wie jenes über Deubler; denn als | Zeug zu einem Schriftjtellee — und der
jelbftverftändlich würden wir vorausjegen, |troß alldem endlich zu einer in ſich ge—
dab der Gelehrte auf einer hohen Bil- |feftigten, durch nichts zu erjchütternden
Weltanfhanung vorgedrungen, jo daß ihn
um diefen aus feinem raftlofen Streben
10*
*) Siehe Heimgarten X., Seite 719.
— —
148
nah Wahrheit hervorgehenden Erfolg! und was Du hienieden bedeuteſt! Sonſt
eine ganze Univerfität beneiden könnte, wird Dein Lebensbaum nie grünen und
die mit all’ ihrem großartigen Bildungs- | Du wirft des geiltigen Hungertodes jter-
apparat im gleihen Verhältniſſe ſchwer- ben bei den Fleiſchtöpfen der Wiffenfchaft !
lich ſolche Reſultate im den jugendlichen | Dafür ſeien Dir traurige Zeugen Millio-
Geiftern zeitigt. Dabei ift nicht zu ver- nen Deiner Mitbrüder, die troß des ehr-
gellen, daß — was bier als durch plan« | lichften Ningens mach Licht ihr Ziel
mäßige, abjichtlihe Anleitung zutage trer | verfehlen und unbefriedigt und unbeglüdt
tendes Ergebnis ſich darftellt, bei Deubler | dem Ausgang ihres unharmonischen Da-
das Werk jelbjteigener, urjprünglicher ſeins zuichreiten,
Kraft ift; und was dort zu einem Ihue jo, wie Deubler! Willft Du,
wiſſenſchaftlichen Dogma wird, das ſich ſo fange mit der Bibel, den Vedas, dem
der innerften Gefinnungsweife nicht nur | Talınud oder dem Koran an! Prüfe, und
nicht affimiliert, fondern diejelbe häufig | wenn Dein Berftand fih nicht empört,
genug an einem entjchiedenen Durchbruche | und Du Dich innerlich befriedigt fühlſt —
hindert: das ward bei dem Bauer zu gut! Aber dann — wohlgemerkt —
einer wahrhaftigen Geiftesnahrung, werde Du ein Priefter des Herrn, ein
zu einem erquidenden Labetrunfe, zu) Brahman, ein Derwiih, ein Mönch!
einer Leiter, auf der er — Sproſſe für | Thuft Du anders, jo wird ein Zwieſpalt
Sproſſe — zur relativ höchſten Erkennt: | in Dir Aufruhr erregen, und ein Riß
nis emporflomm und in der er jeine| wird durch Dein Inneres gehen, weit und
jubjective Befriedigung, fein) Elaffend, und unüberbrüdbar. Fühlft Du
vollites Behagen fand. aber, daß die Stimme einer längjt er-
Welch' beneidenswertes Glück! Wel- | ftorbenen Geifteswelt nur als ſchwaches
her Heldenmuth diefes bäuerlichen Bhi- | Echo in Deinem Herzen wiederhallt, jo
lofophen! Mit kühner Hand die Wahr: | jchreite weiter, Aber unverzagt, und
beit zu entjchleiern und nicht zu erbeben | reſolut die falſchen Götter bei Seite
— vielmehr allen Conſequenzen derjelben | jchiebend, die ſich Dir als „philoſophiſche
fih beugend, endlich zu befennen: „Ich Syiteme“ in den Weg ftellen !
bin der glüdlidite Menſch!“ Um der Wahrheit nachzugehen —
Wahrlih wahrlih! ſage ih Euch: dazu bedarf es feiner mühſam ausge
Menn wir nicht werden, wie der Philo· | Hügelten Spiteme. Wenn Dir Dein Ver»
ſoph vom Primesberge, jo fönnen wir | ftand und Herz nicht hilft, dann bift Du
nicht ins Himmelreich eingehen! Wir Fön- | verloren! Denn nicht wahr iſt's, daß die
nen bienieden unſere Beitimmung: See» | Weisheit nur für Ausermählte da ijt, und
lenfrieden und Ueberzeugung de | grundfaljch die Anficht, daß fie in einer
treue micht finden, wenn wir mit jchwerverftändlichen Sprache vorgetragen
unpbilofophiichem Geifte uns den Wahr- | werden müſſe. Gerade das Gegentheil von
beiten der Weltweisheit verjchließen, wo | alldem! Wie oft joll man noch wiederholen,
diefe unferer Eigenliebe gerade nicht | dab die Wiſſenſchaft praftiich werden,
ihmeicheln, und wenn wir durch ſpiri- zum Volke berabjteigen müſſe, um deflen
tualiftiiche Klopffechtereien uns ſelbſt den Verſtand zu erleuchten, die Sitten zu
realen Boden unter den Füßen ent- | veredeln, das materielle Intereſſe zu
ziehen. Was Deiner Eigenliebe nicht | fördern? Daß die Wiſſenſchaft diejer
taugt, ift deshalb noch nicht falſch; Dir) gerechteften aller Forderungen bis jeßt
mußt Dih nur nicht als den Mittel- | mur im fleinften Maße nachgefommen ift,
punft der Welt anſehen und als das | beweist eben die jo vereinzelt daftehende
goldene Kalb, welches angebetet werden | Individualität eines Konrad Deubler.
will! Beicheide Did, und fieh in Dir! Eigentlih ift diefe Individualität, jo
einen Theil des Univerfums, auf daß | ehrenvoll fie auch für deſſen Träger iſt,
Du Dir bewußt werdet, wo Du ftebit| für uns fein Ruhm; es fommt uns jo
—
149
vor, als ſollten wir uns in die innerſte
Seele hineinſchämen, daß unſer vor Auf—
Härung ſtrotzendes Zeitalter im Volke
jo wenig Licht verbreitet, jo wenig große
Ebaraftere und ausgeprägte Individuali-
täten zur Reife bringt ! Stein Wunder !
Mas nügen dem Bolte alle Bücherichäge,
wenn fie in Hieroglyphen geichrieben
find, und was frommt ihm die ganze
Aufklärung, wenn es ihren Segen
niht empfindet? — Nicht jeder-
mann ift ein Konrad Deubler, ein Manı,
der den Parnaß erfteigt, um fich die
Götter von mäcjter Nähe anzujehen ;
nit jeder ein Märtyrer feiner Ueber—
zeugung um des innern Friedens
willen! Doch glaubet das Eine: Wie
unſer Bauernphiloſoph in ben Feier—
ftunden emſig ſeiner Bildung oblag, nach—
| auf feinem Bildungsgange.
; Deubler
den. Dort oben wurde ein arnıes, ge
ängftigtes Menſchenherz geläutert vom
Egoismus, bereichert mit idealen Empfin-
dungen und geziert mit dem Diadem ber
Humanität. Nicht irregeführt von den
Wilfensjhäßen, von denen es gefojtet,
jondern zurechtgewiejen von dem Geifte,
den fie atbmen: jo ward ihm die er»
ftarfte Intelligenz zum Leitjtern
feines Strebens, zur treueften Führerin
Sie iſt für
aber auch eine unerjchöpfliche
Quelle reinfter Freuden geworden, Ge—
wiß der berrlichite Lohn für einen Staub-
gebornen !
Da haben wir gleich den Harjten
Beweis, wohin wahre Bildung führt,
und einen Fingerzeig, wie fie zu erlan-
gen iſt: Nicht durch Aufipeicherung
dem er am Tage wader die Hände regte | großer, umfallender Wiflensmailen, jon«
in Haus und Hof, in Feld und Wald, | dern durch jelbftändige Verarbeitung und
jo würdet Jhr auch das arbeitende, das | jubjective Durhdringung des aufgenom-
müblam jchaftende Volt im ſeinen Feier- menen Willens und enge, befruchtende
fiunden willig horchend zu Euren Füßen | Verknüpfung desjelben mit dem Gemütbs-
finden, wenn Ihr es verftündet, ihm von | leben! Darin liegts!*)
Euren Geiſtesſchätzen mitzutheilen, doc So hat es Deubler gehalten, und
— mohlverjtanden — in der Art, daß | der jo Beglüdte ift ein einfacher Bauer
neben dem Beifte auch das Herz die geweſen und iſt ein jchlichter Mann ver»
entiprechende Anregung empfienge! Denn
blieben bis an fein ruhiges Entichlafen!
nur unter diefer Borausjegung ift eine) Was Wunder aljo, daß ibm — da er
Harmonie zwijchen Geift und Gemüth, ift
eine wahre Bildung möglich.*)
Wenn wir e3 einjt jo weit bringen,
noch im rofigen Lichte des Dajeins wan—
delte, die edeljten Geifter unjerer Nation
mit jener Liebe und Verehrung zugethan
wie der Alte vom Primesberge, jo kön—
nen wir das goldene Zeitalter des echten |
Menſchenthums für angebrochen betrach- ja doh ein Materialift,“ höre ich
ten. — Auf der einen Seite: raftlos zaghafte Seelen rufen. Ach ja wohl, das
bemübt um jeine Musbildung, alle Vor: kann er ſchon gewejen ſein; geſcheit ger
urtbeile als hemmende Feſſel abſtrei- nug war er dazu. Ich halte ihn auch
fend, bi3 zu den legten Eonſequenzen | dafür, obzwar ich Nofegger, der dem
vorjchreitend ; und auf der andern: ben Philoſophen nahe ftand, die Verfiherung
nächſtliegenden Menichenpflichten mit aller | abgeben hörte, Deubler jei Idealiſt ge:
Irene obliegend, human und liebens- weien. Es fommt wohl bei diejer Frage
würdig — das nenne ich Menſch auf den Standpunft an, den man jelbit
jein! So jtand Deubler da, jo fteht | dem Materialismus gegenüber einnimmt,
er noch vor uns als leuchtendes Vor- und was man darumter verfteht. Inſo—
bild. Auf der Höhe des Primesberges | fern fich der Materialismus zwar mit
ift die von uns erjehnte harmoniſche dem Spiritualismus, nicht aber mit dem
Menſchenbildung zur That gewor- | Jdealismus im Gegenjage befindet, mag
waren, die verwandte Seelen magnetiſch
zufammenführt! „Aber der Mann war
*) Bolllommen einverflanden. DON.
Rojegger recht haben. Es ijt dabei nur |
feftzubalten, daß Deubler bei feinem |
Glauben jelig ward, und daß bei
ihm — obzwar er fih mit Vorliebe als
„altes Wirbelthier“ begeicänete, |
der „Menſch“ ftet3 bob über dem
„Thiere“ ftand! Und jo kann uns die
eine Weberzeugung mit Genugthuung er»,
füllen, daß — manbelte nod der menz |
ſchenſuchende Diogenes unter uns, er auf,
—
Sonne und die unglaubliche Hitze, welche
die Monate Januar, Februar, März und
April ſo gefährlich machen, nicht zu viel
zugeſetzt. Ich bin ſelbſt von einer ſchwe—
ren Krankheit, die mich im December und
Januar zweimal an den Rand des Gra—
bes brachte, faſt ganz geneſen. Wir ha—
ben bereits zehn Kinder, meiſtens Kinder
der Häuptlinge, und jede Woche ver—
mehrt ſich die Zahl derſelben. Da heißt
dem Primesberge ſeine Laterne ausge- es nun dafür ſorgen, daß dieſe nicht nur
löſcht hätte!
Bufludyt im Walde,
Die Welt, fie ift mir viel zu weit
Und viel zu hart find mir die Leut’,
&o fterbenstraurig fomm’ ich her
Zu Dir, Du heilige Einfamleit.
Ih komme aus dem argen Land,
Wo jede Luft ein Leid gebiert,
Wo — trotz des lochend heißen Blut’s -
Im Auge jelbft die Thräne friert.
Das Weinen ift dort arg verpönt,
Das Fluchen, Läftern nur ift Braud;
Hier ihaut daS Moos, die Roſe thaut,
Der Tannenbaum, der Weikdornftraud.
Auch mein Gemüth will thauen hier,
Bis müde finft das Auge zu.
O ſenke Frieden in mein Herz,
Du fühe, heilige Waldesruh !
Ein Brief aus wilder Tremde.
Einem, Quitſcha, 31. Mai, da-
tierten Privatbriefe eines Mijjionärs
entnehmen wir die folgenden jehr in-
tereflanten Mittheilungen: „ALS ich Ihnen
das letzte Mal jchrieb, waren mir im
Begriff, unjer Miſſionshaus zu bauen,
Jet ift es fertig und wir bewohnen es
ſchon jeit einem Monat. Die Schwarzen
find jehr faul und folglich ſehr langſam
im Arbeiten; da mußten wir aljo jelbjt
gehörig Hand anlegen, um nicht von der
Regenzeit, die eben beginnt und volle
fünf Monate dauert, überrajcht zu wer-
den, Glüdlicherweife hat uns die ftechende
Erziehung und Unterricht, jondern auch
Nahrung und Kleidung erhalten. Die
Kinder laufen bis zum 14., viele bis
zum 16. und 18. Jahre ganz nadt
umber. Manche fommen mit Geſchwüren
und verfaulten Gliedern in die Miſſion
und da muß gebeilt werden, Leider haben
wir wegen Geldmangel3 noch feine Scla-
ven freifaufen fönnen, denn wir baben
unjere Miſſion jozufägen mit Nichts
begonnen. Dazu find die armen Unglüd-
lihen noch jehr theuer. Je nad dem
Alter, den Fähigkeiten, der Stärke foften
fie 50, 100, 150 bis 200 M. Man
jollte e3 faum glauben, da wmande
Häuptlinge bei 800 befigen. Diejenigen,
welche zum Verlauf ausgejtellt werden,
werden meiften® als Scladtopfer ein-
gekauft. Leider genügen diefe Morbtbaten
den Wilden nicht. Wenn eine Ortſchaft
das Recht einer anderen irgendwie ver—
legt, jo muß dieſelbe mehr oder weniger
Leute ausliefern, die geſchlachtet und auf—
gezehrt werden. Noch vor einigen Mona-
ten fam jo ein Fall vor, und zwar bei
getauften Schwarzen. Neun Mann wur«
den ausgeliefert. Der Häuptling natür-
lih befam den bejten davon, allein als
Chriſt wollte er jeinen Mann nicht vers
ipeifen; er warf ihn aljo während der
Naht ins Waffer und ertränfte ihn mit
eigener Hand, weil fein Ertrunfener ge—
gejlen werden darf. Noch jchlimmer ift
es bei den Heiden. Die Leibeigenen der
Häuptlinge und Reichen, welche durd
ihren Dienft in näherer Berührung mit
ihrem Herrn fteben, find ihres Loſes
fiher, wenn bderjelbe jtirbt. Sie müſſen
ihn auch al3 Diener in die andere Welt
begleiten. An der Beerdigung nehmen
nur Perjonen des Gejchlecht? der ver·
ſtorbenen Perſon Antheil, ſo daß die
Frau der Beerdigung des Mannes, bie
Tochter der Beerdigung des Waters nicht
beimohnt. Die Leichenfeier dauert ein,
zwei, drei bis act Tage und befteht im
Auffreffen der Opfer, im Trinken, Tan—
zen und in den roheſten Beluſtigungen.
Noch eine andere Duelle der Morbdthaten
Wer finget, was das Wolf gern höret,
Wer mwinfelt um den Fürftenthron:
Ein falſcher Wahn ihn nur beihöret,
Und wie armjelig ift fein Lohn,
Wer aber fingt in vollen Tönen
Sein Lied, jo wie es Gott ihm gab,
Der trägt in fih den Schaf des Schönen
Als reichten Lohn bis an fein Grab,
Drum will ich wie der Vogel fingen
iſt die bier ziemlich häufige Mifgeburt. | Ion Freiheit, Liebe, blüh'nder Flur —
Die Mutter nimmt ganz einfach das be»
treffende Kind und trägt es in ben
Wald. Im einem dichten Gebüſch wirft
fie das Kind über ihren Kopf hinter fich
und kehrt danıı schnell, ohne fich umzu—
dreben, nah Haufe zurüd. Hunger und
wilde Thiere machen dem traurigen Da—
fein de3 bedauernswerten Geſchöpfes bald
ein Ende. Gemöhnlich verfieht die Amme |
dies teufliihe Werl und deshalb ver⸗
fucht es der Miſſionär, dieſe durch wie⸗
derholte Geſchenke zu gewinnen, damit ſie
die Kinder anſtatt zum Walde zur Miſ—
fion bringt. Eine Amme aus einer be-
nachbarten Ortichaft geftand, daß fie mehr
als ein halbes Hundert jolcher Kinder
umgebracht habe. E3 genügt dazı irgend
ein merfbarer förperlicher Fehler ober
ein zu Schwacher Körperbau, Auch die
armen Zwillinge erwartet dasjelbe Los.
Eines der erfolgreihiten Mittel, um bie
Schwarzen heranzuziehen, ift der Geſang
und befonders die Mufil. Von wie
großem Nutzen würde der Mijjion eine
Spieldoje jein, deren jo viele in Deutſch—
land zum Zeitvertreib dienen! Das Er-
lernen der verjchiedenen hiefigen Sprachen
wird jebt eine unſerer Hauptbejchäfti-
gungen. An Schwierigfeiten fehlt es dba
natürlih nicht, denn es gibt ja feine
Bücher, die haben wir zu machen, wozu
e3 Jahre bedarf.“
Ber Poctenwinkel.
Diditerfreißeit.
Ich foll um Sold, um Ehren fingen,
Erſchmeicheln mir der Großen Gunfi?
Das Lied muß frei der Bruft entflingen,
Denn frei ift ja des Dichten: Kunft!
‘Ein Gott trägt mich auf feinen Schwingen
Dann dur die lahende Natur!
Alma Friedland.
Ein Sommerbild.
Im Burpur erglühet
Des Berges Stapelle,
Zum Thale rinnt langfam
Die goldene Welle,
Die Gloden erklingen,
Auf Luftigen Schwingen
Schwebet der himmliſche
Gruß in die MWeite,
Ueber die wogenden
Aehrengebreite.
Im etlichen Kleid
Mandert zum Kirchlein
Manch’ liebliche Maid,
Die duftende Linde
Streu’t Blüten im Winde.
Und wieder im mwonnigen,
Purpurenen Leuchten
Die Wiejen vom Thaue
Des Abends fich feuchten.
Es klingen die Geigen
Zum Iuftigen Reigen,
Lieblide Mädchen
Mit glänzenden Bliden
Wiegen im Tanze ſich,
Laden und niden.
Mit dem Liebften vertraut
MWandelt im Dunfeln
Die glühende Braut.
Die duftende Linde
Streu’t Blüten im Winde,
F. 6. Adolf Weik.
Waldandadit,
O Wald, wie bift Du wunderbar,
Will ſich die Sonne neigen:
Wie ferner, leifer Friedensgruß
Klingt's aus der Bäume Zweigen.
Bald ſchweigen all’ die Vögelein,
Kaum, dab noch eines finget,
Und jo den Dank in Tönen jhlicht
Dem glit’gen Schöpfer bringet.
Nichts mag im weiten Waldesdom
Eein Leben mehr verfünden,
Erfterbend an dem Himmel will
Die Abendröthe ſchwinden.
Und mählih taucht des Tages Licht
Der Herr in’s Dunfel nieder,
Entzündet an des Himmels Plan
Tafür die Sterne wieder.
Dann zieht der Frieden in’s Gefild
Auf feines Segens Schwingen
Und will der tagesmüden Welt
Erjehnte Ruhe bringen.
O, dann mag wohl der liebe Gott
Durch Deine Hallen ſchreiten,
Du mächt'ger Wald, und über Dich
Die Hände fegnend breiten.
A. Schmiedt,
Ein fleinern Kreuz ...
Ein fleinern Kreuz
Am Meg’ ragt auf;
Der Wind weh't d’rüber,
Der Schnee fällt d’rauf.
Dort hab’ ich gejeflen
In einer Naht
Und hab’ an Did,
Herzlieb, gedacht.
Un Deiner Augen
Hellglängendes Paar,
Dein weißes Antlig,
Dein ſchimmerndes Haar.
An Deiner Stimme,
Süßlieblichen Klang;
Wie hold Deine Meije,
Wie reizend Dein Gang;
Wie fonnig Dein Lächeln,
Wie rot Dein Mund —
Und daß dies Alles
Erftorben jetund ...
Of. Palwin.
Roſe im Herbſte.
Nun biſt Du bald geſtorben,
Du Roſe jonder Gleichen !
Es muß Dein junges Leben
Mit feiner Pracht erbleichen.
In Deinem Blätterfhoße
War fein und zart gejdhrieben
Der Name meines Mädchens,
Ihr Hoffen und ihr Lieben — —
Ernfi Mofer.
Belimmung.
|
| Einen Schößling pflanzt der Knabe
| Spielend in die Frühlingserde,
Ahnet faum, dab ſüße Gabe
Ihm der Baum befcheren werde,
Daß er feinen milden Schatten
Ob dem Müpden fegnend breite;
Daß man einft dem Lebensjatten
| Aus dem Stamm ein Bett bereite,
|
P. Sauf.
Zwel ofen fahen auf einem Stiel...
Zwei Rojen ſaßen auf einem Stiel;
Und als die eine entblättert ward,
Auch fie fant bald hernieder —
Und blühte nicht wieder!
Gin Pärden fah ich in Lieb vereint;
Und als er felig geftorben war,
Da raufte fie ihr ſchönes Haar
Und weinte fi rothe Lider —
Und ehlichte wieder!
Pius Aindes.
Dem Glück entgegen!
Geh’ Du nur Deine Wege
Und blide nicht zur Seit’,
Nah Vorwärts fei Dein Streben,
Und Muth fei Dein Geleit’,
Lab Du die Menge fahren
Im altgewohnten Gleis,
Den ift das Glüd zu eigen,
Der's kühn zu faflen weiß.
Dem Schwärmer lacht's von Ferne
Und winft ihm lodend zu,
Dem Kühnen geht’3 zur Seite,
Ein Kühner ſei auch Du.
Dein Streben hemmen Felfen,
Da braude Deine Kraft,
Dem wird das Glüd zu eigen,
Der ſich's im Zorne jhafft.
| Kans Frauengrußer.
m mm m ç —ñ — —ñ —ñ —ñ — ñ — — — — — —— —
Wilde Asslein.
De gustibus,
| Ein Jeder fucht fi zu vergnügen,
Der jo und jener wieder fo.
liegen,
In Höh'n nur ift die Lerche froh,
Leichenbegängnis.
Heuchler, Ihr! Zerfetztet ihm das Sein,
Hadtet wie die Geier ihm am Herzen!
Da wurde der andern das Blühen hart,
Dem Schwein beliebt’ 5 im Schlamm zu
O die Trauerflöre, Thränen, Schmerzen —
Jetzo — weil er d’rinnen liegt im Schrein!
|
|
|
|
153
Unno damal®.
Mit Feuer ſprach in Konftanz d’rinn
Johannes Hub für feine Lehren,
Worauf dann aud die hohen Herren
Mit Feuer widerlrgten ihn.
Wahrer Reichthum.
Nur Der allein ift rei, in deſſen Bruft
Die Welttonleiter der Gefühle wiederklingt —
Vom tiefften —— F zu der höchſten
u —
Und da — zu reiner Harmonie ſich ringt!
Herrn von Xyz.
Mas Großes wohl das Männlein von ſich
dent,
Eeitden an feinem Nichts — ein Orden
hängt!
Die Welt.
Die Welt — ein jhöner Garten —
Menn Gärtner treu fein warten!
Doch böje Buben jonder Zucht —
Zerftören Blüt' — verderben Frucht!
Gold.
Ob das Gold in Bergesrub,
Ob es in des Geiz'gen Truh',
Ohne Nugen da und dort!
Aber in des Menſchen Hand
Bringt e3 Glüd — dem Haus dem Land — |
Wirlend in die Zukunft fort!
Dr. Fr. brober.
Hflanzin in niederöflerr, Mundart.
U Hund, der auf Yeden hört,
A Schloß, das jeder Schlüffel fperrt,
A Madl, das an Yeden gbört,
Ean allmitjammt lan Kreuzer wert.
Wier a Leb, der Bluat hat gledt,
Eo iS ah mei Bua;
Hat er nur an Buflerl gſchmeckt,
So kriagt er net gnua.
Auf n Berge is wohl ſchön
Und in Wald hab i gern,
Amwa froh fann i do
Nur bein Schaterl recht wern,
Ma kaft Hiazt Schon Als,
Was ſchön auf da Welt;
To 5 Herz von mein Diarndl
Kriagt Kaner um's Geld.
Greif i in's feuer,
Berbrenn i ma d Händ;
Schau i in's Aug Dir,
Is's Gerz gar vabrennt,
Se jan wia d Palmejeln anzogn,
Awa ſchiach, 8 is a Schand;
Mei Schatzerl awa is fauwa
Ah im anfachſten Gwand.
|
| Mi gift’s, daß im Lebn
Ans unſicher is,
| Und grad nur da Tod
Allani jo gwiß.
= Fruajahr, da fingen
De Vögerln voll Freid;
Und jo i$ a d Jugand
Für d Liab de Ihönft Zeit.
Und hat ma an Draden,
So laft man halt fteign
Und thuat ihm da Welt ah
Von obn a weng zeign,
Und madt fi nir draus,
Sa beißt fie de Zähn fi
Um End do no aus.
| Un Eh ohne Kinder,
| De hab i net gern;
Was war denn a Himmel,
Wan kane Enger! net wärn?
|
!
|
| Und hat ma a Bihgurn
|
|
\
| Mei Diarndl fliagt um in de Gaflen,
3 hab's ſchier valurn,
Y glaub fie i$ in da Finſtern
A Fledamaus wurn.
Friedrid Aafſwander.
Luſtige Beitung.
Ein Ausſpruch Stifters.
Als Adalbert Stifters „Studien“ er-
ſchienen waren jo erzählt Adolf
‚Pichler — ſagte ih ihm von einer
Kritit darüber, wo fie mit Lilien ver-
glichen wurden. Da ftrich er lächelnd mit
‚der flahen Hand über den ſtattlichen
Bauch und jagte: „Nu, mu! wenn diejer
Recenſent erſt ſahe, was dieſe Lilien für
‚einen diden Stängel haben!“
|
|
|
|
|
Ein's von Scheffel. Neben
| Scheffel wohnte in Heidelberg lange Zeit
ein Flötift, der unaufhörlich das Lied mit
Variationen „Nah Sevilla!“ blies. Voll
Verzweiflung jchrieb ihn eines Morgens
‚der Dichter: „Ih bin von Ihrer Sehn—
ſucht nah Sevilla im höchſten Grade Eine bübjhe Theater- Anec«
überzeugt, bitte Sie aber berzlichit, fih |dote erzählt man von dem fürzlich ver«
fobald als möglih auf den Weg zu |ftorbenen Schriftiteller Hermann Sall«
machen. Bis zur nächjten Station mill | mayer, der Ende der Sehäziger-Jahre
ih gern das Fahrgeld bezahlen.” — eine Zeitlang den Thespisfarren in der
Eine andere Scheffel-Anecdote bezieht fich
auf die Zudringlichkeit der Autographen—
fammler und »Sammlerinnen. Obgleich
im Allgemeinen ſehr entgegenkommend
gegenüber den zahlreihen Anſprüchen
diefer Art, für deren Erledigung der
gealterte Dichter in feiner Nadolfszeller
laufe ja auch Zeit hatte, konnte ihm
bisweilen doch auch der Geduldsfaden
reißen, wenn jolche Bitten allzufehr —
der „Verſchämtheit“ entbehrten. So erhielt
er eines Tages von einer Dame in
Joſefſtadt geleitet hatte. Eines Tages
drohte ein merfwürdiger Streit unter
den Soubretten feines Theaters auszu—
brechen. Die erfte Localfängerin, welche
eine bejondere Vorliebe für Krebſe an
den Tag legte, ärgerte fih darüber,
wenn bei den auf der Bühne üblichen
Gelagen Krebſe aus roſenrothem Papier-
machee zur Tafel gelangten, während bie
übrigen Damen außer fih waren, daß
ftatt des echten Champagners bloß ſchäu—
mendes Abzugbier geboten wurde. Sie
England ein dides Paket unfranfiert ein« | erflärten in einer an den Director ger
gelandt, für das der Dichter ziemlich | richteten „Refolution,“ daß fie mit diejem
viel Porto zu zahlen hatte. Als Inhalt | ungeniepbaren Zuftande keineswegs zu—
entpuppte ſich ein dickes Autographen- frieden ſeien und baten um Abhilfe,
Album mit einem Begleitſchreiben, das widrigenfalls ſie einmüthig die „Arbeit“
die Bitte um ein Autograph des be- einſtellen würden. Sallmayer that, als
rühmten Dichter® ausſprach. Und der ob er diefes „Ultimatum“ ſehr ernit
Dichter griff wirklich zur Feder und trug nehme, erjchien am jelben Abend jchein-
ein ihm für den Fall paſſend erjcheinen- | bar aufgeregt auf der Bühne, wo bie
des Sprüchlein ein., Er ließ das Album | Damen alle verfammelt waren und fchrie
wieder einpaden ımd — franfieren. Die ihnen zu: „Was, jtrifen wollt Jhr, wie
engliihe Dame aber hatte nah Em- die Bädergejellen? Gut, Ihr follt den
pfang der Eendung das Vergnügen, zu Champagner haben, auch die Krebſe und
lejen: „Bildung macht frei!“ das echte gebadene Lämmerne — aber
r nur unter einer Bedingung: die nächſte
Kir Woche ſoll ein Senfationsftüd aufgeführt
'| werden, mo drei unglüdliche Franuen
dem blinden Dieter-Bhilofophen, erzählt ‚um Salus nr Gift * * ide
man Sich folgende witige Abfertigung, | müffen, Und das fage ih Euch gleich:
die er einem läftigen Schwäßer, der den wenn Ihr echten Champagner trinfen
eifrig ſchaffenden Dichter allzu oft mit wollt, fo muß auch das Gift echt fein
jeiner Gegenwart beimfuchte, jüngft hatte fo ob ih Deemann Gallmaper heiße,
zu Theil werden laflen. Als der lang: Und gleich werd’ ich's von der Apothefe
weilige Menjch wieder einmal ftundenlang vis-A-vis bringen laſſen!“ — „Nein!
dad dümmite Zeug zuſammenſchwadro⸗ nein! nein! nein!“ ſchrieen ieh jams«
— hatte, fiel ‚igm Lorm, den Ber- merten die mit fo vorzüglidem Appetit
Luft feines Augenlichts benuhend, mn ber gejegneten Ober- und Unter-Soubretten,
Bemerkung ns Wort: „Aber lieber die fomifchen und nichtkomiſchen Alten
Freund, was für ein ſchlechtes Buch wire durcheinander und eilten erfchredt
lejen Sie mir denn da vor ?* Dieſer ö on
allzudentliche Wink hatte fein Ziel nicht MON, BEE DENE WERE IIEE BAHR
verfehlt. Der läſtige Beſuch foll jeitdem
ausgeblieben fein.
Elaudins wurde einmal gefragt,
worin der Unterjchied zwijchen ihm und
105
Klopftod betehe, worauf er antwortete: ! Wann?! Ein Advocat hatte zwei
„Klopftod jpricht folgendermaßen: „Du, | Spigbuben zu vertheidigen, von denen
der Du weniger bift, als ich umd dene | der eine bei Tag, der andere bei Nacht
noch mir gleih, nahe Dih mir und ent | geftohlen hatte, Darauf fuhend, ſagte er
lade mid, Dich beugend, von der Laft | in der „glänzenden“ Vertheidigungsrebe:
des Staub ausathmenden Kalbjells!“ | „Der Herr Staatsanwalt bat es bei
Ih dagegen fage nur: „Johann, fomm’ | meinem erften Glienten als einen erjchwe-
und zieh’ mir die Stiefel aus!“ | renden Umftand bezeichnet, daß derjelbe
— bei hellem Tage mit unglaublicher Frech—
E in Realift des fommenben! beit einen Diebjtahl begangen. Jetzt wird
Kabrhunderts: Mein erites ſchau⸗ bei meinem zweiten Clienten der Ums
ſpieleriſches Beſtreben ift, die unmatür. | Hand, daß er zur gefährlichen Nachtzeit
liche, bilderreihe Sprache der Claſſiker 9°)
zu reinigen und die Perjonen menſchlich beichnet. Ih frage num den Herrn Staats»
reden zu laſſen. Hier ein Beilpiel: Wie | anwalt R Wann joll denn ber Kerl
überſpannt ift der Scillerihe Satz: ſtehlen? —
„Umgürte Dich mit dem ganzen Stolze
Deines Englands, ich verwerſe Dich, ein Die Zerſtreute. Ein langweiliger
deutſcher Jüngling!“ Ich frage einen Herr hat bei einer Dame Beſuch gemacht.
Jeden: Iſt der Stolz ein Gürtel? Ich Nachdem er dieſelbe ziemlich lange durch
überjegte dieſen Schwulſt mundgerecht: | fein fades Geſchwätz zu unterhalten ge—
„Auf Deinen Stolz, Du engliihe Gans, ſucht hatte, jagte er aufitehend: „Onädige
pfeift Dir der deutihe Hans!“ Das | dran, jet werde ich mich wieder em—
macht jedenfalld mehr Effect — es ift | pfehlen.“ — Dame (zerftreut): „Ah —
eben mit realiftiicher Feinheit ausgedrüdt. | Sie find zu gütig!“
Jene Stellen, in welchen der Dichter das —
Herz als Sitz des Gefühls bezeichnet, Der Egoift. „Ih reiſe immer
verwerfe ich als überwundenen Stand mit zwei Freunden . . . geichieht es,
punkt. Der gute Schiller hatte noch von daß einer krank wird, jo bleibt der an
io Manchem feine Ahnung. So laſſe ich | dere bei ihm, um ihm zu pflegen — und
den König Philipp zu Don Carlos jtatt: ich kann ruhig meine Reife fortjegen.“
„Dein Herz iſt weich“ jagen: „Dein
Hirn, mein Sohn, ift etwas angegriffen; j ’
gebrauce die Kaltwaſſercur.“ Wie wun⸗ Ein arger Lügner rahlte einft
derbar paſſen damı gleih darauf die, in einer Geſellſchaft, er fei ſchon in fünf
! . . + +
Worte: „Sole Rranfe bedürfen guter Minuten eine halbe Meile geritten. Man
u 86 bat den anweſenden Dichter Gottfried
Pflege.” Gleichzeitig aber hebe ich da- — —
durch den lächerlichen Vers auf, der ein Auguſt Burger, der belanntlich auch —
eben folder Unfinn, wie der Marmer tüchtiger Reiter war, um feine Meinung
des Bildhauers if. Hat man je mar. | darüber, „Je Run, jagte er troden,
morne Menjchen gejehben? Welche Un- „reiten fann ich's nicht, aber lügen fann
natur ftedt 3. B. in den Goethe’jchen ih 5 aud.“ —
Verſen der Iphigenia: „Heraus in eure
Schatten, rege Wipfel des alten, — Peinliche Höflichkeit. Erſter
dichtbelaubten Hains tret' ich noch jetzt Student: „Sie find ein guter Schläger ?“
mit ſchauderndem Gefühl.” Ich laſſe die Zweiter Student: „Ich mache gern eine
Iphigenia ganz realiftiih jagen: „In fleine Pauferei mit.“ Erjter Student:
dem alten Wald befomm’ ich noch immer | „Ad, ih auch! Dann geftatten Sie mir
eine Gänfehaut, ber!“ Das ift Natur!) vielleicht, Ihnen böflichft zu jagen, daß
Das iſt Kunſt! ẽie ein ganz dummer Junge ſind.“
geſtohlen, gleichfalls als erſchwerend be—
Problematiſche Eriftenz.!
Baron von Wanft und Graf von Hager
rennen auf der Straße aneinander. Graf:
„Sie find ein Grobian !” Baron: „Soll
das eine Beleidigung fein?“ Graf:
„Allerdings, und ich erwarte Forderung
auf Piſtolen!“ Baron: „Sie können mich
weder beleidigen noch kann ich mich mit
Ihnen Schlagen, denn — Sie erijtieren
nicht ! Falſche Haare, ſalſche Augen, falfche
Hüften, falſche Waden, falfhe Zähne. .
na furz, ich kann Sie nicht treffen, denn
Sie eriftiren nicht!“
N
Im Eurhbaus- Hotel. Wirt:
„D, ih erinnere mid, Sie waren ja
auch voriges Jahr mit Ihrer Frau Ge-
mahlin da, aber fie hat fich jehr ver-
ändert. Sie ift jet magerer.“ Gaſt:
„a, ein wenig.“ Wirt: „Und fie war
auch größer.“ Gaft: „Unmerffich.“
Wirt: „Und dann, trug fie nicht liche
teres Haar?” Gaft: „Allerdings. Uebri»
gend? — unter uns gejagt — es ift ja
nicht dieſelbe!“
„Grünf
—
Moderne Ehen. Pfarrer: „Führt
Euch brav auf, Kinder, damit Ihr recht
lang und glücklich miteinander lebt.“
— Braut: „Hochwürden, für fünf bis
ſechs Wochen garantier ich!"
Kindermund Mutter: „Aber
Hans, das ift zu arg, den ganzen Tag
muß ich mit Dir Ächelten und fchimpfen.*
— Hans: „D liebe Mama, das jchadet
gar michts; im Oegentheil, es ift ein
großes Glüd, daß ih es — nicht übel
nehme.“
Ausder Inftructionsftunde
Unterofficier: „Soldat Fiſcher, jagen Sie
mir, was ift Terrain?” (—iſcher ficht
fih fragend um und fchweigt.) — Un—
terofficier: „Sie Ejel! Läuft der Kerl
den ganzen Tag drin herum und weiß
nicht, was Terrain ift! Na, jet werben
Sie es do wilfen!? — Soldat Filcher
(zögernd): „A Paar Stiefel!“
Gott!“
„Ih habe die Ehre!” Geh’ ſchau mi net an;
Was liagft denn fo jchebi, nirnugiga Mann!
Du hätieft an’ Ehr a? Geh red
net jo dunmt:
Du bift ja a Lotter, a Lump umadum.
„Ergebenfter Diener!” Heh, laß
mi nur auß;
Denn wannft Du mei Deaner warft, dös war a Graus.
A Spridwörtl haft: Wia der Herr, jo der Knecht;
Da müaßt i jo fein grod wia Du a ſo ſchlecht.
„I lüß Ihnen d Hand,“ „Ich empfehle mich ſehr.“ —
„Küſſed Hand,” jagt a Knecht,
für an Mann taugt’3 nöt her!
Und’s „Empfehl mich,“ dös fann Dir jho a nir eintragn:
Bift wert der Empfehlung, jo brauchſt Du's nöt 3 fagn.
„Mein Eompliment!* Daß i laden nöt müaßt!
Jet wird mar in Deutihland gar walliih ſcho grüaßt;
Dd ganz Grünkerei is a Schand und a Spott
Und a Lug; thoan ma's weg und jagn liaba: „Grüaß Gott!“
(„Grüß Gott.“)
Ehrich Fels.
157
Bider.
Cudwig Sanghofer. Selten find einem Did:
ter in jungen Jahren gleih am Anbeginne jei:
ner literarifchen Thätigfeit jene Erfolge und |
jene Anerfennung jeiner dichterifhen Pro—
ductionen zutheil geworden, wie dem Manne, |
dem dieje Zeilen gewidmet find, Nicht nur die
Muſen, die ihn mit einem jhönen Talente be: |
dacht, au das Glüdjheintihm Hold zu fein. |
Und dies ift ihm in vollem Maße zu gön—
nen! Denn 2, Ganghofer gehört nicht zu
jenen Halb» und Sceintalenten, die ſich
nur durch marktjchreieriiche Reclanıe und,
dur die Protection literarifcher Mutoris
täten emporringen: Ganghofer ift ein echtes
Talent und ein echter Dichter — ein Did:
ter, der mit der Rajchheit feiner Erfolge
auch die Neife erlangt bat. Denn es ift
Gejundes, nicht Angelränteltes in feinen |
Schriften, wenn auch dur diejelben ein,
wehmüthiger, berber Zug geht. Aber vor
Alem, was und an ihnen erfreut und er:
quidt, das ift der unmittelbar frische und
natärlihe Ton, der aus denjelben quiflt.
Hauptſächlich aber hat d a3 dazu beigetra:
gen, ihn jene Stelle in der deutfchen Lite: |
ratur der Gegenwart zu verjchaffen, die er
einnimmt, dab es ihm gelungen ift, die
Eigenarten feines Volles mit einer Echtheit |
und Naturtreue zu ſchildern, die frei iſt
von jeder Schablone und welche jetzt nur,
Wenigen eigen find.
„Das Bollsprama und die Dorfge:
chichie find Ganghofer's literariſche Do:
mänen und in dieſen bat er ſein Glülck ge
macht. Gleich fein erfles dDramatifches Stüd:
„Der Herrgottſchnitzer von Ammergau“ erz
rang einen ungewöhnlichen Erfolg, faft ähn: |
lich demjenigen, den Anzengruber mit feinen |
„Pfarrer von Kirchfeld“ erntete, jo daß
Banghofer gleih ſchon zu einem hervor:
ragenden dramatiihen Zalente geftempelt |
wurde. Es ift dies ein Stüd voll feiner
Eharafterifierung, voll anmuthiger, ſpan—
nender Handlung, Reihthum an Figuren, |
föftlihen Humors und ergreifender Web:
muth. Und dann folgte Stüd auf Stüd. |
Aber aus dem Dramatiter ift hernad
ber etwas pejfimiftiih angehaudte Lyrifer
und aus dem Lyriler der allbeliebte Er:
zähler geworden. Hier in der Erzählung
bat er ein Feld gefunden, die Eigenarten
feines Volles, die Schönheit feines Landes
mit Präftigen Striden und farbenjatten
Colorit fchildern zu können und auch ein,
Feld, fein Talent reicher entfalten zu tönz |
nen; denn höher als den Dramatifer jhäten
wir den Erzähler Ganghofer.
geſchichten geboten von eigenartigen Weiz
und, obgleih einfah in der Handlung,
‚gau,* das zum Gajjenftiid wurde.
Er hat uns bisher Dorf: und Jäger: ı
von ergreifender Gewalt. Denn Ganghofer | größern Schaufpiele:
ift ein feiner Seelenfenner und feine Dorf:
geſchichten und jonftigen Novellen find pſycho—
logifche Monographien; dazu zaubert er in
feine Schriften echte Waldluft hinein, jo
daß wir erquidend in diefer Welt, die er
uns vorführt, aufathmen.
Allein aud einen Schritt zum Gebiete
des Romans hat Ganghofer dur jein vor
Kurzem erjchienenes Werk: „Die Sünden der
Väter" gemadt. In diefem Werke verjucht
er die Löſung der ethijchen Frage, ob fi
die Sünden der Bäter an den flindern
räden und zeigt dies an vier meifterhaft
gezeichneten und an tragifche Größe hinauf:
reichende Figuren. Er fonımt jedoch zu dem
Schluffe, dab die irrenden Menſchen felbft
e8 find, die fih Strafe und Bergebung
austheilen. Diefes Werk wird nicht ver:
fehlen, Auffehen zu erregen; e3 ift meifter:
haft componiert und Ganghofer zeigt fid
darin als Dichter: Philofoph und jcharfer
Beobachter der Welt und Lebensgejehe.
Ganghofer wurde im Jahre 1855 zu
Kaufbeuren in Baiern geboren als Sohn
des damaligen FForftaffiftenten und jetigen
Chefs des baieriſchen Forſtweſens. Als jein
Vater vier Jahre ſpäter als königlicher
Revierförſter nad Welden verfegt wurde,
lam auch der Knabe dorthin und beſuchte
dort die Dorfſchule. Schon als Kind hatte
er aljo Gelegenheit, jene Eindrüde in ſich
aufzunehmen, die der jpätere Scriftfteller
verwertete. Dann bejuchte er in den Jahren
| 1864— 1872 das Seminar zu Neuberg a. D.
und das Nealgymmafium zu Regensburg.
Seltfam! Der nahherige Dichter wollte ſich
dem Maſchinenfache zuwenden, aber eben
dieſer Dichter regte fih in ihm und machte
ihn diefen Berufe abwendig. Und jo ftu:
dierte er am Polytehnicum zu Münden
(1874), hier literarifhe und philofophiiche
Studien betreibend, dann befuchte er noch
in den Jahren 1878—1879 in Münden,
Berlin und Leipzig die Univerfitäten, in
welch’ letzterer er fih den philoſophiſchen
Doctortitel erwarb. So legte er den Grund
zu einer ungewöhnliden Bildung; aber
weniger Zufall war es, als jein eigenes, nad
Geftaltung drängendes Talent, das ihn
dazu trieb, ſich der Literatur ganz zu wid:
men und zur Erkenntnis feiner Begabung
zu bringen. Aber auch eine mächtige An:
regung hierzu erhielt er durd das Gaftipiel
der Schaufpieler vom Münchener Gärtner:
plag- Theater. Eine Belanntihaft mit Hans
Neuert hatte das Reſultat, daß er zur dra—
matiſchen Production ermuntert wurde, und
damals entjtand fein berühmtes Erftlings-
werk: „Der Herrgottichniger zu Ammer—
Zun
Theil unter Mitwirkung Neuert's ſchuf er
bis 1881 die Einacter: „Tobber Dobler*
und „Der Anfang vom Ende,“ fowie die
„Wege des Herzens“
und „Der Procekhanjl,* welche ſämmtlich
158
ungewöhnlichen Effect bei ihrer Aufführung schen Dichter nahmen. Freilich konnten fie
erzielten. 1881 folgte er einem Rufe des ſich in einer Weije bewegen, von der man
Dir. Fr. Jauner als Dramaturg des Rings | bei uns unter dem Preßgeſetz und objec-
theaters in Wien, welder Thätigfeit durd tivem Verfahren keine Vorſtellung hat. Ein—
den Brand dieſes Theaters ein jähes Ende zelheiten anzugeben, überfteigt den Rahmen
bereitet wurde. Aber die liebliche Kaifer: | des „Heimgarten*; wir wollen nur be—
ftadt an der Donau fefjelte ihn an fi und merfen, dab uns Brandl mehr gibt als der
jo blieb er und vermählte ſich da mit der | Titel jagt. Das konnte er, weil er Reiſen
Wienerin Kathinta Engel, Er ſchuf nod | nad England unternahm und von Lord Cole:
dann die wirfungsvollen Vollsftüde „Der | ridge, den Großneffen des Dichters, bisher
zweite Schaf“ und „Der Geiger von Mit: unbenutztes ſchriftliches Material erhielt.
tenwald* nnd gab aud während diefer A. Brandt ift ein Defterreidher, ein Tiroler,
Zeit einige Gedicht: und Novellenfamnt: | Zum Schluffe fügen wir bei, daß fein Buch
lungen heraus,*) die alle diefelbe Glut bereits in's Englifche überjegt wird.
atdmen und von derjelben tünfiferifchen |
Vollendung find, welche ihm feinen Namen in
der Literatur verichafften. j
Den Winter verbringt Ganghofer im an: | , Ford Byron von Karl Elze, Diejes be:
genehmen, anregenden Freundes: und Be— | rühmte Wert liegt bereit$ in der dritten Auf:
fanntenfreis, feiner literariſchen Thätigfeit | lage vor und wurde jhon früher in das Eng:
gewidmet, in Wien; er macht fi als ange: liſche überſetzt. Diefe Auflage ift auf Grund
nehmer, geiftreiher Cauſeur geltend, der
gar Iuftige Gefchichten aus feiner Studenten:
zeit wie aus feinem ſommerlichen Jäger:
leben zu erzählen weiß. Wenn aber der
neuentdedter Quellen vielfach umgearbeitet
und verbefiert. Zu ihrer Empfehlung brauden
wir nichts anzuführen. Der Erfolg und
die Magie von Byron's Namen genügt, Die
Frühling in’s Land fommt, dann geht er | Werfe Brandl's und Elze's find im ſchöner
hinaus in die Berge der Heimat, dort zu | Ausftattung bei N. Oppenheim in Berlin
feinem Wolfe in nähere Beziehung tretend, erſchienen. Bei Brand! fragen wir nod:
demjelben neue Seiten abgewinnend.
9. Mentes.
‚Wand fih für ihn — den Defterreider —
‚fein Verleger in Oeſterreich? — Wie in
den Tagen des Vormärz miüfjen unjere
ı Schhriftfteller no immer im Ausland eine
P.
Samuel Caylor Coleridge von Profeſſor Zuflucht ſuchen.
AL. Brandl. Die literarhiftorifchen Bo—
taniter haben vielfältig die hochragenden
Bäume des engliihen Barnafles geſchildert;
über Shaleipeare, Milton, Byron befiten
wir ganze Bibliothelen, es gibt jedoch noch
Dichter, die an ihre Größe nicht empor:
reichen, jedoch ebenfalls volle Aufmerſamkeit
verdienen. Profeſſor Brand! hat mit Cole:
ridge einen ſehr glüdlichen Griff gethan;
was man bisher über dieſen Mann wußte,
war verhältnismäßig nicht viel, von Ge:
ligrath überjegten „Albatros“, Und dennod
ift Coleridge von größtem Einfluß auf die
englifche Literatur gewefen, er wirlte auf |
Byron, Milton, Walter, Scott, Shellay und |
Reats, Aufihn find die Anfänge derenglifchen
Nomantit zurüdzuführen, aud als Philo:
ſoph und Theolog nimmt er eine hohe
Stellung ein. Er bildete jih an den Deut:
ſchen und vermittelte ihren Einfluß auf
feine Landsleute. Kant und Selling haben
für ihn
Schiller's Wallenftein überfete oder genauer
— bearbeitete er für fein Boll. Mertwilrdig
ift der Finfluß, den die franzöfiiche Revo:
lution und Napoleon auf alle dieje engli:
*) Eoeben erihien von Banghofer: „Edelweiß · |
tönig. Eine Hochlandsageſchichte.“ (Stuttgart, 2 en |
u. Gomp.)
eine hervorragende Bedeutung; '
Adalbert Stifters ausgewählte Werke.
(Zeipzig. Amelang’s Berlag 1887.)
Endlih! Doc faft will fi die Verlags:
handlung entſchuldigen, daß fie in unjerer
Zeit diejen Schriftfteller neu aufführt.
beste muß faft Bedenken haben, ob unſere
Zeit diefer Gabe wert ift. Gewiß, denn es
| werden fih Taufende finden, die nad der
Stifterfhen Art ein Verlangen tragen.
dichten fannte man faft nur den von grei. | Die Einfachheit, das fittlid Schöne, das
‚Beruhigende, das dem Alltagsleben Ent:
‚ rüdende — heute mehr als je hat man Heim—
weh darnad). Zu bedauern an diejer Bolfs-
ausgabe ift nur, daß es bloß eine ausge:
wählte, feine Gefammtausgabe ift. Sie
\enthält in 28 Heften nur die „Studien,“
„Bunten Steine* und „Erzählungen“, aber
fie vorenthält uns den merfwürdigen hiſto—
riſchen Roman „Wittilo* und den herr:
lichen „Nachſommer“. Es fteht zu hoffen, daß
das deutjche Volk jeinen Adalbert Stifter nun
bei defjen neuem Erjcheinen derart gerecht
würdigen wird, um die Verlagshandlung
auch zur Herausgabe des „Nachſommer“
'zu veranlaſſen. Auf jeden Fall begrüßen
wir das Erſcheinen dieſer Volklsausgabe auf
das Wärmſte. R.
Loſe Blätter für Haus und Herz von
an.
Der Sculvereinss Kalender. Der Deutiche
Mar von Weifjenthurn (Wiesbaden. | Schulverein ift an die Merausgabe eines
Bechthold & Comp. 1886.)
Das fogenannte „Beiftreiche“, was man
fonft an Feuilletons (und das find geſam—
melte Feuillelons) zu finden gewohnt ift,
wird bier reihlich erjegt dur das Tüch—
tige. Es ift eine wadere Lebensanficht, welche
dieje Blätter durchweht und wertvoll macht.
Die Frau wird Über die wichtigften Dinge
und Berhältniffe ihres Lebens in dieſem
Buche Gapitel finden, welde vom Geifte
deuticher Fraulichkeit bejeelt, läuternd und
verjöhnend wirken müſſſen. Ueber Bielerlei
wird in anjpruchslojer und doch anmuthiger
Weiſe geplaudert; es ift ein liebenswürdiges
Büchlein. M.
Die deutfhe Sprade. Von Dr, Otto
Behaghel. (Leipzig: ©, Freitag. — Prag:
Kalender3 gegangen, der für das Jahr
1887 zum erften Male erjchienen ift.
Abgeichen von einer anmuthigen Aus:
ftattung, zu welcher insbefondere die kunſt—
vollen Rahmen und KKopfleiften der Monats:
lalender zählen, liegt der den Schulvereins:
Kalender über fo viele andere ftellende Wert
desſelben in jeinem literariihen Theile,
welcher ein Meines Scagfäftlein von Ge:
dichten und Erzählungen enthält und aller
Welt Freude mahen muß, und in einigen
deutſch-patriotiſchen Aufſäßen und Darle—
gungen, welche den Kalender für Schul—
vereinsmitglieder unentbehrlich machen. In
dem Aufſatze „Die Macht- und Weltſtellung
der Deutſchen“ ſucht Franz von Löher die
Deutſchen mit ſich jelbft, mit ihrer Per:
gangenheit und Zuflunft befannt zu maden.
Der Aufjag verdiente erweitert und hundert—
Frei von dem pedantifchen, trodenen |taufendfah in's Volk getragen zu werden.
Tone, welcher jo viele germaniftifche Arbei: | Etwas furz find die Proben „Deutſcher
ten ſonſt Hodverdienter Forſcher ungeniehbar | Mundarten in Defterreih Ungarn“, zu denen
macht, auf Inappem Naume, in anziehender Anzengruber, Hörmann, Grasberger, Wai—
und feſſelnder Darſtellung ein Bild der | det, Pigler, Dumml und Andere beigetragen
deutſchen Sprade. Diefes Buch wendet fidh | haben, ausgefallen, Einer erhebenden Unter:
an die Gebildeten jeder Nation; es zeichnet haltung dienen „Das Schulzeugnis* von
in großen fräftigen Zügen die äußere und Nofegger, „Der arme Hans“ von Marriot,
innere biftoriiche Geftaltung des gewaltigen, ‚Die in's Herz greifende Erzählung von
weltbeherrſchenden deutſchen Idioms. Der | üller: Guttenbrunn „Der Sohn feiner
Berfaffer beginnt mit einem allgemeinen Mutter" und Chiavacci's „Ein Wiener
Theile, in dem er, von der vorgermanifchen | Jahr“, weldes in jedem Wiener taujend
Zeit ausgehend, das Germanifche und feine | liebe Erinnerungen wedt und jeden Nicht:
Unterabtheilungen, fowie die althochdeutjche, | Wiener raſcher in das Wiener Familien:
mittelhochdeutiche und neuhochdeutſche Zeit leben einführt als einige Jahre Aufenthalt
— letztere natürlich am ausführliften — in der Kaiferftadt. Dazwiſchen eingeftreut
behandelt. Sehr intereffant ift unter ande: | finden fi dichteriiche Gaben von Jenſen,
tem dasjenige, was in dem zweiten Ab: Wildenbrud, Milow, Baumbach, Saar,
ſchnitt über Polls: Eiymologie, über die | Dahn und eine mufifalifche Gabe von Heu:
poetiiche und die Studentenfpradhe, über den | berger. Dann bringen Kurzgefaßtes, Wohl:
Bedeutungswandel und die Neufhöpfung | Hemeintes, Beherzigenswertes Deininger,
von Wörtern gefagt wird. Gin dritter | „Ueber Berufswahl”; Mazal, „Das Ver:
Abſchnitt prüft die Einwirkung fremder | fiherungswejen“; Dr. L. W., „Ueber Eur:
Eprahen auf das Deutſche. Intereffant und pfuſcherei und Geheimmittelſchwindel“. Fir
unterrichtend ift der jehste Abſchnitt, der | den praltiihen Patriotismus der Deutſchen
fig mit den Epigranımen beidäftigt. Ihreibt Hofmann: Wellenhof „Vom Allge—
REN V, | meinen deutjchen Schulverein zu Berlin“
und Dr. Mareih „Der Deutihe Schul:
Die Schweij. Von Dr. 3. 3. Egli.
F. Zempsty. 1886.)
» | verein in Wien“. Tem letzteren Auflage
(Leipzig: ©. Freitag. — Prag: F. Tempsty. |ift ein „Verzeihnis der Ortsgruppen“ an:
1886.) gehängt. Der Kalender wird ein „Jahrbud
Ein herrliches Stüd Erde wird uns der Deutfchen in Defterreih“ werden.
in dem obengenannten Büchlein vorzüglid
geihildert. An der Hand des Züricher Uni—
verfitätsprofefjors Dr, Egli durdmwandern
wir die gewaltigen Alpenlandſchaften. Ne«
Deulfcynationaler Kalender für Defter:
ben Berg und Thal, See, Strom und Fluß | reich auf das Jahr 1887, geleitet von Karl
lernen wir daS kräftige Boll der Schweizer
fennen und lieben, Wir gewinnen einen
Einblid in die fernen Zeiten, in denen
längft untergegangene Böller hier ihre
Wohnftätten hatten, V
W. Gawalowski. 2. Jahrgang. (F. Goll
in Oraz.)
Diejer Kalender bringt ein vollftändis
ges Kalendarium mit allen wichtigen Be:
ftimmungen, Eine Zierde des Kalenders ift das
ihm beigegebene, reich und ſchön ifuftrierte
160
deutſche Jahrbuch, das auch diesmal durch
gediegene Beiträge namhafter nationaler
Autoren fih einen bleibenden literarischen
Wert zu fihern jucht. In bunter Reihenfolge
wechſeln hier nationale Erzählungen, Auf: |
ſätze und begeifternde Dichtungen von fol« |
H. Beheimer, F. Dahn,
E. Fels, K. W. Gawalowski, R. Hamer: |
genden Autoren:
ling, F. W. Hausegger, N. Keil, F. Keim,
A. A. Naaff, A. Ohorn, A. — v.
Rainer v. Reinöhl u. U. m. Die Rubrik
„Nationales Allerlei" enthält außerdem Jahle |
reiche anregende Aufjäge über die verichie:
denen deutichen Schulvereine in und außers |
halb Defterreihs, den deuifchen Böhmer: ,
waldbund, den R. Wagner: Verein, den
deutihen Spradverein u. ſ. w. V.
Das deutfche Reich rüſtet ſich
neuen Eroberungszuge in den öſterreichiſch—
ungarifhen Gauen. Bei demjelben ift es
fogar auf unfere allertheuerften Güter abge—
fehen — nämlich auf die Herzen unferer
Frauen, Sie zu gewinnen, erfcheint die im
deutichen Reich in ſchon 100,000 Eremplaren
verbreitete Hausfrauenzeitung „Fürs Haus‘‘
von 1. October ab wöchentlich in einer
neuen Öfterreihifchen Ausgabe, melde
niffe zugefchnitten — unferer Küche und |
unferen hauswiriſchaftlichen Eigenthümlich-
leiten voll und ganz Rechnung tragen wird.
Sie dürfte weſentlich dazu beitragen, die |
Bande noch enger zu ſchließen, welche ung mit
unjeren deutfchen Brüdern und uk
jenfeitS der Grenze verbinden.
Dem Heimgarten ferner zjugegangen:
Edelweikkönig. Eine Hochlandsgeſchichte
von Ludwig Ganghofer.
Adolf Bonz & Comp. 1886.)
Höhenfeuer. Neue Geſchichten aus den
Alpen von B. K. Roſegger. (Wien. A.
Hartleben, 1886.)
dunger Nadhwudjs. Roman von J. M.
Doſtojewskty. Aus dem Ruſſiſchen über:
jegt von W. Stein. (Leipzig. W. Friedrich.
1886.)
Ferdinand Schmidt. Ein Bild feines
Lebens und Wirfens als Jugenderzieher,
Volkspädagoge und Schrififteller. Feſtſchrift
zu feinem 70. Geburtstage von Hermann
Jahnke. (Berlin. Senſenhauſer'ſche Ber:
lagsbandlung. 1886.)
Elias Regenwurm. Eine moralijche Ge:
ihichte für Große von H. d'Altona. (Anna:
berg. J. v. Groningen.)
zu einem
(Stuttgart. |
| Der Rirgife. Eine Erzählung von ®uftav
Zielinski, überfegt von Sigmund Lu:
domir. (Holics.)
Lieder und Bilder von J. J. Honeg:
ger. (Leipzig. W. Friedrid. 1887.)
Arma parata fero! Ein fociales Ge:
dicht von John Henry Maday. (Zürich.
Verlagsmagazin 1887.)
| Teldblumen. Gedichte von Julius Bo:
janowski. (Wolfenbüttel. Julius Zwißler,
, 1886.)
Dugendlieder von Ernft Rethwiſch.
Morden. H. Fiſcher Nachfolger. 1886.)
Dämmerungen. Cine Dichtung von
Otto von Leirner (Stutgart. Wolf
Bonz & Comp. 1886.)
Bofef Rih’Gedidte, L86B— 1881. Deutſch
von Dr. Joſef Steinbach. (Wien. Georg
Szelinsti. 1886.)
Deutfde Dichtung. Von Karl Emil
Franzos. Heft. (Stuttgart. Adolf
Bonz & Comp.)
Taſchenkalender für die elegante Damen-
welt 1887. (Graz. Leylam.)
Blattkalender für 1887. (Graz. Leykam.)
Brieftafhenkalender 1887. (Graz Ley:
lam.)
Der Wiener Bote. Illuſtrierter Kalender
für Stadt und Land auf das Yahr 1887,
ganz auf öfterreichifcj-ungarifce Berhätt, Lon Karl Elmer (Wien, R. v. Wald:
heim.)
Deutſcher Yolkskalender 1887. Redigiert
von Paul Lindenberg. (Beerfelden.
Meinhard.)
1
|
N
Voſtkarten des Heimgarten.
i
| X X €3 wird angelegentlihft erfucht,
Manuſeripte erft nah vorheriger Anfrage
einzujenden. Für unverlangt eingejdidte
Manufcripte bürgen wir nidt.
&h. 9., Graß: Der Aufſatz „Die erfte
‚Schwalbe in Defterreih” gründet fi auf
perfönliche Mittheilungen von Anaftafius
Grün.
?. T. Eilli: Wird erfcheinen. Ihre
; Politik: „Wohlwollen für jeden redlichen
Menfcen“ unterjchreiben wir.
©. H. M., Heutlingen: Daß an dem,
was Sie Bildung nennen, alles Heil liegt,
ließe ſich füglich beftreiten. Goethe jagt,
nur die ungebildete Seite in uns jei es,
von der ber wir glüdlid find. Zum Glüde
hat jeder Menſch' jold eine ungebildete
Seite.
x Ter Übdrud der Erzählung: „Jalob
der Letzte, eine Waldbauerngejhicdhte aus
unferen Tagen“, von P. K. Rojegger, be:
ginnt im Jännerheft.
Für die Redaction verantwortlih P, A. Bofegger. — Druderei „Leylam“ in Graz:
December 1886.
— -
8. nA. Da in
X1. Jahrg.
Die Reife nad Bethlehem.
Ein Weihnachtsgruß von P. R. Rofegger.
Ri der Werkftatt fa ein junges |
—Weib und wirkte an einem
Rod. Sie trug ein graues, faft falten |tenen Vollbart herein.
lojes Kleid, das am Halſe eng ge—
ſchloſſen und um die Mitte durch ein
Band loſe zufanmmengehalten wurde.
Ihre langen Haare giengen in weichen
Wellen nieder über Naden und Schul—
tern, jie waren nicht ganz ſchwarz, ein
zarter Goldglanz durchleuchtete es wun—
derbar und das Angeſicht war fo ſchön,
daß ich micht verfuchen kann, es zu
beihreiben. Ein Voltstied hat feitden
von dieſem Weibe geſungen:
Mutter, blutjung; ſchön weiß als wie
Kreiden, Schön mild als wie Seiden,
ein wunderſchön Weib, demüthig dabei.“
Die Arbeit war ihr jet im den
Schoß gefunten, mit ihren großen,
ſanften Augen ſchaute fie vor ſich Hin
und ſann.
Draußen auf dem Eftrich klatſchten
die Sandalen und eine männliche
Stimme rief: „Maria, bift Du da?“
Rofrgger's „‚Heimgarten‘‘, 3. Heft, XI.
en
Hierauf trat ein ftattlicher Mann mit
‚einem bereit grauenden, kurzgeſchnit—
Im Arbeiter—
fittel war er, den langen, viereckigen
Stab, den er wie einen Stod in der
Hand getragen, lehnte er zu anderen
Werkzeugen an die Wand.
„Es ift Feierabend ?" fragte Maria.
„Und es kommen Feiertage,“ ſagte
der Meifter. „Ich Habe dem Bachem
geſagt, daß fein Schrank in vier Tagen
„Die |
fertig fein ſoll. Das erftemal, daß
ih nach schlechtem Handwerkerbrauch
mein Wort nicht Halten kann, aber
Kaiſers Befehl geht voraus.”
„Hat der Staifer eine Beftellung
gemacht?“ fragte Maria.
„Er Hat mich jelbft beitellt,“ ant—
wortete der Mann, „wir werden eine
Ihöne Neife machen, Maria; Du wolls
teft ja auch Schon lange meinen Hei—
matsort fehen, die Stadt Davids.”
„Ich weiß nicht, Jofef, was Deine
Nede bedeutet,“ jagte Maria.
11
—
„Ich will eben den alten Feigen—
baum vermeſſen,“ erzählte Joſef, „als
unten in der Stadt die Hörner blaſen.
Mas muß das bedeuten, denke ich.
Geht Salomon, der Sohn Affims,
vorüber und xuft mir zu: Joſef.
fomme nur mit, das ift auch etwas
für Did. Wir gehen hinab. Ganz
Nazareth ift verfammelt und über den
Platz reitet auf hohem Schimmel ein
Danptmann, der verkündet es unter
Poſannenſtößen: Der römische Kaifer
will feiner Untertfanen Zahl erfahren,
darum Hat unſer hoher Herr, der
Statthalter Eyrinus, befohlen, daß
Jedermann von Juden, Samaria und
Stanaan im feinen Geburtsort komme
und ſich aufichreiben laſſe am Tage,
wenn die Sonne am tiefften fteht,
oder die neun Tage darnad. Wer
es nicht thut, der fol hart beitraft
fein an Gut und Eigen. — So ift es
verfündet worden.“
Joſef, der Meifter, wollte einen
Freudenſchtei thun nach dieſem Worte
Mariens. Sonſt, heißt e3, ließen junge
Frauen ihre älteren Männer gerne
ziehen auf Gottes Wegen und bejchieden
fich mit dem ftillen Daheim und öffneten
ihre Thür mit Freuden dem rüftigen
Boten, der Gruß und Bericht will
bringen von dem Fernen. In
mancher Stunde ſchon, wenn der
Meifter es verfäumt, durch muthiges
Schaffen in der Werkftatt böfe Grillen
abzuwehren, war ihm bange geworden
ob des jungen MWeibes, das er Sich
angemaßt hatte. Mißtrauen ſchlich in
jein Herz, Mißtrauen gegen fich jelbit,
ob er wohl ftarf genug fein würde,
der Eiferfucht Anwandlung allzeit ſieg—
reich zu widerftehen. Wie wäre ihm
der Boden des Yudenlandes, das er
nun durchwandern follte, heiß gewor—
den ter den Füßen, wenn er feines
Meibes gedachte. . . Selig war er
„Die fremden Derren bringen vieb darum, als Maria fagte, fie wollte
Laft und Beichwerden auf,“ verjeßte
nun Maria. „Gott weiß ja die Zahl
ſeiner Geſchöpfe.“
„Und der Kaiſer iſt Gott auf
Erden, darum will er ſie auch wiſſen.“
„Du willſt nach Bethlehem reiſen,
Joſef?“
„Weil
reiſet.“
„Und willſt mich in Kangan allein
laſſen — jetzt — ?“ Leiſe in ſanfter
Wehmuth war dieſe Frage gethan.
„Mein liebes Gefpons,“ ſagte
Joſef und neigte fich auf fie nieder
md zog ihr Haupt an feine Bruft,
„wenn Zwei um mich ringen,
gewaltige Auguſtus und die janfte
Maria, da wird wohl die fanfte
Maria ftärker fein. Du haft Leid, ich
bleibe bei Dir.“
„Mein, treuer Mann, fo will ich
es micht gemeint haben,“ ſagte fie;
„unfere Mutter Eva hat ihren Mann
verleitet zum Ungehorfam gegen feinen
Herrn; ich will es beſſer machen. Gehe
nach Nazareth, in die Stadt Deines
großen Ahnes David, ich gehe mit Dir. *
Bethlehem micht zu mir
der
ab von dem ftillen Nazareth.
|
mit ihm gehen. Freilich wohl blidte
er ſie fragend an, ob fie den weiten
Weg wagen dürfe in folcher Zeit.
„SH will mich ja auf unſere
Eſelin ſetzen und wie eine Königin
vorüberziehen an dem Zempel Salo—
mons zu Jeruſalem und hinaufreiten
zur Stadt Davids, der gebenedeiten.“
Sp ſprach Maria in freundlicher
Schaltheit, und jo ward es angeordnet.
Der arınen Handwerfsleute Heiner
Haushalt war bald beftellt, die Hütte
leiht verwahrt, der geringe Spar
pfennig im Mantelfad des Joſef wohl
gelichert, und fo reifeten fie am fünften
Tage nah der Öffentlichen Vorrufung
Als fie am Brunnen des Tempels
vorbeifamen, an welchem Maria jo
oft Waſſer geholt Hatte und an welchem
auch jet Weiber fanden, die fteinernen
Krüge auf ihren Köpfen, den Davon—
gehenden nachſchauend, kam von der
Treppe eines Daufes eine ftattliche
Frau niedergeftiegen, fieng die Ejelin,
auf welcher Maria ſaß, am Riemen
und jagte: „Ejelin, ich bringe auch
163
Dir noch den Segen des Herrn.‘ trugen fie zwar gerade einen Todten
Strauchle nicht und ftürze nicht auf aus dem Thore. Die Mutter des Ver—
den fteinigen Pfaden von Samaria! ftorbenen weinte fo ſchmerzlich, daß
Mögeft du Kräuter finden auf deinen, Maria vom Eſelein abjtieg, zu ihr
Wege, um dich zu ftärken, und klare hintrat, um fie zu tröften. „Ex wird
Quellen, um di zu laben. Und wenn leben,“ fagte fie, „die Gruft gibt ihn
du mir die Schweiter mwohlbehalten zurück.“ Man blidte fie an und wußte
zurüdbringeft, fo follft du fieben Tage! nicht, was fie meine. Maria wußte
bei mir zu Gaft fein und eſſen und ſelbſt micht, wie ihr ein ſolches Wort
trinfen nad Herzensluſt.“ — Dann | ‚auf die Zunge gefommen war und
wandte fie fich zu Joſef und ſprach: fie fagte nun: „Bei Gott ift nichts
„Klug ift es, daß Du Dein Beil mit unmöglich.“
Dir trägft gegen die Amalekiter |. Damm zogen fie weiter. Als fie
„Nicht der Wegelagerer wegen trage | zum Fluſſe Kifon kamen, der zu diejer
ich mein Beil mit mir,“ antwortete Jahreszeit in mächtigen Fluten her—
Joſef, „fondern um den Steig zu niederranfcht aus den Schluchten des
roden in den Büſchen von Samaria, | Gilbongebirges, wollte die Ejelin ein—
und um eine Hütte zu bauen im der | mal trinken.
Wildnis von Sulem.” „Das iſt ein guter und nach—
„Ich follte Dich nicht Hinziehen | ahmenswerter Gedanke,“ ſagte Joſef,
laſſen auf fo unwirtlichen Wegen,” | „wir wollen uns unter den Schatten
fagte Schweſter Elifabetd mun zu der Palmen fegen und ſehen, was fi)
Maria. „Du bift die Gefegnete unter in meinen Sade findet. Datteln, das
den Weibern. Aber felig bift Du iſt gut. Brot, das ift noch beſſer.
zu preifen, denn Du wirft den Tempel, Und ein Srüglein mit Wein, das ift
des Herrn jehen.” am beiten. Gelobt ſei Gott.”
„Der Friede fei über Nazareth,“ „Er ſei auch gelobt, wenn er jtatt
fagte Joſef. Datteln Diſteln, ftatt Brot Steine
„Der Friede fei mit Dir, Schwefter | und ftatt Wein Wafjer beſchert,“ ver—
Eliſabeth!“ fagte Maria. ſetzte Maria.
„Und der Friede —“ Eliſabeth „Und er ſei auch gelobt, wenn er
ftredte die Hände aus, aber das Wort | uns an Datteln Trauben, ftatt Brot
fonnte fie nicht vollenden, weil fie, Fleiſch und ftatt Wein Milch und
weinte. Honig ſpendet,“ jagte Joſef. Sp plau—
„Und jetzt vorwärts, Eſel!“ rief derten ſie und erquickten ſich. Vom
Joſef dem Thiere zu, neben dem er, Gilbongebirge ſtarrten die dunklen
es am Riemen führend, dahinſchritt. Bafaltfeljen nieder, Hinter dem Tabor,
So zogen fie thalwärts. der dort im ſonnigen Dufte halbrad-
Das war im Morgenzwielicht. Als förmig aufragt, leuchteten die weißen
fie eine Strede auf der fruchtbaren, | Gipfel des Heron.
thaukühlen Ebene dahingerwandert wa— „Da drüben hinter diefen Bergen
ren, hielt Iofef an, wendete fich um, ift der Jordan und der See Gene—
daß er noch einmal Nazareth fchaue, | zareth und die jhöne Stadt Mag—
wie es jet im Sonnengold fo weiß dala, wo ich drei Jahre gearbeitet
und ſchimmernd lag am Abhange des habe,“ berichtete Joſef, der gerne
grünen Gebirges. Maria ſaß ftifl der= | zeigte, daß er ſchon mand ein Stüd
gnügt auf ihrer Ejelin und ftreichelte in der Welt herumgewefen war. „Und
lie am Kopfe. dort unten, wo dieſes Waſſer, an dem
Am erſten Tage war es ein froh⸗ | wir ruhen, durch das Engthal bricht,
liches Ziehen. Bei dem Städtchen fannft Du zwijchen der Schlucht ein
Naim, an welchem fie vorüberfamen, | lichtgraues Streifchen ſehen. Es ſchim—
11?
164
mert wie Taubengefieder. Das ift das
große Meer, über welches die römi—
jhen Herren herübergekommen find,
um den Stamm Juda zu unterjochen.“
Maria entgegnete nichts. Ihr Sinn
war nicht der äußeren Welt zugefehrt,
fondern der inneren. Im feligen Träus |
men verfunfen ließ fie fich von dent
treuen Gatten führen, von dem ge—
duldigen Thiere tragen hin über die
rauhen Steppen und Steinberge von
Samaria.
In der erjten Nacht rafteten fie
in einer Herberge zu Ginda; am
zweiten Tage überftiegen fie die Aus—
läufer des Karmelgebirges, kamen nad)
Bethula und fanden Herberge zu
Sichem, der alten Stadt, wo einft —
wie Joſef erzählte — die Könige von
Iſrael Hof gehalten. Die Stadt lag
zwifchen hohen Bergen. Die Gegend
war theils felſig, theils mit üppigen
Gärten beftanden. Delbäume und
Maulbeerbäume überall, frifches Grün,
jelbft die Steine find mit grünem
Moos bewachſen, aus allen Spalten
jprießen Pflanzen, raufchen Hare Quel—
len, in allen Thalungen riefeln helle
Bächlein, in welden die Sonne glißert.
„Das ift ja das Land,“ fagte
Joſef, als er feinen Blick Hinfliegen
ließ über die Gegend, „melches Gott
am meilten lieb hat auf Erden.“ Als
er diefe Worte gejagt Hatte, Hang die
Stimme fo feltfam hell an den Berg:
hängen Hin. Weit drüben auf einer
Berghöhe ſtand ein Hirt und feine
Geſtalt ragte wie ein winziges Säul—
hen in den blauen Himmel hinein.
Bon diefer Geftalt fam eine Stimme
herab zu den MWanderern: „Fremd—
linge! Gedentt, daß Ihr auf heiligem
Boden wandelt. An dieſem Berge ift
die Bundeslade geftanden und Yofua
hat von hier aus die Geſetze ausrufen
laſſen über Iſrael!“
Ein heiliges Schauern erfaßte den
Zimmermann aus Nazareth und er
jagte zu feiner Gefponfin: „Maria,
das find die tönenden Berge, in wel—
chem der Menjchen Rede ſechsmal heller
Ichallt al3 anderswo, und hier will
ih rufen: Ihr Berge und alle Hügel,
ihr Fruchtbäume und alle Gedern,
lobet den Herrn! Lobet ihn, Sonne
und Mond! Lobet ihn, alle leuchtenden
Sterne!“
Als fie weiter zogen, kamen fie zu
einer alten Eyfterne, in welche Stein—
hen Hinabriefelten, als Yofef auf den
Schutt des Randes trat.
„Warum willft Du bier trinken
und nicht an der lauteren Quelle dort
am Berg?“ fragte Maria.
„Dies ift der Brunnen des Jakob,“
ſprach Joſef, „bier hat der Stammes
vater feine Herden geweidet, hier hat
er den Brummen gegraben, weil ihm
‚die Nachbaren ihre Quellen verjagt
| haben. Und wenn Du dort zwischen
‚den Obſtbäumen durchblickeſt, Maria,
'fo wirft Du die Mauern vom rabe
—* Sohnes Jalob ſehen, den feine
Brüder nach Egypten verkauft hatten.
Er ift ein hoher Herr geworden, er
hätte ein herrliches Grabmal, wie es
‚die eghptiichen Könige haben, können
errichten laffen über feinen Gebeinen;
er bat im der lieben Heimat ruhen
wollen.“ —
Am dritten Tage verließen unfere
Wanderer das ſchöne Thal von Sichem.
Sie famen in ödes Gebirge, deſſen
Höhen mit einem weißen Neif iiber:
zogen waren. Auf einer folchen Fahlen
und fteinigen Höhe that Joſef aus
den Bündel ein Wollentuch und
'widelte es ſorgſam um fein Weib,
das ein wenig fröftelte. Dann wen—
dete er fein Auge zurüd auf die
weiten Gegenden, durch die fie her—
gekommen. Breite Thäler und garten—
reiches Hügelland. An den Berghängen
und in waldigen Engthälern halb ver-
ſteckt lagen im einzelnen ſchimmernden
Punkten und in Gruppen die Ort—
Ihaften. Viele Berge hatten Felskämme
‚und in fernften Hintergrunde, hoch—
‚aufragend, als wären es blauende
Wolken des Himmel mit weißen
Rändern, fand das Schneegebirge
‚ Libanon.
Plötzlich, als ob fie aus den
umberliegenden Steintlögen herausge-
Iprungen wären, ſtanden drei Männer
da. Obwohl ihre Häupter in Tücher
geichlagen, waren ihre Antlike tier
gebräunt von der Somme. Um jo
ſchärfer traten ihre weißen Zähne und
das Weiße in den Augen hervor; die
Augen loderten im morgenländijcher
Glut. So hielten fie nun ihre langen
Speere gegen unſere NReifenden und
forderten von Joſef das Bündel, von
Maria den Mantel und die Efetin.
dahinkletterten, wobei Maria von der
Eſelin herabgeftiegen war, damit jich
das erſchöpfte Thier leichter weiter-
helfe auf den fantigen Steinen, ver-
düfterte Fich der Himmel und Nebel
ſeukte fich nieder von den Gipfeln der
Berge. Kalte Tropfen jchlugen den
MWanderern in das Geficht und Joſef
that noch die Beinertung: „Da gehen
wir den heißeren Himmelsſtrichen ent—
gegen und es wird immer älter.
Winterszeit.“
Sie verwahrten fi in ihre Män—
Joſef war wohl einigermaßen ver= tel. Joſef drang, daß fi Maria wie
wundert über dieſe Begegnung, aber der auf das Thier ſetze und tröftete
nicht erfchroden. „Für Euch,“ ſagte die Eſelin, daß es nicht mehr weit
er umd legte die Hand an den Stiel wäre zur Herberge in Bethel. „In
feines Beiles, welches im Gürtel ftaf,
„für Euch hätte ich das. Aber wir
wollen Frieden, und Gottes Zorn iſt
ftärter als ich alter Mann. Wir find
arme Lente und reifen nach Bethlehem,
daß wir uns bejchreiben laffen nad
dem neuen Geſetz. Wir müßten ums
fonımen unterwegs, wenn Ihr uns
diefer Dinge berauben wolltet. Laßt
uns im Frieden ziehen.”
Die Müftenmänner mußten fait
laden, als ſich dieſer Mann mit
janften Worten retten wollte. Sie
riffen ihm von der Schulter das Binz
del und Einer ftredte feinen Arm aus
nah dem Mantel Moriens, da hielt
er inne und wich zurüd.
Ob ihn eine Schlange geftochen ?
fragten feine Genoffen.
„Berfucht Ihr's! Verſucht Ihr's!“
rief der Räuber, „ich kann dieſem
Weibe nichts zu Leide thun. Ein ſol—
ches Angeſicht habe ich noch nicht ge—
ſehen.“
Was ſie ſchon in der Hand hatten,
das warfen fie zurück und fluchtartig
eilten fie davon.
„Der Herr behiütet die Fremd—
linge; den Weg der Böſen verdirbt
er. Unſere Rettung geihah im Namen
des Herrn!” jo betete Joſef mit den
Worten Davids. Dann zogen fie weiter.
Als fie an den felligen Hängen
des Azir den wüſten Steig müheſam
Bethel,“ ſagte er, „ist der Himmel
offen, fteigen die Engel auf und nieder
am einer Leiter. Bater Jakob Hat’s
geſehen.“
Der Himmel war freilich offen
‚und jo famen jie ganz durchnäßt im
Städtchen an.
\ Der Wirt in der Herberge fragte,
| bevor er ihnen den Abendimbiß herbei—
tragen ließ, ob fie Geld hätten, ihn
zu bezahlen. Er pflege vornehme
‚Herren zu fehen unter feinem Dad);
‚dor wenigen Tagen jei Herodes der
‚König und fein Hof vorübergeritten
und fie hätten vier Krüge Wein ges
‚leert vor feiner Thür.
| „So viel leeren wir nicht,“ fagte
Joſef, „aber das Wenige, was wir
‚bedürfen, können wir vergelten.”
Weil fih der Wirt aber doch vor
einen „vergelte es Gott“ Fürchtete,
jo ließ er fich die römischen Münzen
zeigen, die Joſef in feinem Sad hatte.
Solhermaßen ift der Ort, wo
Gott dem Grzvater Jakob die Ver—
heißung gethban: Das Land, worauf
Du ruheſt, will ich Dir geben und
durh Did und Deinen Samen follen
alle Geſchlechter auf Erden gejegnet
jein! nicht gerade erbaulich für unfere
Wanderer ausgefallen. Doch erhoben
fie fih am nächſten Frühmorgen friſch
und munter von ihrem Lager und
166
zogen über die Höhen von Ephraim
weiter hinab in's Land Judäa.
Joſef hatte die Abficht gehabt, die
nächte Nacht in der heiligen Königs—
ftadt Jeruſalem zuzubringen; allein
Maria meinte, wenn die Zeitangaben
mit den Wege ſtimmten und die Efelin
auch an diefem Tage noch fo munter
trabe wie an den früheren, jo könnten
fie bis zum Abende Bethlehem er-
reihen. Es bange ihr vor der großen
Stadt Jerufalem und fie fürchte, eine
Nachtherberge in derjelben würde ihren
Neifepfennig allzu empfindlich angrei—
fen. Es ſei noch lange bis zum Tage
der Nüdkehr nach Nazareth und man
wiffe nicht, was jich zutragen könne.
Das war dem guten Jofef nicht
ganz zu Sinne Er hätte in Jeru—
jalen feinem Weibe gerne den Tempel
gezeigt, das goldene Haus, bie Gräber
der Könige und Propheten, und ihr
gerne dargethan, wie wohl er Befcheid
wife in der Stadt Sion. Was den
Zehrpfennig anbelange, jo.babe er in
Bethlehem einen Verwandten, der es
ih zur Freude fein laffen würde,
ihnen weiterzubelfen. Weil er jedoch
ein braver Ehemann war, fo befolgte
er den Rathichlag feines Weibes und
jeßte das Reiſeziel dieſes Tages nad
Bethlehem. Als fie über die Steinhöhen
von Gibeon hinauszogen, an Heinen
Menfchenftätten vorüber, die Rannah
und Gibeah hießen, fahen fie jenfeits
eines ziemlich tiefen kahlen Thales
den hellgrünen Delberg und vor ich
aller Art von Laften belebten den
slaß.
Um die Mittagsftunde war's, als
fie einzogen in die Stadt. An den
Duaderftufen des Tempels ließen jie
fih nieder, um auszuruhen und das
Treiben der Menge zu betrachten. Als
fie in’s Heilige ded Tempels traten,
ergriff Maria die Dand Joſef's und
fagte: „Verweile nicht, es wanfen die
Pfeiler I“
„Die weite Reife hat Dich auf—
geregt, Maria,“ fagte Jofef, „es wäre
befier, heute in Jeruſalem zu ruhen
und morgen den Weg fortzujeßen.“
„Mein lieber Geſpons,“ verſetzte
Maria, „es ift ein wunderliches Spiel,
ich jehe die Mauern auf mich fallen ;
verlaffe mich nicht, geleite mich hinaus
in’s freie Land. Ich bin nicht müde.“
Sie machten fi wieder auf die
Wanderung, doch fie verfehlten in den
Gewirre der Manern und der Menge
die rechte Straße, und anftatt hinab—
zufteigen in das Thal Hinnom, ge=
langten fie hinaus auf einen öden
felfigen Hügel. Ein Mann war bier
mit Beil und Hammer thätig, auf
einen langen Dolzbalfen einen Quer:
balfen zu nageln.
„Saget mir, Diener Gottes, ift
das der Weg nach Bethlehem ?* fragte
Joſef den Arbeiter.
„Das ift nicht der Weg nad
Bethlehem,“ antwortete jener und trieb
einen Nagel in die Balken, die kreuz—
— faft erfchredend nahe — die ftolze weile übereinander lagen. „Das ift
Königsftadt Jeruſalem. Sie breitete | Golgatha.“
ih auf dem flachen Bergrüden bis | „Und was ſoll das werden ?*
hinab in das Thal des Kidron, und | fragte Jofef, den die Arbeit des Zins
mitten aus dem Gewirre der unzähl- |mermanns anheimelte, Maria jedoch
baren Gebäude ragte Hoch und glän- |zerrte ihn mit fich fort: „Joſef, mir
zendweiß der Tempel Salomons. graut dor diefem Holz. Laß uns nad
Joſef ftand ftill, ftredte die Arıne | Bethlehem ziehen.”
aus und betete: „Jehova baut Jeru—
falem, die Zerftrenten Iſraels ſammelt
er! Preiſe Jerufalen, preife den Herren!
lobe ihn, Zion!“
Der Weg theilte ſich in viele Arme
und Sameeltreiber und Gjelführer mit
— — — — — — — — —
Erſt als fie auf der Straße nad
Hebron zogen und die SKönigsftadt
hinter dem Felſen des Elias ver—
| funten war, athmete Maria wieder
— 1 ER
auf. Joſef begann bereits, fich bei ſeinem Kranz und fang mit weicher
jedem Baum und bei jedem Stein in | Stimme folgendes Lied: „Siehe, ſchön
Jugenderinnerungen zu ergehen. Einen |bift Du, meine Freundin! Deine Angen
breiten Stein, der unter Oelbäumen | find Tanbenaugen aus lodenden Haar!
lag, bezeichnete er als das Grab der Gleich find Deine Zähne einer Herde
Nabel, des Weibes Jakobs. Auf den | gefhorener Schafe, die aus dem Bade
Matten ringsum weideten Lämmer steigen und fruchtbar find! Es gleis
und Schwarze Ziegen. Nach drei Stun- | hen Purpurknoſpen Deine Lippen und
den eine Wendung des Weges, und Deiner Brüfte Paar jungen Gazellen,
vor den WReifenden lag, hoch auf dem die unter Lilien weiden! Getroffen
Verge, das leuchtende Bethlehen. haft Du mein Herz, wie ſüß, o bräut—
Das war am Abende des vierten liche Schweiter, ift Deine Liebe! O
Tages nach ihrem Auszuge aus Na: füfje mich mit den Küſſen Deines
zareth. Mundes, denn köſtlicher iſt Deine
Liebe als Wein!“
Leiſe klang die Schalmei durch
den ſüßen Frieden des Abends. Nach
„Das iſt der Tag, den gemacht
Jehova! Laſſet uns jauchzen, uns über
ihn erfrenen !“ mit diefem Gruße zog
Joſef, der Sohn Davids, ein in die
Stadt feiner Väter.
Maria Jah vor dem Stadtthore
einer Weile fuhr der Sänger fort:
„Wer ift Die, die hervorgeht, wie
Morgenröthe! So ſchön wie der Mond,
wie die Sonne fo rein! Der Schlange
zertritt fie das Haupt, der Eva lieb-
lichſte Tochter!“
Als Maria fo daſaß und auf Joſef
unter den breiten Fächern einer Palme
und hatte den Riemen der freuen wartete, gieng ein leiſer Hauch don
Sfelin im der Hand. Das Thier Weh durch ihr Herz. Enger ſchlang
arafete neben dem Wege. Das junge Ne um fich den Mantel und that einen
Weib blidte hinaus in die abendliche DÜE gegen den Himmel, wo ſchon
Gegend, die ihr fremd war und doch einige Sternlein fanden. Waruni
fo traut, weil fie ja die Heimat ihres | Jeſef nicht fommt? Gin Bach Hatte
Mannes ift. Still und feierlich lag | rüber geriefelt im Thale, den hörte
die Stadt hier im Vergleiche zu den ſie jegt nicht mehr. Aber jenfeits des-
lärmenden Jeruſalem. elben, an einem wilden Weinſtock
ſtand ein Mann, der erhob, als der
' Liebesfänger ſchwieg, feine Stimme
und fang: „Aus alas’ Stamme
‚wird ein Reis entjproffen; auf dem
Sprößling wird ruhen der Geift
Gottes! Gerechtigkeit it feiner Lenden
Gürtel und Wahrheit der Gürtel jeiner
Hüfte!“
„Selig, felig!* rief unter dein Oel—
baum der Liebesfänger.
„Selig, ſelig!“ wiederholte jener
am Weinftod.
Der Jüngling fang: „Selig, felig
werden fie preifen alle Gejchlechter!“
Ein feltfamer Schauer gieng durch
den Leib Mariens; fie wußte nicht
warum.
Joſef war in die Stadt gegangen,
um das Amt und die Zeit der Auf—
Ichreibung zu erfahren und ſich um
eine Nachtherberge zu kümmern. Er
wollte lange nicht zurückkommen und
Maria verfank in kräumende Betrach—
tung. Ueber den Bergen glühte ein
Ihönes Abendroth; auf den Höhen
fanden Pinien und Feigenbäume, die
firedten ihre breiten Kronen in den
Dimmel hinein. Auf den dämmernden
Weiden ſprangen und ſcherzten noch
die Lammer und auf grauen Steinen
jagen Hirten und bliefen die Schale
meien.
Unter dem Oelbaum dort lehnte
ein Jüngling, der wand Zweige zu
Endlich kam Joſef aus der Stadt. | teswillen, aber ihe müſſet mir Euren
Langſam fchritt er und verzagt. Die) Paßſchein zeigen.”
Beichreibung fei morgen von der „Wir find aus Nazareth in Gali:
neunten Stunde und bis Mittag, das läa,“ berichtete Joſef, „und hieher—
füge ſich wohl. Aber Nachtherberge ?| gereist des neuen Gejeßes wegen, daß
Er ſei bei feinen Verwandten geweſen; wir uns auffchreiben laſſen, weil ich
der Habe ſich arg gefreut, den Better) von dem Stamme Davids bin.“
wieder zu ſehen nach langer Zeit. „Bon dem Stamme Davids!“ rief
Aber fein Dach fei Hein und könne) der Verkäufer, „das Wort kann jeder
das junge Volk kaum fallen, mit dem) Sprechen. Ich Habe Euch mad dem
ihn Gott geſegnet habe. Dann ſei Paßſchein gefragt.”
Joſef in die öffentlichen Herbergen „Bei uns in Nazareth dabei,“
gegangen; da fei Alles überfüllt wegen | fagte Joſef, „tranet man dem ehrlichen
der Beichreibung und jetzt wife er| Geficht. Mir ift von einem Paßſchein
nicht, wie das werden folle, nichts gejagt worden und ich babe
Maria ſtützte das Haupt auf ihre) feinen.“ .“· j
Hand und ſchwieg. „Bei uns ift es ftrenge. Gott helfe
„Du bift müde, mein Weib,“ — ſprach der Obſtverkauſer achſel-
ſagte Joſef beſorgt, „es zittern Dir) öldend.
Dan — —* „Und auch Euch!“ ſagte Joſef.
Marin ſchunelle leiſe das Die beiden Eheleute ſchleppten ihre
3 wä — 18 elte Teife das Haupt, müden Glieder einem PBalafte zu. Der
ka — nt a reiche Herr hat Scheueru nnd Schoppen
„So will ich noch einmal gehen,“
i ’ und Alles in Ueberfluß; wenn er auch
tief der Mann, „lie müſſen uns Unterz | ein gutes Herz hat, dann werden fie
fand geben, wir jind feine Amale—
. unter feinem Dace ruhen. Aber der
fiter!*
reihe Herr war grauenhaft arın. Er
Sie erhob fih und gieng mit ihm | gerietd im Wuth, fo oft er einen
in die Stadt. Hinterher trabte die Neichen ſah, denn er hielt es für fein
Efelin.
Vorrecht, reich zu fein. Er gerieth in
In den Herbergen hieß ed: „Wir
Zorn, fo oft er einen Bettelmann ſah,
haben Euch ſchon einmal gefagt, wir der ihn bedelligte. Gr war voller
haben nicht Pla für Vettelvolf, Bietet | Bitterfeit und fo ließ er Schimpf und
Euer feines Töchterlein wo anders | Hohn herabwerfen von dem Söller
aus, unfere Häufer find wohl berufen,“ auf die arınen Fremden, die in der
„Das ift nicht meine Tochter, Herr, froftigen Abenddänmerung vathlos auf
0: ' ; der Galle ftanden.
die ich ausbiete, das iſt mein vor : }
Gott ee Ense, das i Maria nahm den Joſef bei der
ich | —*
⸗ Hand und ſagte: „Komm', wir wollen
ig ee on * —RMW der Stadt hinausgehen. Ber den
—— Reichen und Vornehmen finden wir
Sie ſchlugen die Thore zu. | feine Barmherzigkeit.“
Ein Obfiverfänfer auf dem Markte) Und als fie die fteinige Straße
ſah, wie die fremden Leutchen von hinabwankten gegen das Thal, mußte
Haus zu Haus zogen und überall‘ fi Maria niederlaffen auf den feuchten
abgewiejen wurden. Er nahm feine) Rafen. „Joſef,“ fagte fie, „Du follft
Mütze in die Hand und fächelte damit, | Dich nicht befümmern, wenn die Stunde
daß er fie zu fich wine. lommt. Ich vertraue auf unferen
„Wir find alle Fremdlinge auf) Gott.”
Erden,“ ſagte der Verkäufer, „ich Ueber diefes Wort war der Gatte
nehme Euch aber die Nacht um Got- |erfchroden. „Die Stunde?" fragte er,
169
„zu ſolcher Zeit? Auf alle Mittel | junges Weib und Habe ein Kleines
und. Weif’, wie könnte das fein!“
„Bei Gott ift Alles möglich,“ ant—
wortete Maria.
Debt Sprach Joſef einen vorüber:
trottenden Hirten an: „Manı Gottes!
Wir find arıne Leute. Gebt uns Obdach
für diefe Nacht.“
„Berne,“ antwortete der Greis,
„gerne theile ich mit Euch mein herr—
liches Haus. Der Himmel ift mein
Dad, die Erde ift mein Grundftein.”
Er gieng vorüber.
Einen zweiten Schäfer, der feine
Herde ſammelte zwijchen den Fels—
blöden, fragte Jofef, wo man denn
Unterftand finden könne für ein kran—
fe3 Weib?“
„Da oben ift die Stadt," ver-
ſetzte der Schäfer.
„Die Leute wollen uns nicht.“
„Die Leute wollen Euch nicht?
Dann müſſet ihr zu den Thieren
gehen,“ ſagte der Schäfer. „Kommt,
ih weiß Euch etwas.“
Er führte fie thalwärts und Die
Ejelin folgte ihnen mit geſenktem
Kopfe.
War zwiſchen bemoosten Fels—
wänden eine Kluft in dem Berg. Da
drinnen ſaß ein Rind, welches vor der
Nachtruhe das Geſchäft des Wieder—
täuens beſorgte. Die Eſelin machte
ſogleich Bekanntſchaft mit dem Rinde
und ſie beleckten ſich gegenſeitig am
Kopfe. In einer Niſche war dürres
Gras aufgeſchichtet, das breitete jetzt
der Hirte auf dem felſigen Boden aus
und ſagte: „Hier meine lieben Gäſte,
habt Ihr ein Belt. Hüllet Euch ein,
wie Ihr könnt, md jchlafet im Fries
den.”
Dann gieng er davon und lieh
lie allein. —
Um die Mitternachtsftunde war's,
da bemerkten wachende Schäfer über
Bethlehem einen hellen Stern. Zur
jelben Stunde bradte ein Knabe die
Nahriht: In der Felſenkluft des
Ismael auf dürrem Grajfe ruhe ein
Kind an der Bruft.
Die Mähr verbreitete ſich raſch in
den Bergen um Bethlehem. Hirten,
die aufrecht ftanden, wedten die Schla=
fenden. Ein füher Schauer erfahte
die Erwachenden. Raſch ftanden fie
anf, um zu fehen, was an diefer
ade fei. Ein fremdes, arınes Weib
— ein mengeborenes Kind in der
froftigen Felfenhöhle! — Der Eine
trug den Pelz eines geichlachteten
Schafes mit fih. Der Andere hatte
getrodnete Feigen und Trauben, oder
in einem Schlauch rothen Wein, Ein
Dritter brachte in einem Plußer Milch
herbei. Ein Vierter trug fein jüngites
blöfendes Lämmlein; Cier, Brot ein
Anderer, Jeder etwas, al3 giengen fie
in's Amt mit dem Zehent. Sie giengen
aber hinab in das Thal vor Bethlehem,
wo die Felſenhöhle war und bejchentten
mit ihrer Habe die armen Fremden,
betreuten die Mutter und das Kleine
Kind. Seiner der Gebenden blidte
heute um fich, ob feine That wohl
auch geiehen und belobt würde; Kei—
ner Schielte mit eiferfüchtigem Blick
auf die Gabe des Nachbars; Steiner
dachte heute an den Segen Gottes,
der den Wohlthätigen verheißen ift —
Jeder gab einzig und allein nur aus
Mitleid zu den armen Leuten, aus
Liebe zu dem Kindlein.
Als es Morgen ward, fand an
der unteren Pforte der Stadt ein
Greis. Es war ein Fremdling aus
dem Morgenlande mit braunem Antlik
und grauem Daupte. Mit faft lönig-
licher Würde gebot er den in Die
Stadt eilenden Leuten, daß fie ftille
ftünden, und mit der Glut des Pro—
pheten ſprach er ſeltſame Worte. „Was
fuchet Ihr in der Stadt, Ihr Männer
und Weiber von Juden!“ rief er.
„In der Stadt ift fein Heil. Steiget
vielmehr hinab zu der Felſengrotte des
Ismael. Dort geichehen Wunder. Die
Menichen, die feit diefer Mitternacht
der Grotte nahen, werden barınherzig
und liebreich. Fremdlinge aus Galilda
—
haben dort Zuflucht gefunden und ein! Sind. Es wedt in den Armen. die
Kind ift geboren in diefer Mitternacht. | Macht und die Freude zu geben. Es
Und wer dem Finde nahet — o Wun- |wedt in den Menfchen die Barm—
der über Wunder! der wird barm- herzigket, es wedt die Liebe.
berzig und Hiebreih. Gebet hinab! Daran erfenne ih den Hei—
Gehet Alle hinab! Es ift ein heiliges land!“
Die rothe Evi.
Dorfgeſchichte von Triedrich Rottenbader.
— — Die Bäuerin fährt mit dem | Es Eingelt mit ſchrillem Ton den
Kopf aus den Kiſſen, ſtarrt in die Dachfirft entlang; der Bauer hört e3
kleinen Fenſterſcheiben und fieht gerade ganz deutlich.
noch die vechtsübergeneigte Zipfelmütze „Aber mein Gott, was das ſein
des Mondes ſich hinter den Berg da- mag!“ So die Bäuerin.
vonmachen. „Hanſel!“ ruft fie mit
halbunterdrückter Stimme. Der Bauer
rührt ſich. „Geht's mich an? Oder
geht's etwa gar den Kater au?“ Die
Katze der Bäuerin hieß nämlich auch
Hanſel.
„Denk wohl, 's geht Dich an!
Loſ' auf, hörſt Du nichts?“
„Was wird's ſein? Der blecherne
Hahn knarrt.“ — Und der Bauer
gähnt und — ſchläft. Die Bäuerin
aber hatte keine Ruhe. „Hauſel!“ ruft |
lie wieder.
„Sch ſchlaf'!“ brummt dieſer.
„Aber Du mein hört Du
denn nichts, Echlafhaube Du?” So
treischt die Bäuerin, deren Zorn jchon
lichterloh brennt. Nun mußte der Dans
felbauwer freilich munter fein. Auch
flangen ihm die Ohren. Er feßte ſich
im Belte auf und ſagte gähnend:
„Faſt ift es fo, als thät es läuten.“
„Läuten thut’3 am Dach — licher,
fiher! Steh Du nur auf und ſchau
einmal nach !*
—
„Das will ſchon überlegt ſein!“
I
erwiderte der Danfelbauer und legte
ſich auf das linke Ohr; das Bett fei-
nes MWeibes aber ſtand rechts.
„Wenn's Nenfonntag wär —“
„Was wär’ hernach?“
| „Da reitet der wilde Jäger am
Dach herum. Aber iſt nicht Neue
ſonntag.“ So der Bauer auf dem
linten Ohr.
Sebt fährt es ſchwarz wie Beelze—
bub vom Dache herab und vor dem
Fenſter nieder.
„Der böſe Feind!”
Bäuerin.
„Wird wohl nicht!" murmelte der
Bauer, dem es etwas unbehaglih auf
dem linken Ohr wurde — er legte
ſich auf das rechte.
Jetzt fpringt es an das Fenſter,
dad die Scheiben Hirten — dann wies
der hinauf auf das Dad. Die Han—
jelbänerin jchreit gellend auf, der Han—
jelbauer hebt den Kopf ein wenig,
reißt den Mund "auf, bringt aber bei—
leibe feinen Laut hervor.
Zum andernmal Eingelt es auf
dem Firſt — nun wiſcht es durch den
Schornftein herab — jeßt poltert es
in der Küche herum. Der Bauer horcht
ſchier athemlos; er jagt mit gepreßter
Stimme: „Ich dent’, es miaut der
Suter.”
fchreit die
171
„As 0b fih der arme Hanfel
nicht fürchten dürft'.“
„Meinft mid — oder den Kater?“
Mer nicht antwortete, das war die
Bäuerin; denn da durch einen hefti-
gen Anprall die Scherben klirrend auf
den Eftrich ftürzten, Hatte fie nur Zeit:
„Jeſus, Maria und Joſef!“ zu rufen
und fih die Ohren zuzuhalten.
Als nun nichts — gar nichts mehr
zu hören war, froh der Danfelbauer
unter die Dede und machte die Augen
zu — nur die Ohren hielt er offen
bis zum erften Hahnenſchrei.
Als der Tag ſchon recht zudring—
lich in die Stube blinzte, erwachte die
Bänerin.
Eheheren leer, denn diefer war fchon
feit Tagetgrauen auf; er hatte aber
ſonſt michts Ungewöhnliches als die
Scherben des Hüchenfenfters gefunden.
Nun ftand er verdriehlich unter dem
Sie ſah das Bett ihres
das nicht, Du alter Hafcher ?* Dabei
trat fie ihrem Eheheren unter die Au—
‚gen. „Wer bringt den Verdruß in’s
daus/ frag ich? Wer?“
Der Bauer war bis an die Mauer
ee die Thür hatte er ver-
fehlt.
„Wer it für Zwei und arbeitet
nicht für den Klein’ Yyinger da? Wer?“
Der Hanfelbauer ſagte Heinlaut:
„Leicht die Evi ?"
„Leicht die Evi?“ ſpottet die
Bäuerin. „a, ja, die rothhanrige
Dere, das Kind des Zuchthänslers,
Deines Herrn Schwager — das Bet—
tellind, das Du mir zum Zeug und
um mich unter die Erde zu bringen
— — aber da bat es noch weite
Wege —”
Sept hatte der Bauer durch eine
geichidte Wendung die Thür erreicht
und machte fich aus dem Stanbe —
breiten Hofthor. Da kam der Gäu: es war die höchſte Zeit. Im Dofe
Ihüg mit der Krare am Nüden träge ſtand er fill und fuhr fich mit dem
herangefchlappt. „Danfelbauer,* fagte | Hemdärmel über die feuchte, ſorgen—
er verichlagen lächelnd, „was hat Dir durchfurchte Stirn. Wie er fo daſtand
die ſchwarze Katze Deiner Bänerin in und zu denken anfieng, da ftieg ihm
den Weg gelegt, daß Du ihr eine | gleich das Blut zu Kopfe — er
Glocke an den Schwanz bindeft und brauchte einen Ableiter. So erfah er
fie in den Wald jagſt?“ — die Evi. Das rothhaarige, ſommer—
„Wird wohl nicht!” meinte da
der Bauer erichroden und xief in den
Hof hinein: „Danfel! Hanſel!“ —
Doch der Schwarze Hanfel fam nicht.
„Wird wohl nicht!“ murmelte der
Bauer und Fraute Fich Hinter dem Ohr.
„Hab' jelber die Habe geſehen,“
fuhr der Andere fort, „als fie mit der |
Klingel am Schwanz ganz wilthend
daherrannte.”
Der Hanfelbauer ſchüttelt den Kopf,
ſproſſige Dirndl, das troß feiner acht»
‚zehn Jahre noch faſt Kind fchien, hodte
auf dem Zaun, kicherte vor ſich Hin
und ſchlenkerte mit den nadten Bei—
nen. Das Gefiht war ungewaſchen,
das Haar ungelämmt und das Stleid
zerriſſen.
Schreiend gieng der Bauer auf ſie
zu: „Daft Du dem Hanſel die Glocke
anbunden 2"
„Hm, könnt’ Schon fein! — Hat's
geht ſachte in die Stube und fagt, der Bäuerin weh than? Nect weh?“
was er gehört Hatte, feinem Weibe, Und fie lacht ſchadenfroh auf.
das eben das Haar zu einem Knoten „Du Nader,“ fchreit der Bauer,
dreht und feftitedt. „Wer das etwa! „der Kate Haft die Klingel anbunden,
gethan hat?“ meint er. nicht der Bäuerin!“
Der Bänerin treten. fchier wie „Der Hape hängt man die Klingel
einem Srebfe die lichten Augen aus um und die Bäuerin läutet.“ —
dem rothen Gefichte und ihre Finger | Aus dem Daufe Scholl eine Stimme,
biegen fich wie Fänge eines Geiers, vor der des Bauern Zorn ſchnell
dann lacht fie gellend auf: „Du weiht ſchwand. Er blidte ängftlih auf das
172
Dirndl. „Everl, geh’ der Bäuerin Heute |
aus dem Weg! Ich bin jo viel älter,
als fie und mühjelig und könnt’ Dir
hart Helfen!“
Da ſchoß die Bäuerin aus dem
Haufe und riß unterwegs die Miſt—
gabel aus dem Düngerhaufen. Evi
ftieß einen Schrei aus, jprang vom
Zaune herab — Sie jah feinen ande—
ven Ausweg al3 die Leiter zum Heu—
boden und Hetterte raſch hinauf. Die
Thür oben war verfchloffen.
Die Bänerin wollte nachklettern ;
Evi fette ji vor die Thür, fahte die
Leiter an der oberften Sproſſe und
tief drohend: „Ich ſchmeiß die Leiter |
um!“
Alſo blieb die Bäuerin unten.
„Noch meiſtere ih Dich, Du rother
Balg!” ſchrie fie und wendete raſch
die Leiter von rechts nach links, dann
no einmal und noch einmal, biß die
Leiter den Händen des Mädchens ent—
rüdt war. „So, Evi — jegt fteig
herab — oder bleib oben Tag und
Naht! Und die Hand foll verborren,
die Dir die Leiter hinrückt!“ Dabei
ftreifte den Bauern ein böfer Seitenblid.
„So wird wohl meine Hand ver-
dorren!“ ließ fich eine rauhe, etwas
frächzende Stimme vernehmen.
Die Bäuerin wendet fih um. „Du
bift nicht Derjelbe, der gern gefällig
ift, Sepp,” meinte fie biſſig.
„Meint, Bänerin ?* fagte Sepp,
ein Kleiner, breit= und hochjchulteriger,
ftruppiger Burfche mit langen Armen.
geweſen, als es ſchicklich fein mochte
— Sepp aber hielt auf das Schick—
‚liche. Sie fagte jet: „Kümmere ſich
der Sepp nicht um andere Sachen,
als um feine Arbeit!“
„An die Arbeit Hat mich der Bauer
noch nicht gemahnt — und der Bäuerin
der kann man Halt micht Alles
reht machen. Der Bauer wird es
wiſſen.“
„Iſt redlich wahr,“ nickte der
Bauer, deſſen Muth ſichtlich wuchs.
„Sich um Die da zu kümmern,“
fuhr Sepp fort, „ich denk', es wär’
‚an der Zeit. Der Herrgott hat wohl
jelber feine Zeit dazu.“
„Sie hat halt der age der Bäuerin
eine Klingel anbunden,“ fagte der
Bauer.
„Die Evi hat's nicht than; das
ift erlogen !”
„Wer hat’3 denn nachher than?“
fragte die Bäuerin erſtaunt. Auch Evi
oben neigte den Kopf vor.
„Die Bäuerin felber hat's than
— ja die Bänerin felber,“ fagte Sepp.
„Hat fie geftern nicht die Evi gejchla-
gen, treten, bei den Haaren zogen für
nicht und wieder nichts? — Gut,
denkt fich die Andere, ich thu' Dir auch
weh. Hätteft Du den Bauer lieber,
als den Kater, ich glaub, fie hätt’
dem Bauer die Klingel anbunden.
Weil aber der Kater der Bäuerin das
Liebfte ift auf der Welt, hat fie der
Kate die Klingel an den Schwanz
gehängt. Ich ſchau noch zu und denk’
„Meint, wenn ich fie drei Schuh tief| bei mir: das thut die Bäuerin.“
unter die Erde wünſch, das wäre fein |
Gefallen? Was macht fie bei uns
oben? Daß ihr die Hit das Marf
ausdorrt — ich mein’ die Dig der
Bäuerin? Da unten ift es hübſch
fühl.“
„Haft es erfahren, Sepp?“ fragte
höhniſch die Bäuerin.
„Das Erfte wohl — das Zweite
nit — den!’ mir nur, es müßt da
unten gegen oben kühl fein.“
Die Bäuerin haßte den Knecht;
fie war einmal gegen ihn zuthunlicher |
Das Dirndl nickte dazu verſtänd—
nisvoll mit dem Kopfe.
Der Sepp durfte ſich ſchon was
erlauben — er war am Feld, im
Haus und auf den Markt des Bauern
rechte Hand.
„So meinft Du auch, ich hätt’
das Vieh verfuttert — nicht die Evi
hätt's than? Ih hätt! — —“
„a, Bäuerin, nur Du; dem
Du bift die Urfache.“
„Und wenn die Evi das Haus
anzünd't? — —“
„Bäuerin, jo bift Du die Brand—
fifterin. Verfündige Dich nicht! Du
thuſt Alles, das Dirndl ſchlecht und
boshaft zu machen nichts zum
Guten. Es wär’ am Ende fein übles
Dirndl — nein, es darf nicht fauber
fein! Es kriegt fein Seid, kein Tüchel,
feine Bundſchuh, damit es ja nicht fo
jauber wär wie Du. — — Na,
nichts Für ungut Bäuerin, zu Neujahr
wird’s anders!”
„Wegen der Reden brauchft nicht
zu gehen,“ fagte der Bauer; die
Bänerin biß ſich auf die Lippen.
„Schon recht,“ meinte Sepp, „aber
der Evi Stell’ ich die Leiter Hin, und
die Hand, denk ich, wird nicht ver—
dorren.“
„Meinetwegen ſoll ſie ſchon nicht
verdorren!“ ſchreit das Everl und
ſpringt — zwei Klafter hoch — herab.
Halb fiel fie hin, dann raffte fie ſich
auf und hinkte in das Haus.
Die Drei erfchrafen nicht wenig;
doch jchnell faßte fich die Bäuerin —
um zu jchelten. Darauf giengen die
Märmer ihres Weges und ließen fie
allein, was fie noch mehr verdroß. Sie,
blidte rundum, ob jonft nichts da
jei zur Kühle ihres heißen Blutes.
Da fam zum Glüde was des Weges
— ein armes, gebrechliches Welen.
Noth, Branntwein, Lafter hatten das
Bild gefhnigt, bemalt und mit Fetzen
behangen. „Das ift ja der Evi ihr)
Bater — der Zuchthäusler! Was Der
da ſucht?“ fo fragte ſich die Bäuerin
und Iugte ſcharf aus. |
„Frau Mahn, Ihr kennt mich wohl
nicht mehr ?* — winfelte das elende:
Weſen. „Seit ich heraus’ bin —
drinnen war's noch deidlih gut —
iſt's mir fchlecht genug gegangen. Kein
Lager, fein warınes Efjen! In meiner
Heimat leidt's mich einmal nicht. Da
bab’ ich bei mir gedacht, meil die Frau
Mahm ſchon fo viel barmherzig iſt,
fie wird mir eine Heine Raſt und
einen Löffel warıne Suppe wohl gön—
nen!“ — Um fein Kind — ob es todt
oder lebendig — fragte er nicht.
173
„Da Schaut mir diefen unverſchäm—
ten Zuchthäusler an! Füttere ich fei=
nen Fragen und da denft er fich, joll
ih auch ihn agen! Jetzt Schau Er
aber gleich, daß Er fortkommt! — Will
Er leicht Fehlen ? — Marſch!“
Der Elende gieng wortlos hinweg,
nicht ohne ſcheu und drohend zurück—
zubliden.
Jetzt war's der Bänerin leichter
um das Herz und der Vorſatz, der
Evi feine Nahrung zu geben, bis die
Kate nicht heimgekehrt wäre, that ihr
unendlich wohl.
Sepp aber dachte, wenn fich der
vote Wildfang beim Sprunge weh
gethan Hat, fo fchiert ich feine Seel’
um ihn. Seine? Wenn's wahr ift!
Ich bin auch wer! — Und er geht
in das Haus bis zu ihrer Kammer—
thür. Dort fteht er zaudernd ftill. —
Ih will fie fragen — was heute für
ein Heiliger im Kalender fteht. —
Doch die Kammerthür ift verjperrt.
Er Schaut Durch eine Spalte der Thür
— Herrgott, da liegt das Dirndl der
Länge nah auf dem Boden, fchluchzt,
daß der Körper bebt und fchlägt mit
der Stirn den Takt auf die harte Diele.
Sepp ſchleicht durch das Borhaus,
— um die Ede — bis zum Fenfler,
fteigt dann Hinauf und Schaut fürs
wißig hinein. Einen ſolchen Jammer
hat er noch mie gefchant. Halblaut
ruft er ihren Namen, fie zudt zu—
ſammen, blickt ſchen auf, wijcht jich
die Augen um beffer zu jehen, ſpringt
dann verwirrt umd zornig auf und
flüchtet vor Sepp's Anblid in eine
Ede. Diejer jchüttelt den ftruppigen,
ungefchlachten Kopf und denkt bei fich
ungefähr Folgendes: Da foll es feinen
Schußengel geben! Ihre Mutter war
eine ſchlechte Dirn, ihre Water ein
Dieb; ihe Ohm und ihre Tante thun
ihr auch nichts zu Gute umd zu
Liebe — die ganze Welt gibt ſich
Mühe, fie Schlecht zu machen. Da ift
der Schußengel, der ſich dagegen wehrt
und ſpreizt. Die Menfchen kehren den
Beſen um, womit fie vor ihrer Thür
174
fein fäuberlich ehren follten, jchlagen
mit dem Stiele auf den Stinderengel
ein, umd der — Teufel freut fich und
dreht fleißig Stride.
„Haft Dir vielleicht weh than beim
Springen ?“ fragt er brummig. „Fehlt
Dir was ?”
„Hreilich hat mir was gefehlt —
daß der Sepp zu mir fenfterin kommt!
Pfui, Shäm Dich! Was geht es Dich
an, wenn ich auf dem Boden liege ?
Der Wurm gehört in den Staub!
Willft mich treten ?* So fagte fie zor—
nig und kam aus. der Ede nicht hervor.
„Warnm haft Du geweint, Everl ?*
„Ih habe nicht geweint,” rief fie
heftig. „ES war Berftellung — die
Bänerin jagt, ein Theatergeſpiel.“
Und fie late laut auf,
Sept thut es ihm leid, fie ange—
rufen zu Haben; beim Meinen war's |
ihr ficher leichter al3 beim Lachen. Er
wollte zu ihrem Herzen reden — er!
wollte fie auf einen ungewohnten Anz
blid vorbereiten — darum zauderte er.
„Evi — Dein Vater ift da.“
Sie trat raſch aus ihrem BVerfted
— er blidte ihr forfchend in die Augen. |
Evi wurde zuerjt roth, dann blaß
und fagte, die Hände faltend: „Daft!
ihn geſehen?“
„Ich hab ihn gejehen, da er ſich
vom Haus fortichlid. Er Schaut recht
wüſt daher.“
Evi fragte: „Er Schlih fort?
Warum ſchlich er fort?”
„Ja Everl, daß ih Dir ſag —
er wollte eine Suppe und ein Stroh;
für ihn Hat die Bäuerin feine Suppe
und fein Stroh. Was foll er da?”
„Was foll er da?“ wiederholte
dad Dirndl finnend. „Mich kennt er
nicht — was foll er da?” Sie blickte
ftarr in das Blaue hinaus. „Er kennt
mich nicht — und die Anderen — |
die Fremden follen mich kennen ? —
Für was man auf der Melt ift! —
Nicht einmal das wenige Böje kann
man thun, wie man’s gern möchte:
es bat’3 ja die Bäuerin than
— nicht wahr,Sepp ?" — Sie jchaute
ihm wieder voll in das Geficht und
fuhr mit wachlender Erregung fort:
„Schau Sepp, mid laſſen fie nicht
fort, daß ich für Brot arbeite, für
Brot, Kleider und Schuh, dem fie
brauchen felbjt meine Arbeit; aber ihn,
der feine Fauſt zur Arbeit, nur Hun—
ger und Mühfal bringt, jagen fie fort,
denn ſie brauchen den Hunger nicht.
Sein Kind fperren fie ein und ftehlen
fo dem Hungrigen die gutthätige Hand
‚des indes — dem verlaflenen Kinde
den Segen des Vaters.“
„Everl, Everl, was red'ſt Du da ?
Dich hätten fie eingeiperrt? Du haft
Did nicht ſelber eingeſperrt?“
Evi biß die Zähne feft aufeinan-
der, daß fie knirſchten, dann lächelte
fie bitter und fagte: „Schau Sepp,
je mehr fie mir Schlechtes thun, deito
mehr freut's mich im Grunde — jie
geben mir ein Recht, fchlecht zu fein
und wenn ich fchlecht bin, jo iſt's ja
die Bäuerin. — Aber daß der Vater
Dunger dat — das — Sepp" — —
und die Thränen nahmen ihr das
Wort vorweg.
„Wart’, Everl,“ meinte Sepp, der
ein wenig verlegen war, „wenn es
Eſſenszeit ift, will ih Deinem Bater
ſchon was zutragen.“
„Du? — Du mwillft das?“ rief
Evi, „Du, den ich nicht gerade für
‚den Belten hielt? Einen ſoll's geben,
der micht fchlecht wär’? Und alleweil
habe ich geglaubt, Alle wären jchlecht
und ich müßte es auch werden! —
Aber nein —“ und ſie griff an feine
derbe Fauſt und blidte ihm im die
Augen — „was Du für gute, brave
Augen haft! Sepp, was Du für Aus
gen Haft — fo gute wie ein Lamm!“
„Na, fage gar, ich hätte Schafs—
augen!“ ſagte Sepp, defjen Verlegen:
heit wuchs, mit gezwungenem Lachen.
Er begriff nicht, warum fie fo viel
Aufhebens machte. Er wuhte nicht
recht, was er jagen follte, alfo redete
er gar nichts mehr, ſprang auf de
Boden und gieng hinweg, indem er die
Fauſt ballte und brummte: „Bäuerin,
—
175
Du Haft ihn nicht erwürgen mögen |
bald — bald
— ihren Schußengel;
wär's Dir geglüdt, Du Satansbra—
ten!" — Und er machte ſich beim
Futtermeſſer zu thun, arbeitete, eiferte
daran, daß der Häderling nur fo weg
ftob und ein Stüd des Fingernagels
und der FFingerfpige auch mit. Erſt
als das Blut rann, merkte er es, hielt
fluchend inne, ſchlenkerte den Finger
und murrte: „Das Haft Du gethan,
Bäuerin! Wart’ mır, das fommt auch
auf Dein Kerbholz!“ Er Hielt nun
den verwundeten Finger zwiſchen zwei
Fingern der Rechten und flüfterte, in—
dem er das Blut ausdrüdte: „Die
Evi ſoll'n verbinden! — — Beiliebe
nicht — nein, beileibe nicht!“ Und
er wuſch die Hand beim Brummen, riß
ein Stück vom Sacktuche ab
widelte e& um den verwundeten Finger.
Als es zu dunkel begann, nahm
Evi mehanifh vom Schranke einige
Hölzchen, wie fie gewohnt war, um
ihr Lichtſtümpchen anzuzünden. Ob-
wohl Hunger und Durft, Haß und
Verzweiflung in ihrem Innern wühl—
umd |
zweites Hölzchen und hielt es an
einige Sleiderfegen, die an der Wand
hiengen — in geringerer Entfernung!
Ihr Herz pochte nicht mehr jo heftig.
Nun wollte fie ein drittes Hölzchen
— — du fandte die Sonne, das
freundlihe Tagesgeſtirn, einen Ab—
Ichiedsgruß in das Stübchen, einen
legten Strahl, bevor fie ſcheidet, und
diefer Strahl traf das verzweifelnde
Menſchenkind in das Herz. E3 blidte
empor, ftredte die Hand wie grüßend
gegen den lichten, freundlichen Strahl
und lachte kurz auf. „Ih Zollpatich,
‚da draußen bin ich frei! Aepfel hän-
gen an den Bäumen; Waller läuft
aus dem Quell. — Grüß Gott, Frau
‚Sonne, dort oben am Berge fehen
wir uns!“
Sie Hetterte auf das Fenſter,
‚zwang fih durch und ſprang auf die
‚Erde, wenn auch ein eben ihres
Kleidchens hängen blieb. Nun lag die
ı Dorfftraße vor ihr — fie lief hin—
über ; ein Bach befäumte da die Straße;
im Didicht davor legte fie fich nieder
und trank mit vollen Zügen. Wie
erquidte, erfriichte das! Sie durch—
‚watete den Bach ſchaudernd, denn das
Waſſer war kalt. Bom Bade ftrebt
ein Hügel aufwärts, der mit Obſt⸗
ten, vergaß ſie doch nicht der Gewohn⸗ bäumen beſetzt iſt; fie raffte einige
heit. Sie nahm alſo einige Hölzchen
vom Schranke. Da verlieh fie ihr En—
gel. — Jedes diefer braunen Köpf—
hen, jo Hein und unscheinbar es ift,
birgt einen Dämon. Ein Köpfchen ift
im Stande, Vergeltung zu üben für,
juhrelanges Unrecht. Willkommen ihr
feinen Werkzeuge der Rache, der Ver—
nihtung! — Der einzige Mare Ge—
danke des Mädchens war:
mich und Alles um mich — und alles
Elend Hat ein Ende! — Sie rieb ein
Höljden an der Wand und hielt das
feine Flämmchen an ihr Bett — in
einiger Entfernung, daß es ‚feinen
Echaden thun lonnte. Das Herz des
Mädchens pochte laut. Das Hölzchen
verbrannte, die Kohle fiel ab und —
Evi athinete auf. — Nun rieb fie ein
ich vernichte
‚nicht ganz aufs
‚Die Nacht jenkte ſich nieder, Evi zog
Mepfel auf und verzehrte fie mit gieri—
ger Haft. Am Rande des Waldes, der
‚den Hügel krönt, warf fie fi in das
dürre Gras und ſchaute auf des Hans
ſelbauers Haus. Wie Hein, wie troſt—
los Hein kam's ihr vor! Feiner Rauch
fräufelte fi) aus dem Rauchfang. Da
ſinkt die Sonne hinter das Gebirge
— noch einmal flammt fie auf —
„morgen kommſt doch wieder — grüß’
mir die Himmelsfönigin! Soll halt
Everl vergeſſen!“
—
die falten naſſen Füße unter das Röd-
hen und hüllte jich, jo gut es gieng,
in das dünne leid. — Plößlich rieb
fih etwas an ihrem Nüden und ein
leifes Schnurren ließ ſich vernehmen.
AS fie erfchredt zurüdgriff, fühlte jie
176
etwas MWeiches, Warmes an. Sie fhrie | unten herauf. — „Feuer!“ jo zetert
leiht auf — — es war Hanfel, der | des Hanfelbauers Stimme verzweifelnd
Bäuerin Katze, die ſich unter dem und eine Geftalt läuft, ficher der Han—
Arme durchwand. Zuerft wollte Evi felbauer felbft, von den Flammen ab
die take wegfchleudern — im nächften | und zu, grell beleuchtet, zwiſchen den
Augenblide aber drüdte fie das Thier | Gebäuden herum. — Das Rindvieh
an fich, dos fich dieſe Lieblofung, lau- brüllt, die Pferde wiehern und ſtampfen
ter ſchnurrend, gern gefallen ließ. mit den Hufen, die Schweine grun—
„Armes BViecherl, Du Haft mir nie zen durdhdringend. Die Stallthüren
was Böfes than, umd ich habe Dir | werden aufgerijen, die Thiere mit
die Klingel anbunden! Berzeid mir, | Mühe berausgetrieben. Die Bauern
Hanfel!" Und fie küßte der Katze laufen herbei und „teuer! euer!“
borftiges Maul. — „Du bift aber auch | fchreien fie durcheinander. Die Glode
fo viel Schlimm! Warum kommſt nicht | läutet. Lodernde Feuergarben ſchießen
früher heim? Die Klingel haft gewiß | empor und legen das Sparrenwerk
ſchon lange verloren. Nun lönnten wir) bloß. Aus dem Lärm Hört Evi ihren
heimgehen und befämen ein warmes | Namen heraus — Sepp's Stimme
Eſſen. Aber nein! Zum Trug nicht! iſt's, die ruft. Dann ift es wieder des
Mir bleiben da! Du fängft Dir ein Danfelbaners Stimme, der die Bäuerin
Mäuslein und ich ſuch' mir einen | ruft.
Apfel. Danır kehren wir bei der Quelle Nun ſchleppen fie aus dem Haufe
ein und trinfen vom Belten.“ Und) Etwas hervor, und ober den Hänptern
fie lachte helllaut und glödchenrein.|der Träger flammt und Fracht es.
Auch die Katze ſchien's zufrieden, denn | Ein menschlicher Körper ift es, den
fie legte fich zuthunlich dem Mädchen | fie über die Straße zum Bache tragen
in den Schoß, al& Hätte fie von ihm) und in den Raſen betten.
nie Unangenehmes erfahren, ſchloß die Bewegungsios fteht Evi auf dem
Augen und träumte halbwachend von | Hügel; wie im Traume fieht fie Flam—
der Bäuerin Milchnapf. men, Rauch und die fich durcheinan—
„Schau,“ fagte Evi, „das freut der drängenden Menfchen; wie im
nich, daß es was Lebendiges auf der Traume hört fie die rufenden, ſchreien—
Welt gibt, das zu mie kommt und|den Stimmen. — — As wiederholt
mich gern dat — — und ich habe ihr Name im ihr Ohr tönte, da fiel
Dir fo Schlecht gelohnt!“ — Da fie: | plößlih ein Strahl der Erinnerung
len ein paar heiße Thränen auf Hanjel, |in ihr Herz — fie griff fich mit den
der darob feinen Kopf jehüttelte und | Händen an die Stirn, an die Schläfen.
mit der Pfote über Ohr und Schnauze | „Hab' ich den Brand gelegt ?” flüſtert
ftrich. fie, „id — unter dem Bette — an
„Die fochen heut’ tüchtig in Danz | den Kleidern? — Jeſus Maria und
ſelbauers Haus — Nichts für uns, Joſef!“ fchrie fie auf. „Ich Habe das
Danjel! — — Sie kochen aber ſchon Feuer gelegt! Herr des Himmels, er=
tüchtig — außer der Weiſ'!“ barıne Dich meiner!” und fie warf
Es qualmt und raucht! Sogar fi in das Gras, preßte den heißen
Funken fprühen! — Da zudt gar ein! Kopf auf die fühle Erde. Da wurde
Flämmchen empor. „Feuer!“ fchreit fie ruhiger. Doch das Lärmen ward
Evi und fpringt entjeßt auf, daß immer ärger. Dazwijchen zifchte das
Danfel wicht wußte, wie ihm wäre. | Wafler, aus Eimern gefchleudert, in
— Und unter Rauch und Qualm die Flammen. — Sie richtete den
Ihlägt eine Lohe empor. „Fener!“ Kopf empor und fah eine Fenerröthe,
Ichreit Evi und „euer!“ fchallt es als ob das ganze Firmament im Brand
wie eim hundertſtimmiges Echo vor! jtände, es war furchtbar ſchön anzu—
—— — [Un —— — — — — —
fehen. „Der Himmel brennt!“ ſagte
Evi und breitete die Arme aus.
Ein neues wüftes Gefchrei dringt
zu ihr empor. Einen Menſchen haben
fie berbeigefchleppt und eine Stimme
kreiſcht: „Das ift der Vater der rothen
Evi! Der Brandftifter! — In dus
Feuer mit ihn!" — „In das Feuer
mit ihm!“ brüllen mehrere Stimmen.
Da läuft Evi Halb befinnungs-
105 die Anhöhe herab. Am Bade
liegt die Hanfelbäuerin, welcher der
Schreden die Glieder gelähmt Hatte.
An ihrer Seite niet, zu ihr nieder-
gebeugt und ihr Zroft zuflüfternd, der
Geiftlihe. Der Hanfelbauer läßt fein
Haus brennen; er fteht, ſelbſt troſt—
bebürftig, mit gefalteten Händen vor
der Bäuerin; mit wirrem Blide fieht
er die — ftärfere Hälfte feines
Dafeins aus dem Leben jcheiden. Wenn
ihm der Eheftand auch nur ein Wehe—
ftand und Martyrium war, jeßt fteht
nur das Eine Mar vor feinen Augen,
die vom Tod Berührte ift fein Weib.
Doch ohne Aufentbalt ftürzt Evi
vorüber, an den grafenden Pferden
und fäuenden Kühen vorüber — ihr
nach der Schwarze Kater mit aufwärts
geitredtem Schweife. Der Undankbare
bat feinen Blid für die Herrin, die
ihn fo zärtlich liebte und nun fter=
bend Ddaliegt, er ift Heute zu luſtig
für da3 Sterben.
„Ih bin die Brandftifterin!* fo
Ihreit Evi in den Schwarm hinein.
Sie Jieht nicht den Bagabunden ; vor
ihrem Geifte fteht nur der Water —
eine Idee und feine Perſon. „Ich bin
die Brandftifterin!“
„Die Brandftifterin hat ſchon ihr
Theil!” brummte Sepp; er date an
die Bäuerin.
Die Bauern hielten auf das Hin!
den Vagabunden nur läſſig feit, was |
diefer benützte, aalglatt durchzuſchlü—
pfen und, ohne einen Blid für fein
Kind, durchzubrennen. Da die Bauern
alſo den Mann nicht mehr Hatten,
wollten fie ſich an das Frauenzimmer
machen und der Grimmigften Einer
Kofegger's „„Grimgarten‘‘, 3. Get, XI.
177
ftredte jchon feine Fauft nach ihr aus.
Da warf Sepp den vollen Eimer, den
er eben in Händen hielt, in's Feuer
und erfaßte die Evi. Er ſah ſchwarz
wie ein Kohlenbrenner her, der Schweiß
ranı ihm in ſchwarzen Tropfen vom
Angefiht. „Marſch in den Gemeindes
fotter mit Dir!“ feuchte er. „So einen
Bogel muß man feftdalten !“
„Recht fo!” fchrien die Anderen.
„Der Sepp verfteht fi darauf!” Und
fie ließen Sepp gewähren, der ohne
viel Tyederlejens das Mädchen aufhob
und durch den Schwarm hinmwegtrug.
Dabei raunte er ihr in’s Ohr: „Daß
d'Fopperei nicht laffen faunft! Das
Teuer ift in der Tenne, nicht in Dei»
ner Kammer auskommen!“
Da ftürzte das Dach mit Gekrach
ein — eine Rauchwolte erhob fih —
das Feuer begrub das Teuer — der
Hanjelbauer Hatte ein Haus gehabt.
Da kam trara, trara! die erfte Feuers
Ipriße angefahren!
Gut war's, daß Evi im Sotter
faß. Da es feine dummen Allotria zu
treiben gab, jo dachte fie einmal über
ihr Leben nah und ließ das ganze
junge Sein, fo weit es ihr im Ge—
dächtnis lag, vorüberziehen. Sie ſah
fein frohluftiges Kind! Ad, getreten,
gefränft, gebeugt! Was jollen wir
hoffen vom Alter, wenn die Jugend
feinen Lichtblid bietet? — Was war
ihre Schuld ? Iſt geboren zu fein eine
Schuld, die man mit dem Herzblute
tilgen muß? — War fie aber wirf«
lich ohne Fehl?
Hatte fie nicht ein Flämmchen ent—
zündet, ed an ihr Bett gebraht? —
Noch einmal ſchlug vor ihren Augen
eine belllodernde Feuergarbe auf —
fie ftieß einen Schrei aus und preßte
die Hände vor die Augen. Dabei tönte
es wire im ihr Ohr: „Feuer! Feuer!
Trara, trara!”
Als fie die Hände ſinken lieh,
war jie in Finfternis — in die Fin—
12
fternis des Kerkers gehüllt. — Eine
böje Naht! — Endlih kam Evi zur
Nude; fie wußte nun beſtimmt, was |
fie thun würde, und hatte eine freude
daran, einmal auch den Herren eine
178°
„Der Bauer fißt auf dem Brunn
trog und fchaut, wie der Schutt glof't
und raucht.”
„Und Du, Sepp?“
„Ich — Hu — ih bin da.”
Naſe zu drehen. „Nachher — nachher 7"
Am Morgen ließ fie fih Wafler „Nachher gehe ich zu meiner Mutter,
und einen Kamm geben. Zum erften und helfe ihr bei der Wirthſchaft —
Male verwendete fie auf ihr Aeußeres | fie ift jchon mühſelig. — Da hätten
einige Sorgfalt. Das üppige rothe wir freilih ein jung Ding braucht
Haar hieng, in einem einzigen funft — riegelfam, findig, flint und — —
loſen Zopfe geflochten, über den Rücken gerade fo wie Du. — Aber Du bift
herab.
Wer wird fie auch heute auf klein—
liche Weife häßlich fchelten ? — Ahr
Troß galt jeßt einem anderen An—
griffe.
Thür wird geöffnet — Sepp fteht vor
ihr. — Er betrachtet fie forjchend.
Sie warf den Kopf zurüd und
fagte leichtfertig: „Nun, weil Du Die)
Ihon gar fo viel kümmerſt um mich
— was wird denn mit mir gefchehen?*
Er Huftete. „Evi,“ fo fragte er
endlich zögernd, „Du Haft den Brand
nicht gelegt ?*
„Ich dent’ wohl.”
„In Deiner Kammer ?*
„Ich lann's auch in der Tenn
gethan haben.”
Da wurde er blutroth im Ange—
fihte. „Hüte Did, Evi, es kann noch
wo anders ausgelommen fein — als
in der Kammer — als in der Tenne.
Ich werde Schon reden. — Was mit
Dir geſchieht, willſt
Gendarm wird Dich binden und auf
der Landſtraße in die Stadt treiben.“
„Schau Sepp — ih hab’ mich
auch dazu heransgepußt. Dann —
im Grund genommen — es hat's
jadodh die Bäuerin than! Du
fagft es ja, Sepp ?*
„Die Bäuerin liegt in der Tod—
tenkammer.“
Evi zuckte zuſammen — ſie ſetzte
ſich auf den Schragen und ſah auf
ihre Füße. Nach einer Weile ſagte
ſie leiſe: „Alsdann hat ſie's nicht than.
— Und der Bauer?“
e
Da Imarrt der Riegel — die)
willen? Der
ja eine Brandlegerin, gehſt mit dem
Gendarm und nicht mit mir.“
| „Alſo mich haft wollen mitnehmen,
Sepp? Mich?"
„Freilich wohl,“ jagte Sepp ver—
legen und ſetzte mit einem Seitenblid
hinzu: „Bift Halt eine Brandftifterin
und gehft mit dem Gendarm.“
„Halt eh’ recht, Sepp. Schau, da
kann man halt nichts machen.“
Da plaßte Sepp heraus: „Eis
gibft um Dein Herz — mächtig viel
Eis — aber nichts wird es Dir
helfen, vor der Hiße da drinnen muß
es am Ende doch zergehen. Ich hab's
erfahren, Everl; ich hab’ in Dein Herz
geſchaut, als Du am Boden gelegen und
mit dem Kopf auf den Boden gejchla=
(gen haft. Da liegft Du und denf’it,
wie gut möcht’ ich fein und wie jchlecht
machen mich die Leut, und jchlägft mit
der Stirn auf den Boden wie
luftig muß ich fein und wie traurig
bin ih — und wieder jchlägft auf
den Boden. Da ruf ih Did; Du
aber dentit, ich will fo fein, wie man
mich glaubt. — Das ift das Eis! —
Wie Du fo daliegft, Everl, der Bo—
den Deiner Sammer unter Dir von
Thränen naß, da fommt mir vor,
mein Herz fei wund und jede Deiner
Thränen fei ein Tropfen Blut aus
dem wunden Herzen. ch wollt’ mich
hinwerfen zu Dir und aufjchreien:
ih bin auch da — aud fo arm —
verachtet — allein — unglüdlich wie
Du! — — Der Trug allein thut's
nicht! Arbeitfam und brav fein, jo
trogt man den Leuten am ſicherſten,
|
——
179
und wenn zwei foldhe Menfchen zu—
jammenftehen, jo find fie fich genug.
Da ift mir das erfte Mal in den
Sinn kommen, dab es ein Glüd in
der Welt gäb’ — mit Dir. ber
freilih, Du bift Brandftifterin — und
gehft mit dem Gendarm.“
Evi hielt die Hände vor das An—
gejiht und die heflen Thränen ran—
nen zwifchen den Fingern dur. Sie
ſchluchzte krampfhaft.
Der Gemeindediener, der mit ſei—
nem Weibe vor der Thür ſtand, ſagte:
„Schau, fie wird weich! Sepp weiß,
wie e3 anzufangen iſt, einer verftodten
Sünderin dad Belenntnis heraus zu
jpintijieren.*
In Wirklichkeit dachte Sepp: Jetzt
oder nie! und zieht ihre Hände halb
mit Gewalt dom thränennaffen, ge=
rötheten Angeficht. „Weißt Evi,“ fagte
er mit unficherer, beiferer Stimme, „ich
hab' Did Halt gar fo gern!“ Dabei
legte er ihre Hände auf feine Achjel
und ſah ihr in die Augen.
Ihre Augen leuchteten Hinter einem
Thränenschleier und ihr Mund lächelte;
fie lehnte das rothe Köpfchen an feine
Bruft und umſchlang feinen Hals, wie
der ſchwanke, ſchwache Windling die
träftige Ulme umfchlingt ; dazu flüfterte
fie: „Du bift der erſte Menſch, Der
jagt, er hab’ mich lieb. Darum Dank
— taufend Dank für dies brave Wort,
Sepp! — Ad, wie bin ih arm!“
Und ihre Thränen floffen. Aber fie,
log, denn es waren Thränen des
Glücks. Da fie nur Schmerzliche Thrä—
nen kannte, Thränen, die Kränfung,
ohnmächtiger Zorn, unverdientes Une
glück wie Nadeljpigen aus dem Her—
zen herausprefjen, jo hielt fie auch dieſe
Thränen, jo al& erfrifchender Thau
auf welke Blüten fallen, für Send:
linge des Unglüds. |
„Everl,“ fagte Sepp leife, „Du
haft das Feuer nicht gelegt ?“
Sie lächelt. „Was dentt der Sepp
von mir? Sch hab's nicht than!“ |
In dieſem Augenblide waren Beide
glüdtih. — Daß das Glück nur jo
furze Zeit grünt! Wer es kürzt, ift
das haftende, ruheloſe Menfchenkind,
ruhelos im Erfinden neuer Selbitqual
und im Zerftören, nur beftändig im
Verneinen.
„Darum bin ich da, daß Du das
ſagſt. Laß Deinen Vater! Er verdient
nicht Dein Opfer!“
Everl fuhr zurück, ihre Augen
flammten. „Eins darfft mir nicht ver=
Ihimpfen! Es ift was in mir —
weiß jelber nicht wa8® — das beim
Worte Vater weh thut. Willi Du
mir nicht weh thun, jo fage nichts!
Es ift ein Heilig, unfichtbar Ding —
wie Gott im Altarfchrein. Weit, wie
er ausfieht ? Aber er ift da. — Und
ih bin die Brandftifterin!*
Sepp feufzte tief auf. „Die Wahr:
heit fommt an’s Licht der Sonnen!
Allemal! Dagegen Hilft nichts! Dann
bift Du nicht mehr Dieſelbe — id
bin nicht mehr Derfelbe. Wenn wir
uns heute verlieren, finden wir uns
nimmermehr. — Evi, Du trittft mit
einer Lüge vor Gericht und das Ge—
richt ift auch ein Heilig Ding. Mein
Großvater ſelig hat gejagt, Buben,
hat er gejagt, merkt Euch, die Lug ift
ein fchlechter Grund — und das Haus
darauf, wär’s noch fo feſt gebaut, es
fürzt einmal ein! — a, Everl, es
ſtürzt ein!“
„Es ift aber fo gut, als ob ich's
than hätt’; ich Hab’ eine Weile dei
Willen gehabt es zu thun und der
Wille gilt für's Wert!“
„Oho,“ ſagte Sepp, „Wollen und
Thun ſind zwei grundverſchiedene
Ding' und Feind', die auf einander
ſchlagen, das Ein' mit Spinnweben,
das Andre mit der Hacke, und alleweil
läuft das Wollen in das Mausloch!“
Da erzählte Evi von den zwei
Zündhölzchen und daß nur der Schuß-
engel fie beſchützt Habe.
„sa, der Schußengel!” fiel Sepp
eim, wie von einer firen Idee er—
fafit. „DO, Du mein Jefus! Was wä-
ven wir Alle ohne den Engel?
12°
— —
180
Wenn uns der verläßt, dann ift freis|der vor dem Bürgermeifter und einem
lich Ulles aus — dann bin ih ein
zehnfacher Todtfchläger und der frömmſte
Herr müßte fich beim Henker ein Hals»
bindel beftellen. — O Du mein ! Zum
Glüd verläßt und der Schußengel nicht.
So lange er noch ein gutes Haar an
uns findet — hält er ſich daran.”
„Sepp,“ ſagte Evi ängſtlich, „quäle
mich nicht! Es wird recht fein, was
Du fagft — unrecht, was ich thu'.
Ich bin feine Heilige — laß mir
mein Unrecht! Ih kann nicht anders!
— Soll ih jagen: Vater, mich reut,
daß ich mi für Euch opfern wollt’
— — Nein, Sepp, wenn Du, mid
gern haft — Jo — wie Du gejagt — *
„But,“ wehrte Sepp, „'s ift gut.
Lange Haar’, kurzer Ver . Das:
gegen tomme fein Doctor auf. Hab's
eh gewußt — fen’ Did — Hab’
nur 's Letzte verfuchen wollen. Nun
— in Gottesnamen, nichts für ungut!
Haft recht! 's wär zu viel Glüd ge—
wesen ! — — Hier gehen unfere Wege
auseinander — Wer weiß, ob wir
und wiederfinden!“
„Einmal fiher, Sepp!“ rief Evi
leuchtenden Auges.
Sepp blieb ftehen — das Antlitz
der Thür zugewandt; er konnte den
kurzen Traum nicht jo ſchnell verwin—
den; er preßte den Hut vor da3 An—
gefiht und — meinte.
Evi ſah vor ſich Hin mit großen
leeren Augen, als ſei ihr Geift mit
anderen Dingen bejchäftigt und be—
greife nicht, was hier vorgeht.
Sepp ermannte fich ſchnell, griff
nach der Thür — in diefem Augen
blide wurde dieſe von außen aufges
tiffen — e3 war der Gemeindediener,
Gendarın die Thür fperrangelmweit
aufriß.
Der Bürgermeifter hielt ein offenes
Schreiben in der Hand und fagte:
„Das Gericht befiehlt, daß die Eva
Sainer, zuleßt bei Johann Suiner
vulgo Hanfelbauer, die fich wegen
Verdachtes der Brandlegung im Ge-
meindearrefte befindet, fogleih aus
‚der Haft zu entlaffen und im Frei—
‚heit zu feßen jei, da der Thäter be-
reit3 eingeliefert und gejtändig ift.“
Der Gendarm fügte aus eigenem
Antriebe Hinzu: „Der Brandftifter hat
fi jelbft beim Gendarmerie = Come
mando gemeldet und mir aufgetragen,
der Eva Sainer — alfo Dir zu ſa—
gen: So Du ein warmes Neft für
ihn wüßteft und auch für Agung ſor—
gen wolltet — jo wolle er ſchon
nichts jagen. Da aber Dein eigenes
Meft abgebrannt fei, follteft Du ihn
nit um fein Freiquartier beneiden
— er müſſe fich jelbft feiner Haut
wehren.“ — So der Genbdarın.
Was der Brandleger noch weiter zu
‚ihm gejagt, daß ja mehr brennbare
Häuſer auf der Welt wären, wenn
Eva durchaus ein Staatsquartier wolle,
verſchwieg er.
So mußte denn Evi, da ihr Plan
zunichte geworden war, dem Sepp
folgen. Das war übrigens gut, denn
Sepps Mutter war nachgerade ſchon
mühſelig und brauchte eine Tochter,
und ein rothhaariges Dirndl ift, wie
die Alte fagte, am Ende bejjer als
feines, immer einmal jogar beſſer, wie
hingegen Sepp fagte, als ein flachs—
haariges.
Der Schmied
von Rochel.
Ein Weihbnahtsbild aus der Geſchichte.
IA anchmal fteht jene unheimliche |exr fich eben früher weggekratzt — und
J Chriſtnacht Teibhaftig wieder |bat ihn wohl flehenden Blides, zu
vor mir, die ich als Knabe in der erzählen, wenn er was wiſſe.
Maldheimat durch unjern alten Kuecht
erlebt.
Diefer Knecht Hatte damals durch
das Fenſter Hinausgeblidt über die
ftillen, mondbejchienenen Waldberge
und Hatte ausgerufen: „Das wäre
heute wieder einmal eine Ehriftnacht
zum Herrenerſchlagen!“
Darauf hatte ihn mein Vater ge=
fragt, wiefo er in dieſer heiligen Got-
tesfriedennadht eine fo milde Red’
nicht blutdürftig, der Markus, war als
Bauernknecht alt geworden, ohne ſich
viel Befleres verlangt zu haben, war
in Manchem gar unterrichtet und be=
| fieden,
Er mußte in der That was, und
nachdem er ſich auf der Sigbant fein
„G'ſſäm“ Tabak gefchnitten hatte und
ih davon den Nafenwärmer feitges
ftopft, Hub er an zu erzählen:
„Sa, meine Leut’, ber ift das
freilich jchon lang’. Mein Großvater
ift dazumal noch ein junger Burich’
geweien in meiner Heimat Zölz im
Baiernland. Als Greis, wenn er hat
‚erzählt von derſelbigen Chriftnacht,
i Berg’
'geftiegen fein — heißt das, die er
noch gehabt hat.”
„Das ift wieder ein langes Uns
ehvor Der einmal im eine
lefen und war ein Rebell einzig und G'ſchicht hineinkommt!“ So veriübelte
allein nur gegen die Knödeln, deren |die ungeduldige Magd ihm feine Ein—
er alle vertilgte, die ihm zu Gefichte | Teitung.
famen und fich nicht eilig in Anderer | „Laß nur Zeit!“ fagte der Alte
Mägen verfrohen. Er war ein ge= und zündete ſich jeßt die Pfeife an,
borener Oberbaier — und mie ſich bie was auch nicht juft ohne Umftändlich-
Baiern feit jeher gerne nach Steier= |feit vor fih gieng. „Lak mur Zeit,
marf gezogen haben, fo daß wir fie! Dirn,“ fagte er und probierte, ob das
als unſere Vettern betrachten können Zeugerl auch den richtigen Zug habe,
— fo war auch der Markus in feiner |
Jugend als Holzarbeiter in unſere
„es
ſind hundertfünfzig Jahr ver—
gangen, eh’ Du von der Geſchichte
Waldgegend gelommen und im ders gewußt haft, fo wird Dich Deine Neu—
jelben verblieben.
Auf den Verweis meines Vaters
antwortete nun der alte Knecht: „Ich
babe nur daran gedacht, weil mein
Großvater einmal in der Chriſtnacht
mit auf ein Derrenerjchlagen ausge—
rudt it.”
Wie fo fih das zugetragen hätte ?
fragten nun mehrere in der Stube
und ich kroch fachte zum Markus und
ftreichelte ihm das glatte Kinn —
denn die grauen Bartjtoppeln hatte,
gierigfeit für das Klein’ Echtel Zeit
auch noch nicht umbringen.“
Mehrere von uns winkten mit den
Augen und beiden Händen, dab doch
Alles fill fei und ihn Kein's mit
einer Bemerkung unterbredde. So fuhr
alfo der Markus geruhigt fort:
„Dazumal haben in Baierland die
Defterreicher gewirtichaftet und fchier
grob, will ich meinen. Der baierijche
Kurfürft foll der Narr gewefen fein
und es mit den Franzoſen gehalten
182
haben. Das hat den deutjchen Staifer
arg verdroffen, er hat die Defterreicher
in's Land geſchickt und in die Haupt—
ftadt München, wo fie fich feſtgeſetzt,
als wären ſie ſchon taufend Jahr dort
daheim geweft. Den Kurfürften haben
fie verjagt und vogelfrei gemacht, daß
ihn Jeder dürfen niederſchießen
heißt das, der ihn getroffen hätt’. Die
Frau Kurfürftin, die von einer Neife
nah Venedig zurüdtommt, haben fie
gar nicht mehr in's Land gelaſſen;
den jungen Prinzen haben fie zu
München gefangen gehalten. Stadt
und Land Haben fie mit Füßen ge=
treten, vom Bauernftand nichts als
alleweil Recruten ausgehoben, und
wem's nicht recht geweſen oder wer
eine Waffe hat bei fich getragen, den
gleih niederfchießen oder henken —
mein Gott, wie es halt der Feind
macht. Ich glaub’, es werden unter
den Defterreichern, die fie in's Baier-
land geichidt baben, auch mehr Böhmen
und Ungarn und Groaten geweſt fein,
als Deutſche.
Nu, jo Haben die Baiern freilich
gejagt: Lieber baierifch fterben als
faiferlich verderben ! und weil es von
Jahr zu Jahr ärger ift worden, und
weil ſich die Bürgerslent’ und Sol:
daten nicht gerührt haben, fo ilt den |
Bauern endlich die Geduld ansg’angen, |
haben ſich zuſammengethan und in
aller Heimlichkeit eine Kriegsmacht ger!
ftiftet von Dorf zu Dorf und einen
heiligen Schwur gethan, den Feind
aus dem Baterland Hinauszumerfen.
Den Regensburger Reichstag haben
fie e3 zu Recht früher willen laflen:
Die Nothwehr zwingt uns! Zufchlagen
müflen wir! Und wie die Lawinen
vom Wendelftein, jo find fie herfür—
gebrochen aus dem Gebirg mit ihren
Daden und Senfen und Spiehen und
Morgenfternen und Stußen und was
fie Tonft gehabt haben zur Wehr. Von
Waakirch und Gmund und Zölz und
Neuberg und Tegernſee find fie ber,
auch vom Flachland. Dort haben fie
den Saiferlichen jchon weggenommen
Simbah und Braunau und Hohen
linden und wie fie alle heißen dort,
die Ortfchaften, ich kenne fie felber
nicht.
Als ihren Hauptmanı Haben fie
den Balthaufer Schmied von Kochel
genommen, ein baumftarler Manır,
furafchiert, Hug und ehrenfeſt —
zu Waalich daheim. Vom felbigen
Schmied Hat mein Bater oft erzählt,
er fol auch gegen die Türken aus—
gerudt fein und jo ſtark geweſen, daß
er mit feinen zwei bloßen Händen ein
Hufeifen hat auseinanderbredhen kön—
nen. Alſo das it der Hauptmann
geweft, wie die Bauern in Haufen —
an die dreißigtaufend Mann ſtark —
gen München ruden. Mit der Mün—
hener Burgerfihaft hat er es ſchon
heimlich verabredet gehabt; fie follen
bereit fein, in der nächſten Chriftnacht,
wenn Alles in den Metten oder bei
der Luſtbarkeit ift, ruden fie an. Bon
dent Petersthurm follen die Burger
Raketen fteigen laffen zum Zeichen,
daß Alles in Bereitihaft, hernach ge—
Ihwind die Einlaßpforten Öffnen und
gemeinschaftlich den Feind niederkrie—
gen. So iſt's ausgemacht worden
und den Münch'ner Burgern iſt's recht
gewejen.
Jetzo, fo follen fie Hingezogen fein;
mein Großvater hat die bairische Fahn'
getragen. Ohne Schu und Lärm,
ohne Licht und Latern” — heimlich
ift’3 gegangen über das ebene Land,
ternfefte Leut’ beifanmen, und die
Münd’ner, foll Einer zum Andern
gejagt haben, die Münch'ner verlaffen
wir nicht!
Ein Theil hat jih in der Vorſtadt
Au feſtgeſetzt und ſich hergerichtet. Wie
der Trupp, wo der Schmied dabei ijt
und mein Vater, über die Holzbruden
bei Scäftlarn geht, da läutet Die
Bennogloden auf den Thurm zu un—
ferer lieben Frau in Münden. Die
Anderen marjchieren über die Her—
ladinger Höh'; jo fteinfeit gefroren
ift der Boden, daß fie meinen, ihre
Hingenden Schritte könnten die feind—
183
liche Wacht aufmerkſam machen unten
anf den Stadtmauern zu München.
MWeil aber ein Sturmmind anhebt zu
gehen und Schneegeftöber ſaust in der
rabenfinfteren Nacht, fo haben fie den
beiten Muth, es wird Alles gelingen
umd morgen ift Minchen wieder die
Hauptjtadt im freien Baiernland. —
Daß ein Judas unter ihnen gewefen,
das Haben fie zur ſelben Stund’
noch nicht gewußt. War halt ein
Tehler, daß fie in ihre Sad’ auch
Beamtenlent’ dazugelaſſen haben, und
wo jih einmal jo halbe Herren im die
Bauernſchaft miſchen, da geht's nicht
gut aus. Ein Pfleger, der ſchwarze
Dettlinger, ift nah München gelaufen,
hat den Herren Alles geftedt.“
„Der Höllfaggra!” mit diefem
Zornenf ward der Markus unters
broden, und felbft der Haushund
fnurrte unter dem Tiſche. Der Er—
zähler fuhr aber fort:
„Seo kommen die Bauern zur
Bruden über den Iſarfluß. In Got—
tesnamen, da geht’ los! Die Wacht
it bald niedergefchlagen. Etliche laufen
davon. Dieweilen find die Manner
von Land und Gebirg ſchon über die
Kanonen 'kommen. Luſlig geht's.
Unſere liebe Frau! rufen fie, für unſer
Heimatland Hilf uns! — Daß noch
feine Raketen aufiteigt! ſagt Einer,
fie kommen ſchon an’ Thor. Die
Vorderen fahren bin wie eine Haß’
auf die Maus, prallen aber wieder
zurüd — Ihr lieben Leut’, das
Thor ift zu — Hoch oben auf
auf der Studimauer krachen ſchon die
Gewehre. Jeſus und Maria! rufen
die Bauern, aufmachen! das Thor
auf, Ihr Freuzverfluchten Münch’ner
Burger. Habt Ihr's vergeflen, was
wir ausgemaht? Das Thor auf!“
Zur jelbigen Stund’ waren die
Burger in der Stadt ſchon entwaffnet
oder gefangen und bewacht, und die
Soldaten schießen nieder von den
MWällen, daß die Bauern nur jo hin—
purzeln übereinand’. In diefer Noth
erfaßt der Schmied von Kochel einen
Wagenbaum, ſchwingt ihn über Hänp—
ten und rennt ihm mit Furchtbarem
Fluchen in's Thor. Die Anderen fahren
auch d’rein mit Schlägeln, Haden und
Zwengern, Trümmer gibt's, das Thor
bricht ein, aber es ift Halt ſchon zu
ſpat. Helllicht bligt das Pulver da
oben, von allen Seiten pfeifen die
Kugeln herab, daß ſie Hinfallen, die
Bauern, wie Maitäfer im Frühreif.
Meinen Vater felber hat eine Kugel
in den Arm getroffen umd Hat ihm
noch ein Nachbar geholfen, daß er die
Fahn' mögen retten. Freilich raffeln
jeßt die Thore auf, aber Soldaten
herans, nichts als öfterreichiiche Sol—
daten. Alles flieht, der Schmied allein,
der alte Mann, will in Verzweif—
lungswuth mit feinem Wagenbaum in
die Feinde rafeı, jchier mit Gewalt
reißen ihn feine zwei Söhne mit fid.
So geht fie hin, die wilde Jagd, über
die Wieſen und Heiden gen den Ort
Sendling. Dort auf den Mauern des
Kichhofs ſetzen ich die Bauern noch
einmal feit, dort ſchwingt mein Groß—
vater noch einmal die baierifche Fahn',
dort ruft der Schmied von Kochel noch
einmal zum Streit. Ein wildes Schlad-
ten hebt an, zu Tauſend fallen jie Hin
auf die Gräber. Die Söhne des
Schinied, denen die Wale aus der
Hand ift gewunden, brechen Kreuze,
um damit zu kämpfen. Da ftitrzt der
alte Balthaufer zum Tod getroffen Hin
und jegt ift Alles aus.“
Einen Augenblid war es ganz jtill
in der Stube, dann jagte der Markus:
| „Die Mordnacht von Sendling, unter
dieſem Namen ift diejelbige Chriſtnacht
bekannt im Baiernvolf. Den aufſtän—
‚digen Bauern, die nicht erjchlagen
worden find, »denen ift es fchlecht er—
gangen — getöpft und geviertheilt
find fie worden. Aber Reu’ haben wir
‚nicht, follen fie noch im Sterben ge—
‚rufen Haben, für die Freiheit und
‚fürs Baterland, beſſer können wir
unfer Blut nimmer verkaufen !
‚Und fo, meine Leut',“ ſchloß der
Markus, „Hat felbiges Herrenerjchlagen
184
geendet; es ift ein Banernerfchlagen |ganze heilige Chriſtnacht fein Auge
d’raus ’worden. Aber wenn die alten Schloß. „Friede auf Erden den Men
Leut' recht haben, die prophezeihen |fchen!" ich hörte den Gefang der
allerweg, das Blatt wird fi) noch |Engel nicht, ich hörte nur das Knat—
wenden |” tern der Gewehre und ſah das graufe
Auf mich, den Knaben, hatte die | Thoreinrennen des braven, unglück—
Erzählung des alten Knechtes einen jlihen Schmiedes von Kochel.
ſolchen Eindrud gemacht, daß ich die
—
—
Die Sage von Grät.
Von R. 6. Ritter von feitner*)
—D or vielen hundert Jahren
EErhob vom Iſarſtrand
Ein Völklein ſich, zu fahren
Weit über Berg und Land,
Es lam einher gejchritten
Meit übern grünen Inn
Bis zu den Urgraniten
Der hohen Tauern hin.
Da brad ein Flüßchen kräftig
Vom Alpenwintel aus,
Und ftiek fih gar geihäftig
Vor Haft die Wellen kraus.
„Hei! Flüßchen! Mar und heiter,
Sei barih und murre nur!
Uns ſcheuchſt Du doc nicht weiter,
Wir folgen Deiner Spur.”
Das Flüßchen fonnt’3 nicht ändern,
Liek mit an feinem Nand
Die irren Wand’rer jchlendern
Gleihwie am Gängelband,
Es führte fie zum Poſſen
Durh Klüft’ und wild’ Geftein;
Sie folgten unverdrofien;
War do die Luft jo rein.
Wohl lieh es aud fie Schauen
Manch lieblid grünes Thal,
Doch wollten nicht fie trauen
Den Alpen weiß und kahl.
*) Entnommen den „Gedichten? unſeres allverehrten und hodverdienten Didterneflors Leitner.
(Srazj, Qubenäty.)
„Nun wend’ ih mid nah Süden,”
So dentt der Fluß zulegt,
„Und den geprüften Müden
Vergönn’ ih Ruhe jet.“
Und bricht mit freud’gem Braujen
Durch's lebte Felſenthor,
Und aus den Bergesklauſen
Tritt mit die Schar hervor.
Da liegt voll Anmuth, ſonnig
Und weit mit einem Mal
Vor Aller Augen wonnig
Ein blauverduftend Thal.
D'raus haucht es lauer, linder
Sie an als irgendwo.
Dak Männer, Weiber, finder
Aufjauchzen überfrob.
„Traun!“ — rufen die Enizüdtn —
„Darob ift Gottes Hand!
Se, Leute, Ihr Beglüdten!
Mie heißt dies ſchöne Land ?*
„Man nennt’ das werte Steier“
Verjegt ein Mann am Rain,
Juchhei! jo joll der Baier
„Hinfür ein Steirer fein!”
Und faum nod eine Stunde
Zieh'n abwärts fie am Strand,
Bis wo int Tannengrunde
Ein Feldberg einſam fland.
185
Hier ſchlugen fie Gezelte | „Ei, eine Stadt!” — ermwidert
Sich auf im dunklen Wald, ' Der Nädjfte wohlgemuth,
Doh Art und Spaten hellte Arbeitet fort, und liedert,
Die jhöne Wildnis bald. Wie wohl ein Werfmann thut.
Dann jchleppten fie noch Steine ‘ Da ladt der And’re belle:
Und Salt herbei und Sand, „Nicht Übel, in der That!
Zun Schute der Gemeine Doch jold ein Haus, Befelle!
Zu bauen Dah und Wand. | Iſt lang' noch feine Stadt.“
Als jetzt die Fingebor'nen Den Fremdling nicht verichlimmert
Der fremden Treiben jeh'n, Die Laune ſolch' Geſchwätz,
Sieht man durch Straub und Dornen Froh fingt er fort und zimmert,
Sie näher ſchleichend jpäh'n. Und meint nur: „G’räths, jo g'räth's!“
Und Giner mit Geberben Und ſeht! — e3 ift gerathen!
Des Staunens tritt hervor, Pald ftand am Saum der Mur
Und fragt: „Was joll dies werden Die junge Stadt auf jaaten:
Hier zwiſchen Wald und Moor?“ | Um rebenreiher Flur.
Sie flieht no bis zur Stunde,
Vom Alter nur verjchönt,
Und laut aus mandem Munde,
Mein Gräs! Dein Xob ertönt.
Wie das Volk über die Schneider Iderzt.
Ton Eh. Vernaleken.
I. rief laut: Me, me, me! Nils die Offi-
: : ‚ |eiere fahen, daß noch Lebensmittel
— delt 2 ae I Seien vorhanden waren, zogen fie ab und
Mounier allen Handwerkern find die fo war die Feltung befreit. Seitdem
a Schneider vom Boltswig am heißt man die Schneider Ziegenböde.
meiften genedt worden, mamentlich mit Bei Hans Sachs finden wir einen
den Geigen. Warum? Das ift jchwer | Schwant aus dem Jahre 1556 über
zu jagen. Das Volk muß wohl irgend | „die Urſach' der Feindſchaft zwischen
einen Bergleihungspunft zwifchen den | den Schneider und’ der Geiß.“
beiden herausgefunden haben. Nach Zu Kitzfeld — jo erzählt er —
alten Volksſchwänken gilt der Geißbock lebte ein Schneider, der von Salzburg
als Spottname für die Schneider und | dorthin gezogen war. Diejer mußte
das Tommt nah dem „Reisgejpan“ | einem Edelmann und feinen Knechten
daher: Eine Feſtung, worin viele die Kleider machen, allein der Schnei—
beherbergte Schneider waren, wurde der behielt etliche Stüd Tuch's, die
lange belagert, jo daß ſchon Lebens= er, wie man fagt, „nach der Maus”
mittel mangelten. Ein Schneider aber warf. Das ward der Edelmann inne
nahm das Tell von einem Ziegenbod, und dachte: „Hat die Maus einmal
„die Hörner überwärts,“ gieng auf! den Sped getoftet, fo kommt fie wie—
den Wall, that, als ob er grafete und | der.“ Darum jollte der Schneider zur
186
Strufe eim ganzes Jahr lang eine chen Nr. 35 und anderen Volkserzäh—
Geiß halten. Das war ihm nun Höchft | lungen, nach welchen ſich ein Schnei—
widerwärtig und eine wahre Haus- |der im friedlicher Gefinnung im den
plage. Sie ward Hin und her ge=
fhupft und befam wenig zu freflen
und zuleßt ſchlug er ihr eine Nadel
in den Kopf, jo daß fie verendete.
Dann wollte er das Thier Nachts in
den Stadtgraben werfen, allein der
Schneider blieb am Horn hängen und
ftürzte mit hinunter, Des anderen
Morgens lief Alles Herzu und fah,
wie die todte Geiß ſich geräcdht hatte.
Seit jener Zeit find die Schneider den
Geißen Feind und umgekehrt.
Dies ſagt der Dichter dem löb—
lihen Handwerk der Schneider:
„Zu einem Scherz und guten Schwanf,
Bitt’ wöllent mir's nicht zu Undank
Aufnehmen, weil vor mandem Jahr
Mein Pater au ein Schneider war.
Daß Glüd und Heil reihlih erwadj’
Dem Handwerk, wünſchet ihm Hanns Sachs.“
Dies erinnert an einen anderen
Schwant H. Sachſens: „Santt Peter
mit der Geiß“ (1557). Petrus hatte!
den Herrin wegen feiner Weltregierung |
getadelt, indem er fagte, es würde
ganz anders in der Melt fein, wenn
er nur ein Jahr lang Herrgott wäre,
Und das wurde dem Petrus zuge
fanden und die Herrichaft in feine
Hände gelegt. Allein nicht einmal einer
umberlaufenden Geiß vermochte er
Meifter zu werden und darım gab er
das Negiment dem Herrn zurück.
Wir finden dieſen legendiſchen
Schwank auch als Fabel von B. Wal
dis: „Wie St. Peter wollte Gott fein“.
In der Hölle hat man die Schnei-
der nicht geru, befonders wenn jie die
Elle und die Schere mitbringen, wie
das aus dem im Deimgarten (X. 12,
©. 945) mitgetheilten Liede hervorgeht.
Wie geht's ihnen aber im Himmel ?
II.
Die Schneider im Himmel
Unſere Lefer kennen die Geſchichte
aus Grimm's Kinder: und Hausmär—
Himmel eindrängt. Die urfprünglichite
und einfachfte Darftellung finden wir
in den Schmwänfen Heinrich Bebels.
Dort wird erzählt (1558 im 1. Buch):
Ein hinkender Schneider ift hinauf—
gelommen zu den Pforten der Him—
mel und bat begehrt von St. Peter,
er folle ihn Hineinlaffen. Das hat ihm
aber St. Peter abgejchlagen, von wegen
ſeiner vielfältigen Diebftähl’, die er
vollbracht hätte, wie dann der Schnei—
der Brauch it. Der Schneider aber
hat angerufen die große Barmherzig—
feit, er fönne vor lauter Müde micht
weiter gehen. Darıeben hat er ver—
beißen, er wolle nur den Ofen das
hinten hüten, auch aflerlei geringe
Arbeit ausrichten. Und das Hat er
zuletzt auch erlangt. Als aber einmal
der himmliſche Fürſt mit dem ganzen
himmlischen Heer von Kurzweil wegen
hinaus in einen Garten war jpazieren
gangen außer der Himmel, ijt der
Schneider allein daheim geblieben und
‚hat Alles bejihtigt. Da kam er auch
‚an die Sipftätte des höchſten Königs,
wo er weit und breit jehen konnte
aller Menſchen Thun und Lafjen.
‚ Der Schneider beinerkte unter Anderen,
wie ein Weib an einem Bächlein Klei—
| der wuſch und diefelben heimlich ftahl.
| Da ward er unwillig, denn er hat ji
in dem Stehlen ausgelannt, erwiſchte
des Königs Fußſchemel und warf ihn
hinab zu dem alten Weibe. Wie aber
der König zurückkam und des Sche—
mels ermangelte, forſchte er nach, wer
ihn wohl weggenommen hätte. Das
konnte nur der Schneider gethan haben
und der Derr fragte ihn, warum das
geichehen fei. Und als der Schneider
die Urſache angab, fagte der Herr:
D lieber Sohn, wenn ich das immer
thun wollte, jo wären jebt weder
Bänke noch Stühle mehr im Himmel.
Sole Geihichten kommen im den
Schwanfbüchern des 16. Jahrhunderts
mehr oder weniger abweichend vor,
Be
im „Rollwagenbücdlein“ von Widram| Ofen. Da fam die Nachricht, der
(1555), in Pirhhofs „Wandermuth“ | Fromme Pfarrer von Vilzhofen ſei am
u. 4. Sterben. Gleich eilt Alles hinab, um
Der fruchtbare Schuftermeifter und feine Seele gen Himmel zu geleiten.
Schneidersfohn Hans Sachs Hat fich Unfer Schneider trod) hervor, ſchaute
das nicht enigehen laſſen. So finden ſich um und ſetzte ſich aus Fürwitz
wir z. B. einen Schwank aus dem auf den Stuhl des Herrn. Er ſchaute
Jahre 1563: „Der Schneider mit dem hinab auf die Erde und ſah, wie eine
Panier“. Darin wird erzählt: Frau etwas ftahl. Erzürnt warf er
Zu einem Schneider in Straßburg ihr den Fußfchemel auf den Kopf. Und
tam einft im einer Pfinztag- Nacht als der Herr zurüchlam, jagte er zum
(Donnerstag) der Teufel und fwang| Schneider: „Hätte ich allemal nad)
eine riefige Fahne, die von lauter| Dir werfen mögen, fo wäre auf Dei—
Bliden in allen Farben zuſammen- mem Haufe längft fein Ziegel mehr.“
gelegt war. Diefe Reſte hatte der
Schneider früher alle „nad den Mäu—
jen geworfen“. Darüber war er fo III.
erſchrocken, daß er ſeine Geſellen bat,
ſie möchten ihn immer an das Panier re JFapferkeit.
(Banner) mahnen. Einſtmals ſticht ihm Damit hat ſich der Volksmund
aber ein gülden Stück in die Augen viel zu ſchaffen gemacht. Wir erinnern
und er ſchneidet ein Trum ab und nur an „das tapfere Schneiderlein“
wirft es „nah der Maus“. Bald | in Grimm's Märchen Nr. 20, wo dus
darauf farb er und fam vor das! flinte Männlein jieben (Fliegen) auf
Dimmelsthor. St. Peter fragte, wer einen Streich tödtet, gewaltige Rieſen
er wäre. „Ih bin ein Schneider,“ | überliftet und ein Wildfchwein in eine
jagte er. St. Peter fprah: „O, in Kapelle lodt. Aehnliche Züge von
viel Jahren ift fein Schneider gen | pfiffiger Tapferkeit finden ſich in den
Himmel gefahren, fondern alle zu märchenhaften VBollsbüchern aller ger=
Ködersdorf blieben, ihre Zeit mit den | manischen Völker. Hat doch ſelbſt
Schuftern vertrieben.“ Auf feine Bitte, | Goethe, deffen Großvater (Frd. Georg)
fih nur ein paar Stunden wärmen auch ein Schneidermeifter war, dem
zu dürfen, ließ ihn St. Peter hinein | Schneider einige heitere Verſe gewidmet
und der Schneider ſchlich hinter den | in der „Schneider-Gourage“ (2, 277):
„Er iſt ein Schuß gefallen! Mein! fagt, wer ſchoß da drauf’?
Es ift ein junger Yäger, der ſchoß im Hinterhaus.
Die Spaten in den Garten, die machen viel Verdruß.
Zwei Spaten und ein Schneider, die fielen von dem Schuß:
Die Spaten von den Schroten, der Schneider von dem Schred;
Die Spaten in die Schoten, der Schneider in den —.“
Zu den Spottliedern auf die Knaben Wunderhorn“ von Arnim und
Schneider gehören auch einige in „des | Brentano, 3. B. IL, ©. 376:
„Es waren einmal Schneider,
Die hatten guten Muth,
Da tranlen ihrer neunzig,
Neun mal neunundneungzig
Aus einem Fingerhut.“
>
In einer Nomanze I, S. 325, heißt es:
„Es find einmal drei Schneider geweſen, o je!
Sie haben ein Schneden für ein Bären angejehen, o je!
Sie waren deſſen jo voller Sorgen, o je!
Sie haben fi hinter ein Zaun verborgen, o je!
Der Schned, der fredt die Ohren heraus, o je!
Die Schneider zittern, es ift ein Graus, o je!“
IV,
Im Bolksfprud.
„Was die Gewohnheit nicht thut,
fagte der Schneider, da hat er ein
Stüd von feinem eigenen Tuch in die
Der Humor des Volkes erfcheint | Höfle geworfen.“ *)
auch in Sprucdform, und zwar nicht |-
jelten in derber Weife, wie 3. B. in
dem Büchlein von Eduard Hoefer:
„Wie das Volk ſpricht“ (Stuttgart, |
Krabbe). Dort heißt es u. A.
„Es bleibt ja doch in der Freund:
ſchaft,“ hat der Geißbock gejagt, da er
dem Schneider den Kohl gefreſſen.
) D. h. „nah der Maus“. Im der
Vollsſprache ift „Hölle* nicht bloß der enge
son hinter dem Ofen, jondern aud der
Raum unter dem Schneidertiſche.
(Möchte ſchon am liebſten auch ſolche
Spottſprüche und Lieder „in die Höll“
werfen. Gegen die Schneider lafje ich nicht
auflommen, Der Olmpeterl.)
Ein Reirifher Alſilas.
r Nie Leberfegungen mehrerer Evan
gelien, in ſteiriſche Mundart, die
im Heimgarten, X. Jahrgang, Seite616,
veröffentlicht worden find, haben mans
nigfaches Intereſſe erregt. Wir find in
der Lage, aus den Papieren des heim—
gegangenen Pfarrers zu Moosweiler,
3an Suniwendfog.
(Aufgmirkt von Lufas.)
Um de Zeit is die Zeit aus—
gongan und die Elifabet) hot an kloan
Bıram Friagt. D Nochbarsleut und d
Freund hobns gleid dafrogt und hobn
von dem an jener Stelle die Rede ge- ihrs wul vagunt, daß ſih unſa Her—
weſen, nech mehrere Stücke vorzuführen. ! gott üba fie dabormt but.
Dei der Mar zutage getretenen Abficht
jenes Mannes, ſowie bei der naiven Art
der Ueberfeßung muß der Gedanfe an
eine beablichtigte Profanierung wohl
ausgefchloffen fein.
der unmaßgeblichen Meinung, daß bei
manchen Ausdrüden und Sapwenduns
gen der Urtert nicht genau gededt ift.
Doch führt die Vergleichung ſolch zwei- |
Wir find indes die Onern:
Ocht Tog
drauf hobn j as Büabl bſchneidn loſſn
und hobn an fein Vodan fein Nom:
Zaharias gebn wölln. Na, fogt d
Muada, Johanes fult er hoafin! Sogn
Ah balei, in da gonzi
Freundſchaft hoaßt neamt Johanes.
Drauf hobn | in Vodan gwinkt: Was
moaſt Du, wir er hoaſſn ſul? Da
Haſcher is a Stumeri gwen, hot um
felhafter Stellen zum Nachdenken und a Schreibtofel gſchaut und Hot aufs
demnach auch dem vollen VBerftändniffe | gſchriebhn: Johanes ful er hoafin. Do
des Urtertes näher. Zu bemerken ift hobn fie ſih Olli gor a fo gwunert,
noch, daß Uebertragungen einiger be- und af oanmol mocht er s Maul auf,
fonders intereflanter Evangelien nicht | da Zacharias, hebt die Zung und redt
vorfindlich find, und fogt: Gott 205 und Dont! Af
189
do3 fein ſih Leut umundum zfürchtn
fema und gleib iS 3 lautmauli wort
liegendum in Gebirg und im gonzn
Judnlond. Olln iS 8 3 Herzn gongen
und OM hobn | gfogt: Aus den
Kind wird ertra wos, as is jo frei,
as wia wans unfa Herrgott hiaz ſcha
ba da Hond führet. Und da Boda
Zaharias is durch und duch vul von
heilin Geift, zan wohrfogn hebt er on
und ruaft: Gott Lob und Ehr, hiaz
fen ih 3 ſcha, er kimt umd erlöst fei
Vulk!
Zan Peder und Paulstog.
(aufgmirkt von Matthäus.)
Um de Zeit, wir unſa Herrgott |
da Cäfarea-Stodt in d Nahad is kema,
frogt er af oanmol feini Jünger:
Fü wen boltn d Leut in Gottesjuhn?,
Sogns drauf: ad Thoal fürn Johanes
in Zaufer, a3 Thoal fürn Elias, as
Thoal fürn Jeremias oder an onern
Profetn. Do frogts unja Derrgott:
Und für wen halts Ees mih? Sogt
da Simon Pedrus: Du bift unſa
Herrgott. Drauf unſa Herrgott: Guat |
jults da gehn, Simon! Dei Moana
Finga hot da dos nit gjoat, dös hot
da mei himliſcha Voda zwifin thoıt.
35 ſog da fo viel: Du bift a Fels,
und af den Felſn bau ih mei Dans,
und fa Höflteufel fon mar on. Und
Dir gib ih d Himelſchlüſſel. Wos Du
af da Welt wirft zſomſchliaſſn, däs
wird ah in Himel zſomgſchloſſu fein,
und wos Du af da Welt wirft auf—
löjn, däs wird ah in Himel auf:
glöst fein.
Zan Maria-Hoamfuahungtog.
(Aufgmirkt von Qufas.)
De Tag is unſa liabi Frau
gſchwind ins Gebirg gongan, in a
jüdifches Stadtl. In Zacharias fein
Haus kehrt | ein und bringt der Eli-
fabetd an ſchön Gruaß. Wia d Elija-
bet) in Grnaß hört, mocht s Kind in
Muadaleib an Hupfa va lauta Freud.
D Elifabeth
ſchreit: Glückſeli bift über olli Weiber
und glüdjeli $ Kind, däs Du af d
Welt bringa wirft. Wia kim ih za
der Ehr, daß mih unfers Hergottn
ſei Muada hoamfuaht? Diaz ſchau
‚amol, wir id Dei Stim hon ghört, do
mocht mei Kind in Muadaleib an
uftin Hupfa! Guat, dag D an Glaubn
hoft, wos dar unſa Hergott hot gjogt,
däs wird gſchechn. Drauf fogt una
liabi Frau: Meina Seel, unja Her—
gott is da großmächtigi Gott! Juchazıı
funt ih vor Freud üba mein liabn
Heilond!
Zan Dflabeiligntog.
(Aufgmirkt von Matthäus.)
Um de Zeit und Weil, wir unſa
Hergott die groß Leutmeni banona—
ſiacht, fteigt er afn Berg. Selm obn
jet er fih nieda, fein ah ſcha ſeini
Jüngern und Nochfulga do. Hiaz hebt
er on und fagt däs: „Die Ormen
und Berlofjnen, in Herzn fein ſ' feli;
fie femen in Himel. Die Freundlichn
und Guatmüatign, feli fein ſ', fe
friagn in Erdbodn. Die Betriabtn fein
feli, je ſuln tröfttt wern. De nod .
Grechtigkeit rnachn, wia da Hungrigi
und Durſtigi noch Speis und Tronk,
ſeli fein ſ', ſe ſuln ſott wern. Die
Bormherzign fein ſeli, ſe wern Borm—
herzigkeit findn. De a reins Gwiſſn
hobn, ſein ſeli, ſe kemen zan liabn
Gott. Die friedlichn Leut, de gern
nochgeben und gern vazeichn, ſeli ſein
ſ', weil ſ' Kinda Gottes ſein. Mer
Unrecht leidt, weil er grecht ſein will,
ſeli is er, er kimt in Himel. Ees,
meini liabn Freund, ſeids ah ſeli,
wan Ent d Leut ſpottn und ſchimpfn
und vafulgn und Ent olls Schlechts
nochſogn meintswegn. Gfreuts Ent und
jeids lufti, in Himel kriagts an guatı
Lohn!
3an Ormafeelntog.
(Aufgmirkt von Yohanes.)
Um de Zeit redt unfa Hergott
is gonz vazudt und zan Judnan: Därft3 ma $ glaubn,
190
as fimt d Stund, und leicht is ſ'
hiaz jcha do, die Todtn hörn in Gott»
fuhn fei Stim und wern munta. Da
Gott Voda hot 3 Lebn von eahm
jelba; de Mocht bot er ah fein Suhn
gebn und Hot ah der & Leben von
eahm felba. Hot fein Suhn ah d
Vulmocht gebn, daß er richt holtn
fimt! Gſchwind gehts n ingegn! D
Jungfrauna Springen auf, richtn
eahneri Lamperln ber, do fogn die
Dumen zan Gſcheitn: Leicht uns
gſchwind an Del, unferi Liachtla wölln
nit meh brina! Af dos die Gfceitn:
Hobn eh felba mit viel, gehts zan
Kromer und kafts Enk oans. Daweil
fon, weil er Gottfuhn und Menſchn— if jan Kroma gehn, kimt da Bräuti-
fuhn is. Do gibts mir zan Vawu- gon. De gricht't fein, gehn mit eahm
nern! Es kimt d Stund, do wern af d Hohzat und die Thür wird
Di, de in Grob ſchlofn, in Gottfuhn |zuagipirt. Diaz femen ah die dummen
jei Stimm vanehma. Aufftehn wern |Jungfrauna daher und klopfn on:
ſ' Oll; de guati Wert hobn thon, de |Bräutigon, mod auf! Der fchreit
ftehn auf zan Himel, de böji Werk |drinen: Gehts mıa, ih fen Enf mit.
hobn thon, de ftehn auf za da Höll. | Mirkts Ents und ſeids ollaweil gricht't,
Ees wißts nit, wons is dazua!
Zan Mirtntog.
(Aufgmirlt von Lulkas.)
Um de Zeit ſogt unſa Hergott (Aufgmirlt von Matthäus.)
zu fein Leutn: Ka Menſch zündt al Um de Zeit hot unfa Hergott zan
Liacht om und vaftedts in an Winkel glehrtn Judnan und zan Gonzgſcheitn
oder unter an Sechta. An Jada wirds |päs glogt: Worts, ih ſchick Ent Pro-
ſchön af an Leuchta ftelln, daB 8 difetn und Gfcheiti und Glehrti. As
Zau Stefflastog.
Leut ah ſechn finen. Hiaz hau: Dein
Leib fein Liacht, däs is 8 Aug. Wan
dein Aug ovanfälti is, ja wirds in
gonzn Leib liacht fein, wans übamiati |
is, wirds im gonzn Leib finfta fein.
Deswegn.paß auf, daß Dei Liacht nit
eppa Finftanuß is
bringt ; nochha wird Dein gonzes Wein
heflliacht fein und leuchtn wia da Blitz.
Ban Aatbreinstog.
(Aufgmirft von Matthäus.)
Um de Zeit und Weil mocht unfa
Hergott fein Leutn däs Gleihnus: Da
Himel iS af a Gleis, wia zehn
Jungfrauna, de eahneri Nochtlamperin
nehmen und in Brautleutn ingegn
gehn. Fünf Jungfrauna fein dumm
und fünf gſcheit. Die fünf Dumen
nehmen wul eahneri Lamperin, is oba
zwenf Del drina; die Gfcheitn va=
jteht jih, de nehmen ertva Del mit.
Ta Bräutigon Hot ſih vaweilt, do
fein d Jungfrauna ſchlafri worn und
eingichlofn. Und gach mittn in da
Nocht, do is a Gichrei: Da Bräutigon
und Finfternuß |
Toal davon werds umbringen und
freuzign; a3 Zoal werds auspeiticehn
‚aus Enfern Tempeln und vafulgn von
vana Stodt in die onder, daß jo olli
Bluatichuld af Enk fimt, von daſchlog—
nen Abel on bis zan Zacharias, in
Bahariad fein Suhn, den 3 vorn
Oltor hobt3 dawürgt. Ih fog Ents:
Ees werds e3 noh Friagn! O Jeru—
ſalem! O Ierufalem! Du bringft die
Profetn um, meint Botn wirfſt mit
Stoan todt. Wir oft hon ih Dei Vulk
wölln zſomruafn, wir a Den ihri Jun—
‚gen unta die Flügn zjomruaft, oba
na, dir is s mit recht gwen. Gebts
‚Odtin, enfa Haus wird noh vawialt
wern! Und biaz jog ih Enf dos: Bon
heunt on ſechts mih neama, bis &
‚mar ingegn werds ruachn und betn
‚und jamern um mih!
San Johonnstog.
(Aufgmirft von Johanes.)
Un de Zeit fogt unfa Hergott
zan Petrus: Geh, kim mit! Da Pe—
trus draht fh um, ſiacht unſern
Hergotin ſei Herzkäferl, in fewin
Jünger, der ſcha ban Nochtmohl fein
Kopf auf unfers Hergottn fei Bruft
hot glegt und gjogt hot: Wan ih 8
na wiljad, wers is, der Dih varothn
wird! Wia hiaz da Petrus olfar in
Johanes fiat, fogt er zar unfern
Hergottu: Und Der? Wos mocht dan
Der? Sogt unfa Hergott: Wos geht
dan dos Dih on? Der ful a fo, wir
er hiaz is, bleibn, bis ih zurüd kim.
Und Du gehft mit. Af däs hot jih
da Glaubn dahebt, daß da Johanes
nit fterbn funt. Diaz hot ober unfa
Hergott nit gfogt: Er wird nit fterbn,
er bot na gjogt, der ſul a fo, wir er
hiaz iS, bleibn, wos gehts dan Dih
on? — Den do3 pofjirt iS, der da=
zählt s do felber und mir finen ung
af jei Zeugnuß valofjı.
San Pfingfimonta.
(Aufgmirkt von Johanes.)
Um de Zeit hat unfa Hergott
zan Nilodemus gredt: Sa viel gern
hot da himlaſch Voda d Leut, daß
—
Enk na ſo viel ſogn: wer nit ba da
Thür einigeht in Schofſtall, wer wo
onderfter einifteigt, der i$ a Diab und
leiht gor a Mörda. An urndliga
Scofholta geht ba da Thür eini. Da
Thürwogl mochten auf, d Schof hörn
ſei Stim, er ruaft d Schof bar eah—
neri Nam und lodt3 aufa. Und war
er feini Schof afjaglodt hot, geht er
eahna voraus, d Schäfla renen an
noch, weil j fjei Stim kenen. An
Fremd wern j gwiß nit nochlaffn,
da den wern ſ davon rena, weil eahna
jo ah d Stimm frem is. — Däs Gleich:
nuß Hot eahner unſa Hergott gmocht,
hob 3 oba nit vaſtondn, wos er
gmoant Hot. Do Hot er nohamol
onghebt: Glaubt ma %, wos ih ſog,
die Thür zan Scofftoll, de bin ih.
DM Ondern, de kema fein, Diab und
Mörda fein s und d Schof hobn eahna
nit traut. Die Thür bin amol ih.
Wan Dana durch mih einigeht, der
timt in Dimel, er wird aus» und
eingehn und fei Soch findn. A Diab,
wan er fimt, der will na ftehln,
er fein oanzin Suhn aufopfert, der mordn und vawiaſn. Ih bin kema,
belehrts und weifts, daß s mit in daß s as Lebn hobn fuln, und daß
Valur gehn, dab s in Himel feman.|3 as übrigs gnug hobn.
Da himlaſch oda Hot fein Suhn
nit epper af d Welt gichidt, daR
er Gricht Holtu ful, er hotn gſchickt,
daß er d Leut güati aufnimt und
ſeli mocht. Wer m macfulgt, der
hot fa Gricht ziüchtn, wer n mix
glabt, der is ſcha valorn, weil er $
nit glabt, daß er da Gottiuhn is.
Dos i3 jo ſcha d Strof, wan s Lincht
fimt und d Leut mochn d Augn zua;
und däs toans, wans fchlecht jein.
Wer ſchlecht is, der fürcht'k jih vorn
Liacht und traut fih mit zan Liacht,
damit jo ſeini Schlechtigkeitn mit
gitroft wern. Wer oba 8 Rechti thuat,
der geht gern fira zan Liacht, daß ma
s jehn fon, wos er Gott 3 Liab
thon Hot.
3an Pfingfiiafa.
(Aufgmirft von Johanes.)
Um de Zeit hot da Herr wieder
amol mitn Gonzgfcheitu gredt: Ih will
Ban zweiten Sunta noch Pfingfin.
(Aufgmirft von Qufas.)
Um de Zeit hot unſa Hergotten
Gonzgicheitn däs Gleichnuß gmocht:
Ih woaß Dan, der Hot a großes
Nochtmohl kochn loſſn und viel Leut
einglodnt dazua. Und wir s finſta
wird und ſchon Olls firti is, ſchickt
er fein Knecht aus, daß er s in
Einglodntn jogt: je ſultn fema, mir
wortn jcha. Do hot an Jader an Aus
red ghobt: Der Dan hot an Moar-
hof fafft und muaß mn onfchaun gehn
— ſult mit bös fei, da Goftgeber.
An Ondra Hot fünf por Ochfn kafft
und muaß | probirn gehn — ſult mit
bös fein, da Goftgeber. Wieder ar
Onderer hot gor gheirat und fon jcha
deftwegn mit fema. Da Knecht kimt
zruck, vicht’t die Poftn aus. Däs Harbt
192
in Hausvodan. Hiaz geht ma gſchwind,
fogt er, auſſi im d Stodt, af Goffn
und Stroßn und woſt Ormi, Schwodi,
Blindi, Lohmi findft, de bringit eina.
Sogt nohha da Knecht: Hons ſcha
thon, oba mir hobn noh Plotz. Sogt
da Hausvoda zan Knecht: Sa laf af
d Londſtroßn auffi, za die Zäun und
Thör, und wenft findft, den gehft
on amd bringft. Mei Stubn muah
vul wern. — Ih ſog Ent däs: Va
die Einglodutn ful mar oana kema!
Koana kriagt mar an Bilfn von
Nochtmohl!
Zan virtn Sunta noch Pfingfin.
(Aufgmirkt von Lukas.)
Um de Zeit, wia wieder amal
Olls unſan Hergottn is zuagrent,
wos er dan eppa wieda ſogt, is er
grod ban Geneſareth-See gwen und
hot zwoa Schiff' ongſchaut, de afn
Woſſa ſein gſtondn. D Fiſcha ſein
ausgſtiegn und hobn juſt eahneri Bern
gwoſchn. Do is er zan an Schiff hin—
gonga, däs in Fiſcher Simon Hot
ghört und den hot er ongholtn, er
jult jo guat fein, er möcht a went
afn See aufjifohrn. Guat, er ſetzt
ſih ins Schiff und redt aufja zan
Leutn, de afn druknan Lond ftehn.
Nochha drauf fogt er zan Fiſcher Si-
mon: Loß 3 firi gehn, fohr weiter
aufli, wo 3 Woſſa tiafer iS und Holt
in Bern ein! Jo freili, jogt da Fila,
mir Hobn die gonz Nocht umgmotzt
und nie Friagt. Oba wanft moaft, jo
probir ihs nohamol. Er thuats und
fongt da jo an Lofta Fiſch', dah
Bern zreißt. Af dos wifchbelt er in
Komaradn afn zweitn Schiff: feids fa
guat und kemts ma 3 Hilf! Gleih |
jein ſ dogwen und ollzwoa Sciffin
fein über und über vul Fiſch' worn,
das F völli valunfn fein va lauta
Schwarn. Da Fiſcher Simon Petrus,
wir er ghoafin Hot, follt vor unſan
Hergottn af die Knia: Geh wet va
Onern ab, da Jalobus, da Johanes,
in Zebedäus feini Sühn, de in Fi—
iher Simon feini Kameradır fein
gwen. Sogt af dos unſa Hergott zan
Simon: Mod da nir draus. Ba hiaz
on wirft Du Leut fonga! Wohr is $
worn, fe fein afs druckni Lond gfohen,
hobn Olls liegn und ftehn loſſn und
fein mit unſan Hergottn gonga.
Ban fünftn Sunta noch Pfingfin.
(Aufgmirft von Matthäus.)
Um de Zeit hot unſa Dergott zu
fein Leutn dis gſogt! Wans Ees nit
grechta feids, als wia die Gonzgſcheitn,
fa temts Ges nit in Himel. Ees wißts
doh, wos in oltn Leutn ſcha gſogt
is worn: Du ſulſt neamt umbringa.
Wer wen umbringt, der kriagt ſei
Strof. Und ih ſog Enk ſo viel, daß
an Jada, der af ſein Bruadan harb
is, ah ſei Strof ſul kriagn! Und wer
fein Bruadan an Spitzbnabn ſchimpft
der muas vors Gricht. Und weren
an Norrn hoaßt, der kimt gor in d
Höll. Wanſt an Opfer in die Kirchn
bringſt und es follt dar nitawegen ein,
Dei Bruada kunt vadriaßli fein af Dih,
ja lo 3 Opfer Opfa ſei, geh za Dein
Bruadan und werds guat mitanona,
nocher erft fin und brings Opfa.
Zan ochtu Sunta noch Pfingfin.
(Aufgmirkt von Lukas.)
Um de Zeit hot unſa Hergott
fein Jüngern däs dazählt: Is amol
a reiha Mon gwen, und der hot an
Bawolda ghobt, und va den Hot er 3
dafrogt, er that ſei Vamögn vafchwendır.
Hotn drauf herhoaſſn loffin und giogt:
Ba dir hört ma ſchöni Sohn! Bares
fantir dih, zoag ma d Rechnungen, Du
bift ohgſetzt. Denkt eahm da Vawolda:
Hiaz wos heb ih on? Mei Herr va—
jogt mih. Orbatn kon ih nit und zan
Betln that ih mih z viel ſchoma. Ober
ih woaß wos is thua, daß — won
mir, liaba Herr, ih bin jo a ſchlechta ih ſcha vajoad wir — mih d Leut
Kerl! Sonz paff is er gwen und die gholtn. Af däs Hot er im Herrn fein
193
Schuldner zſomhoaſſn loffn. Zan Erſtn
ſogt er: Wia viel biſt mein Herrn
ſchuldi? Sogt der drauf: Hunert
Faſſer Del. Sogt da Vowolda: Nim
Dein Schuldſchein und ſchreib eini
Funfzg. Nochha drauf zan Zweitn:
Und wia viel biſt Du ſchuldi? Jo mei,
hunert Metzn Woaz, ſogt der. Guat,
drauf da Vawolda, ſchreib in Dein
Schuldbriaf: ochtzg. — Moant af däs
da Herr, is nit dum, da Vawolda.
Dba gfcheit fein j jo oll, die Geld-
a ini, der mit fein Knechn Varech—
nung bolin geht. Wir er onhebt jan
Nochrechnen, kimt Daner und gitehts
ein, er war zehntaufend Thola ſchuldi.
Weil er um und um nix bot, jo be=
fitht da Herr, er ful ſei Weib und
Kind vakaffn und zohln. Af dos follt
da Knecht af fei Ania und ſchaut zan
Bittu: „Nar a Hoans went noch—
wort, ih wir Olls zohln!“ In Herrn
dabormt der ormi Haſcha, er lot n
ans und ſchenkt eahm die gonz Schuld.
leut und d Weltleut, däs ftedt ſchon Da Knecht ſchleicht lüfti davon und
in eahnan Biuat. Gſcheita ſein ſ, wia daußt vor da Thür begegut eahm a
die guatn und bravn Leut. Jo jo, Kamerod, dern zwölf Groſchn ſchuldi
mochts Ent na guati Freund mit nm)is. Den podt er ban Gnack, würgtn
ungrechtn Geld und Guat, werds ſcha a Weil und fchreit: „Mei Geld will
fehn, wand gor wird mit Enk, ob ſih hobn, wos d ma ſchuldi biſt!“ Da
Enk eini loſſn in Himel!
3an funfzehntn Sunta noch Pfingfin.
(Aufgmirft von Lufas.)
Um de Zeit is unfa Hergott in
d Naimaftodt gonga. Seini Yüngern
und ah ollahand omeri Leut jei mit»
gonga. Wiad zon Stodtthor femen,
trogns grod an Zodin aufjer, ana
Muader ihr vanziga Suhn. Sie is
Witime gwen. A Schod Leut is mit
ihr dahe kemen auſſa va da Stodt.
Wir unfa Hergott d Witiwe gjechn
bot, hots eahm dabormt. Muaßt nit
woanen, bot er gjogt zan ihr und bot
die Bohr awenk ongrührt. Die Troga
bobn ftiflgholtn. Drauf jogt er: Bua!
ih jog da 8, fteh auf! Do is da Todti
aufgftondn und Hot onghebt zan redı. |
Nochha Hot er n jeina Muada zrude |
Kamerod follt af feini Ania: „Nur
a Hoans Rand! Geduld, ih will Dir
Olls zohln!“ Nix, da Knecht loßt fein
ormen Kamarodn in die Keuchn ſpirn,
‚af jo long, bis d Schuld zohlt war.
In ondern Sinechtn hot der orm Haſcha
daborınt und fe gehn zan Deren und
dazähln eahm Olls. Af dos loßt da
Herr in Knecht ruafn. „Oh Du Bös—
wicht!“ ſogt er, „ih hon dar af Dei
Gebitt die ganz Schuld gſchenkt, und
Du lonſt jo hortherzi ſei gegn Dein
ormen Kamerodn? Diaz fen ih ah fa
Dabormnuß mit Dir. Af da Stell loß
‚ih Did ſchindn und däs fa long, bis
Du ma Dei gonzi Schuld zohlt hoſt.“
— Und ſo, beſchliaßt unfa linba
Hergott fei Gleichnuß, a fo wirds mei
himliſcha Voder ah mit Ent mochn,
wans mit oanonda mit nochlichti und
vatragli ſeids.
gebn. Do Hobn ſih d Leut onghebt |
zan fürchtn, hobn Gottlob und Dont!
glogt und hobn gjogt: Do hobn mar) Yan zwoaundzwoanzigfin Sunta noch
an großmächtin Profetn kriagt. Unfa Pfingfin.
Hergott is zan uns fema. (Aufgmirkt von Matthäus.)
Un de Zeit und Weil ſtehn die
Gonzgſcheitn zſom und fleantjchlus
mitanonder aus, wia | unfern Her—
'gottn in fein Redn und Ontwortn
Um de Zeit hot unfa Hergott fein | dronkriagn funtn. Se fhidn eahneri
Leutn wieder a Gleichnuß gmoct. Af Studentn Hin zan eahm und de hobn
a Gleich, fogt er, iS da Himel wir zfogn: „Moafta! Mir wilin & recht
13
3an vanazwoanzigfin Sunta no
Pfingfin.
(Aufgmirft von Matthäus.)
9
Rofegger’s „„Grimgarten‘‘ 3. Geft, XI.
194
guat, daß Du d Wohrheit jogft, daß gfuaht? An Wohrfoger eppa? Ih
D Dih um neamt fcherft und grods ſog Enks, der ift mehr wir a Wohr—
Wegs in Himlifhn Vodan zuagehft. | joga. Der i$ da nämli Engl, va dems
Diaz fei doh fa guat und fog uns in oltn Gſchriftu fteht: An Engl will
Dei Moanung üba däs: Is 5 redit, 16 Dir vorausſchickn, der Olls Mi Did
daß mar in Kaiſa Zins zohlt, oder herrichtu ſul.
is s nit recht?“ Unſa Hergott hols
gleih kent, wos ſwölln. „Ees Schelm!“
ſogt er, „Ees wöllts mih afs Eis führn. Zan viertn Sunter in Advent.
Zoagts mar amol a Zinsmiünzen.“ (Aufgmirkt von Lufas.)
Guat, fe holtn eahm an Groſchn hin. Da römifhi Kaifa Tiberius hot
Unfa Hergott drahtn in da Dond um
zen * da Se „Do Pa Auf: grod ſcha gegn funfzehu Johr long
u 3 gregirt. In Judäa is da Ponzius
—— — — en Pilatus Stottholta gwen, in Galiläa
d Etudentn. „Na guat,* fogt da liabi 5 da an ern ar En fei
Herr Jeſus, „Wos in Saifa gbört, | runde, be Phi ipp, der is Fürſt in
däs gehts n Kaifa, Und wos unfern Ituräa und im Trachonitis gwen und
Herrgottu ghört, das gebts unfern im Abilene is da Fürft Lyſanias gwen.
Hergottn. Die jüdifchn Gottzöberftn fein der
Annas und da Kaiphas gwen. Um de
Zeit hot da Johanes, da Zacharias-
ſuhn, in da Wildnuß a Zoachn friagt.
Der is fira gonga und hot in da
(Aufgmirkt von Matthäus.) Jordangegnd predigt, je juln fih taffı
j a j „loſſn und buaßwirkn, daß eahna d
— ih Al Sündn kuntn vaziechn wern. Stangad
gott olls gredt und thon bot, do jchidt 2 doh Ton iR oltn Profetn Iſaias
er zwen Botn zan Jeſus und loßtn ſein a _. ber a.
frogn: „Bift Dur 8, der ongfogt i8, in da Wildnuß ruaf nt in Weg
oda müaſſn ma noh af an Ondern | Det unfa Hergott kimt! Zhol und
wortu ?" Af dos gibt unfa Hergott Grobn ſul ongichütt wern, Berg und
de Ontwort: Gehts, und dazählts in Bichel ſuln ohtrogn wern. s Krumpi
Johanes, wos 8 do ghört und gfechn ſul grod wer, da fnoberadi Weg ful
hobts. Die Blindn fechn, die Krüppeln deod — Olli Leut wern unochn
ſpringen, die Krätzadn ſein über und Heilond ruachn.
über rein, die Töriſchn hörn, die,
Gſtorbnen wern lebendi, für die Ormen
und Baloſſnen kimt a neigi Lehr. —
Guat is s fit den, der ſih nit Habt (Aufgmirtt von Johanes.)
üba mih! — Nochha, wia die Botn 3 ollererſt is s Wort gwen, 8
fuat gweſn ſein, bot unſa Hergott Wort is Gott gwen, Gott ſelber iS 8
zan Leutn de in d Wildniß kema ſein, Wort gwen. Olls kimt von Wort her,
üban Jobanes gredt: Wen hobts nix is, wos nit von Wort is kema.
dan eigentli Ees gſuacht in da Wild- In Wort is s Leben gwen. 's Lebn
nuß? Eppar a Stamel, däs von Wind is in Leutn eahna Liacht gwen. 's
bin= und bergwachelt wird ? Oda wos Liacht leucht’t in s Dufteri, oba $
denn? Epper Dan, der in an Gwond Duſteri fon holt fa Liacht vatrogn.
va Somt und Seidn ftedt? Seldti Do is a Menſch von Himel fema,
fints in Stinigfchlöffern finde, oba nit der hot Johanes ghoaſſn. Der hot
in da Wildnuß. Oda was hobts fift | in Leutn S Liacht aufgftedt, hat eah—
Ban zweitn Sunfer in Advent.
195
nas ausdeutſcht, daß F jehn und
glaubn fultn,. Er felber is 3 Liacht
nit gwen, hot3 nar aufgfiedt. Däs,
unfa Herrgott, is 3 Liacht gwen, daß ofli
Leut af da Welt gfehn hobn. Er is af
da Welt do gwen, d Welt is von Liacht
aus gmocht gwen, oba fie is dena noh
blind gwen. Er is af fein Bfik fema,
feini Leut hobn an mit aufgnoma.
De n ober aufgnoma hobn, de hot er
za Kinda Gottes gmocht, de af eahm
glaubt hobn, Hoakt dos, de nit da
Mon bot gmocht, de nit aus da Sind
und nit aus u Fleiſch fein geburn, Die Ausfägigen. ftangad: ftünde,
de va Gott fein. 3 Wort is Fleiſch
Ein Bauer
in Freund diefer Monatsfchrift
N jendet und die folgenden Ge:
dichte eines jchlichten Yandmannes aus
Dberöfterreih. Diefelben find von einer
Selbitbiographie des Verfafjers beglei-
tet.
für ſich allein ſprechen; fie Jagen nicht
wenig.
Mein Leben.
Am 23. Juli 1827 auf dem ſo—
genannten Maifchinger= Gut in der
Ortſchaft Lohnharting, Pfarre Dörn—
bach, geboren, hatte ich das Glück,
einen ſehr talentierten und belejenen
Vater zu haben, der uns ſehr früh
durch feine geſchichtlichen Erzählungen
für das Lefen begeifterte. Da ich ſchon
mit fünf Jahren ziemlich gut lefen,
Rechnen und fchreiben konnte, war ich
ſchon mit zehn, elf Jahren ein leiden
Wir lafjen Dichter wie Gedichte
gwortn und is zan und kemma und mir
hob jei Mocht dafohrn. In Gottes-
ſuhn ſei Mocht, der mwohr is und
vula Gnodn.
Erklärungen: Stumerl: ein Stums
mer. jein fih z fürdten fema: begannen fid
zu fürdten. In d Nahad: in die Nähe.
Leutmeni: Menihenmenge, Sechta:
Sceffel. vaweilt: veripätet. as Toal:
zum Theile. gebts Ochtin: habt Acht.
ausfratſchla: ausfragen, aushorden,
obmurren: tödten. Thürmwogl: Thor:
wart, Hüter. vawiain: verwüften. Bern,
'Fifhbern: Filhnege. umgmogt: gefret—
tet. fleantſchlu: flüftern. Die Krätzadn:
als Dichter.
ſehr eingenommen. Die Schule wurde
mir bald zu eng umd ich ſuchte nad)
‚höheren Gegenftänden. Als Jüngling
‚hatte ich faft feine andere Unterhal—
tung als nur Lefen.
Ih durchwachte oft halbe und
ganze Nächte, um nur diefer Leiden
ſchaft fröhnen zu können, da ich tags»
über fo gut wie die anderen Dienft-
boten die ländlichen Arbeiten verrichten
mußte. Ich langweilte mich oft ehr,
wenn ich feine Bücher zu lefen Hatte.
Da des Vaters pecuniären Berhältnifie
e3 nicht erlaubten, mir nene oder ganze
Merle anzuschaffen, war ich gezwungen,
mir don dort und da weldhe auszu—
borgen oder auf dem Trödelmarkt in
Linz unvollftändige und defecte Bücher
‚um wohlfeilen Preis zu faufen.
So wurde ih ohne bejondere
ſchaftlicher Leſer der Geſchichte, Geo- Zwiſchenfälle ſiebenundzwanzig Jahre
graphie und auch für das Poetiſche alt, bis ich mein eigenes Heim gründen
13*
und mich verehelichen konnte. Mein
fleines Gut mit etlich jechszig Joch
befteht aus Aedern, Wald und Wiefen,
und liegt in der Ortichaft Kalchöfen
bei Efferding, das ich nun jeit bei—
nahe achtunddreißig Jahren bewirt-
fchafte, aber leider für meine neun
Kinder nie viel Vorrat gewinnen
fonnte. Ih ſchwang mich wohl öfters
in's Ideale — aber im Realen war
mir Fortuna nie recht günftig.
Von jeher Vorliebe fiir das Poeti-
che hegend, wurde ich von demjelben
unmilltürlich Hingerifjen, daß ich mich
nicht enthalten konnte, in diefer heiteren
Kunſt felbft Verſuche zu machen ; wohl
wiffend, daß ich als unftudierter und
ungelehrter Landmann nicht viel und
Großes werde leiften können, da mir
zuden alle Borbildung mangelt, ich
auch das Leben und die Verhältniſſe
der Menſchen, fowie die Größe und
Mannigfaltigleit der Natur faſt nicht
fenne.
In diefe niedere Sphäre einge»
ſchränkt, war e3 mir nicht vergönnt,
mich zum Höheren und Aeſthetiſchen
emporzufchwingen und Ffonnte nur
Heine Erzählungen, Gelegenheiten und
Sagen als Stoff zu meinen Verſuchen
nehmen. Solange ih mich als Dilet-
tant damit befchäftigte, hatte ich Feine
Beurtheilung und Kritik zu befürchten, |
doch, weil ſchon mehrere meiner Ge= ,
dichte Hie und da gelefen werden,
fühle ich mich zur milderen Beurthei—
lung meines Stedenpferdes bemüfligt,
diefe Erflärung vorauszufenden.
Inden ich Ihnen Hier meinen ine
haltslofen und monotonen Lebenslauf
furz refumierte, erbitte ich mir noch,
mit meiner Kalligraphie und meiner
Orthographie Nachlicht tragen zu wol—
len, denn was Hänschen verfäumt —
holt Hans nimmer ein.
Hochachtungsvoll
Ihr
Sie herzlich grüßender
Zehann Kirchmeier.
Kalchöfen, 5. Mai 1885.
Dichter und Bauer.
Was bin ih denn, dab ich vermeſſen
Mich auf zu Höhern Sphären ſchwing'?
Wie kann ich meinen Stand vergejien,
Daß ih nah etwas Höher'm ring’?
Ich bin zu dem ja nicht geboren,
Bin nit ftudiert und nicht gelehrt;
Es hatten mir die düftern Horen
Bon allen diefem nichts gewährt.
\Und doch gefällt mir, ah! das Schöne,
Das Herrlide der Poeſie;
Bezaubernd wirken ihre Töne
Auf mein Gemüth, ih weik nicht wie.
Ich werd’ von ihr dahingerifien
| Und ſtets entflammt und ganz entzüdt
Daß Herz und Sinne faft zerfliehen,
Wenn fie in goldnen Traum mid wiegt.
O dann vergefi’ ich meine Bürde,
Des armen Bauer nieder'n Stand;
Ich fühl’ als Menih dann wieder Würde
Was ih zuvor noch nie enıpfand.
‘ Denn wadend werden die Gefühle,
Als flieg ein Genius herab,
Weil mir des guten Schöpfers Wille
Zum Haren Geift Gemüt auch gab.
Es ift zwar oft ein zartes Fühlen
In meiner Lage nicht ganz gut.
Man wird oft wider jeinen Willen
| Hineingedrängt in jene Flut,
Die nur im Haben und Geniehen
Des Lebens Ziel alleine ſucht
Und jedem Denten, jedem Wiſſen,
Als „überflüſſig“ haßt und flucht.
Doch mag man mich auch gleich verhöhnen
Und einen Sonderling ſelbſt ſchmäh'n,
Ich werde immer mit dem Schönen
Und mit dem Echten, Guten geh'n.
Ich „muß“ — ich kann mich nicht erwehren
Der höher'n, geiſtigen Gewalt,
Sie hat im Sittlichen und Hehren
Fuür meinen Sinn zu viel Gehalt.
‚Zwar Reihthum werd’ ih nie erlangen
In meinem Stand durch Schönheitsfinn,
Auch fann ih nie ald Dichter prangen,
Weil ich ja nicht gebildet bin.
Es ift dies nur in Mufeftunden
Mein angenehmer Zeitvertreib;
Auch werd’ ich ja fein Ohr verwunden,
| Wenn id doch mandmal Berje ſchreib'.
134 jhöpfe dann nur aus den Quellen
Der jhönen, freundlichen Natur
Und flehte mandmal guten Seelen
Ein kleines Liederkränzchen nur,
Ich möcht’ gern’ Sinn für's Schöne zeigen,
Das in Gedanken fi vertauſcht,
Wie wenn harmoniſch in den Zweigen
Die file Aeolsharfe rauſcht.
Drum wird mıan mir au nicht verübeln
Mein harmlos Heines Stedenpferd
Und e3 zu jehr auch nicht begrübeln,
Weil es nicht ift von größer'm Wert.
Es hat nit Jeder Glüd und Gabe,
Im Stand und Denken groß zn jein:
Das, was ih bin und was ich habe
Heißt — Bauer und ein Didterlein.
Borſatz.
Stark werd' ich meine Kinder füttern,
Daß mir ja feines Dichter wird.
Es bat das Schidjal von zwei Müttern
Mir nun neun finder zugeführt;
Doch möchte fih nur feins verirren,
Den Dichternamen einft zu führen.
197
|
Was ift der Dichter? Ah! — ein Sclave
Von feinem eigenen Gefühl,
Empfindjamfeit wird ihm zur Strafe,
Und er verfehlt jein Lebensziel,
Denn er lebt nur im Idealen
Und folgt oft wenig den Realen.
Sch jelbft fann es zwar nimmer laffen,
Bei aller ganz verlornen Müh';
Gedanlen rhythmiſch einzufasien,
Iſt ja für mich ſchon faſt Manie;
Doch ſuch' ich es bei meinen Kindern
So viel als möglich zu verhindern.
Der Blindgeborene auf dem Lande.
Viel hab’ ich hier zu dulden
Auf diejer finftern Welt;
Doh ohne mein Verſchulden
Mard ich hieher geftellt.
Ih mußte wider Willen
Als Kind ſchon betteln gehen,
Den Hunger nur zu ſtillen,
Und kann die Welt nicht ſehn.
Ich habe, blindgeboren,
Auf Erden harten Stand,
Die Mutter bald verloren,
Den Bater nie gelannt.
Man führt an einen Stabe
Mich ſtets von Haus zu Haus,
Und theilt mir eine Gabe
Nah gutem Willen aus.
So ſchleppe ih mein Leben
Schon jehäzig Jahre fort;
Ruh’ ift mir nie gegeben,
Ich muß von Ort zu Ort,
Muß immerwährend wandern
Und beiteln vor der Thür,
Ron einem Tag zum andern
Auf Stroh ein Nadhtquartier.
Ad höre immer reden,
So ſchön ſei's auf der Welt,
Daß Sonnenftrahlen röthen
Ein blaues Dimmelszelt,
Daß Nachts d'ran Sterne glänzen
In wunderbarer Pracht,
Und dak in Blumenkränzen
Ein holder Frühling ladt.
Nur mir fcheint feine Sonne
Auf meinen Lebenspfad,
Ich fühle nicht die Wonne,
Die jeder Seh'nde hat;
Ih muß im FFinftern trippeln
Und flohen Stein an Stein
Und dabei ganz verfrüppeln
Mein ihmachtendes Gebein.
Bon allen jenen fFreuden,
Was And’re fröhlih macht,
Weiß ih mir nichts zu deuten,
Bei mir iſt's immer Nadt.
Bon blüh’'nden, grünen Bäumen,
Von Thal und Bergeshöh'n
Kann id nit einmal träumen,
Weil ich fie nie gejeh'n.
Ih lann der Welt nichts leiften
Und fall’ ihr nur zur Laſt;
Den Menihen, ad! den meijten,
Bin ih kein lieber Gaſt;
Ich lann ja niemand dienen
Und nie zu Handen fteh'n,
Ihr Mitleid nur gewinnen,
Wenn fie mein Elend jeh'n.
Ihr reihen Menſchenkinder,
Mit Augenlicht begabt,
Ein alter, armer Blinder
Iſt's den Yhr vor Euch habt,
(entzieht ihm Eure Hände
Und Eure Liebe nicht,
Bald geht's mit ihm zu Ende,
Tann — wird's bei ihm aud licht!
Die Shwindelperiode.
|
|
|
I
|
Nur reih und groß — daS find die Loſungs—
wörter
Und lange Zeit das weltberühmte Treiben,
Recht viel Proſpect und hohe Ziffern jchreiben
Und Lug und Trug und dann — ein Selbſt—
bethörter.
| Ia, diefe Sucht drang in die Heinften Dexter,
Es durfte faft Niemand zurüde bleiben.
Da kam der Hrah! Dagegen half fein
Sträuben,
Und Taufende find Bettler nun und —
Mörder.
198
Nicht Arbeit mehr, noch redliches Geſchäfte, Man foll zuvor die Völker d’rüber fragen,
Bielleichter wär's Coupons herunterjchneiden, | Wenn Zwift und Streit zum Srieg zu lom:
Da abjorbierte man dod feine Kräfte.
Man fuchte nur die Leute auszubeuten,
Inden fie Alles ftets nad „Vorwärts“ ſchuben
Und fielen felbft — in diegegrab’nen Gruben.
Der Communismus.
Ein Ungethiim im Bild des Communiften
Grinst uns herein in's fociale Leben,
Und immer mehr fieht man e8 fich erheben,
Als würd's gefäuget an Medujens Brüften.
Denn unerfättlih ift ja ihr Gelüften,
Das Eigentum als Diebftahl zu vergeben,
Un Arm und Reich in Eines zu vermweben,
Daß fie fi glei in Allem theilen müßten.
Und melde Theilung möchte d’raus ent:
ftehen ?
Ein Monat würde Mandem faum gentligen,
Um ärmer als zuvor herumzugeben.
Wie fie fich jelbft durch diefen Wahn betrügen,
So müßten fie hernady ihr Leben friften
Und immer theilen — jelbft mit Communiften.
Die Schüler Loyolas.
Ihr fennt fie ja an ihrem feinen Schliffe,
Die breite Hüte tragen, ſchwarz fich Heiden,
Mit ihren Lehren jelbft die Brüder jcheiden
Durch fünftliches Verwirren der Begriffe,
Ihr Aushängſchild verdedt nur die Tartüffe, |
Sie jhaffen nur den Menſchen Serlenleiden,
Um in der Angſt fie leichter auszubeuten
Durch ihre Schlihe und dur ihre Kniffe.
Dieweil fie uns ftet3 nach den Himmel zeigen,
Entziehen fie uns den Befig der Erde
Und madhen fie zu Gottes Ehr’ ſich eigen.
Die Wolle nehmen fie der frommen Herde,
Zum öftern dod wird auch das Lanım ges
nommen,
Damit die Seelen in den Himmel fonımen,
Der Areopag.
Wann wird einmal der jhöne Zeitgeift tagen,
Daß alle Völter fih in Frieden einen,
Die Mütter nicht mehr um die Söhne weinen,
Tie man im Kriege ihnen todtgeſchlagen?
men jcheinen,
Das Kriegs: Erllärungsreht gehör’ nicht
„Einen“,
"Der Bauende hat's Neht nur zum Ber:
ſchlagen.
der Zwieſpalt des menſchlichen Herzens.
Was ich nicht will, das thue ich am meiſten,
Und was ich will, vollführe ich nur ſelten.
Das Zeug in mir taugt nicht zu einem Helden
Und fann in dem nur äußerft wenig leiften.
Die auf der Bahn des Lebens ſchon entgleisten,
Die werden mich darob zu hart nicht ſchelten,
Weil ſie wie ich auch mannigfaltig fehlten
Und unfehlbar zu ſein ſich nicht erdreisten.
Ach! welcher Zwieſpalt tobt in meinem
| Herzen!
Ich möchte immer nur das Gute üben
‚Und weiß das Böfe nie ganz auszumerzen.
"Bon unfihtbaren Mächten oft getrieben,
Kann ich nicht immer die Begierden dämpfen,
Muß millenlos den Kampf um's Dajein
fänmpfen.
Das Spielzeug.
Es ift mir oft jo wunderlih zu Mutbe,
| Wenn ih mein Leben und mein Thun be:
| trachte,
Oft wünſchte ich aus tiefftem Herzensſchachte,
Zu fördern nur das Edle und das Gute,
Doch jelten glüdt e3 meiner Wünſchelruthe,
Juſt das zu finden, was ich hofft’ und dachte.
‚ Mein Tagewerl, das ih mit Müh’vollbradhte,
Iſt Arbeit nur — für eine Trödelbude.
Doc ſollt' ih dD’rum in meinen alten Tagen,
‚Weil ich nicht mehr und beſſeres kann liefern,
An meiner Leiftungsfähigfeit verzagen?
‚DO nein! ich will den Tand nie hoch beziffern,
Will nur mein Spielzeug immer netter machen
Und dann mic freu'n, wenn d'rob die fin:
| der laden.
Am Styx.
' Bon Kindheit an leid’ ich an Heinen Mängeln,
Nur fonnte fie die Jugend leicht ertragen;
Doch nad und nad) fängt mit den alten Tagen
| Der Körper an, auch immer mehr zu fränteln.
199
Gleichwie die Blumen an den zarten Stengeln |
35 han mih halt 5 Dir vafchaut,
Den Reif des Herbftes nimmermehrvertragen, | Denn gar fo liabla bift Halt baut
So will auch mir das Alter nicht behagen, | Bon Kopf an bis ön Fuaß.
Ih muß bald fort von Weib und Kind und |
Enteln.
|
\
I
Am Rad der Zeit und den Naturgejegen
Muß immerwährend alles Dajein wechſeln,
Berihwinden und dabei ſich doc erſetzen.
Auh mir kann die Natur nichts Eig’nes
drechſeln;
Obwohl das Leben mir noch immer lieber,
Freund Charon ruft — ih muß den Styr
|
Ih woaß, ib fann Dih jchwerlö habn,
Und d Ausſicht iS go triab;
Und Du gfallft ma halt gar jo wohl,
Denn 8 Brüfterl is jo rund und voll
Und 8 Gfichterl gar fo liab.
Du bift jo freundli und fo guat,
Drum gfallt ma finft foans me,
Und das woaß ih ja a ganz gwiß,
Daß Als, was in Dein Herzerl is,
hinüber. Nu rein is wia da Schnee.
Drum bin ih halt jo einagihlagn,
Dõ ih moan. Drum is jo jhwar ma Gmiüath,
Ih han koa Freud meh af da Welt,
Weil's mih halt allweil drudt und quält:
O wann ih Dih nur hiat!
Es is iatzt grad a PViertljahr,
Daß ih Dih fing und fenn,
Und jeit der Zeit is halt-ma Herz
Bald volla freude, bald volla Schmerz,
Zah ih mih nöt dalenn. Wann ih Dih friagat, gab ih gern
Für Dih ma halbats Lebn,
Und hätt! ih Haus und Hof und Geld
Und gherat mei dö halbat Welt,
Wann ih af d Naht ds Bölterl geh.
Gern that ih's für Dih göbn.
Geht lang loan Aug nöt zua,
Ih roat halt allöweil ö Dir,
Ya felbft ön Schlaf fimmft ma nu für
Und laßt ma gar fon Rua.
‚Und wann ih Dih halt do nöt kriag,
' Du jchene Engelsjeel,
Aft drudts ma halt ma Herzerl a,
Dann welt ih a und dorr ih a,
Wia's Bleamerl afn Fel.
Ih kann ja jelmt a nöt dafilr,
Daß ih Did gern habn muaß,
Ueber die ethiſche Aufgabe der Hauptvölker Europas.
SER dieſes Thema finden wir jihn für ihr Voll; die Römer weihten
Eim „Magazin Für die Literatur ihm einen fFanatifchen Eultus, indem
des In- und Auslandes“ einen Höchft ſie jich für das zur MWeltherrfchaft be=
anregenden Auffaß von Dr. A. Berg- rufene Volt und ihr Weltreih für
haus in Gotha. Diefer Gelehrte fchreibt: | unvergänglih und vorbejtimmt erach—
Der Gedanke, daß einen jeden Volke) teten. Es gehört gewiß zu den erha=
das Ma feiner Dauer, fein Auftrag | benften und fchwierigiten Aufgaben
und Beruf zugemefjen fei, ift ein ſehr des menjchlichen Geiftes, aus der Ge—
alter. Schon die alte etruskiſche Augu- ſchichte der Völker die Aufgabe rein zu
renweisheit wußte um dieſen Saß ; | erlennen, welche jedem derjelben zuges
die Hellenen begriffen und formulierten | fallen ift, rein herauszulefen, wie ſie
gelöst worden und was an ihr unge—- ; perfönlichen fyreiheit oder des Bürger—
löst geblieben ift. Die wahre Gefchicht3- | thums, wie wohl angenommen worden
forſchung wird ftet3 mur in der Löfung |ift, unterwarf ſich Rom die Welt.
diefer Frage ihr Ziel finden; ihr letzter Seine Aufgabe war, zu herrſchen und
Zwed wird immer fein, aus allen
Phaſen der Specialgeſchichte das ethi⸗
ſche Geſetz dieſes oder jenes Volkes
rein herauszuleſen. Denn nicht der
einzelne Menſch, nicht das einzelne
Volk ſtellt die Aufgabe des Menſchen—
daſeins vollſtändig dar, ſondern die
Menſchheit überhaupt, und die Erkennt—
nis diefer Aufgabe wird daher um fo
vollfländiger fein, je reiner wir Die
Einzelaufgabe der Völker erkennen.
Dieje fpecielle Aufgabe des Volksindi—
vidunms bildet und begründet fein
elthiſches Geſetz. Das ethiiche Geſetz
der Menſchheit aber, oder mit einem
anderen Worte: „Ihr Zwed und ihre
Beſtimmung“ werden zu finden fein,
wenn die ethiſchen Geſetze der einzel—
nen Völker Har vor uns liegen wer—
den. Die nächſte Stufe zu der Wiflen-
Schaft deſſen, was die Gottheit mit der
Menſchenſchöpfung bezwedte, wird daher
die Erkenntnis fein, welche Aufgabe
jeden der Völkerſtämme zugefallen ift.
Nachdem das ethifche Geſetz der
Hellenen: „Gottähnlichkeit
vernünftige Gefeße zu geben; fein
ethifches Gefeß, die römische Vollsidee
über die Welt zu verbreiten, mach dem
Willen derfelben Götter, welche Rom
gegründet hatten. Auch diefe Idee kam
mit vollem Bewußtſein im römischen
Volle zu ihrer Entfaltung. wie das ganze
römische Alterthum unabweisbar belegt.
Rom aber herrfchte, jo lange es dieſem
Staatsgedanfen treu und ohne Wan—
fen ergeben blieb. Mit dem überhand—
nehmenden Gulturintereffe, mit der
geipaltenen Kaiſermacht kam eine erſte
Störung in dieſe Aufgabe: das Geſetz
war nicht mehr eins; in den über—
mäßig ausgedehnten Provinzen galt
ein anderes Gefeß al3 zu Nom; Im—
perator trat gegen Imperator auf.
Von dem Augenblicke an, daß die
römische Staatsmacht ſich in ihren ver—
Ichiedenen Trägern ſelbſt befänpfte,
ſank fie naturgemäß ; fie erlag einem
neuen Principe, dem Grundgedanken
des Germanenthums, der in der Frei—
heit und Selbftbeftimmung des Indi—
in rein vidunms wurzelt. Griechen und Römer
menschlicher Sitte und menschlicher | hatten ihr ethifches Geſetz erfüllt ;
der
Schönheit darzuftellen“ in volllommes | Staat war menschlich gebildet, die Auf:
nen Selbftbewußtfein durch diefes Volk! gabe war gelöst,
erfüllt, fiel e$ vor einem individuell
ftärteren Princib, das, in beſchränkter
Richtung wie zu einem Seil concenz
triert, von Außen ber eindrang, vor nach ewigen Geſetzen hervor!
der Volfsidee der Römer. Die Staats»
idee Roms war eine ganz fataliftifche.
Rom ift ihr gemäß ewig, und ewig
zur Weltherrſchaft berufen. Dies iſt
die Menſchheit zu
befähigen, die Idee der geiſtigen Frei—
beit des Individuums zu ertragen.
Was der Naturgeift braucht, bringt er
Das
Individnum wurzelt im Willen, es
wird erfennbar durch die Subjectivität
des Willens. Das Ehriftenthum, wel—
ches ſich vor Allem an den Willen
der Fern der Idee, unbeſieglich Daran | euer und mit ihm das Germanen—
und darım jo mächtig, weil jeder
andere Gedanke von Genuß, Freiheit,
Schönheit oder Weisheit ihr vollkom—
men untergeordnet war. Herrſchaft
und, weil es ohne Geſetz Feine Herr—
ſchaft gibt, Geſetz, bildeten die Peri—
pherie des römischen Staatsgedanfens
im Bewußtfein des Römers. Mit die—
ſem Gedanken, nicht mit dem der
thum,
welches das Individuum zur
Grundlage des Staatswejens nimmt,
übernahmen, Hand in Hand, die Fort:
bildung der ethischen Weltordnung.
Von vorn herein erbliden wir nun
— dem antilen Götterwillen gegenüber
— den Trreibeitsbegriff als die Grunde
lage des germanischen Volksweſens,
und zwar dieſen Begriff in jeiner
201
zwiejpaltigen Anwendung, als Unab- ſchiſchen Geftaltung ſtreng gegliedert
bängigteit des Volles, des Stammes, | fortleben zu laffen. Die Hohenftaufen
Geſchlechts und als geiftige Selbſtbe- in ihren Kämpfen mit dieſem Geiſte
ftimmung des Einzelnen. In beiden
Richtungen Hatte ſich dieſer Begriff,
als das ethifche Geſetz der germani—
ſchen Völker, durch die Jahrhunderte
der Völkerwanderung hindurchzuarbei—
ten. Die Stämme fuchten zunächft
nach ihnen zufagenden Wohnpläßen
und geeigneten Miſchungen. Sie ver:
einigten fich alle zu einem Heerbaun
gegen die Römer; es entjtand der
markomanmifche, der Schwäbische Bund,
in denen jeder Mann ein fühner
Streiter gegen die Römer war. Der
Kampf mit diefen dauerte fünf Jahre
hunderte; da wurden fie Sieger über
das Volk, das ſich für ewig unüber—
windlich gehalten hatte. Sie fanden |
bier das Samenkorn des Chriſten-
thums in einen unfruchtbaren wüſten
des Romanismus waren eben nichts
Anderes, als der reine Ausdruck des
ethiſchen Geſetzes des dentſchen Volkes,
gegenüber dieſer Verjüngung der alt—
römischen Staatsidee in der Kirche.
Den Sieg auf germanifcher Seite ent»
ſchied erjt die „Reformation“ : mit ihr
gieng das germaniſche Volksgeſetz ſei—
ner Entfaltung rein entgegen; mit ihr
ſprengte die bis dahin noch gebundene
Idee der geiſtigen „Freiheit“ des In—
dividuums ihre Feſſel, indem ſie gleich—
zeitig mit Nothwendigkeit aber auch
die Form zerſtörte, in der ein ger—
maniſches Staatsweſen ſich hatte zu—
ſammenfinden können, ſo lange jene
Idee nicht die alleinherrſchende gewor—
den war.
Sp ward die Neformation die be—
Boden; fie erfannten das Große und ſtimmende Grundlage der bis in Die
Herrliche, was in feinem unterdrüdten |nenefte Zeit Geltung habenden Staat3=
Keime verborgen lag, und entjchloffen |
ih, es mit ſich zu nehmen und in
ihren heimatlichen Gauen zur Blüte
zu bringen. So wurde in der Mitte)
diefer großen allgemeinen Zerſtörung
unjere Stiche vor dem Untergange be=
wahrt und Dentfchland ward das
MWeltreih des Chriftenthums: feine
Ausläufer im Süden und Meften
nahmen die Trümmer des zerfallenen
Romerreiches in fih auf.
Doch verdunkelte fih durch eben
diefe Mifhung die reine Aufgabe des
germanischen Vollsweſens, um neue
Geftaltungen einzugehen, ohne Aus—
nahme aber Strahlenbrehungen des
einen Gedankens, des eihischen Geſetzes
der Öermanen. Im Reiche felbft wurzelte
Alles im Geſetze der äußeren Unab—
hängigfeit und der inneren Freiheit.
Die nächte Confequenz der inneren
Freiheit war der Kampf mit dem
Romanismus, dem diefe Freiheit fremd
blicb und der fi in die Stiche ge—
fliichtet Hatte, um im ihr das römiſche
Princip ewige Herrſchaft
form der Deutfchen, die oberfte Urſache,
weshalb die Deutjchen jo lange haben
darauf Verzicht leiſten müſſen: „Eine
politifche Gemeinschaft, ein Volk zu
fein.“ Die geiftige Freiheit, die Selbſt—
beftimmung des Individuums war der
Grundgedante des ethifchen Geſetzes
der Deutfchen. Sie haben dies Gefeß,
in dem ihre Volksethik wurzelt, bis
zur höchſten und vollendetften Ent—
faltung ausgebildet. Auf das Gebiet
des Geiſtes hingewieſen durch Nature
beruf (Götterwillen, würde der Hellene
ſagen), Hat das deutſche Volk die ganze
Sphäre des menschlichen Gedantens,
das ganze Gebiet des Willens und
des Urtheils ausgefüllt. Es hat die
Wiſſenſchaft der Wilfenichaften, die
Lehre vom Geſetze des Denkens, ges
ihaffen, in der alle Erwartungen des
menschlichen Geiftes wurzeln und gipfeln
und durch welche der Geift des Men—
ſchen zur wahren und höchften Frei—
heit gelangt, und hat ſich ob jeiner
Univerfalität geeignet gemacht, in den
oder Geiſt der verjchiedenen Völler einzu—
Macht Roms — in einer neuen hierar- |dringen, ihre Eigenthümlichkeiten zu
202
erkennen und zu achten und dadurch
In Frankreich fanden die Germa-
jene internationale Stellung in Europa | nen einen vollftändig ‚gegliederten ge:
einzunehmen, ohne welche ein Forts | jeftigten Staat vor, mit einer nad
fchritt der Völfer auf der Bahn der
Gejittung und Freiheit nicht denkbar
ift. Aber indem es die Berechtigung
Zahl und Bildung überwiegenden Bes
völferung, welche fie durch eine ſtrenge
militärifche Organifation niederhalten
des Individuums über jede andere | konnten. Die Rönter hatten die Gallier
Berechtigung erhob, verlor es die Ber
rechtigung des „Gemeinfanen“ aus
den Augen. Das Staatswefen mußte
einbüßen, was alle Individuen gewanz
nen. Im Fortſchritt diefer Richtung
gieng nach und nach der ftaatliche Zu-
ſammenhang der Einzelnen mit dem
Vollsganzen zu Grunde: der Deutiche
wurde unfähig endlich, diefen Zuſam—
menhang vein aufzufaflen, darzuftellen ;
fein Individunm ftieß bei jeder Bes
rechnung in der ihm angebildeten Frei—
heit gegen das Staalsganze an und
trat mit ihm im den Kampf. So ver=
loren wir Jahrhunderte lang die Fähig—
feit, ein Volk zu fein, einem Willen
gehorfam, einer dee ergeben, eine
Bollsgemeinfchaft darzuftellen, welche
dem Individuellen gegenüber für eine
Macht, Für eine Wejenheit zu gelten
die Kraft im fih trug. Der Götter:
wille, das ethiiche Gefeh der Germa—
nen erfüllte jich: die Idee der Frei—
heit des Individunms, die Selbftbe-
ſtimmung des Einzelnen war voll ins
Dafein getreten. Die Frucht war ges
reift. Jetzt hat nun das deutjche Volk
wieder die Berechtigung des Gemein
jamen gefunden durch die fräftige Re—
gierung eines Staates, der fich jeder
Einzelne unterzuordnien hat.
Während jo Germanien im enges
ren MWortfinne feine Gefchichte durch»
lief, brachen ſich die Strahlen feines
Geiftes in den anderen europäifchen
Staaten aus germanischer Wurzel in
mannigfachen Zuſammenſetzungen. Das
jedesmalige Ebenmaß zwiſchen dem
Urvolf, dem romanischen und germaniz
Shen Elemente, und das Verhältnis
des lleberwiegens des einen oder des
anderen diefer Elemente im Phyſiſchen
wie im Sittlichen beftimmten über Art
und Geftalt diefer Combination.
1}
1
|
über 400 Jahre beherrfcht und ihnen
vollftändig ihr Gepräge aufgedrüdt.
Sie waren in Sprade, Sitten und
Reihsverfaffung römiſch, und als das
Chriſtenthum eingeführt, war römiſche
Cultur und römiſche Centraliſation
allmächtig geworden. Neben dieſer fans
den die Franken in Gallien auch die
Feſtigung der Civilrechte, in der
Finanzverwaltung und in der Slirche
vor, ingleihen ein vollftändig ausges
bildetes Zollſyſtem und eine vollftändig
gegliederte Dierardhie. Der unruhigen
Wandelbarfeit des keltiſchen Vollsgeiſtes,
wie jie uns Cäſar gejchildert, gegen
über, prägte ſich der Geift der Treue,
als ein Grundzug der germanischen
Seelenftimmung, bier lebendiger aus
und trat mit dem dritten Volfselemente,
dem romanischen Verlangen nach Herr-
ſchaft oder dem kriegeriſchen Geiſte,
in Wechſelwirkung. Aus dieſen drei ſich
entgegengeſetzten Elementen erwuchs der
oft fo räthſelhafte franzöſiſche Volksgeiſt.
Man ſieht das franzöſiſche Volk falſch—
lich als ein durchaus einheitliches an;
es iſt in der That aber nur einheitlich
in gewiſſen Neuerungen feines Geiftes.
Innerlich und mit ihren eigentlichen
Grundgedanken find die Franzofen,
von Individuum zu Individuum, ger
trennter als irgend ein anderes Volk,
wenngleih ein höchſt lebendiges Na—
tionalgefügl fie meiltens abhält, dieſe
Spaltung auch äußerlich zu zeigen.
In jeder gegebenen Zeitepoche ihrer
Geſchichte herricht eines der Volksele—
mente über dig beiden anderen ; allein
es herrſcht auch nur, ohne die beiden
anderen vertilgen oder ganz beliegen
zu können. Plöglich bringt ein Anſtoß,
äußerlich oder innerlich, ein anderes
der folange dienenden Volkselemente
zur Herrfchaft und die Folge Hiervon
ift, daß die jedesmalige Staatsform
wankt und zufammenbricht. Die Ver—
fchiedenheit der Boltsbeftandtheile in
geiftiger Beziehung ift der Quell der
endlojen Revolutionen des franzöfifchen
Staatzgebäudes. Ja mehr — nicht
bloß in dem Ganzen des Volkes herrfcht
diejes Gejeß der Gegenfäße, fondern
in jedem einzelnen Individuum ſelbſt
ift es geltend.
nöthigen Bildungsgrad vorausgejegt,
gehorcht dem dreifachen Elemente der
MWandelbarleit, dem Triebe der Treue
und dem Berlangen nach Herrſchaft
für feine Bollseinheit. Daher denn
auch der beitändige Wechſel, nicht nur
in den Grundanſchauungen über das
Verhältnis des Einzelnen zum Staats«
ganzen, jondern auch der Moralprin«
cipe bei den Einzelnen in dieſem Volke,
je nad) dem Borrange, den das eine
oder das andere Element feines Geiftes
iiber die anderen gewinnt,
Die Anficht, daß die Schmelzung
zu einem Bolfsgeifte — das Nationale
gefühl abgerechnet — weniger, als bei
irgend einem anderen europäiſchen
Stamme, bei den Franzofen vollendet
jei, ift nicht die gewöhnliche. Sie mag
befremden ; aber bei näherer Prüfung
des franzöſiſchen Geiſtes in allen gejell-
Ichaftlihen Schichten, nah genaner
Durchforſchung der Gefchichte dieſes
Volkes, wird fie gerechtfertigt erſchei—
nen. Was das gewöhnliche Urtheil
täufcht, ift eben nur dies, daß das
franzöfiiche Volk die Fähigkeit bejigt,
fih dem jeweilig herrſchenden Volks—
Jeder Franzofe, den
203
elemente augenblidlih und ohne Wider-
Ipruch zu unterwerfen, eben deshalb,
weil ihm die Idee der individuellen -
Selbftbeitimmung fern liegt und Fremd
ift. Dierdurch wird nach der Seite der
äußeren Erſcheinung bin bewirkt, daß
ih nur eine Form des Bolfsgeiftes
darftellt, während innerlich die Gährung
und fo zu jagen der Kampf der ver—
ſchiedenen Volksgeiſter unter ſich forte
dauert, bis ein anderes der beſiegten
Elemente zum Siege gelangt.
Worin beruht nun hiernach dus
ethiſche Geſetz dieſes Volkes und wie
iſt es zu formulieren ? Es beruht in
nichts Anderem, als in der vollſtändi—
gen Ausſtrömung der drei Ideen der
Wandelbarkeit, der Treue und der
Herrſchaft. Mit diejer Aufgabe it das
franzöfifche Volk beſtimmt, im Mittel—
puntte Europas die Unruhe im der
Uhr der europäiſchen Stundenmwelt zu
fein. Das Auffuchen neuer Staats—
formen, das Erperimentieren mit diefen
ift feine Aufgabe; dem Erftarren der
Formen zu wehren, die Bewegung des
politiſchen Weltwefens zu erhalten,
das Feſtwerden in todten und abjler«
benden Formen — wozu die Übrigen
Völker Europa® mehr oder minder
‚Neigung Haben — zu hindern, das ift
die Aufgabe des franzöſiſchen Volkes.
Auch diefe Aufgabe ift ernft und edel,
wenn fie richtig verftanden wird; fie
beſtimmt dies Bolt zum Fahnenträger
des Fortjchritts in der Dumanität und
‚zu einem langen ftaatlihen Dajein
unter wechjelnden Formen.
Pondoner Sommertage.
Slizzen und Plaudereien von Audolf Rleineke.
III.
In der „Inventions-Exhibition“.
Zi um Cicerone Hab’ ich entschieden
—E kein Talent oder zum mindeften
ein ungehenres Pech. Oft und oft hab’
ich mir auch Schon vorgenommen, lieber
für ein wenig unhöflich zu gelten, als
no einmal als Gicerone zu dienen
— doch man weiß ja, der Weg in die
Hölle ift mit guten Borfäßen gepflaftert
und jo Hab’ ich es denn genau jo oft,
ale ih mir's vorgenommen, auch —
nicht gehalten.
Einmal freilich, als ſich ein lieber
Freund mir andertraute und wir dann
zufammen in den fonnendurchglühten
Felsabſtürzen des Hochſchwab hiengen
und weder hinauf noch hinab konnten,
da Hab’ ich einen feierlichen Schwur
geihworen, meine „Yührerfchaft“ in
feinem alle mehr in Anwendung zu
bringen und Habe den Schwur auch
gehalten bis auf den heutigen Tag.
Bis auf den heutigen Tag! Sofl
ih ihm nun untren werden und dem
geneigten Leſer Führer fein im der
„Inventions-Exbibition ?* Soll ic) ihm
untren werden, bloß um nfeine Bes
richterftatterpflichten gewifienhaft er—
füllt zu haben oder ein wenig liebens=
würdig zu erjcheinen ?
„Zum Kuknk mit aller Liebens—
wiürdigleit und Gewiſſenhaftigkeit“,
würde ich ſagen, wenn ſich das in
anſtändiger Geſellſchaft ſchickte, ſo aber
kann ich bloß die ganz ernſt gemeinte
Verſicherung abgeben, daß ich nichts
Entſetzlicheres kenne, wie als Cicerone
in einer Ausſtellung zu fungieren.
Da ſchleppt man aus lauter Lie—
benswürdigfeit jo einen guten Freund
einen halben Tag lang in den Aus»
ſtellungsräumen herum, muß dor Ge—
‚ genftänden, die man ſchon fo und fo
oft gejehen, noch einmal ftehen bleiben
‚und fie anftaunen, muß Intereſſe heu—
cheln für Saden, die einem vollftändig
gleichgiltig find, oder gar Bewunderung
hegen für Dinge, die einem jo zu—
wider find wie einem Confortablegaul
eine neue Yubre. Und hat man dann
ſchließlich ſämmtliche Räume abgelau—
fen und iſt froh, daß endlich das Zei—
chen zum Schluß gegeben wird und
man gezwungen iſt, den letzten Saal
nur ſo zu durchfliegen, ohne ſich mehr
aufhalten zu können, ſo findet ſicher
unſer Schützling gerade in dieſem
‚legten Saale noch irgend eine Merk—
würdigkeit, die ihm ftatt Dankesworten
‚den Borwurf entlodt: „Aber fie haben
‚mir ja gerade das Schönſte nicht ge=
zeigt!"
Nein, ich will mich ſolchem Tadel
nicht wieder ausfegen, ich will Sie,
verehrte Leferin, daher bloß mit dem
‚VBergnügungsorte „Inventions-
' Exhibition“ befanmt machen und höch—
ftens fo im Vorübergehen ein Weniges
von den Ausftellungsobjecten plaudern.
Ich bitte um ihren Arın, meine Gnä—
dige, wir wollen gehen.
Schon in Orford» und Regent:
Street beginnen die Conductenre von
jedem vorbei rollenden Omnibus (oder
Bus, wie der Londoner in jchöner
Vereinfachung fagt) ihr „Exhibition!“
nit nachdrüdlicher Betonung der legten
Silbe „schenn!“ zu rufen und die
ganze lange Biccadelly hinunter, vorüber
am Green» und Hyde Park, verfolgt
uns der Ruf, wenn wir e3 nicht vor—
ziehen, uns von einem der geräumigen
Käſten oder mittelft eines leichten Cabs
— *
eo...
205
oder Hanſom Hinausfuhrwerten zu
lafjen.
Endlich liegt der jchöne Neubau
de3 „South Kenfington-Mufeum“ vor
und und rechts davon ziehen fich die.
Ausftellungsgebäude die ganze lange
Exhibition-Road hinauf, wo dann die
impofante Albert » Hall den Abſchluß
bildet.
Das Portal der Ausſtellung ift
gerade nicht vielveriprechend, und doc
thut fich gleich nach dem Entreefaale,
in deſſen Mitte eine Reiterftatite des
Thronfolgerd paradiert, eine
Wunderwelt dem Bejucher auf. Wün—
ihen Sie einen funftvoll cifelierten |
Schmudgegenftand oder eine gigantifche
wahre |
'man bleibt lieber unten in den Parks
anlagen, welche den Mittelpunft des
Ausſiellungsrayons bilden, und lauſcht
daſelbſt oder in der Albert-Hall, oder
im Muſic-Room oder ſonſt wo deu
eben gebotenen Concert-Vorträgen, falls
man es nicht vorzieht, in der „Old
London Street” herum zu Bummeln
und die (imitierten) alten Bauwerke
zu bewundern oder die jungen, als Ver—
fäuferinnen fungierenden Ladies. Ge—
‚meiniglich übt denn auch das coftüimierte
‚weiblide „Jung: Yondon“ dajelbit ent=
ſchieden mehr Anziehungskraft aus als
| die naturwahre intereffante Nachbildung
der engen Strafe „Alt Londons“.
| Neben folder Augenweide ift aber
Dampfmaschine zu jehen, es ſteht bei⸗ auch für Ohrenſchmaus ausgiebigſt ge—
des zur Verfügung, wünſchen Sie über-— forgt. Bald iſt es ein Geſangsquartett,
haupt was fie wollen — ich glaube, welches die Kirchengeſänge alter Meiſter
es wird nicht fehlen in dieſer Triumph- zur Aufführung bringt oder eine
halle menſchlichen Strebens und Schafe ‚Production auf der riefigen Orgel in
fens, ob es num in der eigenen Hei- ‚der Albert Hall (der zweitgrößten der
mat (in deren Wbtheilung befonders Welt), dann wieder ein Claviervor—
die Producte mehrerer Wiener Firmen trag oder eine englifche Militärmuſik,
viel bewundert werden) erzeugt wurde allenfalls die Guards, die unter Leis
oder aber im irgend einem Theile des tung ihres Gapellmeifters Godfrey eben
Reiche? der Mitte. Wählen Sie nur deſſen auch uns mwohlbefannten Walzer
und Schauen Sie fo viel Sie wollen, „La garde de la reine“ fpielen. Iſt
meine Verehrtefte, aber — laſſen Sie man neugierig genug und nicht gerade
mich aus dem Spiel — ich erkläre | verwöhnt, jo kann man auch eine Pro—
feierlihft und der Wahrheit gemäß, duction der — Hofcapelle“
wenn auch ein wenig beſchämt, daß | über fich ergehen laſſen, deren duntels
ih von all’ den ausgeitellten „Erfin- hantige Mitglieder, auf dem teppich—
dungen“ verteufelt wenig verſiche. belegten Boden ſitzend, ihre Glocken—
Höchſtens, daß ich Sie auf die Gallerie ſpiele, Schlaginftrumente und ſonſtigen,
der Albert:Hall begleite, wo nebft an— oft ganz conriofen Mufitwerlzenge, die
dern muſikaliſchen Euriofitäten eine in Berlioz’ Inftenmentationsiehre nicht
änferft intereffante Goflection muſika- einmal erwähnt find, bearbeiten.
liſcher Inſtrumente vom 16. Jahrhun⸗ Aber es will Abend werden und
dert bis auf unſre Tage, ferner eine ich muß meine ſchöne Begleiterin er—
Sammlung von Manuſcripten und ſuchen, mir in den Garten zu folgen.
Autographen berühmter Mufiter, die Man Spielt eben wieder einen
bis in’s 10. Jahrhundert zurüdreicht, Walzer draußen — aber nicht „die
vorliegt. Garde der Königin“ und auch nicht
Man findet Hier immer mur ver- im Tempo der englifchen Muſiker —
einzelte Beſucher, das Gros fühlt fich | einen Walzer, wie man ihn nur an
durchaus nicht veranlaßt, wegen ein | diefem einen Ort Spielt — einen echten,
paar alter Scharteden, und hätten fie rechten Wiener Walzer!
auch Beethoven oder Händel gejchrie= S’ iſt ja der „Edi“ da mit feis
ben, die vielen Treppen zu fleigen — ner Gapelle und tänzelt da umd wiegt
FRRRT Be ;
206
fih — wenn er nicht eben einem ſei—
ner Muſiker einen unheilkündenden
Blid zuzuwerfen bat, weil diejer firäf-
licherweife ftatt nach den fchwarzen |
Notentöpfen lieber nah dem gewiß,
lieblicheren Köpfchen einer vorbeipro=
menierenden Lady blidte und dabei,
einen durch diefen Umftand durchaus
nicht gerechtfertigten falfchen Ton griff.
Wie das wiegt und ſchwingt und
ummilltürlich die Füße in Bewegung
bringt — gar der Gentleman, bei dem
ich ftets im Zweifel war, ob jein Rüd-
grad denn auch aus den allgemein
üblichen Wirbelfnohen oder nur aus |
einem einzigen unbeweglichen Knochen |
beitehe, beginnt fih im Takte hin und |
|
her zu wiegen — ja ſogar der be—
kg Londoner Nebel ſcheint zu
tanzen anzufangen — — denn jelbft ,
im Hochſommer fommt dann und wann
fo ein naffalter Gruß don der See
ber, und darım lachen Sie nidt,
meine gütige VBegleiterin, wenn Sie
mitten im JIuli auf den Schultern
der ſommerlich gefleideten Ladies den
winterlichen Pelzmantel ſehen — derlei
Figenthümlicpleiten find immer und
überall durch Klima oder ſonſtige Ver—
hältniſſe geboten.
„In Rußland mu man Schnaps
trinfen,” ſagte in Petersburg ein Mann
zu mir umd leerte um 9 Uhr Morgens
das zehnte Gläschen.
Im Mebrigen ift aber eigentlich
nicht viel mehr zu ſehen die
abendliche Dunkelheit hat ſchon tichtig
zem Röcdchen und nadhläflig über die
Schulter geworfenem Plaid des Weges
fommt und ihm Concurenz bietet.
Da vollzieht ſich plößlic vor un—
jeren ftaunenden Augen ein Wunder.
Wie auf das Schöpfungswort: „Es
werde Licht!“ zuden allenthalben Heine
Flämmchen auf und ehe eine Secunde
um tft, find helle glänzende Sterne
daraus geworden — Glühlichter, wie
die Leute fie nennen. Sie erglänzen
am ganzen weiten Rund der Aus—
ftellungsgebäude und markieren die
Eontouren derjelben, fie wiegen fich in
den Wipfeln der Bäume bis hoch hin—
‚auf zum legten Weftchen der Bappelı,
‚fie lugen aus dem Graſe und erglühen
in den Kelchen der Wafjerlilien im
Baſſin. Im zauberbaften, in allen
Regenbogenfarben wechjelndem Licht
wirft die Fontaine ihre mächtigen
Strahlen empor und ab umd zu zudt
es wie ein blendender leuchtender Blik
über den Raum. Ein Ausruf der Be:
wunderung wird jedesmal bei dem wohl
einzig daftehenden Scaufpiele laut,
und lichte und freudetrunfen wandelt
man umher wie im einem Zauber—
garten.
Schade nur, dab diefe Herrlich:
feit jo bald entjchwindet und die un—
barmherzige Hand des Eleltrikers mit
dem beftimmmten Glodenfchlage, und
nahden das „God save the queen“
den Schluß der Eoncerte angezeigt,
mit einem Nude die glänzende Licht-
fülle erlöſchen macht. Die legten Spu—
ren poetifcher Begeifterung rauben
eingejeht, und höchitens interefliert noch einem dann noch die Cads der Omni—
ein englifcher Vaterlandsvertheidiger in | buffe, die nicht Laut genug ihre Sehn=
tnappem rothen Node und fed aufs ſucht nach Paflagieren in die Nacht
rechte Ohr geftülpter Mütze, der ſich und die Ohren der Borübergehenden
neben den beiden Muſikpavillons in das brüllen können und die Luft erzittern
möglichſt beſte Licht zu ſetzen ſucht machen mit ihrem: Charing Grop!
und, fein Spazierftödchen ſchwingend Piccadilly! Bank, Bank, Bank,
— Waffe trägt er natürlich feine — | Bank!! —
das übrige Publitum an ſich vorbei, Die „Internationale Ausftellung
defilieren läht. Er gibt feine Pofition | von Erfindungen“ ift nun gefchlofjen
auch nur dann auf, wenn ein High⸗ — aber nur, um im nächſten Jahre
lander, ein Schotte in feiner maleri- unter einer andern Deviſe wieder in's
ſchen Tracht, den nackten Knien, kur- | Leben zu treten.
Wie follte fie auch nicht? Wurde
fie doch während der ſechs Monate
ihres Beſtehens von nicht weniger als
3,760.581 Perſonen befuht — ein
Rejultat, mit dem man felbft in Lon—
don zufrieden fein kann!
Iv.
„Das ift der Tag des Herrn“.
Einer meiner Bekannten behauptete
zeitlebens, es gäbe nichts Langweili—
geres als einen engliſchen Sonntag.
Ih widerfiritt dem und behauptete
meinestheils, das Langweiligfte auf
unſerm, im diefer Beziehung doch reich
gejegneten Planeten fei eine — Pappel—
allee. Als aber zufällig noch ein Dritter
und Vierter dazu fam und Jeder im!
etwas Anderem da3 Urbild der Lang:
weile erfannte, mußte ich wohl ein—
ſehen, daß das Alles nur rein indie
vidnelle Anfichten feien und — blieb
daher fteif und feft bei meiner Pap—
pelallee.
Da kam ih nah England, nad
London. Gleih am erften Sonntage
dachte ich unſeres Gefpräches, ohne
mich aber noch der vorerwähnten Ber
hauptung anzuschließen, da der Tag,
danf meinem Freunde Charles Pod,
jo Schnell und angenehm vergieng, daß
ih faſt vergeſſen konnte, in dem ftreng
pietiltiichen England zu fein. Und auch
jpäterhin, als ich mich draußen im
South Welt Schon fo recht eingelebt
haite, da fehlte es nie an Unterhaltung,
ob es auch Sonntag war und ic
glaubte noch immer nicht daran.
Ein englifcher Sonntag! Was ift’s
denn auch gar jo Schlimmes?
Kaum find wir aus dem Pette,
jo fangen Schon die Kirchengloden an
zu muſicieren und iſt man nicht gerade
ihlecht gelaunt oder etwas nervös, jo
fann einem ja auch das Spaß machen.
Eine Weile geht's ruhig fort — ed
cha g, und wieder umd immer wies
veredehag in toniidher Foige
die ganze Sert heranter — plötzlich!
aber zögert die eine Glocke ein wenig
und gleich ift ihr die andere voraus
und im ungezählter und unzähliger
Folge kommen nun die Variationen,
bis ſchließlich die Gläubigen dem Rufe
Folge geleiſtet haben und die ſechs
Glocken in nicht ſehr harmoniſchem Zu—
ſammenklang verhallen.
Gleich darauf ſchlagen die friſchen
Rythmen eines Marſches an unſer
Ohr. Es iſt eine Abtheilung der „Heils—
armee,“ die, eine kleine, oft ganz
merkwürdig zuſammengeſtellte Muſik—
bande voraus, durch die Straßen zieht.
Eine Fahne darf dabei natürlich nicht
fehlen, wie auch die nebenher mar—
fchierenden Frauenzimmer, die mit
großem Eifer aber meift wenig Takte
gefühl Tambourins, Triangels 2c. be=
arbeiten, unumgänglich nöthig ſchei—
nen. — Hat fi nun dem Zuge eine
genügende Menge angeichloffen, jo wird
an einer Ede Halt gemacht und die
Predigt beginnt. Leopold Katſcher gibt
in feinen Skizzen „Aus England“ ein
treffendes Beijpiel einer folchen, in
denen an Phrajen wie: „Bor Kurzem
war ich eim eben folcher Lumpenkerl
wie irgend einer don Euch!“ fein
Mangel ift. Der Redner geht dann
mit einer mehr kühnen als geichidten
Wendung zu feiner „Rettung“ über
und fordert die Umſtehenden ſchließlich
in beredten Worten auf, feinem Beis
jpiele zu folgen. Gin kurzes Gebet
macht den Beſchluß und der Zug ſetzt
fi unter Abfingung einer der marſch—
artigen „Hymnen“ wieder in Bewe—
gung. — Wen das Alles neu ift, der
braucht ich gewiß über Langweile nicht
zu beklagen.
Sonntag Nachmittag.
Ich ſitze, im richtiger Erkenntnis
des englifchen Sprichwortes: „two is
company and three is nothing“, in
Sejellichaft einer jungen, hübſchen Miß
an Bord eines der Flußdampfer, die
den Verkehr auf der Themſe bis ab—
wärts zur London bridge vermitteln.
Die Sonne legt ſich gehörig auf das
Ichattenlofe Ded. die übrige Gejellichaft
208
ift ziemlich wortfarg und wäre nicht
meine vorerwähnte Begleiterin mir zur
Seite, jo könnte ich wohl kaum ein
Keruwort über die engliiche Pünktlich—
teit unterdrüden, die dem Gapitän ver—
bietet auch nur eine Minute vor zwei
Ur abzufahren.
Endlich aber ſetzt fich unfer Fahr—
zeug denn doch in Bewegung und
wenn auch langſam wegen des niedri—
gen Wafferftandes, jo geht's doc) ftetig
ftromanf, unſerm heutigen Ziele Kew
entgegen. Einmal außer dem MWeichbild
der Niejenftadt, verengt ji das Bett
der Themfe faft zufehends, und wenn
bi3 zur London bridge die mächtigften
Seedampfer verkehren fönnen, jo find
ſche Bedirfniffe genügend. Theater und
fonftige Vergnügungen gibt e$ Sonne
tags natürlich nicht, auch die Public»
Hänfer find nur einige beſtimmte
Stunden geöffnet, dafür ift aber —
man höre und ftaune! — in ein paar
der großen Parks Nachmittags Goncert,
‚und diefes lodt auch immer ein zahl»
‚reiches Publikum an ſich, troßdem kaum
fünfzig Schritte daneben ein Prediger
‚über die VBerworfenheit der Menſchen
' Hagt und feine gläubigen Zuhörerinnen
‚nicht jelten bis zu Thränen zu rühren
vermag. Unter einem andern Baume
fteht wieder eine Gruppe und fingt
geistliche Lieder und Hymnen, und fo
gibt’3 zu Hören und zu jehen gerade
es jeßt höchſtens mehr Localjchiffe oder genug.
elegante Ruderboote, die ums entgegen | „Woher aljo Langweile ?* fragte
kommen. Kleine Frachtfchiffe liegen ich mich felber, als ich das Alles mit:
freilich eine Menge bier in befchaulicher | machte und fogar felbft einmal cine
Sonntagsrube, größtenteils aber nahe Gruppe ſolch' frommer Sänger untere
an den Ufern im Schlammte, wo jie ftüßte, da es galt, eine in C-dur be=
das Steigen der Flut abwarten, die gonnene Hymne Gott wohlgefällig zu
eine tüchtige Strede firomauf noch ‚Ende zu führen, troßdem das Orcheſter
merkbar ift. Die Gegend bietet abfolut | nebenan eben mit dem beliebten Walzer
nichts Sehenswerthet und man iſt „Sea-saw* einjeßte und denfelben un—
ſchließlich froh, Kew erreicht zu haben. | glüdlicherweife gerade um eine Terz höher
Der Heine Ort ift berühmt duch |intonierte, „woher alfo Langweile?”
feinen Schon 1730 gegründeten bota= | Doc blieb ich mir nicht lange die
nischen Garten, dem reichften der Welt, Antwort ſchuldig. So ift es im Some
der bei den Londonern auch als Aus— ‚mer und für den, der das Alles das
flugsort jehr beliebt ift, gerade wie das | erftemal mit anfieht. Wenn man
naheliegende Richmond, im deſſen be= aber erſt einmal anfängt fich über die
ſcheidenem Kirchlein zwei berühmte | augenverdregenden Schreier und ihr
Söhne Albions begraben Liegen — \oft recht jcheinheiliges Publikum zu
James Thomſon, der Dichter der ärgern, oder e3 feßen die berüchtigten
„Jahreszeiten“, und Edmund Sean, Londoner Nebel ein und machen ein
der geniale Schauspieler. ‚Ausgehen unmöglich, dann lernt man
Dierher (d. 5. nah Kew und schon dran glauben und gähnend frägt
Richmond) Pilgern Sonntag Nach- man: gibt es wohl etwas Langweiiis
mittags die Städter zu Hunderten | geres als einen englifchen Sonntag ?!
heraus, und freuen jich, wieder einmal | „D ja,” antwortet ein bo&hafter
der dunſtigen Atmofphäre der Stadt Freund, der mir eben über die Schulter
für ein paar Stunden entrommen zu gudt, „ich kenne Eins.“
fein. Schiff, Omnibus und Eifenbahn |
theilen fi dann Abends in die Dein:
beförderung der vielen Ausflügler.
Aber auch in der Stadt jelbit ift
für Unterhaltung geforgt, freilich äußerſt
primitiv, aber wie es ſcheint fiir englis
„Und das wäre?“
\ „Eine gewiffe Plauderei eines ges
willen — —“
Ih Habe den Namen leider nicht
verflanden, aber mein Freund Sagt,
es wäre bejjer jo.
|
|
209
V.
Idylle.
Das Haus iſt wie alle andern
in der Gaſſe. Ein einfacher, zwei—
ſtöckiger Ziegelbau, an deſſen Mauern
ſich üppige Reben wilden Weines em—
porranfen, mit einem umgitterten win—
zigen Gärtchen davor und einem Hof—
raum dahinter, in dem ein einjfamer,
blattlofer Baum refigniert feinem bal—
digen Ende entgegenfieht. Der eiferne
Klopfer an der Thür zeigt ſchon leife
Spuren von Roft, jo jelten kommen
Eines derfelben ift meine Refidenz.
Don meinem Fenfter, das Abends nie
herunter zu bringen ift, mir aber be:
ftändig in's Genid fällt ſobald ich den
Kopf Hinausftede, ſchweift der Blid
auf ein echtes Londoner Vorftadtbild,
Eine mehr oder minder rotde und mehr
oder minder angeſchwärzte Ziegel—
mauer lehnt fich an die andere, Rauch—
fänge ftreben allenthalben dazwijchen
empor und tragen, einem alten Ab—
kommen gemäß, gewillenhaft das ihre
zur möglichiten Verdichtung und Ver—
ſchlechterung der Luft bei. Im Hofe
fremde Leute hieher. Zu ebener Erde raum des anftopenden Haufes, das mit
ift die Küche mit der offenen Feuer= | noch drei anderen zujammen einen
ftelle und ein Zimmer, in dem ein Winkel bildet, der die ftolze Bezeich-
Pianino (da3 einzige in der Gafje!) | nung Place führt, fteht Tag für Tag
paradiert und von feiner dominierenden | ein Gab, auf deilen Dach ein ſchmutzi—
Stellung jo überzeugt ift, daß es ſich ger Junge herumklettert umd mit
nicht im Mindeften ſchämt bei der lei-
jeften Berührung, in die man fich mit
ihm einläßt, ganz unverhohlen die
Falſchheit feines Innern zu zeigen.
Ein paar verblaßte Photographien von
Hamilienmitgliedern und eine Unzahl
Schmud und Tand und Firlefanz auf
Schwamm und Waller daran herum—
hantiert. Es ift mir ftet3 ein Räthſel
gewefen, wie bei diefer Beichäftigung
‚nicht der Jüngling wenigftens an eini=
gen Stellen rein oder aber der Wa-
gen ſchmutzig werden müſſe. Ich Habe
das Fuhrwerk auch nie anders als im
Kaften und Kamin kennzeichnen das Hofraum ftehend gefehen und troß
Gemach als das der Frauen. — Im ſorgfältigſter Ueberwachung konnte es
zweiten Stodwerfe wohnt eine alte, mir nie gelingen, fein Wegfahren oder
Dame, die ih ein einziges Mal ſah, Nachhauſekommen zu beobachten. Wahr:
als fie von einem Beſuche, den fie ihren ſcheinlich geſchah dies immer in ftiller
auf dem Lande wohnenden Berwands nachtichlafender Zeit, um die Bewohner
ten gemacht Hatte, nah Haufe Tan. | diefes Viertel nicht unnöthig aus
Sie überreihte mir damals ein duf—
tendes Bonquet zarter Feldblumen und
ih Undankbarer habe mich nicht ein—
mal revandirt dafür. Ja, ich Habe
London verlaffen, ohme von ihr Ab—
ſchied zu nehmen!
ihrer Ruhe zu ſcheuchen. Denn ein
hier einbiegender Cab erregt jedesmal
gewaltiges Aufſehen, und in der Straße,
der unſer Haus die Hauptfront zu—
fehrt, verfügt Jih die ganze weibliche
| Einwohnerschaft augenblidlih zu den
Zwifchen den Gemächern der weib- Hausthüren, fobald ein anderes Ge—
lihen Bewohner „zu ebener Erde“ und fährte als das Gjelgefpanı des Erde
im zweiten Stod befinden fich im erften | beerverfäufers fichtbar wird, um dann
Stodwerte zwei befcheidene Zimmer: | bei der Eigenthümerin des Zeitungs—
Ahen, die durch ein paar Neifeloffer | ladens, die offenbar als Autorität gilt,
und durch das zufammengetragene | das merhvürdige Ereignis zu beipre=
Mobiliar, das man ausschließlich in chen und fih in den gewagteiten Ver—
Wohnungen, die an „Jolide Herren“ | muthungen über die Identität des
vermiethet werden, findet, als zeit- vornehmen Fahrgaftes zu ergehen.
weiliges Junggefellenheim gekennzeich— Die Gaſſe beſitzt aber außer ihrem
net werden. Zeitungsverſchleiß noch einen Tabak—
Kofegger’s „Heimanrten'*, 3. Heft, Xl. 14
2
_
10
händler, ein Publichaus und einen | endlichen Auflöfung-entgegen, und wenn
Filchladen, vor dem die angenehm duf- der Mann, der den einzelnen vertre—
tenden Bewohner der Themfe und des |tenen Schuh Hier verlor, nicht felber
Meeres zur Schau ansgeftellt find. | fein Eigenthum wiederfindet, fo dürfte
Gewöhnlich ſitzt ein unfchuldiges Kätz—
hen auf den gewaltfam vom Leben
zum Zode gebrachten Kaltblütern und
let mit feinem rauhen Zünglein mit»
leidig die Leiber der unglüdlichen, der
menschlichen Genupfucht zum Opfer
gefallenen Mitthiere.
Neben dem Fiſchladen Hat fich ein
Krämer etabliert, doch wird fein Ges
ſchäft nur wenig befucht, weil er, wie
die Leute behaupten, Häringe und
Würfelzucker in ein und derfelben Lade
hat. Als ob das ein Grund wäre,
einen Kaufmanne die Kundichaft zu
entziehen!
Noch ein räthfelhaftes Local beſitzt
die Straße, das ich troß angeborner
und ſtark entwidelter Neugier und ſelbſt
einer mäßigen Portion perfönlichen |
Muthes, den zu haben ich mir Schmeichle, |
nicht mäher zu unterfuchen wagte. &3
liegt ziemlich verftedt zwifchen den
übrigen Häufern und nennt ſich „Sid—
ney=Dall”.
Ein paar Hundert Schritte bon
unferer Gaffe find wir in Fulham—
Road. Bon dort verkehren Ommnibuffe
ſowohl nah Hammerſmith und weiter, |
wie auch in entgegengefeßter Richtung |
zur Eity. Biegt man jedoch nicht zur
erwähnten Straße ein, fo kommt maıı |
in das Gewirr all’ der Gaffen und
Gäßchen, die fih von hier bis zum
Themfeufer ziehen. Fünf Minuten
davon iſt eine Station der Metropo-
litarı Railway und um diefelbe nette,
von wobhlgepflegten Gärtchen umge:
bene Hänfer, vor denen Equipagen ab
und zu rollen, bier aber iſt es ſtill
und nur der unarticulierte Nuf des
Miihbuben und der heifere Schrei
„meat!“ des Verkäufers von auf dünne
Hölzchen geſpießtem, zu Kapenfutter
beſtimmtem Fleiſche bringen vorüber:
gehendes Leben in die öden, wie ver:
lafienen Anfiedlungen. Eine Hundes
leiche ſinkt ungehindert tagelang der
| berunterblidt,
befagter Schub noch lange Zeit hier
in Wind und Wetter liegen bleiben,
ohne daß ein „redlicher Finder” ſich
feiner erbarmte und ihn vor der Un—
bill der Witterung und dem Ueber—
muthe der zufällig des Weges kom—
menden Kinder, die ihn regelmäßig
als Puppen-Equipage requirieren, in
Sicherheit brächte.
Das Gäßchen Führt zu einem Pla,
und zwar einem wirklichen, wahrhafti«
gen Plaß, nicht einen foldhen, wie
wir ihn von unſern Fenſtern aus ſehen.
Die Häufer ringsum haben fo hübjche
Vorgärthen und muthen jo heimlich
an in ihrer Ruhe, die paar Bäumchen
beichatten nach Kräften das hinfällige
Standbild irgend eines Heiligen und
der Sand fnirfcht jo merkwürdig unter
unfern Zritten, als wollte er erzählen
von der ranfchenden See und der
Wunderwelt auf ihrem Grunde, von
der er eine Menge Mufcheln und Ge—
häuſe noch mit fich genommen. Drei
oder dier ausnahmsweife ruhige Kna—
ben haben diefelben geſammelt und fie,
vielleicht unabſichtlich, zu Füßen des
Heiligen niedergelegt, der mm darauf
als wäre er noch nicht
mit Tich im Neinen, was er eigentlich
niit dieſem Opfer beginnen folle. Er
Ihant jo gutmütbig drein der alte
Herr und hat gewiß für all’ die glüde
lich oder unglücklich Liebenden, die im
Schatten der Naht fein Standbild
unfreisten und wilpelten und ſich ganz
ungeniert dor ihm küßten, wärnfte
Fürbitte eingelegt.
Und darum that es uns auch Jo
web, als wir eines ſchönen Tages den
Platz überichritten und die boshafte
Sonne troß der ſchützenden Baumes—
äſte ſo recht hell den Stein beſchien,
auf dem er früher geſtanden — —
Eine frevelnde Hand Hatte
hinweggenommen — — —.
ihn
211
Faſt traurig giengen wir die ſtille andern Häufer feine rothen Vorhänge
Straße hinauf, unfrer Wohnung zu. | haben und die meiften auch fein Gärt—
Das Kätzchen ſaß ruhig, als ob nichts | chen davor, wo ein Mädchen ftchen
vorgefallen wäre, in feinem Fiſchkübel könnte — es ift fo langweilig in der
und hielt Todtenwache, vor dem Public | Straße, wir gehen lieber nach Haufe.
Haufe ftanden ein paar Arbeiter und | Miß Nelly öffnet das Gitter und bietet
ſchmauchten ihre kurzen Pfeifchen, und | uns die Hand zum Gruß. —
weiter oben fteht am Eifengitter vor Good bye, verehrter Lefer, ich
dem Haufe ein Mädchen und ſchaut die habe Dir ein idyllifches Plätzchen ge—
Straße herab. Das Haus hat rothe | zeigt im Haftenden Leben der Welt—
Vorhänge in den Fenftern und das | ftadt — das Idyll meines eigenen
Mädchen Hat braune Haare. Lebens aber erzähl’ ich nicht weiter.
Wir bemerken jeßt erft, daß die
Fine kleine Komödie Raimunds.
Stadtgeihichte von Auguft Silberftein,*)
r IT: uf dem feinften Plage der inne- | conträger, feine ganz unbekleidete Rüden
a ren Stadt Wien, dem „Gras | feite nah außen, Manche behaupten,
ben“, fteht ein riefiges Haus, deſſen um der Geringſchätzung Ausdrud zu
Eigenthümer, nach Berechnung Müßi- | geben, welche der Erbauer den Mei—
ger, jtündlich einen Ducaten Erträgnis | mungen der Welt entgegenjegen wollte;
geniehen fol. Das Prachtgebäude hat Andere erzählen, es habe dieſe etwas
ein urſprünglich armer Druderjunge | derblomifche Mahnung einer Spröden
gebaut; ſpäter oder zur Zeit dieſer gegolten, deren Fenſter gegenüber lagen
Grzählung war er freilih „Faiferlih umd die den Brautwerbungen des
föniglih ausſchließlich privilegierter früher weniger reichen Druders falte
Hof-Buchdruder”, hieß Freiherr von | Abweifung und fogar Hohn entgegen
Trattnern, und er war fo freiherrlich, geſetzt.
Schiller, Goethe, Herder, Wieland, In diefem Haufe wohnte im oberen
jelbft Koßebue und Genofjen u. ſ. w, Stodwerle Thereſe Krones. So hatte
nachzudrucken — wogegen diefe fein
Verbot im lieben deutjchen Weiche
ſchützte!
Un einem der vier Thore, ud
zwar einem der beiden dem Hauptplaße
zugewendeten Thore diejes Hauſes,
fehrt mierhvürdigerweile ein rieſiger
fteinerner Karyatide, Bogen= und Bal—
*) Aus deffen neuefter Sammlung:
‚fein Weib zuvor, fein Mädchen das
‚Herz des Volkes getroffen, fiir das fie
auf der Bühne Geftalten ſchuf. Die
Neuberin hat nur für den Theil der
Beſten einft gefpielt: Thereſe Krones
'in Wien war die erwachte heitere
Volkslaune in Perſon, die lebendige
Geſtaltung der liebenswürdigen, wie—
Landläufige Geſchichten aus Dorf, Stadt
und Alm * (Leipzig. Albert Unflad. 1886.) Siche Heimgarten X. Jahrg. Seite 799.
14*
nerischeöfterreihifchen Heiterkeit, und! Ein Kartenſpiel mit Korntheuer
der Dichter Raimund verewigte fie in | gehörte zu feinen liebſten Vergnü—
der Geftalt der „Jugend“ in feinem | gungen, und der guthinütige Lange lieh
„Verſchwender“, oder fie begeifterte | jih die Launen des Mannes gefallen,
ihn zu der Geftalt, fie führte ihn | deifen Ueberlegenheit er, wo es ſich
durch ihr ganzes Wefen auf das Schaf- | ernftlih darum handelte, nicht mur
fen und Beleben diefer „Jugend!“ | gerne, fondern begeiftert anerkannte,
Jugend und Munterkeit waren | So gab er fi zumeilen zum
ftet3 beifammen — jo auch hier. Die) Stihblatte Her, Korntheuer ließ in
„Krones Nefl" nahm das Leben als ‚feiner Gutmüthigteit Späße mit ſich
einen Becher, deſſen Inhalt immer vollführen, ohne fie je zu verderben,
neue Perlen emportreiben mußte, fie | vielmehr war fein Streben, fie zu er=
war jo heiter außer der Bühne, wie höhen, und er beſaß natürlihen Witz
auf derjelben! |genug dazıt.
Dem wehmuthreichen, tiefzernften| Eines Abends fah der Heine Kreis
Gemiüthe Raimund's war es zumeilen | fo bei Therefe Krones. Unvorherge-
eine befondere Erholung, bei Therefen | fehen hatte ih ein Baron Starofta,
einen Abend in Gefellfchaft zuzubrin= ein reicher Edler aus Serbien einge
gen, er trat da aus ſich heraus, erfunden, der in der Hauptjtadt den
befand fich wohl, wie felten andersto. | Zerftrenungen lebte; und die voreilige
Solde Heine Gefellichaftsabende Auskunft des Stubenmädchens, daß
waren nur den Wuserlefenften, den ihre Herrin zu Haufe und im fleinen
Freunden des engften Kreiſes zugäng- Freundeskreis fei, hatte ihm Einlaf
lich, und trotzdem ſich Gavaliere mit und Zutritt verfchafft.
den reichften Spenden Hinzudrängten | Raimund war eine Weile ver-
— hießen leßtere doch nur immer die, ſtimmt darüber, er ſcheute ſolche nicht
„Schmaroper“.
Der Künſtlerkreis wußte, gegen
die Gaben des Witzes und Geiltes
feien die anderen mur von geringem
Werte.
Zu dieſem auserleſenen
Kreiſe gehörte Korntheuer.
Er war der Dritte im Bunde der
darſtellenden Größen, welche ſich das
Er war aber auch
in der That ein Großer, eine rieſig
Volk auserforen.
lange Geftalt, mit langen Armen,
langen Beinen, langem Halfe, langen |
Gefichte, langem Kinne, langer Nafe,
und zumweilen wollte es den Zufchauern |
dünken, als befie er die Macht, mebit
dem Andern, ſelbſt letztere noch vers
längern zu fönnen.
die Ruhe, die Gleichgiltigkeit ſelbſt und
fih um Alle vor ihm nicht zu küm—
mern. Dies erhöhte die Wirfamteit
feiner Späße und er war ein Liebling,
Raimund's geworden, der gerne mit
ihm fpielte, außer der Bühne lebte
und fpielte!
Heinen |
Dabei ſchien er,
| ganz bequeme Genofjenfchaft und warf
' ftechende Blide auf den Blumenftrauf,
welcher im koftbar geſchliffenen Kryftall-
gefäße, auf filbernem mit Schmelz
verziertem Sodel, der Künftlerin von
dem Verehrer dargebracht wurde.
Therefe Krones fuchte indes die
Ehre des Abends zu retten und that
jo viel wie möglich, um die Heiterkeit
in Fluß zu bringen. Eine Whift-
partie war bald geordnet, und Scherz
und verlorene hohe Einjäße des mehr
an Geld als an Geift reichen Serben,
edle Weine, thaten das Beſte — die
Geſellſchaft kam bald in die heiterfte
Laune.
Raimund trank zuerft aus Miß—
behagen, dann angeregt vom Reben
fafte und von Korntheuer, der feinen
Freund ftets zu erheitern ſuchte.
„Eben recht, lieber Korntheuer,“
fagte Raimund im Gefpräde, da
eriterer ihm mit mit einem Spaß in
die ernfte Rede gefallen war, „ich
muß Did wirkli bitten, wenn ich
213
gerade etwas Ernfles und zwar auf] mehrere Flaſchen alten Leopoldsberger
der Bühne fpreche, Deine Dummheiten | gefoftet!”
fein zu laffen! Was thut der alte „Auch zähle Deine Knöpfe an
Narr geftern, als Herr Müller, der | Rod und Wefte nicht mehr fo rappelig
Liebhaber, eben auf der Scene feiner auf und ab, kreuz und quer, ohne
Angebeteten die feurigfte Liebeserkläs | jemals mit der Rechnung fertig zu
rung macht? Er betupft fich, durch | werden, wenn Du gerade nicht mit—
einen geihidten Wurf des Kopfes, mit | zufprechen haft . . . Hört Du, ſonſt
dem Zopfe die linfe Schulter, und‘ fpiele ih Dir einen Streih, an den
ſuchte dann immer den fremden Spaß | Du denken wirft!”
macher, der ihm heimlich” auf die) „Du mir? Das bift Du nicht im
Achſeln geklopft haben ſoll. Er geht! Stande!“
zuerft um fich herum, und als er „Ich wär's nicht im Stande ?!*
dann natürlich Niemand findet, lauert |rief Raimund faft angegriffen.
er eine Weile mit feinen Glotzaugen „Nein, Papachen Ferdinand,“ ſagte
auf den Unſichtbaren. Endlich wirft Thereſe zu Raimund; „erſtens biſt
er, wie ertappend, den Kopf wieder Du zu gutmüthig für dieſen gleich—
auf die andere Seite, der Zopf thut giltigen Sünder, und dann bringt
wieder ſeine Schuldigkeit, und ſo geht man ihn durch nichts außer Faſſung!
er wieder um ſich herum, das Spiel — Was thut er unlängſt in der
beginnt don Neuem, jo dab das „Falſchen Primadonna“? Er ſpielt
Bublitum vor Lachen plagt... Miller die Rofle des Biürgermeifters von
mit feiner Liebeserklärung verzweifelt Krähwinkel plöglich, zur Aushilfe in
und in den rührenditen Momenten |der Not, und hat fein Wort davon
ungehört und außer fi vor Grimm gelernt. Er ſchwätzt fi dur dus
abftürzt! — Du bift ein Böſewicht! Stüd durch und heraus und wird
Und ein Glück ift Deine Stegreif- noch nad jedem Abgange gerufen!“
Ihwäßerei, die das immer zufammenz | Kornthener nidte, Raimund lächelte
zubinden weiß, was ſonſt feinen Sinn wie in behaglicher Erinnerung.
und Zufammenhang hätte !* „Die Salat:Gejhichte war aber
„a, warum fpielt der Burjche doch am beften gelungen!“ rief die
auch ſo ſchlecht,“ ſagte Korntheuer, Krones.
„daß ich mich zu langweilen beginne? „Welche Salat» Geichichte, wenn
Er kann mir’s danken, dak er micht ich bitten darf ?* fragte der Fremde.
ansgeziicht wurde, denn jo Hat ihn „Nun,“ fuhr Therefe fort, „der
mein Lachenerweden ohne Schaden Poet Sperling Edler von Spaß,
hinausgebracht!“ welcher bei den Krähwinklern und
„Und haft Du nicht Schon heimlich dem Empfange der Sängerin eine fo
gewettet, Du bringft mich außer Faſ- | thätige Rolle fpielt, tritt ein und
fung mit Deinem tollen Nebenfpiele, | meldet dem Birgermeifter, der feine
das Dur Dir erfunden? Und haft Du, Rolle nicht weiß: Ich habe alle Gärten
während ich eine ernfte Ansprache zu | geplündert, um Blumen ſtreuen zu
halten Hatte, nicht das Geſicht ver= |laffen, und da die Blumen nicht genug
zogen, als ſetzte fih hartnädig eine | waren, jo Hab’ ih auch Salat auf
fliege auf Deine lange Nafe; und |den Weg ftreiten laffen. — Da ver-
haſchteſt Du fie nicht endlich, ſcheinbar zieht der Stegreif-Bürgermeifter Korn—
vergebens, mit allen ſchlauen Künſten |theuer feine Miene und antwortet mit
in der Luft? — Dies Alles, während | tiefem Ernfte: Das war gut gethan . ..
ich eine rührende Anfpradhe zu halten laſſen Sie noch auf meine Koſten
hatte ?” | zmölf Gier hart fieden und auf den
„3a, Du Haft mid da leider | Salat legen! — Das Bublifum brach
in dröhnendes Gelächter aus, Alles
war erfchättert, nur Korntheuer ftand,
als hätte er nichts gefagt und nichts
gethan!“
„Und ich bringe ihn doch einmal
außer Faſſung ... dennoch!” rief
Raimund.
„Farbe bekennen!“ rief Korn—
theuer und warf ſeine Karte, fort—
ſpielend, auf den Tiſch. — „Aber ich
bitte Euch, wenn's Niemanden ſtört,
ſo nehmt die Armleuchter weg, oder
löſchet einige Kerzen aus, daß ich
nicht ſo geblendet werde. Ich bin
froh, wenn ich einen Abend wenig
Lichter um mich ſehe, meine Augen
erleiden es nicht mehr!“
„Und Du glotzeſt doch ſo mit
Deinen Augen!“ ſagte der Freund.
„Ja,“ ſagte die Krones, indem
ſie die Armleuchter bei Seite ſtellte
und nicht mehr als zwei Lichter auf
dem Tiſche ließ, „es iſt nichts als
Eitelkeit des alten Knaben; er weiß,
daß er mit dieſen Augen gar viele
Rührung im kaiſerlichen Hofburg—
theater hervorgebracht, als er noch die
tragiſchen und ſchwermüthigen Rollen
ſpielte, bis ihn das Publikum zwang,
das fein zu laſſen und andauernd
fomisch zu werden. Es iſt nichts als
Eitelkeit!“
Hierauf winkte ſie dem Stuben—
mädchen, die Armleuchter zu entfernen.
Eine traunlihe Dämmerung breitete
fih über die geſchmackvoll eingerichtete
Stube, deren Läden Hinter den Vor—
hängen gefchloffen waren, damit feine
nengierigen Blicke von gegenüber ein—
dringen fönnten.
„Und ich ſage,“ begann wieder
Raimund ſchalliſch-boshaft, indem ſich
Korntheuer nun behaglich zurecht rückte,
„er ſieht wirklich ſchlecht mit dieſen für Deine Familie...
Korntheuer mit den fchönen Augen
hat den Nachtnebel, fieht aber für
kurze Zeit wirklich nichts, nicht einmal
feine lange Naſe!“
„Ic ſehe wenigften feine Geifter,
wie Du fie ſiehſt!“ entgegnete der
Angegriffene, dem Geiſterkomödien—
Ichreiber den Schlag erwidernd.
„Das kann Dir auch gar nicht
paflieren, daß bei Dir ein Geift zum
Vorſchein Kommt!“ ſagte Raimund.
Dir Andern ladten.
„Na, weißt,“ ſagte Kornihener in
feiner trodenen Gelafjfenheit, „es ift
mir auch wirklich noch gar nicht paſ—
fiert, dag ich mit einem Geift bei»
ſammen gewejen wär’, troßden Du
mein Freund bift!“
Die Anderen lachten abermals und
die Krones rief: „DO, ſeht nur, er
kommt micht außer Faſſung! Er ift
nicht unter zu bringen... niemals!“
Dabei fprang Korntheuer auf, wie
ev es liebte, glänzende Abgänge zu
machen, und entfernte fich ſteif-gleich—
giltig. Raimund eriparte den Gegen
ſchlag, war aber auch dabei im Rüde
ftande.
Er fühlte fih Hierdurch ange:
fpornt, und im Augenblid durchfuhr
ihn ein Gedanke.
Während nun der Gefelljchafter
fehlte, Iprang Raimund raſch empor.
„Sch kriege ihn! Helfet mir zu einem
Spafe! Liſette!“ rief er dem
Stubenmädchen entgegen, das bedie=
nend ab und zu gieng, wenn ich die
Spielmarten wie unverjehens vom
Tiſche ftreife, bebit Du fie auf und
pußeft dann die Lichter, löſcheſt aber,
wie zufällig eines aus, jenes drüben...
hört Du? Verziehe aber feine Miene,
font befommft Du nie mehr Freilige
die wirklich
Ihönen Augen. Ueber Did kommi's nicht Hein iſt!“
no, weil Dit fo eitel auf Deine |
Das Stubenmädchen lächelte und
Augen bift! Glaubt Ahr, er macht nixte zuftimmend.
Spaf, wenn er zuweilen die Perfon,
„Dann laſſet mich nur machen!”
zu der er treten und Sprechen, oder | fuhr der Redner fort. „Ihre Andern,
der er etwas geben foll, nicht findet ?! Sie, Herr Baron und Du, Thereie,
Das Publikum laht ... der arme thut mur wie ich und laffet Euch durch
215
nichts, was da fommt, irre machen ! „An mir ift das Sartengeben!*
Auf Dih, Du Donauhere oder Donau- | fagte der Baron, um fih auch einzu—
nire (eine Rolle, in der die Krones | mengen, und theilte das Spiel wieder
glänzte) ... “s ift alles eins . . . aus, während die Adern ihre feinen,
kann ich mich verlaffen, md den Deren | gewohnten, unter Schaufpielern ſehr
bältft Du mic fein unter Aufſicht! gebräuchlichen Nedereien fortjegten.
— Das joll gut werden! Der Augen— Das Stubenmädchen hielt sich
verdreber und jchelmifche Böfewicht, | immer geichäftig, bald einſchenkend,
der alle Schartefen über Augen liest, | bald einen Imbiß anbietend, in der
fol einmal für feine Eitelfeit hart | Nähe, gewärtig des von Raimund an—
geliraft werden und mir doch endlich |
aufſitzen ... ich weiß, womit ich ihn |
treffe! — Bit! er kommt ... nicht
verrathen!“
Korntheuer kam, ſetzte ſich wieder—
an ſeinen Platz, als wäre nichts vor—
gefallen und nahm Spiel und Ge—
ſpräch wieder auf.
„Ih mußte nach meinem Haus:
ſchlüſſel ſehen, ob ich ihm im Weber:
ziehen habe, fonft muß ich das ganze
Daus um Mitternacht herausrumoren!“
fogte er.
„Und wir find gewohnt, dab das
ganze Haus uns herausrumoret ..
nicht wahr?” fagte die Krones, welche
nicht minder wie die Männer ihren
Stolz und ihre Kraft in Stegreiffpäße
ſetzte. |
„Das Neferl muß mir noch ein |
Stüd ſchreiben,“ ſagte Raimund, „Sie
hat das Köpfl dazu! — Und dem
Kornihener gibft Du die Hauptrolle
darin. Aber das Stüd muß immer
in düftern Höhlen, Handwerkerftuben,
Vorftadtbierhänfern und bei nächtlichen
Luternen Spielen, damit der Korn—
theuer nicht geblendet werde und feine,
Gitelfeitsguder deſto beffer auf das
Publikum hinausblicken!“
„Den Raimund ftedit aber jo viel’
Licht auf, als D fkannft, der Hat’s
nöthig!“
„Der wandelt immer in lichtern
Räumen als wir, mein Lieber!” jagte
die Krones und verpflichtete Raimund
zu einem zärtlichen Blide — überhob
ihn aber gleichzeitig einer Antwort, |
was ihm im dieſem Augenblide lieb
und pafjend war.
gedenteten Zeichens.
Endlich fühlte die Krones unter
dem Tiſche ein veritändigendes Be—
rühren ihrer Fußſpitze durch die Rai—
mund’s, im felben Augenblide ftreifte
er mit dem Elbogen die Marken von
der Tafel, fie Happerten auf den Fuß—
boden, das Stubenmädchen war rafch
zur Hand fie aufzulefen, veichte fie
gelaffen wieder hin — pußte, wie
angeordnet, die Lichter und löſchte
das bezeichnete aus.
„Das ift gerade ein guter Zufall,
Lifette. Lab’ das Licht, es geniert
ohnehin den armen Korntheuer! Die
Kronesin nimmt's mit übel und der
Herr Baron auch nicht. Wir fpielen
bei einem Lichte, wir Sehen gut, und
dem Kornthener gefchieht ein Gefallen,
d. h. wenn er jeßt noch ſieht!“ Dabei
bedeutete er, mit einer Bewegung des
Kopfes umd der Augen, dem Stuben»
mädchen, zu gehen.
„Will's beweiſen!“ fagte Korn—
theuer. „Hab' ſchon oft nit mehr ge—
habt und hab’ müſſen bei der elendeſten
Schuſterkerze meine erſten Rollen ſtu—
dieren! Laß's meinetwegen, mir ſoll's
recht ſein!“
„Alſo, ich ſpiele aus!“ fagte Rai—
mund, an dem dies war.
Nachdem die Andern zugelegt hatten
und das Ausjpielen einmal herum
gegangen war, bob er die Lichtjchere
und löſchte das letzte Licht an feiner
Seite aus.
„Oho!“ fagte er wie überrajcht,
„die Ungeſchicklichkeit! Ja, nur die
Schönften in der Gefellfchaft follen
das Licht pußen, das wär’ von Män—
nerfeite Hier Kornthener geweien. Aber
216
tut nichts ; bleib’ Kronesin, ich werde |
gleich Licht machen . . . Ihr follt gleich
eine Probe der neneften Taſchenfeuer—
zeuge ſehen, ich Habe eines bei mir!“
Dichtefte Finfternis herrſchte im
dem Raume, die Läden waren ja auch
gefchloffen und Niemand Jah eine
Handbreite weit vor fid.
Alle ſaßen ſtumm Harrend.
Raimund rüdte feinen Seflel, als
beichäftigte er jih. „So!“ fagte er,
„das geht Schnell! He? — Seht Ihr,
es zündet Schon, nach einem einzigen
Striche über eine Fläche. Zuerſt iſt
das Flämmchen blau, dann rotd, dann
hell gelbweiß und fladert. So ...
da ift das eine Licht angezündet, und
num gib auch das andere, Reſerl ...
fo... ih dan® Dir! ... ha, das
ift ein Kunftftüddhen, was? Man
hat’s jegt weit gebracht!”
Er räufperte, wie gejagt, und
rüdte mur dann an dem Leuchter |
während feines Redens, hatte aber |
eigentlih gar nichts gethan und es
herrſchte dichte Dunkelheit im Zimmer
wie zuvor.
Der arme Korntheuer, eitel auf|
feine Augen und in der That ſehr
furchtfam wegen derjelben, jaß wie
angenagelt. Er riß die Augen auf,
ob er ih täuſche — er fah nichts!
„Nun fpielt weiter!” rief Rai—
mund im jelben Angenblide und tippte
gleichzeitig mit feinem Fuße mach dem
der Krones.
„Ih Spiele die Dame aus!“ rief
diefe, den Scherz rafch verftehend.
„AH, Sie laffen fih den Stich
entgehen, Herr Baron!“ fagte Rai—
mund. „Nun, Korntheuer, Du haft
den König, heraus damit!“
Der arme Sornthener ſprang auf,
ächzte ſtark: „Um Gotteswillen! Wo
feid Ihr ? Licht! Licht!“
Raimund's Scherz mit dem Eitlen
war gelungen!
„Was ift Dir? Sind nicht genug
Lichter da?“
„Ich ſehe nichts! Ich ſehe nichts !*
| Nein
„Mache keine Dummheiten!“ rief
Raimund. „Um’s Himmelswillen, es
bat Dih doch micht im Eruſte Dein
Augenlicht verlaffen! — Deine ſchönen
Augen !*
„Aber Korntheuer! Korntheuer!“
jammerte die Krones, mit aller Ko—
mödianterie den Scherz begreifend und
fördernd.
Dem armen Korntheuer war einen
Augenblick lang furchtbar wehe, er
erinnerte ſich von plötzlichen Erblin—
dungen geleſen zu haben — aber die
Worte Raimund's: „Deine ſchönen
Augen!“ zündeten ihm plötzlich ein
inneres Licht und er fühlte blitzesraſch.
daß er im Scherze unterlegen, wirklich
ein Opfer feiner Furcht und Eitelkeit
geworden.
Er verftand und errietd nun den
Zufammenhang. Er, der Raſche im
Stegreife, wollte fih aber auch gleich
helfen er wollte die Boshaften
ftrafen!
„Hreunde! Wo feid Ihr?“ rief er
mit tiefftem Somödiantentone. „Iſt's
möglich, if’ wahr? O, jo plöglich !
nein, das kann nicht lange
währen, das ift vorübergehend !*
„Sb habe von foldhen Fällen ge—
leſen,“ ſagte Raimund dumpf, wobei
plöglide Naht ... O!“ jammerte
er, „Freund! Freund!“ und rüttelte
den Erfaßten.
Der Baron bif ſich in die Lippen.
„Löfcht die Lichter aus!“ rief
Korntheuer. Vielleicht Hat mich der
rasche Wechfel von Licht und Finſternis
geblendet, es ift dagemefen ... löſcht
aus, ich bitte, und laſſet mich eine
Weile im Dunkeln ... o lafjet mir
einen Augenblid Ruhe, ich muß mich
faſſen! faſſen!“ rief er mit erſchüt—
terndem Tone und ſchlug im Dunkeln
die Hände tragiſch zuſammen.
Sich zur Seite der Krones nei—
gend und fie erfaſſend, flüſterte Rai—
mund ihr in's Ohr: „Es iſt genug,
eile um Licht, Kronesin!“
Einige Augenblide herrſchte Stille,
als jollte der Bitte des Unglüdlichen
willfahrt werden — jofort drang aber/aber ich ſeh' Dich nicht! ... führ'
fihte Dämmerung aus dem Neben- | mir die Hand, daß ich umher tafte!“
zimmer herein, fie breitete fi immer | „Der dumme Schred, der raſche
heller aus, Therefe kam mit dem Lichte Wechſel von Licht und Naht... ja
näher und trat endlich, mit flammen—
reihen Armleuchtern, in die Thüre.
„Hahaha!“ brach die Iuftige Kro—
nes zugleich mit Raimund in Lachen
aus und Letzterer klatſchte in die Hände.
„Was foll das Lachen ... Ihr
Grauſamen!?“ rief jet Korntheuer
ſcheinbar entrüſtet. „Was ſoll das
Lachen!?“ — Er erhob ſich dabei,
ſeiner ganzen Länge nach, aus dem
Lehnſeſſel und ſtürzte wieder darein
zurück, indem er ſeine düſtere Miene
nur noch ſchmerzhafter verzog.
Nun riß Raimund, riſſen die An—
deren Alle die Augen auf und waren
einen Augenblick wie ſprachlos.
„Mach' keine Dummheiten, hörſt!“
fagte er dann weich. „Ende einmal
den Scherz, den ſchlechten Scherz,
den—
„Welchen Scherz?“ rief Korn—
theuer im falſcher Richtung ſtarrend.
— „Seid Ihr von Sinnen? Bin ih!
es? Was ift mit mie?! Wo bin ich 2”
tief der ehemalige Tragifer und fuhr
ja... ich bin Schuld ... o meine
Dummheit!“ jammerte Raimund mit
feiner Stimme, die bald zu dei tiefften
Tiefen, bald zu dem höchſten Diskant
wechfelte „Es wird ſich aber
geben ... nur raſch einen Doctor,
mehrere, zwei! Die Profeſſoren Jäger
und Wattmaun, die Operateure! Mein
ganzes Hab’, meine eigenen Augen,
mein Leben geb’ ih ... o Korn—
thener, Sieh’ mich, Tieh’ mich 1" Und
er drüdte ihm die Hand und legte
fie danır zum Stüßen auf den Tiſch.
„Das ift der Tiſch . . . wo ilt
die Krones!“ Und indem Korntheuer
mit der Hand ſcheinbar ſuchte, ſtreifte
er des Barons Geſchenk, die theure
Kryſtallvaſe von dem Tiſche, daß das
Waſſer den Baron übergoß und das
Gefäß auf dem Boden in Scherben
jerplaßte.
„Warte!” dachte er, „Du ſollſt
mir den mitgeſpielten Scherz büßen,
und Du mußt anftandshalber doch eine
neue kaufen!”
„D, was ift über mich gekom—
mit beiden Händen über die Schläfen | men... was ift über mich gekommen!“
in die Haare, die er fträubte, das | jammerte er und fuhr mit den langen
vollendete Bild eines Verzweifelnden. | Armen nach beiden Seiten fo aus,
„Siehft Du nichts? Siehft Du daß er Raimund hart an den Magen
wirklich nicht?" frug Raimund nun traf, welcher ſein kummerhaftes Gejicht
mit pochendem Herzen, das bei ihm; nur noch in ſchmerzlichere Falten 309.
befauntlih raſch von Luftigkeit in
MWeichheit übergieng.
„Einen Doctor! einen Doctor!”
ſchrie Korntheuer mit tiefftem, tragi=
ſchem Brufttone.
Die Krones ächzke, Tief hinaus,
der Baron ftarrte ſprachlos mit offenem
Munde.
„Um's Himmelswillen !” rief Rai—
mund, „Freund! Brüderl, Bruderherz!
was iſt Dir? Siehft Dur mich nicht 7“
Ih bin unglücklich!“ Er warf ſich
an deſſen Bruft.
„Sa, ich fühl's, ich Hab’ Dih ...
„Da haft Du auch was für Dein
Spiel,” ſprach der Jammernde zufries
den in fich ſelbſt.
„Lifette! wajche mir die Augen
mit falten Waſſer!“ rief Korntheuer.
„Aber ich ſehe ja nichts, ich be—
merke ja nichts ... Dein Auge iſt
ſo offen und klar und durchdringend
wie früher!“ rief Raimund.
„Das iſt das Unglück!“ rief der
‚ Bejammerte.
Die Krones nahm dem Mädchen
Schwamm und VBeden aus der Hand,
um dem Armen die Augen zu kühlen.
„O Liefil” fagte diefer zur Krones,
18
als könnte er michts unterſcheiden, Raimund brach in furchtbares
„wenn mir das Waſſer hilft ... ich Lachen aus. Ex verſtand den ernſten
habe nichts . . aber Deine Frau Scherz, und fprang mun, wie außer
gibt Dir, mir zu Lieb’, die Ausiteuer | ih vor Freuden, umher! Er umarmte
und heiratet Dih aus! Der Baron den geretteten Freund, den Doctor,
ſchenlt Dir auch mehr als Hundert das Stubenmädchen, den naffen Baron,
Gulden! O..o!. alle Welt, und war glüdlich, überjelig
„Ih bin’s, die Dir die Augen in feinem weichen, fühlenden Herzen!
fühlt, mein lieber armer Freund,“ | Alles lachte Herzlich über den gut
fagte die Krones mit gerührter Stimme; | gelpielten und gewendeten Scherz,
„aber ich übe die Gutthat gerne, wenn welcher der Thorheit Aller die gleiche
“
“
Dur mur wieder ſiehſt!“
„D mir wäre es ein Geringes,
ich gebe das Geld herzlich gerne!” vief
der Baron.
„Wo ift der Doctor! der Doctor!”
rief Korntheuer, der das naſſe Ges
wäſche jatt befam.
„Er kommt fogleich, ich habe den
Burſchen mit dem Wagen des Barons
fortgefchidt, er muß augenblidiich da
fein!”
Raimund warf fich in einen Lehn-
ſeſſel und ftüßte das frauslodige Haupt
in die Hand er hatte, wie er
dachte, mit den Schidfalsgeiftern ein
übles Spiel ſich erlaubt, und war nun
als Frevler von den ſtets auf Unheil
lauernden geftraft !
Die Thüren giengen, Tritte ließen
fih vernehmen, faſt Alle im immer
eilten entgegen, der berühmte Doctor
Jäger trat mit ernſt-neugieriger Miene
in die Thüre und fand einen Augen»
blit in derfelben.
Aller Augen folgten gejpannt den
jeinen, nad) Korntheuer.
Der — erhob jih in feinem Lehn—
Mage hielt.
Der Doctor bedauerte durchaus
nicht, vergebens gerufen worden zu
fein!
„So,“ ſagte Korntheuer und
ſchnupfte feft, „jeht Ihr, meine Kin—
der, ich lache und Ihr bezahlet! Du
Thereſe hältft zur Strafe Deinem
‚ Stubenmäbdel Dein Wort, ich kenne
‚ihren Erwählten, unseren Theaterfri«
'feur, und fie verdienen’s Beide. Der
Herr Baron ...
„. . . Legt Sofort Hundert Ducaten
‚bier nieder, wie er es verſprochen,“
‚ergänzte diefer.
„Und Du Ferdl“ (öfterreichifch
‚abgekürzt für Ferdinand — Raimund),
Du merkſt Div die feine Komödie...
Du Haft eh’ daran genug . . . ja, jet
thut mir's leid, ſchon zu viel! Sie,
Herr Doctor, Sie ſind unſchuldig ...
ſie ſpeiſen mit deſto größerem Appetit
jetzt mit uns!“
„Und ſtoßen mit Champagner an
auf des alten Korntheuer's jugendlich
frische Augen!“ rief munter die Krones.
Deiter vergieng das Nachtmahl,
man brach jpät auf. Raimund ſummte
“
!
|
ſtuhl gegenüber — Stand Hoch aufs ein Liedchen ftill im ſich — vielleicht
gerichtet — griff im die tiefe Weſten- waren es die Keime des ſchwermüthigen
tajche, holte jeine Schnupftabatsdofe Hobelliedes . . . „und klopfe meinen
hervor, klopfte darauf und öffnete ſie Hobel aus und ſag' der Welt adjee!“
raſch: „Wünſch' guten Abend, Herr — ſein letztes, bevor er ſich erſchoß.
Doctor... kann ich Ihnen mit einer
Priſe dienen ?* Und dabei Jchritt er
ihm, zierlich ſich verneigend, möglichft
niedlich entgegen.
Erſchütterndes Gelächter folgte dieſer
unerwarteten Wendung.
Er geleitete Korntheuer bis fern
in die Borftadt, an fein Haus — er
hüllte fih bei kühler Nachtluft dicht
ein — er Sprach fein Wort und drüdte
ihm feft, aber ſtumm beim Abjchiede
‚die Hand.
Bekenninife aus meinem Weltleben.
Von P. R. Rofegger.
XV.
Die Geſchichte eines Zeuilletons.
er. :
IK Sin Fenilleton! Der Lefer durch:
u: fliegt es, denn die leichtfertige
Natur des Feuifletons Hat auch ihn
leichtfertig gemacht, er gleitet gleich»
giltig darüber hinweg, im beiten Falle
fritifiert er e&, ohne es eigentlich ge=
lefen zu haben. Daß fo ein Feuilleton
auch feine Individualität, feine Schid-
fale feine Gefchichte Haben kann, das
wird wohl jelten Jemand denken.
Und doch ift manchmal die Gejchichte
eines Aufſatzes intereflanter als der
Aufſatz ſelbſt, und vielleicht ſogar recht
lehrreich, wie etwa im vorliegenden
Falle, den ich al& eine mir wert-
volle jchriftftellerifche Erfahrung meinen
literarifchen Genoſſen, ſowie einem vers
ehrlichen Publicum mittheile.
Ich will einmal von den vielen
Fällen, wie mein Name mißbraucht
wird, einen feſtnageln.
lungen und Skizzen zeitgenöffifcher
berühmter Autoren zu veröffentlichen,
in welchem der Name eines fo. . u. ſ. w.
unmöglich fehlen dürfe. Die dringende
Aufforderung, einen autobiographiichen
Beitrag zu liefern ! Natürlich,
in einer Berfammlung hochberühmter
Männer wird man doch mit weg»
bleiben wollen! Die Schöne Gelegenheit,
felbft wie ein großer Mann auszu—
ſehen, wird man fich doch nicht ent—
gehen laſſen! Ein neues Schreiben
hatte bereits die Form einer Auffor—
derung, Viele feien Schon da, man
wolle aber Alle, die vorgemerkt, bei—
ſammen Haben, bevor man anfange,
Zur felben Zeit hatte auch ein eben—
falls in Graz lebender verehrter Freund
von mir eine Ähnliche Aufforderung
erhalten, und wir beriethen nun, ob
wir ums fir würdig halten dürften,
Im November 1881 erhielt ich in die uns fo gütig geöffnete Ruhmes—
bon der Nedaction des „Neuen Wiener |
halle des „Neuen Wiener Tagblatt”
Tagblatt” eine fehr böfliche Einla-— ‚einzutreten. Am Ende würde es
dung, für das Feuilleton desjelben als eine größere Anmaßıng ausgelegt,
Beiträge zu liefern. Ich wunderte wenn wir draußen blieben, als wenn
mich darüber, dem das genannte Blatt | wir bejcheidentlich einträten und uns
hatte den ſchmächtigen Dorfpoeten von auf die vom Nedactionstribunale ans
jeher ein wenig über die Achfeln an- gewieſenen Pläße Hinftellten! Wir
gejehen, und fo ein Ding mit 40.000 | wollten keine Ausnahmen machen, da=
Abonnenten und noch mehr Inſe- | mit man micht etwa gerade auf Jene
renten hat hölliſch breite Achjeln ; mir deute, die micht da feien.
war übrigens ganz wohl dabei und Mein Freund ſchickte ein größeres
ich war nicht geſonnen, das angenehme biographijches Stück aus feinen Er»
Verhältnis zu ſtören. Aber ſchon nach lebniſſen im Revolutionsjahre. Ich
wenigen Tagen fam ein zweites Schrei- hatte eine Erinnerung aus meiner
ben: Das „Neue Wiener Tagblatt” | Studentenzeit für mein neueſtes Buch
habe die Nbficht, vom Jänner 1882 in Vorbereitung, dieſe ſandte ich unter
einen Cyklus autobiographiicher Erzäh: |dem Titel: „Ein guter Rath“ an dus
„Neue Wiener Tagblatt“. Mein Freund
erhielt telegraphiich da3 Honorar ans
gewiefen, ich befam es mit der mächften
Poſt. Wir wunderten uns über dieſe
Eilfertigfeit, da die Blätter ein Hono—
rar doch erſt nah Schluß des Monats,
in welchem ein Aufſatz abgedrudt wor—
den, auszuzahlen pflegen. Indes gegen
große Männer, die wir nunmehr waren,
verfährt man eben zuvorkommender, als
etwa gegen den Schlucker von Dorf:
poeten, der ich ſonſt gewejen.
Als im nächften Jahre 1882 etliche
Wochen um waren, fragte mich mein
Freund, ob wir denn micht Schon im
Pantheon ſtünden? Ich gieng in ein
Lefecabinet, ließ mir das „Neue Wiener
Tagblatt“ bringen und unterfuchte den
ganzen Jänner. Der autobiographiiche
Cyklus war noch nicht eröffnet. Wir
meinten, es feien ihrer noch nicht genug
da, und das Blatt wolle warten, bis
neue berühmte Männer geboren wür—
den, weil viele der alten von den Recen—
fen gejchlachtet worden find. Wir er—
innerten ums erſt wieder im Jahre
1883 auf unfere dem Blatt gefchidte
Arbeiten. Wir baten fchriftlich um
Auffllärung, weshalb der vor zwei
Jahren fo feft vorbereitete Eyflus bis
ber nicht erfchienen ſei? wir könnten
über unfere Arbeiten das Verfügungs—
echt nicht gut länger milfen, hätten
fie nur unter der VBorausfekung ein—
geſchickt, daß ſie zur uns beſtimmten
Zeit und für den angegebenen Zweck
abgedruckt würden.
Jetzt waren wir die Wünſchenden
und ſie die hohen Herren, wir be—
famen Feine Antwort.
Einige Zeit jpäter fügte es ich,
daß ih nach Wien reifen mußte, fo
gieng ich perfönlich in die Nedaction
des Blattes. Ich trage von meiner
Großmutter ber ftets ein Amulet bei
mir md fürchte mich nicht Fo leicht.
Die fteinernen Treppen glüdlich zur Re—
daction emporgeftiegen, durchwanderte
ih das gelobte Land, denn der Feuil—
leton-Redacteur — fo hieß es — fei
jenfeits des Ganges. Endlich ftand ich
220
vor dem liebenswürdigen Sigmund
Schleſinger, der mich niedercomplie
mentierte auf ein Sofa, mit gerun—
genen Händen um Berzeihung bat,
daß der fchöne Eyflus bisher nicht in
Fluß gefommen ſei und mich auf
Ehrenwort verficherte, daß felbiger mit
nächſtem Quartale angehen werde. Ich
hatte aber weder das Ehrenwort ver—
langt, noch den Eyflus, fondern höf—
lichſt nur Auskunft, wo fich unsere
Mannferipte befünden, beziehungsweife
die Manufcripte zurüderbitten wollen.
Nun, ich ließ mein neues, großen
theils autobiographifchen Skizzen ge—
widmete Buch ohne den „guten Rath“
druden. Der Cyllus im „Neuen Wie:
ner Tagblatt“ erſchien auch im nächſten
Quartal nit.
In der Zeiten unendliden Wan—
del kam das Jahr 1885. Von une
jeren dem Wiener Blatte gegebenen,
Arbeiten feine Spur. Ich verlangte
Ichriftlih mein Manuſcript zurüd.
Keine Antwort. Ich wagte mich noch—
mals perfönlih in die Nedaction ;
wieder helle Freundlichkeit, tiefe Zer—
tnirſchung, als man auch das Ehrenz
wort wiederholen wollte, fiel ich dent
Heren in’s Wort: „Nichts, gar nichts,
als das Manufeript. Ich bin Durch
das lange Vertröſtetwerden gefchädigt,
aber ich bin bereit, das Honorar zurüd:
zugeben, nur das Manufeript will ich
haben!”
„Aber befter Herr, der Cyklus
ericheint ja demnächſt!“
„Das Manufeript I”
„Sie werden in guter Gefellichaft
fein, ich verfichere Sie!”
„Das Manufeript !”
„Ein Bauernfeld, ein Wilbrandt,
ein —“
„Ih bitte Sie um mein Ma—
nuſcript!“
„Sie haben es uns verkauft, was
wollen Sie?“
„Man ſchreibt nicht Aufſätze bloß,
daß ſie verkauft, ſondern vielmehr,
daß fie veröffentlicht werden.“
221
„Allerdings, doch bedenken Sie: kluger Mann fein „Wiener Tagblatt“,
Gut Ding braucht Weile. Es wird das jeßt das neue geworden, auf das
ein intereffanter Eplus werden. Nur | Grab der „Wiener Morgenpoft“, die
noch eine ganz feine Weile haben Sie |an Altersſchwäche geftorben war jetzt
Geduld, ich bitte Sie darum!“
Das beiläufig war unfer Geſpräch.
Unverrichteter Sade bin ich fortge-
gangen.
Zum Glüde hatten mein Freund und
ih die erften Rohjichriften von unferen
Artikeln zur Hand. Wir bearbeiteten fie
von Neuem. Und im Winter 1886,
alfo nach faft fünf Jahren, zeigten wir
der löblichen Nedaction des „Neuen |
Wiener Tagblattes” an, daß wir ums
fere Arbeiten im „Heimgarten“ ver= |
öffentlichten wollten. Hätte fie dagegen |
was einzumenden, jo müſſe es alſo—
gleich geichehen, fie wille dann wohl,
was zu thun ſei. Wir zögerten noch)
eine geraume Zeit, und als feine Ein=
wendung gekommen war, verfügten wir
über unſere Arbeiten. Mein Freund
veröffentlichte feinen meubearbeiteten
Aufſatz im „Heimgarten“ 1886, Juni—
und Juliheft, ich meinen „Guten Rath“
im Juliheft.
Die Sade ſchien abgethan zu fein. |
Die Redaction des „Neuen Wiener
Tagblatt” im Belige unferer von ihr
in Empfang genommenen Manuferipte
baltend, wollten wir nun geduldig auf
die Eröffnung des autobiographiichen
Cyklus' warten, und follte es dauern
bis zur Ankunft des Meflias.
Nun war es ſchon früher ge=
ichehen, daß der Gründer und Chef: |
redacteur des „Neuen Wiener Tag: |
hatte er als Erbichaft von diefer alten
Tante das Recht des Kleinverſchleißes
und dazu noch den Bortheil, fein
nagelnenes „Wiener Tagblatt” mit dem
36. Jahrgang, Nr. 295, das war das
Alter der Heimgegangenen gewejen, ein—
führen zu können. Doc vernied er —
wahrfcheinlih aus Schonung für die
tranernden Leer — jede Erinnerung
an die ZTodte, trachtete aber umſo—
mehr, feinem Worbilde, dem verkauften
„Neuen Wiener Tagblatt” ähnlich zu
werden. Außerdem ließ er noch andere,
‚ganz ausgezeichnet praktiſche Mittelchen
ipielen, um den Abonnenten des
„Neuen Wiener Tagblatt“ den lleber-
tritt zum neuen „Wiener Tagblatt”
jo bequem als möglich zu machen.
Sak ih eines Tages in einem
Kaffeehauscirkel zu Graz, mitten winter
Advocaten und Gerichtsräthen, die alle
hell aufgebracht waren über das jour—
naliſtiſche Taſchenſpielchen zu Wien,
gegen das einzuſchreiten das Geſetz
keine rechte Handhabe bieten wollte.
„Eine Schande, heutzutag' Jour—
nalift zu fein!“ rief am Nebentiſch
ein Zeitungsjchreiber der Provinz und
Iprang zornig auf.
„sein rechter Kerl wird da mite
thun!“ fagte ich und war ſtolz darauf,
daß derlei in der Provinz nicht mög—
(ich ſei.
Bom Kaffeehaufe in meine Woh—
blatt” dieſe Zeitung an die Actien⸗ nung gekommen, fand ich dort ein
geſellſchaft Steyrermühl verkauft hatte Schreiben. Es war von der Hand eines
und dab der Mann noch mehr Geld. weitbefaunten vortrefflichen Schriftftel=
haben wollte. Sonac gründete er ein
Blatt, wie er es verkauft, ein zweites—
mal, gab ihm ganz genau die Geftalt
des verfauften und nannte es „Wiener
Tagblatt”. Weil einft das „Neue
Wiener Tagblatt”, welches jebt das
alte war, umartig gemwejen war,
fo Hatte ihm die Negierung den
Kleinverfchleiß verboten. Um diejen
wieder zu gewinnen, gründete unfer |
lers, der mir Stets bejonderd lieb
und wert gewejen. Diejer Schrifteller
war aus dem Hochgebirge, wo er ſich
zur Zeit aufgehalten, ganz unerwartet
und unter vortheilhaften Bedingungen
nah Wien berufen worden, um das
Tenilleton des neuen „Wiener Tags
blatt“ zu leiten. Als er diefe Stelle
antrat, waren vom Blatte bereits
mehrere Nummern erfchienen geweſen.
Tas Schreiben fagt mir den beften | „Heimgarten“ geweſen. Die nächite
Dank „für da3 reizende Kleinod, mit Nummer des „Wiener Tagblatt” brachte
welchem ich dem Feuilleton des „Mies | verftedt und verſchämt eineMotiz, die
ner Tagblatt“ einen fo prächtigen | etwas von oben herab mehr protegie=
Einftand beim Publicum gefchaffen“ |vend als fich entfchuldigend auftrat und
hätte und bittet um baldige neue ſo nebenbei darthat, daß der Abdrud
Beiträge. des benannten zyeuilletons aus dem
Ich weiß im erften Augenblid nicht, | „Deimgarten“, und irrthümlich die
wie mir geſchieht. Alſo ich bin Mit: | Quellenangabe weggeblieben fei.
arbeiter des nenen, jo wunderfam auf: Ih mochte mich nicht weiter darıım
getauchten Blattes ? Ich habe diefen | kümmern und hielt die Sache noch—
Blatte einen jo prächtigen Einſtand einmal für abgethan.
im Publicum gefchaffen? Ja, was ift Die Notiz wurde überjehen ; meine
denn das? Ich weiß von nichts, habe | Freunde bedauerten, daß ich als Mit-
dem „Wiener Tagblatt“ nichts ges | arbeiter des „Wiener Tagblatt” auf-
Ihidt. Da fledt etwas dahinter. ch | getreten fei, und meine Feinde fuchten
ſetze mich hin, jchreibe einen gehar= | aus diefem Umftande Waffen gegen
nifchten Brief: Wie fo, mein Herr! mich zu ſchmieden. Schönnerers „Un—
Das geht nicht mit rechten Dingen | verfälfchte deutfche Worte,“ ein in
zu. Das ift — . Als der Brief fertig | Defterreich ziemlich berüchtigt gewor-
geichrieben ift, zerreiße ich ihn, ſetze denes Antifenitenblättchen, ſpie ſo—
mich auf die Eifenbahn und fahre | fort Schimpf und Hohn gegen mich.
jelbft nach Wien. Diesmal Hatte das Blatt wenig:
Die Unterredung mit dem neuen | ftens einen Schein von Berechtigung
Feuilleton-Redacteur des neuen Blattes | für fi, was ſonſt ſtets micht der
ergab ſogleich, daß die erfte Nummer | Fall gewejen war. Ich weiß ein Liedel
des „Wiener Tagblatt” ein Feuilleton zu fingen davon, wie brav dieſes
von mir „Ein guter Rath” enthalten | Blatt und Gonforten es an Entitel=
babe umd ich vermuthete, daß befagtes | lungen, Verdachtigungen und Vers
Feuilleton ber einft für den autobio= |tufchungen der corrumpierten Preſſe
graphiſchen Cyklus des „Neuen Wiener nachmachen. Ich hätte mit geſetz—
Tagblatt“ gejchriebene Auffag wäre. | lichem Mittel gegen die Bosheiten dies
Das „Wiener Tagblatt“, jagte ich, | fer Selte auftreten müſſen, wenn lie
habe nicht das Recht auf das Feuilleton | mir im Grunde nicht zu gleichgiltig,
„Ein guter Rath“ gehabt. Zudem feilihre Kampfweife nicht zu armſelig
der Auffaß bereits im „Heimgarten“ wäre. Es war eine Zeit, da ich auf
veröffentlicht worden. Der Herausgeber | Schönnerer etwas gehalten hatte, fein
des „Wiener Tagblatt”, bei dem mun | umerjchrodenes Auftreten, fein mit
in der That „guter Rath“ theuer war, | kräftigen Worten documentiertes Ein—
ließ mir jagen, ex fei in Folge meines | ftehen für das Volk, befonders für den
Proteftes ganz gebrochen. Es fei das | Banernftand, Hat mich beftochen ; wir
fragliche Feuilleton ja nur ein Nachdrud | brauchen einen Helden, der mit feus
aus dem „Heimgarten“. Ich glaubte | rigem Zorn den Tempel ausfegt, man
diefer Angabe. athmet und jauchzt auf, im öffentlichen
Dem neuen, an Allen unfchuldigen | Leben einmal einen rechten Mann zu
Feuilleton-Redacteur zu Liebe wollte | jeden. Aber das unqualifizierbare Vor—
ih mich mit einer Öffentlichen Er- gehen der Schönnerer-Preſſe hat mich
Härung im „Wiener Zugblatt“ begnüz | eines Befleren belehrt. Jch war im un—
gen, in welcher zugeftanden witrde, da | ferem Lande einer der Erften von diefer
der Aufſatz: „Ein guter Rath“ alfo | Partei Angegriffenen, weil Mitglieder
ein unberechtigter Nachdrud aus dem | derjelben zugeftandener Maſſen glaub-
ni
223
ten, ich könnte ihr in Steiermark etwa
gefährlich werden. Die geradezu bübi—
ihen Angriffe Hatten mich anfangs
bitter gekränkt; als ich fpäter aber ſah,
dal diefe Partei weit verdienftlichere
Männer ebenjfo oder noch niederträch-
tiger zu befudeln ſuchte, konnte ich mich
nur ärgern, daß ich mich über ihre
Brutalitäten und Infamien jemals
geärgert hatte.
Genug an dem, ich fehre wieder
zur entgegengefeßten Seite zurüd, wo
es denn auch micht viel erfreulicher
ausſieht.
Ziemlich ſpät kam ich auf den
Gedanken, zu unterſuchen, ob das im
„Wiener Tagblatt” veröffentlichte
Fenilleton „Ein guter Rath" wirklich
der Nahdrud des gleichnamigen Auf:
jaßes im „Heimgarten“ fei, wie man
mir derjichert, und fand mun, daß dem
nicht jo war, daß das im „Wiener
Tagblatt” gedrudte Feuilleton „Ein
guter Rath“ mit meiner neuen Bear-
beitung im „Deimgarten“ nicht ſtimmte,
daß es hingegen gleichlautend mit jenem
Manufcripte war, welches ich vor fünf
Jahren für das „Neue Wiener Tags
blatt“ geichrieben, das das „Wiener
Tagblatt“ demnach gelogen hatte.
Nun Hatte meine Empörung fo
ziemlich den Höhepunkt erreicht und
ich veröffentlichte eine Erklärung, daß
der Abdrud meines Feuilletons im
„Wiener Tagblatt“ ohne mein Willen
und wider meinen Willen gejchehen
ſei. Diefer Erklärung mußte vorftehende
wahrheitögetrene Erzählung folgen,
damit meine Freunde, die fich für den
Fall etwa intereffirt haben, Haren Ein—
blid in die Angelegenheit erhalten.
Wie mein Auffaß vom „Neuen
Miener Tagblatt“ in das „Wiener
Tagblatt“ hinübergekommen war und
warum erfteres, welches jonft die Sün—
den des letzteren jo unnächſichtlich
richtet, über diefen Fall Fo beſcheident—
lich ſchweigt, das ift zur Stunde noch
nicht aufgeklärt. Ebenfo wenig, was
ans den für jenen „Antobiographiichen
ar eingejdhidten übrigen Arbeiten
geworden ift.
Aus diefer Gefchichte, welche die
moraliihe Sauberkeit unferer Preſſe
nicht übel bezeichnet, erwächst für uns
Schriftiteller die Principienfrage, ob
eine für ein beftimmtes Blatt auf
eine beftimmte Zeit zu eimem beſtimm—
ten Zwed auf Berlangen gefchriebene
Arbeit ohne Willen und Erlaubnis
des Autors beliebig in ein anderes
| Blatt übertragen werden darf?
Es wäre interefjant, zu erfahren,
ob diefe Herren wirklich glauben, mit
einem Poeten treiben zu dürfen, was
fie wollen !
Wenn alle Wälder jchlafen,
Und alle Quellen ſchweigen,
Die Nebel ftille fteigen,
Die Sterne leiſ' ſich neigen,
Da ift das einfam’ Leben
Ein jelig, jelig Sein.
Wenn alle Wipfel flüftern,
Und alle Vögel fingen,
Wenn alle Geigen fiedeln
Und alle Kehlen Klingen,
Da ift das einſam' Leben
Wohl eine harte Pein.
Ob träumen ftill, ob jubeln
Im lauten Kreis der Freuden,
Das Befte ift, vom Leben
Ohn' alle Thränen jcheiden.
D'rum fei das einſam' Sterben
Gefegnet nur allein.
Brei Haupturfaden
warum ſich heutzutage die Zahl der
Berbreden fleigert.
„Wie jede fittenwidrige Handlung,
der Mißachtung des jittlihen Princips
entjpringt, jo entipringt jedes Verbrechen
der Mißachtung des Gejeges und der
Auf die Verfahrenheiten unferer Zeit |in ihm ausgedrüdten Autorität, und da
kann man nicht oft genug hindeuten. Was | icheint mir nun, dab die Neuzeit an
diefer Zeitjchrift jo oft gelagt bat, wor dem Gebrechen leidet, in hunderterlei ver
durch fie ſich als Lohn für den Muth schiedenen Richtungen an der Erſchütterung
der Wahrheit Freund und Feind ermor: | jeglicher Autorität zu arbeiten, — Wer
ben bat, das jprechen auch andere Stimmen
aus, und es werden deren, die mit uns find,
Gott Lob immer mehr. Vor Kurzem bat
ein Fachmann in einer uns wichtigen Sache |
jeine Meinung gejagt. Ju der vortrefflichen
„Deutſchen Revue‘ (Breslau, E. Trewendt)
veröffentliht Graf Lamezan einen Aufſatz
über „Entftehung und Abwehr des Ver—
bredens in der Geſellſchaft“. Wir entneh—
aufmerfiam Umſchau hält, wird nicht ver-
fennen, daß man ſchon in der Slinder-
ſchule damit anfängt und im Leben damit
jortfährt, die Anſchauung zu verbreiten,
daß geiftige Befreiung und Entwidlung
des Menjchen auch feine völlige Eman-
cipation von dem Zwange jeglicher Auto»
rität, ſei fie weltlicher oder überfinnlicher
Art, erfordere. Die in jolher Weije groß-
men demjelben die folgenden Bemerkungen: | gezogene Mißachtung der Autoritäten auf
225
jedem Gebiete führt aber auf dem Ge-| die öfonomijche Lage der Volksmaſſen als
biete des Völkerlebens und in jenen) ein Uebelſtand gleichfall3 zu beklagen,
Schichten, welche niht im Stande find, Ich unterlaffe nicht zu bemerken, daß
an die Stelle des geſchriebenen Geſetzes man heutigentages bei der Forſchung nach
das „Geſetz in der eigenen Bruſt“ zu der Entjtehung und VBerantwortlichkeit der
jegen — zur offenen Auflehnung gegen menjhlihen Handlungen auch noch zu
dasjelbe, und mir erleben daher in er- ganz anderen Ergebniffen gelangt iſt, die
ſchütternden Beijpielen jonder Zahl, daß,
wenn ſonſt der Uebelthäter jeine That in
der Erwartung und Hoffnung verübte,
dab e3 ihm inöglich jein werde, dem Ger)
jeße zu entrinnen, jomit ſchon durch feine,
Furcht vor der Strafe eine Art Aners
fennung für das Geſetz ausdrüdte —
heute ſchon dem Geſetz jelbit der Fehde—
handſchnh offen ins Geficht geichleudert,
jein Beftand und feine NRectsgiltigfeit
angegriffen wird.
Ein weiterer thatjächlicher Umftand
ift die öfonomijche Lage der Volks—
majjen.
Ich habe nun nicht die Abficht, bier
die bei einzelnen Verbrechensfällen vor⸗
fommende Nothlage eines Thäters als
die Urſache des Verbrechens zu bejpre-
chen, denn im Allgemeinen kann ich jagen,
jedoch jo geartet find, daß mit ihrem
thatſächlichen Beitande jede weitere For—
Ihung und Bemühung abgeichnitten jein
mußte. So lehrt man uns, dab auch
beim Verbrecher auf eine von ihm jelbit
ganz unabhängige phyſiſche Beſchaffen—
beit, die ihn zur Miljethat eignen joll,
Bedacht zu nehmen jei. Man lehrt uns,
dab der Wille des Menjchen unfrei, jein
Thun und lafjen von vornherein bejtimmt
jei, und man erörtert in ausführlichen
Merfen die nenejte theoretiſche Theſis von
der ganz undefinierbaren „Willenstranf-
beit‘ des Verbrechers. Ich geitehe offen,
daß ich in der Richtung, die mich heute
beichäftigt, mir mit diefer Idee durchaus
nicht3 anzufangen wüßte. Denn wenn fi
ihr Beitand jemals nachweijen ließe, jo
bliebe nicht3 übrig, als jeden Verjuch der
daß fie, jo oft fie auch vorgeſchützt wer, Erziehung des Individuums und des Volkes
den mag, doch nicht jehr häufig als das gänzlih aufzugeben, von der Schaffung
treibende Motiv der ftrafbaren Handlungen | ftrafgejeglicher Vorjchriften abzujehen und
ericheint. Ih möchte vielmehr die die Hände in den Schoß zu legen. Denn
ölonomisch ungünftige Lage eines großen e3 dürfte wohl einleucdten, daß, wenn
Compleres von Menſchen aus dem wichtie ‚der Verbrecher die Anlage zum Verbrechen
geren Grunde ins Auge fallen, meil fie jchon von jeinen Vorfahren ererbt, wenn
mir al3 eines der unüberfteiglichiten Hinz | ferner jeine That nicht das Ergebnis jeiner
dernilje für die fittliche Hebung und Ver: Entſchließung, jondern ein Product äußerer,
edlung des Volfes erjcheint. Der dauernde | ihm fremder Urſachen ift, und wenn end—
Drud ungünftiger materieller Zuſtände lih das Verbrechen die Wirkung eines
ohne Ausfiht auf Bellerung derjelben | franfhaften Zujtandes — (weſſen?, da
wirft entfittlichend, erniedrigt die Geiiter
und hält fie im Banne des Rohen und
Gemeinen gefangen, denn jene Starken,
die ſich inmitten phyſiſcher Gntbehrung |
den Adel der Gefinnung zu erwerben |
oder zu bewahren vermögen, find gar
jelten. So aber entitehen aus materiellen |
Gründen garjtiger Egoismus, zeritörende
Leidenihaften, ungemellene Genußſucht,
Erceh jeder Art. — Der Sinn für das
Wohl der Allgemeinheit iſt über der
Freudloſigkeit der Ginzeleriftenz gar niemals
lebendig geworden. In diefem Sinn ift
Kofegger's „„Urimgarten‘*, 3. Geft, XI
doch wohl der „Wille“ nicht als förper-
lihe3 Organ gelten fann) iſt — ber
TIhäter für feine Handlungen nicht nur
nit verantwortlich gemadt werden darf,
fondern daß es auch ganz und gar ver-
geblib und finnlos wäre, auf jeinen
Willen und jeine Entjchließungen durch
gejehlihe Vorſchriften irgendiwie Einfluß
nehmen zu wollen.
Es jcheint mir vor Allem dringend
geboten, dem Gefühle der Achtung vor
der berechtigten Autorität des Sitten—
gejeges eine dauerhafte und breite Bajis
15
226
zu verichaffen und das Bewußtſein der
Pflicht, daß der Einzelne feinen Willen der j
Gejammtheit unterzuorbnien habe, recht ein« BER IEREINBIIER
dringlich zu verallgemeinern. Das Inftitut Will der Soldat avancieren, jo wunſcht
der Ehe und die darauf berubende Fa- er den Krieg. Allein was ift eigentlich die
milie, aus der die Eriftenz des Indivie - +» - Sebnjucht nach dem Kriege bei
duums bervorfprieft, müfjen mit der allge. einem Officier? ... Es iſt die Sebn-
meinen Achtung und mit jenen des Ge- ſucht nad einer Vermehrung von ſechs
jeßes umgeben und ftrengftens bewahrt bis fieben Hundert Franken Gehalt, die
werden. Die Religion, welchen Namen Sehnſucht nach der Verwüſtung der Reiche,
fie immer führen möge, oder der: Allen Nah dem Tode der Freunde und der Be—
gemeinfame religiöfe Sinn muß jorgjam | fannten, nit denen er lebt und die ihm
gepflegt und erhalten werden gerade in tm Range vorangeben.
heutiger Seit, wo flacher Unglaube und ki
unwiſſenſchaftlicher Atheismus jcbon die
große Menge zu ergreifen droht; die
Schule endlich als Stätte der Erziehung
des Volkes muß auf ihre richtige Grund—
lage geitellt werden. Aber in ihr handelt
— — — Er Es ift der Wille eines gütigen und
Vermehrung des Willens. Unjere geiz | 9rrebten — en ——
iR fo Abermabig folz anf ihr „Wiffen, sluatich jeien, und alle Bergnügungen
dab fie mit ihm allein jchon die 121 ge DNEaLUNER BR
. . . | J
—
Gottesdienſt, den die Philoſophie den
Weltgedanken.
Nicht ohne Muhe gelingt es, den
Geiſt der jungen Leute zu verfälſchen.
Zu diefem Zwede bedarf e8 der ganzen
Geduld und der ganzen Kraft der gegen»
wärtigen Erziehung.
*
hehlen, dab das Wiſſen allein uns gar
arın läßt! Ich möchte die Schule viel.
mehr als die Stätte der Erziehung des
Herzens betrachten, in der die Keime ber
Liebe zum Guten und Rechten, der ethiiche
Einn in das Gemüthb der fommenden
Generation einzupflanzen find als Leititern
für das bevorjtehbende Leben im Staate
und in der Gejellibaft. „Wahre Ueber:
zeugung gebt vom Herzen aus,” jagt |
uns Goethe. „Das Gemüth, der eigentliche
Völkern offenbart. In einer ſolchen Neli-
| gion gibt es feinen anderen Heiligen, als
| die Wohlthäter der Menjchheit, die Lykurge,
die Solons, die Sydney, die Erfinder
irgend einer neuen Kunſt, irgend eines
neuen Vergnügens, welches aber dem all»
gemeinen Vortheile angemeflen jein muB;
dagegen gibt es auch feine andern Ver—
worfenen, als die Uebelthäter der Bejell-
ſchaft und die galljüchtigen Feinde ihrer
Vergmügungen.
Eik des Gemiflens, richtet über das Zur |
läſſige und Unzuläffige weit ficherer als!
der Verſtand“. — —
Und müfjen wir uns nicht jchliehlich BR
gefteben, daß, jo groß auch die Errun- Einige haben beobachtet, daß Denker
genfcbaften und Erfenntniffe der Wiffen- und geiftvolle Männer gewöhnlich Melan—
ſchaft fein mögen, es doch — und gerade, holifer ſeien. Sie haben nicht bemerkt, daß
wegen der Größe ihres Umfanges — fie die Wirkung für die Urfache nehmen ;
ganz und gar unmöglich ift, fie zum Ser dafı der geiltvolle Mann nicht deshalb
meingut der Menge zu machen und diefe melancholiſch ift, weil ihn die Gewohn-
etwa auf ſolchem Wege zu jener ſchwer heit des Nachdenkens biezu gemacht hat.
erreichbaren Höhe zu erheben, auf der das, .
Wiſſen jelbit zur fittlihen Vollendung
ührt ?*
Werden die Prieſter jemals die Apoſtel
einer jolcben Religion werden? Ihr In—
tereſſe verbietet es ihnen.
* *
Jede Nation bat ihre eigentbümliche
Art, zur jehen und zu empfinden, die ihren
Charakter ausmacht; und bei allen Böl- Die angenehmite Melodie für den
fern jchlägt dieſer Charakter entweder auf! Inquifitor ift das Gejchrei und Geheul
einmal um, oder er ändert fich nach und | des Schmerzes. Er lacht bei dem Scheiter-
nad ; ganz nach Maßgabe der Veränderun- haufen, auf welchem der Ketzer jeinen
gen, welche in ihrer Regierungsform und | Geift aushaudt. Gin folher durch das
folglich auch im der öffentlichen Erziehung | Geſetz zum Meuchelmorde bevollmächtigter
plöglih oder unvermerft vor fich geben. | Inauifitor bewahrt jogar mitten in den
Der Charakter der Franzoſen, der Städten die grimmige Wuth des natür«
nunmehr jeit langer Zeit für lebhaft ge» lichen Menſchen; er ift ein blutgieriger
halten wird, war nicht jederzeit jo. Der‘ Menih. Je mehr man fich diefem Zu—
Kaijer Julian jagt von den Parijern: | ftande nähert und an das Morden ge-
„sch liebe fie, weil ihr Charakter, wie
der meinige ftreng und ernithaft iſt.“
63 ändert ſich aljo der Charafter
ber Völker. Aber in welchem Augenblide
läßt fich diefe Uenderung am deutlichiten
wahrnehmen? In den Nugenbliden der
Revolution, wo die Völker mit einem
Mal aus dem Zuftande der Freiheit in
den Buftand der Sclaverei gerathen,
Alsdann wird ein Voll, das vorher jtolz
und fühn war, ſchwach und kleinmüthig;
e3 getraut ſich nicht, jeine Blicke gegen
den hochgeitellten Mann aufzuichlagen ; es
wird beherrſcht und es liegt ihm wenig
daran, wer e3 beherrſcht. Solch ein ent-
mutbigtes Volk jagt zulegt mit dem Ejel
in der Fabel zu fich jelbit: „Wer immer
auch mein Herr jein mag, ich werde doch
nicht jchwerer tragen!“ So ſehr der freie
Bürger begeiftert ift für den Ruhm ſei—
ner Nation: jo gleihgiltig ift der Sclave
wöhnt, deito leichter wird es einem,
Warum wird in Ermangelung eines Hen—
kers der geringjte Fleiſcher genöthigt, das
Amt desjelben zu verrichten ? — Deshalb,
‚weil ihn fein Handwerk unbarmberzig
macht. Wer nicht dur eine gute Er—
‚ ziehung gewohnt ift, die Leiden Anderer als
' jeine Leiden zu betrachten, der wird jeder-
zeit hartherzig und auch blutdürftig fein.
*
” *
Diefelben Meinungen erjcheinen bald
al3 wahr, bald als falih, je nachdem
man ein nterefje hat, fie für das Eine
oder das Andere zu halten,
*
Geh’ hin von Ort zu Ort, wo Ueppigfeit
nur wohnt,
Wo ftolze Ehrſucht wacht, wo jhnöder Reich:
thum thront
Du findeft überall, wie fi) ein Thor bemüht,
Zu haſchen ein Phantom des Blüds, das
vor ihm flieht.
gegen das öffentlihe Wohl. —
*
* *
Die Alpenflüffe.
In der Pauſe zwiſchen Lehr’ und Lied ein Stüdel praftifcher Wiffenihaft, das für die
Leſer des „Heimgarten* recht intereyjant fein wird.
Das eben erjchienene Wert: „Die Alpen“ von Friedrih Umlauft (Wien,
Hartleben) bringt eine ſehr inftructive Tabelle der Alpenflüffe, welder die für uns
wichtigften Flüffe entnommen und bier dargeitellt find.
Hustritt aus den |
Etromgebiet in
| Lage der Quelle | Alpen bei Länge in Am. | wird jqiffdar bei u:
Tagan — | |
Donau... Schwarzwald Borlagen bei 2645°6 Ulm 816.947
‘ Slanfamen) | |
Aller...) Bieberfopf | Immenftadt | 168 — 1.9828
Lech ... Rothe Wand Füllen 2192 Schongau 4.4148
Yar...; Haller Anger Tölz | 2452 | Mittenwald | 9.183°9
Inn . . . Piz Longhino Neubeurn 4311 SM | 25.4457
15*
23
en: —— — — EG Tr
_ "Rage der Duelle | — den Länge in Am, Nie seit ſchiffbar bei Grremarbiet in |
——n | kuss)
Sala. T 33 Salzburg 192 Hallein 6.7122 |
| | 5 Seen im |
Xraun .. ftir. Salz: | Gmunden 178 ae 3.601
| fammergut |
| Enns . | — Steyr 2294 Steyr 6.197°8 |
ı Leitha .. Wechſel Frohsdorf 178 | — —
Raab ...) Oſſer Körmend 2951 | Körmend 13.078
! Drau... Innichner Eck Warasdin 6986 Gailmuündung 40.7755
| Mur....| Marchkareck | Radkersburg 3904 | Graz 13.465.5
| | Mangart: e Laibach⸗
Save ... Triglav Rann 8609 | mündung 97.361
j Tomaſee am | Mündung in ‚ :
| Ahein ... St. Gotthard den Vodenfee 11417 | Chur 196.303°5
ı Reuß . Ei. Gotthard, Luzern 146 — 3.411
| | Rhone |
Rhone...| Gleticher am | St. Didier 7201 Seuyſſel 98.8854 |
| | Furca⸗Paß | | |
IB ..... Monvifo | Saluzzo 5698 | Zurin 74.9069 |
| | En Eiiſal-
Elſch. ... TEN, Volsagne 3777 mundung 13.836
| Eifat ...| Brenner — 96 — —
Sach ran Campo
| Brenta . See Baflano 208 | St. Martino — |
piave. Paralba Valdobbiadene 192 Zenzon 4.3227 |
Tegliements) Mt. Eridvola Pingano 185 | Latijana | — |
| | ’ Idriamün⸗ in dem unter⸗ _ |
| — Triglav | dung—Görz | 133 | fen Theile |
Der Poetenwinkel.
Heurigen fdrenket der Alte! | Ich muß fluhen.
Gloden Klingen den Weg entlang, Er will's nun einmal doch verſuchen,
Es klingen die Becher, es rauſcht der Geſang Die Melt zu Lieben, ftatt = een
Von der Schente am Berge hernieder. Das Leben heiter aufzufafien.
Luftig begrüßt mich der herbſtliche Hain,
Prangend im bunten Gewande,
Als hätt’ er berauſchet jih gar am Wein
Dort mit der jubelnden Bande,
Soll id denn läftern nur und ſchelten
In diejer jhönften aller Welten,
Nur Trübfinnsnaht im Herzen weinen,
Und nie des Frohfinns Sonne feinen?
Luftige Burfche, herein, herein!
Heurigen ſchenlet der Alte, Ich will's nun einmal anders haben,
Damit Euch der junge, der feurige Wein | Wil ftatt des Kträchzens ſchwarzer Raben
Die braufende Jugend erhalte! Frohmuthig helle Lerchentriller,
Wil ftatt der Sturmnacht Tagesſchiller.
MWadere Alte, herbei, herbei!
Profit, Ihr fröhlichen Greije! So hatt! ih mir e8 vorgenommen.
Der ältefte Wein Euch fredenzet ſei Kaum war ih aus dem Haus gelommen
Als Nachttrunk zur weiteſten Neije! Und wieder in die Welt getreten,
3. 6. Adolf Beig. Gleicht Flucht’ ich wieder, ftatt zu beten.
Ich börte juft zwei böje Bajen —
Sie trugen Bärte an den Najen —
Für And’re üble Nachred’ kneten:
Ich mußte fluchen, lonnt’ nicht beten,
Erich Fels.
Nimmer gibſt Pu es zurüd.'
Des Erfolges in der Liebe rühmft Du Dich,
Der verlafj'nen Schönen und aud ihrer
Thränen;
Macht befonders redenswert und herrlich ſich,
Magſt Du wohl in Deinem Eigendüntel
mwähnen.
Haft Du aber jhon mit Ernft zurüdgeblidt
In die wonnevollen Tage, jchnell verfloffen,
Und gedacht der Blumen, welde Du gefnidt,
Als fie kaum zur holden Blüte fi erſchloſſen?
Geifterhaft erfcheint vor Deinem Blid ein
Meib,
Früh verblüht, von Dir verlaffen tief in
Leiden,
Ganz gebrogen nun an Seele und an Leib,
Wahrlich, Dein Erinnern ift nicht zu beneiden.
Franz Tiefendader.
Pur den Wald gieng id einft Gin.
Durch den Wald gieng id einft bin,
Ganz in mich verjunten.
Hab’ gedadt an meine Minn’,
Blumenduft getrunfen.
Durch die Kronen jetzo ſchaut
Hehre Frühlingsionne,
Und aus ihren Strahlen baut
Eid des Waldes Wonne.
Klinge Glocke
In das Meite,
Hall’ und locke
Zu der freude,
Zu dem Frieden,
Zu dem Himmel,
Yus Getümmel
Fromm hienieden
Pilger nahen nun!
Läute, läute
In das Weite!
Ruf’ die Frommen,
Daß fie fommen.
Klinge, rufe
Alle, Ale!
Bald erſchalle
Bon der Stufe
Heil’ger Weih’gejang.
Stürme, braufe,
Klinge, jaufe
An's verfiodte Menjchenherz,
Wie die Glode hörte ich,
Wurde mir fo bange.
ı Mein Herz zog fo inniglid
ı Bott vom Weltenzwange.
| Reife flüftert jegt ein Wind
In den Tannenfronen:
Das find Gottes Stimmen, Rind,
Die im Walde wohnen !
Eruft 5. Beidler.
Strand-Gedanfken.
Ich bin am Meer geftanden,
Sah träumend in die Flut,
Wo geftern noch mit wilden Branden
Sih Wog' an Woge brad mit Wuth —
Wie ruhig, ftill, wie öde ift es heute!
Da kam mir's jäh zu Sinnen:
Auch Du haft einft getobt,
Wollt'ſt Dir im Sturm die Welt gewinnen,
Haft ew’gen, heißen Kampf gelobt —
D Herz! Wie ftill, wie ruhig bift Du heute!
feopold Wurtb.
| Göafet.
Seit ih Di fenn’, entzüdteft Du
Durh Beine blauen Augen mid,
Seit ih Di kenn, berüdteft Du
Mit Deinen gold’nen Flechten mid,
Als ih Dir jagt’: Ich liebe Did, —
ı Wie herzig, Mädchen, blidteft Du,
‚ Und als um Gegenlieb' ich bat,
Wie herzig, Mädchen, nidteft Du,
| Und immer nur 'beglüdteft Du
ı Mit Deiner zarten Liebe mid, —
‚Und jegt, Du Arge, ſchmückteſt Du
Als Braut für einen andern Dich!
Ss. M. Wihlderg.
|
|
Sloffen.
Die Macht des Schönen.
Es ift die Macht des Schönen nit
Allein, dak es Verftändige bemeiftert:
Mein, dab es alle Schranfen bridt —
Geiſtloſe ſelbſt begeiftert!
| 808,
Dichter finden Verehrer
Und Erflärer —
| Doch keine Ernährer!
| Nath.
| &o lange die Mädchen jhwagen und laden,
Kannft ihnen Du den Ritter maden;
Sobald fie aber ſchweigen beflommen —
Richt' im Flug es himmelwärts! Dann tradhte weiter zu lommen!
230
Logik.
Wie furzes Leben ift doch Allem beſchert —
Wenn die Ehrlichkeit am längften währt!
Neuzeit-Kritilk.
Wie doch des Kritikaſters Ausſpruch iſt
So unverfälſcht real: Er mißt
Die Leidenſchaft —
Nah Pferdekraft!
® fag’ es mir!
„D ſag' mir's was Dein Herz bedrüdt,
Sag! an, weshalb Du traurig bift?
Dein Lächeln, das mich jonft beglüdt,
Wie jchmerzlich wird's von mir vermißt!“
&o jpridt ein Jüngling ſchlank und groß
Zu einer Maid, gar lieb und zart — —
Doch ftatt der Antwort jeufzt fie bloß,
Und thränenfeudt ihr Auge ward,
„Hat Dich wohl gar* — fo hebt eran —
„Beleidigt Einer? Weh' dem Widht !
Ich blaj’ dem elenden Kumpan
Noch heute aus das Lebenslicht !”
„D ſag' es mir, hold’ Mädchen mein,
Gab’ es zu Hauſ' etwa Verdruß?“
Das Mägdlein hauchte: „Nein — o nein!
Ach, Alfred, wie ich leiden muß!“
„D Bertha, liebfte Bertha mein“
So fleht der Gute für und für —
„Was mag der Trübjal Urjad' jein ?
‚ Schneizt lanjam 8
Aber d Nandel, dö hot fi nit gmart.
| Die Nandl ift ganz mäufelfiad —
Nur dimol jagt’s ihr: So, jo!
Die Muater ift gonz aus die Nat,
Bald ſchimpft's, bald rearts. wie's kimmt,
nu jo!
se bot fie ausfromt, wos ihr's Herz
Wien Mühlnftoan hot obi g’ihwaart —
Licht, ſchaugt umiwärts,
„Nandl hö! wos moanft, was thien ?
Sollt i zum Götn umi gien?
A jölles Ding mocht van zun Norrn,
's ift grod zun aus'n Häusl fohrn!“
Do gibt's der Nandl an ganzn Riß ban
Ofn
„Ka, wos hoft giagt? — 3 moan, i hun
ist gihlofn!*
Sofef Bayer.
Winterglüd.
Der Engländer Quincey bejchreibt in
feinen „Belenntnifje eines Opiumeſſers“.
(Stuttgart. Robert Lub) folgendes Winter-
ideal:
Denke dir ein Häuschen in einem
Thal, 18 Meilen von jeder Stadt ent-
jernt — fein ansgedehntes Thal, jon-
dern etwa zwei Meilen lang und durch
Wenn Du mich liebft — — o jag’es mir!* jehnittlih etwa dreiviertel Meilen breit;
Da ſchluchzt die Aermſte leif’ und fpridt: |
„Nun, das ih endlih Dir's geſteh':
© befter Alfred, zürne nicht — — — —
Mein Hühneraug’ ıhut Ihredlid
weh’!
Emil von Haberfon,
Die Nandl.
(Dialect um Annsbrud.)
dieſe Verhältniſſe haben das Gute, daß
ſämmtliche im Umkreis wohnenden Fa—
milien jo zu jagen eine große Haus—
haltung bilden werden, deren Mitglieder
deinem Ange perjönlich befannt find und
deinen Gefühlen mehr oder minder nahe
ſtehen. Die Höhen ſollen wirkliche Berge
ſein, zwiſchen .drei- und viertauſend Fuß
bob, und das Häuschen ein wirkliches
Häuschen, nicht wie ein geiftreiher Schriit-
„Nandl, ſchlafſt?“ — „Ha! Was haft giagt?* ‚fteller e3 bat, „ein Häuschen mit doppelter
— „Ob ſchlafſt, hun i Di g’fragt
Und wend's a Wengl no tait grotn,
Kunft mir wohl helfen rothn;
Aber nit, dak i fein lang verzöhl,
Und nor darzöhlts die Läng und Broat,
Was der Fratz, der no fam trodn,
Die Midl, bringt für Angft und Noat,
Und wie fie ſchon beim Schaf will hodn.
Wagenremiſe;“ es joll in der That —
e3 fommt nämlich auf eine ganz genane
ı Bejchreibung des Schauplages an — ein
Tu zlegt ſchnarchſt —'s war jhad um's Del!"
blühendem Gefträud, das jo gewählt iſt,
dab e3 an den Wänden
weißes Häuschen fein, überwölbt von
und rings um
die Fenfter den ganzen Frühling, Som:
mer und Herbit lang der Reihe nach alle
231
Blüten entfaltet — buchftäblih von den ſo mande Entbehrungen, die ſich jelbit
Mairojen an bis zum Jasmin. E3 joll einem vornehmen Herrn jühlbar machen,
übrigens nicht Frühling oder Sommer | wenn ich dafür nicht auch etwas Nechtes
oder Herbit ſein — jondern Winter, in | befommen jol? Nein: einen canadijchen
jeiner bärteften Geftalt. Dies ift ein Winter für mein Geld, oder einen, wie
höchſt wichtiger Punkt in der Lehre vom in Rußland, wo Jedermann feine eigenen
Glück. Ih muß mih wundern, dak una | Ohren als ein Freilehen mit den Nord»
das überfieht und ſich Glüd wünjcht, | wind theilen muß. Ich bin in der That
wenn der Winter gebt oder wenn er bei ein folder Epikureer im diefem Punkte,
feinen Beginn nicht ftreng zu werden ver- daß ich feinen Winter mehr tedht teiden
jpricht. Ich ſetze im Gegentheil jedes Jahr | mag, wenn es einmal weit über den
eine Bittihrift anf um jo viel Schnee, | Ihomastag hinaus ift, und eine leidige
Hagel, Froſt oder Unwetter der einen | Neigung zu frühlingsmäßigen Erjcheinun-
oder andern Art, als der Himmel uns | gen zeigt, daß die Sade feine rechte Art
immer zu liefern vermag. Sicherlich weiß | mehr bat; nein, er muß durch eine dide
Jedermann die himmlischen Freunden zu | Mauer dunkler Nächte verwahrt ſein
ihägen, die ein winterlicher Kamin um» | gegen jede Wiederkehr von Licht und
geben: Kerzen un vier Uhr, warme | Sonnenjchein. — Bon den legten Wochen
Decken, Ihee von jhöner Hand bereitet, Octoberd an bis zum Ghriftabend iſt
geichloffene Läden, die Vorhänge in weis deshalb die richtige Zeit für das Glüd,
ten Wolfen auf den Boden niederwallend, | welches nah meinem Dafürbalten mit
während Wind ımd Regen draußen bör- dem Theegeihirr feinen Einzug in das
bar toben: Zimmer hält: denn der Thee wird, ob»
Um Einlaf Ian an Zhhr ned Bene wohl verlact von Menjchen, die von
brüffend, Natur oder in Folge der Gewöhnung an
Als wollten Erd’ und Himmel fie vermengen; | den Weingenuß rohe Nerven haben und °
Doc jede Ripe finden fie verſchloſſen, für die Wirfung eines jo zarten Reiz
Und füher nur ruß'n wir im feftgefügten | zuttels nicht empfänglich find, ſtets das
Dank: Lieblingsgetränfe der geiftig Veranlagten
AM diefes find Punkte in der Be: | bleiben. Doch, um mir’ die Mühe einer
ichreibung eines Winterabends, die gewiß | zu langen wörtlichen Belchreibung zu er-
Jedem befaunt find, der unter einem |iparen, will ich jetzt lieber einen Maler
hoben Breitegrad geboren iſt; und offen- kommen laffen und ihm Anweiſung geben,
fichtlich erfordern die meilten diejer köft- |um das Gemälde vollends auszuführen.
lihen Sachen, ebenjo wie Nabmgefrorenes, | Die Maler bringen an weißen Hänscen
einen jehr niederen Wärmegrad der Luft |immer gerne eine gehörige Anzahl ver-
zu ihrem Gedeiben: es find Früchte, die | witterter Stellen an; doch der Lejer weih
nur reifen, wenn das Wetter rauh und ja, dab wir uns in einer Winternacht
unfreundlih ift. Ich bin nicht „eigen“ | befinden, — wir werden deshalb jeine
mit dem Metter; mir gilt es glei, ob | Dienfte nur für das Innere des Hauſes
Schnee berricht oder dider Froft, oder ob |in Anſpruch nehmen.
der Wind jo beitig gebt, dab man „ſei— Male mir aljo ein Zimmer, 17 zu
nen Rüden daran lehnen fann wie an | 12 Fuß weit und nicht mehr als 71/, Fuß
einen Pfoſten.“ Ich kann mich jogar mit hoch. Dasijelbe, lieber Leſer, trägt in
Regen begnügen, wenn es nur Haken | meinem Hausweſen die etwas anſpruchs—
und Hunde regnet, aber etwas von der volle Bezeihnung Wohnzimmer; da es
Art muß ich haben; und ift dies nicht | jedoch „eine doppelte Schuld zu zahlen“
der Fall, jo halte ih mich gewillermaßen | bat, jo beißt es auch, und mit mebr
für geprellt: denn warum ſoll ich mir Recht, die Bibliothel; denn Bücher ſind
jo jchwere Ausgaben Für den Winter ges | zufällig der einzige Artifel, woran ich
fallen laſſen an Kohlen und Lichtern und reicher bin als meine Nachbarn. Ich babe
— — — — —— — — — — — — — —
deren etwa 5000, die fih nah und nad
jeit meinem 18. Jahr angejammelt haben.
Bringe deshalb, Maler, in diefem Zim—
mer an, jo viele du kannſt; bevöllkere es
ganz mit Büchern; weiter male mir ein
gutes euer; eine Einrichtung, einfach
und beſcheiden, wie fie für das anſpruchs—
loſe Häuschen eines Gelehrten fich jchidt.
Nahe dem Feuer male mir einen Thee—
tiſch; und da es klar ift, daß fein menſch—
liches Weſen in einer ſolch' unmirt-
lichen Nacht zu Einem auf Bejuch kommen
fanıı, jo tele nur zwei Taffen auf das
Theebrett; und wenn du jo etwas ſym—
bolijch oder in anderer Weiſe zu malen
verjtebft, male mir einen ewigen Thee—
topf. Und da es jehr widermwärtig iſt,
den Thee jelbit zu bereiten und einzu—
ichenten, jo male mir ein liebliches junges
Mädchen, das an dem Tiſche fit —
A bifferl was.
In Öfterreihifher Mundart.
Bon Moriz Schaded.*)
Da Salbate.
Da Lippl, der is
Aus an ganz oagna Toag,
Halbs foaft und halbs fleber,
Halbs hart und halbs woad.
Halbs gfreuat n d Arbat,
Halbs d Frallenzerei,
Kam fangt er was an wo,
Eo raft't er a glei.
Halbs hätt’ er a Schneid wohl,
Halbs fehlt cam a Stud,
Mia canı dö Couragi fimt,
Gſchwind — halt er fi z'’rud,
Halbs gfalln cam dö Dirndln,
Halb3 ſans eam all oans,
Er möcht ſcho a Schaterl
Und do wieda foans.
Halb 3 is's cam alls zviel glei,
Halb 8 Triagt er nia gnua,
Halbs ladjt er, halbs zahnt er,
Der halbete Bua.
) Aus defien neuem, Iuftigem Büchlein „U biffer!
was“, (Wien. Carl Konegen) Wir ımpfehlen dieſes
an Etielerjhen Humor gemahnende Werkchen auf
dab Peite, DR
Halbs möcht er floanalt wern,
Halbs fterbn auf da Stell,
Halb3 fema in Himmel —
Und halbat in d Höll.
Da Achnl.
Ya, jagt der Dokta, wia er geht,
Da derft3 halt nöt vergeſſ'n,
Mit'n Aehnl, da jeits hagli, der
Derf 8 zehnte nimmer eſſen.
&o folgns halt, gebn eam nur an Thee,
A Griastoh, ord'ntli zudert. —
A eingmahts Hendl kriagt er a,
Meil ja a badens drudat.
Na, 8 ſchlagt cam an, er fimmt auf d Flak,
Er frailt jho um in Zimma,
Und efin mödt er a bein Tiid,
In Bett, da gfreuts 'n nimma,
„Ja“, jagt dö Bäurin, „Aehnl, ja,
Zun Tiſch, da könnſt jo lema,
Nur Triagft halt Du Dei eigne Koft,
Mir than das unjre nehma.*
Er jest fi hin. Es wird jcho gehn
Mitn eigna Eſſen, moant er,
Und 8 geht, nur wia er d Kndödeln fiadht,
Der alte Ding, da woant er,
&öd jhaun an jo viel freundli an,
Als wolltns eam grad fagn:
Mir than Da nir, geh fürdt Di nöt,
Uns fennt er ja, Dei Magn.
Es leidt 'n nöt, er greifat bin,
Da nimmt eam d Bäurin d Schüſſel. —
Mei! Knödel möcht er und eam jchadt
Dös zehnte! — Wart a bifjel!
Er laßt fi aber nir dafagn,
Glengt gihwind a paarmal eini.
„Woaßt,“ jagter, „wann,ma 8 zehnte jchadt,
So ik i halt nur neuni.”
A weng a Wittibea.
D Stoanbäurin muak wo in a Bad
Bier Woha wegn ihrn Magn;
Mei, jagn dd Nahbarn, wia wird dös
Ihr Mann, da Hiafl, tragn.
|
Den wißts, er is a ftiller Mann,
| Dudt allweil fürchterli,
Er hat nur d Hofentrager an,
Und d Hoſen — dö hat jie.
Koan oanzign Tag warns nu dvonand,
Was wird den dös do wern,
Kann iatt da Hiaſl wodhenlang
Sein Wei nöt brummta hörn.
233
Es limmt dö Stund, wo 8 roajen muaß; Vorgänge felbft unmöglich machen. Niemals
Wias einfteigt und fahrt furt,
Da Sagt der Hiafl, mir is grad,
Wia warn i Wittwa wurd.
geitatten fie einen Blid unter den Tiſch oder
hinter einen Vorhang, hinter welchen die
Geifter ſchreiben oder jonft ihr Weſen treiben.
h.
Dö erfin Tag, dös war a Kreuz!
Da hat er lamatirt! |
Ma hätt frei gmoant ſcho iatt und iazt,
Daß der Mann narrijch wird,
Orgien und Andahten betitelt ſich in
pifanter Weiſe ein neues Büchlein des dem
‚ Grazer Publitum zuerft befannt gewordenen
\ Jungen Dichters Ernft Wechsler (Leipzig.
Friedrich 1886).
Es ſind poetiſche Erzählungen, bunt
gemiſcht nach Inhalt und Form, aber alle
eigenthümlich und intereſſant in ihrer Art.
| Sie bieten wirklich Neues und entiprechen
jo dem Berlangen nad einer neuen, zeit:
' gemäßen Poefie. Eine bedenkliche Forderung
‚im Grunde, die der „zeitgemäßen“ Poeſie!
ı Denn wenn eine Zeit jchleht, die Geifter
| matt, das Denten platt, das Empfinden
I nicht rein und natürlich, die Gefinnung zer:
fahren und vom ewig-Rechten abgelentt
wäre, danıı wäre ihr wenig geholfen mit
| einer „zeitgemäßen“ Poeſie, ſondern eher mit
einer folchen, die e8 jo wenig als möglid
if. Hr. Wechsler ſcheint jedoh noch den
Unterjchied zu fennen zwiſchen dem was
ewig neu, und dem was für den Tag neu
oder Mode ift. h.
Is aber wieder befjer worn. —
So nad der halben Zeit,
Da geht der Hiajl mit fein Schmerz
To kloanweis unter d Leut.
Dö dritte Wohn traut er fi
Zun Wirt gar auf an Plauſch,
Ja, und am Sunta wird er gar
Fidel und — friagt an Rauſch.
Grad in dö allerlegten Tag,
Da padts n wieder feſt —
Ta i8 er wieder, grad wia ch,
So ftill und floanlaut gweſt.
Daß 8 wegn fein Wei i8, das is gwiß,
Nur won ma halt nöt b’ftimmt,
Is 8, weils ſcho jo lang ausbliebn is,
35 3 weils — ſcho jo bald fimmt, |
Mofaik, Eine Nachleſe zu den geſam—
F melten Werfen von Alfred Meißner.
Bü dj er. (2 Bände. Berlin. Verlag von Gebrüder
| Paetel 1886).
Zu den lehrreichſten, die Frage des Am 29. Mai 1885 ftarb Alfred Meißner.
Epiritismus betreffenden literariſchen Er: | Kaum wurde die Trauernadhridt befannt,
Icheinungen gehören die „Ginblihe in den jo wuhten Zeitungsbericte von einem bes
Spiritismus‘‘ aus der Feder des Erzberzogs. deutenden literarischen Nadlafje zu erzählen;
Johann (5. Aufl. Linz 1886) und €, v. namentlich eines größeren hiftorijchen No:
Hartmann’ Bud „Der Bpiritismus‘ | mans, der beinahe vollendet jei, wurde Er:
(Xeipzig. Friedrich 1886). wähnung gelhan. Allerdings wurden dieje
Beide Werte ftehen auf einem durchaus Gerüchte bald berichtigt; es jollte nur weni—
fritiihen Standpunft, der aber dort in | ges zum Drude fertige Material vorliegen,
ganz praktiſch-kritiſcher, hier ein ganz | von ber gehofften Fortſetung der Autobio:
theoretifchefritifcher ift. Der Erzherzog, der. ‚ graphie jei jo gut wie nichts vorhanden,
befanntlih unter Mitwirfung des Kron- | Nun hat Robert Byr den Nachlaß heraus⸗
prinzen den Spiritiſten Baſtian perſönlich gegeben. Zwei mittelſtarke Bände in ſchöner
entlarvt hat, vermeidet mit einer gewiſſen Ausftattung werden dem Publitum geboten
Aengſtlichkeit alles Wifjenichaftliche, erlärt | und gewiß von allen Freunden des Dichters
fi wiederholt für nicht berufen in diefer mit Vergnügen aufgenommen werden, Der
Hinfihl; Hartmann geht auf wiſſenſchaft- aufmerfjame Leſer, der dem Dichter nicht
liche Erflärung aus, zeigt fich dafür aber bloß in jeinen Büchern, Sondern auch auf
im Praftiihen und Thatjählichen nicht im—
mer heimifh. Es klingt beinahe naiv, wenn |
er verlangt, die Gelehrten jollten ſich den
Spiritiften zu Zeugen erbieten unter Be:
dingungen, welde eine Prüfung der
Vorgange möglid machen, während die
Epiritiften bei ihren Productionen fich
ſchlechterdings feine Bedingungen der ge:
nannten Art ftellen laffen, jondern jelbft
immer jolche ftellen, welche die Prüfung der
feinen Excurſen in den Journalen folgte,
wird allerdings nicht viel Neues finden;
das meifte des hier Gebotenen hatte Meißner
in verſchiedenen Zeitſchriften früher ver:
öffentliht, und es wurde nur von Byr in
geihicdter Weiſe geordnet,
Der erfte Band enthält einige Dichtun—
gen, darunter die in metriſcher Hinſicht
vollendeten Gedichte „Herculanum“ und
„Nächtlicher Beſuch“, die den Beweis lie:
234
fern, dab dem Dichter bis an jein Lebens:
ende ein fchöner, leicht fliekender Vers zu
Gebote ftand ; dann folgen einige Novelletten,
unter denen bejonders „Zannhäufer im
Drient* in literar = hiftorischer Hinſicht,
„Klingenbergs Jugend“ wegen der humor:
vollen Durhführung, und „Fragmente aus
Dlympia* wegen der jatiriihen Diebe auf
den übertriebenen Wagner:Eultus Erwäh—
nung verdienen. Einige jehr friich geichrie:
bene Neifebilder jchließen den erften Band. |
Der zweite Band führt den Nebentitel
„Literariihe Streifzüge*. Der Autor gibt,
Heine, aber jehr geihmadvoll ausgeführte
Eſſays über Rouſſeau, Schelling als Dichter, ,
Gutzlow, F. Kürnberger, Joſeph Bayer,
Hermann Lingg, u. ſ. w., zeigt ſich in der
gebarnifchten Wbfertigung von PBenedir
„Shalejpearomanie* und in jener fleinen
Abhandlung über Shaleſpeare's „Peritles*
an der Müncdener Bühne als gewiegten
Kenner der engliſchen Literatur und weiß
uns jowohl durch den Inhalt des Gebotenen
wie dur die Schöne Form zu feſſeln. Na—
mentlich in jeiner Beurtheilung Gutlomw’s,
Kürnberger'3, Bayer'3 und Lingg's zeigt
er, wie literarifche Berichte zu halten jeien;
daß bei aller Strenge nicht ſchönungsloſes
Zerfegen, nicht nihiliftische Kritit, hinter der
nur zu häufig gedanfenloje Stumpfheit und
literarifche Impotenz verborgen jind, fon:
dern liebevolles Erfafjen jeines Gegenstandes
eine Haupteigenfchaft des Kritikers fein
milffe. Und in diejer Weife jchreibt Meißner;
wir folgen ihm gerne, er bringt immer
interefjante Details, und da er mit den vier
letitgenannten Autoren perjönlich befreundet
war, jo lugt auch bie und da ein Stüd
Selbftbiographie hervor, das wir als Bei:
trag zu jeiner „Geſchichte meines Lebens"
willfonmen heißen mögen
Noh Eins! Mander wird in diejer
Nachleſe dies oder jenes, das er erwartete,
vermiffen — ich meinestheils ſuchte ver:
geben: nach dem Traueripiele „Ceſare Bor:
gia*, von den mir Meiner wiederholt ſprach
und fchrieb, und das er jomit wohl jelbft
vor feinem Tode vernichtete — aber wir
müſſen jchliehlih dem Herausgeber Net
geben, der bloß das von Meiner zum
Drud ausgewählte Materiale in die Samm—
lung aufnahm. „Wird nun von manchem“
jagt ®yr in feiner furzen Vorrede, „viel
leiht Eins oder das Andere in diefer Samm—
lung vermißt, was er darin zu finden er:
wartete, jo ift dies nicht etwa eine Vernach—
läfligung meinerjeits, jondern der Verſtor—
bene hat eben jeiner nicht wilrdig befunden,
was er nit aufnahm, Cine ſolche Ent:
iheidung zu treffen aber ift meines Grad):
tens das unantaftbare Recht des Autors.”
Emil Soffe,
Früichte der Erkenntnis. Ein ueues Nor
vellenbuh von Ostar Welten. (Berlin.
Wilhelm Ißleib).
Das Vorwort enthält trefflihe Winke
über VBüchertitel an der Hand der eigenen
Novellenjanmlungen „Nicht für Kinder“
und „Buch der Unſchuld“. Daß zu
einem guten Titel ein guter Inhalt gehört,
diefe „Erlenntnis“ fcheint fih auch dem
Verfaffer des Novellenbucdhes zum Theil er:
ihlofien zu haben. Wenigftens zeigt ſich
gleich die „Künſtler-Novelle“ frei von ſei—
nem fonftigen Wohlgefallen an finnlicher
Darftellung und erhebt fih durch einen
feinfinnigen, edlen Grundgedanfen über die
übrigen Erzählungen des Buches. Sie ift
„audh für Hinder* — ein Lob, wenn es
verdienftlicher ift, zum Nutzen der Jugend,
als zum Bergnligen blafierter Lebemänner
und lüfterner Weiber zu schreiben. Die
„bumoriftiiche Dorfgeſchichte“ möchten wir
anı liebjten mit Stillichweigen übergehen,
aber unsere mihhandelten Landsleute und
der Gooperator mit den „bratenjaftüber-
fließenden Lippen, deffen Hauptitärfe darin
bejteht, einen Humpen Bier in einem Athen:
zuge zu leeren, jchreien nah Rache. — Die
„draftiihe Cur“ ftreift an eine franzöfiiche
Ehebruhsgeihichte und hat nur das Gute
für fi, daß fie unwahrjcheinlid ift von A
bis 3. Die „Salon:Novelle* ift mit großer
piychologiicher Spitzfindigkeit geichrieben und
ihre Geftalten wilrden uns Intereſſe eins
flößen — wenn fie nur mehr glaubmwitrdig
wären. Zujanmengejeiite Wörter, wie „dies—
bezüglich“, jollte der Schriftfteller neidlos
dem Kanzleimenſchen überlafien. — Hoch—
willflonınten werden wir ein NRovellenbud
heißen, daß Welten der Jugend — unierer
Hoffnung, unjerem Stolze — widmen wird;
er fann e8 — wenn er nur will, das zeigt
in jeiner „Künftler:Novelle* der zarte Blü:
tenanjaß zur reifenden „Frucht der Er:
lenntnis“. —tt —
Lieder und Bilder von J. J. Honegger
(Leipzig. W. Friedrich. 1887.) Der rühm—
lichit befannte ſchweizeriſche Eulturbiftorifer
überraiht uns zu einer Zeit, wo jeine im
Erſcheinen begriffene große Eulturgeichichte
uns in Spannung hält, mit einem Bändchen
Gedichte. Das intime Herzensleben eines
Menſchen ift ſtets intereffant, um fo mehr,
wenn der Menich bedeutend iſt. Ein Wort
über das Schidjal jeines Lebens und jeiner
Lieder macht uns zur Einleitung mit dem
Verfajer vertraut. Das Präludium ift im
Moflton:
Wohl wird es verweh'n wie der Morgenwind,
Wie die Wiefenblüte, des Frühlings Kind.
Es verweht.
Wohl wird es veraeh'n wie der Herbſtnacht Hauch
Wie die Nebel im Meer, wie flüchtiger Rauch.
Es vergeht.
23
Doch hebt ed nur Gin finnig Gemüth,
Durdffammt es ein Herz, genug hat mein Lieb
Dann erjirebt,
Wenn nur Ein Röslein ihm lauft und bebt
Und liebt und nlübt, genug hat's gewebt
Und gelebt.
Dem folgt das meifterhafte Natur: und
Stimmungsbild:
Dur der Tannen Wipfel ſtreichen
Schwer und bang Gewitterlüfte.
Donner rollt. Dom Eturmesbrauien
Wiederhallen dumpf die Alüfte,
Blike mit den Feuerfahnen
Durch die grauen Wollen fahren.
Sturm fpielt auf zum leden Tanze.
Nebel reihen fih zu Paaren,
Scheue Bögel Hattern ängſtlich.
Große Regentropfen fallen.
Aeite brechen, Etämme flürjen
In dei Waldes Eäulenhallen,
Muß ein großer, wilder Schmerz fein,
Der die hoben Aronen ſchüttelt,
Der die Etämme fnidt, der jürnend
An den jlolzen Eichen rüttelt,
Mu ein tiefes, berbes Leid fein,
Daß des Donners Klagen rollen.
Daß der Himmel Thränen weine,
Taf des Waldſtroms Wellen grollen,
Ueber's Gerz fuhr gleicher Sturm mir.
Ihräne, Yeid und Donnerworte,
Euch verſteh' ich, wenn im Sturm ich
Lauſchend fit’ an Waldes Porbe.
Abwechslungsreich, indem die verſchie—
denften Saiten des Gemüthes anflingen, geht
es fort bis zum „Es will Abend werden".
Tas iit das ewige Los, und mählich ftiller
Wird's um Dich, wird's in Dir, Die fühlen Tage,
Sie dunkeln raſcher. Schnee liegt auf dem Scheitel.
Es ift das alte Lied. Wozu die lage?
Tat eben war ein fturmbeihrwingtes Wagen,
Die Rorne bat ihre Füllhorn ausgegoſſen
Auf Did. An Sieb! und Haß die reichſten Wonnen,
Den wilden Edinerz, Tu Hait jie voll genojien.
Du baft des Dafeins Räthiel nahgegraben
Und unentwegt den Geiſteskampf geftritten.
Zum Licht empor! in dieſem Zeichen halt Du
Sefragt. geträumt, gezweifelt und gelitten.
Die lange, tiefe Nadıt wird Ruhe bringen.
Der Name ftirbt gleih einer leiſen Sage.
Ahr wenigen Lieben, die Ahr einft zum Hügel,
Dem tleinen pilgert, thut es ohne Alagne!
Dann if die ſchwere Rechnung ausgeglicen,
Gelöst des Zweifel und der Echmerjen Bann,
Kur Eins, — die Trauerweide Takt mir flüftern:
Gr war ein Daun!
Wir glauben die Sammlung mit diejen
Proben würdig empfohlen zu haben. Der
Schluß des Büchleins bietet interefjante |
Efizjen aus Ntalien und England und
eine bewegende Novellette. M.
Gründzüge der Geſchichle der Mufik von
Franz Brendel. Sechste vermehrte Auf:
lage bearbeitet von Dr. Wilhelm Kienzl.
(Leipzig. H. Matthes. 1887.)
Wer fih auf kurzem und angenehmem
oO
will, der kann nichts Beſſeres thun, als
nah diefem Büchlein zu greifen, das ihn
in fadhlicher und populär gehaltener Weiſe
mit der Entwidelung der abendländiichen
Muſik befannt maht und die Meifter der—
| jelben ſcharf und fein dharakterifiert. Dr.
Kienzt hat ſich durch die Wiederherausgabe
und zmwedentiprechendere Bearbeitung der
Schrift ein neues Verdienft —
Schneeroſen. Erzählungen aus der Weih—
nachtszeit von Helene Stöckl. (Leipzig.
J. M. Gebhardt).
Keinem literariſchen Weihnachtsgaſt
wird die deutſche Familie ein herzlicheres
Willlommen zurufen, als einem neuen
Chriſtfeſtbüchlein von Helene Stöckl. Die
Herzinnigleit dieſer Schriftſtellerin hat ſchon
Tauſende von Leſern erwärmt und für das
liebe Weihnacdtsfeit geftimmt. Diejes neue
Werlchen mit feiner finnigen Einleitung und
ſeinen vier jchönen Erzählungen: „Am hei:
ligen Abend”, „Eingeichneit*, „Bott lebt“,
„Rojen blühen und vergehen, wir werden
das GChriftfind jehen“, darf wohl gewiß zu
den liebenswürdigften Feſtgaben gezählt
werden. Die Ausftattung entipridht dem In—
\ halte; um der Weihnahtsüberrafhung nicht
vorzugreifen, wollen wir weiter nichts ver:
rathen. R.
Das Wetter und der Mond. Fine meteoro—
logiihe Studie von Rudolf Falb. (Hart:
leben. Wien.)
Rudolf Falb, deſſen Erdbebentheorie
und meteorologiichen Brophezeiungen jeinen
Namen in die weiteſten Kreiſe getragen,
tritt mit einer neuen, geradezu jenjationellen
Schrift in die Oeffentlichkeit. Eine in neueſter
Zeit wieder auf der Bildfläche naturwiſſen—
ſchaftlicher Discuifionen ericheinende Frage
wird hier zum eriten Male in gründlicher
MWeije erörtert und zur Beantwortung ge:
bradt. Un der Hand eines reichen Bes
obadtungsmateriales zeigt der Verfaſſer,
dab der vielfah geleugnete Einfluß des
Mondes auf das Wetter nit nur that:
jählich vorhanden, jondern auch zu gewiſſen,
vorauszubeftimmenden Zeiten wenigftens,
ſehr hervorragend jei. Die Erörterung, wie
es fan, dab dieſes Rejultat nicht längſt
ſchon zu Tage gefördert wurde, bietet einen
der intereſſanteſten Abſchnitte dieſer Schrift,
deren Stil dem großen Kreiſe derjenigen
ſowohl, die ſich für die Beobachtung der
Witterung im Allgemeinen intereſſieren, als
auch der Leſer, welche mehr die wiſſen—
ſchaftliche Seite der Frage in's Auge faſſen,
in gleicher Weiſe gerecht wird. Einige der
Wege in der Geſchichte der Muſik orientieren | vorgeführten Thatſachen und Geſichtspunlte
236
bieten dem Berfaffer Gelegenheit zu den] vereine über, die modernfte Frucht des Alpi—
beadhtenswerten Epiloden über die Schlag: | nismus, deren miflenichaftliche, wirtichaft:
wetter in den Bergwerlen und die großen | liche, culturelle und ethilche Bedeutung in
Abendröthen des Jahres 1883, durch deren | dem Verfafjer einen beredten Anwalt findet.
originelle Erflärung zwei entgegenftehende | Wie er fein ſchönes Buch mit äfthetiichen
Anfichten über den Urſprung derjelben har: | Frörterungen eingeleitet hat, fo jchlieht er
monifch vereinigt erfcheinen, V. dasſelbe mit einer ethiſchen Betrachtung in
\würdiger Weije,
Die Alpen, Handbuch der gefanımten
Alpenfunde. Bon Dr. Friedrich Umlauft. Diertaufend Meilen unter Bturmfegeln
Mit 31 Bollbildern, 64 Tertbildern und | auf Sr. fönigl. Hoheit des Prinzen Heinrich
20 Karten, wovon 15 im Texte. (U. Hart: | yon Bourbon Grafen von Bardi Pacht
leben. Wien.) } $ | „Aldegonda«, Von Detlev von Heyde—
Umlauft'3 Handbud) „Die Alpen“ liegt | brand und der Laſa. Mit einem Por:
uns nunmehr complet vor. Wir empfangen | trät, 106 Iluftrationen und einer Karte,
in diefem Werle eine Tarftellung der ge: | (Hartleben. Wien.)
fanımten Alpenwelt in allen ihren Erſchei⸗ Das Wert ſchildert die Seereiſe von
nungen und phyſikaliſchen Vorgängen, wit Dartmouth an der Südfüfte Englands bis
fie bisher nirgends in einem Buche vereint | nach Pola und bietet eine aus Land: und
zu finden war, Ebenjo jahfundig als eine | Seebildern componierte Reiſebeſchreibung.
gehend werden die Eharalteriftit der Alpen, | Das Wert macht den Gindrud des an Ort
ihre Örenzen und Eintheilung, der verticale | und Stelle Empfundenen und ift überdies
Aufbau und die Geologie unferes Dodge: | durch die paſſend eingefügten Belehrungen
birges beſprochen. Beſonders liebevolle Ber | über das gejammte Seeweien wertvoll,
bandlung erfährt die topographiihe Schil—
derung der Alpen. Mit wohlthuender Ab:
wehslung in Anordnung und Parftellung
des reihen Stoffes werden bier nicht bloß
die plaftiihen Berhältnifie, die Höhenzüg
Lehrbuch der Haturheilkunde für Jeder:
mann von H. A. Melger. (Leipzig. Hein:
rich Matthes, 1886.)
Diefes empfehlenswerte Werk verfolgt
namentlid die Abficht, Familienväter und
Mütter auf die Bedeutung der Naturheil:
funde aufmerfiam zu machen und ihnen
durch Rathſchläge Gelegenheit an die Hand
zu geben, bei Krantheitsfällen im der Fa—
milie jelbft einzufchreiten und durd ratio:
nelle Behandlungen die Störungen im Or:
ganismus zu bejeitigen. V.
Gipfel, Päſſe und Thäler geſchildert, ſon—
dern auch Flüſſe und Seen, Waſſerfälle und
Gletſcher, Verlehrswege und Wohnorte, ge—
legentlich auch die Erſcheinungen des Pflan—
jene, Thier- und Menſchenlebens, ſowie
Rundſichten von beſuchten Bergen zum Ge—
genſtande der Erörterung gemadt. In den
folgenden Gapiteln bietet der fundige Ber:
fafjer monographiiche Abhandlungen über
Alpenthäler und Thaliyfteme, Flüſſe und
Seen, verichiedene Wirkungen der Erofion
und Verwitterung, über das Klima der
Alpen, über Schneeregion, Lawinen und
Gletſcher. Dann folgt eine eingebendere
Beiprehung der Pflanzenwelt und des Thier:
lebens. Höheres Intereſſe aber beaniprudt
das Gapitel über den Menihen in den
Alpen, weldes fih zunädft mit der na—
tionalen Berjchiedenheit der Alpenbewohner | de Duincey erjcheint hier zum erftenmale
und mit einer Charalteriftil derjelben befaßt. | im einer deutjchen Weberjegung. Der Ber:
Ihre Beihäftigung bietet dem Berfafler | fafler, einer der geiſtreichſten Schriftiteller
Anlaß, das Leben des Holzichlägers und ſpricht fi in jeinen Bekenntniſſen aufrid:
Wildheuers, des Alpenjägers und Sennen | tiger und klarer über die anfangs reizen:
näher zu jchildern. Er beipricht die Aelpler den, ſpäler fürchterlichen Wirkungen des
in der fremde, ihre Tradt, Wohnhäuſer Opiumgenufies — dem er jahrzehntelang
und Wohnorte, ihre Kunſtbegabung und|in leidenschaftlicher Weife fröhnte -- aus,
den Einfluß der Alpen auf die Kunft, ſpe- als irgend Einer vor ihm und jeit ihm.
ciell auf Malerei und Dichtung. Noch wer: | Scine Belenntniffe haben außer dem jpe:
den die Aunftbauten der Alpenftrafen und | ciellen Interefie aud ein allgemeines: ſitt—
die Wunderwerle der großen Alpenbahnen | liches, culturgeichichtliches und literarisches,
dem Lefer vorgeführt. Darauf handelt das | und befiten in ihrem Bortrag den Reiz
V.
Bekenntniſſe eines Opium⸗Eſſers. Ueber—
jest von L. Ottmann. (Robert Lutz.
Stuttgart.)
Das berühmte Werk des Engländers
Werk von der Alpenforſchung in alter und | einer Novelle,
neuer Zeit und geht zulegt auf die Alpen:
Ein im Berlage 3. v. Groningen in
Annaberg erjhienenes Büchlein: „Elias
Regenwurm‘, eine moraliihe Geſchichte für
Große von H. d'Altona wird freunden
der in Jean Paul'ſcher Manier geichriche:
nen Satiren großes Vergnügen bereiten.
widelung unferes heutigen Schulwejens und
die Beftrebungen unjerer politiichen Par:
teien, welde in der Herrſchaft über die
Schule das begehrenswertefte Ziel ihrer
Wuünſche erbliden.
Für die Lehrerwelt natürlih von ein»
In ergöglicher Weiſe find die Neifeerleb: | jchneidendfter Wichtigkeit, ift die Schrift
nifjie eines aus dem Dunlel feiner Erd: doch eigentlih nod mehr für jedes Mit:
iholle nad der Oberwelt firebenden Regen: | glied von Gemeindevertretungen, Orts: und
wurms gejcildert, in dem unſchwer ver:
wandtichaftliche Bezüge mit dem Geift jenes
anmaklihen Philoſophenthums wahrzuneh:
nen find, das die Weltordnung nad den,
feiner eigenen Blindheit gezogenen Geſetzen
umgejtaltet wifjen will. V.
Das Vollstheater in Tirol hat ſchon
lange die allgemeine Aufmerkſamkeit be—
Ihäftigt und man war bemüht, feinen ge:
ſchichtlichen Uriprung nachzuweiſen. Nun
liegt von Dr. J. Wadernell ein interej:
fantes Wert vor: „Die älteſten Palfions-
Ipieler in Tirol“, welches nach vielen Rich—
tungen bin Bahn bridht. Seine gründlichen
Unterjudungen maden es wahricheinlid,
dab die Tirolerpafiion in den erften drei
Decennien des fünfzehnten Jahrhundertes |
eniftand und jedenfalls in die Blütezeit
des altdeutihen Dramas fällt. Die berühm:
ten Aufführungen in Sterzing und Zell
fanden zu Ende des 15. und Anfang des
16. Jahrhunderts ftatt. 2
Don der Offee bis zum Nordkap. Eine
Wanderung durd Bänemar!, Schweden
und Norwegen, mit bejonderer Rüdfiht auf
Kunſt und GEulturgeihichte, Sage und
Didtung von Ferdinand rauf. In
25 Heften mit vielen Bildern. (Neutitichein.
R. Hoi.) Die erften uns vorliegenden
Hefte belehren uns vor Allem, daß diejes
Werl mit anderen illuftrierten Lieferungs:
werfen kaum zu vergleiden iſt. Krauß's
Wert madt den Eindrud großer Gediegen:
heit. Es ift wiflenihaftlid und populär
jugleih und wird im Vereine mit den vor:
trefflichen Yluftrationen ein wahres Bild
der Rordländer und ihrer Bewohner bieten.
Mir hoffen uns no eingehender mit dem
interefjanten Buche befajjen zu fönnen.
R
Unter dem Titel: „Ein offenes Wort‘,
Bezirlsihulräthen, ja jo recht für jeden um
das Wohl jeiner Kinder beforgten Bater,
für jeden Wähler und Steuerzahler von
Bedeutung.
Die Schrift ift ſchulfreundlich, fie will
vom öfterreihiich:patriotiihen Standpunfte
aus alle politiihen Parteien zur Förderung
der Schule heranziehen, fie meift jeder
Partei gewiſſe Rechte, gewiſſe Vortheile in
der Schule zu, aber ſie unterläßt es auch
nicht, allen auf die Schule einwirkenden
Kräften ihre Fehler nachzuweiſen, die erſt
erlannt und anerkannt ſein müſſen, ehe
auf ihre Beſeitigung zu hoffen ift. 7;
Bugendheimat, Jahrbuch für die Jugend
zur Unterhaltung und Belehrung heraus:
gegeben unter Mitwirkung vieler Jugend:
|freunde von Hermine Proſchlo. Mit zahl:
reihen Alluftrationen. I. Jahrgang, der
durchl. Frau Grzherzogin Maria Nojefa
gewidmet. — (Graz. Berlagsbuhhandlung
Leylam.)
Obzwar die Literatur für die Jugend
jeine jehr reichhaltige ift, jo entbehrte unjere
heimiſche Literatur doc bis jetzt eines
illuftrierten Albums für unfere Jugend,
63 wird uns hier ein jold bunter Strauß
Duftiger Geiſtesblüten geboten, daß wir dies
‚erfte Unternehmen jolder Art nur mit Freu⸗
den begrüßen können, ihm die weitefte Ver:
breitung, welche es im vollften Maße ver:
dient, wünichend.
Der Herausgeberin, eine der befanntes
ften Yugendicpriftftellerin, ift es gelungen,
hervorragende Yugendichriftiteller und Ju—
'gendjchrifttellerinnen für das Unterneh—
men zu gewinnen, wir finden aber auch
Namen in dem Album vertreten, welche
ſonſt bei Jugendunternehmungen nicht zu
finden ſind und muß man es der Heraus—
geberin zum beſonderen Verdienſt anrechnen,
‚daß fie gewußt, auch jolche Kräfte heran—
zuziehen.
Beiträge haben gegeben: Dr. Iſidor
Proſchlo, Iſabella Braun, Emmy Giehrl,
Emma Laddey, Dr. Friedrich Bed, General
Schulpolitiſche Briefe an alle Parteien von Albin Reichsfreiherr v. Teuffenbach, W.
Diogenes, iſt im Verlage von Fournier Conſtant, Franz Bonn, Afrika-Reifender
& Haberle in Znaim eine Broſchüre er: | Hauptmann Anton Lux, Augufta v, Gäßler,
ſchienen. Mit einer ungewöhnlichen Klarheit Hermann Hirſchfeld, Moriz Ferdinand Bret—
ihildert ein Mann von weitem Gefichts: |jchneider, Gafimir Nebele, Jjabella Hummel,
treis und feltenen Erfahrungen die Ent: | Hedwig v. Nadics:Kaltenbrunner, Elife Ris,
238
Johanna MWolfrLeitenberger, Theodor v.
Grienberger und Andere. Ganz beionders
fei hervorgehoben, daß alle Diele Beiträge |
durchwegs Original: Arbeiten find, welde
eigens für die „Jugendheimat* gejchrieben
wurden.
Unierer Jugend wird hier eine joldhe
Fülle des Erhebenden, Belehrenden und
Unterhaltenden dargebracht, daß jede Ya:
milie mit der „Jugendheimat“ ihren Kin:
dern einen Hausihat von dauerndem Werte
bieten fann; wir empfehlen deshalb gelegent:
lich des Weihnachtsfeſtes dieſe neuefte Jugend»
gabe auf das wärmſte. {,
„Mufikalifhe Jugendpoſt“. Illuſtrierte
Yugendzeitung, pro Quartal ein Heft.
(Paderborn. J. Tonger.)
Inhalt: Erzählungen, Märden, Epijo:
den aus dem Jugendleben berühmter Ton:
lünftler. Belehrendes, Unterbhaltendes und
Erheiterndes, — Zahlreihe Ylluftrationen,
Räthſel, Spiele. Leichte, hübſche Klavier:
ftüde zu 2 und 4 Händen, Xieder, Duette, |
Compofitionen für Violine und Elavier von
den beliebteften Componiſten. Muſikaliſche
Geſellſchaftsſpiele. R
Fragemäulchen. Ein Bilderbuch zu Luft
und Lehr von Julius Lohmeyer. Mit!
Pildern von Karl Röhling. (Leipzig.
Meiner & Bud.)
Gin reizvolles Bilderbud für die Klei—
nen von 4—9 Jahren, in weldem Mütter:
hen ihrem wißbegierigen, kleinen Plage—
geift Auslunft über Entftehung, Herkunft
und Gebraud der verichiedeniten Dinge des
täglichen Lebens ertheilt. In anmuthig ge:
reinıter Wechſelrede erfährt das Kind, mie
Haus und Kleidung, Brot und Geräth,
Geihirr und Hausrath u. ſ. w. entjtehen.
Alles wird überdies durch 70 farbenprädtige
und graciöje Bilder und Bildchen von Karl
Röhling dem Kinderauge veranihaulicht.
Unterhaltung und Belehrung verbinden ſich
daher auf das Innigſte im dieſem liebens:
würdigen Buche. V.
Roter Murr. Verfaßt von ihm ſelbſt,
iluftriert von feinem Freunde F. Flinzer.
(Leipzig. Meißner & Bud.)
63 ift die Lebensgeihichte des durch
E. T. A. Hoffmann berühmt gewordenen
gelehrten Katers, welde Julius Lohmeyer
bier in finnigehumorvoller Weife den Kindern
von 6--12 Jahren vorführt. Wedor Flinzer,
der berühmte Katenmaler, jchildert durch
überaus launige Aquarelle die Schidjale und
Abenteuer diejes viel bewegten Katenlebens
in überzeugender, .naturwahrer und Jung
und Alt zugleich beluftigender Weije.
V
— —
Das tolle Buch. Verſe von Victor Blüth—
| gen, Friedrich Oldenberg, Georg Bötticher,
Schmidt: Cabanis und Julius Lohmeyer.
| (Reipzig. Meißner & Bud.)
Ein Bilderbuch voll friſchen, drofligen
Humors in Wort und Darftellung für das
‚Alter von 5—10 Jahren, mit 55 höchſt
fomijchen Bildern in prädtigem Farbendruck.
Eine unerfhöpflihe Duelle von Luft und
Fröhlichleit für Jung und Alt. a
| Unfer Hausglük, Ein Bilderbuh von
MWoldemar Friedrid. Mit Reimen und
‚ Strophen von Julius Lohmeher und Frida
Schanz. (Leipzig. Meiner & Bud.)
Meiiter Woldemar Friedrich führt
uns bier in 65 farbenprädtigen Aquarellen
von faum übertroffener Schönheit, die in
vorzüglichem Farbendrud ausgeführt find,
das Leben und Treiben unjerer Lieblinge
vor. Julius Lohmeyer und Frida Schanz
begleiten dieſe entzüdenden Bilder mit präch—
tigen Strophen und anmuthigen Reimen,
jo daß fih hier Wort und Bild zu einem
Kinderbuh von überraſchender Schönheit
vereinigt, da& bejonders den Kinderfreis von
4—9 Jahren erfreuen wird.
Robinfon Cruſoe's Leben und Schidjale,
erzählt von Julius Lohmeyer. (Leipzig.
Meißner & Bud.)
Die uniere Jugend jeit faft einem Jahr:
hundert immer wieder fefjelnden und begei=
fternden Abenteuer und Schidjale Robinſon's
find wohl nie naturwahrer und lebensvoller
von Künftlerhand dargejtellt worden, wie
bier. In 60 in Farbendrud ausgeführten
Abbildungen von Karl Marr, von einem
feflelnden, Inappen, mit den Bildern eng
verbundenen Text von Yulius Lohmeyer
begleitet, zieht bier das ganze fdhidjals:
volle Leben in prächtiger Bilderjhau an uns
vorüber, V.
Rinderhumer. Reime von Julius Loh.
meyer und Johannes Trojan, (Leipzig:
Meißner & Bud.)
Ein Heiner Hausihat voll anmuthiger
Kinderdrollerien und liebenswürdiger Laune
aus der Feder der beliebtejten Jugenddichter
und Humoriften, mit 50 farbendruden nad
Aquarellen von Julius Kleinmichel, reich
an humorvollen und charakteriftiichen Be:
obadhtungen aus dem Kinderleben. Eine
_ oil
230
willflommene Gabe für Kinder von 4-9
Jahren, in der Scherz und Ernſt anmuthig |
in Wort und Bild ———
„Oeſterreichiſches Seebuch“ von Ferd.
Zöhrer.(Teihen. K. Prodasta.) Erzählun—
gen, die fih auf Seeſchlachten, überſeeiſche
Erpeditionen und auf das leben hervor:
ragender öſterreichiſcher Seehelden beziehen.
— Die Seeihlaht von Lepanto, die No: |
vara- und die Nordpol» Erpedition, die
Biographie des Admiral Tegetthoff, ſowie
Friedrich“ |
die Erdumjeglung der Corvette
und Underes wird bier der Jugend im
fejjelnder, jpannenvder Weife und mit Ein:
flehtung zahlreicher Abenteuer erzählt. Auch
Alles, was zum Seeweſen gehört, iſt in
dieſem Buche erklärt und in leicht —
Weiſe beichrieben.
„Unter dem Raiſer-Adler“, von Ferd.
Zöhrer. (Teihen. 8. Prodasta.) Kriegs:
geihichten aus Oeſterreichs NRuhmestagen.
Die wichtigſten geihichtlichen Ereignifie und |
bedeutende Männer, die fi in denjelben
bervorgethan haben, find darin berüdfichtigt. |
V.
Dem Heimgarten ferner zugegangen: |
Vor Beiten. Novellen von Theodor
Storm, (Berlin. Gebr. Paetel. 1886.)
„Gloria vietis!“ Roman in vier
Büchern von Dijip Shubin Zwei
Bände. (Berlin. Gebr. Paetel. 1886.)
Die Sora-Hize, Novelle von Stefanie
Kevier. (Leipzig. Ernſt Keil.)
Die Andere. Noman von W. Hein
burg. (Leipzig. Ernſt Keil.)
Die deutſche Handwerkerbraut, Bon
Karl Weije. (Wismar. Hinftorfihe Hof:
und Berlagsbudhandlung. 1886.)
Heiteres und Weiteres. Kleine Geſchichten
von Ernft von Wolzogen. (Stuttgart.
MW. Epemann. 1886.)
Rlofler und Grafenburg. Hiſtoriſch-ro—
mantiſche Erzählung von Ed. Jojt. (Kai:
ferslautern. A. Gotthold.)
Vater Radekky. Bilder aus dem Sol:
datenleben im Krkge von F. W. Hack—
länder. (Stuttgart. Karl Krabbe.)
Eulturbilder aus dem Often. Bon Fer:
dinand Ediflorn. (Leipzig. Eugen Be:
terjon. 1887.)
Eine Wohlthat. Volksdrama in vier
AUcten von Ferdinand von Saar. (Hei:
deiberg. Georg Weiß. 1887.)
Bauhenborn u. Bohn. Schauſpiel in
5 Acten von Heinrih d'Aaltona. (Anna:
berg. 3. dv. Groningen.)
Auderheim. Häusliche Erlebniſſe eines
jungen Ehepaares von Frank R. Stodton.
Deutſch von M. Jacobi. (Stuttgart. R.
Zug. 1886.)
Die Leute aus der Lindenhülte. Nieder:
ſächſiſche Walddorfgeihichten für große und
feine Leute, erzählt von Heinrich Sohn:
vey. Hütte und Schloß. (Bernberg. 3.
Bacnıeifter )
Die Rinder von Wohldorf. Bon Ferdi:
nand Avenarius. (Dresden, Ehlermann.
1887.)
Heimat oder Siliſtria. Schaufpiel in
vier Achen von Kennal Bey. Aus den
Türkiſchen überiegt von Leopold Petotid.
(Wien. Garl Konegen. 1887.)
Aus ungleihen Tagen. Neue Gedichte
von ©. Fritz. (Wien. Karl Konegen. 1887.)
Schönes deutfches Lieder-Intermepro von
Karl Ditthborn. (Nürnberg. 3. Kühl.)
din und fein Heid. Die Götterwelt
der Germanen. Bon Werner Hahn.
(Berlin, Leonhardt Simion. 1887.)
Sudrun. Dramatiſches Gedicht in fünf
Aufzügen von Auguft Linde (Moskau.
M. O. Wolff. 1887.)
Gedihle von Franz Tehner. (Neud:
nitz-Leipzig. Selbjtverlag des Berfaflers.
| 1887.)
| Wilde Kanken. Gedichte von Edmund
Lichtenſtein. (Cottbus. H. Differt. 1886.)
Rabengefänge von Ferdinand Jllel,
(Olmitg. Selbftverlag. 1886.)
Für kleine Leute. Eine mannigfaltige
jorgjame, aus alten und ganz neuen Quellen
geihöpfte Auswahl der beften Gedichte für
tindliche Zejer. Herausgegeben von Maris
milian Bern. Mit zahlreihen Illuſtra—
tionen von Fedor ÄFlinzer, Oscar Pletſch,
Ludwig Richter, Paul Thumann u. 4.
(Leipzig. E. Twietmeyer.)
Rosmilhe Weltanfigten. Aſtronomiſche
| Brobadtungen und Ideen aus neuefter Zeit
von Wilhelm Meyer (zweite Auflage).
(Berlin, WUllgemeiner Berein für deutſche
| Literatur. 1886.)
Werkflühe zum Aufbau des Arbeits:
unterridts. Geſammelte Vorträge und Auf:
jäge über die Erziehung der Jugend zur
Arbeit von Dr. Woldemar Götze. (Leip—
jig. Heinrih Matthes, 1887.)
Pihyfiologie, oder die Lehre von den
Lebensvorgängen im menſchlichen und thieri—
ihen Körper von Dr. ©. Rahmer. Mit
zahlreihen Farbentafeln und Hoizichniiten,
(Stuttgart. Otto Weijfert.)
Die Myfik im Irrfinn. Bon Karl du
Prel. (Münden. Berlag von K. du Brel.
1886.)
Londinismen, — Seang und Cant-Al—
phabetiich » geograpbiihe Sammlung der
240
eigenartigen Ausdrudsmweife der Londoner
Vollsiprade, fowie der üblichen Gauner:,
Matrojen:, Sport: und Zunftausdrücke.
Mit einer geſchichtlichen Einleitung und
Mufterftüden. Bon Heinrih Baumann.
(Berlin. Langenſcheidt. 1887.)
Nothwörterbud, der englifhen und deut»
ſchen Rpradye für Reife, Lectüre und Con—
verjation, IV. Theil: Land und Leute in
Umerifa. Zufammengeftellt von Karl
Naubert. (Berlin. Langenideidt.)
Das Bud vom Bier. Gerevifiologiiche
Studien und Stizzen von Dr. €. M.
Schranta. Zwei Bände. (Berlin. Wald:
mann. 1886.)
Otto Spamers Aluſtrierkes Gonverfa-
tions⸗Cexikon, zweite, gänzlich umgeftaltete
Auflage, liegt uns jegt bis zur 10. Ab:
theilung vor. Diejelbe umfaßt die Artikel
von Chodzlo bis Daniel und bringt circa
850 Stihmwörter. Ueberaus zahlreiche, ge:
jhidt gewählte Tert:Abbildungen (außer
den Tontafeln find es deren 287) ſchmücken
dieje Abtheilung.
Geſchichte der Weltliteratur in überficht-
licher Darftellung von Dr. Adolf Stern,
Volftändig in 12 Lieferungen (Stuttgart.
Rieger's Verlagsbuchhandlung.)
Das Turnen, insbeſondere das Mäd—
chen-Turnen unter Berückſichtigung der
orthopädiſchen Gymnaſtil. Ein Wort zur
Anregung und Aufflärung an Eltern und
Erzieher von G. Gerlitz. (Graz. Franz
VPechel. 1886.) e
Neber Scoliofe. Vortrag, gehalten im
Vereine der Aerzte Steiermarls von Dr.
Hermann vd. Goltelli. (Graz. Berein
der Werzte in Steiermarf, 1886.)
Der häuslide Herd. Neues geprüftes
Kohbud für junge Hausfrauen, erfahrene
Köchinnen und ſolche, dir e8 werden wollen,
Enthält: Anleitungen zur Bereitung guter,
einfacher, wie aud feiner Speijen jeder
Urt, zum Ginmaden des Obftes und Ges
müſes, zur Bereitung verſchiedener Getränke,
nebſt praktiſchen Winken aus der Haushal—
tungskunde. Nach eigenen Erfahrungen ge—
ſammelt von Emma Echart. Zweite,
bedeutend vermehrte und zeitgemäß umge—
arbeitete Auflage. (Wien. Hartleben.)
Die Fiqueur-Fabrication, wie fie ift und
wie fie fein joll. Bon R. W. 166. (Bodum
in Weftphalen. 1886.)
[)
| Monatsfhrift des Gemwerbevereins „Ein⸗
tracht“ in Czernowitz. Nedigiert von E. X.
|Romftorfer.
Groher Bauernkalender mit Bildern auf
das Yahr nah der Geburt Jeſu Ehrifti
1887. Herausgegeben von Franz Schlin—
tert. (Wien. Karl Fromme.)
Bluftrierter katholifher Bolkskalender
1887. Zur Förderung des katholiſchen Sin—
ned von Dr. H. A. Jariſch. (Wien. Morig
Perles.)
Deutſcher Volkskalender für die Iglauer
Spradinjel. 1887. H. Jahrg.
Trewendt's Hauskalender 1887. (Breslau.
E. Trewendt.)
x X 65 wird angelegentlihft erjucht,
Manufceripte erft nad vorheriger Anfrage
einzufenden. Für unverlangt eingeichidte
Manujcripte bürgen wir nicht. Externe Ar:
beiten honoriert die Verlagshandlung nicht.
€. 3.3. Dehau: Wadere Befinnungen,
weiches Gemüth, aber nicht originell. Etwas
drucken wir ab, wird Ihnen zwar nichts
‚nügen.
N 6. St. Wien: Ebenjo.
| C. R. St. Pölten. Form nicht correct,
Inhalt zu gewöhnlih. Eignet fi nicht zur
‚ Veröffentlichung.
F. W. Wien. Poeſien gelegentlich. Auf:
ja über Dialect vom heutigen Standpunfte
aus erwünſcht.
©. &, Wien: Die beliebte illuftrierte
Monatsihrift „Reſſels Yamilienfreund* ift
in den Befig von Ed. Strade in Warns—
dorf übergegangen, welder fie unter der
Nedaction Wilhelm Reſſel's weiterführen
wird.
$. A. DB. Chemnik: Es ift ja ſelbſtver—
fändlid, dak wir für die Poefie im „Poe—
tenwinfel* nicht verantwortlich find. Dieje
Rubrik ift eben eine Art öffentliher Sing:
halle oder vielmehr im SHeimgarten ein
Baum, auf welchem allerhand Bögel durd:
einander fingen, trällern, pfeifen, zwitſchern
und freiihen. Zur Winterszeit geht man
nicht auf jhönen Gefang, jondern ift froh,
wenn man überhaupt no ein wenig Leben
wahrnimmt auf den Wipfeln.
Poftkarten des Heimgarten.
Jür die Nedaction verantwortlid P. A. Mofegger. — Druderei „Leylam“ in Gray.
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J 188 XI. Jahrg. SS,
3 4. Heft. Januar r X1. Jahrg. NS
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——
en mr N —
Inkob der Pebte.
Eine Waldbauerngeſchichte aus unjeren Tagen von P. R. Rofegger.
Srohe Sonntagseuh’, und — Anger fanden wie Zuderhüte und
er F F ſtatt den Hollunderſträuchern, die geſtern
Jtas war am heiligen Pfingſtſonu⸗ noch jo maienhaft geblüht und ge—
ze tag nach der Mahlzeit. duftet hatten, waren Schneeberge da.
Jakob, der Dausvater, faß in der | Die Proften der Thorichrante Hatten
wohldurchwärmten Stube und las in hohe Hauben auf, wie der Biſchof,
einem alten Buche. In weißen Demdz |wenn er drangen zu Sandeben die
ärmeln, wie er war — der durchnäßte Firmung hält. Die Zaunfteden hatten
Lodenrod trodnete am grünen Kachel- ſpitze und ſtumpfe Hütlein, Schnäbel,
ofen — ftüßte er feine Arme breit Kiſſen, Bänder von Schne. Wenn
auf den Eichentiſch und die Finger das Pfingititaat fein fol! Jetzt kam
über dem Buche ineinandergefchlungen, der Wind und fegte den Schneejtaub
laß er das „B'ſätzel“ vom Heiligen von den Bäumen, Sträudern und
Geiſt. Bisweilen that er einen Blick ı Dächern des Hofes, und ließ ihn tan—
zum Fenfter hinaus in das Schnee zen und wehte ihn an die Fenfter, wo
geftöber. Die Floden wirbelten fo dicht, er ſich im die Eden und an die Nahe
day Die Linde, die dort au der Weg— men ſchmiegte.
thorſchranke war, als dunkle ver— „Bott ſei Dank,“ ſagte der Jakob,
ſchwommene Maſſe im flimmernden „daß der Wind kommt, ſonſt wollt's
Grau ſtand. Die hohen Fichtenbäume | bald Fetzen geben in den Kirſchbäumen
vor dem Dans, die kaum über die) und Linden, Die Eleſſen- (Trauben—
Hälfte hinauf fihtbar waren, beugten kirſchen)ſtauden Hat’s ſchon zerrijlen.“
ihre langen Aeſte unter den Schnee— Auf den Dachgiebeln und unter
lajten, die jungen Lärchen auf dem den VBorfprüngen der Dächer hüpiten
Kofeaaer's „‚Geimgarten‘‘, $. Geft, XI, 16
242
und fchwirrten Vögel umber, die Fin—
fen und Drofieln waren vom Walde,
die Zeischen und Lerchen vom Felde
hergekommen, daß fie es heute mit den
Schwalben hielten, Schutz und Unter-
ftand fänden im Reuthof, und der
wilde Knabe war aus dem Haufe ges
ſtürmt, um mit Schneeballen nach
ihnen zu werfen. Der Jakob blidte
dem im Schneegeftöber nmlaufenden,
von jungen Bäumen den üppigen
Flaum auf fich niederfchüttelnden und
das rathlofe Geflügel verfolgenden
Jungen ſchier mit Mohlgefallen zu:
Das wird auch einmal ein rechter
Altenmoojer-Jodel! Dann öffnete er
das Fenſter und rief jcharf hinaus:
„Jackel, laß’ mir die Vögel in Ruh'
und geh’ herein, es ift zum Beten!“
Seht ſtand der Hausvater aufrecht.
Mas er in feiner Gebirgstradht für
ein ſtrammer, ftattliher Mann war!
Das friſche jugendliche Geficht glatt
rafiert bis auf den Schnurrbart; die
Naſe Scharf und fühn gebogen, die Augen
unter dunklen Brauen etwas tieflie=
gend und freundlich blau. Bart und
Haar waren lichtblond und ſchimmer—
ten jchier ein wenig golden. Lebteres
war rüdwärts kurz geichnitten und
vorne quer und loder über die Stirne
gelegt. An der Stirne waren, wer
genau ſehen wollte, einige Blatter:
narben. So aufrecht der Mann daſtand,
der Kopf war etwas vorgeneigt —
das ift fein Wunder bei einem hoch—
gewachjenen Hausvater, der auf die
Seinen immer nur herabſchauen muß,
der auch das Heinfte zu feinen Füßen
friechende Wefen nicht überfehen darf,
der feine Kraft und feine Sorge und
feine Liebe aus dem Boden zieht, auf
dem er fteht und von feinem Hanpte
wieder miedergibt auf dieſen Boden
und auf Alles, was daraufiteht und ihn
umgibt.
Nun ſpitzte der Jakob die Lippen
und that einen hellen Pfiff. Alsbald
famen die Hausleute aus den Kam—
mern, aus der Küche, auch aus den
Stallungen herein zuſammen,
——— — ———
zur Gebete aus
Pfingſtandacht am Nachmittkage, die
heute nicht wie ſonſt draußen in der
kleinen Kapelle abgehalten werden
konnte. Es waren derbe, eckige Knechte
und ſchäkernde Mägde; es war ein
buckeliges Männlein dabei und ein
paar halberwachſene Jungen. Es kam
die Hausmutter herein, ein etwas
ſchmächtiges, blaſſes Weib, welches allen
Uebermuth und alle Bausbaäckgkeite,
ihren Kindern abgetreten zu haben
ihien. Nur ein Knäblein Hieng an
ihrer Kittelfalte, das noch bläffer als
fie jelber war, aber große kugelrunde,
ganz vergißmeinnichtblaue Augen hatte.
Huch der Jaderl war zur Thür her—
eingetollt, über und über voller Schnee,
wurde aber im folcher Geftalt vom
Vater zurüd in die Küche gejcheucht,
wo er, den Hut ausfchleudernd, der
alten am Herde fauernden Einlegerin
Schnee und Wafler ans Gewand warf.
Die Leute giengen an die Siß-
bänfe, die rings um an den Wänden
gezogen waren und Inieten auf dem
Fußboden davor nieder, fo dal; fie ihre
Ellbogen auf die Bänke fügen konn—
ten. Der Jalob nahın vom Hausaltar,
der hoch in der Wandecke angebracht
war, das Heine meilingene Erucifir
herab, ftellte es mitten anf den Tiſch
und zindete davor eine Wachskerze
an. Dann langte er vom Wandnagel
die große Roſenkranzſchnur, kniete
damit auf einen Schemel an dem Tisch,
machte unter lautem Ausruf der Worte
mit dem Daumen über Stirn, Mund
und Bruft das Srenzzeichen und bes
gann zu beten. Sie beteten den „glor=
reichen NRofenkranz;* der Hausvater
Iprach ftets den erſten Theil des Vater—
unfers, das Gefinde ſprach im Chore
den zweiten Theil desfelben, und jo
auch das Ave- Maria.
Mährend des Gebetes wollte ein
vorwißiger Knecht feiner ſchallhaften
Nachbarin mit dem Zeigefinger ein
wenig den entblögten Arm kitzeln; der
Dausvdater hörte das Kichern der Anz
gegriffenen, ſetzte einen Augenblick im
und warf einen ernſt—
243
haften Blid auf das fchäfernde Pärz |
chen, jofort ward es ruhig, und die
Andacht nahm ihren würdigen Verlauf.
einem Mädchen Hin und fagte: „Sch,
Dirndl, bring mir Feuer!“
Während die Seine zur Herdglut
Da polterte zur Thür ein Mann | hinauslief und bald mit einer glühen—
herein, Hopfte an der Schwelle den den Kohle im Zänglein zurüdtam,
Schnee von den Füßen, fehüttelte den | ſagte der Knatſchel: „Ich Hab’ mir’s
Schnee von Hut und Rod, fniete dann anders gemacht. — Brav, Dirndl,
wie die Anderen an eine Bank hin | friegft zu Lohn einen jauberen Mann,
und betete mit. Er wurde weiter nicht wenn Du groß biſt.“ Vlies die Sohle
beachtet. Als aber die Andacht, die in
einer Anrufung des heiligen Geiftes
„um Weisheit und Beftändigfeit“ aus—
geflungen, zu Ende war und der Haus—
vater das Kreuz gemacht hatte, ſagte die=
fer: „Schau, der Knatjchel! Wir haben |
Dich ein wenig zum Beten gebraucht!“
„Schadet mir eh nicht,” antwortete
der früher Eingetretene, während er
fteif und unbehilflich aus der knieen—
den Stellung aufftand. Der Nachbar
wars, der auf dem Heimweg aus
Sandeben im Reuthofe ein wenig zu—
ſprach, um zu raften.
Er war ein unterfeßter Mann mit
furzenm Hals und breitem, ſtets gut—
müthig lahendem Geficht, das heute
vom Froſt und vielleicht auch noch von
etwas Anderen hochgeröthet war.
„Ein fauberes Pfingftfonntagwetter,
heut!“ fagte der Knatſchel.
„Eh bafen frei wahr,“ redete der
budelige Alte in feiner eigenen Aus—
drucksweiſe drein, „jo fein weiß haben
die Kirſchbäum' schier völlig lang
rothglühend und ftedte fie in die Pfeife.
„Ja, Nachbar,“ fuhr er paffend fort,
„ih Hab’ mir's anders gemacht. Mir
iſt's zu dumm worden in Altenmoos.
Wer ſichs beſſer machen kann — ein
Narr, der's nicht thut.“
Der Jakob ſah ihn fragend an.
„Mein Haus hab' ich heut' ver—
kauft,“ ſagte der Knatſchel und belauerte
den Eindruck, den dieſe Nachricht auf
den Jakob machen würde.
Dieſer Hatte ein bißchen mit den
Augenwimpern gezudt, des Weiteren
war er ganz ruhig geblieben, blidte
den Knaätſchel immer noch fragend an.
„Ich rath' Dir's auch, Jakob,“
ſagte der Knatjchel, „wirfs Hinter Dich,
das kümmerliche Altenmoos, wo fich der
Mensch fein Lebtag lang radern muß,
daß er in feinen alten Tagen ohne Sorg
verhungern kann. Lab das retten fein.
Verkauf’ den Bettel. Der Kampelherr
zahlt gut. Den Reuthof nimmt er,
hat er gejagt, aus Gefälligkeit nimmt
er ihn, wenn Du bergibit. Meinen
nimmer geblüht, als wie dasmal. Hell! Grund kennſt. Siebzig Joch, juft ges
gewiß aud.”
nau, wenn man die Haid und Weid
„Wird ſchon wieder aper werden,“ dazuthut. Rath’ einmal, was er mir
meinte der Jakob.
„Drei Vierteljahr Winter und ein
Vierteljahr kalt,“ ſagte der Alte,
„namla wuhl, jo gehts hiſch zu, bei
uns zu Altenmoos im Gedirg.“
„Seh Her zum Tisch,” ud der
Nachbar ein, „und ſchneid' Dir ein
Brot ab,” damit legte er einen großen
Laib mit Schneidineffer auf den Tiſch
und ſetzte ſich felber hin.
Der Knatſchel ſetzte ſich an die
Tiſchecke, füllte aus der Tabaksblaſe
dafür gegeben hat, der Kampelherr!“
„Leicht etwan gar Hafen einen
Hut voll Thaler,“ redete der budelige
Alte drent.
„So viel gibt der Teufel für eine
arme Seel,“ verfeßte ein anderer Knecht,
wie fie jeßt auf den Bänfen herum—
faßen. Der Knatſchel beachtete dieſe
Bemerkungen nicht, ſondern fagte noch
einmal: „Rath', Jakob, wie viel hat
er mir auf die Hand gethan ?"
„Bar im Ernft, Nachbar?” fragte
jeine Pfeife, zog ein zierliches Stahl |jebt der Jakob, „und Du hätteft Dein
zänglein aus dem Hofenjad, Hielt es Haus verkauft ?“
16 *
244
„Haft Schon einen Tauſender ges
ſehen?“ ſchmunzelte der Knatſchel und
machte ſeine kleine,
Brieftaſche auf.
Der Jakob ſtarrte auf den großen
nagelneuer Geldjchein, der jegt auf dem
Tische lag. Die Knechte machten lange
Hälſe und blinzelten ſchier ſtumm vor
Ehrfurcht auf die Erſcheinung hin.
„Möcht ichs doch wahrlich frei ein
ganz Hein Eichtel anguden, das Sün—
denpflafter,“ bemerkte der alte Knecht
und fam ein wenig gegen den Tiſch
gebudelt.
„Das Pflafter wollt’ uns nicht
Schaden,“ wißelte ein Anderer, „viels
leicht tHäts auch Dir Deine Gicht und
Gall ausziehen, Lufchels Peter.“
„Dasjelbe kunnt eh aft junft wuhl
frei fein ab, ja,“ ſagte der Alte.
„Iſt gut, daß wir ſchon den Ro—
fentranz gebetet haben,“ jagte eine
Magd, „nah fo einem Bildel da!“
fie deutete auf den Taufender, „wär's
mit aller Andacht vorbei.“
„Gehts, gehts,“ meinte ein alt=
Huger Burfche, „immer Einer kauft
ih die Höll' mit jo einem eben.
Die krieg’ ich wohlfeiler, wenn ich fie
haben will.“
„Dasjelbe wird eh leicht eppa
namla Hifch wahr auch fein,“ gab der
Luſchel-Peterl bei, inden er fich wieder
in feinen Ofenwinfel hudte.
„Wenn der Menjch gefcheit ift,“
jagte jegt eine Magd, „fo denfe ich,
wird er fih wohl auch den Himmel
damit faufen mögen. Nit?“
„Hiſch wahr iſt's fruadla wuhl
ab, ja,“ ſtimmte der Alte zu.
„I Hab’ noch einen!“ ſchmun—
zelte der Knatſchel und hieb mit Wucht,
wie der Spieler einen Scharfen Trumpf
ausfpielt, den zweiten Tauſendgulden—
ſchein auf den Tiſch.
„Sapperment!“ fagte der Jakob.
„Belt!“ rief der Kantſchel. „Gelt,
ſtark abgenüßte |
Dein Haus und Grund?“ fragte der
Jalob leiſen Tones.
„Du fannft drei haben für Dei—
Ines!" fagte der Knatſchel. „Beſinn'
‚ Dich nicht, Nachbar, thu' Deine Waſſer—
\ftiefel an und geh’ eilends auf die
Sandeben. Beim Fleifchhader fit er,
der Kampelherr. Seine Geldtafchen hat
‚einen jchauderhaiten Bauch, kann ich
Dir jagen. Als Winkelbauer gehit jebe
‚fort, al$ gemachter Herr kommſt Heim.“
| „Heim?“ fragte der Jakob kopf—
Ichüttelnd, „wie fann der Menfch jein
Haus verkaufen ?“
„Geh, geh, Knaiſchel,“ Tprach jet
‚einer der Knechte, „fted’ Dein Flie—
genpapier nur wieder ein. Her gibft
eh nichts davon.”
Draußen war ein Praſſeln und
Krachen, daß die Wände des Haufes
ächzten, finftere Schneeftaubwolten wir—
beiten an den Fenſtern vorüber.
Leute ſchauten fih an. Bald jubelte
der Wildfang Jaderl mit der Nach»
richt herein: Bon der Linde fei ein
großer Aft niedergebrodhen und habe
die Kapelle in Scherben gefchlagen.
Als der Jakob diefes hörte, jprang
\er von feiner Bank auf und wurde
todtenblaß im Gefichte.
„Wenn das fein Wink vom Him—
mel iſt!“ rief der Knatſchel und Hatjchte
‚die Hände zuſammen. „Der Sankt Jakob
ift hin, Reuthofer! verkauf Dein Haus!“
Der Hausvater gieng in Hemd—
‚Ärmeln wie er war zur Thür hinaus
und durch den wogenden Schneeſturm
der Linde zu.
In den Lüften tanzten die Schnee=
‚floden und die Schwalben.
|
Das liebe Altenmoos.
Am Borabende zu Frohnleihnam,
das war neun Tage nad dem Schnee—
fturm, leuchtete über den Bergen von
Altenmoos der helle glühende Sommers
Die °
Nachbar, das ift ein gutes Jahr, truß tag. Die friſchgrünen Lärchen, die drüs
dab es ſchneiet am Pfingitfonntag!* pen am Hange in ganzen jungen Bee
„Zwei bat er Dir gegeben für. ftäuden prangten oder eingefprengt
ee)
—
waren
in die dämmernden Fichten- und Bäumen beſtanden waren, und
wälder, hatten auf allen ihren Zwei- über Feldlehnen Hin auch die weißen
gen purpurrothe Kätzchen. Aber die
Fichtenwälder waren zu folcher Zeit
nicht jo dämmernd als jonft, die wei—
hen frischen Triebe aller Aefte und
Mipfel, an denen auch manch vothes
Blüthenzäpfchen ftand, Hatten ein helles
res Grün über die Wälder gebaucht.
Auf den MWiefen, in deren Furchen
under Ampfer- und Lattichblättern
ſchämige Wäfferlein dabingurgelten,
ftanden in Gruppen Ahorne und
Eichen, die erſt auszutreiben beganz
nen. An den Rainen und Gehöften
ſchimmerte das weiße und roſige Ges
flode der blühenden Kirſch- und Milde»
öpfelbäume, und der Duft von den
weißen Blüthenzapfen des Trauben
firichenstrauches erfüllte weitum die har—
zige Luft mit feiner beranjchenden
Süße. Die Hafer und Noggenfelder
an den weiten Lehnen fchanten in
ihrem Schönen bläulichen Grün auf
die ftillen Wiefengründe nieder. Da—
zwifchen lagen Weideblößen, auf wel-
chen weiße und fchedige Herden weis
deten und glodten, in eingezäunten
Angern Schafe und Ziegen, die zu
folder Stunde ſchon ſatt waren und
mit einander fcherzten oder fich ein
wenig faul auf dem Najen fonnten,
Auf freien Höhungen und in trau:
lichen Thalmulden, aber auch an fteir
ler Lehnen, am Waldrande oder in
Ichattigen Schluchten ftanden Gehöfte,
größere und fleinere, theils von Kirſch—
bäumen, Linden und Eſchen ſchier
uberwuchert, teils frei mit ihren Bret-
terdbächern wie Taubengefieder in der
Sonne ſchimmernd, theils auch be—
ſtanden von einer Gruppe wuchtiger,
in Stürmen ftarr und unbeliegbar
gewordener Schirmtannen. An den
Häufern Heine Gemüſe- und Zier—
gärtlein, im welchen Reſeden dufteten
und Pfingftrofen flammten, und die
zwifchen auch, ſelbſt eine Blume, das
Blumen pflegend, manch ein Fröhlich
Mägdlein. Von einen Gehöfte zum
andern führten Wege, die mit Büſchen
Fäden der Fußfteige, auf welchen jeßt,
zur Feierabendzeit, junge Burfche zu
zweien, oder auch zu mehreren gejellt,
langfam dahingiengen und Jodler
ſangen. |
Bon dem freien Hügel aus, auf
dem das Haus des Jalob, der Reut—
bof, ftand, konnte man in weiter Runde
all diefe Dinge und auch noch andere
überfehen. Man hörte aus der Ferne
den Neigen der weidenden Herden und
den halb von Lüften verwehten Hall
der Sänger. Man hörte auch aus dem
engen ZThalgrunde herauf das ewige
traumhafte Raufchen der Sandad).
Diefe Gründe und dieſes vanschende
Mafler famen aus hochgelegenen Wild»
Ichluchten, zogen ſich Hier in weitem
Halbrund um den Hügel des Reut—
bofes, durchſchlängelten die Gegend,
Altenmoos genannt, um dann durch
endloje Enggräben zu ziehen und bei
dem Pfarrdorfe Sandeben in das Thal
der Niefing auszumünden. An der
Sandah fanden Getreidemühlen, an
den höher gelegenen Halden lag dort
und da das graue Würfelchen eines
Sommerftadels oder einer Holzhauer—
bitte.
Auf dem Hügel des Reuthofes
ftand man wie mitten im dem weiten
wieſen- und wälderreichen Bergkeſſel,
und ein wellenliniges, blauendes Wald—
rund ſchloß den Geſichtskreis. Wo ſich
ſo die Linie zog zwiſchen Erde und
Himmel, da ſtand hier und dort aus
jüngerem Waldwuchs das ſcharfe Zähn—
chen eines verlnorrten Tannenbaumes
oder eines ſtruppigen Lärchenwipfels
in das Firmament auf, gleichſam wie
Lanzen, die auf der Hochwacht die
ſtille Berggemeinde Altenmoos ein—
friedeten. Von dem Dachfenſter des
Reuthofes aus konnte man eine Fel—
ſenſpitze ſehen, die hinter dem weſt—
lichen Höhenzug emporragte — ein
Zeichen des nahen Hochgebirges.
Altenmoos war eingepfarrt zu
Sandeben, und hatte felber feine Kirche.
246
Mohl aber ftand faft bei jedem Hofe im Gefelfe Hört man . feinen Vogel;
ein feines Kapellen, oder wenigs | die Eidehächen aber pfeifen, wenn man
ftens eine Kreuzfäule, davor die Leute,
welche nicht zur Pfarrlivche kommen
fonten, ihre Andacht zu verrichten
pflegten. Die Gemeinde Aitenmoos
war mit den Vorgegenden durch einen
einzigen Fahrweg verbunden, der, an
Hängen und Wänden Hin angelegt,
über zahllofe Stege und Brüdlein
führte,
ihnen auf den Schweif tritt. Wenige
Schritte noch und es ift ein See da.
Er ruht in einem Keſſel und bat
mehrere Buchtungen. An feinem Rande,
wo bemooste Felstrümmer liegen, iſt
er durchſichtig und grün, wie der
reinfte Smaragd ; gegen die Mitte Hin
dunkelt fich die Farbe, und das Waſſer
— fo Spricht die Sage — foll unermeß—
Wenn man vom Reuthofe aus der; lich tief fein. Hinter dem See hebt
Sandach entlang aufwärts gieng, ſo ein dumpfes Toſen an; wer zehn oder
fan man duch Wald und Gejchläge, | zwölf Minuten lang dahin geht in
an welchen vauchende Kohlſtätten tanz | diefen fühlen Grunde, deſſen Stleider
den, danıı kam man in Haſelnuß- und | werden feucht in einem feinen Waller:
Erigebüfche, in Himbeer- und Brom- | Staub; auch an allen Bäumen hängen
beergefträuche und danı kam man in Tropfen. Endlich fteht er vor dem
Sande und Steinhalden, wo zwifchen
der wilden, wuchernden Pflanzenwelt
große, moofige Felsblöcke lagen, die
von dem hinter dieſen VBorbergen ge=
Waflerfall. Der ſpringt thurmhoch in
zwei Abjägen von einer Felsrinne nies
der in einen Tümpel, im welchem die
Mellen ſchäumen, kreiſen und kochen,
waltig ſich erhebenden Hochgebirge
herobgelommen fein follen. An den
beiden Hängen ziehen ſich einengende
Felsrippen nieder. Hier Hettert der
Fußſteig über einen Steinwall, der) wülten an.
mit Wildfarren, Dornfträuchern und Das Heine Hochthal war von den
Scierling überwachen ift. Das Wafler | legten Häufern des Altenmoos nur
gräbt fich unten ſchäumend und fchreiend | eine Stunde entfernt, aber felten kam
vor Wuth duch eine Kluft, die ein Baner hinauf. E3 hatte Niemand
tief und finfter und fo eng ift, daß dort etwas zu ſuchen, und wer doch
ein Mann mit ausgefpreizten Beinen | einmal über das Hochgebirge mußte,
zugleich au beiden Nändern Stehen | der raftete wohl auf einem Stein am
tönnte. Deute greift das Geflechte und | See, aber nicht lange. Der Grund war
Hefilze der Baumwurzeln, Sträucher ihm zu leblos und ftill. Das Hochthal
und Mooje der beiden Ufer jhon jo |war benannt: Im Gottesfrieden.
jchr in einander, dab die Sandach au, So ift die Berg und Waldrunde
diefer Stelle fein Tageslicht mehr hat. | befchaffen, die unfere Gemeinde um—
Dinter dieſem Steinwall weitet | gibt, in welcher der Jakob Steinreuter
ih plößlich die Schlucht und der Fuß | fein Haus hat. Das liebe Altenmoos.
pfad Ichlängelt von dem rauhen Stein
wall nieder in einen ftillen Grund,
der von nadten Felswänden umſtanden Der Mann mit den Tanfendern
ift. Auf der Heinen, jandigen Ebene | fiedelt ab
wuchert fein Geftrüppe, teen nur in "
Gruppen herrliche Fichtenbäume. Das Der Jalob Hielt heute, da alle
Mailer riefelt im breiten Bette faſt Anderen Schon Frohnleichnam zu feiern
lautlos und ift jo Har, daß man jedes, begannen, noch nicht Raft. Er häm—
Goldfünklein ſprühen Fieht in feinem, merte noch die letzten Dachbretichen
Grundfande. Forelle fieht man keine, feft an der Kapelle, die der ftürzende
daß ein thanender Qualm aufiteigt
aus den eiligen Fluten. Der ebene
Sandgrund ift hier zu Ende, hinter
dem MWaflerfall Heben die hohen Stein»
247
Lindenaft geichädigt hatte. Die Linde an den heiligen Apoftel, den das ges
prangte darüber in vollſter Pracht und ſchnitzte Holz vorftellen jollte, als viel—
man merkte im finftergrinen Busch» mehr an feine Voreltern, die das Wild
wert faum mehr die Scharte, wo der geſtiftet hatten und die er in ihm ver—
Aſt herabgebrochen war. So hatte der ehrte. Vom Schaden herüber, barfuß,
Sommer raſch und ruhmreich gefiegt in zerfaferten Höslein, mit ftruppigem
über jenen tüdifchen Eindringling zu Haupt und glühenden Wangen, kam
Plingiten, wie jolcher zur Frühſom- | der SJaderl, er zerrte keuchend an
merszeit ja mandmal amrüdt in der zweien Lärchenbäumchen, die er abyer
bochgelegenen Gegend von Altenınoos. | hauen Hatte und die nun an beiden
Zu wahren Zrofte gereichte es Seiten der Kapelle aufgeftellt werden
den Reuthofer, daß dem Bildniſſe der | follten. Als er damit an Ort und
Kapelle nichts geichehen war. Der Stelle war, erfaßte er das Beil und
ziemlich roh geſchnitzte, Hingegen aber | hieb es in die Holzwand der Kapelle,
mit hellen Farben bemalte heilige Ja- daß fie darin fteden blieb. Das ver-
tobus war unverfehrt auf feinen ltare | wies ihm fein Vater, der Knabe vi
gejtanden, während der gebrochene Aſt das Beil wieder an fich, Ichleuderte es
unter Schnee und Dachſplittern zu über den Angerzaun, da es unten
jeinen Füßen lag. Diefer Heilige war gab in den Steinen, und lief davon.
der Schußpatron des Hauſes. Jatods | Als an der Stapelle dann Alles in
Nater hatte Jakob geheiien, fo auch Ordnung war, nahm der Jatob den
fein Großvater und Urgroßvater, und ‚Heinen fanften Friedel an der Dand
Jeder Hausvater auf dem Reuthofe, und gieng mit ihm den ebenen Fahre
|
hatte Jakob geheißen, weil vor Jahr:
hunderten der Mann, welcher den.
Grund urbar gemacht und die Steine
ausgereutet, Jakob geheißen hatte. Ja—
fob Steinreuter. Won dem frommen
Sinn und der kunſtreichen Hand dieſes
erften Jakob ſoll auch das Bildnis
ſtammen, und jo war die Statne und
der Name ein bejfondrres Band, das
ih von Geſchlecht zu Gefchlecht herab:
flodt und jeden Jafob Steinrenter
enge mit feinen Vorfahren und feiner
Scholle verknüpfte.
Heute ſoll der Heilige, gleichfam |
bejonders gefchmüct
zur Urſtändfeier,
werden. Die Heine Angerl mit den |
langen, Schwarzen Haarfträhnen, die eben |
aus der Schule zurüdgetehrt war,
Tamm und brachte ein gefülltes Waſſer—
glas, in welchem zwei Pfingftrofen
ftaten. Der feine Friedel mit den
tugelrunden Bergiimeinnicht = Augen
kam, der brachte das andere Waflerz
glas, in welchem zwei weitere Blingit-
roſen ftafen.
Der Jakob jagte zu den,
weg hin gegen das Nachbarhaus des
Knatſchel, das dort drüben am Rande
des Waldes ſtand. Seit acht Tagen
that der Knatſchel mit feinem Weib
‚und feinen Ochſen ſonſt nichts mehr,
als überliedeln. Das ganze alte Daus
‚räumte er aus und die rußigen Käſten
und Kübel und Pfannen und Bett
ftätten ſchleppte ev auf großen Karren
davon.
„Bater,“ Jagte unterwegs der Heine
Friedel, „wie heilt es dort oben ?*
Er deutete auf die gegenüberliehende
Berglehne, an welcher drei oder vier
Banernhäufer in einiger Entfernung
voneinander ftanden.
| „Dort Heißt es bei den Grube
bauern,“ antwortete der Vater.
„Und auf der andern Seite, ganz
oben auf dem Berg, ganz oben, wo
das Weiße ift, wie beit es dort?”
„Dort heißt es beim Guldeiſner,“
ſagte der Bater, und er fagte es mit
‚faft feierlich getvagenem Ton. Der
Guldeiſner war der größte Bauer in
Kindern: „Brad feid Ihr!” und ftellte | Altenmoos, fein Grund war jo weit,
die Nofen an beiden Seiten der Statue daß man — wie der Yufchel: Peter
auf.
Er dachte dabei Freilich weniger |fih ausdrüdte —
mit einem guten
248
Schuftermefjer daraus fünf Banerngüter
hätte ſchneiden können. Der Guldeiſner—
hof lag oben auf der Hochfläche wie
ein Heines Dorf da mit feinen vielen
Wirtichafttgebäuden. Das Wohnhaus
war zur Hälfte gemanert und ſchaute
mit der weißgetündten Wand hoch—
müthig freundlich herab auf die zer—
firenten Nachbarn.
„Vater,“ fragte der Friedel, „wie
viele Hänfer find auf der Welt?“
„Kind,“ antwortete der Vater,
„die Welt ift weit, nur Gott kann fie
durchiwandern und die Hänfer und die
Menjchen zählen. Ich kenne nur das
Altenmoos.“
„Wie viele Häuſer ſind in Alten—
moos ?“
„In Altenmoos find — wenn Du
der Lunſel-Sting ihre Höhle dazu zählſt
genau einundzwanzig Häuſer.“
„Wie viel iſt das?“
„Wenn Du Deine Finger zuſam—
menzählſt an beiden Händen, und
Deine Zehen an beiden Füßen, und
noch die Naſe dazu im Geſicht, ſo Haft
Du einundzwanzig,“ belehrte der Vater.
„So viele Häuſer!“ rief der
Kleine aus.
„Pſt!“ machte der Vater plötzlich,
blieb ſtehen, legte die Hand dem Söhne
lein auf die Achſel, beugte ſich vor
und flüfterte: „Siehſt Du dort? Gud’
einmal zwiſchen die Eichen, an den
Waldrand hin — fiehft Du ?“
„Eine rothe Geiß!“
„Das iſt ein Reh!“ ſagte der Vater.
Das Thier hatte ein wenig graſen
wollen auf der Wieje, aber es witterte
Menschen. Hoch hob es das Haupt,
lauerte und ſprang dann mit großen
Sätzen in den Wald zurüd. Der Heine
Friedel hatte ſich ſchier feine großen
Augen beransgejhaut; es war das
erite Neh, das er geſehen. Selbit für
Jakobs Ange waren ſolche Thiere eine
Seltenheit. Der Guldeifner, dem die
Jagd gehörte, war ein grimmer Schüße
und ließ nicht viele laufen.
Nun Fam den Hohlweg heraus die
Fuhre des Sinatjchel, es war die leßte;
er ſaß ſelber darauf und leitete das
Dchlenpaar, Hinter ihm auf einem
Korıjad ſaß fein Weib und feine taub»
ſtumme Schweiter. Die taubftunmme
Schweſter jchaute ehr befremdet um
fich, fie wuhte nicht, was das bedeuten
joll: jet wagenfahren, und dom Haus
weg, da ed doch ſchon bald Nacht wird!
Und die Schwägerin meben ihr, die
bat das Vortuch im Geficht md weint,
und der Bruder voran, der bat eine
Eigarre im Mund und ſchmunzelt.
Mas das bedeuten mag!
„Du machft es eilig, Knatſchel,“
redete ihn der Jakob zum Gruße an.
„Ich denke, Du kommſt für Heute zu
jpät, für ſonſt immer noch Früh genug
in die Sandeben, “
„Heut’ lieber wie morgen,“ ante
wortete der Knatſchel. „Bedien’ Dich,
Steinreuter!*
Er hielt ihm von Karren herab
eine neue, feinjuchtene Eigarrentafche
bin. Und den Spruch dazu: Bedien’
Dih! Wie vornehm er fih gehaben
fann! Und auch Schon beim Schreib-
namen ansprechen, wie der Aıntınann !
— Der Jakob gieng mit jeinem Knaben
neben der knarrenden Fuhre des Aus:
wanderers ber.
„Seit, mir merkt den Altenmoofer
nimmer an!“ fagte der Knatſchel, „na,
nimm Eine! Sind Amerikaniſche!“
„Vergelts Gott!“ Ichnte der Jakob
ab. „Mir thät’ übel werden davon.
Aber Schau, ich kann afleweit noch nicht
glauben, daß es Eruft ift bei Dir?“
„Jakob!“ rief der Knatſchel, „Du
kommſt bald jelber nah! Denk' dran,
da bei der Thorfchrante Hab’ ich Dir's
gelagt: Du kommſt bald felber nach!”
„Ich wünſche Dir ein langes Le—
ben,“ entgegnete der Jalob, „aber das
wirt Dur nicht erleben.”
„Daft Du jchon gehört, daß der
obere Nod auch fliegt ?* fragte der
Knatjchel. „Den vertreiben die Schul»
den und muß ec noch froh fein, daß
ihm der Kampelherr Haus und Grund
abgelöst hat. Beſſer verkaufen, als ver—
ganten. Allemal beſſer.“
249
„Für den Nod hätte jein Schwaz | md hielt feine Hand fiber den Karren
ger, der Guldeiiner was thun follen,* | hin, „ich wünsche Euch taufend Glück!“
meinte der Jakob. Ohne anzuhalten ſchüttelte der
„Der Guldeifuer wird felber ver- Knatſchel die gebotene Nechte kurz, das
kaufen.“ Weib wollte fie aber nicht Toslaflen,
„Mas jagft Du?“ fragte der Jar | fo daß der Jakob noch eine Weile
fob und hielt fein Haupt gegen den nebenher laufen mußte. Als er endlich
Fuhrmann hin. ledig war, ſtill jtand und dem Ge—
„Der Kampelherr ſteht Schon im Fährte nachblidte, ſah er es, wie das
Handel mit ihm. Der Jagd wegen, Weib, das Geliht in die Schürze
heißts. Ihr kommt mie Alle nach, preifend, heftig jchluchzte. Der Knat—
Altenmooſer-Leut', Alle!“ ſchel knallte mit der Peitiche, daß es
Der Jalob ſchüttelte den Kopf. wiederhallte in den Wäldern.
„Beſuch' mich einmal,“ lud ihn der „Dit das der Dann mit den Tau⸗
Knatſchel ein, „In der Sandeben, ſendern geweſen ?* fragte der Knabe—
gleich Hinter der Kirchen. Kennit cs als das Gefährte in der Thalbiegung
ja, das Haus, was der Kreuz-Bäck hat: verſchwunden war.
Der Jakob wendete ſich und gieng
\ |
— a aa DENE mit dem Knaben zwilchen den grünens
; ; ae den Daferfeldern Hin. Er war vers
Yirtsbau:
en DL ein Gefchäftel ſtimmt. Dort bob er eine Erdſcholle
muß der Menfch doch Haben, ſonſt auf = detrachtete fe La i
wird ihm Zeit und Weil lang.“ „Was ift denn das?“ fragte der
u Friedel.
Knatſchel.“ fagte der Jalob, „gib Das ift unſer Taufender, mein
Achting, das Du Dieb nicht verraiteft! ip « fa
* gte der Vater, „der kann
Auf der — it en ale nicht zerreißen und nicht verbrennen.
h — — Utenmoos. 2, Mehl kann ich ihm wohl zerreiben,
ar r _ — J einen halben per ex iſt nicht umzubringen, und
— en, en A! ‚einen um zwei wenn ihn der Mensch pfleget und
echjer Haben, und einen BEDBEFEN, Gott gibt Sonnenschein und Regen
— —* hab 5 mir vom Himmel, ſo iſt er ein wohl ver—
genug, * tag,“ — nat⸗ ſichertes Gut und bringt alle Jahr
ke ale Sr Re Ha lie a mag im Land Krieg
en oder Frrieden fein.“
Eins mit der Peitjche. | „So einen Tauſender Hat der
„Thomas!“ ſagte jekt das Weib Jaderl geitern der Kuh nachgeworfen,
und ſtupfte den Knaätſchel am Rüden, daß er anseinandergefprißt iſt,“ ſagie
„ton mir den Gefallen und halt’ ein ‚Jet der Kleine nicht ohne Schalkheit.
Biſſel ſtill. Wir find bei unferer legten | „Den Erdklumpen hat das nicht
Feldſchranke. Wenn fie eine Leich’ | gefchadet, der thut ſich ſchon wieder
haben hinausgetragen vom Knatſchel- zuſammen,“ fagte der Vater, „aber der
grumd, dahier haben Tie die Truhen Kuh kann es geſchadet haben. Und
abgeſetzt. Und da will ich auch ab- dem Jackerl wird es geſchadet haben.
fteigen und dem Heimboden behut' Ja! Dein Bruder wird neuding ein
Gott jagen.“ ſo arger Wildfang, daß ich ihn mor—
a = — due gen id a Tag in den Moos—
rüd und hieb no ärfer auf das | barren }peren muß.“
Dchfenpaar drein. Da waren fie auf Nun kam aber der Wildfang an
fremden Boden. jenem Abende nicht ins Haus. Zuerſt
„Fahret gut!“ rief jet der Jakob | wurde nach ihm gepfiffen, dann gieng
250
die Angerl hinaus auf den Hügel und
ſchrie „Jackerl!“ fo laut fie konnte,
und der Wald am, jenſeitigen Hange
half ihr fchreien, aber der Stuabe kam
nicht. As es Schon finfter war, gieng
der Jakob mit einem Haſelſtock bei
den Nachbarn um und fragte, ob man
jeinen Buben nicht gejehen hätte? Die
Dreifambänerin fchlug ihre Hände zu—
ſammen und jammerte, das arme Kind
jei fiherlih ins Wafler gefallen, und
wollte ganz Altenmoos aufftöbern, um
den Knaben zu fuchen. Dem Yatob
machte der Jammer des Weibes kein
Herzleid, er kannte feinen Jungen
bejier.
Beim Stindel im Stein — im
Daufe, das unter einem thurmarligen
Telsblode ftand, welcher kurzweg der
Stein genannt wurde — erfuhr der
Jakob als Nenigleit, der Guldeifner
fei mit dem Kampelherrn im Unter—
handlung und wolle fein Gehöft ver—
faufen.
Der Jalob konnte die ganze Nacht
nicht Schlafen. Wenn der Guldeiiner
verfanft, dann verliert die Gemeinde
Altenmoos ihren Grundftod. Wenn die
Guldeiſner-Leute mit Mann und Magd,
mit Kind und Sucht auswandern,
dann wirds etwas langweilig werden
hierum; wenn die Guldeilner Gründe
zu Wald amwachjen — und die hohen
Herren laffen Alles Wildniß werden,
dann — —
Es wird nicht wahr fein, tröſtele
jih der Jalob, es kann nicht wahr
fein. Daß ich doch ein Stündel ſchlafen
möcht”, bevor es tagt!
Eine Betrahtung.
Während die Begebenheit, die in
diefem Buche dargeftellt werden fol,
jih vorbereitet und entwidelt, drängt
lich dem Erzähler eine Betrachtung auf.
Die liebe Leferin, der es nur nad
Dandlung geht, mag diefes Blatt füg—
lich überjchlagen.
Es ift ein an fich altes, aber in
unferen Tagen vertieftes Vorurtheil,
dag der Bauer feine Bildung habe.
Diefe Anfhauung kann nicht darin
ihren Grund Haben, weil im Allge—
meinen der Baner unvdernünftig lebt
und vielen Borurtheilen ergeben it;
denn jene Leute, die ſich vorzugsweiſe
die gebildeten nennen, nämlich die
Stüdter, leben noch unvernünftiger und
ind noch größeren BorurtHeilen unter»
worfen. Dan denke nur einmal nad.
Vielmehr gilt der Landınann für une
gebildet, weil ihm das Schulwiſſen
fehlt, weil er nicht höhere Mathematik
treibt, die Naturgefchichte nicht aus
Büchern gelernt hat, nicht mitjprechen
kann über Bolitit und Theater und
feine gelehrten Abhandlungen zu ſchrei—
ben versteht.
Wenn nun Jemand die Meinung
anfitellte, gebildet ſolle Jeder fein, aber
Jeder brauche nicht das Gleiche zu
willen; die Bildung müſſe erflens dem
Gharatter eines Menſchen, zweitens
jeinem Berufe angemefjen fein. Als
gebildet könne Jeder gelten, der feine
ethiſchen Eigenschaften entwidelt habe,
feinem Stande gerecht werde, indem
er das Seinige leilte, fich in feine Ver—
hältniffe zu fügen wife, den näheren
Mitmenschen zum Wohlgefallen und
ſich ſelbſt zur Befriedigung ſei. —
Wenn Jemand dieſe Meinung auf—
ſtellte, ich könnte nicht anders, ich
müßte ihr Recht geben. Jeder Beruf
jeder Stand fordert feine Kenntmiſſe,
feine Fertigkeiten und feine befonderen
Tugenden; wenn der Bauer als Bauer
tüchtig iſt, nachbarli und zufrieden
in feinen engen Grenzen, dann Hat’s
feine Noth, dann ift er in feiner Art
eben fo gebildet, als der Philoſoph
auf feinem Lehrftuhl, von dem fein
Menſch verlangen wird, dab er den
Pflug zu führen umd den Dünger zu
ſchätzen verftehe.
Das allgemeine gefellichaftliche Wohl
verlangt Theilung der Arbeit. Da
möchte ich mich bedanken, wenn gerade
der ältefte Beruf des Menfchen und
die wichtigfte Arbeit nicht mindeltens
eben fo Hoch geachtet fein follte, als die
minder wichtigen, etwa jene Bejchäfti-
gungen, die erft durch die menschlichen
Gebrechen und Leidenschaften nothwen—
251
unjere Erdichofle verachtet werden darf.
Die wohlhabenden „Derrenleute* wer—
den ih Bauerngründe faufen, oder
jolhe aus der Wildniß roden und reu—
dig werden, als die Arzneifunde, die ten, die Klügſten werden die Wirt-
Rechtskunde, oder Leiltungen, die der fchaften den Berhältniffen anzubeque—
materielle oder geiltige Luxus verlangt.
Wenn man einwendet, daß zu leßteren
eine größere Fähigkeit nöthig fei, als
zum Banernftand, jo ift darauf zu ent:
gegnen, daß heutzutag Schon ein jehr
kluger Kopf fein muß, wenn er als
Bauer tapfer beftehen will,
Aus einem andern Grund wäre
dem Bauer heute die Bildung abzu:
jprehen. Der Landmann mag fich nicht
mehr ſchichen in feinen Stand, er
ſchämt fich desjelben, der Größenwahn
bat ihn erfaßt, er will etwas „Beſſeres“
fein als Bauer. Er trachtet zu lernen,
aber nicht für feinen Stand, fondern
um ein „Der“ zu werden. Das ift
nicht ein Zeichen von Bildungsbedürf—
tigteit, es iſt ein Zeichen von Vers
robung des Gemüthes, vom Schwinden
der Bietät und Treue und don Hun—
ger nach materiellen Senüffen. Es wäre
ja fein Wunder, dab man von einem
Stande abjpringen will, der von allen
Seiten ausgeſogen, übervortheilt und
noch dazu verjpottet wird. Aber recht
beſehen ift das, was den Bauer er=
fapt bat, derjelbe pathologiſch intereſ—
jante, moralifch und gefellfchaftlich tief
bedauerliche Grökenwahn, von dem
heute Alles gehegt wird. Es vollzieht
ſich gegenwärtig eine Flucht vom Pfluge
zum Hammer, vom Hammer zum Zir—
tel, von dieſem zur Feder, zum Docs
torbut, zum Adelsdiplom. Nach allen
Richtungen der Windrofe Hin eilt der
ſchollenflüchtige Landmann; von zehn
Flüchtlingen verfinfen auf fremden
Boden neun... .
Das wird auch anders werden.
Der Bauernftand mag heute in unſe—
ren Alpengegenden überflüjlig erſchei—
nen, „weil mit der Einfuhr von Feld—
feüchten feine Concurrenz möglich ift.“ |
Es wird ſich aber ſchon zeigen, ob bei
dem Wachsthume der
Bevölkerung | ſammen zum
men willen und jich entjprechende Ge—
ſetze Schaffen ; fie werden auf die Viel—
‚wiljerei verzichten und körperlich ars
beiten, es wird wieder ein feitftändiges,
ehrenreiches Bauernthum werden und
das Schlagwort vom „ungebildeten
Bauer“ wird verſtummt ſein.
Dann mag über die Wandlung
ein erfreulicheres Buch geſchrieben wer—
den, als es mir heute gegönnt iſt, zu
ſchreiben. Ich ſchreibe es wahrlich nur
der Treue Willen, die in meinem
Jakob lebt.
Der Kirchgang nach dem Gelde.
Am Morgen des heiligen Frohn—
leichnamstages kamen die Leute, in
ſchmuckem Feiertag angethan, aus ihren
Häuſern hervor, ſtiegen die Lehnen
nieder zu den Wieſenpfaden, giengen
an denſelben dem Hauptwege zu, wo
ſie ſich in Gruppen vereinigten, um
ſelbander unter munterem Geplauder
gegen die ferne Pfarrlirche zu wan—
dern. Es waren ihrer heute viele. Die
jüngeren Weibsleute Hatten Hellvothe
Buſentücher um und vorne am Jop—
penlaß ſtak ftet3 ein Sträußlein von
Herzenstroft und Rosmarin. Oder lie
trugen das Sträußchen zwifchen dem
Gebetbuch md dem weißen, viereckig—
gefalteten Taſchentüchel in der Dand.
| Die Burſchen Hatten grüne Zweige
und Nefeden auf den Hut geitedt be=
kommen — von wen, das jagt feiner.
Selbft die alten Männer trugen auf
ihren Schwarzen breiten Filzhüten große
Pfingitrojen, denn irgendivo und irgend
wie muß an folchen fonnigen Feier—
tagen die Lebensfreude der Waldberg-
bewohner hervorblühen.
| Das junge Bolt gejellte ſich zu—
Schäkern und Neden
|
|
J
nn
und der junge Sandler-Sebaſt behaup—
tete dreift, der Bachhäuſel-Dullerl wäre
dus Nosmarinftammel Inder geworden
am Buſen und er wolle ihr den
Freundſchaftsdienſt erweiſen, ſelbiges
zu beieftigen.
„Biſt brav, Sebaſt, daß Du auch
auf ſo was denkſt,“ redete der alte
Luſchel-Peterl drein, der mit ſeinem
wulſtigen rothen Regenſchirmſtock hinten
nachhumpelte. Er krug noch ein recht
altweltiſches Gewand, der Luſchel—
Peterl, einen vergilbten lodenen Frack
mit großen Meſſingknöpfen und einen
ausgeſchweiften grünen Cylinderhut mit
breitem Band und der großen Schnalle.
War aber Alles hübſch mit grünem Tuche
ausgebrämt, aus dieſem allerlei Bäum—
chen und andere Zierrathen geſchnitten
und auf die Aermel, Bruſtflügel, Ta—
ſchen und Schöſſel genäht, was zu dem
verwitterten Geſicht des Alten mit dem
weißen Schnurbart gar nicht übel
fand. „Feſtmachen das Stammel, das
Rosmarinſtammel, eh wahr auch. Brad
bit, Sebaſt.“
Die Duflerl aber fehlug den Bur—
chen auf die Finger: „Da haft nicht?
herzugreifen, Bübel!“
„So wohl, fo wohl!” ſtimmte der
Luſchel-Peterl bei, „bift ein braves
Dirndel Du, eija, gwiß wada leicht
wuhl, ja!“
Weit hinterdrein gieng eine Gruppe
von Männern. Darunter der Sepp in
der Grub, der Nodel, der Stindel im
Stein, der Oberftödel und der Yalob.
Sie waren faſt zu ernfthaft für
den ſonnenfunkelnden Frühſommer—
morgen, der über den Waldbergen und
thauenden Wieſen lag.
Auch der Jakob redete heute. Er
pflegte außer Hauſe ohne befonderen
Anlaß nicht viel zu Sprechen, er ftots
terte auch ein Hein wenig, aber man
borchte doch ſtets auf, wenn er ſprach,
es war allemal der Mühe wert.
„Es darf nicht fein,“ ſagte der
Jakob, „wir müſſen es abwenden.“
„Wir müſſen dem. Guldeiſner zu—
——————— ———— — — —— — — —— — — ——— — — — ———— —— — ——————— ———————— EEE
reden was wir können. Er darf nicht
verkaufen,“ ſo der Stindel im Stein.
„Seid Ihr einverſtanden, Nach—
barn,“ ſagte der Jakob, „daß wir
heut' Abends, wenn wir heimkommen,
miteinander zum Guldeiſner gehen und
ihm die Sach’ vorſtellen? Wenn der
Guldeiiner losgeht, nachher wird Alles
rutſchend in Alktenmoos.“
„Wenn das viele Geld nicht wär'!“
meinte der Oberſtöckel.
„Das Geld, und jetzt auf einmal
das Geld!“ rief der Jakob völlig aufs
braufend. „Haben wir Altenmoojer
jemals nah Geld fo viel gefragt ?
Haben wir eins, iſts gut, aber leben
mögen wir auch ohne Geld, und viel—
leicht zufriedener. Was wir brauchen,
das wachst auf unjerem Grund. Das
Brot auf dem Feld, Milch und Butter
auf den Wieſen, die Leinwand auf
dem Flachsacker, die Wolle auf den
Schafen, das Leder auf den Rindern.
Fleiſch Haben wir noch dazu im den
Schweinen. Die Handwerker haben wir
im Haus. Salz und Tabak und ſonſti—
ge3 Kleinzeug, auch den Steuergulden
zahlen wir von den paar Stideln
Vieh, die wir verlaufen. Was brauch'
ih denn fonft noch? Und die Lente
jegt alleweil nur Geld, mehr Geld,
viel Geld! Verkaufen gar noch ihre
Häufer und Hofen um's Geld. Mir
graust!“
„Wirſt wohl recht haben, Jalob.“
verſetzte nun der alte Rodel und machte
eine Bewegung mit der vechten Hand,
al& wollte ev etwas in der Luft fans
gen. Wenn er dieje Gefte machte, da
wußte man ſchon: er hat was Gefcheites
zu Sagen. Und dumm war er juft
nicht, der alte, hagere Mann, der, ob—
gleich einäugig, Manches Harer und
richtiger fah, als Andere mit zwei
Augen. „Aber,“ rief er jebt, „aber
Geld ift anſteckend.“
„Das wird wohl nicht wahr fein,”
fagte der Hlachelhofer. „Bei meinen
Nachbar Knaätſchel Find ſeit vierzehn
Tagen zwei Taufender gelegen. Wenn
Geld anftedend wär’, jo Hätt’ ich davon
253
friegen müſſen. Ich Habe mich nicht aus:
räuchern laffen und auch fonft fein
Segenmittel angewendet.“
Der Rodel faßte den Slachelhofer
gulden, aber das macht nichts. Ein—
mal wird der Wald doc was wert,
und viel wert. Kurz und gut, es ift
ein ficher angelegtes Geld. Dazu das
am Nodflügel, blieb mit ihm ftehen | große Jagdrevier, maht auch Spaß.“
und fagte: „Die Anderen haben es
verjtanden, Dir fage ichs deutlicher: |
Die Geldgier ftedt an. Dagegen magit
Dich wohl brav ausräuchern Lafjen |
mit Wachholderftauden und Johannis |
fraut!”
„Da laſſ' ich mich mit Taufendguls |
denfraut ausräuchern,“ darauf lachend
der Stlachel.
„Hat denn diefer Kampelherr gar
jo viel Geld ?“ fragte der Stindl.
„Gottsläfterlich viel ſoll er haben,“
antivortete der Rodel, „ih hab’ gehört,
wenn der feinen Reichthum in lauter
Zehnerbanfnoten hätt’, und thät’ nach !ein Grofchen,
einer guten Mahlzeit anfangen, die
Zehnerbanfnoten zu zählen, und thäte
Tag und Naht zählen, und raſch
zählen, und nichts als zählen, und
feinen Biſſen eſſen, ehevor er mit dem
Zählen fertig wäre, jo müßte er bei
dem Geldzählen verhungern.“
„Verdammter Kerh!“ knurrte der
Sepp in der Grub.
„Wer ijt er denn eigentlich, diejer
Sampelherr ?” fragte der Stindl.
„Sein Bater joll ein ungarifcher
Kornhändler oder Saulieferant gewe—
fein,“ wußte der Rodel.
„Und was Hat der Sohn für ein
Seichäft ?"
„sein ſchlechtes, er ift Millionär.
Bon Staatsjhuldbriefen Papierſchnitzel
abfchneiden ift das einzige Handwerk,
das in Wahrheit einen goldenen Bo—
den hat. Früher hat er viele Gewerk—
„Du kannt Dirs halt ausdentken,
Nodel,“ zollte der Sepp im Schlag
jein Lob.
„Wiſſen möcht’ ichs doch, wie er
ausschaut, ſo ein Millionär,“ meinte
der Stlachel.
„Iſt zu ſehen,“ belehrte der Sepp.
„Beim Fleiſchhacker zu Sandeben joll
er fich jetzt aufhalten.“
„Was gilts,“ rief der lachel, „was
gilts, ich meld’ mich heut' bei ihm. Koſten
thuts nichts. Vielleicht ſchenkt er mir
einen Hunderter. Bei jo Einem ift ein
Dunderter jo viel, wie bei Unſereinem
wenn man ihn dem
Bettelmann ſchenkt. Vergelts Gott ſag'
ich gern dafür, und wirft er mich hin—
aus, Jo machts nichts, dent’ mir Halt:
bin eh auch draußen geweſen.“
„Wär wohl eine Schand,“ be=
merkte jeßt der Jakob, „wenn fich ein
Altenmooſer Baner von jo einem frem—
den Herlaufer da bei der Thür hinaus—
werfen laſſen müßt’! Was geht uns
der Kampelherr an!“
„Wenn Du glaubft, mein Tieber
Stlachel,” ſagte der Rodel, „der Kam—
pelherr jelber ſitzet draußen beim Fleiſch—
hacker, fo biſt wieder auf dem Holz:
weg. Der Kampelherr weiß ſich was
Beſſeres, al3 tagelang in einem Dorf—
wirtshaus warten auf die Gimpel, die
ihn zufliegen follen. Der da draußen,
das ift nur jein Agent, mut Du
wiſſen.“
„Agent oder Kampelherr!“ ſagte
ſchaften gehabt, der Kampelherr, und der Klachel, „iſt mir alles eins, wenn
fogar eine ganze Eiſenbahn. Aber weil
die Zeiten jo unficher werden, fo hat
er fie verkauft und will jich hingegen
I
er nur Geld Hat.”
Unter ſolchen Gefprächen waren fie
hinausgelommen durch den Steppe
rechtihaffen breit auf Grund und Bo= wald; diefer gehörte nicht mehr zu
den feſtſetzen; Grund und Boden lann
|
nicht zerflört werden und nicht davon=
laufen. Das Ding foftet nicht viel,
weil man Wald wacjen läßt, ftatt
Korn. Der Staat verliert viel Steuer:
Altenmoos, Jondern der Herrſchaft Ra—
benberg.. Als fie zur Hirſchenklamm
famen, wo an beiden Seiten Die
Wände auffteigen, mußten die Männer
ftill fein. Die Hier Schon gar ftattliche
Sandach ranfchte in ihrem wilden
Bette, und das Raufchen gellte jo Fehr
im Gewände, daß keiner fein eigenes
Mort verftand. Der Yalob war der
ſchier froh, ihm hatte das Geſpräch
Ihon lange nicht gefallen.
Weiter Hin begegnete ihmen der
Nabenberger Waldmeilter mit der Büchie.
— An Solch einem Feſttage, wenn der
ordentliche Ehriftenmenfch in die Kirche
acht, fteigt jo Einer im Wald um.
Die Bäume, wenn fie wachjen ſollen,
brauchen den Förfter mit dem Stußen
nicht, wohl aber den Segen Gottes!
— So mar die Meinung des Sepp
in der Grub und die Anderen gaben
ihm Recht.
Endlich Fichteten ich die Berge und
hinter einem grünen Hügel redte ein
ziegelrother Rieſenzwiebel feine Spitze
in die Luft. Das war der Kirchthurm
zu Sandeben. Das Dorf fteht auf
einer ſachten Anhöhe, denn der ganze
Thalgrund ift ein granes Sandmeer,
über das ſich die Sandah in zahl-
reihen Bächlein ergießt. Ueber den
Sand find Holzrechen gezogen, um
das aus den Steppenwäldern hervor—
geſchwemmte Holz aufzufangen. Am
jenfeitigen Gelände ftehen vauchende
Stohlftätten,, die ihr Rauchen und
Rußen freilih auch an diefem Frohn—
leihnamstage nicht unterbrechen fonn-
ten. Vom Kirchthurme der Pfarre zum
heiligen Michel her Hangen drei Glöck—
lein fo hell und luftig. daß der Klachel
den Spaß fagte: „Schau, ſchau, der
beilige Michel jodelt uns jchon ent—
gegen!“
Die Dorfgafjfe war zu beiden Sei-
ten mit frischen Birkenreifern geſchmückt,
das Kirchhofsthor mit einem Reiſer—
franz geziert; die Treppe hinauf war
Ihwarz von Menjchen, darüber wehten
rothe Fahnen und auf ſchwankenden
Stangen bremmende Laternen. Dom
Steinhühel her knallten Pöller.
Nah dem Gottesdienfte kam der
Stindl im Stein zun Jakob, der auf
dem Kirchhof am Grabe feiner Bor:
ellern eine flille Andacht verrichtete,
und fragte ihn, ob er mitgehe zum
Tleifhhader, dort wären heute alle
Altenmoofer beifammen.
„Sollen fich nichts abgehen laſſen,“
antwortete der Jakob unwirſch. Er
dachte ſich's nun, warum ihrer heute
jo Viele aus Altenmoos nah Sand—
eben gekommen waren. Nicht die Kir—
henfahnen hatten jo fehr gewinkt, als
vielmehr die Taufender des Knaftſchel,
die geftern dorausgegangen waren.
Der Reuthofer follte aber an diefem
Tage einen weit größeren Werger zu
verwinden haben. Gieng ihm jeßt der
Knatſchel aus feinem weißgetünchten,
erft erworbenen Häuschen zu und fagte,
das wäre ſchön vom Jakob, daß er fich
auch wieder einmal herausgetrane aus
dem ödweiligen Graben. Er könne heute
zwar noch feine Einladung machen,
e3 ſei noch Alles drunter und drüber,
habe vom inte auch noch nicht die
Erlaubnis zum Weinausjchenten ; aber
einen guten Bekannten, wenn er ſehen
wolle, der Jakob, er, der Knatſchel
babe einen im Haus.
„Er ſoll fich zeigen, wenn er was
wifi von mir,“ fagte der Jakob,
„Ich denfe aber, er wird nichts
wollen von Dir. Wir haben ihn ein—
fperren müſſen, ſonſt wäre er gleich,
wie er Dich vom Fenſter aus gefehen
bat, davongelaufen. Und einholen wirft
Dur den nicht; Du haft zwar längere,
aber er jüngere Füß'.“
„Sollteft von meinem Buben
reden ?" fragte der Jakob, „ift er bei
Dir?”
„Iſt ihm Halt auch Tangweilig
worden bei den Maldbären drin. Sit
mir geftern nmachgelanfen und hat ſich
auf den Wagen gelegt. Er geht nimmer
beim, jagt er.“
„Alsdann werden wir ihn Heinz
tragen,” ſprach der Yatob.
„Da wirft Du ihm wohl früher
die Knochen zerjchlagen müſſen.“
„Schlagen werden wir nicht. Laſſ'
ihn heraus.“
Nicht lange hernach ſchoß der
Jakob aus der Hausthür des Knat—
255
ſchel. Als er den Vater jah, dudte er: wie kannſt Du Deinen Eltern davon—
ich am die Wand. Die langen Haare | laufen! Deine Mutter Hat die ganze
biengen ihm wüſt über das Geficht, Nacht geweint.”
den lid ließ er ein paarmal wild) Große Thränen perlten dem Jungen
auf den Bater hießen, die Fünfte über die Wange, er ſchamte ſich ihrer,
hatte er geballt, fo ſtand er da und! ftrampfte den Fuß in den Erdboden
fteinmte den Kopf feitlings am die und fchrie: „Nein! Nein! Nein!“
Wand. „Alſo wiiſt Du nicht freiwillig mit
„Jackerl!“ redete ihn der Vater mir gehen?“
ruhig an, „wir gehen jetzt heim.” * „Ich werde gehen, aber allein. Ich
Der Knabe rührte fich nicht. werde den Weg finden.“
Der Jatob wollte ihn beim Arme] „Out, veriprich mir, daß Du heute
nehmen, den riß er aus und kreiſchte: am Abend daheim fein wirft!“
„Ih mag nicht heimgehen.“ Der Knabe jhwieg.
„Sei nicht flörrifch, Kind,” ſagte „Ih brauche jeßt feine Gewalt,
der Vater; „jage mir, warum Du mein Sind!” ſagte der Bater mit
nicht heimgehen willft.* gedämpfter Stimme. „Ih will Dir
„Weil Ihr mich einfperren werdet!” | vor aller Leute Augen keine Schmach
ſtieß der Knabe Heraus und begann | anthun. Aber verjprih mir, daß Du
laut zu weinen. heute Abends daheim jein wirft!”
„Hber Du zwingſt mich ja, Dich „Das werde ich!“ ſtieß der Knabe
zu ſtrafen. Du könnteſt es ſo gut heraus und ſtrampfte die Erde.
haben, wie der Friedl, der folgt in „So ſind wir jetzt miteinander
Güte. Dur Haft mir ſchon viel Kummer | fertig.“ Damit gieng der Jakob ſeines
gemacht, ich ſoll Dir’s gar nicht jagen, | Weges. Er hatte ja noch font eine
wie weh’ es mir thut, daß ich Dich | wichtige Aırfgabe an diefen Tage. Der
ftrafen muB. Jackerl, Schau’, gib her umge blieb lehnen an der Mauer,
die Hand, ich Hab’ Dich lieb. Und ſchloß die Augen und Schloß die Fäuſte.
(Fortjegung folgt.)
Irrlidt.
Slizze von Hans Fraungruber.
2 ge ein Freund! Seit Wochen jehe | die Gefchichte Deines Freundes, der
ih mit Beforgnis, daß Du einſt denfelben Pfad gegangen.
Die von un® abgewandt und Deine, Vor Jahren lernte ich in einer
Geſellſchaft in den ſogenannten feinen |feoßen Gejellichaft eine junge Dame
Kreiſen fuchft, in denen Du nicht ges kennen. Ihre Schönheit, ihre tadel=
boren bift. So ſehr ich den Grundjaß loſen Manieren und der ſeltſame Reiz
„Strebe aufwärts!" billige, jo fehr ihrer Ausdrudsweife, die von guter
muß ich Di auf Deinem Wege vor ‚Erziehung und feiner Bildung zeugte,
bitterer Enttäufchung warnen. Höre machten fie zum Gegenftande allgemeiner
256
Huldigung, welche fie mit Zurückhal- meinen Arm, ließ den Wagen, der jich
tung aber wie eine gewohnte, ſelbſtver- eingefunden hatte, zurüdfahren und
ftändlihe Sache entgegennahm. Ihre theilte ihre. Abjicht, eine Strede zu
Antworten waren treffend, ihr Geſpräch Fuße zurüdzulegen, kurz der theil—
intereffant, und als im Laufe des nahmslos neben uns hergehenden Die—
Abends die Unterhaltung ungezwun- |nerin mit. Ihr Entſchluß war eine
gener wurde, zeigte fie eine jo natür- ſchweigende Erklärung der Zuneigung,
liche Fröhlichkeit und anmuthige Gabe | worüber ich alle Bedenken vergaß;
Andere zu guten Einfällen anzuregen, | meine Schläfen pochten, ich verlor alle
daß die anweſenden Damen bald guten | Ueberlegung, mein Mund ftrönte über
Grund hatten, auf die Schöne Fremde, und begann in leidenschaftlichen Worten
deren filberhelles Lachen uns entzüdte, den Eindrud zu ſchildern, den Ju—
eiferfüüchtig zu fein. liettens fefjelnde Erfcheinung auf mein
Ich war ftets ein übermüthiger Derz geübt. Ich war jung, ehrgeizig
Theilnehmer der Gejellichaft, und bei und von jener Feurigen Gemithsart,
der gewöhnlichen Lebhaftigkeit meines | die, raſch in’? Phantaftiihe umſchla—
Weſens fiel es nicht ſonderlich auf, gend, ihren Beliger im vielen Fällen
dab ich ernftlich daran war, dem inter= |unglüdlich macht. Mein Ehrgeiz jehnte
efjanten Gafte den Hof zu machen. |fich in reife, die über meiner gefellz
In der Unterhaltung über ein im schaftlihen Stellung lagen und im
Künſtlerkreiſen eben vielbefprochenes | denen ich ein Hohes Glüd zu finden
Ihema veriheidigten wir verjchiedene | glaubte. Juliette ſtammte aus jener
Meinungen. Ich freute mich innerlich | Welt. Daher kam es, daß ich zwei
über die Wahrnehmung, daß meine! Stunden, nachdem ich ein fo eins
Ihöne Partnerin meinen Worten mehr |nehmendes Weib zum erftenmale in
Gehör jchenkte als andern; ihre be= | meinen Leben geſehen, ſinnlos verliebt
redten Augen ſchienen in meiner Seele | war und meinen Gefühle offenen Aus—
zu lejen, ein magnetiſches Fluidum |bruch erlaubte. Es war das erftemal
gieng don ihr auf mich über, deſſen in meinem Leben, wie es das erſtemal
Kraft mich allgemad) übermannte, meine war, daß ih Stolz, Schönheit und
Sinne derwirrte, mein Blut erhißte | matürliche Begabung in einem Mädchen
und — kurz und gut — mich Schließe |jo zu meinem Frauenideale vereint
lich zu der tollen Scene hinriß, die | fand,
ich fpätee vom Heimwege erzählen will. Ih Hatte als Student alle uns
Minnie Sanders, die Braut meines | ausbleiblihen Jugendthorheiten durch—
Freundes N., hatte die junge Dame jagt und ahnte nicht, daß ich im Ber
als ihre Freundin Inliette von Paris, |griffe ftand, den abgethan geglaubten
Rue Saint Denis, vorgeftellt, ohne | Jugendefeleien die Krone aufzufeßen.
den Familiennamen zu nennen, doc) Es war ein bezaubernder Abend und wie
jchloffen wir aus der tadellofen Klei- für die romantiſche Scene gefchaffen.
dung und ihrem Auftreten, daß ſie Als ich den Strom meiner Rede unters
einer vornehmen Familie angehören | brach, halb unbewußt, was ich gelagt,
müfle. Sie war in einem elesanten |da fühlte ich den Arın des Mädchens
Magen vorgefahren und Hatte der fie |zittern, ich ſah, wie ein fieberhaftes
begleitenden Perfon aufgetragen, fie in | Exbeben ihre ſüße Geftalt überlief, fie
zwei Stunden abzuholen. Das ges |richtete ihre verwirrenden Augen voll
heimnisbolle Auftreten reizte mich noch | auf mein glühendes Geficht und ihre
mehr, und als Juliette aufbrach, bat Worte ſchlugen beſchämend im mein
ih artig, fie begleiten zu dürfen, in Herz: „Ich follte Ihnen nicht ante
der geheimen Abficht, zu erforschen, wer |worten, mein Herr, der Sie cine
fie fei. Sie nahm nach kurzem Zögern Liebeserklärung an ein Mädchen richten,
257
welches Sie zum erſten- und viele
leicht auch zum leßtenmale gejehen.
Sie kennen mich wicht und follen mich
nicht kennen lernen, denn Sie werden
mich nie mehr im jener Gejellichaft
Sehen, die ich aufſuchte, weil ich meines
Umganges überdrüjjig geworden und
mich nach Menfchen jehne. Sie haben
mein Vertrauen mißbraucht, das ich
in Sie jeßte, da ich Ihnen zu er:
fennen gab, daß Sie mir mehr In—
terejle einflößten als Sie in Wahrheit
verdienen. Bewerben Sie fich nicht um
meine Liebe, denn Sie fönnen nie den
Grund betreten, den ich gehe. Ihre
Worte find die innerer Erregung, was
mir beweist, dab Sie der Falſchheit
ferne ftehen, darum verzeihe ich Ihnen.
Doc hören Sie meinen Nath! Wenn
Sie Schon thöriht find — bewahren
Sie Ihr Herz! Und nun fcheiden
wir.“ — Ich ftand gelähmt, Eis rann
durch meine Adern. Ein zu ſtürmiſches
Gefühl Hatte meine Worte aus der
inneriten Derzenstiefe emporgetrieben.
Ihre rätbjelhafte Antwort ernüchterte
uch nicht; innige Bewunderung er=
füllte meine Seele und fpornte mich
Berzeihung zu erjtreben. War meine
Nede Glut gewejen, jo brach nun—
mebr meine Leidenschaft in Flammen
aus, und im ungeduldiger Daft be=
Ichwor ih das Mädchen, ihre ftrenge
Antwort zu mildern. Ach ſchilderte
mein Gtüd, ein Mädchen gefunden zu
haben, wie es mir aus dem Schleier
meiner Phantafie entgegendännmerte,
nicht verfland. Ich Hoffe jetzt für fie,
daß es Mitleid gewejen. Noch jah ich
die Pferde in eine der eleganteiten
Straßen einbiegen, daun fchritt ich wie
im Zraume durch die prächtige Nacht
bis der Morgen grante und mich aus
dumpfem Brüten wedte. Das nenunt
man Liebe? Tag und Naht vers
folgte mich das Bild der räthjelhaften
renden bis zu der Stunde, in der
ih von Minnie Sanders, die jie uns
ſerer Geſellſchaft zugeführt, ein Paket
erhielt, in dem ich jubelnd das Bild
meiner Schönen ſand. Was waren
mir alle Schäße gegen das Zeichen
ihrer Gunft!
Soll ih Fildern, daß ich fein
Mittel unverfucht ließ, Julietten zu
finden, daß ich duch Bermittelung
ihrer Freundin Briefe an fie richtete,
deren Eins und Mlles Sehnsucht
war? Genug verlange ich von Dir,
milde Göttin Erinnerung, wenn Du
mir nen erzählft, daß ich mein theures
Mädchen wiederjah, daß eine Stunde
fam, im der ich die Widerftrebende in
meinen Armen hielt und alle Wonnen
junger Liebe mit ihr theilte. Ach
fragte nicht, wer ſie fei, war blind
gegen den Luxus, der fie umgab, taub
gegen die Borftellungen Minnie's welche
mich beichwor, ein Verhältnis zu löjen,
welches Unbedacht geichloffen und zu
feinem guten Ziele führen könne. Doc)
welches Ziel fordert Leidenfchaftliche
Neigung als den Beſitz der Geliebten,
ihr freundlich Wort, ihren liebevollen
wie ich nur ihre leben, für fie ſtreben Blid und ihren Kuß? Was find ihr
wolle, um ihrer wert zu fein, daß fie | Zukunft, Hügelnde Bedenken! Es konnte
mir allen Halt raube, wenn fie mit) mir endlich nicht entgehen, daß Minnie
Geringihäßung von mir auf immer | Sanders die Geifter, die fie gerufen,
ſcheide. los ſein wollte, daß Intriguen mich
Sie ſprach kein Wort mehr bis | von meiner Schönen trennen jollten ;
wir an einer Sirafenede den Wagen da begann ich mit Erbitterung den
erreichten, der langjam vorangefahren | Kampf meine Liebe, bis endlich der
war. Juliette winkte dem Kutſcher | Zufall gleih einem Blipftrahle Licht
und verabjchiedete ſich mit wenigen ‚in meine Liebeswirrnis jchleuderte und
Morten. Ehe das Gefährte davon ; meinen Jchönen Traum zerſtörte.
rollte, beugte ſie ſich noch einmal D warum Schloß ih mich nicht
grüßend zurüd mit einem unbejchreib= | liebend an ein ftilles, unſchuldsvolles
lichen Ausdrude im Auge, den ich | Mädchen, dem die glänzenden, gefähre
Rofeaaer's „„Beimgarten‘‘, 4. Geft, XI. 17
or
& 58
lichen Pfade des lauten Lebens uns
befannte Märchen find, warım mußte
ih mein Schidjal in die reife der
leuchtenden Macht Juliettens ziehen !
Jetzt dünkt mich jene Zeit ein ſchwerer
Traum und Juliettens Züge find die
der böfen Märchenköniginnen, deren
Schönheit oft jo unheilvoll gewefen.
Der ernſte, erfahrene Charakter
fällt felten in die Schlingen gefähr-
lichen IUmganges, ein Phantaft, deren
jede YJugendperiode leider viele zählt,
folgt nur zu gerne wie bezanbert
jenen lichten Phantomen, deren pro=
blematifche Eriftenz der Gereifte durch—
ſchaut. Doch fo ehr philofophifche
Betrabtungen ſich mühen, mich von
meinem Thema freundlich abzuleiten
— es ſei meine Buße, die Gejchichte
zu Ende zu führen, mag es auch vor
meinen Augen flirren und mein Herz
frampfhaft beben bei dem Gedanten
an das Ende jener erften Liebe. Man
vergißt jo gerne, aber leider fo un—
fäglich ſchwer.
Zu meinen Belannten, die ich
theils auf Reifen, theils durch Zufall
gewann, zählte ein reicher, alter Guts—
herr, der in den raufchenden Wonnen
der Großſtadt fich iiber das Ende feiner
Jugend zu täufchen verfuchte. Es war
zur Zeit, als meine Leidenfchaft für
Juliette, durch die unerträglichen Bes
mühungen Minnie Sander uns zu
trennen, auf die Spike getrieben war.
Da begegnete mich Renard eines
Abends am Boulevard, fahte mich am
Arme md zog mich im eines der
Iururiöfeften und berüchtigtiten Reſtau—
rants der Highlife. „Junger Freund,“
fagte er, „Sie find ein vernünftiges
Haus (hätte er gewußt, wie jehr er
fih verlannte!), es ift Zeit, daß Sie
in die Welt eingeführt werden; ich
will Ihnen zeigen, wie man lebt.“
Ih gieng den Weg durch die glitzern—
den Wunder der Ausjchweifung zum
eritenmale und gieng ihn nie wieder.
Meine Augen waren wie geblendet
und der Boden wankte unter meinen
Füßen.
Nenard zog mich durch glänzende
Säle voll ausgelafjener Menfchen bei—
derlei Gefchlechtes, die in bacchantiſchem
Jubel die Sorgen des Lebens und
den Kummer zweifelhafter Eriftenz be—
täubten, ihr Gelächter und Geplauder,
die Schmeiternde Muſik, die funkelnden
Luftres, all’ das wedte einen gewiſſen
Taumel der Luft in meiner Seele;
Nenard war wißig und ich ſtimmte
lahend in feine Schwäne ein. Wohl
empfand ich zumeilen ein Schaudern,
als gienge ich durch einen Urwald, in
defjen prächtigen Baumkronen ſchil—
lernde Schlangen lanerten, aber ich
fühlte auch, wie leicht es fei, hier ein
Opfer zu werden. Wir fohritten durch
tanzende Paare in Säle, in welcher
die Bälle röllten und Starten auf das
grüne Tuch ſchlugen und gelangten
zuletzt in eine Flucht don Zimmern,
‚In denen Kleine Gefellfchaften die
Chanpagnerpfropfen an die Dede
fallen ließen. Da fand ich neben
marcanten Phyfiognomien, aus denen
ein Weltkluger mehr lefen konnte als
der Altronom am Himmelszelte, die
intereffanten Künftlertöpfe, deren Ab—
bildungen das Volk vor den Schaue
läden ımuftert, die Heine Soubrette N.,
die ihre Nivalin mit der Peitſche res
galierte, Charles R., der vor acht
Tagen die erfte Berühmtheit gewefen,
weil er es in der hohen Kunſt, ein
Fiakerlied, mit Peitichenbegleitung zu
‚fingen, jo weit gebracht hatte, als ein
halbverhungerter Claſſiker in der Kunſt
ein Drama zu fchreiben. Die ganze
vornehme Welt hatte ſich gerauft, ihn
zu hören — acht Tage fpäter aber
| begeifterte Jean St., einft ein Fleischer»
| fnecht, die haute volée durch die un—
| vergleichtiche Art und Weiſe, die Come
pofitionen diverfer Gomponiften zu —
pfeifen. Ih fand ihn ebenfalls in
einem Zimmer mit einer hochgeftellten
| Persönlichkeit, welche foeben mit Demuth
‚dem großen Manne die eigene Geliebte
in die Arme legte.
Märe ich micht weitergegangen,
hätte id Nenard, der aller Orten
freundlich begrüßt wurde, gebeten, mich
bier zu laſſen, damit ich in andäch—
tiger Befcheidenheit das Thun und
Treiben dieſer intagsgrößen und
ihrer Verehrer als leuchtendes Erempel
ftudieren könnte! Gottlob, die wahre:
‚teten mir entgegen — und die Wände
‚begannen fich rund um mich zu drehen,
‚auf meine Lider ſank tiefes Duntel,
Kunft und den echten Adel fand ich
in jenen Räumen nicht! Doch weiter.
Ich Hatte den Becher an den Lippen,
und ein unbejchreiblicher Durft ihn zu
leeren erfüllte mich.
Köftlicher Blumenduft drang uns
entgegen, Füße Muſik ſchien aus den
Wänden zu erklingen, als wir dem
legten mit dem raffinirteften Lurus |
ausgeftatteten Gemache entgegenlamen. Jutiette Renard’s
Släfer klirrten, mehrere Stimmen
fangen den modernften Walzer und |
'gewahrte uns. Jubelnde Stimmen be=
willkommten
Debardeur in
meinen Begleiter, ein
verführeriſcher Geſtalt
erhob ſich ihm entgegen — da brach
das Lachen, das mich ſo innerſt er—
regte, plötzlich ab, zwei Augen leuch—
durch welches nur zwei brennende
Sterne glühten, alle Kraft verließ meine
Glieder und ohnmächtig brach ich auf
dem üppigen Teppiche zuſammen. Das
berückende Weib in der frechen Maske
des Debardeurs war die berüchtigte
und es war auch
meine Juliette, meine erite Liebe. —
Nenard, der feine Ahnung Hatte
dazwifhen — dazwijchen ſchallte ein von dem wahren Beweggrunde meiner
filberhelles Lachen, das mir das Blut Erregung, war ärgerlich über meine
erjtarren machte Ih Stand einen | Schwachen Nerven, lie mich zu einem
Augenbliid fill und lauſchte, it Atzte und dann in meine Wohnung
einemmale war mir feltjam zu Muthe, bringen und kümmerte ſich fortan nicht
als ob die Adern berſten wollten, ein | weiter um mid. Er Hat wohl zu
unerflärlihes Gefühl banger Ahnung wenig Talent für einen Lebemann in
beflemmte mein Herz; Die Schwule | feinem Schützling entdeckt. — Ich aber
des Raumes und die Aufregung laſteten holte nach einigen Tagen, die ich in
ſchwer auf mir. Renard ſchlug mich
auf die Schulter und ſagte: „Mein
ſüßer Junge, wappne Dein Herz, ich
höre die jchöne Juliette. Wenn Du
nicht aus Stein geformt bift, werde,
ich Dich heute noch zerſchmelzen ſehen
in Wehmuth und in Luſt.“ — „Wer
ſie iſt?“ — „Die Königin des Carne⸗
vals, vor der ſich jedes Knie beugt,
bereitwillig jede Börſe öffnet und für
die manche Revolverkugel ihren kurzen
Weg zurückgelegt.“ Wieder erſchallte
jenes ſilberhelle Lachen des Uebermuthes.
„Was iſt Ihnen?“ fuhr Renard fort,
„Sie find ganz bleich, Sie zittern?
DO, Juliette wird Ihre Wangen wieder
färben, vorwärts!“ Er zog mich fort,
wir traten über die Schwelle, man
brütender Betäubung einfan verbrachte,
ein Bild von der Wand, deren größte
Zierde es bisher gewefen, fühte das
Ihöne Antlitz, das es wiedergab und
‚legte es auf die Gut im Kamine.
Die Flammen umzüngelten es, einen
‚Angenblid ſchien es Jich zu beleben,
danı bob ſich die Silhuette Juliettens
plöglih empor und die Flammen
ſchlugen hoch auf. Mehr fah ich nicht,
meine Augen waren zu trüb.
Seit jenen Tagen mied ich die
Melt des Glanzes und ſuchte Freund»
Schaft und Frieden bei meinesgleichen,
bei Menfchen, die mich verjtehen und
die ich kenne. Ich glaute daß ich es
nie bereuen muß.
17°
260
Der junge Volksſchullehrer.
Gine Erzählung aus dem Lebenvon FR.
ein freudig geftimmtes Herz auf der
Zunge zu tragen, welches, der Feſſeln
entlaftet, Jedermann an die Bruft
AI itte li Nichtrauchcoups! |
ee „Wohin?
——
Nach dberarq.
„Bier, bitte!”
Der junge Mann fprang flinf in |
das ihm angewiefene Goupe, der,
Schaffner machte den Schlag zu. |
„Fertig!“
Der Eingeſtiegene war ein etwa
ſpringt.
„Guten Tag!“ ſagte er, ſich höf—
lich vor dem Alten verneigend, „wenn
ich fragen darf, wie weit fahren wir
| mitfanmen ?“
„Ih fahre mur zwei Stationen
zwanzigjähriger Burſche in dunklem ) weit,“ antwortete der Reifegenofje mit
Anzug, welcher ein wenig ärmlich, aber | janfter Stimme; „Sie feinen einen
forgfältig gehalten war. Ein breit» | größeren Rud in die Welt machen zu
främpiger Filzhut Hatte das dunkle wollen.”
Haar und die großen braunen Augen „Ich reile nach Oberarch, wo ich
verdedt, jetzt zog er aus Höflichkeit | als Unterlehrer angeltellt bin. Hier —“
vor einem ihm gegemüberfigenden alten! er zog eine jorgfältig in graues Pa—
Mann den Hut vom Kopf und legte! pier eingefchlagene Schrift aus der
ihn neben fih auf die Bank. Ein) Brufttafche, „hier mein Decret.“
blaſſes, ſchmales, treuherziges Geſicht, Der Alte las es mit freundlichem
ein leichter Schatten auf der Ober Kopfnicken durch und indem er es zu—
lippe, den glänzenden Riemen des rüchgab, ſagte ev: „Ich wünſche Ihnen
Seitentäſchchens über der Schulter, rech viel Glück.“
die eine Hand mit den wohlgepflegten | „Webermorgen trete ich mein Amt
Nägeln an den Riemen gelegt, jo jaß an,“ berichtete der junge Mann mit
er da und ſchien nach einer Gelegen= | lebhaften, fait erregtem Tone, „ich bin
heit zu juchen, um mit dem alten ſelig, endlih das Ziel erreicht zu
Manı ein Geſpräch anzuknüpfen. Wenn haben.“
ih rathen müßte, wer der alte, Hug | „Welches Ziel?“ fragte der alte
und doch etwas gedrüdt dreinſchauende Mann, „Schullehrer zu fein? Das ift
Mann mit dem granem Haar und dem | fein Ziel, das ift ein Weg. Ja, es ift
glattrafierten Geficht fein möchte, ich | ein ſchöner Beruf.”
würde jagen, er gehört jenem Stande „Es ift ein herrlicher Beruf!“
an, der mitten im Volke lebend, durch | ftimmte der junge Mann bei, „ein
Erfahrung gebildet und geklärt, für) Erzieher des Volles zu fein! Mitzus
die Zukunft wirfend, viel bedeutet und arbeiten, daß die Menſchheit weifer,
wenig beachtet ift, viel leiftet und | tüchtiger, bejjer werde!”
gering belohnt wird. „Es ift ein jchwerer Beruf,“ ſagte
Die Gefichttzüge find in unbe:
wachten Augenbliden ein wenig lei=
dend und im ihrem gutmüthigen Aus:
drud vertrauenerwedend. Das mochte
den jungen Mann anziehen, der jchien
der Alte mit leifer Stimme.
„Gewiß, ein ſchwerer, verantwor—
tungsvoller Beruf. Aber ich bin ent—
ſchloſſen, ihm mein Leben zu weihen.
Ich will ihm meine perſönlichen Vor—
u
theile gern opfern, ich will gerne arm
fein und unermitdlich wirken in der
Schule, in der Gemeinde, will unab—
läffig lernen und lehren und nicht
allein die lieben Kinder leiten und ers
ziehen, fondern auch die Erwachjenen
geiftig anregen, ihr Ratgeber und
Freund fein. Ein Lehrer vermag viel!
Als hochgeachtete Perfon in der Ge—
meinde hat er großen Einfluß auf
Klein und Groß. Ich werde aud
nicht heiraten, damit ich vollfonmmen
unabhängig bin. Das Volk ift meine
Liebe und mein Beruf geht mir über
Alles, und ich will mir einftens mit
grauen Haaren jagen können: Du hajt
nicht umfonft gelebt.“
„Die grauen Haare,“ entgegnete
num der Alte lächelnd, „die werden
freilich einft fommen.* Dann ſchwieg er.
„Ich bin ein Kinderfreund,“ fuhr
der junge Lehrer fort, „unter Kindern
bin ih am glüdlichiten. Kinderherzen
find wie Wachs. In der Schule will
ih ihr Weifer, außer der Schule
ihr Gejpiele fein. Nicht wie ein herri—
ſcher Vorgeſetzter will ih zu ihnen
fteyen, jondern wie ein Bruder; ihre
Liebe will ich gewinnen, dann habe
ich jie ganz. Ihre Liebe, das iſt das
ganze Geheimnis!”
Der Alte nidte mit dem Kopf.
„Sie denfen da an weiche, gutartige
Kinder,“ bemerkte er, „es gibt ihrer ja.“
„Es gibt auch ungezogene Kinder,
ih wei e3,“ ſagte der junge Mann,
„man befiert fie nur durch Güte.
Selbftverftändlich werde ich Troß und
| und Strafhäufer vermindert fein, die
‚Advocaten und die Demagogen feine
Gefchäfte machen und die Striege aufs
hören. Ganz gewiß !”
„Sie find jung, lieber Freund!“
fagte nun der alte Mann und legte
feine Hände jenem auf die Achjeln,
„ich bin auch einmal fo jung geweſen.“
| Unter ſolchen Geſprächen war die
Station erreiht, wo der Grauföpfige
ausftieg. Er reichte dem jungen Lehrer
die Hand: „Ih gebe Ihnen meinen
| Segen. Ih bin ein alter Schulmanı
und fage Ihnen nur das: Seien Sie
ftarf. Berzagen Sie nicht!”
| Der junge Mann blidte dem über
| den Kies Hinwandelnden gebüdten
Greiſe nah und dachte: Wohl noch
' Einer aus der alten Schäle. Die haben
nicht die richtige Energie gehabt. —
Sein Muth ſtand aufreht und als
er nah drei Stunden den Boden von
Oberarch betrat, war er in einer feier=
lichen Stimmung, die zwiſchen Zuver—
licht und Bangen ſchwankte.
Am Raine der Eifenbahn jpielten
Knaben und Mädchen.
„Grüß Euch Gott, liebe Kinder!”
tief ihnen der Anfönmling zu. Sie
glogten ihn an und Ficherten. Einen
Jungen fragte er, wo das Schulhaus
jei? Der jchlenterte den Arm gegen
die HDäufergruppe de3 Dorfes Hin:
„Da!“ und lief davon. — Etwas
verwahrlost, dachte der junge Lehrer,
num, das wird ſich bald geben.
Nah längerem Umfragen fand er
endlih das Schulhaus. Es war ein
Bosheit ſtrenge beitrafen, aber nur) altes Gebäude, welches zwischen Scheu—
moraliich, das wirkt weit empfindlicher, |nen und Ställen ftand. Es hatte nur
als etwa körperliche Züchtigung. Bon | wenige enge, Ttarkvergitterte Fenſter,
felbft müflen fie dann fommen und | denn es war dor Zeiten das Getreide-
um Verzeihung bitten und Bellerung | magazin eines Kloſters gewejen. Weber
verjprechen. Das Kind ift von Natur einige morfchende Stufen ftieg er hin—
gut; Wufgabe der Erziehung ift, auf zum Eingang. Eine alte, etwas
darüber zu wachen, daß fein böfer | zerfahrene Frau, welcher ehrwilrdige
Same in das Kind fällt, und jchäd-
liche Steime mit milder Hand auszu—
rotten. Wenn der Lehritand jein Ziel
feft im Auge behält, fo werden in
hundert Jahren die Kranken-, Irren—
Haarftränchen über die Stirne her—
abgiengen, fragte ihn, was er begehre?
Der junge Mann nannte feinen
Namen Albin Tegner und jtellte ſich
al3 den neuen Unterlehrer vor.
262
„So!“ verfeßte die Frau und|wester Streu aus dem Grunde. Da
mufterte ihn vom Fuß bis zum Kopf. | jedoch der Lehrer nicht vom Fleck gieng,
„Mein Mann ift jetzt nicht da.“ jo fchleuderte der Bauer endlich die
Sie lie ihn ftehen an der Thür. Gabel von ih und führte den Anz
Er ftand längere Zeit an derfelben | kömmling zum Schulhaufe zurüd. Bor
und zählte die Sprünge an der Mauer. | demfelben war eine Rotte von johlen=
Nun kam der Bahnbedienftete, der ihm | den Knaben eben bejchäftigt, den au
den Koffer nachgeſchafft Hatte; dieſen der Treppe ftehen gebliebenen Koffer
ftellte der Mann auf den Erdboden, | iiber den Rain Hinabzuwälzen. Noch
nahm feine Löhnung und gieng davon. | rechtzeitig fanı Tegner herbei, um fein
Da Tegner merkte, daß ih Niemand | Eigenthum zu retten.
um ihn kümmere, jo trat er im die) „Was ifts denn?“ fchnarrte der
Küche. Herr Ortsſchulrath die Fran Ober—
„Mein Mann ift jest nicht da, | lehrerin an, „ift die Kammer nicht
babe ich gejagt!“ fchmetterte ihn die, gerichtet ?*
Fran an. | „Was für eine Kammer ?*
„Ich wollte nur bitten, daß viel⸗ „Für den neuen Lehrer. Der kriegt
leicht — meine Wohnung —“ im Schulhaus eine Kammer.“
„Um Gotnswillen!“ rief die Frau, „Das iſt ſauber!“ rief die alte
„eine Wohnung? Im Schulhaus? Frau, „ſo ſoll Unſereins die Milch—
Wüßte nicht, wie das zugehen ſollte. töpfe und das Obſt auf die Gaſſe
Da müſſen Sie ſchon zum Ortsſchul- werfen!“
rath gehen.“ Das geſchah zwar nicht, jedoch die
Nah mannigfaltigen Forſchungen Milch- und Obſtkammer ward aus—
war Tegner fo weit, daß er im einem geräumt und der junge Lehrer konnte
Kuhſtalle ftand, vor einem rothbärti- | einziehen.
gen Mann, der Dinger aushob. Das Ein Strohſchaub zum Lager, ein
war der Obmann des Ortsschulrathes | für die Milchtöpfe aufgerichtetes Bret—
zu Oberarch. Der junge Mann ſtellte tergeftelle als Tiſch; ein tiefäugiges,
ſich vor. vergittertes Fenſter, in deſſen Höhlung
„Ein verdammtes Gefilz, wenn der neue Inwohner ſeine Bücher auf—
man Erlſtauden geſtreut hat!“ knurrte ſtellte, ein Vorhang aus Spinnen—
der Bauer und ſtach mit der drei- gewebe, der don dem moderigen Pla—
ſpießigen Gabel in den Stallboden ein. fond niederhieng, das war das Innere
Tegner blieb ruhig ſtehen und ſchaute der Wohnung, die dem jungen Manne
dem Bauern bei der Arbeit zu. — eingeräumt worden. Als er nun zwis
Die Jauche läht er draußen den Weg ſchen den feuchten Wänden den Froſt
binabrinnen in den Bach; die dürre wahrnahm, dachte er auch an einen
Stren will er als Dung aufs Feld Ofen. Anſtatt eines ſolchen ftand in
führen. Und das ift der Ortsfchulrath. der Ede der vieredige Schornſteinſchlauch
— So hätte der junge Lehrer denken | aus der Küche, und der gäbe — be=
müffen, wenn er etwas weniger ideali= hauptete die Hausfrau — Wärme
ftifch angelegt gewejen wäre. genug.
„Der Herr Oberlehrer ift eben nicht, Als ih Tegner zur Noth einges
zu Haufe,“ erlaubte fih Tegner nun heimt hatte, gieng er ins Freie. Es
zu bemerken, „und daher bin ich fo war jchon die Abenddämmerung, und
frei, bier anzufragen, wo ich mich jetzt Tam auch der Herr Oberlehrer
niederlaffen ſoll.“ | heim. Der führte eine Kuh am Strid,
„Ihr Seht ja, daß ich jeßt Feine) er Hatte fie draupen am Maldrande
Zeit habe!“ verfegte der Bauer ums | geweidet. Er war jehr erfreut, den
wirſch und riß einen Feen halbver- neuen Gehilfen zu ſehen. „Man hat
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ja kaum mehr Zeit gehabt, fih um! Haufe. As er auf dem Stroh lag,
die eigene Sach’ zu kümmern,“ ſagte ſaun er nach über Alles, was er auf
er, „lie ift ohnehin arınjelig genug. | feinem nenen Beſtimmungsort an diefem
Nur die paar Aderfledeln da. Früher | einen Tag ſchon erlebt hatte. Er ihat
bat wenigftens die Bachwiefe da ———— tiefen Seufzer. Es kam über
dem Schulmeiſter gehört. Seit der ihn wie Heimweh nach der Stadt, in
Neuſchule ift das auch nicht mehr und | der er doch feine Heimat Hatte, weil
heißts jchier betteln um jeden Grass all feine Verwandten ihm geitorben
Ichopf, den die Kuh freſſen ſoll. Und waren, wie Heimweh nach der Lehr-
alles faufen! Bei der theuren Zeit! anſtalt, aus der er ſich doch ſo leb—
— Ei, Herr Tegner, Sie ſind gewiß haft fortgeſehnt hatte. Noch bevor ſich
fo gut, mir vom Ader das Säckel feine Augenlider ſchloſſen, brachen
Rüben hereinzutragen. Unter der Eſche Thränen hervor. . . .
liegt es, Sie jehen 93 gleich, ſobald
Sie dort um die Scheuer biegen.“
Zum Abendbrot gieng Tegner ins
Wirtshaus, denn verlöftigen mußte er Der Lehrer Albin Tegner hatte in
fich jelber. Es war ihm faft, als thäte der Schule zu Oberarch die dritte
heute auch ein Gläschen Wein noth, Elafje überfommen. Sig beftand aus
daß ihm ein wenig warm werde inner— | Kindern beiderlei Gefchlechtes, theils
ih. Es fröftelte ihn. Im Wirtshaus) aus den umliegenden Bauernhöfen und
„bei der Bandelkramerin“ Hieng mitten |
in der Dede der großen Stube eine!
Lampe, welche die Tijche in den Eden
nur düfler beleuchtete. Anm einem der
Tische ſaßen mehrere Dorfleute, die
— während in einer andern Ede zwei
Fuhrlente über Röffer ftritten — im
Flüſterton von einer gewiſſen Perſon
ſprachen. Tegner ſaß allein und wollte
auf das Geſpräch der Nachbarn nicht
achten. Als er jedoch merkte, daß es
ſich um eine Lehrerin handle, wurde
er aufmerkſam. Da hörte er nun, was
in diefem Orte feine Collegin, die ihın
noch gar nicht zu Geficht gekommen,
für eine unerfreuliche Perfon war.
„Ich ſag's ein» und ſag's alles
mal!“ rief Einer,
nicht für ein junges Mädel! Mutter:
jeelenallein umherſtreichen im Feld
und Wald. Nachher zu den Mahl—
zeiten im Wirtshaus! Mit den Manns:
bildern ſcherzen! Geht fie allein nad
Haus in finfterer Naht? Frage ich.“
„Der Kaplan hat denjelben Weg,“
warf ein Anderer ein.
„Und das ſoll eine Lehrerin fein!
Ih dank’ Schön.“
Sie munfelten weiter. Tegner be⸗
zahlte feine Sach' und gieng nach
„das ſchickt ſich
Kleinhauſern, theils aus dem „Bür—
Ferihun⸗ des Dorfes, unter welchem
die Kleingewerbsleute und Handeltrei—
benden zu verſtehen ſind, und aus den
Kindern der nahen Fabrik, welche an
dreihundert Arbeiter bejchäftigte. Diejes
gemifchte Volk in den Schulbänfen be=
‚nahm ih auch darnach. Die Groß»
bauernkinder plump, troßig, gedanfenz
träge; die Hänslerfinder furchtſam,
kriecheriſch, verſchmitzt; die Bürgers-
finder rechthaberiich, empfindſam, fine
dig; die Arbeiterkinder verjchlagen,
liſtig und tückiſch, und viele bei einer
gewiſſen Geſchmeidigkeit grundverdor—
ben. Da war es manchmal, als ob die
Kinder gerade ihre ſchlimmen Eigene
Ihaften mit in die Schule brächten
um fie dort, wie auf offenem Markte,
gegenfeitig auszutaufchen. Der Herr
Oberlehrer in der erjten Claſſe gab
ſich zufrieden, wenn jie zur Noth lejen,
Buchſtaben und Ziffern fchreiben könn—
ten; er mochte den weiteren Kampf
‚mit der Welt aufgegeben haben und
ſich eigentlich nur noch um feinen Ges
mifegarten, um feine Kuh kümmern,
und um die Hereinbringung gewiljer
Naturalien, die ihm als angenehmes
Ueberbleibfel alter Gepflogenheit von
264
einem Theil der Bauernſchaſt noch
willig ausgefolgt wurden. Die Lehrerin
in der zweiten Glafle that zwar ihr
Möglichftes, um die Jugend zu zügeln,
allein die wilden Nangen wuchſen ihr
über den Kopf und mancher legte es
eigens darauf an, das Fräulein recht
in die Hige zu bringen, weil ihnen
ihre Zornausbrüche und Drohungen
Spaß machten. In ſolchem Zuftande
fanıen die Kinder in die dritte Claſſe.
Hier fanden fie den neuen Lehrer, der
ein jo ernſtes Geficht machte und eine
jo janfte Stimme hatte. Er reichte
jedem der Kinder die Hand und fagte,
dab fie zufammen gute Freunde wer:
den würden, weil er hoffe, daß fie brav
und aufmerkfan feien. Ein paar vers
wahrloste, an Geftalt verfrüppelte und
häßliche Kinder waren darunter, mit
denen War er doppelt liebreih; er
dachte, Joldhe Kinder feien darum in
bejonderer Gefahr, falſch und ſchlecht
zu werden, weil ſie von Allen zurück—
geſtoßen und verhöhnt würden. Allen
empfahl er, daß fie miteinander gute
Kameradſchaft halten und zu ihm Ver—
trauen haben follten ; ſtets heiter fein
und ohne Hinterhalt, das habe er gern
und jo folle es eine frohe Zeit wer:
den, die fie miteinander zu verleben
hätten.
Der erſte Schultag gieng ziemlich
glatt ab, und obziwar Einige im Hinz
tergeumd der Stube ihre Mätchen
machten, kehrte die junge Gefellichait
doch ihre Mohlgefinnung hervor, jo
gut es angieng. In den nächften Ta—
gen wurde das Benehmen in der Claſſe
bedeutend ungezwungener und nad
einer Mode nahm es bie und da eine
bedenkliche Form an. Der Lehrer rügte,
da gab es gedrehte Nafen. Eines ver—
ichergte das Andere und wenn er
dann dem Kläger wie den Berklagten
„binausftehen“ ließ, fo ſchnitten fie
hinter feinem Rücken derartige Ge—
fihter, daß die ganze Claſſe vor Ge—
lächter aus Nand und Band zu gehen
drohte. Der Lehrer hatte es anfangs
wie die Schlangenbändiger verfucht,
fie mit ſtrengem, gewaltigem Blid zu
bändigen; das wer nichts, fein Auge
war fo fanft und flehte, wo es drohen
wollte. Vor Boshaften warnte er die
Uebrigen, ftellte Beifpiele auf, wie die
Bosheit beftraft wird und drohte den
Schlimmen, den Verkehr mit ihnen
abzubrehen. Es war nichts ; jie fühlten
ſich um fo wohler, daß fie dann gewiſſer—
maßen außerhalb des Kreiſes ftanden,
in welchem es fo viel Zwang und
Rückſichtsnahme gab. Die Braven und
Fleißigen ftellte er als Muſter auf,
gieng mit ihmen fpazieren, erzählte
ihnen aus dem Naturleben, ergößte ie
duch Märchen, bejchentte fie mit ges
preßten Pflanzen, felteneren Steinen,
präparierten Schmetterlingen und ſtä—
fern. Es war nichts. Die Bevorzugten
ſchauten hochmüthig auf die Andern
und diefe Anderen jpotteten ihrer und
fuchten ihnen allerhand Tückiſches an
zuthun. Beſonders das Schakal war
erfinderiich im Neden und in Bös—
artigfeiten gegen die Mitjchüler und
den Lehrer. Das Schalal, das war
der Sohn des Dorfkaufmanns Berger,
der ſich gern auf einen Großhändler
hinausfpielte, feinen Namen Berge
ſchrieb und wie Berfchee ausſprach
und fein Söhnlein Jakob: Jacques
nannte. Aus Jacques ward im traue
ten häuslichen Verkehr ein Schaferl
und in der Schule ein Schafal. Das
„Schakal“ vergalt der Junge zehnfach
durh Tücke und Bosheit, aber aud,
wenn der Lehrer mit ruhigen Exnfte
ihn Jakob nannte, wars ihm nicht
recht und wo er zur Vergeltung einen
Zintenfleds anbringen, einen $leider-
zipf in die Thür Hemmen, einen Stoß
verjegen, einem Mädel die Haare zer—
zaufen, einen Schimpf jagen konnte,
da that er's.
„Jakob!“ ſprach der Lehrer ein—
mal zu dieſem Knaben, „es thut mir
leid. Nicht darum, daß Du mich be—
trübſt, ſondern darum, daß Du Dir
ſchadeſt. Alles ftrebt dem Wohlergehen
zu; der Weg, den Dur einfchlägft, führt
Dich weit davon,“
„Dungerleider!* kreiſchte ihm der Auch um die Lehrerin Hatte ſich
Junge nad, „iß mehr und predige) Tegner nicht viel gekümmert; jie war
weniger, jchlägt Dir befjer an. Auch | gar jung und munter und er hielt fie
meine Mutter ſagts!“ für ein findifches Ding. Bei der Ban—
Seine Mutter, die Frau Kaufe dellramerin wurde einmal über die
männin Berge ud bald darauf den, Farbe ihrer Augen geftritten; der
Herrn Lehrer zu Tiſche ein. Er fchrieb Commis des Kaufmanns Berge bes
ein nicht ganz harmloſes Abfagebrief- hauptete, fie habe blaue Augen, der
hen, zerriß es aber wieder. Nicht der! Bahnbeamte verficherte, fie wären nuß—
Hunger hieß e3 ihm zerreißen, fondern | braun; der Kaplan follte entjcheiden,
das Beftreben, in Frieden und Freund- der fragte entgegen, was ihn die Augen
ſchaft mit den Leuten feines Ortes zu der Lehrerin angiengen? Stand auf
leben. Es mundete ihm aber micht | und verließ die Sefeflichaft. Der Unter=
recht beim Staufınann, fo föftlich die! lehrer wurte, daß Fräulein Wallner
Mahlzeit auch war. Die Frau Kauf- | lichtblondes Haar, rotde Wangen und
männin verficherte ihın bei der Suppe milchweike Zähne Hatte, mehr wußte
und bei den Forellen und beim Bras | er nicht. Die Urfache diefer allgemei—
ten und beim Pudding und noch beim | nen Unwiſſenheit mochte jein, daß die
ihwarzen Kaffee, dab ihr Jaques ein) Lehrerin ftets Angengläfer trug und
überaus lieber, herziger, genialer und fich Steiner rühmen konnte, ihre Augen
bortreffliher Junge fei. Und der vor= ohne dieſe Waffe gejehen zu haben.
trefflihe Junge blickte triumphierend Die Folge des Geſpräches war aber,
auf den Lehrer und zertaute dabei den dal Tegner dem Fräulein demnächſt
Zipfel des Tiſchtuches. etwas ſchärfer in die Augen jchaute.
Sie hielt das für einen vorwurfs—
vollen Blid und meinte, er fei mit
ihrem Unterricht nicht zufrieden.
Bei einer nächſten Gelegenheit, als
Albin Tegners Natur war eine nach der Schule der Lehrer und die
gelellige und er hatte fich noch bejonz | Lehrerin an der Thür ftonden und
ders dorgenommen, mit feinen Dorf- den dDavonjohlenden Kindern nachblid:
genoffen in Freud’ und Leid gemein= ten, fagte fie: „Es ift ein Unglüd, ein
ſame Sahe zu machen. Nun fehlte Weib zu fein befonders für einen
ihm aber die Neigung ‚dazu, ſein Ge- Schulmeilter.” Bei den Mädchen,
müth war jo plößlich und fat gewalt= meinte fie, gienge es noch, aber die
fan abgekühlt worden. Auch mit dem Knaben! Dann erzählte fie, wie fie dem
ganz verbanerten Oberlehrer war fein | gelbhaarigen Jungen dort heute eine
näherer Verkehr möglich, weil die Be- Strafaufgabe, die er zu Daufe hätte
rübrungspuntte fehlten. Wenn ihm der | Schreiben follen, abverlangt habe. Der
ältlihe Herr fo nebenhin doch ein- Junge Hätte fich, die Hände in den
mal Wort gab über Peltalozzi oder) Tajchen und ein Liedel pfeifend, vor
Diefterweg oder einen andern Pada⸗- ſie hingeſtellt und nach Schluß des
gogen, jo geſchah es, um den Unters Liedels gelagt, die Aufgabe mache er
lehrer willfährig zu machen für Laub- nicht. So wirft du über Mittag in
ſammeln, Brennbolzichneiden oder an- der Schule bleiben, Habe fie gelagt,
dere häusliche Verrichtungen. „Wenn und das jeden Tag, bis du die Strafe
der Herr Lehrer jo gut ift, eripart aufgabe geleiftet haft. Daranf hätte
man den theuren Hausknecht!“ Die ihr der Knabe ins Geficht gejagt, dab
Leute waren auch erkenntlich und luden — weiter erzählte die Lehrerin nicht,
ihn manchmal zu einer Fiſolenſuppe es verſagte ihr die Stimme; raſch
oder zu gedünfteten Aepfelipalten ein. | wendete fie fih ab; Tegner ſah es
266
aber doch, wie fie fich mit einem Tuch
über die Augen fuhr.
Er wollte ſich nicht weiter um das
Anliegen der Lehrerin kümmern; da
hat Jedes jelber zu ſehen, wie es mit
feiner Claſſe fertig wird. In der näch—
ften Nacht, im Tranme jah er das
Mädchen Hinter dem Schulhaufe am
Birnbaum lehnen und bitterlich wei—
nen. Sie jehluchzte jo jehr, daß auch
ihm wehe ward ums Herz, und als
er darauf erwachte, waren feine Wan—
gen thränenfeucht.
Der nächte Tag war ein Sonn—
tag. Als Tegner anf einem Spaziers
gang am Haufe des Schuhmachers Gol-
linger vorübergehen follte, fiel es ihm
ein, ob es nicht am Ende doch die Sitte
verlange, daß er bei feiner Goflegin,
die hier wohnte, einmal einen Beſuch
mache. Er trat ein. Fräulein Wallner
war zu Hauſe; ihre Sonntagsfeicr bes
ftand im Durcharbeiten der Schulhefte,
wobei fie mehrmals wehmüthig auf
Scheffels „Ekkehard“ blidte, der auf
dem Tische lag und Für den fie auch
an dieſem Tage feine Zeit finden
fonnte. Als Herr Tegner eintrat, ſchob
fie freilich die blauen Hefte von Sich |
und bot ihm ihr gegenüber einen Plab
an. Es war tranli da. Ein fonniges
Zimmerchen mit ſchneeweißen Vorhän—
gen. Alles einfach aber ordentlich, und
an den lichtgemalten Wänden biengen
Stupferftiche zu Dichtungen von Goethe
und Shalespeare.
„Sie haben fogar einen Ofen!“
bemerkte Tegner mit einem wehmüthig
Inftigen Gejicht. Sie blidte ihn fra—
gend an. „Ich habe nur einen Schorn=
jtein,“ fuhr er fort, „und der bringt
mir manchmal, wenn es recht frojtig
ist, ein wenig Nauch aus dem Ofen
des Herrn Oberlehrers herauf, damit
ih auch etwas vom Teuer habe. Ach
pflege meine Gorrecturen im Schul—
zimmer zu machen, wo wenigſtens auch
nach der Schule, wenn ſchon der Ofen
falt ift, die thierifche Wärme der Kin—
der eine Weile vorhält.“
„sa wohl,“ verjegte jebt Fräulein
Wallner feufzend, „die Kinder machen
Einem freilih warm.“
Jetzt fagte der junge Lehrer: „Mich
beichäftigt immer noch eine Andentung,
die Sie geftern gemacht. Der gelb»
haarige Junge — id möchte doch
willen —“
„Sie follen es willen,“ fagte das
Fräulein. „ALS ich dem Knaben drohte,
bei mir über Mittag in der Schule
zu bleiben, gab er mir zur Antwort:
Behalten Sie fih lieber Ihren States
heten über Mittag in der Schule,
läßt mein Vater jagen, ich wäre noch
klein.“
„Iſt das möglich!“ ſagte Tegner
und ftand von ſeinem Sitze auf.
Die Lehrerin eilte an die Zimmer—
ede, als ob fie dort etwas zu Schaffen
hätte, und Hub fo heftig zu Schluchzen
an, daß ihr ganzer Leib erbebte. Jetzt
war es um ihn gefchehen. Er trat zu
ihr Hin, berührte ftreichelnd ihre Schul—
ter, ihr Daupt und Sprach ihr mit
innigen Worten Beruhigung zu.
„Es ift eine jo niederträchtige
Verleumdung!“ ſchluchzte fie, indem
er fie wieder zurüd an ihr Tiſchchen
führte. „Ih bin etwas über ein Jahr
in Oberarh und babe als junges
Mädchen auf das Aengſtlichſte Alles
bermieden, was nur den geringiten
Anlaß zu Schiefen Deutungen und
Tratih geben könnte. Es iſt nicht
möglich, man entgeht dieſem Geſchicke
nicht. Ein Mädchen in meinem Alter
ſollte nicht in die fremde Welt hinaus—
geſtoßen, nicht in eine öffentliche Stel—
lung gedrängt werden, wo ſie mit
allerlei Leuten zu verkehren hat. Ab—
hängig von der Oberſchulbehörde, die
uns ftrenge Geſetze und Pflichten vor—
Ichreibt, abhängig von dem Ortsſchul—
vath, der uns in der Erfüllung un—
ſerer Amtspflichten allerlei Hinderniſſe
in den Weg legt; abhängig von der
Geiſtlichkeit, die eiferſüchtig auf uns,
unſer Wirken oft zu discreditieren ſucht;
abhängig von der Bevölkerung, deren
unberechenbarer Willkür wir unterwor—
TE
fen find, follen wir rauen uns Res | Herrn befommen wir fobald nicht
fpect verjchaffen und das Volk erziehen. | wieder,“ ſagten die Lente und be=
Das ift nicht möglih. Dazu kommen | dachten nicht, daß ihre eigene Tratſch—
andere Berhältniffe. Wir müſſen efjen | Jucht den Mann forttrieb,
und bedürfen mandmal ein wenig| Fräulein Wallner hatte zum Glück
Geſelligleit, wir find auf's Wirtshaus ihr Gefuch noch micht abgehen laffen ;
angewiefen, müſſen uns den freien] jetzt durfte es keinesfalls geichehen,
Zon des Wirtshaufes gefallen laſſen, fonft mitten die Läſterzungen jagen:
fönnen es nicht hindern, wenn die, „Natürlich, weil der Herr Kaplan und
Einen uns roh begegnen, die Anderen | galante Katechet nicht mehr in Ober:
uns mit zweidentigen Aufmerkfans ar ift, mag das Fräulein Lehrerin
j
feiten verfolgen; unwillkürlich wird auch nicht länger bleiben. Natürlich!“
man im einen Kreis gezogen, in dem
wir ſelbſt 2. harmlos und — — es J
Regen, um en aber" bald DIE] nenn es gar zu wundehaglich wurde
i bie|
Me in feiner Wohnung und nur der blafie
Widerſchein der winterliden Schnee=
ihres Amtes zu walten. Ich ſpreche
von Verſuchungen und wirklichen Ge—
fahren nicht .. ..“
Sie brach ab.
„Wie jehr ich Sie verftehe!” ſagte
Tegner und legte feine Dand auf
ihren Arm, weil er nicht wagte, damit
ihre weiße Rechte zu berühren. Er
zitterte faſt.
„Ich ließ mich,“ fuhr Fräulein
Wallner fort, „vom Abendbrot im
Wirtshauſe ſtets durch eine Magd
nah Hauſe begleiten. Daß ſich uns
etliche Male der Herr Kaplan anſchloß,
der diejelbe Richtung zu gehen hatte....
Uebrigens fchreibe ich heute das Geſuch
um Verſetzung auf einen anderen
Poſten.“
!
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t
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|
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„Sie wollen fort!“ rief Tegner.
„Sie müſſen mir verzeihen, Herr
Goflege, daß ich vertranensfelig ges
worden bin,“ ſagte fie, dann jehte fie
aber ganz undermittelt bei: „Hier
fühle ich mich überall von Feinden
umſpäht.“
Der junge Mann verſtand den
Wink und empfahl ſich. Im
Stube zurückgekehrt, war es heute dort
doppelt düfter und froftig.
Die nächte Neuigkeit des Dorfes
war, daß der Kaplan verfegt werde.
„Einen jo menjchenfreundlichen, braven
i
feine,
|
dächer zum Fenſter hereinfiel, war es
ihm, als müfje er ein wärmeres Stüb—
hen und eine traute Gejellichaft ſuchen.
Er bezwang ſich lange, aber endlich
‚bezwang er fi nicht mehr.
| Am ECHriftabend war's. Fräulein
Wallner war daran gewejen, iiber die
| Feiertage ihre Tante in der Stadt —
‚die einzige lebende Berwandte — zu
befuchen. Nun Hatte ihr am lebten
Tage die Tante gefchrieben, daß fie
mit ihrem Manne einen Ausflug nach
‚dem Süden mache und die liebe Nichte
verfchieben wolle. Tegner dachte au
die getäufchte Freude feiner Collegin
und an die Einfamfeit, die fie nun
empfinden mußte, während Alles der
fejtlihen Gefelligkeit zuftrebe. Das
Mitleid mit ihr und fein eigener
Hang zu einem Weſen, das wie er
die Leiden eines hohen Berufes trägt,
das wie er einfam und verlaflen ilt,
führte ihn zu ihr.
Er wollte fie eigentlih nur ab»
holen zum Abendmahl bei der Bandel—
framerin, aber er blieb im ftillen
Zimmerdhen bei ihr länger ſitzen
‚als er fi vorgenommen. Der kurze
ſchneiende Wintertag war allmählich
in Dämmerung übergegangen, die
Dämmerung in Dunkelheit und ſie
nahmen es nicht wahr, daß ihnen fein
anderes Licht leuchtete als der Schein
der Straßenlaterne, welcher durch das
Tenfter auf die gegenüberftehende Wand
eine verfchobene Tafel goB.
Am nähften Schultage führte in
der dritten Glaffe ein Mädchen Die
Klage, daß ihr Nachbar in der rück—
wärtigen Bank fie mit dem Federſtiel
am Naden Eile. Der Lehrer jchritt,
das offene Lefebuch in der Hand, zwi—
ichen den Bänfen auf und ab und
verwies dem Schakerl — denn das
war der nedifche Nachbar — fein
ungebührliches Betragen. Da fredte
das „Schalal“ dem Lehrer höhnend |
die Zunge heraus. Durch einen une |
glüdlihen Seitenblid ſah es Tegner,
ein raſcher Schritt und fein Buch
Happte auf das Hinterhaupt des
Knaben.
Jetzt gieng das Geheul los. . „Er
hat mich geſchlagen!“ zeterte der
Junge und den Kopf zwiſchen den
Händen lief er davon, durch das Dorf
in alle Winde ſchreiend: „Der Lehrer
hat mich geſchlagen!“ und nach Hauſe,
wo er eine fürchterliche Revolution
anrichtete.
Am letzten Tage des Jahres ſaßen
der junge Lehrer und die junge Lehre—
rin wieder beiſammen im trauten
Zimmer und verſprachen ſich treues
gemeinſam tragen; die ſüße, gewaltige
Liebe, die in ihren Herzen entbrannt
war, gab ihnen auch wieder die Liebe
zu den Kindern, zur Welt; voll Zu—
verjicht leuchteten ihre Augen; voll
Muth ſchlugen ihre Herzen.
Nun ſtaäand ihnen aber noch zum
Jahresſchluß eine miedliche Ueber—
raſchung bevor. Zuerſt flopfte es höf—
ih an der Thür, dann kam der Ge—
richtsdiener zum Vorfchein und brachte
die VBorladung zur Gerichtsverhande
lung am 7. Januar des neuen Jahres.
Albin Tegner war angeklagt des Ber:
brechens der Gewaltthätigkeit, begangen
an dem Schultinde Jakob Berge. Ich
will die bitteren Empfindungen nicht
zu fchildern fuchen, die das Gemüth
des Lehrers in den nächſten Tagen
peinigten. Seine Braut war unermüd—
li, ihn zu verjichern, daß er freiges
Iprochen werde, freigelprochen werden
müſſe. Ein Slappschen mit dem offe—
nem Schulbüclein und in einem
Augenblid, wo der Junge zur höchiten
Empörung herausforderte! Nicht die
geringfte Spur einer Verlegung. Aber
der Knabe hatte nach eigenem Ge—
ftändniffe feit dem Klapps die fürch—
terlichiten Stopfichmerzen, feine Eltern
beftätigten es, der Dausarzt befchei=
nigte es und der Staatsanwalt rief:
Das Gefeh verbietet dem Lehrer kör—
perliche Züchtigung. Der Schlag auf
das Haupt war aber feine Züchtigung,
Zufammenhalten fürs ganze Leben. ſondern ein Act der Rache! Meine Derren
Lange wollten fie den Oberarchern das
Pikante eines bräntlichen Liebesverhält-
niſſes nicht gönnen, am Tage mac
Heilige DreisKönig Jollte die Trauung
fein. Es war ja auch ungemein ein=
fach. Sie hatten ſich lieb, Ehehinder-
niſſe lagen nicht dor, der Gehalt der
Beiden zufammengethan reichte auf
einen ganz einfachen Haushalt. Wie
hätten fie es vor wenigen Wochen noch
ahnen können, daß Sie fo glüdjeliger
Stimmung voll in das neue Jahr
follten hinübertreten! In neuem freund—
lichem Lichte erfchien ihmen wieder ihr
ſchwerer Beruf, jetzt jollten fie ihn ja
Richter! Wenn Sie das Geſetz nicht
refpectieren, fo beichwören Sie über
Ihre eigenen unfchuldigen Kinder große
Gefahren herauf! fie jollen ungeltraft
mißhandelt werden dürfen? — An
demfelben Tage, an welchem tem Lehrer
Albin Tegner das junge Weib ange—
traut wurde, verurtheilte ihn das Ge—
richt zu achtundvierzig Stunden Arreft.
Tegner war ftets ein entjchiedener
Gegner der förperlihen Züchtigung
von Seite des Lehrers gewefen. Er
gab nun dem Staatsanwalt nicht Un—
recht, wenn diejer jagte, das, was er
gethan, Habe gar feine Züchtigung fein
269
wollen, fondern nur ein natürlicher |archer ihren Lehrer mir nichts, dir
Ausbruch des Zornes. Tegner war der nichts einfperren ließen! Das gibt’3
Meinung, daß die förperliche Züchti—
gung nicht ganz zu entrathen fei, daß
fie wohl auf Verlangen, aber nicht
von der Hand des Lehrers, ſondern
etwa dom Schulfneht auf Beſchluß
und unter Gegenwart des Ortsſchul—
rathes zu geichehen habe. Wenn der
Lehrer Mittel bat, das bösgeartete
Kind im folcher Weife der verdienten
Strafe zu überantworten, jo wird er
ſich perfönlich beherrichen.
Die Fran Kaufmännin jubelte und
trug Sorge, daß dem Lehrer das
Urtheil unmittelbar nach der Trauung
zugeftellt wurde. Tegner war im eriten
Angenblid tief niedergeichlagen, er
genoß nichts von dem Keinen Mable,
mit twelchen die Bandelframerin das
Brantpaar bewirten wollte. Sein jun
ges Weib meinte ſich die Augen roth.
Plöglih erhob ſich Tegner und fagte:
„Sei munter, Julie! Diefer Arreſt ift
mir die Ansgangspforte. Wir wenden
uns einem andern Beruf zu, der nicht
jo enge an den Gerichtsfaal ſtößt.“
Seht kam der Reilingbauer,
auf feinen breiten Schultern die Ob—
mannswürde des Ortsſchulrathes trug.
63 war derfelbe, bei welchen Tegner
fih am Tage feiner Ankunft vorgeftellt
hatte. Er trug heute das Feiertags—
gewand, beglückwünſchte das Braut—
paar aber nur jo nebenbei. „Da hat Er
was Sauberes angefangen!“ fchnarrte
der Mann dann dem Unterlehrer zu, „da |
hat Er eine rechte Dummheit gemacht!“
Daß der Bauer nicht das Heiraten |
meinte, ward erſt bei den nächſten
Worten Har. „Wenn Er diefen nichts«
der Herr Obmann fort, „To foll Er's
thun, daß es eine Art hat.
die Füß' nehmen und einen dreidop—
der,
1
)
nicht. Wir werden ſchon Zeugenjchaft
finden, die es jagen, was dem jungen
Heren Scaferl gehört! Wir nehmen
einen Doctor auf. Herr Tegner! Luftig
fein! Von dem Sprud’, den Ihm der
Herr Pfarrer heut’ gefällt hat, kann
er nicht mehr freigeiprochen werden.
Das nicht. Aber vom heutigen Ge—
richtsurtheil wird Er freigeſprochen.
Ich hab's gefagt. So, und jet wünſch'
ih gute Nacht!”
Ein wenig proßig, aber das Herz
auf dem rechten Fleck!
Tegner fagte einftweilen nichts
mehr davon, einen andern Beruf zu
wählen und von Oberarch fortzuziehen.
Nah vier Wohen mar die Appells
verhandlung. Tegner wurde freiges
Iproden und an deinjelben Abende
bradten ihm die Mulitanten von
Oberarch ein Ständen. Die Frau
Kanfmännin Berge Schloß die Feniter-
läden; wahrscheinlich litt ihr liebes
Söhnlein noch immer jo fehr an Kopf-
Schmerz, daß es feinen Trommel- und
Trompetenschall vertragen konnte.
Der Sturm war vorüber. Ereig—
nislos gieng nun das Leben unſerer
Lehrerslente Hin. Mit firenger Pflicht:
treue übten fie ihren Beruf, die Be—
Schwerden und Kümmerniſſe desfelben
mit Geduld ertragend. Das gieng in
niüchterner Arbeit jo alltäglih dahin
und fie wußten es jelbft nicht, daß fie
Großes wirkten.
Später, als e3 dem alten Deren
Oberlehrer nahegelegt worden war, daß
er den wirtichaftlichen Zielen viel beſſer
nachkommen fönne, wenn ex nach feiner
nutzigen Schlingel ſchon Haut,“ fuhr
Zwiſchen
langen Dienſtzeit in den Ruheſtand
trete, und als der Herr Oberlehrer den
Wink auch verſtanden hatte und in
Penſion trat, wurde Herr Tegner an
pelten Schilling auf den Rücken, das ſeine Stelle geſetzt. Aber in die eigent—
gehört ihm!
Sept fit Er in der) ‚lichen Fußftapfen feines Borgängers
Schlamaß’ und wir werden zu thun trat Tegner nicht; obzwar auch er die
haben, daß wir Ihn herauskriegen. | Meine zum Schulhaufe gehörige Land-
Für's Erſt' melden wir die Berufung | wirtichaft verwaltete, jo befaßte er ſich
an.
Das wär’ fauber, daß die Ober: immer noch mehr mit der Kinder- als
270
mit der Viehzucht.
Mirthichaft zu einer Art von Verſuchs—
hof, in welchem er im feinen freien
Stunden die Schüler mit landwirt—
ichaftlihen Wortheilen vertraut zu
machen fuchte.
Mas die Züchtigung der Schul—
finder anbelangt, fo Hatte der Ober-
archer Ortsſchulrath eine eigenmädhtige
Verfügung getroffen. Wenn ein Kind
etwas wirklich Schlimmes angeftellt, fo |
hatte es der Oberlehrer dem Orts—
ſchulrathe zu melden und diejer mußte
die Körperſtrafe beftimmen und in
Gegenwart der Eltern oder deren Stell:
vertreter ausführen laffen. Zu diefer
Maßregel kam's aber äußerst felten.
Das öffentliche Gericht war felbft den
wildelten Jungen zu ſchreclich und im
Hinblid darauf herrſchte in der Säule
Zucht und Ordnung. Zwiſchen Lehrer
Er nüßte ſeine und Schüler Hatle ein warmes Ver—
hältnis plaßgegriffen; die Sinder
ſchloſſen ſich auch außerhalb der Lehr»
ftunden gerne dem Lehrer an, und die
jpäter aus der Schule getretene Ju—
gend blieb in guter Freundfchaft dem
Schulhauſe zugethan.
Die Jdeale des Jünglings, als er
aus den Studien in's Leben getreten,
| waren überſchwänglich geweſen, ſo über—
ſchwänglich, daß jenem alten Schul—
manne auf der Eiſenbahn das Herz
geblutet hatte in Anbetracht der Ent—
tänfchungen, die den jungen Mann er—
‚warten mußten. Und doc) ſcheinen jene
‚Ideale ſachte in Erfüllung gehen zu
‚wollen. &3 find eben nicht bloße Ideale.
In ihnen liegt aud die Kraft des
‚reinen, liebreihen und opferfreudigen
‚Herzens. Und diefe Kraft vermag viel.
Der Menſch in den Alpen.
Bon Dr, Triedrich Amlauft.*)
2) gehört den drei europälfchen
Dauptnationen, den Deutſchen, Ro—
manen und Slaven, an, und da ſich
die Romanen in den Alpen wieder |
in Franzofen und Italiener jcheiden,
jo gibt es hier vier Hauptnationalitäten,
deren jede ſich im zahlreiche Unter:
abtheilungen und Scattierungen mit
einer unglaublichen Menge von Munde
arten gliedert. Die Betrachtung der
die Alpen heute bewohnenden Natio—
nalitäten läßt wohl die Trage aufs
*) Aus defjen neuem höchſt empfehlenswerten Werle;
Nie Bevölferung im den Alpen
tauchen, zu welcher Zeit fi Diele
Stämme in dem großartigen Gebirgs-
walle Mitteleuropas ſeßhaft gemacht
haben. Ueber die ältefte Bewohner»
Ichaft geben die in den dürren Some
mern der Jahre 1853 und 1854 zuerft
in den Ichweizerifchen, ſpäter auch in
den oberitalifchen, bayerifchen und
Öfterreihifchen Seen entdedten Reſte
der Pfahlbauten dürftigen Aufſchluß.
Man vermuthet, daß ihre Erbauer
keltiſcher oder vielleicht finnifcher Ab—
kunft gewefen. An der Südſeite des
„Die Alpen“. Handbud
der gefammten Alpenfunde, (Wien, Hartleben, 1886.)
Dochgebirges, im Stromgebiete des
Padus (Po) bis weit nach Italien
hinein wohnten aber in der älteſten
Zeit die Rhätier oder Nhäter, die
vielleicht mit den Etrusfern ſtamm—
verwandt waren. Bon den aus den
Nordweſten, namentlich am Rhone, ein—
dringenden Stelten oder Galliern an—
gegriffen und größtentheils aus ihrem
Befige verdrängt, zogen ſie fich von
den fruchtbaren Po-Niederungen nad
dem unwirthlichen Gebirgslande zurüd
71
der Bölferwanderung hatten den Sid»
abfall der Alpen die germanischen,
aber bald romanisch gewordenen Longo—
barden inne, den Weftabhang die jpäter
ebenfall3 romanifirten Burgunder, den
bietes die Alemannen oder Schwaben.
Neben ihnen Hielt ſich mit Deutjchen
vermischt noch ein Reit Halb römiſch
gewordener Rhäter im heutigen Graue
bünden und Vintſchgau. Im heutigen
Tiroler Gebirge und auf der Hochebene
und behaupteten fich im dem Gebiete zur Donau zwiſchen Leh und Enns
zwiſchen St. Gotthard und Großglodner |
nördlich bis zum WBodenfee und der
Leechquelle. Die Selten hingegen be-
fegten die füdlichen Alpenthäler und
ganz Oberitalien.
Herrſchaft immer weiter auf der Apen—
ninen=Halbinjel ansbreitete, wurden
auch die padanifchen Stelten unter:
worfen, ſpäter die Alpen überschritten
und die Gebiete der jenfeits des Haupt—
fanımes wohnenden Gallier, unter diefen
= Theil des hochrheinifchen Ge—
Alemannen
Doch als ſich Roms bis heute rein deutſch oder haben ſich
ſaßen mehrere Ueberreſte durchgezogener
Dentſchen und vereinten ſich zu einem
Volle, den Bayern.
und Bayern blieben
wie die Deutjchtiroler die
fremden Volkselemente, Nhätoromanen
und Slaven, affimilirt. Am Oſtab—
hange der Alpen, an der Drau und
Save, Hatten fih nämlich ſlaviſche
Völkerſchaften, die Wenden, vorgedrängt,
auch die Helvetier in der heutigen | wurden aber von den Dentjchen, da
Schweiz, dann das öftliche Gebirgsland | diefe Länder an deutjche Fürften kamen,
unter dem Namen der Provinzen Rhä- | zulegt überwunden, jo daß das fla=
tien, Noricum umd zum Theile auch viſche Gebiet auch im Often heute ein
Pannonien, dem römischen Weltreiche | befchränktes ift. Die Ortsnamen zeigen
einverleibt. Dies geichah furz vor und
nah Chriſti Geburt. Die Römer bes
gründeten mun an den Flüſſen feſte
Lagerpläge für ihre Legionen, welche
ih bald zu Städten ausbildeten,
führten Heerftraßen über das Gebirge
und gewannen die Alpenländer römischer,
Cultur. Aber die von Norden her bis
an die Donau vorgedrumgenen Gerz
manen jeßten hier den weiteren Erz
oberungsgelüften der Römer eine Grenze,
und als das Gäfarenreich durch wach—
ſende Anarchie immer mehr verfiel, über-
Ihritten die erfteren die Donau, ja fie
noch deutlich, wie viel in den Alpen
einft von Nhätoromanen und Wenden
befeßt gewefen. Das mächtigſte unter
den deutichen Völkern, die ſich in’s
Nömerreich getheilt, wurden die Franken.
Sie eroberten das römische Gallien,
machten die Burgunder und Longo—
barden abhängig, unterwarfen alle
Stämme Deutfchlands, fo daß ihr
König Karl der Große als römifcher
Kailer nm das Jahr 800 auch das
ganze Wlpengebiet beherrfchte. Als
unter feinen Nachlommen 843 das
große Reich zerfich, gehörten von nun
|
zerjtörten 476 v. Chr. gar da3 weit: an die Ojftalpen und der öftliche Theil
römische Reich und wurden jo auch, der Gentralalpen zum deutfchen Reiche,
Herren im den Alpen. Dieſe fahen in das feine Herrſchaft auch über Italien
den nun folgenden jchredlichen Zeiten ausdehnte. Burgund blieb als are—
der Böllerwanderung (375 — 573) die latiſches Reich bis 1034 ſelbſtändig,
verſchiedenſten Völker auf ihrem Durch | zu welcher Zeit es unter Konrad II.
zuge, bis endlich wieder dauernde Vers | dem Salier an Deutfchland kam. In
hältniffe herbeigeführt wurden. Nach | der Folge trennten jich die romaniſchen
272
Theile Burgunds von den alemannijchen;
jene (die Länder am Rhone, an der
Saone und Yfere) fielen Frankreich
zu, während diefe (dev Haupttheil der
Schweiz) no bis zum Schluffe des
Mittelalters beim deutſchen
blieben. Der Grund zur fchweizerijchen
Eidgenoſſenſchaft ward zu Beginn des
14. Jahrhundert gelegt, aber exit
1648 fand fie im weftfälifchen Frieden
als eigene ftaatliche Gemeinschaft förm—
liche Anerkennung. Die öftlichen Alpen
gebiete blieben fortwährend dem deut:
schen Reiche, ſo lange diefes beitand
(bis 1806), unterthan. Die verichie-
denen Heineren Herrſchaften wurden
durch das Haus DOefterreich zu einem
geichloffenen Ländercomplere vereinigt,
der äußerſte Norden war und blieb
bayeriſch. Die italifchen Alpen waren
jeit langen Jahrhunderten unter die
Handelsrepubliken Genua und Venedig,
jowie das deutjche Reich getheilt, bis
Mailand felbftändig wurde.
Mahgebend für die ZTerritorials
verhältniffe in den Alpen waren die
Beſtimmungen des Wiener Congrejjes
vom Jahre 1815, welchen die Umwäl—
zungsperiode der Napoleoniichen Ge:
waltherrichaft veranlaht Hatte. Der
neue Kaiſerſtaat Defterreich behielt
nicht bloß die vormaligen öfterreichiichen
Alpenländer, ſondern wurde definitiv
durch das Erzbisthum Salzburg und
das lombardijch- venetianische Königreich
vermehrt, das fih im Norden an die
Alpen anlehnt. Unglüdliche Kriegs:
ereigniffe riefen jedoch 1859 den Ver—
Iuft der Lombardei, 1866 den Vene—
tiens herbei, die beide an das junge
erftandene Königreich Italien kamen ;
für geleiftete eDiüfe wurden von leteren
Nizza und Savoyen in den Meftalpen
an Frankreich abgetreten.
Somit haben heute folgende Stans
ten an dem era Alpen
gebiete Antheil: Frankreich mit
Nizza, der — der Dauphiné
und Savoyen; von Frankreich einge |
ſchloſſen das Heine Fürftentbum Monaco
an der Riviera; 2. die Schweiz mit
Reiche |
den Gantonen Genf, Wallis, Freiburg,
Bern, Unterwalden, Uri, Schwyz,
Glarus, Züri, Zug, Luzern, Thur—
gau, St. Gallen, Teffin und raus
bünden; 3. das Königreich Italien
mit Genua, Piemont, Lombardei und
Venetien; 4. das Heine Fürſtenthum
Liechtenftein ; 5. Bayern mit Schwaben
und Oberbayern, und 6. die öfter
reihiih- ungarische Monarchie mit Tirol
und Vorarlberg, Salzburg, Ober: und
Niederöfterreich im Süden der Donau,
Kärnten, Steiermark, dem nördlichen
Krain, Görz und Gradisca, in den
|Tehten Ausläufern auch mit Ungarn,
Groatien und Stavonien.
Wenn man die Geſammtbevölkerung
des Alpenſyſtems auf etwa 7 bis 8
Millionen annehmen fann, fo entfallen
beiläufig je 3 bis 31, Millionen auf
die Deutjchen und — 1 Million
auf die Slaven.
Suchen wir uns nun mit der Ver—
theilung der verjchiedenen Nationalis
täten im Alpengebiete näher bekannt
zu machen, jo finden wir, daß die
Deutichen den ganzen Nordtheil des
Gebirges bewohnen, micht blo die
nördlichen Vorlagen, jondern auch ein
beträchtliches Gebiet der Uralpen, ja
daß fie jelbit bis über den Südabhang
der leßteren nah Süden hinausreichen.
Sie ſcheiden ſich im die dialectifch ver—
ihiedenen Schweizer, Tiroler, Salz—
burger, Ober: und Niederöfterreicher,
Steirer und Kärntner. Die dentiche
Sprachgrenze in den Alpen geht ſüd—
lich iiber die Waffericheide hinüber im
Lysthal, wo fie bei Iſſime ihren ſüd—
lichiten Punkt erreicht, und im Gebiete
der Seſia-Zuflüſſe, dann am Tojathal
im Pommat und in Gurin am der
Meggia, dem einzigen deutſchen Dorfe
im Teſſin, ferner im Etjchgebiete und
bei Bladen im Piavegebiete und Tiſchel—
|mang im Zagliamentogebiete. Ita—
‚Tienifche Sprache greift über die Waſſer—
Icheide herüber im Dal de Lei öſtlich
dom Splügen in's Rheingebiet md
‚bei Livigno im Gebiete des dem Inn
zuftrömenden Spöl in's Donangebiet.
273
Dagegen bleibt die deutjche Sprach | werden häufig die Rhätoromanen, Chur—
grenze erheblich von der Waſſerſcheide
zurüd im Oberrheingebiete, im Engadin
und im Grödner- und Godethal, wo
ſich zwifchen ihre und dem Gebirgs—
fanıme die Rhäloromanen erhalten
haben. Bon Spradinjeln kommen in
Betraht die Anfiedelungen in Grau—
binden, Nachlommen der Alemannen,
welde die fränfifchen Kailer zum
Schutze der Alpenpäfje dort anlegten;
dann die füdlih vom Monte Roſa,
wo in Rimella fich die deutjche Natio-
nalität außer Zufammenhang mit dem
Neite der jeit dem 13. Jahrhundert
aus dem Oberwallis eingedrungenen
Goloniften erhalten hat. Dann haupt»
fählih die Spradinfeln in Sübdtirol,
im Nonsberg, im Fleimſer- und Fer—
jinathal, wo die Bevölkerung bis auf
geringe Reſte verwelicht ift, endlich in
den beiden befannten Enclaven im
italienifchen Gebiete, in den ſieben und
dreizehn Gemeinden (sette und tre-
Jici communi).
Den Welten des Mipenterrains
haben die Franzoſen inne, Genf, Lau—
ſaune, Savoyen und das NRhonethal;
auch ſie Sprechen verſchiedene Munde
arten. Den eigenthümlichſten Diatect
haben die Provençalen zwiſchen Bar,
Nhone und Durance.. Won Unter:
Wallis aus dringt das franzöſiſche
Glement immer mehr in das deutfche
Dber-Wallis vor; im Örenzgebiete
zwifchen beiden Theilen wohnen Frans
zofen und Deutfche gemischt. Yon den
Franzoſen öſtlich und den Deutjchen
im Süden benahbart wohnen die
Aelpler itatienifcher Nationalität mit
dem piemonteſiſchen, wmailändilchen,
bergamaskiſchen, trientinifchen und
frianlifchen Dialecte. Die frianliiche
oder furlanifche Mundart ift vom eigent—
lichen Italienisch am meiſten entfernt,
da die Furlaner romanifierte Karner
ind. Nordöftli von Monvifo wohnen
die MWaldenfer. In Südtirol ift das
Welſchthum im ftarfen Vorbringen
gegenüber dem Deutſchthum begriffen.
Den Jtalienern mit Unrecht zugezählt
Rofegaer’s „„Geimanrten“‘, 4. Heft, XI.
‚weljchen oder Ladiner, welche roma—
uiſierte Rhäter find und im Engadin
und im Münſterthal der Schweiz, ſo—
wie als Oftladiner im Grödenerthal,
Abteithal (Badioten) und Enneberg
— wohnen. Den Südoſten der
‚Alpen endlich erfüllen die Slaven;
dieſe gehören den Südſlaven an und
‚ind theils Winden oder Wenden, ges
wöhnlich Slovenen genannt, im ſüd—
öſtlichen Gebiete von Kärnten und
Südſteiermark, in Krain und im Küſten—
lande; theils Croaten, welche von den
vorigen öſtlich wohnen. Die Chor—
waten haben einen ſchmalen Strich öſt—
lich von Graz zwiſchen Deutſchen und
Magharen inne. In den öſtlichen
Ausläufern der Alpen auf ungarischen
Boden wohnen auch bereit3 Magyharen,
‚doch ift Hier vom Charakter des Alpen
bewohners ebenfo wenig zu finden, als
das Bergland felbit noch Spuren der
Alpenphyſiognomie bewahrt hat.
Nachdem wir uns jo über die ver:
‚Ichiedenen Nationalitäten im Alpen»
gebiete orientiert haben, mag es ver—
jucht fein, die Bewohner desfelben hin—
fihtlih ihres Charakters und ihrer
Beſchäftigung, ihrer Tracht und Woh—
nung zu kennzeichnen.
Das hohe Alpengebirge mit allen
‚ihm eigenthümlichen Erfcheinungen,
‚welches auf jeine Bewohner, ihr Leben
und Treiben einen beitimmenden Ein—
fluß übt, gibt naturgemäß auch dem
Menschen einen ſcharf ausgeprägten
‚Gharatter. Unter fortwährenden Ge—
fahren und mit größerer Kraftanſtren—
gung als der Flachländer gewinnt der
Aelpler fein färgliches Brot, die Mühe
eines ganzen Jahres fieht er oft durch
ein einziges Unwetter vernichtet, Die
Straße bergauf und ab ift ihm durch
‚die Thalfurche deutlich vorgezeichnet.
Diezu kommt noch die Abgeichloffenheit
der Thäler, die Unbelanntichaft mit
der Außenwelt. Daraus erklären ſich
die hervorftehenden Gharalterziige der
AUlpenbewohner. Diefe find vor allem
ein ſtreng confervativer Sinn, ein
18
274
Feſthalten am Althergebrachten und
Ueberlieferten, Liebe zur Heimat, Ans
hänglichleit an den Herrſcher, Reli—
giofität bis zum Aberglauben, Einfach—
beit, Genügfamteit, Ausdauer, Kühne
heit, Muth, Tapferkeit, welche oft in
Raufluſt ausartet, Stärke, Gewandtheit,
Erfindungsgeift.
Wie aber in der Großftadt die
Hauptftraßen als Hauptverfehrslinien
das modernfte Leben weifen, während
wir in dem entlegenen Seitengaflen oft
noch altvergangene Zeiten vertreten
finden, fo zeigen auch heute die Be—
wohner der inmeren, vom Verkehr ab—
ſeits gelegenen Alpenthäler zum großen
Theile noch den oben gekennzeichneten
Charakter; in den breiten, zur Ebene
miündenden Thälern, welchen von der
Natur des Hügel- und Flachlandes
manche Seite zu Theil wurde, haben
ſelbſtverſtändlich nie echte Aelpler ge—
wohnt und ſelbſt die großen Haupt—
thäler im inneren Gebirge, durch welche
jetzt die großen Verkehrslinien ziehen,
verlieren unter dem Alles nivellierenden
Einfluſſe unſerer Zeit immer mehr von
der Eigenart ihrer Bewohner.
Da die Volksdichtigkeit zunächſt von
der Ertragsfähigkeit des Bodens ab»
hängt, ſo iſt erſtere in den verſchie—
denen Alpenländern eine ſehr variable.
Die hügeligen Borländer haben die
größte relative Bevölkerung, die eigent-
lihen Hochgebirgsländer die geringfte.
Wohnen im Fchweizeriichen Ganton
Appenzell (Außer: Rhoden) 199, in
Zürich 184, im miederöfterreichiichen
Alpenlande 57 Menfchen auf 1 Qua—
drat:Stilometer, jo ſinkt die Dichte in
Tirol auf 30, in Salzburg auf 23,
in Uri auf 22, in Wallis auf 19, in
Graubünden gar auf 13 Bewohner auf
1 Quadrat: Stilometer herab.
Mie die Zahl der Bewohner, jo
hängt auch die Beschäftigung mit ihrer
Deimat, der vielgeltaltigen Alpenwelt,
zufammen. In den großen Haupt—
thälern haben vielfach verichiedene In—
Hauptftätten des Feld» und Garten-
baues, die Viehzucht wird als Stall-
wirthichaft betrieben. Mit dem Anitiege
der ſchmäleren Thäler fteigen wie die
menschlichen Wohnungen auch die Meder
und Gärten böher hinan und dadurch
erfährt auch die Arbeit des Menschen
gewiſſe Modificationen. Dennoch weiſen
Feld», Wein- und Gartenbau, Gewerbe-
betrieb, Bergbau in den Alpen im Alle
gemeinen fein eigenthümliches Gepräge
auf, wenn auch der adernde Pflug
felbft auf 1300 bis 1900 Meter hohen
Bergeshalden geführt wird oder der
Bergknappe mitunter in einer Höhe
von 2600 Meter und darüber einfährt.
Was dem nordifchen Flachländer in
den füdlichen Alpen mitunter als fremd
auffällt, das ift zumeiſt micht alpin,
fondern vielmehr eben einer jüdlicheren
Zone eigenthümlih. So wird 3. B.
die Rebe in den nördlichen Alpenländern
überall nach rheinifcher Methode Inapp
am Boden gezogen ; überjchreitet man
den Brenner ſüdwärts, jo ſieht man
die Rebe faft durchwegs auf Bögen
(„Bergeln“, „Pontainen“) gezogen,
welche in langen Laubengängen anges
ordnet jind, und am oberitalienischen
Alpenſaume rankt ſchon die Nebe oft
hoch Hinanf an den Bäumen, Es gibt
aber Beihäftigungen der Alpenbe—
wohner, welche für diefes großartige
Gebirgsſyſtem charakteriftiich find und
diefe werden in den inneren Alpen
gebieten, in den Thälern und auf den
Bergabhängen, in Schluchten und auf
den Gipfeln betrieben.
Der Holzjchläger fällt die an fteilen
VBerghalden, oft über jähen Felsab—
hängen flehenden Bäume und ſchafft
fie dann zu Thale, in feiner gefähr-
lihen und mühſeligen Arbeit vom
Flößer abgelöst, der die langen Stämme
von den Bergwäſſern abwärts ſchwem—
men läßt. Felsgetrümmer halten oft
das Holz auf, und dann ſucht der
Flößer dasjelbe mit Haken an langen
Stangen wieder flott zu machen und
duſtriezweige im Fabriksbetriebe ihren | oft ſchwebt er am langen Seile in die
Sitz anfgeichlagen; bier find auch die! Tiefe einer vom Wildbach durchtosten
Felſenſchlucht, um die auf ihrem Wege)! Holzfnechte, namentlich was die Körper—
gehenmmien Stämme zu erreichen. |anfirengung betrifft, eine höchſt be=
Ueberall im Gebirge begegnen dem | fchwerliche und nicht ohne Gefahr.
Alpenwanderer Gedenktafeln und Der Wildhener erntet im Auguft
Kreuze, welche die Stellen bezeichnen, | und September das Gras auf jenen
wo Holzjchläger oder Flößer bei ihrer ſchwer mahbaren Halden im Hoch—
Arbeit verunglüdend den Tod gefunden. | gebirge, meiſt über der Waldregion
Kann Fein Waſſer zur Beförderung | gelegen, die ihrer teilen Böſchung
des Holzes benüßt werden, jo bedient | halber weder mit Schafen noch mit
man ſich mitunter der fogenannten | Ziegen, viel weniger mit ſchwerem
„Holzrieſen“, großer, oft von außer: | Großvieh betrieben werden fönnen.
ordentlihen Höhen Herabfteigender | Die zu folchen Graspläßen führenden
Rıtichbahnen für die Balten und MWege ziehen zumeift an fteilen Ab—
Baumſtämme. Sie find in Ober- und | hängen bin; rechts wächst die Wand
Niederöfterreih, Steiermark und Bayern | jäh, glatt, ſenkrecht in die Lüfte empor,
häufig. Am großartigiten find die links ſinkt fie ebenfo steil mehrere
Hauptriefen oder die „vollfommen ge« | Hundert Meter in die Tiefe nieder;
jattelten Riefen“. Tauſend Schritte dazwischen liegt der Yelfenweg, ab»
lang und darüber gehen fie im die) ſchüſſig, ſchlüpfrig, bröcklig, oft nur
Tiefe. Oben am Anfange derſelben wenige Spannen breit. Das find die
befindet fich die fogenannte Aufiehr“, | Pfade des MWildheners, aber auch des
eine Art von Zenne oder Baſſin, wo | Alpenjägers. Der Birſchgang auf
das Holz aufgeltapelt wird, um dann | Alpentdiere ift mit der Weidmannskunft,
von hier aus in den Canal binein= wie fie im Hügel- und Flachland ges
geſtoßen zu werden. Die Niefe jelbit | übt wird, nicht zu vergleichen. Iſt das
ift aus langen, glatten Baumftänmen | gejagte Wild ein edleres, wie die flüch—
zufammengefeßt, die dev Länge nach | tige, weit witternde Gemfe, oder ein
neben einander befeftigt find. Die, ‚ gefährliches, wie Bär, Wolf, Adler
welche die eigentliche Unterlage zum md Geier, fo droht auch dem Alpen—
Rutſchen bilden, heißen die „Dach- | jäger Schon aus feinem Jagdrevier, der
baume“, die zur Seite liegenden, welche | zadigen Gebirgswildnis, Gefahr und
das Ausweihen des abrutichenden | Verderben. Hier jeßt er fein Leben
Holzes vermeiden, die „Wehren“, | gegen das des gejagten Thieres ein;
„Sattel“, und dann noch bei — aber er wird mit der Gefahr vertraut
ganz vollfommen gefattelten Rieſe die und gewinnt immer mehr an Uner—
„Ueberfattel“. In der feuchten Jahres- | Ichrodenheit, Sicherheit, Gewandtdeit
zeit wird das Holz „ausgetehrt“, d. h. und Stärke. So erklärt fih, daß auch
binabgelaffen. Es rutſcht, ſpringt und Alpenjäger ein hohes Alter erreichen,
büpft mit großem Gepolter die Berge | ohne zu verunglüden. Bon dem be=
binumter. Auf der Seite, an den rühmten Gemfenjäger Colany zu Ponte
Eden, wo die Niefe „auswirft“, d. h. reſina im Oberengadin, der 1837
two das Holz leicht ausjpringt, werden, | ftarb, ‚wird berichtet, daß er im feinen
um dies zu verhindern, ſogenannte | Leben nicht weniger als 3000 Gemfen
„Mäntel* errichtet aus ftarten Bauınz erlegt habe.
ſtämmen, welche man daneben in die, Alpenwirthichaft bleibt jedoch die
Erde Schlägt. Im Herbite, wenn die) Hauptbeſchäftigung des eigentlichen
Wege beveift find, kehrt ſich's am beiten. | Aelplers. Bon den hochgelegenen Alpen
Da „ſpießt“ das Holz tüchtig, d. h. | wielen unterhalb der Schneegrenze, die
wie die Wurfſpieße in einer Feldfchlacht zwar feinen Anbau dulden, aber die
kommen die Bauınflänme herunter ges | beiten, würzigſten Futterkräuter liefern,
flogen. Auch hier ift die Arbeit der war bereits die Rede, Wie groß wäre
18*
276
die Mühe, das Gras für die zahlreichen Ter, in der rende fie hörend, von
Herden, welche den Hauptbefitftand des | Heimweh ergriffen wird. Die eigent—
Gebirgsbewohners bilden, zu mähen lichen Sennerläuder, wo die Alpen
und in die Thäler zu Schaffen! Des- wirthſchaft den beften Betrieb findet,
halb wird das Vieh zur Sommerszeit find die Schweiz, Tirol und Salzburg.
auf die Weidepläße des Hochgebirges, In der Schweiz zählt man 4559, in
die fogenannten Alpen oder Almen, | Deutich- Tirol 2482 Almen; in den
getrieben, und weidet in frifcher Bergs | öftlichen Gebieten ift ihre Zahl ftart
luft das kurze, dichte Gras ab. Wäh- in Abnahme begriffen.
rend das Vieh, Kühe und Ziegen, die In vielen Alpenthälern werden die
ganze Almzeit über im Freien bleibt, Kühe nur zum Hausbedarf gehalten
findet der Senne oder Hirt in der und Ochſen als Maſtvieh gezogen, die
Sennhütte, die nur aus übereinander dann ſtatt der Kühe auf die Almen
gelegten Balken beſteht und deren Dach getrieben werden. Ein anderes, dem
mit großen Steinen gegen die Gewalt Aelpler ſehr wichtiges Thier iſt das
des Windes befchwert ift, nothdürftige Schaf, welches auf den Alpen noch
Wohnung. Hier verarbeitet er aber | feine Nahrung findet, wo fich Feine
auch die Milch zu trefflichem Käfe oder | Kuh hinwagt. Es liefert dem Gebirgs-
ſchmackhafter Butter. Lebtere gewinnt |bewohner Wolle für feinen „Loden“,
man namentlich in den öftlichen Alpen= | gefchäßtes Leder, jeine Milch verarbeitet
ändern, in Oefterreih und Steiermarf, | er zu vortrefflichem Käſe und das durch
wo auch vorwiegend das weibliche Ge- Alpenfräuter gewürzte Schaffleiich ift
Schlecht mit der Sennerei befchäftigt ift | namentlich in den füdlicheren Gegenden
(die Sennhütten heißen Hier „Schwai= | eine allgemeine Lieblingsfpeife der
gen“, die Sennerinnen „Schwaiz |Aelpler. Im Winter wandern große
gerinnen“); Käferei wird befonders | Schafherden aus Tirol in die abge—
eifrig in der Schweiz betrieben (na- bauten Yluren Italiens, um dajelbft
mentlich im Öreperzerlande, im Saanenz, | Weide zu finden, wie dagegen den
Emmen:, Maderaner und Urfernthal | Somuner über die Bergamasker Schafe
und im Tavetſchj. Die Sennen find | aus den Thälern von Brescia und den
größtentheils arme Leute, ihre Nah: | Ebenen des füdlichen Teffins nach den
rung Milch oder Rahm, Käsmilch und | Engadiner Alpen getrieben werden.
nagerer Käſe, dazu grobes Brot, das Die Aelpler gehen gleich anderen
häufig genug fehlt. Selten beforgen | Gebirgsbewohnern auch auferhalb ihrer
jie eigene Herden, und noch jeltener | Hei Theil
auf eigener Alm; gewöhnlich ſtehen fie | ift die Armut der hochgelegenen Thäler,
im Dienfte der Alınz und Herdenbefiger, |zum Theil die lange Winterzzeit, in
oder ind Pächter. der die landwirthichaftliche Arbeit feiert,
Die Auffahrt auf die Alın, der der Beweggrumd, fich in der Fremde
Auszug einer Derde im Beginn des nach Brot umzufehen. Namentlich die
Sommers, ift ein Feſttag für den | Daboparben, Schweizer und Tiroler
Hirten und die Herde. Die Kühe find | durchziehen jo weite Länder, die meiften
mit Blumen und Bändern gepußt und als Daufierer. Belannt find die mit
mit Sloden behängt, und jubelnd und |ihren Murmelthieren wandernden Sa—
juchzend geleitet fie der Sem. Auf voyardenknaben, die Tiroler Sänger,
der Bergeshöh aber, da übt er erſt welche ihre einträglichen Kunftreifen in
recht feinen Gejang, die einfache, doch |neuefter Zeit bis jenfeits des Dceans
lieblich klingende Melodie des Kuh— | ausdehnen, während Heine Jungen aus
reigens, oder bläst fie auf dem Alpe | Südtirol den Winter über als „Spazza⸗
horn. Die Seele des Bergbewohners camini“ (Kaminfeger) in Italien ein
hängt an diefen Tönen fo fehr, daß | arınfeliges Brot verdienen. Die Tefliner
277
(„fratelli Tieinesi*) jind als Straßen:
und Bahnarbeiter oder Maurer in der
flachen Schweiz geichäßt. Aber gienge
es ihnen in der Fremde auch noch jo
gut, faſt alle fehren fie wieder in ihre
rauhen Thäler zurüd, wohin fie ein
unfliflbares Heimweh zieht. Der Grau:
bündner, der Tiroler aus dem Paſſeier,
dem Zillerthale bringen oft lange Jahre
in der Fremde zu, gewinnen Vermögen,
lernen all die Bequemlichkeiten eines
verfeinerten Lebens kennen und fehren
doch ſchließlich wieder Häufig in ihr,
entlegenes ſtilles Heimatthal zurüd,
in ihre raubere, aber jo majeftätijche
Gebirgswelt, welche fie auch in der
Ferne wie mit Zaubergewalt feitgebannt
erhielt. Daher kommt es,
Gontingent ftellen.
In früheren Jahrhunderten ver—
dangen ih die Schweizer viel als
Leibgarden an die Höfe don Wien,
Verfailles, an den Bapit zu Rom
u. ſ. w. Daß die Negenten früherer
Zeit ihre perſönliche Sicherheit dem
Schutze der „Schweizer Garden” an—
vertrauten, erklärt ih aus dem Rufe
großer Tapferkeit, den die Schweizer
mit Recht genolien. Wie bewunderungs—
würdig find die Kämpfe, mit denen
die Schweizer und Tiroler wiederholt
ihr Waterland vertheidigten. Dieſe
Tapferkeit des Aelplers wird nicht bloß
durch jeine Heimatsliebe erzeugt, fie
ift auch eine Folge feines fteten Kampfes
mit den überlegenen Naturgewalten,
die ihn fortwährend in banger Unge—
wißheit bezüglich jeines Beſitzes er—
halten. In dieſem Kampfe bietet ihm
ein ſtarkes Gottvertrauen, ein echt reli—
giöſer Sinn feſten Rückhalt. Seine
Frömmigkeit wird freilich häufig auf
falſche Bahnen gelenkt und Aberglaube
aller Art hat noch immer in den Alpen:
thälern feinen Siß, und ſelbſt traurige
Erfahrungen öffnen den Nelplern nicht
die Augen, wie 3. B. der noch heute
beitehende Gebrauch des jogenannten
„Wetterläutens* in Tirol beweist.
daß die
Alpenbewohner zu der großen Zahl
europamüder Auswanderer ein fo Heines |
Mit dieſem Aberglauben, der Tich ja
auch aus dem Feſthalten am Alther-
gebrachten erklärt, hängt auch dus
Fortleben zahlreicher alter heidniſcher
und hriftliher Gebräuche, Sagen und
Mythen zuſammen. Ans beidnifcher
Zeit haben ih die Sonnwendfeuer
und die Sonnenfeſte des Frühlings
erhalten, aus erſter chriftlicher Zeit
ftammen die Weihnachts-, Dirten= und
‚Hl. Drei König-Lieder und feit dem
‚Mittelalter ift das Abfingen derfelben
von ſogenannten „Sternlängern“ oder
„Sterntreibern” in den ölterreichifchen
Alpenländern in Uebung. Ungemein
reich an altheidnischen Mythen iſt Tirol,
wo Hulda als Königin der „feligen
Fräulein“, die Niefen, die „Holden“
und „Unholden“, „Perchtl-Berchta“
mit Perchtentag und Perchtlipiel, die
„Faien“, Gnomen, Kobolde, Wichteln,
Nörggeln und ismandeln in der
Bhantafie des Volkes noch ihr Weſen
‚treiben. Hier fei auch der alten Oſter—
| jpiele gedacht, die als funftmäßig ver—
feinerte „Paſſionsſpiele“ fich in Ober-
| ammergan in Bayern und zu Brirlegg
in Tirol bis heute erhalten haben.
| Wie der Charakter des Aelplers
etwas Originelles hat, jo auch fein
Anzug und feine Tracht. Obenan fteht
der mit Federn und Gemsbart geſchmückte
Hut von Sehr verichiedener Form und
Farbe, im einigen Landestheilen bunt
durcheinander, im anderen thalweife
gleichmäßig geformt. Ihn tragen beide
Geſchlechter. Ein lodener Rod, grau—
braum, it die allgemeinfte Uniform
des Melplers, welche er Tich ſelbſt bes
‚reitet. Dazu kommt in der Schweiz
ein langes Beinkleid, während in den
Dftalpen eine kurze Lederhose, Strümpfe,
welche das Knie unbedeckt laſſen, und
derbe Schuhe den äußeren Anzug voll—
enden. Ein lederner Gürtel umschließt
‚den Leib, der gewöhnlich grüne Hoſen—
‚träger bededt einen Theil der Bruft.
Namentlich in manchen Thälern Tirols
‚ift die Tracht der Männer malerifch
zu nennen, phantaftifh mahezu das
Coſtüm der fogenannten „Saltner“,
|
278
Meran und Bozen. Die weibliche Oft geöffneten Thälern keineswegs,
Kleidung iſt im manchen Gegenden | wie fein häufiges Borlommmen im Inn-,
weniger Schön, oft ſelbſt völlig ent= | Salzach--Traun-, Enns, Murthal,
ftellend, wozu hauptfächlich das Hinten Jin den Thälern Kärntens zeigt.
furze Mieder viel beiträgt. Doch gibt Wie der Melpler in feiner eigen
e3 auch genug Gegenden, in denen auch thümlichen Tracht einhergeht, To zeigt
das weibliche Gefchleht in vortheil= auch fein Wohnhaus etwas Originelles.
hafler Tracht ſich zeigt. Der Grundtypus ift unter dem Namen
Seine eigenthümliche Tracht kleidet des Schweizerhaufes allgemein bekannt.
den Melpler um jo beſſer, als er zu- Dieſer drüdt fih vor Allem in der
meift nicht bloß von ſtarkem, fondern | herrichenden quadratifchen Form aus,
auch Häufig von ſchönem Körperbau tft. welche verbunden mit dem Aufgang
Allerdings verliert das Weib faft über- auf fFreitreppen eine große Mannig—
all in den Alpen ſehr früh den Schönen | faltigkeit der inneren Eintheilung ge—
Schmuck der Natur, da es von Kindes |ftattet. Dazu tritt das flahe Dad
heit an die anftrengendften Arbeiten | mit breiten Ueberhängen, deſſen Yatten
zu verrichten hat. In armen und dicht | oder Schindeln mit Steinen beichwert
bevölterten Gegenden ift die äußere) find, und mit darunter fortlaufenden
Eriheinung der Alpenbewohner wegen | Gallerien oder Altanen, die fich, wenn
ungenügender Nahrung eine wicht ſehr auch verkürzt, in einem oberen Stod=
günftige, wie 3. B. im Wallis oder | werk wiederholen. Das Haus ift ent—
in einzelnen Theilen Steiermarls umd |weder ganz aus Holz gezimmert oder
Niederöfterreihs. In den Ichatligen | der Unterbau ift gemauert. Man Ipricht
und feuchten Engthälern zeigen ſich von einem allemannischen, burgun—
zahireiche Krankheitsanlagen und viele diſchen, rhätiſchen, Tiroler, Steirer,
Krüppel, namentlich zwergenhafte, taub= | VBocarlberger Haufe, doch find Die
ſtumme Mißgeſtalten mit blöder Miene | Unterfcheidungen unficher. Wo an die
und ftieren Augen, ungeheuren Köpfen | Stelle des Holzbaues der Steinbau
und krummen Beinen, welche im den tritt, entitehen ſchwere mehrjtödige,
Alpen Feren, Eretinen, Trotteln, Tor- cubiſche Häufer mit flachen Dach, die
fen oder Doften genannt werden. |von den aus dem Süden in die Alpen
Neuere Unterfuchungen scheinen als | hereintretenden italifchen Stadthäufern
unzweifelhaft darzuthun, dab der Cre- ſchwer zu unterfcheiden find. Im
tinismus der Urgebirgsformation folge | niedrigeren Theile Oberöfterreihs und
und dem Diluvium der Flüſſe, deren | dem Wiener Walde herrſcht das frän—
Quellengebiet im Urgeftein liegt, daß kiſche Haus.
er ferner auf Kalkboden ſehr ſelten ift Auch die Anfiedlungsformen in den
und dab die größten Herde fich in den | Alpen erfordern eine kurze Betrachtung.
Thälern finden. Er ift in Hohen Abgeſehen von einzelnen Städten, fin—
Grade erblihd und in den ifolierten |den wird im Nipengebiete drei Arten
Gebirgsthälern wird die Vererbung von Mohnpläßen: Dörfer, Meiler
ficherlich durch die häufigen Familienz |und Einzelhöfe. Das reine Hofe
heiraten begünftigt. Der Eretinismus ſyſtem ericheint faſt ausschließlich auf
it zunächft im den Thälern des füde den Höhen. In der Schweiz, im
lihen und wejtlichen Alpenabhanges | Algäu, in Tirol, Kärnten, Steiermarf
anzutreffen, wo die HDauptherde der | finden wir viel reichlicher die Ein—
Krankheit um Mont Genis und Mont- |zelhöfe auf der Schattenfeite, Die
blanc lagern. In der Schweiz bilden | Dörfer auf der Sonnenfeite der Thä—
die vom St. Gotthard auslaufenden |ler. Bemerkenswert ift die Häufigkeit
Thäler die Hauptherde. Der Cretinis- der Höfe in deutfchen Gebieten, gegen—
der Meinhüter in der Gegend fehlt aber den nach Nord und
)
über den romanischen und flovenijchen | Gefang, dazu im den öftlichen Alpen—
Diftricten. ändern die Zither, begleitet von dem
Zum Schluffe müfjen wir noch der | Takte der Füße, dem Tanze. Diefe
Kunftfertigkeit und Kunftbegabung der | jauchzende Freude der Alpen Hat ſich
Aelpler gedenfen. Die vielen Gefahren, | verfeinert zum Ländler und diefer ift
welche ihnen fortwährend drohen, der der allbefannte Walzer, der eigentliche,
Kampf, in dem fie mit der Natur.
leben, um ihr Alles abzutrogen, was
möglich ift, macht fie nothwendigerweiſe
erfinderifch. Dies äußert ſich zunächſt
dort, wo es auf Mechanik ankommt.
So wie der Melpler dur die Natur
gezwungen wird, fie zu beobachten und
den größtmöglichen Nußen von ihr zu
ziehen in feinen Gewerben, jo führt
ihn diefe Beobachtung auch ebenfo leicht
zu Miffenshaft und Kunſt. Viele
Söhne der Nipen, oft den dürftigften
Verhältniſſen entftanmend, find ges
ſchätzte und ſelbſt berühmte Bildhauer
geworden.
den Alpen.
aber ausgeartete Alpentanz. Mit der
Liebe zur Muſik verkündet der Aelpler
oft auch poetiſchen Sinn und die Volks—
dihtung Hat an Liedern und Vier—
zeiligen (Gftanzeln, Schnaderhüpfeln)
einen reihen Schaß aufzuweifen. Da:
neben geht auch eine kunſtmäßige Alpen
dihtung, an deren Schwelle der Berner
Albreht von Haller (F 1777) mit
feinem berühmten Lehrgedicte „Die
Alpen“ ſteht. Heute, da die Alpen
immer mehr der Anziehungspunkt für
den des verfeinerten jtädtiichen Lebens
müden Flachländer werden, ſchöpfen
auch immer mehr Dichter ihren Stoff
Groß ift die Liebe zur Mufit in
aus den Naturbildern des Gebirges
Auf den hohen Schweizer: | und dem Leben feiner Bewohner und
bergen bläst der Hirte das Alphorn, |
bieten uns alpine Lieder, Erzählungen
in der niedrigften Bauernhütte ertönt und Bollsfchaufpiele in reicher Fülle,
Ein Capitel über den Hochmuth.
Nah Eduard Reid.)
> Ba herrſcht der Glaube
an den Beſitz ganz bejonderer Vorzüge. |
Diefer Glaube bewirkt,
Betreffenden der Kamm mädhtig an⸗
ſchwillt und dieſelben dafür halten,
es fei ihre Organifation beffer gelungen
und werthvoller, als jene ihrer
Mitmenfhen. In wie weit fie zu
jolher Annahme berechtigt find, ob jie
ie berechtigt find, darüber |
Zei einer großen Zahl von Yweis |
nachzudenken liegt ihnen ferne; denn
die meiften Individuen, welche ſich ſatt
eſſen ohne maßloſe Sorge um Die
daß den Nahrung fich gemacht zu Haben, glauben
an ihre Volllommenheit und erkennen
ih das direct von der Gottheit ihnen
verliehene Recht zu, auf ihre weniger
glüdlichen Mitmenschen mit Gering—
ſchätzung, ja mit Verachtung herunter
zu Sehen.
Ya, nicht allein von Rechten träumen
" Aus defien Werk: Blide in das Menschenleben. Schaffhauſen bei Fr. Roth:
ermel. 1886,
280
fie, fondern halten jedegeiftige Berührung feiten der unteren Glafjen des Ranges
mit Menschen, welche fie wegen Armut | der Entwidiung an und weist niemals
geringihägen, für Verunreinigung, | auf eine wirklich große Seele Hin.
ſetzen die Armen ſelbſt als Geſindel in Gewöhnlich findet man den Theil
eine Kategorie mit den Verbrechern, der Gelehrten auffallend hochmüthig,
und überſchütten Jeden, der in einem der profeſſionell mit Erforſchung großer
nicht mehr ganzen Rode ihnen naht, Kleinigkeiten und mit höherer oder
mit Schmach und Srobheit. Hochmuths niederer Schulmeiſterei ſich beſchäftigt.
pinſel ſolcher Art find empört, wenn Zu glauben, dieſe Art von Hochmuth
der minder Wohlhabende ſich erdreiſtet, ſa ohne nachtheilige Wirkung auf per—
dieſelbe Luft zu athmen, wie auch fie, ſönliche und geſellſchaftliche Verhält—
das gleiche Waſſer zu trinken, ſich zu niſſe, wäre irrthümlich; denn diejenigen
vergnügen. Sie wünſchen, daß alle Menſchen, gegen welche der Hochmuth
Welt vor ihnen auf dem Bauche krieche, | offenbart wird, werden durch den widers
demüthig ihre Gnade auflehe und für, wärtigen Einfluß desjelben nicht allzu
fie nicht bloi die Kaftanien aus den! felten in ihrer Laufbahn geftört, und
Feuer hole, fondern pflichtſchuldigſt auch verlaſſen oft genug ihr eigentliches
ſich braten laſſe. Dies find die Hoch | Fahrwaffer, um auf fremde Gebiete
müthigen in der Welt der Maffe, dort, getrieben zu werden, in deren Boden fie
wo bloß Neichthum gilt und Macht. niemals recht Wurzeln faffen können.
Aber auch auf dem Gebiete des Leute, die wenig mit der eigents
Geiſtes fehen wir Hochmuth, bei den lichen Welt in Berührung kommen und
Denkern, Forſchern, Dichtern, Künft | einerfeits viel ftudieren, andererfeits
lern. Und diefer Hochmuth ift ebenfo | allerhand großen umd Heinen Ejeln
lächerlich in feiner Erfcheinung, ebenfo ununterbrochen als MWeisheitäfrämer
gefährlich im feinen Wirkungen auf die, imponieren; Leute, die viel mit der
Perſon und die Gefellihaft, wie der, Welt in Berührung foınmen und die
Hochmuth derer vom Mammon und von | gewöhnt find, daß der geſammte Pöbel
der Gewalt, wenn auch die ſocialen zu ihnen emporblickt und vor ihnen
Wirkungen nicht ſo weit gehen und im Staube kriecht — alle dieſe werden
nicht jo tief greifen. ohne Zuthun bohmüthig; weil fie von
Ein folder Tropf von Geiſtes- fich ſelbſt eine zu hohe und don dei
Hochmüthigem ift eigentlich noch ver: | Andern eine zu geringe Meinung an—
ächtlicher, als der Philifter und Gewalt: ; nehmen. Und was den Hochmuth
mensch mit angeichwollenem Kamm; dieſer Menschen vermehrt, ift die elende
denn don ihm fordert man, und mit Erniederigung der Stellenjäger, Heuch—
volljter Berechtigung, ein höheres Mai | ler und Schmeichler, die etwas er—
von Vernunfſt und Herzensbildung, | reichen wollen.
während man Philifter und Gewalt» Gottfried Auguft Bürger verichreibt
menschen mit Unvernunft in nahe Be— ‚folgendes Necept gegen den Hochmuth:
ziehung bringt.
|
Mangelhafte Gemüths- und eins | „Biel Klagen hör ih oft erheben
* th, den d übt;
ſeitige Geiſtesentwicklung auf Grund | sn ea a
lage unharmonischer Leiblichkeit find. Wenn unj're Kriecherei ſich gibt.“
die Quellen, aus denen Hochmuth übers .
haupt, bei denen don der Profeflion Es gibt auch eine Art von Hoch—
der Wiſſenſchaft und Kunſt insbefondere, | muth, welcher religiöfe Fanatiker und
entipringt. Kerngeſunde, barmonifche, ſolche Pfaffen kennzeichnet, die über—
geiftig und gemüthlich voll entwidelte | müthig, unvolllommen ausgebildet und
Naturen haben nichts von Hochmuth. | einflupreih find, oder den Schafen
Diefer legtere gehört den Perſönlich- zweihändiger Art imponieren, zu deren
Hütern fie von irgend einem Menfchen ;
oder irgend einem Collegium von Mens
Shen ernannt und bejtellt wurden.
Die erfte diejer beiden Gattungen des
Hochmuths ift der religiöfe, die zweite
der hierarchiſche Hochmuth. In beiden
Fällen iſt der von der Leidenſchaäft
Ergriffene ein Sclave; nur beſteht der
Unterſchied, daß der religiöſe Hochmuth
ſeinen Juhaber zum Geiſteskranken
ſtempelt, der hierarchiſche jedoch ſeinen
Inhaber zum Schafstopf. Den Geiſtes—
franfen bedanert, den Dummkopf bes
mitleidet der Einlichtsvolle.
„Der religiöfe Hochmuth,“ bemerkt
KW. Ydeler, „hat mit jedem andern
Ehrgeiz, welcher die Vorzüge des
Willens, des Ranges, der Geburt
u. ſ. w. geltend macht, den charakte—
riſtiſchen Zug gemein, daß er alle Kraft
des Geiſtes und Gemüthes an den
ausſchließlichen Zweck ſetzt, das Be—
wußtſein des perſönlichen Wertes höher
zu Stellen, als jedes noch jo ausge—
zeichnete Werdienft, alfo in der über—
triebenſten Selbitihägung ſich für den
Inbegriff alles Bortrefflichen, gleichſam
für das vollkommenſte Urbild des
Menichengeichlechts zu Halten. Unſtreitig
der Superlativ der Selbittäufhung,
weiche, auf das religiöjfe Bewußtſein
übertragen, geradezu dahin führen muß,
dal; der Bethörte ſich mit der Gottheit
indentificiert, deren Weisheit und
Heiligkeit überlommen zu haben wähnt,
und in deren Namen unter den Mens
schen aufzutreten begehrt. Wenn er
diefen maßloſen Dünkel micht mit
dürren Worten auszufprechen wagt,
da er des unbedingten Widerſpruches
von allen Seiten gewärtig fein muß,
vielmehr ſeine Anmaßungen aus Klug—
281
heit oft Hinter einer affectierten Demuth
zu verſtecken jucht, To ſchwelgt er doch
in Seinen berauschenden Selbitgefühl,
um Sich für alle erduldeten Kränkungen
überflüflig ſchadlos zu halten.”
Der weltlihde Hochmuth begnügt
ih damit, den Nebenmenfchen aflen
Anspruch auf äußere Ehre ftreitig zu
machen; der geiftliche dagegen ſpricht
ihnen allen fittlichen Wert ab, um diefen
fich allein beizulegen, wobei denn feine
gehäffigen Inſinuationen, Anſchwär—
zungen und Verleumdungen geſpart
werden.
Wenn es Schon ungemein ſchwierig
it, Hochmüthige gemeiner Art von
ihrem moralilchen Uebel zu befreien,
jo wird dies bei religiös Hochmüthigen
faft unmöglich; denn, während jene
nur moraliih Kranke find, gehören
diefe bereits zu den Fittlich Entarteten.
Leichter wird es fein, religiöſem Hoch—
mut vorzubanen. Hierzu bieten ſich
uns die Hilfsmittel dev Geſundheits—
und Erziehungspflege auf der Grunde
lage des ftaatlichen und gefellichaftlichen
Syſtems der Allgemeinverbindlichkeit
und Nüchitenliebe.
Es wurde bereits hervorgehoben,
das Hochmuth ausgeprägteren, aber
einfeitig entwidelten Individualitäten
eigenthümlich zukomme. Die Phyſiog—
nomie ſolcher Leute hat etwas Beſon—
deres; Hochmuth zeigt niemals die
Merkinale edlen Stolzes. Diejer letztere
ift etwas Erhabenes und bat nichts
mit Hochmuth gemein. Edler Stolz iſt
etwas Natürliches, das mit Nächſten—
liebe und Hochachtung feiner Mit—
menschen vorzüglich ſich vereinigt, und
die volllommen entwidelte Perſönlichkeit
kennzeichnet.
Fine Beropredigt.
® ift nur die Heine Beſprechuug
und Würdigung einer ſolchen. In der
ausgezeichneten, im unſerem Schrift:
thume vielleicht Epoche machenden Fluges
Schriftenreihe: „Gegen den Strom“,
(Wien, Carl Graefer) ift eben eine
Broſchüre erichienen:
ſchaften.“ Diefe Schrift jagt Dinge,
die Niemand gerne hört — nämlich
die Wahrheit. Sie ift voll herben
Eruftes, und doch wieder durchhaucht
von wahrer Liebe zur Gejellichaft.
Strenge wird der wirtichaftliche Leichte |
ſinn, bejonders der Wiener gegeihelt, |
ehrlich wird ihnen das furchtbare Ziel |
gezeigt, dem fie zueilen. Man glaubt,
eine folhe Schrift müßte wirken, der
Leer müßte auf feine Bruft ſchlagen,
anjtatt immer zu denken: das geht die
Anderen an, und er müßte ſich und
jeinen Haushalt wenigitens feiner Fa—
Jemach, gemach, es iſt keine. Es Er beſitzt nicht die Selbſtüberwindung,
ſich den veränderten Zeitumſtänden an—
zupaſſen. Er beruft ſich auf ſeinen
Vater, der mäßig gearbeitet habe und
ohne Plage reich geworden fei, und
kann nicht begreifen, warum ihm ſelbſt
das gleiche Maß an Arbeit nicht das
„Wie wir wirt: |gleihe Maß an Ertrag liefern folle.
Man lebe doch nicht bloß, um ſich au
ſchinden und zu rackern. Er ſcheue ja
‚die Plage nicht, aber zu viel jei un—
geſund, und er dürfe für ſeine Mühe
‚aud einen Lohn begehren. Das Wohle
leben Sei ihm Bedürfnis, das Knanu—
fern aber verbaßt, und wenn es ihm
'verfagt wäre, feinen Handel und
Mandel nah eigenem Gefallen und
gutem Väterbrauch zu treiben, To wolle
er lieber zugrunde gehen, als ſolche
Hundeexiſtenz weiterzufriften. Aber
Gott ſei Dank, ſo weit wäre es noch
nicht gekommen, denn »der Wiener
milie zu Liebe ändern. Der Erfahrung geht nicht unter«. Und dann klagt er
gemäß aber willen wir,
nichts müßen, Bücher nichts helfen, |
dab mohlmeinende Warner verladht |
und verfpottet werden. Die Gefellichaft |
von heute will in den Abgrund ſprin—
Schuld geben und micht fich felber.
Aber fie ſoll willen, wovon ihr Un—
heil herrührt.
Der Defterreicher,, vollends der
Miener, iſt ein liebenswürdiger,
verftodter Sünder. „Er will ſich“
daß Worte die Zeit an, die dvermaledeite Zeit, die
alle Fröhlichleit aus der Weit ver—
treibe, die Guten und Braven nicht
auffommen laſſe und nur die ſchlech—
ten Kerle begünſtige . ..
gen. Dann wird ſie dem Abgrund die,
lie ein Fehler als eine Tugend. Allein
Die Sparfamteit dünkt dem Wiener
die landläufige Borftellung von der
Sparſamkeit bedarf dringend einer Bes
vichtigung. Die Sparfamteit befteht
aber nicht im gierigen Zufammenjcharren
— von Geld
und Gt,
auch nicht im
ſagt die oben genannte, ſehr eruft zu knickerigen Dreimalanfehen jedes Kreu—
nehmende Schrift, die wir hier in zers vor deſſen Berausgabung, am
ihren verſchiedenen Theilen auszugs— j allerwenigften aber darin, daß man
weile zu citieren uns erlauben — „er ſich etwa die Befriedigung wahrer Bes
will ſich Feines Lebens freuen, er win dürfniſſe verſage, um den dafür ent—
»ſein Daſein großartig genießen«, und fallenden Betrag bei Seite zu legen.
harte Arbeit und ſtrenges Sparen Nicht die Kunſt, das Geld im Kaſten
pafjen eben nicht in fein Programım. zu behalten, jondern die Kunſt, feine
283
wirthſchaftlichen Kräfte zweckmäßig zu wunderlichen Leidenſchaft her, die uns
verwenden, ift Sparſamkeit. feit Olim's Zeiten eigen ift, der Lei—
Die Sparfamteit ift die Grunde denſchaft, Geld aufzugeben und un—
lage alles Reichthums und damit alles ‚nöthige Einkäufe zu machen.
Fortſchritts und aller Eultur. Sie it) Fünf Mahlzeiten täglid — das
05, die ans dem Abgrunde der Knecht» bedeutet einen Geldaufwand und Zeit—
Ichaft zur lichten Höhe der Freiheit verluft, den das reichſte Volk der Exde,
emporführt. Sie ift es, die dem Bür- die Engländer, fich nicht geftatten. —
gerthume feine hervorragende Stellung Obendrein huldigen wir noch dem
in der modernen Geſellſchaft erobert ſchlimmen Brauche, den größten Theil
bat. Und wehe der Stadt, und wehe unſerer freien Zeit — und wann fehlte
dem Staate, deſſen Bürger dies ver- es uns an folder! — in Gafte oder
gejlen könnten! ‚ Staffeehäufern zuzubringen.
»Wien geht zurüd.« — Die Ur-⸗ Bei anderen Menſchen hört die
ſachen dieſer Erſcheinung? Es gibt, GemütHlichteit i in Geldſachen auf, beim
deren in der That mehr als genug Wiener beginnt "fie ebenda. Durch
und je mach dem Parteiftandpuntte nichts kann man ihn fo ſehr in Harz
wird der Eine diefe, der Andere jene, niſch bringen, wie durch die Auprei—
zu betonen wiſſen. Aber Eine dieſer ‚Jung jener Berliner Sparfamfeit, die
Urfachen, und wahrhaftig nicht die er als »Schmußereia bezeichnet. Doch
geringfügigfte, wird man nie umd wie? Hat nicht die »Schmußerei«
nirgends nennen hören. Es ilt, als | Friedrich Wilhelm’s I. feinen großen
ob man ſtillſchweigend übereingekom- | Nachfolger in den Stand gefegt, einer
men wäre, diefen wunden Punkt nicht Welt in Waffen zu troßen und ein
zu berühren. Und doch wäre es Sache | Heines umbedeutendes Land zu einer
der ſonſt jo zungenfertigen Wortführer | enropäiichen Großmacht zu erheben?
der Öffentlichen Meinung, fich einmal Es ift unn merhwürdig und zu—
auch über das Capitel des Wiener | gleich überaus charakteriftiich, wie mit
Privathanshattes vernehmen zu laffen. der Unterichägung des Wertes und
Man int, trinkt, wohnt, heizt und der Bedeutung des Geldes bei dem
beleuchtet in Wien theurer als im jeder Wiener eine Ueberfhägung desfelben
andren europäiſchen Großſtadt. Er- Fackors Hand in Hand geht. So
freuen wir uns doch einer Beftenerung, wenig er im Stande ift, zu wirt
die gerade die mothiwendigften Lebens= fchaften und zu fparen, fo fehr im—
bedürfniffe amı bärteften trifft! Das poniert ihm amdererjeits der fertige
hindert uns aber nicht, unfer haus- Beſitz. Er wirft das Geld mit vollen
liches Budget derart einzurichten, als Händen zum Fenſter hinaus, um ſich
ob wir in einem Paradieje der Billige | dann vor Demjenigen, der es aufhebt,
keit lebten. Wir jind gewaltige Fein- ehrfurchtsvoll zu beugen. Er läßt ſich
Ichnreder, wir find im Trinken erprobte prellen, ausbenten und betrügen, dem
ner wir ſchwärmen fir er findet es unter feiner Würde, dem
hübſche, geräumige, nicht allzu hochges Nebenmenſchen gar zu genau auf die
legene Wohnungen. Die Ausſchmückung Finger zu ſehen; vor Demjenigen aber,
unſerer Wohnräume läßt in der Regel, der ihn geprellt, ausgebeutet, betrogen
wenigſtens was Koſtſpieligkeit betrifft, | bat und dadurch reich geworden iſt,
nichts zu wünſchen übrig. — Befon- | fühlt er den tiefſten Reſpect.
ders auffallend iſt die Leberladung) Als „Sdealiften“ bezeichnet man
mit allerlei zweckloſem Tand, die un- | heutzutage ſchlechtweg jeden anftändis
jeren Zimmern mitunter ein faſt Schaus | gen Menfchen. Die VBerderbnis ift fo
budenartiges Gepräges gibt. Das rührt weit gediehen, daß fie — und Dies
wohl zum guten Theile von einer iſt das Schredlichte an der Sade —
284
faum mehr Beachtung findet. Was
gegenwärtig als natürlich und ſelbſt—
verſtändlich hingenommen wird, das
hätten und haben die Sittenjchilderer
anderer Epochen als unerhörten Frevel
gebrandimarft.
Weil wir unfere Lebensweife nicht
nah Maßgabe unferer wirtfchaftlichen
Verhältniffe einzurichten verſtehen,
darum fehen wir uns genöthigt, alles,
was wir unſer Eigen nennen, zu dere
Yedürfnis. — Wir denken nicht mehr
ſchlicht und einfach genug, die Seg—
nungen einer Schönen Häuslichkeit,
ihren hHerzerquidenden Frieden, ihre
veredelnden Genüffe würdigen zu kön—
nen. — Die Erziehung und den Un—
terricht unſerer Kinder vertrauen wir
dem erften beiten aus der Zeitung aufs
gelefenen oder uns durch irgend einen
Belannten empfohlenen Subjece au,
während wir ſelbſt über die Löſung
werten und zu „Fructificieren“, nicht) der orientalifchen Frage mit unſeren
nur unfere materiellen, jondern zuletzt Nachbarn Beratdungen halten oder in
auch unſere geiftigen und fittlichen | Wohltgätigleitsvereinen über die Ver—
Güter. Wir beginnen zu fragen, wie beſſerung des Lofes der Sträflinge uns
viel denn unfer reines Gewillen, unfere | den Kopf zerbrechen. Welche Frau,
Nedlichkeit, unfere Ehre wert fei, und deren Mittel es ihr nur halbwegs ge=
endlich jeßen wir das Alles in Geld | ftatten, eine Bonne oder Erzieherin zu
um und verlaufen unſere Seelen dem | befolden, würde es nicht lächerlich fin—
Böjen. So findet die alte Sage von
Satanas, dem Seelenftäufer, ihr mo=
dernes Gewand.
Der »Männerſtolz vor Königsthro-
nen« iſt zur Sclavendemuth vor Geld
und Titeln geworden. — Wir leben
zu viel nach außen und zu wenig =
innen. Bon der Wiege bit ans Grab, |
bon der Erziehung, die uns ins Leben
einführt, bis zu den Erfahrungen, die
uns daraus vertreiben, wird ums une |
abläjfig die Lehre eingeprägt, daß es
in der Welt nicht auf das ankommt,
was man it, jondern auf das, was
man vorſtellt. Bon einer Schäßung
geiftiger Arbeit um ihrer jelbft, um
ihrer reinen Freuden willen iſt feine
Rede mehr. Alles und Jedes Soll einen |
Ertrag liefern, ſoll Geldeswert haben
und fich verzinjen. Hat doch ein engli⸗
ſcher Nationalölonom herausgebracht,
daß jeder erwachſene Menſch als eine
Maſchine zu betrachten fei, die zwanzig
Jahre emſiger Arbeit und eine beträche |
lihe Summe von Bauansgaben ges
foftet Habe! Iſt das nicht reigend ? Der
Menſch eine Machine — jo weit ilt
unfer Fortſchritt ſchon gediehen !
Wir leben zu viel in der Gejell-
Ihaft umd zu wenig innerhalb unſerer
vier Wände. — Eine Stunde der Ein—
ſamkeit zu erübrigen, fehlt uns jedes ı
den, ſich mit ihren Kleinen auf öffent»
lihen Spaziergängen zu zeigen!
Iſt der Wiener leichtlebig, Jo if
e3 die Mienerin nicht minder; veriteht
er es nicht ſeine Einnahmen zu ver—
mehren, ſo verſteht ſie es deſto beſſer,
die Ausgaben zu erhöhen; fehlt es ihm
an Ernſt und Pflichtgefühl,
bei ihr dieſer Mangel dreidoppelt ſo
art hervor. Nicht etwa, daß es in
Wien feinen muftergiltigen Bürger,
‚feine Sparfame Hausfran mehr gäbe!
Wer jedoh die Sitten eines Volkes,
eines Gemeinweſens, eines Zeitalters
prüft, der muß ein Gefammtbild er—
faffen und darftellen, auf die Gefahr
bin, vielen Einzelheiten micht gerecht
zu werden.
Manche mögen den bier vertretc«
nen Standpunkt Heinlich, Andere mö—
gen ihn reactionär ſchelten. Aber wer
am Rande eines Abgrumdes fteht, thut
befjer, drei Schritte rückwärtks, als einen
halben vorwärts zu gehen. Noch ift
unjer Wien eine jchöne, blühende,
lebensträftige Stadt. Alles Alte finft
in den Staub, neue Häufer, neue
Paläſte, neue Raths- und Parlaments—
gebäude, neue Tempel der Kunſt wach—
ſen empor. Und nur ein neuer Geiſt
ſollte nicht erſtehen können? — Das
Geld, wir werden es achten und zu—
jo tritt.
285
gleich verachten lernen müſſen: achten aber als den Verſucher, der und auf
als die fichtbare Verförperung unſeres Abwege lodt, als den Götzen, der
Mohlftandes, al3 den Sparpfennig nuſere Anbetung heifcht, al3 den Ty—
unferes jpäten Alters, als das Mittel, rannen, der auf unfere Unterjochung
unſere Pflichten gegen Staat, Gemeinde ſinnt. Kein Gut wird uns Höher gel»
und Familie zu erfüllen; verachten | ten als das Gute.”
Zuflucht bei den Rünftlern.
Eine Erinnerung an Münden von P. R. Rofegger.
58 a, lieber Freund, da iſt Einem Glüd— reich zu ſein, aber es gilt auch
ee ganz eigen zu Muth, wenn für eine Ehre, brav zu fein; ein Ehr—
man jo einmal über die Grenzen hin- geiz, der bei ums abhanden kommen
auskommt in's Baiernland. Die gelehr= | will. Dort übervortheilt der Dienit-
ten Gefchichte- Erzähler jagen, unfere | mann den Lohngeber nicht auf der
fteirifchen Vorfahren — die Ur-Ur- Gaſſe, der Kutſcher beſchwindelt feinen
Urgroßvaterslente wären aus dem Fahrgaft nicht, denn er reipectiert die
Baiernlande eingewandert; es mag was Vorſchrift; er bettelt ihn nach Erhalt
dran fein, mir ift, außer im meiner | der Löhnung nicht an um ein Trinf-
feirifhen Heimat, auf der ganzen | geld, denn er hat Ehre im Leib. Der
Melt nirgends jo heimatlich traut, als | Wirth weiß die Güte jeines Hotels anders
in den oberbairiichen Bergen. zu beweifen, als durch horrende Preife.
Dazu kommen noch andere Sachen. | Der Eifenbahnconductenr pfropft die
In unferem geliebten Defterreih find Neifenden micht in wenige Coupées
die Leute aus Rand und Band ges |zujammen, um mit den übrigen ein
fommen; der nationale Hader, den) Miethgefchäftzu machen. Die Zeitungen
Gott verdamme! Die wilde Gier nah | — ad, laffeın wir das. Man muß
Geld und Wohlleben, die der Teufel | fich ſchämen, überall den Unterjchied
hole! Der Großen Gewillenlofigkeit, | jo ſehr zu unferem Nachtheile zu
der Seinen Nichtachtung des Gejeges | fehen.
— die Gott verdamme und der Teufel Die Münchner werden ob ihrer
bole! fie bedrohen unfer Waterland. | Vorliebe für Bier und „Radi“ ver—
Der Himmel ſchütze es! Der Wunsch | fpottet. Viel trinfen fie, aber wenig
iſt ohnmächtig; wirkfamer, um dem vertrinken fie und ich könnte meine
Banne, der unſere Herzen Ddrüdt, | Landsleute in Wien und anderswo
zu entlommen, ift eine Fahrt über beglüdwünfchen, wenn fie diefelbe
Grenze. Dort finden wir eine hoch⸗ Genügſamkeit hätten, als die Brüder
entwickelte Freiheit, gepaart mit einer an der Iſar. Wer genügſam iſt und
eiſernen Drdnung. Dort finden wir ein einfaches Leben ‚gewohnt, der läuft
im höherem Grade noch fittlichen Ernft | viel weniger Geiahf ein Spigbub zu
bei den Großen und Weichen und | werden, als der Schwelger und Pracht:
Sewifjenhaftigkeit in Handel und | Liebhaber.
Wandel bei den Steinen. Es gilt) Auch zu München gibt es Pracht:
wohl auch dort, wie überall, als ein | liebe, aber im edlen Stile, es ift Kunſt—
286
liebe. Eigentlih vom Volke ſtammt
die Kunſtliebe nicht, das Volk im. Allz
gemeinen bat mehr Berftändnis für
das Gute, als für das Schöne. Die
Kunſt gedeiht am beften im Fürſten—
glanze, und die bairischen Fürften haben
ftets ihren Stolz darauf geſetzt, das
menschliche Können auf die Pfade des
Schönen und Ydealen zu leiten, und
jo in ihrem Volke eine göttliche Miſſion
zu erfüllen. Daß der lepte dieſer
Könige an ſolchem Beftreben zugrunde
gehen mußte, beweilt, day die moderne
Melt mit dem Schönen officiell ge—
brochen Hat, daß die Staaten nicht
mehr Luft und Mufe haben, für ideale
Dinge Geld anszugeben, ſondern all’
ihre Kräfte auf den immer gewaltiger
entbrennenden Kampf um die Eriftenz |
dereinen müſſen.
Troßdem leben in der bairischen
Königsftadt Hunderte von Künſtlern,
und die meilten derjelben leben jogar
recht gut. Vom deutſchen Volke
werden die wenigſten der Maler ge—
ſtützt, dieſes kauft die Gemälde höch—
ſtens in guten Photographien, ſchlechten
Farbendruckbildern, jämmerlichen Holz—
Kunſt geziemt, und die der Künſtler
für ſein freies Schaffen bedarf.
Es ift ein Genuß, in das Haus
eines Münchner Malers zu treten; ein
jolches ift zumeift an und für Tich
ihon ein Kunſtwerk und die Meifter
haben es nicht verfäumt, ihr Heim
mit jener edlen Pracht, mit jenen
feinen Geſchmack auszuftatten, wie es
ein fünftlerifcher Sinn verlangt. ch
habe in einführender Begleitung mei—
nes edlen Freundes Dr. Spoboda die
Kunftftätten der drei volksthümlichen
Meifter: Eduard v. Grüßner, Mathias
Schmid und Franz dv. Defregger be=
jucht. Jeder diefer drei weltberühmten
und jegt im beiten Mannesalter ſtehen—
den Meifter ift aus Heinen Verhält—
niffen heraufgeftiegen; Schmid und
Defregger waren befanntlicd in ihrer
Jugend Bauern.
Grützner's Wefen und Heim ges
mahnen am meilten an ariftofratische
Verhältniffe, jo wohlthuend einfach der
Meifter feine Bejucher auch zu em—
pfangen pflegt. Ein mittelgroßer
Mann mit runden, wohlgefärbtem Ge—
licht, einem feden Schnurbärtchen und
ſchnitten oder anderen Neproductionen, einer Stirne, die ſich fhon ein wenig
Die Originale gehen an kunſtfreundliche | rüdjicht3los in die Domäne des Haupt-
Fürften, can reiche Liebhaber und | hanres Hineindrängt, hat etwas von
Sammler des Auslandes. Bier iſt jener ſonnigen Gemüthlichkeit, die in
vielleicht wirklich der Kunftfinn Käufer, | feinen berühmten Fallitafffiguren und
dort die Eitelkeit, und dieje iſt heut- in feinen befannten Mönchs- und
zutage der befte Mäcen der Künſte. | Nägergelichtern fih ausdrüdt. Gegen
Möge das noch lange fo bleiben, ich |wärtig arbeitet Grüßner an einen
wünsche es den Meiftern vom Herzen. | nenen Mönchsbilde: „Die Kloſterküche,“
Wohl noch immer genießen die | in welchem aller Humor, der dem
Münchner Künftler die Gunſt des Künstler für ähnliche Stoffe zu Gebote
Fürſtenhauſes, die traditionell geworden | fteht, ſich Stelldichein gibt. Grüner
itt. Werden fie von diejer Seite auch | faht die Prieſter echt gläubig auf, näm—
nicht materiell gefördert, was die großen lich wie ſie Gott einen guten Mann—
Meifter auch gar nicht nöthig haben, | fein laffen, und das ift in hohem Grade
jo erfreuen fie fich doch der höfiſchen
Ehren, jie gehen bei den Prinzen aus
und ein, wie diefe bei ihnen, fie ſpeiſen
an der fürftliher® Tafel, fie erhalten |
Titel und Orden und die mannig—
faltigen Auszeichnungen, die fie don
oben genießen, geben ihnen jene Ach—
tung und Würde nach unten, die der
erfreulih. Der Nachbar Gutsherr hat
einen fetten Haſen geichidt, auf allen
Geſichtern der ſich um den Anköomm—
ling drängenden Mönche iſt zu leſen,
wie gut der Braten ſchmecken wird.
Nur der Bruder Gemüſeputzer ſitzt
abjeit3 bei dem Grünzeng; feinem
Geſichtsausdrucke nah zu ſchließen
Icheint er feine große Hoffnung zu Prieſterſchaft Tirols gegen die Bilder
haben, daß der gutsherrliche Dafe fein | dieſes Meifters demonftrirt, und ſich
vegetarifches Daſein mwefentlich unter: |alfo in den Verdacht bringt, als fühle
brechen werde. Das beiläufig der Bor- | fie fich getroffen, was doch gewiß nicht
wurf von Grüßner’s neneftem Bilde: der Fall fein wird. Die meiften Bilder
„Die Kloſterküche.“ — Welchen Neiz | von Mathias Schmid dürfen in Inus—
es do hat, ein Kunſtwerk in feinem bruck nicht ausgeftellt werden, und auch
Werden zu fehen! Die eriten Umriffe, \in anderen Städten Tirols thut fie
die Farbenſlizzen, die Lichtitudien, die | der Kunſthäudler nicht in den Auslag-
Stizzirung einzelner Geftalten und kaſten, wenn ihm das Glas desfelben
Poyliognomien, bis zum Bilde, in lieb if. Den „Lederhofen » Maler“
welchem mur mehr wenige Pinfelftriche nennen ihn ſpottend die geweihten
fehlen, deren Mangel dem Laien gar Herren, und den KutteneMaler mei—
nicht auffällt. nen Sie.
Eine Fülle von foldhen Bora] Unter Schmid’s höchſt intereſſan—
und höchſt intereffanten Skizzen ſah | ten Bildern, die uns der Meifter
ich bei Mathias Schmid. Bei unferem |; mit liebenswiürdiger Zuvorkommenheit
Eintritt im das Atelier diefes Meifters |zeigte, waren mir die liebften zwei echt
Icheuchten wir ein Modell auf, einen | menschlich gedachte, tiefinnige Darftels
Burſchen in Anielederhofen, der eben |
damit befchäftigt geweſen war, zu einem
fernigen Ziroler, der auf dem Dreifuß
Tigend mit frohem Behagen feine ſchöne
Maid betrachtet, das Urbild abzugeben.
Schmid ſelbſt ift eine biederbe Tiroler-
geftalt, im deſſen blondem Bart bereits
grane Fäden weben. Sein munter—
blinzelmdes Auge leuchtet in hellem
Feuer, wenn er feine Lieblingswerfe
aufzeigt und dazu erflärend, oder
die Genefis erzählend geiltvolle Be—
merkungen madht. Ihm zur Seite
ungen. Ich meine für's Erfte das erſchüt—
ternde Bild: „Verlaſſen.“ Im Hochge—
birge, aus deffen Hintergrund Gletſcher
ftarren, ein Srenz. An den Stufen des—
jelben bingeftredt, das Antliß an den
Stein gepreßt, eine junge Maid mit
einem Kinde. Man ahnt das dämonifche
Gefchid, welches, wie ein heißer Sturm
‚in der Sommernadt, das Nöslein ent»
‚blättert hat. Und jeßt verlaffen! In
Schand' und Elend verlaifen! Und der
Knab' geht an der Seite einer Andern
ſtramm an ihr vorüber und neuen
fteht eine liebenswürdige Frau und ein | Freuden entgegen. Dieſe Andere ficht
holdes ZTöchterlein, deren Theilmahme | mit lebhaften Befremden das in ftarrer
und Kunftverftändnis den Meifter ſtets Verzweiflung bingeftredte Mädchen.
ermunternd und jördernd begleitet.
Mathias Schmid's Pinjel hat eine
Iharfe Spitze, welche gegen die
Schattenſeite der Geiftlichleit gekehrt
ift. Der vollstrene Priefter findet in
mehreren Bildern Schmid’s einen
warmen, liebevollen Anwalt; aber
Einem, der fi etwa auf Koſten des
Volles gütlich thut und in fanatiſchem
Schwunge den Himmel verfpricht oder
mit der Hölle droht, um don den
Gläubigen manch' ein fettes Stüd
indischer Seligkeit zu erhaſchen, dem
ergcht es jchlecht, er ift furchtbar ge=
zeichnet auf der Leinwand diejes Ti—
toler Banernfohnes. Schade, dal; die
Der Burſche wendet ſich ab, zieht feine
neue Freundin raſch mit ſich fort
und die DBerlaffene bleibt in der
Bergwildnis liegen auf dem falten
Steine. Ahnt es das blühende Weſen
an der Seite des hübſchen Begleiters,
dal es demſelben Schickſal entgegen-
geht? — Das andere Bild — id
möchte e3 das verföhnende Gegenitüd
nennen — iſt voll herzerquidender
Wärme. Eine junge Mutter hebt das
‚liebe, wiedergenefene Kind zu einem
‚Muttergottesbild empor, dem fie die
‚Rettung zufchreibt. Daneben fteht der
junge Vater, Auf den Gefichtern des
Paares ift Dankgefühl gegen die himm—
liſche Netterin umd Liebe zum“ Sinde| cher Beicheidenheit — ich kann es nicht
in unbefchreiblicher Innigleit wieder: | anders jagen — Stand der große Mei—
gegeben. Es ift ein vührendes hoc):
poetifches Bild. Ein Mann, der die
Neligion des Volkes in fo wahrhaft
frommer Weiſe feiert, wie e& Hier ge=
chieht, Hat wohl auch das Recht, die,
confeflionellen Auswüchfe derjelben un
Icharfer Weife zu beleuchten, wie es
Schmid im anderen feiner Bilder er—
tledlih unbefangen thut.
Wir gehen jegt noch zu einem ans
dern „Lederhofen- Maler,“ zu Profefjor |
Franz don Defregger. Am Thore,
feines Hauſes fteht die Tafel mit der
schlichten Aufschrift „Franz Defregger.”
Eo hat er geheißen, als er auf den
Bergen bei Dölſach die Schafe hütete,
fo wird er heißen nach hundert Jahren.
Und auch jeßt wäre er ohne „Pros
feffor” und ohne „von“ der Größte
zu München.
Wir drüden am Glodentnopf, das
Thor geht langſam, wie von Geifter:
band erichloffen, auf. Wir treten in
den Hof, begrüßen eine ſchöne Frau,
die am Geländer der Treppe fteht, bei
drei veizenden Knaben, die Fich im freien
Raum munter berumtummeln; da
tritt aus den gegenüberliegenden Atelier |
auch ſchon der Meifter heraus. Es ift
die edle, liebe Geftalt, noch fait ganz |
wie vor eilf Jahren, als ich ihn das
erttemal gejehen. Nur um ein Weniges
bläffer ſcheint mir fein ernft=freundliches
Antlig, um einen Schatten jchmäler
diinfen mich feine Wangen, aber üppig |
ift noch der dunkle Bart und die Mähne
des Haupthaares, und fein Huges, treu:
herziges Auge lächelte uns entgegen:
Grüß Gott! Sp nahm er mich am
Arm und führte uns in's Mielier.
Als 0b das Mtelier eine Nebenfache
wäre, machte er Miene, uns ohne
Meiteres durch dasſelbe in das alt—
deutsche Nebenftübchen zu führen, in
welchem ich funftvolle Krüge und herr—
liche Römer blinken ſah. Darauf gieng
ich nun nicht ein, ſondern ſagte dreilt,
er möge unftreitig die föftlichften Weine
haben, ich bliebe im Atelier. Mit keu—
fter da und mußte es über fich ergeben
lalfen, wie ich mm feine zwei neneften,
noch unfertigen Bilder auf der Staffelei
kühnlich betrachtete und in Jubel aus»
brach, weil ich eben nicht im Stande
war, meine Empfindung zurüdzie
dämmen. Defregger’s Leben ſelbſt
Ihon ift ein Sunftwert, im der Ju—
gend jo reich an Idylliſchem, jebt jo
groß und bewundert — eine feltfame
und doch fo einfache Entwidlung. Ein
Kunftwert von Gotteshband ift fein
perjönlicher Charakter, ſchlicht und edel
— ein Liebling der Götter und der
Menſchen. Defregger's Bilder regten
mich ftet3 an wie da& lebendige Leben,
fie ftellen das Volksthum ſtets von
feiner beiterften Seite dar. Selbſt
feine biftorfchen Gemälde zeigen immer
nur die Kraft und Größe des Volkes
und wirken auf den Beſchauer bes
freiend und erhebend. Weil Defregger
den Menfchen alfo feiert und adelt,
deshalb ift er der Liebling der Welt
geworden.
Defregger arbeitet gegenwärtig an
zwei.heiteren Genrebildern. Das eine
ftellt dar, wie ein Maler in die Senn—
hütte tritt, um ſich Modelle zu juchen.
Die hübſchen Senninnen, die Iheils
ſchämig, theils fed dreinichanen und
nicht recht willen, wie fie fich aus dieſer
unvorhergeſehenen Affaire ziehen follen,
find zu der komisch aufgefaßten Maler—
geftalt ein überaus wirkſamer Gegen
aß. Die Dirnlein Sperren ſich ſtark,
aber jedem merkt man es an, wie
es bedacht ift, im guter Art auf die
Leinwand zu kommen. — Auf dem
anderen Bilde ſitzt ein Familienvater
— ein bildjauberer Bauer — am
Tiſch und verfucht einmal, wie feinem
jüngiten, etwa zweijährigen Sprößling
das Tabafspfeitlein ftehe. Die Mutter
ſchaut dem Unfug ein wenig ſchmol—
lend zu, und doch ſchmunzelnd, denn
das Pfeiflein fteht dem Kleinen gar
zu poflierlih. Es ift wieder ein Bild
jener fachenden Harmloſigkeit, die uns
289
bei dieſem Meifter jo unfäglich an— Mir war es gegönnt, im Defrege,
autthet. Ganz wunderbar und doch | gers Haufe Zeuge feines Glüdes zu
fo ungefuht — denn die Gruppe ſitzt fein. Ein anmuthsreiches, geijtvolles
einfah am Fenſter — find die Lichte / Weib, vier herzige Knaben, wovon
effecte dieſes Bildes, welches wahr- der jüngfte noch in der Wiege liegt,
icheinlih unter dem Namen: „Das und ringsum Schönheit und Ehren
erſte Pfeiferl“, in guten und ſchlechten überall! — Endlid auf die lärmende
Nahbildungen die Reife um die Welt Gaſſe getreten, war es mir wie ein
machen wird. ı Traum, daß es auf diefer Erde doch
Während nmjeres Plauderftünd» auch noch Menjchen gibt, welchen es
chens berührte die Gemahlin des Malers ; gegönnt ift, im Bereiche des Schönen
die zahllofen unberechtigten Verviel- und des Edlen, angemefjen ihrer Per—
fältigungen und grauenhaften Nach- | fönlichkeit ein wahrhaft harmonifches
bildungen feiner Bilder und daß er Leben zu führen.
fih denn endlich gezwungen geſehen Der Eindruck, den die drei großen
habe, einem norddeutſchen Nachmacher Maler auf mich gemacht haben, zeigt
durch gerichtliche Einſchreitung das ſich mir nun beiläufig ſo: Grützner
Handwerk zu legen. — Zu meiner iſt nebſt Maler ein ſich deſſen bewußter
rende beſtätigte Defregger, daß dem- Humoriſt; Schmid iſt nebſt Maler
nächſt im Grazer Kunſtverein ſein manchmal ein ſich deſſen bewußter Revo—
Bild „Zur Geſundheit“ zur Ausſtel- lutionär; Defregger iſt nur Maler,
lung kommen wird. Er hätte, meinte nur Künſtler allein. Er kümmert ſich
er, auch fein neues großes Mutter- nicht um geſellſchaftliche Beziehungen
gottesbild gerne geichidt, aber das jei, und Strömungen, fein Ein und Alles
bereit3 nach Amerika abgedampft. Ein ift das Schöne. Er denkt im Schaffen
reicher Amerikaner wollte es noch bis nicht einen Gedanken, er empfindet
zum MWeihnachtsfeite Haben und jo habe | eine Ericheinung. Ohne WReflerion,
e3 ich bei Zeiten auf den Weg machen | ganz unmittelbar ftellt er dieſe Er—
müſſen. Ich mußte mich alfo mit dem) fcheinung dar, und eben fo unmittelbar
Anſehen der Skizze befriedigen. Das | wirkt fein Bild auf den Beſchauer.
AUngeliht Mariens und des Jeſukind- | Er fejlelt feine Kunſt weder an Politik
leins ift von einer himmlich-verklärten noch andere Zagesinterefjen, fein Ziel
Innigkeit umd ich beneidete den Ameris | ift das menschlich Schöne und Ewige,
faner, der feiner Frau eine Solche) und das ſichert ihm feine beijpiellojen
MWeihnahtsgabe machen kann. Erfolge und feine Unsterblichkeit.
|
Briefe über die Ehe.
Ton Raymund Mayr,
1. brechend, zu ſagen, ich ſei ein Schwär:
— mer, ich ſolle nur erſt Erfahrungen
ie hatten ſtets ein überlegenes ſammeln und auf dieſe mein Urtheil
Lächeln auf den Lippen, gnä- | gründen.
dige Frau, wenn wir auf die Ehe zu Das Hab’ ih redlich gethan: ich
ſprechen famen; Sie pflegten dann | habe mir jo viele Ehen in allen Re—
auch regelmäßig, das Geſpräch ab- | gionen des Lebens, beim grellen Son»
Rofegger’s „‚tUrimgarien‘*, 4, Get, XI. 19
290
‚nenlichte derber Ungeniertheit und ud weltbeherrjchenden Eulturvolfe. Tacitus
beim ungewiſſen Dämmerſchein des — es ift nun Schon modern, ihm zu
äußern Decorums, angefehen, daß ich citieren — Sagt in dem Sittenfpiegel,
die Refultate meiner Beobachtungen in | den er feinen entarteten Zeitgenofjen
diefen Briefen niederlegen darf, ohne vorhielt, von den Germanen, daß jie
befürchten zu müflen, daß Sie mich | in ihren Frauen etwas Heiliges, Pro—
wieder einen Schwärmer fchelten, wenn
ih es im Grunde auch geblieben bin;
— ich Habe fogar geheiratet und führe
mit meinem Weibe vorläufig eine
Mufterehe. Nun lachen Sie gar und
nennen mich einen Narren! Aber Sie
werden mir bald im Stillen Abbitte
leiften, ja mir begeiftert zuftimmen.
Vorher jedoch muß ich Sie bitten, eine
kurze Einleitung über ſich ergehen zu
lafjen. Ich werde Ihre Geduld auf
feine allzu harte Probe Stellen; ich
fönnte freilich, wollte ich mein Thema
gründlich erörtern, ab ovo beginnen,
nich auf das culturgefchichtliche Ge
biet begeben und der hiftorifchen Ent=
widlung der Ehe nachipüren, könnte
von der Geltung der Frau bei den
phetifches, verehrten, dab fie faft die
einzigen Barbaren feien, die mono—
gamifch lebten. Es ändert an der
Bollstugend nichts, wenn einige Für—
ften davon eine Ausnahme machten.
Tacitus bemerkt, daß diefe ftandeshalber
mehrere Frauen hielten; dies iſt aber
wohl fo zu verftehen, daß ſich Hierin
die Fürften mehr oder weniger alle
gleichen : die Gewalt verleitet zu Aus—
Ichreitungen und ift immer geneigt,
fih mit fremden Sitten und Lurus
zu umgeben. Wenn der römische Ge—
chichtichreiber ferner am dem Germa—
nen die außerordentliche Seltenheit des
Ehebruchs, der mit den härteften Stra:
fen belegt wurde, den reichen Kinder-
jegen, auf den man ftolz war, kurz,
Morgenländern, Griechen, Germanen die Einfachheit und Neinheit des Le—
Iprechen, könnte eine Wanderung durch bens rühmt, jo ift von all diefen jchö-
das vepublifanifche und faijerliche Rom Dingen immerhin Einiges an den
unternehmen und Sie mit einer Fülle) Deutichen hängen geblieben, Joweit es
intereffanter Details überſchütten: aber | mit dem Ihwindenden Nationalftolze,
ich will, einige Hiftorifche Seitenfprünge d. h. mit der Nachahmung fremder
abgerechnet, in der Gegenwart bleiben. Sitten verträglich it.
und Ahnen nicht aus Büchern zufane Während Die weiche , woltüftige
mengetragene Notizen auftifchen, ſon- Sinnlichleit des Orients in der Viel⸗
dern mein Skizzenbuch öffnen mit den weiberei verſank, erhob dag Chriſten—
Beobachtungen und Zeichnungen nach thum, das ſeine erſten und kräftigſten
der Natur. Wurzeln im deutjchen Semirtge ſchlug,
Das Subftrat der Ehe ift die) das Weib auf eine ideale Höhe und
Einnlichleit ; deshalb find ihre Wand | durchgeiftigte die Sinmlichleit. Die
lungen und Entartungen, i ihre Ent: | Vollerſtürme ließen die zarten Keime
wiclungsbhaſen im Leben der Völker des chriſtlichen Ideals nicht zur ruhi—
wie der Individuen an deren ſinn- gen, vollen Entwidlung kommen und
liche Verfaffungen gebunden. Ein Blick diefes trieb im Mariencultus die lieb—
in die Bergangenheit zeigt, dab eine,
ſtarke, gefunde Sinnlichkeit immer aud) |
der Ehe eine feſte For, Reinheit,
Innerlichkeit und Opferwilligfeit geges
ben bat. Darin unterfcheiden fich ſchon
lihe Blüte für das religiöſe und
fünftlerifche Bedürfnis; im Leben aber
ftand waffenumlärmt der Minnedienft,
die ritterlich = poetiiche Verehrung des
Meibes im üppigen Flor und jenem
unfere heidnifchen Vorfahren, die mit, folgte als letzte chriftlihe Nachblüte
|
der friſchen Kraft ihrer Jugend auf
die MWeltbühne traten, höchſt vortheils
haft von den Römern, dem alternden,
die bürgerlich = ehrfame
ſeligen Angedenfens.
Ih Sehe Etwas wie Erwartung in
deutiche Ehe
291
Ihren Augen aufbligen, gnädige Frau
— aber ih muß der Verfuchung, in
die ſanges- und liebeluftige Zeit des
eriten Ritterthums, in die Thäler der
Provence, abzufchweifen, um mir ein
ſüß dankendes Lächeln zu erobern,
widerftehen und Sie, wenn Ihnen nach
Minnengeſchichten gelüftet, auf Paul
Heyſe's Tronbadour-Novellen verwei—
ſen. Lieber möcht' ich, wenn dies in
meinem Plane läge und mich nicht zu
weit abführen würde, bei der genannten
bürgerlich-ehrſamen deutſchen Ehe ver—
weilen, um dieſe cum ira et studio
den entarteten Zeitgenoffen als taci=
teiſchen Sittenfpiegel vor Augen zu
halten. Ich begnüge mich, meine obige
biftorifche Neminifcenz bezüglich des
Minnedienftes dahin zu vervollftändis
gen, daß derjelbe mit feinem Zwilling
bruder, dem Minnegefang, in feiner
ganzen Teichtlebigen Herrlichkeit vor—
jugsweife in Frankreich, im alten
Keltenlande, blühte. Dort find auch
jene Fabliaur und Gontes zuhaufe,
jene frivolen Liebesbüdher, die die
franzöfifche Literatur bezeichnend ein—
leiten. Nirgends find die Dichter fo
ehr die Kinder ihrer Zeit und die
Herolde der Gejellichaft, als in Frank—
reich, in Paris. Heute florieren dort
das Ehebruhsdrama und der natura=
liſtiſche Roman, erfchredlich getreue
Thotograpbien der Gefellichaft, aber
feine Kunſtwerke, feine mild verföhnen-
den, heiter ſchönen Dichtungen.
dem die frivolen, nervenreizenden Ef—
fecte im Drama und Roman gefallen,
weil er für die hehre, keuſche Schön-
heit feine Empfänglichleit mehr bejißt,
der fih am Blödfinn lasciver Operetten
ergößt, weil der gefunde heitere Humor
ihm nicht mehr genügt. Und welche
find, um wieder auf ein Thema zu
fommen, die Urfachen diefer für alle
Richtungen des Lebens bedenflichen
Ericheinung? Die entlräftete Sinn
lichkeit, das heruntergefommene Ems
pfinden, das miüchterne, realiſtiſche
Denten. Und fanıı der moderne
Menfch unter den Einflüffen einer nach
Genuß und Gewinn hindrängenden
Cultur ſich harmöoniſch entwideln ?
Sein Wiſſen bereichert ſich, aber ſein
Empfinden verarmt, ſein Verſtand ge—
langt zur abſoluten Herrſchaft, aber
dieſe bedeutet das Raäffinement des
Egoismus. Diefer ſouveräne Egoismus
ift es, der alle Lebensblüten zerftört: er
tödtet die Freundſchaft, er profaniert
die Liebe, er erniedrigt die Ehe. Im—
Bınde mit dem Materialismus bes
lächelt er die Ueußerung des warmen,
entdufiaftifchen Gefühle und befpöttelt
fie al$ nationalöfonomifche Vergehen.
Freilich, das Wiſſen läßt fich in gutes.
gangbares Geld umfeßen, das Em—
pfinden ift Märchengold, eine Papier—
frone in den Loden eines Kindes, ein
Edelftein in der Hütte eines Einfiedlers,
ein Scepter in der Hand eines Narren
Sp|.... Verzeihen Sie, gnädige Frau,
kann man von der Belchaffenheit der | diefe bittere Aufwallung — ich wollte
geiftigen Production und dem herr= ſagen, daß das Wiſſen und der rech—
Ihenden Geihmade mit faſt untrüg- nende VBerftand allein nur „tönendes
licher Sicherheit auf das geſellſchaft- Erz“ find, das reine, Schöne Empfinden
lihe Leben und deſſen bewegenden | gibt erft den Adel des Charakters. Und
Puls, die Ehe, fchliegen. Ich jehe Sie | diefen Adel muß der Mann befigen, damit
ungläubig lächeln, gnädige Frau ; leis | das Weib vor der jchlimmiten Ente
der muß ich es mir derfagen, dies täuſchung: der Geringihäßung des
weiter auszuführen und den beftehen: | Gemüthes, und die Ehe vor ihren
den Zuſammenhang darzulegen, indem | größten Feinden: der Leerheit und
ich die logische Brüde vor Ihnen aufs | Gleichgiltigfeit bewahrt bleibe. Es gibt
baue; aber ih kann es micht unter- wohl geiſtreiche Lumpe, aber feine
laffen, zur Beleuchtung obiger Bez | miederträchtigen Gefühlsmenſchen. —
bauptung auf den in deutfchen Landen | ch möchte, angeſichts der entwürs
herrfchenden Geſchmack hinzuweisen, |digenden und entiittlihenden Lojung
19*
der Gegenwart: Zeit ift Geld, ange: tung ift das Refultat ernften Nach—
ſichts unſerer Großftädte, deren Ges denkens und eingehender Beobadhtungen.
ſchäfte zur Einfeitigkeit, zum brutalen Ein Dichterwort jagt: Des Weibes
Erwerb hindrängen und deren Genüffe | Fehler find die Schuld des Mannes.
mehr entnerven als verfeinern, die) Wenn es nun auch ein Spanifcher
Behauptung aufftellen, daß die derbe, | Dichter ift, deffen Ritterlichkeit jo Hohen
gefunde Sinnlichkeit, wie fie unfern | Flug nimmt, fo Hat fie doch den
Altvordern zu Eigen war, eine befjere | Boden der Wirklichkeit nicht ganz ver—
Grundlage für die Ehe abgab, als die loren. Ya, ich geftehe, daß obige
biutloje, nervöſe unferer Tage e2 im | Worte mir eine feine Wahrheit zu ent—
Stande it. Das deal wäre die halten fcheinen und ala ich diefelben
durchgeiftigte, Schöne, gefunde Sinn: las, war’s mir, als ſähe ich dem Uebel
lichkeit. Wenn der Mann heutzutage |der Ehe auf den Grund. Iſt dem
immer nüchterner, profaischer wird, fo | Manne nicht ſchon von der Natur —
bewahrt des Weibes paflive Natur Hinz vergeben Sie diefen naturwillenichaft-
gegen, wenn auch Schon von dem gleir lichen Ausdrud — die Derrfchaft über
hen Einflüffen angelränfelt, länger ihre das Weib gegeben ? Und Hat er nicht
Empfänglichkeit für das ftille Glück als der Stärfere, thaätſächlich Herr—
des Herzens. Und findet fie die herz= | chende von jeher das ganze — poli«
liche, zärtliche Liebe nicht, die fie ver= |tifche, fociale und geiftige — Leben
langt, die fie allein ausfüllt, jo wird nach feinem Begehren geformt, ſomit
fie entarten und dadurch verliert das Jauch dem Inftitute der Ehe feinen
Meib wieder den wohlthätigen Einfluß | Geift eingehauht? Der Mann Hat
auf den Mann. So droht das natür- |zu allen Zeiten das Weſen des Weibes
lihe Verhältnis zwiſchen Mann und |beftimmt: wo er ftark und unverdorben
Weib in der ungeſunden Atmoſphäre |war, da war es auch das Weib; ihre
unferes focialen Lebens zu verfümmern, | Erniedrigung und Feilheit entiprechen
denn der bisherige Träger desjelben, | feiner "geiftigen Roheit und finnlichen
der Mann, befigt micht mehr das |Entartung, und wo er ſchwach und
weiche, innige Wefen, um es zu vers knechtiſch gefinnt war, da überhob ſich
Ihönern und die Frauenemancipation )da8 Weib und herrſchte wie — ein
mit ihren eklen Auswüchjen wird es Weib. Vergangenheit und Gegenwart,
auch kaum zu regenerieren im Stande Geſchichte und Gefellfchaft bezeugen
fein. Die lage um die Einfachheit dies zur Genüge. Heute ift es die
des Lebens, die längft entſchwunden nüchterne Berftandesrichtung, die ma—
ift, wird man heute ſelbſt einem Idyl— terielle Weltanſchauung, der auch das
lendichter nur ſchwer mehr verzeihen, |zartere Gefchleht ſchon zu erliegen
aber den Berluft der Selbftgenügfams droht und der gemeine Gejchäftsgeift
feit und Zufriedenheit, jenes Glüdes, |ift es, der feinen geldmachenden Stab
das in der Reinheit und im Reichthum | iiber alles Leben und Streben ſchwingt.
des Gemüthes liegt, dürfen wir tief Der Mann ſteht heute der Ehe blaſiert
beklagen, vor Allem deshalb, weil da- oder berechnend gegenüber, weil er für
durch die Ehe am empfindlichten ges |die Würde und Schönheit derfelben
troffen wird. ‚keinen Sinn mehr hat, und jo Tann
Wenn ich nun nach den nächſten er ihr auch die Seele nicht geben, die
Urſachen forfche, die die Mifere der | Bürgſchaft für ihre Wohlfahrt, ihr
modernen Ehe — denn diefe ift zweifel: | Glüd. Der Mann hat die Genußſucht
108 vorhanden — bewirken, jo finde in die Ehe gebracht, denn als das
ich diefelben — ich |potte weder, guä= | Weib noch in den engen Kreis des
dige Frau, noch ſchmeichle ih — zu- | Haufe? gebannt war, als es ihr die
meift beim Manne. Meine Behaup- | Sitte verbot, an Öffentlichen Vergnü—
Pr re u 2
-- —— — 17 —
293
gungen theilzunehmen, war er der es gründete; verdüſtert, vereinſamt,
allein Genießende, der ſie, die Ent— oft verwildert ſteht der Mann daneben,
behrende, knechtete, bis die Stunde und trüben Auges ſuchen Beide in
der Freiheit für ſie ſchlug; da durch- dem Schutte nach der zerſtörenden
brach die lang gehemmte Lebensluſt | Gewalt und nach einem Goldflinmer
alle Schranfen — und ſeitdem ift das | aus der geftürzten und ausgebrannten
ebenbürtige Genoflin. Mit diefen Worten Weinhold’s
„Auf den Trümmern feines Lebens | gehe ih an die Schilderung der mo—
fit Schon nach Jahresfrift dasfelbe Weib, | dernen Ehe.
(Fortjegung folgt.)
Viſion.
Von Leontine Grof.
J Di ir hatten einander gar bitter gefränft,
ee Und waren in Zorn und in Grofl d’rauf geichieden;
Darüber bat jhwarz fih die Naht dann gejentt,
As ob fie begraben wollt’ all’ unjer Lieben.
Und als ih in Thränen mein Lager geiudt,
Und als mich der Schlummer nod lange gemieden,
Da hab’ ich voll Serzleid der Liebe geflucht,
Und hab’ ihr im Geifte den Abſchied gefchrieben.
Da neigte der Traumgott ſich gnädig mir zu
Und ſchloß mir die Augen, die müden, die Franken,
Und lullt das befümmerte Herz mir zur Ruh' —
Erbarmend hielt endlich der Schlaf mi umfangen ;
Allein noh im Traume war nah’ mir mein Leid
Und ſehnſuchtsvoll fehrien zurüd die Gedanken
Zum Liebften, von dem ich geichieden mid heut’,
Zur Stunde, da wir von einander gegangen.
Doch nimmermehr war es jein liebes Geſicht,
Das jet ih im dämmernden Traumbild erjchaute;
63 fehlte den Augen das Leben, das Licht,
Das ftrahlend entgegen mir jonft daraus blaute.
Das theuere Antlis, das froh mir geladt,
Nun ſah' ih es bleih und erftarrt vor mir liegen —
Die Lippen, die manderlei Scherzwort erdadt,
Sie jhienen für immerdar ftumm und verichwiegen.
Was einftens entziidte mein liebend Gemüth,
Was jonft mid mit Freude und Wonne erfüllte,
Ih mußt’ e8 erbliden verdorrt und verblüht,
Da bitterer Tod nun mein Liebftes verhüflte.
Da faßte entjegliches Grauen mid an —
Erftarrend es frampfte das Herz mir zuſammen;
Ich jah’, um mein Glüd war's für immer gethan,
Boll Angst rief ich jchluchzend den theueren Namen.
Vergebens! — Schon züngelt gar gierig empor
Der Vorwurf mit lodernd verjengenden Flammen
Und träufelt fein marterndes Gift mir in's Ohr,
Und ftreut in meim Gerz den verderbenden Samen:
„Du haft Deinen Liebfien zu Tode gequält,
Im Zorn und im Groll bift Du von ihm gegangen,
Haft graufam und ftolz Deine Lieb ihm verbehlt,
Mit Spott ihm gelohnt fein glühend Verlangen.
„Du baft Deinen Liebften zu Tode gequält,
Nun ift er fir immer von binnen gegangen...
Du haft Dich verfündigt und bitter gefehlt,
Die Todten erwedet fein heißes Verlangen!“
So lost es und brandet e3 rings um mid her
Von martervoll quälenden, tüdiichen Stimmen,
Die Seele belaftet es drüdend und ſchwer,
Bis mählih des Traumbildes Nebel verglimmen.
Da fahr ih vom Lager empor voller Qual
Und fann mid, erwadend, vor Schmerz faum nod faflen.
Und Eines nur fühl’ ich: ein einzigesmal
Wollt’ liebend, wie jonft, ih den Liebften umfafjen.
Wie wollt’ ih ihn küſſen zu taujendmal
Und nimmer in Leid und in Luft von ihm laſſen,
Wie wollt ich entjühnen die frühere Qual,
Bis daß all’ fein Glüd er nit wühte zu fajlen!
Daneben hat leife ein Niegel gelnarrt,
Und vor meiner Kammerthür' bleibt wohl was ftehen.
Das klingt, als ob Jemand auf Einlaß beharrt...
Nun hör’ ih ganz deutlich ein inniges Flehen.
Weiß Gott, feine Stimme, jo lieb und jo traut —
Ih muß durch die Niten ein wenig nur jpäben...
Jetzt hab’ ich den Liebſten lebendig erihaut —
Vor Wonne und Eeligfeit möcht’ ich vergehen!
Die Gſchicht vom Stanglpuber.
Bauern-Mähr, im niederöfterr. Gebirgs-Dialect erzählt von Ed. Ig. Freunthaller,
5» o is amol a Voder qweit, der ah in d Fremd, i bon foa Brot mehr
* bot droui Buabn ghot: en für Di!“
Woſt, en Jogl und en Polt. Der Bua nimmt ſei Binggerl und
Sogt der Voder amol zan Woſt: marſchiert.
„Bua — Du mugßt hiazt in d Da Vergeht wieder a Jahrl. Cogt
— ih mog Di neama daholtn!” ‚der Voder zan Bolt: „Hiazt muapt
Der Bıra bindt ſih fei Binggerl Du wohl ab gehn, i mog mi felbn
zlomm und gebt. ta daholtu!“
Uewer's Johr drauf ſogt der Vor | „Seh ſchon!“ fogt der Polt und
der zan Jogl: „Bua, hiazt muapt Du | geht.
295
Interwegn begegnt eahm a Monn.
„Wohin fo ſchleuni?“ frogt der fe.
„Auf Zeippsteill, wo die frumpn
Noſenlöcher wogſn!“ trumpft ı der
lufti Bolt o und geht vir.
„Oft friag i jo an Kommarodn?“
lot der Monn; „i bin a Stangl»
pußer und hon a guats Gſchäft — geh
it mir, Bua, s wird Dei Schodn
nit fein!”
„Stanglpußer?* frogt der Bolt
und bleibt ſtehn. „Stanglpußer ? Wos
is däs für a Gſchäft?“
Sogt der Monn: „Mir pugn ofle
Fenfterftangln weg, die ins irn;
g’orbat wird bei der Nocht, ausgichlofa
ban Tog — Lohn dos, wos mir
findn |"
„J bi dabei!" fogt der Bolt und
geht mit.
Und oft jand viele, viele Johr
Dagonga.
Erſcht iS der Tiſchler haam — da
Woſt; oft der Jogl, der Weber; 3
ollerleht iS der Polt hoam.
„Wos hHoft für a Profefjion ?“
frogt n der Voder.
„Stanglpußer!“
„Dös Dondwer fenn i met!” ſogt
dranf der Boder, daweil kemman
Monner von Griht und holn en
Vodern und die zwen Brilader in n
Schuldnarreſt. Krida holber, hoaßt's,
in's Gmoanloch eini. Pfändt is eahr
gonz Sacherl ah no worn.
Der Stanglpußer= Bolt loßt olle
Fünf grod fein und is ofloane in’s
Wirtshäusl owi. Huckt ebn der Bas
wolter ban an Schibl Baurn und
vazählt die Mahr.
Valimmt en Bawolter auf jo und
na die goldne Spindluhr. Der je
fuacht und ſuacht und hebt zan ohaufn
on wiasdaswöll. Zan a Naferei war
3 kemma, wonn nit da Volt urgach
foget: „Gſtreng Gnodn — d Uhr
hobt's jo eh!”
Und richti — d Uhr
Buggl obn hänga ghot.
bot er om
daweil er fo frogt, valimmt eahm d
Uhr nohmol.
Er Hot | oft wieder gfundn — in
Bierglasl drein.
„Wirſcht, zohln!“ ſchreit nochet
der Vawolter ſpringgifti, daweil mog
er ſei Briaftofchn nit findn.
Sogt der Polt: „Gitreng Herr
Vawolter, d Uhr muagß ſih findn lofin,
eppan hobt ſie's intern Huat ?“
Richti, djelb wor | drein.
„'s muaß a Schworzfünftler inter
ins ſein oder es hot a Her ihr Teurl—
gſpiel!“ moan'n die Baurn und
mochan ſih hoamzug.
Mitten im der Nocht wird's in
Dörfl leiwendi.
„A Brond, a Brond!“
„Wo denn ?*
„In Gmoanhaus brennt's!“
D Leut ſand oll zſomm grennt,
hobn owa ninaſcht a Fuir gſeha. Olls
hobn F ausgfuadht, gor in's Gmoan—
loch ſand an etla eini.
„Gehl's auſſi, Leutl, brenna ſoll's
wo!”
„Oft vabreunt infer gonz3 pfändts
Soda!” jchreit en Stanglputzer Poltn
jein Boder und rennt aus. Der Woft
und der Jogl rennen glei in d Gmoau—
Rumplkommer umi und vettn eah gonz
Saderl hoam.
Der Bolt owa hot vehtichoffa glocht
und glogt: „Don s ja gwißt, daß
i en Bodern und d Brüader heunt noh
aus n Loch friag und s pfändte Sa=
cherl ab noh dazua!“
Guat üwa dos. Togs drauf klimmt
der Vawolter in van Gong und begehrt
auf. Er will en Poltn ah noh in Arreſt
drein hobn, den Unheilſtifter!
Sie redn Hin und ber und zleßt
ſogt derBawolter: „Meingwegn, 3 gilt!
Drui Stüdl gib i en Poltn anf und
die müalin eadm grotu, oft gam i durch
d Finger!“
Der Bolt frogt ſih gleih on um $
erſte Stückl.
| „Mein’n Reitſchimml müoht $ mar
aus nm Stoll ſchnipfa, ohne day wer
„Wia denn dos?“ frogt er, und | wos gwohrt!“
296
„Wern mar fchon ſegn, wen der
Voder en Schimml ſchenkt!“ denkt ſih
der Volt und fchleicht ſih um Mittn—
Nocht ols an olts Muaderl valloadt
zan Herrnſtoll zumi und gamt durch 3
Stollfenfter. Jeſſas na — der Schimml
i3 um-und-um onfett’t, om Roß reit’t
der Moar und ba der Thür loahnen
a fer Knecht, an iader hot a Trumm
Scheit in der Hond, und fie lofn und
paſſn.
Hiazt mocht ſih der Polt a weng
laut und geht eini.
„Mer do?" hoaßt 8.
„An olts Weibl!* ſogt drauf der
Volt und mocht ſih a woifelete Stimm
on; „i muaß Eng hiatn helfa!“ Und
ſtellt ſih glei on.
„Hobt s koan Schnops?“ Frogt
der Polt noch an Rond und kimmt
mit ran eſlhofin Floſchn „Sauhäut—
nern“ vira und mocht an Norrnszug
aus der Floſchn.
„Mir ah a Schlüpferl!“ ſchrein
die Ondern und bis in a Stund follt
ſchon der Moar ven Roß und die fer
Knecht auf eahm und ſchnoachen eah
freiftete Not.
In der Fruah kimmt der Polt om
Schimml gritten zan Wawolter.
„Es hot Eng grotn,“ fogt der fe,
„weil meine Leut en Schnops nit grotn
hobn kinna!“
Der Polt begehrt die zweit Aufgob.
„Bringt s mar heunt Nocht en
Porra, en Schulmoafter und en Richter
in van Sock daher!”
„Wos a guater Schimml eis, zuigt
zwoamol!“ denkt jih der Polt und geht
a weng dor Mittn-Nocht in Freithof,
ftett auf an iads Kreuz a brinnade
Kirzu und ſih felbn in a Gruabn.
Der Schulmoafter ower in oaner Flucht
gleih in s Pforrhöfl und vazählt die
Mahr olßer brinnhoaße.
„Holt s mir en Richter!“ ſchreit
der Pforrer und laft in Freithof. Der
Erft in Himml will Er fein.
„Nur Lüfti in den Sod eini!“
mohnt der Bolt und holt en Sod auf.
Der Pforrer is noh nit drin, fo kimmt
ſchon der Schulmoafter mit n Richter.
Wia die drui drein fand, bindt der
Polt gihmwind en Sod zua, haut ır
iwa d Ogfl und fohrt o damit.
Interwegn ſchlogt er durjcht und
do en Sod on.
„Auweh!“ fchreit der Pforrer.
„Io mein, weil der Weg zan
Himml Holt gor fo ftoani is und
dorni!“ pfugaßt der Volt, haut en
Sod erft recht auf d Feuchtugſtomm,
zleßt ziagt er n gor durch a Hetſchu—
ſtaudn.
So kimmt er endli zan Vawolter.
Der ſe beutlt en Kopf und ſogt
oft: „Loahn m daweil wo doni, bis
der Tog auffa kimmt!“
In der Fruah fogt oft der Ver—
wolter zan Polt: „Gehts heunt Nocht
jan Grofn und bringts mar um Mittn—
Nocht s Leintuach von der Gräfin ihrır
Bett und en Ring von Grofn!“
Guat ümwa dos. Der Bolt mocht
fig häufti z thoan in Gſchloß, gebt
ols Gſtondarr vafloadt um-ranond und
vaftedt ſih inter der Frau Gräfin
ihrn Bett.
Spot in der Not, fo um an
oanlafe, gengan die Herrnleut jchlofa.
Sogt noh der Grof: „Heunt Nocht
ſollt a Rauberskerl kemma, loßt mar
der Vawolter ſogn!“ In a holbn
Durſcht drein hebt er oft a a Jammerwer Stund drauf ſchnorchen j fchon wia
on, grod zan daborma—
Kimmt der Schuimoaſter in oan
Saus.
„Olle
Herrn —“
„Murgn fruah is der Weltinter—
guatn Geiſter lobn den
d Rotzu. Da ſchliaft hiazt der Polt
aus n Vaſteck, nimmt fein Kleiſter—
häferl, hüflt d Bettdadn auf und ſchütt
ollu Hleifter mittn auf die Zwoa. Kam
is der Polt wieder intern Bett, jo
draht ſih die Grofnfran üwa, mocht
gong, wer in Himml kemma will, ſoll an Schroa und wedt ihn Herrn.
jetzund her zu mir!“ So der Bolt.
„Du Mann, do fchaut s aus!”
ner 2a
Der je fteht auf, mocht a Liacht,
ziagt 5 Leintuah weg und ghäut &
inter s Bett.
„Du Monn, Hol an onders Lein—
tuach!“
Daweil der Grof um a Leintuach
geht, kimmt der Polt ſchon wieder
vira, mocht ſih en Grofn fei Stimm
on und ſogt: „Du Wei, hiazt is der
Diab ſchon do ab; ziag denna ſchleuni
deine Ring o, ſinſt kimmſt heili drum!“
Die Grofnfrau zuigt richti ihre)
Ring o und gibt | en Polt. Der nimmt
s Leintuach und d Ring und ſchleicht
ih damit aus n Gſchloß und Hin zan
Vawolter.
„Do war i holt!“
Daweil kimmt ſchon der Grof ah
daher, wird die Gſchicht inna und gift
id wiaer a Wonzn.
„3 gicheidterft is,“ fogt er zan
Bawolter, „ds thoat 3 Enga Gſchäft
tauſchn!“ Und mocht en Stanglpußer-
Boltn zan VBawolter.
Da Vawolter is ogſchobn, gonz
aus der Gegnd. Da Polt owasr is
a guater Vawolter worn, weil er 8
Stanglpugn von Grund aus glernt
hot, und is zleßt noh a ſtoanreicher
Monn worn.
Volksſtück—
Koſtüme,
und was darüber ein Kaiſerlicher feiner Schweſter ſchreibt.
„Liebe Schwelter! |
Eis war ich wieder einmal im
JTheater. Eine Nachmittags-
vorſtellung für das Volk: „Der Pfarrer
von Kirchfeld“. Volksſtücke, die find,
mir die lieberen. Bor ſechs Wochen
war ich in einem Schauspiel von dem
berühmten Schiller, babe aber nicht
Alles verftanden, und da gefrents mich
nicht. Berftanden Hätte ichs diesmal, |
es iſt ein ſehr intereffantes Schauftüd
von einem verliebten Pfarrer, und wie
er das Mädel mit einem Andern trauen
muß. Und ift Dir ein Wildling da, der
Wurzel-Sepp, vor dem Einem manch:
mal ordentlich angft und bang wird, ift,
aber im Grund ein guter Menfch. Aber
fonft bin ich micht zufrieden gewesen |
Dich oft recht ärgern, wie fie uns
Bauersleute ſpielen — glauben, wenn
fie „Vua“ und „Liab“ und „Soakra“
Jagen, ſie hätten die Bauernart ſchon
mit Löffeln gefreifen. Und ftatt mit
jagen fie „niat“ und ftatt na „noa“,
und alle Angenblid möchte unfereiner
dreinreden und verbeſſern. Aber das
Schlechtreden wollt” ich den Komö—
dianten noch verzeihen, jo eine andere
Spradart lernt man nicht So leicht,
das weiß ich recht gut, wie es mir
geht, wenn ich einmal vornehm reden
will, jo ich bei der Frau Haupt:
männin was auszurichten habe, ganz
nah dem Spruh: „Auf der einen
Seite iſt er Hinaufgeftiegen, auf der
van oihi plumſt“.
Wie aber ſonſt ein Theaterbauer
und babe an Dich gedacht, Schweſter, oder eine Theaterbäuerin ausſchaut,
und an Deine Paflion, ins Theater zu das ift Schon aus der Weis. Wo iſt
geben. Iſt oftmals nicht jo viel da= |ein Bauer, der den Hut dor ſeines—
Hinter, wie Du meinst. Du würdeſt | gleichen rückt? Auf dem Land drangen
nicht. Oder haft Du einmal ein Bauern
mäbdel gefehen, das eine Kniebeugung
macht, wenn es den Herrn Pfarrer
grüßt? Ich nicht. Oder beugt Einer
das Knie, wenn er auf einen Gruß
„su Ewigkeit Amen“ fagt? Ich glaub’
nicht. Im Theater fannft Dur derlei
bei allen Volksftüden fehen, und das
nimmt fich nachher juft jo aus, als
ob jie mit heiligen Sachen Geſpött
treiben wollten. Das gefällt mir nicht.
Und erft gar das Gewand! Du
glaubjt es gar nicht, Schwefter, was
die Theaterbauern für ein Gewand
anbaben! Bei den Mannsbildern gehts
noch, die Alten haben ihre langen
Kittel,
vierzig Jahren die Urgroßväter ges
tragen haben. Die jungen Burſchen
allemal ihre kohlfchwarzen Kniehoſen,
aber nicht etwan aus Leder, wie die
Bauern, ſondern aus Sammt. Die
Haare find Frifiert und gefchmiert, als
ob fie juft aus dem Balbierladen kämen.
Kommt auch bei den Bauern vor, aber
ein rechter Burſch thus nicht.
Nun erft die Weibsbilder! Ich hab |
gememt, ich müßt davonlaufen, wie
das erſte Bauerndirndel auf den Theater |
meiſter fein. „Weibeln! oder Fräuleins!“
duahertrappelt. Ein armes Dirndl jolls
vorftellen. Feuerrother Kittel, der nicht |
viel über die Knie gebt, ein paar hands
breite Schwarze Sammtſtreifen ringsum
genäht. Um die Mitten ein Helles
Seidenband, das weit binabflattert.
Plüſchmieder, wie es daheim bei uns
nur die Kaufmännin beim Bürgerball
trägt, und alsdanıı auf der Bruft jo
weit ausgejchnitten, daß man Fich ihrer:
Statt jchier Schämen möcht! Ein buntes
Häuberl auf dem geichnirgelten Kopf,
an den Händen güldene Armbänder,
an den Füßen blutrothe Strümpfe
oder geftreifte, und Ballſchuherln; die
Unterröde und Hoſerln mit feinen
Epigen bejegt — und das will ein
Bauerndirndl ſein! Auf der ganzen
Melt tragen die Banernweiber fein
298
genan vorichreibt! und jo was wird
in unſerem Bergland vorgeftellt, in
einer Stadt, wo alle Tag die Lande
leute anf dem Markt zu jehen find!
Und die Zufchauer lafjen ſich das ge—
fallen. Ich hätt' am liebſten mögen
auffchreien: ch will mein Eintritts—
geld wieder zurüd haben, das ijt Alles
erlogen. So ſchaut fein Bauersmenſch
aus! Sp dumm ift er nicht. Ya, wenn
jo ein Bauerngewand, wie fie e3 haben
jollten, mehr thäte koſten, al$ wie dus
herriſche Fetzwerk, ich wollt” nichts
Tagen; die Theaterleut, jo viel ich ge—
hört, Haben nicht gar viel Geld. Aber
das Richtige thäte hier weit weniger
wie fie bei uns daheim vor koſten, als das Unrichtige, und thäte
den hübſchen Theaterfränlein oftmals
auch viel beſſer ftehen. Deun wie
jauber das einfache Bauerngerwandel
den Dirmdin ſteht, das weis ich von
daheim. Ich kann mir's alfo gar nicht
denen, wesweg die Theaterleut’ es nicht
wollen einjehen, daß fie mit ihren un—
finnigen Anzug in Banernfchauftüden
das ganze Zeug verderben. Ich glaub’
einer folchen Zierpuppen nichts, fie
‚mag noch jo ſchön daherveden.
Da ſollt' nur ich einmal Theaters
wollt’ ich jagen, „das gibl's nit! Wer
in einem Banernspiel mittgun will,
‚der muß mir auch darnach angezogen
‚fein. Das laſſ' ich Steiner gelten, daß
‚fie ans Eitelteit alle beliebigen Fetzen
und Farben auf ſich hängt und mir,
das Stüd verdirbt.“ Wenn fie
ſchon Schauspieler fein wollen, Jo jollen
fie es ganz fein und was Ordentliches
‚machen, daß es fein’ Schand und Spott
ift. Ich ſcher' mich beim „Pfarrer von
Kicchfeld" den Teufel um das Fräulein
jo und fo und ihr Peibgewandel, ich
will die Ana Birkmeier Sehen für
mein Geld, ‚oder es ſoll mich der ganze
Strempel —
| — ns der Brief weiter enthält,
geht mur die Schweſter an. Ich habe
ſolches Gewand. Und fo "was wird in das Schreiben ſoweit abgedrudt, um un—
einem Stüd gemacht, wo der Dichter | jeren gefhägten Schauspielern, Theater⸗
— wie es heißt — das Gewand doch directoren und Regiſſeuren zu zeigen,
299
dab fie felbft vor fo einem Lande» ihrem Willen und ftellte ein Boltsftüd
joldaten des 27. Iufanterie-Regimentes | ordentlih und auch in der Kleidung
nicht Ficher find, gezaust zu werden. |dar, wie fich’s gehört.
Ich an ihrer Stelle möchte es aber Wenn dann Der von der Infanterie
nicht d'rauf ankommen laffen ; ich thäte noch raifonnieren wollte, ließe ich ihn
im ottesnamen diefen Leuten nad | hinansführen.
>
Der Dichter und die Zeitgenoflen.
Das Müdden:
„ wie er tief in's Gerz mich traf!
Ich bitt’ ihn um ein Autograph.
Der Theater:Baron,
Fin Traueripiel? Langweilige Proben!
Fein Boudoir und feine Roben!
Der IJüngling. | Die Berufsgenofjen.
Nicht Ichleht! Nur mühte man die Saden
Erſt welt: und bühnenfähig machen.
Die Polizei:
Die dran. Franzofen, Türken, Römer, Griechen —
Gin Minnerauſch ift fein Gedicht, Schon gut! doch deutſch — das wird geftrichen.
Sieht man ihn an, man glaubt’s ihm 4 Der Meiſter.
Nur muthig! laß den Kopf nicht hangen!
DIE RANK, Wir haben Alle angefangen.
Scharf wie ein Schwert weiß er zu fingen, |
Wir wollen ihm ein Profit bringen.
Kein Amt? Nur Dichter in der Welt?
Der Menich hat den Beruf verfehlt. Der Urtheilspädter.
Man hat Did) zwölfmal applaudiert,
Der TheatersDirector. Geduld! das wird verhallen;
Du bift bei und nit abonniert,
Mit Sturm und Drang laßt mid) in Frieden! So bift Du durdgefallen.
Ich inicenier’ nur Invaliden.
Brit fih aud einer das Genid, | Der Poet.
Nur bejier für mein eig'nes Stüd. | Was ift denn geſcheh'n?
5 Laßt fie ſchwätzen und jchreiben!
Der Regiijenr. | Die Blätter vergeh'n,
Ihr greift in's Leben zwar, in's volle, — EINER, Sran Aeim.
Jedoch für mich gibt's keine Rolle. (‚„Sturmgefang des Lebens.“)
Kleine Laube.
Wenn Du gehft von mir, mein Lieb.
Wenn Du gehft, wenn Du gehit von mir, mein Lieb,
Von mir mein Lieb,
Eo iſt es aus mit mir,
Ih wand’re Dir nad durd die halbe Welt,
Die halbe Welt,
Und ſuch' und ruch' nah Dir.
Ich frage den Jäger im grünen Wald,
Den Schäfer auf blumiger Au:
Haft Du nit gejehn eine ſchöne Maid,
Mit hellen Yeuglein blau?
Ih frage den Vogel im Buchenhag,
Im Buchenhag,
Den Fiſch im Meeresgrund,
Haft Du nit gejehn eine holde Maid,
{ Eine holde Maid,
Mit rojenrothem Mund ?
Ich frage den Gräber am Kirhhofsthor,
Den Prieſter am hohen Altar:
Haft Du nit getraut eine jhöne Braut
Mit Iraufem guldnen Haar?
Und weiß ih Dich jchlafen im tiefen See,
Im tiefen See,
So jauchz' ih mit hellem Muth,
Und tauche, mein Lieb, zu Dir hinab,
Zu Dir hinab,
In die weiche fühlende Flut.
Und weiß ih Did eines Andern Braut,
Mit runden Wängelein roth,
So leg’ ih mich auf die Erden hin
Und meine, und meine mid) todt.
Und wenn ich an Lieb’ geftorben bin,
Geitorben bin,
So graben fie ein tiefes Grab,
Und legen ein Kreuz mir auf die Bruft,
Wohl auf die Bruft,
Und ſenken mich ftill hinab,
So haft Tu Did, Kind, von mir gemwendt,
Und ich bin blieben Dein,
Gott mit Dir, Gott mit Dir, Du hartes Lieb,
Es hat jo müſſen jein.
Krieglah-Alpel, 1559. Peter Roſegger.
Wintertage in der Stadt.
E3 mußt Aller nichts. Bald nad
dem Eintritte der Tag- und Nachtgleiche
im Herbſt, wenn der Thau der Wiejen
nicht mehr trodnen will tagsüber, wenn
der graue Nebel die Thaler zudedt bis |
bob in den Mittag hinein, wenn Die
Mälder gilben und jchweigen, an den
Brunnen kryſtallne Eiszäpflein hängen,
die Wege jhlammig werden und Die |
langen Abende herniederfinten auf die!
Dörfer und waldumfriedeten Heimftätten |
der Menjchen, und wenn es frojtig wird
im Sommerhauje und doch das Dfenfeuer
noch nicht ftilgerecht jein will in der
Nachmittagsſonne — da hebt das Gift
an zu wirten — das Gift unjerer Eultur,
die Sehnjuht nah den Stadtmanern,
dem Ötraßenpflajter und den Gas
flammen.
Und doch gäbe es für ein beichaus |
liches Menjchenberz nichts Irauteres und
Erguidenderes, al3 den ländlichen Frie⸗
den des Herbſtes. Der Hochſommertag
hat zwei Nächte, eine dunkle, fühle und
eine belle, glühende. Die lektere dauert
von neun Uhr früb bis fünf Uhr abends,
fie bannt Dich in's jchattige Zimmer,
denn die Hitze in einem Sommermittag iſt
unmirtlicher, al3 der Sturm in einer
Winternacht. Im Herbit hingegen gebört
der ganze Tag Dein und auch in ber |
Mittagsjonne läßt ſich's Fröhlich wandern |
Am Morgen und |
über Berg und Thal.
am Abend iſt wohlgemuth zu jein, |
und der Herbittag iſt zujammenge-
jest aus einem Morgen und einem
Abend. Im Walde mit den träumenden
MWipfeln weht der kühle Erd- und Moos:
duft und die abfallenden Blätter des
Yaubgebölzes und des Heidefrautes würs |
zen die jtille Welt mit erfriſchendem und
| mal wieder jo groß und wichtig.
jälen, von gelelligen Zirkeln und Winter-
moden, von den jchweren Seidengardinen
und bunten Fußteppichen Deiner Stadt-
gemächer, und dieſelben Tinge, die Dich
im Frühſommer angemwidert und fort
getrieben hatten hinaus im die ländliche
Nutur, diefelben Dinge loden Dich jetzt
wieder zurüd in die Mauern.
Und eines Abends trotteft Du wieder
auf dem glatten Trottoir zwilchen der
Menge dahin, wirfſt gleichgiltige Blide
auf die glitzernden Auslagkäften, es tt
Dir jo, als ob Du nie fortgegangen wäreit,
und als ob die langen jeligen Sommer-
monate nur ein Traum gemwejen wären,
Kaum Du Deine Stadtwohnung in
Stand geſetzt haft, um darin in ftiller
Winterbejhaulichkeit zu haufen, bat fie
Dir auch jchon den Weiz verloren, Du
ſucheſt Zerjtreuungen auswärts. Die länd-
lide Sammlung will in ftädtiicher Zer—
jtreuung ihr Gegengewicht haben, md
Verhältnifie, die Dir vom Lande aus
gejehen jo Heinlib und nichtig vorges
fommen find, werden Dir jept auf ein-
Die
MWirtsbauscirkel, der SKaffeehaustratic !
Du gebit in’3 Theater, um die neuen
„Kräfte“ zu befritteln, micht aber um
ein Kunftwerf zu genießen. Du gebit
in's Concert, wicht ſoſehr um die San—
gerin zu hören, jondern vielmehr um fie
zu jehen. Du beſuchſt Kunſtausſtellungen,
um im Gejellichaften darüber mitjprechen
zu können, Du wohnſt Vorlejungen bei,
um Dich bernadb über die Tortur der»
jelben auslafjen zu können. Dann erjt
die Glubangelegenbeiten, die Sportjaden,
die Bälle! Na, e3 ift ein großes Leben,
das Stadtleben! Wegwerfend jpricht man
von der kleinen beichräntten Welt draußen
auf dem Lande.
Jetzt die Politit! Jeder fieht nicht
zugleich betäubendem Haud. Alles heiße, allein ganz genau die Urſachen der poli»
leidenjchaftlihe Leben und Weben des | tiichen Erjcheinungen, er propbezeit auch
Sommers ift vergangen, Du bift gerubigt baargenau, was da fommen muß. Jeder
wie der Wald, ein janftes Gleichgewicht bat den Plan zur Rettung des Staates
ift in Dir, wie fonft das ganze Jahr nicht fir und fertig bei fih und jo viel Köpfe,
— und nun willit Du fort. Lebhafter jo viel Politiken. Ich übertreibe ein
werden in Deinem Haupte die Vorftel- |wenig, es gibt thatſächlich politiiche Par-
lungen von Theaterbildern und Concert» |teien, wovon eine aus mehreren Köpfen
302
beſteht und fich mochenlang der lieben Einig-
feit erfreut. Das Reich ift heute leicht zu rer
gieren, Wären drei oder vier Parteien, e3
ftünde jchlimm um die Regierung, aber e3
zweiundachtzig Stufen hinauf in meinen
Ihurm, verfrieche mich in meine Stube
und träume von den fernen Sommertagen
im Waldland. Draußen fallen die Flocken
find zum Glück unzählige Parteien. Es | und hüllen die Dächer dicht in flaumigen
will nämlich Keiner Mitglied einer Partei, | Schnee, das Grau des Himmels jcheint
jondern Jeder ihr Führer fein und wenn | immer tiefer und tiefer herabzufinfen auf
es ſonſt gebeißen bat: viel Köpfe, viel
Sinne, jo heißt es heute: viel Köpfe,
fein Sinn. Pie Deutjchen in unferem
Reihe liefen bereits Gefahr zu fiegen,
da erjcheint noch rechtzeitig der große
Mann mit feiner unverfälſchten Eitelkeit
und ruft Zwieſpalt und Triefpalt in jein
eigenes Bolt, hebt den Deutſchen auf
den Deutichen, dab fie bis auf's Meſſer
miteinander ranfen möchten. Und all’ das
thut der Mann uneigennützig, wenigiten®
wird verficbert, dab er für fein Wirken
weder von Slaven und Polen, noch von
Juden, denen er indirect dient, irgend
einen materiellen Beweis von Danktbar-
feit annimmt. — Derlei gibt nun viel
Ergögung für Solche, denen ihr Bolt
gleichgiltig ift und die ſich aus der
traurigen lärmenden Serfahrenbeit eine
Hehe machen.
Eoweit hat es die rüde, ungezogen
leidenichaftliche, um nicht zur jagen lümmel—
bafte Ionart mancher unferer Parteien
doch gebradt,
ernjt nehmen kann.
lib etwa mit der Sache der Partei ein:
verjtanden gemwejen, wenden fich, von ihrer
Kampfweiſe angewidert, von ihr ab.
Freie Menſchen wollen fich nicht terrori«
fteren laſſen und Mancher thut juftament
das Gegentbeil davon, wie's irgend ein
wütbender fanftmadender Screier ver:
langt. Das ijt gewiß nicht in Ordnung,
denn die Sache ijt zu wichtia, als daß
man fahnenflüchtig werden dürfte, mur
aus dem Grunde, weil die Fahne von
tollen Fähnrichen getragen wird. — Tas
wiederbole ich, jo viel Spaß baben die
politischen Strömungen dem leider immer
gleichgiltigen großen Publikum jelten ger
macht, als heute. Der Nationaligmus
iſt zu einer Stierfampf-Arena geworden.
Solcherart find die Freuden der
MWintertage in der Stadt. Ich fteige die
dab man fie nicht mehr |
Viele, die urſprüng-—
die Stadt; Schlittengeſchelle ſchrillt und
auf den Straßen brennen fladernd die
Laternen. Ih schließe die Augen und
jebe den lieben grünen Wald in den
beinatlien Bergen voll Blütenduft und
Vogeljang, von Sonnenäther übergoffen.
Sachte hebt an mein Herz zu zittern vor
Leid, daß dies Alles vergangen iſt. —
Da Schlägt beller Lichtichein an mein
Augenlid, ib öffne es und vor mir
mitten im Zimmer fteht im Flammen»
glanz ein grünender Tannenbaum.
So ift die größte, die wahre innige
rende des Winters vom Walde berein-
gelommen. Verdorrt und ausgelebt it
das Jahr. Im Feuerkranze des Weih—
nachtsbaumes find alle Heinlichen Regun—
| gen des Stadtlebens verbrannt wie Mücden,
im Thaue des Ehrijtbaumes bat fih das
ftaubige Herz wieder gebadet und ver—
jüngt und in neuer Kraft und Hoffnung
ihlägt e3 dem Mai und den jommer-
lihen Wonnen des Waldes entgegen.
R
Schneealpe.
Ein Naturſang von Marie Reinhard.
Ernite Schneealpe, wie blidft Du in
‚ruhiger Majejtät nieder auf das fleine
Thal, auf den filbernen Fluß, der durch's
blumige Alpenried luſtig die grünen,
fryitallhellen Wellen wirft. Um Dein
felfiges Haupt ziehen finfter die Wolfen,
braujen gewaltige Stürme; anf zadiger
Felswand klimmt flint der Berge ſtolze
freie Tochter, die jchlanfe Gemje. Doch
weihb um den Saum Deines Kleides
ichmieget der lauſchige Tannenwald die
grünenden Arme und Lieblich zu Deinen
Füßen laden traut jammtene Matten zu
janfter Naft. — Wie oft bab’ ih Dich
geibaut in Deiner einſamen ſtillen
303
Pracht, in des Winters ſchneeigem —
melinmantel und in dem holden Kranze
des knoſpenden Frühlings, und immer |
hab’ ich gegrüßet Dich aus dem tiefiten
Herzensgrund, denn ich liebe Dich, mächtige |
Alpe! Wenn in des Frühmorgens erjtem |
Dämnern der Morgenwind wehet jo,
friih um Dein Haupt und zerreißet kühn
die nebligen Schleier, die Dich ummallen,
wenn firgreich aus dem nächtlichen Grau
Dur fteigeft, die Felſenſtirn leuchtend in
dem Diadem der Sonne, wenn küh—
lend von Deinen duftigen Höhen des
Aethers mildllarer Hauch um die heiße
Stirne mir jpielet: dann jauchzt es im
meinem Herzen wie heller Lerchenichlag!
Auf den Flügeln des Geiftes möcht! ich
in's lichte Blau entſchweben und zaub'riſch
durchbebet die jubelnde Seel' ein himm ·
liſcher Morgengeſang der Freude, Aber
wenn heiß und drüdend die Mittagsglut
ſich jenfet über die Flnren, wenn im dent
jteten Kampfe des Dajeins ich jchmerzlich
ſeufze amd die brennende Thräne des
Leides nehet die Wang’; dann blide ich
ſehnend zu Dir, Schneealpe, die Tu in
ewiger Klarheit jchaueft herab auf die
Menſchen, die ringen in bitterem Harm,
von dunklen Fittig der Leidenſchaft ruh—
lo3 getrieben. Ach, der trübe Hauch des
Erdenleides dringt nicht zu Deinen anf
Höhen; o daß ich könnte entfliehen anf
Deine luftigen Zinnen und jchlürfen mit
fröhlicher, freier Bruſt die balſamiſche
Luft! Und wenn in dem jchwermütbigen,
itillen Weinen des Herzens allmählich
verblafjet der freundlichen Sonne goldener
Etrahl, und milde und jänftigend mabet
der Abend, fiehe, im reizenden Echimmer
des Abendroth's leuchtet und flammet
purpurn die mächtige Alpe. Weich um
verwitterter Felſen jchroffe Gründ’, um
zerflüftet Geſtein ſich jchmieget das lichte,
Roth, und auf rojigen Wolken gezogen
fommen wie einjt die jeligen Träume der
Yiebe, die goldenen Hoffnungen erjter
Jugend, und in der Erinnerung Abend»
jchein ſchau ich das entichmundene Bild
der Vergangenheit, das in des Lebens
ihwülem Mittagsglanze erblaßte; leiſe
verſtummt der Seele düjtere Klage, der
herbe Schmerz in der Wehmuth ſanftem
Trauerliede verklinget. Ernſte Schneealpe,
far und filbern zittert des Mondes
leuchtende Sichel über Dein graues Ge—
wände; aber troß braujender Stürme
Iprießen freudig hervor aus Deinen Mauern
die zarten, duftenden Blumen der Alpe,
vom friichen Odem des Berges fröhlich
gefüßt, an Farbe und Duft wohl reizender
al3 die Schweitern im Thale. Manch'
Rösleinhellrofig, manch’ tiefblanen würzigen
Enzian hab’ ich gepflüdt auf Deinen
Matten und jubelnd fie an das Herz
gedrüdt; denn auch mir feimt in der
Brust ein Gärtlein, d’rin heimlich ſproſſen
des Liedes farbige Blumen. Aus dem
friſchen Grün der Jugend find fie geiproßt,
mit Jugendluſt und Liebe zur Heimat
getränfet, vom Thaue erften Wehes
ſchimmernd betreut. Den blühenden Kranz
der jungen Knoſpen wind’ ih um Deine
felfige Strone, Schneealp! Dir, ernite
Schöne, hab’ ich gelungen mein erjtes Lied,
leb' wohl, nun jcheid’ ich von Dir. In die
jonnigen Ihäler jteig ich hinab zu den
Menichen, voll Hab und Liebe. Da jollit
Tu, meine Harfe, ein Lied erzäblen,
d’rin braujen des Lebens mächtige Wogen.
Denn zaub'riih find, o Natur, Deine
Laute, welche die ringende Seele in
ſüßen Schlummer einlullen; aber die
wunderbarjten Accorde quellen doch einzig
aus des menichlichen Herzens gewaltiger,
unendlicher Tiefe,
Herr Mader.
Gin Porträt nah dem Leben gezeichnet
von 3. D. Wehle. *)
Alles fonnte man von dem gefälligen
Mann haben, von der Stednadel bis zu
einen volljtändig eingerichteten Yandhanie.
Fr gli darin dem aus Schlemihl’s
Geſchichte bekannten Herrn, der fih jener
merfwürdigen Geicäftsipecialität zuge—
wendet batte, dem Ankanfe von neuen
und gebrauchten Schatten. Nur fehlte bei
ihm der grautaffentene, altfränfiiche Nod.
*) Aus deſſen „Aretbi und Plethi” (Wien, Hugo
Engel)
304
Auch war er weder dünn, noch bager,
länglih und ältlih, ſondern ganz im
Gegentheil Kein, did und rund, mit
einem vollen, lachenden Geficht. Nicht das
geringfte Unheimlihe war an ihm zu
entdeden. Er war ein jovialer Kerl, der
herzlich lachte, und, was noch mehr wert
it, Andere lachen machen fonnte. Deshalb
war er auch überall gern gejehen, im
Minifterbotel, im Parlament, im Gerichts:
jaal und in den NRedactionen. Ueberall
war er zu finden und überall ließ er
beim Fortgehen zufriedene und aufge
beiterte Gefichter zurüd. Den Mißmuth
fonnte er nicht ertragen, Ein umwölktes
Geficht war ihm ein Greuel und er rubte
nicht eher, bis er nicht die Runzeln von
der Stirne weggelacht und weggeicherzt
hatte. Luft und Frohſinn mußte jein, wo
des „Spendier » Naz” Sterne ftrahlen
jollten, Den Namen batte er von feiner
bervorjtechendften Eigenichaft, von jeiner
Treigebigfeit, befommen, und es mußten
nur wenige, dab er eigentlih Ignaz
Mader bieß.
Es gibt Leute genug, die gern Präſente
machen, aber in der Negel jchenfen fie
nur was fie jelbjt nicht brauchen, ohne
Nüdfiht, ob es der Andere verwenden
fan, Nicht jo beim Spendier-Naz. Darin
glich er wieder dem oben erwähnten grauen
Manne, daß er immer das bei ſich batte,
was gerade gemwünjcht oder gejucht wurde,
Wenn alle Sige zu einer eriten Bor:
jtellung vergriffen waren — Spendier:
Naz hatte immer noch einen für einen
Freund zur Verfügung und wenn ber
Freund verheiratet war, jodar eine
Loge. Hätte der Freund oder bie
Freundin des Freundes anftatt der Oper
fib ein anderes Schauſpiel gewünscht,
z. B. den Eintritt in den Gerichtsſaal,
zu dem eben ſich abipielenden Senjations-
proceh, oder den Yulak zu einer Hin-
rihtung, einen ZTribünenfig zu einem
öffentlichen Yeitzug, fein Anderer als der
Spendier-Naz; wäre im Stande gemwejen,
diefe Wünjche zu befriedigen, denn ihm
war nichts unmöglich. Ob es ihm leicht
gewejen wäre, eine Krone zu verſchaffen,
das weiß man nicht, da ihn Niemand :
in dieſer Beziehung auf eine Probe ge
ftelt, aber dab er Orden, bobe und
niedere, zu jeiner Verfügung hatte, gerade
jo wie Sperrfige, davon hat er Beweije
geliefert. Ob num die Gejchente in Ein»
trittsfarten, Bictualien oder Spirituojen
beftanden, immer waren es Gegenftände,
welche der Spendier-Naz jeinerfeits gejchenft
befommen hatte. Sein Wahlſpruch lautete:
„Scenten und jchenten laſſen!“ Aber
manchmal mußte er auf die Befriedigung
diejes edlen Sports verzichten, das war
daun, wenn er mit Amt&perjonen zu thun
hatte, die ihres Rufes wegen feine Ge
ſchenke vom Spendier-Naz annehmen können,
Dann juchte er jeiner großmütbigen Paſſion
dadurd zu fröhnen, daß er Gegenitände
des täglichen Gebrauchs : Weine, Cigarren,
Stoffe u. ſ. w. um einen wahren Spott-
preis verichleuderte. Das Geſchäft widelte
fib dann etwa in ber folgenden Form
ab, Der Spendier-Naz bietet dem Herrn
Gerichtsaſſeſſor eine Cigarre an.
„Ein vorzügliches Kraut“, jagt der
Herr Aſſeſſor.
„Nicht wahr?” jagt darauf der
SpendierNaz, „und fabelbaft billig.
Rathen Sie einmal, was fie foftet. Nicht
mehr als zwei Pfennige.“
„Nicht möglich!" ruft der Herr
Aſſeſſor, „Loftet ja dieſe verfluchte Stin«
fadores, welche ih täglich rauche, zehn
Pfennige.“
„Wollen Sie 1000 Stück zu zehn
Mark haben? Sie brauchen Sie nicht
gleich und nicht auf einmal zu zahlen.“
„Topp!“ ruft der Herr Aſſeſſor, und
erhält am mächiten Tage jeine 1000
Gigarren pünktlich zugeftellt.
Oder der Spendier-Naz trifft den
Herrn Rath mit einem alten Regenihirm.
„Aber Herr Rath!“ jagt er, „welch
altes Möbel haben Sie bier, wo dod
dieſe Sachen jest jo billig find. Sehen
Sie mal meinen Schirm, mit Seide über-
zogen, Patentfedern, echtes Bambusrohr.“
„Ein Prachtſtück,“ jagt der Rath,
„toftet aber mindeftens feine ſechs, ſieben
Thaler.“
„Warum nicht gar, drei Mark foftet
er nen,“
„Ah, Sie jcherzen.“ fionäbogen. Der Spendier-Naz, der, wie
„Wollen Sie fich überzeugen, dann ſchon erwähnt, ein jovialer Menjc it,
geben Sie mir drei Mark, ih bringe | juchte dieje Sorgen jeines Freundes weg—
Ihnen ganz denjelben Schirm, oder noch | zuicherzen, und als ihm dies micht ge
beiier, nehmen Sie gleich Dielen hier, ich | Lingen wollte, jagte er:
taufe mir dann einen andern,“ „Wiſſen Sie was, ich jchlage Ihnen
Auch dieſes Geſchäſt wird abgeichlofjen | eine Wette vor. Ich ſetze 20.000 Thaler
und der Herr Rath zeigt zu Haufe trium- | gegen Einen von Ihnen, daß Sie fi
phirend die neue Acquiſition und auch | noch mindejtens zehn Jahre des ungejtörten
die Frau Nätbin kann nicht umbin, zu Genuſſes Ihrer Stellung erfreuen. Schlagen
geiteben, dak man nirgends jo billig faufe, | Sie ein.“
wie beim Spendier-Na;. Der andere gieng — natürlich im
Kein Wunder daber, daß der Ependiers | Scherze — darauf ein. Aber am folgenden
Naz im Gerichtäfreiien fih einer allge-| Tage fam das Donnerwetter und der
meinen Beliebtheit erfreut. Vom Wortier | Spendier-Naz hatte die 20.000 Thaler
bis zum Seren Präfidenten kenut ihn zu zahlen.
. Jedermann und Jedermann ift ihm für Das war jedenfalls ein ſehr gewagtes
irgend eine Gefälligfeit, für irgend einen | Geichäft vom Spendier-Naz;, und wir
Dienſt verpflichtet. Er iſt wie das Kind müſſen hinzufügen, es war nicht das erjte
vom Haufe, geht in den Bureaur ein und | und letzte diefer Art. Der Spendier-Naz
aus, weiß Alles, was vorgeht, in welchem | hazardierte und er verlor immer, wenn er
Stadium fih ein Proceß befindet, wer mit Leuten jpielte, deren hohe Stellung
der Referent ift u. j. wm. Wenn man in ihm imponierte. Wahrjcheinlih war jeine
Procehjahen etwas zu fragen oder zu Befangenheit daran jchuld. Denn anders
richten hat, iſt es faft jo gut, jich an den |ijt die Sache nicht zu erflären, wenn
Spendier-Naz zu wenden, wie an eine! man nicht annehmen will, daß er ab»
Gerichtäperjon, ja noch befler, da der | fichtlich verloren, um fich die einflußreichen
Spendir-Naz, der Alles weiß, an feine | hohen Herren, welche über Orden, Pri—
Amtszeit gebunden ift und von jeinen | vilegien, Eiſenbahn-Conceſſionen u. j. mw.
Fremden, den Herren Räthen und Aſſeſ- verfügten, zu Freunden zu machen, was
joren, Alles erreichen fann, was zn er» aber jhon dur die bohe Würde der
reihen iſt. Natürlich geichiebt dies Alles | andern nicht glaubwürdig ericheint. Denu
in Ehren, wie ſchon durch die Amtsdignität | da befanntlich Macht und Einfluß immer
der Herren Richter jeder Gedanke einer | mit Einficht und Nedlichkeit gepaart find,
unlanteren Beeinfluffung ausgeichloffen er» | jo hätten die hohen Herren bald das
icheint. Niemals bat man Herrn Ignaz | Spiel durchſchaut und hätten es durch.
Macher eine Beſtechung nachweiſen können, kreuzt.
auch damals nicht, als in einer bisher Näher liegt die Erklärung, daß der
unaufgeklärten Weiſe ein wichtiges Acten— Spendier-Naz nicht deshalb gegen eder-
jtüd in einem Millionenproce aus dem mann gefällig war, um fich-beliebt zu
Actenfascifel verſchwand. Die Sache machte , machen, jondern daß er beliebt war wegen
damals viel Aufjehen und der Beamte, | jeiner Gefälligfeit und Herzensgüte. Es
dem diejer Unfall zugeitoßen war, wurde | gab nichts, wozu der Spendier «Way
im Difeiplinarwege jeines Amtes ent- | nicht bereit geweſen, nichts, was er nicht
N
I
hoben. Auch er war ein guter Freund | durchgejegt hätte. Galt es einer jungen
des Spendier »Naz und noh am Abend | Debutantin die Wege zu ebnen, ihr Beifall
zuvor hatte fi zwiichen den Beiden die | beim erjten Erjcheinen, eine günftige Kritik
folgende Scene abgeipielt: Der Beamte | in den Blättern zu fihern — der Spendier«
war trübfinnig, von düfteren Ahnungen Naz war der Arzt für dieſe Krankheit,
beunrubigt. Ihm jtehe ein Unglüd bevor, | ebenjo wie für die entgegengelegte, wenn
eine amtlihe Rüge oder gar der Pen» | nämlich ein bejcheidener Angeklagter oder
Rofegaer's „„Hrimgarten“‘ +. Heft, XI. 20
ein Zeuge vor Gericht in der Deffentlichkeit
in der Nolle des „ıumbefannt jein wol»
lenden Wohlthäters“ auftreten wollte.
Auch dafür wußte der Spendier « Naz
Mittel und Wege, und wäre es aud
nur die Rettung durch einen unliebjamen
Druckſehler geweſen, der im Berhandlungs-
bericht juft den Namen des bejcheidenen
Angeklagten oder Zeugen entitellte.
Oder wenn es galt, Abgeordnete des
Parlaments, Mitglieder einer Gemeinde
vertretung für irgend ein Project günftig
zu ſtimmen — der Spendier-Naz war der
Mann dazı. Er war der Mann für Alles
und unternabm Alles, jelbjtverjtändlich
ans reiner Menjchenfreundlichfeit, denn
hätte er fi dieje Gefälligkeit bezablen
lafien, jo würde er ja nicht der Spendier-
Naz heißen, jondern der Profitmacher-
und Suppler-Na;.
Amerikanifdie Eigenheiten.
Mer fich über die Eigenthümlichkeiten
von Nordamerifa auf die kürzeſte und
verläßlichjte Weiſe unterrichten will, der
gönne fih von Langenicheidts „Notwörter-
buch den IV. Theil: „Land und Leute
in Amerifa.” Diejes von Karl Naubert
in ‚Form eines alphabetiſchen Lexikons
zujanmengeftellte Werfchen unterweist
über das Wichtigfte und nterefjantefte
und iſt bejonders für Amerikareiſende
von höchſtem Werte. Hier jollen einige
auh für Dabeimbleibende
Stichproben des Inhaltes und der Be
bandlung desjelben Platz finden,
Das Annoncenweſen bat in
den Vereinigten Staaten eine ungeheure
Ausbreitung gewonnen, jpielt eine wichtige
Rolle im gewöhnliden Leben und
bedeutend höher entwidelt als in Deutjch-
land. Viele Artikel finden ja nur
Abnehmer, wenn fie ohne Unterlak in
der auffallendften Weije angezeigt werden;
die Patent-Medicinen, melde in dieſer
Gruppe eine hervorragende Rolle ein-
nebmen, bringen mandem Blatte tag-
täglib 2—3 Spalten voll Anzeigen;
jüngere Aerzte und Auwälte, die nicht
intereflante
iſt
‚dauernd annoncieren, Eiſenbahnen und
Dampferlinien, die nicht tagtäglich ihre
Fahrpläne befannt mahen, Wirte, die
nicht jebr oft in den Anzeigejpalten ihre
„Freunde“ zu häufigem Beſuch ermabnen,
exiſtieren für das große Publikum gar
nicht. Bis zu einem gewiſſen Grade
herrſcht in dieſer Beziehung eine Anſchau—
ungsweiſe, die der deutſchen geradezu ent—
gegengeſetzt iſt. Es ſchadet einem Ge—
ſchäft nicht, wenn es ſich in einer marft-
jchreierifchen Weiſe anzeigt, die bei uns
sofort Mißtrauen erweden würde. Daß
die großen Gejchäfte jahraus, jahrein be-
ftimmte Spalten für ihre Anzeigen ger
pachtet haben und ihre Empfehlung zum
Ueberfluß noch auf jeden Zaun und Stein
im Lande pinjeln laffen, gereicht ihnen
in den Augen der Amerikaner unr zum
Lob und Vorteil. Es iſt erſtannlich,
wie gefüllt mit Anzeigen ſelbſt die Winfel-
blättchen in den Heineren Städten find.
Viele würden fihb ohne dieſelben gar
nicht balten fönnen. Große Annoncen-
‚ agenturen gibt es in Amerika nicht; die
' großen Blätter halten Neifende für diejen
Zweck. Abgejeben von den förmlichen
Annoncenbücern, welche die Beilagen der
großen Zeitungen füllen, leiftet man auch
im Bezug auf die Straßenplacate Une
glaubliches, und da find es SHaaröle,
Yabnpulver- Gurgelöl-Fabrikanten u. |. w.,
vor Allem die Theater, welche das Rubli«
fum durch auffallende Bilder und haus—
große Placate herbeizuloden ſuchen
Arbeit. Bein Amerikaner iſt
die Arbeit, das Geichäft (business)
zu einer Art Wuth und die damit ver-
‚ fmüpfte Aufregung zu einer unentbehr—
‚ lichen Lebensluft geworden, Die Ameri-
'faner arbeiten nicht bloß, fie über
arbeiten ſich, jelbit dann noch, wenn fie
ihon tief im Neichtum fiten, und Die
meiften verlieren dadurch den rechten Ge—
nuß des Lebens. Amerika hat jeine ganz
bejondere Art zu arbeiten, namentlich
‚ finden höhere geiftige Anlagen, falls jie
nicht mit gegründetem Ruf oder tüchtiger
Reclame berüberfommen, dort noch nicht
jo leicht wie bei uns ihren Marft, und
da der Einzelne ſich viel mehr als da—
307°
Amerifa ſchon längſt feine Fremdlinge
mehr, ſondern ſie ſind ein mächtiges und
wichtiges Bevölkerungselement geworden,
heim auf ſich und ſeine Arbeit angewieſen
ſieht, ſo mag ſich das Vorwärtskommen
ſehr lange hinausziehen, ſofern er ſich
nicht in amerikaniſche Verhältniſſe hinein- deſſen mannigfacher Einfluß auf die Cul—
zuleben verſteht. Nicht wenige ameri- turentwickelung ihrer neuen Heimat nun
kaniſche Politiker haben ihren Lebenslauf nicht mehr geleugnet, abgeſchwächt oder
vom Stiefelpuger oder Zeitungsjungen verhindert werden fanı. Bon allen jeit
begonnen, jenem jugendlichen Iheile des der Bildung der Ver. Staaten in die
„üben Pöbels,“ der bier bejonders ftarf jelben eingewanderten Vollselementen gibt
vertreten ilt. Wer aus Europa berüber- das deutſche allein einen wejentlichen
kommt ohne die Fähigkeit zu arbeiten Factor in der Gulturentwidelung von
und ohne Energie, das Arbeiten zu er» Amerika ab, jeine Einwirkung auf die
lernen, der wird in Amerifa nur mit Gejtaltung des amerikaniſchen Volkscha—
verdoppelter Geichwindigfeit jeinem Unter» | rakters wird zuitehends ftärfer und be-
gangange entgegeneilen. Amerika ift fein reits ift ein jehr merklicher Germani—
Land des PVergmügens, fein Aufenthalt ; fierungsproceß in Gang gefommen. Und
für müßige Junggejellen und Theater als durd die Erfolge in den Jahren
freunde; das offenbart ſich jedoch nicht 1870/71 die bis dahin nur dem Namen
allein in der allgemeinen Gejchäftigkeit nach beftehende deutſche Nation an die
und der verhältnismäßigen Seltenheit Spitze der civilifierten Welt trat, und
unjerer in Deutichland und Frankreich
jo leicht zugänglichen VBergnügungen, ſon—
dern weit mehr noch in den Koſten, die
bier durchweg viel höher find als dies-
jeit3 des Atlantifchen Oceans. Wer nicht ı
jelbjt arbeitet, wird feine Börſe bald ge
leert jehben, weil es in Amerifa außer
der Arbeit feinen Zeitvertreib gibt, der
fein oder nur wenig Geld koſtete. Wer
mit europäiſchen Anſprüchen nach Amerika
fonımt, wird die doppelte oder dreifache
Anzahl von Dollars nötig baben, wo
bei uns die Mark genügt, und doch wird
er unbefriedigt von damen geben, denn
es jcheint ein Lebensgejeß zu jein, daß
ſich in Amerifa langweile, wer nicht
arbeitet.
Deutjde in Amerifa Man
hat die deutjche Auswanderung nad den
Ver. Staaten von Amerifa nur zu häufig
unterjhägt und fie als blofes Material
betrachtet, welches allerding® dem Yande |
durch Vermehrung der Einwohnerzahl
und der dadurch gewonnenen Arbeitshilfe
zugute gelommen je. Man nahm aı,
der Deutſche babe ſich nur in die be
ftehende Bevölkerung eingeichoben und fich
jo mit ihr verjhmolzen, dab namentlich
von einer geiftigen Einwirkung auf die,
Bildung des Volfscharafters feine Rede
jein fönne. Aber die Deutſchen find in
als das Kaiſerreich mit jeiner Macht
und der Intelligenz jeiner Leiter tonan«
gebend bei den Mächten wurde, da vollzog
fih auch eine gänzliche Ummandlung des
Deutjchthums in Amerifa, welde von
größter Tragweite für deſſen Entwidelung
geworden ift. Das Stammesbemwußtjein
wachte wieder auf. Leute, melde ſich
längit ſchon dem Deutichthum entfremdet
hatten, fehrten zu demfelben zurüd, nahmen
die Mutterfprade aufs nene an und
‚zeigten das wärmſte Intereſſe an Deutich-
lands Kämpfen und Erhebungen, — Der
Deutſche zeichnet fich vor den Angehörigen
aller übrigen Nationalitäten namentlich
als eifriger und vorbedachter Yandbauer
aus. „Die Erfahrung der weltlichen
Staaten beweist“, erflärt die engliſche
Zeitung „New-York Sun,* „daß die
Deutichen alle Anderen als Farmer weit
übertreffen, und daß ihrem Einrüden in
jedem Gemeinweſen ein jtetiges Steigen
der Bodenpreile folgt. In den Theilen
‚von Milfouri und Jllinois*, fährt jenes
‚Blatt fort, „wo die Deutihen ſich am
dichteften miedergelalien haben, iſt das
Land vier» oder fünfmal jo viel wert,
als in allen anderen Sectionen, wo die
‚armen von geborenen Amerikanern culs
‚tiviert werden. Oft fchafft ibre Bewirt—
ſchaftung einer Gegend Nachfrage nad
20*
308
Sand, die vorher nicht eriftierte, als der lift. Die verhältnismäßig keineswegs zahl«
Boden noch feine Anzeichen davon gab,
welche Reichthümer aus ihm zu gewinnen
ſeien.“ Der Amerifaner braudt vor-
nehmlich gern eine deutiche Kraft, aber
nicht etwa aus Liebe zu den Deutſchen,
fondern nur, weil fie fih am vortbeil-
baftejten für jeine Zwecke ausnußen lafien ;
jeine Zmwede find aber nur Gelderwerb !
Amerikaner verfehren wenig in deutjchen
Kreiſen.
Europafieber. Die Reiſen nach
Europa ſind ein weſentliches, beinahe ein
unentbehrliches Element des ſocialen Da—
reihen Iſraeliten, die in der Union leben
und es zu Wohlitand oder bedeutendem
Vermögen gebradt haben, wie ja auch
einzelne jüdifche Firmen Weltruf befigen,
fonnten es nur jo weit bringen und ver«
mögen ſich nur dadurch auf diejer Stufe
zu erhalten, daß fie fich die dortigen
Verhältniſſe vollkommen zu eigen gemadt,
fih mit ihnen vollfommen amalgamiert
haben. Der größte Theil der anderen dort
lebenden Juden krabbelt im Staub des
kleinen Mannes umber, bringt es nicht
viel weiter, als bis zum fleinen store-
jeins geworden. Wer Anſprüche erhebt
auf Eleganz, muB die alte Welt bejucht | Pofition erbält und jein Dajein friftet.
haben. Die Reifen der Amerikaner er- | Eine nicht unbeträchtliche Schar von ihnen
innern an die jogenannte große Tour | bat fich leider, da fie fein beiferes Er-
der jungen Engländer von Stand im werbsgebiet finden, die armen, friich ger
ftebzchnten Jahrhundert. Befonderen Wert | landeten enropäilhen Einwanderer dazu
legen Frauen darauf. Es kommt nicht | auserjehen, die fie nach beiten Kräften,
jelten vor, daß reich gewordene Familien | mit Aufgebot ihrer europäijchen, höchſt
fih zugrunde richten, um dieſer Mode | mangelhaften Spradfenntnis, ganz nad
zu fröhnen. Sie reifen mit Gourieren, | früher in Europa betriebenem Schnitt, mit
wohnen in den Prachtappartements der dem geichäftbegünftigenden Panfee-Weber-
eriten Gafthöfe, fahren in den elegantejten gewicht und mit jchlecht copierten Yankee—
Equipagen, kaufen Kunftgegenitände ein manieren, jo viel fie nur fönnen, über
und fehren nach Amerifa zurüd, wenn das Ohr bauen und gründlichit betrügen,
ihr ganzes Vermögen vergeudet tft. Ihren wovon der thatjächlihe Beweis klar vor
Zwed haben fie aber erreicht. Sie fühlen Augen liegt, wenn man die Straßen
fih gleichſam geadelt und innerlih be» und Landungspläge der großen Einwan—
friedigt. In Diefer gehobenen Stimmung dererhäfen betritt. Alle diefe Straßen
beginnt man das Leben von neuem, fteigt wimmeln von Läden jüdiicher Emigranten-
ohne Murren zu dem erjten, niedrigen händler, Söhnen Iſraels, die vor Jahren
— iſt froh, daß er ſich in dieſer
Ausgangspunkte herab, wird wieder, was
man urſprünglich war, Metzgergeſelle,
Aufwärter, Hauſierer oder Portier, ein
jeder nah Maßgabe ſeiner Fähigkeit und
phufiihen Kraft. Junge Leute, wenn fie
ihrer Natur nad vorfichtig und jparjam |
find, nehmen, che fie heiraten, darauf
Bedacht, daß ihre Herzensflamme nicht
von dem Europafieber ergriffen ſei.
jelbit aus Europa eingewandert find, ſich
in Amerifa mit ihrem Speculationsgeift
diefes Handelsgebiets bemächtigt haben
und bier, Dank der Dummbeit oder bal-
digen Geldnoth der eben erjt gelandeten
Emigranten, recht hübſche Gejchäfte machen.
In diejen Straßen thront das Hleeblatt:
der eingewanderte europäijche, meiſt pol«
nische Jude, die gnadenjpendenden Emi—
Die Juden, die eminenten Geſchäfts- granten-Öratis- und Belehrungsbureaus
leute Europas, verſchwinden unter der der chriſtlichen Kirche unter je irgend
bandeltreibenden Bevölkerung der Union | einem böchft achtbaren Paſtor oder Geiit-
gänzlich. Der Yankee iſt als Handelsmann | lien und die Dienjtvermittlungsteller,
viel geriebener, gewandter, tüchtiger und moderne Sclavenmärfte, deren Beſitzer,
jpeculativer als der Jude; er iſt ihm ebenſo wie die höchſt ehrenwerten Diener
weitaus überlegen in jeder Beziebung, , der Kirche amerikanifierte, einjtige Europäer
bejonder8 wenn diejer noch green-horn find. Alle drei: der polnische Jude, der
edle, menſchenfreundliche, tief religiöfe,
chriſtliche Geiftlihe und der infame herz.
loje betrügeriſche Menſchenhändler, alle
drei vertragen ſich vortrefflich, Lieben fich
zärtlih und reichen ſich geichäftlich brü-
Mit lieblichen Antlig, da zittert's im Herzen:
Ach hätt’ ich ein Liebchen! wie liebt ich's
fo jehr!
Erwaden.
derlichft die Hände, um die armen Gmi. | O5 in des Taumels Rojengärten?
granten, die verlaufenen, ängjtlichen Schäf-
hen gründlichjt zu ſcheren, ihnen das Fell
über den Kopf zu ziehen und fie mit,
Leib, Seele und mitgebradhtem Beſitz zu |
verkaufen. Der Eine ſchickt fie zum Ans
dern, nachdem er ihnen genommen, was
er ihnen nehmen fonnte. Diejes Trio bildet
in feiner Gejammtheit die erjte Grube,
in die der amerifajüchtige,
Emigrant gleih beim Betreten der ge
lobten neuen Welt fällt und fich meijtens
auch das Genid bricht, d. h. für jeine
ganze weitere Zukunft ruiniert, ein wirte
jchaftlih todter Menſch wird.
Gedichte.
europäiſche |
| Um Feenteich verbotner Luft?
Was weih ih wo? als fie beifammen,
Da ftand in hellen Liebesflammen
Des ſchönen, jündigen Mädchens Bruft.
Dem Mann floß Honig von den Lippen,
Sein einzig But — wohl offenbar;
Auf's erite jelige Ergögen
Erwacht das Kind und mit Entjeßen
Sah's, ah — daß es verloren war!
Herr Redacteur.
ſchön um Vergebung,
Gilt in der That mir die Notiz!
Ih greif’ zum Blatt und ſchau und
fhaue....
Ah, Herr, das ift ein ſchlechter Witz!
Sitz' ih den nun ſeit fieben Jahren
Und brüte, brüte über'm Ei —
Damit troß meiner huudert Strophen
Mein Schickſal Ihr Papierkorb jei?
Was gibt's an meinem Vers zu mäfeln?
ließt er nicht glatt? hat er nicht Klang?
i BI F
Von J. Kiß, in's Deutſche übertragen Iſt da nicht Alles Anmuth, Stimmung:
von Dr. Joſef Steinbad. *)
Tiebesſehnſucht. |
Von Straße zu Straße unthätig zu fungern: |
Was Süßeres, Hoideres gibt's für mich faum.
Das Haften, das Lärmen, das Wogen der
Menge
Beitridt und verſenlt mich in feligen Traum.
Als ob ih, auf grünen Gebirgstänmen |
wandelnd, |
Voll Seligfeit laujchte dem raufchenden Spiel
Ter Hippernden = Hlappernden Mühle im
Thale — |
So fühl’ ih mic mitten im Menſchengewühl.
Den fingenden Hlingenden Frühling im
Herzen,
Eo fteh’ ich im leuchtenden Wunderrevier |
Am Hügel der Dichtkunſt — inmitten der
Menge
Als träumt’ ich, als träumt’ ich nur ferne
von ihr.
1
i
i
Die Seele jo ruhig — ein See nad dem
Sturme;
Nur manchmal, verirrt ſich ein Mägdlein
daher
*) Uns Joſef Kiß' eigenartigen Gedichten.
EEE. Deutſch von Dr. Joſef Steinbach,
Wien, Georg Szelinski, 1886,
Der Ausdrud, Bild und Lebergang?
Miſcht fih in andern Verſen ſchöner
Der Eonnenftrahl mir Zephurbaud....
— Hol’ mid der Teufel, wüßt' ich einen,
Nur einen einz’gen Einwand aud!
Nicht neu, niht neu und Liebesiyrif!
Ya, auch die Liebe ift nicht neu;
Und liebend and're Dinge fingen,
Das wär’ die rechte Ejelei!
Wenn mir der Liebften Lilienantlit
In rof’gem Purpur lächelnd glüht,
\ Da finge dody das Donnermetter
‚ Ein ander, bimmelrüttelnd Lied!
Wenn Sie fie fennten!... ihre Tante
Ein Drade, der da zahnlos friedt —
Und — gleich dem Alten aus dem Märchen —
Ten Menſchen auf neun Meilen riecht.
Da wird fein Brief, nur noch die Zeitung
Verdachtlos übern Zaun ſpediert,
Nun und Marie — oh hart Verhängnis! —
Hat juft ihr Blatt pränumeriert!
Ideenlos! — Abgenützte Phrasen!
Wie nun mein Herr und das Gefühl?
Ach denken! — das fann auch der Eſel,
Nun jo, im eignen Kirchenſpiel.
Ich aber finge traumummoben
Bon flanmendem Gefühl entfaht....
— Oh bitte, bringen Sie die Verſe,
Sie haben Schwäch'res ſchon gebradt.
310
Oh bringen Sie fie, ob verjtiimmelt,
Ob auch entftellt und ungenau! —
Marie ftridt Ihnen eine Mütze
Sobald fie nur erjt meine Frau.
Verwerfen Sie des Liedes Hälfte,
Bleibt nur mein Name d’runter fteh'n,
Am Titel: „Meinem bolden Engel... .*
Wird mid die Theure jhon verfteh'n!
Fliegende Blätter.
Der Kopf jcheint doch nur eine Neben-
ſache im Leben zu jein, denn während
man mit einem jchlehten Magen oder
mit einer schlechten Lunge nicht lange
leben kann, jeben wir recht Viele‘ mit
einem „schlechten Kopf“ ein ganz rejpec-
tables Alter erreichen !
* *
Es kann einer Jus und Theologie
Und Medicin und Aſtronomie,
Botanik und Chemie betreiben,
Und dod dabei ein Ejel bleiben.
* *
Iſt es nicht ſeltſam, daß die größten Meiſter
Verhungernd zieh'n in's Land der Geiſter,
Und find im Elend fie entichlafen,
Noh Würmer nähr'n und Biographen?
* *
Jede Dummheit findet Einen, der fie
macht.
*
*
Mancher weiß den Stuhl in allen
Sprachen zu nennen, und ſetzt ſich doch
daneben.
*
* *
Manches Buch hat feinen Drudfebler
und doch ift es ein Fehler, dab es ge
drudt worden ijt.
*
Man ſoll die Menſchen nehmen, wie
ſie ſind, aber ſie geben ſich, wie ſie
nicht find.
*
*
* *
Mit nichts auf der Welt ſind die
| Narrbeit ift immer anftedend. Ver—
| munft-Epidemien find jelten.
*
* *
‚Nimmt wer das Bud verehrt zur Hand,
Wird er von Jedem ausgeladt,
Doch bringt er’3 quer in den Berftand,
Heißt's: er hat originell gedacht.
*
* *
Nur wer ungewöhnliche Thorheiten
an ſich hat, kommt in's Tollhaus; wer
die gewöhnlichen, landesüblichen mitmacht,
iſt ein Mann, der Welt hat und zu
leben weiß.
—
Pythagoras, der Philoſoph, erſann
‚Ein neues Lehrgeſet und brachte dann —
Da er doch nur ein Heide war —
Den Göttern hundert Opferſtiere dar.
Iſt's da ein Wunder, wenn die Ochſen zittern,
Sobald fie eine neue Wahrheit wittern ?
| *
* *
Warum der Schwindel ſo frank und frei,
Und die Leute ſo leicht zu betrügen?
Sie nehmen die Wahrheit wie Arzenei
Und frefien mit Löffeln die Lügen.
| *
* +
|
Wenige willen, wie viel man willen
muß, um zu willen, wie wenig man weiß.
|
Ein wiſſenſchäftliches Geſpräch
in da ſteiriſchn Gmoanſproch.
Da Schulmoaſta, der mir ſchon als
floana Bua einidruckt worn is in mein
Schädl, den bring ih holt deutſch mit
mehr aufja. Und mwan ib zan Sunta
Nochmittog wo an Bauern hör, der noch)
'jeina Moanung wos Gſcheidts daherredt,
wos noch meina Moanımg nit gonz richti
'i8, gleih zwidt mih da Tuifel ban Gnad,
ib jullin belehren und aufflärn.
| Nau, jo ſitzn mar amol ban Gmoan«
wirt banond, ib und da Dauderer Hanjl.
| Da Dauderer Hanjl nimmt ans n Brote
förbl, das afn Tiih ſteht, an Weggn,
meiften Leute jo jehr zufrieden, al$ mit drahtn a weil um und um und beflogg
ihrem bißchen Verſtand. Je weniger fie fih über die floan Semeln. Sogg da
baben, deſto jelbftzufriedener find fie. | Ömoanmirt, der ab z gleich da Bäd is:
31
„Geſtern haft as erſt ſechn ſuln, d Semeln,
wia j mei Bäcknjung aus n Bochtrog
auffabogt hot, do häſt Dih wundern
tinen üba die Moan Semeln. In Ofen
jein j eb gröſſa worn.“
Do kimbb da Dauderer Hons drüba
nochzgrübeln, wia dan däs fein fon, daß
d Semmeln in Ofn gröfla wern. Do
zwidt mih 3 Tuiferl. „Hons,“ jog ih,
„wanft in d Schul gonga warſt, ja
er r
müafjaft a3 wilin, daß d Hit die Körper
ausdehnt. Und die Kaltn ziachts zſom.“
„Ab, derawegn!“ ſogg da Dauderer |
Hons. „Hon mib eh ollaweil drüba
gwundert, daß mei kloans Gſindl dahoam
in Suma, wan $ worm i3, in olli
Meitn andanondalaft, und im Winta,
warn s folt is, ſchliafn j oll ſchön glod
zlom ins wormi Nejterl.*
„Hoſt gleih a Beijpiel,“ ſog ib,
„und dent da's, a Menſch, wan er olt
und folt wird, do geht er ziom, wird
gonz buglad und floanwinzi, weil die,
Kältn die Körper zſomziacht. Herentgegi,
jungi Leut in Wirtshaus, warn j in d
Hit femen, do fohrn j ausanonder und
gleib gibts didi Noſn und groſſi Nöpf. |
Neil d Hik die Körper ausdehnt.“
„So!“ redt hiaz da Gwoanwirt,
drein, „bias woaß ih s ab, weguwos
die Grundausmeſſa grod in Sumer aus—
l
— —
denk ih ma, muaß heint amol rund wos
drein ſein, weil er ja ſchwar is,
„Stimpp oba doh nit gonz!" jogg
da Hons und draht fih auf. „Ya da
Nocht is 3 doh fälta, wia ban Tog,“
jogg er, „is s nit aſo?“
„Jo freiti i8 s ba da Noct kälta,
wia ban Tog“, jog ih.
„Nau olba, ja müaßad ba da Noct
da Weg fürzer fein, wia ban Tog,“
jogg er, „und mir kimpp da Weg ba
da Nobt, wan ib von Wirtshaus
boamgeb, holt ollomol länga Für.”
Saggera, denf ih ma, biaz bot er
mih. Ober müad doh a Schond jein für
an Mon da Wiflenjchoft, wir ih oana
bin, warn ih mih nit auſſi wußlad.
„Mei liaba Freund!" jog ib zan
Hons und legn d Hond at d Odil.
„Mei liaba Freund! Wan ma willen:
jchäftlt fein will, därf ma nit af Dans
denkn und afs Onderi vergelin. Wan die
Kältn die Körper zſomziacht, ja wirds
nit grod in Weg alloan ziomziachn, ja
wirds wul ah deini Fuaß zlomziachn
und fürza mochn.“
„Na!“ jchreit da Hong, „meint Füaß
loß ih ma wit zſomziachn.“
fin uns worm
unſern wiſſen—
AU jo wartin ma,
ban Wirt, feman bar
meiin und nit in Winta. Weil mei Hrant- ſchäftlichn Diſchkurs ſagor a went im d
gortn in Suma, warn 3 worm is, gröfja Hit, und wia ma die Zeh zohlu wölln,
doligg, wir in Winter, und dab j mar | hot ih akrat ab d Rechnung awenk
a gröſſeri Stener vorſchreibn kinnen.“
„Freili,“ ſog ih, „af de Weis limpp
oan ab da Weg länga für, wan ma
ſchwar trogn muaß, dab mar in d Hitz
fimpp und recht jchwigt, weil da Meg |
afn Bodn ligg, da Bodn a Slörper is
und d Hitz die Körper ausdehut.“ |
Da Dauderer Hons legg ſih mit
jeini Ellbogn ſchön broat afn Tiich bin, |
woglt a went mitn Kopf und brumelt:
„Stimpp oba doh nit gonz!“
35 jbau n on. War mar ab wos
Keugs, dab a Naturgſetz, das für die
gonz Welt
Hons nit ftimma ſull. Er jpreizt ſein
Kopf mitn Ellbogn auf; in dem Schädl
paßt, grod ban Tauderer —
ausdehnt ghobb.
Lukher.
Fin neues Lied von Guſtav Edmund*)
Zu Worms vor vielen Fürſten
Der tüchtige Luther itand.
Viel Staub war aufgewirbelt
Im weiten deutichen Land.
Und Luther ſprach mit Kraft und Muth:
Die Pfaffen ihäten grinzen
Und mit den Augen blinzen.
*, Aus „Ergo bibamus“. Neue Lieder für
durſtige Aehlen von Guftav Edmund. (Leipfig.
Albert Unffad,
Er ſchloß die Rede feit und gut:
„Hier ſtehe ich,
Ich kann nicht anders,
Gott helfe mir!
Amen!“ —
Der Frundsberg jpridt ihn an und ladt:
„Das, Pfäfflein,. haft Du gut gemadt!”
Um's Unredt zu verfchmerzen,
Das man ihm zugefügt,
Gieng er d’rauf in den Seller,
Der unterm Rathaus Liegt.
Er ſaß dort lang, e3 ward ihm bang;
Mit ih jo ganz alleine,
Bei feinem Schoppen Weine
Lich Ichben er Wein, Meib, Gejang!
„Bier trinte ich,
Ih kann nicht anders,
Gott helfe mir!
Amen!" —
Ter Frundsberg kommt herzu und ladt:
„Das haft Du beffer noch gemacht!“ —
Büder.
Rrug und Wintenfaf. Gedichte von
Nudolf Baumbad. Leipzig, Liebes:
find, 1887.)
Es ſcheint jchwer, etwas Neues zum Lobe
eines Dichters zu jagen, der in jeiner feit
ausgeprägten frijhen und fröhlichen Eigen:
thbümlichleit immer derjelbe bleibt, und in
diejer jo allgemeine Anerlennung gefunden
bat. Aber Eines ließe ſich vielleiht doc
geltend maden, was woenigftens in genü:
gender Weile noch nit hervorgehoben
worden ift: diejer friiche, Fröhliche Lieder-
dichter ift einer der trefflichſten Meifter
der Form, deren der deutche Parnaß fi
im gegenwärtigen Uugenblide zu rühmen
bat. Die formelle Glätte und der leichte
Fluß Baumbach'ſcher Poeſie ift ſchwerlich
zu übertreffen. Seine Sprache und ſein
Vers ſind von einer Reinheit, welche das
feinſte Ohr befriedigt und auch das un—
feine, ungebildete erquidt, wenn dieſes ſich
auch des Grundes ſeines Wohlgefallens
nicht Har bewußt wird. Ein Vorzug, den
ih, obgleich Teuticher, nicht jo gar aering
anihlane. Was den Inhalt des neueften
Bändchens anbelangt, jo entiprehen wohl
die Scherzlieder dem „Krug,“ und die Ab:
tbeilung „Lehrhaftes“ dem „Tintenfaß.”
Baumbahs Dichtung ericheint hier, wie
faft immer, weniger tief, als fie eigentlich
ift, weil fie aud das Tiefere in das leichte
Gewand des Scherzes Heide. Man jehe
nur, wie 3. B. in dem vortrefiliden Ge:
diht „ES war einmal” eine tief elegiiche
Stimmung fi zu reiner poetilcher Heiter:
feit verflärt und verflüdtigt!
—
„Ait lugg lo!“ Mundartliche Gedichte
allemanniſchen Stammes von Seeger an
der Lug. (Imnsbrud, Wagner, 1886.)
Ye weniger irgend ein Dialectgedidht
vom componierten Bilde, je mehr es von
der Naturftudie an ſich trägt, deito mehr
bat es culturgeihichtlihen Wert. So Karl
Stieler in feinem kurzen, Haren Verſuch
über Dialectdvihtung. Eulturgeihichtlicher
Wert kann hienad) der vorliegenden Samm-
lung mundartliher Gedichte nit abge:
iprocdhen werden. Seeger componiert wenig
und zeihnet in einfachen, beftimmten Stri—
hen. Der vorarlbergiihe Bauer flieht in
feiner ganzen Eigenart vor uns. Die Mund»
art — es ift die hinterländijche, wie fie im
obern Walgau, im Blumeneggiſchen ge:
bräuchlich ift — ericheint hie und da jogar
allzu getreu, wird ftellenweile dem hod:
deutichen Lejer jchwer verftändlih; eine
Unzahl von Anmerkungen muß fi eine
finden. Schon beim Titel: „Nit Iugg lo!”
wird Mandem die hochdeutſche Heberjetung:
„Nicht nachgeben, nicht loder laſſen!“ nicht
jofort einfallen. Gerade an dieſer Echtheit
wird freilih der frreund und Kenner des
Dialects feine größte Freude finden.
Geringer als der culturhiftorifche, aber
noch immer nicht gering, ift der poetische
Wert des Büchleins. Unter den „Siägin
und GijängIn,“ die etwa die Hälfte des
vorhandenen Raumes für fih in Aniprud
nehmen, findet ſich mand’ urwüchſiges,
padendes Epigramm, in gewiſſer Mans
gel neuer, eigenartiger Stoffe lich fih für
den geireuen Schilderer volfsthümlidhen
Lebens in Vorarlberg nicht wohl vermeiden.
Die Almfreude, wie fie in „UF de Berga,“
die Proceifiriucht, wie fie in „D’ Proceh:
Krämer“ fih findet, die Trinkluſt, welde
„Der dürftig Mo‘ oder „'s Ogaweh“ ver:
berrlichen, jchnurrige Jagderlebnifje und
feifende Ghefrauen, „'s Wildern“ und
„3 Schätzle“ das Alles ift nichts Neues,
bildet aber doch den weſentlichſten Beſtand—
theil im Denten, Thun und Treiben des
Aelplers; und um fo ausihliehlicher be—
ihäftigen ihn dieje und ähnlihe Dinge,
je abgelegener die Bergfalte ift, in welcher
er wohnt, In einigen Jahrzehnten, wenn
die Hochbahn, welde vor Kurzem unter
dem Arlberg dur und bis an den Boden:
jee bin gezogen wurde, ihren jeltiamen
Einfluß auf den Stamm, der jene? farge
aber jhöne Land bewohnt, wird geltend
gemacht haben, dann mag aud der Dichter
mannigfadern Stoff und reichern Gedanten:
inhalt unter jeinen Yandsleuten finden und,
ohne in Unwahrbeit zu verfallen, die For:
men eines vieljeitiger gegliederten Geifles:
und Gefühlslebens geftalten lönnen.
Als die Stärfe von Seeger’ Did:
tungen ericheinen uns die fchwanfartig ge:
haltenen Stüde, die in ihrer reinen, naiven
fFreude am Lufligen und in ihrer gejunden
Derbheit an eine leider längft verloren ge:
gangene Geihmadsrihtung unjerer Lite:
ratur glüdlih erinnern und anlnüpfen.
Ein Beifpiel diejer Art mag bier Platz
finden.
D’ Ludelftrümpf.
Es iſt im Walfertbal a Mändle afi,
Das bat en ſchöna wiha Pudel gbo,
Mit finer Wolla wie vom beita Schaf.
Da jet amal fi Wible: „Ehriita los!)
Tenin)Pudel fött Aa ſchera, das nit Strümpf."
„Mitbalb‘, jet & Mändle und am andra Tag
Nardatichet 3 Mreiele ſcho s Pudel! Haar,
Ganz prädtig iſch es ganga und nit lang,
Eo ihnurret 5 Rädle und es git a Garn
So glatt und fi, was wett’) nu Wolla fi.
Dernach hat # Wible aitridt und ftolge‘) Etrümpf
Dem Ehrifta') fertig gmacht. Das Ding ift quet,
Ma bhalt die Etrümpf uf d rücher) Jahrszit uf.
Da kunt der heilig Abed und der Ma
Hat Sihäft und much ge Pludez uf e Marft,
's iit boda falt, da holet & Wible qnott)
Die neua Etrümpf: „Legs a, die heben’) warm.
Und welle‘) züct er's a, fie tugen auet,
Gr Inöpft fie Lederhoſa drob”) und Set:
„Die hast jez prädtig gmacht, i brina ber oh
Tafür, was gilt's. a Sirnmle us der Stadt.‘
Druf ift er furt a's Land und Bludez zue,
Und, a8 er uf em Marti bem ſchönſta Stand
A fidis!e, Halstuech, 5 Krämle!!), fofa will
Und marttet!?) mit dem Krämer, find da Hünd
En ganza FFalel!’) hinter em gli und bond
A dena Etrümpf- a - umma gichmedt!*), das hatls)
Berdächtig und recht arliat ) dunft, a Theil
Eind wicder furt und wieder abo und enen!®)
Viel gnöter biclofia!’) as die andra - n- U,
Der stellt ſiſch) uf drei Füeß und grückt die Etrlimpf
Wie's Prud iſt be de Hünd. Der Ghrifta dentt
Die neua Strümpf find nu jo alpähig warn,
Er jablt dein) Krämer us, 8 ift nümma 3 früch
Und goht de witer uf em Markt und trifft
En queter Fründ, und wie u—er mit em fdmäjt,
Eo werren d Etrümpf vo Neuem biefla!’) warm.
Ta drebt er fi und lueget drüber ab;
Die rühen ro8'*), und groß und Heine Kind
Hat's da, die luegen al de Chrifta—n-a.
„Bok Eaderement! find das je; Malefiz,'
Gr nümmt de Eteda und verjäuchtee) die Maar,
3 ift abeı fpat, und wo—n—er goht und ftoht.
So tonn fſ'em!) nah und niena’-) hat er Auch.
Da gobt er im Verdruß zum Hrüßer-Ped’)
Und lat a Ehöpple queta Hräker fo.
Und wie—n-—er & fründle bringt dem Nachber Lenz
€o murret's unterm Tiſch, Tue, wieder Hünd,
@ie fiben**), weller? ) beiier uf de Strümpf.
Ich hat er anue, us iſch es und verbei,
Gr lunt de Slona*) z Bludez nämma—ıı?) ab
Und mueß nodı vor der Zit zum Städtle us,
Da ſchwört? ) er wüethin nf em Wen umd jet:
„I bo -n-i jo—n-—a köſtlis Krämle koft,
Und was bo—n—i dafür? hodgirorne Etrümpf,
A Gwimſel und en Bih’”) a beva Füeß
Und 3 Sipött und s Glächter no vo Grob und li.
Ch! Mreiele, das ik nit pfiffig all.
Erklärung: ') böre, horch. °) wollte. ?) za:
vornehme. *) Gbriitian, ) raubere, ©) ſchnell. ') hal
ten. *) raid. *) darliber. *%) feidenes. #1) Martige-
Ihent. 9°) handelt. Y*) Rubel. 1°) gerocden. 13) fon« |
derbar. 1°) einer. #°) raicher beionnen. 1°) beielien,
bölliich, Schr. ) viel itart, ) verjant. *i) fie ihm.
*) nirgends. *) Benennnng des Wirtes. *) ftreiten.
*) welder. **) Ludern. =) nicht mehr. ) flucht.
=) Sribeln und Juden.
Franen- Literatur,
Liegen da drei Bücher vor und, von
denen jedes ein anmuthiges Talent zum
313
Fabulicren bekundet. Nähert ſich das eine
der neuen realiftiiden Urt, jo vertieft fich
das andere, ohne dem idealiftiichen Romane
untreu zu werden, in jeeliihe Zuftände,
und ift endlich daS dritte vom zarten Hauch
der Poefie begeiftert und ſchiert ſich nicht
allzuviel um die Wirklichleit. Es ift für
den Berichterftatter erfreuli, wenn er es
mit einem wirflihen Talente zu thun hat
— das vorausgeſchickt, wird ihn dieſe oder
jene Verfaſſerin nicht Heinliher Nergelei
oder gar der Bosheit zeihen, wenn er nicht
in Bauih und Bogen Alles lobt — jein
Lob vielmehr nur bedingungsmweije aus:
ſpricht. Die ganze mweiblide Art — io
dünft uns — meist mehr nad der ideali—
ſtiſchen als nad) der realiftiichen Richtung
bin. Wenn B. v. Suttner jedod die
letere goutiert und die Kritik und der
Erfolg ihr Recht geben, wer würde ihr
dann zumutben wollen, vom einmal ein:
geichlagenen Wege abzumeihen? Daß es
aber auf diejem Wege nod Klippen gibt,
die eine Frau, ohne das feine Gefühl zu
verlegen, nicht bewältigen lann — ob fie
ſich deſſen bewußt ift?
Der neuefte Roman der Frau Baronin
vd. Suttner, der bereit3 in das Däniſche
übertragen wurde, heißt „High-liſe“ und
ift im Verlage von Otto Heinrichs in
Münden erihienen. Die Geburts: Arifto:
Iratie, insbejondere die öfterreichiiche, fommt
in diefen Buche nit aut weg und wir
müflen das Urtheil der Verfaſſerin in dies
ſem Falle wohl rejpectieren. Bis auf einige
Längen ſchildert fie farbenreih das Leben
und Treiben des Adels in Paris, in Nizza
und auf einem Feudalfize in Böhmen in
feiner ganzen Hoblheit. Die Licdhtgeftalten
in diefem Buche find ein verliebtes „Kon:
tefjel,* ein liberaler deuticher Herzog und
ein Umerifaner, der letztlich noch in die
Handlung jelbft eingreift und das Bud
gedeihlich abſchließt. — Wir fanden einige
treffliche, ja geiftreiche Sentenzen — aber
wir vermißten den Eindrud eines in ſich
' abgeichlofienen, wohlgerumdeten Kunſtwerkes,
denn ofienbar hat die Berfaflerin das Ein»
zelne jorgfältiger bedadt, als das Ganze.
Die vielen, oft allzukühn zuſammengeſehten
Beiwörter erinnerten uns lebhaft an jene
| alüdliche Zeit, wo uns die fühnen Adjectiva
in der Jliade oder in der Odyſſee höchlichſt
ergößten, aber auch manchen Schweißtropfen
| erprehten. — W. Heimburg zeichnet in
ihrem bei Ernſt Keil's Nachfolger in Leipzig
erfchienenen Nomane „Die Andere“ zwei
arundverichiedene Schweitern mit feinem
Stift und gieht ihre ganze eigene Liebens—
würdigfeit in die Seele der „Anderen.“
Die Schreibweile ift eine jehr glüdliche und
gewandte und die Erzählung jelbft äft in eine
den Stoffe angemejjene ſchwüle Atmoiphäre
getaucht, wie wir fie hie und da bei Mei:
314
ftern deutſcher Erzäblungstunft fanden. : genieht, dabei die gebundene Eprade ge:
Weniger jpricht uns die Gharalterzeihnung | wandt und zwanglos behandelt und —
des Helden an, der ſchließlich nad einer |
radicalen Eur ftatt der heiß geliebten Einen;
die „Andere“ Iriegt. Gegen den Schluß
zu bäuft fid Spannung auf Spannung, |
was den Lejer endlich ermüdet. — Die im,
aleihen Verlage erichienene Novelle ‚Die
Lora-⸗Uixe“ von Stefanie Keyſer iſt
ſinnig und gut erfunden und hübſch Durd: |
geführt. Die Charaktere find wohl nicht
dem Leben abgelaujcht, jo daß die Erzäb: |
lung dem Lejer nicht jo recht glaubwürdig
vorflommt; man wird fie trogdem nicht
mit geringem Intereſſe lejen. Und wenn
wir zum Schlufle meinen, dab die Novelle
etwas flüchtig neichrieben und nicht allzu
fein gefeilt jcheint, jo joll das nichts Anderes
befagen, als dab Fräulein Etefanie
beſcheiden ift.
„Was glutenvoll in meinem Geiſte lebte,
Zu ſchwach, ed zu erreichen, blieb bie Araft,
Db aud mein Herz zum Hödften aufwärts ſtrebte.“
An Dewin und Hammerfee ieine heimat:
lihe Sage in Berjen) ſchildert R. Martin
nit ohne Geſchick, gereimt und ungereimt,
die gewallfame Trennung und die durd
den Beiftand höherer Mächte wieder er:
folgte Vereinigung zweier Liebesleute. Das
immerbin leſenswerte Büchlein ift im Ber:
lage von 9. Differt5 Buchhandlung zu
Gotibus erihienen. — Sorathi. Epiiche
Dichtung in 12 Gefängen von Frik von
Holzhaujen. (Leipzig bei Guſtav Braun.)
Wenn wir vom Epos verlangen, daß es
Keyſer noch bejjer zu jchreiben verficht.
— Wir empfchlen alle drei Bücher als gute
Lectüre — die lebten zwei auch jungen
Leuten. —tt—
Neue Gedichte.
Die Ausbeute an guten neuen Gedichten
iſt fo ſpärlich, daß man Gedichtiammlungen,
die nur halbwegs eimas veriprecdhen, gerne
in daß fritiihe Sieb wirft, um unter der
reichlichen Spreu nach Körnchen zu ſuchen.
Da ift es oft, leider allzu oft, als ob man
Waſſer in das Sieb fahte. Heute liegen
uns ſechs Bücher vor, der Mehrzahl nad
von Neulingen am deutihen Parnaß, die
zum erften Male vor der Deffentlichleit
ihrem Pegajus die Sporen geben, Man
ſieht e8 ihnen an, wie fie fih frampfhaft
in der Mähne feitlrallen. Dob auch man:
des Korn ward biohgelegt. Nehmen wir
zuerst das Erfreulichere vor,
Aus ungleihen Tagen nennt ©. Fritz
— Pſeudonym fir Friedr. Singer, der
uns fein ganz Unbelannter ift — ſeine
neuen, im ®erlage von G. Slonegen in
Wien erichienenen Gedichte. „Auf der
Hochzeitsreiſe? und „Am Your“ zeigt er
ung im leicht geichürzten Strophen die
beitere und humoriſtiſche Eeite des Lebens,
um durch die Vermiſchten Gedichte“ zur
bitteren Sehrjeite „Am Grabjtein“ zu fom:
men. Wir empfehlen das bübiche Büchlein,
in dem ſich jo recht das Lliebenswürdige,
heitere, dabei gemüthstiefe Wienertbum
ohne Aufdringlifeit äußert, jungen Ehe—
gatten als finnige Lectüre. — Wilde Nanken.
Gedidte von Edmund Lichtenſtein.
(Cottbus, Verlag von 9. Differt's Bud:
handlung.) Gin Talent, das niemals tri—
vial wird, nirgend zu verneinen und feine
tieffinnigen Probleme zu ergründen jtrebt,
vielmehr das, was ihm der Himmel be:
ihert, heiteren und danlbaren Gemüthes
‚einen Blid in das nationale Leben, den
Geiſt und Charalter eines beftinmten Bol:
les erichliehe, oder dod in der Zeit liegende
Ideen veranihauliche, jo denten wir zus
nächſt an das Boll, dem der Dichter ans
gehört oder an die Ideen, die diejes Wolf
bewegen. Allerdings erfordern die und be:
reits befannten, weil in unjerem Vollke
wurzelnden Stoffe, um ihnen neue Geſichts—
puntte abzugewinnen, und da die Zeit der
Epen für unjere Welt: und Gulturzuftände
vorüber zu ſein jcheint, große dichteriiche
Kraft. Leichter ift es, in nebeihafter fFerne,
in dem den Orgien unſerer Phantaſie jo
günſtigen Orient den Stoff zu juden. Die
vorliegende Tichtung führt uns bis an den
Strand des Indus und jättigt unjere
PBhantafie mit farben: und abwerhtlungs:
reihen Bildern, und wenn wir aud den
Eindrud eines in ſich abgeichloffenen, ein—
beitlihen und vollendeten poetiihen Wertes
vermilien, jo zeigen dod immerhin hübſche
Ginzelheiten von dichteriſchem Geftaltungs:
vermögen. — Die im Selbftverlage (Reud—
nitz-Leipzig 1887) herausgegebenen Gedichte
von Franz Tetner laſſen hingegen leine
dichteriiche Begabung erlennen und gehören
zu jenen Arbeiten, deren Drudlegung einem
Herzensbedürfnifie der Verfaſſer entipridt.
Solde Bücher lönnen einem engeren
Freundestreije genügen — eignen ſich aber
nicht für den Büchermarkt. — Einen kri—
tiſchen Maßſtab vertragen aud nidt die
„Rabengefänge“ von Ferd. Jllef(Olmüp.
Selbftverlag.) Wer dächte niht an Raben:
ftein — und ſchaurig wie der Titel ift auch
der Inhalt. Wir famen nidt über Seite
29 hinaus; aber wa3 wir lajen, war ori:
ginell. Hier einige Pröbchen:
|
An den Mond:
„Antworte mir und jtarre nicht fo blöd,
“is follte einft der aſtronom'ſche Ochs,
Des Himmels Milchſtraß' in allmäcr'gem Durft
Ausfautend, eine Ewigkeit hindurch
Das AU verdaun, dab viehiſch es vergeh'.
Ta heißt's von Rabenludern, Rabenmüttern, — gungslos Verehrung und Anbetung bean«
Hat Ammen wohl ber Rab’, beraubt er die Chemie, a i
Ber klagt die Haben auf Polygamie 7 pruchen darf, ohne fi erſt * RNecht auf
s15
Da heißt es Rabenvieh und Nabenans, beide erwerben zu müfjen.
or märe Beben eigen nur Cadaverfraß, | Der „Frauenfeind“ will mannhaft da:
Indes u, da
gegen auftreten und hofft ſich dadurch die
er ne era auf.“ Freundſchaft der (Frauen zu gewinnen. Nun
Gut gebrüflt, Löw — — pardon, gut. verichweigt aber das Programm, ob die
gefrädhzt, Rabe! tt | Brauen nur die Leferinnen des „Frauen:
s feindes“, oder nur die Mitarbeiterinnen
ae fein jollen. Wird auf die Männer fpeculiert
oder auf die Frauen? Wielleicht calculiert
der Derausgeber jo: Die Frauen können
Vater Radekky, Bilder aus dem Sol: | einander nicht leiden, finden fih nur in
datenieben im Kriege von F. W. Had: Männergefelliaft angeregt und werden gerne
länder. (Stuttgart bei Karl Srabbe.) ein Blatt abonnieren, das nur von Männern
In einer Zeit, da dem volfsthümlichen geſchrieben wird; dem Titel werden fie chen
Feldherrn ein Dentmal in der Kaijerftadt nur für eine Meine Kofetterie halten. Oder
an der Donau errichtet werden joll und der j0: Wenn ich gegen die frauen zu Felde
Name Radesiy in Defterreich viel genannt | ziehen will, da lann ich männliche Soldaten
wird, hielt es Hadländers Sohn, der f. f | nit brauden, da recrutire ich meine
Nittmeifter W, v. Hadländer, für angezeigt, | Streiter aus der Frauenwelt und engagiere
„ein paar Blätter neuerdings in die Welt lauter weibliche Mitarbeiter. Jedenfalls ift
hinauszuſenden, welche ja früher ſchon dem , eine erniteifeindjeligkeit zwiichen den galanten
Baier Radegfy gewidmet waren.” Und Derausgeber und der Frauenwelt nicht zu
gewiß wird ſich diejes Wert auch unter dem | befürdten. Eher ift es auf das Gegentheil
Epigonen jener fiegreichen Armee raſch viele ; abgeichen. Aber traurig ift es, daß ſolche
Freunde erwerben, denn es erzählt ja von Mittel, wie der Titel „Frauenfeind“ nöthig
einem glorreihen öflerreiiichen Feldzuge Find, um eine neue Zeitichrift einzuführen.
und der Verfaſſer ift Hadländer, „der: Der Titel und Etoff wäre höchſtens für ein
den Siegesflug des öfterreiiichen Doppel: | pifantes Feuilleton von Ferdinand Groß
aar’s mit feiner Feder begleiten durfte, von Zu verwerten. Im Ernſte halten wir es mit
den Thoren Mailands an bis auf die; einem AFrauenfeinde nicht, die Frauen find
Mälle von Novara.” Hadländer'3 Werke | das Beſte, was mir haben und demnach
find fhon hinreihend gewürdigt, jo daß behaupten wir, der Frauencultus muß auf
wir unferer Pflicht genligen, wenn wir auf, die Spige getrieben werden! M.
das Erſcheinen dieſes Buches, das mit dem |
Bildniſſe des „Vater Nadetfy“ geziert ift,
einfadh hinweisen. —tt—
) Aus den Sommerlagen, von Emil
'Nittershaus. (Oldenburg, Schulze'ſche
Verlagsbuchhandlung.)
Der Srauenſeind. Dieſe neue Ausleſe umfaßt die Jahre
In Wien erſcheint ſeit Kurzem eine 1871 bis heute und zeigt uns das vollendete,
Monatsſchrift unter dem heldenmüthigen in ſich abgerundete Bild der ganzen Ber:
Titel: „Der rauenfeind“. Der Herausgeber , fönlichfeit des belichten Posten in der
ift ein noch jugendlicher, fügſamer Ehemann. | Volltraft. Da ift Alles harmonisch, durch⸗
Genade ihm Gott! und Genade Gott dem drungen: geläuterte Klarheit und jonnige
Abonnenten, der ein angetrautes Ehegemat Lichtfülle des Empfindens und der Gedanfen,
hat! ruft der Leier. Warum? Jede Ehefrau in edle, vollendete Form gegofien. Wir
firht e8 gern, wenn ihr Dann ein Frauen: ſchauen die ſchönen, glanzvollen, oft ſturm—
feind ift und beanſprucht nur eine einzige | bewegten Sommertage des hochſtrebenden,
Ausnahme. fraftbewuften Mannes, die Sommertage
Tie Monatsihrift hat aber in vor beine reichen, liebebeglückten Tichterlebens,
That ein ftreitbares Programm, fie will welde wir an der Hand des liebenswiürdigen
Front maden gegen den auf die; Pocten durdwandeln und deren herrliche
Spitze getriebenen Frauencultus. Blütenfülle wir in vollen Zügen geniehen.
Sie jagt, e3 jei ein Wideripruc in der) Ein von Meifterhand gezeichnetes Porträt
Strömung unjerer Zeit, wenn einerfeits | des Dichters in vortreffligen VBhotographie:
dafür gelämpft wird, der Frau die volle, Drud, ein wahres Cabinetſtück des Malers
Gteichftellung mit dem Manne im praftiichen Knaus, gereicht den „Sonmmertagen* zur
Leben zu verichaffen, andererjeit$ aber die | großen Zierde, 0. A.
verlogene Ueberlieferung bewahrt bleibt, | —
als ſei die Frau ein Weſen, das bedin: |
316
Im Berlage von F. Pechel in Graz |
ift joeben ein „Steiermärkifdes Didterbudy‘‘
erichienen. Der Herausgeber desjelben, Karl
W. Gawalowsky, verfolgte die Abficht
nurQOriginalbeiträgevon allen zeitgenöfliichen
Dichtern, die in unjerer grünen Mark ge:
boren und dajelbft ihren Wohnſitz aufge:
ſchlagen haben, zu bringen und auf dieſe
Weile dem deutſchen Publikum ein Bild
des gegenwärtigen Standes der jdhönen
Literatur in dieſem Theile des deutſchen
Sprahgebietes darzubieten. Von den 24
im Buche vertretenen Dichtern ſeien nur
genannt der mürdige Neftor C. G. N.
v. Leitner, Robert Hamerling, der eine ältere
Bearbeitung jeine® herrliden Schwanen:
liede8 der Romantik veröffentliht, P. St.
Roſegger, W. Filter, F. Padler, ©. v.
Khuenberg, F. Marr, U. Graf Widenburg,
E. Ertl, 9. Grasberger u. a. m. Der Rein:
ertrag des Buches ift vom Herausgeber und
Verleger dem Grazer Zweigvereine der
deutſchen Schilleritiftung zugedacht. Für dies:
mal ſei nur noch erwähnt, daß ſich dasſelbe
in Folge ſeiner überaus feinen Ausſtattung,
welche der heimiſchen Induſtrie zu hoher
Ehre gereicht, auf's trefflichſte zu Feſtge—
ichenten eignet. —j
Die deulfhe Handwerkerbraut. Bon
Karl Weije. (Wismar. Hinſtorff'ſche Hof:
bucdhhandlung. Werlags:Gonto 1886.)
In feinem herrlichen Büchlein „Weib:
nachiserlebnifje einer Dandwerferfamilie*
(Mittenberg. NR. Herroje), deilen Kenntnis
wir nun wohl bei den meiften Heimgarten—
lejern vorausjehen dürfen“) erzählt Karl
MWeife den Urfprung der vorliegenden Dich—
tung, welche den fühnen Titel „Die deutjche
Handwerkerbraut“ führt. Den Anſtoß dazu
bat jenes Goethe'ſche Wort gegeben, das
Pit Meuglein, innig, freubig glübend,
Cab fie ver Lade Inhalt nach,
D’rin Alles ſchmuck, in Reinheit blübenb,
So ſchön, jo woblgeorbnrt lag.“
Dies einzige Gut hat die Braut indes
in jpäteren Jahren der Rot zum Opfer
| bringen müſſen; al& man ihr den Silber:
franz in’s Haar drüdt, jagt fie zu ihren
Kindern:
„Bas ih verlor, ift neu erftiegen,
Es blübt in ſchönſter Reinheit Glanz:
Ahr ſeht es leuchten, ſeht es liegen
In Eures Vaters — Liederkranz.“
Mag man auch dies und das an der
Dichtung auszuſehen haben, jo wird man
mir doch zuftimmen, wenn ich ſage, daß
Karl Weijes „Dandwerferbraut” hundert
Goldihnittbändchen einer gewiſſen Lyrik
unjerer Tage aufwiegt, dab fie eine Volls—
dichtung von Wert ift.
Meife dichtete die „Dandwerlerbraut“
bereit3 vor vielen Jahren und gab fie einem
Berliner Buchhändler in Verlag, der fie in
mehreren Auflagen abſetzte, dann jedod im
Wintel feines Hauſes verfommen lich.
Die Hinſtorff'ſche Hofbuchhandlung in Wiss
mar, welde nicht ohne erhebliche Opfer
dieje neue Ausgabe veranjtalten konnte, ver:
‚dient unjern wärmften Dank, der ſich in
fleißigem Saufen des Buches äußern möge.
Heinrich Sohnrey.
Rrethi und Plethi. Porträts aus dem
Leben, gezeichnet von J. D. Wehle. (Wien,
Hugo Engel.)
Mer einmal ein Büchlein voll liebens:
würdiger Bosheit leſen will, die Adreſſe
ift bier oben angeführt. Wir haben uns
föftlih damit ergößt. Wiener Bilder, die
meijten aus der Krachzeit und aus Geldkreiſen;
wir nennen den „Banfdoctor*, „Millionär
für Weifes dichteriſches Schaffen von ſo aus Paterlicbe”, „Wie man Präfident wird“,
großer Vedeutung geworden tft: „Gehe vom |
Häuslichen aus und verbreite Tich, jo Du
fannjt, über die ganze Welt. Schlicht, innig
und wahr bejingt der Dichter, wie er als
Handwerlsburid in die weite Welt hinaus:
sieht, „ein dienend Mädchen“, eine herz:
liebe Schlefierin, liebgewinnt und mit ihr,
aller Eorge zum Troß, Hochzeit hält. Das
Deiratsgut der Braut beiteht aus einer —
Wäſchelade; aber dieje ift wohlgefüllt:
„Ach, Freund, in diefer Lade Näumen
Ruht vieler Jahre Müh’ und Fleiß.“
„Den Dedel von bemalten Brettern
Hob auf die Hraut, ein füher Duft
Bon eingeftreuten Rofenblättern
Eririfhte rings des Stübchens Luft.
*) Es jei wir geitattet, ihnen meinen in (Nabrg. X.,
Seite 118) veröfientlichten Artikel „Karl Weije in
Erinnerung zu bringen.
„Zur Naturgeſchichte des Berwaltungsrathes“
„Banfdirectoren“, Aber auch harmıloje- Ge:
ftalten und Originale, wie der „Herr Mader“
und Andere. Mandes mag wohl hübſch
übertrieben jein, aber mit Geift und Humor
übertrieben. Das fteht nicht übel. M.
Am eignen Herd. Ein deutiches Haus:
bud. Serausgegeben von Marimilian
Bern.
Motto: An einem Menichen erfüllt ih die Welt
Die ganze, Die ewige Zeit;
Er stellt fie dar, fein Leben enthält
Das Morgen, das Geitern, das Heut‘,
Leopold Schiefer,
Inhalt: 1. Lieben und Werben. 2.
, Der junge Hausftand. 3. Der Ehe Luft und »
ee
Leid. 4. Aus dem Kinderleben. 5. Zur Er:
ziehung. 6. Auf der Höhe des Lebens. 7.
Dem Ende zu. — Dieſe, mit feinem vor:
bandenen Werke vergleichbare, weil in Anz
lage und Durdführung von Allen grund:
verfhiedene Sammlung des belannten No:
velliften Marimilian Bern ift eine finnige
Auswahl deutiher Hauspoeſie. Die reich:
baltige Anthologie gibt in ihrem Zujam:
menbange eine erhebende Anſchauung vom
Bamilienleben und follte — ſchon um ihrer
veredelnden Wirkung willen — in feinem
Haufe fehlen. V.
Weibnahtsbüher aus Otto Spa—
mer's Verlag in Leipzig:
Wohlihäter der Menſchheit. Hodhfinnigr
Belenner der Duldung, Barmherzigkeit und
Menienliebe. Vorbilder für Alt und Jung.
Herausgegeben von Franz Otto. Dritte
erweiterte und verbejierte Auflage. Mit
108 Tert:Abbildungen und einem Titelbilde.
Das Walten der götllihen Vorſehung.
Eine Darftellung mannigfaher wunderbarer
Fügungen in den Schidjalen der Menichen.
Zur Belehrung und Erhebung für Yung
und Alt, auf Grund wirklicher Begeben:
heiten erzählt von 2. Mittenzmwey. Mit
10 Bollbildern, Kopfleiften und buntem
Titelbilde.
Aus allen Gauen des Yaterlandes. Di:
foriihe Erzählungen und Sittenidilde-
rungen aus deutihen Städten. Bon Dr.
Karl DOppel. Mit 40 Tert:Abbildungen
und einem Zitelbilde.
Dieje Erzählungen jdildern in lebens:
friiher Darftellung die Ereignifje und das
Treiben in Frankfurt zur Zeit des Ein:
bruds der Franzoſen, — das Leben in den
deutichen Städten vor 400 Jahren, — die
beldenmüthigen Verfaſſungs- und Freiheits:
Tämpfe der Hamburger, — den flampf
zwiſchen Nittertfum und Bürgeribum zu
Zeiten des Fehmgerichts, — die grauen:
vollen Zuftände in Wien während der Peſt
1679, — die feindliche Invafion Berlins im
October 1780 und den Patriotismus der
Berliner, — Alles in anfhaulichen, feſſelnden
und fpannenden Scenen vorgeführt.
Mädden-Philofophie auf der Hochſchule
des Lebens. Aus Erinnerungen aus der
Jugendzeit im gereimter und ungereimter
Briefform dargeftellt von B. Schweilart
und M. Hoffmann. Mit vielen Bildern.
Dieje Bücher find ſammt und jonders jehr
empfehlenämert. V.
Karl Fromme's Ralender. Wir glauben,
zum Jahreswechſel unſere Leſer aufmerlſam
machen zu ſollen auf den großen Kalender—
317
verlag Fromme's in Wien und nennen aus
demjelben folgende elegant ausgeftattete und
ſtets praftiich eingetheilte Kalender:
Bogl'sBollstalender für1887.43.Jahr:
gang. NRedigiert von Auguft Silberftein. —
Fromme's Glegante Welt. Notizlalender
für 1887. Deutſche Ausgabe. 27. Yahrg.
— Bienen:falender. — Clerus-Kalender,
9. Yahrgang. Teuerwehr = Kalender.
14. Jahrg. — Forſtliche Kalendertaſche.
13. Jahrg. — Forſtliches Bademecum. Bon
C.Petraſchel. — Barten: Kalender. 12. Jahrg.
— Handeld» undBörjen-Kalender. 27. Jahrg.
— Yuriftensflalender. 15. Yahrg. — Land:
wirtbichaftssffalender. 13. Jahrg. — Mäd—
hen:flalender. Neu. — Maß- und Gewichts:
Taſchenbuch. — Medicinal:Stalender. 42.
Jahrg. — Montaniftiiher Kalender. 11.
Jahrg. — Muſikaliſche Welt, Notiz: flalender.
12. Jahrg. — Pharmaceutiiher Kalender.
24. Jahrg. — Profeſſoren- und Lehrer:
Salender. 19. Jahrg. — Richard Wagner:
Kalender. Zweite Auflage. — Schematismus
der Mitteljhulen. 19. Jahrg. — Studenten:
Kalender für Mittelihulen. 6. Jahrg. —
Blatt» Kalender. — PBult:Blod: Kalender.
Neu. Für jeden halben Monat ein Abreiß—
Notizblatt. — Comptoir-Kalender. 19. Jahrg.
— Schreibtiſch-Kalender, Heiner. 9. Jahrg.
— Univerſal-Wand-Kalender für Chriſten,
Juden und Türken. 9. Jahrg. u. ſ. w.
| Die „Deutfche Wochenſchrift“, welche in
Zulunft von Dr. €. Ruſſel herausgegeben
und von Dr. Karl Neiſſer in Wien ge:
leitet werden wird, beabjichtigt von nun an
ihr auch bisher anerkannt tüdtiges Pro—
gramm zu erweitern; fie wird als eine Zeit:
Schrift für die gefammte Weltftellung der
Deutihen in Eultur und Politik ehrlich
und treu wirfen, ftetS jur großen nationalen
Arbeit, zur Ausdauer, zur Finigfeit mahnend.
Die Abfihten des Blattes find von
edlem Ydeale getragen. Wenn die Neigung
des Publikums ibm entgegenftommt, jo
werden die nroßen Ziele, ein Organ der
Cultur der Deutihen in allen Ländern zu
fein, erreicht werden. Unjeren aufrichtigen
Glüdwunjd ! M.
Schauenburg’s Marmor: und Ala—
bafter = Baukaften in verjchiedenen Größen.
Schauenburg's Berlagsanftalt, Lahr.
Die neuen und eigenartigen Baulaſten
der Firma Schauenburg in Lahr haben in
hohem Grade Intereſſe erregt. Es handelt
fih in erfter Linie dabei darum, dem fort:
geichrittenen Kunftbedürfnis unjerer Zeit,
mehr als bisher geichehen, entgegenzufommten.
Dadurch, daß die Schauenburg’ihen Bau—
318
andeuten (Sodel, Gurt, Hauptſims, Fenſter- in den beiden Polarzonen. Bon J. Löwen—
bögen, Quaderung, Balufter, Säulen zc.),| berg. (Leipzig: ©. Freytag. — Prag:
fügen fie den bisherigen Baufaften ein F. Tempsiy.)
weſentliches Bildung3element hinzu und Nah einer jehr Üüberfichtlichen geogras
find mohl geeignet, intelligentere und bes | phifchen Nüd: und Rundſchau belehrt der
gabtere Kinder zu einem ernftern Studium | Verfafler uns über die Wiederaufnahme der
binzuleiten, während fie auch den kleinern Bolarreifen im Jahre 1818. Wir begleiten
durch größere Natürlichkeit eine weit größere | Franklin und fpäter die Franklinſucher auf
freude bereiten werden als die biäberigen. | ihren Fahrten, fteuern neuerdings durch
Diejen legtern Effect aber wird mit Jubel! das offene Meer zum Pol, reifen mit den
das Material erzeugen! Wirklicher edler | „deutschen arktiſchen Argonauten“ Koldewey,
Marmor und Alabaſter. Welchen Glanz | Dorft, Beſſel, v. Henglin, dv. Zeil, Weyp:
wird das aufgebaute große Haus auf dem | recht, Bayer, Roß, Challenger u. a. m. nad
Weihnachtstiſch hervorbringen ! V. dem Außerften Norden und Süden; aud
Nordenitjölds berühmte Unternehmung mas
hen wir mit. Hocintereffante Erörterungen
über Ballonerpeditionen zum Pol und die
Polarforihung der Zukunft ſchließen das
Mert ab, weldes mit inftructiven Karten
und ausführlichem Negifter verfehen ift.
V,
faften die Hauptbauformen ganz = Die Entdehungs: und Forfdungsreifen
t
Bon jeher jchon gilt das Bud als das
Befte, edelfte und finnreichfte aller Weih—
nachtsgeſchenle, das Alt und Jung in nleicher
Weiſe erfreut und befriedigt. Wir haben ein
allerliebſtes kleines Büchlein vor uns, einen
„Qluftrierten Weihnachts-Almanach“ von A.
Hartleben’s Berlag in Wien, der
mit 45 reizenden Jlluftrationen geſchmückt,
eine Menge von prädtigen Büchern nennt,
die alle Zierden für den Weihnachstiſch
abgeben. V.
Die Aunft fein Glüch zu machen. (Bern.
H. Köhler.)
Bei dieſer Lectüre fanden wir uns
angenehm enttäufcht,. Der etwas hochtrabende
Titel madte uns mißtrauiſch gegen den
Inhalt. Dieſer ift aber erfreulicher Weije
durchaus gediegener Art. Das Bud ift mit
fittlihem Ernſt geichrieben und enthält
manden praltiihen Wint und guten Rath,
Es darf daher wohl empfohlen werden. V.
Aefthetik. Von Dr. Mar Schasler.
Grundzüge der Wiſſenſchaft des Schönen
und der Kunſt. Leipzig: ©. Freytag. —
Prag: F. Tempsfp.
Der erfte Theil beichäftigt fich mit der
dee des Schönen in ihrer Allgemeinheit Die Lieder der Mormonin. (Hermann
und Bejonderung, der zweite Theil führt | Dürjelen, Leipzig.)
uns in das Neid der Kunft; er weist uns Ein originelles Mert auf Rollen, deſſen
die Elemente des Kunſtſchönen nach und Inhalt durch Drehung letzterer dem Leſer
bietet dann eine äſthetiſche Betrachtung der vorgeführt wird. „Die Lieder der Mor—
Architeltur, Plaftit, Malerei, Mufit, Mimik monin“ find die poetiſchen Ergüſſe einer
und Poefie in al’ ihren Unterabtheilungen. | Ariftofratin der Gegenwart. So originell
wie die Ausflattung ift auch der Inhalt
des Werkes, das als paflendes Geſchenk
Madagaskar und die Dnfeln Seydellen, für Damen und Herren empfohlen werden
Aldadıra, Komoren und Maskarenen. Von lann. V.
Prof. Dr. R. Hartmann. (eipzig: ©. sn
— —s—— Mer: Den Heimgarten ferner zugegangen:
les: Der Welttheil Afrika in Einzeldarftel: Martin Salander. Roman von Goti:
lungen. 68 find uns die obgenannten | fried Keller, (Berlin, Wilhelm Gert.
Inſeln in ihren Bodenverhältnifien und | 1886.)
Producten, ihren Einwohnern, deren Sitten, Der Roman der Stiftsdame, Eine Lebens:
Gebräuchen und Lebensverhältnifien geichile | geihichte von Paul Heyſe. (Berlin.
dert. Die Fauna und Flora der einzelnen | Wilhelm Berk. 1887.
Inſeln ift gründlich behandelt, aber aud Die Ailbraut. Roman von Georg
die nationalzöfononischeund culturhiftoriihe| Ebers. Drei Bände. (Stuttgart. Deutſche
Seite wurde in ihren darafterijchen Er: | Berlagsanftalt. 1886.)
iheinungen aufgefaßt. Ebenſo erideinen Meine Zrau und id. Erzählung von
die jocialen und religiöfen Einrichtungen Henril Scharling. MWeberjegt von
mit Klarheit dargeftellt. V. E. Dunter. Bierte Auflage. (Norden. 9.
Fiſcher Nachfolger. 1887.)
u
319
Aus dem Blurmaefang des Lebens. Ge:
fammelte Dihtungen von Franz Keim.
(Minden i. Weftf. I. C. C. Braun’s Berlag.
1887.)
Der junge Goldfdhmied. Dichtung von
Karl Ernft Altena. (Berlin. Wilhelm
Friedrich Nachfolger. 1887.)
Denitidia. Eine Ditung von Ludwig
Anders. (Frankfurt a. O. B. Waldmann.)
Don Senz zu Herbſt. Dichtungen von
Günther Walling. Zweite vielfach |
veränderte Auflage. (Leipzig. W. Friedrich.
1887.)
Horand und Hilden. Bediht von Rudolf
Baumbad. Neue veränderte Ausgabe.
(Leipzig. U. 9. Liebestind.)
Weltpfingfien. Gedichte eines Idealiſten
von Heinrih Hart.) Neue Auflage. Nor:
den. H. Fiſcher Nachfolger.)
Sanfara. Ein Gedihtbudh von Julius
Hart. (Norden. H. Fiſcher Nachfolger.)
König Hübid. Ergählende Dichtung von
Hermann Kiehne. (Norden. H. Fiſcher
Nachfolger.)
Deutſche Eyrik feit Goethes Tode. Ausge—
wählt von Warimilian Bern. Zehnte
verbefjerte Auflage. (Leipzig. Pb. Reclam
Junior.
Geburtstagsgrühe. Mit Gitaten aus
Rückert's und Longfellov’s MWerlen. Gejam:
melt von Jules Shudharpdt. (Tübingen.
9. Laupp’ihe Buchhandlung.)
Weber-Gedenkbud. Grinnerungsblätter
zum 100jährigen Geburtstage Karl Maria |
Webers am 18. December 1886. Bon Dr.
Adolf Kohut. (Leipzig-Reudnig. Os:
wald Schmidt. 1887) |
Zum finfundzswanzigfien Codestage des
Rönigs Dom Pedro V. von Portugal, Herzogs.
zu Sadien. Bon Emil von Edelhorn.!
Münden. Th. Adermann. 1886.)
Einführung in das Studium der neueren ı
Bunftgelgidte von Dr. Alwin Schultz
Bis zur 9. Lieferung gediehen. (Prag. F
Tempsty. 1886.)
Dögel der Heimat. Unjere Bogelwelt
in 2ebensbildern gejdildert von Dr. Karl
Ruf. Bis zur 9. Lieferung erjdienen.
(Braga. F. Tempsly 1886.)
Marlitt am Clavier. Oder muſikaliſche
Befähigung der Marlitt’jhen Romange: |
ftalten. Eine harmloſe Plauderei von *,*
Karlsruhe. Gebr. Pollmann. 1887.)
Ein Rampf mit der Gartenlaube. Bon
Franz Siking. (Zürih. Berlagsma:
gazın. 1887.)
Ein buddhilifder Ralechismus. Nach dem
Kanon der Kirche des jüdlihen Indiens
bearbeitet von Henry ©. DOlgott.
(Zeipzig. Th. Grieben, 1887.)
Der Hausfhab. Ein Freund und Nath:
geber
Männer und frauen. (Oranienburg. 1886.
Ed. Freyhoff.)
Witkowiber Ralender für Berg: und
Hüttenleute. 1887. V. Jahrg. (Witlowitz.)
Glüch auf! Kalender für die deutſchen
Berg: Hütten: und Salinenleute. 1887.
(Zwidau i. ©.)
Yllufrierte Zimmer » Flora. Praltiſche
Winfe zur Anzucht und Pflege der Pflanzen,
bejonders der Blumen im Zimmer, in der
Veranda als Wintergarten und im freien.
Bon D. Hüttig. (Oranienburg. Freyhoff.)
Wörterbud; der Bekleidung. Erklärung der
auf die Coſtüme, Volkstrachten und Moden
aller Zeiten und Völker bezüglicden Namen,
jowie aller die Herftellung der Web: und
Wirfwaaren, der Putzgegenſtände, der weib—
lihen Handarbeiten zc. betreffenden Bezeich:
nungen. Zujammengeftellt von Theodor
Edard. (Hartleben. Wien.
Lehre der Obfeultur und Obftverwertung.
Theil III. Die Beerenobfteultur und Ber:
wertung des Beerenobftes zur Weinbereitung
sc. von Johannes Boettner. (Oras
nienburg. Freyhoff.)
Von den uns regelmäßig zugehenden
Zeitſchriften nennen wir (mit Ausnahme
der politijchen) folgende als empfehlenswert:
Monatsjhriftenzur Belehrung
und Unterhaltung:
Wefermanns Ilufrierte deulſche Monats=
hefte für das gejammte geiftige Leben der
Gegenwart. (Braunschweig. George Weiter:
mann.)
Dom Fels zum Meer. Spemanns illu:
ftrierte Zeitichrift für das deutſche Haus.
(Stuttgart. W. Spemann.)
Deutfdhe Revue über das gelammte
nationale Leben der Gegenwart. Heraus:
gegeben von Nihard Fleiſcher. (Bres:
lau, Eduard Trewendt.)
Deutſche Rundfdiau. Herausgegeben von
Julius Rodenberg. (Berlin. Gebrüder
Paetel.)
Familienſchriften.
Schorers Tamilienblatt. Eine illuſtrierte
Zeitſchrift. Wöchentlich. (Berlin. 3. H.
Schorer.)
Meue ZAlluſtrierle Zeitung. Herausgeber
Balduin Groller. Wöchentlich. (Wien.)
An der ſchönen blauen Donau. Unter—
haltungsblatt für die Familie. Herausge—
geben von Dr. F. Marmroth. Erſcheint
am 1. und 15. jeden Monats. (Wien. C.
Konegen.)
Keſſels Tamilienfreund. Illuſtrierte Blät—
für die Frauenwelt von Anny terzur Unterhaltung und Belehrung. Monatl.
WB othe. Unter Mitwirkung hervorragender | zweimal. (Warnsdorf.)
ra ( —
320
— ——
Deutſche Dichtung. Herausgegeben von
K. E. Franzos. Erſcheint am 1. und 15.
jeden Monats. (Stuttgart. A. Bonz u. Co.)
I Redigirt von U. Eilberhuber. Zweimal
monatlid.
Wiener Hausfrauen Zeitung von Adolf
Seobener Rundſchau. Wöchentl. (Leoben.)| ZT aufig. Wöchentlich. (Wien.)
Liegfried, Zeiticprift für volksthümliche
Didtung und Wiflenihaft. Nedigiert von
Paul Lindenberg. Monatlich. (Beerfel: |
den. Meinhard.)
Beitjhriften für die Jugend,
für Jugendfreunde und Lehrer:
Deutfche Bugend. Neue Folge. Heraus:
gegeben von Julius Lohmeyer. Monat:
li ein Heft, Mit färbigen Bildern illuftrirt,
(Berlin. Leonhard Simion.)
Oeſterreichs deutfhe Zugend. Monats:
hefte mit Bildern. Herausgegeben vom
deutihen Kandeslehrerverein in Böhmen
Neichenberg.)
Schule und Haus. Zeitihrift zur För—
derung und Erziehung des lnterrichtes.
Herausgegeben unter Mitwirkung hervor:
ragender Fachleute von Joſef Eidler
und Eduard Jordan. Monatlich eine
Nummer, (Wien, Reisnerftraße 2.)
Pädagogifde Zeitfhrift. Organ des fleier:
märliſchen Lehrerbundes, Herausgeber der
Grazer Lehrerverein. Leiter: Ferdinand
Bellner Monatlid drei Nunmern. (Graz,
Leylam.)
gendſchrift. Vierteljährig ſechz Nummern.
(P. J. Tonger, Köln.)
Zeitſchriften verſchiedener
Fächer, Genojjenihaften «.
Das Magazin für die Literatur des In:
und Auslandes. Wöchentlich. (Leipzig.)
Allgemeine Runft =» Chronik, Ylluftrierte
Zeitihrift für Kunſt, Aunftgewerbe, Mufit
und Literatur. Mit einer Beilage „Theater
Chronit“. Wöcentlih. Derausgegeben von
Dr. Wilhelm Lauſer. (Wien.)
Bayreuther Blätter. Monatsichrift unter
der Redaction von Dans v. Wolzogen.
Herausgegeben vom allgemeinen Wagner:
Berein. Monatlid. (Leipzig.)
Degetarifhe Rundſchau. Monatsjchrift
für naturgemäße Lebensweiſe. (Berlin.)
Meifter Konrads Werkflatt. Herausge—
geben von Franz Woas. Jlluftrirt. Wö:
chentlich. (Leipzig.)
Deutſche Rundſchau für Geographie und
Statiftit. Unter Mitwirkung hervorragender
Fachmänner. Herausgegeben von D. F.
Umlauft. Monatlich. (Wien.)
Oeſterreichiſche Kourifen. Zeitung. Heraus:
gegeben vom öfterreihiihen Touriſten-Club.
Mufikalifhe Jugendpoſt. Illuſtrierte Ju⸗
Zürs Haus. Praktiſches Wochenblatt
für alle Hausfrauen, (Dresden.)
Poſtkarten des Heimgarten.
xx 63 wird angelegentlichft erſucht,
| Manujeripte erft nad vorheriger Anfrage
einzujenden. für unverlangt eingeididte
| Manujcripte bürgen wir nicht. Erterne Ar:
beiten honoriert die Berlagshandlung nicht.
| 3. €h., Paris: Meberjegungen aus diejem
Blatte in fremde Spraden bedürfen ſpe—
) cieller Bewilligung des Autors und des
' Berlegers.
9. A. Wien: Eine ſchöne und gerechte
' Würdigung Anzengrubers finden Sie in
den „Illuftrierten deutihen Monatsheften*
(December 1886.) Der betreffende geradezu
\ glänzend geidhriebene Aufjak ftanımt aus
der Feder Anton Bettelheim's.
3.3. A., Gras: Die im vorigen Jahr:
gang des Heimgarten veröffentlichte Erzäh—
lung: „Die Ehriftveiper*, begründet ſich
auf eine Sage, welde das Judenerſchlagen
in Judenburg zum Gegenftande hat. Die
Sage findet fih in mehreren fteiriichen
Geſchichtswerken verzeichnet.
E. M. Wien: Freundliden Danl. Tür
ein großes Publitum aber do nicht redht
geeignet.
R. W., Rlagenfurt:
gentlih verſuchen.
N. M. Prag: Haben Sie bei der ſchlechten
Behandlung, melde Berje vom Publitum
im Allgemeinen erfahren, Ihren Muth nod
nicht verloren ?
Werden es gele:
Das „Schluß“ bei Damerlings
autobiographiichem Artikel im Novem—
| berheft bezog ſich nur auf diefe Ab—
ıtheilung der Biographie (,„Lehrjahre
und Wandertage“), teineswegs aber
auf die „Stationen der Lebenspilgers
ſchaft“ jelbit. Diefe werden im Gegen»
theil im „Heimgarten“ fortgeſetzt
und bis auf die neueſte Zeit
fortgeführt werden.
Bär die Nedaction verantwortlich P. A. Roſegger. — Druderei „Leytam“ in Gras.
£ e — — —<
· æ. cx——
X]. Jahrg.
Iakob der Pete.
Eine Waldbauerngejhichte aus unjeren Tagen von P. R. Kofegger.
(Fortjegung).
„Sranj, bleib’ daheim!“ aber doch fo, daß es mit feinen vielen
— Fenſtern frei in die Gegend ausbliden
Die Schirnibaume am Guldeifner-
kounte, trug an einer ſeiner Wände
2 Hof warfen über die Felder hinab weiße Schußſcheiben; weil der Guld—
und fogar etliche Klafter jenfeits der eifner auf Scheiben zu hießen pflegte,
Bergblöße hinan ihren Schatten, als wenn kein Reh im Revier war. or
die drei Bauer zu Hofe herankamen. dieſemn Hauſe blieben die Männer ſtehen,
Es waren der Sepp in der Grub, | um fih auszuſchnaufen und hinaus—
der Rodel und der Jaleb dom Reut- zuſchauen ins weite Land. Von feinem
hofe. Sie waren der Verabredung Haufe der ganzen Gegend hatte man
nach Heraufgeftiegen, weil fie den Große | sine fo weite Ausficht, als vom Guld-
banern zu Altenmoos von der Abſicht, eiſnerhof. Ueber die Waldbänme hin—
das Gut zu verlaufen, abbringen wollten. weg, die unten den Geſichlskreis engten,
Der Hof beſtand in zahlreichen Stäl= konnte von hier aus das Auge auf
fen, Scheunen, Schoppen, Fruchtläften | ferne blauende Berge fliegen, die in
und zwei Wohnhänfern, Alles stattlich | fanften Linien oder ſtumpfen Spigen
und im beiten Stande erhalten. Das eine in der Fremde draußen ftanden. Im
Heinere Haus, welches ſchier verdedt| erften Angenblid, als die Sonne dort
unter Sirfchbäumen ftand, war das aufgieng, leuchtele fie dem Guldeiſner
Ausgeding, welches jet feine Infaflen schon zu den Fenftern hinein im fein
hatte, da feine „Alten“ vorhanden Veit, oder in die Kaffeeſchüſſel, wenn
waren. Das andere große Haus, welches | ſolche ſchon auf dem Tiſche ftand. So
faft mitten im den Gebäuden fand, | gut hatten es die tiefer liegenden Häuſer
Rofenare's „Grimgarten‘, 5. Heft, XI. 21
322
nicht; der Neuthof hatte gar feine So warteten fie in der geräumigen
Kaffeeſchüſſel und die Leute dort mußten | düfteren Stube; alle Fenfter waren
ihre fauere Milchfuppe im feuchten | gefchloffen, und daß die Luft in fo
Schatten eſſen, während hier fehon der einem Raum etwas mirfelt, daS ber
goldige Sonnenschein lag.
„'s iſt wohl ein ſchöner Platz, da
heroben,“ ſagte der Sepp.
„Der Roggen wird aber doch um
acht Tage ſpäter zeitig als bei uns
unten,“ entgegnete der Rodel.
„Hingegen iſt er ſchwerer
Körndl“, meinte der Jakob.
im
to 3
—
Alles feſter und kerniger, was dal
heroben wachſt. Hätt' ich das Gut,
ich wollt's nicht verkaufen.“
Gegenüber dem Haufe, am Holz—
ſchoppen ftand, mit verfilbertem Hals-
band geſchmückt, der große fchiwarze
Kettenhund. Er riß an feiner Kette
nicht, er keifte und beflte nicht leiden—
Ichaftlich, wie die feinen Kläffer, die
an anderen Häuſern hiengen, ex raffelte
nur ein wenig und ließ in gemefjenen
Zwiichenpaujen ein würdiges Knurren
hören.
Die Männer traten nun in das
Haus und ohne viel Umftände in die
große Stube. Da war Niemand. Sie
jeßten Fi an die Wandbant und der
Sepp und der Rodel ftopften ihre
Pfeifen an. Der Jakob rauchte nicht,
Ihante für fi in der Stube umber
und date: Schöner al3 die meinige
ift fie auch nicht. Aber größer ift fie;
Tiſche ftehen hier zwei, weil einer für
die vielen Leute zu Hein wäre An
der Stubenede find die Heiligenbilder
wie bei mir, an der Wand in Leder:
haftlein herum fteden die Löffeln wie
bei mir. Sehsundzwanzig Löffel, und
große! Das braucht was, jeden Tag
in jo einem Haus! Sechsundzwanzig
Löffeln! Und was fie erjt mit der
Gabel efjen! Und mit den Fingern!
Und was fie trinfen! Schlecht, hört
man, wird nicht gelebt beim Guldeifner.
Er jelber verftehts, und feinen Leuten
gönnt ers auch. Soll unter feinem
Gefinde, dem jüngeren, ja viele nahe
Verwandte haben, der Guldeiiner, —
merkt ein Bauer nicht. Die alte lang:
'weilig tidende Wanduhr Hinter dem
großen Kachelofen zeigte ſchon die
\fiebente Abendftunde. Bon den gegen
| überliegenden Waldbergen leuchtete das
Sonnengold fo hell zurück und zu den
Fenſtern herein, daß in der Stube eine
Art von grünlicher Dämmerung war.
| Jetzt kam von der Küche herein
‚eine rundliche Magd mit feingeflochtenen
Haarzöpfen, freundlichen Augen und
zarter Gefichtsfarbe ; fie bedeutete den
Männern, wenn fie etwa bei dem
Bauern was zu thun Hätten, jo follten
fie fo gut fein und ein ganz Klein
wenig warten, dann follten fie ins
Stübel kommen. Er jei juft aufges
ftanden.
Als die Magd wieder zu ihrem
| prafjelnden Herdfener hinausgegangen
been bemertte der Sepp mit einem
vielfagenden Schmunzeln: „Das ift ſie
gewiß geweſen, Diefeinige!“
„Mag wohl fein,“ verjeßte der
Nodel und taftete mit der Hand in
die Luft hinein. „Schau einmal beim
TFenfter hinaus zum Brunnen. Dort
fteht Eine mit dem Waſſerzuber.“
„Richtig,“ ſagte der Sepp, „die
Ihwarzaugige Julerl! Und wie fie
unterhalten kann! Die ift nicht übel”.
„Jetzt ſchau auch einmal dort in
den Garten Hin.*
„Dort thut Eine Salat gießen.
Flint und fauber! Ihre Kittel tragen
| hier oben die Weibsbilder nicht zu lang.
Das macht aber nichts, fie haben Feine
zerriffenen Strümpfe an.”
„Sie haben halt gar feine an.”
„Der Guldeifner hats gern fo; effen
tönnen feine Weibsbilder, jo viel fie
wollen, aber mit dem Gewand follen
‚fie ſparſam fein, jagt er.“
„Thuts eh leicht, wenns jo ſchön
warm iſt.“
So tratichten fie, auch Männer
können es, wenn fie Langweile haben.
Der Guldeifner war unverbeiratet,
wußte die fleißigften und friſcheſten
Dienfiboten in jeinem Hofe zu ver—
ſammeln und fo gieng die Arbeit allzeit
munter von ftatteı.
„Das ift halt das Schlimme!“
feufzte num der Jakob auf, der Heute
ſchwermüthig war.
„Was meinft, Nachbar ? Der Spare
fankeit mit dem Gewand wegen ?*
„Wenn er Kinder thät haben, der
Guldeiſner, rechtmähige Kinder, er wäre
feftgenagelt an Haus und Grund.“
flügel weit aufjogen, wenn er in
Erregung fanı. Das Einzige, was an
dem Manne wohlgepflegt war, mußte
wohl der Schnurrbart fein. Der war
fo kohlſchwarz, daß man ihn für gefärbt
hätte halten können, jo dicht und kurz—
geichnitten und mit dem Schermefler
Scharf abgegrenzt, daß es auzjah, als
hätte der Guldeilner zwiſchen Mund
und Nafe ein wulftiges Filzlein geklebt.
Alles Uebrige war forgfältig rafirt,
was an der fonft verwahrlosten Ge—
ftalt das einzige Anzeichen ftellte, daß
Jetzt kam die Magd wieder: Sie, der Mann Fein gewöhnlicher Waldbär
fönnten jchon ins Stübel gehen.
„Baden wir ihn halt an, im Gottes—
namen!“ ſagte der Nodel, und fie
giengen in das Nebenftübel, daS voll
Sonnenlicht war, weil das große blanke
Fenſter gegen Sonnenuntergang Hin
ftand. Und wie vornehm eingerichtet!
Am Fenſter roſenrothe Vorhänge, au
den Wänden, über alten kunſtvoll
geſchnitzten Schränken, Porzellankrüge
und Teller; gegenüber der Thür ein
Spiegel, vorgeneigt an der Wand hän—
gend, ſo daß die Eintretenden darinnen
ihre eigenen Füße wie über einen
ſchiefen Fußboden herabfteigen ſahen.
Ferner an der Wand ein paar Hirſch—
geweihe, ein Schießgewehr und ein
Weidmeſſer. Auf Bett und Stühlen
war die voflfte Unordnung und ber
Guldeiiner ſaß in Hemd und Inter:
hoſe am unbededten braunen Tifchchen
und ſchlürfte juft feinen Morgentlaffee,
fo dak die Eintretenden der Schale
wegen von feinem Kopfe nichts jahen
al3 den jchwarzen, wirren Haarwuſt.
„Behts nur her, Nachbarn!“ rief
er mit fchnarrender Stimme noch zu: |
halb in das Kaffeegefäß hinein. Als
er diejes endlich auf den Tifch geitellt,
jah man den Großbaner zu Altenınoos
von Angeſicht zu Angelicht. Auf breiten
Achſeln ſaß kurzhalfig ein runder Kopf.
Ueppiges verfiljtes Daar, kleines blafies
Geſicht mit ftarf bervorftehenden Wan: |
fei. Er war in der That ein unge—
wöhnlicher.
„Gehts her, gehts her!“ jchnarrte
er mit einer breiten, ſchmetternden
Stimme; man merkte wohl, der Mann
war gewohnt, ſcharf in die Welt hinein—
zureden ohne die Worte viel zu muſtern.
„Man kennt fich Frei nicht aus,“
bemerkte der Sepp in der Grub, „ſtehſt
erft auf, Nachbar, oder gehit ſchon
Schlafen.“
Er ftand Freilich erft auf, und ein
Guldeifner kann die Tageszeiten um—
fehren wie er will, darüber Hat er
Niemandem Rechenschaft abzulegen. Er
überhörte alfo die Bemerkung. Sie
jollten die Hofen, Leibeln und Pfaiden
von den Stühlen werfen und jich ſel—
ber draufjegen, war fein Rath, den die
drei Männer ſofort auch befolgten.
Hierauf griff er, ohne fich von feinem
Siß zu erheben, mit einer langen Hand
in's MWandfaftel, nahm einen Thon
plußer heraus, ſchenkte damit vier
Glasſtümpchen voll und rief: „Mögts
ein’ Schnaps ?“
„Du kannſt Dirs halt anjchiden,
da heroben,“ ſagte nun der Rodel
einlentend, nachden er vorher ein paar=
mal mit der Hand in dje Luft ge—
fahren war, als wollte er Fliegen
fangen, „Du laßt Dir nichts abgehen
auf Deinen Berg da heroben, und recht
halt. Ih thäts auch, gunn' Dir’s.
gen- und Badenknochen, bufchige Augen: | Du kannſt beifer leben, ais wie etwan
brauen, große Schwarze Augen, plummpe| jo ein Kampelherr, der in Land ums
Stumpfnafe, an der ſich die Nüſtern- fährt, um fein Geld loszuwerden, und
21”
fih damit wohl Bauernhäufer kauſen
kann, aber nicht das Anfehen und die
Altgefeffenheit vom Guldeiſnerhof.“
„Hei, der Kampelherr!“ fehmetterte fagte der Großbauer.
macht Sorg’ und Aerger, und wenns
der Guldeifner heraus und lachte,
Der Sepp blies von feiner Pfeife
raſch nacheinander Rauch aus; „die,
neueſte Lug,“ jagte er dann und pafite
wieder, „die neueſte Lug wird Dir
Spaß machen, Nachbar, die in Alten-
moos umgeht.“
„He, Lug!
Großbauer.
„Ja, ſie ſagen, der Guldeiſner
So!“ ſchnarrte der
wollt' ſein Haus und Hof verlaufen, |
jagen fie.”
„Sagen fie das ?* lachte der Guld—
eilner laut.
„Es wird nicht wahr fein,“
ſetzte nun der Jakob.
„Warum ſolls nicht wahr ſein!“
ſchnauzte ihn der Großbauer an. „Mor—
gen laß ich einfpannen und fahre nad
ver⸗
Sandeben zum Kampelherrn. Ein
Narr müßt' man fein!“
„Nachfahren,“ meinte mun ber
Sepp, „nahfahren möcht’ ich ihm ſchon
gar nicht, wenn ich Guldeilner wär”.
Der Guldeifner ift, jo viel ich weiß,
noch feinem Banern und keinem Herrn
nahgefahren. Wenn dem Her an
Deinem Hof gelegen ift, jo wird er
ſchon jelber kommen.”
„Ein Guldeifner weiß, was Höf—
lichkeit iſt,“ rief der Großbauer, erfaßte
eines der Gläschen, die er für feine
Säfte vollgeſchenkt Hatte und goß deijen
Inhalt in feine eigene Gurgel.
„Nachbar,“ fagte der Jakob, „Du
mahft Spaß. Wenn unfereiner armer
Kleinbauer fein klemmiges Gütl weg
haben wollt! — Gott bewahr’ mich
vor dem Gedanken! — es wäre zu
begreifen. Aber Du, der da in Gebirg
| | famen,
faufen, auswandern, nein Guldeifner,
das ift nicht! Das ift nicht!“
„Und es wird doch fehier fein,“
„Ein Bauerngut
noch jo gut geht. Was foll ih mich
‚Torgen und radern im Gebirg, ich hab's
nicht noth. Ich ziehe mich ins Thal
hinaus, Habe feine Scherereien mit
den Dienftboten und Nachbarsleuten,
wo doch alle Augenblick einer betteln
kommt, der um Holz, der um Korn—
der um Heu oder Stroh, der
um Fuhrwerk, der um Tagwerler!
Und alle Jahr die Kümmernis: im
Frühjahr um Regen, zur Magdzeit um
Sonnjhein, zum Srautfeßen wieder
um Naß, nachher um Wind, dab das
niedergeweidte Korn aufſtehen mag, im
Schnitt um Schönwetter, im Herbſt
fürs feimende Winterforn um Regen,
im Winter fürs Holzjchleifen um
Schnee; ganz und gar abhängig iſt
man dom wetterwendijchen Herrgott.
Ein Narr müßt man jein!" Er trant
in der Hitze feiner Nede das zweite
Gläschen aus,
„Dasjelbe ift freilich wahr,“ meinte
der Jakob in feiner bejcheidenen Weije,
„dom Herrgott it der Menjch allemal
abhängig.”
„Wenn ih draußen in meiner
Billa fie und Coupons abjchneide, da
kümmere ich mich einen rothen Teufel
um Wind und Wetter.“
„Darf man fragen, wie viel er
Dir geben will?" ſagte der Nobel.
„It kein Geheimnis,“ verſetzte der
Guldeiiner kurz und beitimmt. Wie
es liegt und ſteht — Dreißigtaufend
Gulden kugelrund.“
Die Bauern jchauten jih an.
„Buldeifner,“ ſagte hernach der
| Kodel, „jet dab’ ich keine Schneid’ mehr,
feit Alters her angeltammt beifer und daß ich dir abrath. Es iſt viel Geld!
freier lebt, als ein Graf,
den Alle Sapperment mnein, es iſt viel Geld!“
gern haben da herum, dem Alles nach
„Ein Narr müßt' man ſein!“
Wunſch und Willen geht, vor dem ſich ſchnarrte der Großbauer.
jeder Baum voller Achtung verneigt
und jeder Stein ſchier ſelber aus dem
Weg ſpringt — Du dein Gut ver—
„Und ich rathe doch ab,“ verſetzte
der Jakob. „Guldeiſner, bedenk's. Wenn
Du von Deinem Hochwald einen friſchen
—
4
325
Lärchbaum verſetzeſt hinaus ins Thal,
mitſammt der Wurzel verſetzeſt, und
ihm dort die beſte Erden gibſt und
den fetteſten Dung, und Naß und
Sonne wie Du willſt — der Lärch—
baum wird Dir hin. Ein Gebirgsbaum
laßt ſich nicht verſetzen. Wenn er aus—
gewachſen iſt, ſchon gar nicht. Ein
Gebirgsmenſch auch nicht.“
„Larifari!“ ſchrie der Guldeiſner,
„Vom Schlechtern aufs Beſſere, das
hat der Menſch noch allemal erkragen.
Wenn unſere Buben Soldaten werden,
du gefällts ihnen freilich nicht draußen,
das glaube ih. Der Holzfneht Simon
it auch vierzig Jahr alt worden in
Altenmoos; jeßt ift er Werksverwalter
in der Krebsau. Der verdorrt gar
nicht dorten, wie ein verjegter Lärch—
baum, der wird did und fett und
verlangt ſich nicht mehr zurüd ins
Altenmoos. Ein Narr müßt man fein!“
„Wer ſich's beifer machen kann,“
fagte der Nodel achjelzudend, „ein
Jeder thut's.“
„Mit Altenmoos wird's traurig
hergeben, wenn der Guldeifnerhof eine
Herrenhube wird,” fagte der Jakob
nicht ohne Beklommenheit.
Darauf antwortete Steiner was.
„Nachbar,“ fuhr der Jakob fort
und legte jeine Hand auf den Tiſch
hin gegen den Großbaner, „Nachbar,
bleib’ da! Dur gehörft zu uns. Deine
Vorfahren jind auf dieſem led ges
boren worden und geftorben, haben
ein zufriedenes Leben geführt, find
alt geworden, wie draußen felten Einer
wird. Mit Geld und Herrenhuld Hat
ih Fein Guldeiiner wenden laſſen,
jeit die Schirmtannen ftehen, da drau—
den dor Deinem Haus. Weit und
breit ift dieſer Hof bekaunt und ges
achtet, erbgeſeſſen und ehrenfefl! Das
Guldeiinerblut ift ein frischer Brunnen,
draußen thät’ er im Sand verrinnen.
Und auch unfertiwegen, Franz, ver—
lab uns nicht. Viele Berwandtfchaft
haft in Altenmoos; Leute, die fich bei
Dir anlehnen müſſen, ihnen bift ein
Halt, Dir macht's nichts, Du bift
ftart, Dir geht's gut, bleib’ bei uns.
Wir Halten zufammen, und ſollt' Dich
auch einmal was Dartes treffen —
Gott verhüt' es! — fo find wir Dir
brave Kameraden, wie Du es uns
bift. Nein, es ift micht möglich, Du
kannſt nicht fort, verſuch's, Du kannſt
nicht, Du wirft fehen, wie der Menfch
verwachfen ift mit feiner Erden, mit
allen Kräutern und Bäumen, die dar—
auf fteben, felbft mit dem Käfer auf
dem Grashalın und mit dem Vogel
auf den Wipfel, geichweige mit dem
Vieh auf der Weid'. Du wirft es
fehen! In den beiten Jahren, wie
Du bift, kann ein folches Anweſen
den tüchtigen, rechtichaffenen Mann
nicht entbehren. Nimm Dir eine brave
Hausfrau, Du Haft die Wahl, und
nit lieb Weib und Kind wirft Du
erst ertennen, was Dein Guldeiſner—
gut bedeutet. — Franz, verſprich es
uns! Bleib’ daheim!“
Der Grofbaner Hatte während
diefen Worten auch das dritte Gläs—
hen Schnaps ausgetrunken. Jetzt
ftauten ſich feine Nafennüftern auf.
„Bedank' mich!” Feuchte er, „Leinen
Vormund brauch’ ih nit. Ob ich
ledig bin oder verheiratet, das geht
Dich nichts an, Graben=-Dodel, ver—
dammter! Der Zimmermann, dort hat
er das Loch gemacht, dort! dort!”
„Na, na, Guldeiſner,“ verjeßte
der Sepp, indem die drei Bauern
aufftanden, „braucht. Did nicht fo
anzuftrengen mit dem Dinanswerfen,
wir gehen Schon Freimillig. Gute
Naht oder guten Morgen! wie Du’s
brauchſt.“
So viel hatten fie ausgerichtet, die
Bauern, bein Guldeifner. Als fie die
bezäunte Gaſſe zwifchen Gemüfegarten
und Hauswieſe Hinabgiengen, ſahen
fie, wie ein junges, wohlunterjeßtes
Weib beſchäftigt war, die zum Vleichen
über die ganze Wiefe hin aufgefpannter:
Leinwandfächer zuſammenzurollen.
„Auch eine Guldeifnerin,* mur—
melte der Nodel, „ob er fie alle mit—
nehmen wird, auf feine Herren Billa ?*
— — — — —
„Sch denke,“ ſchmunzelte der Sepp
in der Grub, „die laßt er uns da.
Daß doch die Gattung nicht ganz
ausgeht in Altenmoos.“
Meiter unten, wo der Weg durch
jungen Anwachs gieng, begegnete ihnen
der MWaldmeifter oder Förſter. Das
war ein großer knochiger Mann in
Jägertracht und ſtets mit dem Ge—
wehr auf dem Rücken. Ein ſchöner
rother Vollbart machte Alles gut,
was die kleinen ſtechenden Augen und
die unförmig lange Naſe im Geſicht
verdarben. Er war ein Ausländer,
ſeit wenigen Jahren erſt bei der Herr—
ſchaft Rabenberg angeſtellt, gieng er
jetzt viel in Angelegenheit des Kampel—
herrn um, von dem es hieß, daß er
auch die Rabenbergiſchen Waldungen
ankaufen wolle.
Sterne und über den ſchwarzen Baum—
jaden des Hochwaldes ftieg der
Mond auf.
An der Hausthür ftand der Jaderl.
„Seh Hinein!“ befahl ihm der
Bater kurz.
„Nein!“
beftimmt.
„Alsdann bleib’ ftehen da, fo lange
Du willſt!“
„Nein!“ Eniefchte der Knabe. „Ich
will Schottenfterz haben, dann geh’
ih fort. Ganz fort! Ich bleib nim—
mer da!“
„Warum bit Du denn nachher
von Sandeben her heimgegangen ?"
„Weil ich’S verſprochen hab’.“
„Alsdann muß auch ich mein Ver—
ſprechen halten,” ſagte der Jakob, er—
griff den Jungen mit feſtem Arm und
antwortete der Snabe
„Db derer Guldeifnerr zu Haufe) führte ihn in den Moosbarren.
iſt!“ fragte er mit feiner eigenthüm—
lih ſcharfen Aussprache, die Selbit-
laute etwas näſelnd.
„Nein!“ antwortete der Rodel,
„da gebt der Waldmeiſter umfonft
hinauf!“
„Will ich lieberr umkehren,“ ant—
wortete der Förſter und ſchlug einen
Waldweg thalwärts ein.
„Warum Haft Du den Mann ans |
gelogen ?” fragte der Jakob feinen
Nachbar.
Der Moosbarren war ein Dinters
gelap des MWirtfchaftsgebäudes, eine
Heine Hammer, in welcher Streumoos
getrodnet und aufbewahrt zu werden
pflegte. Er hatte zwei Heine glasloje
Fenſter und eine feſte Bretterthür, die
von außen durch ein Stettlein zuge—
hängt werden fonnte, jo daß jie von
innen nicht zu öffnen war.
Diefer Barren war im Reuthofe
das Zuchthaus.
Und da drinnen lag der wilde
„Der wäre jeßt ſchnurgerade Hinz | Jaderl nun wieder auf dem Moos
aufgegangen und hätte ihm das Gut) haufen, wo er ſchon recht oft gelegen
abgefauft,“ antwortete der Rodel.
war.
Die Thür von innen aufzu—
„Mit der Lug werden wir's nicht) brechen, zu einem Fenſterlein hinaus—
hintertreiben,“ fagte der Jakob, „ich | zufriechen, ein Flebbrett zu heben, um
mein’ aber, er verkauft nicht. 's
lauter Truß, was er jagt.“
iſt unterhalb hinauszukommen, diefe un—
fruchtbaren Verſuche waren längſt auf—
„Und auch Trutz, was er thut. gegeben worden. Jetzt lag er rücklings
Nachbarn, der Guldeifnerhof iſt bin.“ auf dem Moos und ließ den Mond
So der Rodel. Bald darauf trennten | auf fein Geficht ſcheinen und war ganz
fih ihre Wege.
ruhig. Es war ihm ja nichts Neues,
im Kriege mit feinem Vater zu unters
liegen, und er fand es eigentlich auch
Wie der Jadierf bewogen wird, in Ordnung fo. Er hielt den Vater
daheim zu bleiben.
im Ganzen für einen braven Mann,
dem man mun eben einmal zu ges
Als der Jakob nah Haufe kam, | horchen hätte. Aber der Jaderl will
funfelten am Himmel ſchon etliche nicht gehorkhen, und denen juft am
327
wenigften, die es jcharf von ihm ver—
langen. Schlecht gemug, daß es falt
allenıal was Bernünfliges ift, was
der Vater begehrt. Das aber ift nichts
Vernünftiges, für alle Ewigkeit im
Altenmooſer-Winkel figen zu bleiben,
und die Welt ift fo weit und ift fo
ſchön und hat fo viel Geld und Gut!
Mir — der Jaderl — find nun ein—
Mit einem Zone, der voll Güte
und Herzinnigfeit war, fagte draußen
die Mutter: „Sind, die Suppe fteht
auf dem Ziihe und Du mußt was
Warmes eſſen. Der Bater laßt Dir
jagen, wenn Du brav bift, jo darfit
Du fommen, wenn Du aber noch
trußgig wäreft, jo ſollt' ich nicht aufs
machen. ch bitte Dich, mein liebes
mal zwölf Jahr alt. Leichter lauft der | Kind, thue mir das Leid nicht an, fei
Menſch fein Lebtag nie, al3 in diejem
Alter, wenn er da nicht davonlauft,
wann ſoll er's denn thun? — Einft:
weilen möchten wir einen Schotten
fterz haben.
„Saderl!” rief e& draußen in der
wieder ordentlih und folgſam wie
Deine Geſchwiſter, wir haben Dich ja
lieb und Alles ift wieder gut. Geh’,
komm ber, ſei geicheit, veriprich mir,
daß Du brav willjt fein!“
Da fie im Barren gar fein Lebens
Nacht, es war die Stimme der Schwefter zeichen vernadm, Fo kam ihr die Angit,
Anger, „da greif' an, wenn Du hun—
es möchte ihm etwas widerfahren fein.
gerig biſt!“ Sie hielt ein Stüd Brot | Sie gieng um die Ede und jchaute
zum Fenſterchen herein. „So geeif | zum Fenfter hinein. Dort im Winkel
an, Jackerl!“
„Nein!“ knirſchte der Junge.
Sie hielt immer noch geduldig
herein, weil aber der Jaderl fürchtete,
daß fie die Hand doch zurüdziehen
fönnte, nahm er feinen Filzhut und
hieb ihn mit aller Gewalt auf die
Dand los. Das Brod fiel in der
Kammer zu Boden, das Schweiterlein
draußen gieng Jchluchzend davon. Der
Saderl Hub das Stüd Brot auf, als
er jedoch ihr Weinen hörte, jchleuderte
er es wieder in den Winkel. „Ich will
Dich nicht! Sie fol ftill fein! Ich
mag Sie nicht weinen hören! Ich
mag nicht!" — Ein gutes Wort
wollte er Ihr nachrufen, aber flatt
deflen Schrie er zum Fenfter hinaus:
„Du Teufel! Du Teufel!“ und schlug
mit der Fauſt auf die Wand los und
ächzte vor Wuth.
ſtand er, ſtrampfte jetzt den Boden
und kreiſchte: „Nein!“
„So kann ich Dir nicht helfen,“
ſagle das Weib, „der Trutz iſt noch
ftärfer wie Du, den müſſen wir jo
lange aushungern, bift Du ihn unters
friegft. Bleib’ in der Schupfen.“
Der Junge fügte ſich in's Unver—
meidliche. Er ſann auf Zeitvertreib.
Auf dem Nüden lag er im Moos
und Hub an Liedchen zu trällerı,
wie er fie von den Knechten gehört.
„Di ho! Hi Ho!” begann er und:
„Zulli bo!
Follt ma da Huat in Bod,
Tulli ho!
Ih lauf eahm nod, jo nod.
Tulli ho!
Er is jcha weit, viel z'weit,
Tulli ho!
Hon gor fa Freud!“
Dann ſpitzte er die Lippen und
Durch die Wandfugen ftrich eine) Pfüf, und bald daranf fang er ein
fühle Luft. Der Knabe grub ſich in
das Moos bis an den Hals und
ſchlief ein.
Am nächſten Morgen kam feine
Mutter zur Thür und rief: „Bill
ſchon wach, Jaderl ?*
Er war freilich ſchon wach, gab
aber feine Antwort.
anderes Liedel, woran ihm bejonders
der lebte Theil in die Stimmung
paßte:
„Vormittag buß ih —
Wos buß ih?
Mei Dirndl in da Ghoam (im Geheimen),
Nohmittog bin ih —
Wo bin ih?
Aufn Tonzbodn dahoam.
At won mid mei Voda —
Yan Koder
In d'Schupfn einipirt,
Tulli, do flid ih —
Wos flick ih?
Mei Hoin ban Knia,
Und dab ma,
Yo dak ma
Die Zeit nit long wird,*
Dabei hub er an zu jodeln, bis
er heifer war und ſann auf meuen
Zeitvertreib. Flint fprang er auf,
Hleiterte an der Wand empor md
hipfte wieder auf das Moos herab;
dann ftellte er fih auf den Kopf und
jpreizte die Beine in die Luft. Dann
begann er mit Bänden und Füßen
das Moos aufzumiſchen, daß die Fetzen
nah allen Richtungen an die Wand
und bis zu Dede flogen, dann fiel!
er in’3 Geſtreu, vedte alle Viere von
ſich und ftellte ſich todt.
Der Oberförſter ſchüttelt den
Daum.
In denfelben Tagen war's, daß
dev Maldmeilter Ladislaus und der
Bauer Dreifam aneinander gerietben.
Der Waldmeifter war ganz Kam:
pelherr’fcher Beamter geworden und
hörte feither nur mehr auf den Titel:
Herr Oberförfter.
Der Dreifam Hatte an feinem
MWaldrain mit der Dane den zähen
Nafen umgekehrt, weil man mit dem
Plug dem Rain nicht beikommte, und
doch auch diefer Streifen als Korn—
ader benüßt werden follte. Der Drei:
ſam Hatte eine große late, dafür
aber einen ſehr Langen, flachsfalben
Bart, der fehier bis an den Gürtel
hinabgieng. Damit diefer Bart beim
Graben nicht hindern konnte, fo ftedte
er ihn am Dalfe hinter den braunen
Brufiflet hinab. Da kam der Wald»
meilter gegangen. „Ihrr Altenmooferr
Baneren ſeid Trotteln!” Mit diefem
Ihönen Wort grüßte er den arbeiten:
den Mann.
„Auch jo viel, Here Waldmeifter,”
dankte der Dreiſam, „gefcheiter wäre
328
e3 freilich, alleweil im Feiertag um—
gehen mit der Büchſen und fich dus
Futter von anderen Leuten vorſetzen
lafien, als fein Brot felber mit harter
Müh' aus dem Boden graben.“
„Korn anbauen, das ift dumm,“
belehrte der Oberförfter, „feit durch's "
Land dräußen die Eifenbahn geht,
lönnt Ihr Bergbanern im Getreidebau
mit den Ungarn und Eroaten nicht
mehr concurrieren.“
„Die Groaten wollen wir auch
nicht curieren,“ verdrehte der Dreifam,
„wir wollen unferen Magen curieren. *
„Viehzucht!“ rief der Waldmann,
„Viehzucht müſſet Ihr treiben. Den
Plug in Scherben fchlagen, das Korn
faufen. Lauter Viehzucht. Das Gras
wächst von ſelbſt, da braucht Ihr
feine Dienftboten.“
„Schau,“ meinte der Baner To
halb für jich, „das willen meine Ochſen
beiler, wie der Herr Waldmeilter. Die
Ochſen wollen fein Gras freſſen von
einer Trift, die jahraus jahrein nicht
umgebrochen wird mit dem Pflug und
nicht manchmal Hafer oder Horn dar—
auf angebaut. Die Ochſen fagen, To
ein Dedgartgras ſei faner und voller
Moos. Nun, dem Herrn ſchmeckl's
vielleicht beſſer.“
„Mein lieber Baner,” verfeßte der
Oberſörſter unn in böflicher aber ſehr
überlegener Weife, „wenn Ihr fiber
Pandwirtichaft mit mir veden wollet,
da müſſet Ihr ein wenig weiter in
der Welt herumgekommen fein, als
von WUltenmoos bis Sandeben! Ein
wenig weiter, mein lieber Bauer!“
„Glaub's Schon,“ verſetzte der
Dreifam, „daß der Herr recht weit
gelaufen iſt!“
„Bir an einem Tag weiter ge:
fommen als fu ein Bauer fein Leben
lang ſpringt!“
Dachte fich der Dreifam: Mit Den
ernſthaft zu Äreiten iſt mir zu dumm—
So warf er luſtig das Wort hin:
„Weiter, als der Herr Waldmeiſter
an einem Tag laufen kann, weiter iſt
mein Bart ſchon gewachſen!“
Mie das gemeint fei?
329
ihn, den Oberförfter, mit dem Oelde
„Nicht ſchlecht. Wetten wir Eins | wieder davongefcheucht Habe. Denn er
miteinander, Herr, mein Bart ift fän= | trage Geld in der Taſche.
ger gewachſen, als Er au einem Tag
Er folle e& nicht verlieren, meinte
laufen lann! Meffen wir einmal!) der Jalob.
Gilt's ? Abgemacht. Am Sonntag beim
Steppenwirt unten kommen wir zu—
ſammen. Ich hab’ Zeugen. Zehn Maß
Unterſteirer, wenn's dem Herrn nicht
zu viel iſt!“
„Zwanzig Maß!“ ſchrie der Ober:
förfter, „abgezapft muß er einmal
werden, euer Uebermuth;“
„Vielleicht zapfen wir auf dreißig
Mai!” meinte der Dreifan.
Ob er 88 nicht dalaffen dürfe?
„Bedank' mich ſchön,“ fagte der
Jakob, „wir brauchen fein’s.*
Der Oberförfter ſtutzte Er konnte
nicht begreifen, wie ein Menſch auf
der weiten Welt lebe, der fein Geld
brauche; ja nicht einmal eines haben
wolle. So einer müſſe ein Eretin fein.
Tür den Kampelherrn gehe er um,
erklärte der Förfter, vorhin ſei er beim
„But! Auf dreißig, ſehrr gut!” Klachelhofer oben geweſen. Der fei ein
näſelte der Förſter.
Sonntag beim Steppenwirt. — Und
jetzt adien, Bauer! Es thut mix leid,
daß ich das Geld wieder davontragen
muß, was ich für Euch im Sad’ habe.
Vielleicht mag's der Reuthofer.“
„Am nächſten kluges Köpfel, der Klachel, und vers
ſtehe ſeinen Vortheil. Dem Klachel
habe er das Haus abgekauft.
„Der Reuthof iſt nicht feil. Be—
hüt' Gott!" Mit dieſen Morten des
Jakob war der Mann abgefertigt, der
„Sa, iſt Schon recht,“ fagte der nun fopfichiittelnd feines Weges gieng.
Dreilam und grub emſig weiter.
Der Oberförfter
Einen Fichtenbaum padte ex
Gieng aber in’ Haus Hinein, wo
gieng davon.) Maria, die Bäuerin am Herde das
und Mittagsmahl fochte.
Zum Vorwand
Ichüttelte ihn, daß dürre Zapfen here | nahm er, daß er fich eine Cigarre an—
abfielen. — „Diejes Altenmoos muß | brennen wolle, bald jedoch rüdte ex
man auch Fo ſchütteln,“ dachte er, | mit feiner Sache heraus. Sie, die
„was reif ift, wird fallen. — Was Fran, ſolle vernünftiger fein als der
heute micht Fällt, das Fällt morgen. | Mann, der ſich eben einmal in den
Feſt anpaden.” Er gieng gegen den
Neuthof. Dev Jakob war eben dabei,
feinen Angerzaun, der das Gehöfte
fteinigen Boden hinein verbiffen habe.
Die neue Zeit fei eine andere als die
alte, Vieh und Hafer werde von Tag
umfriedete, auszubeſſern. Er trieb fri- zu Tag billiger, Dolz Habe gar feinen
Ihe Steden, je zu zweien, im den‘ Preis, die Dienftboten ſeien koſtſpie—
Boden, legte lange Qnerftangen daz= | Tiger und ungeberdiger als je. rüber
zwiichen und befeftigte fie mit Weiden
bändern. Eben rüttelte er an einem
ſolchen Stedenpaar und fagte: „Dalten
mußt!“ als der Förfter vor ihm ftand. | gut beifammen bleiben müſſen
Diefer reichte ihm alfogleich bieder-
meierifch die Hand, in welche der
Jalob die feine ohne viel Gegendrud
legte. Zaunmachen, das fönne der
Kenthofer, lobte der Förſter, indem
er auch einmal und mit Kennermiene
an den Steden rüttelte. Und er denke,
habe Haus und Grund den Beliger von
dem Soldatenleben befreit, das ſei
nicht mehr, Früher habe ein Bauern—
und
hätten die Kinder des Hauſes ihr
Leben lang darauf ein Heim gehabt;
heute dürfe jedes Banerngut zerriflen
werden, wie man einen Papierwiſch
zerreißt, der nichts mehr gilt. Dazu
die hohen Steuern, und wer rechtzeitig
nicht zahlen könne, dem laffe der Staat
der Neuthofer werde auch in anderen das Haus verganten ohne Barmherzig—
Stüden Müger fein, als der Nachbar | keit. Früher fei der Banernjtand ein
Dreifam, der fo grob gewefen, daß er Ehrenftand gewefen; der heutige Bauer
würde ausgelacht, weil er ja wahr „Nein,“ fagte der Knabe. „Meinen
haftig ein Thor ſei. Wenn der Reut- | Vater ſollſt Du nichts thun. Geh’ nur
bofer fein Gütlein verkaufe, jo könne um die Ede herum, dort ift die Thür,
er das Geld in die Sparcafje oder auf die ift auswendig mit einer Kette
Wertpapiere anlegen und davon alle feftgehängt. Die Kette mußt Du ab—
Jahre feine Ferung machen ohne Müh' haken, ſonſt Haft nichts zu thun.“
und Sorge. Wolle er fich nebenbei ' Der Förfter fam dem Auftrage
was erwerben oder wollen es die nach, wie ein Knecht dem Befehl des
Kinder, jo ftünden Eifenwerte und Herrn. Nur war Bosheit dabei. Als
hundert Fabriken in der Welt, wo der |er das Kettlein losgehakt hatte, wurde
Mensch glänzenden Verdienſt finde. ‚die Thür von innen aufgeriffen, der
Der Kampelhere wolle einen größeren Stnabe fuhr heraus, rannte dem Obere
Fleck beifammen haben und zahle die förfter den Kopf an die Beine und
Häuſer beſſer als gut. Das und lief gegen den Wald hin.
Anderlei möge die brave Fran ihrem Der Förſter war durch den plötz—
Manne begreiflich machen. Komme der lichen, fo unvorhergeſehenen Anprall
Kauf zu Stande, fo lege er ihr extra zu Boden geftürzt. Als ex fich fluchend
zehn nagelnene Ducaten auf die Hand. erhob, um den wilden Knaben zu
„Sagen will ich ihm's ſchon,“ |züchtigen, war diejer Schon verjchwune
entgegnete Maria, „aber beftechen lafj’ den in den Strüppen der Waldſchlucht.
ih mich nicht.”
Damit war der Förfter auch Hier
abgefertigt. 1Weberlaut ein munteres | . —
Liedel pfeifen®, insgeheim über den | Der Guldeiſner ſatt.
„dummen Banernſtolz“ knirſchend, ſo Das letzte Haus unten an der
gieng er davon. Sandach, wenn man gegen Sandeben
As er hinter dem Gehöfte am hinansgieng, bie; der Steppenhof. Es
Moosbarren vorüberfchritt, hörte er, war der ftattlichiten eines in Alten=
fich rufen. Ans dem Fenfterlein guckte moos. An der glatten Wand, deren
ein Schöner, aber verwilderter Snas | Zimmerbäume nicht mit Merten be—
benkopf. hauen, ſondern in der Bretterſäge ge—
„Lieber Herr Oberförſter! Laſſe ſchnitten worden, waren große, läng—
mich frei, ſie haben mich hier einge- liche Fenſter mit hellen Glastafeln,
ſperrt.“
Der Förſter blieb ſtehen. „Einge—
ſperrt?“ ſagte er, „was haſt Du wohl
angeſtellt?“
„Fort will ich. Bleiben mag ich
nicht mehr in dieſem Altenmoos. Die
Welt will ich ſehen. Darum haben fie
mich eingeſperrt.“
„Da hört ſich doch Alles auf!“
murmelte der Oberförfter. „Die Ju—
gend verfteht ihre Zeit, und mit Gewalt
wird fie gefangen gehalten im Gebirg !
Alsdamı bleibt fie freilich boden. Und
da3 heißen fie Heimatsliebe! Hunds—
fötter finds. — Bit Du dem Neut-
hofer fein Sohn, Kleiner? Gut, ich
will den Kerl jo lange würgen, bis
er Dih ausläßt.“
blauangeſtrichenen Ballen und Fenſter—
kränzen. Es hatte große Stuben, wo—
von eine ſogar mit Ejchenholz aus—
getäfelt und braun, mit rothen Falz—
rändern bemalt war.
Weil der Steppendof, der wie:
'jedes Haus in der Gegend feine Fel—
der, Wieſen und Waldbeftände Hatte,
‚jo nahe an der Straße ftand und jo
nahe am Waſſer, jo hatte der Stepper
ein Wirtshaus daraus gemadt. Er
ſchenkte Aepfelmoft, Branntwein und
jogar zwei Sattungen echten Trauben»
wein, wovon die eine Gattung „der
Ordinari“, die andere „der Bellere“
genannt war. Auch Eieripeifen und
Kaffee fonnte man haben und au
Sonn- und Feiertagen Hammel-,
33
Haſen- oder gar Schweinsbraten.
Einer oder der andere der guten
Altenmoojer ſaß immer in der Wirt!»
ftube und tranf, rauchte oder „duſelte“.
Wenn's zu Haufe Verdruß gegeben,
war es hier Schon hölliſch fein figen.
Und wenn ein vortheilhafter Vieh—
handel abgefchloffen worden, da ſaß
ſich's wie angegoffen am Ahorntiſch.
Auch gab es in Altenmoos Quartal-
lunpen, da3 waren ſolche, welche
monatelang brav zu Haufe blieben
und arbeiteten, wenn fie aber einmal!
in’s Wirtshaus kamen, tagelang darin
fefthodten, den einen Rauſch auf der
Wandbank ausfchliefen und den ans
dern am Tische tranfen, bis ihr Geld,
weil der Durst zu ſtark und der Geld-
beutel zu Schwach worden. Heut’ geht's
verlehrt.“
„Eh wahr auch ja,“ ſtimmte der
alte Luſchel-Peterl an der Ofenbank
bei. Auch der war Heute in's Wirts—
haus gegangen auf ein „Stamperl“
Branntwein. Nichts Beſſeres für die
Gicht, als manchmal ein Stamperl
Branntwein. Ei ja, das leicht gewiß
wohl auch!
Für die Stubengäfte Hatte übri—
gens der Steppenwirt heute feine Zeit.
Draugen am Bachrand auf grünem
Unger unter der Linde waren Tiſche
und Bänke aufgeihlagen, noch vom
Viehmarkte her; dort war es an diejem
ihre Taſchenuhr und oftmals auch ihr) Nachmittage verwunderlich überfüllt.
Nod vertan war. Dann kehrten ſie Der Bauer, der die ganze Woche im
heim und war ihnen wieder wohl auf: Freien iſt, ſitzt ſonſt Sonntags gern
lange Zeit. An Sonntagen Nach- in der Stube, auch bei ſchönſtem
mittags waren die drei Tiſche der Wetter, ja vergißt ſogar manchmal ein
Gaſtſtube voller Leute; der Stepper Fenfter aufzumachen; die dumpfige,
hatte feine weiße Schürze umgebunden, |vauchige und von Wein und Men:
fein Sammtkäppchen auf die stopfglaße ſchendunſt durchſetzte Luft muthet ihn
geſtülpt und fein Geſicht zu einer be— ſonntaglich an. Aber heute war Alles
haglichen Gemüthlichkeit auseinanders | draußen. Es war dort das Unerhör—
gezogen — da war der Wirt fertig. | tefte zu fehen, was je in Altenmoos
„Was magſt, Dreifam ?*
ev heute den langſam
ihloffen in die Stube
Bauer.
„Heut' foll mir Deine Alte ein
feiſtes Pfannkoch machen und Pfeffer
d'rauf!“
ſetzte ſich an einen Tiſch, hob mit der
ımgefehrten flachen Hand feinen langen
Bart von der Bruft weg, weil er unter:
halb desjelben aus der Brufttafche fein
Pfeifenzeug herausfuchen mußte,
„Pfannkoch und Pfeffer d'rauf?“
fragte der Wirt kopfſchüttelnd, „da
wirſt ja jo viel durſtig davon ?“
wie unent—
„Alsdann werden wir halt trin⸗ lein.
und dieſe
ken,“ antwortete der Dreiſam
ſchlug Tabalsfeuer.
„Saggrament nocheinmal!“ knurrte
ein Holzknecht am andern Tiſch, „Geld
gibt's jetzt in Altenmoos, als ob die
- Guldenhäuterin auf den Hafelftauden
täten wachſen. Sonft iſt uns alle
fragte:
verkaufte jein Haus.
trottenden
begehrte der Fingetretene,
lich ereignen könnte. Der Guldeiiner
Breit an den Lindenſtamm gelehnt
laß der Großbauer da und ftenumte die
Fäuſte auf den Tiſch. Er Hatte eine fohl-
ihwarze pralle Lederhoſe an und grüne
Strümpfe mit beſchlagenen Bund—
ſchuhen; dann eine hellrothe Weſte,
über welche die breiten Bänder des
grünſeidenen Hoſenträgers ſich ſpann—
ten, und er hatte eine furze Jade aus
dunkelbraunem Tuche an umd einen
Ihwarzen, feidenwolligen Hut mit
ſchmaler Krämpe auf, An feinen Ohr:
läppchen blinften zwei goldene Scheib-
Diefe Gebirgstracht unten und
Flachländlertracht oben wurde
durch einen breiten, mit weißer Seide
ansgefteppten Ledergurt abgegrenzt.
Ihm gegenüber ſaß ein Herr mit
blonden, gutmüthig lächelndem Ge—
licht, kurzgeſchnittenem Bollbart und
Augengläjern. Er hatte ein graues
332
Tuchgewand am Leibe und feine blieben die Vorgänge am Lindentifch
Wäſche an, die an Hals und Aermeln wichtiger und fie rüdten immermehr
weiß und glatt hervorblinkte. Er war |um die beiden Männer zuſammen.
noch nicht alt, gab ſich ſchlicht und Der Guldeifner hatte feinen ſchwar—
zuvorlommend gegen Jeden. Dort zen, ftruppigen Kopf noch tiefer als
unter dem Vordache der Stallung ftand fonſt zwiſchen ſeine Schultern einge—
fein Wagen, an welchen Alles fun- zogen. Der Hut lag neben ihm auf der
felte und der voran zwei Laternen Bank. Manchmal fuhr er ſich mit der
aufgeftedt hatte. Ein Bauer bemerkte | Hand raſch ins Haar, zauste an deme
darüber: Da wäre es leicht bis im ſelben, ergriff dann eben jo haftig das
die Nacht im Wirtshaus figen, wenn | Trinfglas und goß es in die Gurgel.
man nachher in einem Wagen mit „Teufel!“ brummte er jebt, „es
zwei Augen heimfahren könne. Da |fteigt mir der Graus auf!“
glaube er Schon, daß Fein rauſchiger Es war ihm verdächtig geworden,
Herr in den Bad falle! daß der Kampelherr für fein Gut eine
Die beiden Männer, der Guldeifner | fo hohe, Summe geboten hatte. Er
und der graue Herr, hatten Schmale, hohe ſchloß daraus, daß es noch weit mehr
Flaſchen vor ſich ſtehen auf dem Tiſch, wert fein müſſe und daß ihn der Herr
aus welchen der Herr dem Bauer das | überliften wolle,
Trinfglas füllte, jo oft es hohl war. „Sb habe niemals,“ ſagte der
Die übrigen Bauern hielten ſich Kampelherr gelajfen, „auch draußen im
in einiger Entfernung, plauderten Halbz | TFlachlande nicht, das Joch durch—
laut über Feld und Vieh, Wind und ſchnittlich theurer als mit fechzig Gulden
Wetter, ſpitzten aber insgeheim die bezahlt. Aber ich babe es mit dreikig
Ohren den beiden Männern unter der, Gulden bezahlt und mit fünfundzwanzig.
Linde zu. Der Guldeifner und der Der Anatichel hat zweinndzwanzig Gul—
Stampelherr! — Unter den Bauern den befommmen und er fteht noch im Vor—
war auch der Förfter, was der Dreilam | theil. Das Noch zu dreißig Gulden trägt
durch das Fenfter heraus mit Wohl: mir als Waldboden kaum ein und ein
behagen wahrnahm; es follte hernach Halb Percent, kaum! Auf den Guld—
ja an den Bart geben. Der Ober⸗ | eifnergennd dreißigtaufend Gulden zu
förfter hatte eine Heine Gruppe um | dreiviertel Vercent anlegen ift eine
ſich, der er allerhand Unterhaltung vor- Thorheit. Nur der Jagd wegen hätt's
machte. Ex konnte einen Thaler durch mir dafür geftanden. Mit Feldbau
die Tischplatte Äteden, ohne daß ein und Viehzucht haben Sie drei Perzent;
Loch war. Er konnte ein mitten ent ſo gut wie der Bauer jelbit verwertet
zweigejchnittenes Schürzenband wieder |ben Boden Keiner. Behalten Sie
zuſcnmenfügen, ohne daß die geringſte Ihren Hof, Guldeiſner, behalten Sie
Spur des Schnittes zurückblieb. Er ihn, ich vathe Ihnen gut, behalten
konnte einen langen Sarrenftrid ver» !Sie ihn! — Gefällig ?
Ihluden und bei den Aermeln twieder Da er fih während diefer Aus—
herausſpinnen. Mit Spielfarten machte ‚einanderfegung jelber eine friſche Cigarre
er unzählige Künfte und bedurfte nur in den Mund geſleckt hatte, fo hielt er
ein paar lateiniſcher Beſchwörungs- das Täſchchen nun auch dem Bauern
formeln, um die Zaubereien zu volle Hin. Die Umfigenden hatten mit ges
führen. Einige waren von diefen Din— |mifesten Empfindungen und Geberden
gen vollends gefangen genommen; mit |zugehört. inerjeits wurmte es fie,
lauter Verwunderung oder tiefnache daß der Fremde ihre Grundſtücke ſo
denklichem Kopfſchütteln begleiteten fie | gering anſchlug, andererſeits hofften fie,
die unheimlichen Thaten des Ober- daß deswegen das Geſchäft nicht zu—
förſters. Anderen jedoch waren und ſtande kommen würde.
„Herr Kampelherr,“ ſagte ber Gulb= | Der Guldeiſner hatte jeher rothe
eiſner baftig, „da mögen Sie weitum | Wangen befommen, feine Nafennüftern
gehen, einen Hof, wo Alles jo bei= zuckten ftart, feine Augen vollten ruhelos
ſammenſteht, das Vieh, die Fahrniſſe und mit den Fingernägeln tronmmelte
doppelt und dreifach, die Gebäude in er auf dem Tiſche. Plöglih rin er
gutem Zuftand, fowas finden Sie nicht | fein rothes Tafchentuch aus dem Sad
mehr.“ Falt im Flüftertone fagte er es, |und trodnete ſich damit die falten
denn er war nicht gewohnt, fein Beſitz—
Schweißtropfen auf der Stirne. Hoch
thum mit Worten zu loben, er wußte von Bergesrand her winkten ihm die
zu gut, es lobte ſich ſelbſt.
„Die Gebäude,“ antwortete der
Stampelherr, „Ichäße ich nach den Holz—
wert; ich würde fie theils noch in
diefen, theils im nächſten Jahre zu
Kohlen brennen lafjen.“
Das zudte dem Guldeifner fchier
ein wenig herb in's Herz. Seinen
und feiner Vorfahren Stolz, den großen
Ihönen Guldeifnerhof zu Kohlen ver—
brennen! Allein, die Villa in
Krebsau, die er ſich bereits augeſehen,
iſt noch vornehmer, die iſt aus Back—
ſteinen gebaut und mit Schiefern ge—
deckt, die kaun nicht zu Kohlen ver—
brannt werden. Holz iſt Holz und
Geld iſt Geld. Jeder ein Narr, der ſichs
beſſer machen kann und thuts nicht ....
„Herr Kampelherr!“ ſagte der
Großbauer, und ſeine Stimme bog ſich
weicher, als ihm ſelber lieb war, „das
einunddreißigſte Tauſend machen Sie
voll! Sie werden nachher um jo mehr
Glück haben mit der Wirtjchaft.”
„Dreigigtaufend fiebenhundert Gul—
den und keinen Sreuzer mehr,“ fagte
der Kampelherr.
„Wenigftens noch einen guten Leih-
lauf (Ertrageld, Draufgabe für die
Ehefran) dazu!“ flüfterte der Guldeifner.
„Pfui Teufel !* brummte Einer am
Nebentiſch, „der Großbauer bettelt!“
„Leihlauf?* fragte der Kampelherr,
„Für wen denn? Der Guldeilner hat,
fo viel ich weiß, ja feine Frau!“
„Das nicht, Frau nicht. Iſt eh
fo,” ftotterte dev Bauer und tranf.
„Ih bitt' Sie, Steppenhofer,“
riefder Kampelherrden vorübergehenden
Wirt an, „Jagen Sie meinem Kutſcher,
daß er einſpannen joll.“
alten Tannen und Lärchen feines
Waldes. Hinter jungem grünem An—
wuchs vagten die Kronen auf von den
Schirmbänmen feines Daufes. Einen
Augenblid war ihm, als ob eine
flehende Stimme durch die Luft weine:
„Franz! Franz! bleib’ uns getreu!”
‚Die Stimme feiner Mutter, die ſchon
feit vielen Jahren im Grabe fchlief.
Der Kampelherr zog die Geldtajihe
hervor, um dem Wirte die Zeche zu
zahlen, und als der Guldeifner die
großen Banknoten ſah, die ganz unor=
dentlih in ihr Lederfach hineingepfercht
waren, da verlor er die Beſinnung.
„Sottswill, Kampelherr, der Guld—
eifnerhof gehört Dein!“ rief er und
Ihlug in die Hand.-
Mehrere der Umfigenden prangen
bon ihren Bänfen auf.
„Schade um die braven Voreltern,
die Der gehabt Habt !* bemerkte Einer
halblaut. Das hörte der Guldeiiner;
ſonſt hätte er derlei mit ftiller Ver—
\adhtung beftraft, jetzt fühlte er die
Nothwendigkeit, ſich zu vertheidigen.
„Meine Vorfahren!“ ſchmetterte er,
„was habt Ihr mit Ihnen ? Unfere
Vorfahren find ſelber nicht in Alten
mocs geblieben. Keiner! Stein einziger!”
„Freilich find fie nicht in Alten
moos geblieben,“ lachte der jet herbei—
gefommene Dreifam, „weil man fie
hinausgetragen hat auf den Sandebner
Kirchhof.“
| „Schon gut! Ganz gut!“ rief der
Guldeiſner, aber jeßt war er Heiler,
„Die mögen nicht einmal begraben
‚liegen in Altenmoos, und unſereiner
joll da lebendig verfauern! Ein Narr
müßt man fein!“
—
Der Kampelherr brach eine friſche Luft. Aber er wollte zeigen, wo jetzt
Flaſche an, der Guldeiſner hieb mit | feine Stärke lag, nicht mehr auf dem
der Fauſt auf den Tiſch, daß die Erdboden fondern in der Tafche. Das
Bretter furrten. „Aus ifts und gar| Geld riß er heraus und fehrie: „Step-
ifts !“ rief er, „jebt Haben wir Feier- penwirt! Das große Faß vom Beften
abend, jetzt ifts luſtig! jebt hebt der |zapf au. Die Altenmoofer-Leut follen
Feſttag an!“ trinfen! trinten, jo viel fie mögen !
Der Kampelherr zählte ihm, gleich- | Ich zahl’ Alles!“
ailtig, als wären es Spielfartenblätter, Da beugte ſich von feinem Sitz der
die Banknoten vor. Dabei wollte fih | Sepp in der Grub vor und fagte:
der Wind einmifchen, diefer war der | „Wir Ultenmoofer-Bauern können freis
Meinung. fo viel Geld folle nicht einem |lich trinken, fo viel wir mögen, das
einzigen Menſchen zufallen und er ſuchte wiſſen wir und brauchts uns Steiner
die ZTaufender ein wenig unter der zu jagen.“ Er ftand auf, Mehrere
Geſellſchaft zu zerfirenen. Aber der machten es nach und giengen in die
Stampelherr beichwerte das gezählte! Stube.
Banknotenbüfchel mit feinem Taſchen— „Wir brauchen den abgehausten
mefler, daß er dem Bauer nun auch | Guldeifner nicht dazu und das große
die Hunderter borziffern fonnte. Nun | Faß vom Beften wird heute doch an—
nahm der Guldeifner die Gigarre aus | gezapft.” ſagte dort der Dreifam. „Der
dem Mund, ftedte fie aber fofort wieder | Herr Waldmeifter ſoll hereinkommen.“
zwifchen die Zähne; die Leute follen Der kam umd jet gieng die Ge—
jeden, daß ein Guldeifner wegen des | schichte mit dem Bart an. A
in den Sadjtedens von dreigigtaufend „Derr Kerrl jagt!” ſchnarrte und
Gulden das Tabaklsfener micht aus= Inäfelte der Oberförfter, „fein Barrt
gehen läßt! Er bog den Papierbufchen |wärr” längere gewachſen, als ih an
mit fcheinbarer Gleichgiltigfeit zufam» einem Tag laufen könnt’! Err foll
men und Schob ihn in feine Brufttafche. | den Ausſpruch wiederrholen !*
Da hieb ihm auf einmal der alte „Mein Bart ift länger gewachſen,
Knecht des Neuthofers, der Lufchel als der Herr an einem Tag laufen
Peterl, die Hand auf die Achſel: „Franzl, kann,“ fagte der Dreifam und zog den
heut’ zahlft Eins!“ Bart mit feinen Händen auseinander,
„Seit wann?“ fragteder Guldeiiner | dak man deſſen ganze Länge und
und wendete fich um, „ſeit wann find | Ueppigfeit fehen fonnte.
denn wir zwei jo gute Stameraden) „Altes Lügenmaul!“ begehrte der
miteinand?“ Oberfoörſter auf, „der Rauber in Gräß
„Bute SKameradfchaft ift alleweil hat den längften Bart gehabt, und
ichön, gewiß auch, ja,“ verſetzte der hat der nicht weiter al3 an die Zehen
Knecht, „wenn ich auch älter bin al3 wie gereicht! Der Friedrich Barbarofia hat
Dur umd ein Bauernfnecht, desweg bin ſchon einen übernatürlicden Bart und
ih nicht hochmüthig und verachte Nie- kann nicht länger, als dreimal um den
mand. Bift auch einmal wer gewejen, | fteinernen Tiſch wachen!“
Franzl, hiſch richtig wahr!“ „Und dermeinige ift halt doch länger
Der Mann wußte nicht, wie ihm |gewachfen,“ behauptete der Dreifan.
geihah. War er denn der Guldeifner | „Manner, wie lang’ trag’ ich ſchon
nicht mehr, vor dem alle Altenmoofer den Bart? Dreigig Jahr und länger.
Ehrerbietung oder Furcht haben? — | Wie voll? Weit über zweitanfend Haar’.
Mein, er war es nicht mehr. Der Jedes zu einer halben Elle — iſts zu
Boden, auf dem er fo feſt und ftolz lang?“
geftanden, war plößlid weggezogen „Eher zu kurz!“ beftätigten die
unter feinen Füßen, er zappelte in der | Bauern.
—
„Gut,“ ſagte der Dreiſam und Widder iſt es halt ſchon aufgeſetzt
ſchmunzelte, „wachſen thut er ſtark.
Zweimal im Jahr abſchneiden, macht
zweitauſend Ellen Haar, macht in dreißig
Jahren ſechzig taufend Ellen. Kann der
Herr in einem Tag ſechzig tauſend Ellen
weit laufen!“
Jetzt brach das Gelächter los.
„sa!“ rief der Oberförfter, „wenn
Ihr die Haar’ hintereinander legt!
gewejen, daß er geftohlen werden muB.“
Us jeßt der Oberförfter die Wette
verloren hatte, jaate der Wegerer fopf-
Ihiüttelnd: „Hätt' mir's mit gedacht,
daß es fo ausgeht. Aber dem Herrn
Waldmeiſter ift es halt aufgejeßt ge—
wefen, daß er den Wein zahlen muB.“
Dem Guldeifner war nicht be=
haglich. Er rüftete ih zum Heimgang.
„08, da glaub’ ich's!“ Er lachte, aber) Deimgang? An der Brüde blieb er
fein Lachen war ſäuerlich. Ueberdöp—
pelt! Bauernwitz! Es ließe ſich ſchon
was entgegnen, aber die Lümmel ſind
zu ſchlagfertig.
„Dreißig Maß, hat der Herr Ober:
förfter gejagt?” fragte der Dreiſam
mit eimer ganz miederträchtigen Ges
ſchmeidigleit.
ſtehen und that, als ob er in die
Sandach hinabſchaue, um eine Forelle
zu ſuchen. Er dachte aber an Anderes
und rief einen Holzknecht an, der des
Meges kam: ob fie nicht miteinander
gehen wollten ?
„Wahr iſt's,“ fagte der Holzfnecht,
„haben eh einen Weg jelbander.“ Er
„Sauf Dich ſatt!“ knirſchte der | war geſchmeichelt, daß ihm heute der
DO berföriter
Menge.
Lehrreih wäre es gewefen, zur
jelben Stunde den Wegerer-Baner zu
beobadten. Der gudte, während der
Verhandlungen des Kampelherrn mit
dem Guldeiſner, zwiſchen den Köpfen
der Leute durch auf die Veiden Hin
und murmelte: „Wird er? Wird er
nicht?" Und als der Guldeifner ge—
und verlor ji im der
Großbauer jo freundlich angeſprochen
hatte. Dem Großbauer aber war bange
um fein Geld und darum wollte er
den einfamen Weg nicht allein machen.
Mas war demm vorgegangen, daß er
jebt auf einmal die Furcht wahrnahm ?
Er war bisher al’ diefe Wege ges
gangen bei Tag und bei Nacht, dal
ihn Jemand anpaden und berauben
fünne, war ihm nicht eingefallen. Den
Guldeiſnerhof und das weite Gebäude
fallen war, Hatfchte der Wegerer in | , :
die Hände und rief: „Gedacht hab’ fonnte feiner forttragen, und jebt var
ich mis! 's iſt ihm Schon fo auf: jeder Wicht im Stande, den Griff nach
efebt geweien, daß er fein Haus vers | ſeinem Vermögen zu thun umd ihn
.. I 1 EINER zum Bettler zu machen. So ſchwach
Dei dem MWegerer war nämlich nn > geworben,
Alles „aufgeſetzt,“ das heißt, ange Bei dem Hofe angekommen, ber
boren, vorausbeſtimmt. Man foll pi | 9oiienele er ſich von dem Begleiter
bei diefer Anſchauung nicht fehlecht kurz und herriſch; es ärgerte ihn, daß
ftehen; man läßt alle Viere gerade er feiner bedurft hatte, obzwar ev es
fein oder auch krumm, läßt den Herr— nicht merken ließ. Herriſche, ſelbſt—
gott einen guten Mann fein oder au wiachtige Leute haben vor Jedem Ab—
einen ſchlimmmen und hat feine Pflicht Neigung, von dem fie einmal eine
und feine Schuld. Jeder Hagelichlag | Wohlthat nehmen mußten; lie fühlen
aufgefeßt. Jede Kranlheit aufgefegt, ſich ‚am behaglichſten bei Leuten, die
jede Schlehtigfeit und jede Thorheit , Ne je nad Belieben aufrichten oder
aufgefeßt. Als man dem Wegerer niedertreten können.
einige Zeit früher den feilten Widder Im Guldeiinerhofe verfammelte der
aus der Halde ftahl, verzichtete er auf| Bauer noch an demfelben Abend fein
die Berfolgung des Diebes; „dem! Gejinde; er theilte den Knechten und
%
336
Mägden mit, dab er den Hof verkauft | bohren pflegte. Heute lachten fie ihm
habe und daß fie im Spätherbfte nach in's Gelicht.
eingebeimster Ernte ihren Jahreslohn | Er zog ſich ärgerlich in fein Zimmer
erhalten wilrden und ihres Weges | zurüd, aber als er hinter fich die Thür
geben könnten. zufchlagen wollte, klemmte fich ein Ell—
Die Leute ſchauten einander dere | bogen dazwifchen. Die Küchenmagd
blüfft an. Wenn der Winter kommt, ‚folgte ihm in das Zimmer und fragte,
find fie obdachlos. i
Müßlen ſich Halt umſehen, — gehen müſſe?
fein Nath. Der Kampelherr brauche Die derbe Antwort, die ihm auf
vielleicht Holzleute. Auch fei draußen die Zunge gefprungen war, verjchludte
in den Fabriken Geld zu verdienen, er — und wußte warum.
oder in den Lettenbacher Kohlenberge | Noch ſpät Abends gieng ein Fenſter
werfen. ‚auf und ein zufammengebogenes Papier
„Aha!“ entgegnete einer der Knechte, flog herein. Die Oberftallinagd hatte
„wir follen jest lebendig Hinab in die es geworfen und diefe fragte bei dem
Erden. Schäm' Did, Bauer!“ Bauer ſchriftlich au, was im Spät:
Der Guldeiſner bäumte ſich auf herbſt, wenn Alle den Abſchied hätten,
und ſchleuderle dem Frechen jenen mit ihr geſchehen würde?
finſterſtolzen, drohenden Blick zu, der Der Guldeiſner ſtand auf und
ſonſt die Keckheit und Widerhaarigkeit gieng hinaus in die Stallkammer, um
des Geſindes ſofort in den Grund zu es ihr ſelbſt zu fagen.
(Fortſehung folgt.)
Wer zahlt den Hammel?
Eine Schmugglergeihichte von Friedrid Kottenbacher.
Nie lebte Flaſche!“ fagte die noch einmal und ein drittes Mal und
J Wirtichafterin mit einem Seufz ſchnalzte mit der Zunge.
ser und ftellte die Flafche etwas uns „Urſa,“ ſagte der Pfarrer zur uns
janft auf den Tiſch. Der Pfarrer willig dabeiftehenden Wirtichafterin
aber ſchob die Flafche dem Grenze und führte die Prife zur Nafe, „jetzt
jäger, feinem Gafte, hin, der ſie kunſt- müſſen wir dazufchanen, daß wir die
gerecht entlorkte. Der Kork fnallie und zwei Faß über die Grenze friegen!*
der rothe Wein rann did wie Oel) „Nur fleißig über das Yollamt,
in die Gläſer. | Hochwürden, Herr Pfarrer,“ ermahnte
„Ein köſtliches Nah, kaj — der Grenzwoͤchter.
ſchmunzelte der Pfarrer und grub mit Der geiftlihe Herr aber zog fein
zwei Fingern in der Doſe. Sadtuch Hervor und ſchnäuzte ich
Der Grenzjäger koſtete einmal, | umftändlich. „Ueber das Zollamt meint
Ir? He? — Wer trinkt den Wein ?
Ihr kriegt ihn zur Hälfte! Da foll
Einen doch — gelobt jei der Herr,
er verzeihe mir die Sünde! Alfo zwei—
mal ſoll ich die Staatsmägen füllen,
einmal in naturalibus mit meinem
Refosko, das andere Mal in partibus
mit Hingender Münze, die Ihr Zöllner
den Zoll nennt? — Nichts da! Die
zwei Faß werden gepafcht, punctum!
oder ich müßte nicht der Pfarrer von
Vodizze in der Tjchiticherei fein!" —
Das mollte ſchon etwas heißen: in
der Tſchitſcherei, wo man mur
Paſcher und Grenzjäger ſah!
Der Wein des Pfarrerd war dem
Grenzjäger zu Kopfe geitiegen. „Oho,“
fagte er fenerroth im Angeſichte.
„Ih Faß Euch auf der Grenze —
vielmehr Euren Wein und werde ihn
früher koſten, ehe Ihr wißt, wie er
ſchmeckt — oder ich müßte nicht der
Oberjäger der Grenzwache von Vodizze
fein!“ Dabei ftürzte er haſtig das
Glas aus.
Der Pfarrer hob die Flache gegen
das Licht. „Beh, Urfa, ſchau einmal
in ale vier Eden, ob nicht irgendwo |
noch eine verfiaubte Flaſche ftedt ! Ich
will mich vierundzwanzig Stunden von
der Bora durchbeuteln laſſen, wenn
nicht noch ein paar Flaſchen in unver—
dienter Zurückgegogenheit dem Licht
entgegenharren! — Ja,“
ſich zu ſeinem Beſuche,
Wirtſchafterin murrend hinausgegangen
war,
verſteckt, als wir zwei ausgetrunken
haben. — Alſo,
tappen? Wird nicht leicht gehen!
Hat da der Nachbar Gergo Barbaritſch
einen fetten Hammel, gut feine 25
Prunde fchwer den wollen wir
wandte er,
nachdem die
„die hat noch mehr Flaſchen
Ihr wollt mich er=
337
nicht — nun, ſo zahlt Ihr den
Hammel: er koſtet drei Gulden.“
„Topp!“ rief der Grenzjäger, hielt
die Hand hin, bei ſich denkend: nun
gilt's pfiffig fein!
| Der Pfarrer ſchlug ein, feinerfeits
denkend: jet heißt es fein fein! Denn
der Grenzjäger war weit und breit
befannt als ſchlauer Fuchs und der
Pfarrer galt auch nicht als ein Dumme
fopf. Und als die Wirtfchafterin mit
einer Flaſche zurückkam, lächelte jeder
der beiden ftill vor ſich in das wieder
gefüllte Glas.
Der gafifreundlihe Pfarrer ftand
auf leidlich gutem Fuße mit den Grenz—
jägern — nur wollte es ihn verdrießen,
daß er den Wein, den ihm die Grenz—
jäger austranfen, noch verzoflen follte.
Das nannte er zweimal den nimmer—
fatten Staatdmagen füllen. Darımı
befamen auch die Grenzjäger manch'
einen gepafchten Zropfen bei ihm.
Das wußten fie zu ihrem heimlichen
Herger; trotzdem ſchmeckte ihnen des
Pfarrers Mein und fie dachten ich,
einmai würden fie e8 dem feinen Herrn
Pfarrer Schon Heimzahlen. Sonderlich
an Yeiertagen, wenn fie zahlreich dem
Gottesdienfte beigewohnt und mit himm—
| fifchen Mana ihre Seele geagt hatten,
pflegte er fie auch leiblich zu atzen.
Sie giengen auch gern im die Kirche
und waren jehr andächtig: fie wuhten
warum.
Kam der Tag des heil. Stephani.
Schier der ganze Poften war bei dem
Mehopfer, fo daß der Pfarrer feine
heile Freude daran hatte und bei der
Predigt recht auf die Tſchitſchen los—
donnerte, fie umverbefjerlihe Sünder,
Paſcher und Räuber am Staafsgute
nannte und ihnen androhte, wenn fie
diesſeits unverzollten Wein tränken,
ſchlachten — den Hammel, denk' ich, müßten ſie jenſeits eimerweiſe ſiedend—
und am Feſte des heiligen Stephani heißes Pech ſaufen — ſo viel heißes
am Spieß braten und in communione Pech drüben als gepaſchten Wein
verzehren. Paſch' ich den Wein und | hüben ! Die armen Tſchitſchen
Ihr erwischt mich, id est den Wein! fchlichen zerknirſcht nach Haufe; die
— num ſo zahl’ ih den Hammel; Grenzjäger aber marjchierten hocher—
erwiſcht Ihr mich — id est den Mein! hobenen Hauptes, als hätten fie das
22
Kofrgger's „‚Geimanrten‘‘, 5. Geft, IT.
Bewußtſein, fie wären ſchon Hier die
Bollftreder der göttlichen Strafe, durd
das Dorf. Kam ihnen der Pfarrer
nachgeleucht und commandierte: „Still
geftanden! Rechts ſchwentt Euch!“ —
Rechts fand aber das Pfarrhaus.
Nun ftellte ich der Pfarrer an die
Tele und commandierte wieder — fo
gut er es eben verftand: „Vorwärts,
marſch!“ —
. Diefes Commando gefiel den Grenz—
jägern. Als fie im Borhaufe fanden,
zählte der Pfarrer die Häupter und
fagte: „Sintemal ein fetter Hammel—
braten am Spieße ftedt, den ich und
meine Urſa mitfammt dem Schulmeifter
— der Herr erhalte ihm feinen Appetit
und feinen guten Magen! — unmöglich
bezwingen könnten, fo feid Ihr — und
nicht Ihr allein: der ganze Poften, iſt
zu dieſem lederen Braten eingeladen! |
Urſa Hat noch einige von Spinnen
eingelponnene Flaſchen entdedt.”
Wie er ſich harmlos ftellt, der gute
Herr Pfarrer; aber die Grenzjäger
waren auch nicht auf den Kopf gefallen.
Der DOberjäger zog die Augenbranen
Hinanf. „Kommt ums zu ftatten —
recht zu ftalten, Hochwürden, Herr
Pfarrer! Bei
die anderen Jäger, wenn hr nichts
dawider habt!“ —
„Geh, mein Sohn und bringe die,
jo hungrig find umd durſtig — aber
alle — alle!" —
Und der Oberjäger gieng in die
Kaſerne, indem er dachte: Heute gilt’s!
Ei, wie pfiffig, Herr Pfarrer! — In
der Kaſerne ertheilte er ſtrenge Befehle,
dann kehrte er wieder in das Pfarr—
haus zurüd, noch zwei Mann mit fich
bringend. Bald ſaßen ſie fieben Mann
hoch und mit Pfarrer und Schulmeifter
neun Mann an der pfarrherrlichen
Tafel, und die weißen, blanten Uni—
formfnöpfe glänzten, und des Küſters
rubinrothe Naſe
hin und her.
ums iſt Schmalhans
Küchenmeiſter: unſer Koch iſt marode.
So geh' ich denn nach Hauſe und hole
fuhr wie ein Irrwiſch |
Da bob der Pfarrer ſtirnrunzelnd
den Finger in die Höhe und zählte —
und zählte nur fieben Grenzjäger. „Es
find ihrer nicht alle,“ ſagte er.
„Der Koch ift Frank,“ erwiderte
der Oberjäger, „und ein Zweiter hat
Kafernarreft." —
„Sp wollen wir ihrer gedenken,“
darauf der Pfarrer und erhob fein
Glas. „Möge der Kranke bald gefund
— der Gefangene bald frei fein!" —
„auf das ftoße ih an!“ rief heiter
der Oberjäger — aber Tiehe da, er
hatte feinen Wein mehr im Glafe!
Da winkte der Pfarrer feiner Wirt—
Ihafterin. „De, Urfa, find die zwei
Bari Mein fhon da?" —
„Noch nicht — aber fie müſſen
gleich da fein,“ flüfterte Urfa — der
Dberjäger horchte hoch auf — „Te
find ſchon unterwegs." —
„Meine Jäger auch,“ dachte der
Oberjäger, und während die Anderen
icherzten, lachten und eitel guter Dinge
waren, eilten feine Gedanken an die
Grenze. In der Wirklichkeit aber lagen
an der Grenze Hinter Geftrüippe und
Geſtein verftedt zwei Grenzjäger, der
Koch und der Arreftant, und Harrten
laufchend der Dinge, die da kommen
würden.
Da kam es denn trapp! trapp!
den Schleichweg herauf — die Jäger
hielten den Athem an. Der Koch hob
ein wenig den Kopf und ſah zwei
lange, rauhe Ohren, zu denen jedenfalls
ein Ejel gehörte — danı eine braune
Mütze umd noch eine, zu demen jicher
zwei Tichitichen gehörten. „Sie find
da,“ wilperte er, „ein Efel und zwei
Schmuggler!“ —
„Den! ich,“ fo der Andere, „die
Schmuggler laffen wir laufen und den
Efel fangen wir — fo ein Efel hat
doch ein Einſehen.“ — Beide fprangen
auf, piff, piff! Inallte es — natürlich
in die Luft. „Halt! Halt! Grenzwade
ift da!" —
Die Tichitfchen waren fo erjchredt,
daß fie gegen einander fuhren, mit
den Köpfen zufammenftießen, zurück
prallten und dann eiligft davon liefen, ı Diefer bat des Dienftes und der Dring-
einer links — einer reched. Die Grenz:
jäger thaten, als ob fie ihnen nad»
liefen, einer lint3 — einer rechts, fie
lichkeit halber um Entſchuldigung und
las für fi den Rapport:
„Srenzjäger Sylveſter Bara,
thaten nur jo, denn bald fehrten ſie mit Arreſt behaftet und Grenzjäger
zum Eſel zurüch, der zwei Barili trug. Franz Trampuſch, mit aufhabendem
Dieſer Hatte nur einige Sätze gethan, Bauchweh marode — haben einen Vor—
war dann mit den Vorderfüßen bod- paß zwiſchen Vodizze und Jelovizze um
ſteif ſtehen geblieben, während er mit ein Uhr bezogen und dortſelbſt einen Eſel,
den Hinterfüßen ausſchlug. Dabei hielt zwei Barili Wein und zwei Tſchitſchen
er den Kopf in die Höhe, zog die Naſe fammtlich wegen Schleihhandels ange
zurüd und ſchrie in! ia! ia! Da ſagte Halten. Die zwei Tſchitſchen Standa-
der Eine der Örenzjäger: „die Stimme Veters die Flucht ergriffen und konnten
fonmmt mir befannt vor!”
Darauf der Andere: „Du, das ift
fein gewöhnlicher Ejel — corpo di,
baccho, das ift ja unfer Kaſerneſel!“ —
„Nicht jo laut! Wenn uns der
Oberjäger hörte, fo wirde er denken,
wir redeten don ihm!“
„Bodenloje Frechheit, unferen Eſel
zu ftehlen, um mit ihm Wein zu)
Ihmuggeln! Wir hätten fie doch fangen |
ſollen!“
„Gut, wenn wir ihnen begegnen,
wollen wir fie genan anſchauen, damit
wir fie kennen!“
Unter derartigen Geſprächen rüdten
fie mit ihrer Gontrebande ein, und
weil fich der Eſel plößlich in den Kopf
gefeßt hatte — wahrjcheinlich in Folge
des Schredens — nicht von der Stelle
zu geben, jo zog ihn der Eine bei den
Ohren, und jchob ihn der Andere von
rückwärts.
Während dem litten die, jo an der
pfarrherrlihen Tafel ſaßen, unter den
Qualen des Durfted. Der Pfarrer
jah zum öftern auf die Straße, ob der
Wein käme und der Oberjäger mußte
in Stillen lachen über des Pfarrers
Zuverſicht. „Hochwürden, Herr Pfarrer
scheint nicht zu gedenfen des Wertes
der Barmherzigkeit, jo da Heißt: die
Durftigen tränfen!" —
Der Pfarrer Hingegen fagte. „Es
beißt aber anderswo: Du jollft nicht
Heinmithig fein!" und Jah wieder zum
Fenfter hinaus. Da kam ein Knabe
und brachte dem Oberjäger ein Schreiben.
troß einftimmiger Verfolgung nicht
bandfeft gemacht werden. Der Ejel als
unfer guter Belannter ließ fich ergreifen,
es war nämlich unſer Stafernejel, der
und umwiljend abhanden gekommen
war. Wir proteftieren dagegen, daB
wir etwa irgend eine Anſpielung oder
Zweidentigfeit beabjichtigen, wenn wir
Kaſerneſel Jagen, denn es war wirklich
der langohrige, vierfüßige Efel Peter.
Die Barili Wein befinden ſich in der
Kaſerne jehr wohl. . .*
„Nun,“ rief der Oberjäger, vor
Freude rothglühend im Angeſichte,
„nun, Herr Pfarrer, kommt der Wein
ſchon?“
Da ſagte der Pfarrer vom Fenſter
weggehend: „Endlich — ja. Geh
Urſa, hilf dem Manne da unten die
zwei Fäſſer ablegen!“ —
Der Oberjäger ſtürzte zum Fenſter
und erblickte ein Tragthier mit einem
Faſſe links und einem Faſſe rechts;
es war aber nicht der graue Kaſerneſel,
den er ſah. „Das iſt nicht Euer Wein,
Herr Pfarrer!“ ſchrie er.
„Das iſt mein Wein!“ —
„Ich ſage, das iſt nicht Euer Wein
aus Dane!“
„Und ich ſage, das iſt mein Wein
aus Dane.”
„Wenn das Euer Wein ift, Hoch
würden Herr Plarrer, den Ihr heute
früh noch in Dane beim Zupan liegen
hattet, jo zahle ich außer dem Hammel
noch den -Zoll für die zwei Fäſſer,
ich, der Oberjäger von Vodizze!“
22*
340
„Es gilt! Und wenn e3 nicht mein
Mein ift, fo ſchenk' ich Euch ein Faß
von dieſen zwei Fäſſern!“
Da kam ſchon die Urfa mit einem
vollen Kruge herauf und credenzte vom
herrlichen, perleuden Weine.
Der Oberjäger tranf ein Glas des
föftlihen Nafies aus. Da, wie das
hinabrann und erwärmte! (Einen fols
chen Tropfen hat nur der Pfarrer von
Bodizze!) Alle feine Lebensgeifter ge—
riethen in Aufruhr — er ftürzte zur
Thür hinaus — die Treppe hinab —
die Straße hinunter — zur Kaſerne.
Vor der Kaſerne fa der mit „auf:
habendem Bauchweh“ marode Koch,
ein Pfeifchen ſchmauchend mit dem
ftolzen Bewußtſein einer vollbracdhten
Heldenthat. Doc der Oberjäger fchrie
ihn ohne Rüdjiht an: „Wo ift der
Mein ?“
„Behorfamft zu melden, auf Ihrem
Zimmer, Herr Oberjäger!*
„Nein, er ift beim Pfarrer!" —
„Behorfamft zu melden, auf Ihrem
Zimmer, Herr Oberjäger!" —
„Wenn ih fage, er ift beim
Pfarrer !!”
„So ift er, gehorfamft zu melden,
beim Pfarrer!”
Der Oberjäger lief auf fein Zimmer
— riehtig, da ftanden die zwei Fäſſer.
„Der Mein ift ja bier!” rief er dem
nachfolgenden Koh zu. „Warum jagt
Er, der Wein fei beim Pfarrer 2” --
„Weil Herr Oberjäger, gehorſamſt
zu melden, befohlen haben, daß der
Mein beim Pfarrer wär.“
„Eſel!“
„Sehr wohl, Herr Oberjäger.“
„Wenn ich ſagte, die Sonne wäre
dunkelrabenſchwarz —“
„So iſt die Sonne, gehorſamſt zu
melden, dunkelrabenſchwarz.“
„Er iſt ein — gehorſamer Unter—
gebner!“
Geſchmeichelt fuhr der Koch fort:
„Wenn Herr Oberjäger 3. B. befehlen,
ich joll Herrn Oberjäger ein Kameel
nennen, jo — —
„So etwas befehle ich aber nicht !*
unterbrach ihn heftig der Vorgeſetzte.
„Sehr wohl! — Aber Gedanken
ſind zollfrei,“ ſetzte der Untergebene
leiſe hinzu.
„Wenn ich nur wüßte, welcher
Wein der wahre Wein iſt! — Was
hat er vor ſich Hin gemurrt ?*
„Daß man den Wein koften fönnte,
gehorfanft zu melden!”
„Das läßt fih Hören! — Deu
Pfropf hinein! den Heber her!”
Und der Oberjäger zog und zog
— kryſtallhelle, klare Flüffigkeit heraus.
„Das ift ja Waller!“ ſchrie er wie
wahnfinnig und fih auf die Stirn
Ichlagend. „Das find ja unſere eigenen
Waſſerfäſſer! Ihr Habt unfere eigenen
Waſſerführer, unferen eigenen Eſel,
unfere eigenen Fäſſer und das zollfreie
Waſſer beantändet! Das ift beifpiellos !
Unerhört! OH! Sh! Oh!" —
Der Koch lieh die Pfeife aus der
Hand fallen und riß ſprachlos den
Mund auf. Bald rannten Beide wie
Narren im Zimmer auf und ab —
jeder in der entgegengejeßten Richtung
— alle Bande der Difciplin fchienen
gelodert.
„Das ift die Folge, wenn man
einen Invaliden und einen Arreitanten
in den Dienft commandiert!* murrte
der Oberjäger — do da Fam ihm
plöglid ein kluger Einfall — er begab
fih fogleich wieder in das Pfarrhaus
und jeßte fich dort zu Tiſche — als
ob er gar nicht weg gewejen wäre
Nun nahm er ein Blatt Papier
zur Hand und jchrieb darauf:
„Der Gefertigte beftätigt hiemit,
vom Herrn Pfarrer N. N. in Vodizze
ale vorläufige Strafliherftellung für
2 Fäſſer geichmuggelten Weines drei
Gulden erhalten zu haben.“
N. N., Oberjäger.
Dann z0g er aus feiner rechten
Hofentafche drei Gulden und legte fie
mit den Worten: „Ich habe Euch beim
Paſchen nicht erwiſht Hochwürden,
—
darum zahle ih den Hammel!“ auf Oberjäger rief es ſchier zum Tode
den Tiſch. Und mit den weiteren Wor- | erfchroden.
ten: „Sch confiäciere aber den Wein, „Und nun, Herr Oberjäger von
da er doch geſchmuggelt wurde und Vodizze, Ihr habt nicht nur die exfte,
nehme diefe drei Gulden als vorläufige | jondern auch die zweite Wette ver—
Straflierftellung in Empfang!” ftedte | loren und zahlt den Hammel und zahlt
er die drei Gulden in feine linke den Zoll für den Wein. Sp greift
Hoſentaſche. Die linke Tafche ftellte | denn wieder in Eure linke Tafche und
nämlich den ärarifchen Sädel, die) entreißt dem, was Ihr Staatsfädel
rechte aber feine Privatichatulle vor. nennt, die drei Gulden für den Ham—
(Allerdings liegt da der Gedanke an mel! Dann fahrt item in die rechte
eine Verwechslung nahe.) „Ferners Taſche, die Ihr mit jeher viel Phan—
gehört nunmehr der Wein nicht Euch), | tafie Eure Privatichatulle heißt und
nachdem ich ihm nomine des k. k. erſetzt mir den — halben Zoll für
Aerars confisciert habe — alfo habe|den Wein! Die Hälfte fehe ih Euch
ich auch die zweite Wette gewonnen!“ nach, da ich mit Eurer Bermiffton die
„Veni sancte spiritus,“ rief der | Dälfte des Weines ſelbſt zu trinten
Pfarrer gegen die Zimmerdede blidend, | gedenfe; denn ich Habe gejagt, daß ich
„und erleuchte ſie!“ Dann ſchnupfte zweimal den Staasmagen nicht füllen
er mit Bedacht und fuhr zu reden will!“
fort: „Fürchterlicher Menſch, feid Ihr) , Der Oberjäger ftaunte den Pfarrer
mit Eurer Strafamtshandlung und | wie ein höheres Weſen am und fagte
dem Wettengewinnen zu Ende?" nach 2 — —— ſo⸗
gar an das glauben, wa r ges
FE rau ne id an ben predigt habt, daß man jenfeits fo viel
ie ibes Pech werde trinken müſſen, als
„Eripart Euch die Mühe, amice, sb
der Mein gehört mir; ich babe ihn — a nn e
rechtſchaffen über das Zollamt geführt „Den® ich,“ ſchmunzelte der Pfar-
und verzollt. Hier ift die Zollquittung.“ ver, „dab Ihr mehr heißes Pech
„Ihr hättet ihn —“ trinfen werdet, als Eurem Rachen
„Verzollt. gutthut und Euer Magen in Ehren
„Und nicht geſchmuggelt?“ Der! verträgt!”
Abgebrannte
Komödianten.
Bon Bofef Sewinsky.*)
DPA ter Führung eines weiblichen |zu bewundern, twar dagegen dieſem
Be Dberhauptes hatten wir eine | felbft hartnädig fern geblieben. So
Anzahl Nefter des baierifchen Hoch- ftiegen denn unfere bi auf den Nulls
gebirges mit unſeren Thespiskarren grad heruntergelommenen Hoffnungen,
heimgejucht, waren überall mit dem—
jelben Enthufiasmus begrüßt worden,
deſſen eine Zigeumerbande bei ihrem
Einzuge ſich zu erfreuen pflegt, und
uns endli in G., einem Marttfleden
des Allgäus, niedergelaffen, wohin ſeit
Menfhengedenten noch fein Komö—
diantenfuß gedrungen war. Die Be-
wohner unterfchieden ſich in vortheil—
hafter Weile von den Bewohnern
anderer Orte, indem fie — ein Zeichen
großftädtifcher Gefittung — gar feine
Notiz von unſerer Ankunft nahmen.
„Hier blüht unfer Weizen, Kin—
der,“ rief Muderl, der Heldenvater,
als unfer Leiterwagen über das hol—
perige Pflaſter durch den Flecken raj=
jelte. „Dier machen wir ein Gejchäft.“
Er hatte einen richtigen Inſtinct,
der gute Muderl (wir nannten ihn
auch den Barometer). „Wenn die
Leut’ bei unferer Einfahrt Thüren und
Fenſter aufreigen, auf der Gafjen hin—
ter uns drein laufen und uns wie
Wundervieh angaffen, dann gehn’s
g'wiß nicht in's Theater,“ pflegte er
zu jagen, und er hatte nun leider
Ihon vier Monate lang recht behalten,
denn das Publikum Hatte fich aller-
orten daranf befchränft, uns außerhalb
der Grenzen unferes Wirkungskreiſes
*) Entnommen dem vor Kurzem
als unfer heldenväterlicher Barometer
der Theatercafle wieder bejleres Wetter
in Ausficht ftellte, und die kühnſten
Entwürfe für die nächfte Zukunft
wurden von dem leichtgefinnten Völk—
chen fofort in die Luft gebaut.
Und wir follten uns nicht ge—
tauſcht haben. Unſere theatralifchen
Beftrebungen fanden in dem wohl—
babenden Fleden eine größere Theil:
nahme als je zuvor. Das Theater,
der Mafchinenfaal einer ehemaligen
Stattunfabrit, für den BDienjt der
Mufen umgewandelt, war jeden Abend
gefüllt von einem Publikum, das un—
jeren künſtleriſchen Darbietungen die
glühendfte Begeifterung entgegenbrachte,
eine Begeifterung, die ſich nicht etwa
in Blumen- und Stranzipenden äußerte,
fondern durch gelegentlich auf die Bühne
gewworfene Wurſt-, Schinken- und Obſt—
fragmente einen weit willkommeneren
Ausdruck fand.
Unſer Verhältnis zu dem primi—
tiven Publikum von G. geſtaltete ſich
täglich gemüthlicher. Das war ein
heller Jubel im Saal, wenn in einer
rührenden Scene plötzlich eine Stimme
„von unten“ dem Helden des Stückes
zurief: „Daß Du mir mein' Rock nicht
zerreißt,“ oder: „Macht mir kein' Fleck
bei Albert Unflad in Leipzig erſchienenen
Büchlein: „Aus dem Guckkaſten. Heitere Bilder aus Muſik und Theaterwelt“ von Joſef
Lewinsky in Berlin. Die Lejer diejes Blattes erinnern fih an mande liebenswürbige
Humoresfe, die wir im Laufe der Jahre von dem genannten Autor veröffentlicht haben.
Diejelben, ſowie viele andere launige Stüdhen find im vorgenannten Bude gefammelt,
welches allen Freunden urwüchfigen Künftler: reſp. Komddiantenhumors auf das Wärmſte
enıpfohlen werden ann. Die Red,
in die Hofen“ — Bemerkungen, welche
in dem Umftande ihre Begründung
fanden, daß wir die wejentlichiten Be—
ftandtheile unſeres fcenifchen Apparats
für den Abend ſtets Funftbegeifterten
Danern zu danken Hatten, die ſich
nicht wenig darauf zugute thaten, daß
ihr Rod, ihre Hofe oder ihr Tiſch
„mitipielen“ durfte.
Unfere Frau Directorin, ein lang
geltredtes Knochengerüſte mit Schmacht—
loden und Brillen, groß wie Scheu-
Happen auf ihrer fpigen Nafe, befah
die Birtuofität eines Univerfalgenies.
In ihrer Perſon vereinigte fich Alles,
was zum Theater mur irgendwie in
Beziehung ftand. Sie war Dichter,
Regiſſeur, Souffleur, Decorateur, Re=
quifiteur, Friſeur, Garderobier, Inſpi—
cient, Maſchinenmeiſter, Lampenanzün—
der, Caſſier und Zettelſchreiber. Was
aber ihre Schauſpielkunſt anbelangt,
fo war diejelbe von einer Wandlungs—
fühigfeit, daß Proteus, mit ihr ver—
glihen, ein Waiſenknabe zu nennen
war. Da gab es im weiten Bereich
diefer Kunſt feine Rolle, gleichviel ob
männlich, ob weiblich, die darzuftellen
ihre unmöglich gewejen wäre, ja, wie
oft kam es vor, daß fie drei big vier
der verjchiedenartigften Rollen an einem
Abend zu verkörpern unternahm, wenn
fie es micht vorgezogen, dieſelben zu
einer einzigen zuſammenzuſchmelzen.
So erinnere ich mich einer „Räuber-“
Aufführung, im welcher die Tran
343
gen. Da hatte man jo recht Gelegen—
heit zur Bewunderung ihrer Geltul-
tungskraft. War es möglid, mit ein—
facheren Mitteln größere Wirkungen
hervorzubringen als diefe „Königin“,
die, um den „eilt“ ihres ermordeten
Gatten zu fpielen, über ihren Hermelin
ein fadenfcheiniges, weißes Laken warf,
und um den „Zodtengräber” darzu—
ftellen, eine blaue Schürze darüber band,
während fie in den Zwifchenjcenen in
den Souffleurkaften kroch, um dajelbft
auh noh „alter Maulwurf“ und
Souffleur zu fein?! Wahrlich, dieſe
„Königin“ wäre es wert gewejen, daß
ihr die Nachwelt bei Lebzeiten „ränze”
geflochten hätte! ... Doc der Lejer
wird ja ihre ſonſtigen vortrefflichen
Eigenschaften noch fennen lernen.
Nahdem einem paßlofen Theile
unferer Gefellichaft in etwas gewalt-
famer Anwendung des Dichterwortes:
„Du glaubjt zu Schieben und wirft ge=
ſchoben,“ polizeilicherjeits eine unfrei—
willige Trennung von uns auferlegt
worden, ein anderer Theil aber durch—
gebrannt war, waren wir jchlieglich
bis auf acht Mitglieder zufanmenges
ſchmolzen. Da ſich unter diejen acht
Mitgliedern zwei Thenterlinder und
ein Pferd befanden, jo mußten wir
möglichſt Stüde wählen, in denen auch
fie zur Geltung gelangten. Welchen
Jubel riefſt Du ftets hervor, letztge—
nannter Künftler, wenn Deine „große
Scene” kam. Ach, wie oft, Grane, er=
Directorin die Amalia, den Spiegels |regteft Du den Neid Deiner minder
berg, den Koſinslh, den alten Moor |
und Hermann, feinen Naben, über:
nommen, nachdem jie mit geniale
Blauſtift die überflüffigften Scenen
bejeitigt und verſchiedenen Perſonen
den Garaus gemacht halte. Auch eine
Hamletaufführung, zu welcher wir uns
einst verftiegen, beſaß nach diefer Rich»
tung Hin den Borzug der Denkwürdig—
feit. In diefer Vorſtellung Hatte ſich
nämlich unfere Bühnenleiterin die
Rollen der Königin, des Geiftes und
des Zodtengräbers’ zuertheilt. Es war
dies eine ihrer grandiofeften Leiſtun—
gefeierten Berufsgenoffen, insbeſondere
den Neid Deines Heldencollegen Stöderl,
der, wenn er die Straft feiner Qungen
eben erfolglo& geltend zu machen ge=
fucht, Hinter der Scene ſchmerzlich aus-
tief: „Beim Himmel, man möchte
ein Pferd fein!“ Ein Auseuf, welcher
den boshaften Muderl zu der Gegen-
bemerfung veranlaßte: „Da wünscht
Ihr Euch eigentlih Etwas, Liebiter,
wa3 Euch der Himmel längft ges
währt hat.“
In Anbetracht des Umſtandes ine
des, daß die Zahl der Stüde, in
welden ein Roß die Hauptrolle ſpielte, wirkſamer vorbereitet werden konnte.
eine äußerſt beichräntte, und in Ars | Der „von des Gedantens Bläfje an—
betracht des weiteren Umftandes, daß gekränkelte“, zweifelhaft rothe Vorhang
die Zahl der Stüde, in denen zwei |verftärkte diefen Effect wejentlih. In
Theaterfinder Verwendung finden konn- der That, auf diefer Bühne war „Sein
ten, eine nicht minder bejchränfte war, | oder Nichtfein“ ſeher die Frage...
würde unfer Nepertoir wohl bald er=
* War es nun ein Wunder, wenn
ſchöpft geweſen ſein, wenn unſere
wir bei einem ſolchen Aufgebot alles
on auch Dichterin ges deſſen, was das Auge und das Herz
—. N > . [zu entzüden geeignet war, die höchſten
— a el Fun künſtleriſchen Triumphe feierten ? Aber
F ift fertig.“ rief Die geniale Frau auch mit unſeren materiellen Erfolgen
mit Emphaſe. Und 8 wat dies nicht fonnten wir zufrieden fein. Wir ers
En — ne ——— F hielten wieder Gage. Die Directorin
ae al — range war in den Stand geſetzt, die Theater:
. DD da ä £ i s
Aupiierä, fe. entiprangen ihre „Dug- ‚garberobe, wir unſere geringen Hab⸗
g „Zugt feligkeiten, die wir auf unferen vor—
ſtücke“, gleichviel, welchen Genres, |; ..: 2 _
voffendet dem Hirn der fhöpferifchen | herigen Stunftetappen verpfänden muß
Frau. Bei diefer erftaunlichen Frucht: — —— — ——
barkeit fiel der Umſtand gewiß nicht | Dr
ſchwer in's Gewicht, daß es im Grunde | Aus einer erträglichen Gegenwart
die Stücke anderer Dichter waren, die unſeren Blid in eine beſſere Zukunft
fie, den Bedürfniſſen ihrer Bühne ent= richtend, gaben wir den freundlichiten
ſprechend, mit verändertem Titel dem | Hoffnungen Raum, als ein Ereignis
Publikum als ihre eigenen darbot. Aber | eintrat, daß in feiner Furchtbarkeit
wie bewundernswert zeigte fie fich darin ; aue unfere Träume, Pläne und Ent
welche Menjchentenntnis offenbarte fie würfe mit einem Schlage vernichtete
bei dieſen giftigen Aneignungen! und uns dein Ichredlichten Elende
Mer von unſeren Bauern kannte Preisgab.
z. B. Shakeſpeare? — die Frau | Wir waren in Berlaufe unſerer
Directorin kannte alle Welt. Wer von | Darftellungen an einem Abend des
ihnen wußte etwas von Hamlet? — | Januar eben beim „Freiſchüß“ anges
„Die Maufefalle* war Allen vertraut. | langt, den die Frau Directorin zu
Wahrlich, auch im ihrer dichterifchen | „Freikugeln des Satans” umgedichtet
Eigenfchaft würde die umvergleichliche | hatte — ein Drama, in welchem den
Frau unbedingt den „Saffitern“ bei- mufilalifchen Anforderungen infoweit
zuzählen gewejen fein... Nehnung getragen wurde, als dies
Aber damit micht genug. Der mit den Leiftungen eines halbtauben
ihöne Inhalt verlangte auch eine! Geigers (des Orcefters), eines ſtimm—
ihöne Form. Um mur bei dem mehr: |lofen Sajpar, eines heiferen Mar,
erwähnten Hamlet ftehen zu bleiben |einer verſchnupften Agathe umd eines
— konnte e3 etwas dem Inhalte in Ermanglung einer Brautjungfer
diefer Tragödie Entfprechenderes geben, den „Jungfernkranz“ declamierend.n
als beifpielsweife unfere Bühne? Sie | Eremiten möglich war. Die Borftellung
war ein Merk kühnfter Baukunft, diefe war vorüber und wir hatten uns in
von ihr erbaute Bühne. Sie entſprach dem Bewußtfein eines wohlverdienten
in ihrer ſchwankenden Architektonik Erfolges eben zur Ruhe begeben, als
fo durchaus den Charakter des Ham- |wir durch den Schredensruf Feuer!
let, dab das Publikum auf das Er: unſanft aus dem Sclafe gerifjen
jheinen de Dänenprinzen gar nicht | wurden.
345
Mer einen folden Ruf jemals
in einem Heinen Orte vernommen,
der weiß, welche Panik derfelbe unker
den Bewohnern hervorzurufen geeig—
net ift.
Ich bekleidete mich nur nothdürftig
und flürzte in’s Freie. Aus allen
Häufern eilten die Leute auf Die
Straße, wo brennt's? wo ift Feuer?
ichreiend. Der ganze Ort war in Bes
wegung. Die Gegend, wo das Theater
lag, war don Flammenſchein über»
gofien. Sch wohnte nur eine Straße
von demfelben entfernt. Bon banger
Ahnung getrieben, lief ich der Nich-
tung des Feuers zu. Die Nothglode
tönte eben ſchaurig vom Thurm. Und
da, als ih um die Ede bog — welch'
Bild bot ſich meinem entjegten Blick!
In hellen Flammen ftand unſer Mu—
jentempel. Die Directorin, die jugend
liche Liebhaberin, Stöderl der Held, die
beiden Theaterfinder und Grane, das
Pferd, bewohnten denjelben. Mit eini—
gen beherzten Männern ftürmte ich
die Treppe hinauf, um zu retten, was
etwa noch zu retten war. Ein er-
ftidender Rauch drang uns entgegen.
Unfer Oberhaupt, reſolut wie immer,
nur mit einem Unterrock befleidet,
mit verfchobener Brille und einer wilde
bewegten Schmachtlocke — die andere
war ihr in der Noth abhanden ge=
fommen — war troß der Lebensges
fabr, in der fie fund, noch mit Ber—
aung von Theaterutenfilien beſchäftigt.
Die Liebhaberin und der „Held“
hatten aber offenbar den Stopf ver»
loren. Erftere im Hemde, mil aufges
lösten Haaren, rang verzweifelt die
Hände und warf in den Zwifchen-
paufen Porzellangeſchirr, daß fie „ret=
ten” wollte, laut jammernd zum Fen—
ter Hinunter, während Stöderl, in
Schlafrod und Bantoffel und Papilotten |
im Daar, ftatt Hilfe zu leiften, an
gelihtS der hellen Flamme mit dem
Suchen eines verlorenen Manchetten-
Inopfes beſchäftigt war. Die beiden
Zheaterkinder ſchrieen aus Leibesträften;
Bünkerl, den Mops der Fran Direc-
torin, zum Fenfter hinunter, das an—
dere kam uns mit einem Verſatzſtück
und einem Stiefellnecht entgegenges
fürzt, die fie gleichfalls dem FFlanımene
tode entreißen wollte. Zwiſchendurch
flang die Stimme unferer Fran Direc—
torin, die im Zone Richard IIL uns
zurief! „Mein Pferd! Mein Pferd!“
(ein Königreich verſprach fie nicht).
Grane war indeſſen glüdlich ge—
reitet und wieherte im Nebenhaufe;
fonft aber war da nicht mehr viel zu
retten. Das gierige Element hatte in
den leicht entzündbaren Stoffen mur
zu reiche Nahrung gefunden und bes
reits fürchterlich um fich gegriffen. Die
Bühne, die Decorationen, die Garde—
vobe, der Zufchauerraun, Alles ſtand
in Flammen, und nur mit Mühe
vermochten wir unfere tapfere Direc—
torin, die mit Todesverachtung immer
aufs Nene in die brennenden Räume
drang, zu einem Verlaſſen derjel:
beit zu bewegen, wie unfjere mine
der muthigen Genofjen ihr theures
Leben längft in Sicherheit gebradt.
Während diefer Zeit Hatte ſich der
ganze Ort an der Brandftätte ein—
gefunden und berathichlagte, wie man
wohl am beften Herr des Feuers zu
werden vbermöchte, ohne indeſſen zu
einer Einigung darüber. gelangen zu
können. Das Theater war inzwiſchen
niedergebrannt ; das verheerende Ele—
ment drohte fi auch der Nebenge—
bäude zu bemächtigen, als endlich eine
Spriße mit drei Rädern aukam.
Leider war aber feit mehreren
Jahren kein Feuer im Orte gewejen ;
die „Löfchanftalten“ der Gemeinde
hatten fi auf mehrere Bierlocale be=
Ichräntt, und als die Spriße in Al:
tion treten foflte, verfagten die Schläuche
und zum vollen Unglüd, da der Fluß
zjugefroren, war zum Löfchen nicht ge—
nügend Waller vorhanden.
Der Himmel mag willen, welche
Dimenfionen das Feuer angenommen
hätte, wenn nicht der Pfarrer des
das eine warf in feiner Todesangft i Ortes noch rechtzeitig auf dem Brand»
346
plaße erjchienen wäre. Seinen ver— „Und mag ich auch vierzehn Tage
nünftigen Anordnungen gelang es, lang feinen Vorſchuß von Euch be=
mindeftens Plan in die Kopflofigkeit |fommen, ich bleibe der Eure, Direc-
feiner Gemeinde zu bringen. Mit torin,“ rief Muderl.
energiſcher Hand überall jelbft ein— „Ein Hundsfott, werunfern Haupt=
— und a — nicht ao mann verläßt,“ rief Stöderl.
gieng der wadere Mann mit dem FE '
ihönften Beifpiel Allen voran. Aus RN eine dire) * Fein
den benachbarten Bierbrauereien wurde |; eg ——
. ihm zugehört,“ declamierte Stromerl.
zum Löſchen warmes Waſſer herbei— om: : A
geihafft, Leitern, Schläuche, Eimer |. „Bir gehen nicht ———— Dir,
und andere Löfchgeräthe herbeigeholt; Zantchen, | tiefen bie Theaterlinder.
alles griff jetzt herzhaft an und nach Alle drängten ſich bewegt um ihre
mehrſtündigen gemeinſamen Anftren= | Führerin, und als ob auch Graue
gungen gelang es endlich, das Feuer ſein Einverſtandnis befunden wollte,
auf feinen Herd zu begrenzen. ſchüttelte er ſeinen klugen Kopf und
Blutroth ſtieg die Sonne eines ſcharrte im Sande.
falten Jannarmorgens über den rau— „Nun, ich Habe es nicht anders
enden Trümmern unferes Muſen- von Euch erwartet, Kinder,” ſagte
tempels empor. Sie leuchtete zugleich | die Directorin, uns gerührt die Hände
auf unfere zerftörten Hoffnungen her- drückend. „Wie es auch fommen mag,
nieder. Auf den Ueberreſten ihrer |wir find von diefer Stunde an un—
Habe ſaß unfere arme Directorin und zertrennlich.“ In diefem Augenblick
ftarrte verzweiflungsvoll zur Erde. \erfchien der wirdige Pfarren im un—
Mit düfteren Mienen umpftanden wir ſerer Mitte. „VBerzagt nicht, meine
unfer Oberhaupt und keiner hatte den | Freunde,“ ſprach der wadere Priefter,
Muth, angelichts des fo plößlich über | „wir werden Euch in Eurer traurigen
uns bereingebrodhenen Unglüds, die Lage nicht verlaſſen. Was feitens
Trage, was nun? auszufprechen. Eine | meiner Gemeinde möglich ift, foll für
Gruppe Halb neugieriger, halb theil= | Euch geſchehen.“
nehmender Menjchen war um uns ges Und er hielt Wort, der herrliche
ſchart und zur Vervollftändigung des | Greis. Noch am felben Tage — es
trübjeligen Bildes wurde uns nun war ein Sonntag — munterte er
auch unfer vierfüßiger Mitſpieler zu- von der Kanzel herab feine Gemeinde
geführt, der, als ob unfer trauriges auf, ihrer Nächftenliebe werkthätigen
Schickſal auch ihm treffe, gefenkten | Ausdrud für uns zu geben. Aber er
Hauptes fih uns anſchloß. begnügte ſich nicht damit, fir uns zu
Im Unglüd zeigte ji aber der) predigen. Von Haus zu Haus gieng
trog mancher Scrullen im Grunde |der vortrefflihe Mann mit einer Sam—
tüchtige Charakter unferer Bühnen |melbüchfe, in die auch der Aermſte
leiterin. Sie, die den ſchwerſten Vers ſein Scherflein für die „abgebrannten
fuft von uns erlitten, war die erfte, | Komödianten“ werfen mußte. Und
die unſerem gejfunfenen Muth wieder |wahrlich, die Herzliche Theilnahme, die
aufbalf. ih allenthaldben im Orte für uns
„Zum Berzweifeln ift feine Zeit, \Eundgab, erhob uns und gab uns
Kinder,“ fagte fie, fi mit eimem wieder den Muth, heiter in die Welt
Ruck erhebend. „Denken wir lieber zu bliden.
daran, uns wieder auf die Beine zu Mit dem leichten Blut eines echten
bringen. Wenn Ihr mich nicht verlaßt, | Romödiantenvöltdhens giengen wir un—
dann jpielen wir in acht Tagen wieder | verzüglich an unfere Aufgabe, das den
Komödie.“ Flammen Entriffene zu ordnen, das
— — — — — — — — — — — — — — — —
Bernichtete zu erfegen und ein meues
Theater in's Leben zu rufen.
Das war jeßt ein munteres Treiben
in unſerer Mitte. In einem Tanz—
fanle, den ein Gaftwirt uns unent= |
geltlich zur Verfügung ftellte, ſchlugen
wir unſere Werkftätte auf. Da wurde
nun von früh bis ſpät gehämmmert,
gezimmert, gepinfelt und genäht. Bon
den gutmüthigen Einwohnern in jeder
Weiſe unterftüßt, wuchs unfer Werk
zufehends. Ein Jeder fühlte eine Ar—
chiteften», Maler und Schneiderjeele
—
heit, „vor einem Parterre von Bauern,“
zu fpielen, mit Freuden ergriffen und
war zu einem Gaftjpiel nad G. ges
fommen. Durch das Engagement eines
jungen Bären, welcher jich mit feinen
Führer in's Gebirge verirrt, wurde
der zoologifhe Theil unferer Geſell—
ſchaft um ein wiürdiges Mitglied be=
reichert, das die Aufführung von „Bär
und Baſſa“ ermöglichte.
Mehrere Tage vorher ſchon wurde
die Bemwohnerfchaft des Drtes durch
das bevorjtehende große Ereignis in
in fi, und unſere Directorin, die) Aufregung verjeßt; die Kunde davon
ihre Energie vollftändig wiedergefun: | war auch im die Umgegend gedrungen,
den md mit genialem }Feldherrnblid | und am Abend der Vorftellung war
unfere Operationen leitete, war wieder dad Theater von einem Premieren
ganz in ihrem Elemente. In wenigen publikum gefüllt, wie es „glänzender“
Tagen war eine Bühne erbaut, welche | nicht gedacht werden kann.
bei einer Concurrenz für ein. achtes Don dieſem Momente nahm unser
MWeltwunder unbedingt den erften Preis
davongetragen hätte. Decorationen von |
einem Farbenreichthum giengen aus
unſerem „Atelier“ hervor, daß ſelbſt
ein unmaleriſches Auge auf den erſten
Bid die großen Pinſel ahnen konnte,
die fih bier verewigt hatten. Sturz,
Geſchick die günftigite Wendung. Unfer
Ruf hatte fih in ſämmtlichen Dörfern
des Gebirges verbreitet; überall wollte
man die „abgebrannten Komödianten“
fehen, überall von ihrer Kunſt ſich
begeiftern laſſen.
Als wir mac Furzer Zeit das
der ganze fcenifche Apparat, dejjen wir | menefte Drama unſerer Frau Direcs
zur Darftellung von Menjchen bes |torin zur Aufführung vorbereiteten,
durften, gieng aus dieſer gemein= | war der Held desfelben ein Pfarrer.
famen ZThätigfeit in der denfbariten
Pracht Hervor, und mit volliter Bes
ſtimmtheit darf behauptet
dab im fürzererer Friſt fein abge-
branntes Hoftheater ſich jemals in
gleiher Herrlichkeit aus der Aſche
wieder erhoben hat als unfer befchei=
dener Mufjentempel.
Der Lohn unferer Anftrengungen
blieb aber auch nicht aus. Zehn Tage
nach dem Brande verkündeten Trom—
melfhlag und rothe Zettel die Er—
Öffnung des neuen Theaters durch
eine „auperordentlih große Vor—
ftellung“. Ein Münchener Künſtler,
an den wir, von unſerem liebens—
würdigen Pfarrer unterftüßt, uns
tühnlih wandten, hatte die Belegen
werden, |
„Kinder,“ fagte die geniale Dich-
terin, „es ift das befte, was ich bis
jeßt gejchrieben Habe; das Stüd wird
Furore machen.
Und in der That, etwas Beljeres
war niemals aus ihrer Feder hervor
gegangen. Sie hatte einen Act der
Dankbarkeit gegen unſeren geiftlichen
Wohlthäter in 6 Aecten zu poetischen
Ausdruck gebracht. Welches der In—
‚halt des Stüdes war? Ich will's
nicht verrathen; ich müßte befüicchten,
durch eine trodene Schilderung diejes
Inhalts die unvergleihlide Schöpfung
unferer Directorin ihrer dichterifchen
Schönheiten zu entlleiden und will
lieber an diefer Stelle — den Vor—
hang fallen laſſen.
348
Der Küfter
am Kreuze.
Eine Gedichte aus Sanct Yalob von P. R. Rofegger.
< Salob, die über den felligen
Gebirgsftiod der Sulmeralpen wie ein
grünes Sammitnch Hingebreitet find,
ſtundenweit, ftand ein hohes, hölzernes
Kreuz. Es war aber fein Inndläufiges
Grucifix, auch feines jener ſechsarmigen
Metterfreuze, wie fie in unferen gut
fatholifchen Gegenden fonft vorzukom—
nen pflegen, es war ein ſeltſames,
unbeimliches Kreuz. Es war an zwölf
Schuh hoch, aus maſſivem, vieredig
behanenem Holze gezimmert, hatte
drei Onerbalfen, wovon einer nicht
wie die zwei anderen gegen Oft und
Welt, ſondern gegen Nordoft und Süd—
weit ftand. Diefe Ouerftellung gab
dem Kreuzbilde etwas Nuppiges, Un—
ruhiges, ja Gefpenfterbaftes, und die
Lente von Sanct Jakob und Umge—
bung Hatten all’ ihr Lebtag nichts ge—
jehen, was mit diefem Kreuze zu vers
gleichen gewejen wäre. |
Es war unter dem Namen Rubens |
freuz befannt und wenn man fragte, |
warum es fo heihe, war die Antwort,
weil e3 die Ruden aufgerichtet hätten.
Und wenn man weiter fragte, wer die
Ruden wären, wußten fie nichts, und
wenn man fragte, ob denn einmal
Leute in der Gegend gewejen jeien,
jo die Ruden geheigen, meinten die
Meifen von Sanct Jatob, das müßten
fie doch wohl, ſonſt könnten fie das
Rudenkreuz nicht aufgerichtet haben.
Einer war, der wußte zu jagen, daß
der neunzigjährige Jäger-Klauſel, der
vor etlihen Jahren geftorben, öfters |
erzählt habe von fremden Anfiedlern, |
die in den Sulmeralpen Häuſer ge: |
habt und die Viehzucht betrieben hätten.
Selbige hätten fehr viele Aepnlichleit
Zuf den Hochweiden von Sanc
mit menschlichen Weſen gehabt, feien
aber Heiden gewejen! Bon ihnen
ftamme das Rudenkrenz ber. Es fei
aber eigentlich nicht errichtet worden,
fondern felbft aus der Erde hervor—
gewachſen, darum könne es auch micht
faulen. Man wiürde niemals fehen,
daß ein Vogel oder ein anderes Ge—
ihöpf Gottes auf das Rudenkrenz
fliege und ſich darauf niederlaſſe.
„Und das ift heilig wahr,“ be—
fräftigte eines Tages der würdige
Küfter von Sanct Jakob, „ih bin
zwar fein neunzigjähriger Greis, aber
etwelches weiß ich doch zu jagen vom
Nudenkrenz. Dreimal im Jahr, das
willet Ihr, fliegt der Belzebub über
Land. Auf den Sulmeralpen hat er
fonft geraftet, aber ſeit alljährlich mit
dein Dfterfegen der Boden geweiht
wird in Sanct Jakob und weitum,
verbremmt er fich den Hintern, jobald
er ſich niederlaffen will auf die Erden.
Sept er ſich alsdann aufs Ruden—
freuz und raftet. Ja ja, meine Muhme,
die Liefel in der Heds, hat ihn ein—
mal boden gejehen auf dem oberften
Streuzbalten und den Schwanz hat er
wie eine Schlange um das Holz ge=
wunden, dab es ein Graus ift geweſt!“
„Altweibergeſchwätz!“ rief der
Steinbahmüller.
„So!“ fagte der Küfter und fein
Wort war faft tonlos vor Eutrüftung.
„Du bift auch fo Einer! Altweiber-
geihwäg! Natürlih! Neuzeit alle
fromme Sad’ Altweibergeſchwätz!“
„Iſt der Belzebub eine fromme
Sach'?“ fragte der Steinbahmüller.
„Der Belzebub nicht! Und das
Rudenkreuz auch nicht! ber der
heilige Glauben ift eine fromme Sad’!
349
Der Glauben, daß der Teufel mur
auf einem gottloſen Kreuz raſten
fan, das iſt's! Müller, wenn
Du einmal Deine Ochſen auf die
Hochmeiden treibft, paß auf, vielleicht
begegnet Dir jelber einmal was! Viel—
leicht fiehit ihn doch einmal boden
auf dem Rudenkreuz, falls er nicht
gar auf Deinem eigenen Budel aus»
raſtet.“
So wurden heiß die Worte ge—
wechſelt in der Taferne zu Sanct
Jakob. Und Hoch oben auf den weiten
Almen ftand einfam das Kreuz. Weit:
um war fein Baun, fein Straud,
dort und da ragte ein weißer Stein
hervor zwifchen den grünen Matteır.
Nah einer Seite zog ſich ein geröl«
liges Kar hinab gegen die waldbe—
ftandenen Lehnen, wo die Schugitälle
der Herden ftanden. Bon Rudenfreuz
aus ſah man nicht in’3 Thal, wohl
aber die gegemüberftehenden hohen
Berge mit ihren finftergrauen Wänden.
Die Hocmeiden waren ihrer fetten
und mwürzigen Kräuter wegen an mile
den Sommertagen Sehr geſucht von
den Rindern und fo fliegen auch die
Leute gern hinan; mancher Burſchen
Uchermuth tummelte ſich oben aus
im NRangeln nnd Ringen; manch’
üppiges Liebesleben jonnte ſich dort
oben an warmen Julifonntagen und
über Allem hochaufragte das hölzerne
Aergernis, das Rudenkreuz.
Dem Küſter von Sanct
fonnte das nicht gefallen, denn
batte ein warmes Herz für das Seelen-
heil feiner Pfarrgenoſſen.
ihr denn, wen eines Tages ein Knab'
und eine Maid ausruhen da oben auf
dem weihen Grafe und der Belzebub
kommt geflogen, ſetzt fih auf das
Rudenkreuz und Schlingt feinen Schwan;
Schlangenartig um das Holz! Die Geiſt—
lichkeit nimmt’s viel zu leiht. Schlecht
genug, dab der Galgen immer nod
—
Jakob
Hochweiden.
er Sonue wie Silber.
Gerippel will auch gar nicht morſch
Was ſagt werden! dachte ſich der Küſter. Wenn
ſchläger her, die gehen über die Hoch—
matten und raſten gern dort. Da will
der Küſter oben fein und den Männern
in’s Gewiſſen reden, daß fie mit et—
lien Arthieben dem Rudenkreuz ein
Ende machen. Wohl wühte auch er
jelbft, der Küfter, die Art zu führen,
aber es ift beſſer, wenn's Andere than,
es iſt beſſer . . . Dann follen die
Almerinnen nur kommen und ihr Mehl
ſtreuen!
Es pflegten nämlich die Senne—
rinnen alljährlich am erſten Hundstag
beim Rudenkreuz ganze Kübeln Mehl
in die Winde zu ſtreuen; ſie nannten
das „Wind füttern“, damit er ge—
fättigt und verſöhnt ſei und in Wet—
terſtürmen nicht allzu grauſam wüthe.
Warum das gerade beim Rudenkreuze
geschehen mußte, wußte weder die Sen
nerin noch der Küſter; leßterem war
aber — offen geftanden — gerade
deöwegen das Nudenkrenz jo verhaßt
geworden; — Sie jollen das Mehl
dem Küſter zukommen laſſen für's
Metterläuten, werden die Winde beijer
bedient, als durch das thörichte Mehl⸗
ſtreuen am Heidenkreuz.
Kurzum, der Galgen muß fallen.
Und darum flieg am erſten Juliſamstag
der Küſter das Gebirge hinan zu den
Als er über die Wal—
dungen emporgefommen war umd um
den Schwarzriedel bog, jah er drüben
auf der Hochebene ſchon das Ruden—
freuz ſtehen. Es ſchimmerte im der
Das Saferments-
man ſonſt wo was aufitellt, bricht
der Teufel in etlichen Jahren wieder
zufammen. Das halt’s. Na, aber nicht
mehr lange, dafür ftehe ih. — Da
lag der Küfter auf dem Boden, war
über eine Kuieholzwurzel geftolpert.
Von den Holzichlägern war noch
nichts zu ſehen. Kine Rinderherde
fteht mitten auf der grünen Alm. ;weidete auf der Alm, das heimelte
Aber er ſoll ſich curios ausgeſtanden den Küfter an und er fchritt langſam
haben. Am eriten Julifamstag kommen | die
von den Sulmerwäldern die Holz- Rudenkreuz.
fanfte Höhe hinaus gegen das
— Plötzlich hörte er ein
350
Gedröhne, der erſte Gedante war, es
faufe der Belzebub dur die Lüfte,
da jah er auch ſchon den Stier, der
unweit von ihm mit den Vorderfüßen
den Erdboden aufgrub und brüllte.
Es war ein großes, jchwarzes Thier,
jeßt hob es den Schweif und ftieh
die» Hörner im den Boden, daß der
Sand ftob. Der Küſter merkte bald,
was das zu bedeuten Hatte und Hub
an zu laufen. Alfogleih folgte ihm
der Stier in großen ſchweren Süßen
und mit mächtigen Schlottern feiner
Dalsfahne. Auch die anderen Rinder
waren unruhig geworden und jprangen
mit bochgehobenen Häuptern heran.
Heiß erfchroden Jah ſich der Küſter
nach einem Zufluchtsort um, und es
war nichts, fein Fels, kein Baum,
fein Strunk, es war nichts ringsum
als Noth und Gefahr. Immer näher
fam der ſchnobende Nudel, in Todes—
angit lief der ſonſt jo behäbige Küfter
wie eim Junge, im nächſten Augen
blide Hletterte er das Holz hinan und
bodte auf dem Querbalten des Ruden—
freuzes.
Da oben hodte er und klammerte
ih Felt an den Stamm, an dem er
Jah, daß er beim Fuße ftarl abge—
morjcht war.
Die Rinder umfreisten das Kreuz
und der Schwarze Stier vieb feinen
Kopf ſchnobend an dem Stamme, daf
dieſer erbebte. Der Küſter lachte grell
und ſchrill wie ein Wahnfinniger und
rief alle Heiligen an und mannte das
Thier eine höllvermaledeite Beftie. Der
Stier mochte das für eine Ehrenbe-
jeigung halten und war demmach um
jo lebhafter beftrebt, feine Aufgabe zu
löjen, den braven Mann vom Pfahl
herabzubringen und ihm die Gedärme
auszulafjen.
Das Beten und Fluchen des Küfters
am Kreuze wurde allmählich etwas
„Seh, Vieherl,“ fagte er gütig zum
Stier, „mach’ feine Thorheiten! Schade
um Deine Hörndeln, daß Du fie fo
ftrapazierft an dieſem harten Holz.
Wenn eins abjpringt, haft den Stumpf
dein Lebtag lang. Hi bi, micht fo
higig, Schwarzer, um Gotteswillen! —
Sollts Dich uach meinem rothen Hals»
tuch gelüften, da haft es, treib’ Deinen
Spaß damit, wie Du willft.“ Er ballte
das Tuch zujammen und warf es
weithin auf den Plan, aber im Winde
flatterte e3 wieder gegen das Kreuz
heran und dem Stier gerade an den
Kopf. Darüber wurde diefer rajend
vor Wuth, fürchterlich wühlte und brüflte
er, den Hinterförper hoch emporfchnels
lend, ſprang er hintan und kam wieder
herbei ; die übrigen Rinder ſahen ihn
etwas verwundert zu und wußten nicht,
follten fie mitmachen oder ſich wieder
aufs Grafen verlegen. Endlich ftand
‚der Stier ruhig da, glotzte das Kreuz
an und fchnaufte ſich aus.
Der Küfter ſetzte ſich auf feinem
Querbalfen etwas bequemer, dann
wurde er ganz zärtlich gegen das Thier
und rief ihm zu: „Du bift ein ver—
fluchtes Rindvieh! Habe ich Dir etivas
gethban ? Etwa, daß der Fleiſchhauer
mein Bruder ift, willft Du mir nach—
tragen? Er ift nur mein Stiefbrubder,
ih hab's mie mit ihm gehalten, ich
hab's immer mit den Vieh gehalten.
Und Dur wiflft mich umbringen! Trau'
mir nicht, Schwarzer! Glaubft Du
nicht, daß ich einen Revolver im Sud
haben kunnt? Auf ja und nein haft
Du die Bohne im Leib. Jammerjchade
um Dein junges Leben! Schau, Knabe,
Du bift noch zu jung zum Ballen,
Du haft was Beſſeres zu thun. Sieht
Du dort drüben am Steinbüchel die
grane Kalbin? Ein Gufto, wie die
fein gewachfen ift! Und wie munter
ſie auf Did her haut! Du Hafts ja
weinerlich, der Mann blidte in die | gut auf der Alın, dir ift Alles erlaubt,
Runde nah einem Helfer; weit und geh, muße Dein junges Leben und lab
breit feine Spur von einem Menſchen.
Donn verfuchte er mit dem wüthenden
Stier einen Wusgleih anzubahnen.
die Thorheiten fein! Winterszeit kom—
men wir unten im Dorf zuſammen;
ih Habe gutes Heu in meinem Studi.
—
351
Geh, Stierl, lauf' weg! Lauf' weg!
Was ſiehſt Du denn an dieſem elendig—
lichen Galgen? Schau, Deine Kame—
raden heben alle wieder an zu graſen.
Der prächtigſte Klee, den ich mein
Lebtag geſehen hab', wachst auf dieſer
Hochweid'. Eine wahre Paſſion, zu—
zuſchauen, wie Die dorten graſen! Die
Zahn’ wäſſern Einem! Geh’, laſſ' nicht
Alles den Anderen! Sei gefcheit!*
Das Rind date: Ich bin ohnehin
geicheit! und blieb flehen vor dem
Nudenkrenz, und ſchnob und grub mit
dem Borderfuß den Nafen auf.
So war der Füfter eine Stunde
und länger auf dem Kreuze gebodt,
die Sonne fant hinter die Berge hinab.
Da ſah er endlih zwei Weibsleute
über die Alm heransıhreiten ; jede trug
anf dem Haupt ein mächtiges Futter—
bündel. Der Küfter ſah Erlöſung, da
Kreuzes, um das ſich die Herde ges
lagert, ein dunkler Knäuel feſt geklam—
mert hatte,
„Wer da? rief er.
„Laus tibi Christi !* jauchzte der
Küfter auf. „Nachbar! Miller! Biſt
es, oder nicht, fei fo gut um Leben und
Sterben und jag’ mir die Beitien fort!*
Der Steinbachmüller erkannte als—
bald den KHüfter von Sanct Jakob,
aber er that nicht darnach. Fürs Erſte
gab er dem drohenden Stier mit dem
derben Bergftod Eins in die Seiten;
der Schwarze wid ein paar Schritte,
aber fein Sinn ftand immer noch nad)
dem Manne auf dem Holzpfahl.
„Im Namen Zehaoths!“ rief der
Steinbachmüller nun überlaut hinauf,
„Fürſt der Finſternis, mich betrügſt
Du nicht! Du Haft zwar die Figur
unferes braven Küfters von Sanct
that plößlich eines der Weiber einen | Jakob angenommen, aber ich kenne Dich
Schrei, warf das Bündel don fich und wohl, Du bift der Belzebub ! der Küſter
lief hinab in dag Kar. Das andere,
folgte.
Bi mich vor Dir gewarnt und darum
|bift Du ihm jo Spinnefeind, daß Du
Unten im Getanne hielten fie an, feine menjchliche Geſtalt entHeiligft und
ftrichen „fih die wirren Haare aus dem | in feiner Haut umkriechſt auf dem Holze
Geficht,
und Eine fragte die Andere; |balten, wie ein Affe! Pfui, Belzebub!
„Daft Du ihm auch geſehen? Auf dem | Daft Dich wohl wieder arg angeftrengt
Nudentrenz hodt der Belzebub !”
Den Waldweg heran kam der Stein»
bahmüller; ex trieb zwei Decchslein,
welde er die Woche über am Pflug
gehabt, auf die Hochweide.
Dem riefen die Senninen zu, er
möge um Gotteswillen heute nicht zum
Rudenkreuz Hinaufgehen, es jei der
Belzebub oben!
„Was für ein Bub?“ fragte der
Steinbachmüller, der etwas ſchwer—
hörig war.
„Der Gottfeibeiuns hodt auf dem
Rudenkreuz!“
„Hodt er? Nachher iſts recht.
Hi, Ochſen!“ Er trieb wegsan. Die
mit dem Seelenderführen auf der Welt,
daß Dir jegt das Raften jo noth thut
auf dem Rudenkreuz. Leut' vers
Ihimpfieren und Altweiberglauben ums
trogen! Herrgott, wenn das der Küſter
wüßt, daß in feiner Haut dahier ein
folcher Fant ftedt! — Fahr' ab, Belze—
bub, oder ich laſſ' ein Ablaßgebet auf
dich los, daß Dir Hören und Sehen
vergeht, vernebelte Waſſerkopfſeele, ver—
dammte!“
„Steinbachmüller!“ wimmerte der
Küſter, denn ſeine Glieder waren ſteif
und wollten ihn nicht mehr halten,
„ich bitte Dich, ſei chriſtlich und ſpotte
nicht. Ich ſehe es ja ſchon ein. Gott,
Weiber bekreuzten mit flacher Hand die o Gott, ich wollte dieſes Krenz heute
Richtung, nach der er gieng. „Schad'
um feine arme Seel!”
niederhauen laffen! Bin ich nur glück—
lich wieder auf dem Erdboden, meinet—
Als der Steinbahmüller in der halben foll es ftehen bleiben jo lang
Abenddänmmerung auf die Höhe Fam,
es mag. Ich rede nichts mehr drein,
fah er, wie fih in die Balken des es ift ein ganz unfchuldiges Kreuz.
352
Im Pfarrbuch ftehts ja drinnen, daß Das ift nun gefchehen, die Herde
eine ruſſiſche Anjiedlung da geweſen mitſammt dem Stier trottete thalwärts
ift, die hat allhier das griechische Kreuz | in das Kar, der Küfter ſprang vom
aufgeftellt und hat dabei gebetet. Eine | Kreuze, und feit jener Stunde — fo
ganz unſchuldige Sad, ich will fie | erzäplt ih das Volt — hat der
nicht mehr fchlecht machen. — Ich Belzebub nicht mehr geraftet auf dem
bitte Di, Nachbar, jag' das Ungethiüm Rudenkrenz.
davon!“ |
Am Himmelszelt die Sternlein ſteh'n.
Gin Ausflug.
—
D er „Heimgarten“ iſt im Ganzen Größe. Ferner giebt es etwa 20.000
2 Teine hochfliegende Zeitſchrift. Sterne ſiebenter, 68.000 achter,
aber den Flug, den wir heute unter- 530. 000 neunter Größe. In weiteren
nehmen wollen, werden uns nicht Größen oder formen hat man die
Viele nahmaden. ‚Sterne bi jeßt nicht controlirt. Im
Von den „Millionen Sternen“ Ganzen vermag der Menjch mit den
des Himmels plaudern, über diefelben heutigen optifchen Mitteln etwa 30 bis
Gedichte machen, ift feine Kunft, aber 40 Millionen Sterne zu zählen oder
fie einmal zu zählen und ihre Ent: vielmehr als fihtbar anzunehmen.
fernung von uns zu meſſen ift was Nun halte ich aber keinen Heime
Anderes. Wohlan denn, zur Sache! gartenleſer für jo einfältig, zu glaus
Daß wir eiwa in einer Haren Win- |ben, daß etwa auch nicht viel mehr
ternacht Millionen Sterne fehen, das , Sterne am Himmel ftünden ; jeder
ift gar nicht wahr. Wir fehen weit weiß, daß die Anzahl der fichtbaren
weniger Sterne, als wir zu ſehen Sterne nicht von der Ynzahl der
glauben und es giebt umentlichmal mehr | wirklich vorhandenen Sterne, jondern
Sterne als wir wiſſen. Mit freiem, von ihrer Entfernung von der Erde
Auge ſieht der Menfch, joweit ev den | abhängt.
Himmel überſchauen kann, beiläufig. Die Entfernung der meiften Sterne,
4000 Sterne. Selbft in den beiden ſelbſt der nächiten, jener erſter Größe,
Hälften der Himmelsrunde fann das iſt mit unferem irdiſchen Maße kaum
beſte Auge nicht über 6000 Sterne ſehen. zu meſſen, wir müſſen, um fie ans
Wie Wilhelm Meyer in feinem nähernd anzudeuten, den ausgedehnz
neneften Werke: „Kosmiſche Welt- |teften und rajcheiten Abmeſſer, den
anfichten, aftronomische Beobachtungen Lauf des Lichtftrahles, benutzen. Wir
und Ideen aus neuelter Zeit“ (Ber: willen nämlich, dab der Lichtitrahl
lin. Allgemeiner Berein für deutſche — etwa jener der Sonne — in einer
Literatur) nachweist, gibt es am Him- Secunde 42.000 Meilen zurücklegt.
mel für uns nur 20 Sterne erfter Ein Lichtftragl nun. der — wie der
Größe, 64 zweiter, 198 dritter, 460 |eleltrifhe Strom den Raum durch—
vierter, 1496 fünfter und 6004 jechäter fliegend — in einer Secunde fiebenmal
353
um die Erde laufen könnte, gebraucht Himmelskörper bereits vor einer halben
8), Minuten, um von der Sonne | Million Jahre befunden Hätten, und
zu uns zu kommen. Der Lichtitrahl wir jehen dort in der Gegenwart
von den uns am nächlten Stehen Taten einer weltichaffenden Kraft,
den, den Sternen erſter Größe, | die in einer undenfbar fernliegenden
braucht 15%, Jahre, der Lichtſtrahl Vergangenheit geſchahen.
von den Sternen zweiter Größe 28, Dann kommt die unüberſteigbare
Jahre, der Lichtſtrahl von den Ster= Grenze unferes Willens. Mag die
nen Sechster Größe 120 Jahre, um | Welt der Sterne noch über Diele
zu und zu gelangen. So weit reicht | Grenze hinaus von Umendlichkeit zu
unfer bewaffnetes Auge noch hinauf Unendlichkeit weiter die Nänme aus«
— über 150 Billionen Meilen. Die | füllen, keine Kunde kommt uns mehr
Sterne neunter Größe find Schon etwa , von dort herüber ; das wahrhaft Un—
500 Lichtjahre von uns entfernt und | endliche, das unwandelbare Attribut
die lebten Sterne, welche Herichel in! der Gottheit wird uns ewig ver—
feinem Niefenjpiegel noch ſah, über | jchleiert bleiben.
3500 Lichtjahre oder viertauſendfünf— Aber eine Ahnung vom jener une
hundert Billionen Meilen! endlichen Allınacht dämmert uns doch
Man kann fih von der Größe durch dieſen Nebel herüber. „Stellen
eines „Sternleins“, das bei ſolcher wir uns — ſagt Wilhelm Meyer in
Entfernung noch ſichtbar iſt, eine Vor— ſeinem geiſtvollen Buche — ein Weſen
ſtellung machen! Nein, man kann ſich vor, das ſich mit der Schnelligkeit
keine machen. des Gedankens von einem Stern zum
Bei dieſen ganz ungeheuerlichen andern ſchwingen kann und mit voll—
Fernen dürfen wir aber noch bei kommenem Sehvermögen begabt iſt.
Weitem nicht anhalten; das waren ja Begibt ſich dieſes vollkommene Weſen
erſt die einzelnen ſichtbaren Sterne. auf einen Stern der erſten Größen—
Nun giebt es aber am Himmel matt- claſſe und ſchaut zu unſerer Heinen
Ihimmernde Stellen, die Nebelflede,' Erde dort unten in den Tiefen des
von denen einige zwar in ſtarken Fern— | Weltgebäudes herab, jo kommt eben
vöhren im eine Unzahl dicht nebenein- der Lichtſtrahl zu ihm empor, welcher
ander gedrängter Sonnen zerfallen, die großen Ereigniſſe des Kriegsjahres
andere aber, die felbft mit den ftärkiten von 1870 dem Weltall verkündete.
Fernröhren nebelhaft und „unlöslich“ Napoleon und Bismard begegnen ich
bleiben. auf der Landftraße vor Sedan, und
Bon jenen unlöslichen Nebeln muß | alle Einzeldeiten der Begegnung Find
man annehmen, daß fie in demfelben ihm gegenwärtig, als gejchähen fie
Verhältuiß weiter von uns entfernt eben jegt. Weiter hinfchwebend ſieht
ftehen, wie zum Beifpiel die Milch- | diefes göttliche Wefen auf einem Sterne
frage von der Negion der mit bloßem fiebenter bis achter Größe die Schlachten
Auge einzeln erfennbaren Sterne. | des dreißigjährigen Krieges gegenwäre
Durch einen ſolchen Vergleich gelangte, tig; auf einem Sterne neunter Größe
Herſchel zu dem Refultate, daß fein | fieht er Gutenberg feine eriten Lettern
Fernrohr den erftaunten Blid bis in. fegen oder Columbus auf San Do—
Regionen des Weltall zu tragen ver- mingo landen. Bon den Sternen der
mochte, von welden her das Licht. Milchitraße ber ſieht er unferen Hei—
nicht weniger als eine halbe Million | land unter den Menfchen wandeln,
Jahre gebraucht, um bis zur Erde und auf den leßten Sternen, die wir
berab zu kommen. Was wir dort fennen, erfcheinen ihm die Anfänge
alfo am Himmel vor uns fehen, wäre der erften menschlichen Cultur im den
ein Zuftand, im welchem Sich jene‘ Eolonien der Pfahlbaner. Alles iſt
Kofenger’s „„Örimanrten", 5 Geft, XI, 23
*
ihm gegenwärtig, die ganze Vergan—
genheit liegt entjchleiert vor ihm, welche
das ftrahlende Licht für alle Ewig- | jener fernen Welt vielleicht vor mehreren
feiten unverlöfchbar in den Annalen |
der Geſchichte der Weltjufteme ein= |
Undromeda: Nebel ift ein neuer Stern
aufgeleuchtet. Das Ereignis ſelbſt ift auf
taufend Jahren geichehen, und auf den
Himmelslorpern ihrer nahen Umge—
ſchreibt. Unſere guten Ihaten, welche | bung, die das Wunder einſtmals fahen,
das Licht nicht ſchenen, find im den
‚Regionen der Sterne aufbewahrt. Und
die ftillen Sterne dort oben, die lichten
Gedanken des Himmels, fehen Alles,
was hier und Allerorten gefchieht, fie
find Diener der Gottheit und allge
genwärtig, wie Gott jelbit.
Sogar wir Menfchen werden eines
Theiles diefer Allgegenwart theilhaftig.
Mas wir dort oben vor Augen fehen,
ift nicht die gegenwärtige, ſondern eine
bergangene Welt und aus vielen ver—
Ichollenen Jahrhunderten fehen wir
ihre Entwidelung gegenwärtig vor
uns. Erft letzthin ift uns ja ſolch' ein
Wunder aus den fernflen Regionen
iſt die Erinnerung daran vielleicht
längft ausgelöfcht, oder die Geſchichts—
annalen haben es mit jener märchen—
haften Umkleidung ausgeftattet, welche
die Zeit um jedes große Ereignis
wirkt. Wir aber, in unendlicher Ent—
fernung von dem Schauplaße des Er—
eigniſſes aufgeftellt, fehen es in feinen
Abftufungen ganz genau; wir find
authentiſchere, beifer unterrichtete Zeu—
gen des längſt geſchehenen Wunders,
als die Bewohner aller nächftliegenden
Welten. Für uns ift gegenwärtig, was
für Andere längft vergangen und ver—
geilen iſt.“
„Am Himmelszelt die Sternlein
des Himmels verkündet worden. Jmiftehn.... .“
Ein Shledtes Bud.
Pr (9 ointice Menschen pflegen den |
können.
SA Dornen auszuweichen und Rofen
zu pflüden. Und flechten ſich aus
Roſen Kränze und laffen die Sonne
drauf ſcheinen und find froh.
Aber es gibt auch Käuze, welche
die Roſen verachten und die Dornen
ſammeln. Sie rigen fih damit zwar
die Finger blutig, troßdem flechten fie |
fih auch ihr leid aus Dornen, füllen
ihr Ruhekiffen mit Dornen und ſchwelgen
in der Wollufi des Schmerzes. Und
nicht genug an dem, fie fahren mit
ihren Dornftümpeln auch anderen Leu—
ten ins Geficht,
darüber, daß jene jih an Roſen freuen
Da kommt uns ein Herr Mar
Seiling, der hat Galle im Leib und
fühlt das Bedürfnis, die Welt zu ver—
ihandieren. Aus Eigenem jcheint er
nicht Gedanken und Worte gefunden
zu Haben, um feinen Unmuth über
Himmel und Erde auszufchütten, jo hat
er ein großes Anlehen gemacht. Vieles,
was große Männer aller Zeiten über
das Elend der Welt, über die Arm—
feligfeit des Glüdes und über die
Schlechtigkeit und Erbärmlichkeit der
aus reinem Werger |Menfchen gejagt Haben, das hat er
555
nit Fleiß und Liebe gefammelt und in den Kopf geſetzt, ein jämmerliches
daraus ein Buch gemacht. Aus har weltſchmerzliches Buch zu machen. So
monifchen Dichtungen und philofophi= | macht man's. |
ſchen Werfen Hat er einzelne Sätze Man frägt, wozu? Iſt der Plunder,
und Ausſprüche herausgebrochen. Er Welt und Leben genannt, wirklich fo
bat nicht gefragt darnach, bei welcher armfelig, daß alle Ereatur darunter
Gelegenheit die Ausiprüche gethan | verzweifelt, fo ift ein Hinweis darauf
worden, wem fie ein Dichter im den überflüſſig. Wer Zahnſchmerz Hat, den
Mund gelegt, er ift im Stande, die braucht man nicht erit darauf aufmerkſam
Ausſprüche Mephiftos, die Ergießungen zu machen, daß man Zahnſchmerz
eines Franz Moor als beherzigenswerte, haben kann. Und wer da behauptet,
Weisheitstheſen von Goethe und Schiller daß die Zähne von Uebel find, weil
binzuftellen. Ex citiert mur die böfen man Zahnſchmerz haben kaun, der wird
Geijter großer Dichter, die guten läßt von Allen, die ſich eines guten Ge—
er Hinten liegen. Alles, was die biffes erfreuen, ausgelacdht. Und iſt es
Menfchheit über Freundichaft, Liebe, | nöthig, die Lebensfreude der Menge
Trene, Opferfreude, über Seelengröße, | durch pejlimiftiiche Douchen zu däm—
über KHunftgenuß und Naturichöne, pfen, dann ift der Peſſimismus ſchon
über die Fähigkeit des menschlichen auch nicht mehr gerechtfertigt.
Herzens für Glüdsempfindung aller Oder was will man? Sollen die
Art je gelagt und hinausgejubelt hat
in glühenden Liedern, in behren Pjal:
men, in gewaltigen Kunſtwerken, Herr,
Mar Seiling vertufcht es. — Ueberhaupt
follte einmal über das falfche Eitieren,
oder vielmehr über das
Gharakterfälfhen ein ernftes Wort ge—
ſprochen werden. Durch willfürliches
Herausreißen don Süßen oder auch
halben Säßen kann man jeden Dichter |
oder Schriftfteller ganz beliebig zu
allen Möglichen und Unmöglichen fteınz |
peln. Man kann Goethe zu einem
blutigen Socialdemofraten, Schiller zu
einem fanatifchen Glericalen, Luther
zu einem Cyniker, den heiligen Au—
guftin zu einem Gottesleugner machen.
Shafespeare wird fih dafür bedanten,
mit feinen Böſewichtern, Gervantes
wird ſich Dagegen verwahren, mit feinen
Dummköpfen identificiert zu werden.
literarische
"Leute einfehen, daß Alles eitel, daß
jedes Streben umſonſt ift, daß fein
wahrer Erfolg und feine Vervollkomm—
nung möglich ift, das die Menfchheit
immer tiefer in Sünde und Schmerz
verfinfen muß, dab es alſo am beiten
wäre, micht zu fein? Und wenn die
Lente das wirklich einfehen, glaubt der
Herr Peſſimiſt, daß fie dann ihre
Paſſion, das unfelige Gejchlecht weiter
fortzupflanzen, aufgeben und ſich ſelbſt
ehethunlichſt aus der Welt jchaffen
werden? Mill er — der die ganze
‚Nichtigkeit diefes Lebens erlannt und
| documentiert hat — will er mit gutem
Beiſpiel vorausgehen? Biefleicht will
Mar Seiling früher noch die gute Auf—
‚nahme nıd Wirkung feines Büchleins:
„Perlen der peflimiftifchen Weltan—
Ihauung, in Meifterwerten der Literatur
gefunden“ und bei Theodor Adermann
Und wenn Goethe und Leffing und in München herausgegeben, abwarten.
Jean Paul und VBodenftedt und Ha= | Dann muß es aber mit feinem Peſſimis—
merling und Andere hier in Reih' umd mus doch nicht jo weit her fein, wenn
Glied als Peſſimiſten im modernen | er fogar an einem mit gutem Fleiß
Sinne aufmarſchieren müſſen, fo ift und Geſchick gemachten Sammelwerlchen
das eine Öffentliche Gewaltthätigfeit, und der hübſchen Ausftattung desfelben
die nach dem literariſchen Strafgejege Freude finden kanıı, und wenn er zu
— wenn wir eins hätten — jcharf hoffen vermag, daß er durch feine
gebrandmarft zu werden verdiente. | „Perlen“ etliche der Weltkinder zu
Doch Mar Seiling hat ſich ebem einmal | feinem Peſſimismus befehren wird.
23*
300
Indes fällt
gramm ein:
„Das Leben ift der Müh' nicht wert,
So jhrebt mand wad'rer Mann;
Und wozu läßt er’3 druden dann?
Nun, dab er leben kann.“
mir da Alland’s Epi—
nialen Menſchen find Peſſimiſten ge—
weſen, darum wollen auch wir alsbald
ein peſſimiſtiſches Buch machen, damit
wir nicht im Verborgenen bleiben, |wahre Sittlichkeit geben könne,
Wir wollen den Leuten fagen, was
— ja was jie übrigens längit willen
müßten, wenn wir recht hätten.
Eben kommt auch eine neue Anz
thologie aus Leipzig: „Stimmen des
Meltleides,“ herausgegeben von Zdenko
Ferens (Leipzig, Otto Wigand), welche
infoferne höher ſteht als die „Per—
len,“ weil es nebſt den willkürlich
ans Dichtungen gebrochenen Säßen
auch ſelbſtſtändige Gedichte enthält,
und zwar eingetheilt nach den Völkern
der Erde im ihrer peſſimiſtiſchen Poeſie.
— Gewiß hat eine foldhe Literatur
auch ihre Berehtigung, weil fie uns
eritens mit dem Empfinden freinder
Völker befannt macht und weil fie den
weltfchmerzlihen Stimmungen, denen
mehr oder weniger alle Eulturmen=
Shen unterworfen find, ſchmeichelt.
Aber diefe Franfhafte Anlage im Men—
chen bejonders zu pflegen, den theores
tiſchen Weltſchmerz zu popularilieren,
das ift verwerflih. Zum Weltſchmerz
gehört der Philofoph und etwa das
verhätjchelte Weltkind, aber nicht der
Mann aus dem Volle. Der hat genug
an dem Herben des Lebens und braucht
das Elend nicht auch noch erit zu
faufen, den Band um 2 Mart 50
Pfennige.
Der Herausgeber der „Perlen“
Das ıft Schön gefagt, und ich glaube
fogar, auch gut gemeint. Es wäre ein
hohes Berdienft, die Kinder der Welt
von der Eitelkeit der materiellen Güter
und bon der Niedrigkeit und Hinfäl-
‚tigkeit der grob finnlichen Genüſſe zu
Aber natürlich, alle wahrhaft ges |
überzeugen. Aber unſer profeflioneller
Peſſimiſt geht weiter, er führt in feiner
Sanımlung zahlreiche Ausſprüche an,
welche der Welt vorhalten, daß es Leine
feine
jelbftlofe Treue, Leine Eltern- und
Kindesliebe im Sinne der Tugend,
daß die menschliche Natur nur für das
Böje geeignet fei, daß alle Menfchen
Lügner, ihre Erfolge im beiten Falle
Irrthümer wären. Aussprüche, welche
die Baterlandsliebe, die Opferfreude
der Freunde, die Liebe der Stinder
zu den Eltern, das Vertrauen der
Eheleute zu einander, die Zuverficht
an das Heil eines redlichen und men—
Ihenfreundlichen Lebenswandels, den
Glauben an fich ſelbſt, an die fittliche
Kraft des Willens zu zerftören beab—
fihtigen.. Und damit will man die
Menge „von eitlen irdifchen Gütern
hinweg auf die idealen, die geiftigen
lenten ?* — Was verjteht man denn
alfo unter „geiftigen Gütern ?* Viel—
leicht Sammlungen peflimiftifcher Aus—
jprüche, tendenziös einfeitig herausge—
zogen aus den Werken großer Dichter
und Denker? Die großen Dichterwerte
jelbft wären dann nicht als ſolche
anzuerkennen, denn fie verherrlichen
Tugenden, die es ja gar micht gibt,
feiern die Größe der Welt, die ja
gar nicht da ift, feiern die Liebe, die
Treue, die Freude, die Schönheit, die
in wahrem Sinne ja gar nicht vor—
fonımt, diefe Dichterwerte ſchildern dei
Kampf zwijchen dem Böfen und Guten
motiviert fein Werlchen gleich einem mit dem emdlichen Siege des leßteren,
eingefleifchten Optimiften,
indem er fie fchildern den Untergang durd die
jagt: „Diefer wahre, als Befreiung vom | Schuld und find Manifeite der Ge—
Weltſchmerz (?) zu verftehende Peſſimis—
mus ift jedenfalls das wirkſamſte Mittel, |
um unſer Streben hinweg von eitlen | befchaffen wären,
ſie wähnt.
irdiſchen Gütern auf die idealen, die
geiſtigen zu lenken.“
rechtigkeit. All das wären falſche Pro⸗
pheten, wenn Welt und Menſchen ſo
wie der Peſſimiſt
Hätte Schopenhauer ein Weib ge—
nommen amd Kinder gehabt, anftatt
von der öden Gelehrtenftube aus in
verbitternder Einjamkeit die Welt zu
betrachten, fein großer Geift hätte eine
andere PhHilojophie aufgebracht. Wer
Gefahr läuft, an den Menfchen zu
verzweifeln, der ſoll nur einmal zu
den Landleuten hinausgehen, und er
wird Sehen, welche Tüchtigkeit und
Größe ursprünglich im Wolke ift. Das
bat viele Armut und Drangfal, aber
wenig Peſſimismus. Das Bolt ift ftart,
es lebt und leidet, arbeitet und genießt
und macht ſich weiter nichts draus.
Es ift nicht zu leugnen, daß man in
den Städten befonders unter den heuti—
gen Zuftänden, bei diefer mehr als je
von dem „dealen, dem Ewigen abge—
wendeten Generation zeitweilig pefli= |
miftiichen Stimmungen verfallen kann. |
357
Zeit zu Grunde,
Ehren,
Weiſe.
Unermeßliches Leid iſt auf Erden,
wer leugnet es? Aber anftatt durch
Klagen und Berzweiflungsrufe die
Leidenden nur noch mehr zu entmu—
thigen, ſollte man ihnen rüftig beiftehen
und Muth machen. Die Menfchen
fönnten ſich Vieles verbeflern, es ift
Manches Thon gelungen. Aber der
Peſſimismus ift dazu ein fchlechtes
Mittel. Wie jehr hat die Menfchheit
ihre geiftigen Fähigkeiten ausgebildet!
Stünden nur nicht immer philoſophiſche
Berführer auf. Unſere Zeit Hat in
der Abjicht, zum guten Ziele zu kom—
men, manch jchlechten Weg eingelchla=
gen, der Peſſimismus iſt der fchlechteite.
Mar Ceiling foll uns doch dem—
und zwar micht im
ſondern auf eine ſchmähliche
Aber fo lange noch Einer edler Empfin- nächſt mit einer etwas anders fortierten
dung fähig ift, Achtung vor dem Guten
und Gerechten, Neigung zum Schönen
hat, darf man micht verzagen. „Alles
umſonſt!“ Diefe Ausrede, nichts zu
thun, ift bequem. Wenn wir den Kampf
aufgeben, wenn wir uns don allen
durch eine jahrtaufendelange Eultur
erworbenen Bortheilen verzichtend ab—
wenden, wenn wir weltverachtend und
an den Menfchen verzweifelnd uns
zurüdziehen in die einfame Wildnis
unferes verdüfterten Gemüthes, dann
ift es aus mit den „idealen geiftigen
Gütern,” dann gehen wir in kurzer
Sammlung erfreuen. Er mag recht
viele Ausfprüche bringen über den Un—
wert und die Gefahr von Reichthum
und Macht, über die Nichtigkeit irdi—
ſcher Ehren und finnlicher Freuden,
über die Vergänglichleit aller Schäße,
an die das Weltfind fein Herz zu hängen
pflegt, aber nicht einen einzigen, der
die fittliche Anlage im Menjchen leugnet
oder ſchmäht. Die Perfönlichkeiten eines
Richard IIL, Nero, Franz Moor und
Mephifto können wir als Lehrmeifter
nicht brauchen. R.
Arm in Arm mit einem Olympier.
oa haben die Ehre, hier einen
ws
F neuen, berühmten Mitarbeiter
aufzuführen, es ift fein Geringerer,
als Seine Ercellenz, der Herr Geheim- rath ift geftorben!
rath Wolfgang v. Goethe.
Nein, Jagen wir, er ift unfterblich,
daher jeder Zeit zu haben.
Seine Ercellenz, der Herr Geheim—
ruft die Stimme.
Ja eigentlich, da Habt Ihr Recht,
Der ift geftorben! Hören wir eine |der modert in der Fiürftengruft zu
rüde Entgegmung.
Meimar. Bon diefem großherzoglichen
358
Staatsminifter ift nichts übrig geblieben, | älter fie ift, je gewohnter man fie ift,
als — Goethe. Aber der ift ums gerade | dejto mehr wirkt fr
genug. Erdurchgeiftigt die ganzedeutjche
Literatur, wenn er auch nicht immer
genannt wird; e3 gibt Vögel, die ſich das
mit feinen Federn fchmüden, und
Federn, die aus feinen Werfen ab»
fchreiben und nur den Stil etwas |
verhungen, damit man es für ihr,
Driginal halten jolle.
Obzwar Goethe ſchon länger als
fünfzig Jahre im Elyfium it, jo weiß |
er doch tapfer Beicheid in allen Fragen |
unjerer Zeit, fenmt jeden von uns ine |
und auswendig und hat für uns eine
Hille von Weisheit und Wohlwollen. |
Lefer! Der große Olympier bietet | d
‚daß man überall das Gute zu finden
Dir fomit den Arın zu einem trau—
lihen Spaziergang. Wir beglüdwüne
ſchen Dih! Er gibt Dir manches gute
Wort mit auf den Weg,
fannft Dich ſpäter ja damit empfehlen:
Goethe hat mir’s gejagt.
Alfo höre, was er ſpricht:
*
* *
Wie kann man ſich ſelbſt kennen
lernen? Durch Betrachten niemals,
wohl aber durch Handeln. Berfuche
gleih was an Dir ift.
*
= *
Jeder Menſch muß nach ſeiner
Weiſe denken: denn er findet auf ſeinem
Wege immer ein Wahres oder eine
Art von Wahrem, die ihm durchs Leben
hilft; nur darf er ſich nicht gehen
faffen: er muß ſich controlieren ;
bloße nadte Inſtinct geziemt nicht dem
Menſchen.
*
Allgemeine Begriffe und großer
Düntel find immer auf dem Wege,
enfjeßliches Unglüd anzurichten.
Ein großer" Fehler: daß man ſich
mehr dünkt als man iſt, und lich
weniger ſchätzt als man wert ift.
*
* *
Muſik im beiten Sinne bedarf
weniger der Neuheit, ja vielmehr je
und Du |
der
Die Heitigteit der Rirhenmuftten,
Heitere und Nedifche der Volks—
——— ſind die beiden Angeln, um
die ſich die wahre Muſik herumdreht.
Auf dieſen beiden Punkten beweiſ't ſie
jederzeit eine unausbleibliche Wirkung:
Andacht oder Tanz. Die Vermiſchung
macht irre, die Verſchwächung wird
fade, und will die Muſik ſich an Lehr—
gedichte oder beſchreibende und der—
gleichen wenden, ſo wird ſie kalt.
*
* *
Wahrheitsliebe zeigt ſich darin,
und zu ſchätzen weiß.
*
Man muß ER daß unter
den Menfchen gar viele find, die doch
‚auch etwas Bedentendes jagen wollen,
ohne productiv zu jein, umd da kommen
|die wunderlichften Dinge an den Tag.
*
* *
Tief und ernſtlich denkende Men—
ſchen haben gegen das Publikum einen
Deine Pflicht zu thun, und du weißt * ig
böfen Stand.
*
* *
Der Aberglaube gehört zum Weſen
des Menſchen und flüchtet ſich, wenn
man ihn ganz und gar zu verdrängen
denkt, in die wunderlichſten Ecken und
Winkel, von wo er auf einmal, wenn
er einigermaßen ſicher zu ſein glaubt,
wieder hervortritt.
= *
Ich ſchweige zu vielem ftill, denn
ih mag die Menjchen nicht irre ma=
chen, und bin wohl zufrieden, wenn
fie jich freuen, da wo ich mich ärgere.
*
*
Alles, was — Geiſt befreit,
ohne uns die Herrſchaft über uns ſelbſt
zu geben, iſt verderblich.
*
|
| auf
*
Die Redekunſt "in angewiejen
alle Vortheile der Poefie, auf alle
359
ihre Rechte ; fie bemächtigt ſich derfelben !
und mißbraucht fie, um gewiſſe äußere,
fittliche oder unſittliche, augenblidliche
Vortheile im bürgerlihen Leben zu
erreichen.
*
* *
Frömmigkeit iſt fein Zweck, ſondern
ein Mittel, um durch die reinſte Ge—
müthsruhe zur höchſten Cultur zu
gelangen.
=
> *
Es gibt zwei friedliche Gewalten:
das Recht und die Schidlichkeit.
*
* *
Es werden jetzt Productionen mög—
lich, die Null ſind ohne ſchlecht zu
ſein: Null, weil ſie keinen Gehalt
haben; nicht ſchlecht, weil eine allge—
meine Form guter Muſter den Ver—
faſſern vorſchwebt.
—
* *
Man ſagt: Eitles Eigenlob ſtinket:
das mag ſein; was aber fremder und
ungerechter Tadel für einen Geruch
habe, dafür hat das Publikum feine Naſe.
*
* *
Der Roman iſt eine
Epopöe, in welcher der Verfaſſer ſich
ſubjeckive
Wenn der Menſch Alles leiſten fol, | die Erlaubnis ausbittet, die Welt nach
was man dom ihm fordert, jo muß er feiner Weile zu behandeln. Es fragt
fih für mehr Halten als er ift.
*
* *
Gewiſſe Bücher ſcheinen gefchrieben
zu Sein, nicht damit man daraus lerne,
fondern damit man wiſſe, dab der
Verfafer etwas gewußt hat.
*
* =
Die Natur geräth auf Specifica=
tionen wie in eine Sadgaffe, fie kann
nicht durch und mag nicht wieder
zuräd: daher die Hartnädigfeit der
Nationalbildung.
*
*
Dem thätigen Menſchen kommt es
darauf an, daß er das Rechte tue; ‚dern mg
‚Im Alter die Wiſſenſchaft gering ſchätzen,
ſo foınmt es nur daher, daß ſie von
ihr und von fich zu viel gefordert haben.
ob das Rechte geſchehe, ſoll ihm nicht
tümmern.
* *
Es bleibt einem Jeden immer noch
ſo viel Kraft, das auszuführen, wovon
er überzeugt iſt.
der
ſich alfo nur, ob er eine Weiſe habe;
das Andere wird ſich ſchon finden.
*
* *
Es iſt ſchwer gegen den Augenblick
gerecht ſein: der gleichgiltige macht
uns Langeweile, am guten Hat man
zu tragen und am böfen zu jchleppen.
*
* *
So eigenſinnig widerſprechend iſt
Menſch: zu ſeinem Vortheil will
er feine Nöthigung, zu feinem Schaden
\leidet er jeden Zwang.
|
*
* *
Wenn verftändige, finnige Perfonen
+
* *
ch bedaure die Menjchen, welche
vou der Vergänglichleit der Dinge viel
Fe Weſens machen und fi in Betrach—
Die fogenannten Naturdichter find tung irdiſcher Nichtigkeit verlieren: find
friſch und nen aufgeforderte, aus einer wir ja eben deshalb da, um das Ver»
überbildeten, ftodenden, imanierierten gänglihe unvergänglih zu machen:
Kunſtepoche zurüdgewiefene Talente, das kann ja nur dadurch gefchehen,
Dem Platten können fie nicht aus- daß man beides zu ſchätzen weiß.
— man kann fie daher als N
rüdjchreitend anfehen; fie find aber .
tegenerierend und veranlaffen neue Einen Regenbogen, der eine Biertel-
Borschritte. ſtunde fteht, fieht man nicht mehr an.
*
* + * =
360
Vom eigentlih Productiven iſt
Die Menge kann tüchtige Menfchen
Niemand Herr, und fie müſſen es Alle |nicht entbehren, und die Tüchtigen
nur fo gewähren lafien.
-
* *
Eigentlich weiß man nur, wenn
man wenig weiß; mit dem Wiſſen
wächst der Zweifel.
*
* *
Wir mögen die Welt kennen lernen
wie wir wollen, ſie wird immer eine
Tag- und eine Nachtſeite behalten.
*
* *
Mannräuſchlein nannte man
im ſiebzehnten Jahrhundert gar aus—
drucksvoll die Geliebte.
*
* *
Man darf nur alt werden, um
milder zu fein: ich ſehe feinen Fehler
bege en, den ich nicht auch begangen
hätte. l
*
* *
Der Handelnde ift immer gewiſſen—
105: es hat Niemand Gewiſſen als der
Betrachtende.
*
Ob denn die Glücklichen glauben,
daß der Unglückliche wie ein Gladiator
mit Anftand vor ihnen umkommen folle,
wie der römische Pöbel zu fordern
pflegte?
*
* *
find ihnen jederzeit zur Laſt.
* — =
Wenn man von den Leuten Pflich-
ten fordert nnd ihnen feine Nechte
zugeftehen will, muß man fie gut be=
zahlen.
*
* *
Aufrichtig zu ſein kann ich ver—
ſprechen, unparteiiich zu ſein aber nicht.
*
* *
Die Zudringlichkeit junger Dilet—
tanten muß man mit Wohlwollen er—
tragen: fie werden im Alter die wahre
ften PVerehrer der Kunft und des
Meifters.
*
* *
Die Wahrheit widerſpricht unſerer
Natur, der Irrthum nicht, uud zwar
aus einem ſehr einfachen Grunde: die
Mahrheit fordert, dab wir uns für
bejchräntt erkennen ſollen; der Irrthum
ſchmeichelt uns, wir ſeien auf ein oder
die andere Weiſe unbegrenzt.
*
* *
Alle Menſchen, wie ſie zur Freiheit
gelangen, machen ihre Fehler gelten:
Wie man aus Gewohnheit mach rügen, denn das bleibt jich ewig aleich.
einer abgelaufenen Uhr Hinfieht, als
wenn fie noch gienge, jo blidt man
auch wohl einer Schönen ins Geficht,
als wenn ſie noch liebte.
* s =
Dilettantisnus, ernftlich behandelt,
und Wiſſenſchaft, mechanifch betrieben,
werden Pedanterei.
*
* *
Der Aberglaube iſt die Poeſie des
Lebens: deswegen ſchadet's dem Dichter
nicht, abergläubifch zu fein.
*
*
| zit regieren.
die Starken das Uebertreiben, Die
Schwachen das Bernadhlälfigen.
Das Gemeine muß man nicht
*
* *
Welche Regierung die beſte ſei?
Diejenige, die uns lehrt, uns ſelbſt
—
* *
Wenn die Männer ſich mit den
Weibern ſchleppen, ſo werden ſie ſo
gleichſam abgeſponnen wie ein Wocken.
*
* *
Das Abſurde, mit Geſchmack dar—
geſtellt, erregt Widerwillen und Be—
wunderung.
*
* *
*1
361
Wer viel mit Kinder lebt, wird
finden, daß keine außere Einwirkung
auf ſie ohne Gegenwirkung bleibt.
* 2 *
Ein zweijähriger Knabe hatte die
Geburtstagsfeier begriffen, an der ſei—
nigen die befcherten Gaben mit Dant
und Freude ſich zugeeignet, nicht we—
niger dem Bruder die jeinigen bei
gleichen Feite gegönnt.
Hiedurch veranlapt fragte er am
Weihnachtsabend, wo jo viele Geſchenke
vorlagen: wann denn fein Weihnachten
komme? Dies allgemeine Yet zu
begreifen war noch ein ganzes Jahr
nöthig.
*
* *
Es gibt feinen größern Troſt für
die Mittelmäßigkeit, als daß das Genie
nicht unſterblich ſei.
*
*
Man hält die Menschen gewöhnlich.
für gefährlicher als fie find. Thoren
und gefcheite Leute find gleich un—
ſchädlich. Nur die Halbnarren und
Dalbweifen, das find die gefährlichiten.
*
* *
Sich mitzutheilen iſt Natur; Mit—
getheiltes aufzunehmen, wie es gegeben
wird, iſt Bildung.
*
* *
Der Verftändige findet faſt Alles
lächerlich, der Vernünftige faft nichts.
*
* *
Wir brauchen in unſerer Sprache
ein Wort, das, wie Kindheit ſich zu
vernimmt,
‚ein Wille, den die Menge niemals
‚ausfpricht, den aber der Verftändige
den der Vernüuftige zu
‚befriedigen weiß und der Gute gern
befriedigt.
| *
* *
Es gibt keine patriotiſche Kunſt
und feine patriotiſche Wiſſenſchaft.
Beide gehören, wie alles hohe Gute,
der ganzen Welt an, und können nur
durch allgemeine freie Wechſelwirkung
‚aller zugleich Lebenden, in fteter Rück—
‚fiht auf das, was uns vom Vergan—
‚genen übrig und bekannt ift, gefördert
werden.
*
* *
Vielleicht wird man mir einwen—
‚den: Man hält die Poeſie für Kunſt,
und doch ift fie nicht mechanisch. Aber
‚ich leugne, dab ſie eine Kunſt jei;
auch ift fie feine Wiſſenſchaft. Künſte
und Wiſſenſchaften erreicht man durch
Denken, Poeſie nicht; denn dieſe iſt
Eingebung: ſie war in der Seele
empfangen, als fie ſich zuerft regte.
Man follte fie weder Kunſt noch Wiſſen—
‚schaft nennen, fondern Genius.
*
* *
Chineſiſche, indiſche, egyptiſche
Alterthümer find immer nur Curioſi—
‚täten: es ift Sehr wuhl gethan, ſich
und die Welt damit bekannt zu machen ;
zu fittlicher und äfthetifcher Bildung
‚aber werden fie uns wenig fruchten.
*
* *
Eine freie Seele kommt in Gefahr
‚frech zu werden, wenn nicht ein edles
Kind verhält, jo das Verhältnis Volt: | Wohlwollen das fittliche Gleichgewicht
heit zum Bolle ausdrüdt.
zieher muB die Kindheit Hören, nicht
dus Kind. Der Gefeßgeber und Regent
Der Er: herſtellt.
*
* *
Wer gegen ſich ſelbſt und Andere
die Vollheit, nicht das Volt. Jene wahr ift und bleibt, befigt die ſchönſte
Spricht immer dasjelbe aus, ift ver= Eigenſchaft der größten Talente.
nünftig, beftändig, rein und wahr.
Diejes weiß niemals vor lauter Wollen
was es will. Und in diefen Sinne
joll und kann das Geſetz der allgemein
ausgeſprochene Wille der Volkheit fein,
|
*
* *
„Ich glaube einen Gott!“ Dies
ift ein ſchönes, löbliches Wort; aber
Gott anerkennen wo und wie er id)
_ 362
offenbare, das ift eigentlich die Selig: | ruft aus: „Ich möchte fie heiraten,
teit auf Erden. ‚nur um fie prügeln zu dürfen.“
a | .4
Die Literatur verdirbt ſich nur in
Trefflihe Männer leben in einer, 2 : —
Art von Verzweiflung, daß ſie TE Pe die Menſchen derdor
jenige, was fie amts- und vorjchrifts-
mäßig lehren und überliefern müſſen, , —
an und ſchädlich in j mit wahrhaft Gleichgeſinnten laun
man ſich auf die Länge nicht entzweien,
FR, man findet fich immer wieder einmal
j zufammen; mit eigentlich Widerges
Welher Gewinn wäre es für's finnten verfucht man umfonft Einigteit
Leben, wenn man dies früher gewahrt | zu Halten, es bricht immer wieder
würde, zeitig erführe, daß man mit) einmal auseinander.
feiner Schönen nie beſſer fteht als — ——
man feinen Rivalen lobt. Alsdann — —
geht ihr das Herz auf, — fie macht >, bt Menſchen, die auf die
Euch zum Pertranten, und Ihr über | Mangel ihrer Feinde ſinnen: dabei
eugt Euch mit Freuden, da e eg lommt nichts heraus. Ich habe immer
feid, — * * — ge» Auf die VBerdienfte meiner Widerjacher
Hört, wenn Ihr guten Humor genug| dt gehabt und davon Vortheil ges
habt, Andern die abfallenden Blätter | FIN 2
zu überlafjen. * *
Das Publikum will wie Frauen—
zimmer behandelt fein: man foll ihnen
Ein lebhafter Mann, ummillig über | durchaus nichts fagen als was fie
da3 Betragen eines Frauenzimmers, | höcen möchten.
er
* *
Briefe über die Ehe.
Von Raymund Mayr,
(Fortfegung und Schluß.)
II | es nicht vorzieht, ſich ganz dem derben
—*— Kneipleben mit all ſeinen Ausſchwei—
% allen wir vorerft die junge, fungen hinzugeben, aus dem er für
el Männerwelt Revue paſſieren; fein Mannesalter in den meilten
„halb ift fie falt, halb ift fie roh“. Fällen phyſiſche Gebrechen oder, was
Schon der Student fühlt fein Müth- noch ſchlimmer iſt, Gleichgiltigkeit,
hen an dem flüggen Yräulein: er Stumpfheit, ja Mißachtung gegen das
knüpft zarte Beziehungen auf der Weib davonträgt. Oder er ift ein
Gafje an und macht ein Plaifir oder, eitler Schwäßer, der im Salon oder
vielmehr einen UIE daraus, wenn er im Ballſaal den Mädchen alberne
303
Schmeicheleien, glatte Afltäglichkeiten,
fagt, ein Gefühl heuchelt, das er
nicht empfindet, nicht zu empfinden
vermag, an das er nicht glaubt, und
ih für die interefliert, deren frivol=
fofettes Weſen feine Sinne reizt oder,
deren reiche Mitgift ihm ein behag« |
liches Leben in Ausficht ſtellt, die
Schönheit der Seele kümmert ihn nicht.
der Herzensdrang, die tiefe, innige
Neigung, die die Seelen verbindet.
Daher treibt auch die Liebeszeit, von
‚der die Dichter fingen und noch Mäd—
hen träumen, nur mehr die Eranfhaft
verkümmerte Blüte der Sentimenta-
lität und Eraltation oder fie bewegt
ih im Alltagsgeleiſe hohler Con—
venienz. Ich kann Ihnen diefe Zeit
Diefe blüht und duftet bejcheiden und windigen Liebesglüds mit den weni—
nur allzu oft verwelft fie al& die gen Worten jchildern: fie haben Sich
Blume der Entjfagung. Es iſt der kennen gelernt, ohne fih zu kennen,
brutal nüchterne, des idealen Auf- | fie haben ſich verliebt, ohne fich zu
Ihwungs bare Sinn der männlichen lieben, fie Haben fi) dann verlobt,
Jugend, der auch die weibliche ent- um ſich vielleicht zu Heiraten. Aus
feelt. Die Unſchuld, die zarte Blüte einer folchen Blüte wird dann auch
des Gemüthes, die im Marne zur | eine kümmerliche Frucht ; die im Taumel
HDochherzigkeit, zur edlen Treue reift, der Berliebtheit oder aus materiellen
beiigt heutzutage oft der Knabe nicht Gründen geſchloſſenen Ehen ſind ſelten
mehr; eine begreifliche Erſcheinung iſt glücklich, ein langer Brautſtand, der
dann die blafierte Ueberlegenheit der den Liebenden Gelegenheit giebt, die
Jünglinge. Echtheit und Beſtändigkeit ihrer Nei—
Wer aber vom Weibe gering denkt, gung zu erproben, zeitigt immer eine
der mißbraucht es vor der Ehe und beſſere Frucht; die Liebe, die durch
mißachtet oder mißhandelt es in der, Leiden und Kämpfe geht, erringt mit
Ehe. Und wenn diefe als Joch, als | ihrem fchmerzgebornen Glück zugleich
Gefängnis — matürlih nur für den die tiefe Inmerlichleit und Weihe und
Mann — verjpottet wird, wenn er die Jugendliebe, die freu und freudig
fie als den bequemen Dafen betrachtet, ansgeharrt, grünt auch in der Ehe
in dem er nad den Stürmen feiner frifch und Fröhlich fort. Ich kann nicht
Jugend, led an Geift und Körper, umhin, Sie hier an die bekannten,
Anker wirft, wenn unglückliche Chen oft citierten Worte Schiller's zu er—
auf Schritt und Tritt wie Denkſteine innern:
begrabener Träume, Wünſche und)
Hoffnungen warnend auf dem Lebens—
wege ftehen, im welchem Lichte muß
die Ehe der Jungfrau erfcheinen ? Sie
fieht, warum die Männer heiraten: | Sehen wir uns nun borerft die
der Eine braucht eine Pflegerin, ein vornehme Ehe an. Bon der Hoch—
Anderer eine Daushälterin, der Dritte zeitsreife aus Paris oder Italien,
eine Frau zur Repräfentation, der wie es die Mode verlangt, zurüdges
Vierte die Mitgift für fein Geſchäft, lehrt, tritt das Paar in ſeine neue
der Fünfte heiratet zum zweiten Male geſellſchaftliche Stellung ein; fie machen
feiner Stinder wegen, der Sechäte wird und empfangen ihre Beſuche, je mehr,
Thor in feinen alten Tagen und freit deſto beſſer, er führt ſeine junge Frau
ein junges Weib, der Siebente will's in die Welt-Promenaden, Concerte,
einmal mit der Ehe probieren — die, | | Theater, Soireen, Bälle, ein Vergnü«
facramentale Zahl ift voll. Ein ober= | gen jagt das andere. Wie freien fie ſich
flächliches Gefallen, das Strohfeuer ihrer Jugend, ihres Glückes! Er it
der Verliebtheit, fehließt in diefen und ftolz auf feine Frau, auf ihr gejell«
den meiften Fällen den Bund, felten ſchaftliches Raffinement, aufihre Schöne
„Drum prüfe, wer fi ewig bindet,
Ob fih das Herz zum Herzen findet,
Der Wahn ift furz, die Neu’ ift lang.“
364
heit, auf ihre Toiletten; ſie ſchwelgt | wahr geichildert ? Bedenten Sie, gnä-
im eitlen Stolze, als Fran bewundert, |dige Frau, dab fie der Gegenftand
umjchwärnt, von den Mädchen beneidet |der allgemeinen Aufmerkſamkeit iſt,
zu fein. So verrauſcht das erfte Jahr, daß man auf fie Tieht und fie wie
die Schönfte Zeit der Ehe. Aber ihre eine Mode nahäfft, wie eine noble
ftillen, innigen Freuden, die im trau- Paſſion. Die Eorruption verbreitet ich
lichen, häuslichen Beifammenfein, im ja immer von oben nach unten, denn
jeligen Alleinfein des jungen Liebesz | fie beginnt da, wo der Luxus herrfcht,
glüdes blühen, Haben fie nicht gemoflen | und jo Hat auch die bürgerliche Ehe
und jo Haben fie es verläumt, ihre ihr gefundes, kräftiges Weſen längft
Liebe dauernd zu begründen. Sie verloren. Die Sucht, es Andern gleich
gehen im leeren BVBergnügungen und zu thun und mehr zu gelten, als man
Aeußerlichkeiten auf, und das innere iſt, ſchädigt tief ihr inneres Leben.
Leben des Geiftes und Gemüths, das | Die Genußſucht ift auch der Krebs—
allein die Bürgſchaft ift für das Glüd | ſchaden der bürgerlichen Ehe, der die
der Ehe, bleibt ihnen verloren. Sie, | Zufriedenheit, die Freude an der Häus—
die mit Sorgen und Entbehrungen, | lichkeit, die Eintracht zeritört, und da—
diefen gefährlichen Feinden der Ehe, | durch noch verderblicher wirkt, daß die
nicht zu kämpfen haben, die die Mittel | Gatten auch in ihren VBergnügungen
befigen, ihr Leben mit allem Schönen | verfchiedene Wege gehen. Bor Allen
zu umgeben, im edlen, geiftigen Ger | aber if das Wirtsbausteben des Mannes
nüffen ihr Empfinden zu läutern und die Quelle ehelicher Zwietracht. Wenn
in dieſem Beftreben zugleich ihre Herzen | er ſchon nach dem erften Jahre, oft
immer feſter aneinanderzufchließen : fie | fon nah den Flitterwochen, feine
haben im den meilten Fällen fein Ver- alten Gewohnheiten, die im täglichen
Händnis dafür; gewohnt, nach außen | Beſuche des Wirts- und Kaffeehaujes
mit anderen Menjchen zu leben, lang- beitehen, wieder aufnimmt und feine
weilen ſie fih, wenn fie allein find | Mupeftunden, die feiner Fran gehören,
und werden jo Sich fchließlich fremd. | bei feinen Spiele und Zechgenoſſen
Sie verfammelt ihre Freundinnen in verbringt, wenn feine Zärtlichkeiten
ihrem Salon zu Saffee, Thee und ſich in Derbheiten, ja in Brutalitäten
Medifance, er treibt allerlei Baflionen. | verwandeln, jo führt er die Enttäu—
Bald entartet dieje Zerftrenungsincht: | ſchung herbei, der dann Gleichgiltigkeit
fie gefällt fich in pifanten Liebesafferien, | und Abneigung folgen. Diefe Iuftigen
er ſouteniert Theaterdamen, Jedes geht | Gefellichaften, in denen die Zote Herrfcht,
jeinen eigenen Weg, welchen fie nicht | die den Geift verflahen und das Ge—
jelten vom Altare weg mad) gegen- müth verwildern! Kaun der Manır,
jeitigem Uebereinkommen einschlagen. |der die Gattin um folcher Vergnü—
Selbft in dem Kinde, das ihnen der gungen woillen vernachläffigt, fie be=
Himmel ſchenkt, Finden fie micht das |glüden, kann er fie ftart und edel
Glüd der Häuslichkeit, das Glüd der|beherrfhen? Er wird vielmehr, um
liebevollen Elternforge: die Mutter, | würdig zu vollenden, Diejenige, die
die natürliche Pflicht einer falfchen | über feine Lieblofigkeit ſich abhärmt,
Eonvenienz unterordnnend, Hat es nur|deren Summer ein ftiller Vorwurf für
geboren, um es von bezahlten Menfchen | ihn ift, und die ihn langweilt, fchlechter
pflegen und erziehen zu laſſen; fie| behandeln, als Diejenige, deren Leicht»
will durch dasjelbe in ihren geſell- finm ihm bequemer ift, die durch Vers
Ihaftlihen Gemohnheiten und Rück- | ftellung und Sofetterie feinen Launen
lichten nicht geftört, fie will micht | und Sinnen zu fchmeicheln weiß. Es
Mutter fein. . ift eine traurige Thatfache, daß die
Habe ich die vornehme Ehe zu — | unmürdigften Männer die beiten Frauen,
— — — — — — —
365
und die herzlofeften rauen die beiten
Männer heben. Wenn wir dies nicht
als ein brutales Naturfpiel anjehen
wollen, fo gibt es mur die eine Er-
Härung dafür, daß die Ehen zu leicht:
finnig geichloffen werden. Und dabei
it der Mann der aggreflive Theil, e3
wäre denn, daß er Jich aus leichtgläu—
biger Verliebtheit umgarnen läßt, und
eh’ er ſich's verliebt, im Joche gebt;
wie aber Geſetzesunkenntnis nicht ent—
Ihuldigt, jo ift der Mann auch für
feine thörichte Heirat und das daraus
folgende Unglüd verantwortlid. Er
fann ſich darüber tröften und thut es
auch gewöhnlich, während die Frau
im Banne ihrer Häuslichkeit, bei ihren
Kindern ihr Alleinjein doppelt ſchmerz—
ich empfindet. Die Frauen Hagen aljo
nicht mit Unrecht, daß die Männer in
der Ehe ſich jeher zu ihrem Nachteil
verändern, daß fie gleichgiltig, launiſch,
profaifh werden, daß fie von den,
was fie als Bräutigame verheißen
und veriprochen, nichts erfüllen. Wür—
den die Männer ihre Frauen zu ihren
Lebensgefährtinnen im beiten Sinne
des Wortes machen dadurch, dak fie
diefelben an ihrem innern und äußern
Leben theilnehmen laffen, jo würden
fie Geift und Gemüt ihrer Frauen
beichäftigen und befriedigen und dieſe
würden nicht auf leere Vergnügungen
verfallen, ja derſelben ſich vielleicht
allmählich entwöhnen. Es kommt nur
anf die richtige Behandlung au, und
Sie werden mir gewiß zuſtimmen,
gnädige Frau, wenn ich behaupte, daß
das Weib, es müßte denn ein Unge—
heuer an Hochmuth, Launenhaftigteit
und Oberflächlichkeit fein, immer zu
beiiern und für das wahre Glüd der
Ehe zu gewinnen ift, wenn der Mann
mit ſtets gleicher Güte, Derzlichleit und
Liebe, der in manchen Fällen etwas
von der fraftvollen Energie eines
Petruccio beigemifcht fein kann, au
dDiejem Werke arbeitet. Ach kann es
mir wenigftens nicht denfen, daß ein
ganzer Mann nicht ſollte jein Weib
zum Rechten lenken können — mir,
fällt dabei das Märchen vom Zorn—
braten ein. Zarter drüdt ſich der be=
kaunte Bodenftedt’she Spruch aus:
Frauenfinn ift wohl zu beugen,
Iſt der Mann ein Mann und jchlau..
Man kann mit dem „beugen“
zufrieden fein. Freilich Fehlt unjerer
heutigen Männerwelt das gejunde,
fraftvolle Wefen, das das Weib zum
anſchmiegenden Gehorfam zwingt, und
jo find fie emtweder armjelige Pan
toffethelden, von Ihren Frauen mehr
bemitleidet als geliebt, oder frivole
Lebemänner, brutale Philifter und
tyranniſche Pedanten, von ihren Frauen
mehr gefürchtet al$ verehrt. Das ſtarke
Geſchlecht iſt alfo auf dem beften Wege,
feine Hegemonie über das ſchwache zu
verlieren.
Wenn in der arten römischen Re—
publit der Mann der abjolute Herr
feiner Frau war, und die Ehe als
strenges Nechtsinftitut eine feltene,
allerdings ſeelenloſe Reinheit zeigte,
jo war das wohl ein Zuftand, der
fih mit einem aufgellärteren Rechts—
bewußtfein verlieren mußte, obwohl
die Spuren der väterlichen Autorität
ih bis ins vorige Jahrhundert ver—
folgen laffen. Der heutigen Ehe nun
könnte, zum Vortheil ihrer Eintracht
und ihrer erſten Prlicht: einer ver-
Händigen, einheitlichen Kindererziehung,
ein größeres, dem humanen Charakter
unferer Zeit entiprechendes Maß von
männlicher Superiorität, ich möchte
jagen ein mänmnlicherer Geift nur för—
derlich fein. Freilich ind Ernſt, Tiefe
und Kraft, die männlichen Tugenden,
aus dem gejeflichaftlichen Leben ges
Ihwunden und es Herrchen Eitelfeit,
Egoismus und Eigenjinn, die männ—
lihen Schwächen, in demjelben und
daher auch in der Ehe; die weiblichen
wuchern dabei ebenfalls im üppiger
Blüte und jo ift die Ehe der Tummel—
plaß aller Mihverftändniffe und Ver—
fehrtheiten, Statt die Stätte reinen,
zufriedenen, ſchönen Wirfens und Ges
nießens.
366
II Frucht gegenfeitigen Erkennens ift, die
" | Derzen untrennbar verbindet — und
Cie find meinen Ausführungen noch zuweilen ihr goldenes Licht in
mit liebenswürdigem Intereſſe gefolgt, |das wüſte Menjchentreiben wirft.
gnädige Frau, und ich jehe in Ihren Es heißt, daß in der Ehe alle
Augen einen Schimmer freudiger Zus Poen hinſchwinde und die nüchternſte
ſtimmung — trotzdem fürchte ich des |". „eyg.: j ae
Guten Khon zu vie gethan zu haben, Wirtlichteit N: nr es gibt eine
denn obwohl Bücher über die Ge Poeſie, welche ber Siebe das Derz und
. der Ehe die Seele gibt, die das Weib
gefchrieben worden find, jo meine ih |, M — ie die Erd
doch, die Quinteflenz davon laſſe ſich ns — —— er a dei er
. 0. den Himmelsthau: es ift die Poelie
in prägnanter Kürze am eindrings | .g far hingebenden Gefühls, die
lichften zu Gemüthe führen. Es iſt — —— ee,
ae =. ; Poeſie der Treue. Aus ihr quillt alle
freilich dabei die Frage, ob Überhaupt S Hänpeit alle Freudigkeit und Zu-
eine folhe Wirkung ausgeübt werden icht a 3
fönne, ob im Lärm und in der Genus verſicht.
ſucht des heutigen Lebens die zur Ein— Menn Zwei, die fich in Freuden
fachheit mahnende Stimme gehört werde. |und Leiden erprobt und ohne Falſch
Man liest jo viel, daß man die rechte gefunden haben, für das Leben ver-
Empfänglichkeit für tiefere ae aus der Kirche treten, fo tragen
jchon verloren hat, und man ift fo fie die Seligkeit und Demuth als Heilige
jeher auf Unterhaltung erpicht, daß Flammen im Herzen in ihr Heim, Da
man die heitere und pifante Lectüre | herrfchen die Genien führer Eintracht,
jeder andern vorzieht. So würde ein | heiterer Zufriedenheit und opferwifligen
jrivoles Buch über die Ehe Auflage | Pflichtgefühle. Ihr Haus, das mur
um Auflage erleben, aber den ernften, trauliche Behaglichkeit erfüllt, ift ihre
die Gorruption aufdetenden Aufſatz Welt; jelten ſuchen fie Vergnügungen
darüber wird man langweilig finden. |auf und immer gemeinfam. Sie nimmt
Man will ja nicht an das felbjtver- Jan feinem geiftigen Leben, an der
ſchuldete Unglüd erinnert werden, man | Arbeit und den Sorgen feines Berufes
vermeidet es, in den Spiegel zu fehen, |verftändnisinnig theil, er Hört Ihr
im dem man fein blafiertez und leiden- gerne zu, wenn fie von ihrem häus—
Ichaftsverzerrtes Antlitz erblidt. . . . lichen Schaffen erzählt; fie begeiftern
Vergebung für diefe Abirrung! Nicht ſich an allen Hohen und Schönen in
mit dem Mißton zorniger Erregung, Kunſt und Literatur; in weiten Wan—
fondern mit dem reinen Accord bes |derungen ftärfen fie ihren Körper und
geilterten Aufſchwungs, mit dem er= |erfreuen und erfriichen fi an der
hebenden Ausblick in jchöneres Gelände | Herrlichkeit der Natur. Wie eine Mutter
will ich meine Briefe ſchließen; ich iſt fie um Ihn bejorgt: fie Hütet feine
will Sie aus der Wirklichkeit in eine | Gefundheit, bereitet ihm taujfend Be—
Ideal-Ehe entführen. Denken Sie da= | quemlichkeiten; fie ift feine Freundin,
bei nicht an eine romanbafte Liebe, die mit Zartgefühl und Feinſinn ihn
die in ungefunder Sentimentalität Hinz |zu behandeln weiß; fie ift fein guter
Ihmachtet, oder alle Ertravaganzen | Kamerad, der im Unglüd ihm treu
durchläuft, nicht am die im Treibhaufe zur Seite fteht. Er liebt und verehrt
elterlicher Fürforge künftlih groß ge= | fie darıım mit immer größerer Jnnigfeit;
zogene gehorfame „Liebe“ der für ihre Heinen Fehler überfieht er, feiner
einander beftimmten Kinder, noch an eigenen Schwächen gedentend, die er
jene jchnellen, eine Heirat erzwingenden |einzugeftehen gerecht genug ift. Sein
Verlobungen, fondern an die geſunde, | männlich Starkes, offenes Weſen ift ihr
innige Liebe, die die langſam reifende | Hort, ihr Glüd, ihre Schöne, reine Weib-
367
lichkeit entzüdt und erhebt ihn und fo
ergänzen und veredeln fich Beide.
In ihren Kindern aber leben fie ein
höheres Leben. Der Segen der Eltern—
liebe, die fie gebildet, ift der Genius,
der am ihrer Wiege fteht. Mit inniger
Freude, mit liebevollem Ernſt, eine
trächtigen und verftändigen Sinnes
erziehen fie ihre Kinder zu nützlichen,
gemüthvollen Menjchen. Durch ihr ine
neres, reiches Leben wirlen fie ſegens—
voll nah außen; aber ihre Familie
ift ein ſtreng geichlofj’ner Kreis, un—
berührt von fremden Einflüffen, ein
fleiner, doch blüihender, mächtiger Staat.
Die Frau, die nur ihrem Manne
und ihren Kindern lebt, mag in der
Geſellſchaft befpöttelt werden und für
einfältig gelten, aber in Wahrheit ift
fie gleich einer Königin mit allen weib-
lihen Tugenden geſchmückt, vor denen
die Damen der Geſellſchaft mit ihrer
fofetten Liebenswiürdigfeit und ihren
glänzenden Zoiletten betteların find.
Auch der Mann ehrt die Reinheit und
Würde feines Hausftandes, fein Fa—
milienfinn und feine Treue mehr als
allen äußeren Glanz und die bejtechend-
ften Eigenfchaften, und er wird im
Öffentlichen Leben nachdrücklicher und
woblthätiger wirken durch feinen in
Gatten- und Waterliebe geläuterten
Charakter. Allen Anfechtungen und
Lebensweg wandeln, fie nüßen in gleicher
Weiſe durch ihre leuchtendes Beifpiel.
Die Ehe ift fo von tiefem und
weittragenden Einfluß auf die einzelnen
Menfchen, die fie über ihr kleines
Selbſt erhebt, und auf die Geſammt—
beit, indem fie Sitte und Sittlichkeit
feftigt und fördert. Das ift ein be—
fanntes, aber leider nur theoretiich
gewürdigtes culturgefchichtliches Arion.
Es gebe weniger Elend, moralijches
und materielles, wenn die Ehen, ich
ſage nicht glüdlicher, aber einträchtiger
wären; Zwietracht erzeugt Unzufrieden—
heit, Erbitterung, Daß, die Ordnung
und Wohlfahrt des Haufes, der Exi—
ſtenz werden untergraben, Verwilderung
und Elend brechen herein. . .
Und ift die Eintracht ein jo un—
erreichbares Ziel? Wenn die Ehe nicht
mehr nur den Geldintereffen und an—
deren materiellen Motiven diente, wenn
fie nicht mehr oberflächliches Gefallen,
fondern gegenfeitige Neigung bei freier,
vernünftiger, d. h. entfprechender Wahl
Ihlöhe, dann wäre wohl die erjte Be—
dingung der ehelichen Eintracht erfüllt.
Freilich muß auch die Erziehung der
‚jungen Generation eine andere, eine
‚weniger äußerliche, und mehr das Ge—
müth bildende fein; vor Allem aber
‚muß eine edlere Auffaflung der Ehe
plaßgreifen, oder fie müßte, wie einft,
N)
Tüden der Menfchen begegnet er mit in die engen Grenzen einer frengen
Gleichmuth, in den Stürmen des Ge: | Sitte gebannt werden. Ein noch fernes
ſchices fteht er feft und ohne Wanken. Ziel — und doch liegt hier die Wurzel
Mann und Weib in umerfchütter- |der gejellichaftlihen und Staatlichen
liher Eintracht, im förperlicher und | Wohlfahrt, denn der wahre moralische
geiftiger Gefundheit, wie fie echte Liebe | Fortſchritt muß bei der Ehe anfangen.
gibt — was fann da kommen, ihren Es war ein Blid in das gelobte
Frieden und ihr Glück zu ftören? die Land der Ehe, gnädige Frau, der uns
Armut drüdt und erniedrigt fie wicht, mit Wehmuth, aber auch mit der
der Reichthum macht fie nicht Hoch» | Hoffensfreudigfeit erfüllen mag, daß es
müthig und hart. Ob fie nun auf) fpäteren Generationen einmal befchieden
folzer Höhe ftehen oder ftifl ihren ſei, dasfelbe wieder zu betreten.
Soll der Scaufpieler während der Darktellung —
oder nicht?
Bon Eugen Sierke.
yo Zeit zu Zeit pflegt dieſe Dieſe Widerfprüche laffen ſich leicht
— M Streitfrage immer wieder auf- erklären. Sie beweiſen eben die Ver—
— und die ſtärkſten Meinungs-⸗ ſchiedenartigleit der Gaben und Talente,
fämpfe hervorzurufen. Daß das große mit denen die Damen ausgerüſtet
Publikum, welches nur die Wirkungen waren.
des fünftlerifchen Schaffens, nicht aber Mer Menfchen darftellen will, ſoll
die Mittel desfelben intereſſieren. 1id) | und ihr Inneres glaubhaft machen.
bierüber wie über andere das Weſen Nicht die bloße, durch Uebung zu er—
der Schaufpieltunft betreffende Theorien | Ternende Fähigkeit der Nachahmung in
meiſt im Unklaren befindet, wird nicht Geberde, Ton, Bewegungen und Maste,
verwunderlich erjcheinen. Wohl aber fondern die fiberzengende Wahrheit in
muß es befremden, daß ſelbſt in den ‚der Ausmalung der Seelenzuftände
Kreifen der ausübenden Künftler eine macht den Sünftler aus. Es ſoll uns
große Begriffsverwirrung befteht, die fremdes Leid, fremden Zorn, Fremden
fich gelegentlich zeigt, wenn man auf Haß, Nührung, Jubel, Ergriffenheit,
die Zeugnifle der Berufsgenoffen zurück— Verʒweiflung und wie die tauſend—
greift. fältigen Erregungszuſtände der Seele
Bor einigen Jahren trat dies wie— ſonſt heißen mögen, fo darftellen, daß
der in überrafchender Meile zutage. die Abſichten des Dichter: zu er—
als Jemand eine Reihe von Künſtle- ſchöpfendſter Geltung gelangen und wir
vinnen zu Aeußerungen über ihre, glauben, die veredelte Wirktichkeit auf
Empfindungen beim Spiele aufgeforz | der Bühne zu fehen. Man nennt das
dert hatte. Wie geumdverfchieden lau- die Erzeugung der künftlerifchen Illu—
teten damals die Auffchlüffe! Die Eine‘ ‚fion. Mie vermag der Künstler Diele
behauptete, ganz über den Empfin= ‚Vollendung in der Nachahmung der
dungen der Rolle zu ftehen, die Ans | Natur anders zu erreichen, als indem
dere, ganz im denfelben aufzugeben, er ſich an die darzuftellende Geftalt
eine Dritte wußte nicht einmal darüber gänzlich hingibt, mit ihr Eins wird
Rechenſchaft zu geben, wie ihr zu und alfo gewilfermaßen mit feiner
Muthe fei, und eine Vierte erllärte, | Perfon in ein fremdes Ich untertaucht ?
dag ſie fih in das Seelenleben ihrer Denn nur dann entfteht die künftlerifche
Nolle nur dann vollftändig einzuleben
und es fich anzueignen vermöge, wenn
die Geftalt ihr wahlverwandt jei, dann
aber auch den höchſten Grad von Poefie,
deilen ihre Seele fähig ſei, in diefelbe
bineinzulegen. Und wohlgemerkt waren
alle Zeuginnen Darftellerinnen
Bedeutung.
von
Illuſion im Zuſchauer, wenn fie fich
vom Darfteller auf diefen überträgt.
Nur wahre Kunſt wirkt auch auf
Andere mittheilend. Und nur das iſt
‚wahre Kunſt, was auf alle urfprünglich
funftempfänglichen Seelen gleich er—
greifend wirkt. Ein Schaufpieler, der
den Dichter zu feinem Rechte und den
369
Zufchaner zu feinem vollen Genuſſe ſchönheit zu wahren wiflen, dem Zone
fommen lafjen will, muß alfo vor | die abwechslungsreichen Färbungen ver=
allen Dingen die Lebhaftigkeit der leihen, die Stärke der Accente richtig
PhHantafie, die poetiſche Aufnahms- | bemeifen und überhaupt im begeifterten
jähigfeit und die Schnelligkeit des | Schwounnge ihrer poetifch erregten Seele
Hineinlebens in ein fremdes Sein gewiſſermaßen hellſeheriſch die rechten
befigen, welche die unbedingte Bor: Kunſtmittel wählen und den Zufchauer
ausfegung des Geſtaltens einer —— dadurch ergreifen. Aber auch
den Perſönlichkeit bilden. Schmerz ganz das Gegentheil läßt ſich beobach—
und Freude, Zorn und Verzweiflung, ten. „Es gibt Schaufpieler von Ein—
Liebe und Haß müfen aus dem ficht und Gefühl,“ jagt Iffland in
mitbewegten eigenen Innern des feiner Theorie der Schaufpielfunft,
Künftlers quellen, alle Empfindungen | „von fo reizbarem Gefühl, daß ihre
und Bewegungen des darzufteflenden | Thränen wirklich fließen, wenn fie
Seelenlebens einen Antheil an feinem |xührende Sahen auf der Bühne zu
eigenen Innern befigen. Aber mit reden haben; gleichwohl find fie ſo in
diefem Vermögen, das lebendig er: | Manier verloren und verfunfen, daß
faßte innere Sein einer dichteriichen | ihr Ton fortwährend unwaähr bleibt,
Verfönlichkeit auf die eigene Seele | indem ihre Thränen die Wangen hinab-
ſtimmend und erregend einwirken zu | laufen. — Dahin kann der Mißbrauch
laffen, um dann Die betreffenden von Tönen führen, deren janfte An—
Affecte aus dem eigenen Born dich» fchwellung und wallende Bewegung
terifcher Mitempfindung zu ſchöpfen das Publikum vormals entzüdt Hat,
und zur Barftellung zu bringen, |und die, weil man des Guten nicht
ift noch fein wirklich fünftlerifches | genug haben konnte, im zitternde, lang
Schaffen gegeben. In der Jugend und | gedehnte, jeelenlofe Verſchleppung aus—
bei leicht flimmbaren Gemüthern wird | geartet find. Wollten fie ernftlich dieſem
freilich die ehrliche Begeifterung für großen Uebel abhelfen, fo jollten fie
edle Menschlichkeit, das gerührte Mit: | ſich gewöhnen, rührende Stellen eine
gefühl mit dem Schmerze und dem |zeitlang ganz ruhig auszufpredhen, um
Unglüd Hinreihen, um die Grunde nur mach und nad, fehr felten, und
forderung des Kunſtſchaffens zu er- fogar noch weniger als von Anfang,
füllen, die Leffing alfo formuliert: den Ton wieder zu gebrauchen, der
ihnen eigen ift und Antheil gewonnen
Kunft und Natur hatte. — Gewöhnlich aber hält es fehr
e i d Bü Gi 3 ’ . 3
u N —* An —— ſchwer, es iſt ſogar beinahe unmöglich,
Dann hat Natur mit Kunft gehandelt. Schauſpielern, welche in dieſen Fehler
verfallen find, die Ueberzeugung zu
Dies gilt mamentlih von den geben, dab fie im Unrecht find.” —
Janften, empfindungsvollen Frauen- Hieraus ergibt fi, daß die bloße
geftalten und von den feurigen, ſtür- | Fähigkeit der Aneignung dichteriicher
miſchen Jünglingen. Wo aber die) Empfindungen für ein vollfommenes
Iprifchen Grundtöne aufhören, da würde | fünftlerifches Schaffen bei Weitem nicht
der bloße Empfindungsichaujpieler for | ausreicht. Die Schlußfcene in „Maria
fort im rathlofe Verlegenheit gerathen. | Stuart“ wird in jedem moch nicht
— 63 gibt Schaufpieler, mehr aber | ganz abgeftumpften Frauengemüth —
noch Schaufpielerinnen, die inflinct | deilen fann man wohl gewiß fein —
mäßig in derlei Rollen, im denen fie | die gerührtefte Mitempfindung erzeu—
eben voll und rein die Schön geſtimmten | gen, und dennoch: wie felten ſieht man
Saiten ihres eigenen Innern erflingen | gerade diefe Stelle künſtleriſch befrie—
laſſen dürfen, die Grenzen der Kunſt— |digend, d. h. mit der ganzen ſeelen—
Rofegaer's „„Grimaarten‘*, 5. Geft, XI. 24
370
vollen Hoheit überirdiſcher Verklärung,
die Schiller darin ausgedrückt hat, zur
Wiedergabe bringen.
Ich kenne eine große Schaufpie-
lerin von Weltruf, die, wenn fie rüh—
rende Scenen darzuftellen hat, Scenen,
in denen ihre Figur Die Trägerin |
ſchweren Leidens bildet, fich von der
Eituation jo beherrfchen läßt, daß fie
die bitterften Thränen weint und im,
dem dichterifchen Schmerze ganz auf:
geht, und dennoch ift ihre ſonſt mit,
Recht fo gepriefenes Spiel in ſolchen
Augenbliden keineswegs von vollendeter
Kunſtſchönheit, fondern es wirft weis
nerlich. Sie weil; die Töne nicht fünft-
leriich abzumägen. — Aehnliche Be—
obachtungen fann man bei Männern
machen. Obſchon die Zahl Derer, die,
wie man es in der Hunftiprache nennt,
in ihrer Rolle wirklich leben, immer
jeltener wird, fo gibt es ihrer doc
noch an manchen Bühnen. Es find
meift junge, gährende Talente von
außerordentlih ſtarker Phantafie und
der noch underdorbenen Sugendbegeiftes
rung für den noch wenig erprobten
Beruf, feurige Stürmer, in denen die
heilige Flamme der Poefie noch un—
entweiht lodert und die dem frommen |
Wahne huldigen, daß jie mit der ganzen
Macht des in ihnen wohnenden heiligen
Geiſtes, wenn fie nur ihre volle fünft-
leriſche Perföntichkeit einfeßen, Bergever-
fegen können. Sie jpielen am liebſten
den Ferdinand in „Gabale und Liebe“,
denschaft wie ein Zerrbild! Immer
noch ſehe ich einen höchſt talentvollen
jungen „Meininger”“ durch dieje vöflig
naturaliftifche Spielweife die fchönften
| Anfäße verderben, die Laien befremden
und abftoßen, die Nenner dagegen
mit theilnehmenden Bedauern erfüllen.
‚Schade, ſchade, ſagle man, um fo viel
edles Feuer.
Mit der bloßen Unmittelbarfeit der
‚Empfindung | rihtet man, wenn man
nicht gerade ein ſchauſpieleriſches Genie
iſt, ebenſowenig aus, wie mit der
feinſten, verſiaadesmaßigen Klügelei.
| Gewiß ift große natürliche Leiden-
Schaft unter allen Umftänden ein Kenne
zeihen genialer Anlage. Aber den
Künſtler macht fie allein nicht, und
der Berblendete, welcher etwa glaubt,
ih auf fie ausſchließlich verlaffen zu
dürfen, wird im nicht zu langer Zeit,
wenn er Fühler und älter geworden,
ein unleidlicher Manierift und Fratzen—
macher werden. Man Hut dies au
großen Borbildern erlebt. Ich nenne,
um nicht neuere zu verlegen, nur einen
als Beijpiel: Wilhelm Kunſt. Was
Diderot über diefen Punkt in feinen
Bernerkungen über das Spiel Garrid’s
bemerkt Hat, ſtimmt mit dem heute
gangbaren Auffaffungen noch voflftäns
dig überein. Er verlangt daß der
Schaufpieler in feiner Thätigfeit immer
ein deal vor feiner Phantaſie lebendig
ftehen babe, nach dem er die Nach—
ahmung der Natur veredelt. Wer ſich
den Mortimer in „Maria Stuart“, nur feinem perjönlichen Empfinden
ja fogar der bei den Theaterleuten fo | überläßt, gibt ungelänterte Natur und
ſehr verpönte Bradenburg iſt ihnen ! wird, je nad) feiner Stimmung, bald
eine begehrenswerte Aufgabe, wie über: | gut, bald ſchlecht fpielen. Nicht die
haupt alle idealen Jünglingsgeftalten, | Junprovifation, fondern nur das Durch—
in denen eine flammende Leidenschaft denien feiner Rolle kann feine Schöpfung
der Liebe und wilder Schmerz den auf die Stufe des höheren Kunftichaf-
tragischen Grundton bilden. Wehe der | fens erheben. Vor allen Dingen ift
Liebhaberin, die ihnen zu nahe fommt | natürlich diefe geiftige Durchdringung
— Sie Hat am anderen Tage blaue dann nöthig, wenn der Darfteller eine
Flecken und zerriffene Spigen. Aber | Geftalt harakterifieren und ihr be=
wie ſelten liefern dieſe vulcaniſchen lebende Einzelzüge verleihen will. Da
Kraftgenies künſtleriſch befriedigende wir es hier aber vorzugsweiſe mit der
Schöpfungen! Wie oft klingt ihr Ton | Unterſuchung des Verhältniſſes des
ſchrill, wirkt ihre Accentuation der Leis | Affectes und des Pathos zum Künſtler
zu thun Haben, fo kann diefer Punkt
unausgeführt bleiben.
Am beften Hat unftreitig Shake—
jpeare im „Hamlet“ die Frage nach
der Empfindung des Schauspielers be=
handelt. Auch er verlangt vom Schaue
jpieler Empfindung, aber fie ſoll von
der künftlerifchen Einficht in den rechten
Grenzen gehalten werden. Es ärgert
ihn, wenn die Schaufpieler die Leis
denſchaft ſtoßweiſe und im ungleichen
Verhältniſſen geben, wenn ſie dieſelbe
„in Fetzen, in rechte Lumpen zer—
am
denfen. Nur der mittelmäßig begabte,
und geübte Darftellee wird beftändig
feinen Geift in den Partien des Her—
zens und der Leidenschaft als Patronifle
umberjenden müſſen, die „Halt, wer
da?” ruft, Jobald ein großer Moment
naht. Um beim Spiele zu wiljen, wie
weit man zu gehen hat, ift das Stu—
dium der Nofle, find die Proben da.
Iſt der ſelbſtſchöpferiſche Künſtler (und
nur don dieſem kann hier die Rede
ſein) hierüber mit ſich im Reinen, hat
er durch die lange Schule der Uebung
reißen, um den Gründlingen im Par- gelernt, ſich im Zügel zu halten, fo
terre in die Ohren zu donnern, die) wird er nicht nöthig haben, die aljo
meiftens von Nichts wiſſen, als ver: | verdaute Rolle Abends auf der Bühne
worrenen, ſtummen Pantomimen und‘ von jeiner Selbftbeobadhtung kritiſch
Lärm.” Man muB fich Hierbei daran gängeln zu laſſen. Die fißt ihm feſt
erinnern, daß die dramatiiche Literatur im Blute; er kann fie gar nicht anders
zu Shakeſpeare's Zeit vorzugsweise! fpielen und thut's auch nicht. Wie oft
aus rohen, lärımenden Staatsactionen | habe ich beobachtet, daß ein Schau—
beftand, bei denen die Schauspieler fich | Ipieler, der eine Nolle mern fhudiert
im Bombaft und Toben zu überbieten | hatte, diefelbe von A bis 3 in der=
juchten. Daß er die durch künſtleriſche ſelben Weiſe ſpielte, obſchon man ihn
Beſonnenheit controlierte und geleitete überführt hatte, daß er hier und da
Mitempfindung nicht verwirft, beweist ſich geirrt — es iſt eben unendlich
die Scene, in welcher der Schaufpieler | Schwer, das, das man einmal künſt—
die Probe liefert. leriſch in fih aufgenommen und fich
Ifl's nicht erftaunlich, daß der Spieler hier, | I eigen gemacht, nachher zu cortt«
Bei einer bloken Dichtung, einem Traum | gleren, umzugeftalten und gewiſſer—
Der Leidenihaft, vermochte jeine Seele maßen aus dem Blute auszuftoßen.
a en — Wie käme es denn, daß der Künſtler
ab ſe 1 ‚| «x FR
Eein Auge naß, Beftürzung in den Mienen, | jo häufig * jeiner ‚Stimmung ab»
Gebroch'ne Stimm’ und feine ganze Haltung , Hängig iſt und daß ihm beim beſten
Gefügt nah feinem Sinn, und das Alles Willen nicht Alles, was er beabſich—
— um Nichts!
m Hecuba!“
Würde Shaleſpeare, wenn er dieſe
Mitbetheiligung des Schauſpielers prin— |
tigte, völlig gelingt, wenn er micht
| fein ganzes Jh für feine Geftaltung
einzufegen genöthigt wäre ?
Und doch gibt es Künſtler, die
cipiell als fehlerhaft betrachtete, davon | dies leugnen oder mindeftens durch
fo viel Aufhebens gemacht Haben? Nun ihr Verhalten beweifen, daß fie es
lann man dagegen erwidern: „Wer! thun, fogar große Künftler. Aber diefe
jo in der freien Natur lebt, daß er werden niemals den Zufchaner in
ih ganz mit ihr Eins fühlt umd fein) feinen innerſten Yafern zu paden ver-
eigenes Ich vergißt, kann doch in mögen, fobald fie jeelifche Aeußerungen
ſolcher Ekftafe nicht zugleich auch feine | darzuftellen haben, bei denen das Ge—
Eubjectivität, den kritiſch wägenden müth in Frage fommt. Man gehe mir
und wachenden Verftand über ſich jelbjt doch mit der Behauptung, die man
zum Anfſeher ſetzen?“ Gewiß nicht. | von den NRoutiniers fo oft hört, welche
Aber fo ift auch das Schaffen des | die Kunft nur als milchende Kuh be-
Kiünftlers im höheren Begriffe nicht zu | handeln, daß fie bei Hinreichender Ver—
24*
372
ftellungstunft mit vollendeter Täuſchung aus der Unmöglichjeit, alle Seiten
darftellen fönnten, wovon das Herz | der menfchlichen Natur fich künſtleriſch
nichts weiß. Alle Erfahrung und alle; zu eigen zu machen. in genialer
Theorie widerfpriht dem. Bon der Künftler bleibt bei aller Bevorzugung
berühmten Blairon, einer der herborz durch leicht bewegliches Temperament,
ragendften Schaufpielerinnen des franz durch Feuer und Begeifterung, durch
zöfifhen Theaters (1723— 1803) hat raſche Auffaffungsfäbigfeit eine bes
man ftet3 behauptet, fie fei nicht in- ſtimmte Individualität, ein Einzel—
nerlich genug, was fie an Empfindung mensch mit beſtimmten Neigungen, Vor—
und Leidenschaft gebe, fei Kunft, voll: | zügen und Schwächen. Erhält er eine
endete Kunſt, aber doch zu wenig Rolle, deren Charaktereigenthümlich—
Natur. Sie jelber Hat in ihren Me— feiten feinen eigenen Anlagen und Nei—
moiren eingeftanden, daß fie das nicht gungen fo fremd ift, daß ihre Aeuße—
empfinde, was fie fpiele. „Indem ich | rungen in feinem Innern fchlechterdings
mich meines Entwidlungsganges er—
innere, verzeiht man mir hoffentlich,
wenn ich zugleich daran denke, wie oft,
ih über die Thorheiten gelacht habe,
die ih Hören mußte, wenn man mir
einen Vorwurf daraus machte, daß ich |
Kunſt Habe. Nun, was follte ich denn]
fonft haben? War ich denn im der
That Rorane oder Armenaide? Sollte
ih denn diefen Rollen meine eigens,
thümlihen Empfindungen und meine!
gewöhnliche Art und Weile geben?
Nein, ganz gewiß nicht. Was fonnte
ich denn alfo ftatt meiner Gedanten,
Empfindungen, kurz meines ganzen
Weſens geben? Kunſt, weil es nichts
anderes gibt.“ Ja wohl, aber man
verlangt vom Künſtler, daß die frem—
den Empfindungen die Saiten feines
Innern jo lebhaft in Schwingung ver—
jegen, daß man glauben müfle, er gebe
fein Eigenes. Es iſt eben micht die
Kunſt, fondern die zur Natur zurück—
gefehrte Kunft, welche man vom Künſt—
ler verlangt. Dies führt nun auf eine
andere Seite des künſtleriſchen Schaf-
fens. Selbſt die größten Genies der
Schauſpielkunſt, die nicht nöthig haben,
darüber zu wachen und zu grübeln,
daß der Geift nicht die künſtleriſche
Schranke duräbreche, bei denen eben
Alles göttliche Eingebung ift, und die
daher finden, ohne lange zu fuchen
— auch fie haben eine Grenze, über
die fie nicht hinaus können: die Grenze
ihrer Begabung in quantitativer Hin—
licht. Woher kommt dies ? Lediglich |
nicht anflingen, jo wird er im günſtig—
ften Falle mit aller Aufwendung von
Eifer und Können nur eine gute Durch—
Ichnittäleiftung, aber fein vollendete:
Spiegelbild der Natur zu bieten im
Stande fein. Wie foll Einer, dem die
eherne Energie und die diaboliiche
Kälte eines Alba ganz und gar nicht
eignet, dieſe Rolle täufchend wieder—
geben? Wie joll ein Schaufpieler, dem
der Sarkasmus md die ätzende Schärfe
des Ausdrucks mangelt, welche Mephifto
charakterifiert, eine derartige Rolle er:
ihöpfen ? Es ift nicht möglich. Was
nicht innerlich eine verwandte Saite
berührt, kann fein Echo weden. Womit
natürlich nicht gejagt fein joll, daß
ein guter Darfteller der jcharf mar—
fierten Charakterroflen ein fchlechter
Menſch jein müſſe. Denn die bedeu-
tenden Künſtler haben eben vor den
Ihmwächeren die größere Bieljeitigfeit
ihres eigenen Ich's voraus, die Tie
auch gejellihaftlih uns jo interefjant
macht. Auch dies beweist, daß der
Künstler innerlih in Mitleidenjchaft
gezogen werden muß, wenn ev über:
zeugen fol. Wem dies nicht gelingt,
der ift eben nur ein „Unempfinder“.
Daß auch ſolche das urtheilsloje oder
lich nicht die Mühe des Denkens gebende
Publikum fortzureigen vermögen —
wer hätte jolches nicht Schon „Schaue
dernd miterlebt” ? Ein jehr befaunter
und gerühmter Gaftipiellünftler, den
man heute für einen der erjten Cha—
rafterdariteller Deutichlands hält, be—
-—
fommt es fertig, in der Rolle des
„Nathan“, in der Scene mit dem
Ktofterbruder, worin Ddiefer jenem in
Erinnerung bringt, wie er ibm einft
——
find; fie Alle haben die Innigkeit und
| Ehrlichkeit ihres Empfindens als einen
Stolz ihrer Kinftlerfchaft betrachtet,
und nur die fogenannten Birtuofen,
das gefundene Kindlein im die Arme die mit Einzelzügen und Kleinmalerei
gelegt Habe, und Nathan ganz von ihre Charakteriftil aufpugen, durch das
Rührung überwältigt ausruft: fortwährende Ableiern der nämlichen
—— Rollen aber die Friſche des Empfin⸗
Tas Kind, trug's auf mein Lager, tußzr dens verloren haben, begnügen ſich
e8, warf mit jenem Talmigefühl, deſſen tieffte
Mid auf die Knie und ſchluchzte! Gott!| Wurzeln mur bis in den Stehltopf
Toh nun ſchon a hinabreichen.
j Es ift nicht ſchwer, aus der Ge—
nach diefen inbrünftigen Worten feinem | fchichte der Schaufpiellunft die Rich—
Partner verftohlen eine alberne Gri- |tigfeit diefer Auffaffung des künſtle—
mafje zu ſchneiden, die dieſen gänzlich ‚rischen Geſtaltungsproceſſes an Bei—
aus der Stimmmmg wirft, als Wie berühmter Meifter darzuthun.
jagen Joll: Einer der Bernfenften für feine Kunſt,
Nathan! Nathan!
Ihr jeid ein Chriſt! — Bei Gott, Yhr
jeid ein Chrift !
Fin befierer Chrift war nie!
Wird man behaupten wollen, dal;
diefer Künſtler die Rolle gut jpielen
werde? An Wirklichkeit thut er es
auch nicht. Denn während man feinen
niephiftophelifchen Gebilden die höchite
Schärfe und Treue nahrühmt, weil
man, dab ihm für die innige Gemüths—
tiefe großen und edlen Menſchenthums
der große Seidelmann, hat fein Lebtag,
wenn er auf die Art des Kunſt—
Schaffens zu Sprechen kam, gegen nichts
jo ehrlih und heftig geeifert, als
gegen die Leichtfertigkeit, mit der
unfundige Goflegen das Weſen der
Darftellung in die möglichit lebendige
Wiedergabe ihrer eigenen Empfindung
ſetzten. Altes’ der Phantafie überlajjen
und die Befonnenheit als ein Hin—
dernis des höheren Kunftichaffens be=
zeichneten. Nah feiner Anſchauung
dev üÜberzengende Ton mangelt und kann erſt die vegelnde und läuternde
ſeine vielbewunderte Kunst zum Kunſt- | Kraft der Ueberlegung mitten in der
handwerkerthum herabſinkt. Für die lebensvollen Auffalfung, welde die
Zuverläffigfeit diefer höchſt bezeichnen- Phantafie liefert, den Charakter zur
den Aneldote bürgt die unbezweifelbare vollen Entfaltumg afler feiner mannig-
Ehrlichkeit des Darftellers des Kloſter—
bruders, der mir diejes Erlebnis mit—
theilte. Man hat auch Schröder derlei
Allotria nachgeſagt. Indeſſen find fie
nicht zweifellos machgewiefen. ber
wenn fie es wären, wiirden fie eben
eine Abnahme feiner künstlerischen Straft
und ein beflagenswertee Berjinfen in
die frivole Gewohnheit des Couliſſen—
Icbens beweifen. In der Vollkraft feines
Könnens hat Schröder feine Zuhörer
ſtets durch die Wahrheit feines Spiel?
hingeriſſen. Und Gleiches gilt von allen
großen Künſtlern, die nicht durch die
Reclame emporgepäppelt, fondern von
Kennern als ſolche anerlannt worden
faltigen Eigenſchaften bringen. Auch er
verlangt daher vom Künſtler zunächſt
die Verſenkung in den darzuſtellenden
Charakter vermittels ſeiner reichen,
poetiſch anregbaren Phantaſie, aber
aus dieſer heraus vermag nur der die
Aeußerungen ſeiner Lebensthätigkeit
im Einzelnen ausarbeitende Verſtand
ein volles und täuſchendes Abbild der
Wirklichkeit zu liefern. Auf's Höchſte
enpören konnte es ihn, wenn man
feine Phantaſie durch unpaflende Neben-
dinge ſtörte: ein Beweis dafür, wie
lebendig, troß der waltenden Beſonnen—
heit, im ihm die Jllufion wirkte.
Nötjcher, der mit kundigem Sinn eine
374
Lebensbefchreibung des großen Künſt- Willen zur Wirklichkeit zurüdführte.
lers gefchrieben hat, theilt in derfelben | Der Schaufpieler muß über der Menge
zwei zornige Briefe Seydelmann's an fpielen, und um dies zu fönnen, muß
ein paar Schaufpielerinnen mit, die er fih in der Gewalt Haben.“ In
in einer Vorftellung, während fie jelbft | einem vom Jahre 1814 datierten
gerade nicht im Action waren, durch! Briefe ſagt er weiter: „Ye mehr ich
frivolen Uebermuth den Künſtler in ah, lieber Freund, defto eifriger ſtu—
feinem Schaffen geNört hatten. Welch’ dierte ich, und je eifriger ich ftudiere,
Heiliger Exrnft erfüllte ihn in der Aus- defta mehr bekräftigt fich meine Ueber—
übung feiner Kunſt! Garrid, Schröder, | zeugung von der Ungleichheit der
Talma, die Nadel und viele Andere, | Schauspieler, die nur mit der Empfiu—
in denen das göttliche Feuer fich nicht dung fpielen. Man kann von ihnen
im ein gemaltes Gouliffenflämmchen ver= niemals etwas Einheitlihes erwarten.
wandelt hatte, beftätigen die Auffaſſung Ihr Spiel ift abwechjelud bald Frafts
Seydelmann’3 von dem Verhältmiffe voll, bald ſchwächlich, warm oder kalt,
zwischen Empfindung und Ueberlegung. | erhaben und platt, wohingegen der mit
Und umgekehrt lehrt das Beifpiel Lud- | Üeberlegung jpielende Künftler, der nur
wig Devrient’S, der Alles aus feiner ſolche Wallungen gibt, welche er geübt
allerdings genialen Phantafie heraus und nad der Natur ftudiert Hat, im
ſchuf, daß auch das größte Können, | allen Borftellungen derfelbe fein wird
das ih nur auf die Eingebung ver- (natürlich ift nur die eine Rolle ges
läßt, feine Schranfen an denjenigen | meint). Er hat Alles wohl abgewogen,
Charakteren findet, die, weil fie feiner, angepaßt, gelernt und in feinem Kopfe
Individualität Fremd find, ganz be- geordnet. Seine Hitze hat ihre Stei—
fonders die Regulierung vermitteld des gerung, ihren Gipfelpunft, ihre Ab—
Verftandes verlangen. Dies ift die nahme — Anfang, Mitte und Ende.“
Erklärung dafür, daß Devrient's Dar- | Je idealer ein Charakter gezeichnet iſt,
ftellungen edler Menschlichkeit meift an deito wachjamer muß der Berftand
einer auffälligen Eintönigkeit des Bor- fein, um zu verhüten, daß die ſchöne
trages litten. „In allen Rollen, welche, Empfindung, das edle Menfchenthun,
edle Formen forderten, find ihm diefe nicht zur bloßen Tonmalerei oder zu
Mängel zum Vorwurf gemacht wor= ; weichlicher Nührfeligkeit wird. Mer
den, und was mehr noch: ift ex fih den Poſa fpielt, muß mehr darauf
derjelben ſchmerzlich bewußt geweſen“, achten, daß er nicht zum Nachmittags»
bemerkt Ed. Devrient über ihn im feiner , prediger wird als der Darfteller des
Abhandlung „Leber Theaterfchulen.” | Carlos. So ſchön die Empfindung in
— Außerordentlich intereffant ift, was | Jenem fich äußert, die Ueberlegung ſoll
der große Talma im diefer Hinſicht den Stab bilden, an dem das innige
von ſich felbft berichtet. „Ich Habe,“ | Gefühl ſich emporranft.
jo bemerkt er, lange Zeit nur aus der Leider gebricht es dem Publikum,
bloßen Eingebung heraus geſpielt, in- ſelbſt dem durch häufigen Theaterbefuch
dem ich mich ganz den mich im Augen- an Hören gewöhnten, in den meiſten
blicke beherrſchenden Empfindungen hin- Fällen an der nöthigen Feinheit und
gab und ganz und gar vergaß, daß Uebung des Gehörs, um lediglich
ih Talma ſei, um mir einzubilden, reflectierte Empfindung, die alſo keine
ich ſei Achill oder Orosman; aber ganz iſt, von der unmittelbaren, durch Kunſt
von der Erſchöpfung zu ſchweigen, im | veredelten zu unterfcheiden. Bei geübten
die mich diefe Methode verjegte, war| Schaufpielen von ſchönen Mitteln it
ih auch ungleich: ich war gut, wenn! dies Bermögen allerdings eines der
ich mich jo geſtimmt fühlte, ſchlecht, fehwierigften, weil es vom Hörer vor—
wenn eine perjönliche Sorge mich wider | ausjeßt, daß er in jedem Momente
— — ——
375
mit der Sonde der Kritil prüfe, ob
ein Ton wahr oder erheuchelt klingt.
Und zum Sritifieren beſucht man in
ſchützte mich weder die Feierlichkeit in
der Behandlung meiner Aufgabe, noch
das Nichtverftehenwollen chnifcher An—
der Negel nicht das Theater. Aber |fpielungen; und meine Stellung —
oft wäre doch mehr Sritif auch für |lieber Gott! fie lag ganz und gar in
den Künftler jehr heilfam, denn dann den Händen Desjenigen, der mich auf
dürfte er Sich nicht folche VBerhöhnungen | der einen Seite empörte, auf der an—
feiner Aufgabe erlauben, wie ſie fich | deren zur Bewunderung zwang.”
der oben erwähnte Gharakterdarfteller Derartige Veifpiele einer chniſch—
oder Heinrich Marr, auch einftmals | niedrigen Auffaffung des idealen künſt—
unter den Berufenen einer der vor⸗ | ferifchen Berufs ließen ſich noch in
nehmſten, nach dem Zeugnis von Anna
Löhn zu Schulden kommen ließ. Von
ihm, dem gefeierten Meiſter, berichtet
die Verfaſſerin des höchſt intereſſanten
Buches: „Aus der alten Conliſſen—
welt“ (Leipzig, 1883. W. Friedrich)
des Leipziger Stadttheaters in der
Rolle der Judith in „Ariel Acoſta“
auftrat, Folgendes:
als fie zum erften Male auf der 35
Menge anführen, denn e3 wird leider
immer Rünftler geben, welche von dem
Piedeſtal ihres Schaffens allmählich
herabgleiten und ihre Göttin mit einer
Bırhlerin vertanfhen. Sie mögen,
wenn fie große: Geſchick befigen, auch
dann noch mit dem blendenden Flitter—
werk hochausgebildeter Technik und den
ſchlauen Künften eines wohlgejchulten
„Ein Wunder theatraliſchen Gauklerthums die Maſſen
war's, daß mich das Gedächtnis nicht fäuſchen: große poetiſche Wirkungen
verließ, als ich fterbend die Schluß | zu erzielen, die Herzen zu bewegen
worte Judith's hauchte und mein un- md die tiefiten Geheimniſſe der Seele
tröftlicher Bater (nämlich Manaffe van | zu entfchleiern wird und kann ihnen
der Stranten — Marr) Bemerkungen niemals gelingen, denn dazu bedarf
an meinem Dalfe flüfterte, die eher in
eine Komödie des Ariftophanes als in
ein modernes Traneripiel paßten. Zus
gleich trat er Denjenigen, welche die
Sterbende ftüßten, auf die Hühner-
augen, daß fie hätten laut aufjchreien |
mögen. Die Coflegen bei den tleinen |
reifenden Gefellichafiten hatten aller—
dings ähnliche ftörende Gewohnheiten
an ſich gehabt. Ich erfuhr Hier durch= |
es eines reinen Empfindens und eines
höheren Aufſchwunges des Geiftes zu
jenen Höhen, auf denen das Göttliche
thront. Wer feine Kunſt zum gemeinen
verſtandes haßigen Handwerf erniedrigt,
der hat jein Paradies auf ewig ver—
loren.
Diefen trefflihen Aufſaß haben wir
mit freundlicher Bewilligung des Berfaflers
der „Täglichen Rundſchau“ (Berlin) ent:
aus nichts Neues. Aber fie ftanden nommen. Wir benüßen die Gelegenheit, um
ja eben tief unter dem hochragenden wieder einmal auf die vielen Vorzüge des
: : f | genannten Blattes hinzuweiſen. Walt jede
Meister der Schaufpiellunft und trieben Taste Orinat Aha eat. biete dei
nicht ſelten die übermilthigften Poſſen, voue Artikel, deren Intereſſe und Wert weit
wenn fie am wenigften von ihren über den Tag hinausgehen.
Rollen wußten. . . .. Hier dagegen D. R.
Eine verſchollene Stätte Iudenburgs.
Don Alfred
5 iſt eine Stätte des Friedens,
, von welcher ich bier ſpreche.
Der erſte milde Früglingsabend
lodte mich über das engere Weichbild
Schmelzer.*)
die rechts umd links vom
Wege ftehenden Hütten und Häuschen
nur flüchtig betrachtend, welchen das
Gepräge der Armut Schon am der
der Stadt Judenburg hinaus auf jene! Stirnjeite aufgedrüdt ift. Dier lebten
lieblihe und zugleich geheimnisvolle, | einft Unfreie, Hörige; jebt treten uns
von dunklem Walde gefrönte Höhe, freie Leute unter der Thüre ent—
welche fich jenfeits des Purbaches ober= | gegen. Dies und die freundliche, fried«
halb des nahegelegenen Burgfrieds der liche Miene derfelben, als fie meinen
Weyervorſtadt erhebt.
Die heitere Stimmung, welche mid) |
auf der furzen Wanderung gegen
Süden zu erfüllte, wich beim Anz |
blide des ruinenhaften Schloffes jener
milden Wehmuth, die uns beim Ans Stadt und
Schauen der Ueberreſte
Zeiten zu ergreifen pflegt. Es
aus dieſem Heim gezogen batte; Tie
waren dem veligiöfen und politis
ſchen Treiben ihrer Zeit zum Opfer!
gefallen; und heute ift ihre einft herr—
ſchaflliche Wohnftätte der unreinliche
Wohnſitz einer armen Arbeitercolonie.
Der ſchmächtige Burgbach umſpülte
zu ihren Zeiten noch nicht ſo ſchmu—
tzig ſchwarz die Außenmauern dieſer
Burg; erſt der Neuzeit war es be⸗
ſtimmt, ſeine kryſtallhellen Wellen durch
das Grundwaſſer des tiefer im Graben
zurüdliegenden Sohlenbergwertes zu
trüben und feine ſtygiſchen Fluten
der grünen Mur rauſchend zuzu—
jenden.
Gruß erwiderten, erinnerte mich wie—
der daran, daß wir uns jetzt doch
beſſerer Zeiten erfreuen; der Arbeiter
und der Landmann aber, welche noch
immer über die Herrenleute in der
über deren Bedrüdung
vergangener | lagen, mögen hierher fommen und
war den Segen der neuen Gefeße bewun—
nicht ganz ihre freien Wille, deſſen | dern.
Macht die angeltanımten Beliger einſt Armut,
Die Zufriedenheit inmitten der
das frische, üppige Grün der
nahe berabhängenden Matten mit
ihrem prächtig duftenden Blumenwerk,
dies Alles ließ mich von Neuem die
erite Wärme der erwachlen Frühlings—
ſonne und der Segnungen der wieders
erftandenen Nächſtenliebe nachempfin—
den. Vor einem der gedachten Häus—
chen ſaß auf der kurzen ſchmalen Bauk
ein mir bekannter Arbeiter des nahen
Eifengewertes; man Jah es ihm aı,
wie ihn des Tages Mühen erjchöpft
"hatten, und dennoch erhob er ſich
höflich und raſch von feinem erſt kurz
vorher eingenommenen Sitze auf der
erwähnten Bank und nahm zugleich
ſeine friſch geſtopfte, eben angezündete
Ich verließ auf meiner Wanderung Pfeife aus dem Munde, als er ſah,
feine Ufer und wandte mich dem Burg- daß ich mich ihm zuwendete. Er kam
*) Diefer uns von dem Herrn Bürgerfhullehrer Schmelzer in Judenburg zu:
gegangene Aufja mag für as Alterthumsforſcher und für die Lejer der gt hell
„Die Chriftveiper*, Heimgarten, X. Jahrg.
von Intereſſe fein. e Red.
mir mit feinem Gruße zudor und
zum Dante Ind ich much bei ihm für
einige Augenblide auf feine Bank zu
Gafte. So ſaßen wir beifammen und
plauderten zunächſt über Alltägliches ;
da ich aber bald erkannte, daß mein
nen gewonnener Gefellichafter ein
frisches Gedächtnis und eine gute
Beobachtungsgabe beſaß, fragte ich
ihn unter Anderem auch darnach, ob
er nicht wüßte, ob und wo auf
diefer füdlichen Seite der Stadt ein
alter Grenzftein mit dem bewußten
Stadtwappen und Friedkreuze zu
finden ſei. Da wußte er mm freilich
feine Auskunft zu geben; aber noch
während er feine Unkenntnis bedauerte,
überlief fein Mienenjpiel ein Ausdrud,
welcher deutlich verrieth, daß er ſich
auf das Innigſte freute, endlich Je—
mand gefunden zu haben, dem er das
nöthige Berltändnis und Intereſſe zu:
trane, ſich eine Mittheilung von Bes
lang erzählen zu laffen, damit er fie
dann wirdige und benüße. Sp er:
fuhr ich demm Folgendes: Vor etwa
32 Jahren Half mein Gewährsmann
als junger Arbeiter bei der Ber:
beiferung des nahen Waldiveges, wels
cher don der ſogenannten Papier—
mühle zum Kohrerbauer binaufführt.
Der Weg duch dieſe Maldftrede
mußte num im Sabre 1854 tiefer
gelegt und beſſer geordnet werden:
dabei fie man beim Graben auf
mehrere voilftändig erhaltene Menschen
jletette, neben und über denen größere
und Kleinere Steinplatten lagen. (Zivei
Stelette gehörten Frauen an, welche
mit goldenen Hauben beftattet. wor—
den waren. Die Hauben find nicht
mehr zu erfragen. Die gefundenen
Soldmünzen u. NM. m. Waren- von
den Findern an fich genommen wor—
den.) Eine von den Platten war be:
fonders gut erhalten und als man
fie umkehrte, fand es fich, das fie auf
der nach unten zugewandten Fläche
vollftändig mit Schriftzeichen bededt
war. Sie fcheint zufällig fo günftig
umgeftürzt zu fein. Seiner der Au—
weſenden verftand es, die Schrift zu
lefen; aber allgemein gewann man
die Ueberzeugung, es feien auf diefer
wie auf den übrigen Platten jüdische
Gharaltere gefchrieben geftanden, wes—
halb ſich auch bald die Arficht ver—
breitete, daß hier ein jüdischer Gottes—
ader geweſen jei. Einige Taglöhner
glaubten nun im ihrer Rohheit ein
Vergnügen darin fuchen zu müſſen,
nit den gefundenen Gebeinen gottes=
läfterlihe Scherze zu treiben und die
Steine zu zertrümmern. Erſt nad
vielem Zureden gelang es den Ge—
mäßigteren, ihnen eine beſſere Geſinnung
einzuflößen; leider waren aber ſchon
‚alle Platten bis auf die eine gröhte
zerbrochen. Die zerjchellten morſchen
Gebeine wurden von meinem Gewährs—
manne wieder verfcharrt, die erhaltene
große Platte ſenkte er fo tief in die
Erde ein, daß nur ein Heiner Theil
der Schrift über dem Erdboden jicht-
bar blieb, diejer obere Theil des Stei—
nes aber zugleich als Grenzftein zwi—
ſchen dem Wald und der angrenzenden
Miefe gelten fonnte.
Dem Erzähler war während diejer
Mittgeilung das Feuer in der Pfeife
ansgegangen; als er erfuhr, daß er
mir durch feine Nachricht eine nicht
geringe Ueberraſchung bereitet hatte,
vergaß er Jogar, fie von Neuem an—
zuzünden und er erbot fich fofort,
mir die Stelle zu zeigen, wo er den
Stein noch in. fpäten Jahren immer
wieder gefehen. Wir waren. vafch auf
den Füßen umd in wenigen Minuten
hatten wir die unferem Ausgangspunfte
zjugeneigte Matte an dem Waldesſaume
entlang erftiegen, von wo aus betrach—
tet ſich vor dem Ange das überaus
freundliche Bild der jenfeits des Pur—
baches auf der Höhe gelegenen Stadt
‚in einem neuen Rahmen und auf
veränderten" Dintergrumde ausbreitet.
Nur geringe Reſte zeigen, von diefem
Plate aus betrachtet, noch die Spuren
der ehemaligen Befeftigung der Stadt.
Noch immer hafteten meine Ge—
|danfen an der Umwandlung, welche
|
|
378
die mittelalterliche Burgftadt im Laufe | meinem emſigen Begleiter die Ver—
der Zeiten gefolgt war, noch immmer | legenheit an, mit welcher während des
fchweiften meine Blicke über fie hin- haftigen Auf- und Abſuchens des
weg zu den ſeit Menfchengedenken un- | Plaßes feine frühere Zuverficht kämpfte.
wandelbaren Gebirgsformen der Gleine | Endlich näherte er fich mir mit der
und Sedaueralpen, während mein | Schlüchtern ausgeſprochenen Entſchuldi—
Begleiter ſchon an mehreren Stellen gung: „Herr,“ ſagte er, „Sie werden
die Erde aufgeriffen, Banmwurzeln | mich für einen Lügner anfehen, da ich
abgebogen und einzelne Steine aus) heute den richtigen Stein nicht finden
ihrer Umarmung herausgelöst hatte, kann. Aber vielleicht ift derfelbe ſchon
die er an der fchrägen MWegfläche zu zu tief unter dem Erdreiche verftedt,
meinen Füßen umermüdlich auffchlich- | welches das wilde Waller feit zehn
tete. Ich mußte ihn auffordern, ſich's oder mehr Jahren aus dem ſchlecht
für Heute mit diefer Arbeit genügen | gehaltenen Waldwege mit am den
zu lafjen; denn wir fanden ja auf) Saum des Waldes Heranzgefchlenmt
fremden Boden und hatten von den | hat, denn es ift ſchon lange her, feit-
Beſitzern noch micht die Erlaubnis dem ich bier nicht mehr gewejen bin;
erbeten, Wieſe und Wald nach unferem | weil die Herren, denen ich vor Zeiten
Gutdünfen umzuftechen und auszu- gar oft don diefem Stein mit der
roden. Es genügte mir ja, mich vor Judenſchrift erzählt habe, ich um diefe
der Hand davon überzeugt zu Haben, Mitigeilung nicht kümmern mochten,
dab Sänmmtliche ausgegrabene Steine | fo bin ich Später auch nicht mehr here
Bruchſtücke von größeren Platten waren, | aufgegangen. Sie dürfen e3 mir aber
zu denen man als Material Gonglo= | glauben, daß ich ihn Hier ſelbſt ein—
meratlalt verwendet Hatte, cin es | gegraben habe. Geftohlen kann ihn
ftein, das unfere ehrjamen Altvor- doch Niemand baben, denn er war
dern noch bis im das fechzehnte Jahr: ſehr jchwer.“ Und er war doch ge-
Hundert zu monumentalen Bauten im | ftohlen worden, wenn man es jo
Innern der Stadt von weither Gere | meinen darf; davon jpäter!
beifchafften, ohne zu bedenken, daß Die Sonne war ſchon wieder
diefes Material nahezu das Gegentheil hinter den Bergen, der dunkelnde
von demjenigen fei, welches Horaz zu | Abend zwang, vom weiterem Suchen
feinem monumentum aere perennius | abzuftehen. Ich verficherte den Sprecher
verwendet willen will; demm der Zahn | meines feſten Bertranens auf feine
der Zeit hatte ſich fo tief in dieſe Worte. da er mir ja doch den un—
Steine verbiffen, daß jene am der leugbaren Beweis für die Möglichkeit
Oberfläche gelegenen Platten feiner | feiner früheren Ausſage durch das
vier bis fünfhundertjährigen Arbeit aufgefundene Material von Steinen
ihon jegt zum Opfer gefallen waren | geliefert hatte, welches zu dem Ur—
und von diefer Mahlzeit mur kümmer- gefteine des ganzen Höhenzuges in
liche Ueberreſte übrig geblieben ſind. keinerlei Wahlverwandtſchaft ſteht.
Eines war ja aber doch durch die⸗ Bisher hatte man mir in der
ſelben feſtgeſtellt: Auf dieſer einzigen | Stadt auf die Frage nad dem ehe—
Stelle der Berghöhe lagen, an der, maligen Judenfriedhofe ältefter Zeit
DOberflähe des Bodens micht zu tief ſtets als Antivort extheilt, derjelbe fei
eingebettet, Bruchftüde von Muſchel- gegen Welten Hin au der Stelle des
faltplatten, die nur durch des Merz | gegenwärtigen römiſch- katholiſchen
ſchen Hand bier herauf getragen wor= | Gottesaders gelegen gewejen, ohne je=
den fein konnten. doch irgend einen halbwegs genügen
Doc wo war der früher erwähnte | den Beweis dafür beibringen zu kön—
Stein mit der Inschrift? Ih ſah nen und ohne zu willen, daß weit im
379
Meften gegen Grünhübel zu, etwa in ſeine Frage zugleich zum Mitwiſſer
der Hälfte des Weges, knapp an die eines Geheinmilfes gemacht hatte. Nun
alte Straße anftogend, dort, wo gegen= mußte ich ja erft recht jo bald als
wärtig mitten im Felde auf der Nord- | möglich auf die Höhe hinauf.
feite der neuen Straße noch ein alter Bald war mein Eicerone gefunden,
Fliederbuſch ſteht, der proteftantifche in deſſen Begleitung mir der Aufftieg
Friedhof des fechzehnten, fiebzehnten |zu meinem Ziele auch noch durch die
umd unter anderem Namen des acht: | Wahl des fanfter Hinanführenden
zehnten Jahrhunderts gelegen war, es
ſonſt aber in jener Zeit außerhalb der
Fahrweges auf der Weſtſeite des Hü—
gels ſehr verkürzt wurde. Die Aus—
Stadt keinerlei chriftlichen Friedhof |blide durch die Waldlichtungen, der
gegeben hat.
Jetzt hatte ich alfo Hier die ältefte
geweihte Zodtenjtätte jenes Volkes ge—
funden, deſſen mächtiger Einfluß auf
die Entwidelung der bürgerlichen Ver—
gewürzige Harzduft, die offenen Blüten
‚der Alpenflora, der milde blaue Him—
mel,
das Alles rief im mir diejenige
Frühlingsſtimmung hervor, welche den
erſten Menfchen ergriffen haben mag,
hältnifje der Sage nad) fogar in dem
Namen unferer Stadt wiedererfannt | Erden erlebte.
werden fol. Sa, betrachtet man die Nach einer einftündigen Wanderung
Lage dieſes alten Friedhofs auf der waren wir am Ziele. Der Beliker
Anhöhe gegenüber der Stadt, bedenkt | war zuhauſe und noch damit bejchäftigt,
man, daß von dort die jüdische Kirche im Gehöfte die Schäden des letzten
der Ueberlieferung zufolge einft gerade Winters auszubeſſern und dasfelbe auch
dahin blidt, wo ihre Theuern im von innen für den kommenden fchon
Herrn ruhten, jo muß man fich ge= ‚jegt wieder inftandzujegen. Der Bauer
radezu wundern, daß die Erinnerung war gerne bereit, uns nach der von
an dieje Stätte des letzten Friedens | dem Gehöfte ziemlich abfeits gelegenen
jo früh verblaßt und erlofchen iſt, Hausſchmiede zu führen; ſie dient
da es kaum eine andere Stelle giebt, | nöthigenfalls auch zugleich als Ausge—
an welcher die hier einft jo mächtigen dingsitätte. Bald Hatte er mit dem
Juden ihren Weberlieferungen und here großen Hohlſchlüſſel die Thüre des
gebrachten Gebräuchen gemäß pafjen= , Heinen Hauſes geöffnet und wir traten
der ihre Zodten hätten begraben in den vauchgefchwärzten Raum des
fönnen. Schmiedeherdes. Hier deutete er mit
Schon am folgenden Tage traf der Hand nach der Stelle, wo fich der
ih mit zwei Belannten zufanımen, Feuerraum befindet aber vor der Hand
darunter der Religionslehrer unferer für das offene Ange noch nichts Fichte
Lehranftalt, welcher mich fragte, ob bar war von der großen Steinplatte,
es mir bekannt wäre, daß beim Kohrer- und fagte: „Sehen Sie, meine Herren,
bauer Schon vor längerer Zeit im das ift der Judenftein, bei deffen Aus—
da er den erften Frühlingstag auf
deſſen Hausſchmiede ein Zudenftein
eingemanert worden ſei. Anftatt vor
Freude aufzufchreien, daß ich alſo doc)
auf der richtigen Fährte fei, fanden
mir bei diefer Nachricht vor Schred
über das Gejchid des Steines anfangs
die Haare zu Berge; aber ftatt des
gerechten Ausbruchs des Zornes über
den unvermutheten Bandalisınus
floffen Dantesworte von meinen Lip-
grabung ich mit an Ort uud Stelle
war. Mein Ziehvater hat ihn vor
etwa zwanzig Jahren mit Dilfe eines
Ochfenpaares heraufgefahren und hier
eingemauert. Um die Schrift war e3
freilihd uns Mllen leid, aber es hat
fie Niemand lejen können; wir haben
aber eben deshalb den Stein fo in
das Gemäner eingefügt, daß fie nad)
unten zu liegen gefommen ift. Weit
pen an den Braven, der mich ja durch | und breit hätten wir feine fo große
en
und dide Platte finden können, die mal zufrieden geben. Wo fein Mörtel
ih jo gut als Unterlage für die Glut an. den Stein gekommen war, hatte
geeignet hätte, als wie diefe. Bier | das Feuer durch jeine Glut die Schrift
Männer haben fie nur mit der größten | verzehrt; wo der Mörtel ſich aber in
Anſtrengung auf den Wagen gehoben.” die gewiß ſchon zur Zeit der Ein-
Ih war inzwilchen näher herangetreten | manerung vielfach zerftörten künſtlichen
und ftarrte auf den Pla der Zerz | Vertiefungen des Meihels hineingepreßt
ftörung; über dem Steine hatte durch
die Neihe der Jahre das offene Feuer
feine Stätte gefunden, — was war
unter ihm geichehen? Auf meinen
lebhaft geäußerten Wunsch und das Ver—
Iprehen der Schadloshaltung für feine
Mühe, entichloß er fih, die Platte
anszubrechen und aufzustellen. Dies
wurde von uns mit Dilfe einer ſtarken
Gijenftange durch vereinte Kräfte rafch
bejorgt. Die Platte zeigte nur noch
an der linfen oberen Ede einen rechten
Mintel; ebenfo war die obere Kante
und Seitenfläche gleich der linfsfeitigen
bis zu den Bruchflellen linear; die
bat, lag eine. fteinharte Kruſte über
den Schriftzüigen, welche auch bei der
größten Sorgfalt, ohne Verlegung der
arg verwitterten Platte jelbit, micht
mehr zurüdgerufen werden können,
wenn dies überhaupt. möglich wäre.
„&s war einft den Bewohnern der
Städte zu gewiſſen Zeiten,geſetzhich
geftattet, die Grabfteine der Judenfried—
höfe zur Ausbeſſerung und Neuerriche,
tung der Stadtmanern zu verwenden.“
Dieſen Hiftorifchen Satz mußte ich mir
einigemale im Gedächtniſſe auffrischen,
nm bei dem Anblide diefes vernichteten
Denkmals nicht meine Gedanken laut
rechte Kante war fowohl durch Ver- werden zu laſſen. » In weniger als
witteruug als zufällige Beihädigung , drei Viertelftunden waren wir wieder
vollftändig unfenntlih geworden; den im Thal und hatten die Stadt erreicht.
unteren Theil der Platte hatte man Ich ſchrieb damals gleich meine dies—
behufs der leichteren Einfügung in das bezüglichen Erlebniſſe nieder, ſobald ich
Gemäner durch Meißel oder Haue ver- | in meiner Stube wieder angelangt war,“
jüngend zugehanen. Bon den Buch» in der Hoffnung, durch Spätere Nach—
ſtaden fonnte ich deutlich nur die zu grabungen an Ort und Stelle einen
ſammenhangsloſen Zeichen: Aleph, zwei | glänzenderen Erfolg zu erzielen. Die
Beth, ein Sni, ein Sajin erfennen; | Koftjpieligleit derſelben hat «mich jedoch
andere Zeichen deuteten auf Kaph, Dav, bisher daran gehindert. Dafür habe
Daleth und Reſch Hin. Bezüglich der ich gelegentlich meiner localhiftorischen
übrigen vielen Bertiefungen des ver- Studien über Judenburg in den Sterbes
witterten, von friſchem Kalt, Hige und | matrifen der hiefigen Stadtpfarre meh—
Näſſe mißhandelten Gefteins ließ ſich rere untrügliche Schriftliche Beweiſe aus
gar nichts beſtimmen; hin und wieder
ſchien die Vocaliſation durchzuleuchten,
der Stein mißt in ſeiner gegenwär—
tigen Geſtalt in der Höhe nur noch
zwei Fuß acht Zoll, in der Breite
zwei Fuß neun Zoll, in der Dicke
gegen ſechs Zoll. Länge und Breite
waren ehedem beträchtlich größer; auch
in der Dicke hat der Stein viel ver—
loren.
Ih mußte mich mit diefem Er—
gebnis meiner Nachforſchung für diese
dem fechzehnten, fiebzehnten und acht»
‚zehnten Jahrhunderte gefunden, welche
ganz dentlich die Lage diefes alten
Indenfriedhofes zwiſchen dem Kohrer—
bauerngut und der unteren Weyervor—
ſtadt beſtimmen. Gewiß iſt, daß die ſo
lange ganz verſchollene Stätte des alten
„Judenfreythoffs“ noch mehr Zeugen
birgt, welche zu dauernden Schweigen
‚verdammt find, anftatt von den ehedem
in diefer Stadt herrfchenden Sitten
und Gebräuchen laut zu reden.
381
Blätter im Winde.
Neuere Gedichte von Robert Hamerling.
(Hamburg. J. F. Richter. 1887.)
225 wäre ein Frevel, ein neues
5 Buch von Duamerling nad) der
gewohnten Journaliftenmanier zu bes
bandeln. Da blättert jemand jo einen
eben auf den Redactionstifch gelangten
Band durch, gudt und liest, jo viel
ih etwa während des Auffchneidens
der Blätter guden und leſen läßt und
Ichreibt die Necenfion. Noch gut an
dem, allgemeine Phraſen machen nichts.
Schlimmer, wenn im Recenſenten gegen
den Autor ein Borurtheil, eine eine
jeitige Anficht vorhanden iſt. Am
ſchlimuſten aber, wenn der Scribler
das Werk in der That liest und es
mißverſteht. So mag ſichs ereignen,
daß der Recenſent die Poeſien nur
auf die Perſon des Dichters bezieht
und demzufolge in dieſem etwa einen
verbiffenen, menschenverachtenden Peſſi—
miften fieht, oder einen Lebemanm und
innlihen Schwelger, oder lediglich
den Leibdichter einer politifchen Partei,
u. ſ. w.
Hamerling ſcheint ſich gegen derlei
engherzige Auffaſſungen ſeiner Poeſien
im Vorhinein verwahren zu wollen
nd zwar namentlich im feinem Ge:
dichte „Glaubt nicht dem Dichter“... .
(Blätter im Winde. Seite 271.)
Lehrreich in diefer Sache ift Hamer—
lings neueftes Gedicht, welches eben in
der Zeitjchrift: „An der Schönen blauen
Donau“ erfchienen ift und wie folgt
lautet:
»Perfönlihe Bitte.
Sagt, ih made ſchlechte Verſe —
Sagt, ich ftehle Silberlöffel —
Sagt, ich fei fein guter Deuticher,
Weil aus nothgedrung'ner Nüdficht
Der Diät fein Slavenfleifh ich
Und fein Judenfleiich geniehe —
Oder ich verrathe Oeſt'reich,
Weil den Bismard ich befinge —
' Sagt, daß mid der Gram verzehre,
Weil man mich zu felten lobt
Und zumeilen jhnöd verläftert —
Aber Eines, bitt' ich, Eines
Saget nicht: daß „Peſſimiſt“ ih —
Daß in meinem Sang das hetzte
Wort hat die modern:blafierte,
Blöde, ftumpfe Dajeins:Unluft! —
Peſſimiſt wär! d'rum der Dichter,
Weil er fich ergeht in Klagen? —
Juft weil ihm jo jhön die Welt
Und jo reijend dünkt das Leben,
Wird er jchmerzlich es bedauern,
Wenn verjagt ihm blieb jein Antheil.
Soll, wer Hagt, ſchon Peſſimiſt fein,
Dann ift Peifimift auch Iener,
Welchem ein „DO weh!“ entfuhr,
Als ein Zahn ihm ward gerifien.
Blaubt den Recenjenten Alles,
Nur nicht, daß ih Peſſimiſt —
Diefes Wort haſſ' ih: mir duftet's
Wie nad jeiner legten Sylbe.
Graz, 27. December 1886.
Das ift deutlich genug und dürfte
den Standpunkt unferes Dichters wohl
für alle Zeit Harftellen. —
Es ift gewiß ftet3 des Dichters Em—
pfinden, was ihn zum Gedicht bejeelt,
aber es iſt nicht Feines allein, es ift
‚das Empfinden feines Volkes, der
Menſchheit überhaupt. Und der Lefer
thut beijer, Hinter den Ddichterifchen
Geftalten und Iyrifchen Darftellungen
‚eines Poeten fich jelber zu ſuchen und
zu finden, als die Perfon des Dichters,
‚die wohl mit anderen Mapitabe wird
gemeflen werden müſſen, als die des
Dutzendmenſchen.
Hamerlings „Sinnen und Min—
nen“ iſt ein Lieblingsbuch des deutſchen
Volles geworden; dieſe neue Samm—
lung wird es ebenfalls werden, es
mühte denn fein, daß deren Inhalt
zu tief, zu großartig und zu philoſo—
phifch wäre. Diefe „Blätter im Winde“
find, mit Ausnahme von wenigen lofen
Zünglein und Blüten, nicht Blätter,
die im Winde flattern und leicht von
demfelben verweht werden können, jo
jehr fie im Sturme auch vanfchen
mögen. Ich vermefle mich nicht,
über den Gehalt des herrlichen Buches,
über die Schönheit diefer neuen Poelien
des Meifters, über die Weisheit in
feiner Weltanſchauung, über die In—
nigfeit feines Humors eine philoſophi—
iche Abhandlung fchreiben zu wollen
— Stoff dazıı wäre Übergenug da —
ich begnüge mich, beicheiden darauf
aufmerkfam zu machen, daß das Buch
erschienen ift und zu feiner beiläufigen
Charakteriſierung ein paar Probeblätter
— als hätte fie doc der Wind aus
382
Auf den Lippen zergeht ein lächelnder Kuß,
Wie Süße des Wein’s in der Kehle;
Dod ein Kuß, den das Salz der Thränen
gewürzt,
Der ätzt Dir ein Mal in die Seele.
Aus Rofenfefleln der Liebe vermagft
Du no leiht Dich zu löfen, zu retten:
Diamantene Bande fhlingt fie Dir
Aus Thränenperlentetien!
Arabella.
Arabella, ſag', ihmwarzlodiges Kind,
Da die Mägdlein doch küſſen müſſen,
Wen wirft denn Du wohl im Leben zuerft
Nah Deiner Mutter küſſen?
Wem wirft Du ihn geben, den erften Kuß,
| Du reizende Mädchenblüte,
‚Den reinen Kuß, der noch Liebe nicht iſt,
Nur Ahnung und minnige Güte?
Wem wirſt Du ihn geben, den himmliſchen
ſKt
uß,
Daß Du nicht brauchſt zu erröthen ?
Einem Engel vielleicht? Doch die fühlen nicht,
den Hainen des Olhmps in den „Heim- | Die lobfingen nur immer und flöten,
garten” herüber geweht — hier mit—
zutheilen.
Du ganz allein,
Du bift ganz einzig in der Melt,
Denn fieh, Du haft mi nie gelränft —
Mich nie gekränkt, indeflen mir
Die ſchnöde, freche, falte Welt
Ten Todespfeil in’s Herz geienft. —
Ih möchte gern begraben jein
An einem fernen, ftillen Ort:
Tenn der Gedanfe maht mir Bein,
Daß die, die frefiend Gift geträuft
In meines Lebens Blütenhain,
Mit einer falihen Thräne noch
Beflecken meinen fiillen Schrein
Und ftören meiner Ruhe Port.
Du aber fomm’ — lomm' Jahr für Jahr,
Und knie' an meinem Leichenftein;
Häng' einen grünen Kranz darauf
Und widme eine Thräne mir —
Lab niemand Andern bei mir fein:
Du haft das Recht, Du ganz allein.
O, Thränen find ein ſeſter Kill...
O, Thränen find ein fefter Kitt —
‚Wenn nun fein Engel berunterfteigt
| Aus dem Kreiſe der himmlischen Lichter,
Um entgegen zu nehmen den erften Kuß —
| Ruf Dir rathen: gib ihm dem Dichter!
Und wenn Du jelber ein Engel wärft,
Der zu irdiſchen Au'n fi gewendet,
So viel Du haft, fo viel Du gibft,
Bei dem Dichter ift nichts verjchwendet.
| Qei'm Dichter wirft Du Did nicht weg,
Braucht nichts zu bereu’n, noch zu büßen!
Und wenn Du die Göttin Eypria wärft,
‚Ihn mühteft zuerft Du begrüßen!
| Rein anderer Menih auf Erden verdient's;
Mart’ nicht auf die Engel von oben:
Beim Dichter ift alles himmlische Glüd
Am beiten aufgehoben!
Auf boden Bergen ...
Auf hohen Bergen liegt ein ew'ger Schnee,
Auf hohen Seelen liegt ein ew'ges Weh.
‚Den Schnee, den Harm ſchmilzt feine Sonne
| weg,
Die Gletſcher üÜberbrüdt fein Blumenſteg.
Das Lieb, das nicht mit Dir geweint bat, |
Das erſt die Luft, noch nicht der Schmerz
Tir in wilder Umarmung geeint hat,
Tas ift nicht Dein, das liebjt Du noch nicht,
Das kannſt Du noch laffen, noch miſſen —
Nur was Dein geworden in Leid und Noth,
Das wird von Dir nimmer gerifien!
Was um das Eis wie NRofenpurpur lobt,
Iſt Abglanz nur von einem Sonnentod;
Und was als Glorienſchein ein Haupt ver—
klärt,
Abglanz der Glut iſt's, die das Herz verzehrt.
383
Wehrlos.
Du meinſt, daß, wenn im Grab, ein Müdgehetzter,
Du liegft, dann Alles jei vorbei für immer
Und abgethan? Du irrft! Im Grabe liegend,
Biſt Du nit todt — bift Du nur ftumm geworden,
Und wehrlos!
Mas Dich in’s Grab gehetzt, Neid, Bosheit, Haf,
Das triumphiert auch über's Grab hinaus
Noch Über Di und ringelt züngelnd ſich,
Als gift’ge Natter unter ftillen Blumen,
Die jheinbar friedlih über'm Grab Dir blüh'n.
Den Matel, den ein falihes Weib, ein Feind,
Vielleiht auch nur ein leichtaefinnter Schwäter
Dem Namen, den Du trugeft, angehängt,
Den ſchleppſt Du dur die Ewigkeit mit Dir,
Und wenn Du Dir Unfterblichfeit errungen,
So wird zum Fluch‘ Dir die Unfterblichfeit.
Unglüdlicher, Du haft nur einen Serler,
Kein Grab gefunden unter'm Raſenhügel!
Du bift nicht todt, Du bift nur ſtumm geworden,
Geh’ nicht von mir...»
Beh’ nicht von mir, laß Deine Hand in meiner —
Das Herz des Menſchen ift ein ſeltſam Ding.
Mer weiß, ob man jo leicht ſich wiederfindet,
Sobald man einmal von einander gieng ?
Geh’ nit von mir — am wenigften im Grolle,
Von einer Wolle trüb’ die Stirn umgraut:
Im Unmuth juft muß man beiſammen bleiben,
Bis rein der Liebe Himmel wieder blaut.
Geh’ nit von mir, laß Deine Hand in meiner:
Du weißt noch nicht, was es bedeutet: Scheiden,
Und wie daraus oft wird ein langes Meiden,
Und was, ſich meidend jo, zwei Derzen leiden;
Und wie zwei Herzen, die fi brennend liebten,
Geſchmiedet wie in einen Zauberring,
&o fremd fi, ad), jo fremd ſich lönnen werben,
Sobald man einmal von einander gieng.
Beh’ niht von mir, verſuche nicht das Schidjal,
Das jo zwei Herzen trennt, eh’ man's gedadt,
Die wonnefelig ſich verinotet wähnten
Auf ewig durd der Liebe Wundermadt.
Geh’ nit von mir, laß Deine Hand in meiner —
Unlösbar feft geſchmiedet ift fein Ring.
Geh’ nicht von mir, am wenigften im rolle —
Das Herz des Menſchen ift ein ſeltſam Ding.
Pas Sũßeſte.
Seltfam, daß uns die Augen zudrüden
Die drei jüheften unter den Dingen,
Die uns entrüden der irdiſchen Noth,
Die uns zumeift auf Erden beglüden:
Liebesentzüden,
Schlummer und Tod.
*
*
Der Lorbeer, traun, hat feine Sympathie
Für üpp'ges Lodenhaar; viel lieber rankt er
Um graue Häupter, fahle Stirnen fid:
Am liebften find ihm nadte Todtenſchädel.
Kleine Saube.
— ); —
Mein Erz.
Mein deutſcher Sang iſt Euch zu zahm, Mein Herz iſt froh, mein Erz iſt rein,
Anftatt mein geliebtes Volk zu ſegnen, Es dient dem Tod nicht, nur dem Leben;
Soll fluhen ih der Feinde ftranım, Mie, muß denn Alles Kanone jein?
Dem Nachbar ſelbſt mit Truß begegnen. Mag's nicht auch klingende Glocken geben?
R.
Ein Wafengang gegen das — eingeräumt, ſich auf fremden Grund
Jagdvergnügen | und Eulturen eine beliebige Anzabl von
g gnugen. Thieren, welche man unter dem Namen
In einer Zeit, da im unſeren Alpen „Wild“ zuſammenfaßt, zu halten, und
der Jagdliebhaber und der Bauer wie welchen er die dem Landwirt als un—
der einmal jcharf gegeneinander im Streite | beftrittenes Eigenthum gehörigen Früchte
ftehen, wobei den Bauer wieder feine ber und Gewächſe als Futter anweist, diejes
kannten „Freunde“ befämpfen, können wir | Futter nimmt das in Freiheit fich be—
es nicht unterlaffen, aus der „Deutjchen | wegende Wild nah jeinem Belieben wie
Preſſe“ eine Stimme abzudruden, die e3 | und wo es jelbes findet: ob es in friichem
nab unjerer Meinung verdient, daß fie Graje, Klee, den aufjchofjenden Getreide:
wiederholt ertöne und weitum gehört pflanzen, in Fiſolen, friſchgeſetzten Kraut—
werde, pflanzen, den Ninden und Trieben der
Schreibt dort ein Sacverftändiger | jungen Obſtbäume ꝛc. oder in reifen Hörner»
aus eigener. Erfahrung: | früchten beſteht.
Die Jagd mit ihren bentigen Ver Zu dieſem ift dem Jagdpächter auch
bältniffen ijt noch ein echtes Stüd Mit- noch das Recht eingeräumt und wird
telalter, wo man den Maßſtab „Glei- auch tbatjächlid ausgeübt, daß, wenn
ches Recht Für Alle“ gänzlich vermißt | fich die dem Landmann durch Vertilgung
und bei welcher der Landmirt heute | der Mäuſe und Ratten in Erfüllung
noch mehr als Frohndienſte leiſtet. ihres Berufes unentbehrliche Hauskatze
Wem dieſer Ausſpruch vielleicht über die Grenzen des ihr ja unbekann—
nicht recht glanblich, den bitte ich, mir |ten Hausfriedens verirrt, ohne jede weis
zu folgen. tere Verhandlung niederzufchiehen, ebenſo
Mit der Eritehung eines Jagdge- | den Hanshund, welcher die Unnatürlich—
bietes ift dem Jagdpächter gejeglich das | feit der Nette, an die man ibn ſchmie—
det, nicht begreifen kann, und derjelben
auf alle möglihe Art zu entkommen
tradhtet, um dem auf dem Felde friedlich
arbeitenden Hausperſonal nachzulaufen,
wo ihn ſein Schichkſal ereilt.
Gegen dieſe Vorgänge ſteht dem
Landwirt gar kein Einſpruch offen, da—
gegen ſteht ihm allerdings das Recht
zu, wenn das Wild ſeine Ernten zum
größten Theile oder ganz vernichtet,
Schadenerſatz zu verlangen. Wie aber
dieſer Schadenerſatz eingeleitet und ber
handelt wird, beſonders wenn er au
Obitbäumen, der für Steiermark wid.
tigiten Cultur, gejchieht (welche der Land—
wirt noch obendrein nach dem heute be»
ftehenden Gejege gegen das frei herum-
laufende Wild ortsüblih ſchützen
muß, mill er nicht jeden Anſpruch auf
Entibädigung im vorbinein verlieren)
beweifen aus den legten zwei Jahren
die Hunderte von Streitfällen, welde
bereit3 entichieden oder noch beim Ober-
ſten Gerichtshofe der Entſcheidung harren,
wo 3. B. der A, welcher jeine Objtbäunte
mit einem Lehm. oder Kalkanſtrich als
ortsüblihen Schuß verjehen, mit jeinen
Schadenerſatz-Anſprüchen abgewieſen und
zur Tragung der Gerichtskoſten verur—
theilt wurde, während ſeinem Nachbar
B der Schadenerſatz für den ganz glei—
chen Fall unter gleichen Verhaltniſſen
zuerlannt wurde, und nicht etwa, weil
der Nachbar ſchon dem Auslande, jon«
dern nur dem nächiten politiichen Ber
zirke des gleichen Kronlandes angehörte,
Iſt es unter jolhen Verhältniſſen
zu verwundern, wenn der Landmann
zur Selbſthilfe greift und das ihm ſo
verderbenbringende Wild vernichtet, wie
er eben kann? Doch wehe ihm, wenn er
hierbei vielleicht bei Tödtung eines Reb—
huhns oder Haſens betreten wird! Es
treffen ihn dann ſtrengere Strafen, als
wenn er aus Gewohnheitsdiebſtahl jeinem
Nachbar ein Paar ſchwere Maftochien
geftoblen hätte!
Und fragen wir, warum die Jagd
385
Erfordert es vielleicht die unbedingte
Notwendigkeit für das öffentlihe Wohl
oder gar die Gefahr für das Water»
land ?
Mit michten! feines von beiden!
londern nur, weil es einigen Herren
Vergnügen madht, und nicht! An—
deres.
Es iſt wirflih ein trauriges Zei—
chen der Zeit, daß man heute in den
höheren Schichten Alles daran ſetzt, nur
recht große Jagdgründe zu ſchaffen und
hierdurch Gegenden, wo friedliche glück—
liche Menſchen gewohnt, entvölkert, wie
wir in Oberſteiermark bereits eine Menge
Beiſpiele aufzuweiſen haben.
Die Verfechter der Jagd werden
mir vielleicht einwenden, der Bauer wird
ja doch entſprechend durch den Jagd—
Pachtzins entſchädigt.
Ganz richtig! Entſchädigung wird
ihm durch den Jagd-Pachtzins gegeben,
aber in welchem Verhältnis dies ge»
ſchieht, joll folgendes Beiſpiel beweijen:
Die Gemeinde Allerheiligen, in wel»
her auch mein Gut Herberstorf liegt,
befißt ein Flaächenmnaß von 1890 Jod,
welches gleichzeitig ein Jagdgebiet bildet,
und um den nicht geringen Jahrespacht
von 80 fl. verpadtet ift, was einem
Padtertrag von 423 Kreuzer per Joch
und Yahr gleichfommt.
Für dieſen Ertrag, rejpective Eins
nahme ijt der Landwirt verhalten, dem
Milde auf jeinen Gründen von jeinen
Früchten durch das ganze Jahr freie
Aeſung zu geben. Zudem iſt er auch
durch den ſehr ſtark au mittelalterliche
Verhältniſſe erinnernden $ 4 unjeres
Wildſchadengeſetzes (welcher gleichzeitig
* nech als ein Unicum in der Wild—
ſchaden ⸗Geſetzgebung der öſterreichiſchen
Kronländer daſteht) weiter verpflichtet,
ſeine Obſtbäume, will er dieſelben nicht
der Vernichtung durch das Wild preis—
geben, ſelbſt zu ſchützen.
Was aber ſo ein Schutz, wenn er
dem Zwed entſprechen ſoll, koſtet, habe
— —— — — —— — — — — — — ——
ſo viel in Schutz genommen und der ich auf meinem Gute Herberstorf, wo
Landwirt mit ſo großen Opfern wegen ich auf mehr als 100 Joch Obſtbau
derſelben belaſtet wird? betreibe, zur Genüge erfahren. Die
Keſegatt'a „„Hrimgarten‘*, 5. Grft, XI. 30
386
Koiten ſtellen ſich nah mehrjährigem
Durchſchnitt für Berbandmaterial, Eins
binden im Herbſte, Aufbinden im Früh—
jahre, Beauffihtigung und Nachhelfen
in der gefährlichiten Zeit auf 4 fr. per
Baum und Jahr.
Mit diefen Kojten ijt aber ein ab—
foluter Schuß noch immer nicht erreicht,
indem das Wild oft mitten im Sommer,
gleibjiam aus Uebermut, und in jehr
ichneereihen Wintern aus großer Not
die größten Hinderniffe bejeitigend, die
Obſthänme angreift und vernichtet.
In der erwähnten Gemeinde Aller
heiligen wurde ſchon von Alters her be-
deutender Objtbau betrieben, welcher in
den legten 10 Jahren noch einen riefigen
Aufihmung genommen bat, jo daß heute
die Gemeinde, nad) einem beim Gemeinde»
jene koloſſalen Schäden noch nicht ein—
gerechnet, welche im verfloljenen Winter
durh das Wild troß allen Schutzes
unfern Obftbäumen zugefügt wurden.
Der Verluft, den das Nationalver«
mögen bierdurch erlitten, iſt unberechen«
bar, und es iſt feine Frage, daß die
Jagd nicht auch unter die vielen Urſachen
des landmwirtichaftlihen Rüdganges ger
zählt werden muß. Es ijt fiher, daß
die Jagd jchon lange nicht als ein Cul—
turzmweig angejehen werden darf, jondern
nur als ein Ueberbleibjel des Mittel»
alters, welches ſich einzelne Perjonen zu
ihrem Bergnügen zurectlegen und das
auf Koſten des Grundbeſitzers indirect
erhalten wird.
Und glauben Sie vielleicht, daß der
Schaden, der bier durch die Jagd den
amte erhobenen Ausweis, 20.000 Stüd | Landwirten beigebracht, in anderer Weije
gegen Wildjchaden jchugbedürftige Obſt—
bäume auf ihren Gründen bejigt, welche
fie, will fie diefelben nicht der Vernich-
tung durch das Mild preisgeben, ihüßen
muß, wodurch ihr, rejpective den Grund—
befigern eine jährliche Belajtung von für
20.000 Stüid à 4. — 800 fl.
erwächst,
Von dieſen Schupmaßregeln wird
aber das Wild noch nicht jatt, es be—
darf auch des Futters, um leben zu
fönnen, welches es ſich an den ftebenden
Früchten nad Belieben nimmt, und wel—
ches (jene oft großartigen Schadenfälle
bei aufgehenden Bohnen, friſch gejegtem
und ermwachjenem Kraut und anderen
reifen und unreifen Früchten gänzlich
anzgeichloffen) auf Eulturgründen, wie
wir fie in Mitteljteiermarf befiten, auf
mindeftens 20 fr. per Joh und Jahr
bewertbet werden muß, wodurch die Grund—
befiger der Gemeinde Allerheiligen neuer:
dings mit für 1890 Joh A 20 fr. —
378 fl, daber im Ganzen mit 1178 fl.
belaftet werden, um des nicht unbeden-
tenden Jahrespaht-Schillings von 80 fl.
tbeilbaftig zu werden.
Diefe beiden Poſten, mit einander
faufmännijch verglichen, geben einen jähr-
lichen Verluſt von Netto 1098 fl.
In diefe enorme Ziffer find aber
durch den Ertrag der Jagd wieder wett
gemacht wurde? Mit nichten. Der ganze
Ertrag des Nagdgebietes von Allerheili-
gen beträgt nach mehrjährigem Durch—
Ihnitte per Jahr 90 Hafen, 40 Faſanen
und 60 Nebhübner.
Nah diefem kann es fich Jeder leicht
ausrechnen, wie viel dem Nagdpächter
nah Abzug des Jagdpadtichillings, der
Koften für den Jagdaufjeher und jonfti-
gen Auslagen bei den Treibjagden :c.
für jeine Bemühung und zur Hebung
des Nationalwohlftandes übrig bleibt.
Vielleibt wird Mander einwenden,
obiges Beilpiel ift nur aus dem großen
Ganzen berausgeriffen, um die Jagd
im ungünftigen Lichte darzuftellen.
Dies joll ein zweites Beilpiel mwider-
legen. Ich bin im Bezirfe Mahrenberg
nicht nur eigenjagbberectigt, jondern
auch Jagdpächter auf einem Jagdgebicte
von ca. 4500 Noch, für welches —
man böre und jtaune — ein jährlicher
Jagdpahtzins von 42 fl., jage zweiund-
vierzig Gulden, zu zahlen ift.
Iſt bier vielleicht der Grundbeſitzer
mit dem nicht einmal Kreuzer pr. Joch
und Jahr betragenden Jagdpadtzinje
ſchadlos gehalten für verurjachten nor—
malen Wildſchaden? Und folcdhe Beijpiele
gibt es jehr viele im Lande,
387
Der enorme Schaden, der durd ein] der Landmwirtihaft zugefügten Schaden
jolhes unter gejeglihem Schutze ftehen- | vollftändig erjagpflihtig ift und der
de3 Jagdverhältuis in Mahrenberg den | Landwirt nicht verpflichtet ſei, fich jelbit
dortigen Landwirten entftehen mußte, | feine Gulturen auf eigene Koften gegen
war nur dadurch zu verhindern möglich, | das dem Jagdpächter gehörige Wild zu
dak die Grumdbefiger den von meiner ſchützen.
dortigen Gutsverwaltung gegebenen Wink, Schloß Herberstorf, am 6. Jar
fih mit allen möglichen Mitteln gegen nuar 18837. j
das Wild jelbit zu ſchützen, verftanden | Fritſcher.
haben,
In Anbetracht der Bedeutung, welche
der Objtbau in den legten Jahren in
Mittele und Unterjteiermarf erlangt, jo | (Ei .
dab heute Schon nicht nur mit Milli Ein Volkoſtück von Anzengruber.
onen Jahres » Erträgnik, ſondern mit Es war einmal eine Wiener Klein»
Millionen Wertausfuhr gerechnet wird bürgerfamilie Namen® Hammer, Pie
und noch eine bedeutende Steigerung | hatte zwei Söhne. Den älteren, Arthur,
fiber zu erwarten ift, indem das fteiri- ließ fie ſtudieren. Der bradte es bald
ſche Obſt überall auf allen Pläßen durch | zum Doctor, heiratete die feine Tochter
jeine vorzügliche Oualität fich die größte) eines Advocaten und ward jelbit Advocat.
Anerfennung erringt, glaube ich, ift es | Das gieng aber nicht gut. Verſchwendung
die höchſte Zeit, dak man für den Ver- und Großthuerei! Sie lebten in Glanz
luft, den das Land ohnehin duch den nach außen bin, im Innern war's hohl.
nit mehr aufzubaltenden Niedergang, Ein Kind hatten fie, ein Mädchen, das
der einjt jo berühmten Eiſen-Induſtrie ward in einem Penfionat erzogen, den
bereit3 erlitten, traten muß, die unge- Eltern entfremdet; einmal gejtand die
beuren Schäden, die uns die Neblaus , Tochter dem Vater, allerdings halb im
zufügt und unausweichlih noch zufügen | Scherze, wenn er nicht Geld hätte, würde
wird, nicht nur durch Förderung des ſo es ihr fchwer ankommen, ihn lieb zu
einträglihen Objtbaues, jondern auch durch haben. Plötzlich war der Ruin des
Vefänpfung jeiner gefährlichjten Feinde, | Hauſes da. Während in den Nebenge-
unter melden der Haſe obenan fteht, zu mächern feine Familie fich noch mit frivolen
paralyſieren. Gaſten bei feſtlichen Klängen ergötzte,
Wie ich ſchon oben in dem Beiſpiele ſteckte Doctor Arthur Hammer den Revolver
der Gemeinde Allerheiligen nachgewieſen, zu ſich und eilte in Nacht und Nebel der
koſtet derſelben der Schuß, den fie ihren | Donau zu.
Objtbäumen nur allein gegen Ha— Mittlerweile hatte die alte Mutter
jenfraß gewähren muß, den zehn» Hammer mit ihrem zweiten Sohne draußen
fachen Betrag des Jagd» Pahtichillings, | in Erdberg in ihrem Häuschen ärmlich
und bradte man den billigjt berechneten | und klein dabingelebt. Der zweite Sohn
Schutz eines Obſtbaumes mit nur 4 Tr. | hieß Ihomas und war Spielmaarenhändler,
per Stüd und Jahr, jo macht das im Der vornehme Doctor Hammer hatte ich
ganzen Lande bei den viele Millionen | jeit vielen Jahren nicht mehr um dieje
betragenden jhugbedürftigen Opbjtbäumen | jeine nächſten Verwandten gekümmert.
einen Aufwand von mehreren Hundert Der Thomas, vom jtillen Kummer der
taujend Gulden, ımd zwar mehr, als | Mutter gerührt, Lie ihr alljährlid am
das Erträgnis der ganzen Jagd wert ift. | Weihnachtsabend Bejchenfe zufommen und
Möchten die Geſetzgeber im gerechter fie glauben machen, die Spenden wären
Mürdigung der Sade zum Wohle des vom Doctor Arthur, „unſerem befleren
Landes enticheiden, daß der Jagdpachter | Herrn Sohn,“ wie ihn der Spielmaaren-
für jeden dur was immer für Wild austräger Florian ſtets nannte,
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Un einem Abend vor dem Weib: redete, dejto erboster wurde die Frau,
nachtsfeſte, als der Thomas Am Hof noch | bis er dem entgegengefegten Weg einichlug
jeine Spielwaaren feil bielt, lief jein und jcheinbar herb gegen den „rüdfichts-
Bruder, der Herr Doctor, über den Platz loſen“ Doctor Arthur loszog, der fie
und der ihm nacheilende Buchhalter Fahne | zulegt gar nicht jehen und anhören wolle,
lein theilte dem Spielwaarenhändler jofort | wen fie auch zu ihm käme. Das erwedte
mit, wie es mit dem Herrn Doctor ſtehe, ihren Widerjpruchsgeift.. „Was? Nicht
und daß er fich ein Leid anthun wolle, | anhören wird er mich? Das wollen wir
Der Thomas verfolgte feinen Bruder, am|doh ſehen!“ Sie padt zujammen md
Tonanftrande holte er ihn ein, im Mo- | fährt mit der Tochter in Führung des
ment, al& der Doctor fich eben den Re: | Schwagers Ihomas nah Grdberg zu
volver an die Bruft ſetzen wollte. Seiner |ihrem Manne.
treuberzigen, wunderbar eindringlichen In dem Augenblid, als fie im Haufe
Ueberredungsmweile gelingt e8, den vor- |der Mutter Hammer eingetreten, wird
nehmen Bruder vom jchlimmen Vorhaben | dort der kleine Chriſtbaum angezündet.
abzubringen und ihm nach Erdberg in ihr | Der warme Glanz der Mutterliebe ver-
gemeinjames Heimatshäuschen zur alten | Härt und jchlichtet Alles; fie finden fich
Mutter zu führen. Die Mutter Hammer, |und einen ſich. Die hohle Eriftenz des
die mit Thomas ftet3 in einer äußerlichen | vornehmen Hauſes ift verfunfen, in jchlichter
Fehde lebte, jein treues Herz mißfannte | Bürgerlichkeit und Zufriedenheit wollen fie
uud nur in ihrem vornehmen Heren Sohn | — endlich heimgefunden — ihr ferneres
Doctor Arthur das Ideal jah, war vor | Leben friften.
Glüdjeligfeit außer fih, als Arthur nun Was da flüchtig erzählt worden, iſt
jo plöglih erſchien. Als er ihr mittheilte, | ber Gegenjtand der neuen Meihnachts-
dab er ein ruinierter Mann jei, war fie | fomödie „Heimg'funden“ von Ludwig An—
wohl jehr erjchroden, verlor aber den | zengruber. Wir finden in diejer jcheine
Kopf nicht, jondern war mit überjprudeln- | baren Gelegenheitsarbeit alle Vorzüge des
der Mutterliebe bejtrebt, ihn zu bewirten | großen Dramatifers wieder; aber auch
und auch feine familie würdig zu em- | Fehler, die ich nur deshalb andeute, weil
plangen. fie nad) meiner Meinung unjchwer zu
Bruder Tomas war nämlich mittler- | außjurotten wären, Wenn auch das Stüd
weile gegangen, die Fran und Tochter des | fi um den Spielwaarenhändler Thomas
Doctors zu holen, weil es die Mutter und fein jchlichtes Heim concentriert, jo
vor Allem für das Nothwendigite hielt, | iſt der eigentliche Held desjelben doch
da3 getrennte Ehepaar wieder zuſammen- Doctor Arthur. Es müßten alſo jein
bringen. Das gieng aber nicht jo leicht, | Kreis und jeine Verhältniſſe mwenigftens
denn es jdien, als ob die Ehegatten |jo weit gejchildert werden, als es zum
beiderjeit$ von einander los und ledig Verſtändniſſe jeines Charakters nöthig it.
fein wollten. Als Thomas ins Haus des | Die äußere Hauptihuld des Doctor
Doctors fam, das freilich zur Stunde nicht | Arthur bejteht darin, daß er jeine Familie
mebr deſſen eigen war, traf er Frau und | zu leichtfinnigfter Großthuerei und Ver—
Tochter im tiefften Kummer über das ſchwendung verführt und ihr darin Vor-
Schidjal des Gatten nnd Vaters, der ſchub leiftet. Das bringt den Ruin des
am Abend zuvor mit Hinterlaflung eines | Haufe® und wäre jomit in Ordnung.
Abſchiedsſchreibens fortgegangen und jeit- | Das Unbegreifliche liegt anderswo. Viele
ber nicht mehr nah Haufe gekommen war. | Jahre lang lebt Arthur als reicher Mann
Als die Frau nun aber hörte, daß ihr |in derjelben Stadt, wo auch jein altes,
Mann lebe, bei jeiner Mutter ſei umd | Tiebherziges Miütterchen ſich Fkümmerlich
fie mit dem Töchterlein zu ſich bitte, |durchbringt, er lebt in Glanz und Ueber-
gerieth fie baß in Zorn. Je mehr der |fluß, ohne fih auch nur ein einzigmal
Ihomas jeinem armen Bruder das Wort Ina der Mutter umzujehen, ohne ihr auch
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nur die geringite Wohlthat zu ermeilen !
Das kann von einem Manne, der über-
baupt wert iſt, heimzufinden, nur begriffen
werden, wenn diefer Mann etwa jehr
unter dem Einfluſſe jeiner bochmüthigen
Gemahlin fteht, die einen Verkehr zwijchen
ibm und der armen Frau aus den un—
teren Claſſen ſtets zu verhindern weiß.
Tiefe Mitihuld® muß, um den Mann
gtaubwürdig zu machen, der Frau Gemahlin.
anfgebürdet werden. Frau und Tochter
des reihen Mannes kommen nie
Bewußtſein des Familienglückes — immer
nur Scheinfreude und Prunkſucht. Davon
find fie zu befehren, es muß auch die
Frau beimfinden, heißt das, zu ſich jelbit
fommen, Als ich den Ihomas zur Frau
Doctor gehen ſah, daß er fie zum Gatten
ins Häuschen am Erdberg bringe, dachte
ich nichts Anders, ala Thomas werde aus
eigener Liſt ihr mittheilen, wie der Doctor
an der Donau, den Nevolver no in ber
Hand, gefunden und dann ins Haus feiner
Mutter überbracht worden jei. Die Frau,
durch des Doctors Mbichiedsbrief und
Entihluß beſtimmt, glaubt natürlich nichts
Anderes, als er fei todt. Im Herzen die
mwüthende Nene und die plößlich ermachte
Erkenntnis, daß fie ihn über Alles geliebt,
jo eilt fie mit ihrer Tochter nach Erdberg,
wo fie jtatt der Leiche den lebendigen
Mann findet. — Den Bruder Arthur
hatte der Thomas am Ponauftrande zu
einem neuen Menſchen geformt, indem er
ibn „weich machte, um ihn in den neuen
Model bineinzubringen.” Warım wendet
er dieſes ſich dort bewährende Mittel
nicht auch auf die Frau Schwägerin an?
Das hätte ein paar ſchöne, naturwahre
dramatijche Scenen gegeben, während der
betreffende Act, wie Thomas die Frau
Poctorin holt, gegenwärtig fich tief ins
Poſſenhafte verirrt. Für eine Poſſe aber ift
das Stüd viel zu tief und bedeutend angelegt.
Wenn der Verfaſſer geneigt märe,
einige Modificationen jener Gharaltere,
die in der feineren Geſellſchaft ſpielen,
anzubringen und bejonders den vierten
Net zu ändern, dann hätten wir an
„BDeimg’funden“ ein Werk, das fich den
eriten Meifterdramen Anzengruber’3 voll
'man muß zu viel weinen,“
berechtigt anſchlöße. Geiſt und Witz,
Humor und reine Herzinnigkeit durch—
ſprühen und durchglühen in entzückender
Abwechslung das Stück von ber erſten
bis zur letzten Scene. Während die Komik
in der heiratswüthigen Frau Xandl, im
Spielwaarenausträger Florian und theils
aub in Arthur’ Buchhalter Fähnlein
ihren köſtlichſten Ausdrud findet, tritt
uns der Humor, der echte berzgewaltige
und befreiende Humor in Thomas und
zum) der Mutter Hammer entgegen. Das find
bei unjerem Anzengruber ſtets die tief-
innigjten Herzlaute, wenn ſich's um eine
Mutter handelt! Hier eine von ihrem
vornehmen Herrn Sohn vergeflene Mutter!
Und wie jelig, wie dankbar ift fie, als
er endlich fommt, um bei ihr Zuflucht zu
juchen in feinem Elend! Und wie liebens-
würdig ift die Ungerechtigkeit des Mutter-
herzens gezeichnet ! Hier die VBerhätichelung
des mißrathenen Sohnes, dort die raube
Zurüdjegung des gutmüthigen treuen Tho—
mas, der glüdlich ift, als jich die Mutter
endlich, gerührt ihm umarmend, bis zu
dem Lobe aufihwingt: „Dummer Ding!“
Diel Wahrheit und Weisheit iſt in
diefen volfsthümlichen Figuren; im der
Gejtalt des Thomas hört man die Bruft-
töne eines Wurzeljepp, eines Steinklopfer-
hans wiederballen.
Das Stüd wird feit einiger Zeit in
Graz gegeben, ganz vorzüglich bejegt und
bei fjtet3 überfülltem Haufe. Seit Morre's
„Nullerl* hatte in Graz fein neues Stüd
einen jo großen und moralijchen Erfolg
anfzuweijen, als „Heimg'funden.* Doch
vernahbm ich zwei abjpredhende Stimmen
aus dem Volle, die jehr bezeichnend find.
„Nein,“ jagte eine Frau von der Gallerie,
„in das Stüd geb’ ich nimmer hinein,
Und eine
Dame im Parterre that die Neußerung :
„Nicht jo bald wieder jehe ih mir ein
ſolches Stüd an; jo viel lachen habe ich
müſſen, daß ich mich ſchon ordenlich ge
ihämt babe, vor lauter Laden,“ — Bei
der nächſten Aufführung waren beide
Perſonen wieder da.
Vor zwei Jahren ift die Komödie für
Wien geichrieben worden, aber in ber
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Reihshaupt- und Mefidenzitadt fanden
fih angeblih nicht die genügenden Kräfte,
um fie aufzuführen. Man wollte übrigens
in dem Theater, für welches es jpeciell
beftimmt, eine neue Operette eines erniten
und gehaltvollen Volksſtückes wegen nicht
abjegen, und das umjomweniger, als
„Heimg funden“ gewiſſe Sünden und Zu-
ftände der Wiener Gejellihaft mit jcharfer
Geißel züchtigt und ganz befonders auf
ein damals in Wien ftattgefundenes Ereig-
nis recht unangenehm erinnert hätte.
Das Theater an.der Wien bat, wie
es heißt, dem Dramatiker Anzengruber
einen Jahresgehalt angeboten, damit der
Dichter feine Stüde in Wien nur für
diefe Bühne jchreibe. Wie fih’3 heraus:
ftelt, war aber feine ernjte Abſicht da,
die Anzengruber'ſchen Stüde an der Wien
zur Aufführung zu bringen, man wollte
durch die Erwerbung des Rechtes nur die
Aufführung auf anderen Wiener Bühnen
verbindern. Die Operette duldet neben fich
fein Volksſtück mehr !
Greller und trauriger, als durch dieje
Nahriht können die Wiener Theater»
verhältniffe nicht illuftriert werden. Der
größte Volfsdramatifer ſoll contractlich
verpflichtet werden, daß er jeine Werfe
nicht zur Aufführung bringe... !
Eben fommt die Nachricht, daß An-
jengruber für „Heimg'funden” den Grill-
parzerpreis erhalten hat.
Roſegger.
„A G'raff.“
Ein Volksbild aus dem Böhmerwalde.
Von Joh. Peter.
„Zrauri fein, trauri fein,
Dos foit mia gor net ein!
Munter und lufti fort,
Dos is mei Ort!“ (Art.)
So jang der „ſchiach Waltl,” als er
an einem Faſchingstage durch den tiefver-
jchneiten Tannwald dem Kirchdorfe zu—
wanderte, daß es weithin durch den traum—
ſtillen Forſt erllang. Und in der That!
des duch die Wettertannen braujenden
Nordmwindes jhon gar nicht jpürte.
Was der Waſtl bei jo schlechtem
iEin fejcher Kerl war es, diefer Waftl:
das Auge voll Feuer, das Geficht voll
Leben und die Stimme voll Scneid,
Trogdem es ftürmte und „wadelte,“
„wie am jüngiten Tag,“ jchritt er doc
jo munter und „rubenfriich” fürbaß, wie
zur grünen Maienzeit, wenn das Mai.
ı lüfter! weht und im Hochwald die weiken,
jungfräulichen Buſchwindröschen und Blau-
veigelein blühen. Sein Blut war jung
und heiß, und dann trug er ja die er-
wärmende Sonne der Liebe im Herzen,
und die machte, daß er die eifige Kälte
Wetter im Kirchdorfe juchte ?
Ei nun! was jonit, als ſchmucke
Dirnen, Tanz und vor Allem — „a
G'raff.“ Ja, „a G'raff,“ das galt dem
Maftl noch mehr als jeine flachshaarige
Liſl, im die er ganz vernarrt war, und
die feine Liebe mit trenefter Gegenliebe
erwiderte, Aber er konnte jelbjt jeines
Schatzes vergeffen, wenn es galt, „a
G'raff“ zu ſchüren oder ausjufechten, und
in diefer Beziehung hatte er ſchon einen
gewillen Ruf als Raufer erlangt, was
ihn nicht wenig jtolz machte. Weit und
breit, in der ganzen Lujengegend bis bin
zum jonnbeglänzten Mittagsberg einerjeits
und bis zu dem Bergftode der drei Seſſel
andrerjeitö bieß es von Waftl: „Yo, dea
Waſtl, dos iS vana, dea füacht’ joijt den
Tuifl net, wenn's goit! Dea haut a gonz's
Wirtshaus aus, wenn ea ſchiach wird.”
Und in der That, der Wajtl war der
vermwegenfte Raufbold, der weit und breit
aufzutreiben war; jein Sriegsichauplag
war meiſtenfalls der Tanzboden in der
Porfichenke, jeine Feinde waren die prab-
leriſchen „Läufer,“ wie er die großthuenden
Gecken benannte, jein Schwert war das
lange „Raufmeſſer,“ das er jahrein, jahr-
aus im tiefen „Meſſerſack“ am redten
Hofenfuße trug, und jein yeldberrntalent
war der „Vorth“ (Vortheil — Lijt), womit
er jeine Gegner überlijtete. Deswegen war
er am Tanzboden der Gefürchtete, bei den
Mufilanten der Angejehenjte, weil er mit
Hingender Münze den „angefrimten”“ Yänd«
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fer zahlte, und bei den Dorfihönen der „Dinai ſteh af, leg's Kiderl on,
Angeftaunte, weil er gar fo verführerifch Raten ®
großthun fonnte, Keine jedoch nahm fein &5 fuadan ſchon,
Herz gefangen, ausgenommen die Lijl, Buadan ſchon!“
der er zu tief ins braune Ange gegudt, (Zodler).
und bie es ihm jo ſehr angethan, daß Loßl's fie nun fuadan,
er fie lieben mußte; und aud fie war Sö hom jhon Zeit,
ihm jo recht vom Herzen gut und bildete Hom ſchon Zeit,
; : . ’2 Qich, Hom frumpe Roß
fih nicht wenig daranf ein, Waſtl's Lieb Und fohr'n net weit,
hen zu fein; nur konnte fie fich nicht Fohr'n net weit!“
mit jeiner Rauferei einverftanden erklären, (Iodler).
und hundert Male wohl bat fie ihn, das
„G'raff“ zu laflen und ein „ſittſamer Bua“ Es war eine kreuzfidele, volltönende
zu werden, wiewohl vergeblich. Waſtl Stimme, die da in die Winteröde binaus-
meinte: „Lil, i bob Di gern, oba d08 | Hang. Von der nächſten Hagebuce fiel
jog i Dir: jei ftad und red net jo g'ſchwoll'n; die schwere Schneelaft, Waſtl's Jodler hatte
mei G'raff gebt Di nir om, dos is mei |fie aus ihrem ruhigen Tranme gewedt und
Soh! Mod mi Du ma net ſchiach!“ nun befam auch fie das Faſchingsfieber
Dabei aber hatte er fie doch „zum Freſſen und jchüttelte ihre Aeſte. — Waſtl aber
gern“ und er bätte fie aus dem Feuer \eilte der Schenke zu.
geholt, wenn es die Nothwendigfeit ge Wie Inftigtoll e& da bergieng
boten hätte. Am Ofenwinkel ſaßen die „Spielleut*
Am legten Sonntage war er wieder | und man jah es ihnen an, daß fie fich beim
in ein bintiges „G'raff“ mit Grenzbaiern | fteinernen Maßkruge böcft wohl befanden.
verwidelt geweien, und dabei hatte er dem vor ihnen ſtand eine Gruppe frohlebiger
Brettſchneider-Xaverl jo derb mitgeſpielt, Burſchen, welche den Muſikanten ihre ori—
daß ihm „Hören und Sehen vergieug.“ ginellen „G'ſangl'n“ vortrugen, während
Liſl ſuchte abzuwehren, allein der Waftl | an den Wandbänken herum die buntrödigen
war jo „ſchiach,“ daß er auch ihr eine Dirnen ſaßen, gewärtig des fommenden
ſchallende Obrfeige verjeßte, was zur Folge | Tänzerd. Die ımd da jtanden einzelne
hatte, daß Lil fih einen Andern „aufe | Liebespaare in geheimnisnolles Flüftern
zwidte“ und zum nicht geringen Aerger und glüdieliges Gefühlsaustaujchen ver-
Waſtl's mit dem „Stierhonas,” jo ber |junfen, und au den weißen Fichten und
nannt feiner Wildheit und Stärke wegen, | Tannentiſchen ſaßen die jhwarzbärtigen,
„hoam“ gieng. Nun ließ fih der Waſtl wetterharten Waldbauern im eifrigen
jeinen Zorn am Biere aus und trank des „Diſchkurs,“ ab umd zu neues Leben jchö-
braunen Naſſes in folcher Menge, das |pfend aus dem bauchigen Steinfruge, der
endlich auch ihm Hören und Sehen ver- vor ihnen ftand. Am vorderjten Winkel
gieng und er im Wirtshauje den ganzen | des Tanzbodens jahen etwa zehn bünen-
Montag „blau“ machte. Seit diejer Zeit | artige Redengeftalten in blauleinenen Hojen
troßten Waftl und Lil und der „Stier- und breiten Müten, die auf den erjten
honas“ jpielte jeßt recht den „Geſchwol- | Blid benachbarte Grenzbaiern verriethen.
lenen.,.“ Das jollte er büßen! Während fich die „böhmiſchen“ Wäld—
Munter jchritt Waſtl aus, und als ler ungezwungenen beluftigten und ihrer
er aus dem Walde binaustrat in die | frohen Laune freie Zügel ließen, ſaßen die
Lichtung, ſah er vor fih das Kirchdorf | fremden Bäfte augenjcheinlih ganz ruhig
und hörte, wie vom Kruge her die Pfeifen | und harmlos an ihrem Tiſche und muſterten
langen und die Hörner jchmetterten. mit neugierigen Bliden die fie umjchwär-
„Juchhe!“ lang es aus feiner Stehle, \mende Lebewelt. Ab und zu trat der
daß es im minterlichen Walde weithin | Honas zu ihnen, tranf ihnen zu und flüjterte
wiederhallte, Und dann fang er: geheimnisvolle Worte in ihre „Ohrwaſchl.“
302
Als endlich der Waftl auf dem Tanzboden | tanzte der Xaverl, einen Juchſchrei nad)
erſchien, nahm die Situation urplöglich | dem andern ausſtoßend. Das wurde dem
eine ganz anderes Gepräge an: die ruhi- Waſtl Schließlich „zu dumm“ und er fuchte
gen Beobachter wurden jet laut und über- | einen Vorwand zu einem „G'raff“. Keck
mütbig. jpreijte er jein rechtes Bein vorwärts und
Der Brettjchneider-Kaverl, der feit dem | paßte dabei auf den Honas; als diejer
legten „G'raff“ Hören und Schen wieder | nun wieder an dem vänfefüchtigen Beob-
erlangt hatte, ftieß einen dröhmenden Juchzer | achter vorbei tanzte, „ſchlug ihm Waftl
aus, padte mit derber Fauſt ſein Dedel- | den Fuß unter,“ daß der Honas jammt
glas, näherte fich dem Mufifantentiich und | feiner Tänzerin „der Länge nah“ auf den
jchrie die Spielleute an: „He, Faulenzer!| Boden ftürzte und fich zum Gaudinm der
aufg’ipielt, junft jchlog i Ent oille Boal fröhlichen Dorfjugend nach links und rechts
aus'm Leib! Fir Saframent |" fugelte. Ked hinter dem Honas kam der
Nefigniert griffen die aljo Apojtro- | Xaver! gehopst, und auch ihn traf dasjelbe
phirten nach ihren Hörnern und Pfeifen) Schidjal: er mußte ſich mit feiner Tän—
und warteten geduldig des Weiteren. Der | zerin, der „jommerjchedigen Wabi,“ auf
Xaverl aber ließ ihnen einen Arng Braun» | dem Boden fugeln.
bier verabreichen, warf ihnen ein glänzendes Nun aber brach ein furchtbares Unwetter
Markjtüd zu, wobei er ihnen einen Blid | los. Im Tanzraum herrſchte bereit3 be»
in den vollen Beutel gejtattete, jo ihre | denflihe Schmwüle, nun jollte ih das Ge-
Hoffnung auf weiteren Spiellohn nährend. | witter entladen, Flugs theilte fih das
Jetzt wurden die Spielleut’ Feuer und | tanziuftige Bolt in zwei Lager : die Böhmer-
Flammen! Tief jchöpften fie aus dem wäldler ftanden zu Waftl, auf deſſen Ge-
bauchigen Steinfruge und auf ein Zeichen | ficht ein höhniſches Lächeln thronte, während
Xaverl's ſetzten fie ihre Inftrumente an! fich die Baiern und mit ihnen der Honas
den Mund. Kaverl aber improvifierte fol-| um den jo jchwer beleidigten Xaverl
gendes G'ſang'l: gruppierten.
Wie eine Viper jchnellte der Xaverl
„Spoileut, Spoileut, |
— sand, — und packte den Waftl ander „Troßt“
Dba fein brav! (Kehle). Das war das Signal zum all-
Heut jan Vagonz'n (Ferien), gemeinen Kampfe. Waſtl fahte mit kräf—
Do muaß ma tonz'n: tigem Arm den Angreifer an der Gurgel,
een —E J hob ihn in die Höhe, ließ ihn eine kurze
Sba fein brav!" } Zeit in der Luft zappeln, und fuhr dann mit
ihm in die Ede, wo die Spielleute jaßen.
Im Nu begangen die Trompeten zu! Dort jchleuderte er ihn mit jolcher Gewalt
ihmettern, die Pfeifen zu Hingen und die) an das „Orſcheſter,“ daß dem Xaver! zum
Bäſſe zu poltern, daß die Fenſterſcheiben zweiten Male Hören und Sehen vergieng.
erklirrten und dem jungen WVölklein mun- | Allein in demjelben Augenblide fühlte ſich
derjeltjan zu Muthe wurde; brennbeiß | auch Waftl hinten „am Kragen” erfaßt
ftieg e8 in den Adern der Dirnen auf, | nnd derart gemwürgt, dab auch er jein
wie auf ein Zeichen ordneten fich die Paare | legtes Stündlein gefommen glaubte. Mit
und uun gieng es an ein Walzen und | der Kraft eines Tobjüchtigen entwand er
Hopjen, an ein Schleifen und Drehen, daß | fih den Händen feines grimmigen Wider—
der Tanzboden dröhnte und die Stirnen ſachers, und als er gewahrte, daß es der
dampiten. Honas war, ftürzte er ſich mit einem
In des Neigens Mittelpunft ftand | gräßlicen Fluch auf denjelben, zog aus
der Waftl und verfolgte mit troßigem Auge | der Hofentajche jein langes Raufmeſſer,
den provocierenden Nebenbubhler, der an und —- der Honas wälzte fi in jeinem
Liſl's Seite durch den Tanzboden flog wie Blute. . + Nun aber jollte e8 dem ver-
ein rajender Roland. Knapp hinter Honas , wegenen Raufbold schlecht ergeben! Brüllend
und wuthſchnaubend wälzten und —
ſich die Baiern durch den verworrenen Men—
ſchenknäuel zu Waſtl hin, in ihren derben,
nervigen Fäuften bligten die blanfen Nauf- |
meſſer, auf ihren didfleiichigen Lippen lagen
wilde Flüche.
„Bafluahte Böhm, heut joll’3 Ent
ſchlecht geh'n!“ brüllte der Neden einer
und ftürmte durch die Menge.
„Wos jogt dea Boja!“ kreiſchte der
verwegene Franzerl-Johanu, „wos traut
fich der Boja in Defterreich ? Niedag'ihlog'n! |
Niedag'ſchlog'n!“ Und im branfenden Chore |
ſchallte e8 durch den Tanzboden: „Shlogt
fie nieda, die Boja! Auſſi mit cab’
(ihnen)! Haut zua!“
Wie ein Bienenſchwarm ſammelte es
ſich um die Baiern an, ein „Troſſeln“ und
Würgen, ein Hauen und Stechen begann,
wie in einer männermordenden Feldſchläacht,
zos
folgern verbargen. Nur Einer blieb in den
Händen des aufgeregten Dorfvolkes, nämlich
Xaverl. Willig und an jeder Hoffnung ver—
zagend lieh er Alles mit fich geichehen. Wohl
hundert Arme redten ſich nach ihm, mit ge—
waltigerı Stodichlag ward er zu Boden
gejtredt, und nun begann auf jeinem Körper
ein förmliches Dengeln und Hämmern, daß
die ausgeſtoßenen Hilirufe mit Entjegen
durch das gräßliche Schlagen gellten. Als
er ſattſam „abgeprügelt“ war, band man
ihm Hände und Füße zufammen, jchleppte
ihn zum DPorfrichter und ſchickte um Gen-
darmerie.
Der Tanz ward abgebrochen; Waitl
hatte zum legten Male dem luſtigen Ländler
gelaujcht, hatte zum legten Male gerauit:
er war „falt” für immer, Jetzt erſt gieug
es der Lil zu Herzen, und fie weinte,
„daß das Hans erflang.* Ihr Frohſinn
bier jauste ein Seljelfuß oder ein „Ochſen- war weg für alle Zeit, fie entjagte der
zähn“ auf den Kopf eines Baiern, dort | Liebe für immer und warf ſich ſchließ—
ichwirrte ein jchweres, von nerpigem Arme | lich der Frömmigkeit in die Arme, in-
geihwungenes Dedelglas dur den jchwü- |dem fie in die ehrwürdige Gilde der
len Raum, am dritten Plage bligten die Betſchweſtern trat und als joldhe den jo-
Raufmeſſer; jetzt ward es till auf | vialen Dorfpfarrer allmöchentlich mit ihrer
den ZTanzboden, nur das Würgen, | Beichte plagte. . .
Eichen, Schlagen und Werfen dauerte A a
fort, Blut floh in Menge. Nun er *
wacte der Xaverl aus ſeiner unfreiwil—
ligen Ruhe, er jprang mit gezüdtem ı
Meſſer auf den fleißig dreinichlagenden
Waſil zu, cin Stich, und der „ſchiach
Waſtl“ — war eine Leiche.
Wie entjegliches Föhngebranje gieng
es jeßt durch den Tanzboden. „Waitl!
Waſth!“ ſchrien Hunderte von Stimmen.
Die Weiber und Mädchen alarmierten das
ganze Torf, Männer und Greife jprangen
aus ihren Betten und eilten auf den Tanz—
boden „um über Xaver! furdtbares Gericht
zu balten.” Meſſer, Haden, Heugabeln,
Senjen, Drejchflegel und Steine mußten
ala Waffen dienen, man wollte den Örenz-
nachbarn cin lebendiges Beijpiel conita-
tieren, daß fie die böhmijche Grenze auf
lange Zeit nicht mehr überjchreiten jollten.
Als das die Verfolgten bemerften, er:
griffen fie die Flucht und eilten in vegellofer
Dalt durh Schnee und Eis dem uralten
Grenzwalde zu, wo fie fi) vor ihren Ber:
Es war ein freundlichrr Wintermorgen;
blutroth jtieg die Sonne im Oſten herauf,
‚da begann es im Dorfe lebendig zu werden.
Von Haus zu Hans gieng es: „Die Baiern
\ fommen!* Und thatjächlich ftanden bereits
auf der Teufelsbrüde, die über den bie
Landesgrenze bildenden Tenfelsbacd führt,
wohl an dreihundert Baiern, verjehen mit
allen erdentliben Landfturmmwaffen. Eine
Deputution wurde zum Dorfrichter mit dem
Auftrage geichidt, den XRaverl entweder „mit
Gutem“ oder „mit Schlimmem“ aus feiner
Gefangenschaft zu befreien. Vor dem Rich:
terhaufe jtand bereits das ganze Dorfvolf
ebenfall® vom Kopf bis zum Fuße bewaffnet.
Der Richter, ein uralter, „ſiebengeſcheiter“
Waldbauer, verweigerte die Herausgabe
des Kaverl mit Entichiedenbeit, und er
fonnte auch „feinen Sinn nicht ändern,”
al3 einer der Baiern die Piftole aus dem
„Schoit” zog und durd das Fenſter in
die Nichterftube ſchoß. Nun gieng es an
394
eine förmliche Schlacht: die Baiern über- | der jtenographiichen Kunſt in Defterreic,
ichritten die Orenze und drangen brüllend | eintritt. Den Aufihwung und die wachjende
und jchiehend ins Dörfchen ein, während | Verbreitung der Stenographie in Defterreich
ihnen die erbitterten Wäldler mit wahrer | habe ich nie bezweifelt; meine Bemerkung
KRampfbegier entgegen ſtürmten. Den blu- | bezog fib nur auf eine Bergleihung der
tigen Kampf zu jchildern, verjagt die Feder | heutigen ftenograpbiichen Schrift mit der
den Dienft. Nur jo viel ſei erwähnt, daß | Heger'ichen in Betreff der Genanigkeit,
des Blutes in reichlicher Menge floß und | Feinheit und Bierlichkeit, und ſtützte fich,
die tapferen Wäldler ihre Feinde bald bis | wie ich ja ausdrüdlich hervorhob, nur auf
an den Teufelsbach zurüdgedrängt hatten. | einzelne Schriftproben, die mir zufällig zu
Während es dort noch einmal zu | Geficht gefommen. Um mir ein endgiltiges
einem heftigen Kampfe kam, jchwirrten | Ürtheil zu bilden, mußte ich wünſchen,
urplöglih jebe Schüſſe durch die Luft. | Schriftproben zu ſehen, welche von den
Alles ftarrte betroffen nah der entſpre- Lehrern der Stenograpbie jelbjt für mujter«
enden Rihtung — und nun nahmen die | giltig und dem Stande der heutigen Kunſt—
feindlichen Nachbarn Reißaus, daß es ein | fertigfeit entiprechend erflärt würden. Die
Vergnügen war, Augenzeuge ihrer Flucht |jeom Wuniche fam der Obmann des Linzer
zu fein. — Das Erſcheinen der ſechs | Stenographiicen Vereins, Herr Profeſſor
öfterreichiichen Oendarmen nahm ihnen | Varta, eben jo freundlih als in ausgie—
alle „Knraſchi. . .“ bigem Mafe entgegen, indem er mir eine
Xaverl murde dur die Heimatsbe- | Reihe von Schriitproben und Belegen ein—
börde dem baieriichen Landgerichte ausge | jandte, welche von dem Umfange, in wels
liefert und diejes wies ihm einen mehr-ſchem, und dem Eifer, mit welchem die
jährigen Aufenthalt in feinem Gefängniffe | Stenograpbie in der oberöjterreichiichen
an. .. Hauptſtadt gepflegt wird, ein rühmliches
Seit dieſer Zeit wagte ſich kein Baier Zeugnis geben. Die Schönheit dieſer Pro—
in den urdentſchen Böhmerwald und fein | ben läßt nichts zu wünſchen übrig. So wie
Böhmerwäldler in das urdeutſche, berr- aber in jeder Kunſt, im jeder Willenjchaft,
liche Baierland, bis die Alles verwijchende | in jeder menschlichen Thätigfeit eine Grenze
Zeit auch über diefen Schandflet den | der Vollkommenheit undenfbar und Jeder
Schwamm der Vergefienheit führte. | willtommen ift, der etwas beitragen will
Hente verkehrt man wieder jo freumd- | zur Förderung des Fortſchritts und zur
ichaftlib wie im frübefter Zeit, demm Abwehr der Verfalls, jo wird es gewiß
büben wie drüben hat fib das Be— auch auf dem Gebiete der Stenographie
wußtjein entwidelt, daß Alle Söhne | mir und jedem Anderen gejtattet jein, mit
Einer, der gebenedeiten „dentjchen Hei- | Andentungen und Vorjchlägen, wie Dies
mat“ find, oder Jenes befier, zwedmäßiger ſich machen
— ließe, hervorzutreten. Für ſolche Anden—
tungen iſt hier ſchon deshalb nicht der Ort,
R weil fih die ftenograpbijchen Zeichen im
Stenograph iſch = Druck nicht wiedergeben laflen; ich werde
Meine gelegentlihe Bemerkung im | mich aljo darauf bejchränfen, einige von
Dctoberheite des „Heimgarten,“ daß ich | meinen bezügtichen Anfichten dem Linzer
na den Proben zu jchließen, die mir zur | Gabelsberger-Stenographen- Verein brief—
fällig zu Geficht famen, in der heutigen | Lich darzulegen. Auch zu mündlichen
jtenograpbijchen Schrift nicht ganz die ge- | Erörterumngen werden mich Stensgraphen
nane, feine md zierlihe Weile Heger’s immer bereit finden, im Intereſſe einer
wiederfinde, hat den „Babelsberger-Steno- Kunſt, in welcher ich einen nicht unbedeu-
graphen-Berein“ in Linz zu einer Zujchrift an | tenden Hebel des menjchlichen Eulturfort-
die Redacion des „Heimgarten” veranlaßt, | jchritts erkenne.
in welcder er lebhaft für den Aufſchwung Nobert Hamerling.
—— Bpaf ı =
man auch haben,
fagte ber Bauer, ba
mwarf er jein Weib
— — den —
Der wer —— |
Dir tbener zu |
feh'n, d’rani das |
Beib, und iprang |
wieder „wieber derand |
Luſtige Zeitung :
Carneval. Grai, 1. Februar 1887.
diesbezüglide noch meiterjverfahren! Nach meinem Bor:
Vorfihts-Rlafegen. gehendere Maßnahmen un:|ichlag ift aber aud hier für
Wien, 1. Februar, Iterthänigft zu unterbreiten,|die Zukunft jeder Gefahr vor—
Wir leben befanntermaßen die ich hiermit ihrer giltigen|gebeugt. Stüde, die in Folge
in dem Zeitalter der Huma- Beurtheilung empfehle. Mei:|ihres Inhalts zur Begeiſte—
nität, na ja! Unjre Devijelner Meinung nah mühtelrung entflammen, find ſelbſt—
ift: Nur ja Einer dem An- nämlich vor Allem das Re— verſtändlich ein: für allemal
dern nicht weh thun! Na ja,|pertoire der einzelnen Büihnen|verboten! Desgleichen dürfen
wozu denn auch! Aus diefemlin Bezug auf feine Feuer- Couplets von zündender Wir:
Grundjag find unſere Thier: fiherheit fireng geprüft wer:|fung unter feiner Bedingung
hut: und Gejelligfeitsver:|den! Stüde, denen nur derimehr gejungen werden. Be:
eine entjtanden und hervor: geringfte Schein einer Feuers: jprehung brennender Tages:
gegangen. Wie jehr wir in;gefahr anhaftet, find unzu-⸗ fragen auf der Bühne abjo-
Wien 3. ®. vor Feuersge:|läffig, jo 3. B.: Wildfeuer, lut unzuläjlig! Natürlich
fahr geihügt find, das brau— Feuer in der Mädchenſchule, werden durch meine neuen
che ich wohl Niemandem zu 'ein Bligmädl u. dgl. Hin- Maßregeln für die Darfteller
jagen, der je in jeinem Le: gegen wäre das MWepertoireljelbft mande Unannehmlich—
ben die SHofiprigen gejehen vorzugsweiſe mit joldden Stüz!feiten erwadien! So dürften
hat! Das neuejte Beftreben den zu bereichern, die einelfih 3. B. ein feuriger Lieb-
ift aber die Feuerſicherheit gewiſſe Garantie gegenFeuers- haber und eine Sentimentale
in den Öffentlihen Localen, gefahr bieten, wie etwa: Catoſdie warm wird, oder gar
jpeciell in den Theatern. Wir von Gifen, Göt mit Dderleine Soubrette mit glühenden
Alle kennen die vielen Vor- eiſernen Hand u. a. Auch der Blicken im der Folge verge:
fihtsmaßregeln, die in dieſer Inhalt der Stüde wird ge- bens um ein Engagement ums
Beziehung getroffen wurden! nau geprüft werden müfjen![iehen! Das Durhbrennen der
Ich, als Mann für Alles, Es ift geradezu unverant:| Scaujpieler ift natürlich con:
habe e3 mir angelegen ſein wortlich, wie leichtſinnig manltractlicd verboten! Ueberdies
tafien, der löblichen Behördelbisher in diefer Beziehung| wird aud das P. T. Publi—
Igen — beihloß Bernhard kungen — Buches Belehrun—
* euillet on. |balbigit Bruft:Bein-Baude gen beitens benugend.* — Die
SE Beugung:Bewegungsvereinen! * Bürſtenbinder's um
Berubard Zürſenbinder. beizutreten. Bevor Bernhard Balthajar's Schweſter, Brun—
Gin Gharakterbild aus dem Leben.) befannte Bewegungen begann, |hilde, hat fich folgendermaßen
„Bernhard Bürſtenbinder, beſuchte Bernhard Bürſten- vollzogen: „Bruder Baltha—
bedeutender Biertrinfer, be⸗ binder Balthajar Beienbins ſac bänglichen Blides, be:
währter, bevorzugter Bilder: |der, Brunhildens Bruder, gann bjorgt, Beide befragend:
maler, bemalte billige Bil-Belehrung begehrend. Balz! „Begehrt Bernhard Bürften:
derbögen. Bernhard bedurftelthafar Beſenbinder, behäbi:|binder blauäugige, blond:
bejondere Bewegung, befjeren!ger Bürgersmann, bierfeind: haarige, bufige Brunhilde
Blutumlauf bewirkend, beillicher Braufebreitrinter, Bier- Beſenbinder?“ Bernhard be:
bejagter beftändiger bewe- bauchverachter, Bruchbanda- jahte bewegt. Brunhilde blidte
gungsarmer Beihäftigung.|genbereiter, borgte Bernhard beihämt. Bruder Balthajar
Bernhard's Bauch, bereits/braudbare, Belchrung bie:/blieb beſorgnißvoll. — „Be:
bedenflihe Breite bietend,|tende Bücher, Bierbäuche-Be-gehrt Brunhilde Beienbinder
bezeignte beitens bewältigten/wältigendes, Vetreffendes|breitihultrigen, bierbäuchi—
Bierftoff. Befferung begehrend, |bringend. Bernhard beſah genBernhardBürſtenbinder?“
Blutwallungen, beziehungss)Petiteltes, Bedrudtes, blät-Brunhilde bejahte bemegt.
weile Beängftigungen beimjterte, blidte beglückt, begann Bernhard beugte beide Beine
bewegungslofen beftändigen|bei Balthaſar Buden:Bruft:|bodenwärts, berührte begeh—
Bemalen billiger Bilderbö:j Bein:Bauchbewegungen, beis|renden Blides Brunhilde's
gen bejänftigend, bejhwichtis|jpielöweife Bruftweitungen,Iblühende Baden, Buſſerl
gend, beruhigend beizujprin:| Baudhmwendungen,Beinfchwen:|bietend. E. M. Sch.
396 Luſtige Zeitung.
fum ſich zu Gonceffionen ber}ihallenden Gelächter der Verslan’ reihen Bäder?“ — Bä—
quemen müſſen. Es wird ſammlung verlieh der Ganz/der: „IS dös an riftenz,
erftens nie in feuer und didat die Nednerbühne. wann mr vom Hunger jeiner
Flamme gerathen dürfen und) — „Warum Herr Krauſe Mitmenſchen leben muaß?,
wird fich gewöhnen müſſen, keine Haare hat?“ Nun, weill — Der Erfindungs-
gerade ſolche Stüde anzus|die Neger krauſes Haargeiſtder Yankees ift wirf:
blajen, die es warm maden!haben. lich bewundernswert. Bindet
Tab kein Menſchſeine Flamme — Unjere Kinder.ida ein Biedermann, der an
in’s Theater mitnehmen darf, „Freu' Dich, Käthchen, der den romantifhen Ufern des
ift ſelbſtverſtändlich! Storh hat Dir ein tleines Codorus in Benniylvanien
Wie Sie jehen, ift filr’Brüderden gebradt, willſt wohnt, feinen Gänjen und
Alles vorgeieh'n und geichieht! Du e3 jehen ?* — „Ad nein, Enten furze Angelſchnüre mit
alles Mögliche, um das Pu: Papa, aber den Stord Haken und Wurm an Die
blilum zu ſchützen. Mein möcht' ich gerne ſeh'n.“* Beine und jagt ſie dann in's
Vorſchlag geht jo weit, dab! — Vereinsnachrich-Waſſer. Die Fiſche beißen an
der Sicherheit halber jogariten. In einem thiringiichen'und zerren an der Schnur,
die Theaterzettel in Zukunft) Städten hatte ſich ein Krie:/worauf das Federvieh er:
nur mehr auf Löſchpapier ges! gerverein gebildet, der ſich ſchroden an's Ufer eilt, am
druckt werden! mit zum Hauptprincip machte, Bein hinten einen Fiſch. Das
F. J. Koch.“) ſeine Kameraden nach mili- Uebrige beſorgt der Farmer.
tärifcher Sitte zu Grabe zu -
adıridıten. geleiten. Paragraph 1 der . i
— — für Statuten lautete: „Der Zwed — ——
ein Abgeordnetenmandat be:|de8 Vereins iſt, die Mit: glauben Sie, wäre geichehen,
flieg im einer Waählerver- glieder zu begraben. wenn Wallenftein nicht er:
ſammlung die Tribüne und 2 mordet worden wäre?* Zög—
begann: „Meine Herren!“ Volkswirkſchaft. ling: „Ich glaube, er wäre
Aber alle folgenden Worte! — Alles falſch. But: ſpäter doch geſtorben.“
blieben bei dem ſchwachen terhändler: „Daß doch der — Profefſor: „Nun aus
Organ des Redners unver- Teufel d'rein ſchlage! Jetzt der Naturgeſchichte. Thomas,
ſtändlich. Plötzlich rief ein habe ich einen Kübel Kunſi- welches Thier zeigt die meifte
Zuhörer mit Stentorſtimme: butter beſtellt und nun iſt Anhanglichteit an den Men:
„Tas wundert mid gar nicht, die auch gefälfcht.“ ſchen?“ — Schüler: „Das
daß ein Mann mit jo Shwa:| — UnangenehmerBeslift der Blutigel.“
her Stimme die meinigeiruf. Schuhmacher: „Wiel — Geograpbiide Er:
baben möchte!“ Unter dem geht's, Herr Nachbar?" — |flärung. „Vater, warum
. — Bäder: Schlecht!“ — Schuh- heißt's denn in der Geogra—
Mm. re — IIRER mader: „Was? Ihnen? Sophie immer europäiſches Feſt—
zuges, alſo beiläufig nadjler und des J———
halb 10 Uhr erſchoſſen wird, ger-Geßler behäbig den Bart
Lin shaufpieler. wurde Kläger's früheres Er- und ſprach gemüthlich:
Der geniale Schauſpieler ſcheinen für unmöglich er—
—— a ſpielte vor klärt. Sofort wettete der|..Eo, * wein. — Teu! Nun
ahren dem Berliner Publi- Schauſpieler um einen Korb mobi, I Tonne i
fum in der Weinlaune einen Champagner, daß er das Un: nn... OR: PREMIERE. ——
argen Streih. Man gab im mögliche möglich machen Dorthin, wo weder Mond nod
Hoftheater den „Tell“. Kla- werde. Die Wette wurde ger) u En an PR
ger, der den Gehler zu jpier|halten, denn jeder Vorwand "" Eu; kei frei =:
len hatte, zechte in der bee zum Trinken war willkom- Ich gehe aus dem Lande und bitt'
kannten MWeinftube von Qut:|men und Kläger eilte in's e RER
ter —* Wegner bis knapp Theater. Als nun im dritten) einig, einig. einig!
vor Beginn der Borftellung.!Acte die Apfelihukicene fam 2
Der Theaterdiener, der wußte, und Tell auf die frage des, Wohl —* —— Der Vor:
wo Kläger zu finden ſei, Vogtes, wozu er den zweiten a muß er Evi J ann
holte ihn aus dem Kreije' Pfeil zu ſich geftedt habe, ee = FH Be
der Zechgenoſſen. Unmilliglantwortete: "; „au die WB 5* Die
über die Störung und noch gyir dieſem zweiten Pfeile durd- = eg fe ein —
nicht voll des jühen Gottes,“ſqeß ih — Gud, * ‘2 in er F onnen,
verſprach Kläger, längſtens Wenn id mein liebes Kind —* er Berlin mußte er ver—
um 3,9 Uhr wieder zurüd| froffen bätte... au ig
zu jein. Da nun Gehler erſt Da ftrih fih zum allge) Sein Meifterftüd lieferteder:
zu Ende des vierten Auf- meinen Erjtaunen der Künſt- ſelbe Schaufpieler in Brom:
Lustige Zeitung. 397
land?* — „Dummer Bua!;lagter: „Nur meinen Betz|drei Jahre lang.” Der jo
Left denn net allerweil in der ter.“ — Vertheidiger: „Scha⸗ dulden mußte, kounte es glüd:
Zeitung: Schütenfeft, Turner=|de! Wenn Sie die ganze Fa— licherweiſe nicht mehr leien.
feft, Sängerfeit? D’rum heit milie ermordet hätten, hätte — Elegiſcher Stoßſeufzer
halt Europa a Feſtland.“ man auf geiftige Unzurech- eines Menſchen, der eine wirt:
— WieKarlchenSchul-nungsfähigkeit plaidiren kön lich muſikaliſche Garriere ge:
je „Erfter wurde. Karl-nen.“ macht bat: „Was, ich joll
hen lommt freudejtrahlend „AUngellagter, haben nicht muſilaliſch jein? Schon
aus der Schule und erzählt/Sie noch etwas zu ſagen?“ in meiner Kindheit hing mir
dem Bater, dab er in der — „Ih rufe den Himmel der Himmel voller Geigen.
franzöfifhen Unterrichtsclaſſe zum Zeugen an, dab ih un: Dann hörte ih oft den
Grfter geworden jei. Valer ſchuldig bin!” — „Jetzt wer: Brummbaß meines Waters
(erjtaunt): „Aber Junge, das|den feine Zeugen mehr ver- und wurde nach Noten ge:
ift ja gar nit möglid, Du nommen.“ prügelt. Als ich jpäter ſtu—
baft im Franzöſiſchen ſtets — dierte, fiel ih mit Bauten
ſchlechte Genjuren erhalten.‘ . und Trompeten dur, mein
Karlen: Janz Kar ift mir) Funk und Kiteratur. väterliches Erbtheil ging flös
die Sade ooch nid. Der) — Rofitanstfi, der Vaz|ten, ih wurde Sänger und
Lehrer wollte willen, wagjfer der beiden belannten man pfiff mich aus, jett
„jeboren” uf Franzöfiich peeit, Opernfänger, war befanntelpfeif ih aus dem Iehten
Nu fragt er der Reihe nach lich Profeffor der Pathologie Loche — und nun joll mir
— Keener werk et. Wie erjan der Univerfität zu Wien. trogdem abgeſprochen wer:
ſchonſt janz witig iS, lommt Außer diefen Sängern hatte den, daß ih mufifaliid bin,
er zu mir und fragt: Karl-er no zwei Söhne, welche da ich vortrefflih Trübjal
chen, weeht Du vielleicht, wie als tüchtige Aerzte einen Ruf blaſen Tann ?"
geboren heeit? — Nee, ſage geniehen. Als der alte Pro:
id. Dadruf ficht er mir jroß feſſor eines Tages gefragt j
an und meent: Aljo von diejwurde, wie es jeinen vier Gefdjäftszeitung.
janze Schafheerde fonnte nur Sohnen erginge, gab er! — Unter dem fFedervich
Gens meine Frage richtig be: fopfihüttelnd zur Antwort: ſind jedenfalls die Hühner
antworten. Karlchen Schulze „Ja, ſehen Sie, mein Lie: die höflichiten, das ſieht
ſehe Dir als Primus obenan.“ ber! Zwei „beilen‘, und zweilman an den vielen Kratzfüs
„ eulen,‘ und die, Die „beu: Ben. _ In frankreich ſoll näch—
len,‘ verdienen noch viermal tens mit roßem om das
Gerichksſaal. ſoviel wie die, die „heilen.“ nt J Ren Ba
— Bertheidiger: „Sie has| — Alsjeinerzeit derſSchrift. der Kartoffel gefeiert wer:
ben nur ihren Better getöd⸗ ſteller Kühne die früher von|pen, an dem fi die
N j ‚ ganze
— — Laube geleitete „Zeitung für Nation betheiligen wird. Die
E die elegante Welt“ im Leipe gartoffel verdient dieſe Ehren:
— ———— — — zig übernahm und der be— bhezeigungen in der That,
berg. Höchſt angeheitert be⸗kannte Witzbold Saphir weripenn ftreng genommen ver:
trat er während eines Gaſt- gen diejes Wechſels um jeinelpankt Fraukreich diejem Ge:
ſpiels die dortige Bühne und Anfiht befragt wurde, er— wächs jeine Stärke.
wurde, da feine unfihere Hal- widerte er jofort: „Nun, was) _ Als Mufter einer
tung fi deutlich bemerkbar ſich Laube nicht erfühnt hat,Imodernen Reclame theilt
madte, von zahlreih anwe- wird Kühne ſich wohl nicht ein Leipziger Blatt die nad):
jenden jungen Leuten mitlerlauben.‘ ftehende Anzeige mit: „Die
Enthufiasmus — ausgepfif- — Nad einer verunglüch- hon mir angefertigten Tele:
fen. Kläger lam nicht aus der ten Tannhäufer- Aufführung sfope bringen ſelbſt eine
Faſſung. in einer Provinzialſtadt fiel Fliege, die eine halbe Meile
Nach einer furzen Pauſe es den Fortgehenden auf, Daßlentfernt ift, jo mahe, daß
trat er hart an die Rampe die Büfte Nihard Wagner's man fie brummen hören
und hielt folgende Anipradhe:jauf dem Foyer von ihrem fann.“
„Ver—ehrtes Publicum !| Poftamenteverihwundenwar.
Wenn ein Künftler, wie . . . Dafür fand man ein Zettel:
Wilhelm Hlä- ger, in einemſchen mit der maliciöfen Mel: Telegramm.
Neft, wie Brom—berg, ga⸗ dung: „Bon der herrlichen — Ein junger Ehemann,
ftiert, dann muß er ent—we⸗ Aufführung meines Tannhäus|der glüdliher Pater von
der ver—rüdt oder bejoffen/jers bin ich noch ganz weg! Zwillingen geworden, tele:
fein... Ich habe den letze Ergebenſt Richard Wagner. |graphiert fofort an die be:
teren Zuftand gewählt.” — Der Drudjehlerteufel war|jorgten Schwiegereltern: „Deus
Das Halloh Tann man ſich einſt boshaft genug, in denite früh Zwillinge befommen.
denten. Nekrolog eines Qirtuojen hin] Morgen mehr.”
einzubringen: „Er dudelte
398
Büder.
Win. Bon Friedrich Schlögl.
Züri, Caeſar Schmidt.)
“Gedrängter und doc dabei erichöpfend,
ſachlicher und doch anmuthig fejlelnd von der
erften bis zur legten Zeile fann wohl faum
eine Großftadt und deren Bewohner beſchrie—
beu werden, als e8 hier unjer Schlögl gethan
hat. Einen treueren und zugleid charakte—
riftiicheren führer dur Wien fann man
nicht mehr finden. Wer das, nebenbei ge:
ſagt, mit fünftleriih und präcife ausge:
führten Jlluftrationen geſchmückte Wert
auch nur liest, und wäre er hundert Mei:
len vom Stefansthurme entfernt, der kennt
Wien. Es ift jedoch mehr als ein Frem—
denführer, es ift ein ethnographiiches Wert
in ernfterem Sinne; tiefe Wahrheitsliebe,
edler Freifinn und männlicher Freimuth
find die ethiſchen Vorzüge des Buches,
Ueberſichtlichkeit, ſcharfe Plaftit in Zeich—
nung des geſchichtlichen Theiles, wie des
Vollslebens find deſſen künſtleriſche. Ein
altes, echtes Wienerherz, wie Friedrich
Schlögl es iſt, der ſeit Metternich ber alle
Stufen der Entwidelung Wiens miterlebt,
mitgelitten und mitgejubelt hat, der alle
Schichten des Bolfes, feiner Literatur und
Kunft auf das Genauefte fennen gelernt
hat, in deſſen eigenftem Blut jelbft die
Fehler und Tugenden des Wieners leben
und der das rechte Auge befigt, um zu
jehen und den richtigen Humor, um über
Allen ftehend doch mit Allen intim zu jein,
und uns die Wiener jo zu jagen dem in
Arm vorzuführen — nur ein folder Mann
lann das Buch jchreiben, das er hier ge:
ſchrieben hat.
Staunend über die Genauigkeit der
Darftellung, gerührt von der heißen Liebe
des Verfaflers zu feinem Wien, dem er
aleihwohl die jhärfften Nügen in das Ge:
fiht jagt, und dankbar endlih für den
Wert des Wertes, für den Genuß bei der
Lectüre — fo legen wir das Buch aus der
Hand, um mit diefer die des Berfaflers
herzlich zu drüden. R.
Onlturbilder aus dem Ofen von fer:
dinand Schifflorn. (Leipzig. E. Pe:
terjon.)
Kommt ein Sritifer des Weges und
jagt, der Verfaſſer der Gulturbilder
reiche faft an 8. EG. Franzos hinan —
kommt nun ein Anderer und meint, der
Verfajler habe Uehnlichleit mit M. Jölai.
Doch weit gefehlt! Die Individualität des
Autors ift in dieſen „Bildern“ von jo
iharfen Umrifjen, dab wir niemand Ans
deren darin zu erfennen vermögen, als —
Sıifflorn, denn diefer Name bedeutet
nn
einen Mann, der das, was er für gut fin:
det, mit deutſchem Mannesmuth herausiagt
— unbefünmert, ob Jemand darob feinen
Mund jchief zieht. „Ie mehr Feind’, deito
mehr Ehr'!“ jagt er als „alter Lands:
inet” mit Frundsberg. — Das Bud,
defien „Berechtigung“, mit den eigenen
Worten des Berfaflers, „vor Allem in der
Wahrheit feines Inhaltes im Gegenfage zu
tendenziöfer Schönfärberei wie chanviniſti—
ſcher Berlogenheit liegt,“ enthält 22 Er:
zählungen aus Ungarn und Rumänien,
von denen die Erzählung „Urſachen und
Mirfungen“ für jeden Defterreiher hiſto—
riſch intereffant if. — Ob die Cultur—
bilder verloren hätten, wenn bie und da
der novelliſtiſche Aufputz weggeblieben
wäre? — Ob hingegen die Erzählun—
gen gewonnen hätten, wenn fie ſtatt „Eul:
turbilder* in der Taufe einen der „Wahr:
heit und Dichtung“ ähnlichen Namen er:
halten hätten? — Dieje Fragen wollen
wir bier nur aufmwerfen, aber nicht beant:
worten. — tt —
J
Aus Beren Walther’s jungen Wagen.
Eine Geihichte aus Defterreihs Vorzeit
von Victor Wodiczka. (Leipzig. Der:
mann Dackel.)
Hiſtoriſche Nomane, der Geſchichte un:
jeres Baterlandes entnommen, von wahr:
haft fünftlerifher Bedeutung, bejigen wir
wenige, und fönnen jomit das Erſcheinen
diefes Werkes, das von entidiedenem Ta:
lente des BVerfaflers zeugt, nur mit umſo
größerer freude begrüßen. Die Handlung
ift tüchtig geihürzt, die Charaktere treff:
lich gezeihnet, das hiſtoriſche Eolorit ein
überaus getreues. Wenn der Verfaſſer für
die Folge etwas zu vermeiden hat, was
den Findrud feiner Werke jhädigen fönnte,
jo ift es Die ftellenweife zu große epiiche
Breite jeiner Schilderungen, womit jedoch
nicht geſagt jein fol, das diejelben jedes
Interefjes entbehren.
Guſt. Andr. Reßel.
Wiederholt erinnern wir daran, daß
gegenwärtig bei Amelang in Leipzig
Adalbert Stifter’s ausgewählte Werke liefe—
rungsweile ericheinen. Es ijt Bedürfnis
und Pflicht eines jeden wahren Xiteratur:
freundes, die Verbreitung der edlen, in
ihrer Art einzigen Werle Stifter's zu un:
terftügen. Ob es in der erzählenden Lite:
ratur elwas Reineres, Innigeres gibt, als
z. B. „Aus der Mappe meines Urgroß—
vaters,* „Das Heidedorf," „Zwei Schwe:
itern,“ „Der Dodwald,” oder etwas in
jeiner ftilen Einfachheit Gewaltigeres, als
vn 5 u
399
den, Abdias,“ den „Bergfryftall, oder et: | miniftration von „Schule und Haus“, III
was Humorvolleres und Nührenderes als | Beatrirgafie 28 in Wien. V.
den „Hageſtolz“ oder „Kalkſtein“? Es iſt
eine ernſtheitere, friedvolle Welt, in die —
Stifter ſeine Leſer einführt. Alle werden
ihn nicht verſtehen, aber wer ihm folgen „Grüß' Gott!“ Ein Blatt für Oeſter—
kann, der wird an dieſem großen Poeten reichs deutſche Jugend. Erſcheint monatlich
ein glücklicher Leſer. R. zweimal. Mit Bildern und Beilagen. (A.
Pichler's Wwe. & Eohn. Wien.)
— Der Inhalt der Zeitſchrift wird fol—
gende Gruppen umfaſſen: Erzählungen,
Märchen, Fabeln, Theater, Sagen, Legen—
Terdinand Schmidt. Feſtſchrift zu ſeinem den, Gedichte, Sprüche, Geſchichtliches, Le—
70. Geburtstage von Hermann Jahnke. | bens- und Gharakterbilder, Eulturbilder,
Mit Titelbild, (Berlin, Fr. Senſenhauſer'ſche Vollsbräuche, Geographiſches, Neilebeichrei:
Buchhandlung.) bungen, Thier: und Pflanzenbilder, Thier:
Wenn es galt, ein mwahrbeitägetreues | ‚ geiichten, Tehnologiihes, Heiteres in
Bild des erfolgreihen Wirkens des Schul— Wort und Bild, Anekdoten, kleine Weltpoft
mannes, Vollspädagogen und Jugendichrift: | (Wiffenswertes aus der Zeitgeihichte), Schnit:
ſtellers Ferd. Schmidt vor den Augen des zel (allerhand kurze Mittheilungen), Lieder
deutichen Volkes zu entroflen, jo war gewiß; mit einfaher Glavierbegleitung, Allerhand
Niemand mehr berufen dazu, als Hermann | Kurzweil, Bildung des Verſtandes, Ver:
Jane. Mit wohlthuender Wärnte ſchildert edlung des Herzens, Anleitung zu finniger,
er die innerliden Entwidlungsphaien und | nütlicher und unterhaltender Beihäftigung,
die unermüdlihe Scaffensfreudigleit des | Stärfung und fräftigung der Liebe zu
gefeierten Jugend: und Vollsbildners. Man | Heimat und Baterland, Wedung des deut:
merft es dem Buche wohl an, daß jein Ver: ‚Iden Stammesbewuhtjeins, ftrebt diejes
faſſer in der Vegeifterung für ein jo jegens: neue Jugendblatt an, das wir allen Sin:
reiches Streben den Gefeierien nicht nachſteht. —* auf das Wärmſte ——
— tt —
— | —
Es gibt leine ernſtere und heiligere Zeitſchrift des Deutſchen und Oeſterreichi—
Pflicht als die vernünftige Erziehung und ſchen Alpenvereins. Redigiert von Th. Traut—
naturgemähe körperliche Pflege der Kin: wein. Jahrgang 18856 — Band XV.
der, feine jegensreichere Arbeit, alS deren Mit 20 Tafeln und 20 Figuren im XTert.
geiftiges Streben verjtändnisvoll zu unter: Von den ganz vorzüglichen Aufſätzen
ſtühen und ihnen den Weg zu dem vorge: dieſes Jahrganges find beionders zu er:
ftedten Lebensziele zu ebnen. Wenn die wähnen: „Die Entftehung der Alpen“ von .
Eltern für andere Gebiete ihrer Thätigleit | Dr. Karl Haushofer, „Die mittlere Wärme:
ſich gerne die Hilfe eines literariichen Nath: | vertheilung in den Oftalpen* von Dr. Julius
gebers, welder in Geftalt irgend einer | Danın, „Die Hohen Tauern und ihre Eisbe—
Fachzeitſchrift im Haufe Eingang findet, | dedung* von Eduard Brüdner, „Bute Be:
gefallen laſſen, jo werden fie gewiß auch | Tannte aus den Alpen“ von Hans Gras:
„Schule und Haus“, Zeitichrift zur Förde: berger und „Kärntneriiche Gebräuche bei Ge—
rung der Erziehung und des Unterrichtes, | burt und Tod“ von Rudolf Waizer. Alpen:
mit Freuden begrüßen. Das Blatt macht | freunden — und das find wir ja Alle —
die Eltern mit der Schularbeit vertraut, ‚Tann dies Jahrbud auf das Wärmfte em—
gibt Winfe, wie man den Kindern die pfohlen werden. M.
Lernarbeit erleichtert, deren Studienerfolge |
fihert und der Jugend das Leben jichöner, —
die Zukunft glücklicher geſtaltet. Die Re—
Daction (zwei am Wiener Lehrer-Pädago— . ;
gium wirkende Fachmänner, die Herren Dem Heimgarten ferner zugegangen:
3. Eichler und E. Jordan) ertheilt unent: Der lebte Ritter. Ein Bilderfranz aus
geltlih Auskünfte in allen fFragen auf dem | dem Leben Kaiſers Marimilian I. Bon
Gehiete der öffentlichen und häuslichen Er: | M. Glock. (Wien. U. Pichler's Witwe
ziehbung und Bildung, und jomit Tann |und Sohn. 1886.)
„Schule und Haus" allen jorgfamen GI: | Der Bildithaler, Bolfsftüd mit Gefang
tern als treuer und verläßlicher Rathgeber \in 3 Aufzügen von Leopold Winter.
bejtens empfohlen werden. Das Blatt, wel: | Gejangsterte von Leopold Hörmann.
ches am 1. Jänner 1887 jeinen IV. Jahr: | Mufit von Eduard Steinböd. (Reg.
gang begann, ift zu beziehen durd) die Ad: | London. Nat. Hall. Münden. 1887.)
Wie die Gutendorfer reid wurden. Eine
400
R. A., Franzgensbad: Die folgenden
Gedichte aus dem Volle von Leo GE. | Aphorismen nicht übel:
Pribil. (Wien. Wilhelm Frick. 1887.)
Schlichte Geſchihten. Drei Erzählungen
von Nanna Hart. (Plauen i. ®. Guftav |
Zange. 1886.)
Raahleide. Gediht von Helmer son!
Elm. (Wolfenbüttel. 3. Zwißler. 1886 )
Meufchenlieder von Adalbert von
Hanjftein. (Berlin. C. F. Conrad. 1887.)
Moraliſche Gebrechen der Jugend, Ur⸗
ſachen und Heilung derſelben. Bon Yo: |
bann Dreſcher. (Graz. Druderei Leykam.
1886.)
Bon der Oflfee bis zum Aord-Cap. Eine
Wanderung dur Dänemark, Schweden und
Norwegen von Ferdinand Krauß. Bis
zum 6. Heft erichienen. (Neutitſchein, Wien
und Leipzig. Rainer Hold).
„Deuifhe Blätter,“ Monatshefte für Li: |
teratur, Kunſt und öffentliches Leben. Her:
ausgeber Hans N. Krauß, Eger. |
Soromotivfiihrer- Kalender. für Defterreiche
Ungarn. 1887. (Wien, Thomas Hafner.)
Sahresberiht über das k. k. Gymnafium
in Trieſt. Beröffentliht am Schluffe des |
Schuljahres 1886. (Trieft, Deft.-ung. Lloyd.) |
An der Liebe herriht das Mädchen,
In der Ehe bereit der Maun;
Wer in beiden Ephären berridet,
It in einer ein Tyraun.
Weib! mit dem Pantoffelhelden
Biſt Du wahrlich fdleht daran;
Ale Welt muß Did bedauern,
Denn Du baft ja feinen Mann.
C. A. Sch. Brüx: Volksſchullehrer in
Vös lau.
3. %., Bweltl: Betreffenden Aufſatz fin:
den Sie im Maiheft 1883. Der Autor fommt
aber in jeiner Autobiographie, die fidh bis
in die neuefte Zeit erftredt und im Heim:
garten allmählich ericheint, öfter auf Zwettl
zurüd. — Der verehrte Dichter äußerte ſelbſt
wiederholt den Wunſch, feine Heimat zu be:
fuhen. Wenn fi feine Geſundheit beſſert,
lommt es hoffentlih wohl nod dazu.
3. M., Reihienberg: Wenn wir dieje3
erfte Gedicht Ihnen zuliebe abdrudten, jo
fämen Eie dann mit dem zweiten, dritten,
mit einem ganzen Dubend, die wir doch nicht
brauden könnten. Ohne Verdruß gienge es
nicht ab; wir machen ihn heute und dann
ſolls abgethan jein.
DB. B., Ling: Vermachen Sie den Ge:
genftand dem Beethoven : Mufeunm, welches
demnächſt in Heiligenftadt bei Wien gegründet
Poftkarten des Heimgarten.
X X 68 wird angelegentlichft erjucht,
Manuſcripte erft nah vorheriger Anfrage
einzufenden. Für unverlangt eingeididte
Manujcripte bürgen wir nicht. Externe Ar:
werden joll, Die heutige fleine Sammlung
dort joll fi allmählich zum „Muſeum“ ent:
falten und als ſolches eine Bibliothek, eine
Bildergallerie, eine Sammlung plaftiicher
Werke und Reliquien (Manufcripte, Mufi:
falien, Porträts, Gemälde, Büften, Münzen)
von und auf Beethoven u. j. w. enthalten.
23.2. v. T., Riga: Sie erfuhen uns
Ihnen mitzutheilen, was Glüd jei. Ein
Glück ift, daß Sie nicht bei uns find, wir
beiten honoriert die Berlagshandlung nit. | würden Ihnen über ein ſolches Anfuchen
W. R., Gray: Tröften fie ſich darüber,
daß Sie in jenem Wiener Standalblätt:
hen geihmäht wurden. Schlimmer ift’s,
in demfelben gelobt zu werden.
Bir Die Nedaction verantwortliih 9. A.
fauber die Leviten lefen. Wollen Sie in der
That über den Gegenftand eiwas vernehmen,
ſo Schlagen Sie „Deimgarten‘ VIII. Jahrg.,
Seite 453 auf.
Bofegger. — Druderei „Leylam“ in Graz.
en “EL; —
A—
XI. Jahrg.
——
Stationen meiner Lebenspilgerſchaft.“)
Bon Robert Hamerling.
v1.
Bon der Mur zur Adria.
RE habe im vorigen Abſchnitt I mir nicht eingefallen wäre, mein Leben
2, meiner Bekenntniſſe die Abficht | zu befchreiben, Hätte man nicht die
ausgeſprochen, als nächſte Fortſetzung | Gepflogenheit, ein Dichterleben gelegent=
derfelben Auszüge aus meinem Ferien- lich als Stoff für Fenilletons und
Ingebuh von 1850 —51 zu geben. Eſſays mit freier Erfindung zu bes
Aber ich finde es nachträglich doch be» handeln, auch an mir geübt — fo
denflich, den Lefer fo lange bei der- geſchieht es deshalb, weil bei der
ſelben Jugendepoche feitzuhalten, ver- Veröffentlichung diefer Belenutniſſe in
Ichiebe deshalb die Mittheilung jenes | Bruchftüden eine gethane Aeußerung
Tagebuch: auf eine jpätere Zeit und leicht vergelfen wird und nicht Allen,
Gelegenheit, und beeile mich vor der welche Gegenwärtiges lefen, auch das
Hand, fortzufahren im meinem Versuch, | Frühere zu Gefichte gekommen ift.
die Hauptthatfachen meines Lebens Ih bin im meiner Erzählung bei
darzulegen, fie in ihrer Einfachheit und | dem erjten Grazer Aufenthalte vom
Wahrheit fiherzuftellen gegen die phanz | October 1853 bis Aprit 1855 an—
Ialiereiche Willkür biographifcher Skiz- | gelangt.
zenverfafler. Wenn ich wiederholt auf Nicht Togleih beim erſten Anblid
die Berfiherung zurückkomme, daß es | entfaltete die anmuthige Murftadt für
*) Eiche „Heimgarten" 1885: Mai; 1885: März, April, October, November;
1886: Juni, Juli, October, November.
Kofenaer's „Örimgarten‘‘ 6. Geft, XT. 26
mich jenen Zauber, den man ihr nach« Ein eifriges Studium des Per—
zurühmen pflegt. Bon Wien kom-— ſiſchen fiel in diefe Zeit, das fpäter
mend, trug ich die allzu lebendige Er— | mit gleichen Intereſſe noch einige Jahre
innerung an die unvdergleichlich Schönen, ; lang fortgefegt wurde.
reihen und großartigen Rundjichten Für das Gymnafial«- Programm des
noch in mir, wie fie in der Umgebung | Studienjahres 1853 —54 fchrieb ich eine
der Refidenz von der Höhe des Stahlen= | Abhandlung: „Ueber die Grund—
berges, de3 „Dinmels,“ des Hermannd= ideen der griehifhen Tragö-
fogelö u. ſ. w. nach einer Seite über) die,” über welche Bonik in der Zeitz
die Riefenftadt und den Niefenftrom, | Schrift für öfterreichifche Gymnaſien fich
nad der andern fiber gewaltige Ge= | beifällig äußerte.
birgslandfchaften ſich aufthun. So Dazu kam die Vorbereitung für
fonnte ich, auf dem Grazer Schloß: | meine Lehramtsprüfung. Es war mir
berge ftehend, mur einen angenehmen, | nunmehr Kar geworden, daß bei der
aber feinen bedeutenden Eindruck em- Eigenthümlichkeit meiner Berhältnifie
pfangen. Mein Auge vermißte in der) jedenfalls noch einige Jahre verftreichen
Stadt unter mir und in den zerftreuten, | würden, bis ich auf dem Punkte ange—
belanglofen Landhänfern der Umgebung | langt wäre, einen geficherten Haushalt
architeftonifche Punkte, auf welchen es | auf dichterifche Thätigkeit allein zu
mit Intereffe hätte ruhen können. Aber | gründen. Ein Supplentengehalt von
ich verkannte nicht den Reiz des Berges | 40 fl. aber fonnte auch nur ſehr noth—
und feiner Spaziergänge an und für| dürftig ausreichen. So ſchien nichts
fich, und wenn ich im dolce far niente | übrig zu bleiben, als durch Ablegung
der Schönen Septembertage, im welche|der Lehramtsprüfung und Annahme
meine Ankunft fiel, Trauben und Nüſſe einer wirklichen Anftellung — die ja
naſchend das Glacis entlang fchlenderte, | im günftigen Moment immer wieder
entzüdte und feffelte meinen Bli der | aufgegeben werden Fonnmte — den Be—
herbſtliche Farbenzauber des bewaldeten | dürfnifjen des Augenblids zu genügen :
Abhangs, mit feinem Purpur und den | um jo mehr, da durch eine forgenfreie
hundert Schattierungen feines welfen= | Lage, wie ich hoffte, auch dem poeti=
den Laubgrüns. chen Beftreben Vorſchub geleiftet wer—
Die Thatfachen diefes meines erften, | den konnte.
anderthalbjährigen Grazer Aufenthalts Nachdem ich am Schluffe des Schul=
werden raſch erledigt je. jahres 1853 — 54 einen Tag lang, von
In poetifcher Beziehung war diefe) Morgen bis Abend, meiner Thätigfeit
Epoche für mich nicht fonderlich Frucht: | als Eraminator für das Griechische und
bar. Bon Gedichten, welche Später in | Lateinische bei der Maturitätsprüfungen
die Sammlung „Sinnen und Minnen“ |obgelegen — man Hatte den Tag für
übergiengen, entftanden die Lieder: dieſe beide Fächer ausschließlich beftimmt
„Troſt“ (S.9), „Roſenlied“ (S. 14), | — reiste ih am folgenden Morgen nad
„Meeresliebe* (S. 17), „Ich Seh’ Dich | Wien ab, um mich dort fofort felbft
heut zum erftenmal* (S. 142), „Ein als Prüfling vor der Commiſſion ein—
Moment” (S. 340); die Gafelen:| zufinden, welche aus Mitlofich als Vor—
„Spielzeug“ (S. 317), „Ruhe“ (S. ſitzendem, Bonig für das Griechiſche,
317), „ch will ja nichts“ (©. 318), | Gryfar für Latein und Hahn für deutſche
„Wie, Du liebft mich nicht ?* (S. 319); Sprachwiffenfchaft beftand. Durch die
die Sonette: „Verfchollene Liebe“ (S. Strapazen der vorherigen Tage war
243), „Du“ (S.303), „An M. M.“ ich jo angegriffen, daß ich mich krank
(urfprünglih „An P.“ überjchrieben, | gemeldet Haben würde, hätte nit Bonig
©. 345); die Diftihen: „An 2.“ | mit aufmunternden Zuspruch mir im
(S. 179), „An Bauline* (S. 181). letzten Augenblide noch Muth gemacht.
— — —— — — — — — —— — — — — — —
408
Das umfangreihe Prüfungs: Pro-
tofofl und Lehramts-Zeugnis — es
unfaßt ſechs Foliofeiten — ſprach mir
die Befähigungzu, Griechiſch und Latein
am ganzen Gymnaſium zu lehren; für
das Lateinische wurde die „Leichtigkeit“
der Ueberjegung anerkannt, für das
Griechifche die „Gewandtheit und Ber
ſtimmtheit derfelben, „ſelbſt der ſchwie—
rigeren Stellen,“ und die „Genauigkeit
der Erklärung,“ ſo wie die „in mancher
Hinſicht in das Einzelne reichende
Kenntnis der Realien.“ In Betreff des
Deutſchen aber lautete das Urtheil
wörtlih wie folgt: „Der Candidat
hatte, wie er jagte, für das Deutfche
die Lehrbücher von Bauer und ähnliche
ftudiert; man bat aber aus feinen
Antworten nicht entnehmen fönnen,
dab dies mit der erwünschten Gründ—
lichkeit gefchehen ſei.“
Es hatte damals eine eigene Be—
wandtnis mit den Prüfungen aus dem
Deutfhen bei Gandidaten für das
Gymnaſiallehramt. Jedem Candidaten,
was immer für eines Faches, oblag
es, fih auch aus dem Deutfchen einer
feinen Prüfung zu unterziehen. Aber
das Ergebnis dieſer nebenfächlichen
Prüfung follte — fo lautete die Ver—
fügung — feinen Einfluß haben auf
die Entjeheidung der Lehramtsprüfung
im Ganzen. Die Folge hievon war,
dab die Bewerber, fattfam im An—
Ipruch genommen durch ihr Fachſtu—
dium, den Formelkram der deutjchen
Grammatit abfeits liegen und ſich
fedlih eine Unwiſſenheit befcheinigen
ließen, die feine praftiichen Folgen für
fie hatte. Auch mir fehlte zur Zeit der
Ehrgeiz, in einem Fache, deifen ich in
der Ausübung mächtig genug zu fein
glaubte, für und wider nichts auch
durch theoretifche Kenntnis glänzen zu
wollen.
Bekannlich Hat mich diefe Ver—
ſaumnis nicht gehindert, in Sachen der
Mutterfpradhe es Späterhin ziemlich ge=
nan zu nehmen, und fogar ein bißchen
Pedant zu werden. ch verlieh mich
auf das Spracdgefühl und auf die
Anleitung, die ih aus der Lefung
unferer claſſiſchen Schriftftefler fchöpfte,
und Hatte daran, Faft möchte ich jagen,
mehr als genug. Reicht dergleichen
doch Hin, einen Menfchen fchier une
glüdlich zu machen, wenn er fieht, wie
die ſprachliche Fahrläfligkeit und Will-
für im neueften deutſchen Schrifttgum
immer mehr überhand nimmt. Auch
ohne die „Lehrbücher von Bauer und
ähnliche” ftudiert zu haben, und langer
Gewöhnung zum Troß, verftimmt es
mich noch immer gründlich, fo oft ich
auf das häßliche, täglich häufiger wer-
dende: „Wenn ih wiſſen würde”
oder „Würde ich willen, jo” u. f. w.
ftoße — es ift, wie wenn der Franzoſe
jagen wollte si je saurais ftatt si je
savais, oder der Italiener se saprei
ftatt se sapessi — oder auf das drollige
Beiwort „Diesbezüglih" — genügt
das einfache „bezüglich“ wirklich nicht ?
— oder auf das unappetitliche Grazer
Lieblingswörtchen „Anwurf“ ftatt Vor—
wurf, das jo ganz und gar „ungut“ und
„unnothwendig“ ift — oder in Romanen
auf das ſchlecht-franzöſiſche: „Ja wohl!
machte die Gräfin.“ — Bei letzterem
Gebrauch des Wortes „machen“ fühle
ih mich immer lebhaft an die Bedeu—
tung erinnert, welche dasfelbe hie und
da in der Kinderftube Hat. —
Meine Eollegen im Supplenten-
amte am Grazer Gymnaſium — dar—
unter der Merikoreilende B. Heller,
der begabte Adolf Fider, Guftav Herr,
Erasmus Schwab, Eduard Kriſchek,
Georg Ulrich, Reichel nnd A. bildeten
einen flotten gefelligen Kreis, der durch
den Anſchluß junger Docenten der
Univerfität erweitert wurde, und in
den ſich angenehm verkehren ließ, dem
ich aber freilich für meinen Theil bald
dadurch entrüdt wurde, daß ich einen
eigenen Haushalt an der Seite meiner
Mutter und Später auch meines Vaters
führte. Bon diefem Streife ehrenwerter
Genoſſen Hob durch Eigenthümlichkeit
des MWefens und Charakters, insbes
fondere durch eine unendliche Gemüth—
lichkeit Jakob Cicigoi fi ab, den wir
26*
unter ums gewöhnlich nur „Goi“ zu
nennen pfleaten.
So feſt ich mir auch vorgenommen,
in diefen Mittheilungen mich auf meine
Perſon zu bejchränfen, jo drängt doch,
wenn man einmal das Buch feiner
Lebenserinnerungen auffchlägt, neben
dem lieben Ich unabweislich jo manches
liebe und werte Nicht-Ich ſich her—
vor; und Jo fühle ich auch an diejer
Stelle wieder das Bedürfnis, ein
ſchlichtes Denkſäulchen für eine Per—
ſönlichkeit, die mir gemüthlich nahe
ſtand, aufzurichten.
Unſer „Goi“ war Croate von Ge—
burt, ſprach daher das Deutſche mit
einem etwas fremden Accent, aber doch
vecht gut, und wenn ihm jezumeilen
auf dem Satheder ein Ausdrud ent»
fchlüpfte, wie: „Sp, nun fperren
Sie die Bücher zu!” fo läcelten
zwar die Schüler, aber feinem Anſehen
fchadete es bei ihnen nicht, da er ihnen
ebenfo ſympathiſch war, wie den Col»
legen im Lehramt.
Bon dem föftlichen, goldreinen Ge—
müthe diefes Menjchen lohnt es ſich
einen Begriff zu geben durch ein Ge—
ſchichtchen, das ich im Verkehre mit
ibm erlebte.
Eines Sonntags befuchte ich ihn,
wie öfter, und fand feine Stirne ge—
runzelt, wie von ſchwerer Sorge ver»
düſtert. Ich fragte ihn nach der Urſache.
„Acht“ verſetzte er, „mir ift eben
etwas fehr Unangenehmes begegnet.
Waren da hintereinander ein paar
Väter von Gymnaſiaſten bei mir, und
wie fie fort find, bemerfe ich erft,
daß einer von ihnen einen Ducaten, in
ein Papierchen gewidelt, auf meinem
Schreibtiſch zurüdgelaffen bat. a,
was denfen denn die Leute von Uns
fereinem ? Und das Schönfte ift, daß
ich nicht einmal weiß, welder von
den beiden Vätern es war, der den
Ducaten unbemerkt auf meinen Schreib-
tiich legte. Wie ſoll ih es nun an—
fangen, denjelben zurüdzuftellen Sofl
ich von Einem zum Andern gehen und
fragen: » Herr, find Sie es, der mich
—
mit einem Ducaten hat beſtechen wol—
len?« Und behalten mag ich ihn auch
nicht! — Ah Gott! (jo ſchloß er
feine Klage, das Goldftüd aufnehmend
und wieder Hinmwerfend) wenn ich den
verwünfchten Ducaten nur wieder los
| wäre! er brennt mich förmlich in der
‚Hand !*
| „Lieber Freund!” gab ich zurüd,
| „wir haben heute den 27., und ic
‚bin eben gekommen“ — damit fagte
lich die Wahrheit — „um Dich zu er-
ſuchen, mir mit fünf Gulden bis zum
eriten aus einer Keinen VBerlegenheit
zu helfen. Leih’ mir den Ducaten, jo
haft Du ihn aus der Hand, wenn er
Dich fo ſehr brennt!“
„sat“ rief er haftig.
haft Du ihn! nimm ihn!
bitte Dih, gib mir ihn nicht zu—
rüd — hört Du? ich werde Dir’s
Ihon jagen, wenn ich ihn brauche!“
Ih ſteckte den Ducaten zu mir
und Freund Gicigoi athmete erleich-
tert auf.
Ich achtete feine Bitte und war—
tete geduldig, bis er mir jagen würde,
daß er den Ducaten brauche. Er Hat
ihn nie gebraudt.
Vielleiht wundert fi der eine
oder andere Lefer, daß jo naive Bes
ſtechungsverſuche, wie der eben er—
!
väh in früherer Zeit vorkamen.
„Sa! du
Aber ich
Sie kamen vor, wenn auch nicht oft,
und ich ſelbſt war einmal in der Lage,
den Begriff eines naiven Vaters von
meiner Ehre und Ehrlichkeit zu bes
richtigen. Jede Zeit hat eben ihr Eigen—
thümliches. So war es 3. B. auch
eine Eigenthümtichkeit jener Zeit, daß
den Verfehr mit den Profeſſoren die
Väter der Schüler beforgten. Ich
erinnere mich feines einzigen Damenbe-
ſuchs während der ganzen Zeit meiner
lehramtlichen Thätigkeit. Seit, wie ver—
lautet, zum größeren Theil die Müt—
ter jenen Verkehr auf fich genommen,
mögen die naiden Beftehungsperfuche
aufgehört haben. Frauen find nicht fo
naid wie ihre Männer.
Ein intereffantes Schaufpiel war
es, wenn es uns Gollegen gelang, den
jeelenguten Goi einmal zornig zu
machen. In eben diefer feiner Seelen-
güte pflegte er uns von Zeit zu Zeit
zu einem abendlichen Thee bei jich ein
zuladen, was immer gerne angenom—
men wurde. Er pflegte den Thee ſelbſt
zu bereiten, in einem „Schnellſieder,“
den er und ſehr rühmte und auf den er
geradezu ftol3 war. Aber der Thee
hatte manchmal den Eigenfimm, auf
diefem „Schnellfieder* durchaus nicht
— fertig werden zu wollen. Weiß
Gott, wie es fam, das Theewafler war
in ſolchen Falle wie verhert, es wollte
nicht auffochen. Wenn nun Goi den
langen Leib und das breite bärtige
Geficht immer jorgenvoller über den
Schnellſieder beugte, feine Stirne immer
tiefer ſich runzelte, und zwijchen den
Runzeln allmählih auch Schweißtropfen
zu funkeln begaunen, wie Thautropfen
zwiichen den Furchen eines frifchges
pflüdten Aders — jo war dies ein
Anblid, der mehr Mitleid als Heiterkeit
hätte erweden jollen. Wir aber, mit
erwartungsvollen, halb ſpöttiſchen Mie-
nen um unſern Freund her fiend und
feinen nicht brodeln wollenden Deren
feljel in's Auge faſſend, weideten uns
herzlos an feiner VBerlegenheit und an
feiner Janımermiene, die der eines
Zauberers glich, dem nichts gelingt, weil
man ihm zu fleptifch auf die Finger
ſieht. Trieben wir aber num gar die
Bosheit jo weit, iiber Hunger zu klagen
und abfällige Bemerkungen über den
gerühmten Schnellfieder Fallen zu lafjen
— da begann es allmählich, nicht im
Gois Theewafjer, aber in ihm felber
aufzulohen und aufzumwallen, bis er
zulegt losplagte: „Ei, nun wollt’ ich
aber Schon, daß Euch Alle miteinander
der Teufel holte!" —
Meine Spaziergänge machte ich
meiltens in feiner Geſellſchaft. Für
gewöhnlid war er hHeiteren Sinnes,
und felbft über Unangenehmes wußte
wegzufegen. Bon Zeit zu Zeit hatte
er jedoh auch feine melancholiſchen
Augenblide und dann ſprach er in
der Regel von feiner Heimat und da=
von, daß er am liebften dahin zurück—
fehren möchte. Das Wort Heimat hatte
in feinem Munde den Klang, den es
im Munde von Menjchen Hat, welche
ein tieferes Gemüth befigen.
Sein Wunſch gieng übrigens in
Erfüllung. Er erhielt bald nachher eine
Anftellung an einem kroatischen Gymna—
ſium und nahm eine Landsmännin
zur Frau, welder eine vet hübjche
Anzahl von Weingärten, ich weiß nicht,
ob als Ausftener oder als Erbe zufiel.
Diefe Weingärten wollten gepflegt
‚fein; Gicigoi entjagte dem Lehramt
und wurde Delonom. Ich Habe feit-
her nicht wieder von ihm gehört, aber
‚daß er bei jeinen Weingärten ſich
wohlbefindet, fchließe ich daraus, daß
er den bewuhten Ducaten noch immer
nicht braucht.
Ih bin mit meinen Grazer Er—
innerungen von 1853—55 nicht ganz
zu Ende. Es liegt ein aus ftenogra-
phiſch Hingeworfenen Blättern in's
Reine gefchriebenes Tagebuch vor mir,
welches für mich das weitaus bedeu—
tendfte Denkmal jenes erften Grazer
Aufenthaltes bleibt. Diefes Tagebuch
enthält eine Herzensgeſchichte — die
Geſchichte eines „Liebesverhältnifjes“ :
des erften im meinem Leben, das
dieſen Namen einigermaßen verdiente
und das ſich in dem üblichen äußeren
Formen eines folchen bewegte. Ein
zwanglofer, inniger und doch zarter,
ich darf jagen jugendlich-unſchuldiger
Verkehr mit einem Mädchen ift in
dieſem Tagebuche jo unbefangen ges
‚fchildert, wie es mur in einem Tage—
buch denkbar ift, zumal in einem ſol—
hen, welches die ftenographiiche Form
der Niederfchrift zu eimem Buch mit
lieben Siegeln für andere Perfonen
macht. Ich Habe das Gefühl, daß be—
fagtes Liebesverhältniß nur in der
er Fich mit den Worten: „Thut mir Form, im welcher das Tagesbuch es
leid — aber es macht nichts!” Hin= |darlegt, verftändlich
und intereffant
406
fein könnte. Es geht aber doch nicht
an, ein Erlebnis, das im meinem
Leben Epoche machte, bier ganz zu
übergehen, und jo muß ich mich auf
eine kurze Erzählung befchränten, die
diefer gedränglen Lebensüberichau im
rechten Verhältniſſe ſich einfügt.
IH darf in den Hanptfachen ohne
Niüdhalt ſprechen, da meine Gejchichte
jih vor 33 Jahren ereignete und fein
perfönlicher Bezug mehr fie mit der
Gegenwart verknüpft.
Als ih von Wien nach Graz ab»
reiste, war meine Mutter durch Um—
fände noch ein paar Moden in Wien
feftgehalten. Bis fie mir nad) Graz
folgte und wir eine eigene Wohnung
bezogen, hatte ich mich vorläufig in
ein Monatzinmmer eingemietet, bei
einem alten Herrn, Mitwer umd
Vater eines hübfchen, blühenden Töch—
terleins von fiebzehn Jahren. Ich be=
adhtete das Mädchen Anfangs nicht
ehr; als aber meine Mutter ange—
fommen war, befreundeten wir uns
mit der Heinen Familie und es ent—
ſpann ſich, nachdem wir eine eigene
Wohnung bezogen hatten, ein reger
Verkehr von Haus zu Haus. Wir
braten Häufig die Abende bei dem
alten Herrn und feiner Tochter zu
und bald ſuchte ich auch im Freien
Tagesftunden gern die Gejellichaft des
lieblihden Mädchens. hr Bater war
als Beamter den größten Theil des
Tages vom Haufe abwefend. Ich plau—
derte mit ihr, pbantafierte auf ihrem
Clavier, las ihr Platens Sonette und
Gafelen, Daumer’3 „Frauenbilder und
Huldigungen“ vor. Nora — jo wollen
wir das liebe Kind nennen — ver—
rieth viel Sinn und Verftändnis für
Voefie; fie wurde warm dabei. Das
ermunterte mich, mit eigenen Verslein
berauszurüden und als ich jo, den
Mantel auseinanderfchlagend, den Or—
densftern der Poeſie auf meiner Bruft
enthüflte, da leuchteten Nora's Augen
von dem gebührenden achtungsvollen
Eritaunen. Sie war feine Schwär=
merin, aber jie wußte, wie alle jungen
Mädchen, die Poeſie Schon deshalb zu
Ihäßen, weil man in Verſen jo Vieles
jagen und ſich jagen laſſen darf, was
man in Profa nicht jagen und ſich nicht
fagen lafjen dürfte. Ich empfand micht
eigentlich Liebe für Nora im vollen
Sinne des Wortes; aber mich plagte
‚die Neugier junger Leute, die noch
nichts erlebt haben und die zumächit
nur wiſſen möchten, ob fie wohl ge=
liebt werden könnten? Diefe
heimliche Neugierde der Jünglinge
und Jungfränlein erweist ji oft
verhängnisvoll; fie wird für Liebe ge=
nommen und führt zu „Verhältniffen“,
deren Zwed im Grunde mit der Lie=
beserflärung erreicht ift und die da=
mit ein Ende haben follten.
Vorfihtig und befcheiden, aber
harnılos folgte ich dem Zuge dieſer
jugendlichen Neugier Nora gegenüber.
Eines Tages ftand ich mit ihr
am Yenfter- Da gieng unten in der
Straße ein junger Mann vorliber, der
zu Nora hinaufblidte. Sie erröthete... .
„Ah, das gute, liebe Kind hat
einen Liebften!“ — Mit dieſem
Ausrufe beginnt mein erwähntes
| Tagebuch.
Nora geftand mir, jener junge
Mann Habe früher ein Monatzimmer
in ihrer Yamilienwohnung innmegehabt,
habe fie da, während fie faft noch ein
Kind war, liebgewonnen und noch
immer feien fie ſich gut; aber fie
könnten ſich nur felten fehen, da ihr
‚Vater dem jungen Manne dad Mo—
natzimmer gekündigt und ihm fireng
verboten habe, in's Haus zu kommen.
Von diefem Augenblide an war
es natürlich bei mir entfchieden, wie
ich mich fortan bei Nora zu benehmen
hätte. Ich konnte ihr nur mehr ein
Freund, ein Vertrauter fein. In ju—
gendlicher Unbefangenheit glaubten wir
‚beide unferem Gewiſſen genuggethan
zu haben, wenn wir einander nichts
weiter waren und blieben als eben
Freunde. Aber der Glorienjchein ge—
wifienhafter Zurüdhaltung und Selbit-
beherrſchung machte uns einander nur
um fo intereffanter. Nora war an nicht umhin, mir jelbft im Stillen die
manchen Tagen auffallend blaß, mache | Frage aufzumwerfen: Wenn Nora fich
denflih und fill; und im meinen | Schon einmal in ihrer Derzensneigung
Verſen — warum Hätte ich Nora | getänfcht, kann nicht auch ihre jegige
meine Gedichte nicht mehr vorleſen Neigung wieder nur eine Täuſchung
ſollen? — mifchte fich dem Ausdrud | fein ?
entjagungsvoller Gelinnungen inScerz Ich verhehlte dies Bedenken Nora
und Ernft ein Hauch von Schwermuth nicht, als ich fie zum erftenmal nach
bei, der ihre Wirkung über meine jener entjcheidenden Scene mit Adolf
Abjiht und über mein Verlangen wiederſah. Ich bat fie, zu erwägen,
- Hinans fteigerte.
Bald konnte ich mir micht ver—
hehlen, daß Nora unter inneren Käm—
pfen leide. Eine Zeitlang jchien fie
zu ſchwanken und zuleßt glaubte fie, |
den Freund und Genofjen ihrer frü—
heiten Jugend nicht mehr zu lieben,
nie wirklich geliebt zu haben. Mein
Benehmen war bis dahin jo pflicht-
mäßig und ehrlich geweſen, als es die
Naivetät und die mangelhafte Er—
ſahrung der Jugend zuließ. Aber nun
ftedte mich Nora mit ihrer Halbheit, |
ihrerlinentichiedenheit an und ich wußte
zulegt nicht mehr, ob ihr Verhält—
nis zu Adolf überhaupt rejpectirt zu
werden verdiene oder nicht.
Da brachte ein Tag ganz plößlich
und unerwartet die Entjcheidung. Adolf
battle ſich auf einem Spaziergange,
welhen Nora in Begleitung einer äl—
teren Frau machte, zu ihr gefellt und
geradezu die Frage an fie gerichtet,
ob ihr Herz noch ihm gehöre, hatte
jie aufgefordert, es ihm ohne Nüdhalt
zu geftehen, wenn es Zeit für ihn fei,
fih gänzlih von ihr zurückzuziehen.
Nora entſprach feiner Aufforderung.
Ermuthigt durch feinen lebhaften Zu—
Ipruch geftand fie ihm, daß fie einen
Andern liebe. Als er fie fragte, ob
jie auch wiedergeliebt werde, gab fie
zur Antwort, fie wiſſe es nicht.
Als jene ältere Frau, im deren
Geſellſchaft Nora bei diefer Unter—
redung mit Adolf ſich befand, auf
Nora’ eigenes Erfuchen mir den gan»
zen Borgang erzählte, war ich im
höchften Grade überrafcht und faft bes
ſtürzt. Mich rührte das Schickſal des
unglüdlichen Liebhabers und ich konnte
ob wir nicht unfere Herzen noch län—
ger prüfen jollten, bevor wir einan—
der eim bindendes Gelöbnis machten.
Sie war einverftanden.
Es widerfirebt mir: beinahe, in
‚einer Erzählung fortzufahren, bei wel=
her ich die Einzelnheiten, eben das,
was eigenthümlich an ihr ift, über-
gehen muß, fo daß falt mur der alle
‚tägliche Umriß einer oft genug dage—
wejenen Herzensgeſchichte übrig bleibt.
Ih eile daher zum Abſchluß.
Immer fiel es mir Schwer, zu
‚glauben, daß Nora den Berftogenen
‚ganz vergefien habe. Und als jie ſpä—
ter einmal, um diefen Verdacht in
mir zu erjtiden, die Haarlocke Adolf’s,
die fie eimft von ihm zum Andenken
erhalten hatte, dor meinen Augen
in’3 Teuer warf, da fühlte ich mich
‚mehr aufgeregt al3 beruhigt und ſah
mit jeltfamen Gefühlen das Haar in
den Flammen verkniftern und vers
‚loden ...
| Aber von einem dunkel bejchat-
teten Hintergrunde hebt ein Liebes=
leben ſich um fo reizender, um ſo
füßer in Momenten des Vergeſſens,
des reinen Glüdes ab. In den Vers
lauf eines halben Jahres drängte ſich
ein Idyll voll Holder Tändelei, unter—
brohen von den Heinen Gewittern
und Thränenregenjchauern, welche das
glühende Herz wohltgätig erfriſchen.
Das entzieht ſich Hier der Scil-
derung. Um fo jchroffer muß der
Uebergang erfcheinen zu dem was
folgt. Aber die Phantajie des Lefers
wird die Lüde vielleicht ergänzen.
Der 11. December 1854 war der
| Tag, an welchem ich mich losjagen
408
mußte don einem Wejen, bei weichem,
wenn e3 auch den frühen, jugendlichen
Idealen der Dichterfeele nicht ganz
entſprach, mir doch zum erften Male
tiefeinnig wohl geworden, was id
freilich erſt jeßt ganz empfinde und zu
würdigen im Stande bin.
Ein mich betreffender Umſtand zu—
nächft und weiterhin ein Zwifchenfall
in Nora's Haufe waren es, welche
diefe Wendung der Dinge herbei—
führten.
Mein Haushalt war ein Heiner,
feftgefchloffener Kreis, an deſſen Er—
weiterung nicht gedacht werden konnte.
Aus der Möglichkeit einer Durch—
brechung desjelben war Unheil erwach—
ſen, welches ſchwer auf mir laſtete,
und welchem durch einen entſcheidenden
Entſchluß irgend welcher Art begegnet
werden mußte.
Während dieſe Bedrängnis mich
rathlos machte, trat jener Zwiſchen—
fall ein, der den Ausſchlag gab.
Eine im ſelben Haufe mit Nora
wohnende, ihr ſehr befreundete Fa—
milie vermietete ein Monatzimmer
in der Regel an Studierende. Dieſes
Zimmer fand jetzt eben leer. Da hatte
man ſich nun an Nora mit der Bitte
gewendet, in Abweſenheit der Familie
den Schlüffel der Wohnung zu über:
nehmen und das Monatzimmer den—
jenigen zu zeigen, welche dasſelbe be—
Jichligen wollten. Nora fand ſich dazu
bereit und pflegte nun immer, auf—
merkffam gemacht durch die Magd,
welhe vom Siüchenfenfter aus den
Eingang der Nahbarwohnung über:
ſah, die Jich einfindenden jungen Leute
in die befagte Wohnung zu führen,
ihnen das zu vermietende Zimmer
zu zeigen, über die Miettbedinguns
gen Aufſchluß zu geben u. ſ. w.
Als ich eines Tages zu Nora kam
— es war Sonntag und ihr Vater
zu Haufe — war eben die Rede von
einem „hübſchen Italiener“, welchen
Nora Vormittags in die Nachbar-
wohnung geführt und mit welchem fie
dort längere oder kürzere Zeit ver—
jmeilt hatte. Daß mir dergleichen nicht
fonderlih angenehm war, muß ich ges
ftehen, follte ich auch durch diefes Ge—
ſtändnis die allgemeine Entrüftunggegen
mich Heraufbeihwören. Ih konnte
jedoch meinerfeits über die Sache ſchwei—
* da diesmal Nora's jovialer Papa
ſelbſt, der ſonſt nicht den leiſeſten
Zweifel an der unbedingten Unan—
fechtbarkeit ſeiner Tochter duldete, in
einigen Aufruhr gerieth und ihr mit
Entſchiedenheit verbot, ſich noch weiter
zu dieſem nachbarlichen Gefälligkeits—
dienſte herzugeben. Was mich betrifft,
jo hätte ih die Sache damit für ab—
getan halten können, wäre nicht die
Erinnerung an den eigenthümlichen
Eindrud, den mir Nora an jenem
Tage machte, im mir wach geblieben.
Sie war mir völlig verändert vorge—
fommen ; ihre Gefichtszüge hatten einen
Ausdrud, den ich mie zuvor an ihr
bemerkt; fie Jah inmerlich erregt und
wie traumverloren aus.
Bald nachher wurde auch eines
der Monatzimmer leer, welche Nora's
Vater felbft zu vermieten pflegte.
Da fand fich ein Hübfcher italienischer
Studiofus ein und mietete dazfelbe.
Ob e3 derjelbe war, deſſen Bekaunt—
Ihaft Nora in der Nahbarwohnung
gemacht, ift mir unbekannt.
Wenn ich mir ſelbſt das Zeugnis
geben konnte, daß ich bisher zu ideal
geſtimmt oder zu jugendlich ſchüchtern
gewejen, um eine mir gegönnte Frei—
heit im Verkehr zu mißbrauchen, To
fannte ich von der Welt doch immer:
hin genug, um zu willen, daß Idea—
tät und Schüchternheit micht gemein
ame Eigenfchaften ſämmtlicher jungen
Leute feien.
Ich war alfo beforgt, und dieſe
Beforgnis vereinigte fi mit dem
peinlichen Gefühl des Ungemachs, das
von anderer Seite her aus meinem
Verhältnis zu Nora fich ergeben Hatte.
Sp wurde ih das Opfer einer Un—
ruhe, einer Verwirrung, der ich mich
nicht länger gewachjen fühlte. Unter
diefen Umftänden warf ich mir felbft
noch einmal die Frage auf: Iſt Nora |
das Mädchen, das du wahrhaft liebit
und um deſſen Beſitz dir fein Preis
zu hoch fein darf? Und wenn dies
der Fall, bift du im der Lage, ihr
da3 zu bieten, was fie und was ihr
Vater al3 jelbtverftändlich von dir er—
warten ?
Die erfte Frage konnte ich unent—
Ichieden laffen; die zweite mußte ich
entſchieden verneinen.
So galt e3 denn, einen Entſchluß
zu fallen. Ich gieng mach einem weh-
müthig ſüß mit Nora verplauderten
Abend von ihr fort, mit dem Vor—
jage, nie wiederzufehren. — Mit dem
Vorſatze! — Daß ich ihn hielt und |
halten konnte, war, wie ih jogleich
zeigen wird, nicht mein Verdienſt.
Sch Habe niemals Genaueres dar-
über erfahren, wie Nora mein Feru—
bleiben aufnahm. Einiges Spärliche
vernahm ich von vergofjenen Thränen,
und ein zartes Wort wurde mir ges
rüchtweife zugetragen, daß fie zu einer
Freundin geſprochen haben follte: |
„Wenn er auch nicht fo oft au mich
denkt, wie ih an ihn, zuweilen wird
er doch an mich denken.“
As ih im April des nächſten
Jahres Graz zu verlaflen und nad
Trieft abzugehen im Begriffe fand,
richtete ih an Nora noch einige Zei—
len zum Abſchied und fpielte darin
auf Gerüchte an, welche fich inzwischen
in Bezug auf eine ZTröfterrolle des
Stalieners verbreitet hatten. Steine
Antwort! Erft am Zage der Abreiſe,
als ih auf dem Wege zum
Bahnhof war umd dabei an Nora’s
Haus vorüberfam, wurde durch eine
hinter mir hereilende Magd mir ein
Brief Nora’s eingehändigt, in wel—
chem fie fagte, es fei ihr unbegreiflich,
daß ich, der vorgab, fie zu lieben, dem
Gerede böswilliger Menfchen Gehör
Ichentte, deren Zweck ja nur war, uns
zu trennen. Wie ſchön, wie tröftlich
wäre mir das früher zu Hören ges
wejen! Aber Nora Hatte fich zu dieſer
Antwort acht Tage — wenn ich nicht
irre — Zeit genommen und fie mir
erit in dem Angenblide zukommen laſſen,
al3 feine Rückkehr, keine Unterredung,
feine Berföhnung mehr möglich war.
Einige Jahre nachher wurde mir
mit Beſtimmtheit von Beziehungen er=
zählt, welche Fich zwifchen Nora und
Aber das war Alles. Nora erkuns | dem Italiener entſponnen und mit der
digte ſich weder brieflih noch fonft |
irgendwie nad dem Grunde meines
Ausbleibens, wie fie es doch ſonſt
immer gethan, wenn wir ums ein
paar Tage lang nicht fahen. Ich gieng
noch täglich, wie fonft, an ihrem Fen—
fter vorüber, zur gewohnten Stunde,
wo ihr lächelndes Geficht immer zwi—
ihen den Blumentöpfen aufgetaucht
war: fie zeigte ſich dort nie wieder.
Vermuthlich war fie „zu ftolz“
dazu. Aber wenn ich micht zu ftolz |
Rückkehr des Lepteren in feine Heimat
geendet haben jollten. Ich laſſe dies,
wie billig, dahingeltellt fein. Nora
war frei, und wenn fie wirklich nach
diefer Seite Hin über ihr Herz ver—
fügte, Jo brauchte fie ſich darüber feinen
Gewiſſensſernpel zu machen.
Uber glüdlih ſcheint Nora durch
jene Wendung der Dinge nicht ges
worden zu fein. Sie begann zu krän—
fein und erlag im Jahre 1860 einer
Lungenentzündung, die fie ſich dadurch
war, an ihrem Fenſter vorüberzugehen | zugezogen haben foll, daß fie, wie man
wie ſonſt, jo hätte fie auch micht zu | erzählte, mit dem ausgeſprochenen Ent»
ftolz zu fein gebraucht, zur felben ſchluſſe, zu fterben, bei großer Er-
Stunde am Fenfter zu fißen wie jonft. | hitzung ein Glas falten Waſſers leerte.
Bekanntlich entwideln Liebende häufig Nun ruht ie längſt von den Täu—
diefe Art von Stolz erft dann, wenn ſchungen und Prüfungen des Lebens
ihnen mehr daran gelegen ift, einer aus. Zerfallen ift längft der zarte,
Verföhnung auszumeichen, als fie zu | ſchmiegſame Leib zu Staub. Aber etwas
juchen. ift noch wohlerhalten übrig von ihrem
410
leiblichen Dafein: ein Kränzchen, gez | mündlich ergänzen follte. Leider fei
flochten aus Haaren von ihr, womit dies Schreiben, fagte fie, ihr auf der
fie mir am 21. September 1854 ein | Reife abhanden gekommen, und fie habe
Geſchenk machte. Als ob fie erjt Heute |es dann nicht gewagt, den Verluft zu
von ihrem Daupte gelöst worden wären, | gejtehen; jo feien einige Jahre ver—
glänzen dieje feinen braunen Flechten | ftrichen, aber die Sache habe ihr feine
noch immer. &3 liegt etwas Nührendes | Ruhe gelafjfen, und fie habe num doch
für mid) darin, daß, während das einft | lieber ſpät als gar nicht, jo gut es
blühende Mädchen jelber längft vers |eben noch möglich, ſich des Auftrags
modert ift, das, was fie als ein Lies der feither Verblichenen entledigen wol—
beszeichen von ſich losgetrennt und |len. Sie kenne den Yuhalt des ver—
hingegeben bat, durch die Liebe gleich» | Toren gegangenen Briefes nicht, aber
fam gefeit, über Grab und Verweſung Nora Habe oft mit ihr von mir ge=
binausgerettet, unvergänglich in mei- ſprochen, habe verfichert, daß ſie mir
nen Händen bleibt. immer zugethan geblieben, habe meiner
Mit eigenthümlichen Empfindungen | als ihrer wahren und einzigen Liebe
ſah ich fpäter immer, wenn ich in den | gedacht .
Yerien Graz befuchte, durch das Burg Die alte Täufhung weiblicher Her—
thor jchreitend von fern mir das. wohl« zen, die, wenn die Sturm- und Drangs
befannte Edfenfterchen, an dem ich fo zeit ihrer Gefühle vorüber, immer den—
oft mit Nora ftand, entgegenlenchten! | jenigen einzig und wahrhaft geliebt zu
Noh immer ſah ich Blumentöpfe | haben bermeinen,; von denr fie nun
hinter den Fenſterſcheiben und einen mehr glauben, daß er es am eheſten
Canarienvoget im Bauer, wie einſt, verdient haben dürfte!
und ich meinte, das ‘liebe Köpfchen Eine weitere Ueberraſchung bereis
müfle, wie einft, darüber eriheinn. |irie die junge Frau mir dadurch, dab
Am tiefften aber fühlte ich mich inmmer | fie ſich Ächlieglih auch noch als —
bewegt, wenn ich Abends dort vor / Adolfs Schweiter zu erfennen gab.
übergieng, und das Licht einer Lampe| Sie erzählte mir, wie jehr ihr Bruder
‚durch jenes Fenſter im dritten Stock- Nora geliebt, und wie viel er gelitten,
wert ſchimmerte. Es war mir, als als fie fih von ihm trennte. Ich fagte
müſſe es noch immer die alte, trau- ihr, daß ich eine Photographie von
liche Lampe fein, bei deren milden Nora befike und davon fürzlich eine
Scheine wir fo oft, felig wie Kinder, Copie habe machen laſſen, und ich er=
lefend, plaudernd, fcherzend und Br mich, ihr diefe für Adolf zu über-
delnd ſaßen ... geben. Sie lehnte das Anerbieten an—
Ganz unerwartet erhielt ich im fangs beſcheiden ab; ich beſtand aber
Jahre 1863 zu Trieft noch eine verfpä= | darauf, daß fie es anuehme. Es ges
tele Kunde von Nora. Die mir ganz |währte mir ein wehmüthiges Vergnü—
unbelannte junge Frau eines deutfchen | gen, dem von mir immer ſchmerzlich
Beamten in Trieft ließ mich um einen | Bedauerten die Geliebte, die ich ihm
Beſuch bitten, da fie mir Mittheilungen | unablichtlich geraubt, nun wenigftens
von einer gewiflen Nora zu machen im Bilde zurüdzugeben.
habe. Ich folgte der Einladung, und Vielleicht nimmt der eine oder an—
die junge Frau gab ſich mir al$ ge= | dere Leſer Anſtoß an der Mittheilung
wejene Freundin Nora's zu erkennen, |diefer Herzensgefchichte. Aber welcher
mit welcher fie in den lebten Lebens- | Schilderer des eigenen Lebens hat nicht
jahren derfelben in Verkehr ftand, und | die Gefchichte einer Jugendliebe zu er—
welche ihr bei ihrer Ueberfiedlung nach | zählen, die, gleichviel ob an fich ine
Zrieft ein Schreiben an mich mitges | ereſſant oder nicht, doch immer für
geben, das ſie perſönlich beſtellen und das Lebensglück oder wenigſtens für
die Lebenserfahrnng eines Menfchen | andern Lehrkraft befegt — und nun
etwas Bedentfames und Entjcheidendes | geftand mir der gute Director Kalten:
bleibt. Uebrigens ift diefes Erlebnis, | brunner mit unfäglichem Herzeleid, daß
jo wie e3 die erfte wirkliche „Liebes- er mein Geſuch weiterzubefördern —
geſchichte“ in meinen Leben ift — alles |vergefjen habe! — Das Geſuch lag
Frühere war ja doch nur poetische noch, wie es von mir tiberreicht
Schwärmerei gewefen — fo auch die war, unter andern Papieren in feinem
legte umftändliche Gefchichte diefer
Art, von welcher ih im Verlauf diefer
meiner Bekenntniſſe zu erzählen habe.
Es war eine trübe, jehr trübe Zeit,
die ih vom December 1854 bis April
1855 noch in Graz zubradte. Ein
rheumatiſches Leiden feſſelte mich auch
über einen Monat an's Krankenlager.
Um mir den Bortheil eines befjeren
Gehaltes zuzumenden, hatte man mich
im Herbfie 1854 zum wirklichen Pro—
feffor am Gymnaſium in Eifli „mit,
Verwendung am Grazer Gymnaſium“
ernannt. Aber Eilli war ein Gynmaz |
ſium dritter Gehaltäclaffe. Als eine
philologifche Lehrftelle an einem Gym—
naſium erfter Claſſe, in Peſt, ausges
ichrieben wurde, bewarb ich mich um
diejelbe.
Da ereignete fih nun etwas, das
einer höheren Fügung glich. Ich Hatte
unferes |
nein Gefuh dem Director
Gymnaſiums übergeben, damit er es
in üblicher Weife, von ihm- „einbes |
gleitet,“ auf dem amtlichen Wege durch |
die Statthalterei an’s Unterrihtsminis
ſterium befördere.
wurde die Stelle in Peſt mit einer
Nah einiger Zeit
Schreibepult.
Schließlich tröſtete der gute alte
Herr mich und ſich damit, daß eben
auch eine Philologenſtelle am Gymna—
ſium in Trieſt ausgeſchrieben ſei; um
dieſe Stelle mich zu bewerben eiferte
er mich an — er werde diesmal nicht
vergeſſen, das Geſuch „glänzend einzu—
begleiten!“
Das geſchah denn auch, und ich
war bald darauf für Zrieft ernannt,
wohin ich am Schluffe des eriten Se—
meſters abzugeben hatte.
| © waderer, längft in Gott ruhen—
der Director Kaltenbrunner! Necht un—
nüßer Weife haft Du dich gegrämt und
bee Vergeßlichkeit geihämt! Höhere
Mächte haben es fo gewollt. Nicht im
Magyarenlande — aus welchem man
einige Jahre fpäter die deutichen Pro—
fefloren vertrieb — war der rechte Ort
ür den Poeten: nein, der rechte Ort
Kir ihn war vorläufig im Süden, an
der blauen Adria, an der Schwelle .
Italiens, in der bewegten Hafenftadt,
wo ihn ein Meerhorizont, und das will
jagen ein Bi ae umgab.
*
412
dakob der Pebte.
Eine Waldbauerngeihichte aus unferen Tagen von P. R. Roſegger.
(Fortjegung).
Der Iadierl ift ein „Eugerl“ ge-|
A
worden.
m Abende desſelben Tages, als
4 der Guldeifner fein Haus ver—
fauft hatte, kamen von Gebirge herab
Männer und fehrten im Steppenwirts—
hauſe zu. Sie hatten ihm micht ges
funden.
Seit zwei Tagen wurde der ältejte
mer verfolgte ihn ein Schwarm von
Kindern und manches Knäblein ftieg
ihm nach bis Hinauf in den Donner—
graben, wo e3 dann in der Hütte des
Waldmenſchen liebreich geatzt und ge=
hegt ward.
Der Pechölbrenner-Natz hatte fein
Lebtag drei Weiber gehabt, aber nicht
nebeneinnander, das ift in Altenmoos
niemals der Brauch gewejen, ſondern
Knabe des Reuthofers gefucht. Er war! hintereinander. Die Erſte hatte feinen
— wie es hieß — wegen Widerfpenftige | kargen Erwerb in bunten Wollenkleidern
feit in einem Moosbarren eingefperrt und Seidentüchern verthan und mit
gewejen, aus demfelben entkommen und dem fürnehmen Gewand ihren dürren
jeither verfchwunden. Man hatte bei! Leib geziert, daß das nur jo gefpenfter-
den Nachbarn gefucht, draußen in | haft herumflatterte in der Gegend. Die
Sandeben gefucht, in den Wäldern ge- Zweite hatte feine Groſchen in Schnaps
fucht und auf den Almen gefucht, man | vertrunfen und mebftbei in den Some
hatte ihn wicht gefunden, feine Spur)
von ihm entdedt.
Dben im Donnergraben hauste ein
Vechölbrenner, der war immer voll
CS chnurren und Späße; er ſchnitt Pfei-
fen und jpielte darauf; er machte aus
trodenen Lattichblättern Drachen und
merftadeln und Köhlerhütten herumges
ichlafen. Die Dritte war arbeitfan und
ſparſam, hatte aber dem Nat mitunter
ein Sceit an die Füße oder an den
Rücken geworfen, wenn er bon feiner
Haufiererei zu wenig Geld heimbrachte.
Keine diefer drei Holden hatte ihm ein
Geier, und ließ fie fteigen; er ſchnitzte Kind geboren, und der Natz hätte gar
Heine Rädchen mit Hämmern, und ftellte | jo gern fo eines gehabt, oder mehrere,
fie ans Waſſer und ließ fie klappern; | oder viele; und fein einziger Wunſch
er meißelte aus Föhrenrinden Hirſche war, ein König zu ſein und ein König—
und Kameele; er baute niedliche Grillen= | reich voll Kinder zu haben. Die drei
häuschen, Mausfallen, machte Fliegen= | Weiber lagen nun längft draußen in
Happen und Schmetterlingsneße und | Sandeben nebeneinander. Der Naß
dergleichen. Diefe Dinge trug er — | | betete, wenn er an Sonntagen hinauss
wenn er mit jeiner Pechöllagel umgieng tam, allemal drei Vaterunfer bei ihnen
— mit zu den Häufern, verfchenkte fie | und gieng dann wohlgemutd wieder heim
an die Kinder und befam dafür von in feine Waldhiütte. Jetzt gieng ja frisch
den Bäuerinnen zu effen. Der Pechöl- fein Leben an, er war ein altes Kind
brenner-Natz ward nie allein gefehen, mit den Kindern und für die Finder.
wenn er, über und über mit Sachen Eo hatte man gemeint, der ältefte
behangen, im Altenmoos umgieng ; im- Sohn des NReuthofers, der Jaderl, ſei
413
vielleicht zum Pechölbrenner-Natz hin—
aufgegangen. Aber der wußte michts
von ihm, löſchte jedoch fofort feinen
Pechölofen aus und gieng mit auf die
Sude.
Jakob, der Vater, war am erften
Tage nach der Flucht arg zornig ge—
wejen auf feinen ungerathenen Sohn;
am zweiten Tage kam er ins Bedenken,
ob die Behandlung und der Moose
Schuhe gefunden worden. Als man dieſe
Schuhe der Maria zeigte, wendete jie
ih vafh davon ab, wanfte im den
Winkel der Stube und ſank dort zu
Boden. Es waren die Schuhe des
Jaderl. Sie waren handgerecht aufge:
viennt md dom den Füßen gezogen
worden. Und das erklärten ich die
der Knabe ſei auf feiner
Wanderung im Gebirge von Hunger
barren wohl das rechte Mittel gewefen | befallen worden, er habe aus dem Sce
jei, den Knaben zu erziehen; am dritten | Forellen fangen wollen, habe die Schuhe
Tage hub eine heimliche Angft an, fein
Herz zu zerfleiichen.
Leute fo:
|
ia
Seinem Weibe |
usgezogen, die Hofen aufgetreift, fei
in das Waller geitiegen, habe ſich zu
gegenüber that er wohl immer noch, weit vorgewagt und ſei in der uner—
als jei er aufgebracht gegen den Stnaben,
denn die Maria that nichts mehr, als
weinen und beten. Sie hatte fich matt
gelaufen und heiſer gejchrieen im der
Gegend, und dab das Kind fo lieblos
geweien und feinen Eltern und Ges
ſchwiſtern entflohen fein follte, al wären
fie feine geimmigften Feinde gewefen,
das that ihr am meiften wehe. Seine
bejonderen Wege war der Anabe von
eriter Kindheit an gerne gegangen, mit
fremden Leuten war er mehrmals fort-
gezogen und als vierjähriger Junge
hatte er fich drangen in Sandeben ein—
mal einer Zigennerbande angeichloffen.
Es hie damals, die Landftreicher hätten
den Knaben verhert und ihn ein Tränk—
lein beigebradt, daß er jeither feine
Lab und Lieb daheim mehr empfinden
lönne. Die Maria befannte nun, es
jei ihr immer vorgegangen, mit diefem
grmdlichen Tiefe verfunfen. Etliche
meinten, e3 könne auch anders gewejen
jein: der Knabe habe jih der Schuhe
entledigt, um mit bloßen Füßen leichter
‚die Felswände Hinanzuflettern, und
wenn fein Leichnam im Hochgebirge
nicht gefunden werde, jo ſei er nah
diefer Nichtung bin davon und werde
wohl nicht eingeholt werden können.
Der Untergang im See war übrigens
weitaus glaubwürdiger. Als bis an den
fünfundzwanzigften Juli, al3 an dem
Tage des heiligen Apojtels Jalobus, feine
Spur gefunden und feine Kunde von
dem Knaben gefommen war, begiengen
fie in der Pfarrficche zu Sandeben die
ZTodtenfeier für den unglüdlichen Jaderl.
Das Elternpaar war ruhig gewor—
den. Der Schmerz hatte auögetobt,
jet war der Tag zum Gebet und
frommen Gedenken. Es war ein düfterer
Kinde würde es eine andere Wendung | Dochjommertag mit Regen und Donner,
nehmen, als mit gewöhnlichen Kindern, die Kerzen des Altares widerftrahlten
fie behauptete, es habe ein ganz be= | ‚au ber Vergoldung und legten ein
Jonderes unerforſchliches Wejen gehabt ı ‚ trüübes Noth an die Kirchenwände. Die
und es fei ihr oft beigefommen, Gott Kirche war voll von Menfchen, die
müſſe mit ihm etwas Eigenes im Sinne Altenmoofer hielten zufanmmen in Leid
haben. Wenn fich das Weib qusgeweint | wie in Freude. Die Maria kniete in
hatte, dann kam ihm plößlich wieder ihrer Bank und ſchloß die Augen.
die Zuverficht, es müſſe mit dem Yaderl, |
wenn er noch lebe, zu einem großen
Glück ausſchlagen.
Am vierten Tage brachte Jemand
die Nachricht, oben in der Hochſchlucht,
im Gottesfrieden genannt, am Rande
des kleinen Sees ſeinen zwei Knaben—
Frohe Bilder aus Jackerls Kindheit
dämmerten in ihrer Seele; alle Un—
arten und Wildheiten des Knaben wa—
ren vergeſſen, ſchlackenlos, ſchön, ſauft
und zärtlich, wie ſie ſich das Ideal eines
Kindes dachte, ſo ſtand der Jackerl nun
vor ihrem ſchöpferiſchen Mutterauge,
BER...
und ſchließlich verfammmelten fich all ihre
Gedanken in Gottesfrieden, wo der See
war. Dort ftand ihr Herz wie am
Eingange der Ewigkeit, und fie Hopfte
an, Aber der Jaderl wollte nicht kom—
nen, zu Öffnen. Und die Mutter weinte
ſtill vor ſich Hin.
Der Jakob kniete neben feinem
MWeibe. Sein Auge war thränenlos,
fein Geſichtszug faft herb. Das Ge:
dächtnis an fein Kind war nicht rein |
geworden von Bitterfeit und Vorwurf.
Oft ftand der körperlich jo ſchön ge=
weiene Knabe wie eine Mißgeburt vor
ihm. Der troßige Junge, dem der Zug
aller Jakob Steinreuter, die Anhäng—
lichleit an Eltern und Heimatserde fo
ganz und gar mangelte, der das Vater:
haus mißachten und treulos verlaffen
founte — war das wirtlih ein Alten
moofer Kind, war es fein Wechjelbalg
aewefen ? Nichts verächtlicher war den
Steinreuterleuten je gewejen, als ein
Stromer; ohne feiten Grund und
Dalt wie feine Füße ift der Charakter
eines Vagabunden; der rechte, echte,
fefte und treue Menſch muß irgendwo
wurzeln, nicht anderö wie ein Baum,
ein Kornhalm. Selbft die lofeften Ge—
ihöpfe, die beflügelten, die Vögel,
fonmen alljährlich wieder zurüd in
ihre heimatlichen Dachfirfte, und fo ein
junger Nichtsnutz! Ein Steinreuterkind
in Altenmoos davonlaufen! Davon
laufen! Aber es hat ihm das Leben
getoftet. Vielleicht nahm er ſichs frei—
willig ? Vielleicht, daß er in der Hei—
mat fterben wollte, weil er, von böjem
Zauber gehegt, im der Heimat nicht
leben fonnte, Das wäre die eines
Jakob Steinreuterd würdige That. Aber
warum bat er danır das Waller ge—
wählt, das die Theile feines Leibes
der Deimatserde entführt und in das
weite Weltmeer hinausträgt? — „Er
ruhe im Frieden!“ betete der Priefter
am Altar. Wo? fragte fih Jakob. Er
hat im Leben feine Statt gehabt, er
hat im Tode feine. Und das iſt mein
Kind geweſen! — Der Bauer zu Alten=
moos konnte freilich Feine Borftellung
| davon haben, daß auch das Gefchlecht
der Jakob Steinreuter feinen ewigen
Juden gebären muß, und daß Ddiefer
| Sprößling um fo ungeberdiger feine
weiten Wege fuchen muß, je enger und
fefter fich der Kreis diefer Familie ges
halten hatte. Wenn ein Gejchlecht jehr
einſeitig'iſt, fo fteht in demfelben plöß-
lich ein Mitglied auf, das nad der
entgegengejeßten Seite ausartet.
Heiterer als der ſtillblutende Schmerz
der Mutter, als die zornige Liebe des
Vaters war bei dem Gedächtuisamt die
findliche Andacht der Heinen Geſchwiſter.
Sie ſaßen neben der Mutter und
ſchauten in das Schiff der Stiche em=
|por, ob nicht ihr Bruder dort umber-
fliege. Es war. ihnen gefagt worden,
daß der Jackerl ein Engelein des Him—
mels geworden ſei. Es ließ ſich zwar
nicht gut reimen, der ſtörriſche, tolle
Bruder und ein Engelein, und ein
Kinderkopf iſt mitunter zu klein, als
daß viel Ungereimtes darinnen Platz
hätte, das iſt weit beſſer in großen
Hohlköpfen möglich. Die Angerl ſchlich—
tete aber den Zwieſpalt, indem ſie dem
Fri zuflüfterte, es gäbe halt auch
wilde Engel und wenn der Jaderl im
Himmel Flügel habe, jo braudhe er
nicht durchzugehen, jo lönne er durch—
fliegen. Es war den Kindern nicht
‚denkbar, daß der Jaderl in feiner ewi—
gen Heimat ruhig ſitzen bleiben wide.
Als fie nach dem Gottesdienfte aus
der Kirche traten, gerade unter dem
Thore, gab der Jakob feinem Weibe
etwas unficher die Hand und fagte:
„Es ift vorbei. Machen wir das Krenz
d’rüber!“
Bon diefen Tage an wurde im
Neuthofe über den Yaderl kein Wort
‚mehr geiprocdhen. Wenn dem Salob
irgendwo ein Kleidungsſtück des ver—
lorenen Knaben in die Hand kam, jo
jchleuderte er es faſt umwillig von ſich
und doch krümmten ich feine Finger,
daß es daran hängen bliebe. Die Maria
aber barg ſolche Stüde in ihrem Ge—
wandfaften und an den langen Som
tagsvormittagen, wenn alle Andern in
415
der Kirche zu Sandeben waren, öffnete | Schulter, dem Jagdhund pfeifend, fo
fie den Kaften und herzte und küßte die verließ er das Haus feiner Väter.
Kleider des Knaben und nebte fie mit) Als Gavalier wollte er fortziehen. Als
ihren heißen Thränen. er am Hausbrunnen vorüberkam,
Schleuderte ein Windftoß den aus dem
Ständer jprudelnden Quell ſpritzend
Kirfheneflen ! ‚gegen den Franz hin. Zwei Arbeiter
So viel öffentliches Leben Gatge | Jeden 0, ba fagle he „Der
Altenmoos wohl feit Urzeit i man Deipsemät ol 2
N Urzeiten nicht gem!“ Und der Andere fagte:
geſehen, als in diefem Sommer. „So fhön! Gar der Brummen fpudt
Sonſt waren die Wege mur bes ihm nad!“
fuhren mit zweirädrigen Heu⸗ oder, Aber die Siedelfuhren des Guld—
Kornkarren, die Straße nah Sande eiſnerhofes waren lange nicht die ein—
eben mit Dolze und Sohlenfuhren zigen, die fortzogen. Nebft dem Knat—
oder mit Viehherden oder mit dein | ſchel und dem Klachel Hatte auch der
flotten Steirerwäglein, wenn der Guld⸗ Sepp in der Grub fein Haus ver—
eifner oder ein Anderer, der's thun fauft und der Zwieſelbaumer, der
fonnte, in die Kirche fuhr. Und nun Steppenwirt und — der Rodel. Der
die mit Kiften und Käften und aller= | Model, der fo feftftändig fehlen: als
lei Geräthen bochbeladenen Wageıt, | er das Geld des Guldeiſners gefehen,
welche vorfichtig die Berglehnen her- war es plötzlich um ihm gefchehen.
abglitten und dann der Straße eut- Der Steppenwirt hatte ſich ausbe—
lang zogen im der gleichen Richtung dungen, da er auf der Hube fein
wie das Waſſer. Feierlich geſtimmte Lebelang fien bleiben dürfe und Ge—
Menſchen ſaßen auf dem Geräthe tränke ausſchenken. Jetzt, da jo viel
oder giengen nebenher und Hatten ihre ‚Geld in’s Land kam, follte ja für
Nüden vollbeladen. Das waren die das Wirtshaus eine gute Zeit begin-
Auswanderer. ‚nen. Nun hatte ſich der Steppenwirt
Das Siedeln aus dem Guldeiſner- mit dem Oberförſter verabredet, in
hof Hatte fein Ende nehmen wollen, | feinem Haufe ein Ausmwandererfeft zu
trogdem auch die Yahrniffe mitver- veranftalten. Das war den Bauern,
fauft worden waren. Was hatte der die ihre ZTafchen voll Hatten, ganz
Franz noch für Saden, die zu feiner genehm, fie wollten noch einmal luftig
Perfon gehörten: alte, kunſtvoll ges | fein in Altenmoos, bevor fie fortzo-
arbeitete Schränfe, Stühle, Käften, gen, nicht mehr als kümmerliche Klein—
Bilder, Spiegel, Gejchirre und Stod: | bauern luſtig fein, fondern als freie Leute,
uhren. Die uralten Bettſtätten feiner | als Leute von draußen, als „Herren“.
Vorfahren hatte er im Haufe gelaffen, Der erfte Sonntag im Auguſt
aber das Lotterbett, welches er fi | war dazu beftimmt und Nachmittags
ſelbſt angefchafft, Hatte er mitgenommen. | um drei Uhr Hub es an. Der gewe—
Die Hämmer und Beile feines Va— | jene Guldeifner betheiligte ſich nicht
terd, das Spinnrad feiner Mutter daran, der relidierte bereits in feiner
hatte er im Haufe zurüdgelaffen; den | angefanften Billa bei Krebsau und
großen Wandfpiegel, den er ſich jelbft gab ſich mit den Altenmooferlenten
getauft, hatte er mitgenommen. Als nicht mehr ab. Aber zwei Einer Wein
der Franz das letzte Mal durch die ſchickte er und lieh fagen, fie follten
ansgeleerte Stube geichritten war, auf ihr eigenes Wohl trinken, um
wiederhaflten feine Schritte fo laut das feine brauchten fie ſich nicht zu
und unheimlich, dab er fait erjchroden | kümmern. ingeladen war ganz Als
um fi jah. Das Gewehr an der! tenmoos, der Nodel, der Klachel, der
416
Steppemwirt und der Knaätſchel waren wiſſe zwar nicht, ob es der Kampel—
die Veranſtalter; letzterer war aus herr nehme, wenn ex es aber kaufe,
Sandeben mit einem Zweiſpänner an- jo würde er es auch, wie gewohnt,
gefahren gelommen; ev fühlte fich heute | höchſt anfländig bezahlen.
ala einer der Wichtigften, war er Der Burfche fagte auf diefe Vor—
doh der Erſte gewefen in der Ges | ftellungen wicht viel, machte ſich an
gend, der fein Haus verfauft hatte, |der Kugelbahn zu thun, ſchob die,
jo zu Jagen der Bahnbrecher hinaus | Kugel hinaus, traf aber nichts! —
in die Welt. Der Oberförfter, der! Ya, juft fo! er würde jetzt das Haus
vielfach zwiichen feinem Herrn und | verfaufen, wo er gerade im Begriff
den Banern den Vermittler pielte, | ftehe, die Duflert zu heiraten!
waltete heute feines Aıntes. Er hatte Die Duflerl war heute daheim in
viel Reiſig hergelafjen, um das Hause | ihrem Bachhänſel beim Vieh, jo freute
thor und den Tanzboden zu ſchmüs es auch den Burfchen nicht im Mirts-
den. Sonft pflegte man zu Alten- Haus. Was gehen ihn die Auswaän—
moos wicht zu tanzen, jo lange noch ‚derer an! Er verlieh das Wirtshaus
ein Kornhalm auf dem Felde ftand, | md gieng an dem fcharf niedertofen-
um micht durch unzeitige Luftbarkeit | den Wällerlein eines Seitengrabens
die Wettergeifter zu reizen. Jetzt bangte | entlang, hinauf zu feinem Hof.
den Answanderern nicht mehr vor Der Sebaft war nicht gar hoch
Sturm und Hagel, die meiften hatten | gewachlen, aber dafür wohl unterſetzt
ja auch die diesjährige Ernte, obwohl | und kernig. Auf dem jehnigen Leib
fie noch nicht veif war, bereits mit- ſaß ein ftattlicher Kopf, an dem ftets
verfauft. Und wenn's dein Kampelherrn die Haare furz gefchoren waren, weil
jchlägt, dem thut's micht weh, und es der Burjche liebte, des Morgens
thut's ihm weh, jo helf' ihm Gott! und des Abends das Haupt in den
Auch der alte Pechölbrenner-Natz Waffertrog zu fleden. Er Hatte in
war da, und wie ihn fonft die Sins | feiner Kindheit viel an Augenent—
der nachlieſen, fo thaten es heute die | zündung gelitten und da war er auf
jungen Weibslente, denn er hatte die|den Gedanken gelommen, das Blut
Zither bei fih. Etliche Dirndeln hat- in andere Winkel des Körpers zu ja=
ten fih an den jungen Sandler-Sohn, | gen, wo es weniger unangenehm wal—
den Sebaft gemacht, der vor dem ten könne, als in den Augen. Diefe
Wirtshanfe etwas gelangweilt umher- waren nun wirklich recht gefund, Har
ftrih. Der Sebaft war ein guter und keck geworden und fo viel Ge—
Tänzer md, was noch mehr wert, |blüt war immer noch im Kopf ge—
Einer zum Heiraten. Der alte Sand- | blieben, um frifchrothe Wangen und
ler war ſchon mühſelig und follte ja Lippen zu beforgen, Mit dem Bart
demnächſt den Sandlerhof an den ſah es ohnehin noch etwas kümmerlich
einzigen Sohn abtreten. Der Sebaft | aus, fintemal man mit zwanzig Jah—
jedoh war heute verftinmt. Hatte! ven fein Wachsthum beſſer verwerten
ihn da der Oberförſter freundfchaft: Tann, als um aus jungen Flleiſch
lich angefprochen, ob er nicht feinen und Blut Haare hervorzufpinnen, die
Vortheil wahrnehmen wolle. Der alte|doch feine Jugendluft fühlen, hinge—
Sandler habe einen forgenfreien Feier= | gen aber Schmerzen machen, wenn
abend vollauf verdient und der junge | eine Bosheit kommt und fie ausrupft.
würde ſich überall beifer ftehen, als | — Nur bei Einer, dachte ſich der
da auf dem Berge oben. Der Sebaft | Sebaft manchmal, bei einer Einzigen
möge feinem Vater vathen, dab er zu | müßte das Nupfen Spaß machen, doch
diefem günftigen Zeitpunkt das a ift fo gottlos rüdhältig... . »
verfaufe, Er — der DOberförfter — | Geheiratet wird fie aber doc).
— — nn —
417
Hinter dem Sandlerhaufe, am
Raine des Pfrängers, ftanden etliche
Wildfirfhbäume. Die einen trngen
rothe Kirſchen, die andern jchwarze ;
veif waren beide Gattungen. Die
Ihwarzen find füher, die rothen find
wiürziger, dachte ich der Sebaft und
ftieg raſch einen Baum hinan, der
rothe Kirfchen trug. Er atzte jih. Das
iſt beffer, wie der Steppenwirtswein.
Die Herne ſchnellte er mit den Lips
pen in's Laubwerk, zwijchen welchen
fie zu Boden fiderten. Es heißt, daß
ans jedem Kirſchkern, der im die
Erde kommt, ein Baum wachſen kann.
Dann bat der Sandler » Sebalt alle
Kirihbänme, die in fünfzig Jahren
an diefem Plage ftehen werden, heute
im Mund gehabt.
Diefer Sonntagsnahmittag ſollte
für den lebluftigen Burſchen eine un
geahnte Wendung nehmen.
Lange hatte er noch nicht Roth—
firfchen gepflüdt, als unten auf dem
Wege etwas dahertrappelte. Etwas
Sechsfüßiges war's. Des Bachhäus—
lers Dullerl kam und führte am
Strid ein falbes Rind. Als fie merkte,
daß Jemand auf dem Baume war,
hielt fie an und rief: „Iſt der Sand:
ler oben? Unſere Kalm hätt’ ich da
und mein Vater laßt ſchön bitten um
den Jodel!”
„So,“ antwortete
oben im Laubwerf.
„Bor vierzehn Tagen bin ich mit
ihr beim Grubbauer Jodel gewest, aber
die Kalm ift nicht geftanden. Heut hat
ihre der Vater einen lebendigen Fiſch
eingegeben und jetzt — ſag' ih —
wird's es ſchon thun. Bitt' gar ſchön.
Ich will nachher einen halben Tag
Korn ſchneiden helfen dafür.”
„Iſt Schon recht,“ fagte der Bur—
ihe und fprang auf den Raſen.
Schier erfihrat fie. „Du bift es, Se:
baft,“ ſagte jie, „jeßt hab’ ich ge—
meint, es wäre Dein Vater oben.”
„Sa, mein Bater, der ift Heut’
bei der Luftbarkeit,“ antwortete der
Burſch. „Wart', Dullerl, th’ Deine
» Mofegger’s „heimgarten““, 6 Heft, XI.
der Burſche
Kuh da in den Pfränger, ich mach’
die Schranke auf, jo. Und jet werde
ich ihn gleich bringen.“
Er gieng in das Stallgebäude
und kam bald mit den Hoßigen Rind
zurüd, das einen diden Hals mit
ichlotternder Fahne hatte, an Farbe
faft ſchwarz war bis auf die weiße
Schnauze und den weißgrauen Strei—
fen über den Nüden. Der Burfche
hatte das Thier feſt bei einem der
furzen diden Hörner gefaßt, derge—
ftalt leitete ex es herbei und durch
die Schranke in den Pfränger hinein.
„So,“ fagte er Hierauf, die
Schranfe fchließend. „Wir zwei kön—
nen dieweilen Kirſchen eſſen. Magit
ihrer, Dullerl ?*
„Kirschen mag ich Schon,“ ant—
wortete fie, blidte ihn aber nicht an,
fondern gieng gegen den Gartenzann
hinüber, wo man weder auf den
Pfränger noch auf die Kirſchbäume
jehen konnte. Dort lehnte fie ſich an
die Planke und betrachtete den jchönen
Salat, die vielen gelben Rüben und
den Meerrettih, fo die Sandlerleute
hatten. .
Lange blieb der Sebaft nicht aus,
er fam und bradte in feiner Zipfel:
mütze Kirchen. Rothe und jchwarze
durcheinander.
„Magſt Dich nicht in den Schat»
ten ſetzen?“ fragte der Sebalt. Es
war ein Hollunderbufch in der Nähe.
„Mir ſchadet auch die Sonne
nicht," entgegnete fie.
„Willſt Leicht noch befjer zeitig
werden ?* fragte er und blinzelte
fie an.
Um diefe Meinung lügen zu fira>
fen, ſetzte fie fi in den Schatten des
Hollunderbufches.
Er ſetzte ſich zu ihr, that auf dem
Nafen feine Zipfelmüge auseinander
und lud ein: „Laß Dir jchmeden,
Dirndel.”
Sie griff immer nad) den ſchwar—
‚zen. Gr ftügte fi auf den Eflbogen
und ſchaute fie an. Herzig war fie,
27
418
Ihr gelbjeidenes Haar hatte fie zu] „So nimm mich Du!” fagte er
einem langen Zopf geflochten md ſchalkhaft und ſchlug fein Knie um,
den Zopf wie einen Kranz um das das gegen Himmel geftanden war, „bei
Köpflein gewunden. Die jhwarzen, | Dir ftell! ich mich lieber.“
langen und dichten Augenwimpern „Ich brauch’ Feine Soldaten,”
ſenkten fich wie Dachvorſprünge über | fagte fie.
heile Fenſterlein. Die rothen, vollen | Sie ſchwiegen. Sie fpielte mit
Lippen waren wie zwei ſachte anein- dem Stleeblatt, er mit einem Riſpen—
andergelegte Kiächen und das Stumpf— | Hal, den er wie einen Reifen bog.
näslein ftülpte fi ein wenig auf, |; „Dullerl,“ jagte er nach einer Weile,
als wollte es dem Burfchen ſagen: „haft Du denn gar feine Freude zu
Sebaft, wenn Du an den Lippen | mir?“
etwas Sollteft zu ſchaffen haben, ich Sie war jo jehr vertieft im ihr
will Dir nicht im Wege ftehen. grünes Blättchen, day ſie die Frage
„Dullerl,“ flüfterte der Burſche | Überhörte.
plöglich, „jet Habe ich Dich einmal, | _ „Keine Arme wirft Halt nicht
wo ic Dich Haben will,“ wollen,“ ſagte fie endlich treu—
Enlu . fnihi erzig.
— Phase oh Ipipig, „das „Der Sandlerhof,“ verfeßte der
So jelten allein kann Eins | Duride, „ii aufs Gelb ug enger
— en ” richtet, aber auf die Arbeit. Haus—
mit Dir fein. j vater und Hausmutter müſſen bei
„Haben auch nichts zu thun bei- uns die beften zwei Dienftboten fein,
ſammen, allein.“ fo ift es alleweil geweſen. Wenn fie
„Da bin ich anderer Meinung,“ | einander gern Haben, arbeiten tun jie
entgegnete er leiſe und fait gedrüdt. mit Willen. — Und ein bifferl gern
„Einmal müſſen wir’s doch richtig Haben, Dullerl, das wirft mich doch!”
machen miteinand. Weißt eh, wes— Sie nidte mit dem Kopf.
wegen.“ FR Er taftete nach ihrer Hand und
Sie ſpielte mit einem Kirſchenſtän- flüſterte: „Gehört habe ich's nicht,
gel, den jie auf das Blatt eines aber gefehen habe ich's. Das ift mir
Kleeftämmcens, wie auf eine Wag- | noch lieber. Es ift ausgemacht, Du
Ihale, legen wollte. Das Blättchen hiſt ſchon mein!“
neigte fi) aber immer und ließ den Den Halm warf er weg und
Stängel hinabgleiten. Endlich hielt wälzte ſich über, fo daß er nahe bei
er feſt, da ſagte fie fat traumhaft ihr war. Sie ſaß feit und wich nicht
ruhig und ohne aufzubliden : „Und zurüd, die Zipfelmüge mit dem Neft
heiraten — fannft heiraten ?“ der Kirſchen legte ſie hinter ſich auf
„Ich kann und ich muß — und den Raſen.
ich will,“ ſagte der Burfche. „Mein) Dann wollte fie aufſtehen, er aber
Vater ift alt und kann der MWirt- nahm mit beiden Händen fed ihr
Ichaft nimmer recht Herr jein. Seit: Köpfchen und prefte einen derben
dem die Mutter nicht mehr ift, freut Kuß auf ihre Lippen. Sie jchlug ihr
ihn nichts. Und ich, wenn ich das braunes Auge auf und ſchaute ihn
Dans nicht übernehm', bin auf’s Jahr | verblüfft an.
bei der Stellung.“ | Er that jeher unbefangen.
„Bei der Stellung Schon ?* fragte‘ „Wie fters denn mit Deinen
fie etwas lebhafter, „Dich können fie) Schuhen?“ fragte der fürforgliche
uber leicht behalten.” Jungbauer, „wenn Du Sandlerin
„Meinft, das ich tauglich bin?“ biſt und viel bergfleigen mußt, da
„Warum denm nicht?“ müſſen fie feſt benagelt jein.“
„Iſt gleich eine Arbeit für Did,“ | der alte Bachhausler: „Na, wie ift fie
war ihre Entgegnung.
„Daft Du Dir dieſe
Strümpfe jelber gejtridt ?”
„Wär' micht fchlecht, wenn
nicht Strümpf ſtricken kunnt!“
ſchönen
id) |
geftanden ?“
„But wird's gewefen fein,“ ante
wortete das Dirndel.
„Dullerl,,„ fagte er, „was halt
denn Du da am Rüden zwijchen den
„Ich kann auch ein wenig ftriden. | Schultern für ein Mal in Deinem
Im Winter, wenn's draußen
ganftert (ſchneiet), ſitzen wir all’ beim
Ofen und ftriden. Nur das Nanft-
machen zulegt da heroben, das will’s
mie nicht thun.“
„So, das Ranftmachen will’s Dir
nicht thun?“
„Wie macht denn Du das?“
„Was fagjt ?“
„Den Ranft.“
recht Gewand? Das ift ein Kirſchenmal.“
„Sa,“ antwortete fie raſch, „ich
hab' ein wenig Kirfchen gegefjen beim
Sandler oben.“
„So,“ entgeguete der Alte Topf:
E8 „Kirſchen haft gegeſſen beim
Sandler oben.
Andere Leut’ thun
mit dem Mund Kirchen eflen, Du
thuſt es mit dem Bude. Na, ift
recht.”
„Den Ranft meint? Mit Durch-
ziehmafchen macht man den Nanft.“
„Sa jo, mit Durchziehmaſchen.“
„Wohl, wohl.“
„Richtig, mit Durchziehmaſchen.
Schau Du, da lern’ ich was.“
Der Schatten eines Hollunder—
buſches dreht jich ſonſt jehr langſam,
jetzt aber, wie fich die beiden Leut—
chen nah ihm umfahen, war er ihnen
davongelaufen. Sie hodten im eitel
Sonnenfdein.
Die Dullerl erinnerte ſich der
Kalm. Als fie in den Pfränger gien—
gen, ftand ſie gelangweilt an der
Schranke und an der gegenüberliegen-
den Zaunede ftand etwas kopfhänge—
tisch der ſchwarze Genoſſe.
„So, jeßt treib' ich heim,” jagte
fie und legte den Strid um die Hör—
ner der Kalm. „Schön Dank!” ſetzte
jie halb gegen den jungen Sandler ge=
wendet etwas unjicher bei, „Jagft e3 halt, | =". Fe
wann Du eine Schnitterin brauchit.“ — Ru Pak Rn alas SER
„Sch Hol’ fie felber,“ rief er ihr Win fi Einer ein wen'g luftig maden,
nah, „mach' Di bereit!" Dann u per Base base Sadıen!
Iprang er ihr einige Schritte nad, | Ser m Rn: DIN
flüfterte ihr ſchmunzelnd in’s Ohr: u —
„Jetzt verdrießt mich jede Stunde
alleinjein! Noch ein Buſſel! Behüt' Feſtgeſang für dieſen Tag. Später
Dich Gott!“ trällerte ihnen der Oberförſter ſehr
As fie mit dem Rinde hinab wunderliche Sachen vor, die ſie in ihren
fam zu dem armfeligen Bahhäufel Leben nie gehört Hatten. Die Weijen
in der dämmernden Schlucht, fragte wollten ihnen eigentlich nicht ins Ohr,
27*
Das Fell der Auswanderer.
Mittlerweile gieng im Steppen—
wirtshaus die helle Luſtbarkeit an. Die
Jungen tanzten, die Alten tranken,
und der Oberförfter war namens des
Kampelherrn da und ließ ſich nicht
ſpotten. Er bewirtete Alles. Die Aus—
wanderer wollten noch einmal die Lieder,
welche in Altenmoos gebräuchlich ge—
weſen, ſingen, Alm und Bauern- und
Holzknechtlieder. Der Oberförſter nannte
es ein „altweltiſches Gedudel,“ was
ſich Etliche vielleicht nicht gefallen laſſen
hätten, wenn die Gläſer nicht gar ſo
fleißig gefüllt worden wären. Der
Knatſchel wußte aber ein Lied, dem
hörte anfangs Alles zu und jpäter
fielen fie ein und fangen mit:
„Das Bauernleb'n thut mich nit freuen,
Mag keiner mehr jein auf der Welt,
Das Lied ward nachgerade zum
aber die Wörter waren fo pudelnärrifch
und bei einem dieſer Lieder rief der
MWagerer-Zenz: „Still jeids, Ihr Sag—
gra, ſouſt muß ich ein Weibsbild haben!“
Operetten-Liedchen waren es, die
der Oberförfter hier auftatt des „alt—
weltifchen Gedudels“ einführen wollte.
Der Dunnerer und der Stindl im
Stein und der Nod ftellten fich aber
mitten im der Stube zuſammen und
fangen mit frifchen Stimmen die alten
Geſänge und die Jodler dazu, dab der
Oberförfter mit feinen neumodifchen
Singelfurium aufhören mußte.
Seine Zuthunlichleit dämpfte ſich
heute aber nicht. Den Burfchen zeigte
er feine filberne Tafchenuhr und fagte:
eine ſolche könne jeder von ihnen
haben. Danı bot er ihnen Gigarren
und jpottete über das Rauchen aus den
Bfeifentiegeln. Den Weibern und Mäd-
hen lieg er Zuder in den Wein thun,
oder Kaffee kochen. Einer Schönen,
der Nod Sandel, legte er fogar fein
rothfeidenes Halstuch um die Schulter.
Einer Andern fagte er, zum Tanzen
gebe e3 nichts Beſſeres, als Kalbleder—
Ihühlein mit Tuchfutter. Draußen
trügen die einfachlten Dienftboten jo
ſchöne Sachen, man müſſe ja doch eine
Freude haben, man lebe nur einmal
auf der Welt. — Derlei gefiel den
Leuten nicht übel.
Dann gieng der Oberförfter auf
den Tanzboden und warf dem zither—
jpielenden Naß einen Silbergulden Hin.
Den blieben die Finger auf den Taſten
ftehen und feine Miene fragte: „Für
was denn das?“
„Einen Neuſchottiſchen ſollſt auf:
ſpielen!“ rief der Oberförfter und fah
ih nach einer Tänzerin um.
„Einen Neufchottifchen ?“ fragte der
alte Pechölbrenner, „einen föllichen
fann ich nit.”
„So Hlimpere uns eine Magura !
oder eine feiche Polka!”
420
„So wirft doch wenigftens einen
Tihardafh ſchlagen können, alter
Nader!*
„Tſchardaſch? Was ift das?“ fragte
diefer demüthig.
„Der Zigennertanz!“ belehrte ihn
ein Nebenftehender.
Der Naß fchüttelte den Kopf: „Bis
geunertanz, den kann ich Halt auch
nit, lieber Herr, ich kann Halt gerade
nur den Steirischen.”
„Mufilant, Du bift Dein Geld
wert!” fpottete der Oberförfter.
„Ich nehm’ keins. Bedant’ mich,
ih nehm’ keins,“ ſagte der Natz mit
einiger Daft und ſchob das Silberſtück
noch weiter von fich.
„So zithere uns Deinen Steirifchen
vor, in des Teufelsnamen!“ rief der
Förſter und ftellte fich mit einer drallen
Bäuerin zum Tanz auf.
Der PBehölbrenner jpielte bedacht-
ſam, ja faft feierlich feinen Steirischen.
Er Hopfte mit den Fußſpitzen den Takt
dazu umd wiegte mit dem Grautopf.
Die ganze Stube war voll von Tän—
zern und fie ftrampften mit den Füßen,
klatſchten mit den Händen, jchnalzten
mit der Zunge und jauchzten und
drehten ihre Weibsbilder, daß die Nöde
flogen.
Plöglih brach der Nag mitten im
Neigen das Spiel ab. Des Wirtes
dreijähriges Töchterlein war er anſichtig
worden, das, den Finger im Munde,
mit großen Augen dem Treiben zu—
ſchaute.
„So geh her!“ ſchmunzelte ihr der
Natz zu, „geh her da zu mir, Dirndel!“
Die Kleine ließ ſich nicht lange
bitten, fie fannte den Mann recht wohl,
der ihr erft vor Kurzem ein hölgernes
Puüppchen geſchenkt hatte, fie lief zwi—
Ichen den Tänzern zu ihm Hin und er
hob fie auf fein Knie.
„Was will das bedeuten ?* fragte
der Oberförfter, erbost über das fo will-
„Kann ich nit,“ antwortete der kürlich abgebrochene Spiel. „Wir wol—
Alte jchier betrübt und ſchob das Sil- len tanzen!"
berftüd mit dem Zeigefinger langjam
von ſich.
| „Nur Zeit laffen, Schön Zeit laffen, “
verjeßte der Natz gutmüthig, „wir were
_ 4
den es Schon machen, Zwei richten mehr
aus, wie Eins. Gelt Dirndl!“
Er ſpielte; auch die Kleine taftete
gleichzeitig mit ihren fetten Fingerchen
auf den Saiten herum, dab es eine
recht feltfame Harmonie gab.
Der Oberförfter ftieß einen Fluch
aus und verließ den Zanzboden.
Eriprießlicheres für ihn gab. es
draußen beim Lindentifch zu thun.
Dort fah beim NRodel und beim Sepp
in der Grub und beim Zwieſelbaumer
der alte Sandler. Der fauerte jchier
armfelig da, beim Sitzen felbft noch
die Hände auf den Stod ftüßend, den
er zwoifchen den Beinen hatte. Cine
Hand war mit Lappen ummidelt, denn
fie war arg gichtiſch. Das Haupt hielt er
Iharf nah vorwärts gefpannt, denn
er war etwas „großhörig,“ wie Die
‚darfft uns nicht anthun, daß Du uns
abjpenftig wäreft an diefem Tag. Wir
‚haben gut mit einander gelebt, wir
‚wollen gut auseinandergehen. Bis Du
nachkommſt! Einen Krug Wein mußt
‚wohl mit uns trinken, das geht nicht
'anderd. Wer weil, wann wir wieder
einmal zufanmenfommen. So jung
mimmer wie heut. Auf Dich haben wir
alleweil was gehalten, Jalob! Schade,
daß Dur nicht mit uns gehft im die
Ihöne Welt hinaus. Aber ins Wirts—
haus geh’ mit uns. Geh’ komm'!“
Sie nahmen ihn an den Armen
und zerrten ihm mit ſich. Feindſelig
wollte er nicht fein, ev gieng mit ihnen.
Am Lindentifch, jegt war auch der
DOberförfter dort, liefen fie fich nieder.
Der Herr Ladislaus hatte eben den
alten Sandler in der Arbeit und redete
Schwerhörigkeit in Altenmoos fo ſtatt- ihm Halb ernfthaft, Halb hänfelnd zu
lich benannt wird. An feinen Beiligern | von wegen Berlauf des Sandlerhofes.
war nicht die Schuld, wenn er manche | Zum Glüd verftand der Gebirgsbauer
mal etwas uneben verjtand, fie fchrieen | daS Deutſch nicht vecht, welches der
in ihn Hinein wie in „ein taubes Roß.“
Sie waren juft daran, ihren lieben
Nachbar zu feinem Glüde zu drängen ;
Er ſagte wenig, ſchüttelte aber bis—
weilen jo ein biichen den Kopf. Sa,
das Glüd wäre ſchon recht, aber wer
weiß, obs eins ift!
Sept gieng draußen der Neutbofer
des Weges. Er fehrte erft von Sande
eben zurüd, wo er in der Kirche ge-
wejen war und that nichts desgleichen,
als ob er beim Steppenwirt einfehren
wollte. Der Jakob war feit einiger
Zeit ernſter und verjchloffener als fonft.
Das Unglüdt mit dem Knaben! Es
möchte ihm nicht Schaden, wenn er ſich
bei Wein und Kameraden einmal ein
wenig aufheitere. Der Rodel wintte
ihm über die Planfe, er folle doc)
nicht gar jo ftolz vorbeigehen. Ob er
denn nicht durftig geworden fei von
Sandeben her?
„Seit zwei Stunden gehe ich neben
dem Waller daher,” entgegnete der
Jakob.
Der Rodel und der Sepp giengen
hinaus, „Jakob,“ ſagten fie, „das
halt überrlegen.
Pole in der Abficht, die Bauernmunds
art nachzuahmen, Hier vorbrachte. „Dös
Banerın müſſent wohl halt dö Sade
J bitt Ihmens, da
gibt3 nix zum Weberrlegen nit, als»
dann! Halt lieberr am Hungerrtuch
nagen, wie altes Gerümpel verfafen.
Iſts gach nit wahrer ?* — Er wandte
ſich damit am die Umfigenden, daß fie
es beftätigten.
„Wenn Unfereiner jo allein des
Meges geht,“ bemerkte jet der Jalob,
„da füllt einem allerhand ein. Iſt mir
das Kruziloch eingefallen, von der
Krebsau Herüber, Ihr kennt es ja.“
„Die Höhle foll neuzeit ftarf ver—
fallen fein,“ berichtete der Rodel, „Tann
Keiner mehr durch.”
„Iſt vor Wochen einmal ein Herr
da beim Steppenwirt gewejen,“ wußte
der Sepp in der Grub zu erzählen,
„der ift gar aus Wien hergekommen,
das Kruziloch anzuschauen. Soll merk—
würdig fein, hat er gejagt, der Tropf—
| feine wegen.“
„Mir gefällts nicht, das finftere
| Loch, das muß ich ſchon fagen,“ ver-
422
feßte der Rodel, „da bin ich wohl
lieber in der Taglichten.“
„Bor Zeiten foll von der Krebsan
berüber der Fußſteig durch das Kruzi—
loch gegangen fein,“ ſagte der Sepp,
„zehn Minuten lang Hat man durch
die Höhlen gebraucht, hat aber um
eine Stunde den Weg abgekürzt."
„Iſts mir eingefallen, heut’ unters
wegs,“ fuhr der Jakob fort, „daß,
wie die Pelt in der Sandeben ift ge=
weſen, die Sandebner eine Bittpro—
ceffion ins Kruziloch haben gemacht.
Mitten drimmen foll ein Zropfitein
ftehen, der wie ein Muttergottesbild
ausschaut. Davor ift eine Meſſe ges
lefen worden. Die Peft hat nachher
aufgehört. So habe ich mir gedacht,
jetzt funnten die Altenmooſer eine Bitt:
proceflion ins Kruziloch machen.”
„Habt's Ihr auch die Peſt?“ fragte
der Oberförfter fpöttifch.
„Leider Gottes, ja,” antwortete der
Jakob ernfthaft. „Arg grafliert fie, es
vergeht fein Tag mehr, ohne da Tie
Einen oder den Andern wegrafft. Wenn
es jo fort gebt, wie lange kann's
dauern, bis wir in Altenmoos eine
menfchenleere Wildnis haben! Heute ift
in diefem Wirtshaus ein Todtenfeſt.“
„Das ſich aber der Reuthofer vor
Der Jakob Hatte die Yauft auf
den Tisch gelegt und Hopfte mit den
Fingerrippen etlichemal auf das Brett;
ziwei=, dreimal hob fich feine Bruft,
aber er ſchwieg.
Der Nodel und der Zwieſelban—
mer hatten fih dem alten Sandler
zugewendet und ftellten ihm vor, wie
es nun werden müſſe in Altenmoos
und mit dem Sandlerhauſe. — Die
Nachbarn haben verkauft. Die Bauern
in diefer entlegenen Gemeinde find
auf gegenfeitigs Zufammenhalten
angewielen, aber der Leute werben
nun immer weniger; Dienftboten find
auch kaum mehr zu befommen; Alles
weiß ſich draußen größeren Erwerb
und der Menjch will das Leben ges
nießen. Die Wege werden vermildern,
der Einzelne kann Stege und Brüden
nicht mehr im Stande halten. Auf
den brachliegenden Feldern wächst Wald,
aus dem Wald kommt das Wild und
frißt dem Einödbauer das Kraut und
das Korn. Da ift fein Beftehen.
Wenn der Belit eines Bauernhauſes
wenigftens noch von der Militärpflicht
entbände, wie das früher gewejen!
Aber das ift auch nicht mehr. Wenn
der Sandler etwa einen Haufen Kin—
der hätte, die einen Deimgang zum
Elternhaus haben wollten! Aber das
Anftedung nicht fürchtet!“ bemerkte jſt nicht. Der einzige Sebaft! Und
der Oberföriter.
„Mir wird die Auswanderpeft nicht
gefährlich,“ fagte der Jakob; „dem
Nachbar Sandler hingegen, dem möchte
ich ſchier rathen, daß er fich eilig da=
vonmachen ſoll.“
„Für einen ſolchen Rath wollte
ich mich bedanken,“ verſetzte der Ober—
förſter, „wenn ich das Glück habe,
mir meine Verhältniſſe zu verbeſſern,
und ſo ein guter Nachbar möchte mich
davon abhalten! Aber Freilich, Jeder
denft auf fich ſelber und weil der Reut—
bofer jeinen Befig nicht an den Mann
bringt, jo will er auch den Nachbarn
hinderlich fein. Ich glaube es wohl,
dat ihm die Weile lang werden wird,
als Einfiedler in Altenmoos.*
der lebe Hundertmal beſſer und ſorg—
(ofer mit dem Baargeld, oder wenn
er fih draußen ein niedliches Gütlein
fanfe. Und was würde es dem Als
ten wohl thun, nicht allemal, wenn
er eine Kirchenglode hören wolle, den
weiten Weg machen zu müſſen! Beim
Treidler in Sandeben ift ein Stübel
zur haben, in welches zu den Fenſtern
die Kirchenorgel hineinklingt. Und im
Haus der Weinkeller, das ift für
einen mühſeligen Menfchen auch was
wert. Das Glück meldet fich ſel—
ten an im Altenmoos, aber wenn es
fich meldet, da foll man ihm micht die
Thüre weiſen.
Während die Bonern als Aus—
wanderer ſo ſprachen, hielt der Ober—
förfter die dreitaufend Gulden bereit | Sturm. Die Kinder find beim Haus
auf dem Tiſch. Der alte Sandler verblieben oder haben an andere Höfe
Ihlug in den Handel, fein Haus war | geheiratet; ich Habe von feinem ge—
verfauft. —* das nicht rechtſchaffen geweſen
„Alſo wieder eine Leiche!“ rief wär. Nur von meinem Großvater ein
der Oberförſter und ſchlug dem Reut- Bruder, der iſt Soldat geworden,
hofer höhnend die Hand auf die
Achſel.
„Laß
geier!* fchrie ihm der empörte Bauer |
in's Gelicht.
„Und jebt, Jakob!” rief der Ro—
del lachend, „jet ſchlag auch Du
los. Es geht auf Eins!“
„Und der Aasgeier!“ ſetzte der
Oberförfter bei, „legt Dir baare vier=
taufend Gulden auf die Hand!”
„Wofür?“ fragte der Jakob.
„Für den Reuthof.“
deſerteurt, hat oben im Gottesfrieden
in einer Felskluft gehaust, iſt wieder
mich in Fried, Du Aas= eingefangen und zu todt gefchlagen
worden. Sonft haben faft alle ein
‚langes Leben gehabt. Und freiwillig
‚ fortgehen, in die Fremde gehen, gar
ein Herr werden, das ift im Reuthof,
jo lang ex fteht, nicht gedacht wor—
‚den, und eher hätte der Blitz einge—
‚Schlagen in den Dachgiebel. Wir find
‚ein Bauernſtamm! Wir hören bis-
| weilen etwas läuten von Reichthum
und Herrlichkeit draußen in der Weis
‚ten Welt. Wir gönnen es Jeden, der
„Der ift nie mehr, als an zwei- daran glüdlih wird. Wir brauchen
taufend Gulden wert gewejen. Oder es nicht. Wir haben nie davon gere-
wäre das Geld für mein oder meiner det, aber jet,“ fuhr der ſich erhebende
Familie Heimatshaus? Das ift mit Bauer mit gefteigerter Stimme fort,
Geld nicht zu bezahlen. Heute,“ ſo „jeßt müſſen wir davon reden, weil
fuhr der Jalob fort, „beute habe ich fie die Heimat und die Fremde zu
nahgeichlagen im Pfarrbuch zu Sande | einander wägen. Ich wäge nicht! wie
eben. Das Pfarrbuch ift vor dreihun- ſoll ich die Erdſcholle und die Wolfe
dertundfechzig Jahren angelegt wor— | miteinander wägen! Nachbar, wenn
den und dazumal ift ſchon von Stein- ſich die Melt zerftört, jo fängt es
reutern Die Rede gewefen, die auf an. Die Menfchen werden treulos.
dem Reuthof in Altenmoos gehaust | Umtreue gegen die Heimat ift Untrene
haben. Noch Aeltere von diefem Slaum | gegen die Vorfahren, ſie ift Untreue
werden auf dem Grund die Steine | gegen die alte gute Sitte und fie
anzgerentet haben und davon wird wird Untreue gegen den Nädhften,
— Sagt der Pfarrer — der Name,
Steinrenter herrühren. So viel ich
weiß, ift don den neun Jakob Stein⸗
rentern, die im Pfarrbuche ftehen, |
feiner reich gewefen und feiner arın.
Einmal ift der Reuthof niedergebrannt,
die Steinreuter haben auf Gott ver—
traut und ihm wieder aufgebaut. Oft,
bat uns der Hagel die Feldfrucht |
vernichtet und das wilde Mafler die
Wieſen mit Steinen überfchüttet, die
Steinreuter haben gedarbt und ge—
arbeitet und Muth gehabt. Sie ſind
dem Unglüd nicht ausgewichen und
nicht entgegengegangen, fie find ihm
geftanden wie der Tannenbaum dem
‚gegen das Weib und gegen das Kind.
Sonft ift das Mind in feiner Heimat
geboren worden, ihr jet es im der
fremde auf rollenden Sand. Wo
feine Liebe zur feititändigen Heimat
ift, da ift auch feine zum Vaterland,
da flattert Alles Hin und Her wie die
dürren Bucbenblätter im Herbftwind.
— Jetzt iftein Wind gelommen und hat
Euch abgeichüttelt, Nachbarn, vom alten
Baum. Ueber fremde Heiden werdet
Ihr dahingeweht und Ihr wollet wie:
der grünen? Ahr feid feige, Ihr lau:
fet dem Bauernſtand davon, weil er
hart und ernfthaft ift. Ihr ſeid Hof»
‚färtig und wollet oben hinaus.“
424
„Lieber ein Vogel, denn ein Maul—
wurf fein!“ redete ihm Einer ent»
gegen.
Darauf der Jakob: „Der Maul—
wurf ift ein müßliches Thier, aber
denfet Euch, wenn er Flügel bekäme
und eine Lerche fein wollte. Pfui
Tenfel! — Wenn ein Abfchiedsfeft
ift, meine Herren, fo muß auch eine
Abfchiedsrede fein; fie ift gehalten.
Ihr feid draußen, ich mache die Thüre
zu. Helf Euch Gott!“
Dumpfen Tones waren die lebten
Worte geiprodhen, eine Handbewegung
machte der Jakob, als ob er die ganze
Feſtgeſellſchaft mitſammt dem Steppen-
wirtshaus von fi ſtoßen wollte und
dann haftete er in Hoher Erregung
davon.
Die am Lindentifche fahen oder
durch die leidenschaftlihen Worte des
Jakob herangezogen umberftanden,
ſchauten fich mit verblüfften Gefichtern
an. Mas da gejagt morden, war
merkwürdig, aber wer es gefagt —
das war noch imerhvürdiger. So
hatte den ftillen, freundlichen Jakob
Keiner gefannt!
Der alte Sandler ergriff den Arın
des DOberförfters und fagte: „Beden—
fen muß ich's doch erſt, Waldmeiſter,
und meinen Buben fragen.“
„Was willft bedenten ?”
„Des Hausverkaufes wegen.“
„Aber Sandler!" riefen jetzt
Mehrere zugleih, „der Kauf ift ja
abgeſchloſſen.“
„Die Herren find Zeugen!“ ſagte
der Oberförfter auf die Bauern deu—
tend.
Der Alte fagte nichts mehr ſon—
dern ſaß, noch tiefer zufanmengelauert,
unter der Linde.
Im Haufe Hang die Zither, johl-
ten die Tanzenden und die Trinken—
den, ſchrillte das Anftogen der Gläfer.
Wohl auch jeht dem Sandler zu
Ehren galt das Freudenfeſt — aber
er ſaß tief im ſich gefnidt und auf
jeiner Stine ftanden falte Tropfen.
„'s iſt ihm Halt aufgefeßt gewe—
fen!“ wirde der Wegerer gejagt
haben.
Als der alte Sandler jpät Abends
nad) Haufe fam, war der Sebaft nicht
mehr daheim. Der Sebaft arbeitete in
diefen Wochen, da das Henmahd vor—
| über und das Korn noch nicht reif war,
weit oben in den Wäldern der Herr—
Ihaft Nabenberg als Zaglöhner. Um
Montags rechtzeitig bei der Arbeit zu
fein, pflegte er fhon am Sonntag
Abends den ftundenlangen Weg hin—
aufzugeben und in der Holzhauerhütte
zu übernachten. Erft Samstags kam
er zum Tyeierabende wieder Heim.
Und da war’s an dieſem nächſten
Samstag — ein ftiller fonnengoldiger
Auguftabend — daß der Sebaft, ein
Liedel pfeifend, mit feiner Krare nie=
|derftieg zwifchen den Feldern des Guld—
eilnergrundes. Bei den zwei Ahornen
genannt, wo die Grenze war zwifchen
dem Guldeifner- und dem Sandler—
gut, fand Eine, die auf ihn wartete.
Die Dullerl war’s, aber Heute nicht
gar Iuftig, fordern etwas Heinlaut.
Sie hatte ein weißes Tüchel um das
Kinn gebunden, über dem Scheitel
zufammengefnüpft und fagte, fie habe
Zahnweh.
„Das iſt auch ein neuer Brauch,“
entgegnete er lächelnd, „an einem ſo
ſchönen Sommertag Zahnweh haben!“
„Sebaſt,“ flüſterte ſie und duckte
ſich ein wenig hinter ihn, „ich habe
ſchon fo viel Angſt. — Seit Irchtag
(Dienstag) oder Mittwoch her habe
ih fchon fo viel Angſt. Ich weiß
nicht, Sebaft, ob Du Dir deuten
fannft, wos ich meine... .?“
Er ſchaute fie an und und fchwieg.
Er konnte fich’3 denten.
„Dirndel,“ fagte er, „wie Gott
will. Ich verlaß Dich nicht.“
„Und mehr brauche ich nicht zu
willen,“ verfeßte fie munter, „das
Zahnweh will ich Teicht ertragen.
Behüt' Dich Gott, Sebaft!”
Sie drüdte ihn noch flüchtig an
den Fingern und lief den fleilen Fuß—
AB.
fteig hinab gegen ihr Heines Bach: ! „Bil da, Sebaftel!“ rief er ihm
bäufel, daS aber gar nicht ihr und mit einem ſchmiegſamen Stimmlein
nicht ihrem Bater gehörte, jondern entgegen. „Müd' wirft fein, gelt! Na,
zum Steppenhof, und alfo mit fammt das Holzhaden die ganze Woche ift
diefem den Kampelherrn. Das thut | fein Leichtes. Und nachher daheim
nichts, fie wird jeßt ja nicht mehr wieder die harte Arbeit. Den!’ mir
lange bleiben müſſen in der alten oft — gehit hinteri, verfluchter Pölli!
Hütte, in der man zur Sommerszeit | — dent’ mir oft: er kunnts beſſer
nur ſechs Moden lang die Sonne
fieht, in der man jahraus jahrein
feinen Bogel fingen Hört, weil die
Sandach jo wild raufcht vor der Hütte.
Mit Zagewerfen und Kohlenbrennen
und mit Beihilfe einer Ziege oder |
einer Kuh gewannen fie ihr armes
Leben von Tag zu Tag. Uber jebt
kann es befjer werden, beim Sandlers
hof oben fiheint die Sonne im Wins
ter und im Sommer, fingen die Vö—
gel im Winter und im Sommer —
und das Zahnweh duldet fie gerne.
Und der Sebaft date: Das wäre
ganz vertenfelt jeßt, wenn Einer fein
Daus hätte und nicht heiraten könnte!
Wir wollen bald Ernft machen.
Als er zu feinem Hofe kam, trieb
der alte Sandler juft das Vieh
zur Tränke. Die Ochſen ftanden der
Reihe nah am langen Brunnentrog
und Schlürften mitihren großen Schnau—
zen den Zrog bis über die Hälfte
leer. Der Jodel war auch dabei, aber
dem giengs mehr nad Allotria, als
nah Waller. Er legte feinen ftroßi=
gen Kopf auf die Rüden der Anderen
und fprang gelegentlih gar mit den
Vorderfüßen auf einen und den ans
dern Hinauf, jo daß der Alte beftän-
dig rief: „Gehſt hinteri, Dur Saggra !“
und den übermüthigen Stier mit der
Beitiche zurüdicheuchte.
Als der Sandler jetzt feinen Sohn
haben. Und derbarmen thuft mir, Im
Krebsauer Eifenwerk draußen, jagen
fie, müßt’ fi der Menſch lang’ nicht
jo plagen und hätt einen beſſeren
Lohn, einen viel beiferen. Da tHut
man ſich's — wart’, Du ſchwarzes
Ludervieh, ich will Dir Helfen, wenn
Du fie nicht trinken laßt! Die ver—
dammte Remmlerei, alleweil! — Da
thut man ſich's, hab’ ich wollen ſa—
‚gen, befjer machen, wenn man kann.
Drei Tanfender gibt er, der Kam—
'pelherr! Sebaft, was fagft denn da
| dazu ?*
„Unfer Sandlerhaus ift nicht feil,“
rief der Burſche und wollte in das
Haus treten, um feine Kraxe abzu—
laden.
Der Alte baftete ihm mac, legte
ihm wie fofend die Hand auf den
Arın und jagte: „Lachen wirft, Se—
baftel, lachen wirft. Wir zwei find
feine Bauern mehr, Jind Herren!
haben Geld im Sad!”
Der Sebaft blieb ftehen, blidte
mit ftarrem Aug’ den Alten an und
jagte Heijer, jchier ganz Heifer: „Va—
ter!”
„a, mein braver Sebaſtel!“ rief
der Alte mit krankhafter Fröhlichkeit,
„ich hab’ Dir die Sorgen aufgeladen,
ih Hab’ fie Dir auch wieder abge—
nommen. Es iſt michls zu machen
mehr in Altenmoos, Alle jagn’s, es
kommen jah, wurde ihm etwas uns iſt nicht's zu machen mehr. Und recht«
gleich zu Muthe. Er wußte nicht echt, ſchaffen gut Habe ich ihm verkauft,
wie er ihm die Neuigkeit mittgeilen | den Sandlerhof.*
jollte, falls der Sebaft noch nichts) Der Sebaft ftolperte von der Thür—
wußte. Wenn er nur einverftanden | fchwelle zurüd, taumelte an die Wand
ift! dachte der Alte, ift ein Trutzlopf hin, als wäre ihm ein Schlag ge—
mandmal. Wenn er mur einverftanz= | fchehen und murmelte dann: „Da hat
den it! Na, er wird ja gefcheit fein. | man's.”
—
„Gelt, die Ueberraſchung, Sebaftel, | Der Ulte Hatte fih auf einen
gelt!“ Teifelte der Alte, „willft das | Holzblod gejeßt und wieder im ſich
Geld jehen? Baar hat er mir's aus | zuſammen brechend wie dazumal am
zahln laſſen, baar. Und den Winter Lindentiſch, murmelte er: „Ich hab’
über, wenn wir wollen, dürfen wir mir's gedacht.“
noch im Haus bleiben.” Plöglih ſprang der Sebalt Hin
„Dürfen wir?” fagte der Burfche, | gegen den Vater umd mit geballten
„dürfen wir?“ dann fuhr er wild Fäuften rief ev: „Ich will ein Haus
auf: „Der Teufel hat Euch geritten! haben! Ich muß Heiraten, ich hab’
Ein Schlechter Water, der feinem Kind | Eine, der ich ſchuldig bin worden!”
da3 Haus vertfut! — Ach Gott, ; Der alte Sandler, leichenfabl im
mein Haus!“ Er Iehnte ſich an die Geſicht, zudte die Achſeln: „'s ift aus
Wand und der ganze Körper bebte. | und 's ift vorbei.“
(Fortfegung folgt.)
Auf einem Dade.
Bon Arrra. Aus dem Italienischen übertragen von Morit Smets.
ae den Freunden ihres Vet-⸗ Und Beide ließen ſich im Boote
Se ters war der es eben, wider | nieder.
welden fie die meifte Abneigung) Meine Lefer werden fich wohl
hegte. . jener furchtbaren Ueberſchwemmung
Wenn man mit Vorbedacht, fie | erinnern, die im Jahre Eintaufend
gegen Verſuchungen zu fichern, ger | achthundert und . . .® Mber nein,
handelt, konnte man Feine befiere machen wir keine Zeitangabe! Wenn
Wahl treffen; aber es gibt weib⸗ Damen in einer Erzählung vorkom—
liche Naturen von Kampfluft befenert, | men, thut man befier, Zeitangaben
welhe den Berfuchungen durchaus | gepeimzuhalten.
nicht abhold find. Was will man das | GE genügt auch zu wiffen, daß
gegen thun ? der Po ſolche wilde Streiche verübt,
Urania war gerade fo geartet. ſein Beet verlaflen und die Gegend
Sie lehnte die Hand ihres Bes am rechten Ufer bis nach Parma un—
gleiters ab und fprang flint in das | ter Waſſer gefebt hatte. Auch bei
Boot, ohne daß fie jih Mühe ge: | Gremona war er ausgetreten; von
nommen hätte, ihren ftarken Aerger diefen Orten an war die Eifenbahn
zu verbergen oder auch nur ihren an mehrfachen Stellen überflutet. Wer
tleinen Fuß, den ein birjchledernes, | von Gafalmaggiore fih nah Mailand
mit zwölf Knöpfen befeßtes Stiefel- begeben wollte, war gemöthigt, den
hen umſchloß. Romeo fah alle zwölf! Fluß zu durchkreuzen und fich mittelft
und es that ihm nur leid, daß er eines Bootes über die unter Waſſer
nicht der dreizehnte war. ftebenden Felder bis nach Parına bes
— LE
fördern zu laſſen, um dort die Linie
von Aleſſandria einzufchlagen. Das
Nämliche that auch Urania, nachdem
fie einen längeren Landanfenthalt bei
ihren Baſen genommen hatte.
Die Landſchaft bot ein eigenthüme
lihes Bild. Die Meinftöde und alle
Pflanzen niederen Wuchſes lagen un—
ter dem Mafjerfpiegel, aus welchem
bie und da der ſchlanke Wipfel einer
Ulme oder einer Bappel, einer großen
Ihwimmenden Seeroſe ähnlich, em—
porragte. Es lag ein Zug biblifcer
Großartigkeit in diefem Gewäller, das
immer noch ftieg und flieg, Alles mies
derreißend, verheerend, überallhin Ent»
jegen und Tod verbreitend.
Den Strom hinab ſchwammen
jeltfame und oft unerfennbare Gegen—
Hände: Balkentrümmer von einge—
ftürzten Hütten, allerlei zerbrochenes
Geräthe, Kleider, Werkzeuge, Geichirre,
Lappen; ſogar ein Käfig, worin einige
Hühner wie rajend hin und ber flat-
terten, Sicherlich des Glaubens, daß
das Ende der Welt angebrochen fei.
Die Schifffahrt gieng nichts we-
niger als leicht auf diefem plößlich
entitandenen See, deilen Tüden man
nicht kannte, von ftatten; man mußte
mit aller Behutſamkeit zu Werke ge—
hen, indem man die Bodentiefen er-
gründete und das Ruder gegen die
Baumſtämme, welche die Bahn verleg—
ten, ſtemmte.
Urania nmterhielt ſich unendlich.
Eine ftarle Seele, liebte fie die Ge—
fahr; fie bedauerte einzig und allein,
daß ſtatt dieſes ſtutzerhaften Romeo
ſie nicht ihren Vetter als Begleiter
hatte. Der war ein Mann!
Ohne vorſchnellen Argwohn zu
faſſen, darf man kühnlich vorausſetzen,
daß dieſer Vetter fie faſt ausſchließ—
lich beſchäftigte. Seine Soldatenma—
nieren, vorgeſchrittenen Anſichten, krie—
geriſchen Neigungen, fein langer
Schnurrbart und ſeine ſporngezierten
klirrenden Stiefelabſätze hatten Ein—
druck auf ſie gemacht. In ihrer Ver—
achtung für verweichlichte Männer
war ſie ſogar dahin gelangt, daß ſie
ſich die rauhen Hände ihres Vetters
gefallen laſſen hatte. O, mit ihm
wäre es eine Luſt geweſen — aber
1
Romeo, der am Bug ſaß, (ie
hatte ſich auf der entgegengefeßten
Seite des Bootes niedergelaffen), ſchien
geringen Anteil an der malerischen
Scenerie, die ihn umgab, zu nehmen;
fein zartes und ftarres Profil hob fich
Scharf, wie eine antife Gamee, von
dem leuchtenden Spiegel des Gewäſſers
ab; mit einer Hand fräufelte er fei=
nen Shwachen blonden Schnurrbart,
die andere hieng über den Bootsrand.
Fr war unausſtehlich.
Urania wandte ihr Haupt von
ihm ab.
„Das ift ſicher;“ dachte fie, „die—
jer Mensch Hat fein Blut im den
Mdern; er muß mit Stodfiichthran
aufgepäppelt worden fein.“ Diefer Ein—
fall ſetzte jich derart im ihrem Gehirne
feit, daß fie ihren Begleiter dergeftalt,
wie er erit fünf Jahre zählte, mit
einem Geiferlägchen vorne und mit
aufgeſperrtem Munde, um den Thran—
löffel abzulecken, zu ſehen glaubte.
In dieſem Augenblicke zog der
Bootsmann die Ruder ein und ſagte,
nachdem er bedenklich umhergeblickt
hatte: „Ich fürchte, daß wir nicht
den beſten Weg eingeſchlagen haben.“
„Warum?“ fragte Urania.
„Weil die Bäume immer zahl—
reicher in die Höhe fteigen und wir,
jtatt uns über einem Fußwege zu bes
finden, in einen Wald oder im micht
viel weniger Hineingerathen find.“
Romeo erhob ji.
„Bielleicht, wenn die Kraft der
Ruder verdoppelt würde ?”
„Berftehen Sie fih darauf, fie
zu handhaben ?“
„Berfuchen wir's!“
Der junge Mann ergriff ein Ru—
der, und zur großen Verwunderung
des Bootsmannes legte er tüchtig aus.
„Oh. 05!” bemerkte diefer, „Sie
greifen mir in das Handwerk.“
|
428
„Meint Du? Dann höre auch |merlfanm, daß das Waſſer hereinzu—
einen Rath an! Bon Hier kommen
wir micht mit der Kraft weiter; wir
müſſen fie auffparen, mit Umficht bloß
das Ziel verfolgen, daß wir den Hin:
derniffen ausweichen; diefes Boot ver—
mag einem etwas ftarfen Stoße nicht
MWiderftand zu leiften.“
Der Bootsmann verzog den Mund,
ohne etwas zu erwidern.
Urania begann zu überdenken, ob
e3 nicht eine Unklugheit geweſen fei,
dak man für die Fahrt den Abend
gewählt Habe; um vor der Sonne
und dem Staube geſchützt zu fein,
war man nun wirklich einem ſchlim—
men Wagniſſe ausgefeßt. Die An—
wejenheit ihres Wetters erjchien ihr
wiünjchenswerther, denn je, und fie
malte ih im Gedanken aus, welche
ihöne Wirkung feine ftarke, donner—
gleihe Stimme inmitten des Ge
wäſſers, feine Athletenarme an den
Rudern und feine gebräunte, vom
Schweiße der Kraftentfaltung triefende
Stirne machen würden !
Mit ihm Hatte die Gefahr we—
nigftens eine beroifche, poetiiche Seite;
man konnte ihr mit einer gewiſſen
Luſt die Stirne bieten!
Sie warf einen Blid der Miß—
ahtung und des Mitleides auf den
blonden Ritter, den man ihr an die
Seite gegeben, und jeßte ſich beque—
mer, mit verſchränkten Armen, darein
ergeben, die Ereigniſſe über fich er—
gehen zu laſſen, da es nicht in ihrer
Macht lag, fie zu Ändern.
Inzwifchen ſtieß das Boot reis
und links an, bald durch einen Bün—
del von Strauchwerk aufgehalten, bald
von einem Baumſtamme angerannt ;
jeden WAugenblid drohte es umzu—
ſchlagen.
Die Miene des Bootinannes ver—
finfterte jich immer mehr.
Romeo, der feine Ruhe nicht ver—
dringen beginne.
Urania erbleichte troß all ihres
Muthes.
„Aber wie wird die Sade für
uns ablaufen ?* fragte fie, zum erjten
Male ſich dem Freunde ihres Vetters
zumendend.
„Seien fie beruhigt;“ antwortete
Nomeo, „eine Gefahr zu ertrinfen, ift
hier nicht. *
„Und Anderes ift nicht zu bee
jorgen ?“
Der junge Mann blidte fie einen
Augenblick unficher an, dann entgeg—
nete er, ohne feine gleichgiltige Miene
aufzugeben: „Hoffen wir — nein.“
Die Unbehaglichkeit Urania’s ftieg
von Minute zu Minute; vor Allen
empfand fie diejelbe, wie man weiß,
wegen Romeo’s, aber nun grollte fie
auch fich jelbft, dem Boote, dem Fähr—
manne, dem Po, den Negenftrönen
Jim Derbfte und gar fehr, o wie fehr!
— ſolchen fahrläfligen Vettern, welche
ſich durch Freunde vertreten laſſen.
„Ich beſorge,“ hub Romeo wie—
der mit einer Gelaſſenheit, die einen
Heiligen zur Verzweiflung hätte brin=
gen können, au, „dab der giftige
Zeitpunkt für eine Weiterfahrt am
heutigen Tage vorüber ſei.“
| „Eine Schöne Auskunft!” rief
Urania. „Niht an das Ziel zu
\gelangen, das ift e3 wahrlich, deſſen
es noch bedurfte, um einer jo anges
nehmen Partie die Krone aufzuſetzen.“
Sie war ſchroff, beißend.
Aber das Schickſal beſcherte ihr
noch andere Urſachen zu übler Laune
und Aergerlichkeit. Plötzlich blieb das
Boot ſtecken; es war in eine Art
Sumpf, den Sand, Stroh und los—
geriſſene Zäune gebildet, hineinge—
rathen. So ſollte die Partie ein Ende
finden!
| Nachdem man von der einzig fahr:
baren Bahn im Ddiefem ſeit geftern
lor, beugte jih auf den Boden des | ausgewühlten Waſſerbette abgelommen,
Fahrzeuges Hinab und machte, nach—
dem er ein Brett emporgehoben, aufs
war man auf das Gerathewohl Hin
über die Felder geftenert und nun in—
ö—— — —
mitten von Weinſtöcken und Ulmen,
zwei Kilometer von Parma entfernt,
aufgefahren. Ein ummwahrjcheinliches
Ereignis, aber nichts deſtoweniger voll=
fommen wahr!
Dazı kam aber noch, daß die
Sonne untergieng und ihre leßten,
die Wipfel der Pappeln wie in flüf-
figes Gold tauchenden Strahlen den
nahen Einbruch der Naht verkün—
deten.
Romeo, ganz und gar nicht ver—
drieplich, 309, nachdem er die Dante
um Grlaubnis gebeten, feinen Rod
aus, knöpfte die Manfchetten auf,
Ihlang die Halsbinde los; afl dies
legte er fein fäuberlich in eine Ede,
dann griff er nad einem Ruder und
machte ſich "zugleich mit dem Boots—
manne an die ſchwierige Arbeit, das
Fahrzeug wieder flott zu bringen.
Ich hege nicht, wie Urania, eine
üble Boreingenommenheit gegen blonde
Männer; ich kann daher dem jungen
Manne Gerechtigkeit widerfahren lafjen
und jagen, daß er fich mit feinen
durch die Anftrengung gefärbten Wanz
gen, feinen fchönen, wirr durcheinans
dergebrachten und über feine blendend—
weiße Stirne herabflatternden Haaren
ſehr gut ausnahm. Seine nicht min
der weißen und fräftigen Arme hoben
und ſenkten ſich regelmäßig, wobei
ih unter dem Battifte des Hemdes
jeine ftarfen Muskeln kenntlich mache
ten. Er Hatte etwas von Hercules
und von Apollo an ich.
Unglüdlicher Weife blidte Urania
ihn nicht an.
As es nah einftündiger Arbeit
gelungen war, das Boot im richtigen
Fahrwaſſer wieder zu Haben, blinkte
ſchon hie und da ein Sternlein auf.
„Den Himmel fei Dank!“ mur—
melte der Bootsmann, indem er ſich
den Schweiß abwiſchte.
„Du hältſt uns jetzt für geborgen,
Mann?“ fragte Romeo, indem
einen Fuß gegen den Rand des Bootes
ſtemmte, das dadurch zu krachen be⸗
„Bei dem erſten Stoße wird wenig gewagt und keineswegs bern—
gann,
er
429
dies elende Gerippe in ein Dutzend
Splitter zerjtieben. Darauf möchte ich
ſchwören!“
„Aber Sie ſind wirklich ein Un—
glücksvogel!“ warf Urania voll Er—
bitterung ein. „Wenn ich nur ein
bischen abergläubiich wäre, jo müßte
lich mir der Glaube aufdrängen, daß
Ihre Anwesenheit meiner Reife zum
Unheil gereicht.“
„Wünſchen Sie, dab ich mich in
das Waſſer ftürze, um Sie zu er—
retten ? Ich bin dazu bereit.”
Der Ton Romeo's war ruhig,
fühl, und doch nicht ganz von Bitter:
feit frei; das junge Mädchen ſchämte
ih, dal es ich bisher durchwegs un—
höflich erwiefen hatte. Es lächelte umd
erwiderte, eine fcherzhafte Miene au—
nehmend: „O Gott, wie empfindlich
Sie find, mein Herr! Ich bitte Sie
meiner üblen Laune wegen um Ver—
gebung; gleihwohl geben Sie doch
auch zu, dab ich zu bedauern bin...“
Nomeo verneigte fich.
„Was follen wir nun machen ?*
unterbrah der Bootsmann. „Leider
nur zu wahr; Ddiefes Fahrzeug Hält,
nad den erlittenen Stößen, die Laſt
von drei Perfunen nicht aus.“
Einen Büchſenſchuß entfernt er-
blidte man das Dach einer Behau—
fung aus dem Waller, welches das
Uebrige des armſeligen Bauwerkes
überflutet hatte, hervorragen. Die Ber
wohner diefer Bauernhütte hatten fie,
für ihre Lebensrettung bedacht, im
Stiche gelaffen und die Heine, durch
das Dach gebildete Infel ſchien Romeo
zu einer Landungsftelle geeignet.
„Ich fchlage vor,“ ſagte er, „das
einer von uns Beiden mit dem Fräu—
lein auf jenem Dache feiten Fuß
faffe und der andere Jchleunigft mög—
ih nach Parma davonfahre, um ein
in befferem Zuftande befindliches Boot
anherzubringen. Etwas Anderes läßt
fich nicht thun; welcher Meinung find
Sie, Fräulein ?“
Der Vorſchlag ſchien Uranien ein
—
higend, um ſo mehr, als Romeo mit Keines von Beiden hatte die Hoff—
eiligfter Kaltblütigkeit hinzujeßte: „Den nung, ſich da oben zu unterhalten.
Dann da kenne ich und ich ftehe da= Wenn die Abneigungen wie die
für ein, daß er Sie vor einer etwaigen | Zumeigungen leicht gegenfeitig find,
Gefahr zu beſchützen willen wird.“ ſo mußte ein jchönes Duett erfolgen.
Mithin wollte er davongehen ? es a. 2 * er
“ f fang in der Mitte de aches —
ante, Kg asien LE ran A, Tomte fe Th, bb
Boots * nte?, Romeo ſich ſüdwärts wandte, flink
el a. une auf der Nordjeite nieder — der Rauch—
(88 Nr re ee vere | Fang trennte fie — aber das Wort:
er 2. ud dap Sie mir Geſellſchaft figen ift im dieſem Falle eine gemagte
leiſ Er ) di ine Ueb ab „Metapher. Urania kauerte ſich jo gut
Mar 5 war Dies eine Lebergabe mit gs möglich zuſammen, inden fie ihr
Warten und Gepäd; dennoch verrieth Heid a ſich 309, doch ohne da es
Romeo nicht die leiſeſte Spur eines ihr gelang, ihre zierlichen hirſchleder—
geckenhaften Düntels ; ruhig antwortete | yon Stiefelhen zu verdeden, die es
er: — zen nicht wenig befremdete, fich im einem
Es Au poste di der⸗ ſo harten und fröſtelnd kalten Ab—
— Be ver Mir A ———— zu befinden; auch fröſtelnd
D 9 —W =] *
einerlei” verwundete die Gigenliebe ERDE AUBE- ER. DEIH. ER AP Se DONE
des fhönen Mädchens auf das Gin. Den milden Klima Staliens nahe
— ker or treten zu wollen, am zweiten October,
pfindlichite. Wie viele würden wohl z unteren —
aus dieſem Anlaſſe glücklich geweſen ———— Da Do
fein, ihr Better zum Beifpiel! Waller, Sicherlich feine wohlige Wärme
A u berjpüren.
Es war doch jonderbar. In einer 3 N
ar Romeo wäre gerne aufs und ab» .
oder der anderen Hinſicht machte dies gewandelt; aber wie wäre ein Dad
ler Herr Romeo ihr fortwährend zu | ;
— Bi 1a a
jetzt hätte fie ihn gerne erwürgt! —* andern Seite des Rauchfanges
Sie fand ſchon im Begriffe aus | niederzufeßen.
jurufen: „Nein, gehen Sie nur!“ „Der Gedanke, daß wir hier aus—
Aber wel’ eine Rolle würde fie | galten müſſen!“ begann Urania, ohne
gejpielt haben ? Hieß es nicht, einen den Kopf umzuwenden. „Wie lange
zu großen Werth diefem Stußer bei- glauben Sie, mein Herr, dab wir
zumefjen ? Und dann, offen geftanden, bier zu bleiben haben werden ?*
war die Ausficht, mit einem Boots— „Das hängt von dem Bootsmanne
manne einige Stunden auf einem | und den Hinderniffen, die erwachlen
Dache verbringen zu ſollen, allzu abe können, ab. Es thut mir Ihretwegen
ſchreckend . . . ſehr leid. .*
Es ward demnach nichts weiter | „Sagen Sie nur auch Ihretwegen
hierüber gejprochen. ſelbſt!“
Die zwei Schiffbrüchigen landeten „Der Fall könnte ſich anders ver—
auf der ganz neuen Inſelbildung und | Halten!“
das Boot ſetzte vecht matt und ſchlen— „Aber er verhält ſich nicht an—
fernd feinen Weg nah Parma fort. | pers,”
„Schnell, he!“ schrie Nomeo, die „Nehmen wir au, daß es doch
Hände als Sprachrohr verwendend. | fo wäre. .?“
„Recht ſchnell!“ unterftügte Urania „Dann Fiele es mir zu, Sie zu
ihn nachdrücklich. bedauern.“
Plötzliches Stilljchweigen.
Romeo beihäftigte fich, imden er bringen im Stande wäre.
nit feinem Stode auf die Ziegel
ihlug; Urania flocht zum Zeitvertreib,
die Franſen ihres Umhängtuches ine
einander.
Es wurde empfindlich kalt.
Ein zaghaftes Gefühl, eine pein—
lihe Schwäche und Nievdergefchlagen:
beit ſchlich ich allmählig in das Herz |
‚aus einer unwillfürlichen und Holden
Regung bei der Hand zurüd.
ſich Alleinbe⸗
„wenn Sie einen Fall machten!“
Urania’s ein. So eine ſtarke Seele
lie auch war, blieb jie doch immer
ein Weib, und diejes
finden mit einem Unbefannten, in
einer jo außergewöhnlichen Lage, flöhte |
ihr ein Bedürfniß mach Zuneigung,
nah Zärtlichkeit ein; fie fühlte ſich
erbärmlich Hein. Sie gedachte ihrer
dahingejchiedenen Eltern, ihrer fernen
Freundinnen, der Fehlgeichlagenen
Hoffuungen, der Kürze des Lebens,
humderterlei ſämmtlich wehmüthig
ſtimmender Dinge.
ob man ſich darin beſſer unterzu—
Der junge Mann nahm die Ar—
beit mit Leichtigkeit in Angriff; auch
ſcheute Urania ſich nicht, ihm mit
ihren weißen, zarten Händen behilflich
zu ſein.
Nachdem die Oeffnung ausreichend
war, ließ Romeo ohne Bedenken ſich
hineingleiten; jedoch Urania hielt ihn
„Beben Sie Acht,“ rief fie aus,
„Beten Sie für mi und
ich
werde unverſehrt davonkommen.“
Jh weiß nicht, ob Urania ein
Gebet verrichtete, wohl aber weis ich,
dab ihr die Zeit fehr lange vorkam,
und da fie jeden Augenblid jich zur
Lücke vorbeugte und Hinabrief: „Derr
Nomeo! Herr Romeo!”
Und als Ddiefer endlih heraufs
Yinfter wurde es noch dazu. Die Hetterte, ganz naß, mit einer Matrage
wenigen Sterne waren verichwunden;
ein eisfalter Wind trieb dichtes Ge—
wölfe am Himmel einher.
auf den Schultern, fühlte das be—
berzte Mädchen jich einer heftigen Be—
Hemmung enthoben. Sie hatte einen
„Es ift unmöglich,“ fagte Romeo, | Augenblid lang Schon Angit gehabt,
„dab Sie es fo aushalten Lönnen, |
ohne durch die Feuchtigkeit der Nacht zu ſehen.
zu leiden; erlauben Sie, daß id) Sie,
mit meinen Rocke bedede; ich bin |
gegen jedwede Witterung abgehartet.
Das iſt der Vortheil, der uns Männern eingedrungen, das
aus den Strapazen des Feldlagers dorben, man weiß
erwächst.“
Urania ließ es geſchehen.
‚gend, „das Waſſer
ihn nicht mehr zum Vorſchein kommen
„Die Hütte ift unbewohnbar ;”
fagte Romeo, die Matrae niederle—
ift in jeden Winkel
Seräthe ganz vers
nicht, wohin man
den Fuß ſetzen fol. Die Borjehung,
Bald | welche, wie man jagt, Beranjchte und
darauf fragte fie: „Sie find Soldat | Verliebte beſchirmt, hat fi uns barm—
gewejen ?*
im ftehenden Heere; ich habe zwei
Schladten mitgemadt.“
Bei einer Bewegung Romeo's
Ioderte er einen Ziegel, der hinab»
follerte und in das Waſſer fiel; dies
fer zufällige Unmftand gab ihm einen
Gedanten ein, welchem Urania volls
fonmen zuftimmmte.
Es handelte fih darum, ein Loc
im Dache auszuweiten und dann in
die Hütte hinabzufteigen, um zu jehen,
herzig zu erweifen geruht. . .“
„Zuerft bei Garibaldi und dann
„Wenngleich,“ fiel Urania ihm
raſch in die Rede, „wir weder auf die
eine noch auf die andere Bezeichnung
Anspruch zu machen vermögen.“
„Und lieg“ — fuhr Romeo, ohne
die Unterbrehung zu beachten, fort
— „auf einem Dachboden dieſe ver—
mutHlich mit Hundsgras geftopfte Ma—
trage obenauf ſchwimmen. Meinen
Sie nicht, daß diefelbe uns bei der
afcetifchen Nadtheit der Ziegel jehr
gelegen kommt ?“
432
Nachden er die Matrage ausein—
andergebreitet, wünjchte Urania aus
Höflichkeit, daß ihr ritterlicher Be—
gleiter auch Pla daranf nehme, und
er nahm ihn ein.
Anläßlich diefer Annäherung dachte
Urania, daß, wenn ftatt Nomeo’s ihr
Vetter Hier wäre, ſie nicht einem ſtar—
ten Geruche von Nauchtabaft und von
Fiſchthran, mit welchem er feine ſchwe—
ren Jagdſtiefel einzuſchmieren pflegte,
entgangen fein dürfte.
Ganz beſtimmt war al3 Sitznach—
bar auf einer Matrate dieſer junge
feine Herr vorzuziehen. Dennoch ver-
mochte fie nicht über diejes Alleinzu—
ſammenſein mit ihm auf einem Dache
zur Ruhe zu kommen. Mas wilrden
ihre Freundinnen in Mailand fagen,
wenn ſie hievon erführen? Unter ans
deren Bewandtniſſen (fie geltand nicht
offenherzig, welche fie meinte) konnte
das Begebnis ein annehmbares Erz
gebnis zur Folge Haben; doch jo war
es etwas LYächerliches, oh, ſehr lächer—
lich !
Und da dieſes letzte Wort lauten
Tones ihren Lippen entjchlüpft war,
fnüpfte Romeo daran: „Das Lächer:
lihe grenzt an das Erhabene. Nie
vermochte die Phantafie eines Dichters,
wenn fie die goldigumgitterten Balz
cone und granitenen Terraſſen ſchmei—
chelnd umſchweift, um ihre idealen
Geſtalten fo viele Poeſie zu vereinen,
al3 wir auf diefem elenden Dache rings
um uns haben. Bier giebt es fein
ihmüdendes Fries, keinen blumen—
umfächelnden Zephyr, feinen Straht des
Mondes (Sie fehen ja, wie finfter es
ift!), feine weißen Wölkchen, feine
weichgepolfterten Gondeln, feine Nach»
tigaflen, feinen Lautenklang, feine
Liebeslieder — nichts Anderes, als
einen Haltepunkt auf diefem unheil—
vollen See. Um uns treiben die
Trümmer zeritörter Hütten, einge—
fürzter häuslicher Herde; das Kiffen
einer Wiege trägt uns über das Ge—
wäjler die Wehllage einer Mutter ber.
Horhen Sie! Dort unten, wo wir
an die Mauer eines überſchwemmten
Meierhofes gedrängt wurden, ver—
nehmen Sie nit die Schreie der
armen Bauersleute? Sehen Sie nicht,
wie das Elend zugleich mit den Wo—
gen über die verheerten Gefilde au
Ausbreitung gewinnt?“
Romeo ſprach ohne ſalbungsvollen
Nahdrud, ruhigen Tones; nur faßte
er, als er zu bemerken glaubte, dal;
feine Gefährtin etwas zuſammenſchau—
erte, nad ihrer Hand und dann fuhr
er fort: „Wie viele Familien find
obdachlos geworden! Wie viele Leute
find um ihre Brot gebradht! Ganze
Menschenleben voll harter Arbeit und
Aufopferung liegen begraben unter
diefem ſtehenden Gewäſſer; fo viele
betrogene Hoffnungen, jo viele nutz—
lofe Opfer! Frohgemuth waren die
Inwohner zwifchen ihren eingeheims-
ten Ernten, im Frieden ihrer jchlich-
ten Behauſungen, in Schlaf geſunken
und die furchtbare Geißel fiel über
fie, die Wehrlofen, her. Welch ein
Bild! Die Ausbrüche der Verzweiflung
riefen einen Widerhall wach, der nie
zuvor vernommen worden ; flammende
Fackeln irrten wie verlorne Seelen
auf Brüden, welche einzuftürzen droh—
ten, auf Booten, weldhe in Trümmer
geborften waren, umher. Ueberall
Weiber in lofer, fliegender Gewandung,
nadte Kinder, vor Schmerz und Schred
wahnjinnige Männer. Bei jedem Ge—
genftande, der unterfanf und verſchwand,
erſcholl ein Schrei; jedem Dammı=
bruche folgte ein Stöhnen und Ge—
winmer nah. Auch in jener entjeß-
lihen Naht ſchimmerten feine Sterne,
leuchtete fein Mond — das Weinen
und Jammern der Unglüdlichen flieg
vom Gewäfler zum unfichtbaren Him—
mel, vielleicht ungehört, empor. Eine
erhabene und erfchütternde Poeſie,
nicht wahr, mein Fräulein ?“
War die Frage ironisch gemeint ?
Welch eine tiefwurzelnde Verbitterung
trübte den hellen Klang feiner Stimme?
Urania fühlte den Drud dieſer
ftarlen und Falten Hand; mit dem
verweichlihten Jünglinge war es vor—
—
„Beſteht ein Ausſchuß, eine Geld—
bei; in dieſer zierlichen Geſtalt barg ſammlung, kurz: hat man etwas für
ſich ein mannhaftes Herz, ein Herz
voll Adel und Güte!
„Sie Sprechen,“ ſagte das Fräu—
fein, „wie wenn Sie bei dem Aus—
die Opfer der Ueberſchwemmung ge=
than ?”
„Sch befaffe mich eben damit.“
„Wäre ich aufdringlid, wenn ich
tritte des Fluſſes zugegen gewefen Sie bäte, mich diefem Werke der
wären ?*
„Ich war es auch.“
„Wie? Unter der Zahl jener Hoch—
herzigen, die mit wenigen Booten ſich
in den wilden Strom hineingewagt,
um den Ueberſchwemmten Hilfe zu
bringen... .? Aber Sie fagten nichts
davon; Niemand mwuhte darum.”
„Dies hielt ich nicht für nöthig.“
„Mein Better war Ihnen zur
Seite?“
„Nein; er Hatte auf die Jagd
zu gehen.“
Ein brennendes Reue- und Scham—
gefühl, ſich To gröblich getäufcht zu
haben, färbte die Wangen Urania’s.
Ihr Erröthen war zwar in dem
tiefen Düfter nicht wahrnehmbar, aber
iherlih empfand Jemand den ſchwär—
meriſch-zinnigen Drud ihres Hände
chens, während fie ſagte: „Ich be=
wundere die muthigen und ftarfen
Männer. Wie fehr beneide ich die-
felben des Guten wegen, das Sie zu
vollführen im Stande find!”
„Auch das weichherzige und zarte
Franengefchleht vermag viel Gutes zu
wirken. Der Manır leiftet materiellen
Beiltand, die Frau richtet die Seele
auf.“
„Slauben Sie wirklih, daß die
Hrau ſolche Macht bejähe ?“
„Und wie wäre daran zu zwei—
feln, wenn ein einziger Blick eines
weiblihen Weſens uns erhebt und
befier macht, wenn ein freundliches
Wort, wenn ein Händedrud, wenn
eine plößlihe und unſchuldige Re—
gung jeines liebevollen Herzens uns
für langes Mißachten oder Verkennen
entichädigt 2”
Bitterte wirklich feine Stimme?
So dien es Uranien.
Rofegger's „‚Geimgarten‘‘ 6. Heft, XI.
Wohlthätigkeit anfchliegen zu dürfen ?”
„Die Aufdringlichkeit ift meiner:
ſeits, infoferne ich unverzüglich Ihren
| Beitritt angenommen erkläre, um Ihnen
nicht Zeit zu belaffen, dies zu bes
reuen.“
Noch immer nicht von Bitterkeit
frei! Urania fühlte fie heraus; aber
fie hatte diefelbe verdient und fie ver—
ſtummte. Erft nach einem fehr langen
und dem Anfcheine nach jehr anziehen
den Stillfchweigen rief fie, um ſich
dem Zauber zu entziehen, aus: „Wie
viele Zeit bereit3 vergangen fein mag!
Der Bootsimann bleibt lange aus;
mir ift kalt.”
Nomeo rüdte ihr näher. Allmäch—
tiger Gott, was follte er denn thun?
Gewiß würde ihnen, wen fie ein
ander mit den Armen umſchlungen
hätten, wärmer geworden fein. Ob er
ih wohl mit diefem Gedanken trug ?
Wie dem auch gewefen fein mag,
er konnte ihn doch nicht Mar und
deutlich herausſagen! Er bejchräntte
ih auf die Erwiderung:
„Beben Sie mir Ihre
Hände. So!“
Und er legte fie an fein Herz.
Das ftarte Mädchen kam ſich ſchwä—
her und Heiner, denn je, vor.
„Was dann, wenn der Mann nicht
mehr käme?“
„Dann zimmern wir uns, wie
Robinfon, eine Hütte und harren auf
eine günftige Gelegenheit, um im die
Heimat zurüdzufehren.“
Während er lachend diefe Worte
ſprach, preßte er ihre beiden Hände,
die nach einer wärmenden Unterkunft
begehrt, an feine Bruft und da die
Arme jo nahe den Händen find, fo
fanden auch die Shönen Arme Urania’s
dort eine Zufluchtitelle.
beiden
28
434
Im nämlihen Augenblide geſchah Beſuch den Baſen abftattete, machte
es, daß Urania ihm zuflüfterte:
„Sie vergeben mir, ja? Ich Hatte | Ueberſchwemmungsgebiet
Sie ſchlecht beurtheilt!“
Tiefbewegt und feierlich, erwiderte |
Romeo:
„Dank! Jetzt bin ich glüdlich.“
Der Bootsmann vermochte ganz
fie Nomeo den Vorſchlag, mit ihr das
in Augen
Ihein zu nehmen.
Die Häufer waren nenerflauden,
i i ichtet, die
Die
einen reichen
Zäune an ihrer alten Stelle.
Fruchtfelder verhießen
nach feiner Bequemlichkeit zu verfah- Ernteſegen; die Wieſen grünten, der
ren; keines von den Beiden dachte mehr
daran, ſich zu beklagen. Als er end—
lich, gegen Zehn, anlangte und ſelbſt
beftürzt jeine unfreiwillige Berfpätung
zu entschuldigen verfuchte, fiel Romeo
ihm in die Rede:
„Über mein Lieber, uns kommſt
Du vielmehr zu schnell!“
„Mertwirdig!" dachte der Boots—
mann „was für findige Leute doch
diefe Herrſchaften find! An elaftifche
Sofas gewöhnt, verftehen fie ſich auch
darauf, ein paar Stunden auf einem |
Dache zuzubringen, ohne nur einmal
das Ausjehen zu Haben, daß jie ji
jchlecht dabei befänden.”
Das Jahr nachher, zu dem Zeitz
punkte, als Urania ihren gewohnten |
Himmel blaute, und unter den riejigen
Bappeln ruhte der Landınann ermüdet,
aber froden Sinnes, aus.
Das junge Pärchen machte vor
einem Meierhofe Halt: im Schuße des
Schattens, welchen das Dach, neu ges
dedt, auf den Fußpfad warf, ſank es,
von einer gleichzeitigen Regung er—
faßt, einander in die Arme, und fühte
fih, ohne eine Silbe zu fprechen, in
berzinniger Umfchlingung.
* *
Eine Leſerin, die hieran Anſtoß
nimmt: „Oh, oh, oh!“
Die Erzählerin:
Brautpaar!“
„Es war ein
Fin Belbfimord.
Don P. R. Rofegger.
DL Ien einem Haren, fonnigen Spät—
— herſttag ſchritt ich durch den |
Sue Stadtpart. Gott, wie dieſer
Garten Schön ift, jelbjt noch wenn die |
gelben Blätter niedergleiten wie golz |
Wie friih grün noch
dener Schnee!
der Rafen, wie blau der Himmel, gegen
den die entlaubten Baumfronen faſt
übermüthig grotest auftragen.
Raſch an mir vorüber jchreitet ein
Mann, ſtramm aufrecht in voller Ju—
gendlichkeit, mit einem weißen Batiſt—
tuch troduet er von feinem blühenden
— den Schweiß. Wer noch ſo
jung wäre, ſich an einem ſcharflalten
Herbſttage gegen die Glut der eigenen
Kraft wehren zu muſſen! Eine elegante
Geftalt, mitten im Leben, mitten in
dem, was fie Glüd nennen. Bald ift
er meinen Augen auf den Schlangen
wegen entſchwunden. Sch humple au
meinen Stode mühſam nach und freue
mich an den Schäßen der Armen, an
der reinen Luft, ar dem lieben milden
Sonnenſchein. Auf glattem Rafen tum—
meln fi muntere Kinder; und wenn
morgen der erite Schnee fällt, fo werden
jie von Neuem munter fein; wenn in
ihren Stuben die Eisblumen an den
Fenſtern ftehen, werden fie munter fein;
wenn der graue Nebel draußen über
dem Weihnachtsmarkte liegt, werden fie
munter fein; fie haben es gut, fie
werden den Frühling jehen, fie werden
noch viele Frühlinge jehen.... .
Ein Doppelfhug im Stadtpark.
Ueber den Leichtjinn der Lente, nad
Sperlingen zu fehießen, wo die Um—
gebung voll Spaziergänger ift! — Et—
was Anderes wars. Um einen Straud
biegend fehe ich Leute zufanmenlaufen.
„Erſchoſſen Hat jih Einer!“
Ich trete Hinzu, die Drahteinfaflung
der Wieſe ift durchbrochen ; immer menu
herbeieilende Menfchen bilden einen
Kreis, die rüdwärtigen dehnen ihre
Hälfe, um den vorderen über die Köpfe,
über die Schultern ſehen zu fönnen.
Erſchoſſen Hat jih Einer! Die Hunde
verbreitet jich weitum, hier drängen jich
die Leute Shweigend, was man
ſieht, das braucht man micht erft zu
erfragen, zu hören.
Auch mir gelingt es, ſoweit durch—
zufommen, daß ich unmittelbar davor
itehe. Der Zodte ift jener Mann, der
wenige Minuten früher fo beneidens=
wert aufrecht an mir vorübergegangen
war. Auf dem Rüden liegt er da,
zuerft erjfehe ich die Füße, der rechte
ift ‚gerade ausgeftredt, der linke im
Knie etwas zur Höhe gebogen. Die
Arme bingelegt auf den Raſen, die
Finger unter den braunen Glacehand—
ſchuhen kaum merklich gefrümmt. Der
Kopf nach rüdwärts gebogen, das Ge—
ſicht, foweit es ein wohlgepflegter blonder
Bart nicht dedt, bereits blaß wie Lehm,
blaß bis unter die Nafennüftern hinein.
Zwifchen den halbgeöffneten Lippen
Ihimmert eine Reihe weißer Zähne,
die offenen Augen glogen in der Starre
des Todes... . An der rechten Schläfe
ein dunkelrothes Scheiben, kaum
größer, als ein Kreuzerftüd. — Weiter
bin liegt der elegante ſchwarze Hut.
435
Neben dem rechten Fuß der Revolver,
faft noch raucht feine Mündung.
Täglich liest man in den Zeitungen
von Selbſtmorden; man liest die Notiz
faum zu Ende, jo gewöhnlich ift das.
Das Schattenbild einer Vorftellung der
That, des Todten dämmert flüchtig
‚borüber, und jchon haftet unfer Ge-
danfe auf einem DBereinsbericht, auf
der Theateranzeige — wenn nicht gar
auf dem Curszettel. Und mun fteht
man plößlich in der That vor einem
jolden Ereignis und fann das Unges
heuerliche nicht fallen. Ein Menfch ſich
mit freiem Willen ſelbſt getödtet! Un—
ſere Natur jchreit empört: Nein, nein,
es ift nicht möglich! Aber der Leichnam
verſchwindet nicht vor unſeren Augen,
wir fönnen die gräßliche Wahrheit nicht
fafjen und nicht leugnen und nicht
abweijen, fie bremmt fich wild und un—
auslöſchlich in unfere Seele ein.
Wenn ih mich nun entjinne auf
die Vorgänge in meinem Gemüthe, als
ih vor der Leiche des Selbitmörders
ftand, jo fällt mir nachträglich der
raſche Wechfel der Empfindung auf.
Zu allererit nicht etwa der Schred,
fondern die Ueberraſchung. Man er—
Ichridt ja nicht mehr heutzutage, wenn
es heißt: ein Menſch Hat fich ges
tödtet. Uber die Ueberrafhung, daß
jener ſchöne Mann, der vorhin an mir
vorübergieng und in mir faft das Ge—
fühl des Neides hätte erweden können,
wenn ich defjen fähig wäre, daß dieſer
Mann von eigener Hand getödet nun
vor mir dag. Und als ob man fich
jet erjt darüber Mar werde, daß ein
Kugelihuß in den Kopf wirklich todt
macht !
Meine zweite Empfindung war
jener der gemeinen Neugierde ähnlich.
Wer iſt es? Warum bat er's gethan ?
Er jcheint den „beſſeren,“ vielleicht den
vornehmen Ständen anzugehören, feine
Kleidung ift nah neuem Gejchmad,
feine Züge find fein und tragen im
Tode noch Spuren von Beilt, an feiner
rechten Hand ein glatter goldner Ring.
Ein leifes Fragen geht durch die Runde:
28”
436
Mer mag es fein? Kühne Vermuthun—
gen, aber feine Antwort. Ein reicher
Mann, der fein Bermögen verloren
hat? Es gibt Leute, die an Reichthum
ihr Glüd, ihre Ehre, ihren Lebenszweck
hängen; ſolche vermögen den Berluft
ihrer materiellen Güter nicht zu er= | Gefühl der Genugthuung.
fucht fie zu zerftören, und das Ende
bei Vielen — welche die neue Lehre
zu mörtlich nehmen — ift eine Kugel
durch den Kopf,
Eine weitere Empfindung im An—
blide des Selbftmörders war — das
Das war
tragen. Eine Kugel durch den Kopf! ein Mann. Der hatte den Muth, ein
— War's Einer jener Bedauernswerten, | Leben, das ihm vergällt und verdorben
die dur gewiſſenloſe Berleumdung
Ehre und Achtung verloren und demen
da3 eigene gute Gewiffen zu wenig
erſcheint, um in der Geſellſchaft zu
leben, und die nicht den Muth und
die Kraft haben, ihre zernichtete Ehre
wieder herzuftellen? Eine Kugel durch
den Kopf! — War es ein von Freun—
den Betrogener, vom Weib VBerrathener,
dem ein Jhöngeträumtes Familienleben
plöglih furchtbar zufammengebrochen ?
Eine Kugel dur den Kopf! — War
es ein im Uebermaß der Weltfreuden
Blafiertgewordener, im dürren Peſſi—
mismus Bertrodneter, oder im Ringen
nach Wahrheit lahm und wire gewor—
dener Verzweifelnder? Eine Kugel durch
den Kopf! — War es ein durch tra=
giſches Gefchid der Schuld Auheimge—
fallener, dem feine andere Löfung und
Sühne mehr blieb, al3 die Bleikugel ?
— Der blajje Mund ift ſtumm und
fo beredt zugleich, fo furchtbar beredt.
Die dritte Empfindung in mir, als
ih vor dem Zodten ftand, war der
Zorn über eine Welt, über gejellichaft-
lihe Zuftände, die ſolche Opfer for-
dern. Das phyſiſche wie moraliſche
Elend auf Erden war zu allen Zeiten
groß, aber der Menfch Hatte ein hohes
Ideal in fich getragen, er war fähig
eines erlöfenden Aufblides, er beſaß
ein Gut, das außerhalb dem Vergäng—
lihen lag, ein unzerftörbares Gut, fein
Herz flüchtete, wenn ihm furchtbares
Elend hienieden umgab, zur Vorſtel—
lung von einer befjeren Welt, und fein
Mannesideal lautete: ausharren in
Geduld, bis das irdiiche Leben ein
Höherer ausbläst, der es gegeben hat
und deſſen Eigen es ift. Diefe ideale
moralijche Kraft hat man zerftört oder
|
worden, von fich zu werfen. Ein
Revolverſchuß ift ein lauter Proteft
gegen unfere Zuftände und Cultur,
eine fürchterliche Anklage und zugleich
der Ausdrud tieffter Verachtung, der
hochmüthigen, felbftgefälligen Welt ins
Antlig gefchleudert. Der hat's gewollt,
der hats vollbradht, das war ein Mann.
Auch er hat fih den Fortſchritt zu
Nutze gemacht, die Erfindung des Pul—
vers, die techniſch vollendete Hands
waffe; er bat den Ban des menſch—
lihen Schädels ftudiert zu dem realen
Zwed, um den ſicheren Weg in den—
jelben zu finden.
Diefem Gefühle hart auf dem Fuße
folgte das der Verachtung. Ein Fah—
nenflüchtiger! Ein Egoift! Haben nicht
wir Alle unter denjelben Laften zu
keuchen? Müſſen nicht wir Alle unter
Selbftbeherrfhung, Nachſicht und Er—
gebung mit uns und Anderen auszu—
fonımen fuchen? Das Leben ift eine
Pfliht und eine Kunft und eine Hel-
denthat. Eine Pfliht, weil e3 die
Natur will und der Gattung gefällt!
eine Kunſt, weil das Leben, wenn es
recht gelebt ift, Harmonie und Be—
friedigung gewährt; eine Heldenthat,
weil es ein Kampf ift, den die Menfch-
heit gemeinfam für ihre Vervollkomm—
nung zu führen Hat, und weil es
ihon dem Einzelnen zum Siege wird,
wenn er ſich brav und mannbar auf—
recht hält. — Der, welcher vielleicht
fonft die geringften Unarten ſeitens
Anderer dur Säbel oder Piftolen zu
fühnen pflegte, der liegt num da, eine
wehrloſe Beute des meugierigen, fri=
volen Pöbels. Alte Weiber guden ihm
in den Mund, in die Nafenhöhlen
hinein, ein übermüthiger Gafjenjunge
faßt und zerrt ihn an den Beinen,
oder ſchupft fein Haupt mit der fothi=
gen Stiefelfpige hin und her. Der,
welcher vielleicht feine perfönliche Re—
putation al3 das Höchfte gehalten,
welcher eine verlorne Ehre vielleicht
wieder nei berdienen und gewinnen
hätte müſſen, liegt nun als Gadaver
da, und die Leute dichten ihm allerlei
Niedertraht an, die ihn zum Selbſt—
mord getrieben ; als zweifelhafter Cha—
ralter, wenn micht gar als fehlechter
Geſelle lebt er fort in dem Gedächtnis
der Welt, auf deren Meinung er ſonſt
all feine Karten gejegt hat. Wenn er
437
| Zodten ftand, kam das, was wohl ala
Erſtes hätte da ſein müſſen — das
Mitleid. Welche innere Kämpfe mußte
der Unglückliche gerungen, welche Qua—
len ausgeſtanden haben bis zum letzten,
leichten Drucke am Hahn des Revolvers!
Anfangs, je nach Laune und Stim—
mung, hat er vielleicht aus Koketterie
mit Selbſtmordgedanken geſpielt, hat
muthwillig mit ſolchen geprunkt. Dann
| famen Widerwärtigfeiten und die Selbſt—
mordgedanken traten häufiger auf, fie
wurden fogar manchmal unangenehn,
ließen ficd aber nur ſchwer verfcheuchen.
| Tägliche Zeitungsnotizen über Selbft-
jelbft die Flinte ins Korn geworfen, |morde thaten auch das Ihre, um mit
wer foll font fein Andenken verthei= | diefer Sache vertraut zu machen. Gleich»
digen? — Das war etwa Einer, der zeitig verringerte ich die Freude am
nichts Höheres gekannt hat, als Ehre | Leben, das Intereffe und die Kraft
oder Geld. Armer Narr! Die Leute zum Kampf um's Dafein. Der herben
hielt er für falſch, wankelmüthig, nie= | Welt wurde nicht mehr gehörig pariert,
derträchtig, und wollte von ihnen ge= es kamen Schickſalsſchläge, Fremde und
ehrt fein. Vom Gelde wußte er, daß eigene Sünden, der Feuerkreis von
es für das wahre Glück nichts bedeute, | Ungemach und Elend zog fich immer
und wollte es doch haben. Daß Pflicht enger um den Gepeinigten, finfter und
treue und Seelenruhe mehr wert fei, |fchmeichelnd zugleich trat der Selbit-
als die Ehre, die Meinung der Leute, | mordgedante in den Vordergrund, ganz
daß ein anfprucdslofes Gemüth ein
höheres irdifches Gut fei, als Geld und
materieller Leberfluß, davon Hatte der,
Tropf vielleicht gar feine Ahnung ge=
habt. Weil ihm der Tant entzogen
war, ift er flörrifch geworden, Oder
er hat in wahnmißiger Verhöhnung
aller treuen kindlichen Einfalt dünkel—
haft Alles willen und begreifen wollen,
bat fi im geblähtem Hochmuth über
die Mitgejchöpfe, über die Naturreiche
ftellen wollen, fein Eins und Alles
war die „Erkenntnis,“ bis er eines
Tages umfeligerweife zur Erkenntnis
gefommen, daß er anftatt ein großer
Geift zu fein — ein großer Thor war.
Nun fah er, das Alles, was befteht,
wert fei, daß es zu Grunde geht, und
weil er das Weltall nicht zerftören
fonnte, jo zerftörte er feinen Gehirn—
faften. —
Und endlich, als all dieſe Gefühle
und Gedanfen mein Herz gejpenfterhaft
umgaufelt Hatten, da ich vor dem
und berrifch in den Vordergrund und
ließ ich nicht mehr abweifen. Jetzt
ftand gegen den Zodesgedanfen die
unbändige Natur auf, der Wille zu
leben. Es war zu fpät. Die Eriftenz-
verhältniffe ftimmten nicht mehr mit
feinen Forderungen. Er wollte leben
und konnte nicht mehr. Welch quals
volle Nächte, welch furchtbare Stunden
der Einfamkeit! Diefer Zuftand war
gräßlicher, als Sterben. Noch raffte
er die legten Refte feines zertrünmerten
Willens zufammen und plößlich war's
fertig: Er konnte nicht mehr leben, er
wollte nicht mehr leben. Er bereitete
die Mordwaffe, er beitellte noch jein
Haus oder ordnete was zu ordnen war.
Er kleidete ſich Hochzeitlih an; eine
Rofe an die Bruft, wenn es nicht zu
fotett wäre, er hätte der Welt gerne
zu verftehen gegeben, daß der Tag
‚feiner Scheidung von ihr fein ſchönſter
Feſttag ſei. Daraus erſieht man,
dieſe Welt, ſie war ihm noch nicht
438
gleichgiltig, er beichäftigte ſich noch
mit ihr in Gedanken. Und auf dem
Meg hinaus ins Freie — denn unter
dem Sonnenlichte follte fein frei—
gewähltes Schaffot ftehen — padte
ihn noch einmal das Leben und
entzündete wilde Todesangſt in feinem
Herzen. Mit feinem Batifttuch trod=
nete er von feiner Stirne den falten
Schweiß. — Die Schloßberguhr zeigt
fünf Minuten vor Drei. Nun legt
er einen Schwur ab: bei Allen,
was ihm Lieb und heilig gewefen
auf diefer Erde, bei Allem, was
er gehaßt und gelitten hat — er ſoll
den Stundenfchlag nicht mehr erleben!
— Aber hier find fpielende Kinder,
bier foll es nicht gefchehen. Einige,
Schritte weiter. In der Hand, ſchuß—
bereit den Finger, aber unter dem Rod |
noch verborgen den Revolver. Da iſt
der Ausblid auf die Domlicche. Eine
Religion, die den Selbftmord verboten
hat! Hier foll es nicht gefchehen. Die
Uhr zeigt zwei Minuten vor Drei! —
Meiter! Dort auf dem Sodel fteht ein
ehernes Kunftgebilde, ein frohes Natur=
find — erinnernd an die Unſchuld des
Lebens. Hier! — Nein, hier foll es
nicht gefchehen. — Meineidig werden!
Da
knallt's — munter fliegt der blaue |
Rauch zur Höhe, der Mann ftürzt zu
Boden. Zweimal zudt noch fein Arın,
fein Auge, dann ift Alles aus.
Auf dem Schloßberg jchlägt die
dritte Stunde. —
So Hatte ih es im Geifte ges
fehen, als ich vor der Leiche ftand.
Mittlerweile war der Zufammenlanf
immer größer geworden, Polizeiorgane
famen berbei- und das Außerordent—
liche löste fih in die Proſa des Offi-
ciellen auf.
Ih gieng meiner Wege. Und als
wieder das Alltägliche um mich war,
durchzuckte mich plößlih ein Heiler
Schred. — Ein Menſch Hat fich er—
mordet, fich ſelbſt freiwillig ermordet!
Iſt das möglih? — Jetzt erſt kam
mir die ganze Ungeheuerlichkeit der
That zum Bewußtfein. Halb betäubt
taumelte ich in mein Haus. Die
Stube war voller Leben und Jubel,
denn die Kinder jpielten Ringel Ringel
rein. — Kindeslachen! Kindesauge!
Serlichter nennt fie ein finfterer Phi—
loſoph. Möchten alle finfteren Philo—
ſophen ſolchen Irrlichtern folgen.
Am nächſten Morgen brachten die
Blätter eine Notiz: „Geſtern um drei
Uhr nachmittags Hat ſich im hieſigen
Stadtpark ein den bejjeren Ständen an—
gehöriger Mann durch einen Revolver—
ſchuß entleibt. Das Motiv der That
ift unbekannt.“
430
Der Apoflel der Wildnis. '
(Jean Jaques.)
Gine Charalterjlizze
FC n Genf, im Angefichte der Alpen—
ee Leite und des Montblanc, das
hinter der blaue See, figt ein Mann
von Bronze. Sein römischer Mantel,
noch ganz men, zeigt die Büge, die
der Stoff im Lager des Tuchhändlers
befommen. Er ſitzt auf einer Art
curuliſchen Stuhls, große Folianten
als Unterlage und zur Stüße. ine
Anfpiration erwartend, hält er einen
Griffel in der Hand.
Mehrmals im Leben und noch ganz
vor Kurzem habe ich vor diefem Mo—
nument gejeflen. Ich war im der
Stimmung, an Rouſſean zu denken —
wer denft nicht feiner am Genferſee?
— aber vor diefem Manne in balb-
römischer Gewandung vergieng mir alle
Stimmung — id fand fie erft drei
Tage Später am Bielerſee wieder. Zeigt
mir Roufjean als jungen Streber, im
jeidenen Frack und Kniehoſen, den
Degen an der Seite, ein kleines Büch—
lein in Sedez in der Hand; als Schrei—
ber und freiwilligen Entbehrer in ſeiner
runden Perücke, ein Notenheft unter
dem Arme; zeigt ihn mir als Greis,
gebrochen, in ſeinem langen Armenier—
Anzug — und ſein Bild wird mich,
je nach der Situation, intereſſieren oder
ergreifen, aber mit dieſem fteifen Aka—
demiler da habe ich nichts zu Schaffen.
Wie ift der Kopf beichaffen, der fich
Rouffeau fo vorstellt ? Aber man wendet
mir ein, dies ſei Rouſſeau, der Weile,
der Gefehgeber der Demokratie von
1789, wie ihn die collective Phantafie
von Alfred Meifhner.*)
des Jahrhunderts geichaffen. Mit fo
viel Arbeitsinaterial behaftet man den
Denker doch nicht! Nicht Folianten,
furze, ſchlagende Süße haben von jeher
die großen Bewegungen hervorgerufen.
Die „Proclamation der Menschenrechte”
bat Pla auf einem Octavblättchen . . .
Yın Bielerfee war es anders. Dort,
auf der lieblichen Peters: Infel, hatte
ih den Mann, der Hier fein Ainl
fuchen wollte, ganz anders vor mir.
Und während ich ſaß und jann, zog
jein Leben an mir vorbei. Von Ve—
nedig nach Paris, von Paris hieher
und wieder weiter nah England,
ſchließlich nach Ermenonville ſchweiften
meine Gedanken. Ich überdachte fein
Leben. Viel, was man veruriheilen,
viel, was man entjchuldigen, manches,
was man bewundern muß, beklagens—
werte Verirrungen der menschlichen
Natur neben edlen Zügen, eine wider-
Ipruchsvolle, unſtete, getheilte Natur,
eine problematische Natur höchſten Stils!
Ich will es verfuchen, meine Ueber—
Ichau zu fixieren.
In den Jahren 1743 und 1744
lebt in Venedig, der franzöſiſchen Ge—
ſandtſchaft attachiert, ein Genfer, der
zur katholiſchen Kirche übergetreten it.
Vornehme Damen, feine Gönnerinnen,
haben ihn, eine Art Mufilanten, der
nie einen regelmäßigen Schulunterricht
genoflen, eine zeitlang Bedienter, dann
der Günftling einer vornehmen Frau
gewefen ift, dem Gefandten Grafen
Froulay empfohlen. Er ift bereits über
*) Aus deffen im Decemberheft diejes Yahrganges eingeführten Buche: „Moſaik,
Eine Nachleſe zu den gejammelten Werten.
“ (Berlin. Gebr. Pactel).
440
die Dreißig, Der muſikaliſche und
philofophifche Vagabund, der nie Ehiff-
renfchrift gejehen, ift ein Organ der
franzöfifhen Diplomatie geworden. Er
lebhaften, wenn auch nur kurzen Tri—
umphes.
Das Glück macht ihn regelmäßig
unbeſcheiden. Gegen Fürſten iſt er
abſichtlich ungezogen. Als der Herzog
hat glänzende Fähigleiten, Geiſt, Es.
prit, und dies eigenthümliche Jahr- von Zweibrücken ihn nach der erſten
hundert öffnet jedem Abenteurer von Darſtellung des „Devin du village“
Geiſt eine Bahn. Rouſſeau verdient freundlich anredet und ihn bittet, ihm
ſich viel Geld mit Viſieren von Päaſſen, Compliment machen zu dürfen, er—
überwacht die venetianiſche Signoria, widert er: „Meinetwegen, wofern es
berichtet fleißig im Namen des Ge— kurz iſt!“
fandten nach Paris und macht die viel-
fachen Mißgriffe feines talentlofen Vor—
gefegten wieder gut. Er behauptet eifrig
feinen Rang und bietet gerichtlich Ver—
folgten im Gefandtjchaftshotel eine
Freiſtätte.
Bald nachher wird der Diplomat
aus feiner angenehmen Stellung ver—
drängt und geht nah Paris zurüd, |
wo er wieder al3 unabhängiger Spa=
ziergänger lebt.
Gönnerinnen, wie Mademoifelle Gauf-
fin von der Opera Francais, findet
Sängerinnen, die ihn protegieren, zieht
es aber vor, mit Thereje le Valle
in wilder Ehe zu leben. Die Kinder,
die ihm geboren werden, fchidt er ins
Findelhaus, ohne ſich — fo wenig wie
die Mutter — weiter um fie zu küm—
mern. Der Leichtiinn kann gar nicht
weiter gehen und verbrecherifcher fein !
Ganz Paris ift eben in zwei Par—
teien gefpalten, don denen die eine für
die National-Oper, die andere für die
Italiener ift. Rouſſeau hat aus Venedig
eine Schwärmerei für italienische Mufit
mitgebracht und fteht zu Diderot. Er
behauptet, daß die franzöfiiche Sprache
für Mufit gar nicht gemacht, mithin
eine franzöfifche Geſangskunſt gar nicht
möglich jei. Die Arien und Recitative
der franzöſiſchen Muſiker feien ledern,
Er findet abermals
ihre Harmonieen Schnlübungen. Als
praftifches Beweisftüd für feine Anficht
Es drängt ihn in die Neihen der
fhönen Geifter. Er lernt Woltaire
kennen, der ihn freundlich aufnimmt;
er macht die Bekanntjchaft des ganzen
Encyklopädiften=Streifes und wird in die
Salons eingeführt. Um einen Anſpruch
auf ſolche Auszeihnung zu verdienen
und auf die Dauer zu behaupten, ift
eine literarifche Arbeit nöthig. Eines
Tages hat die Akademie von Dijon
zur Beantwortung der Frage aufge—
fordert: ob die Wiederherftellung der
Wiſſenſchaften und Künfte binnen den
legten drei Jahrhunderten zur Vered—
fung und Reinigung der Sitten bei—
getragen? Das ift eine fonderbare
Frage, in welcher Urſache und Wir-
fung verwechfelt find, denn wenn. auch
Wiſſenſchaften und Künfte einen Ein-
fluß auf die Völker üben, die fittliche
Bildung oder Verbildung eines Volkes
geht denfelben als wirfende Urſache
vorher. Das Volt ſelbſt ift der Boden,
die Künſte find die Vegetation darauf,
und der Boden bedingt die Vegetation,
nicht umgelehrt.
Stleichviel. Die Alademie hat die
Frage fo geftellt, nnd Roufjean —
denn warum follten wir der Erzählung
La Harpe's mißtrauen, der fich allent-
halben als wahrheitäliebender Mann
zeigt — Noufjeau begibt ſich zu Di—
derot, dem er jagt, er habe die Abficht,
die Frage mit einer fenrigen Lobrede
auf Künfte und Wiffenfchaften zu be—
hat er ein Singfpiel im italienischen | antworten.
Geichmad, „Der Dorfwahrfager,“ com:
poniert.
Aber Diderot kennt feinen Manır ;
Er gewinnt, der Eiferfucht)er weiß, daß dieſer feine Stärke im
Rameau's zum Trotz, Zutritt dafür| Paradoren habe.
Er räth ihn, das
an der Oper und erfreut fich eines | Gegentheil zu behaupten nnd zu ver—
441
theidigen. Damit werde er Lärm und
Auffehen machen.
Das leuchtet Rouffean ein. Die
Frage, die fih auf drei Jahrhunderte
bezieht, wandelt er in die allgemeine
Frage um: ob der Menſch dur Bil—
dung beifer werde? und beantwortet
fie mit einem fehneidenden Nein!
Die mit der glänzenditen Beredt—
ſamkeit geführte Vertheidigung des Pa—
radorons machte Glück. NRouffeau Hatte
fih wirkflih erwärmt, indem er für
eine völlig willfürliche Lebensform ein
trat. Die Berftändigen wurden durch
einzelne ganz vortreffliche Einfälle und
und Gedanken angezogen und verziehen |
dem Autodidakten von gejtern die an—
mapßenden Ausfälle auf Spinoza und
und verwandte Geifter. Daß das Wort |
Tugend und Vorſehung in der Schrift |
immer wieder vorfam, freute die From—
men; der Nachweis, daß Lernen Körper
und Geift Schwäche, tröftete die Faulen,
die es nun rechtfertigen hörten, daß
fie nichts gelernt. Der Berftand der
Maffe endlich ift gegen wohl verfoch-
tene Trugſchlüſſe wehrlos.
Die Widerlegungen, welche die,
Schrift hervorruft, vermehren nur deren |
Ruf. Die Alademie von Dijon hatte
fie gefrönt.
Den größten Eindrud aber macht
die Schrift auf den Autor jelbit. Er
wird der erſte glühende Convertit der:
Lehre, die er jo unvermittelt aufge—
ftellt, und geftaltet nun, feiner ver—
änderten Dentweife gemäß, ſeine Le—
bensweije um.
Umwandlung, wofern überhaupt ein
Gharakter fi verwandeln kann. Rouſ—
ſeau bejchließt, fich von den vornehmen |
Ktreifen, den verderbten Ständen zu—
rüdzuziehen und nur der Zurüdges
zogenheit, nur den Studien zu leben.
Er will feinen Unterhalt durch Noten:
Ichreiben verdienen.
jeidenen Strümpfe aus, legt feinen
Degen ab, entäußert fich feiner fämmt»
lihen Juwelen, die in einer goldenen
Saduhr beftehen, verkauft fie und trägt
von da ab eine „runde“ Perüde, die
Es vollzieht fich eine |
Er zieht feine |
| offenbar ſehr Schlecht Heide. Man
fönnte beinahe die Sache fo anfehen:
Ein Manu, der nie Auffehen gemacht,
als er wie Andere einhergieng, ver—
jucht es, auf den Kopf zu gehen, und
erregt damit das größte Furore. Von
da ab will er ſich der Welt nie anders
zeigen.
63 wird nöthig fein, an dieſem
Orte eine Stelle aus jener gefrönten
Preisſchrift anzuführen, da ſonſt Nie-
mand glauben wirde, was Rouſſean
damals Alles zu behaupten im Stande
war. „Hinfichtlih der abſcheulichen
Unordnung,” jchreibt er, „welche die
Buchdruckerei in Europa verurfacht dat,
und um auf die Zukunft aus den
Fortſchritten zu Schließen, welche fie
täglich macht, jo kann man leicht vor=
ausfehen, daß die Fürſten nicht ſäumen
werden, jo viel Sorgfalt anzuwenden,
diese Schredliche Kunſt aus ihren Staaten
zu verbannen, als fie angewendet haben,
um fie dafelbit einzuführen. Der Sultan
Achmet, den dringenden Bitten einiger
jogenannter Leute von Geſchmack nach—
J gebend, hatte eingewilligt, eine Druckerei
in SKoftantinopel einzurichten; aber
‚kaum war die Preſſe im Gange, als
man ſich gemöthigt ſah, fie zu zer—
Hören und die Werkzeuge in den
Brummen zu werfen. Shalif Omar,
‚befragt, was man mit der Alerandris
nischen Bibliothek machen folle, ant—
wortete: Wenn die Bücher dem Koran
ı MWiderjprechendes enthalten, fo find jie
schlecht, und man muß fie verbrennen;
wenn fie nichts enthalten, al3 was im
‚Koran ftebt, find fie überflüſſig. Unfere
' Gelehrten Haben diefe Schlußfolge als
Uebermaß von Dummheit angeführt.
Sept aber Gregor den Großen an die
Stelle Omar's und das Evangelium
an die Stelle des Korans, fo wäre
die Bibliothek auch verbrannt worden,
und dies wäre vielleicht der fchönfte
Zug dieſes berühmten Papftes.* Das
ift das Urtheil Rouſſeau's über die
Preſſe.
Da nun die Schrift von vielen
Seiten belkämpft worden war, ſucht
442
der Nutor im einer zweiten weitere ]zugten ausgenommen, empfanden ja
Belege für feine Behauptungen beizu= | das Bedürfnis einer Reformation der
bringen. So entfteht die zweite, nicht | Sitten, des Lebens, der Regierungs-
gelrönte Preisfchrift: „Ueber die Un- formen. Alles jehnte fih nah Er—
gleichheit unter den Menfchen.” Das neuerung. Nur diefe Lebensernenerung
Ideal Roufjeau’s in diefer Schrift iſt in die Wildnis verlegen zu wollen,
das Thierglüd. Die Ignoranz ift das war Unſinn. Und fo ift die Wirkung
einzige Mittel, den Irrthum zu ver= |erflärlich, die diefe Schriften troß ihrer
meiden. Es würde heutzutage für den Ercentricität batten.*)
Gipfel des Grotesfen gelten, bei den Indes fcheint Rouſſean ſelbſt zu
Hottentotten, Lodronen und anderen | fühlen, wie viel ihm mangle. Er bes
Wilden die Ueberbleibſel des verlorenen ginnt aus dem Lateinischen zu über
Menschen Fdeals fuchen und finden zu ſetzen, als wolle er, mit dem, was er
wollen. Die Welt ſah es damals ame bisher geichrieben, unzufrieden, ſich
ders an. Der Nuf: „Kommt in die einen neuen Stil fehaffen. Er arbeitet
Mälder und werdet beſſer!“ ſchien und ftudiert raſtlos. Das politische
etwas für lich zu haben... . ‚Gebiet verlaffend, ſchreibt er im der
Es gibt feine geiftreichere Perfi= | Hermitage von Montmorench die „Neue
flage als die Voltaire’s, dem Rouffenu | Heloife” und, von Gewilfensbiffen
1755) diefe Rede einjchidte. „Noch ‚ wegen feiner ausgeſetzten Kinder ge—
nie,“ ſchrieb er zurüd, „bat Jemand | foltert, das Erziehungsbuh „Emil.“
fo viel Geift aufgewendet, um uns zu Die Wirkung namentlich der „Neuen
Beftien zu machen. Liest man Ihr Heloife“ war tief und ſtark und ver—
Buch, wandelt Einen die Luft an, auf breitete fich über die halbe Welt. Es
allen VBieren zu laufen. Jedoch, da ich war nicht nur die feine Dialektik der
fhon über ſechzig Dahre dieſe Ge⸗ | Leidenschaft, die beraufchende Sprade,
wohnheit abgelegt habe, fo fühle ich die den Lefer fortriß, es war vor allem
leider, daß es mir unmöglich ift, fie | Andern die völlige Hingabe der Autor—
wieder anzunehmen, und ich überlaffe | Perfönlichkeit mit allen Heimlichkeiten
Anderen diefen Naturgang, die dejjen ‚ihrer Bruft, welche diefe Wirkung er—
wiürdiger find als Sie und ich. Auch zielte. Alles war ſchon mehr oder
tann ich mich nicht zu den Wilden in | minder Selbſtbekenntnis; nicht die Fa—
Canada einichiffen, weil meine Krank- bel, der Autor ſelbſt war in Scene
heit mir einen europäifchen Arzt noth- getreten. Das Anftöhige lag neben dem
wendig macht, dann, weil jeßt in jenem | Bezanberden, die Ueberſpanntheit neben
Lande Krieg Herricht und das Beifpiel
: f : r | . *) Seit Rouſſeau ift man gewohnt wor:
unferer Nationen die Wilden faſt ſo | pen, eben, der die Rettung der Gefellfehaft
böje gemacht hat, wir wir ſelbſt und wahrer Gultur in der Nüdfehr zur
nndd Einfachheit und Natürlichkeit erblickt, für
Wohl hatte Voltaire Veranlaſſung einen Rouſſeauerianer zu halten. Es gibt
© : ‘u | aber einen gewaltigen Unterſchied zwiichen
zum Spotte, dennoch liegt den bier Rücktehr zum Thiere und vernunftgemäßer
bis zum Fieber verzerrten Einbildun- gereinfagung der Vedürfnifie. Die Riüd:
gen Ronſſeau's ein berechtigter Ges |fehr zum Thiere bedeutet Raub, Mord und
dante zu Grunde. Es war der des | Robeit im Genufje; jelbft die theoretiſche
- „| Nüdtehr zum Thiere, wie fie heute eine
Kampfes gegen Die beftehende Geſell Philojophie der Naturwifienihait lehrt,
ſchaft. Es war etwas daran, einer tommt ſolchem Ziele nahe. Die Einfachheit
gemüthloſen, gleißenden, in Laſtern der Beduürfniſſe und die Beſchränkung der
ſchwelgenden Cultur, voll harter Moral | Wünſche im Sinne der Vernunft concen:
" : h „Eh: ; trirt das Leben, die Lebensfreude und hebt
und lächerlichen Rangunterichieden, eine Sie Thatirafl zur Moirene una Dichtung
einfachere, herzlichere Welt gegenüberz | per eigentlichen culturellen Güter,
zuftellen. Alle, die wenigen Bevor— Die Red,
443
dein wahren Gefühl. Eine gleiche Ent- | Haß verfolgt, muß er die feine Pe—
äußerung ihrer ſelbſt ift Später mur ters Infel, den Ganton der von ihm
wieder bei Byron dagewefen und Hat ſo oft gepriefenen Schweiz verlaffen,
auch bei ihm eine ähnliche Wirkung in dem er feine lebte Heimftätte ge—
geäußert. fucht. Noch einmal jcheint die Sonne
Mitden „Geſellſchaftsvertrag“ kehrt ihm aufzuleuchten, al& David Hume
nun Rouſſeau auf das politische Gebiet ihn nach England mitnimmt und ihm
zurüd. Die Fäden verwebend, die er in eine Penfion erwirkt. Aber es bricht
den beiden Preisjchriften angefponnen, | Streit zwiſchen den zwei Philofophen
und das Ganze mildernd, entwirft ee 008; mißtrauifch trennt er fich von
feine neue Staatstheorie, in welcher | feinem neuen freunde, verläßt London,
ganze Nationen nach dem Mufter der weicht allen Freunden aus, fondert
tleinen Schweizer Gantone leben und ſich mehr und mehr ab. In der langen
fih verwalten follten. Das Gemeine | Kleidung eines Armeniers wandelt er
wohl ift überall höchſter Staatszwed, | trübfinnig unter den Parifern umher,
die Minderzahl ift rechtlos. Das ift dichtet Romanzen, nährt ſich vom No—
nun entjchieden ein Staat, in welcher | tenfchreiben.
Unfereiner, der es fühlt, daß er zur Er ftirbt, jehsundjechzigjährig, im
Minderzahl gehören wird, nicht leben | Landhaufe zu Ermenonville, wo ihm
möchte. Und das mit Neht. Im; Graf Girardin eine Freiftätte geboten.
Staate foll aber auch Neder frei jein Wenig jpäter als ein Decenninm
in Allem, was den Andern nicht jcha= reißen feine Schiller und Verehrer,
det. Es konnte Nouffeau, der feinen den Contrat social im der. einen, das
Spinoza gelefen, nicht unbelannt fein, Beil in der anderen Dand, den alten
was diefer unumſtößlich beweist: wie Bau der Gefellfchait ein und werden
es nicht von unſerem Willen, fondern von den einftürgenden Trümmern be—
von unferer Vernunft abhängig, wo— | dedt.
bon wir ums überzeugen. Auch der Was vom alten Katechismus der De—
Staat kann fomit vom Einzelnen nicht mofratie in die lich neu erbanende Stuats-
mehr verlangen, als daß er nichts gegen | gejellichaft herübergenommen wurde —
jein Syſtem gewahltihätig unternehme, | das zu vermitteln und feftzuftellen,
wenn er fich ihm unterworien hat oder wäre eine Arbeit für ich.
von ihm unterworfen worden ift. Daß
er ſich von der Richtigkeit feine: Grund- ur 9
princips überzenge, wenn diefes feiner
Vernunft widerfpricht, kann er nicht Es iſt bemeidenswert, ein Mann
verlangen. Die politifche Gewiſſens- zu fein, den Schiller und Lord Byron
freiheit muß wie die in Glaubensſachen befungen. Rouſſeau ift ein folcher, er
Jeden gewährt fein. lebt in ihren Verſen und durch dieſe
Wie traurig der Lebensabend des in der Phantafie der Menfchen ; feine
viel umberverfchlagenen Mannes ges Werke felbft — wir müffen es uns
weſen, ift Allen gegenwärtig. Mit den | eingeftehen — haben ihr Leben einges
Jahren Hatten fih Menfchenfcheu und büßt. Die „Heloiſe“ macht keine Wir«
grämliches Weſen in. ihm gefteigert. fung mehr, die Zauber, die da wirkten,
Er forderte von dem, den er Freund ſo lange der Magier lebt, find dahin.
nannte, Alles, ohne jelbft die Meinfte AM diefe Pracht ift todt, der Epheu
Laune aufgeben zu wollen. Die edel- ſchlingt fih um die Ruinen. Die
ften Anlagen, Geift und ein tieffühlen | Sprache unferes Jahrhunderts ift eine
des Herz waren jetzt nur noch wie ihm andere, unfer ganzes Gefühlsleben, der
zum Verderben da. Ruhelos, arın, be= | Ueberſchwenglichkeit fremd, ein anderes.
wundert eimerfeit?, andererjeit3 von Wir können den Enthufiasmus,- der
444
fih an den Namen Rouſſeau knüpfte,
faum mehr begreifen. Auch feine Muſik
war nicht talentlos, fie hatte ihr Publi—
fum erfreut, wenn auch nicht hinge—
riffen. Ein ausgezeichneter Kenner alter
Mufike Literatur, ſelbſt Tondichter, fällte
noch neulich im Geſpräche mit mir über
den „Devin du village“ das günftigfte
Urtheil. Es fei, jagte er, ein Sing
jpiel von großer Begabung, melodiös,
von einfacher, ſchöner, durchlichtiger
Harmonik. Nun gut. Dieſer „Devin“
wurde, nachdem er mehr als ein halbes
Jahrhundert im Theater-Archiv gele—
gen, wieder einmal dem Pariſer Publi—
tum vorgeführt. Das Publikum lange
weilte fih, gegen Schluß flog eine
‚alte Perücke auf die Bühne, und das
Singfpiel wurde unter Reifen und
Lachen begraben.
Eine alte Perüde!
Nur Einzelne in jedem Jahrhun—
dert verftehen und begreifen die Aus—
drudsweife einer früheren Zeit.
Martin Salander.
Gin Roman von Gottfried Reller.
(Berlin. Wilhelm Herb.)
ccht gar erquidiiche Sachen find
es, die in diefem nenen Buche
erzählt werden; jpürte man nicht faft
auf jeder Seite den Hauch eines großen
Genius, man möchte es fchwer zu
Rande lejen, befonders, wenn Einem die
gejellfchaftlichen Zuftände der Schweiz
nicht nahe genug liegen. In erſter
Linie handelt diefes neueſte Werk des
Ichweizerifchen Erzähler von Politik,
in zweiter von Geld, im dritter erit
kommt die Tüchtigfeit des Mannes,
die Treue der Frau, die Liebe der
Jugend zur Geltung.
Ein junger Mann, Martin Sa—
lander, der ſich urfprünglich dem Schul—
wejen zugewendet bat, verliert durch
Schlechte Bürgichaft fein Vermögen. Er
geht, wenn gleich bereits verheiratet und
Tamilienvater, allein nach Amerika,
erwirbt dort ein zweites Vermögen, das
er ebenfalls verliert, und zwar durch
dasfelbe Individunm, welches ihn das
eritemal darum gebracht hat. So geht
er nochmals nach Amerika, gewinnt das
drittenmal ein Vermögen, das er nun
nicht mehr verliert, ſondern damit, im
die Heimat zurüdgelehrt, den Seinen
die Wohlfahrt gründet; er gibt ſich
mit Handel, geſellſchaftlichen Beſtre—
bungen und Politik ab. Er Hat einen
Sohn und zwei Töchter. Der Sohn
Arnold ftudiert Jus, geht in die Fremde;
die Töchter verlieben ſich in zwei
junge Männer, Zwillingsbrüder; diele
heiraten die Schweitern, treiben als
Notare viel Politik, ftellen falſche Pa—
piere aus, unterfchlagen Geldſummen,
betreiben den Schwindel im Großen,
bis fie vom Geſetz beim Schopf ge=
nommen und auf zwölf Jahre zu
ſchwerem Kerker verurtheilt werden.
| Darob Scheidung ihrer Frauen von
den Pumpen. Mittlerweile wird das
Haus umlanert und heimlich bedroht
von jenem Abenteurer, der den Sa—
(ander ſchon zweimal um feinen Belik
gebracht hatte. Nun kommt auch Sa—
landers Sohn von feinen Reifen zurüd,
die Familie ift wieder beifammen, im
Hauſe herrſcht ftilles Glück und warmer
Patriotismus. So ſchließt das Buch.
44
Diejer einfachen und unerbaulichen
Familiengeſchichte wegen ſcheint Gott—
fried Keller das Werk aber nicht ge—
ſchrieben zu haben. Vielmehr wollte
er darin ein Bild des ſchweizeriſchen
Volkes von heute zeichnen. Das iſt
num aber nicht ſehr ſchmeichelhaft für
die Söhne Helvetiens ausgefallen. Die
Fehler, Thorheiten und Lächerlichkeiten,
die aus den politifchen Tugenden diefes
Volkes herausgewachlen, find mit ſchar—
fer Satire behandelt. Das find nicht
mehr die Schweizer des Wilhelm Tell,
das find im Großen und Ganzen die
modernen Streber, Maulhelden, Ego—
iſten, politifhen wie jocialen Charla—
tane, die im unferen Tagen den Pas
triofismus, unter deſſen Namen fie ihr
Unmwejen treiben, fo jehr in Verruf
* lautere Wahrheit!”
[4
+)
Gallen geichrieben! Jede Stunde kann
ich wieder Hin, wenn ich will!“
Er kramte einen Brief hervor und
gab ihn dem Kameraden, der ihn las
und befannte, das jei ein ſchöner Brief,
nicht jeder könne dergleichen Zeugnifie
aufweifen, ein jchmeichelhafter Brief,
der Tauſend, ja wohl!
„Es braucht ſich nichts Schmeichel=
baftes zu jagen! Ich brauche Feine
Speichelleder, ich bin ein freier Mann,
nmabhängig, Stolz, wenn Du woillft,
aber ich verachte die Schmeichelei!*
„Ei, ich Schmeichle ja nicht, wo
werd’ ich denn fchmeicheln! Es ift ja
„Das iſt's! Aber ich geh’ nicht
— ich will mich noch lang nicht bin—
den, und ich weiß, daß er mir nur
bringen. Nur Wenige in Kellers Ro— die Tochter anhängen will. Ich könnte
man find da, denen es mit der Liebe
zum Bolt Ernft ift, und Hierin ift
freilich der wadere Martin Salander,
obzwar er auch ſeine Unbegreiflichkeiten
hat, das fchönfte Vorbild.
Wie der die Zollheiten feiner
Landsleute tractiert, davon ein Kleines
Beifpiel. Saß er an einem Feiertage
da im Wirtshaufe. Kamen zwei Leute,
die ohne Weiters den übrigen Platz
einnahmen und fich Bier geben ließen.
Der Eine war offenbar ein Süd—
deutjcher, der Andere ein Schweizer,
und zwar aus dem Miünfterburggebiet.
Er trug Schnurr- und Kinnbart nad
franzöſiſchem Zufchnitt und den Hut
ins Genid zurüdgefhoben, um verwo—
gener auszufehen. Sie führten ein
freilich zugreifen, auch meine biefige
Koftfrau Hat eine Tochter, die mir über»
all in den Weg fteht! Aber ich will
mich nicht binden! Ich will noch gar
nicht Meifter fein, obgleich ich meine
Achtundzwanzig auf dem Budel habe!
Da müßt’ ich ein Narr fein und mid
plagen! Lieber cujoniere ich die Meiſter!“
„a, ja, Du bift Halt ein ftrammer
Kerl!”
„Wahrſcheinlich! Glaub’3 mur!“
„Ih für mein Theil Habe leider
Frau und Kind und bin leider auch
Meifter, das ift nun fo, ich bin an—
gebunden und ein armer Teufel!“
„Warum. Haft Du fo früh ges
heiratet ?”
„Das Hab’ ich gethan, weil ich
lautes Gefpräch, ohne fi um Jemand nicht mehr heim wollte, da hab’ ich
zu kümmern.
„Wie gefagt,“ meinte der Schweizer
nit faft brutalen Zone, „Du kennſt tiebe
mich! Ich bin ein Kerl, der fich nicht fönn
foppen läßt!“
„Wer will Dich denn foppen? Ich
gewißlich wicht!“ warf der Andere be—
ſcheiden ein.
„Ich ſage nicht wer, ich fage es
ganz allgemein! Da ſieh den Brief,
den mir mein früherer Meifter in St.
gedacht, du heiratft hier bei erſter Ge—
legenheit, dann bift du feſt gemacht!“
„Ha, ich begreif’ Shon, daß Du
re in der Schweiz bift! Aber alle
t Ihr doch nicht Hier Hoden, fo
ſchön es bei uns iſt!“
„a, Ihr feid eben ganze Let’!
Sapperment, ich hab's ſchon oft ge—
dacht. Und Dir löst feiner die Schuh:
tiemen auf!“
„Hin! das brauchſt Du mir nicht
zu fagen, ich nehme Feine Schmeiches
446
leien an! Aber die Fliegen laſſe ich | habt! Sieh uns jebt nur aufmerkfam
mir allerdings nicht auf der Naſe zu und lerne was Rechtes!”
heiraten!“ Der Schweizer ſtrich fich | Salander konnte nicht mehr an ſich
grimmig' gefchmeichelt den Schnurcbart | halten. Roth vor Zorn fchlug er auf
und ftieß mit dem Deutſchen an: den Tisch umd rief dem Deutjchen zu:
„Zrint’ aus, ich zahle noch ein Glas!“ | „Schämen follte man ſich, fo zu reden,
Martin Salander hörte diefe Reden, | wenn man ein fo gewaltiges Vater
die von einer gemeinen Gefinnung und land hat! Und Ihr, Herr Landsmann, *
zügellofen Eitelkeit zeugten, mit Wer wandte er ſich an den Münſterburger,
wunderung, indem er zu ſich ſagte: „ſolltet Euch ſchämen, einen argloſen
„Diefer verfluchte Kerl! diefer Schreis | dremden jo zu bedrücken und Euch
ner= oder Schuftergefell hat ſich ja ganz | von ihm anpreifen und beloben zu
ausgezeichnet eingerichtet: Wie die laſſen! Zehn Jahre bin ich in Amerika
Ameifen ſich Blattläufe halten, die ſie geweſen und habe nirgends einen jo
melten, hält ſich der einen eigenen Lob: |eitlen Tropf und Prahlhans reden ge—
hudler, einen Schwaben, wie man's hört, wie Ihr einer feid! Da find
hier nennt!“ wir Schön beftellt, wenn das junge
Er mußte nur weiter hören. Der Bolt ſchwatzt wie die Elftern und alten
2 R A - u) , < Folie
ann nenn neun und erft
Selbftrühmen an, wie es nur ganz 1 i ee x
ſchlecht erzogene he * 3 en
Pe — — Meilen UM verhaltene Liebesleben und Eheleiden
fühlen. er je mehr er prahlte und h 2 :
) ' der beiden Töchter, in das Leben zweier
ſich ſelbſt an Heinlauter Eheleute, bie ausch ihre Böhner Wenn
— * nn — — = zogen hatten und dann die Folgen mit
willen, was der Schläuling für einen heldenhafter Ergebung tragen. Wahr-
Ba hatte, denn Flegel den Hof zu haft wmeifterhaft gezeichnete Geftalten
madıen ö "treten uns in dem Kerncharakter der
Allein je demüthiger ex fih be» Frau Salander und. in den Eltern
Den deito übermüthiger wurde der HR
— — geſtaltungsſtarken Dichter vor uns.
Du biſt einer von den Geſcheitern,“ 5 —
a D , Das Merk fchließt gewiſſermaßen
BUT ET, mM — es doch — mit einem hoffnungsfrohen Blid in die
ER in der Schweiz BD er MER Zukunft. Salander ift etwas unficher
Nation un die meinige! Schau darüber, wie fich feines Sohnes Ar-
mic an! Alles machen — nolds Charakter auf feinen Studien
a — eine es haben wollen, | nd Reifen entwidelt habe. Eine gute
und ich bin Einer davon und Trage Gelegenheit brachte ihm Beruhigung,
weder Gott noch Teufel etwas nah! da Arnold eines Tages ſich erxbat,
Heut’ noch geb’ ich in eine Berathung einige Freunde im Haufe bewirten zu
über ein Gerichtsgeſetz, das über tauſend dürfen, da er etwas der Art ſchuldig
Paragrappi hat, und morgen mad) fei. Es handelte ih um acht junge
ich Blauen, denn e3 wird lang dauern, Leute, von denen ein Theil unbe:
Der Meifter fan dafür aufftehen und | nittelt, wo nicht arm, ein anderer
ſchaffen! Anerkennſt Du daß?“ Theil aber Söhne reiher Yanilien
„Ich ſag' es ja immer, ich ſchaäme waren. Arnold wünfchte zugleich, daß
nich, ein Deutjcher zu fein!“ der Vater feine Gegenwart ſchenke, und
„Das ift nicht ganz aus dem Weg, tdiefer ſchlug mit dem raſchen Gedanken
obgleih Ihr auch energifche Burſche ein, bei dieſem Anlaſſe des Sohnes
et
Umgang und Geſinnung greündlicher |
zu erfahren.
Die Gäſte ftellten ſich pünktlich ein,
fat alle auf einmal,
Salander bequemlich als der legte er—
Icheinen konnte, ohne zu lange warten
zu müſſen. Sogleih fand er ſich an—
genehm berührt durch das gute Aus—
jehen und das anftändig offene Be—
nehmen der Gefellihaft. Bei Tiſch
vollends wanderte er Sich insgeheim
über den unbefangenen guten Ton, die
Abwefenheit aller ſchlechten Sprech»
manier verhodter Kreiſe mit ihren
Triviolwigen und Zweideutigkeiten.
Um bejjer zu hören, ſprach er ſelbſt
nicht viel und hiütete ſich bejonders,
von Bolitif anzufangen, in der Abjicht,
daß die Freunde Arnolds und mit
ihnen er felbft, um jo rüdhaltlofer
darauf verfallen jollten. Er forgte auch
genügend für Erneuerung der Getränfe,
welche die Zungen löfen. Die jungen
Herren wurden nur fröhlicher, Alles in
geziemenden Grenzen, ohne einiger Vor—
licht zu bedürfen. Die Unterhaltung
betebte fi, und da die Theilmehmer
ziemlich gleihmäßig gebildet, wohlun«
terrichtet und auch lebendigen Geijtes
waren, fo tauchten politiiche Gegenſtände
nicht minder als andere hervor; allein
nicht ein unfreifinniges Wort, nicht ein
Wort, welches auf Mißachtung des
Volkes hätte Schließen laffen, war zu
hören, kaum etwa ein ungezwungen
derber Ausdrud über diefen oder jenen
gemeinen Syplophanten, der eben in der
Preſſe oder in den Räthen jpufte;
dann hieß es höchſtens:
Ihr? Dem Kerl ift fein Weg vorge: |
jo dab Vater,
fonnte, bewegte ſich die Unterhaltung
auf weiten freien Bahnen ; feiner that
jih als Lehrer oder Prophet hervor,
und Phraſen wurden noch weniger
laut; man jah nur, dab es männliche
Jünglinge feien, die ſich die Welt offen
behielten und nicht in einen Tabals—
beutel fteden ließen. Martin hatte
einige Dlühe, neuen und neueften Anz
regungen auf den Pfaden des allge-
meinen Bildungszuftandes zu folgen;
denn er war im manchen Dingen ein
wenig viel zurüdgeblieben und mußte
fich mehr als einmal Aufſchluß erbitten,
der ihın ohne Wohlweisheit und ganz
ohne Aufheben ertheilt wurde, als ſelbſt—
verjtändlich, wie man Einem jagt, was
draußen für Wetter ſei. Und durch
Alles gieng ein Hauch underdorbener
Ehrlichkeit, die ihn das Herz erfrifchte.
„Bottlob!” dachte er, „wir haben
unfer Geld nicht umfonft ausgegeben!
Das find doch auch Erziehungsfrüchte!“
Doc unterfuchte er nicht, ob des
Hauſes oder des Staates.
Er theilte bald die heitere Laune
der Tiſchgenoſſen; ritterlich dachte er,
fein fichtliches Vergnügen damit zu
bezahlen, daß er um zehn Uhr ſchon
die Heine Tafelrunde Arnolds fich jelbit
überließ und fi als Alter zurüdzog.
Allein es gelang ihm erft um halb Eif,
loszulommen und die Frauen in ihren
Aſyl aufzufuchen, wo fie noch wach
beiſammen faßen.
„Kommft Du endlich, Du Knei—
pier?“ ſagte die Mutter, „das muß
Dir ja herrlich gefallen haben bei den
MWas wollt | jungen Leuten! Wie war es dein?“
„Ich Habe mich, glaube ich beinah,
zeihnet, er muß ihn laufen und wird | in meinem Leben nicht fo gut unter—
jeinem Lohn nicht entgehen !
halten, wie diefen Abend!“ verficherte
Indem Martin ſich nod über) der Mann, „es find ganz vortreffliche
den erfahrungsmäßigen Ton wunderte,
welcher diefer Jugend geläufig jchien,
war der Gegenftand ſchon aus dem
Geſpräch verfhwunden. Die Haben,
dachte er, nicht die Fähigkeit, auf einer
Idee zu beharren; ſie ſcheinen doch
feine politifche Ader zu bejigen! Aber
ehe er den Verdacht befjer ausfpinnen
Menfcen, helle Köpfe und nota bene
geſittete Burfche, mit denen unſer
Arnold verkehrt, Gejellen, von denen
man jagen kann, fie jeien Alle gut
aufgehoben, wenn fie bei einander find!“
„Das klingt ja ſehr erbaulich!”
erwiderte Frau Marie froh, „und ift
mir Tieb zu hören! Und was jpielt
us
denn der Arnold für eine Nofle unter gern verhindern und Hab’ jogar mit—
ihnen ?*
„Es Spielt Keiner eine Rolle!
ind feine Streber, möchte ich be=
fhwören, und willen dennoch, was fie
obgleich oder weil fie nicht |
wollen,
Davon ſchwatzen! Glaub' nur, wenn
es viele junge Mannſchaft der Art
jo ift mir vor unferer Zukunft
gibt,
nicht bang'!“
Mit beredter Zunge ſuchte er den
vergnügt laufchenden Frauen den uns
gefähren Verlauf des Abends zu ſchil—
dern amd von einigen der Freunde,
die ihm befonders gefallen, ein Bild
zu entwerfen, bis er durch einen Fräftig
Ichallenden Gefang unterbrochen wurde,
der von dem bejcheidenen Saale her
ertönte. Sie fangen dort mit refoluten
frifchen Stimmen ein lebensfrohes Lied,
raſch und taftfeft, kurz und gut, und
gleih darauf hörte man fie aufbrechen
und ohne ftarfes Geräufch das Haus
verlaffen.
„Ei wie nett war das!“
die jungen Frauen,
abgeichloffen, punktum!“
tiefen
Sie
„und jo rund
gefräht, da es in Einem zu gieng!“
„Hr Hättet immer noch fortjingen
mögen,“ jagte die Mutter „und doc)
hat uns das entjchloffene Aufhören
einen trefflihen Eindrud hinterlaſſen!
Macht Ihr es immer jo?"
„Ja, wenn wir einmal fingen; ich
weiß nicht, wie es fich bei uns ein—
gebürgert Hat! Die Luft muß hinaus
und da wir feine Virtuofen jind, fo
mögen wir doch auch Feine Frohnarbeit
leiften ! Aber nun gute Nacht allerfeits
und fchönen Dank für geübte Geduld!
Ih will noch ein Stündchen leſen,
eh’ ich ſchlafe!“
Als Arnold fort war, fragte die
Mutter ihren Martin ganz erſtaunt:
„Hat der gute Junge denn mur
Maffer getrunfen ? Noch ein Stünd-
hen leſen! Und ift fo ruhig wie eine
windſtille Luft!“ „Den Teufel hat er
Mafler getrunken!“ ſprach Salander,
der Vater. „Er fchludte fo viel Wein,
wie jeder andere! Er ift eben Dein
Sohn, Du Here!“
Alle lachten über den komiſchen
„Da feid Ihr Alle noch auf,“ Zorn und giengen zu Bett.
fagte der mit einem Lichte eintretende |
Arnold, „das ift gut, ich glaubte ſchon,
unfer Geſchrei hätte Euch aus dem
Schlafe gewedt.
Zwecke verabfolgt,
Ich mochte fie nicht
Mit diefer Stimmung fließt das
Buch, welches weit ernftere und tiefere
al3 die gewöhn—
licher Unterhaltung. R.
Steirifhe Eifenhämmer.
Eine Erinnerung von P. R. Rofegger*)
5, ie Vierziger- Jahre hatten ftrenge ı
‘= 2 Winter. Im März aber kam
* plötzlich der Föhn und ſchmolz
den Schnee in wenig Tagen. Wir
freuten uns des wieder enthüllten Ra—
ſens, der alsbald zu grünen begann;
aber damit war die leichtlebige, heitere
Tage brachten arbeitsſchwere Zeit des
Pfluges und der Egge, der Sichel und
der Senſe. Dieſe Zeit der blinkenden
Werkzeuge hatte einſt ein kleines Vor—
ſpiel.
Noch tief in der Nacht weckte mich
an einem Frühlingsmorgen mein Vater
Wintersraft dahin, und die wachjenden | und fagte, er gehe heute in das Mürz-
*) Aus der Gartenlaube.
—
thal. Wenn ich mitgehen wolle, ſo war es anders und heiß erſchrak ich
möge ich mich eilig zuſammenthun, vor dem, was ich ſah. War denn der
aber die ſcharfbenagelten Winterſchuhe Franzoſe wieder im Land? Oder gar
anziehen, es ſei der Weg noch eiſig. der Türk'? In Kindberg, das tief unter
Sonſt, wenn ich in früherer Stunde uns lag, lohte an vielen Stellen glüh—
zur Alltäglichkeit geweckt wurde, be= |vothes Feuer auf. Auch im oberen
durfte es allerlei Anftrengungen außer Thal, über Mitterdorf, bei Krieglach
und im mir, bis ich die Augen zur) und Feiltriß, und gen Mürzzufchlag
Noth aufbrachte, um fie doch wieder | hin waren rothe Feuerſäulen; im nahen
auf etliche Minuten zufallen zu Lafjen, | Kindthal fprühten mächtige Garben von
denn meine alte Ahne war der Mei- Funken empor.
nung, ein allzuraſches Aus-dem-Schlaf— „Närrlein, Du kleines! ſagte mein
ſpringen mache Kopfweh. Heute war Vater, als ich mich mit beiden Fäuſten
ich mit einem Ruck munter, denn ins krampfhaft an ſeinen Rock hielt, „das
Mürzthal mitgehen, das war in meiner iſt ja nichts. Das ſind ja nur die
Kindheit das Herrlichſte, was mir paſ- Eifenhämmer. Lauter Schmiede-Rauch—
jieren konnte. Wir waren bald reife | fänge, aus denen Funken Springen.
fertig, der Vater nahm feinen großen | Hörft denn nicht das Pochen und das
Stod, ich meinen Heinen; die Laterne | Klappern der Hämmer?“
nahmen wir nicht, weil es fterndell „Sch Höre es wohl, aber ich Habe
war — und jo giengen wir davon. | gedacht, das wären die Kanonen und
Die erjte Halbe Stunde war es wie Kugelſtutzen,“ verſetzte ich aufathmend.
allemal, wenn ich früh Morgens mit „Kind, wo käme denn jetzt der
dem Vater gieng, wir ſchwiegen ſtill Feind her? Der liebe Herrgott hüte
und beteten während des Gehens jeder unſer Steirerland!“
für ſich das Morgengebet. Wir hatten „Aber wie ift es denn,“ fragte ich,
wohl jo ziemlich das gleiche, aber ih | „daß die Dächer nicht brennend wer—
wurde immer eim gut Theil früher | den, wenn fo viel Feier Herumfliegt ?“
fertig ald3 er umd mußte mich dann „Die Dächer find voller Staub und
ftill gedulden, bis er den Hut aufs Aſche, das brennt nicht. Und diejes
jegte und fich räufperte. Das war das | Feuer, das jo jchredbar wild ausfieht,
Zeichen, daß ich ein Geſpräch beginnen | e8 ift nicht jo arg, es ift auch nur
durfte, denn ich war fortwährend voll | glühende Aſche, Ruß und Gefchlad,
von Fragen und Phantaftereien, auf wie e8 aus der Eſſe aufjprüht, wenn
die der Vater bisweilen derart ein- | der Blaſebalg dreinbläst.”
gieng, daß Alles noch räthjelhafter und „Und warum fprüht es denn juft
noch phantaftiicher wurde. Gewöhnlich | in der Naht ſo?“ fragte ich.
aber unterrichtete er mich in feiner „Es ſprüht auch beim Tag jo,“
gütigen und Haren Weife, daß ich | antwortete der Vater lächelnd, „aber
Alles wohl verſtand. | gegen das Sonnenliht kommt diejer
Nachdem wir an diefem Frühmor- Schein nicht auf, und was jeßt jo
gen etwa zwei Stunden gegangen und | blutroth leuchtet, das ift bei Tag nur
hinausgefommen waren über die ents | der rußige Rauch, der aus dem Schorn:
waldete Berghöhe, lag vor uns das | feine auffteigt.“
weite Thal der Mürz. Von Mürzzu— „hun fie denn in den Schmieden
Ihlag bis Kapfenberg dehnte es ſich nicht fchlafen 2”
fundenlang, und wenn ich es jonft im „Das wohl, aber fie ftehen ſehr
Morgengrauen ſah, lag im Thale der | früh auf, oder laffen im den größeren
Nebel wie ein grauer See, aus welchem | Effen gar das Feuer nicht ausgehen,
einzelne Höhen und die jenfeitigen | weil es fonft Schwer ift und viel Kohlen
Berge blauduftig emporragten. Heute) braucht, bis die Hitze wieder erzeugt
Rofegger's „‚Örimgarten‘*, 6. Heft, XI. 29
wird. Da wachen und arbeiten die |
einen Schmiede, während die anderen
der weit drinnen im Gebirg fteht und
mehr wert ift, als alles Gold und
Schlafen.” Silber von Defterreih. Das Eifen, das
„Gibt's denn jo viel Ochfen zu im Hochofen aus dem Erz rinnt, er=
behufen im Mürzthal ?* war meine flarrt in der freien Luft fogleich, wird
Frage, denn ich Hatte einmal dem Huf- nachher mit Hämmern zerichlagen und
ſchmied zu Hauftein zugeſchaut, wie in fchweren Schoflen durch das ganze
er einem Zugochſen Hufeifen an die | Land verführt, zu jeden Eifenhammer
Klauen nagelte. ‚bin, wo fie aus diefem NRoheifen immer
„D Knäblein, Knäblein!“ rief mein feineres Eifen, das Schmiede- Eifen,
Vater, „die Schmiede haben noch ein den Stahl und daraus allerhand Ge—
wenig mehr zu thun auf der Welt, rathe und Werkzeuge machen.“
als wie zu hufen. Du bift ein Steirer; | „Auch Schuhnägelvielleicht ?* fragte
wenn wir auf unferen Gebirge auch ‚ich, weil mich einer davon durch die
nichts Haben, als Feld und Alm und a in die Ferſe ſtach.
Wald, ſollteſt Du doch Schon willen, | „Schuhnägel, Mefier, Stifte und
wozu die vielen hundert Krippen von | Eifendrähte, das machen fie draußen
Holztohlen verwendet werben, die unſere bei Stadt Steier herum. Bei uns im
Nachbarn Jahr Für Jahr ins Thal Land machen fie in den Eifenhämmern
hinaus führen. Soflteft auch wiſſen, Pflugfcharen, Eggenzähne, Strohſchnei—
daß Dein Heimatland Steiermark das | demefler, Haden, Aerte, Drähte, Nägel,
Land der Hammerfchmiede ift. Wenn | Schlöffer, Ketten, Pfannen und Aller
Du jeßt, bevor der Tag aufgeht, vom lei, was Du aus Eifen an den Häu—
hohen Himmel mit ſehr nn Augen | fern und Werkftätten unr fehen und
herabſchauen könnteft auf unjere Steier- | denken magft. Die Heineren Schmiede,
mark, jo würdeſt Du, befonders im die fahren damit auf die Jahrmärfte.
Oberland, auch die anderen Thäler | Größere Hämmer gibt's, die auch Zeug
jo ſprühen und leuchten fehen, wie! zum Lenteumbringen machen — mußt
hier das Mürzthal. Es fprüht in Neu: | Du wiffen. Das Wichtigfte aber, was
berg und bei Mariazell und im der in den ſteiriſchen Hammerwerken ges
Veitſch, es ſprüht im Enusthal und; macht und auch weit in fremde Länder
im Murtal, an der Feiſtritz, an der | verführt wird, find Senfen und Si—
Kainach, an der Sulm und an der cheln. Millionen Stüd werden Dir
Sanı, wo die Leut’ gar nicht mehr | verfchicdt alle Jahr, und darum können
deutsch ſprechen, aber ſprühen thut's die Hammerheren mit ihren rauen
doch. In Bordernberg, in Eifenerz, ſo vornehm herumfahren mit flinken
in Hiflau follft es exit ſehen, und | Röflein. Und mit dem Geld prahlen
überall, wo Hochöfen find. Im den fie, daß es nur fo praffelt im Land,
Hochöfen wird das Erz, das fie aus und wo ein übermüthig Stüdel auf:
dem Gebirg graben, geſchmolzen, daß | geführt wird, da ift gewiß ein Dame
das Eifen herausrinnt wie ein hellz | merherr dabei. Iſt alleweil fo geweſen
glühender Mühlbach. Da ſprüht's au, im Land: wo der Hammerſchmied,
mein Bübel! Da find — wenn ihrer dort gilt der Bauer nit. — Wird
zwei, drei Hochöfen neben einander auch einmal beſſer werden, verhoff' ich.
ftehen — in der Nacht hier die Fels- Jetzt müſſen wir noch froh fein, daß
berge roth vor lauter Schein. Und wir unfere Sohlen zu Geld machen
jhauft in den Ofen, fo ſiehſt ein können. Gar zu Geſcheite ſind ge—
ſchneeweißes Licht, blendend wie die weſen, haben es mit Steinlohlen pro—
Sonne. Das iſt ein anderes Feuer, biert, die thun's aber nicht; das rechte
als daheim bei unſerem Hufſchmied. Eiſen muß mit Holzkohlenfeuer gear—
Tas Erz graben fie aus dem Erzberg, beitet werden, ſonſt iſt's nichts muß.
Die Holzkohlen, die wir Bauern liefern,
die machen es ja, daß fteirifch Eifen
in der Welt fo gut eftimiert wird.
Kommen Halt die polnischen und ruſſi—
chen Juden und türkichjen Händler, auch
aus Ungarn und Böhmen, werden von
den Dammerherren brav bewirtet und
kaufen ihnen die Eijenwaren ab, oft zu |
taufend Gulden auf einmal. Sollen
da drangen in einer großen Stadt die
Schmiede von der ganzen Welt einmal
zufammengelommen fein am einen
vernünftigen Mann diefe Worte ge=
ſprochen worden find, in Steiermark,
wenige Stunden vom Semmering.
„Nein, Bater,“ antwortete ich,
„das werde ich gewiß nicht glauben.“
„Aber das ift wahr,“ fuhr er fort,
„daß fie jet viel mehr Eifen brauchen
in der Welt, als vor Zeiten. Es werden
da und dort auch Schon große Eiſen—
hämmer gebaut, wo mehr als Hundert
Schmiede beihäftigt find, und wo fie
extra noch mit Waſſerdampf arbeiten
eifernen Tiſch, und Jeder wollt die ſollen, was weiß ich, wie! In diefen
ſchärfſten Senfen haben, den feinften |großen Werken machen fie Alles, und
Stahl drinn. Der fteirifhe Schmied
hat nicht mitgeftritten,
zulegt mit feiner Senfe den eifernen
Tiſch mitten aus einander gehauen hört man,
haben.”
fondern fol!
weit wohlfeiler, als in den Kleinen,
und desweg wird's ein rechter Schade
fein für umfere Eifenhämmer, und
etliche jollen ſchon feine
Arbeit mehr haben, zugefperrt oder an
„Wird fie wohl fchartig worden |die großen Werke verkauft werden.
fein, die Senfe. Nicht ?“
Nachher ift’3 traurig um uns. Weiß
Ohne auf diefe müßige Frage | Gott, wie's noch wird mit der Welt!“ *)
Antwort zu geben, fuhr der Bater —
indem wir im Morgengrauen ſachte
thalab ftiegen — fort zu ſprechen:
„Wie die Anzeichen find, wird's
nicht immer fo dauern mit den Eifenz |
hämmern. Man hört allerlei Sachen.
Mertwürdige Sadhen, mein Bübel,
wie fie unſere Vorfahren nicht gehört |
haben. Da draußen auf dem flachen
Land irgendwo — fie fagen im Mäh-
riichen oder wo — ba banen fie eine,
Eiſenbahn.“
„Eine Eiſenbahn? Was iſt das?“
„Da legen fie auf der Straße hin
und hin zwei eiferne Leiften, daß darz
auf die Wagenräder recht glatt und
eben gehen können. Auf diefe Weife
follen ein Baar NRöffer ſchwere Wagen
fünf und ſechs auf einmal ziehen kön— |
nen. Es wird auch gelogen über die
Sad’, daß fie eine Mafchine erfunden
hätten, die das Feuer treibt, anftatt
der Fuhrmann, und die vor die Wagen
geipannt wird und wie ein Roß ziehen
kann. Sind dumme Saden, ich Tag’
Div’s nur, daß Du’s nicht glauben
jollft, wenn Du davon hörſt.“
Neununddreißig Jahr ift es her,
jeit von einem zwar einfachen, aber.
|
Mittlerweile war es licht getworden,
und wo früher die fenrigen Springs
brunnen aus den Scorufteinen ge—
ftiegen waren, da flog jeßt dünner,
brauner Rauch auf. Wir waren in
*) Die Wenderung ift vor ſich gegan-
gen. Die größten Eijenwerfe des Landes
find heute Zeltweg, Donawitz, Neuberg,
Graz, Köflah, Gußwerl. Mittlere Werte,
wovon eines doch immerhin mehrere hun—
dert Arbeiter beihäftigt oder beichäfti-
gen lann, find Krieglach, Wartberg, Kap:
fenberg, St. Michael, Rottenmann, Au—
mühl, Eibiswald, Store, denen fi an:
Ihlieken die Werke in Turrad), Judenburg,
Murau, Zeiring, Knittelfeld, Thörl, Mürz:
zuihlag, Breitenau, Stanz, Eppenftein ꝛc.
Außerdent florieren auch noch unzählige Heine
Eiſenhämmer, wie fie hier bejchrieben find.
Der Kammerbezirk in Oberfteiermarf ver:
mag unter den heutigen Zuftänden jährlich
an 2 Millionen Meter: Gentner Roheiſen zu
erzeugen, nahezu 50% de3 in den geſamm—
ten öfterreihiichen Kronländern jährlich er:
zeugten Noheifens. Die Sichelfabrication
bat in Oberfteiermarf aufgehört, hingegen
ift die Senjenerzeugung gefliegen. Gegen:
wärtig gibt e8 in Steiermark an 800 Senſen—
ichmiede, welche jährlih gegen 2, Millio-
nen Senſen verfertigen. Die Production von
anderen Stahlwaaren, Gußwaaren, Bleden,
Drähten, und Maidinen fteht auf hoher
Stufe. Der Berfafjer.
29*
452
das Thal gekommen, giengen an einem | und ber, bis das Geſchlacke von allen
überquellenden Hammerbachfloß entlang | Seiten herausgehämmert war. Das
und auf glattem, tohlfhwarzem Wege | weiße Glühen war immer röther und
einer der Hämmerhütten zu, aus deren | matter geworden, und endlich hatte
offenem Thor uns greller Glutſchein das Stüd nur mehr die graue Farbe
entgegenleuchtete. des Eiſens. Es wurde hingefchleudert,
Ueber dem Thore war das Berg: |der Hammer ftand fhill.
mannszeichen, die gefreuzten Hämmer Ih war ein wenig dreifter ge=
und Schlegel, über dem fchwarzen | worden und befah mir jeßt die Dinge,
Dache ragten die weißgetünchten Schorn- | obwohl es ganz dunfel war, wenn das
fteine auf, die an ihrer Mündung mit Feuer nicht leuchtet. Vor Allen fiel
lenfbaren Klappen verjehen waren, wo= | mir ein großer Lederfaften auf, der
mit man, wie der Vater belehrte, den | Athen fchöpfte. Der Blafebalg war's,
Luftzug regeln könne. welcher, von Waſſerkraft aufgezogen,
Sp waren wir der Schmiede ganz | durch Röhren in die Efje blies. Auf
nahe gefommen. Ich ſagte nichts, denn | der Erde lag allerei altes Eifen um—
ich wollte in die Schmiede gehen und|her. An den Wänden lehnten und
hatte doch Angft vor dem Lärm, der|hiengen im ganzen Neihen Zangen,
drinnen war, und dor den Funken, Hämmer, Schlegel, Feilen, Haden,
die durch die finfteren Räume flogen. | Beile und anderlei, was ich gar nicht
Mein Vater jagte auch nichts, jondern | kannte. Fest erit fielen mir auch die
führte mich hinein. Bor dem Thore| Schmiede auf, über deren rußige Ge—
hatte eine Tafel geftanden: „Fremden | fichter und entblößte Bruft die Schweiß—
it der Eintritt nicht geftattet!” aber tropfen vannen. Wir giengen weiter
ein Mann, den mein Bater fragend | und famen zu anderen Eſſen. wo die
angeblidt, ſagte: „Nur zu!“ Schmiede mit Eifenfhaufeln Kohlen
Was ich zuerft ſah, das war ein,in die Glut warfen, die fofort mit
jprühendes Stüd Sonne, das von der | glanzlofer, blauer Flamme groflend zu
brüflenden Efje mit Schwung herbei- brennen begannen. In einer Eſſe glühte
gebraht wurde und auf den Amboß man Eifenftüde, die hernach unter
geworfen, tonlos, als wäre es von kleinere, raſcher pochende Hämmer ka—
Teig. Jetzt hob ſich auf maſſigem mem. Hier wurden fie — wie fie der
Hebelbaume der Hammer und fiel nieder | Schmied wendete und drehte — in
in die weiche Maffe, daß ein Meer | längliche Formen gehämmert, an denen
von Funken durch die Hütte ſchoß. ich nah und nah die Geftalt der
Sch barg mich vor Schred und Angſt Senſe erkannte. Weil das Eiſen bald
hinter den Rüden meines Vaters, aber | fühlte und noch unrein war, jo mußte
die Funken waren bereits angeflogen |e3 immer wieder in die Eſſe, aus der
an mein Leiblein, und ich war nur es glühend und fprühend hervorkam.
böchlich überraſcht, daß ich nicht lichter= | So wiederholte fi’, bis der Hammer
(od brannte, ja nicht einmal einen | und das Heine Handgehämmer der
Schmerz wahrnahm an den Händen, | Schmiede endlih eine volltommene
an welche die feurigen Müden geſaust Senfe zumwege gebracht hatte, die dann
waren. Auch der zweite und dritte! fchrillend auf einen Haufen von Senfen
Hammerſchlag jagte ein Heer von Hinfiel.
Schladen und Funken Hinaus, aber War der Lärm in der Schmiede
je platter das Eiſenſtück geichlagen | auf einen Augenblid verftummt, jo
wurde, je rajcher der Hammer darauf) hörte man draußen das Raufchen des
niederfiel, defto weniger jprühte es. | Waſſers, das von hohem Floß auf die
Ein Schmied fand da, der wandte | Räder niederftürzie. Aber der Lärın
mit langer Zange das Eijenftüd Hin! gieng immer von Neuen los, und es
—
453
geihah am den Eſſen und Hämmern
immer dasjelbe. Auch meine Senfe,
die ich werden ſah, war lange noch
nicht fertig. Sie wurde neuerdings
geglüht und kam unter die Hand»
hämmer der Schmiede, die fie feiner
formend in gleichem Takte bearbeiteten,
bis der Henkel und der Rüdenrand
und die Schneide und die Spibe fertig
waren. Sie hatte nun eine Reihe von
Heinen Narben bis zur Spike hinaus
und war überlaufen mit einem jchönen
violetten Blau.
Mir fielen aber die Schmiede auf.
Warum fie allemal noch einen leeren
Schlag auf den Amboß machen, wenn
die Senfe ſchon mweggezogen ift? fo
fragte ih. Mein Bater antwortete:
„Das thun die Schmiede überall; mit
dem Schlage auf den Amboß jchmieden
fie die Kette fefter, mit welcher der
hölliſche Drach' gefeffelt ift; ſonſt thät’
fie endlich brechen und der böje Feind
wär’ los und ledig.“
Nun kam die Senfe noch auf einen
Scleifftein; der gieng jo ſcharf, daß
die Stahlfchneide, die feſt auf ihn ge—
drüdt lag, unter ohrenzerreißendem
Geſchrille beftändig einen hellen Blitz—
ſchein von fich gab, was noch das Aller:
ihönfte war in der ganzen Schmiede.
Wollte ich's genau nehmen, fo
müßte ih auch das Perſonal aufzäh—
len, dur deifen Hände ein Stüd
Eifen geht, bis es Seufe ift, ich müßte
den Fohlenbuben, Streder, Breiten
heizer, Abjchinner und Kramrichter
nennen und vor Allem den Oberften,
den Efjemeifter. Ich müßte auch den
Stredhammtr, den Breithammer und
den Kleinhammer genauer bejchreiben,
endlih das Abſchinnern (Abjchaben) !
der fertigen Senjen, und das Stem—
peln mit dem Firmazeichen und das
Kramrichten (das in den ſtram-, ins
Magazin Bringen der Waare).
Ich bin aber fein gelernter Schmiede:
gejelle und werde wohl manche Hand-
griffe und Vorgänge überfehen haben,
bis das Werkzeug des Mähders fertig
war. — Aehnlich, ſagte mein Bater,
’
würden auch die Sicheln gemacht, aber
ganz anders die Meſſer und alle
Schneidewerkzeuge, die einen federigen
Stahl haben.
„Glückauf!“ rief mein Water den
Schmieden zu. Dieſe hörten nichts.
Wir giengen — ſtets angefochten von
jprühenden Funken — ins Freie. Dort
war es freilich noch Schöner ; wir giengen
unter PBappeln Hin und hörten noch
lange das dumpfe Hammerpochen und
das Waflerraufchen Hinter uns.
Ich Hatte ein blauſchimmerndes
Stüd Schlade mit mir genommen umd
betrachtete es jet wie einen errungenen
Schatz.
„Das iſt nichts,“ ſagte mein Vater
und zog ein Schöllchen Roheiſen aus
dem Sude. Das war roftfarbig und
durchlöchert wie ein Schweizerläje.
„Wenn's auch nicht jo glänzt wie das
Deinige, es ift doch mehr. Aus diefem
Ding — heb' einmal, wie ſchwer es
ift! — fann man feine Werkzeuge
machen, die wie Spiegel funfeln. Du
ſollſt mir auch noch das Tüchtige vom
Schimmernden unterjcheiden lernen.“
Nun giengen wir in den Marft-
fleden Stindberg Hinein.*)
Wir hörten an allen Eden die
Hämmer pochen, und auf der Straße
fuhren ſchwatze Kohlen- und Roheiſen—
wagen, aber auch fertige Eiſenwaren
in Kiſten, Fäſſern und Strohgewinden
ſahen wir ſchleppen die weiße Reichs—
ſtraße entlang gegen Graz und gegen
Wien.
Im Brauhaufe bekränzten fie das
bogenförmige Einfahrtsthor mit Tan—
nenreiſig und ſchmückten es mit Fahnen,
mit Hämmern, Hacken und Zangen.
Mein Vater fragte, was das bedeute?
Ja, morgen hätten die Schmiede hier
einen Ball, ſagte der Brauknecht.
) Damals gab es in dieſem gewerbs—
fleißigen und tüchtigen Orte noch viel ge—
ſunden Frohſinn und treues Zuſammenhalten
unter den Bewohnern. Später, als die
politiſchen Heher ihr unſauberes Treiben be—
gannen, iſt es auch hier anders geworden.
454
„Den eigentlichen Ehrentag des
Schmiedehandwerks, den feierten fie
doch erjt zu Jakobi!“ meinte mein
Vater.
Das fei Schon richtig — doch zur
jelben Zeit jei etwas Anderes, da
hätten die Schmiede einen zwei Wochen |
langen Feiertag, da thäten fie nichts,
als gut eſſen und trinken, tanzen und
Scheibenſchießen, und da fämen die
Hammerherren von weit und breit, um |
Schmiede zu werben für das nächſte
Jahr. Die Geworbenen friegen den
Leihlauf auf die Hand und werden
zu nächſten Sylveſter durch aufgepußte
Magen oder Boten am ihren neuen
MWerfsort gebradt. Vom Werksherrn
friegen fie nebjt dem vereinbarten Jahr:
lohne auch die Koft; der Efjemeifter
jpeist gar mit der Herrichaft.
„Ich weiß das Alles,“ verſetzte
mein Bater dem geſprächigen Brauz |
Inecht, „aber meines Buben wegen ift’ 3|
mir lieb, daß Du’s erzählft, der iſt
ſchon alt genug,
teufel.
ernburſch, kein Holzknecht blicken laſſen;
denn dieſe Eindringlinge ſpotten die
Schmiede ob ihrer Schwerhörigleit, ob
‚ihrer Kröpfe und dergleichen, und ihr
Trachten geht dahin, den Hammer—
Ichmieden die Dirndlein wegzunehmen.
Den Schmieden gehört der Tag, und
der Markifleden und die Leute laſſen
ſich's gefallen — es ſpringt Geld um.
So kohlrabenfhwarz fie am Wert»
tag find, die Schmiede,“ ſchloß der
Brauknecht, „am Sonntag gibt's keine
hochmüthigeren Menfchen als diefe Ruß—
Und find doch jo viel Gaggen
(Halberetins) dabei!" War aber nicht
jo arg.
Schon jeßt, als wir daftanden und
das geſchmückte Hausthor bewunderten,
famen fie herbei von dem unteren und
oberen Dämmern, um nachzufehen,
wie weit die Vorbereitungen gediehen
feien, und ein Glas Bier durch die
Gurgel zu jprengen.
Da kam plößlich ein Bote gelaufen,
und wenn er glei rußig im Geficht, aber weiß vor Stra=
Bauer bleiben wird, fo fchadet e3 ihm | Benftaub an den Beinen, Einen Sturm—
nicht,
hab’ ihn darum vom Berge herabge-
führt.“
dab er auch anderer Stände | hut hatte er auf, wie Landwehrmänner
Arbeit und Brauch kennen lernt. 3
zu Sriegszeiten. Ein langes Meifer
hatte er an der Seite baumeln, und
ſchier athemlos war er, als er rief:
„Und bei folchem Schmiedefeſte,“ Kameraden! Kameraden!“
erzählte der Mann weiter, „da kommen |
„Was gibt’3 ?* fragten fie ihm
fie halt zufanmen, Jeder, der's hat, im | entgegen.
Steirergewand, Jeder eine kecke Feder
oder einen Gamsbart am Hute, Jeder
eine fchwerfilberne Uhrkette mit Thaler—
behängfeln an der Bruft, Jeder eine |
volle Geldtafche im Sade, Jeder fein |
Mädel am Arme,
trommelnde Spielleute voran, fo ziehen
fie ins Wirtshaus zum Trunk, zum Kaiſer Ferdinand ift fort.
„Keinen Schmiedball gibt's! Kein
Flanieren und Garefjieren gibt's! Yebt
heißt's Meſſer, Spieß und Säbel
ſchmieden, Kanonen, Kugeln gießen!“
„Ja,“ ſagten ſie, „wer gibt uns
Schmetternde und dazu das Privileg?“
„Ich!“ rief der Bote. „Denn der
In Wien
Tanz und zu anderer Luſtbarkeit. Da iſt Revolution!“
darf ſich kein Bürgersſohn, kein Bau—
Tara
.— a
. ®
D' Hölln-Ongft.
A Stüdl aus n Qulfslebn.
N IT. tn in da Schluachtn, wo da „Da Geiftlinga mit feini hundert
Ag Meg auſſi geht noch n Woffa, Metzu Korn is a Haſcherl,“ fog ih.
fehts Irrkrenz. Nit weit davon is vor) „Denk da 3, Mühlhofer: die gonz
an etla Johrn da Mühlhofer Simerl | Weitfug! war duch und durch aus
gfundn worn olßa todta. U kernfrifche | hirtn Stodel; und alli taufend Johr
Menſch mit dreißg Johrn. 's Schlag! | fam a Vögerl und that anoanzigsmol
hotn troffn. ‚fein Schnobl wetzn an da ſtochlan Welt—
Tanahit, in an Sunta Nochmatlag, kugl, fa wurd die Kugl ehanter z
wir ih va da Kirchn hoamgeh, gſiach Schondn gwetzt fein, a5 wia d Ewig-
id afn nämlin Plog mit weit von Jrr= | feit an End nimpp. Und war an iada
freuz in oltn Mühlhofer knean, Hobb | Stern am Himel a ſelchti Stohllugl
die zidantn Häud zſom und is kloan war, ja mochad die Zeit, bis wan |
vazogg. ohgwetzt warn, kaum an Augnblick gegn
„Do is er glegn,“ ſogg er, „do d Ewigkeit.“
is er ohgruafn worn, mei Simerl!” Af dos hot er nit viel gſogg.
„Mühlhofer,“ ſog id, „hoſt Dih Meini Millionen Stochlkugln fein mit
dan nouh mit tröſt't! Is ſcha zechn einigongan in fein Koupf. In Geiſtlinga
Johr vabei.“ ſeini hundert Metzn Korn ſein beſſa
„Zechn Johr!“ locht er auf, „wos gwen.
ſein zechn Johr! — Hoſt heint die „Hundert Metznu!“ ruaft er wieda,
Predi nit ghört in da Kirchn?“ „oba dos is fchredbor!“
Ahan, dent ih ma, aus den Louch „Worum?“ ſog ih.
bloſt da Wind. „Wer in a Zodfünd ftirbb und
„Daß d Ewigkeit fon lonk ſult muaß ewi in Höllafchn Feuer fein! —
fein,“ moant aft der olti Baur, „däs | Viel Leut, jogg da Geiftlinga, viel Leut
hät id ma mit denft!“ gehn nit um af da Welt, de nit a
„Mia lonk iS j dan?“ Frog id. | Todfünd afn Bugl trogn. Mehrer as
Draht fih der olt Mühlhofer za | oani! fogg er. A gaha Tod dazııa
mir und fogg: „Wanſt Hundert Men | und Du bift ewi und ewi in da Höll.“
Korn Hoft, und as kimpp olli taufend Mir dabormt der olti weißfopfudi
Johr a Vougl und frißt an ovanzigs Mon, hot eh nir guats af da Welt,
Körndl, fa wern die Hundert Mebn | is milahfali und fronf, hot neamb, der
ehanter aufgfreffn fein, als wia din a guats Wort jogad.
Ewigkeit ans is. Nia wirds aus, d 39 feß mid nebn an Weg af an
Ewigfeit, hot da Geiftlinga gjogg, nia | Stoan und jogg: „Nochbar, id hon a
wirds aus!” Glaſerl Wein ba mir, geh kim, trink'
„Is holt der Ewigkeit ihr Schul- ma 3 aus mitanond. “
digkeit, daß j mia aus wird.“ | „Wia mar an Wein kunt trink,
„Dba Jeſſas Maria!“ ſchreit er, möcht ih wiſſn,“ fogg er, „in a jou
„amol wirds douh auswern!“ an Ongft! Mittn in Todſündn!“
4566
„Kimpp Holt drauf on, Mühlhofer, „id bin ah a Chriſt. Oba dos glaub
wo3 mar unter a Todſünd vafteht.“ ih nit. Für fon fchlecht Holt ih unſern
„Legg 3 jo eh da Geiftlinger aus
ba da Predi,““ moant der Dlti.
Meintswegn d Hoffort is a Todfünd.
Wer hoffärti is af a ſchöns Gwond,
af fei filberani Uhr, af an guldanan
Fingaring, und er beicht’S mit, der
timpp in die ewi Höll. Die Trägheit
i3 a Todſünd, und wan ih in worman
Früahmeß geh, und beicht's und büaß's
nit, ja kim ih ins ewi Feuer. D
Böllerei is a Todſünd, und man ih
mar an Rauſch ontrink und beicht's
nit, fa kim ih in d Höll. Und wan
dar a Weibsbild gfollt — da Gedonkn
aloan ſchon is a Todfiind, mei Menſch!
Ih mochad ma jo aus a Todſünd nir,
oba d Höll mocht ma wos, d Höll!“
„Dba Baur! Mühlhofer!“ fog ih,
„wer bot dan Dir de Sohn aufs
bundu?“
„Wanſt ba da Predi warſt gwen,
ſa wurdſt as wul ſelba ghört hobn,
wos da Miſſionsgeiſtlinga hot gſogg.
— Und gach fuat müaſſn, wia mei
Simerh! Die gonzn Nacht' fon ih nit
ſchlofn; hörn fchrein und winjln und
um Hilf ruafn, und fa Menjch fon an
helfn, unfa Hergott hotn ei vadanıpp! brava Menſch gwen, und unſa Hergond
— An vanzigi Minutn in an glüahdin
Feurofn fein, wia fchredbor! Und erft
die gonzi Ewigkeit. — Oh mei Simerl,
mei Simerl! Und ih muaß ab nodhhi,
weil d Eltern für die Kinda veront—
wortli fein. Oll kema mar in d Höll,
ollinitanonda!*
Hergott nit. Ja, wan er a Menfch
war! nochha trauad ihn nit. D Leut
fein boußhoft und rochgieri. Ober unſa
liaba Dergott, der uns ols ſchwochi
Menſchn daſchoffn hot, der wird uns
da Schwochheit holba nit ewi vadoma.
Mer ſchwoch und fehlahoft is, der is
a fou ſchon af da Welt gftroft gmug,
Bett lieg, gſtot daß ih in die heili
und an iada Sind muaßt büaßt wer,
jou oda ſou. Do brauch ih fa Werk—
ftott dazua. Oba woaßt, a3 gibb Holt
Leut, de a Geldſchmittn brauch, va—
ſtehſt? geh, loßn ma 8 guat fein, war
ih ſou wos hör, da fim ih mih alla=
mol 3 giftn. Und ouft denk ih ma:
Wan unſa Eultusminifter an oanzigs
mol a jou a Jeſuitapredi in da Dorf—
fichn kunt hörn! Die Freimiatin, de
lochn freili dazua, die Hortn bleibn
vaftoundt trutz Höll und Zeufel; die
woachn, gläubign, unschuldign Herzuoba
triffts tödtli. De hobn zjombb eahnan
frumen Glaubn d Höll ſchon af da
Melt und fein valoſſn von olln Seitn.
Da Stoot nimbb von ormen Bulk
Geld und Bluat. Is er dan gor nir
dafür ſchuldi? — Geh, Mühlhofer,“
jog id, „ſteh auf, Dei Simerl is a
nimbb an Menjchn zan eahm, wan er
un im leichtaſt friagg und wird ſcha
wifin, wegn wos ern grod af den
Plotz und za da febin Stund ohgruafn
hot. Sein mar eahm die ewi Rua
willi, er is in Friedn Gottes. Mir ofl
fein unjern liabn himlaſchn Vodan feint
ormen Kinder und er moonts guat mit
Do nim ih in Oltn ba da Hond | uns. Und dent da: wanft Du nouh a
und frogn:
Du dos?“
„Wan 8 da Geiftlinga hot gſogg!
Wer an Geiftlinger af da Konzil nit
that glaubn, der begang erſt die olla=
größti Todſünd, Hot er gfogg ba da
„Mühlhofer! Und glaubft
fon a ſchlechts Kind
Ionthat, af ewi ins Feur werfn, däs
daſt a3 nit. Afs Höchſt nahmaſt eahm
häſt, des dar Olls
s Leben, des d eahm gebn hoſt. Und
ſchau, unſa Hergott is um ſa viel
nouh beſſer, er vagißt af Koan, ohl
Predi, und däs war a Sind gegn am! macht er ſezſom, ſeini Leut, und führts
heilign Geiſt, de nit af der und nit hoam. Gewiß ah noh.“
in der ondern Welt vaziechn wern
kunt!“
D Augn noh vul Woſſa, jo locht
er mih hiaz on, der olti Mühlhofer,
„Woaßt, Nochbar,“ ſog hiaz ih, gibb ma d Hond und ſogg: Donk da
457
Goud, Peda! Dei Wort is wir ahnen Glaubn aus n Herzen veifin
Oel af mei brenendi Ongft.* möchtn! —
— 33 ober auffema, wos ih jelm| a, meint linbn Lent, zun gehts
zan oltn Mühlhofer gredt bon, und af da Welt! R.
naht Suntogs drauf hot mit da Geift- !
linga ſchon auf da Konzil ghobb: A PP Amer she Se er
Wulf in Schofftol! Aufpafin af die Stodel: Stahl.
ſchlechin Leut, de an Menfchn in
Don der großen Raiſerin.
Von Friedrich Schlögl.
IT ia Therefia! Sie war nicht blikum laut zurief: „Der Leopold
u mr eine Huge, treffliche Herr= dat ein' Bub’'n*), kriegt!“ da
icherin, fie war auch eine treue, liebende | war es wieder nicht die Kaiſerin, die
Gattin (ihrem Gemahl Franz I. von ſo undiplomatiſch, fo menſchlich-na—
Lothringen, am 4. October 1745 |türlich fprad, e8 war das Weib in
zum deutichen Kaiſer gewählt - aber; ihr, das zum Durchbruch fam, es war
ohne Einfluß auf die Regierungs- die glüdliche Mutter eines glüd—
geihäfte — geltorben am 18. Auguſt lichen und theuren Sohnes, die in
1765, gebar ſie ſechzehn Kinder), ſpontaner Herzensregung, in unge—
ſie war eine fühlende, hochſiunige fünftelter, unberechneter Form ihrer
Mutter, fie war ein Weib, ausge⸗ Freude Ausdruck gab und damit alle
ſtattet mit den ſieghafteſten, ſchönſten Herzen gefangen nahm. Und ſchließ—
Tugenden und Eigenſchaften des edel- lich war es — nebenbei bemerkt —
ſten Frauenthums. Als fie in ihrer doch auch die Oeſterreicherin,
Bedrängnis nah Preßburg eilte die gemüthliche „Vollblut-Wie—
und am 11. September 1741 in der nerin“, die ſo flott, ſo „von der
Landſtube erſchien, Für ihren ſechs Leber weg“ ſprach und fo zu ſprechen
Monate alten Säugling (Hofe) um | überhaupt gewohnt gewejen.
Hilfe flehend, da bejiegte und er— Und von welch’ glüdlichem Tem—
oberte das Weib, die Mutter das | peramente wurde fie unterftüßt, wie
vitterliche Voll der Magyaren und energiſch und refolut, wie frisch und
dreitanfend Säbel fuhren aus den treuherzig wußte fie ſich in großen
Scheiden und bligten in der Luft) Weltangelegenheiten und bei Heinen
und die Luft erdröhnte von dem | bürgerlichen Anläffen zu geben und
begeifterten Schwure: „Wir ſter- wie wuchs gerade durch diefe unge—
ben für unfere Königin!“ — — | bundene Natürlichkeit, die ſich in
Und als eines Abends die Thüre der Allem äußerte, ihre Popularität bis
Dofloge im Wiener Burgtheater mit Io ———
Ungeſtüm aufgeriſſen wurde und eine — 7
hochgeröthete Gran — die Kaiſerin BrB IN. SUnE ID 7 ERERE. TE
" zweiten Sohnes Leopold, der damals in
— alle Etikette vergelfend, dem Pu- | Florenz weilte,
*) Aus defien neuem Werke: „Wien“. (Züri, Cäfar Schmidt.)
in's Unermeßliche! Iedermann hatte | Lehrern? Schaut, daß ich feine lage
ein Originale Gefchichtchen oder auch über Euch höre, ich erfahre Alles!“
mehrere in Reſerve, die fich auf die) Bei dieſer Apoftrophe an die ges
Kaiferin bezogen und die gelegentlich | ſammte Liliputaner Zuhörerichaft fiel
im traten Kreiſe funtelnden Auges ihre nun plöglic die Kleinſte der
mitgetheilt wurden. Erzählte mir doch | Kleinen, in erfter Reihe ftehend, auf,
felbft meine eigene Großmutter oft die Kaiferin büdte fi und frug das
genug und Bielerlei und Heiteres und | Kind: „Wie heißt denn Du? Bilt
Rührendes von dieſer genialen NED je gar ein badjchierlihes Paurerl!*
wunderbaren, geiftig und förperlich | Und als der Lehrer bejtätigte, daß
urfräftigen Frau, und fonnte befon= | das Mädchen eine der beiten Schüle-
ders eine Epifode, die fie — damals rinnen fei, da hob fie es in die Höhe,
vor faſt achtzig Jahren — erlebte küßte es herzhaft umd fagte: „Bleib
und die fie, wie es ihr unerſchütter- ſo brav und ordentlich Für's ganze
liher Glaube war, „mit der Saiferin | Leben; und wenn’st einmal was
befannt machte“, noch immer wicht brauchſt und ich kann Die Helfen, jo
vergeſſen. fomm nur zu mir! Und jetzt ſchaut's,
Es war an einem ſommerlichen Kinder, daß 's 'n Gottesdienſt nicht
Vormittage — circa 1755 — als verſaumt's! Der Himmel beſchütz'
die geſammte Schuljugend des Grun- Euch Alle!“ —
des (heute VI. Bezirl) auf dem Wege E3 war eine Scene, wahrhaftig
zur Kirche fi befand, um, wie vor- aus dem Stegreif, nicht vorbereitet,
gejchrieben, die heilige Mefje zu hören. nicht einftudiert, aber eben deshalb
Die Schar marfchierte paarweife, na- von unbejchreiblicher Wirfung auf die
türlih nach Gefchlechtern gefchieden, | dichtgedrängte Menge von Groß und
da kam — die Scene [pielte ſich auf Sein, die Zeuge derfelben gewejen
der Mariahilferftrnfe ab — eine | und num in lauteften Jubel ausbrach,
Hofequipage in Sicht, der bekannte als die Kaiferin, nach allen Seiten
Wagen der Kaiferin, der von Schönz | liebevoll lächelnd, grüßend, wieder den
brumm nach der Burg fuhr. In dies | Wagen beflieg und weiter fuhr.
ſem feierlichen Augenblide comman— Und die hübjche Scene blieb wohl
dierte der Schullehrer feiner Heinen auch allen Anweſenden unvergeßlich,
Armee „Halt!“ und befahl ihr, mies | namentlich meiner jeligen Großmutter,
derzufmieen! Als dies die Kai- die ja ganz defonders ausgezeichnet
ferin ſah, hieß fie dem Kutfcher an= wurde. „Wenn fie etwas brauchte,
zubalten, jprang raſch aus dem Mas | möge fie zur Kaiſerin kommen!“ Dieje
gen, forderte die Kinder auf, Tih zu Worte aus dem Munde der mächtigen
erheben und trat zu dem beftürzten | Frau, an das winzige Kind gerichtet,
Lehrer, ihm freundlich ernft verweifend: | waren der Stolz auch noch der Ma—
„Wie kann Ahnen jo etwas ein- | trone und blieben ihre Wegzehrung
fallen? Man kniet nur vor dem für's Leben. Sie ftarb, bald neunzig
Allerheiligften, nicht vor Menſchen!“ Jahre alt, arm wie fie immer ges
Und an die Kinder Sich wendend, weſen, aber es fiel ide nie ein, von
die, wie Ejpenlaub zitternd, dor der, der huldvollen Erlaubnis Gebrauch zu
gewaltig imponierenden Majeftät ſtan- machen, unter einem plaufiblen Vor—
den und verlegen zu Boden ſchauten, wande als Bittjtellerin zu erfcheinen
frug Sie diefe im leutjeligiten Tone: und die Kaiſerin an jene Stunde
„Was ift’s mit Euch? Seid hr und jene gütigen Worte zu erinnern.
brav? Seid Ihr gottesfürchtig ? Lernt Der „Laiferlihde Kup“, wie jie
ihr fleißig? Seid Ihr folgſam und ihn nannte, genügte ihr.
gehorcht Ihr Euren Eltern und Euren |
Wie weit darf der Mationalismus gehen ?
Brief eines Vaters an jeinen Sohn,
Mein lieber Sohn! Beſtreben, deſſen materiellen, wie idealen
2 ee a Güter zu vermehren und zu feftigen,
Du biſt in eine Zeit hineinge- ohne aber dadurch amdere Völker in
= vathen, in welcher der Nationas | ihren gleichen Beftzebungen zu ſchädigen.
lismus das Schlagwort ift. Ich will Der politifche Nationalismus wird
Dich darum nicht bedauern, denn es ſich mehr auf Begriffe einerfeit3 und
hat viel Gutes; aber ich will Dich auf praktifche Ziele andererfeits grün—
dazu auch nicht beglückwünſchen, denn den. Die Heimatsliebe im menfchlichen
es fan — übel verfianden — zu) Sinne ift ein Anderes, fie wurzelt ele—
großem Unheil führen. Es ift in der) mentar, one Nüdjicht auf Vor- oder
That ein Schlagwort, ein Schlachte | Nachtheile, im Boden der Heimat;
ruf. Du wirft Heute die Worte Vater: | Hermann Grimm jagt das ſchöne Wort:
landsliebe, Patriotismus, Menſchen- üm fo höher die Blüte eines Menſchen
würde, Freiheit, Gleichheit ſeltener der Sonne zuſtrebt, um jo tiefer ſchla—
bören, als: Nationalismus ; diejelben gen feine Wurzel in den Boden, auf
Begriffe find theils Hinter diefem ver- dem er geboren worden. — Der poli—
borgen, tHeils von diefem ausgefchlofjen. | tijche Nationnalismus macht in feinen
65 lann aljo Verwirrung anrichten bei | Organen die febhafteften Anftrenguns
Menſchen, die noch den Idealen des gen, fich zu erflären und zu legiti—
vorigen Jahrhunderts oder der Revo⸗ |mieren. Aber das Vaterland fannit
Iution ergeben find. Diefe Ideale ſind Du micht erklären und nicht beweisen,
die Seele der heutigen humanitären | pas fannft Du nur fühlen.
Bildung und werden in unferen Schulen Der politifche Nationalismus kann
ſtels men entzündet und genährt. In | feicht ungerecht werden und zu unge
denfelben Schulen wird aber auch der | heneren Gewaltthaten führen; der
Nationalismus gepflegt, aber nicht in menschliche Nationalismus ift eine Tu—
dem Sinne, als ſchließe der Nationalise | aend.
mus die anderen, die eigentlich hu— Der moderne Nationalismus, theils
manitären Ideen aus. In dieſem Sinne aus politiſchen Strömungen, theils
wird der Nationalismus nur don Po= aus wirtfchaftlihen Intereſſen hervor=
litiſchen Parteien und manchen Zeiz | gegangen, ift feine Tugend, fondern
tungen aufgefaßt. ein Inſtinct und im weiteren Sinne
Es gibt da einen politifchen und eine Pflicht. Die Selbiterhaltung iſt
einen humauen Nationalismus. Der| eine Pflicht, ohne Tugend zu fein,
politifche will die ftrenge Abfonderung | und das Arbeiten und Ringen für
der Völfer von einander und die möge | feine Nation ijt ein Werk der Selbſt—
lichfte Ausbildung der nationalen Eis | erhaltung im Großen.
genheiten, die Erhebung einer Nation Zu wünfchen wäre, dab es Na—
auf Koften anderer Nationen. Der; tionen gar wicht gäbe, jondern da alle
humane Nationalismus ift die Liebe und | Pölfergruppen, die im Grunde doch
Opferwilligkeit eines Menfchen für fein | diefelben menfchlichen Bedürfniffe von
Volt, der Stolz, ihm anzugehören, das | der Natur vorgejchrieben erhalten haben,
460
und mehr oder minder diefelben Fähig— | Volk geboren hat, ift Fein Berdienft,
feiten zur Entwidlung im Sinne uns aber daß es mich und Dich und uns
ferer Cultur befißen, und wovon jede! Alle für Hohe. weltumfaffende Ideale
lieber Freunde als Feinde zu Nachbarn
haben wird — daß alle Völfergruppen
im Großen und Ganzen gemeinfane
Sade hielten. Da dem aber nicht fo
ift, da die Menfchen dazu verdammt
zu fein fcheinen, sich gegenfeitig ſtets
zu befehden und zu quälen, als ob es
ohne das zu wenig Leid gäbe auf diefer
Melt, fo müſſen wir uns dieſem Ver—
dammungsurtheile vorläufig eben fchlecht
und recht anbequemen.
Mein Sohn! Ih jage das mit
Freuden und mit Schmerzen: Du ges
hörst dem deutfchen Bolfe au. Dem
großen, edlen Volke der Germanen, dem
urgefunden, ſittenherben, dem geiftes-
hellen und herzensinnigen deutſchen
Volke. Seine Tapferkeit und Treue,
jeine Tüchtigkeit und Weisheit ift be—
fannt im der ganzen Welt. Seine
Meisheit aber ift ihm eher verhäng—
nisvoll als vortheilhaft geworden, fie
hat ihm zeitweilig dem Kosmopolitis—
ns näher geführt, als es für die
Nation gut geweſen ift. Aber ich halte
es für feinen Fehler, wenn Einer aus)
Mohlgefinnung für Andere ſich jelber |
vergißt, ich halte es für Tugend; freis
lich, prattiich find Tugenden jelten. |
Mein Sohn! Dur gehörft zu jenem
großen Volke an, welches weniger Eigen
nutz, als andere Völker befigt, hingegen |
aber um ſomehr Sinn für Humanität
und Weltbürgerthum. Dieſe Eigen
Ihaft, fie mag zwar den Feldherren und
iſt
Landsknechten unnütz erſcheinen,
doch unſer größtes ethiſches Gut, viel—
leicht baut ſich daraus eine neue, beſſere
Weltordnung auf. Meine Liebe zum
deutſchen Volk iſt naturgemäß, wie die
Liebe des Kindes zur Mutter. Doch
meine Verehrung für das deutſche Volk
entſtammt meiner Erkenntnis feiner
außerordentlichen Vorzüge und ethiſchen
Anlagen. Hätte ich dieſe Erkenntnis
nicht, jo wäre mein inniges Verhält—
nis zu meinen Bolfe nicht viel mehr,
als ein thierifches. Daß mich das dentſche
| begeiftert und erzieht, das ift die große
Tugend, die mir mein deutjches Volt
ſo umendli thener und verehrungs-
würdig macht.
Der Fäden und Beziehungen, die
fi Heute zwifchen Völker und Län—
‚der ziehen, find unzählige, und fie
mehren fi noch von Tag zu Tag.
Und doch find wir, mein Sohn, in
eine Zeit hineingerathen, im welcher
mehr als je die Völker trogig und herb
gegeneinander aufftehen und mit den
Fäuften drohen. Näher bejehen ift die
Fanſt eines jeden Volkes — eine Mil:
lion Soldaten. Eine graufe Noth, in
der fich die einander fo unſinnig be»
drohenden Völker heute befinden! Wir
wollen nicht unterfuchen, wer an dieſem
Zuftande die Hauptſchuld hat, wir
‚wollen nicht fluchen Denen, die unfere
‚Ruhe zerftört, unferen edlen Idealis—
mus zu Scanden gemaht haben —
wir haben weder Zeit zum Philofo-
\phieren noch zum Träumen, weder Zeit
zum Unterfuchen, noch zum lagen;
von Feinden umgeben, heißt heute uns
jere nationale, unfere bürgerliche, unfere
aufder Wadt
|
häusliche Pflicht:
fein.
Auf der Wacht fein, dab unferer
Nation kein Unrecht, Feine Schmach
widerfahre, daß unſer Bolt kein äußerer
Feind fchädige und fein innerer eut—
zweie, daß unfere guten deutjchen, der
Eultur entiprechenden Sitten in Ge—
ſellſchaft und Haus nicht durch Fremde
verdrängt oder freiwillig vertaufcht wer—
den, daß das gefittete, trene deutſche
Leben in feiner Kraft und in feinen
Ehren bleibe. Nicht alle Germanen
fönnen und follen ihre Nation mit dem
Speere vertheidigen und hüten. Der
Eine thue es mit dem Hammer oder
dem Pfluge, der Andere mit der Feder
oder dem Griffel; deutjche Arbeit, deut:
ſches Lernen, deutſcher Fleiß und
Pflichternſt, deutſches Schaffen und
Geftalten iſt auch eine nationale Wacht.
Jeder gewiſſenhafte Meifter feines Be—
rufes kann ein nationaler Held fein,
nur das MWortheldenthum ift von Uebel.
Am Worte allein liegt es lange nicht,
mein Kind, und es ift ein Anderes,
ob etwas mit einem Schwalle von
deutfchen Wörtern gejagt, oder ob es
deutsch empfunden wird. Schäße die
deutſchen Dichter nicht nach dem, wie
oft fie die Wörter „deutſch,“ „germa—
nisch,“ „national“ fagen, fondern nad)
dem, wie fie Dein Herz erwärmen und
die Liebe zu dem deutfchen Tugenden
461
verschiedenen Leuten zufammenkommen.
Brüfte Did in Worten nicht zu viel
damit,
daß Du ein Deutjcher bift,
ſondern zeige es in Deinem ruhig
ernten Benehmen, in der friſchen Herz—
haftigkeit und im der meidlofen Wohl»
gelinmung, die Du allen Menfchen
entgegen bringſt. Witzle und fpotte
nicht über die Schwächen und Eigen-
heiten fremder Nationen, wie es lei—
der heute Jeder thun zu follen glaubt,
um zu beweifen, daß er national fei.
Wenn Du aber von Fremden Deiner
entfachen. Unter den deutjchen Tugen— deutſchen Nation einen Schimpf anthun
den verſtehe ich, wie ich Dir ſchon ſiehſt, dann zeige Deinen deutſchen Zorn,
angedeutet Habe: Treue und Wahrhaf- als ob Du die Ehre Deiner eigenen
tigkeit, Liebe zur Yamilie, zur Heimat, | Mutter zu vertheidigen hHätteft.
Schlichtheit und Befcheidenheit, Ta—
pferkeit im Kriege, Tüchtigkeit im
Schaffen, Einfachheit im Leben, ruhige
Entjchiedenheit im Handeln. Du findeit
diefe Tugenden auch bei anderen Böl-
fern, doch nicht Jo in ihrer Angeboten
Wenn Du in der Fremde, 3. B.
in Amerifa bift, und Di begegneft
zweien Männern, einem Engländer und
einem Deutjchen, denen es gleich elend
gebt, und Du fannft nur Einem der
Beiden helfen, jo Hilf Deinem deutfchen
| Bruder. Und wenn Dir der Engländer
heit und Harmonie zu einander, als
bei dem Deutjchen. Hingegen haben | für Deine Hilfe goldenen Dank ver-
die Germanen auch ihre nationalen |jpräche, und der Deutfche Dir gar
Fehler und Lafter, wie jedes andere feine Bergeltung in Ausſicht Stellen
Bolt die feinen Hat. Und hier, mein könnte, fo Hilf Deinem deutfchen Bru—
Sohn, magft Du getroft aufhören, |der. Und wenn der Deutjche in Amerika
national zu fein. Aus Urochfenhörnern |einen Indianer, der fein eigen ift,
fih Räuſche antrinken, bei jeder Nich= | herzlos mißhandelt, jo nimm gegen
tigfeit wie Thoren einander paufen | Deinen deutjchen Bruder Stellung und
und Schlagen, ſchwärmen, grübelm und ſchütze den Indianer.
haarſpalten, das ift auch deutſcher Ih glaube, mein Kind, fo Habe
Brauch, aber ein fehlechter, das find ich es Dir Har gemacht, wie weit der
findifche Unarten, welche fich ein Volk, | Nationalismus gehen darf und foll,
das fich ſelbſt erzieht, allmählich abge: | und wo er feine Grenze hat.
wöhnen muß! Du wirft Heute häufig den Kosmo—
Wenn es uns alfo gelingt, die |politismus verhöhnen hören. Das iſt
nationalen Fehler abzulegen und die! nichts, als die faure Traube des Fuch—
nationalen Vorzüge zu bewahren und | fe. Die Welt ift gewohnt, höchſtſte—
zu befeftigen, dann kann uns nichts hende Güter, aus Aerger darüber, fie
gefchehen, dann werden wir die Gefahr auf ihre Weife nicht erreichen zu kön—
fiegreih überdauern. Dann wird auch nen, zu verfpotten und zu fchmähen.
gar fein Aulaß vorhanden fein, miß- | Doch bedenke, daß es heute wahrlich
günftig auf andere Nationen zu bliden, | nicht an der Zeit wäre, dem deutjchen
Jo lange fie in Ausbildung ihrer Na= | Wolfe vorlaut feine Lieblingsidee vom
tionalität nicht über die Schnur, heißt Weltbürgertfum zu predigen. Denn
das, über die Grenze hauen. es ift von Feinden umgeben, und be=
Du wirft, mein Sohn, in Deinem | droht find mit ihm die großen deut—
Leben mit vielen, und vielleicht fehr ſchen Tugenden. So lange das herr—
462
rt -
liche deutfche Volt aufrecht fteht, habe nach fürzerer, die lebensfähigeren nad
ih Hoffnung, daß fich die Ideale feiner Jlängerer Zeit. „Reiche find,“ jagt der
größten Geifter dereinft erfüllen werden. | Engländer Draper, „nur Sandhügel
Dir bleibe, mein Sohn, das Bes im Stundenglafe der Zeit; fie zer—
wußtjein, daß Nationalität ein großer |fullen von felbft durch den Verlauf
edler Egoismus ift, durch den Dur die ihres eigenen Wachſens. Zeitgemäß ift
Vortheile und idealen Güter Deines |das jo wenig, als der Ausspruch eines
Volles zu vertheidigen, zu hüten und | andern Engländers (Mill), der da meint,
zu mehren haft. Andere Völker thun Alles, was wirklich zur Mifchung der
es auch. Diefer Wettftreit zwischen den | Nationalitäten und der Verſchmelzung
Völkern ift darum fittlich, weil er/ihrer Gaben und Borzüge zu einem
unter perfönlichen Opfern des Ein- |einigenden Bunde beitrage, fei eine
zelnen zur allgemeinen Entwidelung
des Menfchengefchlechtes beiträgt. Jeder
foll das Beſte feiner Nation hegen
und pflegen helfen, um es zum Ge—
Wohlthat für das menschliche Geſchlecht.
Dem feßt ein deutfcher Dichter (Bo-
denftedt) halb vorwurfsvoll und halb
wehmüthig hoffend bei:
meingut der Welt zu machen. So
kei „Bott will nicht, daß Volk und Volk fi
reihen ſich Nationalität und Welt— meide,
bürgerihum die Hände. Das Gebot | Das Meer, bis zu - — fernſten
ndern,
der nationalen Nächſtenliebe Tautet |
nicht : liebe das fremde Volk wie Dein
eigenes, ſondern: müße Deinem Bolte,
d ölfer i U j
ohne fremden Völkern ungerechterweiſe Kind, vergiß nimmer, was bie
zu Schaden. Es wäre maßlos unflug Ra
5 großen Dichter Jagen, die mit glühen-
und der wahren Entwidlung Deines oe Alese iherın Belle Kben und Dam
Bolfes nachtheilig, Nachbarvölfer vor— j i
IR f „Nationalismus im Geifle weltumfaffen-
wigig zu Beinden zu machen. Bergiß der Menſchlichkeit die wahre Weihe ver-
Wogt als Vermittler zwiichen allen Ländern,
Es trennt zwei Welten, und vereint fie
beide.“
nicht, daß der Ausbildung wahrer
Gultur manchmal ein geeordneter Staat
günftiger ift, als eine begeifterte Nation;
vergiß nicht, da Nationen vorüber-
gehende Formen, Entwidelungsformen
find, die feinen eigentlichen Selbftzwed
haben, jondern mur der Weg zu einem
größeren Ziele find. Nationen werden, |
wie Individuen geboren, wachfen und.
gedeihen bis zu einer gewiſſen Grenze:
und fterben dann ab, die fchwächeren |
leihen. An unferes Großmeifters Ha—
merlings Wort erinnere ich Dich:
„So lange taufendfältig Kain den Abel
Unblutig oder blutig noch erichlägt,
Und nicht der Streit, den einft erregt zu
Babel
Des Spradenfampfs Erinnys, beigelegt —
So lang’ nicht Poefie als Taub’ im Schnabel
Des ewigen Völferfriedens Delzweig trägt —
o lange, ſag' ih Euch, troß der Fanfaren
Des Fortihrittjubels, find wir noch Bar:
baren.*
Wenn einer „Midel“ heißt.
Von M.
Err hieß Michael Hartlopf und |
EI wurde zeitlebens von tiefer Un-⸗
zufriedenheit gequält ſowohl über feinen
Tunfnamen, als über feinen Familien—
namen. Der leßtere wurde ihm fchon
früßzeitig in der Schule verleidet, wo
ihn feine Mitfchüler nie anders, als
„Hartknopf“ hießen, was ihn unfäg-
lich ärgerte. Biel ſchwerere Sorge aber
machte ihm in fpäteren Jahren fein
Vorname. So lange er noch ein Knabe
war, wo man ihm mit dem Koſe—
namen „Micherl* anrief, ließ fich die
Sade noch leidlih an. Aber als er
heranwuchs und aus dem „Micherl“
ein „Michel“ wurde, da dämmerte ihm
allmählich die Erkenntnis auf, daß man
ihm mit diefem Vornamen fein gutes
Angebinde in die Wiege gelegt habe,
und daß es viel hübfcher wäre, wenn
man ihn auf den Namen Edmund
oder Arthur oder Oskar getauft hätte.
Aber da war nun nichts mehr zu
ändern. Der Name ftand einmal im
Tanfbuche und war nicht mehr abzu—
ſchütteln.
Mit zunehmenden Jahren ſteigerte
ſich in Herrn Michael Hartkopf der
Aerger über ſeinen Taufnamen. Hatte
ihn im Knabenalter noch einigermaßen
die Erwägung getröftet, da ja einer
der vornehmſten Engel, der Erzengel
Michael, fein Namensvetter ſei, fo
wollte jeßt auch diefer Troft nicht mehr
verfangen. Er fand immer mehr und
mehr, dab der Name „Michel“ einen
ungewöhnlich pöbelhaften Klang habe,
daß er im der vornehmen Gejellichaft
nicht üblich, kurz, nicht falonfähig fei.
Vergeblich ſuchte er ſich hie und da in
trüben Stunden vor Augen zu Halten,
daß auch Hohe, ja allerhöchite Perſön-
lichleiten diefen Vornamen führten, daß
Glock.
es in Portugal einen „Don Miguel“
und in Rußland einen „Großfürſten
Michael“ gegeben habe, ja daß man
jeloft die glorreiche deutjche Nation
durch diefen Namen zu perfonificieren
pflege. Aber was konnte es ihm helfen,
daß portugiefiiche Königsjöhne und
vnffifche Kronprinzen feinen Vornamen
trugen. Der Name „Michel“ erjchien
ihm nichtsdelloweniger pöbelhaft und
gemein. Und pflegt man denn nicht
auch den „deutſchen Michel“ als einen
plumpen, ungeſchlachten Kerl darzu—
ftellen mit Schlafhaube und ohne Frack
und Handfchuhe? Kurz, Herr Hart-
fopf war durch nichts zu beſchwichtigen
und war und blieb umtröftlich über
feinen unglüdlichen Vornamen, an den,
wie er zu ahnen glaubte, dereinft fein
Lebensglüd cheitern werde.
Mas die fonftigen Lebensverhält-
nifje des Herrn Hartkopf anbelangt,
jo gehörte er zu jener zahlreichen Mens»
Ichenclaffe, bei welcher das Zeitwort
„Beld haben” fein Präfens und
Perfectum, fondern höchſtens ein Fu—
turum hat. Und auch dieſes Letztere
ſchien ihm in jüngſter Zeit ſchon frag—
lich geworden zu fein. Er hatte nad)
verschiedenen verunglüdten Verſuchen,
einen ihm zufagenden praftifchen Le—
ben&beruf zu finden, ſich auf die Pho—
tographie verlegt, die ihm jedoch bis
jeßt nur färglich ermährte und ihm
auch feine glänzenden Ausfichten für
die Zukunft eröffnete. Nach veiflichem
Nachdenken glaubte er endlich, das beite
Mittel, feine Umftände gründlich zu
verbeſſern, in einer reichen Heirat ge—
funden zu haben, und in dem Streben
nach diefem jchönen Ziele ſchien ihn
auch das Glück in auffallender Weife
begünftigen zu wollen.
464
In dem fchmalfrontigen Giebel:
baufe, wo er im fechsten Stod fein
photographifches Atelier aufgeichlagen
hatte, wohnte im zweiten Stod ein
etwas ältliches Fräulein gemeinfchafts
lich mit ihrer Tante. Sie hieß Zer-
line Rojenblatt und es gieng von ihr
die angenehme Sage, dab fie im Bes
fie eines baren Vermögens von 6000
Gulden und außerdem die dereinftige
Erbin ihrer wohlhabenden Tante ei.
Als Zerline eines Tages in den ſechsten
Stock hinaufftieg, um ſich ihr photo=
graphiſches onterfei anfertigen zu
lalfen, wußte Herr Michael Hartlopf
die glinftige Gelegenheit, ihre Bekannt»
Ichaft zu machen, jo meilterhaft zu
benüßen, daß er im kurzer Zeit im
zweiten Stod ein gern gelehener Hause
freund war, und die Tante ſowohl
als die Nichte von feinen gejellichaft-
lihen Talenten ganz bezaubert waren.
Er begleitete die beiden Damen in’s
Theater und auf Spaziergängen, be=
Ind ſich mit ihren Regenſchirmen und
Shawls, führte den Mops der Tante,
an der Schnur umd erwies ich ſtets
als heiterer und liebenswürdiger Ges
ſellſchafter. Bald ſaß er in der Gunft
der Damen fo feſt, daß er dem Zeit:
punkte nahe genug zu jein glaubte, wo
er mit einer offenen Werbung bor die
reizende Zerline treten durfte, deren
Beſitz ihm als das wünjchenswertefte
aller Ziele erjchien. Und im der That,
wenn man von dem bedenklich vorge—
rückten Alter des Fräuleins und von
dem Umftande abſah, daß fie auf ihrem
Kopfe fremdes Haar kämmte und ihr
Brot mit fremden Zähnen faute, und
wenn man ich dafür andererfeits den
Umftand vecht deutlich zu Gemüthe
führte, daß fie im Beige eines baren
Vermögens von 6000 Gulden und
außerdem die einftige Erbin ihrer wohl—
babenden Tante war, konnte fie immer:
hin als eine anziehende Erfcheinung |
gelten. Und als folche erfchien fie denn
auch Herrn Michael Hartlopf.
Fräulein Zerline hatte viele Ro—
mane gelefen, allerdings nicht immer
die beiten. Den Inhalt derjelben hatte
fie längft wieder vergejlen, dafür aber
die Namen der Helden um fo treuer
im Gedächtniſſe behalten. Dieſe hatten
in ihrem zärtliden Herzen eine Art
von Walhalla gefunden, wo fie uns
vergehlich der Reihe nach aufgeftellt
waren und aus denen ihr Gemüth
ſtets melancholifche Nahrung ſog. Es
gab da von Goethes Werther ange—
fangen eine unabjehbare Reihe von
Arthur's und Alfred’, von Bruno’s
und Benno's, von Edmund’s und Eds
gar's, von Reinhold’ und Richard’s,
bon Dtto’3 und Oskar's u. ſ. w.
Eines Tages erzählte Zerline ihrem
Verehrer, daß ihr aus der Leihbiblio-
thet ein Roman von einem gewiſſen
Sohannes Scherrer mit dem unglaubs
lihen Zitel: „Michel“ zugefendet
wurde und daß fie nach einem flüch—
tigen Einblide zu ihrem Entſetzen
| wahrgenommen habe, daß auch wirklich
der Held des Romans diefen unge
heuerlihen Namen führe. worauf fie
das Buch mit Entrüftung aus der
Hand gelegt und zurüdgejendet habe.
Herr Michael Hartkopf hörte mit
Schwer definierbaren Gefühlen den Aus—
lafjungen Zerlinens zu. Ihre unver:
hohlene Vorliebe für wohlklingende
Namen wollten nicht ganz zu feiner
Rechnung ftimmen. Zwar konnte fie
bis jet kaum eine Ahnung Haben,
wie fein Vorname eigentlich laute, da
er denfelben forgfältig hinter dem An—
fangsbuchftaben M verftedt hielt. M.
Hartkopf, Photograph, fo ſtand
der Name auf ſeiner Karte. Für Zer—
line bedeutete dieſes geheimnisvolle M.
doch nichts Anderes, als Moriz oder
Manfred. Daß dahinter ein Michel
ftede, konnte ihrer zarten Seele gewiß
nicht einmal im ZTvaume einfallen.
Uber wenn e3 endlich zum Ernſt kom—
‚nen follte, zur Verlobung und Heirat,
mußten da nicht alle Schleier Fallen,
und der „Michel“ endlich doch an's
Tageslicht kommen?
„Wird fich recht hübſch ausnehmen“
— dachte mit grimmigem Humor Herr
465
—
Hartlkopf „die Verlobungskarte: ja doch Dein eigenes Vermögen. Wie
Herr Michel Harttopf und Fräulein | haft Du es demm angelegt? Etwa in
Zerline Rofenblatt, Werlobte. Man | Papieren? Aber die müſſen ja doch
tönnte fich freilich auf Schiller berufen, | Zinfen tragen.“
der da irgendwo jagt: Wo das Strenge | „Was fprihft Du da von Ver:
mit dem Zarten, wo Starkes fih und mögen? Ach und die Tante haben
Mildes paarten, da gibt es einen guten „immer miteinander von ihrer Witwen
Klang. Nun, die 6000 Gulden wenig= | penfion gelebt.“
ſtens jollen mir gut klingen, und auch „MWitwenpenfion ? Aber die Tante
das Andere, was noch von der Tante | hat ja duch Vermögen. Oder nicht?“
zu Hoffen if. Wenn wie nur jchon | fragte Herr Hartlopf mit einiger Be—
jo weit wären! Hemmung,
x Was Du nicht Alles weißt! Ver:
Noch vor Ablauf eines halben | mögen und nichts als Bermögen! Wie
Jahres waren Herr Michael Hartkopf | kommſt Du mir heute vor? Ich Hoffe
und Fräulein Zerline Rojenblatt Mann | doch, dak Dur mich nicht etwa wegen
und Frau geworden. Fräulein Zerline | des Geldes, das Du bei mir vermuthet,
Hatte fich zum großen Erftaunen Darts
fopf’5 durch feinen unpoetifchen Fa—
miliennamen und pöbelhaften Vor:
namen auch nicht im mindelten ab—
Ichreden laffen und feine Werbung mit
holdſeligſtem Lächeln entgegengenome
men. Am Tage nah der Hochzeit
waren die Neuvermählten ſammt Tante
und Mops in den ſechsten Stod über: |
fiedelt und hatten fich in den engen
Räumen der Photographenwohnung
häuslich eingerichtet. Während einiger
Koſewochen, die anf die VBermählung
folgten, wagte es Herr Hartkopf nicht,
nad dem baren Gelde jeiner Frau,
noch auch mach der Höhe des Vermö—
gens der Zante zu forſchen; auch
wurde ihm während diejer Zeit von
Seite der Frauen hierüber feine wie
immer Namen habende Andentung ges
madht. Als aber die Flitterwochen
vorüber waren und eben in feiner
Caſſe tiefe Ebbe, um micht zu jagen
völlige Leere einzutreten drohte, bat
er eines Tages feine Frau, vorkäufig
bis zum Wiedereintritte güinftigerer ge=
Ihäftliher Conjuncturen die Hauser:
forderniffe aus ihrer eigenen Caſſe zu
beftreiten.
„Aus was für einer Cafe ?* fragte
lachend Zerline. „Was könnte mir
denn auch eine Galle nüßen, wenn
fein Geld darin iſt?“
„Wie, fein Geld? Aber Du ri
Kofegaer's „„Grimgarten‘*, 6. Geft, XL, ———
geheiratet haſt,“ erwiderte Zerline mit
vorwurfsvollem Blicke.
„Oh — — das nicht,“ ſagte Herr
Hartkopf ſehr gedehnt und ſchwieg.
Ihm war ungefähr zu Muthe, wie
| Einen, dem in der behaglihen Wärme
eines ruſſiſchen Dampfbades plöglich
der eisfalte Waſſerſtrahl der Douche
auf Kopf und Nüden fällt. Er jant
auf einen Sefjel vor feinem Arbeits-
tisch und fieng an, einige Bilder zu
retouchieren, die heute noch abgeliefert
werden follten. Während der mechani—
ſchen Arbeit hatte er hinreichend Muße,
ih von feinem Schreden zu erholen
und feine Gedanken zu ſammeln.
„Alſo kein Geld, weder Frau noch
Tante! DO unglüdjelige Speculation,
die mir nie hätte einfallen follen! Und
mein verruchter Vorname, der mir nun
doppelt und dreifach widerwärtig ift,
weil er nicht einmal die Kraft gehabt
hat, Zerline abzufchreden. Wie gern
fie meinen Antrag angenommen hat!
Jetzt leuchtet mir's freilich ein. O
ich — — 1«
Nach dieſem Monologe erhob ſich
Herr Michael Hartkopf von ſeinem
Urbeitstifche mit der felfenfeften Ueber—
zeugung, daß „Geld haben“ für ihn
ftet3 ein Zeitwort bleiben werde, wel—
ches im Indicativ weder ein Präfens,
noch ein Perfectum, noch ein Futu—
rum bat.
— 30
Wie der Menſch geflikt werden kann.
(Ne iſt faſt unglaublich, wie weit ärztlichen Kunft im diefer Richtung
Se 5 die Merzte Schon gebracht ſchon unendliche Dienfte geleiftet.
haben in der Kunſt und Geſchidlichkeit, An einem kleinen Orte ſah ich
dem Menſchen verlorne oder unfähig einen Mezzgergeſellen, der durch einen
gewordene Theile feines Körpers wieder | heftigen Schlag auf den Kopf bei einem
zu erſetzen. \Raufhandel ein fat handgroßes
Da finden wir in der flets inter Stüd feines Schädellnodhens
ejlanten vortrefflichen „Deutjchen Re- | brandig verloren hatte. An diefer
vue“ (E. Trewendt, Breslau) Januar
1887, einen Auffag von I. N. von
Nupbaum, der uns
zählt. Wenn man je einen mittheilen«
den Auffaß intereffant nennen fan,
jo ift es dieſer; er verdient ganz und
gar gelefen zu werden. Hier aus dene
jelben nur etliche Andentungen, wie
über dieſen
Gegenftand des Wunderbaren viel er—
‚Stelle war das Gehirn nur mehr von
Haut bededt. Ein unbedeutender Drud
mit der Hand darauf bewirkte, daß er
Ihwindlig zuſammenſank. Um ein Uns
glüd zu verhüten, ließ ihm fein Arzt
ein Kleines Käppchen von Hartgummi
machen, das durch ein elaftiiches Kine
‚band am Kopfe genau anpafjend feſt—
gehalten wurde, wodurch das Gehirn
und auf welde Art ein an Theilen vor jeden Drud gefichert war. Es it
feines Körpers verunglüdter Menſch bekannt, daß andere ſolche Defecte auch
repariert werden fann. durch genau anpaljende Silbertäppchen
Es iſt unglaublid — fagt Dr. erſeht werden.
Nußbaum — wie viele und große Theile Die gläfernen Augen, womit man
mancde Menschen verlieren können, | Natürlich nichts fieht, erjegen das ver-
ohne ihr Leben dabei einzubüßen. Im lorene Auge jo tänfchend, daß ſelbſt
Jahre 1855 war im Invalidenhauſe Augenärzte ein paar Secunden im
zu Paris ein reich decorierter Soldat, Zweifel find.
welcher im Kriege beide Arme und, Einige Kranke, welche ihre Naſen
beide Füße eingebüht hatte und wie Verloren Haben, bejigen nicht Muth
eine Stoduhr auf den Tifch hingeſtellt genug, um ſich aus eigenem Fleiſche
wurde. Verſchiedene Kugeln hatten vom Arzte wieder eine Nafe machen
jeine Knochen jo zerfplittert, daß ınan | ZN laffen, daher gibt es viele Nafen
afle vier Extremitäten amputieren mußte. von Papiermade ꝛc.
Die zahlreichen großen Gejchenfe Hatten | Manchmal gelingt es dem Arzte
ihn bereits zu einem reichen Mann wohl, die Najenhaut aus der Stirn-
gemacht, und manchmal gieng er mit oder Wangenhaut des Kranken zu er
herrlichen fünftlichen Armen nnd Füßen ſetzen; aber die Nafe bekommt eine
und ein paar zuverläfliger Krücken oder | ſcheußliche Form, weil auch die Knochen
zu Wagen weit in die Stadt hinein ; fehlen, die das Einſinken der Haut
und unterhielt ſich auf mannigfache verhindern. Oft wurde das Kno—
Weiſe. ſchengerüſt der Naſe von Gold
Die Phyſik und Mechanik hat der |oder Bernfteim zu erſetzen geſucht,
—
oder don einem Silberdraht-Geſtell, Sammlung jugendlicher Haare gemacht,
womit der Kranke jeden Morgen feine | ondern meiftens aus gelauften Haaren
häutige, zufammengejunfene Nafe aufs | arıner Mädchen oder aus todten Men—
richtet. Bei Nacht wird ein folches | fchenhaaren. Der Ekel vor folchen
Drahtgeitell herausgenommen. ı Haaren hat dazu geführt, auch Imita—
Ohrenärzte erſetzen das Trom— tionen der Haare von gefärbten Fäden
melfell fünftlich durch einen Heinen | tänfchend zu producieren. Allerdings
Neif, über welchen eine feine Kaut- baſſen die Perüden nicht ganz in uns
ſchulhaut gefpannt ift; auch geben fie ſere Betrachtung, weil fie nicht mit
Schwerhörenden Hörapparate, wel» dem Haarboden verwachſen, ſondern
he die natürlichen tonleitenden Theile Mur aufgellebt werden.
erfegen follen. Obrenmufceln von) 3 gelingt aber aud) wirklich Haare
Papiermaché werden oft mitteljt einer auf den fahlen Kopf hin zu pflanzen.
unter den Haaren getragenen Stahl Man machte oft ſchon ſolche Verſuche
jeder am rechten Platze feftgehalten, | mit volllommenem Erfolg in der Rich-
haben aber für das Gehör feinen Wert,
erjegen lediglich die Form.
daufig if ns ja SR gefunde Menichenhaare ſammt ihren
jchwerer Leiden,
wird dom Arzte nur dann weiter hinaus
geichoben, wenn der ganze frante Kehl—
fopf herausgenommen wird.
Damit nun der Kranke doch wieder |
Ipreden kann, ſetzt man ihm einen |
fünftliden Kehlkopf von Silber,
ein, womit er zwar näfelt, aber ganz
verſtändlich ſpricht.
Haben Frauen eine Bruſt durch
Operation verloren, ſo bekommen ſie
tung, daß die eingeſetzten Haare feſt—
wuchſen. Man machte in den kahlen
Kopf Schnitte und ſteckte in dieſelben
Haarzwiebeln. Die Haare wuchſen feſt
und blieben; allein einen praftiichen
Wert hat die Sache nie gewonnen,
denn es iſt eine ziemlich große Ope—
ration, 50 Haare überzupflanzen, und
50 Haare nügen einem Kahlkopfe nicht
das Geringfte. Die Sache ift und war
nie mehr als ein intereflantes Er=
periment, gerade fo, als wie die fran—
zöſiſchen Aerzte am Ende des Krim—
frieges aus Yangeweile den Ratten die
einen ehr leichten und die Yorm tau- Schwänze abſchnitten und felbe auf
Ichend liefernden Erfaß in jedem Kaut—
Ihul-Warenlager. Eine folde künſt—
lie Bruft ift hohl wie eine Blaſe
die Nafe hinnähten, wo fie feſtwuchſen
und erhalten blieben und nad Paris
zurückgebracht als Wunder angeftaunt
und deshalb viel leichter und bequemer | wurden.
als jede andere Ausftopfung.
Die untere Ertremität wird oft fo.
gut erfeßt, dak Niemand ahnt, hier!
einen fünftlichen Fuß vor fich zu haben. |
Ein Heiner unbemerkter Drud genügt,
um das Bein zu beugen oder zu fire
den.
fünftlihen Arme und Hände aus. Yit
ein Arm Hoch oben amputiert fo darf
man ſchon froh fein, wenn der künſt—
liche Arm beim Effen eine Gabel oder
bei der Arbeit einen Hammer hält. Das
Schreiben und Knüpfen u. a. erreicht
man jehr felten.
Die Perüden und falſchen
Haare überhaupt find felten aus einer
Weniger gut fallen meift die!
Nachbarſchaft angelittet.
Das Berpflanzen der Zähne hat
ihon ſehr Schöne Erfolge gehabt und
wird heutzutage noch manchmal geübt.
Wenn eine reihe Dame einen vorderen
Schneidezahn verliert und ein arınes
Mädchen gibt um einige Thaler einen
ihönen Zahn aus ihrem Munde ber,
jo gelingt e3 einer forgfältigen Mani—
pulation, den Zahn feſt einwachſen zu
lafjen. Die Zahnlüde wird gut des—
inficiert wie der Zahn, welcher natür—
li in die Alveole Hineinpaffen muB.
Dort wird er feitgebunden und an bie
Ein paar
Wochen muß jede harte Nahrung ger
| nieden werden ; dann fteht der Zahn
30*
468
aber jo feit, daß man Bindfaden und | wirklich ein Meifterftiid nennen, die un
Kitt nicht mehr bedarf. ducchfichtig gewordene Hornhaut eines
Geſchichtlich intereffant ift die That: | Menfchen auszufchneiden und ein gleich
fache, dab einem Ruſſen ein Stüd!| große: Stüd hefler durchſichtiger Horn—
Schädel meggehauen war und ein haut eines gefunden Thieres dafür
Arzt ein gleihgroßes Stüd eines ges | einzunähen. Wer die Zartheit diejer
funden Hundefchädels dafür über» | Gebilde kennt, muß das Gelingen be-
pflanzte. Daran knüpft fich noch die) wundern. Leider hatte auch die ge=
Erzählung, daß der Papft über den lungenſte Operation feinen bleibenden
Operateur den Kirchenbann verhängt | Erfolg. Die Mare, durchſichtige Horn—
und nicht eher gelöst haben fol, als | haut, welche eingenäht war, trübte jich
bis das Stüd des Hundejchädels wieder | von Monat zu Monat mehr, und das
herauögenommen war. anfänglich ftaunenswerte Refultat gieng
Die Sade gewinnt an Glaub: | wieder ganz verloren.
würdigfeit, wenn man weiß, daß bor Auch die durchſichtige Hornhaut
mehreren hundert Jahren auch das Ein= | eines joeben verftorbenen Lungenſüch—
jprigen von Thierblut päpftlich ftrenge | tigen bemüßte man zum gleichen Zweck
verboten war. und mit dem gleichen Erfolg; auch die
Die Bluttransfufion, womit | todte Hornhaut wuchs feit, trübte fich
man nicht allein Berblutungen, fondern | aber auch nach und nad wieder. Es
auch viele Schwächezuſtände zu Heben | ift Höchft intereffant, daß felbft Theile
glaubte, war eine Zeitlang vorzüglich | eines todten Individuums wieder ans
mit dem Blute verfchiedener Thiere wachſen. Diefes Beifpiel fteht aber
ausgeführt worden, was verboten wurde, | durchaus nicht allein da.
weil man fürchtete, es könnten damit Seit langer Zeit heilen die Augen:
auch thierifche Eigenschaften mit über- ärzte Schleimhäute des Kaninchen-Au—
geführt werden ; es könnte 3. B. ein) ges auf kranke menschliche Augen auf,
Menſch, dem man Schafsblut einfprigte, | und als ein Unicum ift zu erzählen,
dem Schafe ähnlich werden. Obwohl daß es vor wenigen Monaten jogar
fich dies nicht im geringften bewahr: | gelang, einem Menfchen, der das linfe
heitete, jo ift doch auch die Jeßtzeit Auge verloren hatte, ein Kaninchen
von der Benüßung des Thierblutes | Auge einzunähen. Nervenjcheide, Muss
ganz abgefommen, und es wird nur keln und äußere Häute wurden ſorg—
mehr Menjchenblut, ja meiftens und | fältig vereinigt. Das Auge wuchs feit,
zwar mit dem beften Erfolge nur Salz | Gefäß-Verbindung ftellte ſich her, die
und Zuderwaffer anftatt Blut einge: | Muskeln vereinigten fih, das Auge
jprigt, weil man berausfand, daß es | konnte Hin und ber bewegt werben.
bauptfählih auf volle Gefpanntheit | Alsbald fieng ed aber an fich zu trü=
der Gefäße ankommt, was man dur ben, nah 4—5 Monaten hingegen
Salzwafjer auf eine viel ungefährlichere | Hellte e3 fich wieder ganz auf. Das
Weiſe erreicht. Eingefprigtes Thierblut | eingepflanzte Auge hat natürlich fein
ift bekanntlich recht wirkungslos, weil! Sehvermögen; dasfelbe verhütet nur
e3 nad ein paar Tagen mit dem Urin | die Entftellung, weil es ein wirkliches
wieder abgeht. — Auge ift und vom Kranken willfürlich
Mit großer Begeifterung arbeiteten | bewegt werden kann.
vor 50 Jahren die Augenärzte an der Auch Nerven, wovon größere
Ueberpflanzung einer hellen) Stüde verloren gegangen waren, fuchte
Hornhaut, wenn Jemand infolge w mit eingepflanzten Zhiernerven
— — — — — — — — — — — — = . ana
einer Entzündung oder eines Unglüdes | zu erſetzen.
dur Trübung feiner Hornhaut ganz Belanntlih find die Nerven wie
blind geworden war. Man muß e8 | die Telegraphendrähte, fie leiten Em—
469
pfindung und Bewegung. Bei Thieren Andere Aerzte nehmen die Haut—
eriftieren fehon gelungene Experimente, | Lappen zur Nafenbildung aus den Ellen—
daß man 3. B. einen Hühnerner auf bogen oder dem Knie, das 3—4 Wo—
ein Kaninchen überpflanzte und eine|chen, folange eben bis die Hautlappen
feife Leitungsfähigfeit nachgewiefen | feftgewachfen find, enge mit dem Kopfe
werden konnte. Beim Menfchen find | zufammengefaßt wird.
wohl Thiernerven eingeheilt, die Em— Erft wenn der Lappenftiel fir die
pfindung und Bewegung haben jie aber Ernährung nicht mehr nöthig ift, wird
nicht erzeugt. er abgefchnitten und die Naſe vom
Je weiter die operative Chirurgie | Ellenbogen oder Knie getrennt. --
fortfchreitet, defto mehr gelingt es, | Defterd wurde die verlorene Naſe auch
Defecte des Körpers durch nachbarliche | Schon aus der Gefäßhaut wieder erjegt.
und weiterher verpflanzte Theile des | Damit feßtere aber zur Nafenbildung
eigenen Körpers wieder zu erfeßen. | brauchbar wurde, befam fie vor der
Seit man die Erfahrung machte, 595— ſolange Pantoffel—
auch ganz getrennte Theile nach jorg= ſchläge, bis fie ganz entzündet, Hart
fältigem Annähen wieder anheilen, hat und blutreich war.
ſich hierin viel Erſprießliches ergeben. Von außerordentlichem Werte tann
Unglaubliche Zufälle haben hier mit— * künſtlicher Magenmund fein.
gewirkt. — Wenn fih Jemand, wie das oft aus
Hätte es nicht ein Berliner Unis | Verwechslung gleichjehender Subftanzen
verlität3- Profejlor erzählt, würde es geſchieht, den Hals und Schlund ſo
fein Menſch glauben, daß einem jungen | verbrannt hat, daß die Haut desjelben
Burſchen im Raufhandel auf einer | brandig abftirdt. jo wächst der ganze
Straße zu Berlin die Nafe abgehanen | Schlund vollftändig zu, nicht mehr ein
worden war, auf den Boden fiel, vom | Tropfen Waſſers kommt hinunter, und
Gegner getreten, von einem Hunde er- | da die Ernährung mit Klyſtieren nicht
faßt und auf einen Schlag aus defjen | ausreicht, gehen ſolche Leute nach und
Schnauze wieder ausgelaffen wurde | nach durch Abzehrung zu Grunde. Seit
und daß diefe Nafe forgfältig gereinigt | man mit der antifeptifchen Methode
und angenäht, wieder ganz ſchön an- die größten Operationen ungefährlich
gewachſen ift. ausführen lernte, macht man oberhalb
Gar Mancher trägt feine im Duell des Nabel eine Oeffnung in den
abgehauene Naje in der warmen Achſel- Magen und bringt die Speiſen nicht
höhle nachhaufe, und der Arzt reinigt | mehr durch den Schlund in den Ma—
jelbe gut, näht fie recht genau am und | gen, jondern durch die meugemachte
hat nad) wenigen Wochen die Freude, Oeffnung; allein die Speifen wurden
das volllommene Gelingen feiner Ope- | nicht gut verdaut; es fehlte eben der
ration zu jehen. wirkſame Speichel, welcher bei gefunden
Im Durchſchnitte werden aber die | Menſchen während des Kauens aus
Nafen, welche durch Krankheit, meift | den Speicheldrüfen heraus in den Mund
durch frefiende Flechte zu Grunde gehen, | läuft, fich mit dem Speifebrei mifcht
durch Hautlappen erſetzt, welche der, und die Speifen leicht verdaulich macht.
Arzt ſo aus der Nachbarfchaft weg- Auch für diefen Fehler hat man
nimmt, daß fie noch ein paar an ld. Hilfe. Wenn heutzutage der
dur einen ſchmalen Stiel mit ihrem | Schlund zugewachlen ift und ein künſt—
angeborenen Plage zufammenhängen, | licher Magenmund über dem Magen
und erft wenn diefe Dautlappen am | gemacht ift, läßt man folche Leute die
Najengerüfte feft angewachſen find, | Speifen im Munde kauen wie fonft,
weg. miſcht werden. Iſt das gejchehen, jo
470
ſpucken diefe Kranken den verdaulichen | nur jene Aerzte hineingehen, bei welchen
Speifebrei in ein filbernes Rohr, wel- ſich Kunft mit Menfchenliebe paart.
ches ganz genau in den Fünftlichen Erfreulich ift e8 wohl, wenn wir
Magenmund über dem Nabel paßt, ſolchen Leiftungen begegnen. Und die
und fo bekommt der Magen nur vers | Miffenfchaft im Dienfte der Men—
dauliche Nahrung, was fi bald durch fpenliebe, fie wird es noch weiter
Zunahme des Körpergewicht: nach- pringen. Wir grüßen fie mit dem
weiſen läßt. | Spruche des Korans:
Nun denke ich, ift es höchſte Zeit.
daß ich die Feder weglege, denn mans |; Die Wiſſenſchaft, Ihr follt fie ehren,
f ; All' dünkelhaftem Wahne fern!
hen Lejer von weichen Gemüthe dürfte: Dean Getteh Muh hir Te Re hen
ih Schon zu weit hineingeführt haben | Und Gottes find, die fie begehren;
in die dunklen Krankenzimmer, wo | Und wer fie preist, der preist den Herrn.
Ehre der Arbeit.
Far
NS un und Ehre jedem Fleiß!
GE Ehre jeder Hand voll Schwielen!
Ehre jedem Tropfen Schweih,
Der in Hütten fällt und Mühlen!
Ehre jeder naffen Stirn
Dinter'm Pfluge! — Doch auch deilen,
Der mit Schädel und mit Hirn
Hungernd pflügt, jei nicht vergefien!
Sreiligratb.
Kleine Saube.
— —
Defregger's Alpenheim.
Großen und bedeutenden Menſchen
folgt die beobachtende Neugier der Mit-
welt auf Schritten und Tritten. Dieſe
ſchmeichelhafte Aufmerkjamfeit, welche
dem ehrgeizigen Streber als der Gipfel—
punkt ſeiner hochfliegenden Träume er—
ſcheint, wird denen, welchen ſie gilt, nur
allzuoit zur Plage und Beſchwerde.
Selbjt der lebendigite Ehrgeiz jtumpft
fih gar bald gegen dieſen Weihraud
ab, und der Künſtler und Denfer,
welder zu jeinem Schaffen Rube und
Sammlung bedarf, findet fih dadurch
nicht jelten peinlich berührt und geftört.
In der Künftlerwelt find es zur
meijt die bildenden Künftler, Maler und
Bildhauer, denen ſich die bewundernde
Neugier in ftörender Weije an die Fer—
jen heftet; während die geiftige Werk—
ftätte des Muſikers oder Dichters der
banalen Neugier entrüdt iſt und nicht
Jeder frevelnd in feine Phbantafiewelt
einzubreben vermag, um das Werden
einer Dichtung oder einer Compofition
zu belaujchen, bleibt den im Wtelier
ihaffenden Künftlern nur zwiſchen Dul—
dung und Unböflichfeit die bange Wahl,
denn die Negel ihrer Bejuchjtunden, wo»
mit fie fich zu ſchützen ſuchen, wird une
abläjfig wieder von Ausnahmsfällen ge
broden, welche nur allzubäufig die Ar
beitsftimmung des ganzen Tages zer—
ftören und die natürliche Neizbarfeit des
Künftlers bis zur Nervofität ſteigern.
Ihnen iſt der Ruhm fürwahr
feine | — verfolgt zu werden.
leihte Bürde, und begreiflicherweije
traten fie, jo oft als nur möglich,
jener bunten Menge zu entrinnen, „bei
deren Anblick uns der Geift entflieht* ;
ihr Künſtlerthum und ihre Nerven ver-
langen gebieterijch, daß fie zeitweile von
der Menichbeit Höhen herabjteigen, um,
ferne vom Gedränge, in beſchaulicher
Stille fich jelbit angehören zu dürfen.
Am beiten hat es Franz von De:
jregger verjtanden, jich für einige Wo»
chen dem Geräufh und Gemühle jeines
Malerhofes zu entziehen und jene tiefe,
nervenjtärfende Raſt zu finden, aus der
die jchöpferiiche Kraft men bejhwingt zu
nenen Thaten jchreitet.*) Alljährlich im
Juli, ſobald der Schnee aub in den
Hochregionen der Blütenpracht des Früh—
lings gewichen ift, verläßt der Künſtler
mit Frau und lindern fein palaftgleiches
Heim in München, um deijen behagliche
Räume mit einer auf Alpenhöhe ges
legenen hölzernen Hütte zu vertaufcen.,
In diefen Tagen muß man De
fregger’3 Atelier 1900 M. über der
Adria juchen, und dem da verlangt, des
*) Es iſt vielleicht fein guter Dienit,
den die „Oeſterreichiſche Touriften- Zeitung‘
dent berühmten Meifter erweist, wenn fie
fein Alpenheim ausplaudert. Und doc ift
der Gegenftand jo allgemein und bejonders
für die unzähligen Verehrer Defregger's
interefjant, daß wir die Andiscretion wie:
derholen, indem wir vorftehenden Aufſatz
aus der genannten Zeitung hier abdruden.
Außergewöhnliche Menſchen müflen ſich's
denn einmal gefallen laſſen — jo oder jo
Die Ned,
Meiſters Antlig und vielleicht auch einige
Skizzen neuejten Datums zu jchauen,
der muß Touriſt jein und darf eine
dreiftündige Bergtour nicht ſcheuen; und
wenn das Barometer nicht ſehr hoch
iteht, mag er fi rüften, wie zu einer
Wintertour, denn der Schnee iſt bei dem
Alpenjohne Defregger fein jeltener Gaſt
und erhöht häufig die Friſche jeines
Sommeranfenthaltes. Uebrigens darf man
in dieſem alle unbejorgt jein; der
Malerfürft wird dem Gafte mit gewin-
nender Serzlichkeit ein Plätzchen an ſei—
nem wohlgebeizten Ofen anbieten, jowie
man überhaupt jtet3 der liebenswür—
digiten Aufnahme gewiß jein fann, denn
auf jeinem Sommerfrijchplage ift Der
fregger jtet3 in befter Laune, jei auch
dad Wetter wie immer; der Gontraft
mit dem ftädtiichen Leben und die Er-
innerung an jeine Augendjahre, deren
Schauplat dieje Landichaft geweſen, er-
friſcht und erquidt feine Künſtlerſeele.
Er freut ih, wenn ihn der Schnee um»
wirbelt zu einer Zeit, wo fie im Lande
drangen ſchwitzend und jeufzendb unter
Schattenſpendern wandeln, und in bus
moriftifcher Anwandlung jendet er feinen
Kunftgenofien in München gemalte Bul-
letins über jeine Situation, in denen
das Weiß die Ölanz- und Hauptrolle jpielt.
Defregger'3 Alpenheim blidt von
weitjchauender Höhe des Ederplan auf
das reizende Dörfchen herab, meldes
ibm einen Weltruf verdantt und mo
alljäbrlih Taujende, melde bier vorbei
zu den Naturwundern des Glodners
pilgern, jeines Namens gedenken und
das berrlide Gemälde bewundern, wo—
mit er die Kirche begabt hat, welche ihn
zu ihren Pfarrkindern zäblt.
Von der Station Döljah gejeben,
liegt die Höhe, welche Defregger's Al—
penheim trägt, recht3 vom Dorfe und
hebt fih mattengrün über dunfle Wald-
regionen empor,
Der Aufftieg beginnt ſofort binter
dem Gafthofe, deſſen Befiter, Joſef
Putzenbacher, ein Jugendfreund Defreg-
472
Kleinigkeiten von Defregger’3 Künſtler—
band bewahrt. Man kommt am Ederhof
des jonnigen Stronacdhberges vorbei, einem
fimplen, ganz im Style der dortigen
Dauernhänfer erbauten Gehöfte, wo De-
fregger geboren wurde. Die Stube, in
der Meifter Defregger das Licht der
Welt erblidte, ijt eim feuchtes Gelaß im
Hintergrunde des Haujes und wird ber:
zeit als Milchlammer benüßt, diente aber
jeinerzeit der Familie als Schlafgemad,
und deilen ungelunde Lage hätte der
Melt leicht einen Defregger koſten fönnen,
wie ihr vermuthlih Defregger's Vater
im beiten Mannesalter zum Opfer fiel.
Defregger hatte in jeiner Jugend oft
Obnmahtsanfälle, wenn er aus dieſer
Kammer trat; bier machte Defregger
an jeines todtfranfen Vaters Bette, als
plöglih draußen vor dem Haufe ein un—
beimlihes Schleifen und Sollern ver»
nehmlich ward, wie wenn ein Holzichlitten
über den fteinigen Weg gezogen würde;
in diejen Berggegenden aber findet bei
ichneefreien Wegen der Schlitten mur
dann Verwendung, wenn e3 ſich darım
handelt, einen Dahingeſchiedenen nad
dem Friedhofe zu befördern. Am Morgen
ftarb der Vater.
Bei den legten Häufern vorüber,
dann durch Wald und Miejen auf einem
zwar jteilen, aber noch zum Reiten ge
eigneten Wege, gelangt man unter berr«
lihen Ausbliden auf Hochgebirge, Thal-
gründe und Gletjcher, zum unteren Plan
und von da zum oberen Plan, mo jchon
ganz nahe auf dem lekten Hange, der
zum Gipfel auffteigt, Defregger’s Alpen-
hütte fichtbar wird.
Der obere Plan ift ein jchöner, mit
niedrigem Gebüſch und üppigen Kräutern
begrünter Alpenboden, auf dem zahlreiche
Rinder grafen und drei Quellen ihr
föftlihes Waller jpenden. Die in einer
jeihten Mulde gelegene Hütte erreicht
man von den Quellen in 10 Minuten;
fie ift aus Paumftämmen, welde nur
nah innen behauen jind, gefügt und
enthält Küche, Wohnſtube und Schlaf-
ger's, in feinem Haufe mehrere Familien» | kammer; eine offene Veranda wird von
porträts, ſowie mande intereſſante
| demjelben
Dache überdedt.
473
Weit und großartig iſt die Ausficht
von bier; gegenüber erheben ſich, bis zu
2800 Meter Seehöhe reichend, zadige Do—
lomitberge ; in der Tiefe liegt der reizende,
grüne Thalboden von Lienz mit feinen
Eulturen und Dörfern, dem grauen Ge-
wäller der Drau, der pfeifengeraden
Eiſenbahn und der eigenfinnig Erummen |
Reichsſtraße; rechts davon jteigt das
wald» und mattengrüne, mit Häuſern be
dedte Gelände des Iſelberges hinan, wo
jeitt 1885 eine neue Sunftftraße ihre
Windungen zieht.
Im Weiten öffnet ſich das Bujter- |
tbal, aus welchem ferne Dolomitberge |
berausbliden,; im Nordweſt ragen am
Schluffe des Debantthales der Hoch—
ihober und jeine ftolzen Nachbarn im
Schneetalare auf; links davon fieht man
ferne zur Venedigergruppe gehörige
Schneeberge (Rödipige, Lasörling ꝛc)
und die Deffnung des Iſelthales.
An diejer erhabenen Stelle, umgeben
von einer majeftätifchen Natur, groß im |
den Umriſſen der Landſchaft und groß
im Gange der Wollen und Wetter, u
bringt Defregger mit jeiner Familie die
beißefte Zeit des Jahres.*) Tage be-
ihauliher Ruhe wecieln ibm bier mit
bewegten Stunden, wo ſich der Plan
mit voltsthümlichen Geftalten aus der
Umgebung bevöltert. An Sonntagen,
wenn das Wetter gnädig ift, fommen
die alten Jugendfreunde, die zahlreichen
Verwandten und auch mancder rende
nengierige Gebirgsfohn zur Höhe ge
pilgert. Mit den vertrauten Freunden
ipridt er dann wohl gerne von jeinen
Knaben» und Jünglingsjahren, von der
Zeit, da er noch am jelben Plan als
Hirte frank und frei herumſchweifte, und
verjenft ſich durch Fragen und Hören
wieder ganz in den eng umjchränften
Kreis, über welchen er jo gewaltig bin-
ausgewadhjen und der jeinen einjtigen
*) Sein älteftes Söhnlein pflegt er
bei ih im Wlpenhaus zu haben; jeine
übrige Familie wohnt weiter herunten im
Wirtshaus auf der Wadt.
Tie Red.
Kameraden noch immer die Welt be»
deutet.
Aber auch der KHünftler gebt an
diejen Beſuchsſstagen nicht leer aus, und
mander charafteriftiihe Hopf wird mit
fabelhaft flinfen Strihen in die Mappe
gebannt. Ueberhaupt jcheint Defregger'3
Künftlerauge immer auf der Wade und
jeine Phantafie bethätigt jelbft an der
geftaltenarmen nächjten Umgebung ihre
originell jchaffende Kraft. Die wunder»
liben Formen der verfümmerten fnorrigen
Baumwelt jener Hocdregion feſſeln jeinen
Blick, er faßt fie jcharf in’! Auge und
geftaltet fie durch ein Hinwegnehmen
oder ein geringes Verändern in der
überrajchendften Weije; er fand ein Nit«
gebilde, das vom Stamme entfernt, täu—
ihend einem Eletternden Affen glich, und
ein anderes, das jeinem Hermann als
Stedenpferd dient; ober dem Hüttenein-
gange prangt ein gebleichtes Geäfte, das
einem Geweihe täufchend ähnelt, und auf
den Ausfichtsplage nächſt der Hütte gibt
fihb ein Banumknorren, jo wie er ge
wachſen, al3 Fautenil. Seine merfwür-
dige Fertigkeit im Schnigen, welche ihn
am Beginne feiner Laufbahn ſchwanken
lieh, ob er nicht Bildhauer werden jolle,
übt er während jeines Aufenthaltes am
Plane noch immer an verjchiedenen Ge—
genftänden und der Heine Hermann wird
von feinem Kameraden, dem Hirtenbuben,
in einem Wägelchen berumgefahren, das
der Vater mit böchfteigener Künftlerhand
verfertigt bat. 2
Wenn dann im September füblere
Tage und länger andauernder Regen
den Herbſt andeuten oder gar ſchon ein
ibarfer Reif als Vorbote des Winters
die Alpenmatten zu bräunen beginnt,
dann wird's auch auf der Höhe des
Plan wieder einfam und ftill, denn der
Meifter bat wieder fein bebagliches
Münchener Heim aufgefucht,
Möge er noch viele Sommer wieder»
fehren und immer neugeftäblt zu neuem
Schaffen von dannen ziehen !
Joſef Rabl.
__ 474
Bie Aclpler.
Gediht von Paul Peuker.
Die Berge ebnen fi, wo Städte ragen,
Und jchnurgerade geht der Zug der Straßen;
Was frumm und büglicht ift, wird abgetragen,
Die Menschheit ſelbſt wird flah nah allen Maßen.
Da fteht ein Damm aus Fels und grünen Lehnen,
Belrönt mit jchimmernd blanten Eiszieraten,
Ein Grenzwall allen Nivellierungsplänen,
Ein Riegel den modernen Ausgleihsthaten.
In Thälern, wintlicht, ſchief und engveräftet,
Von weißen Gletjherarmen rings umſchlungen,
Hat hinter ihm bewahrt ſich und gefeitet
Der Väter Art vor manden Neuerungen.
MWie dort gezogen ift die Welt in's Schiefe,
Iſt wohl verſchroben manchmal Welplermeije;
Doch blinft ein heller Stern in ihrer Tiefe,
Den Weihraud gleih im Bau der Waldameije,
So wie der Hochwald ſchaurig ift und duntel,
Wenn aus der Ferne man ihn fremd betrachtet,
Und doch in ihm der Sonne Glanzgefunfel
Die Zweige all’ mit goldner Laft befrachtet,
Und wie der Bergſee jhredt im Felſendüſter,
Obgleih Seerojen jeinem Grund entiproffen,
Obgleih im Wellenjpiel und Scilfgeflititer
Ein anmuihvoller Reiz ift ausgegofien,
So ftöht des Nelplers rauhe Außenweiſe
Den ab, dem hohle Formen nur behagen,
Den aus der Gtilette glattem Kreiſe
Scheu in’3 Gebirge feine Schritte tragen.
Doch wenn er fühlt des waderen Volles Plage,
Mitfeiert feiner Feſte Freudenreigen,
Dem hellen Jubel lauft und trüber Klage,
Dann wird im Liebe er zum Volk ſich neigen.
Ein friiher Zug gebt dur der Aelpler Treiben,
Gin Hau, als käm' er von den weißen Firmen,
Von den die Herzen ftar und feft verbleiben,
Die Augen heil und unbewölft die Stirnen.
Abendgana.
Träumend zieh’ ich hin den Pfad,
Herz und Sinn jo rege,
Finfam und fein Störer naht. —
Still find meine Wege.
Grükend nun die Sonne jchied,
Vöglein im Gehege
Singt ein weihes Schlummerlied, —
Still find meine Wege.
Und ich bin jo frob, beglüdt,
Keinen Grol ich hege,
Bin der Noth, den Leid entrüdt. —
Still find meine Wege.
Äropold Hörmann.
475
Ein Paar Stiefeln.
Gin Geſchichtlein
An unjerer
vom Grazer Fethenmarkt.
Ariftolratie fann man
im Allgemeinen nit gar viel Freude
haben. Es fehlt ihr manchmal der Adel.
Rühmliche Ausnahmen gibt es, und ber
jonder8 bei uns in den Alpen zum
Glücke recht viele. Aber ſonſt und be-
ſonders der ariftofratiihen Nugend man-
gelt der Adel der Gefinnung. Ihr Erites
und Lehtes iſt der Sport, jei es der
des Jagens, Reitens und Rennens, des
Schwimmens, des Spieles, der Liebe,
fie macht aus Allem einen Sport. Sie
nimmt die Welt nicht ernit und fie
muß es leiden, wenn auch fie von der
Welt nicht ernit genommen wird, jo
lange fie nicht in Amt oder Rang oder
aus rein perjönlihem Triebe etwas für
das Gemeinwohl leiſtet.
Leiſtet aber der Ariſtokrat etwas
für die Menſchen, dann iſt man ihm
weit danfbarer, als anderen Leuten von
Berdieuft, man jchlägt es ihm höher an,
man freut fich, daß bei ihm fich der
Mdel des Herzens mit dem der Geburt
det. Gegen den Adel ift nicht das min-
deite Borurtbeil da, jelbit in jenen
Schichten nicht, die vom Adel Jahrhun—
derte lang gefmechtet worden find. a,
man bat die angeborne Kriecherei noch
nicht abgelegt. Wem ein bürgerlicher
Nimrod dem Bauer das Korn im die
Erde jtampft, jo wird der Bauer jcharf
aufbegehren, wenn's ein gräflicher thut,
jo wird der Bauer jeinen Bückling
machen. Dem Wriftofraten find alle
Wege offen, jowohl zum Herzen des
Volkes, als auch zu den höchiten Stellen
des Meiches, jobald er nur einen leid»
lich hellen Kopf umd ein warmes Herz zeigt.
Ih erzähle bier ein einfaches Ger
ſchichtchen, welch edle Ausnahmen unſer
Adel noch bietet und wie mancher Ariſto—
frat die Zuneigung wohl verdient, die
das Volk jeinem Stande darzubringen
pflegt.
Im letztvergangenen Jahre war's,
auf dem Grazer Fetzenmarkt. Stand ein
Bäuerlein mitten in einem Wuſt von
alten Käſten, Töpfen, Pfannen, Büchern,
Nöden, Stiefeln, Bildern, Pelzen, roiti-
gem Eijengerümpel u. j. w. Stand da,
begudte und betajtete ein mausfarbiges
Paar Stiefel, jhüttelte dabei den Kopf,
pfiff abgerifjene Töne eines Liedels, zog
dann einen zerichliffenen Geldbeutel aus
der Hoſentaſche, bejichtigte und zählte
deilen Inhalt und brummte.
„Neunundfiebzig lumpige Kreuzer,“
brummte das PBäuerlein in den Geld»
beutel hinein, „dafür friegt Einer jein
Lebtag fein Paar Stiefeln, und fie möch—
ten noch maufiger jein als dieſe da.
Neunundfiebzig Kreuzer! Den Enterln
daheim, denen hab’ ih eine Semmel
verfprocden. Die Alte will eine Gicht-
falben haben. Berdammte Gicht! Thut
jo web und foftet noch Geld. Ein Glaſel
Wein will Einer doch auch trinfen, un—
terwegs beim. Pier Gulden, jagt der
Herr Stramer. Vier Gulden, jagt er.
Gh mit thener, wenns Ochſenleder iſt.
Neunundfiebzig Kreuzer! Da heißt's
Urlaub nehmen von den Stiefeln. 's iſt
halt ein Kreuz auf der Welt,”
Und wie der alte Bauer jo vor
ſich binfimuliert und dabei manch’ einen
Bid anf jein zerfahrenes Schuhwert
und dann wieder auf die prädtigen
Stiefelm wirft, legt ihm ein junger Herr
der ihn von der Seite fchon eine Weile
beobachtet bat, die Hand auf die Achſel
und jagt: „Gefallen Euch die Stiefeln ?
So verjuiht fie einmal, ob fie auch groß
genug ſind.“
„Was hilft mir das?“ verjegt der
Bauer.
„Berjucht fie, Alter! Vielleicht find
fie zu klein, dann braucht Ihr Euch
fein schweres Herz darob zu machen.“
Na, da bat er Net, denft fich der
Bauer und zog einen der Stiefel an.
„Sit nichts,“ rief er, „das Herz
bleibt jchwer. Das Leder taugt.”
„Sp ſteckt Euch auch den andern
an,“ rieth der junge Mann und jchaute
freundlich drein.
Jetzt war's aber ganz vertradt!
Das Leder des zweien Stiefels taugte
auch und das Herz wurde noch jehwerer.
Der Bauer trittelte ein paar Mal bin
und ber, that einen Pfiff und rief:
„Das wär eine Paſſion! Wie hinauf-
gewachſen find fie!” Als er hierauf An—
ftalten trifft, um fich der guten Dinge
wieder zu entledigen, jagt der Krämer,
er jolle die Stiefeln nur an den Füßen
laflen, wenn fie ſchon jo gut binaufge-
wachſen wären. Sie wären auc bereits
bezahlt.
Jetzt ſchaut das Bänerlein um fich,
der junge freundliche Herr jteht nicht
mehr da. Der bat, wie der Krämer nun
geitand, die Stiefeln bezahlt und, wie
der Bauer nun ſah, fich eilig davonge—
madt. Der Bauer ift jchier erjihroden.
Er hat wohl gehört, dak man fich vor
den „Herren“ in Acht nehmen müſſe,
weil fie dem Bauern gern den Rod
ausziehen; daß fie ihm aber Stiefeln
anziehen, davon war nie eine Rede ge
wejen. Nun, da die Füße verjorgt waren,
jerbrad er fich den Hopf. „Wer denn
diefer Herr geweſen jein muß!” knurrte
er ein um's andere Mal.
„Möctet Ihr es gern
fragte ihn der Krämer.
„Wiſſen will ich's!“ rief der Bauer,
„und ich geh’ nit eher vom led.”
„So will ih es Euch jagen, Den
Namen werdet ihr fennen, der ift feinem
Steirer unbelannt.” So der Krämer und
nannte ihm den jungen Mann, der für
den Bauer das Paar Stiefeln gekauft
hatte.
Jet war der Bauer noch mehr er»
ihroden. Plöglich aber jtrampite er den
Fuß auf's Pflafter und ſagte: „Ich geb’
bin zu ihm. Und jehen muß ich ihn und
die Hand füllen, dem lieben guten Herrn,
und das thu' ich!”
Eilig band er jein altes jtaubiges
Schuhwerk zujanımen, hieng e3 an jeinem
Rüden in den Hofenbalter, wo es nun
bei jedem Schritte emfig bin und her
baumelte. So gieng er über die Mur-
brüde und durch die innere Stadt und
über den Hauptplak, ſchaute noch leuch-
tenden Auges auf das Erzherzog Johann.
Denkmal bin, gieng dann über den
Stadtpark hinweg die Richtung, als ob
willen 2"
——— —— —— —— — — — — — — — — — — —— ———— —— —— — — —
eis,
er auf der alten Straße nab St. Leon—
hart hinaus wollte. Bog aber bald —
weil er fich jeinen Weg genau hatte be-
ihreiben laſſen — links ein im einen
Baumgarten, in welchem ein ftattliches
Schloß fteht. Er hätte in feinem Leben
nicht gedacht, dab er jo viel Curaſch
aufbräcte, aber die Stabdtitiefeln, die er
an hatte — das gab ihm gleih ein
frifcheres Auftreten. Stadiftiefeln find
nämlich allemal fed, auch wenn fie nicht
bezahlt find von dem Träger. So trat
der Bauer bin vor den Pförtner und
fragte, ob der junge Herr Graf daheim
wäre,
Was er bei ihm wolle? war die
Gegenfrage.
„Bedanfen muß ich mich, er hat
mir meine Stiefeln bezahlt. Das kann
ih aber doch mit verlangen und wär’
eine rechte Grobheit, und die neunund—
fiebzig Kreuzer, die ich habe, die gebe
ih ihm gerne und die muß er wohl
annehmen.“
„Die wird der Herr Graf wohl
nicht annehmen,“ lachte der Piörtner,
„Wär ein Unfinn!" rief der
Bauer,
„Beruhigt Euch, Better, und gebt
Eurer Wege. Der Herr Graf wird's
gern gethan haben und es freut ihn
gewiß, dak Euch die Beihuhung jo wohl
befonmt. Behüt' Euch Gott.” So der
Pförtner.
„Und mit einmal bineinlaffen thut
Er mid!“ begehrte der Bauer auf,
„und nit einmal bedanfen kann ich mich ?
Das wär’ doch eine rechte Grobheit.“
„Er nimmt den Willen für's Werk.
Gehabt Euch wohl, Alter!“
Kopfihüttelnd und ſäumig gieng der
Bauer davon. Am Gartentbor aber
fehrte er noch einmal um, eilte dem
Pörtner zu, faßte ihn am Arm md
flüfterte: „Das laſſ' ich ihm jagen:
Beten will ih für ihn! Die Stiefeln,
die thun mich ſackeriſch g’freuen. *
Dann haftete er dahin, heimwärts,
den Kindern und Enteln zu, um ihnen
fein Glück zu verkünden.
Diefes Gejchichtlein babe ih von
vertrauenswürdiger Seite vernommen,
Und wer dahinter jtedt, das ift für jeden
Steirer leicht zu errathen. R.
Ber pfiffige Räthfellöfer.
(Eine Geihichte, wie man fie ih in Schwa—
ben erzählt.)
Ein Preuße und ein Schwabe reisten
zujammen an einem heißen Sommertage ;
müde jegten fie fich unter einen jchatti-
gen Baum am Wege nieder. Nachdem
der Preuße fih in allerlei Schwänfen
über den Schwaben luftig gemadt hatte
und eben eine Heine Pauſe eingetreten
war, meinte der gutberzige Schwabe:
„Jetzt will i au mol ebbes jage, i
will Dir emol e Räthſel ufgebe; no
will i jebe, ob Du's ausbringit.“
Der Preuße meinte:
„Nur ber damit, im Räthſel-Auf—
löjen babe ih jo wie fo eine große
Force.“
Nun fing der biedere Schwabe an:
„Sag mir emol, was iſt das: Es
fangt mit A an, i haus und Du
bojcht’3, aber e3 giebt au Leut, wos
net hent?“
Nahdem der Preuße fih lang ge
nug beſonnen hatte, meinte der Schwabe:
„J ſeh ſchau, Du woiſcht's net, no
muß i Dir's halt gan ſage, des ſend:
A Paar Stiefel, No will i Dir
aber no emal ebbes uſgebe, wenn Du
aber das net woiſcht, no biſcht e dom—
mer großmauliger Kerle. Was
des? Es fange mit 3 an, i hau's,
Du hoſcht's aber net und no viel Leut
hent's au net?”
Nah langem, vergeblihen Warten
meinte der Schwabe:
„Nicks woiſcht Du, des ſeh i jchau, |
Narr, das find zwoa Paar Stier
tel. No will i Dir aber zum Leßte
mol ebbes ufgebe, wenn Du das net
rausbringft, no biſcht der, größte Ein-
falt3pinjel, wo auf ‚der Gottes Erde
Welt rum lauft, dem das iſcht ebbes
ganz Leichts. Roth e mol: was ijcht das ?
iſcht
's iſcht außen blau und innen gelb und
in der Mitt hots en Stoi?“ —
„Ha,“ rief der pfiffige Preuße,
„diesmal friegit mich mich, das find
drei Paar Stiefel!“
Das Ihränenkrüglein.
Eine Volksjage.
Der Mutter war ihr einzig Sind,
Ihr Töchterlein geftorben.
Sie weinte fi darob fait blind,
Wär’ jelber bald verborben.
Als nachts fie einft im Bette ſaß
Und weinte zum Erbarmen,
Erſchien ihr Kind, fo fahl, jo blak —
Ein Krüglein in den Armen.
Die Mutter jah's, ihr war jo bang,
Zu Muthe ihr gar ſchaurig.
Sie jah ihr Kindlein an jo lang:
Wie war es dod jo traurig!
„Mein Kind!“ entrang ſich's ihrem Mund,
„Mein Kind, was ift Dein Wille?“
Da ſchlug die Uhr die zwölfte Stund”,
Dann herrſchte Todtenftille.
„D Mutter!“ rief das Kind jest hohl,
Es Hang wie aus dent Grabe,
„D Mutter!“ ſprach es wehmuthsvoll,
„Weißt Du, was ich hier habe? —
Sieh, hier in diefem Krüglein find
Die Thränen drin, die Deinen,
Und die fing auf Dein armes Sind:
Drum, Mutter, mußt nicht weinen!
Und liebteft Du Dein Kind jo jehr,
Mußt mir die Laſt nicht mehren;
Das Thränenfrüglein ift jo ſchwer,
O wehre Deinen Zähren!
!
!
Und riß der Tod uns voneinapd,
Er wird ung wieder einen!*
Das Kindlein ſprach es und verſchwand --
Die Mutter ließ das Weinen.
A. F.
—
Bücher.
Die Rinder von Wohldorf. Bon Fer:
dinand Avenarius, (Dresden. Berlag
von 23. Ehlermann, 1887.) Es ift ein Zei—
hen der Zeit, daß Diejenigen, welche da
am meiften über eine Verflahung der Dicht:
kunſt unjerer Tage lagen, ſelbſt keine her:
473
vorragenden Leiftungen aufweijen. Der wahr:
hafte Dichter fommt ftill und beſcheiden und
legt jeine Gabe ohne Großſprecherei auf den
Büchertiſch. (Nulla regula sine exceptione
— doch als Ausnahme laffen wir nur das
Kraftgenie gelten.) Ein folder wahrhafter
Poet ift Ferdinand Avenariuß — er
hat es dur jein Bub „Wandern und
Werden’ bewiefen. Heute erfreut er uns
mit dem Sang „Die Kinder von Wohl:
dorf," dem man einen herrliden Grund:
gedanken, tiefe Innerlichleit und gewandien
dichterifchen Ausdrud wohl nahrühmen darf.
Konnte der Dichter etwas Würdigeres be:
fingen als die Madt der Menichenliebe ?
Aus der Wahl des Stoffes jelbft ſchon leuchtet
ein reiches Genüith hervor. Unbekannt jedod)
bleibt das Leid, an dem der arme Spiele |
mann krankt und an dem er als Selbft-
mörder zu Grunde geht. Der Dichter gibt
aljo ein Räthſel auf, die Lölung dem Scharf:
finne des Lejers überlafiend. Und eben das
iheint uns ein Fehler der Gompofition, dak
die Löjung gewiffermaßen außerhalb der
Dihtung liegt, wodurd der Eindrud, den
ein volllommenes Kunstwerk auf uns machen
foll, verfümmert wird. Oder — verjtehen
wir den Dichter recht? — haben wir es mit
einer Ullegorieder Menichenliebe zu thun,
die wie ein Phönir nie völlig ftirbt? Denn
am Grabe des Selbſtmörders noch reift die
Frucht feiner Saat, die Menſchenliebe. Wenn
wir ein nüchternes Fragezeichen in das zarte
Gewebe der Dichtung werfen — der Dichter
bat es jelbft verjchuldet. —tt—
Die Leute aus der Lindenhütte. Nieder:
ſächſiſche Walddorfgeihichten von Heinrich
Sohnrey. Hülle und Schleſt. (Bernburg
und Leipzig, 9. Bacmeifter). Gin gutes
Vollsbuh, deſſen Lectüre veredelnd wirkt
| Eine Wohlthat. Vollsdrama in vier
Acten von Ferdinandvon Saar. (Hei:
| delberg, Georg Weiß). Der ſceniſche Auf:
bau ift wohlgelungen, die Charakterzeihnug
eine fihere, die Sprache dem Vollstone rich:
tig nadhgebildet — aber die Wirkung ift
nicht die eines tragiihen Kunſtwerkes, fie
reinigt nicht die Affecte, fie peinigt nur das
Gemüth des Zuſchauers. —lt
Heimat oder Siliſtria. Schaufpiel in vier
Acen von Kemal Bey. Aus dem Tür:
fiichen überjegt von Leopold Pekotſch.
(Wien, C. Konegen.) Diejes Schaufpiel ward
in Konftantinopel nur einmal aufgeführt.
Mit dem Rufe: „Es lebe der Sultan!”
Ihliekt das Stüd, die Zujchauer aber riefen:
„Hoch Kemal!“ Es jcheint, daß diefer Vor:
fall hohen Ortes übel vermerft wurde, denn
das zweile Mal wurde das Stüd begonnen
aber nicht zu Ende geipielt; Kemal wurde
aus feiner Loge ſachte hervorgeholt und —
als Gouverneur nad Gallipoli eriliert. —
Und in der That, dieſes Stüd muß auf
die Jujcher mit elementarer Gewalt wirfen
— es ift das hohe Lied der Vaterlandsliebe,
die den Dichter mit hehrer, echter Begeiſte—
rung erfüllt, Dabei ift das Schaujpiel durd:
‚aus bühnengerecht und die Hebertragung in
das Deutiche recht gelungen, jo daß aud
auf einer deutſchen Bühne eine gute Wir:
fung zu erwarten flünde. — tt —
Deutſche Syriker feit 1850. Mit einer
literar:hiftoriichen Einleitung und biogra-
| phifchefritifchen Notizen. Herausgegeben von
Dr. Emil Kneſchke. 6. Auflage, Leipzig.
Th. Knaus. 1886.
Von Kneſchke's „Deutiche Lyriker” ift
— was läßt ſich Beſſeres jagen? Die Cha ſoeben die jechste Auflage erfhienen. Eine
rafterzeihnung ift freilich nicht jo ftranım, | fleißig und verftändnisvoll zufammengeftellte
wie bei den Mufterfriftftellern der No: Sammlung bietet fie dent Leſer, und zwar
velle, denen der junge Autor offenbar
nachſtrebt. Dod finden wir gute Anläufe
zum richtigen Erfaflen des Vollscharakters
und des Volkstones. Sein gejunder Sinn
wird den Verfafler wohl davor bewahren,
bei der rührjeligen Schilderung der alltäg:
lichen Lebensmiſére allzu lange dort zu ver:
weilen, wo einige jharfe Stride zur Cha:
rafteriftif der Menjchen und Situationen hin:
reihen — anjonft hätten wir plöglih durd
Degradation des rührjeligen idealiftiichen
Nomans einen larmoyanten Roman der
Plebs. Daß am Ende das Later beitraft,
die Tugend belohnt wird und Alles eitel
Mohlgefallen athmet, ift gewik nur löblich
und jomit fönnen wir das Bud mit gutem
Gewiffen den „großen und Heinen Leuten“
empfehlen. —tt—
durdaus nicht zum Nachtheile derjelben viel:
fad) Namen, welde wir in anderen derar—
tigen Büchern vermiffen. Hingegen muß es
befrendend erjcheinen, daß eine Anzahl wirf:
lid bedeutender Namen aus der zweiten
Hälfte diefes Jahrhundertes in dem Buche
nicht vertreten erjcheinen, Eine Rückſichtnah—
me auf diejen Unftand bei weiteren Auflagen
würde dem Buche gewik zum Vortheile ges
reichen. Guſt. Andr. Reſſel.
Chronologiſch-Uberſichtliche Darſtellung
der zehn widtigften Epochen der Weltgeſchichte
feit den Kreuzzügen von 3. Rokos. (Preß—
burg, G. Hedenaft3 Nadfolger: R. Drottleff.)
Diejes Handbud führt dem Publikum
alle jene Begebenheiten der Weltgejchichte im
einer zufammenhängenden Erzählung vor
Augen, für welche es fi in Folge der bild:
lien Darftellungen, der Vorführungen in
der Dichtung und auf der Bühne intereifiert,
ohne jedod den eigentliden Zufammenhang
diejer Darftellungen mit der Weltgeſchichte
und der Zeit, in melde dieje Ereignifie
fallen, näher zu kennen.
Bibliothek der geſammten NUalurwiſſen—
ſchaflen unter Mitwirkung hervorragender
Fachmänner herausgegeben von Dr. Otto
Dammer. Lieferung 2. (Otto Weijert
Stuttgart.)
Die zweite Lieferung bringt ihrem haupt:
jählichften Inhalt nach eines der wichtigften
Gapitel aus der Phyfiologie des Menichen,
„die Phyſiologie des Blutes, des Herzens
und des Blutfreislaufes.* Daß die enthal:
tenen Abbildungen den Tert auf das wirt:
ſamſte unterftüten, bedarf feiner befonderen
Erwähnung. V.
Unter den literariſchen Weihnachtskata—
logen, die jedes Jahr erſcheinen, nahm der
von der Verlagsbuchhandlung F. A. Brock—
haus in Leipzig ausgegebene „Jullſtrierte
Katalog‘ ausgewählter Werle ihres Verlags
ſowohl jeines Inhalts als feiner typogra=
phiſchen und artiftiichen Ausftattung halber
eine hervorragende Stelle ein. Derjelbe
war in neuer, bis auf die jüngfte Gegen:
wart vervollftändigter Ausgabe erichienen
und führt auf 64 Seiten Großoctav gegen
500 Werle aus den verjchiedenften Litera—
turgebieten vor; zahlreiche vortreffliche Ab—
bildungen find als Proben aus den illus
ftrierten Werten abgedrudt. %
— — — — — — — —— — —— — ——— —
Londinismen — Slang und Cant —
alphabetiſch geordnete Sammlung der eigen⸗
artigen Ausdrucksweiſen der Londoner Bolts:
ſprache, jowie der üblichften Gauner-, Ma:
trojene, Sport: und Zucht-Ausdrücke mit
einer gefchichtlichen Einleitung und Mufter: |
ftüden. Ein Supplement zu allen engliſch
deutjchen Wörterbühern von Heinr. Baus |
mann. Diejes im Verlage von Langenjdeidt
in Berlin erfchienene Wert ift nad der Me:
thode Toufjaint: Langeniheidt verfaßt und
für jeden Philologen, dem es nicht nur um
eine Kenntnis der engliſchen Schriftiprade,
fondern um ein tieferes Eindringen in den
Geift diefer Sprache jelbft zu thun ift, faft
unentbehrlich. —tt—
Dem Heimgarten ferner zugegangen:
. Geflerreih-ingarn im neunzehnlen Jahr:
hundert..
19
aller wichtigen Vorfälle in der Geſchichte,
Wiffenihaft, Kunft, Induftrie und dem
Volksleben geihildert von Moriz Ber:
mann. Mit circa 200 IMuftrationen und
8 Vollbildern in Farbendruck. (Wien. Gil:
bert Anger.)
Die Habsburgerfiftung Kifterzienfter-Abtei
Neuberg in Steiermarf. Ihre Geſchichte und
ihre Denfmale von Dr. F. S. Pidler.
(Wien.)
Die Riegersburg in Steiermark von Dr.
8 S. Pichler. (Wien. Rudolf Brjezowsty
& Söhne.) .
Adalbert Stifter, Ein Bild des Dichters
von Immanuel Weitbredt. (Leipzig.
Antelang.)
Aias. Tragödie in zwei Aufzügen. Nah
Eopholles frei bearbeitet von Fritz Pich—
ler. (Wien. St. Hof: und Staatsdruderei
1887.)
Das Bärgli Hus Vrenedi. Eine Erzählung
aus dem Schweizerlande von E. von Brei:
denbad, (Berlin. Wilhelm Friedrich Nad:
folger. 1886 )
Brokenieufel, Ein Harzlied von Wil:
beim Röſeler. (Berlin, Freund und edel.
1886.)
Aus dem geifigen Leben des Egerlandes.
Ein Meberblid über die neueſte Literatur
desjelben von Alois John. (Eger. Selbit:
verlag des Autors 1887.)
Appenzeller Kalender 1887 166. Jahr:
gang. (Trogen. Schläpfers Verlag.)
„Wegewart.* Gedichte von Hermann
Yahn. (Meinhard's Berlagshandlung, Beer—
felden.)
Ein Stünddhen im Gymnafium. Schwan
in einem Act von Ferdinand Linzer.
(Linz. Drud Joſ. Wimmer. 1886).
In den Alpen. Originalihwanf in einem
Act von Ferdinand Linzer. (Linz. Drud
Yoj. Wimmer. 1886) (das Bühnenauffüh:
rungsrecht dieſer Stüde fann erworben wer:
den bei Dr. Ferd. Kradomwiger in Linz an
der Donau.)
Die Rinderlaube. Ylluftrierte Monats:
hefte für die Jugend. NRedaction Th. Sch ä—
fer. (E. C. Meinhold & Söhne in Dresden).
Deutfche Pol. Illuſtrierte en.
Ihrift. Herausgegeben von E. Frei:
berrn von Grotthuß. (Bein).
Schneiders Kypenallas. Naturwiſſenſchaft—
lich: geographijer Handatlas für Schule
und Haus. Unter fünjtlerijher Mitwirkung
von W. Claudius, H. Leutemann, E.
Miüpgel und E. F. Seidel, Dritte ver:
mehrte und verbefjerte Auflage. (Dresden.
GE. E. Meinhold & Söhne).
Frauenberuf, Zeitichrift für die Inter:
efjien der gebildeten Frauenwelt, Verlag von
Mit bejonderer Berückſichtigung Herm. Weißbach in Weimar.
480
Das Sandflurmgeleh. Populäre Darftel:
lung aller Beftimmungen und Bollzugsvor:
ichriften des Landfturmgefeges und feiner
Wirkungen auf alle Kreife und Verhältniſſe
der Bevöllerung. Bon Robert Stern.
(Wien. 9. Hartleben.)
Poftkarten des Heimgarten.
xXxX 68 wird angelegentlichft erſucht,
Manujeripte erft nad vorheriger Anfrage
einzufenden. Für unverlangt eingejdidte
Manufcripte bürgen wir nit. Externe Ar:
beiten honoriert die Verlagshandlung nidt.
m. 3. A., Billa: den Ultramontanen
ift die heutige Strömung ja nit ungün:
ftig. „Der heitere Liberalismus lodte gar
Manden aus der fatholiihen Kirche, der
ride Nationalismus ſcheucht ihn wieder
zurück.“
M. F., Imnsbruch: Sie mülſen die
Menſur nicht jo tragiſch auffaſſen. Dieſelbe
iſt nichts weiter, als ein wohlthätiger Ader—
laß für vollblütige Jungen. Das überflüffige
Blut, nicht abgezapft, würde in ſo einem
Bürſchchen allerhand Unheil anftiften.
®., Stultgart: Eine Zeitung für Knaben
wollen Sie herausgeben ? Hierin haben Sie
unjern Beifall nit. Das Zeitunglejen ſchä—
digt die Literatur zu jehr, als daß wir
felbes aud der Jugend ſyſtematiſch ange:
wöhnen wollten. Und es jhädigt aud die
Jugend, weil — jelbft im beften Falle —
die Eigenjchaften einer Zeitung, das Seidhte
und Abgeriffene, die Oberflählichleit und
Geſchwätzigkeit auf die jungen Leſer übergeht.
Unjere nervoſen Stadtlinder follten außer
Bute Jugendzeitungen werden gute Jugend:
bücher nicht erjeten,
AU. M., Breslau: Bon allen ethiſchen
und wirtichaftliden Beftrebungen der heu—
tigen Zeit ift die des Vegetarismus gewik
eine der unterftügungswerteften. Achten Sie
feinen Spott; die Welt fpottet nur dort,
wo fie im Ernfte feinen triftigen Ein:
wand hat.
Dr. E. M., Tauchau: Sie wollen fih an
dem allaugroßen Richard : Wagner : Eultus
dadurch räden, dak Sie den Meifter mit
Haut und Haar verdammen? Iſt es denn
gar jo ſchwer, die goldene Mitte zu finden?
Wir lehnen den zwar geiftreihen, aber ge:
wiß ungeredten Aufjat ab.
A. 3. Eifenerz: Sind jelbft Jägerianer
und fönnen Ihnen von der Vortheilhaftig:
feit diefer Belleidung die beften Beweiſe
liefern.
Pr. v. H. A. Braunfdweig: Ihre Hoff:
nung, dab es gelingen werde, die deutjche
Mythologie wieder als BolfSreligion ein:
zuführen, jcheint uns dod etwas zu — ge:
wagt. Das Chriſtenthum ift auch für uns
Deutſche noch gut genug.
a. 8. in 8. Danten beftens, find auf
lange Zeit verjorgt.
©. 3. A., Gras: Empfehlen für Ihren
Standpuntt die „Deutſche Woden:
ſchrift.“ (Herausgegeben von Dr. E.Ruj:
jel und Dr. 8. Neijjer, Wien.) Dieje
Zeitſchrift behandelt die jocialen, politifchen
und idealen Fragen der Deutichen im Reiche,
jo wie in fremden Staaten und in den
Golonien. Das Blatt ift maßvoll, gut unter:
richtet und durchaus ehrlich; es ſteht auf
| höherer Stufe, als der einer Tagespartei.
ihren Schulbüchern gar nichts lefen, jondern Zudem bringt es viel Unterhaltendes in ed—
ſich wacker herumtummeln und ihren Körper | lerem Stile.
Das Blatt gehört zu dem
üben, das wäre das Befte. Wenn fie aber | Beiten der journaliftiichen Literatur, es hat
ichon lejen, jo lieber Bücher, als Zeitungen. auch einen literariihen Wert.
Für die Nedaction verantwortlid P. A. Mofegger. — Druderei „Leylam" in Graz.
April
—b nn -
X1. Jahrg.
Iakob der Pebte.
Eine Waldbauerngeihichte aus unferen Tagen von P. R. Roſegger.
(Fortjegung.)
Sorgenlaft und Iugendluf.
183, a5 war eine ftürmilche Monde
—
eu nacht.
Jakob Steinreuter, der Reuthof—
bauer, gieng von Sandeben her gegen
fein Haus in Altenmoos. Er gieng
über die Waldhöhen dei teilen fteinigen
Fußlteig, den die Altenmooſer vor
Zeiten gewandelt, als der Fahrweg
unten an der Sandach noch nicht an—
gelegt war. So wie diefer Fahrweg
damals nicht gewelen, fo ift er nun
wieder nicht, die wilden Waller haben
ihn zerftört, und lange Streden, wo
früher die Räder der Holz-, Kohlen-
und Steirerwagen gegangen, rinnt
jeßt die Sandach. Lange hatten ich
die wenigen Angeſeſſenen, die in Alten=
moos zurüdgeblieben waren, tapfer ge=
wehrt gegen das Waller und den Fahr:
weg mit Schugbauten vertheidigt. Dann
Rofegger's „„Grimgarten‘‘ 7. Heft, XL,
mußten fie mit ihrem Weg au die
Lehnen hinauf, neue Brüden legen und
Geländer ſchlagen. Dod, wie das
Waller von unten drohte und grub,
jo feindlich that der Berg von oben,
warf Lawinen herab und vernichtete
den Weg.
Daher war der Jakob heute bei dem
Berwalterder ſtampelherr'ſchen Beſitzun—
gen geweſen — denn der größte Theil von
Altenmoos gehörte nunmehr dem Kam—
pelherrn — und hatte gebeten um Bei—
teuer von Holzftämmen und Arbeits—
kraft für den Weg. Da war er aber
arg angelommen. Wieſo käme die Herr—
Schaft dazu, diefen Weg herzuftellen ?
fie brauche feinen Weg. Die Alten
moojer Bauern follten fich ihren Weg
jelber halten. — Uber — hatte der
Jakob bejcheiden eingewendet — einen
Gemeindeweg in gutem Zuftande zu
halten, ſei die ganze Gemeinde ver—
31
482
drang. Dann wieder war es plößlich
die Mehrzahl der Altenmoojer Baus | heiterer Dimmel, bligartig blinfte das
ernhöfe gelauft und fei fomit in alle) Licht, ſcharfe Schatten werfend, bis der
Pflihten der Gemeinde getreten, die) Mond nenerdings hinter Wolfen flog.
auf jedem einzelnen Hof lafteten. Man | Und jo war es bei diejen vom Winde
pflihtet; nun babe aber der Herr
hätte meinen follen, auf diefe verſtän- getriebenen Licht: und Scattenfpiel,-
Dige Rede ſei nichts Schlagendes zu daß über Berg und Thal die milchi—
entgegen gewefen. Dem war anders, |gen Tafeln flogen, und wo fie einen
der Verwalter antwortete: Die Ge: | Fels trafen, oder ein reifes Stornäder-
meindemitglieder jeien verpflichtet, Wege |lein, oder ein Waller, dort bligte es
und Stege, Schule und Kirche u. ſ. w. |filberig auf, bis wieder die Nacht der
in Stand zu halten, weil fie die Bor= |Molfen lag in der Sommernadt.
theile diefer Dinge genößen; nun brauche Der Jakob flieg durch Lärchenan—
aber der Kampelherr feinen Weg an wachs hinab; da war des Sandler-
der Sandach, und wenn er ihn nad | Nachbarn beites Kornfeld gewejen. Der
vierzig oder fünfzig Jahren, bis die alte Sandler ift längft gejtorben drau—
Wälder jchlagbar feien, brauche, ſo ßen in der Fremde; feine Kinder find
würde er ihn auch bauen, ohne fremde | verdorben. Vom Berge ber leuchtete
Beiyilfe zu beanspruchen. So viel den | grell ein weißer Punft, das war die
Altenmoofern zur Darnächachtung. Ofenmauer, die als letzter Ueberreſt
Mit dieſem Beſcheid kehrte der vom Guldeiſunerhofe ſtehen geblieben.
Jakob heim. Die Altenmooſer! Wie Dem Guldeiſner geht es freilich gut,
viele waren ihrer demm noch? In draußen auf feinem Herrenſitz. Wo
diefem Sommer jährt ſich's das zehnte- das Wegererhaus geftanden, lagen noch
mal, feit der Guldeiſner fein großes einige modernde Zimmerbänme, Der
Beſitzthum verkauft und die Anderen | Wegerer hatte fein Gut um Geringes
mitgeriffen hatte. Won den einund- |verjchleudert und ſich damit getröftet,
zwanzig Banern, die damals das Alten- es wäre ihm Halt jo aufgefeßt gewe—
moos belebt und bewirtichaftet hatten, ſen. Seht war er im Sommer Alm—
waren ihrer nur drei geblieben: der | halter, im Winter litt er Hunger. Er
Hüttenmaufer, der Deifel, der auch that es ſeufzend, es ift ihm halt jo
Ichon im Abrutfchen war, und der Reut- aufgeſetzt. — Endlich ftolperte der
hofer. Außerdem war vom Steppenhof Jalob über einen mit Dollerbujch und
noch eine Stube bewohnt, und in der | Brennefjeln bewucherten Steinhaufen.
unfeltenfche, Jo wie im Hauſe auf) Da war des Nachbars Knatjchel Haus
dem Not hHausten arme Familien, |geftanden. Aehnlich war es durch ganz
deren Männer im Solde der Herr- Altenmoos. Junger Anwachs, wo Fels
Schaft ftanden, deren Weiber und Kinder der und Wiejen geweſen, Steinhaufen
in der Gegend umherbettelten, im Walde wo die Höfe geftanden. Der Jalob
Beeren jammelten bei Tage, und auf| fehritt über einen großen Friedhof.
den Aeckern der Bauern Erdäpfel und Als er zu feinem Haufe fan, war
Korngarben ernteten bei Nacht. e3 ſchier Mitternacht. Der Kettenhund
Als der Jakob nun auf die Hoch- bellte. An der Wand der Kammer,
blöße kam, wo man in die Gräben des wo fein Töchterlein, die Angerl, ſchlief,
Altenmoos Hinabfieht, ſtand er Itill. ſtand aufrecht ein ſchwarzer Schatten.
Die Bäume raufchten, die Wolken flo= | Der Jakob ſchaute um ich, welcher
gen in Feßen über die Baumwipfel | Baumftrunf denn diefen Schatten wer=
bin und ftrichen oft an die Erde, fo fen fonnte. Aber dieſer Schatten ſcherte
daß der Manderer im Nebel ftand, ſich um feinen Baumſtrunk, als der
durch welchen der Vollmond gar nicht, | Jakob in die Nähe fam, huſchte er
oder im Lichte einer halbblinden Scheibe "davon. — Es gibt nicht zu wenig,
—
es gibt am Ende noch zu viel Leute
in Altenmoos, dachte ſich der Bauer,
verriegelte die Thür und gieng zur Raſt.
An nächſten Morgen früh trat der
Bauer in die Kammer feiner Tochter.
Die Angerl, eben im Begriffe, aufzus
ftehen, zog raſch die blaue Dede bis
an den Hals hinan, ftrich ſich die dich»
ten Schwarzen Haarfträhne aus dem
Geſicht und blidte den Vater mit ihren
großen, hellen Augen befremdet an.
„Bor mir braucht Du Dich nicht
zu fürchten,“ fagte der Jakob, „ic
will nur einmal ſehen, ob Du nicht
Zugluft Haft, vom Fenfter Her; nichts
ungejunder bei Nacht, wie Fenfterluft.
Wir werden aber ein Gitter machen
laſſen müſſen.“
„Die Zugluft geht auch durch das
Gitter,“ lachte das Mädchen.
„Das wohl, die Zugluft wohl, aber
der Dieb nicht ...“
„Ih fürchte mich nicht,“ anwortete
die Angerl.
„'s ift nicht mehr fo, wie früher,
der Jakob nicht ertragen; immer hatte
er ihn mit einer raſchen Handbewe—
gung verjchencht: dauert noch lang
drauf, wer weiß, ob wir’s erleben. —
Nun ftand aber die gefürchtete Zeit
‚fnapp vor der Thür, und ſchon rief
‚fie gleihfam: da bin ich, Neuthofer,
Du erlebft mich!
Biel muthiger Hatte die Bäuerin,
die Maria, diefer Zeit entgegengejehen,
‚denn e& war ihr unmöglich zu denken,
daß ihr blonder Friedel je einmal im
fremden Lande unter den Soldaten
ftehen ſollte. Und das hatte fie ſich
vorgenommen: wenn’s jo weit kommt,
ich gehe zum Kaifer und kniee vor ihm
nieder und ftehe nicht früher auf, als
bis er mir den einzigen Sohn freige=
geben hat.
Dort, wo der Reußgrabenbach zur
Sandach ftöht, in dem Altenleuthäufel
des Grubbanernhofes war früher die
Schule gewefen. Die Bauern Hatten
dem Scullehrer — der lebte war in
Ermanglung eines befjeren ein ausges
zu Altenmoos,“ fagte der Vater, „vor |dienter Feldwebel — fein Geld ge=
Zeiten, da hat man freilich kein Fen- geben, fondern ihn mit Lebensmit=
itergitter gebraucht, und two doch eins teln verjorgt. Als hernach die Aus—
geweien, da war es eher gegen das | wandererpeft eingeriffen, war der aus—
Hinausfteigen, al3 gegen das Herein= gediente Feldwebel einer der erſten,
ſteigen.“
Die ſchlaue Angerl that aber ſehr
harmlos und ſagte: „Wenn ich im
Stübel lieg’, wie fann denn wer was
ftehlen ?*
Der Jakob fagte nichts darauf; er
bielt dafür, daß man in ſolchen Din—
gen mit den jungen Leuten lieber zu
wenig rede, als zu viel. Er hatte um
feine zwei wohlgearteten Kinder manche
heimliche Sorge. Das Mädel ift allzu—
jauber geworden; er kann es Keinem
verübeln, wenn es ihm gefällt. Und
der Friedel, Schlank und friſch, wie der
aufwächst! Der wächst fehnurgerade
im des Kaiſers Rod hinein. Des Kai—
jers Nod wäre feine Schande und das
Heimatland muB feine Soldaten haben,
dab es ſich wehren kann. Aber daß er
fort muß — fo hölliſch weit im die
fremde muß! — Den Sedanfen konnte
geweſen, den fie hinweggerafft hatte. Er
verdingte ſich in einem Eiſenwerk als
Kohlenſchlepper. da gab es Geld. Zwar
mußte er es für theuere Lebensmittel
| wieder ausgeben, Jo dag ihm gar nichts
‚übrig blieb, im Gegentheil, ex mauch—
[mal noch geneigt gewejen wäre, Schul—
bp zu machen, wenn er Credit ge=
habt hätte. Aber nur Bargeld in die
Hand kriegen und Bargeld ausgeben,
Kleider nach der Mode tragen und
Sonntags mit filbernen Uhrketten den
Heren jpielen, für dieſen Krämer—
ſpaß und Gedenflunfer opferten fie
ihre Kraft, ja ihr Leben. Um die
Altenmoofer Schule kümmerte fich Nies
mand mehr. Die Bergbauern leijteten
'zwar ihre Steuer auch für die Schule,
aber um des Bauers Geld erbaut man
‚in den Städten Schulpaläfte, Bilder»
'gallereien, Komödienhänfer. In den
81*
484
Gebirgen oft weit und breit feine Schule. | durch ein Stängleiu zur Hälfte aufs
Dann gibt man dem Bauer die Schuld, | gejpreizt wurde. Diefe Spreize ruhte
daß er roh und ungebildet ſei, und mit dem unteren Ende auf einem jehr
jpottet feiner und bemachtheilt ihm. | leicht beweglichen Querbrettlein, wels
Hilf Dir felbft, Bauer, wenn Du
kannſt, fonft bift Du verlaſſen.
Seht war der alte Pecholbrenner⸗
Natz herfürgegangen aus ſeinem Don—
nergraben und hatte dargethan, daß
er die Buchftaben kenne, ja viele der—
jelben jogar mit Kreide auf die Wand
zu fchreiben wiſſe, auch die Ziffern,
und ob er diefe Künſte nicht den
Heinen Leuten beibringen dürfe, jo
lange fie noch zu ſchwach wären, eine
andere Arbeit zu betreiben. So hatten
die wenigen Sinder zu Altenmoos
wieder einen Lehrer, und einen gar
Inftigen! Erfah mit ihnen an Sommer |
tagen gern unter dem Ahorn, welcher
vor dem verfallenen Wegererhauſe
ftand, oder er gieng mit den Kindern
am Bade entlang, am Waldraine bin
und plauderte über Bäume und Blu—
men und Waller und Thiere und
Steine, und erzählte Allee, was er,
von diejen Dingen wußte. Der *
Natz war auf einem Ohr ſchwerhörig.
Er höre — ſagte er zu den Kindern
gern — mit demſelben Ohr nur der
Leute Reden nicht immer ganz genau,
bejonders das Zifcheln und Munkeln
und Tratſchen nicht, Gottlob, Hingegen |
höre er etwas ganz Anderes. Sein
Ohr — es war das rechte — habe
die Gabe, die Thierfprachen zu ver—
ftehen, die von anderen Leuten nur
für Bellen oder Blöfen oder Zwit—
ſchern gehalten würde. Wenn die Menz
ſchen wüßten, was der Zugochs, oder
der Kettenhund, oder Andere über fie,
ſprächen? Zum Herzabdrüden wär's!
Eines Tages führten mehrere Sıraz |
ben den Nat hinab zu den Bachejchen. |
Dort Hatten fie Vogelfang = « Häufeln |
aufgeftellt und der Nab ſollte aud)
mitthun. Da Hatten fie aus Stäben |
vieredige Holzhäuschen jo gezimmert,
daß man zwiſchen den Stäbchen ins
Innere jehen konnte. Das Häuschen
hatte über fih einen Yalldedel, der
ches im Häuschen wagrecht geſpannt
war. Auf diefes Querbretthen waren
Hanfförner oder Brotkrümchen oder
andere Köder gelegt. So war die
Vorrichtung nun im Gebüſche oder auf
dem Baum hingeſtellt. Kam der Vogel
geflogen, um den Köder zu picken, ſo
mußte er ſich auf das Querbreitlein
ſetzen, im ſelben Augenblick fiel die
Spreize, der Deckel klappte zu und
der Vogel war gefangen.
Als fie nun zu den Ejchen kamen,
erhoben die Knaben ein Freudenge—
jchrei, in einem der Fanghäuschen
flatterte ein herziges Rothkehlchen.
„Wie es luſtig hüpft und ſingt!“
tief einer der Jungen, denn das Thier
flatterte angftvoll hin und her im engen
Raum und zwitjcherte erbärmlid.
Da Hletterte der Nah an den
Stamm. „Muß ich doch willen, ware
um Du gar jo Inftig biſt!“ ſagte er
und hielt fein rechtes Ohr an das
Häuschen. Mit dem Zeigefinger wintte
er: Bit! fie jollten ruhig fein! und
that, als horche er dem Thiere.
„Das ift jeßt eine Schöne Geſchichte!“
fagte er. „Dem Vogel ifts nicht recht
da drinnen.“ Dann horchte er wieder.
— „Urmer Kerl!“ rief er endlich, und
zu den Knaben gewendet: „Er klagt
und weint, daß fi ein Stein könnt'
erbarmen. Sein Weibchen, fagt er,
fie im Neft bei den Jungen, und er
ſei auögeflogen, Körner und Käfer zu
juhen, um feine lieben Leute zu
jpeifen. Und jegt fei er in diefes Un—
glüd gerathen und die Seinen müßten
‚verhungern und verderben.“
„Auslaflen, auslaflen!” rief einer
der Knaben.
„Sieht Du!” rief der Natz gegen
den Vogel gewendet, „ſiehſt Du, wie
Du Glüd Haft! Sie wollen Did aus—
‚lafjen. Sind ja lauter brave Jungen,
die ein Herz im Leib haben für ein
arımes, liebes Vöglein.“
” 4
[
485
„Auslaffen, auslaſſen!“ jchrieen jeßt
Alle. Der Nat hob den Dedel und
der Vogel flog wie ein Pfeil in die
freie Luft.
Sp trieb er's, und wo der Nab
war, da verjammelten fih Kinder. Auch
hatte er alte Gejchichten, und wie es
vor Zeiten zugegangen war in Alten—
moos, wie die Leute gelebt und ges
arbeitet hatten, fang unter Zitherbe—
gleitung jogar Lieder, wie fie die Vor—
fahren gefungen, und die Kinder muß—
ten mitfingen. Da geſchah es aud,
dab der Jakob — der ſchon etwelche
graue Haare auf dem Haupte trug — |
mitten unter den Kindern ſaß und
horchte und mitthat und dann brüs |
tend in fich verfanf. Wie diefer Mann, |
ſchwerer Sorgen voll, zu altern be=
gann, jo ward der Bechölbrenner-Nab
wieder jung. Hatte er doch lauter
frische, Fröhliche Jugend um ſich, und
Jugend auch in den Erinnerungen an
fonnige Zeiten. Er ſah den Untergang
nicht, er ſah das Aufleben; an den
Ruinen der Häufer gieng er wie ges
danfenlos vorüber, an den jungen
Lärchen- und Fichtenbeftänden freute er
ih und fagte: das wird einmal ein
ihöner Wald. Je weniger ſich Men—
ihen fanden zu Altenmoos, deito mehr
jah und hörte er Gevögel, Hafen und
Rebe, im MWafler Forellen, in den
Höhlen Füchfe, Marder und anderes |
Gethier. Das kam ihm luſtig vor.
Der Nat behauptete, daß ihm die
grauen Haare ausgiengen und twieder
ſucht. Da ſah er Ffreilih Wunder.
Das Weib kam ihm mit gellenden
Frendebezeigungen entgegen: „Der Ja—
fob! Und wie gehts denn im meinen
lieben Altenmoos ?* Nach Allen und
Jedem fragte fie und wie er erzählte,
daß auf dem Knatſchel-Feldgrund junge
Bäumchen flünden und das Haus fein
Fenſterglas und fein Dach mehr habe,
da fuhr fie fih mit der Schürze über
die Augen.
„Ihr werdet ja gar fein Hochwafier
mehr haben zu Altenmoos,“ rief der
Knatſchel in guter Laune.
„Warum?“ fragte der Jakob.
„Nun, ich meine — jeit die Weiber
ausgewandert find. Wie es jegt immer
Mafjer gibt des lieben Altenmoos we—
gen, Jo hat es dazumal Waſſer gege—
ben, wenn Hagel oder Mißwachs oder
andere Elendlichfeit ift gewest. Geh,
Jalob, unterhalten wir uns mit was
Anderem. Ein Kleines Nahmittagsbrot
wirft uns nicht verſchmähen.“
Und er dedte den Tiſch gar vor—
nehm mit fchneeweißem Linnen, feinem
Befted und gefchliffenen Gläfern. Dann
brachte er einen großen Laib Weiß—
brot, einen breiten Zeller mit Aufge—
ſchnittenem, brachte Butter und Käſe
und eine bauchige Flaſche goldigen
Meines.
„Was man halt jo Hat im Haus,
mußt Schon fürliebnehmen,“ jagte der
Knatſchel, indem er den Jakob zum Tiſch
drängte. „Sind halt nur Refteln, wann
Du einmal zum Mittagsinahl kommt,
braune wüchſen. Wenn es jo fort» | kriegft Schon was Rechtes. Pad’ an.
gienge, da müſſe er nochmals ans Hei- |3 ift Eigenbau, bis auf den Trunk.
raten denken, falls e3 unter den zwanz | Gelt, jo weis wachst das Brot bei
zigjährigen Dirndeln eine gäbe, die für) Euch zu Altenımoos Halt nicht. Trin,
ihn munter genug wäre. Nachbar, trink!“
Der Jakob ftieß an, nippte aber
Imur wenig. Der Knatſchel leerte das
Der Iahod Defuht feine fräßeren Glas In An Zug, dann verzog er
Rachbarsleute. das Geſicht, ſog mit Zungenklatſchen
Zur Zeit, als die Auswanderung ſeinen Gaumen aus und ſagte zu
noch im beiten Schwunge war, hatte ſeinem Weib: „Alte, Du mußt einen
der Jakob Steinrenter auf wiederholte | Friſchen anzapfen laſſen, dem riecht
dringende Einladung feinen ehemaligen | man jchon das Faß an. Das bin ic)
Nachbar Knatjchel in Sandeben bes nicht gewohnt. Tröpfel muß ich ein
oo
gutes haben im Haus. — Sud’ Dir!lehnten zwei Paar Wagenräder. Da
Eine aus, Jakob.“ Mit dem legten |diefelben zu den „perfönlichen“ Yahr«
Morten hielt der Gaftherr eine Hand niſſen gehörten, jo hatte der Verweſer
voll verfchiedener Gigarren Hin. Das |des Kampelherrn nicht davon Beſitz
ward dein arınen Bauer aus dem Alten- | ergriffen, und auch der Guldeifner, der
moos Alles auf einmal vorgefchüttet, | wohl darauf vergeflen haben mochte,
er wußte gar nicht, wo er zuerft an- ließ fie nicht fortbringen. So gieng
greifen jollte. der Jakob einmal hinaus, um zu fras
„Und nachher, rief der Knatſchel gen, ob der Guideiiner die Näder ihm
feinem Weibe zu, „nachher mußt Du verkaufen wolle, es fei zu Altenımoos
uns einen Kaffee kochen.“ Nebenbei | kein Wagner mehr, und gleichwohl fie
gudte er den Jakob jo von der Seite | feine fahrbaren Wege hätten, Wagen=
an, welchen Eindrud diefe Dinge auf |räder brauchten fie doch an den Feld—
feinen Gaft wohl machten. Da diejer | farren.
aber nichts desgleihen that, jondern | Das Haus der Guldeifner in der
ganz ruhig ab, ſchlug ihm der Knat- Krebsau ftand ftattlih da und hatte
ſchel plöglich die Hand auf die Achjel | viele Yenfter, wovon aber die meiften
und rief: „Na, Jakob, was fagft da= | mit weisen Läden verjchloifen waren.
zu? He! So leben wir halt in Sande | Eine Pferdeftallung mit Remife, im
eben, Noth und Kümmerlichkeit leiden | welcher zwei glänzende Kaleſchen ftanden,
wir feine, daran Haben wir zu Alten= weiße Kieswege vor dem Haufe und
moos fatt bekommen. — Alte, was er ein großer Teich waren das erfte, was
nicht ißt, das ſchlag' ihn in ein Par |dem Jakob auffiel. Er ftieg die breite
pier, ſoll's feinen Leuten heimbringen.“ | Antrittstreppe hinauf und drüdte an
Jet Stand der Jakob auf und der Thürklinfe. Das gieng aber hier
fagte: „Vergelts Gott. Wir leiden |nicht jo, twie bei anderen Thüren, fie
feinen Hunger daheim. Mich gefreuts, | war verjchloffen. Mehrmals Eopfte der
daß es Euch gut geht, und ich wünfche | Jakob mit dem eingebogenen Finger,
viel Glück.“ daß es drinnen laut wiederballte, bis
Damit gieng er davon. Lieber, als er endlih den Glodenzug ſah. An
das fürnehme Eſſen, wäre es ihm ger |dem zog er. Bald darauf rafjelte die
wejen, went ihn der Knatſchel in! Thür auf und ein Mann in dunkel—
feinem Hause und Wirtjchaftsgebäude | blauer, fait joldatifcher Kleidung mit
umbergeführt hätte. Wie es mit dem großen funkelnden Knöpfen fragte,
Korn- und Heuvorräthen und mit den was man wolle.
Viehftand befteilt fei beim KAnatjchel, Der Jakob gab an, dab er mit
das hätte er willen mögen. Nun, man dem Guldeifner fprechen möchte.
fann ſichs denten, wer ein ſolches Wen er bei der Herrichaft zu
Nahmittagsbrot auftiichen kann, bei | melden habe? fragte der Diener.
dem werden Häften und Ställe auf „Ih bin der Reuthofer zu Alten-
das Erkledlichite verfehen fein. moos und möchte dem Guldeifner
Als der Jakob fort war, fahte der | gerne die MWagenräder ablaufen, die
Knaätſchel mit beiden Händen die Reſte er in der Mühle ſtehen gelaffen hat
und ftedte fie in den Mund. Dann |umd vielleicht nicht mehr braucht.“
wurden die Teller, Gläſer und Beltede Der Diener machte dem Jakob
zum Wirt zurüdgeichidt und dem Wirte | die Thür wieder vor der Naje zu
fagen laſſen: „Dazujchreiben.“ — und man hörte, wie er drinnen die
Nicht lange hernach hatte der Jalob | Treppe hinaufitieg. Der Jakob fegte
Anlaß, beim Guldeifner in der Krebsau ſich an den Antrittftein. Weil der
vorzufprechen. Daheim in der zerfale ſchwarzblaue Mann lange ausblieb,
lenden Getreidemühle des Guldeiiner ſo dachte er: Jetzt werden fie gewiß
486
— — — — — — — — —— — — — —
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einen Empfang herrichten, ſo wie beim
Knatſchel; ich brauch’ das aber nicht,
ein redlich Grüß Gott und ein Trunk
Waller ift mir lieber, als das ganze:
herriſche Gethue.
Endlich kam der Diener zurück:
„Der gnädige Herr läßt ſagen: Die
Ber darauf hieß es, er fei ges
ftorben.
Bon vielen Anderen hörte man gar
nichts, nur ein ehemaliger Knecht des
Stindl im Stein ftand in der Zei—
tung, die der Sandebirer Pfarrer hielt.
„Aus dem Gerichtsfaal” hieß der Artikel.
Näder jchenkt er Ihm“. Klapps war Auch weiteren Bauernfnechten, die
die Thür wieder zu und der Jakob | aus Altenmoos auswanderten, um in
ftanıd da und wußte, wie er d'ran den Vorgegenden Dienſt anzunehmen,
war. Nachdenklich gieng er nach Hauſe, ergieng es nicht auf's, Beſte. Sie
und daß wir der Zeit vorgreifen, die fanden dort ſchmälere Nahrung, aber
zwei Paar Wagenräder ſind in der augeſtrengtere Arbeit. In Altenmoos
morſchenden Mühle vermodert. hatten ſie beim Bauer zur Familie
Beim Rodel wäre es dem Jalob gehört, in den neuen Dienftorten
fiherlich befjer ergangen, hätte er der. wurden fie wie nothwendige Uebel, mit:
Einladung rechtzeitig Folge geleiftet. | unter fchlechter wie die Hausthiere
Der Rodel hatte unten in Marienthal behandelt; natürlich, ein ſchlecht be=
eine Mufterwirtichaft errichtet. Es Handeltes Hausthier verliert an Geld—
war zwar in Marienthal ein anderer | wert. Der Dienſtbote, wenn er an
Boden, als oben in Altenmoos, ein Kraft verliert, gehört in's Armenhaus,
anderes Klima, es waren a ar Po fie eins Haben. Die gebornen Al⸗
andere Verhältniſſe; der Rodel hatte tenmooſer haben keins, ſie dürfen
ſich in den Kopf geſetzt, den dortigen betteln gehen.
Bewohnern zu zeigen, wie ein Banern- | Bon den langen Feierabenden, von
gut zu betreiben iſt; er wirtſchaftete der üppigen Feſttagskoſt, wie in Alten—
ihnen was dor mach Altenmooferart, | moos, dort feine Rede, jo fruchtbar
und als der Jalob den Beſuch machen |
wollte, Hatte der Rodel ſchon abge—
wirtjchaftet.
Klüger in feiner Art hatte es der
Klachel angeftellt. Damit er nicht abwirt—
ſchaften fönne, hatte er fich gar keine Wirt»
ſchaſt mehr getauft, fondern im Wirts—
haus zu Sanct Ulerih eine Stube,
gemietet. Dort verthat er fein Geld. |
Und als es vertdan war, kam er zum
Jakob nah Altenmoos, mannte ihn
feinen liebften Freund, den er nicht
vergeflen könne und wollte von ihm
die Gegenden auch waren. Selbſt au
Sonntagen durften fie micht ihre
eigenen Herren fein. Ein alter Knecht
wollte jeiner Gewohnheit, alljonntägig
mit den Hausgenoſſen laut den Roſen—
franz zu beten, aud draußen gerecht
| werden, et wurde darob verlacht und
verhöhnt, bis er wieder in's Gebirge
zurüchgieng.
| Der Lohn war freilich viel größer
draußen. In Altenmoos Hatten fie
vom Hausvater das Gewand bekommen,
drangen erhielten fie dafür das Bar—
Geld ausborgen. Der Jakob entgegnete: gel. Aber die Stleider mußten feiner
„Klachel! jet könnte ich Dir die | und vornehmer ſein, wie im Gebirge,
Leviten leſen und dann zehn Gulden man durfte in der Mode nicht zurück—
fchenten. Aber ich lefe nicht und ich bleiben, das koſtete Geld. Wirtshäufer
Ichenfe nicht. Ein Stüd Brot, wenn! waren auch überall und andere Unter—
Du magft ?“ haltungen, das koſtete Geld. Der
Bom Sepp in der Grub, der Verkehr mit dem andern Gejchlecht
weit fort gekommen war, hörte man war ein freier, Niemand nahm daran
anfangs, daß es ihm und feinen Leuten | Anſtoß, aber Geld koſtete es, Geſund—
gut ergebe, nur abımagere er, trotz heit koftete es, und wenn der Dienft=
der fetten Gegend, in der er wohne. bote einen Verſtoß begieng, alsbald
488
die Drohung mit den Gendarmen.
Und wenn er alterte, in den Wintel
mit ihm, wie mit einem verbrauchten
Beien.
Was fchrieb doch eine Tochter des
Fock, die nah Graz gegangen war,
um eine Frau zu werden? „Herren—
dienen ift wohl hart, jeit einem Jahre
der dritte Dienst, “ ſchrieb ſie einer Freun—
din nah Daufe. „Arbeit vom frühen
Morgen bis in die Späte Nacht, und Efjen
nur, was beim Herrſchaftstiſch übrig
bleibt. Alle vierzehn Täg’ einmal ein
paar Stunden freie Zeit zum Aus—
gehen. Derſpart noch nichts, geht Alles
für's Gewand auf. Aber viele Solda—
ten, faubere Sterle. Die Gnädige ift ein
Drad’, der Herr ift gut. Wenn's
nur bald Ernſt thät werden mit dem
Hausmeiſter, aladanı bin ich eine
gemachte Frau.“
Ein früherer Knecht des Steppen=
hofes war in ein großes Walzwerk
gegangen, der fchrieb jeinem Wetter
nah Altenmoos verworrenes Zeug
von einer neuen Gerechtigfeit, von der
rothen Welt, von Eroberung des
Capitals, von Gleichtheilung der Güter
u. ſ. w. „Sparen thun wir nicht,”
ſchrieb er, „wenn's kracht, kriegen wir
eh genug.“
Derlei und anderlei war von den
Ausgewanderten zu erfahren. Der
Salob wollte nichts davon hören. In
Altenmoos war das anders gewelen.
In Altenmoos war feiner Herr und
feiner Sclave, keiner reich und feiner
arın geweien. Je mu, wie fie ich
betten, jo follen fie liegen. Gelber
gethan, felber gelitten. Wen micht zu
rathen, dem ift nicht zu helfen.
Wie fo aber kommt's? fragte fich
der Jakob.
Eine junge Haushüterin und was
fie für Gefahren beſteht.
So hatte ſich es der Reuthofer
allmählich abgewöhnt, feine früheren
Nachbarn zu bejuchen oder nachzu—
fragen, wie es ihnen ergebe. Wohl
gieng er an jedem Sonntag hinaus
nach) Sandeben zur Kirche, wovon er
immer mit einer Rückentrage zurück—
fehrte. In Altenmoos waren die Ge—
werbsleute und Handwerker abgekom—
men, weil fie bei der geringen Bevöl—
ferung nicht mehr leben konnten. So
mußte man Nöde und Schuhe, Pflug:
Iharen und Holzgeräthe und was
derlei Dinge waren, in Sandeben
machen laſſen. Lebt ſah der Jakob,
dak man ſelbſt in Altenmoos ohne
Bargeld nicht mehr beftehen fonnte.
Einmal — es war am Heiligen=
dreifaltigfeitfonntag waren der
Jakob, fein Weib und der Friedel
nah Sandeben gegangen, um eiferne
Eggenzähne und Futterſenſen nach
Haufe zu tragen. Auch das Gefinde
hatte fich zeritrent nach freiem Be—
lieben. Die Zeit, da es auch an Sonne
tagen dem Hausvater freiwillig einen
Dienft erwiefen, war vorbei; er mußte
froh fein, wenn ihm die paar Dienſt—
boten auf dem Hofe blieben, jet, wo
Jedes ih draußen etwas Beſſeres
ſuchen will, al3 einen Bauerndienſt
in der Dednijs.
Die Angerl war allein daheint,
um das Haus zu hüten. Sie verriegelte
die Thür, Iniete an den Tiſch und
hielt fill und Fromm ihre Sonntags—
andadt. Zu den offenen Fenſtern
leuchteten die gegenüberliegenden ſon—
nigen Waldlehnen in die Stube, eine
Hummel läutete zu einem Fenſter
herein, zum andern hinaus, Es war
ein Heiliger Frieden ringsum und
das Mädchen betete zum Schußpatron
des Haufes, zum heiligen Apoſtel
Jakobus.
Da ſchlug draußen der Kettenhund
an. Am Fenſter erſchien der muntere
Blondkopf eines jungen Burſchen.
„Geld oder Blut!“ gröhlte er herein.
„Ja Freilich,“ lachte die Angerlh,
„der mich erſchrecken wollt', der müßt'
ein anderes Ausgeſchau haben wie Du“.
„Den Kettenhund könteſt juſt los—
laſſen,“ ſagte nun der Burſche, „fünf
Junge im Kobel. Mich erbarmt das
Vieh. So eine Familie haben und an
der Kette Hängen — es ift ein Hun—
deleben.“
„Laß ihn nur los“, ſagte fie.
„Ich bedank' mich“, antwortete
er, „wir zwei ftehen micht gut zuſam—
men, der Waldel und ich. Aber das
magft mir glauben, wenn das BVieh
ledig iſt, dann gibt's eine Ruh’ in
der Nacht. Es beflt nur an der Fette.“
„Dich wird fein Bellen wohl nicht
irren, drüben beim Hüttenmauſer—
Haus.“
„Drüben nicht, aber herüben,”
flüfterte dev Burſche, „willft jegt wicht
die Dansthüre ein wenig aufmachen,
Angerl?”
„Mein Bürfchel, das will ich nicht, *
antwortete das Dirndel in denfelben
Tone.
„Alsdann werde ich halt beim
Fenſter Hineinfteigen.“
Sie nahın die breite Holzart, die
an der Wand hieng, hielt diefelbe gegen
das Fenſter und fagte mit drohender
Geberde: „Sobald Du den Kopf herein
ftedit, purzelt er unter den Tiſch
hinab!”
„Iſt Schon recht,“ antwortete er,
„und ich will mich juft einmal von
Dir köpfen laſſen.“
Er ſchwang ſich, ſteckte den Kopf
herein, ſtemmte den Arm nach, ein
Ruck und der junge hübſche Kerl ftand
in der Stube. Dort war fein Erites,
dab er die Art nahm und mit dem
Daumen ihre Schärfe prüfte. „Sie
hat wohl eine gute Schneid,“ ſprach
er, „aber weißt, Dirndl, ich hab’ halt
noch eine größere.“
„Seht, weil Du ſchon da bift,
mußt Du mir beten helfen,“ fagte
die Angerl und kniete mit dem Roſen—
franz wieder an den Tiſch. „Zwei
richten mehr aus, als Eins,“
„Das wohl. Aber nicht beim Beten,“
antwortete der Burfche und legte feinen
Arm um ihren Naden.
„Uh, wohin willft denn mit mir
fahren, daß Du mir ein jo ſchweres
Halsjoch anlegſt?“ fragte fie.
489
| Da rih er fie an fih und küßte
ſie mit heißer Freude auf den Mund.
Sie ftieß ihn ab und entwand
ih. Glühend roth im Geficht gieng
fie Hinaus in die Küche. Sie hätte
wohl ein wenig jcherzen mögen mit
ihm, aber an das, was ihr jeßt
pafliert, hätte fie nicht denken können.
Als er ihr nachgieng, fand er fie
gegen die Wand gelehrt und weinend.
„Anger,“ ſagte er mit weicher
Stimme und legte feine Hand leiſe
an ihren Arm, fie ließ den Arm von
fih. Er ftand da, ſchaute vathlos um
fih und wußte nicht, was er beginnen
joflte. Sie weinte.
„Biſt du böfe auf mich, Angerl?“
fragte ev endlich.
Sie gab feine Antwort, Auf dem
Fletz lag ein Holzipan, dieſen ſchob
der Burſche mit der Schuhſpitze gegen
die Wand Hin; er mußte dort aber
nicht richtig liegen, denn jetzt büdte
fih der Knab', Hob den Span auf
und wendete ihn in der Hand mehr»
mals bin und her. Daun gieng er
langfam gegen die Holzafen und legte
ihn darauf. Ein wenig hinter den
Ohren kraute er ſich, hernach machte
er einige Schritte gegen die Thür
und fagte wie für jih Hin: „So,
jet werde ich gehen“. Bevor er aber
gieng, fehrte er nochmals zum Dirndl
um und fragte ſchier verzagt: „Angerl,
bift Du böfe auf mich 2“
Sie ſchüttelte kaum bemerkbar das
Haupt, verhüflte aber immer noch ihr
Angeficht und Schluchzte.
Ihm war das leichte Kopffchütteln
genug gewejen, wie auf Flügeln, jo
leife eilte er zur Thür, entriegelte fie
und gieng hinaus. Sie wird’s ſchon
noch gewohnt werden, dachte er, jeßt
gefällt fie mir erit.
Als er duch den Reußgraben
hinabgieng, ſah er unter einer Tanne
den DOberförfter Ladislaus ſitzen, der,
das Gewehr zwijchen den Beinen hal—
tend, eben jeine Feldflaſche in den
Mund ftülpte. Der Burfche wich ihm
ans, Er hätte ihn Höflich grüßen
490
müſſen, und das wollte ev nicht. Die
paar Bauern zu Altenmoos waren ja
hier auf die Gnade des Förfters ans
gewiefen, und der Hüttenmanfer ganz
bejonderd. Der Oberförfter konnte
Arbeit im Walde vergeben, an wen
er wollte, jo auch Brennholz und
Stallftren; der Hüttenmauſer Hatte
kaum hundert Bäume mehr ftehen auf
feinem Grund. Ueberall Heißt es, wäre
gejorgt, daß die Bäume nicht in den
Dimmel wacjen, an den Feldrainen
de3 Hittenmauferd war dafür eben
nicht gelorgt, dort fonnten die Bäume
de3 Steppenwaldes jo Hoc in den
Himmel Hineimvachfen, daß die Aecker—
lei fchier feine Sonne mehr Hatten.
Der Förfter ließ die Bäume an den
Rainen weghaden. Er konnte den alten
Hüttenmauſer gut leiden. Auch zur
Erhaltung der Wege trug der Ober:
förjter bei, hingegen jagte er häufig:
„Meine lieben Hüttenmanfer= Leute,
mit mir müſſet Ihr artig verfahren,
ich kann Euch erftiden, wann ich will,
ih kann Euch verdurften laſſen, wann
ich will, Euer Hausbrunnen entipringt
in meinem Steppenwald. Meine lieben
Leute, Ihr gehört mir mit Daut und
Haar!" Er mißbrauchte . feine Ober:
macht nicht weiter. Sam aber oft
herüber von feinem Yägerhaufe, das
in einem Miefenthal des Stodwaldes
ftand. Er Hatte, obzwar ſchon ein
wenig Frumm an den Knien und am
Nüdgrat, feine befonderen Paſſionen,
die ihm der alte ſchlane Hittenmaufer
verwirklichen Half. Der junge Hütten
maufer jedoch, der Florian, war dei
Oberförfter insgeheim nicht grün. Er
verabfcheute den alten Sünder umſo—
mehr, als er ihm unterthan fein mußte.
Da hatte der Dberförfter erſt vor
Kurzem eine lange Seidenſchnur ges
zeigt und gefagt: „Florian, willft Du
meinen Roſenkranz ſehen?“ Da der
Burfche nicht wußte, wie das gemeint
war, fo jehte der Ladislaus bei: „So
einen wirt Du auch noch abbeten,
wie Du ein Kernjunge bift auf und
auf! Sicht Du, Knoten Habe ich
d’ran, es Sind ihrer bald Hundert,
wenn Du fie zählen willft. Jeder diefer
Knoten, wenn Du willft willen, be—
deutet ein ſauberes MWeibsbild, mit
dem ich gute Kameradſchaft gehalten.
Verſtehſt?“
Je älter der Kerl wurde, deſto
ärger prahlte er mit ſeiner ſchmierigen
Knotenſchuur herum, und er trug fie
immer, in einen ledernen Beutel ge—
faßt, mit ſich und Hatte noch die
Dreiftigfeit zu Jagen: „Das iſt mein
Naitzettel, jo viel Tagwerke ift mir
der Herrgott Schon Jchuldig worden und
wenn er einstmals Leute brauchen follte,
das Altenmoos wieder anszurenten,
jo foll ev mich nur voranlaffen. Ich
bin ein alter Jäger!“
| Der Florian hatte ganz recht, jo
Einem weicht man aus, wenn man
ihm nicht eine Tracht Dafelitrauchenes
über den Rüden ſalzen kann. Hätte
der Burſche erit gewußt, wohin der
| Oberförfter heute zielte!
Der Ladislaus ftieg Hinauf zum
Neuthofe und trat in's Haus. Das
‚Mädchen erjchraf vor ihm, that aber
ſchalkhaft und dachte: Foppen thuft
ihn, aber jo nahe wie den Florian
laͤſſeſt ihn nicht heran.
Ob ihr nicht die Weile laug würde,
jo mutterſeelenallein im Hauſe? war
ſeine freundliche Frage, ob er ihr nicht
die Zeit ſolle vertreiben helfen?
„Wäre ſchon recht,“ meinte ſie,
„Zeitvertreib hat man alleweil gern.“
Ob ſie nicht ein paar Schluck
Meichjelgeift möge? Er zog ein irdenes
Plutzerchen aus der Waidtajche.
„Iſt mir gleich recht. Bin eh ſchon
durſtig.“
Sie nahm den Plutzer und wie
ſie ihn an den Mund führen wollte
und er ihr noch zuſprach, tapfer ein—
zufchlürfen, entglitt ihr das glatte
Ding aus der Hand, dal auf dem
Fletz Scherben und Weichjelgeift ſtern—
artig auseinanderfprangen.
| Die Anger erhob ein Gefchrei
‚über ihre Ungefchidlichkeit ; der Ober:
491
förfter verbiß feinen Werger, ex lachte
äußerlich, fie innerlich.
Jetzt ſchlug draußen der Setten-
hund an. Der alte Lufchel Peter!
trippelte über den Anger baftig heran.
Die Zeit und die Gicht hatten ihn ſchon
ſoſehr nach vorwärts gebeugt, daß es
zu jehen war, als fuche er immer
eiwas auf dem Erdboden.
„'s jegi wird leicht eppa namla wul
fein,“ fagte er gerne in feiner befon-
deren Nedeweife, „meine Liegerftatt ſuch'
ih mir. Ja hiſch wul g'wiß ah, ja.“
und als es wieder zu fich kam, Hub
es weidlih an zu fchelten über die
unbarmherzigen Leute, die draußen in
Sandeben Wein trinken und einer
armen fterbenden Perſon Wafler und
nichts als Waffer in den Mund gießen.
Die NReuthoferleute machten ſich
nichts draus, jondern ſchleppten das
erbarmungswiürdige Geſchöpf mit ſich,
labten es zu Hauſe mit einer warmen
Suppe und brachten es zu Bette.
„Mit ſo einer Perſon,“ meinte
die Maria, „der ſie das Leben ver—
Als der Hund die wohlbekannte giftet haben und die es ſich ſelber
Geſtalt ſah, war er ruhig, hingegen
‚immer wieder vergiftet, weil fie wie
erhob er einen gellenden Lärm, als ein Arfenikeffer ohne Gift nicht mehr
der Oberförfter aus dem Hauſe trat. leben kann, muß man doppelt gut fein.
Ohnehin höchſt mißmuthig, ärgerte ihn | Da ift mir allemal, als fehe ich dem
ein ſolches Hundegebell, welches, jchon |lieben Gott dor mir ftehen und die
am Tage jo läftig, erft in der Nacht Hände falten: Leuteln, mit dieſer
unansftehlich fein mühe. Zudem ver= | Pilgerin habet mir doch Geduld, fie
Iheuche es das Wild in den nahen
Maldungen. Er nabte den Kettenhund
jo weit, daß diejer nach feinen Beinen
Ihnappen fonnte. „Oho! beißen!
Mart’, Bürſchel“, fagte er, „Du wirft
bald Treierabend haben!" Nahm das
Gewehr von der Achjel und ſchoß das
Thier nieder.
Die Anger! wußte fih vor Herz—
weh nicht zu laffen, als fie den blu—
tenden Leichnam des treuen Hause
wächters an der Kette liegen jah, und
die fünf Jungen winfelnd und die
Wunde beledend ihn umkreisten.
As am fpäten Nachmittage der
Jakob und fein Weib Maria nad
Haufe kamen, brachten fie mebft den
Eifenzähnen und Senfen die taube
Rebekka mit. Das war die alte Eins
legerin, ein boshaftes, unfauberes Wei:
bei, das nichts hörte und dem ganzen
Tag keifte. Sie trug fehr viel Elend
und Entbehrung, weil jie nirgends
wohl gelitten war. Der Jakob hatte
lie heute draußen auf dem Schutt—
haufen, wo das Bachhäuſel geftanden,
ift mir Halt ein wenig mißrathen und
kann felber nichts dafür. Ich will fie
ja bald zu mir nehmen, nur ein klein
Meilchen noch achtet mir auf die Re—
befta, fie ift Euere Schweiter, ſie ift
halt auch mein Kind.“
Mod einmal paart ſichs in Alten-
moos.
In der darauffolgenden Nacht ge—
ſchah es, daß der junge Florian Hütten—
mauſer plötzlich geweckt wurde. Er lag
im Schafſtalle ſo hoch an der Wand,
daß die Schafe nicht emporlangen konn—
ten, ihn zu belecken. Wohl aber war
es ſchon geſchehen, daß ein Zipfel der
Bettdecke hinabhieng und daß fie bei
diefem Zipfel das Zeug zu Boden
zerrten; da hatte der jchlafende Burſche
nichts, um fich einzuhüllen, als die
dichte dunſtige Finfternis des Stalles.
„Knabe! Knabe, heb’ Dih!* Ein
zweifacher Stoß mit der Fauſt, das
ift genug. Das wedt fogar einen ges
funden Bauernburfchen aus den erſten
zwiichen Difteln und Nefleln kauern Schlaf. Und vor Mitternacht, das it
gefunden, ſchier bewuhtlos vor Er—
Ihöpfung. Er und die Maria hatten
noch der erſte Schlaf. Da ſich der
Florian nicht ſobald ermuntern konnte,
das arme Weſen geatzt mit Waſſer; er war gewißlich in einem ſüßen Traum
492
geſchwommen, jo ziichelte ihm Einer
ins Obr: „Florian, es brennt!“
Daß er — der da wedte und
ſprach — e3 jo heimlich fagte, ift fein
Wunder, denn ed war ein heimlicher
Brand. Der Ladislaus ftand da, fein
Anderer, als der Oberföriter der Mäl-
der des Kampelherrn hatte fich im den
Schafſtall geichlichen um den jungen
Baner zu weden, denn heute fonnte
ex diefen beſſer brauchen, als den alten,
der nicht gelenkig genug war, um für
alle Fälle... .
„Florian!“ fagte der Oberförfter,
al3 ſich der Burfche ein wenig empor—
gearbeitet hatte, „ich weiß mir nicht
mehr zu helfen, mein Rofenkranz muß
einen neuen Knoten kriegen heute Nacht.
In den Neuthof gehe ih hinauf. Du
gehft mit, mußt auf der Wacht ftehen.*
Wenn er ihm das Kopfabfchneiden |
versprochen hätte — des Florian feiner
fand Frifch und keck genug auf dem
neunzehnjährigen Rumpf — es wäre
dem Burfchen nicht jo arg gewejen,
al3 diefer Befehl. Er wußte nur zu
gut, was das zu bedeuten Hatte: der
Oberförfter gebe in den Reuthof hin—
auf. Für nächtig Stund’ ein Kreuz—
zeihen machen ijt allemal gut, aber
„Solls bleiben lafjen, der Herr,
wenn er Schon allein —“ feine Kuraſch
hat, wollte der Florian beifegen, zum
Glüd gelang es ihm, das Wort zwi—
chen den Zähnen todt zu beißen.
„Der Hund ift ja hin. Wenn nur
das alte Beeft nicht im Haus wäre,“
ſagte der Oberförfter, er meinte den
Luſchel-Peterl, der nächtlicher Weile
manchmal um’s Haus herumfchlich und
Lärm fchlug, wenn er etwas Verdäch—
tiges gewahrte. „Der lärmt ſchon,“
meinte der Yadislaus „wenn um Hol—
lerbuſch einmal ein paar Nachtigaflen
miteinander jcherzen. Natürlich, diefer
Vogel, was Hat der ſchon für junge
Leute verführt!“
Kurz, der Florian mußte mit dem
Förſter gehen.
3Zuwanzig Minuten Später ftand er
beim Neuthof an der Hausede, wo er
einerjeit$ die Wand mit dem tödtlich
fühen Fenfter, an dem der Oberförfter
ftand, andererſeits die Stallungen, den
bekannten Moosbären und den Weg
überſehen konnte. Ueber der Linde ftand
der Mond, der machte ein Spitzbuben—
gelicht, als wollte er dem Burfchen einen
guten Math zuflüftern. Der am Him—
mel jelbft jchien es zu begreifen, was
befier, denn eins mit dem Daumen das für eine Bein fein muß, eine
über das Geficht, ift eins vom Schmied | graufame Bein, wenn ein Anderer am
im Fenſter. Am vorigen Somntag Fenſter Deines Liebchens fteht, und Du
hatte es ihn gefrent, den Florian, dab | mußt fieben Schritte davon in den
manche Fenſter im Reuthofe feine Gitter Erdboden gewachjen fein wie eine Pap—
haben, heute ärgerte es ihn hölliſch. | pet. Und ſollſt zufchauen, wie des
Der Jakob ift viel zu umvorfichtig. |fremden Buhlen Kopf zum Fenſter
Wache Halten! An der Hausede hineintrachtet. Und Haft Du jemals
Mache halten, ob nichts Gefährliches
vorgehe, während der alte Sünder au
ihrem Fenſter fteht. Den Dienft ver-
weigern? Undentbar, und ſchließlich
immer noch befjer, dem Vorgang in
der Nähe fein, als im Scafftall zu
geſehen, daß, wenn der Kopf irgend
wo hin will, der übrige Kerl zurück—
bleibt? Aber deß war der Florian
entſchloſſen, wenn es zu dieſem Aeußer—
ſten kommt, jo ändert er ſeine Stellung!
| Das Herz that ihm weh zum Sterben.
liegen, dieweilen die Angerl etwa eines | Ein Bengel, der ſchon öfter als fünf—
Schützers bedarf. undvierzigmal Faſtnacht gefeiert, ein
Doch machte der Florian noch den | Wirbelthier, dem man um feinen Hals
Einwand: „Es kann aber regnen in den Anoten machen foll in der be=
diefer Nacht.” kannten Seidenschnur, diefer Menſch am
„Macht nichts," antwortete der Fenſter der laubfrischen Anger! — Das
Oherförfter, „ich fommme unter Dach.“ ; Herz that dem Florian weh zum Sterben.
493
Plöplih war der Oberförfter vor auf den naſſen Raſen hinlegen.
| mir liegt ja nichts.“
dem Fenfter verschwunden.
Eilig lief der Florian hinüber zum |
Moosbaaren. Bon früher her wußte
er, daß dort der Luſchel-Peterl fchlafe.
Mit dem wollte er ſich raſch verbinden.
Mie das VBreiterthor des Moos—
baaren jonft von außen zuzufperren |
An
Ein wirkſameres Wort kann Keiner
finden. Im Augenblicke wurde das
Dirndel übermannt, aber nur von
Mitleid.
„Hätteſt ja wohl Platz gehabt im
Moosbarren,“ ſagte ſie, „wenn nicht
geweſen, jo war es heute nach innen die alte Rebekka in meinem Stübel
zugehängt, der Burfche riß das Kette
chen mit Gewalt entzwei.
„Wer ift da?" hörte er fragen in
der Hammer. Eine Weiberftinmte. Der
Florian ftand wie an die Schwelle ge=
wurzelt, über ihn jchien der Mond |
hinein, um zu kundſchaften; aber der
kam nicht weit, hart vor den Burfchen |
auf die Dielen legte er fich breit Hin, |
und was im finfteren Hintergrunde
war und gerufen hatte, das ſah er nicht.
„Wer iſt da?“ rief es ein zweites—
mal ſchneidig, nun brannte auch ſchon
das Streichhölzchen, das ſie hoch em—
porhielt, während ſie die andere Hand
als Blende über die Augen legte.
Der Florian lonnte die leichtfer-
tigen Ausrufe Heiliger Namen nicht
leiden, aber diesmal rief er jelbft, und
fiher zum erſtenmal in feinem Leben:
„Jeſus Maria Joſef! — die Anger!”
Da ſaß fie auf dem Strohlager
und weil das Flämmchen jchon ihre
dinger bedrohte, fo zündete fie raſch
die Talgkerze an, die neben dem Bette |
auf dem Fle Stand. Und eilig hatte
fie e$, das weiße Hemdlein über ihrem |
Busen zufammenzuziehen, der Fühlen
Nachtluft wegen.
„Anger!“ jagte der Florian und
jhier die Hammer begann zu tanzen
um den berwirrten Jungen, der dor
lauter Befangenheit nicht zu unter—
Icheiden vermochte, ob er plößlich im
Himmel oder in der Hölle fei. „Az |
gerl, wie fommft Du da her?“
„Das will ih Dich fragen,“ ant—
wortete fie ganz unbefangen; „wenn
Du Dein Bett juchft, Florian, im
Reuthof ftehts mit.“
Hierauf entgegnete der Burjche gar |
verzagt: „Will ich mich halt draußen |
thät liegen.”
„Die alte Rebelka thut heut’ jchla=
fen in Deinem Stübel?* fragte der
Ylorian.
„Junge Leute müſſen den alten
allemal das Vorrecht laſſen, voraus
wenn ſie ſo mühſelig ſind, wie die
Rebekka. Für mich iſts da auch gut,
ich mag auf Glasſcherben liegen, wenn
ich fchläferig bin.“
Die Füße des Burſchen hatten mitt—
| fermeite ein paar ganz beſcheidene
Schrittchen gemacht hin gegen den Stroh—
ſchaub.
„Erlaubt es denn Dein Vater, daß
Dur Licht brennſt in der Strohkammer?“
„Sonst thäte ich ja den jungen
Hüttenmaufer nicht ſehen,“ ſpottete
fie, „So ſaubere Leut’ muß man fich
anschauen.”
„Alsdann auch das lange Haar
aus dem Geficht, font fiehit Du mich
nicht,“ fagte der Schall und beugte
fich zu ihr nieder, um die ſchwarzen
Loden, die etwas verworren über ihr
Antlif und den Buſen wallten, mit
feinen fleißigen Händen zu ordnen.
„Oho!“ verſetzte fie, „haarmachen,
das kann ich Schon felber! Letztlich halt
mich überliftet, heut’ bin ich gejcheiter, “
fahte mit ihren Händen die feinen
und hielt fie feit. Den Ylorian freute
es, daß er fie heute feder fand, als
am vorigen Sonntag. Ein Leichtes
wäre e3 ihm gewejen, fich zu befreien,
aber nicht um Himmel und Erde hätte
er ſich diefer Gefangenschaft entziehen
mögen. Er fniete vor ihr und von
ihren Armen gefeffelt ſchaute er ihr
in die Augen,
In diefem Augenblick gieng zur
offenen Thür der Jakob herein. „Seht
liegen fie fich freilich los, kauerten
aber wie arme Sünder da und regten
fih nicht. Die Angerl verdedte mit
ihren Händen Bufen und Geficht, der
Florian ftarrte trogig auf den Reut—
bofer und nur feine Augenwimpern
zudten. Der Jakob ftand in feinem
Nachtkleide völlig ſprachlos da und
ichaute fie aı.
„Anger,“ ſagte er endlich mit ge=
dämpfter Stimme, „das hätte ich nicht
gedacht, daß Du Jo falfch fein könnteſt
gegen Deinen Vater.“
Sie that einen Schrei, wendete ſich
und wimmerte in ihr Kopfkiſſen hinein.
„Wenn Du,“ fuhr der Vater fort,
„die Thür Deiner Hammer nicht von
innen willſt verjchliegen, fo wird Dir
viel Unglüd hineingehen über Nacht.“
Da richtete ſich der Florian auf
und fagte: „Sie Hat fie von innen
verjchloifen gehabt. ch habe fie mit
Gewalt aufgerijfen. Aber glaubt mir,
Neuthofer, ich bin nur Hergefommen,
um die Angerl zu ſchützen.“
„Ha ha!“ lachte der Jakob auf,
„Du wirft fie ſchützen! Bedank' mic.
Ich rathe Dir, Hüttenmaufer, daß Du
allfogleich Deine Beine probierft, fonft
könnten wir ungleich aufeinander ge=
rathen !*
„Fortgehen thu' ich jetzt nicht,“
ſagte der Burſche. „Wie es mit uns
zwei ſteht,“ er deutete auf das Dirndl
und fich felber, „Ihr könnt Euchs jetzt
denfen. Wir haben uns gern. Und
ih will wilfen, wie ich dran bin.
Kann ich fie haben oder nicht ?“
Der Jakob wollte dieſem herriſchen
Werber eine etwas dämpfende Antwort
geben, er thats aber nicht. Er dachte:
im Grunde hat er recht. Ich habe um
mein Weib auch nicht viel gebeten.
Wer eins ernähren kann, der hat das
Recht auf eins; wer mit einem ſo
gute Bekanntſchaft gemacht, wie es bier
der Fall zu fein jcheint, der hat die
Pflicht zu ihr.
viel Bitten!
Co fragte der Jakob nur: „Und
Mas ſoll's da noch mal wird fein
Es gieng lang ber, bis fie ein
Zeihen als Antwort gab. Diefes
Zeichen beftand darin, daß, während
ihr Gefichtlein noch im Kiffen ver—
graben war, fie ihre Hand ausftredte
nach der des Burjchen.
„Wenns Gott haben will!“ ſprach
jetzt der Jakob. „Sie iſt halt noch
nicht zwanzig Jahr alt. Aber das
muß ich ſagen: Das Zuſammenhalten
ledigerweiſe, das leide ich nie und
nimmer, Wenn es Dein heiliger Ernſt
iſt, Florian, und daß Du von Vaters
wegen auf Dein Hüttenmauſer-Haus
heiraten fammft, jo komme in einer
Woche ehrfam zu mir umd meinem
Meib und fage Dein Begehr. Wenn
bishin Kleines was dagegen Hat, nicht
Dein Vater und nicht mein Weib und
nicht ich und nicht fie felber, Jo kann es
uns gefrenen, daß zu Altenmoos fich
auch wieder einmal etwas paart in
Ehren. — Und jegt, Angerl, mad”,
dab Du mit mir ins Haus kommſt.“
Der Florian drüdte dem Mädchen
noch die Hand, berührte auch ein wenig
die des Jakob, dann taumelte er hin
aus und wußte nicht, wie jo plößlich
das hatte kommen können. Er war
jo viel al3 Bräutigam. Das, wozu er
jeit länger als einem Jahr vergeblich
Muth gefammelt hatte und wozu reich
lich ein weiteres Jahr vonnöthen jchien,
das war auf einmal vollbradt. Er
war jo viel al3 Bräutigam. Und dazu
muß erſt der Oberförfter fommen und
ihn mitten in der Nacht aus dem
Schlaf weden!
Mo war denn aber der Oberför-
fter? dort Hinter der Kapelle des hei—
ligen Jakobus ftand er, fuhr ſich mit
dem Taſchentuch iiber das Geſicht und
fluchte Einiges in die Bretter hinein.
„Bin ich noch vonnöthen?“ fragte
ihn der Forian.
„Geh' zum Teufel!“ knurrte der
DOberförfter. Der Florian dachte: dies»
Knoten gemacht in
feiner Schnur.
Am nächſten Tage fiel es den Leuten
was wirft Du dazu Jagen, Anger ?* lauf, daß der Herr Oberförfler ein zer—
ſchundenes Geficht hatte. — Mit einem
Lämmergeier hätte er gerauft, erzählte
er. Der Florian, der von diejer Mär
hörte, meinte bei fih: Wenn ich ſchon
einmal Oberförfter bin und kaun lügen
wie ich will, fo Lüge ich gejcheiter.
Mit der Heiratsgefchichte gieng es
wirklich fo glatt weiter, als es anges
fangen hatte. Der alte Hütlenmaufer
halte Ja gefagt, der Jakob und fein
Weib hatten Ja gejagt, die Verwand—
ten hatten Ja gelagt, und es war
Kleiner, der die Sache zu hintertreiben
juchte oder böfe Umrede bejorgte, wie
das fonft bei Heiraten, gleichfam als
zu den Hochzeitsgebräuchen gehörig,
üblich ift. Im feiner Herzensfreude war
der Florian ungeſchickt genug, e3 der
Anger! zu geftehen: „Daß ich Dich fo
leicht ſollt' kriegen, das hätte ich nicht
gedacht.“
„So ?“ entgegnete fie, „wer ſagt
denn, daß Dur mich kriegſt? Die An
deren, die Ja gejagt Haben, follen Dich |
ja mögen. Ich mag Dich nicht.”
So ernithaft brachte fie das vor,
das ihm Hören und Sehen vergieng.
Da dauerte er ihr und fie fiel ihm
lachend um den Hals.
Der Florian, durch die Liebe neu
ermutbigt, wollte nun fein Gütel wies
der aufrichten. Unter Anderem trachtete
er etwas zu Ändern, was ihm ſchon
lange ein Dorn im Auge, oder viel-
inehr im Ohr gewefen war. Der Name
Hüttenmaufer war ihm nicht recht. | den beiden
henden lachten.
Er behauptete, ſein Haus müſſe ur—
ſprünglich zum Hüttenmoſer geheißen
haben, und wollte ihn dahin abändern.
Allein fein Schwiegervater widerrieth
ihn das. Die Vorfahren, jo weit man
zurüchdenke, hätten Hüttenmauſer ges
495
an
Ich bin ritterlich genug, ihr Eigenthum
zurüchkzuſtellen.“
Angerl einen Kuß geben, im Augen—
dert von den Hochzeitsgäſten. Als ſie
auf die Sandlerhöhe kamen, wo die
Stiegel über den Zaun war, vitt auf
diefem Zaun der Ladislaus und machte
ein Feſttagsgeſicht, als ab er dazuge—
hörte.
„Hier rückt was Doppeltes an,“
ſchmunzelte er dem Paare entgegen,
„und das follte ich eigentlich gar wicht
über die Stiegel lafen ohne Maut—
grofchen. Ein Küſſel, denke ich, wird
nicht zu viel fein.“
„Bern!“ fagten die Zwei und
küßten ſich.
„So iſts nicht gemeint,“ verſetzte
der Oberforſter. „Ich will das Küſſel
haben.“
„Gern,“ ſagte der Florian, packte
den Mann und gab ihm einen Schmaß
auf die Wange.
Mittlerweile waren auch Andere
herbeigelommen und da wollte der
Förſter nicht der Ueberliſtete fein.
„Die ſchöne Braut ift ſehr be-
kümmert,“ fagte er, „dab ihr Herr
Bräutigam an diefem Tag einen Kup
einen Oberförſter verjchentt hat.
Damit wollte er der
blit war der Florian dazwiſchen.
„Oho!“ rief er und fuchte den Förſter
bei Seite zu fihieben. Dieſer ſtemmte
fih, es Hub ein Ringen an zwifchen
Männern und die Umſte—
Das Lachen währte
nicht lange, bald fahen fie, das Ringen
| war fein Hochzeitsſpaß, ſondern bite
terer Ernſt. Der Förfter hatte feine
Fauft dem Partner an den Hemd
fragen gekrampft um ihn zu würgen,
daraus erkannte der Florian, day Krieg
heißen, und fo folle es dabei verbleiben.
Es verblieb aber doch nicht lange | erflärt war, er nahm ihn auf als
dabei, daß fie Hüttenmaufer hießen. | einen Kampf mit dem Nebenbubler,
Die Trauung fand in Sandeben und nach einigem Hinundherfahren auf
ftatt, das Hochzeitsmahl aber bereitete, dem Nafen ſchleuderte er den Hörfter
die Maria auf dem Reuthofe. zu Boden.
Auf der Heimfehr von der Trau— Scheinbar gelaffen erhob Tich diefer,
ung gieng das junge Ehepaar — was | nahm vom Zaune fein Gewehr und
ganz jetbfiverftändtich ift — abgeſon- ſchritt finfter davon.
496
— — — —
„Der Oberforſter iſt gefallen!“ Zur Stunde wußten ſie nicht, wie
jubelten die Leute. das gemeint war.
Der Florian wendete fich langſam Später haben fie e3 wohl erfahren.
zu ihnen und jagte: „Der Hütten-
maufer ift gefallen.“ | (Fortjegung folgt.)
Das große 9.
Etijje von Paul Andor.
—8 jeher war es mein ſtiller kommen die Köpfe verloren. Und ab—
Wunsch geweſen, einmal einer! zuwarten, bis ſich fo viele krauſe
jener Größen, die die Geſchicke der) Ziffernbehälter wieder beruhigten, dazu
Welt lenken, allein im Eiſenbahncoupé fehlte es mir durchaus an Zeit.
zu begegnen, um ihr einige derbe Die Tagesblätter hatten nämlich
Wahrheiten zuzurufen, wie ſie ſie viel⸗ fataler Weiſe eben das Eintreffen
leicht niemals zu hören bekommt. Eine eines weltberühmten Financiers im
ſolche mehrſtündige Fahrt mit einem ihren Mauern brühwarm verkündet,
Monarchen z. B., oder mit ſeinem eines Matadors, der es liebt „mit
erſten Miniſter, auch allenfalls mit jedem jungen Jahr“ und ſei es auch
dem Papſt, oder meinetwegen mit im Herbſte, als deus ex machina auf
einem der Finanzkönige Europas, der Oberfläche irgend eines calamitoſen
wide ein koſtbares Zwangsmittel Geldmarktes zu erſcheinen und die
geben, um einen diefer Mächtigen der Welt mit Convertirungen, Orakel—
Erde feftzuhalten. Ein Entrinnen wäre ſprüchen, dunklen Andeutungen und
da kaum möglich, und er müßte nolens |
volens hören.
Diefen Hochgenuß Hatte ich mir
myſtiſchen Operationsvorſchlägen durch
einige Zeit in Athen zu Halten.
Natürlich richteten ſich die Blicke
Ihon oft mit der ſchönſten Schaden=|der ganzen Gejchäftswelt jofort mit
freude ausgemalt, und richtig, im Früh= | Spannung den neneften Wundern und
herbſt des vergangenen Jahres follte| Zeichen zu, die das Erfcheinen des
ih auch endlich etwas erleben. Gewaltigen wenigftens in den Spalten
Der Abſchluß eines wichtigen Ge- der Börfen= und national-ökonomiſchen
ſchäftes führte mich um diefe Zeit) Blätter ſtets begleitete. Alles ſchnupperte
nah X, einer großen Handelsſtadt; erwartungsvoll iu der Luft und Nies
ih) hatte dort ſehr bedeutende Ab-⸗ mand verjpürte Luft abzufchließen.
mahungen zu Ende zu führen. Unter! Was blieb mir Anderes übrig, als
ſolchen Umftänden läßt e8 fich ermeffen, | wieder abzuziehen und mich auf einen
wie groß mein Verdruß darüber war, | günftigeren Zeitpunkt zu vertröften.
daß ich, kaum angelangt und ſchon Das ich das goldige Geftirn, das
nad den erjten Unterredungen mit den | meine filberhellen Pläne fo unliebjam
Gejchäftsfreunden die Weberzeugung | vereitelte, nicht gerade fegnete, das wird
gewann, daß ich mich umverrichteter mir Niemand verdenken. Aerger und
Sache wieder umzukehren entſchließen Verdruß wirken auf gewiſſe Naturen
mußte. Mit den Leuten war im gegen— | appetitreizend. So kam ich am Abend
wärtigen Augenblick abfolut nichts an- meiner Rückreiſe mit einem Wolfs-
zufangen; Sie hatten allefammt voll | hunger am Bahnhof an, was die Bes
497°
ftellung eines copiöjen Imbiſſes in der
Reftauration zur Folge Hatte. Um die!
Ungeduld meines Magens zu bezähmen,
griff ih nach dem nächſten Brotforbe,
und da in deilen unmittelbarer Nach-
barſchaft das Abendblatt lag, langte
ih es mit berüber. Natürlich! das
erjte worauf mein Blid fiel — der
Name des goldenen Kalbes.
„Daß einen diejer lederne Geldfad
mit feinem Geklimper bis in das
Bierglas Hinein verfolgen muß’, jo
oder ähnlich äſthetiſch mag eine innere
Stimme bei mir geknurrt haben. Wie
lächerlich! Ich Hatte den Mann nies |
mals gefehen, und fo oft ich den omi—
nöjen Namen las oder nennen hörle,
erfhien vor meinen Sinnen immer
ein ganz beſtimmtes, ſcharfgeſchnittenes
Profil deutlich und bis in die Heinften
Details ausgearbeitet, jo daß ich es
hätte malen können.
Oft ſchon war es mir troftreich,
auch don Andern beftätigt zu hören,
tie fich mit gewilfen Orten und Namen
zuweilen jo beftimmte Vorſtellungen
Außer mir und einigen anderen
| Gepädsftüden war noch Niemand an—
wefend. Die Paſſagiere füllten vor—
läufig die Buffetzimmer. Das ge—
dämpfte Licht und die Ruhe in dem
mwohlteımperierten Raum Luflten mich
bereit3 in ſüßes Wohlbehagen, als die
Signalglode ertönte und die Reilenden
ih zu verfammeln anfiengen. Männ—
fein und Weiblein von recht alltäg-
lihem, umintereflanten Anſehen er—
ſchienen gepaart und einzeln, und erft
mit dem zweiten Pänten kam etwas
Leben in das nüchterne Bild. Es er—
ſchien ein elegant gefleideter Herr, dem
der Thürfteher unter tiefen Büdlingen
‚Die Honneurs des Haufes zu machen
ſchien. Ein livrierter Diener brachte
das fein adjuftierte Dandgepäd herbei
und empfahl fich mit demüthiger Miene.
Selbfiverftändlich hatte diefes Gethue
alsbald die allgemeine Aufmerkſamkeit
‚ erregt ; mehr oder minder deutlich ſprach
aus allen verftohlenen Bliden die
Frage: „Wer mag das fein?“
Mir aber ſchien das Geficht nicht
verbinden können, daß fie ſich unaus- ganz unbelannt, und ſchon langte ich
rottbar im unſerem Gehirn feitiegen nach dem Nafenklemmer, ohne deſſen
und merkwürdiger Weiſe jehr häufig | Hilfe es mir fchiwer wird, aus einiger
in der Wirklichkeit ihre Beltätigung | Entfernung Gefichtszüge zu erkennen,
finden. Diefe meinem Hirnkaſten inne- als das mahnende „Einſteigen“ jeden
wohnende Eigenschaft nennen Freunde | weiteren. Recognoſcierungsverſuch ab=
„eine lebhafte Phantafie” ; ich befürchte
aber, daß fie in einiger Beziehung fteht
zu jenem gewifen Samenforn, von
dem ein befannter Piychiater behauptet,
daß es, mehr oder minder entwidlungs=
fähig, die meiften nervöſen Menfchen
in ſich tragen. .
Diejen Grübeleien machte das Auf—
marſchieren der vollen Schüffeln bald.
ein erwünſchtes Ende, und mac dem
Souper fühlte ich mich mit dem Schid-
ſal Schon jo ziemlich ausgeſöhnt. Ich
begab mich in den Salon, wo ich die
Abfahrtszeit abwarten wollte und in
ſchnitt.
Für eine Nachtfahrt ein leeres
Coupé ergattert zu Haben, ift gewiß
reichlicher Grund zu innerer Zufrieden=
heit und im diefem angenehmen Bes
wußtjein war die erfte Stunde bereits
bergangen, als ich unverſehens auf
einer Zwifchenftation, durch das Ein»
fteigen eines höchſt unwillkommenen
Zweiten aus all meinen Träumen ges
riffen wurde,
Es ijt merkwürdig, wie ſchnell dem
Culturmenſchen unter gegebenen Ver—
bältniffen die jogenannte gute Lebens—
der weichen Sofaede und mit Dilfe|art, auf die man fich jo viel zugute
einer trodenen Galanes waren in fürs |thut, abhanden kommen kann, und es
zefter Zeit auch alle Vifionen von | würde mich gar nicht Wunder nehmen,
Millionär» Vifagen gänzlih von mir wenn jenem Fremdling damals gleich
gewichen. durch mein Benehmen ganz ähnliche
Roſe gger'a „eianqgarten““, 7. Seft, XI. 32
philofophiiche Gedanken aufgebligt fein
jollten. Der erfte Impuls ift immer
der richtige.
„Entfehuldigen Sie mein Ein»
dringen,“ ſagte er höflich grüßend, „in
dem Sclafwagen war mir eim un—
leidlicher Gefelle beigegeben worden,
der eine ganz umerträgliche Atmoſphäre
um fich verbreitete; eine andere Schlaf-
ftelle ift nicht zu haben; fo blieb mir
denn nichts übrig, als des Schaffners
Rath zu. befolgen und in diefes Coupe
einzufteigen. Ich will Sie fo wenig
als möglich beläftigen. “
Die verbindlichen Worte waren mit
unverkennbar ausländiſchem Accent ges
ſprochen. Ein kühles: „Ich bitte“ —
meinerſeits brach zwar alle weiteren
Auseinanderfegungen ab, hinderte je—
doch den Eindringling keineswegs, in
den Vorbereitungen zu einer möglichft
bequemen Nachruhe fortzufahren. Zu—
erst wollte e& mir nicht gelingen, einen
günftigen Beleuchtungsmoment zu er=
haſchen, um feine Gefichtszüge zu er—
fennen. — Man liebt es doch, zu
willen, mit welcher Phyſiognomie man
jein Lager teilt — bis er felbft eine
zierlihe Zafchenlaterne anzündete, mit
deren Hilfe er ſich nach einem Gegen:
ftande in einem eleganten Reiſeneceſ—
jaire auf die Sude machte. Beim
erſten vollen PLichtftrahl, der mir die
Züge meines Neifegefährten deutlich
zeigte, fuhr ich aber wie eleftrijiert
zufammen. Beim Dimmel! Das war
die Millionär-Bifage wie ſie allemal
vor mir auftauchte, ſobald der Con—
verlionen-Goldprioritäten-Rentenmann
in den Zeitungen zu ſpuken beganır.
Und — ja wahrhaftig, es ift derjelbe
Wichtigthuer, den vorhin der Thür
fteher im Wartefalon fo heftig anfnirte.
Ich war bei diefer Entdedung ur—
plößlih ganz und gar wachgeworden
und alles Ruhebedürfnis jchien mir
abhanden gefommen zu fein. „Das
wäre ja ein köſtliches Spiel des Zu—
falls — doch nur ſachte — ftellen
wir nur zuerjt weitere Beobachtungen
an.” So bejänftigte ih das bewußte,
—et — — — —
108
gefährliche Samenkorn, das ſich heftig
zu regen begamıı.
Mein ſchräges vis-A-vis hatte un—
terdeifen aus tadellofen Reiſeutenſi—
lien eine feine Reiſedecke und ein
praftifches Kopftiffen ausgeframt, auf
das nicht allzureich gelodte Haupt ward
eine Sealskinmütze aufgeftülpt, und
num langte er nach einem portefenille=
artigen Stüd, auf deſſen Vorderſeite
meinen Späherauge fofort ein kunſt—
reich geichnörteltes großes H auffiel. —
„Da haben wies — H! — kann auch
das bloß Zufall fein? — Es ftimmte
Alles dermaßen zu meinen Vorſtellun—
gen, dab ich mich bald ziemlich ficher
meiner Sade fühlte. Jetzt lag natürlich
mir ſehr viel daran, die jo jählings
abgebrochenen Beziehungen auf eine
plaufible Weiſe wieder anzufnüpfen.
Ich Hatte bemerkt dag meine mir in
den Rachen gelaufene Beute nicht
rauchte; ich z0g eine friſche Virginia
hervor und begann aus voller Straft
zu dampfen. Die nächte Folge davon
war ein leichtes Räuſpern von drüben.
— „Der Rauch fcheint Sie zu be=
läftigen, mein Herr?“ — „DO lkeines—
wegs,“ verficherte er lebhaft und fügte
gleich redfelig und offenbar erfreut von
dem Einftellen der Feindfeligkeiten hin—
zu: „wo die gene anfängt, da hört
die Gemüthlichkeit auf, das ift mein
Grundſatz — bitte alfo nur immer zu.“
„Aha“ dachte ich, „alfo eine neue
Variante; bisher hatte der Herr Come
merzienratd das geflügelte Wort in
anderer Form ausgegeben, es bie:
„sn Geldfachen hört die Gemüthlichkeit
auf.“ Er ſcheint, wenn es ihm
paßt, auch fein Geiftescapital im die
gangbare Münze umzufeßen. — Nun
ih will mir jedenfalls die prächtige
Gelegenheit zu Nuße machen und dem
Goldmanne einmal ein Gedenkzeichen
von dieſer Reife mit auf den Weg
aeben. Diefe großen, mit allen Re—
gierungen pactierenden Götter find
blind und taub für das Unheil, das
fie gefhäftlih über ein Land zu
bringen vermögen, ihre Beeinfluffung
499
de3 Geldinarktes kann eben in diefem
Augenblid von geradezu unberechen—
baren Folgen für die nächſte Zukunft
werden; er foll es von mir hören
daß es eine Gewiſſenloſigleit iſt, kleine
Leute durch .....
Heftiges anhaltendes Huften drang
aus der dunklen Ecke herüber und un—
terbrach meinen ſtillen Monolog. Ich
hatte im Eifer meiner wortlofen Stand-
herrlichen Wienern.“
Ich quittierte
danfend im Namen meiner Landsleute
und Holte aber gleichzeitig zu dem
erften wuchtigen Diebe aus: „Die
Charaltereigenſchaften eines Volkes muß
man nicht nach einem kurzen Aufent—
halt in der Reſidenz und noch weniger
nach einem flüchtigen Verkehr mit jener
Sorte von Menſchen beurtheilen, die
Io Firnis der Wohlerzogenheit überall
rede das ganze Coupe mit diden Rauch— mit einer jo dichten Schicht überzogen
wolten erfüllt, und beeilte mich jetzt
durch Oeffnen der Ventilation die Luft
etwas zu verbeflern, den Glimmſtengel
warf ich weit fort, in die Nacht hin—
aus. Gegen diefe edle Handlung aber
proteftierte mein ahmungslojes Opfer
auf das entſchiedenſte:
„Das faun ich wirklich nicht dul—
den, Sie treiben die Gaftfreund-
ihaft zu weit — erlauben Sie im
Gegentheil, daß ich Ihnen eine frische
Cigarre anbiete.*r — Das Eis fchien
gebrochen, ich hatte meinen Zweck er—
reicht umd ein Geſpräch war ange:
fnüpft. Das eben berührte Thema der
Gaftfreundfchaft, gab dem Fremdling
Anlaß zu einer ſchwungvollen Dithy—
rambe auf unſere öfterreichifche Hoſpi—
talität. — „Das ift noch ein leßter
Reſt guter alter Sitte“ wehrte ich
bejcheiden „im großen Ganzen find
wir in Nichts beffer und vielleicht in
manchen Dingen weniger wert als die
anderen Culturvölker.“
„Sie thun Sich fchweres Unrecht
mein Herr“ — vertheidigte der Andere
warmen Zone, — „wir Ausländer
willen die Vorzüge unferer Stammes»
genoſſen an der Donau befjer zu wür—
digen. Ich jelbit komme in aller Herren
Länder herum (ich ſpitzte die Ohren)
und muß vermöge meines Berufes mit
Menschen der verfchiedenften Geſell—
Ichaftsclaffen verkehren (Aha! jubilierte
ih.) — Nun ih kann Sie verfichern,
daß ih in feinem Staate ein ſolches
Entgegenfommen, eine jolche Fülle von
prächtigen Eigenjchaften vereinigt ge—
funden habe, wie in den Ländern Ihrer
Monardie, und vor Allen bei Ihren
hat, daß ihre eigentliche Natur gar
nicht mehr zum Vorſchein kommt. Daß
die vielbelobte Wiener Gemüthlichkeit
einen unſerer Vorzüge bildet, will ich
übrigens gerne gelten laſſen, nur
wünschte ich, dak auch andere unſerer
Tugenden ſich ebenfo in Aller Munde
befänden und nicht fo beharrlich todt=
geihwiegen würden. Wir befißen Ener—
gie, Ausdauer, Arbeitstuft, Geſchmack,
Geſchäfts- und Kunftiinn. Weshalb
werden dieſe unfere guten Seiten nicht
ebenfo belobt ? Glauben Sie mir, es
ift traurig, daß jelbit ſolche Perſönlich—
feiten, die vermöge ihrer Machtſtellung
in die Lage kommen, ſich mit dem
Mohle, mit der wirtichaftlichen Beſſe—
rung in unferem Staate zu befchäftig-
ten, fi nicht der Mühe unterziehen,
unfere wahren Bedürfniffe zu jtudieren;
ja, daß man e3 gerade von Ddiefer
Seite nicht immer verfhmäht, unſere
vielgerühmte Gemüthlichleit, auch ge=
ſchäftlich, in nicht ſehr gewilienhafter
Weiſe auszubeuten“ — Ciappa su e
porta a casa — jagt der Venetianer.
Meine Tirade hatte offenbar ihre Wir—
fung gethan. Mein Gegenüber blidte
ganz verdußt darein. „Sie fprechen
da eine große Beichuldigung aus,“ ſagte
er ziemlich Heinlaut, ich aber ließ mich
nicht beirren und fenerte ihm mein
volles Geſchoß in’s Gefiht: — „Mein
Herr, ich gehe gern loyal zu Werke, “
verießte ich entichloffen, „ich bin
mir wohl bewußt, mit wem ich die
Ehre habe, diefes Nachtquatier zu thei—
fen,“ — ich neigte leicht grüßend den
Kopf — „und habe das Gefagte nicht
ohne Abjicht geſprochen. Sie werden
32*
500
meinen Freimuth entſchuldigen,
Reifen darf man ſich manches erlauben,
und ich glaubte es im Ihrem eigenen
und in dem Intereſſe meines Vaters
landes geboten, Sie über die wahre
Denkweise der MWohlmeinenden aufzu—
Hären !*
Ganz beftürzt hatte fich der fo
jählings Angegriffene aufgerichtet: „Er—
lauben Sie,“ ſagte er mit fcharfer
Betonung, „Sie Haben eine ſonder—
bare Auffaffung von Loyalität; ich
wenigftens habe bisher nicht gewußt,
dal unter diefem Namen ein nächt—
licher Ueberfall befannt it, wo einem
Grobheiten an den Kopf geworfen
werden, vor denen man fich gar nicht
retten kann. Vielleicht werden Sie fi)
wenigftens zu einer Erklärung herbei—
laſſen, denn es kann mir wahrlich nicht
gleichgiltig fein zu erfahren, was Sie
zu ſolchen ehrenrührigen Anſchuldigun—
gen berechtigt. Meine Unternehmungen
tragen Alle den Stempel höchſter So—
lidität an fi, niemals ift noch eine
Klage über mein Vorgehen eingelaufen
und die ganze Welt ftellt mir das
Zeugnis eines reellen Gejchäftsinannes
aus. Wie fommen Sie dazu, mir jolche
Vorwürfe zu machen ?* Ich wollte er-
widern, aber er hatte fi dermaßen
in Diße geredet daß er, ohne mich zu
Wort fommen zu laffen, jogleich wieder
fortfuhr: „Meder ich ſelbſt, noch
das große Unternehmen, das ich jeit
Jahren zu vertreten die Ehre habe,
würden jemals zu jenen Preſſions—
auf mitteln unlauterer Art greifen, die
heutzutage vielfach angewendet werden,
und ich kann mich rühmen, dem guten
Ruf meines Welthaufes in halb Europa
mit begründet zu haben, und nun
fommen Sie, mein Herr wahr
jcheinlich ein Goncurrent, nicht wahr ?
— und wagen ed, mir von Ausben—
tung zu Sprechen ..?“
Ich verfuchte wieder, ein aufklären—
des Wort einzufchalten, unmöglich);
der gewedte Leu brüllte fort: „Hier,
fehen Sie* — mit fieberifchen Zuden
der Hand ein dides Portefenille aus
der PBrieftafche ziehend — hier“ —
er brachte ein großes Blatt nach dem
andern aus den Fächern hervor. —
„Eine Beltellung der Fürftin O., die
den ganzen Troufjean ihrer Tochter bei
mir angefhafft Hat — hier ein Auf:
trag der Generalin von A., die für
ihre Salons alle Möbelftoffe bei mir
beitellte — hier —“ den Reſt hörte
ih nicht mehr, — ih glaube, «es
Ihwanden mir die Sinner Als ich
meiner ſelbſt wieder mächtig ward,
graute es bereits und bei anbrechendem
Tageslicht las ih mechaniſch die in
großen Goldlettern prangende und mit
Medaillen überfäete Auffchrift einer
mir im Schoße ruhenden Karte:
I M. Halenius
alleiniger Vertreter der Firma X. 9.
in Berlin, k. Hoflieferanten für Mo—
des, Gonfections, Ameublements und
Nouveautés.
Dorfrichter
und Pope.
Gin Culturbild aus dem Oſten von Ferdinand Schifkorn.“)
X a3 rumänische SKarpathendorf
unterjcheidet ih von all den
berühinten und unberühmten Berg:
orten des cultivierten Weſtens vorzüg—
lich durch feine Waldeinſamkeit, feine
Meltverlaffenheit in weiter und uns
entweihter Wildnis. Vier Meilen bis
zum nächften bewohnten Orte, act
bis zum mächlten Marktflecken oder
Städtchen find gewöhnliche Entfer-
nungen für Starpathendörfer, und be=
denkt man ferner, daß dieje Diltanzen
zum geößern Theil auf Saumwegen
zurüdgelegt werden müflen, auf wel—
hen, fo lange die Welt fteht, kein
Magenrad eine Spur zurüdgelaffen,
daß das Echo diejer impofanten Berg—
welt noch durch feinen Pfiff einer
Lokomotive gewedt wurde, danı wird
man leicht begreifen, wie der Wan—
derer ſolch' menschliche Niederlaffung
mit anderen Gefühlen und Gedanten |
betritt, al3 jene Schweizer oder Tyroler
Kunftdörfer mit ihren ftilgerecht
erbauten Häuschen, ihren Hotels, ihren
Poſthäuſern oder Bahnhöfen, Führern,
Händlern und Speculanten jeder Art.
Wir wandeln im ftillen, erniten,
heiligen Urwalde auf ſchmalem, viele
gewumdenem Pfade abwärts; da —
eine jähe Wendung um die Felſen—
fanten des waldumrauſchten majeſtäti—
ihen Bergkolojjes und zu unſeren
Füßen liegt das reizende Gebirgsporf
wie dom Himmel gefallen, ſo friſch,
jo urſprünglich, ſo eigenfinnig ein—
gekeilt zwiſchen Fels, Wald und rau—
ſchendem Bergwaſſer, jede Hütte für
ſich ein eigenes Reich, eine Strophe
der lieblichen Dorfidylle bildend, und
alſo thalaufwärts aneinander gereiht,
wohl eine Wegſtunde lang, ehe die
legte menschlihe Wohnung wieder das
Ende der Niederlaffung kündet.
Es iſt Abendzeit. In dem kaum
hundert Schritte breiten Thale iſt es
längſt ſchattig geworden, dunkelt es
ſchon, wenn die Höhen noch die feu-
rigen Strahlenküſſe der ſinkenden Juli»
ſonne empfangen. Feierliche Stille
herrfcht, welche das Geräufch des in
mächtigen Bogen abwärts eilenden
Bergflufjes, vereint mit dem Rauſchen
des die beiden Thalwände befleidenden
Waldes, diejer köſtlichen Muſik der
Natur, um jo harmonifcher wirken
läßt. Das Dorf ſcheint wie ausge—
jtorben ; die einzelnen, hinter Pflaumen—
bäumen und Erlenbüfchen veritedten
Häuschen verrathen jo wenig Leben
wie der ſchmale Fußſteig, der ſich
duch das Thal windet, oder die
Ihwanfen Bretterftege, welche das
reißende Gebirgswaller überſpannen.
Doch ſieh', jetzt wirbeln bläuliche
Säulen aus einem der niederen
Schindeldächer zu dem ſchmalen Strei—
fen Himmel empor, der das enge Thal
für das Auge abſchließt; eine zweite
und dritte Rauchſäule wird ſichtbar,
und endlich gibt es keine Behauſung
im Dorfe mehr, deſſen Dachluke nicht
jene anheimelnde bläuliche Wolke ent—
ſtiege, als untrüglicher Beweis von
der Anweſenheit eines am häuslichen
Herde ſchaffenden Weſens. Es iſt die
Stunde, um rechtzeitig den eiſernen
Waſſerkeſſel für den abendlichen Mais—
fuchen (Polenta) über das Feuer zu
hängen, und wie als Antwort auf jo
*) Aus deſſen an anderer Stelle gewürdigtem Werte: „Eulturbilder aus dem Often“,
(Leipzig, Eugen Beterjon, 1887.)
erfrenliches Signal tönt harmoniiches
902
flüchtigen Gemſe auch den Menfchen
Schellengeläute von der Höhe nieder, |eigen, und diefe Stege werden im
nahende Herden verfündend, begleitet
von den Tönen der Hirtenpfeife, deren
bald melancholifche, bald heitere Na=
tionalweifen zu folcher Zeit, in ſolcher
Umgebung das Gemüth feltfam er—
greifen.
Nun beleben ſich wie mit einem
Schlage Wege und Stege; Kinder,
nur mit einem Hemdchen befleidet,
und Frauen eilen Hurtig den heim
fehrenden zwei- und vierfüßigen Daus-
genofjen entgegen.
Ei, wie viele Küffe und Um—
armungen mancher Schöps, manches
Zidlein und manch’ ehrjame Kuh von
den herbeieilenden Heinen Hausgenoſſen
empfängt — und beinahe hätte ich
gejagt — erwiedert! Denn hier in der
Wildnis find Menfhen und Thiere
noch nicht durch die große ſociale
Kluft der Bildung getrennt; hier
wächst Menſch und Vieh ohne ABE
und Einmaleins miteinander auf, kennt
und liebt ſich, und es ift nichts Sel»
tenes, daß ein junger Menfchenfproß
in kühler Nacht gemeinſchaftlich mit
dem Lieblingslämmlein bei dem Mutter-
ichafe belebende Wärme jucht und
findet.
Auch des Popen junge, Schöne
Frau eilt herbei, denn es ift Samstag,
an welchem Tage der Gatte von der
Stinna herablommt, um den ſonn—
täglichen Gottesdienft abzuhalten. Das
ſchlanke,
auch nur aufzuſehen von ihrer Spin—
del, während der friſche Junge auf
ihrem Rücken ſich lachend über das
ihn bergende Tuch biegt, mit Ent—
zücken nach den weißſchäumenden
Wogen des Bergfluſſes langend; —
ein Fehltritt, ein Moment des Schwin⸗
dels, und Beide ſtürzen in die toſen⸗
den Wellen, da der Bergfluß nur an
einzelnen Stellen, und jelbft da mur
für kräftige Männer pailierbar iſt.
Allein bier in der Wildniß find das
fihere Auge, die Stahlnerven
fräflige Weib überjchreitet |
den hohen, geländerlofen Steg, ohne,
der |
Laufe des Tages Hundert und hun—
dertmal auf diejelbe Weiſe von Frauen
und Kindern pafliert, ohne dak man
je von einem Unglüdsfalle hörte.
Jetzt taucht die Hohe Geftalt des
Popen aus dem Walde empor. Ein
Fremder hätte dem fräftigen, wetter-
gehärteten Marne, welcher ſich äufßer-
lih von den männlichen Mitgliedern
jeiner riftlihen Herde mur durch
einen ftattlichen ſchwarzen Bollbart
unterfcheidet, wohl kaum die geiftliche
Würde angejfehen. Doch wie er elafti-
Shen Schrittes auf der weichen San—
dale einhergeht und das dunkle, intelli—
gente Auge hHervorbligt unter dem
breitrandigen Filzhute, muß man ihn
einen jchönen Mann nennen.
O Brigitta, Auserleſene unter
den Meibern, wie verzeihlich ift Dein
Stolz beim Anblide diejes Gatten,
an welchen fich die Frauen, jung und
alt, Herandrängen, um die jchmielige
Hand des Gottesmannes erſt an die
tief gejenfte Stirn und damı an den
Mund zu drüden! Nur Du allein,
die Auserwählte, darfft Dich ihm mit
vertraulihem Lächeln nahen und ijt
die gleichzeitige Kniebeugung offenbar
nur eine Goncellion an die Welt,
welche ja leiht meinen könnte, der
Ihöne Mann fei Dir gegenüber nur
zärtlicher Gatte und nicht auch Ge⸗
weihter des Herrn; flüſtern doch böſe
Dorfzungen, nicht der hochwürdige
Pope Girolamu, ſondern Brigitta ſei
der Herr im Hauſe, und Erſterer
unterwerfe ſich den Befehlen ſeiner
Gattin weit unbedingter als den Ge—
boten Gottes, was übrigens dem
Manne von ſchönen Leſerinnen gewiß
nicht als Verbrechen angerechnet wer—
den dürfte.
Und allmählich wird es wieder
ſtill und einſam im Dorfe. Menſchen
\und Thiere verſchwinden nah und
nad) in den niederen Hütten, heiteres
\ Lachen, behagliches Medern und Muhen
tönt noch bisweilen durch die halb
503
offenen Thüren, doch je dichter die; Thales; mun gilt es, den langen
dunklen Schleier der Nacht den Heim: | Winter über das Vieh zu bergen, jo
lichen Erdenwinfel mit all’ dem, was! gut es eben geht, in Ställen und
darin lebt und webt, einhüllen, um | Hürden, und zu ſchützen vor Wölfen
jo tiefere Stifle herrfcht ringsum, und Bären, welche, unhold ob folcher
alfo, daß des Käuzchens melancholi- | Wanderung ihres lebenden Fleiſch—
ſcher Schrei neben dem NRaufchen des | proviantes, alsbald machziehen, um
Flüſſes vernehmbar wird, und dann fih troß Hunden und Hirten die ge—
und wann der Auffchrei eines beute- wohnten Braten zu verichaften. Na—
gierigen wilden Thiered. Doch flört | mentlich find es die Wölfe, welche,
leßterer die füRe Ruhe der Dorfbes | die finfterfien Nächte, die ſchlimmſte
wohner nicht, Meifter Petz und Iſe- Witterung für ihre Unternehmungen
grimm Find zu Hug, um ihr Diner) wählend, meijt einen oder auch zwei
in verjchlofjenen Räumen zu fuchen, | gleichzeitige Scheinangriffe auf Die
dieweil es noch auf der Alpein Hülle! ſchützende Verzäunung ausführen, um
und Fülle und in aller Bequemlich | Hirten und Hunde nad einer Seite
feit zu haben ift. zur Vertheidigung herbeizuloden, wäh—
Und nun ſchlägt die Stunde Les | rend fie aufder entgegengejeßten Seite
Iuftigen Geiftervölfchens, das bekannte | fich mit Bliesfchnelle der Fetteiten
ih nächtlicher Weile auf der Erde) Stüde der Herde bemäctigen. Bes
„ Ichaltet und waltet, fo lange es nicht | jcheidener und mäßiger erjcheint Meifter
von der Bücher und Nafeweisheit| Peb, da er allerwärts Birnen, Aepfel
der Eulturmenjchen vertrieben wird. | und Pflaumen, vor Allem aber feine
Wichteln und Gnomen, Elfen und) Liebingslederbiffen, Brombeeren und
Niren treiben fich num herum in Bufch | wilden Honig, findet, mit welcher Koft
und Wald, auf Halmen und Gräfern | fih der feine Näfcher für ein Weil-
und Wellenſchaum, auf Blättern und) chen wenigftens zufrieden gibt. Da
Nadeln im luſtigen Reigen unter | begibt es fich denn zumeilen, daß einer
Kichern und Schäfern, oder dringen | oder der andere der obftlüfternen Dorf:
mit den Strahlen des Mondes in die burfche fich zum jelben Plätzchen findet,
Schlafftätten der Menschen, um neu- das Meifter Petz erfiefen, und die
gierig Alles zu durchſtöbern, nach Luſt beiden Näfcher urplößlich nicht wenig
und Laune fördernd oder zerftörend, | verwundert einander gegenüberftehen,
manchen jchlimmen Patron im Schlafe| bis der Zweifüßler, ſich befinnend,
mit Schredlihen Träumen peinigend, | Reißaus nimmt, verfolgt don dent
manchem lieben Kinde dagegen freu= | grimmigen Gebrumme des geftörten
dige Zukunft verheißend, bis der erſte Vierfüßlers.
Hahnenfchrei dem tollen Treiben ein Derlei Kämpfe und Begegnungen
jähes Ende bereitet und das Tagewerk find übrigens für Karpathenmenjchen
der Menjchen von Neuem beginnt, nichts weiter als ein anregender Zeit-
So das Bild zur Sommerzeit. | vertreib, ein Erfa etwa für Sport
Gegen Ende Auguft Schon ziehen | und Hazardipiel oder die gewohnte
die hohen Bergherren oben den Her- | Whiftpartie des civilifierten Menſchen,
melin über die Niefenfchultern, die nur daß der Einfaß nicht in rothem
weiße Pelzmütze über die „erhabenen | Golde, fondern in rothem Blute beiteht.
Häupter“, und nun ift es höchſte Doch gibt es auch minder gefähr-
Zeit für Menfchen und Vieh, die ge- liche Winterbeluftigungen für den
ſchützten Tiefen aufzufuchen. Bergdörfler. So namentlich jene Feſte,
Einige Wochen noch und fchon | welche zur Feier geichloffener Herzens-
reihen die Süäume des Hermelinz | bündniffe, Kindstaufen und Todes—
mantel3 Hinab bis zur Sohle des fälle veranftaltet werden, wobei es
S — — — — — — — —
nicht an Mummerei und Zanz, noch |terlihen Zuſammenleben aufeinander,
weniger aber an Branmtwein fehlt, | und da gerade die beiden höchſten
dem das männliche Gefchleht — | Wirdenträger des Volkes an der Spitze
leider muß dies geftanden werden — der ſich Vefeindenden ftanden, fo litt
in den Starpathen ebenjo warm und) endiih das Gemeinweſen felbft unter
innig ergeben ift, wie in St. Peters- fo harinädiger Fehde.
burg, Berlin oder Wien. An der Spitze der Temperanzpartei
Allerdings ift die Wirkung folcher | befand ſich nämlich niemand Gerin—
Ergebenheit nicht die gleiche. Der gerer als der Pope Girolamn, reſpec—
Karpathenmenſch trinkt jo viel und tive deilen fchöne Gattin Brigitta,
wahrjcheinfich noch mehr als der Pro= | welche energisch, wie fie war, durch
letarier der großen Städte, dennoch | eigene Agitationen ſowohl als durch
fonmen bei den Erfteren Volltrunfene | des Gatten gewaltigen Einfluß mehr
jehr jelten, verfommene Individuen | als drei Biertheile der weiblichen
aber nach dem Mufter der catilinaris | Dorfbewohner commandierte ;das Haupt
ſchen &riftenzen der Großſtädte nie der Gegenpartei aber war der nach
vor. Allein jo unverwüſtbar die Natur | dem Popen wichtigſte und gewichtigite
diefer Bergmenſchen auch iſt, das Mann im Dorfe, der Ortsvorfteher
Banntweintrinfen wird deshalb inmmer | und Schwager der Popenfran, welch”
nicht zur Tugend, und fpeciell für) legtere Beziehung — dem Manne
unfer Gebirgsdorf wurde es fogar | fat zum Fluche geworden wäre.
zum Anlaffe eines mehrjährigen Bürger: Das Hatte ſich Toniu Paleſtru,
krieges. ſo hieß der Dorfrichter, allerdings
Wie in dem großen Freiſtaate | nicht träumen laſſen, als er mit Mas
Amerikas, hatte die Brammtweinfrage | rinzza, der reizenden Schweiter Bri—
auch in dem Heinen Sarpathendorfe | gitta’s, an den Altar trat, um dom
die Bevölkerung in mehrere Parteien | dem künftigen Schwager Girolamı
getheilt, deren eine, zum größeren | getraut zu werden.
Theile aus Vertreterinnen des Schönen War doch Mariuzza als Mädchen
Geſchlechtes beſtehend, das Trinken und ſelbſt noch in den erſten Monaten
überhaupt (Waſſer ausgenommen) für der Ehe weich und biegſam wie Wachs
ein unerträgliches Lafter erklärte, wäh | gewefen, alfo dag Tonin ſich im fies
rend die andere Partei, welche ſich benten Himmel wähnt. Es begab
Freiheitsfreunde (Schnapsfreunde ſag- fih aber, das Marinzza an Sonntage
ten die Frauen) nannte, in diefer abenden, das heißt zur Zeit, wo Toniu
Unduldjamfeit eine Beſchränkung a in zärtlichfter Panne aus der
|
eheberrlichen Unabhängigkeit (des ehes | Dorfichente kam, allmählich immer
herrlichen Permanenzraufches meinten | härter und jpröder wurde und endlich
die Frauen) ſah und trogig auf ihrem rund erklärte, wenn Toniu fie lieb
Rechte des Trinfens bejtand. habe, müfle er das Schnapstrinken
Zwifchen diefen beiden Ertremen | aufgeben, da fie fchon den Geruch diefes
ftand eine dritte, meutrale Partei, häßlichen Getränfes nicht vertrage.
welche, aus beiden Gefchlechtern ge= So fan es, daß Toniu, nachdem
mifcht, unermüdlich an einer Verſöh- alle Verſuche fcheiterten, Marinzza’s
mung der „Rechten und Linken” arbei- erfrantten Geruchsſinn durch Vers
tete, in der nicht unberechtigten Ansicht, | munftgründe zu heilen, endlich zu
dak auch im diefer Frage die richtige | „ſchlagenden“ Arqumenten feine Zus
Antwort in der Mitte liege. flucht mahnı, und zwar mit folcher
Indefjen wie es Mlittelparteien | Ueberzeugungstraft und Eindringliche
meist zu gehen pflegt, jo gieng es auch | keit, day die arme Frau gar bald
diejer, die Gegenjäge prallten im win- wenigitens einen „Waftenftillftand *
eingegangen wäre, hätte die ener=
giſche Schweſter nicht beiferen Rath
gewußt.
Die kluge Frau hatte die Nutz—
loſigkeit des bisher geführten Guerilla—
frieges längft erkannt und beſchloß
daher, einen Hauptſchlag zu führen
und zugleich die Schweiter zu rächen.
Tonin Follte nämlich als Poltron und
Trunfenbold gebrandimartt und dadurch
nicht nur deſſen Herrichaft im Haufe,
jondern die ganze Partei vernichtet
werden.
Der Plan war gut und Frauen
it war um die Ausführung nicht
verlegen. Zwar verfagte der biedere
Girolamı, der im Grunde feinem
Schwager Herzlich zugethan war, aus
fangs ſeinen Beiltand, allein wie lange
vermag ein liebender Gatte den Vers
führungskünſten eines Schönen Weibes
zu widerftehen? — Zonin’s Verder-
ben ward bejchloflen.
Es war,am Morgen des nmächiten
Sonntages, daß der Ahnungsloſe nach
einer äußerſt animierten Parteifikung
in der Schenfe den Heimweg antrat.
505
winfchte ih im Stillen Glüd, daß
er jo bald das Mittel gefunden, ein
wideripenftiges Weib zu curieren. Ya,
er dachte Jogar.ernftlich daran, Marinzza
zu folgen, um ihr den gefüllten ſchweren
Milchzuber zu tragen, als plößlich
wüthendes Hundegebell erſcholl und
gleich darauf die ſchlanke Frauengeftalt
wieder erichien, doch ohne Gefäß, und
im windfchneflen Lauf über den Steg
eilend, jenſeits desſelben die Schafe
eingehürdet waren; am diesfeitigen
Ufer aber ftürzte fie mit den Worten
zu Boden:
„Der Bär, Toni, nimm
Tlinte! Der Bär! der Bär!“
Des Richters Gehöfte ftand eine
Viertelftunde Wegs von den nächſten
Hänfern de3 Ortes entfernt, im un—
mittelbarer Fühlung mit der Wildnis,
daher der Beſuch wilder Thiere gerade
nicht zu den Seltenheiten gehörte und
Toniu ohne Weiteres nach der Ttets
geladenen Flinte griff und feinen
Meibe zu Hilfe eilte.
Kaum Hatte er mit wenigen
Sprüngen den Uferrand erreicht, ſo
die
Sein Gang war in Folge deſſen etwwas ſah er in der That jenfeits des Flüß—
wanfend und wich, wo es die Breite) hens im weißen Morgennebel die
des Weges erlaubte, ſtark von der ungewifjen Umriſſe eines Bären von
geraden Linie ab. Doch erreichte er geradezu fabelhaften Größendimen—
gefährdet jein ftattliches Heim, auf) fionen. Gleichwohl ließ ih Tunin an
deſſen Schwelle er Mariuzza traf. Mit | ber Seite der wie ohnmächtig dalie=
Bergnügen bemerkte er den großen | genden Marinzza auf ein Knie nieder,
Mithkrug in deren Händen, als Bes legte die einläufige, aber vortreffliche
weis, daß es Zeit zum Melken der Kugelbüchſe an die Schulter und drückte
Schafe war, und fagte daher, fich mit; muthig los.
der ganzen Würde eines Dorfober-
hauptes umgürtend:
„Spute Dich, mich dürſtet.“
Ein entjeßliches Gebrüll folgte auf
den Schuß, danı aber erhob ſich das
Unthier im feiner ganzen erjchredenden
Ein langer Blick der Gattin ruhte Größe und ſchritt, auf das Aeußerſte
auf dem geitrengen Eheherrn,
möglichft gerade weiter Schritt, und
ein Zornesblitz leuchtete aus ihrem
Auge, als fie erwiderte:
„O forge nit, Du ſollſt Dein
Frühftüd alsbald befommen“, worauf
fe ih im der That mit eiligen
Schritten entfernte.
Toniu ſah ch jo ungewohnter
Willfährigkeit verwundert
der gereizt, mit weit aufgeſperrtem Rachen
und erhobenen VBordertagen auf den
unglücklichen Schüßen zu, ohne daß
ihn das ſchwankende, wenig tragfähige
Stegbreit aufgehalten hätte. —
Einen Moment zeigte Toniu nicht
übel Luft, fein Heil im der Flucht zu
juchen, da er zwar ein tüchtiger Jäger,
doch fein Freund gefährlicher Aben—
auf und tener und Heldenthaten war,
506
Allein Marinzza, fein junges Weib,
lag Scheinbar ohnmächtig noch immer
zu feinen Füßen, und eher wollte er
zerriffen werden, als dieſes ſchutzlos
dem Unthier preisgeben; jo denkend
riß er, ftatt zu fliehen, das Meſſer
aus dem Gürtel und ſchritt entſchloſſen
auf feinen gewaltigen Gegner zu, mit
welhem er in der Mitte des Steges
zuſammentraf.
Solchen Heldenmuth ſchien der
Bär allerdings nicht eriwartet zu haben,
denn einen Augenblid wich er jicht-
lich eingefchüchtert zurüd; doch zur
Flucht war es zu fpät, nnd jo that
er das Klügſte, was ein Bär unter
folhen Umftänden thun kann, das
heißt er umarmte feinen Feind mit der
ganzen Wucht feiner Kraft, wodurch
Lesterem der Gebrauch des Mefjers
unmöglich wurde.
Die Umarmung eines Bären ift
auf feftem Lande meift verhängnisvoll,
hier auf dem fehwanfen Stege aber
hatte fie keine ſchlimmeren Folgen, als
daß die innig Verfchlungenen fopfüber
in das eislfalte Waſſer ftürzten und
in der Tiefe verſchwanden.
Nun aber denfe man ſich das
Erftaunen Zoniu’s, als er, von den
Armen des Ungeheuers glüdlich bes
freit, auftauchte und bangen Herzens
das Miederericheinen des lebteren er-
wartend, ftatt deilen das angitvoll
bleihe Antlitz feines Schwagers, des
Popen, zu jehen bekam!
Indeſſen fo wunderbar die Sache
war, zit Fragen und Erklärungen
war die Situation wenig geeignet,
denn der Fluß war, wie ſchon er=
wähnt, nicht breit, aber um jo reißen
der, und es dauerte wohl zehn Minuten,
ehe die beiden Gegner nach unerhörten
Anftrengungen, zu Zode erichöpft,
triefend und bis in's Mark erfchauernd,
am Ufer jagen und nach Athem rangen.
„Schwager Girolamu,“ fagte Tonin
endlich, welcher al3 rüftiger Schwim—
mer weniger Waller getrunfen, ob=
Ihon er dem verfappten Schwager
hilfreich die Hand geboten hatte, „ich
hörte Schon von allerlei Wundern, daß
ih aber ein in's Waſſer gefallener
Bär in einen Popen verwandelt, da—
von hörte ich mein Lebtag nicht.“
Girolamu mußte ein paar mal
nah Luft ſchnappen, ehe er erwidern
fonute:
„Ei, Toniu, fieh, es muß eben
Alles ein erſtes Mal paſſieren.“
„Es Scheint fo,“ bemerkte Toniu
troden, „hätte es mir übrigens den—
fen follen, ein Zottelmann (Bär), der
an der Schafherde vorbei einem Weibs—
bild machläuft, könne nur ein ver—
fappter Pfaffe fein.“
„Sa, Tonin, es gibt ſchlimme
Leute auf diefer Welt,“ bemerkte Giro—
lamu, tief auffenfzend und einen
Heinen Waflerfall von ſich ſchüttelnd,
„doch gibt es dagegen auch wieder
gute Menfchen, welche ſolchen Pfaffen
im Bärenfell mit eigener Lebensgefahr
aus dem Waller ziehen, und fieh, das
gleicht die Sache vor dem lieben Gott
wieder aus; übrigens wäre der ge—
rettete Pfaffe noch weit dankbarer,
wenn ein helles Herdfeuer fein faſt
erfrorened Herz aufthanen wiirde.”
Tonin erhob ſich lachend.
„Wahrlid. Du Haft Net,“ ſagte
er, „ein kaltes Bad um diefe Jahres
zeit ift eine froftige Sade für ger
weihte und ungeweihte Leute.“
Damit legte er den Arın um des
hocherfreuten Popen breite Schulter
und wanderte mit Ddiefen feinem
Haufe zu.
„Hoffentlih hat Dir meine alte
Büchje fein Loh in die Haut ges
macht ?“ fragte er während des Gan—
‚ges den zitternden Popen ironisch.
| „Mein, Toniu,“ erwiderte diefer,
„dafür forgten ſchon die Weiberleute ;
doch kann ich Dir jagen, dak das
‚blinfende lange Meffer in Deiner
‚Hand ein um fo fchlimmmerer Anblid
für mich war.“
„Kein Schlimmerer, meine ich,“
verjeßte Tonin, „als für mich ein fo
himmelhoher Bope in der Bärenhaut.“
507
So ſprechend traten ſie im die
geräumige Wohnftube des Richlers.
Wie behaglih jah es hier aus! Auf
den großen, niederen Herde an der
Breitfeite des Raumes prafjelte ein
prächtiges euer, der Keſſel mit der
Ihon gargelochten, köſtlich duftenden
Malaia (Maiskuchen) ſtand daneben
und ebenſo ein zweites Geſchirr, bis
zum Rande gefüllt mit heißer Milch.
Das war ein herzerfreuender Anblick
für durchnäßte, halberfrorene Männer,
noch herzerfreuender für Toniu aber
das Erſcheinen ſeines anmuthigen
jungen Weibes, das ſchluchzend vor
Angſt und Neue die Kniee ihres
muthigen Gatten umfchlang.
„DO Toni,“ rief fie, „vergieb !
Du ſollſt nun mie mehr ein böjes
Geſicht von Mariuzza fehen, magft
Du auch Tag für Tag zur Scente
gehen!“
„Run wahrhaftig,“ meinte Toniu
gutmüthig und mit heimlichen Wohl:
gefallen auf fein hübſches Weib her—
abblidend, „wenn Du nichts dagegen
haft, dann Liegt auch mir wenig an
der Schenke, ja ſchwören wollte ich,
nie mehr einen Zropfen über den
Durſt zu trinken, Hätte ich jeßt ein
einziges Gläschen Herzenstroſt!“
Da erhob ſich Mariuzza und
brachte verſchämt und ſchüchtern eine
ganz anſehnliche Flaſche des heiß—
erſehnten Trankes und meinte, den
verdutzten Blick des Gatten bemer—
lend:
„Was ſollte ich allein und ver—
laſſen thun? Auch ich ſuchte in der
Flaſche Troſt, da ich einen andern
nicht Haben mochte.“
Da zog Tonin fein Weib herzlich
an ſich und rief lächelnd:
„Ei nun, da wollen wir uns
fünftig lieber miteinander tröften, wenn
wir überhaupt eines Troſtes bedür—
fen,“ und fich zu dem Popen wen—
dend, fügte er Hinzu: „Dir, Schwa—
ger Girolamu, darf man wohl fein
Gläshen anbieten, Brigitta möchte
es merken und —“
„D, 0,“ fiel der Angeredete ein,
„jo einfältig war ich nicht, Schwager
Tonin, dab ich mir insgeheim nicht
Herz und Magen mit Lebenswafler
erwärmt und erquidt hätte, und von
jegt an foll auch Brigitta —“
Girolamu hielt inne, denn die
Genannte ftürzte eben aufgeregt und
bleich zur Thüre herein.
„Du lebſt — Du bift nicht todt,
Birolamı!“ rief fie, den Gatten um:
ſchlingend.
Dieſer aber löste ſich ruhig aus
den weichen Armen der ſchönen Frau
und bot ihr das in ſeiner Hand be—
findliche Scnapsglätchen. Brigitta
erkannte fofort die Lage der Dinge,
nahm das Gläschen, ſeufzte tief auf
und — ließ den Inhalt regelrecht
mit Einem Schlud in ihren rofigen
Munde verfhwinden Toniu aber
ladte. —
„Da, ba, gehentt will ich fein,
wenn Brigitta dies beim Brummen:
wafler gelernt,“ und zu feiner Gattin
gewendet, fuhr er fort: „Du aber,
Mariuzza, laß das fettefte Lamm in
der Herde Schlachten und lade unfere
guten Freunde und beiten Feinde
zum Mahle, denn mit dem heutigen
Tage ſoll das Ende des dummen
Haders gefeiert werden.“
Bei Gott, das ſoll er,“ fügte der
Pope freudig Hinzu, „und zwar nicht
nur heute, fondern Jahr um Jahr,
als ein Tag des Friedens und der
Verſöhnung!“
Der EZunkenEerl.
Eine Sondergeitalt aus dem
AT: an darf zur Frühlingszeit wohl
EEE Iprechen dom MWeihnachsfeit ?
Der Winter ift Schön, wenn man mitten
in ihm drin fteht, und noch jchöner
ift er, wenn man ihn im Schatten
eines blühenden Apfelbanmes aufiwedt
im Gedächtnis. Wohlan.
Das Weihnachtsfeit pflege ich in
meinem beimatlichen Gebirgsdorfe zu—
zubringen. Die Großjtadt hat feine
eigentlichen Felle mehr, fie hat nur
Tage der Arbeit und Tage des Müßig—
ganges. Im Dorfe fteht noch die Him—
melsleiter Jakobs; es geht dort klein—
lich und kümmerlich zu, allein zu den
feftlichen Zeiten fteigen fie doch die
Sproſſen hinan, der Eine höher, der,
Andere weniger hoch, aber im Staube
des Erdreiches bleibt Keiner.
Sch liebe die Felte der katholischen
Kirche. Es mag fein, dab mich aus
denjelben die feligen Zeiten der Kind—
heit umd Jugend wieder anwehen; es
mag fein, daß diefer große Eultus mich
darum bezanbert, weil er es vermag,
das Gute mit dem Schönen zu vers
binden und fo Beides volfsthümlich zu
machen. Die Schäden und Mißſtände,
die auch hier vorlommen, lernt man
allmählich entjchuldigen, weil man zur
Einſicht kommt, daß es auf Erden
nichts Volllommenes gibt; manches
Häßliche lernt man überjehen, manches
Pharifäerhafte überhören; im Strahle'
der Kerzen, unter den Klängen der!
Orgel und des Voltsgefanges, inmitten |
von betenden, weinenden, in Andacht,
erhobenen Herzen feiert man till für
ſich und frei von den Feſſeln ſeinen
Gottesdienſt.
So kam ich an jenem Weihnachts—
tage in das Gebirgsdorf. Der Winter
that ſein Möglichſtes, um dieſes heilige
—
Volke von P. R. Roſegger.
Felt dem Norden würdig zu ſchmücken.
Schon einige Wochen früher Hatte er
über das Land eine feite Schneedede
gelegt, die Dächer mit ſchützendem
Mantel bededt, die Bäume mit weißem
Pelzwerk gefüttert und die Straßen
für Schlitten fein geglättet nach den
Worten de3 Adventevangeliums: was
neben ift, joll zu einem ebenen Mege
werden.
Und nun zum Feſte war nad
einem tagelangen Stillen Nebelſpinnen
der frische wogende Winter neuerdings
niedergefunfen über das weite Alpen
rund. Es ſchneite und ftöberte, da
man nicht zwanzig Sceitte von ſich
jah. Die Kirchengeher fchoben in den
Schneemaffen gänſemarſchartig heran,
der Pfad hinter ihnen ward fofort wies
der verjchneit und verweht. Von den
Düchern ftob der Mind dichte weiße
Wolfen auf, trieb fie in die Fugen der
Wände, in die Fenſterkiefen, in welchen
fih Schnee und Eis aufftaute, in die
Kleider und Bärte der Vorübereilen-
den. Es ſchneite feine Flocken, es war
ein dichter ſchwerer Nebelſtaub aller—
wärts, jedes Waſſerbläschen war Schnee
geworden und diefer ſank und flog und
wirbelte unabläflig nieder und man jah
endlich nichts mehr, als unter ſich das
blendende Wei und über ſich das un—
durrchdringliche Grau. Dort und da
hub der Schnee, der Schon auf dem
Boden lag, wieder an zu wirbeln und
‚anfzufliegen, als vene es ihn, aus den
Iuftigen Höhen, wo die Engel heute ihr
Gloria jangen, niedergeſunken zu ſein.
Die Leute hatten ſich in die Hut
der Kirche getummelt, von deren Thutme
jetzt die Glocken klangen, den Wind
übertönend, welcher an den Mauer—
eden toste und an den Thurmfenſtern
509
pfiff und den Schnee au das Eu
warf. Hinter den Kicchenfenftern bes
gann der rote Schein zu dämmern,
während ich noch im Freien fand und
unentſchloſſen war, follte ich das Weih-
nachtsfeft drinnen mit den Menjchen
feiern, oder heraußen bei dem winter:
lihen Hochgelange der Natır. Man
hält es am Ende doch lieber mit den
Menschen. Als ich gegen das Kirchen
thor ſchritt, ſah ich neben mir einen
hohen Schneehügel, aus welchem ein
paar Holzkanten hervorjtanden. Nun
gewahrte ichs, daß Hier ein Sarg aus
Tannenholz Stand, mit Striden auf
die Zragbahre gebunden. Der war
mit jeinem ftillen Bewohner heute wohl
Ihon aus einem der Hochgebirgsthäler
herausgekommen. Gar ohne allen
Schmuck ftand er da und mußte warten,
bis die Leute drinnen mit ihrer Freu:
denandacht fertig waren und ihn ins
Grab legen wollten. Mittlerweile wob
ihm der emfige Winter vajch ein Leis
chentuch und führte über ihm mit
wirbeindem Staube einen Grabhügel
von Schnee auf. — Welch eine aus—
gebrannte Welt mag — die Hände
über der Bruft gekreuzt — da drinnen
liegen!
Ih trat nun, an der fteinernen
Schwelle den Schnee von den Stleidern
Ihüttelnd, auch im die Kirche. In die
Augen fiel der Lichterftrahl vom ver-
goldeten Altare und den drei kryſtallenen
Luftern, in die Ohren der Freitgefang
vom Ghore, in die Naſe der Weihrauch,
welcher aus dem hin- und herſchwin—
genden Gefäh des Miniftranten in
üppigen Wolten aufitieg: jo nahm die
Kirche meine Sinne gefangen, Allein,
während auf dem Chore die lieblichen
Krippenlieder zu Ehren des göttlichen
Kindes Hangen, mußte ich immer wie—
der an den Schläfer denken, der draußen
vor dem Thor in feiner lebten Wiege
lag. Neben mir, am Pfeiler halb an—
gelehnt und eifrig feinen Roſenkranz
abbetend, ftand ein alter Bauer. Dem
Ihielte ich lange auf die Yinger und
als ich nun merkte, daß er am letzten
— —— — —— — —ñ— — — —— — — — — — — — — — — ——— —— — —— —— —
Knötlein feiner Roſenkranzſchnur an—
gelangt war, ſo daß mir die Unter—
brechung in ſeiner Andacht nicht allzu
ſtrafwürdig erſchien, flüſterte ich ihm
die Frage zu, wer es ſei, der draußen
in der Truhe liege? Der Befragte
betete den Reit des Baterunfers noch
rasch von der Zunge weg, dann neigte
er feinen Kopf zu mir und zifchelte:
„Der Funken-Ferl.“
Die Auskunft war gering, ein
Anderer vielleicht hätte damit wicht
viel anzufangen gewußt; mich ſchob
fie in eine Welt der Erinnerung und
der Betrachtung. Und anftatt der hei—
ligen Weihnachtsandacht nachzuhängen,
war mein Gedanke plöglih an einen
Menschen gefettet, der mir weltfremd
geweien und für den ich mich doc
manchmal heimlich interefjiert Hatte.
Der Funken-Ferl! Vor fünfund—
zwanzig Jahren war er als junger
Menſch in die Gegend gekommen.
Einige wöllten damals wiſſen, er fei
ein verjagter Student, Andere erzähle
ten, er wäre ein Militärflüchtling.
Uebrigens fragte ihn Niemand nad
jeinem Herkommen und er ließ auch
nichts davon verlauten. Die Wahrheit
wird geweſen fein, daß der etwa zwei
oder drei Meilen weit, alfo „aus der
Fremde“ hHergezogene Menjch ein va—
jierender Schneidergefelle war, der die
neue Gewerbefreiheit dazu benüßte, in
unserer Gegend herumzuſchneidern. Für
uns anderen Schneider war der „Neue“
merfwürdigerweife nicht ein Gegen»
ftand des Neides, jondern des Bedau—
erns gewejen. Denn erftens fand der
„Schneider-Ferl“ jo wenig Arbeit, dal;
er ſich kaum das tägliche Brot er—
werben konnte. Und wenn er am
Sonntag vor der Thür feines Stüb-
leins ftand und fich vor der Leute
Augen die Zähne ausftocherte, fo war
das nicht ernft zu nehmen, er müßte
denn eine verklemmte Kartoffelſchale
loszuftochern gehabt haben. Und zwei—
tens war der Ferl als Halbnarr aus»
geichrieen. Er that zwar nichts När—
riſches, war ein bejcheidener, hübſcher
Burſche, der ſich nur darin von An—
deren unterſchied, daß er lärmende
Geſellſchaften mied, ſeine eigenen Wege
gieng und daß er den Sonnenjchein
nicht leiden konnte. Den Sonnenschein
hat doch ſonſt Jeder gern, er macht
belle Augen, ein warmes Blut und
ein luftiges Herz. Beim Ferl war's
anders, wenn die Sonne fehien, da
war er verftimmt; kaum etwas war
ihm öder und langweiliger, als ein Tag
ohne Wolfen, ohne „Wind und Wet—
ter,“ als ein Tag, der nichts hatte,
denn heißen Sonnenschein vom Morgen
bis zum Abend. Als einmal fünf
Wochen lang eine ſolche Sonnenwülte
war, wie er fi ausdrüdte, magerte
er ganz erjchredend ab, obzwar er da—
mals in einem Großbauernhof arbeitete,
wo ihm nichts abgieng. Als endlich das
Negenwetter fam und kalter Nordwind
die Tropfen Scharf an die Fenſter
ftrählte, lebte der Ferl wieder auf,
pfiff und fang bei feiner Arbeit und
am Feierabend warf er feinen Wetter—
mantel um und eilte hinaus in Regen
und Sturm. Unter den Bäumen, die
om meiften ranſchten, ſtrich er Hin, an
Abhängen gieng er entlang, wo die
wildeften Gießbäche niederichoffen, im
Waldſchluchten drang er ein, wo der
Nebel am dichtelten lag, und vollends
wenn Hochwaſſer war, fchwänzte er
jeine Arbeit und gieng bei den Waſſern
wm; wenn die Yluten wild und trübe
beranwogten, Erdreih, Bäume und
Felsblöcke mit fich rilfen, da war ihm
zum Jauchzen; wenn der Sturm die
ruppigen Wipfel zauste und die alten
Stämme brad, das fie krachend zu Bo—
den ftürzten, wenn im Aufruhr der Ele=
mente die Raben und Geier Freifchend
in den Lüften flatterten und ſchmet—
ternde Blitze dreinfuhren und blaue
Flammen auflohten aus getroffenen
Strünfen, da war dem Ferl zum Jauch—
zen. Menn er endlich aus jolchen
Wildniſſen heimkam, über und über
pudelnaß und zerzaust, da blühten feine
Wangen in Friichen Roth, da leuchtete
jein Auge, da fchlang er feinen Arm
um den Naden des erftbeiten Ktnechtes
und wußte fich vor frischer Luſtigkeit
nicht zu faſſen.
Ein ſolcher Schneider war noch
nicht geſehen worden. Der Schneider—
muth iſt allbekannt und im Ehren
ſprichwörtlich geworden; dach das war
ein außerordentlicher Schneider! Das
war ein dämoniſcher Schneider. Die
ihn nicht für einen Halbnarren hielten,
die filtchteten ſich vor ihm und Jemand
brachte es auf, daß der Ferl kein ge—
wöhnliches Fleiſch und Blute habe,
daß er ſicherlich zum Gefolge der wilden
Jagd gehöre, von dem er ſich aus Gott
weiß was für Gründen losgetrennt
habe oder vom wilden Jäger in einen
Schneider verwunfchen worden fei.
Berwunderlich war aber Eines. Als
ſich der Ferl einen Schatz ſuchte, nahm
jer nicht etwa ein reſches Engerl, aus
‚dem fich fpäter eine böfe Sieben ent»
wideln konnte, jo daß er für fein
Leben Sturm und Wetter genug im
Haufe gehabt hätte. Nein, er wählte
ein ſchüchternes, fanftes Ding, das nach—
gerade einen wolfenlofen Ehehimmel
mit inmterwährendem Sonnenschein be=
fürchten ließ. Gegen diefe Art von
Sonnenschein jedoch hatte ſelbſt der
Ferl nichts einzumenden. Er war fehr
glüdlih. Sein Geſchäft hob ſich all—
mählich Jo anſehnlich, daß er daran
denfen konnte, jeine Marthel von ihrer
Dienftihaft in der Armut zu erlöfen
und zur Meifterin zu machen.
Da kam einmal die Kirchweih, und
weil e5 gar fo ſchön ftürmte und Regen
und Schneefloden fielen, gieng der
Ferl auf den Jahrmarkt. Dort gedachte
er feiner Marthel und kaufte ihr einen
Ihönen elfenbeinernen Strähllamm.
Der war zwar nicht weiß und auch
nit von Bein, ſondern glänzend
ſchwarz und federnd, aber der Krämer
jagte, man trage fie jeßt fo und Die
elfenbeinernen Kämme mache man Heut
| zutage aus Kautſchuk. Das war dem
Ferl auch recht. Er gieng nah Haufe,
und weil er unterwegs mit feiner
Marthel zufammentraf und weil der
ol
l
regneriiche Abend für das Mädel gar |
jo herb war, jo nahm fie der Burfche |
mit in fein Stüblein. Dort gab er
ihr den Schönen Strähltamm, legte
ih auf die lange Bank und hörte
glüdfelig zu, wie fie zu feinen Häup—
ten fißend den Kamm pries, daß ein
ſolcher Elfenbeinkamm lange fchon ihr |
Verlangen gewefen, und wie fie nicht
wiſſe, mit welcher Freude fie ihm diejes
Geſchenk vergelten folle. Dabei ftreichelte
das Dirndel mit ihrer Hand feine Stirn.
Mittlerweile war es finfter geworden
und num fragte die Marthel etwas un—
gleich, ob fie denn nicht Schon Fortgehen
müje? Er rieth, daß fie nur ſitzen
bleiben folle zu feinen Häupten und
daß fie jegt Gelegenheit hätte, ihm
was Gutes zu thun. Ex habe nämlich
noch von Mutters Zeit her eine fin»
diſche Gewohnheit, der er freilich ſchon
lange nicht mehr hätte fröhnen können,
weil er Niemand habe auf der Welt,
der es ihm thue. Er habe es nämlich
jo gottloS gern, wenn Jemand zu feinen
Häupten fie und ihn die Haare fträhle.
„D Du lieber Ferl,“ jagte fie,
„daß ih Dir die Haare fträhle, das
will ich ja gerne thun.“
Er hatte ein ſchönes, langes, nuß—
braunes Haar, was aber jeßt im Fin—
ſteru kohlſchwarz war. Das begann fie
nun zu ftrählen. Sie ftrählte es nad)
vorwärts, fie ftrählte es nach rückwärts,
fie ftrählte e$ aus den Winkeln der
Ohren und dom Naden herauf, wo
e3 gar wie der weichſte Flaum war.
Sie ftrählte es in Sceiteln, glättete
es und loderte es wieder auf, -zerftörte
die Krauſe, um fie von Neuem wieder
berzuftellen. Sie fagte nichts dabei.
Er ſchwieg auch und genoß die ftillen
Wonnen, die über ſein Haupt ausge—
goſſen wurden. Wenn ihn jetzt Jemand
gefragt hätte, was angenehmer ſei, ein
Gang durch die ſtürmiſche Wetternacht,
oder ein folches Haarftrählenlajfen von
der Marthel, ich glaube ſchier, er hätte
ſich nicht entjchieden, fondern ich baß
geärgert über den Störer feines füheften
Friedens.
——— — — — —
Als die Marthel lange jo geſtrählt
hatte, fiel ihr ein feines Kniſtern auf,
das in den Haaren war und ein ganz
wunderjames Prideln, das au ihre
Finger ſchlug. Plötzlich that fie einen
leifen Schredruf, dann war fie wieder
ſtill und ftrählte weiter.
Was das gewefen jei? fragte der
Ferl.
Sie ſchwieg und ließ ihre innere
Erregung nicht merken. Es war ihr
geweſen, als hätten aus den Spitzen
den Haare kniſternd blaue Funken her—
vorgezuckt ....
Nah einer Weile, da fie immer
noch jtrählte, fagte fie leife und mit
Befangenheit: „Werl, ich habe Dich
ſchon lange einmal etwas fragen wollen.“
„Frage nur her,“ entgegnete der
Burſche.
„Du mußt mir aber nicht böſe
werden. Es iſt halt um Leben und
Sterben.“
„Was meinſt Du denn,
Dirndel?“
Sie ſtockte, endlich ſagte ſie: „Biſt
die letzten Oſtern wohl auch bei der
heiligen Beicht geweſen, Ferl?“
Einen Augenblick war es ſo ſtill,
daß man wieder deutlich das Kniſtern
vernahm in ſeinem Haar.
„Wie kommſt Du jetzt auf eine
ſolche Frage?” verjegte der Burſche.
„Der böfe Feind,“ ftotterte jie,
„bat oft fein Spiel.“
„Seh, Marthel, ſchau, wie meine
Stirn Heiß ift! Leg’ Deine Wange
drauf.“
Das that fie nicht, ſondern ftrählte
noch emſiger und fchiwieg. — Gählings
that fie einen gellenden Schrei, ſchleu—
derte den Kamm von ſich, ſprang auf,
ftieß mehrmals an die Wand, bis fie
Höhnend die Thürklinfe erhafchte und
davonlief.
Am nächſten Tage wußte es die
ganze Gegend: Aus dem Haar des
Schneider-Ferl ſpringen Funken!
Der Mann war — man wollte
es nicht ſagen, was er war. Nun
fonnte man ſichs wohl erklären, daß
mein
512
er feinen Sonnenftrahl leiden Tonnte.
innen Feuer, außen Feuer, das wird
freilich Niemand aushalten. Jebt wußte
man, warım ev Sturm, Regen und
Geſtöber fo Fehr aufluche, aber das
höfliiche Feuer — wer es in ſich hat
— das löjcht Fein Eisſchauer und fein |
Molfenbruc.
Die Marihel befreuzte fi, wenn
vom Schneider-Ferl die Nede war, fie
wich ihm aus auf Hundert Schritte,
und an ihr Belt malte fie mit der
Kreide ein Trudenkreuz, damit fie ver— |
Ihont bleibe vor Anfechtungen.
So hatte der FFerl feine ſaufte
Marthel verloren, hingegen aber den
von ihr wijlen. Er lebte allein dahin,
wie bisher, fiedelte ſich allmählich feſt
und ward ein geachteter Handwerker.
Der Spitzname blieb ihn; die Geſchichte,
wie er zu bemfelben fa, gerieth all»
mählich in Vergeſſenheit, nur mir war
fie num unter den MWeihnachtsklängen
der Orgel wieder lebendig geworden,
während der „Funken-Ferl“ draußen
‚dor dem Thore auf das Begraben-
werden wartete.
Nah dem Hochfeftlihen Gottes=
dienfte haben wir uns angejchidt, dem
jewigen Schläfer fein letztes Recht an—
zuthun. Mitten durch das twinterliche
Geftöber gieng der lange Menſchenzug
Spignamen „Funken-Ferl“ gewonnen. |der jchwanfenden Bahre nach, hinaus
Fürs Zweite ſchadeten die Funken
die aus feinem Haupte Sprangen, =
feinem Geſchäft, ſie verfcheuchten ihm
die Funden. Ein feuerfprühender
Schneider, das wäre fo was!
Die Sahe kam bis zum Pfarrer.
Der Ferl müſſe ſich mit Weihwaſſer
beſegnen laſſen — wollten ſie — oder
trachten, daß er weiter fomme! Der
Pfarrer rietd den Leuten Folgendes:
Sie Jollten Kautſchukkämme faufen und
ih im Finſtern ſtrählen laſſen, es
würde auch Funken geben.
Ob ein Weibebild ftrählen müſſe?
ward gefragt.
Es käme nicht gerade auf das
Weibsbild an, belehrte der Pfarrer,
jondern eigentlich auf die Elektricität;
und die fei mehr oder minder in jedem
Menſchen vorhanden und entlade ich
bei allerlei Gelegenheiten, in Luft und
Lieb, in Zank und Zorn, wo es oft
Schwere Wetter und Blitzſchläge gebe,
bei Berührungen und Neibungen der
Körper, bejonders auch beim Kämmen
der Haare.
Und jebt war im der Gegend das
Haarftrählen Mode geworden. Alles
ftrählte, Vieles gab Funken und in
Manchem und Mancher zündete der
Funke.
Die Marthel trachtete nun wieder
zurück zu ihrem urſprünglichen Mo—
toren, aber der Ferl wollte nichts mehr
über die Felder zum Friedhofe. Die
vorderen Reihen beteten laut, wir hin—
ten hörten vor lauter Schneeſauſen
nichts davon, und um uns zu ent—
ſchädigen, verlegten wir uns, ſo gut
es gehen wollte, aufs Plaudern. Da
erfuhr ich denn don meinem Nachbar,
einem Bauern vom Gebirge, noch Eini—
ges aus dem Lebenslaufe des „Funken—
Ferl.“
„Ein ſolches Wetter!“ kaurrte
der Mann und ſchnob ſich den Schnee
aus dem Bart, „der Ferl, wenn er
heut mit dabei ſein kunnt, der müßt'
eine hölliſche Freud' haben. — Letzt'
Zeit iſts ja noch ärger worden mit ihm.
Sommerszeit, wenn anderen Leuten
das Herz hat gelacht in Wald und
Flur, bat er ſich in die Häuſer ver—
krochen und geſchneidert, daß die Fetzen
find geflogen. Winterszeit hat er die
Arbeit Liegen und Stehen laffen und iſt
in Wind und Schnee umgegangen,
wie wicht geiheit. In Lodenhabit und
Mafleritiefeln durch den ſcharfen Winter
gehen, Belleres gibts nichts, hat er
allemal gefagt. Sommerszeit, wenn
gegen Abend die Wolken aufgeftiegen
find umd es in der Dämmer ange—
fangen hat zu bligen, da ift er nicht
ins Bett gegangen. Dat ſich draußen
auf den Anger bingeftellt, die Weite
aufgefnöpft und dem Gewitter ent—
gegengefchaut, wie es heraufgeftiegen
513
ift hinter den Bergen mit Feuer und Knie in den Schnee ein. Hinter meinem
Krachen und der MWetterfturm von! Haus ift ein Bühel; wie es finfter
ferne ber über Wald und Auen ift | wird und ich beim Feuſter hinausſchau,
gefahren und ihm an die Bruft ges | weil manchmal jo ein befonderer Schein
Iprungen. Der Bliß rechts herab und aufzudt, fteht auf dem Bühel ein
der Blitz links herab und der Knall Mann und vedt ſich ins Firmament
über Häupten Hin, jo ift er dageſtan- hinein. Schau, fag’ ich zu meinem
den wie eine Säule aus Stein. Und! Weib, wenn der dort Steiner ift, der
wie es vorbei ift, thut er einen hohen in der Thomasnacht das Wünſchhütl
Athemzug umd geht ins Bett. — So | fuchen geht oder den Fünfguldenbeutel
haben wir“ — fuhr mein Weggenofje oder den Thalerſchimmel, fo ifts der
fort — „ihn einmal gefragt, ob er|
denn nicht mehr leben will, daß er
dem Tod jo entgegengeht. — Tauſend
Jahr möcht’ ich leben! ift feine Ant—
wort. Herrgott, was werden das noch
für Schaujpiele fein, bis es aus ift mit
diefer Welt! — Herr Beter, ich jag’
es Euch: wenn auf unferem Friedhof
Gin Todter mit Sehnfucht wartet auf
das jüngfte Gericht, fo ift es der Ferl.
Da wirds ihm doch Spektakel genug
geben, alsdann!“
„Er muß ja noch nicht alt ge=
wejen fein,“ bemerkte ich.
„Nicht fünfzig. Und kerngeſund
no, vor drei Tagen,“ ſagte mein
Schneider. Der ſchaut fich wieder ein—
mal die Schöne Welt an bei der Nacht.
Ich Hab’ Euch noch nicht ausgeredet,
jo machts einen Blegezer (Blitz) und
einen Schwachen Schlag, juft als wie
| wenn bei dem Stadl draußen das Hof:
thor umgefallen war. Jeſus Maria!
fagt mein Weib, mich deucht gar, das
ift ein Donmerwetter mitten im Wins
ter! — Du, fag’ ich, jetzt ſteht der
Mann nicht mehr dort auf dem Bühel.
Daß ihm nicht etwa was geſchehen iſt!
So eine Mahnung Hab’ ich gehabt.
Wie ih Hinausgeh’ und nachſchau,
‚liegt er im Schnee und if} maustodt.“
Wir ſchritten durch das Friedhofs—
|
Verichterftatter, indem wir uns eng; thor. Bon der hölzernen Einplanfung
aneinanderschloffen, Einer den Andern | gudten nur die Bretterfpigen aus dem
vor dem ſauſenden Schneeftaub ſchü- | Schnee. Bon einzelnen Kreuzen ragten
gend, fo gut es gehen mochte. „Im die Dachbrettchen Hervor, von anderen
vorigen Jahr ift der Ferl viel kränk- nichts. Am großen Erucifir, das mitten
lich gewefen und zum Erbarnen vom | im Gottesgarten ftebt, waren die Füße
Fleiſch gefallen. Es war zumeift eine) des Heilands unter dem Schnee. Zwi—
Ihöne Zeit und Sonnenschein und der ſchen den Kreuzen hin war ein fchmaler
Ferl ift außer in feiner Kammer nicht Gang ausgefchaufelt, in welchen fort—
viel gejehen worden, Eine alte Dienft- während der Schneeftaub Hineinwirbelte.
magd, Marthel heißt fie, hat ihn pfle= | „Es ift wohl feltfam,“ ſagte ich
gen wollen, er hat Dank gejagt, und, zu meinem Meggenofjen, der mun des
tunmts Schon aflein richten. Wie aber) ſchmalen Weges wegen Hinter mir
jegt der firenge Winter ift gekommen,
da ift er Hervorgelrochen, in Wind und
Schnee herumgeftiegen, hat rothe Wan—
gen bekommen, ift ganz luftig worden.
Jetzt lommt der Thomastag. Das
Firmament Liegt wolfenfiniter über
ſchneeweiß Berg und Thal. Ein weis
her Wind geht und die Bäume ſchüt—
tel den Schnee ab, und fallen auch
Negentropfen. Der Funken-Ferl fteigt,
drangen um md bricht oft bis über's
Rofeager's „‚Geimgarten‘*, 7. Geft, XI.
dreingieng.
„Wenn ichs micht felber gejehen
hätt’,“ rief er mir über die Achjel Her,
„Ich kunnts nicht glauben. Der Blitz
hat ihn erfchlagen, jagt der Arzt. Es
muß dem Funken-Ferl rein fo aufges
jegt gewejen fein. — Alsdann hats
angefangen zu ſchneien. Und fo viel
Schnee, dab wir den Todten vier Tage
haben müſſen liegen laſſen in feiner
Kummer, bis jeßt zu den Feiertagen
33
[2
der Weg ift aufgemacht worden von
unferem Hintergebirg zur Pfarrkirche
heraus. — So, jeßt hätten wir ihn
glüdtich da.”
Die Menge ftaute fi, voran die
Träger mit dem Sarge fanden am
Grab. Wir hörten im Saufen des
Windes kaum den Grabgefang und
nur wie fernes dumpfes Donnern war's,
als der Sarg in die Tiefe des ge—
frornen Erdreichs hinabrollte. Die
üblihen Waterunfer wurden etwas
ſchleunig abgethan, hierauf eilten die
Leute faft fluchtartig in das ſchirmende
Dorf zurüd. Bald ftand am Grabe
nur ich allein und der Winter wollte
dem Zodtengräber zuvorklommen und
die Grube mit Schnee füllen. Erd—
ſchollen und Schneefruften durcheinan—
der rollten auf den blanken Sarg und
dies einemal that es mir wehe zu)
denken, daß da unten der flille ewige
Friede ift.
Ich wei von dem Schneider Fer—
dinand weiter nichts zu erzählen, es |
war ein arınes, verborgenes, umbedens |
tendes Leben. Aber ich ſah in ihm ein
gottbeguadetes Sein, welches als einen
Gegenfaß feines Findlichen Herzens
friedens die braufenden Gewalten der
äußeren Natur ſuchte und liebte, und
gleichjam im der erhabenen, bauenden
und zerflörenden Bethätigung der Ele—
mente den Schöpfer und Erlöſer ge—
ahnt Hat.
Nur wenige Minuten war ich von
den Leuten zuriüdgeblieben, doch als
ich den Mantel fefter um den Körper
windend jet meinen Weg ins Dorf
fuchte, war derjelbe jchon wieder fo
jehr verjchneit und verweht, daß ich
nur mit Mühe weiter fam, ſehr oft
ftehen bleiben mußte, um mich auszu—
ſchnaufen, während mir der ſchneidende
Wind den Athem zurüdftieß in die
Bruſt. Nun wurde ich gewahr, daß
die Richtung verloren war. Mitten im
Felde, ringsum Schnee, ſtellenweiſe jo
völlig vom Sturme weggefegt, daß
ftarre Halme hervorftanden, ftellen-
weile in ellenhohen ruppigen Schichten
tg zu fteilen Wänden mit
Icharfen überhängenden Kanten, und
ringsum Nebel und Geftöber, daß es
war wie eine brandende weiße Finfter-
nis. Das — dachte ih — das wäre
wieder jo etwas für den Ferl! —
Und es hat in der That feinen Reiz.
Der Reiz wurde mir jedoch all—
mählich zu groß. Ich irrte ganz plan
08 in der winterlihen Wildnis und
hätte mich immer weiter gegen die
Heide hinaus verloren, wenn nicht
durch das Gebraufe plößlich ein Glo—
\dentlang halb erftidt an mein Ohr
| gekommen wäre. Bon riidwärts kam
‚der Klang der Glode, die dem Bes
ftatteten noch den legten Gruß gab.
Sch kehrte um, überwand etlihe Schnee—
wälle und war endlich im Dorfe, two
auf der Straße gerade ein Schlitten—
geſpann fteden geblieben war, daß der
Fuhrmann die Pferde losband und fie
mit Mühe in den nächſten Stall brachte.
Bon der traulih warmen Stube
aus betrachtete ich nun durch das mit
Sägeſpänen belegte und mit einem
goldpapierenen Nikolo gezierte Doppel—
fenfter den Wintertag. Draußen ein
diifteres bläuliches Weik, an der Stu—
benwand der röthliche Schein des kni—
fternden Kaminfeuers — fo fieht ſich
der Winter auch nicht übel an. Noch
|beifer ift freilich der Funken-Ferl vers
—
| 's ihm auch recht ift?
15
—
Vom Dichter der „Studien.“
Eine Stizze ſeines Lebens und Schaffens von P. R. Roſegger.
> ) ber bei meiner Treu, ich ſag's:
dieſer Bub’ fpricht wie der
heilige Geiſt ſelber!“
So rief vor beiläufig ſechzig Jahren
in einem Hauſe des Böhmerwaldes
eine alte Bauersfrau aus, und zwar
über einen Heinen, neunjährigen Entel,
der dor ihrem Spinnroden ſaß und
ihr die Bibel auslegte. Sonft war es
immer fie, die Großmutter gewefen,
die dem Kleinen Märchen erzählt Hatte,
wie jie jede alte deutjche Frau aus
ihrem Spinnroden heraus zu jpinnen
weiß. Und plößlich jah fie jih nun
überholt, und der Junge wußte wie
ein Pfarrer, der zwölf lange Jahre
wohl ftudiert, die Schrift auszulegen,
und er Sprach ſchier wie der heilige
Geiſt ſelber.
Des Knaben Vater war ein Leine—
weber in der Ortſchaft Oberplan. Zu
dieſem ſagte nun eines Tages die
Großmutter:
„Weißt Du wu3, der Adalbert muß
ſtudieren, in dem ſteckt ein Biſchof.“
Des war der Weber rechtſchaffen
zufrieden, und jofort wurde es jo
augeftellt, daß der Gaplan des Ortes
dem Stleinen lateinischen Unterricht
ertheilte. Freilich nur für kurze Zeit;
erllärte eines Tages der geiftliche
Herr dem Webermeifter: Der Burfche
babe nacgerade gar fein Talent; es
jei um jeden Grofchen ſchade, der für
ihn verausgabt werde.
Un den Webftuhl mußte der Adal—
bett; die alte Großmutter aber lieh
es ſich nicht nehmen, daß in dem
Kleinen was Großes ftede, und wagte
ſchließlich ſogar die Behauptung, der
Adalbert ſei um eine gute Kopflänge
geicheidter als der geiftliche Herr
Gaplan. Und nah dem Tode des
Mebermeifters, den eines Tages ein
wmftürzender Ylahswagen erjchlagen,
wußte es’ die alte rührfame Frau
durchzufegen, daß der Knabe in die
Benedictinerabtei zu Kremsmünfter in
Oberöſterreich gebraht wurde. Ein
der Familie befreundeter Prieſter nahm
ih des Jungen an, und nun ftellte
e3 ſich wirklich bald heraus, daß die
Banersfrau recht gejehen hatte. Ein
großes Talent zum fchnellen und
gründlichen Erfaffen der Lehrgegen—
ftände, und ein heller Geiſt offenbarte
ih im dem jungen Stifter Adalbert.
Um den Seinen nicht zur Laft zu
fallen, erwarb er fich durch Unterrichte
geben feinen Bedarf, und in wenigen
Jahren Hatte er die ſechs Gymnaſial—
clajjen und die zwei Jahrgänge der
Hochſchule zu Kremsmünſter abfolviert.
Widmete ſich außerdem auch der Mufik,
der Malerei und befonders dem Natur—
ftudium in der herrlichen Umgebung
von Kremsmünfter und im Angefichte
der Alpen.
— In den Briefteritand treten,
der Welt entfagen zu einer Zeit, da
fie gerade am begehrenswürdigiten ift
- das bringt nicht Jeder, das brachte
Stifter am wenigften über jih. Seine
Seele wäre groß genug geweſen zu
einer Prieſterſeelle — fein Zweifel!
aber fein Herz glühte zu ſehr diejer
Melt entgegen, mit ihrer Naturpract,
mit ihrer Kunſtſchöne, die dem Welt:
bürger, der fie, wie Stifter zu faſſen
und zu verftehen weiß, Elyſien baut
allerwege. Es ift immerhin eine be=
achtenswerte Erfcheinung, daß To
viele Künſtler und Dichter uriprüngs
lih dem Prieſterſtande bejtimmt ges
33*
>16
weſen. Eine Strede jind fie den Weg dazu gewefen fein; wenigftens fällt
des Theologen gegangen, bis die eiges | feine erſte Liebe um jene Zeit. Aller-
nen Füße, gekräftigt, eigene Wege | dings ſchlug Stifter ſogleich ein radi—
einschlagen konnten. Große Genies cales Mittel dagegen ein, indem er
ſah die Kirche ſcheiden und zur pro= feine Geliebte, ein armes aber braves
fanen Welt zurüdtehren; aber wer | Mädchen, zur Frau nahın. Allein der
weiß, ob fie deswegen auch. nur ein Hang zum Dichten war ſeltſamerweiſe
einziges Mal ernſtlich geklagt, ob ſie geblieben. Fällt eines Tages ein be—
nicht etwa doc) ſtets berechnet hat, daß ſchriebenes Heft aus feiner Rocktaſche;
manche der Theologie erzogene Geifter | "Freunde heben es raſch auf, lefen es
im Bereihe des Profanen mehr für hinter feinem Nüden durch. Das ift
das Kirchenthum zu wirken vermögen,
als unter Krummſtab und Soutane.
Eie Hat ſich Hierin im Allgemeinen
nicht getäufcht; am Stifter aber war
ihre Erwartung doch nicht jo ganz
in Erfüllung gegangen.
In feinem einundzwanzigſten
Lebensjahre (1826) gieng Stifter nach
Wien, um ſich durch juridiſche Stu—
dien eine Laufbahn zu erſchließen, die
nicht wie der Prieſterſtand weltfreude—
und hoffnungslos dunklen Weihrauch—
nebel durchziehen muß, fondern die
auf Jonnigen Höhen des Menjchen-
thumes liegt. Neben feinen Fach—
ftudien betrieb Stifter, und vielleicht
mit größerem Eifer, als die herbtro=
denen Documente des römischen Rech—
tes, Mathematit, Naturgefchichte und
Malerei. Bon diefen Gegenftänden
endlich ganz Hingeriffen, gab er auch
den Gedanken an eine Beamtenftelle
auf. Das war kühn von dem jungen
habloſen Mann; indes bewarb er ich
mit Glück um Privatunterricht, und
während er felbft feine Studien eifrigit
förderte, ertheilte er manchem jungen
Millionerben Unterweifung in der
Mathematik und Naturgefchichte. Auch
dem Sohne des Fürften Metternich
hat Stifter Unterricht gegeben.
Während ſich der junge Mann in
Wiſſenſchaft und Kunft, befonders in
der Malerei übte, ahnte fein Menſch,
vielleicht auch er ſelbſt nicht, daß er
dichtete. Die allgemeinfame Urjache,
die den Legionen von Dichtern und
Dihterlingen die erfte Feder in die
Hand gedrüdt, mochte wohl auch bei
unferem Wdalbert die DVeranlaffung
ein ganz wunderſames Ding, in wels
chem von einem Balloı erzählt wird,
und wie ein übermüthiges Mädchen
in die Luft fährt. Die Erzählung ift
mit einer eritaunlichen Vollendung ges
Ichrieben, befonderd mit einer Detail-
liertheit und Wahrheit der Naturjchil-
derung, wie Wehnliches die deutjche
Literatur bisher kaum aufzuweiſen
hatte. Stifter's Freunde gaben nicht
nad, bis dieſes mahrhaftige Meifter-
ſtück unter der Ueberſchrift: „Der
Condor“ in der „Wiener Zeitjchrift”
für 1840 zum Abdrude gelangt war.
Da that das Publikum die Augen
auf; das war einmal etwas Neues,
Uriprüngliches mitten in der Mattheit
und Scalheit der damaligen Litera=
tur, an welcher die Genfur mit jo
unnahahmlichen Eifer Pathen- und
ZTodtengräberftelle vertreten hatte. Wie
num auch in anderen Zeitjchriften und
Yahrbüchern weitere Arbeiten von Adal—
bert Stifter folgten, jo gab e& leider
bei diefem Schriftiteller für die Cenſur
faft nichts zu ftreichen, womit aber
nicht gejagt fein fan, daß Stifter den
Anforderungen der damaligen politis
ſchen Verhältniſſe entſprach, vielmehr
aber, daß er allen Calamitäten der geiſti—
gen Corruption auf mehr als Schuß—
weite aus dem Wege gieng. Schon
damals wurde gejagt, Stifter ſtehe
über den Parteien und über der Zeit,
und der Geilter Finſternis vermöge
den Glanz feiner Dichtungen nicht zu
trüben. Im Gegentheile, Stifter’3 in
den Jahren 1844 bis 1848 bei
Guſtav Hedenaft im Peſt erſchie—
nene Sammlung: „Studien“ warf
in die Gefellfchaft einen mildfreunde | leicht ein reiher Mann. ine blen—
lihen Strahl, dem ſich jedes beſſer dende Darftellung wäre mir wahr=
geartete Gemüth jofort zumendete. ſcheinlich gelungen; wenn nun nichts
Bei aller Liebe zur Freiheit — hinter derfelben zu fein gebraucht
wohlgemerkt zur fittlichen Freiheit — | hätte, jo wären Bücher auf Bücher
war das Nevolutionsjahr fein Ding gefolgt und den leichtfertigen Schrif—
für Adalbert Stifter. Nach feinem ten wäre eine leichtfertige Leſemenge
Dafürhalten durften die fittlichen Ideen | nachgezogen.“
der Menſchheit niemals mit umfitte Hätte unfer Dichter das nicht
lichen Mitteln angeftrebt werden. ſchlechterdings verfchmäht, er wäre
Stifter gieng dem Rieſenkampfe, der heute vergeffen ; während nun Jeder,
nur zu bald in Raub und Mord der unferer Literatur nur halbwegs
ausartete, aus dem Wege und ver- Intereſſe entgegenbringt, zum minde—
legte ſeinen Wohnſitz von Wien in ſten ſeine „Studien“ kennt.
die ſtillere und freundliche Donau— „Studien“, dieſer Titel ſelbſt
ſtadt Linz. Schon iſt dazu geeignet, das Leſe—
Wenige Jahre darauf (1850) publikum zu ſortieren, die leichtfertige
wurde ihm ein Ehrenamt zu Theil, Menge, die von Studien niemals
das ihm freilich in der wieder herein= | was willen mag, dem Buche fern zu
gebrochenen Reaction bald zu einer halten, dafür aber ftrebjame, gründ—
reht unerquicklichen Bürde heran⸗ ‚Lich angelegte Naturen demſelben zu—
und über den Kopf wuchs, Stifter | zuführen. Und wahrhaftig, dieſe ſollen
wurde Schulrath der Voltsichulen für | ihre Rechnung finden. Bon dem „Con—
Dberöfterreich. dor“ an bis hinab zu dem „beichrie=
Aber er zog Fih mehr und mehr benen Tännling“, welch ein Bilder-
zurück im die ftille Weihe der Poefie. | und Ideenreichthum, welch edelerhabene
Er lebte dem hohen Geifte der alten | Menfchengeftalten, welch mannigfache
Dichter Griehenlands und unſerer Stimmungsihatten in Allem und
deutfchen Heroen, befonders Goethe's, Jedem, troß der ursprünglichen Ein—
Jean Paul's und Grillparzer’s. Und | fachheit! Wer Stifter’! „Hochwald“,
er dichtete ſelbſt. „Narrenburg“ und „Hageſtolz“ ges
Anfangs fand Stifter ſeltſamer- leſen hat, der wird mich eines über-
weile den rechten Weg der Ausdruds- | triebenen Enthuſiasmus nicht beichul-
weile nicht. Anſtatt der Feder wollte | digen. Ja, er wird das Buch über:
er Sich des Pinfels bedienen. Auf! haupt nicht aus der Hand legen,
Leinwand fuchte er feine Dichtungen | fondern auf feinem laufchigen Plätz—
zu malen. Es entftand Gemälde um | chen — ich wiünfche jedem Lejer ein
Gemälde, aber feines befriedigte. Dem | folhes — auch das arkadisch: idyllische
Schreiber diejes jelbft hat Stifter eins | „Daidedorf”, die jeelenvolle Erzählung
mal geäußert, die Leinwand ſei ihm „Aus der Mappe des Urgroßvaters“
wie ein Sieb, auf welchem nur das |und die tief ergreifende, grandiös—
Grobe liegen bleibe, das Feine, Zarte | tragische Gefchichte des Juden Abdias
und Wahrhafte aber durchfalle. — leſen. Und er wird auch alles Uebrige
So bat er denn ein» für allemal|lefen und im Laufe feiner Jahre
Apollo’s Griffel zur Hand genommen. | wieder leſen; — denn das Buch in
Es war ihm heiliger Ernſt mit feinem | feiner heiteren Reinheit wird ihm eine
Schaffen; fein literarifches Streben | Gemugthuung fein für die Mebel, jo
war rein und ambeirrt von aller) ihn das Leben und — die Literatur
Nebenrückſicht. — „Wäre ih ein jemals angethan.
bloßer PBüchermacher,“ schrieb er einit Im Jahre 1853 erichienen Stif-
an einen Freund, „Fo wäre ich viele |ter’3 „Bunte Steine“, Erzählungen,
518°
die eine außerordentlih tiefe Auf—
fafjung des menſchlichen Charakters,
bejonderd der Kindesſeele offenbaren
und ſich im würdigſter Weiſe den
„Studien“ anſchließen. Es mag hier
befonders auf eine Novelle, „Berg—
fryftall“, hingewiefen fein, in der
zwei bilflofe Kinder, die fich in der
Chriſtnacht im Hochgebirge verirrt,
den Gewalten der Gletjcherwelt gegen
übergeftellt werden.
Den „Bunten Steinen” folgte ein
Buch voll ftillen Gottesfriedens, „Der
Nachſommer“ geheißen. Hier wird
- uns ein Leben erzählt, welches zu
dein inneren und Äußeren Sinne des
Dichters in maher Beziehung fteht.
In Eunftvoller Schöne liegt vor uns
eine Heine Welt, und wir freuen uns
an den treuen, lieben Menfchen, die
bier wandeln, an der geruhlamen
Wald- und Alpennatur, die bier fo
weihevoll verehrt wird. Und mitten
in folcher Idylle erheben ſich Stätten
der Kunſt, auf denen wir nun frei—
ih manche weitgedehnte Reflerion des
Dichters anzuhören haben, Hingegen
aber in dem Roſenhauſe, in welchem
der Held der Erzählung wohnt, uns|
jo heimisch fühlen, dak uns das Ende
des gleihwohl dreibändigen Romans
noch immer zu früh daraus vertreibt.
Später gab Stifter feinen hiſto—
riſchen Roman „Witiko“ heraus. Bei
diefem Werke erreichte die einzige aber
doppelte Rüge eines Theiles des
Publikums, nämlich daß Stifter feine
Arbeiten zu weitläufig ausführe und |
dadurch oft ein wenig verflache, ferner |
daß er auch den menjchlichen Leiden
ſchaften zu geflifjentlich aus dem Wege
gehe und dadurch feine Novellen der
jpannenden Conflicte und Kataftrophen
beraube
„Witifo* ihren Gulminationspiunft.
Ob mit Neht? Der Wert eines
hiſtoriſchen Romans,
nicht allein in der Darſtellung her—
borragender Ereigniffe, die ja ſelbſt
des Laien Auge zu finden und viels
leicht zu zeichnen weiß, ſondern auch
— dieſe Nüge erreichte bei
dünft mich, liegt |
und vielmehr in der Detailausführung
aller Eulturverhältniffe der betreffenden
Zeit, die jedenfalls das tiefite Stu—
dium erfordert. Sind ja doc erft aus
den jeweiligen Gulturzuftänden die
Charaktere und Thaten ihrer großen
Männer erflärlih. Wollte wünſchen,
‚jeder Hiftoriter hätte jene Gewiſſen—
|haftigteit inne, mit welcher Stifter
Archive und Antiquare durchitöberte,
bloß um ficherftellen zu können, wel—
her Art die Mefjer und Gabeln waren,
mittelft deren man zu Ottokar's Zeit
in der Prager Königsburg getafelt.
Diele halten den „Witilo”, was feine
hiftorifche Treue und Darftellungs-
weife betrifft, für das Mufter eines
hiftorifchen Romans, der ja doc weder
‚eine Tendenzſchrift, noch ausſchließlich
eine Unterhaltungslectüre fein kann,
der ganz von der Gegenftändlichkeit
und den Spdeen der Zeit, in welcher
er fpielt, erfüllt fein muß.
Iſt übrigens nicht meine Auf—
gabe, oben angedeutete doppelte Rüge
zu entkräften; doch wäre es kaum
ſchwer, die Thatſache, daß unſer Dich—
ter „den menſchlichen Leidenſchaften
aus dem Wege geht,“ als einen Vor—
zug zu manifeſtieren. Wird doch geſagt,
der Dichter müſſe die Welt und die
Menſchen idealiſieren und dem irren—
den, bedrängten Geſchlechte zu neuer
Ermunterung und Zuverſicht verklärte
Bilder und Geſtalten vor Augen
ſtellen. — Der Leihbibliothef-Romanz
zier thut das freilich nicht, denn der
hat die Aufgabe, ſeine Leſer zu kitzeln,
aufzuregen, zu ſpannen, und laſſen
ſich Hierin die Leute gern ein wenig
foltern. Aber ein Dichter wie Adalbert
Stifter konnte und mußte feine Werke
adeln. Auch er Hat Leidenschaften und
Conflicte gefchildert, wer leugnet das ?
‚Man müßte das „alte Siegel“, „den
Abdias“, den „beichriebenen Tänn—
ling“, den „Witifo“ leſen. Aber er
‚hat die ſchroffen, finfteren Dinge nach
Thunlichkeit gemildert und gelichtet,
und wenn wir Umfchau halten in der
freundlichen Schar feiner Geftalten:
wir finden vielleicht irrende, fallende
Menfhen, aber keinen bösartigen
Charakter darin. Man labt ſich an
der Milde, Ruhe und Liebe, und man
wird im Lefen von Stifter's Schrif-
ten ein beijerer Menfch.
Die Gewiffenhaftigkeit in der Auf-
faffung des Gegenftandes und die
Klarheit in der Darftellung desjelben
find ferner zwei Haupteigenjchaften
Stifter's. — „Seit meiner Jugend“,
Schreibt er einmal, „ift es mir eigen
gewejen, nach Stlarheit zu ftreben; in
der Jugend mach Klarheit in den
Dingen, Später nach Klarheit in mir.
Unklarheit im mir felber ift mir das
peinlichfte Gefühl.“ *)
In feinen letzten Jahren, obwohl
von einer langwierigen Srantheit ge=
drüdt, arbeitete Stifter an der Ver—
vollftändigung älterer Schöpfungen
und fchrieb auch noch Neues, welches
nachher in den „Erzählungen“ und
„Bermifchten Schriften” geſammelt und
theilweife den „Studien“ angereiht
worden ilt.
Adalbert Stifter ftarb zu Linz,
den 28. Jänner 1868.
Wenn wir uns nach einer Parallele
zu Stifter umfehen müßten, wir wüß—
ten feine; ein Original fteht ja eben
nur einmal da. Am eheiten wäre es
vielleicht Theodor Storm, der uns in
jeinen feelenvollen Stimmmmgsbildern,
Gottfried Seller, der uns in feinem wohl»
thuenden Humor an Stifter erinnert.
Wenn ein befannter und ſonſt
bedeutender Literarhiftorifer behauptet,
) Mir verweilen bier auf den im
Heimgarten II., Seite 121, enthaltenen Auf:
jag „Mdalbert Stifter* von €. Ranzoni,
welcher vorftehende Charakterſlizze vervofl:
ftändigen mag. Die Red.
gr.
‚Stifter fei reiner Landichaftsinaler
‚und die Menfchen feiner Dichtungen
feien ihm bloß Staffage zur Land»
ichaft, fo wäre dem entgegen nur
darauf hinzuweiſen, daß ums bon den
modernen Pichtern etwa neben Auer—
bah und Fritz Reuter feiner eine fo
große Anzahl von Menjchengeftalten
mit fcharf ausgeprägten Eigenthüm—
lichkeiten, Sonderlingen und Origina—
len vorgeführt Hat, als eben Adalbert
Stifter. Faſt jeder feiner Helden ift
ein eigenthümlicher Charakter ; ſolche
aber können niemals bloß wie Staffage
fkizzirt, Sondern fie müſſen motivirt
und ausgeführt werden. Und Stifter
hat fie mit großer Liebe und vielem
Humor zumeift gar eingehend gezeich-
net und beleuchtet. Man leſe den
„Waldfteig*, „Procopus“, den „Hage—
ſtolz“ u. ſ. w. Wen wäre ferner der
Liebreiz entgangen, in dem Stifter
feine Kindesgeftalten, wen die Schön
heit und der Mdel, womit er uns
feine Franenbilder darftellt! Wer denkt
bier nicht an „Katzenſilber“, „Bri—
gitte“, an „die Schweſtern“, an die
zwei Jungfranen im „Hochmwald“ ?— *)
Allerdings Hat Stifter einen gro=
Ben, viefleicht den bedeutenditen Theil
feines Talentes auf „Staffage* ver-
wendet. In der Schilderung der Natur,
fie mag uns die Steppe, die Wüſte,
die Heide oder den Hochwald dar—
iteflen, ift Stifter unübertrefflich, und
im Öegenfaße diefer Staffage zu feinen
uns anheimelnden Menfchen weiß er
Stimmungen in uns hervorzubringen,
die uns entzüden und nachhaltig be=
feligen.
— — — — — — — — — — — —— — —
*) Gegenwärtig erſcheinen bei Ame—
lang in Leipzig Adalbert Stifter's „Aus—
‚gewählte Werke* in 28 Lieferungen.
520
„Fauſt“ im Wienerwald.
Ein Dorfbild von 3. R. Leder.
Ne 5 war eine Sonntagsvorftellung |
Se, md der Director hatte fein
beftes Zugftüd, den „Dr. Fauſt“,
nach dem Mittageffen und fpäter noch
einmal nach der Vesper durch Trom—
melfhlag und Ausruf amlündigen
lafjen im Oberörtel, das feine Häufer-
zeile in einen Graben des Wiener:
waldes hinauf ftredt, und im Unter:
örtel, deſſen letzte Scheunen ſchon
auf der flachen Ebene des Tullner—
bodens ftehen. An der Säule des
Gemeindebrunnens, am Schilderhaus
des Nachtwächters und an der Dorf:
linde waren Halb gedrudte, halb ge—
jchriebene Zettel angeflebt, die ein
„göehrtes Buplikum“ auf Schlag Hals
ber Achte zu dem Puppenſpiel ins
Wirtshaus einluden; darunter hatte
der Gaftgeber die Ankündigung ges
frigelt, nach dem Theater gäbe es eine
Tanzunterhaltung. Die Ausficht auf
folche Fülle des Genufjes verfehlte die
vom Jmprefario und vom Scenten
erhoffte Wirkung nit. Schon nad
dem Ave-Länten war auf dem Dorf:
plaß vor dem Wirtshaus ein Ge—
dränge wie beim Einlaß ins Burg-
theater, wenn dort der „Fauſt“ Goethe’s
in Scene gehen foll. Unter dem Thor:
bogen der Hofeinfahrt erjchien zeit—
weilig, um die Menge durch etliche
handwerksmäßige Späße zu loden, der
Puppenfpieler in höchfteigener Perfon,
hemdärmelig und barhaupt, aufonft
eine ganz ftattlihe Erfcheinung, im
feinem grauen Sraushaare recht wür—
dig troß der Weinröthe im falbungs-
vollen, glattrafierten Antli und dem
dunklen Quadrat auf jenem abjeiti-
gen Theil der hellen Unausſprechlichen,
welches vorab flidbedürftig zu werden |
pflegt. Auch ich Jah mir den Mann
mit micht geringerer Neugier an, als
es die Heinen flahshaarigen Nachbar—
dirndln thun mochten. Das war alfo
Derjenige, welcher — Derjenige, auf
deffen zwei Augen noch das alte
claſſiſche Puppenjpiel fteht, der es
noch pflegt und im feinen treuen Ges
dächtniffe drei Vierteldußend der alten
Vollsdramen bewahrt hat, von wel—
hen etliche ihrem Haupt- Inhalte nach
älter find, als unfer ganzes neuhoch—
deutsches Theater-Nepertoire. In feiner
Bude, rückwärts neben dem Kuhſtall,
follte ich endlich die perfönliche Be—
kanntſchaft mit jenem Doctor Fauſt
machen, der vor fünf Vierteljahrhun—
derten den jungen Wolfgang in Frank—
furt angeregt hat zur großartigften
und tieflinnigften Dichtung,
unfere Nation ſich rühmen darf.
„Mur bereinfpaziert, eriter Plaß
einen Zwanziger, zweiter ein Sechſerl;
wer eine Gigarre hat, darf raufen;
gleich wird's angeh'n.“ Ich eilte, mir
einen guten Sitz zu fihern. Die Gal—
lerie war bereits voll bejeßt; fie war
von Barterre durch einen ſtarken
Ballen abgeiperrt und auf diefem
faßen dicht gedrängt, wie im Winter
die Spaßen unterm Firftvorfprung im
fturmfreien Hofwinkel, an die zwei
Dußend Buben, mit ihren Füßen
freibaumelnd über den Köpfen der
Sperrfiß- Inhaber auf den Breiter:
bänfen. Etliche waren barfuß; das
waren die von der Glaque und die
Neclamemacer, welchen der Director
freies Entree gewährt, damit fie ihre
Kameraden zum Befuche anregen. Die
Bühne wurde vor profanen Bliden
geſchützt durch einen flilifirten Vor—
deren
521
bang von ftreng alademifcher Mache, | wie der Eine oder der Andere gedenfet.
auf welchem eine unmögliche Mufe im eg bift Du m dar Doctor? Bit Du
braunrother Draperie mit etlichen | & DT ee nen a u per
„Eder geiftlihen Schriften? Wahrlid, ich bin
nadten Bengeln Wolkenkraut tritt für ein Doctor der geiftlihen Schriften; jo laf
den olympifchen Ambroſiatiſch. Alle ih mid jehen und nennen. Aber leider,
anti gi - : “ . ih bin arm. Und wenn der Menih arm
mahlich füllten ſich auch die Bante; ig und bat noch fo viel Gelehrſamkeiten
die angekündigte Anfangszeit war in jeinen Kopf bineingefaffet, jo ift er
längft um, die Buben auf dem Gal- | dod nichts.“
leriebalcon wurden ungeduldig und Hier haben wir ja den Anſatz zu
trommelten auf den Köpfen der Zwei- Goethe's Fauſt-Monolog, und die
ſechſer-Protzen unter ihnen; es gab Abweichung von demfelben, welche das
einen Zumult. Wie Bojeidon, der | voltsthümliche Buppenfpiel und die
Wogenbändiger, erjchien der Puppen | alten Fauſt-Sagen fennzeichnet; der
jpieler, die Nangen derbfräftig und | Fauft des Puppenfpiels und der Suge
Iungengewaltig in gemejjene Schranz | hat zunächſt fein Bedürfnis nach einer
fen zu weifen. Man brachte neuer- Ergründung des Welträthſels — das
dings Bänke und Schemel, um für) kommt erſt Später und nebenbei —
die nachkommenden Gäfte das legte fondern nach Reichthum und äußerer
Plägchen auszunügen; das Gedränge | Geltung. Er führt in feinem Mono»
ward entjeglih, die Hitze ebenfalls. | loge weiter aus, wie Jeder, von Tags
Auch ein Echtwollener hätte zugeftehen | löhner bis zum König, über feinen
müſſen, daß zu viel des Anthropin,) Stand hinausftrebe. Warum jollte er
das nicht einmal duch die feuchten „bei jo Heinen Studien verbleiben,
Virginias umd dem beißenden Bauern- daß er gerade das bißchen Leben mit
tabat neutralifiert werden konnte, von | fnapper Mühe durchichlagen kann.“
llebei ſei. Wenigftens blieb man aber) „Warum follte ich nicht auch das
gegen den Hitzſchlag durch das Ab- Leben genießen, aus einem Theologo
zugbier gefeit, das in flottem Schwung, | ein Nigromante (Nekromant) werden ;
wie die Feuereimer beim Brand, herz | das heigt, aus einem Doctor der hei—
eingereicht wurde. Wieder erfchien der ligen Schriften will ich ein berühmter
Puppenſpieler, um an der Völle des) Schwarzfünftler oder Teufelsbeichwörer
Raumes fein Herz zu erlaben. Auf werden.“ Yauft jchläft ein; zur Nech-
die vernünftige Frage einer drallen ten erſcheint fein Schußgeift, um ihn
Dirne: „Warn Sollen wir tanzen, zu warnen, zur Linken der Teufel,
wenns jo viel lang nicht anfangts ?* um ihm zu locken; der Teufel ver—
hatte er ein Einfehen und ſchlüpfte ſpricht ihm, ihn glücklich zu machen.
hinter die Couliſſe. Nun begann die „Der mich glücklich machen will“ —
Onverture: ein gar nicht übel auf ruft Fauſt, weist den Schutzengel ab
einer Ziehharmonika geſpielter Länd- | und erklärt fich für den Teufel. Er
ler, der in feierliche Bariationen über— | erwacht: „Still, mein Diener Wagner
ging. Ein Glodenzeichen ; der Vorhang | fommt ganz eilig herein." Wagner
fmattert mühjam in die Höhe. Feier- trägt Anzug und Bartjchnitt eines
liche Stifle im Publikum. Wir jehen | modernen Livreedieners ; im Audito—
eine leidlich gut gezeichnete, aber Schau | rium nimmt am diefen und fpäter au
tig gemalte Zimmer: Decoration vor vielen ähnlichen Anachronismen Nies
uns. Dr. Fauft, eine Puppe im mand Anſtoß. Wagner meldet „Sr.
Ihwarzer Scolarentracht, ſteht auf Magnificenze,“ zwei Studenten, die
der Bühne und hebt in wehmiütbhig | den Doctor ſelbſt fprechen wollten,
ſchwerem Zonfall feinen Monolog an: hätten ein Buch gebradt. Fauſt er—
„Ia, die gründliche Wahrheit muß ich leunt, daß dies zwei hölliſche Geiſter
geſtehen, daß ich ein Doctor bin; aber nicht | gewefen, durch die ihm „Fürſt und
nt
to
[06]
Meifter Pluto die Schlüffel und Cirkel auch er ein metaphyfiiches Bedürfnis
von der Hölle geichikt, woran er empfindet. Außer veligiöfen Idealen
finden und fehen Tann, wie er die und den mit feiner veligiöfen Erzie—
Geifter citieren und beſchwören kann.“ | Hung verwachlenen ethiſchen Begriffen
Ganz begeiftert hierüber ruft er aus: kennt er nur die Ideale des Familien
„D, ich werde noch glüdtich fein, ich lebens und des materiellen Erwerbes,
weih - — Ja, hin Lin er den dieſe hart arbeitende Claſſe
endlich. Nun gute Nacht, Ihr theologiichen
Bücher! Viele Nähte bin ih über Eud)
geiefien; ich habe jogar den Schlaf ver:
geilen. Jetzt, Fauſt, ift die Zeit gelonmen,
wo Du einmal jehen fannft, wie und auf
welde Art, Fauft, Du jolft glüdlich wer:
den, ja der Glüdlichfte auf Erden.“
Die derb materialiftiiche Auffaſſung,
daß ſchrankenloſer Beſitz und der hie=
durch mögliche ſinnliche Genuß des
Menſchen vollſtes Glück bilde, kehrt
auch in anderen Spielen, die ich nach—
träglich mir anſah, immer wieder,
findet aber ſeine Correctur in der
tatechismusgerechten Betonung des
höheren, idealen Wertes der Neligion
und der praftiichen Befolgung ihrer
Sahnngen, die in Dr. Fauft fich zu
einer beim Durchſchnitts-Auditorium
des Puppenſpieles äußerſt wirkſamen,
ja geradezu gemütherſchütternden Scene
zuſpitzt. Daß im Puppenſpiele vor
einem Publikum, welches ſich heutzu—
tage zumeiſt aus der Jugend abge—
legener kleiner Dorfſchaften zuſammen—
ſetzt, feinere philoſophiſche oder pſy—
chologiſche Probleme ebenſowenig ent—
wickelt werden können, wie ehedem
vor dem kleinbürgerlichen Publikum
der Städte und den Beſuchern der
Kirchweihen und Jahrmärkte, iſt ſelbſt—
verſtändlich. Jedes Theater darf ſeinen
Zuſchauern nur bieten, was fie halb»
wegs verjtehen und begreifen können,
will es auf Gemüth und Phantalie
einwirken und das erzielen, was man
einen Bühnenerfolg nennt. Dem Bauer,
jo weit er nicht zur fragewürdigen
Gattung der „Aufgeflärten,” das heißt
zu den ſchlankweg Indifferenten ges
hört, löſen fich die Fragen des Welt:
räthſels und die Räthjel des Menſchen—
dafeins durch die Dogmen jeiner ans
ererbten Weligion; auf diefer beruht
feine höhere Weltanfhaunng, fo weit
in ihrem mühjeligen Kampfe ums
'Dafein, um die Erhaltung der Fa—
milie und des Daufes, um die Ber:
theidigung des Bodenbeſitzes gegen die
Angriffe einer einfeitig capitaliftischen
Zeitſtromung angewiejen iſt durch die
Pfliht der Selbfterhaltung. Neben
dem materiellen Erwerb fteht der ına=
terielle Genuß, nach den harten Wochen
will der Bauer die frohen Felte. Man
darf übrigens mit der Bauernſchaft
nicht hart ins Gericht gehen wegen
dieſer Anſchauung der Weltverhältnifie,
im welcher die Begriffe von Glüd und
materiellem Belig und dem hiedurch
ermöglichten Genuß zufammenfallen ;
auch in der Mehrheit der jogenannten
gebildeten Claſſen begegnet man ja
der gleichen Auffaſſung vom Menjchen-
glüde. Nur die idealiftiihe Jugend
und einzelne alte Querköpfe, als wel—
ben auch ich mich vorzuftellen die
Ehre habe, Find anderer Meinung.
Der Kafperl, dem im jedem der
| Puppenppiete eine hervorragende Rolle
zugewieſen ift und der zu den Haupt—
trägern eines jeden Stüdes gehört,
vertritt im Puppenſpiele dieſe materid—
liſtiſche Seite auf derb-handgreifliche
Weiſe. Er kennt nur das Geldver—
dienen und ſchlägt das Erworbene
wieder leichtſinnig im Wirtshauſe
durch; ohne empfindliches Ehrgefühl,
läßt er ſich aus Gewinnſucht auf die
bedenklichſten Händel ein; er wird
dabei ſogar waghallig” trachtet aber
ſtets ſeinen werten Rücken vor den
ihm reichlich zugedachten Schlägen zu
ſalvieren, und verſteht es meiſterlich,
auf ſeine dummpfiffige Art ein Trink—
geld im firengften Wortſinne abzu—
loden. Sonft feige, wird er fed bis
zur Verwegenheit, jobald er berechtigte
Ansprüche durchzuſetzen trachtet; im
„Fauſt“ vauft der Kafperl zuletzt mit „So beihwöre ih Euch zum dritten—
3 : :, |, und lettenmale!
zwei Zeufeln, weil fein Herr in die Horibao, Yoridao
Hölle geichleppt wurde, ehe er ihm Komm ber Styr und Ari!
den fälligen Lohn bezahlt hatte. Er Komm über Stod und Stein!
will die ſchwarzen Gefellen zwingen, Auf die Oberwelt erfchein!
ihm die der Magnificenze bisher ges Nun Geifter, erjheint mir!“
ftundeten Silberlinge auszuburen. Nun fliegt mit dem entfprechenden
Sonft ift der leichtjinnige Hallodri ein | Brer der böfe Geift Anerhahn herein.
guter Kerl. In der „Genovefa“ wagt| Er ift fo ſchnell, wie die Kugel aus
er fogar feine Haut und überredet | dem Rohre, aber diefe „wirklich Schöne“
feinen Gevatter Scharfrichter zur Ret- Gefhmwindigfeit genügt Yauft nicht;
tung der Phalzgräfin. Im „Fauſt“ er will den „geichwindeften Geift aus
führt er ſich al$ vacierenden Bedienten der Hölle,“ citiert von Nenem und
ein, macht feine gewöhnlichen Späße, | Mefiltofilus erfcheint. Der ift „Jo ge—
während er ein Langes und Breites ſchwind, als dem Menschen feine Ge:
über jeine Koft und feinen Lohn | danken find.“ Fauft ftellt ihm auf die
feilfcht, und geht fchließlich den „har= | Probe und ſchickt ihm zu „Fürſt und
ten Thaler" Drangeld im nächften | Pluto Meifter”, wegen des eventuellen
Mirtshaufe vertrinfen. Pactes anzufragen. Diefer wird ver—
Der zweite Act beginnt mit der | einbart, Mefiftofilus verfpricht ihm,
Beihwörungsfcene; Fauſt Steht auf) vierundzwanzig Jahre zu dienen, unter
einen Waldwege im Zauberfreis „jehr der „Bedingnis,“ dab Fanſt vier
feit“ und hebt an: Punkte einhalte. Der erite lautet dahin,
2 — daß er ſich „unter die vierundzwanzig
— —— Jahre nicht darf waſchen, nicht kam—
Beſchwör' ich Euch! men und feines Nägel abſchneiden.“
Fürſt und Pluto, befiehl Du Deinen Teufeln, | Mefiftofilus würde ihn troßden jo
— — —— rein und ſauber halten, daß er jedem
Menſchen gleichſähe. Auf den zweiten
Hinter den Couliſſen wird mit Punkt, ſich niemals zu verheiraten,
einem Kochlöffel in einem zerfprums | geht Fauſt mit Freuden ein; den
genen Eifentopf herumgeftochert und dritten Punkt hält der Teufel felbit
der Gehilfe des Spielers läßt ein für etwas fehwierig; „unter die vier:
dumpfes Brrr hören, welches phones | undzwanzig Jahre ſoll Fauſt in feine
tifche Leitimotiv des Teufels fpäter | Kirche gehen, auch fich in feinen geiſt—
auch immer wiederfehrt, fo oft der lichen Disputat mehr hineinbegeben.“
Schwarze im Bewegung gejeßt wird. | Der Leute wegen wird Mefiftofilus
Fauſt fährt fort: „eine Perfon in forma” Fauſtens
; i bilden, die ftatt feiner in die Kirche
ee ee en geht. Der vierte Punkt ift die Unter»
Ih beihwöre Euch zum zweitenmal! fertigung des Pactes. Fauſt will den
Fürft und Pluto, befiehl Du Deinen Teufeln | Geift um Tinte, Feder und Papier
au ia un seinen!“ in fein Studirzimmer fchiden, wird
BE IESTERN FOREN aber bedeutet, daß er mit feinem eigenen
Man hört nenes verſtärktes Ge- Blute fchreiben müſſe. Es gefchieht
polter, Fauſt erinnert ſich, daß in dem und Fauſt jubiliert, „er werde jetzt
ihm von zwei Studententenfeln über- der glücklichſte Menſch auf Erden wer—
brachten „nigromantiſchen“ Buch eine den und vollenden, was er ji vor
dreimalige Beſchwörung vorgefchrieben | vielen Jahren ſchon vorgenommen
ift (Du mußt es dreimal fagen) und | habe.“ Er geht ab und Kaſperl tritt
ruft mit tiefem Bruftton : auf. Der luſtige Strolch Hat in feines
— — — — — — — — — — —— een — — —
Meiſters Zauberbuch gegudt und fängt
num auch eine Zeufelbejchwörerei an,
was eine gar nicht üble Parodie der
vorhergehenden Scene ergibt. Im
dritten Act ruft Fauſt den Mefiftofilus,
der im rothen Ritterwams al3 Ga:
valier, wie andere Gavaliere, kommt,
aber feine Schwarze Teufelsfraße bei-
behalten hat. Mit feiner Hilfe treibt
der Doctor am Hofe des Herzogs von
Parma und anderwärts allerlei Zau—
berftüdlein; Geift Mefiftofilus hat an
ihm einen gar launifcheharten Here,
der das Unmöglichſte verlangt. Kaſperl
macht einen Verſuch, von dem ſchwar—
zen Nitter im roten Federbarett Geld
zu erlangen, und wird von ihm ſchnöde
gehänfelt. Den vierten und legten Act
eröffnet der Schußgeift mit einer ge=
fungenen Mahnung an den auf der
Straße liegenden Fauſt, ſich wieder
Gott zuzumenden. Bei dem Doctor ift
der pſychologiſche Moment eingetreten,
der ihn für die warnende Stimme
empfänglih macht; er Hagt: „Wie
matt und ſchwach bin ich von diejen
Teufeln!“
„Der Vogel iſt geboren zu ſeinem Fliegen.
Der Menſch ſoll ſich über ſeine Arbeit biegen,
Ich habe es nicht gethan, ich babe |
nıid lieber dem Teufel jelbit in den Arın
geipielt. Yegt ift die Strafe da.”
Fauſt erzählt weiter, al3 er heute
über die hohen Berge geflogen, habe
er ein Kreuz geſehen; er verlangt vom
Teufel, ihm diefes zu bringen. Mefi—
ftofilus erklärt es für unmöglich, ftellt
aber endlich, als Fauſt ſich auf den
Pact beruft, ein Sreuz her, jedoch
ohne die Anschrift. Fauſt tadelt ihn
deshalb. Es entſpinnt ſich nun ein
theologiſches Zwiegeſpräch, in welchem
Mefiſtofilus bekennt, könnte er des
Himmels Gnade theilhaftig werden,
jo würde er, „wenn die ganze Welt |
mit glühenden Nägeln befchlagen wäre,
bis zum SJüngften Tage darauf bar:
füßig berumgehen, um noch die Him—
melsfeligkeit zu erlangen.“ Fauſt fragt,
was die Döfle fei und was die ver—
danımten Seelen leiden. Mefiftofilus
antwortet:
„Das fann ih Dir wohl jagen. Tie
Hölle ift ein Schlund ohne Grund, wo
alles Wbicheuliche, Grausliche zujanımen:
fonımt. Was aber die verdammten Seelen
darin leiden, ift wohl fein Menih im
Stande auszufprehen und niederzuichreiben.
Tu börft nur Winfeln, hörft fie bitten um
einen Tod, aber es gibt feinen Tod in
Ewigkeit und ewig bleibt auch ewig.“
Als der Teufel die Herrlichkeiten
des Himmels fehildern foll, bezeichnet
er dies Fir unmöglich und entflieht.
Fauſt ift erfchüttert; des Mefiſtofilus'
Belenntniffe Haben den Belehrungs=
versuch des Schußgeiftes jo weit voll—
endet, dab der arıne Sünder in ich
geht, Fih auf die Knie wirft und ine
brünftig zu beten anfängt. Der Teufel
Ichleicht wieder ängftlih hinter einer
Waldcouliffe hervor, ſieht, daß er Ge—
fahr läuft, feine Beute zu verlieren,
und greift nach dem letzten Mittel:
er bringt, die jchöne Helena. Dieje
ericheint im einem modernen Schwarzen
Spitenanzuge mit Tournure und
Schleppe und einem flotten Rem—
brandt-Hut. Sie flötet in den ſüßeſten
Tönen; Fauſt erliegt der Verfuchnng,
fällt dem ſchönen Weibe in die Arme
und ift wiederum des Teufels. Diefer
ruft frohlockend:
„Victoria, Victoria! Nun ift der Sieg ge:
wonnen.
Man ſieht auch ſonnenklar,
Wie ein altes Sprichwort wahr:
Was ich als Teufel jelbft nicht Tann,
Hab’ ich geftellt durch ein Frauenzimmer
an.“
Fauſt kommt zurüd. „Ah, Du
abſcheulicher Teufel, grauſam hat er
mich betrogen, ja ich glaubte den
Ihönften Engel von der Welt zu haben,
und als ich fie umfaſſen wollte, war
| es der häßlichſte Teufel aus der Hölle.“
Dies ift ganz im Sinn der Hexen—
richter gedacht; im „Hölliichen Proteus,
einem clafifchen Werte aus dem ſieb—
zehnten Jahrhundert, das etliche Schod
Zauberz, Hexen- und Teufelögeichichten
nach den Gerichtsacten echt wahngläu—
big mitteilt, kommt dieſe Art des
525
Betruges Häufig dor, und ebenfo der eingeklemmt Jap, nahmen ihre Schwarzen,
nun folgende. Mefiftofilus erklärt Fau- rotdgeränderten Kopftücher herab, um
ften, die Zeit ſei abgelaufen, er mühe | den Zährenftrom von den diden Wan—
zur Hölle fahren.
im Pact feien vierundzwanzig Jahre
ftipuliet, umd erſt zwölf derſelben ab-
gelaufen. Mefiftorilus repliciert ihm:
„O mein Fauſt, das ift nicht fo.
Nimm Dir einen Diener, der dient
Dir bei Tag, aber nicht bei Tag und
Naht. Ich Habe Dir wie ein Knecht
zu jeder Secunde und Minute gedient.
ih habe feine Zeit zum Schlafen ges |
braucht. Merke, fobald die Uhr Zwölf |
geichlagen, bift Du mit Leib und!
Seele des Teufels !* Fauſt fieht, daß
er dom Vater der Lüge fhändlich bes | und
trogen worden und ift feines Schick—
ſals gewärtig. Kafperl kommt fingend
und hält auf Bitte feines Herrn bei
ihn Wacht bis zur verhängnisvollen
zwölften und legten Stunde desfelben.
Das Publikum Hatte jich während
des zweiten und dritten Actes mehr
für den Hauswurft, als den Doctor
interelliert ; die Barfüßler auf dem rüd-
wärtigen Ballen johlten und ihre
Kameraden im Bundſchuh jubelten mit
über Kaſperl's Späße. Die Zufchauer
auf den „noblicheren” Bänken ſtimm—
ten ein; der nett gejtrählte Bub des
Doctors, der herunten unter den
Honoratioren Jah, warf jehnfüchtige
Blide nah vüdwärts; er hätte fo
gern mitgethan mit feinen Schul—
fameraden, wenn e3 ur feine geſell—
Ihaftlide Stellung erlaubt Haben
würde! Aber die Standesrüdjichten !
Im vierten Acte, während der theo-
logiihen Geſpräche war das ganze
Auditorium tief ergriffen und die laut:
lofe Stille nur mitunter von unters
drücktem Schluchzen unterbrochen. Man-
her Schürzenzipfel wurde thränenmaß, | denen
Diejer entgegnet, \gen zu wifchen. Diefe Rührung hin—
derte ſie aber nicht, vergnüglich aufs
zugröhlen und im ihrer Zerftreuung
auch mir Eflbogenftöße zu verfeßen,
als der Kafperl bei feiner graufigen
Nachtwache ſehr verfängliche, auf die
Ortöverhältniffe gemünzte Couplets
fang. Je faftiger die Anfpielungen
ausfielen, umſo luftiger war's. Auch
in ferueller Richtung kommt da das
Derbfinnlihe im Buppenfpiel zur
Geltung; zarte Liebesverhältniffe kennt
dasjelbe nicht. Im „Bayerischen Hiejel”
„Schinderhannes“ fehlt dieſe
menſchlich verſöhnende Seite im Cha—
rakter der Helden, ſie ſind Schnapp—
hähne glattweg, ohne die Romantik,
welche das erzählende Volksbuch, auf
Löjchpapier „gedrudt in diefem Jahr“
und ehedem auf jeder Münchener Dult
zu kaufen, ihnen anrühmt. Das
Puppenſpiel hat dafür den eiferfücd-
tigen Ehemann, der als Pfalzgraf die
Genovefa, ald König von Engeland
feine Königin Roſamunde Hinzurichten
befiehlt. Der Bauer in unferem Land
ftrich macht meift eine Bernunftheirat,
weil er Bargeld braucht bei Ueber—
nahme der MWirtjchaft, und wenn er
glaubt, daß die Bäuerin beim Grafen
in der Donau Au mit den flotten und
freigebigen Gefellen, den verwegenen
Reitern der Schiffzüge, ſich zu lange
verhalten Habe, wahrt er feine gefähr-
dete Hausehre mit dem Stod. Für
‚das Publikum des Puppenfpiels wären
jentimental girrende Helden ebenjo
dramatifh unwahrscheinlich, wie den
Lejerinnen der goldfchnittgebundenen
Dutzend-Dorfgeſchichten die Hagebu=
Gefellen vom Dorf in ihrer
und die beiden ins Breititodige ge- rohwüchſigen Derbheit.
rathenen Mädel, zwifchen denen ich
R
Politik im Bauernhaufe.
Aus dem Volksleben mitgetheilt von R.
FIN ie die Leute überhaupt Politik
er poſſierliche Eapitel ftellen. Am
poflierlichhten aber treiben die Bauern
Politik. Am Werktag thun ſie's nicht,
und daran unterjcheiden fie ſich von
den Stadtleuten. Am Sonntag thun
fies, denn eine Unterhaltung muß der
Mensch auch haben.
Sigen ihrer Etlihe beim Jager—
hanfel in der Stube. Ein paar Stans
perln Schnape — und Tabakrauchen
dazu. Der Roß-Maſel ift auch da;
kommt weiter herum in der Welt, der
Maſel, als die Anderen, denn er ift
Pferdehändler und Hilft eigentlich dem
Staifer regieren. Wenn Sriegsrüftung
ift, jo wird der Mafel befragt, wo in
der Gegend die beften Röſſer find.
Freilich, der Mafel kann ſchon was
willen. Sagt aber nicht viel aus
faiferlihder Geheimrath könnte er fein,
jo geheim Hält er's mit der Politik.
Ja, wenn Der reden wollt‘! Im Jahre
Neunundfünfzig, wie wir mit den
Italienern Krieg befommen haben, Hat
ev’3 monatelang voraus gewußt, aber
nicht ein Sterbenswörtel geplaubdert.
Erſt jpäter hat er’3 gejagt. Im Sechs—
undjechziger Jahr hat er's vorausge—
jagt: die Preußen kommen! Und find
richtig gefommen. Ueber die Donau
haben fie freilich nicht mögen, weil
die Defterreicher in Maria-Taferl mit
den geweihten Gloden fo viel geläutet
haben, daß den Lutherifchen die Kuraſch
ift vergangen! Das Läuten und das
Beten, natürlich Hilft’s! Hätt’
Beneded bei Königgräb aufs
nit vergeſſen,
fallen.
und falermentiert. Na, jo iſt Halt nach: |
her die Sau fertig gewejen.
der
es wär’ anders ausge: |
treiben, darüber ließe ſich | zulegen,
Beten |
So pflegt es der Roß-Maſel aus—
Aber erſt wenn er ein paar
Gläſeln „Geiſt“ in fih Hat. Ohne
Geift kann er nichts machen, der Majel,
ohne Geift Scheint er fo wenig zu
wiſſen, als die Anderen.
Heute fißt er unter den Bauern
und erzählt. Sie fperren Mund und
Augen auf, denn bei den Ohren allein
fönnen die Neuigkeiten unmöglich Alle
hineingehen, die der Mafel vorbringt,
fie find zu groß.
Anfangs hat ihn der Zaun- Peter
gefragt: „Nau, Mafel, was gibts
Neues 2“
Zudt der Mafel die Achfeln und
nichts weiter. Kommt das erfte Glaſel
„Geiſt.“
„Werden wir
fragt der Peter.
Wieder ein Aufſchupfen mit den
Achſeln: „Möglich iſts ſchön!“ Und
nichts weiter.
Nach dem zweiten Glaſel thut er
friſchen Tabak in den Mund, denn
Raucher iſt er feiner, und fängt an:
„seht werden wir bald Sauerampfer—
blätter beizen müſſen; wie man hört,
wollen die Ungarn feinen Tabak mehr
ins Land lafjen.“
„Oho!“ jagen die Bauer.
„Die Ungarn jagen, fie wollen
mit DOefterreih nimmer zuſammenhal—
ten und fie wollen ihren König allein
haben und erlauben es nit, daß er
nebenbei auch noch Kaiſer von Oeſter—
reich iſt.“
„Sackra! nachher ſetzts was!“ knir—
ſchen die Bauern. „Jagerhanſel, bring'
Krieg Kriegen ?“
Der hat aber hölliſch geflucht noch ein Glafel!“
„Mit dem Nuffen, heißts, ſoll's
losgeh'n,“ bemerkt der Peter.
927
„Uns thut er nichts, der Ruſſ',“ „Uh Narr, Bimontefer- König gibts
berichtet der Mafel, „aber auf die auch ſchon lang’ keinen mehr. Nur
Bulgarner bat er's fcharf! Die Bul- einen König von Italien.
garner, das find fchon halbe Türken, „Na, To hats Halt Der gefagt,”
die wollen dem Rufen das Rußland |verbeffert fich der Mafel, „aber die
wegnehmen. Da bat der Ruff’ geſagt: Tiroler, jagt er, möcht ich Haben!
Ueber mein’ Leich’ geht der Weg ind | Das find ſchneidige Leut und ſchießen
Rußland.“ können ſie wie die Höflteufel, ſoll er
„Kann ihnen auch fo paflieren, |gejagt haben.“
wie den Franzoſen Anno dreizehn,“ „a, die Tiroler werden ihm was
jagt der Peter, „daß fie einfrieren, | pfeifen. Die werden ihm's accurat fo
und im Sommer, wenn fie auflannen |macdhen, wie dem Franzofen Anno
(aufthauen,) find fie hin.“ Neun!“ ruft der Peter. Ju's Gebirg,
„Kein Türk’ ift fein Lebtag noch |wernn die Bauern mit wollen, kommt
nit eingefroren,“ belehrt der Noi-Ma= kein Feind herein. Piff! Puff! Dei,
jel, „der weiß ſich ſchon warın zu das möcht’ ich ſehen, was mir fo ein
machen, mein Lieber, der thut fengen | Wällifcher ins Suppenhäfen zu guden
und brennen!” hätt! — Schauts die Schweizer an! Ein
„Haus Defterreih hat aber doch | Heines Häuflein, aber feit bleiben fie.“
den Türken Bosnien wegthan,” meint „Haft nichts gehört, Peter,“ jagt
der Peter. jet der Roß-Maſel, „kürzlich hat ein
„Iſt nur ein Köder, mein Menfch, |reicher Engelländer das Schweizerland
nur ein Köder. Haben wir ums nur | kaufen wollen. — Verkaufen thun wirs
erſt feſt verbiffen ins Bosnien, ſchwubs, |nit, haben die Schweizer gejagt, aber
wird der Türk anziehen und uns drin \verpadhten auf ein Jahr wenn Du
haben in der Türkei!“ willſt, und kannſt nachher in unſerem
„Iſt mir auch recht,“ bemerkt jetzt Schneegebirg umſteigen, fo viel Du
der alte Wagner-Toni, „nachher geh’ | magſt. — Ob er zum Schneegebirg
ich kirchfahrien mach Jeruſalem ing den Schweizerfäs auch thät’ dazukrie—
heilige Land.“ | gen ? fragt der Engelländer. Nein, den
Daß aber das Heilige Land noch müßt er fich ertra kaufen. — Auf das
alleweil den Türfenheiden gehört!” fagt hat ſich der Handel zerjchlagen.“
der Peter kopfſchüttelnd. | „Schon ſatriſch viel Geld müſſen
„Weil ſies nit hergeben,“ belehrt haben, die Engelländer,“ meint der
der Maſel. „Der Napoleon hats ch | TON- .
haben wollen und hätt’ dem Türken „Iſt leine Kunſt, Geld Haben,
ganz Italien mitſammt der Romftade | MA ih die vielen Soldaten und das
geben mögen für's heilige Land, aber | STOP Rriegführerweien nicht zu er=
der Türk' hat gefagt: Na, das Italien alten brauch bemerkt ber Peler.
mag ich nit; fein mir z’viel Banditen. ZBei den Engelländern wirft nit jo viel
Rauber drinnen.“ Kriegsgefpiel finden, wie anderswo!“
i ! „Ich dent’, Engel werden fie auch
„Mit Haus Defterreich ſteht Ita- nit fein, umd wenn fie zehnmal Engels
lien jegt fo weit gut ?* frägt der Peter. | (ander heißen.“
„Der Kaifer Franz Jofef ift mein) „MWenn’s wahr iſt!“ fagt der Pe—
Freund, hat der Victor Emanuel ges | ter, „Engländer heihen fie, mit der
DT :... ‚Engel wegen, aber weil fie fo viel ein
„Der Victor Emanuel lebt ja gar enges Land haben. Lauter Waller.
nit mehr!“ wendet der Peter ein. Iſt mehr Fiſch als Menfch, der Eug—
„Dit alles Eins, hats halt der länder. Deswegen foll er aud fo kalt—
Pimonteſer-König gefagt.* ‚blütig fein. Beim Franzofen, fagt
man, its umgekehrt, der thut lieber
fliegen als ſchwimmen.“
„Daß die Franzofen halt alleweil
noch feinen Kaiſer Haben, glaub’ ich!“
bemerkt der Toni.
„Brauchen feinen,“ belehrt der Be-
ter. „Die Franzojen, die thun ab»
wechjeln mit dem Regieren. Heut’ zum
Beiſpiel iſt's ein Doctor, der regiert
gut; da kommt ein Kaufmann und
jagt: Ich kunnts beſſer! — Gut, fagt
der Doctor, jo ſetz' Did Du herauf,
und fteigt vom Thron. Morgen kommt
ein Landwirt, der fchreit: Nichts nutz,
Kaufmann, wie Du regierſt! — Wer’s
beſſer kann, jagt der Kaufmann, der
joll Hergehen. Einer um den Adern.
So jollen ſie's treiben. Ob's wahr ift
weiß ich nit.“
„Krieg führen will der Franzos,
hab’ ich gehört, mit dem Preußen
Krieg Führen,“ weiß der Mafel zu
berichten. „Soll ihm letztlich einen
Brief gefchrieben haben, der Franzos,
dem Preußen. Da drin foll geftanden
fein: Preuß’, mit Dir Hab’ ich noch
eine Abrechnung. Bon Anno Siebzig
ber. Jetzt hab’ ich eine Million Sol—
daten und neue Kugelſpritzen, die viel
beiler find, wie diejelben von Auno
Siebzig. Jetzt wollen wir’3 wieder
probieren, wenn Du Schneid’ Halt!
Gilts? — Der Preußenfönig ift hun—
dert Jahr alt, der Hat ihn geantiwor-
tet: Es gilt. Aber wenn Du fo gut
jein willft und etliche Wochen warten.
Ich bin mit meinen Soldaten nod
nit ganz fertig. Nachher wollen wir
uns Schon verläßlich einftellen. — Auf
das geht der Bismard ber, zerreißt
den Brief, Haut mit jeiner Yauft auf
den Tisch und jagt: Wir find geftellt!
Heut lieber wie morgen! Der
Franzos ſoll fih mit mehr gemurt
haben.“ —
Das ift fo ein Heines Bild davon,
wie in der hinteren Banernfchaft po-
litifiert wird. In meiner Jugend kam
eines Tages ein Handwerksburſche in
unſer Haus, der wußte zu erzählen,
dab der böhmifche König feine Haupt»
—
528
ſtadt Prag verſpielt habe, und zwar
beim Brandeln (ein beliebtes Karten—
Ipiel) im Wirtshaus; aber man dürfe
ch kein gewöhnliches Wirtshaus den—
fen, fondern einen goldenen Palaſt,
und die Spieifarten feien von Seiden
gewelen. — Derſelbe Handwerfsburfche
ſprach auch folgendes Prophetenwort:
„Bei der Achtundvierziger Nevolution
hat man Die gezählt, die gefallen find,
bei der Achtundneunziger Revolution
wird man Die zählen, die lebendig
bleiben.“
Daß Joſef II. nicht todt ift, weil;
man int Volke allenthalben, er ift nur
irgendwo eingeferfert, aber wenn die
Zeit kommt, wird ex befreit werden
und das Volk erretten aus Noth umd
Bedrüdung. MUebrigens aber iſt der
Antichrift im Anrücken, der will nur
eitel Geld und Gut haben und dem
Papſt fein Land und feine Sclöffer
wegnehmen und Gold und Edelgeitein
aus den Kirchen rauben. Aber der
Erzengel Michael wird den geldgierigen
Antichrift bejiegen und dem heiligen
Vater all feine irdischen Beſitzthümer
wieder zurüderobern.
Sp pflegen die Leute Altes und
Neues durcheinander zu Stellen und
manchmal vielleicht ſogar Eines durch
das Andere bedeutfam zu machen. —
Ein andermal wieder ift etwas ganz
ans der Luft gegriffen. Da geht plöß-
lich das Gerücht um: „Die Schweden
fonımen!“ oder „der Türk' ruckt wies
der an!” In Kriegsgefahr, wen viele
Soldaten ausgehoben werden, fteigert
fi die Phantafie der Leute ins Un—
gehenerlihe. „Alles muß fort, Alles
was Hoſen trägt. Auch die Weiber
müſſen mit den Ofengabeln ausruden.
Wien brennt. Drei Feldherren find
ihon erfchoffen worden. Jetzt heißts
nimmer, die blaue Donau, jetzt heißts:
die rothe Donau. Man darf fein Salz
und feinen Tabak mehr kaufen, Alles
vergiftet! Der Garibaldi rudt an, der
Joll gefagt haben: heuer wird ein gutes
Jahr fein, werden auf allen Lärch—
bäumen Bauern wachen!“ And fo
>20
fort. Einer oder der Andere Hält eine urdeutſch. Er weiß auch das nicht; feine
Zeitung. Eine ſolche pflegt Schon für) Sad’ ift, daß er friedlich Tebt und
fich zu übertreiben, der Bauer über | tüchtig arbeitet. Des Dimmellommens
treibt weiter; wo fie aufhört, fängt er,
an, und mißverfteht das Zeug und
mischt allerhand durcheinander.
Troßdem bleibt die Tagesordnung
in ihrem Geleife, der Bauer mäht und
heuet, fäet und ſchneidet, Hat feinen
gewohnten Appetit und jeinen gewohn—
ten Schlaf.
Manch alter deutjcher Hintergebirg-
fer, der fonft feine fünf Sinne ganz
brav beilammen Hat, wenn ſichs um
feine enge, greifbare Welt handelt,
weiß heute noch nicht, daß ein deut»
jches Reich eriftiert mit dem Kaiſer in!
Berlin. Und er brauchts auch micht zu
wiſſen. Er ift im Stenerzahlen und
Soldatenerziehen ein guter Deftereicher
und in feinem Blute, in jeinen Sitten
wegen muß er Sonntags fleißig in
die Kirche gehen und des Durftes
wegen auch manchmal ins Wirtshaus,
wo nachher manchmal ein wenig in
obiger Weife politijiert wird.
So treibt im unferem Gebirge
die Mehrzahl des Volkes. Ach Tage
nicht, ob das gut fei oder fchledht,
denn ich habe mir vorgenommen, felbit
nicht zu politifieren, wo es jo viele
Andere thun. Ich weiß nur das, aus
Kriegsluft wird der Bauer nicht aus—
rücken, wenn aber der Feind einmal
ins Land brechen will, dann nimmt
der Bauer fein Beil oder feinen Knittel
und ſchlägt gewaltig drein.
Und Hierin ift die Bauernpolitif
die gründlichſte.
Aus meinem Wanderbüdel.
Bon P. R. Rofegger.
a A
M
eine allzugroße und vertrauens- und lieben fie auch den Ernſt im
a jelige Bereitwilligkeit, Ein- naiven Gewande der Bauernmundart.
ladungen auf Vorleſereien in ſteiriſcher Verzogen durch die Süddeutſchen in
Mundart nachzukommen, bat —— Trieſt, Salzburg, München
unvdorhergejehene Folge gehabt. Vater- u. ſ. w. Habe ih auch im Norden
ländifche Wirte, Kaffeehausbefiger und bisweilen vorwiegend Luftiges gebracht.
Fafhingsfeftgeber haben mich zu ſich Oefter als einmal ift darüber ein ge⸗
gebeten, um mit Volksſchwänken ihr wiſſes Befremden ausgedrückt worden.
Publikum zu ergötzen. Ein paarmal Wenn ich einerſeits nicht verſchweige,
gieng ich d'ran, Habe aber den ge— wie nach ernſteren Stücken der Beifalls—
ſchätzten Zuhörern anftatt Schnurren ſturm oft Jo groß war, daß er mich
und Spällen etwelche Sittenpredigten | faft niederbrüdte, fo darf ich anderer-
und Sterbefcenen vorgeleſen. Diefe | jeits wohl auch erzählen, daß Schwänte
gründliche Enttäufhung hat mir von | wie „Die Entdedung von Amerika”,
ſolchen Seiten die Ruhe gelichert. „Mia der Odam 's Boterunferbetn
Hierin liegt überhaupt der weſent—
liche Unterschied zwiichen ſüddeutſchem
und norddeutschen Wolle; im Süden
kann man nicht genug Schalt und
Schwank machen, im Norden veritehen
Pofegaer's „„Geimgarten‘‘ 7. Geft, XI.
Hot glernt“, als über die in Nord»
deutichland gewohnten Grenzen des
Humors gehend erflärt worden find.
Derlei, hieß es, mache fich vielleicht für
den Augenblick vecht unterhaltend, für
34
den, der daran Geſchmack finde, allein
der ſolches vorbringt, jener Mann fei
das nicht, der den „Waldjchulmeifter,“
den „Gottjucher,“ die „Bergpredigten,“
„Heidepeters Gabriel“ u. ſ. w. geſchrie—
ben hat. Mich freut die Treue, Die
folchergeftalt dem Verfaſſer genannter
Werke bewahrt wird, da ich felbft es
mir wiederholt jage, ich bin im Grunde
nicht der, welcher als Vorleſer pudel-
närrifcher Gefchichtlein vor das Pu—
blikum tritt, ich bin ein Anderer. Aller:
dings erinnere ich mich auch an den
Ausspruch jenes alten Mannes in
Magdeburg: „Laſſen Sie ſich nicht
Dieſe weite raſche Winterreiſe —
vom 21. Jänner bis 7. Februar —
verbunden mit Vorlefungen, Feſtlich—
feiten und fteten Verkehr mit Leuten
war an und für fi anftrengend, dw
fanı noch etwas Befonderes dazu. Ich
hatte in den meilten der genannten
Städte meine Vorlefung über den
„Boltshumor in den deutfchen Dit:
alpen* anfünden laſſen. So führe ic)
das entjprechend zufammengeftellte und
ſauber abgejchriebene Manufcript dieſes
Vortrages mit mir und benüße es,
wie ein Lahmer die Krücke. Im Bremen
ift eg, wo mir unmittelbar nach der Vor—
entwegen. Auch in Ihren Schwänten | |fefung das Manufcript abhanden kommt.
liegt Wahres und Ernftes, Sie mögen | Abhanden fommt und nicht mehr ge=
nach der Mode Ihres ſchönen Landes | funden wird. Diesmal hatte denn etwa
vielleicht Antifemit fein, aber infoferne | ein fleißiger Autographenſammler einen
halten Sie es doch mit Heine, als Ihr
Dumor nad feinem Necept mit dem
einen Ange lacht, mit dem andern
weint. Verſchmähen Sie die Luftige
Art durchaus nicht, wenn Sie zu einem
großen Publikum ſprechen; wenn die
luſtigen Geſchichten Erdgeruch und
Herzblut haben, dann wirken fie auf
das Gemüth und Sie erfüllen damit
die Million des Poeten.“
So bleibe ih bei meinem alten
Brauch und ziehe mit meinen beiteren
und ernften Gefchichten munter durch
die Lande. Gefällt das Luftige, iſt's
mir recht, gefällt das Ernſte, iſt's mir
noch lieber.
Eben wieder bin ich von einer
folhen Vorleſerreiſe nah Haufe ge—
fommen, um — wie Jemand nicht ganz
harmlos bemerkt hat — mich von den |
Anftrengungen und Ehren daheim aus—
zuruhen. Die Reiſe
war bon wiſſenſchaftlichen, alpinen und
faufmännischen Bereinen gerufen, konnte
aber nur einem Theil der Einladungen
nachkommen. Ich las innerhalb von 14
Tagen der Reihe nah in Teplig,
Dresden, Berlin, Braunfchweig, Ham—
burg, Bremen, Bremerhaven, Eſſen,
Elberfeld, Caſſel, Chemnitz, Planen
und twieder in Dresden,
gieng diesmal
hinaus bis Inapp an die Nordfee. Ich
tüchtigen Broden befommen. Aber er
hätte bei feiner Vorliebe für Hand»
Ichriften über den Volkshumor bedenken
follen, was er mir anthut! ch, der
ih kaum eine Zeile meiner eigenen
Saden auswendig kann, follte den-
ſelben Vortrag auf meiner Reife noch
ſechsmal Halten, und zwar zunächft ſchon
am folgenden Tage in Bremerhaven.
Stand ih denn am nächſten Abende
vor einem den Saal bis in den leten
Winkel füllenden Publilum, das mit
unvderfennbarer Neugierde den Ent—
hüflungen über den Volkshumor im den
deutichen Oſtalpen entgegenfah. Da
erfuhr ich, was der Menſch Tann,
wenn er muß; kheils aus alten Ex—
‚cerpten, theils aus neuen flüchtigen
Aufzeichnungen, größtentheils aber frei
aus dem Gedächtniſſe, Hielt ich den
Vortrag. Ein Flickwerk war's, das
mag ich nicht leugnen, aber die Zu⸗
hörer — die von meiner Noth keine
Ahnung Hatten — waren nächſichtig
und liebreich. Der Schweiß ſtand mir
in kalten Tropfen auf der Stirne,
als ich mit vor Erſchöpfung zitternden
Beinen die Stufen herabſtieg. Man
hatte mir zu Ehren eine gejellige Zu—
ſammenkunft im jchönften Locale der
Stadt, dem grottenartig ausgeltatteten
„Wintergarten * veranftaltet, liebreizende
531
Frauen umgaben mich, gottbegnadete In den Bergen des nördlichen Böhmens,
Rhein- und Moſelweine kamen, die jenen in den Waldbereichen Sachſens und
im Bremer Rathhauskeller bei den zwölf Thüringens, im Harz und im Teu—
Apoſteln dem Abend zuvor nicht? nach- toburger Walde lagen noch gewaltige
gaben, aber ich war vor Erſchöpfung nicht |
mehr fähig, mich des Lebens zu freuen.
Und ähnlich vollzogen fi die,
weiteren Abende, nur daß ich im Vor—
trage meines proviſoriſch zuſammen—
geflidten ‚Vollshumors“ fiherer wurde,
und mir das Bauen auf die Guther-
zigkeit der ſtets Beifall ſpendenden
Zuhörer eine gewifje Kühnheit verlieh.
Und fo wäre ich nun ſchier auf dem
Punkte dem „redlichen Finder“ meines
„Volkshumors“ zuzurufen, er möge
ihn fich behalten, wir in den Alpen
hätten noch Humor genug vorräthig, um
etliche Blätter dapsn an jpecielle Lieb—
haber in der Ferne abtreten zu können.
Schöner als Blumen und Kränze,
Preisgedichte und wohlgeſinntes Zei—
tungslob, die dem wandernden Poeten
werden, ſind die goldenen Herzen,
denen er begegnet. Ich gedenke ihrer
in Dankbarkeit. Da ift, um nur wenige
der Freunde die ich alle grüße, zu
nennen, der Lehrer Möbins und feine.
Familie in Dresden, da ift der Dichter
L'Aronge in Berlin, der Hofichaufpieler,
Guſtav Starke in Braunſchweig, die
Familie des Buchhändlers Seippel in
Hamburg, da ift Profeffor Sattler in
Bremen, Schuldirector Hildebrandt in’
Bremerhaven, Rechtsanwalt Niemeier in
Eſſen, Schuldirector Sattler in Chem—
Maſſen des großen Decemberfchnees,
über den Hügelgeländen des Rheines
aber und über den märkiſchen Ebenen
ruhte das Lichtgefättigte Blau und
' aufden braunen, friedensftillen Gründen
der Lüneburgerheide ſpannen Sommer
'fäden. Bon der blauen Donau bis
zur gelben Elbe, von der grauen Weſer
bis zum grünen Rhein hatten fich die
Lande meines geliebten deutfchen Volkes
wonniglid ausgebreitet. In ftiller
Weiheſtimmung begräßte ich den Boden
der Hermannsfchlaht und der Bes
freiungsfriege, begrüßte die Stätten,
wo Luther und Leifing, Klopftod und
Herder, Schiller und Goethe gelebt und
gewirkt hatten. Ich Jah Bismard unter
den Linden fahren und den ehrwür—
‚digen Kaifer an feinem Fenſter ſtehen.
Ih fand das deutſche Volk im männ—
lihen Bewußtjein feiner Macht und
im ftillen Bangen vor einem drohenden
Kriege. Ih Fand bei den Bürgern
des Neiches keine Sroßfprecherei, feinen
waffenrafjelnden Haß gegen nachbar—
liche Volker, ich fand ganz allgemein
‚den heißen Wunſch, dab der Frieden
erhalten bleibe.
| Man fühlt ſich wohl daheim bei
einen folchen Volke. Und doch vergieng
‚fein Tag, wo mich nicht heftig das
Verlangen mach den Alpen padte. Hätte
niß, Emil Rittershaus in Barınen u. ſ.w., ich mich nicht durch die Zuſagen ge—
die mir edle Gaftlichkeit und vielfältige bunden gehabt, ich wäre vor der Zeit
Liebe angedeihen ließen. Im Haufe, heimgekehrt, fo jehr die Vernunft auch
des Dichters Rittershaus zu Barmen | findlich redete: Kind, die Berge bleiben
habe ich meinen einzigen Rafttag ge= | ja ſtehen. Menschen, ſoſehr fie manch—
halten und mich erquidt an dem wahr= | mal auch raſen und withen mögen,
haftigen Poetenheim und dem deutjch können Alles nivellieren, wenn fie ſelbſt
innigen Familienleben diefes Lieblings= flach find, Alles verrüden, wenn fie
ſängers des deutjchen Volkes. jelbft verrüdt find, aber die Alpen
Nicht minder als den Menjchen, | können fie nicht umwerfen, ſonſt hätten
danke ich dem Himmel für das holde fie es längft Schon gethan. Die Alpen
Neifewetter, welches er über feine) bleiben Deiner Waldheimat und dem
berrlihe Welt gelegt hatte, als ich | alten Defterreih ein feiter Hort —
fie durchzog. Lauer thauender Nebel! jei getroft.
wechjelte mit güld’nem Sonneunſchein. So Stand ich an jenem Nachmittage
34*
332
in Bremerhaven am Waller. Das Meer
gligerte unter dem blauen Sonnen—
äther, und der Maſtenwald ftand faft
regungs3los da und die Matrofen ftiegen
im Takelwerk herum, wie die Eich»
börnchen im Lärchenwald und ich Hatte
das Herz voll Heimweh. Da nahte
langjam ein großes Schiff heran, auf
feinem Dede Hang Mufit, fehier fremd—
artig melodiih, denn das Seemanns—
lied flingt anders, al3 das der Welpler.
Langſam, faft feierlich glitt das Schiff
in den Hafen. Habsburg hieß es, und
wie mir ein Nebenftehender mittheilte,
aus Auftralien fam es. Gottes ift der
nur Stumpfgeit und das Berlangen,
fortzufommen; bei den Heimkehren—
den, in der ferne Enttäufchten, fei es
anders. Auch jetzt lachende, weinende
Jubelrufe des MWiederfehens! Mancher
war unter den Antömmlingen, den
Niemand in die Arme fchloß, einer
von dieſen kniete auf den Boden hin
und küßte jchluchzend vor freude die
Erde, die deutsche Erde! — In dieſem
Augenblid wurde mir die fyrevelhaftig-
feit meiner Heimfucht Kar. Gehe erit
einmal nah Auftralien und Du wirft
zurüdtehrend an der Wefermündung
mit heißen Thränen Ddiefen Boden,
Orient, Gottes ift der Occident! — |der Di heute fo fremd angemuthet,
Ale Paffagiere ſchienen fich auf das |al8 Heimatserde küffen.
Ded begeben zu haben und Aller Augen
waren auf den Landungsplab gerichtet,
wo eine große Menſchenmenge ver—
fammelt war. Endlih nahm die An—
Am nächſten Morgen gieng’s wieder
dem Süden zu, der rothen Erde Welt:
falens.
Vom Rhein ber grüßte mid in
kommenden ein Heineres Schiff auf und | der Abenddämmerung ein Alpenglühen.
fie landeten. Bei den Auswandernden |
— fo wurde mir gefagt — gäbe es
rührende Abſchiedsſcene,
jelten eine
In der finfenden Sonne glühte der
Don von Köln.
Der Schnitzelbauer.
Gine Erinnerung an den „glüdlichften Mann von Graz”.
| N or Jahren habe ich die Keine) Schnedenhaus oder Bogelneft im Walde.
WGeſchichte eines Heinen Mannes
die merkwiürdigerweije länger
erzäßlt,
in Erinnerung der Leute blieb, als
manche pathetifch angelegte Erzählung,
die von hervorragenden Menſchen und | größer nicht haben wollte.
Ihaten gehandelt.
Und fo wird mancher meiner
Landsleute noch jenes alten, gemüthlich,
treuberzig, ader auch ein wenig ver—
ſchmitzt lächelnden Alten gedenken, der
in den Sechziger: Jahren in der Leech—
gaffe zu Graz, unter Bush und Baum
verftedt, fein Holzhaus gehabt Hat.
Man fand es kaum, wenn man nicht
etwa zufällig darauf fam, wie auf ein
Der Yofef Stern hatte es fih darum
jo Hein gebaut, weil er ein größeres
nicht bauen fonnte und endlich ge=
fiel e3 ihm fo gut darin, dab er es
Meil aber die Miethe des Bodens,
auf weldem das Haus ftand, etwas
foftfpielig ift, wesweg der ſonſt all»
zufriedene Mann einmal nicht zufrieden
war, jo [ud er eines Tages jein Haus
auf einen vierräderigen Wagen, ſpannte
ein paar Pferde davor und jchleppte
es hinan auf den Nofenberg. Dort
auf ſonniger Lehne mit der Aus—
ſicht über das öftliche Graz und die
ihönen Berge von Maria Troft hatte
er fich ein Grundftüd gefauft. Dasjelbe
war zwar nur 53 Geviertflafter groß,
hatte aber vollauf Raum für das
hölzerne Bauernhaus, das ſchier vor—
nehm zu Wagen aus der Stadt ge—
fommen war, und ſpäter noch für un—
erhört vieles Andere.
Das Haus — es ſteht ja heute
noch dort — ift eine überaus nied—
liche Miniaturausgabe eines fteirifchen
Bauernhauſes, genau nmachgebildet,
ſelbſt bis auf die gelben Kulurutzzapfen
im Söller unter dem Dachgiebel. Das |
Haus Hat fein regelrechtes Vorgelaß
mit der Bodenftiege, die in den „Dach—
boden“ Hinaufführtt. In der Stube,
die etwa 5—7 Fuß lang und breit
und hoch ift, ſteht der Wandkaſten
und der „Geſindetiſch“ und der Haus
altar und die Schnigbant und das
Bett des Hausvaterd und der grüne,
Kachelofen. Weil aber das Bett felbit
für einen Heinen Mann zu kurz if,
jo wird zur Schlafenszeit eine Ofen=
wand bejeitigt, um für die Füße
Naum zu machen. Das ift fein Ofen,
in dem geheizt wird, denn wir wiflen
von der Kälte nichts. Wie viel Wär—
megrad, Du gutes altes Herz, magft Du
haben, daß zwifchen den dünnen Bret—
terwänden bei der ruhigen Schnigarbeit
im Winter die Ofenwärme überflüfjig
it? Oder Haft Du das Blut des Weifen
— Fiſchblut? Der Rauchfang ift doch
da und ragt über das Dach empor;
e3 Happert in ihm eine Windmühle,
die unten in der Stube ein Gloden-
jpiel treibt. Wenn draußen Sturm ift,
hat der Mann drinnen klingendes
Spiel — fo follt’ ſich's Jeder ein—
richten auf der Welt. In einer ganz
ſtillen Nacht, jagte der Mann, könne
ev nicht fchlafen und wenn ihm eine
Meile Alles nah Wunfch gehe, werde
es ihm unheimlich, denn gejchentt
bleibe ſie doch Keinem, die Kümmer—
nis. In der Stube hängt ein
gar feingeſchnitzter Vogelbauer, das
Thörchen desſelben geht durch die
Holzwand in's Freie. „Meine Vögel
533
jollen ihre Freiheit haben,“ jagte der
Joſef Kern, „die Leibeigenjchaft ift bei
mir nie gewefen. Der hohe Herr muß
nicht Alles in feiner Yauft Haben
wollen!”
Als er ein MWeildhen auf dem
Nofenberge gehaust und ſich mit
Schnitzen von Kinderfpielzeugen und
Damenfähern „die Zeit verdient“
hatte, hörte man, der Schnikelbauer
bane fich eine Fabrik, um fein Gewerbe
in größerem Mapitabe ausüben zu
fünnen. Ich habe mir dann gelegent-
lich eines Spazierganges die Yabrif
angejehen. Sie war jo geräumig, daß
der Fabrifant, der darin ſaß, von
feinem Sitze aus mit der freien Hand
in alle Eden und Winkel des Gebäudes
zu langen vermochte, wenn er Schnitz-
holz oder Werkzeug hernehmen wollte.
Indes hatte er doch das Arbeiter—
perfonale um das Doppelte verftärkt;
neben ihm im VBretterhüttchen ſaß
feine Tochter, die im Schnigen nicht
weniger anſchickſam und flink war
als der Pater. Das Bauernhaus da=
neben, stets höchſt reinlich gehalten,
hatte nunmehr ftet3 eine feiertägige
Stimmung, es war — feit nicht mehr
in ihm gehämmert und gefägt wurde
— zu einem Prunfgemäclein gewor—
den, in das der Hausherr nur ganz
bevorzugte Gäfte zu führen pflegte.
Die Beſucher mehrten ſich, kauften
dem Alten kleine Schnitzwerke ab,
Vogelläfige, Spatzenſchießer, wachhol—
derne Damenfächer, Holzlöffelchen, Pa—
piermeſſer u. ſ. w. Kaufleute beſtellten
bei ihm Arbeit und die Zeiten waren
jo gefegnet, daß der Schnigelbauer
mit dem Gedanken umgieng, ſich und
allen Deren von Kern ein Stammſchloß
zu erbauen.
Und als ih nah einer Weile
wieder einmal den Mann befuchte, fand
ich als drittes Gebäude auf den 53 Ge—
viertflaftern großen Grund ein Feltes
gemanertes Haus, faft jo groß als
ein Bahnmwächterhäuschen, aber Alles
überaus niedlich und Klug eingetheilt ;
jeder Raum auf das Sinnigfte aus—
934
genügt und wahrhaft wohnlih und wirkte nachgerade bezaubernd auf den
behaglih eingerichtet. In Ddiefem
„Schloffe* herrſchte nun das Weib des
Schnißelbauers, welches bisher mit—
fammt der Tochter in einer Nachbar—
ſchaft gewohnt hatte, und beforgte Garten
und Feld, Küche und Seller und die
ganze Wirtichaft in mufterhafter Ord—
nung. Denn Garten, Feld und Wiefe
hatten auf dem angegebenen Flecke
auch noch Raum neben den drei Ge—
bäuden,. Unter Obftbäumen, an deren
einem ein Muttergottesaltärdhen prangt,
liegen Gemüfe= und Blumenbeete. Auch
ein Weingarten ift da. Das ganze Be—
ſitzthum ift mit einem Dornhedenzann
umgeben, und wer hinein will, der
muß an einem Glödlein läuten, dann
geht wie „von Geifterhand bewegt“
das Thor auf, hinein zur Behaufung
des „glücklichſten Mannes von Graz,“
die — bezeihnend genug — mit
Dornen- gekrönt ift.
Beſucher. Seine Bemerkungen waren
voll Humor und manchmal wahre
Ausfprüche der Weisheit, die er nicht
bloß im Munde führte, fondern auch
in feinem Leben bethätigte.
Menn man den fünfundfiebzige
jährigen Alten fragte, wie es ihm fein
Lebtag ergangen fei, fo wußte er für's
Erite kaum etwas anderes zu ent-
gegnen, als daß er Gottlob alleweil
hübſch gefund gewefen wäre und zu
eflen gehabt hHäite. Und wenn man
ihn fragte, wie er zur Welt ftebe,
wie fie ihm gefalle, jo antwortete er:
An Geldeswert fei er Niemandem was
Ihuldig und er fenne brave Leute die
Menge. — Und was er von der Zu—
funft erwarte? Ya, er freue fich auf
die Zeit, wo feine jungen Obſtbäume
| Früchte trügen, erlebe er das nicht
mehr, im Gottesnamen, fo würde ſchon
wer Anderer da jein, der ſich daran
Des Mannes Glüd beftand, wie) freue. Wenn man fi) wunderte über
man etwa nad der Anlage diefer nied-
lihen, aber im Grunde doch arınen
Verhältniſſe ſchließen möchte, nicht in
entjagender Beichaulichkeit; nein, es
beftand im Schaffen und im Belik.
Als Findellind war er aus der Stadt
nach Neftelbah zu einem „Sochlöffel=
macher“ gekommen, bei diefem erzogen
und ein wenig im Holzſchnitzen unter:
richtet, gieng er jpäter in die Stadt
zurüd um durch Arbeit und Spars
ſamkeit fich eine Eriftenz zu gründen.
Er baute fi das Heine Haus in der
Leechgaſſe, in welchem aber jein Weibel
das er fich fpäter nahm, nicht Platz
die winzigen Verhältnifje feiner Ge=
bäude und MWirtfchaft, die mehr an
eine Spielerei als an etwas anderes
erinnerten, jo fagte er, es fei ihm nun
aber doc fchier zu groß. Man könne
ſich nicht Hein genug einrichten auf
der Welt. Je weiter man feinen Rod
ausbreite, deſto leichter könne bei
irgend einem Zipfel das Unglüd an—
beißen.
In der neueften Zeit nun hat fich
unfer Freund noch einfacher begeben,
und Heiner, als er jetzt gemacht,
fann man ſich nicht mehr einrichten.
Sechs Schub lang und zwei Schub
hatte. Das mußte freilich anders wer= | breit — jeßt kaun das Unglüd bei
den. Nun hatte er ſich's geichaffen! Und | feinem Zipfel mehr anbeißen.
ſelbſt geichaffen! Darin lag's. Wenn Der diesjährige Februarfchnee hatte
er feine Heinen Erzeugniſſe aufzeigte, | ihw’s angethan. Er wollte feine Bes
von feinen Feld» und Gartenarbeiten ſitzungen frei haben und ſchaufelte das
ſprach, jo that er’s mit Selbſtbewußt- Zeug Hinaus, ermüdete ſich dabei zu
jein und Selbftironie zugleih. Die | ftart und vorbei war's. Als ihn das
treuherzige Gemüthlichleit des weiß- Fieber fchüttelte, Hatte man Mühe,
füpfigen Alten mit dem ftets beiteren | ihm aus feinem hölzernen unheizbaren
Gefichtlein, die Zufriedenheit, die ihm | Häuschen, in welchen er immer noch
aus den Heinen Augen umd jo zu | gewohnt und geichlafen hatte, hervor
jagen aus jeder Nunzel hervorlugte, und in das Heine gemauerte Wohn
339
Haus zu bringen. Er könne den Holz- den glüdlichften Mann von Graz ges
geruch nicht milfen, meinte er, fieinannt. Mag fein. Heute ift er's
follten ihm fein altes Daheim laſſen. | gewiß.“
„Das wollte ich den lieben Herr— Das Heine, jo originelle Anweſen
gott bitten,“ jagte er einmal während | auf dem Roſenberg liegt jet verwaist,
feiner achttägigen Krankheit, „wenn's | die Miniaturhäuschen find gefchlofjen
ſchon fein muß, nicht zu langwierig | und fehen aus, als wären fie ſelbſt
möcht’ er’3 treiben. Wenn’s mit dem |entjeelt. Für Andere ift das nicht
Schnitzeln fchon nicht mehr geht, ſo mehr zu brauchen. Aber Vieles läßt
foll er mich penfionieren. Ich habe die | fich dabei denken. Diefer Heine Kreis
ihöne Welt lang genug genofjen.“ mit feinem findlichen Inhalte war die
- Wenige Tage Später lag er aufs | Welt eines reichen Gemüthes, das in
gebadrt in feinem Lieblingshäuschen. | der Nähe der großen Stadt täglich
Haft lächelnd lag er da, ſchlau lächelnd | Gelegenheit hatte, fein enges Eigen
wie Einer, welcher der Welt ein | mit der üppigen prunfenden Welt zu
Schnippchen geichlagen. vergleichen, ohne an fich irre zu werden,
Als der Sarg des weitbefannten | und das anf dem Todbette jagen
and beliebten Mannes, von einer großen | konnte: Ich Habe die jchöne Welt
Menfchenmenge begleitet, dem Fried- | genoffen.
Hof zuſchwankte, hielt vor dem Zuge, Zu wünſchen wäre, das fteirifche
der die Straße abiperrte, ein vornehmer | Landesmufenm möchte das winzige
Herrihaftswagen mit vier feurigen | Holzhaus des Schnikelbauers im feine
Hengften und zwei livrierten Lakaien. Hut nehmen als ein ftiflheiteres her—
In der Kaleſche ſaß ein Mann, der) ziges Andenken an den weiland „glüd-
blidte dem Sarge nah und murmelte: | lichten Mann von Graz.“
„Der Schnigelbauer! Sie haben ihu
Da Vierkreuzabotzn.
A floans Gſchichtl in da Gmoanſproch.
Ber ip jog holt ollamol: Biel Geld | ma ſei Tröpfl Wein friagg. Heint
& is nit vonnöthn, oba recht fein s durſti — mau, ih glaubs!
onwendn muas ma's tina. Endler iS er do, da Bädnwirt
Nahſt Sunta Ion ih an kloan md moant, ih ſult nit fa viel regnan
Hondl ghobb mit n Bädnwirt. loſſn, er hät ſeini Ruabn gern drudn
„Wirtshaus,“ jog ih, „geh Hera in Sefla.
mol, ih muas Da wos jogn.“ Du Wirt“, fog ih, „loßn ma
„Bleib gleih,“ ſogg er, „Tachft |.. ———
ze — hiaz Regn und Ruabn af da Seitn.
03 dan nit, daß ih d Hand vul Glaſa Du wirft Dih erinern, daß mar in
bon! D Leut fein durfti.” gi
. : ! t d Nocht do ba dei
Ahan, dent ih ma. Heint fein j =. une rn * en
durſti. Sift, wan er mit da ſaubern j er —
Frau Lederermoafterin banondaſitzt, do „Wird eh jein,“ joggda Bäcnwirt.
„Und dos D ma — wir ih me
dert ma ſih s Lungl ausfchrein, bis
i
536
Zech zohlt hon — an Fünfabangganotn haſn ſtork afn Tiſch, „Ja kenad ih $
gwechſlt hoſt.“
„Dos kunt ih nit meh recht ſogn.
Sein kons eh. Oba Du — mualt
ſcha vazeichn, ih muas ſchaun, daß
da Semeltoag auſſaknetn wird. Mei
Bädnjung ftedt ſcha wieder in da
Kucel, der Saggara!
groſſi Bäck. D Dllaheilignfenmelr für
Und Heint is
Geld nit, moanft, oda hät Dih zfleik
ongſchmirt! IH bin cha zwoanzg Johr
Wirt und wir epper a went mehr
Geld in da Hond ghobb Hobn, as
wia Du Dei Leppa gehn boft, mei
Liaber! Und ih ſchau mei Geld on,
ob ihs hiaz ausgib oder einnimm!
Wer woaß s, wo Du Dein Guldn
die Ormen, Du kenſt jo den dumen vadredlt hoſt, ban Hoamgehn! Und
Brauch, oba nau, wos kon ma mochn!“ ih hät folſch auſſagebn!
Soggs, und will wieda davonrena.
Do Schrei ih in die Kuchel aufji
zan Bädnjung, er fult Semel auſſa—
knetn gehn, da Herr Wirt miad in
Gäſtn aufwortn. Is ab gleih ba fein
Gſchäft gwen, da Bädnjung und da
Wirt hot ba mir fißn bleibn müaſſn.
„so, und dab ih ſog,“ red ih
weita, „Du hoft mar in Kicchwahfunter
af d Not an Fünfabangganotn gwech—
jelt und Hoft mih ongſchmirt!“
„Ongſchmirt? I Did?“
„Knopp an Guldn Hot die Zeh
ausgmocht.“
„Richti, iS eh wohr, Hiaz follts
mar ein, und ih bon Da von Fünfa
vier Silbaguldı zrugg geb,“ ſogg
da Wirt und mocht ſchreckbor gleich-
giltigs Gicht.
„Du Wirt,“ jog ih, und thua
mei lederanas Geldbeiderl ausanonda,
„Du Hoft ma drei Silbaguldn und
an Bierfreuzerbogn aufjagebn.
Deina Todinbohrfungn hon ihs zwent
gſechn und wir ih hoamkim und mein
Weib in Geldbeidl gib, hoakt 3 mih
mir nir Dir nir an Lumpnu, der in
a Stund zwen gonzi Guldn vafauft
und noh nit amol an Rauſch hoam=
bringg — a Zoachn, daß ih mehra
gwohnt war. Und kim ih Hiaz drauf,
daß ſih da vadonkti a
Ba)
Do ſchauts
her!“
— Er langnis, denk ih mar. Bin
freilich feſt Übazengg, daß er mein
Guldu hot, grod weil er a fo auf—
begehrt. Oba weil er's amol laugnt,
ja fun ih mir mochn; ih häts befier
onfchaun fuln, s Geld, waı er ma 3
in d Hond gibb. Kan Hondl und fa
Feindſchoft mog ih va wegn ar an
laufign Guldn nit onhebn. Loß eahm
an, denk ih mar und ſog: „Nau,
wanft Du s gwiß woaßt, daß D ma
vier Guldn hoſt auſſagebn, fa muaß
id Da 3 glabn.“
„Nau, ih moanads ah!“ ſogg er
fernfeit und geht zan Bädnjung, der
ban Bochtrog mit boad Händn in
Toag Hin und herſchmotzt. Da Wirt
wicht ſih ſei Hond a wenk in da Hoſn
ob, greifft a Hoans Batzl aus n Trog
und leggs ols Gwicht af d Wogſcholn.
Klewa nußgroß iS s Batzl, klewa
nußgroß. Und däs ſult in Ormaleut—
Semeln eahna Gwicht wern? — Na,
wort, Bäck! denk' ih ma. Und wir
er in Bäcknjung ſchorf auftrogg, drei—
hundert Stud, und jo nit ſchwarer
z bochn, as wia die Gwichtſemel, de
af da Wogſcholn ligg, und wir er nochha
ba da Thür auſſi geht und da Bäckn—
jung noh gſchwind im die Kuchl rent
um ſei Staffeeladel, weil er mit da
fürn viertn Guldn ausgibb. Hot ſih Köchin guat on is — huſch ih gſchwind
holt vagriffn, da Bäcknwirt, denk ih hin zan Bochtrog und ſteck mein Vier—
na, mei Gad, is jo leicht migla, daß kreuzabotzn ins Toagbatzl va da Gwicht—
ma ſih amol vagreifft, da Botzn is ſemel. — So, dent ih ma, do hoſt
ja groß und ab fa ſchwar, wir a dei Vierkreuzaſtückk wieda, dis d ma
Silbaguldn.”
„Do hört ſih Olles auf!” gromelt
da Wirt, fteht auf und legg ſei Fauſt
ja ſchön fein um an Gulon valafft
hoſt, wird da guati Zinjn trogu.
vahoff ih.
537
In ondern Tog in olla Her: nit fina ſchenkn. Kim grod recht, wir
gottsfriia kemen F cha, die Olla- er jih höllaſch gift’t, da Bäcknwirt.
beilignftriglfomla, die ormen Leut mit „Vadonkta Kletzu!“ jogg er und
eahneri Sadler und vawundern ſih druckt die Gwichtſemel mitn Fingern
hell üba die großmächtign Semeln, broad. Do zmedert er in Vierkreuza—
de däsmol ban Bäcknwirt thoalt botzn auſſa.
wern, und ma that n holt doh unrecht, Schautn a Weil on. „Du!“ ſogg
wan man für an Geizhols ausſchreiad. | er und ſchiaglt gifti af mih her, „de
Sa groſſi Semeln hät ma neama | Bosheit i$ va Dir! Du holt a Vier—
gſechn ſeit zwoanzg John, wo 8 Korn kreuzaſtückl ghobb, däs a Kringerl hot
onghebb hot, wulfeila 3 wern. „Va⸗- afn Rond !“
geltsgott, ztauſnd mol! Bageltsgott „So!“ ſog ih, „a Kringerl hots,
Ollaheilign!“ mei Vierkreuzaſtückk? Wia biſt dan
Endla kralt da Bäcnwirt va ſein go Ja guat bekont damit? Han ?“
Fedabett auffer und wir er oani va) „Do! Do hoſt m!“ jchreit er und
die Ollaheilignſemeln fiacht, gibb 3 m | reißt fein Geldbeidl aus n Hojnfädl,
ch gleih an Stich ins Herz. Und „do hoft m, in Silbaguldn ! Ih ſchent
richti, ofl fein F fa groß, oani wir Dan! Ih wir derawegn nit orm wern.
all! Hiaz gibbs a Metin! Ta Bächn-Do hoſt Dein Schmorn!“
jung vaſchwirt fein ormi Seel, er hats Und ſchmeißt ma ns Silbaſtüchl
nit um a Grandl ſchwara bochn, wia vor die Füaß, daß s af d Hech
die Gwichtſemel war gwen. — „Her ſpringg, davonhupft und untern Tiſch
mit da Gwichtſemeh!“ ſchreit da Bäckn—
wirt, „Siagſt as, wos däs für a netts
Dingerl is! Und Du bochſt de olt—
weltiſchn Knedl auſſa, de unförmign,
daß s a Schond is!”
„Ober ih bitt, Moafta! 5 Gwicht.
eini radit.
„Shört ah in Ormen!“ jog ih,
„oba däsmol Hot a lumpiga Vier—
kreuzabotzu mehr ausgridht't, wir a
hellglonzenda Silbagulon. Derawegn
ſog ih: Recht onwendn muas ma
5 Geld kina!“
Thoan ma's weg!“
u a e | Erklärung: drudn: troden. Bang:
Und mia fies richti wegn, jogg ganotn: Banknote. Todtnbohrfunzn:
da Bädnwirt: „Hot dun do da Benennung für ein ſchlecht brennendes Herz
Teuxl ſei Gſpiel! Akrat fa ſchwar!“ — | zenliht. gromelt: groflt. vadredit:
i — verthan. zmedert: drückt, zermalmt,
Ih geh ſiſt nit ins Wirthhaus in ſchiaglt: ſchielt. Kringerl: Meiner Ein—
da Früa, oba däsmol hon ih ma jchnitt radlt: rollt.
Die drei Mareien.
Eine mythologiſche Unterhaltung von Th. Vernaleken.
5 u Zürich ſaß eines Abends eine Zürich privätiſierender Pfarrer eintrat,
—Geſellſchaft beiſammen, zu wel- und die Zahl 13 ergänzte. Um die
her auch einige Fremde eingeladen . frohe Laune der Anweſenden zu er—
waren. &3 war der Schluß des Tauf- | halten, ſtimmte der Dausherr, deſſen
mahles. Man ab, tranf und war guter poetiſche Ader ſchon geöffnet war, fol=
Dinge, als ıumerwartet ein alter, in; genden Rundgejang au:
Wir fiten um einen runden Tiich,
Es jchaufele jeder jein Kindlein friſch,
Und finge von den Mareien etwas,
Das madht uns Alten am meiften Spak.
Wer ausgetrunfen hat, fängt an! —
Das trifft mich ſelber — nun wohlan!
„Nite, rite, Rößli,
3’ Bade ftaht e Schlößli,
3’ Bade ftaht e goldi’s Hus,
'S Iueget drei Mareie drus.
Die eint fpinnt Side,
Die andre ſchnätzlet Chride,
Die dritt Schniedt Haberftrau
BHüt mer Gott mi’s Chindli au!“ —
Darauf fiel der Chor ein:
Und nun getröfte ſich jeder Chrift,
Daß die Mareie geftorben ift. j
Es geh’ das Glas die Neih’ herum,
Dantt Gott, da feiner von ung jo dumm!
Vivat sequens!
Ein Fremder beginnt:
Das Lied ift wahrlich noch nicht aus,
Man fingt e8 anders bei mir zu Haus:
„Sonne, Sonne jdeine,
Fahr über Rheine,
Fahr übers Glodenhaus,
Gucken drei ſchöne Puppen raus.
Eine die ſpinnt Seiden,
Die andre widelt Weiden,
Die dritte geht an's Brünnden,
Find't ein goldig Kindchen;
Mer joll’s heben ?
Die Töchter aus dem Löwen.
Wer foll die Windeln wäſchen?
Die alte Schnäppertäſchen.“ —
Kennt Ihr „des Anaben Wunderhorn* ?
Das ijt der ſchönſten Lieder Born.
Der Chor fällt ein:
Und nun getröfte ſich jeder Chrift,
Daß diejes Püppchen geftorben ift.
Es geh’ das Glas die Reih’ herum,
Danlt Gott, dak feiner von ung jo dumm!
Vivat sequens!
Der fremde Nachbar beginnt:
Glaubt Ihr, das Liedlein wäre aus?
Man ſingü's noch anders bei mir zu Haus:
„Kling, kling Glödchen,
Im Haufe fteht ein Döckchen,
Im Garten fteht ein Hühnerneft,
Drin fihen drei ſeidne Döckchen feft.
Eins jpinnt Seiden,
Eins fliht Weiden,
Eins flieht den Himmel auf,
Läßt ein bikchen Sonn’ heraus,
Läßt ein bißchen drinn,
Daraus die Liebfrau Maria jpinn
538
im Frühling, wenn die
Maiglödcden läuten,
Wer jagt uns aber, was ſoll's bedeuten?
Die ganze Geſellſchaft — ausge—
nommen der Herr Pfarrer, an den
jeßt die Reihe kommt — wiederholt:
Und nun getröfte fi jeder Chrift,
Daß diejes Döckchen geftorben ift.
Es geh’ das Glas die Reih' herum,
Eo fingt man
| Dantt Gott, daß feiner von ung fo dunm ! —
Vivat der Herr Pfarrer!
Verzeihung, meine Herren, ich finge nicht,
Meil mir zum fingen die Stimme gebridt,
Solch' heid niſche Lieder unter chriſtlichen
Leuten!
Erlaubt Ihr mir, dieſelben in Proſa zu
deuten? —
Auch recht, erwiedert der Hausherr, Ab—
wechſelung ergößt,
Unfre Poeſie wird doch wohl Proja zuletzt.
„Es ſcheint faſt gewagt,“ begann
der Herr Pfarrer, in unſerer von
Cultur beleckten Zeit von alten, ver—
achteten Dingen zu ſprechen. Ich weiß
übrigens, daß Ihr keine Freunde von
Modeartikeln ſeid und Euch über das
Vollsmäßige nicht hinwegſetzet. Mir
gewährt es in unſern lichtfreundlichen
Tagen einen eignen Genuß, Dinge zu
betrachten, über welche die „Aufklä—
rung“ längſt den Stab gebrochen hat.
Ich ſtreiſe gern zuweilen von der
politiſchen Heerſtraße ſeitwärts, um
ein verkrochenes Wieſenblümchen zu
pflücken, nach dem Andere ſich kaum
niederbücken würden. Es iſt mir nicht
Ernft, wenn ich Enern Liedern das
Heidenihum vorwerfe. Für die Poejie
des Volles war das eine ergiebige,
jugendlihe Zeit. Gleichwohl wollen
wir uns getröften, daß jene Gejchöpfe,
von denen Ihr gefungen habt, geftor:
ben Find. Aber jo dumm, wie Ihr
vielleicht glaubet, find jene Kinder—
lieddden nicht, troß den heidnifchen
Anklängen. Was der gejunde Volks—
finm jo lange bewahrt, war urſprüng—
ih gewiß nicht „dummes Zeug.“
Jetzt legt man freilich feinen Sinn
mehr hinein, wie auch in manche
andere Erbſchaft und Meberlieferung
Gin Rödlein für ihr Kindelein.“ — nicht, die don der Mutter, Groß: und
539
Urgroßmutter herſtammt. Als Freund
der Poeſie muß man bedauern, daß
jo manches Schöne aus unferm Volks—
leben verfhwunden ift. Darım fingt
der dame aux neiges wurde bon der
Kirche am 6. Erntemonat (Auguft)
gefeiert, an denfelben Tage, an wel—
chem die Schwyzer ihren Feſttag in
auch Schiller (und man hat's ihm | „Maria zum Schnee” am Rigi haben.
übel nehmen wollen):
Holda oder frau Holle hatte dus
„Schöne Welt, wo bift Du? Kehre wieder, | Amt einer mittterlichen Gottheit, die
Holdes Blütenalter der Natur!
Ad! nur in dem fFeenland der Lieder
Lebt noch Deine fabelhafte Spur.”
al3 ſpinnende Frau dargeftellt wird.
Auch dieſe Eigenschaft wendet die
Vollsſage auf Maria an. Das weise
Unfere Zeit und — Boefie, welch | Gewebe, womit im Beginn des Früh—
ein Abftand! ch könnte Euch beweifen, |lings die Felder bededt find, heißt
daß bejonders die Vollsdichtung ur- Marienfaden, Mariengarn, weil ich
Iprünglih mit der Bolfsreligion aufs |die meubekehrten Chriften auch Maria
innigſte zuſammenhängt; allein wir als ſpinnend und webend dachten. Und
wollen auf unfere Lieder zurückkommen. dieſe Vorſtellung Hat fich fo lange
Man legt den Verfteinerungen,
den gefundenen pflanzlichen und thieri=
chen Ueberreften einer untergegangenen
Melt eine Bedeutung bei, warum
jollte nicht eine diegen im den —
allerdings im Laufe der Jahrhunderte
verunftalteten Trümmern und
Bruchſtücken eines vorchriſtlichen und
geiftigen Boltslebens ?
Es lagern Sich Freilich um den
Kern des lleberlieferten jo viele Rin—
den, daß die ursprüngliche Geftalt
Schwer herauszufinden ift. Ihm wenig—
tens nahe zu fommen ift nicht une
möglich, wenn man Aehnliches Herbei-
zieht und vergleicht.
Schon die „Mareie” deuten auf
eine fatholifche Zeit Hin, aber die
Verſe find noch älter als 300 Jahre;
denn fie enthalten deutliche Anklänge
aus der deutſchen SHeidenzeit. Die
Gejchichte der Belehrung unjerer Vor—
ältern lehrt, daß nicht jelten Heidni—
jches auf Chriftliches übertragen wurde
und umgefehrt. So gefchah e3 nament—
lich mit den Feſten und Gebräuchen,
jo auch mit den verehrten Perſonen.
Wenn die deutjche Göttin Holda
ihr Bett macht, jo fliegen die Federn,
d. h. die Schneefloden vom Himmel
herab. Dieſes wurde auf Marie über-
tragen. In einem Wollsliede aus der
Bretagne heißt es: Notre dame marie,
sur votre tröne de neige! Das Felt
der Maria ad nives (zum Schnee),
erhalten, daß es noch in einem deut—
ſchen Volksliede heißt:
Preis, Mägdlein, preis
Der Mutter Gottes Fleiß;
Dieſe heil'ge Himmelskron
Spann ein Röcklein ihrem Sohn.
(An des Anaben Wunderhorn: Epinnerlied.)
Auch die heidniſchen Göttinnen
Bertha und Freya (Frigg) wurden
in der ſpätern chriſtlichen Anſicht durch
Maria erſetzt. War es übrigens ein
Wunder, daß das poeſiereiche Volk
bei dem Mangel aller Göttinnen ſpater
| jo vieles, was den heidnifchen Göttinnen
angeklebt Hatte, auf Maria übertrug,
daß dieſe die Frau, Herrin, Dante
und Donna borzugsweife wurde?
Vom poetifchen Standpunkte aus jagt
darüber J. Grimm in feiner Mytho-
logie: „Wie zart duften diefe Märchen
von Maria, und was hätte ihnen
irgend eine andere Poejie entgegen zu
ftellen! Blumen und Kräuter heißen
nah Maria; fie ift göttlide Mutter,
Spinnerin, und erſcheint als Hilfreiche
Jungfrau. Der geſammte, weder in
der h. Schrift begründete, noch von
den erſten Jahrhunderten anerkannte
Mariencultus iſt nur aus der tiefen
Wurzel zu erklären, die im Volke
Ihöne und jchuldlofe, aber heidniſche
Anſchauungen geichlagen hatte, mit
denen auch die Kirche allgemad eine
feiner ausgelegte, in zahlreichen Le—
genden und Predigten veriponnene,
feierlihere Andacht zufammenfließen
ließ.“
540
Das Geihäft der Normen gibt die
ältefte Quelle des nordgermanifchen
Daher darf es auch nicht auf Glaubens, die isländiſche Edda, fol-
fallen, wenn die Maria, wie ihre | gendermaßen au:
heidnifchen Vorgängerinnen, verviel-
faht wurde, wenn aus Maria —
Marien wurden. Diejes ift der Fall
im obigen Sinderreime, wo an die
Stelle der drei Nornen, der Scid-
jalsgöttinnen der heidniſchen Deutichen,
drei Mareien getreten find. Die Drei—
zahl der Normen ftört die Vergleihung
Bertha's und Maria’ mit ihnen
ebenfo wenig als die der römischen Par—
zen, denn ursprünglich gab es au nur
eine Parze, Venus Uriana.
Die alten Griechen hatten ihre
Moiren, die Römer ihre Parzen, die
Romanen ihre Teen. Ueberall findet
fih ihre Dreizahl. Dieſe weiblichen
Gottheiten werden gedacht als weis»
ſagende Schweltern, die jedem neuge—
bornen Finde nahen und über das
jelbe ihr UxtHeil fällen. Sie ſpinnen
den ganzen Lebensfaden des Menschen.
Durch die Namen unferer Normen it
jehr paſſend das gewordene (Udr),
das werdende (Werdandi) und werden
jollende (Sculd) vder Bergangenheit,
Gegenwart oder Zukunft bezeichnet.
Ihnen ift das künftige Schidfal und
Leben der Kinder gewilfermaßen ans
heimgeftellt. Es zeigt ſich daher in
ihnen der Gegenfaß des Guten und
Böfen, und zwar fchon im Aeußern.
Nah der Sage ericheinen zu heiligen
Zeiten die drei Jungfrauen hinter
einander; zwo Weiße voran, etwas
zurück die dritte, weil bis zum Gürtel,
abwärts ſchwarz, von einem fchrwarzen
fürchterlichen Hunde begleitet. Aber
auch im Handlungen zeigt ich der
Gegenſatz. Eine von ihnen, die als
Todesgöttin (Hela) gedachte „schwarze
Marie,“ heifchte jogar Kinder zum
Opfer, daher der Vers wohl nicht
überflüflig war: „b'hüt mer Gott mi’s
Chindli au!“ Nah einer Sage ſoll
die Marie neugeborne Kinder mit ich
genommen haben. Sagen von finder-
jtehlenden Feen find nicht felten.
l.
63 war in früher Zeit
Als die Are fangen,
Floſſen heilige Waſſer
Bon Himmelsbergen.
Da hatte den Helgi,
Den muthſtarken,
Borghildr geboren
Zu Bralundr.
2
Naht war in der Burg,
Nornen kamen,
Die edlen
Alter beftimmten,
Der jollte der Fürften
Tapferfter werden,
Und der Herrſcher
Der befte fein.
A.
Drehten ſie ſtark
Die Schichſalsfäden,
Da war Burgenbruch
In Bralundr.
Sie breiteten aus
Das goldene Seil
Und unter den Mondſal
Mitten feftigten fie es.
4.
Die öftlih und weftli
Die Enden bargen,
Da hatte der König
Land in Mitte,
Band Neris Schwefter
Am Nordweg hin
Einen Faden
Den bot fie immer zu halten.
Alſo altes Gebiet zwifchen dem
öftlichen und weftlichen Ende des Seils
follte dem jungen Helden (Helgi) zus
fallen ; wahricheinlih that nun die
dritte Norn diefer Gabe Eintrag, in—
dem fie ein ewig haltendes Band
gegen Norden hinwarf. Das Spimmen
und MWeben, das Drehen und Feltigen
des Seils hängt mit der Beſtimmung
des Schickſals zuſammen.
Auch in unſerm Kinderliedchen
ſpinnt die Eine den Lebensfaden
(Side), die Andere drehet (rollet) und
entſcheidet, die Dritte ſchneidet den
| Faden ab. Wozu der Ausdrud „Haber—
8
ſtrau“, iſt ſchwer zu enträthſeln. Nur
das mag erwähnt werden, daß es
eine Pflanze gibt, die man „Maria's
Bettſtroh“ nennt (in Weſtfalen: Leiwe
Früggeken Beddeſtrau, d. h. des lieben
Frauchen Bettſtroh), dann eine Gras—
art mit blauen Blumen, welche
„Maria’s Flachs“ beißt.
Das „guldi Hus“ unferes Kinder:
reimes ift der Palaſt, in welchem die
Nornen wohnen. Er ift unter dem
Lebensbaume, deffen Dauer fie dadurch
erhalten, daß fie feine Wurzeln täg—
fi mit den Wafler aus den Urdar—
quellen benetzen, damit er nicht ver—
dorre. Die alten Germanen nannten
den Weltbaum Iggdraſil, eine Ejche,
deren
treiben und über den Himmel hinaus—
reihen. Drei Wurzeln
nah drei Enden aus und verknüpfen
Dimmel, Erde und Hölle. Unter jeder
Wurzel quillt ein wunderbarer heili—
ger Brunnen. Jeden Tag jhöpfen die
Nornen Wafler aus ihrem Brunnen
und begießen damit den Baum des
Lebens. Es iſt intereffant, mit diefer
deutichen Lebensanficht die morgen»
ländifche zu vergleihen. Man leſe
z. B. Nüderts Gedichte: „Der Baum |
des Lebens“ und „Tod und Leben“ ;
ferıter „Adams Tod* von Herder u. a. |
Man dentt fih die Wohnung der
drei Schweitern mit einem Brunnen |
und Thore in Berbindung. Die gute)
Schweiter Maria, welcher der Spulen
in den Brunnen fällt, der fie nach—
zieht, kommt durch das
Thor,“ die böfe Grethe durch das
„Ihwarze Thor“ zurüd.
Die drei Marien kennt man in
faft allen deutſchen Landestheilen, nicht
jelten mit Beziehung auf die Brunnen
der Nornen. Eine niederländijche
Sage 3. B. lautet: Bei Löwen liegen
drei Gräber, in denen die Körper dreier
frommer Schweitern ruhen. Vor den
Gräbern
und dahin wallfahrten bejonders
Frauen. Jedoch muß man fleißig
dabei beten und ein Opfer bringen,
Hefte durch die ganze Welt
breiten ſich
„goldene |
quillen 3 Mare Brinmlein, |
welches befteht aus einer erbettelten
Nadel, einem erbettelten Faden Garn
und etwas Korn.
In Frankreich find viele Feen—
quellen der Maria geweiht, bei Lüttich
befand Sich früher eine Kirche der
„drei Marien,“ und eine jehr bejuch-
ter Wallfahrtsort in Belgien heißt
„Dreibrunn.“ Darum ift es nicht
ohne Sinn, wenn die Zürcher ſich
dad „goldi Hus“ in Baden denken.
Stellen doch die Hochländer der
Auvergne die Mineralquellen von
Murat-le-Quaire unter den Schuß
der Feen. Die Einwohner von Glou—
cefter behaupten, Feen hHüteten Die
Warmbrunnen dieſer Stadt.
Viele Sagen deuten darauf bin,
daß Maria, wie fonft die Feen, den
Quellen vorfteht. Nah der Achner
Chronik bauete Karl der Große dort
der Maria zu Ehren eine Sapelle,
wo er eine Quelle gefunden. „Marias
brunn“ findet man auch in Oeſterreich.
| Die warme Quelle, die unſern Dome
\remy unter dem ſ. g. Feenbaume
\(arbre des fees) hervorquißt, unter
welchen die Jungfrau von Orleans
in Gefichten (visionen) mit der heil.
Jungfrau verkehrte, ſoll der Wünſchel—
rute der guten Feen ihren Urſprung
verdanfen. Hier alfo ein Feenbaum
an einer Feenquelle, wo ſeit der Ein—
führung des Chriſtenthums Maria
waltet. Man wird hier an die Na=
jaden und Dryaden der Hellenen erin=
nert. Auch das europäiiche Heiden
thum dachte nicht anders.
Ein Seitenftüd zu den Zürcherie
Ihen Reimen findet ſich im des
„Knaben Wunderhorn“ unter den
Klinderliedern. Es ift dasjelbe, was
mein Nachbar vorhin gejungen bat.
Die drei fpinnenden Doden oder
Tocken (Puppen) find eine Anjpielung
auf die drei Feen oder Kindernornen.
Die Wehnlichleit des andern, des
Sonnenliedes, leuchtet ein. Das Zürche—
riſche hört man auch im obern Thur—
gau. Dort ſchließt es: B'hüt mi Gott,
. —.
. *
Ein deutſches Märchen (Grimm's
Kinder- und Hausm. J. Nr. 14) von
De Batter iſt e Weber den „drei Spinnerinnen“ jchildert die
De Muetter ift e Chüchlifrau, Nornen als alte Weiber, und kennt
Und wenn fie bacht, jo git's mer au. | ihre hilfreiche, nicht mehr ihre weisſa—
Der mythiſch-heidniſche Kern guckt gende Erfcheinung ; fie wollen zur Hoch»
überall Heraus; die Äußere Form iſt zeit geladen und Bafen genannt fein.
mannigfaltig, wie bei allen Volks-Aehnlich ift eine Schwedische Sage von
liedern, denn die wahre Volfedichtung | den „drei Großmütterchen“ (Gavallius,
zieht bei ihrer Wanderung durch die ſchwed. Bolksfagen Nr. XL) Ber
Lande überall ein anderes Seid an, thurganifche Vers: „B'hüt mi Gott,
wie es gerade zu der Oertlichkeit paßt. | mi alte Frau“ ſcheint aus einer folchen
Mährend der Wanderung und | Borftellung hervorgegangen.
Verwandelung der Bolfsdichtungen | Da auch Frau Holda und Bertha
gehen bejonders die Vorftellungen von ſich des Spinnens und Webens befleigen,
einer Perſon auf eine andere über. | jo darf es nicht auffallen, daß Marien
542
mi alte Fran. Und gewöhnlich feßt
man noch Hinzu:
So find bier die Vorftellungen von dei
: jener eingerüdt find. Da jene Göttinnen
Nornen jelbft auf Deren übergegangen.
Nach einem miederdeutfhen Märchen
ift eine Mutter unzufrieden darüber,
daß ihre Tochter ftatt Flachs immer
hier genammt werden, die ja nach ſpä—
terer Vorftellungsweife in die Stelle
auch Säuglinge und Kinder begaben,
jo läßt fich der thurgauiſche Zuſatz
Seide ſpinne. Einem Könige aber | „und wenn Sie bacht, jo git's mer
gefällt diefes und er heiratet fie. Die au“ vielleicht darauf beziehen.
junge Braut weiß indes, dab die Ich muß überhaupt daran erinnern,
Mutter gelogen hat; und in ihrer daß es ſchon bei unſern Vorfahren
Rathloſigleit begegnet fie drei alten | Sitte war, dem Neugebornen feinen
Heren, die für fie Seide fpinnen Namen feierlich zu geben und das
wollen, wenn fie zur Hochzeit einge Kind dabei zu bejchenten. Name it
laden würden. Das geichieht ; die eine, das was man nimmt, zur Gabe em—
erfcheint mit einem breiten Fuße, die: pfängt. Da man gern in den Namen
andere mit einem breiten Daumen | des Neugebornen eine heilſame, weisſa—
und die dritte mit einer breiten Lippe. gende Kraft für feine Zukunft legte,
As der König fie fragt, wovon Fuß, ſo wurden Perfonen dazıı geladen, die
Daumen und Lippe fo breit geworden beſondere Macht beſaßen.
jeien, antworteten fie: dom Seide: Das Verhältnis der Nornen zu
ſpinnen. Das beſtimmt den König, den Kindern ift aber noch ein näheres ;
feine junge Frau nicht mehr Spinnen | denn jedem meugebornen Kinde —
zu laſſen. Als fie aber einen Prinzen |fagt I. Grimm — nahen fie und
geboren hatte, kam eine von den Weis | fällen über dasfelbe ihr Urtheil. Die
bern, um ihn zu holen. Die erſchrockene in dem ſchweizeriſchen Kinderreime
Königin weint und bittet, aber um—
ſonſt. Endlich ſagt die alte Hexe:
„Wenn Du binnen drei Tagen weißt, wie
ih heiße, Jo ſollſt Du den Prinzen
behalten.“ Zum Glüde entdedt ihr ein
Kuhhirtenbube, dab die alte Here
Numpentrumpen heiße. Und fo war
der feine Prinz gerettet.
Solchen kinderſtehlenden Weibern
gegenüber kann eine Mutter wohl
rufen: B'hüt mer Gott, mi's Chindliſau!
ſich nicht undentlih äußernde Furcht
‚dor ihnen bat auch darin ihren Grund,
daß die nachfolgende Norne dasjenige
zum Theil wieder vereitelt, was vor—
ausgehende Begabungen Günftiges ver-
‚heißen. Diefes ift gewiß vielen aus
dem „Dornröschen“ befannt, wo ſol—
| cher weisfagenden Frauen 13 auftreten.
In einer nordiſchen Sage heißt es:
Drei Weisfagerinnen fuhren im Lande
umber. Die Leute boten fie zu ſich
ins Hans, bewirteten und beſchenkten
fie. Einft famen fie auch zu Norna—
geſts Vater, das Kind lag im der
Wiege, über ihm brannten zwo Ker—
zen. Nachdem die zwei erjten Weiber
43
die legte Verderben bringend. Als Dorn—
röschen geboren war, lud ihr Vater
die 12 weilen Frauen feines Reiches
zu dem Feſte, welches er deshalb an—
ſtellte. Jede beichenfte das Kind mit
e3 begabt und ihm Glückſeligkeit vor ihren Wundergaben, aber die dreizehnte,
Andern feines Geſchlechts verjichert ‚welche nicht eingeladen war, rächte ſich
hatten, erhob ſich zornig die dritte dadurd, dab fie den frühen Tod des
oder jüngſte Norn und rief: „Ich ſchaffe, Kindes weisſagte. — Darin hat die
dab das Kind nicht läuger leben ſoll, ominöſe Zahl 13 ihren Grund. Gibt
al3 die neben ihm amgezündete Kerze es doch jeßt noch viele, die jich ſcheuen,
brennt!“ Schnell griff die ältefte nach |zu dreizehn an einem Mahle zu ſitzen,
der Kerze, löſchte und gab fie der
Mutter, vermahnend, fie nicht eher
wieder anzufteden als an des Kindes
legten Lebenstag, welches davon den
Namen Nornengaft empfieng. Daher
erfläre ih mir auch folgende nord—
deutſche Sitte. Aın Geburtstage eines
Kindes ſchenkt man ihm einen Kuchen
und ftellt ein Lebenslicht darauf. Das
darf man aber nicht ausblafen, ſondern
muß es bis zu Ende bremmen laffen.
Licht und Lebenskraft find verwandte
Begriffe; man fagt ja: Sein Lebens-
licht ift erlofchen ꝛc. Ihr kennt ferner
das Kinderjpiel: „ſtirbt der Fuchs, jo
gilt der Balg.“ Dabei wird ein bren—
nendes Holz herumgereicht, deflen Er-
löſchen entfcheidet.
Wie uralt diefer Zug ift, beweijet
die altgriehifche Sage von Meleager,
nach deſſen Geburt die dritte Parze
weisjagte: „Der Sohn wird fo lange
leben, als der eben auf dem Herde
glühende Brand von Feuer nicht ver—
jehrt wird.“ Daß den beiden erjten
Nornen wohlwollende, der dritten üble
Geſinnung zugefchrieben wird, ſtimmt
ganz zu der Aufgabe, die einer jeden
auf den Lebenswege des Menschen
zugefallen ift. Die lebte bringt Unheil
oder bricht den Faden des Lebens.
Auch wenn 13 auftreten, jo ift
und ich Habe wohl bemerkt, meine
Fremde, welche Störung mein Ein—
treten hier verurjacht hat. Aller Aber—
glaube Hat einen heidnifchzreligiöfen
Grund. Warum fürchten manche ein
Unglück und ehren um, wenn ihnen
beim Ausgang eine alte Fran be=
gegnet? Das follten die Frauen übel
nehmen, wenn es nicht bekannt wäre,
daß ſich im Bollsglauben Nornen und
Zauberinnen oft berühren und daß
das Alterthum alten Weibern nicht
bloß die Zauberkunde zufchreibt (viel=
leicht weil fie ſonſt nicht viel arbeiten
fönnen), Sondern fie auch Wahr:
lagerinnen und ſelbſt Prieſterinnen
‚fein läßt. Der Einfluß und die Macht
| des weiblichen Gejchlehts grenzt jo
an das Dämoniſche. Davon willen
mande von uns vielleicht auch etwas
zu erzählen. Nicht wahr, Herr Ge—
vattermamı 2
„Allerdings,“ ertwiederte der Hause
herr, „wir wären jonft vielleicht Heute
Abend bier nicht zufammen und hätten
auch nicht jo ganz umerwartet eine
angenehme Unterhaltung gehabt, To
daß ich faſt beſchämt bin, den Herrn
Pfarrer nicht förmlich eingeladen zu
haben. Der Dreizehnte ſei uns alſo
fünftig immer willkommen!“
Stille Pieder.
Von M. Rartſch.
Ein Tröpfchen Thau nur glänzt im Sonnen:
ſchein,
Ein Thränlein, wie ich unzählbare weine,
Sagt mir, Du ließeſt mich nicht ganz alleine
Und fühlſt, wie ich, der Trennung herbe Pein.
Eisblume.
hie ſtillen Dämmerſtunden
ee In tiefer Winterszeit —
Wie ſaßeſt im trauten Stübchen
Du plaudernd an meiner Seit:
Manch jühe Morte entiprangen Ich fuchte Dich im bleichen Mondenftrahl;
Baht Deinem tiefen Gemüth, Mir ift, als ſollteſt Du herniederſchweben.
Und ih — ih dankte den Himmel, Mit all der zarten Sorgfalt mich umgeben
Der Dich mir zum freunde beſchied. Wie einft, und Br Me von aller
ual.
Wir tragen in treuer Gemeinſchaft
re Luft und Seid; ſchef Ein fallend Sternlein ſchwebt vom Himmels:
Weld Segen ift doc di dſchaft, raum, —
34 Troft A * —— ſchaf Es bringt wohl Grüße mir vom ewig Lieben?
Mag ringen die Welt, die tolle, Mir, die ih einjam hier zurüdgeblieben
Und jagen nach wechſelndem Glücd, Mit der Erinnrung ſchmerzvoll fühem Traum.
Der Friede der jegensvolle, Ich ſuchte Dich auf ſtiller A
- “ : penflur,
Lie Teinen Wunſch uns zurüd. Wo Du der Heimat Schönheit einft ge:
Wie peiticht doch der Sturmmwind draußen prieſen,
Schneeflocken ans Fenſterlein; Wo Du im Anſchaun ſtolzer Bergesrieſen
Wir ſehen nicht nach außen, So glücklich warſt — im Tempel der Natur.
In uns iſt Sonnenſchein
Und Lenzesblühen und Prangen, Kein Lüftchen regt ſich und fein Laut ertönt;
Und mwonnige Fefteszeit; Kein lebend Weſen will mich liebend grüßen,
Mir will vor dem Glüd faft bangen — Du ſelber willft die Einſamteit verjüßen,
O läge jein Ende nod weit! Getreuer Geiſt — erhabne Gottesipur! —
Ih ſuche Dih am klaren Felſenquell,
. Wo wir einit mande Stunde froh verträumt,
Ich ſuche Dich. Der, mit des Waldes Blumen bunt um—
ſäumt,
Du kehrteſt heim — ins ewige Schattenreich, . :
An banger Sorge Haft Du mid verlafien; Sein altes Liedchen fingt, jo ſüß und hell.
Ih fann Dein — immer noch nicht Aus klarer Tiefe tönt's wie „Wiederſehn,“
— aſſen Wie leiſes Singen, herzbewegend, munter:
Und ſuch' Dich raſtlos — Ahasverus gleich. Mein hohes Glüd, jo mußteſt Du vergehn,
Ich ſuchte Di im griümen Waldgehege, | Wie jene flücht'gen Wellen ſankſt Du unter.
Wo Du an meiner Seite gerne weilteft . z
j Ich kehre heim; Du konnteſt allerwärts
Das Du fe al, —— froh durd> Den jehnfughtvollen Nuf mir nit erwidern,
. ou: Und jo verjent’ in Deinen holden Liedern
Run führt mid die trauten Ich trauerd denn mein tief befünmert Herz.
Gin Blümlein nur, ein blaues Sternelein, | Und horch! da Hingts mir zu, wie einft jo
Das ih am Wege einfam blühen jehe, |. ‚ traut
Sagt mir: Du dentit in alter Treue mein, | Dein edles Wort, in Deiner Stinme Laut;
Dein jel’ger Geift, er weilt in meiner Nähe. | Du ſprichſt zu mir, in Deinen ewig ſchönen,
Sa feste Diä So herzerquidend wahren, goldigen Tönen,
Der Wald und Fels mit Zauberfarben | Dein Liederihat geleite mich im Leben,
ſchmücket, Ein Leitſtern — jede Zeit — an jedem Ort,
Die allezeit Dein Künſtleraug' entzüdet, | Du halt als Talisman ihn mir gegeben,
Und Dein Gemiüth erhellt, jo edel, rein. Es lebt in ihm die alte Treue fort.
Abfhiedslieder.
I.
Mein lieber, alter Birnenbaum,
Sieh, er ift aus — der lange Traum
Und der gewohnte Frieden;
Mich treiben böfe Menſchen fort
Von meinem trauten Nuheort:
So ift3 mein Los bienieden.
Du jehüttelft wild Dein altes Haupt,
Als könnteft’3 Du nicht faſſen,
Dak von daheim ich fcheiden joll,
Daß ih mein Gärtel meiden foll
Und alle Euch verlafien.
Altjährig, wenn der Frühling fam,
Da trug Dein alter brauner Stamm
Die Blütenfron des Maien;
Im Herbſt aus grünem Blätterdad
Ih mande fühen Früchte brad;
MWolltft fteis mein Herz erfreuen!
In Deinem Grün — zur Sommerzeit —
Boll Luft und Liebesjeligkeit
Die Vögelein fih haſchen;
Eichhörnchen als Dein muntrer Gaft
Schwingt fih behend von Aft zu Wit,
Von jüher Frucht zu nafchen.
Auch haft Du fie mir treu bewahrt,
Die Dir zu Füßen bunt geidhart,
Die zarten feltnen Blüten;
In Sturm und dunkler Wetternadt
Haft über ihnen Tu gewadt!
Wer wird jie ferner hüten?
Ih war Dir gut und treu gefinnt,
Als wäreft Du ein Menſchenkind
Und trügft ein Herz im Leibe:
Eich! unter Deinem Schattenraum
Berweht der legte liebe Traum,
Da ich dies niederjchreibe,
Du haft mein Glüd — mein Leid gefehn
Und fiehft mich weinend meitergehn
Auf dornigen Lebenswegen;
Ein Thränlein jet auh Dir geweint,
Ade! Du alter, grüner Freund,
Geleit uns Gottes Segen.
Kofegoer’s „„Keimgarten‘*‘, 7. Geft, XL
545
Auch Du — auch Du bift nicht gefeit!
Wer weiß ob nit in kurzer Zeit
Zerſtörungewuth und Tüde
Die Art an Deinen Stamm aud legt,
Und roh und ohn Erbarnen jchlägt
Dein treues Herz in Stüde.
II.
Du mein trautes Vögelein!
Auf dem Giebeldade,
Hältft bei Weib und Kinder Dein
Treu am Neſt die Wade;
Haft der Frühlings: Wonnezeit
Holdes Mühn und Sproſſen,
MWie des Sommers reiche Freud
Unbeirrt genofien.
Wenn der Herbft die Nebel jentt,
Grau — in feudhter Schwere,
roh und frei Dein Flug fidh lenkt
Ueber Land und Meere;
Wo ein neuer Frühling lacht,
Läßt Du froh Dich nieder,
Singft in fremder Erdenpradt
Deine Heimatlieder.
Findet Obdad überall,
Kennft nit Zins noch Steuer,
Iſt Dir auf dem Erdenball
fein Logie zu theuer! —
Sieh, auch ih muß weiter ziehn,
Wenn die Blätter fallen
Mub mein Heim, mein trautes, fliehn,
Das mir lieb vor allen;
Kann im Lenze nicht, gleih Dir,
Heim zum Neſte fommen!
Diefer liebe Troft ift mir
Für allzeit genommen.
Die Erinnrung fortan lebt,
Wo dies Lied verflungen,
Wo im Olüde ich gelebt,
Und im Schmerz gerungen!
Menſchenhaß — und Menſchenlieb
Trieben mid von binnen: —
Wenn „ein“ Herz noch treu mir blieb
Mag der Traum zerrinnen! —
Wie Trank fid) fein Heft und
feine Iungen herridjtet. *)
„Lieber Frank! Der Hochzeitätag ſoll
ein verklärtes Bild fein des Ehelebens,
wie man es zu halten gedenkt. Verſtehe
mi wohl, mein Freund. Sch meine
nicht, daß der Hochzeitstag aller Poejie
entbehren joll; dafür ijt er ja ein ver-
tlärtes Bild. Mer zur vornehmen
Welt gehört, Abficht und Mittel bat, in
dulei jubilo das Eheleben durdzufoiten,
von einer Freude zur andern zu fliegen,
wie der furzlebige Schmetterling, oder
wer gewohnt ift, an einem Tage recht
groß nnd weit zu thun, um dann Wochen
lang zu jchmalbarten und an den Knochen
zu nagen, die abfielen vom Iuftigen Mahl,
der mag jo recht finnlich und prunkend
das wichtigſte aller Familienfefte feiern,
Wir einfachen Bürgersleute, die wir noch
etwas halten auf jolides, ehrbar deutjches
Mejen, wir dürfen fein Gefallen daran
*) Aus dem trefflihen Büchlein: „Die
Kunft jein Glüd zu machen.“ Bern. NR.
Jenni's Buchhandlung. Diejes Werlchen
follte man mit lauterem Gold aufwiegen;
es enthält — jo klein und ſchmal es ift —
einen folden Schag von Weisheit, dak man
damit fchier fürs ganze Leben auskommen
fann. Es will nicht etwa rei oder berühmt
oder gelehrt, es will bloß glüdlih maden,
Und wer die mit Geift und treuer Warm—
herzigfeit ertheilten allerdings jelbftver:
ftändlihen Rathſchläge befolgen könnte,
ohne Frage, der würde glüdlich werden.
Eines Verſuches wäre die Sade wert.
Die Red.
finden. Für bürgerliche Leute halte ich
darum auch die modernen Hochzeitsreiſen
für ein großes Unding. ine deutſche
Scriftjtellerin bat in einem fein aus
gejtatteten Büchlein über die Flitterwochen
ein gewaltig Loblied gelungen von der
Herrlichkeit diefer Hochzeitöreifen. Was
für die Einen paßt, das paßt eben nicht
für Alle, und das betreffende Büchlein
it ja auch mur für Kreiſe geichrieben,
in denen der Menſch mit dem Baron
beginnt und gar oft das Menjchliche mit
dem Baroı aufhört. Darum, lieber Frank,
kann ich Dir nicht genug ‚danfen, daß Du
von diejem Unding feinen Gebrauch machen
willft; und ich fürchte fait, dab Du ohne
mich die Reife machen müßteft, würdeſt Du
nicht jo klug fein, darauf zu verzichten.“
So jprab meine Braut.
Der Leſer ſchließt hieraus, daß meine
Anverlobte erftens Haar an den Zähnen
batte, und zweitens, daß fie eine jehr
anftändige Frau zu werden veriprad,
und ich kann bejtätigen, daß der Leſer
vollftändig richtig jchließt.
Still und prunflos fand die eheliche
Verbindung ftatt. Still und prunklos !
Das gab ein fait europäifches Aufjehen.
Schon das Ausbleiben der Verlobungs—
farten war peinlih aufgefallen. Seit
wann in aller Welt ſchickte man nicht
Verlobungsfarten! Wenn auch jedes Kind
von dem Ereignis wußte, jo jchidte man
doch Berlobungsfarten. Und jetzt noch
diefe einfache familäre Hochzeitäfeier !
Entweder ift der junge Mann ein Narr
— — er ©
in Folio oder er iſt auf bejtem Weg,
einer zu werden, wie die Weltgejchichte
no feinen geſehen hat! Wie jpießbür-
gerlih ! wie philifterhaft! wie poefielos !
warf mir ein aufrichtiger Freund in's
Gefiht. Richtig, Du machteft die Sache
poefievoller ab. Erinnerſt Du Dich noch
an jenen herrlichen Sommermorgen, da
Du auf Deiner Hochzeitsreije die Wengern-
alp im Berner Oberland bereijen mwolltejt ?
Tein Weibchen wagte nicht zu reiten;
zu Fuß war fie gar ſchlimm beftellt ;
tragen wollte ſie ſich nicht lajjen und
hinüber über den Berg wollte jie doc,
dad gute eigenfinnige rauchen. Da
jagteft Du, den Blick zur jtolzen Alpen-
welt erhoben, voll Bewunderung und
leiſer Vorahnung :
züdend, wie großartig ift doch die Welt,
wenn man geitorben ift und als Engel
auf dieſe ſchöne Welt bernieder blidt!
Zur vollen Bejtätigung, daß aus
mir ein Narr geworden, „wie die Welt
noch feinen geſehen“, war e3 am Tage
nad der Hochzeit in meiner Werkſtätte
ebenjo lebendig wie ehedem. Ha nicht
einmal ein tüchtiger Kopfichmerz mahnte
mich daran, daß ich gejtern feitlich feierte.
Hie und da lief ich freilih, wie ein
Kind, daß ein neues Spielzeug befommen
bat, in's Haus und ergößte mid amı
Walten der heiligen Cäcilie. Was es
für das junge Weibchen jhon am eriten
Wie jchön, wie ente
947
pußte dort, und wie eine richtige Cäcilie
warf fie ein luſtig Lieblein hinein, jo
dab ich dajtund, ftumm vor Verwun—
derung, wie ein Aeffhen aus Porzellan
und vor jeligem Staunen Hammer und
Amboß vergaß. Wie durch das geheim-
nispolle Wirlen einer guten Fee ver—
wandelte fib bald die Wüſte meines
Haushaltes zu einem traulichen, jonnigen
heim. In meiner Frau jtedte aud jo
eine Art „Narrheit”, die ſich wicht kehrte
an Gewohnheit und hundertjährigen Ge—
braud. Einfachheit war die Deviſe ihrer
Reform. Im bürgerliben Haus der Ge—
genwart iſt der „Salon“ der Mittel-
punft der ganzen Einrichtung. it leßtere
* jo einfach, im Salon hört das
plöglib auf. Hier liegt wie im Aus-
ſtellungspavillon eines onfifeurs der
ganze Reichthum aufgetiicht. Nippſachen,
buntes, verworrenes Zeug mit verworrenen
Namen, stehende und gehende Uhren,
Gemälde ohne Wert in breiten, bau»
ihigen Goldrahmen, Spiegel und Spie-
‚gelhen, Lampen und bunte läjer,
Tiſchchen und Tabouretten, gebäfelte
Teppiche, Leuchter, Cigarrenetuis, Muſik—
dojen, elende Romane in Prahtbänden
liegen dort aufgeitapelt, um einem all»
fälligen Bejuch zu imponieren, ihm Sand
in die Augen zu ftreuen. Aber wenn der
Ehemann ein ruhiges Winkelchen auffucht,
‚wo er einen Augenblick auszuſchnaufen
Tage zu thun gab! Wenn eine junge hofft, und er verirrt ſich in dieſes Gemach,
Hausfrau in eine Junggejellenwohnung | jo eilt das Mütterhen auf den Zehen
Ordnung bringen muß, jo ann fie wahr: | herbei, zupft den Kühnen am Aermel
haftig nit über Mangel an Arbeit | und bedeutet ihm, dab er fich anders»
Hagen. Aber wie fann man jo ganz ums | wohin flüchte, jeine Glieder auszuftreden.
vermittelt vom frohen Hochzeitsfeft jeine | Ja, jonft iſt Alles jehr einfach im Haus,
junge Frau in ein ſolches profaiiches | Das kleine Schlafzimmer, in das fein
Dunggejellenhaos führen! ruft Du ent- | Sonnenftrahl zu dringen vermag, Sieht
jept aus. Wie proſaiſch! wie jchredlich ja jo nothdürftig aus, wie die Schlaf-
nüchtern und abgeihmadt! Entjchuldige | jäle einer Infanteriefajerne. Das Eß—
Freund ; da mut Du Dich halt mit meiner | zimmer, gewöhnlich auch als Wohnzimmer
Cäcilie in's Reine ſetzen, fie hat's jo | bemügt, gleicht in jeiner fahlen Nüchtern-
haben wollen. beit dem Innern eines proteftantischen
Meine junge Frau hatte etwas an | Bergkirchleins. Die Küche liegt in der
ih, dad man „angriffig” nennt. Alles | finfterften Ede des Hanjes; ob ihre
gieng ihr frisch und schnell von der Hand; | Wände getündt find oder nicht, das
wie ein Heinzelmännchen der guten Stadt | fommt aufs Gleiche heraus. — So
Köln war fie überall, ordnete bier umd | veritand meine Frau die Einfachheit nicht.
rn“
„br
2)
Der Salon war und blieb ihr eine un—
befannte Domäne. Die Wohnjtube war
aber luftig und geräumig, freundlich und
ohne MUeberladung ausgejhmüdt mit
Blumen und guten Bildern in bejcheidenen
Nabmen. Es war fein Boudoir einer
Dame der Pariſer demi-monde; es war
das Gemach einer ehrbaren deutjchen
Familie. „Fi done! wie gemein und
ordinär”, jagte die aufrichtige Nachbarin
Adelaide, und doh war mir in biejem
jreundliden Raum zur Seite meines
lieben Weibchens nach gethaner Arbeit
jo wohl, daß ich mit feinem Könige der
Erde, ja nicht einmal mit des Nachbars
Adelaide getauicht hätte. So recht „hei—
melig“ — mie es treffend der Schweizer
nennt
traulichen Raum.
nur dann, wenn wir Eltern unjerer mit
diefem Gottesjegen verbundenen heiligen
Pflicht bewußt werden. Thatſache ift nun,
daß wir uns trog unjerer Liebe viel zu
wenig um das Wohl unjerer Kleinen be»
fümmern. Ja, wenn man alles Nötbige
jo gemüthlih mit Geld erfaufen könnte,
wie einen Löffel oder eine Kaffeemühle,
wie gute, mujterhafte Eltern wären wir!
Aber wie ſteht's, wenn von unjerer per—
jönlihen Bequemlichkeit ein erbeblides
Opfer verlangt wird? GStillt die junge
Mutter das Neugeborne jelber oder thut
fie ihre ſüßeſte Mutterpflidt ab mit
einer jener berühmten Ausreden ?_ Biit
Du, junger Ehemann, zu jeder Stunde
‚der Nacht zur Verfügung ohne Brummen
war mir immer in dieſem und mit Freude, wenn es gilt, bei ein»
Das größte, luftigſte getretenen
Umftänden die Mutter zu
Zimmer, an dem ein veritabler „Salon“ | unterftügen in der Pflege des Lieblings ?
verloren gieng, bejtimmte mein
Hansgeift zum Schlafgemad. Hein Zimmer
gieng des bejcheidenen Schmudes ganz
verluftig, weil in feinem derjelben aller
Schmud des Hauſes ſich concentrirt batte.
Als ih meinem erjten Neugebornen
zum erften Mal in's Antlig ſah, gieng
es mir, wie jedem jungen Ehemann —
ib wuchs an Selbſtbewußtſein um ein
großes Stüd; ich redte mich und ſtreckte
mich und verwunderte mich ordentlich,
dab meine Beinkfleider nicht plöglich zu
fur; wurden, meine Weite nicht iprang ,
und der Hemdfragen nicht platzte. Dieje
erbebenden Baterfreuden jind jo natürlich,
daß fie jelbit den leichtjinnigiten Spring-
insfeld, der ohne Bedenken und ohne
jeglihe Tualification mit beiden Beinen
in die Ehe jprang, zu ergreifen vermögen.
In folhen Momenten aber, da unſer
Herz ganz über und Meifter it, pflegt
nicht jelten der Teufel jeine SHebelchen
anzujegen; bier probiert er's mit der
Affenliebe und mit der lieben Eitelkeit.
Möge doch der junge Ehemann nicht ver-
geſſen, daß das aus den erjten Vater:
freuden wachſende Selbitbemußtjein ein
erhöhtes Pflihtbewußtjein rufen ſoll.
Mit jedem Kind, das uns der Himmel
ihenft, fommt ein neuer Segen in's
Haus, jagt der Vollsmund. Gewiß; aber!
guter | Später,
porgeſchwungen bat.
wenn das Kind durch jein
Iuftiges Geplauder die ganze Welt und
noch jieben Dörfer ergößt, treibjt Du nur
den Narren mit ihm oder beitrebft Du
dich, fein ordentlih in Erziehung zu
machen? Und wieder jpäter, da Dein
Kind schulpflichtig geworden, überwacht
du auch gemwillenhaft fein geiftig und för-
perlib Wahsthum und Gedeihen? Be
gnügſt Du dich mit Der Durchficht der
Zeugnifje oder hältit Du es der Mübe
wert, mit dem Lehrer in bejtändigem
Rapport zu ftehen und gemeinjame Sache
mit ihm zu machen ?
Erziehbe Deine Kinder zur Sparjam-
feit und Einfachheit. Ich fenne einen
tüchtigen Berufsmann. Sein Kunſtgewerbe
lohnt ihn reichlich. Jedermann ift einig
im Urtbeil, daß dieſer Mann in ehren»
bafteftem Streben ſich aus gedrüdten
Verhältniſſen zu geacdteter Stellung em—
Man bält ihn für
einen aufgewedten, jharfblidenden Mann ;
in Wirklichkeit ijt er aber der größte
Narr, der auf der einen Seite leihtjinnig
zerſtört, was er auf der andern Seite
mühſam aufbaut. Dort fommen jeine
Kinder daber. Betrachte Dir einmal mit
Muße diefe gedenhaften, aufgeblafenen
Dingerchen. Wie jchade um die hübjchen
Kleinen, daß fie in einem jo affenmäßigen
neueften Ballettänzerinnencoftüm umber-
gehen müſſen! Wie erbaulih muß es
jein für den Papa, alle Augenblide für
diejes Narrenwerk in die Tajche greifen
zu müfjen! Ach Du Einfältiger! er gibt's
ja mit allen Freuden, und wenn er mit
ganzem Fleiß eine Stunde länger‘ an
der Arbeit fit, jo geht ja ſchon wieder
ein, was er bier für ein jeiden Band
und dort für eine Chocolade und da für
ein fein Hütchen allerneuejter Mode aus»
gelegt hat. Armer Mann! Du klagjt am
Ende des Jahres, wenn Du bei der
Lampe ſitzeſt und jchwigend die Jahres»
bilanz ziehſt, über die jchlechte Zeit, die
immer jchlechter werde. Da morgen ein
neues Jahr beginnt, jo beginn gerade
morgen einmal verftändig zu werden.
Arbeit und der Entbehrung dürfen Deine
Kinder ſich nicht ſchämen. — Wähle die
Schule für Deine Kinder nie aus Rüd-
fihten der Eitelkeit und des Hochmuths
und verjchone fie mit Unterriht & la
mode. So ſehr Du fannjt, arbeite auch
dagegen, wenn der Sinn Deiner Kinder
| ausfchlieglich in „höheren Sphären” ſich
bewegen will. Den Wert der Dinge und
de3 Geldes jollen fie frühzeitig kennen
lernen. Verwende fie häufig zu Beitel-
lungen und kleinen Einkäufen, verbiete
aber dem Kaufmann ausdrüdlich, fie mit
Naichwert zu beſchenken. Zu Gunſten
Deines Fleifches und Deines Blutes wirft
Du Dich dieſen Ertrazug nicht verdrießen
laſſen; ſonſt gebt auf der einen Seite
| verloren, was auf der andern gewonnen
Bedenke, dab Du vielleiht einmal ein wird. — Ob und wie viel Tajchengeld
kleines Vermögen binterläffeit, troß Deiner | Du Deinen Kindern geben jollit, kann ich
unzähligen Verjhwendungen an den Hin» nicht vorjchreiben, das hängt von Deinen
dern, daß Du aber lauter Modeaffen bei | Berbältniffen und von manden andern
dieſem Vermögen zurückläſſeſt; Dein lum- | Umjtänden ab, im Allgemeinen müſſen
piger Sparpfennig wird den armen Din—
gerchen, die nicht zu arbeiten und zu
haushalten verftehen, zu wenig zum Leben
und zu viel zum Sterben jein.
Fange die Erziehung ſchon mit der
Geburt an, jagt Karl Schmidt. Dann
jagt er weiter: Verfüttere Dein Kind nicht,
erziebe es nicht zur Begehrlichfeit, Laune
und Trotz. Sei bedachtſam und vorfichtig
in der Auswahl des Spielzeugs. Lak
das Kind reht lange Kind bleiben!
Diefe Negel bezieht fih auf Speis und
Iranf, auf Kleidung, auf Unterricht und
Umgang. — Wolle nicht glänzen und
prunfen mit Deinem Kinde, weder mit
jeiner Schönheit, noch mit feinem Pub,
noch mit jeinem Geifte. Halte von ihm
alle Beijpiele der Genußſucht, Hoffabrt
und Verſchwendung fern. Aber begnüge
Dich nicht hiemit; die Gewöhnung zur
Wirtſchaftlichkeit muß dazu fommen.
Laß Deine Tochter jo früb, als es ihre
Kräfte erlauben, im Haushalt mitarbeiten ;
die geringfte Mägdearbeit muß fie wenig-
itend probeweile gethban haben. Aber
auh Deinem Sohne, und wäre er zum
Profefjor bejtimmt, darf das mwirtichaft-
lihe Gebiet micht fremd bleiben. Der
beide Ertreme als jchädlich bezeichnet
werden, nämlich, dab den Kindern das
Geld gar zu fremd bleibt und daß es
ihnen gar zu gewöhnlich und zu gering
wird. Nicht Jeder, der jein Geld pfennig«
weile erwirbt, ijt ölkonomiſch. In
jedem Falle aber muß jedes Geld, das
durch der Kinder Hände gebt, jehr genau
controlirt werden; fie müllen ftetS zur
ehe über jeden Pfennig bereit jein.
Stelle fie zuweilen auf die Probe und zeige
= wenn's möglich ift, immer größeres
|
Vertrauen; denn fie jollen ja zur Auf—
richtigfeit und zur Selbjtjtändigfeit er-
jogen werden. Iſt eine Näjcherei, ein
Verderb oder eine ähnliche Thorheit vor-
gefommen, jo jtelle feine furchtbare Cri—
minalunterjuhung an, jchrede die Kinder
nicht durch tobende Drohungen und bar»
bariſche Strafen, ſonſt wirft Du Lügner,
Näſcher, Taugenichtje erziehen; wird es
nit ganz jo jchlimm, jo hattet Du
mehr Glüd als Verſtand. — Eine Spar-
büchſe joll, mo möglich, jedes Kind haben,
und an deren Stelle joll möglichit bald
ein wirkliches Sparcafjenbuch treten. Den
Eigentbumsfinn, auch wenn er einmal
‚über’s
Maß geht, ſchmähe und verfolge
nit als gemein oder ſündhaft, aber
lab ihn auch nicht zum Alleinherricher
werden. Von demjelben Grundjag laß
Tich leiten, wenn Dein Sind der Neigung
zum Sammeln von Schmetterlingen, Briefe
marfen u. dgl. nachhängt.
Das find im Wejentlichen die Ziele
der Erziehungsfunft im Gebiete der Spar»
jamleit. Das bejte Erziehungsmittel, das
am ficherften dieje Ziele erreicht, das bit
Du jelber. Verzichte Deinen Kindern zu
Liebe auf mande Bequemlichkeit, zeige
ihnen täglich, daß e3 Dir Ernſt ift mit
deinen Orundjägen der Sparjamfeit und
dab Du fie nicht mur im Munde führft.
Einfachheit in Speiſe und Trank, in
äußerer Ausstattung der immer wird
am nachhaltigiten in Deinem Kinde den
Sinn zur Einfachheit wahrufen. Wenn
Deine Kinder jeben, daß Du Dich gelegent-
lich köſtlich amüſiren kannſt, ohne diejes
Vergnügen mit einer Hand voll Münze
erkaufen zu müſſen, ſo werden auch ſie
von Deiner Klugheit profitieren und Dich
nicht zu Tode quälen, wenn irgendwo
in der Nähe der Jahrmarkt ſeinen
Tingeltangel aufgeichlagen bat. Nur der
Sparer fann Sparer erziehen. Ich fenne
Leute, die ſich feierlichit befreuzen vor
ſolch trodenen, materialiftiihen Grund»
Sägen. Dieje Leute wollen vor Allem
den „Idealismus“ auf den Schild er-
beben, die Kinder aufklären über die
Verwerflichkeit und Nichtigkeit des böjen
Mammons, Sie juchen die liebe Jugend
möglidft bald in „höhere Ephären“
zu ziehen und bilden fi ein, das
Kind ziebe ans der griechiichen Göt—
terlehre einem goldenen Apfel vor. Mit
ſolchen Leuten mag ich nicht ftreiten. Die
Erziehung iſt eben Geſchmacksſache. Der
Eine erzieht Menjchen, die ihre Naſe jchon
bei Lebzeiten in den fiebenten Himmel
jteden und mit den Füßen in den Lüften
baumeln; der Andere hinwieder wünscht
daß jein Kind feit und ftramm einmal
auf der Mutter Erde jtebe, daß es darauf
marjchieren lerne und ſich ſchön büde,
wenn irgend ein harter Valfen ihm in
die Quere kommt.
550
Ein Merks für eroberungs—
luſtige Völker.
Im Angeſichte des ſtreitluſtigen Frank—
reichs und in der gegenwärtigen allge—
meinen Bangnis vor einem Weltkriege iſt
es doppelt intereſſant, mit dem Gejchicht-
jchreiber einen Blid auf das eroberungs-
ſüchtigſte Volk der Welt zu werfen. 3.
J. Honegger jagt in jeiner „Allgemeinen
Culturgeſchichte“ gelegentlich eines ſumari—
ihen Nüdblides auf das alte Nom:
„Die zwei großen Phaſen in Roms
Geſchichte ftehen jelbftftändig für ſich und
haben ihre bejonderen Aufgaben, Die
Republik zog ihr Volk zum Madt- und
Gewaltmittel heran, um eine Welt an fie
zu reißen. Das Kaiſerreich verbraudte es,
bemächtigte fich diefer Welt, zehrte fie auf
und nahm jchlieklich, geiftig und materiell
gänzlich verarmt, das jämmerliche Ende
eines Wüftlings. Der factiihe Hauptgrund
jeines Unterganges war jener brutale Un—
verjtand, welcher die Güter einer ganzen
Welt verſchlang, wie ein jelbitiih ge—
dankenloſer Praſſer thut, ohne für irgend-
welchen Erſatz zu ſorgen. Im heimiſchen
Sande jerftörte e3 den Aderbau, in Groß—
‚grieenland und Karthago den Handel,
in der ganzen Welt trat es die Induſtrie
nieder. Dafür gab es ihr Kriegsheere,
Kriegs- und NRaubflotten, ein geregelte:
Recht der Gewalt und Untertbanenjcait,
wenn es hoch fam ein ganz unfruchtbares
römilches Bürgerrecht. Rom bemächtigte
fich der Welt wie eines vollen Magazins,
machte aus den Menſchen Schlemmer und
Soldaten und richtete fie auf beiden Wegen
zu grumde, obne einen human wertenden
Erſatz zu bieten. Denn Rom war durd-
aus unfruchtbar ; jelbjt für die Menjchen,
die es verbrauchte, jchuf es ſchließlich Feine
neuen. Das iſt das folgerichtige Ende
eines Staates, der nur dur Eroberung
grob geworden. Hatten fie doch ſchon als
| Junges und Eleines Bolt wenig Zeit und
Gelegenheit und noch weniger Geihmad
dafür gebabt, an fich zu arbeiten und ſich
harmoniſch bherauszubilden! Hatte doc
ihon die ganze Thatkraft und Leidenichait
der Jugend fi anf das va banque im
m > | ||
Kriegsiviel, auf die gewaltjame Aufregung
des Schlahtfeldes und der Eroberungs—
politif geworfen! Und als dann die Zeit
fan, da diejes Geſchäft durch Söldner
und Sclaven berufsmäßig, durch Advocaten
und Diplomaten ränfegewandt betrieben
wurde, da blieb dem Wolfe nichts als
jener unbezwinglice Hang nach Aufregung,
den e3 befriedigen, betäuben mußte —
coüte qui coüte. Das ijt die berauſchende
Gewalt der Spiele und Feſte im Kaiſer—
reich, eine Beichäftigung ohne geiftige und
förperlihe Anftrengung, die Nervenan-
ſpannung eines arbeitjcheuen und unfähi-
gen Volfes, die Concentration auf das
Gehaltloje und Nichtige, das greifenhafte
Kinderipiel. — So war und blieb Nom
ein über Naht reich gemwordener Prole-
tarier; es wußte mit den Schäßen, bie
es an ſich riß, nichts anzufangen, ver-
praßte fie und gieng an den Lajtern des
Emporlömmlings zu grunde. Das ift das
Los jedes Eroberers, der nicht civilija-
toriich wirft; und die Römer waren aus
fih feine Givilifatoren. Graßberger hat
Necht, wenn er jagt: „Die Römer find
durch ihre praktische Richtung im einen
Materialismus gerathen, in welchem Re-
ligion und GSittlichkeit, Staat und Fa—
milie zu grunde giengen. Das iſt das
legte Reſultat ihrer realiftijchen Bildung
gemejen. “
Veilchen.
Ich weiß nicht, daß die Welt ſo bangt
Und alle Herzen zittern;
Es hat doch feinen noch verlangt
Nach Sturm und Ungewittern.
Die Mutter betet: Helf' uns Gott!
Großvater jeufzt: Wird eine Noth,
Wie Keine noch auf Erden,
Und ift der Himmel doc jo blau
Und warme Winde wehen,
Daß überall, wohin ih ſchau',
Die Blumen auferftehen.
Ums Häuschen hüpft der fluge Star,
Und jegnend, wie im vor'gen Yahr,
Wohnt unterm Dad die Schwalbe.
O Frühlingsluft! O Erdenqual!
Ad, Sohn und Vater jcheiden.
Die Mutter füht zum letztenmal
Lautſchluchzend nod die Beiden,
551
——— —— — — — — —
— — — —— — — —
— — — — — — —
Wer weiß es, ob Ihr wiederfehrt!
Verlaſſen wird der ftille Herd,
Veclaſſen Weib und finder.
Was brauden wir des Thaues Pracht,
Mo jo viel taufend Thränen
Bei Tage fließen und bei Nadt
Vor Leid und Liebesjehnen?
Erliſch! Erliſch, o Sonnenlicht!
Die Menſchen, fie verdienen nicht
Dein väterliches Auge.
Sie fehen, wie von Deinem Strahl
Die Welt ift ſchön geworden,
Und tragen in das tieffte Thal
Des Krieges blutig Morden,
Ih ſchaudre tief in mich hinein
Und frage mid vor Angft und Bein:
Was joll ih blühn und duften ?
Laibach, Februar 1887. Edward Samhaber.
Gute Worte,
in denen die Horfahren nod zu uns fpreden, *)
Dfenfprüde.
Alles, was die Jungfern haben,
Das gefällt den jungen Knaben.
DOttenbronn.
Könnt’ ih jhwimmen wie ein Schwan,
Krähen wie ein Godelyahn.
Hüpfen, tanzen wie ein Spatz,
Wär ih aller Mädchen Schap.
ebenda.
Alte Thaler, junge Weiber
Sind die beften Beitvertreiber.
ebenda,
Wenn Alles allhier wird’ geſchlicht't,
Wozu wär’ no das jüngfte Gericht?
ebenda.
Wirtshbausfprüde.
Sorgen
Morgen;
freude
Heuie! Breslau.
Bott jegne Deinen Eingang,
Wenn Du Durft haft,
Und Deinen Ausgang,
Wenn Du zahlt haft.
Voltäberg (Kreis Yabern).
Am März muß me trinfen wie e Meis,
Am April as wie e Geis,
Im Mai as wie e Kuh,
Do wird Eim's ganz Jahr d'r Wi nir thu.
Elſaß.
*) Aus „Urväter Hausratb in Spruch und
Lehre” vom Herausgeber der „Deutihen Jnihriften
an Haus und Gerätg.“ (Berlin. Wilhelm Herk.)
352
Heut’ um's Geld,
Morgen umfonft.
In ganz Deutichland.
Aofleriprüde.
In einem Corridore des Klofters zu
Delenberder finden ſich folgende herrliche
Reime auf Heinen Tafeln als Wandzier:
rath:
1. Den Reinen, 7. Frofinnig,
Den Kleinen Herzminnig,
Sid einen: Gottinnig:
2. Biel leiden, 8. Aufftreben,
Viel meiden Hingeben
Sein Leben:
Nicht weilen,
Gleich Pfeilen
Hineilen:
Gern ſcheiden:
Nicht zagen,
Nicht fragen,
Nicht klagen:
4. Geborgen, 10. Gott loben,
Nicht forgen Gehoben
Für morgen: Nah oben
5. Nicht Schlagen, 11. Das wähle,
Still tragen D Seele,
Die Plagen: Vermähle
6. Ohn' Eigen 12. Dann ewig
Sich neigen
Und ſchweigen:
Dem Herrn dich
Als Braut!
Autographenſchwindel.
Jedes Volk hat ſeine eigene Art, wie
es ſeinen Dichtern dankbare Theilnahme
zu erkennen gibt. Wir, meinen nicht die
Todten. Ihre Denkmale, und ſeien es
auch Sterne dritten und vierten Ranges,
ſchießen jetzt überall aus deutſchem Boden
auf, weil man ſich durch die Beiträge
ſelbſt verherrlicht, und dann hat man bei
den Feſten eine erwünſchte Causa bibendi!
— oder weil die Söhne die Sünden der
Väter gut machen wollten, die den leben—
den Poeten ruhig ſeinem Schickſal über—
ließen. Und erſt die deutſchen Frauen !
Jetzt liegt der Gefeierte in Goldſchnitt auf
dem Zoilettetiich, vorausgeſetzt, daß es
eine Plennig-Ausgabe gibt, ſonſt findet
man ihn ja im einer Anthologie. Die
hätten ihm jchwerlich ein Loch im Aermel
geflidt, jondern das Näschen gerümpft
und den armen jalonunfäbhigen Teufel lau—
fen laſſen. — Ih gieng zu München mit
Melbior Meyer einft an der Sciller-
Statue vorbei; er blieb ftehen und ſagte:
„Dem wäre auch geholfen gewejen, wenn
man ihm das Geld, weldes jein Stand-
| bit foftete, ausgezahlt hätte. Wär’ er
nad Münden gefommen, es hätt! ihm
‚ Niemand ein Krüglein Bier aufgejegt, kein
Mädchen eine Blume geſchenkt.“ — it
das übertrieben ? Engländer und Fran—
zojen faufen befanntlich Bücher, fie ehren
aber auch die Poeten, von denen fie ein
Werk erfreut, dur die That und jcheuen
dabei eine Heine Auslage nicht. Daran
denkt der Deutjche jelten. Er läßt fi
lieber vom Poeten bejchenten, um dann
bejcheiden fih der Bekanntſchaft zu rühmen
oder mit der Gabe zu prunfen. Wenn
man mit ihm vielleicht auch nie ein Wort
gewecjelt, ihn gar nie gejehen hat, bittet
man ihn um ein Eremplar, denn er muß
davon genug haben, weil fie im Handel
nicht geben, und da braucht dann der
Verleger fih nicht vor den verdriehlichen
Krebjen zu fürchten — man wünſcht jein
Antlig wie das auf dem Tuche der Vero—
nica zu verebhren, er darf daber eine Pho-
tographie beilegen, die man allenfalls in
einem Laden für etliche Pfennige befäme,
und dann erjt der Autograpbenbettel! —
Es ijt ein Gedicht, ein Feuilleton, eine
Novelle von Dir erjchienen, die gefällt, da
fliegen die Briefe daher wie die Motten
an's Licht; Marke zur Nüdfrankierung
liegt aber feine bei — behüte Gott! —
das wäre nicht mobel, man darf ben
Schriftſteller nicht befhämen, denn er bat
gewiß eine im Pult. — Man ärgert fi,
mandhmal lacht man und gibt nad. Co
ſchickt Dir ein Badfiichlein Hundert Meilen
weit da3 Bild des Städtchens, mo es
wohnt, in einem Kranz gepreßter Blunten,
oder ein Dorfichullehrer jendet ein Heines
Herbar, weil er gehört bat, daß Du Na—
turforfcher bift — immerhin! Was joll
man aber dazu jagen, wenn der Auto-
graphenbettel eine niederträcdtige Specu—
lation iſt? — So ein Gauner jhrieb an
allerlei Berübmtheiten jämmerliche Briefe
aus dem Abgrunde des Elends; er machte
dunkle Andentungen von Selbitmord, wenn
der gute Rath ausbleibe. Da mußte eine
intereflante Antwort kommen und dieſe
wurde dann beim Händler verjchadhert.
END ‚3‚‚
Ein Anderer ſchloß einen jentimentalen
Brief mit der Bitte, ihm doch gleich 25 fl.
beizulegen und ihn jo vom Hungertode zu
retten. Da die Gelebritäten jet, durch
viele Erfahrungen gewihigt, mit den Aue |
tographen jparjamer geworden find, to |
verjuht man allerlei Kniffe, man bittet
zum Beijpiel einen Poeten, er möge die
Gompofition eines Liedes gejtatten, der
angebliche Compofitenr wohnt meinethalb
in Burtehude und heißt Hans Schnaps
oder hat jonft einen ganz unbekaunten
Namen. — Ya, nit auffigen! Wenn es
gerathen jcheint, zu antworten, jo lalie
man e3 im Auftrag vom Sohne, der Toch—
ter, am beften von der Küchenmagd ber
jorgen, der Empfänger weiß dann, wie
er daran ift, und Schreibt nicht mehr.
Solche Stüdlein fönnte gewiß jede öffent:
liche Perſönlichkeit dutzendweiſe erzäblen,
wir laſſen die Bahn frei und machen nur
einen unmaßgeblichen Vorjchlag, der jo
einfach iſt, dab es uns wundern jollte,
wenn er noch nicht gemacht ift. Wer ein
Autograph wünjcht, faufe irgend ein Buch
des Gefeierten, den er bisher wahrſchein—
fh nur aus der Leibbibliothef kennt,
ſchicke es ihm mit der Bitte, feinen Namen
einzuzeichnen, vergelle aber ja nicht, eine
Marke für die Rüdfrankierung beizulegen,
und bringe jo die dentjiche Schmutzerei
außer Curs. |
Adolf Pichler. |
|
Die ſchen Stumd.
Gedicht inoberöfterreihifher Mundart
von Friedr. Frauz Scheirl.
Da Frenud vo daboam roat!:
Grüeni Bam, warme Nöftal
Un und an? gat3® in Wald
Dalt ſchnabln dö Vögl
Und fingan mit Gwalt.
Bamgrüen is dö Hoffnung, |
In Nöſtl fit d Lieb |
Und dö Luft dnetta® jeha N
Macht di fodlgro 6 trieb? —
Hau,? magft a3 nüt jeha
Und lajsts da foan Rueh.
Aft drah di halt? — oda
Hab? d Augn föft zu! _
And i ſchrieb ichm zurüd:
Haft recht mit da Hoffnung
Und Lieb afn Ban,
A mitn nöt Nuch gebn —
Mitn Umdrahn fam,!® fam!
S Umdrahn dös nußt nir,
38 ganz umafift!
Du laugnft!! as? MWeils d a nie
Voliebt gwön bift!
Ya, mein Brücdal dös kloan
Machts jodl oft gnue:
Kimmt d Mahm mit da Nuethn,
Habt3 d' Augn gah !? zue
Mit dö Handtal und draht jö,
Moant, iS war nima da,
Bis 8 d Mueda hintaufweist:
Gel !> bift da Bue? — Yu ja!
S nutzt ma nir, 8 Umdrahn
Wann igs a unternimm,
% bin ja nöt derifch !+
Und da Wald hat ja! Stimm!
Dö Bam rauſchn, as fingan,
Dö Vögl dö loan,
Und ftiünd i ar!® aſchling,“
Woaß do jhon was j thoan.
Und mwuri !% ftodderiich
Und no dazue blind —
As lieh ma foan Ruch nöt
Döjl gfiedertö Gſind!
In mir drin imeni !®
Ganz hiba ?° bo da Seel
Dal herat ı 5 Gſangl
Finkfriſch und fintgell.
Und i ſach dar a Bild!
Leicht ſchena was?! draußt:
Wie da Fint mit da Finfin
Schwablt und haust.
J bildat mar ein
Mein Annal und i
Warn a fhon bonand
Ida Fint, Fintin fie
Und in Häusl an Waldroan
Gabs nir azwie?: Sunn:
Zwoa Schnabl, van Schlag —
Bis dak i mi bjunn,
Dai ?3 blind bin und deriſch,
Daß 5 Dierndl woaß wo
Dai vanfiedIn mueß
No a Yahrl a zwo.
So a Biinna dös drudat
Wie d Trud und wie d Flag !?*
Viel ſchwara was s Gftanzt
Und Gſchnabl in Hag.
© Zueihaun, a8 zwidt wohl
Und halb is 8 was Trüebs,
Ava d Lieb afn Bam
Us is a was Liebe.
So was friſchs und was Gwiß 8,
Eo was hoamlis: huſch, huſch!
Gr Iodt und fie wilchpelt 3 —
Siegft? — fan ſchon in Buſch!
Ja, fein is 8 Bonandjein
Und ranti?° machts a
Tats an Herrgott anfrimma, ?7
Wanns Dirndl da wa!
Mein Schagal jo gſchmeidi
So gihami und gicheid,
So ſcheuch wiera Wildtaubn,
So gſchmach * — 8 is a Freud!
Han, daß d nöt bo mir bift,
Mi blangt jo um di;
Aloan öfin und trinfa
Und — alls ohne di!
Han Dirndl, mein Dirndl,
Das is mwollta harb,
A Wunda was nöt,
Wani fich wurd und ftarb!
Nana und ſtirib nöt!
Statt fieh wir i?? gjund
Und bal 5 Jahrl um is
At fimmt dö ſchen Stund:
Aft ſiech i man? Schatz
Und gib iehm an Schmatz
Daß 5 jchnalzt afanand
Als warn zehni bonand.
Aft limmt dö ſchen Stund
Stöd afs Hüetl dös rund
— Han lang bidn 3 draf!? —
S Rosmarinftamo 33 af.
Ruck d Arempn af d Seit
Daß ma fieht i bon Schneid,
Lög 3 Haozatgjhau an +
Und hol ma mein Gſpan. 35
Aft limmt dö ſchen Stund
Woi friſch, wan i kunnt
Stattn Jaſagn ſtad
An Juchezer tat.
Un Juchezer tat
Daß 5 an Pfarra vodraht,
Daßen Gantner?s vorik
Und d Mößbuem umſchmiß.
Aft limmt dö ſchenſt Stund,
Wos ins s hoamgehn vogunnt 37
Ins Häusl am Roan,
Und aft jan mar alloan! —
554
Grüeni Bam, warme Nöftal
An und an gats in Walp,
Tal ſchnabln dö Vögl
Und fingan mit Gwalt.
Und wanns mar a and thuet
Und lakt ma loan Rueh, —
J drah mi nöt um und
Hab d Augn a nöt zue!
t) meint. 9 eins am andern. ?) gibt ed. *) da.
5) nur. ®) fo fehr. °) ei sich. ) nun, jo dreh Di
eben um. ”) halte. 6) kaum. *1) leugneſt. 19 jäh
geſchwind. *3) nit wahr? *°) taub, 1) seine.
‚2%, 1%, aud abgewendet. '°) würde ich. , *0) in«
| wendig, nahebei; der ganze Ausdrud: im Inneriten
| meiner Seele. *') als. -') al$ wie, *) daß ich **) die
„Trud und Die MAlaag“ legt ſich nah dem alten
Vollsglauben-Schlafenden auf die Brut und be
Hemmt ihnen mit furdtbarem Drud den Athem.
=») pfeift. *) tühn, übermütig. =) forderte dem
Herrgott heraus. **) Lieb. **) werde ich. +0) meinen.
#) gewartet vgl. mhd. biteu, *) darauf. *°) den
bodzeitlihen Rosmarinzweig. ?*) nehme die Miene
an, wie fie einen friſchen Hochzeiter anfteht. *) Ge—
ı fährtin. *) Gantor, #°) vergönnt.
Der Unrichtige.
(Eine Gerihtsverhandlung aus dem Ber:
liner Bagabundenleben.) .
Angellagter, was find Sie denn nım
eigentlihb ?_ In den VBoracten find Sie
einmal als Dachdederlehrling, dann wieder
al3 Hlempner und zulept als Schuhmacher
bezeichnet. Der Vorſitzende des Scöffen-
gerichts richtete dDieje Frage an den zwan—
zigjäbrigen Angeklagten Wilhelm Meijter,
einen lang in die Höhe geihoflenen jungen
Menſchen, welder durch jeine zuſammen—
gefuchte Kleidung einen etwas fomijchen
Eindrud machte. Er trug nämlich einen
Rod nach Art der Jägerianer, der aber
zweifellos früher einem viel kleineren Men—
ſchen gedient hatte, jeine Füße ftedten in
grellrothen Parifern, und in jeinen Händen
bielt er ein jtarf defectes Eremplar einer
Küraſſiermütze. Er war des Vettelns be-
Ihuldigt. Angeflagter: Det jtimmt Allens,
id bin det Allens jeweſen, jetzt ftimmt
det aber nich mehr, denn id bin mu bei'n
merfantilen Handelsitand injetreten. —
Vorſitzender: Was wollen Sie damit jagen ?
— Angeklagter: IE bin Handeldmann
jeworden, — VBorjigender: Womit bans
deln Sie denn jet? — Nngeflagter:
Mit allerleiband, in Sommer mit Fliejen—
jteder, in Winter mit Pfeffermünzkuchen
Ge IE EEE EEE EEE Zn ER
— u
959
un frische Waffeln, die id austrudeln
laſſe. — PBorfigender: Sie meinen wohl
ausmwürfeln ? Ungellagter: Jawoll,
über zmwölme jewinnt, — Vorſitzender:
Wie kommt e3 denn, daß Sie, ein jo
junger Menſch, jo häufig Ihren Beruf ge
mwechielt haben? — Angeklagter: Jd dente
mir, da jebt mifcht drieber, wenn der
Menſch wat jelernt hat. — Vorfigender:
Haben Sie denn eins von den drei Hand»
werfen gelernt? — Ungeklagter: Janz
nich, mit die Meefters ift et heitzudage
ooch nich ville mehr los, bei die Dach—
dederei wurde id jchwindelig, bei den
Blechſchuſter kriegte id mir die Frau det
Erzürnen, jo dat id zun'n Meeſter jagte,
entweder fie jeht aus'n Haufe, oder id
jebe, un da bat er jemeent, denn jollte
denjelbigten Abend uff'ne Banke, dichte bei'n
jroßen Stern in'n Dhierjarten ſo'n Bis—
fen, indem mir det Jeld um die Waffeln
jerade ansjejangen waren. Mit eenem
Male kriege id een'n jungen Mann int
Doge, der mir noch em Jrojchen ſchuldig
war, Er batte nämlich vor ſo'n Wochener
viere bei mir in eene Kneipe in Char—
lottenburg jetrudelt, un e'n Jrojchen ver:
loren, und hatte bloß en Zehnmarkitüd,
un id hatte jerade nich jo ville Kleenjeld
injeftochen un der Wirt fonnte ooch nich
wechſeln, woruff id als jebildeter Je—
ihäftsmann denn jagte: Laſſen Sie man
find, id creditiere Ihnen bis zum nächiten
Mal. IE hatte ihn aber nich wieder je
troffen. Als er da nu jo ranfommen dhat,
da dadte id: der fommt mir jerade
id man lieber jehn, un da bin id denn recht, um stehe uff und nehme den Hut
jejangen. — Vorſitzender: Wie war es | ab bringe ihm den Iroſchen in Erinner-
denn mit der Schufterei? — Det war | ung. — Vorfigender: Aber, Angellagter,
noch ville mießer, jo'n Knieriminalrath, wie fönnen Sie uns dies Märchen auf-
der mir auslernen wollte, verlangte, det) binden, der Herr, den Sie anſprachen,
id ihn det Sonntagmorjens beit Kar- , hat ja einen Schugmann geholt, weil Sie
toffelnbuddeln helfen jollte, un det konnte
Wilhelm Meijtern doch nich pafjen. Da
habe id mir denn uf't Handeln jelegt, wo
id noch mein Brot ehrlich mit verdiene.
— Vorfigender: Sie jcheinen aber doch
feine Seide dabei zu jpinnen; Sie find
im Laufe des Sommerd mehrmals ob»
dachlos aufgegriffen und nah dem Mol-
fenmarfte transportiert worden ? — An—
geflagter: Det iS bloß Pifanterie von
die Schupleite jeweſen, obdachlos bin id
nich jemwejen, denn ick babe immer meine
perjönlihe Wohnung jehabt. Ick babe
blos mandmal det Abends in’n Dhier—
jarten een biäfen jepennt, wenn id meine
Waffeln alle in Charlottenburg verkooft
hatte. — Vorfitender: Sie find nun aber
wegen Bettelns von Polizeimegen in eine
Gelditrafe von 3 Mark genommen wor-
den, weshalb haben Sie denn biergegen
Widerſpruch erhoben? — Angellagter:
Weil id nich jebettelt habe. Ebenſo jut
müßte jeder Koofmaunn bejtraft wer'n, der
jeine Hunden mabnen dhut. — Vorſitzender:
Mie meinen Sie das? Ich veritehe den
Vergleich nit. — Angeflagter: Ick werde
Ihnen det mal erzählen. Alſo id fie an
ihn im ziemlich unverjhämter Weile an-
gebettelt hatten? — Angeflagter: Det
war ja eben mein Veh, det det der
Richtige nich war! Id hatte mir
verfieft; et war jchon en bisfen dunfel
und wat mein Waffelkunde war, der ſah
ibm jo ähnlich, als wenn et Brieder
wären. — Vorjigender: Dieſe Ausrede
it das Stärfite, was mir bisher vorge:
fommen. — Die Verhandlung endete denn
auch mit der Berurtheilung de3 Ange
Hagten. „Werkſtatt.“
Wedanocht.
Stoanſteiriſch.
Mäicht a wenk fenſterln gehn,
Heint ſteht da Maun (Mond) ſa ſchen,
Vul iS er ah.
Däidn an zwor d Wulfan zua,
Oba mir geit3 fa Rua
S Herz iS ma jchmwa.
D Luft is ja low (lau) und lind,
Gach zudt da Wedawind,
S Nachtl is triab.
D Fiaß fein ja federlgring,
Daß ih wir a Reherl ſpring,
— Heint plogg mih d Liab.
D Liab wir a Vögerl is,
Bis j ba da Negerl is
Wiſchbelts ihr vor;
Hupft af an Aeſtl Hin,
Baut a woachs Neſtl in
Ihrn Ihworzn Kor.
D Wedanodt blitzt und jcheint,
Wir ih mih gfrei af heint!
Wir ih mih firdt!
Hergoud, ih bitt Dih frei,
Hilf und behiat uns treu,
Daß heint nir gihiadht!
Bücher.
Aus dem Sturmgeſang des Lebens. Ge—
fammelte Dichtungen von Franz Keim.
(Minden in Weſtfalen, J. C. €. Brun’s
Verlag. 1887.)
Zumeift nationale Lieder edelfler Sorte
begegnen uns in diefer Sammlung, die
dem Großmeifter deutſcher Dichtung, Prof.
Robert Hamerling in tiefiter Verehrung
gewidmet ift. Auch Liebe, Heimat, Familie
und Kunſt werden in jchönen Klängen ge:
feiert. Kraft und Innigkeit, wie wir fie
in Stefan Fadinger und Sulamith finden,
find die Merfmale diejer bunten Reihe von
Poefieren, aus welder hier einige Proben
angeführt fein mögen.
Keimmehß.
Kennt Ihr das Lied „Zu Strafiburg auf der Ehanz'"?
Sennt Ahr das Yied vom armen Echweizerjungen,
Ber, heimwehtrant, tief in den Rhein gneiprungen
Gier in der fremde, hier verſteh ich's ganz.
Nah Norden eilt der Wollen luſt'ger Tany,
Ah ſchau empor und hab’ das Lied gefungen,
Allmächt'ges Heimweh hat mein Herz bejwungen,
Das fremde Meer glüht auf in fremden Glanj.
Mein Herz fteht ſtill, das Auge wird mir feucht,
Ein einz'ger Sprung — ift Alles, wie mir däucht;
Wer dentt an mich in weiter, weiter ferne?
Gin Earg von blauem Marmor ift die Flut,
Ein Sterbemantel, weid und weit und gut,
Der Zodtentranz find Eonne, Mond und Sterne.
Grillparger's Geifl.
Fa, Du bift todt! O bitt're Schidialälaune!
Ein großes, reiches Leben lang’ verfannt,
Lebendig — ein Berihollener genannt,
Begraben unter'm Sturmſtoß der Pofaunte.
Ah fhäme mid, mein Baterland, und flaune,
Daß Du den beiten Denker haft verbannt,
Bis er zum Greis ward, undantübermeannt,
Ih Ihäme mid, mein Baterland und ſtaune.
Zu ſpät baft Du den Lorbeerfranz nereicht
Dem adtzigjähr'aen Haupte, weißgebleicht,
Gr iſt des Meiſters Todtentranz geworden.
Zu ſpäte Ehre kränkt und kann ermorden;
O dreimal weh dem Land, von dem es heißt:
68 haft die Größe und verdirbt den Beift.
Bath des weifen Meiflerleins.
Mein Eohn, nimm meinen Eegen!
Geh’ in Die Welt hinaus,
Und findet Du Gollenen,
So wähl’ fie weiſe aus.
Du magit, wie immer, heißen,
Magit gut fein oder ichlecht,
Eie werden Did jerreißen,
Du madit es feinem reiht.
Was Du erfinnft mit Nöthen,
Grfanden ſie ſchon längit,
Und feiner wird fidh tödten,
Wenn Du Di ſelbſt erhängft.
Weh' Dir, wenn's Dich gelüftet
Hinauf in’s Himmelreich,
Dann rufen fie entrüſtet:
Das ficht dem Kerle gleich!
„Da Roanad.“ Eine Uebertragung des
deutſchen Thierepos in den niederöjlerreis
chiſchen Dialekt. Erfter Theil. Gramma:
tiihe Analyje des niederöfterreihiihen Dia—
leltes. Bon Dr. Hans Willibald Nagl.
(Wien, 1886. Gerold.)
Ueber diejes eben erfchienene, in feiner
Art einzige Werk jchreibt Prof. A. Schön:
bad unter Anderem:
Vielleicht ergeht es noch Manchem, der
Dr. 9. W. Nagl's „Noanad“ zur Hand
nimmt, wie mir: es überfommt ihn ein
Gefühl der Beiremdung, Noanad flingt
jo erotiih, und es dauert eine Weile, bis
man damit vertraut wird, daß unter die:
jer ungewohnten Hülle der wohlbefannte
Reinhart fi verbirgt, der oberdeutiche
Zwillingsbruder des niederdeutjchen Neinefe
Fuchs. Dr. Nagl hat das Epos Goethe's,
welches die plattdeutihe Thiererzählung
überjet, in den niederöfterreihiichen Dia—
left übertragen. Oder vielmehr, er hat eine
Bearbeitung, die dem Inhalte von Zeile
zu Seile folgt, im demjenigen der nieder:
öfterreihifchen Unterdialefte vorgenoimnten,
welcher ihm jelbft von Kindheit an ge:
läufig ift, dem von Neunfirden, Biertel
unter dem Wiener Wald, In dem vor:
liegenden Werte nun bat Dr. Nagl den
jehsten Gejang jeiner Ueberfegung mitge:
theilt, eine Einleitung über die hauptſäch—
lichjten Zautverhältnifie des Dialektes vor:
angeftellt und den Text ſeines „Roanad“
zur Grundlage einer überaus eingehenden
grammatijchen Analyje gemacht, eine Ueber:
fiht dazu und reichliche Indices ſchließen
das Bud ab. Dem Kronprinzen Rudolf,
„dem thätigen Förderer der Kenntniß
unferes Vaterlandes,“ ift das Ganze ge:
widmet. —
Zweifellos ift dieſe Meberjegung, nad
dem einen Geſange zu urtheilen, eine vor:
treffliche, ja eine bedeutende Leiſtung. Ohne
dak dent Inhalte etwas abgebroden wird
(jeibft die Zahl von 434 Herametern bleibt
bewahrt), bringt es Dr. Nagl doch zumege,
wirflih Alles nit nur mit den Morten,
jondern aud im Geifte der heimatlichen
Mundart zu erzählen, die glatten, hoch—
deutihen Phraſen ſtets durd die kräftigen,
eigenartigen Wendungen und Bilder des
Tialeltes zu eriegen. —
557
Nur ein paar Verſe aus der Nede
König Nobel’s, durch welche die Begnadi:
gung Reinhart's verfündigt wird, feien als
Probe hierher gejet. Bei Goethe heißt es:
„Aber der König begann mit großem Bedachte zu ſprechen:
Schweiget und böret mih an, zuſammen Bögel und Tbiere,
Arm’ und Reiche, höret mid an, ihr Großen und Meinen,
Meine Baronen und meine Genofien des Hofes und Haufes!
Meinele Neht bier in meiner Gewalt; man dadte vor Furzem
Ihn zu hängen, doch hat er bei Hofe jo mandes Geheimnis
Daraetban, Dass ih ibm alaube und volibedähtlih die Huld ihm
Wieder ihente. Eo bat auch die Hönigin, meine Gemalin,
Sehr gebeten für ibn; fo dafs ih ihm günſtig neworben,
Mid ibm völlig verjöhnet und Leib und Leben und Güter
frrei ihm gegeben: es ſchützt ihn fortan und ſchirmt ihn mein Friede.
Run fei Allen zufammen bei Veibesleben geboten:
Neinelen follt ihr überall chren mit Weib und mit flindern,
Wo fie eud immer bei Tag oder Nadıt binkünftig begegnen:
Dr. Nagl jchreibt:
„Aiten nimmt fih der Aüni ein'n Rand
Halt’s Ent ruewib und loist’s Ent fag'
und jant oaner G'ftrenge:
n da, Viecher und Wögel,
Arme und Reihe! Paist’s amal auf bieht, Große und Kloane,
Fürſſten und Grafen und meine Hausleut' alle und Hofleut'.
Ah bab’ 'n Roanad in meiner Macht; was ih thue, das is rebt "than.
'3 Henfa war ichm jueg’urtbelt; er joagt fib aber a foba,
Dais ih ichm’s glaub’, er legt ein'n orndtlih'n Menſchen an; biehta
Bin ih iehm weiter mit fyeind, -— weg'n was, das woals ıh ſchon jelber.
Ah die Künigin bat für iehm ga’redt; dafür fiecht er von mir aus
Wieder a G'ſicht! Mit Leib und mit Leb'n, mit Geld und mit üeter,
Was 'hn halt g’hört, is er frei, uno ih nimm af a Neuchs mih um ichm an,
Mörtt’s Enter's alle, wann in der vagna Haut (mt was b’ranlient:
Daſe's mehr 'hn ja fortan regardiert3 mit'n Weib und 'n Kindern,
Kümmt er Ent wo der well ünter, i8’5 Tah oder is's in der Finſter.“
Außer der genaueften Vertrautheit mit
der Mundart jpriht darin aud eine jehr
beadhtenswerthe natürliche Begabung. Man
darf hoffen, dak der günftige Gindrud
erhöht werden würde, wenn wir die ganze
Uebertragung zu leſen befämen, und andes
terjeitö find wir von der entichuldbaren
Neugierde erfüllt, wie ji der Umdichter
mit einer Anzahl heikler und jchmwieriger
Stellen der übrigen Gejänge abfindet.
Doh legt ja der Verfafler auf feine
Ueberfegung zunächſt gar nicht das Haupt:
gewicht, jondern auf den grammatiichen
Commentar, welchen er dazu liefert.
An einzelne Worte und Formen näms
li, wie fie zufällig im Berlaufe der Ueber—
jegung vorlommen, knüpfen ſich Die bisweilen
ſehr ausführliden grammatiichen Erörte:
rungen. So ift Alles in Stüde zerrifien,
was zujammengehört, die Beugung der
Dauptwörter oder Zeitwörter verjplittert
fih auf mehrere auseinander liegende
Stellen, ja jogar die mannigfahen Bedeu:
tungen desjelben Dialeltausdrudes werden
an verjhiedenen Pläßen behandelt, Dr.
Nagl denkt ſich Leer, welche durch zu viel
Grammatif auf einmal ermüdet würden,
allein auf andere als ernfthafte Theilneh—
mer darf das Bud ohmedies nicht zählen,
und für fie wäre cine jpftematiihe Dar:
ftellung ſicherlich erwünſchter geweien. Ueber:
Ihau und Blattweijer können dieſem Man:
gel der Anordnung nicht abhelfen.
Helles Lob dagegen verdient der In:
halt des Gebotenen. Der Verfaſſer beicheidet
fih in zwedmäßigſter Weiſe, er will ſich
nur mit einer einzelnen Untermundart be:
faflen. Das ift ſchon deshalb das richtige
Verfahren, weil fi erft, wenn genaue
Beihreibungen aller Meinen Dialelte durch
eracte Beobachter vorhanden find, darauf
eine den heutigen Forderungen genügende
wiſſenſchaftliche Darftellung des Defterrei:
chiſchen, als eines Hauptaftes vom bajuva—
riſchen Stamme, gründen läht. Dr. Nagl
ift an eine jchwere Aufgabe volllommen
geſchult herangetreten —
Mit dem Reichthum an Stoff ver—
bindet ſich bei Dr. Nagl das Beſtreben,
auch den einfachſten Beobachtungen einen
wiſſenſchaftlichen Charalter zu verleihen,
inden er fie vergleiht und unter einem
höheren Gefihtspuntte zufammenfaßt.
Der Roman der Stiftsdame. Gine Le:
bensgeihichte von Paul Heyje. (Berlin.
Wilhelm erg. 1887.)
In dieſem neuejten Werke des großen
Novelliften treten uns Arm in Arm höchſt
liebenswürdig die Vorzüge und Schwäden
des Erzähler vor Augen. Wieder die jtarfe
frau und der weihmiüthige, thatloje Mann.
Aber die ftarke Frau — die Stiftsdame —
eine höchſt gediegene fittenftrenge Perſon,
begeht einen verhängnisvollen Irrthum, in—
dem fie plöglid aus ihrer Familie davon
und einem Kömödianten nadhläuft, den fie
jofort heiratet. Es ift eine unglüdliche Ehe,
und zwar in Gegenwart eines zweiten Man:
nes, der von unermehlicher Liebe zur Frau
erfüllt ift und den aud fie insgeheim liebt.
Daß fie ihrem leichtjinnigen Mann treu
558
bleibt, verfteht fich, und qud dann noch treu | unterrichtes in Deutichland. Das Bud ent:
bleibt, als fie ihn haft, von ihm getrennt | hält bedeutjame Winte für den Jugend:
lebt, und dem Geliebten ihres Herzens nad): | bildner, - tt
gezogen ift. Daß die Beiden, die einzig nur —
für einander fühlen, ſich auch dann noch
nicht nehmen, als der Gatte der Stiftsdame
geſtorben und kein Hindernis mehr wäre,
das iſt Heyſe'ſche Pſychologie und Moral,
die man vielleicht nach Romanregeln, nicht
aber nach dem Leben verſtehen kann. Des
Weiteren iſt das Werk durchaus bedeutend,
das Schickſal der Stiftsdame höchſt inter:
eſſant und trotz des Außerordentlichen und
ſcheinbar Widerſtreitenden in ihrem Weſen
und in ihrem Handeln nicht unmöglich.
Von den vielen intereſſanten Menſchen, die
uns vorgeführt werden, ift der Gatte der
EStiflsdame, der Schaufpieler, am meifter:
hafteften gezeichnet, der Geliebte derjelben
aber, ein junger Geiftlicher, der auch zu
den Schaufpielern gebt und die ganze Ge:
Ihichte in der Ichform erzählt, der unbe:
deutenſte. Das Buch ift geeignet, oberfläch:
liche Lejer zu unterhalten und erniter ge:
artete Naturen zu tieferem Nachdenken an:
juregen, es wird aljo einen großen Lejefreis
finden und von verjchiedenen Standpunften
aus beurtheilt werden. Uns hat es v
Gollection Berne. Wien, Peſt, Leipzig.
U. Hartlebens Berlag.
Die Verlagsbuhhandlung A. Hartleben
veröffentlicht joeben eine, einftweilen auf zehn
Bände berechnete, volksthümliche Sammlung
der ausgezeichneten naturwiſſenſchaftlichen
Romane Jules Vernes zu dem billigen Preiie
von fünfzig Kreuzer per Band. Bei der gro:
ben Beliebtheit dieſes Schriftitellers in allen
Schichten der Bevölkerung, jowie mit Rück—
fit auf den erwähnten billigen Preis der
Sammlung, glauben wir dem Unternehmer
einen gewiß günftigen Erfolg vorheriagen
zu können und dürfte durch einen joldhen
die Berlagsbudhandlung wohl in die Lage
verfeßt werden, der erften alsbald meitere
Gollectionen der übrigen Romane diejes Au—
tors folgen zu laſſen. Die Ausftattung der
einzelnen Bände ıft eine durchaus tadelloje
und ſteht zu dem Preife derielben in fait
gar feinem Berhältnis.
Guſt. Andr. Refjel.
Anregung aber wenig Vefriedigung gewährt.
M.
en Grüß Gott! Diefen Schönen Gruß hat
fi) eine neue, von Joj. Ambros heraus:
gegebene Jugendſchrift (Wien. U. Pichlers
Witwe & Söhne) als Titel ausgewählt.
Grüß Gott! das ift in der That ein Pro:
gramm, Es drüdt nebft dem fittlich religiö—
jen Sinn das treuherzige Verhältnis aus,
in welches fi die Zeitihreift zur Jugend
ftellt. Die bisher angelommenen Hefte des
monatlih zweimal erjcheinenden „Grüß
Bott" haben de3 Unterhaltenden und Bes
lehrenden in Fülle und wir glauben, daf
diefes Blatt bald ein Liebling der leſelu—
ftigen Jugend werden wird. Wir hoffen,
daß die Nedaction dem leichten, flatterhaften
Sinn der finder nicht zu viele Conceſſionen
maden, jondern ſtets bejtrebt jein wird, auch
Ernſt uud tieferen Gehalt in die Schrift zu
legen, damit fie als Vollsbud von dauern:
dem Werte jei. Die eriten Hefte ——— es.
Elias Kegenwurm. Eine moraliſche Ge:
ichichte für Große von H. Altona. (Ber:
tag von N. v. Groningen in Annaberg.)
Eine Geſchichte, die in feine Kunftform
zu paſſen jcheint. Sie trägt zwar das Ge:
wand einer Thierfabel, aber ſie ift offenbar
— zehn Drudbogen laug — für diejes Kleid
zu umfangreich gerathen. Der Leer kommt
fofort darauf, dab im Negenwurm, der
an und für fih zu einer Büchertiſchzierde
zu wenig appetitlih ift, menſchliche Ver:
hältnifie und Choraftere carilfiert werden.
Mit diefer Erkenntnis ift das Intereſſe am
Negenwurm, mit dem Intereſſe am Helden
aud das Interefje am Buche jelbft geſchwun—
den und das FFacit ift, daß dem Leſer das
Bud um genau neun Bogen zu lang ericheint.
Es ift nicht ohne Geift und Wit; gejchrieben,
aber — „verlorene Liebesmüh.“
—t—
Allein, Gedichte von Karl Boll.
(Stuttgart. 3. B. Mehlerſche Buchhandlung
1886.)
Werkfiühe zum Anfbau des Arbeitsun-
terrihtes, Gejammelte Vorträge und Aufjätze
über die Erziehung der Jugend zur Arbeit Den poefierreichften Zug der vorliegen:
von Dr. phil. Woldemar Götze. (Leips | den Gedihtiammlung finden wir gleich auf
jig, Deine. Matthes.) | dem erften Blatte: „Seiner theueren Mutter
Aus diefem Buche erfahren wir, wie der Verfaſſer.“ Dem Inhalte nad theilt
weit die Erziehung der Jugend zur pral: |fih das Bud in vier Gruppen ein: Er:
tiichen Arbeit bereits gedichen ift und ge: )zäblungen, Bilder, „Berenike“ und
winnen einen interefjanten Einblid in den | Allein. Wer noch poetifch genug ift, ji
gegenwärtigen Stand des Dandfertigfeits: | mit Poeſie abzugeben, den wird Poll's
a —
559
„Allein“ eine lautere Freude bereiten. Uns
gefielen befonders die Bilder aus der Bibel,
welche abermals Zeugnis davon geben, mie
unerihöpflih das Buch der Bücher an dich:
teriihen Schönheiten ift; diefelben find tief:
durchdacht und von wahrer Lebensweisheit
durchwoben; — eine Perle unter ihnen ift
Rachel,“ worin das Mutterglüd eine ſchöne
Darftellung findet. Echt dichteriſcher Schwung
liegt in dem Sonette „Allein!* — welches
wir bier als Probe vorführen wollen:
Ich beſaß es doch einmal,
Was ſo köſilich iſt!
Goethe.
Allein! allein! Dies ganze Weh zu fallen —
Wer's nie empfunden bat, verman’s wohl nimmer!
Als ſchwände felbit der Sonne heller Schimmer,
PVeginnen Luft und Freude zu verblafien.
Gin Dafein iſt's, das, ohne Lieb’ und Haflen,
Noch kaum des Lebens —— iſt und Flimmer.
Und einſam, wie auf weiten Meer der Schwimmer,
Fühlit Du von Gott und Menihen Dich verlafien.
Wohl Dir, wenn das Gedenken jhöner Zeiten
Dir Alraft verleiht, die Gegenwart ju tragen,
Und nicht des Vorwurſs Qualen Di geleiten.
63 täme ſonſt der Aunenblid, zu fragen,
Ob's beiier nit, ein Ende zu bereiten,
Und, willensftar!, dem Veben zu entfagen.
Fr. Goldhann.
St, Georg von Zwettl, von Dr. Ed—
mund MWengraf. (Wien, M. Gottliebs
Buchhandlung. 1887.)
Inhalt diejer Schrift ift die Beweis:
führung, „daß in unjerem Baterlande fein,
Menſch Tebt, der die Sache des deutichen
Volkes in Oefterreich jo tief und nadhaltig |
geihädigt hätte, wie der Herr Abgeord:
nete Georg Nitter v. Schönerer ; daß diejer
Mann fein höheres Anterefie, al& das:
jenige Seiner perfönlichen Eitelfeit lenne;
und dab er in feiner maßloien Selbftver:
nötterung und feinem blinden Hafle gegen
Alle, die nicht an feine eingebildete Größe
glauben, ſelbſt dort, wo er gute und ver:
nünftige Neuerungen anjtrebt, deren Ber:
wirklichung muthwillig behindere, indem er
Hügere und tüchtigere, den gleichen Zielen
zuftrebende Männer mit den ſchlimmſten und
verwerflihften Waffen belämpfe.“ — Wie
diefe VBeweisführung gelungen ift, davon
möge fi der Leſer ſelbſt ——
Das Duell vor dem Forum der Vernunft.
Ton Dr. C. Helfer (Innsbruck. Ver:
einsbuchhandlung. 1887.)
Das Duellprincip, wie es als Beichen
einer verwilderten Beitrihtung heute wieder
auf der Oberfläche fteht, wird feinen gleich:
giltig laflen, man mag num für oder wider
Dasjelbe jein. Ih bin bisher ein Gegner
des Duells, ich halte das Tuell für Schlecht
und dumm, in feinen harmloieren Abarten
für Aindiih und lächerlich. Nun möchte ich
aber — falls ih Unrecht habe — mich gerne
eines Beſſeren belehren laſſen. Ich wünjchte
daher, daß ein Duellfreund dieje oben an:
geführte Schrift leſen und fie mit Gewiſſen—
baftigfeit, Vernunft und Scharffinn Bunkt für
Punkt widerlegen möchte. Gelingt ihm das,
dann will ich mich befehren. Es wird aber
nit möglich fein, denn die Vernunft fteht
auf Seite der Duellgegner, gegen die Ber:
nunft mag man poliern, höhnen und Phra—
fen dreichen wie man will — die Vernunft
bleibt unverrüdbar. Und von diejer wird
dem Duell jegliher Glanz ausgeblafen, wo:
mit e8 fich zu rechtfertigen und zu ſchmücken
ſucht. Wer es logiih und geiftvoll und mit
der Wärme fittlicher Ueberzeugung bewielen
ſehen will, dab dem jo ift, der leſe Dr.
Helfers Schrift: „Das Duell von dem Fo—
rum der Bernunft,* R.
Eine Ueberraſchung bereitet die „Illu—
Nrierte Frauenzeitung“ (Berlin, Franz Lips
perheide) ihren Abonnenten durd die be—
deutende Erweiterung, mwelde das Blatt —
jet wöchentlich ericheinend — unter jeinem
neuen Titel: „Die illuftrierte Zeit" er:
‘fahren hat. Der Titel ift harakteriftiich ges
wählt, denn die hervorragenden Beitereig:
niſſe aus aller Welt vorzuführen, hat das
Blatt ſich zur Aufgabe geftellt.
Tem Heimgarten foeben zugegangen:
Einführung in das Studium der neueren
Runftgefdhite. Von Dr. Alwin Shuls.
(Prag. F. Tempsty. Bis zur 12. Liefe—
rung erſchienen.)
Aus der ewigen Stadt. Novellen von
Hans Grasberger. (Leipzig. U. ©. Lie:
besfind. 1887.)
Es werde Licht! Hiftoriicher Noman von
Anton Ohorn. (Gotha, Friedrich Ans
dreas Berthes. 1586.)
Auf treuer deutfcher Wadt. Cine Er:
zähblung aus dem nationalen Leben der
Deutihböhmen von Wolfgang Schild.
(Leipzig. Oskar Leiner.) Das Wert, in ſech—
zehn Lieferungen herausgegeben, ift nun
vollftändig erſchienen.
Difonanzen, Zwei Novellen von GE,
Vollbredt. (Weimar. A. Krüger. 1887.)
@tiquelte. Cine Nococo:Arabesfe von
OſſipSchubin. (Berlin. Gebrüder Pactel.
1887.)
»«
960
Heue Lieder und Gedichte in oberöfterreidji«
ſcher Mundart von Leopold Hörmann.
(Großenhain in Sahjen.Baumert & Ronge.)
Ditungen von Edward Sambhaber.
Caibach. I. v. Kleinmayer & F. Bamberg.
1887.)
Glück auf, Bulgaria! Zwei Zeitgedichte
von Uli Schanz. (Aus einen größeren Lie:
dercepllus: „Ein Sommer in Marienbad,“
(Leipzig, Brudner & Niemann.)
Im Harnifd. Trutzgeſang aus der be:
drängten Oflmart von Aurelius Pol:
zer (Erich Fels). (I. F. Richter. 1887.)
. Saienpredigten. Loſe Blätter der Lebens: |
Ton Waldemar Sonntag.
weisheit.
(Halle a. d. S. Otto Hendel. 1886.)
Poftkarten des Heimgarten.
X x 68 wird angelegentlichft erfucht,
Manuferipte erft nad vorheriger Anfrage
einzufenden. Für unverlangt eingeididte
Manuferipte bürgen wir nicht. Externe Ur:
beiten honoriert die Verlagshandlung nicht.
©. ©., Wien: Wenn jüngft ein geiſt—
reicher Plauderer, der ſelbſt Dichter ift, be:
hauptet hat: „Sobald man einen Dichter
verreiße, jo kränke man nur einen Einzigen,
wenn man ihn lobe, jo kränke man Biele,
nämli die meiften feiner Gollegen,“ fo
ift zu fragen, in welden Streifen jener
Mann diefe Menihentenntnis erworben
mindeſten wird er desjelben leicht Herr
werden,
E. R., Danzig: Ihren Kreuzzug gegen
die deutiche (die Fractur) Schrift machen
‚wir nit mit. Sie rufen „alle deutich-
gejinnten Männer“ auf zu dieſem Kampf
gegen die deutſche Schrift!
V. M. D., Dresden: Beftrebungen, wie
naturgemäße Lebensweiſe, Landaufenthalt,
Obftgenuß u. f. w., find in dieſem Blatte
jeit jeher unterftüßt worden.
M. v. Sch. Wien: Die Menjhen wer:
den aufeinander von Tag zu Tag härter.
Mas ift das?
a. W., Marburg: Es ift ganz über:
flüfjig, den Leuten gejeglih das Heiraten
verbieten zu wollen. Es will ohnehin Nie:
mand mehr heiraten, Die Ehelofigkeit kommt
billiger, wenigftens dem — WBater; dem
Staate freilih nicht.
3.8.,Wien: Der Winteldoctor (Baur:
Orzt) ift bereits in „Zannenharz und Fich—
tennadeln“ (Graz, Leylam) gedrudt.
R., Mödling: Ihren Wünſchen dürfte
„Brümmer’s Lerilon deutiher Dichter des
19. Jahrhunderts” (Ph. Rellam, Leipzig)
oder: „Biographiſches Schriftitellerlerifon
der Gegenwart von Franz Bornmiüller*
(Leipzig, Bibliographiiches Ynftitut) am
nächſten fommen,
mM. ©. £., Berlin: Jenes Blatt hat
den Namen des betreffenden Schriftitellers
ohne Willen und Willen des Letzteren in
die Lifte ſeiner Mitarbeiter aufgenommen.
habe? Dem wahren Poeten muß und wird Daß das Publikum auf diefe Weije ge:
das Gefühl des Neides fremd jein, zum foppt wird, ift nichts Neues,
Für bie Nedaction veranwortlich 9. A.
Bofegger. — Druderei „Leykam“ in Graz.
X1. Jahrg. & |
—
Stationen meiner Pebenspilgeridaft.*)
Von Robert Hamerling,
Yu.
Zehn Jahre im Süden.
Nie Vortheile, die ich mir von
9 t
7) der Verjebung nach dem Süden
Tiſchler gegenüber zu wohnen, der
fleißig Särge zimmerte. Einer meiner
verfprechen durfte, blieben nicht aus. Collegen am Gymnaſium wurde in
Aber fie wurden, wie ſich in der Folge den erften Tagen der Seuche von
herausftellte, theuer erfauft. Für mein | derfelben ergriffen und Hingerafft.
Äußeres Glück und Behagen als Menſch
bedeutete der neue Aufenthalt und die
nee Lebensftellung feine fonderlich
günftige Wendung.
Bald nach meiner im April 1855
erfolgten Ueberſiedlung und dem Au—
Aritie des Lehramts brach in Trieſt
die Cholera aus; nicht in dem mäßigen
Grade, wie ſie ſeither ein paar mal
an der Adria ſpukte, ſondern als eine
der bedeutendſten Epidemien, welche
die Hafenſtadt erlebte.
Es war nicht angenehm, in der
engen, käſeduftigen Via Cavana einen
Zufällig Hatten bei mir ſchon in
den erften Wochen meines Zriefter
Anfenthaftes, noch vor dem Auftreten
der Seuche, ſich die erften Anzeichen
eines Leidens eingeftellt, das mit
einer Dartnädigfeit, von der es
wenige Beijpiele geben dürfte, ab»
gejehen von einer mäßigen Erleich—
terung im der Zeit von 1870 bis
1880, den Charakter meines leib—
lichen Befindens bis auf den heutigen
Tag beſtimmte. Nie jonderlich geſund
und kräftig, war ich doch auch fein
Schwächling und niemals ernſtlich
*) Siehe „Heimgarten” 1883: Mai; 1885: März, April, October, November;
1886: Juni, Juli, Cctober, November; 1887: März.
Kofegger's „„Öeimanrien'‘* 8. Geft, XI.
36
krank gewefen, und meine zeitweiligen
Beichwerden hatten ſich meilt auf
rhenmatifche Anfälle bejchränft, für
welche fi durch Umſtände meines
findlichen Alters eine frühe Geneigt-
heit bei mir entwidelt hatle. Von
meinem Verdauungsſyſtem ſetzte ich
boraus, daß es, in der Kindheit an
MWiderftand gegen bedenkliche Einflüffe
gewöhnt, ſich im einem guten, im
einen, fo zu fagen, abgehärteten Zus
ftande befinde. Jetzt aber Fündigte
ohne dentbare Urfache ſich ein Uebel
an, deſſen früheſtes Symptom eine
Art von Waflerfpeien war. Andere
Erfcheinungen traten Hinzu, die nad
Ausbruch der Cholera meine Lage zu
einer beunruhigenden und peinlichen
machten. Ich erinnere mich unheil—
drohender Momente, insbefondere ſchlaf—
lofer Nächte, wo es des ganzen Auf—
wandes vorhandener geifliger und
moralifcher Kraft bedurfte, um feiner
jelbft und feiner Stimmung Herr zu
werden. Yeder, auch der Gefunde, hat
in Zeiten größerer Epidemien Anfälle
plötzlichen Unwohlſeins, krankhafte
Stimmungen — nicht mit bloßen
Angſtanfällen zu verwechſeln — von
denen man glaubt, daß ſie Vorboten
des Schlimmiften fein müfjen, bis man
dur Erfahrung belehrt ift, daß fie
doch meift ohne weitere Folgen vor—
übergehen. So mancher meiner Eoflegen
wußte davon zu erzählen. Einer der-
jelben, Profeſſor U. Racheli, verdienſt—
voller Herausgeber einer Biblioteca
italiana, Lehrer der italieniſchen Sprache
und Literatur am Gymnaſium, ſagte
mir eines Morgens, er fei in der
Naht plößli von einem eigenthüm—
lichen, nie früher erlebten Uebelbefinden
mit krankhafter Stimmung der ſchlimm—
ften Art befallen worden; da habe er
nad feinem Dante gegriffen, Habe
mit aller Geiſtes- und Willenskraft
fih an diefen „angeklammert“, feine
Gedanken auf die Verje des geliebten
Poeten vereinigt, und es fei ihm jo
wirklich gelungen, aus dem bedroh=
lihften Zuftande fich aufzuraffen. Mich
ſelbſt verfuchte ein College in böfer
Stunde mit einem ähnlichen Mittel
aufzurichten. Ich Hatte mich im Gym—
naſium krank melden müſſen und
hütete das Zimmer. Da trat bejagter
Eollege, Mathematifer und Phyſiker
von Fach, bei mir ein und richtete
an mich im eindringlicher Weife fol=
genden Zuſpruch: „Denken Sie, lieber
College, nicht weiter an Ihren Zuftand;
denfen Sie einzig au das, was .ich
Ihnen jeßt vortragen und erklären
werde. Ein intereffantes Gapitel aus
der höheren Phyſik wird Ihre Auf—
merkfamfeit von dem Uebel ablenfen
und Sie werden fi) bald genejen
ſehen.“ Damit legte er eine Heine
Sciefertafel auf den Tiſch, zog einen
Stift hervor und ſchickte fich -an, feine
gelehrte Erörterung zu beginnen. Halb
gerührt, Halb erheitert, dankte ich dei
freundlichen Helfer für feine wohl—
meinende Abjicht, verlicherte aber, mich
Ihon befjer zu fühlen und einer ge=
waltfanen Ablenkung meiner Gedanken
nicht mehr zu bedürfen.
Das Schuljahr dauerte zu jener
Zeit in Trieft bis zum erften Sep—
teınber ; ausnahmsweiſe wurde es dies—
mal, mit Rückſicht auf die Seude,
nah Eintritt der heißeſten Jahreszeit
geichloffen. Es waren nur noch die
Maturitäts- Prüfungen am Gymnaſium
abzuhalten. Die herrſchende tropifche
Hitze, die Abgejpanntgeit in den
Zügen der Glieder des Lehrförpers,
die auf den Gefichtern der Prüflinge
ih) ſpiegelnde Durchfallsangſt, das
Alles drückte diefen angeftrengten Prü—
fungstagen ein unbehagliches Gepräge
auf. Das Unbehagliche der Lage wurde,
auch dadurch nicht ſonderlich gemildert,
daß der wadere alte Schulrath Foren,
der bei den Prüfungen den Borfig führte,
uns Profefjoren gegenüber immer wies
der auf die Verſicherung zurückkam, daß
er ſich durch die herrfchende Cholera
nit im Geringften abhalten laſſe,
allabendlih feinen gewohnten, er—
friſchenden Gurkenfalat zu verzehren.
Anm Tage nach Schluß der Prüs
fungen bracdte ein Poftwagen mid
und meine Mutter langſam über die
Höhe von Oplina nordwärts. ch
athinete erleichtert auf, als ich den un—
heimlichen Dunftkreis der Stadt Hinter
mir zu haben glaubte, bis drei ſchwarze
Särge, die vor dem Slirchlein eines
Heinen Ortes auf dem Karſt neben
einander ftanden, mich auf den Ge—
danfen brachten, der bejagte Dunft-
freis möge ſich wohl noch etwas weiter
eritreden. . .
Blaß, matt, elend fam ich im
Graz, meinem Reifeziele, an, und das
Leiden, das in leßter Zeit von mir
Belig genommen hatte, troßte auch
den frifcheren Lüften der grünen
Steiermarf.
Inzwiſchen ließ die Seuche in
Trieft nah, und al3 ich zum Beginn
des neuen Schuljahres dahin zurüd-
fehrte, galt fie für erlojchen. Uber
wenige Tage nah meiner Ankunft
warf eine ernftliche Verſchlimmerung
meines Befindens mich auf's Kranken—
lager, das ich vierzehn Tage lang zu
hüten gezwungen war.
Unter fo trüben Umftänden gieng
mein erſtes Zriefter Jahr dahin. Yon
einem wirklichen Fortſchritte auf meiner
Bahn, von einer Annäherung an die
Ziele, denen ich nachftrebte, Hatte feine
Rede fein können.
Trieft mißfiel mir troßdem feines»
wegs. Aber theils in meinen Geſund—
heitsumſtänden, theils in den Verhält—
niffen der Hafen- und Handelsftadt
lag e3 begründet, dab ich nich per—
ſönlich vereinfamt fand. Einen Erfah
für entſprechenden gefelligen Verkehr
boten indes die vier Theater ZTriefts,
mit einer meift vorzüglichen italienischen
563
fanntjchaft mit dem damaligen Redac—
teur der Triefter Zeitung, Dr. F. E.
Pipig, den Berfafjer der „Memoiren
eines Apoftaten“ und einer „Geſchichte
Mirabeaus,“ woraus fich ein Verhält-
nis zur Triefter Zeitung felbft ent—
fponnen hatte, für welche ich nunmehr
über Theater, Concerte u. ſ. w. Be—
richte lieferte.
Im folgenden Jahre (1856) ver—
öffentlichte ich in unferem Gymnaſial—
Programm „Proben aus einer
Ueberſetzung von Dſchamis
Behariſtan.“
Meinen Ferienaufenthalt nahm ich
für eben dies Jahr in Venedig. Was
ich von Erlebniſſen in der Lagunenſtadt
— mohin ih auch ſpäter wiederholt
mich wendete — zu. berichten Hatte,
ift niedergelegt in einer Studie, welche
das FFebruarheft des „Heimgarten“ vom
Jahre 1884 brachte, und weldhe dann
auch im meine gefammelte „Proſa“
übergieng. Ihre eigentliche Stelle wäre
im Zufammenbang diefer Belenntniffe.
Auch in „Sinnen und Minnen“ find
nicht wenige Blätter venezianiſchen und
norditalifhen Eindrüden gewidınet.
Ein fo andachtsvoller und eifriger
Kirchenbefucher bin ich niemals im
Leben gewejen, wie zu jener Zeit in
Venedig. Aber das Erbauungsbuch in
‚meiner Hand, das mich .auf meinen
täglihen Kirchgängen begleitete, war
ein didleibiges Exemplar des beiten
„Guida di Venezia,“ durchſchoſſen mit
weißen Blättern, auf welchen ih an
Ort und Stelle meine ftenographierten
Notizen und Bemerkungen eintrug.
Dabei las und ftudierte ich mit Eifer
Kunftgeichichtliches, insbefondere Sel-
vaticos ſchönes und gründliches Haupt»
Dpern= und Balletfaifon im Winter, |werk über „Baus und Bildhauerkunft
ebenfo gewählten italienischen Schau—
jpiel, einer deutfchen Saifon von
Poſſen und Operetten, mandınal auch
franzöfifhem Schaufpiel. Der freie
Mitgenuß alles deſſen was Trieſt in
theatralifcher, mufifalifcher, überhaupt
fünftlerifcher Beziehung bot, ergab fich
für mi aus einer perfönlichen Be:
in Venedig.“ Aber die Lagunenjtadt
hatte auch fonft etwas Anheimelndes
für mich. Der Marcusplaß, die traus
licheengen, ‘aber mit jedem Schritt
einen neuen Profpect entrollenden Gaſ—
fen der Merceria, der Frezzeria u. |. w.
boten namentlich bei abendlicher Be—
leuchtung einen eigenihümlichen Reiz,
36*
564
der zu behaglichem Umherſchlendern andere das endliche Ausgeftalten des
und zu beftändiger Wiederkehr ver- | dichterifchen Entwurfes meiner „Ve—
lodte. Im milden, weichen Scirocco: |nus im Exil.“
bauch entwidelte bei ſolchen Wandes
rungen für den Zauber des Schönen
ih eine doppelt rege Empfänglichkeit.
Ich fühle in der Erinnerung mich noch
heute jo heimisch in dem weitgedehnten
Venedig, wie kaum in den Orten, an
welchen ich Jahrzehnte meines Lebens
zugebracht. Ich kannte fie alle, die
ftillen Gaffen und Gäßchen, Pläße und
Bläschen, Canäle und Canälchen, Brür
den und Brüdchen Venedigs, nicht am
wenigften aber die traulihen Wintel
und Eden, in welchen die zahlreichen
venezianishen Bücherkrämer ihre Läden
und Auslagen im Freien hatten.
Im October unternahm ich einen
Ausflug nah Padua, Vicenza, Verona,
und dachte denjelben noch weiter fort-
zuſetzen; aber in dem Augenblide, als
ih zu Verona mi auf den Bahnhof
verfügen wollte, um nah Mantua zu
geben, nöthigte mich ein plößlich ge=
fteigertes, ernftliches Unwohlſein, den
Rückweg nah Venedig einzufchlagen.
Mein Zuftand hatte fih im Weſent—
lihen gegen das Vorjahr nicht ge=
beſſert; nun geftaltete er fich fo, daß
ich viele Wochen lang faft ganz in’s
Zimmer gebannt blieb. Als ich im
November mein Lehramt wieder an—
treten follte, ſah ich mich gemöthigt,
um Urlaub anzufuhen. Ein tleiner
Spaziergang in der Mittagsfonne auf
dem Marcusplaß, in defjen unmittel—
barer Nähe meine Wohnung (in der
Calle larga a San Marco) lag, war
nun das Meußerfte, was ib mir an
bejonders günftigen Tagen erlauben
durfte.
Aber die Epoche der Zurüdgezogen-
heit und unfreiwilligen Muße war Be—
Ihäftigungen jehr förderlich, die ich
jet aufnahm und mit fo regem Eifer
betrieb, al3 mein Befinden es zuließ.
Die eine dieſer Beichäftigungen war
dad Studium des mir überaus wert übergehend — in ſich zu verförpern.
gewordenen perfiihen Dichters Dſche- Daß diefe Verkörperung eben nur eine
laleddin Rumi im der Urſprache; die vorübergehende, eine Hinfällige, und
„Zieh bin, ein heiliger Bote,
Und fing’ in freudigen Tönen
Vom tagenden Morgenrotde,
Vom lommenden Neidhe des Schönen !*
Mit diejen Verſen, die aus meiner
früheften Jugend ſtammen, und die
ih der „Venus im Exil“ als Motto
vorjeßte, fennzeichnete ih, was ich als
meine poetifche Sendung erfannte. Das
Werk ift von beicheidenem Umfang;
aber e3 enthält das Wefentliche meiner
ganzen Weltanfhauung, das Pro—
gramm meines ganzen weiteren Stre=
bens und Wirken: auf Literarifchem
Gebiet. Es ift hervorgegangen aus
dem lebhaften Widerftreite meines Em—
pfindens gegen die herfümmliche An—
ficht, dak Ideales und Neales, Wahr:
heit und Schönheit, Geift und Natur,
underföhnliche Gegenfäße feien. Das
Ideale follte aufgezeigt werden als das
was anzuftreben, aber nit dadurch
zu erreichen ift, daß man vom Anbe—
ginn das Natürlide und Wirkliche
von fich Hößt und mißachtet, die Natur
als einen „Siündenfall,“ als einen
Abfall vom Geifte und der Idee be=
trachtet.
In meinem Weſen lag von Anfang
an ein ftarfer realiftifcher Zug neben
dem idealiftifhen — nicht in feind—
lihem Widerftreit des einen gegen den
andern, fondern in wirklicher Harmo—
nie: woran nur ſolche zweifeln konnten,
welche für „unllar* an und für fi
und in mir bielten, was zufällig
ihnen unklar blieb. Für ein Schwe—
ben und Schwärmen in Nebelgebilden
des Ueberirdiſchen, losgetrennt vom Ir—
diſchen, war ich nicht gefchaffen; das
rein und echt Menjchliche, das geift-
verflärte, aber lebendige, blutwarme
Dafein erfchien mir immer auch fähig,
das Ideal — wenn aud nur vor—
— — — — — — — — — — — — — — — — — — nn
überdies eine jeltene it — läßt den zweiten in Beziehung auf das Welt—
flimmungsvollen Klagen der Lyriker | ganze gedacht. — Diefe Göttin num
über den Zwiefpalt zwifchen Ideal und |
lodt den Helden unſerer Dichtung,
Wirklichkeit troß des Gefagten noch , welchen der Schmerz der creatürlichen
immer ein volles Maß von Berechti—
gung. Auch rechtfertigt diefe Beſchränkt—
heit des Irdiſchen es volllommen, daß
der Stufengang des unendlichen menſch—
lihen Sehnens und Strebens von den
nur flüchtigen, Hinfälligen Verkörpe—
rungen de3 deals fich zu immer
Höheren erhebt, bis zu einem wenig—
ſtens in poetiſchem Sinne Unend—
lichen: nur daß dies Unendliche doch
eben auch wieder als ein Wirkliches,
nicht als ein bloßer abftracter Begriff
zu fafjen ift.
Wer eine Bürgfchaft dafür ver-
langt, daß ich mein jugendliches Em—
pfinden nicht etwa jet anders deute
als e3 war, der lefe das Geleitswort,
mit welchem ich feinerzeit die erjten
Proben aus „Venus im Eril* im
„Sangesgruß von der Adria“ ein—
geführt habe. Es lautet:
„Diefe Dihtung entlehnt ihre
Motive den deutfchen Sagen von der
„Frau Venus“, „Loreley“, „Wald-
frau“ u. dergl., vertritt aber zugleich
die Neaction des modernen Bewußt—
feins gegen jene mittelalterlich trübe
Auffaffung der Schönheits- und Lie-
besgöttin und möchte diefe aus einer
„Zeufelin“, aus einer verlodenden
Göttin der (bloßen) Sinnlichkeit, was
fie im Mitertfume nicht war und
wozu erſt die nordiſche Sage fie
geftemipelt, wieder zu dem machen,
wa3 fie war, zur Göttin der Schön
heit, der Liebe, des ganzen, vol—
len, feligen Dafeind in ſinn—
lich-geiſtiger Harmonie.
Noh mehr, e3 wird auf Die
Auffoffung des höheren Alterthums
zurüdgegangen , welcher die himm—
liſche und irdiſche Venus noch Eins
war: Venus Aphrodite und Venus
Urania ſind ein und derſelbe Begriff,
nur im erſten Falle in Beziehung
auf das irdiſch menſchliche Sein, im!
Beſchränkung peinigt, zunächſt mit
ſinnlichem Anreiz an ſich — denn als
Verführerin zur Sinnlichkeit muß die
Vertreterin des vollen härmoniſchen
Dafeins dem einfeitig-Ipiritualiftifchen
Sinne zuerft ſich darftellen — und
läßt ihn fodann von Eros durch ihr
Neih Führen, die erotiſche Stufen
leiter hinan. Natur, Kunft und Leben
gießen ihre Befeligung über ihn aus.
Der Gipfelpuntt aber von Allem ift
die Liebe, deren Zauber feinem jugend
lihen Sehnen ein Unendliches vor=
jpiegelt. Doch diefer Zauber währt
nicht ewig. Venus erjcheint, nad»
dem der höchſte Liebesinoment er=
füllt ift, und vernichtet durch ihren
Anblid jene felige Bezauberung. An's
deal gehalten, erjcheint das Idol
wieder in feiner Endlichkeit und Be—
Ihränfung und genügt nicht mehr
dem Streben de3 Herzens nad einem
Unendlichen. Nun ift der Stufengang
des irdiſchen Glüds vollendet, doch
der menfchliche Geift ift zu noch Hö—
herem berufen. Venus erſcheint dem
bereit$ DBerzweifelnden wieder, und
zwar jebt im ihrer uranischen Herr—
lichkeit, als himmlische Venus und er=
öffnet ihm ihre höheres Reich. Die
Schönheit de8 Kosmos geht vor
feinen Bliden auf; die Schranken
der Zeit und des Raumes fallen, er
Schaut das künftige Reich der
Skhöndheit, die Verjöhnung
von Geift und Materie auf
Erden. Bor diefem Anblid verlinkt
fein crealürliches Leben glei einem
Traumbilde, er fühlt fich theildabend
am Allleben, Allbewußtfein und fo
erfcheint ihm mit der Stunde des
Todes zugleich die Stunde des höch—
ften, unendlihen Glückes. — Dem
denfenden Lefer entgeht mit, daß
hierin weniger eine beftimmte philo=
ſophiſche Tendenz, als da3 Bild
menſchlichen Strebens in ſei—
nem ®Berlaufe
will." —
Sollte nah diefer Inhaltsangabe
es doch auch wieder Manchen fcheinen,
al3 ob jenes „Unendliche“ auf eine
leere Allgemeinheit Hinausliefe, fo
erinnere ih an daS zuvor Gefagte:
das Allgemeine, „Unendliche” muß
bier in poetifchem, nicht in abftractem
Sinne genommen werden. Man über:
fehe nicht, daß der Auffhwung vom
Theil zum Ganzen, vom VBergänglichen
zum Unvergänglichen immer noch im
Bereihe des MWirklichen bleibt, daß
die Rede ift von der wirfliden
Herrlileit des Weltganzen, von
einem anzuftrebenden wirklichen
566
ih darſtellen Unleugbar ift, und nit hinwegzu—
herzen
Des Leben: Qual, in der die
Seele brennt;
Doch iftunleugbaraud die Stimm’
im Herzen,
Die Schmerz und Todesqualen
übertönt.
Sophismen find, was jonft als Troft in
chmerzen
Der Menſch erſinnt, ſein Leid bleibt un—
verſöhnt.
Nur jene Stimme hebt mit leiſem Worte
Geheimnisvoll des Räthſels dunkle Pforte.
So ſiegt zuletzt, ſich ſelber unverftanden,
Der Creaturen heil'ger Lebens—
wille,
Und nimmer kann am Todesriffe ſtranden,
Wer ſich durch — ob Leid ob Luſt ihm
uille,
Reiche des Schönen, der „Berfögnung Gept fühlt an's au mit Liebesbanden,
von Geift und Materie auf Erden“.
Auch was ich „Allwille,“ „Allteben“
nenne, iſt mir etwas MWirkliches.
Ueber mein Verhältnis zu dem, |
was ſich aus dem „Weltſchmerz“
Epoche either zum „Peſſimismus“
entwidelt hat, gibt die „Venus im
Exil“ gegen den Schluß Hin eine
entjcheidende, bündige Auskunft, auf
welche ich micht oft genug verweifen
fann:
„So hab’ ich meines Strebens Bahn voll-
endet:
Der Schmerz des Erdenftrebens, ad),
war groß,
Doch meinem Blid, verflärt in's All ge:
wendet,
Erſcheint verföhnt num alles ird'ſche Los.
63 wird mir wunderfan ein Troſt gejpendet,
Der hold mich lodt wie in der Liebe
hof,
Und Iabend aus verborgnen Geiftestiefen
Hervorquillt, vom Berftande nicht begriffen.
Warum ih in den Abgrund ird'ſchen Seins
Geftürzt, bedroht von Leid und Todes:
grinme,
Warum ich treib’ im Meer des bunten
Scheins,
Durch Schmerzeswogen nur zum
Ziele ſchwimme,
Ich weiß es nicht; gewiß nur iſt mir Eins:
In meinem tiefſten Innern tönt die
Stimme,
Die freudig in das Los des Lebens mwilligt,
Und diejes irdiſche Geſchicke billigt.
Ind jelber in des Todes ew'ge Stille
|Sinteeten ruft mit fiegesftolzem Blide:
| Mein eig’'ner Wille billigt mein Geſchiche!“
Schlagender werde ich meine An—
jener fhauung im diefer Beziehung niemals
ausdrüden fönnen, als es im diefen
Strophen meines Erftlingswerfes vor
30 Jahren gejchehen ift.
Daß der lyriſche Ausdruck einer
gewillen Sehnſucht nah Ruhe, jelbft
nah ewiger, namentlich für viel«
geprüfte Menfchenkinder, etwas Er—
Härliches ift und feineswegs noth—
wendig eine peflimiftifche Grundſtim—
mung und Weltanfchauung voraus»
jegt, follte nicht weniger einleuchtend
fein, als daß Luft und Leid im Ge—
miüthe des Menfchen wechjelt. Aber
jelbft wenn es wahr, daß in alle Luft
ein Tropfen Leid ſich mifcht, bejagt
dies noch lange nicht, daß das Leid
in diefer Mifhung immer überwiegen
muß. Sp habe au ich als Lyriker
neben der ewigen Dafeinsluft jo mans
hesmal der Sehnſucht nah Ruhe,
der „Todesluſt“ Gerechtigkeit wider:
fahren laffen. Läge darin ein Wider
ſpruch — bei weldem Dichter fände
diefer Widerfpruh fih nicht? Ich
halte beide Stimmungen für natürlich
und für gerechtfertigt: ich halte jie
ſogar für verträglich mit einander.
67
Als Beleg für meinen Peſſimismus
wird oft jenes Heine Gedicht citiert:
„Auf hohen Bergen liegt ein ew'ger Schnee:
Auf hohen Seelen liegt ein ew'ges Weh!“
LT
Nun ja! Der ewige Schnee be-
dedt den Berg, er belaftet ihn; aber
feine innern Tiefen füllt er doch nicht
aus — er läht da fogar Raum für
manchen gold’nen Schadt. — Und
bleibt es micht immerhin auch ein
Troſt für den Berg, dab fein ewi-
ger Schnee unter dem Strahl des
tommenden und fcheidenden Lichtes
fih in Gold und Burpur, in Perlen
und Diamanten verwandelt ?
Schon durch die Nofle, welche
von jeher der Eult des Schönen in
meinem Gemüth und im meinen Dich-
tungen fpielte, war eine blafierte, gräm—
Iiche Abkehr von der Welt und dem
Leben ausgefchlojjen.
Mer die Welt Schön findet, der
fann fie nicht Haffen, kann nicht das
Dofein in ihr als ein unter allen Um—
ftänden wertloſes, verächtliches be—
tradhten.
Ih verweile etwas lange bei dem
Sdeengehalt meines Erftlingswertes ;
aber manches Spätere wird dadurch
leichter verftändlich werden.
Man Hatte mir Urlaub bis zum
Schluſſe des erften Semefters bewilligt
und fo blieben, nachdem mein Be—
finden Sich etwas gebefjert, noch ein
paar Wochen, dem Treiben des vene—
tianischen Garneval3 meine Aufmerk—
ſamkeit zuzuwenden und jenen beſchau—
lichen Antheil daran zu nehmen, den
ich in den erwähnten „Erinnerungen
an Venedig“ geichildert habe.
Im Aprit 1857 nah Trieft zu—
rüdgefehrt, ließ ich e$ mir dor Allem
angelegen fein, einen DBerleger zu
fuchen für das fertig mitgebrachte
Manufcript der „Venus im Eril.“
Jeder junge Poet hält das Werk,
mit welchem er in die Welt treten
will, für etwas ſehr Merkwirdiges,
für etwas, das bei Allen, welchen es
vor Augen kommt, mehr oder weniger
Auffehen erregen muß, und ift ſehr
erftaunt über das unendliche Phlegma,
mit welchem das Erzeugnis feiner Be—
geifterung erſt von den Berlegern,
dann von den Fritifern und endlich
vom Publikum angefehen, oder viel—
mehr nicht angefehen wird. So war
demm auch meine Verdutztheit feine
geringe, als der Leipziger Verleger
erften Nanges, dem ich die „Venus“
zuwenden wollte, meine Sendung an—
ftatt mit Ausdrüden der Heberrafhung
und des Dankes, mit einer Höflichen
Ablehnung erwiderte.
Als das Beihämende des erften
Eindruds diefer Erfahrung überwuns
den war, faßte ich den Entjchluß, erit
eine Heinere Probe meines dichterifchen
Beitrebens auf eigene Koften in die
Welt zu fenden. So trat im Sommer
1857 ein niedliches Büchlein in Se—
dezformat, vier Drudbogen ftark, unter
dem Titel „Ein Sangesgruß
vom Strande der Adria“ in
der F. H. Schimpff'ſchen Buchhand—
lung zu Trieſt an's Licht. Es ent—
hielt eine Anzahl lyriſcher Gedichte,
von welchen die meiften Später in die
Sammlung „Sinnen und Minnen“
übergiengen und Proben aus „Venus
im Eril“.
Spät genug war nunmehr der
Schritt in die Deffentlichkeit vollzogen.
Die unerläßlichen Bemühungen zur
Gründung eineräußeren Lebensftellung,
die ernfte Geſundheitsſtörung der letz—
ten Jahre bei feinesiwegs leichten Be—
rufspflichten, und ſchließlich die Schwie-
tigfeiten, auf die ich bei der Suche
nach einen Verleger geflohen war, er=
Hären hinlänglich diefe Verzögerung.
Aber auch befcheidener ift kaum je
ein Poet zuerft in die Deffentlichkeit
getreten, als ich mit meinen vier
Vrobebogen in Sedez. Das beichei-
dene Anfehen diefer Mufengabe wurde
dadurch verftärktt, daß ich als öffent—
licher Lehrer in der lyriſchen Auswahl
mi vorläufig auf Harmloſes be—
Ichränfen zu müſſen glaubte, nament—
68
lich mit den erotifchen Stücken mich | Lyriker der Gegenwart halte? Er er=
nicht recht hervorwagte. widerte: „Geibel!“. — Diefer Aus—
Sattjaın bezeichnend waren indes ſpruch tröſtete mich beinahe ein wenig;
die gegebenen Sangesproben ummere | — er erjchütterte, da ich Hermann
bin: es befanden ſich darumter Lieder | Lingg unzweifelhaft höher ftellte als
wie „Die Lerchen,“ „Raftlofe Sehn= | Geibel, mein Vertrauen in die fritifche
ſucht,“ „Viel Träume,“ „Im der) Unfehlbarkeit des jungen Gelehrten.
Waldſchlucht,“ „Meine Lilie,“ „Ga— Sein Urtheil machte mich nichts—
nymed“ und noch manches Andere | deftoweniger für den Augenblid un—
von dem, was hernach in „Sinnen glücklich. In Erinnerung desſelben
und Minnen“ den meiſten Anklang | habe ich es fpäter niemals über's
fand. Herz gebracht, einem Neuling gegen-
Unmittelbar nach dem Erſcheinen über, der mir poetifche Proben vor—
des „Sangesgrußes“ trat ich meine | legte, ohne allen Vorbehalt und
Terienreife nach Graz an. ohne hHöflihe Umſchreibung mic
An der Grazer Umiverfität wurde | des Furzen und fchroffen Ausdrudes
die Lehrkanzel der deutschen Sprach- zu bedienen: „Sie haben fein Talent!”
wiſſenſchaft und Literatur damals von | Wußte ih doch aus Erfahrung, wie
einem jungen Maune verjehen, der fich | weh es thut, jo etwas rund und ıeit
großer Achtung und Sympathie fowohl in's Geſicht gefagt zu bekommen.
unter den Studenten als in der ge= Indeſſen Liegen ſich bald andere
bildeten Bevölkerung überhaupt er: | Stimmen anders vernehmen. Der be—
freute. Seine jugendlich fchlante Ges | fcheidene Sangesgruß des perfönlich
ftalt, das lange, blafje, ernfte Geficht, | ganz unbekannten, außerhalb aller
das lang und ſchlicht auf den Naden | Berührung mit der Literatenwelt ſte—
berabfallende Haar, stellten das este | Gender Poeten an der Adria wurde
Bild des deutfchen Gelehrten von der von der Kritik freundlich, zum Theil
gerpinnenden Seite dar und flößten | herzlich erwidert. Der gefürchtetite
auch mir Vertrauen ein. Ich Fam auf Kritiker jener Tage, Hieronymus Lorm,
den Gedanten, obgleib bis dahin ein begann feine Belprehung mit den
perfönlich Fremder für den Genannten, | Worten: „Poeten find wunderliche
mein eben erjchienenes Büchlein ihm | Leute,“ und übergoß die VBorrede des
zur Beurteilung vorzulegen. Ich gieng | Büchleins mit der Pauge feines Spottes ;
zu ihm und bat ihn, e3 durchzufehen. | über die Gedichte felbft aber lieh er
Er hieß mich nach acht Tagen wieder: | einige Worte fallen, wie man fie aus
kommen. Als die Woche um war und feinem Munde nicht eben gewohnt
ich Mopfenden Herzens bei ihm ein= war. Schmidt Weifjenfels wies in den
trat, fagte er mir wörtlich: „Ich habe | „Kritiichen Blättern“, welche im Ver—
Ihr Heitchen durchgefehen und ich lage des Buchhändlers J. L. Kober
babe, aufrichtig gefagt, in den lyriſchen in Prag erfchienen, mit Wärme auf
Gedichten keine poetiiche Begabung | das Werfchen Hin. Dies gab mir den
entdeden Lönnen. Und was die Bruch: | Muth, das Manufeript der „Venus“
ſtücke aus der epifchen Dichtung „Venus |an Kober zu fenden. Es wurde an
im Exil“ betrifft, fo legen Sie wohl | genommen, und die Dichtung exfchien
felbft feinen befonderen Wert darauf?“ im Jahre 1858, mit einem lyriſchen
So lautete das erſte Urtheil, | Anhang, in deſſen Auswahl ich nun
das ich über den „Sangesgruß“ ver= | fchon mit weniger Aengſtlichkeit vorgieng.
nahm. Ich war wie niedergedonnert. Der Triefter Buchhändler, bei wel=
Im weiteren Verlaufe des Gefpräches | chem der Sangeigruß in Verſchleiß
fragte ich meinen firengen Richter, | gegeben war, hatte in der erften Zeit
wen er für den bedentendften deutschen | freilich mur ungefähr ein halbes Hundert
—
569
Gremplare abgefegt. Ein paar Jahre die Geſchichte eines Wieſels, und fei
ſpäler vertraute mir ein damals her—
borragender Öfterreichifcher Lyriker, daß
von ſeiner neueften Gedichtiammlung
im erften Jahre Sieben Eremplare
eine froftige Allegorie der weißen Yarbe
oder der kindlichen Unſchuld.
Aufmerkſam gelefen wurde alfo
die „Benus im Exil“ nicht, ebenſo
duch Kauf in’s Publikum gelangten. |wenig das Vorwort. Vielleicht ergeht
Dies belehrte mich nachträglich, dak |es dem, was ich oben zur Erläuterung
ih auf den buchhändlerifchen Erfolg | meiner Denkweiſe gejagt, nicht beifer.
des „Sangesgrußes* jogar mit einigem | Liegt doch diefe Denfweife dem Ge—
Stolz zurüdbliden konnte. \danfenfreis unferer Tage Scheinbar
Der Hauptzwed des Heftchens | fern. Sie der jugendlich ſchwärmeriſchen
war erreicht: ich Hatte einen Verleger | Form zu entkleiden und volllommen
für die „Venus“ gefunden.
Har zu machen, ihr Verhältnis zum
Am günftigften fprach über das | Zeitbewußtfein umd ihren inneren Zus
fleine Epos fih R. Gottfchall in der
„Schlefiihen Zeitung“ aus. Im Alle
gemeinen aber wurde von der Tages»
ſammenhang mit den Ideen des ent—
Ichiedenften Fortſchritis nachzuweisen,
gelingt vielleicht exit dem größeren
fritit mit dem Gedankeninhalt des | Profawerf, das meine Weltanſchauung
Werkchens übel umgelprungen, obgleich \im Ganzen darzulegen beſtimmt iſt.
ein Kritifer in den damals von H. Denjenigen, welchen „Benus im
Marggraff redigierten,, Blättern für liter. | Exil“ nicht behagte, gefiel um fo beſſer
Unterhaltung” die Aeußerung getdan | der Iyrifche Anhang, und fo bezeichnete
hatte, „Venus im Exil“ fei eine der Erfolg des Ganzen immerhin
Dichtung, welche aufmerkſame Beachtung | einen Schritt vorwärts. H. Lorm übte
verdiene, und wie ſie mit beiligem auch jet die ganze Schärfe feiner
Ernſt gegeben worden, fo fei fie auch |fritifchen Feder an meiner Leiftung,
wert, mit Ernft aufgenommen und warf aber doch nebenbei die Worte
durchdacht zu werden.“ Ein frommer hin: „Herr Hamerling wird ohne
Wunſch! Nicht einmal das erflärende | Zweifel zu dem glanzvollen Reigen
Geleitwort, das am Dentlichkeit nichts | öfterreichifcher Lyriker zählen, wenn
zu wünfchen ließ, wurde beachtet. Es der Gejichtsfreis, den er feiner An—
hatte nur dazu gedient, das Vorurtheil
ih erweitert
Ihauung umterwirit,
zu bejtärlen, man Habe es hier mit) haben wird,“
einer „philofophifchen“, allegorifchen
Das war eine Prophezeiung, und
Dihtung zu thun. Nun mag man ja der Prophezeiung jchloffen ein paar
immerhin alles Symboliſche für ein
Verbrechen in der Poeſie halten; wenn
man fi aber darauf einläßt, den
Sinn umd Zufanmenhang eines ſym—
boliſchen Gedichtes anzugeben, fo follte
man ihn gewiſſenhaft angeben,
befonders wenn der Dichter felbft fich
far über feine Abficht ausgeſprochen
hat. Aber bei Inhaltsangaben benehmen
ſich Necenfenten oft jeher wunder
lich. Erzählt der Dichter 5. B. ein
Märchen von einer Lerche und er=
Härt dann ausdrüdlich, er habe ein
Bild vom frohen Auffchwunge der
Seele geben wollen, fo fagt der Re—
cenfent lieber, das Gedicht enthalte
Vorzeichen, ein paar gute omina ji
an. Das eine diefer omina, die zu—
fällige Reife um die Welt, welche
mein Erftlingswert gleih nad dem
Erfoheinen an Bord der „Novdara”
mitmachte, verſprach freilich entfchieden
zu viel. Das zweite kam vom Ef.
öfterreichifchen Internuntius in Gone
ftantinopel, Baron Prokeſch. Diejer
hatte von einer ihm befreumdeten, mir
fremden Dame in Trieft ein Eremplar
der „Venus im Eril* (ohme mein
Miffen) zugefendet erhalten. Er fand
Geſchmack an dem Büchlein, ließ dar—
über ein ausführliches, aufınumterndes
Schreiben an mich gelangen und fügte
dd
dazu das Geſchenk eines fogenannten
türfifchen Talismans, der Glüd
bringen oder verheißen foflte, eines
gefehnittenen Carniols, mit einges
grabener türkischer Inschrift. Ich habe
diefen Carniol als Siegelring fafjen
laſſen und bediene mich desfelben als
folhen bis auf den heutigen Tag.
Im felben Jahre 1858 hatte ich
wieder eine Abhandlung für das Gym—
naſial-Programm zu liefern und wid⸗
mete hierzu: „Ein Wort über die
Neuplatoniter, mit Ueberſetz—
ung&proben aus Plotin.“
Die Herbftferien von 1858 ver—
lebte ich im Venedig, die des folgenden
Jahres in Graz. Literarifch beichäftigte
mich die Zufammenftellung der größeren
Igrifchen Sammlung, mit welcher ber:
vorzufreten ich nun an der Zeit fand.
Unter dem Titel „Sinnen umd
Minmen“ erjchien diefelbe gegen den
Schluß des Jahres Hin bei Kober als
ein hübſch ausgeftattetes Bändchen,
freilich erft ungefähr die Hälfte von
den umfafjend, was fpäter die zweite
Auflage brachte.
Der Titel des Buches findet feine
Nechtfertigung in einem Einleitungs-
gedicht der erften Auflage, welches, da
70
Doch noch fennt mein tief erregtes
Herz nur fi und feine Qual:
Und jo war's nicht meine Wahl,
Iſt mein Sang ein holdbewegtes
Tongewog, fein Bilderjaal.
Ab, ein Meer find meine Lieder,
Das der Haud der Sehnſucht hebt,
Deſſen Welle, ſterndurchwebt,
Klaͤngreich wogend auf und nieder,
Hin in gold'ne Ferne ſtrebt.
Und ſo ſcheint wohl arm an Sloffen,
An Geſtalten mein Gedicht,
Leer an Inhalt und Gewicht;
Denn das Sehnen, Lieben, Hoffen,
Sinnen, Minnen, zählt ja nicht!
Immerhin! auf Klangeswogen
Gautle, meines Liedes Schwan!
Bis die Jugend abgeihan,
Bis ihr ſüßer Rauſch verflogen
Und ihr gold’'ner Traum zerrann.
Bemerkenswert ift die Verſchieden—
heit des Tons, den die Stritif jegt dem
Dichter der „Venus im Exil“ gegen-
über anfchlug, im Vergleich zu dem,
welchen fie unmittelbar nach dem Er—
icheinen dieſer Dichtung ihm gegen—
über angefhlagen hatte. Die Art, wie
jet die verfchiedenften deutſchen Blätter
über mich ſich äußerten, Hatte faſt
eiwad Ueberraſchendes für mid, und
ichien zu beweifen, dab das Wenige,
was ich bisher geleiftet, ſich doch ſchon
es fpäter weggelafjen wurde, hier feine in einem weiteren Sreife und in einem
Stelle finden mag:
Eorglos auf des Wohllauts Wogen
Gaufle, meines Liedes Schwan!
Bis die Jugend abgelhan,
Bis ihr jüher Rauch verflogen
Und ihr gold’'ner Traum zerrann!
Einſt wohl fing’ ih im Gedichte
Alles Lebens bunte Pradıt,
Tauchend in der Sage Schacht,
In die Minen der Geſchichte
Und in des Gedanlens Nacht.
Farbenprächtig auszumalen
Streb' auch ich ſodann im Lied
Was am Meeresgrunde blüht,
Und der Tropenſonne Strahlen,
Die dereinſt am Pol geglüht.”)
*) Anipielung auf die claffiiche erfte Sammlung Iprifche
de: Gedichte Hermann Lingas, deren Findrud damals
eben allgemein und frijc-lebendig war.
höheren Grade Freunde envorben haben
musste, als man es nad den über
„Venus im Eril* erſchienenen Recen—
fionen hätte erwarten dürfen. Es
gereichte dem einſamen adriatiſchen
Strandpoeten zur Aufmunterung, daß
er, wie fih nun herausfteflte, ſchon
etwas wie einen Nuf oder Namen
hatte, daß er nirgends mehr als Neu«
ling auf dem Parnaß behandelt wurde,
und daß man anfieng, feine Leiftungen
aus der großen Maſſe des Alltäglichen
hervorzuheben. Kein fpäter von mir
veröffentliches Werk ift von der Kritik
in den deutfchen Gauen fo fait ein—
mitthig gut aufgenommen, keines jo
wenig derunglimpft worden, wie dieje
Sammlung „Sinnen und
Minen.“ Mihgönne man es mir nicht,
571
einen Augenblid in diefer angenehmen
Erinnerung zu ſchwelgen.
Es ift im Allgemeinen nicht Brauch
bei den deutſchen Gomponiften, den
Dichtern, deren Lieder fie in Mufit
ſetzen, Freiexemplare ihrer im Handel
ericheinenden Vertonungen zugehen zu
laffen. Sie fürchten, fcheint es, eine
jolhe Zufendung mit einer Honorare
forderung ermwidert zu ſehen. Scheffels
zornige Auslafjungen über die folten-
freie Ausnüßung feiner Lyrit haben
fie Ängftlich gemacht. So bin auch ich
meijt nur zufällig zur Kenntnis der
Eompofitionen meiner Lieder gelangt.
Von ganzen Liederkreifen aus „Sinnen
und Minnen“ ſind mir bekannt ge=
worden:
G. Henschel: „Sinnen und
Minnen“ von R. H. Leipz., Breit:
fopf und Härtl, 2 Hefte.
Eduard Laffen: Sechs Lieder
von R. H. Breslau, Hainaner.
Ad. Wallnöfer: Sechs Gedichte
aus „Sinnen und Minnen“ von R. 9.
Berlin, Bote & Bod. drei Hefte.
Adolf Jenfen: Balladen und
Romanzen don R. H. Wien, Gott-
hard, zwei Hefte.
IM. Brava: Sinnen und Min:
nen von R. H. (Offenbach, Andre.)
2. C. Boumann: Drei Lieder
von R. 9. (Leipz., Kahnt.)
Eduard Laffen hat außer der an—
geführten Sammlung nocd eine be=
trädtlihe Anzahl von Vertonungen
einzelner Lieder aus „Sinnen und
Minnen“ im verjchiedenen Liederheften
veröffentlicht.
Es gibt Manche, welche nicht be=
merkt oder von Anfang an bezweifelt
A. Deproffe, A. Dietrich, W. Bünte,
S. Wartereſiebicz, R. Becker, Meyer
Helmund, Ernſt Ege, C. H. Döring,
Arno Kleffel, Graf Ladislaus Tar—
nowski, G. Langenbeck, Julius Janſſen,
Max Sobel, Joſef Scheu, A. Schutzer,
Alfred Oelſchlegel, Günther Barthel,
F. v. Holſtein, 2. Roſenfeld, Hans
Schmitt, H. Hofmann, B. Hamma,
L. Pick, A. Bungert, Daniel de Lange,
Joſ. Rheinberger, J. Sipergk, Alban
Förſter, Rudolf Bäumen, Arnold Krug,
E. Halven, Richard Hol, Fürſt von
Montenuovo, Karl Schön, U. Stapeller,
E. ©. Engelöberg, R. Metzdorff, O.
Köhler, Wilhelm Kienzl, Eugen d’ Als
bet. Don allen diefen Gomponiften
find mir in Stich veröffentlichte Ver—
tonumgen einzelner Lieder aus „Sinnen
und Minnen“ befannt geworden.
Am fleißigſten haben fich mit meiner
Lyrik zwei eigenartige, abjeit3 der
großen Heerftrage ihren Weg gehende
Mufiter beihäftigt: E. D. van Bruyd
und U. Wöll, der Componiſt des preis-
gelrönten, allen Liedertafeln wohlbes
fannten „Frühlingsliedes.“ Aber die
ſehr umfangreichen Cyhklen diefer Beiden
aus „Sinnen und Minnen“ haben
noch nicht den Weg in die Oeffent—
lichkeit gefunden.
Die größte Anzahl von Vertonun—
gen erlebte, das Heine Lied „Viel
Träume;* ich kenne davon neunzehn.
Je fieben find mir zu Gefichte ge=
kommen von „Ach wühteft Du,“ „Wan—
derlied ;“ je jechs von „An die Vögel,“
„O trockne diefe Thräne nicht,“ „Laß
die Roſe ſchlummern,“ „Lebewohl;“
fünf von „Wirf in mein Herz den
Anker;“ je vier von „Troſt,“ „Wald—
zu haben ſcheinen, daß fich viel Sang- aſhl,“ „Meine Lilie.“
bares in „Sinnen und Minnen“ finde.
Wer findet, daß ich zu viel Gutes
Anderer Meinung waren, außer den von mir erzähle, der tröfte ſich; es
joeben Genannten, die Herren C. Rein- kommt ſchon auch wieder ſchlimmer.
thaler, W. Nifchbieter, W. Floderer,
(Fortjegung folgt.)
Iakob der Pebte.
Eine Waldbauerngefhichte aus unferen Tagen von P. R. Kofegger.
(Fortjegung.)
Der Saifer kommt.
B ei der nächſten Soldatenftellung
PB war nur Einer vorgerufen aus
et t,
Altenmoos. Es hieß zwar, der hätte
die Befreiung, weil er der einzige Sohn
jei. In der That aber machte man
geltend, daß fein Vater noch rüftig
wäre, um die Wirtichaft zu führen und
daß nöthigenfalls auch noch ein Schwie—
gerfohn zu Handen fei, um fir die
alternden Leute zu forgen. Friedrich
Steinrenter, einundzwanzig Jahre alt,
gejund, ſchlank, ohne Leibſchäden, aber
eiwas zart gebaut. Tauglich!
Der Friedel that einen Juchſchrei. thut, fie geht zum Kaiſer.
verſetzen. Er hatte fie darauf vorbe—
reitet und gefagt, das Soldatenleben
dauere jegt im Verhältnis zur früheren
Einrichtung mur wenige Jahre. Und
der Urlaub, wenn Friedenszeit ift. Er
fieht die Welt, erfährt was und kommt
wieder heim! — Nun, als die. Gewiß-
beit da: er ift geblieben! war die
Maria gar nicht jonderlich erfchroden.
Sie hats erwartet. Einen ſolchen Bur-
chen, wie den Friedel, lafjen fie frei—
willig nicht fahren, obwohl Steiner auf
der ganzen Welt weniger zum Nieders
geichoflenwerden geeignet ift, als der
Friedel. Aber fie weiß auch, was jie
Sie wird
Für Kaiſer und Vaterland! Aber feine | Glück haben, das weiß fie gewiß. Ya,
Augen ftanden voll Waller. Für Kaifer | das Glück kommt ihr ſchon entgegen.
und Vaterland! Er verftand die Worte | In Sandeben reden ſchon Alle davon
und verftand fie nicht; fie haben einen
jo ſchönen Klang, einen gewaltig auf:
rüttelnden Schall, wie Fanfarenftof,
wie Kanonenkrachen. Yür Kaifer und |
Vaterland!
Als die Nachricht auf, den Neuthof |
fan — der Friedel brachte fie felber
— er ei geblieben, erftand im Haus
ein tiefes Trauern. Das war der Letzte
von den Sindern, der Liebling, die
Freude, die Hoffnung.
„Es muß wohl fo fein,“ jagte
der Jakob und feine Stimme wollte
ihm verfagen, feine Hand zitterte, die
er dem Burfchen auf die Achjel legte,
„es muß wohl fo fein. Du bift mein
Alles, Kind. Für's Heimatland. Es
iſt Schon recht. Es iſt Schon recht.“
Das Eine hatte der Jakob immer
gefürchtet, der Berluft des Sohnes
wirde feinem Weibe den Todesſtoß
‚und ihr hats der Gemeindevorftand ges
‚Sagt: der Kaiſer fährt in nächſter Zeit
draußen in der Krebsau, wo die Lande
ftraße ift, vorüber. Der hohe Herr be—
ſucht des Land, um deijen Zuftände
zu prüfen und auch diefen Theil feines
‚großen Volles wieder einmal zu fehen.
| Verdienfte wird er belohnen. Wo es
Noth und Elend gibt, wird er lindern,
Thränen wird er trodnen, wo es in
feiner Macht fteht. Er ift ein guter
Herr, fein Bolt jubelt ihm entgegen.
Mie von Flügeln getragen, fo eilt
die Maria über Berg und Thal und
trifft Vorbereitungen. Der Schulmeifter
zu Sandeben ſetzt ihr die Bittjchrift
auf; diefe darf nur wenige Zeilen
haben, fie weiß nicht, wie fie es an—
gehen foll, ihr ganzes liebreiches, kuni—
mervolles, hoffendes Herz hinein zu
"bringen. Sie wollte den Kaiſer jagen,
5
Se
513
daß ihr ältelter Sohn auf eine noch
unanfgellärte Weife ums Leben ges
kommen fei, und wie das noch immer
und immer im ihrem Herzen grabe.
Sie the ihres armen Mannes wegen,
dem es auch nicht viel beifer gehen
dürfte, nur nichts desgleihen. Sie
wollte dem Saifer Jagen, daß jie wohl
eine brade Tochter verheiratet habe an
den Florian Hütlenmaufer, daß es
diefen Leuten aber felbit kümmerlich
ergebe und fie daher für die Schwie—
gereltern nicht viel thun fönnten, fo
gern die Angerl auch wolle; und das
um foweniger, al3 fie Nachkommenſchaft
erwarte. Sie wollte dem Kaiſer er—
zählen von ihrem Manne, wie liebreich
und geduldig er jei, wie er arbeite und
Hügle, wie er an dem Haufe feiner
Vorfahren hänge und mur das Eine
ertrachte, es auf feine Kinder zu über»
bringen. Wie der Jakob aber jchon zu
altern beginne, nicht mehr jo kräftig
wäre beim Pflug, wie ehemals, wo ihm |
ein Tag mit fechzehn Arbeitsftunden
zu fur; gewefen fei, um nur ja recht
viel für den Reuthof Haufen und
Ihaffen zu können.
Das Alles und noch viel mehr
wollte die gute Maria auf dem Papier
haben, aber der Schullehrer jagte ihr:
„Das geht nicht. Der Kaifer hat ſechs—
unddreißig Millionen Kinder und foll
auf jedes hören, da kann er fich bei
einem nicht Tange aufhalten.“ Der
einzige Sohn, das Altern der Eltern
und die Kümmerlichkeit der Wirtjchaft
kaum furz gedrängt auf das Blatt, und
die Bitte um Befreiung. Ja nicht
einmal, daß fie auf den Knieen mit
aufgehobenen Händen bitte und dem
Staifer für Frau und Kind alles er-
denkliche Glück erflehe von der Mutter—
gottes zum Kalten Brunn, nicht ein—
mal das wollte der Mann aufjchreiben.
„Nur kurz und bündig die Thatjache,“
fagte er immer, „alles Weitere ift eher
von Schaden, al& von Nuben.”
So ward endlih die Bittfchrift
forgfältig zufammengerollt und mit
einem grünen Bande gebunden. Grün
bedeutet Hoffnung. Schuldig fei fie
nichts dafür, bedeutete der Schullehrer
auf ihre Frage, doch wenn die Schrift
was ausrichte, ſo könne fie ihm eine
mal ein Körblein Waldfirfchen bringen
aus Altenmoos.
Die Maria nahın das Papier mit
ſich und ein Prieſter kann das Sa—
crament nicht ehrfurchtsvoller tragen,
wenn er zum Kranken geht, als jie
die Bittſchrift trug, leicht mit ihrer
‚Schürze ummidelt, dab fie felbe mit
‚der rauhen Hand nicht verſehre.
Der Tag, an welchem der Sailer
‚durchs Land reifen follte, fam heran.
Schon am PVorabende brannten auf
vielen Bergen um Sandeben und Krebs—
au Schöne Höhenfener, wobei auch Pöl-
ler traten und allerlei Luftbarkeit
ftattfand. Dabei machte fich der Ober:
förfter Ladislaus befonders wichtig; auf
den Höhen des Kampelherrn, joweit fie
vom Thale aus gejehen werden konnten,
brannten nicht weniger als ſechzehn
große Feuer; eines davon war gar
künſtlich gemacht und ftellte, von der
Ferne gefehen, einen glühenden Kaiſer—
| adler dar. Bei demjelben gab es noch
ſpät in der Nacht Hoch ins Firmament
hinauffahrende Feuerkugeln und Muſik.
Wenn der Kampelherr einen Orden
friegt, Jo wirds auch des Oberförfters
Schade nicht fein, fo viel ift ihm ſchon
angedeutet worden.
Im entlegenen Altenmoos brannte
fein Feuer, Hingegen verjammelte der
Jakob feine Leute an der Kapelle des
heiligen Jalobus — wie das nur zu
befonders feierlichen Gelegenheiten ge=
Shah — und ſprach ein Gebet für das
Kaiſerhaus. Der Friedel betete mit
heller Stimme, Kaiſers Sache war jeßt
ja auch feine Sache und der junge
„SKaiferjäger” fühlte fich ordentlich geehrt
in den Ehren, die dem Landesfürften
dargebracht wurden. Was die Mutter
vor hatte, darauf legte er fein Gewicht.
„Ich glaub’ Dir wohl,“ jagte ihm
fein Vater, „Jo lang Einer noch da—
heim ift beim warmen Ofen, ift das
Soldat fein ein guter Spaß.“
374
Am nächlten Morgen war in Sands |
eben Zapfenftreich der Dorfmuſikanten.
Auf dem Kirchthurme und den Dach—
giebeln einiger Häufer wehten Yahnen.
Der Knatſchel wollte auch mitthun und
fein Haus mit weißen Blachen und
rothen Bettdeden beflaggen, bi man
ihm beibrachte, daß ſolche Farben fich
Sp gieng fie nach Krebsau. Die
Straße dahin war belebt von Wagen
und Fußgehern, die alle in die Krebsau
wollten. Dort gabs Leute, wie an
einem Jahrmarkt und die Hausdächer
ſah man vor lauter Fahnen nicht.
Etlihe Herren ftrihen um in kohl—
ſchwarzen Nöden, die Hinten zugejpißt
für das Saiferfeft nicht gut ſchickten. waren, und hatten buttenförmige Schwarz.
Schwarz und gelb feien des Kaifers | glänzende Hüte auf. Auch der Guld—
Lieblingsfarben. Als die Sonne aufs |eifner aus Altenmoos war fo, aber die
gieng, war feierlicher Gottesdienft mit
Kaiferlied und Tedeum. Die Holzleute
der Kampelherrenwälder waren ausge—
rüdt in ihrer Gebirgstracht und mad:
ten zwei Reihen in der Kirche vom
Eingangsthor bis zum Altare bin, fo
daß die Maria, die jelbftverftändlic
Ihon da war, ihre Bittfchrift in der
Hand, vor Erwartung kaum ftehen
fonnte, weil jie der Meinung war, der
Kaiſer müfje jeden Nugenblid herein
treten und mit feiner goldenen Krone
auf dem Haupt zwifchen den Reihen
zum Altar jchreiten. Sie ftellte jich
vor, wie der für gewöhnliche Menfchen
unfichtbare Gott von Altar fteigen, dem
Kaifer entgegengehen und ihn brüderlich
begrüßen werde. „Und dah ich nicht |
vergefje, Bruder,“ werde Gott jagen
und dabei den hohen Herrn immer an
der Hand Halten, „eine arıne Bäuerin
ift da, die Reuthoferin aus dem Alten—
moos, jie will Dir eine Bittfchrift über-
geben, daß Du ihren einzigen Sohn
vom Soldatenleben befreien möchteft.
Sie Hat ſchon fo viel gebetet deswegen
und ich möcht’ ein gutes Wort bei Dir
einlegen. Geh, laß’ ihr den Buben.“
Nber der Kaiſer kam micht in die
Kirche zu Sandeben. Es hieß, daß
er um eilf Uhr vormittags draußen an
Krebsau vorüberfahren würde. Auf—
halten wollte er fih im der Gegend
nicht. Der Maria wurde gerathen, fie
folle fich beim Müllerkreuz, wo hinter
Krebsau die Straße bergwärts gebe,
aufftellen, dort müfje der Wagen lang
ſam fahren und dort follte fie ihm die |
Bittfichrift zum MWagenfenfter hinein
werfen.
Maria erfannte ihn auf den eriten
Blid und mußte lachen, jo bange ihr
auch um's Herz war.
In Krebsau hielt fie fich weiter
nicht auf. Eine Bekannte hatte ge—
rathen, beim Fleiſchhauer einen Löffel
warmer Suppe zu ſich zu nehmen, da
fie von Altenmoos ber gewiß nod
nüchtern fei. Die Maria aber wagte
nicht, fich von der Straße zu entfernen,
fie fürchtete dadurch den Kaiferwagen
zu verfehlen und gieng hinaus zum
Müllerkreuz. An der fteilften Stelle, wo
die Straße bergwärts geht und das
Votivkreuz fteht zum Andenken, daß
dort dor Jahren der Müller unter die
MWagenräder gerathen, wählte fie ihren
Platz. Sie berechnete, wie ſie auf den
Stein ftehen und das Papier in den
Wagen werfen werde, aber ja nicht fo
ungeihidt, daß es neben ab, oder gar
ihm ins Geficht fliegen könnte.
Sie wartete eine Stunde und län—
ger. Gerade ſah fie hinab auf die
Gafjen von Krebsau, und wie dort die
Aufregung immer wuchs. Mehrmals
fuhr ein Wagen durch, der die Men
Ihenmenge in ein großes Hin= und
Herwogen brachte, aber es war alles
mal nicht der rechte. Ein den Berg
beranfahrender Wagen war jo vor=
nehm, daß die Maria ihre Schrift ſchon
wollte hineinmwerfen. Noch rechtzeitig
fah fie, daß zwei alte Frauen drin
ſaßen. Jetzt betrachtete die Maria
einmal ihr Papier. Sie erjchraf, wie
die Rolle Schon arg zerfnittert war,
an ein paar Stellen ſah man jogar
die Spuren der Finger. Was er jid
denken müſſe? An Ordnung und
Sauberkeit muß fie nicht die erſte fein,
die Reuthoferin zu Altenmoos . . .
Aber mein Gott, eine Bauernhand ift
das Feltangreifen gewohnt, und das
leidet fo ein feiner Bogen nicht.
Menn der Saifer nicht machlichtiger
wäre, wie andere Leute, nachher wäre
freilich wenig Hoffnung.
Plötzlich huben auf dem Krebsauer
Kirchthurm alle Glocken an zu läuten
und Pöller krachten, daß es weitum
an den Berghängen wiederhallte. Gleich—
zeitig ſah die Maria auf der Straße
eine lange Reihe von Wagen, die jept
Schon durch den hohen Reiligbogen her—
einfuhren. Einige derjelben waren ge=
Ichloffen, andere offen. In einen offe-
nen, dem zwei Schimmel vorgeſpannt
waren, ſaß ein blauer Mann mit einen
grünen, wallenden Federbuſch; er fuhr
fortwährend mit der Hand an das
Haupt, als die Menjchenmenge nun
anhob, die Hüte zu ſchwenken, fchred=
bar zu lärmen und „hoch“ zu rufen.
Der it es. Der Maria wollen die
Knie einbrechen vor Angft.
Der Wagenzug bewegt ſich ſchon
über die Brüde und beginnt den Berg
beranzufleigen. Die Menfchenmenge —
wie Hochflut, der die Schleußen ge—
öffnet find — kommt in Fluß, wogt
hinter und neben dem Zuge her, die
Gelentigften gewinnen Vorſprung und
ftellen jih deu Berg heran neben der
575
‚Neiter und ſchwingt die Waffe. Die
Maria taumelt in den Hintergrund.
| ALS fie zu Fich kommt, ift der Kaiſer—
‚zug vorüber. Zuſammengeknittert unter
ihren krampfigen Fingern hat fie noch
‚die Bittjchrift.
|
Mein Altenmoos, behüt' Did
Gott!
Das war anı Abende desfelben Ta—
ges. Die Leute waren heimgekehrt von
‚der Krebsau und konnten nicht genug
erzählen von dem lieben Herrin, und
wie freundlich er gegrüßt habe. „Juſt
auf mich her hat er gegrüßt,“ wollte
Jedes willen, „und juft mich Hat er
angeſchaut und ich Hab’ ſchon geglaubt,
er will mich anſprechen.“
Der Schulmeifter zu Altenmoos
fand an der Hausthür umd redete
‚einen Holzfneht au, der mit der
Bergkraxe des Weges kam, ob er noch
heute nach Altenmoos gehe?
„Hreilih wohl,“ antwortete der
Mann, „morgen heißts frühzeitig an—
'paden im Zwieſelwald.“
„Marxel,“ fagte der Schulmeifter,
„willft fo gut fein und beim Reut—
hofer eine Poft ausrichten ?*
„Beim Jakob ?” verfegte der Holz—
| necht, „ist Schon recht, geh’ eh vorbei.“
Straße auf. Weiber breden Blumen) „Sei fo gut, ſag ihm's, fein Weib
ab, um fie in den Wagen zu werfen; liegt bei mir.“ Der Marrel lachte
Etliche ſammeln Erdbeerſträußchen, Pflichtſchuldig, weil er glaubte, der
fteflen fi damit auf die Straße, um Schulmeifter habe zu Ehren des Lan—
fie dem Kaiſer zu überreichen. Die, desfürften ein Gläschen über Durft ges
Maria fteht wie angewachſen auf ihrem | trunfen und mache feine Späße.
Stein am Sreuze, die Papierrofle in‘ „ya im Ernſt,“ fagte diefer, „Tie
der Schon gehobenen Hand, thut fie im liegt im meinem Haufe und ift ſchwer
Herzen ein Gebet. Jetzt find plößlich | frant. Er foll herauskommen und ob
Neiter da, die auf ihren hohen Roffen | er fie heimführen will? Ich meine aber
mit blankem Säbel die Leute zurück⸗ — unter uns geſagt — es wird ſich
drängen: „Zurück! Zurück!“ Gerade nicht auszahlen, daß er fie ins Alten—
gegen den Stein hin trappen die Roſſe, moos führt, wo fie doch über kurz
martialifch ſchnaubend, als wollten fie| wieder Herausgetragen wird. Der Schlag
Alles unter ihren Hufen zermalen.|foll fie getroffen haben, jagt der Arzt.
„Zurück!“ Ein finnbetäubendes Lär- Bring’ ihm's kleinweiſ' bei, daß ‘er
men braust heran, „Zurück!“ ruft der, micht zuſehr erfchridt.*
„Das laßt nur mich machen. Gute
Nacht.“ Eilig flieg der Holzknecht
anwärts.
Es gibt Leute, die auf der Welt
fein größeres Vergnügen kennen, als
Jemand mit einer Nenigleit zu über—
raſchen. Bon diefer Gattung war der
Marrel. Er ftieg was er fteigen konnte,
aber es war ſchon finftere Nacht, als
er zum Neuthofe kam. Wie er die
fnarrende Thorfchrante aufinachte, rief
ihm vom Haufe ber der Jakob ent-—
gegen: „Bift es, Maria? Lang’ bift
aus, aber mit guter Botjchaft kommſt,
gelt ?* |
„Reuthofer,“ schrie ihm jeßt der,
Holzknecht zu, „Ich bin der Holzer
Morrel und Dein Weib Tommt Heut’ |
nicht mehr. Sollft fie holen geben, |
wenn Du fie haben willft, beim Schuls |
meifter in Sandeben liegt fie. Wird
fih aber nicht mehr auszahlen, daß,
Dur fie ins Altenmoos fchleppeft, meint |
der Schulmeifter, mühteft fie ch gleich
wieder hiuaustragen. Der Schlag hat
fie getroffen.“
„Was fchwaßeft denn daher, ver—
976
mal wie im Einfchlummern, als könne
jie fih vor der Müdigkeit nicht er—
wehren, und ſchlafen konnte fie doch
nicht.
„Es ift fo,“ ſagte fie halbleife,
„gut lieg’ ich. — Wenn man jo nach—
dentt — es geht Halt doch Alles —
anders aus, auf der Welt — als man
fihs denkt, in vorhinein. — Einen
Schluck Waſſer, meinft? — Wohl,
Waſſer mag ich alleweil. — So, dank
Dir Gott. — Setz' Dich doch nieder.
— MNärrifch, jebt Hab’ ich gemeint,
der Jakerl fteh’ dort bei der Thür.
— Iſt ja Schon lang geltorben — der
Jakerl — Schon lang ift er geftorben.
— Ein Biffel werd’ ich halt doch Fieber
haben — weil mir jo Sadhen unters
fommen. — Möchteſt jo gut fein,
Jakob, das Kopftiffen ein Klein wenig
eben rüden — ein flein wenig. So,
ab, fo, jo! — jeßt iſts gut — fo viel
gut. — Wenn der Menjch nur daheim
ift — ſag ich alleweil — frank oder ge—
fund — wenn er nur daheim ift. —
Der Friedel — und die Anger —
weit find jie wohl eh nit weg — gelt,
—M
ß
dammter Pölli!“ rief der Jakob. Es weit wohl eh nit? — Brauch' ſie nit,
war ein Glück, daß er es für einen jetzt — wenn ſie nur nit weit ſind.
übermüthigen Tort nahm. Der Schreck — Ein Biſſel ſchlafen. — Am beſten
fan noch früh genug. Den Friedel |
wedte er auf. Dann fpannten fie zwei
Ochſen an einen zweiräderigen Karren
— ein beſſerer Wagen war nicht im,
Hof — und fuhren auf fchlechten Um—
wegen nah Sandeben. Aufathinte er,
als fie nach ſechs Stunden mit dem
franfen Weibe in den Neuthof fuhren.
— Jetzt ift fie daheim. Gehts aus,
wie Gottes Wille, jetzt ift fie daheim.
Die Maria lag im Sclafe dahin,
manchmal rief fie wie im Traume:
„Det kommt er! ch will nicht zu—
rück! Zu ihm, zu ihm! Mein Friedel !*
Am zweiten Tage kam fie zu ich,
erkannte Alle, erinnerte fih an den
Kaifertag und was gefchehen war, blieb
aber gleichgiltig, als ob fie das nichts
mehr angienge.
Mit ihrem Manne, der nicht dom
Bette wich, Sprach fie noch, aber manch—
— iſts halt doch — daheim.”
Er gewahrte e3 kaum. Ohne einen
weiteren Laut, ganz ſachte ſchlich fie
fih aus diefer Welt. Als es den Jakob
plößlich auffiel, e& gehe etwas Beſon—
deres dor mit ihr, als er eilends Die
Kinder rief, war's ſchon vorüber.
Der Jakob blieb aufrecht wie ein
Stamm, als der Friedel umd die An—
gerl in herzzerreißenden Klagen vor
der Leiche auf die Kniee fanten. Spä=
ter erst gieng er hinaus in die Kapelle,
und gleichjam, als wollte er es au
diefer geheiligten Stelle feinen Vor—
fahren Hagen, was über ihn gekommen,
weinte er fich dort Stille aus.
Am mächften Tage gieng er nad
Sandeben, um für fein Eheweib die
Glocken läuten und das Grab bereiten
zu laſſen. Der Amtsbote hielt ihn auf
der Gaffe an und fagte, wie froh er
677
fei, den Neuthofer zu treffen und nicht ſo fein. Es wird gewiß fo fein. Er
ins Altenmoos zu müffen, den weiten iſt des Jakobs Sohn.“
Meg, er habe zwei Zuftellungen, eine Auf der Brüde am Steppenhof
vom Steueramt, die andere vom Mi— ſetzten fie den Sarg nieder, wie es
litär- Commando. Sitte war, wenn fie einen Zodten
Wenn die Behörden dem Bauer | davontrugen, und ftimmten das alte
„Zuftellungen“ fchiden, ift das ſelten Lied au:
etwas Gutes. So oft ſich beim Bauer
der Staat meldet, will er etwas haben. Pegel ee Be
Gleichwohl, dachte ſich heute der Jalob, Sr; ie aa ar Ei" und Trant
kann es diesmal anders fein und es | Auf meiner Pilgerftraßen.
ift gar die Befreiung da für meinen | Und jei bedankt für Dad und Fad,
Brieel —— ————
In der Schrift vom Militär;Com— Zu Alchen wirt en
mando ftand, dab der Friedrich Stein
enter binnen achtundvierzig Stunden Auch Friedel Herz Mang mit:
fich bei feinem Regimente einzuftellen‘ „Mein Altenmoos, behiit’ Dich Gott!“
babe, widrigenfalld er al3 Deferteur | Nach dem Begräbniſſe, und als fie
behandelt werden würde. beim Dorfwirt gegeflen und getrunken
Bei einrüdenden Rekruten ift es und allfammt noch ein lautes Gebet
befanntlich der Brauch, daß fie jauchzen. | verrichtet Hatten für die arıne Seele
Der Friedel war diefer Sitte enthoben, | derjenigen, jo man vorhin in die Erde
denn er verließ das Heimatshaus mit) gelegt, verabjchiedete ſich der FFriebel
dem Leichenzuge, der hinter dem Sarg von allen feinen Belannten. Dann
feiner Mutter gieng. Nichtsdeftoweniger | gieng er. Sein Vater, feine Schwefter
„Mein Altenmoos, behüt' Di Gott!
halte er am Hut einen großen Blu—
menftrauß mit kirſchrothen, weithin=
flatternden Bändern. Ein alter Mann,
der auch im Zuge war und fich bei
den Leuten ausfannte, der flüfterte
während des lauten Gebetes feinen
Nebenmann zu: „Wir Haben Heute
zwei Leichen bei uns ?“
„Wie jo ?*
„Die eine wird getragen und die
andere geht zu Fuß.“
Mit der letzterem meinte er den
blafjen Burfchen, der jich ziwar bemühte,
ſtramm aufrecht zu bleiben und der
Sonne Schuld zu geben, wenn er
unterwegs den Hut dor die Augen
hielt, dem aber doch anzumerken war,
was in ihm borgieng.
Der alte Mann fuhr im feinem
Geflüfter fort: „Heute gehts noch, heute
dat er zwei Wölfe in fih, da frißt
der eine an dem andern. In vier
Wochen jedoch, wenn auf dem Mutter-
grab das erfte Gras wächst, wird das
Leid um die Mutter ftill werden. Aber
das Heimmeh! das Heimweh! Es wird
Kofeager's „„Geimgarten‘‘, 8. Geft, XI.
Angerl, und ihr Mann, der Florian,
begleiteten ihn bis hinaus zu den zwei
Ahornen, wo fih das Wiefenthal ein-
engt und die Straße zwifchen Wald»
bergen und meben der raufchenden
Sandach davongeht. Sie wußten unter—
wegs nichts mehr zu reden, es war
Alles ſchon beſprochen und wiederholt
beſprochen, und Einiges wiederholten
ſie hier noch einmal. Als Vater Jakob
an einer Stelle einen Augenblick zu—
rüdblieb, um feine loſe gewordenen
Schuhriemen zu binden, eilte die An—
gerl mit dem Bruder voraus und hub
neuerdings zu weinen an.
„Ich Habe Dir halt,“ fchluchzte fie
dem Friedel zu, „noch ein Anliegen,
und dem Vater getrane ich mir’3 gar ,
nicht zu jagen. Er wird jet wohl bald
ganz allein fein zu Altenmoos. Wir
werden auch fortmüflen. Es wird nicht
lange mehr möglich fein, daß wir uns
halten. Du glaubft es gar nicht, wie
uns der Oberförfter auflällig geworden
it! wo er uns was anthun kann, da
thut er's. Er verfagt uns die Stall»
37
578
ftren. In den Hag Hinaus ift ein
Zaun geflanden, daß unfer Vieh nicht
in die Baumſchul des Kampelherrn hat
kommen fönnen. Den Zaun Hat der |
Oberförfter jebt weggeriffen, und ge: |
ftern Hat er uns zwei Kühe, die in
den Hag gegangen ſind, davongetrieben.
Oben in der Schlucht Hat er das
Waſſer auf eine Wieſe Ginauzgeleitet, |
ift vecht, die Wieſe gehört nicht uns
und braucht naß; aber das Waſſer
rinnt jetzt auf unſerem Weg herab und
hat ſchon Löcher geriſſen, daß man
eine Heufuhr kunnt hineinwerfen. Du
weißt es, Florian,“ fuhr ſie zu ihrem
Mann gewendet fort, „wo Du Dich
wehrſt, da wird er grob wie ein Büffel
und verſpricht uns das Hausabtrennen.
Wir ſtecken mitten in des Kampelherrn
Wald, er kann uns erdrücken, wann
haſtig drein, als ob des Sohnes Wort
in ſeinem Weſen eine Schleuße ge—
öffnet Hätte, „Ich muß ja Dein Bater-
haus hüten! Und Du verfpric mir
Eins, mein lieber Sohn: Bleib uns
getreu. Und der Heimat, mach’ ihr
‚feine Schand'. — Das Geld haft gut
|eingeftedt ? Behüt' Did Gott!”
„Auf's Wiederſehen, Vater, viel—
leicht Schon über ein Jahr. Behüt'
Bott!" —
So find fie auseinandergegangen.
Keiner hat mehr zurüdgeichaut auf den
Andern.
Der Jalob ftarrte auf den ſon—
nigen Weg bin und murmelte bet
ih: „Das ift heute ein Tag! Da
hab’ ich gemeint, von dieſen Un—
glüden wär’ ich ein einziges nicht im
Stand’ zu ertragen, jet Find mir
er will, wir haben ſchon Heut’ feinen
Athen. Zu Altenmoos ift fein Bleiben |
mehr.”
„Wir wollen Dir nicht auch noch
mit unferer Sach' hart machen,“ ſetzte
der Florian bei. „Friedel, bis Du wies
der heimkommſt, findeft Du uns viele
leicht Heraußen auf der Sandeben oder
gar in der Krebsau. Komm nur bald,
wir wilnfchen Dir mur den lieben
Gefund.”
Mittlerweile war auch der Vater
nachgelommen, und fie hatten die zwei
Ahorne erreicht. Anflatt, daß fie dort
ſtehen blieben, begleitete der Friedel
feine Leute wieder eine Strede zurüd.
Dann verabjchiedete er fih von Schwe—
fter und Schwager; der Vater fagte,
er gehe noch einmal mit dem Friedel
bis zu den Ahornen. Dort angelommen
ftanden fie eine Weile und der Burjche
war beſchäftigt, mit feiner Schuhſpitze
ein Steinen aus dem Radgeleife zu
jchnellen. „Ja, alſo,“ fagte er plöglich,
„einmal muß es fein.
noch jagen wollte, Vater. hr jeid
nicht mehr jo jung, laſſet es Euch
leicht geichehen daheim. Thut Euch
nicht gar zu arg abmühen. Für wen
denn auch ?“
„Friedel!“
Nur was ich
fuhr jeßt der Jakob '
beide aufgeladen zu gleicher Zeit und
ich fall’ doch nicht zu Boden. Der
Menſch kann was aushalten, wenn’s
fein muß. Jetzt geh’ ich Heim.“
Setzte den Stod fefter ein und
wanderte, gleichwohl gebeugt aber
baftig, ſeinem ftillen Altenmoos zu.
Der alte Luſchel-Peterl, ein paar
Mägde und ein Hirtenjunge machten
nun feinen Hausftand. Lauter fremde
Leute, aber fie ließen fih mit Fleiß
angelegen jein, dem Hausvater das
große Kreuz nach Kräften tragen zu
‚helfen. Sein Lieblingsgericht, Eier-
kuchen mit Spedfalat, ftand auf dem
Tiſch, als er heimkam, die Mägde
fuhten Stube und Stall in denkbar
beiten Stand zu ftellen, der alte
Peterl Hatte die Kapelle mit Nelken
geihmüdt. Er hatte fich vorgenommten,
dem Yalob, wenn er vom Begräbniſſe
und der Begleitung feines fortziehen-
den Sohnes zurüdtäme, recht aus
Herzensgrund die Hand zu drüden.
Es war dem Alten tagsüber mehr»
mals um's Weinen gewejen, aber,
dachte er Jich, ſparſt es auf, bis der
Baner heimkommt. Vielleicht freut es
ihn, wenn er ſieht, daß ſein Unglück
auch unſereinem Hart zu Herzen gebt.
Als der Jakob nun in jpäter Abend
|
dämmerung ſchier gebrochen daher- Auf Diefe!
wanfte, da brach dem alten Knaben e A
das Schluchzen fo plöglich und heftig Eines Tages, als der Jalob a
hervor, daß er aufgröhlte wie ein ver- der Wafferftube feiner Kornmühle ſaß,
wundetes Thier und er eilends hinter | das ſchadhaft gewordene Rad aus⸗
die Kapelle fprang, weil er ſich ſchämte. zubeſſern, ſchaute ihm dabei der Pfar—
„Peter,“ fagte der Jakob, und te von Sandeben zu, ohne daß ers
gieng ihm nach, „was ift Dir wider- merkte. Im Rauſchen des vom Floße
fahren 2 niederftürgenden Waſſers hatte er die
„Die Bänerin!“ wimmerte der) SHritte des Nahenden micht gehört.
alte Stuecht, „der Friedel!“ Er prefte Ein paar Schaufeln des Waſſerrades
den Arm an den Lindenftann und REN loder ‚gervorden, der Jatob
weinte in feinen Eflbogen hinein. nagelte fie mit einer ſolchen Ruhe
„Peter,“ fjagte der Yalob und und Behaglichleit feſt, daß der Pfarrer
feine Stimme war heiſer zum Ver: bei ſich dachte: Der fieht nicht aus,
fterben. „Du bift jeßt gegen die acht— als ob ihm ſchlimm —
zig Jahre alt und haft —*— En „Bott gelb Euch, Reuthofer.
ſchon viel erfahren.” ſprach der Pfarrer, „Ihr feid halt
„Das wohl, Bauer, das wohl,“ immer recht fleißig.“
antwortete der Alte und rieb fich mit| . Als der Bauer ah, wer ba Hand,
den Arm derb das Feuchte vom Ge— richtete ” ſich auf und zog den Hut
ſicht, „werd’ wohl ſchon an dreihun= vom Kopf. „Der dert Pfarrer!“
dert Geftorbene himausgeleitet haben ; fagte er „das if was Seltſames.
hab’ auch ſchon viel Soldaten fort- Wir kriegen den Herrn Pfarrer nicht
ziehen gefehen und viel heimtommen. gar oft zu jehen in Altenmoos.“
Aber jo was mag der Menfch halt „Das wäre ja eigentlich fein
nicht gewohnt werden. Geh’ in die ſchlechtes Zeichen,“ meinte der Pfarrer
Stuben, Bauer, geh’ was effen. Du lächelnd, „wenn ber Priefter und der
wirft Hungerig und müde fein.“ Arzt viel in der Gegend umgehen, das
Diefe Theilmahme der Seinen, ſind feine guten Zeitläufe.“
die doch nicht mehr die Seinen waren, „Es gefreut mich,“ ſagte der
hat dem Jakob wohlgethan. Die Heiz Jalob, „ein wenig raſten!“
mat war’, die mit ihm empfand; Vor der Mühle war eine Bant,
und jeder Baum und jeder Stein da |darauf ſetzten fie ſich zufanmen, der
rings um ihn war in Trauer um) Pfarrer brannte fih eine Gigarre
das, was diefem Haufe gefchehen. In | an und wartete auch dem Bauer eine
der Kapelle des heiligen Jakobus kniete auf. Obwohl der Jalob fein Raucher
der Bauer nieder und fagte halblaut war, jo lehnte er fie nicht ab, ſondern
vor fih hin: „An neun Vorfahren paffte fie am Streihholz an, das ihm
find angemerft dahier. Sie find alle der Pfarrer entzündet hatte. Er nebelte
gewefen und es ift feiner mehr. Eine ſehr beftig, weil er glaubte, ſonſt
lange Ketten vom Leiden und Sterben, | gebe das Feuer aus. Der Pfarrer
bis zu mir herauf. Was foll ich's | blies mur don Zeit zu Zeit bedächtig
beffer haben wollen, als fie! — In ein MWöltchen los und man hätte wohl
Gottesnamen, morgen will ich weiter | merfen mögen, daß er mehr an etwas
bauen auf dem Vatersgrund ... .” Anderes, denn an’s Rauchen dachte.
Und als er wieder auf feiner‘ „Die Reuthoferleut’*, ſprach er
Scholle waltete und der fühle Erd- nun, „ſtemmen ſich Halt alleweil noch
geruch um ihn emporthante, ward ihm | feft in Altenmoos;“
leiht und er gewann neuen Muth „Das kann man juft nicht Jagen,“
und neue Kraft. antwortete der Jakob, „zu Theil
37*
tragen wir fie hinaus und zu Theil
gehen fie auf den Füßen davon.“
„Geſcheiter ift’3 freilich, man geht
auf den Füßen davon, als man wartet
auf's Hinausgetragenwerden,“ fo der
Pfarrer.
Der Jakob ftarrte in die Luft
und paffte viel Rauch von ſich.
„Meint ihr nicht, Neuthofer ?*
„Ich meine,” ſagte diefer, „ich
werde wohl auf das Hinausgetragen-
werden warten.“
„Jalob,“ verjegte der Pfarrer und
legte feine Hand, die Cigarre zwijchen
den Fingern, auf's Knie; „fo viel
ich jehe, wächst Euch der Wald über
den Kopf zufammen. Das ließe ich
mir nicht gefallen. Des Menfchen
Auge muß in den freien Simmel
aufſchauen können. Jedes Menfchen
Recht, ja Pflicht iſt es, ſein Daſein
zu verbeſſern, wie er kaun. Die meiſten
Altenmoojer haben das auch einge-
ſehen; e8 geht ihnen nicht gut draußen
in den Thälern, aber e3 gebt den
meijten von ihnen beſſer, als in Alten—
moos. Das Altenmoos wird eine
Wildnis, wie heutzutage alle entle-
genen Berggegenden wieder zur Wild»
nis werben.“
„Und dem Herrn Pfarrer ift das
recht?“ fragte der Jakob, „nein, das
fann ih nicht glauben. Es ift ja
auch ein Schaden für die Pfarre, für
die Pfründe, für Sandeben, wenn
Altenmoos zu Grunde geht.“
„Mein lieber Reuthofer,“ ſagte
der Pfarrer, „da Habt Ihr wohl ſehr
recht. Ya, ich ſehe noch mehr Schaden,
als Ihr. Ich fehe den Schaden, den
die Leute nehmen, wenn fie ihre Heim—
ftändigfeit aufgeben und Hinausftreben
in die weite Welt, die den Menfchen
zum Merkzeug, zur Ware macht, ihn
ausnüßt und dann wegmwirft. Ich ſehe
den Schaden für die Religion, die
nur in dem feftgefchloffenen Bauern
thum ihren ficheren Ort hat. Aber
wir fönnen den Zeitenlauf nicht
ändern. Ih habe vor Fahren den
Altenmoofer Bauern mißrathen, ihre
Wirtſchaften zu verkaufen, habe fie
gewarnt vor dem Fortziehen in die
fremde Welt. Heute muß ich bei den
MWenigen, die noch da find, das Ge-
gentheil thun. Es ift traurig genug.“
„Euer Hochwürden werden willen,
was zu thun ift,“ verjegte nun der
Jakob, „aber ih dürfte nicht Pfarrer
zu Sandeben fein, ih nit. Wenn
ich ehe, daß es ſchlecht ift, wenn die
Bergthalbewohner auswandern, fo
würde ich reden und predigen dagegen,
folange ich Athem Hätte in der Bruft.
Wird denn auch fonft auf der Kanzel
über allerlei geſprochen, was mit
Reden doch auch nicht zu ändern ift,
warum gibt man weich bei, wenn
das Unerhörte gefchieht, wein die
Welt aus Rand und Band geht und
die Leute ihrer Heimat untreu werden.
Wenn diefe Heften auslaffen, dann
geht die ganze Welt aus den Fugen,
ih ſage es Euch.“
„Ich möchte wünſchen, das Ihr
Unrecht hättet, Reuthofer.“
„Ich auch, Herr Pfarrer.“
„Und ich wollte auch wünſchen,
daß Ihr unter der Wahrheit, die Ihr
feht, nicht zu Grunde gehen möchtet.
Bleibt Ihr da figen, jo feit und fo
lange al3 Ihr wollet, Ihr rettet Alten-
moos nicht mehr. hr werdet ver—
lafjen fein. Der Menſch gehört zu
Menſchen, es taugt jonft nicht. Es ift
verinefjen, die kalte Erdſcholle mehr
zu lieben, als die Lebensgenofjen.
Die Menſchenbruſt ift unfere Heimat,
ſonſt haben wir feine auf dieſer Erde.
Jakob, Iafjet diefen Boden, den Ihr
jo jehr lieb Habet, laſſet ihn ralten.
Laſſet Wald wachſen, lafjet dieſen
Feldern Feiertag ſein auf ein Jahr—
hundert. Dann werden wieder junge,
friſche Menſchen kommen und reuten.
— So geht der Weltlauf. Kommt
heraus, Bauer, aus diefer aufwuchern—
den Wildnis, wo Ihr nun ja ſchon
allein feid, fummt mit Eueren Kindern,
dem Florian, der Angerl.“
„Die bleiben auch in Altenmoos,“
jagte der Jalob.
581
„Ihr wiſſet es doch Schon, Reut-
hofer?“ verfeßte der Pfarrer mit
fragender Miene, „Ihr wißt es doch
Schon, Reuthofer, daß der Hütten»
manfer fein Gut verlauft hat? Es
war ja nicht mehr möglich zu leben
auf feinem led. Seit der alte Hütten
mauſer todt, ift es noch ſchlechter. In
der unteren Gemeinau, höre ich, fol
fih der Florian ein Heines Giütel
gepachtet haben.“
Der Jakob war aufgeftanden,
war an der Wand der Mühle mit
langfamen Schritten Hingegangen,
dann umgekehrt und fragte nun den
Pfarrer: „It das wahr, daß mein
Schwiegerſohn verfauft hat?“
„Er hat mich erfucht, mein lieber
Reuthofer, Euch die Nenigfeit zu
bringen. Es ift ihnen bitter hart,
aber es hat's nimmer gehalten und
Euch mollen fie nicht im Stiche laffen
in der Wildnis.”
So jagte der Pfarrer, der Reut—
hofer murmelte: „Alfo die Angerl
geht auch. Macht nichts, fie gehört
ohnehin micht mehr mein.“ Dann
hatte er mit feinen Fingern die Gigarre,
die er immer noch in der Hand hielt,
zerqueticht, ohne dab er es felbit
merkte. Jetzt fab er drauf Hin und
murmelte: „Das Soll ſich einmal
Einer in die Pfeife fteden. Mit dem
Stängelrauchen können wir Alten—
moofer Leute nicht umgehen.“ Und
legte die zerquetfchte Gigarre auf
einen Borfprung des MWandfchrottes. |
Hernach kroch er langjam wieder in
die Radftube zurüd und hämmerte
an den Nadichaufeln.
Der Pfarrer gieng kopfſchüttelnd
feines Weges.
So ruhig giengs nicht ab einige
Moden jpäter, als der Florian und |
die Anger! zum Water kamen, um Ab—
ſchied zu nehmen. Sie hatten ſich
Ihr mit dem Reuthof auf Niemand
„Iſt Schon recht,“ rief er, „ift
ſchon recht, das Ihr auch fortgeht. Es
war mir lange ſchon verdädtig, daß
Ihr allein die Braven Spielen und
bei mir aushalten wolltet. Ich glaube
Euch's ja, daß auf dem Hüttenmaufer-
haus fein Bleiben mehr war, aber
auf dem Neuthof hättet Ihr Platz ge—
habt und mir Haufen helfen können
und den Hof felber übernehmen. Mit
mir laßt's nach, jeit mein Meib fort
ift, ich hätt’ Euch gern unter diefem
Dad gefehen. Aber Euch ift um's
Davonlaufen, fo gut wie den Anderen.
Ihr feid des freien Bodens, auf dem
Ihr geftanden, nicht wert gewefen, ift
gut, jetzt jeid Ihr Knecht auf fremden
Boden.“
„Weil’s Halt jegt ſchon einmal fo
ift, Vater,“ ſagte die Angerl, „und
mehr zu warten braucht: Verkauft
ihn. Geht mit uns.“
„Iſt gut gemeint,“ antwortete
der Jakob, „mur weiß ich jeßt nicht,
fadet Ihr mich ein, oder das Geld!“
„Auf das —“ verfeßte die An—
gerl, „auf das kann ich nichts mehr
ſagen“ und Hub zu weinen an.
Der Jakob bemerkte: „Noch Keine
ift fortgegangen aus Altenmoos, ohne
daß fie geweint hätte. Geweint hat
noch Jede, aber fortgegangen ift fie
doch. — Nun, Angerl, ich wünſche,
dab es das letztemal ift. Es foll Euch
| gut gehen, ich wünſch' es Euch. Wenn
Ihr aber einmal recht arm werden
ſoultet und recht müde, dann kommt
zu mir in's Altenmoos herein.”
Nafcher, als es der ſteife Mann
"Sonst gewohnt war, hatte er fih um—
gewendet und ließ die beiden Aus—
‚ wanderer Steben.
„Bom Grab,“ ſchluchzte die An—
gerl, „vom Grab der Mutter bin ich
|
Nicht jo Schwer weggegangen, als von
vorgenommen, ihm über feinen Eigen= | diefem Haus, wo der Bater allein
finn, in Altenmoos verlommen zu) zurüdbleibt. Und fein Haar wird weiß
wollen, ihre Meinung ſcharf zu fagen. | und es wird Alles Wildnis.“
63 gieng aber umgekehrt, fie befamen | „Mas fein muß, muß fein,“ fagte
die feine ſcharf zu hören. der Florian und zerrie fein Weib aus
>32
ihrem Heimatshaus und fort bis in
die fünf Stunden entfernte Gemeinau.
. Dort hatten fie ein Häuschen im
Pacht,
„Sehe ich, daß Ihr brave Leut' ſeid,“
hatte der Eigenthümer geſagt, „dann
ſchließen wir auf länger ab.“
Als die Pächtersleute nun mit.
ihren Habſeligleiten angerüdt famen |
und auch zwei Ziegen bei fich hatten,
Hatjchte der Eigenthiimer des Gütels
mit beiden Händen an feine Ober
ſchenkel und rief: „Scht! Fort mit
dieſen Ungethümen! Gaißen leid’ ich |
'feßte der Pechölbrenner bei,
vorläufig auf ein Probejahr. |halten auf der Welt herunten aus, jo
nur eines zueignen, die übrigen drei
gehörten dem Naß. „Ich denke, Bauer, “
„Wir
lang’ e3 geht.“
Da war eine alte Magd, die be—
ſtandig im Haufe umherknurrte, ſich
mit Niemand recht vertragen konnte,
aber dem Jakob eine fleißige Haus—
wirtin abgab. Wo fie dem Gefinde
‚au Sunften der Vorrathskammer an
Nahrung etwas abzwiden fonnte, da
that ſie's, bis der Jakob einmal fehr
‚Tchneibig zu ihr fagte: „Gardel! Beim
nicht, fo lang’ wir nur auf ein Jahr | Schlechteſſen iſt noch Fein Bauer reich
handelseins find; diefe Vieher möchten | | geworden, aber beim Gutarbeiten.“
mir die Wiefen und Sträuder fauber | | Gegen den Dausvater getrante ſie fich
zunagen, daß nachher eine halbe Ewig: | nichts dreinzureden, weinte aber auf
feit nichts mehr thät' wachfen. Eine | einen Verweis von ihm die halben
Kuh, wenn Ihr wollt, aber Gaißen Nächte und drohte mit dem Davongehen
nit. Oder wir find wieder ledig.“
So mußten fie es bald erfahren,
daß es ein Unterfchied ift, auf eigenem
Boden oder im Pacht zu fißen.
oder gar mit dem Sterben. Und wenn
fie dann dachte, wie fie daläge auf dem
ſchmalen Brett und der Jakob hätte
gar Niemand mehr auf der Welt, der
ihn hege und hüte, da weinte fie noch
mehr. Und gieng nicht davon und
Das fremde Daheim und ein weher ſtarb nicht, fondern knurrte und fnaus
Gruß aus der Ferne.
Allein blieb eigentlich der Vater
ferte und arbeitete und hatte heimlich
Erbarmen mit dem armen Jakob.
Da war der alte Lufchel: Beterl.
Jalob nicht zurüd in Altenmoos, wie Der kauerte nur mehr die längfte Zeit
die Anger! meinte. Es gab noch manche | — auch im Sommer — auf der
Leutchen, die entweder in feinem Haufe | Ofenbant und jchlief.
oder in den Huben und verfallenden
Hütten des Engthales wohnten.
Da war der alte Pechölbrenner-
Natz. Der Hatte fich allmählich jo beim
Jakob eingeheimt, daß weder eine,
Rede mehr war dom Fortgehen, noch
vom Dableiben.
Gemeinschaft mit dem Bauer. „Unfer
Haus,“ fagte er, „unfere Stüche. Und
denn freilich fein Wunder, daß ihm
wie wird’S unſerem Friedel gehen beim
Soldatenleben ?* So rief er einmal,
als fie in fternheller Nacht vom Felde
heimfehrten: „Jakob, Jakob! Was
wird's jein, wenn wir zwei einmal
im Himmel find und unſere vier
Meiber wieder haben 2?!“ Unſere vier
Weiber. Der Jakob wollte ſich doch
Er machte ftillwegs |
in Allen, was Daus und Dof bot,
Er ſchnitt ſich
weder Haar noch Bart und ſein Haupt
war wie der Kopf eines weißen Pint—
ſchers. Wenn er wach war und die
‚Leute um ihn xedeten, da nidte er
fortwährend mit dem Kopfe und be=
jahte Alles. „'s ſegi wohl, 's jegi!“
lallte er, oder: „Wird hiſch wahr
fein!" oder: „Namla wohl gewiß!
Wohl wohl!” Er jah aber faft nichts
mehr und Hörte nichts. Ja, da iſt's
Alles recht war.
Da war im Reuthofe ein Junge,
ein Waifenfnabe, den der Jakob bald
nah dem Berlufte des Jalerls aufe
genommen hatte. Der hatte fuchtrothes
Haar und einen ſchifen Blid. Die
Leute hießen ihn gern den Rothichiagl,
583
aber der Yalob litt das nicht. Der
war gegen den nun hbalberwachjenen
Burfchen bejonders gut und ſchenkte
ihm Vertrauen. „Auf den Ferdinand
muß man recht Acht geben,“ ſagte er
einmal zum alten Naß, „daß er nicht
Ichleht wird. Er hat rothes Haar und
ſchielt.“
„Biſt Du auch ſo Einer, der ſolche
Sachen glaubt?“ warf der Natz ein.
„Freilich,“ antwortete der Jalob.
„Leute, die ein unangenehmes Aus—
ſehen haben, werden gern ſchlecht.
Mußt aber das bedenken, Natz: So
Einer ſchielt nicht, weil er etwa von
Natur aus falſch iſt, ſondern er wird
falſch, weil er ſchielt. Die Leute treiben
ihn dazu. Er mag von Kind auf
noch ſo brav ſein, ſie haben ihm kein
Vertrauen, ſie bringen ihm alleweil
nur Verdacht entgegen und halten ihn
zu allem Schlechten fähig, er hat einen
falſchen Bid. Unter rothem Haar
und Bart ift felten gute Art. Du
fennft ja diefe dummen Sprichwörter.
So glaubt’3 der junge Menſch endlich
jelber, dab er ein Gauch ift und gibt
lich gar feine Müh, brav zu fein. Es
Hilft ja doch nichts, er ſchielt, er muß
falfch fein. Ich ſage das: Ye fchöner
der Menſch ift, um fo leichter wird
ihm das Bravfein; und die nicht ſchön
find, denen muß man helfen dazu.“
Der Ferdinand war in der That
ein ftiller, gutmüthiger und gelitteter
Sunge. Und fo oft ſie ihn den Roth
ſchiagl hießen, nannte ihn der Jakob
einen braven Burſchen.
Ta war eine junge, jivergige Dirn,
die ſehr täppiich war und fortwährend
lachte. Eine Tochter vom Guldeifner,
wollten die böfen Leute willen. Die
zwergige Dirn war fo beitellt, daß fie
fih ihre Brot nicht verdienen konnte,
fondern al3 Einlegerin hin- und her-
geſchummelt wurde in Altenmoos. Alle
Schäße hat der Guldeiiner mitgenome
men, alle Leute hat er nachgelodt,
aber jo etwas hat er dagelajfen. Der
Zorn fam dem Jakob bei diefem Ge-
danken, aber der arınen Dirn wollte
er e3 nicht entgelten laffen. Die ge—
ſunden Leut’ gehen fort, die Haſcherln
bleiben halt zurüd und der Reuthof
fieht manchmal, wenn ihrer mehrere
Einleger und Einlegerinnen und andere
Bettelleute in ihm zuſammenkommen,
aus wie ein Armenhaus.
Die zwergige Dirn war aber den
Leuten zum Ergößen. Man foppte
und narrte fie, machte fie zum Stich—
blatt aller Schalkheit. Sie ſaß Jedem
auf und fchüttelte fih dann vor Lachen.
Wenn fie ih ausgeladht hatte, dann
weinte fie über ihre Dummheit. Jeden
Hagte fie ihre große Dummheit, jo
wie Andere ihren Kopfſchmerz, ihre
Gicht Hagen. Der Pechölbrenner-Natz
fand fie eines Tages ſchluchzend am
Brunnen ftehen. Der Schufter war
im Haufe und der Hatte die zivergige
Dirn erfucht, fie möchte ihm den Pech—
lappen auswaſchen. Jetzt Hatte fie am
Brunnen eine ganze Stunde gewaschen,
ih die Hände wund gerieben, und
der Lappen war immer noch jpröder
und jchwärzer geworden. Nun war
ihr eingefallen, daß fie möglicher Weiſe
wieder die Gefoppte ei, und jo klagte
fie es dem herbeikommenden Nab, daß
fie halt gar fo dumm wäre, und ob
es denn fein Mittel gebe gegen ihre
Dummheit?
Der Alte mochte ſich an den Spruch
erinnern, daß Erfahrung klug mache,
er ſagte zur zwergigen Dirn: „Ein
Mittel thät' ich wohl wiſſen, daß Du
geſcheit würdeſt.“
„Das wär' ein Glück!“ rief die
Dirn und ſchlug ihre Hände zuſam—
men, daß der Pechlappen quatſchte und
ihr wie dem Natz daraus das Waſſer
in's Geſicht ſprang. „Wird wohl gewiß
recht hart zu haben ſein, das Mittel?“
fragte ſie.
„Der gute Willen gehört dazu,“
belehrte er. „Paß auf. Wenn die
Gardel wieder einmal den Ofen heizt
und Brot badt, jo paß auf. Wenn
fie die gebadenen Brotlaibe aus dem
Dfen zieht, jo geh’ Her, wirf Dein
Gewand weg und krauch' eilends in
384
den heißen Ofen. Die Badhig’ wird
Dir die Dummheit auf der Stell’
ausziehen.“
Es war gefagt wie ein anderer
Spaß und der Nat dachte nicht weiter
d’ran. Einmal aber, nad einem Brot—
baden hört die alte Gardel ein erbärm—
lihes Winſeln und Jammern im Ofen
und da drinnen wälzt fich richtig die
denn Der fo Wichtiges zu denken, dachte
der Jakob, daß er den Augenblid
vergefjen hat, wie wir die Mutter be=
graben haben. Iſt ja jelber dabei ge=
weſen. — Daß aber dem Burfchen
damals fein eigenes Abjcheiden von
der Heimat beihäftigt und dab ji
ein braver Knab' die Heimat ohne
Mutter ſchwer vorftellen kann, daran
zwergige Dirn über und über und hatte der Jakob nicht gedacht.
hebt immer jänmerlicher an zu ſchreien.
Sie kam glüdlich aus dem Fegefeuer,
und inſoweit war fie auch wirklich
gejcheiter geworden, in einen heißen
Dfen kroch fie nicht mehr.
Und ähnlicher Art waren die Haus—
genofien des Jakob und die übrigen
Leute in Altenmoos. E3 ftanden aber
auch ſchlaue und verdächtige darunter,
doch der Jakob war liebreich gegen
Alle, faſt dankbar, daß nicht auch ſie
in die Welt gezogen, ſondern ſittſam
und getreu der Heimat verblieben
waren. In der Zwieſelkeuſche hatte
fih ein Gefindel zufammengethan von
Strolhen und Zigeunern, die freilich
nichts weniger als heimgefeflen fein
fonnten. Mit diefen fand der Reut—
bofer nicht auf gutem Fuß und mußte
zur Nachtözeit ftets ein Knecht auf
der Wacht fein, daß aus der Scheune
nicht das Korn, aus dem Stalle nicht
die Schafe, von den Feldwägen nicht
die Eiſenbeſchläge geftohlen wurden.
Der Bauer zahlte zwar gewiffenhaft
feine Steuern — oder er wäre darum
gepfändet worden — er konnte wohl
vom Stante Schuß feines Eigenthumes
verlangen. Der Herr Staat jedoch
zudt die Achſeln: 's ift ein MWaldbauer,
läßt fich nichts machen. — Dem Wald—
bauer ift es halt einmal jo aufgejeßt!
würde der MWegerer jagen.
Eines Tages kam ein Schreiben
vom Friedel. Es war etwa fieben
Wochen nach feiner Einrüdung. Der
Jalob wunderte ſich über die Maßen,
wie der Brief munter war.
„Liebe Eltern !* hatte er gefchrieben,
das letzte Wort aber geftrihen und
„Vater“ dafür geſetzt. — Was hat
|
Der Friedel jchrieb:
„Lieber Vater!
Sch mwünfche, daß Euch meine
paar Zeilen in guter Gefundheit
antreffen möchten. Ich bin Gott
ſei Dank gefund und fehlt mir auch
fonft nichts, wie fie Jagen, daß man
jo Hunger leiden muß beim Militär,
ich kann mich nicht beflagen. Das
Ererzierenlernen ift wohl nicht leicht,
kriegen Biele Straf’, ich bin derweil
noch glücklich drauskommen. Sonft
ift es wohl ganz anders, als man
ſich's vorgeftellt Hat. Als Neuigkeit
kann ich Euch fchreiben, daß unjer
Treldwebel die Sandeben kennt und
auch einmal durch das Altenmoos
gereist if. Das ift mein befter
Freund. Aufs Heimatl denke ich
wohl oft und kommt's mir für,
wenn nur dort etwas auf mich
warten thät’. Die Berge werden
Schon ſtehen bleiben, wenn ich nur
das Leben glüdlich heimbring’! Auf
meine Gefundheit jchau ich wohl
gut und die Zeit wird doch vergehen.
Weil ich nur nicht bei der Ehavalerie
bin, die müfjen länger dienen, heißt's.
Wenn wir Krieg friegen, das macht
mir nichts, wird doppelte Dienjtzeit
gerechnet und vor den Kugeln fürcht'
ih mich nicht, Für mich ift feine
’goffen. Geld Hab’ ih noch nicht
vonnöthen. Daheim ift Alles gut
aufgehoben. Bleibet recht gejund
und ich laſſe alle Bekannten grüßen
und fie follen nicht ganz auf mich
vergeflen. Ich beſchließe mein Schrei=
ben im Schuße Gottes und verbleibe
585
Euer dankſchuldiger Sohn bis in's
kühle Grab.
Friedrich Steinreuter,
beim 27. Infanterie-Regiment
König der Belgier u. ſ. w.“
„Munter“ nannte das der Jakob,
weil er ein Schreiben voll bitterer
Klage erwartet hatte. Ganz entgieng
ihm aber der jchwermüthige Hauch
des Heimweh's nicht, der den Brief
durchwehte. So ſchrieb er im Anttworte
brief dem Sohne:
„Da ift mir was eingefallen,
Friedel, wie Du gefchrieben halt:
Wenn nur daheim etwas auf mich
thät warten! Neben der Sapelle
habe ich einen jungen Weichjelbaum
gejeßt, der ift Dir vermeint; es
wartet Alles auf Dih im ganzen
Hof, aber der Weichjelbaum ift ganz
Dein, der wächst Dir zu und ift
noch jung und friſch, bis Du heim
fonımft. Wenn ein junger Menſch
um ein paar Jahre älter wird, das
macht nichts, da wächst er erit in's
rechte Leben hinein. Bei einem Alten
iſt's freilich anders, aber ich ver—
hoff's auch noch zu erleben mit
Gottes Hilfe, dab Du das Heimats-
haus übernimmft....*
So tröfteten fie ſich gegenfeitig.
Und den jungen Weichjelbaum betreute
der Jalob, al3 wäre er ein Menſch.
Der Mann bildete ſich ein, was er
diefem Bäumchen zu Lieb’ the, das
fomme dem Friedel zu gut. Und alle
mal, wenn er in der Stapelle fein
Abendgebet verrichtet hatte, machte er
auch noch die paar Schritte gegen den
Meichfelbaum Hin und jagte: „Gute
Nacht, Friedel! Wie wird's Dir jept
gehen in der Fremde! Gute Nacht,
Friedel!”
(Fortiegung folgt.)
Emanzipierte unter ſich.
HDumoresfe von Maz von Weikenthurn.
L
3. lies ; diefes Billet von Dliva
ri Lange habe ich geſtern befom=
men, und Du fannit Dir denken, wie
bochgeehrt und beglüdt ich mich durch
dasjelbe fühle.”
Die Sprecherin war eine Heine,
jierlihe Fran von höchftens zweiund—
zwanzig Jahren, mit germanifchem
Gelichtstypus, blonden Haaren, und
blauen Angenfternen. Ihr gegenüber
ſaß ein Mädchen von regelmäßigen
aber etwas harten Zügen, ein Mäd-
hen, das nicht unfchön zu nennen
war, troßdem aber feinem Maler als
Verfinnbildlihung echter Weiblichkeit
hätte dienen können.
„Laß Sehen, Elife, was jchreibt
denn die Dliva, und wie fommft Du
überhaupt mit ihr in Contact?“
Adele v. Stein griff nad dem
Blatte, welches die Freundin ihr bot,
während aber ihre Blide über dasjelbe
hinglitten, lagerte ſich ein ſpöttiſcher
Zug um den kleinen Mund, und als
ſie die Augen emporſchlug, brauchte
| man fein fcharfer Beobachter zu jein,
um den Ausorud der Ironie in dene
jelben zu entdeden.
„Du gehft natürlich, Du fchägeft
Dich glücklich, daß Oliva Lange Dich
|
!
*
in ihren auserleſenen Kreis ladet, in
den Kreis, in welchen ſonſt nur jene
Zutritt finden, die auf dem literarifchen
Markt des Lebens eine Schuld ver—
brochen oder jonft irgend wie für die
Frauenbewegung eingetreten ſind.“
„Natürlich gehe ich, denke Dir
nur, wie interejlant, jeder Mann aus—
geichloffen, nichts als Frauen; Frauen,
die anderes zu reden willen, als die
langweilige Hauswirtichaft und Toilet—
tenfragen im allen möglichen und uns
möglichen Barianten zu verhandeln.
Ich bin überzeugt, wenn Dliva Lange
eine folche Gefellichaft zu Sich ladet,
fo gefchieht es mit dem feſten Ent—
ſchluß, einen Hohen Rath zuſammen
zu berufen, der energiiche Schritte
thun Soll für die frauenrechtliche Be—
wegung. Es ift eine wahre Schande;
bliden wir hinüber nah Amerika, ja
nur nach Frankreich und nad England,
welche Stellung nimmt die Frau dort
ein, wie tritt fie in die Schranken für
ihre Rechte, und was thun wir Deutjche ?
Nichts als antheilslos zusehen, höchſtens
unfere muthigen Schweltern aus der
Ferne bewundernd anftaunen, ohne
die Energie zu beſitzen, die Knechtſchaft
von ums zu werfen, welche alle edlen
Steime in ums zu erjliden droht.“
„Wer hat Dir denn diefen nicht
ganz logiſchen Leitartifel eingelernt,
Eliſe?“ fragte die Freundin mit jo
unerjchütterliher Ruhe, daß die Er-
regte, welche ſich offenbar in ihren
Nedewendungen außerordentlich gut ges
fallen, einigermaßen aus der Faſſung
gerieth.
„Wer, wer?“ fragte fie, ſich raſch
fanımelnd, lebhaft; „glaubft Du denn
wirklich auch, wir Frauen gehören zu
Jenen, welche ftet3 eines Mentors
bedürfen, der uns jeden Gedanten ein
drillt oder mundgereht macht? Die
Stimme der Empörung Hat aus mir
geiprochen, ich will micht länger ge=
„Und was jagt den Dein Mann
dazu, wenn Du ihn mit diefen ganz
merhvirdigen Auseinanderfegungen er—
bauft ?* fragte Adele lächelud.
„Mein Man. mein Mann? Du
weißt, daß er in Gejchäften vereift
ift, kehrt er zurüd, dann foll er finden,
daß auch in mir jene Selbitltändigfeit
und jene Thatkraft erwacht jind, welche
in jeder von und ſchlummern, die aber
durch die Tyrannei des Mannes nie—
dergedrüdt werden. Dann foll eine neue
Hera beginnen, dann ſoll er begreifen
lernen, daß ich zu Beſſerem geboren
bin, als in der Stille und Abge—
Ichiedenheit unferer Häuslichkeit zu
bertrauern md zu verkümmern.“
„Der Bräjident der Republit im
MWeiberrode, Sollte er in Dir Sich
verförpern? Haft Du übrigens Deinem
Manne mitgetheilt, daß Du dieſe
Weiberaufwieglungs-Verſammlung bei
der Dliva mit Deiner Gegenwart be—
ehren willft ?*
„Wie Du nur fo aburtheilend von
Dingen reden magft, die Du nie ges
haut! Haft Du denn nicht einen
Funken von Franenftolz und Frauen
würde in Dir?”
„Reden wir von Frauenſtolz und
Frauenwürde, mein liebes Kind, wenn
Du bei Dliva Lange gewejen bift.
Wer weiß, ob Dir danı nicht die
Einficht kommt, es jeien beide dort
am wenigften zu finden, two die Ten—
denzen der Frauen-Emancipation auf
die höchſte Spike getrieben werden.
Ih Frage aber nochmals, weil es mir
in erfter Linie um Dein eheliches Glüd
zu thun iſt, was fagt Dein Mann
dazu, daß Du Did an den Reunions
im Haufe der emancipierten Dame
betheiligen willſt?“
| „Bon dieſer heute eingetroffenen
| pofitiven Einladung weiß Karl noch
nichts, daß ich aber aufgefordert wurde,
tnechtet werden, ich will mich frei er= | dem Bereine „Die Emancipierte“ bei—
heben, will tampfbereit und gleichbe= | zutreten, habe ich ihm längſt gefchrieben,
rechtigt dem Herrn der Schöpfung und feine Antwort lautete, ex überlafje
gegemüberftehen.“ es vollftändig meinem Gutdünfen und
587
Ermeſſen, das zu thun, was ich für
angezeigt halte.“
„Ein ſprechender Beweis feiner
Tyrannei,“ entgegnete Adele mit feinem
Lächeln, das die Freundin mit unges
duldigem Achfelzuden erwiderte.
Weniger herzlich als ſonſt trennten
fih die beiden Damen; ärgerte ſich
doch Elife im Stillen, daß es ihr
nicht gelungen, die ältere und wie lie
ſich jelbft oftmals zugejtand, klügere
Freundin für ihr Vorhaben zu inter-
ejliren, fie mit in jene Geſellſchaft
zu ziehen, die bei ihr in fo hohem
Anſehen ftand.
II.
Der entſcheidende Abend nahte.
Mit ſinniger Abſichtlichkeit Hatte Eliſe
beſchloſſen, ein vollſtändig prunkloſes,
puritaniſch einfaches, ſchwarzes Kleid
anzuziehen, galt es doch in einem
Kreiſe von Frauen zu erſcheinen,
welche über wichtige Lebensfragen zu
conferieren bejchloffen Hatten, die folg—
lih über den YFlittertand der Toilette
erhaben daftanden. Ein Hein wenig
bange war ihr doch zu Muthe, je
näher der entjcheidende Augenblid rüdte.
Was dann, wenn im Wereine der
Emancipierten, dem angehören zu dürfen
fie ſich ftolz fühlte, der Beſchluß einer
offenen, einmüthigen Rebellion gegen
die Ehemänner getroffen ward, en masse
ließ fih das ganz leicht ausführen,
ob aber fie, die noch ein Neuling im
Amte war, den Muth beiten wirde,
in Allem und Jeden ihrem Manne
DOppofition zu machen, ob diefe ftete
Oppoſition fie auf die Dauer beglüden
fönne, das waren Fragen, welche im
tiefinnerften Herzensgrunde Eliſens
doch einigermaßen zu beunruhigen an—
fiengen. Uber es mußte fein, fie wollte
Kraft und Muth ſchöpfen an ihren
Vorbildern, denen fie heute Abend zum
erften Male gegenüber treten würde.
Als fie ſchon angelleidet bereit ftand,
als der Diener bereit3 den Wagen
gemeldet halte, brachte man ihr ein
Telegramm, in welchen ihr Gatte ihr
feine Ankunft ſchon für den heutigen
Abend in Ausficht ftellte. Es war dies
um mehrere Tage früher, als fie ihn
erwartet, und e& durchzuckte fie ſchmerz—
ih das Bewußtfein, daß fie nicht
heute, wie bei früheren kürzeren Tren—
nungen zu Haufe fein könne, um ihn
zu umarmen. aber fie fühlte inftinctiv,
daß es ihre Pflicht fei, ihr perjönliches
Empfinden hier gänzlih der Sade
unterzuordnen, die zu bertreten fie
ih von nun an berufen fühlte.
Raſch entichloflen trat fie daher
an den Schreibtiih ihres Mannes
und warf einige Zeilen auf ein Blatt
Bapier.
„Lieber Karl! Ich bedaure, Dich
nicht erwarten zu fönnen, da aber
bei Frau Dliva Lange Heute eine
wichtige Sitzung flattfindet, zu welcher
ih zugezogen wurde, wirft Du be—
greifen, dab ich dem Gemeinwohle jede
perfönlihe Empfindung hintanſetzen
mußte. Eliſe.“
Jetzt, wo diefe Zeilen gefchrieben
waren, dünkten fie ihre ſeltſam, ſagte
fie ſich, daß ſie im grellen Contraſte
ſtünden zu den liebevollen, herzlichen
Briefen früherer Tage; aber damals,
damals war ſie eben noch ein Kind
geweſen, das ſich ihrer Rechte, ihrer
Stellung nicht bewußt, dem jede höhere
Einſicht gefehlt. Nun mußte ſie durch
Wort und That ihre Aufklärung be—
kunden, und je eher ſie dies voll—
brachte, deſto beſſer. Ohne weiter zu
überlegen, nahm ſie Hut und Mantel
und ließ ſich nach dem in einer ent—
legenen Vorſtadt ſituierten Haufe Frau
Oliva Langes fahren. Sieben Uhr
war die für die Sitzung anberaumte
Stunde gewefen, und mit dem Glocken—
Ichlage fieben zog auch Frau Elije die
Hausſchelle.
Ein reichgallonierter Diener öffnete
ihr, maß die fremde Erjcheimung,
welche in der glänzenden Umgebung
des blumengezierten Treppenhaufes fo
ultraseinfach erfchien, mit etwas be=
588
fremdeten Bliden und fragte mach ſei mir mit dieſem Kriege nicht immer
ihren Begehr. Ihr ganzes Selbftbes | unerbittliher Ernſt.“
wußtfein zufammenraffend, entgegnete
„Diefes Doppelfpiel ift Etwas,
Elise, fie fei eine der zur Sigung der!das ich an Ihnen, ſchöne Frau, nicht
Emancipierten befchiedenen Damen und
wurde auf diefe Worte hin vom dem Ifenden mit leifen Tadel.
Diener mit dem Benerfen, daß die
Damen meift erſt zwiichen acht und
neum zu kommen pflegen, in einen
dunklen Salon geführt, in welchem
der Mann fich beeilte, mehrere Gas—
flammen anzuzünden. Als fich die
junge Fran allein ſah, legte fie Hut
und Mantel ab, blidte ih in dem
nicht beſonders wohnlihen Raume
um, in dem nicht einmal ein erwär—
mendes Feuer brannte,
ſich mit einiger Verftimmung, daß die
Pünktlichkeit offenbar feines der Attri—
bute wahrer Emancipation zu fein
jcheine. Nachdem fie eine Weile finnend
am Yenfter geftanden, hörte fie im
angrenzenden Raume lebhaftes Sprechen
und Laden, vernahm fie ganz deutlich
Männerſtimmen. Vorſichtig trat fie an
die Portière heran, welche die Glas-
thür verhüllte, die in das Nebengemach
führte. Mas fi bier ihren Bliden,
ihren Obren bot, ließ fie angewurzelt
wie eine Bildſäule ftehen bleiben.
Dliva Lange ruhte in einer pracht-
vollen, von Blumen durchwirkten weißen
Attlasrobe auf einer Chaise longue.
An Dals und Armen funfelten Edel-
und ſagte | einmal
|begreife,“ entgegnete einer der Aires
„Warum
geben Sie ſich dazu her, ſich auf die
Männerhafferin zu fpielen, anjcheinend
der Fahne der Frauen-Emancipation
zuzuſchwören, Sie, die doch alle Eigen
Ichaften befigen, einen Mann glüdlic
zu machen?“
„Ich bin in der Regel nicht ges
wohnt, Rechenſchaft abzulegen über
mein Thun und Laſſen; im vertrauten
Freundeskreiſe mag aber immerhin
ein freies Wort geſprochen
werden. Mir macht es ungeheuren
Spaß, zu jehen, wie geringer Anregung
von Außen es bedarf, eine jonft ganz
gejcheite Frau zu montieren, und fie
immer mehr und mehr in verichrobene
Ideen hinein zu drängen. Wenn ein—
zelne Schmwärmer, wenn erbitterte,
wenn unglückliche Frauen zu Vertre—
terinnen der Frauen » Emancipation
werden, jo will ich das noch gelten
lafjen; daß es aber auch folche gibt,
welche einem glüdlichen Heim entjagen,
welche dasjelbe geringer anjchlagen,
als ihre vermeintlichen Rechte, als die
Frauenbewegung, d. i. ein Ding, was
mir ftets unfaßlich gewejen! Und ich
denfe, für ſolche Heldinnen der Frauen—
feine, das Haar war auf modernfte | Emancipation wäre der mitteralterliche
Weiſe frifiert, zwifchen den roſigen
Lippen dampfte eine Cigarette. Im
zwanglofem Geſpräche um die jchöne
dran herum ftanden mehrere ältere
und jüngere Herren, man plauderte
in fröhlichem Zone, bis endlich die
Sceiterhaufen noch
gut!“
„Und ich wiederhole nochmals —
bei ſolchen Anfichten ift Ihr Haus
doh der Sammelplag der Emanci—
pierten, ziehen Sie Rednerinnen groß,
immer viel zu
Hausfrau fich widerftrebend aufrichtete | welche ihr höchftes Streben darin jehen,
und Sprach:
„Nun, meine Herren, muß ich
Euch alle bitten, Euch zu entfernen;
Ihr wißt, jeden Freitag Habe ich Sitzung
des Vereines der „Emancipierten“ hier
im Haufe, da wird Euh Männern
der Krieg zugejchtworen bis an's Meſſer
und das könnte ich gerade brauchen,
einer Lonife Michel nach zu gerathen!
Wozu diefes Doppeljpiel, warum nicht
lieber Ihrer ifolierten Stellung ent-
jagen, den Männerfeindinnen Walet
jagen und irgend Einem Ihrer Wür—
digen die Hand reichen zum Ehebunde ?”
„Weil ih jo lange wenigftens
jcheinbar an der Fahne der Emanci—
dab meine VBereinsdamen ahnten, es | pierten felthalten will, bi$ es mir ge—
589
lungen dem Mannezu begegnen, welchen | fagen Sie denn zur dem neueſten Scans
ich wahrhaft lieben fanı. Daß meine dal mit’ der Schönen Bolsti? — Sie
erite Ehe eine Gonvenienzheirat war,
in die ich durch Familienverhältnifje
gezwungen ward, wißt Ihr Alle, wozu
ein Hehl daraus mahen? — Da
die dur unbefriedigte Häuslichkeit
entftandene Leere mich der Emanci—
pationsftrömung unferer Tage in die
Arme getrieben — auch das ftelle ich
nicht in Abrede — nun aber warte
ih bis der Märchenpring kommt und
mich befrrit, mit anderen Worten, bis
ich den gefunden, dem ich aus Liebe
zu eigen fein mag. Hält der erſt bei
mir feinen Einzug, danı mag ſich der
Club der Emancipierten anderwärts
Sikungsfaal und Präfidium ſuchen —
num aber Adieu, meine Herren — es
ift die höchſte Zeit dak Ihr geht und
ih mich in den Mummenſchanz Hülle,
der mein koftbares Kleid ſtets verbirgt,
wenn ich am Präfidententijch meinen
Pla einnehme!“
Man küßte der ſchönen Frau die
Hand, dann entfernten fich die Herren
und gleih darauf verſchwand auch
Frau Dliva durch eine entgegengejegte
Thüre. Elife aber ftand noch immer
regungslos; das, was fie vernommen,
hatte fie geradezu erfchüttert. Wenn
fo die Präfidentin dachte, welche doch
als die Seele des Vereines angejehen
werden Sollte, was ließ ſich da bon
den Anderen erwarten ? Sie ſollte nicht
lange im Zweifel darüber bleiben. Die
Uhr im Beftibule ſchlug acht; Schritte
nahten und glei darauf hörte man
die Thür gehen, zwei Damen in
ſchillernden Seidenroben mit langen
Schleppen und kunſtvoller Goiffure
traten, in lebhaften Geſpräch begriffen,
ein; fie achteten im erften Augenblid
der unfcheinbaren Frauengeſtalt nicht,
welche jo jchen und ängftlich in der
Ede ftand und mit fo großen ver—
wunderten Augen m fich blidte.
„Berade recht, liebe Wilfenburg,
dab ih Sie allein treffe, ehe die Anz |
deren kommen,“ ließ fich die größere
der beiden Damen vernehmen. „Was
wilfen doch — “
„Nichts weiß ich, befte Baronin,
erzählen Sie doch, das intereffiert mich
auf das Lebhafteite, Freilich gemunfelt
hat man längft allerlei, aber — “
„Nun, laffen Sie ſich's nur raſch
erzählen, durchgebrannt ift fie, ein»
fach durdhgebrannt; freilich, daß der
Mann Halb blöde gewefen, wer hätte
es nicht gewußt, aber, die Schulden
de3 Herrn Bapa! nun en fin, fie hat
ihn genommen, aber jchon gleich nach—
dem fie von der Hochzeitsreife zurück—
gekehrt, ſchwebten allerhand Gerüchte
in der Luft; man wollte von einem
entlegenen Haufe willen in der Vor—
ftadt, in dem die ſchöne Frau mit
einem feſchen Hufaren-Officier regel-
mäßige Zuſammenkünfte hielt, und
bald brachte man in Erfahrung, dak
Graf Lubow der Glüdliche ei.
Nun ift fie plöglih aus dem Haufe
ihres Gatten verfhwunden, man fpricht
von einem Familienſchmuck, der auch
abhanden gefommen, und Graf Lubow
fei merfwürdiger Weife auf Urlaub;
was jagen Sie zu der ganzen Ge—
ſchichte?“
„Was ſoll ich ſagen?“ entgegnete
die Gefragte, eine auffallend häßliche
Dame, welche ihr halbes Jahrhundert
wohl längſt hinter ſich haben mußte,
„daß ſind Alles die natürlichen Folgen
der Knechtſchaft des Weibes, darum
plaidiere ich für die freie Liebe, für
die Gleichſtellung der Frau mit dem
Manne, dann kann derlei nicht vor—
lommen, dann gibt es keine Feſſel,
welche bindet, dann iſt die Liebe ein
Geſchenl, welches geboten und zurück—
gezogen werden kann, je nach momen—
taner Aufwallung, nach individuellen
Ermefjen; jo lange wir nicht auf
diefem Standpuntte ftehen, können
wir nichts Großes leiften, können wir
von den Männern nun md nimmer
als gleichberechtigt angefehen werden!“
Nun aber litt es die junge Frau
nicht länger in ihrem Verſtecke; mit
590
einer haftigen Bewegung trat fie vor] lungen, wieder eine Geſinnungsſchweſter
und in den Gefichtsfreis der beiden | unferem Bunde anzumerben, und zwar
Andern, die, eine Fremde gewahrend,
ihr Geſpräch nicht etwa auf ernitere,
idealere Richtung, ſondern auf die
Gemeinpläße von Dienftbotenklatich
und fonftige medifante Bemerkungen
richteten.
Nah einer Meile trat die Dame
des Haufes ein und begrüßte mit
gemeſſener Würde ihre Gäſte. Wenn
nicht der halb geiftvolle, Halb fpottende
Blid der Augen geweſen wäre, life
hätte nimmer in diefer Frau, die eine
ftilgerechte griechiſche Toga trug und
das goldblonde Haar am Hinterhaupte
in einen Knoten gewunden hatte, die
blendende Erjcheinung wieder erkannt,
welche fie früher im Nebengemache
geſehen. Ye weiter die Uhr vorrüdte,
defto mehr drängten fich die Gäfte,
falt lauter Frauen im glänzenden
Salonroben; es wurde lebhaft dis—
cutiert und in das fehrille Geſchwirre
der Stimmen Ordnung zu bringen,
ihien eine Siſyphusarbeit! Alle
redeten auf einmal, Keines wollte dem
Anderen das Vorrecht gönnen zuerit
gehört zu werden, jo daß man endlich
gar nichts verftand und die Präſi—
dentenglode ungehört verllang. Unnüß
war ed, daß einzelne Bejonnene den
Discant mit der lauten Bitte um’s
Wort zu übertönen ftrebten, es kam
feine Ordnung und Symmetrie in
dad Ganze; wo paarweile Damen
feife zufammen redeten, befakten fie
ſich mit irgend einer Scandalgeſchichte
eine Frau, durch deren Beitritt wir
einen wejentlichen Gewinn Haben —
iſt fie doch die Gemahlin eines der
| angefehenften Männer unferer Stadt,
der, ich fpreche es mit Betrübnis aus,
ftet3 einer der entichiedenften Gegner
der frauenrechtlihen Bewegung ge—
wejen ift — die Gemahlin des Staats=
anwaltes Ewald von Möring!“
Ein „Ab“ der Befriedigung gieng
duch die Neihen der Damen und
man umdrängte Elife, welche von der
Bräfidentin an der Hand gefaßt und
in den Kreis der Frauen gezogen
worden war, Sie bot einen jeltfamen
Anblid, die zarte, ſchlanke, Heine Ge—
ftalt, im dem fchlichten, ſchwarzen
Kleide, umgeben von all’ den bunt—
farbigen Schmetterlingen. „Ab, Sie
Liebe, Sie Gute — mit Ihrem Bei—
tritt ift Freilich dem Feindeslager eine
empfindliche Breſche geichlagen, da
find wir dem Siege ein gut Stüd
näher!“ Sole und ähnliche Reden
umſchwirrten Elife, der ſchon ganz
wunderlih zu Muthe war von all
dem Lärmen und Neben und welce
— freilihd noch ohne ſich's fo recht
einzugeftehen — anfieng, ſich nad) der
Einſamkeit und Stille ihres Heims
zu fehnen.
„Nun aber,“ Hub laut und ver—
nehmlich die Stimme der Präfidentin
von neuem an, „gilt es auch den
‚Eid zu leiften, welchen Jede von uns
ablegen muß, ehe fie in den Bund
oder verhandelten eine hochinterefiante "BD
Liebesaffaire — hörbar wurden nur ab | Del Einancipierten aufgenommen wer
und zu die fich ftets wiederholenden den fann.* Und mit einer gewiſſen
Worte: Tyhranne des Mannes, Knecht- Feierlichkeit trat Oliva Lange an den
ſchaft der Frau, nicht länger dulden in der Mitte des Gemaches befind-
energifche Mafregeln ergreifen lichen Tiſch und forderte Eliſe auf,
u. dw. Endlich — endlih — er= ſich zu ihrer Rechten zu ftellen.
hob ſich die tiefe, fonore Stimme der „Frau Schriftführerin,“ ſprach
Präſidentin, wußte ſich Bahn zu ſie dann zu der alten Dame gewandt,
brechen und Gehör zu verfchaffen. welche früher in fo lebhaften Worten
„Meine Damen!“ ſprach fie laut | für die freie Liebe plaidiert, „leſen
und vernehmlih, „Sie werden mit Sie das übliche Formular unferer
Vergnügen erfahren, daß es mir ges aufzunehmenden Vereinsſchweſter vor!”
Die alfo Angeredete trat nun!
ebenfalls zum Tiſche und nad einer
umfangreichen Mappe greifend, im)
welcher eine Menge Schriften aufges |
ftapelt lagen, entnahm fie derfelben |
ein bejchriebenes Blatt und las: „Ich
— in diefem Falle“ — schaltete fie,
erläuternd ein, „heißt es, ich, Elife,
von Möring — erfläre, dab ich mit,
heutigem Tage dem Bunde der Eman—
cipierten beizutreten gejonnen bin —
ih gelobe, daß die Intereſſen des
Vereines don heute an die meinen
jein follen — ich gelobe, daß ich jeßt
und immer einftehen will für die,
Wahrung, Aufrechtftellung und För—
derung der frauenrechtlichen Bere: |
gung, daß ich jedes perfönliche Em—
pfinden Dintanzufeßen bereit bin, wenn
es gilt, das Gemeinwohl zu wahren,
dab weder Familienbande noch wie,
immer geartete Jonftige Rüdjichten mich |
hindern jollen, wenn es gilt, einem
Rufe Folge zu leiften, welchen der
Verein an mich fteilt — ich gelobe, |
daß ich Gatten und Finder zu ver—
lafjen bereit bin, wenn es fein muß
— dab ich mit ganzem Können und‘
Wollen einftehen will, für das große, |
hohe Ziel, welches wir im Auge haben, |
die Befreiung des Weibes aus de—
müthigender Knechtſchaft. Al dies
thun zu wollen, gelobe ich mit meinem
Eide — ich ſchwöre es bei Allen was
mir heilig im Dimmel und auf Er—
den !" |
Die Stille, welche während der!
Borlefung des ſeltſamen Schriftftüdes
eingetreten war, wich nun abermals
färmendem Zreiben und erft nad
wiederholten Bemühungen gelang es
der Präfidentin mit lautem Gloden= |
Schall die redjeligen Zungen zum Stille
ftand zu bringen.
„Es gilt nun, meine Damen, den
Eid Frau von Mörings entgegen zu
nehmen ; treten Sie vor, Frau
Schriftführerin und Sie, Frau Schab-
meifterin — Sie, meine liebe, kleine
Elife aber — muß ich bitten, mit
lauter, vernehmliher Stimme Wort
591
—_ —
‚aber Elife ſchwieg.
für Wort von diefem Blatte die Eides—
formel abzulefen, welche Sie foeben
vernommen |”
Elife von Möring griff mit et-
was unſicheren Fingern nach dem
Bapier, die Buchftaben tanzten vor
ihren Augen Hin und her. War es
das Erhabene des Momentes, war e3
die Hiße im Saale oder der unge—
wohnte Lärm? Merklihe Bläffe lag
auf ihren Zügen und mit unficherer,
leifer Stimme Hub fie zu fprechen
an. „Lauter, lauter, Frau von Mö—
ring,” erſcholl es ungeduldig von
mehreren Seiten. „Für die Wahrung,
Aufrehthaltung und Förderung der
frauenrechtlihen Bewegung,“ erklang
es deutlich von den Lippen der jungen
Frau, dann aber trat eine bedenkliche
Pauſe ein. — „Nun weiter, mein
Kind,“ ſprach Dliva Lange, während
ihre Augen mit fascinierender Gewalt
ih auf die junge Frau richteten —
„Mir ift nicht
wohl — eine momentane Schwäche,“
hauchte fie entichuldigend und fuhr
nach einigen Minuten mit ſchwacher
Stimme zu Sprechen fort. Als fie
aber zu dem Saße fam: „Sch gelobe,
daß ih Gatten und Finder zu ver—
fallen bereit bin“, da brach ihre Rede
plößlich, noch ehe die Worte über ihre
Lippen gelommen, mit einem jchluch-
zenden Laut ab und todtenbleich Jan fie
bewußtlos in die Arme der erjchroden
herbeiſpringenden Präfidentin.
„Die Situng ift aufgehoben, meine
Damen !” rief diefe mit lauter Stimme,
aus welcher ein fcharfes Ohr etwas
wie Triumph herausgehört Haben
würde. Dienftbefliffen machten ſich
einige der Damen um die Bewußt—
lofe zu Schaffen, die Mehrzahl aber
rüftete fich zum Aufbruch.
Zu ziemlich vorgerüdter Abend
ftunde war es, als das elegante Coupé
Dliva Langes dor dem Haufe hielt, in
welchem Doctor von Möhring wohnte.
Als der vom Bode jpringende Diener
den Schlag geöffnet, entitieg Frau
Elife, nicht hüpfend und fröhlich wie
>92
es ſonſt wohl in ihrer Art lag, ſon—
dern langſam, als lafte ein ſchwerer
Kummer auf ihr, dem Gefährte.
„Nur Muth, Heine Frau,“ ſprach
eine tröftende Stimme im Innern
der eleganten Equipage, während eine
feine behandjchuhte Rechte einen legten
freundlichen Gruß winkte. „Nein, nein,
mein Kind, ich kann Sie nicht be-
gleiten, glauben Sie mir, derlei Heine
Mipverftändniffe thut man am beften
zu Zweien ab,“ entgegnete fie auf
einige im Flüftertone gefprochene Worte
Frau Elifens. „Der Kuß, welcher
einem Heinen Streite folgt, foll ja
immer am füßeften ſchmecken!“ ſprach
die Dame leife vor ſich Hin, mit zu—
friedenem Lächeln fich in die Kiffen des
Magens zurüdlehnend. „Eine Geniale,“
ſprach die Dame leife vor fich Hin,
„gäbe es deren nur recht viele, wir
hätten dann mehr glüdliche Frauen,
als es fo der Fall. — — — —
Inzwifchen war Frau Elife lang-
ſam und jchleppend die Stiege empor
gegangen, welche zu ihrer Wohnung
führte. Noch nie hatte ihr diefelbe fo
beichwerlich gefchienen,
noch mie Hatte fie gebangt, vor den
Gatten treten zu follen, noch nie hatte
fie ihm gegenüber das Gefühl der
Schuld auf der Seele gehabt.
Wie würde er fie aufnehmen, wie
ihr Fortgehen aufgefaht haben? Was
dann, wenn er ernftlich zürnte, wenn
ihr Billet ihn verlegt und fie durch
dasselbe in leichtlinnigem Unbedacht
für immer das Glüd ihrer Ehe ge—
ſtört, was dann, wenn er fie beim
Worte genommen, wenn er fie von
nun an wirklich ſelbſtſtändig und frei
ihrer Wege gehen ließ, ledig der Th—
rannei des Mannes? Thränen traten
ihr bei dieſer Vorftellung nicht nur
in die Augen, fie perlten auch uns
aufhörlich über die Wangen nieder
und haſtig z0g fie den Schleier vor
dad Geſicht, damit das Mädchen,
welches ihr nun, da fie vor der Thüre
fand, fofort öffnen mußte, nicht ſehe,
daß fie weine,
al& eben heute, |
„Der Herr zu Haufe?” fragte
jie, beftrebt, ihrer Stimme einen ruhi⸗
gen Klang zu geben.
„Nein, der gnädige Herr find
gleich nah der Ankunft wieder fort>
gegangen und Haben feinerlei Bot»
ſchaft zurückgelaſſen.“ Bernichtet ſank
die arme Frau auf den nächſten Stuhl,
unbekümmert um das erſtaunt drein—
blickende Mädchen brach ſie in einen
unaufhörlichen Thränenſtrom aus.
Vorbei war alſo alles Glüd, alle
Liebe, vorbei, vorbei auf immer! Und
wofür hatte fie e3 geopfert? Für ein
Phantom, das ihr doch nimmer Bes
friedigung gewähren fonnte. — Nur
zu deutlih erfannte fie das — jeßt,
wo es zu jpät.
Nah einer geraumen Weile end»
ih vaffte fie ih auf und gieng in
das Zimmer ihres Gatten. Da lag
noch auf dem Pulte der offene Zet—
tel, welchen fie ihm gefchrieben, der
ihn Hinausgetrieben Hatte aus dem
Haufe, in dem e3 feine Gattin mehr
gab, die Tiebevoll feiner Heimkehr
harte. life fühlte ein intenfives
Bedürfnis, allein zu fein und made
dem fie von dem Mädchen noch er-
fahren, daß der Herr binfichtlich der
Zeit feiner Heimkehr gar nichts ge—
fagt, hieß fie dasjelbe fich entfernen,
um ungehindert ihrem Schmerze nach—
hängen zu können. In diefer Stunde
fühlte fie mit nie geahnter Deutlich«
feit, wie aller Freiheitsdrang und alle
Emancipationsgelüfte in nichts zurüd-
ſanken, verglichen mit der heißen, innigen
Liebe zu ihrem Gatten. Wie recht
hatte die Freundin doch gehabt, fie zu
warnen, aber ad, ſie Hatte nichts
vernehmen wollen und nun war es
über fie hereingebrodhen, das Verhäng-
nis. Laut auffchluchzend verbarg fie
das Antlig im beiden Händen — wo
war er, ihr Karl, mach dem fie fich
jehnte mit aller Kraft und Innigkeit,
defien ihr thörichtes, Heines Herz fähig
war, wer fand ihr dafür, dab er
nicht, enttäufcht und gekränkt durch
das Weib, welches feinen Namen
trug, feinem Leben ein Ende gemacht, | umgeftalttet Hatte, das der Heinen
und fie, o Gott, fie war feine Mör- Elife rieth, Hübfh Hah Haufe zu
derin. Immer unaufhaltfamer floffen | gehen und mit dem geftrengen Ehe—
die Thränen, immer bitterlicher ſchluchzte herrn Friede zu Schließen. „Verzeih,
fie, bis endlich zwei Arme fie liebe= | Karl!“ bat fie nochmals reumüthig
voll umſchlangen .und eine wohlbes | gleich einen gefcholtenen Kinde.
fannte Stimme ihr mit nedendem „Bern. Und wenn Dir wieder
Tone zuflüfterte: „Nun, ift die kleine Emancipationsgelüfte kommen, ſchick
Emancipationtuftige jo vafch zur Ver- ich Dich zu Dliva Lange, eines
nunft gelommen ?* Sie fchredte zu | Närrhen. ch geſtehe, daß der Mo—
fanımen, fie blidte auf, ja das war ment bitter war, als ich von der
er, ihr Karl, der frisch und lebendig | Reife heimfehrte, meine Hausfrau
vor ihr ftand, er, den fie fchon wähnte nicht fand, aber ein luftiger Spazier-
in den Zod getrieben zu haben! Die ‚gang durch die Falten Strafen Hat
Reaction, der Umfchwung vom höchſten meinen momentanen Aerger abgekühlt
Jammer zum größten Glücke war ſo — und als Zeichen meiner Thrannei
gewaltig, daß fie nicht Worte fand ſoll Dir meine Verzeihung in Gnaden
der Seele Luft zu machen und laut
Ichluchzend ihrem Manne um den
Hals fiel. „Verzeid mir, Karl!”
flüfterte fie emdlich reumitthig, gebor—
gen im ſicheren Schuße feiner Arme,
und dann begann fie zu erzählen wie
Alles gelommen, wie fie zum Bes
wußtfein erwacht und wie ſich zu
ihrem größten Erftaunen eine fanati«
Ihe Vertreterin der Frauenemanci—
pation zu einem warmherzigen Weib
gewährt werden. Nun iſt's aber genug
geweint, nun laſſ' ums zu den Kin—
dern gehen.“ Sprad’3 und küßte
Elife herzhaft auf den Mund und die
Augen.
Dliva Lange hatte recht, der Kuß
nah der Berföhnung war doppelt
ſüß, aber um alle Küſſe der Welt
hätte Frau Elife doch feinen Mißklang
in ihrer Ehe durch eigene Schuld mehr
hervorrufen mögen.
Drei Mittageflen.
Eine Heiratsgeihichte von Karl Btaudad.
Bel edermann Hält feinen eigenen
Ich lebte von meinem neunzehnten
Kopf für den Hügften, ſein bis zu meinem dreißigiten Jahr im
eigenes Kind für das jchönfte, und) Städtchen B. als Heiner Steuerbeanter.
feine eigene Liebes: und Heiratsge- | Ein Iuftiger Kerl, der ich war, hielt
ſchichte für die interejlantelte. ih mit aller Welt gut Freundfchaft,
Meine Heiratsgefchichte ift wirklich und fie mit mir. Cingemiethet hatte
intereffant und ich würde glauben, ichlich mich in einer Hoffammer, was na=
hätte fie au3 einem munteren Roman|türlich den ftändigen Wiß verurſachen
gelefen, wenn nicht mein treues Ehe: mußte vom „Sammerherrn bei Hofe.“
weib Juliana neben mir weilte, zu dem Er war aber völlig ungerechtfertigt,
ih unmöglich anders gekommen ſein denn ich war überall im Städtchen
fann, als durch nachſtehende Heirats- daheim, nur nicht in meiner Wohnung.
geſchichte. Die erſtere Zeit zwang mich mein Ka—
Koſeggtr's „„Erimanrten‘‘, 8. Geft, XI. 38
nari, dab ich täglich oder nächtlich
einmal heimgieng in die Hoflammer, |
Das wäre doch etwas viel gejagt,
meinte Einer, und jo elaftifch dürfte
um ihn zu füttern; Später trug ich das | jelbft die zähefte Freundſchaft nicht
Vogelhaus der Bequemlichkeit halber |
zum Lindenbräu, wo ich es im Ertras |
zimmer aufhieng, und das Thierchen
denn ordnungsgemäß jpeifen und trän—
fen konnte. Da einmal der Bogel beim
Lindenbräu war, und ich nicht ver—
langen konnte, daß ihn die Kellnerin
agen und Sich von ihm umfonft an—
pfeifen laſſen follte, fo gieng ich täg—
li hin, aber mur einmal, nämlich zu
Mittag nach der Amtsftunde. Ich blieb
— Genofjen find in DB. immer zu—
wege — im Ertrazimmmer fißen bis
jpät in die Nacht und legte mich dann
der Bequemlichkeit halber unter meinem
Vogelbauer auf die Bank Hin. Luftig
war es immer, Poſſen gab es jeden
Tag und an Alles dachte ich eher, als
ans Heiraten.
Da drehte fich eines Abends, als |
fein, daß man dem ungeladenen Gaft,
wanı es ihm beliebt, zu Zifche zieht.
„Warum denn nicht ?* war meine
drage. „Ich gehe eine Wette ein, daß
ih in jeder Familie der Stadt B.
jpeife, wanıı Ihr wollt! Ich gehe ins
Haus und fie werden mich zu Zijche
laden.“
„Was gilt die Wette, Du ſitzeſt
auf!
„Wer fie verliert,“ ſage ich. „der
gibt den Stadtarmen eine Mahlzeit!”
„Mader!“
„So werdet Ihr mir morgen um
halb zwölf Uhr vormittags jagen, im
welcher Familie ich zu Mittag fpeijen
fol. Jh werde hingehen und fie wer—
den mich zu Tiſche laden.“
„Angenommen.“
„Nur Eines bebinge ih mir. Arme
meine Genofjen einmal recht vernünftig | Familien, denen ein Gaft Schwer fallen
waren, das Geſpräch um das Wirts- würde, ſind ausgenommen.“
hausleben. Mitten im Wirtshaus er—
dreifteten wir uns zu jagen, daß gegen
„Selbftverftändlich.“
„Auf wie viele Tage wollt Ihr es
den Trank zwar nichts einzuwenden | vorläufig verfuchen ?“
fei, daß aber die Speifen für die Länge
in einem Privathaufe doch beſſer ſchmeck—
„Auf eine Woche, fagten Einige.
„Auf drei Tage,“ meinten Andere,
ten, als das unabläffige Schnigel und | „Drei Tage, an welden Ihm wir
Roaſtbeef im Gafthaufe. Das Geſpräch die Häufer feines Mittagsmahles vor—
hatte einen philifteriöfen Beigefehmad, |vorfchreiben, werden reihlih genug
und ſchon gar, als den vorhandenen ſein, um den Prahlhans gründlich zu
Junggeſellen die Gründung eines häus— heilen. .
lichen Herdes gerathen wurde. Empört
über die ſüßelnde Moralfiederei des
Abends rief ich urplöglic aus: „Ich
brauche feinen eigenen Herd und wenn
mir die Wirtshaustoft nicht anfteht, fo
jpeife ich eben in einem Brivathaufe.“
„Wenn Du geladen bift,“ warf
Einer her.
„Bin täglich geladen, wenn ich
will!“
meine Beliebtheit, deren ih mich in
der Stadt erfreute, und hingeriſſen
von dieſem ftolzen Bewußtſein ſetzte ich
bei: „Webrigens warte ich nicht erft
auf die Einladung, ich gehe ins nächſt—
beite Haus und fpeije dort.“
rief ich, pochte kühnlich auf
So ward e3 feitgenagelt. Ich be=
ftellte beim Lindenbräu ſchon an dem—
jelbigen Abende den Noftbraten des
nächſten Tages ab und Schlief dann
recht wohl auf der Bank unter meinen
Kanarivogel.
Am nächſten Tage von acht Uhr
Morgens an ſaß ich wohlgemuth in
meinem Amte. Die paar bodbeinigen
Parteien, mit denen ich zu thun hatte,
konnten mir den Humor niemals ver—
derben. Etwa um Glockenſchlag eilf
meldete fich dev Magen, höflich fragend,
was heute zu gewärtigen ftehe? —
Laſſ' Zeit, mein Kind, noch weiß ichs
nicht. — Um Halb zwölf Uhr brachte
J—
595
der Kanzleidiener ein verfiegeltes Brief—
chen herein. Ich wog es in der Hand
und roch einmal darauf Hin; nichts
von Küchenduft, es war geruchlofes
Kanzleipapier.
Ich öffnete und las, daß ich heute,
Donnerstag den 11. Juni 1885 beim
Herrn Apotheker Bitterle ſpeiſen ſolle.
— So, ſo! Beim Apotheker Bit—
terle.
Bitterle. Indes, ich hatte ihn erſt am
ſelbigen Vormittag angeſchnauzt, weil
er Umſtände mit der Einkommenſtener
machte. Herr Bitterle ift ein etwas
ſparſamer Mann, der das viele Schweins-
fett, welches er jährlich kauft, nicht für
die Küche eignet, fondern damit in der
Apotheke die Hafen, Dachs-, Kreuze
otterfetttöpfe und andere Salbendojen
füllt. — Nun, im Gottesnamen, wir
wollen e& verfuchen.
Um zwölf Uhr ftieg ich die finftere
Treppe hinan zur Wohnung des Apo—
theferd. An der oberften Stufe lag
ein großer Kater, der ſchnurrte mich
an, blieb des Meiteren aber liegen.
An der offenen Küchenthür blieb ich
ftehen und fagte, höflich den Hut lüf-
tend: „Guten Morgen, Frau von Bit—
terle!“ Denn fie ftand beim Kochen.
„Uh!“ verjeßte fie, „der Herr Karl!
Sie ſuchen gewiß meinen Mann. Er
ift in der Apotheke.“
„Er hat ganz recht," antwortete
ih, „aber mir ift heute die deutjche
Küche lieber, als die lateinische.”
„Iſt auch geſünder,“ fagte die ges
Scheite Frau, und glättete mit einem
Handftrih ihre ſchneeweiße Küchen:
ſchürze.
„Beſonders wenn eine fo geſchmackige
Köchin drin fteht,” verjegte ih. „Da
kriegt Einer auch ordentlichen Ap—
petit. Aber ich bitte, Frau von Bitterle,
fein Schmuck und feine Seiden fteht
“der deutichen Frau fo gut, als der
Kochlöffel. Allen Reſpect! Wenn ich
nur wüßte, womit die gnädige Frau
den Salat einmacht. Tafelöl ift das
nicht.”
Ein ganz braver Mann, der)
gegen;
die
„Mein Mann ißt den Salat nur
mit Leinöl.“
„Nicht möglich!” rief ich aus.
„Vortrefflich, fage ich Ihnen!“ ver—
fiherte die Frau und träufelte das
'goldige Del auf das Grünzeug, „wer
Leinöl einmal gewohnt ift, der ißt fein
anderes mehr. Und gefund für die
Bruft!“
„Sein mags,“ fagte ich ernſthaft,
„jein mag das wohl. Ich glaub’S ge=
ſchwind. Soll ja das befte Det fein,
das Leinöl, hab's immer gehört. De—
licat muß es fein! Aber frifch wird
man es felten haben können.“
„Wiffen Sie was, Herr Karl,“
Jagte das Frauchen und wendete mir
ihr am Teuer geröthetes Geficht zu,
„wenn Sie glauben, daß wir den
Salat mit abgeftandenem Del einma=
chen, jo rathe ich Ihnen, fich don Ges
gentheil zu überzeugen, und einmal
mit uns zu Mittag zu eſſen.“
„Liebfte Frau Bitterle!“ fage ich
und halte die Hand hin, „es gilt. Ich
ſpeiſe Heute mit Euch.“
Jet kommt der Apotheker die Treppe
herauf, der Sater ift fill, aber der
Bitterle knurrt.
„Du Mann,“ ruft ihm die Frau
entgegen, „denke Dir, wir haben heute
einen lieben Gaft!”
„Hol ihn der —“ brummte Bit-
terle, „fo oft man im Steueramt zu
thun Hat, ift der Humor für den ganz
zen Tag weg. Wer ift es denn?“
Da trete ich vor. „Freund,“ ſage
ih und halte ihm beide Hände ent—
„die Schrift fagt: wenn Du
Jemand beleidigt haft, fo lafje die Sonne
nicht untergehen, ohne ihn zu verſöh—
nen. Ih mag die Sonne nicht einmal
den Zenith überjchreiten laffen, ohne
Dir Abbitte zu thun. Im Drange des
Geſchäftes entrollt Einem eben manch—
mal ein berbes Wort, ohne, dab man
Parteien eigentlich anfieht, wer jie
find. Schlimm war's nicht gemeint,
Franz, ih muß mit Dir heute eine
Flaſche Wein ausftehen, Du, ftelpere
38*
596 u
nicht, da liegt ein großer Kater. Grüß |die Unfterblichleit etwas thun will —
Dich!“ ein wenig Propagande gemacht für den
Da hätte ich den Kerl fehen mögen, | Altkatholiciamus und war deswegen
der mich jet die Treppe hinabgeworfen! |von dem clericalen Wocenblättchen or=
Gerührt reichte mir Herr Bitterle die | dentlich plattgebügelt worden, auf was
Hand. ih Schon vergeffen Hatte, Und mu
„Er gibt uns die Ehre mit uns |foll mich der Propſt, ein kirchenftrenger
zu ſpeiſen,“ rief die Fran und war Mann, heute zu Zifche laden. Noch
einſig bejchäftigt, das Zimmer zu rich |dazu war Freitag, da die Geiftlichen
ten und den Tisch zu deden. „Müſſen kein Fleiſch eſſen. Die Bosheit meiner
halt fürlieb nehmen. Wenn ichs nur Partner war grenzenlos.
um eine Stunde früher gewußt hätte! Indes, der Muth verlieh mich nicht,
Sch Habe zwei Hühner. Nun, verhuns |obzwar ich unterwegs ſchon den Speife-
gern werden wir nicht. Sch bitte, iſts zettel zujammenftellte für das Mahl
gefällig ?* der Stadtarmen. Als ich durch den
Kurz, es ward ein munteres Mahl. Hof der Propſtei ſchritt, begann ich
Ich wußte allerhand Schnurren und zu ahnen, daß die Wahl des Tages
trällerte mitten durchs Nindfleifch und ‚beim Propft doch nicht ganz jo boshaft
den Leinöl- Salat heraus tirolische | fein mußte, als ich mir vorgeftellt. Der
Schnaderhüpfeln, denn mein Gaftherr beſtechendſte Schmorduft machte meine
war ein Tiroler. Baterländifchen Wein | Sinne wirbeln; am Brunnen wurden
tiichte er auf und nad) der erften Flaſche Filche ausgeweidet und ein Mann trug
Ihon machte er Allem Ehre, nur nicht einen Flaſchenkorb die breite Stein-
feinem Namen Bitterle. Die Frau | treppe hinauf. — Heute, wenn Du
brachte zum MUeberfluß noch Aufge- ſchlau wäreſt, Heute lohnte es fich der
jchnittenes, wozu ich insgeheim gerne Mühe, dachte ich, aber es fiel mir feine
meine Wett- Partner eingeladen hätte, | Form und feine inte ein und Har
die ih fhon unten auf der Straße wurde es mir, wenn der hochwürdige
ftehen fah, jpähend, wie e& mir wohl! Herr mich aus eigenem Antriebe nicht
ergienge beim Apotheker Bitterle. Wie zu Tifche lädt, mit Liften kann man
waren fie erftaunt, als ich das Fenſter ihm nicht bei, abgejehen davon, daß
öffnete, und in der einen Hand eine man fich bei folchen Herren nicht3 ver—
Havannah, in der andern ein ſchäumen- | geben darf. ch bedauerte, in meiner
des Stängelglas jchweigend, ihnen zu= Prahlſucht mich zu weit vorgewagt zu
trank auf gute Gefundheit. haben, in jedem Haufe zu B. wird
Sp war die erfte Probe glänzend für den Karl doch nicht gededt jein.
ausgefallen und am nächſten Morgen Ich trat durch das Stiegenhaus,
— ich geftehe es — ftieg ich abjicht- ſchritt durch einen düfteren Kreuzgang
ih mit dem rechten Fuß zuerſt von und Hopfte an der Thür des Herrn.
der Banf, auf daß ich nicht minder Als ich eintrat, fam er mir von feinem
glüdlih fein möchte. Vormittags kam Pulte Her, wo er augenjcheinlich ger
mir der Gedanke, ob ich mir gegen leſen hatte, mit falter Höflichkeit ein
alle Fälle nicht ein Paar Frankfurter | paar Schritte entgegen. Das war's,
holen lafjen follte, gewann aber die was ih am meiften gefürchtet hatte.
Oberhand über das Gelüfte und er- | Gegen einen tüchtigen Zornerguß, wie
wartete ruhig die Weiſung. Punkt er Halblegern doch offenbar gebührt,
halb zwölf war fie da: Heute, Freitag war ich mit allerlei PHilofophie und
den 12. Juni beim Heren Propſt. Humor gerüftet gewejen, aber ein glat—
Beim Propſt. So ſchlimm hatte |ter Eiszapfen läßt fich nicht anfafjen.
ichs nicht erwartet. Ich hatte die legte Mas mir zu Dienften wäre? war
Zeit her — weil man doch auch für | feine Frage.
ns
„Herr,“ entgegnete ich, „es muß!
nicht heute fein, es kann auch ein
anderömal fein. Ich mollte nur ges
beten haben, daß Sie mir einmal ein
halbes Stündlein ſchenken möchten.
Es läge mir dran, es wäre mir wichtig
— Heißt das, wenn ih Sie nidht in»
commodieren follte.”
„Bitte,“ ſagte er fühl und deutete
auf einen Lederjeflel.
„hr ſeid, verſetzte ich raſch Platz
nehmend, „in der Nähe beſehen doch
nicht ganz ſo ſchlimm, als wir Ketzer
Euch malen. Aber vollkommen trauen
mag ich Euch nicht, es müßte mir denn
gegönnt fein, anftatt mit dem hochwür—
digen Herrn Propft, mit einem wohl—
wollenden Freund zu plaudern. Auf
hohem Kirchenſtuhl figend, könnten Sie
mir meinen heutigen Befuch chredlich
ſchief nehmen.“
Ih gebe mein Ehrenwort, daß —
indem ich fo ſprach — mir nicht der
mindefte Faden vorjchwebte, an dem
ih entlang wollte. Der würdige Herr,
der im Ganzen eine recht behagliche
und gemüthliche Erfcheinung gab, mochte
vermuthen, daß der ſonſt allenthalben
wohlgelittene, fröhliche Stenerbeamte
ſich bei ihm feines altlatholifchen Trei-
bers wegen zu rechtfertigen fuchen |
wollte, oder wohl gar Belehrung über
diefen Punkt. Er war fein genug,
jolhem Vorhaben die Wege zu glätten,
er ſchmunzelte und Elingelte nach einer,
Flaſche Wein. Das war verfahren. |
Wer eine Flache Wein auftifcht, hat
nicht die Ablicht, zum Mittagseſſen zu
laden. Doch plötzlich zuckte durch meinem
Kopf die rettende Idee.
Ich war ſehr ernſthaft und ſagte:
„Es ſollte mich nicht kümmern und es
gienge mich nichts au. Ihr Herren
mögt thun was Ihr wollt. Aber es
gilt eine Wette. Ich behaupte, es iſt
nicht wahr, daß die geiftlichen Herren
das felbft niemals halten, was fie An—
deren predigen. Es ift nicht wahr,
daß Jich die Herren an Faſttagen Fleifch-
jpeifen auftafeln laffen, Fiſche, Krebſe
und Schneden natürlich ausgenommen.
597
Ja, es ift nicht einmal wahr, daß fie
ihre Faſtenſpeiſen mit Schmweinsfett
fohen. So behaupte ich, aber die
Anderen betheuern, Ihr fülltet jelbft
Euere Torten und Freitagskuchen mit
Schinken, Ganslebern und anderem
Tleifche. Das wäre fein Falttag, habe
ich gejagt, und ich gebe es nicht zu.
Alle find gegen mich und wir ftreiten
bin und Her und endlich bin ich ihnen
hereingefallen. Einen Eimer Reinig-
baufer gilt es.“
Mit großer Dejparation brachte ich
das dor und trank; der Propſt lachte
und trank aud.
„Sch hätte,“ fuhr ich fort, „zur
Richtigftellung den kürzeſten Weg neh—
men können, den in die Küche, welchen
wahrfcheinlih meine Gegner finden
werden. Aber ich halte das nicht für
correct. Ich gehe ſtets den geraden
Meg und bitte Ener Hochwürden, die
Mette entfcheiden zu wollen.“
„Aber lieber Freund!“ lachte der
Propſt, „wie foll ich in diefer Sache
entfcheiden ? Umd wenn ich jeden Frei—
tag eine ganze Fleifchbant aufäße, fo
müßte ich es leugnen und im Worte
wenigitens das Kirchengebot vertheidi—
gen. Das follen Sie ja willen und
wiffen es auch, und darıım werden Sie,
und werden es Ihre Gegner mir nicht
glauben, wenn ich fage, daß in meinen
Haufe das Faſtengebot genau im kirch—
lihen Sinne: gehalten wird.”
„Herr!“ ſage ih und ftehe auf,
„ich Habe das Vergnügen, Sie feit neun
| Jahren perſonlich zu kennen. Ihr Wort
genügt mir vollkommen.“
„Und ich werde es Ihnen trotzdem
durch die That beweiſen,“ ſagte der
Propſt, „daß wir katholiſche Prieſter
auch nach unſerer Lehre leben. In
zehn Minuten von jetzt iſt Mittag, ich
werde mich mittlerweile nicht von Ihrer
Seite begeben und Sie erweiſen mir
die Ehre, Heute mit mir zu ſpeiſen.“
„Herr,“ füge ich und verneige mich
tief gerührt, „die Ehre ift meinerſeits.“
Eine Biertelftunde ſpäter ſaßen
‚wir, ihrer vier Heitere Priefter und
meine Wenigfeit, im Refectorium umd
Ihmausten. Ach muß wohl geftehen,
daß ih mein Lebtag feinen ſtilgerech—
teren Faſttag gehalten Habe, als an
jenem Freitag. Erbjenfuppe, Salat mit
harten Eiern, Forellen mit Krentunke,
Rahmſtrudel, Hummer mit Mayonnaife,
Obſt, Käſe, ſchwarzer Kaffee mit Gi-
garren, Kerichbacher und Dfner-Weine.
Als der Kaffee credenzt ward blidte
mich der Propft triumphierend an; ich
drüdte ihn die Hand. „So wird Euch
halt immer Unrecht gethan von der
böjen Welt,“ jagte ih. „Hoch! Es
lebe die Cleriſei!“
Mährend unfere Gläfer aneinander-
“ Hangen, erhob ſich draußen auf der
Gaſſe ein Lärm. Meine Partner waren
wieder dort verſammelt und ſtimmten
laut in unfer Hoc ein.
„Sie follen heraufkommen!“ rief
der Bropft, „auch dieje Herren müſſen
jih überzeugen!“
So fahen wir bald Alle zuſammen
iu der Runde und hielten bei mun—
teren Reden ein jcharfes Trinken,
. Erft im Abenddunfel giengen wir
mit illuminierten Köpfen nah Dauie,
heißt das, ich zum Lindenbräu. Der
Propft und ich waren dide Freunde
geworden und mir fiel es nicht mehr
ein, mich je noch einmal um den Alt-
Stadt theilte den Hummer mit der
jtillen, hochachtbaren Frau, Niemand
aber wagte fie in ihrer Trauer zu
ftören, fie wünfchte allein mit ihrem
Knaben zu fein und das Andenken an
den geliebten Gatten, mit dem fie kaum
vier Jahre glüdlich verheiratet geweſen
war, in der häuslichen Stille zu feiern.
Ich, als übermüthiger Burfche und
mitunter ganz raſender Witzbold be=
faunt, war durchaus micht die richtige
Berufenheit, um der trauernden Witwe
einen Beſuch abzuftatten.
Schon wollte ich mich meinen kück—
iſchen Partnern ergeben, als mir ein—
fiel, daß auf diefer Erde mitunter
ganz unglaublihe Dinge zu geichehen
pflegten, daß ein einziger Mann, wie
Napoleon, die ganze Welt erobert hätte,
warum follte e& mir nicht gelingen,
ein einfaches Mittagseſſen bei der Frau
Näthin zu erobern!
Ih gieng in die Neugafje, wo ihr
Haus ſtand. Schon von außen war
dasjelbe mit einem gewiffen weihevollen
Frieden umgeben; die Fenſter waren
mit weißen Borhängen verjchleiert. Ich
zog an der Klingel. Die Magd rief von
der Küche her, es fei offen, was man
wolle ?
Ob die gnädige ran zu Sprechen ſei?
„Ach Gott,“ fagte die Magd als
fatholicismus zu kümmern, da es fich | fie mich erkannt hatte, „Sie will immer
bei dem noch älteren fo trefflich leben ließ. | allein fein, und wie gut wäre es,
Nach diefen zwei fo glänzend bes wenn fie fi etwas zerſtreuen ließe!
ftandenen Proben hätte ein Anderer | Die gute Seele wird mir noch krank.
an meiner ftatt wohl erwarten mögen, | — Berfuchen Sie es nur,“ flüfterte fie,
daß am dritten Tage ih die Partner, wies gegen die Zimmerthür und machte
felbft zu einem folennen Mittagsmahle mit dem gebogenen Finger die Gefte
einladen würden. Aber der hätte meine des Anklopfens.
Freunde fchlecht gelaunt. Am dritten, Das lieh ich mir freilich nicht
Tage um Halb zwölf Uhr kam der zweimal gejagt fein. Nach wiederholten
Befehl, dab ich bei der Frau Regie- elwas ängſtlichem Klopfen hörte ich ein
rungsräthin Langen zu Mittag eſſen | heiferes Herein. Jch trat in das Zim—
follte. Das war zu viel. Die Frau mer. Sie hatte eben — fo viel ich
Regierungsräthin war ein junges hüb= noch bemerfen konnte ihr dreijähriges
Iches Weibchen, dem erft wenige Wo= Knäblein geherzt, jetzt fand fie auf
hen früher der Negierungsrath ges und gieng mir ruhig ein paar Schritte
fiorben war. Die Witwe lebte feither entgegen. Ihr Geſichtchen war ſehr
ganz zurüdgezogen mit ihrem Kinde | blaß und in den großen ſchönen Augen
und einer alten Magd. Die ganze; waren Spuren von Thränen, die jie
599
jeßt wie durch eine zufällige Handbe— „Ich mag nicht,“ antwortete der
wegung über das Gelicht zu verwiſchen Kleine und machte ſich zutranlich mit
ſuchte. meiner rothen Halsbinde zu ſchaffen.
Ich weiß gewiß nicht mehr, welche „Fritzchen,“ ermahnte ihn die Mut—
Worte ich geftottert und was fie mir ter weichmüthig, „ſei brav, iß jetzt
darauf zur Antwort gegeben hatte. Es deine Suppe.“
iſt wohl das Gleichgiltigſte geweſen, „Ich mag nicht,“ ſagte der Kleine.
was man ſagen kann und ich ſah ſo— „Schau, Fritz, wie groß Du ſchon
fort, hier ſei ein raſches Umkehren das biſt!“ ſagte ich und hob das Kind
Beſte. Mit einer verfehlten Thür ent« | hoch empor, was ihm Spaß machte,
ſchuldigte ich mich und trat mit einigen | „und Du wirft noch größer, viel
Verbeugungen überaus plump den Rück» | größer, wenn Du Deine Suppe ißt.
zug au. Als ich die Stiege hinabjchritt, | Dann wirft Du fo groß wie ein Baum.“
tief fie von oben nah: „Herr Karl, „Wirt Du auch fo groß wie
erlauben Sie! Sie haben gewiß der|ein Baum, wenn Du Suppe ißt?“
Verlaſſenſchaftsſteuer wegen mit mir) fragte der Knabe.
zu Iprechen und find zu zartfühlend.... . „Ei freilich.“
Ich bitte, wenn das der Fall ift, mur „So if. Dann effe ich auch.“
heranfzufonmen, mir jelbjt, die ſich „But, Junge,“ vief ich vergnügt,
nun einmal im das Unvermeidliche | „wir wollen miteinander die Mittags»
fügen muß, wird es angenehm fein, | juppe eſſen.“
wenn fi die Dinge endlich geordnet) Ich ſetzte mich zum Tiſch, nahm
haben.“ ‚den Seinen aufs Knie und wir löffelten
Ich trat wieder bei ihr ein. „Sie beide ganz emſig die Suppe aus. Hier—
ind ja der Freund meines Mannes auf fchlang Fritz feine Aermchen um
geweſen,“ fuhr die Witwe fort, „und | meinen Hals und fagte: „Papa, jebt
ih muß mich auch noch bedanfen für darfit Du nicht mehr fortgehen.”
die freundliche Condolenzkarte . . .“ Ich blidte auf die junge Witwe,
„Das liebe Kind!“ rief ich aus unſere Augen zudten jo feltfam an—
und beugte mich zum blondlodigen | einander, daß ich erfchrat. Und wie
Knaben nieder. Diefer blidte mid mich dünkt, fie war auch erjchroden.
etwas befremdet an und fragte dann Wir wechjelten hierauf wieder einige
die Mutter: „It das Papa ?” | gleichgittige Morte, ich ſagte, daß ich
Die Frau antwortete nicht, Jondern | meine Aıntsfache doch beſſer ein ander»
wendete jich bei Seite und weinte. mal abmachen wolle; dem Kleinen ver—
Sch hob das Kind auf meine Arme, ſprach ich, daß ich bald wieder fonımen
trug es gegen die Mutter und flüfterte | würde, und jo verlieh ich die Wohnung.
ihm zu: „Sage der lieben Mama, fie Unten fand einer meiner Partner
foll nicht weinen; fie hat ein fo ber= | und machte ein triumphierendes Geficht.
ziges Büblein, fie ift jo jung noch und | „Diesmal alſo abgeblitzt!“ lachte er.
joll fich wieder freuen an der fchönen | „Wie ſo?“ fragte ich, „bin ein—
Melt.“ | geladen worden und habe zu Mittag
„Ih danke Ihnen,“ ſagte fie und | gegeffen.“
legte einen Augenblid ihre Hand auf) Drei Monate fpäter gieng ich mit
meinen Arın, „die Leute meinen es) demfelben Partner ſchwarz befradt zur
fo gut mit mir. Es ift eine traurige | Frau Negierungsräthin, aus welchen
Zeit für mich.“ Anlaß — ihr werdet es vermutben.
Seht kam die Magd mit einem | Sie zierte ſich nicht lange, fondern er=
braunglafierten Zöpflein und einen | bat fih die Jährung des Todesfalles.
Schüfjelhen herein und fagte zum Am 13. Juni 1886, es war das
Knaben: „Fritz, Deine Suppe ift da!“ liebliche Pfingſtfeſt, Haben wir Hochzeit
600
gehalten. An demfelben Tage gaben Jauf gute Gefundheit des Mannes, der
meine Wett-Partner den Stadtarmen — ein Liebling der Stadt — nicht
ein Mahl. Rindfuppe mit Mark und bloß zu Tiſche geladen wird von den
Leber, Rauchfleifch mit ren, Schweins- | Wohlhabenden, fondern auch von Kin—
braten mit Salat, Reispudding und |dern und Armen.
Mein. Ich führte meine junge Frau Ich aber lieh vom Lindenbräu den
in den Saal, daß wir uns an | Stanarienvogel holen und in unfere neue
dem Behagen der alten, lahmen und Wohnung bringen, nahm von diefer
tauben Zafelgäfte erfreuten. Alfogleich | Zeit feine Wetten des Mittagstifches
boten fie uns einen Ehrenplag, wir wegen mehr an, fondern fpeiste ftets
tranfen auf ihr Wohl, und fie tranten |bei mir felber. Und mit guten Appetit.
Drei Frühlingslieder.
Bon Guflau Slarke.
I.
"us dumpfer Zimmerſchwüle
d Macht treibt'8 mic hinaus,
Die engenden Gefühle
Lak ich, gleih Fauft, zu Haus,
Der Mai lat auf den Fluren,
Grün jhimmert jhon das Feld,
Mit Auferftehungsipuren
Bededt fi rings die Welt,
Nun, Du gedrüdte Seele,
Breite die Flügel weit
Und mit des Vogels Stehle
Juble voll Seligfeit.
11.
Heb Did über Thal und Hügel,
Lab den grünen Wiejenplan,
Breite, Seele, Deine Flügel,
Schwing Dich jaucdhzend himmelan.
Bade Did im reinen Wether,
Labe Did im Sonnenglanz,
Blei dem andachtsvollen Beter
Vor der heiligen Monftranz.
Denn wohin Dein Blid fid) wendet,
Staubbededt Dein Fuß auch gebt,
Bon der Schönheit Macht geblendet
Grüßt Dih Gottes Majeftät!
III.
Blüten, Blüten überalt,
Blüten allerwegen,
Blüten weh'n von Berg und Thal
Grüßend mir entgegen.
Blüten weh'n zu meinem Fuß
Wie in flücht’gen Tänzen,
Blütenmai und Blütengruf
Kommt mein Haupt zu fränzen.
O Du holder Blütenjchnee,
Schönfter aller Boten,
Schwing Di auf und grüfend weh’
In das Rei der Todten.
Nicht nur mir mit Würzehaud
Sollſt Du milde fädeln,
Nein, den lieben Todten aud
Gönne Frühlingslädeln;
Denen nun fein Mai mehr ladt,
Ihre Gräber kröne,
Daß fie in der Todesnadt
Ahnen Deine Schöne!
601
Der Maibaum.
Ein Bild aus dem fteirifchen Vollsleben von R.
um Maiengruß ein friiches mine
Eniges Bild aus dem Leben.
Wen es neu ift, der mag fich an der
frohen Bolfsfitte ergößen, wen es be
fannt ift, der bedenke, daß auch der
Mai Jedem bekannt ift und doc
Keinem langweilig, wenn er fich twie=
derholt. Der Maibaum ift ja auch ein
Stud Mai. —
„Bauer,“ jagt der Stleinhäusler
Poldel, „was foftet der Baum, der
oben im Schaden fteht, wo ſich die
Wege kreuzen, der junge hochaufge—
ſchoſſene Fichtenbaum?“
„An dem das Vogelneſt
entgegnet der Bauer.
it ?“
„Schau, Bauer, Haft Du ihn ſchon
jo genau begudt ?“
„Freilich, und mir fcheint, Du
haſt's auch geihan, Poldel. Bielleicht
nimmft einen Andern.“
„Ich brauch’ einen, der gut fteht.”
„Eh, das weiß ich, dak Du einen
folhen brauchſt. Für Welche dem,
wenn man fragen darf?“
„Werden wir handelseind, Bauer,
jo fage ih Dir’s. Was das Bezahlen
anlangt: einen Tag zum Kornſchneiden
Haft mich, im Sommer wern’s zeitig iſt.“
„Eine Ned’! Poldel, der Baum
gehört Dein. Für meine Dreifaltigkeit
thut's auch ein anderer,“
So wird’3 ausgemacht zwiſchen
dem Großbauer und dem Stleinhäusler.
Der Großbauer ift diefem weit über,
on Bäumen und an Jahren. Er denkt
nicht mehr d’ran, einem Dirndl den
Maibaum zu jegen, er wendet feine
Inbrunſt bereits einem Andern zu
und ſimuliert, wie er am erften Mais
tage dem lieben Gott eine Aufmerk—
ſamkeit erweijen werde dafür, daß er
es wieder Frühling werden laſſen,
daß er das Korn, welches im vorigen
Herbft in die Erde gelegt wurde,
wieder aus dem Grabe ruft, und daß
er den Baner diefe erfreuliche Zeit
noch einmal lieh erleben. Vor dem
Hofe auf freiem Anger fteht eine Feine
Kapelle mit dem Bildnis der heiligen
Dreifaltigkeit. Der Baner wird im
Walde einen jungen jchlanfen Bann
ſchlachten, wird ihn entrinden bis an
den Wipfel, an Ddiefem die grünen
Zweige ſchmücken mit bunten Bändern
und xothen Roſen aus Papier, und
‚wird diefen Baum an der Dreifaltig-
keits-Kapelle aufrichten, daß es ‚ein
| öffentliches Dantopfer fei, oder daß —
wie einmal der Hegel-Naß jo unziem—
ih gefagt hat — die Leute fehen:
der Großbauer bleibe dem Hergott'
nichts ſchuldig und er bezahle den
ihönen Mai mit dem noch jchöneren
Maibaum. Denn um die fünftlichen
Blumen und Bänder ift lebterer erſte—
ren „über“.
Diefer Maibaum braucht das Tages:
licht nicht zu ſcheuen; am Vorabende
des erſten Mai wird er gelaffen und
jorgfältig aufgeftellt, und ſetzt's für
die Arbeiter hernach ein gutes Veſper—
brot. Und wenn dann in der Däm—
merung die Fledermäuſe hin- und her—
zufahren beginnen, ſehen fie den Stamm,
der jo weiß ift, dab er ihren ſchwachen
Augen weh thut. Alfo wär's, wen
die Menſchen Mai machen müßten:
lauter table, trodene Stäbe, lauter
| dürrer, bumtbefteichener Flitter! Aber
den lieben Gott Freut der gute Wille
doch, und reicher und gewaltiger an
Schönheit und füher Pradt läßt er
602
den Lenz erftehen in den Thälern | Teufel. Noch öfter fteht er gerade
und auf den Bergen. empor zum Himmel, und das ift —
Degt aber, der SHeinhäusler Poldel, | Gottlob — beim Poldel der Fall.
der muntere lebfrifche Burfche, der Nun — die Arbeit gethan —
gibt feinem Maibaum eine andere wird ein wenig geminnt. Der Burfche
Bedeutung und einen anderen Boden. ſtellt ſich anu's Fenfterlein und macht
Sein Maibaum muß wachen über | mit halblautem Geflüfter feinen Spruch:
Nacht, wie Pilze wachlen nach einen
Negen; feinen Spatenftih darf man
hören, ohne alles Geräufch muß der
ſchwere, ſchlanke Stamm emporgehoben
und in die Grube gefentt werden. Im
Nübelhof ift fie daheim, die Kleine!
die Liebe! Der Poldel ift ſchon fo
weit mit ihr im Nichtigkeit, nur will
fie's immer noch nicht vecht glauben,
dab es fein Ernſt iſt.
Burſchen machen oft Spähe mit folchen
Dingen, und Mädchen, die d'rauf gehen,
werden ausgelacht — und oft mehr
als das.
Da kommt der erſte Mai und mit
ihm ein Landesbrauch, der den Poldel
Gelegenheit gibt, es öffentlich aus»
Uebermüthige ehr fo Sprüchlein
„Mein Herz und mein Sinn
Sit im Stamerlein drin,
Wia ftell ih's denn an,
Daß ih nad eini fann?*
Junges Blut hat guten Schlaf,
‚aber derlei wedt es doch. Nur ift das
Dirndl im Nübelhof fo ſchlau und
meldet fich nicht, denn fie will noch
hören. Daher
fährt er fort:
„Du herzi liabs Schagerl,
Du Himmelihlüfil,
Steh’ auf und mach auf
A Moanwinzigs Biſſl.“
Inwendig ift ihr ſchon über die
zurufen: Er freit das Dirndl im Maßen heiß, mach außen bewahrt fie
Rübelhofe!
Im Walde oben, wo der Baum
gefällt worden, wird er auch entichält
— Alles ganz Heimlih — nur der
Grüne Wipfel mit feinen weichen
Zweiglein und Streuzlein bleibt gar
forgfältig geſchont und Hat jich der
Voldel viel Tabakgeld koſten laſſen,
um ihn mit rothen und blauen Seiden—
bändern zu ſchmücken, vielleicht noch
ein Herz oder einen Reiter aus Leb—
kuchen oder dergleichen hinaufzuhängen.
Beim Entſchälen des Schaftes wird
geachtet, daß hoch oben ein paar Rin—
denkränze d’ran bleiben, die wie Kro—
nen gezadt werden.
Die Kameraden find beftellt, und
kommt die Nacht, fo tragen fie diefen |
Baum hinab in das Thal, und am
Niübelhofe, gegenüber dem Kammer—
fenster des Dirndl's wird er aufges
‚immer noch die Rube.
| Fe
Da ſingt er:
„Dirndl. bift ftulz
Oder fenft mih nit,
Oder is däs
's recht Fenſterl nit?“
Jetzt gibt's Für fie kein Halten
‚mehr, denn das letzte Liedel iſt voll
von Irrthümern. Sie kennt ihn recht
gut und iſt vor ihm auch nicht ſtolz,
daher iſt es wohl wahrlich das rechte
Fenſterl. Ein klein wenig thut ſie den
Schuber auf und flüſtert heraus:
„Ih bin nit ftulz
Ih kenn Dih wul,
Du biſt da Bua,
Der kema jul.“
|
Weiter zu horchen geziemt uns
"nicht. Es muß uns genügen zu willen,
ſtellt. — Im Haufe jchläft Alles; daß in ſtiller Naht der Maibanm
der Kettenhund it beftochen, die Ar- ſeine Weihe erhält. Und was die
beit wird mit Mühe vollbraht. Oft; Nacht huldreich verhüflte, der Mai—
geräth es nicht, der Baum hängt, morgen macht es freudig offenbar.
hängt nach einer Seite — das ift des. Als das Dirndl das Fenſter aufthut,
603
damit die Mailuft bereinfann — dem auf, um Gäfte berbeizuloden. In ein—
Alles trachtet an diefem Morgen der |zelmen Gegenden pflegt man mit Wein
Friſche zu, „Mailuft Schöpfen! Mais gefüllte, gut verkorkte Flafchen an den
luft ſchöpfen!“ — da Sieht fie's: vor | Wipfel zu hängen, die dann im Früh
dem Fenſter fteht ſchlank und blank | herbft, wenn der Baum umgelegt wird,
in der hellen Sonne das Ausrufungs- ausgetrunten werden follen. Solcher
zeichen der Liebe! Trunk ift für allerlei Herzweh gut.
Was fagen die Leute dazu? — | Manchmal find auch ſchlimme Sachen
Schau, hau! fagen die Leute dazır, [an dem MWipfel, Sachen zu Hohn und
und das ift fehr viel gejagt. Der) Spott, denn fo ein Maibaum ver-
Vater, die Mutter laſſen ihr Töchterlein | dankt feinen Ursprung mitunter der
rufen. Eitelfeit, der Eiferfucht, der Tüde ıc.;
„Vater, vielleicht hat's der Bruder das Bauernherz hat mehr Kammern
geihan, er Hat mich gern.“ als vier.
„Der Bruder, mein Kind, der Un Maibäumen ift Schon manche
bat das nicht gethan. Schau hinüber | fröhliche, aber freilih auch manche
dort an die Berglehne, vor dem Lehmer- | tragische Dorfgeſchichte gewachſen. Bon
hof Steht auch ein weißer Stamm. ſchlimmer Bedentung ift ein verſtüm—
Das hat Dein Bruder gethan.“ melter Maibaum. Es geichieht oft,
„Mutter, jo haben fie es unferer | daß er Schon im der erjten Nacht, oder
Magd gethan.“ in einer Späteren — denn er fteht
„Leugne es nicht, Kind. Wenn's über den Hochſommer hinein — von
fein Ernft ift! Wir können es uns | boshafter Hand, zumeift aus Eifer—
ja wohl denken, wer Dir den Mais ſucht, beichädigt wird. Da hängt er
baum gebracht hat. Aber jag’ nicht zu | am Morgen entweder nach einer Seite
früh Ja. Lab ihn neunmal fragen, | hin — chief und quer, wie ein Strid)
bis Du Ja jagft. Im Eheftand kommt durch die Rechnung, oder der weiße
eine Zeit, wo ev Dir das vorzeitige | Stamm ift beflert, es flattern am ihm
Ja vorhalten wird. Lab ihn neunmal ſchmutzige Fetzen, oder er ift gar aus
fragen, damit Du ihm’s vorhalten | feinen Grundfeften gehoben, auf den
fannft.* Boden Hingeworfen worden, und fein
Das thut fe. Schon am nächiten | Wipfel ift zerzaust, geplündert, iſt
Sonnabend kommt er und frägt fie | vielleicht vom Stamme getrennt, auf
neunmal raſch Hinter einander. Nach den Dunghaufen Hingepflanzt und ge-
dem neunten Mal jagt fie ebenfo | ziert mit zweideutigen Symbolen. Und
raſch: ja. Der Vogel, der oben ii Bann, der don einem lieben
Wald fein Neft gebaut, hat den ſchlanken Burfchen dem Dirndl zur Ehre auf:
Baum nicht vergefjen, er muß ihm |geftellt worden, wird nun ihre zum
wohl noch am Wipfel erkennen, denn | Schimpf, der nimmer vergeht. —
er fliegt um den Maibaum, daß feine) „Ei Shan! Ei gud! Das ift Die mit
Flügel an die zitternden Bänder | dem verftümmelten Maibaum!“ Das
ſchlagen ... Wort verfolgt ſie ſo lange, bis ſie ſich
Wenn Ihr, liebe Freunde, im Früh- in die Arme des Ehemanns zu retten
ſommer durch's ſchöne fteieriiche Land | vermag. Nach Einer mit verſtümmeltem
fahret, jo jeht Ihr in den Dörfern die Maibanme it aber feine große Nach»
weißen Scäfte mit den bufcigen | frage; der ursprüngliche Geliebte wird
Mipfelm hoch anfragen über die Dächer. | nachdenklich md argwöhniih. „Ganz
Ihr wiſſet nun, daß fie entweder ohne Grund kaun's doch nit fein!
frommen Sinn bezeigen oder helles | Es muß was dahinter fteden!* Wenn’s
Liebesglüd bedeuten. — Auch die auch noch zur Heirat kommt, die
MWirtshäufer Stellen mitunter Maibäume reinen Freuden find dahin. Und jo
604
braucht man gar nicht abergläubijch |
neben mir dahergehen Jollit ?“
eines Maibaumes fchlimme Vorbedeu—
zu fein, um an der Verſtümmelung
tung zu ſehen.
„Hab’ ih Dich gebeten, dan Du
Beide blieben ftehen. Sie ftanden
unweit dem Kammerfenſter der Schönen
Ih weiß etwas von zwei Mänz | Haustochter Thrinel.
nern. Die giengen in einer Nacht
„Ich glaube gar, der alte Schragen
neben einander über den Feldweg. will auch noch zum Fenſter!“ knurrte
Der Eine war groß, hatte übermäßig
breite Schultern, der Kopf, auf deijen
Noden ein zerfchliffener Hut ſaß, war
ſtark nach vorn eingefnidt. Er Hatte
eine ſcharfkrumme pfufternde Nafe und
unter derjelben einen buſchigen Schnurr—
bart, der in der Nacht ſchwarz, beim
Tage aber grau war. Er hatte mur
noch das rechte Auge, das linfe mußte
er einft in feiner Jugend der Herz—
liebften opfern, oder vielmehr dem
withigen Nebenbuhler, der es ihm
bei einer Nauferei aus der Höhle ſchlug.
Das war der Hoizfnecht-Werfel.
Der Andere war ein fchlanfes,
behendes Bürfchihen, aufrecht wie ein
Kerzlein, Hatte den Halb ftädtifchen
Hut tief in die Stirn gedrüdt und
machte zwei jchlenlernde Schritte, jo
oft der Große mit feinen krummen,
hageren Beinen und mit Stüße des
Stodes einen jchwerfälligen Schritt
that. Der Stleine war der Schuiter-
Sydel.
Sie waren am Kreuzwege zuſam—
mengetroffen.
„Schuſter-Sydel!“ jagte der Holz= |
fuecht, „wo gehft denn heut’ noch hin
— fo fpat?*
„Ich Hab’ Di auch mit gefragt,
wo Du hingehſt,“ antwortete der
Andere.
Sie giengen neben einander, und
jo oft fie an eine Wegzweigung kamen,
hoffte Jeder, der Andere würde ab—
biegen. Aber fie giengen nicht aus=
einander, fie hatten den gleichen Weg,
und der führte fie zum Kogelhof.
„Biſt jet da daheim?" fragte der
Schuſter.
„Biſt Dur jetzt da daheim?“ fragte
der Holzknecht.
„Bei der Nacht brauch' ich keinen
Schatten,” ſagte der Schuſter.
der Schuſter.
„Schenirt Dich das? Mich nit,
und ich denk', fie auch nit.“
„Du Werfel! Bei dem Fenſter
haſt nichts zu thun, das ſag' ih Dir!”
„Höllfaggra!“ fluchte der Holz»
knecht und ſchwang feinen Stod, „ic
will Dir weiterhelfen !*
Im felben Augenblide ertönte vom
"Hofe her eine derbe Stimme:
WWart's, Ihr Kater, Ihr ver—
‚liebten, ih will Euch Sauborften in
die Haut ſchuiſſen!“
| Die beiden Männer ftoben aus
einander, und nun fah man's, wie
flinf auch der Werfel noch laufen konnte.
| Die Thrinel weinte die halbe Nacht
darüber, daß der Bater den Sydel
verſcheucht Hatte, deſſen Gaflelfprüchen
fie fo gerne laufchen mochte. —
Einer der nächſten Tage brachte
den Mai. Als die Thrinel ihre blauen
‚Augen aufjhlug, ſtand draußen vor
‚dem Fenfter im goldenen Morgenfons
nenſchein ein Maibaum.
Sie erſchrickt in heißer Freude;
der iſt vom Sydel. Aber geht denn
ein Sturmwind, daß der Baum jo
zittert und wanft? Sie eilt an's
Fenſter, da fieht fie ed, am Fuße des
Maibaumes ringen zwei Männer. Der
Sydel und der alte Werfel. Den Baum
"haben fie in der Mitte umd ringen
‚mit verbiffenen Flüchen. Der Werfel
will den Stamm aus der Erde heben,
der Andere ſucht ihn zu Halten, zu
Ihügen. Aber der Holzknecht weiß
beffer umzugehen mit den Bäumen,
als der Schufter — der Stamm hebt
ich, noch ein Ruck! er wankt, neigt
ſich, fällt und reißt die beiden Kämpfen
‚den mit zu Boden. — Ein dumpfer
‚Schrei, ein Blutjtrom aus dem Munde
des Merfel — der Baum ift ihmſchen und Roſenknoſpen, das in Heime
auf die Bruft gefallen. licher Nacht der Burjche der Auser-
Die Leute eilen jammernd zuſam- | wählten an's Fenſterlein ftedt, hat für
men. Die Thrinel ftürzt Hin auf den | Manche mehr Anwert, als der hoch:
Sterbenden, herzt ihn, küßt ihn, als | ragende weiße Baum, aber da3 heim—
wäre e& der Andere. |
„SH babe genug,“ ftöhnte er
Werfel, „Thrinel, diejes Blut, das ift
ein ſchlimmes Blut gewejen. |
mich tief in die Erden, daß ich die
Weiber in Ruh' lab. Thrinel, geh’
zum Andern, der ift noch geſund.“ —
Vor wenigen Jahren hat ji das
zugetragen im einem Hochthale der
Steiermart. Der Schufter wollte die
Bauerstocher hierauf zum Weibe haben,
fie ſagte:
„Ich bin Dir nicht feind, Sydel,
aber ich nehm’ Dich nicht. Der Werfel
thäte zwifchen uns ftehen... .“
So Hatte fie der Alte herumge—
friegt. Einen, der ihretwegen lebt,
thatet umd leidet, können die Weiber
vergefjen, aber Einen, der ihretwegen |
ftirbt, den vergeſſen fie micht. Friſcht
Ihon nicht immer die Liebe das Ge»
denken auf, fo thut's doch die Eitel-
feit gewiß. —
Es gibt Leute, denen die Liebe
ohne öffentliches Ausrufungszeichen |
beſſer behagt.
„So warm is fa feuer,
Ka Gluath is jo hoaß,
Als wia hoamliche Liab,
Von der Neamand was woaß.“
Oder:
„Wia ftiller die Nacht,
Um fo jchöner jein d’Stern,
Wia hoamlicha d’Liab,
Defto mehr hab’ ih's gern.
Ih thua Dih wohl liabn,
Aba jagn därfft es nit,
Wan’s d’Leut amal wifin,
Nahher mag ih Dih nit.”
Für dieſe Urt der Liebe ift der
Maibanın nichts, ſie Hat nicht die
Legt’ | Maibauıne
lie Sträußchen — ih mödte es
trogdem der Jungfrau nicht rathen —
es ift ein gefährlich Ding. Aus dem
fann man PBrautjtäbe
ſchnitzen, wie folche früher als Zeichen
der Würde des Cheftandes getragen
worden find. Der Strauß welt aber,
und wenn man jeine dürren Blätter
in’3 Gebetbuch legt und fie in jpäteren
Tagen wieder anfieht, jo muß man
dabei weinen, —
Ein junger Bauerndichter hat einſt
feiner Liebften den Maibaum unter
Couvert geichidt:
„Der Mai, der jhöne Mai
Is erfreulie Zeit,
Is die ganz Welt voll Liab
Und voll Luftbarteit.
Im Waflerl drein glanzt’s
Und in Lüften is 's z'hörn,
Aufn Bamerl ſteht's g’ichriebn,
Daß Du mein jollft wern.
63 jung ſchon das G'ſangl,
Es jung ſchon dä Weis
Der Adam und dD’Everl
In PBaradeis.*
Diefer Maibaum oder Maiftrauf
ift bis Heute noch nicht verdorrt; der
Poet hat die Braut zum rofenges
ſchmückten Altare und von demfelben
in fein Haus geführt. Das Haus
wird beſchützt von einem ftattlichen
Yichtenbaume, der im Sommer die
Blige wehrt, im Winter die Stürme,
und im Frühling ein grünender Tum—
melplaß ift all den munteren, jubelnden
Vöglein, die das ftille häusliche Glück
hell hinausfchmettern unter dem blau-
enden Himmel über die blühende Erde.
Iſt er Euch recht, diefer Blid auf das
aus der Mode gekommene Eheglüd?
Wege und nicht die Abficht, den Priefter Ich fage Euch das: der wahre Liebes:
am Altare in ihre Sache dreinreden | Mai unſeres Lebens liegt in der Ehe.
zu laffen. Ein Maiſträußlein von Veil- Alles Andere ift — April —!
Dierblätteriger Klee.
Plauderei von Th. Born.
—
—6—
8 AN ER
—
Glück. Woher die Verheißung
wohl ſtammen mag? Wenn man ſich
ſo ein liebliches grünendes Etwas be—
trachtet, genau, eingehend, kommt es
einem wohl vor, wie ein glückbrin—
gender Talisman. Die zierlichen Blät—
ter in Herzform, die grüne Farbe,
die Farbe der Hoffnung, das klingt
ſo harmoniſch, denn Hoffnung und
Herz ſind ja ſo eng verwebt mit dem
Begriff Glück.
Warum aber gerade das vierblät—
terige Kleeblatt glückbringend ſein ſoll?
Gewiß weil man es ſo ſelten findet, |
jo felten wie — das Glüd. In jeder
Menfhenbruft wohnt die Sehnfucht
nach Glüd, nur die Auffaſſung ift ver—
jhieden. Der Eine fucht das Glüd
in Geld und Gut, der Andere in
Ruhm und Ehre’, der Dritte in Lieb’
und trauter Häuslichkeit. Jeder ringt
und fämpft und jagt nach feinem
Ziele und glaubt er es erreicht, dann
findet er's jo unvolllonmen, fo ganz
anders als er ſich's vorgefteflt und ift
enttäufcht, entmutdigt, die Sehnfucht
ift nicht geftillt, der Kampf beginnt
vom Neuen und endet aus — im
Grab.
Wie ſchön fagt der Dichter: „Das
größte Glück ift ein befcheiden einfach
Herz.”
Ein einfach Herz, ein Herz, daß
fich zufrieden gibt mit dem, was das
Schickſal verhängt, das froh den Augen—
blid genießt, das nichts Vollkommenes
verlangt in der undolllommenen Welt.
„Einst lebte ein Mann, der aus—
geltattet war mit Allen, was der
Menſch Glück nennt. Er hatte Geld
und Gut, Ruhm und Ehr’, jedoch er
war nicht glüdlid. Er verfagte ſich
in vierblätteriges Sleeblatt bringt ! feinen Wunſch, er befriedigte all fein
Verlangen, fein Jh war der Mittel-
puntt, um den Sich Alles drehte, er
flatterte von Freud zu Freude, aber
fein Herz hatte fein Theil daran.
Bon Sehnfucht überwältigt, brei—
tete er die Arme aus und rief: „Wo
bit Du Süd? wo ſuche ih Dich ?
ih muß Dich haben, ich breche mir
Bahn zu Dir und müßte ich mit der
Hölle um Did ringen!“ — Da ver—
nahm er eine Stimme, welche ihm
geheimnisvoll zuflüfterte: „Dort oben,
am Gipfel jenes Berges, da findeft
Du das Glüd." Da jauchzte feine
Seele auf und mühfam erflomm er
die fteile Höh’. Oben angelangt, fand
er zu feinen Füßen ein Fleckchen
Erde, dicht befäet mit vierblätterigem
Klee. „Da, nun falle ih Dich, nun
halte ih Did, Glück, nun bift Du
mein,“ rief er leidenſchaftlich und
gierig entriß er die zierlichen Blätt-
hen der Mutter Erde und barg ſie
an feinem Buſen. Da ftrauchelte fein
Fuß und von Schwindel erfaßt ftürzte
er in die Tiefe.
Nah langer Zeit gieng ein Wan—
derer an einem Heinen ftillen Daufe
vorbei, das abfeit$ von der Heerjtraße
lag und da er hungrig und müde,
begehrte er Einlaß und bat um Lager
und Brot. Beides wurde ihn gewährt.
Als er ausgerubt und gefättiget war,
frug er nad dem Herrn des Haufes,
um felben für das Erhaltene danken
zu können. Da führte man ihn in
ein freundliches Zimmer, das auf den
Beſchauer einen eigenthümlichen Reiz
ausübte. Man fah mur einfache Mö—
bel, aber rings Blumen und Vögel,
Bücher und Noten, Alles jo harmo—
nifch geordnet, fo ſinnig vertheilt, daß
man das Empfinden hatte, bier wohnt!
ein zufriedener Menſch.
Bor einem großen Schreibtifch
Jah ein Mann mit durchgeiftigten Zügen
in einem Schlafſtuhl, zu deſſen beiden
Seiten Krücken lehnten. Ober dem
Schreibtiſch hieng unter Glas und
Nahmen ein Kranz aus getrodıetem
vierblättrigem Klee und in Mitte des |
Kranzes ftanden die Worte: „Semper
felix“. — Stumm bejah der Wan:
derer die trante Umgebung eine Weile,
dann fragte er plöglich, auf den Klee—
franz deutend: „Wer hat Dir das
Bild geſchenkt? Das hält nicht was
es verſpricht.“
„Du irrſt,“ rief der Mann im
Lehnſtuhl, „es hält was es verfpricht,
es brachte mir, wonach ich mich ſehnte
— den Frieden.“
Vierblätteriger Klee bringt Glüd,
woher wohl mag die Berheißung
ſtammen?
Ein alter Edelmann lebte mit
ſeinen beiden Söhnen auf dem Schloſſe
ſeiner Ahnen. Da rief Vaterlands—
pflicht einen der zwei Jünglinge vom
heimiſchen Herde. Als er hinauszog
zum Kampfe, da legte der Vater beide
Hände auf ſeines Kindes lockiges
Haupt und ſprach: „Zieh' Hin im;
Frieden und ſei glücklich.“
Und er zog hin. — — Längft
ihon war der Kampf beendet und
fiegestrunfen waren die Krieger heim—
gekehrt; der Sohn aber fam nicht.
Da jammerte der Greis: „Ich gab
meinem Sinde Glüd- und Segens—
wunsch mit als Geleite und er fehrt
nicht wieder.“
„Bater, ih gehe den Bruder
fuchen und bring ihm Dir oder ein
Zeihen jeines Glückes,“ ſprach der
jüngere Sohn zum Bater.
Er zog weit hinaus in ferne Lande,
um den Bruder zu fuchen, bis er
ihn fand — in kühler Erde. Lange |
ftarrte er thränenfeuchten Blides auf
den einfachen Hügel, der fo ein reines |
—
Heldenherz deckte, dann dachte er
ſchmerzbewegt an den Vater. „Was
ſag' ich ihm? was bring' ich ihm?“
Da lugte ein vierblätteriges Kleeblatt
aus dem duftigen Graſe am Grabes—
rand.
Schweigend nahm es der Jüng—
ling an ſich und ging.
„Du kommſt allein?“ fragte der
Greis den rüdgefehrten Sohn.
„Ich komme allein.“
° „Du fandeft ihn nicht?”
„Ich Fand ihn.“
„O ſprich, iſt er glücklich? Wo
haſt Du das Zeichen ſeines Glückes?“
Schweigend reichte der Jüngling
das Kleeblatt hin. Da leuchtete das
Auge des alten Mannes auf.
„Sprich, gab er Dir dieſes?“
„Er gab es nicht, ih nahm es
— von feinem Grab.“
Ein vierblätteriges Kleeblatt bringt
Slüd, woher die Verheißung wohl
ſtammen mag? Wenn ein Menfchen«
find eine Blume oder ein Blatt bricht,
um es zu zerftüden und wegzu—
werfen, ohne dabei zu denfen, begeht
es einen Frevel. Doch wer Blühen—
des gepflüdt, um fi) oder was
immer damit zu Schmüden, um jich
zu erbauen, dabei zu denfen, zu füh—
lei, der thut recht, denn Gedanken
und Gefühle, die aus Menfchentopf
und Menſchenbruſt entipringen, weihen
und Heiligen. Wer aber könnte ge=
danfen= und empfindungslos ein vier—
blätteriges Stleeblatt brechen ?
Die Berheißung, welche fich daran
knüpft, ift ficherer Bürge dafür. So—
wie das Auge darauf fällt, hat Kopf
und Herz Theil daran. So mächtig
ift in der menschlichen Bruft die Sehne
juht nah Glüd, daß das geringfte
Zeichen Schon Freude Schafft und die
ift oft echter, als das Glück felbit.
Menſchenkind, findet Du ein vier—
blättriges Kleeblatt, trag’ Dir's heim,
die Hoffnung ift ein großes Gut —
ift Glüd.
608
Die Muſterzeitung.
Eine Plauderei von Emil Peſchkau.“)
8
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n Winfelsroda febte ein Mann! Nun wollte er ein Blatt berftellen,
Namens Stephan Mitfcherlih, das eine Mufterzeitung, ein Vorbild
der zur Zeit diefer Geſchichte eine große | für die Zukunft werden follte. Er
Zeitung leitete, die er vor furzem jel= | that das Menſchenmöglichſte— indem
ber gegründet hatte. Mitſcherlich war er es am eigener Arbeit nicht fehlen
in bejcheidenen Verhältniffen aufges ließ und feine Koften faheute. Er war
wachſen und hatte unter mannigfachen Monate lang auf der Fahrt nach Re—
Schwierigkeiten feine Studien volle | dacteuren, denn es ſchien ihm in
endet. Er verfuchte es dann mit eriter Linie nöthig, feinen fogenannten
literarifchen Arbeiten, die aber fein | verfehlten Eriftenzen, denen es mur
Glück Hatten, weil er wohl den guten
Willen, das tüchtige Herz und den
hellen Verſtand beſaß, ohne die man
follte, |
ja überhaupt nicht ſchreiben —
aber nicht jene Gabe der Darftellung,
die allein Manchem jchon, wenn auch
nicht zu bleibendem Ruhm, doch zu
Geld und Ehre verhalfen. Der Er-
zähler hätte fich denn auch mit Herrn
Mitſcherlich kaum weiter zu beſchäf—
tigen, wäre dieſem nicht, während er
gerade noch in dem beiten Jahren
ftand, eine reiche Erbichaft, die weit
über eine Million ging, zugefallen.
Nun konnte er feinen philantropiichen
Neigungen, denen er bisher nur mit
der Jeder in der Hand nachging, auch
in Wirklichkeit leben und er traf ſo—
fort allerlei Beranftaltungen, von denen
er einen Nuben für die Förderung,
der Menjchlichkeit erhofite. Die weit:
aus bedeutendfte feiner Unternehmuns
gen war eine große Zeitung, twelche
er in Winfelsroda unter dem Titel
„Die Bildungswarte* herauszugeben
begann.
hatten fein Intereſſe natürlich Frühe
zeitig auf den Journalismus gelenkt
und er hatte die tiefen Schäden, an
denen derjelbe krankt, Schnell erlannt.
) Aus defien trefflidem Buche:
Seine literarifchen Arbeiten
nm den Broterwerb zu thun ift, die
Führung des Blattes anzuvdertrauen,
fondern nur allfeitig gebildeten, ſchrift—
ftellerifch begabten Männern, die ihr
Amt mit dem heiligen Ernfte eines
wahren Priefterd auszufüllen gewillt
find. Er fuchte feine Mitarbeiter nur
in den Reihen der Dichter, Künſtler
und Gelehrten und verbannte jeden
Dilettantisnus, Weder politifcher noch
jonftiger Klatſch follte die Seiten des
Blattes füllen und auch das Heinfte
Artikelchen follte eine ſchriftſtelleriſche
Urbeit fein. Er kaufte keine Scheren
für feine Nedaction und befchloß, den
Telegraphen, dieſes unermüdliche, tri—
viale Slatfchweib der Gegenwart,
feinen Lefern jo viel wie möglich vom
Leibe zu halten. Mit diefen und an—
deren ähnlichen Vorfäßen gieng er an
die Gründung der „Bildungswarte“.
Er war mit Leib und Seele bei dem
Blatte, es gefiel ihm von Zag zu
Tag beifer und er wäre ganz glüdlich
geweſen, wenn er nicht aus allerlei
Zufhriften die Wahrnehinung gemacht
ı hätte, daß die Zeitung doch nicht Alle
!befriedigte, und wenn ihm nicht die
auffallend geringe Abonnentenzahl zu
denken gegeben hätte. Das jollte an—
„Zeitgloſſen.“ (Leipzig. W. Friedrid.)
609
der3 werden. Die „Bildungswarte“
mußte jo volllommen werden, daß
Niemand an ihr etwas ausfegen konnte,
und die Auflage — fo meinte er —
würde dann von felbjt fteigen. Er
entichloß ſich deshalb, die Wünſche
und Meinungen des Publikums felbft
zu ftudieren und an dem Werke, das
ſchon jet fein ganzes Leben ausfüllte,
nah Kräften zu meißeln und zu
glätten.
An einem Schönen Frühlingstage
beftieg er vergnügten Herzens den
Eiſenbahnzug, der nah dem Süden
führte, Sein rundes Geſicht jah fo
freundlid aus und feine Kleinen,
grauen Augen blidten fo heiter hinter
den großen Brillengläfern hervor, daß
der Mann, welcher ihm gegenüber im
Coupé ſaß, date: „Der Hat gewiß
einen Treffer in der Lotterie gemacht
oder einen Kunden recht über’s Ohr
gehauen!" Und wirklich dachte Mit-
„Sa. Sie hätte fein Temperament,
e3 wäre Alles gelünftelt an ihr. Hat
wahrjcheinlich ein Körbchen von ihr
befommen, der Herr Necenfent ?”
„Und deshalb ift das Blatt
Schund ?“
„Schund, nichts als Schund.
Alles jo hochtrabend und eingebildet,
als hätten die Herren die Weisheit
‚mit Löffeln gefreſſen. Da iſt doch
unſer „Stadtblatt“ was ganz Anderes.
Das verſteht man und da profitiert
man was dabei. Da leſen Sie ein—
mal, was das Stadtblatt über die
geftrige Vorſtellung ſchreibt.“
Herr Mitſcherlich nahm das Blätt—
ben und las. Er lächelte immer mehr,
hell auf aber lachte er, al3 er wört—
ih folgende Stelle fand:
„Wir vermißten im der zweiten
Hälfte des Stüdes eine wirklich warıne
beifällige Theilnahme und folgern
daraus wiederholt unferen Schluß
isherlich im dieſem Augenblide, wie; für eine nicht gute Aufnahme des
angenehm es doch ift, recht viel Geld | Dramas dahin, was um die dadurch
zu befigen — denn man kann es ſo früh verloren gehende VBorzüglich-
dann zum Beten feiner Mitmenfchen
ausgeben. In feiner Herzensfreude
wollte er fein vis-A-vis gleich um feine
Meinung über die „Bildungswarte“
fragen ; e8 fiel ihm aber rechtzeitig ein,
dab man doch micht gleich mit der
Thüre in's Haus fallen folle und jo
begann er ein gleichgiltiges Geſpräch,
das er nah und nach immer mehr
feinem Ziele entgegenlentte. Endlich
war er jo weit und fonmte mit klo—
pfendem Herzen fragen: „Und was
halten Sie denn von der Bildungs-
warte?" —
„Diefes Schundblatt!” entgegnete
der Andere achjelzudend.
„Schundblatt ?* fragte Mitjcher-
(ih mehr erftaunt ale erzürnt. „Ich
hielt e3 für ein ganz gutes Blatt.“
„Schund, nichts als Schund von
A bis 3. Wiffen Sie, was in dem
Wiſch neulich über die Nahiejl ge-
ftanden hat?“
„Sie meinen die Naide an uns
ſerem Stadttheater ?*
Kofegger's „„Geimgarten‘‘ 8. Geft, AI.
feit der dramatifchen Geſammtdar—
ftellung doppelt ſchade ift.“
„Sehr gut,“ fagte er, „ſehr aut.“
Dann brach er das Geſpräch ab und
verſank in Gedanfen. Das „Stadt-
blatt“ drudte 20.000 Eremplare,
während die „Bildungswarte“ in Win—
fel3roda circa dreihundert Abonnenten
hatte. Das war doch feltfam, höchſt
jeltfam.
Der Zug hielt endlich in der
Provinzialftadt, welche Herr Mitſcher—
lich zunächſt abjolvieren wollte. Er
flieg aus, ließ feinen Koffer in das
Hotel tragen, nahm einen Heinen
Imbiß zu ih und gieng danı fofort
aus, um einen Mann zu befuchen,
der auf feiner Lifte obenan ſtand.
Das war der Doctor Rappe, Rector
‚der ftädtifchen Realfchule, ein Mann,
‚der durch feine Gelehrſamkeit ebenfo
‚berühmt, wie durch feine Stellung
einflußreih war. Es war Sonntag
und er fand den Herrn Doctor im
| Schlafrod im Garten promenierend,
39
in dichte Rauchwolken gehüflt, die aus
einer langen Pfeife emporftiegen.
„Schade,“ fagte Dr. Rappe, nach—
dem man endlih auf das Haupt—
thema gekommen war, „ich dachte,
aus dem Blatte wiirde was Rechtes
werden. Habe mich getäufcht. Nehm’
es auch im nächſten Quartal nimmer,
nein, ih mag es micht ſehen. Bil—
dungswarte! Was müßt alle Bildung
in Deutichland, ehe wir nicht die
Einheit haben.“
„Einheit ?* fragte Mitfcherlich
verwundert. „Sch dächte, die haben
wir doc.“
„Einheit — Schöne Einheit! Wie
Ipricht der Leipziger, der Schwabe,
der Baier, der Berliner? Potz Teufel,
jeder redet ja eine andere Sprade.
Das wird aber nie beſſer werden,
wenn wir uns nicht über das ft einis
gen. Da, lieber Herr Mitfcherlich,
das ft und das ſp, da fißt der Halen.
Ehe nicht jeder Deutjche das ft und
das ſp gleich ausfpricht, eher gibt's
feine Einheit. Und dafür hätte die
„Bildungswarte” eintreten follen.”
„Aber wie fonnte fie das?
„Wie — pah, fehr leiht. Sie
hätten die Gelegenheit nur bemüßen
müſſen. Ich Habe vor Furzem ein
Werk vollendet über die richtige Art,
das ft und das ſp auszuſprechen —
die Arbeit meines Lebens, zwei dide
Bände. Ich fandte es Ihrer Redaction
und fie ſchickte es mir zurüd. Natür—
li, haben feinen Pla. Müffen Lie=
besgefchichten druden und derlei dum—
mes Zeug. Na — nehmen Sie mir
nichts übel, Herr Mitſcherlich, aber
Sie werden einjehen, dab ich hr
Blatt in meinem Haufe nicht mehr
erbliden mag.“
Am Abende diefes Tages ſaß
Miticherlih ziemlich niedergefchlagen
in der MWeinftube „zum alten Deut:
ſchen“. Die Geſchichte im Eifenbahn=
coupe, jene mit Dr. Rappe und nun
noch ein weiterer Fall — das war
gerade genug, um ihm troß feiner
heiteren Gemüthsart zu verftimmen.
en — — — — — —
Beſonders der letzte Vorfall kränkte
ihn, denn er entnahm daraus ſo recht,
wie man nichts objectiv betrachten
wolle, ſondern Alles in Zuſammen—
hang mit Perſönlichem bringe. Ein
den Ruf eines Gebildeten genießen—
der Mann hatte ihm geſagt, dab er
tein Judenblatt Halte. Darauf hatte
Mitfcherlich feierlich erklärt, daß in
der ganzen Nedaction kein einziger
Jude befchäftigt fei. Der Mann aber
lächelte höhniſch und fagte: „Nun,
dann haltet Ihr es eben mit den
Juden des Geldes halber, jonft hättet
Ihr neulihd nicht das alberne Feuil—
leton „Leiling in Winfelsroda“ ge=
bracht. Miticherlich war e& bei diejen
Morten, als hätte er einen Stich in’s
Herz empfangen. Er Hatte dieſes
Feuilleton ſelbſt gefchrieben in jenem
Geifte, der ihm ganz erfüllte, jenem
Beifte der Humanität, der die Größe
des adhtzehnten Jahrhunderts ausmacht.
Und in dieſem Geifte Hatte er jelbit
den Antifemitismus wieder entſchul—
digt, indem er ihn nur als das der
menschlichen Natur entfpringende Zorn—
gefühl über allerlei Ausschreitungen
erklärte. Wenn diefer Zorn verflogen,
dann werde man fich auch wieder
hüten, das Kind mit dem Bade aus—
zuſchütten . . Und nun war das die
Antwort...
Es that ihm wohl, jeßt in diefem
behaglihen Raume zu ruhen und er
erfreute fih an dem eichenen Gebälk,
an dem Getäfel und dem Majoliten-
fried, der es von der Dede trennte,
an den alten mächtigen Stühlen und
Tiſchen und namentlich an dem grünen,
Ihimmernden Steldhe, aus dem ihm
der wiürzige Rheinwein entgegendufs
tete. Plötzlich zog ihn von feinen Ge—
danken das Wort „Bildungswarte*
ab, das aus einem im daneben be=
findlichen Raume geführten Gejpräde
deutliher an fein Ohr drang. Er
ſah fih um und bemerkte, dal diejer
Raum nur durch Gobelins, die zwi—
Ichen hölzernen Säulen befeftigt waren,
von dem Zimmerchen getrennt wurde,
sm
in welchem er ſaß. Nun fchob er den; darauf, feine Nedacion von Ddiefer
Vorhang ein wenig zur Seite und
gewahrte eine Geſellſchaft junger Leute,
die fi, offenbar in ſehr angeheiterter
Stimmung, recht ungeniert untere
hielten. Wie er aus ihren Neden ent—
nahm, waren es Commis aus kauf—
männiſchen Gefchäften, die, wie es
Ihien, im intimen Beziehungen zur
„Literatur“ ftanden. Jeder von ihnen
jpie Gift und Galle über die „Bil—
dungswarte*, denn Jedem von ihnen
hatte fie etwas angethan. Der Eine
hielt fich berechtigt, um eine Nedac-
teurftelle zu werben und war ab—
ſchlägig bejchieden worden, dem An—
deren war etwas Aehnliches paffiert,
als er fich erbot, aus der Stadt für
die Zeitung zu correfpondieren über
„Zheater, Kunft und Handel”, dem
Dritten hatte man feine Novellen mit
dem Bemerken zurüdgeichidt, doc
lieber das Schreiben jein zu laſſen
u. ſ. f So war denn ihr Groll fo
ſehr angefchwollen, daß fie heute,
vom reihliden Weingenufje ermun—
tert, befchloffen, fich an der „Bildungs-
warte“ zu rächen. Jeder fchlug einen
anderen Racheact vor, endlich aber
einigte man ſich dahin, eine falfche
Nachricht, unterzeichnet mit dem Na—
men des Gorreipondenten, den man
tannte, nad Winkelsroda zu telegra-
phieren. Die Zeitung mußte auffigen,
man war gerächt und hatte einen Ca—
pitalfpaß dabei.
Herr Mitfcherlih war vor Ems
pörung ganz bleich geworden. Gein
erfier Einfall war, feinen treuen Rohr—
tod zu nehmen und die Mercurjünger
auf die verftändlichite Art mores zu
lehren. Uber er ſah jofort das Un—
zufömmliche diefes Verfahrens ein und
dachte daran, die Polizei zu Hilfe zu
rufen. Nun wäre das allerdings mo—
derner geweſen, Herrn Mitjcherlich
ſchien es aber noch weniger human
zu fein, als jenes erſte Mittel und jo
verflog auch der erſte Zorn über
diefes Bubencomplot und als richtiger
Humanift befchräntte er Tich Schließlich
Begebenheit telegraphifch zu benach—
richtigen und diefe wertvolle Erfahrung
zu feinen übrigen zu notieren.
Am andern Morgen ging es weis
ter und die liebliche Landfchaft, durch
welhe der Zug dahinfuhr, ſtimmte
Herrn Mitjcherlich wieder heiterer.
Zudem brachte der nächſte Beruch,
den er vorhatte, gewiß etwas Ab—
wechslung und nach all den unan—
genehmen Borfällen kam wieder ein—
mal etwas Erfreuliches. Auf dem
Schloſſe Eifenftein, deffen Bewohnern
er don einem Freunde aufs Wärmſte
empfohlen war, fand er gewiß eine
freundlichere Aufnahme als bisher
und — was ihm die Hauptiache war
— gerechte Wilrdigung und guten
Rath. Das Städtchen, in deſſen Nähe
das Schloß lag, wollte er auf dem
Rüdwege befuchen und deshalb jandte
er fein Gepäd voraus, während er
jelbft auf einer Nebenftation abftieg
und von bier aus zu Fuße nad
Eiſenſtein pilgerte.
Kurze Zeit danach ſaß er in einem
alterthümlichen Gemache, durch deſſen
hohe Spitzbogenfenſter man das an—
muthige Thal mit ſeinen Dörfern und
Weilern, ſeinen Feldern und Wieſen
und ſeinen mit Buchenwald geſchmück—
ten Hügeln überſehen konnte. Er
ſaß vor einem Tisch, auf dem ein
Gläslein mit weißem Weine jtand
und ein Zwiebäckchen lag, und ihm
gegenüber ſaßen in hohen Lehnftühlen
drei hagere jchmarzgelleidete ältliche
Damen, die Yräuleins Eulalia, Her—
mione und Sophonisbe von Eifen-
ftein, Beſitzerinnen des Schlofjes und
Abonnentinnen der „Bildungswarte*.
„Eines,“ bemerkte Fräulein Eula—
lia im Verlaufe des Gejpräches, „ges
fällt mir an dem Blatte entjchieden
nit. Es ift gut, daß Sie da find,
demm nun werden Sie wohl die nö—
thigen Anordnungen treffen, damit
wir nicht gezwungen find, eine Lec—
türe aufzugeben, welche uns der Herr
39*
Baron empfohlen hat. Ihre Zeitung !
ift unmoraliſch.“
Herr Mitfherlih fuhr im die,
Höhe, als Hätte ihn eine Natter ges
ftochen. „Unmoraliid — das hat mir
doch noch Niemand gejagt.“
„Das ift wohl möglich. Unfere
heutige Welt ift ja in dem Sumpf
der Unmoralität fat untergegangen.
Wir aber, wir find drei deutjche
Jungfrauen —“
„Edeljungfranen, "unterbrach yräu-
lein Hermione und Fräulein Sophos
nisbe nidte energijch mit dem Haupte.
„Drei deutjche Edeljungfranen und
wir können ein Blatt nicht lefen, das
uns in Gefahr bringt, erröthen zu
müſſen.“
Herr Mitſcherlich ſah ſo ärger—
lich aus, daß ihn Niemand wieder
erkannt hätte. Er las doch ſeine Zei—
tung tagtäglich auf's Genaueſte, aber
es war ihm nie etwas Anſtößiges
aufgefallen. Er war emſig beſtrebt,
die „Bildungswarte“ rein zu Hals
ten, denn er jagte ji, daß ein der—
artiges Blatt, das nichi für beſtimmte
Streife berechnet, das vielmehr, täglich
ericheinend, jung und alt, vornehm
und nieder, gebildet und ungebildet,
Manı wie Weib von den Fortjchritten
und Neuigkeiten auf allen Gebieten
unterrichten ſoll, jeglihe Pilanterie
ausschließen müfle. Und nun nannte
man die „Bildungswarte“ unmo—
raliſch.
„Das iſt unmöglich,“ ſagte er
zitternd. „Nennen Sie mir doch eine
Stelle —“
„D das fünnen wir —“
„IH bitte darum —“ |
„SH bringe es micht über bie
Lippen. Hermione, fuche doch die
Nummer —* |
Es dauerte nur ein paar Minus |
ten und ſchon lag das Blatt vor!
6 12
„Was Nitter Kuno einmal be—
Ichloffen Hatte, das führte er auch
aus. So ließ er am andern Morgen
fein treues Leibroß ſatteln und ritt
gegen Eppenheim. Es war frifh und
fühl und Kuno ritt in ſcharfem Trab
dahin, jo daß der ſtattliche Hengſt
dampfte und fchnaufte, als man vor
dem Burgthore anlangte.“
Herr Miticherlid ſchüttelte den
Kopf und fragte: „Was foll da un—
moralijch fein ?*
Die drei Edeljungfrauen ſahen ſich
mit einem Blide an, der auszudrüden
ſchien: Siehft Du, auch diefer! Dann
baten fie Herrn Mitſcherlich, die
Stelle doch nochmals aufmerkſam zu
lefen. Als diefer noch immer ohne
Verftändnis blieb, nahm Eulalia eine
Nadel von ihrem Stridfirumpfe und
deutete auf ein Wort in dem leßten
Satze.
Herr Mitſcherlich ſah auf das
Wort und dann auf die Damen. Die
drei Fräuleins ſaßen mit niedergeſchla—
genen Augen da und ſtrickten eifrig.
Roth waren ſie nicht, nur die Naſen—
ſpitze von Fräulein Eulalia ſchien et—
was röther geworden. Es war eine
unheimliche Stille in dem Gemach und
Herr Mitſcherlich hätte ſie am liebſten
unterbrochen durch ein recht herzliches
Lachen. Aber die drei Edeljungfrauen
ſahen ſo furchtbar finſter drein, daß er
Mitleid mit ihnen Hatte und bat, die
Sade zu entſchuldigen. Es könne
jedem Menfchen einmal ein Malheur
pafiren und auch dem fittfamften
Schriftſteller kann einmal das Wort
„Hengſt“ entjchlüpfen, wenn er da=
bei eben an nichts Anderes denfe, als
das Wort Roß oder Pferd nicht zu
wiederholen. Er werde feinen Re—
dactenren in Zukunft Vorficht em—
pfehlen.
Auf diefe Erklärung Hin berubig-
Herrn Mitfcherlih ausgebreitet und |ten fich die Damen und man verab—
er las die Stelle, die ihm Fräulein | fchiedete fich auf's freundlichfte. Man
Eulalia gezeigt hatte. ES war der/war jogar jo liebenswirdig, den
Anfang eines Nomancapitels, der fol Neffen des Haufes, einen jungen
genden Wortlaut Hatte: Mann von 18 Jahren, dem Gafte
zum Begleiter mitzugeben und diefer
führte Herrn Mitjcherlih auf feinem
eleganten Wägelchen, das er ſelbſt
futfchierte, binnen einer halben Stunde
in die Stadt. Bevor man fich trennte,
erfuchte der Nüngling Herrn Mit:
fcherlih noch, fein Blatt doch etwas
unterhaltender zu geitalten, jo etwa
wie den Parifer „Figaro“, den er
immer bei einem Freunde leſe. Die
„Bildungswarte“ ſei zu wenig pi—
kant.
In der Stadt machte Herr Mit—
Icherlih noch einige Beſuche und er:
fuhr bald, daß die „Bildungswarte”
zu wenig Bolitit bringe und bald
wieder, daß fie zu viel enthalte; bald
waren die Nomane zu wenig und
bald zu viel romantisch, die Feuifletons
waren jebt zu heiter und dann zu
ernft, der Eine fühlte fich durch eine
Notiz beleidigt, der Andere dadurd, daß
jein Concurrent gelobt war u. ſ. w. Beim
Abendeſſen erfuhr er, daß der Neffe
in Wirklichkeit der Sohn des Fräu—
leins Eulalia von Eifenftein und eines
im übrigen ſehr frommen Herrn jei
und als er im Speifefaal des Hotels
das Localblatt zur Hand nahm, da
fand er, daß es fat Wort für Wort
ein Nahdrud der „Bildungswarte“
war und mur ein paar örtliche No—
tizen als Driginal-Zugabe enthielt
Diejes Blatt hatte eine Auflage von
7000 Eremplaren und der Eigen
thilmer war, wie man ihm erzählte,
durch dasjelbe ein reicher Mann ges
worden... .
Herr Mitfcherlich befuchte Nieman—
den mehr. Er machte noch eine Heine
Erholungstour und kehrte dann nach
Winkelsroda zurüd. In der Nedactiong-
Gonferenz theilte er feine Erlebniffe
in humoriftiicher Yorm mit und zu—
gleich die Thatfache, dak er ein Gut
im Gebirge erworben habe und fich
dorthin zurüdziehen werde. Dort lebe
ein Stamm unverdorbener Menfchen
und vielleicht Fönne er da etwas —
bilden. Die Zeitung gebe er ganz in
die Hände des Chef-Redacteurs; er
gebe fie nicht auf, weil es ihm ſchwer
fomme, wadern Leuten die lieb ge—
wordene Stellung zu fündigen und
es ihm ja auf ein paar Mark nicht
ankomme. „Und dann,“ fügte er hin—
zu, „laflen Sie fih durch das Erzählte
nicht beirren. . Ich Hatte eben Mal
heur. Es gibt ja gewiß viele Leute,
denen wir’3 recht machen. Beſchränken
wir uns auf diefe und — redigieren
Sie weiter wie bisher. Ich will’s mal
inzwijchen mit einem Muftergute vers
ſuchen. . . .“
Bekenntniſſe aus meinem Weltleben.
Von P. R. Roſegger.
XVI.
Slüchtige Erinnerungen.
in der vierten Claſſe fuhr und in Gaſt—
häufern vierten Ranges oder auf Her—
om ‚bergen übernadtete. Da lernt man
az eine erite große Reife war für | Menfchen kennen.
ee mich weitaus die fruchtbarfte E3 war im Frübfommer des Jahres
und lehrreichfte. Damals hatte ich noch | 1870. Ich reiste durch Niederöfterreich,
zu wenig Geld, um auf Eifenbahnen | Mähren, Böhmen, Sachen, Thüringen
fahren und im bequemen Hotels wohe | Preußen bis zur Inſel Nügen. Bon
nen zu können; wohl daß ich manchmal |dort gieng ich über Medlenburg nad
614
Hamburg und von da zur See über
Helgoland nah Amſterdam. Durch
Holland giengs und rheinaufwärts nad
— Frankreich. Damal3 war es nad
Frankreich noch nicht fo weit, als Heute;
freilich Jah ih von Frankreich nicht
mehr, al3 was vom Straßburger Mün—
fter aus zu fehen war. Durch Schwaben
und Wiürtemberg zog ich in die Schweiz
er nah Graz zu feinem twaderen
Abſender zurücdgelehrt, wo er meiner
getreulich harrte.
An Rhein beim Wein Hatte ich
mich hübſch als Student betragen; im
Vorarlbergiſchen ſah ich mich aber ver—
anlaßt, den Handwerksburſchen hervor—
zufehren; dort erbot ich mich einmal in
einem Heinen Bauernwirtshaufe, Her—
und dann über Vorarlberg, Tirol und |berge und Zeche durch Flickſchneiderei
Kärnten zurüd nad Steiermark. Sad) |abzuftatten, was auch angenommen
jen, Nügen, die Rheingegenden, den worden ift. Einen Reiſepaß trug ich
Schwarzwald und die Alpen durchzog | in der Tafche, wurde jedoch auf der
ih mit wenigen Unterbrehungen zu ganzen Reife nicht ein einzigmal dar—
Fuß. Halb Handwerksburſche und Halb um befragt, außer in Marburg an
Student, Jo reiste ih. Mit einem der Drau, bei der Heimkehr, wenige
groben grauen Anzug, einem Stod, | Stunden von Graz. Ich glaub’s, der
einer Wofllendede, einem Handkofferchen, | äußere Menſch an mir wird darnach
das man an den Stod gehängt über der ausgeſehen haben.
Achſel tragen kann, jo wanderte ich. | MWenn ich mich Heute auf die alle
Mit achtzig Gulden in der Tafche, jo gemeinen Eindrüde jener Reife entfinne,
zog ih fort — es war ja ohnehin ein jo finde ich, daß mich die großen Städte
wahres Capital! Der alte Landes= | enttäufcht, die Kunftwerfe ziemlich gleich:
hauptmann Saiferfeld war’ geweſen, | giltig gelaffen, die Menfchen angenehm
der mir den Nath gab, einen Theil berührt, die Naturfchönheiten aber, als
des Landesftipendiums, das ich damals 3. B. die Sächſiſche Schweiz, der
bezog, auf Reifen zu verwenden. Mein | Thüringerwald, das Meer und das
Gönner, der Großinduftrielle Reininge | Hochgebirge über die Maßen aufgeregt
haus in Graz, ein geborner Weftfäler,
trug mir auf, wenn ich in fein Heimat—
land fäne, in Münfter auf dem Poſt—
amt anzufragen, ob aus Graz nicht
ein weiterer Zehrpfennig für mich be=
reit läge. Meine Freunde U. Spoboda
und Friedrich Marr, der Dichter, vers
ſahen mich reichlich mit Empfehlungse
briefen. Lebtere öffneten mir manches
Thor, aber die Leute, denen ich em—
pfohlen war, wußten doch nicht recht,
was ſie mit mir anfangen follten ; als
„Poet“ wurde ich ihnen vorgeitellt,
leuchtete aber den Meiften nicht ein;
endlich trafen fie im Verkehr mit mir
doch das Richtige, fie luden mich zu
Tisch und liegen mie nöthigenfalls auch
die Stiefeln ausbeſſern. So fam es,
daß ih in Münfter feinen Anlaß Jah,
auf dem Poftamte nach dem bewuhten
Zehrpfennig zu fragen. Derjelbe joll
monatelang in der Stadt des Johann
von Leydn gelegen, endlich aber war
und begeiltert hatten.
Ih hatte in den erften Tagen be=
gonnen, liber die Dinge ein ausführ-
liches Tagebuch zu ſchreiben. Bedeu—
tendes und Unbedeutendes, Alles durch»
einander, befann mich aber bald, daß
Alles, Alles Schon hundertfach, und zwar
von Kennern und erfahrenen Geiftern
beichrieben worden war. So lieh ih
die Dinge und Berhältniffe, die mir
zufällig begegneten, auf mich wirken,
ohne fie literariſch auszunützen oder
für fpätere Zeiten zu firieren. Doc
ift jene Reife auf mich von weſent—
lihem Einfluß geworden. Mein Auge
babe ich im der Fremde von jeher mehr
auf die Natur geworfen, als auf das
äußere Leben der Menfchen und ihre
Werke, und jo kam es ftet3, daß ich
in diefer Richtung nicht viele Erfahrung
gemacht habe. Bei den Menfchen in—
terejlierten mich mehr die Vorgänge
des Seelenlebens, jo weit fie zu er=
gründen waren, als das Äußere Ge= ſich das Heer. Aber ich kann nicht
haben. Was meine perjönliche Er- unterlaſſen zu bemerlen, daß Sich im
fahrung betrifft, fo muß ich geftehen, |jungen Volt von damals ein anderer
daß mir auf meinen vielen Reiſen | Geift bemerkbar machte, al3 im dem
durch verschiedener Herren Länder nicht | von heute, da Deutſchland wieder vor
ein einziger Menſch vorgefommen ift, der Gefahr eines großen Krieges fteht.
der mir meines Wiſſens mit Abſicht Damals war’3 noch wie ein Hauch von
etwas Unangenehmes zugefügt hätte. |den Befreiungstriegen; die nationale
Marme, wohlwollende Herzen überall. | Idee ſtand noch auf dem Boden von
Daß fie überall auf ihren Bortheil | 1848, man citierte damals noch die
ſehen, ift matürlich, ich jehe ja auch großen deutſchen Dichter als die Vor—
auf den meinen; des Weiteren wüßte |läufer und Propheten der großen Zeit,
ich weder von einer groben Uebervor- |die eriwartet wurde, und pries fie als
theilung oder Rohheit zu erzählen. Ich die Erweder des nationalen Geiftes.
lebe der Ueberzeugung, dab die Men- | Damals wäre es bei einem jungen
chen verschiedener Völker fich innerlich | Menfchen nicht möglich gewejen, laut zu
weit weniger unterſcheiden als äußer- jagen, daß 1848 ein Unglüd für das
lich, daß die Herzen fich auch dort ver= | Volk fei, daß alle deutfchen Claſſiker zu—
fteden können, wo die Sprache nicht ſammen überhaupt nicht fo viel bedeu—
mehr vermittelt und dab, wo man ten, wie ein einziger Moltke. — Heute
MWohlgefinnung entgegenbringt, man kann man derlei hören, und jogar
zumeift auch Wohlgefinnung erfährt. | häufig und häufiger. Den Befonnenen
Das gilt vor Allen’ von den breiten | gefällt das nicht. Das Schwert ſoll
Volksſchichten. Das Perſonale in | nicht übermüthig werden, das Schwert
lichen Etabliffements und großen Hotels | allein befreit und erhebt fein Bolf.
it oft mehr Mafchine als Menſch. Mir Haben damals und ſeither
und daß Mafchinen gefchmiert werden | immer wieder die Erinnerung und
jollen, daß weiß man. Ich pflege in | Denkmale an Deutichlands große Geifter
diejer Beziehung mehr nach dem Maß: |die Reife durch das Reich verklärt.
ftade der Empfindung als dem des | Bloß der höderige Erdboden und die
Vortheiles zu handeln. fteinernen Städte und die Durchſchnitts—
Wenn ich die Namen der Menschen | leute, wie man fie überall findet, loh—
alle nennen wollte, die mir im der nen nicht der Mühe, ſich mit wunden
rende freundſchaftlich wohlgethan, die) Füßen durch die Länder zu darben.
mir Liebes erwiejen haben auch ſchon Meine Reife war eine Art Wallfahrt
zu jener Zeit, da ich noch vollftändig | zu den Weiheftätten der deutjchen Dichter
unbefannt war — ich müßte Seiten und Denker. Die Neife war auf drei
füllen. Monate berechnet gewejen, allein der
Auf jener Reife im Jahre 1870 | Kriegslärn wurde immer lauter, er
hatte ich es ein wenig gegen die Preu- ſchlug auch an die Felſen der Schweiz
Ben. Das Jahr 1866! Ich Fand fie und cheuchte mich von dort vorzeitig
aber nicht gar Jo arg anmaßend und | der ftilleren Heimat zu.
berrifch, wie man fie gefchildert; das Im nächſten Jahre bereiste ich Uns
Einzige, was mir damals an ihnen |garn, im übernächiten Italien; allein
auffiel, war eine ziemlich ftarke, doch ich war nicht mehr arın genug, um
nicht unliebenswirdige Selbjtgefällig: | mit dem eigentlichen Volke verkehren
feit, die aber in jenen Tagen mit einer zu müſſen, ich gab hie und da ſchon
bangen Aufregung vermiſcht war; denn der Bequemlichkeit die Ehre, eine
es ſtand ein großer Krieg bevor. Schwäche, die ſpäter, beſonders der ſich
Am Rhein begegnete ich vielem ſteigernden Kränklichkeit wegen, nur
jungen reifenden Boll, Es ſammelte | zugenommen hat. Und dieſen Vorwurf
616
muß ich mir wohl machen, ich Habe !follte Schon ſterben! Mbgezehrt und
die Neifen nicht immer jo ausgenüßt, |blutlos jah ich da in der Laube und
als ich& der Anlage nach hätte thun |blidte auf die herrlichen Berge Hin,
follen. Bahnhöfe, Hotels, Dampf- |die im Sonnenäther blau und rein
ſchiffe, Mufeen, Bildergallerien, Theater, |daftanden, und dachte an dem Frieden
manchmal ein Abftecher zu irgend einem
renonmtirten Gebäude oder Landpunft,
Natur mur, fo viel fich beim vorüber-
fliegen durch die MWaggonfenfter bietet
— das find die Hauptmerkmale der
modernen Reifen. Es ift ja auch gut, | —
aber man könnte für weniger Geld
mehr haben.
Heute reist man nur mehr mit
Eilzügen oder Blitzzügen; weil’s am
billigften ift, heißt es. Die Fußwan—
derungen wären aber noch billiger,
dächte ich; Freilich Führen fie nicht fo
weit, aber fie führen tiefer ins Leben
und zeigen die ſchöne Welt gründlicher.
Wem ich twieder jung werden follte,
ich wollt’ mir's gejagt fein lafjen.
XVII.
Wie ih gefund worden bin.
Das war doch vielleicht das drofligfte
Abenteuer meines Lebens.
Ih fah am Rande meines Grabes
und ſchlenkerte fo ein wenig die Füße
hinab. Ein Weib, vier Heine Kinder
und ein alter Vater hielten mich an
den Händen und baten mich und be=
Ihworen mich, nicht Hinabzufteigen.
Wie Gott will.
Das war ſchon im jechsten Jahre
fo, und die Welt lachte freundlich auf
mich ber umd das Grab war dunkel.
Still und ſtändig ſiechte ich dahin.
In meinem dünnen Blute war fein
Temperament mehr. Der Arzt fagte,
die Heimat jei der Moloch; der thöricht
überfpannte Hang zur Heimat hätte
mein Fleiſch verzehrt, mein Blut ges
trunken. Ich hätte fort follen in ein
milderes Klima, und konnte die trauten
Berge nicht laſſen. Lieber in heimat—
licher Erde ruhen, als auf fremder
athmen. Ich Hatte das Hohe Lied
ihrer Wälder. Die Leute draußen in
den Flecken und Städten, ſie zanten
und ftreiten um Phantome und haben
fein Auge für ihre Heimat. Vor lauter
Bolitil vergeflen fie des VBaterlandes.
Ich Sehe die Schönheit Ddiejes
Landes, den inneren underftandenen
Wert feiner Bewohner und muß ters
ben. — Weib und Kind! Im ihnen
mich felbft verlieren, mach den Tode
noch leben und mir jelbft nachweinen
in’3 Grab und verwaist fein!
Bor mir auf dem Anger fpielte
mein jüngfter Knabe. Er band, in
Erinnerung an einen Kirchhofsbeiuch,
zwei Holzftüdlein zufammen zu einen
Kreuz und ftedte es in die Erde.
„Schau, Bater!“ jubelte er, „Schau,
da ift Dein Grab!”
Auch gut, dachte ich, nimm's für
ein Spiel, Hans, Du bift der Klügſte.
Weil mich ftets Fröftelte, fo ſaß ich
‚gerne auf der fonnigen Gartenbanf
und ftarrte in einer Art von ſüßer
Stumpfheit vor mich hin. Da erinnere
ih mich, dab ich eines Tages mit
gewiflen Intereſſe zweien Rindern
zuſah, die hinter dem Zaune auf der
Meide mit einander im Zweikampf
waren. Anfangs Hatten fie nur jo
mit den Hörnern gegaufelt, gefcherzt
und fich gegenfeitig beledt. Ich ſah
die Urſache nicht, aus welcher fie all—
mählich entichiedener gegen einander
auftraten, jo zu jagen in fehärferer
Tonart, brüllend mit den Vorderklanen
die Erde aufwühlten und dann ſchnau—
bend aneinanderfuhren. Mit gehobenen
Schwänzen drehten fie fich im Kreiſe,
einmal wild dreinftoßend, das andere=
mal lauernd und berechnend, wie dem
Partner die Hörner in den Hals, im
die Flanke zu rennen feien. Es wäre
auf dem Tod gegangen, wenn nicht
ein Junge mit der Peitſche fie aus—
meines Volkes noch nicht gefungen und ! einander gejagt hätte. Das liebe Vieh !
Gott fei Dank, daß wir a gehört dazu. Aber mir wäre ein
find! Nur das nahm mich Wunder, | ehrliches: Menſch, ich will Dich nieder—
daß dieſe vierfüßigen Nitter ſich in | Schießen! lieber geweſen, als dieje
ihrer gewaltigen Deldenhaftigfeit durch | hämiſch verbiffene Artigkeit, bei welcher
die Garnpeitſche des Jungen ftören | aus jeder Sapfuge Gift und Galle
ließen. fidert. Daß es im gegebenen alle
Ich muß mich an jenem Tage ein „Zurücknehmen“ nicht gab, das
etwas unterer gefühlt haben, —— er ſo gut als ich. Meine
Befinden und Stimmung ſchon zu Aeußerung über den „Säbelraſſler in
wechſeln pflegen, ich empfand wieder | | Givil® hatte fih auf eine Type von
die vielfachen ehernen Bande, mit denen Menſchen bezogen, welche einen jchar-
man am Leben hängt, und da hielte | fen Peitſchenhieb manchmal verdient.
man es für eine Sinde der Natur, | Nachdem die Bemerkung jedoch von
fterben zu müſſen. Und die Natur einer beftimmten Perſon aufgefangen
fündigt nicht. worden war, jo dachte ih: gut, fie
Trat durch den Gartenzaun ein | wird willen, was ihr zugehört.
hochgewachſener, breitfchulteriger Mann Anfangs Hatte ich dem Mann über
zu mie herein, ein wahres Pracht- jeine Zumuthung hölliſch ungeſchickt
eremplar von Kraft und Gefundheit. in's Geficht gelacht. Es war ein ge—
Ich freute mich bei dieſem Anblid, | ſundes Auflachen, wie ſchon feit Lanz
dab es noch ſolche Reden gibt aufge nicht mehr. Allmählich jedoch kam
der Welt. Der Mann fam mit feier= I mir zum Bewußtfein, wie viel Nieder»
lichem Eruſte auf mich zu und for« | tracht in diefer Forderung lag. Plößlich
derte mich anf zu einem Duell. empfand ich einen glühenden Zorn.
Ih lugte den Spaßvogel an und „Here!“ ſagte ich, „dieſe Ange—
indem ich ihn einlud, neben mir auf legenheit haben Sie vom Zaun ge—
der Bank Platz zu nehmen, ſagte ich, | brochen, um an mie Ihr Müthchen zu
es wäre ein guter Wiß. fühlen. Was find Sie für ein Lands—
„Das ift fein Spaß, mein Herr!“ | mann? Deutfche Männer machen einer
verjegte er jchredbar erufthaft; „Sie! folhen Suche wegen fein Duell! —
haben einen meiner politifchen Freunde | Was find Sie für ein Charakter ? Seit
beleidigt, indem Sie ihn als Säbel- | wann fordert ein ftarker, waffengeübter
raſſler in Civil öffentlich lächerlich ges | Haudegen einen Kranken ? einen waffen:
macht haben. Sie haben den Mann unkundigen, friedliebenden Poeten?
zwar micht genannt, aber wir willen | Schämen Sie fih! — Den Pflug
doh Alle, daß er gemeint if. Die und die Sichel Habe ich Führen ges
Nedactenre der zwei Blätter, die lernt, wenn Sie mir einmal parieren
Ihre Auslaſſungen nachgedruckt, die wollen! Arbeiten Sie fleißig, dann
haben wir auf Biltolen gefordert, | wird Ihnen der lebermuth ſchon ver—
wenn fie nicht widerrufen; es waren | gehen.“
Ehrenmänner, fie haben widerrufen. Der Mann fchüttelte fein ſchönes
Und nun werden auch Sie widerrufen, Haupt und murmelte: „Ich begreife
mein Herr, denn Sie haben eine grobe ; Ihre Erregung nicht.”
Unmahrheit behauptet; wir find feine Darauf mein Belenninis: „Ich
Sübelrajjler, mir contrabieren a re auch nicht. ES iſt ja zu
Piftolen. Sie kennen mich schlecht, | droflig.”
wenn Sie glauben, daß ich mit Dingen, | Wo das Droflige läge in dieſer
die mir heilig find, Scherz treibe. Alſo ernſten Sache? fragte er. Er hätte
ich bitte! zurücknehmen, oder —“ Ihon Hunderte von Affairen gehabt,
Anfangs war der Mann ganz aber eine ſolche Erfahrung ſei ihm
martialiſch Höflich gewefen ; ich glaube, neu. Er hätte ſich's übrigens gedacht.
618
„Und leicht denken können“, einmal das fonderbarfte Zeug durch—
entgegnete ich. „Ein Auerochs fordert | einander. Ein Menfch, der ihn nieder—
die Taube zum Zweikampf. Natürlich ſchießen wolle!
fliegt die Taube davon und der Ochs „Bah,“ fagte der Arzt, „mir ift
bleibt ftehen. I das Ihre Nitterlich | jener Kauz ja auch befannt. Por
teit ? Nein, Herr, das ift gemeine) Kurzem foll ex feinen Schneider ge»
Raufluft, gepaart mit Feigheit. Meinen | fordert haben, und warum? weil der
Hausmeifter ftelle ich Ihnen, wenns | Schneider ihm gefordert hat. Man
gefällig iſt.“ jieht, das Duell gewinnt wirtjchaftliche
Der Gegner — anfangs fo ftolz | Bedeutung.” — „Na nu," fehte der
und jelbfibewußt aufgetreten — War | Arzt bei und befühlte mir die Adern.
blaß geworden. Das mußte dem ſchlag- „Na nu,“ fagte er, „das ift nun
fertigen Manne noch nie pafliert fein, | wieder einmal ein Fräftiger Puls. Das
als Chavalier anzulommen und als laſſe ich mir gefallen.“
Hägliche Figur abzugeben. Mit einem Und im der That. An jenem Tage
wahren Armenfündergefichte machte er war — um mich hübſch mediciniſch
ſich aus dem Staube — Hoffentlich auszudrücken — die Kriſis geweſen.
wird er ein anderesmal vorſichtiger Der Zorn war vorbei, ich fühlte mich
jein, dab er nicht zum Unrechten lommt. Frleichlert. ja räftiger, gewann Appetit
Das alfo war das poſſierliche Aben | ind Schlaf und ward wieder aufge—
— geweſen. legt zur Arbeit.
Als meine Fran herbeikam, fand Es ift er nicht gut, immer wohl⸗
m fi ii
an lade aber den Boden zumeinen, zu träumen und zu ſchwär—
„Was hat Sn der Herr gewollt, | MEN, immer weichmüthig, verföhntich
der fd eben davongieng 2“ fragte fie, | Und gemüthlich zu fein. Mir hatte ein
un nich, ai Kr jeßt frischer, fröhlicher Zorn gefehlt. Der
allein.“ war nun gelommen und hatte mic)
Es aufgewedt, aufgerüttelt, indem er das
Dich un an we Blut etlichemal tüchtig durch den Kör—
per jagte und ſomit wieder für längere
u BESDHE E00 IE De Zeit in einen lebhafteren Gang gebracht
„Nichts von Bedeutung,“ antıwors hatte.
tete ich, „wenn Du es ſchon durchaus Und auch das zwerchfellerſchütternde
wifjen willft — niederſchießen wollte | Gelächter that mir ungemein wohl,
er mich.“ jo oft ich mich fpäter an die drollige
„Ein Näuber ?* Scene erinnert und Anderen davon
„I bewahre, ein ehrlicher Mann. | erzählt habe.
Er wäre ja nebenbei jo freundlich ge= Ich pflege Jedermann, der mit
wejen, fich auch von mir niederſchießen einer Wohlthat in mein Leben tritt,
zu laffen, wenn ich ihn getroffen hätte. | ein bejcheidenes Denkmal zu feßen.
Es war ein recht gemüthlicher Batron.* | Diefe Zeilen find dem herrlichen Mann
Meine Fran lief in großer Aufz | geweiht. Ich weiß nicht, wo in der
regung davon und ließ dem Arzt rufen, | Welt er gegenwärtig herumraſſelt —
es müfje dem Kranken das Geblüt in's mögen feine „ritterlihen“ Gelüſte
Hirn gelommen fein, er jpräche auf) einmal griindliche Sättigung finden !
619
Waffengänge gegen das Duell.
en dem vorhergehenden Hefte Zwed des heutigen Duells bezeichnen :
dieſer Zeitjchrift wurde einer die Ehre ift der Götze, dem ein mo—
vorkrefflichen Brofhüre: „Das Duell dernes HeidenthHum Ströme von Men—
dor dem Forum der Vernunft“ von | fchenblut zum Opfer bringt.
Dr. Helfer*) Erwähnung gethan. Fur Ein bewußter und überlegter An—
die Verbreitung gefunder, zeitgemäßer | griff auf das Leben eines Mitmenſchen
Anſchauungen ſollen wir Sorge tragen, unter gleicher Gefährdung des eigenen
und jo wollen wir in lofer Aneinz | Yebens ift nach Vernunft und natür-
anderreihung die wichtigiten Brund- | Tichem Gewiſſen ohne Zweifel nur ſtatt—
gedanken der Schrift hier wiedergeben. haft, wenn es einen entſprechend wich—
Dr. Helfer ſagt unter Aunderem: tigen Zwed gilt, einen Zweck, der zu
Seiner Form nad ift das Duell dem Werte des Lebens in Proportion
ein auf Tödtung oder Verwundung fteht. Oder huldigen vielleicht die Ver-
abzielender Zweikampf, welcher auf die |fechter des Duellprincips der Anficht,
Privatautorität der Kämpfenden hin, | ‚daß der Menjch unbedingter Herr feines
und zwar nad) vorausgegangener Vers | | | Lebens jei, derart, daß es Niemanden
einbarung über Zeit, Ort, Waffen etwas angehe, wenn zwei miteinander
u. ſ. mw. ftattfindet. Jm Duell kommt übereinkommen, ſich gegenfeitig tobt
alſo zum allgemeinen Begriffe Zweie ſchießen zu wollen, falls es gelingt ?
kampf“ ein dreifahes Moment hinzu: Ich halte es wohl für unmöthig, mit
Erſtens daß er unternommen werde auf! einer ſolchen Anſchauung zu rechten,
die Privatautorität der Kämpfenden | fie richtet ſich ſelbſt.
bin; Zweitens daß er auf Tödtung oder Gefliffentlihe Gefährdung des ei—
Verwundung abziele; Drittens daß er|genen oder fremden Lebens ift nad
ftatthHabe nach vorgängiger Verabredung | Vernunft und Gewiſſen nicht ftatthaft,
über Zeit, Ort, Waffen u. f. mw. ſondern ein verbrecheriſcher Frevel und
Fehlt eines dieſer drei Momente, ſo ein ſtrafwürdiges Unrecht, außer wenn
iſt ein Zweikampf nicht Duell, weder dieſelbe zur Erreichung eines ent—
im Sinne des allgemeinen Sprachge- ſprechend wichtigen Zweckes erforder—
brauch, noch auch im ftrafrechtlichen | lich ift.
Sinne — denn auch das Strafrecht Triumphierend wird mir der Ver—
befaßt ſich mit dem Duellbegriff, aber | fechter des Duellprincips, der „Mann
leider mehr mit dem Begriffe al3 mit von Ehre,“ entgegenhalten, die Ehre
der Sache. ſtehe ihm Höher, als das Leben, alſo
Zweien Banernburfchen, welche mit | dürfe, ja müſſe er nöthigenfalls das
wichtigen Fäuſten oder mit Knitteln Leben für die Ehre einfeßen.
oder auch mit gefchliffenen Waffen etwas | Menn aber von Ehre die Rede ilt,
unfanft an einander gerieihen, bleibt haben wir wohl zu unterſcheiden zwi—
der „Ruhm,“ ſich duelliert zu haben, ae Ehre und Ehre. Obenan Steht
eines Formfehlers verfagt. die wahre, die wirkliche, die innere
Die Ehre läßt fich furzweg als | Ehre des Menfchen. Worin beiteht
— dieſe? Die innere Ehre des Menſchen
Pie: ; iſt identisch mit feinem objectiven Wert.
1887. N Alles was einem Menſchen wirklichen,
620
inneren Wert verleiht, bedingt auch
feine innere Ehre. Talente und Fähig—
feiten, Vorzüge des Geiftee und Her—
zens MWiffen und Können, befonders
aber moraliſche Tüchtigkeit, Tugend,
unerjchütterlihes Weithalten an der
befieren Weberzeugung und am Ges
wiffen machen den inneren Wert des
Menschen uud zugleich auch feine innere,
wahre Ehre aus. Gewiß verleiht auch
Muth und Unerichrodenheit gegenüber |
drohenden Gefahren einem Menfchen
Wert, zumal wenn der befondere Beruf
in diefer Richtung erhöhte Anforder-
ungen fteflt, wie beim Soldaten. Aber
der echte und tugendhafte Muth ift
gleichweit entfernt von unfinniger Toll:
fühndeit, welche zwecklos Gefahren ſucht,
wie don feiger Schwähe und Zag-
haftigfeit, welche vor dem Opfer, das
eine gute Sade erfordert, zurüdjchredt.
Man könnte mir bemerken, das
Duell erhöhe den inneren Wert, die
innere Ehre, joferne es den Muth
fördere. Es liege in Intereſſe der für|
den Ernftfall jo wertvollen foldatischen
ZTüchtigfeit, daß der Soldat fich öfter
der Zodesgefahr ausgefeßt jehe und
ſich ſo in der Todesverachtung zu üben
Gelegenheit habe!
Gegen Ddiefes Argument ift wohl
nicht ſchwer aufzulommen. Wenn die
Uebung in der Todesverachtung im
Intereſſe der ſoldatiſchen Tüchtigfeit
liegt, warum wird diefe erforderliche
Schulung nicht officiefll, durch die
MWaffenübungen, beforgt, fondern dem
Privatfleiße überlaffen ? Und wenn
wirklich das Duell der foldatifchen Tüch-
tigkeit dient, warum verbietet es das
Mititärgefeß, und warum foll es nur
für den Officier und nicht ebenfogut
für den gemeinen Soldaten erforderlich
fein, da ja im Ernftfalle muthige Of:
ficiere an der Spiße einer muthlofen
Mannjchaft feinen Sieg erfechten ?
Die Ehre, welche dem Duell alles
mal thatlählich zum Vorwande dient,
ift die Äußere Ehre, welche in der
Achtung und Wertichäßung der eigenen
Perjon feitens der Mitmenschen befteht.
|
Unverftändig nenne ich jene äußere
Ehre oder Achtung, welche fih auf
falſcher Schäßung befamuter Werte,
alfo auf pofitivenm Irrtum, auf grumd«
lofem Vorurtheil aufbaut, fei es, daß
man fchäßt, was wertlos ift, oder gar
was Tadel verdient, fei es, daß man,
was wirklichen Wert hat, entfchieden
überſchätzt. Solche Ehre hat au ji
gar feinen Wert. Um fol’ unverſtän—
dige Achtung wird fich ein vernünftiger
Mann, ein wirklicher Ehrenmann nicht
bewerben.
Berfegen wir uns in eine Irren—
lanftalt; nehmen wir an, es gebe da
— it einem Irrenhauſe ift Alles denk—
bar — eine Nbtheilung von Irren,
welche ſich „auf allen Vieren“ bewegen
und fir und feft der Anschauung find,
ein jeder Menfch, dem das Bewußtfein
der Menſchenwürde nicht ganz abhan=
den gekommen, müfje unbedingt „auf
allen Bieren“ gehen. Ob ſich wohl
‚der behandelnde Irrrenarzt ftart um
die Achtung diefes Geſellſchaftskreiſes
| bemühen und die verlangte Probe jeiner
Menſchenwürde auf fich nehmen wird?
Ih glaube, er bleibt bei feinem Un—
glüd ganz ruhig!
Ohne allen Zweifel muß fich der
vom richtigen Ehrbegriffe geleitete Ehren:
mann unbedenklich und entfchieden zu
dem Grundſatze bekennen, jedenfalls
lieber auf die Achtung von Mitmen—
Shen verzichten zu wollen, als jeine
innere Ehre, feine beſſere Ueberzeugung
und fein Gewiffen zu verleugnen.
Nach den in duellfreundlichen Srei-
fen herrfchenden Anfchanungen und
Grundſätzen gilt ein Mann, der gegen
eine eventuelle Ehrenkränkung — dieles
Wort im weiteften Sinn verftanden
— nicht durch Forderung zum Zwei—
fampfe reagiert, für ehrlos, weil er
durch fein Verhalten an den Tag legt,
daß er entweder fein Ehrgefühl im
Leibe hat, oder daß er ein Yeigling
ift, beides aber ift ein fchimpflicher
Schandfled. Will jih alfo Jemand den
Namen eines Ehrenmannes wahren,
will er noch ferner als Ehrenmann
gelten, jo muß er gegen eine erlittene |
Ehrenkränkung durch die Forderung
reagieren. Ebenfo ift es der Geforderte
feiner Ehre fchuldig, die Forderung |
anzunehmen; weist er fie zurüd, ſo
befundet er verächtliche Feigheit und
wird infolge deilen verfehmt. Dies die,
duellfreundiiche Anſchauung. |
Muß denn überhaupt ein ehren
bafter Eharalter, alfo ein Ehrenmann |
im wahren Sinne des Wortes, gegen
eine Ehrenkränkung nothwendig rea⸗
gieren? Es iſt entſchieden in Abrede zu
ſtellen, daß dies in allen Fällen ge—
ſchehen müſſe. Ein Mann von Ehr—
gefühl wird zwar jederzeit eine ihm
zugefügte Beleidigung empfinden, aber
er muß ſich nicht, ja er ſoll ſich nicht
durch die Empfindung leiten laſſen.
Haben denn die Verfechter der „ritter—
lichen Ehre“ gar feine Ahnung, daß
Selbſtbeherrſchung nicht weniger eine
ehrenvolle Tugend tft, als Muth, ja
dab ſie die Tugend der Tugenden,
weil eine nothwendige Bedingung jeg—
licher Tugend, ift? Iſt denn das Ehr-
gefühl derart jouverain, daß es ſich
vor feiner höheren Rückſicht beugen
darf? In ungezählten, vielleicht in den
allermeiften Fällen von Ehrenkränkun—
gen, welche erfahrungsgemäß zum Duell
führen, würde in den Augen aller
Vernünftigen ein wenig mehr Selbjt-
beberrfchung den ehrenhaften Mannes—
charakter ungleich zuverläfjiger offen=
baren und fo der Ehre ungleich wert-
vollere Dienfte leiften, als das tolle
Ueberfchäumen des verlegten Ehrge—
fühls; ja noch mehr: es gibt eine
Menge von jogenannten Beleidigungen,
denen gegenüber eine vichtig verjtandene
Ehre und felbit das gefunde Ehrge—
fühl ein Reagieren eigentlich verbieten
müßten; und doc werden derartige
Händel blutig ausgetragen. Wie un—
fiher muß doch ein Ehrenmann nad
dem Begriffe unferer Duellfreunde in
Blid eines Hohlfopfes, eines Bramar—
bas, ihn aus dem Gleichgewicht zu
bringen vermag!
Das Duell ift eine ganz unver:
ninftige Axt, gegen eine Ehrenkränkung
zu reagieren.
E3 können nur drei mögliche Po—
fitionen im Betracht kommen: Entweder
ift das Duell einer Ehrenkränkung
gegenüber aufzufaffen als Rachemittel,
oder als Beweismittel, oder ald Sa—
tisfactionsmittel.
Das Duell als NRachemittel. Im
Gegenfaße zur Rache im edleren Sinn
des Wortes, welche ich Satisfaction
heiße, falle ich diefen Begriff hier in
jeiner niedrigen, gemeinen Bedeutung.
Nahe in diefem Sinne geht darauf
aus, dem Feinde wehe zu thun. Wir
brauchen aber wohl nicht zu befürchten,
daß eine grundſätzliche Nechtfertigung
des Duell3 unter dieſem Gefichtspunfte
von irgend einer Seite verſucht wird.
Zugleich läßt fi) aber auch nicht ver—
fennen, daß es jelbit als Mittel zu
diefem unſittlichen Zwede im hohen
Grade ungeeignet ift, ja den Charakter
der Lücherlichkeit am ich trägt. Oder
ift es denn nicht lächerlich, auf eine
Art an feinem Feinde fich rächen zu
wollen, wobei die Wahrjcheinlichkeit
des Gelingen: vertragsmäßig nicht
größer fein darf, als die Wahrfchein-
lichkeit, ſich Für die erlittene Kränkung
noch eine Portion Prügel zu holen,
wenn es nicht noch ſchlimmer endet!
Das Duell als Beweismittel. Bei
unferen Altvordern, den Germanen,
ward das Duell, der Zweikampf, in
der That als Beweismittel angewendet.
Diefer gerichtliche Zweilanpf als
Beweismittel, berubte bei unferen Ah—
nen auf dem felten Glauben, daß Gott
Recht und Unſchuld nicht unterliegen
laſſe. Es kam daher auch wejentlich
auf den Ausgang des Kampfes an.
Ich kann aber die Bemerkung nicht
dem Bewußtfein feines inmeren Wertes unterlaſſen, daß derfelbe weit mehr
und jeiner Ehrenhaftigfeit begründet | Sinn hatte, und weit weniger Tadel
fein, wenn Schon ein leichter Winde |verdient, al3 unfer modernes Duell.
bauch: eim ſchiefes Wort, der firierende | Es kommt ja bekanntlich bein Duell
622
nicht auf den Ausgang, auf Sieg oder
Niederlage, an; der Ausgang ent—
Icheidet Höchftens, welcher von den
beiden Duellanten der gewandtere Fech—
tev oder der zielfiherere Schütze ift,
aber Niemandem fällt es ein, aus dem
Ausgange des Kampfes einen Schluß
auf Recht oder Unrecht bezüglich der
vorausgegangenen Ehrenkränfung zu
ziehen. Es wird z. B. Jemand ein
Dunmmtopf gefcholten, und noch dazu
in einem Öffentlichen Locale; dieſe
der Muth, welcher dem Manne zur
Ehre gereicht, ſondern entehrender
Uebermuth. Der „Muth, des Duells
verhält fich zur Feigheit, wie Vers
ſchwendung zum Geiz, welche beide,
‚obwohl entgegengejeßt, entehrende La=
fter find, zwifchen denen die ehren-
volle Tugend der yreigebigfeit in der
Mitte liegt.
Dder ift etwa der echte Mannes—
muth identisch mit blinder Berjerfer-
wuth? ? Will man mir alfo den Mangel
Dofis ift ihm natürlich zu flark, er | unbefonnenen Webermuthes als Feig—
fordert, es kommt zu einer regelrechten | heit anrechnen, fo involviert dies that-
Schlägerei, und fiehe da, er fäbelt ſächlich ebenfomwenig eine Ehrenkränkung,
feinen Gegner glüdtih nieder. Kein als wenn man mir zur Laft legt, daß
Mensch erblidt Hierin einen Beweis, | ich nicht einmal die Tapferkeit befige, au
daß der erhobene Anwurf ungerecht: | einem Abend die Kleinigkeit von einem
fertigt war; im Gegentheil ift hie und | halben Hektoliter Bier zu vertilgen!
da Einer verfucht, zu glauben, er habe Für das Leben zwedlos eine ernfte
den Beweis erbracht, daß der Vorwurf | Gefahr heraufbeſchwören, ift nicht tu—
vollauf begründet war. Ein anderer | gendhafter Mannesmuth, dem die Feig—
Fall. Da behauptet ein holländifcher | heit gegemüberfteht, ſondern ift viel=
Nindviehhändler en gros, oder fagen | mehr frevler Uebermuth. Für den
wir höfliher, ein Armeelieferant, der | grundfäglichen Gegner des Duells ift
jein Material aus Holland bezieht, | Heutzutage ein ungleich größerer Muth
feine Ochſen feien größer und fetter, | erforderlich, das Duell zu verweigern,
als die deutſchen. Solchen Schimpf | als für feine Anhänger, fich zu Schlagen.
lann der deutjche Beſitzer diefer Thier— Ein dem Ehrenmanne in’s Gejicht
gattung, wenn er ein richtiger Mann | gefchleuderter Borwurf der Feigheit
von Ehre ift, auf der Ehre der deut- | berechtigt ihm alfo nicht zu einer Probe
Ihen Ochſen, ja der ganzen deutfchen | frevelhaften Uebermuthes, wohl aber
Nation nicht ruhen laffen. Echt titter= | berechtigt fie ihn zu einer Probe ech—
lich Steht er mit feinem Leben ein, ten Mannesmuthes. Hiezu muß er
fordert feinen Gegner und jagt ihm
ihlig eine Kugel in den Leib. Iſt
damit vielleicht bewieſen, daß die Deut:
ſchen die größeren Ochſen befißen, als
die Holländer? Wie Jedermann fieht,
iſt nichts bewiefen, als das Eine, daß
der Mann zu folder Vertretung ent»
Ichieden Beruf hat.
Aber in dem Falle wenigitens, daß |
aber eine pafjende Gelegenheit haben,
eine Gelegenheit, in welder die Rüd-
ficht auf einen entſprechend wichtigen
Zwed den Einſatz des Lebes fordert
oder wenigſtens geftattet.
Bliden wir auf den tapfern Sol—
daten im Felde, der unerjehroden (aber
doch nicht unbefonnen) dem Zode in's
Angeſicht ſchaut, jo haben mir eine
Einem der Vorwurf der Feigheit in's Probe echten, ehrenden Muthes vor
Geſicht gefchleudert wird, jcheint daß | und. Der tapfere Soldat kämpft nicht
Duell, beziehungsweife die Forderung | für feine Ehre, er kämpft zum Schutze
doch als Beweismittel geeignet zu fein;) des Rechtes und des bedrohten Vater-
wer in die Duellarena herabfteigt, zeigt | landes, und das gereicht ihm zur Ehre.
Muth und entkräftet hiedurch den Vor—
wurf der Feigheit.
Der „Muth“ des Duells ift nicht
dieſen Zwed brauchen.
65 bleibt alfo noch der Ehrener-
ſatz. Vielleicht läßt fich das Duell für
Die Eignung
623
de3 Duells Hiefür ließe fich nur in der | Nechtes beruht, was beim Duell, wie
Voransjegung aufrecht erhalten, daß schon Früher hervorgehoben wurde,
dadurch der Gegner wenigftens mit keineswegs der Fall iſt. Ein Staat
wahrfcheinlichem Erfolge zum Ehrenz | erachtet ſich von Seite eines andern
erfage gezwungen werden könnte, in feinem rechtlichen Intereſſe beichädigt
Hier drängt ſich uns ein Vergleich | oder in feiner Ehre verlekt; er ver-
des Duells mit dem Striege, dem langt Anerkennung oder Gewährleiſt—
Kampfe zweier Völfer oder Staaten | ung feines Rechtes, er verlangt Satis—
gebilde, auf. Allein es ergeben Sich | faction. Wird diefem Verlangen nicht
zwifchen Duell und Krieg zwei weſent- eutſprochen, jo greift er zur Gewalt,
lihe Unterjchiede. um die geforderte Leitung zu erzwins
Einmal exiftiert thatfächlich fein | gen. Diefen Zwangscharakter, um mich
über Völker und Staaten geftelttes | fo anuszudrüden, verräth der Krieg im
Tribunal, welches Rechtsftreitigleiten | Gegenfap zum Duell zunächſt dadurch,
aller Art definitiv entjchiede und die) daß der Gegner nicht erft gefragt wird,
erforderliche Executive zur Seite hätte.) ob er fich den beabfichtigten Zwang
Märe diefes der Fall, jo könnte dem | gefallen laffe, d. h. die Kriegserklärung
in feinen Gonfequenzen jo furchtbaren | annehme, fodann aber und ganz be=
Kriege feine Berechtigung zuerkannt | fonders auch dadurch, daß der inten—
werden. Dagegen befteht, bei uns dierte Zweck nicht vom Striege als
wenigftend und in allen civilifierten | ſolchem, ſondern von deijen Erfolge ab—
Ländern, für Private ein folches Tri- | hängt. Eine Sutisfacion erzwingen
bumal, welches im alle einer Rechts | zu wollen nach der Art, wie dies im
verletzung überhaupt und ebenso auch | Kriege geichieht, hat einen Sin, das
im Falle einer Ehrenkränkung die ent- | Duell aber als Mittel, Ehrenerfag zu
Iprechende Remedur erzwingen fanı. | erzielen, ift finnlos, weil es dem Geg—
Aber, Hält man mir entgegen, die Ge- | ner frei Steht, das Duell anzunehmen
richte würden in den jelteften Fällen, | oder nicht, und weil der Ausgang
welche thatſächlich Anlaß zum Duell | irrelevant ift.
geben, gegen eine zugefügte Beleidigung! Uber das Duell darf nicht nad
reagieren, d. h. eine Ehrenklage eut- Vernunft und Gewiljen, es muß nad
gegennehmen. dem Gefühle beurteilt werden, Sagt
Freilich, wenn Jemand im Kaffee— j man vielleicht. Kann es eine feichtere
hauſe ein Zeitungsblatt vom Zifche | Phrafe geben, als diefe? Wurzelt nicht
ftreift, ohne pflichtſchuldigſt ein „Par- auch die gemeinfte Nache im Gefühle,
don“ oder „Ercufez“ zu rufen, und ja läßt fich dasfelbe nicht mehr oder
man im diefem oder eimem Ähnlichen | weniger von allen, felbft den unge—
Vorkommniſſe einen casus belli, ein heuerſten Laftern behaupten ?
verbredherifches Attentat auf feine Ehre Soweit muß ih der Ehrenmanıt
erblidt, da kann man allerdings die doch beherrſchen können, daR er jeine
Gerichte nicht behelligen, ohne fich lä- wie immer gearteten Gefühle unter die
herlih zu machen; aber eine Lächer- | Botmäßigteit der Vernunft und des
lichkeit follte wichtig genug fein, wm) Gewiffens bringe.
ihretwegen das Leben auf's Spiel zu Die erſte und heiligſte „Ehren—
ſetzen! Ja wohl, das Duell hat un— pflicht des Ehrenmannes iſt denn doch
geachtet ſeines blutigen Ernſtes unge- die Heilighaltung des Gewiſſens. Wer
heuer viel Kindiſches an ſich. das nicht anerkennt, hat gar kein Recht
Der zweite weſentliche Unterſchied mitzuſprechen, wenn es ſich um Ehre
zwiſchen Krieg und Duell iſt darin zu handelt. Oder legen etwa wirklich un—
entdeden, dab erfterer feiner ganzen |fere Duellfreunde bewußt einen Wert
Natur nach auf der Erzwingbarkeit des | darauf, daß einer der Ihrigen den
624
Muth Habe, fich über ernſte Gewiljens- Das herrſchende Duellprincip ſchont
bedenken himwegzufeßen ? ſelbſt der Heiligkeit des Eides nicht,
Aber diefes Vorurtheil befteht ein= |twonit man die Treue gegen die Ge—
mal, ich jehe mich ihm als einer That- ſetze beſchworen. Wem das Geſetz,
Sache, die ich nicht ändern kann gegen= dem er Treue gefchtwvoren, wen das
über, was foll ich denn thun? — eidliche Gelöbnis nicht mehr heilig iſt,
ich mich gegebenen Falles nicht, io | wo ift die „Majeftät“ des Geſetzes,
werde ich thatfählich als ehrlos ver= |die ihm noch zu imponieren vermöchte ?
fehmt, ja meine Ehre ift Fo gut wie) „Darf auch der Mann von Treue ſpre—
vagelfrei. Dies die lage vieler, welche | hen, der treulos war an feinen erſten
im Princip dem Duell nicht huldigen, Pflichten 2”
welche aber die pure Muthlofigkeit in Das Duellprincip ieiftet der Ver—
die Neihen der „Muthigen“ ftellt. Aber |rohung Vorſchub. Seine Freunde rüh—
ich frage, wer erflärt Dich denn für men dem Duell zwar nach, daß es der
ehrlos, Vernunft oder Unvernunft? Roheit entgegenwirfe und zur Auf—
Was gilt denn die Ehre der Unver— rechthaltung eines „feineren Tones“
nunft? Vor wen iſt denn Deine Ehre in der Geſellſchaft ungemein beitrage.
vogelfrei, vor dem wirklichen Ehren- Indes, wenn unter dem „feineren
manne oder vor dem bohllöpfigen Bra= | Tont“ etwas mehr verſtanden wird, als
|
marbas? Der wirklihde Ehrenmann, |die größere Eleganz beim Prügeln, jo
deſſen kannſt Du verfichert fein, wird [will e8 mich bedünken, daß die Duell—
Deine Heberzeugungstreue achten, felbft | freunde nicht gut thun, ſich auf diejen
wenn er Deine Ueberzeugung nicht | „feineren Ton“ zu berufen; denn, ſo—
theilen follte. weit er überhaupt im Gefolge des
Mer einmal in dem Vorurtheil be- Duellwefens auftritt, kaun er nur die
fangen, das Duell für eine Ehrenfache | Frucht einer gewiſſen Furchtſamkeit fein,
ansieht, den bedauere ich und fuche ich | während dieſe Herren doch alle Welt
thunlichſt eines Beſſeren zu belehren ; | glauben machen wollen, daß fie Furcht
wer aber dem Vorurtheil feine Ueber- nicht kennen. Doch es kann ja fein,
zeugung und fein Gewifjen preisgibt, | da das Duell auch eine gute Wirkung
den muß ich verachten. bervorbringe, auch das Näuberhand:
Das Duellprincip befördert die ıno= | werk fHählt den Muth, ſchärft den Geift
ralifche Feigheit und Charakterlofigkeit. | und kaun ein ftrategifches Talent zur
Tanfende gibt es, welche der Unfitt= |vollen Entfaltung führen. Kommt es
lichkeit des Duells mehr oder weniger | bei unferem Handeln nicht vor Allem
fi bewußt, als Sclaven der „öffent auf die inneren Triebfedern an? Aber
lihen Meinung“ und aus feiger Furcht | felbft wenn wir davon abfehen, ift
vor der Tprannei des herrjchenden Vor- | nicht jede Grobheit, jede Ungezogenbeit,
urtheils durch das Duell ihre Ueberz | ja felbit die Lümmelhaftigkeit falonfäbig,
zeugung und ihr Gewilfen verrathen. |wofern fie nur eventuell durch eine
Aber das Preſtige der „Nitterliche | Prügelei im „feineren Tone“ gefühnt
feit“ und noch mehr die Furcht dor | wird. Heißt das nicht ebenfo viel, als
der Verfehmung überwiegen. Zritt hier die Noheit auf den Schild erheben ?
nicht moralifche Feigheit und Charatter- | Das Duellprincip ſchädigt das ge—
IagleN zu er) ſunde Ehrgefühl und protegiert fitt-
.) Nur einen einzigen Fall gibt es, in welchem das Duell einen Sinn bat.
Wenn fih Zwei jo tödtlih Hafen, daß gegenjeitig der Eine nicht leben will, wenn
der Andere lebt, dann heißt die Lofung:; Du oder ih! Dann muß aber das Duell
auf Leben und Tod geführt werden. Das wäre Bejtialität, aber vernunftlos im praf:
tiijhen Sinne wäre das Duell hier nicht, weil es jeinen Zwed lennt und aud erreicht,
D. R.
625
liche Gebrechen verjchiedener Art, wo: Damit ift das Duellprincip ges
ferne diefe nur an dem Strafhaufelrichte. Das Duellprincip ift an jich
vorbeilommen. undernünftig und unfittlich, in feinen
Nach dem herrfchenden Duellprincip| Folgen höchſt verderblih. Das Duell-
gilt die fingierte „ritterliche Ehre“ folprincip ift ein barbariſches Princip,
hoch, daß unter ihren Fittihen ſo eine wahre Schande des Jahrhunderts.
manches Schuß finden kann, was der So lange es jeine blutige Herrſchaft
richtig verftandenen Ehre Eintrag thut. | führt, fchreitet eine legitime Königin,
Der falſche Ehrbegriff macht ſich breit\entthront und in Trauergetwänder ge»
auf Koften des wahren. Auch der hüllt, allenthalben Unterftügung ihres
Schurke kann ſich mit Hilfe des Duells|Rechtes fordernd, durch die aufges
zum „Ehrenmann“ erfchwingen. Härten Länder — die Bernunft.
Der Einzigen.
LE). u warft ein Menſch und Du logſt nicht,
id Du warft ein Weib und gerecht,
Du wurdeſt geliebt und betrogft nicht,
Du wurdeſt geihmäht und bliebft echt.
Tu bliebeft jo heute wie geftern,
Du jchiedeft, doch floheſt Du nicht,
Du wachteſt, doch nit um zu läftern,
Tu ſchwiegſt, doch nit mir zum Gericht,
Ob Alles im Schiffbruch zerftiebe,
Eins prägte dem Herzen ſich ein:
Sie, die ih am innigflen Liebe,
Verdiente die Liebfte zu jein.
Ein Quell noch im Sande mich grüße,
Gin Baum noch im öden Revier,
Ein Vogel noch fingt in der Wüſte
Und erzählt meiner Seele von Bir,
Kofegger’s „„Geimgarten‘,, 8. Geft, XI 40
Kleine
Saube.
—7
Im ſonnigen Süden.
Eine landſchaftliche Slizze von der Adria.
Abbazia! Schon das Wort klingt wie
der Geſang eines tropiſchen Vogels.
Wo liegt dieſes Abbazia, das man
heute ſo oft nennen hört? Die Lexikas
und geographiſchen Werke verſchweigen es
ſchalkhaft; ſie werden es aber bald auf—
zeigen müſſen.
Dem Wiener iſt Abbazia ſpielend leicht
zu erreichen, er jchläft fich einfach hinüber.
Abends fieben Uhr läßt er fich auf dem
Südbahnhof ein Eifenbahn-Eoupe auf-
jperren, zieht die Fenſtervorhänge zu, macht
ſich bequem, raucht noch ein paar Cigarren,
legt fih dann Hin und — unter leichtem
angenehmem Schaufeln, das wir noch von
der Wiege ber in guter Erinnerung haben
— jdläft er ein.
Nach einiger Zeit wird er wach reibt
den legten Reit Dufeligfeit aus den Augen,
firedt fih und jagt: „Ab, das war ein
töftliher Schlaf! — Wo find wir denn
ſchon?“ Er zieht die Vorhänge auf: Ah!
Italien in Morgenjonnenjcein !
Der Eiſenbahnzug fteht hoch an einem
Ausläufer des Karſt in der Station Mat-
tulie. Steil und größentheils kahl ftürzen
die kalkfelſigen Berge ab und unten liegt
blauend das Meer.
Es ift die Bucht von Finme, die
allerdings viele Achnlichkeit mit einem
Binnenſee bat, weil fie in der Ferne von
mehreren langgejtredten Inſeln begrenzt
wird. Nur rechts, am iftrianischen Strande
entlang öffnet fih eine Straße hinaus auf
die freie, hohe See. Das ganze Bild ift ein
ſüdliches und erinnert an italienische und
ſpaniſche Hüften ; befondere Liebhaber mö-
gen fihb auch an die Buchten Griechen-
lands, an den Strand von Paläſtina,
an den Fuß des Libanons verjegt fühlen.
Die Höhen des Karſt und der croatiſchen
Alpen, frei vom Meeresjpiegel aufiprin-
gend, geben fih gar imponierend und ihre
Scneegipfel ſchauen neugierig herab auf
die immergrünen Lorbeer- und Palmen-
haine an der Küſte.
Dem Anfömmling wird gejagt, er
babe von der Station Mattulie aus zu
Magen nah Abbazia vierzig Minuten zu
fahren, und auch nicht länger zu geben.
Bei der klaren kühlen Witterung wählt er
das Leptere. Mit jedem Schritte, den er
abwärts thut, fteigert fih die Wärme der
Luft. Seine Umgebung find graue aus
der Erde quellende Felsblöde, Steinflege
und dazwiſchen dort und da eine ärmlide
Hütte aus Quadern, Gärtlein mit Del»
bäumen und Weinreben, und kleinen Wie—
jen, die terraffenartig mit Rohſteinwällen
oder feten Mauern eingefaßt find. So
ähnelt mander Gemüfegarten einem Ger
bäude, manche Ziegenweide einer Yeltung.
Da ift der Schafftall und die Hütte des
62
-
‘
Bettler mailto, wie für die Weltges } tige Haine, bunte Rajenpläge, glatte Kies—
Ichichte gemacht; und wenn das Schaf vom
Erecutor dovongetrieben wird und der
Bettler auswandert und das Strobdad
einbricht, jo stehen die Steinmanern jo
aut ihr Jahrhundert nach, als bei uns
daheim die Nuinen der Nitterburgen. In
der Gegend fieht man viele Häuferruinen
ftehen; die Zeit bat bier ein armes
Volk erdrüdt. Die neueften Tage bauen
an diejen Hüften Palaſt um Palast, aber
nicht für die Einbeimifchen, ſondern für
die Fremden, die in ihren großen Städten
müde geworden find und hier am Meeres»
odem wieder erfrijchen wollen.
Zu Füßen des Wanderes liegt nun
bart, am Meere der Flecken Volesfa. Die
Bauart italieniib, die Kirche mit den
zwei Barofthürmen ausgenommen. Sla-
viſches und romanijches Wejen ift hier ger
miſcht, erfteres wiegt an Ausdehnung und
Zahl vor, letzteres drüdt aber der Ge
wege, wildes Gefelje und Ruinen von
Bauernhütten wecdjeln zwijchen den Häu—
ſern; jo finft die Fläche janft zum Meere
hin, wo wildzerflüftete braune Steinwuchten
und Klippen gegen die andonnerden Wogen
ihre Vorwacht halten. Es ift wohl nicht
zweifelhaft, wer am Ende fiegen wird,
das weiche Waſſer oder das harte Ger
jtein. Letzteres verliert bei jedem Wellen:
ihlag Atome, erfteres zergilchtet jede Mi—
mute md ift doch ewig geſund. Aber
bis der Strand dahingewajchen jein wird,
dazır hats noch lange Zeit; da mag früher
wohl ein großer weltberühmter Gurort
bier florieren und wieder aus der Mode
fonmen und verfallen, wie die Wohnungen
der früheren Anfiedler bier verfallen find.
Hente it Abbazia in friſcheſtem Auf—
blühen begriffen. Defterreih bat im ver-
gangenen Winter jein Kleinod bier ge—
bütet: die Gemalin des Kronprinzen. Die
gend den Charakter auf. An diejer jüd- | anmuthsvolle Erzberzogin Stefanie, welche
lihen Meeresbucht ift mir der Italiener , heute jchon der Liebling des Reiches ge—
auch weitaus ftilgerechter, ala der Slo—
vene. Von Voleska aus links führt eine
ſchöne Kunſtſtraße nach dem nahen Fiume,
rechts am Meere hin gebts nah Abbazia.
Der Weg ift kurz, bald jtehen wir im
vielgenannten Curorte. Die im Hinter
grumde fich fteil erhebenden Berge — an
der Spite der 1400 Meter aufteigende
Monte Magiore — find unmirtlich und
itellenweife armjelig bejtanden mit blatt-
lojem Laubholz; fie lajien am Strande
nur einen fümmerliden Raum für Men—
ichen. Diefer Naum ijt von einem immer:
grünen Wald von Lorbeerbäumen, Palmen,
Eedern und Sebengewächjen beftanden. Dem
entiprechend ift die Blumenwelt. Faſt ber
täubt den Fremden anfangs die weiche Luft
und der üppige Duft. Es ift, ald ob man
in einem ungeheuren Gewächshaus ftünde,
von welchem die Glaswände und das
Dah weggenommen worden. Und in die
jen Wald hinein bauen fie den Gurort
Abbazia. Gegenwärtig ftehen nebit der
alten Eleinen Abtei und dem älteren Land—
hauſe „Angeolina* zwei große Hotels und
eine Neihe von Pillen, Alles nad dem
neueften Gejhmade eingerichtet. Tiefichat-
— — — —— ——— — —— — —
worden iſt, hat dem jungen Curort reichen
Glanz verliehen. Dem Verfaſſer dieſer
Zeilen war e3 gegönnt, zu Abbazia in
Landhauſe Angeolina einen Blid in das
häusliche Leben unferes Kronprinzenpaares
thum zu dürfen. Nicht bewandert im Leben
der Großen, hatte er kaum ahnen können,
in diefem Haufe, gepaart mit Hoheit,
jo viel gemüthliche Schlichtheit zu finden.
Er freute fich des ſchlichten warmherzigen
Tones und des Sinnes für das Schöne,
für geiftige Intereſſen, welcher das hohe
Paar noch bejonders adelt.
Das Schönite, was Abbazia hat, iſt
der Strandweg jüdweitlich gegen Ilka bin.
Derjelbe, vom öſterreichiſchen Touriftenclub
angelegt, ift noch ganz Natur; feine Billa
ſteht an ihm, fein Kunſtpark befäumt ihn,
jelbjt die Lorbeerfträucher geben nur ger
zwungener Weile, nen und mühevoll ge—
pflanzt, da hinaus, Ueberall das raube
Geſtein und der Kampf des Meeres mit
den Klippen. Man jegt ſich hin und kann
ftundenlana dem Spiele des Waſſers zu—
ſehen, e3 ift unendlich mannigfadh. Gerne
treibt es — und das ijt bei gewöhnlicher
Febhaftigfeit jein Gebahren — in langge-
40 *
628
zogenen Wellen, wovon eine von der an» hat gefunden, daß die Naturſchönheit
dern etwa zehn bis fünfzehn Meter ent« | hüben jener von drüben nicht bloß in
fernt iſt, beran. Solch eine Welle macht | nichts nachgibt, jondern fie jogar über—
einen hohen glatten Rüden, durch welchen | trifft. Wie es ferner mit der Heilung der
das Licht jchimmert und fie wie grün. Kranfen jteht in Abbazia? Es wird jo
lies Eis erjcheinen läßt. Nabe dem | fein, wie in anderen Gurorten, wer ſich
Strande begegnet ihr aber eine von den dort wohl fühlt, der wird genejen. Mich
Steinen zurüdgeworfene Welle, über dieje | läßt ein Curort als jolder freilich fühl,
binwegipringend bricht fie fich im Gicht, | ja ich mweihe ihm aus; der Müfigang,
fährt an den Strand, wo fie unbändig |der in einem jolchen zu herrſchen pflegt,
emporwallt oder jchneeweiß aufiprigt, um | zeitigt nicht bloß die lächerlichiten Unge-
dann wie ihre Vorfahren und ihre Nach» beuerlichkeiten der Putzſucht, des Tratiches,
fommen zurüdzufinfen. An mehreren Punt- | des Spieles, jondern oft auch tragiiche
ten, bejonders am jogenannten Teufels | Ereignifje. Die meijten Yajter und bie
brunnen fichtbar, rinnt das Meermwaijer in | meilten Selbjtmorde werden verübt in
mächtigen Strömen dur Höhlungen in den | eleganten Curorten. Die Naturſchönheiten
Berg hinein, um an anderer Stelle wieder | find es und die bequeme Gelegenheit, fie
bervorzubrehen. Dort und da gibt es bade- zu geniehen, welde mich Curorte auf-
ſchwammartig durchlöcherte Steine, durch | fuchen lajien.
welde das Waſſer gurgelt und drängt, | Das neue Aſyl am Quarnero bat
um auf der andern Seite ſtoßweiſe her- für uns freilich jeinen bejonderen Wert.
vorzufpringen. Die Färbung des Meeres | Wer den nordiichen Winter nicht liebt
ift überhaupt von höchſter Mannigfaltig- | oder ihn der Gejundheit wegen fliehen
feit, hier fommt noch dazu die Schattierung | muß und doch nicht ins ferne Ausland
von den Inſeln Iveglia und Icherſo, deren | will, der jchlafe ih aljo in einer jchönen
Berge bejonders in den fpäten Nahmit- Naht hinab nah Abbazia. Im milden
tagsitunden in duftigftem Biolette ber- | Hauche des grünen Lorbeerhaines und im
überlahen. Freundlich ſchimmert Fiume | Angefichte des jommerlich jonnigen Meeres
und Porto Re am Fuße des croatiſchen kann er dort das frobe Chriſtmahl halten.
Gebirges und im füdlichen Hintergrunde R.
fteigen die hohen, weißen Bergzüge Dal—
matiens hoch in den Himmel empor. Aehn-
lich ift der Blid auf dem Bodenſee gegen
die Gletfcher der Schweiz hin. Die Schön- 1 '
beit der See und die Herrlichkeit der Bett * machen!
Alpen im Bilde vereinigt! Arme Leute ſind in mancher Bezie—
In Sicht von Abbazia kreuzen ſtets | bung wie Kinder. Sie find unfelbititändig
zablreihe Schiffe, große Steamer und | im Wollen und Handeln und zumeift auch
Heine Dampfer und Kähne. Häufig läuft |in Denken, fie treiben Alles nur nad
jo ein flinfer, nmiedliher Dampfer ein im | natürlichen Inftincten, haben daher ihre
Hafen von Abbazia, mit welchem jelbit- | Unarten und ſtoßen mitunter an die harte
verftändlih das eine Stunde ferne Fiume | Wand der Geſetze.
in lebhaftem Verkehr iſt. Nach Trieft ift | Die Armen müßten moralijch erzogen
die Seereife von bier aus lang; auf der | wären, wie Kinder, nach pädagogiſchen
Eiſenbahn ift es in drei Stunden er- Grundſätzen. Die Armut in der heutigen
reichbar. Geſellſchaft iſt mie ein Kind in einer
Als drüben an der Riviera vor einiger | yamilie, das einen Stiefvater und eine
Zeit das Erdbeben gewüthet hatte, famen | „rechte* Mutter hat. Unter dem Stiefvater
Flüchtlinge herüber nah Abbazia, das fich | verftehe ich den Eigennuß der Befigenden,
patriotiijher Weiſe anſchickt, die öfter | unter der Mutter die Wohlthätigkeit.
reichiiche Riviera zu werden. Und man. Aber wie es jchon zu geben pflegt, je
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jtrenger und berber der Stiefvater auf | Namen in den Zeitungen lejen. Sie können
tritt, deito zärtlicher liebt die Mutter das | aud Diplome und Orden befommen. Ich
arme Kind, deito eher wird fie e3, wenn fie | bin ganz damit einverjtanden. Biel be-
Gelegenheit bat, verzärteln und verziehen. | denklicher jedoch ift es, das durch Wohl«
Unjere Armut wird auch verzogen. Man | thätigkeit eingegangene Geld richtig an—
(ehrt die armen Leute nicht jelbitftändig | zumenden. Gewöhnlich befommt der am
werben — das mill ja der geftrenge Stief- | meiften, der am beften betteln kann; da
vater nicht zugeben — man lehrt fie mur | lohnt fihs dann freilich der Mühe, das
Almojen juchen und milde Gaben hin- | Betteln zu lernen. Und mancher ver«
nehmen, man macht aus armen Leuten ſchämte, bejcheidene Arme, der vielleicht
— Bettler. wirklich jchuldlos darbt, wird darben troß
Die Wohlthätigkeit it das böje Ge- | aller wohlthätigen Vereine.
wiflen der Neichen, würde der Sfeptifer Ein Blid in die Hauptftadt. In Wien
jagen können, der nichts an fich Gutes | beftehen gegenwärtig zweihundertachtund—
gelten lafjen will im Menjchen. So weit | dreißig Wohlthätigfeitsvereine.. Das ift
gebe ich nicht; ich bin froh, wenn das gut. Denn da die Formen der Armut
Gute geichieht und grüble nicht erft lange | jo überaus mannigfaltige, die Bedürfniffe
nach dem Beweggrund desjelben. Maß—- | fo überaus vielgeftaltige find, jo läßt fich
gebender als die Urjahen der Wohl- | auch nicht durch wenige Vereine dem Elend
thätigfeit find die Wirkungen, und bierin | entgegenwirten. Wenn man aber aus
hätte man an unjerem Wohlthätigfeits- | feinem anderen Grunde, als damit per«
wejen manches auszujegen. jönliche Eitelfeiten befriedigt werden, Con—
Mit unjerer Opferwilligfeit bürfte man | currenz-Wohlthätigfeitsvereine gründet, jo
zufrieden fein, jo lange es fich nur um's miſcht ſich ſchon in did gute Abficht ein
Geben handelt, dort, wo man zu geben | nicht zu billigender Nebenzwed, und wenn
bat. Wir geben gern und viel, wir haben | die Vereine — mit gleichen Mitteln aus—
ein menschlich Fühlen für die Armut und | geftattet, aus denjelben Quellen genährt
möchten gerne überall helfen. Welche — denjelben Perfonen ihre Wohlthaten
Summen in unjeren Ländern für mwohl- | zuwenden, jo ift das eigentlich ein Ver—
thätige Zwede ausgegeben werden, läßt |jchleudern des zu humanitären Zweden
fih mit Ziffern nicht ausdrüden, ich ver- | gefammelten Geldes. Wir könnten auf
mutbe, fie fommen in einzelnen Ständen | eine Anzahl von Vereinen hinweiſen, die
jener Summe nahe, die für Lurus aus» ſich nicht bloß ihre Spender gegenfeitig
gegeben wird, und ich glaube das wäre | abzufifchen juchen, jondern auch darin ein-
das richtige Marimum. ander Concurrenz machen, daß fie die
Die größten und wahrhaftigiten Wohl- | „Armen“ gegenjeitigab-, reipective fich jelbft
thaten, die Menjchen einander erweilen, | zuzumenden bemübt find, um nur mit
werden erit offenbar, wenn die Todten | großen Ziffern brillieren zu können, Ans
auferjtehn. ‚der Concurrenz der Wohlthätigfeitsvereine
Ich denfe heute an jene Wohlthaten, | erwächst eine Gefahr, welche man nicht
die im Sonnenlichte gethan werden, viel» |überjehen darf, und dieſe beiteht in der
leicht nicht zum legten Zwecke, um ge: | Eprcnlation auf die Beriplitterung des
jehen zu werden. Wir jehen die großen | Armenweſens. Alle Bemühungen, die Ver—
MWohlthätigfeitsmaichinen der Corpora- |eine wenigitens infoweit zu centralifieren,
tionen und Vereine und ihre weitverzweigte | daß über die Perjonen der Beſchenkten
Tätigkeit. Wir jeben, daß die Lente von |und die aufgewendeten Einzelfummen ein
ſolcher Seite oft förmlih gezwungen wer- | General-Statalog — der jelbitverftändlich
den, wohlthätig zu fein, und fie follen nur für die Leiter zugänglih wäre —
dafür auch etwas haben. Sie können für |verfaßt werden joll, find gejcheitert und
ihre Wohlthätigkeit Mufif hören und tan» |die Folge davon ift, dab 238 Vereine
zen, auch eſſen und trinfen und ihre mit vollen Händen geben — in Hände
—
geben, von denen es ihnen nicht geman
Hefannt ift, ob es die rechten find. Die
Zerjplitterung bat zur Folge, daß jet
induftriöfe „Arme“ — es joll jolche geben
— von Verein zu Verein geben, ſich
überall eine „Heine“ Unterftügung er—
wirfen fönnen und daß dann ihre ganze
Grijtenz auf das Abſammeln diejer Unter-
jtügungen fich gründet. Niemand bindert
fie, auf ſolche Weiſe die Wohlthätigfeit
geradezu auszubeuten und anf Vereins:
foften jo zu leben, wie es eben dieje
zahllojen Vereine, die untereinander feinen
Zujammenbang haben, ermöglichen, Ferne
liegt es .uns, der wahren Armut nahe—
zutreten; wir willen, wie groß das Elend
it und wie dringend mothwendig es er-
ſcheint, demjelben mit allen Mitteln ent»
gegenzumirfen. Aber die Art, wie man
jegt Moblthätigfeit übt, können wir darum
doch nicht billigen. So wie es jeht ge-
ibieht, werden riefige Summen, mit denen
man bei richtiger Verwendung wirklich
viel Gutes ftiiten und den Erwerblojen
zum Erwerbenden machen könnte, in kleine
Einzelbeträge zeriplittert, mit denen nicht
nur der momentanen Noth nicht entgegen»
gewirkt, jondern durch die der Beſchenkte
geradezu auf den Weg des Bettels ge
drängt wird. Mas joll die arme Familie
mit einem bis zwei Gulden, die fie in
einem Momente erhält, anfangen? Die
Gabe reicht oft nicht aus, um den augen»
blidlihen Hunger zu ftillen; ſie muß aljo
beim zmeiten und dritten Vereine das
Bettelgeſchäft von vorne anfangen, um
nur den Bedarf des Augenblicks zu be
friedigen, und am nächſten Tage beginnt
das Elend von Neuem! Auf diefe Weile
wird die PVettelei förmlich großgezogen.
Wie die Wohlthätigfeit geübt wird und
große Beträge in Kleine umgejeht werden,
jegen fih die Vereine außer Stand, in
wirklichen Notbfällen belfend einzugreifen
und dem wahren Zmwede ihrer Eriftenz
gerecht zu werden.
Es läßt fich auch nicht leugnen, daß
faft alle Vereine ihren Appell um Beiträge
nahezu an diejelben Verjönlichleiten richten,
und ftatt, wie man es bei einem Beſtande
von 238 Vereinen vermutben jollte, einen |
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größeren Kreis von Mitwirfenden beran-
zuziehen, durch ibre Wirkſamkeit eher den
Kreis verkleinern und dadurd, troß der
Vermehrung der Zahl der Vereine, eine
Vermehrung der Spenden nicht erreichen.
Die Autonomie der Vereine und die
Befriedigung der Eitelfeit der Präfidenten,
DPirectoren, und wie jonjt diefe Würden»
träger fich zu nennen belieben, kann ganz
gut neben einer geordneten Wirtjchaft
tortbejtehen und befriedigt werden; ja wir
glauben, die Vereine würden viel bejjer
bejtehen, wenn die Berfplitterung durch
die Centralijation erjegt würde, fie fönnten
auf größere, nachaltigere Erfolge bin«
weilen, noch größere Summen erhalten
und mit diejen einen viel bedeutenderen
Nutzen ftiften, als fie es jegt vermögen.
Es kann ja überhaupt jo nicht jort-
geben, dab erwerbsfähige Menjchen auf
Almojen angemwiejen fein jollen. Das iſt
der abjcheuliche Krebsſchaden unjerer wirt-
Ichaftlihen Welt. Die Armut wird man
nie abbringen, weil es immer erwerbs-
unjäbige Menjchen geben wird, und dieſe
zu unterſtützen, mit aller Liebe und Opfer—
frendigfeit zu unterftügen ift die Aufgabe
der Wohlthätigfeit. Den arbeitsfähigen
Armen bat die Gejellihaft Arbeit zu
geben, und nicht Almojen! Das Almojen
muß die Yente von der Arbeit nur ab»
halten, fie zu Faullenzern und routinierten
Vettlern machen, wenn nicht gelegentlich
zu Aergerem!
Ihr Reihen und Mächtigen! Ahr
thut nicht Euere Pilicht, indem Ihr mit
vollen Händen Almojen gebt! den einen
Theil der Leute ausnügen, um dem andern
das Nichtsthun zu bomorieren, das iſt
zweifach gefehlt. Und wenn es für va-
cierende Arbeitskräfte ſchon wirklich gar
nichts mehr zu thun gibt auf der Welt,
jo laſſet bei anjtändigem Taglohn den
Großglodner abtragen und denjelben über
den Großvenediger aufbauen. Denkt nicht
immer nur an Euren Gewinn, Arbeit
kann Selbjtzwed werden, wenn fie vor
Demoralijation bewahrt. M.
Heue Lieder und Gedichte
inoberöfterreidifder Mundart,
von Feopold Görmann.*)
Da Diſchkur mit ’n Bögerlt.
J han amal, hat mi gar a fo blangt, !
Mit an Bögerl ön Wald an Diſchkur?
angfangt.
Für ’s Mäul is da Anfang allweil a Plag,
So jagiada: ham ma heunt a ſchen Tag!
Draf thuat fi "3 Vögerl ön Schnabel areibn,
„Ja,“ moant's „Iunnt nu a Zeit a jo bleibn.“
Richti, Vögerl (und i tritt föfter für),
I hät’ a kloans wenkerl was z'rödn mit Dir.
„So?“ wiſchpelt "3 Vögerl neugieri, guat,
Auf dös wiar i rebi 3 und ſammel man
Muath.
Vögerl, ſag i (do jan mar fein ftad,®
Meil i gern ganz alloan danıit hoamlemma |
that),
Eag mar amal, ön Dreiteureldnam!
Wia bringft denn nur Du Deine LiadIn
zſamm?
„I fing,“ gſteht 's Vögerl, „mehr woaß i
nöt gwiß,
Halt wia ma da Schnabel gewarn is.“
Sifra! röd i eahm blitzſchnell drauf,
Hiast geht ma auf vanmal a Liadhtl auf.
Fort mit dö Faxn, den Bahrn ön oa Roh, >
J machs as wia Du hiatt, juft netta a jo!
Afts richt i mi gſchwindi und fchnefl jan
gehn,
Vögerl, bfüat Gott! und i dank da redt
ichen. —
Dös is mei Difhlur mit 'n Vögerl gwöft,
Heunt hats mas zan erjtinmal aufapröft.
Und hiatzt derf i '3 varathn,
mehr:
J war bein Waldvögerl draußt ön da Lehr.
Ai fing (und mehrafta woaß i nöt gwiß)
So wia ma da Schnabel gewarn is. —
!) darnach verlangt. °) Discurs. *) heiter, auf«
geräumt. *) Mil Gorſichtigh. ) Bohren in ein Loch
(Ecablone). *) dann.
es madt nir
*) Unter obigem Titel ift bei Baumert und
Ronge in Großenhain eine neue Eammlung des ober»
öfterreihiihen Vollsdichters erjchienen. Wir glauben
das trefilihe Büchlein am beiten mit der Wiedergabe
einiger Gedihihen zu daralterifieren. Diele Stüde
werden weder die beiten noch bie ſchlechteſten im Wert-
hen fein; es enthält föhtlihe Sachen, aber auch Fin»
jenes, daS bei einer neuen Auflage beijer wegbleiben
wird. Am Ganzen fanden wir Hörmann's: Schnee ·
taderln und Himmelſchlüſſeln? origineller, als dieſe
neue Sammlung. M.
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3 med — und kann nöf.
J war’ a Bleamer! gern — i hab vablüahrt.
I medt a Fiſcherl fein — i hab mi grüahrt.
J mecht a Vögerl fein — i fann nöt fliagn.
% glang um d’ Stern jo gern — i Tann
j'nöt friagn.
J medt ön Himmel "iin — da Wög is z'weit.
J medt a Enger! jein — und bin a Leut.
A Liadsgrhidt.
Alle zwoa fterbnsvaliabt,
's Dirndl und da Bua,
Denna koa Danileit, !
Nia Fried und Ruah.
Eahm plagt dö Eiferfucht,
Machtn fuchswild,
Sie hat jo gwiße Grilln:
„Harbfein“ wird gipielt.
Sie id dö Trußige,
Er tüdelt a —
Ca Wort jo d' ganze Wis?
| Guat wieder wa’.
Da fallt 's nöt, dortn nöt,
Koans roadht ? ja Hand,
So lemman }’, fterbnnsvaliabt,
Zlötzt ausanand.
1) Einigfeit, ) Sade. *) reicht,
’s fihare Mittl.
Da Pfarrer 3’ Gahnling! jagt zu Dana —
Denn dö hat eahm ’Hagt,
Daß f' ihr Mann fo oft jchlagt,
Sie muak fi nu z'taod flehn und woana:
Kimmt da Mann fpat van Wirth jo thuat
| a jelfiarn,
‚Rah und feanzn, jtreitn und diſchpatiarn.
Da Pfarrer alſo will da moana:
Er woaß a Mittl, dös wirkt,
Dos niamals lüagt,
Glei aus war ’3 aft mit Flehn und Woana:
„Wann da Mann wieder jpat van Wirt
| thuat femma, —
Giwindi
ön 3 Mäul an Weihbrunn?
nehma.“
Oen Mann hert j’ wia ſunſt ſchrein und
klopfn.
To heunt macht j’ glei auf —
Lögt fi auf d’ Födern drauf,
Z'erſt thuat fa fie ſchan 's Mäul vaftopfn.
Da Mann will wia junftn ſrahn und ftimma,
MWart't und ftugt und ritahrt fie nimma. —
's bat gholfn ön Pfarrer ſei Mittl:
Halt’ 's Mäul! hat a gihafft.
Aber Glaubn und Kraft
‚Gibt erft da jcheni, heilige Titl. — —
‚A 58 andern finnis Enkas 3’ Herzn nehnta,
' Wann Enfare Nanner jpat hoam than kemma.
| !) Orlöname. *) Weihwailer,
’s Ofäus.
Durchs Giäuf’ bin i gfahrn
Mit da rollatn Bahn —
Mer a Wunder will jegn,
Macht ma 's nad, ſchaut fi ’S an.
Di Macht und den Gewalt
Und wias rodlt und hallt,
MWias jäufelt und braust,
Daß dar grujelt und graust.
Da Berg um den andern,
Der rödt fi ön d' Heh,
Und 's einzwängte Waſſerl
Schreit: Auweh, aumweh!
Und dd Schenheit und Macht
Und dö Greh und dö Pradt,
MWoft Di wendſt, wiaft Di drabft:
Zwannſt ön Zauberland waſt.
Durchs Gjäuf’ bin i gfahrn
Mit da rollatn Bahn:
Mer a Wunder will jegn,
Macht ma 3 nad, ſchaut fi 's an!
*
Ein Concert im Poſtwagen.
Von Karl Neumann-Strela.
Ein Herr, der einen braunen Frack
mit gelben Knöpfen, einen grauen Phan-
tafie-Hut und auf dem rechten Arm einen
grauen Ueberrod trug, bejtieg in Heidel-
berg den Eilmagen, welder nah Stutt-
gart fuhr. Die geftidte Reijetajche in
feiner Rechten wurde in das Neck an der
MWagendede gehoben, aber den Geigen-
faiten, den feine Linke förmlich umflammert
bielt, ftellte er neben ſich und bededte ihn
mit dem Weberrod, al3 wollte er feinen
Liebling vor Zugluft bewahren.
Der Poſtillon blies ein luſtiges Stüd-
lein; die Pferde zogen an. Der einzige
Paflagier lehnte in der Ede, und nad
dem er fih noch einmal von der ficheren
Lage feiner Geige überzeugt, nabm er
Pfeife und Tabaksbeutel, Feuerſtein und
Stahl und Schwamm aus der Tajce.
Bald ftieg der blaue Dampf zur Dede
empor, und der Raucher freuzte die Arme
über der Bruft und verfanf in tiefes
Sinnen,
Erjte Station. Das Gefährt bielt
vor einem Heinen ſchmutzigen Haufe. Zwei
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Poſtdiener fchleppten im Schweiße ihres
Angefihts einen großen Reiſekorb herbei,
der auf dem Wagen untergebradt wurde.
Dann kam ein Dritter mit Schadteln und
Käftchen, die jämmtlih in das Netz
wanderten.
Der Paſſagier wurde erjt aus jeinem
Nachdenken geriffen, ald zwei Damen an
den Schlag traten. Schweitern, der Aehn—
lihfeit nad; Beide hatten dunkles Haar,
dunkle Augen, fchwarzjeidene Kleider und
Hütchen von ſchwarzem Flor.
Die Größere ſetzte den zierlihen Fuß
auf den Tritt, hüpfte in den Wagen und
rief: „Marie, ein entjegliher Qualm!
Wir werden erſticken!“
„Schrecklich!“ rief Marie, nachdem
auch fie eingeftiegen, aber fie lachte dazu
und nahm unter Lachen Pla.
Der Herr und die Damen ſaßen ſich
gegenüber.
Der Herr zog die Brauen zujammen,
grüßte und jagte: „Den Damen ijt der
Tabaksrauch läjtig ?*
„Wenn ic) bitten darf,“ nahm Thereie
das Wort, „jo gönnen Sie Yhrer Pfeife
ein wenig Ruhe. Der Rauch verurjadt
mir Kopfichmerz.“
Mit einem ganz leiſen Seufzer ließ
er die Pfeife in die Tajche gleiten. Wie-
der freuzte er die Arme und ſchloß die
Augen; er wollte jchlafen. Aber die ſüße
Gewohnheit des Rauchens! Er wurde
immer unrubiger, er rüdte nad rechts und
nach links. Mit jeder Minute wurde die
Sehnfuht nah feinem Pfeifchen größer,
und er hätte fih zum Schwager auf den
Dot gejegt, wenn nicht jeit der Abfahrt
vom Stationshaufe ein feiner Negen ge
fallen wäre.
Die Damen, welche fi mit Lectüre
befhäftigten, merften von dieſen Qualen
nichts.
Plötzlich fiel ihm ein: wenn du im
Poſtwagen in Gegenwart des ſchönen Ge—
ſchlechts nicht rauchen darfſt, ſo darfſt du
wenigſtens geigen. Geigenſpiel im Boft-
wagen verboten — wo ſtände das ge-
jchrieben ?
Gedacht, gethan. Der Ueberrod wird
vom Kaften geworfen, Geige und Bogen
zur Hand genommen — ein heller jrijcher
Klang zieht durch den kleinen Raum.
Die Damen find jo erjtaunt, daß
ihnen die Bücher entfinfen. Aber fie
niden ſich zu umd ihre Mienen zeigen,
dab der wunderliche Einfall des Herrn
ganz nad ihrem Sinne ift.
Er phantafiert auf der Geige, Die
Muſik hebt klagend an; beflagt er das
falte Pfeifchen in der Taſche? Dann
werden die Töne marliger und voller;
über den Saiten jcheint das Wort Ent—
jagung ! zu fchweben. Daun ift es, als
wenn die Leidenſchaft wieder die Ober-
band gewänne; immer wilder wird Die
Muſik, immer graufiger, plöglich ein ſchnei—
dender Ton — der Bogen finkt.
Neguugslos, ſprachlos ſaßen die Da-
men da. Erſt als der funfelnde Blid des
Mannes fie traf, erwachten fie wie aus
einer Eritarrung. Thereje bob den Arm
und rief: „Mein Herr, Ihr Stüd hat
feinen Schluß!” — „Bitte, den Schluß,”
rief Marie,
„Ein Schrei — das fei das Ende,“
jagte er, und in den Winkeln jeines Mun—
des zuckte es ſeltſam.
„Nein,” rief Ihereje, das Ende joll
ein Danklied für alles Gute und Schöne
ſein.“
„Ein Gebet aus vollſtem Herzen,“
warf Marie ein. „Schweſter, mache Du
den Schluß.“
„Ah, Sie ſind Künſtlerin?“
er überraict.
„Ich Ipiele ein wenig,“ gab Ihereie
lächelud zur Antwort,
„Ih bitte —“ er reichte ihr Geige
und Bogen.
Sie wehrte mit der Necdten. „Unfer
Handwerkszeug haben wir ftet3 bei uns.“
Er bemerkte mit wachſendem Erftaunen,
daß die Schweiter fich erhob, in das Net
griff und zwei Geigen zum Vorjchein brachte.
„Auch Sie? auch Sie?“ rief er.
Sie neigte lähelnd das Haupt.....
die Geigen wurden geftimmt, und die
ſchelmiſche Marie rief der Schweiter zu,
welche jhon den Bogen erhoben hatte:
„Ein jo zablreiches Publikum haft Du
noch nie gehabt.”
fragte
633
Thereſe jpielte. Sie zauberte ein Bild
vor das innere Auge des Mannes: im
Sonnenschein wogte das Achrenfeld. Schnit-
ter kamen mit ihren Senjen, e3 fam Alt
und Jung und freute ſich der reichen
Ernte. Dann knieten jie Alle nieder und
priejen und dankten Gott für jeine Güte,
bob im Blauen aber jubelte eine Lerce.
In fih verſunken jaß der Hörer da;
der traurige Zug um jeinen Mind war
einem Entzüden gewichen, das wie Son»
nenglanz aus feinen Augen ftrablte. Doc
ehe er jeiner Bewunderung Worte leihen
fonnte, wandte fich TIhereje zur Schweiter
und ſprach: „Nun, mein Herzchen, kommſt
Du mit dem rechten und echten Schluß.“
„Schweige ftill,“ vief fie mit fomijcher
Geberde, „Der Schluß war recht und
eht. Aber wie wäre e3 mit dem Tito
von Kreutzer? Dur haft mit Deinem Spiel
einen Funken in meine Seele geworfen ;
ich könnte geigen bi3 im die tiefe Nacht
hinein. — Alſo! Komm, Schweiterherz
— eins, zwei, drei!”
Das berrlihe Duo von Frenger, in
jo meilterhafter Weife vorgetragen, bätte
den größten Mufiffeind in einen Enthu—
fiaften verwandeln müffen. Um jo bes
geifterter war der Zuhörer. Seine Bruſt
bob und jenfte fih, an feinen Wimpern
perlten Thränen, und als der legte Ton
verflungen war, da breitete ev die Arme
aus und rief: „Ihr jeid himmlische Ge—
jtalten oder die Geſchwiſter Milanollo !”
„Nur das legtere, mein Herr,“ lachte
die ſtets heitere Marie. „Das ijt die
Therefe und ich bin die Marie,”
„Grlauben Sie mir Ihre Hände,“
iprad er feierlichen Tones, und er legte
die weißen zierlichen Hände auf jein wogen-
des Herz. „Diefer Stunde werde ih ge
denken, bis der Tod mir naht.”
„Warum jo melandoliich, mein Herr
College?" jagte Marie. „Ich habe ums
verratben, oder vielmehr, Sie haben uns
erratben; jegt aber hoffen wir, daß Sie
mit Ihrem Namen nicht länger hinter dem
Berge balten werden. Durch Ihr Spiel
haben Sie bewiefen, daß Sie unfer Col»
lege find. Alfo gejtehen Sie: Sind Sie
Baillot oder Node oder Lafont oder gar
634
Kreutzer, deſſen Tuos unſere Lieblinge
ſind?“
„Ich bin nicht ſo glücklich, mich Ihren
Collegen nennen zu dürfen. Ich bin Di—
lettant auf der Geige, meine Hauptbe—
ſchäftigung iſt Verſe machen; und da Sie
meinen Namen verlangen, jo habe ich das
Vergnügen, mich Ihnen als Nikolaus Lenau
vorzuſtellen.“
„Lenau, Lenau!“ jubelte Thereſe,
„jetzt erlauben Sie uns Ihre Hände!
Dort in der Taſche liegen Ihre Gedichte,
die uns von Stadt zu Stadt begleiten
und oft, oft unfer Verlangen nach der
perſönlichen Bekanutſchaft des Dichters er»
wedten. Endlich bat das gütige Geſchick
unjern Wunſch erfüllt und — “
„Der Scidjalsgättin werde ein Hym-
nus geipendet, wenn wir im Stuttgart
find,“ fiel Marie ein, |
„Warum erjt in Stuttgart ? Nein, |
das währt mir zu lange. Im Poftwagen |
haben wir unjere Belanntichaft gemacht,
aljo werde im Poftwagen geopfert. Her!
Dilettant, Sie kennen jedenfalls das Trio
in C-dur von Streuner ? Gut. Sie jpielen
es auswendig ? Deito befjer. Die Geigen
beraus — in mafellojem Bortrage diejes
Trios joll unſer Dankopfer beſtehen.“
Die Pferde ſchritten langſam und
ſpitzten die Ohren; der Schwager Poſtillon
ſpitzte die Ohren noch viel mehr. Seit
dreiundzwanzig Jahren kutſchierte er von
Heidelberg nach Stuttgart, aber ſolche
Paſſagiere hatte er ſein Lebtag nicht gehabt,
Als die Thürme von Stuttgart fich-
bar wurden, batte fih die Bekanntſchaft
ihon in Freundſchaft verwandelt. Gar
oft iſt die Brieftaube aus dem Schwaben:
land nah Paris und zurücd geflogen;
das Babel an der Seine betrachteten die
Milanollo'3 als zweite Heimat, welche fie
nur verließen, wenn die Bitten ihrer viel«
taufend deutjchen Bewunderer fie über den
Nhein riefen. In Paris ſtarb Marie,
„mein lieber Schelm,“ wie Lean fie oft
genannt, im ranben Herbit des rauhen
Jahres 1848; und als zwei Jahre jpä-
ter, in Oberdöbling bei Wien, der arme
Dichter die Augen ſchloß, da ward auf
jein Grab ein Lorbeerfranz mit weißjei-
denem Bande gelegt. Auf dem Bande
ſtand geichrieben :
„Und als Lebwohl er winfte mit der Hand,
War's, ob der letzte Jugendtraum mir
ſchwand.
Dem Unſterblichen
von
Thereſe Milanollo.“
Lebt denn der alte Gott nicht
mehr?
Eine Parabel von W. Popper.
Es war einmal ein Gott, der die
Melt erichuf, und jeine Ehefrau war die
Ewigkeit. Sie hatten drei Töchter. Die
Aelteſte war die Schönfte und Blühenbdjte ;
voll Kraft und Leben war fie des Vaters
Ebenbild und Liebling. Schon als Kind
bat fie oft: „Water, überlaffe mir nur für
ein Weilchen das Welt-Negiment !” und
Gott gab nach, obgleih ſie in kindiſchem
Muthwillen ebenjoviel zerftörte, als ſchuf.
Die zweite Tochter war nur der Schat-
ten der Welteften. Ein blaſſes, willenlojes
Kind, pflegte fie tagelang auf dem Schoße
der Mutter zu fißen und ſich von diejer
Geſchichten erzählen zu laſſen. Sie hatte
einen Hang zur Träumerei und war die
Liebreichite, deshalb auch der Mutter Lieb»
ling. Die Jüngſte war ein rechter Wild-
fang voll Grazie und Schelmerei, fie nedte
die Schweitern wo fie nur konnte, ja fie
verjuchte ihren unwiderſtehlichen Zauber
auch an den ernten Eltern und Niemand
fonnte ihr gram jein.
Eines Tages trat die ältefte Tochter
vor den erbabenen Thron Gottes und
ſprach: „Nun, Vater, bin ich groß und
jtart und Du bit alt genug, deshalb
pflege der Ruhe und überlafje mir das
Melt-Regiment |”
Der Vater blidte voll Wohlgefallen
auf jeine Tochter nieder, aber jeiner un—
erjebütterlichen Gerechtigkeit eingedenf, ant-
wortete er ihr:
„Ih kann Div keinen Vorzug geben,
Dir feine Rechte einräumen, die Deine
Schweitern nicht teilen, rufe fie aljo auch
vor meinen Thron!“
—
Als nun die Zweite geſenkten Hauptes,
voll demüthiger Ergebenheit einherſchritt,
die Jüngſte in ſorgloſem Leichtſinn her—
anhüpfte, ſprach Gott der Vater:
„Ih will die Weltberrichaft unter
Euch theilen! Dir, meiner ältejten Tochter,
der Ihatkraft, die voll göttlichen Selbit-
vertranens jtet3 im rechten Momente das
Rechte thut, Dir, meinem Ebenbilde gebe
ih das weite, das mächtige Reich der
Gegenwart !
Dir dagegen, Dur Stille, liebereiche und
liebesbedürftige Träumerin Erinnerung,
die Dur zu jedem Kampfe unfähig biit,
Dir verleihe ih das vor jedem feindlichen
Angriffe geichügte Neich, in dem es nicht
zu Schaffen, noch zu zerjtören, jondern nur
zu erhalten gilt: die Vergangenheit !
Dir aber, Du lojer Engel voll Leicht:
finn und Gnade, halb des Vaters, halb
der Mutter Ebenbild? — Tir jchente ich
das ımermeßliche Neich der Zukunft, das
Du als ummmjchränfte Königin Hoffnung
zum Wohle meiner Geichöpfe verwalten
ſollſt!“ — Wie Gott ſprach, jo geichah es.
So iſt es denn gefommen, daß nicht
Gott Vater der Gerechte und die große
Emwigfeit uns beherrſchen, ſondern nur
ihre drei Töchter, die Königinnen: Gegen—
wart, Vergangenheit und Zukunft.
So fommt es, dab wir oftmals, wenn
die eiferne Hand der Gegenwart uns unter
ihr Joch zwingt, die Vergangenheit uns
Schanergeſchichten erzählt und die Zukunft
ſchäkernd unſerem verzweilelten Griffe ent-
eilt — jo fommt es denn, daß wir in
die Kniee finfend fragen: Lebt dem der
alte Gott nicht mehr ?
Der Poetenwinkel.
Betrachtung.
Von den Bäumen weh'n die Winde
Welle Blätter in den Sand;
Was der Lenz als Angebinde
Einſt in kahles Aſtwerk wand,
Sinkt zu Boden,
Zu den Todten,
Bis des Frühlings Zauberwalten
Blatt um Blatt mag neu geftalten.
Jahr um Jahr in gleicher Weiſe
Geht der Menſch durchs Leben hin,
Bis vollendet jeine Kreiſe
Und die Bahre fein Gewinn.
Mas wird bleiben
Bon dem Treiben?
Ginen rühmt man ungemefien,
Und der And’re wird vergefien!
Hans Aronderger.
Frühling.
O Frühling! o Du Wonnezeit!
Mit Deinem Glücke kehrſt Du wieder!
Die Erde ſchmückt Dein Saphirkleid,
Und Blüten ftreuft Du darauf nieder.
Erweckt von Deiner Sonne Strahl
Im Moos die bunten Sterne laden.
Wie plätjchert es vom Berg zu Thal!
Natur, wie ſchön ift Dein Erwaden!
Dein Blumenflor ziert Flur und feld,
Berauichend find der Blüten Düfte,
Und eine bunte Bogelwelt
Erfüllt mit Sang die lauen Lüfte,
Der Landmann fteuert feinen Pflug,
Sät, hoffend auf des Herren Segen.
Dem Himmel fingt in hehrem Flug
Gin Lerchenpaar jein Lied entgegen.
Und Alles, Alles athmet Luft,
Und athmet Leben, athmet Liebe!
Ein Wunſch bejeelt des Menſchen Bruft:
Ach! daß es ewig Frühling bliebe!
Oscar Pub.
Dofen.
Sacht hernieder fiel zur Naht der Regen,
Leuchtend zudten hin auf Himmelswegen
Glühe Blige, und zur Erde nieder;
Und in hellem, lihtem Burpuricheine
Glüht von Roſen es nun rings im Haine,
Nachtigallen flöten ſüße Lieder.
MWedte, jagt, Ihr zauberduftigen Roſen,
Euch der holden Elfen füßes Koſen
Oder Philomelens goldne Lieder,
Oder trugen, unjer Sein zu jchmüden
Und der Menſchen Herzen zu entzüden,
Engel leuchtend Euch vom Himmel nieder ?
Sarl Augufi HSüdingbaus.
Tiebesweller.
Wieder nach verliebtem Schmollen
Halt' ich zärtlich ſie umfangen,
Wieder nach dem bangen Grollen
Küße ich die ſüßen, vollen
Thränen ihr von Aug’ und Wangen.
Wie fie Ihön ift im Vergeben!
Wie entzüdend hold im Scerzen!
Thränen zittern, Worte beben,
Doch ein jubelnd neues Leben
Blüht ihon wieder auf im Herzen.
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Ueber'n Himmel felbft, den blauen,
Zieht der Sturm, der braujend wilde,
Nebel Hüllen ein die Auen,
Wolkenſchatten dunkel ſchauen
Auf die lieblichſten Gefilde.
Sturmgemwdlt ift ſchnell verflogen,
Helle blaut der Himmel wieder,
Wölbet freudig ſeinen Bogen,
Wonnig ſtrahlend hingezogen
Ueber Blüten, Duft und Lieder.
Wieder nad verliebtem Schmollen
Halt’ ih zärtlich fie umfangen,
Wieder nah dem bangen Grollen
Kühe ich die fühen, vollen
Thränen ihr von Aug’ und Wangen.
Baymund Mayr.
Kindesherz.
Ich gieng im lieblichen Maien
Hinaus in's grünende Feld
Und hatte mir aus den Veilchen
Die duftendften ausgewählt.
Sie lugten aus laubigen Sträuden
Herzinnig und traut hervor
Und ladten mir fröhlich entgegen,
Wenn ich fie mir erfor.
In einem buſchigen Ahorn
GEntdedte ih deren viel
Und wollte fie eben pflücken,
Und faßte fie jhon am Stiel —
Da ſah ich ein nadtes Vöglein
Inmitten zitternd vor mir,
Und über dem Ahornftraude
Kam ängftlid der Alte herfür.
Ih lüßte des Jungen Schnäblein
Und hauchte e8 wärmend an,
Drauf hab ich's mit jorglichen Händen
In's moofige Neftlein gethan.
Und Dornen zog ich darüber
Zutroß dem Fallengeſchlecht —
So hat es der Lehrer befohlen —
Gelt, Vater, jo war es recht?
Johann Tanıer.
Das fellfame Haus.
63 fteht ein Fremdling auf der Strafe
Unb blidet auf ein altes Haus,
Wie er, jo ärmlich und fo traurig,
Sieht auch das Wohngebäude aus.
Er ftarrt zur Höhe bin und weinet,
Biel Gaffer ftehen um ihn her,
Die ſchau'n und fragen, dod vergeblich,
Und bliden dann hinauf, wie er,
Und dichter wird des Voll's Gedränge
Um ihn, den fonderbaren reis,
Und ungeftümer wird das Fragen,
Doch Niemand eine Antwort weiß.
Da fährt der tiefbetrübte Alte
Erwachet wie vom Traum empor
Und fieht erjchredt um fi die Menge
Und ftanmelt leis die Wort’ hervor:
„Dies Haus umſchließet gar nichts Selt'nes,
Es iſt, ah ladet mid nit aus! —
O gold'ner Traum entjhwund'ner Jugend !—
63 ift mein theueres Vaterhaus!“
Sriedrid Saßſwander.
An Emile Bola.
Sonett.
Du ſuchſt in farbengrellen Lebensbildern
Verlomm’ner Menſchen grauenvolles Sein,
| Erhellt von feinem fernen Hoffnungsicein,
Mit des Talentes ganzer Kraft zu ſchildern.
Doch Du verihmähft, mit Künftlergeift zu
mildern,
Und was Du dichteft, es ift blos gemein,
Entſetzlich, jammervoll, unſchön allein,
Nicht beffern wird's die Menfchen, nur ver:
wildern.
Ein Dichter bift Du, der ſich eifrig müht
Mit Bildern, welde nur die Menſchheit
ihänden —
Des Scheußlichen Eopift, ein roh Gemüth!
Doch Dein Triumph wird bald und ſchmäh—
lich enden;
Denn weſſen Herz für echte Kunft noch glüht,
Mirft, was Du fchriebft, mit Efel aus den
Händen.
Srledrich Saßſwander.
Geburtsanzeige.
Es ift heraus, Freund! Da! Fin Heiner
Band,
| Der ſchon beginnt recht vielen Lärm zu maden !
In's Fäufthen fann ſich der Verleger laden,
9 zweiten Auflag’ regt er ſchon die Hand.
‚Ein ganzer Troß mwohlweijer Richter fand:
' Das Befte ſei's von allen feinen Sadıen,
| Die Sprade farbig ohne zu verfladhen,
| Und ſchön're Form jei nirgend’swo im Land!
und dann iſt Herz und Kopf darin! Ein
großer Kopf!
Ein Buch wie das nimmt Jeder gern beim
Schopf.
Man lann's der Tochter in die Hände geben!
637
Verſchrobne NRecenienten meinen eben, Im Buſen begann e3 zu Ichlagen,
Daß Alles Form und Inhalt nicht zu Und endlich hatte ih Ruh;
finden! Und diejer Sieges:Engel,
Genug ift drin! Das merken ſelbſt die | Geliebte, wareft Du!
Blinden! Zohann Fanıer.
Italieniſch: Deutich:
|
Edmondo de Amicis. Alfres Friedmann. | Liebe gibts nicht ohn' Bertrauen.
Liebe gibt's nicht ohn' Vertrauen,
elöflaenünen. Auf die Liebe muß man bauen,
— Und die Siebe ift micts wert
63 gibt ein Glüd im Wirrjal diejes Lebens, | Hat der Schmerz fie nicht geklärt.
Das nur der Auserwählten wenige fennen — |
Nah Gold und Reichthum ficht man dieſe Denn in Freuden nur genojjen,
rennen, Und in Freude nur geiprojien,
Und jenen ift der Ruhm der Zwed des Iſt die Lieb’ gar bald zerflofien,
Strebend. | Fortgeeilt auf jchnellen Roffen.
Und alle ſuchen fie das Glüd vergebens, Doch in Schmerz und Leid erfämpft,
Das fiedann falih und unbeftändig nennen — | Nichts mehr dieje Lieb" dann dämpft,
Wonach die meiſten mit Begierde brennen, Flieht aud bald die Leidenichaft,
Das ift nur Biel gemeinen Thuns und Bleibt der Liebe ftille Kraft.
Mebens! . .
| ». Shmidt.
Nur Falſchheit übt die Menfchheit aller Orten |
Auf diefem mwonnigihönen Erdenrunde,
Und Ihre faule Gunft find — Schein und Hlödiner’s Abendlied.
Lügen! — | Schwinge, Glode, ſchwinge!
. E : Töne voll und töne laut,
Nicht ſuch' das wahre Glüd an ihren Pforten! Daß Dein Ton die Nat durchdringe,
68 wohnt in Deines Herzens tiefftem Grunde | <: R
Und bleibt Dir ewig treu: das Selbſtge— Die zur müden Erbe niederthaut.
r
nügen! — Immer lauter halle
Sodann Peter. | Durch die wundermilde Nacht!
In der Töne vollen Schwalle
Zeige Deines Klanges reine Pradt!
Kampf und Sieg. Frieden bringe, Frieden,
Einft rang ih in Jugendträumen Nah des Tages Muh und Laſt!
Nach einem fernen Glüd Bring’ der Seele Frieden,
Und fämpfte in düfterm Gemiüthe Und dem müden Körper ſuße Raſt.
Mit meinem harten Geichid. Mo auf böfem Pfade
Die jhönften Ideale Giner Arges bei ſich plant —
Aus meinem Himmelstraum Wollte dod des Herren Önade,
Zerrannen im Lebensgewirre, Daß Dein Klang ihn an das Nedhte mahnt!
Wie perlender Sei .
periender Seifenihaum Wo auf irrem Wege
68 zerrten mich tiefe Gefühle 20a Au Ehre Mans vie MIAMI,
Zum irdiichen Lebensgenuis, Weiſe ihm die rechten Stege,
Es brachten mich andere Stimmen Daß er unf're Hütten heil erreicht.
Zum Lebensüberdrujs. —
Wo auf heißen Piühle
Und Jahre zogen darüber Einer mit dent Tode ringt,
Wie finftere Dämonen, Wollte Gott, dab Grabestühle
In meiner jungen Bruſt Und Erlöſung ihm Dein Tönen bringt. —
Hat es zu ſterben begonnen.
Jetzo laſſ' Dein Klingen,
Da aber kam ein Engel Glocke, und vertöne ſacht!
Und lachte mir ins Geſicht Schützend breite Deine Schwingen
Wie die Sonne im Morgenglühen, Ueber uns Du ftille, heilige Nacht!
Da fie die Dämmerung bridt. — ) seopold Wurth.
638
Der Born der Schönbeit.
Sonett.
Wer lebt und ftrebt, hat reihlih Grund
zu Hagen;
Zu Boden prefien Leiden, immer nagen
Sorgen,
Und dämmernd bricht heran faum je ein
Morgen,
Der nicht ein neues Kreuz auflegt zu tragen.
Das Volk bat meiftens Recht, manch—
mal aud die Menge,
—
Niemand kennt ihn, als ſeine Flohe.
*
*
In der Kunſt folgt auf die Tragödie
das Satyrſpiel; ich fürchte nur, daß auf
Wir müßten ob der ſchweren Laſt verzagen, das Satyrſpiel in der Politik die Tra—
Wenn uns die frohe Kunde wär' verborgen, gödie folge.
Daß holde Schönheitswunder ſtetig ſorgen
Zu heilen Wunden, die der Schmerz ge—
ſchlagen.
Des Himmels Blau, das Dunkelgrün der
Wälder,
Bücher.
Brokhaus’ Converſalions-Lexikon, drei—
Der Berge Pracht, das Aehrengold der zehnte umgearbeitete Auflage, ift mit dem
Felder,
Der Wonneglanz im Auge zarter Frauen,
Und alles Schöne, das die Kunſt ung ſpendet
joeben erſchienenen 240. Hefte in der Heft:
ausgabe vollftändig geworden.
Unter den 4219 Artikeln, welche dieſer
Nletzte Band enthält, nimmt vor allen andern
Gin reicher Born iſt's, der das Heil ent | yer üher „Wilhelm I., Deutfcer Kaifer und
jendet
Auf diefer Erde glüdesdurftige Auen,
Paul Peufer,
Aus Tagebüdern.
Von Adolf Pichler.
*
* *
Was nicht von Innen wächst, taugt
nichts.
*
* *
Im Grund erzeugt fi jeder Geift
jeine Sprade jelbit.
* 2) *
Beſſer lernit Du aus der Sadıe, als
über die Sache.
*
* *
Man ſpricht ſo viel vom Recht auf
König von Preußen“ das höchſte Interefie
in Anſpruch. Die nunmehr vollendete drei—
zehnte Auflage zählt nahe an 90000 Artikel
gegen nur etwa 30000 der vorigen Auflage,
und während feine der frühern Auflagen
mit Abbildungen verjehen war, bietet fie
eine Fülle planmäßig nad) den verſchiedenen
Wiſſensfächern geordneter Illuſtrationen auf
411 beigegebenen Karten und Bildertafeln
von vorzüglicher Ausführung jowie im Terte
jelbft. Wie Brodhaus’ Converjations:Lerifon
das ältefte und bewährtefte, ift e8 num zu—
gleih aud wieder das neuefte und gegen
wärtig das einzige, das abgeſchloſſen vor:
liegt. Damit diefer Vorzug der Neuheit
dem Werke erhalten bleibe, läßt die Verlags»
handlung für die Befiter der dreizehnten
Auflage einen Supplementband in 15
Heften erſcheinen, welder alle Veränderun—
gen, Ergänzungen und Zujäte, die während
des Druds nit mehr aufgenommen werden
konnten, bis auf die jüngften Tage in lexi—
laliſcher Bearbeitung enthalten joll,
V.
Der Mont-Cenis. Europäiſche Wander:
Arbeit, warum ſo wenig von der Pflicht bilder, (Orell Fühli & Co. Zurich)
zur Arbeit ?
*
* *
Der Verfafler, V. Barbier, ein Sohn
Savoyens, der mit Liebe an feiner Heimat
hängt, führt uns durch jein ſchönes Berg:
Die Sünde ift der Kampf des In land dahin und weist uns alle die Stellen,
dividuums gegen das Geſetz der Gattung.
*
* *
Verzeih die Sünde, aber nicht die
Unſittlichkeit.
welche geſchichtlich oder naturhiſtoriſch merk:
würdig find. Wir beſuchen mit ihm das
anmutbhige Wir:les:Bains, Chambery, Die
alte Stadt, aus der das Königshaus von
Italien hervorging, die Ruinen der vom
Zauber der Poeſie ummobenen zahlreihen
Nitterfchlöffer. Wir überfteigen unter feiner
fundigen Leitung die Bergjoche, von welchen
aus er uns einen Finblid thun läßt in die
erhabene Gletſcherwelt des Gebirges, das
Frranfreih von Italien ſcheidet. Reminis—
jenzen aus längft dahingegangenen Tagen
miſchen fi mit dem rührigen Leben der
Gegenwart, und mit fundiger Feder be:
fchreibt uns der Autor das große Werk des
erften Alpendurchſtichs. Nehmen wir die
Niederfahrt nad Italien hinzu, wo wir an
der Klauſe von Sufa der Kämpfe gedenten,
von denen der Befit des ſchönen Landes
abhing, wo uns eine Natur entgegenladt,
die den Ernft und die Strenge der Alpen:
welt mit den Reizen des jüdlichen Himmels
vereinigt, jo müflen wir geftehen, dab uns
Barbier eine Gabe von Wert bietet.
Die Literatur über Vegetarismus ift
ziemlich umfangreich und vergrößert ſich im:
ner wieder. Bor ſturzem erſchien in zweiter
Auflage eine recht lefenswerte Broſchüre von
Meta Wellmer über „die vegetarifde Le—
bensweife und die Vegetarier" in Paul
Schettler's Verlag zu Eöthen. Die Ver:
faſſerin bietet allerdings nichts Neues, fie
ftellt vielmehr die interefjanteften und beften
Bemerlungen aus anderen Büchern, fowie
überaus zahlreihe Ausſprüche berühmter
Männer, die dem Vegetarismus nidht ab:
geneigt waren oder fih zu ihm befannten,
jufammen. Sie ſpricht über den Vegetaris:
mus in der Bejchichte und zählt eine lange
Reihe Hiftoriich berühmter Perjönlichkeiten
auf, die Vegetarier gewejen fein jollen, fie
ipricht über den VBegetarismus aus religidfen,
wiljenihaftlihen, Gejundheitsgründen, aus
äfthetiihen, humanen, moralijdden, ölono:
miſchen und anderen Gründen. Das Bild:
lein enthält manche beherzigensmwerte Mah: |
nung, wenn aud die Geitenhiebe auf die!
„Thierleichentoft* oft allzu ſcharf find. Als
Motto jegte Frau Meta Wellmer dem Büch—
lein das Wort Schopenhauer’3 vor: „Der
Mensch verfteht die Sprache der Natur nicht
mehr — weil fie zu einfach ift.“
A
t.
Von Alfred Friedmann’s Did:
tungen, welde im Berlage von Y. €. C.
Bruns in Minden in Weftfalen (1886) er:
ſchienen find, nennen wir heute Erlaubt und
Anerlaubt, Novellen und Stizzenblätter,
Bon den Novellen find mehrere durd
finnige Erfindung und formvollendete, jelbft
dur zart und duftig zu nennende Dar:
ftellung ausgezeichnet. Ein gereifter Lebens:
als Pechvogel“ zeigt. In den Reifeerinnes
rungen ift Friedmann weniger glüdlid.
Unter den literariichen Skizzen ift das über
des Verfaflers Verlehr mit Gottfried Kintel
Aufgezeichnete hervorzuheben, namentlich
wegen der darin mitgetheilten, einige äſthe—
tiihen Fragen betreffenden Briefe Kinkel's.
(Fin weiteres Sammelwerk betitelt fi „Aus
Höhen und @iefen. Ernſtes und PBrofanes.“
Die poetiſche Form, die hier ausſchließlich
angewendet ift, Scheint dem Autor nod
bandgeredhter zu jein, als die Proſa. Seine
erzählenden und balladenmäßigen Dich:
tungen zumal zeugen von einer reihen Gabe
fünftleriihen Sehens und maßvollen, ziel:
bewuhten und ficheren Geftaltens; „Jeſus
anı ®runnen,* „Anna Boleyn* und „Die
drei Brüder“ dürften den Preis verdienen.
Außer dem Ton für ernjte Dinge ift aud
der für die fcherzende Satire getroffen. Die
ſprachliche und metrifche Form ift faft tadel—
los. Nicht zuläſſig ift das Wort „Triere*
(Schiff mit drei Neihen von Nudern) auf
„verliere* zu reimen, wie es bier auf ©.
227 geſchehen ift; „Triere“ iſt dreifilbig.
V
Von den Ummwälzungen im Weltall. „Drei
Bücher:“ In den Negionen der Sterne. —
Im Reihe der Wolfen, — In den Tiefen
der Erde. Bon Nudolf Falb. Zweite
Auflage. Mit 96 Abbildungen. (Hartleben
Wien.)
Es wird wohl wenige Bücher geben,
denen ein jo tiefgehendes und allgemeines
Interefie entgegengebradt wird, als dem
bahnbredhenden Werte des berühmten Erd:
bebenforjchers Nudolf Falb, das durch
die gewaltige Beftätigung feiner Theorie
in dem Erdbeben an der Riviera eine jeltene
Actualität erhalten. Das Bud umfaßt in
drei Abtheilungen das ganze Weltall und
überall bewährt ſich die lichtvolle Darftellung
von Falb's gejhidter und dem Geifte des
Laienjorgjam angepafter Feder. Der Schwer:
puntt des Werkes Liegt in dem lebten Ab:
jhnitte: „In den Tiefen der Erde.“ Daß
des Verfaflers Ausführungen über die Ur:
ſache der Erdbeben durchwegs auf Beobad:
tungen fußen, wird ſich dem Lejer auf jeder
Seite verrathen und am deutlichiten zutage
treten, wenn er objectiv und unbefangen die
Gharakteriftil diejer Natureriheinungen mit
den in den fetten Jahren eingetretenen hervor:
ragendften Kataftrophen und ihrem Verlaufe
vergleicht. i
Den Heimgarten foeben zugegangen:
Yon der Oſtſee bis zum Hordcap, ine
ernft ift dem Berfafler eigen, do fann er Wanderung durd Dänemark, Schweden und
auch echten Humor entfalten, wie „der Pfarrer |
Norwegen von Ferdinand rauf. (Neu:
640
titichein, Wien und Leipzig. Nainer Hold) ) W. 9, Sleyer: Machen Sie aufmerf:
Von diefen ganz ausgezeichneten Werte find | ſam auf eine eigenartige Karte von Ober:
bisher 11 Hefte erichienen. Wir werden | öfterreich. Fine Kleine Geſellſchaft von ober:
feiner Zeit Näheres darüber berichten. öfterreichifchen en bat es
eimatskunde von Kärnten. Ron Ed m, | unternommen, die Generalftabsfarte des ge:
a an und Iof. ne ITa. (Slagenfurt, dachten Kronlandes im Maßſtabe 1:75.000
Ferd. von Kleinmayr 1887.) Won diefem in's Plaftiiche mit einer 2:3 maligen Ueber:
Merle ift ſoeben die Schlußlieferung er: | höhung = 1:32.600 nad) den 100m Schich⸗
ſchienen. ten in Holz auszuarbeiten. Näheres darüber
Die Weisheit Salomon’s. Schauſpiel in san F bei Herrn A. Lantz, Schul:
fünf Acten von Paul Deyie. (Berlin, 3
Wilhelm Herk 1887.) E. Gragen: Der treffliche Kärntnerlieder—
Hans Wierauer. Drama in fünf Auf: | Componift Thomas Koſchat ift Hofopern—
zügen von F. A. Subert. NAutorifierte fänger und wohnt in Wien IV. Panigl:
Ueberfehung von Edmund Grün. (Leip: | gafle 5
sig. E. Wartigs Berlag. 1887.) M. ©., Gras: Der Grund der Tratich:
Rirdenraub. Zalſche Freundfhaft. Zwei ſucht beſteht vielleicht darin, weil fih mande
Arbeiternovellen von Alfred Friedmann, | Leute freuen, an Anderen redjt viel Schlech—
(Leipzig. Philipp Neclam). tes zu finden um ſich ſonach für das eigene
Das fhwierige Problem, Humoresfe von gewiſſermaßen zu rechtfertigen.
3.9. Dermold. Illuſtriert von E. Klein. S., Laibach: Beſten Dank. Das bisher
(Stuttgart, Rob. Lutz. 1887.) noch ungedruckte Gedicht, welches Adalbert
„Goldkörner aus dem deutſchen ev. Pre: Stifter als Student in Kremsmünſter ver:
digtichat alter und neuer Zeit.” (Stuttgart, | faht hat, theilen wir hier mit:
Greiner und Pfeiffer.) Die Greiſe.
Atheroiden. Bon Rudolf Freiherrn (1824)
F ‚ei liegt nzend
7 — (Leon Elms.) Prag. H. Mercy. ie m ng —— — —— Haupte.
Nimmer tilgen Dir die verhaßte Farbe
Hausbuch. Miniaturzeitihrift. (Mer: Ealböl und Kränze,
ningerode a. H. Dermann Kiehne). | freund! Di hat die Jugend mit mir vereint;
Morgen rafft una Beide der Tod von binnen;
Doch verdoppeln fannit Du durch hohen Ruf die
Jahre, Gelicbter!
Wellen Tod der Bürger beweint, o der hat
Poſtkarten des Heimgarten. Lang gelebt. Fin Jeglicher ſchreib' zum Erben
Eid den Ruf; den Andern führen farge
xx 68 wird angelegentlichft erjucht, —— WIRKEN:
Manuſcripte erft nad vorheriger Anfrage | ©. ©. 8., Dresden: Sie meinen, daß
einzujenden. Für umverlangt eingejhidte | die Deutjhen Goethe leſen jollten? Wie
Manuferipte bürgen wir nicht. Externe Ar: | naiv! Goethe jehrieb für die Ewigkeit, aber
beiten honoriert die Verlagshandlung nicht, | nicht für's Roll.
Bär Die Nedachon verantwortlid P. A. Bofegger. — Truderei „Leytlam“ in Gray.
m.
7
9. Heft.
Juni 1887.
u, DE
Fur 2
— u —
—— 3
XI. Jahrg. &
——
Zakob der Pebte.
Eine Waldbauerngefchichte aus unferen Tagen von P. R. Roſegger.
(Fortjegung.)
Der Jakob beſucht feine Kinder.
Tun
Nie jungen Pächtersleute in der
+, Semeinau hatten ein Töchterlein
befommen. Als ob es ablichtlich Keine
geborene Altenmooferin fein wollte, war
es erft etliche Tage, nachdem die Eltern
das entlegene Waldthal verlafjen hatten,
ans Licht der Welt gegangen. In der
Gemeinau, wo weit und breit Fein
Maldbaum war, fehien es auch viel
heller und wärmer, al3 in dem Walde
fhatten der Sandad).
Die Angerl fehrieb dem Vater Jakob,
er möchte kommen und feine Heine En-
felin anfehen. „Iſt er nur erſt einmal
da,” fagte fie zu ihrem Florian, „dann
wollen wir es ihm bier jo lieb und
gut machen, daß er auf fein Altenmoos
vergefjen ſoll.“
Sie richteten ihm das gute Stübel
ein und zogen fich felbft mit dem Kinde
in die Nebenkammer, fie ordneten Alles
Rofegner’s „„Grimgarten’‘ 9. Heft, XI,
fo an, wie fie wußten, daß es der Vater
gewohnt war, nur daß fie es biel feiner
und freundlicher zu machen wußten, twie
es im Reuthofe je gewefen war.
Der Jakob machte fih im nächiten
Frühjahre denn auch wirklich auf und
reiste nach der Gemeinau. Als er in
das weite Thal hinauskam, wunderte er
fi, wie da Alles ſchon fo ſchön ſom—
merli war, während im Altenmoos
noch überall der Schnee lag, der
Ihmußige, mit Fichtennadeln und
Zapfenſchuppen durchſetzte Schnee. Auf
den fchlechten Wegen lagen noch die
Eisfruften oder es rann dastrübe Wajjer.
Hier im Thale der Gemeinau waren
die Straßen blendend weiß md troden.
und der Maiwind fächelte Staub empor.
Auf den Feldern grünte die junge Saat,
Mepfelbäume blühten und auf den
Miefenrainen fchnitten die Häuslerinen
Ihon junges Futter.
Der Jalob freute fih an der
41
642
ihönen Welt und gönnte es den Leuten
der Gemeinau, daß fie eine folche Heimat
hatten.
Das Haus feiner Kinder war ſchwer
zu erfragen. Ueberall ftattliche Gehöfte,
aber von den aus dem Gebirge ein-
gewanderten Leuten wollte Keiner gehört
haben. Endlich erinnerte fich ein Weib,
daß im Steinhäufel feit einem Jahre
fremde Pächterleute Haufeten. Man fehe
fie faft nie, fie wären immer daheim
auf dem Anweſen und fehr fleißig, aber
fie verftünden nicht recht zu wirtjchaften,
Sie machten Alles fo, wie fie es im
Gebirge gemacht hätten, und das tauge
nicht im Thale und fie wilrden tüchtig
zu thun Haben, um fich aufrecht zu
halten.
Hinter dem Dorfe war ein dürrer,
fteiniger Bühel, faft der einzige Stein-
grumd im weiten, fruchtbaren Thale.
Und dahinter dudte ſich das Häufel,
in welchem die Altenmoofer Leute lebten.
Ein alter, halbverdorrter Birnbaum ragte
über den Dachgiebel Hoch auf, fonft war
abjeitS noch einiges Buſchwerk, und
danı lagen die Wederlein, auf denen
in röthlihen Spitzen das Korn hervor—
Iproßte.
Die Angerl war vor der Hausthür
eben damit bejchäftigt, weißen Feder—
flaum auf ein Brett zu ftrenen und
in der Sonne zu lodern.
„Schau ſchau! was in der Ge-
meinan die Schafe für eine feine Wolle
geben!“ mit diefen Worten trat der
Jalob vor und begrüßte feine Tochter.
Diefe ſprang ihm mit einem
Frendenſchrei an den Hals. So heftig
war fie ihn in Altenmoos nie anges
ſprungen. „3a,“ lachte fie hernach,
„das ift aber feine Schafwolle, das
find Bettfedern.*
„Sp, Bettfedern! Hoch hinaus!
Freut mich, daß Euch ſchon die Federn
wachen. Hoch hinaus!“
„Iſt nicht fo vornehm, wie es aus—
ſchaut,“ fagte die Angerl. „Wirkliche
Federn, fo weit haben wirs freilich
noch nicht gebracht. Das ift nur der
Difteln wachst. Difteln haben wir genug
auf unferem Grund und weil man Alles
nußen muß, jo habe ich im vorigen
Herbft den Flaum gefammelt, und man
liegt juft fo gut drauf, wie auf Federn.
— Aber fo fommt doch in die Stube,
Vater, Ihr müßt ja die Heine Mirl
anfchanen! Mir! Mir!“ rief fie in
die Stube voraus, „der Aehndel (Groß—
vater) kommt!“
Das Mädchen Hodte im Neft, gudte
mit feinen blauen Aeuglein ein wenig
befremdet auf den großen Mann, der
jeßt eintrat, den e8 im Leben nie
gefehen und dem es jetzt das Händel
und einen Kuß geben fol!
„Sanz dem Friedel feine Augen
hat fie,“ fagte der Jakob mit Befrie—
digung, „und es ift brad von euch,
daß ihr der Stleinen den Namen von
der Großmutter gegeben Habt. Nur
folltet ihr den fohönen Namen Maria
nicht in Mirl verunftalten.“
„Mirl, gefällt euch das nicht?“
fragte die Angerl, „in der Gemeinau
ift es Halt fo der Brauch und jede
Maria nennen fie dahier: Mirl. Ich
will fie aber euch zu Lieb’ gern Maria
heißen. — Was ich doch kindiſch bin!
Da ſchwatzen, und ihr Habt nichts
Marmes in Magen! Zuerft muß ich
noch den Florian rufen, der thut auf
dem Felde draußen Steine graben.“
„Ufo auch Hier in der Gemeinau
müſſet ihr reuten!“ rief der Jalob,
ſie war aber ſchon fort und er allein
im Stübel bei feiner Enkelin. Da
wurde ihm ganz warn ums Herz.
Und als er das warıne weihe Händchen
fefthielt und als ihn das liebe ſchöne
blondlodige Kind fo treuherzig anblidte,
da war ihm fehier, als wäre er nad)
langem Irren im der Fremde heim—
gefommen.
So blieb der Jakob nun ein Weilchen
im Steinhäufel. Am erften Tage that
er nichts, al3 mit der Heinen Maria
jpielen und ſcherzen und in der Heinen
Wirtſchaft des Schwiegerfohnes, jowie
im Dorfe herumgehen. Da ſah er aller—
weiße Flaum, der im Herbſt auf den | hand Neues; Manches gefiel ihm nicht
643
übel, aber zu dem Meiften fchüttelte
er den Kopf. Am zweiten Tage jchaute
er fih nad einer Beichäftigung um,
aber es gab michts rechte und die
Werkzeuge waren ihm unhandlich. Der
Florian ging ind Tagewerk aus, das
war doch eigentlih der Haupterwerb.
Das Efjen, welches die Anger! ihrem
Vater verſetzte, wollte ihm micht vecht
ſchmecken; gut war es freilih, ſogar
Kaffee, Butter und Honig; aber der
Jakob dachte mit jedem Billen daran,
daß er um theures Geld gefauft werden
müſſe, und ein richtiger Gebirgsbauer
fieht darin den Untergang, felbft wenn
eine jolhe Koft mit dem Erwerb im
Verhältnis ſtünde.
An feiner Tochter ſah er jebt eine
Art Leichtfinn, den er Daheim nicht
an ihr bemerkt Hatte. Nur heiter fein
und gut leben, e3 wird fich ſchon geben.
Nicht beftändig forgen und kümmern,
wenn auch bisweilen die Noth anklopft,
— es wird ſich Alles geben. — Das
war ihr Denken. So denken die Welt:
leute alle, bevor fie zu Grunde gehen.
Dem Jakob gefiel es durchaus nicht.
Je beiler fie ihm es meinte, je aufs
merlfamer fie ihn betreute und bediente,
deito unbehaglicher ward ihm.
Eines Tages erzählte die Anger!
ihrem Vater von einem Kapuziner aus
dem Kloſter zu Krebsau. Diefer Kapu—
ziner fei kürzlich zurückgekehrt von einer
Reife ins Heilige Land. Auf dem rothen
Meer — das fei genau dasjelbe, in
weldem die Soldaten de3 Pharao,
die den Moſes verfolgt, ertrunfen wären
— fei der Kapuziner mit einem See=
manne zufammengelommen. Der fei
fo wild und braun geweſen, wie ein
halber Mohr, habe aber deutſch ge=
ſprochen. Er habe von Sandeben und
Altenmoos gewußt und ſich erkundigt
nah dem Reuthofer, dem Jakob und
feinen Leuten ; er habe Alle beim Namen
genannt, aber nichts weiter gejagt. Ob
er, fragte die Angerl ‚den Vater, ich
nicht denken könne, wer diefer Menjch
gewejen jeil
Mas kümmere das ihm! verjegte
der Jakob, es fei wahrjcheinlich einer
der Auswanderer gewejen, die fich in
der ganzen Welt zerftreut Hätten und
vor lauter Gram und Aerger über ihr
Misgefhik allerlei Farben bekämen.
Das Nichtsthun machte den Jakob
allmählich ganz müde und verdrießlich.
Einmal nahm er den Spaten und
ging Hinaus an den Feldrein, um
Steine auszugraben; es war aber feiner
mehr da. Er ging Hinauf über den
Bühel und Hub dort an, Steine zu
(odern. Es wird nicht Schaden, wenn
man den Bühel reutet, dachte er, wie
fih3 Heute zeigt, haben fie im etlichen
Sahren eine ftubenvoll Kinder, da
werden fie den neuen Acker wohl brau—
hen. Aber je mehr Steine der Jakob
ausgrub, defto mehr waren noch drin.
Und endlich kam der Eigenthümer des
Anweſens herbeigeſchliffelt und fragte
den Jakob barſch, was er da mache!
Er laſſe auf feinem Boden nicht herum—
wühlen.“
„Ihr ſollet ja froh ſein, wenn
man euch die Steine fortſchafft,“ wen—
dete der Jakob ein.
„Froh fein!“ lachte der Eigen—
thümer auf, „das auch noch! Und
fich recht Schön bedanken bei den Herren
Gebirgsdodeln, daß fie zu uns herab—
fommen, und von ihren Geißen unfere
Wiefen abnagen laffen, bis die Gras—
wurzel Hin ift auf zehn Jahr lang ;
Ihön bedanken dafür, daß fie uns
mit ihrer vorweltlichen Bergwirtichaft
die Felder verderben. Und den Pacht
Ihuldig bleiben ſchon im erften Jahr!
Ya wohl, ich bedank' mich fchön für
ſolche Leut!“
Jetzt wollte es den Jakob gar
‚nicht mehr freuen in der Gemeinau.
‚Auch jagte er, es ſei ihm die Luft
zu ſchwül, er habe immer die Empfin—
dung, als ziehe ein Gewitter heran.
Daß die Leute Hier anders gelleidet
waren und anders wohnten, als zu
Altenmoos, daß fie im Sprechen die
Morte anders betonten, das war ihm
gleih anfangs aufgefallen; jegt hub
derlei nachgerade an, ihm ein Gefühl
41*
644
des Elels zu erregen. Niedergefchlagen, |
erichöpft und frank war er an manchem
Tage.
Und als der Frühling feine ganze
Herrlichkeit entfaltet hatte, ja hochſom—
merlich geworden war im Thal, da
fagte der Jakob zu feiner Tochter:
„Seht wird wohl zu Altenmoos
der Auswärts gekommen fein. Jetzt
will ich Halt in Gottesnamen wieder
heimgehen und Kom und Erdäpfel
und Kraut anbauen.“
Sie wollte ihn ſchon fragen, ob
er ſich's denn micht überlegt Hätte?
Ob es ihm nicht im ſchönen Thale,
beſſer gefalle, al3 im Hintergebirg ?
Wenn er älter würde und nad und
nah mühſelig, ob ihm die guten Wege
und Stege hier nicht recht wären ?
Nabe in die Kirche, in’s Wirtshaus,
wenn e3 ihm einmal nach einem Glaſel
Wein gelufte. Er Habe ſich fein Leb⸗
tag gekümmert und geplagt genug, fo
möge er ſich doch in den alten Tagen
leichter gejchehen lafjen bei feinen Kin—
dern und Sindesfindern.
Das Alles wollte ihm die gute)
Anger! noch einmal zu bedenken geben,
aber der Vater kam ihr zubor und
fagte: „Ehe ich wieder fortgehe, Angerl,
hätte ich gern noch ein Mörtel mit
Dir geredet. Auch mit Deinem Mann.
Ich mein Euch's gut. IH muß mich
taufendmal bedanten für alles Liebe,
was ich bei Euch genofien hab’. Und
was mich am allermeiften freut, daß
Ihr fo glüdlich und zufrieden zuſam—
men lebt. Ihr ſeid brave, fleißige
Leut’, und thut’3 mir deswegen um
jo weher ...“
Ob er was auf deu Herzen habe?
fragte fie ihn. Da rüdte er heraus:
„Sollft mir nicht böje fein, Angerl,
aber ih ſag's aufrihtig und muß
e3 jagen: Die Wirtfchaft da bei Euch,
die gefällt mir gar nicht. Ya freilich
ift es ſchön und luſtig in der Ge—
meinau, wer hier heimgeſeſſen iſt und
einen eigenen Hof hat. Aber wie Ihr
da lebt, das gefällt mir nicht. So
lang Dein Mann noch als Taglöhner
bei den Nachbarn tüchtig arbeiten kann
und Ihr alle gejund feid, jo lange
mag’s zur Noth noch gehen. Sobald
aber das geringfte Mißgeſchick kommt,
feid Ihr Bettelleute. Nicht einmal
in’s Armenhaus könnt Ihr kommen,
weil ihr nirgends zuftändig jeid, als
zu Altenmoos. Und in Altenmoos ift
nicht3 mehr. Und wenn doch noch ein
Hausgefeffener dort wäre, jo thät's
bald heißen: So lang fie gefund und
ftark find gewefen, Haben fie von Alten
moos nichts willen wollen, haben es
fürnehm gegeben draußen im Thal,
haben feidenes Gewand getragen und
Kaffee getrunfen. Jebt, weil fie betteln
müffen, wiſſen fie ihre Heimat zu
finden, jetzt find wir ihnen gut, jet
fommen fie. — Nein, nein, das wollt’
ih mir nicht nachſagen laffen, da
wollt’ ich mich bei Zeiten befinnen
und haufen und bauen daheim, und
mich von feinem Menſchen knechten
und von keinem Menſchen ſpotten
laſſen. Schau, Angerl, noch iſt es bei
Euch früh genug. Packt Euer Sadel
zufammen heißt das die Heine
Maria und die Wiege, ſonſt Habt
Ihr ohnehin nichts — und fommt
mit mir auf den Reuthof.“
Die Anger! ſchwieg anfangs auf
diefe Vorftellungen. Endlich fuhr fie
fih mit der flachen Hand über das
Geſicht und fagte: „ES ift halt gar
fo traurig. Ihr kränkt Eu um uns
Bater, und wir fränfen uns um Eud.
Möchten gern beieinander fein und
werden doch zur Zeit, wo wir uns
beiftehen follten, weit auseinander fein
und verlaffen fterben müſſen“.
„An mir ift die Schuld nicht,”
fagte er, und feine Stimme war trübe,
„ih bin verblieben, wo mich Gott hat
hingeſetzt.“
Einen Tag ſpäter nahm er Ab—
ſchied im Steinhäuſel. Der kleinen
Maria ſteckte er einen alten Silber—
thaler hinter das Buſentüchlein, machte
weiter nicht viel Worte und Zärtlich-
\feit. Dem Florian fagte er nod:
„Wenn ih weiß, daß es Eud fo
recht ift, wie es iſt und kommen wird,
fo will ich mir auch nichts d'raus
machen. Haltet Euch in Ehren, das
ift die Hauptſache.“
Damit gieng er davon.
O Heimat! Heimat! Du bift mein
Berderben!
Unterwegs von der Gemeinau gegen
das Gebirge traf der Jakob mit dem
Staudenhuber zufammen. Das war
ein Viehhändler, al3 ſolcher überall
und auch zu Altenmoos befannt. Der
Jakob kannte ihn als Ehrenmann,
nur daß man fich bei einem Handel
hüten müſſe vor feiner Pfiffigkeit.
Nun, das gehört zum Gefchäft, ein
Schelm, wer nicht auf feinen Bortheil
ihaut beim PViehhandeln. Der Staus
denhuber Hatte ein rothes, rundes Ge—
jicht, das immer lächelte; ein jolches
Geſicht foll jeder Viehhändler haben,
es trägt Geld ein. Die beiden Männer
giengen eine Strede lang miteinander
und plauderten von allerlei. Begonnen
hatte der Staudenhuber das Gefpräd
mit dem Ausdrud der Befriedigung
über das ſchöne Wetter und wie das
eine gute Kornernte verfpreche. Aber
ein VBiehhändler wird nicht lange beim
Weiter und Korn verweilen, bald
Iprang er über auf das Bieh und
fragte den Jakob, wer etwa zu Alten—
moos junge Zuchtochſen ftehen habe,
oder faubere Salben ?
„Zu Altenmoos wird nimmer biel
ftehen“, antwortete der Jakob, „außer |
Rehe und Hirfchen, wenn Du willft. |
Solche ftehen genug bei uns“.
„3 iſt Schade um's Altenmoos,“
verſetzte der Staudenhuber und trock—
nete ſich mit dem blauen Sacktuch das
Geſicht und den Nacken; das war Einer,
der immer ſchwitzen mußte, „iſt alle—
weil viel ſauberes Vieh geweſen zu
Altenmoos. Etliche Altenmooſer, die
ſich auf der Ebene draußen angekauft
haben, wollen freilich auch dort den
Gebirgsſchlag züchten, geht aber nicht
on
recht. Will nicht gehen. Ueberhaupt
ftinkt’3 bei den Leuten, wie man hört.“
Hierauf erzählte er Einiges von
ausgewanderten Wltenmoofern, und
daß fie fein Glüd Hätten auf ihren
neuen Pläßen. Die Einen Hätten ſich
angefauft und abgewirtichaftet; Die
Anderen hätten fi aus dem Betrage
ihres Altenmoojergutes anderäwo gar
nicht mehr anlaufen können, feien als
Dienftboten eingeftanden in fremden
Höfen oder in Fabriken gegangen.
Man höre von Keinen viel Erfreuliches.
Dem Knatſchel zu Sandeben habe
man fürzlich fein Haus vergantet, er
ſei ſammt dem Weibe fortgegangen —
fie ein Handbündel, er ein Handbündel,
fo hätten fie ihre ganzen Habſelig—
feiten davongetragen. Der Guldeifner
babe auch fein Herrenhaus verkauft
und treibe jet den Pferdehandel, fei
aber die längfte Weile beſoffen.
Auf derlei Berichte empfand der
Jakob eine eigenthümliche Befriedigung,
die ihn aber im nächſten Augenblid
Schon betrübte. Bit doch ein fchlechter
Menſch, fagte er zu fich ſelbſt, wenn
Du Did über das Unglück Anderer
freuen fannft. Bleibe Du auf der Hut,
dab es Dir und den Deinen nicht auch
jo ergebe!
„Wer jebt noch zu Altenmoos
verbleiben will“, fprach der Jakob nun
zum Staudenhuber, „der muß eine
andere Wirtfchaft anheben. Die Felder
werden alle wild und das Getreide
frißt der Hirſch. Wenn mein Friedel
dom Militär zurückkommt, der muß
nur mit der Viehzucht arbeiten.“
„Ei richtig, Du Haft einen Sohn
bei den Soldaten,“ verſetzte der Stau—
denhuber, „wie fteht’3 mit ihm? it
er wieder wohlauf ?“
„Wie jo?“
„Hat er’s überdauert ?*
„Er hat mir ſchon eine Weile
nicht mehr gefchrieben, aber fo viel
ih weiß, ift er gejund und geht's
ihm gut.“
„Geſtern habe ich in der Krebsau
mit dem Thorbadher geſprochen, der
646
hat ein Baar feifte Ochjen, ich will
fie wegtreiben, wird aber der Eine
jchwerer, wenn er noch ein paar Wochen
beim Trog fteht. Gut, ja, daß ich er—
zähl’, dem Thorbacher fein Sohn —
- der ift auch beim Militär, fie follen
beifammen fein, der Deinige auch —
der hat heimgefchrieben und daß Dein
Friedel fo arg das Heimmeh thät
haben. Im Spital wär’ er gewefen,
wär’ wohl wieder heraußen, aber da
fein thät’ von ihm mur mehr Haut
und Knochen, Hat er gejchrieben, der
Thorbacheriſche; übertreiben wird er,
denfe ich. Was hätt’ jebt ein Soldat
Zeit zum Heimweh Jetzt wird’ luſtig
für die Soldaten. Krieg gibt's, jagen
die Leute.”
Das leidige Hörenfagen ! man weiß,
was man davon zu halten hat und
doch fißt der bittere Tropfen im Herzen.
Berbittert war der Jakob vom Steine
bäufel gefchieden und mit einem tiefen
Weh vom Staudenhuber, als die Wege
ih trennten. So kam er heim auf
den ftillen, Öden Reuthof. Er erwar-
tete dort einen Brief vom Friedel zu
finden, und nahm fi vor, wenn fein
Brief da fei, Alles für erlogen zu
halten und den jungen Weichjelbaum
noch liebevofler zu betreuen, wie bis—
her. Es war in der That fein Brief
gefommen und der Jakob hielt doch
feinen Vorfag nicht, die Nachricht vom
Viehhändler als für erlogen anzufehen.
Weil der Burſch nicht ſchreibt, fo
kaun's doch wahr fein, daß er im
Spital liegt. Heimweh! Wie follte es
auch anders fein Lönnen! Es kann
freilih anders fein, wer ſtark ift.
Menn ih in der Fremde bin und
weiß, das Daheim fteht mir feit und
ich komme zurüd — was foll Einer
da viel Heimweh kriegen? Ein Vieh:
händler lügt, fo oft er den Mund
aufthut.
Ein Glück war's, daß die Arbeit
drängte und dem einſamen Manne
nicht Zeit ließ zum Herzweh. Das
Feld mußte geadert, der Garten ge—
düngt, die Wieſe bewäſſert werben.
Das Schneewaſſer im Frühjahre ſchießt
raſch ab, reißt mitunter ein Stück
Erde mit ſich, dann kommt auf die
Lehnen der Sonnenbrand, und ſo iſt
heute zu viel Waſſer und morgen zu
wenig. Auf die Höheren Matten wurde
das Vieh getrieben, kaum daß die erften
grünen Hälmchen ſproßten. Die winter:
lihen YFuttervorräthe waren faſt alle=
mal aufgezehrt, bevor der Lenz fein
frifhes Grün gab; da mußten die
Rinder Reifig und Moos nagen, und
wenn fie endlih in's Freie famen,
waren die Thiere fo arınfelig, daß fie
kaum Binfteigen konnten an den Lehnen
und manches Stüd abrutjchte und die
Beine brad).
Un einem Samstagabend war's,
daß bei der Heimkehr der Herde,
welche dur die hellen Lodrufe der
Stallmagd Herbeigeheiken wurde, eine
Kalbin fehlte. Man fuchte no an
demjelben Abende auf den Matten
und in den nahen Schaden, entdedte
aber feine Spur von ihr. Am nächften
Morgen machte fi der Jakob auf,
um in den weiteren Waldungen nad
der braunen Kalbin zu fuchen und
kam auch hinein in die Hinteren
Schluchten, aus welchen die Sandad
floß, und kam in jenen Winkel, wo
die Felfen ſenkrecht aufragen und ein
ftilles Waldthal einfchließen, wo das
Waſſer Har wie Kryftall auf dem weis
ben Sande lautlos dahinfließt. Im
Gottesfrieden. Der Reuthofer war ſchon
lange nicht mehr hier geweſen. Er
vergaß auf feinen Zwed, die Kalbin
zu fuchen. Eine feierliche Stimmung
kam über ihn im diefer Ruhe und
Einfamteit. Die goldige Sonntags:
fonne lag an den Wänden, in den
Baummipfeln. Andere Leute find jeßt
in der Kirche und Hören die Predigt,
das Hochamt. Unfereiner treibt ſich in
der Wildnis um wie ein Heide. Aber
wer beten will, er kann's auch unter
freiem Himmel. Im Gottesfrieden !
Keine Kirche hat einen ſchöneren Na=
men. Wenn einmal der Weg nad
Sandeben hinaus ganz verfchüttet fein
647
wird, jo will ih am Sonntag in den Friedel!“ er riß ihn an fi, „Biſt's
Gottesfrieden hereingehen um zu beten. | Bift es wirklich? Gotts taufend Dank,
Freilich, Gott wäre auch draußen im | mein Friedel iſt wieder da! Jetzt
meiner Kapelle, in meiner Stube, bin ich nimmer allein. Aber,“
überall, aber man muß ein Uebriges ſetzte er ſeinen Jubel plöglich unter⸗
thun, ihn aufzuſuchen, ſo verlangt’s
das Menfchenherz. Wir müſſen ja
Alles, was Wert Hat, jchwer verdienen
und fuchen, warum follen wir juft
das Befte bei uns haben, ohne auch
nur einen Schritt nah ihm zu thun?
Se weiter der Weg zum lieben Gott,
defto größer die Gnade. — Das waren |
die Sonntagsgedanfen des Altenmooferz |
Bauerd. Und wie das wunderlich ift,
dachte er weiter, während all’ meine
Nahbaren der Wildnis entlaufen,
fomme ich immer tiefer in dieſelbe
hinein. So wollen wir doch jehen,
welcher der rechte Weg ift....
Er kam zum See und ſchaute in
das wunderbare Grün desfelben. Scharf
ftand fein Bild im Spiegel des Waſſers.
Mohl wohl, dachte er, wir in der
Wildnis haben auch unjere Spiegel,
nur daß fie noch viel größer find ala
die draußen in den Herrenhäufern.
Zum Spiegelguden geht mir nichts
ab, als die Schönpeit.
noch jung war, da hat's mir einen
guten Spaß gemacht, jo in’s Waſſer
zn Schauen.
Noch dachte er das, als im Waller
hinter feinem Kopf ein zweiter auf:
tauchte — fein Jugendbild. Erfehroden
wandte er fih um, da ftand neben
ihm, ganz nahe neben ihm, der Friedel.
Der Friedel in der Soldaten»
montur.
Sein Geſicht war blaß und faſt
verſtört; nun lachte er den Vater an,
hielt ihm die Hand vor und ſagte:
„Grüß Euch Gott. Ich bins.“
Dem Jakob geſchah ganz ſonder—
bar. „Friedel!“ ſagte er mit unſicherer
Stimme. „Wie ſo kommſt Du da her?“
„Ueber's Hochgebirg. Urlaub auf
unbeſtimmte Zeit.“
„Urlaub!“ rief der Jalob. „Und
da3 wär! Ich glaub’ nicht! Ich gewünfcht werde,
glaub’s nicht! Lab’ Dich anfchauen, | unbegreiflich vorkam.
Ya, als ich‘
brechend bei,
Krieg gibt !*
„Ich weiß es nicht, ich bin da,“
fagte der Burfche, „und ich will mine
mer fort.“
Sie giengen neben einander hin.
Der Jalob blidte feinen Sohn ver—
‚ftohlen an. — Anders ift er doch
jetzt, als er fonft gewejen. Etwas
Fremdes, Ungewifjes ift an ihm. So
Heinlaut ift er und einen verwirrten
Bid hat er. Es Hat ihn recht zuſam—
mengeriſſen.
„Biſt frank geweſen, Tyriedel ?*
fragte der Vater mit weicher, inniger
Stimme.
Da fiel ihm der Burfche um den
Hals und Hub an zu beben und bitter
zu Schluchzen.
„Was ift das? Sohn, was ilt
geſchehen?“ rief der Bater erfchroden.
„Vor Freuden!“ ſchluchzte der
Burfche, „vor Freuden, da ich wieder
daheim bin.”
„Das hätt’ ich mir nimmer ein—
gebildet,“ jagte der Jakob, „in die
weite Welt Hab’ ich Dir meine Ges
danken nachgeſchickt und dieweil finde
ih Dich da in der Hinterften Wild»
nis. Haft Du unterwegs die braune
Kalbin nicht gefehen? Die braune
Kalbin ift mir davongelanfen,* fo der
Bauer, bei dem ſich troß aller Ge-
müthsbewegung die praftifchen Tages—
angelegenheiten nie lange in den Hin—
tergrumd drängen lichen.
Erſt als fie gegen die erften Haus—
ruinen des Altenınoos gekommen waren,
follte der Friedel erzählen, wie es ihm
denn ftets ergangen. Vom Safernleben,
vom Erercieren, vom fluchenden Haupt—
manne, auch wohl vom Spital —
fonft wußte er nicht viel. Vom Krieg
wußte er mur, daß er im Regiment
was dem Safob
Wie kann ein
„Te jagen ja, daß es
Soldat den Krieg wünfchen, da wird „Es wird Alles wieder gut werden,”
er ja niedergefchoffen ! fagte der Jakob, „jebt Hab’ ich wieder
Immer fpähte der Jakob unter: | Muth. Gottlob!“
wegs, ob er im Sande nicht die Dann traten fie in’ Haus. Der
Spuren des verlaufenen Rindes ent= | Burfche ſtürmte voran. Als er die
decke. Wildfpuren in Kreuz und krumm, | Stubenthür öffnete, prallte er zurüd,
aber von der Kalbin nichts zu merken. als hätte ihm Jemand einen Schlag
„Ih gud’ auf die rechte Seite,“ in's Geficht verfegt. Zwei Gendarmen
fagte der Bater zum Sohne, „guck' mit aufgepflanzten Gewehren nahmen
Du auf die linke. Du mußt Dich jegt ihn in Empfang.
auch kümmern um die MWirtfchaft. Flüchtling!
Magſt fie ganz übernehmen, ich hab’ Dem Yalob ward blau vor den
nichts dagegen. Magft auch Heiraten, | Augen. Der Friedel that einen Seufzer,
wenn Du Luft Haft. Es geht nicht) dann preßte er Mund und Augen zu
gut, wenn feine Bäurin im Haus ift. und ließ fich Fefleln.
Wenn unfer wieder Mehrere find, „So ſteht's mit Dir!" föhnte
dann halten wir leichter feit in Alten- | der Vater.
moos. Es wird alleweil fchlimmer, „Sie follen mich erſchießen, ift
mein lieber Friedel. Aber nur tapfer | mir alles eins,“ knirſchte dev Burſche.
feftftiehen auf dem Reuthof, nur wicht) „DO Heimat! Heimat! Du bift mein
weichen. Wirſt fehen, die Anderen, | Berderben!“
die ausgewandert find, kommen auch Als er gefeifelt in einem Winkel
wieder heim, oder möchten e3 wenig: |der Stube fauerte, verlangten Die
ſtens, wenn fie fönnten. Es wird bald | Gendarmen etwas zu effen. Die alte
aus der Mode kommen, das Davon | Gardel trug Mil und Brot auf und
laufen, wenn ihrer draußen einmal | fragte zitternd, ob fie auch Geld haben
genug verhungert find. — Du fchau, | wollten, und flehte, nur das Leben
das ift die Spur von einer Rinds- | follten fie ihr nicht nehmen, um Got»
Hane!* teswillen.
„Sie ift zu ſchmal,“ antwortete Der Jakob befahl barſch, daß fie
der Friedel, da er den Eindrud im nicht thöricht fein, fondern eine Eier-
Sand betrachtete, „das ift eher von | fpeife kochen folle. Als die Speife
einer Hirſchkuh.“ auf dem Tiſche ftand, drang er in
„Mag auch fein,“ entgegnete der den Burfchen, etwas zu effen. Aber
Jakob, „Du kennſt Dich ſchon beffer | umfonft. Der Friedel lehnte im Winkel,
aus, als wie der Alte. Na, gefreut | vegungslos und todtenblaß und ſchien
mich, gefreut mich, Friedel, daß Du theilnahmslos zu fein für Alles.
wieder daheim bift. Schau, jebt ſiehſt Und als die Gendarmen endlich
ihon den Reuthof. Grüß Dich Gott, | aufbrahen und den Burfchen empor—
Daheim!“ tiffen, wendete fich diefer noch einmal
Als fie zu den Ejchen kamen, die| gegen den Jalob und fagte faft trotzig:
noch kahl waren und unter denen der) „Vater, heute ſehen wir uns das
Hofbrunnen in einen langen Zrog letztemal.“
riefelte, ftand am Troge die zwergige „Sch geh’ ja mit Dir!“ fprach diefer
Dirn und kicherte. „So viel fauber ihm zu, nahm eilig feinen Stod von
find fie,“ lachte die Dirn vor ſich hin, der Wand und jo giengen fie davon.
„und fo viel lange Spieße haben fie!“ Seht lief ihnen der Ferdinand
Ohne darauf zu achten, führte der nach, genannt der Rothihiagl, und
Jakob den Heimgefehrten zur Kapelle. | trug fih an, für den Friedel zu den
Der Weichfelbaun daneben fand bee | Soldaten zu gehen. Sie fcheuchten
reits in der Blüte, ihn zurück. Der Burjche Hetterte den
—un
Miefenrain empor, ſchaute ihnen don
dort aus nad, Jo lange er fie fah,
und winmerte vor Derzleid.
Dem Waffer entlang giengen fie
thalwärts. Den Flüchtling führten die
Häfcher in der Mitte, Hintendrein jchritt
der Jakob. Er Haftete Hart hinten
drein und ſchnob manchmal, wie ein
gereizter Eber. Als fie unweit des
Steppenhofes einem Kohlenbrenner be—
gegneten, der ftarr vor VBerwunderung
den jeltfamen Aufzug angloßte, rief
ihm der Jakob zu: „Sa, mein Friedel
iſt's. Angeftellt Hat er nichts. Durch:
. gegangen ift er ihnen. Ein Großoheim
von mir ift auch deferteurt. Im Blut
liegt’3. Heim hat's ihm gezogen. Ans
geftellt Hat er nichts!”
Als fie in die Schluchten hinaus
famen, wo der Weg ganz und gar
zerriffen war und der jchmale Fuß—
fteig am Berghang Hinzog, begehrten
die Gendarmen vom Jakob, daß er
umkehren folle.
„Bielleicht daß die Herren meinem
Sohn was zu befehlen haben,“ ent»
gegnete der Yalob, „mir nicht. Das
ift ein freier Weg und ich gehe, wo
ich will.“
Sie verlangten dringender, daß er
eine Strede zurüdbleibe.
„Ah jo, jeßt verftehe ich's wohl!“
lachte der Jakob bitter. „Gut, ich
bleibe zurüd.“
Er blieb Hier zurüd, nahm einen
Vorſprung über den Berg, und als
fie gegen die Sandeben hinausfamen,
wo die Schlucht ich weitet, fand dort
neben einem fteinernen Kreuz der Jakob.
„Ich thu' Euch nichts,” fagte er,
„will nur Abjchied nehmen von meinem
Sohn. Weiter gehe ich nicht mehr.“
Dann nahm er aus den Sad
feine Brieftafche und ftedte fie dem
gefefjelten Burfchen in die Brufttafche.
„Und jegt,“ rief er, indem er vor
dem Flüchtling auf die Knie fiel,
„jeßt bitte ich Dich, Friedel, und bitte
Dih bei Leben und Sterben, bleib’
brav und halt’ aus! Es dauert nicht
ewig. Deine Heimat haft jeßt wieder
649
gefehen. Sie wartet auf Dich, die
paar Jahr find bald vorbei. Halt’
aus. Ich will Div Alles wiſſen laſſen,
was daheim gejchieht, ih will Dich
felber bejuchen fo oft es fein kann.
Sei Mann und Halt aus. Denk', es
ift nicht umfonft, Du ſtehſt für Deine
Heimat Wacht. In Ketten wirft mir
jest fortgeführt, mit Ehren kommſt
mir heim. Schau zum Himmel auf,
wenn die Verfuhung fommt. Es ift
diefelbe Sonne, die auf Did und auf
mich ſcheint. Es ift derjelbe Gott, der
Dich und mich behütet. Friedel! Friedel!“
Er ſchüttelte dem Burſchen die
Hände, daß die Feſſel raſſelte, er
preßte die Arme um ſeinen Hals. Die
Gendarmen drängten ſie auseinander.
Beim ſteinernen Kreuz war das
geweſen, wo die Schlucht ſich weitet
in das Thal von Sandeben.
Sür’s Vaterland!
Nun kam eine üppige Zeit. Fleisch
gab’3 im jelbigen Sommer.
Die braune Kalbin hatte ſich ge—
funden. Im Dreifamfhadhen lag fie
mit durchſchoſſenem Halfe. Der Jäger
hätte fie wahrjcheinlich für eine Hirſch—
fuh gehalten, meinte der Jakob.
„Halbnarr!“ rief der Pechöl-Natz,
„Hirſchkühe ſchießt ein Jäger ja nicht
zu folcher Zeit.“
„Darum Hat er meine braune
Kalbin gefchoffen,“ verfegte der Jakob
bitter, „wirft in feinem Jagdfalender
lefen, dak des Bauern Kühe Schon
zeit haben. Das Vieh ift durdh den
Zaun gebrochen und Hat auf dem
Kampelherrn = Grund Gras gefreflen,
vielleicht auch ein Frifchgepflangtes
Bäumel abgebiffen. Da ift es ja feine
Pflicht und Schuldigfeit, daß er ſchießt,
der Herr Förfter. Wenn er ftreng fein
will, muß ich ihm noch das Pulver
zahlen, dem Herrin Förſter.“
Sie ſchroteten die Kalbin in Heine
Stide, die fie dann in den Rauchfang
biengen. An jedem Tag, wenn nicht
650
Fafttag war, aßen fie zum Mittagsmahl
davon ein Stüddhen mit Knödeln und
Grubenkraut. Das hätte er fich nicht
träumen laffen, der Jakob, daß er dem
Jäger je einmal fo viele gute Bifjen
follte zu verdanken haben. Wird ihm's
nicht vergeſſen.
Mitten im Sommer war's, als
auf einmal der Befehl nach Altenınoos
fan, die Leute follten Stroh und
Hafer liefern nach Krebsau, fir durch—
marfchirendes Militär.
Die Leute in Altenmoos! das war
der Reuthofer. Die wenigen Anderen
hatten weder Stroh noch Hafer. Nun,
der Jakob fpannte Ochſen ein und
Ichleppte den verlangten Hafer und
einen Bund Stroh hinaus. Das Stroh
war den Herren zu wenig; der Jakob
fagte, er habe nicht mehr, das andere
ftünde noch in Halmen auf dem Feld.
Wenn fie darauf warten wollten ?
Marten könnten fie nit. Er habe
den Wert des fehlenden Strohes in
Geld zu entrichten.
Der Jakob weigerte ſich nicht.
Die Gegend war in Aufregung.
Die Landftrafen voll Militär, Stun—
denlang waren die Züge der vorüber—
reitenden Gavallerie und Proviant—
mwägen und Geſchoſſe mit Bededung
in unabſehbaren Neihen. Mit fun—
felnden Waffen, flatternden Fahnen
und luftigem Spiel gieng's der Grenze
zu. Krieg! Die Häufer waren beflaggt;
Volt kam herbei aus allen Thälern.
Aufrufe erfhhienen, Baterlandslieder
erlangen; in den Wirtshäufern ver—
ſammelten fich die Leute, hatten ſchmucke
Kleider, führten muthige Reden, ſchrien
„Hurrah!“ den Soldaten entgegen
und veranftalteten muntere Öelage im
Freien. Es war wie ein großes Volks—
feft iiber das ganze Land. Natürlich,
und zum Feſt wird geſchlachtet! —
Schweine nicht, diesmal, aber Menfchen!
Den größten Spaß hatten die
Meibsleute. Man weiß ja, wenn das
Meibsbild einen jungen Kerl auf dem
Pferd fieht! Und Hier ritten Hundert
und taufend ſolche Kerle daher, die
Schnurrbärte aufgefpißt, ftachen fie mit
ihren fcharfen Augen auf die Dirndeln
herab oder warfen ihnen die Küſſe
dandvollweis zu. An Raftitationen
war’3 noch fchöner. Die meiften Reiter
fprachen gar nicht deutfch, aber ſchmun—
zeln und fehälern und herzen konnten
fie; das Schwaßen ift nicht vonnöthen,
fällt das leidige Fragen und Nein—
ſagenmüſſen weg.
„Wenn man fi Einen dabehalten
funnt,“ war die Meinung einer Krebs—
auerin, „zum Derjchoffenwerden iſt e3
eh Schad um fie.”
Bejonderd wichtig gab fih um
diefe Zeit der Kampelherr. AM’ feine
Häufer, die an der Straße fanden,
ließ er beflaggen mit des Landesfürften
Farben, aus allen winkte man den
vorüberziehenden Truppen mit weißen
Tüchern zu. Die Soldaten bewirtete
er mit Wein und Brot und Gigarren.
Den Officieren ftellte er feine Kaleſchen
zu Dienften, lud fie zur Tafel, trant
mit ihnen Champagner auf das Wohl
der Armee und des oberflen Kriegs—
herren, und jeßt erft zeigte ſich's, was
diefer Mann für ein großer Patriot war.
Etliche Bergbauern wußten zu er-
zählen, daß der Kampelherr wohl ein
ſehr hoher Herr fein müſſe, vierfpännig
fei er gefahren!
„Das macht nichts,“ antwortete
der Jakob, „mein Heu fährt auch
vierfpännig von der Wieſe herauf die
fteile Leiten, und ift doch nur Heu
und fonft nichts.“
„Geh geh,” entgegnete ein Anderer,
„Du haft immer was gegen den Kam—
pelherrn. *
„Weil er unfer Unglüd ift,“ fagte
der Jakob.
Bald Huben die Frauen in Krebsau
und Sandeben an, Leinwand zu zupfen
und Berbandzeug zu ſammeln für die
verwundeten Krieger. Mittlerweile
kamen neue Rekrutirungen, auch der
Florian vom Steinhäufel mußte fort.
Die Abgaben an Materialien und
Geld fteigerten fih von Tag zu Tag.
Mer Wagen hatte, der mußte fie für
651
den Transport hergeben, wer Pferde | fchoffen worden, rief er lallend: „Das
hatte, mußte fie ftellen. In den Wälz | felbe wird Teicht wohl g’wiß wahr
dern waren die Holzarbeiten eingeftellt, | fein. Na ift recht, ift recht.“ Und ver—
in den Fabriken wurden alle Arbeiter | ſank wieder in feinen Halbſchlummer.
entlaffen; die micht mehr pflichtig
waren, ließen ſich als Freiwillige an—
werben, tranfen ſich Trotz und zogen
mit Gefang und Gejohle davon. Manche
Maid blidte ihnen nach mit rothge—
weinten Augen. Den Männern aber
waren die Herzen gejchwellt, und
Manchem fiel ein: „Halloh! der Krieg
iſt Inftiger als die Liebe!“
In der Pfarrkirche zu Sandeben
wurden Betftunden abgehalten für
Kaifer und Reich. Gott ward ange—
rufen als der Herr der Heerjcharen.
Zu folhen Gebete war auch der Jakob
herausgelommen aus feinen Wäldern.
Mit der ganzen Innigkeit eines Vater:
herzeus flehte er um Schuß für feinen
Friedel. Nah dem Gottesdienft wurde
er in das Gemeindeamt befchieden.
Dort erhielt er die Nachricht, daß fein
Sohn in der Schlacht gefallen fei.
„Als Held!“ ſetzte der Beamte tröftend
bei, „al3 Held für Kaiſer und Vater:
land. Für die Heimat! Ein weißgrünes
Eorpsfähnlein war in Gefahr geweſen,
vom Feinde genonmmen zu twerden, da
ſtürzte ſich Friedrich Steinreuter in
den Kampf und erhielt einen tiefen
Bajonettftih in die Bruft.“
Der Jakob Hatte dem Bericht ſchein—
bar ruhig zugehört, dann that er
einen jchweren Atemzug und fagte:
„Im Gottesnamen!“
Dann wankte er davon.
Einige, die ihm nadhblidten, fagten
zu einander: „Armer Mann! Alles
für’3 Vaterland zu opfern und den=
noch ſchutz- und Hilflos daftehen im
Vaterland, an Heimatäliebe untergehen
in der Heimat!“
Im Reuthofe war großes lagen.
Und al3 der alte blödfinnig gewordene
Lufchel Peterl auf der Ofenbant da—
durch beunruhigt fich erfundigte, warum
die Leute denn fo fehr hin= und her—
liefen und meinten, und als er es
erfuhr, der Friedel fei im Krieg er—
Jagdluſt. Jagdleid.
Hoch gieng es zu Altenmoos im
Frühjahre Her, wenn die Dahnenbalz
war, und noch höher im Serbit bei
den Reh- und Hirfchjagden, da wurden
fogar neue Wege angelegt, daß die
Herrenwagen fahren fonnten. Hohe
Herrichaften waren da, aber allmit=
einander in verfchoffenem und vers
Ihliffenem Bauerngewand. Es gibt
Stadtlente, die am Werktag Herren
und am Feiertag Bauern fein möchten.
Und Feiertag machen fie, wann fie
wollen. Es gibt Herrfchaften, die nicht
genug Haben mit aller Unterhaltung
des Stadtlebens, fie wollen auch vom
Landleben noch das Befte haben. Das
Jagdvergnügen! Eine Unterhaltung,
die den Herren viel Ffoftet, und den
Bauern mitunter noch mehr. Daß ich
die Herren, wenn jie auf die Jagd
gehen, in Bauerngewand fteden, ift
ja eigentlihd ein Geftändnis, daß
die Jagd dem Bauer gehörte. —
Diefe Gedanken hegte Einer zu Alten
moos, fo oft Jagdgejellihaften in die
Gegend kamen. Hundegebell, Hörner-
ſchall, Büchſenknall und Gtläferflang !
Es ift ja nicht wahr, Jakob Stein-
reuter, daß e3 in neuer Zeit fo traurig
zugeht in Altenmoos !
Aufder „Knatſchel-Eben“, die Hoch
oben mitten im Walde lag, wurde im
Freien gekocht und geſchmort, und Schon
tagelang früher waren Arbeiter bejchäf-
tigt gewejen, Hütten, fyeuerftätten, Faß—
geftelle, Tiſche und Bänke aufzurichten.
Alle Waldarbeiter und Häusler der
Gegend wurden als Treiber aufgeboten ;
fie befamen auch ihr Efjen und Trinken,
aber jeitab von den Herrichaften, weit
feitab; die Treiber, meinte ein Holz—
bauer, jeien ja nichts als zweibeinige
Jagdhunde.
— — — — — — — — — — — — — — — — — — — — —— — — —
652
Und diefe zweibeinigen Jagdhunde
liefen fo gut, wie die vierbeinigen, über
Jakobs Wiefen, Felder und Saaten und
ftanıpften Gras und Korn in den
Grund. Und das Alles, weil der Jakob
nicht zweihundert Joch Grund hatte,
fondern ein Kleinbauer war,
„Wieſo,“ fragte der Jalob, „haben
nur die Herrfchaften und ihr Troß
das Recht, mir mein Eigenthum zu
zertreten ? Ich darf nicht einmal mit
meinem Hund über meinen Grund
gehen. Und das nennt man Eigenthun !
Und das Andere nennen fie den edlen
Jagdſport!“
„Ja,“ ſagte ein Bauer, aus Sand—
eben, „es iſt auch draußen in anderen
Gegenden dieſelbe Sach'. Auch in den
Gärten zu Sandeben und Gemeinau
und Marienfeld graſen die Rehe, ſeit—
dem die Bauerngüter aufgekauft oder
die Jagden gepachtet werden von den
Herren. Wenn das Altenmoos Hin ift,
kommt Sandeben an die Weihe. Die
Landwirtichaft gilt nicht mehr, das
Wildhetzen ift wichtiger.“
Es wäre ſchon darüber zu veden,
meinten Andere, aber es ſei gerathen,
derlei Meinungen Hüglich für ich zu
behalten. Die Herren feien obenan
und einftweilen noch die Stärleren,
da laſſe fih nichts machen. Jetzt fei
es noch fo eingerichtet, daß ein Eine
zelner, wenn er gegen Biele um fein
Necht ftreite, zu Grunde gehen müſſe.
Mären es Vollsfreunde gewejen, die
bisher das Jagdgeſetz gemacht? Nein,
Jagdfreunde hätten es aufgeftellt unter
der Behauptung, für die Landwirt-
fchaft fei e$ das größte Glück, wenn
es recht viele Dirfchen, Rehe, Hafen
und Jäger gebe.
Der SKampelherr, ein Schlanker,
noch immer faft jugendlich blondbär-
tiger Mann, war überall, wo er ſich
zeigte, außerordentlich artig und fein,
und Hatte felbft aegen Untergebene
eine überaus glatte und gefällige Höf-
lichkeit. Wie es hieß, wollte er ſich in
den Reichsrath wählen laſſen, als
Nolfävertreter.
Auch dem Jakob war bedeutet
worden, fi al3 Treiber zu ftellen;
der dankte und ließ jagen, er ſei jelber
ein Gehetzter.
Die Herbitjagden zu Altenmoos
ergaben große Wagenladungen von
Hafen, Rehen und Hirfchen. Der Jalob
athmete allemal auf, wenn fie mit
ihrer Beute abzogen.
Leider war die Wildhegung eine
fo vorzüglide, daß eine Jagd nicht
viel ausgab. Für Bruttftätten war
geforgt. Des ftrengen Winters wegen
waren in den Wäldern Heuhütten und
Krippen aufgerichtet, in welchen jich
die Thiere das Futter holen konnten.
Im felbigen Sommer, als auf
dem Sriegsfelde der Friedel gefallen
war, trug es fich zu, daß zur Nachts—
zeit die Hirfchen in den Kohlgarten
des Reuthofes drangen und die Blätter
fraßen. Als der Jalob von feinem
Fenſter aus das erftemal dieſe unge—
ladenen Gäfte gewahrte, kam ihm der
Gedanke: Niederichiegen! Man ſchießt
heut zu Tag die Kalbinnen nieder,
man ſchießt die Leut' nieder, warımm
foll man nicht einen Hirfchen nieder—
ſchießen, wenn er in den Gemüſe—
garten bricht!
Er that's aber nicht, fondern gieng
am nächſten Tage hinaus in’s Thal
zum Verwalter der Kampelherr'ſchen
Beſitzungen.
Der Herr Verwalter hatte ein
Bierglas vor fih und im Mund eine
wichtige Pfeife.
„Das ift ja der Reuthofer aus
Altenmoos,* ſagte er; „Freut mich,
daß ich einmal die Ehre habe.“
„Ehre ift nicht viel dabei,“ ſagte
der Jakob, „ih muß mich beklagen
der MWildfhäden wegen. Das Wild
frißt mir alles Gemüſe.“
„Da ift fein Bellagen nöthig,“
entgegnete der Verwalter, „wie Der
Reuthofer willen wird, die Wildfchäden
werden abgeſchätzt und vergütet.“
„Iſt Schon recht das,“ ſagte der
Jakob, „es kommt darauf an, wer fie
abjchäßt, die Herren oder die Bauern,
653
die Beichädigten oder die Jagdfreunde. |
Für uns Bauern hat ein Kohlkopf
mehr Wert, als für Euch Herrenleute.
Menn Ihr uns die Wildfchäden wirt:
li vergüten wolltet, jo müßtet Ihr
unfere Dienftboten löhnen und ver-
föftigen, unfere Familie ernähren und
unfere Steuer zahlen. Das Wild frift
uns Alles. Gegen Diebftahl kann man
ih ſchützen, gegen Mißjahre und Hagel
gibt's Berficherungen, aber das Wild
kommt jet jchon jedes Jahr auf un
fere Felder und wir müſſen zufchauen,
was es frißt umd warten, was e3
übrig läßt. Wenn des Nachbar's Vieh
auf meinen Grund eindringt, jo kann
ih es pfänden. Warum darf ih das
Wild nicht pfänden ? Weil es den Her-
ren gehört, weil das Gefeß die Herren
gemacht haben. Gegen andere Räuber
dürfen wir uns wehren, wer auf
feinem eigenen Grund den Hirfchen,
das Reh wegnimmt, wird eingejperrt
wie ein Spitzbub.“
„a, lieber Freund,“ verjegte nun
der Verwalter, „dürfet Ihr denn ein
Kalb ſchlachten, daß Ihr verkauft habt?”
„Nein,“ antwortete der Jakob.
„Nun alfo. Auch die Hirfchen
und Rehe habt Ihr verkauft.”
„Wie jo? Ich habe keinen Hirschen
und fein Reh gehabt, fo Habe ich auch
nichts verkaufen können.“
„Aber die Gemeinde hat das Jagd»
recht verfauft oder verpachtet.”
„Ich bin nicht befragt worden,
ob es mir recht ift,“ verjeßte der
Bauer. „Kürzli Hat mir der Sand-
ebner Gemeindevorftand fünfundfech-
zig Kreuzer eingehändigt. Wofür ?
frage ih. Der Jahresantheil vom
Jagdpacht, der auf Dich fällt, hat's
geheißen. So fage ich, daß die Herren
Jäger über meine Felder und Wiefen
laufen dürfen, daß fie mir den Hause
hund niederfchießen, wenn er zufällig
einmal über den Hofanger lauft, daß fie
mir die Hausfaß’ niederbrennen, die
ausgeht der Feldmäuſe wegen; daß ich
hohe Zäune muß aufführen um Weder
und Gärten, daß ich zur Jagdzeit meine
| derbe nicht auf die Weide treiben,
nicht Holz haden darf in meinem Wald,
dafiir bekomme ich fünfundjechzig Kreu—
zer. Daß der Jagdherr hundert Thiere,
oder taufend, oder jo viel er will,
das ganze Jahr auf meinem Grund
äfen läßt, dafür kriege ich fünfund—
ſechzig Kreuzer. Vorſtand! fage ich,
wir dürfen die Jagd nicht mehr ver—
padten! — Wird auch nicht mehr,
‚Sagt er, gehört ohnehin fchier aller
Boden dem Kampelherrn.“
Der Verwalter zudte die Achjeln.
„Ich will nicht jagen,“ fuhr der
Jakob fort, „unfer Derrgott hätte das
Wild nur für die Armen erichaffen.
Auch der Bettelmann darf mir nicht
über das bebaute Feld laufen. Ach
age: Der vertradte Brauch muß ab»
fommen, das Wild gehört zum Boden,
auf dem es fällt, und um's lebendige
ſoll micht weiter geſchachert werden.
Wer's hegen will, der mag's thun,
verfaufen kann Einer das nicht, was
frei in aller Welt umberläuft. Warum
pachten fie die Sonnenftrahlen nicht ?
Die fliegenden Waldfamen nicht? Die
Heufchreden und Kröten nicht? Die
Maulwürfe nit? Und die Kupfer—
nattern nicht ?*
„Richt confus werden, Reuthofer!”
tief der Verwalter dazwiſchen.
„Daß der reiche Herr feine Hirschen
und Böde von den Bauern mäften
läßt! Eine Schande für die Eavaliere,
dab fie ihr Vergnügen auf Koften
armer Zeufel treiben! Die Herren
mögen ſchon machen was fie wollen,
allemal geht der Schaden auf die
armen Teufel aus.“
„Ihr habt Recht," entgegnete der
Verwalter und nahm einen waderen
Schluck aus dem Bierglas, „da mag
der Teufel armer Teufel fein!“
„Da ift fein Spaß zu machen,
Herr!” fagte der Jakob. „ES geſchieht
uns Unrecht. Sie follen genug haben
mit ihren Jagdrevieren in Wien und
Steppen, Hochwäldern und Gemsge—
birgen, daß fie nicht die Bauern ſcha—
IE
digen mühten. Wildfchaden ſchätzen!
Geht mir mweg!*
„Wiſſet,“ jagte der Berwalter und
ſchlug den Bierglasdedel zu, „das ver—
fteht Ihr nicht. Ich an Eurer Stelle
wollte mir's anders machen. Den
ganzen Krempel von Wirtfchaft würfe
ih dem Jagdherrn an den Schädel.
Jetzt ſchert Ihr Euch darum, würde
ih jagen, ich will Euch feinen Narren
machen! — Ei, Reuthofer, ein Glas
Bier müſſet Ihr mit mir trinfen. Ihr
werdet ja Durft haben, der Weg ilt
weit heraus von Altenmoos, Wie ger
jagt, Reuthofer, Ihr folltet Euch’s
bequemer machen, der Menfch Lebt
nur einmal auf der Welt. In einer
wegjameren Gegend folltet Ihr Euch
gut fein laſſen.“
„Mir wäre nicht gut, Herr Ver—
walter!“ fagte der Jafob mit Nachdrud.
„Ah was! Wenn man Geld Hat,
ift’3 überall gut.“
„Aber daheim am beiten, Herr
Verwalter.”
„Habt Ihr doch juft geklagt, daß
Euch daheim fehlecht fei.“
„In der Fremde noch fchlechter,
Herr Verwalter!“
„Ich Lehre es um, lieber Bauer
und fage, 's ift nicht überall gut, wo
man daheim ift, aber man ift überall
daheim, wo e3 Einem gut geht. Schaut,
Euere Nachbarn haben das auch gewußt.“
„Meine Nachbarn! Das wären
ſchlechte Beiſpiele, Herr Verwalter, zu
Eurem Rath!“
„Jeder hat's nicht getroffen, es
mag fein, jeder nicht, der von Alten—
moos abgefahren ift, das ift wahr.
Ihr aber, der letzte in der Wildnis,
habt nicht3 mehr zu verlieren und viel
zu gewinnen. Und Ihr werdet fehr
viel gewinnen, das fann ih Euch
fagen und ich will Euer Freund fein.
Ich brauche nicht zum Schaden meines
Heren zu Sprechen, wenn ich Euch
zum Nußen fprede. Das kann ich
Euch vertrauen: dem Kampelherrn
wäre viel daran gelegen, feinen Beſitz
abzurunden, das Reuthofergut ift ihm
ein Pfahl im Fleiſche, ich vertraue
es Euch in Freundſchaft. — Trintet,
Neuthofer! Auf Euer Wohl, Reut—
hofer! Ihr Habt Mißtrauen gegen uns,
ih weiß es, aber daß Euch der Ver—
walter Ebner ſchlimm mitgefpielt Hätte,
des folltet Ihr Euch nicht beklagen.
Ich Habe auch eine Heimat gehabt
und weiß, was das heißt und werde
fie nie vergeffen. Ich Habe Eueren
Willen, auf dem Gute Eurer Bäter
feft zu bleiben, ſehr geachtet und wollte
nur wünſchen, auch Eure Nachbarn
wären ſo feſt geblieben. Jetzt iſt's
anders. Wie ich höre, hat Euch der
Krieg Eueren letzten Sohn geraubt.
Euere Tochter iſt ausgewandert. Für
wen wollet Ihr den Reuthof noch
halten? Bon Eueren Leuten iſt Nie—
mand mehr, der ihn will, ihr werdet
alt, Ihr ſeid Euer Lebtag fleißig ge—
wejen und habt es nicht verdient, in
der Wildnis verderben zu müllen.
Seid Hug, Reuthofer!“
Der Jakob ſchwieg eine Weile,
und dann entgegnete er: „Wenn ich
jegt nein fage und wieder mein, jo
wird der Herr glauben, e& wäre Troß
von mir und nichts als Troß. Aber
beim Herrgott im Himmel muß ich's
jagen: ich kann nicht fort von meinem
Reuthof, ich bin angewachſen, wie die
alte Linde dort angewachſen ift, die
meine Borfahren gepflanzt Haben. Den
reihen vornehmen Herren, was kann
ihnen d’ran fein, an dem armen ſtei—
nigen Reuthof? Sie follen mich in
Ruh’ Laffen, mir ift Alles d’ran. Wenn
ih gefterben bin und von meinen
Kindern meldet fich feines d’rum, nach—
ber mag wmeinetwegen mit dem Reut—
hof geſchehen was will.“
„Ich wiederhole e3 noch einmal,
Euere Anhänglichkeit an die Vorfahren
achte ich Hoch,“ verfeßte nun der Ver—
walter, „und man wird heutzutage
eine folhe Treue fobald nicht wieder
finden. Es verlangt aber auch fein
Mensch, dak Ihr den Reuthof verlaffen
jollet; Ihr mögt Euer Lebtag darauf
ſitzen bleiben und es ſoll Euch nicht
mangeln. Der Kampelherr bietet Euch
für den Neuthof-Grund, wie er Heute
liegt und ſteht —“
„Ich will’s nicht Hören,“ unter:
brach ihn der Jakob und wehrte mit
der Hand ab, „mein Haus verkaufe
ih nit. Ich bin gekommen, um
meinen Wildjchaden anzugeben und
dafür entjchädigt zu werden. Sonft
will ich nichts. *
„Sch werde den Schaden von Sach—
verftändigen abfchäßen laffen und die
Entihädigung wird Euch auf Amts—
wegen zufommen.“ So fprad der
Verwalter und fand von feinem Siße
auf.
Der Jakob trat feinen Weg nad
Altenmoos an, den er taufendmal ſchon
gemacht Hatte, den feine Vorfahren
in ihren jungen und in ihren alten
Tagen, in Glüd und Noth unzähligemal
gegangen waren. So gieng aud) Heute
den Weg in die uralte geliebte Berg-
heimat Jakob Steinreuter — Yalob
der Letzte.
(Schluß folgt.)
Auf der Gant,
Aus dem tirolifhen Bauernleben von Bofef Bayer.
R Puf der Gant fein“ oder „hat
„gar g’macht“ ift ziemlich das
Gleiche. Dies jagt man auf den Lande,
wo es jeltener vorkommt; für die
Stadt, wo täglich einer hinunter pur⸗
zelt, hat man die nobleren Bezeich—
nungen Bankerott oder Falliſſement
gewählt.
Die Städter müſſen etwas voraus
haben. Kommt dort ein folcher be=
trübender Yall vor, madt man wenig
Aufhebens. Der Betroffene hat ſchon
fein Scherflein im Zrodenen (wird
wenigftend von Vielen behauptet).
Uebrigend in unferer fortjchrittlichen
modernen Zeit kommt dies in den
beiten Familien vor.
Auf dem Lande ift’3 noch anders.
Es muß Einen ſchon arg verfolgt
haben, bis ihm feine Nachbarn Hilfreich
unter die Arme greifen. Hat zum
Beilpiel eine Lawine über Nacht Grund
und Boden ruinirt, oder hat Hagel—
ſchlag des ganzen Jahres Verdienſt, die
Ernte zerftört, fie Helfen ihm. Heißt es
aber: „Bauer, haft nit gut g'haust, jedes
Handwerk nährt feinen Mann,“ wird
der Vergantete gleichfam im Acht und
Bann gethan, er Hat feine Berechtigung,
das Mitleid und die Hilfe der Anderen
anzufprechen. Dem ift in den meiften
Fällen nicht anders zu helfen, als
daß er ſich verdingt. Aber felbit als
Knecht nimmt man ihn ungern —
es fei wenig „Verlaß“ darauf. Jedes im
Dorfe kennt diefe Satzung, Jeder ift
ficher, wenn er nicht gut thut, ergeht’s
ihm gleid — darum fürchtet fich jeder
vor der Schande. Auch ift er an die
Scholle Erde gebunden, die Qualität
feiner Arbeit erfchwert ſchon eine Ver—
änderung, abgefehen, daß doch immer
ein Fünklein Liebe damit verbunden.
Der Städter, unternehmender, läßt
feine fieben Saden an einen Ort
bringen, wo er noch unbekannt; Credit
und Schid Helfen ihm leichter auf als
dem Banern.
Im Dorfe ift es Ereignis, denn
ein Außergewöhnliches hängt faſt immer
d’ran, haben's nun die armen Opfer
verſchuldet oder nicht.
Ih war von einer Gebirgstour in
ein Kleines, freundlich gelegenes Dorf
gekommen. Der Name davon hat feine
Bedeutung. Weil ich müde war, und
Hunger verfpürte, fehrte ich im nächſt— Im Haus war bald die altgewmohnte
beten Wirtshaus ein. Die Kellnerin, | Ordnung abhanden gelommen. Der
eine lebfrifche Dirne, brachte mir Wein, neue Herr wollte ſich überall als folcher
der, allerdings ſauer genug, mir dem zeigen, traf andere Anordnungen, jchalt
Mund verziehen machte. Sie lachte
darauf und jagte, ich foll mich nur
tröften, es gienge allen Fremden fo.
Der Zuder jei jo koftjpielig und wenig
ergäbe nichts.
Außer mir ımd dem Mädchen war
noch ein Greifenpaar im Zimmer ans
wejend, welches auf der Dfenbant
Platz genommen hatte.
Sch wähnte, troß der armen, zer=
flidten Kleidung, darin die Großeltern
der Dirne, was ich ihr zu dverftehen gab.
„Beileid, *) find nur Vergantete,
find nur Vergantete,“ warf fie laut
und geringfchäßend hin. Die alte Frau
wandie ihr das Geficht zu, ein aufs
gedunfenes, rothes, mit verglasten
Augen, welches gar ſeltſamvom üppigen,
ſchneeweißen Haar abſtach, entgegnete
jedoch nichts.
Nun erfuhr ich, ihm Hätte man
Federhanns geheiken. Den Hut keck
auf der Seite, mit einem Spielhahn=
ſchweif d’rauf, hätt’ ihm fein Mädel
im Dorf und im Gai**) widerfteh'n
fönnen. Die Alten im Ort jagen nod),
wie der Hannes, kann feiner mehr
bei den Weibsleuten reden. Und hätt
er auf der Alm einen Jubfchrei ab»
gelaffen, hätt’? man ihn über's Thal
g'hört. 'S Jodln und Zitherfchlagen
ſeien ihm überhaupt lieber geweſen
als die Bauerſchaft.
Der Vater des Hannes, ein biederer
gerader Charakter, wurde beim Holzen
unter einen Baum geriffen; als man
ihn berausholte, ſah man’s, es hatte
ihm ein Aft den Bruftlorb eindrüdt.
Der damals erft zwanzigjährige
Hannes ſah fih auf Knall und Fall
als Beſitzer eines prächtigen Hofes,
war jelbfteigener Bauer, mit unter
die Reichſten gezählt.
*) Beileib — Gott bewahre.
*) Gai — im Gau,
hier und dort, während der Groffnecht
Alles befjer veritehen konnte und ſich
auf den bisherigen Erfolg berief. Das
hatte zur Folge, daß ein ganz neuer
Boden gelegt wurde. *) Die älteren
erfahrenen Dienftboten mußten jun
gem Bolfe weichen. — Wäre er fort-
gefahren in feiner Belümmernis um
die Wirtjchaft und hätte er fich darin
eingelebt, ja dann wär’s recht gewefen.
Aber das Schaffen und Commandieren
hatte nur furze Dauer, das Selbft-
arbeiten noch die kürzere. Segelftatt
und Schießſtand, ein G'ſangl oder
ein Dirndl waren fein Clement.
(Manchmal kam er erft am frühen
Morgen nah Haufe. Konnte er dann
ſchon mit den Uebrigen zur gleichen
Stunde bei der Arbeit fein? Nein,
da3 nicht; aber früher heim hätte er
geh'n follen. Er hatte das Schaffen
des Großknechtes nicht vertragen, hat
ihn d'rum geh'n laflen; jebt that
Yedes im Haus was ed wollte, und
er getraute fich nichts zu jagen, weil
er fpürte, er felbft fei vom geraden
Meg ab.
Der Ledergurt, den der alte Hajl-
hofer als Vorforg für befondere Fälle
— man weiß ja nie, was der Herrgott
Ihidt, und nacher ift’3 gut Herzunehmen
— hinter den mächtigen Leinenballen
verftedt hatte, ſchmolz wie Schnee
unter der Mittagsfonne und wie die
Leinwand — der Stolz der Bäurin,
ſelig — ſelbſt; es wanderte Pad
um Pad zum Händler. Spiel und
Wirtshaus frefien Geld!
Se mehr e& im Haus abwärts
gieng, deſto Luftiger und lauter war
der Hannes. Das fchreiende Gewillen
mußte iüberfchrien werden. Und da
gibt es Fein befjeres Mittel als fleißig
„Aufſchütten“, im Kreiſe guter Freunde
*) Meuer Boden gelegt — Tandläufig
für Dienjtbotenwedjel.
Zerſtreuung fuchen. Solche Hatten fich
bald gefunden ; freilich nach feiner
Anſicht; lärmende, wüſte Gefellen,
welche mit ihm aushielten, ſo lange
er es wollte und zahlte. Sie gaben
ihm in Allem recht, wußten ſtets Neues
zu finden, was den Sinn reizte, daß
er nie aus dem Zaumel herauskam.
Roh wies er jedes warnende, wohl»
meinende Wort zurüd, bis ihn feine
echten Freunde mieden. Ein folcher
hatte vom Heiraten zu ihm gefprochen.
Die Idee gefiel ihm. Er, der beliebte
Gejellfchafter, der Haſlhofer, der ſchmucke
Mann durfte fi an Jede wagen. Und
in Wahrheit, feiner im Dorfe hatte
ihm die Tochter verweigert.
Nun gieng Hanns Umſchau Halten
unter den Schönen. Weberall fam man
ihm freundlich entgegen, wäre ja jede
gern Haflbäuerin geworden. Wenn’s
d’rauf und d’ran kommt, möchte jedes
Mädel unter die Haube, aber befonders
fein fröhliches Geſchwätz übte die größte
Wirkung. Es ift ja was Altes, wer
am meiften redet, ift der Belte, nur
viel reden gilt bei den Weibsleuten,
was, ift gleichgiltig.
Befonders das Lenerl fehte auf
diefen ähnlichen Entſchluß große Hoff—
nungen. Die zwei haben ſchon längft
ein heimliches „Tächtlmächtl“ *) mite
einand gehabt‘; aber zu Lenerl's Recht⸗
fertigung fei gefagt, fie hat ihn recht—
ſchaffen gern gehabt.
Die Wanderfchaft des luſtigen
Brautwerbers, dem feine fidele Luſt—
barkeit über Alles gieng, fiel ganz
ander3 aus, ala ſich ſelbſt die höchften
Vermuthungen vorausfegen ließen. Er
ift außigrast, d. 5. tiber das Weich»
bild des Dorfes, und hatte eines ſchönen
Morgens über die Grenze Eine herüber-
gebracht.
Eine ftattlihe Figur ber! Man
grollte über den Hochmithigen, dem
feine im Ort gut genug, und das
erftemal wurde das arme Lenerl ver-
*) Tächtlmächtl — Liebſchaft, eigent:
lich Liebelei.
Koſrgget'sa „„Geimgnrten“*, 9. Geft, XI.
657
theidigt. Sonft war der Neid über fie
gewejen.
Die große Starke, meinten ſchaden—
froh die Einen, werde ihm’s ſchon
fein. Doc fie hatten ſich verrechnet.
Nach wie vor bliebs am Haſlhof unter-
haltig. Eine gewiffe Sorte Männer
fehrte dem Hannes die Freundſchaft
wieder zu und kamen nun öfter als
üblih in den Heimgarten. Derweil
wurde mählich abwärts gehaust. —
Poft um Poſt wurde auf den Hof
angefchrieben. Der körperlich ſtarke
Mann glih in feiner Willenskraft
einem bilflofen Finde. Er war zu
ſchwach, feiner Gewohnheit Einhalt zu
thun, zu Schwach, einen gefaßten Vor—
jaß durchzuführen. Schwach und felbft
ohne Halt mußte er fein Weib jehen.
Ohne einen rechten Begriff von einer
braven Bäuerin zu Haben, ahnte fie
auch deren Pflichten nicht; wo eine
andere für zehn Hände Arbeit Hatte,
wußte fie nicht einmal für fich eine.
Das Vertrauen in einander war
erſchüttert. Eins fürchtete fich vor dem
Undern, beiderfeit3 vermied man Er—
Härungen, bis endlich der zurückge—
dämmte, langverhaltene Unmuth in
hellen Flammen durchbrach. Der An—
fang gemacht, fehrte der Streit täglich
wieder. Aus dem Freudhof war ein
Streithof.
„Was braud ich noch weiter zu
erzählen,“ ſagte das Mädel, „es ift
fo gefommen, wie fich’3 jeder an allen
Fünfen abfingern hat können, auf die
Sant feins fommen. Die Brettelbohrer*)
und Spielleut fein durftige Leut und
ſel**) thut mit gut. Das Gut ift
unterm Hammer einem Andern zus
gichlagen worden,“
Darauf feien die zwei verſchwunden,
man glaubt fie Haben fich als Dörcher***)
in der Melt herum getrieben, bis fie
vor etlichen Jahren in die Gemeinde
zurüdbefördert wurden. Weil nun die
*) Brettelbohrer — Standſchützen.
*) jel’ — Dasjelbe.
**) Dörcher — Landftreicer.
42
658
Gemeinde felbft dürftig, fich fein Armen
haus zu bauen vermag, müſſen fie
täglid als Einleger um ein Haus
weiter gehen, und bei dem ſie ein—
fehren, der mitffefie einen Tag verpflegen.
„Uber jelber than, felber tragen.“
Uebrigens kämen fie jeßt felbander
gut aus, der Hannes habe ſich auf’s
Beten verlegt und erfehe in Allem
eine Fügung der göttlichen Borfehung,
fie aber faufe was ihr unterfäme,
Heuer, in meinen Ferien, führte
mich mein Weg wieder durch jenes
Thal in das freundliche Dorf. Ich
geftehe aufrichtig, des wunderlichen
Paares Hatte ich längft vergeffen. Da,
im Ort ruft mid Eins an, mir die
Hand Hinftredend: „Grün Di Gott,
Schreiber! Wie lebt?" Es war 's
Moidl, des Sonnenwirt3 Tochter, von
dazumal. Mit der den Junthalern
eigenthümlichen Freimüthigkeitplauderte
ſie nun weiter. Wie ſie mir nur eigent—
lich hat ſagen wollen, daß ich mich
gar nichts verändert, ſo daß ſie mich
gleich wieder erkannte und daß ſich
aber doch wieder mentiſch viel verän—
dert habe, nämlich bei ihnen. Aber
ganz eigentlich wolle ſie mir nur er—
zählen, wie der Federhanns und ſeine
Alte eines Tages im Mühlbach erſoffen
aufgefunden worden ſeien. Man ver—
muthe, ſie habe im Rauſch den Steg
verfehlt und den halbblinden Mann
mitgeriſſen. Gott ſtehe den armen
Seelen beil Ich werde ſchon wiſſen
und mich daran erinnern können, von
wegen denen ich ihr eine ſolche Predigt
gemacht habe, weil ſie ſo geringſchätzig
damit gethan. Sie ſehe wohl ein, man
werde erſt als verheiratet geſcheit,
das ſei fie jetzt. Wenn es ihr gerade
einfalle, ließe fie wohl auch für die
Berganteten eine Gralle fallen. *)
„Und jegt pfüati!“ Ich gab meinen
Dankgott zurüd und wollte fürbaß.
Richtig, noch Eines falle ihr ein,
was fie mir jet ſchon jagen könne,
als Weib hab's feine Gefahr mehr.
Ihr Alter fage alleweil, Heutzutage
miffe man bei der Feder fein, die
hätten das Heft in der Hand. Ich
fei ja ein foldher, und allen Reſpect!
Sie thue nichts davon, aber, wie ich
damals Hier gewejen, wäre ich ihr zu
dafig **) vorgelommen. Wen ich mich
etwas umgethan hätte, nun ich würde
mich wohl auskennen. Mein Gott!
man ift jung und nit von Holz. Es
fei nur für einen andern Yall, fie
mein’ mir’3 gut, man tragt nit ſchwer
d’ran. „Wohlaufleben! und nit zu
reſch!“ rief fie mir noch lachend nach.
Und ih? Was fonnte ich befjeres
thun, als wieder lachen.
Das ift die Gefchichte von den
Berganteten, tiber die ich die blauen
Augen eines mir wohlgefinnten Mäd—
chens überſehen. — Würd’ ich’3 heute
auch noch?
*) Gralle fallen lafjen — beim Rojen:
franz ein Baterunfer beten.
**) dafig — wenig geiprädig.
659
Bo geht's auf der Welt.
Eine Begegnung im Drientzug von Hans Malfer.
972
—E
or
ines Abends fuhr ih von St.
Pölten nah Wien. Da alle
anderen Züge in diefer Richtung ſchon
abgelaufen waren, fo mußte ich den
Drientzug benüßen, der ohne Um—
jchweife und Säumnis von Paris kam
und ohne Umfchweife nach Conſtan—
tinopel gieng. Bon Paris bi$ Con-
ftantinopel in 82 Stunden! Wie
weit wir es doch gebracht haben.
Den Fuß vom trauten nieder-
Öfterreichifchen Boden emporziehend und
auf das Trittbrett ſetzend, war ich
plöglich in einer fremden Welt. Diefer
Drientzug vergleicht fi am beiten
mit einen hocheleganten internationalen
Hotel en miniature. Aller Comfort ift
da. Nebft den abineten für eine,
zwei oder mehrere Berfonen, find
wohlerleuchtete und mit geſchmackvollem
Luxus ausgeftattete Speifefäle, Rauch—
und Spielfalond, Lejezimmer mit
Büchern und Zeitungen, Zoilette-
cabinete u. f. w. vorhanden. Der größte
Borzug diefes Zuges befteht wohl darin,
daß man in ihm weder ein Rütteln, noch
einen Räderlärm merkt, das gleitet
glatt und leicht dahin und nur ein
gleihmäßiges dumpfes Dröhnen erin-
nert daran, daß man fi auf einem
ſich bewegenden Fahrzeuge befindet.
Die Wände beftehen faft durchgehends
aus maſſiven Spiegelfcheiben, wer es
aber traulicher haben will, der mag
die Tapetenrollen Herablaflen und er
ift in einem fenfterlofen Gemache mit
Gasbeleuhtung und er mag fich ein-
bilden, daß er daheim im wohlgebor—
genen Stübchen fißt.
Jedem Reifenden ftehen — da es
nur erſte Claffe gibt — all’ dieſe
Räumlichkeiten und Einrichtungen zur
Verfügung und man kann bequem
den ganzen Zug durchwandern und
ſich niederlaffen, wo es, Einem gefällt
und Platz if. Die Stunde zwiſchen
genanntem Städtchen und der Nefidenz
bietet gerade Zeit genug, um Alles
flüchtig in Augenschein zu nehmen und
auch noch die Reifenden ein bißchen
zu beobadten. Zum Theil haben fie
ih wohl ſchon zurüdgezogen in ihre
Gabinete; Andere figen im Reftaurant,
ejfen, trinken oder plaudern, Andere
fpielen Karten, Andere lehnen in dem
Sofa, rauchen, lefen, träumen vor
fih Hin oder ſchlafen. Da find gelang—
weilte Engländer mit blonden Flügel—
bärten, jchläfrige Türken mit rothem
Fetz, vor Allem aber Franzoſen mit
echt galliſchen Gefichtern und einer
ftet3 nervöſen Behendigkeit. Es find
wohl zumeift hohe Herrichaften, die
auf diefem Zuge durch Europa gleiten,
große Kaufleute, Diplomaten, auch
etwa Fürften darunter und andere
Granden von hohen und höchſten Stellen
und Würden. Mein Geld aber, das
ich bezahlt, macht mich ihnen hier eben»
bürtig. Im ganzen Zug herrſcht Fran
zöfifches Geld und faſt ausſchließlich
die franzöfifhe Sprache, die Zugs—
bemannung radebrecht nothgedrungen
ein nachgerade unheimliches Deutich;
ich verſtand mich zwar mit ihr, aber
wie ſich's zeigen wird, nicht auf's beſte.
In einer Ede des Speiſeſaales
lehnte ein junger Menſch von etwa
zwanzig Jahren. Er fiel mir ſofort
auf, denn in meinem Leben habe ich
feinen jo krank ausjehenden Menfchen
erblidt, als diefen. Ein kahler Todten—
ſchädel ift micht ſchrecklich, aber ein
ZTodtenjchädel, über den noch Haut
42°
660
und Haar gefpannt find und aus wies, auf melden er fo fürforglich
defien Höhlen ein Paar müde roflende | feine Hand legte.
Augen ftarren, deflen weiße Zahnreihen „Kanarivogel,“ fagte er, dann
zwifchen den dünnen Lippen der ein- [nepte er wieder feine trodenen Lippen,
gefunfenen fahlen Haut fozufagen her- nidte zufammen und feine Bruft
vorquellen, das ift fchredlich zu fehen. | wogte rafjelnd. Hinlegen konnte er
Daneben auf dem Lederpolfter ftand | fich nicht, weil der Sitz zwiſchen Fenfter
einin Zeitungspapier gefchlagener ediger | und Thür zu ſchmal war.
Gegenftand, auf welden der arme Ein Eonducteur paflierte den Saal,
Menſch feine abgezehrte, todtenblafie |ich redete ihn an, ob man im Zug
Hand legte. Zeitweilig war es, als denn feinen Pla Habe, wo fich der
ſchlummere er, ſein Haupt knickte nach arme Menſch hinlegen könne.
vorne ein, dann hob er es wieder und „Dafür find wir da!“ ſchnarrte
ſchlug fröflelnd von feinem dünnen mich der Bedienſtete an.
ſchwarzen Rod den Kragen empor über | „Er ift jeher Frank,“ war meine
den Hals; danıı wieder irrte fein Blick Bemerkung.
umber zu den Gruppen der Efjenden, „Das fehen wir!” Damit ſchlug
Trinfenden, Rauchenden und munter der Mann die Spiegelthür Hinter ſich
Plaudernden. Plötzlich richtete er fih zu und der Sterbende blieb Tauern
mühſam auf, taumelte an das Tiſchchen, unter Zehern und SKartenfpielern,
an welchem ich abgefondert ſaß, und | Hilflos wie in einer öden Wüſte. Keiner
murmelnd: „Bitte, ift frei ?* langte | dachte daran, daß er ſelbſt einen Freund,
er nah der Wallerflafhe. Diefe in | einen Bruder, einen Sohn haben könne,
der Hand fnidte er an feinem Plage |der in fremden Landen einmal elend—
wieder zufammen und trank mit Mühe |lich fo dahinfterbe. Die Spiellarten
und Anftrengung aus dem tragen der | laffen derlei Sentimentales nicht auf—
Flasche. Ich rief den Aufwärter, daß | kommen. Im Gegentheile knurrte ein
er ein Trinkglas bringe, ſchenkte es Here mit einer wahrhaftigen Louis
voll, ftellte e3 vor den Kranken und |Napoleon »Vifage immer noch über
fragte, ob ihm ſchlecht fei. da3 Unangenehme, mit einem ſolchen
„Sehr! ſehr ſchlecht!“ Hauchte er. | Individuum, wie diefer Kranke, in
Ob er nit einen Schlud Wein | Einem Raume reifen zu müſſen. Mir
trinten wolle ? wollte das Herz brechen über Jene,
Er fehüttelte den Kopf. die feines Haben und über diefes, das
Einige Herren waren aufmerkſam in kurzer Zeit ftille ftehen wird.
geworden und äußerten fi, wie mir Hinaustretend ftieß ih auf dem
Ihien, etwas mißgünftig über den | Perron an den Gonducteur. Noch ein=
früheren Vorgang. mal fagte ich höflich den Wunſch:
Bon woher er fahre? fragte ich „Ich bitte Sie, Ddiefem armen
den jungen Menfchen. Menſchen eine Schlafftelle anzumeifen !*
„München,“ gab er zur Antwort. Der Mann wandte fich an mich und
Und wohin? ſagte achfelzudend in einem Deutſch,
„Bulareft,“ ftammelte er, und das ich verbeſſere: „Schlimme Krank—
ſetzte bei: „Su Haufe morgen Nachts heit! Iſt verloren.“
ſwölf Uhr. Vater, Mutter.“ „Man follte ihm doch einen Platz
Sein Auge leuchtete ein wenig | anweifen, wo er ruhen kann. Er bricht
auf, al3 wäre er dankbar, daß auf vor Erfhöpfung ja zufammen!“
diefem weltfremden Eiland ein Menfch „Was wollen Sie!“ ſchnarrte mich
fih nach ihm kehre. der Conducteur an, „ſchon das zwei—
Was er mit fih führe? war meine temal mischen Sie fih in etwas, das
Frage, indem ich auf den Gegenftand | Sie nichts angeht.“
Seht trat ich aber ſehr nahe vor
feine Bruft und fagte: „Wer find
Sie, daß Sie in ſolchem Tone zu
mir Sprechen? Sie find hier mein
Diener, und das foll Ihnen jehr bald
far werden, wenn wir den Bahnhof
Wien erreicht Haben. Und wenn Sie
glauben, dag mich ein fterbender Menjch
nichts angeht, der mitten im einem
Wuſt von Lurus und herzlofen Leuten
ohne Zroft und ohne Labung ver—
ſchmachten muß, jo — — ! Alfogleich
treten Sie mir aus den Augen!“
Wenige Minuten fpäter wurde
der Kranke aus dem Saale entfernt.
Er vergaß aber nicht, taumelnd nad
dem Käfig zu haſchen, in welchem der
Vogel nun wild umberflatterte, und
ihn mit ſich zu tragen.
Als er davon war, unterbrachen
die Herren ihr Kartenfpiel, um jeßt
ganz unverhohlen den Menfchen zu
tadeln, der aus dem Halfe einer ge=
meinfamen Waflerflafche getrunfen hatte.
„Er fchien einer Ohnmacht nahe
gewefen zu fein,“ ſuchte ich ihn zu
entichuldigen, „und feine Stimme ift
nicht mehr mächtig genug, nach einem
Trinkglaſe zu rufen.“
Das zeige jeher wenig Lebensart,
bemerkte das Napoleongeficht, und wie
leicht Fönnten Andere angeftedt werden,
die nah ihm die Flaſche benüßten!
Es ſei doch unerhört!
Mit einem jo Schwerfranten müſſe
man wohl Nachſicht haben, war meine
Meinung; ein Sterbender frage nicht
mehr nach dem, was fich Ichidt.
Sie murrten fort und als fie jchon
lange wieder das Spiel begonnen hat»
ten, murrten fie immer noch fort, bis
ih über eine ſolche Herzlofigfeit em-
pört, von meinem Tifchchen laut hin—
überrief: „Meine Herren! Ich mahne
Sie daran, daß wir auch einmal fterben
werden! Gott gebe, daß es nicht auf
der Reife ei!”
Sie fagten nichts mehr, ſondern
N
1
|
—
Eigennutzes und der Uebervortheilung.
Als ich in Wien im Begriffe war
auszuſteigen, faßte mich der Herr mit
dem Napoleongeliht am Arme, fagte:
„Vous et un home!“ ließ mich raſch
wieder los und gieng in’s Gelaß.
IH gieng meiner Wege. Erſt in
ftillee Mitternacht ward e3 mir be=
wußt, daß ich ſelbſt — der Anderen
Menschlichkeit gepredigt — die Aus—
übung der Menfchlichleit verfäumt
hatte. Hätte ich mich nicht emergiich
darıım kümmern müffen, was aus dem
armen Burfchen weiter werden follte,
ob fie ihn in Wien ausladen und
einem Spital übergeben, oder ob jie
ihn auf dem Eifenbahnzuge fterben
laffen wollten? Nun, ich überließ es
der Menfchlichleit des Zugsperjonales
und der Paflagiere; aufmerkſam find
fie ja auf den Kranken, das Weitere
wird der homme beforgen. Der Kanari—
vogel wird freilich lebendig nach Bukareſt
fommen, dachte ich, er mag den troft-
lofen Eltern fingend den legten Gruß
ausrichten vom geliebten Finde.
Einige Tage fpäter ſaß ih mit
einem guten Belannten in der Re—
ftauration „Gaufe* in Wien. Das
Heine Begegnis auf dem Drientzug
hatte ih Schon vergellen, denn wir
Großſtädter haben alle ein ſehr fFlüchtiges
Herz. Mein guter Belannter aber
erinnerte mich daran auf die wirk—
famfte Weife. Er war ein Mediciner,
der fi viel im anatomischen Saale
bejchäftigte und davon mit vielem Be—
hagen mancherlei Schauderhaftes zu
erzählen liebte. Bor den Menfchen hatte
er gar feinen Refpect, nur vor feinen
Kleidern. Ein todter, Heidlofer Menſch
ift ihm nichts mehr, als Gadaver; aber
vor einem Zodten, der den Anzug
noch am Leibe Hat, vor dem graut
ihm. Da erzählte er von einem jungen
Lebemann, den auf dem Balle mitten
vertieften ih in ihre Kartenblätter, | im Reigen der Schlag getroffen hatte.
als in das Glementarz Lehrbuch des In Arad,
weißer Gravatte, Glaces
—
handſchuhen und Glanzſtiefeln lag er
da und ſollte ſecirt werden. Mit
Schaudern wendete ſich der Profeſſor
ab, der iſt ja noch Menſch! Diener,
entkleidet ihn!
„Geſtern haben wir einen inter—
eſſanten Fall gehabt,“ erzählte mein
Profeſſor während unſeres Soupers,
„wenn Sie ihn nicht weiter ſagen, ſo
will ih ihn Ihnen mittheilen.“
„Weiter Jagen, wohin denfen Sie!“
rief ich, „bloß druden laſſen werde ich
ihn, wenn er wirklich intereffant iſt.“
„Das können Sie thun, denn dann
wird eine Novelle daraus, deren Ur—
ſprung und Wahrheit Niemand nach—
forſcht —“
„— und nachzuforſchen das Recht
hat. Alſo!“
„Vor vier Tagen“ — ſo erzählte
der Brofefjor — „kam uns aus einem
Spitale der Gadaver eines jungen
Menfchen zu, der auf der Heimreife
von München nach Bukareſt unterwegs
geitorben ift. Zuberculofe. Ein Han—
deläcommis oder Studiofus, man Hat
nichts bei ihm gefunden. Nermliche
Verhältniffe, ſcheint feine Habe d'ran—
gejeßt zu Haben, um mit dem rafcheften
Zug weiterzulommen. Achtzig Kreuzer
hatte er im Sad und einen lebendigen
Kanarivogel fol er bei ſich gehabt
haben, wie fpäter verhandelt worden.
Da man den Cadaver fozufagen für
herrenlos hielt, fo Hat man darüber
verfügt, allerdings etwas voreilig. Da
erſchien geftern im Sectionsfaale ein
Mann und begehrte die Leiche feines
Eohnes zurüd, die irrthümlich in's
anatomische Inftitut gekommen. Er
fei aus Bufareft eiligft hierhergereist,
um feinen Jungen, der fterbend von
Wien aus telegraphirt habe, noch ein—
mal zu fehen. Leider zu fpät, aber
die Leiche wolle er haben. Wir wußten
nur zu bald, um welchen Gadaver es
ih Handle, konnten ihm aber nicht
fagen, daß derfelbe Schon der Willen:
Schaft zum Opfer gefallen fei, denn
genau genommen, wir hatten
das |
Recht nicht dazu, wir hatten die ger
jegliche Frift nicht abgewartet, inner—
halb welcher die Leiche von Verwandten
reclamiert werden kann. Wir bedeuteten
nun den Vater, daß die Leiche wohl
Ihon jo ſehr an Berwefung gelitten
habe und wie es nicht rathſam wäre,
das ſchöne Bild, welches er etwa von
feinem Sohne in der Seele trage,
dur die Wirklichkeit zu zerftören.
Als der alte Rumäne unfere Aus—
flüchte hörte, ballte er die Fäuſte und
ſchrie: Wenn mir die Leiche meines
Kindes nicht ſofort ausgefolgt wird,
jo ſchlage ih Allarm, der im ganz
Wien wiederhallen foll! Herr,
jagte ich begütigend, das. wird nicht
nöthig fein. Wir begreifen Ihre Auf—
regung Sehr wohl und wir werden
dem Baterherzen das Seine nicht vor—
enthalten. Doch ift gegenwärtig der
Saal geſchloſſen. Kommen Sie in
drei Stunden wieder und Sie follen
Ihren Sohn Haben.
Beruhigt gieng der Mann von
dannen. Ich eilig zu den Studenten
und fragte, wer den Cadaver Num—
mer 29 behandelt habe? Der und
Der. Sei aber nichts mehr davon da,
al3 der gut erhaltene Kopf, den fich
einer der jungen Mediciner präparieren
wolle. — Her mit dem Kopf! Und
auch ſchnell einen beliebigen Körper
herbei! Ein männlicher fei mo=
mentan nicht vorhanden, wohl aber
jener der Selbftmörderin, der aus der
Donau gezogen worden. — Es fei
drum! Man enthaupte fie, hefte den
Kopf des jungen Rumänen d’ran,
befleide die Leiche mit defjen Anzug
und bahre fie auf!
Als die drei Stunden vorüber
waren, ftand auch der Alte fchon vor
der Thür. Er ward zur angeblichen
Leiche feines Sohnes geführt. Davor
ſank er nieder, füßte da8 Haupt und
weinte, — Dann wurde der Sarg
in den Leichenwagen geſchoben und
der Vater folgte ihm auf den Central—
friedhof. Wir Haben von den Beiden
weiter nichts mehr gehört.“
663
Diefe Erzählung Hatte mich un- Bildung und Wiſſenſchaft! Im Orient»
ſäglich verſtimmt umd auch die Aus= | zug laſſen wir ihn lablos verſchmachten
flucht des Profeffors, daß es ein wohl= | und in der Klinik betrügt man den
thätiger Betrug gewejen fei, konnte Vater um die theueren Reſte des Stindes.
mich nicht beruhigen. Der Fluch, arm
zu fein! O Humanitätsfchwindel der |
Mir find ſchon die Wahren!
Unfere Ahlandfeier.
Der Nachdem zur Feier des hundertften
Se Geburtstages Ludwig Uhlands
(26. April 1887) die ſchönen Feſt—
gedichte verflungen, die herrlichen Feſt—
reden verhallt, die vortrefflichen Feſt—
ejfen verbaut, in den Zeitjchriften
das Bild des Dichters mit dazuge—
hörigem Texte gefehen worden find
und Uhlands Werke nach wie vor im
Staube der Buchläden ruhen, weihen
wir bier einen Franz aus des Dichters
eigenen Boefien den Manen des Uns |
fterblichen. |
Die Aapelle.
Droben ftehet die Kapelle,
Schauet ftill ins Thal hinab,
Drunten fingt bei Wies und Quelle
Froh und hell der Hirtenfnab.
Traurig tönt das Glödlein nieder,
Schauerlich der Leihendor;
Stille find die frohen Lieder
Und der Knabe laufcht empor.
Droben bringt man fie zu Grabe,
Die fih freuten in dem Thal.
Hirtenfnabe, Hirtentnabe,
Dir au fingt man dort einmal.
Scdäfers Sonntagslied.
Das ift der Tag des Herrn.
Ih bin allein auf weiter Flur,
Noh Eine Morgenglode nur,
Nun Stille nah und fern.
Anbetend nie’ ich hier.
O fühes Braun! geheimes Wehn!
Als Inieten Biele ungejehn
Und beteten mit mir.
Der Himmel nah und fern,
Er ift jo Har und feierlich,
So ganz, als wollt’ er öffnen jid.
Das ift der Tag des Herrn.
Fauf der Welt.
An jedem Abend geh’ ih aus,
Hinauf den Wiejenfteg.
Sie ſchaut aus ihrem Gartenhaus,
Es ftehet hart am Weg.
Wir haben uns nod nie beftellt,
Es ift nur fo der Lauf der Welt.
Ich weiß nicht, wie es fo geichah,
Seit lange fü’ ich fie.
Ich bitte nicht, fie jagt nicht: ja,
Doch fagt fie: nein aud nie.
Wenn Lippe gern auf Lippe ruht,
Wir hinderns nicht, uns dünlkt es gut.
Das Lüften mit der Roſe ſpielt,
Es fragt nit: Haft mich lieb?
Das Röschen fih am Thaue fühlt,
Es fagt nicht lange: gieb!
Ich liebe fie, fie liebet mic,
Doch keines jagt: ich liebe Did.
Rechtfertigung.
Wohl geht der Jugend Sehnen
Nach manchem ſchönen Traum;
Mit Ungeftüm und Thränen
Stürmt fie den Sternenraum,
Der Himmel hört ihr Flehen
Und lächelt gnädig: nein,
Und läßt vorübergehen
Den Wunſch zufammt der Pein.
Wenn aber nun vom Scheine
Das Herz fih abgefehrt
Und nur das Echte, Reine,
Das Menſchliche begehrt,
664
Und doch mit allem Streben
Kein Ziel erreichen kann:
Da muß man wohl vergeben
Die Trauer aud dem Mann.
Erflorbene Liebe.
Wir waren neugeboren, himmliſch belle
War uns der Liebe Morgen aufgegangen.
Wie glühten, Laura, Lippen Dir und
Wangen!
Dein Auge brannt’, es ſchlug des Bujens
Welle,
Wie wall!’ in mir des neuen Lebens Quelle!
Wie hohe Kräfte raftlos mich durchdrangen!
Eie ließen nicht des Schlafes mich verlangen,
Lebendig lurzer Traum vertrat die Stelle,
Ya, Lieb’ ift höher Leben im gemeinen;
Das waren ihre regen Lebenszeichen ;
Nun ſuch' ich fie an Dir, in mir vergebens.
Drum muß ih, Laura, Did und mich ber
weinen;
Wir Beide find erlofchner Liebe Leichen,
Uns traf der Tod des liebelojen Lebens.
Die Nonne.
Im ſtillen Kloftergarten
Eine bleiche Jungfrau gieng,
Der Mond beſchien fie trübe;
An ihrer Wimper hieng
Die Thräne zarter Liebe.
„DO wohl mir, daß geftorben
Der treue Buhle mein!
Ih darf ihn wieder lieben;
Er wird ein Engel jein
Und Engel darf ich lieben.
Sie trat mit zagem Schritte
Wohl zum Marienbild;
63 ftand in lihtem Scheine,
65 ſah jo muttermild
Herunter auf die Reine,
Sie ſank zu feinen Fühen,
Sah auf mit Himmelsrub,
Bis ihre Augenlieder
Im Tode fielen zu;
Ihr Schleier wallte nieder.
Der ſchwarze Ritter.
Pfingſten war, das Feſt der Freude,
Das da feiern Wald und Heide,
Hub der König an zu fpreden:
„Auch aus den Hallen
Der alten Hofburg allen
Soll ein reicher Frühling brechen.“
Trommeln und Trommeten fchallen,
Rothe Fahnen feſtlich wallen.
Sah der König vom Balcone:
In Lanzenſpielen
Die Nitter alle fielen
Vor des Königs ftarlem Sohne.
Aber vor des Kampfes Gitter
Nitt zuletzt ein Schwarzer Ritter.
„Herr, wie ift Eur Nam’ und Zeichen?“
„Wiürd’ ich e3 jagen,
Ihr möchtet zittern und zagen:
Bin ein Fürft von großen Reichen.“
Als er in die Bahn gezogen,
Dunfel ward des Himmels Bogen
Und das Schloß begann zu beben.
Beim erften Stoße
Der Jüngling fant vom Roffe,
Konnte faum fich wieder heben.
Pfeif' und Geige ruft zu Tänzen,
Dadeln dur die Säle glänzen;
Wankt ein großer Schatten drinnen.
Er thät mit Sitten
Des Königs Tochter bitten,
Thät den Tanz mit ihr beginnen.
Tanzt im ſchwarzen Kleid von Eiſen,
Tanzet ſchauerliche Weifen,
Schlingt fih falt um ihre Glieder,
Von Bruft und Haaren
Entfallen ihr die klaren
Blümlein well zur Erde nieder.
Und zur reihen Tafel kamen
Ule Ritter, alle Damen.
Zwiſchen Sohn und Tochter innen
Mit bangem Muthe
Der alte König ruhte,
Sah fie an mit ftillem Sinnen.
Bleich die Kinder beide jchienen;
Bot der Gaft den Becher ihnen:
„Goldner Wein macht Euch genejen.“
Die Kinder tranfen,
Sie thäten Höflih danken:
„Kühl ift dieſer Trunk geweſen.“
An des Vaters Bruſt ſich ſchlangen
Sohn und Tochter; ihre Wangen
Thäten völlig ſich entfärben:
Wohin der graue
Erihrodne Vater ſchane,
Sieht er eins der Kinder ſterben.
„Weh! die holden Kinder beide
Nahmſt Du hin in Jugenfreude:
Nimm auch mid, den ÄFreudelojen!*
Da ſprach der Grimme
Mit hohler, dumpfer Stimme:
„reis, im Frühling brech' ich Roſen.“
vu: '
Des Goldſchmieds Töchterlein.
Ein Goldſchmied in der Bude ſtand
Bei Perl' und Edelſtein:
„Das beſte Kleinod, das ich fand,
Das bift doch Du, Helene,
Mein theures Töchterlein!“
Ein jhmuder Ritter trat herein:
„Willtlommen, Mägdlein traut!
Willkommen, lieber Goldſchmied mein!
Mad’ mir ein Löftlih Kränzchen
Für meine fühe Braut!“
Und als da3 Kränzlein war bereit
Und jpielt’ in reihen Glanz,
Da hängt’ Helen’ in Traurigfeit,
Wohl als fie war alleine,
An ihren Arm den franz:
„Ad, wunderfelig ift die Braut,
Die's Krönlein tragen foll.
Ach, jchentte mir der Ritter traut
Ein Kränzlein nur von Rofen,
Wie wär’ ich freudenvoll!“
Nicht lang, der Nitter trat herein,
Das Kränzlein wohl beſchaut':
„O fafle, lieber Goldſchmied mein,
Ein Ringlein mit Demanten
Für meine ſüße Braut!”
Und als das NRinglein war bereit
Mit theurem Demantftein,
Da ſteckt' Helen’ in Traurigfeit,
Wohl als fie war alleine,
Es halb ans Fingerlein:
„Ach, wunderfelig ift die Braut,
Dies Ringlein tragen joll.
Ach, jchenkte mir der Nitter traut
Nur jeines Haars ein Löcklein,
Wie wär’ ich freudenvoll!*
Nicht lang, der Ritter trat herein,
Das Ninglein wohl befhaut’:
„Du haft, o lieber Goldſchmied mein,
Gar fein gemadt die Gaben
Fir meine ſüße Braut.
„Doch daß ich wiſſe, wie ihrs ſteh',
Tritt, ſchöne Maid, herzu,
Daß ih an Dir zur Probe jeh'
Den Brautijgmud meiner Liebften!
Sie ift jo jhön wie Du,“
Es war an einem Sonntag früh,
Drum hatt’ die feine Maid
Heut angethan mit jondrer Müh',
Zur Kirche hinzugeben,
Ihr allerbeftes Kleid.
Von holder Scham erglühend ganz,
Sie vor dem Ritter ftand:
Er jest ihr auf den goldnen Kranz,
Er ftedt’ ihr an das NRinglein,
Dann faht’ er ihre Hand:
66
5
„Helene jüh, Helene traut,
Der Scherz ein Ende nimmt.
Du bift die allerfhönfte Braut,
Für die ich's goldne Kränzlein,
Für die den Ring beftimmt.
„Bei Gold und Perl’ und Ebdelftein
Bi Du erwachſen hier,
Das jollte Dir ein Zeichen fein,
Daß Du zu hohen Ehren
Eingehen wirft mit mir.”
Der Wirthin Töchterlein.
63 zogen drei Burfche wohl über den Rhein,
Bei einer Frau Wirthin, da kehrten fie ein:
„Frau Wirthin, hat Sie gut Bier und Wein? '
Wo hat Sie ihr ſchönes Töchterlein ?"
„Mein Bier und Wein ift friich und Klar,
Mein Töchterlein liegt auf der Todtenbahr,“
Und als fie traten zur Hammer hinein,
Da lag fie in einem ſchwarzen Schrein.
Der erfte, der ſchlug den Schleier zurlid
Und ſchaute fie an mit traurigem Blid:
„Ad lebteſt Du noch, Du jhöne Maid!
Ich würde Dich lieben von diejer Zeit.“
Der zweite dedte den Schleier zu
Und fehrte fih ab und weinte dazu:
„Ah, daß Du liegſt auf der Todtenbahr!
Ich Hab’ Dich geliebet jo manches Jahr.“
Der dritte hub ihn wieder jogleich
Und füßte fie an den Mund jo bleich:
„Dich liebt’ ih immer, Dich lieb’ ih noch
heut,
Und werde Did lieben in Emigfeit.*
Bon den fiedben Behbrüdern.
Ach lenne ſieben luſt'ge Brüder,
Sie ſind die durſtigſten im Ort;
Die ſchwuren höchlich, niemals wieder
Zu nennen ein gewiſſes Wort,
In keinerlei Weiſe,
Nicht laut und nicht leiſe.
Es iſt das gute Wörtlein Wafler,
Darin dod fonft fein Arges ftedt,
Wie fommts nun, dab die wilden Praſſer
Dies ſchlichte Wort jo mächtig jchredt ?
Merkt auf! ich berichte
Die Wundergeſchichte.
Ginft hörten jene durft’gen fieben
Von einem fremden Zehlumpan,
63 fer am Waldgebirge drüben
Ein neues Wirtshaus aufgethan,
Da fliehen jo reine,
So wiürzige Weine,
666
Um einer guten Predigt willen
Hätt' feiner fih vom Pla bewegt:
Doc gilt es, Gläfer gut zu füllen,
Dann find die Burjche gleich erregt.
„Auf, laſſet uns wandern!“
Ruft einer dem Undern.
Sie wandern rüftig mit dem Frühen;
Bald fteigt die Sonne drüdend heiß,
Die Zunge lechzt, die Lippen glühen
Und von der Stirne rinnt der Schweiß:
Da riefelt jo Helle
Dom Felfen die Quelle,
Wie trinken fie in vollen Zügen!
Doch als fie faum den Durft geftillt,
Bezeugen fie ihr Mikvergnügen,
Daß bier nit Wein, nur Waſſer quillt:
„D fades Getränfe!
O ärmlide Schwänte!“
An jeine vielverwobnen Gänge
Nimmt jet der Wald die Pilger auf.
Da ftehn fie plöglich im Gedränge,
Verworrnes Didiht hemmt den Lauf:
Sie irren, fie ſuchen,
Sie zanlen und fluden,
Derweil hat fih in finftre Wetter
Die jhwille Sonne tief verhüllt ;
Schon rauſcht der Regen durd die Blätter,
Es zudt der Blig, der Donner brüflt;
Dann fommt e3 geflofien,
Unendlich ergofien.
Bald wird der Forft zu taufend Infeln,
Zahlloje Ströme breden vor;
Hier hilft fein Toben, hilft fein Winfeln,
Gr muß hindurd, der edle Ehor.
O gründliche Taufe!
O Töftlihde Traufe!
Bor Alters wurden Menjchenfinder
Verwandelt oft in Quell und Fluß;
Auch unj’re fieben arme Sünder
Bedroht ein gleiher Götterſchluß.
Sie triefen, fie ſchwellen,
Als würden fie Quellen.
So, mehr geihwommen, al& gegangen,
GBelangten fie zum Wald hinaus,
Doch feine Schente jehn fie prangen,
Sie find auf geradem Weg nah Haus:
Schon riejelt fo helle :
Bom Felſen die Quelle,
Da ift’s, als ob fie raufchend ſpreche:
„Willtommen, ſaub're Brüderſchar!
Ihr habt geſchmähet, thöricht Freche,
Mein Waſſer, das Euch labend war.
Nun ſeid ihr getränket,
Daß ihr daran denlet.“
So kam es, daß die ſieben Brüder
Das Waſſer fürdteten hinfort,
Und daß fie ſchwuren, niemals wieder
Zu nennen das verwünſchte Wort,
In keinerlei Weiſe,
Nicht laut und nicht leiſe.
Graf Ederflein..
Zu Speier im Saale da hebt fih ein
Klingen,
Mit Hadeln und Kerzen ein Tanzen und
Springen;
Graf Eberftein
Führet den Reih'n
Mit des Kaifers holdjeligem Töchterlein.
Und als er fie ſchwingt nun im luftigen
Reigen,
Da flüftert fie leife (fie lanns nicht ver:
ſchweigen):
„Graf Eberſtein,
Hüte Dich fein!
Heut Nacht wird — gefährdet
ein.“
„Ei!“ denket der Graf „Euer kaiſerlich'
Gnaden,
So habtIhr mich darum zum Tanze geladen!“
Er ſucht ſein Roß,
Läßt feinen Troß
Und jagt nach feinem gefährdeten Schloß.
Um Gberfteins Weite da wimmelts von
Streitern,
Sie fhleihen im Nebel mit Hafen und
Leitern.
Graf Eberftein
Grüßet fie fein,
Er wirft fie vom Wall in die Gräben hinein.
Als nun der Herr Kaiſer am Morgen ge:
fonımen,
Da meint er, es feie die Burg ſchon ge:
nommen.
Doh auf dem Wall
Tanzen mit Schall
Der Graf und feine Gewappneten all:
„Herr Kaifer, beſchleicht Ihr ein andermal
Schlöſſer,
Thut's Noth, Ihr verſtehet auf's Tanzen
Euch beſſer.
Euer Töchterlein
Tanzet ſo fein,
Dem ſoll meine Veſte geöffnet ſein.“
Im Schloſſe des Grafen da hebt ſich ein
Klingen,
Mit Fackeln und Kerzen ein Tanzen und
Springen:
Graf Eberftein
Führet den Neihn
Mit des Kaiſers holdſeligem Töchterlein.
667
Und als er fie ſchwingt nun im bräutlichen | „Schön Yungfräulein,
Neigen, Hüte Di fein!
Da flüftert er leife (nicht kann er's ver: | Heut Naht wird ein Schlößlein gefährdet
ſchweigen): ſein.“
Des Sängers Flud.
Es ftand in alten Zeiten ein Schloß fo hoch und hehr
Weit glänzt es über die Lande bis an daS blaue Meer;
Und rings von duft’gen Gärten ein blütenreiher Kranz:
D'rin fprangen frifhe Brunnen in NRegenbogenglanz.
Dort ſaß ein flolzer König, an Land und Siegen reich;
Er faß auf feinem Throne jo finfter und fo bleid:
Denn was er finnt, ift Schreden, und was er blidt, ift Wuth,
Und was er jpricht, ift Geißel, und was er ſchreibt, ift Blut,
Einft zog nad diefem Schloſſe ein edles Sängerpaar,
Der Ein’ in goldnen Loden, der Andre grau von Haar:
Der Alte mit der Harfe der ſaß auf ſchmuckem Roß;
Es ſchritt ihm frifch zur Seite der blühende Genoß.
Der Alte ſprach zum Jungen: „Nun fei bereit, mein Sohn!
Denk unfrer tiefften Lieder, ftimm an den vollften Ton!
Nimm alle Kraft zufammen, die Luft und auch den Schmerz!
Es gilt uns heut, zu rühren des Königs fteinern Herz.”
Schon ftehn die beiden Sänger im hohen Säulenjaal
Und auf dem Throne figen der König und fein Gemahl:
Der König furdibar prächtig wie blut'ger Nordlichtſchein,
Die Königin ſüß und milde, als blidte Vollmond d’rein,
Da ſchlug der Greis die Saiten: er ſchlug fie wundervoll,
Daß reicher, immer reicher der Klang zum Ohre ſchwoll;
Dann ftrömte himmliſch helle des Yünglings Stimme vor,
Des Alten Sang dazwischen wie dumpfer Geiſterchor.
Sie fingen von Lenz und Liebe, von felger goldner Zeit,
Bon Freiheit, Männerwürde, von Treu’ und Heiligfeit;
Sie fingen von allem Süßen, was Menjhenbruft durchbebt,
Sie fingen von allem Hohen, was Menjchenherz erhebt.
Die Höflingsihar im Kreiſe verlernet jeden Spott;
Des Königs trotz'ge Krieger, fie beugen ſich vor Gott!
Die Königin, zerflofen in Wehmuth und in Luft,
Sie wirft den Sängern nieder die Roſe von ihrer Bruft.
„Ihr habt mein Volk verführet; verlodt ihr nun mein Weib?“
Der König fchreit es wüthend, er bebt am ganzen Leib;
Er wirft fein Schwert, das bligend des Jünglings Bruft durchdringt,
Draus ftatt der goldnen Lieder ein Blutftrahl hoch aufipringt.
Und wie vom Sturm zerftoben ift all der Hörer Schwarm.
Der Yüngling hat verröcelt in jeines Meifters Arm:
Der jhlägt um ihn den Mantel und fest ihn auf das Roß;
Er bind't ihn aufrecht fefte, verläßt mit ihm das Schloß.
Doch vor dem hohen Thore da hält der Sängergreis,
Da faht er feine Harfe, fie aller Harfen Preis:
Un einer Marmorfäule da hat er fie zerjchellt;
Dann ruft er, dab es jhaurig durh Schloß und Gärten gellt:
„Web Euch, Ihr folgen Hallen! Nie töne füher Klang
Durh Eure Räume wieder, nie Saite noch Gefang,
Nein, Seufzer nur und Stöhnen und feuer Sclavenfdritt,
Bis Euch zu Schutt und Moder der Rachegeiſt zertritt!
668
„Web Euch, Ihr duftgen Gärten im holden Maienlicht!
Euch zeig’ ich dieſes Todten entjtelltes Angeſicht,
Daß Ihr darob verdorret, daß jeder Quell verfiegt,
Daß Ihr in fünftgen Tagen verfteint, verödet Liegt.
„Weh Dir, verruchter Mörder, Du Fluch des Sängerthums!
Umfonft ſei al Dein Ningen nah Kränzen blutigen Ruhms:
Dein Name jei vergeflen, in ewge Naht getaucht,
Sei wie ein letztes Röcheln in leere Luft verhaudt!*
Der Alte hats gerufen, der Himmel hats gehört:
Die Mauern liegen nieder, die Hallen find zerftört;
Noh Eine hohe Säule zeigt von verfhwundner Pradt:
Auch diefe, jhon geborften, fann ftürzen über Nadt.
Und rings flatt duftger Gärten ein ödes Heideland:
Kein Baum verftreuet Schatten, fein Duell durchdringt den Sand.
Des Königs Namen meldet fein Lied, fein Heldenbuch:
Verfunfen und Vergeſſen. Das ift des Sängers Fluch.
Der qute Kamerad.
Ih hatt’ einen Kameraden,
Einen beffern findft Du nit.
Die Trommel jhlug zum Streite:
Gr gieng an meiner Seite
In gleidem Schritt und Zritt.
Die verfunkene Krone.
Da droben auf dem Hügel,
Da fteht ein Meines Haus;
Man fieht von feiner Schwelle
Ins ſchöne Land hinaus,
Dort figt ein freier Bauer
Am Abend auf der Bant;
Er dengelt feine Senie
Und fingt dem Himmel Dant.
Eine Kugel fam geflogen:
Gilts mir oder gilt es Dir?
Ihn hat es mweggerifien,
Er liegt mir vor den Füßen,
Als wärs ein Stüd von mir;
Da drunten in dem Grunde,
Da dämmert längft der Teich.
63 liegt in ihm verfunfen
Eine Krone ſtolz und reich;
Sie läßt zu Naht wohl jpielen
Karfunfel und Sapphir:
Sie liegt feit grauen Jahren
Und Niemand fuht nad ihr.
Will mir die Hand noch reichen,
Derweil ih eben lad':
„Kann Dir die Hand nicht geben,
Bleib Du im ew’gen Leben
Mein guter Kamerad !*
— — — — ——— —— — nn 4
Zugenderinnerungen an Rudolf Zalb.
Von P. R. Roſegger.
die ſich einmal um mich angenommen
hatten, hielten mich in der Hauptſtadt
undzwanzig Jahren — aus den ober= | felt, obwohl ſie eigentlich nichts Rechtes
ländiſchen Bergen gekommen — in mit mir anzufangen mußten. Ein
der großen Stadt zugebracht Habe. | Bengel mit Bauernmanieren, ohne
Wenige Tage war ih in Laibach ger | Schulbildung, aber mit einem Anflug
wejen, von wo ich entimuthigt und! bon Schwärmerei, einerfeitS mit dem
verzagt nad Steiermart zurüdgelehrt Drange, etwas zu lernen und zu
bin. Ich wollte geradeswegs heim in werden, anderſeits von Heimſucht er—
die Bergwälder; jene Männer in Graz, füllt und einem bäuerlichen Fatalis—
AA ic graut, wenn ich an die erjten
SE Wochen denke, die ich dor zwei—
669
mus ergeben: geht's wies geht! —
was läßt fich mit fo einem Gefellen
machen ?
Mein Gönner Doctor Spoboda
hatte wiederholt Verfuche gemacht, um
mich in eine Lehranftalt oder auch
nur bei einem Gewerbsmann in der
Stadt unterzubringen. Es war ver—
gebens, man kümmerte fich nicht um
den „Naturdichter,“ als der ich durch
Doctor Svoboda öffentlich eingeführt
und in die Stadt gebracht worden
war. Nebſt Spoboda war es noch
der Großinduſtrielle Peter Reininghaus,
welcher mit Entſchiedenheit mich ftüßte
und jozufagen in der Stadt feithielt.
Allein, teils mochte es meine Blödig—
feit gewefen jein, und das Ungewohnte,
bon fremden Wohlthaten zu leben,
theils der Hang, in der Stadt frei
und ungeleitet für mich Hinzuleben,
ich hielt mich die erfte Zeit nicht all»
zufehr an die beiden Freunde, fondern
bummelte ganz mir felbft überlafjen
in dein mir neuartigen und anlodenden
Leben der Stadt dahin. Ein zwei—
undzwanzigjähriger gefunder, naiver
Burſche mit leidlich empfänglichen Sin-
nen, voll Bertrauensfeligkeit und ohne
jeglihe Welterfahrung, fo lebte ich
und vagierte von einem Tag zum ans
dern, bon einer Stadtergötzung zur
andern, fo weit e3 meine Mittel er-
laubten.
Wo ich die erften vier oder fünf
Tage, die ich in Graz zugebracht, ge-
wohnt und gejchlafen, das weiß ich
heute nicht mehr ficher anzugeben, ich
vermuthe, bei einem jungen Schrift-
feger Namens Robert Wagner, der
mir von allem Anfange feine treu—
herzige Freundſchaft entgegengebradht
hatte. Faſt wahrſcheinlich jcheint es
mir, daß ich gar nirgends wohnte,
meine paar Saden aber in Wagners
Stübchen, welches er in Aftermiethe
befaß, liegen gelaffen Hatte und nur
gelegentlih in demfelben ein wenig
Ihlief. Ih weiß nur, daß ich eine
mal die ganze Naht mit Wagner,
der zu allem Abentenerlichen aufgelegt
war, auf dem Scloßberge herumſtrich
und über Gott und Unfterblichleit der
Seele ftritt. Der junge Schriftſetzer
war nämlich ein Hartgefottener Frei—
geift und das befümmerte mich fo
tief, daß ich ihn befehren wollte. Bei
jenen Geſprächen, vom Gegner fcharf
angeſpornt und in die Enge getrieben,
entdedte ich zu meinem inmerlichen
Staunen, dab ich eigentlich jelber
fegerifiche Anwandlungen hatte und
an — die Seelenwanderung glaubte.
Ob dieſe Stimmung nicht in der Wand—
fung, die zu jener Zeit mit mir vor—
gieng, ihren Grund hatte?
Auf das Drängen Spoboda’s und
Reininghaus’ nahm ich mir endlich ein
Zimmerhen auf; zudem befam id
einen Jnftructor, der mich täglich eine
Stunde im Schreiben und Rechnen
unterrichtete. Die übrige Zeit war ich
frei, und damit mir das Warten auf
eine geordnete Schule nichl zu lang—
weilig wurde, unterhielt ich mich fo
gut es gieng. Ich ftrich in der Stadt
und Umgebung herum, ich gieng in
die Kirche zu Gottesdienften, ich be—
gleitete pomphafte Leichenzüge auf den
Friedhof; in den Beifeln, wo Bäntel-
fänger waren, genoß ich mein Mittags-
und Abendbrot und machte Bekannt—
ſchaften, die freilich eine Woche felten
überdauerten.. Der Theaterdirector
Gjerniß, der von dem „Naturdichter“
gehört, wollte dad Seinige thun, in—
dem er mir freien Eintritt ins Thalia-
theater (heutiges Stadttheater) be=
willigte. Nun gieng ich jeden Tag
in’3 Theater; damals kamen eben die
Offenbach'ſchen Operetten auf, an
deren ich mich Höchlichft ergögte. In
denfelben fiel mir aber nur das Derb-
fomifche in den Situationen und Ge—
iprächen und die leichten flotten Arien
auf. Weitere Reize Habe ich nicht
wahrgenommen, jondern wunderte mich
nur, als mein Freund eines Tages
jagte, ich follte mich von der „Schönen
Helena“ nicht verführen laſſen.
Eigentlih wohl war mir aber bei
dieſem Schlaraffenleben nicht ; ich fühlte
670
nur zu fehr, daß es jo nicht in Ordnung
fei. Die Anforderungen meines Inſtruc—
tors machten mir zum Glüde viel zu
schaffen. Ich faßte die rein theoretifchen
Gegenftände ſchwer auf und das Ge—
dächtnis war ſpröde; was ich heute ge=
lernt, war in wenigen Tagen wieder da=
hin. Wo ich gieng und fand, dachte ich
an die Lehrgegenftände, und die Schwie-
rigkeiten derſelben verleideten mir alle
mählih jedes Vergnügen. Und es
war doch nichts weiter, als der ſehr
einfache Unterricht über die Grund
regeln der Grammatif und Arithmetik.
Wenn ich dachte, was ich mir Alles
aneignen müßte, um überhaupt nur
zu den Gebildeten zu gehören, ge—
fhweige denn, um etwas zu leiften,
möchten ihm nicht entjpredhen, es
gienge Halt gar fo ſchwer. Da pflegte
er mir feine Hand auf die Achjel zu
legen und zu fagen: „Ich gebe auf
Fleiß und guten Willen mehr, als
auf Talent. Bleiben Sie um Gottes—
willen nur brav! Alles Weitere wird
fih finden.“
Als ih fünf oder ſechs Wochen
fo dahingelebt Hatte, theilte mir eines
Tages Doctor Spoboda mit, daß
mich der Religionsprofefjor der Grazer
Handelsafademie kennen zu lernen
wünſche. Derfelbe wolle verfuchen, mich
als Gaft in die Handelsakademie zu
bringen, wo mir Gelegenheit geboten
fei, ordunungsmäßig zu ftudieren. Der
Profeſſor hieße Rudolf Falb, fei auch
war ich oft bis in die Seele verzagt. | ein Bauernſohn aus Oberfteier, fei
Eine Unterritsanftalt aber erfchloß |
ſich mir nicht. In eine Elementarfchule
wollte man den Bengel nicht fteden
ich zu wenig Vorbildung. Ich vermuthe,
dak meinem Doctor Spoboda manch—
mal meinetwegen angft und bang ge
worden fein mag. Was er thun konnte,
das that er getreuli, er fehrieb mir
Lebensregeln vor, war mir Nathgeber
in dem, was ich leſen follte, ermahnte
mich zur Strenge gegen mich jelbft,
zur Gewiffenhaftigkeit, zum Fleiß, und
weil er wohl fah, wie ſehr ih Muth
bebürfe, fo wies er immer wieder auf
„die Schöne Zukunft“ Hin, der ich
entgegengehe. Faſt täglich brachte ich
ihm Proben von meinen Gedichten ;
er war mit den wenigften zufrieden,
blieb dabei, daß ich vorwärts müſſe.
Reininghaus hatte mir fein Haus
mittlerweile ganz und gar geöffnet;
doch war es bon meiner Wohnung
jo entfernt, daß ich von folder Güte
nicht in vollem Maße Gebrauch machen
fonnte. Wöchentlich zweimal ſpeiste ich
bei ihm zu Mittag und durfte dem
Zeichenunterrichte feiner Finder bei-
wohnen und jelbft mitzeichnen. Manch—
mal wenn er mir Geld gab, glaubte
ih ihm es geftehen zu müſſen, daß
ich fürchte, meine Hortfchritte im Lernen
Dorflaplan gewefen und erft vor Kurzem
aus Kainach nad Graz an die Han—
| delsafademie berufen worden, weil
und für alle anderen Schulen hatte |
er ein fehr ftrebfamer und gelehrter
Mann wäre.
Ich Habe den Herrn Profeſſor noch
an deinfelben Tage beſucht. Er war
ein hübſcher, freundlicher Mann im
Vrieftertalare und wohl nur um wenige
Jahre Älter als ih. Sein Zimmer
war faft ringsum mit Büchern beftellt
bis hinauf zur Dede; mitten im Zim—
mer ftand eine große Weltkugel und
ein mächtiges Fernrohr, woran er mir
alsbald etwelches erklärte. Als er fich
nad meinen DVerhältniffen erkundigt
und mid dann in eine Reftauration
zum Mittageffen geführt Hatte, wobei
ich fein Gaft war, lud er mid) ein,
am Abend wieder zu kommen, da
wolle er mir durch das Fernrohr den
Mond und einige Sterne zeigen.
Bon diefem darauffolgenden Abend
kann ich mich nur erinnern, daß der
Profeſſor fih wunderte, wie fo ich
von der Geftalt des Mondes und von
der Größe der Sterne nit mehr
überraſcht ſei.
„Ja,“ gab ich ihm zur Antwort,
„ich wußte wohl, daß die Sterne in
Natur viel größer find als fie ausſehen.“
671
Hierauf belehrte er mich in einer
überaus leichtfaßlihen Methode, wie
diefe Sterne viel größer feien, ala
unfere Erde, wie die Erde felbft fo
ein runder Körper wäre, der von
einer Luftfchichte umgeben im unend—
lien Raum ſchwebe, daß der Mittel-
punkt der Erde fiir alle ihre Wefen und
Dinge der Anziehungspunft fei; die
Richtung nach diefem Anziehungspunkt,
dem Alles zufällt, was fallen Tann,
nennten wir „unten“ im Gegenjaße
zu dem „Oben“, das von der Erbe
nah allen Seiten Hin im Himmels—
raume ift.
Auch das überrafchte mich nicht
eigentlich, fondern ich fand es ſelbſt—
verftändlich, daß es fo fei, und hier—
auf fagte der Profeffor, er würde
traten, mich in die Handelsafademie
zu bringen.
Ein nächſtesmal lud mich Rudolf
Falb ein, feine Bücherſammlung zu
ordnen, infofern, als ich die Merle
der verjchiedenen Sprachen ſondern
follte; durch eine Ueberſiedlung waren
die Dinge in Unordnung gekommen.
Nicht zehn Minuten bedurfte er, um
mir die in das Auge fallenden Unter-
ſchiede und Eigenheiten der verjchiedenen
Spraden, als griechiſch, Hebräijch,
lateinifch, franzöſiſch, engliſch u. j. w.
begreiflich zu machen. Er Hatte eine
merlwürdige Manier, die Dinge mit
wenigen Worten und Beifpielen zu
beftimmen und zu erllären, und zwar
fo, daß man das einmal Berftandene
gar nicht mehr vergeffen konnte. Schon
in nächſter Zeit durfte ich mit Falb
Ausflüge in die Umgebung von Graz
machen, wobei wir fortwährend luftig
über allerlei plauderten, und jedes
Wort aus feinem Munde war Unter:
tiht. Bei Gratwein war es, wo er
eines Tages am Wegrain eine lebendige
Natter mit freier Hand fieng, und
mir den Bau ihres Körpers, fowie
ihr ſcharfes Gebik zeigte und erklärte.
Um diefe Zeit borgte und ſchenkte
gelegen fein, mich in der Auswahl
meiner Lectüre zu leiten, und nun
gieng mir ſachte ein Licht auf, daß
e3 in der Literatur noch etwas Höheres
gibt, al3 Volkskalender und Zeitungs
romane und Gebetbücher, jo bislang
mein Herzenstroft gewejen waren.
Außerdem war Yyalb beftrebt, mich
in Familien einzuführen, fo beim Lan—
desausſchuſſe Dr. Neicher, Herrn von
Rebenburg, an denen ich warmherzige
Gönner fand und Freunde, die es
bis auf den heutigen Tag geblieben
find. Auch verfehaffte er mir für das
landſchaftliche Theater eine beftändige
Sreifarte, weil er wie Spoboda der
Anfiht war, mir thäte nicht bloß die
Schule noth, fondern auch die Bekannt—
ſchaft mit den großen Geiftern der
Bölfer und dem Kunſtleben der Zeit.
Und ich denke, das Letztere ift für
mi nicht ganz ummwichtig gewefen,
hat mir Manches, was fonft Gym-
nafiale und Univerfitätsftudien bieten,
lebendig erfeßt.
Um diefelbe Zeit war es, daß
Profefforen der Handelsafademie einen
Cyklus von öÖffentlihen Vorleſungen
veranftalteten, anfangs im Saale der
Akademie und fpäter, weil diefer zu
Hein geworden war, im Ritterjaale.
So viel ih mich erinnere, las Pro—
feffor Dawidowski über das Leben der
Blume, Director Alwens über die
Luft, Profeffor Biſchof über den
Menjchengeift in Natur und Geſchichte,
Profeffor Winter über den Luftballon,
Profeſſor Falb, der den Anfang machte,
hatte den Sternenhimmel zum Gegen
ftande feines Vortrages gewählt.
Zu diefen Borlefungen erwirkte
mir Profeflor Falb den freien Eintritt
und zwar unter dem Vorwand, daß
— was feine Borlefung anbelange —
er meiner Mitwirlung bedürfe. Der
Profeffor Hatte nämlich eine Anzahl
großer Sternfarten, welcher er bei
dem Vortrage für die Zuhörer zur
Erläuterung bedurfte. Diefe Karten
mir Halb auch Bücher und ließ fich | hatte ich num während der Vorlefung
im Vereine mit Doctor Spoboda an- |bei den betreffenden Stellen
aufzus
67
o
hängen oder abzunehmen, und zwar (gegründet worden. Die Privatanftalt
im Wngefichte der vielen Menfchen. | hatte feine Satzung, weldhe die Auf-
Daß das Selbftbewuhtfein, welches |
diefe wichtige Aufgabe in mir wach—
tief, fein geringes war, kaun man
fih denken. Es mag ja fein, daß ih
die nördliche Hämifphäre einmal mit
der jüdlichen verwechſelte, oder das
Planetenjyften auf den Kopf ftellte,
doch das brachte weder das Weltall
in Allgemeinen, noch den Profeſſor
im Befonderen aus dem Gleichgewichte.
Der Profeffor Hatte mich für meine
Obliegenheit mit einem neuen Bein
fleide und einem ſchwarzen Rode aus»
geftattet, weil es doch zu fürchten ges
wejen, daß mein gewöhnlicher Anzug
im Glanz der Legionen Sterne, denen
ih fo nahe war, nicht mit vollen
Ehren beftehen dürfte. Dieſes erfte
öffentliche Auftreten als Famulus des
Aftronomen hatte für mich zunächft
den Vortheil, daß ich dadurch in jenen
akademiſchen Kreis gezogen wurde, in
welhem ich meine allgemeine Aus—
bildung genießen follte. Zudem regten
mich die Gegenftände, vor Allem der
Vortrag Über die Sternenwelt und
das Leben der Blume mächtig an,
und die falt weihevolle Stimmung,
welche im bellerleuchteten Saale war
und in welcher das Publikum den ges
wählten Worten der Vortragenden
laufchte, warf einen wunderfamen
Nimbus auf die Wifjenichaft, die ſich
nie bier fozufagen im Feſtgewande
darftellte, nachdem ich von ihr bisher
nur die Proſa der Spradlehre und
des Nechenbuches kennen gelernt hatte.
Im April desselben Jahres war's,
nachdem ich an zwei Monate diejes
wunderliche Leben geführt, als mir
Profeffor Falb den Tag beftimmte,
an welchem ich als Hofpitant in die
zweite Vorbereitungsclaffe der Akademie
für Handel und Induſtrie in Graz
eintreten follte. Diefes Inftitut, welches
heute no in Glanz und Ehren be—
fteht, war damals ein par Jahre früher
von einigen opfermuthigen Kaufleuten
und Induftriellen der Pandeshauptftadt
nahme eines arınen, ganz ungejchulten,
aber lernluftigen jungen Menjchen vers
boten hätte. Und die Berwaltungsräthe,
als die Herren J. Kleinoſcheg, Ober»
ranzmeyer, Zeiler u. ſ. w., ſowie die
Herren Profeſſoren hatten Berftändnis
genug dafür, daß eine Berpflichtung
da ift, Jedem, der etwas lernen will,
dazu Gelegenheit zu bieten.
Profefjor Falb führte mich per—
fönlih ein, ftellte mich erftens den
Lehrern vor und empfahl mich ihrer
Nahficht, ftellte mich dann den Stu—
denten dor, lauter Biblein von 12
bis 15 Jahren, deren größten ich um
Kopfeslänge überragte. — Sollte ich,
fagte er beiläufig zu diefen, an Schul—
wiſſen vielleicht etwas zurüdftehen, jo
fünne ich Hingegen Gedichte machen
und Sternfarten auf den Nagel hängen
und wäre ein fleißiger Schüler. Im
Ihwarzen, etwas fchlotternden Gewand,
die Haare glatt nad rüdwärts ge—
kämmt, die langen Arme an beiden
Seiten hinabhängen laffend, jo fand
der Gefelle da, der den Sternenhimmel
auf den Nagel hängen konnte. Etliche
der neuen Gollegen wurden bald zu:
traulih und fragten den Profeſſor, ob
fie mich mit Schreibzeug oder gar mit
Büchern beſchenken dürften, was ihnen
natürlich Herzlich) gerne geftattet war,
Falb trug in unferer Claſſe Deutſch
und Religion vor. In erfterem fchrieb
ich die beſten Auffäge und machte die haar—
ſtäubendſten orthographiſchen Fehler;
in letzterer, was den Katechismus und
die kirchlichen Gebräuche anbelangt,
wußte ich mehr, als die ganze Claſſe
zuſammen. Das Hatte ich noch von
heim mit.
Falb's Religionsunterricht war
freilich fein gewöhnlicher. Vom obli=
gaten Katechismus ausgehend, verweilte
er gerne bei der Unendlichkeit und
Allmacht Gottes. Er ſprach von Gottes
Größe im Weltall, von Gottes Wun—
derfraft im regelmäßigen Lauf der
Geftirne, von Gottes Majeftät im
um
673
Sturm des Meeres und im Beben, lachte und fagte: „Nicht darauf kam
der Erde. Er erläuterte uns hierauf|es mir au, dab Sie den Mond mit
ſolche Naturerfcheinungen und fagte| jeinen Kratern auf's Papier, fondern
einmal, daß der Mond und die Ge- daß Sie ihn in Ihr Gedächtnis
ftirne am Himmel Anziehungskraft | zeichneten. Da haben Sie ihn mun
ausübten auf die Erde, was auf den | Hoffentlich d’rin.“
Meeren Flut umd Ebbe zur Folge Da der Religionsprofefjor gleich-
babe. Und er fagte, daß bei einem zeitig auch unfer Beichtvater war, Jo
richtigen Zufammenwirken mehrerer | fonnte unter Anderem der bekannte
Geftirne am Himmel auch im Innern | Beichtzettelverfchleiß auf unferer Anftalt
der Erde, welches ja flüffig fei, Flut | wicht floriren. Ein Beichtkind, das die
und Ebbe entjtehen könne, daß dabei | Sache etwas tiefer nahın, mußte wohl
Erplofionen im Erdinnern ftattfinden | erfahren, daß der Manı nicht allein
fönnten, welche möglicher Weiſe die| in die Geheimniffe der äußeren, fondern
Urſache der Erdbeben wären. — Sol|aud in jene der inneren, der menjch-
waren die Schüler der Grazer Hans | lien Natur zu ſchauen vermochte.
delsakademie vielleicht die Erften, welche) Manchmal mögen die Geheimniſſe des
die Grundzüge von Falb's Erd-j Menfchenherzens wohl grauenhafter
bebentheorie vernommen haben. fein, als jene des glühenden Erdinnern.
Ih fand in folchen Ercurfionen | Im Ganzen mochte ihm die Menfchen=
feinen Mißbrauch des Religionsunters | jeele als fteriler Boden erjcheinen und
richtes, im Gegentheil, ich Habe bei| ich glaube es wohl, daß diefer Forſcher—
feiner Predigt und Chriftenlehre eine! geift ſich allmählich von dem Amte
jolche Ehrfurdht vor der Größe des des Priefters ab» und dem des Ge—
Weltſchöpfers empfunden, als im den! lehrten zuzumenden begann.
damaligen Religionsftunden der Aka— Kaum länger als ein Jahr genof
demie. Die aufmerkfameren Schüler|ich auf der Akademie feinen Unter—
pflegte der Profeſſor damit zu beloh= | richt, dann nahın er eine Erzieherftelle
nen, daß er fie einlud, an heiteren an, welche ihm mehr Freiheit und
Abenden zu ihn zu kommen, um duch) Muße für feine Studien gewährte
das Fernrohr den Himmel zu betrach- | und deren PBenfion ihn fpäter in
ten. Halb hatte damals indem ſoge- Stand feßte, ſich ganz der Wiſſen—
nannten Keplerthurm (in der Stempfer= | [haft zu widmen. Mit der Oeffent—
gaffe zu Graz, wo einft der große) lichkeit verbanden ihm noch die von
Altronom Johannes Kepler den Studien | ihm herausgegebene aftronomifche Zeit-
oblag) fein Fernrohr aufgeteilt. Und fchrift „Sirius“ und feine Vorleſun—
in diefem Thurme kamen wir — die! gen über Sternfunde und Erdbeben.
Tleißigeren — zufammen, um unter| Daß Rudolf Falb hierauf zum Prote-
unſeres Profeſſors Erklärungen die ftantismus übergetreten ift und in
Wunder des Himmels zu betrachten. | den Siebziger- Jahren eine große Reife
Wie frod erregt er war, wenn wir nach Siüdamerifa unternommen hat,
im Monde gewijle Spigen und Srater, iſt befannt. Diefe Reife dauerte über
oder beim Saturm den Ring, oder in drei Jahre. Falb wanderte ein halbes
der Milchftraße befondere Sternhaufen | Jahr in Chili, zwei Jahre in Peru
jehen fonnten, auf die er uns aufmerkfan | und Bolivien umher und lebte längere
gemacht. Da Falb an mir ein gewifjes| Zeit bei den Kitſchna- und Aimara—
Zeichentalent eutdeckt Haben wollte, jo lud | Indianern auf dem Hochlande der
er mich eines Tages ein, mit ihm eine| Cordilleren; er beftieg mehrere der
große Mondkarte nach der Natur zu) größten Bulcane, u. U. den Mifti
zeihnen. Die Karte fiel zwar nicht (bei Nrequipa), auf deifen 17.000
zur Zufriedenheit aus, aber Falb Fuß hohem Gipfel er drei Tage und
Kofegaer’s „„Hrimgarten‘‘ 9. Geft, XT. 43
— — — — — — — — — nn — — — — —
674
drei Nächte Hinter einander feine
wiſſenſchaftlichen Beobachtungen an—
ſtellte. Er bereicherte aber nicht nur
ſeine Erdbebenkenntnis, ſondern machte
auch intereſſante Funde auf dem Ge—
biete der vergleichenden Sprachwiſſen—
ſchaft und Archäologie. Ueber Kali—
fornien, wo ihn eine ſchwere Augen-
franfheit, welche fih Ausländer oft |
bei längerem Aufenthalte auf ben!
Um von jeiner MWeltreife aus»
zuruben, hatte Falb im ſeinem ſtillen
Heimatsorte Obdach, wo er 1838
geboren, ſich miedergelaffen. Da er
als Forſcher jo viel für die Menſch—
heit geleiftet Hatte, wollte der Mann
von feinen Rechten nicht zurückſtehen;
aus dem ehemaligen katholischen Prie—
ter wurde ein glüdlicher Familien—
vater. Aber das ſahen manche feiner
Gordilleren zuziehen, auf ein langes | Sandsleute nicht gern, und wie es
Kranfenlager warf, und fiber Nord- von Uebel ift, wenn irgendwo ein ges
amerifa fehrte Falb im März 1880 | ſchnitzter Herrgott fteht, den die Leute
nah Europa zurüd, wo übrigens die; noch als Birnbaum gefannt haben,
Zeitungen bereits feinen Tod duch!
Indianerhand Fäljchlich gemeldet Hatten.
Seine Erdbebentheorie war mittlerweile
jo befannt geworden, daß der heimge-
jo ift e& nicht minder von Uebel,
wenn irgendwo ein Birnbaum fteht,
den die Leute einmal als Herrgott
angefehen haben. So hat der Ge—
fehrte Forſcher neben derjelben mit ſei- lehrte eines Tages Weib, Kind und
nen vergleichenden Sprachſtudien, zu
welchen ihn die Reife angeregt, nicht
recht in den Vordergrund fam, Laut
Ipradhen für Falb die gewaltigen
Erdbeben von Belluno (1873), von
Agram (1880), in Griechenland und) Erinnerung an
Segel zufammengepadt und ift ausge—
wandert.
Heute lebt Rudolf Falb in Leip—
zig, umgeben vom Nimbus des Erd»
bebenpropheten. Ich glaube, daß diefe
feine Prieſterzeit
Manchem von Intereſſe fein dürfte.
Nordamerifa (1886) und an der]
Riviera in diefem Jahre. Der Forſcher Lieb ift mir die Gelegenheit, «es
hatte diefe Erdbeben faft gemau vor= | laut ausfprehen zu können, wie
ausgefagt und fomit den Beweis er= | mwejentlih Yalb in mein Leben ges
bracht für die Richtigkeit feiner Theo= | griffen, und daß er zu den Schuß
tie, die von den Zunftgelehrten | geiftern gehört, die mich damals aus
kaum mehr länger wird ignoriert wer= | Gefahren den rechten Weg geleitet
den können. haben.
Verſchiedene Gefahren für unfere Erde.
Nah Rudolf Talb.*)
=. war im Anfang aller Dinge?
2 m Anfang war der Raum. Es
Re 2 iftvorauszufehen, daß man diejem
re nicht nur die volle Zuſtim—
mung geben, jondern ihn jogar trivial
finden wird; denn bevor irgend etwas
entfteht, muß der dafür nötige Raum
vorhanden fein; wo fein Raum ift,
fann fein Gott auch nur ein Sande
lorn zu Stande bringen.
Und doch behaupte ich: jener Aus—
ſpruch ift falſch. Denn damit über-
haupt von Anfang oder Ende die
*) Aus BR Werke: „Bon den Ummälzungen im Weltall.” (Wien. A. Hartleben.)
675
Nede jein kann, muß der Begriff Zeit
vorausgehen, ohne Zeit gibt es weder
Anfang noch Ende.
Vielleicht könnten wir aljo jagen:
„Im Anfang war die Zeit.“
Was ift die Zeit? Wie kommt
die Zeit zu unferem Bewußtſein?
Einzig und allein durch die Verände—
rung der Dinge in, an und um uns.
Wenn ftet3 Alles, was in, am und
um uns ift, unverändert bliebe, würden
wir nie zu dem Begriffe deilen kommen,
was wir jeßt Zeit nennen.
Und umgelehrt, wenn wir Augen
hätten, die wie Mikroſtope 6000mal,
10.000mal und mehrmals noch ver—
größerten, ſo daß wir z. B. das
Gras wachſen ſehen lönnten, dann
würden wir in einem Momente ſo
viele Veranderungen wahrnehmen, daß
uns eine Secunde wie ein Tag er—
ſchiene.
Und wenn wir dieſes Auseinander—
zerren der kleinſten Zeiträume fort—
ſetzen würden, etwa herab bis zur
Wahrnehmung der Heinften Theilchen
der Materie, die wir Atome nennen,
dann würden wir die Entdedung
machen, daß Veränderung nichts anderes
ift als Bewegung, Bewegung Ddiejer
fleinften Theile oder Atome.
Vielleiht war alfo im Anfange
die Bewegung? Zur Bewegung ge:
hört vor Allem Etwas, das ſich be—
wegt: der Stoff. Es würde fchön
Hingen, zu jagen: „Im Anfang war
der Stoff“. Doc diefer allein reicht
zur Bewegung nit aus; es muß
etwas da fein, das den Stoff in Be—
wegung feßt: die Kraft.
Aber auch damit kommt noch
immer feine Bewegung zu Stande;
es ‚gehört noch ein Drittes dazır,
worin fih die Bewegung vollzieht:
das ift der Raum. Und Hiermit
ftehen wir wieder auf dem Bunte,
von welchen wir ausgegangen find,
und können den Kreislauf von Neuem
beginnen, ohne daß uns je die Aus—
ſicht dämmert, dieſem Gedanken-Labh⸗
rinthe zu entlommen und je herauszu—
friegen, was denn eigentlich am Anfang
war.
Da wir alfo den gordifchen Knoten
unſeres Jdeengewebes nicht zu löfen
vermögen, jo zerhauen wir ihn, ins
dem wir fagen: es gab nie einen
Anfang, ewig ift die Zeit, ewig die
Bewegung, ewig der Stoff, ewig die
Kraft und ewig der Raum.
Damit ftellen wir uns allerdings
in Widerfpruch mit althergebrachten
Traditionen, alten Mythen und alten
Documenten; allein wer in dieſer
Frage competent ift, darüber kann
heutzutage wohl fein Zweifel mehr
‚walten. Wenn es fich darum Handelt,
die Entjtehung einer Wollte zu er—
forschen, fo kümmern wir uns nicht
um alte Traditionen, fondern fragen
nad den Thatfachen der Beobachtung.
Dder wenn wir nach dem Urfprunge
des Regens fragen, ziehen wir nicht
alte Mythen zu Rathe, jondern einzig
und allein phyſikaliſche Unterſuchun—
gen und gründen darauf unſere
Schlüſſe. Warum follten wir nun
ein anderes Mittel wählen, wenn es
fih um die Erforfhung der Gefchichte
der Erde handelt, warum follten wir
einen anderen Weg einfchlagen und
nach alten Weberlieferungen greifen,
wenn wir zur Kenntnis der Ent:
ftehung der Sonne, des Sonnen
ſyſtems, der Sterneninfel,- in welcher
ih) das letztere befindet, ja des
ganzen Univerfums überhaupt ges
langen wollen? ft es nicht natür-
lid und vernunftgemäß, auch Hier
dem altbewährten Wege zu folgen
und nur Thatfachen der Beobachtung
Iprehen zu laffen, nur auf Grund
phyſikaliſcher Wahrnehmungen unfere
Schlüffe zu ziehen? Bon dieſem
Standpunfte wolle der Leſer die fol—
gende Auseinanderfeßung betrachten.
Damit ift allerdings ein Irrthum
noch nicht ausgefchloffen; doch der
Irrtum, welcher aus falfchen Beob—
achtungen und unrichtigen Schlüſſen
entſpringt, kann im Laufe der Zeit
controliert und verbeflert werden ; allein
43*
676
der Irrthum, der ausjchließlih auf
dem Autoritätsglauben beruht, ift une
controlierbar und incorrigibel. Das ift
der Unterjchied.
Die Erde wird ih der Sonne
näbern.
Wohl liegt uns dor Allem das
Schickſal des Planeten am Herzen,
anf deffen Rinde unſere Füße wan—
dein. Was ift die Zukunft der Erde?
Und zunähft: Wird fie ewig den
Pfaden folgen, die ihrer Bewegung
um die Sonne heute vorgezeichnet
find, oder tritt im Laufe der Zeiten
hierin eine Veränderung ein? Wird
fie der Sonne näher kommen oder in
größere Entfernung von ihr hinaus
geichleudert werden ?
Diefe Frage liegt im Bereiche
unferer Wiſſenſchaft. Schon der große
Mathematiler und Aftronom Laplace
hatte fie vor Hundert Jahren aufges
worfen und dahin gelöst, daß die
Erde, wie alle Planeten, ſich im regel—
mäßigen Perioden abwecjelnd um
einen ſehr Heinen Betrag der Sonne
nähere md ſich wieder von ihr ent»
ferne, im Ganzen aber ftets in einer
beftimmten mittleren Entfernung ver—
harre, die ewig gleich bleibt. Heute
jedoch müſſen wir dieje Frage in ent—
gegengejegtem Sinne beantworten.
Deute wiffen wir, daß alle Planeten,
fo auch unfere Erde, im Laufe künfti—
ger Jahrmillionen ihre mittlere Ent-
fernung von der Sonne ändern, in—
dem fie dieſem Geftirne mehr und
mehr näber rüden muß. Die Exde
wird alfo dereinft in die Sonne
ftürzen.
Anwendung der Beobachtungen
auf den Mond.
Doch — was mir bezüglich der
Erde gefunden, gilt auch für den
Mond. So wie die Erde um Die
Sonne wandert, freist der Mond um
die Erde. Auch diefer unfer nächſter
Nachbar kann feinen Flug nicht ohne
MWiderftand vollführen, auch er hat
ih durd Schwärme von Meteoren
Bahn zu breden. Es wird alfo auch
die Bahn des Mondes um die Erde
immer enger und enger werden, das
heißt: der Mond muB ſich der Erde
nähern und dereinft auf fie ftürzen.
Heute weiß der Aftronom nun in
der That, daß eine Annäherung des
Mondes ftattfindet, und wir kennen
jogar die Größe derfelben ; fie beträgt
in je Hundert Jahren neun Fuß! Da
wir zugleich die gegenwärtige Entfer=
nung des Mondes von der Erde
genau kennen — fie beläuft ſich auf un—
gefähr Fünfzigtaufend geographiſche
Meilen, jo wäre es nicht ſchwer zu
berehnen, wann endlich der Sturz
des Mondes auf die Erde erfolgen
muß.
Doch viel früher ſchon würde fich
da3 Heranrüden diejes Himmelskörpers
bemerfbar machen. Zunächſt müßte
die Bewegung des Meeres, die wir
Ebbe und Flut nennen, immer größere
Dimenfionen annehmen. Denn fie
wird durch die Anziehung des Mondes
hervorgebracht. Je näher der Mond
zur Erde gelangt, deito höher muß
das Waller zur Flutzeit ſteigen. Es
wird dann die Meereäwelle von Jahre
hundert zu Jahrhundert tiefer die
Küften überfluten, bis das Mailer
endlich fein altes Bett gänzlich verläßt
und mit furdhtbarer Gewalt feine
Wanderung über alle Feſtlande an—
tritt.
Auch in den aftronomifchen Be—
obachtungen würde der Mond jein
Heranrüden verkünden. Denn die
großartigen Bewegungen der Wajler-
maflen ſtören die gleichmäßige ruhige
Achſendrehung der Erde, und es müßte
die Rotation derfelben immer geringer,
daher der Tag länger werden. Die
Atmoſphäre würde von fchredlichen
Bligen durhzudt, der Boden unter
den heftigiten Erjchütterungen erdröh—
nen und alle vulcaniichen Schlote
677
müßten geöffnet, die feurigen Einge—
weide der Erde ausgeworfen werden.
Endlich wirde der furchtbare Moment
eintreten, in welchem der Sturz des
Mondes auf die Erde und damit
der Untergang aller lebenden Weſen
erfolgt.
Indeſſen gibt es noch andere
Himmelskörper, mit welchen ein Zu—
fammenftoß in Betracht gezogen wer—
den muß.
Bezüglich der Planeten in unferem
Sonnenſyſtem ift allerdings ein folcher
faum zu fürchten. Denn, es bewegen
ſich dieſelben ſammt und jonders in der
nämlichen Richtung, können daher nicht
von verjchiedenen Seiten auf einander
prallen. Ferners find die Diftanzen
zwiſchen den einzelnen derjelben (die
fleinen Planeten ausgenommen) jo
bedeutend, dak auch deshalb ein Zus
fammenftoß unmöglich wird. Gerade
diefer harmonische Ban des Sonnen—
ſyſtems war es, welcher zur Verbrei—
tung der irrigen Anficht beitrug, das
Weltall fei vor allen Kataftrophen
gelichert, und eine zeritörende Um—
wälzung undentbar.
Der Zuſammenſtoß der Erde mit
anderen Planeten.
Wir glauben Heute deshalb um
fo lieber au ſolche Kataſtrophen, weil
eine eigene Gattung von Himmels—
förpern ſich geradezu als die Weite
bon zertrümmerten Planeten entpuppt,
Es jind dies die Meteoriten und die
Kometen. Jene Theorie, welche dieſe
Körper al3 die feſten und flüffigen
Beltandtheile einer zugrunde geganges
nen Melt auffaßt, entjpriht am
meiften den Thatſachen, die in neue—
fter Zeit über diefe Himmelsförper
bekannt geworden find.
Würde alfo die Erde mit einem
anderen Planeten eines fremden Syſtems
in Gollifion gerathen, jo müßten nad)
der erfolgten Zertrümmerung die Feten
Stüde der Erdrinde und die innere
noch Heikflüffige Lava, in ZTaufende
von Heinen Tropfen zerjtäubt, als
Sternfchnuppen und Meteorfteine, das
ganze Duantum des vorhandenen
Waſſers, nachdem es ſich mit dem
aus der heißflüſſigen Eifenmafje aus—
geichiedenen Kohlenftoffe zu Kohlen
wafjerftoff verbunden, als ein großer
Komet erfcheinen. Das ganze Trüm—
merwerf, Komet und Meteoriten, würde
nun zufammen als ein loſer Haufen
wegen plößlicher Verminderung ihrer
Shwungfraft eine Aenderung ihrer
Bahn erleiden; an die Stelle einer
nahezu Freisförmigen Ellipfe würde
eine jehr geftredte Bahır treten; das
lofe Band, welches die Trümmer
durch gemeinfane Anziehung anfangs
noch umfchlingt, würde bald durch
die Einwirkung von Nahbarfonnen
und Planeten gänzlich gelodert und
im Laufe der Zeiten würden fich die
leichteren Maſſen (Kometen) -von den
Ichweren (Meteoriten) ganz trennen.
Es bleibt dann nur noch die gemein
ame Bahn, welche den fpäteren Jahr
taufenden verräth, daß Alles einftens
ein einziger Himmelskörper gewefen.
Indes ift eine ſolche Kataftrophe
bezüglih unserer Erde noch lange
nicht zu fürchten. Denn keine fremde
Sonne ift der unſrigen fo mahe ge—
rückt, daß eine Einwirkung derjelben
auf die Bahnen der Planeten merk—
bar wäre.
Können Somelen mit der Erde
zufammenfloßen ?
Aber es gibt eine Gattung von
Dimmelsförpern, mit welchen ein Zu—
ſammenſtoß Thon im fehr kurzer Zeit
möglih iſt. Es find dies die Ko—
mieten, die bereit durch ihre Aus—
jehen, durch den langen Schweif, der
die meilten derfelben auszeichnet, noch
vor wenigen Jahrhunderten Furcht und
Schreden erregt haben.
Diefe gelangen aus dem fernen
Dimmelsraume in unfer Sonnenſyſtem
Iumd bewegen ſich darin, micht wie
—— — — — — — — — — — — — — — — — — —— —
678
Planeten unabänderlih von Oft nad | Sterne durchleuchten fehen, und zwar
|
Met, ſondern
Richtungen. Sie find die wahren |
Zigeuner -des Univerſums. Kometen
fönnen daher an jeden Punkt des
Planetenfyftems gelangen; fie Können
mit jedem Planeten zufanmenftoßen.
Da find es nun vorzüglich zwei,
welche der Erde früher oder ſpäter
einmal gefährlich werden dürften. Der
Komet I von 1866 durchfchneidet die
Erdbahn gerade in dem Punkte, im
welchem die Erde fich alljährlich am
13. November befindet. Wenn nun
diefer Komet,
der im Jahre 1899
wiederfehrt, etwa einmal am 13. No—
vember weder außerhalb, noch inner—
halb der Erdbahn, fondern genau in
derjelben fleht, danıı ift fein Zuſam—
menftoß mit der Erde unvermeidlich.
hervorzubringen.
Erdgewichtes betragen
Aehnlich verhält es ſich mit dem
Kometen,
Auch dieſer durchſchneidet die Erd—
bahn, und zwar in dem Punkte, an
welchem fie alljährlid am 27. No—
veınber ſich befindet. Sollte nun,
was allerdings nicht außer der Mög—
lichleit liegt, diefer Komet am 27.
November des Jahres feiner Wieder:
kehr genau auf die Erdbahn zu ftehen
fommen, dann ift ein Zufammenfto
mit unferer Erde gewiß.
Folgen eines folden GEreigniffes.
Die Folgen eines folhen Zufamz |
menſtoßes? Man hat jchon wieder: |
holt darauf aufınerffam gemacht, daß
die Materie, aus welcher die Koıneten
beftehen, eine äußert lodere, Die
Mafle diefer Himmelskörper, wie man
ih auszudrüden pflegt, eine fehr
der Biela genannt wird. |
in allen möglichen! mit ungefhwächten Glanze.
Außerdem läßt fi aber die ge—
ringe Mafje der Kometen noch ſchärfer
beweifen durch die Beobachtung, daB
fie gar feine Anziefungswirfung auf
Planeten oder Monde, denen fie in
ihrem Laufe nahe kommen, ausüben.
Sp gieng der Komet Lerell im Jahre
1776 mitten durch die Monde des
Jupiter, ohne fie im ihrer Bahn im
geringften zu flören; und derjelbe
Komet kam auf das Sechsfache der
Entfernung unferes Mondes an die
Erde heran und vermochte gleihwoh!
feine merkliche Uenderung ihrer Bahn
Man Hat "daraus
berechnet, daß fein Gewicht nicht
einmal den fünftaufenditen Theil des
fan, Nun
muß man bedenken, dab diefe Him—
melslörper an Wusdehnung unjere
Erde viele Tauſendmale übertreffen ;
ja, Schweife, deren Länge der Ent:
fernung der Erde von der Sonne,
das ift zwanzig Millionen Meilen,
gleihlommt, find gar nicht felten.
Wenn alfo ein fo großer Himmels—
förper eine fo geringe Maſſe beſitzt,
jo folgt daraus, daß der Stoff, aus
welchem er befteht, außerordentlich
loder fein muß. — Beim Zufammenz
‚treffen mit einem Kometen kann daher
von einem Stoße, aljo auch von einer
Zertrümmerung feine Rede fein. Und
danıit Hat man die Menfchheit bisher
getröſtet.
Das Erlöſchen der Sonne und
deſſen Folgen.
Wir wollen nun die Betrachtungen
geringe iſt. Dies zeigt zunächſt ſchön über die Gefahren, welche aus der
ihr Anblid, indem nicht jelten Sterne Durchtreuzung der Bahnen entſtehen,
durch die Subſtanz derfelben durch: | verlaſſ ſen, und jene erörtern, welche
ſchimmern. So konnte man 3. B.
in der phyſikaliſchen Beſchaffenheit der
beim ſchönen Kometen von Donati, | Planeten und Sonnen liegen.
der im Jahre 1858 erjchien, und
wohl der größte fein dürfte, deſſen fi
die gegenmwärtige Generation erinnern
Die Sonne, welche gegenwärtig
die Quelle des Lichtes und der Wärme
‚nicht mur für die Erde, fondern für
fann, durch alle Bartien des Schweifes das ganze Planetenfpftem bildet, ift
im Grfalten begriffen; fie verliert
täglich eine große Menge von Wärme
duch Ausſtrahlung in den Falten
Weltraum und muß einst vollkommen
dunfel werden und ſich mit einer
ftarren Kruſte umziehen, wie dies auf
der Erde und dem Monde bereits vor
Millionen Jahren gefchah.
Doch wird diefe Erfcheinung nicht
plötzlich, ſondern langjam und all—
mählich eintreten. Deshalb iſt der
Untergang der Menſchen, Thiere und
Pflanzen auf der Erde nicht noth—
wendig mit dem Erlöſchen der Sonne
verbunden. Alle Lebeweſen find bis
zu einem gewiſſen Grade im Stande,
ſich neuen Lebensbedingungen anzu—
quemen, wenn die Veränderung ſo
langfam vor ſich gebt, dak die zur!
679
Umgeſtaltung ihres Organismus nöthige
Zeit vorhanden ift. Wir find über- |
zeugt, dab es auf Neptun ebenfalls
tebende, organische Wefen gibt, ob⸗
gleih er jo weit von uns entfernt
if, daß wir mit einem Gilzuge, |
welcher in der Secunde 20 Meter:
zurüdlegt, ununterbrochen 7315 Jahre
fahren müßten, um dahin zu gelans
gen. Auch fir diefen Himmelskörper
ift die Sonne das belebende und er—
baltende Princip; allein ſie erſcheint
den Bewohnern daſelbſt nicht größer,
al3 uns der Planet Jupiter in feiner
günftigften Pofition. Licht und Wärme
find auf Neptun dreißigmal geringer,
als auf unferer Erde. |
Aber mit dieſer Erkaltung der)
Sonnenoberflähe würden zugleich
andere Proceſſe eintreten, die plötzlich
den Untergang aller Lebeweſen auf
der Erde herbeiführen müßten. Wir
meinen die Entſtehung des Waſſers
auf der Sonne. Daß auch die Sonne
dereinſt Waſſer erhalten muß, ſteht
außer Zweifel. Die dafür nöthigen
Gaſe: Sauerſtoff und Waſſerſtoff, find
heute ſchon daſelbſt vorhanden; doch
iſt die Temperatur noch viel zu hoch,
um die Bereinigung dieſer beiden N
Gaſe zu geftatten.
der
Iſt die Erfaltung
Eonnenoberfläche aber in jpäteren
Zeiten weit genug vorgejchritten, dann
wird und muß diefe Vereinigung ge—
ſchehen. Die Folge davon können wir
im chemifchen Laboratorium beobachten.
Wenn dort Waflerftoff und Sauerftoff
zu Waller verbunden wird, entwidelt
ih das fogenannte Knallgas mit
plöglicher umd bedeutender Wärme—
Entwidlung.
Dasjelbe müßte alfo auch auf
der ſchon erfalteten Sonne eintreten,
nachdem zuvor durch Jahrtaufende
| bereits das Menfchengefchlecht auf der
Erde ſich an eine ſehr niedere Tempe—
ratur und an eine völlige Dunkelheit
gewöhnt hatte. Und jo müßte diejes
plögliche Aufleuchten der Sonne mit
einem Schlage alles organische Leben
der Erde vernichten.
Es ift die Schilderung diefes Pro—
ceffes fein Hirngefpinft. Wir haben
ihn ſchon wiederholt am Himmel bei
anderen Sonnen beobachtet. Es find
gegenwärtig etwa zwanzig folche Fälle
bekannt. Am beften bejchrieben wurde
zuerſt jener, welchen der berühmte
Aftronom Thcho de Brahe felbit beob—
achtete. Als diefer Gelehrte am 11.
November 1572 Nachts aus feinem
Laboratorium in die Wohnung zurück—
fehrte, ſah er einen hellglänzenden
Stern an einem Puntte des Himmels,
wo er nie zuvor einen ſolchen beob=
achtete. Die Helligkeit war jo be—
deutend, daß der Stern felbft am
Tage fihtbar war und viele Menfchen
‚auf den Straßen ftehen blieben, bie
Fuhrleute ihre Wagen anhielten, um
das Wunder am Himmel zu betrach—
ten. Der Stern nahm jedoh an
Glanz beftändig ab und verfchwand
nahdem er fiebzehn Monate lang
fihtbar war, und ſich feine Farbe,
die anfangs weiß gewefen, in Roth
und am Schluffe wieder in Weiß ver—
wandelte, jpurlos für das freie Auge.
Die legte diefer Erfcheinungen er—
eignete fih am 27. November des
‚ wo Julius Schmidt,
Director der Sternwarte in Athen,
plöglich einen neuen Stern zweiter
Größe erblidte, deſſen Licht gleichfalls
bald wieder bis zum völligen Bere
ſchwinden abnahm.
Es iſt allen zwanzig Fällen, die
wir bis heute kennen, eigen, daß der
Glanz plötzlich erſcheint und dann
langfam verſchwindet. Wir haben alſo
in der That hier einen chemifchen
Proceh vor uns, dur weldden auf
längft erlalteten Sonnen eine furcht—
bare momentane Entwidlung von Licht,
und alfo ficherlih auch von Wärme
eintritt, und wir können vollkommen
überzeugt fein, wenn jene fremde
Sonne gleihfalls ihre Planeten Hat,
wie die umferige, und diefe Planeten
von Organismen bewohnt find, dann
find am 27. November des Nahres
1876 in wenigen Stunden Millionen
von Lebeweſen plößlich zugrunde ge=
gangen.
Abnahme des Meeres.
Der entgegengejeßte Proceß, nicht
das Entfiehen, fondern das Verſchwin—
den des Waſſers, ift eine Gefahr für
die Erde, die ohne Zweifel viel näher
liegt, al& jene, welche wir foeben er=
Örtert haben.
Das Meer ift im Berfchwinden
begriffen, die Menge des Waflers war
auf der Erdoberfläche einftens viel be=
deutender, als gegenwärtig. Auf den
höchſten Spitzen der Berge, wie in
den Tiefen der Thäler jehen wir die
Ueberrefte von Waiferthieren, ſelbſt im
Innern der Gontinente, weit von allen
Meeresküften entfeınt. Und überall
finden wir im Boden, zwiſchen den
680
allenthalben, wo wir tief genug zu
bohren vermögen.
Diefer Proceß ſetzt fi ununter—
brochen fort. Tiefer und tiefer rückt
die Erſtarrung der inneren Schichten
und gierig verbinden ſich die kalten
Geſteine mit dem durch ſeine Schwere
nachrückenden Waſſer. Sie verbinden
ſich nicht nur mechaniſch, ſondern auch
chemiſch. Und dieſe letztere Verbin—
dung iſt eine dauernde. Daher kommt
nur ein Heiner Theil des Waſſers,
welches als Regen in den Boden
dringt, als Quelle wieder an die
Oberflähe. Der größte Theil iſt
bleibend im Innern gebunden.
Und fo muß langſam eine be=
ftändige - Verminderung des Meeres
ftattfinden, jo lange, bis alles Waller
von der Erde verfchwunden fein wird,
wie das auf dem Monde Heute jchon
der Fall if. Der Mond erlaltete
als fleinere Kugel viel raſcher als die
Erde. Es ift fein Zweifel, daß auch
auf ihm dereinft Waller fich befand;
allein Heute kann man ftreng nach—
weifen, daß davon fein Tropfen mehr
vorhanden ift. Er hat Alles wie ein
Schwamm in ſich eingefaugt. Im
Monde ſehen wir, wie in einem
Spiegel, auch unfere Zukunft.
Doch hat es auch damit gegen
wärtig noch feine Gefahr. Bevor die
gänzliche Austroduung der Erde vor
fich geht, müſſen noch Ereigniffe ein—
treten, welche für Jahrtauſende eine
Vermehrung des Waflers zu ſchaffen
Icheinen, indem gewaltige Niederjchläge
und Wolfenbrüche eine neue Sintfluth
herbeiführen werden.
Gefteinsschichten unter umferen Füßen |
Maffer, welches einft, als die Tempes
ratur der Erdoberfläche noch jehr hoch
war, als Dampf in der Atmojphäre
vorhanden gewejen fein und fpäter
nach der Gondenfation diefes Dampfes,
als Meer die ganze Erdoberfläche be=
dedt haben mußte. In dem Maße,
als die heißflüffigen Maſſen der Erde
erftarrten, drang das Waller in die
Tiefe und findet fih als Grundwaſſer
Das Weltall gleicht einer Uhr, bei
welcher die Gewichte durch den Aether—
drud, dus Näderwerk, das den raſchen
Ablauf des Ganzen verhindert, durch
die Rotationsbewegungen dargeſtellt
find, und welche Uhr fich, ſobald fie
abgelaufen ift, durch die Spanntraft
der entmwidelten Wärme von ſelbſt
ı wieder aufzieht.
681
Wir Haben Glied um Glied im
Meltenprocefle verfolgt, und als wir
glaubten, an das letzte gelangt zu
fein, jehen wir, daß es zugleich wieder
da3 erfte war. Nachdem wir das
Meltall zufammenftürzen ſahen, erhob
es ſich — wie der Phönix — ver—
jüngt aus der Ajche.
Weltuntergang
tenaufgang.
Nun werden wir phylifalifch bes
greifen, was das uralte Symbol der
it Wel—
Schlange bedeutet, die das Ende ihres
Schweifes im Munde hält. Wir wer:
den phyſikaliſch erfallen die Ewigkeit
von Bewegung, von Stoff, Kraft und
Raum und mit Harem, wiſſenſchaft—
lien Bewußtſein erfennen, was der
Dichter nur in dunkler Ahnung fingt:
„Burdtbares Meer der ernten Gwigfeit!
Uralter Cuell von Welten und von Zeiten!
Unendlih Grab von Welt und Zeit!
Die Aſche der Vergangenheit
Iſt Dir ein Keim von Sünftigfeiten !"
Das Volksbuch,
wie es vor zweihundert fünfzig Jahren war.
ET HA
\ Mürzthales fand ſich ein altes
Buch. E3 war in gewöhnlichen Ge—
betbuchformat, aber an drei Zoll did Lascives birgt.
und in gelbbraunes, wohlgeprehtes
Schweinslederfeit gebunden. Der Rücken
diefes Einbandes war jchon derart
zufammengedorrt, dab das Buch nach
vorne hinausgedrängt längs des Schnit-
tes einen Wulſt machte und demnach
die Lederllappen nicht mehr einhäleln
foınten. Das Papier war durch das
Alter ſchier nußbraun geworden und
mit Fractur bedrudt. Es war weder
ein Gebet: noch ein Predigtbuch,
noch ein anderes geiftlihes Wert,
es war für „Belehrung und Untere |
haltung“ im weltlichen Sinne, etwa
wie ein heutiger Volkskalender. Sein
Titel lautete: „Der große Schauplak
luſt- und lehrreicher Geſchichte“. Ge—
ſchrieben war es von Johann Michael
Ditderr um das Jahr 1637; den
Drudort Hatte die Maus weggebifjen.
Der Inhalt dieſes Buches iſt höchſt
mannigfaltig, zumeiſt kleine Erzäh—
lungen, wovon jede ihre zwölf mit
arabiſchen Ziffern bezeichnete Abthei—
lungen hat. Die Stücke ſind reich
J neinem Bauernhauſe des oberen | a
= el
bibliſchen Eitaten und anderen
frommen Redewendungen, hinter wel—
hen Sich jedoch viel Barodes und
Die Leute des be>
treffenden Bauernhaufes wußten mit
dem Buche nicht viel anzufangen, troß=
dem auch allerhand Räthfel und Haus—
mittel drinnen Stehen. Da hörte die
Bänerin don einem jungen Menjchen,
der Alles zufammentefe, deifen er hab—
haft werden fönne; den lieh fie fragen,
ob ev nicht fo gut fein und auch ihr
altes Buch leſen wolle. Denn gelejen
müſſe es doch endlich einmal werden,
bevor es die Mäufe und die Schaben
fräßen.
Das wäre mir fehon recht! lieh
ich ihr fagen, und ich käme am nächſten
"Sonntag, das Buch zu Holen. Ich
habe es wiederholt durchgelejen und
‚als die Bäuerin es erfahren, wie
weidlich ich mich daran ergößt hat
‚fie es mir zum Gefchent gemacht ; ich
ſolle zu Lohn für fie eimmal ein
Vaterunſer beten.
Das gute Weib! Wenn e3 gewußt
hätte, wie viel Gift und Gottlufigfeit
in dem Buche ftedt, fie hätte es wahr:
‚lich lieber den Mäuſen und Ratten
682
zum Genuffe gegeben, als mir, dem
l6jährigen, warmberzigen Menſchen.
Zum Gtlüde hatte ih damals ſchon
jo viel verfchiedenes Zeug durcheinane
dergelejen, daß eins das andere gewiljer=
maßen aufhob — Gift und Gegen-
gift — ich Hatte mir den Grundjah
angelejen, daß man Alles prüfen und
das Befte behalten foll. Ob jedoch ein |
16jähriger Junge auch allemal weiß,
was das Befte ift? Das war der
Hafen. Mit einem Iuftigen Gedanfen-
ſprung fagte ih mir: Das befte ift,
fremderlei nicht eunft zu nehmen, das |
Bapier ift geduldig und mancher Schrei=
ber ift ein Narr oder ein Verführer.
Der „große Schauplaß luſt- und
lehrreicher Geſchichte“ war für das
Volk berechnet, es hatte allerlei Ritter»,
Räuber: und Liebesgefchichten, allerlei
gute Lehren und Rathſchläge für aller=
lei geheime Anliegen, auch etliche
Zauberformeln darunter, dann wieder
„Wiſſenſchaftliches“ über Natur, Ge—
Ihichte und Glauben, wobei e3 aber
zumeift die Schlußwendung in die
Melt galanter Abenteuer nahın. Das
Buch ift eine Art „Lachender Philoſoph“
des Jiebzehnten Jahrhunderts, nur
weitaus frivoler und ſchwerfälliger,
als K. 3. Webers „Demokritos“.
Wenn ich den „Großen Scans
platz“ charakterifieren will, fo kann ich
es hier nur nach jener Richtung Hin
thun, in welcher er am barmlofeften
it. Ich gebe aus dem alten Buche
zwei Stüde zum beften, welche jo
eine Art von culturgefchichtlicher oder
philoſophiſcher Efjays find und einen
recht lehrreichen Einblid in das Geiſtes—
leben der Zeit des dreikigjährigen
Strieges bieten.
Die Einbilder.
Ir jagen in dem Sprüchwort:
Einbildung ift ärger als Peſtilentz.
Was die Belt für Unheil mit ſich brin—
get, ift ſonderlich denen befant, welche
ihre Freunde und Belante an dieſer
Seuche fallen fehen: Die aber fo in
ihrer Einbildung verderben, nehmen
wir faft nicht inacht, weil es jo ge—
mein, daß wir es für feinen Fehler
erkennen. Wie nun die Pelt eine an—
ftedende Srandheit ift, alfo machet
auch ein Einbilder (ich wil nit jagen
Narren) derſelben zeben, und Hat
Seneca recht gefagt: Daß ihrer viel
zu der Weißheit und Wilfenfchafft ge—
fommen wären, wann fie nicht ver—
meynet, fie wären ſchon darüber weit
hinauf, und die alten Hebräer haben
ein Sprühwort: So lang du lerneft,
jo biftu Hug; jo bald du vermeyneſt,
du könneſt es, jo bift du ein Thor.
2. Die Erkantnüß der gegenwär—
tigen Sachen ift nit genug zu Er—
haltung dei Leibes, jondern erfordert
auch das Vergangene und Zulünfftige:
Deßwegen Hat die fürfichtige Natur
nicht nur fünff äufferlihe Sinne den
Menſchen ertheilet, vermittelft welcher
das Gegenwärtige erfennet wird, ſon—
der auch den gemeinen Sinn (sensum
communem) alles zu unterfcheiden, die
Bildungs-Kräffte, das abweſende für—
zumahlen, und die Gedächtniß ſolches
Gemähld zu erhalten, ertheilet. Wie
num unter den Äufferlihen Sinnen
das gute Auge am beften fiehet, das
gute Ohr am beiten höret, aljo Hat
auch das wohlbefchaffene Hirn die
ftärdfte und befte Bildung: Iſt es
feucht, jo würdet der gemeine Sinn
am Fräfftigften, ift das Gehirn truden,
jo drudet das Gedächtnüß ihr Bildung
‚gleihjam in ein War, ift es hitzig,
jo fan ſich das Bild Teichtlich ver—
farmen, und hafirliche Gedanden darauf
werden. Wann aber das Gehirn kalt
und trucken zugleich, verurfachet ſolches
reiffes Nachfinnen, wie bey den alten
und melancholiſchen Leuten.
3. Hier iſt fih nun zu verwun—
der, daß die Einbildung den Verftand
und Willen beherrjchet, ja wider den
Berftand und den Willen ihre Würdung
leiftet: Mafjen die Mütter ihren Fine
dern Mahle anhangen, und wann die
Schlaffgänger fih in Gefahr begeben,
auff die Haußdächer fteigen, in das
083
Waſſer gehen, 20. welches fie nicht
thäten, wann ihre Cinbildung nicht
verleßet wäre, Alfo fürchtet ſich mancher
in der Finfterniß, wo nichts zu fürchten
ift: Was ift die Urfache, dak man
denen, welche im Zodesgefahr gehen
jollen, Wein zu trinden gibt, als daß
deilelben auffteigende Dämpffe verhin-
dern, daß ſie ihnen nichts furchtſames
einbilden follen, oder man mahlet ihnen
mit Worten den Sieg, die Großmütig—
feit, die Ehre, die Beuten und der-
gleihen für, daß fie dadurch kühn
angehen follen.
4. Diefe Einbildung wird auch
genennet der Wahn, welchen man von
einem Dinge fajlet, und im folchen
ſtehet faft alle Eitelkeit unfers menſch—
lichen Weſens. Die erfte Einbildung
welche wir fallen, beharret lange Zeit,
es ſey ſelbe gegründet oder nicht, und
machet uns ſolcher Wahn glüdjelig
oder unglüdjelig, als welcher gleich—
ſam zum Richter unferer Gedanden
genennet wird, was nun dieje Ein-
bildung für eine überauß groſſe Krafft,
wollen wir noch mit etlichen Erzeh—
lungen beglauben, wiewol wir hievon
\bereit an einem Ort auch gehandelt
haben.
6. Ein Jud in Hifpanien ift auff
einem Efel entfchlaffen, und das Thier
wuſte den Weg, und gienge über eine
ſehr Schmale Brüde, die zwischen zween
hohen Bergen war. Der Jud fame
wol naher Haufe, al3 er ihm aber
eingebildet die Gefahr in welcher er
gewejen, und wie leichtlich er den Half
brechen können, hat er ſich fo jehr
| entſetzet, daß er vor Schreden geftorben.
L. Vives in dem 3. Buch von der Seele.
7. Montaigne erzehlet von einem
Weib, welche ihr eingebildet, fie habe
ein Stecknadel mit Brod eingefchlungen,
und wolte ihr ſolches nit laſſen aufs
reden. Der verftändige Arkt gibt ihr
ein Getränd ein, das fie brechen machte,
und wurffe eine gebogene Stednadel
ift und für gut oder verwefflich, für in das Beden, welche die Frau er—
ſchätzbar oder verächtlich außſpricht, ſahe, und darnach wieder genefen.
was man ihm fürhält. Dieſe Krafft Dieſe beredete ein Edelmann im Scherz,
der Einbildung haben auch die Thiere,
jedoch nach der Vollkommenheit, oder
Unvollkommenheit ihres Leibes Zuſtands,
und erſcheinet unter andern auch dar—
auß, daß die Hund in dem Schlaf
traumen, und dem, der ihnen guts
thut, von andern wol zu unterſcheiden
wiſſen.
5. Alſo muß auch das Ungeziefer
etlicher maſſen mit den Einbildungs—
kräfften begabet ſeyn, weil ſie ohne
ſolche nicht wiſſen oder faſſen können,
was vortheilig oder nachtheilig, dien—
lich oder ſchädlich, wie die Immen
oder Biene die Blume zu unterſcheiden
wiſſen, die Omeiſen ihre Nahrung
zufammen zu tragen, und weil die
Einbildung von den Bildern, welche
fürgeftellet werden, ihren Namen hat,
läffet ji zweifeln, ob auch der blinde
Maulwurff folder fähig. Die Poeten
erwärmen das Gehirn und ftärden
ihre Einbildung mit dem edlen Reben:
fafft, welcher auch der Poeten Pferd
er hätte ihr für einen Hafen eine
Kat zu effen gegeben, darüber entjeßte
fie ſich fo beweglich, daß fie ihr diejes
für wahr eingebildet, und darüber in
ein Fieber gefallen und geitorben.
8. Martin Weinreich meldet cap.
17. von Wundergeburten, daß ein
Weib für einem Ragen erfchroden, und
auch einen Napen zur Welt gebohren
habe. Ein andere ift für einem Leich-
nam erfchroden, und ihr Kind hat
die Zeit feines Lebens einem Zodten
gleich geſehen.
9. Viel die man ſchertzweiß zum
Tod verurteilt, find auß Furcht und
Einbildung geftorben, darunter Donella,
deß Herkogen don Ferrara Tiſchrath
geweſen, welcher feinen Heren in das
Waſſer geworffen, ihme das Fieber
abzuhelfen, und deßwegen die Flucht
nehmen müſſen: Nachdem er aber in
dem Barmefanifchen Gebiet etliche
Waſen gekaufft, und ich daranff auff
einem Karen führen laffen, fürgebend,
er wäre auff feinem Grund und Boden,
bat der Herkog den Karn zu zerbrechen
befohlen, und ihn, wie gejagt, zu dem
Schwerdt, welches ein Hein Stäblein
war, verurtheilt: von dem Schlag aber
ift er auß Einbildung geftorben.
10. Einem Weibe in Beauffe ift
ein Froſch in die Hand gebunden
worden, daß fie foldhen darinnen ſolte
ſterben laſſen, und ihr dei Fiebers
damit abhelffen: ſie hat ihr aber das
Thier ſo ſtarck eingebildet, daß ihr
Ktind einen Froſchkopff bekommen,
welches fie damals empfangen hatte.
Paräus.
11. In Weſtphalen Hatte ein Edel—
mann die heiligen drey Könige im
feiner Kammer abgemahlet, darumter
einer als ein Mohr gang ſchwartz ge=
ftaltet. Diefen bildete ihr die Edelfrau
fo ftard ein, daß fie ein ganz ſchwartzes
Kind mit groffen auffgelauffenen Lippen
zu der Welt gebahre.
12. Zu Pariß bildete ihm einer
ein, er hätte ein Glode in dem Kopff,
und hörte fie Hingen. Ein ander fagte,
er wäre von Butter, und wolte mit
in die Sonne gehen. In dem Lymofi=
nischen Gebiet hatte ein wildes Schwein
einen Edelmann zu Boden geworffen,
welchem doch die Jäger zu Hülffe ges
fommen, und dem Schwein fo viel
Fänge gegeben, dak der Edelmann
nit verwundet worden: Er hat ihm
aber ungezweiffelt eingebildet, das
Schwein Habe ihm mit den Waffen
das rechte Bein abgefchlagen, und
wollte jich feines andern bereden laſſen,
bin endlich ziween Mönche bey ihm
eingefehret, deren der eine ihme er=
zeblet, daß er auch einen Schendel
verloren, aber durch Fürbitte des 9.
Frantzen, denjelben wieder bekommen.
Diefen ftellte er Glauben zu, und
fame alfo, ohne Wunderwerd, wieder
zu vet.
Der Warheils-Bwang.
Vdel leichter iſt, nach dem Sprich—
man noch viel Mittel erdacht,
findet, als welche ſolche reden: Deß—
wegen jener, als man ihn gefragt ?
Wie weit die Lügen von der War—
beit ? recht geantwortet, fo weit die
Augen von den Ohren, weil nemlich
nme das für wahr gehalten wird,
was man mit den Augen ſihet, und
nicht was man höret. Man foll der
Lügen ein Hauß bauen, auffer der
Stadt, wie ein Peltilenghauß, aber
nur auf drey Seulen, dab fie der
Wind reinigen fan. Bon ſolchen Wars
fagern wollen wir etliches in Ddiefer
Erzehlung anmelden, und bemerden,
wie ſolche auff nicht gemeine Weiſe
erzivungen wird.
2. Wir wollen bier nicht wieder—
holen, was wir von der peinliche
Frage, an umterfchiedlihen Orten,
beygebracht, auch mit gedenden, dat;
der Mein und die Weiber durch an—
genehmen Zwang, die Wahrheit herauß—
preilen fönnen, und daß man obne
Belantnig dei Verbrechens niemand
zu dem Zod verurtheilen fan, deß—
wegen die Nichter auff jolche Mittel
gedacht, die ſchmertzlich aber micht
tödtlich find, und umterwerffen feinen
ſolchen Proben, wann nicht gnugſamer
Beweiß, oder Zeugſchafft wider einen
Ubelthäter vorhanden, und er doc
mit der MWarheit nicht herauß will.
Da dann die Marter ein Antheil feiner
Strafe wird.
3. Über die gewöhnliche Marter-
banf oder Folter, da man die Glieder
deß Menfchen aufeinander ziehet, Hat
die
Mifjethäter zu peinigen, und ift eines
der Hunger und Durft, welchen der
Mensch nit gar lang ertragen fan:
Sonderlich aber der Durft, indem man
ſolchen Leuten täglich gefalgne Speifen
zu eſſen gibet, und feinen Tropffen
zu frinden. Weil aber etliche wenig,
etliche gar nit trinden, wie Dr. Schend
viel ſolche Erempel erzehlet, ift dieſes
jegiger Zeit nicht mehr gebräuchlich.
Die Pilulen von Tabak machen, daß
wort, die Warheit hören, al3 res man Hunger und Durft leichtlich er—
den, weil man mehr Zuhörer derfelben
dulden fan.
685
4. Von den grofjen Plagen eine) befchwerlih ift,
ift, daß man einen folchen Ubelthäter
der nit befennen will, viel Speife und
ſtarckes Getrände zuläffet, bindet ihn
aber auff eine Band, da er die Fülle
nicht auffitellen fan, und die 2 ent:
blöjten Arm über fich, jo offt er nun
ſchlaffen will, ſtoſſen ihn die Henders»
der doch feine fo
fpigige Füſſe Hat, als ein Käfer.
8. Es ſcheinet auch, daß die Men—
ſchen auff noch wunderliche Qualen
ſich bedacht, indeme fie einen UÜbel—
thäter auff eine Band gebunden, die
Füſſe entblöffet, und die Sohlen mit
Sal gerieben, oder mit Saltz-Waſſer
buben mit brennenden radeln im die) angefeuchtet, hernach eine Gaiß, welche
Eeiten, und ift feine Bein ſchmertz | unter allen Thieren die rauefte Zungen
liher und dei Menjchen Leib weniger | haben, das Saltz ableden laſſen, da
Ihädlicher, malen dann einem ſoichen man geſehen, daß die Gaiß alles Fleiſch,
die Ruhe und den Schlaf verſpricht, biß auff die Gebeine weggefrettet.
ſo bald er die Warheit bekennet.
5. Ferner hat man ſich vor Alters
dei Feuers und dei Waſſers gebrauchet, |
und zwar dei Feuers auff zweyerley
daß fie entweder die Ubelthäter
Meife;
gezwungen auff glüenden Kohlen zu
gehen, dardurh die Fußſohlen gang
verbrennt, und ein folder die Zeit
feines Lebens mit mehr gehen konnte;
oder befchmierten die Fußſohlen mit
Schweinsfett, und Lieffen fie von ferne
alſo braten.
6. Das Waſſer gebrauchten die
Alten alfo: Sie banden dem UÜbel—
thäter die Hände und Fülle, ſpannten
ihm den Mund mit einem Knöbel
auff, goſſen hernach einen Kübel nad
dem andern über fein Angelicht, daß
zu Zeiten ein folcher erftidet ift. Et—
liche haben gar Kalckwaſſer genommen,
etliche Eflig, oder Waller mit Effig
vermifcht, und es auch wol in die
Naßlöcher gegoflen ; ift aber feine pein=
liche Frage, Jondern eine Strafe, mit
welcher man die leibeigenen Knechte
zu belegen pflegt.
7. Lächerlich ift, aber noch viel
|
verdrüßlicher was folgen ſoll. Man
hat den armen Sünder angezogen,
und ihm einen Käfer auff den Nabel
gefeßet, folchen mit einem Glaß oder
einer Stürtzen bededet, und aljo beedes
den Menfchen und befagte Stürken
aneinander gebunden, daß feines weichen
tönnen. Es joll nicht aufzufagen fein,
was dieſes Grüffeln deß Käfers für
eine Plage, und ift leichtlich zu glau—
ben, weil ein Floh in dem Ohr fehr
9. Indeme nun der Richter die
MWarheit herauf zwingen will, muß
man befcheidentlich verfahren, damit
der Unſchuldige darüber nicht leide,
und er ihme die Strafe GOttes auf
den Hals ziehe. Wann genugfame
Proben zu der Beinlichen Frage vor—
handen, und der Ilbelthäter eine Perfon,
welche nach den Geſetzen an die Folter
gefpannet werden fan (dann man die
Knaben, fehwangere Weiber, krancke
oder ſonſt ſchadhaffte Leute verſchonet)
muß man erſtlich betrachten das Ver—
brechen, alsdann mit Schreckworten
bedrauen, mit Binden, mit dem Daum—
ſtock, mit Anhaugung deß Heinen
Steins. Wann alles diejes zu unter:
fchiedlichen Zeiten vorgenommen, nichts
belffen will, mit den größten Steinen
verfahren.
10. Will diefes alles nicht gnug—
ſam fein, pflegt man den Ubelthätern
faltes Waſſer in den Nitden zu gieſſen,
läffet ihn an der Folter bangen, er=
Ihüttert die Stride daran er gebun—
den, jedoch, daß man länger nicht als
eine Stunde darmit umgehe, in wels
cher Zeit man ihn raften laſſen muB,
dab er fih verichnauffen, bedenden
und bekennen fan: Hat er aber Diele
peinliche Frage zum drittenmal auß—
geftanden, jo hält man ihn für uns
Ichuldig, und wird der Verhafft ent—
(allen; jedoch nach Beichaffenheit der
Sachen, und wird diejes zu unters
Ihiedenen Tagen, und allezeit vorge—
nommen, wann der Mifjethäter zuvor
geilen hat.
11. Hier fragt ſich nun zweyerley,
erſtlich: Warım man die Ubelthäter
zu bejcheeren pflege; und wann ders
jelben viel, welche man am erften mit
der Frage angreiffen foll? Daß fie
ohne Haare befennen, lehret die Er—
fahrung, und wiſſen wir, daß Same
fon feine Stärde in den Haaren ge=
habt. (Richt. 16. dv. 19.) bey dem
Dvidio Hat Nifus nicht können über-
wunden werden, jo lange er die Haare
auff dem Haupt Hatte, welche ihm
Scylla abgejhoren. Mit den Haaren
nimmet man vielen auch die Künheit
und Zapfferfeit, daher alle Leibeigene
abgejchorne Haare tragen müffen, und
ift befandt, daß die Verfehnittenen und
Meiber, welche feine Haare um den
Mund Haben, furdtfam und verzagt
unter den Haaren zu verbergen pflegen,
und gejchiehet folches, wann fie das
eſtemal nit befennen wollen, und dann
weil fie gröflern Schmergen an dem
entblöften Haupt leiden, indem alle
Schweißlöcher eröffnet werden, und
die Feuchtigkeit der tieffgewölbten Ge—
fängniffen, welche die Haare auffhalten,
nicht kan gehindert werben.
12. Auff die andern Frage finden
ih unterfchiedlihe Meynungen, und
wollen etliche, man foll den älteften,
welche am verftändigften jeyn, und
die andern abmahnen follen, am eriten
angreiffen : andere wehlen den Jüngſten,
al3 den Einfältigften, der die andern
om leichtften verrathen ſolte: Etliche
aber nehmen den, deſſen Angelicht am
tyranniſchſten außfiehet, und ift micht
find. Es werden ihnen aber die Haare |zu zweilfeln, dak in den Augen das
abgeschnitten, wegen verdächtiger Zauz Hertz gleichſam erfcheinet, und fehlet
berhändel, und weil ſolchen Beſchornen man nicht leichtlih, wann fonderlich
auch die Kälte das Haupt ſchwächet andere Umftände, die einen ſolchen
und Schmerken verurfachet ; welche ſie befchweren, darzu kommen.
Anſere Alpen-Wirtshäufer.
Von 3. R. Feder.
—
A
fann auch die Hochjoche überfchreiten
ohne Gefahr, unter eine Lawine zu
gerathen. Das ift die Zeit der Nüfte
für al’ die zahlreichen Leute, welche
de3 Sommers über durch den Frem—
denzufluß einen Berdienft erhoffen
dürfen. Bergführer laffen ihre Schnüre
Ihude Frisch ſohlen und nageln, Stell
nerinnen beftellen bei der nächſten
Stadtjchneiderin ein feiches, ländliches
Gewand, deſſen Stil „meſſing“ ift,
halb Dorfdialect, Halb international
nad der allerneneften Modezeitung
von 1885; Krämer und Wirte wer:
den von den Neifenden der Weine
98 9 und Steg in den Alpen |handlungen und Eßwaarengeſchäfte
RN find wieder gangbar, und man |überlaufen, damit fie Beftellungen
machen, weldhe fie auch zur Bedienung
feinerer Gäfte in Stand ſetzen. Im
hinterften Ziroler Badel lodt der
Maftel den Schulmeifter an einem
fonnigen Feiertage zu einem Liter
Special, damit er ihn eine Einfchals
tung auffege für die Zeitung, im
welcher die Vorzüge feines Waflers,
die Güte feines Trunfes und die Bil-
ligleit feiner gediegenen Hausmanns—
foft mit naiv befcheidener Unverſchämt—
heit angepriefen wird. Wer höher
hinausftrebt und es nobel gibt während
der Saifon, bedrängt wohl auch einen
Freund Landsmann in der Nefidenz,
687
der den langen Winter Hinter feinem
Bureautiſch verhockt Hat,
liebenswürdigen Einladebrief auf einen
gemüthlichen Beſuch bevor das Ge—
wimmel der Zugvögel aus dem Nor—
den, die „Berliner“, Zirbenegg, Fich⸗
tenhalde, Lärchenkogel und wie die
lockenden Namen alpiner Penſionen
heißen mögen, ungemüthlich
er ſtellt,
Nachdruck zu geben, einen luſtigen
Horellenfang in Ausficht oder einen
alten, billig zu erhandelnden Kaſten,
den er da hinten in einem Graben
beim Keufchler entdeckt habe. Zwiſchen
den Zeilen kann man lefen, Du wirft
Dir nmatürlih aus dem Ausflug ein
Heine Schriftwerf zurecht machen, bei
welhem auch für mich eine Reclame
abfällt. AM’ das gehört zum Gefchäfts-
rummel, den man mit feiner ernften
und komischen Seite eben nehmen
muß, wie er wächst; ich Habe mich
über jede Regung des erwachenden
Erwerbsſinnes gefreut, welcher nach»
gerade auch im unſeren Alpenländern
die Fremden - Induftrie nußbar zu
nahen weiß. Bringt diefelbe vor»
läufig bei uns nicht ſolche Unſummen
herein, wie in der Schweiz, fo weist
doch die jeweilige Bilanz der lebten
Jahre immerhin etliche Millionen auf;
und das will ſchon etwas bedeuten für
Gebiete, in denen die landwirtichaftliche
Production nicht fehr ergiebig und die
gewerbliche eine ebenſo magere ift.
Ueberdie8 hat man neben dem wirt»
ſchaftlichen Gewinn auch einen cultu—
rellen zu verbuchen. Jahrhundertelang
abgejchloffene Bevölkerungen treten mit
den Fremden in Berührung, erweitern
dadurch ihren Geſichtskreis, erlangen
neue Anschauungen über Menjchen
und Dinge, werden weltläufiger und
ſomit widerftandsfähiger in dem ſchwe—
ren Kampfe ums Dafein, den fie auf
ihrer wenig ergiebigen Scholle führen.
Die Duldung, welche gegen den geld=
bringenden Sommergaſt geübt werden
muß, damit er ſich wohl fühle, wird
allgemacd ein Dulden, ein Geltenlaffen
nit einem | alteverbten heimischen abweicht.
macht; Imeuer Gulturfamen
um der Einladung mehr Brachland auf; fpärlich anfangs und
fremder Art, wenn diefe auch von der
Die
ftarre bäuerliche Excluſivität, die neben
ihren guten fittlihen Seiten das
Schlimme bat, jede Neuerung, die ein
Hortichritt, eine Verbeſſerung wäre,
abzumweifen, wird auf Hundert und
| Hundert Punkten durchbrochen und ein
Iprießt im dem
nur kümmerlich gedeihend, erſtarkt
derjelbe allmählich und wirft geradezu
berjüngend. Am auffälligften fanıı man
dies in den von Touriften am meilten
bejuchten Landftrichen von Tirol wahr
nehmen und am allerauffälligiten längs
der Arlbergbahn.
Unfere Volkswirtſchafter Haben den
Wert der Fremden-Induſtrie richtig
tariert und geben fich viele Mühe, die=
jelbe mannichfach zu fördern. Hand
in Hand mit ihr gehen die ftaatlichen,
die Landes= und die Gemeindebehörden,
die Eifenbahn-Unternefmungen, die
Touriſten- und Alpenvereine u. ſ. w.
Sie haben zahlreihe und mitunter
auch recht glüdliche Verſuche geinacht,
den Fremdenverkehre die Wege zu
ebnen und den Gäften aus der Fremde
den Aufenthalt jo angenehm wie mög—
ih zu machen. Wir befißen bereits
eine ziemlich umfangreiche Literatur,
die einzig diefen Zweck verfolgt, eine
gute Organifation des Führerweſens
und wenigftens auf vielen Punkten,
wenn auch micht auf allen, wo es
wünfchenswert, ganz leibliche Ver—
fehrömittel. In manden Orten find
muftergiltige Hotel3 entftanden oder
haben fich die alten Wirtshäufer, den
neuen Bedürfniffen entjprechend, ver—
jüngt und einen Ruf erworben, der
von Jahr zu Jahr in weitere Kreiſe
getragen wird und dem Beſitzer die
aufgewendete Mühe reichlichſt lohnt.
Im Großen und Ganzen aber bleibt
der Janımer über die Wirtshäufer in
den dfterreichiichen Alpengebieten, und
zwar auch auf jenen Punkten, welche
von Fremden viel befucht werden, die
allezeit wiederkehrende Klage der Frem—
688
den und der ftete Trumpf der Schwär=
mer für die Schweizer Reifen. Nicht
dab gerade über Koſt und Getränfe
viel raifonniert würde; man findet im
Gegentheil diefelben meift gut und
zugleih preiswürdig; auch bezüglich
des Mangels an Reinlichkeit werden
nicht viel Beſchwerden laut, wohl aber
wegen des mangelnden Comforts. In
diejer Richtung ift es um die Wirts—
bäufer in unferen Alpen meiſtens
Häglich bejtellt und geſchieht von Seite
der berufenen Förderer des Touriften-
wejens viel zu wenig, um eine Aen—
derung und eine Bellerung der pri—
mitiven Zuftände herbeizuführen. ‚Die
Schweizer hatten e3 von Anfang an
mit den Engländern zu thun, welche
jehr anſpruchsvoll in dieſem Punkte
und durchaus unnachgiebig gegenüber
dem altererbten Schlendrian waren.
Diefe reifenden Engländer haben in
der Schweiz jene wohlthätige Reform
in den Einrichtungen der Wirtshaus
zimmer und gewiſſer Dertlicheiten,
fowie jene Neinlichleit der Straßen
und Plätze an den Kreuzungspunkten
der Zouriften herbeigeführt, welche in
unferen öfterreichifchen Alpen beinahe
überall vermißt werden. Dem Einfluffe
der engliihen Pfadfinder in den
Schweizerischen Alpen ift e& zu danken,
dak dort auch der dümmſte Dorfteufel,
wenn er fich entjchließt, irgendwo au
einem Halbverftedten Bergweg ein
MWirtshäuslein aufzuthun mit zwei,
drei Touriftenzimmern, diefe vollftändig
ausreichend mit dem zum Behagen
der Gäſte Nothwendigften ausrüftet,
wenn auch jeder noch jo leife Anklang
an Lurus fehlt. Es Hat ſich im Ber»
lauf eines Menfchenalters in der gan—
jen Schweiz die richtige Kenntnis |
dejien verbreitet, was ein den gebil—
deten Ständen angehörender Weſt—
europäer als unumgänglich nothiwendig
erachtet für die Ausftattung eines Abs
fteigequartiers, in dem man mächtigen
und allenfalls auch etliche Tage wohnen
möchte. Und diefe Bequemlichkeit läßt
ih denn auch der Ofteuropäer, der
'
!
ja allgemach ebenfall3 verwöhnter und
aufpruchsvoller geworden, mit Ber:
guügen gefallen. Davon aber hat
man, die eriten Gafthöfe abgerechnet,
in unferen öfterreichifchen Alpenwirts—
häufern noch feine Ahnung; die Gaſt—
geber fteden ihr Geld zum Theil in
ganz unnöthige Lurusfachen, mit denen
fie ihre Zimmer ausftaffieren, und laffen
es an dem Nothwendigiten ermangelı.
Sie find um ein gutes Halbjahrhun—
dert hinter ihrer Zeit und deren Anz
forderungen zurüd.
Da zum Rechten zu jehen und
eine durchgreifende Reform anzubahnen,
wäre Sade unferer Touriſten- und
Alpenvereine; ihmen find eigentlich
diefe Zeilen gewidmet, ihmen die
dringende Mahnung ans Herz gelegt,
durch Wort und That, durch Schrift»
werte und lehrſame Beifpiele eine
Wendung zum Beffern herbeizuführen.
Sie leiften damit zur Hebung der
Fremden Induftrie in unferen Alpen
ländern weit mehr noch, als fie dies
thun mit ihren Wegmarlirungen und
ihren Bublicationen von populären
Neifehandbüchlein und SKartenwerfen.
In der Schweiz Hat man neben der
touriftifchen Literatur der dortigen
Alpiniſten-Vereine auch eine nicht zu
verachtende Fachliteratur für Gaſt—
wirt. Bei den zahlreichen Iocalen
InduftrieeAusftellungen wird allıwegs
auch die Fremden-Induftrie, die Gaſt—
haus-Induſtrie berüdfichtigt, und die
Wirte aus der mäheren und weiteren
Umgebung holen dajelbft Anregung
und Belehrung. In unferem öfter«
reihifchen Schriftenſchatz aus meuelter
Zeit finden ſich wohl einige Bücher
‚iiber das feine Städtische Hotelweſen,
in welchem ganz mebenbei auch die
Eigenart der Zonriftenhotels berührt
wird; wir habeu aber fein, auch für
den bäuerlichen Lefer verftändliches
Lehrbüchlein, im welchem die Beher:
bergung und Bewirtung von Touriſten—
‚und Sommerfrifchlern in Heinen Lands
‚wirtshäufern auf praftifche Weiſe er—
örtert würde. Auf einer der vielen
__ 089
Ausftellungen, welche die legten Jahre
über in Städten unferer Boralpen
und Alpen veranftaltet wurden, kam
die Fremden-Induftrie, vom Stand:
puntte des Wirtes aus betrachtet, zur
Veranſchaulichung. Diefe Unterlaffungs-
fünden emdlih zu beifern und das
Verſäumte nachzuholen, wäre ein gar
verdienftliches Wert; es bedarf wohl
nur irgend einer fräftigen Anregung
von berufener und einflußreicher Seite,
damit ein entjprechender Anfang ge—
macht werde und dieſer danı aller=
wärts löblihe Nahahmung finde.
Biel ift es ja nicht, was da ver—
langt wird: Nichts, was über das
Können und Vermögen der Gaftgeber
in unferen Alpen hinausgeht, fondern
lediglich über ihr — Kennen. Leider
geht es zum Theile auch über das
Kennen unferer gebildeten Glafjen, die
zwar gewilje Lurusbedürfniffe ſchwer
veriniffen, aber oft auf den befcheiden-
ften Comfort verzichten, weil fie mit
ihm noch nicht in nähere Bekanntſchaft
getreten find, Wer im den öfterrei=
hifchen Stronländern viel herumge—
fommen, wird oft mit Verwundern
in ſehr behäbigen Privathäufern, in
denen er zu Gaft war, diefe That-
ſache conftatiert haben. Die Bettwäſche
ift von einer Feinheit, daß aus den
Linnentühern die allerfeinften Hemden
gefertigt werden könnten; an echten
Teppichen, an Kryftallfervice und der—
gleihen ift ein MWeberfluß, der faft
unbequem wird, und das Silberzeug
ift von gediegener Schwere, aber das
Mafchgeräth auf der ſchönen Marmor—
platte des Zoilettetifches und Die
Waffercaraffe dafelbft find fo winzig,
al3 wären fie für einen Däumling
berehnet. Ein Gefchirr, um das
ſchmutzige Wafchmwafjer aufzunehmen,
ift ebenfowenig vorhanden, wie ein
ausgiebiger Krug, um das Waſchwaſſer
zu erneuern. In diefem Stile iſt
auch Anderes gehalten. Die Dorf:
wirtshänfer ftehen natürlich auf der
gleichen Eulturftufe, nur etliche Grade
der Scala niedriger und entjprechen
Rofegger's „‚Geimgarten‘‘, 9, Geft, IT.
demgemäß dann „verwöhnteren" Ans
forderungen nicht; die Wirte können
beim beiten Willen den MWünfchen der
Gäſte nicht genügen, weil fie diefelben
nicht verftehen, weil fie und ihre
Dienerfchaft die allereinfachften und
bilfigften Wünfche der Gäfte als eine
berrifche Seccatur anfehen. Wie oft
bin ich nach einem ſcharfen Tages—
marjche in ein mir vielgerühmtes und
verfprechend ftatilich ausfehendes Dorf-
wirtshaus gerathen, um fofort, nach—
dem ich das mir angewiefene Zimmer
betreten, meine liebe Noth mit der
Kellnerin zu haben, weil ich mit dem
auf den Waſchtiſch geftellten Viertel»
liter Waſſer nicht ausreichen konnte
zu einer erquidlichen Reinigung, und
das Moidele abfolut nicht verftehen
wollte, daß fie mir frifchweg von dem
rauſchenden Brunnen vor dem Feniter
noch ein ganzes Schaff voll Waſſer
und einen leeren Büttel für das
ſchmutzig gewordene Waſſer zu bringen
babe. So frevelhaft, ein Beden für
das Fußbad, für Zouriften eine wahre
Erquidung, zu verlangen, wagte id
gar nicht zu fein, troß des aufmun—
ternden Biertelguldens, den ich vor—
weg bei Stellung meiner Sonderfor—
derung dem dienftbaren Geifte in die
Hand gedrüdt. Wie mir, ergeht es
vielen taufend Anderen alljährlich, und
fie werden der ewigen Balgerei müde,
gehen das nächſtemal in die Schweiz,
wo fie das ihnen felbftverftändlich
Sceinende auch jelbftverftändlich finden.
Nicht minder läßt bei uns die übrige
Einrihtung der Herbergzimmer zu
wünjchen; das Bett ift beinahe inuner
gut, aber dumpfig, weil nach Bauern=
art der Raum nicht gehörig gelüftet
wurde; und bei aller Güte ift e3 für
größere Perfonen zu kurz und bei—
nahe immer zu ſchmal. Der Spiegel
hängt unzwedmäßig, das Glas ift viel
zu Mein, bat aber dafür eimen un—
nöthig breiten Goldrahmen. Auf dem
Tische ift ein Teppich, den man ent»
behren könnte, Fehlt aber ein Schreib»
zeug mit guter und friſcher Tinte umd
44
mit brauchbaren Federn. Mitunter iſt
auch unter dem Tiſch ein Teppich,
der unnöthig, dafür fehlt aber der
Vorlegteppich vor dem Bette. Ebenfo
ift im Gaftzinmer felten Alles, wie
es auch nach bejcheidenen Anforderuns
gen fein ſollte. Es kann Einem
paffiren, daß man ein ſchweres Silber»
beftet vorgelegt bekommt, der Löffel
hat laut eingravierten Namen und
Datum die Bedeutung eines Blattes
aus der Familienchronik, er ift ein
Pathengeſchenk für das ſchmucke Töch-
terlein, das den Schilder credenzt
oder den rothen Traminer; troß diefer
bürgerlichen Solidität werden aber die
ſchmackhaften Gerichte auf anbrüchigen
Steinguttellern ferviert, deren grau ges
wordene Glaſur fo viel Sprünge
zeigt, wie altes Nankinger Eraquele-
Porcellan, und doch ift Heutzutage ein—
fach weißes Porcelan, das allezeit
appetitlich bleibt, im Preiſe kaum
theurer wie Steingut. — Und will
man dann nah Zifh einen Gang
machen, ſchwirren Einem die greu—
lichften Eitate aus dem Taucher durch
den Kopf: „Da unten aber ift’s
fürchterlich.“ Die Schweizer Haben
von den Engländern Das engliſch
einzurichten gelernt; auch die Anıpez=
zjaner find bereits auf den Witz ger
fommen und in einer ihrer berühmtes
ften Fremdenherbergen findet man
Das in Einem fauber tapezierten
Gabinete doppelt nebeneinander; die
Belikerin mag gedacht Haben super-
flua non nocent! Zu diefem fpecielle=
ren Abjchnitte gehört auch das Gapitel
über die Straßenreinlichkeit, die ſelbſt
in vielbefuchten und berühmten Som:
merfrifchorten Alles zu wünſchen
übrig läßt. Im einem angehenden
Curort an einem reizenden See Jind
die Schweinekoben mit befonderer
Vorliebe nach der Straßenfeite geehrt
worden und meben denjelben liegen
die Miftftätten; bei Regenwetter gibt
ihre Jauche dem Straßenfoth wohl ein
recht warmes Sepiabraun, das zwar
hübſch abftiht von dem Saftgrün der
690
Grasraine, aber den Geruchdorganen
ebenſo unangenehm ift, wie an trode-
nen Sommtertagen die Ausdünftung
ihrer Urfprungsftätte.
Die Neihe ähnlicher Beſchwerden
ließe fich fortfeßen in’s Endlofe, aber
mit dem Klagen in Zeitjchriften wer—
den die Beſchwerden noch micht bes
feitigt.. Dazu bedarf es einer au
Drt und Stelle nachdrücklich und
nachhaltend empfundenen Einwirkung,
einer planmäßig betriebenen Reform—
propaganda, zu welcher ſich alle be—
rufenen Organe, Behörden und Ver—
eine verbinden müßten. Am beſten
wäre es, zur Leitung der nöthigen
Arbeiten einen beſonderen Verein oder
einen beſondern Ausſchuß für Reform
der Wirtshäuſer in unſeren Alpen—
ländern niederzuſetzen, in welchem die
zahlreihen alpiniſtiſchen touriſtiſchen
Verbindungen und die Geſellſchaft zur
Förderung des Fremdenverkehrs im
Alpengebiete entſprechend vertreten
wären. Was dieſer Ausſchuß für ge—
eignet zur Ausführung erachtet, hätten
dann die zahlreichen Seckionen jener
vorerwähnten Verbindungen, jede inner-
halb ihres engeren Wirkungsfreifes,
zu fördern. Die Aufgabe diefes Aus—
fchuffes der Alpiniften= und Zouriften-
vereine für Reform der Wirthshäufer
in den Alpenländern wäre nicht zu
hoch zu greifen; man Hätte fich nicht
mit dem bei uns vorläufig undurch—
führbaren Gedanken zu befallen, das
urwüchſig eigenartige und in feiner
Weiſe ja vortrefflich veranlagte Wirts-
hausweſen unferer Öfterreichifchen Aelp—
ler über den fosmopolitifchen Schweizer
Leiften zu fchlagen, fondern nur Das»
jenige zu verbefjern, was unbedingt
einer Bellerung bedarf, ſollen die
Fremden ſich bei uns wohl fühlen.
Die Propaganda hätte ſich dement-
Iprechend auf wenige Anforderungen
zu befchränfen, diefe aber umſo inten—
fiver zu betreiben: Auf eine Aende—
rung der Binmereinrichtungen und
Abftellung der oben erwähnten Uebel—
fände; auf eine entſprechende Mo—
691
dernifierung des Service und des
Servierens und auf jenes Neinlich-
feitscapitel, deſſen Paragraphe die
Engländer den Schweizern geläufig
gemacht Haben in Haus und Straße.
Betrieben’ werden jollte diefe Propa-
ganda durch Verbreitung Heiner ge—
meinfaßlicher belehrender Schriften und
durch Einbeziehung des Wirtshaus-
weiens, der Wirtshaus = Induftrie in
alle Regional = Ausftellungen, welche
irgendwo im Alpengebiete veranftaltet
werden... Die Herftellung der belehren
den Flugſchriften würde fehr wenig
foften, da die ihnen beigegebenen, aber
mit planmäßiger Auswahl von der
Nedaction zu fichtenden Inſerate einen
guten Theil der Auslagen deden wür—
den. Auf den Wusftellungen hätte
man nicht das luxuriöſer eingerichtete
Wirtshaus und Sommerfriſchlerheim
in erfter Linie zu berüdjichtigen, fondern
vorab das einfache Wirtshaus. An—
ftatt daß bei diefen Ausftellungen, wie
es Mode getvorden, „altdeutfche Zim—
mer“ mit echten Yundftüden aus der
Urpäterzeit und mit Gfchnas heraus-
gepußt werden, wären Wirtshaus:
zimmer der allereinfachften Art, aber
ausgerüftet mit den für den Comfort
unentbehrlichen Gegenftänden aufzu—
ſtellen und die Preiſe dieſer Einrich—
tungen, ſowie ihre Bezugsquelle anzu—
geben. Es würden ſich alsbald einige
Muſtertypen ergeben, mit denen die
Wirte ſich in ihrem eigenen wohl—
verſtandenen Intereſſe vertraut machen
und dieſe nachahmen würden. Aller
Luxus, alle nicht abſolut nothwendige
Zier wäre zu vermeiden bei Beibe—
haltung einfach geſchmackvoller Formen.
Die kunſtgewerblichen Schulen in den
Alpenländern fänden hier eine Auf—
gabe, um auch ihrerſeits veformatoriich
einzugreifen, indem fie den Dorfhande
werfern die Mufter an die Hand
geben und die Wirfe damit von
dem Bezuge foftipieliger Einrichtungs—
Gegenftände aus der Ferne emancipie=
ren. Das Befte würde hiebei Die
mündliche Belehrung und Ueberredung
thun.*)
Jeder Wirt, der auf Sommer-
gäfte Bedacht nimmt, beftrebt fich, jo
gut er es eben berfteht, den Bedürf—
niffen derſelben entgegenzufommen.
Wird fein Gefichtskreis über dieſe Bes
dürfniffe erweitert, fo finden auch feine
Säfte ihre Rechnung und es verſchwin—
den allmählich jene Frictionen, die den
Fremdenverkehr in unferen Alpenlän—
dern bisher jo mannigfach erfchwert und
den Aufſchwung der Fremden-Induſtrie
geftört haben. („Preſſe“.)
) Siehe den Aufſatz: „Bon der Un:
zwedmäßigfeit unferer Zimmereinrichtung.“
Heimgarten, IX., Seite 909.
Das Pandleben hat Gott "geben — fo heiter und froh!
Bilder aus dem Bolte von P. R. Rofegger.
Ankunft zum Tanze.
na 9 enn das Dorf rhythmiſch wird,
N da gehts luſtig zu! Auf der
Kichweih! Auf der Hochzeit! Der
Himmel ift nur darum fo jchön, weil
er voll Geigen hängt. Denft Euch’s,
auf dem Zanzboden: Die Schranfen
*
fallen, der Burſche geht zur Dirn,
umarmt fie, tanzt mit ihr im Kreiſe,
da3 Haupt legen fie einander auf die
Schultern, die Bruft drüden fie eine
an die andere, fein Herz Hopft heftig,
fHlopft an ihren Bufen an. Es darf
fein. Jetzt auf einmal darf es fein,
was Eltern, Vormünder und Pfarrer
44*
692
fonft fo firenge verbieten, jet auf
einmal iſt's erlaubt. Der Tanz ift
ein Gottesfriedenkreis, in welchem ſich
auch ſolche umfangen dürfen, die ſich
ſtill und ohne Hoffnung lieben, die
auseinandergehalten werden, als hätten
ſie ihre Verdammniß durchzumachen
ſchon auf dieſer Welt.
Vielleicht zählt manches Kind die
Tage des Jahres nur darum, weil
e3 in demfelben einen Kirchweihſonntag
gibt; vielleicht beſchließt es mit dieſem
Tage ein altes Jahr voll vergeblichen
Hoffens und Harrens umd begimmt ein
neues boll vergeblihen Harrens und
Hoffens. Aber fo reih an Glüd ift
die eine Stunde, da fie beim Zange
ihr Haupt lehnen darf an feine Bruft,
jo reih, daß fie ein ganzes Jahr
verflärt.
Um wie viel freudiger ijt der Kirch—
weihtag erſt Für andere Paare, die
fih nad) mancherlei Frohem und Zärt—
lichem einmal auch muſikaliſch gern
haben können!
Man foll den Wirt in Gold faflen,
der es verfteht, feine große Stube mit
fo vielen Himmlichen Freuden auszu—
ftatten. Seine Boreltern, die Gründer
des Haufes, längft Schon find in der
Beinfammer ihre weißen Knochen aufs
geihichtet, aber wohlweislich haben
fie fi malen laffen vor Zeiten, da—
mit fie wenigftens im Bilde nieder-
Schauen können von der Wand auf
den Kirchweihtanz. Iſt daneben im
Bilde doch gar auch die Muttergottes
da, um zur Abwechslung einmal auch
eine irdiſche Seligfeit zu betrachten.
Die Mufitanten ftimmen ihre Gei—
gen und Pfeifen; feine Stlapper ſperrt
ji. Keine Seite jpringt. Die Wand-
uhr hat man vergefjen aufzuziehen,
doch heute bleibt fie nicht ftehen, gebt
freiwillig weiter, aber ganz leife, wie
auf Soden, und der Zeiger weift be-
reits der guten Stunden erfte. In
der Küche unten wer borüber-
gehend Hineingudt — da leuchtet,
prafjelt und duftet es; Ochfen, Kälber, |
Schweine, Hafen, Enten, Hühner —
die halbe Arche Noahs hat fih opfern
loffen und macht zum ſchlimmen Spiel
jetzt gute Miene. Im Keller werden
Fuͤſſer „angebeilt“, Flaſchen aufge—
richtet vom Boden, wo ſie, halb mit
— bedeckt oder mit Staub, manches
'fhöne Jahr verjchlummert Haben.
Sie kommen aber noch früh genug.
In den Feſtſtuben find die Tiſche
zurecht geftellt und ſchier hochzeitlich
gededt. Ein Pärchen oder das andere
fit Thon da um einmal etwas Wein
zu foften, denn heute wollen wir einen
fühen, weil „fie“ da ift, und einen
leichten, weil wir's bei etlichen Gläfern
nicht bewenden lajlen können.
Hallo, jet Hört man munteren
Lärm unten vor dem Haufe, die
Treppe herauf erfchallen kräftige Fuß—
tritte, auch weichere tappeın mit —
fie rüden an.
Die Thür fpringt auf. Der Birn-
baumfepp von Dunnersbach und feine
Liebfte, die Margarethel, Juch! Der
Krarentoni und die Seinige. Juch!
Der Oberftamer Michel und feine
Negerl. Und ihre Schwefter, die
Kathrin. Juch! Juch! Die Knie—
reiter-Buben und die Dirndln von
Sunnberg; dort find fie ſchön zeitig
worden in der „Sunn“, haben Wan—
gen wie die Bartelımei = Nepfel, fo
berzig weiß und roth; und Zähne
wie Kirfhbaumblüh’ lachen hervor
zwischen den nellenrothen Lippen.
„Grüß Gott, Buben ;“
„Grüß Gott, DirndIn! Ihr lieben,
ihr herztaufigen, ihr himmelherrgotts—
vertrampelten Weiberlenut! Juch! Juch!
Such I”
So fahren fie zufammen. Der
Schützenhans ift von feinem Stuhl
aufgefprungen, hopst ihnen entgegen
und jchnalzt mit den Fingern, mit
der Zunge.
Der Tonel von Sunnberg taumelt
Pe zu und triflert:
„Mein Dirndl i8 fauber
In Sunntagwandl,
| Und vor lauta Liab
| Fibern ihr d' Fürtabandl!
693
Mein Dirndl fon tonzn, heute wollen fie einmal gemüthlich bei—
er Yu zn —— ſammen fein, heißt das, wenn —.
Wan’s da rehti Bua nimmt!“ Ganz hinten am Tiſch, fchier im
Spielleutwinfel, dort fißt er und
Der Kumpfhies, auch der Dodl: |lauert. Der müßte fhon Manche
raufer find da, und Andere. Die zu friegen, weiß aber Steine feftzu-
Kathrin fchreitet Tühnlich voran, ihr halten, und darum will er Anderen
thut feine Wahl weh, wen fie ihre auch Keine gönnen. Ihm geht’3 Heute
Grußhand foll bieten. Dem Hies. gar nicht um's Tanzen und Gingen,
Aber der läßt ſich mit einer Hand ihm geht's um's Stänfern. Ihm geht's
nicht genug fein, er nimmt auch die nicht um die Dirndl, aber um’s
zweite und fo ftehen fie da und lachen Raufen. 's ift auch Einer von denen,
ih an. Man merkt es gleich, das die feine Unterhaltlichkeit finden bei
find alte Bekannte. einer Kirchweih, wenn micht gerauft
„Iſt das Unkraut auch da!“ fagt wird. Allerhand Finten hat fich die
die Kathrin, denn bei den Bauers- rau Wirtin ſchon ausgedacht, wie
leuten: je fpottender das Grußwort, |fie den Studel-Stin heut’ aus dem
deito befjer iſt's gemeint. Haus brädte. Es ift ein Jammer
„Hreilih bin ich da“, antwortet um die Gläfer, um die Fenſter, um
der Hies, „ich will mich neuzeit halt die Stuhlfüße, die Der allemal koſtet.
alleweil vor den ſauberen Weibsleuten Mitten in die Fröhlichkeit ſchreit
verfteden und fo bin ich auf den die dünne Stimme des Heinen Bart—
ZTanzboden her, daß fie mich mit |wedel-Peter hinein: „Leut’, aus iſt's!
finden ſollten.“ Geht's eilends! Im untern Dorf beim
„Ein rechter Lapp bift!“ ruft fie | Kreuzwirt foll ein gottäfträfliches
und fächelt mit der flahen Hand Raufen fein. Mit Drefchflegeln ſchla—
gegen fein Geficht hin, „mir fcheint, gen fie fich die Köpf’ ein und bei der
Du bift no der nämlich’ Spigbub, | Hausthür rinnt Schon das helle Blut
als der Du in Grosdorf bift gewest!” | heraus!”
„Kann ſchon fein“, ſchmunzelt er. Der Studel-Stin hörts. Er hebt
Sie verftehen ich. fich, Schleicht pfauchend an der Wand
Am Tiſch, dort fteht der Schlägler | hin, Hufcht zur Thür hinaus.
Franz — der mit dem Blondkopf. Der Heine Bartwedel-Peter Hebt
Er ift Schon im einer Unterhandlung an zu fichern, da verftehen fie ihn
mit der Chriſtel. Schier befcheiden und laden und laden ihn ein, ihr
neigt er fein Haupt vor und wartet | Gaft zu fein den ganzen Abend.
auf Antwort. Sie macht ſich mit „Aber wenn er wieder zurück—
den Fingern was zu thun und fchlägt | kommt!“ gibt der Birnbaum-Sepp zu
auch ihre Augen d’rauf nieder und | bedenfen.
fteflt fi, als ob ihr die Fingernägel | „Der kommt Heut’ nimmer zurüd,”
wichtiger wären als das Anliegen des |verlichert der Peter. „Das Kreuz—
Franz. Die kurzen Worte, die fie wirtshaus ift voller Leut’, Holzknecht'
nebenbei fo heraushaucht, die deuten | find dort, Schmiede find dort, ungarische
hier mehr auf nein, als auf ja, | Drefcher find dort, Italiener und allers
aber plötzlich thut das Köpfchen ein Hand Leut'. Wenn nicht ſchon ge—
ganz leichtes Niden. Der Franz hat's rauft wird, bis er hinkommt, der
nicht überfehen. Er fchiebt ihr den | Stin, fo hebt er frisch vom Fleck weg
Stuhl Hin zum Niederſitzen. Die felber was au und macht nicht früher
Frau Wirtin ift Schon da mit Wein. | Feierabend, als bis er aufgeladen hat.
Ein Bruderwein wird's, wo ihrer Und wen die Schmiede und Italiener
Mehrere mit einander trinken, denn einmal den Budel voll laden, der geht
694
am jelbigen Tag nimmer auf den
Tanz aus.“
„Wahr iſt's. Trink, Heiner Peter!
Trinken ſollſt!“
„Und nachher, wenn wir ſtark find,
nachher, Spielleut’, rührt's Euch!“
Noch Eins. Habt Yhr die Kleine
ſchon ftehen gejehen Hinter der Thür,
beim Ofen? Die ift gar fill und
ernftHaft, begnügt ſich einftweilen nur
mit dem Sehen und Hören, was da
vorgeht und bleibt ſtehen wie ange—
wachſen. Derſelbige, den ſie meint,
der iſt noch nicht da. Sie wartet
auf ihn, das kann ſie ſich ſelbſt nicht
leugnen, aber fo oft Einer draußen
die Stiege heraufgeht, zittert ihr das
Herz aus Angft, er möchte kommen.
Sie geht überall Hin, wo ſie glaubt,
dab er zu fehen fein könnte, und ift
er nahe, jo weicht fie ihm aus. Sie
ift allemal troßig, jo oft er ihr was
Freundliches anthut, fei es ein Gruß,
ſei e8 ein gutes Wort; und fie weint
fi allemal die Augen roth, wenn er
vorbei ift. — Sie fteht da und iſt
in ihrer Unschuld, fie weiß noch nicht,
was kommen muß.
Er wird fommen und fie einladen
zum Tanz. Sie wird widerfireben
und doch an feinen Armen Hängen,
zitternd wie eine Taube, die im bie
Hände eines kecken Jungen gerathen.
Er wird ihr fühen Wein vorfeßen,
fie wird ſich weigern zu trinken und
doch das Glas, das er ihr felber zum
Munde führt, nicht zurüditoßen. Er
wird treuherzig anfragen, ob er fie
einmal am Fenfterlein darf begrüßen.
Sie wird ihn empört abweifen und
doh in der nächſten Samstagsnacht
vergeflen, das Fenfter zu ſchließen. Er
wird die Leiter anlehnen, fie wird ihn
angftvoll befhwören, davon abzulafjen
und wird von ihrem Fenſter aus doch
die Leiter halten, daß fie nicht ums
fällt. Wenn er heranfteigt, wird fie
das Fenfter zumachen, aber verfäumen,
den Weiber vorzufchieben. Wenn er
hineinfteigt, wird fie drohen mit
Lärm und Hilferuf, und wird flehen,
daß er leife auftrete, leife! Sie wird
fih zur Wehr fegen, aber ihre weichen
Urne werden ſich biegen, mit den
Händen wird fie ſich das Geficht ver-
deden und fchluchzen.....
Das ift nicht Koketterie, ihr lieben
Leute, das ift der Kampf zweier Ge—
walten, die im Weibe wohnen. Welche
von den beiden fiegt? Ich vermuthe,
Ihr wiſſet es. Iſt der Bann ge=
brochen — mit dem erſten Kuß geht
eine neue Sonne auf.
— Dirndl, er kommt! Er ſieht
ſie ſtehen, allein und zagend. Ohne
viel Gruß und Fragen nimmt er ſie
an dem Arm juſt heben die
Spielleute an — Juchhe! der Tanz
beginnt.
—
Sepps Brief.
Die Wirtstochter zum „Löwen“
ſchickt zu ihrer Freundin, der Kathrin,
fie ſollt eilends fommen, es gäbe was
Neues.
Lange genug hat’3 gedauert, ſechs
Wochen lang, bis der Herr Kaiſer—
jäger jo gnädig war, einen Brief zu
ihiden. „Seine Andere mein Lebtag
nicht!” Diefes Wort hat er beim Ab—
Ichied gerufen und hat dabei die Hand
an die rechte Bruft gelegt. — „Du
Sepp!" hatte damals die Grethel ge-
fagt, „wenn Du bei diefem Schwur
die Hand aufs Herz willft legen —
das ift auf der linken Seiten!“ —
„Dirndh!“ war feine Antwort, „bei
mir ift es anders, ich habe das Herz
auf dem rechten led!” — So hatten
fie fi damals auseinander gefcherzt,
und Heute ift endlich ein Brief da.
Ein Brief und eine Photographie.
Die Beine ferzengerade gefpreizt, den
einen Arm an ein fürnehmes Tiſchel
geſtemmt, die andere Hand am Bajon—
nettgriff, „Bauch hinein, Bruft Heraus“,
auf dem munter gehobenen Köpfel den
Tſchako, fo fteht er da, ſchier wie ein
General, aber ein junger.
Das Couvert ift arg zerfeßt, man
merkt, daß die Finger etwas unge—
duldig gewefen find. Kein Wunder,
den
eigenen Fingern!
695
Schatz auszugraben mit blut- Wort vom bitteren Tod Nächte voll
Thränen gefoftet habe und daß fie
Und was fchreibt er? Die Kathrin | ihn ſchließlich um Gotteswillen bitte,
gudt der Grethel über die Achſel.
nicht auf das Schlachtfeld zu ziehen,
Daß alle Zwei fo vergnügt lächeln | weil fie dort auf Leute ſchießen thäten.
wäre unbegreiflih, wenn man nicht | S
wühte, daß die Kathrin ihren Lieb |
baber Schon im Trodenen hat — fie
ift verlobt mit dem Bäder Lois.
Troßdem verlangt ſie's zu willen, was
der Sepp jchreibt.
Der Brief ift ſehr ſchön und am
Rande mit Blumen bemalt,
Sein Bild, das hienge bereit3 über
ihrem Bett, aber mit dem Geficht
‚gegen die Wand; ehevor der Pfarrer
‚nicht ſeinen Segen gegeben, könne fie
es anders nicht dulden, denn er folle
einft an ihr ein tugendjames Weib
haben, wie er es verdiene u. |. w,
Lahend bringen die beiden
„Herzliebfte Grethel!“ fchreibt der, Schalkinnen diefen Brief zu Stande
Sepp.
werden
„Wann Du diefen Brief lefeft,
Dir
diefein Brief foll bereits ein brenn=
heißer Kuß fein! Alsdann, wir fein
zwar jeßt nun ziemlich weit von
einand, aber ift mein Sinn doch ftet3
immer bei Dir, Tag und Naht und
ſonſt auch! Nur das thut mich ängfti-
gen, warın Du mir wohl gewiß treu
bleibt, und wann ich vor dem Feind
ftehe und die Kugel in dM Bruft,
Dih kann ich niemals und im bitteren
Tod nit vergeſſen!“ —
So geht's fort und es ift gottlos,
daß die fchönen Leferinnen lachen.
Wüßten fie, wie dieſer liebesinnige
Brief zuftande gefommen ift, fie wür—
den nicht lachen, die Grethel noch am
allerwenigften. Der Sepp hat einem
Kameraden für das Brieffchreiben eine
Maß Bier zahlen müſſen und fiir die
„Kugel in der Bruft“ und den
„bitteren Tod“ wollte der Schreiber
noch ein paar Würſte obendrein Haben. fie ih das aus:
1000 güldene Grüße
entoegenftrömen! Denn jedes Wort in
und geben ihn auf die Bolt.
Faſt „umgehend“ Schreibt der Kaiſer—
jäger zurüd, ihr geliebtes Schreiben
mache ihn glüdlih über alle Maßen
und am meiften gefreut Habe ihn, daß
fein Bildnis über ihrem Bette hienge
und fein Geficht gegen die Wand fehre.
Das fei die gebührende Stellung, womit
er verbleibe ihr ewig treuer Sepp.
Jetzt lacht die Löwenwirtstochter
nicht mehr. Jetzt weint fie vor Zorn.
Und das ſchwört fie: „Wenn er erft
der Meinige ift, den Spott foll er
mir büßen!“ Früher hat fie ihn ge-
foppt, aber jet haßt fie ihn, und
habt ihn fo jehr, daß fie ihn heiraten
will.
In der Sennhütte.
Die Hübjchefte jchidt der Bauer
nicht hinauf in feine Sennhütte, das
ift wahr; fie geht Schon felber. Schou
am Leihlauftag, wenn der Bauer die
Dirn dingt Für's nächſte Jahr, nimmt
„Mit Lohn und
Jetzt halten die Freundinnen Rath. | Gewand will ih Dich nit überhalten,
Sollen fie den Brief unbeantwortet
laffen oder follen fie den luſtigen
Kaiferjäger ein wenig foppen? Sie
entjchließen fich für das Letztere; der
Sepp hat auch ſchon Manche gefoppt.
Die Grethel fehreibt ihm, daß,
feitbem er fort fei, die Welt ein Loc
babe, daR jein Herz — gleihwohl es
am rechten Fleck fie — liebeskranf fein
müſſe, wenn es an ihrer Treue zwei—
aber gehen thu' ih nur Fir’s Vieh,
Bin auch Heuer beim Vieh. Zum
Vieh kann ich mich fchiden, das wird
Dir mein jeßiger Bauer fagen, das
Dieb Hat mich gern. Wenn Du auf
mich anſtehſt, ich Komme ſchon zu
Dir, ich bleibe mein Lebtag beim
Vieh. Und im Sommer Takt mid
auf die Alm.“
„Ah na,“ meint der Bauer, „auf
feln fönne, daß ihr fein trauriges die Alın, das wär Schad’ um Dich.“
696
„Nachher mögen wir mit gleich
werden. Sted’ ihn nur wieder ein,
Deinen Leihkauf.“
„Zum Dunner! Wesweg willſt
denn juft auf die Alm?“
„Bon wegen der Gefundheit. Der
Doctor hat's geichafft, jagt er, ich thät
blutſchwach fein, da ſollt' ich Almluft
haben, jagt er.“
Wenn man fie anfchaut, fie ift
richtig ein wenig bla im Gefichtel,
kunnt ihr nicht ſchaden, ein Feder,
friiher Almwind.
„In Gottesnam'!“ fagt der Bauer,
und alfo geht fie zum nächſten Some
mer in Gottesnam als Sennerin auf
die Alın.
Einen Jalobi-Segen hat die Dirn
— noch von ihrer Ahne Her, einen
Brief mit Leiden-Chrifti- Bildern ge—
ziert und „fräftige Gebetter“ ent—
haltend. Schon ganz braun vor Alter,
abgegriffen, abgefüßt und arg ver—
Inittert. Das macht aber nichts, die
heilige Weih' hat er doch, fie ftedt
den Segen an den Bufen, wohlver-
wahrt Hinter dem Mieder. Jetzt kann
ihr nichts gefchehen, er beſchützt, wie
e5 zu lejen fteht, vor Krieg und Belt,
vor Feuer und Brand, vor Räuber
und Mörder und aller Gefahr des
Leibes und der Seelen.
So einen Segen möchte er
auch Haben, meint der Holzknecht
Domini, der in der Sennhütte ein—
fehrt. „Wo Haft ihn denn 2"
Sie jagt es nicht, er kann fich’s
denen und hebt an zu fuchen.
Und mag es bei Anderen auch jo
fein. Der Bechtoni fürchtet fich vor
dem Krieg und geht auf die Alm;
der Geier im Hag-Veit hat Angft
vor der Peſt und geht auf die Alm;
der Friefele Bub hat einmal ein Haus
brennen jehen, feitdem träumt er alle
Nächte von Feuer und Brand, er
fuht Schuß bei dem Jalobi-Segen
und geht auf die Alm. So wird die
Sennhütte eine YZufluchtsftätte von
allerhand Leuten. Die jeßen ſich des
Abend: um die Sennerin herum,
rauchen ihr die Hütte mit ftarfen
Tabak voll und auch ihre Neben, die
fie mit der Dirn führen, find ftarker
Tabak. Das macht ihr nichts, fie ift
da3 Rauchen gewohnt und bleibt ge=
fund dabei. Darum ſage ih, e& geht
nichts über das Abhärten in der
Jugend. In der Bauernfhaft weiß
man es ſchon mit zehn Jahren, wo
Barthel den Moft Holt; man kann's
ja in jedem Stall, an jeder Hühner-
fteige erfahren — und ift weiter nichts
d’ran. Iſt beſſer, wie das Neugierig—
machen mit dem Geheimthun, das
Vertufchen und Abſperren, während
Jeder das warme Blut im feinem
eigenen Leib Hat. Das Blut will
ehrlich behandelt werden, verjteht Ihr ?
Und bei gelunden Leuten, die nicht
durch prüde Bücher und pädagogische
Schliche verdorben werden, die wader
arbeiten müflen und bei denen Sich
manche Begierde durch das Ventil
derber Reden auspfeift, iſt's im All—
gemeinen wicht Jo ſchlimm. Es müßte
ja fonft bei der herrfchenden Zügel:
lofigleit in wenigen Generationen
Alles zu Grunde gehen da draußen
in Dörfern, Wäldern und Bergen.
Die junge Sennerin auf der Alm
wird nicht mehr leicht überrafcht; fie
fann ruhig bleiben und die Vernunft
mitreden laſſen, fie ift fchlagfertig und
gibt den kecken Burfchen ihr Theil
zurüd, daß fie mit langer Nafe ab=
fahren müſſen.
Eine Einfiedlerflaufe ift die Senn»
hütte nicht, das verfteht ſich, obwohl
alfo mitunter ein frommer Waldbru—
der darin hodt, der das gewiſſe Glöd-
lein läutet und nach den Jakobiſegen
jpäht. Und warum foll die einſame
Dirn nicht ihren Kameraden haben ?
Einer ift ihr genug; Mehrere wären
ihr zu wenig, jagt fie, denn fie will
einen ehrlichen, braven, tüchtigen Bur—
chen haben. — Man hätte wohl auch
andere Erfahrungen, aber ich meine
das: Was Sich Jeder denken fan,
das braucht man nicht laut zu jagen.
697
Der Capitelbot'.
Ein alter Volkstypus aus Niederöfterreich.
Geſchildert von E. 3. Freunthaller.
=
5») ecanat=Poft-Erpediteur nennt er
u ji und hat das Recht dazu;
denn er befördert die Verordnungen,
Decrete und Ähnliche Dinge im ganzen
Decanate,
Er ift Boftillon des Decanat-Vor—
ftehers und Hat zum Gefährt” des
Schufters geflidte Rappen. Er hat
Anspruch auf Unfterblichkeit, denn er
geht ſchon mehr als feit einem Jahr—
taufend von Pfarrhof zu Pfarrhof,
vor 1870 auch von Schulhaus zu
Schulhaus und die heutigen Poſt—
beamten nennt er nicht Gollegen, ſon—
dern Enkel (Ahnln). Gibts einen
ewigen Juden, fagt er, fo gibt's auch
einen ewigen Gapitelboten und damit
troßt er dem Dampf und der Elektri—
cität, und troßt auch dem zwanzigſten
Jahrhundert entgegen und hat mur
fein Lächeln dazu.
Freilich ſetzt ihm die Neuzeit das
Meſſer Schon an die Kehle und der
arme Mann ift ein Hinfälliger Greis
und ZTodesahnungen füllen ihm fein
Gehirn im Traum und Wachen, doch
lann ihn, wie er behauptet, nur der
heilige Vater in Rom den Todten—
ſchein ausftellen.
Stolz trägt er feinen Gapitelboten=
fopf, denn er Hat Geheimniſſe in
feinem Ranzen. Er bringt Luft oder
Leid in die Pfarchöfe, oder ſonſtige
Lehre. Und er ift auch der Thermo—
meter feines geſtrengen Heren, welcher |
Dechant in N. ift. Bringt er Freude,
tritt er fchmeichelnd auf, bringt er
aber Leid, nachher tritt er fo ftolz
auf, daß er feine Kehle weit vor der
Nafe Hat. Und fomit weiß der Pfarr—
herr nachher allemal, ob der Mann
Gutes oder Schlimmes bringt.
„Der apitelbot’ kommt!” Der
Ruf ift allemal eruft und fchallt durch—
dringend im ganzen Pfarrhofe.
Schon am Geläute der Thür—
| glode erfennt der Pfarcherr, was er
(bringt. Ertönt die Glode ruhig, ge=
meſſen, ſo bringt er gewöhnliche, harm—
loſe Dinge; ſchrillt ſie aber auf in
lurzen, heftigen Tönen, nachher iſt
Wichtigkeit in der Botentaſche. Der
Pfarrherr erjcheint jelber. Nur einen
furzen Blid wirft er auf die eintretende
Botengeftalt; denn er weiß alsbald,
was er zu hoffen oder zu fürchten Hat.
Tritt ein entblößter Scheitel zuerft
ein, nachher glättet ſich des Pfarr:
herrn bejorgtes Geficht.
Schier zwölfmal im Jahre tritt er
|feine Nundreife an und allemal for=
dert er das Poftporto zum Empfang
— don jedem Pfarrgehöfte dreißig
ſchöne Kreuzer.
Schon im Dorfwirtshaufe wird er
refpectvoll begrüßt. Mancher Bauer,
der dor feinem Pfarrherrn zeitlebens
den Hut nicht rüdt, reißt vorm Ca—
pitelboten feinen Sopfdedel weg und
füßt die Gapitelbotenhand mit geſtam—
meltem: „Euer Erellenz! Gnaden!“
„Es iſt Halt dennoch gut, wenn
ein Gapitelbot’ gut lefen kann!“ jagen
|die Banern nud Knechte, nachdem der=
jelbe ihnen aus feiner geheimnisvollen
Tasche eine Vorlefung gehalten. Und
fomit erfahren die Pfarrkinder alle
Decan-Nahrichten um Vieles früher
als der Pfarrherr felbjt und muß der
noch dreißig Kreuzer nebit Jauſe darauf
zahlen. Nun ja, der Gapitelbot’ ift
freilich nirgends beeidigt und getheilter
Schmerz ift halber Schmerz, getheilte
Freude aber doppelte Freude,
Bor 1870 fprang er aud die
Schulmeiſter an, ihnen gleich auf Bruft
oder Genid mit einem Sprung. Se
nachdem fo eine Schulmeifterfeele im
weißen oder jchwarzen Büchlein ftand,
darnach benahm fich der Bot’. Benahm
fi entweder ſehr hHerablaffend, mit
halbgejchlofjenen Augen und Lippen,
dabei ein Lied ſäuſelnd, oder er gudte
ftarren Leibes unabläflig an die Zim—
merdede, dabei mit hervorquellenden
Augen nad allen Seiten jchielend.
Brachte er Gutes, dann fagte er
Ihon bei der Thür: „Wir können
diesmalen gratulieren, denn wir find
diesinalen zufrieden mit Ihm! Mög’
Er uns ſtets erfreuen mit Seinem dies—
maligen Eifer und Seiner diesmaligen
Verwendbarkeit im Dienfte!”
Bradte er Schlimmes, nachher
hüftelte er vornehm, ſtrich fih das
Kinn und rief zur Zimmerdede empor:
„Wir find diesmalen höchſt mißge—
ftimmt zu Ihm! Er mag hier leſen!“
Oder er trat gar polternd auf und
gab dem todesgejchredten Schulmeifter
eine derbe Lection. Gab Rügen und
behielt den Hut auf dem Kopfe. So
ein. Rapitelbot’ rügte oft fogar den
Kinderfegen im Schulmeifterhaufe.
Auf gleiche Art echot er auch in
den Pfarrgehöften. Gegen Stapläne
benimmt er ſich ftetS ſehr referviert,
wann er auch zeitlebens nicht fo viel
Jahre ernft gearbeitet hat als fo ein
armer Kaplan im harten Studium
verbrachte. Herr ift er!
Nun bildet ſich fo ein Gapitelbot’
auch allemal zum ordentlien Pfarre
bof-Spion aus, und darum Hat er
Stielaugen. Gapitelbotenaugen find ab—
norme Augen, fie können Hinterrüds,
fönnen im Winkel und in Spiralen
bliden.
Geht jo ein Capitelbot’ mit Pad
vom Dechantshof weg, dann fteflt er
698
bei diefem oder jenem Pfarrhofe gut
frühftüden, gut mittagmahlen, gut
nachteffen, etwa noch gut übernachten
fann, überhaupt, daß er's gut trifft.
Und er trifft's gut, geht aber vorher
noch in die Wirtsftube, um diverſe
Dolce, Mefler, Scheren u. dgl. ge=
börig Schleifen zu laffen durch böfe
Mäuler — aljo, um auszuplaudern
und auszuhorhen. Plaudert aus,
borcht aus und macht darnach feine
Geſchichte.
Wie gefagt, ſetzt die Neuzeit ſchon
das Mefler an feine Kehle und hoch
oben greift man jchon nach der Feder,
um feinen Zodtenjchein auszuftellen.
Bor feinem Herrn, dem hochwür—
digen Heren Dechant, hält er den
Scheitel ftets im Niveau mit feinen
Sohlen, denn juft fo tief büdt er fich.
Thut’s aber vorlings. Vor dem Pfarre
herrn macht er den Bückling rüdlings,
juft, daß er nicht überfchnappt. Des—
wegen hat der Pfarrer den Capitel—
botenleib mit Wein derart zu erweichen,
daß derjelbe wieder mehr nad vorne
rüdt, und thut gut daran.
Kam einmal fo ein Capitelbot’ zu
feinem Herrn nach der Rundreife und
lobte diefen und jenen Pfarrhof über
alle Maßen, während er andere hoch—
verdiente Priefter ſchandvoll in Schatten
ftellte. Der Herr Decan aber witterte
den Wein und that darnad).
Nah etwa vierzehn Tagen ließ er
den Gapitelboten rufen. Auf dem
Decantifch aber ftanden fünfzehn wein—
gefüllte Gläfer.
„Hab’ da von jedem Pfarrhof im
Decanate ein Flaſchel bringen lafjen !
Kommt Her jebt, Gapitelbot’, und
probieren wir mitfammen die Pfarr—
höf’, ob fie was taugen!“
Der Capitelbot' hodte fi hin und
foftete, trank und koſtete wieder.
„Der da von Albertshauſen!“
machte er. Der Decan fchüttelte den
Kopf.
„Von Simonshofen!“ entgegnete
er. Jetzt fuhr der Capitelbot' in die
es allemal an, daß er zur rechten Zeit Höh
„Hab' ich's micht gejagt? Hab’
ich's nicht gefagt? Alles Falfch, was
von Simonshofen fommt! Der Wein
ift ein Albertshaufer allemal!”
„Und doch iſt's ein Simonshofer !”
machte der Decan mit überlegenem
Lächeln, und fo war es aud.
„Ich ſehe ſchon,“ fuhr der greife
699
in der Folge bitter an dem mißlie—
bigen Pfarrhof.
Er ift fonft ein ganzer Mann,
doch Fehlt ihm die Hauptſache: der
Zopf Hinten, den er mit aller Berech—
tigung tragen dürfte oder müßte,
Doc lafjen wir ihn wandern; der
Gapitelbot’ nähert fih ja doch als
legte „Hauptftüd” einem neuen „Ab—
Decan fort, „aus Euch fpricht micht ſchnitte“ und die Zeit wird ihm allen-
der Wein, denn im Weine joll Wahr:
falls den Schlußpuntt als Denkmal
heit liegen; fondern aus Euch fpricht ſetzen.
der Saufmagen, der gezahlten Bauern=
Auf einem Grabkreuze irgendwo
ſchnaps geſchluckt Hat!“ und hieß ihn | fteht zu lefen:
gehen. Der Eapitelbot’ wußte jedoch,
daß er allmächtig fei und rächte fich
„Bier ruht Franz Roth,
Geweſener Eapitelbot',*
Schnakfn.
Luftigi GihichtIn und BildIn in ſteiriſcha Gmoanſproch.
In Pfora fei Bruada!
Mitn Pforer in Kirchboch is 8
2 baftn guat ohlema. Der nimbb
fürs Werk und moant, wos
da Menſch täuat und loßt, entjcheidet
Wiſſn und Obfiht. Is ah gonz richti.
Do kimbb da Pforer amol af da
Goſſn mit fein Bruadan zfom, der a
Baur is z Kirchboch.
„Recht is 3 ma, dak ih Dih ſiach,
Bruada,“ redtn da Pforer on, „ih don
a por Wort z redn mit Dir.”
„30,“ fogg da Baur, „ih holt fcha
till; red ber.”
„Bruada,“ fogg da Pfora, „in
borign Sunta hoſt ma wieder amol
nit gor viel Ehr gmocht! — Hoft
wieder amol trunkn!“
„Ah, wegn den!“ moant da
Baur. „Derawegn wirft ma nit bös
fein, Hochwürdn. Schau, a went
trinfn is jo douh nir Schlechts. Wan
„Schön!” fogg da Pfora. „Dos
is alfo foan Raufch gwen, in da vorign
Suntanodht, wia’s Dih ban Hoamgehn
bin und ber draht hot, daß da d Lond—
ſtroßn 3 eng is worn!“
„Di hi,“ locht da Baur, „d Land-
ftraßn, moanft! Hin und Her draht!
Wettn will ih nir, Pforar, a3 war a
Räuſchl! Oba woaßt, Pforar, as hots
Neambb gſechn. Und däs is d Haubb—
foh. Nur fan Vergernuß! ſog ih
ollamol.“
„Neambb gſechn, moanſt? Daß fa
Menſch af da Stroßn war, moanſt,
Obnds, wan d Leut von Wirtshaus
hoamgehn!“
„Sn Gottsnom, fo hobn | mih
holt gſechn, wos ligg dan dron! Wan
| mih na nit dafennt hobn! Däs is
d Haubbſochn.“
„Nit dakennt hobn!“ ſogg da
Pfora gonz gſchmirt. „Sa wern holt
da Bruggnhiaſl und da Stoanſchloga
ma Durft hot! Daß oana koan Raufch | Thomas an frem bbin Menſchn af da
trinkt, ja gicheit is mar a ſou.“
Stroßn zſomklaubn, vana z Kopfn und
700
vana z Füaßn onpodn und in Dei
Haus trogn! Han!“
„AH wos!” fchreit da Baur, „dar
fennt bin, dafennt ber. Wan ih na
jelba nir davon woas.“
Die Gonsleber.
Wia da liabi Herr Ehriftus und
da Petrus noh af der Welt umanon—
dagonga fein, do fein | amol mit an
Hondwerhäburfhn zjomlema. Und
wia 3 da Hondwerchsburſch hot wohr—
thon, daß die Zwen a foafti Gons ba
je hobn, a zedfoafti Sons, de da Herr
Ehriftus fürn Pfingftfunta kafft hot —
loßt er ſih meamer ohſchittn und
zodlt mit.
Do legn ih die Zwen, da Herr
und da Petrus, amol in da Mittogshik
awenf unter an oltn Birnbam, dab |
a Schlaferi mochadn, und trogn in
Hondwerchsburſchn auf, der ſul fa guat
fein und ſul dameil die Sons brotn.
Gern thuat er 3, da Burſch, ei jo, is
a famodta, williga Menſch. — Nau
aft nochha, wia die Zwen munta wern
und guats Muats onhebn zan ſchmauſn
ban Gonsbradl, fogg da Herr gach:
„Ees, wo is dan d Leber?“
„D Leber ?” frogg da Hondwerchs—
burfch, „wos für a Leber?“
„Dba die Gone wird doh a Leber
ghobb hobn!“
„Sult ma moan,“ fogg da Hond-
werchsburſch, „ih glaubs felba, daß
ah a Leber do fein fult, gleihwul ih
ghört hon, daß s in der Gegnd do
a Gottung Gäns gebn ful, de oa
Leber hobn, oder a fo a kloanwinzigi
Leber, daß ma | Ilewa gſiacht.“
„Du Bua!“ fogg da Herr Chriſtus
gitreng zan Hondwerchsburſchn, „laugns |
nit! Du hoſt da d Leber jelba zuaga—
glegg!“
Do ſpringg da Burſch auf und
ſchreit: „Na, do muas ih bittn! Ih
d Leber gftuhln! Ih, der nir bot af|
„das Bulk fennft Du nit. Dos is a
da Welt wia fein ehrlihn Nom! Den
ah noh raubn! Is ma mei Leppa noh
— — — — — — — — nn — —
nit poſſirt. Dos is da Donk, daß ih
Hulz zſomtrogn und Feur gemocht und
die Gons brotn hon, daweils Ges af
da fauln Haut ſeits glegn! Dos wir
ih ma mirkn!“
„Nau, nau, nau!“ ſogg da Herr,
„brauchſt derawegn nit gar a fo auf-
zbegehrn. Wird jih jo weiſn.“
In Tog drauf is 3, wia die Drei
über a Bruggn gehn, wird in Hond—
werchsburſchn af canmol wirbli und
er follt in Boch.
„Hoft d Leber geſſn?“ froggn da
Herr.
„Und man ih dafaufn muas!*
gurgelt da Burſch, „ih bin unſchuldi.“
— Af dos kimpp er glüdler afn feftn
Bodn auſſa.
Wieder in Tog drauf ſchlofn die
Drei af an Heuftodl ; da Hondwerchs—
burſch thuat mit feina Tabakpfeifn um,
af jo und na brinnt da Stodl und da
Burſch iS mittn in Feur.
„Hoft d Leber geſſu?“ froggn da
Herr.
„Und wans mih brotn wir an
Odin!“ ſchreit da Burſch, „ih woas
nir da da Leber!" Af dos hotn da
Rachfonkkirer aus n Feur griſſn.
Wieder in Tog drauf kemmen ſoll
Drei af an Kiata. Do wird an Kroma
ſei Geld gſtuhln; in Hondwerchsburſchn
hobn j as ziechn, pockn an zſom, wölln
an aufhenkn.
Wian ſcha da Strick um an Hols
is, froggn da Herr Chriſtus: „Hoſt
d Leber geſſn?,
„Und warn 3 mid ba die Füaß
aufhentn!“ ſchwirt da Burſch, „Ih
hons nit und ih Hons mit gfrejin!“
— Hoaßts: da Kroma hät fei Geld
wieda gfundn; hobn au Hondwerchs—
burſchn ausglofin.
Diaz is da Herr fuchti und er
fogg zan Petrus: „Du, däs is a va—
donkta Strik, der Hondwerchsburſch.
Ih fon mochn wos ih will, ih bring
eahms nit auſſa!“
„Herr,“ ſogg da Petrus Holblaut,
Böhm! Lok mid mochn. Ih wir n
gleih hobn. Leg Did ſelm Hinta d Sogg da Jogerl: Na, voraus
Hedſchuſtaudn, und gitell Did, as wia laffn wir ih n nit!“
wanft ſchlofn thaſt.“ — „Is er leicht üban Berg
Richti, da Herr geht drauf ein. | gſprunga?“
„Ih woas nit,“ ſogg er laut, „daß — „Na, untern Berg durchi nit!“
ma heint da Schlof aſo zuageht! D — „vBiſt leicht finkfaul af der
Hi mochts. Ih muas mih awenk in Erdn glegn ?“
Schotn legn.“ — ,Na, afı Firmament obn
Daweil er jhloft, thuat da Petrus | nit!“
fein Geldbeidl auffer, laart n af a — „Nau gfreu Did, Jogerl, Dir
Bret aus und thoalt 3 Kupfageld in) wir ih die Gons von Lohn ohziachn!“
vier gleihi Häufla. Do fchleiht da — „Na, draufgebn werd a
Hondwerchsburſch ſchen ftad zucha, qugg ma | nit!“
und gampp aweil und frogg af d Leßt: — „Kerl Du! muaßt dan olla=
„Bruada, wos thuaft dan do?“ mol 8 leßti Wort hobn!“
„Geld zähln,“ fogg da Petrus, — „Na, 3 erfti loßt a ma nit!“
„woaßt, unfere Weg wern biaz bold — „Wart, ih wir da mweitahelin!“
ausanondagehn und fa miafin mar — „Io — ſtehnbleibn wir ih
unter uns in Bedlpfening thoaln. | mit!“
Schau amol, däs Häuferl, däs ghört
in Heren; s zweiti do, däs is Deins,
und 5 dritti ghört mei.“ Da Baron und fei Reitknecht.
„Und 8 vierti ?* frogg da Burſch. Ya, wia da Baron gflorbn is —
„Hreunderl,“ moant da Petrus und | de fcheni Lei! A wundafcheni Teich!
leggn d Hand af d Ochſel, „va den Sechs Röſſa hobn 8 ongfpont, üban
friagft Du nir. Däs Häuferl ghört Wogn obnauf Hot an eifnana Ritter
in Sebin, der dafür gjorgg hot, daß auſſagſchaut, weil er amol an Ofazier
mir Ondern uns in Mogn nit va— is gewen, da Baron, und hintn hobns
dorbn hobn. Nir Schlechters fürn Mogn, an gonzn Haufn Kranzlwerch noch—
as wir a Gonsleber. Däs Geld ghört | gfchlepp, und die Gloggan hobn gicheafelt
Den, der d Leber Hot gfreſſn.“ a gonzi Stund, daß ma 5 Winfeln
„Mir ghörts!“ jchreit da Hond- | nit hot ghört.
werchsburſch, „meina Seel und Goud, Wos für a Winfeln? Jo!da Herr
d Leber — ih hons gſchmaust!“ Baron iS damweil jhon in da Höll
gſeſſn und Hot gwinfelt. ;
In erſtn Tog, nau, do is 3 no
Da Gonsholda-Jogerl. gonga, do Hot du Zuifel noh gſogg:
Auweh! Wos is dan in Jogerl „Heint fonga ma noh nit on, Herr
widafohen! In Gonsholda = Jogerl?| Baron, heint fon Er an Spoziergong
Hudt ſelm afn Roan und rehrt. Kimbb | mochn dur d Höll, dak Er die Oert—
fei Baur daher. lichkeitn und Einrichtungen und Bräuch
„Nau,“ fogg er, „Sogerl, wos awenk fon kena lerna. Wird ah guat
flenft dan?" fei, wan er ſih in ondern Zuifeln
Sogg da Jogerl vadriaßli: „Na, | vorftellt. Ma kon nit wiſſn!“
lochn wir ih mit!“ Mar recht. Oba viel Schens hot
Frogg da Baur: „Hot da leicht | er nit gſechn af fein Spoziergong und
da Fuchs a Gons gftuhln ?“ funt ah nit fogn, daß er n extra guat
Sogg da Yogerl: „Na, bringa ongſchlogn hät. Guatn Belontn is er
wird er ma | nit!“ begegnt: In Dolter Eifnbort, in
Frogg da Baur: „Yo, bift n dan | General PBumperer, in Brolotn va
nit nochglaffuı ?* Sand Anton, in Hofroth Kraucher,
und af oamol fiat er ah fein liabn
702
bon id. In ormen Leuin Geld oh—
Reitknecht Johann, der an etla Wochn | zogn, eahna va mein Hirfchn 5 Kraut
vor eahm geftorbn is.
„Euer Gnodn!“ ſchreit da Johann
und reißt fei Butin von Kopf, „jo
wos is dan dis? Wos gibb na d
Ehr, mein liabn gnädin Herrn do her—
untn z ſechn? Wul do eppa nit af
länga? Wul doh nar af an Hoan
Bſuach ?“
„Mei liaba Johann!“ ſogg da
Baron, „freili wul af länga.“
„Jo, wia war 3 dan migla!“
ſchreit da Reitknecht, „o ſo a guata,
brava Herr! Sa viel ormi Leut be—
ſchäftigg, daß ſnit gonz dahungert fein!
DM Wohn in guatn Freundn a por—
mol groſſi Tofeln gebn! Fleißi in die
Kirchn gongan und ofli Freitog lauta
Fiſch und Humern und Mehlfpeifn!
Und hiaz do Heruntn! Io, däs war
doh nit zan glabn !“
„38 holt doh a fo, mei Du!“
jogg da Baron gonz vazogg, „woaßt,
id — as is holt a joa Sohn —
woaßt, a wenk 3 viel Bauen gſchundn
frejin loſſn und nit daftot’t. Oflaweil
na mei Vamögn gröffa mochn wölln
— Baurndörfa zſomkafft, Gſchlöſſa
zſomkafft, af da Bank gfpielt, oflaweil
na Geld, mehra Geld — und olls
bawegn an nirnußign Sohn, der hiaz,
wia ma hört, die gonz Wir wieda
durgbringg. Röſſa! Spiellortn! Ment-
ha! Sauba ful er & treibn hiaz, der
nirnußigi Bengel! — Oba fog ma,
Sohann, wia fimft dan Du do her?
Dllaweil fa brav und treu und horm—
los gwen! Wos Hoft dan nur Du
gmocht?“
Krotzt ſich da Reitknecht hintern
Ohrwaſchl und ſogg: „Holt ebn in
nixnutzign Bengel!“
Erklärung: Hain: faſt. ohkema:
zu verfehren, umanondagonga: umber-
gegangen. ohſchittn: abſchütteln. fuchti:
jornig. gampp: ſchielt. in. Sebin: den:
jelben. rehrt: weint, gſchnafelt: ge
läutet, geſchrillt.
Ara
mi
Alleine Jaube.
Habt Dank, * guten Leute!
Habt Danlk, Ihr guten Leute, Ich werde nimmer milde,
Für diefes reihe Mahl, Des Himmels Glanz zu jhau'n,
Das Ihr mir aufgetragen | Auf feiner Wollen Spiele,
In buntbefränzten Schüffeln i Auf feiner Floden Reigen
Und Goldpocal. Mein’ Luft zu bau'n.
Mein Herze dürftet nimmer Der Lüfte ſanftes Wiegen
Nah Weltgenuß und Ehr’, Und wild gewaltige Madt,
Im ftillen Dorf zu leben Der Wäller Steigen, Stürzen
Als Menſch bei jhlihten Menfchen, Hat ſtets mir Seligfeiten
Was joll ih mehr? Ins Herz gebradt.
Daß ih im Frieden athme Und finf ich einft zu Grabe
Und dankbar, angefidhts Bon heitrem Tageslicht,
Der heiligen Wunder Gottes Die Erde, ewig Nojen
Mich meines Lebens freue, Aus ihrem Schoße fendend —
Sonft will ih nichts, Ich furcht' fie nicht.
F. 8. BRoſegger.
iſt? Ich danke ſchön. Zwar kann man
Ein Keiſeabenteuer. haufig hören, im einſamen Hochgebirge
Erinnerung = den Bergen von Tirol. je; e3 weit fiherer zu wandern, als
— — etwa in belebten Gegenden, in der Um—
Ich bin meines Zeichens Naturfreund, gebung von Städten. Mag ſein, in
und doch zweiundvierzig Jahre alt ge- ſolchen Gegenden wandere ich eben erſt
worden, ohne eine Landpartie zu Fuß recht nicht. Die perſönliche Sicherheit
gemadt zu haben. Das Leben bat un« |ift doh das Erſte, wenn man einen
vermeidliche Gefahren, wozu fi noch | Genuß haben will, Webrigens, wenn es
muthwillig in vermeidliche jtürzen! Ich d’rauf ankömmt, weiß ich mich auch aus
habe ohne Begleitung niemald eine Fuß- der Patſche zu fchlagen !
partie im Gebirge gemacht; wenn Einer | Wenn ih in Tirol oder Oberbaiern
in einer Bergſchlucht von Raubferlen | in der wohlverwahrten Poſtkutſche ſaß,
angefallen, ftumm gemacht und in den | voran ein Paar flinfe Röſſer, auf dem
Graben geworfen wird, wer gibt was | Bod ein kräftiger Burſche, da fühlte ich
dafür? Wird nicht Jeder jagen: Hat mich geborgen und fonnte mich der Natur»
er's noth gehabt, daß er allein gereist kneiperei nach Herzensluft ergeben. Doch
babe auch ich die Erfahrung machen
müſſen, daß der Menſch feinen Schidjal
nicht entgeht. Nur Kopf aufrecht, das
ift die Hauptſache.
Im Sommer des vorigen Jahres
war's. Ich reiste mit einigen meiner
Bekannten in Tirol. Während die Anderen
zu Fuß durch's Land ftolperten, war ich
vernünftig genug, mir einen Wagen zu
gönnen. So fuhr ich mit dem Pojtwa-
gen durch das obere Innthal gegen
Innsbrud. Es waren fonnige Tage,
weshalb ih den Magen jchließen lieh,
des läftigen Staubes wegen; id war
faft immer der einzige Paflagier. Nur
einmal fuhr ich zwei Stunden lang mit
einem kranken Italiener. Ach weiß übri—
gens nicht, ob er wirklih franf war,
oder ſich bloß jo ftellte. Ich beobachtete
die nöthige Vorſicht und ift auch meiter
nichts gejchehen. Der Mann bat, als
er ausftieg, ganz artig gegrüßt umd fich,
weil er mir ein bißchen auf die Zehen
getreten, höflich entſchuldigt.
Mit dem Poftwagen kann man wohl
auch in der Nacht reifen. Nu, man wird
ſehen.
Eines Abends ſpät, es war hinter
Nauders, blieb der Wagen vor einem
Wirtshauſe ſtehen, man kennt ja den
Brauch der Poſtillons. Ich blieb im
Wagen ſitzen und dauerte es diesmal
wirklich nicht lange, bis der Kutſcher
auf dem Bock ſein Glas geleert haben
mochte und weiter fuhr. Aber nicht fünf
Minuten waren wir gefahren, bei einer
Straßenjcheide, wo unter einem Schaden
eine gemauerte Kapelle ſtand, hielt die
Kutſche wieder ftil, ein Mann machte
den Wagenihlag auf und fragte mic,
wohin ich reije ?
„Rab Innsbruck“, antwortete ich.
So müfje ih bier ausſteigen, dieſer
Wagen gehe in's Graubündnerische. Es
füme unverweilt ein zweiter Wagen
nad, der mich aufnehmen würde und
nah Innsbrud bringe.
„Es iſt eine leidige Sade, das Um-
fteigen,” ſagte ich und juchte meine fieben
Saden zujammen; es iſt gut, denn
ib finde mib in Alles hinein, Dann
war ich draußen und der Poftwagen
rollte davon.
Stand id allein da in der finiteren
Naht und im ſchweigſamen Wald. Blidte
um mid, ſah aber nichts. Ward mir
etwas ungleich. Hörte aber bald den
Wagen beranrollen, der mich aufnehmen
jollte
„Sit das der Wagen nad Inns—
brud ?” rief ich den Kutſcher an. Wurde
alebald der Schlag geöffnet und id
jammt meinem Reijegepäd bineinerpediert.
Dann gieng’s raſch voran. Iſt gut,
dachte ich.
Als wir etwa eine Stunde gefahren
waren — die Kutſche war auch mwejent-
lich fümmerlicer, als die erfte geweſen
— merfte ih, daß der Weg immer
bolperiger und armjeliger wurde. Das
fährt ſich nicht wie eine Landftraße in
die Hauptjtadt. Ein paarmal rief ich
durch das Fenſter den Kutjcher zu, ob
wir nicht bald in den näditen Ort
fämen, ich ſei müde und wolle über-
nadten.
Der Kutſcher brummte etwas Une
verftändliches und es rafjelte und holperte
weiter. So viel ih bei Sternenjchein
ſah, wir famen immer tiefer in eine
Wildnis hinein; links war ein fteiler,
hoher Berg, rechts ein tiefer Abgrund,
aus welhem ein wildes Wafler herauf
raufchte. Plöglih ftand der Wagen
jtil, ganz als ob er im Steingerölle,
welches vom Berge niedergegangen, fteden
geblieben wäre. Sachte wurde der Wagen-
ſchlag aufgemacht, davor ftanden etliche
baumftarfe Männer, wovon der Eine mich
artig um meine Geldtajhe und andere
Wertſachen angieng.
„Boftillon !* wollte ich rufen, aber
die Stimme blieb in der Kehle jteden wie
eingeroftet. E3 war aber bloß Klugbeit.
Nichts gefährlicher bei dergleichen Ueber-
fällen, als Schreien.
Der Poſtillon würde mich nicht hören,
bedeutete der Mann, ich hätte den Poſt—
wagen ja längjt verlaffen, um mich diejer
Kutſche zu bedienen, die mir ihrerjeits
zur Verfügung geftellt worden. Sie hätten
ſchon gehört, dab ich mich auf meinen
705
Touren vor Räubern fürdte und daraus
geichloflen, dak ich Geld bei mir haben
müßte. Ich möge weiter Feine Umjtände
machen, e3 wäre für mich weitand am vor—
theilhafteften, wenn ich meine Sach' ruhig
und vertrauensvoll in ihre bewährten Hände
legte. Dann möchte ich meinen Weg zu
Fuß fortießen, in zwei Stunden wäre ich
wieder beim Inn und dann rechts, mur
immer recht3 halten, bis Innsbruck.
So habe ih mir gedadt : Im Gottes»
namen, bier friegt man ein Leben zu kaufen, |
ih faufs. Und hab’ ihnen Alles gegeben,
auch den Revolver, den ich bei mir ge-
tragen und von dem fich$ gezeigt, daß er
nichts müßt, — Du wirft zugeben, lieber
Leſer, daß ich mich ganz tapfer gehalten;
ein Anderer an meiner Stelle hätte ſich
etwa gemweigert, das Verlangte auszufolgen
oder hätte gar breingejchoflen. Das wäre
das Unfinnigfte gewejen; eben weil ich
meinen Muth bezähmt, bin ich mit dem
Leben davongefommen.
Wir find hernach leidlih gut aus-
einandergefommen und heute freut mich das
Abenteuer ganz unbändig und jollen es
Kinder und Kindeskinder willen, das da—
mals unter einer gewaltigen Räuberbande
einzig nur meine Bejonnenheit mich ge
rettet bat.
Später hat man mir aber die Freude
verderben wollen. Erhielt ich eines Tages
ein Paket zugejchidt — ungenannter Ab-
jender — und darin fanden fi aile meine
Saden, die mir damals in der Berg-
ſchlucht geraubt worden, die Geldtajche,
die Uhr, der Brillantring, das Tajchen-
mefjer, auch der Revolver dabei, und jtaf
in der Mündung des legteren ein kleiner,
natürlicher Hajenfuß — was ein Witz
hätte jein jollen. Und jagen meine Freunde,
ih wäre gefoppt worden.
Das ſpricht jo recht für die Art ihres
Charakters. Mögen jie fich vielleicht mit
Mummenjchanz zufrieden geben — gut.
Meine Sache ijt das nit. Wenn ich
mib im Wald einmal anfallen laſſe, jo
müſſen e3 echte Näuber jein, und nicht
faliche.
Kofeoger's „„Keimaarten’,, 9. Geft, X.
Zlieg’ fort, Bu ungetreue Seele!
Lieder von Sophie Khuenberg.
I
Weltfern geichieden und doch Hand in Hand,
Sein Blid ift kalt, ihr Herz voll bittrer
Blut
u
Und jeufzend ftirbt die vielgequälte Liebe;
Mondhell liegt draußen das verjchneite Land
Und träumt von Haß und Krieg und
Menſchenblut,
Sie aber träumen von verlorner Liebe.
II.
Eisblumen wahjen an den Scheiben,
Der Tag ift falt und blau und Mar —
Was foll ih thun, wo foll id bleiben,
Da Alles Trug und Täujhung war.
An fremde Herzen pocht Dein Lieben,
An fremde Lippen dent Dein Ruf,
Bon Heim und Glüd bin ich vertrieben,
Ein jhmwanfend Boot auf wildem Fluß.
Aufihäumen hoch die weiken Wellen,
Es heult der Wind, es finft das Land —
Werd' ih am Uferrand zerjchellen
Oder mid reiten mit fühner Hand?!
III.
Flieg' fort, flieg’ fort, Du ungetreue Seele,
Nicht Bitte und nit Thräne ſend' ih nach,
Die Ferne blaut, entfalte Deine Schwingen,
In ſehnſuchtsvollem Ton erftirbt Dein
Singen
Und hinter Dir liegt Glüd und Leid und
Schmach.
So flieht der Vogel aus dem engen Stübchen,
Wo treue Liebe ſorgend ihn bewacht.
Es locken ihn die flatternden Geſellen,
Die Wieſe grünt, die weichen Lüfte ſchwellen
Und Alles jcheint ihm jonnenhelle Pradt!
Doch mählih, wenn die erfien Dämmer
finfen,
Sieht er mit leifem Zagen ſich allein.
Im Schatten liegt der Wald, die Pfade
dunfeln,
In kühler Höh’ die matten Sterne funfeln
Und einjam fliegt er durch den öden Hain.
Was ift ihm dann die freiheit, was das
Leben ?!
Kein traulich Neft, fein Zweiglein harret jein,
Die Fremde fremd, die Heimat ihm ver:
loren —
Weh Dir, weh Dir, der ſolches Los erloren,
In Schmerzen und in Reue denkt Du mein!
45
Yon Begrühungsformeln.
In alten Zeiten finden wir Die
Höflichkeit im Urzuftande der Naivetät.
Die Berührung von Perſon zu Perjon
war vertraulih und bedurfte feine ber
fondere Ausdrucksweiſe. Man redete
einander mit Du an, wie bie und ba
noch jeßt geichieht, aber nur im mehr
abgelegenen Gegenden. Später bemühte
man fi, dem Angeredeten zu gefallen
und ihn höher zu ftellen. Dies geichah
zuerſt in der römijchen und byzantini-
ſchen Kaiſerzeit und pflanzte ſich fort
durh das Mittelalter bis zur Neuzeit.
Die verſchiedenen Höflichkeitsformen, wie
ihon das Wort höflich andeutet, ent-
ftanden auf den Höhen der Gejellichaft.
Die übrigen Stände ahmten das nad,
wie ja das auch mit den Moden ger
ſchieht. Alles fällt jchließlih von der
Höhe in. die Tiefe und umgelehrt will
wieder Alles höher hinauf. Heute heißt
auch der Geringite ein „Herr*, die Frau
it eine „Madame“, das Wort „Fräu—
lein“, das einjtige Prädicat für Fürſten—
töchter, trifft man jetzt ſelbſt auf Briefen
an Dienſtmädchen, die aud feine Yung»
frauen oder Jungfern mehr fein wollen.
Charakteriſtiſch für das Geſellſchafts—
leben find unjere Grußformeln. Sie
find vielfah, je nah den Standesunter-
jchieden, je nach dem gegemjeitigen mehr
oder weniger freundichaftlichen Verhält—
niffe; fie find heimisch oder entlehnt,
ernst oder ſcherzhaft. Das Grüßen ift
gewiß eine humane Sitte, allein es haben
fihb dabei auch mande leere Redensarten
eingeſchlichen. Darauf bezieht fich der
alte Volksſpruch: Leerer Gruß geht bar-
ſuß. Der pafjendfte, auch außer Deutjch-
land üblihe Grup „Guten Morgen,
guten Tag, guten Abend“ ſcheint bei
vielen Stadtlenten in Vergeſſenheit zu
geratben, und doc iſt er anwendbar für
alle Stände, und es klebt ihm nichts
Dienerlihes an. Er ift anzuwenden beim
Vegegnen wie beim Fortgehen. Das
„Küſſ' die Hand“ hat zwei Seiten: es
it theils ehrerbietig, wie bei Kindern
und Dienjtboten ; theils unterthänig, mebr
—
ſlaviſch als deutſch, darum hört man
es mehr im deutſchen Oſten als im
Weſten. Ein herzlicher Gruß iſt: „Grüß
Gott! Gut Heil! Glück auf!“
Beim Abihiede jagt man: „Leb’
mohl! Gott befohlen! B'hüt Gott!“
u. a. Das kurze „Ade“ (mit betontem
Auslaut, aus dem franzöfiichen à dien)
ift feit dem 16. Jahrhundert ganz volfs-
thümlich geworden und wird in ber
Dihtung noch immer gern gebraudt ;
auh im Bolfe Häufig in der Form:
Adjüss Adies! Grimm jagt (Wörter-
buh I, 176): „Die Berbildung des
18. Jahrh. ftrebte, dies längſt einge:
bürgerte Alde oder Ade zu tilgen und
ein ganzes franzöfiiches adieu herzu—
ftellen.“ Dem Deutjchen Elingt ja von
jeher alles Fremde viel vornehmer, daher
auch die vielen, zu 70 Percent, unnöthis
gen Fremdwörter.
Manche Anreden” und Begrüßungen
find der Mode unterworfen. Bei uns
in Defterreih hat jet Jedermann „die
Ehre“, als ob dA Gegrüßte als ein
böher Geftellter von dem Grüßenden
etwa einen Beſuch empfange. Diejes
„Hab’ die Ehre* fann nur einen Sinn
haben, wenn dabei gedadt wird: — Sie
zu grüßen, zu ſehen ober dergleichen.
Sonſt ift es ein nichtsſagender Gruß,
für den 3. B. ein Vorgeſetzter einem in
feinen Dienften Stehenden nicht mit der—
jelben Phraje danken kann. Hat der
Vorgejegte auch „die Ehre?" —
ferner hört man: „Ahr Diener!”
fogar „Korſchamer Diener! Servus
(serviteur)! u. a. das „Tſchau“ haben
die Dfficiere aus Italien mitgebradt,
als den Defterreichern Venedig und Mai-
land noch gehörte. ES iſt das italienische
schiavo, d. 5b. Sclave.: Ein jolder
Gruß ift doc jelbjt als gedanfenloje
Phraſe gegen alle Menjchenwürde, mehr
als das fkameradjchaftlide „Servus“,
das auch ausgeiprocen wird, ohne etwas
dabei zu denken,
Die Höflichleit hat einen fonderbaren
Entwidlungsgang. Indem fie für eine
Erböhung der fremden Perjon forgt, gibt
der Redende jcheinbar jeine Selbftahtung
107
auf. Man kann einen Andern noch jo
jehr erheben, ohne fih dabei herabzu—
jegen, wie das beionder3 am Schluffe
der Briefe und jonftiger Zujcriften ge
ihieht. Im der Sprade der alten
Römer und Griechen findet fich feine
Spur dieſer unmwahren, von echter Be-
jcheidenheit weit entfernten Selbjterniedri-
gung, zu der fich die oftafiatifchen und
leider auch moderne europäiſche Völker,
insbejondere die Deutfchen, verleiten ließen.
Hinter einer ſcheinbar demüthigen Phraje
ftedt oft eine große Eitelkeit. Ich fragte
einft einen Glavierjpieler, wer den von
ihm geipielten Marſch componiert habe.
Er antwortete: „Nun, meine Wenigfeit
bat einmal eine ſchwache Stunde gehabt.”
Das Ich, welches ſonſt im Leben eine
jo große Nolle jpielt, hat er vermieden,
um bejcheiden zu — ſcheinen.
Vernalefen.
Anſinn und Haturalismus in
Schulbüchern.
In Deutſchland erſchien vor einiger
Zeit ein bibliſches Leſebuch für die Jugend,
verfaßt von Otto Schulz, herausgegeben
von Dr. G. A. Klix (Berlin, Dehmigte's
Verlag). Das Buch ift in vielen Schulen
de3 deutjchen Reiches verbreitet.
Dem Vormworte gemäß ift der Zwed
des Buches, „eine Auswahl der wichtigften
biblifhen Erzählungen in ihrer einfachen,
urjprünglihen Form zu geben, bloß mit
Weglaſſung folder Stellen und Ausdrüde,
die für das jugendliche Alter entweder un—
verftändlich oder anſtößig ſein könnten.”
Das klingt ſehr hübſch und derjenige,
der fih die Mühe gibt, das Vorwort zu
lejen, wird diejen Principien jeine volle
Anerfennnng nicht verfagen. Doch auf den
erſten Blick erkennen wir, daß das Schulz.
Klixſche Buch ein Wert ganz bejonderer
Art ift. Da finden wir wunderbare Dinge
in Hülle und Fülle: erjtens Wörter, Sätze
und Ausdrüde, die entweder völlig un—
verftändlich find, zweitens andere Wörter,
Säte und Ausdrüde, die dur ihre brut-
gefühl aufs Tieffte verlegen. Im „Ma-
gazin“ gibt Gurt Abel einen Auszug
ſolcher Stellen, die er eintheilt in Sprach—
ih Anftößiges und in Unzüdtiges.
Spradlid Anftößiges.
©. 10. Nach diefen Geſchichten begab
fih’s, daß zu Abraham geihah das
Wort des Heren im Geſicht. (Soll
bedeuten, der Herr offenbarte fih dem
Abraham im Traume.)
©. 15. Da ließ der Herr Schwefel
und Feuer regnen von dem Herrn
vom HimmeM"herab auf Sodom und
Gomorra.
©. 16. Hundert Jahre war Abraham
alt, da ihm fein Sohn Iſaak geboren ward.
Und Sarah jprah: Gott hat mir
ein Lachen zugeridtet; wer es
hört, der wird mein lachen.
©. 22. Er aber jprah: Dein Bruder
ift gefommen mit Lit und bat Deinen
Segen hinweg. Da jprad er: Er heißt
wohl Jokob; denn er bat mich nun zwei
Mal untertreten.
©. 24. Und er blieb die Naht da
und nahm von dem, das er vor
banden hatte, Geſchenk jeinem Bruder
Gjau.
©. 25.
feinder,
©. 26. Als fie ihn nun jahen von
ferne, ehe denn er nahe bei jie Fam,
ihlugen fie an wider ihn.
©. 30. Warum Habt Ihr jo übel
an mir gethban, daß Ihr dem Manne an«
gejagt, wie Jhr noch einen Bruder habt?
©. 31. Da ſprach Joſef zu jeinem
Haushalter: Auf, und jage den Männern
nach und wenn Du fie ergreifeft, jo Iprich
zu Ihnen: Warum habt Ihr Gutes mit
Böſem vergolten? Habt Ihr nicht
das, daraus mein Herr trinfet,
und bamiter aud weisjagt?
S. 39. Denn der Herr verftodie das
Herz Phoraos, des Königs in Aegypten,
dab er den Kindern Iſrael nadjagte, Aber
die Kinder Iſrael waren dur eine hohe
Hand anägegangen.
©. 39. Und die Wolkenſäule machte
fih auch von Ihrem Angefiht und trat
Da wurden fie ihm noch
tale Natürlichkeit das Anjtandss ı hinter fie.
45 *
©. 55. Denn fie (die Kinder Yirael) | der Hütte. Und fie waren beide, Abraham
verließen je und je den Herrn und dieneten
Baal und Aftharoth.
S. 59. Deflelben gleichen alles Uebel
der Männer Sichems vergalt Ihnen Gott
auf ihren Kopf und fam über jie der
Fluch Jonathans.
und Sarah, alt und wohlbetagt. Darum
lachte Sarah bei ſich ſelbſt. Da ſprach
der Herr zu Abraham: Warum lacht
Sarah? Sollte dem Herrn etwas un—
möglich jein ?
©. 18. Und fie war eine jehr jchöne
©. 62. Da er nun von feinem Schlaf | Dirne von Angeficht, noch eine Jungfrau.
erwachte, gedachte er: Ich will ausgeben, |
wie ich mehrmals gethan habe, und will
mich ausreißen.
S. 62. Da madte fie fih auf mit
Ihren zwei Schnüren (— Schwägerinnen.)
©. 65. Siehe, es wird die Zeit
fommen, daß ich entzwei brechen will Deinen
Arm und den Arm Deines Vaters Haujes,
daß fein Alter ſei in Deinem Haufe.
©. 65. Und der Herr jprad zu Sa-
mual: Siehe, ich thue ein Ding in Jirael,
daß, wer das hören wird, dem werden
feine beiden Ohren gellen.
&.72. Und er jtand und rief zu dem
Zeuge Ifraels und jprah zu ihnen: Was
jeid Ihr ausgezogen, Euch zu rüſten in
einen Streit?
©. 73. Denn wer ift der Philifter,
der den Zeug des lebendigen Gottes höhnet ?
©. 75. Der König begehret feine
Morgengabe ohne hundert Häupter von
den Philiftern, daß man ſich räche an des
Königs Feinden,
©. 80. Siehe, Deine Magd hat
Deiner Stimme gehorchet, und habe meine
Seele in meine Hand gejeht, daß ich
Deinen Worten gehordte.
©. 93. Werben Deine finder ihre
Wege behüten ... jo joll an Dir nimmer
gebrechen ein Mann aufdem Stuble Iſraels.
©. 94. Ad), mein Herr, ich und diejes
Weib mwohneten in einem Haufe und ich
gelag bei ihr im Haufe.
Unzüdhtiges.
©. 10. Da erſchien der Herr Abraham
und fprah: Deinem Samen will ich dies
Land geben.
©. 12. Und Abraham jprad weiter:
Mir haft Du feinen Samen gegeben.
S. 13. Da jprad er: Ich will wieder
zu Dir fommen übers Jahr, fiehe, fo joll
©. 86. Und es begab fi, dak David
um den Abend aufitand von feinem Lager
und gieng auf dem Dach des Königshauſes
und ſah vom Dach ein Weib fih waſchen
und das Weib war jehr ſchöner Geitalt.
Und David jandte hin und ließ nach dem
Meibe fragen, und man fagte: Das ift
Bathieba, die Tochter Eliams, das Weib
Urias. . . Und da Urias Weib börete,
dak ihr Mann Uria todt war, trug fie
Leid um ihren Hausmwirt. (Anmerkung.
David bat nämlich den Tod des unbe—
quemen Gatten mittlerweile veranlaßt.)
Da fie aber ausgetrauert hatte, jandte
David hin und ließ fie in jein Haus holen
und fie warb jein Weib und gebar ihm
einen Sohn. Aber die That gefiel dem
Herrn übel, die David that.
©. 99. Denn Du haft meine Nieren
in Deiner Gewalt, Du wareſt über mir
in Mutterleibe. Jh danfe Dir darüber,
daß ich wunderbarlich gemadt bin; wun—
derbarlich find Deine Werke und das er-
fennet meine Seele wohl. Es war Dir
mein Gebein nicht verhohlen, da ich im
Verborgenen gemacht warb, da ich gebildet
ward unten in der Erbe. Deine Augen
jahen mich, da ich noch unbereitet war...
©. 113. Ich bin nadend von meiner
Mutter Leibe gekommen,
&.154. Wer ein Weib anfiehet, ihrer
zu begehren, der hat jchon mit ihr die
Ehe gebrochen in jeinem Herzen.
©. 188. Nun find bei uns gemejen
fieben Brüder. Der erite freite und ſtarb,
und dieweil er nicht Samen hatte, lieh
er jein Weib jeinem Bruder.
* *
Das genügt! Sole Früchte trägt
das Beitreben „Stellen und Ausdrüde, die
Sarah, Dein Weib, einen Sohn haben. | für das jugendliche Alter entweder un—
Das hörte Sarah hinter ihm in der Thür ; verftändlich oder anftößig fein könnten,“
709
fortzulafien ! Im bejten Falle verjteht das
Kind nicht, was es liest — dann bietet
man ihm etwas Unverdauliche und das
fann doch unmöglich in der Abficht einer
gejunden Pädagogik liegen. Man follte
meinen, daß das Schulz-Kliriche Buch eine
unerhörte Erjcheinung ift, doch nein! Faſt
alle biblijchen Lejebücher der höheren Schu»
len machen ſich desjelben gemeingefähr-
lihen Vergehens jchuldig.
‚Und neben ſolcher Nohheit in reli-
giöfen Schulbücern fteht die Prüderie
gegenüber von Volksſchriften für Erwach—
jene. Wir müſſen um Entjchuldigung bitten,
dab wir das Schulbuch citiert haben.
M.
Der Mahnbrief eines Fürften
an feinen Sohn.
Man kann fih von dem Eindrud
der erjten franzöfiichen Revolution auf
die Fürſten ein ziemlich deutliches Bild
machen, wenn man ſich in den Brief
vertieft, den der Herzog Ernſt II. von
Gotha-Altenburg zu Anfang diejes Jahr-
bundert3 an feinen Sohn Friedrich jchrieb.
Der Brief befindet fih im berzoglichen
Arbiv zu Gotha und lautet: „DO, mein
Kind! wir leben in jchlimmen Zeiten
und jehen einer unerwarteten Zukunft
entgegen, Deren Folgen und Endſchaft
Niemand zu beftimmen im Stande it.
Bedenke dies, mein lieber Sohn und
folgere die Lehren daraus, die ich Dir
gegeben habe. Alles, ja Alles will
unjerem Stande zu Leibe, will ihn ver-
drängen und vernichten. An ihm jelbit
würde nad meinem Gefühle eben nicht
jehr Bieles verloren geben, dies gibt
wohl ein Jeder zu; allein hiermit iſt
noch nicht Alles gethan, jondern die
Ordnung der Dinge, die nun einmal in
der Welt jtattfindet, gehet zu Grunde,
die gejellfchaftliche Verbindung löst fich
auf, eine allgemeine Anarchie und Wer-
wirrung der Geſinnungen und Leiden-
ſchaften muß jene Stelle in der Zukunft
vertreten. Daraus folgt natürlich, daß
alle Diejenigen, die bisher zu irgend
einem Stande erzogen worden find, nicht
mehr zu demjelben taugen werden ; daß
Vermögensumftände, wo ſolche noch zu
retten find, micht mehr in dem Maße
werden angewendet werden fünnen, wozu
man ſolche anzumenden gewohnt war;
ja, daß die mehrſten Güter diejer Erde
verloren gehen werden, und dab Die-
jenigen, die jet darauf rechnen, in der
Folge Äh in ihrer Rechnung gewaltig
irren und verrechnen werden. Bu fiebit
leicht ein, mein guter Fritz, daß Dir’s
nicht beijer als anderen ehrlichen Leuten
gehen wird, und daß Du bei Zeiten
Dich darauf vorbereiten mußt, um nicht,
wenn das Schidjal auch uns, Dich und
mich, trifft, in der Verlegenheit Dich zu
befinden, einmal betteln zu gehen. Noch
bift Du jung genug, etwas Ernſthaftes
zu lernen, was es auch fei, um einmal
Dein Brot zu verdienen und der dann
noch übrigen menjchlichen Geſellſchaft nicht
zur unnützen Laſt zu fein. Bedenke
dies, mein guter Fritz, und bedenke es
ernftlih, wie ein Mann. Etwas mußt
Du doh anfangen, um Dir nicht jelbit
zur Laft zu bleiben. Ich für meinen
Theil, ih bin ganz gefaßt. Kann ich
nicht mit dem Kopf arbeiten, jo babe
ih von Gott Gejundheit, Hände und
Muth als Gnadengefchent erhalten, jo
dab ich hoffen darf, nit vor Hunger
zu fterben; aber Du und Dein Bruder,
hr macht mir Sorgen und Kummer,
Ih bitte Dich, fange an, ernftlich über
die Zukunft nachzudenken und irgend
einen vernünftigen Plan zu entwerfen,
was Du dermal einft anfangen willit,
wenn ich Dich nicht mehr zu unterftügen
im Stande fein werde, Du haſt mir
Dein Bildnis überfhiden wollen, mein
guter Frig, es joll mir herzlich lieb fein
und ich danke Dir aufrictigft dafür;
aber jhide mir Deinen feſten, erniten
Entihluß, ein Mann — ein deutjcher
Mann zu werden, damit wirft Du mic)
noch weit mehr verbinden; denn Du
wirft mir die Sorge erleichtern, die mir
Dein fünftiges Schidjal madht. Nur
werbe beftimmt etwas, damit Du Dich
nicht vor Dir jelber zu ſchämen braucht.
Nun leb’ wohl! Behalte mich Lieb, und
jei von meiner Zärtlichkeit überzeugt!
Ich babe Dir vielleiht unangenehme
Dinge gejagt: mag's jein, wenn Du
nur noch ein brauchbarer Menjch wirft,
der nur zu Etwas müge it. Aber mein
Ernft, mein voller Ernſt iſt es; denn
die Seiten werden immer vermworrener,
und am Ende kommt da3 Auswandern
gar an uns ſelbſt. rnit.“
Wenn man heute diejen Brief liest
und damit die Gleichgiltigfeit und Sorg-
lofigfeit unferer befigenden und gebildeten
Claſſen, namentlich des in den Irrthümern
des „Sichſelbſtüberlaſſungsſyſtems“ befind-
lichen Theiles, vergleicht, jo muß man
dem paradoren Ausſpruch Recht geben,
daß die Gejchichte für den Menjchen
nur den Zweck habe, nichts daraus zu
lernen,
Yifitkarten des Lebens.
Bon Wilhelm Huſchakl.
Vhantafie ift der Großgrundbeſitz des
Geiſtes.
*
Hoffnung iſt das Pathengeſchenk des
Himmels an die Menſchheit.
*
* *
yür Ordensjäger wäre ein Jaäger—
orden zu creiren.
=
*
Statt Wereindmeierei lieber — Meies
reivereine!
*
* *
So mancher Dickſchädel iſt doch nur
ein — Schwachkopf.
*
Nicht immer ſind die empfindlichſten
Naturen auch die feinfühlendſten.
* *
Die Mode it die Ymangsjade der
eleganten Welt.
* +
Auch der Taube kann einer Schmeiche-
lei williges Gehör ſchenken.
710
Loſe Gedanken befigen jelbft auch Ger
danfenloje.
+
* *
Wer die Franenwelt zu jtark liebt,
wird leiht ſchwach.
*
Die Geburtstage find die Ratenzah—
lungen auf den Tod.
*
+
Durch das, worauf wir am meiſten
ſpitzen, werden wir am leichtejten abge-
ftumpft.
*
*
Durch einen „Schatz“
arm geworden.
*
it Mancer
*
*
Man kann au zu Fuße abfahreı.
*
— — — — — — —
* J
Du wirſt trotz allen Verſtandes oft
nicht verſtanden.
*
*
Warum zum Gurbaus, wo Hauscur
' genügt?
*
>
+
Bei Gejhmiftern wird dem männlichen
Theil mehr Gewillenhaftigfeit zugemuthet,
weil man immer die brüderliche Theilung
betont.
*
*
Nicht Alles, was aufrecht, baſiert
auf Recht.
Moderne Frauen ſprechen das Wort
Gemahl nicht derart, als fie es denlen:
„Geh mal!“
*
*
Wie ſich die Zeiten ändern, früher
galt der Rübezahl, jetzt die Rübenzahl.
*
*
Sei im Lieben und im Hallen immer
ruhig und gelaffen; will das Glüd Dich
irgend fallen, hüte Dich, es auszulaſſen:
fannft Du jelbft nicht jubeln, praffen,
„willſt in Noth den Freund verlafien ?*
Zu dem Weib, zu Deinen Kaſſen jollit
| Du doch nicht Jeden laſſen!
11
Geiftvolle Frauen bewähren oft wenig | ftoßartigen Schlag auf die Magengrube.
Seele und jeelenvolle Wejen nicht jelten | Wenn dies nit im Stande ift, den
wenig Geiſt.
Zur Rettung von Berunglüdten.
Schon eine Menge Menjchen haben
durch Weberjchwenmungen, beim Baden
und Fiſchen, durch Umſchlagen oder Ver-
finten der Schiffe, durch Einfinfen unter
Eis — im Waſſer das Leben verloren
und verlieren ed noch immer. Wie manches
Patienten aufzumweden, jo muß man weiter
verfahren, um das im die Lungen und
den Magen eingedrungene Wafler heraus
zubringen und zwar nach Vorfchrift zwei.
II. Zweite Borfärift.
Mendet den Patienten fanft um auf
fein Gefiht, jo dab die Magengrube,
über ein zufammengefaltetes Gewand gelegt,
etwas höher als der Mund zu liegen
fommt. Uebet eine oder zwei Secunden
berzige liebe Kindlein hat zum Jammer fang einen feften Drud auf den dem
der oft durch Nacläfjigkeit ſchuldigen Magen und der Lunge gegemüberliegenden
Eltern im Jauchetrog ein jchredliches Ende | Theil des Nüdens aus, und wiederholt
gefunden! Wie unzählig viele Unvor- | diefen Drud ein oder zwei Mal, bis die
ſichtige oder Verzweifelnde haben fich mit
Kohlendämpfen erftidt und am Stricke
erwürgt! Wie oft meldet man, daß in
den Kellern von gährendem Mojte Per-
jonen todt geblieben jeien, welche fich nad)
dem SHerzerfreuer umjehen wollten und
Andere, welche fie retten wollten, mit in
den Tod hineingezogen haben !
Viele, man darf wohl jagen, die
meiften dieſer Menjchenleben, find nur
durh die Unkenntnis des Volkes über
zwedmäßige Rettungsverjuche zu Grunde
gegangen. Der „Heimgarten“ bringt daher
ein von den maßgebenditen Aerzten ge«
billigtes Rettungsverfahren, durch welches
ſchon viele jcheinbar todte Perjonen zum
Leben zurückgebracht worden find und ferner
zurüdgebradht werden können.
Es berubt diejes Verfahren auf Wieder-
einleitung des ftodenden Athems, und es
ift nicht nur bei Erftidten und Ertrun«
tenen, jondern ſogar bei durch raſch
tödtende Wflanzengifte (Alkaloide) und
Blauſäure Vergifteten mit großem Erfolg
angewandt worden, bejonderd wenn man
fihb in den Bemühungen nicht dadurch
abjchreden ließ, daß der Erfolg nicht vor
einer halben Stunde oder noch jpäter
eintritt.
I. Erfie Borfärift.
Leget den im Waſſer Verunglüdten
auf den nächſten trodenen Platz an freien
zlüffigfeit aufhört, dem Munde zu ent«
fließen.
III. Dritte Borfdrift,
Dann kehrt den Patienten ſchnell
wieder auf den Rüden, wieder mit dem
Kleiderbündel unter ihm, jo dab der
untere Theil der Bruftbeine (Rüdgrat und
unterjte Rippen) etwas höher zu liegen
fommt als der übrige Leib, Es knie
Einer an jeiner Seite, oder noch beſſer
mit ausgejpreizten Beinen rittlings über
ihn (natürlich ohne in letzterer Stellung
ib auf ihn zu ſetzen), lege feine Hände
auf beide Seiten feiner Magengrube, auf
die Vordertheile jeiner unterften Rippen,
jo dab die Finger von jelbit auf die
Zwijchenräume zwilchen diefen Rippen zu
liegen kommen und mit ihren Spiten
gegen den Hintergrund, dem Rücken zu,
ſich erjtreden. Nun faſſe er die Taille jo
an, bediene fich jeiner Anie als Dreh—
punkt, treibe auf diejem feine eigene
Körperlaft vorwärts, indem er die Bruſt
des Patienten beraufdrüdt, wie wenn er
den Inhalt von deſſen Bruft und defien
Magen gegen den Mund binaufdbrängen
wollte. Diejer Handgriff bringt die nach—
giebigen Rippen des Scheintodten näher
zufammen, vermindert aljo den Umfang
der Brufthöhle und zwingt die verborbene
Luft hinaus. Es ijt dies die Einleitung
mit Ausathmung. Der Retter vermehre
Luftzug, zieht ihm die Kleider vom Ober- | den Drud jtetig, indem er Eins, Zwei,
leibe und gebt ihm eimen nicht zu ftarfen | Drei! zählt.
Dann aber lafje er nad
712
einem Schlußſtoße plötzlich die Bruft den
Händen entfahren und kehre in feine
aufrecht knieende Stellung zurüd; die
Brufthöhlung erweitert ſich wieder und
in die Leere, welche zu entjtehen im
Begriffe, wird jofort frische Luft ein
ftrömen. Es ift dies der MWiederbeginn
der Einathmung. So bringt man das
Arhmen wieder in Gang. Sobald der
Netter wieder aufrecht auf feinen Knieen
ilt, zähle er Eins, Zwei, werfe wieder
jein Körpergewicht vorwärts und verfahre
ganz wie das erſte Mal. Er wiederhole
dieje blasbalgartig fuetende Bewegung
zuerſt etwa fünf Male in der Minute;
nachher vermehre er fie bis zu 15 Malen
in der Minute und jeße fie mit ber
Regelmäßigkeit und Taftmäßigfeit des
natürlichen Athmens, welches man ja nad»
ahmen joll, fort. Sit noch eine andere
rettende Perſon gegenwärtig, jo ſoll dieje
mit der linfen Hand die Zungenſpitze des
Patienten erfaflen, fie zur linfen Seite
aus deſſen Mund herausziehen und zwijchen
dem Daumen und dem Zeigefinger feſt—
halten, die er mit einem Handtuche (Na$-
tuche) bededt. Diejes Herausziehen der
Zunge bat zum Zwede, daß fie nicht
auf den Kehlkopf zurüdiinfe und den—
jelben verjchließe, und das Tuch dient
zum befjeren Halt der Zunge. Mit der
rehten Hand kann dieſer zweite Netter
die beiden Handgelente des Verunglüdten
paden und über deſſen Kopfe auf dem
Boden feithalten, welche Lage jehr geeignet
it, die Ausdehnung des Bruftfaftens zu
befördern.
Das Nahverfaßren.
Wenn das wirkliche Athmen endlich
wiederfehrt, jo Iprige man mit Kraft von
Zeit zu Zeit ein wenig faltes Waſſer in
das Geficht des Patienten. Sobald das
Athmen natürlich geworden, ziehe man den
Patienten rajch ganz aus, trodne ihn ebenjo
raſch und vollitändig und widle ihn bloß
in eine wollene Dede ein. Man gebe ihm
Branntwein mit warmem MWafjer vermiſcht,
während der erjten Halbjtunde einen Thee—
löffel voll alle fünf Minuten und darauf
während einer Stunde einen Ehlöffel voll
alle fünfzehn Minuten. Weun die Glieder
falt find, jo erwärme man fie durch Reiben.
Man geitatte dem Kranken Ueberfluß an
frischer Luft und laſſe ihn in vollftän«
diger Ruhe.
— Bei Erftidung durch Kohlengas,
heiße Dämpfe, Rauch oder auch durch Hän-
gen wende man bloß die Vorjchriften I
und III und das Nachverfahren an; die
II ift überflüffig, da durch fie die ver-
dorbene Luft und die giftigen Gaſe doch
nicht aus dem Munde entweichen würden,
IV. Noh einige praßtifhe Winke,
1. Vermeide jede Säumnis, Raſches
Verfahren ift von höchfter Wichtigkeit. Ein
Moment verloren, ift oft ein Leben ver-
loren. Man verliere feine Zeit mit Auf
juchen eines Obdachs; wenn auch gefunden,
jo jchadet e3 dem Patienten oft mehr, als
es ihm hilft.
2. Verhindere, dab ſich Neugierige,
überhaupt viele Leute um den Patienten
anhäufen. So ſchwer dies oft zu erreichen
it, jo ift e8 doch dringend geboten. Der
Luftumlauf darf nicht gehemmt werden;
auch darf der Patient, wenn er fih er-
holt, nicht zum Neden veranlaft werben.
3. Bermeide die Anwendung jeder an—
reizenden Arznei, da eine ſolche nur die
Athmungswege verftopft und den Patienten
erftiden fann.
4. Vermeide übereilte, unregelmäßige
Demegungen mit dem Körper des Scheine
todbten. In der Aufregung des Augen—
blides find jolche faft unausweichlich. Aber
gerade jo wie eine fladernde Kerze, jorglos
bewegt, erlifcht, gerade jo braucht das
menjchliche Herz, wenn es nur noch uns
merklich jchlägt, nur einer ganz wenig ver«
fehrten Bewegung, nur einer ganz geringen
Störung, um für immer ftille zu ftehen.
Die nah Vorfchrift III vorzunehmenden
Bewegungen follten daher mit großer Sorg-
falt und Regelmäßigfeit geicheben.
5. Vermeide überbeizte Stuben. Die
thieriiche Wärme, welde für das Leben
erfordert wird, kann nie von außen er-
jeßt werden, Dies geſchieht am beften durch
freie Zufuhr friiher Luft und durch Ges
branch innerlicher Reizmittel. Die daraus
entjtehbende Lebenswärme wird aber am
eheiten bewahrt durch Umhüllung des nadten
Körpers mit wollenen Deden.
6. Man überlajje den Scheintodten
nicht zu schnell dem Tode als Beute. —
Man kann bis zu einer Stunde, ja bis
zu zwei Stunden Hoffnung auf einen glüd-
lien Erfolg des Rettungsverjuches haben,
obſchon noch fein Vorzeichen desjelben ficht-
bar if. Der Erfolg ift jogar felten in
weniger als in zwanzig Minuten gefichert.
Aljo ermüde man nicht; ein Menjchen-
leben iſt doch wahrlich wohl wert, dab
man fich eine, ja zwei Stunden lang an-
itrenge, e3 zu retten, jogar wenn e3 einen
ganz fremden Menjchen, geichweige, wenn
es ein theures Familienglied zu retten gilt.
T. Der Batient muß fich, jelbit wenn
er bergejtellt ift, noch einige Tage jehr in
Acht nehmen und vor jeder Schädlichkeit
hüten, da jonft jehr leicht Bruſtkrankheit
eintreten fönnte,
Auf der Wanderfdaft.
Sadt jchritten aus dem Dorf hinaus
Zwei Iuftige Vagabunden,
Sie hatten Münzen gejanmelt, jedoch
Blutwenig nur gefunden.
Vor einem großen Bauernhof,
Da madten fie Halt verftohlen,
Der Eine fprah: „Herzbruder mein,
Iſt drinnen 'was zu holen?"
Der Zweite drehte fi den Bart
Mit einem grimmen Flude:
„Bergang’'nes Jahr beehrt ich das Haus
Mit meinem werthen Beſuche.
Der Hausherr iſt ein rarer Mann
In feinem Schalten und Walten —
Er wollte mid um jeden Preis
Zum Efjen dort behalten.
(Er beste feinen Hund auf mid,
Der fuhr mir in die Knochen .
Seitdem hab’ ich in diefem Haus
Nicht wieder vorgeiproden.*
Aus vollem Halje lachten d’rauf
Die beiden im Vereine
Und madten fih mit Schnelligkeit
Auf ihre langen Beine.
3. M. Toscafio.
23
Was ſich in eine Kubikmeile
Alles einſchachteln ließe.
Denken wir uns vier Bretterwände,
von denen jede eine Meile lang und eine
Meile breit iſt; fügen wir dieſelben zu
einer Kiſte zuſammen und legen darauf
einen Deckel, der ebenfalls eine Meile
lang und eine Meile breit ſein muß;
ſo umſchließt die Kiſte den Raum einer
Cubikmeile oder einfacher einer Würfel—
meile; denn Jeder wird zugeben, daß
die Kiſte einen Würfel bildet, von dem
jede Seite eine Meile lang und hoch iſt.
Da wir nun willen, was eine Cubik—
meile ift, wollen wir einmal ſehen, was
jolh’ eine Eubifmeile zu jagen hat oder
einfacher, was ſolch' eine Eubifmeile an
ſich bat.
Zu dieſem Zmede wollen wir den
Dedel der jegt noch leeren Kiſte öffnen,
die Kiſte mit Allem, was wir zur Hand
haben, vollzupaden. Die Stadt Wien
fiegt uns jo recht bequem; wir nehmen
fie wie Kinderjpielzeug und werfen fie
in die Kiſte. Darauf laufen wir jchnell
nach Larenburg und nehmen beiläufig
alle Dörfhen auf dem Wege mit und
paden Alles zujammen und werfen’s in
die Kiſte. Da aber mit all dem nicht
viel mehr als der Boden der Kiſte ber
dedt ift, jo müſſen wir weiter ausholen.
Wir ergreifen ganz Paris mit allen
Säulen, Thürmen, Triumphbogen und
Kirchen und werfen's hinein; da aber
all das noch faum zu merfen ift, müſſen
wir auch ganz Yondon mit hinzuthun.
Daß Berlin mit hinein gehört, verfteht
fih von jelbft, und, um den Frieden
nicht zu ftören, wollen wir auch Peters-
burg hinzuthun. Da aber all das noch
nicht bilft, um die Kiſte merklich zu
füllen, wollen wir anfangen, Provinzial
Städte bineinzuthun, amd, um feinen
| Neid und Rangftreit auflommen zu laſſen,
\mollen wir alle sFeitungen, Dörfer,
Schloſſer, Geböfte beilegen.
Aber all das zieht noch nidt. Wir
werfen Alles, was Menjchenhände in
Europa gemacht haben, hinein; aber das
‚füllt kaum den vierten Theil der Kiſte.
—
Wir thun alle Schiffe vom Meere dazu; tere achtundvierzig Millionen einzupacken:
es hilft nichts.
Wir greifen nach der alten und
neuen Welt und werfen Egyptens Pyra—
miden und Nordamerikas Eiſenbahnen
und Maſchinenfabriken hinein; wir thun
Alles, was wir don Menſchenwerlken in
Afrika, Mfien, Amerika und Auſtralien
vorfinden, in die Kiſte — und fie wird
faum zur Hälfte gefüllt werden.
Nun wollen wir die Kiſte ein bißchen
ihütteln, dann ſackt fich Alles beſſer und
legt fih in Ordnung; und da wir's
uns einmal in den Kopf gelegt haben,
die Kiſte vollzupaden, jo wollen wir
verfuchen, ob wir fie mit Menjchen voll»
befonmen.
Wir raffen nım alles Stroh zujam-
men, das auf der ganzen Erde zu haben
ift, und breiten dies in der ganzen Stifte
aus; da es jedoch nicht ausreicht, um
das Gerümpel darunter zu bededen, jo
müſſen wir Baumlaub zu Hilfe nehmen
und jtellen jomit eine weiche Schichte
ber, um Menjhen darauf paden zu
fönnen.
Da wir für Jeden etwas mehr als
zwei Drittelmeter Breite brauchen, jo
legen wir der Kiſte entlang, eine
Reihe von zmwölftaufend Menſchen; md
da wir's den Menjchen gern bequem
maden, wollen wir die Höhe der Men-
ſchen zu micht ganz neunzehn Decimeter
annehmen, jo daß wir auf das Stroh.
lager viertaufend ſolche Neihen legen
fönnen. Nun weiß es aber Jeder, daß
viertaufendmal zwölftaujend netto acht—
undvierzig Millionen betragen; und da
Amerifa kaum die doppelte Zahl Men-
fhen bat, jo Hat die amerifanijche
Menihheit jammt den vier Millionen
Auftraliern in den beiden unterſten
Schichten Plap.
Nun deden wir ſämmtliche Menſchen
Amerikas mit irgend einer weichen Schicht
von einunddreißig Gentimeter Höhe zu und
legen auf diejes Lager achtundvierzig Mile
lionen Menjchen aus Aſien darüber. Deden
wir nun auch diefe Schicht zu und be=
— — —— — — — —— —— —— — — — — — — — — — — —
jo gehören faum ſiebzehn Schichten dazu,
um die achthundert Millionen Menjchen
Afiens hinzulagern; für Afrika, wo circa
einhundertneunzig Millionen Menjchen woh-
nen, brauchen wir vier ſolche Schichten in
unferer Kiſte und die dreihundert Mil«
lionen große europäifche Menjchheit, für die
ſonſt die Welt zu klein ift, mimmt, in
unferer Kiſte eingepadt, etwas über ſechs
Schichten ein.
Im Ganzen alſo fönnen wir in ums
jerer Kiſte neunundzwanzig Schichten mit
Menſchen vollpaden; und wenn wir für
jede Schicht nebjt Strohverpadung einen
Meter rechnen: jo nimmt die ganze Menich-
beit des Erdballs in unſerer Kifte nur
nennundzwanzig Meter Höhe weg, jo daß
wir bundertfünfzigmal jo viel Menicen,
als in der Welt eriftieren, brauchen, um
die nur balbvolle Kifte ganz zu füllen.
Was bleibt uns nun übrig? Wollen
wir auch die Thierwelt in die Stifte paden
und Oben, Ejel, Schafe, Pferde, Maul—
ejel, Kameele, Elephanten über die ein-
gepadte Menjchheit werfen und darauf
Geflügel und Fiſche und Schlangen und
Alles was kriecht und fliegt: fie würde
doch nicht voll, wenn wir nicht zu Wellen
und Gebirgen unfere Zuflucht nehmen.
Und das Alles ift nur eine einzige
Gubifmeile! Gewiß, man befommt Reipect
vor einer Cubikmeile. Bernitein.
Räthfel.
Bon Amandus Jamann.
Ich bin in jedem Reich vorhanden
Und bin der Erfte, Größte dort;
Der Ruhm wird ohne mih zu Schanden,
Ohn’ mid vergeht ein jeder Drt.
Die Sünde hat mich ſtets gemieden,
Obgleich die Tugend mir blieb fern
Und ich dem Lafter mich verfchrieben,
Mich hütet wohl der Morgenftern.
Der Tod wird niemals mid ereilen,
Doch bin ih fhon im fühlen Grab
Und muß im engen Sarge weilen,
reiten immer neue Lager, um immer wei- | Dort ſchnarrend, wie ein heij'rer Rab’.
715
Auch in dem Herzen muß ich walten,
Ya jelbft in jeder Leberwurit.
In jeder Thrän’ bin ich enthalten,
Ohn' mich gäb's wahrlich feinen Durft,
Im Nirgends gar bin ih zu finden —
Id bin führwahr ein jhlaues Ding —
Du Suche mid, wenn Sträuße binden
Die Mädchen, dann in ihrem Ning.
(Auflöfung in den Poftfarten.)
Büder.
Ein neues Bud von Sans Grasderger.
Dak Hans Grasberger ein feiner
Kenner Italiens ift, wuhten wir bereits,
dab er aber einer der beften deutſchen
Novelliiten jei, darüber find wir ung erft
aus der Lectüüre der Novellen „Aus der
ewigen Btadt‘ (Leipzig. Verlag von A. ©.
Liebeskind) Far geworden. Schon der Titel
hat etwas für fich, denn er dedt der Mehr:
zahl nad Novellen, deren Schauplag man
nach beliebtem Mufter nicht auch ebenjo gut
nah Spanien oder China verlegen dürfte,
denn es pulfiert echt römisches Blut darin,
das durd den Gontraft, den die fremden
Flemente dazu bilden, um fo eigenartiger
und lebendiger bervortritt. Dem ECharalter
der ewigen Stadt angemefjen, könnte man
einige Novellen als „Künftlernovellen” be:
jeihnen. Im dieſen jchildert der Dichter
mit Vorliebe das Unzulängliche des künſt—
leriihen Könnens mit einer Variante der
Nedensart des Ben Aliba und zeigt ung
mit wunderbarer Poeſie die endliche Befrie—
digung dur die Allgewalt der Liebe.
Tiefer Gedanle fommt am wirffamften im
„Berpfändeten Maler“ zum Ausdrude, Daß
in diefer Novelle ein, wie man annehmen
muß, ungebildetes Mädchen Taſſo's Verſe
declamierte, um den Maler zu injpirieren
und zu begeiftern, ift für den Kenner des
italienifhen Bolfes feine Ungereimtheit.
In Italien lebt der gemeinfte Mann mit
feinen Unfterblihen auf vertrauterem Fuße,
als mander Deutjche der jogenannten ge:
bildeten Stände, dem die Sprade des
Sportsman viel vornehmer dünft als ein
Bers Schillers. Daß Grasberger treffend
haralterifiert und ficher motiviert, verfteht |
fi bei ihm von jelbft und ift für den)
Meifter der Novelle unerläßlich. „Il
befist. Dasjelbe gilt auch von „Vicolo
cieco“. — Ueber der Erzählung „Das
Aloeblatt*, das wir für die formreifite
und lieblichfte der Sammlung halten, wenn
fie auch nicht jo jehr von tieffinnigen Ne:
flerionen und Sentenzen ftroßt, wofür fie
jedoch einen unmittelbaren, lebendigeren
Eindrud hervorbringt, lat der italienische
Himmel in feiner ganzen beftridenden
Heiterkeit. — In allen diejen Erzählungen
wird, was für Viele verlodend geweſen
wäre, ein Hereinzerren des geiftlihen Rom
mit künftleriicher Beſchränkung vermieden,
ja die „Daberwirtin“ bat nit einmal
italienifhen Boden zu ihrem Schauplage.
Aber jener Geift, der von Nom aus ftrahlen:
förmig über die ganze Erde fich verbreitet
und eine ftaunenswerte Adhäfion ausübt,
jenft etwas wie ein verirrtes Strahlenbündel
über das Schidjal zweier junger Licbesleute,
wird jedod noch redhtzeitig von der flugen
„Haberwirthin* erfannt und gebannt. —
So ift in geiftreiher Art feiner der Macht:
factoren der ewigen Stadt in Grasberger's
Bud unvertreten, denn aud die Revolution
jpriht im „Vicolo cieco* ein Wörtlein
darein. — Es iſt uns jeit Langem nicht
ein fo anjprehendes Buch zu Geficht ge:
fommen — ein ſolches Werk ift der befte
Sturmbod gegen eine gewiſſe gefinnungs:
und cdaralterloje Riteratur unfere Tage.
Ein Meifter der deutfhen Novelle.
Ton Hermann Menfes.
Mehr als alle andere hat die deutjche
Literatur die Eigenthümlichleit, auswärtige
Strömungen und Richtungen in fih auf:
zunehmen, fih gleihjam der herrſchenden
literariichen Mode unterzuordnen und nicht
geradewegs den ihr von der Geſchichte, von
ihrer eigenen urſprünglichen Entwidlung
angemwiefenen Pfad zu wandeln. Die Trou—
badours beeinflußten die Minnejänger, die
Vermwilderung der franzöfiihen Literatur
zu Zeiten weiland Gottſchieds gieng auf die
deutſche über, und jeßt, in unferem nüchternen
Zeitalter, trägt die Schule Zola's und Eon:
jorten bei uns wild mwucdernde Früchte,
Die Zeit des BVerfalles der deutjchen Lite:
ratur hatte die mädligen Stimmen, die
beldenhaft fämpfenden federn eines Leſſing
und Bodmer, die als Netter und Weg:
weijer auftraten. Aber unjere Zeit? Jetzt
Beppone“, würden wir gerne miffen, wenn | entftand eine neue Schule in Frankreich
er nicht als eine Ergänzung, gewifjermaßen | und ihr Heros ift Emil Zola. Der Natura:
als ein Schlagſchatten des fonft jo freund: lismus aber befämpft nicht nur einen Hyper—
lihen Bildes nothwendig wäre. „Tag! Romanticismus, er jet jeine Aufgabe nicht
und Nacht“ ift eine fein piychologiih aus: | bloß darein, die Erzählung wie jede dichte:
gearbeitete Novelle, die ihre Stärke nicht | rifche Production dem Leben, dem wir:
jo jehr in Fünftlerifcher Abrundung und Boll: | lichen Leben, mit Allem, was dasjelbe durch:
endung, als piydologiiher Gijelierarbeit | braust und durchglüht, näher zu bringen,
716
jondern er jucht feine Aufgabe darin, das Zweck der Poeſie, veredelnd zu wirken, er:
Leben mit al’ feinem — Schmutz, füllen.
ſeiner Verwilderung und rniederung mit aul Heyſe iſt gleichſam ein poeliſcher
den häßlichſten Farben zu copieren! Solches — F — Fr Wer
ift das nur im Haſchen nad) dem Effectvollen menjhlice Herz, die menſchliche Seele zu
neu entitandene feld, das er ſich für feine ergründen, das ift die Aufgabe, die er ſich
fruchtbare, aber verderbliche Thätigleit aus⸗ ſeit dem Anbeginne feiner Titerariichen
erwählt hat! Und dieſe neue, allerdings Thätigleit, von der Erftlings : Novelle
urſprünglich franzöſiſche, literariſche Manie 7, ’Arrabiata“, bis zu feiner legten Arbeit
bat in Deutichland viele Nadbeter und geftellt hat. Durch jede Novelle zieht ſich
Nachahmer gefunden und von Producten | wie ein rother Faden ein pſychologiſches
dieſer Gattung jheint der deutſche Bücher: Hroblem. Und als feiner Seelentenner
marft faſt Uberſchwemmt zu werden. Der | yerfteht er dasjelbe meifterhaft zu löfen.
herrſchen! Zuſtande und Conflicte handeln müßie?
In ſolchen Zeitläufen iſt es doppelt Dieſe Frage ſcheint ſich Heyſe beim Beginne
erquicklich, zu ſehen, wie ein Dichter wie der Arbeit zu ſtellen, und erftaunlich iſt es,
Paul Heyſe von diefen literarifchen Aus: | wie confequent, wie harmoniſch er dieſe
wächien fi fern hält, ja diejelben als ein, frage löst. Aber noch erftaunlicher ift es,
Leſſing der Gegenwart mit allen ihm zu wie er immer neue originelle pſychologiſche
Gebote fiehenden reihen Mitteln, durd | Probleme aufzufinden verfteht. Vor Allen
eigene Mufter, jowie dur das fih an die | aber ift er gleich Meifter Goethe ein Kenner
Sade richtende Wort befämpft. In der | des meibliden Herzens, des Weibes, das
That ift Paul Heyie der NRepräfentant des | bei allem Zartfinn fo viel zu dulden, bei
Idealismus in der deutfchen Literatur der | aller Launenhaftigfeit jo viel zu vergeben
Gegenwart. Er hat aber auch nie einer| und zu vergejjen vermag. Jede Regung der
Mode gedient und ift bloß fih und feinen | Seele ift ihm befannt, jede Nuancirung des
Idealen treu geblieben, im Bewußtſein, Gefuhls ihm vertraut! Denn er ift der
dak nur Beherzigung der eigenen und echte und rechte Dichter mit dem warmen
inneren Stimme zum wahren Dichter madt. | empfänglihen Herzen für jedes Leid und
Er ift ein Ydealift! Aber trogdem ſchafft Menſchenweh! ...
er dur den Idealismus feine umnebelten Spricht man von Heyfe als don dem
— — von Blue an — feinen Pſychologen, fo fennt man ihn auch
verbindet meifterhaft den Idealismus mit als Meifter der novelliftiigen Form. Es if
n : r bezeichnend für ihn, dab er immer zur
geiundem Realismus, wodurch jeine Novellen . — **
einen feffelnden Reiz ausüben. Novelle zurüdtehrt, diejer lieblihen Did
: - j de tungsart. Denn in allen Gebieten der
Wie er fi von jeder literarijhen Mode | Ppoefie mit Erfolg producierend: in fein und
fern hält, jo ift er auch von der grund:
j ſo i ſinnig empfundenen Gedichten, denen meiſter—
ſätzlich peſſimiſtiſchen Richtung nicht ange- hafte, vollendete Form eigen iſt, im Drama
lränlelt. Denn Heyſe ift fein „Welt- und Epos, wie im Roman, iſt doch die
ſchmerzler“, und wenn er oft jeine Helden
( : 1 Novelle fein eigenftes Gebiet und feine
ein tragiſches Ende finden läßt, jo athmen | eigenfte Schöpfung geblieben, wo er formt
fie jene milde Verſöhnung mit ihrem Schid: | und vollendet. Seine eigenfte Schöpfung!
jale, die uns das Gelommene als Erlöjung | Denn zu dem, wozu Goethe und Wilhelm
erſcheinen läßt, und wobei man fi jagen | Hauff, Ludwig Tied und Heinrich Zichofte
muß, dab es jo fommen mußte, dab es den Grundftein gelegt — nämlid zur
nicht anders jein Tonnte! novelliſtiſchen Erzählung in Form von
Aber feine Figuren holt er fi nicht | „Dekamerone“ — dazu hat er den voll:
aus den oberen Schichten, er ſchildert nicht; endeten Bau ausgeführt, und was die Novelle
das hohle Ariftofratenleben: — nad) unten | jet in der deutfchen Literatur geworden ift,
richtet fih fein Blich, dorthin, wo fich die | das ift zum großen Theil jein Werf, jein eigen
Tragik des Lebens in ihrer ganzen Größe | ftes Gebiet! Als Novellift fann er fi nie
abipielt. Als echter Nealift aber weiß er | verleugnen, nicht in jeinen Romanen, denn
uns die Menichen, von denen uns jonft| die zwei Nomane „Sinder der Welt“ und
aelellihaftliche Grenzen trennen, näher zu| „Im Paradieje“, Die er gejchrieben bat,
bringen, fie uns mit einer Reinheit des | find, jo recht betrachtet, eigentlich jeder für
Gharafters vorzuführen, fie mit der ganzen
fi eine Novellenfammlung, die nur durch
Macht edler Menſchlichkeit auszuftatten, die ein leichtes Band zu einem Romane ver:
uns den wahren Menſchen zeigen. Das ift| bunden find, und Heyſe ſcheint dieſes breitere
ja der jhöne Zug des Jdealismus, uns Feld nur darum für einen furzen Auf:
den Menihen in jeiner Unbedeutenheit | enthalt fih ausgejudt zu haben, um jeine
wichtig zu machen, und nur dies lann den | Piydhologie en gros zu bethätigen....
ev
Aber noch eine Abſicht dürfte ihn bei
feinen Romanen geleitet haben! Er wollte
den ihm gemadten Vorwurfe, dab er,
weil er als echter Dichter das Individuum
höher ftellt als die Gejammtheit, es mit
mehr Liebe behandelt, für die jocialen
Leiden, an denen die moderne Geiellichaft
frantt, fein Herz babe und gegen diejelben
indifferent jei, begegnen. Und glänzend ift
ihm dies gelungen, denn Alles, was unjere
Zeit durdglüht und durchſtürmt, die reli:
giöjfen Ideen und die ermeiterten Welt:
anihauungen der „Kinder der Welt“, die
fociale Frage, ſowie die gejellichaftlichen
Zuftände der oberen Zehntaujend, fie find
hier mit einer Meifterfhaft, mit einer
Märme geichildert, wie fie nur einem Gutzlow
und Freytag eigen find. Sein Stil, der ja
jonft an den Olympier von Weimar er:
innert und der wie ein fühler, lauterer
Bach dahin fließt, zeigte in diejen beiden
Werfen, daß er aud leidenihaftlih auf:
ſchäumen fann, und voll und feurig find
die Accente, die er dort anſchlägt. Zugleich
zeigt fi darin eine neue Seite jeiner Be:
gabung: das große Talent, marfige Typen
zu zeihnen und die Zahl der dort Ges
jhilderten ift geradezu frappierend.
Weil er der Sänger der Liebe ift, weil
er über menſchliche Vergehen milde urtheilt,
ift ihm aucd der Vorwurf nicht erſpart ge—
blieben, daß das Sinnlihe fein Haupt:
element ſei, und ein Band „Moralijche
Novellen” war die Antwort darauf. Geradezu
düftere Lebensjchatten lagern ſich über
diefes Buch, und hier hat er das einzige
Mal peſſimiſtiſche Accorde angejchlagen.
Gleihmwohl tritt er darin nicht als Raiſon—
neur und Moralprediger auf, denn nur der
fafl jhaurige Lebensernft jpiegelt fich darin
ab. Und jo ift er frömmtelnden und ſub—
jectiven Kritikern nie die Antwort ſchuldig
geblieben !!....
Heyſe ift auch Satiriker, aber freilich |
ift feine Satire mild: pridelnd, aber nicht |
verwundend, janft berührend und nicht
verlegend, aber aud voll Ironie und Spott
gegen gejellihaftlihe Fäulnis und jefuiti-
iches Pfaffentyum. Und der Humor ift ihm
aud eigen da, wo e3 gilt, feiner heiteren !
MWeltanihauung Ausdrud zu verleihen. |
Italien ift ihm zur zweiten Dichter: |
heimat geworden, und italienifche Luft und |
Friſche find es, die jeine Kunſtwerke (umd |
‚von Iohann Peter.
|der Iluftr. Yagdzeitung. 1887.)
ſolche find feine Novellen durch die abge:
rundete, vollendete Form und plaftiiche
Darftellungskunft) durchwehen, die niemals
veralten, die ung Weiheftunden der Poeſie
verſchaffen!
717
ganz entwideln zu lönnen: eine herrliche
Phantafie, eine glüdlich zurüdgelegte Jugend
und eine harmoniſche Natur, und jegt fann
er, im Zenith feiner Schaffenskraft ftehend,
auf ein Leben zurüdicdhauen, das ruhig und
blühend wie ein Frühling dahinfloß. Im
ſchönſten Mannesalter ift er noch von jener
Schaffensluſt bejeelt, wie damals, als ihn
einft der funftjinnige Marimilian von Baiern
in die liebliche Muſenſtadt Minden berief,
und jeine Mufe jcheint nie ermüden zu
wollen.
Rührend ift fein Abjchiedswort an die
Jugendlichkeit:
Schöne Jugend, ſcheideſt Du?
Wohl! Du bliebſt mir lange treu,
Weil ib Dir im Arm gerubt,
Schien die Welt mir lieb und quf,
Kampf und Ruh’,
Ammer freudig, immer neır.
Nicht entwidhit Du über Naht,
Wie uns Dirnengunft verläßt,
Heiſchteſt jögernd Dir zurüd
Gab’ um Gabe, Glüd um Hlüd,
Und mit Macht
Hielt ih noch die Fliehende feit.
Wie ein feines Lieb Ah kräntt,
Das vom Liebiten ſcheiden joll:
Immer nod ein lehter Auf —
Noch ein Winten, nod ein Gruß —
Fern noch ſchwenkt
Sie ihr Tüchlein, thränenvoll....
Ad, und nun, dem Blid entfloh'n,
Trifft mich nod der Stimme Alang.
Schweig! DO ode nit von fern!
Sieh, im Blau der Abendftern
Schimmert ſchon;
Um den Schlaf bringt Dein Geſang! ...
Aber die Jugend, die er entfliehen zu
jehen glaubte, war hartnädig und fie
ift geblieben! Seine ſchöne männliche
Geſtalt ift noch von jener goldigen Jugend:
Iihhleit ummoben, die nad des Dichters
Worten „nie entjliegt* und den Stempel
der Yugendlichleit tragen noch alle jeine
leiten Dichtungen. Wir aber dürfen hoffen,
daß es ihm noch recht lange vergönnt fein
wird, aus dem „Jugendbrunnen“ der Poefie
zu ſchöpfen, zur ffreude Derer, die fi noch
an der idealiftiihen Dichtkunſt, die an
Heyſe als Epigonen:Erbidaft von Goethe
und Schiller übergegangen ift, begeiftern.
Buchengrün. Neue Geftalten und Ge:
fhichten aus dem deutſchen Böhmerwalde,
(Leipzig, Berlag
Die Leſer dieſes Blattes werden gerne
nach dem Buche greifen, denn fie fennen
den geſchähten Berfafler aus vielen gedie—
Ein Sonntagsfind in der Kunft, ifter | genen und intereifanten Aufjäten über das
auch
ein Sonntagsfind im Leben. Ein Vollsleben des Böhmerwaldes.
Seinem
gütiges Schidial verlieh ihm Alles, was | Erftlingswerfe: „Charakter und Sittenbilder
ein großes Talent bedarf, um ſich voll und |auS dem deutſchen Böhmerwalde.” (Graz,
Leylam) ift rafh ein zweites gefolgt und
wahrlih nit minder inhaltsreih und
liebenswürdig, als jenes. Es ſchließt ſich
den „ESittenbildern* gewiſſermaßen an, nur
näbern fi im neuen Bude die Aufjäte
mehr der Dorfgefhichte, während erfteres
faſt ausſchließlich ethnographiſch if. Wir
werden gerne noch eine Reihe ſolcher Bänd—
chen erleben, weil wir gegenwärtig Keinen
wüßten, der uns jenen ſchönen Erdwinkel
und ſein geſundes Voll treuer und an—
muthiger ſchildern könnte, als unſer Johann
Peter. Kräftiger Realismus vereint ſich
in dieſem Schriftſteller mit edlem Idealis—
mus und die Liebe zu feiner Heimat (er iſt
ein Böhmerwäldler) verflärt Alles, — Das
Buch iſt dem deutihböhmiichen nn
Wilhelm Reſſel zugeeignet,
Es werde Licht! Hiftoriiher Roman
von Anton Oborn (Gotha. Friedr.
Andr. Perthes.) Mit geipannter Erwartung
nahmen wir den Roman in die Hand, eiwas
enttäufcht legten wir ihn weg. Man jollte
glauben, wir hätten die Tendenzromane
aus der Reformationszeit längft hinter uns:
Der Verfaſſer belehrt uns eines Beſſeren
und beihwört noch einmal den ſelig. Ablaß—
Krämer Tegel herauf; auch einige Hufliten
müflen erftehen — dazu Mord, Brand, Auf:
ruhr als Staffage für einige Liebesleute. Wir
finden einen verliebten Mönd, der Dant
der Reformation feine Huffitin friegt. Abs
geliehen von der Unerquidlichfeit des Stoffes
bat das Buch viele der Vorzüge des be:
fannten und beliebten Autors, —tt—
Schlichte Gefhihten nennt Nanna
Hart drei im Verlage von Guſtav Lange
in Plauen i. V. erjchienene Erzählungen,
womit fie wohl das Erſtemal vor die
Oeffentlichkeit tritt. Gin productives Ta:
lent wollen wir der Dame nicht abipreden,
aber Mervorragendes zu leiften, müß:
ten um vorerft Bhantafie und Geihmad
in der Wahl der Themata geläutert
und dem wirklichen Leben alle die Heinen
Züge abgelauſcht werden, ohne die feine
zutreffende Charalteriftif gelingt; das Er:
periment mit dem verichludten und nad
Jahren wieder zum Vorſchein gelommenen
Knochenſpitter mag vielleicht vor Prof.
Billroth beftehen: vor dem Meithetiler be:
fteht e8 nicht. Und warum, möchten wir
fie fragen, ftellt fie uns durchwegs breit:
bafte, unglüdlihe Frauen vor? Sollte
dahinter etwas wie Peſſimismus ſpulen?
Wir hoffen ihr noch einmal in Begleitung
einer fröhlicheren Gejellihaft zu begegnen,
und freuen uns darauf.
—tt—
Echten, anmuthenden Humor zeigt die
Seminariftengejchichte : Der verzauberte Apfel
von H. Bauer (Stuttgart. Verlag von
Robert Zub), die uns in Vielem an die
Jobfiade erinnerte, aber mit geringerem
Bedenken der Jugend in die Hand gegeben
werden darf, Das Büdlein kann als
Unterhaltungslectüre mit gutem Gewiſſen
empfohlen werden, —tt—
Frau von Stael, ihre Freunde und ihre
Bedeutung in Politik und Literatur. Bon
Charlotte Lady Blennerhajjett.
Mit einem Borträt der Frau von Staäl,
(Berlin, Gebr. Baetel,)
Vorliegende Biographie umfaßt die
Ereigniffe der franzöfiihen Revolution und
des Staiferreichd, der eriten und zweiten
Reftauration, die Philofophie des XVII.
und die religiöfe Reaction der Anfänge des
XIX. Jahrhunderts. Innerhalb eines Zeit:
raumes von fünfzig Jahren, von 1766 bis
1817, bat fie das geiftige Leben in Frank—
reih und England, in Deutihland und
Italien, und fajt alle berühmten Perſönlich—
feiten, von Boltaire bis Lord Byron, von
Mirabeau, bis Lord Wellington, von Gibbon
bis Chateaubriand, zu ſchildern. Frau von
Staöl, die Schülerin von 3. J. Noufjeau,
die Freundin von Goethe und des FFreiherrn
von Stein, repräjentiert fie, was lebensfähig
in den Ideen von 1789 geweſen ift und
was enticheidend für den Entwidlungsgang
der conftitutionellen Monardie in Frank—
reih wurde. Mit „Corinna“ hat fie eine
unfterblicde Geſtalt gejhaffen, mit dem
„Buch über Deutihland* eine unfterbliche
That vollbracht. Die Geſchichte ihres Lebens
ift ein würdiger Beitrag der deutjchen
Literatur zum Gentenarium von m
Die Erde in arten und Bildern nennt
fich ein neues, groß angelegtes Unternehmen,
das A. Hartleben’3 Verlag in Wien uns
joeben anlündigt. Das Werk, deilen glän—
zend ausgeftatteter Profpect uns vorliegt,
ift das erfte feiner Art, inden es einen
großen Dandatlas von 60 gediegen aus—
geführten Karten in Folioformat, mit einent
geographiihen Handbuche von 125 Bogen
gleihen Formates und 800 fünftleriich
vollendeten Ylluftrationen vereint und ſo—
mit ein Gejammtbild der Erde in Mort
und Bild bietet. V.
Mit einer weſentlichen Beränderung
hat die beliebte Deutſche Jugend für Knaben
und Mädchen von 9 -14 Jahren, heraus:
gegeben von Julius Lohmeyer (Berlin, |
Bernhard Simion) am 1. April ihre Leſer
überraſcht. Sie hat das unhandlide Quart:
format in ein bequemes groß DOctav ver:
wandelt, dabei ihren Umfang erweitert,
Als der unübertroffene Meifter finnigen
Thierhumors bewährt fih immer wieder
Feodor fFlinzer, deſſen launige Thierfiguren
von Niemand ohne Heiterfeit betrachtet
werden fönnen, Sorgliden Eltern ſei diejes
anerkannte Werk für Unterhaltung und
Belehrung der Jugend empfohlen, V.
Yorfchriften für den Sandflurmmann,
eine gemeinfablih zufammengeftellte und
mit Erläuterungen veriehene Sammlung
aller militärgejeglihen Beitimmmungen in
ihrer Anwendung auf Officiere und Manns
ſchaft im Landfturm der k. k. Armee, ſo—
wie für Wehrpflichtige Überhaupt. (Wien,
Kreifel & Gröger.)
Handarbeit, Vortrag von Julius
Leifing (Berlin, Leonhard Simion.)
In diefer Darftellung wird das Ber:
hältnis der Handarbeit zur Mafchinenarbeit
jowohl im Allgemeinen wie in den einzelnen
Gewerben erörtert. Es wird gezeigt, mie
zunädft die Einführung der Majchinenarbeit
auf fait allen Gebieten die Handarbeit bis
zur Vernichtung verdrängte, dab indes jeit
Jahr und Tag eine ftarfe Reaction ſich geltend
macht und heutzutage vielfah die Hand:
arbeit gejuchter ift als zuvor. p
Im Flugſchriften-Cyklus: Gegen den
Strom (Wien. Karl Gräſer) find neuerdings
folgende Schriften erjchienen :
Moderne Aunftliebhaberei,
Das Zeitalter der Deutlidfeit.
Die Corruption im Kleinen.
Dem Heimgarten ferner zugegangen:
Literarifdye Modelle und andere Geſchichten.
Von Ferdinand Grof. (Berlin.S.Fiicer.
1887.)
Derurtheilt, Roman von Yriedrid
Franfe, (Karlsruhe. Gebr. Bollmann.
1887.)
Ausjurandum, Roman vonJdaflein.
(Prag. 9. Mercy. 1887.)
Aus den Ratakomben Berlins. Bon A.
Shuppe (G. Schuh und E. Münden.)
719
Oskar Blumenthal, der Dichter des
deutichen Theaters und der deutichen Preiie
von Eugen Wolff, (Literariiche Volls—
hefte. Gemeinverftändlihe Aufſätze über
literarifche Fragen der Gegenwart. I. Heft.)
(Berlin. Rihard Edftein Nachfolger.)
Adam Asnyk’s ausgewählte Gedidte,
Deutih von Ladislaus Gumplomicz.
(Wien. Karl Konegen. 1887.)
Sebensbilder. Neue Dichtungen von
HermannFriedrichs. (Zürich, Verlags:
magazin. 1887.)
Strophen. Bon 5* Henckell. (Zürich,
Verlags-Magazin. J. Schabelitz).
Schwijer⸗Dütſch. Aus dem Canton Zürich.
Siebentes Heft. Gejammelt und heraus:
gegeben von D. Sutermeifter. (Verlag
von Drell Fuüßli & Eo. in Zürich.)
Das Weib in der Natur: und Völker:
funde, Anthropologijhe Studien von Dr.
9. Ploß. Bearbeitet von Dr. Mar
Bartels. Mit vielen Abbildungen. I. Lie:
ferung. (Leipzig. Th. Griebner’3 Verlag. .
1887.)
Lexikon der Elektricität und,des Magne:
tismus. Ein Hand: und Nachſchlagebuch
von Wilhelm Biscan. (Graz. Leylam.
1887.)
Geſchäft oder Funſt? Privat:Pirection
oder Kädtifde Regie? Ein Beitrag zur Reform
des Mainzer Stadttheaters. Herausgegeben
von Heinrich Hirſch. (Mainz. I. Diener.)
Deutfdland. Monatsichrift zur Hör-
derung einer friedlichen Socialreform.
(Baden: Baden. Bubenheim-Harxheim-Zell.
Rheinpfal;z.)
Poftkarten des Heimgarten.
xx 63 wird angelegentlidhft erfucht,
Manuferipte erft nad vorheriger Anfrage
einzufenden. Für unverlangt eingeichidte
Manufcripte bürgen wir nicht. Externe Ur:
beiten honoriert die Berlagshandlung nicht.
A. R., Magdeburg: Mit Dank ange:
nommen,
3. 8. 6, Görlik: Mein. Laſſen Sie
das Dichten fein.
Mm. M., Palau: Lefen Sie die Er:
zäblung: „Die Belagerung von Pfalzburg“
oder „Ein Necrut von Anno Dreizehn“,
von Erdmann:Chatrian, und Sie werden
mit Ihren phantaftisch aufgeftelzten Kriegs:
geihichten hoffentlich beſcheiden zurüdtreten,
720
E. R. 8: Hilfe! Das Waſſer ift da! | 3.0.9., Wien: Poeten find ſchon jo,
Bon allen Eeiten fluten die Iyrijchen Ge: | Geheimniſſe, die fie ihren intimften Freunden
dichte heran. Yft denn feine Rettung! nit anvertrauen mögen, laflen fie —
V. Srat: Schön Dank. Das Geſchid | Duden.
der guten Alten ift rübrend. W. Klagenfurt: Die Zeitichriften pflegen
X Auflöfung des Räthſels von Seite Nur eingefandte Bücher zu beipreden.
714 der Buchſtabe r. x Ym Glödnerlied, Seite 637, 4. und
mM. 3. W., Wien: Das Gedichtchen, 6. Strophe, joll ftatt „Wollte: Walte,
weldes Alfred Meiner auf das Söhnden | und in der 6. Strophe flatt „heiken*:
feines Freundes 4. 9. Huſchak in Wien heiſſem gelefen werden,
gemadt und in Begleitung einer Tajgen: |
idt bat, Iautet: 3. J. W., Berlin: Sie junger Grün-
a fpeht mollen den verdienftliden Autor
An Wilfelm Aufgak! fritifh vernichten? Merten Sie ſich's: Nur
Was ich Dir, lieber Wilhelm, fende,
Es ſei mit einem Spruch geweibt.
Nicht Freuen bloß ſoll Dich die Spende,
ein Meifter fann meiftern.
Cie mahn' auch an den Wert der Zeit. j x Bom 1, Yuni an find alle Zu:
* ine Uhr Nuheht feit ab fhriften an die Redaction des „Heim:
enn meine rm e et „Jahren, “ . N
Mein Name aud Frinnerung nur, garten nad 8 rieglach (Steiermark) „au
Dak fih die Bäter Freunde waren, richten. Alle Adreſſen an die Adminiſtration
Daran gemahne Dich die ühr. und Expedition wie bisher nach Graz,
Bregenz 5. Februat 1873. Alfred Meißner. Verlag „Leylam“
Don den Jahrgängen I bis VI des „Brimgarfen“ geben wir
nod eine beftimmte Anzahl von Exemplaren zu dem ermäßigten Preife von
fl. 180 — Mt. 3:60 pro Jahrgang ab.
Diejenigen unferer geebrten Abonnenten, welche diefe Jahrgänge zum
ermäßigten Preife bebufs Ergänzung noch zu erwerben wünfhen, mögen
mit ihren Beftellungen nicht zögern, da nad Derbraud der zu diefem Zwede
beftimmten Exemplare der frühere Ladenpreis von fl. 5°60 — Mt. 7:30
pro Jahrgang wieder eintritt.
Jede Buchhandlung nimmt diesbezüglihe Beftellungen entgegen.
Derlagsbudhandlung „Leykam“ in Graz.
Für die Nedaction verantwortlib P@. A. BMofegger. — Druderei „Leytam“ in Graz.
Br —
—J
Zakob der Pehte.
Eine Waldbauerngefhichte aus unjeren Tagen von P. R. Kofegger.
Schluß.)
Die Schatten wachſen.
inter den Eſchen des Reuthofes
lag ein großer Steinhaufen. Es
waren jene Steine, welche die Vor—
fahren des Jakob aus den Feldern und
Weidegründen gegraben und hier zur
fammengetragen hatten. Das Erdreich
ſchien zeitweilig zur Freude des Jakob
ſteinlos, aber alljährlich von Neuem,
fo oft der Pflug über den Ader gieng,
riß er Steine hervor, und fo oft die
Senfe über die Wiefe glitt, Hang fie
in den Steinen. Die Bauern fagen,
es wüchſen die Steine in der Erde wie
die Kartoffeln, und es wäre beinahe
fo. Immer wieder mußten fie diefe un—
liebfame Frucht fammeln und auf den
Steinhaufen tragen, der denn auch bon
Jahr zu Jahr größer wurde.
Auf dem Steinhaufen mucherte
other Holler, Himbeergefträuche und
Gediftel, auch ein paar Fichtenbäums
Rofegger's „„Gelmparien‘‘ 10. Heft, XI.
hen fanden auf, fo daß der Jakob
einmal fagte: „Da heißt es, das Alten—
moos wäre eine unfruchtbare Gegend,
und wachſen doch fogar auf dem Stein-
haufen allerhand Sachen.“
Als e3 nun ſtark zu Herbften bes
gann beim Jakob, und zu wointern
bein Pechöl-Natz, daß fie die Somne
auffuchten, wann und wo es gieng,
fahen die beiden Männer gerne auf
dem warmen Steinhaufen und fehauten
in die Gegend hinaus. Den ftattlichen
Reuthofer von ehe hätte man kaum
mehr erkannt. Haar und Bart unge—
pflegt, grauend, die Wangen eingefallen,
die Naſe noch fchärfer gejchnitten, die
fonft fo ſchönen blauen Augen trüb
und müde, und manchmal grell aufs
zudend, als wolle fi) der Jugendmuth
in ihm nicht fo ohmemweiters begraben
laffen. Wenn das Herz der beiden
Männer munter war und fie ſich was
Gutes anthun wollten, fo redeten fie
46
722
von alten Zeiten, da es noch lebendig Ina, wir werden bald ausgeftorben
und luftig gewefen in Altenmoos.
„Gegen dreihundert Menjchen find
da geweſen,“ fagte der Jakob, „Gute
Arbeiter, dazumal, tüchtige Soldaten.
Ein feſter Menſchenſchlag! kernfriſche
Leut'!“
„Und heute nur etliche Krüppel und
Hafderin und ein Paar alte Männer,
die auf dem Steinhaufen ſitzen.“ So
fügte der Naß bei.
„Sefungen ift worden und ge—
jauchzt, daß es nur fo hat angefchlagen
drüben im Nodwald; munteres Ge—
jpiel mit Zither und Hadbrett Haben
fie getrieben an Sonn- und Feiertagen.
Die Hugelbahnen haben gefmattert im
Sommer, die Herbitpeitichen gefnallt,
wenn die Frucht eingeheimst ift ge=
weſen, die Eisſchießſtöcke haben ge—
Hungen im Winter.“
„Heut’ ifts todtenftill,“ fagte der
Nah.
Einundzwanzig ftattlihe Häufer.
Zwölf Großbauern. Hat jeder einen
Wagen gehabt und ein Roß oder zwei,
ift flott ins Kirchdorf gefahren, im
Winter mit dem Schlitten. Hats ge—
heißen: aufgefhaut die Altenmoojer-
Bauern fommen! Wein her und Braten
ber, Geigen und Pfeifen her, die Alten—
moojer-Bauern fommen!*
„Heut' ſchleifen wir mit der Gicht
um, teinfen Wafler ftatt Wein, efjen
ftatt Braten Krautrüben und wenn der
Wind dur die Wandfugen pfeift, das
ift unfere einzige Mufil,“ jo fagte
der Natz.
„Die Leut’ Haben zufammenges
halten. Hat Einem was gefehlt, haben
ihn die Andern geholfen. Zu Grund’
gegangen ijt Feiner.“
„Heut’ traut Einer dem Andern
nicht und ich glaub’, wenn's zum Ster—
ben ift, fucht fi Jeder dazu den öd—
weiligften Winkel, daß ihn Niemand
dabei fieht,“ fagte der Natz. „Bei den
wilden Thieren gehts auch fo zu. Ich
fag’ das und ich bleib’ dabei: uns
fehlen die Kinder. Nichts wachst mehr
fein. *
„Ich weiß nicht,“ bemerkte der
Jakob, „ift es Einbildung oder ift es
wirflih wahr: Zu Altenmoos ſcheint
die Sonne nit mehr jo hell, wie vor
Zeiten. Es mag wohl an meinen alten
Augen Tiegen.*
„Es mag aud an was Anderem
liegen, mein lieber Jalob,“ entgegnete
der Natz. „So lang’ ih noch in den
Hohmaldgräben drinnen geweſen bin,
iſts mie oft aufgefallen, daß in den
Maldgräben mehr Nebel geweſen iſt,
als heraußen zu Altenmoos, wo die
freien Bauerngründe find gelegen. Jebt
\ift auf Ddiefen Bauerngründen auch
Wald gewachſen, Wald auf den Wiefen
und Wald auf den Feldern, jetzt legt
ih der Nebel auch ins Altenmoos
herein und bleibt liegen, wenn draußen
überall die Sonne ſcheint. Alle Jahr
wird der Winter länger und der
Sommer Fühler. Haft vor Zeiten zu
Beter und Pauli Reif gejehen auf
Deinem Rain ?*
„Es will auch der Hafer nicht mehr
zeitig werden vor dem erften Schnee,“
fagte der Jakob.
„Bor Zeiten, wenn Du Dich er-
innern fannft, find alle Wiefen weiß -
und blau und roth gewejen vor lauter
Blumen. Heut’ blühen fogar die Difteln
nimmer jo ſchön roth, wie früher.
Ueberall zu viel Schatten. Draußen
jagen fie, fie hätten zu wenig Wald,
wir haben zu viel. Die Leut’ können
fein Maß Halten, das können fie nicht.
Wie es der gefehwindefte Gewinn ver=,
langt, fo treiben fies, die Herren, und
es mögen ganze Gemeinden darüber zu
Grund’ gehen, darnad fragen fie nicht.
Mein Troft dabei ift der: Es geſchieht
Ihnen auch felber nicht wohl dabei,
trug Geld und Luftbarkeit. Umbringen
thun ſich mehr Leute draußen in der
luftigen Welt, als herinnen im traue
tigen Winkel.“
„Weils ihrer draußen mehr gibt,“
wendete der Jalob ein.
723
„Nicht fo, Jalob, nicht fo,” be=
deutete der Naß, der einmal feinen
guten Tag hatte, „nach dem Perzent
muß man's nehmen. Hab’ neulich erft
gehört, wie Einer aus der Zeitung
gelefen hat draußen in Sandeben : im
Berhältnis genommen thäten ſich ein
ganzes Dritttheil mehr Weltleute jelber
umbringen, al3 Waldleute. Es fehlen
die Kinder, draußen wie da, es fehlen
die Kinder. Die Leut’ kommen heut—
zutag Schon alt auf die Well. —
Meinetwegen, wir werden's ohnehin
bald überftanden Haben.“
Derlei war ihr Geſpräch auf dem
Steinhaufen, wenn die Sonne ſchien.
Da trieb8 doch der Almbalter
Megerer anders. Kümmerlich war wohl
auch er. Die Rinder, die ihm von
den Bauern in Sandeben anvertraut
waren, daß er fie in den Geſchlägen
und auf Almen weide und hüte, wur—
den fett, er felber aber blieb zaun—
marterdürr. Eines Tages trieb er aus
feiner Weidegegend einen Ochfen durch
Altenmoos und gegen Sandeben dem
Fleiſchhauer zu.
„Mach' Dir aber nichts draus,
Falber,“ ſprach er zum Ochſen, „Ichau,
mußt Dir denken, Dir ift es halt ſchon
jo aufgefet, daß Du geſchlachtet und
aufgegelfen werden mußt.“
„Du bift ein Ochs, und das if
Dir Halt ſchon fo aufgeſetzt!“ erſcholl
plöglid vom nächſten Busch her eine
Stimme.
Dem Wegerer war etwas uneben,
er wußte nicht ganz genau, hatte diefer
Gruß dem Rinde gegolten, oder ihm.
Der Yalob bemerkte darüber zum
Natz: „ES wird ja wohl etwas MWahres
dran fein. Die Einfalt ift angeboren,
aber dumm muß der Menfch jelber
werden." —
Was die Wildſchäden anbelangt,
jo wurden diefelben dem Jakob richtig
allemal vergütet. Abgefhäßt aber wur—
den fie von Jägern, Jagdliebhabern
oder anderen Leuten, die unter der
Gnade oder unter dem Drude des
Kampelherrn lebten.
Die Hirfehen haben ihm das Kraut
gefreſſen. Was ift ein Kohlpflanzel
wert? Das Hundert zehn Kreuzer. Aber
die Arbeit? Der Zeitverluft? Mer
zahlt’ 3? Was ift im Herbft ein Kohl—
fopf wert? Um vier Kreuzer, meinten
die Schäßmänner, könne man fogar
draußen in der Krebsau die jchönften
Kohlköpfe Haben. An zweihundert Stüd,
wenn man’ hoch nimmt! — fagten
fie — find gefreffen, macht acht Gul—
den. Bar befam der Jakob das Geld
auf die Hand ausgezahlt.
Diefer hielt die Scheine in der
fladen Hand fo Hin und fagte: „Was
mad’ ich damit? Draußen im Thal
mag man den Kohl Friegen, aber wer
führt mir ihn herein, wo alle Wege
zerriffen find! Oder wachjen jegt im
Spätherbft die Kohilöpfe bei mir da,
wenn ich diefes Papier anjäe? Ahr
lieben Herren, für mich hat der Kohl
einen andern Wert als für Euch; für
mich iſt er Hauptkoft, für Euch ift er
Zuſpeiſ', mit Verlaub!“
Es half ihm aber nichts. Wenn
ihm die Entjchädigung zu wenig, fo
möge er fi an's Gericht wenden.
„Daß ich ein Narr wär’!“ lachte
der Jakob auf. „Da wollt’ mir mein
Recht hübſch theuer zu ftehen kommen !
Das kennen wir!“
Einmal, als ihm das Wild fein
Haferfeld arg mitgenommen hatte, ward
ihm wieder die Schadenabjhägung in
Ausficht geſtellt. Sie ließ auf fi
warten; der Hafer aber, fo viel noch
vorhanden, war ſchon reif und wollte
geihnitten fein. Der Oberförfter ließ
dem Jalob auf feine Vorftellung fagen,
wenn er den Hafer jchneide, bevor die
Commiſſion käme, fo friege er nichts.
Der Jakob wartete, bevor jedoch
die Abſchätzung kam, kam der Schnee
und vernichtete die ganze Ernte.
Bald hernach war auch die löbliche
Commiſſion da. Sie machte eine fehr
bedenklihde Miene und fragte: Wieſo
da von Wildfehaden die Nede fein
fönne? Da miüfje der Reuthofer ſchon
46*
724
den SHerrgott verklagen, für das
Schneien könne fein Menſch etwas.
Da ballten fi dem armen Manne
wohl oft die Fäufte im Sad. Und
den ſchlimmſten Wildſchaden Hatte er
doch noch nicht kennen gelernt, von dem
man draußen in den Gegenden, two
Obſtbau ift, zu erzählen weiß. — Im
Neuthofe war der Haushund abgefchafft;
durch das fortwährende Gebelle, gab
der Jäger bor, würde aus der ganzen
Gegend das Wild verfcheucht. Es war
nun zwar des Jakobs Recht, einen
Haushund zu halten, aber dem armen
Thier, es mochte nun an der Slette
liegen oder nicht, paffierte immer etwas,
das eine ftarb an Blei, das andere an
einem Pulver, welches nicht knallte,
und da dachte fich der Jakob: Ich mag
die Todesqualen nimmer fehen! —
und verzichtete auf den Hauswächter.
Eines Tages, al3 wieder ein Hirfch
in den Gemiüfegarten gebrochen war,
nahm der Jakob feine mit Waffenpaß
wohl verflaujelte Hausflinte von der
Mand, öffnete das Stubenfenfter und
ſchoß das Thier über den Haufen.
Der alte Nat that einen Freuden
ſchrei. „So ifts recht, Jakob! Ehevor
der Hirsch uns frißt, freifen wir den
Hirſchen!“
Aber der Yalob ſagte: „Das iſt
nicht fo, mein lieber Bruder. Die
Freude follen fie nicht haben, daß fie
mich als Wilddieb paden könnten. Sie
fönnen mir die Wirtjchaft zu Grund'
richten, fie können mir die Haut ab—
ziehen, aber zum ſchlechten Kerl machen
fie mich nicht.“
Er gieng hinaus ins Thal zum
Verwalter.
„Herr!“ fagte er zu dieſem, „ich
hab’ gebeten und gellagt. Ich Hab’s
ertragen. Ich Hab’ dad mit der
Wildſchädenvergütung erlebt. Aus ifts,
beftehen kann ich nicht, wenn ich mich
nicht felber ſchütze. Heut’ ift wieder
ein Thier in meinen Garten gekommen.
Wenn Ihr es wegſchaffen wollt, es
liegt dort, wo es geſtanden iſt.“
„Reuthofer!“
walter auf.
„Ja,“ antwortete der Jakob, „ich
hab' es niedergeſchoſſen.“ Ich will's
auch hertragen, wenns verlangt wird.“
Der Verwalter ſchwieg ein wenig.
„Ich hab’ das Thier niedergefchofen, “
wiederholte der Jakob. „Bor etlichen
Tagen hat der Jäger meine laß’ nie=
dergejchoflen, weil fie den Rebhühnern
hätte Schaden thun Flönnen. Wird in
Ordnung fein. Ich babe den Hirfchen
niedergeſchoſſen, weil er mir das Kraut
gefreffen. Wird auch in Ordnung fein.
Der Verwalter murmelte: „Das
thut mir leid,” und zog eine Slingel.
Auf das trat ein Jagdburſche eiıt.
„Es thut mir leid,“ wiederholte
der Verwalter zum Jakob gewendet,
„daß wir zwei Heute auf folche Art
auseinander gehen müflen. Ich wollt’
Euch's immer gut; ich habe Mitleid
mit Euch gehabt, ich Hab’ Euch wahrlich
Vieles entfchuldigt. Den Bauerntroß
läßt man hingehen, der Eigenfinn zehrt
fih jelber auf. Die Bosheit aber! Die
Bosheit kann ich nicht verzeihen. —
Franz, thu’ Deinen Hirfchfänger um
und führe mir den Mann nad) Krebsau
zum Gericht !*
„Einfperren!“ rief der Jakob.
„Einfperren, "mein lieber Reut-
hofer,“ entgegnete der Verwalter in
geſchmeidiger Weife.
„Einfperren, weil ich ehrlich ge—
weſen bin und die Nothwehr ſelbſt
angezeigt habe!“
„Nothwehr? Hat Euch der Hirſch
nad) dem Leben getrachtet ?”
„Er hat mir nad dem Leben
getrachtet. Wenn ein fremder Menſch
ins Haus fällt, um mir das Brot zu
ranben, jo ift Nothwehr erlaubt. Und
babe ich den Hirfchen geftohlen ?*
„Dem MWildfhügen gehts um's
Schießen oft mehr, al3 um's Stehlen.“
„Haben wir denn fein Recht mehr
auf unferem Boden ?1* ſchrie der Jakob.
„Hat in diefem Land denn das Wild
einen größeren Schuß al3 der Menſch?!
begehrte der Ber-
725
„Laſſet jegt das Spintifieren. Wenn
Ihr im Schatten fitt, Habt Ihr Zeit
genug dazu. Marjch!”
Der Schatten, ja das mar ber
Kotter. Achtundvierzig Stunden ſaß
der Yalob drin und Hatte Zeit nach—
zudenfen über mancherlei. Wenn ihm
der Staat ſchon nicht3 zu geben ver—
mochte für alle Steuern an Geld, Blut
und Treue, die er ihm fein Leben
lang gebracht: fein gutes Necht, hatte
er geglaubt, würde ihm gefichert fein,
wenn e3 einmal darauf ankäme. —
Nun ſaß er im Kotter und meinte,
er müſſe vergehen vor Scham und
Entrüftung.
Er wußte damal3 noch nicht,
daß der Kampelherr bereits im Reichs—
rathe ſaß. Gerade in jenen Tagen,
al3 der Jakob eingefperrt war, hielt
jener eine glänzende Rede vom „ehr=
lihen Mann der Arbeit mit der ſchwie—
ligen Hand,“ und daß dem nieder-
gehenden Banernftande aufgeholfen
werden mülle.
Ein Wunder war's noch, daß fie den
Jakob endlich frei ließen — fie hätten
ihn nad feiner Meinung gerade fo
gut Wochen, Monate, ja Jahre lang
gefangen Halten können, kein Menjch
hätte fih des armen Waldbauern ge—
fümmert. —
Als fie ihn freigelaffen, eilte er
auf Ummegen ins Wltenmoos. Den
Dörfern und Häufern, den Menfchen
wid er aus. „Der Sträfling! Der
eingefperrt war!“ Man weiß ja, wie
es die lofen Mäuler treiben, die es
nur dann für fich felbft zu einem ge-
wiffen Tugendglanz bringen können,
wenn ihnen gegenüber ein von amts—
wegen armer Sünder fteht.
Us er erſchöpft und abgezehrt
heimkam, Höhnte ihn Niemand, mur
die zwergige Dirn lachte ihn aus, daß
er im Reuthofe davongegangen ei,
dieweilen im Garten der Hirſch von
den Krähen verloftet wurde. Das
Hügfte Lachen, das man von der zwer—
gigen Dirn je gehört Hatte.
Seierlide Wildnis. Das Zauchzen
verboten.
Nah Sandeben gieng der Jakob
jeit diefer Zeit nicht mehr. Es ſchüt—
telte feinen Körper vor Efel, wenn er
an die Leute dachte. An Sonn= und
Feſttagen das Glodengeläute gieng ihm
ab. Er flieg mehrmals auf die Sand=
lerhöhe, wo man es Hingen hören konnte,
wenn der Südwind z0g. Wenn er
aber dachte, daß der Glodenftrid von
einer Creatur gezogen wurde, war auch
die Freude an dem Slingen dahin.
Bald ftieg er nicht mehr auf die Sand—
lerhöhe, fondern betreute feine Kapelle
und das uralte Holzbildnis, das einer
feiner Vorfahren geſchnitzt hatte. Neben
der ſtapelle ftand und gedieh der Weichfel:
baum; er blühte alljährlih und trug
Früchte, als ob der Friedel, dem er
geweiht, nicht ſchon längft in einem
Mafjengrabe des Schlachtfeldes moderte.
Es ift fein Band und fein Verftehen
und Mitleben in der Natur. Jedes
Weſen für fih allein. Danklos ent»
ftehts, lieblos genießts, in heißen
Schmerzen vergeht3; es ift gar zu
ſchlimm.
Wenn die ſtillen Tage der Nebel
waren, da das Altenmoos zugedeckt
ſchien mit einem grauen bleiernen Deckel
und die Tropfen an den Bäumen
ſpannen, gieng der Jakob bisweilen
der Sandach entlang aufwärts durch
die Schluchten bis in den Grund,
genannt im Gottesfrieden.
Er gieng an den Felſen hin, am
See vorüber und bis zum braufenden
Waflerfall. Wenn der fintende Luftzug
das Braufen niederdrüdte, daß die Steine
zu beben fchienen in der lauten Ges
walt, das that dem Jakob wohl. Stun—
denlang jtand er da und blidte in das
aus den nebeligen Höhen endlos nieder-
gehende ungeheuere Wafjerband, welches
weiß und ſchwer und flodend wie eine
unaufhörlide Schneelawine in den
quirlenden flutenden Keſſel ftürzte. Wie
in wilden Zorne fprangen die weißen
Giſchten wieder hoch empor, ſchlugen
726
mit hundert Fittichen an die Felſen- | war, fo ift es noch. Hätte ſich nicht
blöde, umkreisten diefelben im ihren auch hier etwas zu Geld machen laffen ?
Tümpeln, als wären fie auf der Flucht Die Menſchen find doch ohnmächtiger,
und könnten den Ausweg nicht finden. als ſie glauben. —
Neben dem Haupffall giengen in Striden | Das gehobene Herz, das der Jalob
und Schleiern Heinere Nebenfälle, von aus dem Gottesfrieden allemal mitge—
Vorſprung zu Vorſprung hüpfend, grell bracht, ſank im Reuthofe ſtets bald
flüſternd wie ziſchelnde Bosheit neben wieder in Sorge und Traurigkeit zus
der graufen, wüthenden Leidenſchaft. 'rüd. Es war feine Freude mehr auf
Diefer Waflerfall der Sandad war, dem Hof, es galt nur, das arıne
fein Gebet geworden und fein Lied. | Leben zur Noth zu friften. Vieh und
Und fo, wie das Waſſer dann ftill und! Hafer verkaufte der Reuthofer längit
Mar dur den Felſengrund floß, ſo nicht mehr, e& war Alles jo lümmer—
gerubigt ward auch allemal fein Gemüth. * geworden und reichte kaum aus
Er vermochte es nicht zu deuten, warum für den häuslichen Bedarf. Indes
es ſo war, aber aus der Kirche war. bedurften fie auch michts, gar nichts
er niemals mit feierlicherer und be= mehr von draußen. Als Salz ver
ruhigterer Stimmung getreten, als aus | wendeten fie getrodneten Kümmel.
dem Felsgrunde im Gottesfrieden. So Gieng ein Fenfterglas in Scherben,
wußte er nun, wo feine Kirche ftand. | fo gab eine alte Hauspoftille Blätter
Und einmal fiel es ihm ein: Mer her, um das Loch zu verkleben. Loden
weiß, obzu Sandeben ſchon eine Pfarrz | aus der Schafwolle, Leinwand aus
firche gewefen zur Zeit, als die erften dem wenigen lach, Leder aus den
Neuthofer den Reuthofgrund gereutet Häuten der geſchlachteten Thiere ward
hatten! Wer weiß, ob der erſte Jalob ſchlecht und recht bereitet mittels der
nicht mit dem Waſſer im Gottesfrieden | alten Vorrichtungen, die aus befferen
getauft worden ift! Was war zu Alten= | Zeiten ſich noch im Haufe fanden.
moos nicht vorgegangen in den Jahre Wie der Yalob im Gottesfrieden
hunderten! Die Anfiedler, arbeitfam | die Kirche entdedt hatte, fo hatte der
und bedürfnislos, hatten ſich fefte| Pechöl-Natz im Walde die Apothele
Stätten gegründet, zur Gemeinde zu= gefunden. Er fammelte Wurzeln und
Jammengethan, Hatten Ordnung und Kräuter, fochte Saft daraus oder rieb
Zucht gehalten, hatten fich im Frieden | fie zu Pulver. Wenn dann die Kranl-
vertragen und das entlegene Thal heiten und Gebrechen kamen, wurden
zwifchen den hohen Bergen und Wilde | die Mittel mit gutem Bertrauen an—
niffen war ein heiteres, gefegnetes | gewendet; manchmal halfen fie, mauch—
Menſchenheim geworden für lange Zeit. | mal halfen fie nicht, manchmal ſcha—
Dann war die Peft der Zeit, die, deten fie, ganz wie die Sahen aus
Gewinngier und der Streberwahn ge= | der lateinischen Küche.
kommen, Hatte die Menfchen treulos Einmal in einer mondhellen Som=
gemacht gegen die Heimat und ihre mernacht wedte der Nat den Jalob
Sitten, hatte fie in das Elend der aus dem Schlafe. Es wären wieder die
Welt hinausgejagt. Die wenigen Zus |vierfühigen Schelme draußen. Drei
rüdbleibenden find von der Herrſchſucht Rehe fliegen im Garten um und
und den Eigennuß der Mächtigen er= | grasten die jungen Kohlpflanzen und
driidt worden. Ein großes Leben ift!den Salat weg. Der Nah war heute
aufgeflanden im Altenmoos, und ein | befonders exbittert, er hatte vor wenigen
großer Mord ift an ihm begangen | Tagen exit die Kohlpflanzen bei dem
worden. ... Im Felfengrunde zum | alten Weibe der Lunſelkeuſche erbetteln
Gottesfrieden hat fich nichts geändert. | müflen. Das alte Weib hatte noch ge=
Wie es zu des erfien Jakobs Zeiten |zetert, was das für eine faubere
—— — — — — — —
727
Bauernwirtichaft wäre, nicht einmal
Sehpflanzen zu haben! — ber das
Wild hätte fie gefrefien ! berichtete der]
Nah. „Warum hat denn mir das Wild
die Pflanzen nicht gefreffen ?* rief
das Weib. „Weil ih mein Bett
draußen im Garten ftehen hab’ und
weil ich die ganzen Nächte wach bleib’
und Striimpf frid’ uud Lärm Schlag”,
wenn die Beltien aufchleichen.
Ihr's Halt auch jo machen. Aber na,
die Herren vom Reuthof wollen fich
die Naht gut fein laſſen und nachher
die Sebpflangen von den arınen Häus—
lerinnen erbetteln. Da haft ihrer. Ych
hol’ mir Milch dafür.“ — Als hernach
über lange Mühe die Pflanzen glüdlic |
Müpt
(braucht «3 lange, bis er ein Spitz—
bub wird”,
Bon diefem Schuß an hatte der
Garten eine Weile Ruhe. Die Rehe
und Hirfche kamen bis zum Rain
herbei, ſchauten zwiſchen den Efchen
mit langen Hälfen herüber auf den
grünen Kohl, gewannen aber‘ nicht
recht den Muth, ihre Verlangen zu
ftillen.
So ftredte einmal der Nab fein
altes, weißbärtiges Gefiht vor und
munfelte: „Jakob! Jakob! 's ift doc)
das rechte Mittel geweſen!“
Es gefhah von nun an nicht all—
zuſelten, daß in der Umgebung des
Reuthofes ein Büchslein knallte. Manch—
im Garten ſtanden, hübſch der Reihe mal ſah man den Oberförſter Ladis—
nach geſetzt und mit Jauche gedüngt, | Haus durch die Gegend haften und um
wollte es erft nicht regen, mußte der den Hof ſchleichen. Er war ſchon fehr
Nah alle Abend vom Brunnen viele gebückt und fein ftets furzgefchnittener
Kübel Waller Herbeifchleppen und die Bart war grau wie Eis, aber feine
Setzlinge nach der Reihe begiehen. Und Augen fprangen noch ſcharf und
wie fie jet anhuben zu gedeihen, ſtechend in’s Grüne aus und die Beine
waren die Thiere da, um fie abzu- waren flinf. In den früheren Jahren
freien.
hatte man dem Oberförfter ftets be—
Der Nah gab dem Jakob das |häbig des Weges fommen gefehen ;
Gewehr in die Hand.
die Wandlude hinaus. Machte eines
Paff! durch jetzt, da er alterte, lief er gebüdt und
baftig, jo daß es immer war, als
der Thiere den Sprung in die Luft |fchleiche er Jemanden an. So geht's,
und fürzte zu Boden. Die zwei an—
deren jeßten in hohen Sprüngen über
den Zaun und dem Walde zu, daß
der Boden dröhnte.
„Wirf den Rod um,“ fagte der wurmte ih.
Jakob zum Natz, „wir gehen hinaus,
Diesmal will ich gefcheiter fein. Sie
haben mich eingefperrt, weil ich's an-
gezeigt; jetzt zeig’ ich's nicht an, fo
werden fie mich nicht einfperren. Man
macht's, wie ſie's haben wollen.”
Sie trugen das Thier zum Bruns
nen, weideten es aus, trugen es in
den Seller und legten fich wieder zu
Bette.
Um nähften Morgen war der
Jakobstag. Die Bauern feiern an
ihrem Namenstage gern auch das Ge-
dächtnis ihrer Geburt. „Vierundfechzig
Jahre!” fagte der Jakob erfchroden
zu fich jelbft. „Bei manchem Menfchen
wenn Lift die Kraft erfeßen muß.
Der Oberförfter ſchien Verdacht zu
haben auf den Reuthof, aber e3 war
Inicht dahinter zu kommen, und das
Er jeßte fein Leben
d’ran. Die Hirfchen und die Wild-
ſchützen waren ihm die zwei wichtigften
Dinge auf der Welt.
Nun Hatte ihm aber die neue
Zeit eine neue Landplage gebraht —
die Touriften. Das waren weder Hir—
Ihen noch Wildſchützen, alfo ehr
verächtlihe Greaturen. Steigen auf
allen Bergen umher und verfcheuchen
das Wild. Zrotten mit ihren ver—
fluchten Bergftöden höflich blöde und
gleichgiltig dahin und verfcheuchen es
doch. Können den Schildhahn nicht
vom Rebhuhn umterfcheiden, und ver—
ſcheuchen fie doh! Auf dem Weg,
heißt’s, wollten fie bleiben, dieſe gotts—
728
vermaledeiten Luftbummler. Es gibt
gar keinen öffentlichen Weg in unferen
Gebirgen ! Brivatgrund! Da wird nicht
aufgetreten !
Die Touriften aber wußten nur
von einer ſchönen Gotteswelt und
nichts von einer, die dem Kampelherrn
gehört; fie fliegen alfo auch hier wie
überall auf die Berge. Da nahm der
Oberförfter eined Tages Einen gefan-
gen. Der hatte nad feinem Wilde
geſchoſſen, ja nicht einmal eins ge—
jehen, denn er war fehr kurzſichtig
und trug über feinen gewöhnlichen
Augengläfern Numero Acht noch ein
paar blaue Brillen gegen das grelle
Sonnenlidt. Diefen Menjchen hatte
der Oberförfter feitgenommen, weil er |
oben auf der Nodhöhe einen Jauchzer
gemacht. „Wen fchon der Teufel ums
hertreibt in unſerem Revier, der foll
wenigftens feinen Lärm machen!“
„Aber Herr Jäger,“ rief der
Touriſt, „wenn die Welt halt allzu-
Ihön ift! Wenn's Halt gar zu luſtig
ift auf der Alın, wer foll da nicht
jauchzen! Juh! Juh! Juh!“
Klingend wiederhallte es weitum
in den Wäldern.
Der Oberförfter war - außer ich.
„Die Hände kann man fo einem Kerl
feffeln, aber um die Gojchen läßt ſich
fein Schloß anlegen.”
„Sub, Juh!“ fehmetterte der Tou—
riſt in alle Winde und machte einen
Frendenſprung um den andern.
Ganz unwillfürlich legte der Ober-
förfter die Finger an den Hahn.
„Hol der Teufel das ganze Jagdge—
je, wenn man jo einen Maulaffen
nicht über den Haufen ſchießen darf!”
Inivfchte er und ftieß den Gewehr-
folben auf den Boden. Der Zourift
mußte mit. Erft unten an der Sandach
ließ er ihn los, wo das Wafler den
Quftfchrei übertäubt hätte. Der Halb-
blinde aber gieng nicht weiter, fondern
ftellte jih Hart vor den Förfter und
rief: „Ihe Habt es weit gebracht mit
der Welt, daß man jeßt nimmer
jauchzen foll dürfen im grünen Wald!
Das Fluchen ift nicht verboten, wie
ih an Euch bemerkt habe. Schön!
So verdamm’ Euch Gott, Ihr Herren,
die Ihr Eu’rem Jagdvergnügen die
Eriftenz armer Leute opfern Könnt.
Derdamm’ Euch Gott, die Ihr den
Mordknall aufgebradht habt im Wald
und das Frohe Jauchzen verdrängt:
Zu Pulver foll Euer Blut werden
und zu Blei Euer Herz und zu Rauch
Euere ſchwarze Seele! Guten Morgen!“
Und war davon.
Auf feinem weiteren Wege be»
gegnete der Oberförfter dem Almhalter.
Der ſchlich mäuschenftill daher auf
dem fteinigen Weg, und zwar barfuß.
„Daß ich die Hirschen nicht verſcheuche!“
fagte er zum Förfter. Die Wahrheit
war, daß er feinen Schub befah.
Der Herr Ladislaus wollte feinen
Aerger zerftreuen und Hub mit dem
alten Wegerer ein Geſpräch an.
„Na, Wegerer!“ fagte er, „was
fann jo einem Kerl aufgefeßt fein, der
im Wald wie toll umberfchreit und
das Wild verjagt ?*
„Für's Erſte,“ antwortete der
MWegerer, „kann er heiſer werben.
Nachher kann's ihm durch die Siraf
Gottes aufgefeßt fein, daß er taub»
ftumm wird! ganz taubftumm. Und
blind und lahm und nah und nad
todt, mauſetodt!“
„Schön,“ jagte der Förfter, „und
weil Du Dich ſchon einmal fo gut
ausfennft, jo fage mir, was zum
Beifpiel dem Bauer dort drüben auf—
gefeßt ift ?“
„Dem NReuthofer? der muß ver—
hungern, wenn er nicht gejcheit ift
und fich als Wildſchütz einfperren laßt.
Iſt ihm aufgeſetzt, ich ſag's! Und
nachher dem Pechöl-Natz iſt aufgeſetzt,
daß er mit achtzig Jahren noch ein—
mal in den Eheſtand tritt mit einem
ſchönen Weib, weil er Kinder haben
will,“
„Da wird ihm wohl auch etwas
Anderes aufgefeßt werden!“ bemerkte
der Oberförfter witzig. „Schau her
da, Alter, Haft Du ſchon einmal eine
729
folde Schnur geſehen?“ Er zog feine
Der Jakab ſaß zur Feiertagsruh'
Seidenſchnur mit den Knoten hervor. an ſeinem Tiſche und blätterte wieder
„Weiß ſchon, weiß ſchon davon!“ einmal in der Bibel.
ſchmunzelte der Almhalter.
„Jetzt ſag' aber auch einmal, was
unſerem gnädigen Herrn bevorſteht!“
„Dem gnädigen Herrn?“ ent—
gegnete der Wegerer, „dem Kampel—
herren ? Wenn ſich der nicht bald än—
dert, fo muß ich Schon fagen —“
„Heraus mit der Farbe!“
„Daß er Baron wird!”
„Und was meinft, Alter, was mir
aufgejeßt iſt?“ fragte der Förfter, die
Schnur wieder in den Sad jchiebend,
„Dem Heren Waldimeifter?*
„Aufrichtig fein!“
„Darf ich's fein ?“
„Ich zahl’ einen Schnaps.“
„Iſt ein gutes Fürnehmen, Herr
Waldmeiſter, ein jehr gutes Fürnehmen.
Dem Herrn Waldmeifter wird's noch
recht gut gehen.“
„Und weiter? Ich will wiſſen,
was für ein Glück mir aufgeſetzt iſt.“
„Nach meiner Meinung,“ ſagte
der Wegerer zögernd, „aber nicht für
übel halten, fein Menſch kann dafür,
was ihm aufgefeßt ift. Nach meiner
Meinung müßte fi) der Herr Wald—
meifter an feiner Seidenſchnur aufs
henfen, zum feligen End'.“
„Und dafür willt Du Schnaps
haben, Taugenichts!“ fuhr der Ober-
förfter auf.
„Muß nicht gerade Schnaps fein.
SH mag auch Wein.”
„Schau, daß Du weiter fommft |“
herrschte ihm jener zu.
Der alte Almhalter ſchlich kopf—
ſchüttelnd davon. „Ich glaube gar,“
murmelte er, „der Mann ijt beleidigt.
Iſt es mir accurat aufgefegt, daß ich
den muß beleidigen, der mir einen
Schnaps wollt’ zahlen.”
Und ſchlich dahin.
Ein Narr müßt’ Einer fein.
Im Herbfte war's, am Frauentag,
genannt Maria Geburt.
Das Blättern
gieng gar mühſam von ftatten, weil
das Bapier feine Art ift und kein
Spaten. a, wäre ed eine Art ge=
wejen oder ein Spaten, dem Manne
hätte es beſſer belommen. Die herbe
Arbeit erfrifchte ihm das Herz, die
Schrift machte ihn immer noch nad)»
denflicher, als er ſchon war. Und nach—
denken foll ein Menſch nicht, der fo
betrübt ift, al$ der Jakob es war.
Ein Luftzug vom offenen Fenſter
herein hatte auch ein wenig geblättert
und fchlieglih das Capitel vom ver-
lorenen Sohn aufgeſchlagen. — Was
geht den Jalob der verlorene Sohn
an! Ehevor er ein Lejeftüd ausge:
wählt hatte, ſchob ſich die zwergige
Dirn zur Thür herein und berichtete
fihernd, daß ein Bettelmann draußen fei.
Man folle ihm ein Stüd Brot
geben.
Das habe er ſchon, aber er fibe
auf dem Antrittftein und wolle nicht
fortgehen,, berichtete die Dirn unter
heftigen Lachen.
Nah einer Stunde, als der Jakob
hinausgieng gegen die Stallung, ſaß
der Bettelmann noch auf dem Anktritt—
ftein und ftüßte den Kopf auf die
Hand. Er trat zu ihm Hin, blidte
ihm in's Geficht und erſchrak bis in’s
Herz hinein. — Das ift doch nicht
möglid. Er kann's nicht fein. In
einem ſolchen Zuftand, zerriffen und
verfommen. Der Bart war ſchon grau
und bewucherte das ganze Geficht; die
fleinen Augen zudten wirr, faſt mun—
ter, aber der wetterfahle Hut ift jo
tief in die Stirne geftülpt und fo
gedrüdt Hein ift das Kerlchen.
„Mit Verlaub,“ fagte der Yalob,
als er eine Weile fo dageftanden war,
„Ih muß mich doch vielleicht irren.“
„Wirſt Did nicht irren,“ ante
twortete der Bettelmann, „Röffer laufen
gehe ih um, wenn Du ihrer halt.“
„Ufo richtig der Guldeiiner!”
rief der Jakob, „gut ausfchauft! heißt
das, alt, ſchon woltern alt werden wir
halt miteinand.“
„At und leg, und arm und
dumm,“ knurrte der Andere in feinen
wulftigen, beflidten Mantel hinein.
„Wirft nicht eine Weil’ fißen
bleiben da, Nachbar!“ fagte der Jakob,
„in der froftigen Herbftluft da! Geh’
ein wenig in meine Stuben hinein.”
„Wenn Du ein Wirtshaus hätteft.
Ueber Nacht bleiben möcht” ich da.“
„Wirft Plaß haben,“ jagte der
Jakob und dachte bei fih: Armer
Menfh! Mut betteln und willft es
nicht merken laffen.
Er Hatte Vieles vorausgejehen.
aber das hatte er nicht erwartet. Das
Mitleid fam. Er will es ihm nicht:
fühlen laffen, dem Guldeifner, was diefer
einft in feinem Hochmuth gefündigt hat. |
„Mich Freut es recht, Nachbar, |
dab ih Dich Heimen kann und daß
Du mein Dad nicht verſchmähſt. Mach
Did nur bequem da in der Stuben.
Braucht nicht jo Hill umzuthun, der,
Peterl ſchläft feit auf der Ofenbant. |
1
den kümmerlichen Eriftenzen der Aus—
gewanderten, von folden, die ihr
Gütel hätten und darauf Noth litten,
und von jolden die Haltlog herum—
firomerten in der Welt, und von
ſolchen, die verſchollen waren.
Der Jakob konnte fih nicht genug
wundern über das vertrauenzjelige
Geplauder des einft jo fehroffen, wort—
fargen Mannes. E3 Hatte in der That
den Anfchein, als fühle er fich jetzt
als Menſch, der nichts mehr zu ver—
lieren, behagliher und gemüthlicher,
denn früher als reicher Großbauer und
Billenbefiger.
„Dummer Bauer!” fagte der
Guldeiſner plößlih und ſchaute den
Jakob verädtlih an.
„So!“ entgegnete diefer.
„Kommft vom Tiſch bis zum Ofen
und weißt nichts. In die Fremd’ muß
man! Die Welt mu man fehen!
Einen Unterfhied muß man fennen
lernen! — Du lebft und ftirbit auf
Einem Fled und meinft, was für ein
Schelmenftüdel Du geleiftet haft! Bift
Ein Krügel Holzapfelmoft, wenn Du vierfpännig gefahren? Haft Cham
magft. Dies Jahr ift er wieder ein- pagner getrunfen? Haft betteln ge—
nal geronnen. Leg’ ab Deinen Wet⸗ | lernt ? Nichts haft erfahren. Ein Narr
termantel. Ift das befte Zeug, jo ein müßt’ Einer fein! Der Apfel Hat zwei
alter Loden, wenn man in den Regen Seiten, mein Lieber! Auf der einen
fommt. Aber dag Du jegt Röſſer ſuchſt ift er voth, auf der andern grün. Du
zu Altenmoos !“ bift hausgeſeſſen geblieben und gudit
„Sud auch feine,“ antwortete der auch fauer drein. Wenn’ was gilt,
Guldeifner und pfufterte. „Ein Narr) Reuthofer, ſchlafen will ich beijer, wie
müßt Einer fein! Den Guldeifnerhof Du!“
möcht’ ich wieder faufen, heißt das, „Magft Recht haben,“ verfeßte der
wenn er noch ftehen thät’ und wenn | Jakob und dachte bei ih: Hochmüthig
ih Geld hätt’. Der Kampelherr heit muß der immer fein, das einemal ift
es, will ihn wieder los haben. Will er's auf feinen Reichthum, das ande=
ganz Altenmoos wieder los haben.
Hat einen Kracher gemacht, beim Kam—
pelheren. Mir kann's gleich fein. Aber
errathen Haft es, Reuthofer!“
Er trank den Krug Moft auf
einen Zug aus.
„Wie Du's nur gar jo fein haft
errathen mögen!“ fuhr er geiprädig
fort, „oft hab’ ih an Dich gedadt.
Aber den Anderen geht’s auch Schlecht.“
Und nun hub er an zu erzählen von
remal auf feine Bettelhaftigfeit.
Im Wandwintel hodte die zwer—
gige Dirn und kicherte. Das verdroß den
Guldeiſner. „Dumme Drulle, Altene
mooferische!* knurrte er fie an. Da
brach fie in ein ſchallendes Gelächter aus.
Als der Guldeifner und die zwer—
gige Dirn fo nebeneinander auf der
Bank fahen, fiel es dem Jakob ein,
was die Leute fagten, und daß diefe
Zwei näher verwandt mit einander
731
wären, als fie es felbft ahnen mochten. | Her den Bettel! — Sapperment, ift
Der ganz gefcheite Guldeifner und die
dumme Dirn! Da fiten fie neben-
einander.
Laſſen wir Gras darüber wachſen,
dachte der Yalob, wer weiß, ob er
Freude daran hätte, der alte Jung»
gefell, in feinen alten Tagen eine
ſolche Stüße zu finden.
Die Abendfuppe lieh fich der Guld—
eifner wohl fohmeden. Mo aus er
morgen feinen Weg nehme? fragte
ihn der Jakob während des Eſſens.
„Nachſchauen muß ich gehen,“ ant=
wortete er, „die vertraften Kerle fchla=
gen mir Jungwald nieder. Sag’ einmal,
Winkelbauer, find da oben im Knatſchel—
oder im Oberftödelhaus, oder im Sand»
lerhof Leut’ drinnen ?“
„Liegt feit funfzehn Jahren kein
Zimmerbaum mehr auf dem andern.“
„Alſo kann man nicht einmal bet-
teln bei diefen Neftern? Na, Hörft,
Bauer, dieſes Altenmoos ift fauber
heruntergefommen !*
Als er fein Leibel auszog, um es
über den Strohſchaub zu breiten, den
ihm der Jakob in die Stube als Schlaf-
fätte getragen hatte, kletzelte er ein
Papier aus der Taſche. „Da hab’ ich
einen Brief,“ murmelte er, „hätt’ eh
bald vergefien, ihm abzugeben. Dem
Jalob Steinreuter gehört er, Bauer in
Altenmoos bei Sandeben, lebte Poft
Krebsau in Steiermark. Kaiſerthum
Defterreih. Weit her muß er fein,
weil er fo lang umfrägt in der Welt
nad dem Yalob Steinreuter. Da haft
ihn.“
„Wie kommft denn Du dazu ?*
fragte der Jakob den großen verfiegelten
Brief in die Hand nehmend.
„Zraurig ſtünd's mit Eurer Boft,
wenn Unfereiner nicht wär’. Der Bot’
in Sandeben, wohin ich gienge ? fchreit
er mir nad. Heim, fag’ ih. Ob ich
mir einen Botengrofchen wollt’ vers
dienen und gefälligft einen Brief wollt’
mitnehmen für den Reuthofer. Lumpig!
fage ih, daß Ihr fogar die Gavaliere
beläftigen müßt mit Eurer Briefpoft.
das einmal ein Federbett!“
Damit ſank er in das Stroh. „Ab,
jegt werd’ ich bald König fein.“ Und
ſchnarchte auch ſchon.
Ein Schreiben aus Neu-Altenmoos.
Als die Leute alle fchliefen und
der Jakob eine Kerze anzündete um
den Brief zu leſen, Hatte er freilich
noch feine Ahnung, was ihm die nächte
Stunde bringen follte. Er wollte an-
fangs dem Papier nicht trauen, dann
rieb er fich die Augen, dann pußte er
die Kerze. An die heiße Stirn griff er
fih. Daß ihm diefer Brief jo wunder
lich vortam. Will ihn Jemand foppen ?
Der Brief ift mit feinem eigenen Namen
unterfchrieben. Seine Schrift ift es
nicht, einen andern Jakob Steinreuter
gibt es auch nicht in der Verwandiſchaft,
jo viel er weiß. Aus Neu=-Altenmoos
in Oregon. Wo ift das? „Mein
Vater!“ begann das Schreiben. Da
zudte es dem Jakob durch die Seele.
Der Brief war mit feften Zügen
geichrieben und lautete alfo:
„Mein Bater!
Ihr werdet von diefen Zeilen
wohl jehr überrafcht fein. Wie ich
höre, habt Ihr mich für todt ge=
halten und taufendmal bitte ich um
Verzeihung, dab ich fo viele Jahre
nichts don mir habe hören laſſen.
So lange e3 mir ſchlecht ergangen
ift, Hab’ ich Halt gemeint, e3 wäre
beifer, Ihr hieltet mich für geftorben,
als für elend. Wohl arg iſt es
mir ergangen und ich Habe mein
Davonlaufen von den guien Eltern,
von der lieben Heimat hart büßen
müſſen.
Ich will's ganz kurz erzählen,
denn mir zittern die Hände und
das Herz, wenn ich daran denke.
Von heim fort bin ich übers
Hochgebirge und ins Land hinaus.
Mit Raſtelbinderleuten bin ich bis
nach Trieſt. Dort als Schiffsjunge
73
auf einem Schiff nah Oftindien. O
Vater, die Welt ift jchredbar weit.
Anfangs ift mir gewefen: nur fort,
recht weit fort. Wäre mir endlich
aber doch ſchier zu weit worden.
Als Matroje fieben ein Halb Jahr
lang. Zu erzählen wüßt' ich viel.
Geweſen bin ih auf allen Meeren
und in allen MWelttheilen. Einmal
Schiffbruch, da hätten mi und noch
ihrer Drei die Wilden bald aufge=
frefien. Engländer haben uns ge=
rettet. In Gapftadbt, das ift in
Afrika, habe ich einen Altenmoofer
getroffen. Ein Grubbauernfohn, der
hat mir von Euch erzählt, daß die
Mutter geftorben ift und der Friedel
bei den Soldaten, und dab ich als
todt gelte daheim. Später Habe ich
erfahren, daß der Friedel gefallen
ift und die Angerl geheiratet hat
und dab Ihr fafl allein wäret zu
Altenmoos. Ich Habe mir borge-
nommen zu jchreiben, aber bis es
mir beſſer gebt, hab’ ich mir gedacht.
Denn ih bin nah St. Francisco,
das ift in Amerika, gereist, nad
Californien umd habe angefangen
in Gemeinschaft mit zwei Ruffen
mit meinem Sparpfennig eine Gold»
mine zu betreiben. Nah ein paar
Jahren habe ich fo viel Geld gehabt,
daß ich ganz Altenmoos Hätte kaufen
fönnen. Iſt mir aber zu wenig
gewefen und ift das Goldfieber über
mich gelommen. Gold, nur Gold,
fonft Habe ih an nichts mehr ge=
dacht, und meinen Namen babe ich:
Jaques gefchrieben. Das ijt meine
unfeligfte Zeit gewefen, da vergißt
man auf alles Chriſtenthum und
auf alle Nächftenliebe. Bis an die
Knochen abgemagert bin ich vor
lauter Begier. Zum Glüd hat es
nicht lange gedauert. Bei einer
Speculation mit einem tauben Berg»
werk babe ich Alles verloren. Mehr
als Alles; meine Gläubiger wollten
nich todtjchlagen, ich bin geflohen,
jo arın wie aus dem lieben Alten
moos, ohne Schuh und Hemde bin
2
—
ich landeinwärts geflohen ins Ge—
birge der Sierra. Unterwegs in einer
Wüſte habe ich zwei deutſche Familien
gefunden, die, von einem Speculanten
nach Amerika gelockt, hilflos waren
und zu Grunde gegangen wären.
Ich habe ſie mit mir geſchleppt.
Nach zwei Tagen ſind wir in ein
Gebirgsthal gekommen, das noch faſt
unbewohnt war aber voller Eichen—
und Föhrenwälder, und auch Tannen
und Fichten darunter. Und ſchöne
Weidegründe. Aber auch Granit—
felſengebirge. Es iſt faſt vergleichbar
mit unſerem Altenmoos daheim, nur,
daß die Bäche im Sommer verſiegen.
Viele Marder und Wölfe gibt es,
aber die werden ausgerottet. Hier
haben wir uns niedergelaſſen und
Blockhäuſer gezimmert und ange—
fangen, eine kümmerliche Wirtſchaſt
zu betreiben. Wie mühevoll und
lümmerlich, das iſt nicht zu be—
ſchreiben. Wie die erſten Menſchen
nach Erſchaffung der Welt, ſo haben
wir anfangen müſſen, und oft habe
ich mir gedacht, das iſt die Strafe,
daß Du Deine Heimat ſo treulos
verlaſſen haſt, jetzt mußt Du Dir mit
blutiger Müh' eine ſchaffen, die viel
ſchlechter iſt. Denn fo war mein
Wille: Das Umirren in der weiten
Welt Hab’ ich ſatt, ich will eine
Raftftätte Haben. Die Wälder reuten,
die Thiere zähmen, die wilden Frucht—
bäume veredeln, die Hütten Süßen
vor Winter und Sturm und feind-
lichen Ueberfällen, und dabei Krank—
beit und Entbehrung leiden aller
Art; oft ift mir die Verzweiflung
nahe gewejen.
Aber unabläffig haben wir ge=
arbeitet und nach etlichen Jahren
ift es jo weit gewefen, daß wir uns
fagen fonnten: Wir find hier da—
heim. Auch ein paar Engländer
haben fich bei uns angeliedelt, und
felbft eine Rothhautfamilie; wir
vertragen und miteinander. Meine
Hütte fteht auf einer Anhöhe, unten
rinnt ein Waſſer, jenfeits ift Wald.
Wir haben auch einen Weg ange-
legt thalwärts bis zu einem nächften
größeren Gut, das einem Franzofen
gehört. Ich Habe Arbeiter genom-
men und mein Anmejen vergrößert.
Ich treibe Viehzucht, welche erträglich
ift, und etwas kümmerlichen Ader-
bau. Mein Haus habe ich den Reut—
hof genannt, und nebenan habe ich
eine Kapelle gezimmert und für die—
jelbe eigenhändig aus Ahornholz das
Bild des heiligen Jakobus gefehnißt.
Und das Thal heißt Neu-Altennmwos.
Wir kommen wöchentlich zweimal zu—
ſammen in meinem Haufe, um uns
fere deutſche Sprache zu pflegen,
die etliche ſchier vergeſſen könnten,
um deutfche Lieder zu fingen, deutjche
Zeitfehriften und Bücher zu leſen
und die Sitten der alten Heimat
zu halten. Bor fieben Monaten
babe ich von einer meiner deutfchen
Nahbarsfamilien ein Mädchen ge—
heiratet, und ich hoffe nach den An—
zeichen, daß man mich Jakob den
erften nennen wird zu Neu-Alten-
moos.
Das, mein Vater, iſt in flüch—
tigen Umriſſen mein bisheriger Le—
benslauf. Und jetzt, glaube ich, darf
ich ſchreiben. Wie gerne möchte ich
Euch ſehen, aber nun bin ich hier
feſtgenagelt, wie Ihr dort. Jetzt
verſtehe ich das Feſtgeſeſſenſein ſchon
beſſer, wie dazumal. Es iſt ja wahr,
Gottes iſt die Erde überall und
Pilger ſind wir Alle. Doch der
rechte Menſch muß eine Heimat
haben, daß er und ſein Geſchlecht
ſtark ſei.
Wenn Ihr aber doch einmal
kommen wolltet, Vater, um das
Neu-Altenmoos zu ſehen, welches
faſt nach dem Muſter des alten iſt:
Ihr gehet einen Tag zu Fuß, fahret
zwei Tage auf der Eiſenbahn, drei—
zehn Tage auf dem Meere, dann
wieder ſieben Tage auf der Eiſen—
bahn und endlich drei Tage mit
Wagen oder reitet auf dem Pferde,
dann ſeid Ihr bei mir. Ich ſchreibe
733
Euch noch den Reifeplan. Vielleicht,
daß Euch gar die neue Heimat beffer
gefiele, als die alte, denn meine
Gertrud ift ein braves Weib, die
gar feinen andern Fehler hat, als
— troßdem alle ihre lieben Leute
bier find? — mandmal noch ein
wenig Heimweh nach dem deutjchen
Baterland. Aber liegt nur erft das
Kind in der Wiege, daß fie vor fich
ſchauen muß, ftatt hinter fih, dann
wird auch das gut fein. Und bei Euch
wirds auch jo fein, Vater. Die Heinen
Kinder find bei den Eltern daheim,
die alten Eltern bei den großen
Kindern. Kommet zu uns, Vater, und
überzeugt Euch, daß Euer Yaderl
doch nicht ganz umfonft davonge—
laufen ift. Meine Gertrud bittet mit
mir, daß Ihr uns Alle lieb Habet.
Und vor Allem fchreibet mir,
daß Ihr mir verziehen habt, fchreibet
mir recht viel, wie es Euch geht,
und von der Angerl und ihrem
Mann, die ich vielmals grüße.
Meine Adreffe ift zu madhen: An
Herrn Jakob Steinreuter, Beliger
des Reuthofes in Neu - Altenmoos
bei Fort Fremont in der Sierra.
Dregon in Nordamerika.
Und nun, mein theurer Vater
lebt wohl und es hofft ein Wieder—
fehen Euer dankbarer Sohn
Jakob
NeusAltenmoos, den 15. Auguſt 188*“
Im GHoftesfrieden.
Jakob legte fich im derfelben Nacht
wohl zu Bette, aber die Lider ſanken
ihm nicht.
Am nächften Morgen, als der
Guldeifner umberftolperte und knurrend
nad dem Neuthofer fragte, um ihm
nocheinmal zu jagen, daß er ein dummer
Bauer fei, war der Jakob nicht zu
finden. Der alte Sauertopf, dem die
Welt heute wieder nicht fo drollig vor—
fam, wie geftern bei dem Apfelwein,
mußte underrichteter Sache weiterziehen
und den „dummen Bauern“ in feinem
eigenen Kopf verſchimmeln laſſen.
ALS der alte Nat die Ochfen an
den Pflug fpannte, um damit auf die
Herbftbrache zu fahren, war der Jakob
immer noch nicht zu finden. Der ftrich
auf den Rainen um und in den Wäl-
dern, als ob heute auch noch Feiertag
wäre, wie geftern. Erſt um die Mittags-
zeit faß er auf dem Steinhaufen und
ſchaute ſinnend aufdie tanzenden Müden,
die fih im Sonnenftrahl, welcher zwi—
Shen dem Ahorn und dem Sauerdorn
quer einfiel, kreisrund herumtummelten.
Ueber der Gegend lag ein blauer, wäſ—
feriger Sonnenäther, der fo dicht war,
daß die Bergzüge nur im ſchwachen
Umriffen durchſchimmerten und der jeden
Augenblid bereit ſchien, fich in Herbſt—
nebel zu verdichten. Weber einige Berg»
kämme wälzten fi in der That graue
Nebelballen herein. — Stein Lufthaud,
fein Bogelfang, kein Grillenzirpen. Daß
es gar fo ftill fein mag in folchen ver—
lorenen Herbfitagen! gar jo herzbe—
Hemmend fill!
Der Nah gieng hinauf gegen den
Steinhaufen zum Jalob und fragte,
ob fie denn Heute die Ochfen nicht
einfpannen wollten ?
„Die Ochſen verlaufe ih,“ ante»
wortete der Yalob.
„So wollen wir zwei uns felber
an den Pflug ſpannen?“ fragte der Natz.
„Ich reife nach Amerika.“
Der Natz blidte erfchroden den
Jakob au, diefer erzählte ihm von dem
Briefe.
„Sch reife hinüber,“ fagte er.
Der Na war fill, aber endlich
fonnte er des Gedankens doch nicht Herr
werden, den er hatte.
„Wenn Du ins Amerika gehft,
Jalob,“ fagte er, „Du wirft dort nicht
lang’ leben.”
„Ih will ja nicht dortbleiben, ich
will nur meine Leut' holen und her—
übernehmen ins Altenmoos.“
„Müpt’ man wohl gut überlegen,“
meinte der Naß; „etwan geht es ihnen
drüben doch noch immer befjer wie da.
134
Dort geht3 aufwärts, bei uns gehts
abwärts.“
„Und ich Hol’ fie doch herüber,“
fagte der Jakob. „Es Tann nicht fein,
dab das Altenmoos ganz foll zu Grund’
gehen müſſen, es kann nicht fein.”
„Pſt!“ machte jetzt der Nab und
zeigte mit dem Finger gegen das reife
Haferfeld Hin, „ſiehſt Du!“ flüfterte
er, „ein Reh. Mitten im Feld! Wart’
Jakob, und rühr Dich nicht!”
Dom Haufe heran kam ſchon der
Knecht Ferdinand und brachte das Ge-
wehr. Mit einer gewiſſen Haft erfaßte es
der Jalob und jhlih an. Am Feldrain
ließ er fi auf ein Knie nieder, richtete
den Flintenlauf zwifchen den Halmen
durch auf das Thier, das ahnungslos
im Hafer ftand und die Rifpen von
den Halmen graste. Juſt wollte er
losdrüden, da war ein jehmetterndes
„Halt!“
„Halt!“ rief es vom Erlenftraud
ber, „Bäuerlein, jetzt hab’ ich Dich!”
Der Oberförfter Ladislaus Tauerte
dort und fuhr mit dem Schafte feines
Doppelftugens gegen die Wange. Der
Jakob hielt feine Fliute feft und als
er jah, daß gegen ihn gezielt wurde,
wendete auch er fein Rohr.
„Das Gewehr wirf weg!“ ſchrie
der Oberförfter.
„Thuſt Du’s, thu' ichs auch,” ant—
twortete der Jalob und blieb in feiner
Stellung.
„Das Gewehr weg, oder ich brenne
Dich nieder!”
„Ich wehre mich,“ fagte der Jakob,
und die beiden Feuerrohre waren ge=
geneinander gerichtet.
„Reuthofer!“ rief der Oberförfter,
„es elelt mid, Dich zu tödten und
ih rathe Dir gut. Mein Gewehr hat
zwei Läufe!“
„Das meinige hat einen,“ ent—
gegnete der Jakob und fein Auge hatte
einen feltfamen Glanz. „Ich wehre
mi um mein Leben; bevor Yhr mich
noch einmal in den Kotter fledt —“
Hart an feiner Wange pfiff die
Kugel vorüber, da drüdte er los und mit
einem gräßlichen Schrei jprang derÖber-
förfter auf und flürzte im nächften Mo-
mente mitten im Gebüfche zu Boden. —
„So, jegt bin ich fertig,” fagte der
Jakab, warf die Flinte weg und fahte
mit beiden Händen fein Haupt, als ob
er e3 vom Rumpf reißen wollte. „Mör—
der! Mörder!“ ſchrie er mit gellender
Stimme, „Jo muß es enden! Zum
Geriht! an den Galgen! fo muß es
enden !“
Der Nat auf bebenden Füßen war
berbeigeeilt, der Jakob hatte ihm einen
Schlag verfegt mit der Fauſt und hub
an zu fpringen, wie ein VBerfolgter.
Er fprang am Raine Hin, er fprang
über die Matte abwärts gegen die
Waldſchlucht. Der Natz eilte ihm nad),
und rief: „So bleib’ doch ftehen, ich
bin ja der Natz!“ An den Ufern der
Sandach — einmal am rechten, einmal
am linken — oder auch mitten im Bache
dahin liefen fie. Noch ſah der Nah
den Fliehenden zwifchen Bush und
Baum, bald aber entſchwand er ihm,
und der Alte brach endlich vor Auf-
regung und Erſchöpfung zufammen.
Als er nad einer Weile wieder zu
ſich kam und ſich befann, was ge-
Ihehen war, raffte er fich auf, um dem
Jakob neuerdings nachzueilen. Zwifchen
Hafelnuße und Erlgebüſche mußte er
ih mwinden, zwiſchen Himbeer- und
Brombeergefträucdhe. Sand- und Stein-
halden famen, und auf dem Sand die
Spur eines Menfchenfußes! Der Nat
tief und rief nach dem Jakob, bis er
heifer war. Dann wankte er weiter,
immer weiter. Gewaltige Felsblöcke,
von den Hohen Bergen niedergebrocdhen,
lagen in der Schlucht, von Wildfarren
und Schierling umwuchert. Ueber einen
Steinwall mußte er Klettern und jene
jeitS wieder hinabfteigen zum Waffer,
wo e3 ftill war und klar war. Finfters
graue, ſenkrechte Felſen ragten auf
neben und vor ihm. — Da kann er
nicht weiter, dachte der Natz dem Flie—
henden nad, da muß ich ihn erreichen.
Den Förfter hat er erfchoffen, ich will
ihn tröften; es ift gar nicht wahr,
diefer falſche Menſch Hat fich nur ver—
ftellt, ift umgefallen, um bald twieder
aufzuftehen. Die Schergen will er holen.
Die Schergen follen den armen Jakob
nicht finden, dafür wollen wir forgen.
Der Jalob ift unfchuldig, ganz uns
ſchuldig, ein gehegtes Wild. Sind
ihnen die Rehe und Hirfchen nimmer
genug, müfjen auch noch Leut' heben.
Nothwehr war's, es kann ihm nichts
gefchehen. „Jakob! Jakob!“ rief er,
„geh’ Hervor! Ich bin’s, der Natz. Es
ift nichts. Du triffſt ſchandbar ſchlecht
und der Yörfler hat einen Spaß ge—
maht. Komm, wir laden d’rüber.“
Der Jakob ift nicht mehr gefommen.
Mitten auf dem tiefen grünen See ift
er gelegen und Hat fi langfam um
ſich ſelbſt gedreht.
Hier im Gottesfrieden, auf der ſtillen
Waſſerfläche iſt der Jakob Steinreuter
auf der Bahre gelegen einen ganzen
Tag, bis die Amtsperfonen kamen.
In den Helfen ſaß ein Habicht, der
blidte mit fcharfem Auge auf den
Körper im See, aber als er abflog,
hat er Sich micht gefenkt gegen die Tiefe,
ſondern war kreiſendemporgeſchwommen
zur Höhe und über die Häupter der
Berge dahin.
Das war eine große Wichtigtduerei
jet um den Zodten. Protokoll um
Protokoll wurde aufgenommen und der
alte Naß ſaß itundenlang im Verhör
und fagte was er gefehen und gehört
hatte.
Die Leiche des Oberförfter3 wurde
mit Gepränge hinausgetragen auf den
Kirchhof in Sandeben. Der Mörder
und Selbfimörder wurde verfcharrt in
der öden Hochſchlucht, genannt: im
Sottesfrieden.
In der erften Nacht, als der Jakob
ruhte in feinem Sandgrabe unter den
Felſen, blieb der treue Na bei ihm
und wachte. Hoch im Gewände ſchien
der Mond und von ferne ber donnerte
der Wafferfall. Der Alte ſaß auf einem
Stein und redete halblaut auf den
Grabhügel Hin:. „Alſo Feierabend ge=
736
macht!” ſagte er, „Haft recht, Jakob,
haft recht. Auf diefer Welt ift nichts
zu machen heutzutag — und ſchon
gar wenn man ein Bauer zu Alten-
moos ift. Aber warte nur, bis wir
aufftehen am jüngften Tag! Da wollen
wir e3 ihnen ſchon jagen, denen Je—
nigen! Da wirds ſchon auflommen,
wer Recht Hat. Vielleicht auch noch
früher. Vielleicht noch früher! — Und
Du, mein guter Jakob, ſollſt Schlafen.
Schlafen in der Altenmoofer Erden,
die Dir ja das Liebfte geweſen ift auf
der Welt. Ein fehönerer Friedhof ift
nimmer zu finden. Sch möchte mich am
liebften auch zu Dir legen, aber was
Anderes habe ich mir fürgenommen.
Der alte Reuthofer Hat mir fo viele
Gutthat erwiefen, daß ich mich beim
jungen dafür bedanken will, und Vaters
Segen überbringen. Ich bettle mich
um die halbe Weltfugel hinüber. Der
Jaderl kriegt Kinder. Ich bettle mich
hinüber. — Gute Naht, Jakob!“
Am nähften Tage gieng der Natz
hinaus zum Reuthof. Da war au
wieder der Amtmann mit feinen Schrif—
ten. Der Alte kümmerte fich nicht drum,
nahm Art und Säge und zimmerte
aus Lärchenholz ein Kreuz. Das Kreuz
fteht heute noch in der öden Hochſchlucht
hart an der Felswand nahe am See,
und auf dem Querballen find die
Worte:
„Hier raftet im Gottesfrieden Jalob
Steinreuter, insgemein Reuthofer, der
leßte Bauer zu Altenmoos,“
Hodhlandslieder.
Nah R. Burns, in der Alpen:Mundart wiedergegeben von Dr, $. S.*)
An die Waldamfel.
(0 stay, sweet warbling wood-lark, stay!)
Bathlos,
(My heart is a breaking, dear Tittie!)
a leib, Vögerl, fliach wegn meiner nit! Frau Godel, mih gfreuet glei 8 Sterben;
A Sing fort af dein'n Wfl, ih bitt;
ar Du jollft mein'n Franken Herz damit
A weng a Lindrung bringen.
Das Gſetzel mödt ih nochmal hörn;
Geh, fing mr's für, bis ih's drlern!
Da miüaht ja d' Hanni holder wer'n;
As fan nir filaßer klingen.
Han, hat’3 dein Schatzel ah fo gmadt,
Und hat dih peinigt und veracht't?
35 han fie rihti in Verdacht;
Du möchſt jüft nit jo fingen.
Du fingft va lauter Hartifeit
Und Kränkung und Berlaffenheit —
Hör auf! hör auf! Barmherzigkeit!
Mir will jha 3 Herz zeripringen,
Gebbs denna’r an Rath! ih bitt ſchön;
Ih möcht's nit mit Alle verderben;
Wia wirds aber mit n Franz Kren?
Ih moan, mit an fo frifchen Buaben
Miücnkt 3 Haufen ja kloanweiſ' wohl gehn ?
Mas frag ih um Häufer und Huaben,
Wann er nit drin i8, der Franz ren!
Dr Hofbauer fpreizt feine Haren:
„Hants, Menſcher, habbs ghörſcht?“ is fein
edn
Aft Blast er und pralt mit die Maren,
Ja, tanzet er wia der Franz Kren!
Mei Muater thuat nix als wia prödign:
„Du, hüat Dih vor den und vor den!
Die Burſchen jan Lotter, die lödign" —
Wer funnet das glabn van Franz ren?
*) Eiche Heimgarten X., Eeite 684 und Heimgarten XI., Seite 135.
737
Mei Bater jagt, taujend Guln friag ih
Ban eahm, warn ih'n Franzi liaß jtehn;
Wanns aber nit Bftimmung is, lüag ih,
Dak ihn muaß nehm, 'n Franz Kren.
Erſt nadten ban Lößln ifts offen:
Bar worn, ma hat's milaßen verftehn;
Drei mal han ih's Nämliche troffen,
Wo gihrieben is gftanden: Franz Kren.
Und ſchon z Allerhalign vor'n Spinnen —
Die Wäſch han ih ghüatt Hintern Tenn —
33 er m’r leibhafti drichienen,
Grabhofet und — fur; dr franz ren.
Gehts, rath3 mr, Frau Godel, ih bitt Ent;
Ih ſchenk Ent mein jchopfete Henn,
Wann’s raths, ih joll nehmen, wen ih den,
Mein n Buaben, mein n liaben Franz fren.
Irrwurzen.*)
(Weary fa’ you, Duncan Gray.)
Schlecht hiaz geht's dr, Yofef Grau —
Hm, dd dumme Wurzen!
Recht hiaz gſchiecht's dr, Iofef Grau —
Hm, dö dumme Wurzen!
Wann alle Annern Kögel ſcheibn,
Muak ih dahoam in Stübel bleibn
Und mit n Fuaß die Wiagen treibn,
Als wegn der dummen Wurzen!
Han van Tanz und Luftbarkeit —
Hm, dd dumme Wurzen!
D Lena fpat noh hoam begleit't —
Hm, dö dumme Wurzen!
Da liegg a Wurzen überquer,
Und bumsdi, ſchmeißt's ins Allzwoa her —
„Geh, Sepp, ih mag Dih gar nit mehr! —
Aumeh, dd Teüireld:Wurzen !" —
„Aber, Sepp! machſt Ernft damit" —
Hm, dd dumme Wurzen! —
„Sean ih Dr an iadn Schritt.”
Hm, dö dumme Wurzen! —
„Belt ja? aft wird's mr wieder leicht:
As fofl't n Kopf nit, warın ih's beidht’ ;
Und bal dr Pfarrer 5 Wegerl weidt,
Sa irrt Dan’n mehr loan Wurzen.“ —
Dreififbig.
(Wha is that at my bower-door.)
Wer is ba meiner Kammerthür?
„Ra, wer denn, als der Sigmund ?“
Geh, Du willft doh nit noh za mir?
„Das will ih,” jagt dr Sigmund.
Was frallft denn um as wie r a Diab?
„Kimm fchauen!* jagt dr Sigmund,
Stöllſt noh was an mit Deiner Liab!
„Das möcht ih," jagt dr Sigmund.
*) Irrwurzen, eine Baummurzel, nad ber
Boltsfage jo verzaubert, dak, wer darauf tritt, im
Walde fehlgehen muß. Daber die fpöttijche Redensart:
Steh ih hiaz auf und lak Dih ein —
„sa, thua mr’3!” fagt der Sigmund,
Wird's mit n Schlafen nir mehr fein.
„Das moan ih,* jagt dr Sigmund,
Und bift amal herin ba mir,
„Da bin ih,* fagt der Sigmund,
Sa bleibft lacht ga bis in dr Früah.
„Das will ih," jagt dr Sigmund.
Berfländnis.
(O whistle, and T’II come to you.)
O pfeif, und ih fimm za Dir, mein Schatz,
'n Bater, dr Muater und Allen jan Trob;
O pfeif, und ih fimm za Dir, mein Schaf!
Pak auf, und fimm nit roaten mit mir,
Sieht nit halb offen die hintere Thür!
Aft fteig über d' Stigel, und ſchau guat für,
Und fimm, as fameft nit za mir!
Und fimm, as :c.
Begegnit af'n Marlt oder Kirchgang mir,
Sa geh a3 wia für a Wildfremde für!
Nur ſchau mih liab an, Du woaßt ſcha wia;
Aber ſchau, as galt dr Bid nit mir!
Aber ſchau, as x.
Thua ſchwören, e3 lag dr nir an mir!
Kannft jagen, Du findeft nirSchöns an mir;
Nur larel foan An’re, in Gipoak ah nia!
Sie kunnet Dein'n Sinn alehren va mir.
Sie funnet dein'n ꝛc.
O pfeif, und ih kimm za Dir, mein Schatz,
'n Bater, dr Muater und Allen jan Troß.
O pfeif, und ih fimm za Dir, mein Schatz!
Warnung.
(I do confess, thou art sae fair.)
Wohl jhön bift, Dirn! daß ih mih grad
Bis über d'Ohrn vrliaben mödt;
Doh mit Dein’'n Herzel, das is Schad,
Mit Deiner Gunft da mwirtichafit ſchlecht.
Wohl füaß bift, aber ga jo gihwind
Nudft aus mit Deiner Süaßigkeit,
Daß 5 Hafen is, as wia der Wind
Un iaden Stod jein Buſſel geit.
A Roſen blüaht fo friih in n Hag;
MWirds aber brodt und umergichmiert,
Sa ſchau, wia f glei in erften Tag
'n G'ruch und d'ſchöne Gſtalt vrliert!
Ih fürcht mih, Dir geht's ah noh fo:
Hiaz blüahſt und is um Dih a G'riß;
Agſchmudelter verſchimbbelſt wo,
Du bift auf a Irrwurz treten, d.h. haft Di geirrt. | Daß Daner fragt: Was! Dö da iſ's?
Kofegger’s „Geimgarten’,, 10. Geft, X1.
47
738
Als ein angefhoffener Haaſe vorbeifloß.
(Inhuman man! curse on thy barbarous
art.*)
Verfluachter Mensch mit Deiner Teuxelskunſt!
Blind follt’ das Mörderaug wer'n, was fo
zielt hat,
Das Herz koa Mitleid finden, was foans
gefühlt Hat,
Koa Luft habn, dö'sd'an ſöchten Vieh nit
gunnft!
Mein armer Has’, wia humpelft über's feld
'n Boſchach zua, und fiecft nit, wia's hiaz
ſchön is,
Mas jüft dein liabefts Tummelplagl gwe'n is,
Dein ZTiicheldeddih, ja dein ganze Welt!
Geh, letzer Haſcher! un dei hoamligs
Za letter Nuahftatt ars dr heunt noh
taugen,
'n grüan'n Sader um die ftarren Augen,
Die bluatig Bruft af's kalte Flötß anpreßt!
Oft wirds mr andthoan, daß ih Dih nit ſiech
Zan Fruahftud fürer hupfen aus'n Schaden,
Bald niederbuden und bald Mann’! maden;
At fluadh ih noh den Mordferl; arm’s
Vieh!
Sans Gerfienkorn,
(There were three kings into the east.)
Drei reihe Künig im Morgenland,
So hoaßt's, dö hätten gſchworn
Un jhwaren Eid mit Mund und Hand:
„Es fterbe Hans Gerftenlorn!*
Und richti! tiaf in n Boden pflliagt
Und zuag’eggt is er worn;
Und ſchon die Grabichrift hat er kriegt:
„Hier liegt Hans Gerftenlorn!*
Da hat der Lanz linds Wetter bradt,
Und gregent hat's und thaut;
Dr Hans iS wieder auferwadt,
Und g’ftanden — d'Leut habn gſchaut.
Und wia dr Summer warm worn i3,
Sa wird er groß und fett,
Ba’'n Kopf obn umer voller Spieh,
Daß Neamd loan Angriff hätt.
Dr Hörift bat eahm nah und nad
Sein Wadhsthum unterdrudt;
Die Farb is bloach worn, 5 Fuaßgſtell ſchwach,
Und 3 Köpfel hat fid budt.
*) Offenbar gab es damals in Schottland wenig
Hafen und Objtbäume; bei uns würde das Mitleid
eines Bauers wie Burns mit dem Hafen nicht bloß
vom Jäger verladit.
Hiaz wia die Feind habn gjegn aus Alln,
Daß 3 neamer beifer wird,
Da hambb f'n gahlings überfalln
Und graufan mafjafriert.
Ferft mit an Schneidzeug, ſcharf und frumbb,
Habn f'n üntern Ania aghadt;
35 bunden worn a3 wier a Qump
Und af an Wagen padt.
Aft habn j’n af an Hifel gitedt,
Wo Wind waht umadum,
Aft af'n Tennboden niedergftredt
Und prügelt: bum, bum, bum!
Viel Waſſer holen d' Henfersleut
Und füln a Loch damit;
Da habn jn Hanjen einbi feit,
Drfauft er oder nit,
Sein Leiden hat fie noh nit grührt,
Hambb n ausbroat’t überquer,
Und warn ma wo a Leben gjpürt,
Umgftöffen hin und her.
Hambb ünter eahm a Foir anfendt,
Und hambb eahm 8 Boanmarch gröft’t,
Mit Mühlſtoan maln f'n loan zan End,
Aft war er doch drlöst.
Diaz habn j erit noh fein Herzensbluat
Azapft as wier an Wein,
Und trinken's voller Uebermuath
Mit Lärm und Vivatſchrei'n.
Ma ſolt's nit glaben; foftet man's,
63 böbt Dan wunnerbar;
Ma fieht wol, dak dr arme Hanns
A ganzer Kampel war.
Durch eahm wird oft a plagter Mann
Getröftet und drfriicht ;
A Wittib fangt zan Singen an,
Drweil fie d’ Augn noh wiſcht.
Drum hoch! Hanns Gerftentorn joll
lebn,
Und ſoll van Hand zu Hand
Uns Allen guat zu trinten gebn
In liaben Vaterland!
Den Hanns i5 gſetzlich angetraut
Die Jungfrau Hopfenbliah;
Er mödt ah gar loan an’re Braut
Und mir foan an’re Brüah.*)
) Dieſe Shlußitrophe fehlt im Original (war da⸗
mals vielleicht nicht zeitgemäß) und ift aus bairifchen
Archiven ergänzt. (D. Web.)
739
Feierfagwerk.
(Up wi’ the carles o’Dysart.)
Auf, Manner va Mautern,
Und Buaben va Bruggern,
Und Weiber va Winklern,
Und DirnIn van Tauern!
Gehts dan, geht3 dan!
Gehn mr d Arbat an!
Is noh viel nit than.
Mir haben Gihichten 3’ drzählen,
Und Gſanger jan finga,
Und Geld ausz’geben,
Und Trünf zuaz'bringa.
Geht3 dan, gehts dan!
Gehn mr d Arbat an!
33 no viel nit than,
Mir lebn ünfer Zeit;
Und dö nad Uns kemma,
Solln ah jo gſcheit
Ausgebn was f’ einnehma.
Gehts dan, gehts dan!
Gehn nır d Urbat an!
Is noh häufti nit than,
Erklärungen: agibmu'lt (abgejchmudelt)
jerdbrüdt und beihmupt. anten dt, angezündet. Flötz,
Erdboden. haſen (mit hohem a) adj. glatt u. weich,
adv. faft, beinahe. Haider, armer oder ſchwacher,
bebauernöwerter Menih. Hampel, 1. Aamm, 2,
Kämpe. hacht (mit hohem a), vielleiht. Tarelm,
Ioden. lek, wund, frant. Lößeln, loofen durch ir⸗
gend ein abergläubiiches Epiel, nahten (mit hohem a),
geftern Abends. roaten (raiten, rechnen), ſich ber
ipreden, Sader, Riedgras, Segge. weicht, weiht.
Räthſel des Herzens.
Aus den Erinnerungen eines jungen Witwers.
Nie Heine Hans gudt wieder ein
wenig durch die Fuge der halb
angelehnten Thür. Da drinnen geht
jeit einigen Tagen wa3 vor. Blumen
duft, Lichterglanz, die Leute fchleichen
nur fo und thun geheinmisvoll. Kinder
dürfen aber nicht hinein. — Weihnacht
ift erft vor Kurzem gewefen; follte
wieder Ehriftbaum fein?
Dept find viele Männer drinnen
und Einer Hopft und macht etwas. —
Ich nehme den Knaben an feinem
warmen, weichen Händchen und führe
ihn von der Thür hinweg.
„Sie Sollen nicht fo hämmern,“
fagte der Heine Hans, „da wird die
Mutter wach.“ Befann fich aber und,
„Ja, fie ſoll wach werden,“ ein
jeßte bei:
Draufen ertönte wie gedämpfter
Orgelton der Choral der Priefter. Ich
riß den Knaben an mich, preßte ihn
an meine Bruft, daß er die quellenden
Thränen nicht follte ſehen können,
aber er fühlte das Beben und Stoßen
der Bruft. Mit Befremden blidte er
nich an, er wußte ja nicht, was das
war, er hatte feinen Vater noch nie=
mals weinen gejehen.
Im Nebenzimmer derbe Männer-
chritte. Sie hoben den Schrein... .
„Bater, ſchau!“ jubelte der Kleine.
Er ſah durch's Fenfter auf der Gaſſe
den Wagen mit den goldenen Säulen
und dem goldenen Kreuz auf dem
Dedel. Er ſah die vier Rappen und
die wallenden Federbüſche auf ihren
Haäuptern. Eine große Menfchenmenge
hatte ich verfammelt, fo daß Stadt-
wächter die Gaffe frei machen mußten.
Jebt trugen vier Männer etwas, das
über und über mit Kränzen, Blumen
und Bändern bededt war, zum Wagen
und fchoben es hinein. Der Chor fang
Lied.
„Wie ſchön!“ jubelte mein Hans
und rieb die Heinen Hände in einander,
„ach, wenn das doch auch die Mutter
ſähe!“
Der Wagen ſetzte ſich langſam in
Bewegung.
Raſen und toben würde der Menſch
in ſolcher Stunde, aber Gott läßt ihn
47*
740
betäubt fein. Wie durch einen Flor
halb verhüflt jieht er das Glüd feines
Lebens untergehen.
Nah einer Weile trieb es mid),
die Thür des Nebenzimmers zu öffnen.
Kein Menſch war da, Schleier, Blumen-
blätter und Blüter lagen herum und
die zwölf Herzen brannten am leeren,
Ihwarzen Trauergerüfte.
Einen Monat früher hatten wir
in demfelben Zimmer Alle fo felig den
Weihnachtsbaum umjubelt. Wie Herzte
fie den vierjährigen Knaben! Mit
leuchtenden Augen fog fie die Freude
des Kindes im ihr treues Herz. Sie
war jung und ſchön. Sie war mein
Alles. — Us fie nad neuntägiger
Krankheit mih und das Kind anblidte
da fagte fie die Worte: „Das Sterben
ift jo hart — Euretwegen. Eines thue
mir zu lieb, mein Mann, fage e8 dem
Hans nicht, daß ich geftorben bin. In
feinen Gedanken möchte ich weiter-
leben.“
Das war faft ihr letztes Wort
gewefen. Als der Priefter fein Gebet
unterbrach, die blafjen, ruhig gewor—
denen Züge betrachtet und zu den Um—
ftehenden das Wort geſprochen hatte:
Jugendgenofle, mein Bruder. Nichts
wollte ih um mich, als mein — ihr
Kind. In diefem Tebendigen Theil
ihrer vergangenen Wefenheit follte ich
fie nun tröften darüber, daß fie geftorben
war. Menfchenleben, wie bift Du räth-
ſelhaft!
Als ich mit Hans allein war,
verſuchte ich, mit ihm zu ſpielen!
aber im Antreiben der Pferde, im
Commandieren der Bleiſoldaten war
ich heiſer; im Aufſtellen der Bauſteine
war ich ungeſchickt, weil mir die Hände
zitterten. Der Knabe zeigte heute auch
fein Intereffe daran. So gaben wir’s
auf und faßen ftifl neben einander da.
Lange Hatte die Abendröthe zum
Fenſter Hereingeleuchtet und Alles mit
Roſenſchein übergoſſen. Jetzt war fie
verdämmert, dunkel war es in der
Stube und bis auf ein feines Kniſtern
der verglühenden Dfenglut feierlich
ftill. — Zur Stunde ſinkt der Schrein
in den tiefen Grund. — Der Knabe
| Hatte fein lichtes Lodentöpfchen an
meine Bruft gelehnt, als wolle er
Schlafen. Aber hier Hub er leife an zu
ſchluchzen.
„Hanſel!“ ſagte ich und mußte
„Sie iſt im Frieden Gottes!“ und dabei acht geben, daß meine Stimme
als mich das kurze, wahnſinnige Wüthen
des erſten Schmerzes zu Boden ge—
worfen hatte, dachte ich an ihr Kind.
SH nahm mir dor, ihr Wort zu er=
füllen.
Und fo fchlief die Mutter nun feit
drei Tagen. Aber ewig kann fie nicht
Schlafen. Jetzt wieder bat mich der
Kleine, die Mutter zu weden. Ich
brachte ihn in fein Spielflübchen und
framte Pferde und Wagen, Bilderbücher
und Baufteine, Pfeifen und Trommeln
um ihn aus. Zröftende Freunde und
nicht brach, „was ift Dir, mein Kind?“
„Die Mutter!“ wimmerte er, „die
Mutter ſoll kommen!“
So iſt die grabende Sehnſucht,
das unfaßbare Weh plößlich laut ge—
worden im Munde des Kindes, das
doch von nichts wußte.
„Was?!“ rief ich und hob das
Haupt des Knaben in die Höhe, „ich
glaube gar, da gibt's Wafler! Pfui!
Ein junger Mann und flennen!“
Ich merkte aber bald, daß uns
gutgerzige Nachbarinnen kamen. Ich mit diefer Art von Tapferkeit nicht
dankte Allen für ihre Wohlmeinung
und bat, mich allein zu laffen. Wie
waren mir die Freunde und Belannten
fo widerli, da fie Verſuche machten,
mich nun zu tröften, fich gewilfermaßen
‚gedient war. Der Spott, den ich auf
den Sinaben warf, verwundete mich
jelbit noch tiefer. Mir war weh zum
Sterben.
„Webrigens,* fagte ich dann, „Du
an die Stelle der Dahingefchiedenen |haft ganz Necht, Hans, e3 wäre Zeit,
zu feßen. Weltfremd war mie mein
daß ſie käme. Wir wollen fie recht
741
auszanfen, daß fie uns fo lange allein
gelajjen Hat.“
Der Han fhüttelte fein Köpfchen:
„Auszanfen nicht!”
„Zwar, der Weg ift weit.“
„Wohin ift fie denn gegangen,
Bater ?"
„Und das weißt Du nicht?“ rief
ich. „Nun, dann mußt Du Dich freilich
berwundern,. daß fie nicht ſchon da
ſuchen, wo die Wolfen ein Loch haben.
Da wird's freilih Nacht unterwegs,
doch die Zwei feßen fi auf einen
Stern und raften.“
„Aber auf einem Stern fann man
doch . nicht ſitzen,“ meinte der Hans,
„der ift ja viel zu Hein.“
„Der Engel zündet bernah an
dem Stern fein Laternlein au,“ er=
zähle ih, „und leuchtet der Mutter
ift. Sie wird noch eine Weile auf fi |voraus. Vor der Himmelsthür haben
warten laffen. Sie ift auf Bejuch bei fie wieder Aufenthalt, und die Mutter,
der Großmutter, und Du weißt ja, wie fie den heiligen Petrus mit dem
wie das geht, wenn Frauen zufammens Himmelſchlüſſel fieht, ſucht in der
fommen.” Zafhe nah einem Zehnkreuzerſtück.
Jetzt hatte ich den rechten Ton, »Laß gut fein,« lispelt ihr aber der
der mir nicht weh that. Wie wunderlich | Engel zu, »der nimmt nichts. Wir
ift doch das menſchliche Herz ! wollen Hier feitwärts ein wenig ftehen
„Über Vater,“ wendete der Feine |bleiben und uns die Leute betrachten,
Hans ein, „Großmutter iſt ja im die in den Himmel gehen. Sieht Du,
Himmel!“ ‚Alle gehen Hinein, Keiner beraus« ..
„Eben!“ antwortete ich, „und Du Da hinkt der alte Michel heran, der
erinnerft Dich ja, wie fehr der Mutter | krumme Pfründner, Du fennft ihn ja,
nad der Großmutter bange war. So haft ihm mandmal einen Grofchen
fommt heute ein Engel, er ift juſt geſchenkt. Schau, wie er luftig hinein—
mit dem Chriftbaumaufräumen fertig huſcht! Der verlangt gewiß nicht mehr
worden auf der Welt und will in den
Himmel zurüd. Der fieht die Mutter
Schlafen und jagt: Wenn fie ohnehin
immer jchläft, jo wird fie ja Zeit
haben. Ich kehre in den Himmel
zurüd, wenn fie mitgehen mag? —
»Bigott, jal« fagt die Mutter, »eine
jo gute Gelegenheit trägt ſich nimmer
zu. Auf den Hanfel gibft Acht, Alter,
und fochen foll Euch die Roſa.« Und
padt den Neifefad. — »Geh, wirft
ihn felber fchleppen!« jagt der Engel
und nimmt ihr den Sad aus der Hand
und lauft ſchon voraus. Kaum noch
ein »Behüt' Euch Gott beifanmen !
ein Küßchen dem Hanfel umd er ſoll
brav fein!« Und fort ift fie. Ich ſchau'
ihr nach, der Engel führt fie bei der
rechten Hand und fo fteigen fie gegen
den Himmel auf.“
„Der ift heut’ voller Wolfen ge—
weſen,“ bemerkte der Knabe, „wie
fönnen fie denn da durch?“
„Das ift eben,” fage ich, „darum
müſſen fie den Uintweg machen und
zurück auf die Welt. Ei der Taufend!
Ein König kommt daher. Die goldene
Krone, auf die man fo viel hat gehalten,
ſchwups, reißt er fie vom Kopfe, ſchleu—
‚dert fie mit einem Juchſchrei in den
Nebel hinab und tanzt munter wie
ein Hirtenfuabe auf der Alm durch
‚die Himmelsthür. Nicht einmal der
verlangt auf die Welt zurück. Jetzt
‚kommt eine fchöne, junge Frau, die
bleibt ftehen an der Himmelsthür und
beſinnt fih. Lange fteht fie und Schaut
zurüd, auf die Welt hinab. Liebe
Menſchen hat fie verlaffen dort unten.
Weil fie den Leuten den Weg verfteht,
jo knurrt fie der Heilige Petrus an:
»Nu, entweder Du gehſt hinein, oder
Du bleibt heraußen!« — Thut fie
einen Seufzer, wendet ſich und fteigt
wieder in die dunlle Welt hinab.
Schaut jet der Engel Deine Mutter
‚fragend an. Uber die, weil fie ſchon
"einmal fo weit ift, fie will die Groß—
nıntter fehen. Gut, fo treten fie in
den Himmel ein. Jeſſes, da verfchlägt’s
742
ihr fchier das Aug’ vor lauter Lichten!
— »Gud,« jagt der Engel, »halt her
Deine Nafel« und ftedt ihr blaue
Augengläfer auf. So hat vergleichs—
weife auch der Menſch auf der Welt
blaue Brillen auf der Nafe, wenn er
gegen den Himmel aufſchaut.“
„Und die Großmutter ?* frägt der
Hans.
„sa richtig,“ erzähle ich weiter,
„und wie die Mutter jo dafteht und
von der Menfchenmenge Hin= und
bergeftoßen wird (als ich das fage,
thut mir Schon wieder das Herz weh),
ſpricht fie plößlih ein rothwangiger
Burſche an: »Grüß Gott, Frau!« Die
Mutter ſchaut Hin und jagt: »Die
Stimme kommt mir befannt vor und
ic weiß doc nicht. —« »Das glaube
ich,« jagt der Burjche, »die Frau hat
mich immer nur in Schwarz gefehen;
ih bin der Schornfteinfegergejelle, der
im vorigen Jahre geltorben ift.« »Das
ift ſchön!« fagt die Mutter, »aber
jetzt muß ich Schon Fragen, hat Er
hier nicht die Großmutter, die alte
rau Riedel, irgendwo gejehen ?«
»Iſt mir nicht unter die Augen ge=
kommen,« antwortet der Burfche. Da
ift die Mutter todeserfchroden: »Am
Ende! Wenn fie gar nicht da wäre!«
Zupft fie auf einmal Jemand bei der
Nodfalte. »Da bin ih!« Hört fie und
ſieht auch ſchon die Gropmutter auf
dem Lederſeſſel Hoden, nah' beim war—
men Ofen. »Geh Du, komm ber da
geihwind,« flüftert die Gropmutter
zur Mutter, »da neben meiner hab’ ich
ein gutes Platzel für Dich aufgeho-
ben.« »Aber da fieht man ja nichts,«
fagt die Mutter. »Dingegen ift es
ſchön mwarm,« jagt die Großmutter
und ſchmiegt fih an den großen
Kachelofen.“
So Habe ich geplaudert und iſt
mir jchier mild und warm geworden
dabei und das ganze Bild, das ih
dem Kleinen vorgedichtet, ift wie ein
inwendiges Gefiht vor mir geftanden
und freudig erfchroden bin ich darüber,
daß der Menſch die Todten erweden
und Himmel bauen kann in feinem
Gemüthe.
Der Knabe ſchwieg ein Weilchen,
dann fragte er: „Kommt die Mutter
bald ?”
„Ja, und weil fie ſchon einmal
dort ift,“ fuhr ich fort, „fo muß fie
wohl auch einen guten Pla ſuchen
für Did und für mid. Wir wollen
ja nicht weit vom lieben Herrgott
fiten und dab wir die Engel muſi—
cieren hören, nicht wahr? Die Cäcilia
thut Orgel Spielen und der König
David die Harfe dazu. Da wird fich
die Mutter verweilen und nicht fort
wollen.“
„Für die Roſa foll fie auch einen
Pla machen,“ ſagte der Hans in
foft müdem Zone,
Die Roſa war eine neunzehn—
jährige Nichte der lieben Heimgegan—
genen, die im Daufe jeßt die Heine
Wirtſchaft beforgte; fie war ein wohl—
gemuthes Mädchen und der Knabe
hatte fie lieb.
„Freilich ſoll auch die Rofa ihren
Pla friegen,“ gab ich bei, „aber den
beiten wollen wir doch der Lieben
Mutter laffen, daß fie raften kann
und träumen, mein Sind, von Dir.“
Meiter gieng’3 micht mehr, mir
ſchnürte es die Gurgel zufammen.
Der Knabe ſchwieg und als ich mit
dem Lichte nach ihm fah, war er ein—
geichlafen.
Ich Hüllte fein Bettchen auf, fo
gut ich's verftand,; es war eim neues
Kreuzigen des Herzens, als ich die
Kiffen und Deden berührte, mit innie
ger Mutterforge bereitet von ihr, die
jet begraben war. Danı legte ich das
Kind fanft hinein und ſaß an jeinem
Bette und mir war, al3 wäre e3 aus
mit aller Zeit. Im Vorzimmer Inarrte
die Thür,
„Die Mutter kommt!” Tallte der
Knabe im Schlafe.
Rofa trat ein, ftand an der Thüre
ſtill und ſchaute traurig auf mich und
das ruhende Kind.
— nn
* *
„Was willft Du da?“ Herrjchte|fchloffen worden war. Sie wollte den
ih fie an. Ich konnte feine Fremde
Perfon fehen an der Stelle, wo ſie
geweilt.
„Bon der Beltattungsanftalt,“
hauchte Rofa und wollte mir etwas
in die Hand geben.
„Was ift das?“ fragte ich.
„Der Schlüffel zum Sarg,“ ant—
wortete fie zagend.
„Was geht das Dih an! Ich
will nichts von Dir, geh!”
Ohne ein Wort zu fagen, trat fie
leife hinaus. Das kreuzförmige Stahl:
ſchlüſſelchen war in ihrer Hand ge=
blieben. Ich fragte mich num, warum
ih fo Herb gewefen. An die Thür
trat ih, um fie zu rufen. Da hörte
ich, wie fie draußen fchluchzte. Rofa
war immer bejcheiden und ſanft ges
wejen. Auch fie Hatte viel verloren,
aber ſich wohl vorgenommen, durch
häusliche Anhänglichkeit und Fürſorge
diefe Zeit zu erleichtern dem, der
Alles verloren. Sie wollte mir in die
Hand legen das zum Kreuz geformte
Symbol, den Schlüffel zum Schrein,
in welchen mein ganzes Glüd ver-
Knaben betreuen und ihn zur Ruhe
bringen, wie das echt und recht nur
ein weibliches Weſen kann. Und ich
hatte fie zurüdgeftoßen. Nun lehnt fie
draußen in der finfteren Kammer und
weint ftill vor fih Hin. Mein krankes
Gemüth hörte die Geliebte weinen an
jenem Abend, als ich ihr in Mißmuth
über ein unverſehens zerfchlagenes
Glas ein rauhes Wort gejagt hatte.
E35 war das einzige Mal gewefen,
aber mir brennt diefes Weinen in der
Seele. Und ih glaube, die wahre
Liebe zu ihr ift mir erſt auferftanden
in jener Stunde, als ich ihr Hatte
weh gethan. Sie ſchlief in der Erde
und ich hörte in der Borlammer ihr
bitteres Schluchzen.
Der Knabe ſchlummerte ſüß. Ich
fan nicht weinen hören, ich muß ihr
jagen: jo ſchlimm wäre es nicht ge=
meint gewefen, das Unglüd habe mich
verwirrt, fie möge ein wenig Nachficht
haben... .
Ih öffnete leife die Thür und
trat hinaus. Wie Hätte ih ahnen
können, zu wen ich Hinaustrat ?
Der Knabe hatte recht gehabt. —
Der befte Tröfter.
een \
29)
Kummer,
Und ftreut Dir mild BVergefienheit;
Gr fühlt des Bujens wilde Gluten
Und ftillt die Wunden, die noch bluten
Und fräftigt Di zu friſchem Streit !
Wem mid’ im Kampf die Arme janten,
Wer fiber marternde Gedanken
Des Schaffens Freudigkeit verlor,
Wem frank das Herz in dunleln Qualen:
Sie trinfen all’ aus feinen Schalen
Zu neuem Hoffen fi) empor.
ler befte Tröfter ift der Schlummer, | Daß doch aud Dein Herz Schlummer fände,
Er jcheucht die Sorgen, jeheucht den | Du Armer, dab Dein Gram entjhwände,
Der alte Lebensmuth Dir län;
Das lindernd um Dein weh’ Gemüthe
Der Mohn mit feinen Gaben blühte
Und alle Trübnis von Dir nähm'!
Ah Deiner Liebe bitt’re Leiden,
Sie werden nimmer von Dir jcheiden,
Sie wandeln mit Dir Tag und Nadt;
Seit Dir das Liebfte jäh genommen,
Mag Dir nur nod ein Schlummer frommen,
Aus dem das Herz nie mehr erwacht!
Alwin Römer,
744
Bellrafte Bauernfdlauheit.
Eine lehrreiche Geſchichte.
eher Zeifel und fein Weib giengen
we de Weges. Er Hatte einen
tothen, bauſchigen Regenfhirm unter
dem Arm, und e3 war doch Heiterer
Himmel über der ſchönen Gegend von
Ulbach. Sie trug in ein blaues Tuch)
geſchlagen einen Brotlaib auf dem
Rüden, und fahen doch beide hübſch
jattgegeffen aus.
„Wohin die Reif’? fragte fie der
Kerſchbauer, der vor feinem Haufe ftand.
* „Auf Heiligen-Kreuz wollen wir
im Gottesnamen,*“ fagte die Zeifelin,
„3 it die Mutter fo viel jchlecht ge=
worden, und daß wir ihr eine glück—
lihe Sterbftund’ möchten erbitten, um
Gotteswillen.“
„Gute Verrichtung!“ rief ihnen
der Kerſchbauer nach, und als ſie davon
waren, jagte er es in die ftille Luft
hinein: „Wenn der Sohn und die!
Schwiegertochter auf Heiligen = Kreuz,
hinüber gehen, dieweil die Alte daheim |
ftirbt, jo fteig’ ich jebt Hinauf zum
Zeiſelhof und thu' ein biffel erb—
ſchleichen.“
Saß eine Stunde ſpäter auch ſchon
bei der Kranken, faßte ihre hagere kalte
Hand und ſagte: „Ich mag nit eſſen
und nit ſchlafen, ſo hart iſt mir, Muhme,
daß Ihr ſo krank ſeid. Meine armen
Kindeln, die Ihr aus der heiligen
Taufe habt gehoben, weinen ſich heiſer
und blind um die liebe Muhme und
Godel (Pathin). Wollen ſchon fleißig
beten, daß Ihr wieder bald aus dem
Bett kommt.“
„Laßt mich drinnen,“ entgegnete
die Kranke unter ſchwerem Athem, „das
Sterben muß auch ſein.“
„Aber Muhme!“ rief der Kerſch—
bauer, „redet doch nit vom Sterben.
— kunnten wir Euch entrathen auf
der Welt?“
„Ich Hab’
ſagte ſie.
Der Bauer hielt ſich ſein blaues
Sacktuch vor die Augen und ſchluchzte:
„Was follen denn meine armen Würmer
anfangen, wenn die Muhme und Godel
ftirbt !”
„Will ſchon auch auf fie denken,“
fagte die Krante.
Da drüdte er ihr die Hand:
„Muhme! Ihr ſeid alles zu gut für
diefe Welt, alles zu gut. Nein, Euer
Sohn und fein Weib müfjen fein Herz
haben. Jetzt davongehen und die Mutter
| freinden Dienftboten überlaffen! Mein
Weib ſchick' ih Euch herauf, Muhme
und Godel, daß fie Euch pflegt. Als
job Ihr unſere Mutter wäret, ſo gern
‚haben wir Euch. Auch auf meine
Kinder denken, jagt Ihr! — Wie viel
kriegen fie denn ?*
E3 war etwas unbedacht gefragt.
Uber eine Sterbende nimmt derlei nicht
fo genau. „Zweitaufend Gulden find
ihren vermeint,“ fagte fie.
„Bott Lob und Dank!“ rief der
Kerſchbauer aufathmend. „Ich vorhoff',
die Muhme wird wieder geſund, muß
uns wieder geſund werden. Na mein!
unſer Aller Leben ſteht in Gottes Hand.
Keiner weiß es, wanns aus iſt. Und
desweg iſts gut“ ſetzte er bei, „daß
man ſich für alle Fälle — der lieben
Ordnung wegen — und daß nachher
nicht etwan ein Verdruß herauskommt
— um Gotteswillen nur kein Verdruß
unter Nachbarsleuten! Soll ich Euch
nit das Kiſſen rücken, Muhme?“
„Vergelts Gott,“ entgegnete ſie,
„ich lieg' ganz gut.“
mir genug gelebt,“
‘
„Was ich Jagen hab’ wollen,“ fuhr
der Rerichbauer ſtets einlenfend fort,
„zweitaufend, jagt Ihr. Gelt, Muhme, |
wir thun die Sad’ beim Notar ein!
wenig richtig ftellen.”
45
Sie Hat denn ihre Schuldigfeit
auch getreulich gethan — iſt geſtorben.
Als das Begräbnis vorüber war
und vom Gerichte die Verlaßabhand—
lung angeordnet, kam denn der Kteerſch—
Sie Hatte nichts dagegen einzu= bauer mit feinem Schuldſchein. Darob
wenden. Der Bauer lief nad Ulbach waren die rechtlichen Erben höchlich
zum Notar. Dieſer machte ihn anfe | erflaunt. Wie jo hat die alte Frau
merkſam, daß die zweitaufend Gulden, noch im Sterben zweitaufend Gulden
welche die alte Zeifelhoferin feinen aufgenommen, da in ihrem Staften
Kindern vermachen wolle, eine Schen= | ohnehin Bargeld lag? Wiefo hatte e3
fung feien und daß demnach der Bauer ihr der Kerſchbauer geliehen, der be=
eine Steuer von Hundert Gulden zu, fanntermaßen ein arıner Teufel war?
zahlen Haben werde.
Das fam dem Kerfchbauer ſauer
vor. Er gieng zum Schmied Joft. Der,
war Huffchmied und Mechtsgelehrter
und jagte zum Bauer: „Hundert Gulden
Steuer zahlen! Das wär’ nit jchlecht !
Da wiſſen wir das Geld beijer zu
brauchen. Nachbar, das machen wir jo:
Du leiheſt jeßt der alten Zeifelhoferin
zweitaufend Gulden! — Sei nur ftill,
Schuldſchein aus. Und wenn fie ge—
jtorben ift, gehft mit dem Schuldichein
zu ihren Erben und begehrit Dein
Geld. So kommt Du zu den zwei—
taufend Gulden und Haft nicht einen
Kreuzer Schenfungsfteuer zu zahlen.”
„Du bift ein verflucht feiner Kampel!“
„Dafür kennt man das Geſetz,“
entgegnete der Schmied beicheidentlich.
Jetzt, was Hatte der Kerfchbauer
zu thun? Er nahm bei einem guten
Freund auf etliche Stunden zweitaufend
Gulden zu leihen, gieng damit in
Begleitung des Notar zur Franken
Zeifelhoferin, die in die Sache ſchon
eingeweiht war, gab ihr unter Zeugen
Schaft das Geld in die Hand, worauf
fie ihm den Schuldfchein ausftellen lieh.
Als der Notar davon war,
das Geld wieder in die Tafche und
trug es zum guten Freund zurüd. Den
Schuldſchein verwahrte er forgfältig| — und hat gejagt:
und wartete nun, daß die Alte fterben | auf das gehen wir nicht ein.
möglich, dab Euch oder Eueren Kin—
würde.
Kerſchbauer ausgeftellt Hat,
„Schmied!“ fagte der Kerſchbauer, gel :
— Aber der Schuldſchein lag da, war
in allen Punkten correct und nicht
anfechtbar.
Es fam zum Gericht; da fagte der
Schmied Joft dem Kerſchbauer, er folle
ganz ruhig fein, das Gericht enticheide
nach dem Gefeß und die Zeifelleute
müßten die zwei Tauſender ſchwitzen,
da helfe ihnen fein Gott und kein
Heiliger.
pro forma, meine ich. Die Zeifelhoferin
ftellt Dir darüber Form rechtens einen
Was aber hat das Gericht gefagt ?
Das hat gefagt: Wir entjcheiden
freilich nach dem Geſetz, aber das Geſetz
bat zwei Theile, den Buchftaben und
den Geift. Wir Halten uns an den
leßteren und Jagen: Bei diefem Schuld-
brief, melden die Sterbende dem
ftedt ein
großer Schwindel dahinter. Es Fol
unterfucht werden, wie ſich die Gefchichte
zugetragen hat und nachher wollen wir
weiter reden,
Die Sache ift laut geworden. Ber
fonders der gute freund, der das Geld
auf etliche Stunden hergeliehen, Hat
Alles verdorben. Der Kerfchbauer hat
freilich gefchrien: Sei e3 gewejen wie
immer, das gienge Niemand was aı,
‚der Schuldfchein fei da, fei mit Willen
und Willen der kranken Zeifelhoferin
‚ ausgeftellt worden und er begehre fein
ftedte er
Geld.
Das Gericht hat dazu gelächelt —
auch das Gericht kann mitunter lächeln
„Nein, lieber Manıt,
St ja
746
dern das Legat vermeint gewejen. Ihr |iheuer zu ftehen kommt, wenn man
habet der Steuer entgehen wollen und |den Staat um die Steuer betrügen
nun duch Euren Firlefanz die ganze |mwill. — Hier ift die Nechnung für
Erbjchaft verfcherzt. Uebermachet Euren
Kindern anftatt der zweitaufend Gulden
die gute Lehre, daß e3 manchmal gar
das Gerichtsverfahren, fie macht hun—
dert dreißig Gulden.“
Beltfame Bagen.
Mitgetheilt von Kofegger.
Drei Anoten und doch nicht ge-
Anüpft.
Na, mein lieber Freund! Der
DR Teufel, das ift fein Guter!
Das DorfHamersleben liegt draußen
im Reid, und vor dem Wirtshaus in
Hamersleben liegt ein großer moos—
grauer Stein. Diefen hat vor Zeiten
der Teufel nach dem Wirtshans ge=
worfen. Im Zorn, mußt Du mwiffen,
weil er um drei arme Seelen ift be=
trogen worden.
Sind da ihrer drei Gefellen ges
jefien, haben gezecht und Karten gefpielt
und dabei geflucht und fakermentiert,
Einer mehr als der Andere, Beim Ofen
figt ein altes Weib und wiegt im
Strohbettlein ein Heine Kind. Bittet
die Gejellen, fie follten doch nicht fo
fluchen und fchreien, das Kind könne
nicht ſchlafen. War ihnen Alles eins
— geftochen das Aß, was geht uns
das Kind an? — Das Fluchen ift
verflucht Sünd’! hat der Knecht Marcus
gern gejagt, aber das Falſchſpielen
geht über’3 Fluchen, fage ich, weit
überd Fluchen, nnd felbft wenn man
nur um Erbfenbohnen fpielt. Den
Dfcherer gehen fie an, er thäte falſch
fpielen, hätt’ mit Nadeln die Karten
durdlöcdhert und fein krummer Blid
fteige den Nahhbarslarten über den
Rand hinein. Wer gut Karten jpielt
muß gut trinken und nicht jchlecht
fluchen fönnen. So ſchreit der Oſcherer,
der gottverdammt’ Höllteufel ſollt' ihn
holen, wenn e3 wahr ſei, daß er falſch
jpiele!
Nun läßt ſich aber der gotiver=
dammt’ Höllteufel nicht fpotten; er
hält auf Decorum, möchte des Grafen
Hofmeifter fagen. Heutzutage käme er
in Frad und Eylinder, feine Klauen
fäuberlich verdedt von weißen Glacé—
handſchuhen. Damals ift fpät um
Mitternacht ein ftattlider Rittermann
hoch zu Pferd in den Hof geritten.
Als der Hengſt — es war natürlich
ein ſchwarzer — ſeinen Stall und
ſeinen Hafer hatte, gieng der Ritters—
mann, ſein rothes Mäntlein zierlich
umgeworfen, ſeinen Degen blank an
der Seite und über die linke Wange
eine Schramme, zum Zeichen daß er
tapfer iſt, in die Stube und bedeutete
den Spielern leutſelig, ſie ſollten ſich
durchaus nicht ſtören laſſen. Das war
ihnen auch gar nicht eingefallen. Sie
fluchten und ſakermentierten, daß die
Fenſter klirrten, und der fremde Ritter,
der bei ſeinem Trunke ſaß, war ganz
Ohr und murmelte entzückt vor ſich hin,
jo ſchön fingen hätte er ſchon lange
nicht mehr gehört. Etwas unangenehm
war ihm nur das Heine Kind, das
am Ofen in der Wiege lag. Kleine
Kinder find läftig und fehon gar, wenn
man der Zeufel ift.
Jetzt auf einmal ift den Spielern
eine Karte zu Boden gefallen. Zorkelt
das alte Weiblein, das beim Kind
747
gefefjen, mit der blechernen Ampel herbei
und fucht auf dem Fletz das Karten—
blatt. Wie fie aber fo mit der Ampel
unter Tiſch und Bank herumleuchtet,
fieht fie hinter dem rothen Mantel des
ſchönen tapferen Ritters einen Pferde-
fuß. Sie fohlägt ein Kreuz, da zudts
den Ritter wie Gicht und Gall’ durch
das Bein. Weiter thuts nichts. Weil
der Ritter nun weiß, daß er erfannt
ift, macht er auch weiter fein Ge—
heimnis draus, fondern fagt, er fei
auf Wunſch des Dfcherer da, um den
Hugen Falſchſpieler, den er fehr lobe,
mit fich zu führen. Aber auch die
übrigen Gejellen feien höflich einge-
laden, mitzufommen, fie hätten nicht
minder falſch geipielt und dazu noch
wader geheuchelt.
Da war es noch Einem eingefallen,
ob man dem Zeufel nicht könne den
Hals umdrehen, ift aber im felben
Augenblid ein jo unerquidlicher Duft
ausgeftrömt aus dem jchönen tapferen
Rittersmann, daß den Gefellen ſchier
Hören und Sehen vergangen.
„Ihr ſeid Hin wie des Juden
Seel',“ ſagte jetzt der Teufel, denn
jeit er dur) den Erzengel Michael aus
dem jüdischen Himmel verftoßen worden,
fonnte er die Juden nicht leiden. „Daß
Ihr aber ſehet, ich bin nicht ganz fo
ſchwarz, als mich Mancher malt, jo
will ih Euch eine Möglichkeit offen
laffen, mir zu entkommen. ch will
Euch zur Unterhaltung ein Räthjel
aufgeben, wenn Ihr das löfen könnt,
fo feid Ihr frei.“ „Laß' hören, ich
löfe Dir's!“ fchreit überlaut der Oſcherer.
Und Hat ihnen der Teufel darauf das
Räthfel gejagt: „Dreimal Knopf und
und doch nicht gefmüpft — was ift
das?"
Mein himmliſcher Gott — dreimal
Knopf und doch nicht gefmüpft — was
kann das fein? Sie rathen Hin, fie
rathen ber, der Oſcherer ift ſonſt ein
findiger Räthjellöfer, es wird ihm ſo—
bald Keiner zu gefcheit, aber heute ifts
aus und auf der Stirn ftehen ihnen
„Alsdann, fo wollen wir uns auf
die Reife machen,“ jagt der Teufel;
im jelbigen Augenblid fehen die Ge—
jellen, wie das Kind beim Ofen im
Scheine der blechernen Ampel aus dem
Bettfiroh einen Strohhalm hervorzerrt
und mit dem Heinen Händchen in die
Höhe hält.
„Ich hab's, ich hab's!“ rufen jet
die Spielgejellen zugleich, „drei Knoten
und doch nicht gefnüpft — der Stroh—
halm iſts, der Strohhaln mit feinen
Knoten!“
Jetzt hat's einen Knall gethan in
der Stube, und als ob eine Rakete
wäre zerplaßt, ift viel Dunft und Ge—
ftanf da gewefen, aber Fein feiner
Ritterdmann mehr. Und draußen ift
durch die Lüfte ein Stein an's Wirts-
haus geflogen, daß die Erden hat ge=
zittert. Der Stein liegt heute noch
vor dem Wirtshaus; doch die Gefellen
haben nicht mehr geflucht und nicht
mehr falfch gejpielt. Geftochen das Aß,
aber das Kind geht uns doch was an.
Es war nicht das erftenal, daß
ein unfchuldiges Kind vor dem Teufel
ſchützte, und es wird nicht das letztemal
gewejen fein. Am Strohhalm hängt
manches Gejellen arme Seele — wer
öfters auf das unfchuldige Kind wollte
ſehen ...!
„Ei, geht mir weg mit den Kin—
dern!“ ſagt der Teufel. Ich glaub's!
Das Irrlicht.
Einſt gieng durch nächtlichen Wald
ein Prieſter mit dem Sacrament. Voran
ſchritt der Küſter mit der Laterne.
Alland der Schäfer Hatte den Weg
verloren und da er ihn in der finfteren
Nacht nicht Finden konnte, ſchritt er
dem Lichte des Küfters nach. Der Weg
ftieg bergan über Geftein und Geröfle.
Da zudte vor den Füßen dee Aland
plötzlich ein Jrrlichtlein. Es war blau
wie ein Spiritusflämmchen, fprang das
einemal in die Erde hinein, hüpfte das
anderemal dem Schäfer bis zum Knie
die Schweißtropfen vor Zodesangft. Iherauf, als wollte es fich ihm in den
748
Weg ftellen. Weil fih Aland aber] fladerte das Jrrlicht zu, und Alland
nicht irremachen laſſen wollte, fo be= | jchlicht und fletterte ihm nach.
gann das Jrrlichtlein zu reden und Als er über das Geſimſe geftiegen,
ſprach: „Lieber ſchöner Schäfer! Wohin [in Gemache war und ſich von dem
willft Du denn? Weißt Du auch, was | Inhalt desfelben auf das Angenehmfte
Dein Ziel ift, wenn Du jenem Lichte | Überzeugt Hatte, fragte das Irrlicht,
dort folgft? Du wirft zu einer elenden |ob es noch weiter dienftbar fein dürfe?
Hütte kommen, und darin wird ein Der Schäfer entließ es. —
ſchwerkranker Greis liegen, und der Seit diefer Nacht waren drei Jahre
wird dor Deinen Augen die Qualen |verfloffen. Alland der Schäfer hatte
des Todes leiden. Nein, Aland, um die Miüllerstochter zum Weibe nehmen
einen Bettler fterben zu fehen, dazu müſſen. Oft blidte er fie num ver-
bift Du wahrlich zu jung und lebens- ftohlen an und wollte nicht begreifen,
luſtig. Laſſ' diefes traurige Licht umd | wiefo er vom Jrrlicht fich diefe Perſon
komme mit mir, Ich führe Dih zu als das fchönfte Weib auf der Welt
Luft und Freuden, wie Du fie Schöner | anflunfern laſſen konnte! Zwar fuchte
nicht denken kannſt. Ich erfülle Dir die Müllerstochter das Jrrlicht zu recht-
Deine geheinften Wünſche. Zu drei | fertigen, indem fie ſchöne Kleider und
Zielen will ich Dich führen, zwei davon | Schönes Gefchmeide an ihren Leib hieng.
magft Du felber wählen, das dritte, Dem Alland wäre e3 aber lieber ge=
wähle ih. Willft Du’s mit mir ver- weſen, das Weib hätte das Kleid ge=
ſuchen?“ ſchmückt, als umgelehrt. Ferner waren drei
„Das will ich,“ antwortete Alland Kinder da, gegen welche Alland weiter
der Schäfer. „Bei einem Sterbenden nichts einzuwenden hatte, als daß ſie
wüßte ich in der That nicht, was an- immer nach Brot ſchrieen. Der Schäfer
zufangen. Sch will Leben, nichts als konnte mit feinem Erwerbe ſchon lange
Leben, unermeßliches Leben, fo viel, nicht mehr auskommen und hatte nun
daß es ein einziger Menfch gar nicht Jauch die Weberei gelernt, um, damit
ertragen kann.“ er fein Weib kleide und feine Kinder
„Alſo Sprich,” fagte das Irrlicht, nähre, mächtiger Weile die Wolle zu
„wohin foll ich Dich führen 2* verwebern, die feine Schafe ihn ab-
„Darüber thut mir feine Wahl geworfen hatten. So jab * oft *
weh,“ antwortete der Schäfer, „führe pater Stunde bei dem tummerlichen
mich zum ſchönſten Weib auf der Welt.“ Lampenlicht und knüpfte und fchiffelte
Sp: „an feinen Fäden. Und einmal, wie er
„Das iſt leicht und das ift ſchwer,“ ſo müde umd verzagt bei feiner Arbeit
verjegte das Irrlicht und wunderte ſich
insgeheim, daß der vierundzwanzig— — Ma Dr Fadengeflechte
jährige kernfriſche Burſche keinen Namen Aland!“ te es ihn an, „fo
zu nennen wußte. Nun um fo befier, finde ich Dich wieder! E⸗ ht. fein
Danchem ift das nachſte Weib an das den Geſchäft, als Fäden zu
ſchönſte. „Wohlan, folge mir! tnüpfen, die das Schichal zerriſſen hat,
Und das Irrlicht begann voran- und noch dazu bei der Todtenampel,
zuflattern wie ein bligblauer Falter, | Hei der man kaum genug fieht, um eins
über Stod und Stein hin und theil⸗ zuſchlafen, geſchweige um zu Mebern.
wärt3 gegen einen fühlen Grund. Beſinne Di einmal, Schäfer, ob Du
Und im fühlen Grund, da fand es nicht lieber wieder einmal mit mir
eine Mühle. Hinter den Elappernden | verfuchen willft.*
Rädern war ein Fenſter, es war offen „SH danke,“ antwortete Aland,
und die weißen Vorhänge wehten ſachte „Du Haft mich einmal geführt und
in der Nachtluft. Diefem Fenſter ordentlich in die Patjche gebracht.”
nn nr nn —————
749
„Ich verſtehe Dich nicht,“ verſetzte
das Irrlicht. „Ih Dich in die Patjche
gebracht? Haft Du nicht felbft das
Ziel gewählt? Ich Habe nur Deinen
Wunſch erfüllt. Wähle heute klüger
und folge mir.”
„But,“ fagte er, „zu verlieren
habe ich nichts aber viel zu gewinnen.
Ih brauche Geld.“
„Beld magft Du wohl haben,”
ſprach das Irrlicht. „Komm und folge
mir getreulich, die Nacht ift finfter und
ſtürmiſch. Nimm auch eine Waffe zu
Dir, die Gegend ift unficher und Geld
muß, wie Du weißt, nicht allein er»
worben, fondern auch bewacht werden.“
Aland ftedte fein Meffer in die
Lederfcheide, feßte feinen Hut auf und
folgte dem Irrlicht. Diefes flog voran
über den Weg und über die Heide und
einem Meierhofe zu, der einfam und
ftifl daftand auf der meiten Ebene.
Dort glitt das Irrlicht an der Holz-
wand bin und ber, als ob es den
Eingang ſuchte. Da die Thür ver»
ſchloſſen war, fchlüpfte es durch die
Spalte eine! rüdmwärtigen Fenſters
hinein und winfte dem Schäfer, daß
er nachlomme. Diefer wußte fich nicht
zu helfen, das Fenſter war ja mit
einem Laden verfchloffen. Weil aber
der kalte Wind fo unmenſchlich pfift,
daß Aland glaubte, er müſſe erftarren
in diefem Winterfturm, fo erbrach er
mit ftarker Hand den FFenfterladen,
um unter ein fchüßendes Dah zu
fonımen. Im Gemach, in welchem er
nun ftand, ſah er etwas ſehr Seltfames.
Auf dem Tiſche lag ein Haufen von
alten Thalern und das Srrlichtlein
tanzte Tuftig um denfelben herum, daß
e3 fich fpiegelte in blanfem Silber.
„Sollte das mir gehören,“ fagte
der Schäfer zum Irrlicht, „fo ift es
ein finniges Gefchenf, da3 Du mir da
macheſt. Du Hältft Wort und ich danke
es Dir.”
Damit ftredte er feine Hand aus
nad dem Silber. Im felben Augen
blid aber gieng die Thür auf und der
Pächter mit blinkendem Beil fürzte
herein, um feine Summe, die er Tages
zuvor für Weizen eingenommen vor
Diebeshänden zu wahren. Alland dudte
fi) behendig vor dem nad ihm ge=
führten Schlag, riß fein Meffer aus
der Scheide und ftieß e5 dem Manne
ins He. —
Seit diefer Nacht waren drei Wochen
vergangen. Aland der Schäfer ja im
nädhtigen Kerker. Aus dem einzigen
Tenfter Hoch an der Wand blinkte ein
Sternlein herab vom hohen Himmel.
„Bas müßet er mir!“ murmelte
Aland für ih. „Allnächtig leuchten die
Sterne iiber der Erde und die Menſchen
gehen doch zu Grunde. Wollte lieber,
daß mein Freund, das Jrrlicht wieder
füme. Diesmal wüßte ich das beite
Ziel, das mich nimmer gereuen jollte.
— Hinaus in die Freiheit!“
Kaum Hatte er jo gedacht, als aus
einem Winkel des Sterfers das blaue
Flämmchen aufzudte. „Ich bin ſchon
bier," fagte es, „mich freut es, daß
Du mid Deinen Freund nenneft. Aber
die Wahl will ih Dir diesmal er—
fparen, Du bift in derfelben nicht juft
immer ganz glüdlich gewejen, und das
dritte Ziel — fo iſts abgemacht —
wähle ih Dir. Steh’ aufund folge mir.“
Alland erhob fich, da fiel von feinem
Fuß die Stette, da fprang Inarrend die
eiferne Thür auf und draußen harrte
feiner ein Geleite.
Zwifchen dieſem fchritt er nun
langfam in nächtlicher Stunde und
voran zudte umd tänzelte das blaue
Licht. Einmal war's, als beleuchte e3
borübergleitend das blaffe Geficht feines
Weibes, die mageren Geftaltlein feiner
Kinder, dann wieder fhaurige Finfter-
nis und durch die Schwere Luft zitterte
der lang eines Glöckleins.
Plöglih war auf dem Hügel ein
Holzpfahl fihtbar, an welchem das blaue
Flämmchen zwinfernd und büpfend
auf und niederglitt. Oben ſtand wag—
recht ein Querbalten hinaus und darauf
feßte fi das Irrlicht — dem reis
mann leuchtend bei feinem Werke.
750
Eine granfame Fodesart.
Die Abelöberger, das find von jeher
die Klügften gewejen im Land. Die
fanden zu jeder Spalte den richtigen
Keil. In der Staatöllugheit, Ge—
meindedifciplin und wirtfchaftlichen
Verwaltung find fie namentlich muſter—
giltig geworden. ine der bewunde—
rungswürdigften ZThaten der Abels—
berger war, wie fie die Maulmwürfe
eingefhüchtert Haben.
Die Wiejen um Abelsberg waren
alljährli, bejonders im Herbft und
Frühjahr, voller Maulwurfshügel. Des
war der Gemeinderath betrübt und der
Bürgermeifter feufzte oftmals auf:
„Liebe Genofjen, wir fommen ganz um
unfer Gras!“
Da geichah es, daß der tapfere
Knab' Gofel, Bürgersfohn von Abels-
berg — der Name diejes Braven fteht
im Ehrenbuche der Stadt mit goldenen
Lettern — eines Tages einen leben
digen Maulwurf fieng und in eimem
Eifenkäfig nah Haufe bradte. Auf
dem Marktplag wurde ein Tiſch er—
richtet, auf denfelben wurde der Käfig
geftellt und genagelt und das Volk der
Stadt ftrömte zufammen, um den
grauen Böfewicht zu fehen. Unter Ver-
wünſchungen und Fäufteballen ftürmte
die Menge auf den Gefangenen ein
und die Polizei hatte zu thun, um
ihn zn ſchützen vor der Volkslynche,
damit er ordnungsmäßiggerichtet werden
fonnte. Das Todesurtheil war gefpro=
chen, der Stab gebrochen über den arınen
Sünder, der hier auf dem Pranger
ftand. Selbiger geberdete fich aber zur
allgemeinen Entrüftung ſchier wohl—
gemuth, guckte mit feinen hellen Aeuglein
neugierig auf die Menge und ſchnup—
perte ſchalkhaft mit dem Schnäuzlein
zwiſchen den Eifenfpangen hervor.
Noch war aber der hohe Rath
wegen der Todesart nicht einig. Das
ftand feit: Ein Beifpiel follte an diefem
Gejellen aufgeftellt werden, wie ein
ähnliches das wühlende Gefchleht noch
nicht erfahren hatte. Einige waren für
da3 Hängen, aber der Delinguent Hatte
dafür einen zu kurzen und diden Hals,
es wäre der Strid abgeglitten. Andere
wollten ihn enthaupten, das fand der
Rath jedoch viel zu ehrenvoll für den
Schelm. Das Verbrennen wurde zurück—
gewiefen, weil der Feuertod erſt recht
eine glänzende Aureola um das Haupt
des Berbrechers gelegt haben würde.
Und als fie dergeftalt uneinig waren,
erhob fich ein weiglodiger, Iangbärtiger
Greis — faft fteht zu vermuthen, daß
er nicht zu Abelsberg gebürtig war —
und begann unter lautlofer Stille der
Menge fo zu reden:
„Wohlweifer Rath von Abelsberg!
hochanſehnliche Berfammlung !
Wichtig ift die Stunde und folgen-
reich die That, die wir zum Wohle
unſerer geliebten Stadt zu vollbringen
im Begriffe ftehen. Wir haben ein
Individuum dom Leben zum Tode zu
bringen, aber wir haben in deimfelben
nicht allein das Individuum, fondern
fozufagen das ganze Geſchlecht vom
Leben zum Tode zu bringen. Es ift
das Geſchlecht, das aflmählih und
tüdifh die Grundfeſten unterwühlt,
auf welche unfere Vorfahren und wir
jelbft unfere Eriftenz und Eultur ges
gründet haben. Es ift wohl überflüflig,
daranf hinzuweiſen, daß die Maulwürfe
unſere Erbfeinde ſind, daß es zwiſchen
uns und den Maulwürfen keine Ver—
ſöhnung gibt und geben kann.“
Ein ungeheurer Beifallsſturm un—
terbrach den Redner. Selbſt der kleine
Gefangene ſpitzte die Ohrlein und fteflte
ſich dann höchſt poſſierlich auf ſeinen
Hintertheil, weil er glaubte, die Leute
wollten ſich von ihm ergötzen laſſen
und der Beifall gienge ihn an. Der
Redner fuhr endlich fort: „— daB
e3 zwijchen uns feine Berföhnung gibt
und geben kann!“ worauf ſich der
Beifalläjubel nochmals wiederholte.
„Werte Verſammlung!“ jagte der
Greis mit faſt mißbilligender Miene,
„der Gegenstand ift zu ernft, als daß
wir ihn mit Zurufen wie bei einer
Komödie entweihen wollten. Es handelt
fih darum, daß wir an diefen Tage
ein Erempel aufftellen, welches geeignet
ift, das elende Geſchlecht vor Schred
ftumm zu machen, wenn e3 nicht ſchon
ſtumm wäre, und vor Angft grau zu
machen, wenn es diefe Farbe nicht
ſchon hätte. Des Grauens voll ſollen
fie ſich ſammeln in Rotten, die Gauen
von Abelsberg auf Nimmerwiederjehen
verlaffen und es ihren Kindern und
Kindesktindern erzählen, was zu Abels—
berg einem ihrer Genoflen gejchehen ift.
Nicht hängen und nicht köpfen, nicht
Ipießen und nicht braten wollen wir
den Böfewicht. Den gräßlichiten Tod
ſoll er fterben, der je geftorben worden
ift. Diesmal ift fie eine Bürgertugend,
die Grauſamkeit, mit der ich die Todes—
art verfünde: Der Schelm foll
lebendig begraben werden!”
Rath und Volk überboten fih in
Beifall. Sie führten den Käfig hinaus
auf den freien Anger, hoben den Maul»
wurf behutfam hervor und nach wenigen
Minuten war das Urtheil vollzogen.
Auf Bäubercommando.
Novelle von Paul Maria Sacrroma,
J.
—F enug geraftet! Vorwärts, marſch!“
7) erſcholl die tiefe, jonore Stimme
des Lientenants Géza Sändor.
Die Truppe war zwar noch müde
und wenig gelabt durch das haſtig
eingenommene, kärgliche Mahl, ſprang
aber dennoch auf, wie ein Mann; denn
Disciplin vor Allem iſt ja das be—
geiſterte Loſungswort des Soldaten.
Im vorliegenden Fall trat auch
noch die außerordentliche Anhänglich—
keit hinzu, welche die Mannſchaft | 31
ihrem ftrengen und troßdem gütigen
Vorgeſetzten bezeugte.
Einfam im entlegenen Konak zu
leben genöthigt, ſchloß ſich der Lieu-
tenant mehr als üblih an feine Un—
tergebenen, meiftens Bollblutungarn,
Ihlihte, redliche Pußtaſöhne, mit
denen er Freud und Leid der bos—
niſchen Garnifon zu theilen pflegte.
So ftand er denn auch geftern Abends
im hellen Lichterglanzge des Chriſt—
baumes in ihrer Mitte.
Anm Frühen Morgen ſchon war
Geza in die Berge gegangen, oder
vielmehr geflettert, weil ja der Weg
hinan ein blos illuſoriſcher ift; auch
ohne Schnee und Eis taugt er mehr
für Ziegen und Gemſenals für Menfchen.
Nicht wie gewöhnlich von der Laft
reichlichſter Jagdbeute ſchier erdrüdt,
kehrte der Lieutenant diesmal heim.
Kein Echo trug den Knall eines
Flintenſchuſſes in die Ebene hernieder.
Blos ein ſchlankes Tannenbäumchen
war es, das der fühne Jäger in Hän—
den hielt; doch ſchien ihn feine Ero—
berung mit nicht geringerem Stolze
erfüllen, ja faſt mehr noch zu
freuen, als der mächtige Bär, den er
vor wenigen Tagen zur Strecke brachte.
Die beiden prächtigen Borftehhunde,
Blad und Flott, Hingegen jchielten
mit ziemlich verächtlichen, unzufriedenen
Bliden zu dem fonderbaren Wild hin—
über, das fie weder gewittert, noch
apportiert und deſſen Auffindung ihrem
Herrn jo viel Mühe gefoftet.
Stundenlang hatte er darnach ge=
fahndet, bis er endlich auf der Höhe
der fahlen Bergkuppe, wo fogar die
fpärliche Zmwergholzvegetation und das
bischen Wachholdergeftrüpp ein Ende
fand, das liebe Bäumchen entdedte.
752
Nimmer hätte er es vermocht, den
zarten Lebenskeim zu tödten und die
luftig grünende Tanne abzufchneiden.
Sorgfältig, ſammt Erde undWurzel,
hatte er fie bis in fein Zimmer hinab»
getragen, raſch einen Kübel herbei—
gefhafft, um das Bäumchen mit der
gebotenen Borfiht Hineinzupflanzen.
Und nun ging e8 Hurtig an's
Aufpußen.
Daheim freilich pflegte er dies nie=
mals felbft zu beſorgen; die liebevolle
Mutterhand, die es ſtets für ihn ges
than, hatte aber wenigftens das Ma—
terial hiezu aus der fernen Heimat
gejendet, und bald fand aud der
dunkle Zannensproß im Schönften Weih-
nachtsſchmucke da. — Doc) leider fehlte
der gewohnte Kamilienkreis : keine theure
Mutter, Feine blühenden Schweitern,
feine bausbadigen Kinder verherrlichten
wie in trauten Vaterhaus das Schöne Feſt.
Geza war allein, ganz allein —
nein, derartig ift feine Freude denk—
bar, und rasch entjchloffen, ließ er
durch feinen Feldwebel die Mannjchaft
hereincommandieren. Seine Soldaten
waren ihm ja wie feine Kinder und
jo jollten fie denn auch gleich folchen
die finnige feier des Chriftabends mit
ihm theilen.
Groß war der Jubel der guten
Leute. Die an folche Pracht und folchen
Kerzenglanz ungewohnten „Baka“
mußten geblendet die Augen jchliegen
beim Anblid des von buntfärbigen
Ketten, Raufchgold und allerlei Zierrath
prangenden Baumes.
Keiner von ihnen Hatte jemals
Aehnliches gefehen, ja kaum gedacht.
Geza gab jedem Soldaten ein
Glas guten alten Weines und ein
Stüd Kuchen dazu.
Der Wein — in jener Gegend jelten
und theuer — jollte für den ganzen
Winter reichen, wie die forgliche Mutter
beim Verfenden gedacht, und nun langte
er kaum für den einen Abend, ward
den vielen durftigen Kehlen fogleich
geopfert.
— — — — — — — — — — —
nun auch aus all' den Augen! Mit
welch' enthuſiaſtiſchen, donnernden Hochs
und Eljens auf das Wohl des guten
Lieutenants wurden da die letzten
Gläſer geleert! |
Ya, das hätte ſelbſt ein Mutter-
herz und nicht blos den freigebigen
Geza für dem gefpendeten Wein reich-
lichſt entſchädigen können.
Und mitten in dem Feſtesjubel,
mitten .in dem freudigen, ſorgloſen
Treiben hatte fie der Befehl zum mühe
jeligen Marih auf Räubercommando
ereilt.
Bon der nahen Stadt, wo der
Stab des Negimentes ftationierte, hatte
Geza durch eine berittene Ordonnanz
den Befehl zum fofortigen Aufbrud er:
halten, und jo marfchierten die Aermſten,
troß des Hohen Fyeiertages, num ſchon
fieben Stunden lang und befanden fi)
auf der Sude nad) dem verwegenften
aller bosniſchen Banditen, dem gefürd)-
teten Harambaſcha Branko Brankovié.
Wie viel lieber wäre Géza dem
Landesfeinde im offenen, ehrlichen
Kampfe entgegengetreten, anftatt dieſe
Razzia zu commandieren, von der nichts
zu erwarten war, als höchſtens ein
ruhm- und Eanglofer Tod von tüdifcher
Räuberhand. Ueberdie3 widerftrebte es
ihm, einen armen, irregeführten alten
Mann menchlings zu überfallen; denn
Branko Brankovié, der Schreden der
ganzen Umgebung, Hatte vor vielen
Jahren noch unter der Türkenherrſchaft
blos aus Rache zu den Waffen ges
griffen, weil ijm feine Gattin und
feine ältefte Tochter von einem hoch»
geftellten türliſchen Wüſtling gewalt-
fam entführt wurden. — Als er dem
Elenden, der feine Gaftfreundfchaft To
Ihnöde mißbraudt, den Dolch in’s
Herz geftoßen hatte, flüchtete er in die
Planinen der Witoroga-Berge, wo er
eine kühne Schaar todesveradhtender
Männer um fich ſammelte, an deren
Spitze er mordend und fengend durch
die Lande ftreifte.
Jet war er wohl nur noch dem
Aber welch’ frohe Luft Schimmerte Namen nah der Harambafcha der
753
wilden Rotte, wie Viele behaupteten,
die den alten, gebredlichen Greis von
Angefiht gefhaut und feiner Groß—
muth das Leben verdankten. Ja einer
diefer Glüdlihen, der aus Habfucht
und Geldgier an feinem gütigen Retter
zum Berräther geworden und nun den
Soldaten als Wegweifer diente, ver—
fiherte fogar, daß Branko Brankovié
ganz gewiß vor acht Tagen in einem
mörderifchen Gefechte mit einer Sol—
datenabtheilung gefallen, dab e3 feine
Leute jedoch der eigenen Sicherheit
wegen geheim hielten.
Wie dem immer fei, war und
blieb es dem Lieutenant dennoch un—
gemein peinlich; aber dem militärischen
Machtwort konnte er ſich nicht wider-
jegen und fo ſchritt er denn nad
furzer Raft an der Spitze feiner tapfer
ausholenden Mannfchaft muthig weiter.
Stunde um Stunde marfchierten
fie bei einer grimmigen Kälte von
neun Grad Reaumur, theils bis zu
den Knöcheln in Schnee verſinkend,
theil3 auf glatter Eisbahn dahin=
ſchreitend.
Durch des Urwalds niederhangendes
Geäſt, durch finſtere, wildromantiſche
Schluchten, durch Triften und lieb—
liche Thalgründe führte ihr Weg, bald
in todesftiller, trauriger, Öder Gegend,
die nur der widrige Schrei des Aas—
geiers belebte, bald inmitten buntbe—
völferter Dörfer, deren Einwohner
ihnen entweder Fluch oder Segen nach—
tiefen, je nach der Partei, zu der fie
zählten ; denn gleich dem leidenfchaft-
lien, in feiner Liebe und feinem
Haſſe fo ſchrecklichen Volke der Abruzzen
hielten auch Hier die Leute zu ihren
Banpiten.-
Schon drohte die Dämmerung ber>
nieder zu ſinken, bebor es der wag—
balfigen Schaar gelungen, der Räuber
habhaft zu werden, als endlich eine
zum Recognoscieren vorausgeſandte
Patrouille mit der Meldung zurück—
kehrte, daß die Banditen entdeckt ſeien.
Vorwärts mit Aufbietung aller
Kräfte, war nun die Looſung.
Kofegger’s „„Geimgarten‘‘ 10. heſt, XI.
Der Lieutenant ftellte fih an die
Spige der Vorhut — wiewohl ihn
fein alter Feldwebel ganz fuburdina=
tionsmwidrig beſchwor, ſich nicht der—
artig zu exponieren — vertheilte ſeine
kleine Truppe in drei Treffen und ließ
die Mannſchaft mit gefälltem Bajonnet
vorſichtig A cheval der Straße vor—
wärtsjchreiten.
Sp marfierten fie langfam und
bedächtig ein Biertelftündchen dahin,
bogen dann, den gangbaren Pfad ver—
lafjend, lauernd in einen fchmalen
Hohlweg ein und nach weiteren zehn
Minuten bangen Harrens hieß es
plötzlich: „Wir Haben fie!“
In einem tiefen, finfteren Berg—
feffel, von dräuenden Felſen rings um—
rahmt und befhüßt, Tagerten ungefähr
vierzehn bis fechzehn Räuber, offenbar
von Müdigkeit und Schlaf übermannt.
Ein vorfihtshalber nur nothdürftig
unterhaltenes Feuer warf grelle Licht-
ftreifen auf die vermwitterten Männer
geftalten und beleuchtete beſonders ſcharf
eine abfeit3 gelegene, kleinere Gruppe
von drei Perfonen, deren eine zweifel—
108 der gefürdhtete Räuberhauptmann
zu fein ſchien.
Der alte Bosnak lehnte, von Decken—
und Thierfellen umgeben, an einem
Felfenvorfprung neben einem theilweije
zu Eis erftarrten Waflerfall, der ein
wunderbolles Bild bot und wie ein
Stalaktitengebilde von der ftarren
hohen, ſenkrechten Steinwand her—
niederhing.
Bon dem berüchtigten Harambaſcha
war nichts zu fehen, als ein langer,
weißer Vollbart und eine fehr defecte
Nationaltradt. Somohl der um den
Leib gefchlungene, von Piſtolen und
Dolden ftarrende Shawl, als das um
den Fez turbanartig gewwundene, bunte
Tuch bezeugten, daß fie mit ihrem
Träger alt geworden. Und recht alt
und gebrechlich, ja ſchwachſinnig mußte
der NRäuberhauptmann fein, der ſich
fammt feiner Bande einem jo ſorg—
lofen Schlaf hingeben konnte, indeß
48
754
Tod und Berderben ihn allenthalben
umlauerte.
Und das Verhängnis ereilte fie
denn aud.
Jahlings und fürchterlich wurden
Alle aus ihrem Schlummer emporge—
fchredt, dur ein unheilverlündendes
Trommtelgewirbel und eine Stentor=
ftimme, die, das Attaque-Signal über»
tönend, rief:
„Ergebt Euch, oder Ihr feid des
Todes !*
In wilder Verzweiflung ſprangen
die Banditen empor und griffen zu
den Waffen — allein vergebens. Ba—
jonnete und Gewehrläufe bligten rings=
umher. Geza hatte feine Leute fo gut
zu poftieren gewußt, daß an ein Ent—
rinnen nicht zu denfen war.
Nah kurzem Kampfe, bei welchem
dem Befehle des Lieutenants gemäß
ein allzu großes Blutvergießen ver—
mieden ward, ftredten fie insgeſammt
die Waffen und flehten um Pardon,
bi3 auf den Hauptmann und feine
beiden Gefährten, die fich tollfühn zur
Wehr ſetzten.
Der Eine bievon hatte den Spion,
der die Soldaten geleitet, mit den
Worten niedergeſchoſſen: „Fahr' zur
Hölle, elender Verräther!“ Der Andere
ftellte fi vor feinen Harambaſcha, den
ſchmächtigen Greis mit feiner herku—
lifchen Geftalt vollends dedend, und
drohte Jeden zu durchbohren, der ſich
zu nahen wagte.
Der Lieutenant zögerte feinen Au—
genblid, feinen Säbel mit dem hoch—
erhobenen Handſchar des Wütherichs
zu freuzen, der gar bald einſah, daß
er e5 mit einem durchaus micht zu
veradhtenden Gegner zu thun Hatte;
denn was dem jungen Officier dieſem
Riefen gegenüber allenfalls an Stärke
mangelte, erſetzte unſer Held durch eine
außerordentliche Gewandtheit, und ſchon
nach dem erften Gange glüdte es ihm,
den Räuber durch einen regelrechten
Prim-Hieb derartig am Kopfe zu ver—
wunden, daß er befinnungslos zurüde
taumelte.
Da fiel ein Piſtolenſchuß — der
alte Banditenführer hatte nad dem
Lieutenant gefchoffen. Die Kugel traf
den Nagel des Ringfingers feiner rechten
Hand und fehleuderte ihm den Säbel
aus der fehnigen Yauft; doch, ſchnell
gefaßt, firedte Geza feine Linke aus,
die eben noch zurechtkam, den Griff
eines Dolches zu erfaflen, den Branko
Brankovié auf ſich ſelbſt gerichtet Hatte.
Der Lieutenant riß die Waffe zurüd
und fieng den anjcheinend ſchwerver—
wundeten Greis in feinen Armen auf.
Raſch büdte er fih, um deffen Wunde
zu unterfuchen, und ebenfo raſch prallte
er wieder zurüd ... gleichfam ver—
fteinert vor Staunen.
Der fonft fo energifche junge Mann
ftand rathlos da: erfchroden, über»
mwältigt, betäubt — wahrfcheinli von
dem beraufchenden Rojenduft, der den
Gewändern des Räubers entitrönte.
Schließlich ermannte fih Geza und
leiftete dein Ohnmächtigen die nöthige
Hilfe, ja jogar mit ganz bejonderem
Eifer. Er flöhte ihm Cognac ein, rieb
ihm Stirn und Schläfe damit und
verfuchte es liebevoll, mit dem Hauche
feines Mundes die eisfalten Hände
des Bewußtloſen zu erwärmen, bis er
endlich die Augen auffchlug.
Ein leifes Stöhnen ... Haftige,
erihrodene Laute, wie fie nur die
ZTodesangft einem qualerfüllten Herzen
zu erpreffen vermag, dringen an Géza's
Ohr.
Beihwichtigend ergreift er das
Dort. Ein kurzes, im Flüftertone ges
führtes, doch höchſt leidenschaftliches
Geſpräch erfolgt, dann richtet fich der
Lieutenant wieder firamm empor und
gab feinen Soldaten die nölhigen Be-
fehle mit gewohnter militärischer Schnei-
digkeit.
„Schafft Waſſer herbei! Labt die
Verwundeten und theilt den übrig ge=
bliebenen Proviant unter den Gefan—
genen aus! Raſch! Wie mir der Haupt»
mann bier fagt, haben feine Leute feit
vier Tagen blos von Waller und Wur—
zeln gelebt.“
u — —
755
Die braden Ungarn liegen fich dies nach und konnten ſich nicht enthalten,
nicht zweimal jagen und gaben Alles | halblaut zu bemerken:
ber, was ihr Tornifter noch an Lebens— „Ischten ütsche! Laitnant ihs
mitteln barg. ober gor zu gut!“
„Zwölf Mann brechen fogleich mit „Igen! olter oosgedorrter Spigbub
den Gefangenen auf!“ fuhr Géza ihs zwor mit gor ſchwer, ihs laicht
fort. „Sie, Ferenz,“ wandte er ſich wie ind, ihs ober doch Spitzbub.“
nun an den Feldwebel, „übernehmen
das Kommando. Laſſen Sie die Räuber II
Scharf überwachen und jeden nieder- ü
Ichießen, der einen Fluchtverſuch wagen Der Feldwebel hatte die Befehle
follte! — Tradten Sie ferner, den genau und umfichtig ausgeführt.
Konak jo ſchnell als möglich zu er— Nachdem er die forgfältig gefeffelten
reihen. Bis zu meiner Ankunft muß | Gefangenen in einer Halle des Hin-
mein eigenes Zimmer zur Aufnahme |tergebäudes untergebracht, ließ er ihnen
de3 Harambaſcha hergerichtet fein.“ Inochmals Speife und Trank reichen,
„Zu Befehl, Herr Lieutenant!“ |ftellte die nöthigen Wachen bei und
Der Feldwebel führte die erhaltene hieß bie Übrige Mannfhaft zu Bette
Ordre aus und marfehierte fodanın mit | geben, da ſich ja die meiften vor Schlaf
feiner Mannſchaft im Schnellfhritt ab, | und Müdigkeit kaum auf den Beinen
während der Officier fi feinem Ge halten fonnten.
fangenen zuwandte und diefem Greife|,, Nunmehr wandte ſich Ferenz an
gegenüber mehr denn je ſeine befannte die alte Malicla — das einzige
Güte und Menſchlichkeit entwickelte. weibliche Weſen, das den Konal bes
wohnte — um mit ihrer Hilfe des
Der Böjewicht gab ſich aber auch go; .
ſehr fanft, ja fihien ganz ruhig und Lieutenants Zimmer herzurichten.
efaßt. Den Blutverluft an feiner a Re a
Wunde hatte Géza durch einen noth— J——
dürftigen Verband geftillt, Hob dann SULLGERHUNDE. DNB: DEN BEMEN, Be
eigenhändig den alten Räuber auf die tijliger, aus dem Stroh Frieden zu
. : : müſſen, do war fie ſchon jo weit
improvifierte Tragbahre, die abwech⸗ 4 militärifche Disciplin gewöhnt, daß
jelnd je vier Mann trugen, und nun auch ihr Befehl als Befehl
galt. Ferner
folgten Alle dem vorangegangenen that fie ſich micht wenig darauf zu
Trupp.
— gute, das Factotum des Hauſes zu
b Zurüd geht es belanntlich ammer | fein, ihm fo zu ſagen als „Stopanica“
eſſer; nicht blos die Pferde drängt | yorzuftehen, welde die Ordnung aufe
es, in ihren Stall zu gelangen, ſelbſt yecht zu halten hatte
die Menſchen eilen beflügelten Schrittes So fchnell es ihre fteifen Beine
Hasen überdies führte der Weg erlaublen, eilte fie deinnach in Géza's
ergab, auch hatten ja die Träger wenig | Zimmer und Leiftete in kürzefter Zeit
Miühe mit ihrer leichten Laft, und fo Unglaubliches.
erreichten Alle bereits im Morgen- Als der Lieutenant im Verlauf
grauen, als eben ein Glödhen im | einer Stunde das nett geordnete Ge—
nahen Kloſter die Frühmeſſe kündete, | nach betrat, fand er es vollfommen
den heißerſehnten Konak. in Stand geſetzt, gut durchwärmt und
Wieder war es der Lieutenant, traulich beleuchtet.
welcher eigenhändig den Räuberhaupt- „Das haft Du brav gethan, Ma—
mann bon ber Bahre herabhob und lieka,“ gab Geza feiner Zufriedenheit
auf feinen Armen bis in's Haus trug. |Ausdrud, während er den Harambafcha
Staunend fahen ihm die Soldaten |mit großer Vorficht auf das am Feſtes—
48*
———————— — — — —
756
morgen fchneeweiß überzogene und noch | harmlos fheinenden Gefangenen. Sie
unberührte Bett niedergleiten ließ.
Dann ſprach er feinen Gefangenen
in ehrfurdhtspollftem Zone an, wenn
auh mit dem im Lande gebräud-
lien Du.
„Hier haft Du ein gutes Lager,
wie Du es im ganzen Kaimakamlik
nicht beſſer finden fannft. ch ver—
dankte es der Fürſorge meiner Mutter
und überlaſſe es Dir gerne. Die alte
Malidta, die ih Dir zur Bedienung
beigebe, ift ein braves Weib Deiner
Nation; fie wird Dir in Allem bes
bülflih fein... Schon ift ein Bote
nah dem nahen Kloſter geeilt, um
den Popen Gregor Poliſſovié zu holen,
der Deine Wunde gleich dem beiten
Arzte heilen wird. Er ift ein alter,
ehrwürdiger Mann,“ fügte der Lieute-
nant raſch hinzu, als er in des Räu—
bers Antlik einen Zug bemerkte, der
Beſorgniß auszudrüden fehien.
„sh kenne ihn,“ hauchte des
Banditen matte Stimme,
„Umfo beffer! — Ich verlaffe
Dich jebt, doch komme ich in einer
Heinen Stunde wieder, um Dich, ehe
ich fortreite, zu begrüßen.”
„Wohin?“ fautete die bange Frage.
„In die Stadt, zum Rapport.
Ich muß dem Regimentscommando
Alles melden,“ bedeutete Geza.
„Alles ...?“
„Alles,“ war die feſte Erwi—
derung, die einen unerſchütterlichen
Entſchluß bekundete.
Ein ſo ſchwerer, herzergreifender
Seufzer folgte dieſem einen Worte,
daß der Lieutenant an der Thürſchwelle
nochmals ſtehen blieb und ſprach:
„Beruhige Dich! Es ſoll ſo ſchlimm
nicht werden, wenn Du mir nachher
die volle Wahrheit bekennſt.“
Dann gieng er. Ohne an ein
Ausruhen für ſich ſelbſt zu denken,
ſah der junge Officier überall nach
dem Rechten, gab die nöthigen Befehle
für die Dauer feiner Abmwejenheit und
prüfte die ergriffenen Maßregeln zur
Bewachung der übrigens durchwegs
fhhliefen faft Alle, und die Wenigen,
welche erwacht waren, fpraden fich
dankbar über ihre Behandlung aus
und baten flehentlihft um Pardon.
Geza poftirte ferner zwei Mann
vor die Thür feines Zimmers, ihnen
die größte Wachſamkeit einfchärfend.
Dem Feldwebel übergab er den Schlüffel
zu dem proviforifchen Gefängniß des
Harambaſcha mit der firengen Weifung,
außer dem Popen und der Malilta
Niemanden aus und ein zu laflen.
„But gemerkt, Ferenz,“ wieder—
holte der Lieutenant, „Niemand darf
diefe Schwelle überfchreiten, auch Sie
nicht! Und dag Sie mir den Popen
und die Maliéka ja ſcharf in's Auge
faffen! Den Leuten ift nicht zu trauen;
fie halten doch Alle zufanımen. Sobald
Sie etwas Verdächtiges an den Beiden
beinerlen, find fie zu arretiren. Sie
haften mir mit Ihrer Perſon dafür,
daß Branko Brankovic während meines
Fernſeins nicht flüchtig wird. Ver—
ftanden? —“
„Zu Befehl, Herr Lieutenant!”
Unterdeffen ſott das Waſſer im
Theekeſſel und nachdem Géza die ihm
gewohnte Labung mit einer Geſchick—
lichkeit zubereitet hatte, um die ihn
fo manche Hausfrau beneiden konnte,
ordnete er auf einem Theebrett da3
appetitlichfte Frühftüd, das man fi
nur denfen konnte,
In einer feinen, mit altdeutjcher
Stiderei umränderten Serbiette waren
die weichgefottenen Eier eingemwidelt
und neben der glänzenden Hanne aus
Neufilber prangte ein Teller mit Bad
werk von fernem Heimat3land, ja jogar
Perlkaviar und Orangenmarmelade in
Schönen Glasbehältern vervollftändigten
den lederen Imbiß.
Der Lieutenant Tieß ſich durch
Malieka beim Harambaſcha melden.
Die Alte Hatte auf ihrem gut—
müthigen Geficht einen halb verlegenen,
halb ſchelmiſchen Ausdrud, als fie die
Thür öffnete und dem Officier mit
dem Theebrett voranfchritt, um fich
*
dann, nachdem er ihr dasfelbe abge»
nommen, auf fein Geheiß zu entfernen.
Géza trat zögernd, ja troß feiner
Tapferkeit, feiner martialifchen Geftalt
und feines mächtigen ſchwarzen Schnur=
bart3 faſt ſchüchter an das Bett
heran. Mit etwas zitternden Händen
placirte er das Frühſtück auf ein be—
reitftehendes Tiſchchen.
Bei dem Lärm des aneinander
Happernden Theegefhirres Iugte ein
Kopf aus den Betttüchern hervor —
und fiehe da! es war nicht des alten
Räubers bärtiges Antlig, fondern ein
gar reizendes, in erfter Jugendfrifche
und jeltener Schönheit erftrahlendes
Mädchengeſicht, das da in fehämiger
Verwirrung, purpurübergoffen, zum
Vorſchein kan.
„Herr, wie gütig!“ Tispelte die
lieblihfte Stimme. „Gott wird Dir’s
lohnen!" —
„Thue mir Befcheid,“ bat Geza,
feiner Gefangenen nach Landesfitte vor
Allem Salz und Brod darbietend.
Sie genügte dem finnigen Brauch
und bot ihm dabei jo unbefangen und
jelbftverftändlich die Wange zum Kuſſe
hin, dab ſich der junge Mann fchon
um diefer rührenden Arglofigfeit willen
gezwungen Jah, dem SHöflichkeitsacte
nachzukommen — freilich nicht ohne
ein klein wenig Thee auszuſchütten,
den er ihr eben in eine Taſſe goß,
und als ſie ihn ob ſeiner ſichtlichen
Verlegenheit aus großen erſtaunten
Kinderaugen fragend anſah, über: |
ſchwemmte er zum Weberfluß auch noch |
den theuren Caviar; doch fchnell ges |
faßt, ſprach der fonft fo ſicher auf-
tretende Dfficier:
„Nimm von diefem Getränf, es
wird Dich laben und ſtärken!“ —
„Wenn Du mir nun Beſcheid
thuſt, will ich's gerne annehmen.”
Da bei einer unfchuldigen Taſſe
Thee kein ceremonieller Kuß zu be—
757
Sie aßen und tranken wie zwei
alte Belannte; anfangs jchmweigend,
aber nad) und nach gelang e3 Beiden,
die Scheu zu überwinden, die ihnen
die fatalen VBerhältniffe einflößten, und
al3 einmal das Eis gebrodhen war,
erfuhr Geza in harmlofeftem Erzähler-
ton die ganze, fonderbare Gefchichte,
die er durch nachftehende Frage ein—
geleitet.
„Nicht wahr, am 17. December
wurde der alte Brankovié bei einem
Rencontre zwiſchen Räubern und Mi—
litärs ſchwer verwundet ?“
„Jawohl. Armer Vater!“ feufzte
das jchöne Mädchen, und eine Thräne
umbdunfelte den reinen Glanz der wun—
derbarften fchwarzen Sammetaugen.
E3 wäre zu beftimmen ſchwer ges
wefen, ob das mandelförmige Auge
jelbft, ob feine Farbe, oder ob die
langen feidenen Franſen, die e8 ums
rahmten, das Entzüdendfte daran waren.
„Ich traf wenige Stunden nad
den befannten Scharmüßel, nur von
zwei treuen Dienern begleitet, bei der
Bande ein, um meinen unglüdlichen
Bater zu pflegen,“ fuhr fie weitaus—
holend fort, während der Lieutenant
| ihren Worten mit nicht geringer Span=
nung folgte.
„Ich befhwor ihn, Heimzufehren ;
allein er behauptete, kein Heim mehr
zu befigen. Zwar hatte man unfer
Haus verbrannt, doc) dies geſchah vor
‚vielen, vielen Jahren, als mein armer
Bater von unferem Padiſchah in Acht
erklärt ward, und längft ſchon Hatte
mein guter Onfel ein neues, jchöneres
aufgebaut; der altersihwahe Mann
wollte aber nicht daran glauben und
beharrte bei feinem Ausſpruch. Manch’
ſchwere Kopfwunde Hatte fein Denk—
vermögen erfchüttert, und er vermochte
es nicht mehr, die Vergangenheit von
der Gegenwart zu jondern. — Leider
erwies ſich auch fein Zuftand weit
bedenflicher, al3 ich anfänglich gemeint,
fürchten war, holte ſich Geza feine fo daß an eine Reife nicht zu denken
Scale herbei und ſetzte fich zu dem fo, war. Wir zogen und, nur bon den
merfwürdig entpuppten Darambafehe. | zwei Dienern gefolgt, in eine Felſen—
geotte zurüd, wo mich mein armer,
ah! leider fterbender Vater ſchwören
ließ, in feiner Stleidung und mit einem
weißen Bart vermummt — es war
hiefür vorgeforgt — die Räuber ſo—
lange über feinen Tod in Unwiſſen—
heit zu halten, bis fie die Landesgrenze
überfchritten hatten. Er fürchtete fonft,
dab ih die Leute den Defterreichern
ausliefern fönnten, und ein ſolches
Ende feiner ftolzen Bande wäre ihm
ſchrecklich geweſen. — Um feine leten
Augendblide nicht zu verbittern, ver—
ſprach ich, feinem Wunfche zu will«
fahren, ohne die Tragweite desjelben
zu ermeſſen. Ferner befahl er mir und
den treuen Dienern, feinen Leichnam
in der Höhle zu verbergen und erft,
wenn meine Miſſion geglüdt, in ge=
weihter Erde zu begraben. Als wir
es verſprochen und ih ihm nochmals
feierlichft gelobt, jeinen Auftrag aus—
zuführen, fegnete er mich und — ver—
ſchied.“
Das Mädchen ſchwieg, tief er—
griffen. Auch den Lieutenant hatten
die ſchlichten Worte des Schönen Kindes
nicht unberührt gelaffen.
„Es geſchah, wie mein armer Vater
befohlen,* fuhr die liebliche Gefangene
fort. „Die Täuſchung gelang volle
fommen. Die Banditen folgten mir
blindlings. Ich ftellte mich an ihre
Spike und wir bejchlofjen insgeſammt
— meine treuen Diener miteingerechnet,
deren Verweilen an meiner Seite der
ſchweren Wunde halber nicht auffallen
fonnte — die Grenze fo jehnell als
möglich zu erreichen. Leider wurden wir
hart verfolgt! Wir fanden das ganze
Land fireng bewacht. Tagelang irrten
wir in den unwegſamſten Felsfchluchten
umber. Die Kräfte der faft durchwegs
verwundeten Leute jehwanden. Wir
mußten uns Ruhe gönnen, umfomehr,
al3 wir feit drei Tagen nichts als
trodenes Brod zu effen hatten. Wir
verftedten uns demnach in dem Dir
befannten Bergkeſſel, wo wir uns
fiher glaubten, und ich fandte nad
allen Seiten um Lebensmittel aus.
758
Während wir unter unfäglihen Qualen
darauf Harrten, verfielen wir in eine
todtenähnliche, lethargiſche Erftarrung.
Du wurdeſt eigentlih unfer Retter.
Und id — ih ſchoß nah Dir. O,
vergib! Doch Du Haft es ja bereits
getan. Wie edel haft Du an mir
gehandelt, daß Du meine thörichte
Hand bewahrt, mir felbft den Tod zu
geben, was ich im erſten Verzweif—
lungsanfalle thun wollte —“
„Aus Zucht vor mir ?* fiel Geza
ein, und fein Blid, fein Lächeln ließen
fie beſchämt die Lider jenken.
„Und welches Loos fteht mir nun
bevor ?* ftammelte fie verlegen.
„Ich Hoffe Deine Freilprehung zu
erlangen. Ich will Alles, was men=
Ihenmöglich ift, dazu beitragen!“
„Wirktih, Du mwolltet? — DO,
dann laſſe mich entfliehen! Laſſe mich
der Schande entrinnen —*
„Nein!“ Hang es rauh zurüd,
„das nicht! Meine Pflicht ift mir
heilig — heilig, Mädchen, hörft Du?
Rüttle nicht daran, es wäre ver—
geben !*
Sie brad in Thränen aus.
„Weine nicht, Mädchen! Deine
Thränen können Dir nichts frommen.
Mer e3 vermag, den blutigen Zähren
einer Mutter zu widerftehen und ji
ihren Armen zu entreißen, um fein
Leben im Schlachtfelde Hinzuopfern,
den rühren feine® anderen Weibes
Thränen. — Doc beruhige Dich nur!
Es foll ja Alles gefchehen, um Dir
zu helfen. — Da kömmt gewiß der
Pope, ih höre ein Pferd.“
Und Schon trat der alte, ehrwür—
dige Priefter ein.
Dem Lieutenant entgieng der ſelt—
ſame Blid des Einverftändniffes, den
die Beiden raſch gewechfelt, während
er den Popen auf's Zuvorkommendſte
einpfieng.
Beſcheiden zog fih Geza hernach
zurück, um die ſchöne Verwundete den
kundigen Händen des bei ähnlicher
Gelegenheit ſchon oft erprobten Mannes
zu überlaſſen.
ü— EEE
759
Der Ausspruch des Popen war
ein günftiger: die Wunde ei eine blos
oberflächliche Hautabfhürfung, die ein
einfaches Pflafter Heilen könnte.
Der Briefter entfernte ich, um aus
feinem ambulanten Medicamentlaften
das Nöthige Herbeizufchaffen, und diefen
Augenblid benugte Geza, um don
feiner ſchönen, intereffanten Gefan—
genen Abjchied zu nehmen.
Und wahrlich ſchön, ja bezaubernd
war das Mädchen mit dem dunklen
Sammetauge und dem nußbraunen
Haar, auf welchem ein ganz eigen-
thümlicher Goldfhimmer lag, dem be=
rühmten doree der antiken Bronzen
gleich.
„Sage mir, holdes Mefen, bei
welhem Namen ih Dich in meiner
Erinnerung nennen darf?” ſprach der
Lieutenant. „Ih muß nun fort, und
fehr’ ih auch in wenigen Stunden
wieder, jo kann ich ja nicht willen,
ob ih Dich nochmal allein fprechen
darf.“
„Ich Heike Zora,“ Tispelte fie,
während ein leichtes Incarnat ihre
Wangen übergoß, lieblih wie die
Morgenröthe, nah der fie benannt
wurde. — „Und hier, ich bitte Dich,“
fügte fie flehend Hinzu, „mimm dies
Heine Andenfen von mir an!“ Dabei
tiß fie eine filberne, ſonderlich ge—
formte Halskette entzwei und reichte
ihm ein Stüd davon. „Ich behalte
die Hälfte... zur Erinnerung an
Did und die große Güte, die Du
mir bewiefen.”
Nicht blos die Kette, auch diefer
Ring möge Did an diefe ſchöne
Stunde gemahnen!” rief Géza feurig
aus, während er einen Diamantring
— das Vermächtnis einer theuren
Schweſter — von feiner Uhrfette löste,
der reizenden Zora an den Finger
ftedte und erklärte: „Nimm ihm zum
Pfand meiner redlichen Abficht, Dir
nad) Kräften beizuftehen in den ſchwe—
ren Kämpfen, die Du im kindlichen
Gehorfam unbedacht heraufbefchworen !
— Leb' wohl! Gedente mein! —
— Mid ruft die Pflicht.”
Ein leter Blid, ein Händedruck ...
dann ſchieden fie — vielleicht auf
immer.
(Fortſetzung folgt.)
760
Dichtungen
von Edward Bamhaber.*)
— Zus Alofter. Doch horch — durch ſtille, die träumende
A
Mas Poſthorn thät ſchon blafen, £ acht
— — ae Was hor' id von ferne erſchallen?
Muß in den ſtloſtermauern Iſts Wodan, der in des Mondes Pracht
Mein Leben jung vertrauern, Durchbraust die grünenden Hallen?
D'rob iſt mir gar ſo weh.
Es blüht auf grünem Rajen
Und glüht, wohin ich ſeh';
Auf allen Zweigen fpringt es,
O feltfamer König, fo furdtbar allein
An mitternägtlihem Wehen!
gu hoch und zu hehr, um verftanden ‚zu
Aus allen Lüften Klingt es: Jen,
Lieb Mütterhen, ade! Zu einfam, die Welt zu verftehen.
Ob Dir den funlelnden Sternenraum,
Alpenrofe. Um Dich jhwarzmäntlige Tannen,
Ich ftehe luhn und unverzagt Lichthehr die Gedanken, die Seele ein Traum,
In Sturm und Ungemittern; Was eilft Du fo rublos von dannen?
Dod jo man mich zu breden wagt,
Da muß ih bang erzittern,
Die Menſchen thun mir gar fo weh,
Drum bleib’ id in der Wollen Nah’ 2.
Und Tann nur dort gedeihen. D geh’ nicht zu weit an des Sees Rand!
12. Juni 1886.
O böfer Knabe laß mich ftehn! Wie oft, dak aus grünlichen Tiefen
Mas wilft Du mich verderben? Yungfrauen famen in feuchten Gewand
Jetzt als lieb Röslein anzujehn, Und Jünglinge lodten und riefen.
Muß id gebrochen ſterben.
O Mägdlein, Mägdlein, bite Dich, Das Auge ſo düſter, die Stirne ſo bleich,
Gr wird Dich brechen jo wie mid, Die Saiten der Seele zerrifien —
Und Deine Wang’ verglühet. O bete, mein Land, o bete, mein Neid!
Ihr möchtet ihn ſchmerzlich vermiſſen.
An £udwig Il. von Bayern.
1. Zu jpät! O zu ſpät! — Der König tobt!
63 zittert der bläuliche Mondlichtal Der ärmſte Mann in dem Bolle.
a Alle — ng Ob den Bergen verglimmet das Wbendroth,
Sylphiden umſchweben in heiterem Tanz | Und den Himmel dedt Wolfe an Wolke.
Moorwiejen, die feuchten, und flüftern. 14. Juni 1886.
*) Fur das Bud, dem wir diefe Poefien entnehmen (Dichtungen von Edward Samhaber, Laibach,
von Slleinmayr & Bamberg), ift officiellerfeits eine große Reclame gemadt worden. Der Landesihulratb von
Krain hat eb für die Schüler» und Lehrer-Bibliothelen Arains verboten, wegen feine „politifchen, irreligiöfen
und unfittlichen Geiftes“, wie es heißt. Wir willen nicht, auf was fib obige Begeihnungen ke Fe follen,
im Bude fanden wir nichts, was fo ſchwere Vorwürfe rechtiertigen Lünnte. Ein treueß beutiches Herz.
erglübend für Heimat und Familie, für das deutiche Bolt und deſſen hehte Ideen und edle Männer, das ih
uns überall im Buche begegnet. Der Dichter, ein geborenet Oberdfterreiher, liebt den alten, ehrwürdigen
Kaiferftaat, nennt das fhöne Sand Arain feine zweite Heimat, was ihn freilid nicht hindert, außzurufen :
„Ah will noch fterbend für Di beten, gelicbtes, deutiches Baterland ! — Wir finden darin feine Gefahren
für die beutfhe Jugend in rain. Man möge nur die Gedichte der Abtheilungen: „Iugendftiimmen,“ „Aus
Wald und Feld‘, „Meine Mutter*, Iefen, um dad kindlich innige Dichtergemüth Lieb zu gewinnen. Die
Abtheilung: „Antife Formen“, verratben uns clafftihe Bildung und Humanität, während der Sang:
„Walfrieda* jih mit den alten Germanen befaßt. Die Gedichte: „Nadı fremden Motiven“, ſowie die
„Epigramme und Sprücde* und bie „Sonette*, endlich die vollathümlichen Märdpenerzählungen und Poeſten
in oberöjterreihiiher Mundart enthalten viel des Schönen. Dak auch etwelche Spreu zwiſchen den Blättern
fliegt, ift nicht zu leugnen. Im Ganzen haben wir an Eambaber einen echten Dichter * ze
ie Red,
761
Den Antifemiten,
Schwöret die Zeit nicht herauf, die dunkle, die wir begraben!
Wollt Ihr kämpfen, jo kämpft, aber mit Würde und Ernft.
„Sie beherrſchen den Markt, und fie die Prefle des Tages,
Selbft die Halle der Kunſt that den Profanen fih auf!“
Alfo ruft Ihr mit Net, denn Wahrheit liegt in den Worten;
Aber das Mittel ift falfch, wie ſolche Wunde Yhr Heilt.
Lernt von ihnen den Fleiß, den nimmer müden, und tradtet
Nah dem jprühenden Geift und der gejhmeidigen Form.
Lernt von ihnen die Blut der theuren Liebe zum Volle
Und den forgliden Sinn, der den Penaten ſich weiht;
Und verbindet damit die deutſche männliche Tugend:
Und der herrlichfte Sieg frönet den friedlihen Kampf.
’s SKügerl.
A Stubn aus jehs Bredern Das iS nu, mein Liaber,
Deppa Schartn dazue, Dein vanzige Hab.
Du liegft wia af federn, Do drudt Di ah 's Hügerl
Haft ewigd Rue. Recht föſt und recht hart,
Bilderln und Bleameln, Mia lang wird's Di druda,
Nan, wann's Die nöt iren, Wia lang denn? Nan roat!
Y gab Dir’s halt mit, Moaft nöt, dak a Zeit fimmt:
Daß's Di ah a weng ziern. Berllart ftehft Du af
A Kreuzl bei Dir Und friagft für dös Druda
Und a Kreuz af'n Grab, Nu d' Seligfeit draf.
Die Parafiten zu Athen und Rom.
Eine ſtels zeitgemäße Erinnerung von Bohann Fozek.
Zu den harakteriftiichen Eigen= | Genuß, als auf Gemithserheiterung,
SI haften der alten Hellenen über= | welche je nad der Bildungsftufe der
haupt, der Athener insbejondere, ge= Mahlesgenoſſen bald mit mehr, bald
hört die Neigung zur heiteren Geſellig- mit weniger Feinheit erzielt wurde,
keit. Naturgemäß belundete ſich dieſelbe war es abgeſehen. So wenig dem
unter andern durch die Vorliebe für | Spmpofion®lumentränge fehlen durften
gemeinfame Mahle, welche theils bei | ebenfo wenig pflegte man — ſchon
feftlihen Antäffen (3. B. Hochzeiten, im homeriſchen Zeitalter — des Ge-
Geburtstagen u. j. w.), von der bes ſangs zu entrathen, welchem ſich ges
treffenden Hauptperſon veranftaltet, | wöhnlich noch Flötenfpiel und Tanz
theils von den Mitgliedern eines beigefellten. Schön bezeichnet Anakreon
Freundelreiſes der Reihe nach gegeben, die helleniſche Sitte im Gegenſatze zu
theil3 von einer Gefellfchaft durch Bei— ı Darbarenart mit folgenden Verſen:
träge (symbolae) der Einzelnen beftritten „Wohlan, nicht alfo laßt uns
wurden. Wie aber die Sophrofyne, Mit Lärm und Kampfgetöfe
die überall maßhaltende Befonnenpeit, Gin ſtythiſch Zehen üben
recht eigentlih den Grundzug des Deim Beine, jondern mäßig
ganzen heflenifchen Wefens bildet, fo Mit ſchoönem Gange trinten!
ließ fie auch die Zechgelage im All— Außer den vorgenannten Erheite—
gemeinen micht zn roher Schwelgerei |rungsmitteln gab es aber ſowohl zu
ausarten. Nicht ſowohl auf materiellen | Athen und in allen an Sitte ver—
762
wandten beflenifchen Städten, als auch Komödie, welche nicht mehr (wie die
zu Rom (während der lebten Zeit ‚als deren Repräfentant Ariftophanes
der Republif und unter der KRaifer- vor uns Steht), die Uebelſtände des
herrſchaft), und nicht minder in den Siaalsweſen⸗ freimüthig zu rügen
römiſchen Provinzialſtädten, welche vermochte, ſondern ſich begnügen mußte,
nach dem Muſter der Hauptftadt zu die Thorheiten und Verlehrtheiten des
leben ſich befleißigten, noch eine Art | ‚alltäglihen Lebens im ihrer Lacher—
von Unterhaltung.
nämlih beim Mahle auch Leute ein,
die fich ihr befonderes Geſchäft daraus
machten, die fröhliche Stimmung der
Tafelgenofien auf mancherlei Weile
zu erhöhen. Dies waren die Parajiten.
Das Wort Barafitos bezeichnet
überhaupt einen Theilnehmer am Eifen.
Gewiffe Bertreter der Gemeinde,
welche, den Prieftern beigeorbnet, an
der Opferhandlung und dann am
Opferfhmaufe ſich bethätigten, hieken
Barafiten. Auch nannte man jo die=
jenigen Perſonen, welche auf Koften
des Staates im Prytaneion gejpeist
wurden.
Bon diefen beiden Arten foll nicht
die Rede fein. Gegenftand unjerer
Beſprechung find jene Männer, welche
dadurch, daß fie mit Poflenreißerei
oder fonft irgendwie fich gefällig zu
machen verftanden, an fremden Zijchen
ihren Unterhalt fuchten. Die Parafiten
find alfo Schmaroger von Profeſſion.
Man kann fie füglih in zwei
Glaffen eintheilen. In die erfte find
nämlich jene einzureihen, welche ſich
an eine beflimmte Perfon anſchließen.
Beide Glaffen Haben natürlich die
Haupteigenfchaften gemein, unterſchei—
den fich aber im Bejonderen mehrfach,
jedoh nur jo, daß nad den Zeitum—
ftänden dasjelbe Judividuum bald der
einen, bald der andern beizuzählen ift.
Die einzelnen Züge zu dem Bilde
der Barafiten finden fi) vorzugsweiſe
in den Komödien des Alterthums. Daß
Leute, melde ja in der Wirklichkeit
darauf angewieſen waren beluftigende
Rollen zu fpielen, bald als Perſonen
des Luftfpiels verwendet wurden, er—
fheint ſehr natürlich. Epicharmos
brachte ſie zuerſt auf die Bühne. Die
ſogenannte mittlere und neue attiſche
Es fanden ſich lchleit darzuſtellen, hatte die Paraſiten
zu ſtehenden Figuren. Zwar liegt kein
einziges Drama dieſer Periode voll—
ſtändig vor, und die aus ihnen über—
lieferten Bruchſtücke beſtehen nur aus
vereinzelten Verſen, die überdies der
Mehrzahl nach ganz allgemeine Sen—
tenzen enthalten; allein die auf ung
gelommenen lateinischen Nahdichtungen
geben ziemlich getreue Abbildungen
der verloren gegangenen Originale.
Freilich verſchmolzen Plautus und
Terentius mehrere griehifche Komö—
dien zu einer und mifchten im
Einzelnen genug ſpecifiſch xömifche
Zuthaten hinein; aber die Charaktere
der aufgeführten Berfonen erlitten
hierdurch nirgends weſentliche Modi»
fication, weil die neue (und mittlere)
Komödie nicht die Zeichnung beftinnmter
Individuen, fondern ganzer Gattungen
anftrebte. Garrifaturen, wie fie die
alte Komödie vorführte (3. B. Sokrates
in den „Wolfen“, Euripides in den
„Thesmophoriazuſen“ und in den
„Fröſchen“ u. ä.) ftellte die neue nicht
dar; deshalb dürfen wir annehmen,
dab der PBarafit im wirklichen Leben
nicht jonderli von dem auf der Bühne
vorgeführten verfchieden war, obgleich
leßterer, weil er den Charakter der
ganzen Gattung zur Anſchauung bringen
follte, ein etwas jchärferes Gepräge
haben mußte. Manches zur Vervoll—
ftändigung einzelner Züge bieten die
Briefe Altiphrons. Der Verfaſſer ent—
lehnte offenbar viel aus den Werken
der neuen Komödie, namentlih aus
Menandros, Fernerliefert uns Lukianos,
der mißigfte griechiſche Schriftiteller
nächſt Ariftophanes — den er jedoch
an feiner Grazie eben fo weit über-
trifft, al3 er an Kraft der Komik hinter
ihm zurüdbleibt — in einem Dialoge,
worin er, die philofophiichen Discuſ—
fionen feines Zeitalter8 parodierend,
die Schmaroßerei als eine Kunſt in
des Wortes höchſtem Sinne darftellt,
eine förmliche, wenngleich ironisch ge—
baltene Theorie der Paraſitik.
Auf Grundlage diefer Quellen fei
verfucht, die allgemeinen Eigenſchaften
der beiden, oben unterfchiedenen Elaflen
in ein Gefammtbild zu faſſen.
Weil der Barafit, aus Unkunde
oder aus Zrägheit unvermögend ſich
in einem ordentlihen Berufe feinen
Lebensunterhalt ehrenhaft zu erwerben,
zu feiner Aufgabe macht mit möglichft
geringen Beſchwerden an reihen Tischen
möglichſt gute Atzung zu erlangen: jo
ericheint als feine erfte Pflicht, um
jeden Preis fih angenehm zu machen.
Gefallen fol man an ihm finden, an
feiner Unterhaltung ſich amüfieren ;
auf adtungsvolle Behandlung erhebt
er im vorhinein feinen Anſpruch. Bei
der Tafel gibt er Wie und pifante
Anekooten zum Belten, thut fich wohl
auch als Sänger hervor. Der Parafit
Pfihofnauftes (zu deutsch etwa „Broden-
Hauber“) 3. B. rühmt fich (bei Alki—
phron) gegen feinen Freund Bulion,
daß er mit einigen Collegen an der
Zofel des freigebigen Charifles in
„Abfingung wohlklingender Anapäften,
die von lieblihen Scherzen und echt
attiſchen Feinheiten ftroßten,” gewett—
eifert habe. Zugleich iſt der Paraſit
ausgebildeter Gourmand; bezüglich der
Vorzüge und Mängel ſo mannich—
faltiger Gerichte und Ragouts ent—
wickelt er gründliche Sachkenntnis und
wird über die Geheimniſſe der höheren
Gaſtronomie zu Rathe gezogen. Leider
muß er ſich auch gefallen laſſen, paſſiv
zur Beluſtigung der Geſellſchaft zu
dienen. Artepithymos (z. d. „brot—
gierig“) ſchreibt (bei Alkiphron) an
ſeinen Freund Kniſozomos (z. d.
„Brühenduftſchnüffler“): „Nächſtens
wirſt Du mich erhenkt ſchauen. Ich
fan weder die Ohrfeigen und die
anderweitigen Mifhandlungen länger
aushalten, noch meinen unerfättlichen
763
Magen bändigen. Mein Geficht ver—
trägt nicht diefe Badenftreiche; ich
ſchwebe in Gefahr, das eine Auge zu
verlieren in Folge der Schläge. Wehe,
wehe, was zu erdulden zwingt uns
diefer gefräßige Magen!” Hetoimokofjos
(3.d. „bereit, Obrfeigen zu belommen)“
Hagt gar rührend, wie er nur durch
die energifhe Hilfe eines gejchidten
Arztes vom Tode ſei gerettet worden,
nachdem er bei einem Gelage von den
übermüthigen Sympofiaften gezwungen
gewejen, eine Unmaſſe zu trinken,
während ihm zugleich allerlei Speijen=
überrefte in den Mund geftopft, und
„ein Spüliht von Senf und Fiſch—
fauce und Ejfig gleihwie in ein Faß“
eingegofien wurden. Trapezoleichon (3.
d. „Zifchableder*) jchreibt einen Troft-
brief an feinen Freund, dem Naje
und Kinnbaden mit einer Trinkſchale
war zerjchmetiert worden, und fchließt
mit den Worten: „Wer kann noch
diefe ver— — Leute ertragen, wenn
fie ung die Sättigung fo theuer machen,
wie aber aus Furt vor dem Hun—
gertode das Leben mit Gefahr erkaufen?“
Etwas befjer, gleichwohl noch immer
ſchlimm genug, ergieng es dem Phloio—
glyptes (3. d. „NRindengraber”). Er
erzählt, wie ihm die Haare mit Pech
eingefalbt und die Augen mit Brühe
angeſpritzt wurden. Endlich jchleuderte
man ihm eine blutgefüllte Blaſe an
den Kopf, daß fie zerplaßte und fein
Gefiht beſudelte. „Es erſcholl ein
helles Gelächter der Schmaufenden ;
ich aber trug für meine Leiden feinen
gebührenden Lohn davon, fondern
Vergeltung diefer Mißhandlungen war
die Füllung des Magens, weiter nichts.“
Indeſſen derlei Unannehmlichkeiten find
einmal von dem Schmarogerbandwerte
unabtrennlich, und treffend läßt Plautus
(in feiner Komödie „Captivi”) den
Ergafilus die Marime ausſprechen:
„Ein PBarafit, der nicht im Stande
ift Ohrfeigen zu ertragen und ſich
Töpfe an dem Kopf zerwerfen zu
laſſen, fol lieber flugs den Betteljad
ergreifen.”
Hängt der Parafit einem Einzelnen] PB. Haft Du Schreibtafeln bei Dir?
ausfhließlih au, fo bemüht er ſich A. Du fragft noch? Ya; auch einen
vor Allem durch Schmeichelei die
Gnade feines Gönnerd zu fefjeln. Eine
Probe von der Converjation eines
Schmaropers mit feinem „rex* oder
„dominus“ finden wir bei Plautus in
„miles gloriosus“. Pyrgopolinifes (3.
d. Stadtzinnenftürmer*) tritt auf und
fieht ſich nad feinem Paraſiten Artot—
rogus (3. d. Brotnager) um. „PB. Wo
ift Artotrogus? U. Hier. Er fteht
neben dem beglüdten, königlich geſtal—
teten Helden. Einen folden Kämpfer
wagt jelbft der Mars ſich nicht zu
nennen, nod feine Tapferkeit gleich-
zuftellen der Deinigen. B. Wen habe
ih doch auf den gorgonidonijchen Ge—
filden gerettet, wo Bumbomadides (3.
d. „der mit Getöfe Kämpfende“), der
Sohn de3 Elutomeftoridyfardhos, der
Enkel des Neplunus, Oberfeldherr war ?
A. Ich erinnere mi: Du meinft ja
den mit den goldenen Waffen, deſſen
Legionen Du auseinandergeblafen, wie
der Wind die Blätter oder Stoppel.
BP. Das heißt noch gar nichts. A. Oder
wie Du in Indien dem Elephanten
mit einem Fauſtſchlage den Arm zer—
fchmettert haft. PB. Wie, den Arın ?
U. Ih wollte jagen, den Schenkel.
P. Ich ſchlug nur fo achtlos. A. Traum,
hätteft Du Dich angeftrengt, Du
ſchlügeſt durch Haut, Eingeweide und
Knochen eines Elephanten. P. Laſſen
wir das! U. Es flieht auch wahrhaftig
nicht dafür, daß Du es mir erzäplft,
da ich ja Deine Tapferkeit kenne. (Für
fih.) Der Magen jchafft mir all’ dies
Leid. Was er immer lügen mag, id
muß es mit den Obren auffangen,
muß beiftimmen, daß meine Zähne
etwas zu beißen befommen. PB. Was
wollt’ ich denn jagen? U. Hm, weiß
Ihon, was Du fagen wilft. Es ift
wirklich geſchehen; ich erinnere mich.
P. Was ift es? A. Gleichviel was.*)
) D. h. mag P. aud die größten
Unfinnigfeiten vorbringen, A. beſchwört
Hi Wahrheit noch bevor fie ausgeiproden
ind.
Stilus. P. Recht hübſch aufmerkſam
biſt Du gegen mich. A. Mir ziemt es,
genau Deine Gewohnheiten zu er—
forſchen und Sorge zu tragen, daß
ih Deinen Wünſchen zuvorkomme.
P. Erinnerſt Du Dich? A. Ja; hun—
dert und fünfzig in Kilikien, hundert
in Kryphiolathronien, dreißig Sar—
dinier, ſechzig Maledonen — das find
die Leute, welche Du an einem Tage
erſchlugſt. P. Wie groß ift hiervon
die Gefammtzahl? A. Siebentaufend.
P. Soviel muß es fein; Du merfft
Dir die Ziffer richtig. A. Ich habe
fie nicht aufgefchrieben, doch erinnere
ich mich jo. P. Du haft ein vortreff-
lies Gedädtnis. A. Des Futters
wegen. PB. So lange Du Did aufführft
wie jebt, wirft Du immer zu efjen
befommmen: ich will Dir ftet3 an meinen
Tiſche Antheil gewähren. U. Wie wars
in Sappadofien, wo Du fünfhundert
Feinde zugleich mit einem Streiche
getödtet hätteft, wenn nicht das Schladt-
mefjer zu ftumpf geweſen wäre? P.
Meil ich das Gemetzel fatt hatte, ließ
ih fie leben. U. Wozu fol ih Dir
jagen, was alle Menjchen wifjen, daß
Du, Porgopolinikes, einzig auf Erden
lebſt an Tapferkeit und Schönheit und
Thaten ganz umübertrefflich 2“
Abſolute Charakterlofigkeit ift über-
haupt für den Paraſiten conditio
sine qua non. Juvenalis (Sat. V)
ſchildert ausführlich die Herabwürdi—
gungen, denen der Schmaroßer am
Tiſche des Reichen ſich blopftellt, und
folgert daraus, daß derjenige, welcher
jolde Schmach verträgt, auch den
legten Funken des Chrgefühlse muß
verloren haben und der ärgften Schmach
wiürbig if. „Omnia ferre si potes,
et debes.“ (3. d. „Wenn Du Alles
zu ertragen vermagft, ſollſt Du es
auch“). Kein Schimpf Fällt dem did-
häutigen Barafiten zu ſchwer, wofern
er nur das alleinige Ziel feines Stre—
bens, Befriedigung der Magenbedürf-
niffe, nicht verfehlt. Charakteriſtiſch ift,
765
dab faft alle Parafitennamen in mehr
oder weniger directem Zufammenhange
mit dem Effen ftehen. Außer den be—
reits gelegenheitlich erwähnten begegnen
uns bei Plautus noch: Gurculio
(3. d. „Koruwurm“), in der gleich-
namigen Komödie, und Peniculus
inden „Menächmi“, der feinem Namen
(3. d. „Scheuerbürfte”, womit man
die Tiſche reinigte), felbft fo erklärt:
Die jungen Leute gaben mir den
Namen Peniculus deshalb, weil ich,
wenn ich efje, den Tifch rein abpuße*,
db. h. alle aufgetragenen Speifen ganz
aufzehre. Natürlich find dies nicht die
urfprüngliden Gigennamen, fondern
beigelegte, gewöhnlich vom Publikum
ertheilte — wie Beniculus ausdrüdlich
erwähnt — manchmal auch felbftge-
wählte. So jagt ein Paraſit bei
Plautus (Stihus): „ALS Heiner Knabe
befam ich von meinem Water den
Namen Gelafimus (3. d. „lächerlich“),
weil ih ſchon von frühefter Jugend
an jpaffig war. Jetzt aber in be=
drängten Umftänden heiße ich Micco-
trogus,“ d. i. Einer, der nur Kleine
Biffen nagt. Daß dergleichen Beinamen
in Wirklichkeit üblid waren, nicht
bloß der Bühne angehörten, erfehen
wir aus Athenaios „Deipnosophistae“,
wo berichtet wird, daß der Paraſit
Philorenos Pternokopis (3. d. „Schin—
fenhauer*), und Mofhion Parama=
jetes (3. d. „Miteffer”) zubenannt
wurde. Bei Alkiphron ſchreibt ein
Parafit: „Nebft allem Andern kränkt
mi nit am wmenigften der Verluſt
meines Namens. Die Eltern nannten
mid PBolybios; das Schidfal aber
nöthigte mich von meinen Kunſtgenoſſen
den Namen Hydrosphrantes (j. d.
„Wafferriecher“, deffen Nafe felten vom
Meindufte erquidt wird) mir gefallen
zu laſſen.“
Daß der echte Parafit nicht der
Mann ift, der fich irgend durch eng—
berzige Scrupel beirren läßt, leuchtet
von felbft ein. Diefe Gewifjensweite
tritt insbefondere bei jenen hervor,
die als Wohldiener Einzelner allerhand
Gommiffionen beforgen. Ueber die
Nechtlichleit des aufgetragenen Ge—
ſchäftes Hat ein ſolcher Agent niemals
Bedenklichleiten; in der Wahl feiner
Mittel ift er eben nicht ängſtlich; feine
angeborne, durch die Praxis geftählte
Trechheit läßt ihn möthigenfalls bei
feinen Streiden energiſch auftreten.
Wie man nicht anderd erwartet, ift
e3 ihm jederzeit nur um den eigenen
Bortheil zu thun; nie bemüht er fich,
aus Ergebenheit für feinen Gönner
etwas zu thun, obgleich er es verfteht,
fih den Schein des treuen Dieners
zu wahren. Daher fommt es, daß der
Parafit auf der Bühne nicht immer
bloß als „Iuftige Perſon“, fondern
oft auch als Intriguant eine Rolle
jpielt. Das Mufter eines ſolchen Pa—
raliten erbliden wir in Phormio, der
Hauptperfon in der nach ihm benannten
Komödie des Terentius,
Sclauheit, fogenannter Mutter-
witz und ein gewifler Grad von Bil-
dung find jedem unentbehrlich, der
ſyſtematiſche Schmaroperei ald Ge—
werbe treibt. „Zu willen, was man
bei jeder Gelegenheit zu reden und zu
thun bat, um fi dem, der und zu
efien gibt, angenehm und nothiwendig
zu machen und ihn von unferer gänz—
lichen Ergebenheit zu überzeugen, dünkt
Dir das nicht eine Sache zu fein,
die viel Verftand und einen gefunden
Blick erfordert?“ fagt der doctrinäre
Parafit bei Lulianod; und weiter:
„Weder ein dummer noch ein unges
zogener Menſch kann Parafit fein.”
Der Parafit gehört nicht unter die
Gaufler, welche fi bei Gaftmälern
mit Zafchenfpielerei und ähnlichen
Kunftftüden producieren, mag er auch
zuweilen etwas derartiges verfuchen,
wie 3. B. bei Xenephon (Gaftın.)
Philippos die gymnaſtiſchen Sche—
mata nahmadt. Er fteht ferner auf
einer höheren Stufe, als Poſſen—
reißer don dem Schlage eines Sar—
mentu3 und Eicirrus, deren Andenken
Horatius der Nachwelt überliefert
hat; denn ‚obgleih diefe Scurrae
766
durch Witze und gegenfeitige Verfpot-
tung die Schmaufenden unterhalten,
fo fehlt ihnen doch das Mefentlichfte
eines Barafiten: fie haben nämlich) am
Schmauſe jelbft feinen Antheil. Freilich
wird der Barafit nicht felten mit
ſchlechteren Gerichten tractiert, als die
bonneten Gäfte, was Juvenalis in
feiner Satire umſtändlich darthut. Oft
fieht er ſich fogar auf die Ueberrefte
angewiejen, wie Saturio im „Perſa“
des Plautus.
Im geraden Berhältnis zu der
Befähigung und Bildung des Para
fiten fteht die größere oder geringere
Vornehmbheit der Girkel, in die er
Eingang findet. Jener zudringliche
Windbeutel, weldher durch Vermitte—
lung des SHoratius bei Mäcenas
Zutritt erlangen will, kündigt ſich
als einen Literaten an und rühmt
feine Birtuofität im Verſemachen,
Tanzen, Singen. Genau bejehen,
jpielte felbft der geiftreihe Philo—
ſoph Ariftippos beim Tyrannen Dio—
nyſios zu Syrakus feine andere Rolle,
als die eines Parafiten. Da er die
Hoffnung, am ficilifhen Königshofe
glänzende Bewirthung zu finden, offen
für das einzige Motiv feiner Reiſe
erklärte; fich einft, um irgend ein Anz
liegen wirkſamer vorzubringen, auf
die Knie warf, was er freilih mit
der wißigen Bemerkung, „es ſei nicht
feine Schuld, daß Dionyfivs die Ohren
an den Füßen habe“, zu entichuldigen
vermeinte; und nachdem er bei einem
Trinkgelage von dem beraufchten Könige
war befpieen worden, gelaffen äußerte,
„auch die Fiſcher ließen fich auf ihren
Beutezügen vom Meerwafler beſpritzen“
— fo hat er ohne Zweifel den voll—
giltigften Anspruch auf den Parafiten-
titel, welchen ihm auch zu ertheilen
der freimüthige Kyniker Diogenes kein
Bedenken trug.
Philoſophiſche Schmaroger fanden
fi zu Rom in großer Menge, als
es während der Saiferzeit bei den
Reihen Mode geworden, fih Haus»
philofophen zu halten. Bei weiten
die Mehrzahl derfelben waren „Grae-
euli.* Man kann fie für eine beſon—
dere Glaffe von Barafiten anfehen,
mit dem unterfheidenden Merkmale,
dab fie, anftatt durch Witze und
Schmeicheleien zu ergößen, vielmehr
durch tiefjinniges Weſen, pedantifches
Moralifieren und, jo weit es gerathen
ſchien, durch erheuchelte Freimüthigkeit
fih ehrwürdig zu machen ftrebten, in
Wahrheit aber nur zur Beluftigung
dienten. Wie wenig ehrenvoll die
Stellung diefer Leute war, erjehen
wir anı beften aus den Schilderungen
des Lulianos.
Die Subfiftenz der Parafiten war
— tie dies in der Natur der Sade
liegt — eine höchſt prefäre.. Gar
mander Tag des Mangels erſchien
im Jahre, denn nicht alltäglich glüdte
ed, an einem gededten Tifche ein Pläß-
hen zu erobern. Launig läßt Altiphron
einen durch langes Tyaften bereits halb—
verdungerten Paraſiten, Trechedeipnos
(z. d. „Schmausläufer*), an dem
Tage, wo er endlich wieder zu einer
Mahlzeit geladen ift, neben der Son—
nenuhr aufe und abrennen, ungedul—
dig harrend, bis der Zeiger die fo
heiß erjehnte Stunde meist. Bei
Plautus (Stihus) nennt Gelafimus
die Fames (z. d. „Hunger“) jeine
Mutter und treue Gefährtin.
Wer feine Schmarogerkunft gründe
lich verftand, konnte ſich allerdings
auf einige Zeit recht behaglich befin—
den, wie der Paraſit Gnatho bei Te—
ren; (Eunuchus), der folgenden Mo—
nolog hält: „Unſterbliche Götter, wie
hoch fteht ein Menſch über dem andern!
Welcher Unterfchied herrſcht zwifchen
dem Thoren und dem Verftändigen !
Dies fam mir fo recht durch folgenden
Umftand zum Bemwußtfein: Ich traf
heute mit einem der Herkunft nad
mir gleichen, keineswegs verwerflichen
Manne zufammen, der ebenfalls fein
väterliches Vermögen verſchwelgt hatte.
Ich ſehe ihm ftruppig, ſchmutzig, ver⸗
fommen, mit Qumpen und Runzeln
bededt. Was ift das für ein Ausſeh'n?
767
fage ih. »Siehe, wie weit ift es
mit mie gefommen, weil ich Unfeliger
Hab und Gut verloren Habe. Alle
Bekannte und Freunde verlaffen mich.«
Da verachtete ich den Menfchen im
Bergleih zu mir. Wie, Du Erz—
ſchwächling, Haft Du Di fo geftellt,
dab Du feine Hoffnung mehr in Dir
jelber findeft ? Haft Du mit Deinem
Gelde zugleich den Verftand eingebüßt ?
Betrachte mich, der ich von Geburt
aus Dir gleich bin. Farbe, Aussehen,
Kleidung, Geftalt — wie trefflich!
Ich habe Alles und Habe Nichts ; ohne
Beſitzthum geht mir doch nie etwas
ab. »Aber ich Unglüdliher kann
weder Pofjen treiben noch Prügel aus—
halten.« Wie, meint Du, darin bes
ftehe die Parafitit? Da bift Du ganz
auf dem Irrwege! Freilich einft exi—
ftierte diefer Geſchäftsgang bei der
Generation; jetzt herrſcht ein meues
Ausbeutungsſyſtem: eben ich habe zu—
erſt diefe Bahn entdedt. Es gibt eine
Gattung Leute, welche in allen Stüden
die Erften fein wollen und es nicht
find. Diefen Hänge ih an. Ich ftelle
mich ihnen nicht zu Dienften, daß fie
laden, fondern ich lache ihnen von
felbft zu und bemwundere ihren Geift.
Was fie jagen, lobe ih; wenn fie es
wiederum in Abrede ftellen, lobe ich
auch dies. Sagt einer nein, ich gleich-
falls; jagt er ja, ich gleichfalls: kurz
ih Habe mir zur Pflicht gemacht,
Allem beizuftimmen. Das ift heutzutage
bei weiten da3 einträglichite Gewerbe.
Mährend wir unter diefem Geſpräche
auf dem Fleiſchmarkt anlommen, laufen
mir freundlich alle Delicateffenverkäufer
entgegen: Seefifhhändler, Fleiſcher,
Köche, Wurftmacher, Fischer, denen ich
in meinen früheren guten Umftänden
und auch nachher Gewinn brachte und
noch bringe — fie grüßen mich, laden
mih zu Zifche, freuen ſich meines
Kommens. Als jener arme Hungerleider
Jah, daß ich fo fehr in Ehren ftehe,
fo leicht meinen Unterhalt finde, be—
gann der Menjch mich zu befchwören,
ih möchte ihm erlauben dasjelbe von
mir zu lernen. Ich hieß ihm mein
Jünger fein, wenn er's im Stande
ift. Wie die Philoſophenſchulen nad
ihren Stiftern die Benennung führen,
fo follen die Parafiten Gnathoniker
genannt werden“.
Soldes Glüd hatte felten Beftand.
Jedenfalls war die Ausficht auf das
binfällige Alter fehr trübe. Kapnos—
phrantes (3. d. „Rauchwitterer“, das
heißt den Küchen nadhfpürend), ergeht
fih bei Altiphron (in folgende troft=
loje Betrachtungen: „O Daimon, dem
ih durchs Los des Schidfals anheim—
fiel, wie arg bift Du, da Du mid
immer zum Schmerze an die Armut
feſſelſt. Wenn ich Niemanden auftreibe,
der mich einlädt, bin ich genöthigt,
Kerbel und Schneden zu verzehren,
oder mit Kräutern borlieb zu nehmen
und mit Röhrbrunnenwafler den Magen
zu füllen. So lange mein Körper die
Mißhandlungen ertrug und durch
Jugendkraft geftärlt war, fie zu er—
dulden, ließ ſich der Uebermuth aus—
halten. Nachdem ich aber halbergraut
bin und das Greifenalter herannaht,
welches Mittel gibt e$ da gegen das
Ungemad ?“
Schließlich drängt ſich die Frage
auf, aus welchen Ständen die Para—
fiten im Allgemeinen hervorgiengen ?
Entweder fuchten vormals wohlhabend
gewefene Männer, nachdem fie ihr
ererbtes Vermögen, gewöhnlich ſchon
in jungen Jahren, vergeudet hatten,
auf fremde SKoften das gewohnte
Schwelgerleben jo gut es gehen wollte,
fortzufeßen; oder e3 waren von Haufe
aus mittellofe, ernfter Berufsthätigleit
abholde, jedoch mit dem erforderlichen
Talent begabte Individuen, welche in
der Schmarogerei den bequemften Un—
terhaltserwerb und zugleich den Weg,
fih im „beſſere Geſellſchaft“ einzu—
ſchleichen, erlannten. Zu den Erſtge—
nannten gehörte der oberwähnte Gnatho.
Auch der früher genannte Hydrophrantes
war ein herabgekommener Reicher. Er
ſchreibt (bei Alkiphron) an ſeinen
Freund Meridas: „O Herakles, was
768
hatte ih für Mühe, um mit Seife
den lange anklebenden Schmuß von
der Sauce, die man geftern auf mich
ausſchüttete, wegzuwaſchen. Und bie
Mißhandlung kränkte mich nicht fo
fehr an fi, als daß ich fie gegen
meine Würde ertragen muß. Denn
ich bin der Sohn des Anthemion, des
reihften Mannes von Athen und der
Ariothea, welche von Megafles*) ſtammt.
Nachdem ich aber das väterliche Be—
ſitzthum durchgebracht Habe, muß ich
*) Diefer Name fommt häufig in ber
hochadeligen familie der Alfmaioniden vor.
Auch Ariftophanes („Wollen“) bezeichnet
damit Überhaupt Bornehmpeit.
mid in meiner Erniedrigung glüdlich
fhäßen, wenn id dem Magen die
nöthige Füllung verſchaffe“. Es traf
ſich auch, daß die Söhne der Para—
ſiten das väterliche Metier ergriffen.
So rühmt ſich bei Plautus Saturio
ſeiner, Ahnen folgendermaßen: „Ich
behalte und behaupte das alte ange—
ſtammte Gewerbe und übe es mit
großer Sorgfalt. Denn keinen einzigen
meiner Voreltern gab es, der ſich nicht
durch Schmarotzerei gefüttert hätte:
Vater, Großvater, Urgroßvater, Urur—
großvater, Urältervater ſie alle
aßen wie Mäuſe ſtets fremdes Brot;
und kein Menſch vermochte ſie an Ge—
fräßigkeit zu übertreffen.“
Leſſing in meinem Sorgenſtuhl.
Mitgetheilt von Friedrich Rottenbader,
9 FA icht jeder Recenfent ift ein ernfter
ee Minos und mancher nimmt den
gelungenen Scherz eines Mimen, der
einen mwohlgezielten Hieb mit der feinen
Klinge des Humor pariert, nicht
frumm. Wenn auf Leſſings Todestag
die Spradhe kam, pflegte der Schrift»
ſteller & . . zu behaupten, der 15.
Februar fei au fein Todestag, denn
an diefem Zage fei er durch einen
Spuf vom Leben zum Tode gebracht
worden, um als ein ganz Anderer
wieder zu erflehen. Er erzählte: „Es
war am 15. Yebruar 1881, alfo hun—
dert Jahre nach Leffings Tode. Im
Schaufpielhaufe wurde nach einem Feft-
fpiele von den Hofſchauſpielern Minna
von Barnhelm aufgeführt. Nach
Werners: „Ueber zehn Jahre ift Sie
Frau Generalin!“ fuchten wir Bericht-
erftatter die Schente zum weißen
Hahn auf, um nad guter deutfcher
Sitte Eins zu trinten zu Ehren der
Manen Leifings.
Wir huben eben zu bechern an,
als bie Hoffchaufpieler Tärmend ein—
traten und ſich mit überſchwänglichem
Jubel zu uns gefellten, ala hätten wir
fie nur immer gelobt.
„Champagner!“ rief »Werner.«
„Luftig, Kinder, Iuftig! ich bringe
frifches Geld!“ — Da fand ich auf
und fagte ernft: „Wenn wir Leffing
feiern, fo begießen wir den Altar der
Erinnerung mit deutfhem Reben-
ſaft!“ —
„Das iſt ein Wort!“ fiel »Tell⸗
heim« ein und ließ fih an meiner
Seite nieder. „Rheinwein !" —
„Rüdesheimer!* —
Der Wirt lüpfte verlegen fein Käpp-
hen und ließ fich vernehmen, daß fein
Keller zwar feinen Rüdesheimer, jedoch
einen guten Tropfen ungarischen Weines
berge. „Der ungarifche Wein —“
„Iſt gut Ding, wahrlich gut Ding!”
unterbrah ihn »Juſt.« „Aber auch
die Wahrheit ift gut Ding. — Herr
769
Wirt, Er ift — fein Batriot, wenn] gewiffermaßen zwängen, uns Rede
Er feinen deutfchen Wein ſchenkt!“ zu ftehen, aus ihrer Ruhe aufgeftört,
„Auch Schilder,“ meinte Heinlaut | uns auffuchten; er wiſſe eine höchſt
der Wirt. merkwürdige Geſchichte von feiner ver—
„Schilder? — La hören, alte) ftorbenen Braut. —
Ejjiglanne, wo diefer Wein wächst, Inzwiſchen hatten wir nach einem
welcher Geruch und welcher Geſchmack folennen Zrauerfalamander Leffings
ihm eigen find ?* fo frug Einer; der| Andenken reichlih mit Schilder ge=
Wirt war jedoch ſchon fortgeeilt und | feiert, und da ein Gewitter ſich an—
fan jeßt mit einem Kruge voll Hell |fündigte, riß ich mich von der Gefell-
rotem Naß zurüd. Der Wein perlte | fchaft los. Fride gieng mit mir, aber
gar einladend im den grünen Römern. erſt vor meinem Hausthore erfahre ich,
Nun erklärte »Juft,« ein vielgereister | daß er im erften Stockwerke desjelben
Mann, daß der Schilcher in der grünen | Haufes wohne, im defjen letztem Stode
Steiermart wachſe, und führte in nach der ehrwürdigen Weberlieferung
finniger Rede aus, wie der Wein der deutfchen Dichter mein Heim war.
gleihfam das Blut eines Landes vor= Lachend erzählte er mir, daß er einft
ftelle und alle guten und böfen Eigen | über eine Necenfion erbittert, bis zu
haften der Eingebornen beſitze. | meiner Wohnung „empor geklettert“
Nun, wenn dem fo ift, dann mag der war, daß fich jedoch fein Blut voll-
Steirer ein Hinterhältiger Gefelle fein, |fonımen abkühlte, als er vor meiner
der dem, welcher ihn liebend in die niedrigen „Dachkammerthür“ ſtand.
Arme ſchließt, flug einen Haarbeutel Diefe Rede kränkte mich und ich fagte
anbindet. Wir Alle waren auch bald fpig: „Wenn Du zu mir »empors
heiterfter Laune. Ich unterhielt mich | ettern« und unter mein »niedriges«
mit meinem Tifchnachbar, dem Schau- | Dad) eintreten willft, will ih Dir echten
ſpieler Fricke- »Tellheim« auf das Mofelwein vorfegen, während Du
Beite, obwohl er feinen befonderen | Deinen Gaft faum mit etwas Anderem
Grund Hatte, mir freundlich gefinnt zu als mit einer alten Käſerinde bewirten
jein, denn bei aller Anerkennung feiner | kannſt.“ Ich erinnerte mich nämlich
guten Darftellungsgabe hatte ich ihn | des wohlgefüllten Flaſchenkorbes, den
doc oft Scharf getadelt. ride fchien ich für ein ſchwungvolles Hochzeits—
jedoh Heinen Groll zu hegen. Ich carmen als Ertrahonorar don meinem
ſprach auch von meiner Bücherei, welche | großmüthigen — Verleger? — Gott
Anregung und Belehrung ich ihr danke, | bewahre! — von meinem Speifewirt
wie ich fie al3 den im Schranfe ein= | erhalten Hatte. Nach diefer Einladung
geſchloſſenen Geift der großen Autoren | ftieg ich ftolz zu meinem Parnap im
verehre, ar dem ich mich wie an einem | vierten Stod empor. Als ich in das
immer lebendig und erfrifchend ſpru- fleine Vorgemach trat, blies der Wind
deinden Quell erquide; wie mir oft) mit folcher Heftigkeit durch das offene
in nächtlicher Stunde der Gedanke durch | Fenfter, dab die Thür Hinter mir
den Kopf fährt, die in den Schrank krachend in das Schloß flog. Regen—
gebannten Geifter könnten die Hülle) Schauer ſchlug mir entgegen und der
Iprengen und Herausfluten, und die), Donner rollte unter Wetterleuchten aus
fo lange in Reih und Glied ftumm weiter Ferne. Mein Blid ruhte auf
beijammen geftanden, könnten plößlich | den Umriffen des Bücherfchrantes. „Ihr
beredt werben. guten, Ihr edlen Geifter, die diefer
Darauf erwiderte ride ernfthaft, | Schranf einschließt,“ fo rief ich, „kommt
e3 jei nicht unerhört, daß die Seelen | hervor und umfchrwebt mich! Und wenn
Abgeftorbener, mit denen wir uns leb= |ich, ein Zauberlehrling, Euch auch nicht
haft bejchäftigen und die wir dadurch mehr bannen kann, gleichviel, kommt
Kofegger’s „Geimgarten‘‘, 10, Geft, XI. 49
770
hervor!” Ich glaube, der Schilder
‘oder ein Laut? Ich horchte Scharf Hin
hatte mich zu diefer Ansprache begeiftert. |
und vernahm weiters: „Warum läßt
Lange blieb ih vor dem Schranke) Du mich nicht ruhen? Warum quälft
ftehen und Horte, während meine Du mich nutzlos?“ —
Gedanten bei den Geiflesheroen weilten
Ich halte mich mit der Hand am
und meine Phantafie in eine ferne Pulte feſt und ſage mit bebender
claſſiſche Zeit zurüdjchweifte. Ich ließ
die großen Männer vor meinem geiftigen
Auge erftehen, ich folgte ihnen in ihre
Studierftube — da fchredte mich ein
Bligftrahl empor, dem raſch ein kra—
chender Donnerfchlag folgte! Ich raffte
mich auf, um in mein Schlafzimmer
zu gehen, vorher nahm ich ein Buch
aus dem Schrank, es follte Leſſing
fein: wußte ich doc im Finftern jedes
Buch zu finden. Ich öffne aljo die
Thür zum Schlafzimmer — horch! ein
eigenthümliches Geräufh! Ich blide
um mic, kann jedoch nichts ſehen —
nun trete ich in das Zimmer — wiſcht
da nicht eine eifige Todtenhand tiber
Stimme: „Ih will Dir ehrlih nach—
ſtreben.“
Ih ſah gar nicht, daß die Geftalt
zum Sprechen den Mund bewegte und
doch hörte ih — als ob die Stimme
bon tief unten käme: „DO, man ift
auch verzweifelt wenig, wenn man weiter
nichts ift als ehrlih. Mir nachftreben ?
Habe ich Alles im Namen der neun
Mufen verdammt? Habe ich um Vor—
theil gelobt? Habe ich der Zeit und
ihren Schwäden geihmeichelt ? Habe
‚ich gejchrieben, um Mädchen erröthen
zu machen? Habe ich den Ausländern
'nachgeeifert ? Habe ich Häusliche Zucht
und Sitte und die Ehe, die Wurzeln
meine Stiin? Ich ftoße einen kurzen! der deutſchen Kraft, in den Koth ge—
Schrei aus. Ertönt da nicht Hinter | zerrt? Habe ich die nach dem frijchen
mir ein leifes, heiferes Lachen ? Oder | Quell der Wahrheit durftenden Lippen
— war es nur das Raufchen des der Jugend mit ſcharfer Lauge und
Negens? Mir wird heiß. Mit un— ſchmutziger Jauche benegt? Habe ich
jiherer Hand reibe ich ein Hölzchen an das Schlagwort Brotliteratenthun er=
und halte e8 an die Kerze auf dem funden? Dder die Namen Freifchärler
Schreibpult. Beim fladernden Scheine | und Gratisbliger für alle jene Geifter,
der Kerze — ſehe ich eine Geftalt in welche die göttliche Poefie nicht hand—
meinem Sorgenſtuhle! Ich will nad | werfsmäßig ausbeuten? — DO, Ihr feid
den Degen fpringen — die Sterze brennt barbarijcher al3 Eure barbarifchen Vor—
heller — ich bleibe wie gebannt ftehen : | eltern, die die Frage, ob ein Barde
es ift das Antlig, die Geftalt, das oder Einer, der mit Bärenfellen und
Eoftiime Leffings — wie ich das Alles
aus Abbildungen kannte; den Kopf
Bernftein handelt, der nüßlichere Bürger
wäre, für die Frage eines Narren ge=
hielt er fteif, die großen halb erlofchenen | halten hätten!”
Augen Hatte er auf mich gerichtet, das
Ich Hatte an Sicherheit gewonnen
Geſicht war leichenfahl. Sein Finger | und fo wagte ich einzuwenden: „Jede
zeigte auf das Buch in meiner Hand. | Zeit ftellt an die Menfchen andere
SH taumle, greife mit den Händen | Forderungen — und der Zeit nicht
nah der Stirn — wadhe ih? — |dienen, heißt im Elend leben.“ —
träume ih? — Sitzt diefe Geftalt in Ich hörte wieder und ſchon etwas
Wirklichkeit da? — ift fie eine Hal- deutlicher: „Ale ob die Zeit dem
lucination? — bin ih wahnſinnig? Menſchen und nicht der Menfch der
— Das Blut will mir erflarren. „Bift! Zeit fein Merkmal aufprägte! Mehr
Du Leffing?* fragte ih und Hörte| als Euren Wanft füllen und den Leib
nicht den Ton der eigenen Stimme. | mit Seide behängen könnt Ihr auch
Da gieng e3 wie ein Hauch durch das nicht. — Ja, ja, die Gelehrten jelbit
Zimmer: „Ja.“ — War das Täuſchung | find Hein genug, die Nation in der
771
Geringſchätzung alles deſſen zu beftärken, | — „Schreibe den Schwur nieder!” —-
was nicht geradezu den Beutel füllt.
Mer fchlüge wohl heute eine gute An—
ftellung aus, nur um nicht alle Jahre
an den König eine Lobrede halten zu
müſſen? Ihr jchreibt nicht vom Herzen,
aus dem Hirn, aber in den ledernen
Geldbeutel, und fo jchreibt Ihr in drei
Tagen einen Drudbogen fertig, anjtatt
drei Zeilen für die Emigfeit. Dabei
dünft ihr Euch groß — nichts ift groß,
was nicht wahr ift., —
Ich glaubte die Beitrebungen unferer
Zeit vertheidigen zu müſſen und fagte:
„Wir jind allerdings Realiften — aber
Realismus und Wahrheit deden fich.“
Der Geift fenkte den Kopf auf die
Bruft — dann hob er ihn plößlich und
warf ihn mach rechts, als horche er in
die Naht hinaus, während das Zöpf-
hen nad links baumelte. „Was ift
Poeſie?“ fo Hub er wieder an. „Poefie
ift Wahrheit — aber nicht jede Wahr:
beit ift Poefie. Was ift Euer Realis—
ns ? — Oftmals wahrhaftiger Unrath.
Euere Vaterlandsliebe hält Euch nicht
ab, nicht nur den Franzoſen fondern
auch den Rufen es im Realismus
gleichzumachen. Leute in den Jahren,
in denen man Luft und Leichtigfeit fo
gerne für Genie hält, rechnen fich ſchon
zu den Unfterblichen, während fie in
franthafter Zweifelfucht oder Gemeinheit
verſinken.“ — „OD, Leſſing,“ rief ich
nun außer mir vor edlem Drange,
„was foll ich thun, um Dir nachzu—
ftreben ?* — „Schmwöre,” fagte er mit
einer Stimme, die fi wie unheim—
liches, aus der Tiefe fommendes Groflen
anbörte; dabei firedte er fich, als
wollte er durch die niedrige Zimmers
dede wachſen, und mit dem Grollen
feiner Stimme vermifchte ich das Rollen
des Donners, während ihn der Blitz—
ſtrahl für Augenblide in gelben Yeuer-
Schein hüllte, „ſchwöre bei den neun
Mufen, daß Du nichts verdammen
wirft, was nicht ſchädlich iſt — und
nichts loben, was nicht nüglich ift:
ſchädlich und müglich für die Moral
und das Schöne.“ — „Ih ſchwöre!“
Ih nahm ein Blatt Papier und zeich-
nete mit zitternder Hand zollhohe Buch—
ftaben darauf.
„Hoch, ih höre den Rappen
ſcharren und wittere Morgenluft! Wenn
Du einen guten Tropfen im Haufe
haft, jo laß uns nach deutjcher Art
zum Abſchied Eins trinken!“ — Ich
wußte bisher nicht, daß Geifter leibliche
Bebürfniffe Hätten, aber ich brachte
ohne Zaudern und mit gaftfreundlicher
Nührigkeit den Mofelwein und zwei
Gläſer herbei, die ich bis an den Rand
füllte.
Der ungewöhnliche Gaft ergreift
das Glas:
„Es donnert! — Freunde laſſ't uns trinfen!
Der Frevler und der Heuchler Heer
Mag Inehtiih auf die Knie finten.
Es donnert! Macht die Gläſer leer!
Lafj't Nüchterne, laſſ'ſt Weiber zagen!
Zeus ift gerecht, er flraft das Meer:
Sollt er in feinen Neltar ſchlagen?“
Wir ftießen an, ich trank — trant
— trant — ein lautes Klirren! Ich
jeßte ab — der Geift war verſchwunden
wie er gelommen. Sein Glas lag zer—
ſchmettert am Boden, ſonſt nirgends eine
Spur von dem Gafte — ich finfe wie
betäubt auf einen Stuhl, ftüße meinen
Kopf in die Hand und — — —
„Herr Doctor, das Frühſtück!“ —
IH Fahre aus tiefem Schlafe empor und
finde mich angelleidet vor dem Tiſche
ſitzen — es ift heller Tag — das
Mädchen der Hausmwirtin fteht mit dem
Hrühftüdbrette vor mir und betrachtet
mich verwundert. Aber mein Kopf!
D, mein armer Kopf! Der fteirifche
Schilder! der Mofelwein! Am Boden
zu meinen Füßen liegen noch die
Scherben des zerbrodhenen Glajes.
„Unna,“ ſage ich weich zu dem Mädchen,
das kopfſchüttelnd das Frühſtück auf
den Tiſch geftellt Hatte und fich eben
entfernen will, „Anna, beforge mir —
etwas Häringſalat — Hüäringfalat,
fonft nichts!“ —
Ih Hatte geträumt — ha, da liegt
ein Blatt Bapier, beſchrieben von meiner
49*
Hand mit zollhohen Buchſtaben! Alfo
war Leifing wirklich und wahrhaftig
bei mir! Mich durchzuckt ein gelinder
Schauder vom Wirbel bis zur Sehe
und ich würde noch heute glauben — —
da kam das Mädchen kichernd zurüd
und trug ein abfonderlich Ding zwifchen
ihren Yingerfpigen, das ich anfänglich
für eine Ratte hielt. Später ſah ich,
daß es eine Perüde war, die das ſchel—
mifche Kind am Zöpfchen gefaßt hatte.
„Wo fandeit Du das?” — „Im Bor:
zimmer, “
„Anna,“ fo befahl ich nach einer
Heinen PBaufe, „trage das Ding zum
Hoffchaufpieler Fricke hinab — id
ließe mich fchönftens empfehlen! Er
fönnte das Ding da brauchen — wenn
er einmal Leſſing fpielte.*
Der Schwindel bei ehrlidhen Peuten.
—5 Jeben der Corruption im Großen,
die man endlich angefangen hat,
ſcharf zu bekämpfen, gibt es eine
Gorruption im Kleinen, die in allen
Volksſchichten verbreitet ift und der
auch nicht vergeſſen fein foll. Die
Flugfchriftenreihe „Gegen den Strom“
(Wien, Carl Graefer) brachte neulich
eine überaus beachtenswerte Brojchüre
über „die Gorruption im Kleinen“,
aus welder Hier einige blitartige
Streiflichter auf unfer gefellfchaftliches
Leben geleitet werden mögen.
Ein Blid auf unfere Zeit zeigt,
wel ausgedehntes Terrain das weite
Gewiffen auf dem Rechtsgebiet
erobert hat. Aus der Legion von Bei—
jpielen feien einige hervorgehoben.
Man frage einmal unfere Haus
meilter, ob unter einem Dußend Einer
es für Diebftahl anfieht, wenn er
bei pafjender Gelegenheit aus dem
Keller der Miethparteien, ohne dieſe
zu befragen, feinen Holz= und Kohlen—
vorrath ergänzt. Er würde eine der-
artige juriftifhe Qualification feiner
Handlungsweife al3 Ehrenbeleidigung
auffallen.
Nicht minder entrüftet würde die
überwiegende Mehrheit unferer Köchin
nen fein, wenn Jemand das Inſtitut
der „Marltlreuzer*, auch „Körbel—
geld“ genannt, al3 Betrug bezeichnen
würde. „If es nicht mein Verdienft,“
docierte einmal eine der culinarifchen
Vertreterinnen einer höchſt praftifchen
Bhilofophie, „wenn ich billiger und
bejler einzulaufen verftehe, als eine
Andere? Muß ich nicht eine Gefahr-
prämie gegen das Vergeſſen beim
„Auffchreiben" Haben? So einen
Heinen „Nebenverdienft“ ausfchlagen,
das fönnte Eine nur aus Ueberſpannt—
beit thun.“
Sollte übrigens eine Köchin am
Ende rigorofer fein, als viele font
ganz ehrenhafte Angeftellte und Be-
dienftete in Gefchäftshäufern und
Comptoirs, denen man vielleicht ruhig
Taufende bon Gulden anvertrauen
fünnte, die fi) aber Fein Gewiſſen
daraus machen, gelegentlich Kleine
Bedürfniffe ihrer Perfon oder Fami—
lie aus dem MWaarenvorrathe des
Chefs zu deden, fein Schreibmaterial
für ihre und der Familie Corre—
Ipondenz zu verwenden, mit feinen
Briefmarken ihre Briefe zu frankiren zc.
Und melde Marimen herrſchen.
unter manchen Sandeltreibenden in
Bezug auf die Crida? Man eröffnet
ein Geſchäft, geht's gut, ift es recht.
Wenn mit fo ſchmeißt man um.
Vetter Hinz und die Frau Gemahlin
773
haben bei Zeiten Forderungen gegen! Ware, auch zu fträflihen Zweden
den Eridatar erworben; ift man vor= | verkaufen.
jihtig, jo legt man rechtzeitig etwas Wie viele ſonſt ehrliche Diener
auf die Seite, natürlih dorthin, mwo‘'gibt es, die ihrem Seren feinen
man es nicht leicht findet, und der | Kreuzer entwenden würden; aber deſſen
Vetter Kunz ſchließt einen brillanten | Eigarren, ohne erft zu fragen, mit—
Ausgleih zu 10 oder 20 Procent. rauchen, das fehen fie für feinen
Die Gläubiger — manche unter ihnen | Diehftahl an.
denlen: „Heute Dir morgen mir" — Wenn wir einem unferer guten
find zu Tod froh. Freunde ein Buch, insbejondere ein
Was ſchadet es dem Kunden, |foftbares oder jeltenes Werk leihen,
dociert der Fleiſchhauer Wurzel, wenn | Jo thun wir dies gewiß in der Voraus—
er flatt 1 Kilo nur 95 Deka bekommt? ſetzung, daß jener es uns wieder
Für ihm macht der Unterfchied nichts | zurückgeben wird. Sehr häufig ent=
aus, mich aber macht er reich. Und | lehnt jedoch unfer Freund das Buch
ob eine Semmel etwas größer oder| in der entgegengefeßten Abſicht. Cr
Heiner ift, das hat doch feine De- betrachtet die Entlehnung als eine
deutung. Satt effen kann man ſich abgeleitete Art der Eigenthumser—
an einer Semmel nicht. Sind die] werbung. Es gibt Leute, welde auf
„Borten“ und der „Hanſel“ beim ſolche Art ihre Bibliothek weſentlich
Bier nicht eine prächtige Erfindung? | bereichert Haben. nn
Iſt es nicht glücklich von der Natur Es bereitet Dielen ein inniges
eingerichtet, daß Hoiz und Kohlen im Vergnügen, im Gaſthauſe eine Cigarre
naſſen Zuſtande mehr wiegen als im ein Stück Brot, ein Glas Bier we—
trockenen? | niger beim Zahlen der Zeche anzu—
Es aibt Werate, welche den Kehl. | geben; dieſe Erſcheinung findet fü
tritt — Frau —— — — mitunter bei Gäjten, die recht Splendid
zu fühnen wiffen, weiche unter Ueber» mit dem Zrinfgeld umgehen.
treibung der Gefahr, in welcher der Einen guten Oreund de El
Patient ſchwebt, ihre Beſuche verviel- „betrügen“, „bemofeln ‚ „betateln“,
fachen umd aus dem gefälfchten Be- | „beidunmeln“ — der Workreichthum
weile ihrer Heilungsfunft klingenden deutet Ion auf bie Verbreitung a
Dank zu ziehen willen. 3 ſeine — —— * s Eine
Es gibt Beamte, die durch die ER De ER N 2
. | direct corrigieren, mit einem Worte,
Macht der Gewohnheit verlernen, in : t ——
— emein häufi
der Annahme eines Geſchenkes in ſaiſch ſpielen, lommi ung häufig
, f vor,
a erde Se. Mac Henkenoner Ad m
Meife vorgehen, welde diefe zum der redlichfte Menfchenjchlag, den man
j ih denken kann. Im ihren Dörfern
Geſchenle, zur Veſtechung zwingt. hat der Fremde es kaum nöthig, ſeine
Es gibt öffentliche Lehrer, welche
Habe zu verſperren und ruhig kann
ſich nicht ſcheuen, die Beurtheilung man bei offenen Thüren fchlafen.
ihrer Schüler durch pecuniäre, ſtatt Aber Wild auf fremden Grund und
durch fachliche Gründe beeinfluffen zu) Boden erlegen und als Beute mit
laffen, und deren vernichtende Strenge
nah Haufe bringen, das verbietet dem
ſich nur durch den erftrebten Privat: | prauften Burſchen nicht das Gewiſſen,
unterricht des Zöglings mildert.
davon Hält ihm nicht der Michter,
Es gibt Schriftfteller, Gelehrte, noch der Pfarrer zurüd.
Nedactenre und SJournaliften, welche
Auch davon nicht, wenn Bauern,
gewerbsmäßig ihre Meinung wie eine wie dies jo häufig geſchieht, ein Stück
— — ee
774
vom Nachbargrunde an den ihrigen
anadern, oder wenn fie ihr Vieh uns
befugt auf fremder Weide grajen
laffen, u. dgl. mehr.
Als in Wien die Gallınayer und
Geiftinger auf dem Gipfel ihrer Be-
fiebtheit ftanden, fuchten zwei Volks—
fängerinnen von deren klangvollen
Namen zu profitieren. Die Eine nannte
ſich Gnallmayer, die Andere dagegen
Geiftiger. Ein Wiener dürfte hier
kaum aufgefeffen fein. Einem „Frem—
den“ konnte es aber leicht paflieren,
Notdwendigkeit gezogen wurde. Um
fo größer war nun freilich feine Ueber=
rafhung, als er fih am Schluß eines
jeden Monats einem Deficit gegenüber
ſah, deffen Entftehen er ſich durdaus
nicht erklären fonnte, und das am
Ende des Jahres eine ftattlihe Sumnte
ergab.
Er rechnet und rechnet — nirgends
ein Fehler. Woher die Mehransgabe ?
Mer lebt auf feine Koften? Iſt er
das Opfer eines pedantiſchen Diebes,
der ihm jeden Monat eine beſtimmte
daß er in der Meinung, die berühmte | Summe entwendet? — da plößlicdh
Soubrette zu Hören oder der gefeierten | überlommt es ihm wie eine Erleud-
DOperetienfängerin zu laufchen, Ber: |tung. Das Räthſel ift gelöst;
treterinnen der Brettelmufe anbörte
und dann weiblich über die erwähnten
Künftlerinnen fchimpfte, die diefe Be—
einträchtigung.ihres Renommees ruhig
erdulden mußten,
Der Bapa, der mit feinem baum—
langen Jungen auf der Eifenbahn
fährt und ihn als Kind unter „LO
Jahren“ ausgibt, um ein halbes
er hat
einfach vergeflen, die Zrinfgelder im
fein Budget aufzunehmen. Und nun
rechnet er wieder und macht die Probe.
Hans fpeist in einem Gaſthaus
dritten Ranges und gibt Mittags und
Abends wenig genug, je zwei
Kreuzer Trinkgeld; man behandelt ihn
auch nicht gerade ſehr reipecivoll, eben—
fowenig wie in feinem Staffeehaufe,
Billet don Wien nah Meidling zu in welchem er täglich diefelbe Summe
eriparen, oder die Mama,
die auf! vertheilt: macht monatlich: zwei Gulden
der Tramway das bereits franzöſiſch | vierzig Kreuzer.
parlierende Töchterchen auf den Schof
nimmt, um es auf diefe Art foftenlos
zu transportieren, die merkwürdigen
Verwandtichaften, die ſich ergeben,
wenn eine Eintrittsfarte für Herrn
N. ſammt Familie lautet, ac.
Ein Statiftifer Hat einmal den
platoniſchen Verfuch gemacht, die wirt-
ſchaftliche Schädlichkeit des Trinfgeldes
an einem Wechenerempel zu demon—
ftrieren.
„Hans ift in einem Handlungs—
haus augeftellt, Staat3- oder Privat
beamter und bezieht einen monatlichen
Gehalt von 75 fl. Er Hat es verfucht,
feine Lebensweife feinem Einkommen
Hans ift fehr ſolid; nur an Sonn
und Feiertagen gönnt er fich den
Luxus, ein Theater zu befuchen, in
welchem er einen der letzten Plätze
nimmt. So fehr er auch nad Haufe
eilt, kommt er doch immer erft nad
10 Uhr und muß daher dem Hause
beforger einen Obolus von zehn Kreu—
zern entrichten : macht monatlich fünfzig
Kreuzer.
Hans ift nicht eitel, und fein
Bartwuchs ift nicht allzu ſtark; nur
zweimal in der Woche überantwortet
er feinen Kopf den Händen des
Friſeurs, nur zweimal im Monat
befucht er ein Bad, und ein Douceur
anzupafjen. Die einzelnen Boften feines |von je fünf Kreuzern ift das Aeußerſte,
Budget3 waren genau feitgeftellt;
fo und fo viel fiir Kleidung, u. f. w.
Niemals geftattete ſich Dans
|
und fo viel für den Lebensunterhalt, | ſechzig Kreuzer.
wozu er ſich aufrafft: macht monatlich
Alle diefe Ausgaben,
welche in jedem Monat vorkommen,
eine | ergeben für das Jahr eine Summe bon
Ertradaganz, niemals eine Ueberſchrei- zweinndvierzig Gulden. — Einigemale
tung der Linie, die ihm von der im Jahr ift Hans bei feinem Chef
775
geladen, Hie und da zieht man ihn
einem Hochzeits- oder Taufſchmaus,
einem Namensfeft bei, auch Weih—
nadten und Shlveſter verbringt er
in Geſellſchaft. Hans ift feine noble
Natur und glaubt mit einem Trink—
geld von je fünfzig SKreuzern bei
diefen Anläffen bereits Bedeutendes
geleitet zu Haben; macht, die zwei—
fahe Sperrtare mit eingerechnet,
jährlich ungefähr fünfzehn Gulden.
Dann kommt Neujahr. Wie freund-
li, wie zuvorkommend ift alle Welt
auf einmal gegen Hans! Der Haus:
beforger ftammelt fchüchtern einen
Glückwunſch, der mit einem Gulden
wahrlih nicht zu theuer bezahlt ift;
ein freundliches Lächeln des Stuben—
mädchens iſt auch micht billiger zu
haben; der Marqueur beſchenkt unfern
Hans mit einem Notizlalender —
was bleibt Hans übrig, als fich zu
rebandieren ? — der Frifeur hat einen
Teller aufgeftellt, auf dem einige als
Lodmittel ausgelegte Silbergulden eine
ftumme und doch beredte Sprade
führen; der Amts- und Bureaudiener,
deſſen Gehalt mit Nebenbezügen dem
Einkommen unfere® Hans mindeftens
gleihlommt, Hält jo treuherzig die
Hand Hin, das man feine Erwartung
unmöglich täufchen kann; die Brief:
träger treffen eine jo weife Eintheilung,
daß e3 Hans möglich ift, einem jeden
für feine Glüdwünfhe zu danken,
kurz — von zehn Gulden bleibt
unferem Hans wohl nicht allzuviel
übrig.
Nehmen wir noch dazu, dak Hans
im Laufe des Jahres bei den Sen—
dungen feiner Lieferanten die Bekannt—
Ihaft zahlreicher Lehrjungen macht,
die eine ausgeiprochene Vorliebe für
Zehntreuzerftüde haben; dab bei dem
Heinen erienausflug, den Hans fi
gönnt, ihm auf Schritt und Tritt
Gelegenheit geboten wird, fich freigebig
zu zeigen, und rechnen wir noch eine
beftimmte Summe für jene vielen un—
vorhergefehenen Fälle, welche von Zeit
zu Zeit an feine Großmuth appellieren,
und bewerten wir all das zufammen
auf acht Gulden.
Wie man fieht, ift Hans durchaus
fein Berfchwender, durchaus nicht
beftrebt, in den Ruf eines freigebigen
Menfchen zu gelangen; im Gegentheil,
er fügt fi nur widerwillig einem
Zwang und begnügt fich überall mit
dem Minimum, und doch gibt er
jährlich für Zrinfgelder eine Summe
aus, welde einem vollen Monats—
gehalt gleichfommt.
Er muß einen ganzen Monat
angeftrengt arbeiten, um Zeute zu er=
halten oder deren Eriftenz zu ver—
beffern, die ihm perfönlich feine Dienfte
leiften, die für ihre Arbeit bezahlt
werden, die feinerlei Verpflichtungen
nah außen Haben, die weder Capital,
noch Mühe, noch Studium auf ihre
Ausbildung verwendet haben.
Hans ift leider befchränft und
findet die ungerecht, aber er fann
dem MUebelftand nicht abhelfen. Um
auch ferner feinen Berpflichtungen
nahlommen zu können, und um das
Gleichgewicht in feinem Budget her-
zuftellen, wird er fich ſelbſt irgend
eines Vergnügens berauben, feine
fargen Genüffe noch vermindern.
Immerhin. Dafür erlebt er die
Freude, den Marqueur, der täglich in
freumdlichfter Weife feine armfeligen
vier Kreuzer nimmt, im Fiaker an
ſich vorüberfahren zu ſehen; dafür
wird ihm die tröftliche Gewißheit, daß
der Hausbeforger mit feiner Yamilie
fih die Primeurs der Saifon ver—
gönnen kann; daß der Friſeurgehilfe
bon einem bequemen Sitzplatz der
Borftellung folgen Tann, die Dans
jelbft ftehend mitanfieht; daß es dem
Dienftmädchen möglich ift, die neueſte
Mode mitzumahen und den Hunger
eines ſchmucken Soldaten zu ftillen.“
Das vorftehende Rechenexempel
zeigt, wie jchädlih in wirtſchaft—
liher Hinfiht das Trinkgeld unter
Umftänden auf den Geber wirkt.
Weit ſchädlicher und gefährlicher aber,
al3 in wirtfchaftliher Hinficht durch
776
die ſyſtematiſche Ausſaugung der
Spender bon unten, wirft das Trink:
geld in moraliſcher und redt-
licher Beziehung auf die Empfänger.
Wie muß fich der Charakter eines Men—
Shen geftalten, der fein Einkommen
vorzüglich aus einer Art von Vettel
zieht, deffen ganzes Sinnen und Trach—
ten auf Erhaſchung von Gejchenten
gerichtet ift! Muß fein Ehrgefühl nicht
ertödtet, fein Egoismus auf das höchſte
aufgeftachelt werden? Kann fich echter
Mannesftolz und Würde bei dem be=
haupten, für den Heuchelei, Kriecherei
und MWopldienerei die Mittel zur
Yriftung feiner Eriftenz find? Soll
man dort Widerftand gegen Gorruption
erhoffen, wo fie aus Indolenz oder
falfeh verftandener Nobleffe in einem
Heere von Schmarogereriftenzen künſt—
lih gezüchtet wird? Das Trinkgeld
in verfchiedenartigfter Geftalt und Ver—
Heidung, in feiner weitreichenden tief-
und hHochgehenden Verbreitung ift der
Dünger, aus dem die Saat der ufuel=
len Gewifjenserweiterungen und des
Schwindel ihre kräftigſte Nahrung
zieht.
Das heilige Bildnis.
N 9 ie kurz die Lebenszeit und
RR wie lang eine Nacht für den
Kranken, der nicht fehlafen kann! Und
wie furchtbar das, was ich einſt er=
fahren habe!
Erſchöpft und ſchlaflos lag id) da
und zählte die Stunden, und zählte
das Zitat der Uhr — die Pulse
jchläge der Zeit. Nach einer Heinen
Ewigkeit, in der ſich phyſiſche Schmerzen
und beängftigende Träume fortwährend
durch meine Seele geflochten Hatten,
war es drei Uhr. Dann die zweite
Ewigkeit. Gottlob, nun wird es bald
tagen. Die Gaslaterne draußen, welche
die ganze Nacht über ihre ruhige
Tenftertafel auf meine Zimmerdede
gelegt Hatte, wurde ausgelöſcht. Auf
den Gallen rollten ſchon die Wagen,
der Zeilig im Bauer begann die Schläf:
rigfeit von feinen Fittichen zu Schütteln,
aber der blaſſe Dämmerfchein an der
Wand wollte ſich noch nicht einftellen.
Es mußte Schwerer Nebel liegen über
der Stadt. Es ſchlug fieben Uhr, es
gieng gegen acht Uhr. Mas ift
denn da3? Noch immer finftere Nacht !
Plöglih kommt mir ein gräßlicher
Gedanke, ich Springe aus dem Bett,
ich ftreiche ein Reibholz, Heil auf zudt
das Flämmchen. ch athme auf, er=
blindet bin ich micht. Ich gehe zur
Uhr, der Zeiger rüdt auf Neun und
e3 Schlägt diefelbe Stunde. Ich eile
an's Fenſter, draußen ift ein ſeltſames
Lärmen, Bandlaternen zuden bin und
her und am Himmel bleibt es finiter.
Ih ſchlage den Kalender auf, feine
Sonnenfinfternis fteht drin. Durch
die Thürfuge wird wie gewöhnlich das
Morgenblatt Hereingeftedt — politifches
Gezänke, vermifchte Nachrichten, ge—
Ihäftliche Ankündigungen, marktſchreie—
tische Unterhaltungsanzeigen für diefen
Tag die Menge. Es bleibt finfter. Ich
faſſe mid an den Gliedern, rüttle
mich, um aus dem beängftigenden Traum
zu fommen, aber ich wade ja, ſehe
von der Lampe beleuchtet alle Gegen—
fände meines Zimmers Har und be»
ſtimmt. Sehe an der Wand die Bild-
niffe der lieben Menfchen, die auf dem
Kirchhofe Schlafen, fehe und höre
meinen freifchenden Vogel, der unruhig
777
flattert und mit angfterfüllten Augen
auf mi herſchaut. Meine Stirne if
nicht heiß, mein Puls geht kaum ſtärker
als gewöhnlich, Fünfundfiebzig Schläge
in der Minute. Der Zeiger fteht auf
halb Zehn, im Zimmer Nacht, draußen
Naht. Heute bleibt die Sonne aus,
oder ich bin wahnfinnig geworden.
IH eile nun aus dem Haufe.
Auf der Gaffe verwirrte Menfchen,
fie fchreien, ſtöhnen oder huſchen ſtill
dahin und prallen aneinander. Man
ruft, die Straßenlaternen follen wieder
angezündet werden. Welch ein Ver—
langen! fie brennen nicht einmal in
Bollmondnädten, wie erſt mitten im
Tage! Die Uhren jchlagen die eilfte
Stunde, am Himmel feine Wolfe, es
funfeln die Sterne, aber mancher
Himmelskundige will bemerken, daß es
fremde Sterne feien, oder aus ihren
Geleifen gefprungen. Da werden auch
Ihon Rufe laut: Die Welt ift ent—
gleist! Schredliche Rufe der Verzweif—
lung, aber noch fchredlicher die der|f
Gottesläfterung, des Aufruhrs, der
wilden Gier und Freude an der neu
einbrechenden Geſetzloſigkeit.
Ich eile zu einem befannten Doctor
für Nervenleidende, um ihn zu bitten,
daß er mich in eine Heilanftalt für
Geiftesfranfe bringen möge Er ift
umringt von Vielen, die ähnliches Be—
gehr Haben, er hält mit beiden Händen
feinen Kopf und fagt: „Liebe Leute!
Auch ih bin wahnfinnig geworden,
oder es ift das Weltende da!“
„Wenn es bloß das wäre!” ver—
jegte Einer, „aber ich fürchte, die
Melt ift nur verrüdt, wir haben die
nordiſche Nacht, die vielleicht ein halbes
Jahr dauert, oder ein ganzes, oder
immer, wir verhungern und erflarren
eines langfamen Todes. Nicht das
Sterben fürchte ih, fondern das, was
wir früher noch erleben werden.“
Ih gehe zu einem Aſtronomen.
Mit Noth tafte ich mich die finfteren
Treppen empor in feine Stube. Da
fißt er bei der Ampel und rechnet.
Simulirt und rechnet, jchüttelt den
Kopf, rechnet dann gelafien weiter.
Plöglich beleben fich feine Züge. „Es
ſtimmt,“ murmelt er.
Ich bitte ihn um wiſſenſchaftliche
Erklärung des unerhörten Naturzus
ftandes.
„Wie aus Ddiefen Ziffern erficht-
ih,“ jagt der Gelehrte, „tritt das
Ereignis in regelmäßigen Zwijchen-
räumen von 196734099 Sonnen=
jahren ein. Muß aber bemerken, daß
der Decimalbrud, um mid populär
auszudrüden, ein umendlicher ift, da=
her bei Berehnung der Rotirung
unferes Planeten während feines Laufes
auf der elliptifchen Bahn genauer als
auf das Fünftel einer Secunde nicht
wohl beſtimmt werden fan. Dasjelbe
Verhältnis — um mid) populär aus
zudrüden — auch im Raummaße.
Theilt man nämlich die Planeten in
Bezug auf die Entfernung von der
Sonne in Theile wie 4 : 13, bei An—
deren in 197 : 9801 u. f. mw. ein,
fi) an
Da ſehe ih: Auch hier ift es
finfter. Als ich wieder auf die Galle
komme, iſt das Menjchengewoge ein
noch wilderes, als vorhin. Viele Leute
haben — wie man bei den jegt an—
gezündeten Laternen ſieht fahle
Gefichter und eisgraue Haare. Andere
find ausgelaffen und treiben e& wie
bejeffen. Schon ift ein neuer In—
duftriezwweig da, ein Mann jchreit in
cynifcher Weile feine neuerfundenen
Patent-Lampions aus, die man auf
den Hut fteden kann. Ueberall auf
Strafen und Pläßen transparente
VBergnügungsanzeigen. Manchem ift das
zu wenig, fie find auf Zinnen und
Thürme geftiegen, um auszubliden
nach einer Morgenröthe. Ein lauer
Wind trägt vom Parke her die Blüten
der roten Quitte und des Apfel—
baumes und — wie unheimlich zu ſolcher
Tagesftunde ! — in einem Buſche Schlägt
die Nachtigall.
An heimlichften iſt's noch in den
Weinkellern, Bierhallen, Theatern und
in jonftigen Räumen, die man nur
bei fünftlihem Lichte zu betreten ge=
wohnt ift. Aber der Wahnfinn feiert
bier überall fein Gelage und den
Ballettänzerinnen wird zugejubelt, als
wären e3 freifende Sonnen.
Ich will mir Zerfireuung und
Troft in der Kunſt ſuchen. Ich höre
wohl die nervendurhmwühlenden Zöne
der Oper, aber immer muß ich denfen:
Es ift finfter. Ich ſehe wohl die
- Stulpturen der Hellenen, aber ich weiß,
die Sonne hat uns verlaffen und mir
ift ah und weh zum Sterben. ch
irre auf Öden Straßen und in Wild»
niffen um. Zwiſchen fchaurigen Ber—
geswuchten fteht ein Kirchlein und
ftill leuchten darüber die Sterne des
Himmels. Ich trete ein und jehe, von
zwei Kerzen milde beleuchtet, ein wun—
dervolles Bildnis. Es ift die Mutter
mit dem Kinde. Maria mit dem Kleinen
Heiland. Ich ſchaue in das milde,
reine, himmlische Angeficht, da ift mir,
als gehe ſachte, Jachte die Morgenröthe
auf. Hinfinfe id vor das Bildnis,
Hoffnung und Vertrauen erwacht. Eine
Frau figt im Himmlifchen Rath, da
fönnen wir nicht verloren fein. Ein
heitiges Weinen überwältigt mid, da
fühle ih auf meiner Stirme eine
Janfte Hand. Die Augen ſchlage ich
auf, es ift lichter freundlicher Tag
78
und an meinem Bette fteht die ge=
liebte, treue Lebensgefährtin und frägt
mich Tiebreih, was mich im Traume
denn fo jehr bewegt habe ?
„Anna,“ fage ich, fo lange id)
lebe, joll das Bildnis, welches dort
an der Wand hängt, mit Jınmergrün
und Rofen befränzt werden.
Ih habe diefe Muttergottes eben
im Traume gefehen. Sie hat nid) er—
(ö8t aus Grauen und Bangnis. Lege
Deine Hand an meine Bruft, nicht
wahr, wie wild es noch tobt, da
drinnen! Nichts ift denkbar, das fo
fchredlich wäre, wie Yinfternis. Die
Himmlifche Hat mich getröftet, Du haft
mich aufgewedt. In dieſem lieblichen
Bildnis will ich die Himmliſche und
die Irdiſche verehren. Dieſer heiligen
Maria mit dem Kinde will ich die
Lieder weihen, die ich edlen Frauen
ſinge; dieſer göttlichen Königin will
ich die Kränze opfern, die ich Dir,
mein geliebtes Weib, flechte. Welch'
gräßliche Nacht auf Erden, wenn nicht
Frauenaugen leuchteten! welch' ein
dunkles Leben müßte ich vertrauern,
wenn Du nicht wäreft!
Das Licht des Glaubens ift die
Fran im Himmel, das Licht des Le—
bens die Frau auf Erden.” R.
779
Don Mon, der koan Prozeh hobn will.
Aus dem Platten des Frik Reuter in’s Steiriihe übertragen.
A Kamberg ban Bochwirt dazähln fih
Die Gäft gern a Raubagſchicht.
Im peitn dabei gonz vadeifelt — af
wos? —
Afs Faiferli Londesgericht.
Der Dani dazählt an endslongi Wurft,
A Gſchicht vor grauen John,
Der Onderi dazählt von Patrimonal:
Und Schwurgeridts:Berfohrn.
„A Stodtgericht,” jogg Numero Drei,
„Däs ful da Teifel holn!“
Da Vierti ſchreit: „Bezirksgericht,
Däs fon ma wern gleih gituhln!*
Und oll zſom ftimens ein:
„s Schlimft fuln die Advocatn fein!
Wan Dan fo die Advocatn dronfriagn,
Wia do die Tholer aus n Sädl fliagn!
Wan 5 funtn, wos j van thatn!“
— Die ormen Advocatn!
Drauf drängg an olta Militär
Sih durdn Haufn brumelnd her:
„Wos Se da jogn, meine Her'n,
Das glaub ich gern!
Denn ih hob gonz wos onders noh erfohren
Das wor vor circa fieben Johren.
Wor dozumolen noh Major, —
Do nimm ih mir denn ernftlich vor,
Dat meine Kinder auh wos lernen müſſen.
Avaſchmang ift nit mehr, wie S' wiſſen,
Beruht nit mehr auf Heldnthaten.
Ih nim mir alio einen Gandidaten,
Uht Tage long aud jehr zufrieden;
Den Suntog drauf ein Heines Dejchench,
Wo ich, wie gewöhnlich meini Freinde jeh.
Der Gandidat auch hinbeichieden.
Gonz nett, gonz jauber, gonz ala Bonehr.
Ein jhwarzer Frad, auch weilfi Weite,
Kurzum giogg, ich freu mich jehr!
Man ſpricht jo Mandes Hin und her,
Do miſcht der Menſch fih in die Gäſte
Und redet mit,
Red't leibhoft mit,
As wär er uns gonz ebenhürtig! —
Das pahte mir natirlih nicht!
Ih ſchau ihm alfo grade ins Geſicht.
Er madt ſich nir und bleibt beim Wort.
Ih leg mein Meſſer und mei Gobel fort,
Und richt’ mich etwas in die Hech,
Und jeh ihn jehr bedeutend on —
Und, meini Herrn, wann ich fo ſeh,
Wie ich zumeilen fehen fon,
Dann — äh — äh — äh — dann — äh — äh,
Don bleibt mir Jeder aus der Näh!
Doch er, er fehrt fi gor nit dron,
Fohrt fred in dem Erzählen fort.
Na, hier wor freili nit der Ort,
Gehörig Büldung ihm zu lernen.
Ich werd ihn nochmol jchorf onjehen,
Und fong dann on, hinauszugeben,
Und werde mich fogleih entfernen,
Und — denten Se! — er bleibb gonz froh
und heiter!
Spricht nit allein — nein, ißt aud
weiter!”
„Ei ei,* fogg Dana, „Herr von Buag,
Den hobn Se noh nit ongihaut gnuag!
„Na na,“ jogg drauf da zweiti Mon:
„Den hobns nit gugg noh ſchorf gnuag on!“
„Na, meini Herrn, ich jag es ja,
Daß ih nad ihm ganz bölliich Jah.
So fah ih auf den Menſchen nieder!"
„Is 8 migla!“ jogg biaz ah da Britt,
Daß er däs ausholt!t? — Ih ſcha nit.
Und der vadomti Kerl iht weiter ?*
„Na, ich natirlich fee mich nun hin,
Und tichentelmentif, wie ih bin,
Thu ftandepede einen Brief ihm jchreiben:
Das könnt natirlid nicht jo bleiben,
Mir thäten nit zujammenpafien,
Und der Gandidat foll gleid mein Haus
verlaſſen.
Dos thut er auch, verloßt mein Haus;
Und ich denf! mir, die Sad iſt lange aus,
Do fumt ein Brief fo mit der Poft
Von einem Kerl von Advocaten,
Worin er für den Gandidaten
Berlangt an Lohn, an Wohnung und an Koft
Und funftigen Alimentazionen —
Wia viel? — Nau, rothen Sie! — Zwei:
hundert!
Ich bin natirlich jehr verwundert
Und jchreib ihm, er möchte mich verjchonen,
Die Sache wär jo längit vabei,
Und id wär gar nicht fürs Procefjen! —
Drauf dent ih mir, 8 ift Alles in der Reih',
Die Sad’ ift aus der Welt, Jetzt krieg ich
unterdeflen
Ein Schreiben der Yuftizlanzlei,
780
Ein’ großen Brief. Das find ih merfwürdi,
Ih brih ihn auf — und Tel’ — ver:
wunder mib,
Denn, denken Sie, nun fordert das Gericht,
Mid in der Candidateng'ſchicht'
Vor der Kanzlei zu offenbaren!”
„As warn Se," jogg der Erft, „a Schuafta
warn!”
„Na, däs wird imma netta!* fogg da Zweit,
„0, dos fein Gſchichtn!“ moant da Dritt,
„Dak d Herrn nir Gfceiters 3 mochn hobn,
Mia do in oltn Feiner umagrobn,
Ba wegn a jo an Gandidatn!
Ah Jeß — de Herrn! De Advocain!“
„Nun, ich,“ ſogg Herr von Buag, „ich jet
mih nieder —
Der Kanzlei Director ift mein Freund,
Und ſchreib ihm horrflein Alles wieder,
So wär’ es nicht gemeint.
Erzähl ihm die Geſchichte noch einmol,
Wie ih den Menſchen dreimol ongegudt,
Wie er dabei fih nicht gemudt,
Und wie die Sade längft begraben;
Und an Prozeß wollt’ ih durchaus nicht
haben. —
Jetzt, natirlih, dent’ ich, iſts vorbei;
Ich hatt’ mich deutlich ausgeſprochen;
Do, denfen Sie, erholt’ id nad vier Wochen
Ein zweites Schreiben von der Kanzelei:
Ih hätt’ ſchon eine Friſt verſeſſen,
Bei Androhung von weiterem Schaden
Werd’ ich darin zum zweitenmol geladen.
Und ich, ich wollt’ ja nicht procefien !”
„Wan Dana,” fogg der Erfti, „ſcha mit
will!“
„Mit Gmwolt jo an Prozeh! Na das is
3 viel,*
Moant drauf da Zweit, „Däs is gemein!”
Sogg ah da Dritt, „na, liaba Herr,
Wan ih wos dreinzredn hät, ba meiner Ehr!“
„Mir ift die Sad’ notirlih nicht egal,
Ich ſetz' mich hin und Schreibe nocheinmal:
Mein erfter Brief wär" wohl verloren,
Man jult’ mi loſſen ungeſchoren,
Ich hätte nichts nicht mit dem Gandidaten,
Auch nichts nicht mit die Mdvocaten,
Die Advocaten wären Raben,
Und an Procek wult’ ich durchaus nit haben.”
„Recht,“ moant der Erft, „do hobns eahms
tüchti gſogg!“
„Und is a Rua gewen?“ drauf da Zweiti
frogg.
„An Unfinn jo wos!“ ſchreit da Britti.
„Na, denk’ ich, nun ift es abgemadt,“
Sogg Herr von Buag; „da, nad) at Wochen,
Als ich ſchon lang an nichts gedodt,
Do fummt ein dider Brief zu mir;
Kummt mir glei nicht richtig für,
Und als das Siegel ift erbroden,
Da leſ' ih Euch, ih bin verurtheilt,
Die gonzi Summe und die Koften,
Bujammen ein recht netter Poſten,
Den ich fogleih bezahlen follte!
Proceß verloren, den ih gar nidt
wollte!
Ich gud den Brief wohl dreimal on —
Se wiſſen, wie ih guden fonn!
Die Sache war ja längft begraben,
Und ein’ Proceß wullt! ih ja gar nit
haben!
Und nun, trogdem ihn dod verloren! —
| Das nennt man ein Gerichtsverfohren!*
Kleine
Saube.
a en
Yor dem Bilde,
Prolog
zur fFejtvorftellung anläßlich der Enthüllung des Widenburg-Denfmales in Gleichen—
berg am 22. Mai 1887, vorgetragen im Theater des Curortes*)
verfaßt von Anton Schloſſar.
Die Queſſennymphe fritt auf und ſpricht:
Seid Alle froh begrüßt im fillen Thale,
Wo edlen Heilgewäffers Gabe quillt,
Genefung winkt aus meiner vollen Schale,
Auf daß die Bruft zu neuem Leben jchwillt,
Und die Ihr wandelt hier im Sonnenftrahle
Und die Ihr athmet dieſe Lüfte mild,
Zum ſchönen Tag, der heute und entglommen,
Ruf’ ih den Gruß Euch zu und froh Will:
fommen!
Kaum ift ein Halb Jahrhundert noch ent:
flogen,
Da lag verödet rings hier Strauch und Baum,
Durd wilden Sumpf nur ftille Bächlein zogen,
Raum eine Blume nidt an deren Saum,
Dort in der ferne mochten Felder wogen,
Das Thal bier lag mie ein verlorner
Traum,
Es firih darüber nur von ſchwülen Lüften,
Die mengten fih mit feuchten Moorespüften.
Da kam der Mann, deß Bild jegt aus der
Fülle
Der duft'gen Roſen und Violen blintt,
Er hatte raſch erkannt die ſchlechte Hülle
Des Bodens, draus der Heilung Segen winkt
Im edlen Tranf und in des Thales Stille
Der morihen Bäume Zahl zu Boden fintt,
Bald dufteten die Trauben der Syringen,
Um deren Stamm fi andere Blüten
ſchlingen.
All' dieſe Au'n und dieſe Blütenbäume
Erſtanden auf den Winf nur jener Hand,
Sie ſchuf, daß der Genefung Quelle jhäume,
Sie madhte rings zum Paradies das Land,
Und immer präcdht’ger wurden dieje Räume,
Wo der Gejundheit ftolger Tempel ftand,
Bei dem ſich Viele aus den fernften Landen,
Die Heilung ſuchten, hofinungsfreudig
fanden.
Und mehr nod hat die Thatfraft uns er:
rungen
Des Edlen, deifen Bild hier leuchtend fteht,
Was feinem Walten hier im Land gelungen,
Viel reiher Segen ward dafür erfleht,
Ihn preijen taufend Herzen, taufend Zungen,
Sein Name bleibt in Steier unverweht,
Als deſſen erfter Lenker er vor Zeiten
Das Schiff lieh ſicher durch die Wogen gleiten.
Die Thränen, die auf feine Gruft gefallen,
In deren Naht man drüben ihn gejentt,,
Darob er jelber jchuf des Tempels Hallen,
Sie mweihte ihm das Volf, das er gelenft,
fein Steiermärler ſoll vorübermallen,
Vergefien Keiner, was er uns geichenft,
Was er dem Land, was er dem Reich ge:
boten,
Wir zählen ftolz ihn zu den beften Todten. —
Doc galt dem Quellenthal fein tiefftes Lieben,
Drum denfen wir nur defien, was im Gau
Von feinem Schaffen hier uns ift geblieben,
) Matb. Gonftantin Widenburg, dur eine Reihe von Jahren (bis 1849) Gouverneur der Steiermarf,
fpäter Minifter, + 1880. Er ift der Begründer des Curortes Gleihenberg, woſelbſt er auch eine Kapelle
erbaut hat, in deren Gruft er kei ift. Die Entbüllung des ſchönen Monumentes an dem oben genannten
Tage gab Reranlafiung zu gro
Berfönlichkeiten des Landes betbeiligten,
artigen Feitlichkeiten in Gleichenberg, an denen ſich die hervorragenditen
782
Es weift dies herrlich mander ftolze Bau,
Auf jeder Blume fteht es eingeſchrieben,
Die aufftrebt zu des milden Himmels Blau,
Er bot den Becher dar, aus dem wir trinten,
Die Perlen, die im Glafe Heilung winken.
(Der rüdwärtige Vorhang hebt fih, man erblidt die
Büfte des Grafen Widenburg, umgeben von den Ber»
tretern verſchiedener Nationen, die zu berfelben
emporbliden,)
Herbei, Ihr Völker, Kinder aller Zonen,
Quält Euch das Leiden, ſeid Ihr matt und
frant,
Weilt hier im Thal, e8 wird fi reichlich
lohnen,
Schöpft guten Muthes dieſen Haren Tran,
Friſchen Fröhlihen Krieg?
(Eine Zuſchrift.)
Lieber Heimgärtner !
Neulich haben wir etwas im einer
Zeitung gelefen, das hat uns gar nicht
gefallen. Es ift — mit Reſpect zu jagen
— jternbligfonnenflar erlogen. „Selbit
den unteren breiten Volksmaſſen,“ beißt
e3 dort, „wird der gegenwärtige Zuftand
zu arg, fie find eines faulens Friedens
fatt und wünſchen den frifchen fröhlichen
Krieg.“
Mer der Menih ift, der jo etwas
ſchreibt, das willen wir nicht, denn jo ein
Zeitungsichreiber drudt feinen Namen nie
dazu, damit man ihm nicht beim Schopf
nehmen fann und damit es ausfieht, als
wäre das Ding nicht der Ausdrud eines
Einzelnen, fondern die öffentliche Meinung.
Mer aber unter den „unteren breiten
Volksmaſſen“ gemeint ift, das wifjen wir,
nämlich der Bauern- und Slleingewerbe-
ftand, der deshalb jo tief unten ift, weil
er von jeber unterdrüdt worden, und der
deshalb jo breit ift, weil er eigentlich die
Grundfefte für den ganzen Staat fein muß.
Wir alſo — die unteren breiten Volks—
maſſen — haben uns um jolche Zeitungsjachen
niemal3 gekümmert, und ift uns jchier
immer alles eins, was die Herren jchreiben,
nur dab es mandmal was zu lachen gibt.
Meil wir jedoch willen, daß Andere find, die
in der Zeitung gerade ihr Evangelium jehen,
haben wir uns Etliche zujammengethan
Ihm aber, Ihr aus allen Nationen,
Bolt Euren beften, Euren wärmften Dant,
Ihm, deſſen Edelfinn dies Heim gegründet,
Das feinen Ruhm längſt durch die Welt
verfündet,
Ya, dankbar bliden heut wir auf das Ganze
Und danfbar ſei dies theure Haupt geſchmückt
In Eurem Namen mit dem grünen range,
Den weihevoll Erinnern ihm gepflüdt,
Der Marmor drüben mahn’ im Sonnen:
glanze
Un den, der uns mit ſolchem Wert beglüdt,
Der Segen, den bier alle Welt gefunden,
Graf Widenburg bleibt ftet3 mit ihm ver—
bunden!
und gejagt: So eine Lug’, ald ob wir
Bauern Krieg haben möchten, müflen wir
doch einmal auf die Wand nageln.
Seit die Welt fteht, bat der Bauer
noch feinen Krieg haben wollen. Haben
wir Sonntags einmal gerauft im Wirts«
haus, nu, jo ift3 gemwejen, weil wir einen
Rausch gehabt haben; am Montag find
wir wieder nüchtern geweſen, und fleißig
an die Arbeit gegangen. Sind Räuber
ins Haus gebrocden oder find uns endlich
die hohen Herren zu arg geworben, wenn
fie uns haben wollen die Haut abziehen,
jo haben wir auch einmal zugejchlagen,
haben Hausrecht geübt und find nachher
wieder an die Arbeit gegangen.
Einen „faulen“ Frieden fennt der
Bauersmann nicht, von einem „faulen“
Frieden fann nur der Müffiggänger ſprechen,
der nicht arbeiten will und vor lauter
Langweile ftintend wird. Solche Leute
werden zur Friedenszeit Lumpen und Nicht«
linge und wollen den Krieg, damit fie auch
was leijten können, nämlich dreinihlagen
— jonft haben fie ja nichts gelernt. Solche
mögen fih im Krieg mandmal auch was
ergattern. Für den Bauer ift jeder Strieg,
auch der fiegreichfte, ein Unglüd. Wir
wollen feinen Krieg, der Bauernftand ift
hart genug, um unfere Kraft, unferen Muth
zu üben, und macht der Frieden nicht faul
und nicht fchleht — wir arbeiten.
Und das foll man fich auch merfen:
Nicht allein der deutjche Bauer denkt jo,
jondern gewiß auch ber ruffiihe und der
— ———
783
türfiijhe und der franzöfijche. Der Bauer
ift überall Bauer, er hat jeinen Grund
und Boden und braucht den Frieden dazu
— den frijchen fröhlichen Frieden.
Immer liest man von der Kriegsluſt
des franzöfiihen Volles. Von diejem
„Volk“ muß man aber abziehen den Bauer
und Gewerbsmann, den Gejhäftsmann,
den Schulmann, Gelehrten, Priefter und
Künftler, all die Weiber und Kinder, alle
Männer, welche erwadhjene Söhne haben;
was dann no übrig bleibt vom franzöfi-
ſchen, Volk,“ das vielleicht will den ſtrieg,
und macht ihn auch. Diefer kleine Ueber-
reſt würde ihn jchwerlid machen können,
wenn das Voll laut feinen Willen jagen
wollte. Wenn nur Niemand hebt, dann
ifts nicht jo gefährlich mit dem Angefallen-
werden; wenn nur Niemand hebt, das
Ihier im Menfchen ift micht jo ſchlimm,
al3 man vorgibt; wenn nur Niemand
best, die Völker wollen Ruhe haben und
bie Feindſeligkeiten Fojten ihnen zu viel.
Das Volk der Arbeit will feinen Krieg,
nicht hüben und nicht drüben, und das
ift unjere feſte Meinung.
Wir laffen e3 gelten, für gewiſſe ver—
lotterte Kreiſe und tolle Verfahrenheiten
mag manchmal der Krieg wohlthätig jein.
€3 gibt Körper, denen mitunter ein Ader-
laß noth thut, die den Krieg brauchen,
um den Frieden ſchätzen zu lernen, die
gezüchtigt werden müllen, damit fie brav
werden. Bei und Bauern ift das nidt.
Wir müſſen einrüden, wenn wir gerufen
werden, wir werden tapfer jein, wenn
wirklich unjer Heimatland, unjer Herricher-
haus, unjer Glauben in Gefahr ift — aber
wünjchen werden wir den Krieg nicht und
niemals, wir baffen ihn, wir fürdhten ihn
— Gott im Himmel bewahre uns vor
dem Krieg!
Sollen wir uns erjt erinnern, wie e3
in der Bauernihaft zu Kriegszeiten aus—
fieht ? Der Boden brad, oder die Frucht
verbirbt auf dem Feld. Klein Mann da,
lauter Weiber, Kinder, Greije, Krüppel.
Raubhorden, Hunger, Seuchen, Zerfahren-
heit, Zudtlofigfeit, Elend allerart. Dazu
der Reft von Hab und Gut noch fortge-
nommen; was der Feind nicht nimmt,
braudt das Vaterland. Alle Wohlhaben-
beit und Sitte, alle Frucht der Bravbeit,
des Fleißes von langen Jahren zerftört.
„Gottesgeißel“ jagt der Menſch und flicht
fie jelber und peitjcht fich jelber wie ein
Wahnfinniger.
Das iſt der „friſche fröhliche Krieg.“
Und erjt wer ein Schlachtfeld gejehen hat!
Ich Habe es gejehen, es ift nicht möglich,
dem, der es nicht geſehen hat, eine Vor—
ftellung zu geben von dem unerhört Gräß-
lien, das auf dem Schlachtfeld ift. Gott
ift auf dem Schlachtfeld noch barmberzig,
er läßt die Menjchen ftumpffinnig werden,
ſonſt fönnten fie den Jammer, die Schreden
nicht ertragen, — Unſere Söhne, die wir
mit Liebe umgeben baben in ihrer un—
ihuldigen Kindheit und frohen Jugend,
denen wir die Gebote der Gerechtigleit
und Nächſtenliebe ind Herz geprägt haben,
die wir zu Gefittung und Glüd erzogen
haben — dort liegen fie ächzend, mwim-
mernd nah Vater und Mutter, nad) Ge-
ſchwiſtern und Heimat gräßlich verftümmelt
in der Lache ihres eigenen Blutes, oder
bingemordet, das gebrochene Auge noch
gegen Himmel ftarrend nach dem rächenden
Gott. Wen trifft der Fluch? Den Mann,
der die Kugel hergeſchoſſen hat? Nein,
Jene, die den Krieg gemadt haben,
Merkt es Euch, ihr Herren Weltlenfer
und Beitungsjchreiber, wir — die unteren
breiten Volksmaſſen — wollen den friichen
fröhlichen Krieg nicht. Unſer Batriotismus
ift die Arbeit.
Lieber Heimgärtner! Wenn Sie das
in Ihre Schrift druden wollen, jo können
Sie davon überzeugt fein, daß Sie damit
die Meinung und den Willen des Volkes
ausſprechen.
In brüderlicher Geſinnun
ein Landmann.
Was KRriege koften.
Es gibt, mein lieber Landmanır,
wohl auch Zeitungen, die nicht für den
Krieg find. Durch ſolche Blätter geht —
nah den Aufzeichnungen de3 berühmten
Statiftifers Dr. Engel gemaht — eine
Au Be
784
——
interefjante Notiz darüber, was die Kriege
der legten 30 Jahre (mit Ausschluß des
ſerbiſch⸗ bulgariſchen, des Tonking⸗ und
Birmakrieges in den letzten Jahren) an
Menſchenleben verſchlungen und an Geld—
opfern gefordert haben.
— — —— — — — — — —
Zu — Ge Id»
rear | ei: In
Rrimtrieg .
—— 750000 7960°
Stalienifher Krieg von
1. PURE 45000) 1200
Daniſcher Krieg von 1864 3000 140
Amerilanifhe Bürger:
friege:
a) Nordftaaten -.... ' 280000 18800
b) Südftaaten ...... 520000 9200
Deutſcher Krieg von 1866 | 45000) 1320
Erpedition nad Meriko,
— Maroklo,
Paraguay... ........ 65000 800
dagg ⸗ ranzöfifger
Krieg:
a) Branfreid......- 155000 12000
b) Deuticdland...... 60000 —
Bulgariih = ſerbiſcher
Aufſtand ........... 235000 700
Ruffiich » türliſcher Krieg 250000 4500
Capkriege .. ... ....... 30000 35
Afghanifher Krieg..... | 25000] 534
Summe... 277 567084
Jede Bemerkung it überflüffig. Man
mag ſich jein Theil denken.
Heimat und BYaterland.
Von Theodor Vernalelen.
Warum benennt man die Spracde
nah der Mutter und das Yand nad
dem Vater (Mutterſprache — Baterland) ?
Die Mutterſprache ift die von der Mutter
ber überfommene, und al3 die natürliche
beimatlihe Spracde bezieht fih die Be—
nennung bejonder3 auf die Landesmund-
art. Mütter, die ihre Kinder fremden
Bonnen zur Erziehung überlafjen, ver-
dienen dieſen Ehrennahmen nidt. Die
Väter ſtehen der Erziehung ihrer Kinder
anfangs etwas ferner als die Mütter,
deren Liebe und Sorge höher ift; daber
jagt ein alter Schriftiteller: „Was der
Mutter an's Herz gebt, das geht dem
Vater nur an die Knie“. Der Vater
bat mehr den Erwerb und da3 öffentliche
Leben im Auge und man jagt mit Recht
die „Vaterſtadt“, aber die „Mutter
ſprache.“
Dieſe Betonung der Mutter und bie
Bedeutung der Sprache derjelben und
der Umgebung führt von jelbft auf den
Begriff: Heimat. Das Heim bezeichnet
da3 Haus, in dad man gehört; die
| Mohnftätte der Eltern. Heimat ift das
Land oder auch nur der Landitrid, in
dem man geboren ift oder bleibenden
Aufenthalt hat. So jagt Schiller (im
Tell): „Leider ift die Heimat zur Fremde
Dir geworden“. Auch in Bezug auf
Pflanzen und Thiere, 3. B. die Heimat
diefer Pflanze ift ungewiß. Ein Heim-
gang ift das Gehen nah Haufe. Heim-
garten bezeichnet ſowohl den bei einem
Heim gelegenen Pla als aud die trau-
lihe Zufammenkunft, Unterhaltung, wie
fie auch dieje Zeitjchrift gewährt.
Die Eindrüde, welde die Heimat
gibt, find dauernd für das ganze Leben
des Menſchen. Darum jagt Scheffel im
Eltehard: „Der Ort, wo Tage jtrebjamer
Jugend verlebt wurden, wirkt wie Mag-
netjtein auf's Herz; es braucht jo wenig,
um angezogen zu jein; nur der ift arın,
dem das große Treiben der Welt nicht
Zeit vergönnt, fih örtlich und geiftig an
einem ftillen Plage niederzulafien“.
Das Wort Vaterland enthält
den örtlich erweiterten Begriff von Heimat.
Letzteres ift ſowohl das Geburtsland als
auch das Gebiet, in welchem man id
dauernd niedergelafjen bat. Hit diejes
Gebiet zugleih Geburtsland, jo find
Heimat und Vaterland dasjelbe (identiſch).
Hat man in der fremde eine neue Heimat
gefunden, jo braucht dieje deshalb nicht zum
Vaterlande zu werden, denn der Begriff
Vaterland hängt mit der Geburt zu—
ſammen. Wo ich geboren bin, da ijt mein
Vaterland, aber jedes Land kann meine
Heimat werden, das liegt in dem Begriffe
von Heim. Das Geburtsland bedingt
— mie dad Wort jhon jagt — die
Nation (lat. natio, d. h. das Geboren
werden, der Vollsſtamm). Die Sprade
diefer Nation ift meine Mutterfprade
und wer fie Ipricht, ift mein Landsmann.
vr
Der Begriff Nation ift erjt im neuerer
Zeit auf das Staatlihe oder Politiſche
übertragen, daher jpricht man fäljchlich
von einer ungarifchen, böhmilchen ꝛc.
Sprade, die es jo wenig gibt, als
eine jlavifhe oder eine germanijche
Sprache. Die meiften Staaten und mande
Staatentheile ſchließen Bruchtheile ver-
ſchiedener Völkerſchaften (Nationen) in
bh, von denen im Laufe der Zeit eine
in die andere übergebt; 3. B. Franken
find geworben zu Franzoſen (daher der
Name), Longobarden zu Jtalienern (Lom—
bardei), jlavishe Stämme zu deutſchen
u. ſ. w. Das bringen Macht; und Eul-
turverhältniffe mit fih. Der Deutjche
nimmt zu leicht das Fremde in fih auf,
er bat wohl ein ftarfes Freiheit3- und
Selbftgefühl, aber bisher hat er wenig
nationalen Sinn bemwiefen. Er möchte
Alles lernen und willen, und dabei ver-
gißt er oft feine Abſtammung; er hält
häufig Fremdſprachen für vornehm und
lernt weit über Bedürfnis fremde
Spraden. Der Deutjche hat einen regen
Ausmwanderungstrieb und dabei verliert
er jein Volfsthum und gibt jogar feinen
ehrlihen Namen auf. Solde Perjonen
nennt man Mechjelbälge. Sie haben den
leichtfertigen Grundſatz: Ubi bene, ibi
patria, oder wie ©. Brandt jagte:
Mein Vaterland ift, wo ich bin.
E3 kommt übrigens aud vor, daß
einer von einem Lande al3 DBaterland
ipricht, das andersjpradige Völkertheile
in fih faßt, 3. B. ein in der deutjchen
Stadt Zürich geborner und zuftändiger
nennt wohl den Kanton Zürich feine
Heimat, aber die Schweiz fein Vaterland;
ein in Klagenfurt geborner, nennt Kärnten
feine Heimat, aber Oeſterreich hat er bis—
ber immer fein Vaterland genannt. Da-
raus geht hervor, daß auch die politifche
Zufammengebörigfeit in Rechnung gebracht
wird. Der in Augsburg geborne und
dort bürgerlich zuftändige, auch wenn er
zeitweilig feinen Wohnfig anderswo hat,
nennt Augsburg und Bayern jeine Heimat
und das deutſche Reich fein Vaterland.
Gibt er aber feine Heimatrechte auf, und
wird zuftändig in Salzburg, fo ift diejes
Rofegger's „‚Geimgarten‘‘, 10. Geft, XI.
jeine neue Heimat, und erjt jeine in
Salzburg gebornen Kinder werden wirk—
liche Oeſterreicher.
In gewiſſen Fällen kann ein fremdes
Land auch ein Adoptiv-VBaterland werden,
3. B. Fürſt Mlerander von Bulgarien
ward durch Berufung von der Nation
ein Adoptiv-Bulgare, Nach feinem Weg: -
gange aus Sofia dankte er dem Bür-
germeijter von Darmjtadt für die freund»
lihe Aufnahme in „die theure Heimat“
und nannte fi einen: „Helfen“, nachdem
er wie Peter Schlemihl jeinen Schatten
verloren hatte.
Wie e3 feine rein kirchlichen Staaten
mehr gibt, jo auch feine rein nationalen
Staaten, darum hat der Staat die Pflicht,
gegen feine anders Gläubigen und gegen
feine anders Sprechenden tolerant zu fein
und jedem gewaltjamen Uebergriffe zu
wehren. Die Gleichberehtigung der Be—
wohner bezieht fih aber nur auf Die
bürgerliche Stellung; ihre Spracde
und Eultur find jelten gleihwertig. Bei
uns in Dejterreih treiben einige Bruch—
theile ſlaviſchen Stammes mit verjchie-
denen Spraden, ebenjo die Magyaren
in Ungarn nur nationale Politif; die
Deutfchen denfen nur daran, den Gliedern
ihrer Familie im In» und YAuslande die
eigenthümliche Entwidlung gefihert zu
jehen, die Entwidlung einer Cultur, von
deren Früchten die Anjpruchsvollen fremd-
ſprachiger Stämme jelbjt den größten
Nutzen gezogen haben und heimlich noch
ziehen.
Da das deutjche Volksthum daheim
theils wächſt, theil3 Verlufte erleidet, denkt
man jegt mehr al3 je daran, den Auswan—
derern die neue Heimat zu fihern. Dazu
iſt aber nöthig, daß dieje jelbit zujam-
menftehen und ihr Volksthum nicht auf-
geben und mit ihrem Mutterlande die
culturelle und materielle Verbindung
erhalten. Dies wird dur die neuge—
ihaffene deutihe Seemacht ermöglicht.
Der Begriff „Vaterland“ darf nit in
die Landesgrenzen eingezwängt werden.
Wir Deutjhe fommen zwar jpät, aber
wir fommen, und die Colonijationen in
und bei New-Guinea, in Dft- und Weft-
50
786
afrita, jcheinen gerade noch rechtzeitig
unternommen zu fein, und „wo Tauben
find, da fliegen Tauben zu.“
Mein Zubiläum.
Ein literariſches Modell von Ferdinand
Gro$. *)
Vor einigen Tagen waren e3 fünf-
undzmwanzig Jahre, daß ich zum erften
Male etwas habe druden laſſen. Aus
berechtigter Bejcheidenheit äußerte ich nichts
über diejes Jubeldatum; die Beobachtung
verjchiedener, in neuerer Zeit ftattgefun-
dener Jubiläen bat mich darüber belehrt,
wie viel Verlogenheit, faliche Biedermeierei
und erfünftelte Rührung bei jolden Ge—
legenheiten mitunterläuft, und ich wollte
nicht mitmachen, was ich an Anderen weidr
lih verladt hatte... . Nun denten Sie
fi meine Ueberrajhung, wie ih an dem
von mir jo jorgjam verheimlichten Felt
tage erwache, und nachdem ich mich über-
zeugt, daß die Sonne in mein Yung-
gejellenheim nicht anders ſchien als jonft,
hierauf gefrühftüdt und einen Blid in
die Depeihen des Morgenblattes ger
worfen — plötzlich den Entſchluß falle,
feierlihe Toilette zu mahen .... Zu
meinem maßlojen Erjtaunen legte ih, als
ob das jelbftverftändlih wäre, jchwarze
Beinkleider, ſchwarze, en coeur ausge-
jchnittene Weſte, ſchwarzen Frad (ich habe
feinen anderöfarbigen), weiße Gravate,
weiße Handſchuhe an und vervollftändigte
meinen äußeren Menſchen durch meine
Laditiefletten, welche jpiegelblanf glänzen,
und dur einen mechaniſchen Eylinder-
but, der beim Aufllappen das Geräuſch
einer losgehenden Zimmerpijtole täufchend
nahahmt. Nachdem dies gejchehen, ver—
ließ ich meine Wohnung, ging aber nur
ein Stodwerf abwärts, fehrte dann zu—
rüd, läutete an meiner Thüre und fragte
den bdiejelbe öffnenden Diener: „Bin ich
) Entnommen ber Sammlung „Literariihe
Modelle und andere Geſchichten? von Ferdinand Groß.
(Berlin, 6, Fiſcher. 1887.) Wir glauben daß neue
Werkchen des geifivollen Ecdhriftitelle.3 nicht befier
empfehlen zu können, als indem wir daraus bie vor«
ftehende Eatyre unferen Leſern —— ua
e Medi
ihon zu ſprechen?“ Johann ſah mid
ein wenig verdußt an, jagte wie geiftes-
abwejend „Ya“ und ließ mich ein. Ich
begab mich in meinen Salon, ftellte mich
vor den Wandipiegel, machte eine tiefe
Berbeugung und hielt an mich folgende
Anſprache: „Verehrter Herr! Gefeierter
Beitgenofje! Ein Vierteljahrhundert ift
in den Schooß der Emigfeit verjunten,
jeitdem Sie bie jeder ergriffen, die in
Ihrer Hand ein fiegreihes Schwert ge-
worden. (Ich machte eine abwehrende
Bewegung, die der Spiegel getreulid
reflectirte.) Sie errathen, weshalb id
bier erjchienen bin. Die gebildete Welt
fann diefen Tag nicht vorübergehen laſſen,
ohne Ihnen einen Beweis anerfennender
Würdigung darzubringen, ohne Ihnen zu
erklären, daß wir Alle Ihre Bedeutung
zu ſchätzen willen, und dab Sie fid
jagen dürfen, fih jelbjt genug gethan
und darum für alle Zeiten gelebt zu
haben. Ich jpreche in Ihrem eigenen
Namen, wenn ich Ihnen Glüd und Heil
wünſche auf den weiteren Wegen Ihres
Lebens und Schaffens. Das Selbit-
bewußtjein ift das ſchönſte Bewußtſein,
das eines tüchtigen Mannes Bruft zu
erfüllen vermag. Darum lafjen Sie fih
in Ihrer enthufiaftiichen Beurtheilung Ihrer
bisherigen Wirkſamkeit nicht irre machen
dur Eritifche Nergeleien von Seiten Un-
berufener! Beachten Sie nicht Gegner-
ihaften und Feindlichkeiten, welche fi
würdig zu drapieren meinen, indem fie
fih auf jahlide Gründe ftügen! Hören
Sie nicht auf die Ffeifenden Stimmen
Derer, welche Ihnen den Lorbeer, den
Sie fih aus Weberzeugung um’3 Haupt
geflochten haben, ftreitig machen möchten !
Bliden Sie nit nad aufwärts, fondern
nah abwärts, und Sie werden nidt
wanfend werden in der großen Werth—
ſchätzung, mit der Sie fich beehren ! Brauche
ih Ihnen heute Ihre Verdienfte einzeln,
eines nad dem anderen, aufzuzäblen, um
darzuthun, wie viel Urſache Sie haben,
auf fich ftolz zu fein? Sie ftellen wenige
Menſchen jo bod, wie fi, und zwar
mit vollem Rechte. Jede Zeile, die Sie
jchreiben, gilt Ihnen als Ausfluß eines
-
‘
hohen Geiſtes. Sie willen, daß Ihre
Leiftungen immer von einer edlen Ten—
den; getragen find, und mo Gie dieſe
nicht auf deu erften Blick erkennen, da
nehmen Sie lieber Mangel an Verftändnis
al3 den wirklichen Abgang einer jolchen
Tendenz; an. Früher oder jpäter ent-
deden Sie doch, was Ihnen auf den
erften Blid verborgen blieb, und erjcheint
die Stunde, in mwelder auch Ihre an-
fänglih verfannten Leiftungen zur Gel-
tung fommen und fi Ihren enthufia-
ftiihen Beifall erringen. Es ift feine
Phrafe, ſondern der Ausdrud innerfter
Ueberzeugung, wenn ich Ihnen verfichere:
Sie dürfen mit Beruhigung auf das ab-
gelaufene Vierteljahrhundert zurüdbliden.
Sie dürfen ſich zugeftehen, daß Sie Ihr
Können während diejer Zeit in einer Weije
verwendet haben, die Ihnen Ihre rüd-
baltloje Achtung abringen muß. Bliden
Sie um fich (ich befolgte diefen Rath),
und Sie werden Niemanden gewahren,
aus defjen Auge Neid oder Mikgunft
ſpricht, Sie werden feiner Miene morofer
Mipbilligung begegnen. Prüfen Sie jeden
Schritt, den Sie durch fünfundzwanzig
lange Jahre gethan, und Sie werben ſich
bie allgemeine Achtung nicht verfagen.
Eie ftehen im Hochſommer Ihres Lebens
(ih trodnete mir den Schweiß von der
Etirne), in voller Kraft genießen Sie
die Früchte Ihres Strebens und Ringens,
und vorausfichtlih werden Sie auch im
Herbft und im Winter Ihres Erdenwandels
ebenjo Nütliches, ebenjo Lobensmwerthes
zu Zage führen, wie bis nun. Was ic
beute bier thue, ift mur die natürliche
Eonjequenz Ihrer Laufbahn, die an einer
bedeutungswollen Scheide angelangt iſt.
Nach Ihren Antecedentien konnte es nicht
anders fommen, al3 daß Sie zu Ihrer
filbernen Hochzeit mit dem Schriftthume
fih die herzlichſten Glückwünſche zollen
mußten, bictirt von einer Liebe zu Ihnen,
die Niemand wärmer empfindet als Sie.
Es hätte nicht mit rechten Dingen zu—
gehen müflen, wenn Sie dieſe Gelegenheit
nit benüßt haben würden, um endlich
einmal auszufprecen, was Ihnen jo lange
im verjchwiegenen Bujen gewohnt. Sie
87
erfüllen eine heilige Pflicht, wenn Sie
fih heute den Tribut des Dankes ent-
richten für al’ das, was Sie in- zwei-
einhalb Jahrzehnten bervorgebradt. Ich
weiß, dab Sie fein Freund vieler Worte
find. Deshalb begnüge ih mid, Sie
meiner Verehrung zu verfichern und den
Wunſch auszubrüden, daß Sie fih nod
lange, lange Zeit mögen erhalten bleiben,’
friih an Körper und Geift. Der Jubilar
lebe hoch, hoch, Hoch!“ Ich fiel in diefen
Ruf einftimmig ein. Nun wollte ich
danken, aber die Stimme verjagte mir
vor Rührung; ich hatte feinen Grund,
an der Ehrlichkeit des joeben Gehörten
zu zweifeln, und deshalb bewegte e8 mich
in der tiefften Seele. Ich jchüttelte mir
mit der Rechten mehrmals die Linfe und
jftammelte, während ih in Thränen aus
brad, unzufammenhängende Saptheile.
„Ihre Güte überfhägt mein Verdienſt,
weldes nur . . . Können ſchwächer als
Wollen... . nicht gefaßt auf ſolche Wür-
digung . . . verjpredhe, auch fernerhin
mih dem Guten, Schönen und Wahren
zu widmen . . . Ihre mir unvergeßliche
Rede wird mich anjpornen .„.. . ich bin
unfähig, ganz unfähig ... . taufend Dank
Ihnen und Ihren Gefinnungsgenofien ...
ein folder Tag entihädigt für alle Un.
bil ... ich hätte nie geahnt, daß eine
jolde Ehre . . . jeßt gebe ich neugeftärkt
wieder an die Arbeit . . . mein feuchtes
Auge mag Ihnen jagen, was meine Lippen
nicht verdolmetihen können .„ . . ver-
zeihen Sie, daß ih weich werde... .
Leben Sie wohl.“
Ich athmete erleichtert auf. Die Scene,
auf die ich nicht vorbereitet gewejen, hatte
mich tief ergriffen. Alles hätte ich mir
eher träumen laſſen, als daß ich mir zu
meinem Jubiläum in jo berzlicher Art
gratuliren würde. Nachdem der Schleier
des Geheimnifjes nun einmal gelüftet war,
hatte ich feine Urſache mehr, Berjtedens
zu spielen. Ich lud mich daher theil-
weiſe zu einem feinen Frühſtück, theil«
weiſe zum Mittagefjen und theilweije zum
Souper ein. Zum Wrübftüd Tieß ich
mir das Beſte jerpieren, was ein menjd-
liher Magen des Morgens vertragen kann.
50*
»
788
Toaſte wurden der frühen Stunde wegen
nicht ausgebradt. Ih ließ nur einige
auf den Anlaß bezügliche Anjpielungen
fallen, die ih lächelnd aufnahm, ohne
näher darauf einzugehen. Nach dem Früh—
ftüd zog ich mich in mein Arbeitszimmer
zurüd, bedeutete dem Diener, daß ich für
mich nicht zu fprechen fei, und bejchäftigte
“mi zwei Stunden hindurch ruhig und
gejammelt wie jonft. Aber man weiß,
was ein Jubiläum mit fih zu bringen
pflegt: eine Fluth von Telegrammen,
Briefen, Karten, Geſchenken u. ſ. w. Da
ih von dem Jubiläum ſchon Notiz ger
nommen hatte, durfte ich dieſem Beiwerk
nicht entgehen. Aber da ich die gratu«
lierende Menge bei mir vertreten hatte,
mußte ich nun auch beforgen, was eigent*
lib die Sade Anderer gewejen wäre.
Ih raffte zujanmen, was fich in meiner
Wohnung an fremden Viſitkarten fand —
e3 waren etwa hundert — ſchrieb auf
jede einige pallende Zeilen, couvertierte
fie, fette auf die Couverts meine Adreſſe
und jchidte fie zur Poft. Dann verfaßte
ich zwei Dugend Telegramme, in Berjen
und in Proſa, jomohl mit der Unter«
jchrift guter Freunde wie auch von fern.
ftehenden Berühmtheiten, mit denen ich
nie in irgend eine Berührung gefomnıen,
endlihd anonyme, mit den unbeftimmten
Bezeichnungen: „Einige Berehrerinnen“,
„Eine Dame, die fih nicht nennen darf”
u. dgl. m. Ich trug Johann auf, die
Depeſchen gleich erpedieren zu lafien; ferner
gab ich ihm den Befehl, für fünfzig Gul-
den Bouquet3 zu kaufen, fie nah Haufe
zu jchiden, mir aber vorher nichts davon
zu jagen. Rechtzeitig erinnerte ich mich,
dab ein Jubiläum ohne Ehrengaben ein
unvolllommenes wäre. Ich ging alfo
aus, nachdem ih Straßenkleider genommen
— nur fein Auffehen! — und faufte:
ein filbernes Tintenzeug; eine goldene
Feder, einen filbernen Lorbeerfranz (e3
war zu fpät, um auf die einzelnen Blätter
die Titel meiner Bücher gravieren zu
laffen, aber ich werde das Verſäumte
nachholen); einen Spazierftod mit einem
Griffe aus Maladit; einen geftidten
Rolfter; eine Schlummerrolle ; ein Paar
Pantoffel mit prächtiger Ornamentif; eine
altdeutjche Bierfanne mit zwölf Trintglä-
fern; ein Eigarren-Etui aus Hundsleder;
ein Rauchzeug aus cuivre poli; einen
engliichen Regenihirm. Für jedes diefer
Geichenfe miethete ich einen PDienftmann,
dem ih einjchärfte, meinem Johann zu
erklären, er wiſſe nicht, wer ihn jchide,
er babe nur den Auftrag, den Gegen:
ftand mit einer böflichen Empfehlung
abzugeben... Auf dem Heimmege weidete
ih mich an der Wahrnehmung, wie gut
e3 mir gelungen, die Welt zu täufcen.
Unbeachtet gieng ich durch die Straßen,
Niemand deutete mit Fingern auf mic,
die Leute jahen mir nicht nad und
flüfterten nit: „Das it er“ — ih
lachte ſchlau in mich Hinein, denn ich
wußte, wie Alles anders gelommen wäre,
wenn ich gewollt hätte. Zu Haufe an-
gefonmen, fand ich etwa Hundert BVifit-
karten, ein paar Dutzend Telegramme,
zehn Bouquet3 zu fünf Gulden und al’
die Geſchenke, die ich eingelauft hatte. So
etwas macht Einem freude — ich leugne
nicht, daß dieſe Beweiſe meiner Popu—
larität mir einige Befriedigung gewährten.
Ein wenig eitel find wir ja doch Alle,
warum follte ih eine Ausnahme bilden ? !
Ich öffnete die Couvert3, las die Karten
und die Zelegramme, beſichtigte die
Blumenfträuße und die Präfente, und jo
fam die Zeit des Diners. Diejes hatte
ih ausnahmsweiſe nicht zu Haufe kochen,
fondern aus einem nahen Reftaurant
holen lafjen. Das Menu war folgendes:
Potage: Tapioco. — Mayonnaise de
poisson. — Boeuf braise au macaroni.
— Asperges à la Polonaise. — Oison
röti. — Salade..e — Dessert. —
Getränfe: Old Sherry. — Chäteau
Larose. — Hautes - Sauternes. —
Heidsick monopole.. — Ich legte raſch
wieder Felt-Toilette an, wie es fih für
ein Yubiläumd» Diner geziemt. Dann
betrat ih mit Haltung mein Speije-
jimmer und begann alsbald in bewegter
Stimmung zu eſſen. Als ich beim Cham«
pagner angelangt war, klopfte ih mit
dem Mefjerrüden an das Gtengelglas,
erhob mich und ſagte: „Mein Herr !
789
Da ih Ihnen (ich jage ſonſt nie „Sie“
zu mir, diesmal jcheint die Jubiläums»
Atmoſphäre mich dazu gebradt zu haben)
heute Morgens jchon nach meinen Schwachen
Kräften dargelegt, was ich von Ihnen
halte, und wie jehr ich die Bedeutung
des heutigen Tages für die deutiche Nation
zu würdigen weiß, bin ich jet gerne
beſchränkt (ich lachte herzlih) und leihe
nur der Hoffnung Worte, daß Sie über
fünfundzwanzig Jahre ebenjo froh und
lebensluftig mit ſich beifammen ſitzen
werden. Ich bin Ihrer Zuftimmung ge
wiß, wenn ich erkläre, daß Sie eine
Zierde der Menschheit find, und wenn
ih in diefem Sinne mein Glas leere auf
Ihr ferneres Mohlergehen.” Ich hatte
vor diefem furzen, aber kräftigen Speech
ein zweite Glas gefüllt, um nad Gebühr
anftoßen zu fönnen. Nachdem das ge-
fchehen, entgegnete ih: „Die Aufregungen
diefes Tages find zu groß, als daß ich
im Stande wäre, die Gefühle, die mich
durdftrömen, in mwohlgejegter Rede zu
verfünden. Erlaijen Sie mir jede weitere
Antwort. Ich kann nur jagen: Ich danfe
mir, ih danfe mir,“
Nun war e3 mit meiner Kraft wirklich
zu Ende. Ueberdies hatte ich eine große
Flaſche „Heidsick monopole* ausge.
trunfen — ich legte mich auf das Sopha
und jchlief bis zum Abende wie ein Er-
ichofjener. Nach dem Erwachen fragte ich,
ob Jemand mich gejucht. Niemand. Briefe ?
Auch nit. Das war mir eben recht. Ich
Heidete mich für die Straße um und
begab mid in einen angenehmen Hotel»
garten, um das Feſt⸗-Souper im Freien
abzuhalten. Gaftfreundlih wie ich bin,
ließ ich mir einige meiner Lieblingsgerichte
jerviren, trank auch mehrere gute Tropfen
dazu — hielt aber feine Rede, weil ſich
das vor jo vielen Leuten nicht gejchidt
hätte. Ganz im Stillen ftieß ich mit
mir auf meine Oejundheit an, einige
toaftähnliche Wendungen dachte ich mir,
ohne die Lippen zu öffnen, that aber
fonft nicht3 dergleichen. Gegen Mitter-
nacht, bei lieblich abgefühlter Temperatur,
bezahlte ich meine Rechnung. Dem Kellner
gab ih einen Gulden Trinkgeld. Er
machte Miene, zu jprehen ... Ich unter»
brach ihn: „Es ift gut; ich weiß, was
Sie auf der Zunge haben — Sie wollen
mir die Ehren-Mitgliedichaft des Kellner-
vereined antragen. Ich danke Ihnen, aber
ih muß ablehnen, weil ich jonft andere
Vereine beleidigen würde, die mich gewiß
auch gerne al3 Ehrenmitglied hätten.
Laſſen Sie es gut ſein.“ ... Einfach
und ſchlicht verließ ich den Hotelgarten.
Wer mich jo dahingehen ſah über das
Pflafter, auf den Beinen geradeaus, ber
mochte nicht ahnen, was ich Hinter mir
hatte. Ich hütete mih, den Jubilar
berauszufehren, Unterwegs überlegte ich,
es wäre doch gut, wenn ich diefem Tage
ein bleibendes Denkmal jegte, dauernder
al3 filberne Tintenzeuge, Cigarren-Etuis
aus Hundsleder, Spazierftöde mit Griffen
aus Maladit u. j. w. Zuerſt hatte ich
die dee, ein anſehnliches Gapital zu
einer Stiftung für arme Schriftfteller zu
verwenden. Aber rajch wurde ich mir
Har, daß zu eimem jolchen Acte nichts
als jchnödes Geld gehöre, und daß ich
etwas MWerthvolleres opfern müſſe. Da
durchzudte mich ein Gedanfe... Ich
ftürmte, ich rafte, ich flog nah Haufe —
füllte das filberne Schreibzeug mit Tinte,
tauchte die goldene Feder hinein, ſetzte
diefe auf das Papier und ſchrieb den
Titel eined Buches nieder, an dem ih
nunmehr fleißig arbeiten will: „Ich, mein
Leben und mein Wirken.” E3 wird eine
Feſtſchrift aere perennius werben.
Nachſchrift. In der freude über
diejes literarifche Project hätte ich beinahe
vergefjen, meinem Jubiläum den unver«
meidlichen Abſchluß zu geben. Ich thue
das, indem ich alle Zeitungs=-Redactionen
um freundliche Aufnahme folgender Zeilen
bitte: „Deffentlicher Dank, Bei Gelegen-
beit meines Jubiläums find mir von
mir jo viele Beweiſe von Theilnahme
und Mohlwollen zugegangen, daß id
mich außer Stand jehe, mir für jedes
Liebeszeichen bejonder3 zu danfen. Ich
ergreife daher diejen Weg, um mir den
aufrichtigen Dank von Nah und ern
auszudrüden.“
790
Wie der Profeflor zu feiner Fran kam,
Es foll zu den gewöhnlichen Dingen
gehören, daß gelehrte, geiftig hochſtehende
Männer bei der Wahl einer Lebensge-
fährtin ſich für ganz einfache, ſchlicht er-
zogene trauen entjcheiden, Auch ich Fannte
mebrere Beijpiele bievon, war aber doch
höchlichſt überrafcht, als ich bei furzer
Anweſenheit in der Univerfitätsftabt 9.
ganz zufällig die Gattin des berühmten
Spracdgelehrten und Handſchriftenkenners
W,...n fennen lernte. Das war ſchon
mehr als einfach und jchlicht ; diefe Frau
mit der vierfchrötigen Figur, ben ent«
jhloffenen Bewegungen, den braunrothen
Wangen und Händen und vor allem der
urwüchfigen Mundart erinnerte nicht jo
wohl an eine befcheidene, vielleiht länd—
lihe Erziehung, fondern vielmehr an den
Beſen und das Kafferoll; — jeder Zoll
war ein Küchendragoner. Jch mußte meine
Verwunderung gegen Andere ausſprechen
und erfuhr, als ich die Frage aufwarf,
wie der gelehrte Herr zu folder Frau
getommen, Folgendes:
Der Profeffor war ſchon den Fünf—
jigen nahe, ohne je an eine Vermählung
gedacht zu haben; feine einzige, ſchwär—
merifche Liebe gehörte den alten Büchern
und Handſchriften, die er im feiner Jung-
gejellenwohnung aufhäufte, und feine heißere
Wallung fannte jein Herz, als wenn er
irgend ein verjtäubtes, ſeltenes Stüd in
Schweinsleder entdedte und womöglid in
feinen Beſitz bradte. Den Heinen Haus-
halt bejorgte jeit Jahren die biedere
Köchin Augufte, eine Jungfrau von nahezu
feinem Alter. Sie kannte alle feine Ge—
mwohnbeiten, alle jeine bejcheidenen Bebürf-
niffe; ja, als fie eines Tages beim Ab-
ftäuben der Bücher einen Blid in das
eben aufgefhlagene that und es als
Sammlung alter Voltslegenden und ro-
mantifcher Sagen erfannte, begann fie fi
fogar für die Schäge ihres Profeflors
zu intereffieren. Ohne Rüdfiht auf den
Inhalt, nur nach dem vielverjpredhenden,
d. h. vermitterten Aeußeren jehend, faufte
fie für ihre Erſparniſſe alle alten Bände
ein, die ihr in den Weg famen und war
ſtolz auf ihren geheimen Beſitz, wie der
Profeffor auf feine Bibliothel. Eines Tages,
da fie mit ſolchen Einfäufen beladen nad
baufe fam, wurde fie durch ihren Herrn
gerufen, jo daß fie fich nicht die Zeit
nahm, abzulegen, jondern mit den Büchern
in's Zimmer trat. Eins derſelben fefjelte
fogleih die Aufmerkſamkeit des gelehrten
Herrn; er nahm es zur Hand und be-
fihtigte e3 voll Neugierde. Aber mie
leuchtete fein Auge in freubiger Ueber-
rafhung, als er darin die äußerft jeltene,
erfte Ausgabe eines berühmten Wertes,
ein wahrhaft unbezahlbares Stüd er-
fannte.
„Wie viel haben Sie dafür gegeben ?*
fragte er, zitternd vor Spannung, die
Köchin. „Dreißig Kreuzer," erwiderte
Augufte.
„Dreißig Kreuzer !* jchrie der Pro-
feffor außer ſich; „was denken Sie?
Dieſes Werk ift ein paar taufend Gulden
wert." In diefem Augenblide fiel ihm,
leider zu jpät, ein, wie thöricht er ge-
wejen, den Preis des Buches zu ver-
rathen, und er beeilte fi, fein Wort
zurüdzunehmen. „Das beißt, Auguſte,“
fagte er Eleinlaut, „ich bin bereit, Jhnen
zehn Gulden dafür zu geben.“
„Aber, Herr Profeffor,“ wandte die
Köchin ein, „Sie fagten mir eben, dab es
ein paar taufend Gulden wert fei; geben
Sie mir zweitaufend, jo ift es das Ihre.”
Der Profeſſor hatte auf eine foldhe
Ausbeutung feiner Unvorfichtigleit nicht
gerechnet ; er bot hundert Gulden, zmei-,
drei«, fünfhundert, — Augufte war nicht
zu erweichen. — Er jeufzte.
Mas war zu thun? Konnte, durfte
er das foftbare Kleinod in den Händen
der Ungelehrten laſſen? Nein, e3 mußte
jein werden um jeden Preis. Aber mie?
In feinem Beſitz war nicht die geforderte
Summe, wie jollte er die Habſucht der
Unerbittlichen befriedigen ? Blutenden Her-
zens ſah er, wie fie das Buch feiner
Wünſche forttrug, mit abjchweifenden Ge»
danken kehrte er zu feiner Arbeit zurüd.
Plötzlich haftete fein Blick auf einem
Morte; das Wort „Gütergemeinſchaft“
war e3! Gütergemeinihaft! Mann und
—
791
Weib im gemeinfamen Genuffe jedes noch | Nothwendigfeit dient diefer al3 Richt.
fo Heinen BefigthHums, — mas ihm ge
hört, gehört auch ihr und umgekehrt, —
wenn Augufte feine Yrau wäre, dann
ſchnur bei der Verwerthung jener.
-
* -
Groß ift der Mann, der dem Bater-
wäre das Buch fein; bah, warum denn | land weite Örenzen geichaffen ; doch größer
nit? Sie beforgt ihm Alles fo gut, wie |ift der, welcher die Grenzen ber Welt
ihwerlih eine andere, und das gleiche | ausgedehnt hat.
Interefje für wertvolle Bücher ſchien fie
zu bejeelen, warum follte er nicht heiraten ?
Wie leicht konnte ein Anderer ihre Ber
kanntſchaft maden und mit ihrer Perjon
au das Buch, — das theure, einzige,
unſchätzbare Buch in jeinen Befik bringen ?
Nein, das durfte nicht fein; der Ent-
ſchluß des Profeſſors war unwiderruflich,
und er ließ nicht drei Tage verftreichen,
ohne die Werbung anzubringen, die mit
Erftaumen zwar, aber aud mit allem
Aufwande verjhämten Erröthens, deſſen
die braunen Wangen noch fähig waren,
bochbeglüdt angenommen wurde.
Die Hochzeit hat denn aud bald
ftattgefunden, der Profefjor hat das Buch
al3 Morgengabe erhalten und auch jonft
die Ermwartungen, die er von feiner
Lebensgefährtin hegte, nicht getäujcht ge-
jehen. Sein Leben ift im Ganzen unver»
ändert geblieben, nur bin und wieder
bat er den kleinen Aerger, in den Bliden
des Fremden die Frage zu lefen: Wie
iſt nur der gelehrte Mann zu diejer Frau
gefommen ? L. (2. 2.)
Sprüche und Gloffen.
Bon R. Zopf.
Wir haben einerlei Metier, jagte ber
Pfaffe, da er den Hirten bei der Schaf-
ſchur antraf.
”*
+
*
Wenn Glüd foviel bedeutet als Zu—
friebenbeit, jo ift Befcheidenheit die Vorbe—
dingung des Glüds.
*
* *
Die Exiſtenz der Welt und ihre
Form iſt die Wahrheit und die Folge
davon die Nothwendigleit.
*
* *
Wahrheit iſt der Brunnen, aus dem
die Weisheit ſchöpft; das Geſetz der
+
* *
Kriegslorbern ſchimmern blutig.
*
* *
Die größte Sünde derjenigen, welche
die Geſchicke der Völker leiten, iſt: Die
Menſchen durch Nichterziehung in Dumm-
heit zu laſſen, oder dieſelben durch falſche
Erziehung zu verdummen.
Geiſtige Frühreife.
Ueber dieſen für Erzieher hodinterej-
fanten Gegenftand veröffentlicht Paul Rade-
ftod inder „Deutjchen Revue” (Sept.1886)
eine beachtenswerte Studie, der wir Fol,
gendes entnehmen:
Wo möchte e3 Eltern geben, welde
die bei ihren Kindern frühzeitig zu Tage
tretenden Anzeichen einer hohen geiftigen
Begabung nicht mit lebhafter Freude be-
grüßen? Wenn auch Lehrer oft jo grau-
ſam find, nicht in das Urtheil der Eltern
einzuftimmen, wenn fie feine außerordent-
lihen Anlagen an dem Anaben bemerken
wollen, ja wenn ber falte und nüchterne
Verftand der Mutter zumeilen jelbft zu-
flüftert, daß andere Kinder von gleichem
Alter eben jo große, wenn nicht größere
intellectuelle Yortfchritte gemacht haben al3
ihr eigenes — jo läßt fih das Herz der
Mutter doch ſchwer überzeugen, daß ihr
Kind nit ein Mufter von Klugheit fei,
dab der jugendliche Kopf, der fich einft
an ihren Bufen gejchmiegt, nicht etwas
Ungewöhnliches und ganz Beſonderes berge.
Liegt aber feine derartige Täuſchung vor,
die etwa das Mutterauge geblendet, ftime-
men nicht nur Freunde und Belannte,
fondern auch der Lehrer in die Anficht der
Eltern ein, oder machen fie diefelben wohl
gar erjt richtig darauf aufmerfjam, daß
ihr Sohn eine ungewöhnliche Begabung
befige, ein frühreifes Genie fei, zu außer—
orbentlihen Hoffnungen und Erwartungen
berechtige, dann fennt wohl, wenn aud‘
ber Vater die freude darüber nur innerlich
genießt, den Stolz in der ftillen Bruft
verfchloffen hält, der Jubel der Mutter
feine Örenzen.
Wenn aud die Eltern das Kind mit
janften Worten vor allzugroßer Anjtren-
gung warnen, jo ſehen fie es doc nicht
ungern, wenn der mit einer hohen Be-
gabung meift verbundene Drang zu fteter
intellectueller Bejchäftigung dasjelbe zu
reger Thätigfeit antreibt und es weniger
am Spiele jeiner Altersgenofjen als am
Lernen Vergnügen finden läßt. Und das
Kind empfindet ja jelbjt Freude und Ger
nugthuung darüber, daß es den Kreis
jeiner Kenntniſſe immer mehr erweitert
und alle Alterögenoffen jchnell und bei
weitem überflügelt. So lernt es denn
immer eifriger, e3 übt das Gehirn auf
Koften aller andern Organe und — legt
dadurch den Grund zu jpäterer Krankheit
des Körpers oder Geiſtes. Oder wenn,
wie e8 oft der Fall ift, der Krankheits—
feim infolge von Vererbung bereits jeit
der Geburt in ihm liegt, jo läßt es ihn
bald und jchnell wachſen, es weiß den
Wert eines gefunden Körpers noch nicht
zu jchäßen, raftlos und nicht achtend des
öfteren Unwohlſeins jtrebt e3 weiter und
— fällt dem Siehthum oder einem frühen
Tode anheim. Seine Kränklichkeit erfüllt
die Mutter mit Beſorgnis und Angſt, fie
ſucht den Liebling vor allen rauhen und
ſchädlichen Einflüffen zu bewahren, welche
nad ihrer Meinung die Krankheit veran-
laßten und befördern; das Hauptmoment
aber, die geijtige Anftrengung, wird meijt
zu wenig oder zu jpät berüdfichtigt, Nur
wenige Eltern befigen genügende Einficht
und Energie, mit Strenge, mag fie zumeilen
auch hart erjcheinen, darüber zu wachen,
dab die allzujchnelle geiftige Entwidlung
des frühreifen Kindes mehr gehemmt und
gehindert, als gefördert und etwa noch
beichleunigt werde, daß fie in ber Hebung
der förperlichen Organe und der Aus-
bildung ihrer Functionen ein gewiſſes Ge—
und bei deſſen Thätigkeit hauptjählich
verbraucht, ſondern, gleihmäßig vertheilt,
auch in anderen Gebieten zur Wirkfamfeit
fommen, zu anderen Leiftungen verwendet
werden. So müſſen denn mande die bittere
Erfahrung machen, dab der Götter Lieb-
linge, die auch ihren beſten Schaf bildeten,
früh jterben, daß die Freude über deren
außerordentliche Begabung ihnen nicht un-
vermischt zutheil wurde, ſondern ſchon
Leiden in fih barg und die Quelle noch
größerer Leiden wurde. Wie drüdt aber
vollends die Laſt der Vorwürfe, die fi
Eltern, Erzieher und Lehrer machen müffen,
wenn fie fich nicht davon freifprechen können,
daß fie hochbegabte, frühreife Kinder zu
übermäßiger Anftrengung in zartem Les
bensalter anjpornten, dab fie das Be—
ftreben hatten, aus ihnen „Wunderkinder“
zu machen, die durch eminente Leiftungen
in ungewöhnlich früher Jugend die Welt
in Erftaunen jeßen jollten, — fie als
leuchtende Beijpiele ihrer glänzenden Un-
terrichtserfolge hinzuftellen.
Geihichte und Erfahrung lehren, daß
oft diejenigen, welche im jpäteren Leben
fih dur eine ungewöhnliche Geiftestraft
auszeichneten und ihre Zeitgenojjen in in—
tellectueller Beziehung weit überragten, bie
das Alter erreihten, um die in ihnen
liegenden herrlichen Anlagen vollftändig zu
entwideln, auszubilden und zur Reife zu
bringen, ihre Anftrengungen von Erfolg
begleitet und belohnt zu jehen und deren
Früchte zu genießen, die Werke jchufen,
welche das Staunen und die Bewunderung
nicht nur ihrer Mitmenjchen, jondern auch
fpäterer Generationen nah vielen Jahr—
hunderten noch erregten, — daß viele
folder Geifteshelden in ihrer frühen Jugend
nicht gerade eminent vor andern bervor-
ragten. Newton, der Entdeder des Gra—
vitationägejeges, einer der größten Ger
lehrten aller Zeiten, war nach jeiner eigenen
Angabe als Knabe in der Schule zu Gran—
tbam wenig aufmerffam und längere Zeit
einer der Unterften. Erjt als der Schüler,
der über ihm war, eines Tages ihm einen
jo harten Stoß gegen den Unterleib ver-
gengewicht erhalte, dab die Kräfte des jepte, daß er heftige Schmerzen fühlte,
Organismus nicht im Gehirn concentriert | wurde fein Ehrgeiz erregt und jein Fleiß
793
ein größerer; um biejen brutalen Burfchen | in früher Jugend mannbar find, die Gei-
zu überholen, fing er eifrig zu arbeiten | ftesfräfte meift in der Entwidelung zurüd-
an und machte befjere Fortichritte. Als
er fünfzehn Jahre alt war, nahm ihn jeine
Mutter nah Haufe, damit erDefonom werden
und ihr in der Verwaltung des Gutes bei-
jtehen ſollte; da ihm dies aber wenig zu—
ſagte und er fich lieber mit Büchern und
mechaniſchen Erfindungen als mit der Land-
wirtichaft beichäftigte, ließ ihn die Mutter
nad) der Schule zurüdfehren und zu feinem
Glücke die Laufbahn eines Gelehrten wählen.
Klopfitod und Schiller zeigten im Kna—
benalter nicht die Spuren der künftigen
Größe.
Man weiß von manden, jpäter be-
rühmt gewordenen Männern, daß fie als
Knaben nichts verſprachen, wie jtumpf und
müßig oder träumerisch in den Schul»
bänfen faßen, unter den Kameraden
liefen.
Man hat leichter gejcheit jein, wenn
man oberflählih ift; in welchem Gründ-
liches wogt, der braucht Zeit zur Ab-
Härung und Berichtigung der Gedanken
duch den Perftand.
Aus gejheiten Kindern werden nicht
jelten dumme Menſchen. — Könnte e3
nicht für mande Eltern und Erzieher ein
warnendes Zeichen jein, daß z. B. junge
Lämmer Hlüger in die Welt hineinjchauen
als ein altes Schaf? — Umgefehrt ver-
nimmt und erfennt oft der Lehrer zu jeiner
großen Verwunderung, daß aus einem
jrüheren dummen Schüler und Zögling ein
Eluger, geiftig bedeutender Mann geworden.
Rouffeau weist im „Emil“ mit Recht
darauf bin, daß bei den Kindern ber
Mangel an Faljungsfraft, überhaupt die
wirflihe Dummheit ſchwer zu unterjcheiden
jei von der jcheinbaren, welche Bedeutendes
anfünbige; daß das zu leichte Lernen die
Urjahe des Nerderbens der finder bilde
und eigentlich beweije, daß fie nicht3 lernen,
weil ein wirkliches Aneignen und Verar—
beiten eben Zeit erforbere.
Geiftige Frühreife zeigt fich nicht jelten
bei ferophulöjen und rhachitiſchen Kindern ;
fie beruht meift auf nervöjer Eonftitution.
Wie bei denen, deren Körper ſich unge
wöhnlich jchnell entwidelt, oder die bereits
a —————————————— — —— — — — —— ————— — — ———— ————— —— — —
bleiben, ſo iſt andererſeits mit einer ab—
normen intellektuellen Frühreife Schwäche
und Kränklichkeit des Körpers verbunden,
welche durch geiſtige Anſtrengungen noch
vergrößert wird, Die Lebenskraft der
eigentlihen Wunderfinder wird bald er-
Ihöpft und aufgezehrt, .und ſolche Indi—
viduen jterben meift nach kurzem Dajein.
Ehriftian Heinrih Heineden, am 6. Fe—
bruar 1721 in Lübed geboren, hatte fich
bereit3 vor Beendigung jeines erjten Le-
bensjahres wit allen Erzählungen aus
den Büchern Mofis und im vierzehnten
Monate mit der ganzen biblifchen Geſchichte
befannt gemadt, war, als er dritthalb
Jahr alt geworden, im Latein, in der
alten Geichichte, der Geographie und
Anatomie bewandert, fonnte vor Ende
des dritten Jahres die Genealogien der
europäifhen Regenten nah der Schnur
herſagen, hatte zur jelben Zeit das Studium
der Inftitutionen und der däniſchen Ge-
ihichte beendigt und — ftarb im fünften
Jahre. Bei ihm traf offenbar verfrühte
natürlihe Neizbarfeit mit methodijcher,
aber nicht vernünftiger Ausbildung durch
den Vater zuſammen. Es ergab fidh die
Merkwürdigkeit eines ſchönen Kindes, das
mit fünf Jahren eine lateinijche Anrede
von zwanzig Minuten an den König von
Dänemark richtete, ohne aus der Faſſung
zu fommen, dabei noch die Mutterbruft
genoß und bald darauf über deren Ent-
wöhnung ftarb. Malin las und jchrieb
in der Kindheit engliih, Lateinisch und
franzöfiich, hatte ausgebreitete Kenntniſſe
in der Geographie, faßte überhaupt Alles
ungewöhnlich jchnell und zeichnete jehr gut;
er jtarb 1802 als jechsjähriger Knabe
zu Hadney in England. Baratier, am
19. Januar 1721 als Sohn eines fran-
zöſiſchen Predigers zu Schwabad in Franken
geboren, konnte im dritten Jahre lejen,
im vierten franzöfifh und deutſch, im
fünften lateinifch ſprechen, verjtand im achten
Jahre das Griechiſche und Hebräifche, auch
das Chaldäiſche, Syrijhe und Arabijche,
wurde im bdreizehnten Schriftiteller, im
vierzehnten nach öffentlich gehaltener Dis—
794
putation Magifter, war im achtzehnten ein | befundeten, außerordentlihe Hoffnungen
Greis und im zwanzigften eine Leiche. und Erwartungen erregten, diefelben aber
Die Zahl derjenigen, melde, wenn ſpäter nicht erfüllten, fondern in ihrer
auch nicht in den erften Lebensjahren, jo | Entwidelung ftill ftanden, ift Legion !
doch in früher Jugend eine hohe Begabung
Fin Mißerfolg der Menfdlidkeit.
Vergang'nen Maitag brachte meine Rate
Zur Welt ſechs allerliebfte Meine Kätzchen,
Maikätzchen, alle weiß mit ſchwarzen Schwänzden!
Fürwahr, e3 war ein zierlih Wochenbettchen!
Die Ködin aber — Köchinnen find graufam,
Und Menſchlichkeit wächſt nicht in einer Kühe —
Die wollte von den ſechſen fünf ertränfen,
Fünf weiße, ſchwarzgeſchwänzte Maienfägchen
Ermorden wollte dies verrucdhte Weib,
Ich half ihr heim! — der Himmel fegne
Mir meine Menjhlichleit! Die lieben Kätzchen
Sie wuchſen auf und fhritten binnen Kurzem
Erhobenen Schwanzes über Hof und Herd;
Ya, wie die Köchin au ingrimmig d’rein jah,
Sie wuchſen auf, und Nachts vor ihrem fyenfter
Probierten fie die alerliebften Stimniden.
Ich aber, wie ich fie fo wachſen ſahe,
Ich pries mich jelbft und meine Menſchlichkeit.
Ein Jahr ift um, und Katzen find die Kästchen,
Und Maitag iſt's! — Wie foll ich es bejchreiben,
Das Schaufpiel, das ſich jet vor mir entfaltet!
Mein ganzes Haus, vom Keller biß zum Giebel,
Ein jeder Wintel ift ein Wocenbettchen!
Hier liegt das eine, dort das and’re Kätzchen,
In Schränken, Körben, unter Tifh und Treppen;
Die Alte gar — nein, es ift unausſprechlich,
Liegt in der Köchin ſäuberlichem Bette!
Und jede, jede von den fieben Katzen
Hat fieben, denlt Euch! fieben junge Kätzchen,
Maikätzchen, alle weiß mit ſchwarzen Schwänzchen.
Die Köchin rast, ich kann der blinden Wuth
Nicht Schranken ſetzen dieſes Frauenzimmers;
Erſäufen will ſie alle neun und vierzig!
Mir ſelber, ach, mir läuft der Kopf davon. —
O Menſchlichkeit, wie ſoll ich dich bewahren!
Was fang’ ih an mit ſechs und fünfzig Kahen! —
Theodor Storm.
: daß die mit dem ganzen Stolze ihres
Romifdje Li uelle. Englands umgürteten Injulaner in Sachen
Das Duell ift Heutzutage in England |de8 Duelld jehr nüchtern denken und
im Heere ebenſowenig wie in den anderen | handeln gelernt haben. Die Duellwuth
Geſellſchaftskreiſen Brauch. Eine drafonifche | hat nirgends in höherem Maße ihr Un-
Gejeggebung, welche den Zweikampf als | wejen getrieben al3 vormals im engliſchen
gemeines Verbrechen behandelt und den | Heere. Ein joeben bei Ward und Domney
fiegreihen Duellanten wie einen Mörber |in London erjchienenes® Bud „Duelling
mit dem Tode bedroht, ift jchuld daran, Idays in the army“, deſſen Perfafler,
795
MW. Douglas, ein ehemaliger NReiter-
DOfficier ift, gibt darüber intereflante
Aufihlüffe. Vor fünfzig oder jechzig
Jahren fam e3 häufig genug vor, daß
fih Officiere ohne Zeugen bei geichloffenen
Thüren ſchlugen. Ein ſolch' merkwürdiges
Duell war jenes, welches Capitan Stoney
mit dem Redacteur der „Morning Poſt“,
dem Geiſtlichen Bate, zu beſtehen hatte.
Die Veranlaſſung zu dieſem Zweikampf
gab ein Artikel der genannten Zeitung,
in welchem eine dem Capitän naheſtehende
Dame ſchwer beleidigt worden war. Man
war übereingelommen, daß ſich die beiden
Duellanten in einem geſchloſſenen Gajt-
bauszimmer zunächſt auf Piftolen und,
wenn nöthig, auf Säbel ſchlagen jollten.
Nahdem ein zweimaliger Kugelwechſel
fein Ergebniß gehabt hatte, nahm man
Säbel zur Hand. Beim erften Gange
erhielt der Geiftliche einen furchtbaren
Hieb über den Schenkel. Im zweiten
wurde wieder der Capitän an Arm und
Bruft erheblih verwundet. Bei dieſem
Streih hatte der Reverend Bate feinen
Säbel am Bruftbein des Gegners ver-
bogen, nnd im Augenblide, als der Geift-
liche ſich anſchickte, ſeine Waffe wieder in
Stand zu ſetzen, eilten die durch den
Lärm aufgeſchreckten Wirtsleute herbei;
die Thür wurde erbrochen und die Kämpfer
getrennt. Dieſe machten der tragikomiſchen
Situation raſch ein Ende, indem ſie ſich
zum Zeichen der Verſöhnung kräftig die
Hände ſchüttelten. Nach einigen Tagen
heiratete Capitän Stoney die Schöne,
für deren Ehre jo ausgiebig Blut ver-
Iprigt worden war. — Ein nod eigen-
artigered Duell war jenes, welches ber
Militärarzt Young mit einem NReiter-
Dfficier ausfoht. Dr. Young unternahm
mit mehreren Damen eine Spazierfahrt
auf der Themſe nah Vauxhall und blies
dabei die Flöte. Bald bemerkte er, daß
ein Boot, in welchem fih Officiere mit
mehreren Damen befanden, dem jeinen
bartnädig folgte, und hörte mit feinem
Muficiren auf. In grobem Tone herrichte
ihn einer der Officiere mit der Frage
an, warum er nicht mehr auf der Flöte
blajen wolle. „Weil's mir jo gefällt“,
erwiderte Dr. Young. „Und mir gefällt
das nicht”, rief der Andere. „Sie werden
fofort weiter jpielen oder ich fentere Ihr
Bot und werfe Sie in’3 Waſſer.“ Dr. Young,
der nicht ſchwimmen fonnte, jeßte, ber
Roth gehorchend und nicht dem eigenen
mufifaliihen Drange, die Flöte an bie
Lippen und blies, jo ſchön wie er nod
nie geblajen, bis Vauxhall. Dann jprang
er an's Land, half jeinen Damen aus—
fteigen und wandte fih an den Officier
mit folgenden Morten: „Mein Herr!
Um meiner und ihrer Gejellihaft feine
Unannehmlichfeiten zu bereiten, babe ich
Ihrer frehen Zumuthung Folge geleiitet.
Jet aber verlange ih Genugthuung von
Ihnen, Wenn Sie Muth haben, werden
Sie fih morgen früh an diefem Orte —
dabei wies Dr. Poung mach einer ent-
legenen Allee — einfinden, Wir werden
uns bier auf Säbel jchlagen. Ih will,
daß die Geihichte ganz unter und bleibe
und halte deshalb Secundanten für über-
flüſſig.“ Der Dfficier nahm die Heraus-
forderung an und erſchien zur feitgejeßten
Stunde in der Alle. Auch der Arzt
hatte ſich pünktlich eingefunden. Nicht
wenig überrafcht war jedoch der Officier,
als Dr. Voung aus jeiner Taſche eine
— Piſtole hervorholte und nad jeinem
Kopfe zielte. — „Was joll das heißen ?*
ſchreit der Dfficier, „mir find doch
übereingefommen, uns auf Säbel zu
ſchlagen!“ — „Ganz richtig,“ entgegnete
der Doctor, „ed handelt fih auch nur
um eine Heine Vorübung. Sie werden
nämlich jofort ein bischen Menuett tanzen,
ih werde Ihnen dazu auf meiner Flöte
aufipielen. Falls Sie es unter Ihrer
MWiürde halten, auf meinen Wunſch ein—
zugehen, ſchieße ih Sie nieder.“ —-
„Das ift ein heimtüdifcher Hinterhalt !
Das ift Mord!" — Der Doctor blieb
ungerührt. „Tanzen oder jterben!* war
feine Antwort. Und der Dfficier zog es
vor, zu .tanzen; er tanzte und tanzte
eine geichlagene Biertelftunde lang. Dann
jtedte Dr. Young jeine Flöte wieder ein
und jagte zu dem DOfficier, ber ſprach—
und athemlos daftand und ihm mit
wüthenden Bliden anſah: „Jetzt, mein
796
Herr, find wir quitt,
geftern zum Blafen, ich habe Sie heute
zum Tanzen gezwungen. Wenn Sie fi
ſchlagen wollen, ich ftehe Ihnen zur Ver—
fügung. Aber nur vor Zeugen. Auf
Miederjehen !" Und dabei blieb's.
Büder.
Pramatifhe Literatur.
Es liegen uns heute nicht weniger als
fieben dramatiſche Novitäten unterſchiedlichen
Werthes vor. Wie fie der Zufall zufammen:
gewärfelt hat, geben fie, merfwürdig genug,
jo ziemlih ein Bild der dramatiſchen Ge:
jammtproduction der ®egenwart. Die drama—
tiſchen Dichter fönnen oder wollen — nulla
regula sine exceptione — der Tagesftrömung
nit folgen: entweder ift ihnen der Puls:
ſchlag der Zeit nit fühlbar, oder fie dünken
fih darüber erhaben, genug, e8 treten Ge:
bilde zu Tage, denen von allem Anbeginne
an echt dramatijches Leben, warm pulfiren:
des Blut mangelt. Wohl Hilft hie und
da ein berühmter Autorname dem ſchwäch—
lihen Kinde auf die Beine, das ſchwache
Fundament verfpriht aber feine lange
Lebensdauer. Anftatt aus dem vollen
Menſchenleben, der lebendigen, frifch quellen»
den Gegenwart zu jhöpfen, welche — großen
revolutionären, focialen Ummälzungen vor:
arbeitend, gewaltige Erjchütterungen vor:
bereitend — doch intereffant und dankbar
genug wäre, oder auf welthiſtoriſchem
Grunde ihr ein Spiegelbild vorzubalten:
Hügelt ein Dichter aus dem biblijchen König:
thum der Juden einen Stoff heraus, wäh:
rend ein Anderer feinen Geift tief in ein
mythiſches Zeitalter verjenkt, oder endlich
ein Dritter, dem die nationale Begeifterung
als Entjhuldigung dienen mag, unijere
Phantafie in nordiſch nebelhaften Sagen:
freis bannt. Was ſchon der Gegenwart
entnommen wird, ift nidhtig, bedeutungslos,
zu gejchmweigen eines gänzlih mißglüdten
Auffluges zur Leuchte der täglich und ftünd:
lid, in Poefie und Proſa, mikbraudten
„Breiheit*. Es kann fi jegt aljo nur
darum handeln, zu erörtern, wie alle diefe
Erperimente beſchaffen find.
Zuerſt bejuchen wir den Hof des weijen
Salomo und es ift fein Geringerer als
Paul Heyje, der uns mit feinem das
17. Bändchen der (im Verlage von Wilh,
Hertz in Berlin erfeheinenten) Drama:
tiſchen Dichtungen bildenden Schau:
jpiel „Die Weisheit Salomo's“ hiebei das
Geleite gibt. Es ift erftaunlid, mit wel:
her Vorliebe der gefeierte anmuthige,
|
Sie haben mih |graziöje Novellift den dramatiſchen
Pegaſus befteigt. Zwar gelingt es ihm in
der Regel, den Schimmel dur ſanften
Schenfeldrud und jühe Worte zu einem
Paßgange zu beiwegen, wobei wohl auch der
Reſpect vor dem hochanſehnlichen Reiter das
olympiſche Rob im Zaum hält. Salomo
gibt feine Weisheit in guten fünffüßigen
Jamben, glatt und fließend, zum Bejten,
aber weder er noch irgend eine andere Ber:
fon vermögen fo recht unſer Interefje zu
weden. Salomo ift, Alles in Allem, ein
Phrafenheld — nicht weife, fondern Hug —
jo flug wie der Fuchs, dem die Trauben
zu hoch hingen. Sein großer Vorrath an
Klugheit erlaubt es ihm, den Großmüthigen
auszujpielen, wobei feine Großmuth weniger
biblifh judiſch als chriſtlich modern ift.
Bei Sulamith ift man anfänglid im Un-
Haren, ob fie den König lieben oder ihrem
eigentlihen Liebhaber treu bleiben wird,
einem Liebhaber, defjen Berſerkerwuth feinen
angenehmen Gemahl vorherjagen läßt und
defjen gelegentliches Pathos durchaus nicht
jeiner Herkunft angemefjen ift. Die Königin
von Saba, die zum König Salomo fommt,
aus dem einfadhen Grunde, weil dieſer —
nicht zu ihr fommt, befigt die beneidens-
werthe Doppeleigenſchaft, gleichzeitig zu
lieben und zu haſſen; wir wollen darüber
nicht grübeln, welde Seite am Ende vor:
wog, und eingedenf des weiſen Sprudes
am Schluſſe des Schauipiels:
— „Fremden Freuden
Sich neidlos freuen, ift aller Weisheit
Krone" —
uns diefe Krone bei den Bühnenerfolgen
des immerhin achtenswerthen Stüdes billig
genug erwerben.
Einmal nicht allzumeit davon ſuchen
wir die Griechen in ihrem Lager vor Troja
auf und finden den wohlbefannten Wias,
Sohn des Telamon, den klugen Odyjjeus,
den Bölferfürften Agamemnon und alle
die anderen Helden; wir verfolgen im @eifte
den Wettftreit des Wins und des Odyſſeus
um die Waffen des Adhilleus und müſſen
der trefflihden Schilderung dieſes Streites
in Ovid's Berwandlungen und weiters der
gewaltigen Tragödie des Sophofles ge
denlen, Nah der letzteren frei bearbeitet,
hat Dr. Fri Pichler feine Tragödie
„Alas‘ und als Geparatabdrud aus dem
16. Jahrgange der „Diosfuren* (Wien,
8. tt. Hof: und Staatdruderei) heraus:
gegeben. — Nachdem fih bei dem Namen
Aias wie dur eine Zauberformel ein
wundervoller Mythenkreis uns erſchloſſen,
fragen wir jetzt einigermaßen erſtaunt nach
den Zwecke der freien Bearbeitung —
und wie dieſer Zmwed erreicht wurde, Sollen
die Schönheiten der clajfiihen Dichtung
durh ein modernes Kleid unjerem Ber:
—
ſtändniſſe vermittelt werden, fo iſt die Liebes- Degen zu ftrangulieren — um fo mißlicher,
müh’ wohl eine verlorene, denn wer liber:
haupt fähig iſt, diefe Schönheiten voll:
fonımen zu würdigen, perhorrescirt jede
moderne Bermummung. Es fann fi aljo
nur darum handeln, den „Aias“ in Be:
jiehungen zur modernen, auf humaner
Grundlage geflärten Anſchauung zu bringen
— ihn furzweg für unfere Zeit möglid
zu maden und bühnengerecht zu geftalten.
Daß der Dichter diefen Zweck vor Augen
hatte, zeigt ſchon der meitausholende Ber
ginn, in welchem er uns das, was Sophofles
geipräcdhsmweife erwähnt, zum Theil als
Handlung vorführt und das, was dort
Götterwerk ift, bier zum Theil als eine
logische Folge der Leidenſchaften ſich ent:
wideln läßt. Wir fagten zum Theil,
denn der Dichter weiß fih wohl vom Chor
der alten Tragödie zu emancipieren, jedod)
die Gottheit, hier Pallas Athene, läßt auch
er in einem geeigneten Zeitpunfte erfcheinen.
Dadurh verjegt er uns nun mit einem
Male wieder mitten in den griedijchen
Mythos, jo daß uns unbewußt ein Sehnen
nad deſſen unverfälſchtem Interpreten, nad
Sophofles, bejhleicht, den er und ja wollte
vergefien lafjen. Das hat er nun davon!
Er hätte vielleicht beffer gethan, ſich mit
Pallas Athene in die Büſche zu ſchlagen
und den Dvid vorzujdieben. Die etwas
eigenthümlich gezeichnete Stellung des Teu—
tros zu Telmefja und der Selbftmord diejer
legteren haben uns befremdet; diefe Zu:
thaten find nicht hellenifher, eher roman«
tifcher Abfunft. Die opernhafte Apotheoje
am Schluffe bradte uns endlich feine ge—
ringe Enttäufhung und wenn irgendwo, jo
paſſen hier die Worte Schiller's am Schlufje
feiner Recenfion über Egmont. — Die Verſe
find wohl gefeilt, der Dialog ftellenmweije
von bedeutender dramatifcher Präcifion und
dichteriſcher Schönheit, jo daß diejes Wert
als Buchdrama ohne Yweifel Beadhtung
verdient. .
Nun wenden wir uns vermöge des
Hodfluges der Phantafie dem fagenhaften
germanifhen Norden zu. Gehoben von
nationaler Begeifterung, wie wir annehmen,
ſchrieb Auguft Linde ein dramatijches
Gediht in 5 en: „Gudrun (Moskau,
Buchdruderei €, Liehner u. J. Roman), in
welchem das mittelhochdeutjche Heldengedicht
Gudrum mit einiger Licenz, die ſich der
Berfafler herausnahm, in Acten und Scenen
ausgejhrotet wird. Es ift immer ein miß—
liches Unternehmen, aus einem breit ange:
legten Epo3, in dem fi das Intereſſe nicht
einem, jondern, ſchon der Natur der Dich:
tungsart gemäß, mehreren Helden zu:
wendet, alle Fäden an fi zu ziehen, zu
vereinigen und zu einem einzigen Knoten
zu jchlingen, um daran den Helden des
Dramas auf Koften mehrerer vortrefflicher
wenn das Wollen bei Weitem nicht an das
Können eines Hebbel oder Geibel hinan—
reiht. Es gehört zur Bewältigung und
fünftlerifhen Begrenzung eines jo maſſigen
Stoffes eben auch eine bedeutende dichteriſche
Kraft. Wenn Sprade und Dialogführung
gleih viel zu wünſchen übrig laffen, jo
wollen wir doch gern zugeben, daß diejes
Buch auch Spuren dramatiicher Begabung
aufweift.
Zur Gegenwart eilend, madhen wir
noch an der Rüfte des adtzehnten Jahr:
hundert3 kurzen Halt. Aufhebung der Leib:
eigenihaft dur Joſeph II. — Freiheit —
gewiß ein dankbares Sujet mit Rüdficht
auf gegenwärtig noch ungelöfte fociale
ragen! Jedoch — es kreist ein Berg und
gebiert eine Maus und diefe Maus heißt:
Hans Wierauer. Drama in fünf Aufzügen
von 3. U. Subert. Ueberſetzt von Ed.
Grün. (Leipzig. Ed. Wartig's Verlag.)
Die Leibeigenihaft ift aufgehoben, die Or:
donanz hat das Decret bereits in der Tajche,
warum alſo das Gejhrei? Warum nicht
weniger al3 vier Todesfälle coram publico
durch Knüttel, Ejen, Blei und Spiehruthen,
Abgejehen von dem ganz unmögliden Cha:
rafter des Wierauer vermag und feine Ge:
ftalt Sympathie einzuflößen. Es jchreien
hier Leute nad) der Freiheit, die die Frei—
beit nicht verdienen und denen diejelbe doch
ſchließlich ohne eigenes Zuthun nad einem
bischen Spießruthenlaufen, mit deſſen Un:
blid uns der Berfafler gnädig verſchont, zu
Theil wird. Nun, wir beneiden dieſe Bauern
weder um die durch Nuthenhiebe gewürzte
Freiheit, noh Herrn 3. U. Subert um
feinen Hans Wierauer.
Das Vollsſtück „Der Bildlthaler‘ von
Leopold Winter, Gefangsterte von
Leopold Hörmann (Reg. London. Stat.
Hall. Münden), das jhon in die Gegen:
wart fällt, ift nit ohne Geſchick und Ge—
wandtheit verfaßt. Wir zweifeln nicht, daß
es auch bühnenwirkſam ift, wenn ſchon ber
Verfafler allen zeitbewegenden Fragen aus
dem Wege geht und durdaus nad vor—
handenen Muftern, wir wollen nicht jagen,
nach der Schablone, im Sinne einer feinen
Epigonenwelt, die das Volksſtück ſchon ges
zeitigt hat, verfährt. Mit den zwei Schwänfen
„In den Alpen“ und „Ein Btündden im
Gymnaſium“, beide von Werd. Linzer
Linz, Selbfiverlag), beide flott geſchrieben,
amijant zu lejen, die, wenn frijch gejpielt,
auch bei den Zuſchauern eine erheiternde
Wirkung hervorbringen und johin ihrem
bejcheidenen Zwede genügen, wollen wir für
heute diefe ſchon über Gebühr lange Be:
iprehung abſchließen. F. Rottenbader.
798
Martin Greif’s neue Schaufpiele. *)
Bon Emil Eoffe.
Nah längerem Stillſchweigen betritt
Greif wieder das dramatiſche Gebiet. Er
bietet uns zwei Scaujfpiele, welche den
Hohenftaufenftoff tangiren, Wir befigen eine
ganz hübſche Anzahl Dramen, die in jener
Zeit jpielen; der platte oberflähliche Rau:
pad hedte nicht weniger als jehzehn aus,
der ungleich begabtere Brabbe war be-
ſcheidener und ließ es bei zweien bewenden,
Immermann endlih hinterließ auch eine
banale Liebesgeichichte, die fi in der Um—
gebung Friedrich's II. abjpielt. Nun greift
auch Martin Greif in jene Zeit. Ihm, dem
Baier, lag weniger an Friedrih Barbarofja
und Heinrich VI, fie find nicht die Helden
feiner zwei neuen Schaujpiele, doch greifen
fie einſchneidend und beftimmend in die
Handlung ein; — Greif ftellte den Baiern-
herzog, Deinrih den Löwen, und defjen
Sohn in die erfte Linie; auf fie foll ſich
unſer Intereffe richten, für fie verfchwendet
er feine glänzendften farben.
Das erſte Schaufpiel: Es hat den
Eonflict zwifchen Friedrih Barbarofja und
Heinrih dem Löwen zum Inhalt. Kühn
und vorwärtsdrängend erfcheint uns. der
Herzog. Sein Ehrgeiz treibt ihn, nad dem
höchſten Erdengute, der Kaiſerkrone, zu
fireben. Andererjeits fühlt er fih dem Kaijer
durch manderlei empfangene Gnadenacte
verbunden. Er liebt in Friedrich den milden
Herrn und Verwandten und fürdtet hin—
wiederum mißtrauiſch deſſen berechnendes
ſtilles Wirlen, die Hausmacht zu vergrößern
und die Kaiſerwürde in ſeinem Hauſe erblich
zu machen. So kann er nicht rein bleiben,
und ſein herriſches Temparament treibt
ihn bis zum Treubruch und zur offenen
Rebellion. Uber er, der feinem Herrn und
Kaifer nicht die Treue bewahrte, muß jehen,
daß ihm mit gleihem Maße gemefjen wird,
Da bridt er zufammen; doch Friedrich ift
ihm ein zwar firenger, doch nit unbarm:
berziger Richter.
Auf Heinrih und Friedrich ifl alles
Interefje concentrirt. Der Dichter hat e3
verftanden, den oft behandelten Stoff neu
und anziehend zu geftalten. Mit kräftiger
Hand ftellt er die Charaltere hin und weiß
geihidt den Knoten zu ſchürzen und den
Lefer, reſp. Zuſchauer in Spannung zu
erhalten. Dramatifches Leben pulfirt in den
Neden, melde fi, mebenbei bemerkt, dur
reihen poetiſchen Shmud auszeichnen und
nur jelten in epiſche Breite verlieren.
Das zweite Stüd „Die Pfalz im
Rhein“ ift dramatisch ſchwächer, aber poetiſch
reicher und tiefer empfunden. Es ift kein
*) Heinrich der Pöwe. Edaufpiel in 5 Acten. —
Die Pfalz im Rhein. Ehaufpiel in 5 Acten. —
Etuttgart 1887. 3. G. Cotta'ſche Buchhandlung.
|
rechtes Hiftorifches Drama, fondern eine
Liebesgefchichte zwischen Heinrid von Braun:
jhweig, dem Sohne Heinrich's des Löwen,
und der Tochter des Pfalzgrafen bei Rhein.
Raifer Heinrich VI. wie der Pfalzgraf
Eonrad haffen den jungen Braunſchweiger,
aber „amor vincit omnia“ und ſchließlich
findet eine allgemeine Berjöhnung und
Amneftie ftatt, bei der auch der alte Löwe
nit ausgeſchloſſen wird.
In diefem Schauspiel Schlägt Martin
Greif Töne an; die Sprade ift von jeltenem
Wohlklange und großer Fülle Es ift ein
romantifher Stoff, dem fi der Dichter zu—
gewendet hat, und Greif liebt dergleichen;
leider geht durd das Romantifche der feſte
dramatische Kern verloren, das Märchenhafte
berrjcht vor, dem Zufall wird zu viel Spiel:
raum gewährt — aber andererjeit$ paßt dies
wieder ganz zu der romantijchen Liebes»
geihichte, und es läßt fi eins ohne das
andere gar nicht denken. Pſychologiſch inter:
eſſant ift in diefem Stüde der Charalter
Heinrich's VI. gezeichnet. Das Tyranniſche,
Berechnende, Finftere diefes Fürften ift mit
großer Kunſt betont und der Gharafter
äußerft glüdlih durdgeführt. Heinrid VI.
ift eine der beften dramatiſchen Geftalien,
die Greif je gezeichnet, und erinnert an
Shafefpeare'3 Richard II.
„Heinrich der Löwe” wie „die Pfalz
im Rhein“ zeigen einen bebeutenden ort:
ſchritt, den der Dichter des „Eorfiz Ulfeldt“
auf dramatijgen Gebiete gemadht hat.
Möchten beide Schaufpiele bald von der
Bühne herab ihre Lebenskraft beweiſen.
Robur der Sieger. Bon Julius Berne,
Autorifierte Ausgabe. (Hartleben. Wien.)
Im „Robur“ geleitet-der Verfaſſer den
Lefer nad der interefjanten in Philadelphia
fpielenden Einleitung im fühnen Fluge eines
mechaniſchen Quftichiffes über einen Theil
der Bereinigten Staaten, des engliſchen
Nord:Amerila, über den ftillen Ocean nad
Japan, Ehina, Indien, Berfien, über Europa,
einen Theil von Afrila und den Atlan—
tifhen Ocean nad der Südjpige Amerikas
über das unbelannte antarttiide Polar:
gebiet, mit einem Worte, er bietet ihm ein
MWandelpanorama der Erde aus der Vogel:
ſchau, untermifcht mit unterhaltenden Epi—
joden, aber ebenfo reihlih geihmüdt mit
belehrendem Detail aus verſchiedenen natur:
wiſſenſchaftlichen Disciplinen. 7
Ein Sotterie-Soos. Bon Julius Berne.
Autorifierte Ausgabe. (Hartleben. Wien.)
Ein eigenartiges Idyll ift das Werk
„Ein Lotterie: 2008", daB im Herzen der
Ihönften -Gegend Norwegens, in Telemar:
799
fen, ſpielt und auch eine Herzensſache
nah langen Widerwärtigfeiten zum er:
wünſchten Abſchluß bringt. Hier findet der
Leſer ebenfo die großartige ſchöne Natur des
weftlichen Theiles der jlandinavifchen Halb:
infel mit photographiider Treue wieder:
gegeben, wie er mit den einfadhen, biederen
Bewohnern in Freud und Leid denfen und
fühlen lernt. — Ein Heiner novelliftijcher
Anhang „Fritt!... Flacc!“ — ein nebel:
haftes Nahtgemälde — zeigt, wie umfafjend
die Phantafie des berühmten Autors ift.
V.
Im Jahre 1870 ließ die Spamer'—
ſche Verlagsbuchhandlung in Leipzig den
erſten Band eines Bllufrierten Konverfations:
Lexikons in groß Quart erſcheinen, einer
Neuheit auf diefem Gebiete, jofern auf die
Illuſtration der Schwerpunft gelegt wurde.
Das Unternehmen ward in act ftarfen
Bänden zum Abſchluß gebradt. In 15
Jahren war eine neue Auflage nöthig ge:
worden, 1885 begonnen, ift diefelbe bis
zum Buchſtaben F vorgeſchritten. Die ſeit—
dem fertig vorliegendendreierſten
Bände geben ein erfreuliches Zeugniß von
der Leiftungsfähigfeit der Firma. Der Tert
ift vollftändig umgearbeitet, die Illuſtra—
tionen der erften Ausgabe find gefichtet, zu
einem großen Theil durch andere erjegt,
alle aber techniſch neu hergeftellt. Durch
forgfältige und taftvolle Behandlung des
Inhalts im Ganzen hat die NRedaction in
der That, wie fie beabfichtigt, ein Buch ge:
liefert, da3 die Namen „Hausſchatz für das
Voll“, „Orbis pictus für die ftudierende
Jugend“ verdient: Gemeinverftändlichkeit,
möglichfte Kürze zu Gunften einer größeren
Anzahl von Stihworten, im Allgemeinen
die Beihränfung auf das Nothwendige.
Die vorliegenden drei Bände zählen 3082
Illuſtrationen, welde in den Text gedrudt
find, 38 Zonbilder und 26 Karten. Als
Encyllopädie umfafiend Philofophie,
Theologie, Naturwiffenihaften, Erd: und
Himmelsfunde, Staats, Eulturs, Literatur:
und Kunſtgeſchichte, Nautik, Aftronomie und
Technik, Baufunde, Haus: und Landwirth—
ihaft, Handelswefen, Heilkunde, Statiftif
und mande anderen Fäder find mit ge:
wiflenhafter Gleihmäßigkeit behandelt —
erftredt Das Spamer'ſche Bud feine Be:
lehrung überall bis auf die Gegenwart, V.
Es wird wohl kein zweites Gebiet in
ganz Defterreich geben, daS eine jo gewaltige
Anziehungstraft befigt, als das Alpenpara—
dies des Bemmering, dem alljährlich jo viele
Zaujende und Mbertaufende
Moriz Band hat im Verlage von M, Gottlieb
in Wien ein recht elegant ausgeftattetes drei
zuftrönen. | 188
Bogen ftarkes Büchlein herausgegeben, das—
felbe enthält alles Wünfchenswerte über den
Semmering und feine Umgebung und bietet
den Stoff in überfihtliher Weiſe. Die
Sprade reiht über den Tandläufigen
Bädekerſtil hinaus, jo daß das Buchlein aud
eine angenehme Lectüre für die Semmering:
fahrt bildet. V.
„Die deutſche Sappho“ (Anna Luiſe
Karſchin), ihr Leben und Dichten. Ein
Literatur: und Culturbild aus dem Seit:
alter friedrich des Großen, Bon Dr. Adolf
Kohut. (Dresden. E. Pierſon's Berlag,
1887.) Wir befigen noch keine erſchöpfende Bio:
graphie und Charafteriftif der „deutſchen
Sappho,* wie Unna Luiſe Kari von
ihren Zeitgenofjen genannt wurde. Zum
erften Male bietet hier nun der befannte
Literatur: und Eulturhiftorifer Dr. Adolf
Kohut eine aus den beften Quellen geſchöpfte
biographijche Charalteriftif der durd ihre
tragiſchen Schidjale, wie ihre Natur:, Volls—
und Striegsdichtungen und Impropifationen
merkwürdigen frau. In anziehender Weiſe
ſchildert er die Beziehungen der Karſchin zu
ihren berühmten Zeitgenofjen, wie Friedrich
der Große, Friedrich Wilhelm IL., Ferdinand
von Braunſchweig, Prinz Heinrid, ©. €.
Leifing, Mofes Mendelsjohn, Gleim, Sulzer,
Klopftod, Wöllner, Graf von Hergberg u. 4.
und entrollt jo ein Literatur und Eulturbild
aus dem Zeitalter Friedrich des Großen.
Das Buch enthält zugleich eine reihe Aus:
wahl der fhönften, originelliten Gedichte und
YImprovifationen der Karſchin. Das Werl
ift vollsthümlich geſchrieben. V.
„Die Nichtigkeit der ganzen päpſtlichen
Uachfolgerſchaft Petri jammt ihren allum—
fafjenden Anſprüchen in Staat und Kirche“
nennt fi eine von Theod. Müſcke geſchrie—
bene und bei J. Wiefile in Brandenburg
erſchienen Brojchüre, deren Empfang wir
regiftrien, die aber für unfere Lejer belang:
los ift.
Dem Heimgarten ferner zugegangen:
Die Feute aus der Findenhütle. Nieder:
ſächſiſche Walddorfgefhichten. Für große
und Feine Leute erzählt von Heinrich
Sohnrey. Friedeljuhens Lebenslauf, —
(Bernburg. J. Bacmeifter.)
Die Yantoffeln des Hofmeifters. Eine weis
berfeindliche Gefhichte von Oscar Welten.
(Berlin, Wilhelm Bleib. 1887.)
Eine Pfingffahrt. Novelle von K. R.
W. Uſchner. (Zürih. Berlagsmagazin.,
7.
)
Moderne Alänge, Dichtungen von Bo:
gumil Eurtius, (Berlin, Wilhelm Latte.)
Naturkinder. Gedichte von Margot
Werner. (Hamburg. J. F. Nichter 1887.)
Maria. Eine Legende von Margot
Werner. (Hamburg. 9. %. Richter 1887.)
Efays von Margot Werner. (Hanı:
burg. 3. F. Richter 1887.)
Vögel der Heimat. Unſere Bogelwelt in
Lebensbildern gejhildert von Dr. Karl
Ruf. Mit 120 Abbildungen in Farbendrud,
Bis zum 11. Heft erſchien. (Prag F.
Tempsty.)
@inführung in das Studium der neueren
Bunftgefdidte. Bon Dr. Alwin Shult
15. Heft. (Prag. F. Tempsty.)
Beitfhrift für deutfche Sprache, heraus:
gegeben von Dr. Daniel Sanders, 1.
Jahrg. (Hamburg. 3. F. Richter.)
Ein Stük Beitungsgefhidte. Von Dr.
Heinrih Friedjung. (Wien. Genoſſen—
fhafts:Buchdruderei.)
Bofef Haydns lebte Huldigung in Wien,
Nah Berichten damaliger Zeitgenofjen neu
zufammengeftellt von Zudwig®ermonif.
(Wien. Grillparzer:Berein.)
Zur Gefdidte der Holkslieder aus Rärn-
ten. Stizzierte Andeutungen von Ludwig
Germonif, (Wien. Grillparzer:Berein.)
Bur Geſchichte des Kärntner Liedes, Stiz:
zierte Andeutungen von Ludwig Ger
monif. (Wien. Grillparzer: Verein.)
Alpenglühen. Lieder und Dichtungen von
das Richtige erfahren will, darf man fid
nit an Sebaftian Brenner wenden. Die
Verfönlichteit des Grafen Auersperg war
durdhaus edel angelegt und nur der Partei:
haß kann ihm Handlungen unterjchieben, die
er weder gebilligt noch vollbracht hat.. Derlei
Manöver kennt man, fie bedeuten nichts.
3. 9., Sörlik: In Kreifen, die fih für
Theater und Literatur interejfieren, erwartet
man ja auch bier mit Spannung das Er:
Iheinen der Memoiren des General:Inten:
danten von Hülfen. Die Publication diejer
Memoiren joll im nädftfolgenden Hefte der
Deutihen Revue beginnen.
6. 3., Marburg: Die Eilpoftfahrten
zwiſchen Brud und Mariazell find feit erften
Juni wieder eröffnet. Sie fünnen die Tour
faum bequemer und billiger maden, als
wenn Sie dieſe Eilpoft benügen. Sie fahren
mit dem VBormittagszug bis Brud, wo die
eleganten Wagen bereit ftehen und find
Abends zur guten Stunde in Mariazell.
Glückliche Reife!
T.&, Hernals: Ihr Vorſchlag hat viel
für fi, ift aber aus manderlei äußeren
und inneren Gründen nicht gut durdführ:
bar. Wir müflen uns hierin der auß lite:
rarifhem Intereffe hervorgegangnen Ge:
pflogenheit fügen, wie es aud die übrigen
Monats: und Wochenſchriften thun, und
ift es eben eine unjerer Abfichten, den Leier
Ludwig Germonit, (Wien. Grillparzer: | für die Erjcheinungen der Literatur nad:
Verein.)
Der einzige Rettungsweg. Von Michael
Flürſcheim. (Bubenheim. J. Schmitt.)
Blluftrirtes Wiener Tarokbuch. Leidfaden
zur Erlernung aller Arten des Tarofipiels.
haltiger zu intereffieren.
©. 8. Linz: Der Leitfaden darf allge:
mein fein und ift mit einem Worte X. Stifters /
leicht gefunden: Güte, Häuslichkeit und Ein= |
fadhheit der Sitten an feinem Weibe macht
Mit einer Sammlung von 33 Problemen | jeden Mann glüdlih, und wenn er es durd
und einem Anhange: Tarok-Coder, die
Spielgefege enthaltend. Bon S. Ulmann.
(Hartleben, Wien.)
„Die Nordfeebäder auf Sylt“. (Hamburg.
Dito Meißner.)
Poftkarten des Heimgarten.
X X 68 wird angelegentlihft erſucht,
Manufcripte erft nad vorheriger Anfrage
einzufenden. Für unverlangt eingefdidte
Manuferipte bürgen wir nicht. Erterne Ar:
beiten honoriert die Berlagshandlung nicht.
A. S., Schmiedeberg: Allerdings, wenn
man über Anaftafius Grüns Privatleben
dieje Eigenschaften eines Weibes nicht wird,
jo ift er ſelbſt Schuld und verdient das
Weib nit.
A. W. A. Innsbruck: Ihre Erzählung:
„In Sankt Mirt, oder wo, bot der Wirt,
oder wer, ein’ Hirt, oder wen, mit der Girt,
oder wia, derjchlogn, oder wos,“ ift die
Bariation eines in den fliegenden Blättern
geftandenen Stüdes.
+ Drunfehler: Seit 715, Spalte 2,
Zeile 3 von oben ftatt „das“ die zu lejen.
Seite 718, Spalte 1, Zeile 17 von unten
zu Iejen: „aber um Hervorragendes zu
leiften, müßten vorerfi* u. j. wm. Beim
Auffag — Maiheft —: „Im jonnigen Sü—
den“ hat's anftatt Ungeolina durdgängig
Angiolina zu heißen. D. Red,
Für die Redaction verantwortlich F. A. BMofegger. — Druderei „Leykam“ in Graz.
—
— — — — —
— FE
beiut
Da Simer
garden,
Auguſt 1887.
“At
a
in Rrew.
U Bericht aus oltn Zeitn in der fteiriihn Gmoanjprod
von P. R. Hofegger.
Fe hauts, meint liabn Leut, ſchauts
. S Ent amol 3 fe Haus on, däs
dofcht obn afn Rigl fteht. Hintawärts
da finfta Woldſchochn, voron owa gegn
an Boch greani Wiefan und Felder,
und afn Roan Stoanhäufn, Eſchan
und Felberaſtaudn. D Hulzwänd von
Haus leuchtn grod gulder in Sun—
ſchein, gleihwul einwendi da Hulz—
wurm ſcha nogg und klöpfelt, daß die
oltu Weiba, die gſchrecktn, hell nit
onderſta moan, as wia, s Todtnmandl
that klopfu. Ih wia mih nit irrn,
warn ih ſog, länger, a3 a holbs Johr-
taufend mogs her fein, ſeit däs olti
wurmftichigi Haus ols junga friſcha
Wold gftondn is afn Berg. Und wan
d Lent af amol aufftandn, de in den
Haus eahnan Huat Hobn afn Nogl
ghenkt, ban Feuſta hobn aufjagichaut,
afn Betſtuhl ſein kniat, ban Tiſch ſein
gſeſſn und af die lonk Bonk ſein hin—
glegg worn af d Leßt: wan | heint
Bofegger's „„Geimgarten‘* 11, Geft, X.
aufitangadn af amol, da holbadi Freid—
hof wa vula Leut, wia da Kicchploß
afn Johrmorkt.
Ehrfürchti wirds mar und ſchau—
derli, far oft ih däs olti Woldhaus
onſchau, in Hullkreuzhof, wia j n
hoafin jeit olta Zät. Hot fih eh va
Zeitu in den Haus amol a ſchreckhori
Gſchicht zuatrogn, de der Olti in
Jungen, und Daner in Ondern das
zählt und um fa wenka vageſſn wern
fon, weil heintigetogs a jo wos wul
nit leicht meh geſchechn wird.
Hot in Hufltreuzhof amol a Mon
ohaust: da Simer in Kreuz Hobu |
n ghoafin, a brava, gſtrenga Mon,
ehrnfeft und felſnfeſt. Zorni Hot
neampp gſechn, und doh hot d Schlech=
tigkeit zidert, warn er ſtill mit fein
Aug bot aufgſchaut. Bamſtork ful er
gwochſn gwen fein und am braunen
Bort ſul er ghobb Hobn, der va
die broadn Badır nieda wir a große
Sl
802
mächtige Scheibn üba die Bruft gongan
is. Fünf Sühn hot er ghobb, da
Simer in Kreuz, wul ab recht brav
eahm nochgwochſn, bis af van. Holt
bis af an Oanzign, wias ſchon unfeli
fein muas imeramol, daß bravi Eltern
an ungrotns Kind hobn. Oba gern
hot er 5 ghobb, da Voda däs Kind,
ſchier liaba wia die Ondern, weils fa
bagfhirli und ausbündi gwen is, und
aufglegg zan Luftifein. Gottliab hot
da Simer in Kreuz das Büabl hoaſſn
Iofin ba da Tauf, oda — wia fa ſih
ehzeit bot zoagg — da jungi leicht—
Iuftigi Burſch Hot fein Nom mit viel
Ehr gmocht; Weibaliab, wan er ghoafin
hät, wurd ſih beſſa hobn gmocht. Nit
der ältefti und mit da jüngafti is er
gwen, da Gottliab, oba doh der erfti,
der fein Vodaleutn a Schwiegatochta
hot ins Haus brodt. Und gut Hot
er's troffn: bluatjung und muatjauba,
freuzlufti und lamfrum, und wan die
Simer in Kreuzin, d Schwiegammada,
jelber amol fogg: Ka Befleri hät er
nit findn fiman, und däs is a Barl,
wos die Taubn hobn zſomtrogn!
Hot oba nit gor long daurt mit
da Freud. Ban ihr häts ſcha daurt,
die Traudl Hot in Gottliabl unſini
gern ghobb; obo ban eahm hots koan
Bſtond ghobb. Ban Fiſcherwirt die
Kellnerin, an aufgramfts kotznkecks
Meibmentih. Ba da kloan Zehn wa
die Traudl fchöna, wia die Sellnerin
ban Kopf, ober imeramol is 's, wia
wan da Teifel fei Gfpiel hät: 's keck
Meibmentich Hot3 in Gottliabl onthon,
Ma hots oflamol kent, warn da
Gottliab von Fiſchawirt kemer is; va—
drofin Hot er ſih Hin und her draht
dahoanı, und wan an jei Weib guat-
herzi Hot ongredt: „Wos fahlt da dan,
Gottlieb? Schau, wanft an Onliegu
julft hoben, thua ma 8 ſogn!“ fa fohrt
er grob her: „Wos geht dan dos Dih
on! Und won ih oans hät, Du
nahmſt ma 5 nit oh!“
Zan a felhta Stund is 3, fteht
jei Muada ban Bruntrog, wir er hoame
timpp. Er hot an Krompn af der
Ochſl, weil er wegmochn gemein is
untu in Thol; 's hotn Weg ban leßtn
Reg 3 Woſſa ftork zriſſn. Da Sicherſti
is er heint nit in fein Gong! Dentt
ihr d Mutter und redtn befümert on:
„Biſt ban Fiſcherwirt herbei gwen,
Gottliab?“
„Wegnwos ſul ih ban Fiſchawirt
nit ſein herbeigwen?“ ſogg da Suhn,
„ba den Stoankralln in gonzu Tog
wird ma durſti.“
„Ih glab da 's wul eh,“ moant
d Muader, „und a Krüagl Wein wird
da gwiß vagunt ſein. Oba, ſchau, mei
Kind“ — fie wiſcht ihri noſſn Händ
mitn Fiatazipf oh und geht ſchön ſtad
af eahm zua, und gehtn noch in d
MWognhütn, wo er fih niedalegır will
auffi af an Loatalorm. „Do mit,
Gottliab,“ ſogg fie und willn ba da
Hond nehma, „do is fa Ploß zarı
Schlofn. Wan ſcha heint wieder:
amol vorzeiti ſei muas, ſa woaßt jo
Dei Bett.“
An Brumla mocht er und mitn
Orm ſchupft ers af d Seitun. Ober
a Muada, de ihrn Kind wos Guats
will thoan, de is nit fa leicht zrugg—
ſchreckt. Nohamol leggs ihr Hond af
ſeini Ochſt und ſogg völli foanlaut:
„Schau, mein Sind! Ih muas redn
mit Dir, mir drudts 8 Herz oh! Mit
da Wein ziacht Dih zan Fiſchawirt,
wos Onders ziacht Dih. Jeſus Maria
und Joſef, mei Gottliab, wos war
d05! Tog und Nocht ligg mar a Stoan
afn Herzn. Schau Dein VBodern on
und Deini Brüader! Olls is in Ehen.
Seit da Huflfreuzhof fteht, feit a Hütn
steht im der Gegud, is ka ſelchts
Aerganuß firkma. An Aerganuß, weiter
is s nir, däs woas ih gleihwul, ja
weit kunt Dih s Heili Taufwoſſa nit
hobn valoſſn, daß d a Schonditud,
a ſelchts Schondftud . . .“
Ba lauta Woanan fon | meama
weite. Da Burſch wurd ihre kam ja
long ſtillholtn; ma woas oba nit, ob
er ihr zuahört, mitn Elbogn fpreizt er
fein Kopf afn* Loatalorın ; todtubloß
in Gſicht, zan valterbn is n Jchlecht.
303
Ih fürdt na, 8 is wos omders, und
nit 3 ſchlechti Gwiſſn.
„Und denf, mei Suhn,“ hHebb d
Muada nohamol on, ihr Stim is fa
triab, a3 wia warn | mit an ſchworzn
Schloar umwidelt wa, „dent doh af
Dei bravs Weib. 3 todt fümert fie
ſih Deinetiwegn, wohin ſul däs führn!
Gottliab, um olla Heiligu Willn, ftürz
uns nit ins Unglüd!“
„Jo — jo —“ ſogg er tömi,
„loßts mid hiaz gehn. Ih will a Rua
hobn.*
Drei Tog Steht on, do fimpp da
Sottliab wieda von Thol hoam, und
jpot nadti. Sei jüngaſts Brüaderl
ſchloft ſchön in fein Strohladl, oba
die drei gröffern fein noh munter und
wortn afn Bruadan.
„Wos ftellft Du on!“ frogg n
da Martin in da finftern Vorlabn,
„Bottliad! An iada von uns drei,
wia ma do ftehn, loſſn uns die recht
Hond ohhockn mit Yreudn, nur dos
jul nit wohr fein, wos ma va Dir
redt!“
„Dumheitn!“
„d Lent redn gor viel.
af Enk ſelba!“
Do vaſtehn s eahm die Thür in
ſei Schlofkomer und da Martin ſogg
ſtad und holblaut: „Da Voda woas
ah davon. Er wills onderſt hobn, ober
ih ſog da s, Bruada: Wans wohr
fult ſei, das mit da Kellnerin, oda
Gfohr war, daß s wohr ſult wern,
ih müaſſad heint noh owi ins Fiſcher—
wirtshaus und müaſſaden niedaftechn,
den Satan!“ |
„Za der Ehr gratalir ih!“ locht
da Burſch und reißt in fei Koma die
Thür auf.
Togs drauf, wia Hintern Gebirg
Iha d Morgnröth aufleudht’t, und da
Simer in Kreuz mit fein Buabnan
um an Tiſch kniat und s Morgngebet
bet't, do kniat da Gottliab ah dabei.
Und wia 3 zan Sotz keman in Votr—
unfer: Bergib uns unſere Schuld!
zudt da Voda mit da Stim auf und
Ihaut in Gottliab on.
fnurt da Gottliab,
Schauts ees
Mäuſerlſtill is s an Augnblid —
von Morgnrot ongſcheint, jo ſchaut
da Voda fein Suhn ins Gſicht, und
der ſchlogg d Augn nieda.
Aft bein s weite.
Noch den Tog ftehts on a Wohn
long. Do is 5 am Obnd, daß die
olt Muader und die Traudl alvan
dahoam fein. Da Gottliab hot wieda
wos zthoan in Thol, da Voder md
die ondern Buabır fein noh nit zrugg
van Wold, wo ſ mit n Loataforın
Hulz ziomgfchleift Hobn für n Winta.
Däußt, üba d Ejchnbam her fcheint
ha s Manſcha. In da Stubn todıt
3 Herdfeur, und zudt don und won und
Ihnolzt a went. 3 Fuaßend af ihen
Bett jigt die Traudl und woant ftill.
Die olt Muada fon fo wos nit hörn,
fie fchleicht Hin, ftreicht in jungen Weib
5 Köpfl und fogg: „Muaft nit, Traudl.
Muaft Did mit gor a fo omigrinte.
35 bet Tog und Nocht und unja
Hergott kons nit zualofin. Ih woaß
3, ja ſchlim wirds nit fein, wia d Leut
Ihwaßn. Glaub ma's, mei Tochta, da
Gottliabd hot Dih gern. Und die
Kellnerin, bon ih ghört, ful bold wek—
fema von Filchawirt, weit überi in
d Sarau; nochher it a Fried. Munter
Did auf, Traudl, wirft ſechn, s wird
Olls wieda guat, geh, munter Did auf.“
AU fo Hot3 ihr zuagredt. Da kno—
bat3 daußt vor da Thür und da Gott»
liab tirggelt in d Stubn. Tirggelt
einer, deutt nix und fogg nix, ziacht
ſeini Schuah aus, fein Uebagwond,
und fetzts hin übas le. Long redn
In nit on. Endla jogg d Muada:
„Spot bift meh dron.“
„Sein die Ondern ſcha dahoam 2“
fohrt da Burſch auf.
„Däs is wos onders;“ fogg Tie,
„die Ondern fein ba der Orbat, Du
kimſt — ih wir mid mit groß irrn —
aus n Wirtshaus.“
„Kim ih nit Hoam von Wirtshaus,
far is s nit recht; kim ih hoam, far
is s ab nit recht,“ brumelt da Burich.
51 *
804
„Doß d oba gor a jo henkſt ba]wipfeln wijchbelt da Wind und imer
den Fiſchawirtshaus!“ redt m d Muader a Wulfnfegn fliagg über s Manſcha,
entgegn. daß ſchworzi Schotn wia Gſpenſta
„Sul Unſeroang dan gor nix meh laffn übers Feld her. Da Gottliab
hobn af da Welt!“ fehreit da Gottliab | jchleiht um 8 Haus. — Hon ibs
und reißt jei Danger! von Leib und daſchlogn oda nit? fo frogg er jih
wirfts untern Tiſch Hin. jelber und ſei Herz dogazt, wir in da
„Gottliab,“ fogg hiaz die Traud! | Schmitn da Homer afs hoaß Eifn.
mit güatiga Stim, „id bon dar a — Hon ihs dafchlogn oda nit? —
Suppu wormgitellt.“ 3a da Hausthür geht er und will eini.
„Holt s Maul!" fchreit er F on.) Sie is vajpiert. In Mold lafft er
Diaz Steht fie auf und stellt ſih Hin, borſuaß, koan Rod afn Leib,
gonz ftad vor eahm Hin: „Gottliab, kdan Huat afn Kopf; fein Bidlin
a ſelchts Wort Hoft ma noh nia gebn!“ | beidelt!, er woas nit, is s vor Kältn
„Wirt as ſcha gwohnt wern!|oda vor Ongit. 3.
Oda willft ma hiaz epper an Hern Diaz gach nimbb er wohr, wia fei
zoagn, weil die Hetl do untn aus m) Voder und feini Brüada nochn Weg
Haus muas wegn Deina, folſchas daher kemen gegn $ Haus zua. Er
Luada, vadonkt's! Hin fulft fein, duckt fih Hinter an Gräſſing und ſiachts.
wegn meiner!" und gibb ihr an Stop | Seini zwen ältern Brügda ziachn in
in die Bruft, daß f mit an Heſchaza Loatalorm; afn Loatatorm ligg ſei
hintirgglt und zfombricht in Wintel. er u. da Ferl, — ſechs
„Jeſus Maria!“ ſogg ſei Muada; Johr olt. Nuad 13 er worn, da Kloani—
en a fha ba da u ; ‚in Wold, Hiaz ſchloft er. Hintern Korm
Mit Woffa, mit guati Wort fpringgs geht da vierti Bruader und wo d Rader
Bing um, bie ot * * Ente Ta über a Bamwurzn müalfır, do ſchiabb
— noch und hilft weita. Gonz hintn
Zeit zan gſchreckt fein, die Traudl liegg * 9 ; | &
afn Fle und aus ihrn Mund gurglts —0 TEEN
Oluat. Mit Woſſa, mit guati Wort Diaz kimpp eahna d Muader ent—⸗
— do fimpp 8 ormi, Weib noch und gegn. „Long ſeids aus, Maner,“ a jo
noch wieda zan ihr ſelba. D Herd⸗ redt ſie aft on, „ma moant, ma
Bun ſcheint afs Fletz hin, * ſiacht kunt Enk neama dawortn.“ Nochha
die Traudl in Gottliab ſeini Schuach, draht fa ſih zan Oltn und frogg Hoau-
jei Joppn, fein Huat. „Solt is s .
daußt,“ fogg | völli ſtad und bitte ie ehe DE RO
trauri.
i j „Is er noh nit dahoam ?* frogg
„In da Höll wirdn ſcha wieda da Moder und feina Stim fent ma $
worm tern,“ jogg d Muada. on, as gſchiachtn Hort, warn d Ned is
Da Gottliab fimpp mit zrugg in von Gottliab.
d Stubn, die Ondern wölln heint ah „Dahoam gweſn is er,“ ſogg d
ollaweil noh mit hoamfema; "3 Manfcha Muader, „oba bold wieda fuat, Holb
Iheint ban Fenſter einer aſs Bett, | nodad fuat, ih dent er fon mit long
wo die Traudl hiaz ligg, onzihaun | ausbleibn. Oba daß ih da 3 fog,
wir a Leichh. Voda, ſchreck Dih nit z viel; da Bua
Endla ſchlofts ein. Und wia || Hot wos ongftellt und wan er wieda
ſchloft, ſchleicht die olt Muader aus n|fimpp, ja därfn ma nm neamer eini
Haus und dab ſ in Vodan entgegn lofjn in unfa Haus.“
gang und eahm 3 Unglüd dazählad. „Weib, wos is gſchechn?“ frogg
Daweil is da Gottliab daußtn uma= da Simer in Kreuz und bleibb ftehn.
ghellrazt in da Kältn. In Bam- Do dazählt eahın 3 Weib mwoanand,
8305
wo3 da Gottliab Hot gſtondn und wos
er hot ongitellt.
Da Gottliab Schleicht Hintern Baman
nebn an Weg ber, und dag er im
Finftern zwifchen in Ondern ba da
Thür eini Hunt fchlupfn, daß er in
Stodl fam afs worm Heu, däs is fei
Valonga. Ka Wort wird meh gredt
afn Weg. Se keman zan Haus. Da-
weil d Muada mitn hülzeran Schlüfil
d Hausthür auffpirt, ftupft da Voder
3 Hoan Büabl afn Korm und fogg:
„Berl, damunter Dih auf, mir fein
dahoam.“ Da Hoan Ferl jegt ſih auf,
reibb mit da Fauſt in fein Augnan,
do ſchiaßt da Gottliab‘ za da Thür
und will eini.
„Oho!“ fogg da Martin, und
podtn fejt on, „Du bift es, Gottliab.
In dos Haus gehit neama!“
Dia | ringen oll zwen fimpp ab
da Hond und da Hart in Martin 3
Hilf, und mia | n Gottliab afn Bodn
bobn, ſogg da Voda: „Daweil thuats
n nir. Werfts n afn Loatalorın und
bindts n feit on.“
Se reiſſn an afd Hech, werfn an
afn Korm, daß er gmegazt, ziahn an
Orm und Füaß ausanonder uud bindn
an feft in Loatafprüffin, daß er mir
a Krenzigta doligg afn Korn. In
Kopf hot er oanzi noh frei, da Gott-
liab, den wirft er bin und her und
wer n in d Nahad fimpp, den will
er beifin.
„Mei liaba Gottliab," ſogg da
Noder und ftellt jih vorn Hin, „däs
hilft da nir meh. Du woaßt, wos Du
thon Hoft und woaßt, wos da gſchechn
wird. Dei Weib konſt gichlogn hobn,
3 mog fein; da Hergott in Dimel wirds
rihtn. In Ehebruch ftroft noch oltn
Brauh Dei Richter auf Erde. Du
bot Dei Weib varothn, hoſt Eltern
und Gſchwiſter in d Schond brocht. Mir
oda Du. A der Welt nebnanonda
fina mir neama lebn.“
Ban Manjhaliacht jiht ma 8, zan
Schaudern vazogn is in Gottliab fei
Gicht. Nit a Sterbnswort jogg er,
feft grobb er ſeini Zähnt in d Lefzu,
daß F bliatn. D Muader iS af die
Thürſchwelln hingſunkn, af ihen Schoß
ligg 3 Köpfel von jüngaftn Büabl.
Sie vadedt ihr Gficht mitn Fiater und
denft afn Gottliad. A liabs Kind is
3 jo doh, wos do Hinz ja fehredbor
muas 3 Grund gehn und fon an nit
helfn, und därf nm mit helfn, und
möchtn nit helfu, war ſ ah kunt und
deafad.
Die Altern Briada ftehn finfter
und Shaun afn Vodan.
Der’ ruaft in kloan Ferl und fogg
drauf zan Martin: Martin, Heb in
Kloan afn Korm, daß er in Gottliab
übers Gſicht a Kreuz mocht.“
Da Martin Hebb mit van Orm
3 Bitabl af d Hech, mit der ondern
Hond Holt't er in Onbundnan feit ban
Horen, daß er nit ſchneblazn kon mitn
Kopf. Da Ferl ftredt jein Daum,
mocht drei Kreuz übern Gottliab feina
Stirn, fen Mund, ſeina Bruft und
fogg mit da woachn gloggnhelln Stim:
„Im Namen Gott des Vaters, und
des Sohnes, und des heiligen Geiftes,
Amen.“
Oll eahnri Hüat hobn j von Kopf
zogn, „Amen!“ jogn Toll.
„Hong,“ ſogg da Voder und ſei
Stim is töwi, „loß in Storm Hinteri
nieda!“ Da Hons hHebb voran die
Deichſel af d Hech, dab da hinteri
Korm mitn Kopf gegn an Bodn noagg.
Da Voda nimbb fei Hulzbeil, ſei ſchwars,
und wir ers hoch hebb in da Luft,
do glitznuts in Manſcha wia Silba.
Schwar mitn eiſernan Ruggn, jo loßt
er s niedafaufn afn Gottliab fein Kopf,
dab & an tumpern Scholl gibb. A
pormol laut auf rodlt da Gottliab,
oba da Voda vaſetztn ſchon in zweitn
Schlog und in drittn; Mord und
Blut ſpritzt hoch auf und da Kopf is
zerſchmedert.
Hiaz finft n Vodan s Hulzbeil aus
do Hond und er ſelber ſinkt afn grean
Woſn.
„Dos bot fein müaſſu!“ fo ſeufzt
er. Und nochher is s ſtill um und um,
‚in Bamwipfeln wachelt da Wind. —
Noch a Weil flieht da Simer in
Kreuz auf, winkt in Sühnen und fogg:
„An Korm, wir er ligg, fo ziachts
n hiaz owi in Grobn. Afn Mosgrund, |
wo Wulfsmilh und Schirling und,
Nochtlirzn wohin, grobb s n ein. —
Nochha hobbs Feirobnd.“ |
Erklärung: Simer in Kreuz:
Simon im Kreuzhof. bagidirli: niedlich |
Zerdinand,
und drollig. ausbündi: flug, geiceit.
Fiata: Schürze. Loatalorm: zweiräde:
tiger Leiterwagen. 3 Manjha: der Mond.
todnt: todt werdend, im Verldſchen be:
griffen. fnobat:poltert. tirggelt:torfelt.
Hangerl: Bruftfled, den man mit einer
Hlinge über den Naden hängt. umag:
hbellerazt: umbergeirrt. Dogazt: podt.
Gräffing: Junger Zannling. gmegazt:
ächzt. Lefzu: Lippen. jhneblayn:mwadeln.
tömwi: dumpf. rodlt: rödelt.
der Dieb.
Gine Geſchichte.
INT an fanıı in Familien oft die
EA DBemerlung machen, daß Kin—
der, jowohl der Geftalt als dem Geifte
nad, bald vom DBater, bald von der
Mutter Eigenjchaften an fih tragen;
und jo fommt auch manchmal der Fall
vor, daß ein Kind die Naturen beider
Eltern auf eine beiondere und ver—
wundernswürdige Weife verbindet.
Hiervon war ein junger Menſch,
den ich Ferdinand nennen will, ein
auffallender Beweis. Seine Bildung
erinnerte an beide Eltern, und ihre
Gemüthsart konnte man in der feinigen
genau unterſcheiden. Er hatte den
leiten und frohen Sinn des Vaters,
jo auch den Trieb, den Augenblid zu
genießen, und eine gewille leidenjchaft: |
liche Art, bei manchen Gelegenheiten |
nur Sich ſelbſt in Anſchlag zu bringen. |
Bon der Mutter aber hatte er, fo ſchien
es, ruhige Leberlegung, ein Gefühl von
Recht und Billigkeit und eine Anlage
zur Kraft, ich für Andere aufzuopfern.
Man ſieht Hieraus leicht, daß Die-
jenigen, die mit ihm umgiengen, vft,
um jeine Handlungen zu erklären, zu
der Hypotheſe ihre Zuflucht nehmen
mußten, daß der junge Mann wohl
zwei Seelen haben möchte.
Ih übergehe mancherlei Scene,
ganzen Charakter ins Licht jet, und
in jeinem Leben eine entjchiedene Epoche
machte.
Gr hatte von Jugend auf eine
reichliche Lebensart genofjen‘: denn feine
Eltern waren wohlhabend, lebten und
erzogen ihre Kinder wie es ſolchen
Leuten geziemt; und wenn der Vater
in Geſellſchaften, beim Spiel und durd
jierliche Kleidung mehr als billig war,
ausgab, jo wußte die Mutter als eine
gute Haushälterin dem gewöhnlichen
Aufwande ſolche Grenzen zu ſetzen,
daß im Ganzen ein Gleichtgewicht blieb
und niemals ein Mangel zum Vor—
ſchein kommen fonnte. Dabei war der
Vater als Dandelsmann glüdlidh; es
geriethen ihn manche Speculationen,
die er ſehr kühu unternommen hatte,
und weil er gern mit Menſchen lebte,
hatte er ſich in Gejchäften auch vieler
Verbindungen und mancher Beihilfe
zu erfreuen.
Die Kinder, als firebende Naturen,
wählen ſich gewöhnlich im Haufe das
Beiſpiel deſſen, der am meilten zu leben
und zu genießen jcheint. Sie ſehen in
einen Vater, der fihs wohl fein läßt,
‚die entjchiedene Negel, wornad fie ihre
Lebensart einzurichten haben ; und weil
lie ſchon früh zu dieſer Einficht ges
die im feiner Jugend vorfielen, und langen, jo jchreiten meiſtentheils ihre
erzähle nur eine Begebenheit, die feinen |; Begierden und Wünfche in großer Dis»
proportion der Kräfte ihres Hauſes ſich hervorzuthun und zu gefallen
fort. Sie finden ſich bald überall ge= |wiünfchte, in ihrer Hanshaltung ges
bindert, um fo mehr al3 jede neue, drängter fein als jemals: anftatt aljo
Generation nene und frühere Anfordes | feine Forderungen wie fonft zu bes
rungen macht, und die Eltern den |friedigen, fing fie an, feine Vernunft,
Kindern dagegen meiftentheils nur ge= | fein gutes Herz, feine Liebe zu ihr in
währen möchten, was fie jelbft im | Anspruch zu nehmen, und feßte ih,
früherer Zeit genofjen, da noch Jeder- indem fie ihn zwar überzeugte, aber
mann mäßiger und einfacher zu leben nicht veränderte, wirklich in Verzweif—
fih bequemte. lung.
Ferdinand wuchs mit der unan— Er konnte, ohne Alles zu verlieren,
genehmen Empfindung heran, daß ihm was ihm jo lieb als fein Leben war,
oft dasjenige fehle, was er an feinen |die Verhältniffe nicht verändern, in
Gejpielen ſah. Er wollte in Kleidung, |denen er fich befand. Won der erften
in einer gewiſſen Liberalität des Lebens | Jugend an war er diefem Zuflande
und Betragens hinter Niemand zurüdz \entgegen, er war mit Allem, was ihn
bleiben ; er wollte feinen Vater ähnlich | umgab, zufammen gewachlen ; er fonnte
werden, deſſen Beilpiel er täglich vor keine Fafer feiner Verbindungen, Ge-
Augen Jah, und der ihm doppelt als |jellfchaften, Spaziergänge und Luſt—
Mufterbild erjchien, einmal al3 Vater, |partieen zerreigen, ohne zugleich einen
für dem der Sohn gewöhnlih ein alten Schulfreund, einen Gefpielen,
günftiges Vorurtheil hegt, und dann | eine neue ehrenvolle Belanntichaft und,
wieder weil der Knabe ſah, daß der was das Schlimmfte war, feine Liebe
Mann auf diefem Wege ein vergyügs zu verlegen.
liches und genußreiches Leben führte Wie Hoch und wert er jeine Nei—
und dabei von Jedermann geihäßt und gung hielt, begreift man Leicht, wenn
geliebt wurde. man erfährt, daß fie zugleich feiner
Ferdinand hatte hierüber, wie man | Sinnlichkeit, feinem Geifte, feiner Eitel—
ſich leicht denfen kann, manchen Streit |feit und feinen lebhaften Hoffnungen
mit der Mutter, da er dem Vater die ſchmeichelte. Eins der fchönften, an—
abgelegten Röde nicht nachtragen, ſon- genehmſten und reichjten Mädchen der
dern jelbft immer in der Mode fein | Stadt aub ihm, wenigflens für den
wollte. So wuchs er heran und feine | Augenblid, den Vorzug vor feinen
Forderungen wuchjen immer bor ihm |vielen Mitwerbern. Sie erlaubte ihm
ber, jo daß er zuleßt, da er achtzehn | mit dem Dienft, den ev ihr widınete,
Jahre alt war, ganz außer Verhältnis | gleichfam zu prahlen, und fie fchienen
mit jeinem Zuftande fich fühlen mußte. wechſelsweiſe auf die Stetten ftolz zu
Schulden hatte er bisher nicht ge= | fein, die fie einander angelegt Hatten.
macht: denn feine Mutter Hatte ihm Nun war es ihm Pflicht, ihr überall
davor den größten Abſchen eingeflößt, Ian folgen, Zeit und Geld im ihrem
fein Vertrauen zu erhalten gefucht und | Dienfte zu verwenden und anf jede
in mehreren Füllen das Aeußerſte Weiſe zu zeigen, wie wert ihm ihre
gethan, um feine Wünſche zu erfüllen Neigung und wie unentbehrlich ihm
oder ihn aus Heinen Berlegenheiten ihr Beſitz jei.
zu reißen. Unglücklicherweiſe mußte fie Diefer Umgang und diefes Bes
in eben dem Zeitpunkte, wo er nun | Streben machte Ferdinanden mehr Auf—
als Jüngling noch mehr aufs Aenßerſte wand, als es unter andern Umftänden
ab, two er durch die Neigung zu einem natürlich gewejen wäre. Sie war
ſehr Schönen Mädchen, verflochten im | eigentlich von ihren abwefenden Eltern
größere Geſellſchaft, ich Andern nicht einer jeher wunderlihen Tante anverz
allein gleichzuftellen, Jondern vor Andern | traut worden, und es forderte mancherlei
808
Künfte und feltfame Anftalten, um
Ottilien, diefe Zierde der Gefellichaft,
in Gefellfchaft zu bringen. Yerdinand
erichöpfte fih in Erfindungen, um ihr
die Vergnügungen zu verjchaffen, die
fie fo gern genoß und die fie Jeden,
der um fie war, zu erhöhen wußte.
Und in eben diefem Augenblide
von einer geliebten und verehrten Mutter
zu ganz anderen Pflichten aufgefordert
zu werden, von diefer Seite feine Hilfe
zu jehen, einen fo lebhaften Abjchen
vor Schulden zu Fühlen, die auch feinen
Zuftand nicht lange würden gefriftet
haben, dabei von Jedermann für wohl:
habend und freigebig angejehen zu
werden, und das tägliche und dringende
Bedürfnis des Geldes zu empfinden,
war gewiß eine der peinlichiten Lagen,
in der ſich ein junges, durch Leiden
ſchaften bewegtes Gemüth befinden fann.
Gewiſſe Vorftellungen, die ihm
früher nur leicht an der Seele vor-
übergiengen, hielt er nun feiter; ge—
wiſſe Gedanken, die ihn fonft mur
Augenblicke beunrubigten, ſchwebten
länger vor ſeinem Geiſte, und gewiſſe
verdrießliche Empfindungen wurden
dauernder und bitierer. Hatte er ſonſt
ſeinen Vater als ſein Muſter ange—
ſehen, ſo beneidete er ihn nun als
feinen Nebenbuhler: von Allen, was
der Sohn wünſchte, war jener im
Beſitz; Alles, worüber dieſer fich
ängſtigte, ward jenem leicht; und es
war nicht etwa von dem Nothwendigen
die Rede, ſondern von dem, was jener
hätte entbehren können. Da glaubte
denn der Sohn, daß der Water wohl
auch manchmal entbehren follte, um
ihn genießen zu laſſen. Der Vater
dagegen war ganz anderer Geſinnung;
er war von den Menſchen, die ſich viel
erlauben und die deswegen in den Fall
foınmen, denen, die von ihnen ab—
hängen, viel zu verſagen: er hatte dem
Sohne etwas Gewiſſes ausgefeßt und
verlangte genane Rechenſchaft, ja eine
regelmäßige Rechnung von ihm darüber.
Nichts Tchärft das Auge des Men-
Ihränft. Darum find die Frauen durch—
aus Hüger als die Männer; und auf
Niemand find Untergebene aufmerf-
ſamer als auf den, der befiehlt, ohne
zugleich durch fein Beifpiel vorauszu—
gehen. So war der Sohn auf alle
Handlungen feines Vaters aufinerfam,
bejonders auf folche, die Geldausgaben
betrafen. Er horchte genauer auf, wenn
er hörte, der Bater habe im Spiel
verloren oder gewonnen; er beurtheilte
ihn ſtrenger, wenn jener ſich willkürlich
etwas Koftipieliges erlaubte.
Iſt es nicht fonderbar, ſagte er zu
fich ſelbſt, daß Eltern, während fie ſich
mit Genuß aller Art überfüllen, indem
fie bloß nach Willfür ein Vermögen,
das ihnen der Zufall gegeben hat, be:
nutzen, ihre Kinder gerade zu der Zeit
von jedem billigen Genuffe ausschließen,
da die Jugend am empfänglichiten
dafür ift? Und mit welchem Rechte
thum fie es? und wie find fie zu diejem
Rechte gelangt ? Soll der Zufall allein
enticheiden, und kann das ein Recht
werden, wo der Zufall wirkt? Lebte
der Großvater noch, der feine Entel
wie feine Kinder hielt, es würde wir
viel beifer ergehen; er würde es mir
nicht am Nothwendigen fehlen lafjen:
denn ift uns das wicht nothwendig,
was wir in Berhältniffen brauchen, zu
denen wir erzogen und geboren find?
Der Großvater würde mich nicht darben
laffen, jo wenig er des Vaters Ber:
ſchwendung zugeben würde. Hätte er
länger gelebt, hätte er klar eingejehen,
daß fein Enkel auch wert ift, zu ge
nießen, fo hätte er vielleicht in dem
Teftament mein früheres Glüd ent—
ihieden. Sogar habe ich gehört, daß
der Großvater eben vom Tode übereilt
worden, da er einen legten Willen
aufzufeßen gebadhte: und jo Hat viele
leicht bloß der Zufall mir meinen frühern
Antheil an einem Vermögen entzogen,
den ich, wenn mein Vater fo zu wirt—
ſchaften fortfährt, wohl gar auf immer
verlieren kann.
Mit diefen und andern Sophiftereien
ihen mehr, als wenn man ihn ein |über Beſitz und Recht, über die Trage,
ob man ein Geſetz oder eine Einrich- anlehnen: undermögend, ihn zu halten,
tung, zu denen man feine Stimme |ftieß er gewaltfam an die Ede des
nicht gegeben, zu befolgen brauche, und | Schreibtifches, und der Dedel defjelben
in wiefern es dem Menſchen erlaubt | flog auf. Er fah nun alle die Rollen
fei, im Stillen von den bürgerlichen vor ſich liegen, zu denen er manchmal
Geſetzen abzuweichen, bejchäftigte er nur hineingeſchielt hatte, ſetzte ſeinen
ſich oft in feinen einſamen verdrieß⸗ Kaſten nieder und nahm, ohne zu
lichſten Stunden, wenn er irgend aus denken und zu überlegen, eine Rolle
Mangel des baren Geldes eine Luſt⸗ | von der Seite weg, wo der Vater ge—
partie oder eine andere angenehine Ge« | wöhntich fein Geld zu willfürlichen
ſellſchaft ausſchlagen mußte: denn Schon | Ausgaben herzunehmen ſchien. Er
hatte er Heine Sachen von Wert, die | drüdte den Schreibtifch wieder zu und
er beſaß, vertrödelt und jein gewöhnz |verfuchte den Seitenftoß; der Dedel
lies Taſchengeld wollte feineswegs | flog jedesmal auf, und es war fo gut,
hinreihen. Sein Gemüth verſchloß ſich,
und man kann ſagen, dal er in dieſen
Augenbliden feine Mutter nicht achtete,
die ihm micht Helfen konnte, und feinen
Vater haßte, der ihm, mach jeiner
Meinung, überall im Wege ftand.
Zu eben der Zeit machte er eine
Entdedung, die feinen Unwillen noch
mehr erregte. Er bemerkte, daß fein
Bater nicht allein fein guter, ſondern
auch ein umordentliher Haushälter
war: denn er nahm oft aus feinem
Schreibtiihe in der Geichwindigfeit
Geld, ohne es aufzuzeichnen, und fieng
nachher manchmal wieder an zu zählen
und zu rechnen, und fchien verdriehlich,
doß die Summen mit der Gafle nicht
übereinftimmen wollter. Der Sohn
machte dieſe Bemerkung mehrmals,
und um Fo empfindlicher ward es ihn,
wenn er zu eben der Zeit, da der
Vater nur geradezu 'in das Geld hineins |
griff, einen entichiedenen Mangel jpürte.
Zu diefer Gemüthsftimmung traf
ein jonderbarer Zufall, der ihm eine
reizende Gelegenheit gab, dasjenige zu
thun, wozu er nur einen dunkeln und
umentichiedenen Trieb gefühlt hatte.
Sein Vater gab ihm den Auftrag,
einen Kaſten alter Briefe durchzufehen
und zu ordnen. Eines Sonntags, da
er allein war, trug er ihm durch das
Zimmer, wo der Schreibtiih ſtand,
der des Vaters Galle enthielt. Der
Staften war fchwer, er hatte ihn uns
recht gefaßt, und wollte ihn einen
Augenblid abjeßen, oder vielmehr mur
als wenn er den Schlüffel zum Pulte
gehabt hätte.
Mit Heftigkeit ſuchte er nunmehr
* Vergnügung wieder, die er bisher
hatte entbehren müſſen. Er war fleißiger
um ſeine Schöne; Alles, was er that
und vornahm, war leidenjchaftlicher ;
feine Lebhaftigkeit und Anmuth hatten
ih im ein heftiges, ja beinahe wildes
Mefen verwandelt, das ihm zwar nicht
übel lieh, doch Niemand wohlthätig war.
Was der Feuerfunke auf ein ges
ladenes Gewehr, das ift die Gelegenheit
zur Neigung, und jede Neigung, die
wir gegen unjer Gewiſſen befriedigen,
zwingt uns, ein Uebermaß von phy—
licher Stärfe anzumenden; wir han—
deln wieder als wilde Menfchen, und
e3 wird ſchwer, äußerlich dieſe An—
ſtrengung zu verbergen.
Se mehr ihm jeine innere Em—
| pfindung widerfprach, deito mehr häufte
Ferdinand fünftliche Argumente auf
‚einander, md deito muthiger und freier
ſchien er zu handeln, je mehr er fich
ſelbſt von Einer Seite gebunden fühlte.
Zu derjelbigen Zeit waren allerlei
Koftdarkeiten ohne Wert Mode gewor—
den. Ottilie liebte fich zu ſchmücken;
er ſuchte einen Weg fie ihr zu ver—
Ihaffen, ohne daß Ottilie ſelbſt eigent—
lich wußte, woher die Geſchenke kamen.
Die Vermuthung ward auf einen alten
Oheim geworfen, und Ferdinand war
doppelt vergnügt, indem ihm ſeine
‚Schöne ihre Zufriedenheit über die
Geſchenke und ihren Verdacht auf den
Oheim zu erkennen gab.
Aber um ſich und ihr diefes Ver—
guügen zu machen, mußte er noch
einigemal den Schreibtifch feines Vaters
eröffnen, und er that es mit defto
weniger Sorge, als der Vater zu ver—
Ichiedenen Zeiten Geld hineingelegt und
herausgenommen hatte ohne es aufs
zufchreiben.
Bald darauf follte Ottilie zu ihren
Eltern auf einige Monate verreifen.
Die jungen Leute betrübten fich äußerft,
da Sie ſcheiden follten, und ein Umſtand
machte ihre Trennung noch bedeutender.
Dttilie erfuhr durch einen Zufall, daß
die Gefchente von Ferdinanden kamen;
fie jeßte ihn darüber zur Rede, und
als er es geftand, fchien fie ſehr ver-
drießlich zu werden. Sie beftand darauf,
dal er fie zurüdnehmen follte, und
diefe Zumuthung machte ihm die bit—
terften Schmerzen. Er erklärte ihr,
dan er ohne fie nicht leben könne noch
—
ſchiefe Weiſe Habe durchführen und
dadurch eine unerlaubte Handlung be—
Ihönigen können. Es ward ihm nad
und nach deutlich, daß nur Treue und
Glauben die Menjchen ſchätzenswert
mache, daß der Gute eigentlich leben
müſſe, um alle Gejeße zu beſchämen,
indem ein Anderer fie entweder ums
gehen oder zu feinem Vortheil ge—
brauchen mag.
Inzwiſchen ehe diefe wahren und
guten Begriffe bei ihin ganz Far wurden
und zu Herrfchenden Entjchlüffen führten,
unterlag er doch noch einigemal der
Verſuchung, aus der verbotenen Quelle
in dringenden Fällen zu ſchöpfen.
Niemals that er es aber ohne Wider:
willen, und nur wie von einem böjen
Geifte an den Haaren hingezogen.
Endlich ermannte er ſich und fahte
den Entſchluß, vor allen Dingen die
Handlung fih unmöglich zu machen,
und feinen Vater don dem YZuftaude
des Schloffes zu unterrichten. Er fieng
wolle; er bat fie, ihm ihre Neigung |e8 Hug an und trug den Kaften mit
zu erhalten, und beſchwor fie, ihm ihre den munmehr geordneten Briefen in
Hand nicht zu verfagen, fobald er ver= | Gegenwart feines Vaters durch dus
jorgt und häuslich eingerichtet fein | Zimmer, begieng mit Vorſatz die Un—
würde. Sie liebte ihn! fie war gerührt, | gefchidlichkeit, mit dem Kaſten wider
fie fagte ihm zu was er wünfchte, und den Schreibtifch zu ftoßen, und wie
in dieſem glüdlichen Augenblide vers
fiegelten fie ihr Berfprechen mit den
lebhafteften Umarmungen und mit tau—
jend herzlichen Küffen.
Nach ihrer Abreife fchien Ferdinand
lich Fehr allein. Die Gefellfchaften, in
welchen er fie zu ſehen pflegte, veizten
ihn nicht mehr, indem fie fehlte. Er
bejuchte nur noch aus Gewohnheit ſo—
wohl Freunde als Luftörter, und nur
mit Widerwillen griff er noch einiges
mal in die Caſſe des Vaters, um Aus—
gaben zu beftreiten, zu denen ihn feine
Leidenschaften nöthigten. Er war oft
allein, und die gute Seele jchien die
Oberhand zu gewinnen. Er erftaunte
über ſich jelbft bei ruhigem Nachdenken,
wie er jene Sophiftereien über Necht
und Beliß, über Anjprüche an fremdes
Gut, umd wie die Nubrifen alle heißen
mochten, bei ſich auf eine jo falte und
!
|
|
erflaunte der Vater, als er den Dedel
auffahren ſah! Sie unterjuchten beide
das Schlof und fanden, daß die Schließ—
haken durch die Zeit abgenußt und die
Bänder wandelbar waren. Sogleid
ward Alles repariert, und Ferdinand
hatte feit langer Zeit feinen vergnüg—
tern Augenblid, als da er das Geld
in fo guter Verwahrung fah.
Aber dies war ihm micht gemug.
Er nahın fich jogleich vor, die Summe,
die er feinem Vater entwendet hatte,
und die er noch wohl wußte, wieder
zu ſammeln und fie ihm auf eine oder
die andere MWeife zuzuftellen. Er fieng
nun an aufs Genauefte zu leben und
von feinem Qafchengelde was nur
möglich war zu ſparen. Freilich war
das nur wenig, was er hier zurüds
halten konnte, gegen das, was er jonit
verschwendet hatte; indeljen ſchien die
811
Summe fohon groß, da fie ein Anfang
war, fein Unrecht wieder gut zu machen.
Und gewiß ift ein ungeheurer Unter—
Ichied zwifchen dem legten Thaler, den
man borgt, und zwiſchen dem erften,
den man abbezahlt.
Nicht lange war er auf dieſem
guten Mege, als der Vater fich ent»
Schloß, ihn in Dandelsgefchäften zu
verſchicken. Er follte fih mit einer
entfernten Fabrikanſtalt befannt machen.
Man hatte die Abficht, in einer Gegend,
wo die erften Bedürfniſſe und die Hand:
arbeit ſehr wohlfeil waren, ſelbſt ein
Gomptoir zu errichten, einen Compagnon
dorthin zu feßen, den Bortheil, den
man gegenwärtig Andern gönnen mußte,
jelbft zu gewinnen, und durch Geld
und Gredit die Anftalt ins Große zu
treiben. Ferdinand follte die Sade in
der Nähe unterfuchen und davon einen
umftändlichen Bericht abftatten. Der
Bater Hatte ihm ein Neifegeld aus»
gejeßt umd ihm vorgejchrieben, damit
auszufommen; es war reichlich, und
er hatte fich nicht darüber zu beklagen.
Huch auf feiner Reife lebte Fer—
dinand ſehr ſparſam, vechnete und
überrechnete und fand, daß er den
dritten Theil feines Neifegeldes er—
Iparen könnte, wenn er auf jede Weiſe
ſich einzufchränfen fortführe. Er hoffte
num auch auf Gelegenheit, zu dem
Uebrigen nach und nad zu gelangen,
und er fand fie: denn die Gelegenheit
ift eine gleichgiltige Göttin, ſie be=
günftigt das Gute wie das Böfe.
In der Gegend, die er beſuchen
joflte, fand er Alles weit vortheilhafter,
als man geglaubt hatte. Jedermann
gieng in dem alten Schlendrian hand—
werlsmäßig fort; von men entdeckten
Vortheilen hatte man feine Kenntnis,
oder man hatte feinen Gebrauch davon
gemacht. Man wendete nur mäßige
Eummen Geldes auf und war mit
einem mäßigen Profit zufrieden, und
er ſah bald ein, daß man mit einem
gewiſſen Capital, mit Vorſchüſſen, Eins
kauf des erſten Materials im Großen,
mit Anlegung von Mafchinen durch
die Hilfe tüchtiger Werfmeifter eine
große und folide Einrichtung werde
| machen lönnen.
Er fühlte fich durch die Idee diejer
| mögticjen Thätigfeit jehr erhoben. Die
herrliche Gegend, in der ihm jeden
Augenblick feine geliebte Dttilie vor—
ichwebte, ließ ihn wünſchen, daß fein
Vater ihn an dieſen Plaß jegen, ihm
das neue Etabliſſement anvertrauen
und jo auf eine reichlihe und uner—
wartete Weiſe ausftatten möchte.
Er jah Alles mit größerer Auf—
merfjanfeit, weil er Alles ſchon als
das Seinige anjah. Er hatte zum
erſtenmal Gelegenheit, feine Stenntniffe,
feine Geiftesträfte, fein Urtheil anzu—
wenden. Die Gegend ſowohl als die
Gegenftände intereflierten ihn aufs
höchfte; fie waren Labjal und Heilung
für fein verwundetes Herz: denn nicht
ohne Schmerzen konnte er ſich des
päterlihen Haufes erinnern, in welchem
er, wie in einer Art von Wahnjinn,
eine Handlung begehen konnte, die ihm
nun das größte Verbrechen zu fein ſchien.
Ein Freund feines Hauſes, ein
waderer, aber fränfliher Mann, der .
jelbit den Gedanken eines folchen Eta—
bliſſements zuerſt in Briefen gegeben
hatte, war ihm ſtets zur Seite, zeigte
ihm Alles, machte ihn ınit feinen Ideen
bekannt, und frente fich, wenn ihm der
‚Junge Menſch entgegen, ja zuvorlam.
Diejer Mann führte ein fehr einfaches
Leben, theils aus Neigung, teils weil
feine Gefundheit es fo forderte. Er
hatte feine Kinder; eine Nichte pflegte
ihn, der er jein Vermögen zugedacht
hatte, der er einen wadern und thä—
tigen Mann wünfchte, um mit Unter—
Hügung eines fremden Capitals und
frifcher Sträfte Dasjenige ausgeführt
zu jehen, wovon er zwar einen Begriff
ae wovon ihn aber jeine phyſiſchen
und öfonomijchen Umftände zurüc—
' hielten.
Kaum hatte er FFerdinanden ges
ſehen, als ihm diejer jein Mann zu
fein ſchien; und feine Hoffnung wuchs,
als er jo viel Neigung des jungen
812
Menschen zum Geſchäft und zu der
Gegend bemerkte. Er lieh feiner Nichte
feine Gedanfen merken, und dieſe ſchien
nicht abgeneigt. Sie war ein junges
wohlgebildetes, gefundes und auf jede
Weiſe gutgeartetes Mädchen ; die Sorg—
falt für ihres Oheims Haushaltung
erhielt fie immer raſch und thätig, und
die Sorge für feine Gefundheit immer
weich und gefällig, Man konnte fich
zur Gattin keine vollkommenere Perfon
wünſchen.
Ferdinand, der nur die Liebens—
würdigkeit und die Liebe Ottiliens vor
Augen Hatte, ſah über das gute Land—
mädchen hinweg oder wünschte, wenn
Dttilie einft als feine Gattin in diefen
Gegenden wohnen würde, ihr eine
ſolche Haushälterin und Beſchließerin
beigeben zu können. Er erwiederte die
Freundlichkeit und Gefälligfeit des
Mädchens auf eine ſehr ungezwungene
Meile; er lernte fie näher kennen und
fie ſchätzen; er begegnete ihr bald mit
mehrerer Achtung, und ſowohl fie als
ihr Oheim legten fein Betragen nad
ihren Wünſchen aus.
Ferdinand Hatte fih nunmehr ges
nau umgefehen und von Allen unter»
richtet. Er hatte mit Hilfe des Oheims
einen Plan gemacht, und nach feiner
gewöhnlichen Leichtigkeit nicht verbor—
gen, dab er darauf rechne, ſelbſt den
Plan auszuführen. Zugleich hatte er
der Nichte viele Artigfeiten gejagt und
jede Haushaltung glüdlich gepriefen,
die einer jo forgfältigen Wirtin über«
lafjen werden könnte. Sie und ihr
Onkel glaubten daher, daß er wirklich
Ablichten habe, und waren in Allem
um defto gefälliger gegen ihn.
Nicht ohne Zufriedenheit hatte Fer—
dinand bei feinen Unterfuchungen ges
funden, daß er micht allein auf die
Zukunft Vieles von diefem Plabe zu
hoffen habe, fondern daß er auch gleich
jegt einen vortheilhaften Handel ſchlie—
ben, feinem Water die entwendete
Summe wieder erjtatten und fich alſo
von diejer drüdenden Laſt auf einmal
befreien fönne. Er eröffnete feinem
Freunde die Abjicht feiner Speculation,
der eine außerordentliche Freude dar=
über Hatte und ihm alle mögliche Bei—
hilfe leiftete, ja er wollte feinem jungen
Freunde Alles auf Eredit verfchaffen,
was diefer jedoh nicht annahm, ſon—
dern einen Theil davon fogleih von
dem Ueberſchuſſe des Reiſegelds be—
zahlte, und den andern in gehöriger
Friſt abzutragen verſprach.
Mit welcher Freude er die Waaren
paden und laden ließ, war nicht aus—
zufprechen ; mit welcher Zufriedenheit
er feinen Rückweg antrat, läßt ſich
denlen: denn die höchſte Empfindung,
die der Menfch Haben Tann, ift die,
wenn er fich von einem Hanptfehler,
ja von einem Verbrechen durch eigene
Kraft erhebt und losmacht. Der gute
Menſch, der ohne auffallende Ab—
weihung dom rechten Pfade vor ſich
binwandelt, gleicht einem ruhigen, lo—
benswürdigen Bürger, da hingegen
jener als ein Held und Leberwinder
Bewunderung und Preis verdient ; und
in dieſem Sinne ſcheint das paradore
Wort gejagt zu fein, daß die Gottheit
jelbft an einem zurüdfehrenden Sünder
mehr Freude habe als au meun und
neunzig Gerechten.
Aber leider konnte Ferdinand dur
feine guten Entſchlüſſe, durch feine
Bejlerung und Miedererflattung die
traurigen Folgen der That nicht aufs
heben, die ihn erwarteten, und die fein
Ihon wieder beruhigtes Gemüth aufs
Neue Schmerzlich kränken follten. Wäh—
rend feiner Abweſenheit hatte ſich das
Gewitter zufanmengezogen, das gerade
bei feinem Eintritte in das väterliche
Haus losbrechen follte.
Ferdinands Vater war, wie wir
willen, was feine Privatcafje betraf,
nicht der ordentlichlte, die Handlungs—
fahen hingegen wurden von einem ges
fhidten und genauen Aſſocié jehr
richtig beforgt. Der Alte hatte das
Geld, das ihm der Sohn entwendete,
nicht eben gemerkt, außer daß unglüd-
licherweife darunter ein Padet einer
in Ddiefen Gegenden ungewöhnlichen
Miünzforte gewejen war, die er einem
Fremden im Spiel abgewonnen hatte:
dieje vermißte er, und der Umſtand
ſchien ihm bedenklich. Allein was ihn
äußerſt beunruhigte, war, daß ihm
einige Roflen, jede mit Hundert Du—
caten, fehlten, die er vor einiger Zeit
verborgt, aber gewiß wieder erhalten
batte: erwußte, daß der Schreibtifch jonft
durch einen Stoß aufgegangen war;
er jah al3 gewiß an, daß er beraubt
jei, und gerieth darüber in die äußerfte
Heftigkeit. Sein Argwohn jchweifte
auf allen Seiten herum. Unter den
fürchterlihften Drohungen und Ver—
wünſchungen erzählte er. den Vorfall
jeiner rau; er wollte das Haus um
und um kehren, alle Bediente, Mägde
und Kinder verhören lafjen; Niemand
blieb von feinem Argwohn frei. Die
gute Frau that ihr Möglichites, ihren
Gatten zu beruhigen; fie ftellte ihm
vor, in welche Verlegenheit und Dis—
eredit diefe Gejchichte ihn und fein
Hans bringen könnte, wenn fie ruchbar
würde; daß Niemand an dem Unglüd,
das uns betreffe, Antheil nehme als
nur um uns durch fein Mitleiden zu
demüthigen ; daß bei einer ſolchen Ge—
legenheit weder er noch fie verſchont
werden würden; daß man noch wun—
derlichere Anmerkungen machen fönnte,
wenn nichts Herausfäme; dak man
vielleiht den Thäter entdeden und,
ohne ihn auf zeitlebens unglüdlich zu
machen, das Geld wieder erhalten könne.
Durch diefe und andere VBorftellungen
bewog jie ihn endlich, ruhig zu bleiben
und durch ftille Nachforſchung der Sache
näher zu kommen.
Und leider war die Entdedung ſchon
nahe genug. Ottiliend Tante war von
dem wechſelſeitigen Verſprechen der
jungen Leute unterrichtet; ſie wußte
von den Geſchenken, die ihre Nichte
angenommen hatte. Das ganze Ver—
hältnis war ihr nicht angenehm, und
jie hatte nur gefchtwiegen, weil ihre
Nichte abwefend war. Eine fichere Ver—
313
war ihr unerträglid. Da fie alfo
vernahn, daß der junge Menſch bald
zurückkommen follte, da jie auch ihre
Nichte täglich wieder erwartete, eilte
fie, von dem, was gejchehen war, den
Eltern Nachricht zu geben und ihre
Meinung darüber zu hören, zu fragen,
ob eine baldige Berforgung für Fer—
dinanden zu hoffen ſei, und ob man
in eine Heirat mit ihrer Nichte willige.
Die Mutter verwunderte ſich nicht
wenig, als fie von diefen Verhältniſſen
hörte; ſie erfchraf, als fie vernahm,
welche Geſchenke Ferdinand an Dttilien
gegeben hatte. Sie verbarg ihr Er—
ftaunen, bat die Tante, ihr einige Zeit
zu laffen, um gelegentlich mit ihrem
Manne über die Sahe zu Sprechen,
verlicherte, daß fie Ottilien für eine
vortHeilhafte Partie Halte, und daß es
nicht unmöglich fei, ihren Sohn näch—
ftens auf eine jchidliche Weiſe aus—
zuftatten.
Als die Tante fich entfernt Hatte,
hielt fie es nicht fiir räthlich, ihrem
Manne die Entdedung zu vertrauen.
Ihr lag nur daran, das unglüdliche
Geheimnis aufzuklären, ob Ferdinand,
wie fie fürchtete, die Gefchenfe von
dem entiwendeten Geld gemacht habe.
Sie eilte zu dem Kaufmann, der dieje
Art Geſchmeide vorzüglich verkaufte,
feilfchte um ähnliche Dinge und jagte
zuleßt, er müſſe fie nicht übertheuern:
denn ihrem Sohn, der eine folche
Commiſſion gehabt, habe er die Sachen
wohlfeiler gegeben. Der Handelämann
betheuerte Nein, zeigte die Preife ge=
nau an und fagte dabei, man müſſe
noch das Agio der Geldforte hinzu—
rechnen, in der Ferdinand zum Theil
bezahlt Habe: er nannte ihr zu ihrer
größten Betrübnis die Sorte, es war
die, die dem Vater fehlte.
Sie gieng nun, nachdem fie jich
zum Scheine die nächſten Preiſe Hatte
auffegen laffen, mit ſehr bedrängtem
Herzen hinweg. Ferdinands Verirrung
war zu deutlich; die Rechnung der
bindung mit Ferdinanden fchien ihr! Summe, die dem Vater fehlte, war
vortHeilhaft, ein ungewifjes Abenteuer | groß, und fie ſah nach ihrer forglichen
814
Gemüthart die fchlimmfte That und
die fürchterlichiten Folgen. Sie hatte
die Klugheit, die Entdedung vor ihrem
Manne zu verbergen ; fie erwartete die
Zurüdkunft ihres Sohnes mit getheilter
Furcht und Verlangen: fie wünfchte
ih aufzuflären, und fürchtete das
Schlimmfte zu erfahren.
Endlich kam er mit großer Heiterkeit
zurüd: er konnte Lob für feine Ge—
Ichäfte erwarten, und brachte zugleich
in feinen Waaren heimlich das Löje-
geld mit, wodurch er ſich von dem ge=
heimen Verbrechen zu befreien gedachte.
Der Bater nahm feine Relation
gut, doch nicht mit folchem Beifall auf,
wie er hoffte; denn der Vorgang mit
dem Gelde machte den Mann zerftreut
und verdrießlich, um jo mehr als er
einige anfehnlide Poften in dieſem
Augenblide zu bezahlen hatte. Dieje
Laune des Waters drüdte ihn Sehr,
noch mehr die Gegenwart der Wände,
der Mobilien, des Schreibtifches, die
Zeugen feines Verbrechens gewefen
waren. Seine ganze Freude war Hin,
feine Hoffnungen und Anſprüche: er
fühlte fich als einen gemeinen, ja als
einen ſchlechten Menjchen.
Er mollte fih eben nach einem
ftiffen Betriebe der MWaaren, die nun
bald ankommen jollten, umfehen, und
ſich durch die Thätigkeit aus feinem
Elende herausreihen, als die Mutter
ihn bei Seite nahm, und ihm mit
Liebe und Ernft fein Vergehen vor—
bielt und ihm auch nicht den mindeften
Ausweg zum Leugnen offen ließ. Sein
weiche? Herz war zerrilfen; er warf
ih unter taufend Thränen zu ihren
Füßen, befannte, bat um Berzeihung,
betheuerte, daß nur die Neigung zu
Dttilien ihn verleiten können, und daß
ich feine andern Lafter zu diefem je=
ih im Stande ehe, Alles wieder zu
erjeßen. |
Die Mutter, die nicht gleih nach—
geben konnte, beftand darauf zu willen,
wo er mit den großen Summen hin
gekommen ei, denn die Geſchenke be=
trügen den geringiten Theil. Sie zeigte
ihm zu feinem Entfeßen eine Berech-
nung deilen, was dem Vater fehlte;
er konnte fich nicht einmal ganz zu
dem Silber befennen, und Hoch und
theuer ſchwur er, von dem Golde nichts
angerührt zu haben. Hierüber war die
Mutter äußerſt zornig. Sie verwies
ihm, daß er in dem WUugenblide, da
er durch aufrichtige Neue feine Belje-
rung und Belehrung wahrſcheinlich
machen follte, feine liebevolle Mutter
noch mit Leugnen, Lügen und Märchen
aufzuhalten gedenfe, daß fie gar wohl
wiſſe, wer des Einen fähig fei, ſei
auch alles Uebrigen fähig. Wahrjchein-
lich Habe er unter feinen Kameraden
mitſchuldige, waährſcheinlich ſei der
Handel, den er geſchloſſen, mit dem
entwendeten Gelde gemacht, und ſchwer—
lich würde er davon etwas erwähnt
haben, wenn die Uebelthat nicht zu—
fällig wäre entdedt worden. Sie drohte
ihm mit dem Zorne des Vaters, mit
bürgerlihen Strafen, mit völliger Ver—
ftoßung; doch nichts kränkte ihn mehr
als daß fie ihn merfen ließ, eine Ver—
bindung zwiſchen ihm und Dttilien
jei eben zur Sprache gelommen. Mit
gerührtem Herzen verließ fie ihm im
dem traurigften Zuftande. Er ſah
feinen Fehler entdedt, er ſah ſich in
dem Verdachte, der jein Verbrechen
vergrößerte. Wie wollte er feine Eltern
überreden, daß er das Gold nicht an—
gegriffen ? Bei der heftigen Gemüthsart
feines Vaters mußte er einen öffent—
lichen Ausbruch befürchten; er Jah ſich
im Gegenfaße von alle dem, was er
mals gejellt hätten; er erzählte darauf | fein konnte: die Ausficht auf ein thä—
die Gefchichte feiner Neue, daß er vor—
ſätzlich dem Vater die Möglichkeit, den
Schreibtiſch zu eröffnen, entdedt und
daß er durch Eriparnis auf der Reife
und durch eine glüdlihe Speculation
tiges Leben, auf eine Verbindung mit
Ottilien verſchwand; er Jah fich ver—
ftoßen, flüchtig, und in fremden Welt-
gegenden allem Ungemach ausgefebt.
| Aber jelbit alles dieſes, was feine
Einbildungsfraft verwirrte, feinen Stolz
verlegte, feine Liebe Fränkte, war ihm
nicht das Schmerzlichfte. Am tiefjten
verwundete ihn der Gedanke, daß fein
redlicher Vorſatz, fein männlicher Ent—
ſchluß, fein befolgter Plan, das Ge—
Ichehene wieder gut zu machen, ganz
verkannt, ganz geleugnet, gerade zum
Gegentheil ausgelegt werden ſollte.
Menn ihn jene Vorftellungen zu einer
dunklen Verzweiflung brachten, indem
er befeunen mußte, daß er fein Schidfal
verdient habe, jo ward er durch diele
aufs innigfte gerührt, indem er die
traurige Wahrheit erfuhr, daß eine
Uebeltdat jelbjt gute Bemühungen zu
Grunde zu richten im Stande it. Diefe
Rückkehr auf ſich ſelbſt, dieſe Betrach—
tung, daß das edelſte Streben ver—
gebens fein follte, machte ihm weich,
er wünſchte nicht mehr zu leben.
In diefen Augenbliden dürſtete
feine Seele nach einem höhern Beiftand.
Er fiel an feinem Stuhle nieder, den
er mit feinen Thränen beneßte, und for—
derte Hilfe von göttlichen Wejen. Sein
Gebet war eines erhörenäwerten In—
halts: der Menſch, der ſich ſelbſt vom
Lafter wieder erhebt, Habe Anſpruch
auf eine ummittelbare Hilfe; derjenige,
der feine feiner Kräfte ungebraucht
lalje, könne ji da, wo fie eben aus—
gehen, wo fie nicht hinreichen, auf den
Beiftand des Vaters im Himmel bes
rufen.
In diefer Ueberzeugung, in diejer
dringenden Bitte verharrte er eine Zeit
lang und bemerkte faum, daß feine
Thüre fich öffnete und Jemand herein
trat. Es war die Mutter, die mit
heiterm Gefichte auf ihn zukam, feine
Verwirrung ſah und ihn mit tröft-
lihen Worten anredete. „Wie glüdlich
bin ich,” ſagte fie, „daß ich Dich wenig»
jtens al3 feinen Lügner finde, und daß
815
Ivergefien. Mit dem Silber ſtimmt
Deine Angabe ziemlich zufammen ; die
Summe ift nun viel geringer. Ich
fonnte die freude meines Herzens nicht
verbergen, und verſprach dem Vater,
die fehlende Summe wieder zu vers
Schaffen, wenn er jich zu beruhigen und
weiter nach der Sache nicht zu Fragen
verjpräche.
Ferdinand gieng ſogleich zur größten
Freude über. Er eilte, fein Handels—
geſchäft zu vollbringen, ftellte bald der
Mutter das Geld zu, erjeßte ſelbſt das,
was er nicht genommen Hatte, wovon
er wußte, dab es bloß durch die Un—
ordnung des Vaters in feinen Aus—
gaben vermißt wurde. Er war fröhlich
und heiter; doch Hatte dieſer ganze
Vorfall eine fehr ernſte Wirkung bei
ihm zurüdgelaffen. Er hatte ſich über-
zeugt, daß der Menſch Kraft habe, das
Gute zu wollen und zu vollbringen ;
er glaubte nun auch, daß der Menich
das göttliche Wefen für jich intereffieren
und ſich deſſen Beiftand verſprechen
könne, den er eben ſo unmittelbar er—
fahren hatte. Mit großer Freudigkeit
entdedte er nun dem Vater ſeinen Plan,
ſich in jenen Gegenden niederzulaſſen.
Er ſtellte die Anſtalt in ihrem ganzen
Werte und Umfange vor; der Vater
war nicht abgeneigt, und die Mutter
entdedte heimlich ihrem Gatten das
Verhältnis Ferdinands zu Ottilien.
Dieſem gefiel eine jo glänzende Schwie-
gertochter, und die Ausficht, feinen
Sohn ohne Koſten ausftatten zu können,
war ihm jehr angenehm.
Bereit don der dridenden Laſt
eines jo häßlichen Vergeheus, nicht
ohne beicheidene Zufriedenheit mit ſich
jelbft, dachte er nun an fein fünftiges
Süd, und erwartete jehnfuchtsvoll die
Rückkunft Ottiliens, um ſich gegen fie
zu erklären und fein gegebenes Wort
— — — — —
— — — — — — — — — — —
ich Deine Reue für wahr halten kann! im ganzen Umfange zu erfüllen. Sie
Das Gold hat Sich gefunden: der fam in Gefellfehaft ihrer Eltern, er
Vater, als er es vom einem Freunde) eilte zu ihr, er fand fie Schöner ud
wieder erhielt, gab es dem Gajfier aufs | heiterer als jemals. Mit Ungeduld
zubeben, und durch die vielen Beſchäfti— | erwartete er den Augenblid, in welchen
gungen des Tages zerftrent, Hat er es er fie allein ſprechen und ihr feine
816
Ausfichten vorlegen könnte. Die Stunde
fam, und mit aller Freude und Zärt—
lichkeit der Liebe erzählte er ihr feine
Hoffnungen, die Nähe feines Glücks
und den Wunſch, es mit ihr zu theilen.
Allein wie verwundert war er, ja wie
bejtürzt, als fie die ganze Sache ſehr
leichtſinnig, ja man dürfte beinahe
jagen, Höhnisch aufnahm! Sie ſcheigle
nicht ganz fein über die Enſiedelei, die
er ſich ausgejucht habe, über die Sigun, |
die fie beide fpielen würden, wenn fie
ih als Schäfer und Schäferin unter
ein Strohdach flüchteten, und was
dergleichen mehr war.
Betroffen und erbittert kehrte er
in ſich zurüd; ihr Betragen hatte ihn |
verdrofjen und er ward einen Augen
blid falt. Sie war ungerecht gegen
ihn gewefen, und nun bemerkte er
Fehler an ihr, die ihm ſonſt verborgen
geblieben waren. Auch brauchte es kein
jeher helles Auge, um zu fehen, daß
ein fogenannter Vetter, der mitange-
fommen war, ihre Aufmerkſamkeit auf
ih zog und einen großen Theil ihrer
Neigung gewonnen hatte.
Bei dem unleidlihen Schmerz, den |
Ferdinand empfand, nahm er ſich doch
bald zuſammen, und die Ueberwindung,
die ihm ſchon einmal gelungen war,
ſchien ihm zum zweitenmal möglich.
Er ſah Ottilien oft, und gewann über
ſich, ſie zu beobachten; er that freundlich,
ja zärtlich gegen ſie, und ſie nicht
weniger gegen ihn; allein ihre Reize
hatten ihre größte Macht verloren, und
er fühlte bald, daß ſelten bei ihr etwas
aus dem Herzen kam, daß fie vielmehr,
nach Belieben zärtlich und falt, reizend
und abfloßend, angenehm und launiſch
fein fonnte. Sein Gemüth machte fich
nah und nah von ihr los, und er
entſchloß ſich auch noch die legten Fäden
entziweizureißen.
Dieje Operation war jchmerzhafter |
als er fich vorgeftellt hatte. Er fand:
fie eines Tages allein und nahm fich
fie beide, durch das zartefte Gefühl ge=
drumgen, eine Abrede auf ihr fünftiges
Leben genommen hatten. Sie war
freundlich, ja man kann fait fagen,
zärtlich ; er ward weicher und wünſchte
in diefem Augenblide, dag Alles anders
fein möchte als er fich vorgeltellt hatte.
Doch nahın er fih zufammen und trug
ihr die Gefchichte feines bevorftehenden
GFtabliffements mit Ruhe und Liebe
vor. Sie ſchien ſich darüber zu freuen
und gewiffermaßen nur zu bedauert,
daß dadurch ihre Verbindung weiter
hinausgeſchoben werde; fie gab zu er=
fennen, daß fie micht die mindefte Luft
babe, die Stadt zu verlaffen; fie ließ
ihre Hoffnung ſehen, daß er ſich durch
einige Jahre Arbeit in jenen Gegenden
in den Stand jeßen fönnte, auch unter
jeinen jegigen Mitbürgern eine große
Figur zu jpielen; fie ließ ihm nicht
undeutlich merken, daß fie von ihm
erwarte, daß er künftig noch weiter
als fein Vater gehen und ich in Allen
noch anjehnlicher und reichlicher zeigen
werde.
Nur zu jehr fühlte Ferdinand, daß
er von einer jolchen Verbindung kein
Süd zu erwarten habe; und doch war
es ſchwer, jo vielen Weizen zu ent»
jagen. Ya vielleicht wär er gang uns
Ihlüffig von ihr weggegangen, bätte
ihn nicht der Better abgelöft, und in
feinem Betragen allzuviel VBertraulich-
feit gegen Ottilien gezeigt. Ferdinand
ſchrieb ihr darauf einen Brief, worin
er ihr nochmals verlicherte, daß fie ihn
glüdlih machen würde, wenn fie ihm
zu jeiner neuen Beftimmung folgen
wollte; da er aber für beide nicht
räthlich hielte, eine entfernte Hoffnung
auf künftige Zeiten zu nähren, und
fih auf eine ungewiſſe Zukunft durch
ein Verſprechen zu binden.
Noch auf diefen Brief wünſchte er
eine günftige Antwort; allein fie kam
nicht, wie fein Herz, fondern wie fie
feine Vernunft billigen mußte. Ottilie
ein Herz, fie an ihr gegebenes Wort gab ihm auf eine ehr zierliche Art
zu erinnern und jene Augenblide ihr. fein Wort zurüd, ohne fein Herz ganz
ins Gedächtnis zunrüdzurufen, in denen |loszulaffen, und eben fo ſprach dus
87
Billet auch von ihren Empfindungen ; | ordentlich und fleißig, und ward es
dem Sinne nach war ſie gebunden und um jo mehr, als das gute, natürliche
ihren Worten nad frei. Mädchen, die wir ſchon fennen, ihn
Was foll ich nun weiter umftändlich als Gattin beglüdte, und der alte
fein? Ferdinand eilte in feine fried« | Obeim Alles that, feine häusliche Lage
lihen Gegenden zurüd; feine Eine zu fihern und bequem zu machen.
rihtung war bald gemadht: er war Goethe.
Auf Bäubercommando,
Novelle von Paul Maria Sacroma.
(Fortjehung.)
II. | Kopfichüttelnd leerte Géza bereits
das vierte Glas Waller und ſah' dann
unſchlüſſig den Oberften an, der ebene
falls an der Officiersinenage theilnahm.
er blos mit einem Leinwandjtreif ums ‚Run, laffen Sie nur hören,
ee —— — Lieutenant Sändor!“ ermunterte ihn
geilen hatte, meldete ſich nun plötzlich jein hoher Dorgejepter. „Wollen den
auf ſehr unangenehme Art. Er fühlte orbnnngsmäßigen Rapport nach Diſch
bedeutendes Vrenmen darin, das bei entgegennehmen, einfhweilen aber doch
ein klein wenig von der Geſchichte ver—
dem raſchen Reiten in der ſtrengen
Kalte von Minute zu Minute zunahm: Se un —
— — Ik, en Gefangennahme, jo viel als möglich
fo umerträglihes Stopfiveh, daß er ae was das arıne Welen
wirklich Mühe Hatte, fih im Sattel Gr ärgerte ſich nicht wenig über
zu behaupten. er : ; die ſpöttiſchen Mienen feiner Stameraden
Der Schnee fiel in großen, dichten „ud über die unzarten Bemerkungen
öloden hernieder, Mann und Roß von] betreffs feines wohlfeilen Heldenthums
allen Seiten umwirbelnd und trotz aller im Kampfe mit einem Kinde und halb—
Anftrengung weiterzufonmen, erreichte derhungerten Gegnern.
der Lieutenant den Si des Regiments- Den Teufel aud, Kamerad, haben
commando erft nach zwölf Uhr. da ein leichtes Stüd Arbeit gehabt !*
Die Herren ſaßen bei Tiſch und „Und obendrein ein »Chriſttindl«
Inden ihm fofort ein, mitzuhalten. | aufgefifcht!*
Geza konnte nicht eſſen, nur feinen „Haben verdammt viel Glüd ges
immenfen Durft ſtillen. habt bei der ganzen Affaire!“
„Nun, SKamerad, was ift denn „Machen Alle den Zug mit um
los?“ — „Was hat Dir den Appetit ſolche Beute!“
G 6za ritt eiligft von binnen.
—) Die Wunde am Finger, die
verdorben ?* — „Sit der Yang etwa „Sinderjpielerei, nichts weiter!“ rief
nicht geglüdt ?* rief man ihm von man hitzig durdeinander.
verfchiedenen Seiten zu. „Meine Herren!“ brauste Geza auf.
Rojıgger’s „„Geimgarten‘‘, 11, Gef, X. 52
818
„Gemach, gemach!“ fiel der Oberft
ihm ind Wort, und den vorlauten
Bemerkungen mit einem Stirnrunzeln
ein Ende ſetzend, ſprach er ftreng ver—
weifend: „Das Verdienſtkreuz auf der
Bruft des bereits zum Oberlieutenant
defignierten Officiers follte ihn denn
doch vor derlei Anzüglichkeiten ſchützen.
Das geht überden Spaß, meine Derren!*
Er ftand auf und wintte Geza,
ihm zu folgen.
Der Regimentsarzt hatte die Wunde
des Pientenants genan unterfucht und
fie durchaus nicht fo unbedenklich ge—
funden, ja er befürchtete fogar einen
Anfang von Wunpdfieber bei dem durch
die Strapazen der letzten Tage höchſt
angegriffenen jungen Mann. Die im
Kreife der Kameraden erlebte Scene
hatte das Unbehagliche feines Zuftandes
bedeutend verjchlimmert, und jo mußte
er fich vor Allem zwei Stunden volliter
Nuhe gönnen. Dann erft konnte er
an die Rückkehr denken.
Auf Befebl des Oberften ſchloß ſich
dem Lieutenant ein Hauptmann, der
Auditor nebſt zwei Prototollführern
und der Regimentearzt au. Erſtere,
um die gefangenen Räuber und deren
fo harmlos entpuppten Anführer einem
ftrengen Verhör zu unterziehen, und
Leßterer zur Pflege der Verwundeten.
Die Herren fuhren in einem Karren,
dem nebſt zwei Paar Ochſen auch noch
Géza's Pferd vorgejpannt war; allein
da half kein Dreinjchlagen, kein Fluchen,
fein Schreien; die ZTerrainhinderniffe
weren derartig, daß die Gefellichaft erft
um zehn Uhr Nachts im Konak ankam.
Sie fanden Alles todtenftill, die
Schildwachen frierend, aber getreu aus—
herrend troß Sturm und Schnee.
Selbftverftändlih übernahm mun
der Hauptmann das Commando, der
denn auch den Feldwebel zum NRapport
beordnen ließ.
Geza wagte zwar die fchüchterne
Benrerfung, ob es nicht angezeigter
zu warten; doch der Hauptmann fuhr
ihn ziemlich barſch an und erwiderte:
„Könnt mir nicht einfallen! Weiß,
was ich zu thun Habe. Laſſe mir von
»afademifchen Jungens« nichts vor—
jchreiben. Und damit bafta!”
Géza mußte, daß er nun fein
weiteres Wort fagen durfte, wenn er
dem armen gefangenen Mädchen nicht
Schaden, ftatt helfen wollte; denn wenn
Hauptmann Huſſa von akademiſchen
Jungens Sprach, konnte ihm Niemand
beikommen.
Der Hauptmann war eine jener
typiſchen Officiersgeſtalten von Anno
dazumal, die von Pick auf gedient,
und die Heutzutage in den Armeen faſt
ausgeftorben find, ihren Platz aber
vielleicht gerade deshalb umſo eifer-
füchtiger und mißtrauiſcher behaupten.
Die jungen Officiere waren dem
‚alten Haudegen ein Greuel, befonder®
die von der MWiener-Neuftädter Aka—
demie. Es däuchte ihm wenig Ehre,
auf der Schulbank zum DOfficier zu
abancieren und den verdienten Militärs
über'n Kopf zu wachen; denn er hatte
zu feinem nicht geringen Aerger man:
hen Lientenant, dem er al3 bartloien
Jungen das Necruten-Drillen beige:
bracht, als Stabsofficier wiedergeſehen.
Daher fein Haß gegen die alademiſchen
Jungens. Und zum Unglüd mußte
Géza auch einer von diefen fein, und
ein ſehr gelehrter obendrein, der das
Studium militärischer Willenfchaften
ftetS eifrig betrieb und ſich, wie der
Hauptmann mit ftillem Grimm zu
wiſſen meinte, Schon jet für den Stabs—
officiercurs vorbereitete — für dielen
fatalen Eur, der des Hauptmanns
Dual und Sehnſucht zugleih aus—
machte.
Jahr um Jahr hoffte er darauf
und Jahr um Jahr — vergeblicher;
dennoch wollte er es nimmer begreifen,
daß er dazu beftimmt war, als alter
Hauptmann in Bosnien zu verſauern,
ja er glaubte num mit Gewißheit an—
wäre, bis zum mächjten Morgen mit nehmen zu können, daß ihn der Oberft
den nöthigen Meldungen und Befehlen | dies ſchwierige Commando bloß deshalb
819
übergeben, um ihm die Gelegenheit zu
ganz befonderer Entfaltung feiner Bra—
vour zu:bieten.
Und daran follte er jich vielleicht
durch den „bejler= willen - wollenden-
Dinkel eines akademischen Jungens“
verhindern laſſen?
Nimmermehr! Er wollte num den
Beweis liefern, daß er für den Stabs—
officierScurs reif wäre.
Der arme Narr abnte freilich nicht,
dab er hiezu bereits überreif war und
das man ihm Fchon feit geraumer Zeit
jedes feccante Commando, wo feinerlei
Lorbeern zu holen waren, in die Schuhe
jchob.
Nachdem der Hauptmann den armen
Géza fo mürriſch zurechtgewiefen, jchritt
er Ichnurftrads auf das Zimmer der
Gefangenen los, die davor poftierten
Machen mit einer herrifchen Handbe—
wegung zurückweiſend, und ri un—
geftüm und rückſichtslos die Thür
auf... doch wer bejchreibt das Ente
ſetzen des bejorgt herbeiftürzenden Lieu—
tenants und aller Anderen, als fie das
Gemach — leer fanden!
Der Felwebel war höchſt beftürzt
und konnte ſich die Sache abjolut nicht
deuten, gejchweige denn die Uebrigen
darüber aufflären. Geza war faft froh
über die Wendung, welche die Dinge
genommen, wiewohl ihn dieje räthfel=
hafte Flucht jehr peinlich berührte.
Der Hauptmann war wüthend,
fluchte und tobte auf erjchredende Art
und behauptete fteif und feft, daß Ver—
rath im Spiel fein müfje, dak Jemand
nicht jo ohneweiters verſchwinden könne.
„Entſchuldigen, Herr Hauptmann, *
„Was, Harambaſcha!“ fiel der
Hauptmann ein. „Zum Zeufel mit
Deinem Harambafha! Ein Mädchen
war's — feine Tochter, die uns da
ſo verflucht entwiſcht.“
| „Was,“ ſchrie der Feldwebel er—
ſtaunt auf „a Mädel? Meiner Seel,
die hätt’ ich laufen laſſen!“ entfuhr
‘es ihm unwillkürlich. „Ich Hab’ es
aber nicht gewußt und nicht verichule
det! Bei meiner Soldatenehre, ich hab’
es nicht gewußt!” beihenerte er wies
derholt.
| „Und wer ift denn moch mit ihr
geflohen ?* ließ fich der Auditor ver
nehmen.
| „Gehorſamſt zu melden, Herr Au—
ditor, die beiden Adjutanten, die der
| Bope von twegen der Verbindung der
‚ Wunde hereingerufen.“
| „Die find alfo auch durchgebrannt ?“
wetterte der Hauptmann.
| „gu Befehl, Herr Hauptmann;
‚im Ganzen fünf Perſo . . . Herrgott!“
‚unterbrah er ſich, „der Chriſtbaum
‚dom Deren Lieutenant ift auch davon!“
| „Er ift ein Ejel, Ferenz!“ ſchrie
‚der Hauptmann, der fich perjifliert
‚glaubte, wiüthend auf.
„Entichuldigen, Herr Hauptmann,
‘aber im Reglement fteht, Sie find ein
Eſel.“
„Donnerwetter noch einmal hinein!
Was unterſteht Er ſich? — Laſſe Ihn
krummſchließen! Laſſe Ihn durchprü—
| gefn, dak Ihm Hören und Sehen
vergeht! Laſſe Ihn . . .“
„Bitte, Herr Hauptmann, mäßigen
Sie ſich!“ flüfterte der Auditor ihm
ftotterte der Feldwebel, „es handelt ſich in's Ohr. „Was Sie da jagen, fteht
nicht allein um Jemand, es find im, micht im Reglement, hingegen, daß
Ganzen fünf Perfonen, die... die... die Chargen und Mannſchaft unferer
die Reihaus genommen —“ Armeen per »Sie« anzuſprechen find,
„Was — will Er mich zum Narren und darauf hin hat der Manı wohl
halten 2!” donnerte der Hauptmann. gezielt, dem Sie denn doch zu arg
„Entſchuldigen, Herr Hauptmann, zugeſetzt. In Arreſt önnen Sie ihn
geborfamft zu melden, es ift doch ſo, ſchicken, weiter aber nichts anthun.“
wie ich gejagt.“ Und auf den Fingern | „So — ſo — richtig — richtig!”
ftanımelte der Hauptmann, feinen bor—
abzählend fuhr er fort: „Der Bope, |
die Malicka, der Harambaſcha —“ ſtigen, ſpitzzugewichſten Schnurrbart
52"
820
unmuthig drehend. „War eben zu
meiner Zeit ganz anders... hätte ihn
eigenhändig durchgebläut . . . Dieje
verdammte Chriſtbaumgeſchichte . .
„Kann uns Lieutenant Sändor
viefleicht erklären,” fiel der Auditor
abermals befänftigend ein.
Géza beftätigte, daß ein Chriſt—
baum allerdings da geweſen, von wel—
chem jedoch nur noch der bunte Flitter
am Boden zu ſehen war; der Tannen—
baum ſammt Kübel war räthſelhaft
verſchwunden, ebenſo wie die fünf
Perſonen, von deren Flucht auch nicht
die geringſte Spur aufzufinden war.
Die hereinbefohlenen Wachen ſagten
alle dasſelbe aus, nämlich, daß ſie gar
nichts Verdächtiges bemerkt. Bei dem
einzigen Ausgang des Zimmers, war
ſeit vier Uhr, zu welcher Stunde die
alte Maliéka Bandagezeug hineinge—
tragen, Niemand aus- und eingegan—
gen. Die Fenſter des fatalen Gemaches
waren ſämmtlich hochgelegen, klein und
überdies vergittert, wie es in türkischen
Behaufungen gebräuhlid. Das eine
hievon gieng auf das freie Feld, das
zweite auf den nun feitgefrorenen Fluß
und das leßtere führte in den Hof—
raum des Sonal, wo die zur Ber
wachung der Räuber aufgeftellten Boften
fortwährend patrouillierten. Aus dem
Fenſter konnte daher Niemand ent-
flohen fein und aus den anderen nicht
minder, weil ſich die Eifengitter in
denjelben fanden und die Feniteröffnung
überhaupt derartig war, daß faum ein
Kind Hindurdichlüpfen konnte, ge—
ſchweige denn erwachilene Leute.
Die Thatfache der Flucht war offen-
bar; doc) das Wie blieb unergründlich,
auch als man am hellen Tage die
forgfältigiten Nachforſchungen wieder-
holte und am eine wohlorganifierte
“
*
Verfolgung der Flüchtlinge jhritt, was |
jedoch ebenso refultatlos blieb, als die
in der vergangenen, ftodfinfteren Nacht,
begonnenen Streifungen.
Der Hauptmann, der feine leßte
Hoffnung bezüglich des Stabsofficiers—
Und Geza?
Geza lag im heftigen Wundfieber
und Delirium. Die Anftrengung, die
Gemüthsbewegung und aud die für
jo unbedeutend gehaltene Wunde Hatten
ihn aufs Srantenlager geworfen.
Der Regimentsarzt drang darauf,
ihn in's Spital transportieren zu
laffen, wo er erft nach mehreren Wochen
genas.
Anfangs März wurden die Ur—
lauber nach Ungarn entlaſſen. Der
Oberſt beſtimmte Geza zum Comman—
danten der Heimkehrenden. Seine
Bläſſe, ſeine verdüſterte Stimmung be—
zeugten nur zu ſehr, daß er der hei—
matlichen Luft bedurfte; doch gerne
verließ er das Land nit.
Er dachte oft daran zurüd, bes
ſonders aber und mit eigenthümlicher
Beklemmung an jein Weihnachts Aben-
teuer.
IV.
Faſt drei Jahre waren feit den
geihilderten Ereigniſſen verfloſſen.
Géza war inzwiſchen Oberlieute—
nant geworden. Der fatale Ausgang
feines Räubercommandos blieb für feine
Garriere ohne üble Folgen.
Der Aufenthalt im Bruder Lager,
wohin er im Sommer nad feiner Bes
förderung commandiert wurde, und
ein langer Urlaub daheim im nächſten
Winter Hatten viel zu feiner Auf—
munterung undZerſtreuung beigetragen.
Phyſiſch war er gänzlich erholt, doc
jeelifch nicht. Er hatte zwar hie und
da für eine oder die andere lichtblonde
Schönheit gefhwärmt — dem Genre
huldigte er von jeher — allein in feinem
ganzen Weſen war eine bedeutende
Veränderung eingetreten. Er fang und
tanzte weniger — er dachte mehr.
Vielleiht an Sammetaugen und
goldigbraunes Haar? —
So verging ihm das zweite und
dritte Jahr nach feiner Rückkehr aus
Bosnien, ohne daß irgend etwas Bes
curſes ſchwinden ſah, war wüthend. | merkbares in dem träumerifchen Da—
— — ——
hinleben jeiner Eriftenz vorgefallen
wäre.
Da wurden die Mobilbataillone
errichtet. Baron Freitag, ein bild»
ſchönes Mutterföhnchen, follte mit einem
derjelben nad) Bosnien rüden.
Seine Schwelter, eine Tiebliche
Blondine, welche ſich feſt einbildete,
Géza's Herz auf ewig gefeffelt oder
wenigftens tief verwundet zu haben,
Hagte bitter über des Bruders graue
fame Beſtimmung.
„Das Land ift jet gänzlich paci=
ficiert und feinerlei Gefahr mehr zu
befürchten“, meinte der Oberlieutenant.
„Über die Wölfe auf den Planinen,
wohin er bejtimmt ift, bleiben ftet3 zu
fürchten, und das gräßliche Baraden-
lager in entlegener Bergwildnis nicht
s2ı
Aufnahme und erfuhr auch jo Mans
des, das jein höchſtes Intereffe er—
wedte und ihm einen Lichtblid auf
das traurige Nachfpiel jeines Näuber-
commandos gewährte.
Der Pope war zwar nicht mehr
zum Borfchein gekommen, Hatte aber
einem Better im Stlojter gefchrieben,
daß es ihm derzeit ehr gut gienge.
Er habe zwar damals, al3 er vor drei
Jahren jo plößlich das Kloſter verlieh,
eine unendlich mühjelige und gefähr-
liche Reife gemacht, fei aber glüdlich
in feinem Beſtimmungsort angelommen
und mun trefflich untergebracht, nach»
dem er Seine Miflion vollendet und
nicht bloß die Tochter feines ehemaligen
Wohlthäters einem beichämenden Pro=
ceſſe entriffen, fondern auch den Leich-
minder. — Ach Gott, es ift ein Jammer! nam des alten Brankovic in gemeihter
Mama wird e3 gar nicht verwinden | Erde beigejegt hatte.
tönnen und mix ijt der ganze Faſching
dadurch verdorben !“
Ward Géza von den Thränen der
Ihmactenden blauen Augen gerührt
oder zog ihn die Sehnjucht nach Bos—
nien ? —
Genug. Er meldete jich am nächſten
Morgen
Obwohl der Brief alten Datums
war, enthielt er dennoch eine für Géza
‚völlig neue und überrafchende Nad)=
richt aus dem nahen Konak.
Der jetzige Bewohner von Goza's
ehemaligem Zimmer, in dem ſtets ein
arger Luftzug geherrſcht, hatte durch
beim Reſervecommandanten | mehrere der Maurerarbeit fundigeS ol⸗
mit der dringenden Bitte, mit Baron daten die Riſſe in den Wänden ringsum
Freitag tauſchen zu dürfen. |teparieren laſſen, wobei eine merkwür—
Auf die Anfrage nah Wien kam dige Borrichtung zutage kam, die
die Antwort, daß Oberlientenant Sänz | bisher unbefannt geblieben, Das ganze
dor jeiner Energie, feiner Perſonlich- Fer fter gegen den Fluß zu ließ ſich
feit und Hauptjächlich feiner Sprachen— durch einen Druck auf eine mechaniſche
kenntniſſe halber viel beſſer für den |
Poſten palle, und daß er ihm denn
auch fogleich bewilligt werde.
Baroneſſe Adele war voll unfäglicher
Dankbarkeit, bedauerte aber dennoch |
das heroiſche Opfer des Officiers, der
ein jo guter Tänzer war,
troß des Bruders Bleiben gefährdet.
— — — — — — — — — —
Nah kurzer Station im Baracken—
in das von feiner ehemaligen Garniſon
zwei Stunden entfernte Stlofter trans
feriert.
Er fand dort die allerfreundlichite
umd im
Stillen dünkte ihr der Carneval nun
Feder verjenten, wodurch in der Wand
eine große Deffnung entitand, die auch
von Außen verichlojfen werden fonnte,
Das war des damaligen Räthiels
‚Föfung, wenn auch immerhin noch
Manches zu erklären blieb.
Von Zora, der liftigen Betrügerin,
wie fie Géza in feinem Grofl nannte,
wenn er ihrer — ad, jo oft! —
gedachte, vernahm er feinerlei Kunde,
und fragen wollte er nicht. Wozu auch ?
lager wurde Géza ſeltſamerweiſe gerade,
Der junge Officer hatte ziemlich
‚viele freie Stunden, die er aber nicht
im Müßiggang verrinnen lieh, viel=
mehr jeher gut auszufüllen wußte.
Von der Jagd und dem Filchang
8
brachte er flets reiche Beute Heim, die
dem Bruder Koh höchſt willkommen
war und das Menu der Stlofterküche
wejentlich verbejjerte.
An Regentagen, deren es leider
jehr viele gab, erwies ſich die Biblio-
thef des Kloſters als ein höchſt an—
nehmbarer Zeitvertreib! ja es gewährte
Géza nicht geringes Vergnügen, in
den alten Folianten und noch älteren
Pergamentbüchern zu ftöbern, wie er
denn überhaupt recht gern in den ftillen
Ktlofterräumen Umſchau hielt. Bei
einer ſolchen Erpedition fand er ein-
mal in einer entlegenen Sammer ein
freilich ſehr arg zugerichtetes, jümmer—
lich verſtimmtes Glavier, deſſen Auf-
findung ihn aber troß der verjchiedenen
Schaden unendlich erfreute.
Sr ließ es fogleih in das ihm
zugewiejene große Gemach transpors
tieren und machte ſich mit großem
Geſchick daran, den ftaubigen Klimper—
faften mit militärischer Nettigkeit zu
abjuftieren, wie er fich den Fratres
gegenüber äußerte, die jeinem Treiben
erſtaunt zuſahen.
Mit Hilfe eines Gewehrpiſtons
gelang es ihm, das Clavier beſtens
zu ſtimmen, und nun wurde luſtig
darauf los muſiciert und ganze Meſſen
einſtudiert, ja ſogar Chöre, die nicht
22
Keine im Gloria, bald im Agnus Dei,
Dpernreminifcenzen auftauchten, Dies
merkten bloß die Officiere der nahen
Garnifonsftadt, welche ſich ebenfalls
zur Verherrlichung des Feſtes eingeftellt
hatten, und denen Géza's Orgelipiel
allerdings jo Manches verrieth, in
erfter Linie, daß er troß feines ernſten
Weſens und feiner zeitweiligen Mes
landolie ein Erzſchelm war.
Im Großen und Ganzen war aber
die Production der Meſſe derart aus:
gefallen, daß ſich Alle ohne Unter:
ſchied auf eine Wiederholung gelegent-
lid der nahen MWeihnachtsfeiertage
freuten, für welche große Vorbereitungen
getroffen wurden — auch von geheimnis-
voller Seite.
Géza ſah dem Feſte durchaus nicht
mit der gewöhnlichen, weihevoflen Stim—
mung entgegen, die ihn vor drei Jahren
fogar veranlaßte, über Stod und Stein
nach einem Chrifibaum zu fahnden.
Er war wieder einmal tief traurig,
ohne ſich des eigentlichen Grundes be—
wußt zu fein; denn daß die Erinne—
rung an fein Weihnachtsabenteuer ihm
irgendwie nahe gehen fönnte, wollte
er nicht gelten laffen. Eines war
'jedoch gewiß, daß er den Gedanken an
jeinen EHriftbaum geradezu perhor—
reſcierte und fih auch von Daus aus
immer geiftlichen und heiligen Tertes jede diesbezüglihe Sendung mit dem
waren, auch in der Tonart weder an Bemerken verbeten Hatte, daß er denn
die Choralmelodien des berühmten Pas doch nicht mehr fo kindiſch fei, um
leftrina, noch an defjen niederländifchen | fein Herz an derlei Dinge zu hängen.
Rivalen Orlandus Laſſus gemahnten ; | Und dennoch erfüllte es ihm mit
doch dies ftörte die guten Mönche nicht, | namenlofer Freude, als er zu feinem
die ihren Chormeifter geradezu ver- großen Erftaunen am Weihnachtsabend
götterten und Alles blindlings mache | im Neflectorium einen immenſen, reich—
fangen, was er ihnen „einzuleiern“ | behängten Chriftbaum fand. Darunter
für gut befand. | lag, auf weiches Moos gebettet und
Als die würdigen Herren endlich |von den breiten Zweigen der hoben
joweit gekommen waren, um fich öffent: , Tanne halb verftedt, eine elegante Cha—
lich hören zu lafjen, wurde anläßlich | touille aus Gedernholz, der ein föft-
eines Hohen Feiertages eine gefungene
Meile aufgeführt, zu welcher die ge=
ſammte chriftliche Bevölkerung der Uime |
gebung herbeiſtrömte. Andächtig lagen
fie insgefammt auf den Anien und
liegen Sich dadurch nicht ftören, daß
‚licher Rofenduft entftrömte, wie ihn
‚die orientalifchen Frauen jo ſehr lieben
und vorzugsweiſe gebrauden.
Und wenn es Pandora's Büchſe
gewefen wäre, und wenn er gleich dei
fagenhaften Epimethens die Welt mit
— ——— un —
—
allem erdentlihen Elend hätte über! Bald meinte er, das heißgeliebte
fluten müſſen, und wenn felbft die Mädchen in der Schar frommer | Beter
Hoffnung verflogen wäre, deren MWohls | ‚zu entdeden, die nun an jedem Sonn—
that er im felben Augenblid fühlte, | und Feiertage die Kloſterkirche füllten,
da ſie ihm das Herz ſchwellte in nie bald in Geſtalt einer dichtverſchleierten
gekannter Luſt:
noch geöffnet haben, das reizumloderte
Käftchen, nach welchem er feine zitternde |
Hand verlangend ausftredte, als gelte |
es, Golkonda's Diamantenfhäge ſich
zu erringen.
Und wer da glaubte, daß Géza
lich enttäufcht fühlte, als er bloß Thee,
Badwert und ein Heines Fäßchen
Caviar vorfand, der irrte ſich ganz aus
gewaltig ; denn er wurde blutroth beim
Anblid diefer Dinge, jein Herz ſchlug
ungeftün, wallte auf, ja erwadte|
endlich im hellen Glanz der Weih—
nachtslichter, der bis in feines Herzens |
jo würde er es den» |türlifchen Frau der nahen Stadt, wo
Géza ebenfalls auf's eifrigſte nach der
ſchönen Räuberstochter forſchte, aber
leider — vergebens. Immer wieder
hatte ihn bloß feine Phantafie geäfft
* das liebliche Bild dorgegaufelt.
Der jungeOfficier verfiel in Schwere
muth. Er wurde immer tieflinniger
und trauriger. Nichts vermochte ihn
feiner trüben Stimmung zu rüttelı.
Die guten Mönche wußten ſich gar
nicht mehr zu helfen. Géza war der
allgemeine Liebling geworden, und es
gieng ihnen jehr nahe, ihn jo bleich
und verzweiflungsvoll umherſchleichen
Tiefen drang, und die lange Nacht | zu ſehen; ja fie fanden es ſogar ge=
darin erftrahlte nun im ſonnigen,
roſigen Morgenſchein der Liebe.
Jetzt mußte er, was ihn nad |
Bosnien gezogen: Sammetaugen, gol—
digbraumes Haar und NRofenduft.
Obwohl es Géza an den forg-
fältigften Nachforſchungen und Nach—
fragen nicht fehlen ließ, fonnte er es
doch nicht in Erfahrung bringen, wie
die geheimnisvolle Gafjette in’s Kloſter
fan, und wer denn eigentlich der ſin—
nigen Gaben Spender war.
Daß die Mönche den Chriftbaum
angeſchafft hätten, wie man ihm wieder-
holt verjicherte, war allenfalls glaub»
haft; allein daß die prächtige Chatouifle
mit ihrem wohlig beraujchenden Nojen=
duft don den frommen Brüdern her—
rühren Jollte, war geradezu unmöglich.
Géza wußte, daß dieſe über-
raſchende Weihnachtsbeſcherung nur
von Zora ſtammen fonnte. Ex fühlte |
boten, ihn auf feinen einfamen Streif—
zügen in den Bergen bewachen zu
laffen. Und wenn er Stunde um
Stunde in der romantiſchen Schlucht
verbradt, im welcher die Räuber ent-
dedt wurden, fand fich allemal ein zu—
fällig daher fommender Mönch, der den
jungen Mann in's Kloſter escortierte.
Tags darauf wiederholte ſich das—
jelbe Spiel; denn Géza pilgerte, To
oft es ihm fein Dienft erlaubte, zur
Stelle hin, wo er Zora, al3 Haram—
baſcha verkleidet, aufgefunden. Da
ſaß er in tiefes Brüten verfunfen und
vergegenwärtigte fi den Augenblid,
im dem ſich feinen ſtaunenden Bliden
anftatt der rauhen Männerbruft ein
feufcher Mädchenbufen geoffenbart ... .
Doch von der Heißgeliebten, ſchwär—
meriſch Erjehnten war feine Spur zu
eutdecken — und dennoch mußte fie
in der Nähe weilen! Dies bewiejen
die prächtigen, frischen Theerofen, die
ihre Nähe, ihr ſorgliches Walten, das | G6ya noch jedesmal auf dem Steine
ſich ihm in nächſter Zeit auch noch durch | gefunden, auf welchem er von feiner
herrliche Blumenfpenden offenbarte; doch | langen Wanderung auszuruhen pflegte
das Geheimnis ihres Aufenthaltes war|.. . allein die Spenderin jelbft hüllte
und blieb unergründlich, jo ſehr er fih | fih nah wie vor im väthielhaftes
bemühte, e3 zu durchdringen. Dunkel. Schluß folgt.)
324
Wo Barthel den Moft holt.
Bon P. R. Rofegger.
ZEN ahein bei meinem Water ging's |
eigentlich immer hoch her, denn
wir wohnten auf einem dreitaufend
Fun hohen Berg — und den Witz
hat der Knecht Barthel aufgebracht.
Menn aber ein fruchtbares Jahr mit,
qutem Kornbau, glüdlicher Viehzucht
oder einem erfledlihen Holzgeſchäft
werde ich nicht Schöneres mehr feben,
als jenes grünglafierte Trinkkrügel
war, das ich unter die Pipe Halten
durfte; klare Zröpflein ſchwitzte es,
und der eiskalte Moft pridelte jo un—
vergleihlich in die Nafe, wie gar nichts
ſonſt jo fein pridelt auf dieſer Welt.
Es war bisweilen gewejen, daß
gewejen war, jo legten wir uns nach | die Geifter gejtodt hatten, des Abends
dem Laftvollen Sommer einen ganz in der Stube. Der Jungfneht wollte
bejonders fröhlichen Winter bei. Die nicht Zither fpielen, es fei eine Saite
Einen thaten tagsüber Korn drejchen, | gefprungen. Der Altknecht wollte nicht
die Anderen Vieh füttern, die Weibs- | Gefchichten erzählen, er fei jchläfrig;
leute Flachs und Ränke jpinnen, und
am Abend kamen wir zufammen in
die Stube um den warınen Ofen und
den großen Tiſch und thaten plaudern,
fingen, Geſchichten erzählen, Moft
trinfen und bisweilen auch ein wenig
Icherzen miteinand.
Unter Moft, den wir tranten, ift
gegohrener Apfelwein zu verfiehen, der
aber nicht aus den Fichten und Lärchen-
zapfen gepreßt wurde, die auf unferen
Bänmen biengen, fondern aus den köſt—
lihen Borsdorfer, Weizer und Pöllauer
Hepfeln, die draußen im weiten Lande
wuchſen. Die Wirte drüben im Pfarr-
dorf verkauften ihre Getränke nicht
allein in Gläfern und Krügen, fondern
auch in Fäſſern. Schidte dann in
manchem Jahr mein Vater jo etliche
Tage vor Weihnachten den Knecht mit
einem Baar Ochfen und Schlitten aus,
um Moft zu kaufen. An folchen Tagen
waren wir Sinder arg aufgeregt:
"Stunden nicht wußte, |
‚Ohr zu wenden, jo hub auch ich hell
der MWeidfneht Barthel gab feine
Näthielfragen zum beten; er fagte, er
müſſe Hoſen fliden, und dabei fiele
einem nichts Gutes ein. Die Stall«
magd wollte nicht fingen, fie war
brummig, und wenn ihr einer was
Liebes ins Ohr „drifcheln“ wollte,
jo gab fie ihm einen Stoß mit dem
Ellbogen, der woltern ſpitzig war.
Wenn aber an fol langen Winters
abenden in der Stube der Moſtkrug
freiste, da ward es eheſtens anders.
Der Jungknecht griff in fein Saiten:
jpiel; der Altknecht ftopfte jein Rauch—
zeug und hub eine Mär an; der Barthel
fragte, wo der Adam den erften Löffel
genommen, und die Stallmagd lie;
das „Ihöne Schweizermadel, ihre Haar
jein voller Dradel“ aus der Kehle
wirbeln. Weil ich im folch ergiebigen
wohin mein
an zu jauchzen und zu jodeln. — Al
„Heut' kommt der Moſt! Heut’ kommt das zufammen waren eigentlich nicht
der Moſt!“ Jedes
Geſchirrlein her, um —
richtete ſich ein wir, es war der Moſt,
wenn das möchte es nicht glauben, wie fchön jo
und man
Glück im Faſſe Heimlam — al&bald ein frischer Trunk Zither fpielen und
etwelches ins Glas, ins Töpfchen, ins, fingen kann.
Schüſſelchen herausſprudeln zu laffen
und zu verloften.
Mar es denn auch einmal vor
In meinem Leben Weihnachten, daß mein DBater zum
Weidknecht Barthel ſagte: „Bua
Barthel, ſpann die zwei falben Ochſen
an den Schlitten und fahr um Moſt.
Zum Kirchenwirt fahrſt. Da halt
fieben Gulden auf einen Halben (halben
Startin): mas über bleibt, gehört
Dein. Aber daß er verjefen (ausgegoren)
ift! Und bring ihn gut Heim.“
Der Knecht ſpannt ein, thut Ketten
und Stride auf den Schlitten, daß
er das Faß tapfer feſt binden fann,
ſetzt Ti darauf, jagt: „Vorwärts in
Gott'snam', daß nichts bricht und fallt
nichts z'ſamm'!“ Und Fährt munter
davon.
Wie er mit feinem Fuhrwerk
hinter den Schaden kommt, wo die
zwei Wege ſich theilen — der eine gebt
eben über die Höhe hinaus ins Kirch
825
fein der Iufligen Sellmerin immer
Sommer ift. Daß ich Alles jage: We—
nige Wochen vor diefem Tage fchien
es, al3 wollte bei der Finerl plötzlich
Winter kommen. Ein Zahn war ihr
auzgefallen iiber Nacht; darüber grämte
fie fich fchier zu Tod, und die Gäſte
verwunderten ſich baß, warum die jonjt
jo Schäferluftige Kellnerin Kein Wort
mehr ſprach. Aber fie getraute ich
den Mund micht zu öffnen, obwohl
man die Lücke gar nicht gejehen hätte.
Da fam der Barthel von Berg herab,
der machte fie lachen, und als fie jelb-
ander den ansgefallenen Zahn bes
| Danerten, fanden fie gleichzeitig, daß
wieder friich einer nachwuchs.
Heute ift der junge Sprößling ſchon
‚To weit, daß die Finerl nach Herzens
dorf, der andere führt fteil in das luſt lachen darf, und das thut fie denn
Engthal Hinab zum Grabenwirt —, auch, und der Barthel hilft ihr. Ein
da jagt der Barthel zu den Ochfen: gelachtes Duett ift noch weit ſchöner
„Was werden wir da gar zum Kirchen- | ats ein gefungenes.
wirt hinaustrotteln, Moft hat auch der
Grabenwirt umd einen viel beſſeren.“
Wirft die Sperrfette unter die Schlitten=
kufe umd rutſcht in das Thal hinab.
Beim Grabenwirt Fährt er in den Hof,
ſpannt aus, tut die Ochfen in den
Stall und geht in die Stube.
„Was Ichaffit, Barthel?” fragt die
Kellnerin, die junge Ziehtochter des
finderlojen Grabenwirtes.
„Moft,” fagte der Knecht.
„Eine Halbe?“
„Mehr!“
„Haft denn Dir Heut’ einen
großen Durſt?“ jagt die Kellnerin
ſchmunzelnd und teilt ihm eine Map
hin.
„Finerl,“ jagt der Barthel
da bat er fie jchon bei der Hand er-
wiſcht —, „eine Maß tit viel zu wenig.
Du fannft Div gar nicht denten, wies
viel ich Heute haben will . . .*
Jetzt treffen ſich ihre Blide, und
nun weiß man ſchon, was es geichlagen
hat. Uebel ift ſie micht, die Finerl,
wen ihr weizenitrohgelbes Haar und
ihre Sommerſproſſen gefallen, die auch
im Winter dableiben, weil es im Herz—
ſo
Am Ofentiſch ſitzt aber Einer, dem
dieſes Duett gar nicht gefällt. Der
Fuhrknecht Zengg iſt es, eine auf—
dedunſen⸗ Rothhaut in blauer Blonſe,
ſäuft wie ein Faß und iſt verliebt
wie ein Kaninchen. Er trägt Silber—
geld bei ſich, eine ſchwere ſilberne Uhr—
De und bat den Aberglauben, daß
alle Dirndeln in ihm verliebt ſein
| mühten. Etliche thun auch fo und
hören feine verfilberten Liebesſchwüre
nicht ungern. Sein ſtärkſtes Verlangen
aber geht nah Sommerjprößlein und
Weizenſtroh; und jetzt macht ſich dort
| der verdammte Bauernlümmel an dieſes
Saar
„Eine Halbe Guldenwein!“ knurrt
der Fuhrknecht Zengg und ſtößt fein
Glas auf den Tiſch. Er ift feiner,
der Apfelmoft trinkt, er mag nur
Guldenwein!
„Katherl!“ ruft die Stellmerin in
die Küche hinaus, „Sei fo gut, bring
dem Zengg eine Halbe Guldenwein !*
Kommt der alte feifende, Haus—
droche, die Schweiter der Graben=
wirtin, und bringt das Verlangte.
526
Und die Finerl Hodt beim „Bauern
lümmel“ wie angenagelt.
Endlich tritt der Wirt in die Stube,
da wird das Moftgeichäft abgethan.
„Sechs ein halb Gulden, weil
Du's bift,“ jagt der Grabenwirt, „aber
dus Faß kommt zurüd.“
„Es gilt.”
„Alsdann laſſ'ich aufpaden. Trink,
was Du magft, es geht ein.“
Seht kommt auch zum Barthel
Guldenwein, die Finerl bringt ihn;
auch Klegenbrot zum Dazubeißen, oder
eine Gigarre, was er halt lieber hat,
fagt fie und feßt fich wieder an feine
Seite. — Gott, wie ſchön ift die Welt!
Nach einer Meile fällt dem Barthel
ein, er müſſe nachſehen gehen, was
die Ochſen machen im Stall. Sie
jollen Heu kriegen, und er könne feinen
Mein auch draußen austrinten, er jei
nicht dafür: Alles auf einmal in die
Gurgel. Er wolle länger was haben.
Geht alſo hinaus, und die Finerl
trägt ihm den Wein nad.
Dentt fi der Fuhrknecht Zengg:
vom Haufe her. Der Fuhrknecht zieht
ein funfelndes Mefferlein aus der Taſche.
' „Barthel,“ murmelt er für ſich, „heut'
geht's Dir allzu gut, möcht’ mich wun—
dern, wenn Du ohne Malheur Heime
fünft mit Deinem Moft! Möcht' mich
arg wundern!“ Und jehnigt fo ein
wenig an den Striden herum.
Dann fchleift er langſam jeitab.
Nicht lange hernach wird im Stall
irgendwo gejagt: „Sapperment, jeßt
iſt's Zeit, daß ich einſpann'!“
Bald iſt's auch gejchehen.
„Ja, behüt Gott, Barthel, komm
glüdlich Heim!“ ruft die Finerl.
„Und das Faß kommt zurück,“ jchreit
der Wirt dem Schlittwerk nad.
Der Barthel geht voran und führt
die Ochſen an den Hörnern. Er it
heute ein glüdjeliger Menſch. Daß der
Weg ftark bergan fteigt, macht nichts,
ziehen müfjen doch die Ochjen. Wenn
er Salendermacher wäre, der heutige
Tag mühte voht werden. Und daheim
wird's auch wieder hoch hergeben, wenn
er mit dem Moft kommt. Daß die
Schau, jean, die find gejcheit! — | Finerl lieb ift, das hat er wohl ge=
Er jieht nämlich durch das Fenſter wußt, aber daß fie fo lieb, jo lieb jein
Schneefhaufler, die den Schnee aus kunnt', das hätte er fich nimmer gedadt.
dem Weg in den Bach werfen — da
trägt ihn das Waſſer davon.
Weil es in der Wirlsſtube jeßt
öde geworden ift, jo fteht auch der
Zengg auf und geht hinaus. Er
ichlenfert über den Hof, bört das
MWiehern der eingeftellten Röſſer, hört
das Miefeln des Baches, hört das
Grunzen der Schweinen aus dem
Pfränger. An der Wand hängt ein
Pferdegeſchirr mit Niemzeug; davor
fteht er ſtill und ſchaut es an. Dann
ichlüffelt er weiter. Auf dem Schlitten
ruht das große Moftfap; ev ſteht davor
ſtill und betrachtet, wie es mit Striden
frenz und quer Feitgebunden iſt. —
Immer gefeſſelt ift jo ein Trunk, nur
wenn er in die Leute kommt, wird er
ungebunden. — Der Zengg denkt aber
an etwas Anderes. Jetzt Ingt er einmal
in die Runde; 's iſt Niemand in der
Nähe. Der Holzſtoß verdedt den Bid
Verflucht ſtark bergan geht's; wenn
der gute Schlittweg nicht wär', möchte
ſo ein Paar Ochſen dieſen wanſtigen
Moſtplutzer nicht vom Fleck kriegen.
Daß ſich die Weibsleute ſchämen, iſt
ganz natürlich. Aber der Kirchenwirt
bat feinen ſolchen Moft. Wer jich Die
anheiraten kunnt', das wär’ doch ein
Guſto! Wenn er ſchmeckt daheim, nach—
her ſag' ich's, wo ich ihn geholt hab.
| Zu der geh’ich öfter, das weiß id.
Di, Falber! Ya, das glaub’ich, daß
wir Shwißen. Wenn man's bedentt,
wieviel Näufch’ wir da hinauffchleppen.
Ich hab’ heut’ wohl auch ein bifjel einen
gehabt. Mein Lebtag hätt’ ich's nicht
geglaubt, daß der Menfch jo fed werden
tunnt’. Sie hat mich aber auch ordentlich
Red' anlaſſen. Jetzt noch ein Ruckerl,
hup, wir werden bald oben ſein! Au—
heiraten, das wär' ſchon ein Guſto!
— — So hätten ji die lieblichen
Gedanken des Barthel noch weiter-
geflochten, da fieht er, wie hinten am
Faß plötzlich ein Strid losſchlägt;
ein zweiter beginnt ſich mit Haſt aus—
einander zu ringeln. Jeſſes, die Moſt—
butten rutſcht! kann der Barthel noch
denken und will zurückſpringen und
feſthalten, da gleitet das Faß über den
Schlitten hinab und ſchlägt über. Einen
Augenblick iſt's, als wolle es liegen
bleiben im Schnee, noch träge wälzt
es ſich um, da beſinnt es ſich, unten
ſei es ihm lieber wie oben, und begimmt
über das Schneefeld hinab feinen Lauf.
Sadte, aber ſchwer, zuerft fchiebt es
ſich über, munterer wird's, tanzend
wird's, hüpfend wird’s, große Gruben
ſchlägt's im Schnee und jpringt doch
wieder heraus, immer feder und wilder
faust e3 drein, dab der Schneeſtaub
ſtöbert nach allen Seiten, und wie es
zum hohen Rain kommt, unter welchem
ih das Grabenwirtshaus dudt, fliegt
das alte, dide Faß Hoch, in die Lüfte
und im einem weiten Bogen der Ziefe
RER
Starr wie ein Schneemann hatte
der Barthel dem fliehenden Faß nach—
geihaut. Als es feinen Augen mu
entichwunden war, that er einen lauten
Pfiff und fagte feierlich: „Jet ift der
Moft Hin.” Die Ochſen merkten ihren
Vortheil und mollten mit dem feder-
leichten Schlitten bergan. „Das glaub’
ich !* rief der Knecht und hieb ihnen
den Beitjichenfteden auf die Stirne. |
Erſt nach einigem Nachdenten war
er jo weit, als es die Ochſen ohne
Nachdenken gewejen. „Was nüßt’s,“
jagte er, „wenn wir da flehen bleiben,
das Faß kugelt nicht mehr Herauf,
und von meinem Jahrlohn ift ein
Trumm din. Das Beite, fed heimfahren
und die Wahrheit jagen.”
Mein Bater war fein jchlimmer
Mann. Als er hörte, was gejchehen
war, jagte er die Worte, die den
Sprüchen der Weisheit einverleibt zu
werden verdienen: „Macht nichts. |
Haben wir feinen Moft, fo trinken
wir Waſſer.“
„Ich weiß nicht, was das iſt,“
betheuerte an demjelben Abende eine
Magd unten beim Grabemwirt. „Heut
find die Schweine toll!“
Und als der Wirt mit der Laterne
gieng, um nachzufehen, und die Thiere '
vor feinen Augen grunzend tanzten,
ſich munter auf der Streu wälzten,
eines auf das andere jprang, mit ver—
glasten Neuglein dann Jchelmifch drein—
Ingten, ihre Rüfjel gen Himmel redten
und mit chiefgehaltenem Kopf lauertei,
um hernach wieder toll dreinzufahren,
und als der Wirt in der Luft Hin und
her roch und Moftgeruch witterte, rief
er aus: „Der Teufel Hole mich, die
Säue find beſoffen!“
Zu einer ähnlichen Erkenntnis
kam an demſelben Abende auch ein
anderer. Der Fuhrknecht Zengg, als
er gemerkt Hatte, beim Grabenwirt
jeße es heute feine Unterhaltlichleit,
nicht einmal ein Sartenfpiel mit dem
Wirt, noch weniger ein Fingerhäkeln
mit Burichen und Dirnen (er war ein
leidenſchaftlicher Fingerhäkler), Führte
er feine Pferde aus dem Stall zum
Brunnen, und als fie nach ihrer Hafer:
jaufe tüchtig geſoffen Hatten, ſpannte
'er fie an feinen Roheiſenwagen. Als
fein Fuhrwerk auf dem ruhigen Geleiſe
der Thalftrage war, legte er ſich der
Länge nach auf die Noheifenftüde des
Wagens, den Mantel darüber, den
Hut aufs Gelicht geftülpt — jo! zwar
ein hartes Bett, aber ein andermal
iſt's wieder befler. — „Dia, Schimmel!“
Der Schimmel und der Fuchs
ließen ſich's aber Heute nicht zweimal
Jagen, fie trabten flinf, wieherten und
warfen ihre Köpfe Hin und Her in
der Abficht, einander zu beißen.
„Was Haben fie denn heut’, die
Vieher!“ jchreit der Zengg und pfeift
ihnen mit der Beitiche ein paar Merks
über die Nüden. Schwups, richtet ſich
der Schimmel empor, Stangengerade
wie ein Korporal, und fteht trappelud
auf feinen Hinterfüßen, der Kamerad
macht's nah — ein Peitſchenhieb —
die Pferde raſen davon. Kaum vermag
828
nicht viel anders wie früher das Faß,
den Berg herab und wurde Graben—
wirt. Schier fein Erftes war, dab er
meinem Vater als Erſatz ein großes
Tab Apfelmoft auf den Berg jchidte,
aber mit Fleiß feſtgebunden im Wagen.
Mein Bater ließ ihm jagen: „Junger
Grabenwirt, das hätte ich nicht ver—
langt, Du wirft Deinen Moft ſchon
jelber brauchen.“ — „Moft genug,
Nachbar!” ließ der Barthel zurüdjagen.
„Trinkt ihm auf unfere Gefundheit.
Deine font wohlgefitteten Schweine, Weil ih ſchon jo tief herabgekommen
fondern auch Deine Pferde betrunken | bin, jo laßt mich wenigftens einmal
machen und jo das DVerderben deines hoch leben!”
Haufes werben. Hoch und lang! Wir Haben es
Nun weiß ich wohl, Du fragft nicht | wader gethan. Ich Habe zwar beim
nah der Moral, fondern nach dem | Anftopen mein Thontöpfel in Scherben
Verlauf des trauten Verhältniſſes gefchlagen, daß der ganze Moft dem
zwifchen dem Barthel und der Finerl. | Heinen Halterdirndel über das Haupt
Der Verlauf war gar fein übler. Als |gefloffen ift. Das hat weiter nichts
es in der Gegend des dadongelaufenen | gemacht als den Wiß von der Kinds—
Faſſes und der davongelaufenen Nöffer | taufe, und der Barthel lebt heute noch.
wegen laut geworden war, wo der — Wenn Du einmal des Meges
Barthel den Moft holt, brauchten die kommſt, jo rathe ich Dir, beim Graben
beiden auch weiter fein Geheimnis | wirt einzufehren. Bei der Wirtin if
draus zu machen. Ein Jahr jpäter | immer noch Sommer, und der Baribel
übergab der Grabenwirt feiner Zieh- ſoll Dir erzählen — er kann's beſſer
tochter das Geſchäft. Hipfte der Barthel, | als ih —, wo er den Moft geholt hat.
der Zengg noch abzufpringen, und
wie er fpäter draußen auf dem Wieſen—
plan fein Fuhrwerk wiederfieht, ift der
Wagen zertrümmert, und die Pferde
ftehen losgeriſſen am Bach, Heben ihre
Köpfe hoch und wiehern.
Darum, mein lieber Leſer, ſchneide
nie aus Bosheit die Stricke entzwei,
mit welchen ein Moſtfaß an den
Schlitten gebunden iſt, das Faß könnte
den Berg herabrollen, in der Waſſerrinne
zerplatzen und am Troge nicht allein
Pieder einer Mutter.
Von Frau M. Holm.
R Gebetserfüllung. Vorwurf.
Ya nd kannſt Du alles, lieber Gott, Lieber Gott, das haft Du wirklich
> Sm Himmel und auf Erden, Sei nicht böje! — ſchlecht gemacht,
& la mich wiederum ein Kind, Daß nicht Alle fingen können,
Ein luſtges Kindchen werden!” Wie doch Jeder weint und ladt.
Und wunderbar hat Gott erfüllt, Trug's am ſchwerſten ftets im Frühling,
Mas ich erbeten habe: Da die ganze Welt erklingt,
Auf meinen Armen liegt ein Kind, Da die Lüfte jubilieren
Ein allerliebiter Knabe. Und der Wald in Chören fingt.
Und fonnenhell und jubelfroh Doppelt leid und bitter wehe
Iſt wieder mir zu Sinne: Mir's in diefen Lenze thut,
Zum übermüthgen Kinde macht Meil ein allerliebftes Kindchen
Mich jelige Mutterminne, Schreiend mir im Arme ruht.
— — ————— —— — —— —— — ——— —
Trag es zärtlih Hin und wieder — N Mein Bube.
Immer ftärfer wird das Schrein — Mein Bube ift noch dumm und Hein:
Könnt’ ih fingen! könnt' id fingen! Zu taujend Malen
Schlummerte mein Kindchen ein. Griff er bei hellem Sonnenjdein
Nah Sonnenftrahlen. -—
Und trag ih meinen Heinen Wicht
Auf freien Wegen,
Und bläst der Wind ihm in’s Gefiht —
Er bläst dagegen.
Lieber Gott, das haft Du wirklich —
Sei nit böje! — ſchlecht gemadt,
Daß nit Alle fingen lönnen,
Wie doch Jeder weint und ladt,
Mir Großen lachen, jpotten noch
Darüber heiter,
Und find zum Glücke meiftens dod
Nicht viel geſcheiter.
Die ante Preſſe während der Franzoſenzeit.
wenn man als den vornehmſten | zufchlagen und mit den franzöfifchen
ee und idealiten Ziwed der Preſſe Zeitungen in den maßlofeften Schmei⸗
die Verbreitung von Licht und Wahrheit | cheleien gegen die Franzoſen und in
und die Erwedung des Gefühls für den niedrigften Schmähungen ihrer
Ehre, Recht und Geſetz im Volke betrach⸗ ı Gegner zu wetteifern. Und das find
tet, jo muß man eingeftehen, daß die die harakteriftifchen Merkinale der da—
deutſche Preſſe in jener Zeit, während ‚ maligen deutfchen Preffe; auf der einen
welcher Napoleon I. Deutjchland in | Seite ängftlide Zurüdhaltung jeder
Feſſeln Hielt, fich jo weit wie möglich | eigenen Meinung, auf der andern Seite
bon dieſem idealen Ziele entfernte. ſchamloſeſte Verherrlichung der Unter—
Zwar kann man es den deutſchen drücker des eigenen Volkes.
Zeitungen nicht allzuſehr zum Vor— Napoleon kannte und fürchtete den
wurfe anrechnen, daß fie unter dem gewaltigen Einfluß der Preſſe auf die
Drude der fremden Machthaber ſich | öffentliche Meinung zu fehr, als daß
hüteten, auf die fich abjpielenden welt» \er ſich nicht bemühte, jeden unab—
erſchütternden Ereigniffe näher einzu= | hängigen Meinungsaustaufch in der=
gehen oder gar Schlußfolgerungen und | jelben zu unterdrüden umd fie zu einem
eigene Meinungen laut werden zu laſſen, ſclaviſchen Werkzeug in ſeiner Hand
denn man wußte genau, was man in zu geftalten. Er erließ deshalb nad
folgen Fällen von Napoleon zu ges | der Unterwerfung Deutſchlands außer
wärtigen habe. Hatte doch das uns | den befonderen VBorfchriften, nach denen
glückliche Schidjal Palm's zur Genüge ſich die Zeitungen der einzelnen Staaten
bewiejen, daß Napoleon im Uebermuthe | je nach Lage der Verhältniſſe zu richten
feiner Macht ſelbſt bei unbedeutenden | hatten, als allgemeine Richtſchnur für
Dingen nicht vor einer ruchlojen Ge- die Preſſe zwei Verordnungen, deren
waltthat zuriidjchredte. Um fo ſchmach- erfte, vom 21. Auguft 1809, in dem
voller und ehrlofer war es jedoch, dak | Punkte gipfelte: „ES darf feine bei=
ein großer Theil der deutjchen Preſſe Bende Schreibart gebraucht, am wenig⸗
ſich nicht entblödete, den Ton der ekel— | ften illegale Angriffe auf irgend eine
hafteften Striecherei vor Napoleon an- öffentliche phyſiſche oder moralische
830
Perfon gewagt werden.“ Die zweite,
vom 29. Mai 1811, verfchärfte noch
die erfle, indem fie genau beftimmte,
was für politifche Nachrichten über»
haupt von deutichen Zeitungen ges
bracht werden durften. Sie lautete:
„Jedes Blatt wird unterdrüdt werben,
welches andere politifche Nachrichten
bringt, al3 die den „Moniteur“ ent=
nommenen ; die Nedacteure würden fich
außerdem noch perfönlihen Strafen
ausfegen.“ Durch letztere Verordnung
war der Selbftftändigfeit der deutſchen
Preſſe der Todesſtoß verſetzt. Sie ſank
herab zur ohnmächtigen Nachtreterin
der officiellen franzöſiſchen Zeitung,
deren lügnerifche oder gefärbte Berichte
fie unverfürzt und ohne Zuſatz wieder-
geben mußte, jo daß die Leſer die Be—
gebenheiten felten in ihrer wahren Ge—
ftalt fennen lernten. Die Folge der
Napoleonifchen Verordnung war, daß
die deutjchen Zeitungen, zumal die ans
ftändigeren, die nicht in den allgemeinen
Jubel über die franzöfische MWirtfchaft
einſtimmten, überaus fahl und dürftig
erſchienen. Die lebte und dürftigſte
Stelle nahm ſtets die Rubrik „Deutjch-
land“ ein. Hier umſchiffte man die
worden. Wirft man einen Blick in
die Berliner Zeitungen aus jenen Tagen,
ſo muß man erſtaunen über den heraus—
fordernden, bramarbaſierenden Ton,
der in ihnen angeſchlagen wurde. Da
war überhaupt an feine Niederlage zu
denfen, das Heer Friedrichs des Großen
galt für unüberwindlich. Die „Berliner
Zeitung“ veröffentlichte Bardengejänge
und verſicherte, daß noch mie der
preußiſche Geift fich fo voll und kräftig
erwieſen Habe, als gerade jegt. Selbit
die harmlofeften Blätter, wie der
„Hausfreund“, dev „Freimüthige“ und
der „Beobachter an der Spree“, hetzten
förmlich zum Kriege. Der „Telegraph“
ſtimmte einen Hymnus am, der mit
den Morten ſchloß: „Auf zu den
Waffen ! Ihr fechtet für eine Sache,
die Eure eigene; ‚Schöpfung ift; ſie
kann nicht anders als groß fein. Schön—
heit und Tapferkeit Haben fich für Euern
Kampf erklärt, vereinigt, verbunden.
Ihr werdet jiegen oder — men bes
ruhigt dieſes micht? — bedauert von
der ſchönſten Gebieterin fallen.” —
Dann kamen die Tage von Jena und
Anerftädt. Dumpfe Gewitterſchwüle
lagerte über dem ganzen Volke, Ge—
bei der geringſten Unvorſichtigkeit ge⸗ | rüchte überftürzten fih, man verlangte
fahrdrohenden Stlippen dadurch, daß
nach authentiſchen Nachrichten. Als
man ſich begnügte, über irgend eine dieſe endlich eintrafen und wie ein
Hoffeſtlichkeit, einen Unglücksfall oder | Donnerjchlag aus heiterm Himmel die
eine Auffahrt der Madame Blanchard | Niederlage der verbündeten Preußen
im Luftballen in behaglicher Breite | und Sachen verfündeten, änderte ſich
zu berichten. So füllte einmal die mit einem Nud der Ton in der Preſſe.
„Augsburger Zeitung“ mit der Schil- | Man jchimpfte jeßt über die unfähigen
derung der württembergifchen Hofrang= preußiſchen Generale, über die maängel—
ordnung, im der ganz genau ausein— | hafte Ausrüftung des Heeres und über
andergejeßt war, in welcher Reihenfolge die Leichtfertigkeit, mit der der Krieg
die Hofpaufer, Silberpuger u. ſ. w. angefangen fei. , „Ruhe ift die erfte
rangierten, 4 Spalten. Doc laſſen | Bürgerpflicht“ war bekanntlich die aus—
wir, um ein vollftändiges Bild von gegebene Lofung, und Ruhe bewahrten
den Zuftande der damaligen deutfchen | auch die Zeitungen. „Wir haben“,
Preſſe zu erhalten, die wichtigeren Bes | fchrieb der „Telegraph“, „nichts zu
—
gebenheiten aus der Zeit der franzö—
ſiſchen Fremdherrſchaft in der Geftalt,
die fie in den Schilderungen der
deutjchen Zeitungen angenommen haben,
an uns borüberziehen.
Der Krieg von 1806 war erklärt
thun, als dieje Krieger (die heran
rüdenden Franzofen) mit Achtung und
Bereitwilligfeit aufzunehmen.”
Dasfelbe Blatt berichtet dann über
den Einzug Napoleon’ in Berlin: „Am
27. October zwischen 3 und 4 Ubr
aaa nn nn — nn — — —
—
831
Nachmittags kam Sailer Napoleon 1.
unter dem Geläute aller Gloden und
unter dem Jubelgejchrei vieler taufend
Bürger und Einwohner Berlins in
diefer Stadt an. Der majeftätijch-
prachtvolle Zug gieng durch die Linden
nah dem Schloſſe zu. Die vortreff-
lie Haltung der hier eingerüdten
Truppen, ihr martialifches Anfehen,
ihre Freundlichkeit und Munterfeit er—
weden allgemeine Bewunderung.“ Ob
wohl ein Parifer Blatt bei dem lebten
Einzuge des deutschen Heeres in Paris
in ähnlicher Weife gejchrieben haben
wirde? Doc noch nicht genug damit,
in einer fpäteren Nummer — um dieſes
Blatt gleich abzuthun — wagte es der
Herausgeber fogar, die Ehre der Königin
Lonife in ſchamloſeſter Weife zu ver-
dächtigen.
In der ſächſiſchen Preſſe herrſchten
ähnliche Zuſtände. Die „Leipziger
Zeitung“ wurde gleich nach der Be—
ſetzung Leipzigs von den Franzoſen
in Beſchlag genommen; ſie mußte ſofort
einen aus franzöſiſcher Feder gefloſſenen
„unparteiifchen Bericht über die Schlach—
ten don Jena und Auerftädt” ver—
öffentlichen, der Alles, was vorher hier=
über gejchrieben war, in einer den
Herausgeber lächerlich machenden Weife
widerrief. Im Juli 1807 follte Na—
poleon, der inzwifchen mit Sachjen
teite Wohlergehen des allergnädigjten
Kaiſers und Königs Napoleons des
Großen begleiteten Jhn, den größten
Negenten und Feldherrn der Welt-
geichichte, der unjermBaterlande Selbſt—
ftändigkeit und danerhaftes Glüd zu
verschaffen verſprach.“ Iſt dieſe Schweif—
wedelei ſchon widerwärtig genug, ſo
erſcheint das Folgende geradezu hirn—
verbrannt. Die Univerſität beabſich—
tigte nämlich noch eine beſondere Aus—
zeichnung für Napoleon; ſie dachte
daran, „Napoleon dem Unſterblichen
ein bleibendes Denkmal ihrer Ver—
ehrung am unvergänglichen Firmament
zu ſtiften“. Zwei Profeſſoren wurden
zu Rathe gezogen. „Dieſe urtheilten,
daß zu einem neuen, der Würde des
Gegenſtandes entſprechenden Sternbilde
fein ſchicklicher Platz an dem, unbe—
waffneten Augen ſichtbaren Sternen—
himmel ausgemittelt werden könne; daß
aber (wie ſchon im Alterthume und
auch in neueren Zeiten geſchehen ſei)
Theile eines bereits befannten Stern—
bildes zu jenem Zwede gewählt werden
fönnten.“ Daraufhin wurde bejchlofjen,
die zum Gürtel und Schwerte des Orion
gehörigen Sterne, die noch feinen bes
jonderen Namen Hatten, fünftig die
Sterne Napoleon’s zu nennen.
Die Zeitungen der Rheinbunds—
ftanten wetteiferten im jener Zeit mit
Frieden gejchloffen hatte, nad) Leipzig | ihren deutjchen Genoflinnen in Ehr—
kommen. Zu feinem Empfange waren, |lofigfeit und Kriecherei, ja fie über-
wie die „Leipziger Zeitung” vom trafen die leßteren Hierin jehr bald.
23. Juli berichtet, die großartigiten | Ueberall können die Leutjeligleit und
Anftalten getroffen. Ehrenpforten und | Herablafjung der franzöfifchen Empor:
grüne Laubgewinde ſchmückten die kömmlinge nicht genug gepriefen werden ;
Straßen, 50 Kaufleute „in Schöner | Jerome, ſchmachvollen Angedentens,
Uniform“ follten den Kaiſer zu Pferde
einholen, weißgefleidete Mädchen ihn
ein Gedicht überreichen. Zum großen
Leidweſen der Leipziger vereitelte Na—
poleon dieje Ausführungen, indem er
Morgens um 5 Uhr in Leipzig ankam
und ohne den mindelten Aufenthalt
die Reife fortfeßte. Die „Leipziger
Zeitung“ unterließ jedoch nicht, ihrem
Berichte Hinzuzufügen: „Nur unſere
feurigften Wünfche für das danerhaf:
wird ftet3 „heißgeliebter Landesvater“
genannt. Statt vieler nur ein paar
Beilpiele: In „ Weftfätifhen Moniteur“
heißt es im Januar 1808: „Wir em—
pfinden bier und im ganzen König—
reich bereit3 die erwärmenden und er—
quidenden Strahlen der neuen Sonne,
Ale Handlungen und Berfügungen
unferes geliebten Monarchen, welche
bis jegt zur allgemeinen Kenntnis ges
langt find, tragen das Gepräge feines
—— ——
832
erhabenen, huldvollen Charakters und |des Kaiſers Napoleon über Wien unterm
zeugen von feiner Herzensgiüte. Manche | 24. Mai erhalten. Dieſe ſprechen von
Thräne des Kummers ift ſchon ges | einer jehr glänzenden Affaire, in welcher
trocknet und die Ausficht in eine beſſere, ſich die Franzoſen wie gewöhnlich mit
frohe Zukunft träufelt heilſamen Balz |
Ruhm bedeckt Haben, obgleich ein ganz
fan ſelbſt in die Gemüther Derjenigen, | unerwarteter Zufall verhinderte, daß
welche, unvermögend das große Wert
der Weltregeneration zu begreifen, im
banger Erwartung den künftigen Tagen
entgegenjeufzen.“ Dann iſt don der
Liebe und dem Vertrauen eines jeden
Meftfälingers zu „feinem neuen Aller
durchlauchtigſten Souverain“ und der
Bevorzugung der Unterthanen bei Bes
jeßung der höheren Staatsämter die
Nede, eine Lüge der gröbften Art, da
belanntlih die ſämmtlichen Minifter-
ftellen und faft alle übrigen höheren
Aemter durch Franzöfiiche Abenteurer
verwaltet wurden. Troßdem machte
diejer Bericht die Runde durch die
deutichen Zeitungen. Im einen an—
deren Berichte über den Befuch Jerome’s
bei den Bergleuten von Clausthal heißt
es: „ . endlich der intereflante An—
blick einer ganzen Volksmenge, welche
gekommen war, ihren Herrſcher zu
feiern nach Art ihrer Väter und den
treu bewahrten Brauch uralter Zeiten,
Alles dieſes bildete ein ebenſo feier—
lies als merkwürdiges Schaujpiel.
Diefe Huldigungen der unbefangenen
Liebe eines biederen und einfachen
Volles, das von der Welt nichts kennt
als feine Berge, ſeine Schachten und
feinen Fürſten, ſchienen auch feine
Majeftät zu rühren.“
1809 tobte der öfterreihifch- franz
zöjische Krieg. Die deutſchen Zeitungen
bradten über ihn die glänzendften
Siegesberichte der Franzoſen, die ihnen
meift ımmittelbar von den franzöfie
ſchen Heerführern zugiengen, da ſie oft
mit den Worten: „Bon hoher Hand
uns zugelommen“ begannen. Der Ber
richt über die Schlacht von Aipern,
die erſte offenbareNiederlageNapoleon’s,
in den deutjchen Zeitungen enthielt
faft nicht ein wahres Wort. „Man |
hat geftern,“ jo lautete der Anfang,
„Nachrichten aus dem Hauptquartier
der Erfolg davon nicht vollkommen
enticheidend fein fonnte.“ ... Der
Herzog von Braunfchweig = Del, der
bekanntlich auf eigene Hand an dem
Kampfe gegen Napoleon theilgenonmmen
hatte und durch den Abſchluß des
Friedens zwiſchen Frankreich und Oeſter—
reich zu dem ſtrategiſch berühmt ge—
wordenen Rückzug nach Norddeutſch—
land behufs der Einſchiffung nach Eng—
land gezwungen wurde, wurde damals
von vielen deutſchen Zeitungen nad
dem Vorbild franzöfifcher Blätter mit
allen möglichen Schimpfnamen, wie
„Bandenführer* und „Räuberhaupt:
mann“ bedaht, was indellen nicht
verhindert hat, daß fein Name jtets
zu den gefeiertften aus jener Zeit ges
hören wird. Bon allen europäifchen
Staaten Teiftete damals allein nod
England Napoleon den hartnädigiten
Widerſtand. Anſtatt jich nun hierüber
zu freuen oder wenigſtens mit Still—
ſchweigen der Entwickelung der Dinge
entgegenzuſehen, beeiferten ſich Die
deutſchen Zeitungen in geradezu fang—
tiicher Weife über England Herzufallen.
Mag man auch ein gut Theil diejer
Aeußerungen einem Drude von oben
zufchreiben, jo läßt doc ‚der Leber:
eifer, der Hierbei entwidelt wurde, und
‚die niedrige Art der Schmähungen
‚feinen Zweifel übrig, in welcher er—
bärmlichen Weiſe die deutiche Preſſe
um die Gunſt Napoleon's buhlte. Als
dann Napoleon zur Vernichtung des
auswärtigen Handels Englands die
unerhörte Continentalſperre anordnete,
durch welche auch der deutſche Handel
um Millionen geſchädigt wurde, da die
‚in den deutſchen Städten lagernden
englifhen Waaren ohne Weiteres ihren
Eigenthümern fortgenommen und durch
feuer vernichtet wurden, erjcholl in
der deutschen Preſſe ein geradezu tragis
-
833
tomisches Jubelgeſchrei.
wahrlich ein hoher Grad von Erbärm—
Es gehörte] Gegenftand wahrhaft widerlicher Bes
ſprechung in den Zeitungen, die gar
lichkeit und Frechheit dazu, über diefe nicht zu fühlen jchienen, wie taftlos
Anordnung Napoleon’3 zu frohloden
und ihr eine für den Handel wich—
fie im ihrer Unterwürfigfeit waren.
Napoleon Hatte ſich befanntlich jelbft
tigere Bedeutung zuzufchreiben, als der | einen Sohn „decretiert“, indem er be=
Entdedung Amerikas, wenn man bes
dentt, dab Napoleon zugleich den
Maaren der deutichen Bajallenjtaaten |
ſtimmte, daß der zu erwartende Thron
erbe den Zitel „König von Rom“
führen ſollte. Als fih am 20. März
die Ausfuhr nach Frankreich verfagte, | 1811 feine Hoffnung erfüllte, wollte
den franzöfifchen dagegen die unge | der Jubel in Deutfchland fein Ende
binderte Einfuhr nad Deutjchland er- nehmen. Man veranftaltete im ganzen
zwang.
Das Jahr 1811 war für Deutſch—
fand ein Friedensjahr, ohne daß es
der Wohlthaten des Friedens theils
haftig wurde. Die Laften der frau—
zöfifchen Beſatzung wurden immer un—
erträglicher, umd neue Steuern trugen
das Ihrige zur Ausſaugung des Volkes
bei. Wie jehr auch die Bürger in
den Städten unter dem Drude der
Fremdherrſchaft im Stillen murrten,
die Zeitungen waren in Lobpreifungen
der franzöſiſchen Herrichaft unerſchöpf—
lid. Zwei Ereignifje aus dem Jahre
1811 find durch die Art und MWeife,
wie fie in dem deutfchen Zeitungen
behandelt wurden, bejonders charaf-
teriftiich für die damaligen Prebzuftände,
nämlich der Tod der Königin Louiſe
und die Geburt des Sohnes Napo—
leon’s, des Königs von Nom, Ueber
da3 erftere bemühten fie fich, Jo kurz
wie möglich zu berichten, um ja nicht
bei den franzöfiichen Aufpaſſern An—
ftoß zu erregen. So enthalten mehrere
Zeitungen neben der einfachen That-
ſache nur noch den Zufaß: „Mehrere
Einwohner Berlins hatten an diejem
Tage Trauer angelegt“. Um fo wills
fommeneren Stoff gab ihnen aber die
Geburt des Königs von Rom. Hier
fonnten die Herausgeber ihrer Feder
jo recht von Herzen freien Lauf lafjen
und in Sriecherei und fclavifcher Unter—
wirfigfeit ſchwelgen. Schon wochen:
lang vorher war dem deutjchen Volke
das bevorftehende frohe Ereignis an—
gelündigt worden. Der Zuftand der
Kaiferin vor der Geburt wurde der
Rofegger’s „„Grimgarten‘‘ 11. Geft, XI.
Lande Frendenfeſte, die die gemanefte
Beſchreibung in den Zeitungen fanden ;
es regnete in ihnen Gedichte der ge»
ſchmackloſeſten Art. Es kennzeichnet
die damaligen Zuftände recht genau,
daß gerade die tollften Kundgebungen
im Schooße der geiftlig höheren Ge-
jellfehaft entftanden, das Volk dagegen
fich Hierbei jchroffer und theilmahınslofer
zeigte. In der folgenden Zeit brachten
die Zeitungen bis ins Stleinfte gehende
Berichte über den Zuftand und die erften
Beihäftigungen des jungen Erden
bürgers, die dem heutigen Lejer äußerſt
fomifch erjcheinen. Man fühlte nicht,
oder wollte nicht fühlen, wie lächerlich
man ſich durch die Veröffentlichung
folgender „Bulletins“ machte: „Seine
Majeftät der König von Rom geruhte
ohne Weiteres die Bruſt ſeiner Amme
anzunehmen”, und: „S.M. der König
von Rom haben die verflojfene Nacht
verhältnismäßig gut zugebradt, mur
wurden Sie zeitweife durch Grimmen,
wie es ſich in diefem Alter einzuftellen
pflegt, beunruhigt.“ Ueber die Tauf—
feierlichleit, die mit einem Prunke
fondergleihen und unter Beobachtung
der fteifften Etifette vor fich gieng, be—
richteten die deutfchen Zeitungen, daß
„der König von Rom von Seiner
Gouvernante, der Marquije von Mon—
tegquiou, unter Boraustretung der
Dfficiere von feinem Dienft und ums
geben von Seinem Gefolge in den
Saal getragen wurde.“ Nach dem Tauf—
act erfolgte die Cour der höchſten
MWirdenträger vor dem finde, die in
der Weiſe vor fich gieng, daß diefelben
53
unter tiefen Verbeugungen Anfprachen
an den Thronerben bielten, die die
Gonvdernante jedesmal an Stelle des
jungen Königs erwidern mußte.
Ueber die weitere Entwidelung der
politifchen Ereigniffe durften die Zei—
tungen nicht das Geringfte bringen,
fo daß das deutfche Publikum erſt
Kenntnis von dem bevorftehenden Kriege
gegen Rußland erhielt, als derjelbe
bereitö zum vollen Ausbruche gelangt
war. Die raftlofen Rüftungen, der
ununterbrochene Durchmarſch Franzd-
ſiſcher ZTruppenmaflen und die An—
ſammlung größerer franzöfifcher Streit—
träfte an der Oſtſee waren allerdings
nicht unbemerkt geblieben, doch wurden
alle auftauchenden Kriegsgerüchte in
den Zeitungen einfach geleugnet und
die Anſammlung der Truppen an der
Dftfee mit der Befürchtung einer Lane
E
Zeitung“ eine anonyme Aufforderung
erſchien, daß der preußiſche Rittmeiſter
von Colomb ſein zweites Verſprechen
ebenfo gut Halten möchte, wie ſein
erfte8, wurde der Leiter der Zeitung,
der Schriftfteller Mahlmann, von dem
franzöfifchen Gouverneur ohne Weiteres
ins Gefängniß geworfen, obwohl er
erklärte, daß er weder den genannten
Rittmeifler, noch deſſen militärische
Thätigkeit kenne. Erft auf energifchen
Einfpruh der ſächſiſchen Behörden
wurde er nach einiger Zeit freigegeben.
Ueber die Schlachten des Jahres 1813
durften die Zeitungen lange Zeit gar
nichts bringen, bis endlich die Nieder:
lagen der Franzofen im Lande offen-
bar wurden. Als Urfache des Ver—
Iuftes der Schlaht an der Katzbach
wurde in den Zeitungen das Anſchwel—
len des Bobers und feiner Nebenflüſſe
dung der englifchen Flotte begründet. | angegeben, dagegen habe Napoleon,
Als dann der Kampf begonnen halte, als er am 4. September erjchienen
trafen regelmäßige Nachrichten in fei, „den Feind wieder angreifen und
Deutfchland ein, die ftet3 von großen)am 5. September den ganzen Tag
Siegen der Franzofen handelten. Weber | über mit dem Säbel in der Fauſt bis
die Vernichtung der „großen Armee“ Görlitz verfolgen lafjen.“ '
und die Flucht Napoleon’s ans Ruß— Mit dem Aufhören des franzö-
land brachten die Zeitungen anfangs ſiſchen Einfluffes auf die deutsche Preife
nicht ein Wort, obwohl ſchon die) verfchwanden auch fofort die Männer
Gerüchte hierüber von Mund zu Mund | der Kriecherei von der Bildflähe und
giengen ; erſt das berühmte 29. Bulletin | mit ihnen zugleich ein großer Theil der
Napoleon’s verkündete gegen Ende De: |
cember mit furchtbarer Nüdhaltlofigkeit
das entjehlihe Ende des ruflischen
Feldzuges.
von ihnen herausgegebenen Blätter.*)
*) Diefen Aufſatz, welden vor Kurzem
die „Täglihe Rundſchau“ in Berlin ver:
Die ſächſiſche und ſüddeutſche Preffe öffentlicht hat, glaubten wir unferen Lejern
mußte die franzöfiiche Beauffichtigung
no bis zu den Tagen der Schlacht
von Leipzig ertragen. Als im Juni
1813 im Anzeigentheil der „Leipziger
ar Zur end > — — — —
nicht vorenthalten zu dürfen. Er iſt ein
lehrreicher Beitrag zu dem Capitel über
politiſche Geſinnungstüchtigkeit der Leute.
Die Red.
835
Ein literarifhes Dreigeſtirn.
Beitrag zur Gejchichte der Vollsliteratur von Emil Soffé.
7, eben den erhabenen Erſcheinungen
% einer großen Literaturepoche
geben immer niedrige und triviale.
Häufig laſſen fie ſich auf diefelben Ur-
ſachen zurüdführen; fie entjpringen
denselben Gefühlen wie jene, aber die
hohen Gedanken erfcheinen vergröbert,
der edle Drang breitgetreten, das Ideale
iſt ins Roh-Sinnliche Herabgezerrt und
für die ewig denkfaule Menge hübſch
hausbacken zubereitet. Das ablaufende
achtzehnte Jahrhundert mit ſeinen ge—
waltigen genialen Dichterfürſten beſaß
ebenfalls eine ganz anſehnliche Reihe
ſolcher literariſcher Garköche, unter denen
jedoch Vulpius, Spieß und Cramer
ihr Gewerbe am ſchwunghafteſten be—
trieben.
Jahrelang brachte jede Leipziger
Meſſe mindeſtens ein Werk dieſer
Schriftſteller; heute iſt über ihre Namen
ſchon ziemlich viel Moos gewaächſen,
ihre Werke ſind verſchollen, ſie ſind
vergeſſen. Am beſten ergeht es noch
dem Autor des Rinaldini. Zwar ſeine
Romane und Schauſpiele werden auch
nicht mehr geleſen, kaum daß noch eine
ältliche, im literariſchen Studium zu—
rückgebliebene Nähmamfell ſich in die
Lectüre des berühmteſten aller Räuber—
romane vertieft, kaum daß man noch
das ſchöne Lied „In des Waldes fin—
ſtern Gründen“ zu hören bekommt,
das Glück gehabt, der Schwager Goethe's
zu werden und entgieng dadurch dem
Schickſale Cramer's und Spieß'.
Die Entwickelungsgeſchichte Vul—
pius' bietet nicht viel Intereſſantes.
Wir ſehen eine Jugend voll Drud,
Schmutz und Noth. Im Elternhaufe
herrſcht Elend. Der Vater, obzwar in
der Stellung eines Kanzleiarchivars,
i
ift phyſiſch und moralifch verkommen ;
er ift ein Säufer, der nüchtern und
im Naufche feine Kinder mighandelt.
Die Kinder Hungern, der Vater ver-
braucht fein Gehalt für ich, ja er ver—
fauft die Stleider und wenigen Habfelig-
feiten, um feiner Leidenjchaft Fröhnen
zu können. So wächst Ehriftian auf.
Das wirtschaftliche Elend, der Familien-
janımer fniden feinen Muth, machen
ihn zaghaft und rauben ihm fein Selbſt—
vertrauen. Das Traurigfte dabei ift,
daß fein Charakter kein fittlih feiter
wird, daß der Drud, der auf ihm
faftet, im ihm nicht den Gegendrud,
der nad) geiftiger Befreiung ftrebt, er—
zeugt, fondern ihn in dem engen, dum—
pfen reife niedriger, finnlicher Leiden
ſchaften feſthält. Hier liegen ſchon die
Keime feiner fpäteren literarischen Ver:
ireungen: ine wüſte, ausfchweifende
Vhantafie, die ſich an den fonderbarften,
abenteuerlichften Gebilden erfreut und
das Bedenklichite wagt.
Bulpius begann feine Schriftiteller=
laufbahn als Ueberſetzer franzöſiſcher
und italieniſcher Ritterbücher. An ſolche
Vorbilder lehute er ſich in feinen ſelbſt—
ſtändigen Schöpfungen an, ihre Technik
ahmte er nach. Er ſchrieb viel und
raſch. Er hat ſich ſo ziemlich auf allen
Gebieten der Dichtkunſt verſucht. Schon
da er ſich — eben zum Doctor der
aber Chriſtian Auguſt Vulpius hatte
Philoſophie ernannt — in Nürnberg
als Secretär bei dem Reichsgrafen
Friedrich Julius Heinrich von Soden,
der die dramatiſche Muſe durch ver—
ſchiedene Producte beleidigte, aufhielt,
regte ſich in ihm die Schaffensluſt, und
als er ſpäter Theaterſecretär, dan
Bibliothekar und endlich Oberbibliothe—
kar in Weimar wurde, gab ihm ſeine
amtliche Stellung Muße genug, Ge—
53*
dichte, Schaufpiele, Poſſen, Singfpiele,
Näuberromane, Novellen und felbft
wiſſenſchaftlich angehauchte Compila—
tionen in die Welt zu ſetzen. Die
Krone aller ſeiner Schöpfungen iſt der
Räuberroman Rinaldo Rinaldini. Ri—
naldo wächst in niedrigen Verhält—
niſſen auf, gilt für den Sohn eines
Landmannes, während er thatſächlich
der Sohn eines Fürſten — im Romane
als der Alte von Fronteja eingeführt —
iſt. Ein Klausner unterrichtet ihn, er
bütet die Ziegen feines Pflegevaters
und — liest dabei in feinem Plutarch.
Die Lebensbeichreibungen der großen
Männer erhigen feine Phantalie und
jpornen ihn zur Nahahmung an. Er
wird Soldat. Wegen eines Subor—
dinationsvergehens wird er flüchtig,
wird Räuber und führt nun ein zügel—
ſich nach einer verwegenen, großen That.
Auch Zſchokke's Näuberroman Abällino,
der 1793 erſchien und zwei Jahre
nachher zum Drama umgearbeitet wurde,
lieferte ein brauchbares Vorbild, nicht
zu vergefien des Goethe'ſchen Groß—
cophtha’s, des Armeniers in Sciller’s
Geifterfeher, die wenigſtens theilweile
bei der Schöpfung des Alten von Fron—
teja mitwirften.
Zu den fraftgenialifchen und ero=
tiſchen Hauptſcenen fügte Vulpius noch
allerhand Myſteriöſes bei, rüttelte Alles
wohl durcheinander, übergoß dies ſcharf—
papricierte Miſchmaſch mit einer ſen—
timentalen Brühe und ſetzte das Ganze
dann feinen Leſern vor, die vor Ent—
züden aus Rand und Band geriethen.
Betrachten wir dieſe Ausgeburt
einer franfen, überhitzten Phantafie,
loſes, abentenerliches Leben. Der tapfere | jo fönnen wir nicht leugnen, daß auch
Räuber ift natürlich ſehr galant, räubert | hier etwas von dem gewaltigen Sturme
immer ein Hein wenig, dann liebt er und Drange zu fpüren ift, der in den
wieder u. ſ. f. in infinitum. Immer |fiebziger Jahren des achtzehnten Jahr:
wird er von dem Alten von Yronteja | hunderts in der deutfchen Literatur fich
beihüst. Wer ſich von der Wirkſamkeit
diejes Don Juan ein ungefähres Bild
machen will, dem mögen folgende
Frauennamen dienen, deren Trägerin
nen den liebefiehen Capitano tröften:
Aurelie, Rofalie, Olympia, Yaura, die
Gräfin Dianora, Serene, Yortunate,
Ismunde, Serafine, Milita, Marvalija
und noch viele andre Chriſten-, Juden
und Zürfenmädchen. Schließlich findet
der Räuber noch ein rühmliches Ende
im Sampfe.
Der Roman Hat eine wirkliche
Grundlage. Vulpius fand in einer
fleinen italienischen Schrift das Leben
des hiſtoriſchen Räuberhauptmanns be=
ſchrieben; auch im Journal del’ Europe
ftieß er auf eine Notiz über das Ende
Rinaldinis. Wichtiger find die lite
rarifchen Grundlagen. Der Charalter
Karl Moor's und der Don Juan’s
find hier zuſammengeſchweißt. Wis
naldini wird wie Karl Moor durch die
Biographien des Plutarch begeiftert,
auch ihm efelt vor feinem tintenkled-
ſenden Säculum, feine Feuerſeele jehnt
‚zu regen begann. Auch dur den
Rinaldo geht die Idee der Fyreiheit,
aber bloß die dee der phyſiſchen Freie
‚heit und Befreiung und der gejchledt-
‚lichen Ungebundendeit; es ift jedoch
nicht der geringite Wunſch nach der
idealen Befreiung zu verjpüren.
Dus Shidjal des Rinaldinibucdhes
war günftiger, als es felbit Vulpius
‚erwarten fonnte. Der Roman wurde
—— überſetzt und wiederholt auf—
gelegt. Als Vulpius den Erfolg ſeines
Werkes ſah, verarbeitete er, als prak—
tiſcher Mann, den Roman zu einem
fünfactigen Schauſpiel.
Man urtheilt heute wegwerfend von
dieſem Buche. Gewiß, es hat keinen
poetiſchen, keinen äſthetiſchen — nur
einen culturhiſtoriſchen Wert, aber es
verräth troß feiner Auswüchſe mehr
Erfindungstraft als viele unferer zeit:
genöfliihen Romane.
Intereffant ift Goethe's Verhältnis
zu Vulpius. Goethe erwähnt feinen
Schwager ab und zu in den Annalen,
nennt ihn einen thätigen Theaterdichter,
837
führt auch eins oder das andre feiner | mit der Bühne und dem Bühnenwirk-
Stüde an, aber dies Alles gejchieht | jamen Hatte für feine nachherigen dra=
in einem zwar wohlwoflenden, doc) matiſchen Berfuche immerhin den Vor—
fühlen Tone. Wunderlih nimmt fich | teil, da er einige Zugftüde zu ſchreiben
dagegen die alte Weimarer Anekdote im Stande war. Er verlieh das Theater,
aus, Goethe Habe an dem Rinaldini- wurde Defonom und brachte es bis
ftoffe joldhen Gefallen gefunden, daß | zum Wirtfchafts- Director auf dem gräfe
er ſelbſt des Spaßes halber einige | lich Kinigl’fhen Gute Bezdiekau. Zu-
Gapitel dazu gedichtet habe. Wie bes erſt verfuchte er ſich im Luftfpiele und
ſchaffen immer das Verhältnis der beiden | fchrieb „Die drei Töchter“ (Wien 1782).
Schwäger zu einander gewejen, ganz | Das Stüd gefiel, darum jchrieb er
gleichgiltig war Goethe'n das Treiben | weiter. Er kaunte im Allgemeinen den
feines Schwager? gewiß nicht, und die | Geſchmack des Publifums und mußte,
Bemerkung Wolfgang Menzel’s, Goethe | was gefiel. Das Ritterfchaufpiel mit
fei im zweiten Theile jeines Fanft dem | feinen Tournieren, Gottesurtheilen,
Jdeengangeeines Romans feines Schwa- Burgverließen und pomphaften Auf—
gers — diefer Roman heiht „der Zwerg“ | zügen, wie es jpäter der Theatergraf
— wejentlich gefolgt, verdient immer- | Hahn liebte, war ein rechtes Freſſen
hin Beachtung, wenn fie auch cum für die Zufchauer. In diefer Manier
grano salis aufzufallen iſt. verfaßte Spieß mehrere Schaufpiele,
Rinaldo Ninaldini hatte zahlreiche) z. B.: „Friedrich, der lebte Graf von
Nachahmungen hervorgerufen. Bulpius | Toggenburg“ (Prag 1794) und „Clara
ſelbſt gab noch zwei Fortſetzungen des- von Hoheneichen.“ Das letztere war
ſelben heraus, den Fernando Fernan- ſein bekannteſtes Schauſpiel. Es war
dini und den Lionardo Montebello oder | aber auch ein Stück, das den beneidens-
den GarbonarisBund. Der Räuber- | werten Zufchauer für fein Geld alle
roman gefiel dem Publikum; man cul- | Schreden, Entfegen und Schauer des
tivierte aljo diefe Specialität. Hier Burgverließes durchkoſten ließ, und bei
nur einige Titel der damals gelefen= | dem man fih an allen Höflenflüchen
ften Romane: Romalino, der furchts | und Verwünſchungen ſatthören konnte.
bare Mädchenräuber, Salardo der Für die Darftellerin der Clara war
Schreckliche, Moraldini der edle Ban- das Stüd eine Perle; es ficherte ihr
ditenjohn, Zofefine die Banditenbraut | zum mindeften ein Dußend Hervorrufe.
im Nonnenklofter, Arango der edle) Das Stüd erhielt fich lange auf dem
Räuberhauptmann. Repertoir der meiften Bühnen, noch
Wir gehen einen Schritt weiter. | 1811 ſah es Körner in Wien aufs
An Bildung tiefer, an Talent und | führen. Ein weiteres Stüd diefes
Popularität größer ift Chriftian Dein | Autors ift „General Schlenzheim und
rih Spieß. Seinerzeit war er ein | feine Yamilie“ (Regensburg 1786),
jehr populärer Autor geweſen; für ge= | welchem Heinrich Kurz den Vorzug vor
wife Leſerkreiſe lieferte bloß er, jowie| den übrigen gibt, da es weniger an
fein Gefinnungsgenofle K. ©. Eramer, | Uebertreibung leide und nicht ohne
ferner Auguſt Lafontaine und der frucht- dramatijches Intereffe fei. Meiner Mei-
bare Kotzebue das Leſematerial. Später nung nach ift aber feine „Maria Stuart“
wurden die Genannten von dem tms fein relativ beftes Theaterftüd. Es war
erichöpflichen Glauren aus dem Felde | fo beliebt, daß es mit der Schiller’fchen
geichlagen. Tragödie concurrieren fonnte; dem
In feiner Jugend war Spieß Schau: | großen Publikum gefielen fogar die
fpieler; er zog mit verfchiedenen Trup- | hochtrabenden Spieß'ſchen Tiraden beijer
pen herum, brachte e& aber nicht über | als die herrlichen Verje Schiller’s. Spieß
die Mittelmäßigkeit. Die Bekanntſchaft war im Grunde ein befcheidener Menſch,
838
der das Unzulängliche in feinem poe—
tiihen Schaffen ſehr wohl erkannte.
Hätte er das Erſcheinen der Sciller'-
hen Maria Stuart (1800) erlebt,
er wäre mit feinem Stüde ftille bei-
feite getreten. Uebrigens ift dasjelbe
nicht wertlos; namentlich ift die Cha—
rakterzeichnung des Herzogs Norfolf,
der ähnlich wie der Schiller'ſche Lei—
cefter zwifchen den beiden Königinnen
fteht, gelungen. Norfolf liebt Maria,
Elifabeth liebt ihn. Um Maria zu
retten, zettelt er eine Verſchwörung an,
die entdedt wird. Dieliebende Elifabeth
verzeiht ihm. Während er aber meint,
Eliſabeth habe ‚„auch der Gefangenen
verziehen, iſt das Todesurtheil bereits
gefällt und unterſchrieben. Verzweifelt
bricht er gegen die Königin los, die
ihn nun verhaften laſſen will; er aber
tödtet jih vor ihren Augen.
Im Ganzen find feine Komödien
befier als feine Tragödien. Außer der
bereits früher genannten jei noch „Liebe
und Muth macht Alles gut“ (Prag 1793)
zu nennen.
So verlodend jedoch auch der Lorbeer
de3 Dramatifers ift, ein Bühnenwerf
bedarf immer eines fefteren Gefüges,
eines Scenariums und anderer Vor—
arbeiten, was Alles dem flüchtigen Spieß
zu bejchwerlid war; er meinte im
Roman eine leichter zu behandelnde
Dichtungsart gefunden zu haben.
wiſſem Sinne Tendenzromane, er will
bejlern. Uber wie greift er das an?
Seine Eharakteriftit ift roh, die Con—
trafte zwifchen Gut und Böſe unge—
heuerlih ; bei ihm gibt es nur ganz
tugendhafte und ganz bösartige Men
ſchen, rojenrothe Tugend und ſchwarze
Ruchloſigkeit. Alles Huperbolifch !
Zu feiner Vorliebe für das Ritter-
thum tritt noch feine Hinneigung zu
dem Spufhaften, dem Unerktärlichen,
dem Wunderbaren. Es lag dies in der
Zeit. Das achtzehnte Jahrhundert be=
ichäftigte ſich troß feiner Aufklärung
ſehr eifrig mit Leuten, wie Mesmer,
dem Grafen von St. Germain, Schre=
pfer, Gaglioftro und ähnlichen, was
Wunder, daß man auch in der Poeſie
nah ähnlichen Charakteren ſuchte!
Diefent Zuge kam eine ganze Reihe
von Schriftitelleen nad); meinten fie
doh fogar in Schiller's Geifterjeher
ein Borbild zu fehen; aber fie ver-
ſtanden nicht die tiefe Abficht des Dich-
ters, fie ahmten nur dasjenige nad,
was fie mit ihren ftumpfen Sinnen
wahrnahmen und begriffen. Sie blieben
hinter Schiller zurüd und erreichten
auch die engliichen Vorbilder, Horace
MWalpole, Anna Nadcliffe, Clara Reeve
u. ſ. w. nicht, obgleich fie diefen Schon
näher famen.
Spieß' bejjere Erzählungen jind:
| „Der Mäufefallen= und Hechelfrämer, “
„Der alte Ueberall und Nirgends, “
Seit 1794 bewohnte er die alte) „Das Petermännchen,“ „Die Deutich-
Burg in Ellbogen bei Karlsbald. Diefes | Herren,“ „Dans Heiling,” „Die zwölf
Pocale war für einen Dichter von
Nitterromanen und Geiftergefchichten
wie geihhaffen. Hier konnte er feinen
literariichen Liebhabereien fo recht nach—
bängen. Nun begann eine wahre Maſ—
fenproduction. Mehrere feiner Heineren
und beſſer durchgearbeiteten Erzählun—
gen erjchienen in Auguſt G. Meißner's
„Upollo.”
Spieß’ Romane unterjcheiden ſich
von denen anderer Zeitgenofien, 3.8.
des
bei
des
üppigen Bulpins, dur das auch
A. G. Meißner ſichtbare Beſtreben
Moraliſierens; er liefert in ge—
ſchlafenden Jungfrauen,“ „Die zwölf
ſchlafenden Jünglinge,“ „Die Löwen—
ritter“ und „Die Ritter mit güldnem
Horn.“
Talent ift dem Manne nicht ab—
‚zufprechen, aber die Form iſt ſchwer—
fällig und unbehilflich, und der Mangel
an Erziehung ift bemerkbar. Er war
ein derworrener Kopf. Das Poetiſcheſte,
was er ſchrieb, ift fein „alter Ueberall
und Nirgends,“ worin er ein dem
Ahasverſtoff jehr ähnliches Thema be=
"handelt. Die Idee ift ſehr glüdlich
‚durchgeführt.
u
Leider find die legten Productionen
diejes Autors geradezu abgefchmadt,
und man ift im Zweifel, ob man mehr
über die Verrüdtheit des Autors, der
ganze Bücher voll Biographien von
Selbftmördern und Wahnjinnigen ver—
Öffentlichte, oder über die Dummheit
des Publikums, das ſich folchen Uns
ſinn bieten ließ, ftaunen fol. Spieß
wurde übrigens ein Opfer feiner Pro—
duction. Die Geifter, die in feinen
Erzählungen ſpukten, Hatten ihm feinen
Verſtand geraubt, er verfiel in Tobjucht,
fo daß vier Männer ihn kaum be=
wältigen konnten, und ftarb am 17.
Auguft 1799.
Auch Spieh fand Nahahmer. Hie
und da kann man noch in Leihbiblio-
thefen auf die greulichen Romane jener
Tage ftoßen, deren Titel allein ſchon
Ihaudern machen. Wir finden da die
„Beifterzwillinge, * die „blutende Geftalt
nit Dolch und Lampe,“ den „Schre=
ckensthutm am See oder die mitter-
nächtliche Todtenglode* u. dgl.
Sultan Schmidt ftellt Spieh über
Auguft Gottlieb Meißner, damit thut
er ihm aber zu große und unverdiente
Ehre an.
Umd nun zu dem Dritten aus jenem
Bunde, zu Karl Gottlieb Cramer!
Vulpius war üppig, Spieß platt,
Cramer — gemein.
Menzel hebt bei Cramer — troß
zahlreiher Mängel — die gefunde,
träftige Jägernatur hervor. Das ift
richtig, aber es ift auch beinahe das
Einzige, was an diefem Autor zu loben
ift. Diefer frifche Zug läht ſich wohl
daher ableiten, dak Cramer ſich zum
Forſtweſen Hingezogen fühlte und ſelbſt
Forſtmann war. Indeſſen iſt der Wald—
geruch, den Menzel bei Cramer ent—
dedte, nur ſelten zu verſpüren; häu—
figer dringt uns ein Mifthaufengeruch
entgegen.
Eine Zeitlang hatte Cramer feine |
‚Herzog von
Stellung aufgegeben und findierte in
Leipzig und Wittenberg Theologie, gab
aber den Gedanken auf das Prediger:
amt wieder auf, und daran hat der
839
gute Mann wohl gethan, denn das
Wort Gottes hätte fich in feinem Munde
gar fonderbar ausgenommen. Aus der
mißlichen Lage, in die er gerathen war,
rettete ihm Herzog Georg Friedrich von
Sadhjen-Meiningen, der ihn zum her—
zoglih Coburg-Meining'ſchen Foritrath
ernannte, ſpäter übertrug ihm der Herzog
auch eine Lehritelle an der zu Dreißig—
ader bei Meiningen errichteten Forſt—
akademie. Hier jtarb er am 7. Juni 1817.
Cramer war ungemein fruchtbar,
man könnte Jagen: jchreibwiüthig. Sein
eriter Roman war „Karl Saalfeld oder
Geſchichte eines relegierten Studenten, “
(Lg. 1782), ein unreifes, aumaßendes
Werk, ftatt Charakteren Fragen ent—
haltend. Es liegt jedoch, nebenbei be=
merkt, viel Subjectives darin; der Held,
ein aufgeblafener, ſchwülſtiger Flachkopf,
it Gramer ſelbſt. Die Rennomagen
Saalfeld's entfprechen dem Tone, den
Cramer im gewöhnlichen Leben anzu—
wenden beliebte. Diefem Buche folgten
noch 55 Erzählungen; im Ganzen hat
Cramer 93 Bände gefchrieben, und jo
ift ihm, mie J. W. Appel treffend be=
merkt, „immerhin gelungen, feinen
Namen in den Tempel der Unsterblichkeit
einzukratzen.“
Cramer zählt als verſpäteter Stür—
mer und Dränger; auch er wäünſcht
„ſich über eine Trommel ſpannen zu
laſſen, um eine neue Ausdehnung zu
kriegen;“ auch ſeine Helden geberden
ſich wie Karl Moor, ihnen wird die
Welt zu enge, auch bei ihm ſehen wir
ſtändiſche Eonflicte wie in „Cabale und
Liebe,“ aber Cramer ift mitten im
Fieber ſtecken geblieben, er behielt den
Krankheitsſtoff im Sich, er konnte ſich
nicht emporarbeiten zur hohen geiftigen
Freiheit. Alle feine Schöpfungen tragen
den Stempel der jittlihen Verrohung
und Plattheit ; roh ift auch die Mache.
Seine Helden: Erasmus Schleicher,
Dalper a Spada, Graf von Jericho,
Hudriſchackſchak, Jakob
Luley, Gotthold Tamerlan, Graf Victor
von Zedro, Goralli, Septimus Storar
u.ſ. w. — recht geichmadvolle Namen! —
840
find aufgeblafene Poltrone. Was diefer
Schinderknecht der deutſchen Literatur
an Bombaft leiften konnte, dafür möge
eine Stelle aus feinem Erasmus
Schleicher zeugen, wo er bon dem
Finanzrath Hamfter jagt: „Ein blü—
hendes Land unter dem rechten und
die weinende Menfchheit unter dem
linfen Fuß, in der rechten Hand eine
Geigel in der linfen ein Stußglas
voll Bauernfchweiß, der wie Cham—
fein „Zanthen Nosmarin,” aber er
hat nie die Abſicht, durch Frivolität
lüfterne Lejer zu födern, und eine
kräftige, geiſtige Geſundheit Schlägt im—
mer durch. Freilich, gegen die Romane
Clauren's gehalten, athmen Cramer's
Erzählungen jungfräuliche Reinheit.
In einigen Romanen betritt Cramer
das politiſche Feld. Hier will er do—
cieren und über die Schlechtigleit der
Großen zu Gerichte ſitzen. Aber um
pagner mouſſiert, und im Auge einen | dazu fähig zu fein, hätte er weniger
Bafitistenblit — jo würde ich fein | einfeitig fein müſſen.
Bild für die Ewigkeit malen.”
Alles Erbärm—
liche, Niederträchtige, jede Gemeinheit
Indeſſen gelangen ihm doch hie des Geiftes und des Herzens ift auf
‚und da Heinere anmuthige, ja ſelbſt die Vornehmen, Adeligen und Mäch—
lieblihe Partien, jo 5. B. in jeinem | tigen übertragen ; ihnen gegenüber ftehen
„Jägermädchen,“ das ich für fein beftes
Mert halte. Hier weht frifchere Luft. | männer, Bauern und Bürger.
Bon diefem Jägermädchen urtheilt der
fonft weder objective noch liebenswiür= |
dige Menzel folgendermaßen:
verdient aber noch um feiner befonderen
Gaben willen Auszeihnung. Wie roh
und gemein er jchrieb, jo war doch eine
frifche und gefunde Kraft in ihn, und
feine Oppofition gegen die falſche Em—
pfindfamfeit und Vornehmthuerei war
eine echt vollsthümliche. Das Erfreu—
liche an ihm ift die derbe, Ferugejunde
Jägernatur, die den Waldgeruch auch
ins Boudoir mitbringt, ſich nichts ver—
ſagt und noch mitten im Exceß eine
gewiſſe Liebenswürdigkeit bewahrt.“
Dem Erotiſchen gewährt Cramer
in allen ſeinen Schriften einen breiten
Raum. Er ahmt hier nicht ſo ſehr
Wieland, von deſſen liebenswürdiger
Schalkhaäftigkeit ſich bei ihm nicht viel
vorfindet, als vielmehr ſolche Autoren
nach, welche wie A. G. Meißner dem
Dichter des Agathon das Aeußerliche
abgeguckt hatten. „Das Harfenmäd—
hen,“ „Das Hirtenmädchen,“ „Das
blonde Nantchen,“ „Nettchens Hoch—
zeit” find dergleihen leichte Ware;
gutmüthige Dingerhen mit weichent,
weiten Herzen umd einer ganz ans
jehnlichen Portion Sinnlichkeit. Auch
Zichofle hat uns manches Bedenkliche
vorgeführt, man erinnere ſich nur an
die arınen, ehrlichen, ehrbaren Bieder—
Um
unſer Intereſſe zu feſſeln, müßten dieſe
| Figuren weniger ſchablonenhaft fein.
„Gramer Wenn man Ddiefes Anhäufen craffer
Lafter, dieſes Goquettieren mit ber
Moral, diejes unvermittelte Vorführen
Icharfer Gegenfäße in’3 Auge faßt, dann
wird man unwillkürlich an Hogarth's
Darftellung gemahnt. Aber wo bleibt
Hogarth’3 genialer Griffel! Zu ſolchen
Nomanen zählen die „Leiden und Freu—
den des ehrlichen Jakob Luley,“ „Leben
und Meinungen des Baron Hirlus“
(eine politifche Satire) und endlich fein
befannteftes Wert „Leben und Mei—
nungen, auch ſeltſame Abenteuer Eras—
mus Schleicher’3, eines reifenden Mes
chanikus“ (zuerft Lg. 1789 — 91).
Diefes Wert, fowie fein „lahmer Wade
telpeter“ und der ſchlüpfrige „deutiche
Alcibiades“ erfreuten fich eines be—
fonderd großen Rufes.
Auch bei Cramer erfcheinen Geifter,
und überirdifche Stimmen jchallen plöß-
lih an unfer Ohr, aber er war Hüger
al3 der arme Spieß, er wußte fich die
Geifter vom Leibe zu Halten und wurde
dabei did und behäbig. Tied, der ihn
im Phantafus ein wenig gezaust hat,
Jah ihn einmal (1803) und bezeichnete
ihn als eine ordinäre Erjcheinung.
„Das Geſicht'“ ſchreibt Tied, „war
podennarbig, der Auzdrud platt und
Ss
gewöhnlich, die Stimme Hart und rauh. dieſen und andern Nomanen fürftliche
Die Paujen der Rede füllte er durch | Näthe, die dem rechtslojen, hartgeplag-
lange Züge aus einer großen Meer- |ten Bauer das »letzte Neftchen Fell
Ihaumpfeife; im diden Cualmwolfen |über die Ohren zogen,« abgejeßt und
blies er den Rauch number. Er Sprach |des Landes verwiefen, in Saus und
in einer Jonderbaren Mifchung der über» | Braus lebende adelige Schurken ent—
Ihwänglichften und niedrigften Redens- larvt und unterbrüdte Unſchuldige wie=
arten, Schimpfwörter wurden in feinem | der im Triumph herbeigeführt wurden,
Munde zum Ausdrud der Anerken- ſo Hatte dies zugleich feine praktische
mung.“ Bedeutung für die damaligen Lefer,
Gramer’s fonderbare Leiltungen | und mancher arme Teufel erlabte feine
müflen im Zuſammenhange mit den gepreßte Unterthanenfeele an folchen
Zeitverhältniffen betrachtet und beur- ſtark aufgetragenen Gemälden der vor-
teilt werden ; dann wird unfer Urtheil nehmen Bosheit und ihrer wohlver-
bedeutend gemildert. Wir jehen, auch | dienten Niederlage.“
fie refultieren aus der Auflehnung gegen | Während uns aber faft alle diefe
geſellſchaftliche Mißverhältniſſe. Uns | Anspielungen unverftändlich geworden
erfcheinen jegt feine hartherzigen Räthe, find, geben uns die Schöpfungen
feine ſchlechten Minifter und teuflifchen | Gramer’s wie auch die Wulpius’ und
Kammerherren als Zerrbilder, feine | Spieß’ ein Kriterium für die äfthetifche
Zeit fand die Anfpielungen und die Bildung der unteren Stände jener Zeit;
Driginale Heraus oder glaubte fie aus diefen Schichten recrutierten ſich
wenigftens zu finden, und fo erklärt doch zumeift ihre Leſer. Haben wir nun
fih die Wirkung feiner Schriften auf |ein Recht zu jagen, daß unſere Zeit
die unteren Claſſen der Bevölterung. | ‚auch in diefer Hinficht einen Schritt
„Wenn alſo“ fagt I. W. Appel, „in |vorwärts gethan hat ?
Zohann Bäfenpfeifer.
Eine Geftalt aus modernen Tagen von Hans Malfer,
AES eboren war er zu Abelsberg und konnte er fih ums Lernen nicht viel
s zwar nach dem Ausweife des bekümmern, denn er wollte fich der
dortigen Kirchenbuches im Jahre 1837. Politik widmen. Anfangs hielt er bei
Seit einiger Zeit will es mit feinem | Kneipen große Reden, denn er hatte
Alter nicht recht vorwärts und bejinnt eine vortrefflihe Lunge. Er war Op⸗
er ſich ſchon ſeit Jahren, von der poſitionsmann ſelbſtverſtändlich. Es
Kraft des Mannes in die Weisheit kam ſein Vater und wollte, daß er
des Greiſes zu überſpringen. Er iſt ſich einem Beruf zuwende und ſeine
ein Kraftgenie, und ſo eines braucht | Prüfungen mache. Er war Oppoſitions—
Meisheit nicht. mann. Es famen Belkredi, Schnerling,
Bon feiner Kindheit weiß er nicht! | Auersperg — er war Oppoſitionsmann.
viel mehr, als daß „gerauft worden | Es famen die Gläubiger, die ihre
iſt.“ Als Student hatte er das Ber: | Sache vorm ihm forderten — er war
gnügen, mehrere feiner Profefjoren Oppofitionsmann. Es famen Andrafiy,
perjönlich fennen zu lernen; im Ganzen | Hohenwart, Taaffe — er war Oppoſi—
842
tionsmann. Es famen Weiber, die ihn
an mancherlei Verſprechen erinnerten,
er ſchwieg und blieb im Stillen Oppo—
itionsmann.
Sein Name ift Johann Häfen-
pfeifer. Er wird jagen feine
Freunde — genannt, jo weit die
deutfche Zunge reicht. Du mußt ja
auch ſchon von ihm gehört haben,
erinnere Dich, lieber Lejer. Bor Kurzem
bat er in Deiner Stadt einen politis
ſchen Bortrag gehalten. Er pflegt
Bolksverfammlungen zu veranftalten
um wirtichaftlihe Fragen zu befprechen,
_—
drud lautet — ihrem Bolfe zu leben.
Und nicht etwa nur in Phrafen leben
jie für ide Boll, nein, ſie greifen
thatſächlich ein und ftellen in dem Be—
wegungen der Nation fo zu fagen den
Regulator dar. Der Berein „Fanfaria“
zu Oberabelöberg heilt nämlich nad
allen Seiten des. öffentlichen Lebens
bin Vertrauens- oder Mißtrauensvoten
aus, Eine landwirtfchaftliche Gefellichaft
Deutfhlands faßte vor einiger Zeit
eine Rejolution gegen die Annahme
der Steuererhöhung. Sie erhielt eine
Bertrauensadreffe von der „Yanfaria“.
aber fein feuriger Geift bleibt bei den | Die Adreſſe war ein merkwürdiges
armfeligen Bauern- und Srämer-
angelegenheiten nicht lange ftehen, mit
einem graziöfen salto mortale jpringt
er fopfüber in jein Element, in die
große Bolitif hinein, in welcher er
anfangs munter umberpläfchert, all—
mählich aber mit Händen und Füßen
jo gewaltig dreinzuhauen pflegt, daß
Wellen ſchäumen, die Gifchten hoch
aufjprigen und ein recht miedlicher
Sturm zu Stande fommt. Die Ver—
ſammlung ift begeiftert, bingeriffen.
Trompetenſchall und Pöllerſchüſſe wirken
auf die Menge immer, jo auch gewiſſe
Worte und Sätze. Trompetenftöße in
die Luft und leere Schüſſe find Phrafen,
nit ihrem Berhallen verhallt auch die
Wirlkung.
In Oberabelsberg hat Johann
Häfenpfeifer einen politiſchen Verein
„Fanfaria“ gegründet. Der Name iſt
viel zu beſcheiden, der Verein könnte
„Weltſteuerrad“ oder „Generalcompaß“
oder „Völlkergericht“ oder „Nationaler
Regulator* heißen. Der Verein „Fans
faria“ zu Oberabel&berg befteht zwar nur
aus fünfunddreigig Mitgliedern, lauter
Ihlihte Leute, aber lauter Patrioten,
filtriertenationale und politifche Hell-
jeher. Eine jo edle Uneigenützigkeit
wird man nicht bald anderswo finden,
als in der „Fanfaria“; die Mitglieder
laſſen ihre eigenen Geſchäfte verlottern,
ihre Wirtfchaften zu Grunde geben,
ihre Familien verlommen, um ganz
und voll — wie der technijche Aus:
politifches Memorandum, in welchem
die Erhöhung’ der deutjchen Wehrkraft
und die Verringerung der Steuern
befiirwortet wurde. Die Abelsberger
Logik ift Schon fo. Ein Reichsraths—
abgeordneter hielt eine Rede über die
Nothiwendigfeit der Ylußregulierungen
in den Alpen. Der Verein „Yanfaria“
ertheilte ihm ein Mißtrauensvotum,
weil er im feiner Rede nicht gegen
die Juden polemiefirt hatte. Einer
Zeitung fchidte der Verein „Fanfaria“
das Mißtrauensvotum, weil fie anftatt
Schriftleitung immer noch das ketzeriſche
Wort: Redaction gebrauchte. Einem
Schneidermeifter ſandte der Berein
„Fanfaria“ eine Belobungsadrefje, weil
derjelbe unter der Rechnung für feine
Kunden zu fchreiben pflegte: „Mit
germanischen Gruß ſaldirt Wenzel
Czochiczek. Als Bismard das Septennat
verlangte, ward ihm die Auszeichnung,
von dem Vereine „Fanfaria“ in Ober:
abelsberg mit einem warmen Vertrauens—
votum bedacht zu werden. Hingegen
ein Mißtrauensdecret dem deutſchen
Kronprinzen, als derfelbe auf feinem
Landgute die Garteneinplankungen
braun und nicht ſchwarz- weiß- rot)
anſtreichen ließ. „Euere kaiſerliche
Hoheit!“ hieß es in dem wackeren
Schriftſtück. „Das große Deutſche Volk
wendet ſein Auge voll Zuverſicht den
Stufen des Thrones zu. Wie, wenn
dort anſtatt der herrlichen Farben der
Hohenzollern maikäferbraune Garten—
843
planten ſtehen? Wohin ſoll das führen ?! „Ja, ja,“ fagte einer der Bürger,
Soll e3 dann ein Wunder fein, wenn „wie ich höre, joll das Reichsraths—
der nationale Geift wieder erblaßt? gebäude einen unſinnig großen Saal
Wir befhwören Euere Kaiſerliche Hoh- haben, da muß Einer fein der reden
beit u. ſ. w.“ fann! Der eine Stimme bat! Ein
Der Vereinsfecretär der „Fanfaria“ | Zwitfcherer thuts nicht in Jo bewegter
las feine Zeitungsnummer, ohne ſich Zeit.“
aus Dderjelben Vorfälle des Inn— Da war aber ein Zeitungsfchreiber
oder Auslandes anzumerfen, welche — eine niederträchtige Schreiber:
mit Hundgebungen zu bedenfen wären. | jeele! — Der ließ druden: Man folle
Natürlich der franzöfifhen Regierung |Tih den Mann nur einmal näher an=
ein Mißtrauensvotum, als fie Bellfort | fehen, ob Einer, der nicht einmal fein
befeftigte, und dem Papſt ein Miß- | eigenes Haus aufrecht zu halten wiſſe,
trauensvotnm, als er friedensvermit- | für das Allgemeine wirken könne?
telnd jich für die Sache der Deutſchen Ob ein Menſch, der feine Familie
Negierung entjchied. Und wenn dann | vernadläfligt, ein Herz für fein Bolt
folde Kundgebungen gar im den haben könne? Ob ein Wiühler und
Blättern verzeichnet ftanden, da hüpfte| Heer auf den Frieden und das
jedem Mitgliede vor Freude das Ver- | Gedeihen feiner Nation hinarbeite? Ob
einsherz. dieſer Johann Häfenpfeifer nicht am
Man muß jagen, der politijche , Ende ein eitler Tropf wäre? — Man
Scharfblid der „Fanfaria“ war ſo mag ſich vorftellen, was auf Soldes
weitreihend, daß ihm fein Anderer zu) Hin diefer Zeitungsschmierer von dem
folgen vermochte. Man hörte auf den | Vereine „Fanfaria“ für eine Adreſſe
von ihr veranftalteten Wanderverz | erhalten hat.
jammlungen viel Neues, und wenn Bei der Wahl erhielt Johann
Gevatter Böttcher oder Senjenjchmied | Häfenpfeifer von dem halben Tauſend
ſprach, da eröffneten fich oft ganz uns | Wählern fünfunddreißig Stimmen,
geahnte Perfpectiven im die politische | weil auch feine eigene. Nun begann
Zukunft. Daher waren folche Ver- er zu grollen gegen die Undankbarkeit
ſammlungen auch ftets jo gut befucht, | des Vaterlandes. Er fand diefen Boden
daß einmal ein berühmter Komiker, | nicht mehr wert, daß er den großen
der zu gleicher Zeit in der Stadt! Patrioten Johann Häfenpfeifer trage
gaftierte, leere Häufer fab, während die! umd er wanderte aus. Aber nicht für
Bierhafle der „Fanfaria“ die andräns | immer, das fagte er wohl, er gebe
gende Menfchenmenge kaum fallen ins Weich Hinaus, um dort für die
konnte. nationale Sache Propaganda zu machen,
Nur wenn der Vereinsobmann, er gehe, um den deutſchen Brüdern
Herr Johann Häfenpfeifer — den zu Hagen, wie armſelig es beſtellt ſei
Humpen Bier zu Handen, im Munde in ſeinem Vaterlande, und er wolle
die Cigarre — ſprach, hörte man nichts mit mächtigen Verhündeten wieder—
Neues, hingegen wurden die alten kehren und ſiegen.
Schlagworte und Sprüche mit ſo In B,, einer norddeutſchen Pro—
oppofitionsgemwaltiger Wucht hingewor- | vinzialftadt, ließ er große Plalate an—
fen, daß es eine freude war. Nebſt- Schlagen: Johann Häfenpfeifer werde
dem war Häfenpfeifer ein jehr jovialer | eine öffentliche Nede halten über die
Mann, Jeden, an dem er vorbeilam | politiichen Zuftände Oeſterreichs. Zur
auf feinem Wege zu und von der ſelben Zeit hatte die Stadtvertretung
Tribune, drüdte er die Hand, oder|von B. von dem Vereine „Fanfaria“
Hopfte ihm wenigftens auf die Achſel. zu Oberabelsberg eine ftilvolle Zus
Es jind die Wahlen vor der Thür. ſtimmungsadreſſe erhalten darüber, daß
544
B. die Schöne Stadt, ein Schohkind
der Germania, edlen Batrioten ein
gaftlihes Aſyl bereite. Der Rath ließ
in arten und geographfchen Werten
nachſchlagen, ohne DOberabeläberg zu
finden, bis der gelehrte Archivarius
erflärte, Oberabelöberg ſei nur ein
Dedname für Schildburg und die Zus
Schrift fei al3 munterer Gruß von den
weifen Schildbürgern zu betrachten.
Nicht beſſer als dem Rathe ergieng
es den guten Bewohnern von B., fie
durchblätterten alle Lexikas, alle etwaigen
Berzeihniffe der Staatsmänner, Redner
und Volksvertreter des In- und Aus:
landes, der Name Johann Häfenpfeifer
war nicht zu finden. Die angekündigte
Rede konnte wegen Theilnahmsloſig—
feit des Publikums nicht abgehalten
werden.
Nun ließ Häfenpfeifer ſich in einen
nationalen Verein von B. eintragen
und für eine nächte Verſammlung
erbot er fi, im dem Bereine eine
Rede über die politifhen Zuftände
Defterreichs Halten zu wollen. Natürlich
mit Dank angenommen, dem für das |
ſchöne alte Defterreich haben die Reichs—
dentjchen ſtets JInterelfe und ein warmes
Herz.
Die Verſammlung tagte, Häfen
pfeifer wurde mit großer Zuvorkom—
menheit behandelt und als er feit und
ernſt die Nednerbühne beftieg, war alle
Aufmerkfamfeit der zahlreichen Anwe—
fenden auf ihn gerichtet.
Der Redner begann mit einem Appell
an die deutfche Nation. Dann gieng
er auf die Zuftände Defterreihs über
und machte dabei das einemal eine
geringfchägige, das amderemal eine
tiefbefünmerte Miene, rang auch gele=
gentlih die Hände, als flehe er um
Hilfe. Bittere Klagen führte er über
die Fahrläffigleit der Deutjchen, die
fich lieber mit Aderbau, mit Eifennägel-
fabrication, Leinmeberei und Leders
gärben bejchäftigten, als mit politischen
Thaten. Bittere Klagen gegen die
fatholifche Kirche, welche gegen die
deutfhe Nationallirche ſtets Front
mache. Bon feiften Pfaffen und lederen
Nönnlein war die Nede, die paraſiten—
artig. . » In der Verfammlung war
ein Zifchlaut zu hören. Was ift das ?
Mitten im katholiſchen Defterreih iſt
derlei ftets Hell bejubelt worden, und
bier im proteftantifchen Norden? —
Der Redner fuhr fort und führte
bittere lagen gegen die Öfterreichifchen
Schulen, die immer noch den Patrio-
tismus don dazumal vorbeteten; bit=
tere Klagen gegen die öfterreichijchen
Schriftſteller und Dichter, welche lau
gegen die nationale Idee einen efeligen
Humanitätsdufel trieben, als lebe man
noch zur Zeit Leſſing's und Goethe's;
leidenſchaftliche Klagen gegen den
Beamtenftand, welcher Eriecherifch ſeine
habsburgiſche Stefansthurmpolitif. . .
Der Redner wurde unterbroden.
Ein Manır des Gejeges, mit der preußi-
Ihen Mütze auf dem Haupte, war auf:
gejtanden und erklärte nun mit einer
ganz eigenthiimlichen Schneidigfeit, er
fönne den Sprecher in dieſem Zone
nicht fortfahren lafjen.
Johann Häfenpfeifer hatte es ſonſt
geliebt, bei jeinen Reden die Polizei:
organe zu probocieren; ein Ordnungs—
ruf im Namen des Geſetzes hatte feinem
Ejel erft den richtigen Sattel aufgeſetzt.
Aber heute, an diefer Stelle und in
dieſem Lande erſchrak er vor dem
ı Bolizeiorgane fofehr, daß er den Faden
feiner Rede verlor. Er tappte eine
Meile herum, erwiſchte noch einige
Phrafen von nationaler Größe, von
politifcher Verbrüderung u. ſ. w., in
Dee er feine fonore Stimme Träftig
'austönen ließ.
Keine Hand rührte ſich zum Bei:
fall, als er geendet Hatte. Stark ver-
blüfft flieg er von der Tribune, und
um feinen Platz, wo er beim Glaſe
Bier nun ſaß, blieb es öde. Nur ein
mitleidiger Gandidat der Theologie
trat zu ihm heran und fragte, ob er
nicht erfchöpft ſei? Es fcheine der Saal
nicht befunders afuftifch zu fein. Der
mohlwollende Gandidat erhofft für diejen
| Samariterdienft einen Sig im Himmel.
845
Nun
Vereines die Tribune und fagte:
dem ich dem Deren Häfenpfeifer für
jeinen Bortrag höflich danke, wollen
wir zur Tagesordnung übergehen.“
Das war Alles. Herr Häfenpfeifer
machte ſich bald unauffällig davon,
feine heutige Tagesordnung war ein
rajender Werger, bis der gute More
pheus ihm die Augen fchloß.
beftieg der Vorſtand des
„In—
ehren gewiß die heutigen ſchweren
Sorgen der Dentſchen in Oeſterreich,
wir freuen uns des deutſchen Bewußt—
ſeins, das im ihnen erwacht iſt, wie
wir geloben, unfere deutjchen Brüder
in der Noth nicht zu verlaflen, aber
mit einem Renegatenthum jchließt der
Deutsche feinen Palt.“
Nun ift Herr Johann Häfenpfeifer
Kar heimgelehrt nach Oberabelsberg.
Am nächften Tage jtand in dem Er fpricht nicht mehr fo viel, wie
K. Regierungsblatte von B. gelegen= früher, am wenigiten von feinen
tlich des Referates über die Verſamm- politiſchen Erfolgen in Deutfchland.
lung des nationalen Vereines: a Die „Fanfaria“ tHeilt nach wie vor
nun erfolgte Rede eines Herrn J. ihre Kundgebungen aus und hat erft
Häfenpfeifer aus Defterreich -glauben | vor Kurzem im einem energifchen
wir nicht ernft nehmen zu jollen. Der, | Schriftftiid den Rothichild aufgefordert,
Mann Hat ſich jo wüthig ins eigene | fofort nach Jeruſalem zu überfiedeln,
Neft geipudt, daß auf den Gefichtern um dort König der Juden zu werden,
der Zuhörerfhaft nachgerade ein mit- | widrigenfalls u. ſ. w. —
leidige Befremden zu fehen war. Auch derlei Schrullen zeitigt das
Wahrlich ſchlecht ſtünde es um das erregte politiſche Leben eines Volkes.
deutſche Volt, wenn es viele ſolcher Ihr Fluch liegt in ihrer Lächerlichkeit
Individuen unter ſich hätte, welche und es iſt beſſer, wir ſelbſt ſehen und
ihre Lebensaufgabe darin erblicken, alle | brennen diefe Schäden an unſerem
Autoritäten ihres VBaterlandes zu be= Fleiſch, als daß es der Feind thue.
Ihimpfen und zu verhöhnen. Wir!
Der Grünberger Thomas und feine Brüder.
Skizze von Bordan Raj. Markus.
AST fo zu Friedberg! Von der ober-
ER öfterreichifchen Seite ber an—
geiehen liegt Friedberg auf einem
grünen Hügel ausgebreitet, der gegen
die Mittags» und Abendjeite zur Mol»
dau abfällt. Der füdliche Abhang
Ichließt mit einem Häuschen, welches
ih an den grünen Hügel lehnt, die
Leute nennen es das „Orlinberger=
Haus,“ den Beſitzer desjelben den
„Srünberger* und die Mitbewohner
diefes Häuschens die „Grünbergerleut;“
aber vor etwa fünfzig Jahren hat es
weder einen „Örünberger“ noch „Grün—
bergerleut“ gegeben, ſondern
nur
„Srünberger Buam,“ denn die da=
maligen Inſaſſen des Grünberger Haufes
waren fünf Brüder, und da fie ſämmtlich
underheiratet waren, nannte man fie,
wie es in diefer Gegend ja überall
gebräuchlich iſt, „Buam;“ erſt wie
dann der Eine davon, der „Lenz“ ge—
heiratet hat, gab es einen „Grünber—
ger“ und eine Gruͤnbergerin⸗ und
wieder „Grünberger Buam.“
Der Verheiratete bezog nun den
vorderen Theil des Hauſes, d. h. die
vordere Stube, und die ledigen Vier,
nämlich der „Hieſel,“ der „Jakob,“
der „Hanſel“ und der „Thomai“ blieben
846
im hinteren Theil, im „Stübel.“ Diefe | verlegte, und feine Liebe nicht allein
vier „Buam“ muß man fi aber nicht auf „Bauerntöchter,“ fondern auch auf
als 12= oder 14jährige, jondern als | „Dirnen“ *) erfiredte, die er dann
40-, 50= oder gar Schon 60jährige | mit „Lebzelten“ gehörig abfütterte, —
„Buam“ denken und das „Stübel,“
das fie bewohnten, eigentlich bewohnen
jollten, als einen Raum, wo gerade
ein Kachelofen und ein Webſtuhl Platz
hatten, und wo man fich zwiſchen bei=
den gerade noch umdrehen konnte.
3a, wird man fragen, wie haben
oder jollen denn die Vier im dem
Stübel dann wohnen, wenn ſich kaum
Einer noch umdrehen konnte?
Nun das ift jo!
Geſchlafen hat Einer auf der Ofen
banf, der Andere unter dem Webftuhl
und die andern Zwei auf dem Boden
über dem „Stübel.“ Bei Tag war
nur Einer zu Daufe, der ift im Web:
ſtuhl gejeffen, das war der „Dielel;”
die anderen Drei find „umg’läufcht.“
Zwei find den „Menjchern“ nachge—
gangen, der Dritte dem „Broterwerb,“
d. h. er ift von Haus zu Haus ge-
gangen, um Brot und andere Gefchenfe
zu erbitten. Das war der „Hanſel.“
Der Arme war von Geburt aus taub
und in Folge dejjen auch ſtumm; die
Kinder erfchrafen vor ihm, denn er
holperte, ſtets aufeinen großen „Stecken“
geftüßt, umher, und feine Gefühls-
äußgerungen beftanden im jchredlichen
Grimafjen und unarticulierten Lauten.
Und war eines der Kinder etwas uns
wirſch und wollte auf das Wort der
Mutter nicht hören, fo hieß es plößlich:
Der „Grünberger-Hanfel* kommt! —
und lautlofe Stille herrſchte.
Uber der „Jakob“ und der „Tho—
mai,“ das waren die verliebten Zwei,
doch wieder verfchieden in ihrer Art.
Während Jakob, eine edel angelegte
Natur, wie er war, die nicht auf Stand
und Beſitz fieht, fein „Gäu“ für Lie
besabenteuer in die Bauerndörfer, na=
mentlih in den „hinteren Winkel“ *)
) Eo nennt man nämlich einen Theil
der zur Pfarre gehörigen Dörfer, die hinter
dem „Hohenmarterwalde,* Hohenfurt zu
liegen.
neigte ſich Thomas ſchon mehr den
‚ ariftofratifchen Anfchauungen Hin: nie
ſah man ihn auf der „Bäuer,“ —
feine Liebesfahrten machte er im Markte
jelbft, und zwar in den Häuſern der
„Großbürger“ ab, die er täglich der
Reihe nach mit einem Beſuche beehrte.
Und nicht etwa durfte fich die nächſte
beite Batricierötochter einbilden, jich fo
„mir nichts, Dir nichts“ in die Gunſt
unſeres Don Juan's jeßen zu können,
— weit gefehlt, fie mußte einmal kör—
perlich mit Fchönen, üppigen Formen
ausgeftattet fein und überdies ein gutes
Herz beſitzen, d. 5. fie mußte ihm
immer etwas Gutes zu ejjen geben.
Doch in dem einen hatten die
beiden verliebten Brüder wieder das—
ſelbe Schidjal, daß fie erftlih nie zum
Heiraten kamen, dann aber auch ihre
Herzensdamen Häufig wechjelten, jo
daß es bei Groß und Stein, fo ihnen
begegnete, ſchon Sitte war, zu fragen:
„Run — was haft denn jebt für
Eine?" Dann verzog „Jakob,“ der
Gutmüthige, gar ſüßlich den Mund,
als wäre er mit Honigſeim beftrichen,
und nannte die Glüdliche, ohne feiner
Ungetreuen je ein bitteres Wort nach—
zuflagen. Denn er hatte, nebftbei ge—
jagt, das Unglüd, day ihm alle feine
Liebihaften, ehe e8 zum „Berrufen“
gefommen, einen Korb gaben. Anders
war es bei Thomas, der ein gar heikler
Prinz gewejen. Da war er immer der
Ungetreue und Verſchmähende, und
wenn er eine Hübfchere ſah, die dem
Aeußern nach auch noch „vermöglich“
ſchien, erklärte er fich raſch für dieſe
und kehrte der anderen den Rücken.
Und wurde er gefragt, warum er denn
dieſe oder jene „nicht mehr möge,“
fieng er an, ihre unſchönen Eigenſchaften,
ihre etwaigen körperlichen Gebrechen fo
*) Das find die weibliden Bauern:
dienjtboten.
zu kritiſieren, das fi die Schaden:
frohen vor Lachen die Bäuche hielten,
die anderen Leute ſich aber verwun—
derten, wie ein Menfch, der fonft zu
den Geiftesarmen gezählt wurde, der—
artiges nur bemerken und erfafjen könnte.
Der „Hieſel“ alfo war die eigent-
lihe Hausmutter und verdiente durch
Weben einige Kreuzer, wuſch und
reinigte im Hauſe und kochte auch die
Morgenſuppe, die in warmer Milch
beſtand, wozu eine alte „Gais,“ die
er oft am Stricke auf die Weide zog,
behilflich ſein mußte. Und als ſie das
Zeitliche ſegnete, war gerade der Herr=
ſchaftsdirector von Roſenberg in Fried—
berg, der, von dieſem Unglüd hörend,
bereitwilligft das Geld zu einer anderen |
gab.
Da konnten die Anderen freilich
wie Gavaliere leben — aber als der
„Hieſel“ ftarb, da gieng es ihnen nicht
mehr recht zuſammen umd es legte jich
der „Danjel” Hin und ftarb auch. Nach
„Hieſels“ Zode war es an „Jakob“
den Gefcheiteren zu machen und das
Hausweſen zu führen — und nun
wäre es dringend geboten gewefen, da}
ihm eine Ehehälfte zur Seite ftünde.
Doch es wollte fich Feine finden — und
auch er flieg als ewiger Bräutigam mit
dem Lilienftengel in der Hand und
nit unzähligen „Körben“ bejchwert in
die Grube.
Nun war „Thomas“ einſam und |
alleine. War es, daß er überjättigt von
all’ den Nichtgenüffen, die ihm die Liebe
geboten, war es, daß fein Herz älter
geworden und an Empfänglichkeit ab= |
nahm, oder waren es die traurigen |
überzeugenden Erfahrungen feines Bru—
ders, die ihn zum Bewußtſein brachten ?
Wer weiß es! — Kurz, er verzichtete
auf alle Liebichaften, und wenn ihn
Einer darnach fragte, fo hatteer „Steine“
mehr und mochte auch „Seine“ mehr
haben. Etwas Gutes zu eſſen fei ihm
lieber, fjagte er jeßt, und da er zum
„Fleiſchbeißen“ keine Zähne mehr hatte,
lo begehrte er „abgeſchmalzene Nudeln.“
Und wenn er früher einer oder der an—
‘art von friiher gefannt,
847
‚deren Hausfrau, die eben in feiner
Gnade ftand, hölzerne Kochlöffel und
Sprudler (Quirl) ſchnitzte, fo that er
auch das nicht mehr, denn er fei krank,
und franfe Leute dürfen nichts arbeiten.
Schwerhörig waren jie alle, die
Brüder, und er wurde nun ganz taub,
jo daß man nur durch Zeichen und
Mundbewegungen fi mit ihm ver—
ſtändlich machen konnte, er aber fchrie
‚defto mehr — und als ihm der Herr—
gott den Jakob nahm, da gieng er mit
'geballter Fauft in die Kirche und
machte ein Heidenfpectafel.
In Friedberg ift St. Bartholomäus
‚Kirchenpatron. Derjelbe foll wie die
Legende erzäßlt, lebendigen Leibes ge=
ſchunden, d. h., wie es jetzt noch
; öfters geichieht, ihm die Haut über
den Kopf gezogen worden fein, und
iſt daher der Heilige mit einem Meſſer
abgebildet.
Ich weiß nicht, wie es kommt,
aber ebenſo, wie man in Wien, wo
die Friedhöfe vor den Linienwällen
liegen, ſagt von Einem, der den Tod
nahe hat: „der iſt ſchon bald bei der
Linie,“ ſo ſagt man in Friedberg im
gleichen Falle, „der gehört ſchon hin—
unter zum heil. Bartholomäus!“ —
Sei es, daß Thomas dieſe Redens—
oder iſt es,
daß er des Meſſers wegen den Bartho—
lomäus für Denjenigen anſah, der
die Leute „todt macht“ — kurzum,
er hatte die eigenthümliche Gewohn—
beit, wenn er meinte, Diejer oder
Jener wäre reif für das Jenſeits und
hatte auf dieſer Welt nichts mehr zu
ſuchen, in die Kirche zu ſchleichen,
ſich vor die Statue Vartholomäi hin—
zuſtellen und die Namen der künftigen
Himmelsbürger zu nennen. Nahm aber
Bartholomäus einen ihm Liebgewor—
‚denen, jo mußte er fi die ärgften
Zurechtweifungen gefallen fallen. So
gieng es ihm auch, als der Arzt des
Ortes, der auch den Thomas öfters
behandelt haben mochte, ſtarb. Höchlich
'entrüftet erfchien Thomas vor Bartho=
lomäus und machte ihm die bitterjten
8348
Vorwürfe über feine Ungerechtigkeit. | lieh er alte „Patſchen“ (Ueberſchuhe),
„Ja,“ ſchrie er, „gelt den alten Brot: daß er ſich die Füße nicht erfriere.
fiber, der- eh’nicht mehr recht gehen
tan, gelt, den laßt Du da, aber den,
den wir brauchen tönnten, den nimmſt
Du uns!“
Wie mit Bartholomäus, fo verkehrte
er auch mit den übrigen Heiligen in
der Firche, jedem wußte er etwas zu
fagen. Merkwürdig aber mied er den
Kirchenbefuh mit Andern, außer es
nahte fich ein „liebend Paar,“ — bei
Hochzeiten fonnte man ihn von der
Emporkirche herunterfchauen fehen, um
ih Hier Stoff zu feinen Geſprächen
zu holen. Bei Meſſen und anderen kirch—
lihen Feierlichkeiten ſah man ihm nie.
Aber auch den Menſchen konnte
er die ärgſten Wahrheiten jagen, und
fie mußten oft ftaunen über feine ur—
wüchſigen Einfälle und gelungenen
Urtheile.
An einem fehr Falten Wintertage
nahm er einmal den „Herrgott“ von
der Wand und ftedte ihn mitten in
den Schnee Hinaus, fprechend: „So,
jet weißt Du auch, wie gut es ift!“
Dem heil. Franciscus mit den fünf
Wunden in einer Feldkapelle hingegen
Anſer
Ueberdies beurkundete er einen
guten Geſchmack: was ſchön war, gefiel
ihm, was häßlich ſchente er. Bei
Feierlichkeiten könnte man feine Wahr—
nehmungen hören und oft ſtand er
mitten auf dem Marktplatze und kriti—
fierte, wenn nicht Alles im Ordnung
war. — Doc blieb er bis zu Ende
feines Lebens jo zu Sagen der „Orte
narr“ und die Kinder fuchten ihn zu
neden und ihren Spott mit ihm zu
treiben. Nah und nach wurde er fehr
gebrechlich, daß er nicht mehr gehen
und feine Eriftenz fuchen konnte; auch
hatte er Niemand, der ihn betreute,
Die Gemeindevorftehung gab ihn daher
zur Berpflegung in das Bürgerjpital,
wo er auch mit Hinterlaffung einer
„zwiegehäufigen“ filbernen Saduhr und
anderen » Heinen Habſeligkeiten farb.
Thamas ift todt, doch micht ver—
geſſen! Sein Name, jo einfältig er
fingen mag, wird heute noch genannt:
Will man Jemanden, der nicht recht
bei Troſt ift, im Friedberg als folchen
bezeichnen, — jo nennt man ihn —
„Brünberger Thomai!*
Peter.
Eine Charafterjfizze aus der Vogelwelt von 3. Huſchak.
A —N ir find vorAllen die Bunten, Schönen,
Die auserleſ'ne Lieblingsſchar,
= Melt erfreut fih an unjern Tönen,
Wir jprehen noch mehr als Rab’und Star.
So komme Du, der heiterfte Deiner
Genofjen! und zeige Dich dem natur=
freundlichen Lefer, wenn Du uns auch
über Dein Freileben nichts Näheres
mittheilen kannſt, weil hierüber ſelbſt
die Gelehrten nur wenig willen. Wir
tennen nur Deinen Familiennamen:
Kleiner hellgelb gehäubter Kakadu
(Psittacus sulfureus), Perroquet ou
Cacato a tete blanche — Lesser
White Cockatoo — meift auch Salon
Kakadu, und erfuhren, dab Deine
Heimat ſich über Gelebes, Buton,
Lombod, Timor, Flores, Sumbawa
und die Injeln in der Tominibucht
erſtreckt.
Der früher citierte Vogelpoet ſagt
von Dir:
Kakadu — ein Vogel wunderjam
Und unihuldfarbigen Kleides,
Doch zeigt er an jo mander Stell’
Das Schwefelgelb des Neides.
Er trägt auch einen Federbuſch,
Wie ein Fächer auszubreiten,
Er Schlägt ihn auf und Happt ihn zu,
Wie's ihm beliebt zu Zeiten.
Die Gröhe einer Taube meiit,
Der Schnabel ift did und ſchwärzlich,
Die Augenfterne meift dunfelbraun,
Damit blidt er gar herzlich!
Von Scherzen und Belehrigfeit
Gibt er wohl gute Proben,
Deshalb find ſolche Kaladu
Zu Stubenvögeln erhoben.
Sie folgen pünktlich, verftehen gut
Und wiſſen zu erfreuen,
Und ihre Fehler verfteden fie
Dur zärtlihe Schmeicheleien.
Sie haben Ausdrud des Gefühls
Und mande janfte Regung,
Und ihre Schönheit wird erhöht
Durch grazienhafte Bewegung.
Sie lernen aud der Fünfte viel
Und üben fie mit Freuden,
Mit wenigen Ausnahmen find
Sie wirklich gut zu leiden.
Oft find fie Iuftig, drollig, fed,
Eie jpielen ſelbſt die Loſen,
Eie küſſen gern, lieblofen gern
Und laſſen fi gern liebfojen!
Es mag Menfchen geben, die alle
Dögel unverftändig nennen und jagen:
Vögel haben keine Gedanken!
tanıı im eines Vögleins Hirn fehen,
ob Gedanken darin find?
Wenn wir im Leben zu Jemandem
erhöhte Grade der Sympathie empfinden,
möchten wir ihn nicht in Verwirk—
lihung des Spridmwortes auf den
Händen tragen ? Macht ich dies auch
nur bei einem Menjchen » Diminutiv
Mer
ja mit feiner Behaufung (wie es zu—
meift der Fall zu fein pflegt) mich t
als lediglicher Zimmerjchinud und wenn
fih der Reiz der Neuheit verlor, als
Unterhaltungsobject für Beſuchsem—
pfang. Er dient nicht als Spiel=
zeug, das dem igenihümer gleich-
giltig, überdrüſſig wird und in feiner
Berpflegung endlich gar einem Dienſt—
boten überlaffen, ein freudlojes, befla=
genswertes Schidjal genießt. Es ift ein
begabtes Gefchöpf, welches feine Gleich-
giltigfeit von feinem Pfleger erträgt,
zu dem es in fein Freundfchaftiver-
hältnis tritt, wenn ihm diefer für fein
liebebedürftiges feines Herz nicht mit
Zumeigungsbeweifen entgegenkommt!
Der Kakadu liebt feinen Herrn ent—
weder mit heißer Leidenfchaft oder er
febt, wie man zu jagen pflegt — mit
ihm auf dem Kriegsfuße.
Der harmlofe, droflige Complimente
wiederholende Schützling betrachtet dei
werten Gaft, dem er nun vorgeführt
zu werden die Ehre genießt! Sollen
wir die Neugierde für diefen verargen,
die befanntlih bei ihm und ſeinen
Artgenofjen unbegrenzt ift? Der Blid
fagt uns ſchon fein Intereſſe, ver-
mischt mit Erftaunen und Klugheit.
Mit einem Kinderftimmchen nannte
er bereit3 über geitellte ragen jeinen
Familiennamen; doch der Befucher will
vielleicht feinen Bornamen willen. „Wie
heißt Du noch?“ Der Name wurde Dir
zwar nicht im jeßigen Domicile gegeben,
Ilieber Vogel, Dein Erzieher war aus
dem fonnverflärten Lande, wohin jo
gern die Künftler und Touriſten ziehen,
deſſen Sprache fo melodienreich, defjen
Temperament jo feurig und das Die
Erfinder des dolce far niente beher—
bergt haben mag. Aus fatholijchen
möglid — ob num auch Einzelne Reiche, konnte Jener wohl faum eine
für ein erwacfenes „Ichönes Kind“ | Blasphemie beabfichtigt Haben, als er
noch freudigere Tragbereitwilligfeit äu- | Did mit dem Namen eines Apoftels
Bern — fo ift der liebe Vogel über | angerufen; — nennt man doch auch
den ihm gegebenen Winf bereits am|den Graupapagei Jako: „Jacques“,
Arme, Hettert von dieſem auf die Giacomo, abgejehen von der Anwen—
Achſel und entbietet dem Gafte feinen |dung des Dialectnamens „Hanſel“
Grup durch lebhaftes Niden. Er dient.bei Nußthieren. — Er beablichtigte
Rofegger's „‚Geimanrten‘, 11. deſt. XT. 54
850
Dich auszuzeichnen mit der Anſprache
„Pietro!“ Und als Du in Wien
heimisch geworden, äußerte Deine Rück—
erinnerung den gewohnten Ruf.
Was war fomit natürlicher, als
daß ihm der felbfibezeichnete Name be=
laffen wurde! Wer würde aber ein=
jeitig. felbft bei aller Sympathien für
die Kunftichäße, für die gefühlsreiche
Sprade des jeebegrenzten europäischen
Edens in einer deutfchen Metropole
einzig italienische Gonverfation führen ?
Troß den Stalieniffimi, mußte der
feine Zögling auch „deutſch“ vers
ftehen und sprechen lernen.
„Ich bin der Peter!” wird Diefer
auf eine wiederholte Frage zu erwi—
dern kaum zögern. Bei heiterer Laune
zeigt er in neckiſchen Tönen auch feine
Verſuche einer Liedeompofition. Der
Muſik Hold, verweilt er befonders gern
in unmittelbarer Nähe feiner Derrin,
fobald fie in dem unermehlichen Be-
reiche jener ausdrudsvolliten, wenn auch
wortlofen Weltijprahe am Piano den
Wiederhall feeliiher Empfindungsiöne
findet. Wie ruhig und finnig laufcht
er den Bariationen der Accorde und
ihres Geleites. Mit dem Zauber diefer
überall, auf der ganzen Erdfugel, durch
die Apoſtel der Eivilifation verbreiteten
und verftandenen Sprache pflegt man
jogar die Mißlaune eines Kindes zu
beichwichtigen. — Obzwar Peter mit
dem Letzteren nicht ernftlich verglichen
werden darf, jo wird er trotzdem das—
jelbe in feiner Ausdauer übertreffen
und nicht wagen, durch Miktöne oder
gar unliebfames Gejchrei die Wantel-
müthigfeit jugendlicher Neigungen zu
erfennen zu geben. Much dem Gafte
gegenüber geberdet er ſich nicht vorlaut,
das Gebot guter Sitte beadhtend. Ver—
wundert fich ein jolcher über einzelne
Umftände, dab 3. B. der Folgſame
nicht zumeilen mit Lederbifien, diverfen
Süßigkeiten erfreut werde: ihm bleiben
Verköſtigung, welche durch eine Kleine
Gabe in Kaffee, zumeilen in Thee ge=
tauchter Semmel für feine Neigung
vermehrt wird, weil grelle Unkenntnis
des Bedürfniffes und Unverftand nicht
jelten die Papageien mit den für jolche
Koſtgänger meift fo gefährlichen Erzeug—
niffen der menfchlichen Küche regaliert,
vor deren Darreihung nicht genug ge=
warnt werden kann.
Welch' kümmerliche „Broſamen“
als Erſatz für Genüſſe in der fernen
Heimat durch Domicilswechſel. Dort
Freiheitsbeſitz! Hier Gefangenſchaft,
wenn auch ohne Ketten! Verſtünde es
doch der Papagei, insbeſondere der
Kakadu, mit feinem Schnabel und be=
wunderungswerter Ausdauer bei Ent—
feſſelungsbeſtrebungen derlei unzeit—
gemäße Zwangsmaßregeln illuſoriſch
zu machen!
Vielſeitige Beweiſe vertranens—
reichſter Zuneigung bietet er ſeinen
Pflegern, ohne Rückſicht auf eine Tag—
oder Nachtſtunde. Lebhaft, freudigſt
begrüßt er jederzeit ihre Heimkehr, um
dann an feine Lieblingsftellen zu ges
langen. Für die Gewährung freund
licher Annäherung verläßt er, fich ſelbſt
vergefiend, auch den Ort, wo er Speije
und Zranf findet. Lebteren will er
höchſtens durch den jchüchternen Ruf:
„Acqua“ erringen ; er vergißt dann ſei—
nes Spiel=, Nage- und Beidhäftigungs-
mittels, welches er in feiner Behau—
fung ſtets vorräthig findet: der Weiden
ftäbchen und in deren Ermangelung
Spüne weichen Holzes. Dieje dienen
nicht allein als theilweifer Nahrungs»
ftoff, jondern auch zur Borbeugung
einer gar böjen Eigenſchaft, des Schön—
heitsjelbftmordes, der Manie des Selbit-
ausrupfens des Gefieders.
So geſprächig geberdet ſich der
Heine Schelm! In feiner Sehnſucht
nad) menschlicher Freundſchaft und
deren Gunftbezeiguugen verzichtet er
fie, principiell und hygieniſch bedingt, |auf die Geſellſchaft aller Artgenofien
jederzeit verfagt ; feine Ernährung bes |
ſchränkt fi auf einfache, wenn auch |
aus mannigfachen Körnern beftehende |
und Naturberwandten.
Was auch dem Heinen, hilfsloſen
Kinde eben erſt durch Marimen der
851
Decenz, einfachſter Sittenübung, Sorg- Wo Vorzüge, find auch Schmwäden.
falt, des gejellichaftlichen Anftandes von | Nur Heinlihe Naturen lenken auf
Seite mütterlicder Erziehung mehr oder | leßtere einzig das Augenmerk. Auch
weniger ſchwierig beizubringen ift, hat | für ſolche und deren Berringerung
der Reinlichleit3-Repräfentant erlernt. |bedarf es feiner Züchtigung durch rohe
Sobald er die Gefahr fühlt, feine Lob- | Gewalt, wenn wohl das Thier die
redner ob diefer feltenen Eigenthüms | Oberherrfchaft des Menſchen aner=
lichfeit mit dem Gegentheil etwa Lügen |tennen fol. Es genügt das barjche,
zu trafen, gibt er durch eim italieni- ernſte Wort des Verweifes, der frenge
ches, in faſt ängſtlichem Zone ger | Ton der Rüge. Der Kakadu bedarf
jprohenes Wort den Wink, ihn zu fo wenig wie der Menfch einer Züch—
entfernen. Eich aber bewußt, daß ein tigung durch Prügelmethode, welche
derartiger Mahnruf nicht unbeachtet nur abftumpft; im gravierendften Yalle
bleibt, dient er ihm zumeilen als — iſt ihm ein Warnungsfchlag auf den
Nothlüge. Schnabel — jelbftverftändlih ohne
Minder gute Laune refultiert be- Zornbekräftigung — genügender Aus—
fanntlih oft aus dem Mangel an Bes druck des gerechten Unwillens, und
ſchäftigung; ift er nun überdrüffig an |zwar mit weit beiferem Erfolge, als
ein und derjelben Stelle länger zu er ſich bei vorwißigen oder vorlauten
verweilen, ohne duch Muſik zerjtreut | „Intelligenzſtolzen“ zeigt. In der
oder aufgeheitert zu werden, jo verhilft | Ausdauer verfiändnisvoller Zuneigung
ihm der Nothruf zum beabfichtigten und Geduld, in fih Mar bewuhter,
Nejultate feines Wunſches. hochherziger Nachlicht bei natürlichen
Sieht er, daß feine Pfleger oder | Gebrechen, ſomit in der echten Huma—
der Gaft durch Anziehen der Ober- |nität, welche den wahren Fortichritt
Kleider oder Erfafjen des Hutes die Ab- | kennzeichnet, bethätige ſich der Menſch
ſicht, ich zu entfernen, künden, fo ver- auch dem Thiere gegenüber; wir vari—
fäumt der Sich wechjelnd „Papagei“ |ieren die Sentenz eines Thierfreundes :
Beterl, zumeilen auch jcherzweife „der
fede Peter“ nennende Beobachter mensch-
lihen Thuns gewiß nicht, mit freund»
lichſtem „Addio!“ ſich zu empfehlen. |
„Wenn e8 au nur Thiere find,
Nicht wahr, Huges Menichenfind ?
Meinft es doch mit ihnen gut,
Nimmft fie treu in Deine Hut!“
Der Herr von Sonnwendfein.
Di or vielen Jahren ftand ich eines | fait mitleidigen Blid — fagte Guftav
2 Tages auf dem höchiten Punkte | Jäger: „Sehen Sie, im Vergleich zu
des hohen Stuhled, und neben mir Stuhleck nimmt fich diefer Sonnwend—
der bekannte Wiener Zourift Guſtav ſtein aus, wie ein Halterbübel gegen
Jäger, der zu: jener Zeit auf Stuhled | einen Großbauern.“
eine Unterfunftshütte gegründet hatte. Traun, jeit jener Zeit ift es mit
Als wir wiederholt die gewaltig wir- | diefem Halterbübel anders geworden;
fende Rundficht bewundert hatten und nicht als ob es in die Höhe gewachlen
auch einen Blick Hinabwarfen auf die; wäre bis zu des breitfehulterigen Groß—
Spige des Sonnwendſteines — einen. bauern Didfopf, nein, es ift gefüg und
54 “
na
852
ſchmächtig geblieben. Aber anderartig | erzählten, und „wir dev Semmering!
ift diefes Halterbübel emporgelommen | Wir, die erfte Gebirgsbahn!“ anders
weit über Stuhlet und es gibt im ſprach er gar nicht von ſich ſelbſt. So
Lande feinen merfwürdigeren Parvenne, kommt man vorwärts, heute trägt der
als diefen Sonnwendftein. Ein großer | Herr von Sonnwendſtein am Bande
Herr ift aus ihm geworden, ftolz ift |eines ſchönen breiten Bergweges einen
er! Seine Halterhütten hat er abge- Orden. Diefer Orden ift das Friedrich
worfen, jeiner gewundenen Ochjenfteige | Schüller-Touriftenhaus.
bat er fich geſchämt, eine wahre Kunſt— Es fteht wenige hundert Schritte
ftraße hat er ſich angefchafft von Sem- unterhalb des Yelsplatenu des 1523
mering hinauf, wo KHunftftraßen aller | Meter Hohen Sonnwendſteines an der
Sorten auf dem Lager find, und ein ) füdöftlichen Seite, an einer Stelle, wo
Herrenhaus hat er ſich bauen lafjen | man gegen Often über den Otter hinaus
auf feiner Spitze, wie auf feiner Berge |die von den ſchnurgeraden Strängen
jpige unferer Alpen ein vornehmeres |der Eifenbabn und der Reichsſtraße
fteht; und allerlei Herrfchaften, Grafen | durchzogene Ebene von Wiener Neuftadt,
und Gräfinnen, Bifchöfe, Fürften und |gegen Welten über das Mürzthal Hin
Kronprinzen, und auch bürgerliches Volk | die Hochſchwabkette fieht. Die Matten
in Hülle und Fülle, fpazieren und des hochrüdigen Stuhled, der beiden
fahren hinauf, und dieweilen der Großes | fcharf in den Himmel eingejchnittenen
bauer dort drüber gelangweilt daliegt | Pfaffen, des breitgeftredten Wechſels
und etwas aus dem alten Anfehen | bieten im Süden dem fliegenden Auge
gelommen if, muß man zu dieſem des Beſchauers die anmuthsreichiten,
Emporlömmling „Herr von Sonne |erquidendften NRuheftätten. Und wer
wendſtein!“ jagen. vom Schutzhauſe die paar Hundert
Ked vordrängen muß man fich, | Schritte Hinauffteigt zum Gipfel, um
das ift das Geheimnis des Erfolges. |nah Norden zu bliden, der muß im
Während die hohen Berge feit jeher erſten Augenblid faft erjchreden ob der
ftill und befcheiden im Hintergrunde | wilden Pracht, die da plögli vor ihm
ftanden und fi damit begnügten, über |fteht. Der Schneeberg und die Rax
die Köpfe ihrer VBormänner frei und und der Windberg und die Veitſch Find
ernft in die Welt Hinauszufchauen, hat |feine Maulwurfshügel, denen ift es
fi der Sonnmwendftein fo ſcharf an | Ernft mit dem Hochgebirge. Senkrechte
die Reichsſtraße, an die Eiſenbahn vor- Wände und Schutthalden, finftere
gedrängt, ſich den P. T. Reifenden, Tou= | Schründe und lichte Schneefelder, und
riften, hohen und höchften Herrjchaften | über Allem der zarte blaue Schleier
vor die Naſe geftellt, Hat einerfeits mit | des Aethers, weil manche Stunden der
dem Wienerwald, mit dem ungarifchen | Luftlinie dazwijchen find, von dem
Hügelland, mit den mährifchen Ebenen | ſchauenden Auge bis zu dei ftarrenden
geliebäugelt, andererfeits mit dem Hoch= | Riefen dort. Und wenn nun der Be-
gebirge des Schneeberges, der Rar, der ſchauer feinen Blid in die Tiefe ſenkt,
Veitſch, des Hochſchwab, mit dem lieb- da erfhhridt er von Neuem. Es iſt ein
lihen waldreihen Mürzthal, mit den | gewaltiger Abgrund. Uber in diefen
ihönen Almen des Stuhled und des | Tiefen liegt nicht das Grauen. Tief
Wechſels, felbft mit unterfteirifchen |unten da liegt eine freundliche Gegend
Höhen und dem Schödel bei Graz, kurz, |von Berg und Thal: dämmernde
wußte nah allen Seiten freundliche | Wälder, blinfende Felswände, hellgrüne
und wohldienerische Blide hHinzumerfen, | Matten; über die Matten hin jchlän-
war das Kraut in allen Suppen, gelt ſich das fchneeweiße Band der
ſchmuggelte ſich in alle Reifebücher ein, | Reichsſtraße von dem Semmeringpaß
die dom weltberühmten Semmering | hinab zur Engfchlucht, in welcher Schott=
— — —— —— — — — —— —— — — — — — — — — — — — — — — — —
wien eingekleumt ruht. Die Thürme
von Mariaſchutz ragen hart am Fuß
unſeres Berges über dem Walde auf.
Hinter dieſem ammuthig ländlichen Bilde
fteht das Werk, welches vor wenigen
Jahrzehenten noch als das achte Melt:
wunder bezeichnet wurde — der Bau
der Semmeringeifenbahn. Er fteht da in
jeiner ganzen meilenlangen Ausdehnung
von Gloggnitz bis Spitai mit feinen
Stationen, Viaducten, Tunnels, mit
feinen großen Windungen, bis es ihm
gelingt, den Zug aus den Tiefen der
Adlig zu der Höhe des Semmering
emporzubringen. Vom Semmering»
bahnhof, der hart am großen Tunnel
liegt, wo ſich die Bahn endlich ganz
und gar in dem grünen Berg verliert,
gehen nach allen Richtungen ſchöne
Straßen und Wege dahin, denn der
Semmering ift der Miener Wildpark |
geworden: Wirtshäufer, Hotels, Aus—
fihlswarten, Ruhebänke überall; und
wie in der Stadt jede Gaſſenzweigung
an den Mauern ihre Auffchrift und
Namen Hat, jo ftehen Hier im ganzen
weiten Gebiete des Semmering an allen
Straßenzweigungen und ſchönen Punk—
ten Wegweilertafeln und andere Auf—
ſchriſften. Und wo vor vierzig Jahren
noch die tiefite Einfankeit war, nur une
terbrochen von dem Schrei des Geiers
und den Flüchen der Fyuhrleute, die
dort an der fteilen Bergſtraße die Laften
mit ihren ſchweren Röſſern und den
auf dem Semmering“ bejchrieben wor=
den. Seither bat ſich diefe Sommer
frifche ausgedehnt und mit der Gegend
verwachjen, und feitden Hat fie kühn
und ficher auch emporgegriffen auf die
Spibe unſeres Sonnwendfteines. Im
Spätherbfte des vorigen Jahres ift hier
auf dem Berge dad Schughaus und
Hotel eröffnet worden, welches Winter
und Sommer offeu fteht und im Winter
wie im Sommer feine entzüdten Gäfte
bat. Es ift einen Stod hoch, wovon
das Erdgeſchoß aus Steinen, der erite
Stod aus feſten Bäumen gezimmert
und aus: wie immwendig wohl ver=
ſchalt ift.
Fürs Erſte befremdet den Fremden
der Lurus, der in diefem Alpenhaufe
herricht. Der „ölterreichifche Touriſten—
| Club,“ der Erbauer des Haufes, hat hier
oben zwijchen den Almen und Steinen
ein wahres Prunkkäſtlein Hingeftellt.
Zwei elegante Gaſtzimmer, wovon das
eine „für Damen und Nichtraucher,“
das Ertraftübel, altdeutſch eingerichtet
und mit einem pußenjcheibenfenfterigen
allerliebften Erler verſehen ift, nebft
zwei gemeinfamen großen Schlafräumen
acht Wohnzimmer, wovon eines durch
den Wiener Möbelhändler Schmied mit
Wachholderholzmöbeln, und ein anderes
durch die Wiener Touriftengejellichaft :
| „D Boitsthaler” ebenfalls altdeutich eins
| gerichtet wurde Wenn man da drinnen
auf Ichwellendem Sopha zwiſchen eitel
Anrufungen des Teufel weiterzubrins Lurusgegenftänden ſitzt. gegenüber dent
gen hatten, dort ift jet jeder Baum umd | Venezianerfpiegel, und zu einem geöff—
Pfahl geſprächig, und jeder wei einen neten Putzenſcheibenfenſter hinausge—
Ausſichtspuntt, ein Wirtshaus, eine blickt in die ſteinige, urſprüngliche Alpen—
— Der Mittelpunkt landſchaft, ſo iſt das ein Gegenſatz, der
dieſer großen Luſt- und Erhotungsftätte | Manchen vielleicht mehr verblüffen als
im Gebirge iſt das Hotel Semmering,
welches mit feiner nächſten Umge-
bung wie ein ftattlicher Curort dort
unten am Dange des waldigen Pings |
genkogels ſteht, mit feinen Fronten |
etwas dem Sonnwendftein ab= und
dem Hochgebirge zugewendet. Das Hotel |
Semmering ift im diefer Beitfchrift |
VI Jahrg., Seite 840 — 844 unter
dem Zitel: „Die neue Sommerfrifche
anmuthen mag. Der Herr von Sons
wendftein ift eben ein Parvenue, und
otihen Leuten ſoll es mitunter paſ—
ſieren, daß ſie ſchweren Schmuck und
Prunk gerade dort ausſtellen, wo er
nicht eigentlich hingehört.
Traulich wird uns bald wieder bei
der guten und micht thenren Haus
mannsfoft, die der Wirt umſichtig her—
ſchafft, die Wirtin ſchmackhaft kocht und
die Kellnerin freundlih und munter
auiträgt. Wenn dem Hausherren der
Gedanke gekommen wäre, im dieſes
Haus der noblen Einrichtung gemäß
befradte Kellner aufzupflanzen — ich
mag den gräßlichen Gedanken nicht
ausdenten.
Mer Zeit und Sonftiges hat, um
ih einmal auf längere Weile da oben
einzuheimen: es muß ein gutes Wohnen
fein im Friedrich Schüler Zouriften-
haus. Da kann man etwa einmal zwei
Tage zu gleicher Zeit jeden, in Oeſtereich
einen Negentag, der das ganze Land
mit düfterem Grau einhüllt, und in
Steiermark einen heiteren Sommertag,
da über zarten Flockenwölklein die
Sonne leuchtet auf die grünen Ganen.
Das Semmeringgebiet ift die Waſſer—
und die Metterfcheide, und jo kommt
es auch oft vor, daß in Steiermarf
das weiße Nebelmeer liegt, aus welchem
nur wenige Bergfpigen wie Inſeln
ragen, und in Defterreih ſchimmern
die Mauern von Gloggnig, Neunkirchen
und Neuftadt in eitel Sonnenfihein.
Mer wollte die Luft: und Waſſer- und
Lichtfpiele alle zählen, die auf den |
Höhen find, wer die Geftallen des
Steinreihes und die Mannigfaltigkeit
der Pflanzenwelt andeuten, geſchweige
erſchöpfend betrachten! Man darf ja
nicht glauben, einen Berg, feine Eigen
thümlichkeiten und feinen Ausblid ſchon
zu kennen, wenn man einen Tag da
oben zugebracht hat. Wie man einen |
Menschen erſt fennen lernen kann, wenn
er länger mit uns ift, im guten und
ſchlimmen Zagen, jo wird man auch
die Natur, befonders die Alpennatıur,
erit erfallen und verftehen und unbe—
Schreiblich lieb gewinnen, wenn man in
Sonnenschein und Sturm, am Morgen
und am Abend, in finfterer Nacht und
im Mondenlicht bei ihr iſt. Auch die
Alpennatur Hat ihre ganz bejonderen
Stunden, wann ſie ihren heiligen Frieden
fenft in des Menfchen Herz und durch
854
geſchiehts! inne wird, was es
heißt, Menſch zu ſein.
Und fo dient es mir wahrlich zur
Genugthuung zu willen, das auf einen
der Shönften Punkte meiner heimat—
lichen Berge ein freundliches Aſhl fteht,
welches offen iſt und mich aufnehmen
kann zu aller Zeit, wenn meine Seele
nah Bergesrug und Alpenſchönheit
dürftet. — Der Sonnwendftein hat ja
noch fein befonderes Intereſſe. Der kalt»
fteinerne graue Gipfel desfelben ift ver—
muthlich eine altheidnifche Cultusſtätte.
Altjährli werden dort am 24. Juni
große Sonnwendfeuer angeziindet, wohl
als Ueberbleibjel der Feuer; die vor—
einft dem Gott Donar Hier gelodert
haben. Das Haupt diefes Berges iſt
dem Volksmunde nah von Eifen, die
Bruft von Silber und der Fuß von
Bold. Bei fol edlem Gehalt darf
man fich über das Emporkommen diefes
„Zwerges“ freilich nicht wundern. Das
Eifen am Gipfel Hat man in der
That ſchon ausgebeutet; das Silber
und das Gold ift großmüthig unferen
Nachkommen überlafjen, die es im der
Kunft, Berge auszuhöhlen und abzu—
tragen, hoffentlich noch weiter als wir
bringen werden.
Sch wüßte feinen Berg, der au
Ausfiht und Pracht gleich lohnend,
leichter zu befteigen wäre, als der Sonn-
wendftein.
Bon vier mwöhlbegangenen Wegen
fan man ſich den Aufiteig wählen.
Der eine führt von dem jchöngelegenen
Mariafhug in Schlangenwindungen
duch Wald unmittelbar hinauf zur
höchſten Spike. Für Bergferen iſt
dieſer Aufſtieg weitaus der angenehmſte,
weil der ſteilſte und beſchwerlichſte.
Leider iſt auch bier eine Gefahr voll»
ends ausgefchloffen, außer man jteigt
auf einen Baum und will wie das
Eichfägchen von einem Wipfel auf den
andern fpringen. Der andere Weg
geht durch die Wildnis des Mirten-
ihre ewigen Wunder fo eindringlich zu grabens und ift der „romantifchefte,“
ihm Spricht, daß es ein feliger Schauer | der dritte Weg von Steinhaus aus
erfaßt und inne wird — wie felten! durch den Dürgraben bietet dem Wan
u
855 .
derer am Ziele die größte Leberrafchung, | werden aus der nahen Großftadt auch
weil man unterwegs nichts fieht vom folhe „Zouriften“ an ihm hinauf—
Hochgebirge, das fich oben ganz plößlich | fommen, die auf der Alm anftatt Milch
vor dem berauchten Auge entfaltet. | und Butter Trüffelpafteten und Cham—
Der vierte Weg ift die neue ‚oltane | DOBhet haben wollen. Der Herr von
von der Station Semmering und dem! Sonnmwendftein ſchmunzelt, er kann
Hotel zum Erzherzog Johann aus. auch mit ſolchen Dingen aufwarten.
Diefer kaum zwei Stunden lange Weg | Trug ji) der ingeniöfe Herr doch ſogar
ſchmiegt ſich jo Hug am die mildeſten einmal mit dem Plan, ſich eine Zahn—
Stellen des Berges, weicht jedem fteilen | radbahn zu bauen und fein Alpenhotel
Bühel jo gefhidt aus, legt ſich auf zur Nachtzeit mit elektriſchem Lichte zn
der Höhe jo freundlich am den wind- | beleuchten. Nun, was nicht ift, kann
ſtillen ſonnigen Hang und ift überhaupt | werden. Wir wollen dem Herrgott die
jo fein angelegt, daß ich fürchte, es Welt noch einmal gründlich corrigieren!
R.
Spaziergang mit dem Rnaben durd Wien.
Bon P. R. Rofegger.
a > ch bin fein Freund von Städten, rückten wir an. Es war ein jonniger
—adadber daß ich's geftehe, die Stadt | ‚ Vormittag und die Zinnen nnd Thürme
Wien ift mein Stolz. Ich meine nicht |ragten im den blauenden Duft, der
das Leben in Wien, fondern die Stadt durch feinen zarten, lichtdurchwirkten
als ſolche, wie ſie ſich dem Auge Schleier die Gebände ſcheinbar in die
darſtellt, im Architektoniſchen und Ma- | Ferne rückte und impofanter erſcheinen
leriſchen. Wer auf den alten Bafteien uͤeß.
ſpazieren gieng, wer die Ringſtraße An der Eliſabethbrücke fonıten wir
entjtehen und wachlen Jah! Was Wien kaum weiter, es war ringsum ein
innerhalb feiner Häufer bietet, mich , wogendes Meer von Menjchen, Pferden,
gelüftet’3 nicht darnad; ein Gang um Wagen und ſich bewegenden Laſten
den Ring, ein Blid vom Stefansplaß | aller Art. Wenn ich mich allein durch
auf den Thurm oder vom Thurm auf ſolches Gewoge und Gewirre gedrängt,
die Stadt ift mir lieber als alles hatte ich nie an die Gefahren gedacht,
Andere. die da walten; heute dachte ich daran.
Und was gar zu Schön ift, das Feſt umd enge hielt ich das Kind an
will der Menfch mit mehr Augen ans mich und zerrte es am Arm, bier
hauen, al3 mit zweien. So rückte zögernd, dort Haftig mit mir weiter.
ich eines Tages mit vier Augen aus, Als wir endlich geborgen auf dem
wovon das zweite junge frische Paar | Steinpflafter der Brüde landen, ſagte
meinen jehsjährigen Knaben gehörte. | ‚der Knabe: „Du, Vater, ich jag’ Dir
Ih freute mich im Vorhinein auf das was. Weißt Du, was ich jetzt gethan
Erjtaunen und die Freude des Kindes, habe? Wie wir im großen Gerudel
wenn es die Herrlichleiten der großen | drinnen waren, babe ih die Augen
Stadt, wie es Ähnliche noch nie ge= | zugemacht.“
ſchaut, plöglich vor ſich ſehen würde. Ein Solcher biſt Du! Allerdings,
Bon der Seite des Südbaähnhofes heute geht das noch, Heute magſt Du
dich blind der Führung des DBaters |
vertrauen, aber wenn Du einmal allein | Bilder aufbewahrt
E
Für die Hofmuſeen, wo „die ſchönen
werden“, zeigte
bift in der fremden Welt, da wird mein Junge weiter fein Intereſſe; um
das Augenzumachen ein fchlechter Spaß
fein. Augen auf, Fauſt zu! wird für
die Zeit, die ich kommen fehe, der
vehte Wahlſpruch fein.
Ich blidte hinüber auf die Säulen
und Kuppel der Karlskirche, auf das
Mufitvereinsgebäude, das Künſtlerhaus
und auf das weite Nund der Paläſte
jo wichtiger fuchte ich ihm das Parla—
mentsgebäude zu machen.
„Sieh’ Dir einmal diefes Gebäude
an,“ jagte ih, „es ift Fehr groß und
ehr ſchön und man kann mit Roß
und Wagen in den erſten Stod hinauf:
fahren. Es ift ein ſehr wichtiges Haus,
mein Kind, denfe Dir, da drinnen“
bis zu dem Herrlichkeiten des Schwar- | — man erzählt dem Kinde ja gerue
zenbergs-Gartens und des Velvederes. I manchmal ein hübſches Märchen —
„Du, Bater!” bemerkte mein Junge, | „da drimmen kommen die geſcheiteſten
„ich jag' Dir was. Werden die Forellen | Leute von allen Öfterreihifchen Ländern
nicht Hin? Weil das Waſſer fo trüb zuſammen und machen die Gejeße;
ift da unten.“ denn wenn die Gejeße nicht wären,
Hatte der Heine MWicht im die könnten wir feine Ordnung Haben
Wien hinabgeblidt, während ich ihn und im Frieden feine Werke ſchaffen
im Anfchauen der fteinernen Prachten und feinen Lohn genießen.“
verfunfen hielt.
„Schau!“ unterbrah mic der
Unter folhanen Umftänden bielt Knabe und blidte auf ein Bäumchen,
ich es für gerathen, den Knaben vafch | „da ſitzt ein Spaß oben. Lieber Sterl !”
weiter zu führen.
Ein Bogel, wie der Junge daheim
Zur Ringftraße gelangt, zeigte ich deren täglich unzählige fieht, zog ihn
ihm durch die Lücke der Kärntnerſtraße mehr an als der herrliche griechijche
hin den Stefansthurm. Jetzt ereignete | Bau und die Bedeutung des Reichs:
ich wieder das Selbfiverftändliche.
Stau noch ein anderer Stefans—
rathsgebäudes.
Das Rathhaus hielt er für eine
thurm in Wien?“ fragte der Knabe. | Kirche, weil es einen Thurm hat, das
Diefer Thurm war ihm nämlich
nicht Hoch genug, er hätte gemeint,
der Stefansthurm ftehe fat bis im
den Himmel hinauf.
„Warte nur,“ entgegnete ich, „er
wird Schon höher werden.“
Am Opernhaufe felfelten feinen
Bid die erzenen Pferde, die auf den
Zinnen fliehen. Aber nur auf kurze
Zeit, die lebendigen Nöffer auf der
Straße intereffierten ihn mehr; beſon—
ders für die edigen, hinfälligen Thiere,
die an riefige Straßenbahnmwagen ge=
Ipaunt waren, hatte er mehrmals Aus—
rufe des Mitleids.
Meiterhin zeigte ich ihm das „Kaifere
haus“. Das hatte fein Intereſſe. In
diefem Hauſe ſitzt nah des Kindes
Vorftellung ja der Kaiſer im Burpur-
mantel, auf dem Haupt die goldene
Krone.
— — — — — — * —
Burgtheater nannte er „ſchön“, weil
es weiß ift.
„Und Hier,“ rief ich, „Hier ift die
Univerfität! Wenn Du groß wirft
und brav leruft, in diefem Hauſe ſollſt
Du einmal ftudieren.“
„Bin ich dann Student?“
„Freilich.“
„Und bekomme ich dann auch ein
weißes Kapperlh?“
Da merkte ih, daß der Junge
bereit3 cine Ahnung hatte davon, was
beim Studenten die Hauptſache ift:
die Kopfbededung.
Hierauf lenkte ich feinen Blid
mehr nad rechts, und als links die
Votivkirche in ihrer, ganzen berüdenden
Schönheit daftand, jagte ih: „Dans!
Jetzt wende Dich!”
„Hui!“ rief er überrafcht, „gibt's
da die Menge Wagen!“
„Aber ſiehſt es denn nicht ?*
„Schöne Orangen hat Einer feil.“
„Siehft es nicht, was dort ſteht
— mit den zwei Thürmen?“
„Ja,“ antwortete er. „Dus iſt
eine Kirche.“
„Und was für eine!“ rief ich faſt
empört bon feiner
„Denke Dir,“ fuhr ich fort, um fein
Interefje zu erregen. „Da hat einmal
ein Böfewicht unſern Kaiſer ermorden
wollen, iſt ihm aber nicht gelungen
und zum dankbaren Andenken hat der
Kaiſer diefe Herrliche Kirche erbauen
laſſen.“
„Und iſt er in der Kirche drinnen?“
„Wer ?“
„Der Böfewicht.“
Da zerrte ich ihn weiter.
Beim Sühnhaus erinnerte ich den
Knaben an den großen Ihenterbrand, |
von dem daheim oft geiprochen wurde.
„Du, Vater!” verjegte der Knabe.
„Ich ſag' Dir was. Wie viel Leute
find verbrannt ?“
„Gegen vierhundert.“
Da machte er ein munteres Geficht
und rief: „Weißt Du, was gefheit
it? Daß nicht taufend Leute vers
braunt find.“
Als wir zum Börfengebäude kamen,
deutete er mit dem Finger mach den
fteinernen Wandfiguren und fagte:
„Da find aber viele Heilige oben!“
„Bewunderſt Du nicht die ſchönen
Gebäude, die hier überall ſtehen?“
„Ja.“ ſagte er. Weil diejes Ja
aber jehr gleichgiltig Hang, jo führte
ih ihn am Ning nicht mehr weiter,
ſondern bog mit ihm in die Stadt ein.
„Wenn Tu nur erit groß und
vernünftig bift,“ war meine Meinung,
„dann werden Dir diefe Sachen ſchon
gefallen !”
„O!“ rief der Junge, „bis dahin
iſt Wien längſt zuſammengeſchoſſen.
Der Baumgartner hat gejagt, es thäten
die Rufen kommen und Alles zuſam—
menſchießen.“
„Der Baumgartner iſt ein dummer |
Junge!” rief ich ärgerlich, „und Du
biſt auch einer.“ Indes machte mich
die Wendung, — Ich war
ſo ſtolz geweſen auf die Schönheit und
Pracht diefer Stadt; jeßt beledrte mich
das undernünftige Kind, wie all’ das
eitel iſt — fo jammerlich eitel, daß
von Natur wegen ein Vogel auf dem
Sleichgiltigkeit. | Baum mehr bedeutet, ‚als der prun—
fende Palaſt von Menjchenhänden.
Mir Ätrebten durch das Gewühl
‚und den Lärm der inneren Stadt dem
Stefansplaß zu. Plöblich fanden wir
vor der dunklen Maſſe des Domes.
„Was ift das?“ fragte der Junge
und ſtarrte mit zurüdgebogenem Haupte
den Thurm an.
„Der ift es!” antwortete ich.
—* habe in meinem Leben manche
| Thürme geſehen und höhere als dieſen,
‚aber das muß ich Jagen, der Stefans—
thurm it einzig. Wenn man an der
Ede der Goldſchmiedgaſſe ſteht, da
jiedt man ihm in feiner ganzen wun—
derbaren Schönheit. Ich wüßte fein
Merk aus Menſchenhand, das mir jo
jehr gefiele, al& diefer Thurm. Man
mag fragen, ob ich den Apollo vom
Belvedere und die Gapitolinijche Venus
nicht gejehen Hätte? O ja. Allein ich
habe den Menichenleib in der Schön-
heit des Lebens gejehen, der Stein
erjegt ihn nicht. Diefer Thurm ift das
in Wahrheit und Wejenheit, was er
jein will: Ein eherner Freudenſprung
des Menjchen gegen Dimmel. — Das
muß ich geftehen, als ich diejen ge=
waltigen Steinftrahl, diefen Jichtbaren
Kanonenknall, diefe nicht für's Ohr,
ſondern für's Auge ſchmetternd auf:
ſchießende Rakete das erjtemal ſah,
war der Eindruck tief und groß, und
er ift es bis heute geblieben.
Ich Habe den Stefansthurm ges
jehen an ſonnigen Sommertagen, röth—
leuchtend aufragen ins Blau, ſein
— — — — — — —
goldenes Kreuz funkelnd wie ein leben—
diges Flämmlein. Ich habe ihn geſehen
in träumenden Mondnächten, als dunk—
len, faſt unheimlichen Rieſen ſtehen,
hoch und einſam inmitten der Million—
faadt. Ich habe ihn geſehen an trüben
858
Wintertagen, wie die Flocken ihn um- Rund der thurm- und Fuppelreichen
wirbelten und feine Nadel ſich verlor | Stadt, welches fi im Norden bis
im grauen Nebel. Ich Habe den Ste | zum Donauftrom Hinzieht, im Welten
fansthurm gefchaut zur Morgenftunde, | gegen die Anhöhen des Stahlenberges
wenn — Dämmerung no in der/anfteigt, im Süden und Oſten über
Stadt — feine Spiße ſchon in's Helle | fachte Höhungen und weite Flächen
Gold der Sonne getaucht war; im hinausſtrebt, jich mählich mit dem zahl:
Abendgrauen, wenn die Schatten em- | lofen Bororten verwebend. Diefes weite
porkrochen an feinen Gezade; ja ſelbſt Rund mit feinen unzähligen Geftalten,
im Frühlings-Negenbogenftrahl ſah ich | mit feinem reichen, wilden, nie ver—
ihn einmal verflärt und da war’, | fiegbaren Peben lag vor mir. Aus
als Springe der Jiebenfarbige Bogen fonnigem Süden leuchteten die weißen
von feiner Spige aus und fliege Hin | Flächen des Schneeberges herein.
in die fchönen, lieben Lande der Oſt— Als ich wieder zu mir jelbit kam,
mark. Auch als der Aufruhr wüthete war mein Knabe nicht da. Die Aus:
in der Stadt und als grimme Feinde ſicht an dem Fenſtern ſchien ihm zu
drohten vor den ZThoren, ſtand der) langweilig geworden zu fein, er hatte
treue Thurm im feiner ruhevollen | in der Thurmftube ein paar Kanonen:
Majeftät, und wenn aus Feuerfchlünden | kugeln entdedt, die vor Zeiten der
einmal eine Kugel hinanflog zu feiner Türke und der Franzoſe als Souvenir
Krone, that er, als fei es eine Mücke, heraufgefchidt hatten. Diefe Kugeln
und ſtand. hub der Junge an Hin» und herzu—
Oft, wenn ich ihn fo betrachtete vollen md war mun eben mit dem
und er verſchiedene Stimmungen in) Thurmmwächter darüber in Unterhand:
mir aufwedte, habe ich mir gedacht: | lung, ob man fie nicht zu den Fenſtern
aus Stein und Erz allein befteht er Hinausrollen könne.
nicht, er muß eine Seele haben. *) Co bin ich mit ihn endlich wieder
„Du, Vater!” fagte der Knabe, | herabgeftiegen, und zwar um eine Er—
„gelt, da hinauf kann fein Menſch?“ fahrung reicher. Und es ift doch ſelbſt—
„Komm,“ antwortete ich. Mit | verftändlih: Ein Handliches Spielzeug
dem Piörtner war die Sache bald |hdat für das Kind mehr Wert, als
abgemacht und wir ftiegen die dunkle) der Anblid ftolzer Menſchenwerke und
MWendeltreppe Hinan. Etwa an der) Naturgröße, für welche ursprünglich
dreigigften Stufe vief der Knabe: „Wi, | kein Auge vorhanden ift. Es muß die
das ift aber hoch !* Nach der hundertſten Genupfähigfeit des Sehens aljo dem
bemerkte er, wir müßten ums verirrt | Menschen erſt anerzogen werden.
haben und längft Schon über die Spitze Als wir dur die Kärntnerſtraße
hinaus fein. Umd als wir der Stufen | hinausgiengen, erkundigte ſich der
un die dreihundert hatten, hielt er fich | Knabe, ob in Wien denn micht les
an mich, „weil der Thurm fchaufle.* | bendige Bären, Hpänen, Schlangen
Endlich waren wir in der Stube und Affen zu Sehen wären? — „DO
mit den Ausfichtsfenftern. Ich führte ja,“ gab ich ihm im Gedanken zur
den Knaben zum Fenſter, dann berlor | Antwort, „aber Dur würdeft fie für
ich mich im Anblid deifen, was da Menſchen halten.“ Indeß wollte ich
unten ausgebreitet lag. Das weite | feine Wünſche nicht ganz leer aus—
— gehen laſſen. Damals wurde in einem
*) So ſchön und ſtimmungsvoll hat | Local der Wallfiſchgaſſe eine Heine
den rg seh — mn von | Gefetfchaft von auftralifchen Canni—
einer Höhe Keiner geſchüudert, a alber ‘ . n
——— ſeinem Artikel: „Auf dem Ste: | baten gezeigt». Menfchenfreffer: —
fansthurm“. Heimgarten VII. Seite 670, Mann, em Weib und ein Knabe. Das
auf den bei diejer Gelegenheit hingewieſen jei. ‚waren dieſelben, die etliche Tage früher
bei einem Wiener Yinanzbaron einge | und reichte meinem Knaben artig die
laden gewefen, um dem übrigen Gäften, | Hand. Diefer war zuerft todtenblaß vor
den Blahgelichtern, eine ſeltene und) Schred, hernach glühroth vor Freude
angenehme Ueberraſchung zu bereiten. | geworben.
Es murde ihnen dort nämlich ein Der Wilde aber: ließ die Heine
lebensgroßes Kind aus Zuderwerk aufs | Hand, die er fo jovial gedrüdt hatte,
getifcht, über welches die Menjchen= | nicht mehr aus den fchwarzen rollen«
freifer auch alsbald Herfielen und es den Augen. Ob er etwa Appetit nad)
zum allgemeinen Gaudinm ihr habe? fragte ich den Imprefario.
verzehrten. So ſieht es manchmal mit! „J bewahre!“ verfegte diefer, „er ift
unferen hochgebildeten Leuten aus, die ja jo weit ſchon cultiviert. Er blidt
in den Baläften wohnen. Mein Knabe, | nur auf die Hand, ob ihm der Stleine
Du Haft am Ende doch recht, wenn | Geld geben wird.“
Du geringihäßig durch die Großftadt Und fo blieb al3 Errungenschaft
geht! Um jo mehr, wenn auch nicht | von unferem Spaziergang duch die
gerade Neigung, jo doch Intereſſe größte Culturftätte des Neiches, daß
zeigte er hier für die ſchwarzen Canni- mein Knabe, heimgekehrt, ſich damit
balen, wovon das Weib allerlei ſchim- etwas zugute thun konnte: er habe in
mernden Schmuck am Leibe, der Mann | Wien gute Belanntjchaft mit einem
einen ſchneeweißen Menſchenknochen als | Menfchenfrefjer gemacht. Allerdings war
Zierde quer an die Najenlöcher geſteckt es einer der harmlofeften; er hätte in
hatte. So thun's die auftralifchen | der Großftadt weit fchlimmere finden
Stußer. Der Mann fam auf uns zu, | fönnen.
gröhlte mit feinem Stimmlein etwas
Wie warft Du einft...
FAN
en
sy Iie warſt Du einft jo leicht em—
Van pfänglich
Für Freud und Leid, für Luſt und Schmerz,
Du wollteſt auch, daß man Dich nennte,
Wenn man von allen Beſten ſpricht,
Daß Dich die Mit: und Nachwelt kennte:
Nun ſiehſt Du, daß dies all vergänglich, | Heut’ ſchiert's Dich nicht!
Mein armes Herz! |
68 war einmal in Yugendtagen, Du weißt, Dein Los ift, ſich beicheiden,
Da hatteft Du Dein Ideal; Was auch die nähfte Stunde gibt,
Ih hörte Dih um Liebe Hagen, | Du fannst nicht einmal Glüd beneiden,
Ach, dazumal! | Und den, der liebt!
Du Sieht die Schatten niederfinten
Zur Erde, morgen jhon Dein Grab;
Und wirft gefaßt den Leibe trinken,
Der Allen noch Vergejien gab!
Alfred Friedmann.
Kleine
Was ein Gebirgsbauer ſchreibt.
Vielgeliebter Heimgarten !
Einmal muß ih Dir doc jchreiben,
antrage ich jchon jahrelang. Unſer find
drei Nachbarn, die wir Dieb halten jeit
Du gedrudt wirft. Beitweilig find wir
verſeſſen auf Dich, zeitweilig möchten wir
Dich auszanfen. Es find Sachen gemejen,
Saube. .
zeigt. Die Augen find uns naß worden
bei dieſer Geſchichte, fie bat fih ja auch
bei uns zugetragen, in Dejterreid, in Steier-
marf, in Salzburg, überall trägt fie ji
zu; mich jelber hat's ſchon beim Zwickel;
wahr iſts und wahr ijts, die hohen Herren
bringen uns ganz um. Du bijt unfer treuer
Freund und wir jehen es wohl, jcharf gehit
Du drein, und wie Du uns jchon auch
die uns nicht gefallen haben. Bejonders | unſere Fehler vorgehalten haft, jo thuſt
der „Bottiuher.“ Daß der Heimgarten | und anderstheils wieder achten und heben
jo grauſam jein kann, hätten wir nicht und nimmt uns in Schuß, wenn wir arme
gedadbt. Iſt aber unweit von uns ein Bergbauern jchon Niemand mehr haben
Eurrat, der jagt, jelber Roman wäre im und uns alle Parteien zu Grund richten
Heimgarten das Beite jeit Jahren geweſen. | wollen. Ja es ift, auch die Geiftlichen ver«
So find die Guſto halt ungleich. Anderlei | lafjen uns etwa, wenns auf Ernft ankommt.
baben wir nicht recht verftanden md zum) fie fönnten manchmal was für ung thun,
Nachdenken in jolben Sachen hat Unjereiner
feine Zeit, Die kleineren Bauerngeichichten
haben wir anfangs auch nicht gar gern
gehabt; jolche Geſchichten willen wir ohne:
bin und brauchen fie nicht erjt zu lejen,
haben wir gemeint. Iſt uns aber doc
nah und nad das Licht aufgegangen und
jegt müſſen wir beim Leſen immer wieder
jagen: So iſts! und wahr its! und er
it auf unferer Seiten! Wir finden nicht
gar viel Gedrucdtes, was auf unjerer Seiten
wäre, und was aus der Stadt kommt,
den darf der Bauersmenſch nicht recht
trauen.
Daß Tu es uns ehrlich und aufrichtig
meinst, Das hat Deine Waldbauerngejchichte,
Jalob der Letzte genannt, jehr deutlich ge
wenigjtens bekannt machen, wie es uns
gebt. Viele willen es md jagen michts,
weil fie es auch lieber mit dem Geld halten,
das mir nicht haben. Biele jagen das
Unrichtige, und wenn ſchon der Sailer
wirflih einmal was für uns thun wollte,
er weiß von nichts und ftellen fich allerlei
andere Stände zwiſchen ihn und uns und
jagen: Da, uns gib ber, der Bauer leidet
ohnehin feine Noth, der baut alle Jahr
fein Korn. Morgen jagen fie ſchon anders,
da heißts: Der Bauernitand iſt nicht mehr
zu retten und muß balt im Gotteänamen
zu Grunde gehen, Ein jauberer „Gottes-
namen!“ und wahr wirds jein. Du bait
es im Jakob dein Legten wohl getroffen:
| Die hoben Herren faufen die Banerngüter
zuſammen der Jagden wegen, und wer jein |
Haus und Grund nicht hergeben will, den
drüden und jchinden fie jo lang und thun
ihm Alles an, bis er es hergeben muß. |
Du haft viel gejagt, auch wegen der Wild-
ihäden ; aber Eins haft Du doch vergefjen,
womit fie Bauern abtrennen und das oft
noch wichtiger ift, als die Wildichäden,
Wir Bergbauern find Viehzüchter, haben
aber jelber nicht genug Weide, und iſt es
jeit vielen Jahren der Brauch, dab mir
unjer Vieh zur Sommerzeit auf die Almen
der Großgrundbefiger treiben, denen wir
für das Stüd Vieh jo viel und jo viel
Gulden zahlen, (Für ein paar Ochjen
10 fl.) Sind auf einer größeren Alm oft
4—500 Stüd Vieh, was für den Guts—
befiger, der wohl den Halter dazu jtellen
muß, gar fein jchlechtes Geſchäft iſt. Ge—
ſchenkt wollen wir's ja nicht, obgleich das
Gras auf den Hocmeiden ohnehin ver-
derben müßte, und haben uns die Herr-
ichaften das Nuftreiben auf ihre Almen
auch immer geitattet. Jet auf einmal geht
das micht mehr und heißts: Das Bieh
tbäte die jungen Waldeulturen verderben.
Iſt aber nur eine Ausrede; Schafe und
Ziegen verderben wohl die jungen Bäumeln,
aber das Großvieh nicht. Sind fie auf-
richtiger, jo jagen fie, des Wildes umd
der Jägerei wegen nehmen fie fein Vieh
mehr auf ihre Almen. In Wahrheit aber
ift es vielen, vielleicht den meiſten Herr-
ichaften darum zu thun, daß fie dem Klein—
bauern die Viehzucht unmöglich machen und
er Haus und Grund, nachdem fie geluften,
verfaufen muß. Und der reiche Herr kriegt
nachher das Gütel recht billig, und der
Bauer kann Weib und Kind auf den Budel
nehmen und davongehen wie die Dirn vom
Tanz.
So ift e3. Und die Regierung jehaut
der Bauernabtrennerei ruhig zu und be»
laftet den Bauern nur immer noch mit
größeren Steuern. E3 muß brechen, wenns
jo fortgeht und ich ſags, wir kommen jchön
tleinweis wieder in die Hörigfeit und Leib—
nn — — — — — — — — — — — nn
eigenſchaft hinein. Sind erſt fertig worden
mit der Grundablöſung und ſolls wieder
von Neuem angehen. Hööh, Schimmel,
nach hinter gebt3 zum Schinder. Auf—
richtig, man möchte oft ganz verzagt werden
und it es wohl gar fein Wunder, wenn
fein Menſch mehr Bauer fein will, mur
möchte ich willen, ob e3 dem Staat nachher
bejier gefällt, wenn das Land eine Wildnis
it. Bei uns herum in der Sceibbjer-
gegend, und e3 wird auch in Steiermarf
und Kärnten u. j. w. nicht viel anders
jein, werden die Landgemeinden, die im
Gebirge liegen, Heiner von Jahr zu Jahr,
die Bauerhäufern ftehen leer oder es werden
in diejfelben fremde Leute, Böhmen, Ita—
liener, oft ein zweideutiges Bolt aufge
nommen, bi! die Häujer zujammenfallen.
D, liebjter Heimgarten, da gäbe es
was zu thun für Dich, wenn Du den
Eigennuß und die Gemillenlofigfeit der
Herren recht durchpeitichen wollteſt, find
alles Juden, hebräijche und chriftliche durch—
einander. Wir denfen aber, Du mwirjt nicht
viel ausrichten, weil Du auf unjerer Seite
ſchier allein jtehit; Du und der Morre
und der Schlinfert und der Nagl und noch
ein paar Andere — Ihr machet das Kraut
nicht fett, und wundern thuts uns, daß
Ihr Euch nicht auch auf die Seiten jchlagt,
wo das Geld iſt. Gefreut uns wohl, daß
Ihr der Ansgebeuteten und Verlafjenen
gedenft, gleichjam, als ob wir Bauern
auch Menjchen wären, die in ihrem Stand
ehrlih arbeiten und fortflommen wollen.
Das habe ih Dir jagen müſſen, viel-
geliebter Heimgarten, bleibe gejund und
tapfer und damit mein dürrer Gaul einen
ihönen Schweif hat, jo lege ih Dir das
Geld für dem mächften Jahrgang bei. *)
*) Diejes Schreiben ift aus der Ybbs—⸗
gegend gelommen. Der Abdrud ift und ges
ftattet worden unter der Bedingung, daß
wir einftweilen feinen Namen nennen (jolde
find bei uns aufbewahrt); die „Herren“
jcheinen in jener Gegend ſchon ſtark obenauf
zu jein. Die Red,
862
Wieder afund worn!
Ein Andenten von Karl Morre,
Beim alten Joppenſchneider Ehriftl
Da fein die Fenſterln heunt all heil und liadht,
Und d Keuſchn is aufpugt, wie wann Umgang wär,
Ha Sacra — jet muaß i denna jhaun gehn, was dort gihiadt.
So fimuliert der Burger Tondl — Ehriftls Nahbarsmann —
Und was er jagt, dös wird ah glei gethan.
Kradt in der Finfter übern Stiegl übri,
Tappt übern Roan und nad) n Feldweg für,
Und ſieahſt es nit — af ja und na
Steht er jhon bein Chriftl feiner Stubenthür,
Greift nah der Schnalln und mit an „Gut'n Abend !*
Steht er ab ſchon drein!
Na ja — bei uns am Land ift nit der Brauch,
Daß man erft wart’t — bis Aner ruft: Derein,
Denn warn man erft fagen muß: Kannft jhon einer gehn — dos ſchaut grad fo ber,
Als obs denen in der Stubn mandmal gleiwohl funnt paffirn,
Daß warın ma jo plögli, ungmeldt eini klöſcht,
Dans oder 8 Andre — von dd die drinnen jein — ſich müaßt wegn was genirn. —
Gutn Abend, jagt er — aber a fa Wörtl mehr,
Denn jet verihlagts ihm d Ned!
No ja! So ſchön aufpugt als wia heunt
Mars beim armen Joppenſchneider Chriftl no ſei Lebtag nöt.
Der Tiſch war gwegen vol — mit Bratl, Baderei und gar mit Zuderwerd zan Naſchn,
Und trunfen habens nit eppa bloßen Wein —
Ei beileib! — an ertrafein in zupetfchierten Flaſchn,
Und wann mans auf hat gmadt,
Da hat der Stöpfl — vor lauter Güatn wia a Pöller fradt.
Guatn Abend hat er gſagt — und fa Wörtl mehr — er war völli dumm
Und ſchaut fih ganz derfämen in der Stubn um. —
Beim großen Tiih am Ehrenplag — iS der alt Joppenjchneider Chriſtl gwein,
Sei Weib die Sepherl gleim bei ihm, danebn
Bom alten ChHriftl, Gſicht zu Gſicht af den Pla ift der ältefte Suhn, der Herr Ober:
lehrer giefin,
Und dem habn j jei Schwefter — die Wirtin 3’ fyraunberg als Kameradin gebn.
Obn und unt vom Tiſch — auf bade Spit,
Da war vom jüngern Suhn, vom Schlofjermeifter und vom Schwiegerfuhn, vom Fraun—
berger Wirt der Sit.
Der Wirtin ihr Büberl, erft vierjährig, aber junft friſch und gjund, Gott fei Dank,
Hat ſchon a wengerl zuviel vom fühen Wein dawiſcht — drum habn jes hinlegn müſſn
auf die Ofenbank.
Die alte Sepherl hat mit Himmelsfreud ihren gutn braven alten Mann betrat
Und die Kinder habn voller Seligkeit auf'n Vater und auf d Muatter gladt.
Vater — Muatter — Sühn und Toter in Fried und Liab jo jhön beinand — a
jeltner Fall,
Dem Burger Tondl, dem hats grad ziemt — er ftund vor ein heil’gen Abendmahl.
Wia der Yoppenjchneider ChHriftl fein Nachbarn hat erjehn,
Steht er glei auf und halt zum guaten Gruß ihm d Hand entgegn.
Freut mi, freut mi, daß mi bjudts — i hätt Ent felber gladen, liaba Nahbarsmann,
Doch bei dem Feft (jegt hüftelt er a weng), bin i nit da Herr — dös geht meine
Kinder an.
38 leicht a Namenstag? moant drauf der Tondl — no recht verlegn.
Der Schneider Chriftl macht wieder an Hufter und jagt: U na, nit deramwegn:
Wir feiern in der heutign Nadt
Das Ungedenten, das i von Gleichenberg mein Kindern Hab gebradt.
Bon Gleichenberg a Angedenten? Dös kimt dem Tondl unverjtandli vor,
Er fteht und jchaut, grad wie die Kuah vorn neugen Stadlthor.
Bi.
Des ſchauts mi groß an, jagt der Ehrifil, fönnts dös mit capiern?
No jegis Ent ber zu uns, i wills Euch deutli erpliciern.
D Sepherl ftellt glei a Teller ber und a Glas Wein
Und alle Andern laden freundli ihn zum Zumifiten ein.
Der Chriſtl jest fih ah — nimts Glas und jagt: mei liaber Nahbarsmann,
Ehvor i red — (jekt huaft’t er wieder), ftoß ma alle af gute Gſundheit an,
Grad wie die Glödlan hell thun alle Gläfer klingen,
D alt Sepherl moant, 8 müßt ihr vor Freud das Herz grad z'jpringen,
Und mit an ertern Bivat afn Nahbarsmann
Huaft't fi der Chriſtl aus und fangt jegt zum erzählen an:
Vor anign zwoanzig Jahrn — ös ward$ no nöt im Ort,
Hab i für d MWeibsleut Joppen gmadt und Spenſer — han damit Arbeit ghabt fort
und fort,
J Ienn a altes ſchönes Bauernliad,
Dös jagt: Nit Geld! Die Arbeit gibt a frohes Gmüath.
Und YAusnam dem, wann i dahoam bei Weib und Kind bin giefin,
Mei größtes Glück — mei größte Freud
35 mir Verdienſt und Arbeit gwein
Zu aller Zeit.
Drum hab i's immer äftimiert als Gottesgab,
Wann i Arbeit findt und Kraft zur Arbeit hab,
Und hat das Schneidern ah jhon dazumal nit gar viel tragn,
Mir habn do z'lebn ghabt, und vor jedm Schlafengehn kunnt i dem KHerrgott mei
„Vergelts Gott“ jagn,
Do mitn Menjhenglüd gehts grad jo wie beim Kegelſcheibn,
A anzigs Stoand! afn Laden fann die Kugel auf die Seiten treibn,
Und dös Stoandl, was mei Glüd hat bin zum Unglüd triebn,
Dös war, mir is da liabe Gjund nit bliebn.
Das Schneidern Tag für Tag, gebudt af an led hudn,
Bon Fruh bis Naht — hat angfangt auf mei Lungel zdrudn,
Aus'n Hüftln iS mit der Zeit a trudna Huaſtn word'n,
Brennt hats mi da wies hölliſch Feuer und den Appetit, den bon i ganz verlorn,
Dod all der Schmerz, der hat mir weit no nit jo weh gethan,
Als daß i Weib und Kinder hab, die i bald nit mehr erhalten fann.
D ihlaflofen Nächt habn d längften Stund,
Und ſchlaflos bin i im Bett drein gfeiin,
Hab unjern Herrgott bitt aus Serzensgrund,
Er möcht af mi — nit ganz vergefin,
Nur jo lang mir den Gjund und 3 Lebn borgn,
Bis dak i meine Kinder rehtli funnt verjorgn,
Denn Kinder, die allan ftehn, die habns hart,
Weils leicht verlummen und ins Schlechte falln,
Und den Gulden, der beim Aufziehn: wird erjpart,
Den muaß man jpäter doppelt oft fürs Strafhaus zaln,
Ya, ja, mei liaba Burger Tondl, ah die Sterbftund iS nit die größte Not!
Die Sorg um die, dö hinten bleibn, thuat mehr noch wia der Tod,
Und Nacht für Naht in wodenlangen Stunden
Hab i dö Sorgen taujendfah empfunden;
Und erft mei armes Weib! was dö hat glitten und getragn,
Dafür gibts loane Wort, dös künnen fi nur d Herzen jagn!
Die halbn Naht hats gwoant und bet dem Grucifir zu Füaßn,
Daß i, der i der Kranke war, no fie, die Gſunde, han beguaten*) müaßn.
Und do hat mi durh d ganze Ehſtandszeit
Die Liab vom Weib nie jo wie dazmıal gfreut,
Denn Noth und 3 Unglüd jein das glühend Eifen,
Anı Kranlenbeit muaß Mann und Weib die wahre Liab beweiſen,
Obs aus Gihäft habn gheirat, ob bloß von finnlih Luft berauſcht,
Oder obs, weil wirkli zſamma ghörn, die Ring habn ausgetaujdt.
Und wia er jo erzählt und redt, da woant ſei Weib gar bitterli danebn,
Als müaßt fie all die Traurigkeit erft hiazt beim Tiſch erlebn. —
) Berubigen, tröjten, einjchläfern.
“
864
Was woanſt denn, brummt der Chriſtl, dö Gſchicht iS ja nit neu.
Aft wird er wieder freundli, jagt: Die Freud is bliebn! Das Load iS lang vorbei,
Die Freud iS bliebn, jagt er, ja und grad juft deramegn
Muak i aus Dankbarkeit mein alten Weib a junges Buhl gebn.
Die Kinder dö habn hoamli glaht, wie d Muatter fih zum Schein hat gwehrt vor
ihrem Mann,
Der Chriſtl aber hat ſei Alte mentifh bußt“) und hebt dann wieder weiter jan ber:
zählen an:
68 gibt foan Bauerndoctor, zu dem i mit mein Flajchl mi nit hin hätt plagt,
Und dös is wahr, ja, daß i d Huaftn han, hat Jeder kennt und hat mir Jeder gjagt,
Und Jeder hat jei allerbeit und heilfamfte Arznei mir gebn.
I ſags wias war; do helfen, helfen hat mir Koaner mögn,
Und wia i gfürdt hab, dak bald ganz zu End gehn jollt,
No aftn, aftn han i unfern Bader gholt,
Und mögn die Bauersleut jhon reden wia jö wolln,
Behaupt i denna hiazt und bleib dabei, man joll glei z’allererft den glernten Bader holn,
Meil mir des Baders guater Nath
Von meiner Krankheit gholfen hat.
3 Gleichenberg hat er mir grathen, in Unterfteier unten,
Da hättn d Leut a jehr a guates Waſſer gfunden,
Dös müaht ma frinfn dort und aft a weng a Mili drauf,
Aftn wird die Lungel rein und friichweg hört die Huaſtn auf.
Nach Gleichenberg — han i aft gmoant, Du mein, dorthin iS weit!
Da ghört viel Geld dazua — dö Hilf is nur für d’ reichen Leut.
Drauf jagt der Bader, wer brav und fleißi war, für Weib und Kind hat gjorgt in
giunden Tagn,
Der hat was z Guatn bei die Leut, der braucht im Unglüd nit 3’ verzagn.
Gr nimmt fein Huat und geht und no in der jelben Nacht
Hat mir der guate Bader dur fein und fremd Barmberzigfeit das Noasgeld bradt.
J ſoll nur fort thun und mög Muath habn und mi fafin,
Man würd a 3’ Gleichenberg an Armen nöt verderben lafin.
Gar müahjelig und jchleht bin i von hoam weg fortgefrocen,
Aber Burger Tondl! nur anſchaun hätts mi müaßn nad ſechs Wochn!
Ya meiner Seel! daß i nit lug, i ſags wies is,
Ya wie i zrud bin käma — mir hats rein ziemt — i war a Nies,
Und do, jo ftarf i war, jo hätt mi d Freud bald 3 Boden zjogn,
Wie mir mei Weib und meine Finder fein entgegen gflogn —
Wohl hat der Kummer und der Hunger alle wahsblah und mager gmadt,
Aber d Augen habn ſo friih und liacht wie d Himmelsftern mir entgegen gladt.
No jet wars mit allem Elend aus und hat fihs Hüaftla a glei zeitweis gmeldt,
3 han do wieder fleifi ſchneidern mögn und 3 hat nie an Verdianſt mehr gfehlt.
Die Kinder kunnt in d Schul i jhidn — das größte Glüd, die größte Gnad,
Denn Alles fann verloren gehn, nur das nit, was man glernt hat.
Der Franzi is a Schlofier wordn und er verfteht jei Gſchäft mit Schlecht
Und hat jeit vier Jahrn ſchon drein in der Stadt das Mafterredt.
Die Seff, die Wirtin da, habn wir in Gottesfurdt und bei der Arbeit aufgezogn,
Und Treu und Fleiß, dös Heiratsguat hat no Tan Mann betrogn.
Mei ältfter Suhn, der hat durchaus ftudieren wolln — no freili, 3 durft ihn mit
verdriaßn,
Wir habns nit ghabt — er hat bei guatn Leuten in der Stadt fihs Mittagbrot
erbittn müaßn.
Er hats zum Dberlehrer bradt, is hiazt a gmachter Herr
Zu feiner und zu unjrer Ehr.
Und daß in alten Tagn wir Neamd zu Laſten falln,
Than alle Kinder fleißi für uns zſammen zaln. —
Der Kaiſer und 8 Land habn an mein Kindern brave Leut,
Denn das, was die Erziehung foft, dös bringt fie reichli ein,
Und war i gfturben vor der Zeit, der Ausgang thät ſchier anders fein.
Daß i mein Gjund hab gfundn, dös hat fünf Menjhen glüdli gmacht,
Und dös, mei liaba Tondl, iS das Angedenfn, was i von Gleichenberg hab mitgebradt.
Aft labt er n Vadın und d Muatter lebn und a Jeder nimmt fei Glas,
Und wie die Gläjer all — waren ah die Augen naß.
*) Abgetüft,
65
Wie's der Rukuk treibt.
Allgemein befannt jollte es freilich jein,
ift es aber leider noch immer nicht, daß
der Kukuk weder jelbft jein Neſt baut, noch
jeine Eier in eigener Perſon bebrütet: er
ichiebt fie eben anderen Heinen Bögeln unter
und überläßt e3 denen, freundlichit für die
Nahlommenihaft zu jorgen. Die Gründe
für diefes Schmarogerthum zu finden, will
immer noch nicht jo recht gelingen, wenn
man auch Manches fennt, wodurd das:
jelbe zu erklären wäre. Es legt zum Bei-
ipiel ein Weibchen, wie durch fichere und
glaubmwürdige Beobachtungen von verichie-
denen Seiten nachgewieſen it, in einer
Fortpflanzungsperiode 20 Eier und dar-
über, und man nimmt an, daß der Kuknk
nicht im Stande jei, eine jo zahlreiche
Nachkommenſchaft zu ernähren. Diejenigen
fleinen Vögel, denen der Gauch fein Ei
unterjchiebt, find hauptſächlich unſere Sän-
ger, Bachſtelzen, Rothkehlchen, Pieper,
Schwätzer, Schilfjänger u. ſ. w. u. j. w.,
und man fennt bereit3 über 60 Arten,
welche Pflegeelterndienjte beim Kukuk ger
tban haben, Nicht alle Arten verhalten
fih dem Kukulsei gegenüber in gleicher
Weije in Bezug auf willige Annahme; die
Regel it: Je ähnlicher das Kuükulsei dem
Neftei ift, deſto williger wird es ange
nommen, je unähnlicher aber, dejto ſchwie—
riger. Hierbei fommt dem Kufuf die Größe
und Farbe jeiner Eier jehr zu ftatten;
diejelben find verhältnismäßig jehr klein,
faum jtärfer al$ ein Spaßenei und von
einer umbeftimmten jtumpfen Färbung,
welche bisweilen mit der der Nejteier Aehn—
lichkeit hat. So finden wir, dab unſere
Bachftelze, die Grasmüde und der Ufer:
ichilfjänger die Eier des Kukuls am leich-
tejten annehmen; damit ift jedoch nicht
gelagt, daß die genannten Vögel fih das
Ei ohne Wideritand auibürden lafjen, jon-
dern mur, dab fie das in ihrem Neſte
vorgefundene Kuknksei annehmen, wie wir
unten weiter jehen werden. Sehr häufig
geſchieht es aber auch, daß die Nefteigen-
thümer ihr Neft, nachdem der Kukuk jein
Ei hineingelegt hat, verlafjen, jei e3 nun,
daß die Nejteigenthümer durch eine be-
Rofegaer's „„Heimaarten’,, Il. Geft, XI.
— — u — —— *
ſondere Empfindlichkeit überhaupt gegen
jegliche Störung, oder durch das durch
Größe und Farbe auffällige Kufufsei zu
diejem Schritte veranlaßt werden. Es ijt
aber meines Wifjens fein verbürgter Fall
bekannt, durch welchen nachgewiejen wäre,
daß die Pflegeeltern das ihnen aufge
bürdete Kukuksei aus dem Nefte entfernt
hätten; es gibt eben mur die beiden an—
geführten Möglichkeiten: das Ei wird zur
Bebrütung angenommen oder das Neſt
verlaſſen.
Wie ſucht nun der Kukuk die für ſeine
Zwede nothwendigen Neſter auf? Es kann
dieſes auf zweierlei Weiſe geſchehen und
geſchieht immer durch das Weibchen, ohne
Hilfe des Männchens. In dem einen Falle
ſucht das Weibchen die fertigen Neſter auf,
indem es ſyſtematiſch jeden Strauch, Buſch
und die Hecken durchſucht; in dem andern
Falle beobachtet das Weibchen den bauen—
den Neſtvogel, der ihm durch ſein Ab—
und Zufliegen mit Bauſtoffen den Neſtplatz
verräth. Bei dieſem Neſterſuchen und auch
beim Ablegen ſeines Eies ſieht man, wie
ſo ſehr ungern die kleinen Vögeln die Eier
eines Kuluks ſich aufdrängen laſſen, unter
Geſchrei und heftigem Stoßen und Beißen
ſuchen ſie den Strauchritter aus der Nähe
ihres Neſtes zu verſcheuchen; aber dieſes
iſt für den Hufuf ein ſicheres Zeichen, daß
er ein Neft finden werde, und jpornt ihn
zum eifrigeren Suchen an. Der Volks—
mund freilich behauptet und mit ihm auch
gewichtigere Stimmen, daß die Nefteigen-
thümer unter deutlichen Freudenbezeigun—
gen dem Kufuf freiwillig Pla geben, ja
wohl gar jelbjt ihn zu ihren Neftern
führten, damit er um jo beijer jein Ei
ablegen könne, und daß fie, voller Freude,
ihre Verwandten und Belannten berbei-
riefen, damit auch dieje Zeugen des den
Nefteigenthümern widerfahrenen Glückes
ſeien. — Die Wahl der Pflegeeltern it
nicht etwa eine willfürliche, jondern ge»
ihieht nach einer feiten Regel, und nur
in einem bejtimmten Falle findet ein Ab-
weichen von derjelben ftatt. Dem heran
wachjenden jungen Kufuf nämlih haben
fih die erſten Eindrüde über feine treu
für ihn jorgenden Pflegeeltern, welche ihn
55
866
niemals Noth leiden lichen, für jein ganzes
Leben eingeprägt; denn fo oft er nur den
jtet3 hungrigen Schnabel laut jchreiend und
nach Nahrung verlangend öffnete, und das
geihah fait unaufhörlich den ganzen Tag
über, jo waren ftet3 die Stiefeltern be-
mübt, ihm den Schnabel vollzujtopfen mit
allerhand Lederbijien, ihr eigenes Wohl
bintenanftellend. Auch jeine Wiege, in
welcher er, vor allen Unbilden geſchützt,
heranwuchs, und die Umgebung derjelben
baben fib dem jungen Gaud jo genau
eingeprägt, daß er noch al3 erwachlener
Kukul wohl im Stande iſt, ein Neft derart,
in welchem er jeine Wiege hatte, von allen
anderen zu unterſcheiden. Dieſe in feiner
Jugend erhaltenen Eindrüde veranlafjen
das Hufufsweibdhen dazu, feine Eier in
den Neftern derjenigen Vogelart abzulegen,
welder einitmals jeine Zieheltern ange—
börten, und nur in dem Falle, daß fein
Neft diejes Vogeld vorhanden iſt, wird
eine Ausnahme gemacht und ein anderes
Neſt gewählt.
(U. Meier. „Han. Cour.“)
Ber Poetenwinkel.
Die ſchlechte Beit.
Man hört jest faft aus jedem Munde
Die Klage über ſchlechte Zeit,
Als hab’ das Weltherz eine Wunde,
Wohl Millionen Klafter breit.
Die Armen wollen ſchier verzagen,
Doch hört man au die Reichen klagen,
Hört, wo man hin fommt, nah und weit,
Die Klage über — ſchlechte Zeit!
Was haft Du eigentlich begangen,
Tu Tochter der Unendlichleit,
Taf jo viel Kläger Di belangen,
Bezichtigen der Schlechtigkeit?
Es ſei, von Deinen Uebelthaten
Tie Hauptcapitel zu errathen,
‚Ein Viertelſtündchen Dir geweiht,
Dir, vielverſchrie'ne ſchlechte Zeit!
Vernichteit Du die Frucht der Felder?
Verbeereft Du mit Flut und Brand
Die Städte, Dörfer, Gärten, Wälder?
Ziehft Tu, Berftörung in der Hand,
In diejes Erdenfterns Bezirken
Umber, wo treue Menichen wirfen ?
Nein, denn wie ſonſt bift Du noch heut’
Nur ein Gedanke — Mutter Zeit!
—
Die Menihen find’s, aus deren Herzen
Das angellagte Unheil ſprießt;
Ihr Geift ift jener Quell der Schmerzen,
Aus dem der Strom der Klage flieht!
Die Habſucht und das tolle Wagen,
Das hoch gebäumte Nafentragen,
Die Trägheit und der arge Neid,
Ya, das ift ihre — ſchlechte Zeit!
Es find Herr X., Frau 3. Verehrer
Vom Qurus und vom Modetand;
Wird nun die Gafje immer leerer
Und will Gehalt und Geldbeitand,
Will der Erwerb zu ihrem Schreden
Nicht mehr den großen Aufwand deden, —
So ift der Jammer los, man fchreit
Gewaltig über jchlehte Zeit! —
Die ganze Welt will jest florieren,
Nimmt nicht mit Wenigem vorlieb;
Man wagt und fpielt bis zum Berlieren,
Wird derowegen jein eig'ner Dieb.
Wohin die Väter fonjt gegangen,
Mill man zu Wagen jegt gelangen,
Und reicht die Gafje nicht jo weit,
So klagt man über — jchlechte Zeit.
Es gilt als erfte Lebensfrage:
Wie laſſ' ih mich recht glänzend ſeh'n?
Momöglid täglid Gallatage
Und Alles modern, nobel, jhön! —
In Kleid und Wohnung ftels Parade,
In Sammt und Seide und Pontade,
Und reicht die Caſſe nicht jo meit,
So Hagt man über — jchlechte Zeit.
O böret einmal auf zu Hagen
Und werdet Euch der Zeit bewuht ;
Mie jegt war's auf in früher'n Tagen,
Nur damals weniger Hang zur Luft!
Zerbroch'ne Töpfe gab e3 immer,
Und klagen madt das Ding nur ſchlimmer,
Der Mangel an Genügjamfeit
Iſt Fabritant der ſchlechten Zeit!
Mhön- Werra.
Stoßgebetfein für Leute, die auf dem
Wege zur Derübmtbeit find,
Dieweil ein günftiger Schidjalswind
Mein Lebensjegel fachte,
Und mein Tichinafel ganz gelind
Und jadht' vom Flecke bradte
Und führet auf das hohe Meer,
Wo mid ummimmeln freuz und quer
Die Notabilitäten,
Stimm’ ih ein Stohgebetlein an
Und wünſch', es möcht’ ein jeder Mann
In gleihem Fall es beten.
867
Wenn etwa in mir ftedt was drin, Er ladt der Schlöfler, von Geihüt bewachet,
Was wirlend aus mir quillet, Berhöhnt den Kummer, der an Höfen ladet,
Floß es zum großen Strome hin, Verhöhnt des Geizes in verichlofjnen Mauern
Der alle Welten füllet. Thörichte8 Trauern.
Und hab’ ih Funken angefadht,
Und ift ein Feuerlein erwacht,
So wirkten's äuß’re Dinge. ngen,
D’rum trat’ ich nicht nach Gunft und Ehr', Die dur die Lüfte fi dem Aug’ ent:
Und wie ih über And’re wär’ ſchwingen;
Und ſie mit Stolz bezwinge. Hört ihm vom en auf den
Höhen
Er lobt den Schöpfer, hört ihm Lerden
Denn ſchau' ich mich im Kreife um, Gin Loblied wehen.
Mo viele Scifflein treiben,
Fürwahr, ih wäre fhredlih dumm,
Ließ ih den Stolz nicht bleiben.
Mie Mander bläst die Baden auf
Und meint, damit in flotten Lauf
Sein Lebensichiff zu bringen;
Derweil iſt's Better Blafius,
Der ihm das Fahrzeug jeht in Fluß
Und füllt der Segel Schwingen.
Er fieht auf Rafen Thau wie Demant bligen ;
Schaut über Wollen, von der Berge Spiten,
Wie ſchön die Ebene, die ſich blau verlieret,
Der Lenz gezieret.
|
Er geht in Wälder, wo in Schilf und
Sträuden,
In krummen Ufern Silberbädhe jchleichen,
Wo Blüten duften, wo der Nadtigallen
Luſtlieder jchallen.
Wie Mancher trägt den Naden hoch
Und rühret nicht die Hände, Jetzt pfropft er Bäume, leitet Wafjergräben,
Bermeinend ein Genie ih nod, Sieht Bienen ſchwärmen, führt an Wänden
Das jede Kunft verftände, Neben;
Mozu das führt, man fann es jeh'n, Jetzt pfropft er Pflanzen, zieht von Roſen—
Wie reht3 und links fie untergeh'n töden
Im grimmen Weltenipiele.
Sie ſchwanken, purzeln hin und ber,
Verfinten bier und da im Meer
Und fommen nit zum Ziele.
Sich Schattenhecken.
Kein Knecht der Krankheit miſcht für ihn
Gerichte,
Unſchuld und Freude würzen Milh und
Früchte.
Kein bang Gewiſſen zeigt ihm Schwert und
trafe
D'rum will ih meine Hände feft
Und mein Gewiſſen regen,
Daß die Vernunft mid nie verläßt
Und ew'ger Mächte Segen.
Beicheiden bleib’ ich lebenslang,
Und ſuche, was mir aud gelang,
Das Glüd in meiner Klaufe.
Dann kann ich, wie mein Los aud fällt,
Empfehlen mi von diejer Welt,
Als gieng ih nur nad Haufe.
(„Bollsarzt“.) Dr. 8. Eidborn.
In fühem Schlafe.
Freund! laſſ' uns Gelddurft, Stolz und
Schlöſſer haſſen,
Und Kleinigleiten Fürſten überlaſſen.
Komm! Damon ruft uns! fomm zum Sitz
der fjreuden
Auf feine Weiden!
Ewald Ehrifian v. Aleifl.
Das LSandleben.
O Freund! Wie jelig ift der Mann zu
preijen,
Dem fein Getümmel, dem fein ſchwirrend
Wollt ihr Iene dort Beneiden?
MWolt Ihr Jene dort beneiden,
Die, geziert in Sammt und Seiden,
In Fortunas Gunften fteh'n? —
Eifen Kann es uns denn glüdlih machen,
Kein Schiff, das Beute, Maft und Baum | Müfjen wir nad Noten lachen
verlieret, Oder nah der Mode geh'n?
Den Schlaf entführet.
Ich fürwahr bin es zufrieden,
Der nicht die Ruhe darf in Berge jenfen; | Iſt vom Himmel mir bejchieden
Der, fern vom — — von Wechſel- Stets zur Thätigfeit die Kraft;
Denn viel beſſer jhmedt die Speife,
In eignem Schatten ar * Weſt gelühlet, | Die mit eignem regen Fleiße
Sein Leben fühlet. ‚Meine Hand fi jelber jchafft!
Will nie zu den Göttern flehen,
Dak fie mid mit Gold verfehen.
Glücklich macht Zufriedenheit
Und ich geh' im Leinenkittel,
In der Hand den rauhen Knüttel,
Stolz wie Ihr im Atlaskleid.
$- &. Bad.
Im Walde halt’ ih Raſt!
Im Walde halt’ ih Raſt,
Um unter jeinen Bäumen
Vergefienheit zu träumen.
MWenn Sorge mih umfaht,
Im Walde halt’ ich Naft.
Die munt’re Feljenquelle
Gniführt mein Leid jo jchnelle,
Und Wonne füllt die Bruft.
Da mag mein Herz gejunden
In diejen Feierſtunden,
In jel’ger Waldesiuft.
Willkommen, ſüßer fFrieden,
So ſelten doch beſchieden
Mir in des Lebens Streit,
Seh’ ih der Menſchheit Strehen
So oft in diefem Leben
Um Nichtiges entzweit.
Im Walde halt! ih Raſt!
Wenn in dem Streit der Racen
Und in dem Kampf der Glafjen
Gin Elel mich erfaht,
Im Walde halt’ ih Raſt.
Anton Schmidt.
Am Brünnlein,
Am Brünnlein weil’ ih oft und gern
In früher Morgenftunde,
Waldgloden Hingen nah und fern
In walddurchrauſchter Runde,
Des Bächleins heller Murmeltlang
Erzählt mir holde Sagen
Von Elfenreiz und Nirenjang
Aus alten jhönen Tagen.
Ich bade mih im Sonnenlicht
Und lab’ mid an der Friide —
Wohl befjer trintt man wahrlid nicht
An eines Königs Tiſche.
Was uns Natur voll Güte gab —
Das liebe, klare Waſſer:
Das Beſte iſt's, die reihite Hab’,
Die nur verjhmäht der Praſſer.
Das macht die Augen licht und hell
Und gibt uns reine Triebe
Und jpendet der Gejundheit Quell
Mit treuer Mutterliebe.
Drum weil’ ih gern am Brünnlein ſchlicht
Und lab’ mid an der Friſche,
Denn befier trinkt man wahrlid nicht
An eines Königs Tiſche.
doß. Peter. |
868
Im Auge.
Siehſt Du ein liebliches Geſicht,
In welches ſich die Roſe flicht,
So iſt es ſchön noch immer nicht,
Wenn ihm des Auges Glut gebricht.
Das Aug' der Seele Spiegel iſt,
Ein off'nes Buch, aus dem man liest,
Was im Gemüthe keimt und ſprießt,
Welch' Leben in den Adern fließt.
Es ſpiegeln ſich darin der Schmerz,
Der Frohſinn und der heit're Scherz,
Es blickt beſeligt himmelwärts,
Wenn Liebe hoch beglüdt das Herz.
Vor Wonne und vor Luft es lacht,
Wenn es aus ſüßem Schlaf erwacht
Nach einer ſtillen Sommernacht
Mit ihrer Träume Zaubermadt.
Der ganze Menih im Auge liegt,
Sein Blid den Gegner oft bejiegt,
Wenn dieſer fih im Wahn noch wiegt,
Daß fiher ihm der Sieg zufliegt.
Was in der Pruft mag immer glüh'n,
Gleich Blumen wunderbar erblüh'n
Und ungehemmt wildflammend fprüh'n,
Das leuchtet aus dem Auge Fühn!
Franz Tiefendader.
WBaldmärden.
Sie waren Beide befangen
Und räthjelhaft verwirrt —
Sie waren waldein gegangen
Und hatten fid verirrt.
Holdjelige Träume webend,
Die Welt im Dämmer lag;
Sie lauſchten Beide bebend
Auf ihres Herzens Schlag.
Das junge Menjchenpärden
Schritt weiter, Hand in Hand;
Ein goldnes Wundermärden
Hielt Beider Sinn gebannt.
Das Märchen war jo nedend,
So ſchalkhaft und jo dreift —
Sie fühlten jüß erichredend
In fih des Märchens Geift...
Sie ſahen fih an und dachten,
Wie ihön die Liebe jei,
Sie jahen fih an und ladten —
Ihr Zagen war vorbei.
369
Das ängftlih icheue Bangen
Des Herzens war entiloh'n:
Es hielten fich liebumfangen
MWaldfee und Königsiohn...
Eie haben fi leiſe geftanden
Ihr wonnig Herzensgeichid,
So dak den Weg fie fanden
Zu leuchtenden Erdenglüd.
3. Mm. Toscalio.
Der [echte Gulden.
Menn Du noch einen Gulden haft,
So ziehe nit die Stirn in Falten,
Blick' friſch und fröhlih in die Welt
Und jegne mild des Schidials Walten.
Der vielen Hungerleider dent",
Die geldlos find und dod geduldig,
Dann eſſ' und trink' nah Herzensluft —
Und bleibe flug die Zeche ſchuldig.
Weit beſſer iſt's — das merle wohl! —
Du ftehit beim Wirth ſchön angelreidet,
Als wenn Tein theures Amulet,
Der legte Gulden, von Dir jcheidet,
O, halt’ den leiten Gulden feit,
Als wäre er mit Dir geboren —
Vereint mit ihm bift Du ein Gott,
Getrennt jeid Beide Ihr verloren!
3. Mm. Toscalio.
Heber die Prüderie der deutſchen
Zamilienblätter.
Zu jeiner neueſten Erzählung: „Die
Pantoffeln des Hofmeiſters“ (Berlin. W.
Ißleib) hat Oscar Welten ein geijtvolles
Torwort: „Die Prüderie in der Literatur“
gejchrieben. Bon allgemeinem Intereile in
demjelben ift der Theil, welcher die deutjchen
Familienblätter fennzeichnet und den wir
bier wiedergeben. Welten ſchreibt:
Was heißt „Familie?“ Und da er-
halten wir zur Antwort: Familie bedeutet
eine Anzahl Menjchen der verſchiedenſten
Altersjtufen, welche durch die innigiten
Bande des Blutes mit einander verbunden
find. Eine Familie kann bejteben aus einem
Manne von 50 Jahren, dem Bater, einer
Frau von 40 Jahren, der Mutter, einem
Sohne von 20 Jahren, zwei Töchtern von
17 und 15 Jabren, und dann noch einem
Jungen von 12 und einem Mädchen von
9 Jahren. (Den möglichen Säugling laſſe
ih fort, weil ja dieſer jo verworfen iſt,
daß er eine ftroßende Frauenbruſt allen
geiftigen Genüſſen vorzieht). Das bejagt
aber nichts Anderes, als daß in der Regel
die Mehrzahl der HFamilien-Ölieder zu
künſtleriſchem Genießen überhaupt noch nicht
| befähigt it. Es bejagt aber weiterhin
noch ganz bejonders, daß es undenkbar
tft, eine jchöne Literatur für die „Familie“
zu jchaffen, weil die geiftigen Ansprüche
diejer angeführten verjchiedenaltrigen Men»
ſchen wejentlich verihieden jein müſſen, jo
verichieden, da eine Gemeinſamkeit ihrer
geiftigen Genüſſe nothwendig ausgeichloi-
ſen it.
„Aber das iit ja jelbjtverftändlich! *
höre ih rufen.
| Sehr wohl! Dann aber ift e3 auch
jelbjtverjtändlich, dah; der „Familienſtand—
| puntt« auch äſthetiſch-literariſch abjolut
feine Berechtigung bat. Denn jobald eine
Gemeinjamkeit der geiftigen Genüffe für
die Familie ausgeichloifen iſt, dann hat
auch der Dichter feine Verpflichtung, bei
‚feinem Schaffen, bei der Wahl und Aus—
geſtaltung Seiner Stoffe darauf Nüdficht
| zu nehmen.
Tramilienblatt ! Nah den bis—
herigen Ausführungen tit „Familienblatt“
ein Unfinn, weil wir die Gemeinjamteit
der geiftigen Genüſſe für die Familie als
ansgeicloiien erfannt haben. Das Fa—
milienblatt aber tritt freb und dumm auf
und jagt: „Ich ermögliche Euch eine jolche
Gemeinjamfeit. Ich biete Euch ein Blatt,
welches an Tert (und Jllnjtrationen) die
Aniprühe der Erwachſenen befriedigt und
auch dem halb erwachjenen Jungen, dem
Backfiſch ohne Bedenken in die Hand ges
geben werden, auch von dieſen gelejen
werden fan.”
Wir bören die Botjchaft, und wenn
uns auch der Glaube fehlt, jo jeben wir
uns doch jolb ein Monitrum von Blatt
an. Und da fällt uns vor Allem, wenn
wir zuerſt eines der Ylluftrierten durch—
blättern, darin die Menge von mehr oder
minder nadten Frauen: und Männerge-
jtalten auf, Nahbildungen von Werken der
8
Malerei und bildenden Kunſt moderner
Meifter. Hierzu kommen dann noch bie
Bilder zu den Schilderungen der Reifenden
aus jenen fernen Welttheilen, wo ed noch
Mode iſt, daß die Männer ohne Hojen
und die Weiber ohne Hemd gehen, wes—
balb e3 auf jolchen Bildern natürlich der
„Nuditäten” die Hülle und Fülle gibt.
Ich erinnere mich jogar, die Weit- und
Offenberzigfeit eines Familienblattes im
diefer Richtung an der Geſtalt eines fräf-
tigen Wilden einmal bis zum äußerjten
getrieben gejehen zu haben. Der gute
Mann ſaß (und figt heute noch) auf jeinem
Bilde „türkiſch“ auf der Erde, dem Be—
ſchauer Drei-Viertheile feiner Vorder-An«
füht zumendend, völlig nadt, und der naive
Künftler war befliffen gewejen, jeden Theil
jeines Körpers mit gleicher Gewiſſenhaf—
tigkeit auszuführen, während er anderjeits
die Verwendung eines Feigenblattes bei
einem Wilden für unftatthaft halten mochte.
— Mit einem Wort, der Bilderjhmud
unjerer Familienblätter bietet eine jolche
Fülle von Schaujtellungen männlicher und
weiblicher Reize von dem feimenden Bufen
einer Piyche bis zu den vollen Hänger
brüjten der Negerin, von den prachtvollen
Schenkeln eines Achilles, der fih den Pfeil
aus der Ferſe zieht, bis zu der Feigen—
blattlofigfeit eines Südſee-Inſulaners, daß
man den Herrn Redacteuren den Vorwurf
ber Prüderie, was die bildende Kunſt bes
trifft, wahrhaftig nicht machen fanı —
aber bei Betrachtung eines ſolchen illu—
jtrierten Blattes anch niemals auf die Idee
fommen fönnte, ein „Familienblatt“ vor
fih zu haben. Jedenfalls aber jollte
man glauben, daß die Prüden im Lande
gegen die Schauftellung aller Nadtheit
in den „Familien-Blättern“ heftig eifern
müßten. Und ich bin auch überzeugt,
daß fie es verjucht haben, doch hier find
fie an der Geichäftsraifon der Verleger
geicheitert, welche in Kaffeehäuſern, Hotels
u. ſ. w. ein großes Abjaggebiet für ihre
yamilienblätter eigentlih mur um der
luftrationen, und zum Theil auch um
der nadten Bilder willen haben, Dieje
Geſchäfts-Raiſon aber können die Herren
überdies noch mit dem Hinweis darauf
—
‘
— — ——— ———— —— — — — — —— — — —— —— — — — — — — — — — ——— — — — — ——
0
bemänteln, daß fie ja niemals Abbildungen
bringen, welche „unfittlihe“ Vorgänge dar-
ftellen. Und wie jchon einmal in der Welt
fih Alles, auch das Unfinnigfte, einzubür-
gern vermag, jo haben auch die bildlichen
Darftellungen des Nadten in unjeren Fa—
milienblättern Bürgerrecht erlangt, zumal
ja die bildenden Künſtler materiell unab»
bängig find von Zeitichrift-Honoraren, alio
einen Zwang, einen Drud von diejer Seite
auf ihr künſtleriſches Schaffen nicht zu
dulden brauchen, und auch nicht dulden.
für den literariſchen Inhalt dieſer
Blätter ift aber der Maßſtab peinlichiter
Prüderie bei der Untrennbarfeit der Be
griffe „Literatur“ und „Familie“ für das
deutſche Volk unabweislich und die Prüden
im Lande unterdrüden dur Entrüftungs:
Kundgebungen an die NRedactionen jeden
noch jo leiſen Verſuch einer freieren Ne
gung in dieſer Beziehung. Hier alfo wird
ein freder Zwang geübt. Und die jchöne
Literatur in Deutſchland erliegt dieſem
Zwange aus Gründen der materiellen Eri-
ftenz. Der Buchhandel in jchöner Literatur
ift gleih Null, denn die Leihbibliothefen
verjorgen für einen Bettelpfennig die Leſer
mit Allem, auch mit dem Neueften. Nom
Buchhonorar kann aljo der Autor nicht
leben. *) Er ijt auf die Honorare aus den
Zeitungen und yamilienblättern angewie-
fen. Und jo wird der deutjche Dichter und
Schriftiteller, auch der berühmte, nur um
leben zu fönnen, der echten Poeſie ab-
trünnig werden und jener Pjeudo-Muie
dienen müſſen, welcher die Familienblätter
Tempel bauen. Er wird lernen müſſen,
jeine Liebesgejchichten jo zu erzählen, dak
Mama (Papa liest das Zeug ohnehin
nicht) die volle Verſänglichkeit des Er-
zählten auszugenießen vermag, die fieb-
zehnjährige Tochter, ohne vielleicht noch
diejes volle Verſtändnis zu befigen, dabei
doch jchon heftiges Herzklopfen und bren—
nende Wangen befommt — während der
Badfifh und der vierzehnjäbrige Knabe
über das zu grübeln beginnt, was ibm
*) Der Verbrauch für „geiftige Nah—
rung” beläuft fib in Deutichland auf 50
Pfennig pro Kopf und Jahr!!
871
bier verhüflt — und verheißend angedeutet | Unglüd für ein „Finger“ geweſen ijt ?
wird. Denn das ift ja ein mwejentliches | Doch ich bin nicht jchadenfrob, jelbit nicht
Stennzeihnen der deutichen Familienblatt- gegen Pharijäer, die in ihrem Fanatismus
Literatur, daß fie ſich faſt ausnahmslos |jo weit gehen, daß fie jih dem eigenen
um Liebe und Ehe — aljo um die Con- | Kopf an die Wand rennen; aber meinen
flicte in Liebe umd Ehe — drehen muß, | Finger (nicht den Finger Gottes) hehe
wenn fie des „Familien-Intereſſes“ ficher ich doch und ſage: Gebt Acht! Gebt Acht!
jein will, wie ja auch ein modernes deut- | Menfchen dort mie bier, ein gräßliches
ſches „Luſtſpiel“ ohne zwei oder drei Braut» | Sterben dort wie bier, und Menjchenjchuld
betten am Schlufje nicht gut denfbar ift. | dort wie hier Uns Allen geziemt es,
Liebe und Ehe nun berühren die Geſchlechts- liebreich und nach Kräften das Elend und
iphäre, find vom Gejchlechtlichen untrenn» | den Jammer der Mitmenjchen zu mildern,
bar; die Prüderie aber verbietet, was |anftatt jeiner zu jpotten, uns geziemt es,
bier fünjtleriich darzuftellen wäre, das das Urtheil demüthig dem Herrn zu über-
Schöne und das Häßliche, pſychologiſch | laflen. R.
vertieft, aljo wahr zu jchildern. Jedes —
kräftige, kernige Wort, jedes plaſtiſche Bild
und Gleichnis, jeder warme Ausdruck der Rleine Ausfälle.
Empfindung, jede unverfäljchte Bezeichnung Bon Ludwig Fulda.
und Darftellung von Zuitänden, Gedanken,
Leidenſchaften und Situationen, wie fie die ’ Einem Arit ißer.
Liebe in unerjchöpflicher Mannigfaltigkeit Sn feigerifig, Du Trtlijiter MDeih,
—7— Daß Dir noch immer der Frühling gefällt?
erwedt und herbeiführt, iſt verpont. Und Er gleicht dem Lenz vom vorigen Jahr
jo entjtehen jene jeichten, halbwahren oder > este — Lenzen;
ganz verlogenen, mehr minder inneren | Alles geſtohlen ganz und gar,
Lebens baren und durch die gebotene Ver» — ie
bülltheit der Darjtellung um jo verfäng-
licheren Novellen und Romane, deren lite
rariicher, alfo fünjtleriicher Wert in der
übermwältigen den Mehrzahl gleich null ift.
—
Sprachmeiſterei thut erſt in Bann,
Wollt Ihr der Jugend Bildung ſchenken!
Mer ſieben Sprachen plappern kann,
Kann ſelten in Einer richtig denken.
Einem L[chemann.
Dich haben die Freuden zu früh ſchon um:
ftridt:
Nun ſchiltſt Du die bleiernen Stunden;
Ya, wer die NRofinen herausgepidt,
Dem wird der Kuchen nicht munden.
* *
Ihr Pharifüer, gebt Acht!
Wie vorfihtig man jein muß, wenn
man fremdes Unglüd verhöhnen will, das
zeigt wieder der folgende Fall.
Um 25. Maid. J. giengen bei dem
Brande der Komiſchen per in Paris r
140 Theaterbejuder zu Grunde. Und wiederholt im Lande weit und breit
Dieſes Unglück nannten damals viele — gleichen Satz mit kühler Ueberlegung,
fromme Blätter einen „Finger Goltes“ Dann haben wir in äußerſt kurzer Zeit
zur gerechten Strafe für die verderbte Die große Anti-Müllerknecht-Bewegung.
Menſchheit. (2.2).
Ein paar Wochen darauf verunglüd-
ten bei Pals in Ungarn auf einer Ueber- . . . In:
fabrt über Die — 208 Wall— Ein literariſcher Dieb.
fahrer. Wir erhalten von unſerem Mitarbeiter
Nun läge es nahe, bei jenen frommen Herrn Friedrich Schlögl nachfolgendes
Blättern anzufragen, was denn das letztere Schreiben mit der Bitte um Veröffent—
*
Sagt Einer heut’ auf hohem Rednerpult
Mit etwas Zungenkunft und Spiegelfechten:
„Die Miüllerinechte find an Allem jchuld,
An allem Schädlichen und allem Schlechten,“
lichung. „Geehrter Herr Nedacteur! Wie paar Jahren: „Aus meiner Wander-
titulieren Sie ein Individuum, das, zum |mappe“ (Dresden, Grumbkow), „Karls—
Unterjchiede von dem muthigeren Straßen | bader Schlendertage” (Karlsbad, Feller)
räuber, der nur mit dem Knüttel bewaffnet | und „Brunnengeifter, Marienbader Saijon-
und auf die Gegenwehr jeines Opfers bilder“ (ebenda) in die Deffentlichkeit.
gefaßt jein muß — mit der Scheere in | Wie diefe Bücher entitanden? Etwa auf
der Hand, in den Wäldern der deutjchen ‚dem bisher üblichen Wege des Selbit-
Literatur und Journaliſtik berumjchleicht | denfens? O nein; dieſe ehrlich bürger-
und bier aus dem Buche eines Dichters | liche, altväteriihe Methode ift unjerem
oder Schriftitellers ein paar Seiten tief- — Poeten aus gewiſſen Gründen
ſinniger Betrachtungen, dort aus einem unbequem, er nimmt den Stoff, wo er
augeſehenen Blatte etwelche Reiſeſtizzen ihn findet, und benützt ſodann bei der
und wieder aus einem anderen ein Viertel- weiteren „Verarbeitung“ ein „Appretur—
dutzend Feuilletons ausſchneidet, die alſo verfahren“, um deſſen Anwendung ihn
„gewonnenen“ Stücke zuſammenklebt, das Meiſter Spiegelberg und ſein College
Ganze einem naiven Verleger als ſein
eigenjtes Opus offeriert, fih dafür hono—
rieren, das Machwerk in Drud geben und
unter jeinem vollen Namen auf dem Bücher-
marfte erjcheinen läßt ? Ein fiherer Johann
Karl Böttcher (geb. 12. Mai 1852 zu
Dennheritz in Sadjen), „Ichreibt Bücher“,
das heißt er veröffentlicht ſolche unter
jeinem Namen.
Wie diejelben zuftande fommen, dar—
über belehrt uns eine Soeben erſchie—
nene jenjationelle Brojhüre, mit der
prägnanten Signatur: „Ein deutſcher
Schriftſtehler. Aritiihe Analyje von M.
v. Eckſtadt.“ (Hagen in W. bei H. Riſel.)
Die Verfafjerin unterzog ſich, als redliche
Finderin und Netterin geiftigen Eigen«
tbums, vorläufig nur der Mühe, drei
„Werke“ diejes famojen „Autors“ kritiſch—
anatomisch zu zerlegen, faſt jede Seite
auf ihren legalen Urjprung zu prüfen
und die rechtmäßige Vaterjchait der diverjen
Artikel „actenbeftändig“ nachzumeiien. Man
traut da, jelbjt nur bei flüchtiger Durch
fücht dieſes in jeinen erbarmung3>, jchonungs-
und wmitleidslojeiten Enthüllungen eines
ſchmählichen Handwerkes dennoch luftigen
Büchleins,
geboten wird, und mit welch' — eiſerner
Stirne, ohne Scheu ver möglicher Ent-—
dedung, ein ſolcher „Literariicher Uhrab—
zwicker“ jein jauberes Gejchäft jahrelang
unverjchämteit fortzuführen magt. Der
Mann gab — um heute eben nur von
— ER
drei „Werfen“ zu jprehen — vor ein‘
faum jeinen Augen, was Alles |
und wie e$ dem bdeutjchen Lejepublikum |
Schufterle ohne Zweifel beneidet hätten.
Nehmen wir zuerjt die „Vrunnengeijter*
(Marienbader Saijonbilder). Die Yabri-
cation diejes „Werkes“ iſt einfach und
funjtlosg. Es wird anfänglib „etwas“
Turgeniem („Waldregion“ und „Wald
und Steppe”) glimpflich ausgedrüdt „co
piert“, hierauf eine Partie von Daudet
(„Brovengalijche Briefe”) abgejchrieben,
jodann ein halbes Feuilleton von Wilhelm
Singer (über das „Flanieren“ in der
„Neuen Freien Preſſe“) ſtibitzt, weiter
eine tüchtige Portion ans Scherr („Sommer«
tagebuch“) angefügt, dann wird uns Lucian
Herbert in Erinnerung gebracht, nochmals
JTurgeniew, und wieder Johannes Scherr
(viele Seiten lang), der ſich von Franz
und Paul Schönthban, Börne, Mar
Schlefinger („Wiener Salonblatt*) ab-
löjer laffen muß, worauf abermals Wilhelm
Singer („N. F. Pr.“) ericheint, welchem
raſch nacheinander neuerdings Turgeniew,
Scherr, Börne — ſämmtlich in wieder—
holten „Benützungen“ folgen und wobei
auch noch Sacher-Maſoch's „Auf der Höhe“
an zehn Seiten eines intereſſanten Auf—
jates beizufteuern batte, bis der „Schrift-
ſtehler“ Johann Karl Böttcher mit diejem
jeinem Werke zu Ende war. Und der
gleiche nette Modus unverfrorener „Ans
nerion“ wurde auch im zweiten Buche
„Karlsbader Schlendertage” als bewährt
in ungeniertefte Anwendung gebradt ; auch
‚bier wechſeln Börne, Daudet, Turgeniew,
Scherr, Singer — und zwar wiederholt
in ellenlangen Partien miteinander ab,
Be
373
da fie wiederholt zu ericheinen haben, Luſtige Zeitung.
und ebenſo ergeht es im dem dritten
Buche: „Aus meiner Wandermappe”“,
worin bejonders Daudet arg gerupft wird,
der aber jein Los mit dem Wiener Pötzl
zu theilen hat, welcher eine jeiner Criminal—
jfiszen bier injofern wunderbar „vers
arbeitet“ finden fan, als aus jeinem
(Wiener) Kilian Stippel ein Signore
Nincenzo, aus der Wiener Kneipe eine
Matrojenipelunfe in Neapel und aus dem |
Communalbad das Meer entjtanden ift. |
Anſonſt wurde feine Beränderung an dem
drolligen Aufjage vorgenommen. Yit dies
nicht Alles hübſch? Und darf ich mun
auch von meiner Wenigfeit jprechen ? Ja,
auch ic, der bejcheidene, anipruchsloje
Local-Feuilletoniſt, wurde von dem großen
Annectator für wert und würdig erklärt,
um für jeine Werfe „benützt“ werden zu
fönnen,
Und jo geihab mir die Ehre, daß
drei meiner Feuilletons, welche ich im
Frühjahre 1884 aus Arco der „Deut—
ichen Zeitung“ jandte, im zwei (verjchie-
denen) Büchern Böttcher's ihre Nejurrection,
das beißt ibren „Neudruck“ — wenn auch
in mehrere Abjchnitte vertheilt — erlebten,
natürlih als ſeine ureigenjte Arbeit.
Wenn ich nun den MWunjch eines mir jehr
werten Verlegers ausführe und meine
mannigfaltigen „Reijebilder” in dem projec»
tirten Sammelbande: „Aus meinem Fell
eifen“ aufnehmen jollte, jo erſcheine ich bei Eine Falle Ein Bauer fommt
einem Lejer der Bottcher'ſchen „Werte“ als einem Advocaten, trägt ihm einen
Allerlei geſammelte Anekdoten.
EinWort Napoleon's. Der General
Moreau, der bekannte Freund Pichegru's
und Gegner Napoleon's, war beſonders
berühmt wegen ſeiner meiſterhaften Rück—
‚ süge, Als in der Umgebung Napoleon's
einmal Moreau's Erwähnung getban
wurde, jagte der Kaiſer ernſthaft: „Ger
wis it Morean ein bedeutender General
nur“, nidte er lächelnd, „bat er mit der
Trommel zu viel Aehnlichkeit!“ Man
bat den Kaiſer um Aufklärung über diejen
jonderbaren Vergleich und er jagte: „Ei,
man bört von der Trommel auch nichts,
bis fie geihlagen wird,“
Bei einem Felte, das zu Ehren einer
in Tübingen tagenden Naturforjcher-Ber-
ſammlung in dem nahen Bade Niederau
gegeben wurde, ſchlug ein Fremder einen
Toaft auf Ludwig Uhland vor. Auf
Uhland’3 ablehnende Entgegnung: das
Feſt gelte den Naturforjchern, nicht den
Dichtern, rief ein anderer Fremder ent-
rüftet aus: „Werft den Kerl zur Thür
hinaus!“ Natürlich zur großen Erbei-,
terung Derer, die Uhland kannten. Er
jelbit lachte, daß ihm die Thränen im
den Augen jtanden, und jagte, das jei
eine der merfwürdigiten Ovationen, die
ihm je zu Theil geworden.
Dieb, der den „beliebten“ Autor Johann | Streitfall vor und fragt ihn dann, ob
Karl Böttcher frechſterweiſe abgeichrieben | er den Proceß annehmen und gewinnen
und jomit ihn, wie jeinen Verleger bes | könne. — Advocat: „Ja natürlid —
ſtohlen hätte. Iſt das nicht Alles erqui⸗ den Proceß nehm” ich an, der wird ger
dend, ja erbebend, und verdient es micht | wonnen!“ — Bauer: „Alſo meinet der
öffentlich und ausführlichſt beiprocen zu | Herre wirkli', des Proceßle müeßt gemwonne
werden ? ſei'?“ — Advocat: „Unbedingt — ih
Sie fragen endlich, ob Herr Johann ſtehe dafür ein.” — Bauer: „Ja —
Karl Böttcher bei jeinen piratenmäßigen | wiſſet der Herre, da will i' 's doc
Eompilationen gar nicht3 Eigenes hinzu—⸗ bleibe’ laſſe' zu klage! — denn i' babe
thue? O ja, die „Uebergange“ beſorgt Ihna des Proceßle von mein'm Gegner
er, von einem geplünderten Schriftſteller verzählt.“
zum andern. Daß Gott erbarm'! Mit
deutſchem Gruß! Ihr achtungsvoll und
treuergebener Friedrich Schlögl.“
Der Ideal-Globus. Frau Com—
miſſionsrath P., ſo erzählt man uns,
hatte es ſich nun einmal in den Kopf
874
geiebt, dab ein Erdglobus die Conjole] Weiteres beforgt die Erpedition dieſes
der rechten Ede im guten Zimmer vor- Blattes." — Im „Stettiner Gen.-Anz.“
züglich jhmüden werde. Sie trat in einen) vom 29, März findet jich folgende drollige
Laden und juchte dajelbft einen Globus aus, | Anzeige: „Wenn fih Frau Trettin ibre
— „Wie theuer ?* — „Dreißig Mark,“ Sachen binnen drei Tagen nicht abholt,
fagte der Verkäufer. — „Das iſt jehr | betrachte ich fie als mein Eigenthum.
theuer,* meinte Frau P. und betrachtete die | Karl Weitzing.“ Doch wohl mur die
Erdkugel von allen Seiten; „willen Sie,| Sachen, und nicht etwa auch die arme
ich werde den Globus nehmen, aber nur | Danıe!
dann, wenn Sie mir im die leeren Stellen
noch ein paar Länder hineinmalen lafjen.“ Ausder Inftructionsftunde,
Unterofficier: „Moran erkennen Sie einen
Die ae m. bat ſich dem Officier?“ Recrut: „An den Epaulettes.“
Jabrmarkte von ber Hand ihres ater Unteroffizier: „Können Sie mir ſagen,
J——— ne wie die Epaulettes ausjehen ?* Recrut:
e " ’ R di „u
Herrn ohne ein Feines Mädchen gejehen ?* mbar DIE JEDE Sgarıg WeiR "OB
Definition. „Was ijt die Kunſt?“ Der Chefder befannten Cham—
— „Kunſt ift etwas, was man nidt|pagnerfabrif Röderer erhielt
fann; denn wenn man’ einmal fann, | eines Tages einen rief folgenden Ans
iſt's keine Kunſt mehr!“ halts: „Mein Herr! Ich habe keinen
Der Manie des Preisaus— Sou⸗ * Belt au Champagner —*
ſchreibens für Gedichte widmet Edwin — Sie Bir Güte, mir einen Korb
Bormann in jeinem bei Bonz in Stutt— ic Ihres — Geträntes su Ieuben.
gart erjchienenen „Büchlein von der m Bone 10 ka sie sh
ſchwarzen Kunſt“ das folgende nette geſſen. „Dein Herr .“ antwortete Röderer
Gpigramm: umgehend: „Ihr Mittel, Ahr Elend zu
Die Yotab her dene Dah vergeſſen, taugt nichts. Die unaufhörlice
& 5 mag nigis willen non Vreisdichterei! und hartnädige Bräjentation meiner
Merft, was Ihr wollt, mir dagegen ein — Rechnung würde Sie jeden Augenblid
Der Pegafus foll fein Nenngaul jein, wieder an Ihre traurige Lage erinnern.”
Und wer die Welt beſchickt mit Liedern,
+ 14
Der ſoll ſich nimmer zum Jodey erniedern! Die richtige Methode. Schul—
director: „Wie bringen Sie es denn zu
Provinzialblätter finden ſich häufig Stande, daß, jo oft Sie vor dem Schul—
Proben eines ganz fköftlihen, wenn auch | Inſpector eraminieren, jedesmal alle
nicht immer freiwilligen Humors. So) Schüler die Hände aufheben und jeder
bringt u. A. der „Dresd. Anz.” Nr. | Öefragte die richtige Antwort weiß?“ —
90 folgende Annonce: „Eine — „Ja, wiſſen Sie, Herr
|
An den Anferatentbeilen der
— — — — — — — — —
ſaubere Wäſcherin und Plätterin ſucht Director, das kommt auf die Methode
noch einige Herrſchaften in Wäſche zu an; ich habe es bei mir ſo eingerichtet,
nehmen. W. Adr. bittet man ꝛc.“ Es daß die Schüler, die was wiſſen, die
iſt doch immerhin fraglich, ob die ber rechte, und diejenigen, die nichts wiſſen,
treffenden Herrſchaften ſich auch gutwillig | die linfe Hand aufheben. Dann kann fein
werden wajchen lafjen wollen. — Ein Irrthum geſchehen.“
Injerat des „Anzeiger von Stabtilm“
lautet: „Ein ftarfes Mädchen, im 13. Gute Geſellſchaft. Mutter (zu
Jahre ftehend, wünscht die Mutter desjelben | ihrem jpät nah Haufe zurückkehrenden
bei ordentlichen Leuten, wo jelbige zu) Sobne): „Aber Scani, mit wem bijt
allem Guten angehalten wird, unterzu- denn heut’ wieder jo lang umg'ſtrolcht,
bringen, jedoch kann nichts gegeben werden. | Tu Lump?“ — Schani: „Mit Batern!“
875
Sehr ribtig. Hausknecht (zu
Studenten, die in früher Morgenftunde
vor einem geſchloſſenen Gaje lärmend
Einlaß begehren): „Meine Herren! und
Sie wollen Bildung baben ?!*
Studenten: „Nein — Kaffee!”
Glüdliber Zufall. U: „Wie,
Sie leben noch, Sie unverſchämter Menjd !
Wie fönnen Sie fich unterjtehen, noch zu
leben — baben Sie nicht in unſerem
amerifaniihen Duell die ſchwarze Kugel
gezogen ?* — B.: „Entichuldigen Sie
— id hab' mich nicht getroffen!“
Immer böflid. Ein bayerijcher
Feldwebel, der von zwei vorübergehenden
jächfiihen Soldaten nicht gegrüßt wird,
ruft diejen wüthend zu: „Sennt Ihr
feinen bayeriſchen Feldwebel?“ — Jene:
„Ei, Herrjejes, wie ſoll er denn heeßen?“
Rache iſt füß. Officiersburſche (der
ſich wegen ſeiner ſchlechten Gewohnheit,
im Treppenhauſe zu pfeifen und zu fingen,
ſchon mehrmals Injurien von Seiten des
Hauswirtes zugezogen): „Aber, Herr Lieu—
tenant, unſer Hausherr iſt doch ein echter
Grobian. Als ich heute wieder pfiff, hat
er mich ſogar einen Lümmel genannt; da
hab' ich's ihm aber ordentlich ge—
geben!“ — Lieutenant: „Was haft Du
ihm denn getban? Tu haft ihn wohl gar
geſchlagen?“ — Burſche: „Nein, jo roh
bin ich nicht.” — Lieutenant: „Dann
bait Du wohl wieder geſchimpft?“ —
Buribe: „Nein, das gerade auch nicht.“
— Lieutenant: „Na, was haft Du denn
getban? — Burſche: „Ah babe ge
dacht, Du fommijt mir jshon mal
wieder!”
Sehrridtig. Civiliſt: „Sagen
Sie mal, Artillerifte, das muß doch furcht-
bar fnallen, wenn Sie beim Schiehen jo
dicht bei der Konone ſtehen.“ — Han
nier: „Dees is ſchon wahr; aber jäh'n
Ce, wenn mer nich derbei jtehe dhut, da
fnallt’3 grade äb'n fo laut.“
Deigeibmad. Lijette: „Nun,
Gretle, wie gefällt Tir Dei’ Trompeter ?“
— ÖGretle: „OD, guet, aber jei Küßle
ihmedt a biſſel nach Meſſing.“
—€——————————— Le nn —
Die Fremdenbuch-Poeſie it
meijt eine recht originelle. Wer ermüdet
und durftig und hungrig nah heißem
Marihe im Gaſthauſe einkehrt, deſſen
Humor pflegt mit den vorgejegten Er-
frijchungen doppelt gemedt zu werben;
der Humor aber will wie die Jugend
austoben — und da bietet denn das
Fremdenbuch gewöhnlich den geeignetiten
Turnierplag. Zu den originelljten Fremden»
büchern gehören die des Kynaſt, der alten
herrlichen Veſte der Schaffgotihe. Ein
luftiger Philoſoph muß es geweſen jein,
der dajelbit Folgendes niederſchrieb:
„Arm wie ein Befenbinder,
Die Taſchen leer wie nie —
Und doch vergnügt fein, Kinder:
Das ift Philoſophie!“ —
Ein zweiter luftiger Kauz läßt „des
Drahmanen Weisheit“ in folgenden Rei—
men ertönen:
„Der Länder und der Städte Namen wiſſen
Und alle Bergeshöhen nennen,
Iſt bloße Theorie —
Der Länder und der Städte Mädchen küſſen
Und alle Bergesfneipen kennen,
Iſt praftiiche Geographie!"
Ein Vater und ein Sohn bradten
folgendes gedanfenreihe Verslein zu
Papier:
„Der Bater fneipt Natur,
Der Sohn den Wein;
Der Bater bezahlte,
Der Sohn ließ es fein!" —
Sicher ein Peſſimiſt war der „Lebens
Iuftige*, der am Faſtnachtstage ſchrieb:
„Das Leben ift ein Pfannenkuchen,
Der ein gar fühes Mus umhüllt;
Doch ah! — ih muß dem Schickſal fluhen —
Ter meinige war ungefüllt!" —
Zum Schluß jei noch das Votum
eines Berliner Herrn über all’ dieje Kynaſt—
Reimereien wiedergegeben:
„Biel wird gedichtet, viel wird gefungen
Auf dieſe verfallene Veſte —
Mandes ift Ähleht und Manches gelungen:
Die Natur bleibt immer das Beſte!“ —
Die hilfreibe Säule. Student:
„Herr Profeſſor, ich möchte Sie bitten,
mir das bei Ihnen gehörte Colleg über
Logik zu teſtieren.“ — Profeflor: „Aber
ih babe Sie ja nie bei mir geſehen!“ —-
Student: „Ab ſaß immer binter der
Säule!" — Profeſſor: „So, Sie find
876
jegt Schon der Zwölfte, welcder hinter
der Säule gejeflen bat.“
Bon jeinem Standpunkt, Eriter
Student: „Du, was hältſt Du von dem
Gommilitonen M?“ — Bmweiter: „Das
ift ein ganz gefährlicher Menſch, der be
trinkt fich nie.“ — Erſter: „Etelbafter
Streber!”
InGeſellſchaft. „Ich age Ihnen,
meine Gnädigite, als ich den neuen Noman
lag, da lief es mir eiäfalt über den
Rüden.“ — „Ach, dann leihen Sie mir
doc, bitte, das Buch während der Hunds—
tage.“
Zärtlid. „Schau, lieber Mann !
Wir find erit ſechs Monate verheiratet und
Du bijt Schon oft jo gleichgiltig und zer |
ftreut. Sage mir aufricht ig, woran Du
jetzt denſſt?“ — „Aufrihtig? An den
fürzlich verjtorbenen Zauberfünjtler Her-
man, der eine Frau jo hübſch verſchwinden
laſſen konnte,”
Einegute Natur. Tame: „Beiter
Doctor, es gebt mir entjeglih! Von
meiner Migräne, meinem Magendrüden,
meinem Obrenjaujen, meinem Nerven—
zittern will ich gar nicht reden, aber die
Schwere in den Füßen, das Zuden in
den Armen, das Vibrieren des Herzen,
das Flimmern in den Augen, das Prideln
in den Haaren, und dieſe Träume! ..“
— Arzt: „Wie gejund müſſen Sie jein,
gnädige Fran, um alle dieje Krankheiten
aushalten zu können!“
Gutes Gehör. Lehrling (zum
Freund): „Dur, da kommt Jemand, mad,
daß Du fortlommit, ich glaube es is der
Meifter.“ — Freund: „Wielo denn?"
— Lehrling: „Ih kenne ſeinen ....
Tritt!“
Schmeichelhaftes Urtheil.
„Wenn Herr X. ſich aus meinem Zimmer
entfernt, ſo iſt mir immer ſo zu Muthe,
als ob ein geiſtreicher Mann einträte.“
Aus dem Gerichtsſaale. Richter:
as ft Ihr Mann?“ — Weib: „Mein
DEN
pr +=
Mann iſe Optiker; aber mit Optifer,
was machte Augengläfel und auch mit
Optifer (Apotbefer), was tabrizirte Mer
dizine, ſondern ije Optiker (Abdeder),
was fangte Hund ohne Halsbandel!”
Draſtiſcher Bemeis. „Ich babe
immer Glück in der Liebe gehabt.” —
„Und doch jind Sie noch immer lediq ?*
„Das beweiſt ja eben mein Glüd.“
Büder.
Neue Büder von Offip Schubin.
Wir entfinnen uns, eine gute Abhand:
lung über Bücertitel von Oscar Welten
| geleien zu haben und möchten ihn fragen,
was er von der Wahl des Titels: „Gloria
vietis!“ hält — ob er nicht unjerer Mei:
nung ift, daß „Vae vietis!“ treffender wäre?
Die Berfaflerin ſelbſt wollen wir nicht fragen,
fie würde wahrſcheinlich jo wenig einen trif:
tigen Grund anzugeben wiſſen, al$ darüber,
dab fie ihr reich beladenes belletriftiiches
fahrzeug unter der urgermanifchen Flagge
Djjip Shubin jegeln läßt. Sie gehört
zu denjenigen jchriftftellernden- Frauen der
Gegenwart, die, mit ungewöhnlihem Talente
begabt, der Menge — vorerft den Redac-
tionen und deren Leierkreiien — zu Ge:
fallen jchreiben und dabei ihre Rechnung
finden. Der Gedanle an die Unſterblichkeit
plagt fie jehr wenig und fie folgen hierin
faft unbewußt einem realiftifchen Drange der
Zeit. Ihre Werke mögen noch jo jdhillern:
Die klingenden Erfolge werden die Werte
jelbft überbauern, der ſonſt jo ſchnöde
Mammon wird ficdh treuer erweijen, als der
Geift der Bücher, Die Handlung des No:
| mans „Gloria vietis* baut fih auf dent
Fehltritte einer ariftofratiihen Dame auf.
Wer kennt nicht die Geihichte vom Reit:
Inehte John? Nur jpielt Hier ein
elender Parvenü einmal deſſen Rolle. Ein
edler junger Mann, die Frucht dieſes Fehl:
trittes, fällt mit unerbittliher Logik den
ipäteren Folgen der Eünde zum Opfer,
indem er jeinem eigenen Bater, jenem
Yohn, die Piftole in die Hand drüdt und
fih wie ein Opferlamm tödten läht. Ge:
wiß ein delicates Thema fir eine jchrift:
ftellernde Dame! Trogdem die Epifoden
oft trefflich ausgearbeitet find, konnten wir
in der Individualifierung der Hauptper:
fonen feine ganz glüdlihe Charalteriſie—
rungsgabe entdeden. Muß der junge, hoff:
nungsvolle Mann zu Grunde gehen? Nad
| der ganzen Anlage des Romans: ja, weil er
troß der modernen Gewandung einen berb ; Handlung ift dürftig, aber was erzählt
fataliftiihen Zug an fi trägt. Wie lommt | wird, entbehrt nicht der Lebenswahrheit und
diejer Mataliftiihe Zug im unjere moderne | eines poetiſchen Neizes. Uns muthete Diele,
Zeit? Mie viele edle Jünglinge mühten | ftellenweile rührende und erihütternde, vom
ihm zum Opfer fallen? Und mander Sproffe | Hauche echter Frömmigkeit durchwehte Er:
von 16 Ahnen müßte ob der Sünde einer | zählung mehr an, als die meiften Sen—
geilen Ahnfrau vorzeitig verderben. Darum | jationsromane berühmter Berfaflerinnen.
balten wir den Roman nit nur aus | Weniger fünnen wir uns einverftanden er—
moralifhen und äfthetiichen, jondern aud | flären mit der Art, wie der Dialect in die
aus fünftleriihen Gründen für verfehlt und |; Erzählung eingeflodhten wird. „Das Bärgli
dünft er uns eine Gonceifion an die Lee: | Hus Vreneli“ widmet die Verfafjerin ihrem
wuth gewiiler jenjationslüfterner Leſerkreiſe. Vater. —tt—
Der Roman ift in der Stärfe von 2 Bänden ”
im Berlage der Gebrüder Baetel in Berlin | ü ; —
erſchienen und loſtet geheitet 8 Mart, einen! Vie Herausgabe einer billigen Volfs:
Betrag, für den man nunmehr Scdiller's
Werke faufen fann.
In demjelben Verlage erſchien von der:
jelben Verfaſſerin „Eliquette“. Eine Rococo—
Arabeske. Gewiß ein glückicher Gedanle,
über Etiquette ein — Feuilleton zu ſchreiben;
aber was vor ung liegt, ift eben fein Feuil—
leton, jondern wie der Titel bejagt, eine
Arabeste im Nococoftile. Diele Arabeste
befteht zum Theile aus biftoriihen Remini—
jcenzen, dem Tode des fünfzehnten Ludwig,
des Vielgeliebten, daran fi etwas unver:
mittelt die unglüdjelige Liebelei einer Prin—
zeifin von Savoyen:Carignan ſchließt. Man
fönnte das Ganze aud ein Gapriccio nennen,
nnd Jugendbibliothet wie jene von
A. Ehr. Jeſſen (Verlag von U. Pichler's
Wim. & Sohn in Wien: ift ein verdienit:
liches Unternehmen. Das 69. Bändden
enthält die Biographie Kaifer Marimi:
lians 1.: „Der lebte Ritter‘ von M. Glod,
die qut und verftändlich geichrieben ift. Wir
wollen nicht unterjucdhen, ob es dem heutigen
| Standpunfte der Geſchichtsſchreibung ent:
ſpricht, für das Volk und die Jugend eins
zelne Figuren aus dem Zujammenhange
‚der Staaten: und Culturgeſchichte heraus:
zuſchälen. Gewiß empfiehlt ſich dieſer Bor:
gang bei ſolchen hiſtoriſchen Helden, deren
Belebung geeignet ift, den Patriotismus
; und die nationalen Gefühle unierer Jugend
| zu heben. Allerdings befinden fid unter
| : ' den Habsburgern, die freilih in erfter
a — die — — mit | Linie, eingedent des „Bella gerant alii, tu
orliebe * rührende Schickſa x Sung- felix Austria, nube!* bejtrebt waren, ihre
Sn See u Genie Mast Die: Aa ee ee
: — ‚m an Kaiſer
nanzen nennt 6, Vollbredt, den wir Jofef IL. zu — ae; V.
auch ohne Prof. Kürſchner die Pſeudo—
nymität auf den erſten Blick abguden, die
im Berlage von Alfr. Krüger in Weimar
erichienenen Novellen „Fräulein Charlotte‘ | Blumen und Lieder von Johannes
und „ante Jutta“. Die Erſtere lommt | Stauffader. (E. T. Wistott. Breslau.)
nit unter die Haube, weil ihr Freier be⸗ Das iſt eine der herzigſten kleinen
reits — verheiratet iſt, obwohl er das Dichter: und Künftlergaben. Da liegen in
Möglichfte thut, wa3 ein guter Chriſt in einer zierlichen Mappe acht Blätter, jedes
einem ſolchen Falle thun fann, nämlich die mit einem hübſchen Gedicht und mit über:
— — a * a ne = eng * gr
weite fieht den fühen Traum von Eheglüd | Ganze muthet maienhaft an und eignet fi
ae BEN ee ———— — Menſchen, —
geſcheitert. ir halten die zweite, kürzere traut und ferne find. r
Erzählung für die beffere, da fie in ihren
Motiven lebenswahrer if. Die Schreib» E ”
die Verfafferin befitt ohme Zweifel feine attas in 60 Ba, nebjt 125 Bogen Kent
unbedeutende Erzählungsgabe, wenn fie auch mit 800 Iluftrationen. In 50 Lieferungen,
in der Zeichnung männlier Charaktere, Groß:Folio-Fornat. (A. Hartleben, Wien.)
nicht glüdlich ift. = Die Erwartungen, welde man an den
_ Fortgang diejes nützlichen und eigenartigen
. . j Werles Inüpfen durfte, find nicht getäuſcht
Einen recht freundlichen Eindruck machte worden. Es liegen von demſelben nur vier
u I ee eu zus en —— — —
reneli“ von E. v. Breidenba erlag pbyjifaliihe Geographie, reich aus:
von Wild, Friedrich Nachf. in Berlin). Die ; geftattet mit einer großen Zahl von Illu—
ftrationen, welde mit ihrer fachlichen Be:
deutung als bildlide Tert:Erläuterungen
den nicht zu unterjhäßenden Bortheil künft:
lerifcher Auffaſſung und trefflicher techniſcher
Ausführung verbinden. Die ſchönen, großen
Karten laſſen es ſchon jetzt außer allem Zweifel,
daß der fartographıjhe Theil des Wertes |
fih auf gleiher Höhe mit den Elan
Kartenwerten befindet; der Text, welder
fi in den vorliegenden Lieferungen mit den
phyſikaliſchen Berhältniffen des Feſtlandes,
des Waſſers und der Lufthülle befaßt und
zulegt auf das „Organifche Leben der Erde”
übergeht, geftaltet ſich — weit entfernt, sine
Anhäufung dürrer alademijcher Definitionen
zu jein — zu einem fejjelnden naturwiſſen—
ſchaftlichen Eſſay; und was ſchließlich den
reihen Bilderfhmud (in 4 Lieferungen über
90 Bildern!) anbetrifit, jo kann dem Werfe
thatſächlich nichts Aehnliches an die a
geftellt werden. i
Slluftrierter Zührer durd die Alpen von
Salzburg, Ober : Defterreih, Steiermarf,
Kärnten, Krain, Küftenland und Berchtes—
gadner Land. Bon Julius Meurer,
Präfident des Defterreihiichen Alpen-Club.
Mit 56 Holzichnitt:$Muftrationen, 12 Kärt:
hen, 4 Panoramen und einer Diftanzfarte.
(Hartleben. Wien.)
Der in der Touriftenwelt hochgeſchähzte
Verfaſſer bietet in dem vorliegenden Führer
den dritten und legten Theil feines, die
geſammten Hocalpen Oeſterreichs behan—
delnden Werkes, das nunmehr in drei
Bänden — Weft:Tirol, Oft-Tirol und dem
vorliegenden — vollendet wurde. Diejelben
Vorzüge, die Julius Meurer’s früheren
Werten jo viele freunde erworben haben,
befist auch das vorliegende neue Bud, das
den weitaus größten und jchönften Theil
der Öflerreihiichen Alpenwelt behandelt. Bon
der Donau bis zur Adria, von den Tauern |
bis weit in's windiſche Land hinein führt
uns in glüdlid combinierten Nouten der
Verfafjer über Berg und Thal, auf eifige |
Bergeshöhen und lieblide Seen, überall in |
vollendet ſchöner, Inapper und zuverläjfiger
Weile. Es wird faum ein Neijehandbud
geben, das mie das vorliegende dem Rei—
fenden vor, während und nad jeiner Tour
zu nüten im Stande ift. Seine Ueberſicht—
lichleit geftattet an der Hand des Buches
im Boraus die ſchönſten Reijen zuſammen—
zuftellen, fih genau über Alles zu infor:
mieren 2c.; während der Weile ift es als
Führer und Nahichlagebuh von außer:
ordentlihen: Werte, während es nad der
Neife dur feine reihe Ausſtattung ein
Ihönes Andenken bietet. V,
Bufteierter Führer durd; Salzburg, das
Salzlammergut und Berhtesgadner Land,
mit bejonderer Berüdfichtigung der lim:
gebungen von Salzburg, Jichl, Berchtes—
gaden, der Salzlammergut: Seen und des
Gebietes der Hohen-Tauern. Bon Yojef
Rabl. Mit 62 IMluftrationen, 2 Pano—
ramen und 7 Karten. (Hartleben. Wien.)
Das Gebiet, welches der nunmehr be:
reits in zweiter, rei vermehrter und ver:
! befferter Auflage vorliegende Führer ums
faßt, fann am deutlichften durd die Eiſen—
bahnftreden Lambach - Gmunden - Iſchl—
Hallftadt — Auſſee — Steinad - Shladming-
Radftadt-Biihofshofen und Salzburg-Gol:
ling-Bilhofshofen-St. Johann-Lend-Zeil
am See-Saalfelden bezeichnet werden, wobei
man fich bloß die reftliden Salzlammergut:
jeen, den herrlihen Oberpinzgau, Lungau
und das eben jo anmuthige als großartige
Berhtesgadnerland als nothmwendige Er:
gänzung hinzuzudenien braudt. Es iſt mohl
überflüjfig, über die Naturjhönheiten der
dur pbige Namen angedeuteten Landſchaf—
ten viel Worte zu verlieren. Wer fie nicht
ſchon jelbjt gejehen, kennt fie doch dem Rufe
nad. Wenn irgend ein Theil der Deutichen
Alpen die viel und oft beiprodene Riva:
lität mit der Schweiz unbeftritten einzu:
gehen vermag, jo find Hierzu vor Allem
diefe Gegenden berufen. Nirgends im Alpen:
gebiete findet man eine ſolche Abwechslung
der Landjhaftshilder, wie in den Gauen
Salzburgs, melde von der frudtbaren
üppigen Ebene und der grünen Voralpen:
welt hinanreichen bis zu den ftarren Schnee:
wüſten und Eisgipfeln der Hohen Tauern;
nirgends eine jo zauberiiche Bereinigung
von Anmuth und Erhabenheit, wie in dem
von muajeftätiihen Bergen umſchloſſenen
Berchtesgadener Thalkefjel, und nirgends
gibt es jo hberrlihe und mannigfaltige See:
londichaften, wie das reizvolle Salzlanımer-
gut fie bietet. Auch hinſichtlich des den
Neijenden gebotenen Comforts jtehen die
erwähnten Landftrige zumeift auf einer
hoben Stufe und brauden den Vergleich
mit der Schweiz nicht zu jcheuen. W;
Die öflerreidifde Gebirgswelt in Chrono:
Lithographien nah Naturaufnahmen von
U. Geraſch. (Graz. Leykam.)
Um die großartige, vielbefuchte Gebirgs:
welt Defterreichs mit feinen Bergrieien und
zahlreihen Seen im Bilde wiederzugeben,
ift der rühmlichft befannte Maler U. Geraſch
vermodht worden, die herrlichſten Punkte
unjerer Alpenwelt nah der Natur aufzu:
nehmen und bat fein geübter Blid Die
ihönften, malerijcheiten Anſichten zu finden
und mit eminenter Tehnil auf dem Papiere
in farben zu firieren gewußt.
879
Die hier gebotenen Reproductionen in
Chrom: Lithographie dürfen als jehr ge:
lungene Gopien der Driginalbilder von
Gerafch bezeichnet werden, diejelben werden
deshalb auch im den Streifen der Alpen:
freunde Beifall finden.
„Die öfterreihiiche Gebirgswelt“ wird
in zwangslojen Heften, je 6 fünftleriich
ausgeführte colorierte Anfichten auf Carton
enthaltend — erjcheinen,
Das erfte Heft bringt die Bilder:
„Koppenthal“, „Gojauzwang“, „Goſau—
ihluht“, „Goſauſee“, „Goſau gegen den
Donnerfogel*, „Dachſtein von der Zwiejel:
alpe*.
Ueber daS ſ. 3. in dieſem Blatte be:
ſprochene Steiermärkiſche Dichlerbuch, heraus:
gegeben von C. W. Gawalowski, Verlag
von Fr. Pechel, Graz, urtheilt die Preſſe auf
das Günſtigſte.
illuſtrierte Zeitung“ 1887, Nr. 19:
„Das Buch bietet dem Leſer ein ge—
lungenes Bild des gegenwärtigen Standes
der Poefie in der grünen Steiermarf. Sämmt:
lie Dichter derjelben, joweit fie einen An:
ſpruch auf das Bürgerreht auf dem deut:
Ihen Parnaß befiten, find mit Beiträgen
vertreten. — So bietet dieje Sammlung den
erfreulichen Beweis, daß auch auf der jüd-
lichften Linie der deutſchen Sprachgrenze ein
jo üppig entwidelter Dichterwald eriftiert,
wie man ihn in jener, an das ſlaviſche
Ydiom hart angrenzenden Gegend faum noch
vermuthet, Schon aus diefem Grunde jollte
man auberhalb Steiermarf dem Buche die
größte Anerkennung und Aufmerkſamkeit
entgegenbringen.*
fations» Sexikon. Zweite gänzlich umgear:
beitete Auflage, in größten: Lerilon:Octav:
Hormat, Mit etwa 600 Tert:Abbildungen,
jahlreihen Tonbildern, Karten zc. (Otto
Spanter. Leipzig.)
Die befannte Berlags: Buchhandlung
bietet in ihrem „Gonverjations » Leriton“
den meiteiten Kreiſen des Publikums ein
verbienftvolles Unternehmen dar, eine Ency:
tlopädie, wie ſie jet für jedes Haus faft
zu einem Bedürfnis geworden ıft. Alle
Zweige des Wiffens, des öffentlichen Lebens,
der Kunft, des Handels ꝛc. find im dieſer
Encyllopädie vertreten. Die einzelnen Artikel
find je nah der Wichtigfeit des Stoffes
länger oder fürzer behandelt; bejonders
So jagt 3. B. die „Neue
Graz in der Weſtentaſche. Mit Eijen:
babnfahrordnung. (Graz. Franz Pedel.
1887.)
Diejes überaus handlihe Büchlein ent:
hält das Wichtigfte von Graz, als Ueber:
fihtlies und Orientierendes, Verzeichnis
der Straßen, Gafjen und Pläge, Behörden
und Anftalten. Fialertarif, Omnibus: und
Dampfihiff-Fahrordnung, von Ho:
tels, Reftaurationen, Theater, Sehenswür—
digfeiten, Ausflüge u. ſ. w. ferner die
genaue Fahrordnung und Preis der mit
Graz und Steiermark correipondierenden
Eijenbahnen. Das Büchlein koftet 15 Kreuzer.
Gin praftiiheres und billigeres Werfen
derart ift uns noch nicht vorgelommen. Es
ift fein Grazer und fein Beſucher diejer
Ihönen Stadt mehr denfbar, der Graz nicht
in der MWeftentafche trägt. R.
Dem Heimgarten ferner zugegangen:
Hellenifdye Erzählungen von Aug. Bol;.
(Halle. Otto Hendel.)
Waldferien. Ländlihe Geihichten für
die reifere Jugend, gewählt aus den Schriften
vonP. K.Rojegger. (Wien. U. Hartleben.)
Mit der Tonſur. Geiftliche Novellen von
Emil Marriot. Zwei Bände (Berlin.
F. u. P. Lehmann. 1887.)
Sanct Mihael. Roman von E. Werner.
Zwei Bände. (Leipzig. Ernft Keil's Nach—
folger.)
Sagen und Märden. Umdichtungen von
U. Baudler Zweite vermehrte Auflage.
(Wien, Karl Konegen. 18837.)
Cäfars Roffer. Die farben der Natur-
Humoresfen von U. von Winterfeld.
(Dresden. €. E. Meinhold & Söhne.)
’ |
Otto Spamer’s dilufrierles Eonver- | von 2. Haidheim. (Berlin. Otto Jante,
| 1887.)
Schloß Favorite. Roman in drei Bänden
@reu und Trei. Erzählung für das
Volt von Reimar vom Rhein. (Duis:
burg. 3. Ewid. 1887.)
Sieben Freier im Haufe. Quftipiel in
fünf Aufzügen von Ludwig Schmidt:
Stoltenberg. (Dresden. €, Bierjon.
1886.)
Fiedereygklus aus P. K. Roſeggers
„Sonntagsruhe.“ Fünf Lieder mit Beglei—
tung des Pianoforte componiert von Lud—
wig Burger (Prefburg und Leipzig.
G. Heckenaſt's Nachfolger.)
Neues Buch der Lieder von Paul Baehr.
(Halle. Otto Hendel.)
Der gute Kon für Damen. Eine An:
reichhaltig ift das Lexilon auf dem Gebiete | feitung, ſich in den veridiedenften Verhält:
der Biographie.
Von Malvine von Steinau.
nifjen des Lebens und der Gejellihaft als
wohlerjogene, gebildete Dame zu betragen.
Vierte,
880
durchgeſehene und veränderte Auflage. (Hart—
leben, Wien.) .
Die Schädigung der Sandwirtfhaft durch
Meideverbote und Grundauffäufe von Seiten
des Öroßgrundbefites. Bon Franz Sclin:
tert. (Wien, 1887. Verlag der „Deutichen
Worte” (Engelbert PBernerftorfer.)
Geſchichte der Weltliteratur in überſicht—
liher Darftellung von D. Adolf Stern.
Bis zur 5. Lieferung erichienen. (Riegers
Verlagshandlung. Stuttgart. 1887.)
Henrik Ibfen und das Germanentihum
in der modernen Literatur von Leo Berg.
Der Zuggeiſt. Erzählung aus dem baie—
riihen Hochgebirge von Marimilian
Edhmidt (Münden. F. W. Callwey. 1887.)
Der Herrgottsmantel,. Gulturbild aus
dem baieriſch-böhmiſchen Waldgebirge von
Marimilian Schmidt. (Münden, F. W
Gallwey. 1887.)
unge Dichtungen in freier Torm, (Ulrich
von Liechtenftein, Spinnerin am Kreuz,
Waldemar, die Speiler im Namathal, Al:
bion, Thaſſilo, Samnitermädchen. — An:
bang.) Von Johann Tanzer. (Neun:
tirchen. Viltora’3 Druderei.)
Deutfde Blätter. Monatshefte, heraus:
gegeben von Hans N. rauf. I. Jahrg.
(Eger )
3eitfhrift für deutſche Sprache. I. Jahrg.
Heft 3. (Hamburg. 3. F. Nidhter.)
Miürzufdlag als Terrain-Cur-Ort im
Semmeringgebiet. Nah dem Syſtem des |
Prof. Dr. Dertel geſchildert und dargefteilt |
von Dr. Adalbert Kupferjhmied.
(Wien. R. dv. Waldheim. 1887.)
Meberfihtskarte des Gerrain: Kurories
Reichenau. Nah Prof. Dr. Oertel. (Rei:
denau, d. ö. Alpenvereins:Section.)
Poftkarten des Heimgarten.
xx 63 wird angelegentlichft erſucht,
Manujeripte erſt nad vorheriger Anfrage
einzujenden. Für unverlangt eingejdidte
Manufcripte bürgen wir nicht. Externe Ar:
beiten honoriert die Berlagshandlung nicht,
Dr. Aron M., Wien: Ihre „Neuen Mit-
theilungen aus Heinrich Heines Leben“ find
epohemadend. Nachrichten, dab der Dichter
des Morgens gefrühftüdt und des Abends
(Berlin. Rihard Edjtein Nachfolger.)
|
Mm. O. Münden: Sie fragen: Wie
wird nan Schriftjteller? Ludwig An:
jengruber, Friedrich Bodenftedt, Georg Ebers,
Paul Heyfe, Paul Lindau, Hieronymus Lorm
und Friedrih Spielhagen u. U. haben der
Schriftleitung von Laufer’s „Allgemeiner
Kunft:Chronif* in Wien Antworten auf dieie
Frage ertheilt und zum Theil auch ihre
Eritlingsarbeiten zur Verfügung geitelt.
3. W., Wien: Auf Ihre Klage feinen
beſſeren Troft als K. Geroks Wort:
„Dein wahres Glüd, o Menichentind,
O alaube dod mit nidten,
Daß es erfüllte Wünſche find;
Es find erfüllte Pflichten.“
Ph. U., Oppeln: Wenn Sie es in jeden
Ihrer Gedichte einmal jagen, daß die Welt
ein Jammerthal ift, jo willen wir's ja zur
Genüge. Wir geftatten Ihnen zudem nod.
es auch in jedem Ihrer Privatbriefe einmal
zu jagen, aber nicht öfter. Anbringen mögen
Sie es zum Anfang, in der Mitte oder am
Schluß, ganz nah Belieben.
D. 5. Bodenbady: das Stüd „Ein Judas
von Anno Neun“ ift natürlid nit von
Roſegger, wie e8 auf jenem nordböhmiichen
Theaterzettel heißt, jondern von Anton Yan:
ger, weicher Name ja aud als Verfaſſer auf
dem Zettel fteht. Der Leiter jenes Thespis:
farrens wird eben gedadt haben, Zwet vor:
gejpannt ziehen befjer als Einer.
F. M. T., Gra}: Da ift nichts zu
machen. Erinnern Sie fih an Hamerlings
Sprud:
„Ratbend, mahnend, icheltend, zücdtigend,
Dentit Du Wunder was es nut.
Aber bilft die Brille Blinden ?
Und der Eſel, wird er flüger,
Wenn man ibm die Obren jtußt ?"
Br., Wien: Die Sonnenfinfternis am
19. Auguft ift des Morgens zu ſehen, er
reicht gerade während des Sonnenaufganges
ihren höchſten Grad und endet gegen halb
acht Uhr.
F. M. Allrichs: Wir ſind nicht in der
Lage, darüber zu entſcheiden. Eine Frage
ift ja frei.
++ Der Herausgeber dieſes Blattes
findet ji veranlaßt, wegen unregelmäßiger
Beantwortung von an jeine Perſon gerich—
teten Briefen ꝛc., um Entſchuldigung zu
bitten. Dieje Unregelmäßigfeiten, reip. Ber:
fäumniffe haben ihre Urfache in den häufigen
Reifen und aud in anderen Obliegenbeiten,
joupiert hat, jo wie daß er eine duntelbraune | weldde Genannten hindern, des angenehmen
und au eine ſchwarztuchene Pantalon be: | Verkehres mit den P. T. Eorreipondenten
ſaß, find für den Literarhiftorifer der Zus | in dem Maße, als er es felbjt wünſchte, zu
funft unendlich wertvoll. | pflegen.
vär die Redaction verantwortlib P. A. Bofegger. — Druderei „Leyfam’ in Graz.
12. Heit.
September 1887,
X1. Jahrg.
Stationen meiner Pebenspilgerfdaft.*)
Ton Hobrt Hamerling,
vu.
Zehn Jahre im Süden.
(Fortjegung.)
Zi inen Wendepuntt,
der mir zu
—E 3
Echiferfeier des Jahres 1859. Sie
erwedte die dee eines „Schillervereins“
zur Pflege deuticher Muſik, Literatur
und Gejelligkeit. Unter der Leitung
des tüchtigen jungen Vereinskapell—
meifters Julius Heller befam man
fortan an der Adria deutjchen Chor—
geſang, Quartette der großen Meiſter
und ſelbſt Beethoven'ſche Symphonien
in guter Ausführung zu hören. Das
im Verein Gebotene war für Trieſt
jo neu, daß auch viele Italiener Fich
einfanden, und der Verein war Hug
genug, im Anterefje des Deutſchthums
die fremden Elemente lieber anzuziehen,
als abzuſtoßen.
Eine neue förderliche Anregung
ftatten kam, bildete die Triefter | wurde mir zur felben Zeit auch durch
die Nüdfehr der „Novara“ von ihrer
Reife um die Welt zu Theil. Die
Hafenftadt ſah die waderen Argonauten
landen; Einige bderjelben verweilten
länger in Zrieft, fo namentlich Karl
v. Scherzer, der im Schillerverein
wiederholt über die Erlebnifje und Er—
gebnilfe der Weltfahrt Borträge zum
Belten gab und mir lehrreihen Stoff
bot zu Berichten für die ZTriefter Zei—
tung. Im März 1860 wurde eine No—
vara = Ausftellung veranftaltet, welche
alles von der Novara in fernen Zonen
Gejammelte, in cultur- und religions—
geichichtlicher, völferfundlicher und na—
turwiſſenſchaftlicher Hinſicht Merk—
*) Siehe „Heimgarten“ 1883: Mai; 1885: März, April, October, November;
1886: Juni, Juli, October, November; 1887: März, Mai.
Rofegaer's „‚Geimgarten‘‘ 12, Geft, XI.
56
wirdige zu eimer im ihrer Art einzigen
Ueberficht vereinigte. Das gab Anlaß
zu einem Artikel „Bei fremden Göttern
und Menfchen“, der einer tieferen Auf—
fafjung der Sache Raum gab, und
den ich in meine geſammelte „Proſa“
mitaufnahn. Die perfönliche Be—
rührung mit K. v. Scherzer bleibt mir
eine erfreuliche Erinnerung. Er hatte
in einem Öffentlichen Vortrage auch
intereſſante neuſeeländiſche (maoriſche)
Volkslieder mitgetheilt, von welchen
ich eine Anzahl metriſch ins Deutſche
übertrug und zu veröffentlichen Ge—
legenheit Fand.
Die Herbitferien des Jahres 1860
verliebte ich wieder in Graz, wo ich)
mich mit dem Plane der Dichtung
„Sin Shwanenlied der Ro—
mantik“ trug, die im Frühling des
nächften Jahres vollendet wurde. Sie
ergänzte die „Venus im Eril*, indem
fie den Mapftab der dort aufgeftellten
und gefeierten Ideale an unſere Zeit
legte.
Die Formeln und Wege der
deutſchen Speculation fowohl, als die
der claſſiſchen und romantischen Poefie
ſchienen Jich überlebt zu haben. Aber
man zeigte micht übel Luft, mit den
Formen und Formeln auch das MWefen,
mit dem Bergänglichen auch das Blei—
bende preiszugeben — das Kind mit
dem Bade auszujchütten.
beginn Hatte ich mich als begeilterten
Apoftel der Zukunft gefühlt; aber
gerade das, was mir als die Grunde
lage einer neuen Welt und Zeit ge=
golten, ſah ich jet vielfach nicht mehr
verftanden und vernachläſſigt. Was
im Hochfluge der deutichen Geifter vom
Ausgang des vorigen Jahrhunderts
bis zu Goethe’3 Tod als das Evans
gelium eines neuen Menſchenthums,
als deal einer auf fich ſelbſt geftellten,
innerlich freien Humanität fich heraus:
gebildet, ſchien im einer einfeitig be=
ſchränkten, ſchwungloſen und flachen
Zeitftrömung nur jehr nothdürftig zur
Geltung zu kommen. Bei aller Achtung
vor der beſonnenen Forſcherarbeit, die
auf naturwiſſenſchaftlichem Gebiete plaß-
griff, und dem ebenjo wohlberechtigten
Streben nach politifcher und nationaler
Neugeftaltung des Völferlebens konnte
ich doch nicht glauben, daß dies Alles
anders zu einem gedeihlichen Eude
führen könne, al3 im engen Anſchluß
an die höheren geiftigen Errungen—
haften der Menfchheit. Denn es war
mir früh aus der Gefchichte Kar ge—
worden, daß alles Zeitlihe und Dert-
liche nur im der Verbindung mit dent
ewig Giltigen, allgemein Menfchlihen,
Vernünftigen und Nechten das wirf-
ih „Praktiſche“, Erfolgreiche, Dau—
ernde, zu allen Zeiten wirklich Zeit:
gemäße: das Einfeitige, außerhalb der
Strömung des Ewigen Liegende da—
gegen das ewig Unzeitgemäße, Unpraf-
tische und Hinfällige fei. Viele Propheten
des angeblich Neueflen und Zeitgemähen
ahnen nicht, daß ihr bischen Weisheit
nicht bloß nicht neu, ſondern ein fehr küm—
merlicher, verwahrloster Reft der alten,
ewig neuen ift, die von Größeren als
fie ſind, längft beifer als von ihnen
gewußt, verftanden, gejagt und ges
jungen worden, und daß diefe Weis:
heit nur in der Theorie alt, von der
Ausführung aber noch um fo ent—
fernter ift, je riefiger, Heinlicher, lücken—
hafter fie gepredigt wird. Die Ber:
üchter der Bergangenheit wiſſen nicht,
Von Anz daß es immer die Blüte der Ber:
| gangenheit ift, welche den Samen der
Zukunft trägt und aufbewahrt.
Aus diefer Anſchauung der Dinge
erwuchs die Stimmung, die dm
„Schwanenlied der Romantik“ ihren
Ausdrud fand, Ein etwas geziert
klingender Zitel, der vielleicht nicht
ganz glüdlich, wenigftens nicht allge=
I mein verfländlich genug das Wejen-
\hafte, was ih im Schiffbruch der
Formen und Formeln für die Zukunft
retten zu müſſen glaubte, unter der
Bezeihnung der „Romantik“ — der
Poeſie des durchgeiftigten Gemüths —
zufammenfaßte.
Ih begann das Werk in Ganzonen-
form zu schreiben, verfuchte es dann
sss
mit dem Hexameter, gab aber auch Bedürfnis entſprochen hätte. Zwar ſtand
diejen bald auf und griff zur Nibes
lungenftrophe. Was in jener urſprüng—
lihen Geftalt ausgeführt und dann
bei Seite gelegt wurde, findet fich
mitgetheilt in C. W. Gamalowsti’s
„Steiermärkifchen Dichterbuch“. (Graz
Pechel, 1887.)
Die Dichtung erfchien im Juli
1861 bei Stober in Prag. Sie wurde
günſtig aufgenommen. Aber während
ein Kritiker erklärte, daß fie „in den
Ihönften Nibelungenftrophen gefchrieben
fei, die je ein Poet gebaut“, fehlte es
auch nicht an einem folchen, der nicht
umbin konnte, zu wünſchen, dies
„Schwanenlied der Romantit” möge
das Schwanenlied meiner Mufe jein.
Einen lebhaften Eindrud machte in
weiteren Streifen das feither fogenannte
Vaterlandslied, mit welcher diefe etwas
weichmüthige Elegie einen frifchen und
fräftigen, zum Herzen des deytjchen
Bolles ſprechenden Ausklang fand.
SH machte übrigens bei dieſem
Werkchen zum erftenmal die Erfahrung,
daß eine fih bis zur Schwärmerei
fteigernde Wirkung meiner Poefie, ins—
befondere auf jugendliche und auf
Hranengemüther, nicht ausgejchloffen
fei, und Diejenigen irren, welche glauben,
meine Mufe Habe erft mit dem „Ahas—
ver in Nom“ fich warm begeifterte
Freunde und Freundinnen erworben.
Dieſe Erfahrung machte ich jedoch
zunächſt nicht im meinen heimischen
Trieft, fondern in der freundlichen
Murftadt, wo mich, als ich im Sommer
wieder dahin kam, eine feine ftille
Gemeinde von warmfühlenden Lefern
und Lejerinnen meiner Dichtungen,
insbeſondere des „Schwanenlieds der
Romantik”, mit einem Male der per=
Jönlichen Abgeſchloſſenheit entriß.
Trieft bot mir fo manches eben=
jowohl Angenehme als Erſprießliche.
ich nicht unmittelbar allein, ich Hatte
nunmehr meben meiner Mutter auch
meinen Vater um mich, den, nachdem
er das fechzigfte Lebensjahr erreicht
hatte, eine Stätte jorgenlofer Ruhe
zu bieten war. Aber der Befuch ge—
jelliger Vergnügungsorte war mit der
Führung eines eigenen Haushaltes
nicht leicht zu vereinigen, umd durch
meine Gefundheitsumftände war ich
verhindert, gejelligen Verkehr überhaupt
zu fuchen und zu pflegen, auch dort,
two ſich zu einem folchen eine des Ver—
ſuchs werte Gelegenheit zu bieten
ſchien.
Zum Stubenfißer wurde ich da—
ducch freilich nicht. Das Sißen war
und ift überhaupt nicht meine Sache,
und nad dem Hervortreten des Unter»
leibsübels war eine Stellung, die einen
Drud aufden Unterleib mit ſich brachte,
mir peinlich geworden. Liegen (auf
dem Sopha) oder Gehen wurde mir
zum Bedürfnis und zur Gewöhnung,
und ich darf jagen, daß, fo weit ic)
zurückdenke, nur ftarles Unwetter oder
beftiges Unwohlſein mich einen halben
Tag lang innerhalb meiner vier Wände
zurüdzubalten vermochten. Schon als
Berichteritatter der Trieſter Zeitung
veranlaßt, von Allem, was auf dem
Gebiete des öffentlih zu Sehenden
und zu Hörenden vor ſich gieng,
Kenntnis zu nehmen, erweiterte ic)
den Kreis meiner Anfchauungen in
ziemlich reihem Maße und buntem
Wechſel. Aber ich ſah, hörte, genoß
Alles nur als passer solitarius mitten
im Gedränge, und Dr. Pipik, der
‚damalige Mitherausgeber der Zriefter
Zeitung, bezeichnete mein jtilles, aber
aufmerkſames Umherwandeln mitten
im Getriebe der Hafen- und Handels—
ſtadt ſehr glücklich, indem er mich den
„Osservatore Triestino“ zu nennen
pflegte. Ein Dichter, der zehn Jahre
Aber was ſich dort immer drückender lang jeden Tag auf die Borſe geht,
für mich geltend machte, war der iſt gewiß eine Seltenheit; nun, ich
Mangel gerade an jener Art von ge= war diefer Dichter; ich befuchte jeden
jelligem Verkehr, der meinem inneren | Tag die Triefter Börfe, als Mit-
56 *
884
abonnent des Leſeſaals derſelben, und zur Schau,
las da die Zeitungen, umſchwirrt vom
Geſpräch und Getümmel der immer
regen Geld- und Handelswelt.
Spät Abends ſtreifte ich gern auf
den Molos und in den Gaſſen der
Stadt umher, in ſchwülen Sommer—
nächten, wenn hier und da eine auf
den Balkon herausgeſtellte Nachtigall
im Bauer ſchmetterte, aber auch zur
Minterszeit, im feharfen, erfrifchenden
Hauch der Bora, welcher ich damals
noch einigermaßen troßen konnte. Der
Lefer braucht nur „Sinnen und Mitte
nen“ aufzufchlagen, und die „Lenz-
naht im Süden“ nachzulefen, neben
einigen anderen Hpynmen und Sonetten,
um ih von dem finnenden Herum—
jchweifen des einfamen Poeten am
Strande der Adria den rechten Begriff
zu machen.
Unter ſolchen Umftänden trat na=
türlicher Weife jene Frage, welche der
Franzoſe la question de femme nennt,
immer peinlicher an mich heran. Was
wäre der Poet ohne jeden weiblichen
Umgang? Es gibt glüdlide Manns—
leute, für welche la question de femme
niemals eine brennende wird, jo lange
weibliche Lippen, gleichviel von welcher
Art, noch ein gefälliges Lächeln für
fie haben. Zu diefen Glüdlichen zählt
aber ein Dichter in der Regel nicht.
Trotzdem ift es eine leidige Thatjache,
daß die Sehnfucht jugendlicher Ge—
müther, die doch zunächſt nach dem
Schönen und Lauteren gebt, zumeift
im Sumpfe geftillt wird, jo daß ein
auf die Dauer unerträgliches Hinund—
herſchwanken gerade der befjeren Na—
turen zwifchen Sehnfuchtsdrang und
Elel ſehr begreiflich ift.
Zum Glück für den Poeten fand
ih in Trieſt hinlängliche Gelegenheit
wenigftend zu platonifchem Cultus
Ihöner Weiblichkeit. Die füdlichen
Schönheiten der Hafenftadt, die bes
zaubernden Italienerinnen, Griechinnen
und Jüdinnen ftanden für dieſen
meinen platonishen Schönheitscult alle
abendlih im den Yogen der Theater
wie Heiligenbilder in
Niſchen. Manches von diefem Eult bat
fih in Sonetten aus der Trieſter
Zeit erhalten. Zuweilen fiel doch auch,
wie in unbewußter Erfenntlichkeit für
ſtille Huldigung, ein gnadenvoller Blid
auf den nachdenklichen Beobachter im
Barterre.
In einem gewillen alle war nicht
die Theaterloge, fondern ein Ballon
der Altar, unter welchem ich mein
unfichtbares Rauchfaß ſchwang. Eine
Ihöne junge Dame, eine Perle ihres
Geſchlechts, war auf dieſem Balkon
täglich zu fchauen, wenn ich aus dem
Gymnaſium nah Haufe gieng. ch
blidte andächtig zu ihr hinauf, und
fie blidte gnädig zu mir herunter. Das
gieng jo eine Weile fort. Wozu follte
es führen? Da machte der nedifche
Zufall auf eine etwas unzarte, aber
zwedentjprechende Weife der Sade ein
plößliches Ende. Ich pflegte aus dem
Gymnaſium die griechifchen und latei=
nischen Penſumhefte, die ich durchzu—
fehen hatte, perfönlich nachhauſe zu
tragen. Aber bevor ich am jenem
Ballon vorüberkam, nahm ich die Hefte
an meine Bruft und fnüpfte den winter:
lichen Lleberrod feft darüber zu; denn
wer in Zrieft ein Padet trägt, wird
nicht für einen Signore, jondern für
einen Facchino angejehen. Das geſchah
nun eines Tages wieder. Aber gerade
als ih vor dem Ballon angelangt
war, jpielte mir der nicht feſt genug
gefnöpfte Ueberrod einen Streih und
dreißig blaue griechische Penſumhefte
rollten in den Staub der Straße unter
den Augen der Schönen. Jh war
genöthigt, alle dreißig zerftreut umher—
liegenden Hefte aus dem Schuß der
Straße aufzulefen — unter den Augen
der Schönen.
Bon dieſem Tage an machte ich
immer einen großen Ummeg, um jenen
Ballon zu vermeiden.
Einen vertrauten Freund und
Geſpielen hatte ich indeſſen doch. Auch
hier muß ich den Leer auf „Sinnen
und Minnen“ verweilen: auf den darin
enthaltenen biographiichen
„Mein Eihhörnden“.
Als ich, wie gefaat, im Sommer
des Jahres 1861 meinen Ferienauf—
enthalt wieder in Graz auffchlug, ver—
fehrte ich viel mit dem älteften meiner
Grazer Freunde, Fri Pichler,
deilen „Balladen“ mich entzückt Hatten,
und der jpäter das Eigenartigfte, Duf—
tigfte, was jeine für diefe Dichtart
unleugbare Begabung zu Tage förderte,
in dem epifchen Liederbuhb „Runen
und Reime“ vereinigte. Diejer ſagte
mir, daß ein paar für meine Dich:
tungen ſchwärmende Frauen mich fennen
zu lernen wünſchten. Ich folgte der
Einladung, machte die Bekanntſchaft
der beiden Frauen und eines Keinen
Kreifes, welchem ich ſchon lange als
Dichter nicht fremd war.
Da die Befreundung mit den
Hauptgeftalten diefer „ftillen Gemeinde”
eine dauernde wurde und fpäterhin
zum Theil auf meine Lebensgeftaltung
nicht ohne Einfluß blieb, jo kann ich
nicht umhin, diefelben den Lejer vor—
zuftellen.
Ich will die beiden Frauen, welchen
der Freund mich zuführte, Minona
und Fanny nennen.
Minona entſtammte einem alten
Nittergefchlechte, welches in den öfter-
reihiichen Alpenländern begütert war.
In den Tagen ihrer Kindheit war ihr
Vater noch Belier zweier Güter in
Kärnten und fuhr als Mitglied der
Miener Ariftofratie mit einem Vier—
geipann ; die Yamilie verarnıte jedoch
und nah den Zode des Familien—
hauptes jiedelte die Witwe mit ihren
Kindern von Wien nach Graz über.
Hier verehelichte jich die herangewachjene
Tochter mit einem jungen Advocaten,
der leider Schon nach wenigen Jahren
ftarb, ohne daß er vorher für die Zu—
funft feiner Gattin irgendweldhe Für:
ſorge hätte treffen fönnen. Ein Bruder
des Verſtorbenen, gleichfalls Advocat,
überließ der vermwitweten Schwägerin
feine ländliche Belikung in der Nähe
von Graz zur Bewirtichaftung. Hier
N
Sr
Hymnus hauste unn Frau Minona in einfachen,
aber angenehmen Verhältniſſen und
gab ſich den romantiſchen, poeſie—
freundlichen Neigungen hin, welche ſie
von früher Jugend an gepflegt Hatte,
im Verfehr mit gleichgelinnten rauen
und mit feingeiftigen jungen Poeten,
Gelehrten, Literaten. Der hoch und
ſchön gelegene Landfiß konnte an fich
ichon einen lodenden Zielpunft für
ländliche Ausflüge bilden; die Heiter-
feit, Gaftfreumdlichkeit und geiſtige
AufgewedtHeit der Herrin verlieh ihm
ein höheres Intereſſe. Man fühlte
ſich fogleich poetifch angeregt, wenn
man auf der weitfchauenden Höhe des
grünen Bühels angelangt war und
einem aus der ländlichen, aber male—
riſchen Behauſung die freundliche Be-
wohnerin in blaufeidenem, ſchäferlich
geſchürztem Gewande, das Haupt von
gefräufelten Loden unmmvallt, entgegen—
trat. Und fo pilgerten denn micht
Wenige von Zeit zu Zeit gern hinaus
nach dem arfadifchen Muſenſitz zwiſchen
dem Hilmteih und der ragenden
„Platte“. Der feiner Wiſſenſchaft
zu früh entriffene fchweizerifche Geo»
loge Zoflitofer, der fich längere Zeit
in Steiermark aufhielt, der nachmalige
Nationalölonom Emanuel Hermann,
der feither als Chemiker rühmlich her—
vorgetretene Nihard Maly, der Mu—
fiter Wilhelm Treiber, Dr. Valentin
Pogatſchnigg, die Gebrüder Mitter-
bacher, der früh verftorbene junge Poet
Bogensberger, deijen Nachlaß F. Pichler
berausgab, und Andere, fühlten ſich
hier wohl im engeren oder weiteren
Kreiſe.
Mittelpunkt und Seele dieſer ganzen
geſelligen Bewegung war der Dichter
der „Runen und Reime“. Er führte
die neuen Gäſte ein, er ſetzte kleine
ländliche Feſte und Vergnügungen in's
Werk, er ließ ſeine Meldungen durch
das Milchmädchen, das zwiſchen der
Stadt und dem Landſitz Minonas
regelmäßig Hin = und hergieng, an
leßtere gelangen und verfehrte fo, wie
er mit ſcherzhaftem Anklang an Mi—
886
nona’3 Witwennamen zu jagen pflegte, !Haufes ftundenlang allein und war
„aufder Milchſtraße mit den Ge= durch Feine Bitten und Vorftellungen
ftirnen.“
Die natürliche, zwar ſchwärmeriſche,
aber von jeder Geziertheit freie, heitere
Weiſe Minona’3 fand einen inters
ejjanten Gegenfag in der jchroffen,
gegen alles ihr nicht nahe Verwandte Jich
ftreng abjchliegenden Natur Yanny's.
Auch fie war die Gattin eines Advo—
taten, dem fie aber nur unter hoch—
romantiihen Bedingungen ein paar
Jahre zuvor die Hand gereicht hatte.
Sie Jah wie eine junge Burgfrau des
Mittelalterd aus und Hatte auch ihr
Heim nah Möglichkeit ritterburgmäßig
eingerichtet. An ihrem Tiſche wurde
nur aus Bechern getrunfen, ftatt aus
gewöhnlichen profaischen Gläjern, und
fie dachte eruftlih daran, ſich auch
mittelalterlich zu kleiden. Sie hätte
für ihr Leben gern eine Potosblume
gejehen, aber unmittelbar am Ganges
hätte fie gepflüdt fein müflen. Meine
Idee, einen „Sonnenblumenorden” für
romantische Gemüther zu ftiften, be=
grüßte fie mit Begeifterung. hr fitt-
licher Idealismus kannte feine Grenzen.
Das Gafel „Ih will ja nihts!“
war ihr das liebfte meiner Gedichte,
und von jedem männlichen Wefen, das
in ihre Nähe kam, verlangte fie, daß
es die Schwärmerei für diejes Gedicht
theile. ch erinnere mich noch der
beinahe tragischen Entrüftung, mit
welcher fie davon ſprach, wie ein be=
rühmter Schaufpieler, der fie entzüdt
hatte, von ihr eingeladen und der
Einladung folgend, während des Ge—
ſprächs vertraulich ihren bloßen runden
Burgfrauenarm zu fallen ſich erfühnte,
und durch einen vernichtenden Blid
aus den jchönen, aber ftrengen Burg»
frauenaugen über das Irrthümliche
feiner Vorausſetzungen aufgellärt wer-
den mußte. War fie bei ihrer Freun—
din Minona zu Beſuch, und es fanden
Leute ſich ein, die nicht zum engeren
Kreife der ftillen Gemeinde gehörten,
fo verlieh fie das Zimmer, blieb draußen
auf der offenen hölzernen Gallerie des
zur Nüdlehr zu bewegen. Fanny's
Idealismus erftredte fich auch auf ihr
geliebtes Schoßhündchen, Flora ges
beißen. Man erlannte in Flora,
wenn fie vom Schooße ihrer Herrin
aus Häffend gegen einen neuen Beſuch
Verwahrung einlegte, auf den eriten
Blid die fireng erzogene, altjüngfer-
lihe Kleine Bellerin.
Fanny's einzige auserforene Freun—
din war Minona. Beide Frauen bes
ſaßen neben unleugbarem poetischen
Sinn und VBerftändnis eine jchöne
Bortragsgabe und führten gern Scenen
aus claſſiſchen Stüden zu ihrem und
zu Anderer Vergnügen auf. Konnte
e3 Anfangs faft erheiternd wirken, wenn
lie Scenen aus Fauft darftellten und
dabei die ſchlanke, jugendliche Fanny
fih’8 nicht nehmen ließ, den Fauſt zu
jpielen, während die beleibtere Minona
das Gretchen übernahm, fo mußte man
ſchließlich dieſe Rollenwahl dennod
gutheißen und fand, dab fie dein Per:
fönlichkeiten beſſer eutſprach, als die
umgekehrte entfprochen haben würde.
Einer dritten eigenartigen Der:
treterin ihres Geſchlechts führte der
Treund mich zu: der damals dem
Grazer Theater angehörigen Sängerin
‚Frl. Schwefelberg, die wir mit dem
flangvollen Namen Solferina zu bes
zeichnen pflegten. Die Solferina war
eine geborne Ungarin, wenn ich nicht
irre; ein geniales Naturkind mit
Ihwarzen Zigeuneraugen und Naben»
(oden, und dem ungezwungenen Bes
nehmen einer Theaterdame, aber von
durchdringendem Verſtand, und ehr—
lichem, offenem, auch für Höheres nicht
unempfänglichem Gemüth. Im Kreiſe
Minonas — denn Freund Fritz, der
Allvermittler, hatte ſie in denſelben
eingeführt — vertrat ſie bewußt und
unbewußt die Ironie, die „Reaction“
gegen die Kundgebungen der höheren
„Romantik“, wobei ihr, foviel ich mich
erinnere, der Pianiſt Treiber als vers
wandte Natur zur Seite ftand. Aber
u
887
die Spiben der Gegenfäße zwischen | auf, die mir durch Jugenderinnerungen
Solferina und der „stillen Gemeinde“
wurden nicht gerade zu verlegenden
Stadheln; nur zwifchen Fanny und
Soflferina bildeten fie Pole, die ſich
entschieden abſtießen.
In diefe bunte, anregende Gejell-
jhaft war ih nun eingeführt und
nahm an den gejelligen Vergnügungen
derjelben Theil, fo weit es meine Ver—
bältniffe zuließen. Steine Feſte, mit
theatralifchen Aufführungen, einem
Tänzchen u. dgl., vereinigten und zu—
weilen auf dem Landfife Minonas,
bi die Sterne über uns funfelten wie
Freudenfeuer. Das Einzige, was da=
bei Schlimmes ſich ereignen konnte,
und in der That auch oft ich ereignete,
war, daß Fanny das Zimmer verließ
und auf der umlaufenden Gallerie des
Haufes ihren Schmollwinfel auffuchte.
In ſolchen Fällen blieb dann nichts
übrig, als daß ich — fo ziemlich der
Einzige, der e3 wagen durfte — ihr
auf der Gallerie Gefellfchaft leiftete.
Und das lohnte ih. Da wurde
dem Sänger des „Schwanenlieds der
Romantik“ die Romantit und die
„blaue Blume“ lebendig in reizvoll:
linnigen Geplauder, die Stunden
flogen, der Abend dunfelte, die Blüten
der rieligen Linde vor dem Haufe
dufteten, ein Vogel fang im Wipfel
jo Schön, al3 wär's fein Schwanen=
lied, Sternſchnuppen ftoben wie Nas
feten aus der Höhe des Abendhimmels,
tief unten und weit hinaus dämmerte
das Grazer Feld mit der Stadt umd
dem Murftrom und dem ragenden
Halbrund der Gebirge.
Mären mir im Leben tiberhaupt
ungetrübt jchöne Stunden gegönnt
geweſen, jo würde ich vor Allem die
Stunden diefer für mich neuen an—
muthigen Gejelligkeit dazu zu rechnen
haben. Leider wurden auch fie mir
ſchon durch mein immer mehr oder,
‚andere gaſtriſche Yuftände, verbunden
weniger ſchlechtes Befinden verkümmert.
heilig waren. Ich beſuchte die Familie,
welcher Regiswinda entſtammte, die
ich bei dieſer Gelegenheit ſelbſt auch
wiederſah, als Mutter, beglückt durch
ein talentvolles Söhnlein; ferner Ra—
phael's „Madonna im Grünen“ im
Belvedere — auch eine Jugendliebe
von mir und meinen Freund
Cajetan Cerri. Auf zufälligen Anlaß
machte ich auch eine neue Bekanntſchaft,
die des geftrengen Kritikers Emil Kuh,
der zu jener Zeit die Dichter Grün,
Treiligrath, Lingg und Andere ver—
nichtet Hatte und fpäterhin mit Vor—
liebe mich vernichtete. Noch ſehe ich
ihn dor mir, bei meinem Eintritt am
Schreibtiſch ſitzend und ſitzen bleibend,
mit einer kleinen Bewegung der Rechten
meine höfliche Begrüßung leicht er—
widernd, mit der Linken in Papieren
der Schreibtiſchlade weiterkramend. Er
flößte mir ſo im erſten Augenblick
einen ehrfurchtsvollen Begriff ein von
der Erhabenheit eines Kritikers über
gewöhnliche Menſchenkinder, ließ es
aber dann im Geſpräch a einer ge—
wiſſen Leutſeligkeit wicht fehlen.
Vorläufig galt e& mit Beginn des
Dctober wieder von Graz zu jcheiden
und an die Adria heimzufehren. Freund»
liche Beziehungen waren, wie der Leler
gejehen Hat, augeknüpft; aber es war
noch nicht abzusehen, mach welcher
Seite Hin ſich etwa Höheres und
Bleibendes daraus entwideln würde.
Im Folgenden Jahre (1862) brachte
der Eintritt der wärmeren Jahreszeit,
wie gewöhnlich, eine Verſchlimmerung
meines Befindens mit ich, die aber
diesmal einen ernfteren Charakter ans
nahm und mich für den ganzen Monat
Juni bettlägerig machte. Oefteres,
nicht veichliches Waſſerſpeien, wobei
die Färbung des Ergofjenen eine leichte
Beimiſchung von Blut verrieth, Heftige
Schmerzen in der oberen Bauchgegend,
Vor meiner Nüdtehr nach Trieft | mit Anfällen großer Schwäche und
gieng ich noch auf ein paar Tage nach |
fieberhaften Anwandlungen, waren
Wien und fuchte die Stätten wieder herrſchend. Der mich behandelnde Arzt
888
überließ mich, ſelbſt Allöopath, einem
Domdopathen — feinem Schwieger—
john —, weil er zu bemerlen glaubte,
daß ich Arzneien nicht gut vertrüge.
Der Homöopath, mit dem Badearzte
Dr. vd. Kottowitz im Tobelbad bei
Graz befreundet, empfahl mir Tobel—
bad al3 Sommeranfenthalt, wohin ich
in der That, als ich etwas mehr zu
Kräften gelommen, begleitet von meiner
Mutter, mi auf den Weg machte.
SH verweilte da vom 10. Juli
bis 27. Auguft. Die erwähnten Krank—
heit3fymptome dauerten in geringerem
Grade fort, aber zuletzt geftaltete fich
das Befinden erträglich.
Es gefiel mir recht wohl in Tobel—
bads reizendem Maldthal, wo ſchon
der erfte Schritt ins Freie nach allen
Seiten hin in waldjchattige, nadelbolz-
duftige Gründe und zuangenehmen Ruhe—
punkten führt. Die üppig wuchernde,
bunte Pflanzenwelt dieſer Gegend er—
weckte in mir Luſt und Eifer für ein
Studium, das ich bis dahin vernach—
läſſigt hatte: für die Botanik. Auf
Selbſtunterricht angewieſen, machte ich
freilich nur langſame Fortſchritte; aber
ih kam doch vorwärts und betrieb von
da au Jahre lang mit Vorliebe diefe
Wiſſenſchaft, welche mich das Vers
gnügen des Herumfchweifens in Wald
und Flur fortan dreifach genießen ließ:
als Menſch, als Dichter und als
Pflanzenfreund.
Der Dichter fand bei dieſen bota—
nischen Erholungsftudien auch feine
Rechnung. In einer romantischen
Waldſchlucht bei Tobelbad kam mir
zum erften Mal eine eben erblühte
Genziane zu Geſicht, von jener Art,
welche, wie ich Später fah, den Wäldern
der Grazer Gegend gegen den Herbſt
hin einen befonderen Schmud verleiht.
Sie regte mich zu der Hymme „Vor
einer Genziane“ an, einem Gedichte,
das in weiten Kreiſen bekannt geworden
it. Ich pflüdte die Pflanze mit ihren
Blumengloden vor dem Verwelken,
preßte fie ein und machte damit nad
Jahren dem Schauspieler Guſtav Starde
ein Geſchenk, der, wie früher fchon
Lewinsty, duch trefflihen Vortrag
jenes Gedichts ſich ein Anrecht auf
meinen Danf erworben hatte.
Neben dem Naturgenuß, der Bo—
tanik und der Poelie, war es die Muſik,
bei welcher ich Erholung von geiſt—
lähmenden körperlichen Leiden fuchte —
aber freilih nur Muſik in einer ihrer
einfachften Gejtalten: in der des Gui—
tarreflimperns, da ein anderes Zone
werfzeug mie nicht zur Berfügung
ſtand.
Ein paarmal beſuchten mich die
Grazer Freunde: Pichler, Minona,
Fanny. In der kleinen Badecolonie
des Ortes bewegte ich mich anfangs
völlig fremd und vereinzelt. Das
änderte fich aber mit einem Male, Kurz
bevor mein dortiger Aufenthalt zu Ende
gieng. Wiederholt tauchte in Tobelbad
Leopold dv. Sacher-Maſoch auf, warın
befreundet mit den Badearzte und mit
deſſen reizender Gattin. Diefe Danıe
galt mit Necht als eine Schönheit und
bildete den glänzenden Mittelpunkt des
gefelligen SKreifes von Zobelbad. Der
genannte, gegenwärtig in Deutjchland
ziemlich mißliebig gewordene Schrift»
fteller hatte damals erjt den Roman
„Eine galiziſche Geſchichte“ veröffent-
licht, aber er ftand in der jugendlichen
Blüte feiner Liebenswürdigfeit als
Menſch. Mit polnischer, oder — um
ihn nicht zu kränken — Heinrufjischer
Nitterlichkeit und Gefchmeidigfeit des
Benehmens verband er die Kedegabe
und Nedeluft des geiftreichen jungen
Mannes und genialen Erzählers. Rüde
haltslos offen, wie er war, gieng er,
nachdem die erfte Bekanntſchaft zwiichen
und Beiden gemacht mar, bald zu
vertraulich » gejprähiger Mittheilung
über und ich erfuhr durch ihn ſelbſt,
was in Graz, nur nicht aus jo guter
Quelle, jo ziemlich alle Welt wußte,
Der Roman war damals eben in der
Wirklichkeit angeiponnen, den er fpäter
in feiner „Geſchiedenen rau“
literarifch ausgeftaltet hat, wobei ihm
die erwähnte Offenheit jeines Weſens
zu ftatten fam, das Geheimfle jo
zum poetiichen Gemeingut der deutichen
Lefewelt zu machen. Noch ahnte weder
er, noch jonft Jemand, melde Wen—
dungen der damals in der Wirklichkeit
angefponnene Roman nehmen, und
noch weniger, welden Ausgang er
haben würde. Sacher-Maſoch's Gemüth
war voll jugendlich fenriger Wallungen
und kühner Lebenspläne. Er ſprach
damals immer von feiner Abficht, fich
in Galizien, feiner Heimat, in den
Reichsrath wählen zu laſſen, fobald er
das gejegliche Alter dazu erreicht haben
wirde, einzig um als Volksvertreter
für ein neues Ehegejeb zu wirken und
jo auf gejeglichem Wege jene Schei—
dung der von ihm geliebten Fran zu
ermöglichen, die bald hernach auch ohne
das, auf zwar nicht gefeglichem, aber
friedlihem Wege, zu feinen Gunften
erfolgte. Aber ich greife den Ereig-
niffen vor; ich werde Sacher-Maſoch's,
mit dem ich viele Jahre hindurch auf)
freundjchaftlichem Fuße verkehrte, ſpäter
noch zu gedenken haben.
Den Neft meiner Sommerferien,
bis Ende September, verlebte ich wieder
in Graz, im regem Verkehr mit dem
im vorigen Jahre mir erjchloffenen be=
freundeten Kreiſe. Die freundjchafts
lihen Bande, die mich mit den Frauen
Minona und Faunh verknüpften, ges
wannen an Feſtigkeit, insbejondere der
Erfteren gegenüber. Solferina war
aus Graz ich weiß nicht wohin ver—
ihlagen worden. Ich machte die Be-
fanntjchaft des jungen Officierd und
Poeten Albert Guzman, defjen
„Erinnerungen aus den italienischen
Feldzuge des Jahres 1859“ und poeti=
ihen Nachlaß ich ſpäter herausgab,
al3 ein Bruftleiden dem Leben des
jeher begabten und liebenswürdigen
jungen Mannes ein frühes Ende ges
macht Hatte.
889
An dem Unternehmen Heinrich
Penn's, der eine ſehr Hübjche belle—
triftifche Wochenschrift „Hoch vom
Dachſtein“ zu Graz in’s Leben rief,
nahm ich regen Antheil.
Auch entjtand im jenen Tagen des
Grazer Aufenthalts meine Ganzone
„Bermanenzug“. Sie wurde
binnen elf Tagen vollendet und erjchien
zunächſt in Emil Kuh's „Dichterbuch
aus Oeſterreich“ (Wien. Gerold 1863),
dann auch in beſonderer Ausgabe
(ebenda 1864). Wie im „Schwanen=
lied der Romantik“ an das Zeitalter
überhaupt, fo legte hier der Poet an
das deutiche Volt den Mapitab der
höheren Ideale. Die Dichtung hat
vielen Beifall gefunden, und es gab
nicht Wenige, welche fie Allen vor=
jogen, was ic) bis dahin gefchrieben.
Ein Wiener Kritifer fertigte fie jedoch
mit einer einzigen wißigen Zeile ab:
„Diefe Ganzone ift ganz ohne.“
Eine Begründung diejes wigigen Aus—
ſpruchs fügte er nicht bei, was ganz
natürlich, denn hat ein Necenjent ein-
mal einen glüdlichen Einfall über ein
Bud, jo braucht er es nicht weiter
anzuſehen.
In Trieſt fiel mir nach den geiſt—
anregenden geſelligen Ferienfreuden,
die ich nun wiederholt verkoſtet hatte,
die alte Abgeſchloſſenheit doppelt ſchwer
aufs Herz. Meine Stimmung bers
diüfterte fi und nur die Mufe bot
mir Troft. Der Plan des „Ahasver
in Rom“ hatte angefangen mich zu
beichäftigen.
Da trat wider Erwarten in meinen
Triefter Lebenskreis eine weibliche Er—
iheinung, welche berufen war, mir
das ſchmerzlich Vermißte in einem
Uebermaß, das mich weit mehr auf—
regte, als befriedigte, zu gewähren.
(Fortiegung folgt.)
Mein deutfdhes Volk.
Gedanfen der Liebe und Treue von Edward Samhaber.
Ss ſprach jo oft in Liedern und Gebeten
Ara Zu Dir, o Voll, mit tief empfund’nem Wort;
Ob's auch die Feinde tückiſch mir verdrebten,
63 flingt doch tief und mädtig in mir fort.
Ih wühte Keinen, Kleinen hier int Lande,
Der mir das feuer in dem Buſen dämpft,
Und ſchlügen jie mein Lied in eh’rne Bande,
Mir bleibt der Geift, der ungebrochen kämpft.
Zwar bin ih arm und habe Weib und Kinder,
Und Dornen find’s, die mir das Leben bringt,
Doch glaubet nicht, ich fühlte darum minder
Die Noth des Volfes, die zum Herzen dringt.
Ten eignen Jammer will ich gern vergeſſen,
Seitdem der Deine über alles Maß;
Nicht von Verſöhnung rede man vermeſſen,
Die Saat war Liebe, dod die Ernte Haß.
O laßt uns denten jener behren Schatten,
Die einft gefämpft im Teutoburger Wald!
Auf ftanden die Cherusfer, Marien, Chatten
Und ſcharten fih um Armin’: Trußgeftalt.
Wie Donnerrollen von den Felſenwänden
Erſcholl ihr Ruf unheimlich dur die Nadt;
Der Himmel flanımte, wie von fFeuerbränden,
Und Sturm und Regen tobten in der Schladt.
Und mahnen nicht die fühngezadten Spitzen
Der grauen Alpen flündlih unier Land,
Mie unj’re Väter aus den engen Sitzen
Der Heimat zogen nad des Südens Strand,
Wo Romas Neich, vor dem die Welt gezittert,
Da es die Adler in die Fernen trug,
Zufammenbrad, ein Baum, vermorſcht, verwittert,
Als Odoaler an die Wurzel ſchlug.
Und laujchten wir den Tannen oft und Fichten,
Mas fie fich flüftern in des Mondes Strahl,
Sie würden uns mand’ Wunderding berichten,
Wie Barbarofja über Berg und Thal
Hinunterzog, nicht bangend vor dem Toben
Des Waldfiroms und des Weges dunkler Schludt,
Daß deutiher Name, durd das Schwert gehoben,
Eid Geltung jchaffte in der Zeiten Flucht.
DO Rhein und Donau mit den ſüßen Neben,
Mer hält nicht inne von der Wanderfahrt,
Wenn er die Dome, die zum Himmel ftreben,
Und die ergrauten Burgen all gewahrt!
Tas Leben zieht in farbigen Gemälden
An uns vorbei, die Nitterharfe tönt,
Kreuzfahrer zieh'n, von Gott entflammte Helden,
Trunzune fliegen und der Palas dröhnt,
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Doch kaum verichollen jene Pilgerfahrten
Und ſank zu Grab das ſtaufiſche Geſchlecht,
Begannen Reich und Ritter zu entarten,
Aufwucherte ein blindes Fehderecht.
Der ſchwarze Tod hielt eine reiche Ernte,
Von Huſſens Flamme leuchtete Conſtanz;
MWüft lag das Feld, wo izle ſich entfernte,
Dem Halbmond fiel das goldene Byzanz.
Und dur die Menichheit gieng ein dunfles Ringen,
Sich zu erheben aus des Nebel Dunft.
Fin neuer Geift entfaltete die Schwingen,
Alt Hellas zog in Wiſſenſchaft und Kunft.
Die Sonne ftand in der Planeten Kreiſe,
Das Weltmeer ſich den Staunenden erichloß;
Gin Gutenberg wies herrliche Geleije,
Und Luthers Wort in alle Herzen floß.
Mir ift, ich jeh’ des Dorfes grüne Linde,
In deren Schatten predigend er ftand;
Ihm lauſchte man vom Greiie bis zum Kinde
Und mweinend küßte Mander jeine Hand.
Gr aber zog mit gläubigem Vertrauen
Nah Worms hinab, der alten Stadt am Rhein:
„Und wären jo viel Teufel dort zu jchauen,
Als Ziegel find, ich geh',“ ſprach er, „hinein.“
Und mie ein König zog er durd die Straßen,
Und Wlles jah den wunderbaren Mann.
Gott ift mit ihm! Gott wird ıhm nicht verlafien!
So dachte Mander, der ihm zugetihan.
Ein ſchlichtes Möndlein, ftand er vor dem Throne
Des Kaifers, der verähtlih auf ihn jah,
Und rief beherzt trog Biſchofsſtab und Krone:
„Ih kann nicht anders, jo wahr Gott mir nah.“
Und von dem Fürften bis herab zum Bauer,
Der hinterm Piluge unbeadhtet jchritt,
Sie überfam ein tiefgeheimer Schauer
Vor jenem Mönche, der jo mannhaft ftritt.
Indeſſen fchrieb er in der Wartburg Beite
Die deutſche Bibel, jenen echten Hort,
Der in die Hütten, wie in die Paläfte
Verjüngend trug das reine Gotteswort,
Und wieder ſcholl vieltöniges Gejchmetter
In Stiller Werkitatt, wie auf grüner Flur;
In alle Winde flogen jene Blätier,
Darauf es Hang von Liebe und Natur.
Der Burjche zog durch's graue Thor in's Städtchen,
Und gleich der Lerche jubelte jein Lied
Von Lieb’ und Treue zu dem holden Mädchen,
Von dem er weinend mit dem Herbſte jchied.
O fahret wohl, ihr jommerjhönen Tage!
Der Winter kommt, der eifige, heran.
Ich ſeh' des Krieges dreikigjähr'ge Plage
Und all das Weh, das er uns angethan.
O armes Neid, von Freund und jyeind veripottet,
Faſt wie ein Greis mit einem Fuß im Grab;
Buſchklepper rings und Söldner, die verrottet,
Nur plünderten, wo e3 zu plündern gab.
s02
Auf brachem Feld in ftunmer Trauer ragte
Mandh grauer Thurm aus Trümmerſchutt empor,
Und aus des Waldes tiefftem Dunfel wagte
Der Räuber fi, der grimme Wolf hervor.
Tie Senje ſchwieg, der Hammer ruhte feiernd,
Der Meifter todt, geihändet Weib und Kind;
Ein blinder Wahn den Glauben überjchleiernd,
Und ehrlos Ale, Herren und Gejind,
O laßt mich ſchweigen von dem düftern Bilde,
Das fi entrollt im weiteren Verlauf!
Zwar grünt die Saat auf's Neue im Gefilde
Und das Gewerbe athmet wieder auf;
Doch Deutihland zieht an Frankreichs Siegeswagen,
Verwelſcht die Sprade und verwelicht der Braud),
Vergeſſen find die alten Heldenſagen
Und durch die Kunft weht ein gelehrter Haud.
O Deutihe! Ihr verdientet Eure Feileln,
Die Ihr geftritten, heil'gen Eifers voll,
Wer da auf gränen, wer auf rothen Sefjeln
Im Regensburgerjaale fiten joll.
Indes fiel Straßburg in des Näubers Hände,
Zu Epeier jant der alterägraue Dom,
Alt Heidelbergs geborftne Mauerwände,
Sie ſeh'n noch heute auf den Nedarftrom,
Geftorben war das hehrſte der Befühle,
Die Lieb’ zum Volle und zum Vaterland,
Gen deutiches Weſen war man vornehm fühle,
Für fremdes in Bewunderung entbrannt.
Drob fann ih nie, o Corſe, Dich erheben,
Bon Deinem Lorbeer reiß' ih Blatt um Blatt;
Ein Volk zu fröhnen, das fih aufgegeben,
Iſt eines Helden würdeloje That.
Im PBurpurmantel, bleib von Angefichte,
Giengft Du dahin, ein blutiger Komet;
Und blutig find die Blätter der Geſchichte,
Worauf Dein Name jludhbeladen fteht.
Ein Attila, bift Du im Sturm gelommen,
Als hätte Gott als Geißel Dich erwählt;
Doch aus der Prüfung, die von ihm genommen,
Erftand das Volk geläutert und geftählt.
Iſt aus dem Grab Leonidas geftiegen ?
Strömt nah dem Feld von Marathon die Schar?
Da jelbft die Knaben zu den Fahnen fliegen,
Und frauen weih'n das goldgelodte Haar?
Die Greife beten und die Mütter weinen,
Den Säugling bält der Vater noch empor:
„Sei Gott mit Dir und fämpfe für die Deinen!*
So ruft die Gattin fcheidend an dem Thor.
O, armes Bolt! Wohl war der Stern erbliden
Des Corſen, der jo blutigroth geflamnt;
Doch war die äuß're Knechtſchaft nur gewichen,
Die inn’re blieb, fo ſehr Du fie verdammt.
Du haft jo viel in jener Zeit gelitten,
Mit Teinem Blut der Fürften Ruhm bezahlt,
Doch für das Neih Haft Du umſonſt geitritten,
Die Freiheit lähmte eherne Gemalt.
LT Au
893
Zwar an den Ketten rüttelten die Geifter,
Im Hörjaal ftritt man, wie auf blut'gem Feld;
Ein Vater Jahn erihien als Waffenmeiſter,
Und jeder Sänger war zugleih ein Held.
Man ihwärmte laut für Oftrolenfas Fläden,
Für Miffolongbi war das Herz entfadt;
So jhmwillt die Flut in Frühlingswetterbäcden,
So wädhst der Sturm in Hocdgemitternadt.
Wohl griff beiorgt der Gallier zum Schilde,
Es war ein Kampf des Kaiſers um den Thron;
In Strömen rann das Blut durd das Gefilde,
Jedoch der Sieg, er frönte Louifens Sohn,
Nun blüht das Reich, des Sieges ſich erfreuend,
Doch hält’s die Hand am Pfluge, wie am Schwert,
Ten Frieden liebend, doch den Krieg nicht ſcheuend,
Sobald der fFeind verwegen ihn begehrt.
Und wir, ein Zweig von der Germanen Stamme,
Wir fühlten nicht, was defien Bruſt bewegt?
Wo immer drohender des Hafjes Flamme
An unjer Volt und unjre Krone jchlägt?
O Oeſterreich! Nicht grolle dem Geſchicke,
Das Did getrennt vom deutihen Bruderreich;
Trau’ nicht dem Slaven mit dem falihen Blide,
Tu glaubft, er lächelt, doch er knirſcht zugleich.
Schon ftehen auf die edlen Markomannen,
Die Söhne regen fih im Wlpenthal;
Verjährten Irrthum gilt es zu verbannen,
Ein Wort erwedt vieljtimm’gen Wiederhall:
Germania mit Auftria verbündet,
Den Frieden hütend in gemeiner Noth,
Es ift ein Wort, das aller Welt verlündet:
Wir fürdten Niemand, denn mit uns ift Gott.
Der Franzoſenbauer.
Gine Geſchichte von P. R. Rofegger.
As war im Sommer des Jahres | wieder an.“ Der Pfarrer hatte auf
De 1809, ala beim Bauer Thomas der Kanzel davon geredet und der
in den Stanzgräben eines Frühmorgens | Richter in der Gemeindeftube, was zu
der Almhalter Rochus zum Fenſter thun ſei, wenn die „Blauen“ wieder
hereinrief: „Auf, Leut’, zum Franzofen | da feien. Jeder foll vorher in Sicherheit
derſchießen iſt's!“ bringen, ſoviel er kann. Weib und
Schon lange hatte man davon Kind und Vieh in's Gebirg hinauf.
geredet, auf dem Kirchplak, im Wirths- | Die Männer beim Haus bleiben, dem
haus, und auch Haufirer hatten es | Feind geben, was er verlangt, ſich
gejagt, die als Zeitungen mit zwei nicht widerfegen. Er iſt nun einmal
Füßen umgiengen: „Der Franzos ruckt der Herr im Land, da kann man nichts
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machen. Mit ihm ausfommen, fo gutlihr eigenes Land, und wir geben
e3 geht. Es muß ja wieder einmal | unferes nicht her! Kreuzverfluchte Zeit,
befjer werden.
Das waren faubere Vorfchriften,
aber die Holzleute in den Wäldern
und die Hirten auf den Almen, die
Jäger und Wildſchützen, ja jogar die
Soldatenflüchtlinge, die fich dem Militär-
dienft durch die Flucht entzogen hatten
und in den Wildniſſen umſtreiften, die
waren anderer Meinung als der Richter
und der Pfarrer, fie hielten dafür:
die Wölfe und die Franzoſen müſſe
man todtfchlagen, das fei das einzige
Mittel; denn daß diefe Raubthiere Herr
im Lande wären, dazu müßten auch |
Gott im Himmel und die Waldınänner
auf Erden ja jagen. Und jo führten
diefe Waldleute ihren befonderen Krieg
gegen die Welſchen; wenn fie ihnen
auch juft feine offenen Schlachten
lieferten, jo wußten fie durch Abbrechen
von Brüden und Stegen, durd Los—
lafjen angeftauter Bergwäller, durch
Niederwälzen von Felstrümmern, durch
Flintenſchüſſe aus dem Hinterhalte
u. ſ. w. den Feind weidlich zu ärgern.
Sie mahten es damit wahrlid nicht
beiier, und mancher Hausgefeflene be=
Ihwor die Wäldler: „Wir bitten Euch
mit aufgehobenen Händen! Seid nicht
wo da3 Heimatland nicht mehr ficher
geht !”
So Sprachen die Männer, die beſitz-
[08 waren, denen das Heimatland nidts
gegeben als den grünen Wald umd den
blauen Himmel darüber. Und fie liebten
es doch.
Der Halter Rochus hatte auch noch
feine bejondere Urſache gegen die
Franzoſen; ihm Hatten fie bei einem
früheren Einfalle den Bruder erfchlagen,
der fein Weib vor den Nachſtellungen
‚der Weljchen ſchützen wollte.
| Alſo Schrie an jenem Morgen der
Rochus dem Bauer Thomas zum
Fenſter herein: „Auf, Leut’, zum
Franzoſen derſchießen iſt's. Sie find
ſchon im Mürzthal.“
„Fahr ab, Unglücksrabe!“ knurrte
der Bauer Thomas, während er ſeine
Schuhe zuſammenriemte.
„Geh, Bauer!“ ſagte der Rochus,
„ruf' Deine Knecht', nehmt Senſen
und Hacken und Stallgabeln her und
kommt mit. Wir dverjagen fie.“
„Haben nicht Zeit, heut wird ein
Ihöner Tag. Müſſen Heu maden.*
„So follt es auch freifen,“ brummte
der Rochus und gieng davon.
Ihr unfer größter Feind! Was ihr! Ya freilih, der Bauer Thomas
ihnen anthut, wir müſſen es entgelten!| hatte es genöthig. Die ganze Puch—
Ihr verftedt Euch in der Wildnis und | wiefe war abgemäht. „Ein wunder:
habt nichts zu verlieren; aber unſere Schönes Heu, wenn wir’ derwiſchen.
Häufer zünden fie an und uns henken
fie auf. Wenn Ihr's fo fortmacht,
müſſen wir gegen Euch aufftehen! Wir
Jagen Euch's!“
Es war nahe daran,
wirklihde Fehde ausgebrochen wäre
zwiſchen den fFriedliebenden Bauern
und den fampfluftigen Wäldlern. Und
daß eine
Zehn Schöber und drüber, wenn wir's
derwifchen. Iſt Kleeheu, riecht wie
Thee, wenn wir's derwiſchen und fein
Regen kommt. Alfo auf, Leut’, mit
Gabeln, Neben und Stangen, in's
Deu!"
„Das Vieh in den Wald jagen.
Fleiſch und Sped in die Hrautgruben
wenn der Amtınanı auf die Gemeindes | verfenten und zudeden mit WReilig.
tafel nagelte: Die Truppen des Kaiſers Das Haus gut zufperren. Im Mürz-
von Frankreich find nicht unfere Feinde. | thal jollen fie fhon unten fein. Wer
Seid ihnen nicht feindlih. Der Kaiſer weiß, ob's wahr ift; es wird fo arg
von Defterreich will es fo haben! — |nicht fein. In’s Heu!“
jo predigte der Halter Rochus im Walde: | „Wenn’s dem Kaifer recht ift. Uns
„Was Kaiſer! Die Welliichen gehören | kann's Alles eins fein. Die Franzofen
Tepe A ni De h
nicht in's Steierifche herein. Sie haben | find feine Türken, werden uns nicht
we
805
freffen. Bringen Geld in's Land, die) Bauer, auf der Puchwieſen thät’ ein
Franzoſen. Und jet auf, Lent’, in's fremder Mann Heu machen.
Heu!“ „Wird gewiß ein diebifcher Kohlen—
Das Find die Erwägungen und; brenner fein“, meinte der Bauer.
das ift das Commando gewejen beim „So ſchaut er nicht aus,“ ſagte
Bauer Thomas in den Stanzgräben. | feine Tochter.
Die Weidmagd Barberl und die Als fie hinkamen, jahen fie felbit.
Haustochter Agnes giengen voraus, Jede | Emſig frante er das Heu auf, und
über der Achjel einen Rechen und die) jo fremdartig er ausjah, die Arbeit
Meidmagd am Arm noch einen großen | ging ihm handlich. Der Bauer Thomas
Trinkkrug. Die Puchwieſe lag weit |
drinnen in einem Engthal, rings von
Wald umgeben und die Ränder und
Naine bewachſen mit Haſelnuß- und
Himbeerftränchern. Auch Anderes war |
da, und die ledere Agnes — ein freuz: |
fauberes Dirndl — flieg hochgeſchürzt
im Gebüſch um, zu fehen, ob nicht
auch die Stachelbeeren ſchon reif wären.
über und über. Sie biß das Knorbel—
Beere zujammen und fog fie aus.
In demjelben Augenblid flüftert |
die Weidmagd durch das Geftrüpp der| S
Agnes zu: „Du ſchau! Dort auf der!
Wiefe it ein Manu!“
Sie Iugten durch das Blattwerk
— „Ich
hinaus. „Kennſt Du ihn?“
ſchaute eine Weile auf ihn Hin, ſagte
aber nichts. Das war ganz recht. War's
wer immer und dom em immer
geſchickt, man kann nicht zu viel Leut’
haben im Heu. Der Fremde feinerjeits
fagte auch nichts. Er blidte nicht einmal
ordentlich beifeite, ſondern arbeitete
flint weiter, und bald war er mitten
Inter den Knechten und Mägden und
Da, da hatte fie gleich eine großbauchige
mit braunen Adern und zarten Härchen |
He dunſtete ein würziger Geruch
hen ab, preßte mit zwei Fingern die!
arbeitete wie fie.
Die Sonne wurde heiß, aus de
auf. As es auf der ganzen Wieſe
umgekehrt war, beganı man es bom
Wieſenrand, wo immer noch ettweldher
Schatten lag, Hinweg zu rechen und
‚auf ſonnige trodene Pläße zu ſtreuen.
Der Fremde that wie alle Anderen,
aber er ſchwieg, und auch Sie jagten
nichts zu ihn. Schon ftanden ihn die
tenne ihn nicht. Von unſeren Knechten Schweihtropfen auf der fonngebräunten
iſt's feiner.
nicht jo groß. 's ift auch von der
Nachbarschaft feiner; ihrer ſteht leiner
Unſere Mannerleut' ſind Stirne. Er lüftete ſeine braune Mütze
und trocknete ſich mit dem Aermling
den Schweiß, des Weiteren hantierte
ſo grad'. Und was er für ein Gewand, er mit feinem gabeligen Baumaft flinf
hat! Die engen Hofen jet im der; voran, bis ihm der Bauer eine wohl-
Hitz'. Gar fein Schuh’ hat er an; geformte ftattliche Heugabel binwarf ;
die Füſſ' mit Lappen verbunden. Und
feine Bfaidenärmlinge, die ſchauen
Ihön aus! Der Ellbogen gudt ſchon
nach einer Fliderin herfür. Und das
Sicht Shaun Dir an! Na, fo einen
braunen barteten Kerl möcht’ ich micht
haben. Wetten will ich nichts, das iſt
ein Krawat! Und wie er das Heuauf-
wideln fann! Einen gabligen Bauntaft |
hat er dazu. Was nur das für Einer
iſt!“
Die beiden Mädchen eilten zurück,
bis fie den nachlommenden Leuten |
begegneten. Alſogleich erzählten fie dem
's iſt Schad’ um einen fol baum—
ftarfen Kerl, wenn er fein ordentliches
Zeug in der Hand hat. Der rende
warf feinen Baumaft weg, nahm die
ordnungsmäßige Gabel auf und arbeitete
wie die Anderen und blidte nicht viel
um ſich und fchwieg.
Als das Heu nun jo recht unter
der Sonne lag, rief der Bauer Thomas
die Leute zum Mittagsmahl. Dasjelbe
hatte die Bäuerin vom Haufe mit—
gebracht und unter dem Schatten einer
alten Buche bereitet. Die Knechte und
Mägde kamen herbei, der Fremde mit
806
ihnen. Er trodnet ſich noch fortwährend | — Bor Schred Hatte die Agnes den
den Schweiß, fraut mit den Fingern | Löffel weggelegt, al3 fie bei einer leichten
den berwilderten Vollbart zurecht, dak | Lüftung feines Wanıfes diefes Meijer
zur Noth der Mund frei wurde und hatte hervorblinten gejehen. Sie fagte
jest fich unter die Neihe der Uebrigen aber nichts. Wenn ich den Mund
auf den Nafen zur Schüſſel. aufthu', dachte fie, fo bin ich die Erſte,
Der Bauer theilte die Löffel aus, die er niederjticht.
auch dem Fremden einen. Eins um Als fie nach dem Eſſen das Tiſch—
das Andere fprah ein Wort über die |gebet beteten, faltete auch der Fremde
Hitze, über das ſchöne Heu, auch über |die Hände über feinem Knie und ſchlug
die Heufchrede, die in die Schüſſel über Gefiht und Bruft ein Kreuz wie
gehüpft war. die Anderen. Das berubigte die Agnes
„Wenn du Schwimmen kunnt'ſt, erklecklich. Und nun wieder in’s Deu!
ftatt hupfen, jeßt wär’ es gefcheiter,“ | Der Bauer Thomas trug lange Stan
fagte ein Knecht und langte das hilf- |gen herbei und ftedte fie an verſchie—
lofe Thier mit dem Löffelftiel heraus. |denen Stellen der Wieſe ſenkrecht in
Der Fremde fchwieg, und die die Erde. Um dieje Stangen begannen
Anderen thaten, als ob er nicht da die Leute nun das Heu zuſammenzu—
wäre, obwohl die Weibsleute ganz im |treiben, die Einen mit Gabeln, die
heimlichen Beobachten des ſeltſamen Anderen mit Rechen, und wo größere
Geſellen aufgiengen. Als das Kraut Heuſchichten waren, da fetten Einzelne
und die Knödeln kamen, bandhabte er oder ihrer Mehrere die Gabel- und
Löffel und Gabel dabei nicht ganz in |Rechenftiele an und ſchoben fie an die
der landlänfigen Weife, wie früher die | Stange. Der fremde Arbeiter machte
Heugabel, aber nichts deftoweniger, | Alles wie die Anderen, und als aud
er handhabte fie gut. Uebrigens war | die Agnes einmal eine folhe Heufchichte
er nicht häßlich. Man müßte lügen, vor ſich herichob und es nur kümmer—
wenn man fagen wollte, daß er häßlich |Tich weiter gieng, merkte fie an ihrer
wäre, dachte die Weiddirn bei ſich. | Seite plöglich einen Gehilfen — und
Das geringelte fuchsbraune Haar — es war der Fremde. Sie that nichts
wer ſich daran einmal gewöhnt — dergleichen, Beide fchoben, und der
macht ſich micht übel, überlegte die) Heuhaufen glitt vajch vor ihnen ber.
Agnes. Die fcharfen Augenfterne und Ohne daß fie fih weiter anſchauten,
das viele Weihe in den Augen, die |gieng Eins dahin, das Andere dorthin
anderen Knechte haben es nicht ſo. und kraute im Heu und: job und
Die Nafe ift zwar fehredbar groß und | rechte, und es gieng wohl von Statten.
hat einen Sattel wie ein Kameel; Der Bauer Thomas warf mit feiner
aber wenn Nafen zu Hein find, das Gabel das Heu um die Stange, ein
ift noch garftiger. Und Zähne! Wenn | Stnabe lief um diefelbe Herum und trat
der Meinige folhe Zähne hätt’! Wie es feit, und über Alles brannte die
Porzellan fo weiß, und fein einziger | funfelnde Sonne herab vom hoben
fehlt. Ich ſehe feinen, der fehlt! Den | Himmel. Als der eine Heuſchober fertig
Händen fieht man’s nicht an, daß ſie war, gieng es an dem zweiten, md
gar viel arbeiten; jo feine fchlante immer von Neuem glitten die Deus
Finger! Ring bat er feinen dran. |fchichten über die glattgemähte Wieſe
Sonft Hat er mancherlei funkelndes | hin; hie und da eine barfche Anordirung,
Zeug am Leib. Knöpfe, Schnallen und ein derbes Witzwort, ein munteres
einen verwunderlich glänzenden Reifen | Lachen, denn es ift eine Iuftige Arbeit,
am ſchwarzen Ledergürtel. Hinter dem | das Heuen. Bisweilen hüpfte ein Froſch
Gürtel ftedt ein eifernes Deft. Jeſus über den Fuß — freifchten die Weiber;
Maria, das ift ja ein großes Mefler! |danın und wann fprang ihnen eine
— — —— —— —— — ———— —
— — — — — — — — — — —— — — —
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Heufchrede an die Nafe, kreiſchten fie
wieder und lachten fich dann ſelber aus.
Wo e3 gerade nicht unter den Augen
des Bauers Thomas war, da fugelte
fih wohl einmal ein übermüthiger
Burſche in's Heu und redte alle Biere
von fih und ſchob den Weibsleuten
feinen Gabelftiel unter die Füße, daß
fie ftolpern follten. Und als es fo
feinen fröhlichen Lauf hatte, knallte im
nahen Wald ein Schu — mit einem
ächzenden Laut taumelt mitten unter
den Arbeitern der Fremde und ftürzt
zu Boden.
Die Leute ftanden wie erftarrt da,
und der Bauer Thomas fagte: „Was
ſind denn das für Gejchichten ?* Dann
trat er zum Fremden Hin und fah,
wie zwiſchen den braunen Rodfalten
an der linken Bruftjeite das Blut her—
ausquoll. Die Weiber, anfangs un—
entichloffen, ob fie nicht fliehen follten,
tamen nun mit friſchem Waſſer, mit
Ampferblättern, um das Blut zu ſtillen,
und die Agnes riß ihre blaue Schürze
ab, um die Wunde zu verbinden. Die
Wunde war unter der Achſel und als
fie die Kleider herabgeriſſen hatten,
tiefen fie, zwei Löcher wären! Der
Schuß war vorn hinein umd Hinten
unter dem Sculterblatte hinausge—
gangen. Das Antlit des Mannes war
blaß wie Lehm geworden, und als
Agnes nun feine Stirne, feine Lippen
mit Waſſer beneßte, erhob der Fremde
ein wenig feine Hand, um mach ihrem
Arm zu taften und hauchte: „Bien
merci!“
„Heiliger Sebaſtianus!“ rief die
Bäuerin, „das ift ja ein Franzos!“
„So ift’3 halt Einer,“ ſagte der
Bauer Thomas.
„Nur glei todt machen, ift das
Beſte,“ rief einer der Knechte und
traf Anftalten dazu.
Der Bauer ftieß ihn weg. „Was
gibt’3 denn da viel zu ſchreien. Ein
Menſch wird's doch wohl fein, fonft
hätt’ er nicht fo brav heuen können.
Macht's, tragt's ihn dort im den
Schatten hinüber, Eins foll bei ihm
Rofegger’s „Geimgarten‘*, 12, Geft, IT,
bleiben und aufpaflen, daß nicht wieder
Blut kommt. Die Anderen follen fich
ſchlaunen Tafjen, daß wir wieder zum
Heu kommen.“
Es war eine höchſt unliebjame Un—
terbredung und ſchon gar, als die
Bäuerin wollte, der arme Angejchofjene
jolle ins Haus gebracht und e3 müſſe
der Bader gerufen werden. Sei es
wer immer, fo fönne man ihn nicht
umkommen lajlen.
Da fluchte der Bauer: „Ein ſau—
berer Gehilfe das, beim Heuen, der
auch Andere abhält von der Arbeit.
Lange möchte es nicht mehr anhalten
dad Wetter, und nachher das faure
Hey über den Winter, und da folle
der Menſch ein braves Vieh züchten!“
Bald war e3 laut in den Stanz:
gräben: Ein Franzoſe erfchoffen! Die
Knete des Bauers Thomas waren
in den Wald gegangen, um zu fpähen,
wer gefchoffen Habe. Gegen Abend, als
der Fremde endlich in den Bauernhof
gebracht worden war, gieng aus dem
Walde der Halter Rochus hervor, mit
dem Kugelftugen in der Hand und den
Finger an den Hahn gelegt, fo auf
den Bauer Thomas zu.
„Ergib Dich!“ ſchrie
Bauer an.
„Was machſt für Dummheiten!“
rief der Bauer, „arbeiten iſt geſcheiter.“
„Thomas,“ verſetzte der Halter und
hob ſein Gewehr, „Du biſt unſer
offener Feind worden. Die Franzoſen,
| die unſer Heimatland verderben, nimmſt
|Du zum Heumachen, gottverdammter
Wucherer, und gibſt ihnen Unterſtand!“
„Haſt halt Du auf ihn geſchoſſen?“
fragte der Bauer.
„Aber Dich treff' ich beſſer, mein
lieber Thomas. Rühr' Dich nicht.
Solche Feinde, wie Du biſt, ſind noch
gefährlicher wie die Fremden. Iſt kein
| Punber, wenn wir die Franzoſen
nimmer losfriegen, da es ihnen jo
gut geht bei uns. Neu’ und Leid mad”,
Franzoſenbauer!“
Man weiß es nicht, wie es dem
Bauer vor dem wüthigen Halter Rochus
57
er den
sus
ergangen wäre, wenn nicht plößlich der ‚ohne Labe und Troſt. Hatten es ja
Wald ein eigenthümliches Leben be= ‚auch die Knechte nicht befier, wenn fie
fommen hätte. Es trabte und fchrillte | frank waren, wie follten fie es dem
und glißerte zwiſchen den Stämmen | Franzofen beſſer maden wollen! Und
ber; grelles Gefchrei, Pferdegervieher | wenn nun die „Herren,“ wie der
— die Blauen waren da. Bauer feine paar Dutzend Begleiter
Der Halter machte fi) davon; der | unterwegs nannte, den Kameraden in
Bauer Thomas glaubte bei dem Feinde folher Lage fänden, würden fie Re—
Schutz zu finden vor feinen eigenen chenſchaft verlangen. Und wie derlei aus»
Landsleuten. Da kam er aber an! geht, das weiß man. — In das Hans
Ein paar derbe Franzofenkerle fprangen | tretend, gab der Bauer Thomas Bes
auf ihn zu, padten ihn an den Armen, |fehl, altfogleih ein gutes Mahl zu
und in einem jchlechten Deutjch gaben | bereiten, das Beſte und das Letzte nicht
fie ihm zu verftehen, daß er ihmen zu jparen für die „Herren Gäfte.”
gefälligft den Baum bezeichnen möge, | Freilich blutete ihm das Herz, wenn
an dem er hängen wolle. — „Aber er daran dachte, das Heute all’ fein
um Gotteswillen, warum denn das Sped und Fleifch und Nindsfeit ver—
wieder! Eben hat mich Einer niederz | freffen werden würde; aber noch lieber
brennen wollen, weil ich es mit den |war ihm dieſes Herzbluten, als ein
Herren Franzoſen halte?" — Das anderes ...
jei ihnen einerlei, ſagten fie, fie wollten Der Bauer athmete auf, den ver—
nur ihren Kameraden rächen, der an wundeten Franzoſen fanden fie in der
diefem Tage Hier erfchoffen worden wäre. | „guten Stuben,“ im wohleingerichteten
Vorher wollten fie nur noch willen, | Handwerkerbett, auf ſchneeweißem Lein—
wo man den Ermordeten hingebracht tuch und Kiſſen und mit hHellrother
hätte ? Dede forgfältig zugehüllt. Ohne zu
Da vergaß der Bauer Thomas auf ahnen, daß eine geftrenge Juſpection
fein Heu, und al’ feine geifligen | erfcheinen wiirde, Hatten die Weibs-
Kräfte Spannte er an, um dem Fran- leute den armen Menfchen dorthin
zofen begreiflich zu machen, daß der | bringen laffen. So fremd und jo hübſch
Mann mit ihm auf der MWiefe ge= und ſo Hilflos und fo durdhfchoffen jein
arbeitet, mit ihm zu Mittag gegeflen | — welches Frauenherz möchte einem
habe, daß er dann plößlih vom Walde ſolchen Burſchen nicht das befte Bett
her angeſchoſſen worden ſei, er wife des Daufes gönnen!
jelbft nicht von wen, er ſchwöre «es Die herben bärtigen Gefellen, die
bei der heiligiten Mutter Gottes, von | mit dem Bauer Thomas gekommen
ihm oder feinen Leuten aus wäre es waren, unterfuchten jet den Ver—
nicht gefchehen. Todt wäre er aber |wundeten, wechjelten mit ihm weliche
nicht, ihr Herr Kamerad, er läge in Worte, ließen ihn liegen umd giengen
jeinem Hof und würde gepflegt wie | hinab in die große Gefindftube, um
ein Bruder vom Haus. Die Herren | zu verzehren, was zu verzehren war.
fönnten ſich ja überzeugen. Der Bauer trug auf, die Knechte be=
Sie giengen und ritten mit ihm, | dienten, indem jie das Eßbeſteck reinig—
und er war ihr Gefangener. Auf dem ten, Brotlaibe zerjchnitten, Trinkkrüge
Wege gegen feinen Hof war ihm gar füllten. Mein hatten die Herren ver—
Uebel zu Muth. Er fah es ſchon vor: |langt; da hatte der Bauer das leere
weg, wie fie den verwundeten Welſchen Faß unter den Hausbrunnen geftellt,
finden würden: In der Strohkammer | hatte Eſſig dazugegoffen : Auf ihr Wohl,
oder im Stall auf Streuhaufen, ohne | einen Befjeren Hätte er nicht. Dann
Kiffen und Dede, allein und verlaflen |bedienten die Knechte auch die Röſſer,
hinliegend, in Fieber verſchmachtend, | welche drangen angebunden waren und
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fih gar nicht genug Heu und Hafer) Bauer, „ich zahle feinen Kreuzer. Ich
freilen fonnten. Das viele gute Heu!
Und dieſe verfluchten Schindmähren !
Dem Bauer war ad und weh.
Die Weiber hatten ſich in der
Scheuneverftedt. Die Haustochter Agnes
weinte. Sie weine aus Furcht vor
den Tranzofen, dachte ihre Mutter.
Wir willen es beijer und jagen es
frei: Sie weinte aus Angft um den
Trranzofen. Da liegt er jeßt allein.
Die Knechte müſſen bedienen, die Weibs—
teute dürfen fich nicht Herfür wagen.
Der Bader ift noch nit da. Er kann
verbluten und fterben. Und ftirbt er
nicht, jo werden ihn die Franzoſen
mitjchleppen, und diefe Raubkerle, das
find feine Krankenwärter. Der Feld—
fobelwagen ift fein Bett für Einen mit
einer ſolhchen Wunde, oder fie laſſen
ihn liegen auf der heißen Straße. Wie
doch mancher Menfch gar jo arm muß
fein auf der lieben Welt!
Als die Welfchen fatt waren, hieb
einer derjelben dem Bauer Thomas
die flache Hand auf die Achfel umd
jchlug dazu ein lautes Gelächter. Das
bedeutete Zahlung und Dank. Dann
giengen fie davon, und die Reiter be—
ftiegen ihre Pferde. Den Verwundeten
ließen fie, wo er war. Der gienge fie
nichts an, war ihre Meinung ; der
ihren wäre es Steiner. Die Knechte
fteflten fich auf die Yaner, ob die Rotte
wohl auch ihre kürzeften Wege nahm.
Und als endlich in den Wäldern das
Gejohle verhallt war und die Truppe
weit draußen im Thale bunt und ord—
nungslos dahinzog, athmeten fie exit
auf im Hofe des Bauers Thomas.
„Natürlich !” rief der Bauer, „den
Verfterbenden lafjen fie uns da.“
„Er kann wieder gefund werden,“
jagte der Bader. „Die Wunde ift zwar
fchwer, die Kugel ift ihm durch und
durch gegangen. Aber Pflege und Ruhe
bedarf er, den Transport könnte er
jegt nicht aushalten. Ich werde jeden
Tag kommen.“
begehre noch meine Bergütung!“
„Was man da diefes Franzoſen wegen
für Gefchichten macht!“ meinten die
Stnechte untereinander. „Dummer Ro—
chus, dab er nicht einen Zoll tiefer
hat gezielt.“
Dede der Mägde wollte die Chriſten—
pflicht übernehmen und den Sranten
pflegen, aber die Daustochter Agnes
war der Meinung, einen jo harten und
verantwortlihen Dienft, der Tag und
Nacht feine Raft und Ruh’ gönnt, könne
man den guten Mägden nicht aufs
bürden; fie feien für die gewohnte
Banernarbeit aufgenommen und müß—
ten in der Nacht ihren Schlaf haben.
Eins müſſe aber doch das ſauere Ge—
Ihäft übernehmen, und fo wolle jie
jelber es mit Gottes Hilfe verfuchen.
„D gutes Kind!“ rief ihre Mutter,
die Bänerin, gerührt. „Zum Kranken
warten muß eine erfahrene Berfon fein.
Men wird's treffen, als wie mich. Jın
Gottesnamen!”
Aber das gute Dirndl ließ es ſich
nicht nehmen, der Mutter bei dem
riftlichen Liebesdienft wenigftens be=
Hilflich zu fein. Nach zwei Tagen war
die Fiebergefahr bejeitigt, und einmal,
al3 Agnes ihm ein Glas Milch reichte,
hub er zu Sprechen an. Es war wohl
fein laudläufiges Deutich, aber es war
verftändlih, und mehr war e3 die Uns
beholfenheit in den Gedanken, als die
in den Worten, wenn er ftotterte,} Bes
fangenheit zeigte und nicht recht fveiter
fam. Es waren Worte des Dantes,
die er zuerft Sprach, danıı Worte der
Bitte, man möge doch ein paar Tage
mit ihm Geduld haben, hernach werde
er feinen Weg weiter fuchen können.
Faſt Herrifch rief ihm das Mädchen
zu, daran ſei jeßt micht zu denfen,
vorerft Habe er gefund zu werden! —
Befund zu werden, das ließ er Ti)
freilih gerne gefallen, aber einmal
fagte er, es wäre ihm beſſer, noch lange
invalid zu ſein, noch lange in dieſem
Haufe verbleiben zu dürfen. Wohin
„Daß es der Herr weiß,“ rief der er ich auch wenden möchte, jo wohl
57*
800
wiirde ihm nirgends gefchehen als hier. | davon nicht3 willen — fragte ihn die
Seit jeine Muter geftorben, jei ihm
Bäuerin, was es denn mit ihm eigent-
nicht mehr jo gut gewefen, als hier. | lich fei?
Und wenn er denke, daß ihm all’ das
in Feindesland gejchehe, jo könne er
es nicht begreifen und könne es nicht
fajjen, warum denn die blutigen Kriege
fein müßten zmifchen den Menſchen,
wenn fie hüben und drüben jo gut jeien.
Als die Agnes wieder einmal der
Anrede wegen verlegen war, fagte der
Fremde: „Jules! Jules heißen.“ So
hießen fie ihn den Jules. Und ſaßen
denn — es war Regenzeit gekommen
und die Arbeit im Heu eingeftellt —
Mutter und Tochter öfterd am Bette
de3 langjam Genefenden und plauder=
ten mit ihm. Es war doc ein gut—
müthiges Gefiht, das ihnen da aus
der Bartwildnis entgegenfchaute. Wenn
es ernfthaft blidte, da war eine ſchöne
ruhige Mannhaftigkeit in ihm; aber
wenn es lächelte, da war es cin fo
wehmüthiges, betrübtes Lächeln, daß
es der Daustochter Agnes durch Mark
und Bein gieng.
Und nun geihah etwas, das ſchon
am erjten Tage hätte gejchehen müſſen,
wenn es der Bader nicht jo ftreng
verboten. Es hatte den Meibsleuten
ohnehin ſchon ſchlafloſe Nächte getoftet,
nicht zu willen, was es mit dem
Fremden doch für ein Bewandtnis hätte.
Den Halter Rochus hatte die Agnes
einmal, als er des Weges vorbeigieng,
zugerufen::
„Mörderfnecht! Auf den Du ges
ſchoſſen, das ift ja gar fein Franzos
gewejen!*
„Narr, Heiner!“ Hatte der Halter
zurüdgefchrien, „wenn’s fein Deutjcher
ift, muß e& wohl ein Franzoſe jein.
Es gibt feine anderen Leut’ mehr auf
der Welt, heutzutag.“
Und mun, al3 eines Morgens der
Jules auf feinem Bette ſaß und die
Wunde begutet war — die Agnes
machte es jchon jo gut, wie der Bader
und als der Fremde die Warme
Weinbrühe getrunken hatte, er befam
fie heimlich, der Bauer Thomas durfte
„Ja, ich gehe ſchon, ich will gleich
gehen,“ entgegnete der Fremde.
„Nicht fo,“ rief die Bäuerin und
hielt ihn auf dem Bett zurüd, „nicht
vom Fortgehen ift die Rede, aber wie
es mit Euch von Kind auf ift und
wie Ihr auf unfere Wiefen gekommen
jeid, das möchten wir gern wiljen. Die
Leut’ haben nichts auf der Welt, als
ih einander jelber, fie ſollen fich
aneinander halten und Hilfe geben
und Hilfe nehmen, wenn's von Nöthen
ift. Wenn Ihr uns Vertrauen jchenten
wollt, wir meinen es gut mit Eud,
ihr feid auch ein Menſch und deswegen
nicht fremd bei uns.”
Die Rede war nicht übel geſetzt,
und jo gut konnte es der Jules nicht.
Allemal, wenn er ſprach, Hub er Deutſch
an, und allemal kam er ins Weljche,
daß ſich die Weibsleute unr jo an»
fhauten. Uber die Hauptfache baben
fie nah und nad) denn doc erfahren.
Jules war um das Jahr 1780 in
einem Dorfe des Elſaß geboren. Seine
Eltern waren Gärtnerleute in einem
Schloß gewejen. Es waren ihrer zwei
Brüder, der Jules und der Charles.
Der Charles war der Jüngere, ein
lieber, feiner blaffer Junge. Wie nun
der Buonaparte immer und immer
frifche Soldaten brauchte, es war, als
ob fie die Erde verſchlinge, traf es
eines Tages bei der Loſung den Charles.
Das war ein großer Janımer. Der
Charles war zart und der Liebling der
Eltern, und er lag tagelang auf dem
Anger und meinte, und er follte nun
fort ind heiße Spanien. Da entſchloß
fi der Jules:
„Bruder, Di biſt kränklich und
weichherzig, bleibe Du daheim, ich gehe
für Did.“ Das war freilich ein heller
Freudenſchrei, und die Eltern jegneten
den braven Jules und verfprachen, recht
für ihn zu beten, daß er gefund wieder
beimfehre. Aber — um ſchon Alles
zur jagen — wer Anderer lebte im
Dorf, und dem war e3 gar nicht recht,
dab Jules fortgieng. Hermine war fie
geheißen, ihre Eltern waren aus Schwa—
ben eingewanderte Webersleute. Es
war zum Erbarmen, wie das liebe
Kind an feiner Bruft lag und fchluchzte,
ald er mit dem ZTornifter am Rüden
das letzte Mal vor ihr ftand. Ewige
Treue er, ewige Treue fie — und
Adieu, Jules! Adien, Hermine! jonft
vermochten fie nichts zu fagen. Dann
gieng’3 davon und hinab ins wilde
Spanien und ins ferne Portugal, wo
die Welt aufhört. Soldatenleben! Es
ift weiter nichts zu Jagen. Aber nad
zwei Jahren gieng fein Regiment zurück
und er durfte heimziehen.
„Ei Schade!“ riefen ihm die Dorf-
leute entgegen, „Jules, wärft Du um
zwei Tage früher gekommen, Du hätteft
mittanzen können bei Deines Bruders
Hochzeit.“
Jetzt Hatte der Charles die Hermine
geheiratet.
Gr habe weiter nichts gemacht —
erzählte Jules weiter — er habe ji
auch nicht aufgezeigt im Dorfe, um jo
weniger, als auch feine Mutter jchon
auf dem Kirchhof gelegen, er fei wieder
zu den Eoldaten gegangen, weil dabei
die befte Hoffnung war, bald erſchoſſen
zu werden. Der Buonaparte habe ſie
dann ins Deutfchland gejagt, und fo
oft er — der Jules — auf den Feind
geichoflen habe, fei e& ihm gewejen, der
Charles ftünde dort, und alfo jei auch
faft immer Einer gefallen. Dann fei
e3 ihm aber in den Kopf gekommen
und Tag für Tag lebhafter drin ums
gegangen: Was habe denn die Schie-
Berei für einen Sinn? Es find ja
lauter Landsleute von der Hermine,
auf die du ſchießeſt! Es hat auch
Mancher feine Braut daheim. — Da
babe jein Arm gezittert, wenn es zum
Schießen gewejen. Einen guten Ka—
meraden habe er gehabt, einen Pie—
montejen, der fei in wenigen Monaten
von feiner Seite weg aufgeltiegen bis
zum Oberlieutenant, er jelber fei unten
901
geblieben im jchlehten Kanonenfutter.
Das habe ihn verdroffen. Und wie fie
da in die jchöne Styria gekommen
wären — er hätte ſchon früher ge—
hört von diefem Land — und wie er
die frifchen Wieſen und netten Lande
güter habe gejehen, da fei ihm wieder
fein Elfaß zu Sinn gekommen und er
habe fich gedacht, wenn er freiwillig zu
den Soldaten fei gegangen, fo könne
ex auch freiwillig wieder von ihnen
gehen. Es fei doch ein hölliſches Hand—
werk, der Leute Feind fein zu müflen,
die Einem nichts getan Haben. Und
wenn er gelehen, wie fie auf den Fel—
dern und Wiefen und in den Gärten
arbeiteten, die Hand voller Erden und
fein Blut dran und dvergnügt dabei —
ja da ſei es über ihn gekommen, ex
habe feine Waffen und Abzeichen von
ih geworfen. Der Eidſchwur, den er
dem Buonaparte geleiftet! „Ah pah!
Der Buonaparte hat Hundert Eid-
ſchwüre gebrochen zu der Leute Unglüd!
Wenn ih gehe, iſt's Seinem zum
Schlechten. Von Gloire verftehe ich
nichts, das Leben ift kurz, ich will
Frieden haben, will mein Brot ver-
dienen umd nicht rauben.“ — So ſei
er im Gebirge dahingezogen, und mo
er arbeitende Leute angetroffen, da
habe er ich zu ihmen gefellt und mit-
gearbeitet und mitgegeſſen, bis fie ihn
dadongejagt, oder bis die Arbeit voll-
bracht und er ſelber weitergegangen.
Und fo ſei er auch auf die Wiefe ge—
kommen, die drinnen im Wald liegt
— das Weitere hätten ſie felber ge=
ſehen. Den franzöſiſchen Soldaten, die
in den Hof gebrochen, habe er ſich
verleugnet, und jo Hätten fie ihn in
Frieden gelaffen. Er fei nun geſund,
er werde dieſes Haus verlalfen, wo er
jo gute Menjchen gefunden, die er
wohl fein Leben lang nicht werde ver—
geſſen können.
Wohin er wolle? fragte alddann
die Haustochter Agnes.
Das wiſſe er nicht.
In's Elſaß zurüd?
Dort habe er nichts zu ſuchen. —
902
Nun Fam die Schöne Frühherbftzeit,
es fam das Spälhen.
„Hort will er, der Tagedieb!“ rief
der Bauer Thomas. „Das müßt” auch
mir recht fein. Er bleibt da und dient
mir feine Schuld ab. Das Bett, die
Stuben, die Wartung, das Eſſen und
Trinken, was er bei mir hat gehabt!
Die Verbandleinwand, das Kerzenlicht
bei der Nacht! Und was ich fonft für
Geſchichten Hab’ gehabt feinetwegen.
Hin wär’ er, wenn mein Haus nicht
it! Sein Leben, wenn ich böf’ fein
will, ift er mir ſchuldig! Den Spiß-
namen: Franzoſenbauer, wer wajcht
mir ih weg? Mein Lebtag kann ich
ihn Schleppen. Und der Kerl will das
Alles umfonft haben und fortlaufen ?
Dieweilen bleibt er, bis wir das Heu
drin haben, nachher reden wir weiter!“
Die Haustochter Agnes dachte für
ih: Mein Vater hat ganz Necht, der
Jules ſoll bleiben, bis wir das Heu
drin haben.
Und als fie das Heu drin hatten,
Es war ein unbedachtes Wort, und
es war ein prophetifches Wort. Der
Jules blieb im Bauernhof, und es
war vom Fortgehen feine Rede mehr.
Gerade in dem Jahre, als der Buona—
parte bei Leipzig feinen Lohn erbielt,
befam deſſen ehemaliger Soldat, der
Jules, den feinen — die Haustochter
Agnes. Ueber dem Bauer Thomas
wuchs damals Schon das Heu.
Als das Brautpaar zwiichen den
luſtigen Hochzeitögäften von der Kirche
her über die Wiefe gieng, fiel ein
Schuß. Der Jules zudte zufamınen.
Der alte Halter Rochus Hatte ge—
Ichoffen, aber diesinal in die blaue Luft
hinaus, zu Ehren des Paares.
Noch heute Heißt jener Waldhof
„beim Franzoſenbauer.“ Es ift eine
ftattlide Wirtſchaft und ein gefundes
Geſchlecht. Als vor Jahren unjer Va—
terland von dem Feinde bedroht wurde,
rüdten alle Männer des Hofes, die
alten wie die jungen, freiwillig aus.
war er munter, der Jules, und ſprach „Anfangen,“ fagten fie, „anfangen thun
ichon beifer deutfch, daher war e& leicht wir nicht. Aber wehren, wenn der
weiter reden mit dem Baner Thomas, Feind unſer Heimatland angeht, wehren
Der Jules blieb als Knecht im Hof fünnen wir uns. Vorwärts!"
für's nächſte Jahr. Er arbeitete tüchtig Recht brav das. Allein die Fa—
und begehrte feinen Lohn. „it brav,“ | milieneigenthümlichkeit zeigt fich auch
fagte der Bauer Thomas aus Vers | in allen Nachkommen des Jules: mehr
gnügen über den billigen Knecht, „ſollſt als im Kriege leiften fie im Frieden.
wie das Kind von Haus gehalten fein.“
Auf Häubercommando.
Novelle von Paul Maria facroma,
ESchluß.)
V.
So fam der Garneval herbei, von
3 welchen ſowohl die in der Um—
gebung verjtreuten Officiere, als auch
Géza, nur dom Hörenjagen erfuhren.
Umſo erftaunter war, oder jchien |
wenigften& der Prior des Kloſters, als
an ihn folgender Brief gelangte:
Ehrwürdiger Herr Prior!
Ich, Beg Huſſein Zaikovié, zwar
Gutsbeſitzer im Sandſchak, aber ſehr
gut auf die Oeſterreicher zu ſprechen,
u
die ich für unſere Befreier und Ver:
breiter einer höchſt nothwendigen
Givilifation betrachte, wende mich
mit einer allerdings etwas fonder-
baren Bitte an Sie.
Ih möchte zur Berlobungsfeier
meiner einzigen Tochter und Erbin
am legten Faſchingstag ein groß-
artiges Felt geben, und zwar foll
e3 ein glänzender Ball werden.
Nun bin ich Freilich mit allem
Nöthigen dazu verforgt, aber mit —
Tänzern geht es uns ſchlecht. (Wie
ich höre, foll dies auch anderwärts
öfter der Fall fein.)
Meine Tochter behauptet, die
beiten Tänzer der Welt ſeien Officiere,
namentlich Lieutenants. Vielleicht
gelingt es Ihrem Einfluß, beim
Oberften des nicht gar fo weit fta=
tionierten Regiments die Gnade zu
erwirten, mir gütigſt etwa ein
Dutzend diefer unentbehrlichen jungen
Leute auf 48 Stunden zu übers |
laſſen? — Am Donnerstag wären
Alle wohlbehalten wieder daheim.
Ich würde jelbftverjtändlich für
den beiten Transport, für eine gute
Unterkunft und für ſämmtliche often
Sorge tragen.
In Erwartung einer günftigen ;
Erledigung meiner dringenden Bitte
zeihne ich als
Euer Ehrwürden
ſehr ergebener
Huſſein Zailovic.
NB. Nebjtbei erkundige ich mich,
ob Sie mir wohl gütigft gejtatten
würden, dies Meßgewand, das meine
Tochter geftidt, im Namen derjelben
für Ihre Kirche zu Spenden ?
Es wurde herzlich über die jonder-
bare Epiftel gelaht; doch der Prior
nahm e8 ernft und fuhr Tags darauf
zum Oberften, mit dem er auf recht
gutem Fuß fand.
„Bewilligt!“ rief der greife Prieſter
bei jeiner Rückkehr aus, und gerades
wegs auf Geza losjchreitend, der nebft
den übrigen Stlofterbewohnern an der
903
Mittagstafel im Refectorium ſaß, fuhr
er triumphierend fort: „Zehn Officiere
— mehr jind im Moment nicht dis—
ponibel — wurden zur Schandſchak—
Erpedition commandiert, und Sie,
lieber Oberlieutenant, find als Führer
der luſtigen Geſellſchaft auserjehen.
| Siütteln Sie nur mit den Kopf!
Da müßt fein Wollen und Nichte
wollen — Sie müſſen ganz einfach.
Befehl ift Befehl, wie Ihr Militärs
ſagt. Montag über acht Tage werden
die ex oflo- Tänzer abgeholt und
Donnerstag unverjehrt zurüdgeliefert.
So hab’ ich's mit dem Oberſten aus—
gemacht, und dabei bleibt es.“
Géza ſah recht mürrifch drein.
Natürlih mußte er ſich nun fügen,
wenn auch nicht gern, und ein fein
wenig neugierig ſchien er doch auf
die ganze Gefchichte zu fein, wie der
Prior zu bemerken glaubte, der den
jungen Mann fcharf beobachtete.
„Nun,“ meinte er, „wenn es der
Dberft befiehlt, muß ich mich wohl
den Kameraden anſchließen; allein
nicht als Tanzbär, was ich geradezu
entwürdigend finde. Ich werde mich
an’s Clavier ſetzen und der Gefellfchaft
die ganze Nacht den „Schönen blauen
; Donau-Walzer« vorpaulen.“
| Diemit war die Sache erledigt.
Schnell waren die paar Tage ver—
gangen, die aber leider einen dichten
Schneefall brachten ; doch am Faſchings—
montag war es wieder überrafchend
Ihön, wenn auch bitter falt.
In den Bormittagsftunden trafen
die zehn zum Ball befohlenen Officiere
im Kloſter ein; fie wurden ſämmtlich
vom Prior zu Tiſch geladen, und
Ihon um Halb zwölf hr, etwas früher
noch als gewöhnlich, begann das reich:
liche, Fröhliche Mahl. Geza war der
Einzige, der den köſtlichen Speiſen
und Weinen nur mäßig zufprad, ja
überhaupt jehr einfilbig und verſtimmt
daſaß.
Beim Deſſert erklang plötzlich von
der Straße her munteres Schellen—
geklingel und helles Peitſchenknallen.
Es waren jehs höchſt elegante und
ſogar luxuriös ausgeftattete Schlitten,
die an der Slofterpforte vorfuhren, wo
fie denn auch gar bald die mit fo
vielen Ehren abgeholten Gäfte auf-
nahmen.
Man kann ſich das freudige Er-
ftaunen der DOfficiere denken, als fich
für jeden von ihnen ein prächtiger,
nit Blumenfträußchen geſchmückter
Belz in den offenen Schlitten vorfand.
Mahrhaftig, bis jetzt Hatten fich
die ex offo-Tänzer über gar nichts
zu beflagen; denn mobler konnte fein
König für feine Gäfte Sorge tragen!
Die lebensluftigen jungen Leute
ſahen denn auch der weiteren Ent:
widlung des Übenteuers mit begreiflicher
Spannung und freudiger Erwartung
entgegen, Géza ſogar mit Herzklopfen,
da er an feinem Pelz, in den ihn der
Prior lachend und doch herrifch zu—
gleich eingehüflt, eine — Theerofe ent—
dedte. Nun zögerte unfer Held keinen
Augenblid mehr, an der Seite des
würdigen Priefterd, der die Erpedition
mitmachte, im erften Schlitten Plab
zu nehmen.
Bon Roſenduft umgaufelt, wäre
er ja an's Ende der Welt gegangen !
Die Heinen, jedoch äußerft kräftigen
und flinten türkifchen Pferde, die den
Schlitten paarweife vorgejpannt waren,
flogen förmlich über den faft meter—
boden, feitgefrornen Schnee dahin.
Dur die gleihmäßig wiegende Be-
wegung des Fahrens waren die Reis
jenden gar bald ſammt und fonders
in ihren guten warmen Pelzen ein-
genidt, und als fie endlich durch das
Anhalten der Gefährte aus ihrem ſüßen
Schlummer auffchredten, war es bereits
finftere Nacht.
Die Schlitten ftanden vor den
gaftlich geöffneten Thoren eines großen,
wenn auch bloß ebenerdigen Gebäudes.
Geſchäftig eilten Diener herbei,
um den Officieren beim Abfteigen be=
hilflich zu fein.
Und wer empfing fie? — Wer
bewillkommte fie auf's Herzlichſte? —
Der Pope, Gregor PBolifjovic.
Géza war im erften Augenblid
ganz betreten und ſehr unangenehm
berührt. Empörend dünkte ihn die
ungenierte, ja faſt unverſchämte Art,
in der fi der Pope ihn gegenüber
äußerte.
„O, amice! da find Sie ja leib-
baftig! Wie oft dachte ih an Sie!
Wie ſehr fehnte ich mich, Sie wieder:
zufehen! Wie geht es? Wie geht es?
Gratuliere dem Herrn Ober:
lieutenant. Wie gefällt's diesmal in
Bosnien? — Nun, es hat Ihnen ja
immer gut angefchlagen. Freut mic,
freut mich ganz außerordentlich, Ihnen
wieder einmal die Hand drüden zu
können!“
Am liebſten hätte der junge Mann
den läſtigen Schwäßer heftig unter:
brochen und ob feiner Verrätherei zur
Rede geftellt, dody die Hoffnung, durd
ihn über Zora's Aufenthalt endlich
Gewißheit zu erlangen, ließ ihn feinen
Zorn verbeißen. Auch ftellte ſich ſo—
eben der geiftlihe Herr den übrigen
Officieren als Bevollmächtigter des
Begs vor, der wegen der Vorberei-
tungen des morgigen Feſtes noch in
der Stadt weilte und ihn mit dem
Empfange feiner Gäfte betraut Hatte.
„Und nun, meine Herren, machen
Sie ſich's bequem! Sie find hochwill—
kommen im Landhaufe meines Freundes,
in defjen Namen ich Ihnen Hiemit
Salz und Brot anbiete.*
Man fchritt direct in den Speile-
faal, wo ein vorzügliches Souper der
Säfte harrte.
Hierauf zogen ſich die Officiere in
die ihnen amgemwiefenen Zimmer zus
rüd, die für ſolch' weltentrüdten Erden:
winkel weder an Eleganz, nod an
Comfort etwas zu wünſchen übrig
ließen.
Da Statt der erwarteten zwölf
Tänzer bloß elf eingetroffen, glüdte
es Géza, allein zu fein, was ihn jehr
lieb war; denn er hätte das banale
Geplauder feiner Kameraden, die zu
awei umd zwei im den berichiedenen
Gemächern einlogiert waren, in feiner
jegigen Stimmung unmöglich ertragen
fönnen.
Géza Hatte eine der netteften
Stuben inne, und bei Prüfung der-
jelben gewahrte er auf einer Marmor—
confole in herrlichen chinefifchen Vaſen
die denkbar ſchönſten — Theeroſen.
War es bloß der Zufall, der ihm
immer wieder die Königin der Garten—
flora in den Weg führte?
Von tauſenderlei Gedanken und
Gefühlen beſtürmt, war der junge
Mann erſt ſehr ſpät eingeſchlafen. Die
thörichſten und extravaganteſten Träume
plagten ihn bis tief in den Tag hinein.
Erſt der helle Sonnenſchein ſchreckte
ihn aus ſeinen theils unerquicklichen,
theils wonnigen Traumgebilden auf.
Schnell angekleidet, beeilte er ſich,
die Kameraden aufzuſuchen, die aber
bereits beim Frühſtück ſaßen, was ihn
nicht wenig ärgerte.
Der Pope, der den Herren aber—
mals die Honneurs machte, kam ihm
außerordentlich freundlich entgegen, er⸗
kundigte ſich nach ſeinem Befinden und
beſtrebte ſich offenbar, den jungen
Officier abſichtlich auszuzeichnen.
Die Frage, ob er mit der Unter—
kunft zufrieden geweſen, mußte Géza
der Wahrheit gemäß bejahen, wiewohl
er, durch das gute Logis im Stlofter
verwöhnt, durchaus nicht das Ent: |
züden der anderen Dfficiere theilte,
die den Unterfchied zwifchen den harten
treldbetten ihrer Baraden nie genug
hervorheben konnten, ebenfo die Wohl»
ihat, von den widrigen Serenaden
der Wölfe endlih einmal verichont
gewejen zu fein.
Nach dem vortrefflichen Frühſtück,
bei welchem ſich Tabak und Mofta
als glei vorzüglich und echt türkiſch
erwiejen, wurden die Schlitten aber:
mals befliegen.
Diesmal waren deren Inſaſſen
905
|Geftein, von der blendend weihen '
Schneedede allenthalben eingehüllt, wie
aus Marmor gemeißelt im goldigen
Sonnenschein erglänzten.
Schlag zwölf Uhr hielten die Sclit-
ten dor dem mächtigen Portale eines
impofanten, burgartigen Schlofjes, das,
auf hoher Bergzinne erbaut, von feden
Thürmen flankiert, gar ftolz und troßig
die Ebene beherrjchte.
Sie waren am Ziele.
Der Beg Stand auf der Thorfchwelle
und begrüßte feine Gäfte. Es war
ein großer ftattlicher Mann von un—
gefähr ſechzig Jahren, der ihnen da
in der maleriichen Nationaltracht ent—
gegentrat. Seine intelligenten und
höchſt ſympathiſchen Gefichtszüge ums
rahmte eisgraues Haar und ein lang
herabwallender. dichter Bollbart, welcher
der markigen Geftalt etwas Majeitä-
tiſches verlieh. Dunkle, freundliche
Augen jchienen das Lächeln des ſchön
geformten Mundes zu begleiten, und
mit fräftiger, Hangvoller Stimme rief
er den Officieren fein biederes Will—
fommen zu.
„Nochmals willkommen, meine
Herren, und taufend Dank für Ihre
Sitte! — Sie jehen einen Mann vor
ih, der Ihrem Lande große Achtung
zollt, der ſich glücklich ſchätzt, deſſen
tapfere Krieger in ſeinem beſcheidenen
Heim beherbergen zu können! Möge
es Ihnen mohlergehen in den alten
Mauern meiner Väter! Sie dürfen
ſich darin nicht fremd fühlen, meine
Herren; denn mein Haus it Ihr
Haus, mein Hab und Gut ift Ihr
Gut, meine Leute find Ihre Leute,
‚mein Brot ift Ihr Brot,“ ſchloß er,
‚auf Geza zufchreitend, den er dur
‚eine vorftellende Handbewegung des
Priors al! Anführer zu betrachten
ſchien, und obwohl er in der Mehr»
zahl Sprach, meinte man dennoch durch
die eigenthümliche Betonung feiner
Morte herauszufühlen, daß ſie einzig
durchwegs wach und bewunderten die und allein mur dem jungen Mann
wildromantische Berglandichaft, deren | gegolten, den er während feiner Rede
gigantifche Contouren und zerklüftetes Felt angeblidt umd dem ev nun als
Eriten ſowohl Salz und Brot veichte, !
als auch die Wange zum Kuſſe bot.
Ein donnerndes Zivio feitens der
ringsum derfammelten tributpflichtigen
Kmets und der Dienerfchaft des Begs
begleitete diefen Act, deſſen Feierlich—
feit eine faft ergreifende zu mennen |
war und der Geza umfomehr berührte,
als er ihn an einen anderen ceremo—
niellen Kuß gemahnte, der, ach! jo
ſüße Erinnerungen in ihm wachrief.
Jeden feiner Gäfte begrüßte nun
der Beg im gleicher Weile, der Schönen
Sitte ſlaviſcher Volksſtämme durch
feine gewinnende Liebenswürdigkeit
doppelten Reiz verleihend. Dann betrat
er, von fänmtlichen Officieren gefolgt,
fein bejcheidenes Haus, deſſen kühn—
gewölbte Marmorhalle feinen früheren
Morten durchaus nicht entſprach, und
wies Jedem ein eigenes Zimmer an. |
Um zwei Uhr wurden die biels |
gefeierten Tänzer zu einem fplendiden |
Diner von dreißig Gededen entboten,
welches zwar die geſammte Herren |
gejellichaft des Haufes vereinigte, doch
durch keine einzige Dame berherrlicht
wurde,
Sie Schienen ſämmtlich mit der
Balltoilette befchäftigt zu fein.
Der Beg ftellte die Anvefenden
gegenfeitig vor. In erſter Linie und
beſonders warm einen jungen Guts—
beſitzer, den er als ſeinen lieben Nach—
bar und intimen Freund des Hanſes
bezeichnete.
„Aha!“ dachte ſich Géza, „gewiß
der Bräutigam.“
Er hätte es nicht vermocht, ſich
die feindfeligen Gefühle zu deuten, die
ſich bei diefer Vermuthung in feinem
Innern regten; Mar war es ihm nur,
daß er den bildſchönen Mann in feiner
fleidfamen Nationaltraht geradezu
haßte.
Bei Tiſch erwies ſich der Beg als
ein ganz charmanter Hausherr, der
jeden jeiner Gäſte Superft tattvoll aus—
zuzeichnen wußte. Den zu jeiner Rechten
jigenden Oberlientenant Sandor über
bäufte er förmlich mit Aufmerkſam—
|
|
|
brachte,
feiten jeder Art. Der gewandte Mann
veritand es meilterhaft, ihn immer
wieder in längere Gejpräche zu ver-
wideln, wobei er die verfchiedenften
Themen, wenn auch fehr geihidt, doch
abfichtlih zu berühren ſchien; ja es
wollte Geza jogar bedünken, als ob
er gerazu ausgeforſcht und beobadiet
würde, was eben nicht beitrug, feine
ohnehin irritierten Nerven zu be=
ruhigen.
Beim Defjert wurde mit ausge—
zeichnetem Champagner toaftiert. Zue
erſt erhob fich der Hausherr und trank
auf das Mohl der öfterreichiichen
Armee, die er al3 tapfer im Gefechte
und menſchlich und gütig felbft gegen
Feinde priee. — War es bloß Zufall,
daß der Beg ſich bei dieſen Worten
ganz beſonders tief vor Géza verneigte?
Man erwiderte wie üblich, indem
man auf die Geſundheit des liebens—
würdigen Gaſtgebers ein Hoch aus—
das allſeits ſtürmiſch accla—
miert wurde.
Um fünf Uhr erſt kehrten die
Officiere in ihre verſchiedenen Ge⸗
mächer zurück — einige in ſehr ge—
hobener Stimmung — und nachdem
ſie ſich zwei Stunden nothwendiger
Ruhe gegönnt, gieng's aun's Anziehen,
| Bomadifieren, Parfümieren und Fri—
ſieren; denn darin geben manche Herren
der Schöpfung der eitlen Damenwelt
‚durchaus nichts nad.
Punkt acht Uhr betraten die viel—
gefeierten Tänzer den blendend erleuch—
teten Ballfaal. Und wahrlid, niemals
noch hatten fie Schöneres gejeben!
Es war eben die ganze verſchwen—
deriihe Pracht des prunkliebenden
Orients, die ihnen da entgegenblintte
und ſich an den feidentopezierten
Wänden, golddurchwirkten Möbelftoffen
und marmornen Lambris Fundthat.
Dazu wunderbare, bernfleinfarbige
Parquets, auf deren glänzender Fläche
ſich's Föftlih tanzen mußte,
Derrlihe Spiegel von wahrhaft
rieſiger Dimenſion ſchmückten den luxu—
riöſen Raum, deſſen feenhafte Aus—
007
ftattung auch noch durch feltene Blatt- und — eine hohe, zarte, wohlbefannte
pflanzen gehoben ward, Die, zu ale Mädcengeitalt, in mattgelbe Bruſſa—
muthigen Gruppen höchſt maleriich und | Seide gehüflt, mit friſchen Theeroſen
linnig vereint, die Eden des Saales im goldigihimmernden Haar, erblidte
gar vortheilhaft abrundeten und dem fein ſtaunendes Auge. Keines Wortes
etwas zu länglichen Bau ein ſymme- mächtig, in ftummer Seligfeit um—
triſches Oval verliehen.
Beim Eintritt der Officiere ertönte |
die Vollshymme, von einer der beiten
Zigeunerfapellen Ungarns geſpielt.
Géza traute feinen Augen faum, als
er am Dirigentenpult der hohen, von
Marmorſäulen getragenen Gallerie den
ihm perfönlich bekannten berühmten
Räcz Pal erblidte.
Das hätte er im Herzen Bosniens
wohl nicht erwartet.
Man erfah aus alledem, daß der
Beg weder Koften noch Mühe geſcheut
hatte, um das Berlobungsfeft feiner
Tochter zu verherrlichen; doch fie, die
Vielgefeierte,
Dfficiere nicht wenig neugierig waren,
blieb noch immer unfichtbar, wenigſtens
hatte der Beg bei der gegenfeitigen |
Voritellung noch feine der vielen ſchönen
Damen als die Königin des Feſtes
bezeichnet.
Enttäufcht hatte Geza den reichen
Damenflor gemuftert. Er hoffte, die
Heißgeliebte darunter zu finden, nach
der fein thörichtes Herz jo krankhaft
ich Tehnte, und nun jah er die lete
Hoffnung ſchwinden, jie jemals wieder-
zuſehen. Wie vernichtet unter der
Wucht diefes Schlages, ſchloß er die
Augen und wiünjchte ſich meilenweit
hinweg.
NL
Die Tanzmufit hatte begonnen:
Feurig, hinreißend, verlodend,
fascinirender Macht durchglüht,
nur Zigeuner zu ſpielen vermögen.
„Wollen Sie wohl jo freundlich
fein, Herr Oberlientenant,
mit diefer jungen Damezu eröffnen ?”
Pflichtſchuldigſt, wenn auch nicht
ſehr entzückt, wandte ſich Géza bei
dieſen Worten des Begs raſch um,
auf welche ſämmtliche
von
wie
den Ball’
| ſchlang er die theure, langerjehnte Zora,
und im der nächlten Secunde ſchon
flog das Ihöne Paar dahin, von dem
‚leidenschaftlich bewegten Tempo unga—
riſcher Weifen getragen. Ihnen nad)
‚wirbelte die ganze große Schar ver—
gnügungsſüchtiger Ballgäfte, die bloß
‚anf dies Signal gewartet Hatten, um
‚ihrer mühſam verhaltenen Zanzluft
‚zu fröhnen.
Dreimal mkreisten fie den Saal.
Geza meinte zu träumen. Betäubend
war dies unverhoffte Gtüd über ihn
gekommen, jo daß er es faum zu fallen
| vermochte; darüber nachzuſinnen dachte
er gar nicht; er wußte nur: die Schöne
| Zora endlich gefunden zu haben.
| Am dichteften Theil der üppigen
Pflanzengruppen hielt Die reizende
ı Tänzerin Géza's, mit leifem Hände
drud ihren Wunsch auszuruhen bekun—
dend; fie verfchwand dann auch Jogleich
in dem kleinen Palmen- und Camelien—
hain, der ich allmählich zu einem aus»
gedehnten Wintergarten geftaltete. Durch
einen Wink ermuthigt, war ihr der
junge Mann gefolgt und fand nun
flopfenden Herzens vor der Lieblichen
Erſcheinung, die auf einen aus dunkel—
grünen Plüſch täufchend imitierten
Moosſitz Platz genommen.
| „Iſt es möglich!?“ begann ber
ſonſt fo redegewandte Officier in ſicht—
‚licher Verlegenheit.
„Jawohl, ich, Ihre einftige Gefan=
gene, begrüße Sie in meinem Heim.
Es ift mir endlich gegönnt, den gütigen
Freund wiederzufehen, dem ich jo viel
verdanke, deffen Edelmuth ich jo jchlecht
belohnt.“
„Sie erfennen es alſo! Sie...
‚Sie begreifen, im welch’ gräßliche Lage
‚Sie mich gebracht hatten... . wie fehr
"Sie mich als Officier, als Menſch ge—
‚schädigt.
008
„D, halten Sie ein! Sprechen | um ihm ebenfalls ihre Gunft zu fchenfen,
Sie nicht weiter!” rief das erblafjende | war der Einzige, der ſich durch Schwim—
Mädchen flehend aus. „Steine Vorwürfe! men zu retten gewußt, und duch ihn
können denen gleichen, die ich mir felbft | gelangte fie auch zur Kenntnis dieſes
gemacht! Ich wurde zur Flucht gedrängt ſchrecklichen Fallfirides. Die gute Alte
— ich ſelbſt hatte fie nicht erfonnen. | betrachtete es als eine Art von Sühne,
Die Furt, die Angft, die fo begreifliche wenn dies verhängnisvolle Fenſter
Scheu vor einem öffentlichen Procefje auch einmal Jemandem zur Rettung
ließen mich darein willigen. Verſetzen gereichte. Der feitgefrorene Fluß ge—
Sie fih in die Lage eines armen !ftattete uns Allen, ungefährdet zu
Mädchens, das fich plößlich der firengen | fliehen, und wie man einem mweinenden
Zucht eines Militärgerichtes ausgeſetzt Finde ein Spielzeug in die Hand
fieht. Ich durfte nicht erwarten, alle
DOfficiere jo lieb und rückſichtsvoll wie
Sie zu finden.“ — Diefe Worte hatten
ihn entwafnet; fie ſah es an dem
gutmüthigen Lächeln, das feine Lippen
umfpielte, und fuhr nun zuderfichtlicher
fort: „Der Pope Gregor Poliſſovié
ift ein alter, ergebener Freund unferer
Familie, der meinem armen DBater zu
großem Dank verpflichtet war; er
hätte mich mit Gewalt hinmweggefchleppt,
wenn ich nicht endlich verſprochen hätte,
ihm freiwillig zu folgen. Da lieh er
drückt, fo ließ der gute Pope den Chriſt—
baum mitgehen, dem mein Diener auf
feine breiten Schultern lud, als er
den Schmerz gewahrte, welchen mir
die Trennung von dem trauten Gemache
verurſachte. — Sie können das liebe
Bäumchen morgen in unſerem Garten
jehen ; es hat Wurzel gefaßt und grünet
fuftig fort, al3 ob e& niemals anderen
Boden entflanmt wäre! — Doch um
auf unfere Flucht zurüdzufehren, muß
ich Ihnen noch erzählen, daß wir uns
volle acht Tage in den Souterrains
meine beiden Diener unter dem Vor-— | des Kloſters verftedt hielten. Wir Hatten
wande der nothiwendigen Hilfeleiftung dieſe fchauerlichen Gewölbe durch einen
bezüglich meiner Wunde hereinlommen, | unterirdifchen Felſengang erreicht, der
und fie beſchloſſen gemeinschaftlich, mich | bloß dem Popen und dem Prior des
um jeden Preis zu retten, Die alte
Maliöla war bald für den Fluchtplan
gewonnen, und während noch bie
Männer über die Ausführung desjelben
nachſannen, geitand die fchlaue Alte,
einen ficheren, ungefährlichen und ver—
ichwiegenen Weg biefür zu kennen.
Gegen die VBerficherung, fie mitzunehmen
und lebenslänglich für fie zu forgen,
theilte fie uns das Geheimnis des
Daremsfenfters mit. Sie hatte ſchon
vor Jahren in dem Sonaf gedient,
als ihn noch der türkiſche Kaimakam
mit feinen rauen im Sommer be—
wohnte. Eine Hievon, die ſchöne doch
grauſame Selima, bediente fich diejes
Fenſters, um ſich ihrer Anbeter zu
entledigen, die in den Tiefen des
Fluſſes einen grauſamen Tod fanden,
anftatt des ficheren Entlommens. Der
Sohn der alten Maliẽka, den die ſtolze
Georgierin nicht als zu gering betrachtet,
Kloſters befannt war. Leßterer, auf
deſſen Verſchwiegenheit wir rechnen
konnten, wurde noch in derjelben Nacht
vom Popen in's Vertrauen gezogen,
welcher deſſen Zelle unbemerkt zu er—
reihen gewußt. Er war es aud, der
uns die ganze Zeit hindurch perjönlich
mit Lebensmitteln verſah. Am vierten
Tag fandten wir meinen treuen Diener
Josko zu meinem Onkel, um mit
feiner Hilfe die weitere Flucht zu
bewerfftelligen. Der gute Onfel war
natürlich nicht wenig entjeßt, über
mein jchredliches Abenteuer und beeilte
fi, die legten Folgen hievon hilfreich
von mir abzuwenden. — In der Neu—
jahrsnacht verließen wir insgefammt
unfer Sicheres Verſteck. Die flinkiten
| Pferde von Onkels berühmten Geftüte
harrten unfer am Ausgang des unter-
irdiihen Hohlwegs; wir jchwangen
uns in den Sattel, und fort gieng's
909
in Nacht und Grauen, über Stock und dem Unglückstage geſtanden, au welchem
Stein hinweg, der ſicheren Führung | mein armer Vater Rache nahm an dem
unferer Hugen Thiere vertranend. In Verruchten, der unjere inzwijchen aus
der Dämmerung des zweiten Tages
waren wir Alle glüdlic daheim und
in den feſten Mauern von Onkels
Felſenſchloß vor jeder Verfolgung ge—
borgen. Meine Wunde war bald gänzlich
geheilt, und auch die alte Malicka,
welcher der ſcharfe Ritt denn doch etwas
zugeſetzt, troßdem fie, wie jede Bos—
nialin, von Kindheit an daran gewöhnt,
erholte fich in wenigen Tagen, jo daß
wir durchwegs mit dem bloßen Schreden
davongelommten.“
„Nun, dann ift es Ihnen wahrlich
befjer ergangen, als mir. Sie werden
faum willen —“
„Ach ja! leider erfuhr ich von
Ihrer Krankheit!“ unterbrach ihn die
tieblihe Zora thränenfenchten Auges.
„Ich erfuhr aber auch, dab die fatale
Geſchichte dienſtlich wenigftens ohne
Holgen für Sie geblieben. Dennoch
war ih jo herabgeſtimmt, fo ange—
griffen, jo unglüdlich, daß mein theurer
Oheim mein leben erhörte und mich
furz nach Ihrer Abreife ebenfalls ver—
reifen ließ. Und zwar erlaubte er mir,
nich in Maliéka's Begleitung nach der
Schweiz zu begeben, wo ih in ein
ausgezeichnetes Penfionat trat und bis
zu dieſem Herbfte darin verweilte, um
meine mangelhafte Erziehung zu ver—
vollftändigen.“
Géza hörte mit Entzüden die
melodiiche Stimme im reinften Deutſch
Alles dies erzählen. Stumm faß er
da, nur feine Augen jpraden — und
es ſchien, daß fie VBerftändnis fanden;
denn die blidten ebenfo traut in die
Ihwarzen Sammetaugen des feinen
Träuleins, wie zur Zeit, al3 er noch
it feiner Gefangenen das landläufige
Du wechjelte, das der diftinguierten
Dame gegenüber wohl nicht mehr am
Pla war, wie ihn ihr erftes Wort
belehrte.
„Bei meiner Rückkehr,“ fuhr Zora
fort, „adoptierie mich mein Onkel,
unter deſſen Schutz ich bereits feit
Gram und Schande verftorbenen Lieben
graufam und tückiſch dem heimiſchen
Familienkreiſe entführte. — Sie wiſſen
doch darum?“
Der junge Mann beſtätigte, die
traurige Geſchichte des berüchtigten
Harambaſcha haarklein zu kennen,
„Dann brauch' ich Ihnen nur noch
zu ſagen, daß mein unglücklicher Vater
erſt zu den Waffen griff, als durch
die Indolenz türkiſcher Juſtiz jeder
Verſuch geſcheilert war, ſich und den
Seinen, im Rechtswege Genugthuung
zu verſchaffen. Niemals hat mein Vater
muthwillig Menſchenblut vergoſſen oder
fremdes Gut ſich angeeignet. Die vielen
Greuelthaten, welche unter ſeinem
Namen vollbracht wurden, begiengen
bloß die zügelloſe Horde, die ihm zur
Seite ſtand und den alten kindiſch
gewordenen Mann ſchmählich miß—
brauchte, indem ſie ihm immer wieder
den Dolch in die Hand drückte, um
ſeine Ehre zu rächen. Er vermochte
nicht mehr zu unterſcheiden, daß er
dies bereits gethan ... es war eben
zur firen Idee geworden bei dem be=
dauernswerten, verblendeten reis.
Möge der Arme im Frieden ruhen,
und ebenjo die Mifjethäter, die ihn
zum Banditen geftempelt!! — Bon
deren ftandrechtlichem Tode durch Pulver
und Blei habe ih ſchaudernd ver—
nommen. — Der Name Brankovpiéè
ift mit meinem Vater erlofchen. Ich
habe ihn auf Wunfch meines Ontels,
eines Stiefbruderd meiner armen
Mutter, abgelegt und ftelle mich Ihnen
nun dor als Zora — Zailovié.“
„Ha!“ rief der entjeßte Officier
wild aus, „dann find ja Sie die
Tochter des Begs, deren Verlobung
man Heut’ Abend feiert! ?*
Das Schöne Mädchen beftätigte dies
mit einer für den armen Géza geradezu
vernichtenden Ruhe.
„Ih finde es wahrhaft graufam, “
jugr er, Sich jelbft vergeſſend, fort,
910
„dab Sie mich zum Zeugen Ihres
Glückes mahen. — Mußte ich dem
dabei ſein!?“ —
„Es gieng eben nicht anders.“
Ohne den ſchelmiſchen Zug zu
bemerken, der bei diefen Worten ihren
fieblihen Mund umfpielte, fügte der
erregte junge Mann Hinzu:
„Beltatten Sie mir nur noch eine
Frage: Kam der Ehriftbaum, kamen
die Blumen und die vielerlei Aufmerk—
famfeiten, die mich im leßterer Zeit
förmlich verfolgten —“
„Bon mir? — Gewiß; doch eine
Verfolgung ſollte dies micht fein,“
unterbrah fie ihn hocherröthend —
„nur ein Beweis meiner großen Dank—
barkeit!”
„Sie geftehen alſo! Und angefichts
Ihrer Verlobung konnten Sie derlei
thun?“
„Quadrille! — Quadrille! —
ein Vis-à-vis!“ ſcholl es aus dem
Tanzſaale herüber.
Sie hatten Ort und Zeit vergeſſen,
der Ball aber nahm inzwifchen feinen
Hortgang, und eben traten die Paare
zur Quadrille an.
„Ach, ich bin ja engagiert, “ erinnerte
ih Zora, „und da fommt auch Schon
mein Tänzer.“
Am Arm des jchönen Bosniers
entſchwand fie den Bliden des unglüd-
lichen Géöza, der ächzend auf feinen
Moosſitz zurückſank und mit unfäglicher
Bitterkeit vor fih Hin murmelte:
„Befunden und verloren! — O,
wie ich dieſen Menfchen Hafje, der
ihren Arm jo fiegesbewußt in den
feinen ſchlang! Er muß der Bräutigam
fein — es ift nicht mehr daran zu
zweifeln... DO, diefe Weiber!" —
„Find' ich Dich endlich, Aus =
reißer!“ —
Schade, daß Géza unterbrochen
wurde, man hätte vielleicht etwas Neues
über die Falſchheit, Treuloſigkeit und
Leichtfertigkeit des ſchönen Geſchlechtes
vernommen.
„Nun, das muß ich ſagen, Du
machſt es Dir bequem!“ rief ihm
Lieutenant Geldern ſchon von Weiten
entgegen. „Stredit da die faulen Glieder
auf weichem Moos aus — wirft Dir
übrigens einen ordentlichen Rheuma—
tismus holen — während wir uns
drinnen fchier zu Tod tanzen. Sind
verdammt ſchwer dieje guten Bosnie—
rinnen! Ih ſag's Dir, die reinen
Mehlſäcke! Habe da ſoeben eine Maſchine
im Saal herumgedreht, die eine ganz
refpectable Quantität türkifchen Harems—
fettes aufweist. Wenn die nicht ihr Leben
lang bloß in Mitch gelochten Weis
gegellen hat, ſoll mich der Teufel Holen.
Kann einmal die diden Leute nicht
ieiden! Ziehe die fchlanfen vor, zum
Beilpieldas Hausfräulein .. Sapperlot,
Kamerad, ift das ein feiches Ding!
Würde fogleih Anlauf nehmen, wenn
die fatale Berlobung nicht wäre!
Würden uns übrigens Alle auf's Hof:
machen verlegen, wenn die Schöne Zora
no zu Haben wäre. Gelt, Freund
Sandor? — An der Caution wiirde
e3 hier nit mangeln — He? —
Famoſes Haus das, famofer Cham—
pagner, ganz famo —“
„Bitt’ Dich, lieber Geldern, ver:
ihone mi nur heute mit Deinem
Famos! — Mir ift gar nicht famos
zu Mutde, und Du begreifit —“
„No, was ift denn los? Wo
fehlt'5 denn? Lab Dih einmal ans
Ihauen! Herrgott, hat der Menſch eine
Leichenbittermiene! Du mußt ja frant
fein !*
Bevor Géza antworten konnte,
ftürzte ein zweiter Officier herbei und
erklärte athemlos:
„Man wünſcht eine Lanciere.
Schnell! Beeilt Euh! — Ich Habe
Dich bereits als Arrangeur gemeldet,
Sandor.“
„Sandor iſt nicht ganz wohl,“
ließ ſich Lieutenant Geldern vernehmen.
„Ach, was! Narrenspoſſen! Was
ſollte ihm denn fehlen? daß Du Dein
Diner, oder beſſer geſagt, den —
Champagner mit Andacht hier verdauen
willſt, laſſe ich allenfalls gelten, aber —“
„Dürfte ich bitten, Herr Ober-
lieutenant?“ tönte plötzlich Zora's
melodiſche Stimme dazwiſchen.
Géza
und reichte dem holden Mädchen ſeinen
Arm, um es bereitwilligſt zum Tanze
zu führen.
„No, das muß ich ſagen, der
war bald curiert! Ich ſag's Dir, da
ſteckt etwas dahinter. Soll noch eine
famoſe Geſchichte werden, das!“ ſchloß
Lieutenant Geldern ſchmunzelnd,
während er mit feinem Kameraden
den Baullfaal betrat.
Die Lanciere war in vollem Gang. |
Eben begrüßten ſich die Paare mit
jenen graciöfen tiefen Berneigungen
des ancien regime, welche diefen Tanz,
wenn auch nicht mehr an der Tages-
ordnung, dennoch immer wieder zu
einem der reizendften geftalten.
Géza hatte vollauf zu thun, um
feine etwas unkundige Tänzerſchar
gebührend zu dirigieren; es gieng aber
troßdem recht gut, bis er ſelbſt bei
der Schlußfigur Halb und Halb fein
Merk verpfufchte, als ihm die fchöne
Zora zuflüfterte, das fie bereits im
Inſtitut jehr viel über feine aus—
gezeichnete Art, Tänze zu arrangieren,
vernommen.
„Wie, im Inſtitut ſprach man von
mir?“ ſtaunte der junge Mann. „Das
ift mir unbegreiflich. Wer konnte Ihnen
nur derlei erzählen ?”
„Nun, meine befte
Ihre—Schweſter.“
„Wa—a—as!? Sie waren mit
Sa in Lauſanne?“ rief er verblüfft
aus, während er beim jchönften Com—
pliment in etwas unzarter Weiſe mit
dem nachbarlichen Paare carambolierte.
„Sagte ih Ahnen nicht vorher,
daß ich in einem Schweizer Penfionat
gewejen ?*
„Aber nicht in Lau—lau— fanne,”
fotterte Géza, der ſich vor lauter
Erſtaunen gar nicht zu fallen wußte.
„Ihre große Ueberrafchung beweist
Freundin,
ol
ſprang bligichnell empor |
und mich niemals in ihren Briefen
an Sie verrathen Hat.”
| „Das ift ja ganz abicheulich !”
„Ich finde es im Gegentheil fehr
löblich; denn ich hatte meine Gründe,
mich Ihnen bis zu einer gewiſſen Zeit
‚nicht in’s Gedächtnis zu bringen.“
„Als 0b das einzig und allein
von Ihnen abgehangen wäre! Als ob
ich nicht immer wieder an Sie gedacht
hätte!” entquoll es feinem übervoflen
Herzen.
7, Wirklich 2“
Zu einer Betätigung fam es nicht
mehr. Der Tanz war vollendet, und
die Schöne Zora wurde von allen
Seiten derartig umringt, daß es für
Géza unmöglich war, ein weiteres
Wort mit ihr zu wechſeln.
Nah einer ſtürmiſchen Schnell—
polla, bei deren Klängen die tanzluftige
Welt ein leßtes Mal den Saal durch—
fegte, Ichritt man zum Souper.
Dem glüdlihen Bosnier wurde
die Ehre zutheil, das Hausfräulein
‚zu führen, worin Géza eine weitere
Beſtätigung feiner Brautichaft erblidte.
Ihm felbft Hatte das Schidjal
eine jener fürchterlich ftarlen Bosnie—
rinnen bejchert, die Lieutenant Geldern
jo jchredlich fand, die jedoch ganz nett
gewejen wäre, falls fie fich in der
Schauftellung ihrer üppigen Reize we—
niger generös gezeigt hätte.
Der Speifefaal ftand dem Tanz—
ſalon an luxuriöſer Entfaltung be—
häbiger Pracht durchaus nicht nach,
wenn er auch nicht geradezu ſtilgerecht
zu nennen war. Aeußerſt gemüthlich
geftalteten ihn die vielen Heinen Tiſche
für je vier Perfonen, welche den Gäften
ein zwangloſes Zuſammenſein nad
Wunſch und Laune gewährten.
Geza ſaß mit feiner ftattlichen
Dame an demfelben Tiſche, den Zora
und ihr muthmaßliher Bräutigam
inne hatten, welcher aber zum maß—
lojen Erſtaunen des galanten Officiers
ih viel mehr mit dem luculliſchen
Mahl beichäftigte, als mit feiner
|
— — — — —
mir, daß meine gute Ilka Wort gehalten | reizenden Nachbarin.
Es braucht wohl nicht gefagt zu
werden, daß Geza diefe günftige Situg—
tion weidlich auszunützen wußte, umſo—
mehr, als ſich feine Partnerin ebenfalls
einzig und allein mit dem Souper zu
Schaffen machte.
Die beiden Leute hätten an Heiß—
hunger mit Dante’3 Conte Ugolino
tivalifiren fönnen, fo tapfer feßten fie
ihren mit beneidenswerthen Zähnen
beipidten Kiefer in Bewegung, Meſſer
und Gabel erft gen Ende des Mahles
bei dem ſtarken Tuſch der Muſik er—
ſchrocken fallen laſſend, die ſchallend
den erſten Toaſt verkündigte.
Der Beg hatte ſich erhoben und
ſtand mit feierlicher Miene da, während
die Dienerſchaft eiligſt ſämmtliche
Gläſer füllte.
Den ſprudelnden Champagnerkelch
hoch emporſtreckend, ſprach der Beg
mit lauter, doch merklich bewegter
Stimme:
„Trinkt mit mir auf das Wohl
meiner Tochter und des edlen Mannes,
den fie chen feit Jahren innigſt liebt
und hochſchätzt und dem fie mit meinem
Segen, nach forgfältiger Prüfung
feiner Gefühle aus freier Wahl die
Hand reicht!"
„Falls er nichts dagegen einzu—
wenden hat,“ flüſterte Zora dem ver—
wirrten Géza zu, indem fie ihm die
zitternde Nechte, an der jein Diamant—
ring funkelte, entgegenftredte, und das
thränenfeuchte Auge flehenden Blickes
zu ihm erhob.
Man kann fich leicht denken, daß
der höchſt überrafchte junge Mann,
deſſen Glückſeligkeit fich jeder Beſchrei—
bung entzieht, gar nichts dagegen ein—
zuwenden fand; ebenſowenig der ge—
fürchtete bosniſche Bräutigam, der ſich
als ein ganz ungefährlicher, harmloſer
Ehemann entpuppte, welchen man ab—
ſichtlich als Strohmann gelten ließ
und der denn auch ſeine Rolle aus—
gezeichnet geſpielt, allein beim Souper
dennoch nicht umhin konnte, mit ſeiner
„dicken Hälfte“ bei Speiſe und Trank
in gewohnter Harmonie ſich zu vereinen.
912
Als das Frühjahr in's Land gezogen,
fand an einem herrlichen Maientag die
Trauung Geza Sandor’3 uud der
Ihönen Zora in der Kloſterkirche ftatt.
Géza's Schwefter, die um Zora’s
Liebe gewußt und als glänzende Wider:
legung weiblicher Tratſchſucht der
Freundin Geheimmis forglich behütet,
ſtand als Brautjungfer am Altare.
Auch unferes Helden greife Mutter
hatte die weite Reife vom fernen Ungar=
lande nicht gejcheut, um des Sohnes
Ehrentag durch ihre Gegenwart zu
verfchönern.
Der Oberft des Regimentes, deſſen
Dfficiersforps faſt vollzählig zur Hoch—
zeit geladen war, fungierte als Zeuge
nebft dem impofanten alten Beg, der
die Verlobung der Liebenden fo geſchickt
zu infceniren gewußt.
Unter den martialiichen Geftalten
der DOfficiere fehlten natürlich weder
der noch immer in Bosnien ftationierte,
bärbeigige Hauptmann Hufla, noch
der joviale Lieutenant Geldern, welcher,
als Géza's befter Freund, mach und
nach in die Geſchichte feiner Liebe ein—
geweiht ward und das Ganze fo „famos“
fand, daß er — im Anblid der rei»
zenden Jlfa, die ja jeßt, wo der Bruder
ein halber Paſcha wurde, auch für
einen cantionspflichtigen Menſchen er-
reihbar war — aus purem Uebermuth
dem ihm zur Seite ftehenden Haupt:
manı das Geheimnis des Harambafcha
ins Ohr flüfterte.
„Donnerwetter!“ brummte der alte
„Commißknopf“, dem feine Avan—
cement3-Hoffnungen neuerdings durch
den Kopf ſchwirrten, „ich werde die
Perſon augenblidlich denunzieren !“
„Die Frau eines Kameraden? —
Pfui doch!”
„Richtig, richtig — es geht nicht
mehr! Berdammt! muß ich denn
allemal zu jpät fommen?! — Aber
es geht jet wirklich nicht mehr.”
„Das will ich meinen! Lajien Sie
uns daher lieber unferen guten Sandor
gratuliren, zu dem glücklichen Ausgang
feines Näubercommandod.*
Anferes Schillers Schweſter Hanette.
Eine Stijje von Heumann-PBtrela.
21 b us der Garnifon in Ludwigsburg | mußte, obgleich jie müde war. Hatte
2%), wurde der Hauptmann Schiller fie doch tüchtig in der Wirtjchaft und
nach dem Luftichloffe Solitüde befohlen. der Magd auf dem Felde zu Helfen,
Er Hatte fich eifrig mit Bodencultur | da Schiller’3 farge Bejoldung den Be-
beſchäftigt und eine Schrift über die) trieb der Landwirtfchaft gebot. Zur
Landwirtichaft in Württemberg ver= | weilen kam er früher von feinen Bäumen
faßt. Herzog Karl, der diefelbe „avec | heim, von denen er im Laufe der Jahre
plaisir“ gelefen, riefen den Autor auf über Hunderttaufend pflanzte. Die
die Höhe des Hafenberges, wo fich das! Kinder an der Hand, gieng er dann
Schloß erhebt. oh in den Park oder führte fie auf
Dort wurden der Forſt und die| die Kuppel des Schloſſes, wo er, von
Baumſchule feiner Obhut anvertraut. | Fri und feiner Zukunft als Geiftlicher
Aus dem Grün der Eichen, Kaftanien |vedend, ihnen den Thurm der Lud—
und Linden tagte das Schloß mit wigsburger Kirche zeigte, in der er
goldener Kuppel empor. Kirche, Opern= | einft predigen jollte.
haus, Marftall und Kaferne umgaben Zwei Jahre jpäter fuhr die Familie
ed; weit über den Berg zog ſich der in einem Wagen, der dem Oberhof:
Bart, mit Bildfäulen und Fontainen | gärtner gehörte, „ins Nelidenzel,“ wie
geſchmückt. Am Portal begann die man Ludwigsburg im Vergleich zu
Allee nah Ludwigsburg, eine zweite) Stuttgart nannte. Fritz wurde con—
führte nah Stuttgart, und am Aus- | firmiert und mußte im nächiten Winter
gange derjelben, im der Nähe des | in die „wilitärische Pflanzſchule“ treten,
Parkes, ftand ein Waiſenhaus für) in die der Herzog das Waifenhaus auf
Soldatentinder, die der Fürft in Tanz | der Solitüde verwandelt hatte. Die
und Gefang, Gartenkunft und Sculptur| Schweitern freuten fi, ihm jeßt jo
unterrichten ließ. nah zu willen, aber die Eltern waren
Im Frühling 1770 traf Schiller | betrübt. Der Befehl des Fürften raubte
mit feiner Frau, der „Kodweiſſin,“ ihnen die Hoffnung, den Sohn als
und den Töchtern Chriftophine und Prediger zu fehen. In einem blauen
Loniſe, die dreizehn und vier Jahre! Rode nebſt Kamifol ohne Aermel, mit
zählten, auf der Solitüde ein. Fritz fünfzehn Büchern und dreinndvierzig
war in der Penfion in Ludwigsburg | Kreuzen im Lederbeutel kam er au.
geblieben, wo er die Schule bejuchte. | Dann folgte fein Einzug in die Stutt-
Am Abend, wenn die Arbeit ruhte, | garter Aladentie, und mur am den
ſprach man viel von ihm. Dann ſaß | Feiertagen durfte er die Eltern be—
der Vater, ein Heiner „adretter“ Mann, | fuchen.
mit feiner Pfeife im Sorgenftuhl, und Im September 1777 ſah ihn eine
die Mutter, ſchlank, mit vöthlichem | neue Schweiter an. Ein „Hübjches
Haar und „einer Menge Sommer: | Heines“ Weſen lag in der Wiege; jo
iproffen im Geficht,* Hinter dem Spinn= | zart, daß er das Kindchen kaum zu
rad auf der Ofenbanf, Die kleine Lonuiſe berühren wagte. Es wurde Karoline
ichlief fchon in der Kammer, während | Chriftiane getauft, aber Nanette, und
Chriſtophine noch mähen oder ftriden | von Frig nur „Nane“ genannt. Die
Rofenger’s „„Geimgarten‘‘, 12. Geft, XI. 58
914
Jüngfte, das Nefthälchen, ſchloß er be=
jonders ins Herz, und wenn die Nach—
richt begründet, ift er einſt heimlich
von Stuttgart gelommen, um Nane
zu jehen.
Sicher erhielt er Erlaubnis, bei
ihrer Taufe zu fein. Chriſtophinens
Freundin, Ludovifa Reichenbah in
Stuttgart, war des Kindes Gevatterin.
Nah dem Brauche jener Zeit gieng
die Mutter von Thür zu Thür und
zeigte die Stleine, die im Wald und
Garten trefflich gedieh. Erftaunt mochte
ihr Blid auf dem Bruder ruhen, als
fie ihn zuerft in der Uniform eines
Feldſcherers ſah. Im Rode nach altem
preußifchen Schnitt, mit didem Zopfe
und drei flarren vergipften Rollen, die
Loden vorftellten, an jeder Seite der
Stirn: jo fam er 1780 zu Beluch
und trug Nane auf dem Rüden durch
den Park. Auf feinen Schultern brachte
er fie auch zur Schloffuppel hinauf
und fie fie über Berg und Thal in
die Ferne ſchauen. Dort ragte die rauhe
Alp mit der Veſte Stauffen, und im
Blau des Aethers ftiegen der Schwarz
und Odenwald empor.
Es ift nicht erfichtlich, wer Nanette
den erften Unterricht ertheilte. Ver—
muthlich war Ehriftophine ihre Lehrerin.
Die nächſten Jahre vergiengen ihr un—
getrübt, Glüd und Frieden war um
fie her, bis Sie plößlich die Thränen
der Mutter und die Verzweiflung des |
Vaters ſah. Frik war nad Mannheim |
geflohen, wollte Geld und immer Geld, |
doch der Vater ſah ſich außer Stande,
ihm nah Wunſch zu Helfen. Zwei
Goldftüden, die er ihm fandte, fügte
er die Worte bei: „Ob ich ſchon als
ein ehrlicher Mann befannt bin, fo
weiß man doch meine Vermögensum—
ftände, meine Bejoldungseinnahmen,
und daß ich außer Stande wäre, eine
Schuld von 2 bis 300 Gulden von
meiner ordinären Einnahme wieder
heimzahlen zu können.“ Dies fei die
letzte Sendung, erflärte er ihm und
Ichrieb ſpäter nach wiederholten Bitten
um Geld: „Das Verhältnis zwifchen
einem guten Vater und deflen obſchon
mit vielen Berftandesfräften begabten,
doch aber dabei in dem, was zu einer
wahren Größe und Zufriedenheit er—
forderlich wäre, immer noch jehr irre=
gehenden Sohne, kann den Lebtereu
niemals berechtigen, das, was der
Erftere aus Liebe, aus Weberlegung
und aus jelbitgemachter Erfahrung jenen
zu Gute vornimmt, als Beleidigung
aufzunehmen. Was die verlangten 300
Gulden ambetrifft, jo weiß es leider
Jedermann, dem meine Lage nur einiger
maßen befannt, daß es mir micht
möglich fein fann, nur 50 Gulden,
geichweige deun fo viel im Vorrath zu
haben; umd daß ich eine ſolche Summe
borgen follte, zu immer größerem Nach—
theile meiner übrigen Kinder für einen
Sohn borgen follte, der mir don dem
jo Vielen, was er verfproden, noch
das Wenigſte hat halten Fönnen: da
wäre ich wohl ein ungerechter Vater.“
Zu diefen Sorgen kamen Streitigs
feiten zwijchen den Eltern, die auf
Nanette troß ihrer Jugend nicht ohne
Eindrud blieben. Die Mutter Hagte,
daß ihre Töchter in geiftiger und ges
jelliger Beziehung vernachläfjigt wire
den, während der Vater ihr vorwarf,
daß fie die Finder weit über ihren
Stand, „zu Staat und Großthun,“
erziehen wollte. Es fam zu den heftig-
ten Scenen, jo daß ſich Ehriftophine
— Loniſe war. in Stuttgart, um Putz—
arbeit zu lernen — über einen Brief
aus Meiningen freute, im dem der
Bibliothekar Neinwald feine Ankunft
Ichrieb.
Im Sommer 1784 traf er ein,
und mit ihm, wie Ehriftophine gehofft,
fehrte der Friede in Sciller’3 Haus
auf der Solitüde zurüd. Der Zwilt
verftummte, der Gaft fühlte fich wohl;
der Blick aus dem Fenfter feines Stüb-
hens über den Garten und in die
Ferne war ihm „unbefchreiblid an—
genehm.“ Mit dem Hauptmann gieng
er in den Wald, mit den Töchtern in
die Orangerie, wenn das Abendroth
auf den Bäumen lag. Noch hallte in
Chriſtophine der Gram über die Flucht
des Bruders und den Streit der Eltern
nad, doch in Nanettens kindlichen Ge»
müth Hatte ſich diefer Eindrud bald
ganz verwiſcht. Reinwald fah fie nur
fröhlich, ihr Singen und Lachen durch—
Ichallte da3 Haus; er nannte fie vor
jeiner Abreife ein Engelsmädchen, das
„ſchon Verſe macht.“
Im nächſten Jahre fuhr ſie mit
der Schweſter nach Stuttgart. Beim
herzoglichen Leibarzt, dem Onkel von
Ludovika Reichenbach ſtieg fie ab. Dieſer
zeigte ihr das Haus auf dem Kleinen
Graben, wo ihr Bruder als Medicus
gewohnt, und den Gaftbof „Zum
Ochſen“ in der Hauptjtätterfiraße, wo
er Segel ſchob. An den Eden ſah fie
Theaterzettel: „Cabale und Liebe* vom
Verfaſſer Herrn Schiller. Ein neues
Stüd de3 Bruder wurde zum erften
Male aufgeführt. Da bat und quälte
fie jo lange, bis Schweiter Louiſe Tie
mit ins Theater nahın. Diefe erzählte
jpäter, mit wie großer Spannung und
verhaltenem Athem fie das Aufrollen
des Vorhanges erwartet hätte. Kein
Wort entfchlüpfte ihren Lippen, wohl
aber zeigte der erhöhte Glanz ihres
Auges und die von Act zu Act fteis
gende Berflärung ihres Gejichts, wie
innerlich erregt fie war, Der ftürmijche
Beifall, mit dem das Publitum das
Stüd begrüßte, machte den tiefjten
Eindrud auf fie.
Die Künftler erfchienen ihr in einem
Zauberlichte, und beim Berlaffen des
Theaters jagte ſie der Schwefter, Tie
wolle Schaufpielerin werden.
mußte über den Einfall des Kindes
lachen, und auch der Bater nahm ihn
ſcherzhaft auf.
Augen kam: Lieder in der Hauspoftille
oder Gedichte von Hagedorn, Uz und
Gleim. Darüber vergieng ein Jahr,
und wieder traf Reinwald auf der
Solitüde ein. Er warb um Ehriftophine,
in der Kirche neben dem Schlofje ward
die Trauung vollzogen und Nanette
jollte Nanette kommen. Ihre Ankunft
freute dem Paare Blumen auf den
915
—
Louiſe
Er ließ ſie gewähren,
als ſie nun declamierte, was ihr vor
Weg. Beim Abſchied nahm der Vater
300 Gulden aus dem Schrein, die er
der Tochter unter Thränen reichte. Die
Summe babe er geſpart, und Chri—
ftophine brauche nicht zu fürchten, daß
ihre Gefchwifter benachtheiligt würden,
Als die Trennung überwunden war,
ſah Schiller jeit Jahren wieder heiterer
aus. Die leten Briefe ded Sohnes
ließen fein Bemühen erfennen, fich eine
feftere Lebenzftellung zu ſchaffen. Nie
vergaß er, nach dem „Nefthäfchen“ zu
fragen, und Louife, die ihm mehrfach
über Nanette jchrieb, theilte ihm deren
Leidenschaft für das Theater mit. Der
Glanz, in dem ihr die Künſtler er:
ſchienen waren, hatte ſich nur verftärkt.
Ihre Phantafie rief ftets die Geftalten
zurüd, durch die des Bruders Dichtung
ihrem Auge und Berftändnis zugeführt
war. Seine Tragödien einft auf der
Bühne darftellen zu können, war ihr
ein herrlicher Gedanke, den fie nur
eifriger nährte, je mehr ihn die Eltern
zu verſcheuchen fuchten,
In Dresden und Weimar, vor
Friedrich's Ankunft in Jena, begte er
den Wunsch, Nanette in feine Nähe
zu ziehen. Er bat den Vater, ihre
geiltige Entwidlung leiten zu dürfen,
doch ſchlug ihm diefer, da jeine Ver:
hältniffe noch zu unficher waren, die
Bitte ab. Erft nad feiner Ernennung
zum Profeſſor in Jena und feiner Ver—
mählung fam er auf feinen Wunſch
zurüd, und nun war der Bater geneigt,
ihm die Schwefter zu jchiden. Wieder:
holt ſchrieb er „Arien und der herz—
liebjten Frau Schwiegertochter,“ daR
„die Nane* die jchönften Hoffnungen
erwedte. Er rühmte die Güte des jeßt
dreizehnjährigen Mädchens und Hob
ihre Fertigkeit im Rechnen hervor. Sehr
artig, ſchrieb er weiter, jpielte fie „Stück—
gens“ auf dem Glavier und verfaßte,
worüber der Bruder eritaunen wiirde,
ein Trauerſpiel.
Doc vergiengen noch einige Jahre,
bevor zur Reife nah Jena gerüftet
wide. In Begleitung der Mutter
58*
016
——
meldend, jchrieb der Vater 1792 einen [im feinem Herzen wedte. „Sie ift gut,“
rührenden Brief. Es ſchmerze ihm tief, | jchrieb er an Körner, „und es fcheint,
daß er nicht auch die Freude haben |dah etwas aus ihr werden könnte.
follte, nad) zehnjähriger Trerung den Sie ift noch fehr Kind der Natur,
Sohn und defjen Gattin zu umarmen; und das ift noch das Beſte.“
in feinem hohen Alter fei ein Wieder»
fehen auf diefer Welt doch dweifelhaft.
Aber für das, was er ſelbſt entbehrte,
follte ihn das Glück entjchädigen, das | viele Freude.
die Heimkehr der Seinigen und ihre die Schwiegermutter gefallen,
Ihre Schwäbische Naivetät übte den
günftigften Eindrud auf feine Stim—
mung und machte auch feiner Gattin
Weniger mochte diejer
deren
Erzählungen ihm und Louife bereiten | praftifcher Blid an der Errichtung der
wilrden.
Diefem Briefe folgte ein zweiter,
in dem er, vielleicht wegen der adeligen
Mohnung und am Haushalte Man—
ches zu rügen fand. Ueber die „äußerft
| nachläſſigen“ Geldgejchäfte des Sohnes
Schwiegertochter, Nanetten’s einfache eutſetzte fie fi, und der wenig be—
Erziehung entjchuldigte. Obgleich fie
beiferen Unterricht als die Schweftern
genofjen hatte, meinte er doch, daß er
nicht mehr an fie wenden könnte, da
feine jährlide Cinnahme kaum auf
500 Gulden ftieg. Doc hätte fie Kopf
und das beite Herz, auch viel von des
lieben rigen Bildung im Aeußeren;
der Sohn würde jelber fehen und die
Schweſter beurtheilen können.
Erft nach diefen Briefen beftiegen |
Mutter und Tochter den Reifewagen.
Nanetten war ausdrüdlich eingefchärft,
die Mutter unterwegs zu pflegen, auf
ihre Sachen zu achten und das „Be—
fondere“ auf der Reife aufzufchreiben,
damit fie, wie der Vater bemerkte, mit
Nugen reife und nach ihrer Heimkehr
„Alles richtig erzählen könne.” Der
Abſchied war jehr bewegt, und Hopfen
den Herzens jahen die „Solitüder,”
wie man damals jagte, der erften Nach—
richt aus Jena entgegen.
Schwer konnte fi) Nanette in das
Ausſehen des Bruders finden. In der
Uniform eines Feldfcherers mit diem
Zopfe und ſechs Loden an der Stirn,
wie fie ihm zuleßt gejehen, ſchwebte er
ihr vor. Jetzt ſah fie einen beiden, |
tränklihen Mann, dem aber die Freude
des Wiederſehens das Antlig verklärte.
Ihre Schönheit überrafchte ihn, und
mit innigem MWohlgefallen ruhte fein |
Auge auf dem thenren Mädchen, das
die länge der Heimat und Kindheit
fannte Bericht eines jungen Reijenden,
der Schiller damals beſuchte, enthält
die Mittheilung, da der Dichter wäh-
rend der Anwefenheit feiner Mutter
plöglich rechnen lernte. „Luftig war
e3 anzuhören, wenn er nun ins Nechnen
fam. Einft erklärte er in vollem Ernft,
mit wie Wenigem der Menjch leben
fönnte, und die ganze Summe belief fi)
auf ſechs Thaler. Die Rechnung war
etwa in diefem Sinne: Man fauft ich
ein Laib Brot, man hat an einem halben
Kreuzer genug und ißt wöchentlich
einmal eine warme Wurſt.“
In einer ruhigen Stunde, ais fi
Nanette mit der Schwägerin und deren
Schwelter, Karoline von Wolzogen, in
einem Garten befand, ſprach die Mutter
mit ihrem Sohne über des Mädchens
Hang zum Theater. Louiſe Hatte ihm
öfter davon geſchrieben, und da er dem
Schauſpielerleben abgeneigt war, ver—
ſprach er, mit Nanen eindringlid zu
reden. Es geſchah in feinem Zimmer,
doch ergriff fie die Gelegenheit, wo fie
ohne Zeugen waren, und jprad ihm
einige feiner Gedichte und ganze Scenen
aus feinen Tragödien fo jeelenvoll und
verfländnisreich vor, daß er verftummte
und fein Verfprechen vergaß. Sie bat
ihn flehentlich, auf die Eltern zu wirken,
damit fie ihr erlaubten, auf der Bühne
zur Verherrlichung des Bruders bei—
tragen zu können. Auch rau bon
Molzogen, an der fie eine Fürſprecherin
fand, juchte ihn zur Umftimmung der
917
Eltern zu bewegen, doch erklärte er die
Schwefter no für zu jung und ver—
ſprach, die Sache zu überlegen.
Mit freundlicher Hoffnung auf Er—
füllung ihres Wunſches kehrte Nanette
heim. Sie und die Mutter brachten
dem Vater die Nachricht, daß Frig ihn
befuchen werde. In diefer Ausficht
verlebte, er die nächſte Zeit, und als
ein Brief aus Jena die Ankunft von
Sohn und Tochter im Auguſt 1793
verhieß, wurde Nanette erft nad Stutt-
gart geſchickt, um Nähen und Putzarbeit
zu erlernen, beſonders aber, um ſich
„im Umgange mit anderen guten Men—
Shen beffer formieren zu können.“ Sie
wohnte wieder bei ihrer Pathe Ludovika
Reichenbach, die inzwiſchen den Lieu—
tenant Simanoviz geheiratet hatte. So-
bald der Bruder aber eingetroffen war,
eilte fie zu ihm nach Heilbronn. Dort
und fpäter in Ludmwigsburgs, wo der
Herzog ihn wohnen ließ, ohne noch an
die Beitrafung des Flüchtlingd zu den—
fen, blieb fie beitändig in feiner Nähe.
Zu Fuß eilte fie nach der Solitüde,
um die Erfte zu fein, die den Eltern
die Nachricht brachte, daß ihnen ein
Entel geboren fei. Der erfte Sohn
nnjeres Dichters wurde Karl genannt,
und bei der Taufe trug Nanette ein
weißes Seid mit Puffärmeln, ein
Fichnu mit Silberfäden durchwirkt und
rothe Rojen im Haar.
Um diefe Zeit wurde der Haupt»
mann zum Obriftwachtmeiiter ernannt,
und Ludovifa Simanovdiz, eine treffliche
Künftlerin, malte den Dichter in Del.
Doch ftörte eine verheerende Krankheit,
die unter den Truppen entftand und
ih aus den Lazarethen über die ganze
Gegend zu verbreiten drohte, das trau—
liche Beifammenjein. Da mußte Schiller
an die fchleunige Rückkehr nah Jena
denken. Immer neue Proben ihrer Bes
gabung für die Bühne hatte Nanette
ihm abgelegt und ihre Bitten um feinen
Einfluß auf die Eltern dringend wies
derholt. Auch jegt erichien fie ihm noch
zu jung, doch ſagte er wieder, daß er
ihren Wunfch auch ferner erwägen -
werde und die Einwilligung der Eltern
zu erreichen hoffe.
Dieſe Aussicht blieb ihr Troſt in
der nächſten Zeit. Sie ſchloß ſich in
die Bodenkammer ein, declamierte und
übte ſich im Attitüden, bei denen fie
ein weißes Tuch benußte. Louiſe, die
ins Vertrauen gezogen war, ſchrieb es
dem Bruder und theilte ihm mit, daß
Nane beim Aublid feiner Büfte, die
Danneder nad der Solitüde gejchidt,
Freudenthränen vergofjen hätte. In—
zwiſchen erwog Schiller ihren Plan
mit der ihm eigenen Sorgfalt, und
als er mit Frau und Schwägerin noch
einmal Alles gründlich befprochen Hatte,
trug er Goethe die Sache vor. Seit
fünf Jahren lag diefem die Leitung
des Weimarer Theaters ob, und falls
die Eltern einmwilligen würden, follte
Nanette die dortige Bühne betreten.
Unter Goethe's Augen wurde manche
Klippe vermieden, die dem Schaufpieler=
ftande bei den damaligen Berhältniffen
leicht gefährli war.
Bevor aber Schiller noch an den
Bater Schrieb, um deifen Zuftimmung
zu erbitten, trafen von diefen tief er»
fhütternde Nachrichten ein. Er ſelbſt
war frank und konnte nur mit großer
Mühe jchreiben, daß in Folge des
Krieges zwiſchen den Saiferlichen und
den Franzofen auf der Solitüde ein
Lazareth errichtet fei. Ein furchtbares
Fieber wüthe in der ganzen Gegend,
das nun — im März 1796 — auf)
Nanette ergriffen hätte. Zwiſchen feinem
und ihrem Lager, fügte der Greis Hinzu,
giengen die Mutter und Louife Hin und
her. Acht Tage ließ er die Nachricht
folgen, daß wenig Hoffnung fei. „Ach,
wenn der liebe Gott nur der Nanette
wieder aufhilft, die fih in ihrem ge—
genwärtigen Alter jo gut gefaßt hat,
ein fo vortreffliches Herz und mehr
Kopf hat, als wir je von ihr erwartet
haben, kurz, die uns ebenfo viel Freude
wie unſere anderen lieben Kinder ver—
ſprochen bat.“
„Ih geftehe,“ schrieb der Sohn
zurüd, „daß ich das Schlimmſte fürchte,
918
weil fie ſchon vor dem Anfall diefer |
Krankheit nicht ganz gefund gewejen
ift.“ Mit Zittern ſah er dem nächften
Briefe entgegen, der ihn die entjchei=
dende Nachricht bringen mußte. „Wie
werde ich es ertragen,” rief er aus,
„eine jo liebe hoffnungsvolle Schweiter
zu verlieren, zu deren künftigen Aus—
fihten ich gerade jeßt einige Vorkeh—
rungen treffen wollte, die vielleicht ihr
Glück gründeten!”
Yın April erhielt er die Trauer—
funde. Noch in den lebten Stunden,
nach mündlicher Mittheilung der Frau
von Wolzogen, hatte die Kranke aus
den „Räubern“ und „Don Carlos“
declamiert. Der Brief des Vaters war
ein Schmerzensſchrei: „Gott hat ſie
zu ſich genommen, und ihr Los kann
nicht anders als glücklich ſein, denn
ihr Leben iſt reine Unſchuld geweſen.
Wir haben viel, viel an ihr verloren;
Gott ftehe uns bei und erhalte ins»
befondere die liebe Mutter, die fi
zu meiner großen Beruhigung in den
Willen Gottes ergibt. Er ſetze unjeren
lieben übrigen Kindern die Jahre zu,
welche Nanette hätte erreichen können.
— O Ihr liebſten Kinder, wir find
eben fehr betrübt. Ich, der ich nicht
aus dem Bette kann, fonnte jie nimmer
fehen, fie nicht tröften, ihr nicht bei=
ftehen. Ich kann micht mehr!“
In dem weißen Kleide, das fie bei
der Taufe ihres Neffen trug, doch mit
weißen Rofen und Myrthen im Haar,
lag fie im Sarge. Auf dem Friedhofe
des nahen Dorfes Gerlingen ward fie
beftattet.. Ihr und dem Vater, der
noch in demfelben Jahre ftarb und an
ihrer Seite begraben wurde, hielt Bicar
Frankh die Trauerrede. Er vermählte
fi fpäter mit Louife und nahm die
| Mutter feiner Frau zu fich ins Haus.
In wenigen Worten meldete Schiller
dem Freunde Körner Nanetten’s Tod:
„Meine jüngfte Schweiter, ein Mäd—
hen voll Hoffnung, von Talent, und
die auch hübſch war, ift geftorben.“
Wohl ſchwebte auch ihm die Liebliche
Geftalt der früh Verklärten vor, als
er fih jelbft und Vielen zum Zrofte
lang:
„Noch köſtlicheren Samen bergen
Wir trauernd in der Erde Schoß,
Und hoffen, daß er aus den Särgen
Erblühen joll zu jchönerm Los.“
Staatshülfe für die deutf—he Sprade ?
Von Auguſt Mühlhaufen in Hamburg.
MD er hat nicht heutzutage ſchon
irgend einen ſprachlichen Ver—
ar gehabt ? Den Einen hat e3 ge=
fräntt, daß der Sohn ſich dem Bater
überlegen dünft mit feiner „neuen“
Orthographie, hält er doch mit Herrn
von Treitzſchke für Recht, daß die Kinder
von den Eltern lernen ſollen und nicht
umgefehrt die Eltern von den Kindern.
Der Andere ärgert fich darüber und kann
es gar nicht fallen, daß ein jo einſichts—
voller Mann, wie der deutjche Reichs—
fanzler, ſich Jo entſchieden gegen die
Einführung der Antiqua, der lateini-
ſchen Schrift, wehrt; hat ihn doch der
väterlihe Bücherfchrant belehrt, daß
diefe Schrift nicht einmal die Ver—
breitung lyriſcher Poeſie behindert ;
find doch 3. B. Matthifons rührſame
Gedichte mit Lateinifchen Lettern ge—
drudt und Hingegen ältere lateinifche
Bibeln mit den doch nur jo genannten
deutichen, den Buchftaben der ge—
brochenen Mönchsſchrift, Hat alfo doch
919
die ganze Sache mit unferer Natio«
malität nichts weiter zu thun, als daß
wir unter den ulturnationen am
längften das Mittelalter, wenigftens
in der Schrift, conferviert. Der Dritte
endlich, der Mann der bequemen Ruhe
und Ordnung, möchte gern, mit Wils
helm Bush zu veden, ein für alles
mal willen, was an der Sade it.
Und jo hält er's für's Beſte, alle
fprahliche Angelegenheit werde von
Antswegen geordnet, da brauchte er
nicht erft zu wählen, und Wahl, das
fagten ſchon die ehrwürdigen Groß—
väter, die doch nichts vom Reichstage
wußten, macht doch auch immer Qual.
Sonft gewiß Fein Franzofenfreund,
wünscht er ſich doch einen Zuftand,
wie ihn einst Wilhelm Grimm ges
Ihildert: „Wenn ein Franzoſe uns
fiher ift über den Begriff eines Wortes,
wenn er nicht weiß, ob e3 überhaupt
in der Schriftfprache zuläflig ift, wenn
er fürchtet, einen orthographiichen
Fehler zu machen, jo Holt er fein Ge—
ſetzbuch berbei, ich meine dad Wörter-
buch der Alademie. Er fchlägt nad
und findet eine Entjcheidung, welche,
um mich juriftiich auszudrüden, Kein
Gericht wieder umftoßen darf, mit
anderen Worten, er jchreibt correct
und iſt gegen jeden Zadel gelichert.”
Das Verlangen nach einer folchen
Staatsantorität auch in prachlichen
Fragen fehen wir in unjeren Tagen
unterftüßt von etlichen militäriſch ge—
ſchulten Gelehrten, die am Liebften
unfere geſammte Bildung ſchwarz-weiß—
roth anftreichen oder doch mindeltens
amtlich aichen möchten. Um mit etwas
recht Unverfänglichem zu beginnen, wird
da gern in der Einleitung angeführt,
daß ſchon am Ausgange des fiebzehnten
Jahrhunderts der große Leibnitz eine
Art Akademie für deutfche Sprache ge⸗
fordert hätte.
Ehe wir indeſſen weiter gehen,
haben wir feſtzuſtellen, daß es mit,
dieſer „Forderung“ des großen Leib⸗
nitz doch eine ganz eigene Bewandt-
nis hat, die ehrlicher Weiſe dem Leſer
nie verfchwiegen werden darf. Es gibt
nämlich zwei verfchiedene Bearbeitungen
desjelben Themas: die Ältere vom
Jahre 1679 „Ermahnung an die
Teutſche, ihren Berftand und Sprade
beffer zu üben” und die jüngere vom
Jahre 1697 „Umvorgreifliche Gedanken
betreffend die Ausübung und Bere
bejlerung der teutſchen Sprade”.
feine von beiden ift jemals zu
Leibnigens Lebzeiten in Drud gegeben ;
die ältere erſchien zuerft in dem 1716
| zu Hannover herausgefommenen Buche :
V. Godofr. Guilelmi Leibnitii Colle-
ctanea Etymologica, illustrationi Lin-
guarum, veteris Celticae, Germanicae,
Gallicae, aliarumque inservientia,
cum praefatione Jo. Georgii Eccardi.
Aus dieſem Buche ift die übrigens *
deutjche Abhandlung zuerft wieder ab:
gedrudt in Gottſched's Beyträgen zur
Gritifchen Hiftorie der deutfchen Sprache,
Poeſie und Beredfamfeit 1732, dann
erft wieder 1831 in einer Sonder:
ausgabe von H. Lindner, darauf in
Wild. Wadernagel’3 deutſchem Leſe—
buch 1836 und endlich, in der An—
nahıne, daß nicht allen Lejern der
Tert zur Hand fein möchte, in dem
dritten Bande des Weimarer. Jahr:
buchs 1857.
Die ältere Bearbeitung: „Ermah—
nung an die Zeutjche* ijt aber gar
erit 1846 durch E. 2. Grotefend der
ftillen Ruhe in den hannoverſchen
Archiven entzogen,
Darum kann man auch nur im
des freilinnigen Hoffmann v. Fallers—
leben Urtheil einſtimmen, wenn er jagt:
„So zeitgemäß die PVorfchläge
waren und jo erfolgreich fie hätten
werden fönnen, wenn fie von Leibnitz
ſelbſt noch veröffentlicht worden
wären, fo blieben fie doch nach feinem
Tode unbeachtet, verftedt in einem
lateinischen Buche, nur den eigent-
lihen Gelehrten zugänglich, und find
heutigen Tages nur eine Guriofität,
um daraus zu lernen, wie Leibnig
‚über deutſche Sprache und Literatur
dachte und mit welchen Mitteln er
920
ihnen aufzuhelfen meinte; fie haben
nur noch ein Hiftorisches und perſön—
liches Intereſſe. Wie viel hätte Leibnitz
mit diefen Vorſchlägen wirken können,
wenn er bei feinem hoben Anfehen
bei Bornehin und Gering damit felbft
hervorgetreten wäre! Aber leider fand
er e3 bequemer, die Ergebniſſe feines
Forſchens und Dentens in einer ihm
geläufigeren Sprache darzulegen, wobei
denn auch er von einer Anficht, die
nicht ohne Beimiſchung von Eitelfeit
nämlid, daß dent | nachdrüdlicher, als wittelft einer ge—
deutfchen Gelehrten feine Theilnahme |
war, ausgieng,
und Bewunderung im Auslande er—
wiüchfe und ermwachlen konnte.
Fügen wir noch Hinzu, daß jchon
ein Zeitgenofje, der klar denkende
Charaktermenſch Thomafius im Winters
ſemeſter 1686/87 den Muth der That
|
dahin zu trachten fein, wie allerhand
nachdrückliche, nützliche, auch annehm—
liche Kernſchriften in deutſcher Sprache
verfertigt werden möchten.“
In der ſpätern Bearbeitung findet
ih die Akademie betreffend nur die
eine fnappe Bemerkung:
„8 30 Weilen aber die Sade von
einem großen Begriff, fo jcheinet jel=
bige zu beitreiten etwas größer als
Privatanftalt nöthig, würde demnach
dem ganzen Wert micht befier noch
willen Verſammlung oder Vereinigung
aus Anregung eines hocherleuchteten
vornehmen Haupts mit gemeinen Rath,
und gutem Verftändnis zu helfen fein.
$ 31. Das Hauptabfehen wäre
zwar der Flor des geliebten Bater-
landes deutfcher Nation, jein beſon—
gefaßt und an das fchwarze Brett | derer Zwed aber und das Vornehmen
der Univerfität zu Leipzig das erfte) (oder objeft) diefer Anftalt wäre auf
deutſche Programm geichlagen, das | die deutſche Sprache zu richten; wie
zum Beſuche einer in deutfcher;mehmlichen ſolche zu verbeilern, aus—
Sprade zu haltenden Borlefung aufe
forderte.
Das Verlangen, um das es ich
hier handelt, findet ſich in der Älteren
Bearbeitung am ausführlichiten aus—
geſprochen. Es heißt dajelbit:
„Und weil aus allem Obſtehenden
ſo viel erſcheinet; daß vor allen Dingen
die Gemüther aufgemuntert und der
Verſtand erwecket werden müſſe, als
der aller Tugend und Tapferkeit Seele
iſt, ſo wäre das meine unvorgreifliche
Meinung, es ſollten einige wohl—
meinende Perſonen zuſammentreten
und unter höherm Schuß eine deutſch—
geſinnte Geſellſchaft ſtiften,
deren Abſehen auf alle dasjenige ge—
richtet ſein ſollte, ſo den deutſchen
Ruhm erhalten und auch wieder aufs
— — —
richten könne, und ſolches zwar im)
denen Dingen,
ſo Verſtand, Gelehr—
zuzieren und zu unterſuchen.“
Und als eigentliche Leiſtung, um
die es ihm mit Gründung ſolcher Ge—
ſellſchaft ſo recht zu thun ift, bezeich—
net er ein deutſches Wörterbuch, deſſen
Plan er eigentlich recht vollſtändig
darlegt, indem er erwartet: eine Muſte—
rung und Unterſuchung aller deutſchen
Worte, welche, dafern ſie vollkommen,
nicht nur auf diejenige geben ſoll,
jo jedermann brauchet, fondern auch
auf die, fo gewillen Lebensarten und
Künften eigen; und nicht nur auf die
jo man Hochdeutſch nennet, und die
im Schreiben anigo allein bereichen,
fondern auch auf Platedeutih, Mär:
kiſch, Oberfähliih, Fränkiſch, Baye—
riſch, Oeſterreichiſch, Schwäbiſch, oder
was ſonſt hin und wieder bei dem
Landmann mehr als in den Städten
bräuchlich; auch nicht nur was in
ſamkeit und Beredtſamleit einigermaßen Deutſchland in Uebung, ſondern auch
betreffen kann; und dieweil ſolches alles | was von deutſcher Herkunft im Holl-
vornehmlich in der Sprade erjcheinet, | und Engelländifchen:
worzu auch für—
als welche iſt ein Dolmetſcher des Ge- nehmlich die Worte der Nord-deutſchen,
müts und eine Behalterin der Wiſſen- das iſt der Dänen, Norwegen, Schweden
ſchaft,
jo wird unter anderm auch und Ißländer (bei welchen letztern
fonderlih viel von unſrer uralten
Sprach geblieben,) zu ziehen: umd
leglichen nicht nur auf das jo noch in
der Welt geredet wird, ſondern auch
was verlegen und abgangen, nehme
lihen das Alt-Gothiſche, Alt-Säch—
fifche und Alte fränkische, wie fichs in
uralten Schriften und Reimen findet.“
Und diejes große Werk, zu dem
mehr als Privatanftalt nöthig, es ift
ja feitdem in die Erſcheinung getreten,
ift wahr und wirklich geworben und
noch dazu weit herrlicher, als man es
damal3 hat ahnen fünnen: e3 nennt
fich Schlicht und recht: Deutjches Wörter-
buch von Jakob Grimm und Wilhelm
Grimm. Es ift auch ein Verein, der
ihm zum Dafein verholfen, aber ein
Verein, wie allein er der hohen Sache
würdig und wie er ftets zum Seile
der Nation beftehen jollte: zuſammen—
gehalten nicht durch Pflicht und
Satzung, ſondern einzig durch das
gemeinſame Band gleichen Strebens
und gleicher Verehrung für die edlen
Forſcher, die hier Baumeiſter werden
wollten der Ruhmeshalle deutſcher
Sprache; auf ihren Ruf eilten, ohne
jedweden äußeren Vortheil, die wader-
ſten Männer herbei, um thätig Hand
mit anzulegen; und die für ſich ſchon
durch ſolche Erfolge, die ihrer Natur
nach allerdings nur durch ein Zu—
ſammenfaſſen — aber doch ſchon
vorhanden geweſener, nicht etwa. exit
nen entftandener — in Freiheit erwach—
jener Kräfte möglich geworden, gar
zu leicht, den Wert rechter Freiheit
für alles geiftige Leben zu jchäßen.
Unfere ganze Lage ift heute eine
andere. Und fo ift es nicht recht er=
fihtli, wie die Vorkämpfer für eine
Akademie der deutichen Sprache immer
wieder Leibnig und allenfalls auch
‚Herder anführen mögen. Sie hätten
vielmehr zu zeigen, daß Beide auch
heute an ihrem Plane feithalten würden,
heute, wo jede deutſche Univerſität
ihren germaniftiichen Lehrſtuhl hat
und wo 3. B. in Sachen jeder Philo-
loge deutſche Eollegien muß gehört
haben.
Herder mit feiner 1787 auf An—
fordern des Markgrafen Karl Friedrich
‚don Baden abgefahten Dentichrift:
| „Idee zum erften patriotifchen Inſti—
tut für den Allgemeingeift Deutich-
lands“ Hat im Grunde dasfelbe Ziel
wie Leibnig: fie wollen Beide durch
die Liebe zur Sprache und ein ges
meinfames Inftitut für deren Pflege
den Gemeinfinn fördern; bei dem
einen Namen hatten, bier waren ſie's inneren Zerfall des Heiligen römischen
zufrieden, ungenannt ihre Dienfte zu | Reiches deutſcher Nation wollen fie
thun: der Meifter Ehre — ihre Ehre; | mit ihrer Anftalt den Gedanken kräftig
und ihr Lohn — die Freude am ge-
lingenden Wert. Dat auch das uns
vergleichliche Brüderpaar die Krönung
des Gebäudes nicht erlebt, jo find wir
doch Zeuge geworden der Geifter feſ—
jelnden Macht ihres lebensvollen Planes:
jehen wir doch Männer wie Rudolf
Hildebrand, Morik Heyne und Mat—
thias Lerer in des Wortes eigentlichfter
Bedeutung die beite Kraft ihres Lebens
und Denkens der Förderung des be
gonnenen Werkes weihen; und das
ift ganz unbedingt eine Wirkung, wie
ie nur die freie Wahl möglich
macht, wie fie entjchieden als Amts-—
leiftung nicht möglich ift. Wir ver-
geilen eben in unſeren Tagen, geblendet
erhalten, daß wir nur Ein Volk ſind;
daher müflen fie als klardenkende
Männer zu verhindern ſuchen, day mit
der Verjelbftändigung der Provinzen
zu Kleinſtaaten fich nicht aus den
Sprachprovinzen der Dialecte am Ende
gar noch Heine Literärftaaten bilden:
es iſt alfo ihr Vorhaben ein politiiches
im vollen Sinne des Wortes. Eine
Sprade, Ein Volt, Ein Staat, das
war ihre Hoffnung.
Das kann aber doch jekt nicht
mehr das Programın fein einer Aka—
demie der deutſchen Sprache. Wird
unfer Nationalftolz nicht lebendig ge=
halten durch unfern Staat, durch unfer
inmerpolitiches Leben, können dieſe
wahrhaft gewaltigen Kräfte und das
in einem Volke fo ungemijcht wie
wenige, ed nicht bewirken, daß unfere
Sprache, im natürlichen Einflange mit
dem lebendigen Denlen und Ringen
der Nation, eine edle, würdige werde,
rein, Fark und ſtolz: jo taugen die
berrjchenden Gedanken nichts und feine
Akademie der deutichen Sprade kann
da helfen. Es ſchickt ſich nicht für
ung, zu vergeſſen, wie unfere Gemein—
ſprache entftanden. Hat doch der
herzenzwingende Inhalt aller der
Lebensſtrömungen, die wir unter dem
Namen der Reformation zuſammen—
fallen, ſich Frei die angemefjene Sprache
geichaffen ; hat doch diefe Sprache ſich
frei, das heißt durch die Macht des
Geiftes, dejjen Träger fie war und in
der Folge der Zeiten mehr und mehr
ausjchliegend wurde, fogar das am
längften widerftrebende Bayern erobert,
wo in den Jahren 1722—27 vier
Dctavbände herauskommen konnten
unter dem Zitel: „Parnassus Boi-
cus, oder Neu = eröfneter Mufenberg,
worauf verſchiedene Denk- und Leß—
würdigkeiten auß der gelehrten Welt,
zumalen aber auß denen Landen zu
Bayrn abgehandlet werden. Vier und
zweyntzig Unterredungen. Mit Er—
laubnuß der Oberen. Getrudt zu
München bey Joh. Luc. Straub“, in
denen fi unter anderen bemerkens—
werten Auslaſſungen auch diefe findet:
„in diefem Unformbe — (feine land»
laufige Mutterſprache in das Hoch—
teutjche eindringen zu wollen) — hat
e3 niemand Luthero bevor gethan“ ;
er bat „in feiner teutjchen Afterbibl
feine andere Abficht gehabt, al3 feiner
Oberſächſiſchen Sprache die Univerfal-
Monarchi einzuranmen“ ; es wird ferner
getadelt, daß fogar einige Katholifche
„wenn fie ein dergleichen Proteftantiich
Luftwort erfchnappen, Sich, weiß nit,
wie breit zu machen ſuchen.“
Und nad 1779 fogar noch ver:
ſuchten es unter Karl Theodor die
Jeſuiten, harmloſe Evangelienbücher
„weil die Wortſchreibung lutheriſch,
die Sprache ketzeriſch wäre.“
Was aber Luther, als ein anderer
Philipp, unerobert zurückgelaſſen von
deutſchen Provinzen, das ſollten ſeine
würdigen Söhne im Geiſt, das ſollken
Leſſing, Goethe und Schiller der
deutſchen Gemeinſprache mit ſiegender
Gewalt erringen.
So bliebe denn der neuen Aka—
demie wohl nur noch eine ähnliche
Aufgabe, wie fie die franzöſiſche eine
lange Zeit wirklich gelöst, wie fie in
Italien die Erusca verfuht hat. Ob
die aber des Schweißes der Edlen wert,
ob gewiffe Gefahren nicht unerwünſchter
als der gehoffte Nutzen?
Kein anderer als Leibnig erzählt,
und zwar eben in den Unvorgreif—
lichen Gedanten $ 18, daß die italie—
nische Gefellfhaft der Erusca Anfangs
ganz Italien Habe an die florentinifchen
Geſetze binden wollen; ein vornehmes
Glied der Gefellfchaft aber Habe fi
gegen ihn (L.) geäußert, er wäre
jelbft im feiner Jugend mit ſolchem
toscaniſchen Aberglauben behaftet ge=
wejen; bei der lebten Ausgabe des
Wörterbuchs Habe man viele Worte
zur Hinterthür eingelaffen, die ınan
vorher ausgejchloffen. Auch die franz
zöſiſche Akademie, berichtet Leibnitz,
18 36, weiter, habe die Sunftwörter
anfangs ausgeſchloſſen; er (2.) habe
auseinandergejeßt, daß das nicht wohl:
gethan fei, es werde von einer Ver—
jammlung jo vieler trefflicher Leute
in einem blühenden Hönigreiche unter
einem fo mächtigen Könige mehreres
erwartet; aber, aber — fie find ($ 37)
bei der einmal angefangenen Wrbeit
geblieben, ein gewiſſer Furetiere bat
ih aus eigener Luft über die Kunſt—
worte gemacht, die Akademie aber Hat
ed übel genommen (2. eigene
Worte), Sein Werl verhindert,
und — da es doch in Holland heraus:
gekommen, Hat fie einem Andern aus
ihrer Mitte eine gleiche Arbeit aufge—
ans den unteren Echulen zu vertreiben, | tragen. So haben, ruft Leibnitz aus,
923
die Leidenſchaften zumege gebracht, was
die Bernmunft nicht vermocht.
Ein enticheidendes Wort aber Hat
in neuer Zeit Wilhelm Grimm ges
ſprochen auf der erften Germaniſten—
verfammlung zu Frankfurt am Main
im Jahre 1846. Bor diefer wirklich
erlauchten Verſammlung — glänzten
doch als Sterne erfter Größe unter
den Anwejenden Dahlmann, Gervinus,
Häußer, Lappenberg, Mittermaier,
Verb, Pfeiffer, Raumer, Schmeller,
von Sybel, Uhland, Bilmar, Wader:
nagel — führte Wilhelm Grimm Fol—
gendes aus:
„Napoleon drüdte ſich vortrefflich
aus, ſcharf, beftimmt, wie es die fran—
zöſiſche Sprache vermag, er ſchlug den
Nagel auf den Kopf, das wird ein
Jeder eingeftehen, auch wer ihn fo
wenig liebt al3 ich: aber er ſchrieb
erbärmlih. Auf St. Helena fragte er
den Vertrauten Las Cafes, der feine
Mittheilungen auffaßte, ob er Ortho—
graphie verftände, und fügte verächt-
lich Hinzu, das fei das Gefchäft derer,
die ich zu dieſer Arbeit handwerks—
mäßig bergäben. In der That, felbft
geiftig ausgezeichnete Männer, zumeift
aber Schriftftellerinnen, deren ſich dort
nicht wenige geltend machen, wiſſen
nicht richtig zu ſchreiben, fie übergeben
die Handſchrift jenen Handlangern,
die das Unzuläſſige ftreihen, das
Fehlerhafte beifern, die Orthographie
berichtigen, kurz, die Sprache auf ge=
jeglichen Fuß bringen. Jetzt erſt wird
da3 Buch gedrudt und die Welt er:
fährt nichts von dem Zuftand, der da=
hinter beſteht und allein der wahre ift.
Diefe Einrichtung hat etwas Bequemes
und ſorgt für den äußern Anftand,
ja man fönnte in Verſuchung ges
vathen, der verwahrlosten, hingeſudelten
Sprache, die bei uns oft genug in
ihrer Blöße fich zeigt, eine ſolche polizei=
liche Auffiht zu wünſchen. Allein
die matürliche Freiheit der Sprade,
die feine Feſſeln duldet, Hat fich in
Frankreich gegen jene Allgewalt ſchon
m — —ñ— — — — — — — — — nm uns — — —
von
aufgelehnt. Es gibt eine Partei, welche
die Ausſprüche des Wörterbuchs der
Akademie nicht mehr anerkennt und
ihre Sprache nad eigenem Belieben
bildet, nicht bloß frei, fühn und keck;
auch rüdfichtslos und gewaltſam; man
fofettiert in der Bildung neuer Wörter,
wie in dem Gebrauch der befannten.
Das ift die Gefahr, welche jede Rüd-
wirfung gegen übergroße Spannung
nit fich führt und es wird noch zweifel—
haft fein, was dieſes plößliche Umz
ftürzen der alten Grenzpfähle herbei—
führt, größern Vortheil oder größern
Nachtheil. So fteht es nicht bei uns,
und ich glaube, wir dürfen fagen, zu
unferm Glüd. Unſere Schriftipradhe
fennt feine Gefeßgebung, feine richter-
lihe Entfcheidung über das was zu—
läflig und was auszuflogen ift, fie
reinigt ſich felbft, exfrifcht ſich und
zieht Nahrung aus dem Boden, in
dem jie wurzelt.“
Was MWilheln Grimm bier von
der franzöfifchen Akademie al3 werdend
ankündigt, Heute ift es eine vollendete
Thatſache. Sein Franzofe, wenigftens
feiner, der etwas Eigenes zu fagen
hat, denkt daran, erſt da3 Wörterbuch
der Akademie um Rath zu fragen, ja
manche Akademiker, und gerade die
beiten, brauchen in ihren Schriften
Wörter, denen fie den Eintritt in’s
Wörterbuch verwehrt: Das Tprachlich
Schöne ift eben die That der bewegten
Seele des Dichters, nicht aber das
Hündlein einer ordnungsgemäß in
nüchternfter Alltagsftimmung zufam=
mengetretenen Verſammlung.
Und die Gelegenheit, bei der Wil-
helm Grimm die angeführten Worte
geiprochen, ift jo recht bezeichnend:
er will nämlich die gelehrte Welt auf-
merffam machen auf das in Angriff
genommene deutjche Wörterbuch. Mit
diefem Werke ſoll fein Gejegbuch ge=
liefert werden, das irgendwie vorjchriebe,
wie geiproden werden ſoll; nichts,
gar nichts ſoll darin befohlen werden,
nie ſoll es heißen, jo muß es fein,
Autoritätswegen, die Grimm
haben es gejagt, jondern lediglich: Jo
024
ift unfere Sprache geworden und ges mögen mit darunter fein: Brauche
wachen, ſieh ſelbſt: Hier ift ihr Schaf: | Deines Rechtes als Sohn der gegen-
haus, bier findeft Du gefammelt das | wärtigen Stunde, wähle frei nad
leuchtende Gold der Dichtkunft, das eigener Einjiht, was Du bedarfit zu
belle Silber der gewichtigen Rede und | Deinem Leben: Freiheit der Wahl ift
das jo nöthige Kupfer des täglichen: die Sonne aller Entwidiung zur
Marktverkehrs; auch einige Falſchſtücke | Schönheit.
Wunderliche Heilige.
Aus mythiſchem Dunkel in's profane Licht geſtellt von Hans Malſer.
Jung Jakob.
i >) a3 war fein übler Spaß, Vater
= Laban. Aber ih an Deines
Schwiegerſohnes Stelle möchte mich
dafür bedanten.
Es war ja recht nett, wie Jalob
der Schäfer am Brunnen die Rachel
gefehen hat. Bon diefer Zeit an hatte
der junge Mann feine Himmelsleiter
und die Engel, welche daran auf- und
abftiegen, ganz vergeljen, es gefiel ihm
auf dem feiten Erdboden zu gut, auf
dem der ſchöne Heine Fuß der Rachel
ftand. Und wenn fie mit ihrem Kruge
am Brunnen war, da hatte er Durft,
aber fie gab ihm nicht zu trinken, weil
er jo jchnaufend berbeigelaufen war,
und in der Hitze ein gäher Trunk —
das wußte die kluge Rahel — ift
jungen Leuten nicht gefund.
So dachte fih Jakob: Wenn ich
erft ihr Herr bin, danı muß fie mir
zu trinken geben, wanı ich will, und
warb um fie beim Better Laban.
Der lächelte und ſprach: „Du
lieber Junge, das glaube ih Dir, daß
Du diefes Kind haben möchteft. Aber
Haft Du auf dem Markt je eine Wein
traube geſchenkt erhalten? Niemals.
Und Du wilft das Koſtbarſte und
Schönfte und Wohlſchmeckendſte auf
Erden zum Gejchent haben? Diene
dann magft Du wieder von ſolchen
Dingen mit mir jprechen.“
Ich wäre über einen ſolchen Be—
ſcheid in Verzweiflung gerathen, aber
jung Jakob fagte mit Freuden Ya,
denn er date: Sie käme doch täglid
zum Brunnen mit ihrem Krug. Allein
die Alten willen in folden Saden
nur zu gut, was fich die Jungen denten,
Laban ſchickte mun micht mehr die
knoſpenfriſche Rachel zum Waſſer, jon-
dern feine ältere Tochter, die Lia. Die
war freilich feine Knoſpe mehr, ſon—
dern eine Nofe, bei der die Blätter ſich
Ihon welt nah auswärts zu legen
begannen; fie hatte auch hervorftehende
Augen, die faft, wie bei einer Schnede
die Fühler, noch mehr hervor wuchjen,
wenn Jakob in die Nähe kam. Aber
Jakob fam ihr nicht fehr in die Nähe
fondern hütete auf der Flur die Schafe
und war nicht in befter Stimmung.
Sieben Jahre vergehen unter ſolchen
Umftänden höchft langweilig, aber end»
lih waren fie do dahin, Jakob trat
zu Laban und begehrte den Lohn.
„Welchen Lohn?” fragte der Vetter.
„Den Du mir verfproden Halt,
daß Du mir die Rachel zum Weibe
gibſt.“
„Ei Knabe!“ rief Laban, „was
Du da ſagſt! Meine Rachel Dir zum
Weibe! Davon war keine Rede. Ich
mir ſieben Jahre und hüte meine Schafe, habe nur geſagt, daß — wenn Du
mir fieben Jahre dieneft — Du von
ſolchen Dingen mit mir wieder jprechen
magft. Nun, und geſprochen Haft Du
jeßt davon. Wenn Du aber die Rachel
zum Weibe haben willft, fo mußt Du
mir noch Sieben Jahre die Schafe
hüten.“
Auf diefes troftreihe Wort nahm
jung Jakob eine ſehr demüthige Stel»
lung an und fagte: „Mein lieber
Better Laban, Du bift ein Erzgauner.
Die Rahel wird beim Zuwarten nicht
mehr beijer. Ich habe fie ehrlich ver—
dient.“
„Ehrlich?!“ fagte Laban und zog
den Zon jehr in die Länge „Darf
ih Dih an die weißen Lämmer er-
innern 2“
„Sa, Better, Du Haft mir alle
weißen Länmer zum Eigentum vers
ſprochen, welche Deine ſchwarze Schafe
herde hervorbringen würde.“
„sa, mein feiner Jakob, und Du
haft die Wände des Schafftalles weiß
angeltrichen zur Zeit, wenn die Schafe
Blitterwochen hielten. ch Hätte nicht
gedacht, daß Du fo Hug wäreft. Die
weißen Lämmer, die geboren wurden,
find Dein gewefen, ich habe gefchwiegen,
doch nun rathe ich Dir, fprih Du
nichts don Ehrlichkeit.“
Jakob hielt dem Alten die Hand
hin und fagte mit weicher Stimme:
„Vetter, alfo gibft Du Deine Tochter
feinem Unmiürdigen. Zweimal fieben
Jahre wirbt man nicht um ein junges
Weib. Ich weiß auch andere Töchter
unter Abrahams Stamme.“
Diefe Worte haben ihre Wirkung
nicht verfehlt.
„Wohlan, Jakob,“ ſagte Laban,
„ih will Dir meine Tochter geben,
morgen foll die Hochzeit fein.“
Jung Jalob erſchrak faft über das
Glüd, das nun plöglich fo nahe war,
Eilends ließ er fich die Loden kürzen
und wujch feine Füße. Und am näch—
ften Tage geleitete ihn Vetter Laban
bis zum Eingang des dunklen Braut:
gemachs.
IV
ST
Als der Morgen Fam und durch
eine MWandrige die Sonne hineingudte,
nahın jung Jakob mit Schreden einen
großen Irrthum wahr. Er ftürzte
hinaus, ftürzte mit fliegendem Gewande
zu Laban und rief: „Das ift nicht
die Rahel! Das ift ja nicht Die Rachel !“
„Iſt fie es nicht?“ fragte der
Better ſchmunzelnd, „nun, dann wird
es die Andere fein.”
„Better! Du Haft mir die Nachel
verſprochen!“
„Da biſt Du in einem Irrthum,
mein Freund,“ ſagte Laban, „ich habe
Dir meine Tochter verſprochen, und
Lia iſt auch meine Tochter. Ein Mann
mit Ordnungsſinn wird niemals ſeine
jüngere Tochter vor der älteren ver—
heiraten. Du ſollſt Dir ihn auch an—
gewöhnen, dieſen Ordnungsſinn, mein
Sohn.“
Weil Laban ſah, daß Jakob troſt—
los war, ſo legte er ihm die Hand
auf die Achſel und ſprach: „Ich bin
fein Stein. Wenn Du mir weitere
lieben Jahre dieneft, fo follft Du auch
die Rachel haben, und zwar noch in
diefer Woche.“
So geihah es, daß jung Jakob
nun plößglich zwei Frauen hatte, von
denen ihm aber jeltfamerweife die jün—
gere und die fchönere weitaus die
liebfte war.
Nun, fie hatte auch mehr gefoftet.
Der ſyriſche König.
Der gute König David! Wenn
man ihm jo zufieht, wie er mit feinem
langen weißen Haar und Bart dajikt
und harfenfpielt, jo möchte man's nicht
glauben.
Einer der größten Männer des
jüdiſchen Volles war er, heute ſitzt er
unter den heiligften Heiligen im Him—
mel und jpielt die Harfe zum Lobe
Gottes. Die älteften Leute, nämlich
jene, die das Buch der Könige ge-
ſchrieben Haben, willen ſich wohl noch
zu erinnern an die tollen Streiche.
Hreilih Hat er gebüßt, aber Könige
büken nicht jo hart, wie andere Leute.
Thränen ſoll er vergofjen haben, als
der Freund ihm formhalber die Leviten
lad, denn er war eine lyriſche Natur
und jpielte auch die Harfe.
Das, was hier erzählt werben ſoll,
war zur Zeit, als König David Krieg
führte gegen die Ammoniter. Er ſchickte
fein ganzes Heer ab gegen den Feind,
für feine Berfon aber ließ er ſich un—
paß melden und blieb daheim in feinem
Balafte zu Jerufalem, und fang zum
Saitenfpiel Kriegslieder aufdie Schlach—
ten, die draußen gejchlagen wurden.
Es war zwar etwas langweilig daheim,
aber doch nicht jo unwirtlich, wie dort
vor den Speeren der Ammoniter. Als
ker einmal vom Söller hinabfah in den
Garten, erblidte er dort ein Weib,
welches eine Roſe von Jericho mit
Waller begoß. Sie gefiel ihm, aber
nicht die Rofe jondern das Weib, denn
er war eine Iyriihe Natur. Es war
ein dralles, ſchönes Weib und hatte
ährengelbes Haar. Das ijt was Sel—
tenes bei diefem Stamme, ährengelbes
Haar, und weil der König ſchwarzes
hatte, jo meinte er, man könnte etwas
Schmwarzgelbes veranftalten, obzwar da=
mals Defterreich noch nicht zu berüde
lihtigen war.
Der König wintte einen Aufwärter
herbei und fragte ihn, wer das Weib
ſei, welches dort die Rofen mit Waller
begiehe. Der Aufwärter antwortete, das
jei das Weib eines Mannes, der unten
im Kidronthale fein Haus Habe. Sie
fönne jehr ſchöne Roſen ziehen, daher
verdinge fie fih manchmal in die könig—
lihen Gärten.
„So fteige hinab,“ jagte der König,
„und hole fie herauf. Und die fchönfte
Rofe foll fie mitbringen, die fie ge—
zogen hat, damit ich ſehe, ob fie ihren
Lohn wohl verdient in den königlichen
Gärten.“ Denn er war geredt.
Sie fam mit Freuden herauf, allein
lange war fie nit im Gemad, fo
nahm fie Anlaß zu flüftern: „Herr,
ih bin das Weib des Urias.“
König, „Du magft es auch in Zukunft
fein. Seße Dih nur einmal zu mir
und erzähle mir von Deinen Rofen.“
Sie jagte: „Herr, Du bift ein
recht leutfeliger König. Mein Main
fünmert fi wenig um die Rojen und
das hätte ich mir nicht träumen laſſen,
daß ich meinem großen König einmal
von Rofen follte plaudern dürfen.“
„Das ift ja recht Schön,“ verjeßte
der König und nahm fie bei der Hand.
— Hier madht das Buch der Könige
einen Sprung. Es überfpringt mehrere
Moden und ich deute es exit wieder,
als der König einmal durch die Gärten
Schritt und wieder das Weib mit den
ährengelben Haaren ſah. Sie Iniete
auf der Erde, begoß wieder eine Roſe,
aber Heute nicht mit Waller, jondern
mit Thränen.
Der König trat zu ihr und fragte,
warum fie weine?
„Urias wird mich verftoßen,”
chluchzte fie, „denn ich muß es ihm
bald mittheilen.“
Der König ftußte einen Augenblid,
endlich fagte er: „Das ift ja redt
ſchön.“
Dann gieng er hinauf in ſeinen
Palaſt und dachte nach, was da zu
machen ſei. Denn er war kein ge—
wöhnlicher König, er wollte das Weib
des Urias den Mißhandlungen ihres
Mannes entziehen und es zu ſeiner
Frau machen. Weil er ſelbſt zugleich
hoher Prieſter war, ſo brauchte er
der Trauung wegen nicht verlegen
zu ſein, aber nach dem Geſetz ſtand
ihm der Urias im Weg. Er ließ ihn
rufen.
Als der Mann erſchien, fragte ihn
der König, ob er nichts gehört habe,
wie es auf dem Felde ſtehe? Er ſei
ein tapferer Mann, ob es ihm nicht
geluſte gegen die Ammoniter zu ziehen?
„Herr,“ antwortete der Urias,
„gerne will ich gegen die Feinde meines
Königs ſtreiten, wenn ich erſt mein
Weib wieder gefunden babe.“
„Sehe jebt zu meinem Feldherrn
„Das ift ja recht Schön,“ fagte der Joab und überreiche ihm diefen Brief.“
927
Sp ſagte der König. Der Urias nahm
den Brief und follte mit demſelben
nun zum Kriegsheere wandern.
verneigte ſich bis zur Erde und gieng.
Kam aber nur vor das Thor des
Palaftes. Dort an den Marmorftufen
jeßte er fich zu den Dienern des Königs, |
aß mit ihnen, betete mit ihnen und
ſchlief mit ihnen.
Am nächften Morgen gewahrte ihn |
der König und fragte ftreng, warum
er nicht abgereist ſei ins Lager des
Joab ?
„Herr,“ antwortete der Urias jehr
demüthig, „weil ich mein Weib noch
nicht gefunden Habe.”
„So komm' an den Tiſch und
trinfe Wein, damit Du fröhlich wirft,”
fagte der König mit Güte. Denn er
war fein gewöhnlicher König.
Der Urias trank Wein, wurde aber,
nicht Fröhlich, Jondern gieng hinaus an
die Stufen des Palaftes, betete mit
den Dienern und fchlief mit ihnen auch
die zweite Nacht. c
Am weiteren Tage ſah ihn der)
König wieder und da das Weib immer |
noch nicht gefunden war, fo ließ er|
dem Manne nochmals Wein vorfegen,
und bejjeren als geftern. Da wurde
der Urias Fröhlich, gieng, um dem
Joab den Brief zu überbringen, kam
aber auch diesmal nicht weiter, als bis
an die Stufen des Palaftes, wo er
betete und einschlief.
Am nächſten Tage ließ ihm der
König den beiten Wein vorſetzen und
auch Muſik dazu machen. Nun vergak
der Urias feines Weibes, wurde aus—
gelafjen Iuftig, tanzte, füßte dem König
den Saum des Kleides, eilte dann voll
der Freuden hinaus ins große Lager
des Jaob, und übergab dem Feldherrn
angelihts der Ammmoniter den Brief
des Königs.
In dem Briefe aber ftand ge—
fchrieben, daß Joab den Weberbringer
desjelben fFeithalten und in die vor—
derften Reihen der Streiter einitellen
folle, damit ihn der erfte Speer der
Anmoniter treffe. |
So ift e3 auch gefchehen, und der
König trauerte um feinen braven Sol»
Er daten. Denn er war eine Iyrifche Natur.
Hierauf nahm er das Weib des
Urias zur Frau und fie fchenkte ihm
einen ſchönen Knaben. Als derſelbe
aber geſtorben war, als die Frau welk
und fiech geworden war, griff der König
zum Harfenſpiel und fang die Pſalmen,
die heute noch zu den beliebteften Ge—
ſängen der Welt gehören.
Samfon der Starke.
Wenn er Heute lebte, er reifete mit
einem Impreſario und ließe feine
Tähigfeit für Geld fehen. Damals hub
er zu feinem Vergnügen Stadtihore
aus und erfchlug mit Efelstinnbaden
Bhilifter. Heute kämpft mancher Phi—
lifter mit denfelben Waffen, indem er
mit vollen Baden ſchreit, läftert.
Einmal hat Simfon einen brüllen=
den Löwen mit bloßen Händen in
Stüde zerrijfen. Ein anderesmal hat
er dreihundert lebendige Füchſe bei den
Schwänzen zufanmmengebunden und
mitten hinein Fackeln geftedt. Dieſe
Tadeln zündete er au, da liefen die
zufanmengebundenen Füchſe grauen—
haft hin und her, liefen in die Stadt
der Philiſter und zündeten ſie an.
Wieder ein andersmal hat Samſon
den Leuten einen großen Bären auf—
gebunden, denn er war ſehr ſtark.
Schließlich Haben ihn die Weiber um feine
Kraft gebracht, wie das ſchon fo geht.
Der Mann Hatte nicht allein Kraft,
ſondern auch Wiß, obzwar diefe Eigene
Ichaften ſich jelten zu vereinigen pflegen.
Als er mit feinem erſten Weibe Hoch—
zeit hielt, gaben ihm die Einwohner
feiner Stadt dreißig Jünglinge zu
Gefellichaftern, was für die Honig—
wochenzeit ein jehr merfwürdiger Brauch
war. Damit num auch die Yünglinge
ihrerfeit8 eine Zerſtreuung hätten, gab
er ihnen ein Räthſel auf. Sollten fie
dasselbe während der fiebentägigen Hoch-
zeitöfeier löfen, jo wirden fie von ihm
dreißig neue Unterhojen aus Leinwand
0928
erhalten, wenn nicht, fo mühte jeder
von ihnen feine Unterhoje ihm über:
liefern. Sie giengen auf den Spaß
ein. Das Räthſel aber lautete: Was
ift ftärker als ein Löwe und füher als
Honig?
Als die fieben Tage den Ende
naheten, wurde den dreißig Jüng—
lingen bange um ihre Hofen. Einer
von ihnen war aber vertraut mit
Samfons jungem Weibe, der bat jie,
daß fie ihrem Gatten die Löfung des
Räthſels entloden und ſolche ihm mit—
theilen möchte. Da ſie denn einmal
toſeten, das Weib und der Richter
Samfon, meinte die ſchlaue Geſponſin,
fie wäre begierig zu erfahren, ob die
dreißig Junggefellen zuſammen wohl
fo Hug fein wirden, wie ihr Bräu—
tigam, oder ob Sanıfon am Ende
felber des Räthſels Löjung nicht wüßte.
Das ftachelte ihn an und er ſprach;
„Ich will Dir nur die eine Hälfte der
Löfung fagen, die andere folft Du
felber errathen. Samſom ift ftärfer
als ein Löwe —“
„— und füßer als Honig!“ rief
das Weib jubelnd. Damit gieng fie
zu dem gewiſſen Junggefellen, den fie
auch nicht bitter fand.
Am Ende des fiebenten Tages
famen die dreißig Jünglinge zu Sanı=
fon und fagten einftimmig: „Stärfer
al3 ein Löwe und ſüßer als Honig
it Samfon.“
Das mar jehr fchmeichelhaft für
Samfon, aber er gieng zornig davon,
erichlug mit dem bewußten Kinnbacken
dreißig Philifter, nahm ihnen die Bein
tleider weg und gab fie den Jüng—
lingen als verſprochenes Prämium.
Mittlerweile Hatte fein Weib ſich
jenem vertrauten Geſellen zugewendet
und als fie Samſon darob zur Rede
ftellte — denn er war in ſolchen Sachen
einfältig — da antwortete fie: „Ich
habe geglaubt, Du liebſt mich nicht
mehr, daher wollte ih Dir nicht zur
Laft fein.” Er ließ fie laufen.
Das war die Erfte. Dann fam
die Zweite. Die hieß Dalila und war
noch viel fchöner, al3 die Erite. An
ihm war aber ein Yehler. Er wußte
nämlich nicht, daß fie von den Phi:
liftern gefchidt war, um ihn auszu—
tundjchaften, wo denn feine große
Stärke liege.
An erften Tage, als fie traut bei-
fammen waren, ftreidhelte fie ihm feine
Hände und fagte: „Du bift ein jehr
ftarter Mann. Es ift ganz außer—
ordentlich, wie Du ftark bift. Deine
Kraft liegt wohl in den Muskeln?“
„In denen liegt fie bei Anderen,“
fagte Samſon.
„Nun, wo liegt fie denn eigentlich
bei Dir?“
Dachte Samſon bei fih: Diejes
Weib will ich aber doch einmal blau
anlaufen laſſen. Es Hat mir fchon
einmal Eine ein Geheimnis entlodt.
„Wenn Du fehr verfchwiegen biſt,“
ſprach er zu Ihr, „ehr — ganz außer—
ordentlich verfchwiegen, jo will ih Dirs
anvertrauen. Wenn man mich mit
fieben nafjen Striden bindet, dann bin
ih kraftlos.“
„Das kann ich ſchier nicht glauben, “
ſagte fie.
„Es kommt nur auf einen Ber-
fuh an.“
Sie band ihn mit fieben naflen
Striden an Händen und Füßen, da
waren auch ſchon die Philifter auf der
Lauer, um ihn zu mißhandeln. Wis
fie aber vortraten, zerriß Samfon die
Stride und jagte damit, fie zu Peit-
chen gebrauchend, die Feinde davon.
Der Schönen Dalila war von den
PhHiliftern nämlih ein großer Lohn
ausgefegt — goldene Armjpangen und
ein Neifen mit Edelfteinen ins Haar
— wenn e8 ihr gelänge, den Samſon
zu überliften.
Am nächſten Tage fagte fie zu ihm
alfo Folgendes: „Wie gut, mein
theurer Mann, ift &8, dab Du nod
ftärler bift, al$ Du glaubft. Geftern
hätten uns die Feinde zur ſchlimmen
Stunde überfallen. Wenn fie Deiner
mächtig geworden wären, ich hätte mich
fofort getödtet.“
929
„Ich bin davon überzeugt,“ ante
wortete Samfon,
„Aber Du follteft es genauer wiſſen,
wo Deine Schwäche liegt,“ fagte fie
und ftreichelte mit großer Zärtlichkeit
feine braunen Wangen, „damit Du
Did hüten möchtet, und ich helfen
fönnte, Dich zu hüten.“
Hierauf fagte Samſon: „Hätteft
Du mich nur mit fieben neuen Striden
gebunden, in denen ein Frauenhaar
hineingewoben worden, e3 wäre anders
gelommen.“
„Man müßte es verfuchen,“ jagte
das Weib. „Neue Stride find in der
Seräthelammer, ein Frauenhaar webe
ih hinein. Aber wir wollen das Thor
verichließen, damit uns die Feinde
nicht etwa nochmals überfallen.”
„Du bift ein ſehr liebes, kluges
Weib!“ rief er aus. Und dann band
fie ihn mit bejagten Striden Hände
und Füße.
Kaum die Arbeit gethan war, pol—
terten draußen die Philiſter, als er-
unaufgörlichen Thränen, fchlang ihre
weichen Arme um jein Haupt und rief
fortwährend: „Du bift mein einziger,
füßer, goldener Mann!“
Da ward der ftarfe Samjon ge=
rührt bis in die Seele hinein und er
ſagte vorwurfspoll zu fich ſelbſt: diejer
habe ich Unrecht gethan. Wahrlich,
ih mill ihre Genugthung leiften. —
„Dalila,“ fagte er dann und ſchmiegte
ſich wie zur Zuflucht an ihren Bufen,
\„Dalila, Du bift anders, als jonft
die Weiber find. Ich Sehe es nun,
bei Dir ift mein Geheimnis wohl ver:
wahrt. Höre denn. Meine Schwäche
liegt in etwas, das ich nicht behüten
fann, wenn ich ſchlafe. Wenn ich
ichlafe und Du wadelt, ſei Du der
Hüter meiner Loden. Mein Haupt ift
noch niemals gejchoren worden, denn
ih bin ein Nazarder. Wenn meine
Haare dahin find, dann bin ich
fraftlos.*
Nun liegt das wohl in den meisten
Männern fo, wenn einmal ihre Haare
brächen fie das ohnehin angelweit offene | dahin find, dann find fie Fraftlos.
Thor, ftürmten herein, um den Sams | Delila aber jubelte im Herzen, denn
jon zu quälen. Diefer zerriß die Bande, | fie gedachte der goldenen Armjpangen
ald wären es dünne Fäden, die vom und des Neifens mit Edelfteinen. Als
Feuer verjengt find, und jagte die er jchlief, kam fie mit der Scheere und
Feinde aus dem Haufe.
Einen Franenhaar zu troßen, dazu
muB man freilich der ftarfe Samſon
fein. Hätte fie aber das erjtemal die
Stride mit Franenthränen durchnäßt,
ic vermuthe, folchen könnte auch ein
Samfon nicht widerftehen.
Am dritten Tage jchluchzte Dalila,
das liebe, treue Weib und jagte, wenn
fie an das Unheil denke, daß fie mit
ihrem Vorwitz hätte anrichten können,
jo vergehe ihr Hören und Sehen. Sie
wolle nicht mehr fragen, wo jeine
Stärke liege und fie bitte ihn, fich zu
hüten, daß er diejelbe feinem Menjchen,
auch ihr micht, verrathe. Denn er fei
ihr Leben, ihre Süßigleit auf Erden. —
Dabei herzte und küßte fie ihm unter
Kofegger’s „„Örimgarten’,, 12. Geft, Xl.
trennte ihm die fieben üppigen Loden
vom Haupte.
Als er erwachend feinen Verluſt
gewahrte, ward er jehr zornig. Aber
der Zorn eines ohnmächtigen Mannes
ift lächerlich. Die PhHilifter Haben ihm
die Augen ausgeftochen, als ob ihn
die Liebe nicht ohnehin jchon blind
gemacht hätte, haben ihn in den Sterfer
geworfen und das legte Reftchen jeiner
Kraft noch dazu benüßt, daß er eine
Handmühle treiben mußte, wie der
elendefte Knecht.
Er trieb die Mühle fort und fort,
und jo oft er daran den Hebel um:
drehte, ſagte er leife vor ſich hin:, Die
Weiber! — Die Weiber! Die
MWeiber! — “
Die alte Pori.
Eine Sondergeftalt aus dem Dorfe von P. R. Rofegger.
*
»
Auer —
om Dorfe gegen das Waſſer hin,
wo die alten Eſchen ſind und die
Lache liegt — die in naſſen Zeiten ein
See und in trockenen ein Sumpf iſt
— dort fieht ein Haus, das auf vier
großen Spreizen ruht, wie ein Pfahl«
bau. Das ift aber nicht des Waſſers
wegen, fondern die vier Spreizen —
welche nur an einer Seite, an der Berg—
fehne, eine Untermauerung haben —
bilden eine Hütte für Schnittholz, als
Breiter und Zimmerbäume, und tragen
unter dem Dache zwei Sammern.
Diefe Dachkammern machen das Haus.
Die eine diefe Kammern hat ein Heines
Fenſter gegen das Waſſer Hin; das
ganze Jahr, die Sonne mag hoch ftehen
oder tief, fommt von ihr fein Strahl
in diefe Kammer. Das weit vor—
Ipringende Dach dedt das Fenſter fchier
zu; folches erinnert an den Tadel-
Schuſter, der nur ein Auge hat und felbft
über das noch fein breites Mübenfchild
berabzieht, wenn er ſchmollt. Im dieſer
Kammer wohnt der Eigenthilmer des
Haufes, Pankraz Lagler wohl befchrie=
ben. Die andere der zwei Kammern
des vierfüßigen Haufes hat zwei größere
Fenſter gegen das Dorf Hin, die Sonne
Ihaut Hinein im Sommer und im
Winter und herrliche Blumen Schauen
heraus im Sommer und im Winter,
In diefer Kammer wohnt die Mietherin
Fräulein Eleonore Maifeau, gemein»
hin genannt die alte Lori.
Die zwei Leute wohnen unter
einem und demfelben Dache — wie
lange ſchon? Sein Menfch rechnet nach ;
die jüngere Generation fieht den Sumpf
und die Eſchen und das vierfüßige
Haus, und wenn fie überhaupt dar-
über nachdächte, jo würde fie meinen,
es müſſe fo jein, das gehöre jo zum
Dorfe und zur Welt, etwa wie die
Straßenmauth und die Regenwürmer.
Die zwei Leute wohnen Wand an
Wand; Nahts, wenn Pankraz Lagler
feine Krampfhuftenanfälle Hat, kann
Fräulein Eleonore Maifeau nicht ſchla—
fen, und des Tags, wenn das Fräu—
lein in der alten Blechpfanne den
Kaffee röftet, brenzelt das Ding ſtark
hinüber zum Pankraz. Trotzdem ver—
kehren die Beiden das ganze Jahr
nicht miteinander, außer wenn jie auf
der engen Stiege zufammenkommen,
wo fie fich gegenfeitig einen „Guten
Tag” gönnen, und zu den Quatember-
zeiten, wenn das alte Fräulein ihm
den Wohnungszins entrichtet. Man
jagt, fie follen einander nicht geneigt fein.
Bei dem Pankraz wäre das kaum
zu wundern, der ift Niemandem ge=
neigt; er hatte Jeden, wie fie da
Sonntags auf dem Kirchplatz umher—
ftehen oder unter dem Rajen liegen,
Ihon übervortheilt, und fo bildet er
fih ein, fie wollten’s ihm heimzahlen
und traut Niemanden. Pankraz ift
feines Zeichens Holzhändler, der durch
jahrzehntelange Lieferungen von Bau-
und Brennholz fich ein Vermögen er—
worben haben fol. Jetzt ift er ſchon
ein alter Schrumpf, aber er handelt
immer noch, denn, jagt er, jo viel
müſſe er fich erwerben, was er braudt.
Da er keinerlei Familie hat und für
feine Perfon höchſt ſparſam lebt, jo
erfpart er ſich noch — jetzt in feinen
alten Tagen. Beſcheiden muß Einer
fein in den Bedbürfniffen, nicht trinken,
nicht rauchen, geſchweige ſpielen, nicht
dem Schneider wirthichaften helfen und
nicht dem Nafierer; die Leute wiſſen
gar nicht, mit wie Wenigem Einer
leben fanıı. Brav muß man fein! —
Und feine ganze Bravheit befteht im
Sparen.
Die Natur hat aber auch an ihm
Thon zu Sparen begonnen, längft ſchon,
er bat feine Zähne mehr, faft feine
Haare mehr und die Leute jagen, er
würde von Tag zu Tag Heiner. Seine
Baden ſehen immer aus wie ein Stop—
pelfeld, auf welchem aber die Schnitter
etwas ungleich gearbeitet haben. Seine
Heinen Augen find immer hochroth und
unabläflig muß er mit dem Knollen
feines blauen Sadtuches fich die Thränen
trodnen, jo daß man weiß Gott wel
rührende Weichherzigleit in ihm ver—
muthen müßte, wenn es feinen chro=
nischen Augenkatarrh gäbe. Sein Stleid
befteht aus braunem Loden, welcher —
foweit die Dorfinfaflen ſich erinnern
fünnen — nie neu war und alfo nie
alt werden kann. Etwelche Schadhafte
Stellen werden wieder heil und die
vielen Rippen der Nähte halten das
Gewand fteif aufrecht, auch wenn der
Inhalt immer mehr in fich zuſammen—
Ihrumpft. Den alten Banker! heißen
fie ihn. Wenn der Pankerl fo dahin=
Schleicht durch die Dorfgaffe, mit der
linfen Hand den Stod fahte voran=
jet wie einen Fühler, ob der Weg
wohl verläßlich ift, jo kann beobachtet
werden, wie er mandmal mit der
rechten Hand gegen die Bruft, gegen
das Herz zudt, als gäbe es ihm dort
mandmal einen Stih. Hat er ein
gutes Geſchäft gemacht — was bei
den fchlechten Zeiten, welche die Grund—
und Waldbeliger jet haben, für einen
Holzhändler jehr leicht möglih ift —
fo belohnt er ſich, der alte Pankerl,
er geht zum Lindenwirt, ſetzt ſich dort
an die Ofenbant, und damit er die
Ofenwärme umfonft haben kann, läßt
er fih ein Achtel Apfelwein foınmen.
Der Lindenwirt, der ftet3 und mit
Recht bei guter Laune ift, Eopft dem
Pankerl manchmal auf die Achjel und
fragt: „Na, Pankraz, wie geht's, wie
ſteht's?“ Er ift um mehr als dreißig
Jahre jünger, als der Pankraz, aber
diefer nennt ihn den Herrn Bater,
931
und wenn's zum Zahlen kommt, fo
zahlt er ftets beim „Herrn Vater”,
denn bei der Kellnerin ift meuzeit eine
Unfitte eingeriffen — das Trinkgeld.
Und wieder fährt er mit der Hand
gegen das Herz, während das Geld-
beutelchen doch tief im Hofenfad hodt,
aus dem es hernach langſam und mit
vieler Umſtändlichkeit herausgeholt wird.
Meil ihm Niemand im ganzen Dorf
und Umgebung auf die Achjel klopft
al3 der Lindenwirt, fo hat er diejen
zu feinem Bertrauten erforen. Und
manchmal huſcht der Banker! dem Wirt
nach in die dunkle Selleritiege, erhaſcht
ihn am Arm und zielt: „So viel
gern was fragen thät ih, Herr Vater,
jo viel gern was fragen!“
„Nu, Hat der Banker! ſchon wieder
ein Anliegen ?*
„Freilich wohl, Freilih. Wegen
der Sparcafje halt, wegen der Spare
cafe. Ob's Halt wohl ficher ift, was
man einlegt? Ob's wohl ſicher ift ?”
„Ei veriteht ih. Wenn ih nur
recht viel drinnen hätt’ in der Spar—
caffe, mir wäre es ficher genug,“ ſagt
der Wirt.
Das tröftet den Pankerl unjäglich.
Denn er hat Geld in der Sparcafie,
obgleich vorfichtshalber nur einen Theil
feines Vermögens. Den andern Theil—?
Nächſt feinem Haufe fteht eine hohle
Eiche. In Hohlen Eichen Haben vor
Zeiten Gefpenfter gewohnt. Wenn der
Blitz einfhlägt!... Der Banker! zudt
mit der Hand an's Herz.
Das nächſtemal jest ihn Jemand
eine Miüde in den Kopf, und dieſe
jummt ganz fchauderlih da drinnen
im dunklen Raum und läßt dem Alten
Tag und Naht feine Ruhe. Seine
Zuflucht ift endlich wieder der Linden-
wirt. „Herr Vater! Herr Bater! Ein
Mörtel. Die Leut’ thun fo viel reden.
So viel reden thun fie. Die Funf—
jigernoten thäten ablommen, die Funf—
iger. Wenn das wär’, müßt’ man’s
hergeben, müßt man’s hergeben.“
„Halt ihrer?“ Fragt der Wirt.
59*
„Hab' ihrer rund, hab’ ihrer rund!“
flüftert der Pankerl vertrauensjelig,
„werden doch um Gotteswillen mit
hin fein, werden doch nit Hin fein!
Mas meint denn der Herr Vater?“
Der Lindenwirt tröftet ihn und
meint, wenn der Pankerl ihm die
Fünfziger anvertrauen wollte?
„Ah, das nit, Herr Vater, das
nit,“ geinst der Alte und trocknet jich
die Augen, „aus der Hand geben thu'
ih fie nit, Hergeben thu' ich fie mit.
Auswechſeln, wenn fie follten abkom—
men, ausmwechjeln. Mein Gott, die
Sorgen, die der Menſch alleweil hat,
die Sorgen, die Sorgen!” Nebit den
Thränen trodnet er fih auch den
Schweiß von der platten Stimm. —
Das wäre der Pankraz. Nun zu
feiner Nachbarin, dem Fräulein Eleo-
nore. Verzeih' mir, Du gute Seele,
daß ih Dich ſchildern muß, Du kannſt
ja nichts dafür, daß Did Gott fo
erschaffen hat. Einmal jolft Du ja
auch jung und ſchön geweſen fein,
jagen die älteften Leute. — Die Lori
war eine ſchlanke Geftalt, die nad
oben ſich ſtark verdünnte, nach unten
aber luftig in's Breite gieng, weil fie
einen Reifrod trug. Seit der fran—
zöfifchen Revolution find alle Moden
an ihrem Leibe gehangen, der Reife
rod aber Hat ihr am beiten gefallen
und der ift an ihr verblieben. Einmal
hatte es die Lori einer Freundin ver—
traut, daß fie eigentlich alle ihre Tage
Trauer tragen follte; in der That war
aber davon nit das Mindefte zu
jeden, ſie trug ſtets ein Hellbuntes,
flatterndes Gewand, über und fiber
voll Bänder und Spitzen, Knöpf—
hen und Täfchchen. Auf dem dünnen
langen Hals, der zwiſchen den zwei
ſpitzigen Achſeln Hoch emporftand, ſaß
ein kleiner Kopf und auf demſelben —
auch im Winter — ein großer Stroh—
hut in Muſchelgeſtalt, mit rothen und
gelben Maſchen und Bändern und
grellen Kunſtroſen ſchreckbar prächtig
aufgeputzt. Mitten im kleinen gelb—
lichen Runzelgeſicht ſaß eine Adler—
—
naſe kühnſter Gattung, über derſelben
zwei ſtechende Augen, deren beide
Sterne ſo entſchieden in den Naſen—
winkeln ſteckten, daß nicht von einem
„falſchen Blid“, ſondern nur von
einem höchſt ehrlichen Scielen die
Nede fein konnte. Die Stimme des
Fräuleins war fo Scharf und fchneidend,
daß fie — Gott verzeihe mir's —
ftet3 an das Krähen eines Hahnes er»
innerte,. Und wenn irgendwo ein
ſchriller umarticulierter Laut vernom—
men wurde, jo hieß es: „UB, die Lori,
die Lori!“ Sie Hatte, wenn fie fo
mit ihrer großen, blumigen Armtafche
durch das Dorf gieng, einen bopjen-
den, tänzelnden Schritt, ſang aud gern
ein Liedel, wozu fie mit dem dürren
Fingern ſchnalzte. Sie war voller
Scaltheiten und Iuftiger Sprüdlein,
wovon aber die wenigften verftanden
werden fonnten. Ihr zahnlofer Mund
niit der lallenden Zunge ſprach ein
ſchwer zerimartertes Deutſch mit fran—
zöſiſchen Ausdrücken und Naſenlauten
über Gebühr vermiſcht. In einer der
zahlloſen Kleidertaſchen hatte fie eine
große braune Schnupftabalsdofe, die
an einem grünen Schnürden hieng,
das Schnürchen aber Hatte die Lori
um den Dal3 gelegt, wie ein Uhr—
band. Diefe Dofe zog fie mandınal
hervor, um diefelbe, aber ohne daraus
zu Schnupfen, wieder in die Ziefe
gleiten zu laſſen.
Die alte Lori war eine noch mehr
pofjierliche als häßliche Geftalt, und
Niemand wollte ihr übel. Gern war—
teten ihr die Leute gelegentlich mit
einem Gläschen Wein auf, das ſchwang
fie und brachte dem Spender ein fräf-
tiges Sprüchlein zur Gejundheit. Wenn
man etwas Luftiges und Tolles haben
wollte, fo rief man die alte Lori, die
trällerte, tanzte den Leuten was vor,
Ihwang feuerrothe Bänder in großen
Neifen durch die Luft, ftreute Blumen
auf die Leute und klatſchte dann voll
Freude in die Hände. Sekt war fie
Ihon über achtzig Jahre alt und trieb
es immer noch fo. Ich Habe nicht
933
erfahren können, ob fie ihren heiteren
Irrſinn von der Jugend her mitge-
bradt, oder ob er die Nachblüte eines
großen Leides war. Ne vertrauter
fie ward, deito mehr VBerworrenheit
fam in ihr Weſen. Manchmal fchien
es, daß Alles an ihr nicht jo närrifch
fei, wie es ſich gab.
Eine Halbe Stunde vom Dorfe
entfernt, am Fuße des Berges in einem
Wildpark Schön gelegen, fteht ein ftatt-
liches Schloß. Einft zur Franzoſen—
zeit — jo wußten die Leute zu jagen —
wäre eine fremde Herrſchaft in die
Gegend gelommen, habe das Schloß
gekauft und darin gewohnt. In kurzer
Zeit feien diefe Menjchen aber dahin-
geftorben, nur ein Fräulein fei übrig
geblieben, habe auch noch eine Weile
im Schloffe gewohnt und geherrſcht;
dann fei die Behörde gekommen und
babe diefe Herrin aus dem verſchul—
deten Gut getrieben. leonore de
Maifeau, wie fie ſich hieß und durch
Buchſtaben auf alle ihre flitterhaften
Saden zeichnete, war in das Dorf
gezogen, wo eine nachbarliche Herr-
Ihaft aus Erbarmen für fie den ge—
ringen Wohnungszins emtrichtete, den
die Dachkammer im Haufe auf den
vier Füßen betrug. Um ihren weiteren
Unterhalt zu erwerben, verfertigte fie
aus Papier Blumen und Sränze für
Hochzeiten, Kirchenopfer und Begräb:
niſſe. Auch wußte fie aus alten bunten
Lappen, welche fie in den Häufern
fih erbat, hübjche Kinderpuppen und
fomifche Popanze zu machen, die fie
dann verkaufte. Zur Weihnachtszeit
baute fie Heine Srippen, zu Oftern |
färbte fie Eier und beflebte jolche mit!
Goldſchaum, zu Pfingſten machte fie
papierene „Tauben“, die den heiligen
Geiſt darftellen follten, in Wahrheit
aber weder einer Taube, noch etwas
Anderem ähnlich fahen. Derlei brachte
fie in die Häufer, um damit Skins
der, Weiber und ſelbſt Männer zu
beſchenken. Natürlich gab man Gegen-
geichenfe, die fie ftets mit einem Freuden—
Ihrei annahın. So wie die Jahres»
u
— — — — :me — — — — — — — —
zeiten, wußte ſie ſich auch die Ereig—
niſſe im menſchlichen Leben zunutze
zu machen. War eine Taufe, ſo kam
fie herbeigehopst, um das Kind mit
einem rauſchgoldgeſchmückten Amulet—
lein zu beſchenken. Gab es Hochzeit,
ſo verſperrte ſie dem Zuge die Gaſſe
zur Kirche hin, indem ſie querwegs
ein rothes Band zog und dasſelbe
hüpfend und jauchzend ſolange ange—
zogen hielt, bis man ihr die Mauth
entrichtete. Nur bei Leichenbeſtattungen
blieb ſie abſeits, derlei ſchien ihr zu
traurig zu ſein.
Und doch wollte die Schwermuth
manchmal nach ihr Jagd machen, daß
ſie ihre Beute ward. Wenn ſie allein
ſaß, da brütete ſie vor ſich hin
und die hellen Bänder hiengen ſchlaff
und traurig an ihr nieder. Da zog
fie wohl auch einmal die runde braune
Schnupftabatspofe hervor, hielt fie in
der zitternden Hand, ſchnupfte aber
nicht, ſondern ſchob fie wieder fachte
in das Täſchchen. Bei der Arbeit
war fie emſig und hatte ſich im Papier—
fleben und Lappenheften eine folche
Fertigkeit erworben, daß der Buchbinder
eines Nahbardorfes hier einmal Luft
gehabt hätte, fie wegen „unbefugt aus—
übenden Gewerbes“ zu verflagen. Der
alten Lori guter Freund war ein
Beamter des Hofburgtheaters, welcher
alljährlich zur Sommerzeit auf etliche
Mochen in's Dorf fam. Mit dem
ſprach fie franzöſiſch, und zwar auf
eine Art, daß ihm die Haare zu Berge
ftanden. Troßdem brachte er ihr, wenn
er aus Wien kam, abgetragenen Theater:
tand, als falfche Seide und Spiken,
ja ſelbſt echten Glasdiamantenſchmuck,
hölzerne Goldreifen und dergleichen
mit. Damit Schmücdte fie ſich ſelbſt
oder erzeugte Figuren, die bon den
Dorfleuten nicht mehr belächelt, jondern
geradezu bewundert wurden.
Das war die alte Lori, und fo
ift fie heute noch im Gedächtnis der
Leute, unter denen fie fechzig Jahre
lang wie ein harınlofes Geſpenſt herum—
geflattert war. Fremd geblieben tft
934
fie den Menfchen, unter Flittern ver- | warf fie über die Köpfe hin. Dann
borgen hatte fie ihr wahres Weſen |unterfuchte fie mit unheimlicher Haft
und die Schatten der Vergangenheit, |alle Tafchen und Falten ihres Kleides
ihr wehes Erinnern und das Zittern | und betheuerte immer wieder: Es fei
ihrer Seele — Niemand bat darnad dahin! ES fei geftohlen! und ſchlug
gefragt. Da Hat fih einmal plößlich | mit den Armen um ſich und fchrie
etwas zugetragen, was den Schleier wie rafend: „Es ift dahin! Es ift
ein wenig lüftete. geſtohlen!“
Am Vorabende eines Marienfeſtes | In derfelben Nacht jchlief das arme
war’s, in der Kirche wurde die Veſper Weſen freilich nicht in ihrer Dach—
gehalten. Die Leute hatten Feierabend | kammer nächft dem Pankraz, ſondern
gemacht und giengen in das dämmernde |in einem Stübchen des Armenhaufes,
Gotteshaus, an deſſen beleuchteten | wohin man fie gebradt. Sie foll aber
Altare der Weihrauch aufftieg. Auch nicht viel gefchlafen, Jondern die ganze
der Pankraz Schlürfelte am Stod ge— ‚Nacht geſchluchzt haben, und dann ihre
ſtützt hinein und ſeine rechte Hand Kleider und Taſchen durchſucht und
zudte ein wenig gegen das Herz. Un- immer wieder geſeufzt: „Es iſt da—
weit von ihm hopste die alte dori hin! Am nächſten Morgen verlangte
heran, auch fie gieng in die Kicche, | fie nah dem Ortsrichter und nad
und am Thore noch die € Schnupftabats- den Pfarrer. Diejen erzählte fie merk—
doſe fafjend, war's, als befinne fie ſich, würdig gefaßt und Elar allmählich eine
und ſchob diefelbe wieder in die Tajche. abenteuerliche Geſchichte.
In der Kirche fangen fie ein Da habe fie ein rundes hörnernes
Marienlied, dann jpendete der ah bei; gehabt und das habe jie ſtets
mit dem Hochwürdigſten den Segen. |bei fich getragen und mit einer Schnur
Als die Glödlein geflungen hatten und Jan dem Leib gehangen.
es num ftill war unter den Andächtigen, „Die Dofe ?*
hörte man plößlich einen Frächzenden Nein, ſchnupfen thue fie nicht.
Schrei: „Banterl! Du haft mir mein | Das Gefäß habe fie noch gehabt am
Herz geſtohlen!“ Die alte Lori frampfte | Abend, als jie in die Kirche einge:
ihre Finger in den Naden des alten |treten. Dann jei der Pankraz neben
Holzhändlers, der noch auf dem Pflefter | ihr geltanden und Habe beftändig an
tniete, und vief wiederholt: „Mein ihre Seite hergejcielt, und auf ein
Herz! Der hat mein Herz geſtohlen!“ | mal fei das Gefäß dahin gewefen mit—
Die Leute fuhren zufanmen und |fanımt der Schnur. Es fei ein ver
bildeten einen Snänel um die Gruppe; | dammtes Schelmenftüd.
Etliche waren beitrebt, die Yori, von „Und wenn Du nicht Fchnupfelt,“
der man glaubte, fie fei wahnfinnig |verfeßte der Pfarrer, „was haft Du
geworden, von dem ächzenden Pankraz |denn in Deinem Gefäß herumge—
loszulöfen. Sie aber rief: „Er ift| tragen ?“
neben mir geftanden! Mein Herz! „Sein Herz," ächzte fie auf.
Er hat's! O weh, mein Herz, mein „Wellen Herz ?”
Herz!“ Auf ſolches Wort ftarrte fie den
Das Erfte, was man in diefem | Pfarrer an, wie verblüfft und empört
Augenblid an Pankraz bemerkt hatte: er | zugleich, daß er e& nicht wiſſe.
zudte mit. der Hand nad) dem feinen. | „Sein Herz,“ fagte fie noch ein—
„Die Here!" röchelte er jebt, „die mal, aber leife wie im Zraume. Und
alte Here!” Als er losgelommen war, endlich erzählte fie die Geſchichte. Aus
torfelte er todtenblaß aus der Kirche. | Elſaß ſei fie mit ihnen hergelommen.
Die Alte begann heftig zu weinen, viß Aber als fie das Schloß getauft, Hätte
die Bänder von ihren Kleidern und fie — die Mademoifelle — der Eine
93
zur Frau Haben wollen und der Andere
hätte von ihr nicht gelafjen. Dann
wäre ein Zweilampf gewefen und hätte
der Eine ihren Bräutigam erftochen.
Weil die Kriegszeit war, fei das ftill
abgelaufen, aber was in ihr, der Braut,
vorgegangen, das ſei über allen Krieg
und über alles Elend gewejen. Den
Mörder, als er ihr genaht, habe fie
mit dem Meſſer von ſich geſcheucht.
Der alte Hausarzt jei noch gewefen,
der habe den Bräutigam in die Erde
Iharren wollen. Dem habe fie fi
mit Gewalt widerjegt und von ihm
begehrt, daß er dem Zodten das Herz
aus der Bruft löſe, bevor er ihn be=
grabe. Das Herz, das für fie gefchlagen
und verblutet, wolle fie mit jich tragen
alle Tage und alle Tage, und es folle
ihr in den Sarg gelegt werden, wenn
fie fterbe. So fei fie mit dem Bräu—
tigam geweſen die lange, lange Zeit. —
„Eine heimliche Liebſchaft!“ kicherte
fie, „eine luftige Liebſchaft! — Und
jet —“
„Das Herz hat er mir geftohlen !”
ſchrie fie wieder auf und fehüttelte den
Leib, daß aller Flitter daran flatterte,
„er hat's! der Pankraz, fein Anderer!”
Weil die Sache nun gewiljermaßen
einen realen Hintergrund gewonnen
hatte, jo wurde der alte Pankerl ge—
rufen. Er kam ganz verftört an, ballte
das Sadtuh in der Hand und trod»
nete mit demfelben die Augen.
Er ſolle ſich ausfuchen laffen! ver—
langte die Lori.
„Ich — ausfuchen laſſen?“ ver—
feinen Kahlkopf vor, „ausſuchen laſſen
wie ein Dieb? Das thu' ich nicht.
Das thu' ich nicht.“
„Warum micht ?* fragte ihn der
Richter, „das ift ja der beſte Beweis,
wenn Du unfchuldig bift.“
„Das thu' ich nicht.“
„Iſt verdächtig!”
„Ausſuchen laſſen, das thu' ich
nicht!“ rief der Alte, „die Schand'
und Schmach erleben! In alten Tagen
die Schand' und Schmach!
ehrlicher Mann! Ein ehrlicher Mann!
Das thu' ich nicht!“
So müſſe man Gewalt anwenden.
Nun zudte der Arm des Pankraz
gegen feine Bruft. Blaß ward er bis
in den Mund Hinein. „Ach bitt',
Herr Pfarrer!” ftöhnte er halb flehend,
halb drohend, „ich bitt', Herr Pfarrer!
Eine Ungerechtigkeit! Ich bin ein ehr—
liher Mann. Hab’ meine Sad’ ehr-
(ih verdient. Eine Ungerechtigkeit !
Eine Ungerechtigkeit !*
Aber der Knecht Hatte ihn ſchon
den Rod vom Leib gezerrt, und als
er jebt die Weſte öffnete und darinnen
etwas Feſtes tajtete, fagte er: „Was
ift denn das?“
„Ich hab's ehrlich verdient!" wine
merte der Alte und ſank mit gerungenen
Händen auf die Knie, „nur nicht weg—
nehmen, wicht wegnehmen. ch hab's
ehrlich verdient.“
Sie fanden wirklich etwas an ihm,
aber nicht das vermißte Herz, ſondern
ein dickes Packet Yünfzigernoten, in
Leinwand gewidelt und von Schweiß
durchfeuchtet. Es war fein Erjpartes,
da& er nicht der Sparcafle anvertrauen
wollte, das er wie ein Heiligthum bei
ſich trug, gleichſam ſein Herz, wie
die alte Lori das ihre hatte in dem
Horngefäß.
„Das Herz haft Du mir geſtohlen!“
tief die alte Lori wieder aus.
Jetzt wurde der Pankraz herb und
fagte: „Wer wird denn Dir Dein Herz
ftehlen, Du alter Radftubengeift. it
jeßte der Banker! entrüftet und ftredtte | nicht einen Grofchen wertd. Iſt nicht
einen Grofchen wert.“
Faſt zu rechter Zeitließ der Meßner
| melden, er babe an diefem Morgen
beim Ausfegen in einem Winkel am
Kirchenthor eine braune Horndofe ge=
funden, mit einer grünen gebrochenen
Schmur, und er glaube, da3 Ding
gehöre der Lori und es hätte fich im
Gedränge zufällig losgeftreift. Scharf
ftürzte die Lori auf den Meßner los.
Diefer hielt die Dofe nedend hoch über
Bin ein das Haupt, daß fie felbe nicht zu er=
—na.n I
reihen vermochte, dann ſuchte er fie
zu Öffnen, was ihm aber nicht gelang,
weil die Alte ihm ſchon in die Hände
fiel und mit fpießedigfter Kraftan—
ftrengung dem Frevler das Heiligthum
entrang. Dann jhoß fie heim in ihre
Dachkammer, um dort bei verfchlofjener
Thür das Gefäß zu Öffnen und fi
von der Unverjehrtheit des Inhaltes
zu überzeugen.
Bon diefer Zeit an ſah man die
alte Lori nur felten mehr; fie blieb
die meifte Zeit in ihrer Sammer. Und
wenn jie doch Herborgieng, um Lebens»
unterhalt zu fammeln, fo tänzelte fie
nicht mehr, fondern fchleppte fich ſchwer—
fällig dahin. Wollte man fie zu einem
ihrer früheren Schelmenftüde veran—
laffen, fo war’3, als beginne fich ihr
fantaſtiſcher Flitteranzug ſachte auf:
zufträuben, wie das Gefieder eines er—
regten Hahnes, aber es ward nichts
weiter und das alte Weſen blieb in
ſich gefehrt.
Einmal blieb fie zwei Tage lang
ganz ungefehen und der Panfraz fagte
aus, feine Nachbarjchaft fei fehr ftill.
Da gieng man, um Nachſchau zu
halten und fand fie am Fußende ihres
Bettes auf einem Schemel fißend, der
Körper in den Winkel gelehnt, das
fleine Haupt mit den lojen weißen
Haarfträhnen nach vorne an die Bruft
gejunfen.
Zu ihrem Begräbnis war das
ganze Dorf da, denn es war ausge—
Iprengt worden, man wiirde das braune
Gefäß — bevor man es ihr in den
wie e3 ſich mit deſſen Inhalt verhalte
und ob er mit der Ausfage der Alten
flinme. Und wo märe das Weib,
das nicht wilfen möchte, wie ed aus—
fieht, ein don diefen Männerherzen,
an welche fie das ihre hängen, mit
denen fie fpielen und felig find, oder
verdammt! Inſonderheit merkwürdig
ift ein Männerherz, das wegen der
Liebe zu einem Weib den Tod erleiden
mußte. — Die Geſchichte der Lori war
ja bald befannt geworden. Als das
fümmerliche Geftaltlein, mit etlihem
Flitter gefhmüdt, nun im Sarge fo
dalag und der Schreiner ſchon mit dem
Dedel daneben ftand, nahm richtig
Jemand die braune Horndofe in die
Hand und begann am ihr herumzu—
drehen.
Da langte nad ‚dem Gefäk der
Pfarrer und fagte: „Es war ein Ge—
Heimmis und es foll eins bleiben.“
Dann legte er es der Todten auf die
Bruft, in den Ellbogenwinkel des linten
Armes, der über dem rechten gefreuzt
war. Und der Dedel wurde auf den
Sarg genagelt.
Der Pankraz trodnete mit dem
Sadtuchballen feine Augen und wim—
merte: „Wer wird mir jet den Zins
zahlen, wer wird mir jet den Zins
zahlen !"
Etlihe Weiber, die voller Neu—
gierde zugegen waren, fürchten feither
nicht mehr den jüngften Tag; ſie
plangen darnach, Hoffend, dak an jenem
Tage, der Alles offenbaren foll, auch
die braune Dofe der alten Lori ge⸗
Sarg legte — öffnen, um zu fehen, | öffnet werden wird.
Zwiſchen den Wänden.
Stizze aus dem fteirifchen Oberlande von R.
Aalen wir fie nur laufen. Ihnen
— geht es nach Hochgebirge im
Ganzen und Groben, fie wollen über
Schnee und Eis fteigen, fie wollen
auf die höchften Gipfel und von den—
jelben wieder nur hohe und höchfte
Gipfel, Steine und Gletſcher fehen.
Es ift was Herrliches drum, befonders
für Leute, die ihr Leben in einer
Heinlichen verkünftelten Welt für Tant
und Thorheit verfchachern müfjen und
deren Blick nicht Höher zu fliegen
gewohnt ift, als etwa auf die Gefimfe
vier und fünf Stod hoher Häufer.
Mer jedoh auf dem Lande lebt und
immer die großen Verhältniſſe der
Natur vor Augen hat, fei es nun eine
weite Ebene oder ein gebirgiges Wald-
land oder die freie Himmelsrunde, der
wird nicht erft die großen allgemeinen
Bilder ſuchen, die auf den hohen Bergen
find, er wird auch jene Größe fehen,
welche der Natur in ihrem Einzelnen
und Bejonderen inne wohnt.
„Ich ſehe mir die Berge am liebiten
bon unten an,“ diefen Ausspruch fann
man oft hören, er Hingt banal und
e3 hat eine Zeit gegeben, wo er mir
geradezu frivol erfchienen ift. Erft all:
mählich bin ich feiner tieferen Wahrheit
dadintergefommen. Das wird uns ja
auch der Maler beftätigen, daß die
Berge von unten gefehen fchöner find,
als von oben. Die von hohen Bergen
aufgenommenen Rundfchaubilder werden
nie in dem Maße künftlerifch wirken,
als die begrenzten Landfchaftsbilder,
auf welchen einige Sträucher und
Bäume und FFelfen und, wenn's hoch
fommt, eine Bergjpige im blauen
Hintergrunde genug Find, um uns zu
entzüden. Wohl vergeſſe ich nicht anderer !
Vortheile, die man im Gebirge hat;
ih gedenfe der Haren Quellen und
Maflerfälle, nur foll man nicht der
dürren Hochwüſte zuftreben, wo man
Gefahr läuft zu verdurften; ich gedenfe
der Alpenflora, nur muß man nicht
immer über diejelbe hinaus in die fahlen
Telfen emporfteigen; ich gedenfe der
reinen leichten Luft, die geradezu glüd-
jelig machen kann, nur muß man nicht
fo Hoch Hettern, daß diefe Luft eilig
wird und inihrer Verdünnung Hemmend
auf unfere Organe wirkt.
Das Hochgebirge ift am jchönften
und Hat feine lieblichſten Reize und
jeine wilde Größe vereint in den wafler-
durchrauſchten Engſchluchten und auf
feinen grünen Borhöhen. Und jolcher
Punkte gibt es in unjeren Alpen un—
zählige, viele derjelben auf bequemen
Wegen erreichbar. Kein Bergſchuh und
fein Alpſtock, feine jchlaflofe Naht in
den Unterfunftshütten, und am wenig«
tens ein Menjchenleben braucht dafür
ausgefpielt zu werden ; die Natur Hat
Freiſtätten, wo fie den Menfchen ihre
intimften Schönheiten zeigt und die
edelften Genüſſe ſchenkt. Oben auf
den wilden Höhen kommt der Belteiger
erichöpft und abgeſpannt an’s Ziel;
hier tritt der Beſchauer friſch und
empfänglih in's Alpenbild und kann
ih, von Stürmen, Nebeln und drohender
Nacht unbehelligt, ftundenlang der Herr—
lichkeit und dem Bergfrieden ergeben.
Solche Stellen ſuche ich am Liebiten,
und erit vor Kurzem habe ich, von
Freunden aufmerffam gemacht, eine
neue entdeckt, deren Nähe und Schön—
heit ich bisher nicht ahnen konnte.
Zwiſchen Mürzzufchlag und Neu—
berg ift die Eiſenbahnſtation Kapelle.
8
Dort thut ſich ein Seitenthal auf, jeinem Heiligenſchein umgeben. Die Heu-
über dejjen Waldbergen die Wände
der Schneealpe und der Rar hernieder=
blauen. Ein Weilchen dem Raxenbach
entlang biegen wir bald links, als ob
wir über den Nakfamm ins Höflen-
thal hinüber wollten, und kommen
zu dem Dörfchen Altenberg, wo uns
mande Spuren des wohlthätigen
Wirkens der Wiener Touriſtengeſell—
haft: „d'Altenberger“ auf das Ange—
nehmfte auffallen. Beſonders das neue
ftattlihe Schulhaus dajelbft, fowie die
alljährlihden Chriftbaumfpenden für
arıne Finder des Ortes geben Zeugnis
davon, daß das heutige Touriſtenweſen
manch edle, wahrhaft hochherzige Zivede
verfolgt.
In Altenberg zweigt ſich unfer
Engthal in den Altenberggraben rechts
und in den Lahngraben links, dazwischen
erhebt jich ein bewaldeter Bühel, auf
deijen flacher Höhe eine weite Alm—
blöße liegt, genannt die Beltleben,
Wir fteigen links den Lahngraben
fuppe und der Hochſtein, das jchroffe
Gamseck und der hohe Gupf, und das
in der Ferne blauende Nordgewände
der Rax, welches gegen Nakwald und
das Höllenthal niedergeht, fie zeichnen
den großartigen Gebirgsftod, auf dem
fo mancher übermüthige oder ungeübte
Befteiger fein Leben gebüßt hat.
Zur linken Hand unmittelbar aus
unferer Hochfläche fteigt zuerſt im
Matten, dann in Waldlehnen, dann
in fteiler Alm mit Knieholz der Ameis—
bühel auf, dem jich weiter links der
Schneealpenftod anſchließt. Hinter uns
und gegen Mirzzufchlag Hin haben
wir freundliche Waldberge, aus welches
die Kampalpe bei Spital hervorragt.
Das Ganze ift ein Hochgebirgsbild,
in welchem das Lieblide mit dem
Wilden auf das Entzüdendfte ſich eint.
Auf diefer Heinen Hochebene am Fuße
des Ameisbühels liegt in reizender—
Einfamteit das Banerngehöfte zum
Beltl. Bon demfelben her jah ich eimmal
hinein, als wollten wir in das Hoch zwei knoſpenfriſche Dirnlein über die
gewände der Schneealpe empor. Zahls |bethaute Wieſe gehen. Sie fangen ein
reihe große Quellen fprudeln zwiſchen altes Lied vom Brombeermädchen und
Rajen und Steinen aus der Erde vom Jägersmann. Da trat ein junger
hervor und bilden einen ftattlichen Bach,
der munter zu Thale jpringt, Wir
haben vor uns den jchroffen Lahnſtein
und die mit Schutthallen übergoflene
fteile Engſchlucht, aus deren hohem
Dintergrunde die weiße Fläche der
„haſen Wand“ (glatten Wand) herab-
leuchtet. Wir wenden uns rechts den
ſachten Waldhang hinan, wir treten
oben in die Lichtung hinaus und
müſſen jauchzen. Jauchzen vor Freude
über die fchöne Welt, die uns bier
umgibt. Ein weiter, faft ebener von
einzelnen jungen Bäumen bejtandener
Grasboden liegt vor uns, eingefaßt von
Tunnene, Fichten» und Lärchenwald.
Und Hinter den Wipfeln fteigt in ihrer
vollen ftarren Herrlichleit die ſchroff—
wändige Rar auf. Man jieht nicht die
Tiefen, aus denen fie emporlteigt,
aber man Jieht das hohe Haupt, von
filberigleuchtenden Wolfen wie von
Touriſt auf fie zu und ſagte, die
Brombeeren wären reif.
Sie antworteten: „So gefegne Sie
Gott!" und giengen ihres Weges.
Der junge Touriſt gieng ihnen
nah und fang:
„Mädel, willft Du Brombeer broden,
Brock' Dir Dein Körberl voll!“
Sie ficherten, fliegen auf einen
Fels und fangen herab zum Zouriften :
„Und willft ein willigg Madel han,
So ſuch' e8 nit im Wald.
Im Wald geits Shlimme Tirnlein,
Gefoppt ijt Einer bald.”
Darauf Hin ift der junge Touriſt
bald nicht mehr zu fehen gewejen.
Auf diefem Schönen Hochanger, die
Beltleben genannt, ift auch ſchon manch
ernfter Sang erklungen und aus hun
dert Kehlen hob fih empor in An—
dachtsſchwingen das deutjche Lied! In
939
folder Stunde weint und jubelt das
Herz des Xelplers vor Glüd über jeine
Ihöne deutſche Aipenheimat. — In
folder Stimmung war auch ih an
jenem Hocfommertage, als ich dort
im Grünen gerubt und Hinter dem
Ameisbühl und der Rar finftere Wolfen
aufitiegen, da über der Schneealpe noch
die are Sonne ftand. Grelle Donner:
Ihläge knatterten und hallten fcharf
und fur; in den Wänden, einzelne
Ihwere Tropfen fausten nieder, aber
die Wollen lösten fich wieder und der
blaue Himmel lächelte auf’3 Bergland.
Gott hüte Dich, mein deutſches Heimat-
land, daß jede Gefahr ober Dir alfo
vorüberziehe, wie diefes drohende Ge—
twitter!
Indem mir wieder berabfteigen
gegen das Thal der Mürz, kommen
wir zu jener Hütte, wo der Köhler
Thomas mit feinen Ziegen wohnt.
Ic kam gerade zurecht, wie der Thomas
feine Lebensgenoffinnen herbeirief:
„Magerl, geh” ber, geh’ her! —
Sretherl, geh’ ber, geh’ ber!” Ich
date anfangs, er rufe feine Kinder,
da famen vom Berghang herab die
beiden Ziegen gefprungen, die eine
weiß und die andere jchrwarzgefledt,
die eine mit Stumpfen, die andere
mit langen Hörnern, und mit vollen
Eutern beide. Jetzt gieng der alte
Thomas vor ihnen her und fie trap—
pelten ihm nad. Er gieng die Straße
entlang bis‘ zu dem Dorfe Stapellen
und fie trappelten ihm nach. Er trat
in das Dorfwirtshaus, und die Ziegen
trappelten ihm nad. Der Wirt bes
deutete dem Alten alsbald, daß ſolcher—
lei Gäfte nicht in die Gaftitube ge=
hörten.
„Alsdann, nit in die Gaftitube, “
entgegnete der Köhler, „Jo wirft uns halt
in's Grtraftübel hineinlaſſen müſſen.
Weißt Du, meine zwei Ziegen begehen
heut’ ihren Namenstag und da will
ih ihnen einen guten Kaffee zahlen.
Kann ihnen anders auch mit erkennt—
lich fein für die viel! Milch, die fie
mir alleweil geben; einen guten Kaffee
thun Sie wohl verdienen. — Drei
Schalen Kaffee, Frau Wirtin!“ rief
er in die Küche hinein, „hübſch ſtark
machen und recht viel Zuder hinein! —
Alfo Kinderln!“ damit wendete er fich
wieder an die Ziegen, „wenn wir
Drei Schon zu fürnehm find für die
Gaftftuben, fo wollen wir halt auf
dem grünen Anger heraußen bleiben.
Thut's Euch unterhalten diemweilen,
die Jaufen wird bald fertig fein.“
„Schau, ſchau!“ xief der in’s
Haus tretende Schufter Stindel, „der
KöhlertHomerl mit feiner Famil ift
heut auch da!“
Das war dem Alten aber doc
nicht recht.
„Bott ſei Dant, ja!” begehrte er
gegen den Schufter auf, „jo viel
Famil Hab’ ih auch noch wie Du,
und daß ich die unfchuldigen Gaifen
nit brauch’ dazu zu rechnen. Dir,
ja Dir haben etwan Dein Weib die
Gelſen davonzarrt, Du Schufter Du!
Schuſter ift ein Käfer und Käfer ift
ein Miftvieh, oder was D’ bijt oder
wie's D’ heißt oder wem'ſt g'hörſt!“
So ift gar Mander diefer Wald-
bären, gegen Thiere zärtlih, gegen
Menſchen rauh und biffig, aber weder
die Einen, noch die Anderen allzu
ernſt nehmend.
Die beiden Ziegen haben ſich ihren
Namenstagskaffee, den ihnen der Tho—
mas in weißen Schalen vorhielt, ſehr
gut ſchmecken laſſen und ſchließlich auch
noch den Zuderfaß fein aufgeledt und
darauf munter gemedert, was den zwei
Kaffeeſchweſtern gar nicht übel anftand.
Solch Heine Vorfälle begegnen
Einem da drangen auf allen Wegen.
Wenige Stunden in's Yand hinaus,
in’s Volk hinein genügen, um uns für
eine Weile wieder mit friſchen Ein-
drüden zu verforgen. Der Freund
‚des Volkes und feiner Urjprünglichkeit
wird natürlich in den Engthälern, auf
Holzihlägen und Almen mehr des In—
tereffanten finden, als hoch oben am
Nande der Gletſcher. Alljährlich ein-
mal mit Gefährdung des Lebens oder
940
der Gefundheit von dem Gipfel eines
hohen unmirtlichen Berges aus die
Welt und den Himmel zu fehen, wäre,
dächte ich, für normal geartete Menjchen
genug. Uber den Wald und feine
MWäffer, die Almen und ihre Felſen,
die Gebirgsdörfer umd ihre Menſchen
zu bejuchen, das fönnen wir jeden
Sonntag. In unferen Gegenden kann
das ohne viel Anftrengung und Koften
und der Gewinn ift ein
geichehen
großer.
Ber Teufel im Balzburgerland.
Ein Beitrag zur Seelentunde des Volkes von 3. Hofer,
—
ALT
rade in folchen Ländern am liebften
aufhält, wo die frömmften Leute wohnen.
Im Intheriichen Norden hört man vom
Teufel blutwenig, während man ihn
in Zrol, in Steiermark, im Salzbure
giſchen auf Schritt und Tritt fpürt
und denjelben mandınal — wenn man
den Leuten glauben darf — fogar zu
ſehen befommen fan. Daß der Teufel
nah Menfchenfeelen jagt, ift belannt,
wir wiſſen es von unferen Vorfahren,
aus Heiligen Büchern und örtlichen
Urkunden; dab viele Leute ohne den
Teufel nicht leben können, ift weniger
befannt, doch nicht minder wahr. Und
jo ftellen fie ſich einander beftändig
nah und fürchten fich voreinander und
brauchen einander.
Daß der Menſch alles Böfe und
Stindige, alles Unfelige und Verderb—
liche mit dem Namen Teufel bezeichnet,
ift ganz in Ordnung. ber daß er
aus dem Zeufel eine Perſon macht,
fie mit allem Häßlichen ausftattet, alles
Sündige und Niederträchtige in die—
felbe hineinftedt, fie läftert und ver—
abſcheut und ihr dann doch wieder
zuftrebt, eben weil alles Sündige und
Niederträchtige in ihr ftedt, das ift
curios. Der Menſch muß einen Schrant
haben, in welchen er das Böfe, wenn
es ihm juft nicht Handlich ift, hinein—
legen kann, und aus welchem er es
wieder herzumehmen weiß, jobald er
|
|
|
ine eigenthümliche Laune des es Haben will; diefer Schranf ift der
5 Teufels ift es, daß er ſich ge- Teufel. Er muß auch einen Sünden—
bod Haben, dem er die Schuld geben
fan, kurz, er bedarf etwas, daß das
Thieriſche und Abſcheuliche zeitweilig
von ihm losgelöst jei, damit er fich die
Hände wachen und wie ein Engel
geberden mag. Der Teufel übernimmts,
aber nicht umfonft, wer ihn an die
Wand malt, dem fpringt er von der
Wand gem in die Arme und die
Beiden unterhalten ſich ein Weilchen
recht gut miteinander, Aber nur ein
kleines Weilchen.
Wir unterhalten uns Heute eben=
fall3 mit dem perfönlichen Teufel und '
betrachten fein Berhältnis zum Lands
volfe. Die Unzahl von Teufelsſagen
beweist uns, daß diejes Verhältnis ein
intimes ift troß all der Schreden. Nur
das Heine Salzburgerläftdchen, und
von dieſem wieder bloß, was an Teu—
felsfagen ganz obenauf ſchwimmt, it
unfer Feld. Wie ergiebig ift es! Welch
eine Unzahl von Zeufelzfleinen, Zeus
felsfeen, Teufelsbrüden, Teufelsmühlen,
Teufelsftuben u. ſ. w. im Lande!
Am Funterſee fteht eine Teufels—
mühle, welche goldene Thaler mahlt.
Eines Tages fand ein frommer Jäger
ſolche Thaler, gieng damit in die Kirche
zu Berchtesgaden, tauchte fie in den
Weihbrunnleſſel, und die Thaler wur—
den zu Siefelftein.
An der Lammer, oberhalb der
Duſcher Brüde find zwei zu einer Art
041
von Brüde aneinandergelegnte Helfen. | Braut, um ſich da drinnen trauen zu
Diefe hat einft der Teufel aneinanderz laſſen. Sie follen nicht mehr zum
geworfen aus Wuth darüber, daß ein. Vorfchein gefommen fein. Wenn der
Raubſchütz, den er Ion in den Klauen | Teufel fein Spiel Hut, jo ſoll es auch
gehabt, ihm von einem frommen Ein- | heute noch geichehen, daß zwei Liebes: .
jiedler abgejagt worden war. leute zur unrechten Thür hineingehen.
Am Schoberberg nächſt Mondſee Bei Schleedorf in einem Felſen
befindet ſich hoch an der Wand ein bewacht der Teufel einen großen Schatz.
Loch durch den Felſen. Einft hatte der, Derlei wird von vielen anderen Felſen,
Teufel ein altes Weib nur darum ge= Tümpeln und Löchern erzählt. Bei
bolt, weil es fich immer für eine Jung: | Großgmair ift ein Teufelsloch, in
frau ausgegeben hatte. Als er mit) welches einft der Teufel einen Fuhr—
demfelben durch die Lüfte gefahren, | mann geichleppt Hat, als dieſer Die
ftieß er unverfehens an die Wand und | müden Pferde mißhandelte.
rannte das Loch durch. Im Mirabellgarten zu Salzburg
Auf den Höllberg, jowie auch über | ift eine große aus Stein gehauene
das Hörndl, das Höoll-Neideck, über Waſſerſchale. Diefer Stein ſoll nicht
die Haid und Oed hat der Teufel bei von der Stelle zu bringen fein, weil
Erſchaffung der Welt den Schweif ge- einft der Satan mit einer Buhlerin
legt, darum ift die Gegend fo unfruchte | darauf ausgeruht habe.
bar und unwirtlich, und foll auf folchem ; Auf der Straße über den Rad-
Grunde niemals Edelweiß wachſen. ftädter Tauern fteht eine Hohe fteile
In Filzmoos ftand feit Urzeiten | Wand, fie heißt: „Die Freud am End’.*
ein gemauertes, unübertünchtes Haus, | Einft gieng des Nachts ein Burjche
das einzige im der Gegend, welches vom Liebehen nah Daufe und fürzte
von Stein war. Das foll der Teufel | unterwegs underfehens über dDiefe Wand.
erbaut Haben, da ihn einmal das Ge= In der Nähe dafelbit liegt ein Stein,
Lüfte fam, ein Landwirt zu werden. in welchem die Fußtritte des Teufels
As aber das Wunder Gottes geichah | zu jehen find.
‚und auf dem Felde Korı aus der Im Roſenthale nächſt der Burg:
Erde ſproßte, wurde ihm unheimlich ruine Hieburg iſt der Teufelsſtein.
und er rannte davon. Dieher von Friedburg, der Bewerber
Bei Oberfritz wollte der Teufel um das Burgfräulein, Hatte ſich einſt
ebenfalls einmal ein Haus bauen, fieng mit ſeinem Blute dem Teufel ver—
aber damit don oben an, gieng ihm ſchrieben, damit dieſer den Nebenbuhler,
das Material aus, fo daß er den der die Braut zum Altare führte, tödte.
Unterbau nicht mehr fertig brachte. Nichtig warf der Teufel einen gewal—
Das Haus, dem die Edſteine fehlen, tigen Felsblock gegen die Kirche, in
hängt heute noch halb in der Luft. demſelben Augenblid läutete das ge—
Zwijchen Dienten und Mühlbach | weihte Glödlein zur Trauung, dadurch
ift eine Slamım mit einem tofenden | verlor der Stein feine Schwungkraft,
Wildbad. Das ift des Teufels Bad- | fiel jenkrecht zu Boden und erfchlug
ftube, in welcher er vor Zeiten mit den Diether, deſſen Schwarze Seele
den Hexen zu baden pflegte. jofort in die Hölle fuhr.
Auf einem Wege zur übergofjenen Als dor Zeiten das Wallfahrts-
Alpe ift ein tief abwärts gehender | firchlein Zell an der Ziller gegründet
Schlund mit einem firchthürartigen Ein- | worden war, erboste darüber der Böfe
gang Jihtbar. An diefer Stelle Hatte| derart, daß er an der Kreuzjochſpitze
der Teufel einjt einen Jäger verblendet, ein wuchtiges Felsſtück brach und es
daß er dieſes Loch für eine Kirchthür gegen das Kirchlein jchleuderte. Der
hielt. Der Senne kam mit ſeiner lang der zum Gebet läutenden Glode
vereitelte auch Hier jein Werk, das
Felsſtück fiel nieder am Krummbach—
Waſſerfall, wo e3 heute noch liegt und
die Epur der Teufelöfrallen zeigt.
Bei Zell am See ift die Pfond-
eben, eine Hochfläche mit einer fteinernen
Platte. Einft erfchien hier ein Fremder
und blies mit der Schwegelpfeife zum
Tanz auf. Alfogleih verſammelte ſich
das junge Volk und tanzte fich fchier
das Blut aus den Adern, bis Knaben
und Mägdelein erſchöpft auf den Rafen
fielen. Als der fremde Muſikant wieder
davon war, fah man auf der Stein
platte, wo er geftanden, Vertiefungen,
welche er während des Spieles mit
dem Fuße ausgeftrampft hatte. Daran
erkannte man, daß e3 der Teufel ge=
wejen.
Bei Biſchofshofen ift ein Dörfchen,
in welchen einft während eines Hoch—
gewitterd eine laute Tanzunterhaltung
ftattfand. Der Geinfeldbah brauste
fürchterlich und die Hohen Fluten
wogten gegen das Wirtshaus. In
demfelben jaß aber ein Geiger und
geigte fo luftig und verlodend, daß die
Leute wie toll hüpften und tanzten
und das Unheil nicht wahrnahmen.
Alle ertranlen in den Fluten. Der
Geiger fuhr durch die Lüfte davon und
jpielte noch zwifchen Bliß und Donner
hindurch feine ſchauerlich-ſüßen Weifen.
In einer Nebenſchlucht des Sal»
zachthales ift die Tauglbrüde, ein ur—
alter großer Bogen über das Wafler.
Vor vielen Jahren hatte es hier der
Teufel mit einer ſchönen Müllerin zu
thun, die es ihrerfeits mit einem fchönen
Jäger hielt. Sie wünfchte über den
Wildbach eine Brüde zum Jagdhaufe,
Der Teufel verſprach ihr eine zu bauen.
Bringe er diefe fertig, ehe fie das Kind
gebäre, jo ſei das Find fein. Faft
war er mit dem Werk fertig, nur noch
ein Stein follte eingefeßt werden, da
ichrie das Kind. Wüthend und ohne‘
Lohn fuhr der Teufel zur Hölle, rief
aber zurüd: „Das Kind ift mir ver-
jpielt, aber der Erſte, der über diefe
Brücke geht, gehört mir!” Gut ifts, dachte
fich die Müllerin und jagte ihren großen
Hausfater über die Brüde. Der Teufel
padte ihn und fuhr mit folcher Beute
in die Untiefe, in welche heute bie
Taugl wildſchäumend hinabftürzt.
Auf den Almen pflegen ſich Die
Schweine auf dem Boden herumzu—
wälzen und an den Steinen ihre Rüden
wund zu reiben. Da heißt's, es reite
lie der Teufel. Das befte Mittel da—
gegen ift, daß man mit einer Taufe
ferze den Schweinen drei Kreuze auf
den Rüden brenne.
An die Geiermühle bei Oberfritz
fam manchmal nächtliher Weile ein
fremdes Männlein, welches neben der
Mühle jo raſch zu wachſen begann,
daß es zum Dachfenſter hineinjchaute,
wie der Müller drinnen aus den Säden
der Hunden Mehl ftahl. Einmal ſchlug
diefer vom Zwerge zum Rieſen ge-
wahfene Mann am Dachfenfter ein
hölliſches Gelächter an und rief: „Au—
fangs ftahl er's löffelvollweis, dann
bandvollweis, dann ſchaufelweis, jetzt
fadvollweis. So ſchnell und jo groß
wächst der Teufel." In der Mühle am
Strid hieng der Müller.
In einer andern Mühle unweit
Oberfritz verfammelten fih an einem
Muttergottesfefte lebensluftige Dirnen
zum Zanz. Als die Abenddämmerung
anbrach, ſprang ein ſchwarzer Bod durch
den Tanzboden, worüber in die tanz—
(uftigen Beine ein folches Zittern fuhr,
daß fie fih auf die Kniee niederlafjen
mußten. Aus der Tanzftube wurde ein
Bethaus und der Teufel wimmerte,
daß die Sache diesmals fo jchief ge-
gangen war.
Der Oberarler Schmied zu Plan:
fenau Hatte einft dem Zeufel feine
Tochter, die ein Eretin war, verſchrie—
‚ben, wenn er ihm bis zum nächſten
Hahnenruf aus der Großarler Klamm
eine warme Quelle herausleite. Der
Teufel begann in den Felſen ſo grauen—
haft zu rumoren, daß dem Schmied
die Angſt kam und das Erbarmen mit
‚feinem Kinde. Er weinte und betete
und rief um Hilfe. Jetzt faßte der
043
Eretin wie fpielend den Haushahn und Nun war auch der jchwarze Jörg da,
ichleuderte ihn in den Fluß. Der Hahn ein ſtämmiger Holzknecht, der noch
frähte ob des falten Bades, der Teufel |bei jeder Kirchweih ein Mädel gefoppt
fuhr ohne Beute ab und die warme und dann fißen gelaffen Hatte. Auch
Quelle blieb fteden in dem Felſen. dieſer haſchte nach den Stiefelu, und
Schlimm ergieng e& den Burfchen |fiehe, vom ſchwarzen Jörg ließen fie
zu Maria Pfarr. Diefe wußten in ſich fangen. Er ftreifte fie raſch an
ihrem Webermuthe oft micht, was fie feine Füße und begann mit ihmen zu
beginnen follten, um die Nachbarn zu | tanzen, jo fein und gefchmeidig, daß es
ärgern. Ta fiel es ihnen einmal in |zum verwundern war. Als er jedoch das
der Chriſtnacht ein, Rößlein aus Stroh drittemal herumgetanzt hatte, nahmen
zu flechten, dieſelben zwiſchen die Beine die Stiefel plötzlich Reißaus und ſpran—
zu nehmen und damit im Dorfe um— gen in klafterlangen Schritten mit dem
herzugaloppiern. Da gabs großen Lärm Jorg davon. Später ſoll man draußen
und Schabernack. Auf einmal, als ſie in der Haſelſchlucht halbverſengte Theile
an der großen Linde vorbeiritten, wur—
den die Rößlein lebendig und flogen
mit ihren Neitern faufend durch die,
Lüfte davon. — Roß und Reiter jah
man niemals wieder.
Im Schloſſe zu Moosham lebte
vor vielen Jahren ein reicher, geiziger,
harter Mann, der aber für fich ſehr
auf äußeren Anftand und Prunk hielt,
wo er nichts Foftete. Als er geftorben
war, fuhr beim Schloſſe eine ſchwarze
vornehme Stalefche mit vier Rappen
vor. Ein ſchwarz gefleideter Herr mit
feiner Perrüde ftieg aus, doch aus der
Perrüde ftanden Hörner hervor. Er
meldete fich jehr höflih an, trat in
das Leichenzimmer, nahm den ftarren
Gutsherrn über die Achfeln, trug ihn
zum Wagen hinaus und fuhr mit ihm
jo raſch davon, daß die Straßenfteine
tauchten.
In Mauterndorf bei der Kirchweih
ſah man einmal auf dem Zanzboden
ein Paar Stiefel, ohne daß Jemand
dein ſtak, eim Sehr feines Tänzchen
machen. Die Leute ftoben auseinander
als fie diefes jachen, die Mufitanten
hörten auf zu blajen, allein die Stiefel
tanzten den Reigen munter fort. Als das
Entjegen gewichen war, begannen es
die Leute poffierlich zu finden und ein
alter Kohlenbrenner machte den Vor—
ſchlag, die tanzenden Stiefel abzu—
fangen. Er verfuchte es, Andere ver-
ſuchten e3, allein die Stiefel entfchlüpften
den hafchenden Händen allemal wieder.
feines Nodes gefunden haben.
Yungfrauen wenden als Schuß:
mittel gegen den Satan das Kudlkraut
(Feldthymian) an. Sie flechten am
Frohnleichnamstage in ihren Kranz
Kudltraut, dann hängen fie den Kranz
in ihrer Schlaffammer über den Bette
auf. Sollte der Teufel in Geftalt
eines Schönen Bauernburfchen fenjterin
kommen, fo benimmt ihm das Kudlfraut
die Macht. Anders ifts, wenn der
Ihöne Bauernburfche ſelber kommt,
gegen diefen gibt3 gar fein Schuß-
mittel, befonderd wenn er der Jung—
frau Liebiter ift, jo ift er gefährlicher
wie der Herr Teufel.
Bei Hallein ift ein Waldweg, den
früher die Leute nicht gehen wollten.
Es hiüpfte über den Weg der Teufel
bin und ber, fpie die Wanderer mit
Flammen an und wollte Keinen vor—
beilaſſen. Da kam eiu Slofterpater,
um dem Wegelagerer zu bejchwören,
den lachte der Teufel küchtig aus und
gab ihm ſchlimme Namen. Hernad kam
ein Propft, der Teufel lachte noch mehr;
endlich kam der Erzbijchof jelber, an—
getan mit allem Ornat und allen
hohen Weiden. Der Teufel hielt ji
den Bauch vor Lachen, umtanzte den
Biſchof und peitfchte ihn mit feinem
Schweife. Nun verfuchte es noch ein
arıner Weltpriefter aus Lofer, den
Böfen zu bannen. Und fiehe, vor dieſem
Manne floh der Teufel winfelnd und
it feither nicht wieder gejehen worden.
—
Am Fuße des Dachſtein wurde winen zudecke, damit fie Niemand finden
einft in einer Sommernadt in den
Lüften ein Pferdegerippe gejehen. Auf
dent Gerippe ſaß ein langer bagerer
Mann, der loderte wie weißglühendes
Eiſen, daß die ganze Gegend beleuchtet
war. Der Kopf des Reiters war fleiſch—
los wie ein Zodtenfchädel, aus den
Angenhöhlen zudten blaue Flämmchen.
Auf dem Scheitel hatte er ein ſpitzes
Hütchen mit rother Feder. An den
Schmwanzwirbeln des Pferdegerippes war
eine lange Kette befeftigt, an welcher
ſechs Bauern aus der Umgebung bien
gen, die als ſehr ſchlimme Gejellen
befannt waren. Dieje ſechs Bauern
mußte der Schmied des Ortes, von
einer umerllärlichen Gewalt getrieben,
mit ſechs Paar Hufeifen bejchlagen.
Der Zug flog dann gegen die Scheu—
henjpige empor. Im Geftein der
Scheuchenſpitze waren ſpäter die Huf—
eiſen zu ſpüren; von den ſechs Bauern
iſt nicht Einer mehr geſehen worden.
In Gaſtein wollte der Teufel einmal
bei finfterer Nacht eine Heilquelle ent-
führen. Schon war er mit derjelben
gemacht worden.
folle.
Mit großem Fleiße hat derlei Sagen
R. vd. Freisauff gefammelt (Salzburger
Bollsfagen. A. Hartleben, Wien), doch
die Quelle des Vollsmundes ift une
erſchöpflich. Manch halbverkommenem
Geſellen wäre es gar nicht recht, wenn
es auf einmal keinen Teufel mehr gäbe.
Denn er hofft auf ihn. Er will noch
einmal zu Geld kommen, er will ſeinen
Feinden die Rinder und Felder ver—
hexen, er will Liebestränfe brauen —
wer ſoll ihm dazu helfen, als der
Teufel! Zwar will der dafür die Seele
verſchrieben haben. Sei es drum;
geht ohnehin das Gerede, der Meuſch
hätte feine unfterbliche Seele, dann iſt
der Schwarze betrogen. Ja in der
That, ſolche Leute mögen materialis
ftiicher Offenbarung glauben und ſich
troßdem don ihrem Zeufelscultus nicht
abbringen laffen. — Vielen der vor—
ftehenden Beilpiele ift der Urfprung
leicht anzufehen; fie find nicht naider-
weife entftanden, ſondern mit Abjicht
Heute ift mand
bis Stegenwacht über das Gebirge ge- wiürdiger Landpriefter beftrebt, den Teu—
fommen, da begann in St. Johann |felg-Aberglauben auszurotten, allein
die Morgenglode zu läuten. Bon dies auch hier werden fie der Geifter, die
ſem Augenblide an brachte er die Quelle | fie einst riefen, nicht mehr los. Daß
nicht mehr weiter; noch heute fließt das Volk noch immer den perfönlichen
fie dort in der Bachlluft, Niemandem | Teufel und die Hölle mehr fürchtet,
zum Deile. Bon einer warmen Quelle |als3 das Böſe und Häßliche in der
an der Großarlerarche wird auch er- |Menjchennatur, das eben ift des Teu—
zählt, daß fie der Teufel in Gaftein |fels. So hat man ihn an die Wand
geftohlen und dorthin verjeßt habe, gemalt, und jo ift er lebendig ge—
wo er fie noch zeitweilig mit Erdla- worden.
Septembertag.
Milde Sonnengluten
Auf die Erde fluten,
Fäden, zart wie Duft,
Gauleln dur die Luft.
Ruhe herrſcht im Raume...
Wie im ftillen Traume
Liegt die weite Welt
Unter'm Himmelszelt.
Weller Blätter Rauſchen
Muß ich finnend laufen,
Wenn dur Baum und Straud
Streit des Todes Hauch ...
Gin Hinüberfchlafen
In des Todes Hafen,
Eanft und hehr und groß,
Iſt des Lebens 208...
Wär’ auch mir beichieden,
So in Ruh' und Frieden
Aus der Welt zu geh'n
Zu des Lichtes Höh'n! —
Derfländigung zwiſchen einem geift:
lichen und einem weltlihen Chriften.
Ungebogen jchide ih dem „Heim—
garten“ zwei Briefe, von denen ich glaube,
dab fie weiteres Intereſſe beanjpruchen
dürften. Es gibt Menſchen, in deren
Denk» und Empfindungsweife fie eingreifen,
und fie jollen, wie ich vermuthe, in mancher
Beziehung wohlthuend wirken.
Für's Erfte muß ich mich voritellen,
da ich Gegenftand der beiden Briefe bin.
Sch lebe unabhängig als Privatmann in
einem Marftfleden der Dftalpen. Die
geſellſchaftlichen Verhältniſſe meines Ortes
find bejcheiden aber nicht unangenchm
und ich erfrene mich einer gewillen Ach—
tung, troßdem meine Beichaffenheit mit
Kofegger's „„Heimaarten‘‘ 12. Geft, XT.
Joh. Peter.
jener der meijten Menſchen nicht immer
übereinftimmt,
Vor einiger Zeit erhielt ich von dem
Herrn Pfarrer meines Sprengels ein
Schreiben, welches zu veröffentlichen ich
mir nachträglich die Erlaubnis einholte,
wie e3 ja in der That der Verfaſſer
leiht verantworten kann. Das Schreiben
lautet:
„Euer Wohlgeboren !
Urjache diejer Heilen iſt eine Eleine
jeeljorgliche Angelegenheit, die jich immer—
bin beſſer ichriftlich als mündlich fchlichten
läßt und die Sie mir — ich bitte Sie
jehr darum — nicht mißverſtehen dürfen.
Sie haben ja meine, oft nachgerade ver-
trauensjelige Offenheit immer geachtet,
daber finde ich leicht den Muth, Ihnen
60
ein ganz feines Bedenken mitzutbeilen,
welches Sie jelbjt betrifft. Bei Ihrem
mir jeit Jahren befannten Charakter und
religiöfen Sinn nimmt es mid Wunder,
dab Sie an hoben Feſttagen mandmal
dem firchliben Gottesdienft fernbleiben,
was bejonders am lettvergangenen Frohn—
leihnamsfejte aufgefallen it. Ich maße
mir nun micht an, Sie etwa deswegen
zur Rechenſchaft ziehen zu wollen, doc
muß ich bemerfen, daß etliche unjerer
Pfarrgenofjen daran einen gewiſſen Ans
jtoß nehmen und wenn fie jchon für fich
jelbjt fein Beijpiel daran machen, jo
doch auf Ihre werte Perſon ein miß—
günſtiges Licht werfen könnten, was Nie—
mandem mehr leid thäte, als mir. Ach
will Ihnen fein Lehrftüd jchreiben über
die Bedeutung der hoben kirchlichen Feſte
für des Chriſten Herz und Gemüth, ja
ih vermuthe, dab Cie die Bedeutung
jehbr wohl erfennen und bochhalten und
das etwa eine mangelhafte Begehung, wie
fie in Landkirchen wohl vorfommen fann,
mit diefer Ihrer Hochhaltung nicht ganz
übereinftimmt. Wenn es dieſer Grund
wäre, warum Sie unferen hoben Feſten
fern bleiben, jo würden Sie mir mit der
Mittheilung bderjelben eine Art Befrie—
digung gewähren. Und wenn Sie mich
anfmerfjant machen wollten auf etwa vor-
fommende Unzufömmilichkeiten, jo würde
ih jehr dankbar jein und trachten, ſolche
abzujchaffen, Mir als Pfarrer muß natür-
lih daran liegen, daß auch den Gebil-
deten das Edle und Erbebende der Kirche
und des Gottesdienjtes geboten werde.
Ich bin jicher, geehrter Herr, dab
Sie dieje Zeilen, die mein Herz erleichtert
baben, jo annehmen, wie fie gemeint find,
und jomit zeichne ich mit bochadhtungs-
vollem Gruße ganz ergeben
MN.
Pfarrer.*
ie Antwort:
„Euer Ehrwürden!
Ihr Schreiben babe ih erhalten und
ich geitehe, dab mich jelbiges angenehm
berührt hat. Ich finde im ibm jene
Milde und Treuberzigfeit, der ich nie
046
| zu widerftehen vermag, und Ihre Offen—
beit alaube ich damit am bejten zu ebrei,
daß ich derfelben gleiche herzliche Offen-
beit entgegenjete.
Ich kenne, wie Sie jelbjt vermutben,
freilib die Bedeutung des kirchlichen
Gottesdientes für des Chriften Herz, und
Niemand kann mehr als ich davon über«
zeugt jein, wie nöthig und wichtig für
die Gemeinde eine gemeinjame Andacht
it. Darum babe ich mich jelbit ſchon
gefragt, ob ein zeitweiliges Wegbleiben
bei firchlichen Feiten, jo unauffällig ich
e3 auch thue, nicht etwa ein Aergernis
jei. Daranf habe ich mir allerdings zur
Antwort geben müſſen, daß es nicht vor«
geichrieben ift, anderer Leute wegen dem
Gottesdienite beizumohnen, ja daß dem
Ghriften für feine Andacht das ftille
Kämmerlein vorgeihlagen worden,
Meiner Meinung nah hat der Menich
mehr Bedürfnis nach Erhebung des Geijtes
zu Gott, als er es jelbit ahnt, aber die
äußeren Zuftände hindern ihn und bie
Stimmung mangelt ihm ſehr oft, jolder
Erhebung zu pflegen. Ohne Stimmung
ift feine Andacht möglid. Die meiiten
Menſchen finden die nöthige Stimmung
in der feſtlich geichmüdten Kirche und
in der Gegenwart der Mitmenſchen, die
alle in der gleichen Abficht gekommen
find, zu beten. Auch ich fühle mich in
jolher Umgebung und in folden Ge—
danken ſehr oft erhoben — ich ſage jehr
oft, aber nicht immer. Manchmal it es,
da meine Andacht die einfame Hammer
verlangt, oder eine Betrachtung des Hoch—
gewitters, oder den grünen Wald und
das Himmelszelt, und ih bin ſchwach
genug, ſolchem Verlangen nachzugeben.
Euer Chrwürden ziehen mich des
legten Frohnleichnamstages wegen ja nicht
zur Rechenſchaft; in dieſem Falle würde
ich fie vielleicht verweigern; nun aber
gebe ich fie freiwillig. Bei der unbejchreib-
lichen Yieblichfeit jenes Frühſommertages
| wäre es mir nicht möglich geweien, in
der überfüllten Kirche, im Gedränge und
Straßenſtaube der Proceilion die wahre
Feſtſtimmung zu finden. Ich blieb dem
Begängniſſe nicht fern, um das Feſt zu
mibachten, jondern um es zu feiern, Ich
will mich gar nicht auf jene Pantheiften
binausjpielen, die den Herrn nur draußen
in der freien Natur anbeten fönnen, ob»
zwar ih an diefem Tage freilih auch
binausgieng in dieſe freie Natur. Ich
that es micht, um der kirchlichen Feier
auszumeichen, jondern um fie mitzuber
gehen. Auf dem Eſchenkogel ſaß ich und
blidte hinab in's Thal, wo die Gloden
Hangen und die Pöller fnallten und die
Fahnen flatterten und die Deter bins
giengen in langer Reihe. Die hoben
Berge jtanden feierlih, im Walde jubi«
lierten die Vögel, die weiten Fluren
leuchteten in Blütenpracht und über Allem
das Himmesblau mit feiner herrlichen
Sonne und mit der ewig mwandelnden
Pracht jeiner lichten Wolken. Ich hörte
unten die Stimme der Menihen: „Das
it der Tag des Herrn!“ Und ich hörte
neben mir und über mir und in weiter
Nunde die Stimme der Natur: „Das
ift der Tag des Herrn!“
Es mag ja wohl richtig jein, daß
bei kirchlichen Begängniffen manchmal und
zumeijt zufällige und unbeabjühtigte Ge-
ihmadlofigfeiten vorfommen, die jtörend
wirfen. Ich ſah fie nicht und dachte
- nicht an fie.
Nicht das bunte Gepränge der Menſchen
war um mich, nicht ihr oft gedanfenlojes
Gebet, nicht ihre Eitelfeit und Scheel-
ſucht, die fie auch bei der Proceſſion mit
fihb führen wie Kinder am Arm, als
jollte jie der Herr jegnen, dab ſie groß
würden — ich jah aus der Ferne vom
Menjchen nur die wirflihe Andacht, fein
gottesfreudiges Herz und feine Seligfeit.
All das zujammen bat mich erhoben zu
jener Feſtſtimmung, die verwandt fein
muß mit der wahrhaften Anſchauung
Gottes.
Es mag ja ein Vergehen jein an
der Gemeinichaft, welche die Kirche wünſcht,
und doch war mein Gewinn ein großer,
denn es erhob fich mein Geijt zu Gott,
und damit war das erreicht, was uns
die Religion vorjchreibt. Anderen zur
Nahabmung the ich es wahrlich nicht,
wenn ih mich manchmal jolchergeftalt
abjondere ; den Meiften würde derlei nicht
wohl bekommen. Was ih bier ange
gedeutet habe, möge nichts Anderes jein,
als eine Nedtjertigung ſtillbeſchaulicher
Gemüther, die in ihrer gewiß auch harm—
lojen Weiſe der Andacht pflegen.
Wie jehr ich den Cultus achte, der
jo vielen Millionen Menjchen ein uner»
jeglihes Gut iſt, wie jehr diefer Cultus
wie er ja im Stile mwürdevoller
Kunſt dazuſtehen beftrebt it — auch
mich erhebt, das glaube ih nicht erſt
hervorheben zu müllen. Die Oottesan-
dacht als ſolche jedoch kann ſih — wie
Euer Ehrwürden ſelbſt vor Kurzem ſo
‚schön gejagt haben — weder an eine
| Zeit noch an einen Ort fmüpfen, jondern
wird traten müfen, der Allewigfeit und
Allgegenwart des Herrn zu entjprecen.,
Und jomit glaube ich, daß wir immer—
hin noch fo ftehen, um uns gegenjeitig
die Hand reichen zu fönnen. Ich thue
‚es in ungeheuchelter Verehrung. .
| RM
— EEE
's Anglük ſpoziern führn.
(Steirifhde Mundart.)
L
An Obnd, warn hintern Berg d Sun owi ſinkt,
Und d Leut ofli porweis flaniern,
Nim ib ah mein Gipon, geh auffi in Wold
Und führ mein Unglüd jpoziern.
Wia groß is da Wold und wia hoch fein die Berg,
Und wia tiaf iS däs ftilli Thol!
DO ba größer und höher und tiafa bift Du,
Mein Unglüd taujndmol.
60*
948
An Moin, afn grean,
Wo ſiſt Bleamerla blean,
To ligg a ſchwara Stoan;
Biel taufndmol ſchwara, wir olli Stoan afn Roan,
Biſt Du, mein Unglüd alloan. —
Kublfinfta wird d Nocht; ob, ja finfla wird's nia,
Daß Dana fein Unglüd nit fiadt,
Da Blindi ſiacht's funteln,
Da Taubi hört’s krunkeln,
Wan's jchleichend zan Herzn kriacht.
Il.
Mia ipringg aus n Herzn a helltotha Brun!
Wia hot nit da friſchi Brun glonzt in da Sun!
Aus guldenen Kelch hobn ma trunfn,
Mit Nojan, mit rothn, hobn ma gwunfn,
Bis d Augn jein gjunfn.
Und gor noh in Tram hot's nit dunfel wern wolln,
O liabi, glüdjeligi Quelln!
Do limp hiaz däs Unglüd und legg fih ſtad
Zan Brun, und fauft, bis $ n d Wompn aufblaht,
Und bioffn tonzt’3 tul um mei Herz herum,
Und da Nochtvogl pfeift: Didl dei, did! dum!
Hei prächtigi Welt, wia luſti geht's zua!
— Ih donf für de Luft. Ih bon gmua.
II.
Ih gmua va da Welt? Däs follt ma nit ein.
Den Tonzbärn, den wern ma noh über ſih fein.
Sei a Mon,
Pod n on!
Ueber's Unglüd nit her hobn — wa doh dalogn!
Un Strid um a Flaßl,
U Lo durdn Rüaßl,
Und a fein durdzogn!
Meini Damen und Herrn!
Do hobn nmıa dreifiert
An tonzandn Bärn!
Bitt hereinipaziert,
Wer will jehn, wia ma’3 Unglüd
An da Ketn führt!
Frommer Müßiggang. | Emil Bola’s Wahlſpruch.
Ein frommer Mühiggang hat mich erfaßt, Der große literariiche Hadernjammler
u ze eg eg Auch ur an der Seine bat einen Wahlipruh und
D te eın ea . , . 9
In einem Reich doll Sang und Blüten, in — — EIER,
Diejer Wahlſpruch iſt hübſch. Mit
r dem erſten Theil desſelben muß man ſich
— den kr Sem ſchreiten unbedingt einverſtanden erklären, mit dem
"zweiten Theil nur dann, wenn Zola uns
jagt, daß er die Wahrheit in jenem großen
Sinne verfteht, wie fie bisher philojophiich
und fünftlerifch verftanden zu werden pflegt.
Nun bat uns aber Zola jhon gejagt und
bewieſen, was er Wahrheit nennt; ihm
Was dies Jahrhundert Großes gab
Und was vergang'ne ſchön're Zeiten:
Mit Schaffensdrang geichwellt die Bruſt,
Da werden Deine Thränen fließen —
Doch liegt viel ungetrübte Luft
Im Mitempfinden und Geniehen.
fropold Hörmann.
- Bi Fin
ift die künſtleriſche Wahrheit nichts weiter,
als die naturtreue Darftellung des Häb-
tihen. Bei uns erftredt ſich aber die
fünftleriiche Wahrbeit auch auf die natur-
tree Daritellung des Schönen. Auch das
it Naturalismus, denn man wird doc
nicht leugnen wollen, daß der Natur das
Schöne abgehe. Zola jchildert nur den
Sumpf, aber nicht auch die Blume, die
darauf wächst. Zola jtellt den Dünger jo
naturgetreu dar, dab jelbjt die Naje zur
Kritiferin wird, aber er zeigt uns nicht
die hohe Aehre, die darauf reift. Zola
bejchreibt uns ſtets das Faulende, aber
nie das Keimende, jtet3 das Niederträc-
tige, aber nie das Erhebende, ſtets das
Verjtimmende, Peinigende, aber nie das
Erfreuliche. Und das iſt jeine Wahrheit.
In dieſem Sinne jedoch ift der zweite Theil
jeines Wahlſpruches nicht zu brauchen. „In
der Kunſt Wahrheit.“ Aljo in der Kunſt
nur Sumpf, Dünger, Faulendes, Nieder-
trächtiges und Peinigendes! E3 muß uns
doch allzugut jein auf diefer Welt, dab
wir uns das Elende nachgerade mit Ge—
walt recht draftiich vor Augen rücken. Wir
müſſen uns jchon jehr gejättigt haben, daß
unjer Magen jo lebhaft nach pifanteftem
Käſe verlangt; und finden wir feinen
jolchen, jo laufen wir dem Erjtbejten nach,
von dem wir vermuthen fönnen, dab er
zwiichen den Beben Surrogat bat. Auch
diejer KHäjejtoff ijt Natur und Wahrheit,
wer leugnet es? Und nur diefe Gattung
von Wahrheit, die häßliche und efelhafte,
will Emil Zola in die Kunſt legen.
Zola erkennt die Kunſt als ſolche gar
049
ichaften einen Dichter gefunden haben, der
fie entichuldigt, oder die Schuld von den
Einzelnen abe und auf den Staat wälzt,
als jeien für die jchlehten Handlungen der
Staatsbürger die jchlechten Geſetze Schuld.
Eine bequeme Ausrede.
Die brutale Gewalt, mit welcher Zola's
Muje die Lefer padt, erinnert mich an
jenen Schweinehirten, der den Forſtjungen
anfiel, zu Boden warf und in die Jauche
jchleifte - aus Aerger darüber, daß der
Forſtjunge jonft immer frischen Wald-
duft geniehen fonnte,
E3 mag ja angehen zu jagen, einmal
müſſe auch die niederträchtigite Seite
der Menſchheit naturgetren, ja der Wir:
fung wegen jogar mit Phantafie geichildert
werden; wenn aber dieje Richtung als
die Zukunft der Kunft, der Dichtung aus—
gerufen wird, als die einzig richtige Art
der erzählenden Literatur, dann müſſen
wir dieſe Herrn Weithetifer zum Tempel
binausjagen.
Die Kunft und die Dichtung ift nicht
da, um ewig nur zu zeigen, wie elend
wir find, das willen oder ahnen wir jchon
auch jo; die Kunſt und die Dichtung it
auch nicht da, um zu befehren; die Kunſt
und die Dichtung ift da, um uns zu ers
frischen, zu erfreuen, durch Erjchütterung
zu lautern und ums ſeeliſch ſchöner zu
machen. Dadurch wirft fie in zweiter Linie
freilich auch reinigend und jittigend und
verbindet jonach ganz von jelbit das Nüß-
lihe mit dem Angenehmen.
„Sn der Wahrheit feine Kunſt, in
der Hunft Wahrheit,“ der Spruch iſt gut,
nicht an, feine Lehre iſt: Zerſetzung der | wenn er in jenem weiten Sinne veritanden
Kunſt durch triviale Wahrheit. Mit dem | wird, der nicht bloß das Häßliche, jondern
Schönen, jagt er, jei der Welt nicht gedient, | auch das Schöne im fich ſchließt.
jeit Jahrhunderten habe ihr die Kunſt das
Schöne und Erfreuliche vorgehalten und
fie habe ich nicht befehrt; jetzt will er
ihr das Häßliche und Yafterhafte vor-
halten, das in ihr ift, vielleicht befehrt
fie fih danı. Die Menſchen, meint er,
jollen fich davor erbrechen. Bei den feiner
angelegten Lejern der Zola'ſchen Schriften |
Ein Wort in Sachen meines
Jugendbuches „Waldferien.“
Schreiben an Herren Lehrer M. R. in Wien.
Geehrter Herr!
Ta Ihre Anfrage in Betreff meines
trifft diefes Erbrehen in der That zu, | Jugendbuchs „Waldferien“ nicht vereinzelt
die Mehrzahl freut ſich deilen, dab ihr
Schmutz, ihre Later und niedrigiten Leiden:
daſteht, jo nehme ih Anlaß,
öffentlich zu beantworten,
diejelbe
950
Seit Jahren bin ich von Nolksihul- 15 Jahren, jondern für die reifere Jugend
Lehrern und Pädagogen angegangen worden,
aus meinen Schriften, die von den Kindern
gern gelejen würden, ein Buch für die
Jugend zujammenzuitellen. Die Berfäng-
lichkeit der Sache vor Augen, lieh ich
dieje Anregungen lange nicht anf mich
wirken, bis ich endlich im „Heimgarten“
berechnet, und dieſes öffentlich zu erflären,
nehme ic bier Anlaß. Daß ein Buch
für die reifere Jugend gleichzeitig auch
ein Volfsbuch jein kann und muß, liegt
in der Natur der Sadı.
Ihr jehr ergebener
P. 8. Rojegger.
die Lehrerſchaft aufforderte, mir ſelbſt
anzugeben, welche Stüde aus meinen
Schriften fih etwa für ein Jugendbuch
eignen könnten. Anjtatt bejtimmter Vor—
Ichläge famen mir immer noch neue Wünſche
auf die Herausgabe eines Jugendbuches
zu, und jo entſchloß ich mich, jelbjt ein
jolches zufammenzuftellen, und zwar aus
jenen Werfen, von denen ich wußte, daß
fie von Lehrern und Erziehern jelbit jchon
der Jugend in die Hand gegeben wurden,
oder aus denen fie diejer gelegentlich
Manches vorgelejen hatten.
Obzwar ich wußte, welches Verjtänd-
nis in gejchlechtlichen Dingen der State
hismus, die Schulbibel, die deutſchen
Kindermärcen u. j. w. den Kindern zu—
mutben, jo war ich doch in der Aus—
wahl strenge. Wo ſchon etwa von
„Liebe“ die Rede war, da juchte ich ſie
Bücher.
Meues Bud der Lieder, Von Paul
Baehr. (Halle a. d. S. Otto Hendel.)
Es ift gerade fein origineller Dichter, der
uns bier entgegentritt; wer wäre heute nod)
originell! Die es fein wollen, find es noch
am wenigften. Aber es ift ein echter Poet,
der das ewige Lied von Menjchenglüd und
Menihenleid in tiefer Empfindung und
edler Form wiederjingt. Dem tollen Haſchen
und wilden Gähren eines Theiles unſeres
Dichternachwuchſes gegenüber muthen dieje
jhlichten warmen Lieder bis in's Herz
hinein an, es iſt der traute, innige deutiche
Klang, es ift, wie wenn man nad Tönen
und Schrillen und Scallen, Paulen und
Knallen der großen Welt wieder einmal
das Klingen der Dorflirhenglode hört auf
ländlider Flur. Seinen Weibe a der
: znß Verfaſſer das Buch geweiht, gleichſam als
ſtets BR ihrer — ‚ gemitpligen, Empfangsbeftätigung des Glüdes, welches
moraliſch opferwilligen Seite zu zeigen, | eim deutiches Weib dem deutſhen Manne
damit die jungen Lejer die Liebe früher in's Haus zu bringen pflegt. Nebft dem
von der ſchönen, als von der — anderen | warmen Gemüthe ift es ein weifer Geift, der
Seite fennen lernen jollten, Freilich wird | in dem Büchlein wohnt. Einige Proben
: — ſeien uns geſtattet:
die Prüderie nie zugeben, daß ein ſolches * a ae
Jugendbuch auch nur halb jo weit gebe, gie —— = a. _ ———
als das Schulbuch, als der Naturge— a a * u EN
. 's ihr, o r mer; und Leiden
Ihichtslehrer, als der Katechet gehen | Eie ie zwei Herjen jät die Saat!
müſſen. | —* Bi jo vun wi ipiken Steinen
. F — de, bis tjweit;
Etwaige Rügen in diefem Sinne De niit e8 ihr, od Biel. —
würde ich nicht ernſt nehmen. Anders iſt Berträmmerte Gtädjeligfeit!
e3, wenn gejagt wird, daß in den „Wald-
ferien“ Manches vorfomme, wofür in
Kindern von 10 Jahren noch fein In—
|
}
Nur Dein Gewiſſen mußt Du fragen,
Dod was die Welt ipricht, achte nicht:
Sie lobt Dir’s nit, wenn im Entiagen
Das Herz Dir fHumm zuſammenbricht.
* h — Wenn Pir Pein hoſdes Liebchen.
terelle vorhanden jein kann. Das läßt jich Wenn Dir Dein holdes Lieben
in der That bejonders von der Abtheilung Fin perben Ebert geiagl,
„Ein Bater an jeinen Sohn” jagen.
Darum freut es mich, dab Sie erfannt
haben, wo der Hauptiehler des Büchlein
liegt, nämlib im Vorwort. Das Büch—
lein-„Waldferien” ift nicht, wie e3 dort |
Und Dir ein biti’res Webe
An Deinem Herzen nagt:
irrthümlich beißt, für Kinder von 10 bis)
Dann in Grinnerungen
Dein ganzes Herz verfent'
Und an die jel’'gen Stunden
Der eriten Aüſſe dent".
Das lindert bald Dein Webe,
Weib wird Dir Herz und Zinn,
Und über Deine Ecele
Weht janfter Frieden bin.
MM,
en I — — —
An meine Fran.
Nicht hofft" ich mehr auf meiner Leiden Ende,
Als mich des Lebens Sturm bat wild umtoät;
Da reichteſt Du mir liebend beide Hände
Und warft mir alles, Hofinung, Friede, Troit.
Da habe id; geflebt zum Herren der Welten,
Der mid jo namenlos dur Dich beglüdt,
Zu feanen Deine Liebe, jun dergelten,
Daf Du den Pfad mit Blüten mir gefhmiüdt.
Dem Herren Dant! Mein Frühling tehrte wieder,
Nichts gibt's, was unsre Piche heut ermißt —
O fühes Weib, Du Seele meiner Lieder,
Wie jauchzt mein Gerz. daß Du jo glüdlich bift!
Daheim.
Herzliebe, fühe Weihnachtszeit,
Du traumummob'ne Zeligfeit
Für groß und Mein!
An Waldespuft und Ammergrin
Viel bunte Kerzen hell erglühn
Mit gold'nem Schein,
Dod wer verwaidt — 0 berbes Veid,
Dem iſcheint die Welt in Trauerkleid
Gebüllt zu fein.
Die Blide Ienft er beimatwätrts,
Und doppelt fühlt er heut den ta
„Allein, allein!”
O dankt dem Herrn mit Lob —* Preis,
Die Ahr Euch dürft’ im trauten Kreis
Der Liebe weih'n.
Und ob es friert und ftiirmt und ſchneit —
O Selig, wer zur Weihnachtszeit
Daheim kann fein!
Die alte Jungfer.
O richtet nicht fo ftreng und hart,
Die einfam ftcht bienicden ;
Euch blieb der Scelenfampf eripart,
Der ihrer Bruft beichieden.
«uch hat des Lebens ſchönſten Kranz
Der Liebe Lenz gewunden,
Euch find erfüllt mit Himmelsglanz
Hold ber Frinn'rung Stunden.
Dod ihr bat ja ein berbes Los
Der Liebe Glüd vernichtet,
Auf welches Still und hoffnungslos
Für ewig fie verzichtet, —
Die Eine liebte wahr und tief,
Wie nur ein Gerz fann lieben;
Ob ihn der Tod von binnen rief,
Ihm ift fie treu geblieben.
Die And're traf das bitt're Leid,
Die Treu’ warb ihr nebroden ;
@ie aber bleibt für allezeit
Treu’, dem fie Treu’ veriprocen.
Und pflegt fie heute treu und lieb
Die ftummen Greaturen —
rennt Ahr nit in diefem Trieb
Des warmen Herzens Spuren ?
D’rum laßt den Spott, den ſcharfen Ederz
Aus Gu'rem frohen Sreiie;
Dentt, daß ber alten Aungfer Herz
Nur eine arıne Waiie.
Einem Pidter.
Nur fein einenes Leben
Zingt der Dichter im Lied;
Aus der Bruſt will er beben,
Was im Innern er Sicht.
Wie die Herzen veridieden,
Zo verſchieden der Zang;
Darum gib Dich zufrieden,
Wenn fein Go ihm klang.
In’s Grab der Liebe.
Zollt' Deine Yiebe fterben,
So feg’ id ihr in's Grab
An Lieb' und Treu’ den Glauben
Zur ew'gen Ruh hinab.
Fiedeslieder.
Oft Viebeslieder franten
An Mangel tiefer Wedanten
! Doch in zu tiefen Gedanken
| Auch oft ſchon Gefühle ertranten!
i
)
R.
| Rirhenrand — Falle Treundfdaft.
' Zwei Arbeiternovellen von Alfred Fried:
mann. (Leipzig. Ph. Reclam jun. Unis
| verjalbibliothet Nr. 2260.)
Troß der bejcheidenen Form, in welcher
dieſe beiden Erzählungen erſcheinen, bieten
diefelben einen reichen, bis zum Schluß das
Intereſſe des Lejers rege haltenden Inhalt.
Der Verfafer verfolgt darin offenbar den
Gedanken, welchen er am Schluß der zweiten
Erzählung ausfpridt: „Der Menih kann
nicht volllommen glüdlich fein, wenn nicht
jein Denten ihn glüdlih macht!“ Er will
zeigen, wie die Unzufriedenheit, die jo viel:
fah in Arbeiterkreiſen fich findet, ihren
erften Urfprung zumeift in der eigenen Un—
tücdhtigfeit und Charafterlofigfeit hat, aus
diejer erwächst das Gefühl des Neides gegen
über denen, die ein befieres Dajein ſich zu
erringen willen, und der Reid veranlaßt
das Verbrechen. Der Diebjtahl eines Kelches
in der Stephansfirde zu Wien, den der
Held der erften Erzählung begangen bat,
nur um’ eine Heine Summe zur Begrün-
dung eines Hausftandes zu gewinnen, ver:
giftet ihm fein ganzes ferneres Leben und
treibt ihn jchließlih zu graufigen Selbft:
morde; die Selbitantlagen des Gemifjens
find bier piychologiih außerordentlih fein
geihildert. Der „falſche Freund“ in der
zweiten Gejchichte bleibt zwar unentlarvt,
aber auch ihm ift das Glüd für immer
veriagt. Die Lebensanjhauung der arbei:
tenden Claſſen, vorzüglih aber das Volks—
leben, wie e3 fi am Sonntage in und um
Wien entfaltet, find vortrefflid wieder:
gegeben, ohne dab der Verfaſſer den guten
Geſchmack außer Acht läßt. V.
Einführung in das Studium der neueren
Aunftgefdihte von Dr. Alwin Schultz.
(Prag. F. Tempsly, 1887.)
Von diejen jhönen Werke, weldes in
300 Tertabbildungen und 14 Yarbendrud:
tafeln die bedeutendften Malerwerle der
neueren Seit zur Darftellung bringt, ift
eben die 17., als die Schluflieferung, er:
jchienen. Der von dem gewiegten Wejthetiler
gelieferte Text ift äußerſt überfihtlih und
inftructiv und erreiht mehr als jeinen be:
ſcheiden geftellten Jwed: Einführung in das
' Studium der neueren Kunſtgeſchichte. M.
— — — — — — — — — — — — nt — — — — —
Aus Frankreid. Bilder und Skizzen M. J. G., Rlagenfurt: Auch wir halten
von J. C. Peterſen. (Berlin. 3. Zenker. die vor flurzem eingerichteten erſten Thurm:
1887.) gloden zu Serajewo für ein jchönes Zeichen
Diefe in gutem FFeuilletonftil geichrie: | der dort ſtets ſich verbreitenden abendlän:
benen Skizzen wollen nicht eigentlid) ————— Cultur. Aber Ihr Gedicht über
zufammenhängendes, noch weniger den Ge: | diefen Gegenftand ift uns doch zu jehr
genftand erjchöpfendes Werk bilden, ge: | Plagiat von Schillers Glöde. Für eine
währen aber interefiante und wichtige Ein: | Glode ift e8 genügend, wenn fie jhön
blide in das Leben des franzöfiihen Roltes. | Hingt und nadflingt, von einem Gedichte
„Die Deutihen in Frankreich“ nennt ſich aber wird mehr verlangt.
der erſte Auffag, der den großen geiftigen R. 3., vVillach: Einem Politifer mit
und materiellen Einfluß zeigt, den die dort | dem Hauptgrundjaß, die Interejjen der
lebenden Deutjchen in Franfreih ausüben. | Arbeit zu vertreten, mögen Sie ſich
Die Feder: Zeihnungen aus der Provinz, | unbedenklich anſchließen; das ift der echt
ſowie allerlei Heiteres und Ernſtes aus voltsthumliche Standpunft und, wenn Sie
Paris geben dem Bude eine amüjante, | polen, in gewiſſem Sinne der praftijche
bunte und oft movelliftiihe Färbung und | Yutiiemitismus. .
beanſpruchen in mander Beziehung ethno: —
graphiſchen Wert. Uebrigens wird die un a. : Angenommen. Mit Dant
Sammlung den Franzojen weniger gut M. 3. 8., Brünn: Ihre frage, ob der
gefallen, als den Deutjchen. Richterſtand als folder „national oder
— vpdlierrechtlich“ fein fol, richtet ſich wohl
: von jelbft.
Poflkarten des Heimgarten. J—— Sa dan Via
X X 68 wird angelegentlichft erjucht, | erfreut, geehrt und ausgezeichnet haben,
Manujcripte erft nad vorheriger Anfrage | bejonders den Ungenannten, die mir die
einzufenden. Für unverlangt eingejchidte | Möglichkeit, perjönlih zu danfen, vorent:
Manuſcripte bürgen wir nicht. Erterne Ar: | hielten, auf diefem Wege meinen ſchönſten
beiten honoriert die Berlagshandlung nicht. | Dant. Nojegger.
Zur Barhrüdht.
Mit dem nächſten Hefte tritt der „Deimgarten“ in feinen zwölften
Jahrgang. Aus dem reihen und mannigfachen Inhalte desjelben wollen wir
nicht zu viel verrathen. Wir nennen aber bejonders die Yortjegung der
Selbfibiographie von Robert Yamerling, welche nun bei der Gegenwart ans
gelangt ift. Bon dem Herausgeber I. R. Bofegger beginnt im nächiten
Octoberhefte ein neuer großer Noman unter dem Titel: „Martin, der
Mann.“ Es dürfte das vielleicht das anmuthigſte und eigenartigfte Wert
diefes Autors fein. Aus feinen Lebenserinnerungen theilt derjelbe jchon dem—
nähft mit: „Beim Kronprinzen Nudolf* und „Unfer dreis
jähriges Gretchen“, fowie neue Schilderungen aus dem unerjchöpflichen
Volksleben, Iuftige Geſchichten, mundartliche Gedichte und Schwänte.
Friedrich Schlögl, Karl Morre, Hans Grasberger, Hans Malfer,
Friedrich Rottenbacher, E. 3. Freunthaller, 3. Peter, 2. Hörmann und viele
Andere werden auf das Belle dazu beitragen, die Gediegenheit unferes
„Heimgarten“ ſtets zu erhöhen.
Materieller Vortheil ift bei diefem Blatte nicht angeftrebt und nicht
zu ſuchen. Großer Lohn ift uns die Anerkennung, welcher der Tendenz des
„Heimgarten*: Ohne Scheu und Reu' dem Volke treu! in fo
hohem Grade zu Theil geworden.
Die Berlagshandlung.
Für die Nedaction verantwortlib P. A. Wofegger. — Druderei „Leyfam* in Graz.
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