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Full text of "Deutsche Geschichte vom Tode Friedrichs d. Gr. bis zur Auflösung des alten Reiches"

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Deutsche 
—AXUVUII 
—X 
Friedrichs d. 


Gr. bis zur ... 





Karl Theodor von 
Heigel 











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Bibliothek 


Deukſcher Geſchichte 


unter Mitwirkung von 


D. Gutſche, W. Schultze, E. Mühlbacher, M. Manitius, 
J. Jaſtrow, G. Winter, Th. Lindner, V. v. Kraus, G. Egelhaaf, 
M. Ritter, R. Koſer, K. Th. Heigel 


herausgegeben von 


H. v. Zwiedineck-Südenhorſt. 





ſStuttgart 1899. 


3. G. Cotta'ſche Buchhandlung Nachfolger 
G. m. b. G. 


Deulſche Geſchichte 


vom Tode Friedrichs d. Gr. bis zur Aufföfung des alten Reiches 


Von 


K. Ch. Heigel. 


Erſter Band. 


Vom Tode Friedrichs d. Gr. bis zum Feldzug in der Champagne. 
(1786— 1792.) 





ORTE 


Stuttgart 1899. 


3. 6. Sotta’fhe Buhbandlung Nachfolger 
G. m. b. G. 


AMeR echfe vorbehalten. 





Drucd der Union Deutliche Verlag⸗gelellſchaft in Stuttgari. 


Worrede. 


Das deutſche Volk darf fih Glüd wünſchen, daß ihm ein fo wichtiger Ab: 
Ichnitt feiner Gejhichte, wie die Zeit vom Tode Friedrich des Großen bis zur 
Gründung des deutichen Bundes, von zwei Meiftern, Häuffer und Sybel, ge: 
Ichildert worden it. So reih an wichtigen Begebenheiten, an Ummälzungen, 
die mit der Revolution in Franfreih begannen, aber nicht endbigten und nad) 
einem Jahrhundert noch nachwirken, jo furchtbar und fruchtbar war jene Zeit, 
daß ſchon im Jahre 1811 ein beuticher Schriftfteller, Karl Reihard, in jeinen 
„Modernen Biographien“ ohne Uebertreibung jagen konnte: „Die zwanzig Jahre 
feit dem Ausbruch der Revolution verdienten um ihrer großen, ſich gewaltjam 
häufenden Begebenheiten willen den Namen eines Jahrhunderts.” 

Für Deutfchland bradten jene Jahre das ſchwerſte Verhängnis, Kriegs- 
unglüd, Fremdherrſchaft, den Zufammenbrud des Neiches, dann aber auch das 
Herrlichſte, den fiegreihen Kampf des Volkes um feine höchſten Güter. Diefe 
wechfelvolle und lehrreihe Gejhichte von der’ Demütigung und Wiedergeburt der 
deutſchen Nation haben die genannten Gelehrten, die beide mit ftaatsmänniicher 
Einfiht den ftillen Geift des Forſchers verbanden, in unübertreffliher Weiſe ge: 
ſchrieben. 

Mit folheh Meiſtern in Wettbewerb zu treten, erſchien mir, als ich den 
Auftrag erhielt, den erften Teil des nämlichen Zeitabfchnittes für die „Bibliothek 
deutſcher Geſchichte“ zu behandeln, von vornherein unmöglich; ich fonnte nur an 
eine Nachlefe denken und für meine Darftelung nur einige Teilnahme erhoffen, 


9% 5011.09 


VI Vorrede. 


indem ich meine Aufgabe von einem anderen Geſichtspunkte als meine großen Vor— 
gänger auffaßte und das Wiſſen von jenen Ereigniſſen durch Aufſchluß neuer 
Quellen bereicherte. 

Ich habe mich beſtrebt, mehr Reichsgeſchichte zu geben. Freilich iſt es 
dankbarer, ſich auf die Politik der zwei größten deutſchen Staaten zu beſchränken. 
Die Wandlungen, wie ſich dieſe beiden Mächte einander nähern, ſich abſtoßen 
und dieſes Schauſpiel ſich immer wiederholt, iſt in allen Lagen intereſſant. Nur 
möchte ich mich gegen eine Art teleologiſcher Geſchichtsbetrachtung mancher 
Schriftſteller verwahren, als hätten der große Kurfürſt und Friedrich IL. bei ihren 
Entihlüffen auch ſchon die Schlachten bei Königgräß und Sedan vorhergejehen 
und vorausbedadit. 

Die Arhivalien über die Reihsangelegenheiten, z. B. über die Kaifer: 
wahlen jenes Zeitalter, waren vor mir faum von anderen Forjchern zur Hand 
genommen worben; ich hoffe alſo wenigjtens nach diefer Richtung eine Lüde aus- 
gefüllt zu haben. Aus dem nämlichen Grunde, weil Sybel und Häuffer nur 
flüchtig darüber hinweggingen, behandelte ich manche Ereigniffe, 3. B. den Auf: 
itand in den Niederlanden, den Krieg in Holland u. a. ausführlid,, während ich 
über ſolche, die Hinlänglich beleuchtet worden und allgemein befannt find, mid) 
fürzer faßte. 

Bon erjchöpfender Ausbeutung des Uuellenftoffes kann natürlich nicht die 
Rede fein; daran ift bei neuerer Gefhichte überhaupt nicht zu denken. Allein 
ih darf wohl behaupten, daß ich wenigjtens den größten Teil der auf bie 
politiijhen Vorgänge bezüglihen Urkunden mit redlihem Bemühen durchforjcht 
babe, um daraus ein umfafjendes, treues Bild der Ereigniffe und Zuftände zu 
gewinnen. Der in den Wiener Archiven gelagerte Quellenftoff ift in Vivenots 
Werk der Deffentlichkeit übergeben. In preußifchen und bairiſchen Archiven habe 
ich die einschlägigen Akten und Briefihaften jelber durchgejehen, wenigitens etwas 
genauer, als es meinen Vorgängern möglid war. Auf mande Begebenheit 
fällt demzufolge in meiner Darftellung mehr Licht, und ich darf jagen, auf manche 
ein neues Licht. 

Freilich, vorfihtige Behandlung ift auch bei diefen Quellen erften Ranges 
geboten. Einer, der's am beften willen mußte, Bismard, äußert ſich jehr arg: 
wöhnifch über die Benügung der Gefandtichaftspapiere durch die Hiſtoriker: „Die 
Depeſchen und Briefe find, auch wo fie einmal etwas enthalten, denjenigen, welche 


Borrebe. VII 


die Perſonen und Verhältniſſe nicht kennen, nicht verſtändlich; wer weiß da nach 
30 Jahren, was der Schreiber ſelbſt für ein Mann war, wie er die Dinge an— 
ſah, wie er ſie ſeiner Individualität nach darſtellte“ u. ſ. w. Die Schwierigkeit, 
ſich dieſe Fragen zu beantworten, liegt auf der Hand, doch der redliche und 
Eritiiche Forſcher wird fich Schließlich doch über die Perſönlichkeit des Verfaſſers 
und den Wert feiner Berichte Har werden. In zweifelhaften Fällen hat er ja 
für die Gefchichte neuerer Zeit ein riefiges gedrudtes Material zur Kontrolle vor 
fich, zeitgenöffiiche Berichte und Neußerungen aller Art, die zwar nicht amtlich, 
aber trotzdem umb zuweilen eben deshalb vollwichtige Zeugniffe find. „Der 
Hauptdienft,” jagt Taine, „den die litterariihen Schriften dem Hiftorifer ermeifen, 
befteht darin, daß fie ihm die erlofchenen Gefühle vor Augen führen.“ Aber 
nicht nur dem Geſchichtſchreiber, auch feinen Leſern vermitteln die Stimmen der 
Zeit das leichtere Verftändnis diefer Zeit. Deshalb Ihöpfte ich aus der Litteratur 
jener Tage reichlicher als meine Vorgänger. 

Die politifhe Geſchichte war mir wie billig das Wichtigfte, doch bemühte 
ih mich auch nachzuweiſen, wie über dieſe wechſelnden Ereigniffe damals in den 
verſchiedenen Volkskreiſen gedacht wurde; insbejondere juchte ich darzulegen, wie 
fih der Eindrud der franzöfifhen Revolution auf den deutichen Volksgeiſt mit 
ihrem Fortfchreiten veränderte, An fich wertloje Erzeugniffe der damaligen Tages: 
litteratur waren für diefen Zwed jehr jchägbar, denn ſolche Flugblätter und 
Zeierfaftenverje brüden nicht jelten gerade die Stimmung und Gefinnung der 
großen Mehrheit aus. 

Bon unferer Haffiichen Litteratur, überhaupt von Kunft und Wiſſenſchaft, 
Handel und Gewerbe und dem Einfluß der politifchen Ereigniffe auf fie joll im 
zweiten Teil noch ausführlicher die Rede jein. Wer das Gefamtleben einer 
Nation auch nur während einer Spanne Zeit zu ſchildern hat, muß freilich alles 
übergehen, was nicht für das Ganze harakteriftiich, Fein Wahrzeichen der Zeit 
oder Saat für die Zuhmft iſt. 

Gerade der Abjchnitt der Weltgeichichte, den ich zu behandeln hatte, ift 
wie faum ein anderer je nach der Barteien Gunft und Haß verjchiebenartig be- 
urteilt worden. Wie leidenfhaftlih z. B. ftritten ſich die Hiftorifer über den 
Uriprung der Revolutionskriege! Ich gab mir Mühe, ftreng fachlich zu ſchildern. 
Allein das Unterbewußtjein, die Liebe zur engeren Heimat und zu den 
Stammesgenofjen wird die Arbeit auch des unparteiifchiten Forſchers beeinflufen. 


VII Borrede. 


Und bei allem Streben nad Objektivität — jein Gewiſſen fann er nicht, fol 
er nit unterbrüden! Er wird immer cum studio und mandmal cum ira 
ichreiben müffen. 

Um dem Lejer die Kontrolle meiner Darftellung zu ermöglichen, glaubte 
ih von Angabe der Beweisftellen in Anmerkungen nicht abjehen zu dürfen; im 
übrigen nahm ich von gelehrtem Beiwerk Umgang; kritifche Erörterungen wurden 
nur in den wichtigften Fällen aufgenommen, ſonſt beichränfte ich mich darauf, 
zu erzählen, „wie es geſchehen ift”. 


R. Th. Beigel. 


Inbaltsverzeidnis. 





GErſtes Bud. 
Dom Bode Friedrihs des Großen bis zum Verkrag von Reichenbach. 
1786 bis 1790, 


Griter as mitt . 





e I” das deutiche Volf 4-28. 













weiter Me 2958 
IH. 29—58. 
Dritter Abſchnitt 
Der Thronwechjel in Preußen. Die deutihen Mittel: und Kleinſtaaten 59—116. 
Bierter Abichnitt. . . . . - . . . 117-150 
Der Aufftand in den — — — — 117-130. Der Kampf 
zwiſchen der oranifhen und der patriotifchen Partei in Holland und die 
preufifche intervention 131—150. 


Fünfter Abichnitt 151—178 





Die europäiiche Inge 1 im Jahre 1737 511 34. Eriebeih Wipelm IT. und 
die Öffentliche Meinung 155 — 160. Graf Herkberg 151—162. Kaifer Joſeph 11. 





und die orientaliihe Trage 162 — 168. 





Der Türfentrieg von 1788 169—172. 





er ee ee» 179-216 
Preußen und die Rurie 179182. Das Miederaufleben des Nuntiaturftreites 
1+3—184. Das Projekt einer römifhen Königswahl 185--186. Irrungen 








X Inhaltsverzeichnis. 





Achter Abſchnitt. Be a en ee 
Zeopolb in Tosfana 239246. Die Uebernahme der Regierung in den 
öfterreihifchen Erblanden 247 250. Annäherung an Preußen 251—258. 
Vorbereitungen zur Kaiferwahl 259— 260. Der Reichenbacher Vertrag 261—270. 


Zweites Bud. 


Vom Abſchluß des Reichenbacher Derfrages bis zum Feldzug in der Champagne. 





Erjter Abſchnitt . DEE 
Die franzöfifche Revotution und der deut F vü⸗ eiſt 273—326. 





urückeroberung der —— en ; Niederlande — — 2 


der Ruhe in den Erblanden 343— 346. Der Wahltag in Frankfurt 347—356. 


Die Kaiferwahl und die öffentlihe Meinung 357—358. Das Projeft einer 





Wahl des Erzherzogs Franz zum römiſchen König 359—360, Wahl und 
Krönung Leopolds 11. 361— 366. Das Ende des Lütticher Streites 367 — 374. 





Neue Spannung zwiſchen Defterreih und Preußen 375—377. 


DE Eu ——— 
Preußen und Polen 378—382. Der Kongreß in Eiftowa 383— 354. Der 
Stantäftreich in Polen 385— 390. Preußen und Defterreich und die franzöfi 

Revolution 3I0—391. Der Kongreß in Siftoma 391—392. Leopold 11, 


und bie franzöfifhe Revolution 393—397. _Friedrih Wilhelm 11. und die 
franzöfifche Nevolution 397—398. Biſchoffswerder und Herkberg 399 — 405. 


Leopold 11. und die franzöfifche Revolution 405—406. Bifchofiswerder und 
Hergberg 406—408. Leopold I]. und die franzöfifhe Kevolution 408—413. 


Die Vereinigung von Ansbach und Baireuth mit Preußen 413—417. Der 


über die Rechte der Neihsfürften im Elfaß 417—419. 


Die Emigranten in Deutſchland 419—423. Leopold II. und die franzöfifche 


Revolution 423—426. Aranfreih und die europäifhen Mädte 426-432, 


















Vierter Ab mitt en nn. 449-574 





Marie Antoinette und bie Parteien in Franlreich 463—468. — über 
die franzöſiſche Revolution 468 470. Wachſende Kriegsgefahr 471—489. 


zolen und die deutſchen Mächte 489 — 495. Franfreih und Preußen 495 —500. 
Bundesvertrag zwiſchen Deſterreich und Preußen 501—506. Tod Leopolds 11. 
507 —514. Die i i 515—532. Der firien und das 





Deutihe Reih 533—545. Der Mahitag in Frankfurt 545—554. Der 
ürftenfongrek zu Mainz 554—556. Der Krieg und das Deutſche Neid) 


556568. Vreufen und Bolen 568574. 





Erlies Bud. 


Dom Tode Friedrihs des Großen bis zum Vertrag von Reichenbach. 
1786 bis 1790. 


Heigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Trriedrihs d. Gr. bi zur Auflöjung des beutichen Reichs. 1 


Erfter Abfchnitt. 


Friedrid; der Große und das deukſche Polk, 


jchnitte. Von dem erjten Einmarſch preußifcher Truppen in Sclefien bis 

zum Hubertusburger Frieden, der ihm den Gewinn der neuen Provinz 
fiherte, hielt er mit nur zehnjähriger Unterbrechung durch friegerifhe Thaten ohne 
gleichen die Welt in Atem; während der folgenden dreiundzwanzig Jahre war er ein 
riedensfürft in der volliten und jhönften Bedeutung des Wortes. Wie er den 
Wohlſtand feines Staates hob und ficher ftellte, wie er die verjchiedenen Stämme 
zu einer einzigen, jelbjtbewußten Nation erzog, it gewiß nicht weniger bewunderns⸗ 
wert als das Werf des Feldherrn. Die Mehrheit der Zeitgenofien urteilte frei: 
(ih anders. Ihnen jchien die geräufchlofe Thätigfeit ein Ausruben, der Ber: 
ziht auf perjfönlihen Ruhm zu Guniten der allgemeinen Wohlfahrt ein Nach: 
lajjen der geiftigen Kraft zu fein. Denn der Lärm und die Wechſelfälle des 
Krieges allein halten die jtumpfe Menge in Spannung, und fie ift von jeher 
gewohnt, die Größe eines Fürften einzig nad feinen ſoldatiſchen Erfolgen zu \ 
mejlen. Der Siege von Torgau, Roßbach und Yeuthen ſich erinnernd, wollte 
man nicht begreifen, daß der Held im böhmischen „Kartoffelfrieg” jo vorfichtig 
feine Soldaten und feinen Kriegsruhm jchonte. 

Uebrigens war Friedrich in der That ein anderer geworden. Nur nicht 
ein Schwäderer. Die jeeliihen Erjhütterungen und das Mühſal der fchlefi: 
ihen Kriege hatten ihn vor der Zeit gealtert. Was von Schwärmerei, Füg: 
jamfeit und Weichheit in ihm gewejen war, wurde von jeiner hervorragenden 
Eigenſchaft, Thatkraft, aufgefogen. Er war jtreng, ftarr, eigenwillig geworben. 
Die Welterfahrung machte ihn zum Menjchenverädter. Es gab nichts Großes 
mehr für ihn als die Pflicht. Seine Geringihägung des Menſchen hielt ihn 
nicht ab, der Menjchheit zu nügen. Ein wahrhaft leivenfchaftliher Arbeitstrieb 
verband ſich noch immer mit einer unverwüjtlichen Arbeitskraft. „Es ift nicht 
nötig, daß ich lebe, wohl aber, daß ih handle.” In Einrihtung und Ber: 
waltung des Staates däuchte ihm nichts unter feiner Würde, nichts außerhalb 


D Regierung Friedrichs II. zerfällt in zwei zeitlich völlig gleiche Ab— 


4 Erſtes Bud. Erfter Abſchnitt. 


feiner Königspfliht. Er hielt die Regelung der großen Wafjerjtraßen ficherlich 
für wichtiger als die Pflafterung eines Aderftädthens, doc er jorgte für die 
eine wie die andere mit der gleihen Aufmerfjamfeit und Strenge. 

Die Aufgabe, die der König nad dem Friedensſchluſſe vor ſich ſah, würde 
einen Fürften von glänzenden Geiftesgaben, aber ſchwachem Willen in Verzweif: 
lung geftürzt haben. 

Das Land war vermwüftet, die Bevölkerung vermindert und verarmt, bie 
gejeglihe Ordnung gelodert. Günstig für Friedrich war der einzige Umftand, 
daß in der eroberten Provinz feine Anhänger gegen die Mißvergnügten eine 
erbrüdende Mehrheit bildeten. An der Einnahme der Stadt Schweidnig durch 
Laudon 3. B. mag böjer Wille mitgeholfen haben, doch der Fall Warkotſch, 
diejes gegen den König ſelbſt gerichtete Internehmen, mißglüdte und blieb ver: 
einzel. Nah den Opfern des Krieges jedoch war Friedrich der jchlefiichen 
Bevölkerung doppelt fiher, denn „der menſchlichen Natur ift es gemäß, fi 
durh das Gute, was man anderen erzeigt, ebenfo ſehr zu verbinden, wie 
durh das, was man empfängt” (Machiavelli). Immerhin ift es Faum zu 
viel gejagt, daß die Aufgabe des Königs die Gründung eines neuen 
Staates war. 

Die erfte, die größte Sorge war die wirtichaftlihe. Da jedoch fein 
blühender Aderbau möglih ift ohne blühenden Gewerbefleiß und umgekehrt, 
galt es Neuerungen, Erziehung, Anregung und Berfude in allen Zweigen. 
„Die Arbeit des Königs für Landeskultur und Landbau — urteilt ein Ken: 
ner!) — ift nicht frei von einzelnen Lücken, Mißgriffen und inneren Wider: 
ſprüchen. Nichtsdeſtoweniger bildet fie in ihrer Gejamtheit noch einen reichen 
und wohlgegliederten Organismus, in weldhem eine Funktion die andere fördert, 
feine ohne Bedeutung für die Entwidelung des Staates ilt. Keine Regierung 
eines andren Landes entfaltete damals eine jolhe Summe raftlofer Thätigfeit 
für den einen Kulturzweck.“ 

Erziehung, Bildung ift aber nicht immer die Frucht der Freiheit. Wenn 
Friedrih die Seinen unter Umftänden zur Wahrnehmung ihres Vorteils zwang 
und feinen Wideritand duldete, befand er fich im Rechte des Erziehers. 

Sagen wir ohne Umſchreibung: Friedrih beanſpruchte für fih abjolute 
Macht „ohne Gegengewicht und ohne Kontrole,” und er war unbejchräntter 
Herr in feinem Reiche. Dies nun ift der heifle Puntt. 

Die Mehrzahl der Bücher über die Großen und Größen der Geſchichte 
find, was im Zeitungsftil „offiziös” genannt wird; daneben aber behauptet ſich 
die öffentlihe Meinung, die oft ganz anders lautet. Die „öffentlide Meinung” 
ift das, was man ſich über Menjhen und Ereigniffe unter vier Augen jagt. 
In diefen ungebrudten Dialogen über Friedrich fommt heute noch und immer 
wieder der Gegenſatz zur Sprache, der zwiichen ben Staatslehren und den Staats: 
handlungen bes großen Monarchen befteht. Man beruft fich dabei namentlich 
auf den Antimacdiavell. „Antimachiavel ou Examen du prince de Machiavel*, 
1739 geichrieben, das Buch eines Kronprinzen! Ein Thronfolger hat nur Ziele. 


!) Stadelmann, Preußens Könige und ihre Thätigleit für die Landeskultur, II, 237. 


Friedrich der Große und das beutfche Volk. 5 


Wenn er von lebhaftem Geifte ift und warm empfindet, wird er fich diefelben 
jo weit wie möglich fteden und bie freifinnigfte Regierung für die wünſchens— 
werte halten. Auf den Thron gelangt, wird er, muß er mit den gegebenen 
Berhältnifien rechnen. Widrige Winde und Wolfen zwingen ihn, zu freuzen; er 
wird auch zeitweilig verſchlagen. Weil er den Kurs ändert, jcheint er der Welt 
ein anderer. Aber welcher Staatsmann, der am Ruder ftand, ift jemals in ge 
rader Yinie zum Ziel gelangt? 

Ueber das Ziel war fi Friedrich völlig klar. „Nicht zum Vergnügen,” 
ſchreibt er an Voltaire, „nicht zur Prunkſtellung, ſondern nur zur Arbeit ift ber 
Fürft an die Spige des Staates geſtellt; er hat die Pflicht, feine Unterthanen 
glüdlih zu machen . . . Der Fürft verhält Tich zum Volf, wie das Herz zu 
dem mechaniſchen Bau unjeres Körpers. Das Herz befommt Blut aus allen 
Gliedern des Körpers und treibt es wieder bis zu den äußerften Teilen bin; 
der Fürft empfängt von jeinen Unterthanen Treue und Gehorfam und gibt 
ihnen dafür Wohlftand, Ueberfluß, Ruhe, überhaupt alles, was zum Beiten und 
zum Fortſchritt der Gefellihaft beitragen fann.“ „Der Fürft ift der Vormund 
des Volks,“ jagt er ein andermal (Antimadiavell). „Des Fürften Intereſſe ift 
ſchlechtweg eins mit der Wohlfahrt des Staats“ (Essai sur les formes du gou- 
vernement). „Wenn die monarchiſche Negierungsform den Vorzug vor der 
republifaniichen haben jol,” jagt er im Buch von der Regierungstunft, „jo muß 
der Souverän alle jeine Kräfte aufbieten, um die Stellung aud auszufüllen, in 
welche er geſetzt iſt; . . . er muß fürs Ganze ſehen, denfen, handeln!” Den 
„eriten Diener” des Staats nannte er fi, und das war bei ihm nicht wie bei 
mandem anderen eine Redensart: bis zum legten Atemzug ftellte er jeine ganze 
Kraft in den Dienft des Vaterlandes. Noch auf dem Sterbebette empfahl er 
jeinem Nachfolger als erften Grundſatz, nit an den perſönlichen Vorteil, ſon— 
dern immer nur an das Wohl des Landes zu denfen. So hatte er am Bor: 
abend der Schladht bei Rosbach feine Minifter ſchwören laſſen, daß fie, falls er 
in die Hände des Feindes geriete, den Krieg für das Vaterland fortführen 
jollten, „als ob er gar nicht auf der Welt geweſen wäre”. Wie anders bei 
Napoleon J., für den der Staat nie etwas anderes war, als er ſelbſt! Dieje 
Pflichttreue, dieſe herbe Selbitverleugnung, diefe immer jtramme Bevorzugung 
des „Dienftes” wurden denn auch von Freund und Feind anerfannt und be: 
wundert. Sogar Marie Antoinette, die dem Eroberer Echlefiens nie verzeihen 
fonnte, daß er ihre Mutter gedemütigt hatte, ließ dem Sterbenden Gerechtigkeit 
widerfahren. „Uns bat er viel Böfes zugefügt,“ fchrieb fie an ihre Schweiter 
Chriftine, „für die übrige Welt ift er ein Störenfried, für fein eigenes Land 
aber war er ein König.” Napoleon I. rühmte gegenüber Frau von Remuſat, 
der alte ri jei einer von den Regenten gemwejen, die ihr Handwerk am beiten 
verftanden. Und doc läßt fich erſt heute, da einige dreißig Bände von Fried: 
richs „politifcher Korrejpondenz” vorliegen, da auch Taufende von Entſchließungen 
aus allen Gebieten der Staatsverwaltung befannt gemadt find, der rechte Be: 
griff von Mannigfaltigfeit, Schärfe und Tiefe diejes jeltenen Genius ge: 
winnen. 

Im Antimachiavell hatte der Kronprinz Friedrih den engliſchen Konſtitu— 


6 Erfted Bud. Erfter Abſchnitt. 


tionalismus gepriefen, die Staatsform, die das Parlament zum Schiedsrichter 
der Könige mache und dem Fürften alle Macht gebe, Gutes zu thun, alle Macht, 
Schlimmes zu thun, entziehe. Aber die Erkenntnis der beiten Staatsform ift 
noch fein zulänglider Grund zu ihrer Einführung. „Es find Brandenburger,” 
fagte er jelbft fpäter, „und feine Engländer!” Ueberdies machte der Tod des 
Kaifers allen Theorien ein Ende. „Diejer Todesfall” fchreibt Friedrich an Vol— 
taire „zeritört alle meine friedlichen Gedanken. ch glaube, im Monat Juni 
wird es mehr auf Pulver, Soldaten und Trandeen anfommen als auf Schau: 
fpielerinnen, Balletts und Schaufpiele... Ich bin Ihnen fehr dankbar dafür, 
daß Sie den Drud des Antimachiavel beendet haben. Augenblidlih kann ich 
nit daran arbeiten, da ich mit Geſchäften überhäuft bin.“ Und an Podewils 
ſchreibt er: „Lieber Podemils, ich habe den zum Marſche beitimmten Regimen: 
tern befohlen, Pferde anzufaufen und ſich marfhfertig zu halten” .... Ein 
Trompetenftog im Mittagszauber einer Sommerlandfhaft! Der Ruf zu den 
Waffen war verhängnisvol. Er riß die überraſchten, widermwilligen Völker in 
lange blutige Kämpfe. Nichtsdeftoweniger war er Deutſchlands Wederuf und 
Morgenbotſchaft ... 

Dreiundzwanzig Jahre regierte dann Friedrich, wie wir eingangs erwähnt 
haben, unter dem Zeichen des Krieges, denn die Pauſe nach dem Dresdener 
Frieden war nur die Stille vor neuem Gewitter. Preußen, ein kleines Eiland 
in einer unheimlich bewegten, dumpfgrollenden See! Er und ſeine fünf Mil— 
lionen Unterthanen hatten hundert Millionen gegen ſich; der Einzelne gegen die 
Welt! Und er iſt, der Einzige! nicht unterlegen. Er wurde geſchlagen, nie be— 
ſiegt. Er ſog Kraft aus dem Unglück. Friedrich der Kühne wurde Friedrich 
der Große. 

Ein Reich, in dem ſieben Jahre lang die Panduren hauſten, hat zunächſt 
andere Bedürfniſſe, als eine Verfaſſung. So blieben denn auch in der neuen 
Aera die alten Regierungsgrundſätze maßgebend. Alles für das Volk, nichts 
durch das Volk. Er ſelbſt weiſt die Plätze in ſeinem Staate an, er entſcheidet, 
was für ein Amt einem jeden angemeſſen iſt. Im Adel erblickt er — nach 
ſeinem eigenen Ausdruck — eine Brutanſtalt tüchtiger Offiziere. Deshalb be— 
günſtigt er ihn auf jegliche Weiſe und duldet nicht, daß Edelgüter an Bürger: 
liche übergehen. Das Landvolf ift dazu da, die Erde zu bearbeiten und Sol: 
daten zu liefern; deshalb duldet er nicht, daß ein Bauer auswandert oder einem 
andern Ermwerbszweig fich zuwendet. Er läßt ſächſiſche Schullehrer fommen, da: 
mit feine brandenburgiihen Bauern bejier unterrichtet werden, zieht aber für 
diefe Bildung jehr enge Grenzen, — nur was das praftifhe Bedürfnis erheiicht, 
braudhe der gemeine Mann zu willen. „Aufklärung ift ein Himmelslicht für 
diejenigen, welche auf der Höhe jtehen, ein verzehrender Feuerbrand für bie 
große Menge!“ Das Volk fol jo geartet und gebildet und ausgerüftet fein, 
wie er es will, joll um feinen Fürften gejchart fein, wie ein Armeeforps um 
feinen Führer; das Volk fol eine Majchine fein, an welcher alles Räderwerf, 
der Fürft allein Motor; das Volk fol gehorchen, entweder mit Verftändnis für 
die beſſere Einfiht des Oberhauptes oder in ſtummer Ergebenheit. 

Harte Grundjäge, nad denen er auch unerbittlich verfuhr! Aber hatte er 


Friedrich der Große und das deutſche Volk. 7 


nicht eben dieſem ſtraffen, dennoch patriarchaliſchen Regiment ſeinen wunder— 
ähnlichen Erfolg zu danken gehabt? Und trotz dieſes echt altpreußiſchen Geiſtes 
im neuen Staat waren Friedrichs Arbeit und Erfolg Frucht für das geſamte 
deutſche Volk. 

Bei der allgemeinen Herabſtimmung des Nationalgefühls waren ſich die 
Deutſchen kaum bewußt geworden, daß Friedrichs Siege in einem Bruderkrieg 
erfochten wurden. Der religiöſe Gedanke war in den Völkern nicht mehr ſo 
mächtig, daß fie die Waffengänge in Schleſien und Böhmen als einen Religions: 
frieg auffaßten,, troßdem man es in ben leitenden Kreiſen — katholiſchen wie 
proteftantifhen — verfuchte, fie als Kämpfe um den Glauben darzuftellen. So 
nahmen benn viele auch im feindlihen Lager herzlihen Anteil an ben über: 
rajhenden Erfolgen eines Fürften, der feinen jungen Staat gegen eine Welt in 
Waffen verteidigte. Auch im deutſchen Süden, deijen Söhne in den Regimen— 
tern der „Reichſtruppen“ ftanden, freute man fich über Roßbah und gönnte 
den Franzofen, die ſich jeit einem Jahrhundert als die Herren bes beutjchen 
Reichs aufipielten, die empfindlihe Züchtigung. Es ilt eine längft anerkannte 
Thatjahe, daß Friedrihs Sieg bei Roßbach am meiften dazu beigetragen hat, / 
den ſchädlich ausgearteten Einfluß der Franzofen zu brechen. Der bdeutiche 
Nationalitolz wachte wieder auf, und bamit wieder der Mut und der Drang zu 
jelbftändiger nationaler Schöpfung, fo daß mit Recht Roßbach als die Hippofrene 
der Deutſchen gefeiert warb. Deshalb fteht der fiebenjährige Krieg am Eingang | 
des goldenen Zeitalter unferer Litteratur, wie die Perferfriege am Eingang v 
der Berifleifhen Zeit. Kein anderer hat diefe mächtige Wirkung der Thaten 
Friedrichs beredter gefchildert als Macaulay, der jonft jo abfällig über unferen 
Helden urteilt. „Die Nachricht von der Schlacht bei Roßbach erregte die Ge- 
müter der ganzen ungeheuren Bevölferungsmenge von den Alpen bis zum bal: 
tiihen Meere und von den kurländiſchen Grenzen bis zu denen von Lothringen. 
Weitfalen und Niederfahien waren überſchwemmt gewejen von einem Heer 
frember Eindringlinge, die eine unverftändlihe Sprade redeten und deren mut: 
willige und zügellofe Sitten die ſtärkſten Gefühle von Widerwillen und Haß 
erregt hatten. Jenes große Heer war nun in bie Flucht gejchlagen von einer 
Heinen Schar deutſcher Krieger, unter der Führung eines Fürften, der väter: 
licher: und mütterlicherfeits aus deutſchem Blute ftammte und deſſen blonbes 
Haar und deſſen klares blaues Auge ihn ala Germanen verfündeten. Geit ber 
Auflöfung von Karls des Großen Reich hatte die germaniſche Raſſe noch nie 
einen jolhen Sieg über die Franzofen gewonnen. Die Kunde davon rief einen 
Sturm der Freude und bes Stolzes hervor in der ganzen großen Völferfamilie, 
welche in den verſchiedenen Mundarten der alten Sprache des Arminius redete. 
Friedrihs Ruhm begann einigermaßen den Mangel einer gemeinjamen Regie: 
rung und einer gemeinfamen Hauptftadt zu erfegen. Er wurde ein einigender / 
Mittelpunft für. alle echten Deutichen, ein Gegenftand wechleljeitiger Beglüd: 
wünſchung für den Baier wie für den Weltfalen, für den Bürger von Frankfurt 
wie für den von Nürnberg. Damals erſt wurde es offenbar, daß die Deutſchen 
wirklich eine Nation waren. Damals zeigten fi die erften Spuren jenes patrio- 
tiſchen Geiftes, weldher 1813 die große Befreiung Mitteleuropas vollbradte und 


8 Erſtes Buch. Erſter Abſchnitt. 


welcher noch heute die alte Freiheit des Rheins gegen fremden Ehrgeiz behütet 
und noch lange behüten wird.“ Nicht Preußen und den Preußen wandte ſich 
die Sympathie des deutſchen Volkes zu: nur dem König galt die Bewunderung. 
Goethe hat dafür den treffenden Ausdruck getroffen: das Volk war „fritziſch“ 
geſinnt. „Denn was ging uns Preußen an? Es war die Perſönlichkeit des 
großen Königs, die auf alle Gemüter wirkte!“ Unter den Geſchichtsforſchern 
dürfte der Badenſer Ernſt Poſſelt der erſte geweſen fein, der von der Trag— 
weite des preußiſchen Sieges die volle Erkenntnis beſaß und ihr begeiſter— 
ten, ja überſchwänglichen Ausdruck gab: „Du Erſter unter den Helden! 
Was war Europa vor Dir? Während die Bourbonen an den zarten Brüſten 
ihrer Weiber und die Oeſterreicher mit dem Roſenkranz ſpielten, machten ihre 
Condés und Eugens den Erdkreis zittern. Außer ihnen galt etwa nur noch 
England. Die übrigen Majeſtäten blähten ſich unter ihrem Hofgeſinde oder 
wurden von jenen Uebermächtigen im Fall der Noth als Lückbüßer gebraucht. 
Portugal ließ Ketzer braten, Holland fraß ſeine Staatsmänner, und ſelbſt 
Preußen ſchlug ſich wie ein braver Degen nur für fremden Vorteil herum. 
Verſchüttet im Gewühl ungeheurer Abſichten und kleinlicher Mittel lag alle wahre 
Staatskunſt. Du kamſt, da ward es Tag und da lernte das Volk ſeinen Werth 
und die Majeſtät ihre Pflicht; da thaten deine Donner bey Roßbach und bey 
Liſſa den Uebermächtigen die große Lehre kund, daß in dem Geiſt und in dem 
Herzen eines Mannes die Kraft von Heeren liegen kann; da entſtand der 
Pariſer und Hubertusburger Frieden, entſtanden Joſephs Reifen, Guſtavs Königss 
reden, Ludwigs XVI. états généraux und Achtung des Bauernſtandes und Sieg 
des erworbenen Verdienſtes über das Geerbte und Denkfreyheit und Preß— 
freyheit; da war der Begeiſterung fürder kein Flug, der Weisheit keine Tiefe 
gefährlich; da wurde unbeſorgt und unbeſtraft unter deinen Augen geſchrieben 
wider dich — und du lächelteſt und freuteſt dich, daß dir dein großes Werk 
gelungen ſei, du Schöpfer deines Zeitalters!“ — Wie die große Perſönlichkeit 
des Königs auf andere größere Geiſter wirkte, zeigt Leſſings Beiſpiel. Sein 
höchſtes Ziel ſei eine Anſtellung in preußiſchen Dienſten, ſchreibt er 1757 an 
Gleim, damit er nicht länger nötig habe, ſeinen Bekannten nur ins Ohr ſagen 
zu dürfen, daß der König von Preußen dennoch ein großer König ſei. Die 
kriegeriſchen welterſchütternden Ereigniſſe bilden den Hintergrund des heiteren 
Bühnenſpiels, deſſen Verwickelungen jo einfach, deſſen Geſtalten gleichwohl un— 
vergänglich find: Minna von Barnhelm iſt die edelſte künſtleriſche Verherr— 
lichung des preußiſchen Waffenruhmes. Und unter dem Eindrucke der mächtigen 
Erfolge Friedrichs führte Leſſing in feinen kritiſchen Schriften tödliche Streiche 
gegen die Verwelſchung des Geihmads der Deutihen. Noch unmittelbarer 
wirkten die Ereignifje auf die Geſchichtſchreibung. Man wird in unferer hifto- 
riſchen Xitteratur vor dem Zeitalter Friedrihs des Großen nirgends eine 
Sprade von joldem Freimut und folder Begeifterung finden, wie in ber 
oben angeführten Stelle aus Poſſelt. Und Freimut und Herzenswärme, bünft 
mi, find dem Geſchichtſchreiber ebenſo unerläßlih wie Urteilsfhärfe, zumal 
wenn er von vaterländiihen Dingen jchreibt. Juſtus Möfer jagt richtig: 
„Unfer hiſtoriſcher Stil hat fi in dem Maße gebeilert, wie ſich der preußifche 


Friedrich der Große und das deutſche Bolf. 9 


Name ausgezeihnet und uns unjere eigene Geichichte wichtiger und merther 
gemacht hat.“ 

Dieſe Wirfung erlofh auch nicht, als Friedrich fein Schwert in die Scheibe 
ſteckte. Nimmer dürfte jenes Zeitalter nah ihm benannt werben, wenn ber fieg- 
reihe Held dem geiftigen Xeben ber Nation gleihgültig gegenüber geitanden 
hätte. Dem war aber nicht jo! Nichts däuchte ihn verfehrter als die Meinung, 
ein unmillendes und dummes Volk jei leichter zu regieren als ein aufgeflärtes. 
Der Fachgelehrte wird zwar mit Friedrichs Lehrplan für die Ritterafademie, in 
welcher die Söhne aus adelihen Häujern unterrichtet und erzogen werden jollten, 
nit in allen Punkten einveritanden jein. „Die Auctores classiei müſſen auch 
alle ins Deutiche überjegt werden, damit die jungen Leute eine Idee davon 
friegen, was es eigentlich ift; jonften lernen fie die Worte wohl, aber die Sache 
nicht.” Den Geift der Sprade fann füglich der nicht ſchätzen, der ihrer nicht 
mächtig ift, aber vom Inhalt der griechiſchen und römischen Litteratur hatte Fried: 
rih die höchſte Meinung. Ihre Kenntnis galt ihm als das mädhtigfte Bildungs- 
mittel, auf fie ſetzte er jeine Hoffnung, daß auch der Deutfche dereinft feine 
großen Scriftiteller haben werde, wie der taliener, Engländer und Franzoſe. 

Wie er jelbit unermüdlich beitrebt war, feinen Geift zu bilden, jo war er ftets 
bereit, eines andern Suchen nad Wahrheit zu fördern und zu unterftügen. Sant 
jagt im Aufjag: „Was ift Aufklärung“, der 1784 in der Berliner Monatsfchrift 
erſchien: „Ich höre von allen Seiten rufen: Räfonnirt nicht! Der Offizier jagt: 
Räſonnirt nicht, jondern erercirt! Der Finanzrath: Räfonnirt nicht, fondern be— 
zahlt! Der Geiftlihe: Räjonnirt nicht, jondern glaubt! Nur ein einziger Herr in 
der Welt jagt: Räſonnirt jo viel ihr wollt, aber gehorcht!“ — „Kant hätte noch 
mehr jagen können,“ ſetzt Trendelenburg in feinem Eſſay über Miniſter Zedlig 
binzu, „dieſer Herr wollte ſogar, daß als denkende Wejen die Menſchen raijon- 
niren lernten und ftellte jeinem Minifter die Aufgabe, es lehren zu laſſen.“ 

Der Krieg mit den alten Monardien Europas war glüdlich beendigt, — 
nun galt’s, den Krieg im Namen der fortichreitenden Aufklärung fiegreid zu 
Ende zu führen. Das Wort: „Die Religionen müßen alle toleriret werben und 
muß der Fiskal nur das Auge darauf haben, daß Feine der andern Abbrud 
thue, denn bier muß ein Jeder nach feiner Façon jelig werden,” Tennzeichnet 
am deutlichften den Anbruch einer neuen Zeit. Mochte immerhin er felbft, auch 
darin wie in vielem feinem Namensgenofjen, dem Hohenftaufen Friedrich IL, 
ähnlich, !) von leidenſchaftlichem Hab gegen allen pofitiven Glauben erfüllt fein 
und in Briefen und Gedichten alles Kirhentum mit bitterem Hohn verfolgen, 
jo war doch die Handlungsweife des Negenten von dieſer perjönliden Stim- 
mung niemals beeinflußt. „Wenn nur der Papft“ jchreibt er an d’Alembert 
„leine Lehrfäte gegen Moral vertaufht und Barmherzigkeit predigt, jo werde 
ih ebenjo wenig fein Feind fein, als der Feind des Dalai Lama, der da thronet 
zu Tibet.” „Wenn der Kaijer Klöfter aufhebt,“ jchreibt er ein andermal an 
den nämlidhen, „jo baue ich dagegen abgebrannte Fatholifche Kirchen wieder auf 
und lafje überhaupt einem Jeden bie Freiheit, nach feiner Weile zu denfen.“ 


i) BoedH, Ueber Friedrichs des Großen claffiishe Studien, 17. 


denn 


10 Erfted Bud. Erſter Abſchnitt. 


Und nit bloß Gebanfenfreiheit gab er dem Volfe, — auch für Rebe: 
und Preßfreiheit war jein Beijpiel epochemachend. „Gazetten, wenn fie inter- 
ellant fein follen,” fagte er zu Podewils, „mühen nicht geniert werben.“ 
Freilih entipriht auch hier die Handlungsmweife nicht immer den aufgeflärten 
Worten. Als die Kölnifche Zeitung ihn angriff, wies er feinem Bertreter in 
Köln 100 Dulaten an, um bandfeite Yeute zu dingen, die den mißliebigen 
Beitungsjchreiber prügeln folten. Der Leiter der Erlangiſchen Zeitung mußte 
jogar dem preußifchen Oberjten, der ihn auf königlichen Befehl hatte züchtigen 
lafjen, für die empfangenen Hiebe noch eine Quittung ausftellen. Als Hamann 
eine Streitfchrift gegen des Königs Abhandlung über die deutſche Yitteratur zu 
ſchreiben unternahm, gab ihm Nicolai, der die Berliner Zuftände am beiten 
kennen mußte, den freundichaftlihen Nat, er möge „jeine PBhilippicam im Pult 
ruhen laſſen,“ bamit er nicht etwa unfreiwillig in Spandau oder Stettin Quartier 
befüme. Weber das Journal de Berlin, nod die Spenerſche Zeitung erhoben 
fih nad) Inhalt oder Form irgendwie über die Organe anderer Hauptitäbte. Ya, 
Reffing, dur die Ablehnung feiner Bewerbung um die Berliner Bibliothefar: 
ftelle gereizt, wirft 1769 in einem Briefe an Nicolai die Behauptung auf, die 
gerühmte Berliner Preßfreiheit beſchränke ſich auf die Freiheit, gegen die Religion 
zu ſchreiben. „Laſſen Sie es aber doch einmal einen in Berlin verjuchen, über 
andere Dinge jo frei zu fchreiben, ald Sonnenfels in Wien gejchrieben hat; 
lajien Sie es ihn verjudhen, dem vornehmen Hofpöbel jo die Wahrheit zu jagen, 
als diefer fie ihm gejagt hat; laſſen Sie einen in Berlin auftreten, der für die 
Rechte der Unterthanen, der gegen Ausfaugung und Despotismus feine Stimme 
erheben wollte, wie es jett jogar in Frankreich und Dänemark gejhieht, und 
Sie werden bald die Erfahrung haben, welches Yand bis auf den heutigen Tag 
das jflavifchite Land von Europa ift.” Allein Leffing urteilt, wie bemerkt, nicht 
unbefangen; der gerechte Unwille über die Bevorzugung eines Pernety macht 
ihn ungerecht; er überfieht, daß es zwar abſcheulich ift, Sottifen gegen bie Re: 
ligion zu Markt zu bringen, daß aber immerhin darin ein Fortichritt liegt, daß 
auch ein freches Wort nicht fofort den Büttel in Aktion bringt. Wolle Freiheit 
in Wort und Schrift ift im Staat eines abfoluten Herrfchers überhaupt un: 
möglih, dod war der Engländer Moore, der 1775 nad Berlin fam, überrajcht 
von dem Freimut, womit hier öffentlihe Angelegenheiten bejproden werben 
durften. Ein noch günftigeres Urteil glaubt der Verfafler einer Serie von Ars 
tifeln „über Berlin” in der Berliniihen Monatsſchrift aus den Jahren 1783 
und 1784 fällen zu dürfen: er rühmt nicht nur die nad des Königs Willen 
neugeorbnete Juftizpflege, „die unparteiiih dem Bauern gegen den Edelmann, 
dem Privatmann gegen den Minifter, dem Unterthan gegen den König Recht 
giebt,” fondern aud die Einwirkung der väterlihen Strenge und Milde des 
Königs auf des Brandenburgers freien Sinn, guten Mut und frohes Herz. 
Straffes perſönliches Regiment hielt Friedrih für unbedingt notwendig, aber 
nit Unmünbdigfeit des Volkes. Vor allem genoß wiſſenſchaftliche Forſchung 
unbedingte Freiheit. Mochte er jelbft die deutichen Gelehrten noch fo gering 
fhägen — und war e8 5. B. unverdient, wenn er eine volle Schale des Zornes 
über den Profeſſor Titius in Wittenberg ausgoß, der über einen von Friedrich 


Friedrich der Große und das deutſche Voll. 11 


in die Zeitungen gefhmuggelten ſchlechten Witz, mwonad irgendwo der Hagel 
einen Ochſen erichlagen haben jollte, eine von Gelehrſamkeit triefende, umfaſſende 
Abhandlung ſchrieb! — die Achtung vor der Wiſſenſchaft hat er nie verlegt und 
verloren. Eine freiere Bewegung in Wiſſenſchaft und Litteratur tritt denn auch 
unverfennbar hervor. „Er hat den bürgerlihen Mut großgezogen und bem 
deutichen Volke das zurüdgegeben, was ihm jo lange abhanden gefommen war, 
einen Charakter.“ Ein in jenen Tagen jeltener Mut der Ueberzeugung ift haraf: 
teriftiich für die Philofophen des Friedericianiichen Zeitalters, und ebenfo treffen 
die Mendelsjohn, Engel, Möfer, Garve darin zufammen, daß fie praftifche 
Lebensweisheit anjtreben, die Pflichten und die Beftimmung des Menſchen, wie 
des Bürgers feitzuftellen traten. Die politiſchen Wiſſenſchaften fanden jett 
erft einen wirklichen Inhalt; eine neue Wiffenihaft, die Statiftif, trat an ihre 
Seite. Und wenn aud jede unmittelbare Anregung fehlte, vom friſchen Hauch 
feiner Wirkjamfeit waren auch die politiihen Schriftiteller, die K. F. Moſer, 
Häberlin, Schlözer u. a. belebt. Der einflußreihite und in gewiſſem Sinn be: 
deutendfte unter ihnen, Schlözger, hatte für die große Perfönlichkeit des Preußen: 
fönigs nicht das volle Verjtändnis; er fpricht wiederholt von einer „wilden Größe“; 
welfifhe und ruffiihe Einflüffe jpielen dabei mit. Als fi aber für ihn Aus: 
fiht eröffnete, aus bannöverifhem Dienfte in preußiſchen übertreten, eine Pro: 
fejjur in Halle erlangen zu können, war er mit Freuden dazu bereit. „ch 
ſehe“ jchreibt er am 22. April 1778 an Minifter Zedlig „die preußifche Regie: 
rung als die allerakftivite der Welt in unjrem saeculo an.” Beileres Los 
fönne man fih nicht wünſchen, als ein Rad oder Rädchen in diejer außerordent— 
lihen Maſchine zu fein; mit Recht habe ein Franzoje geäußert: „Hätte bie 
preußiſche Regierung, wie Frankreich jeit einem Jahrhundert, über 30 Millionen 
Menihen zu gebieten gehabt, jo würde Franfreih ſchon Tängft eine preußiſche 
Provinz fein.” Nicht anders war es mit Johannes Müller, Als ihm Zedlitz 
1773 eine Rektorſtelle anbieten ließ, fagte er mit Freuden ja; freilich pries er, als 
die Anftelung auf Hindernifje ftieß, fein Glüd, daß er nicht unter das Zwangs— 
regiment eines abjolutiftiihen Monarchen gefommen fei, aber wie wenig Ernft 
es ihm damit war, beweiſt die Thatſache, daß er fortfuhr, hiſtoriſche Schriften 
in franzöfifcher Sprade abzufafien, damit das Auge des großen Königs auf ihn 
gelenft werde. Und als dies endlich gelang und König Friedrich dem fchon be: 
rühmten jungen Schweizer Audienz gewährte, äußerten fih Freude und Ent- 
züden bei diefem in ausjchweifender Weile. Er vergleicht Friedrihs Haupt mit 
demjenigen bes Gottes von Eythere; nie habe er einen jüngeren Greis, niemals 
lebhaftere Augen, feinere Züge, milderen Gefichtsausdrud gejehen. „O Fried: 
rich, Friedrich, ich werde did nie aus dem Gedächtnis verlieren, jo wie ich dich 
in diefem göttlihen Augenblid jah,; müßte ich hundert Jahre alt werden und 
dich niemals wiederfehen, jo werde ich mich immer daran erinnern, daß ich Cäjar 
und Alerandern gejehen habe.) Und obwohl Müller die erhoffte Anftellung 


i) Weit weniger günftigen Eindrud empfing der König von feinem Gafte, „hr Herr 
Mayer“ fchrieb er an b’Alembert, der den Hiftorifer warm empfohlen hatte, „ift bier ge: 
weſen; ic geftehe, daß ich ihn fehr für das Kleine fand." 


12 Erfted Bud. Erſter Abſchnitt. 


vorerft nicht erlangte, wirkte der Eindrud der Begegnung auf riebrich fo 
ftarf nad, daß ihn nah längerem Aufenthalte im Braunfchweigiichen das 
Mieberbetreten preußifhen Gebiets in freudige Aufregung verjeßte: „Sch 
hätte den Zöllner umarmen mögen, weil er ein Preuße war. Mit den 
Preußen und für die Preußen will ich leben und fterben, oder ih will nicht 
leben!” (29. März 1781.) Tüchtigkeit, Strenge, Schärfe und Ausdauer be: 
zeichnet Goethe, der ſonſt auf Berlin nicht gut zu fpreden war, als „ſpezifiſch 
preußifche” Tugenden, und er wünſcht deshalb, daß der deutſche Geiſt nad) 
diefer Richtung ebenjo in preußiihe Schule fomme, wie jeit den Siegen 
Friedrichs die Refruten in allen Yändern nach preußiihem Reglement gebriflt 
würden. 

Mit beionderem Nachdruck pflegt von den Gegnern des Königs auf die 
abfälligen Urteile Windelmanns bingemwiejen zu werden. In der That fühlte 
fich diejer Gelehrte, der „das Neih des Schönen für Deutichland öffnete” (Ger: 
vinus), ber verjpätete Humaniſt, der in der heiteren Kunft der Alten Iebte, 
von ben Greueln des fiebenjährigen Kriegs jo abgeftoßen, daß er nur mit Ab: 
jheu von feinem Vaterland und feinem König jprad. „Es ſchaudert mich,” 
fchrieb er an Uſteri, „wenn ih an den preußiihen Despotismus und an ben 
Schinder der Völker gedenfe, welcher das von der Natur jelbit vermaledeite und 
mit libyſchem Sande bevedte Land zum Abſcheu der Menſchen machen und mit 
ewigen Fluche belegen wird. Meglio farsi Turco circonciso che Prussiano!” 
„Mein Vaterland” jchrieb der Altmärfer nad) feiner Heberfiedelung in die Runftftabt 
Dresden „vergefle ih gern ... Mein Vaterland ift Sachſen, ich erfenne fein 
anderes, und es ijt fein Tropfen preußiihen Blutes in mir!” Doch der Groll 
— 0! über die Charafterfeitigfeit der „Leuchten der Wiſſenſchaft“! — verſchwand, 
als eine Berufung in Dienft des Berliner Hofes in Ausſicht ftand, Doc die be- 
rüchtigte Kabinetsordre Friedrichs: „Für einen Deutſchen find 1000 Thaler ge: 
nug!” jegte diefer Hoffnung ein Ziel. Trotzdem brach in Windelmann am Abend 
feines Lebens die Yiebe zur Heimat dur; nicht das jelbitgewählte Vaterland 
Sadjen wollte er nochmals fehen, fondern „ſich dem großen Könige darzuftellen, 
mar jein Stolz” (Goethe). Auf eine ähnliche Bekehrung ftoßen wir bei Herder. 
In feiner Philofophie der Geſchichte fand er für die Kriegsthaten und die Staats: 
funit König Friedrihs nur Worte des Unmuts und des Widermillens, aber ſchon 
feine Abhandlungen „über den Einfluß der Regierungen auf die Wiſſenſchaften 
und der Willenihaften auf die Regierungen” lieft ſich wie eine Lobſchrift auf 
die erzieheriihen Tugenden, die Fürforge, die Volksfreundlichfeit des Königs, und 
vollends dem Toten zollt Herder in der erſten Sammlung der Humanitätsbriefe 
begeiftertes Lob. 

Auch auf die Kunſt erftredte fih der Einfluß des Königs. Nicht immer 
in mwohlthätigem Sinne. Durch perfönlide Einmiſchung des hohen Bauherrn 
wurden nicht felten gerade die glüdlichiten Ideen des geihidten Genofjen aus 
den Rheinsberger Tagen, des Majors von Knobelsdorff, beeinträchtigt, und nad 
dem Tode biejes Künftlers fam bie helle Mittelmäßigfeit obenauf. Doc ent: 
behrt das FFriedericianifhe Berlin nicht eines großen Zuges, und die Rokoko: 
räume in Potsdam gehören in Bezug auf feine und reigende Behandlung aller 


Friedrich der Große und das deutiche Bolf. 13 


inzelheiten zu dem Glüdlihften, was dieſer Gejhmad überhaupt hervorge: 
bradt hat.!) 

Aber es war franzöſiſche Kunft, und die Schöngeifter und Gelehrten, 
die in jenen Räumen den König umgaben, waren fajt ausſchließlich Franzojen. 
Die Jronie des Schidjals fügte, daß derjenige, der den Ruf franzöfifher Un: 
überwindlichfeit bei Roßbach vernichtete, der damit zur Befreiung des deutſchen 
Geiltes das beite und hödhfte gethan hatte, jelbft fein Leben lang in den Banden 
ber einjeitigften franzöfiihen Geihmadsrihtung blieb. Der franzöfiiche Klafii- 
zismus ftaf ihm jo im Blute, daß er vor d’Alembert erflärte, er möchte weit 
lieber die Athalia gedichtet, als die Triumphe des fiebenjährigen Krieges erfochten 
haben. Die Deutihen galten ihm wie feinem Voltaire nur als „Barbaren“, 
die deutſche Sprahe war für ihn nur das, was für den Gebildeten der pro: 
vinziale Dialeft if. Zugegeben, daß ihn Herr Hofpoet Pietſch und andere 
„Dichter“, die er in feiner Jugendzeit zu lefen befam, wenig befriedigen konnten, 
daß ihm der Formalismus und die Selbjtüberhebung der Gottſched und Lambert, 
mit denen er perfönlid in Berührung trat, lächerlich erjcheinen mußten, aber 
er verichloß feine Augen auch vor den glänzenden Fortihritten, welche deutjche 
Litteratur und Wiſſenſchaft unter feiner Negierung und unter dem Einfluß 
jeiner eigenen Thaten und Beftrebungen machten; er wußte das wirklich Gute, 
ja, das wirflih Große von der Spreu der herfömmlichen Produktion nicht zu 
jondern. Er ſah in der Meifiade nur eine „ſehr überflüffige Nahahmung 
Miltons”; er nannte Goethes Göß eine abſcheuliche Nahahmung der jchled;: 
ten Stüde Shafeipeares; er behauptete von Yohannes Müller, er leide, wie 
alle Deutichen, an dem Uebel der Logodiarrhoe; er ftrih Mendelsjohns Namen 
aus der Lifte der für die Akademie Vorgejchlagenen; er ging in jeiner Unbe: 
fangenheit jo weit, daß er troß mangelhaftefter Kenntnis der deutſchen Yitteratur 
fih aud noch zum Nichter aufwarf und nur den Mut derjenigen Scriftiteller 
rühmte, die „nicht mehr erröteten, Deutiche zu fein”. In einem Geſpräch 
mit Mirabeau nahm der König, als er gefragt wurde, weshalb der Cäjar ber 
Deutihen niht auch ihr Auguftus geworden, weshalb er jih jo ablehnend gegen 
die deutſchen Dichter und Gelehrten verhalten, e& als ein Berdienft in Ans 
ſpruch, daß er die freie Entwidelung diefer Männer nicht geftört habe. Auch 
diejes Wort ift verteidigt und gelobt worden; man hat gelagt, der König habe 
durch feine Nichtbeachtung der deutjchen Yitteratur die beiferen Kräfte angeipornt, 
das ungünftige Urteil des Königs durch immer bedeutendere Leitungen zu wider: 
legen! Das heißt denn do in Ehrfurdt „erblinden”! Die Zeitgenofien urteilten 
darüber anders. Als Herzog Karl Auguft von Weimar den Vorſchlag Klopftode, 
daß deutſche Kunft und Litteratur von Reichswegen unteritügt werden jollten, 
bei Kaifer und Reichstag zu befürworten gedachte, wollte er die Vorbereitungen 
in aller Stille ohne Willen des „deutſch-franzöſiſchen“ Friedrich getroffen willen. 
Auch waren nicht alle von des Königs hartem Urteil Betroffenen jo duldjam 
wie Goethe, der an Möſers Tochter jchreibt, es habe für ihn nichts Befremden: 
des, daß der König feines Stüdes in Unehren erwähne, denn „ein billiger und 


!) Moltmann, Baugeihichte Berlins, 95. 


14 Erftes Bud. Erfter Abſchnitt. 


toleranter Geſchmack möchte wohl feine auszeichnende Eigenjhaft eines Königs 
fein; vielmehr dünft mich, das Ausſchließende zieme fih für Große und Bor: 
nehme“.) — „Alles joll Ein Leiſten, Ein Schuh fein,” Hagte Hamann, „Fabriken 
und Heerdienit, ſowie (unleferlihes Wort) und Kritik!“ — „Was follen Eng: 
länder, Franzoſen, Staliäner von uns Deutichen denken,” jchrieb Prinz Auguſt 
von Gotha an Herder, „wenn ein großer König an der Spree jo von unjerm 
jegigen Zuſtande ſchreibt!“ Und Klopftod, der jchon früher geklagt hatte: 


„Sagt's der Nachwelt nicht an, 
Daß er nicht achtete, 
Was er werth war, zu fein!“ 


antwortete auf den Angriff des Königs mit dem Gebicht „Rache“: „Lange er- 
warteten wir, bu würdeſt Deutichlands Muſe jhügen, aud jo mit Ruhm dich 
frönen, durch den jchöneren Lorbeer deden des anderen Blut... Sich nidt 
zu rähen, war er ſchonend genug, ber Deutſche, ... doch du jelber haft ihn 
an dir gerät ... du erniederteft did, Ausländertöne nachzuſtammeln, bafür 
den Hohn zu hören: Selbit nad Arouets Säuberung bleibe dein Lied noch 
tudesk!“ Selbft die jpezififch „preußifhen” Dichter, Gleim, Ramler, die Karſchin, 
beflagten wehmütig die Abmwendung des Sohnes vom Vaterland.?) 

Nod anderes trug dazu bei, die Bewunderung des Siegers von Zorndorf, 
des „MNeftor und Ulyſſes im Fürſtenrat“, herabzumindern. Jenen Kreifen, 
welde die Mejfiade mit brünftiger Andacht laſen, mußte der Schüler Voltaires, 
der nicht minder rückſichtslos wie fein Meifter die „Fafen” und das „Fromme 
Gefajel” verhöhnte, wie der Antichrift vorfommen. Und aud im Eatholijchen 
Zager konnte der Mann, der fi zwar als Regent feine Ungerechtigkeit erlaubte, 
von dem man aber wußte, daß er bei feinen b’Alembert und d'Argens ftets 
von „ber Hure von Babylon” und dem „Hohenpriefter des Baal” ſpreche, nur 
mit Bitterfeit beurteilt werden. Spricht doch fogar Leſſing jein Bedauern aus, 
daß das jchlechte Beilpiel eines Cynifers auf dem Throne im Volk die Achtung 
vor Heiligkeit und Religion untergraben und das von oben unterjtüßte „rationa- 
liſtiſche Berlinertum” allenthalben ſchlimme Früchte reifen werde. 

In Sachſen hatte die Bevölkerung das ſchwere Leid, das die fchlefifchen 
Kriege über das Yand gebracht hatten, aud in den Friedensjahren nicht ver: 
geilen, und Friedrichs Sparjamfeit erjchien den an die üppige Pracht des 


!) Uebrigens jcheint bie Schrift, die Goethe ald Antwort auf Friedrichs De la littera- 
ture Allemande 1781 ausarbeitete, die aber nicht veröffentlicht, fondern, wie es fcheint, von 
Goethe felbit wieder vernichtet wurde, eine ziemlich derbe Zurückweiſung enthalten zu haben. 
(B. Suphan, Friedrichs des Großen Schrift über die deutſche Litteratur, 53.) 

2) An Derteibigern fehlte e8 dem Könige allerdings auch ſchon damals nicht. Der Ber: 
faffer jener oben erwähnten Artifel „Ueber Berlin” (Berlinifhe Monatsfgrift, Jahrg. 1784, 557) 
fagt: „IH frage Sie, aber nur Ihnen möchte ich dieſe Frage thun, der Sie von meinem 
Patriotismus überzeugt find: Was haben wir denn ſelbſt igt für große Schriftfteller im Fach 
der Gefchichte? im Fach der Politif? für angenehme Ueberfegungen der Alten? Alles dies hat 
mancher jüngere Barde nicht bedadt, ber im Grunde doch bloß übel nimmt, daß der König von 
Preußen Voltairen und Algarotti Penfionen gab und ihm feine gibt,” 


Friedrich der Große und das deutſche Bolt. 15 


Dresdener Hofes Gemwohnten als „preußifche Knauferei”. Hinwieder fpottete 
man in Hannover, wo bie wachſende Macht des Nahbarftaates natürlicherweiſe 
Eiferfuht und Mißbehagen wedte, über das „preußiiche Drilliyitem”. Sn 
anderen deutjchen Landen hatte man bei aller Bewunderung und Begeifterung 
für den König doch aucd Mitleid mit feinen Unterthanen, die für den Heros 
beroifhe Opfer bringen müßten. Wieland jprah in einem Briefe an einen 
Freund fiherlid die Meinung vieler aus: „König Friedrich ift zwar ein großer 
Mann, aber vor dem Glüde, unter feinem Stode sive Scepter zu ftehen, be- 
wahre uns der liebe Gott!” 

Ya, im eigenen Lande walteten ähnlihe Empfindungen. Kein Zweifel, 
der Fürft, den „der Neid und der Haß zweier Weltteile nur brüden, nicht 
beugen konnten” (Pofjelt), war in Preußen, dem er in ber Reihe der erften 
Mächte einen Ehrenplag erfämpft hatte, feineswegs beliebt. Diefe auffällige 
Thatjache erklärt fi weniger aus dem Drud, der unbejtreitbar auf der preußi- 
ihen Bevölkerung laſtete; auch mit den Reiten ber Selbftverwaltung der Ges 
meinden und ber Freiheit der Perjönlichkeit war aufgeräumt worden; der Staat 
miſchte fih in alle Familienfahen, der Einzelne war nichts, der Staat alles; \ 
der Madtitellung des Staates wurde jede Rüdfiht auf Weberlieferung und 
alten Brauch geopfert. Allein ſolcher Drud war vom aufgeflärten Despotismus 
überhaupt untrennbar. Und doch hat es harte Zwingherren gegeben, die in 
ihrem Lande nichtsdeftoweniger volfstümli und beliebt waren. Die Unbeliebt: 
heit Friedrichs erklärt fi) vornehmlid aus dem damals und heute noch land: 
läufigen, erſt in allerneuejter Zeit berichtigten Urteil über feine Wirtjchafte- 
und Finanzpolitif. 

Friedrich, der „gefrönte Nealift”, wie ihn Garlyle nennt, ſah, feit die 
Waffen ruhten, im „Nützlichen“, in Hebung der leiblihen Wohlfahrt des Staates 
jeine erfie Aufgabe. „Dur die Herren Encyflopäbiften” jehreibt er 1771 an 
Voltaire „bin ich ein ganz anderer Menih geworden; fie haben ja jo viel 
gegen die gebungenen Henfer gefhrieen, die Europa in ein Blutbad tauchten, 
daß ich mich fortan wohl hüten werde, ihrer Kritik neue Nahrung zu geben.” 
Hebung des Aderbaues, vor allem aber der Gewerbe und Gewerke, wie des 
Handels war demgemäß jeine Herzensjorge. „Man muß mit dem Aderbau 
anfangen,“ jchreibt er 1773 an Voltaire, „dann zum Fabrikweſen und endlich 
zu einem feinen Kandel fortjchreiten. Sobald alles dies feſte Wurzel gefaßt 
bat, entiteht Wohlitand, und ihm folgt der Ueberfluß, ohne weldhen die Künfte 
nicht gedeihen fünnen. Die Mufen verlangen, daß der Fuß des Parnaß von 
dem Pactolus benegt wird. Erft muß man etwas zu leben haben, ehe man 
fih unterrichten und frei denfen fann.“ 

Die unbedingte Verurteilung der damaligen Steuerverwaltung, der Eins 
führung der franzöfifhen Regie durch Friedrih it von Guftav Schmoller auf 
Grund der Kabinetsbriefe des Königs, der jogenannten Minuten, kritiſch ge: 
prüft worden. Nun erjcheinen die Thatſachen in einem ganz andern Lichte, 
und für jeden Unparteiiſchen ift der Beweis erbradt, „daß die folgen: 
ſchweren Entſcheidungen vom Frühjahr 1766 nicht in erfter Linie zurückgehen 
auf eine unmotivirte Mifftimmung über feine deutſchen Beamten, nicht bloß auf 


16 Erftes Bud. Erfter Abſchnitt. 


zufällige Todesfälle im Kreife der Minifter oder auf Forderungen einer Accife: 
erhöhung, welche die deutihen Beamten abgelehnt hätten. Nein, es handelte 
fih um große fundamentale Fortichritte in der Organifation der Staatöver: 
waltung überhaupt und ber indirekten im fpeziellen.” Die Einrichtungen Frank: 
reichs gaben Anſtoß und Vorbild, aber fie wurden nicht fopiert. Gerade das: 
jenige, was in Frankreich jo unheilvoll wirkte, die Steuerpadt, fand in Preußen 
nicht Annahıne, und was der franzöfiichen Steuertehnif und Beamtenmafchinerie 
entlehnt wurde, war unzweifelhaft ein Fortſchritt, da man erſt dadurch aus 
dem Gebiet der alten Stadt:Wirtjchaftspolitif in das der Staats-Wirtſchafts- 
politif fam. „Die Regie wurde gerade, weil fie allen lokalen, provinziellen, 
ftändiihen und hergebrachten Sonderrehten und Privilegien entgegen geitellt 
war, weil fie nur als fönigliche zentraliftifche Behörde fi fühlte, nad allen 
Seiten hin die Trägerin des monarchiſchen Staatsgedantens.“ 

Aber die großen Maſſen fannten ebenjomenig die Vorgefhichte, wie die 
ferne liegenden Ziele der füniglihen Beihlüffe. Sie jahen nur die gegen- 
wärtigen Wirkungen, eine neue Gefchäftsführung und Die Yeitung in ben 
Händen Fremder. Die natürliche Abneigung gegen die Ausländer machte fie 
gegen die jeweiligen Mißgriffe doppelt empfindlih. Nicht der gemandtefte 
Redner würde fie überzeugt haben, dab die Denunziationen der fogenannten 
„Kaffeeſchniffler“ für die preußifche Staatsentwidelung von irgend welchem Nußen 
feien. Die Gebildeten hinwieder fonnten fih mit der eigentlihen Tarif: und 
Handelspolitif des Königs nicht befreunden. Er ging ihnen in feinem Eifer 
für den Schußzoll zu weit. Alles in allem, Mihvergnügen und Unzufriedenheit 
waren in weiten Kreijen verbreitet. Als Goethe 1778 nah Berlin fam, war 
er höchlich befremdet, „über den großen Menſchen feine eigenen Lumpenhunde 
räjonnieren zu hören.” ?) 

Wie wenig dankbare Erinnerungen das Mifbehagen über ein gegenmärtiges 
Uebel zu mildern vermögen, erjehen wir aus der Entrüftung Berlins über die 
föniglihen Verfügungen im befannten Arnold Müllerſchen Prozeß. Als der 
Großfanzler von Fürſt, weil er das Urteil des Kammergerichts verteidigt hatte, 
plöglih in Ungnaden entlafien wurde, machte ihm andern Tags die vornehme 
Berliner Gejellihaft „in langer Wagenreihe” ihre Aufwartung. Und doch hatte 
der König 30 Jahre lange jedes Eingriffes in Prozeßſachen fich enthalten. Und 
doch hatte er — drei Tage nad) feiner Thronbefteigung — die Folter abge: / 
ſchafft, und doch war er e& gewejen, ber jchon im Jahre 1746 dem Etats: * 


„Von der Bewegung der Puppen kann man auf die verborgenen Räder, beſonders 
auf die große alte Walze, F. R. gezeichnet, mit taufend Stiften fchließen, die dieſe Melodien 
hervorbringt.” ... „Es ift ein Schön Gefühl, an der Duelle deö Kriegs zu figen in dem Augen: 
blick, da fie überzufprubeln droht.“ (Goethe an Charlotte v. Stein, Berlin, 17. Mai 1778.) 
„Auch in Berlin war id im Frühjahr: ein ganz ander Schaufpiel! Wir waren wenige Tage 
da, und ich gudte nur drein wie ein Kind in Schön:Raritätensflaften. Aber du weit, wie ich 
im Anfchaun lebe; es find mir taufend Lichter aufgegangen. Und dem alten Fritz bin ich recht 
nah worden, denn ich hab fein Mefen gefehn, fein Gold, Silber, Marmor, Affen, Papageien 
und zerriffenen Vorhänge, und hab über den großen Menfchen feine eigenen Zumpenhunde 
räjonniren hören.” (Goethe an Merd, 5. Auguft 1778.) 


Friedrich der Große und das beutiche Volk. 17 


minifter von Cocceji den Befehl erteilt hatte, „ein Teutiches Allgemeines Land— 
recht zu verfertigen, welches fi bloß auf die Vernunft und Landesverfaflungen 
gründet, . . . damit einmal ein gewijles Recht im Lande etabliert und die un— 
zähligen Edifte aufgehoben werden mögen”. Uebrigens hatte der Arnoldjche 
Prozeß für die Rechtspflege die ſegensreichſte Folge. An die Stelle Fürfts trat 
Kaſimir Freiherr von Carmer. Ihm und feinem großen Mitarbeiter, Karl 
Gottlieb Sparez, gelang das Riejenwerf, die Gerichtöverfallung, die Prozeß: 
ordnung und das Allgemeine Landredt für die preußiihen Staaten zu 
vollenden. 

Dem jcharffinnigen Monarhen — „der alte Frig, der alles wußte, was 
er willen wollte!” dies föftlihe Wort legt Goethe in den „Aufgeregten” dem 
Chirurgus Breme von Bremenfeld in den Mund — fonnte die Mifftimmung 
im Lande nit verborgen bleiben, mochte Hertzberg noch jo jchwungvoll in 
afademijchen Reden das Glüd des Landes und die Yiebe des Bürgers preiien! 
Um fo fchhroffer lehnte der Gekränkte es ab, um die verlorene Neigung zu buhlen. 
Seine Geringihäßung fteigerte ih zur Menfchenveradtung. Als von einem 
Schulmann Sulzer geiprähsweije bemerkt wurde, die moderne Pädagogik gebe 
von dem Grundjage aus, daß der Menſch von Natur mehr Neigung zum Guten 
als zum Böſen habe, unterbrah ihm Friedrich: „Mehr Neigung zum Guten? 
Ah, mein lieber Sulzer, er fennt nicht diefe verdammte Raſſe, wie ich fie 
fenne!” Auch das befannte Wort: „Ich bin es müde, über Sklaven zu regieren!“ 
it aus des Königs pejlimiftiiher Weltanihauung abzuleiten, wenn es auch 
durch die nachfolgenden Ereignijje in anderes Licht gerüdt wurde und heute 
wie eine Prophezeiung des 4. Auguft 1789 fi anhört. Friedrich ragte bereits in 
eine neue Zeit hinein, die ihn nicht mehr würdigte, die er nicht mehr verftand. 
Er zog fih immer mehr in die Einjamfeit zurüd; er hatte niemand um fich, 
der ihn aufrichtig liebte; er Fannte fein Vergnügen, feine Erholung, er lebte 
nur noch dem, was er als jeine Kegentenpflicht betrachtete. Nur wenn er 
einmal zur Parade nad Berlin fam, lebte die alte Popularität wieder tage: 
fang auf. „Sie fönnen fi nicht vorftellen,” fchreibt der engliſche Gejandte 
Elliot an einen Verwandten in London, „wie das Volk ſich freute, ihn zu 
Pferde zu jehen: alles Klubgefhwäg von einen Lande, das unter dem Gewicht 
jeiner Laſten ftöhnt, und von einer Nation, die mit einer Rute von Eifen be: 
berrjcht wird, verſchwand vor dem aufrichtigen Zuruf aller Bevölferungs- 
ihichten, die fi verbanden, ihre Begeilterung für ihren großen Monarchen 
zu bezeugen.” Der braujende Zuruf der Menge überraſchte auch einen Ham: 
burger Bürgerſohn, der 1783 einer Parade in Berlin anmohnte, auch der 
„Republikaner“ fühlte fih von Ehrfurcht bezwungen, als er des Mannes gewahr 
wurde, „deſſen Name alles Denkwürdige eines halben Jahrhunderts bezeichnete”. 
Freilih mußte er ſich jagen, daß dieſe verwelkte Erſcheinung kaum nod der 
Gegenwart angehöre.') 


) R. Kofer, Die legten Tage Friedrihs des Großen, in der beutjhen Rundſchau, 
48. Band, 195. 
Heigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Friedrichs d. Gr. bis zur Auflöfung des deutichen Reicht. 2 


18 Erfted Bud. Erfter Abſchnitt. 


Am 17. Auguft 1786 morgens 2 Uhr erlojch der legte Lebensfunfe. Die 
Todesanzeige in der Berlinifchen Zeitung ift von Herkberg verfaßt. „Wenn 
die allergerechtefte Bewunderung reden will, jo macht der allergerechteite Schmerz 
verftummen. Sein Volk betete ihn an, Europa ſuchte ihm nachzuahmen, bie 
Welt bewunderte ihn und die Nachwelt wird erftaunt die Geſchichte jeiner Thaten 
faum glaublich finden. Wenige Könige waren jo groß wie Er, noch weniger 
jo gut wie Er, faum Einer jo groß und gut zugleih wie Er! Wer Gefühl für 
Geiftesgröße und für Thätigfeit zur Beförderung für Menſchenglück hat, wird 
feinen Namen nie anders als jegnend ausſprechen!“ „Gleichwie in einer freien 
Republik” jchrieb Johannes Müller in feiner Darftellung des Fürftenbundes „um 
einen patriotifchen Konjul oder um einen großen Senator, der zu feinen Vätern 
gebt, alle Guten und Edlen trauern, doch mit Maß, weil immer das Vaterland 
bleibt, und weil nicht förperliches Dajein, jondern die bleibenden Marimen 
und das uniterblihe Beifpiel feine Säule geweſen, — jo im Neid, als der 
König von Preußen ftarb. Wir willen aus mehreren Provinzen, Republifen 
und Königreichen, daß . . . von den Thronen bis in die Hütten, von den grauen 
BZeitgenofjen feiner erjten Siege bis auf das unmündige Alter wenige Menjchen 
ohne ganz befondere Nührung das Wort feines Todes nachgeſprochen ... Die 
Welt weiß, daß als König, Staatsmann und Feldherr wenige aus allen Jahr: 
hunderten ber Univerjalhiftorie die Vergleihung mit ihm aushalten!” „Wir 
find darüber einig,“ ſchrieb Herder in den „Humanitätsbriefen”, „dab wenn Ein 
großer Name auf Europa mädtig gewirkt hat, es Friedrich gewejen. Als er 
ftarb, jchien ein hoher Genius die Erde verlaffen zu haben; Freunde und 
Feinde feines Ruhms ftanden gerührt; es war, als ob er auch in feiner irdifchen 
Hülle hätte uniterblich fein mögen!” 

Das hochgeſpannte Lob war für einen Friedrich nicht zu überſchwenglich, 
nur die Schilderung der Volksftimmung entiprah nicht völlig der Wahrheit. 
Die Wirkung der Todesnahridht war eine ganz andere. In weiten VBolfsfreijen 
atmete man förmlich auf und äußerte unverhohlen feine Freude über das Ende des 
läftigen Regiments. In jenen Tagen bielt fih Graf Mirabeau, deffen Name 
binnen wenig Jahren dem Erbfreis bekannt werden follte, der fich aber bisher 
faft nur durch Schriften von zügellofer Sinnlichkeit und Abenteuer von bedenf: 
lihfter Art befannt gemadt hatte, als Flüchtling in Berlin auf. Er war, ob: 
wohl jein aufdringliches Gebaren dem König beſchwerlich fiel, in Sansfouci 
empfangen worden und würde, falls ihm ein einflußreiches Amt eingeräumt 
worden wäre, gar gern in Berlin geblieben fein. Mirabeau ſchildert nun den 
Eindrud, den die Nahricht vom Tode des Königs in Berlin hervorrief, mit den 
häglichiten Farben. „Ich, der ich ihn gefehen, gehört habe, ich, der ich bis in 
das Grab den füßen Stolz nähren werde, daß ih ihm Intereſſe eingeflößt 
babe, ich jchaudere no, und meine Seele ergrimmt über das Schaujpiel, das 
Berlin meinen ftaunenden Augen am Todestag des Helden, der die Welt vor 
Erftaunen verftummen und vor Bewunderung reden machte, darbot. Alles 
war totenftille, aber niemand war traurig; alles war beichäftigt, aber nie: 
mand war betrübt,; nicht ein Bedauern, nicht einen Seufzer, nit ein Lob 
befam man zu hören! Darauf laufen aljo jo viele gewonnene Schladten, fo 


Friedrich der Große und. das deutſche Voll. 19 


viel Ruhm, eine Regierung von beinahe einem halben Jahrhundert, angefüllt 
mit Wundern, hinaus? Man war ihrer bis zum Abſcheu überbrüffig... Was 
erwarteten fie denn? Den Raub des Schages. Der einzige General Möllen: 
dorff meinte.” !) 

Dohm, der damals ſchon in preußiſchem Staatsdienft fand und mit Mira- 
beau in Berlin verkehrt hatte,?) ftellt in feinen Denkwürdigkeiten die Berechtigung 
des von Mirabeau erhobenen Vorwurfes nicht in Abrede, jondern ſucht denfelben 
nur einzufchränfen: „Hofleute, Militär, Gefchäftsmänner, dieje alle, oder doc 
die meiften von ihnen mögen freili allein, wenigftens vorzüglih mit dem Ein- 
fluſſe beihäftigt geweien fein, den die große Veränderung zunächſt auf ihr 
Schidjal haben werde. Aber Mirabeau ſah nicht den Bürger, den Bauer: dieje 
wußten jehr wohl, was jie an dem Könige verloren hatten.“ 

Auch im NReih und im Ausland mochten viele vom Tode des Beneideten, 
Gefürdteten mit Genugthuung hören, aber überall lebte das Bemußtjein der 
unvergleihlihen Bedeutung des Toten. Wir haben ſchon gehört, dab Marie 
Antoinette nicht umhin konnte, ihrem Feinde das Lob eines großen Regenten 
zu zollen. Saijer Joſeph II. ſchrieb, nachdem ihm das Ableben des Neben: 
buhlers dur den Prinzen von Reuß angezeigt worden war, an feinen Staats: 
fanzler Kaunig: „Als Soldat beflage ich den Tod eines großen Mannes, der 
für immer epochemadend in der Geſchichte der Kriegsfunft bleiben wird; als 
Bürger bedaure ich, daß diefer Tod 30 Jahre zu ſpät eingetreten ift, denn 1756 
wäre er vortheilhafter gewejen ala 1786.” In Norbamerifa wurden Trauer: 
feierlichfeiten für den Freund der Freiftaaten veranftaltet. In Paris verbrängte 
die Botſchaft aus Sansjouci für den Augenblid ſogar das Intereſſe am neueften 
Klatih über die „Autrichienne*. Sn dem fizilianifhen Städten Caltani- 
fetta ließen fih die nah antiker Weile auf dem Marktplatz figenden Ein: 
wohner von dem Gafte ihrer Stabt, Goethe, immer wieder von dem großen 
Preußenkönig erzählen, und Goethe hielt für geraten, den Tod des Königs zu 
verjchweigen, „um nicht durch eine fo unjelige Nachricht den Wirten verhaßt 
ju werben“. 

Abgeſehen von den allgemeinen Nachrichten über die Aufnahme der Todes: 
nahricht können wir uns über das Urteil der Zeitgenofjen über Friedrih nur 
aus der in den nächſten Jahren angewachſenen Litteratur über ihn eine Mei— 
nung bilden. 

Wie mannigfaltig äußern fih da Gefühle der Rührung, des Schmerzes, 
der Bewunderung, ber Achtung, des Grolles, des Haſſes! In Predigten und 
Freimaurerreden, in Gedichten und Abhandlungen, in Büchern und Briefen! 
„Welcher Unterſchied,“ heißt es in einer Flugſchrift „Wünſche in Rüdficht auf 
eine Biographie von König Friedrich II.“, „zwifhen den Thränen, die über 


) Mirabeaus Mitarbeiter, J. Mauvillon, bezeugt ausdrüdlich, daß dieſe ganze Stelle 
von Mirabeau jelbft herrühre. (De la monarchie Prussienne, I], 193.) 

2, „Mirabeau verftand die Kunft zu fragen in einem Grabe, von dem es ſchwer ift, dem 
einen Begriff zu geben, der feinen Unterredungen nicht beigemwohnt hat.“ (Dohm über Mira: 
beau, herausg. von 2. Geiger in den Atad. Blättern I, 13.) 


20 Erftes Bud. Erfter Abfchnitt. 


Friedrich Wilhelms Wangen ftrömten, dba er zum erjtenmal Sansjouci betrat, 
und zwiſchen der Empfindung des gutmütigen Bauern in Baiern, welcher auf 
die Nachricht von Friedrichs Tod einige Groſchen hervorlangte, um zur Bes 
freiung feiner Seele eine Meſſe lefen zu laſſen!“ In Berlin erjchien ein Kupfer: 
ftih: „Friedrichs Abjchied von der Erde”. Der König fteigt in den Olymp empor, 
trauernd ftehen die Seinen, die Königin-Witwe als Ceres, Ferdinand von Braun: 
jchweig als Hannibal, Graf Hertberg als Solon, General Möllendorf als Alki— 
biades (!). Gleichzeitig entitand in Wien ein Pamphlet „Der Rachetag“, auf 
deſſen Vignette fi eine geborftene Säule zeigt, von welcher das Standbild Fried— 
richs durch eine Erdipalte zur Unterwelt verjinkt! In den Gedächtnisreden der 
Prediger und Beamten in Preußen fam natürlich faſt ausſchließlich die Loyalität 
zu Wort. Die Karſchin preift den „Alleinzigen”, Gleim fordert alle Dichter 
auf, „ihn zu fingen, den Einzigen, den Unerſetzlichſten, den Nichtgeftorbenen, ben 
Ewiglebenden!” Auch Schubart, der feit neun Jahren auf dem Hohenasperg 
ihmadhtete, gab in einem Gedicht „Friedrich der Einzige, ein Obelisf”, dem 
Schmerz und der Betrübnis jo überfchwenglihen Ausdrud, daß man an der 
Aufrichtigkeit zweifeln muß. Er gedenkt der Rein, die bei Friedrihs Tod den 
„ſilberlockichten Grenadenſchwinger“ Gleim durchwühle, und den Barden Ramler 
mit gejunfener Tuba, und die Karſchin, Boruffiens Bardale; doch was fie Hagen 
und jingen, dringe nicht an die Ohren des Volks, denn „des Greifen feuchender 
Totenruf, des benarbten Kriegers Schädelichlag, der Witwe Geächz, des Waifen 
Geheul, der Armen Geſchluchz übertäubten in Boruffiens Gauen all ihrer Sänger 
weinende Klage”. Da Elingt viel aufrichtiger, weil viel natürlicher, wenn ein 
Baier, Franz Xaver Huber, in einem Liede „Der Baier am Grabe Friedrichs” 
den Retter der Selbjtändigfeit Baierns feiert: 


„Der Vater wird es feinem Sohn, 
Und der dem Enkel jagen, 

Wie gut e8 war dem Baierland 
In König Frievrihs Tagen. 

Sie werden dann mit Segen nod 
Sein Angedenfen feiern, 

Der feiner war von Wittelsbach 
Und doc fo gut den Baiern.“ 


Auch die Münchner Zeitung feierte in einer Ode „Friedrich II. und Mari: 
milian III. im Reiche der Toten” den Anwalt der Selbitändigfeit Baierns. 
Friedrihs Geift bringt dem einfam und traurig im Elyfium irrenden Schatten 
des in Baiern unvergefienen Marimilians III. die tröftlihe Nachricht, daß in 
Straßburg ein Wittelsbahiiher Sprößling — Ludwig I. — das Licht der Welt 
erblidt habe und damit die Zukunft Baierns gefichert jei. . 


„Da heitert Marens Stirn fi auf, 

Vertraulid ging das edle Paar 

Abfeits. Von was die Rede war, 

Weiß ih noch nicht, doch denken könnt ihr's, Baiern!” 


Friedrich der Große und das beutfche Volt. 9 


— 


Die Münchner Zeitung weiß auch von einem Teſtament Friedrichs zu be— 
richten, wonach ohne Benachteiligung irgend einer Macht ein ewiger Friede in 
Europa geſtiftet und allzeit erhalten werden könnte; Abſchriften des Planes 
ſeien bereits an alle europäiſchen Kabinette verſendet. Demgemäß ſoll eine ge— 
wiſſe Anzahl großer Mächte ihre Herrſchaft ſo befeſtigen und Monarchien 
von ſo weitem und dauerhaftem Umfang beſitzen, daß eine nicht zu erſchütternde 
Maſſe dadurch erwachſe; alsdann werde es den Staaten zweiter Ordnung nicht 
mehr möglich ſein, einen Krieg zu unternehmen, Europa werde kaum noch von 
einer heftigeren Erſchütterung heimgeſucht werden. „Der Gottheit ähnlich, welche 
ſie vorſtellen, dürfen die Joſeph, Katharina, Ludwig, Guſtav nur wollen, und 
der große Entwurf Friedrichs des Einzigen wird Wirklichkeit ſein.“ 

Nur rhetoriſches Wortgeklingel vernehmen wir aus dem Eloge de Frederic, 
den in Paris der „Oberftallmeilter und Hiftoriograph Sr. Kön. Hoheit bes 
Grafen von Artois, Mr. Laureau” veröffentlichte; dagegen zählt ein Eloge du 
roi de Prusse aus ber Feder eines franzöfiichen Dffizierd Guibert zu den ge: 
biegenften Zeitungen militärifcher Kritif über Friedrichs Thaten. Von Lobjprüchen 
trieft die Dde eines Spaniers, „Der Held des Nordens” von Don J. M. de 
Meras y Alfonjo, — von Gift und Galle Shäumt über ein „Lebensbild”, das ein 
„freimütiger Mann“, ein öfterreihifcher Gelehrter Richter, in Amſterdam ber: 
ausgab. Ein berühmter Kenner griehifher Geſchichte, der Engländer John 
Gillies, ſchrieb ein Schriftden „Ein Blid auf die Regierung Friedrichs II.”, 
worin zwifchen Friedrich und König Philipp von Makedonien eine Parallele ge: 
zogen wird; beide heben ihre von rohen, unwiſſenden und unfreien Barbaren 
bevölferten Staaten aus fleinen Anfängen zu bedeutender Machtftellung empor, 
durch Tapferkeit und Energie, aber aud durch Tüde und Hinterlift und ohne 
jede Scheu in der Wahl der Mittel. — 

Unmittelbar nah dem Ableben des Königs traten aud die Anekdoten— 
jammler auf den Plan. Lebten ja doch taufend und aber taufend Erzählungen 
vom „alten Frig“ im Munde bes Volks, wie er im Feldlager unter Generälen 
und Gemeinen, in Sansfouci im Kreis jeiner Minifter und Hofgelehrten, bei 
Audienzen von Würdenträgern und Bittftelern jeinem Wit die Zügel ſchießen 
ließ. Das von Nicolai und anderen gejammelte Anekvotenmaterial ift für die 
Kenntnis des Helden nicht ohne Wert, denn indem uns fo viele intime Züge 
vorgeführt werden, fönnten wir am eheften ein annähernd getreues Porträt er: 
halten, doch leider ift nur gar zu vieles erfunden oder mwenigftens nicht genug 
beglaubigt! 

Nicht auf höherer Stufe ftehen die unmittelbar nach dem Ableben Friedrichs 
zur Stillung der erften Neugierde des Publikums veröffentlichten, nur auf ober: 
flächlichſter Benützung der Quellen beruhenden „hiftoriihen Gemählde” und 
„zebensbilder”. Auf die Tradition, die fi allmählich über den „alten Fritze“ 
bildete, ift faum ein anderes Buch von fo wirkſamem Einfluß geworden, als bie 
„Zuverläßigen Beyträge zur Negierungsgefhichte Friedrichs II.” und ein paar 
andere Schriften des Berliner Konfiftorialrats und Gymnafialdireftors Anton 
Büſching, eines eifrigen Sammlers auf den Gebieten der Geſchichte und Statiftif, 
In der That wird uns von Büſching der alte König menſchlich näher gebracht 


22 Erſtes Bud. Erfter Abſchnitt. 


als irgendwo, aber „ver Spiritus, ich meine, der Geift” hat fich bei der Erzäh- 
lung des Herrn Rektors gänzlich verflüchtigt. Wir erfahren, wie viel oder — 
wenig Hemden der König bejaß, wie er bei Tiih die gewöhnlichen Anftands: 
regeln außer acht ließ, wie er in vertrautem Kreife am liebiten mit Zötchen 
fih unterhielt, wie er in Rebe und Schrift grobe, grammatifaliihe Schnitzer 
machte u. dgl. Manches ftammt aus Mitteilungen des Kriegsrats von Schöning, 
der in der nädhiten Umgebung des Königs lebte, und darf wohl als beglaubigt 
gelten, — mandes aber, 3. B. gerade der ſkandalöſe Klatich über den Hang bes 
Königs zu mwidernatürlihen Ausfchweifungen, wird von dem gelehrten Pedanten 
ohne jede Beglaubigung den Leſern aufgetiicht; ſchon bald nad dem Erfcheinen 
der Biographie wurde der Spott laut, Büſchings vorzüglichite Gefchichtsquelle 
ſei die Unterhaltung der Gäfte im Cafe „zur neuen Welt” gewejen. Von ben 
Stellen aus Briefen und Kabinettsbefehlen des Königs mag wohl das meifte 
echt fein, allein da der „Geſchichtſchreiber“ nur das Wunderlihe, Willfürliche, 
Auffälige herausgefucht hat, erhalten wir eben doch nur ein Zerrbild. Man 
iprad deshalb die Vermutung aus, Büſching habe wohl den König mit Abficht 
berabgejegt, weil dieſer vom Klerus jo geringihägig gedacht und gefchrieben 
habe; Brettjchneider 3. B. nannte Büſchings Beiträge das Werk „eines boshaften 
Pfaffen, der dafür auf die Feſtung gehört”, — aber Dohm nimmt ihn gegen 
diefen Vorwurf in Schug; Büjhing habe im auten Glauben gehandelt, daß er 
nur dann ben Pflichten der Gerechtigkeit genüge, wenn er auch die Schwächen 
eines Helden hervorhebe. Insbeſondere in den „Zuverläßigen Beyträgen” werben 
unter Zugrundelegung ftatiftiiher Tabellen auch die Verdienfte des Königs um 
Zuwachs der Bevölkerung, Anlage neuer Städte und Dörfer, Hebung des Fabrik: 
wejens, Anbau öder Gründe, Ordnung der Finanzen ꝛc. mit warmem Xobe 
bedacht. 

Neben dem Rektor des Berliniſchen und Kölniſchen Gymnaſiums mag 
füglich der hannöveriſche Leibarzt und Hofrat Zimmermann genannt werden. 
Der vielgeſuchte und vielgenannte Arzt wurde im Juni 1786, als der König 
ſchon ein Sterbender war, nach Potsdam gerufen und unterwarf ſeinen Patienten 
einer wunderlichen Kur. Als er deshalb angegriffen wurde, verteidigte er in 
einer eigenen Schrift fein Verfahren, blieb aber dabei nicht ſtehen, ſondern 
jchilderte die in der Reſidenz des Königs empfangenen Einbrüde überhaupt. 
Zimmermanns Leiftung wird am beften durch das witige Wort Hippels gekenn: 
zeichnet, das Buch müſſe eigentlih den Titel führen: „Zimmermann I. und 
Friedrich II.” Vom Standpunkt des gläubigen Lutheraners wendet ſich der 
Verfaffer entrüftet gegen die „Aufllärungssynagoge” und „Duadjalberliga”, die 
Nicolai und Genofjen in Berlin, und gegen das gottloje Treiben in Potsdam. 
Der Troß, den man bier dem Himmel entgegenegt, verurjacht dem Radamantchen 
Herzensbeflemmung; er muß den „jchredlichen” König bebauern, der mit fo un: 
erihrodenem Sinn jeinem Ende entgegenjah. 

Diefe Auslafjungen erregten den Unmwillen des befannten Aufflärers und 
theologifhen Abenteurers, Karl Friedrih Bahrdt, der wiederholt auf Wunſch 
des Königs vom Kultusminifter Zedlig gegen den orthodoren Senat der Univerfi: 
tät Halle in Schug genommen, unter Friedrihs Nachfolger aber alsbald wegen 


Friedrich der Große und das deutſche Volk. 23 


einer Satire auf das preußifche NReligionsebift in die Magdeburger Zitadelle 
geſchickt worden war. Der Titel der an Grobheit unübertrefflihen Schrift lautet: 
„Mit dem Herrn von Zimmermann, Ritter des St. Wlabimirordens von ber 
dritten Klaſſe, föniglihen Leibarzt und Hofrat in Hannover ꝛc., deutſch ge: 
iproden von Dr. Carl Friedrich Bahrdt, auf feiner Univerfität weder ordent— 
lichem noch außerordentlihem Profeſſor, feines Hofes Nat, feines Ordens 
Ritter u. ſ. w.“ Nicht wie ein Ritter, fondern wie ein Troßbube habe Zimmer: 
mann den großen König angegriffen. Wenn darüber gezetert werde, daß der 
König weder an Gott noh an Ewigkeit geglaubt und als Undrift den Weg 
ins Senfeits angetreten habe, fo jei dies nur der alte Mönchstrug, der jeden, 
der nit den gewöhnlichen Kirhenglauben habe, des Mangels an Glauben 
überhaupt bezichtige. „Friedrich hat, wie alle ſcharf denkenden Philojophen, 
das Daſein Gottes und die Unfterblichleit der Seele nur bezweifelt, weil er bie 
Gründe für beides nicht entjcheidend fand. Das ilt das einzige, was man von 
ihm annehmen fann, wenn man feine Schriften gelejen hat.” Ebenſo wenig 
habe er das Nichtjein Gottes als eine erwielene Wahrheit angejehen, bürfe alfo 
gar nicht als Atheiſt bezeichnet werden. Und mas habe überhaupt Glaube oder 
Unglaube bei der Beurteilung eines folden Mannes zu thun? „Wiffen Sie in 
der ganzen Weltgeihichte einen König, der bei dem orthodoreiten Kirchenglauben 
jo mweije und jo gut war umd jo unausſprechlich für fein Volt gearbeitet und 
fo unbejchreiblich viel Gutes geftiftet und mit jo anbetungswiürbiger Herzens: 
güte das Gute fo geliebt und ſich über das Gute jo gefreut habe, wie Friedrich 
bei jeinem Unglauben?” Statt fih in Sansjouci über den Mangel an gläus 
bigem Sinn zu entjeßen, hätte der „armfelige Ritter mit feinem lutheriſchen 
Katehismus” vielmehr feiner Pfliht ale Arzt nachkommen und den Kranfen 
einer vernünftigeren Kur unterwerfen, der Scufter hätte bei feinem Xeiften 
bleiben follen. 

Der Streit zwiſchen dem Vertreter orthodoren Kirchentums und dem 
längit allem Bofitivismus entfremdeten Libertin dauerte fort, Kogebue mifchte 
fih ein mit dem Pasquill, „Dr. Bahrdt mit der eilernen Stirn“, auch für den 
Freimaurer traten leidenfchaftliche Anwälte auf, doch all der wüfte Lärm förderte 
in nichts die Erkenntnis Friedrichs IL., und fomit haben wir nicht Anlaß, darauf 
einzugehen. 

Auf mwiflenihaftlihen Boden gelangen wir erſt mit Ernft Poſſelts 
Beiträgen zur Gedichte des großen Königs. In feinen Reden kommt er 
wiederholt auf Fyriedri zu ſprechen; er hält aber die Zeit noch nicht für reif, 
die Gefchichte des Königs zu jchreiben. „Deine nahe Größe drüdt noch zu 
jhwer auf uns, du Held des achtzehnten Yahrhunderts! Wer trägt den Strahl 
der Sonne, die g’rad über ihm glüht?” Erft „wenn die Päane verhallt fein 
werden und der Stimme bes Neides niemand mehr hordhen wird, dann wird 
Er in feiner ruhigen Größe vor das Gericht der Nachwelt und der Wahrheit 
treten!” Friedrich ift für Ernit Poſſelt der „Retter der deutſchen Freiheit”, 
diefen Ruhm habe er fih als Stifter des Fürftenbundes erworben; es wird 
daher an anderer Stelle darauf zurüdzufommen fein. 

Einen erfreulichen Beitrag lieferte Wilhelm von Archenholtz, der ſelbſt bis 


24 Grites Bud. Erfter Abſchnitt. 


1763 in der preußiſchen Armee gedient hatte, mit feiner zuerſt im Berliner 
hiſtoriſchen Taſchenbuch veröffentlihten Geſchichte des Tiebenjährigen Kriegs. Die 
durch frifhe, anihaulide Daritellung und warmen Patriotismus ausgezeichnete 
Studie verdient den Beifall, der ihr geworden, und die Anhänglichkeit des 
Publikums bis zum heutigen Tag. 

Als „wichtigfte” Litterariihe Ericheinung nah Friedrichs II. Ableben feiert 
bie Berliniihe Monatsſchrift die in römischen Lapidarftil geſchriebene Gedenf: 
ſchrift des faiferlihen Hofrats Melchior von Birfenftod. Das Latein wählte 
der Verfaſſer, weil es der Würde des Gegenjtands am bejten entſpreche und 
zugleih „weil in unfern Tagen das echte Nömerlatein immer feltener und jelbft 
aus den Hörfälen verdrängt werde”. Es erichienen übrigens fofort mehrere 
Ueberjegungen, darunter eine von Minifter Herkberg — ein Beweis, weld ge: 
maltiges Aufjehen die Kundgebung aus Wien in Preußen wachrief. Im all: 
gemeinen zollt Birfenitof dem „zum Olymp Emporgeftiegenen, doch längft jchon 
als Halbgott Bewunderten“ enthujiaftifches Lob, ihm, der „ein wahrer Selbit: 
herrſcher im Staat, im Rat, im Heer, ... ein Despot, aber aud würdig, es 
zu fein, aller Fürften Beiſpiel und Lehrer, doch unerreichbar als Herricher!” 
Zwar habe Germaniens Schußgott mit Ingrimm betrachtet, dab der große Sohn 
Deutihlands nur um Galliens feinere Mufe buhlte und die deutiche verhöhnte, 
doch der Gott habe verföhnt gelädhelt, als jener zuerft wieder die durch den 
Haß der Auguren und die Ränke der Prieſter verfolgte Philoſophie ihrer Feſſeln 
entledigte und zu ſich emporhob, der Sekten ladhte und den Aberglauben der 
Schwärmer zerjtörte. Man jieht, die Lobſprüche ftammen aus dem Kreije der 
Wiener Aufflärer, doch erinnern an die Wiener Herkunft auch die Nügen und 
die gewundenen Ausiprüche über Friedrihs Politik in den ſchleſiſchen Kriegen 
und bei Stiftung des Fürſtenbundes. Daß die Wiener Nänie „in Abficht auf 
Darftellung der feineren Züge des Charakters”, wie jogar Schlözer rühmend 
hervorhebt, von feiner einheimischen übertroffen wurde, mag richtig fein, aber 
poetiſchen oder wiſſenſchaftlichen Wert fann fie nicht beanfpruchen. 

Von wirklicher, dauernder Bedeutung war unter allen durch Friedrichs 
Tod hervorgerufenen litterarifhen Erſcheinungen nur das Werk jenes Franzofen, 
der am 25. Januar 1786 im Stadtſchloß zu Potsdam dem König gegenüber: 
geltanden war, der Vertreter einer neuen Zeit dem größten Vertreter des zur Nüfte 
gehenden Jahrhunderts. Allerdings ift das vierbändige Werf „De la monarchie 
Prussienne sous Frederie II* nit von Mirabeau allein verfaßt, der größere 
Teil ftammt von einem Ingenieuroffizier in Braunſchweig, J. Mauvillon, aber 
Mirabeau leitete das Ganze, und auch fein Anteil an den einzelnen Partien ift 
zweifellos beträdhtliher, ald Mauvillon in der nah Mirabeaus Tod erſchienenen 
zweiten Auflage zugeben will. Mirabeau hatte ſich nur zweimal kurze Zeit in 
Berlin aufgehalten, aber er hatte jcharfe Augen und er verftand es, ſich von 
allen Seiten die nötigen Aufilüffe zu erholen; „es war ganz unmöglid,” ver: 
fihert Dohm wohl aus eigener Erfahrung, — „Seinen Kragen, die oft gar nicht 
das Anjehen von Fragen hatten, auszuweichen.“ Mirabeaus Buch ift häufig 
als „Pamphlet“ bezeichnet worden; gewiß mit Unrecht! Der Verfaſſer läßt 
in der vorausgeſchickten Weberficht über die Entwidlung der brandenburgifhen 


Friedrich der Große und das deutſche Boll. 5 


Geihichte und auch ſonſt an vielen Stellen den ungewöhnliden Anlagen und 
Regententugenden Friedrichs volle Gerechtigkeit widerfahren. Freilih will er 
den Nachweis liefern, daß der König troß hervorragender Geiltesfräfte, trotz 

er Größe und Feltigfeit feines Charakters nicht vermocht habe, jeine Unter: 
— glücklich zu machen. Ein wahrhaft weiſer Regent darf nicht, wie 
Friedrich, dem Merkantilismus huldigen, ſondern darf nur Phyſiokrat ſein, — 
das iſt das Dogma, um welches ſich die ganze Schilderung der preußiſchen 
Monarchie bewegt. Die Begünſtigung, die der König dem Fabrikweſen zu teil 
werben ließ, die Begierde, alles Mögliche und Unmögliche zu monopolifieren, 
die übertriebene Sparjamkeit in manden Teilen der Staatsverwaltung, die 
drafoniiche Strenge im Militärwejen werben hart getadelt, Hertzbergs hiftorijch- 
ſtatiſtiſche Exkurſe der Schönfärberei bezichtigt. Dagegen wird der König 
gegen den Vorwurf unerlaubter Selbitjiuht in Schuß genommen. „Seines 
eigenen Vorteild wegen, möchte einer jagen, hat er ſolchen Arbeitseifer ent 
widelt; um feinetwegen hat er feine Unterthanenzahl, feine Einkünfte, jeine 
Macht zu fteigern getrachtet: mag jein, aber darin bejteht eben die weiſe Ein: 
rihtung der Natur der Dinge, daß der wahre Vorteil des Landesfürften umd 
das Wohl der Unterthanen gar nidht voneinander zu trennen find.” 

Das Werk Mirabeaus rief bei allen denjenigen, die fich getroffen fühlten, 
einen Sturm des Unwillens wad. Graf Hertberg nahm in feiner nächiten 
akademiſchen Feitrede Veranlaffung, die „grundlofen und unverjhämten” Be: 
hauptungen des Franzoſen zurüdzumeifen; der Generaldirektor des Accijeweiens, 
de la Haye de Launay, leugnete die Richtigkeit der von Mirabeau zu Grunde 
gelegten Berechnungen; Nicolai ließ in der Allgemeinen deutſchen Bibliothek 
eine „vernichtende”“ Kritif erfcheinen. Aber es fehlte auch nicht an Lob und 
Zuftimmung, ja, Mauvillon behauptet in der Vorrede zur zweiten Auflage, das 
verläfterte Buch habe ſich des lebhaften Beifalld des gegenwärtig in Preußen 
regierenden Königs zu erfreuen gehabt, und dieſe Verficherung ift nit unglaub— 
würdig. Daß das Buch „Sehr viel wahre und fcharffinnige Bemerkungen” 
enthalte, hebt au Dohm in feinen Denkwürdigkeiten rühmend hervor. 

Eine lange Reihe gleichzeitiger litterarifher Erſcheinungen, bie ſich mit 
König Friedrich beihäftigen, können wir füglid übergehen, da darin weſentlich 
neues nicht geboten ift und nur aus des Autors Vorliebe oder Abneigung fi 
die Entftehung erklärt. Von ihnen gilt der Spott in Klopftods Ode „Der 
Nachruhm“: 


„Und nun ſetzen die Richter ſich hin und richten die Schatten, 
Weiſer Entſcheidungen voll, 

Alles, nachdem bei dem glimmenden Docht der Erzählende dunkel 
Oder dunkler es ſah!“ 


In helleres Licht die geſchichtliche Perſönlichkeit zu ſetzen, war überhaupt 
erſt möglich, ſeit ſich eine reiche Quelle erſchloß, die autobiographiſchen Auf— 
zeichnungen des Helden ſelbſt. 

Der geheime Finanzrat Wöllner, deſſen Name in den nächſten Jahren 
häufiger als jeder andere genannt wurde, machte in ſeiner Antrittsrede bei 


26 Erfted Bud. Erfter Abſchnitt. 


Aufnahme in die Berliner Akademie am 30. November 1786 die überrafchende 
Eröffnung, daß im Ardiv ein von 1740 bis 1779 reichendes Memoirenwerf 
Friedrichs verwahrt werde und Friedrich Wilhelm II. bereits die Erlaubnis zur 
Veröffentlihung gegeben habe. in der Afademiefigung vom 25. Januar 1787 
verlas Hergberg die berühmte Einleitung zur Histoire de mon temps, bie, wie 
das ganze Werk, „völlig im Gejchmad des Thukydides gejchrieben, von über: 
rafchender Unparteilichkeit und Beſcheidenheit getragen jei”.") 

Die Herausgabe der hinterlaffenen Schriften des Weijen von Sansjouci 
(15 Bände 1788, 4 Supplementbände 1789) fand in den Sturmjahren, während 
alle Augen auf Frankreich gerichtet waren, nicht die gebührende Beachtung. Im 
allgemeinen war die Aufnahme eine ungünftige. Diele waren verlegt durch 
harte Aeußerungen in ben Briefen des Könige. Auch auf Johannes Müller 
mußte abfühlend wirken, daß er zu lejen befam, wie wenig jchmeichelhaft König 
Friedrich von ihm dachte; trogdem ließ er in einer Anzeige der Oeuvres 
posthumes in der Allgemeinen Litteraturzeitung dem ſeltenen Geiftesgepräge 
des Werkes alle Gerechtigkeit mwiderfahren. „Wo ift nun das Yand, wo das 
Volk und das Jahrhundert, das ftolz fein dürfte auf einen Weifen, der bejier 
geherriht, auf einen König, der beſſer geichrieben, ja, das ftolz fein dürfte 
auf einen größeren Mann?“ Andere aber, Freunde der neuen fränfifchen 
Freiheit, 3. B. Großing, urteilten feit dem Bekanntwerden der been und Ab: 
fihten des veritorbenen Monarchen, er habe zu viel Eigenwillen gehabt, um ein 
guter Staatsmann, zu viel Geiz, um ein guter König, zu viel Eigenliebe, um 
ein aufrichtiger Schriftfteller zu fein. In den Kreifen der Anhänger des alten 
Glaubens und der alten Ordnung — man beadite die Flugſchriften „Geſin— 
nungen eines Theologen über den Schriftiteller Friedrich“, „Gefinnungen eines 
Rechtsgelehrten über Friedrichs Werke” u. a. — entjegte man ſich über die 
materialiftiichen und ſkeptiſchen Anihauungen eines legitimen Monarhen. Es 
jei gar nicht zu glauben, daß ſolche Blasphemien wirklih von einem Könige 
ausgingen, wird in einer Flugichrift bemerkt, man fönne nur annehmen, daß 
vieles von „ver Höllenbrut der illuminierten Freigeifter und falichen Aufklärer” 
unterſchoben worden jei. 

So ſchwankte das Urteil über den König bin und her, 


„Bald hoch zu der Wolfe gehoben, 
Bald gefenft in den Staub” ... 


Den einen war er Romulus und Numa, Titus und Cäſar in einer Perjon, 
den anderen Julian und Nero. 

Manche, welche die Größe des Monarden wie des Menſchen erfannten 
und_anerfannten, wollten doch an ein glüdliches Wachstum der von ihm ge: 
fegten Keime nicht glauben. Hielt doch 3. B. ein jo ſcharfſinniger Politifer wie 
Fürft Kaunig hartnädig daran feſt, dat der Einfluß des großen Monarden 
auf jeinen Staat und das deutſche Volt nur ein vorübergehender fein, daß 


) Berliner Monatöfchrift, Jahrg. 1787, 167, 172. 


Friebrih der Große und das deutſche Bolt. 97 


nah dem Tode des Fugen Regenten die Großmacht von felbft wieder zum Kur: 
fürftentum Brandenburg herabfinfen werde. Erklärte doch jelbit Juſtus Möfer, 
hinter dem König ftehe nicht jein ganzes Voll, und das preußifche Volk habe 
zwar einen großen König, fei aber deshalb noch feine große Nation. 

Und als die Tage der Erniedrigung Preußens famen, als wie eine 
ihmwarze Sturmwolfe die Gefahr heraufzog, dab der Name Preußen aus der 
Reihe der jelbftändigen Mächte wieder gelöjcht werden ſollte, — da ſchien es, als 
ob jene recht behalten follten, die in Friedrich II. nur ein glänzendes Meteor 
erblicdten. 

Dennoch waren es falſche Propheten! Nur vorübergehend fonnte der Ein: 
Huß des großen Mannes verbunfelt werden, jein Geift lebte in feinem Volke 
fort. Er blieb nad Goethes ſchönem Wort ber „Bolarftern”, das Symbol des 
Nichtuntergehens, das leuchtende Zeichen für die Epigonen, die das Staatsruber 
zu lenken hatten. Häufig wurde Friedrich II. von Zeitgenoffen und Nachwelt 
mit Luther zufammengeitellt. Ein nad Friedrichs Ableben in Schubarts Vater: 
ländifher Chronik erjchienenes Totengefpräh führt den Abgeichiedenen im 
Elyſium mit Luther zufammen und läßt den Neformator ausrufen: „Ya, Frige, 
einen Wurf haft du ins Zeitenmeer gethan, deſſen Kreife ſich taujendfältig 
bilden und noch an die Ufer der Ewigkeit jchlagen werden!“ Mochten auch jonft 
die beiden größten Söhne Deutſchlands wenig Berührungspunfte haben, in 
einem kommen fie ſich wirklich gleih: in der mädtigen Wirkung auf das 
Volk: Hätte nicht die Erinnerung an Friedrih und Friedrichs Ruhm die Enkel 
belebt, jo würden fie, einmal ſchmählich unterworfen, fih nimmer fo raſch und 
jo fräftig aufgerichtet haben, wie e& in der Spanne Zeit zwilchen Jena und 
Leipzig fi volljog; der Gedanke an ihn war ein Halt in der tiefiten Erniedri— 
gung; der Stolz auf ihn gab Kraft zur Erhebung aus tiefem Fall. 

Und was für Preußen geihah, geihah für Deutfhland. Gleihwie in 
den Tagen von Prag und Roßbach das deutſche Volk fih daran gewöhnt hatte, 
gegenüber dem von Ruſſen und Franzofen, Ungarn und Kroaten verteidigten 
Erzhauſe in König Fri den Vertreter deutichen Weſens und deutſcher Inter: 
ejien zu erbliden, jo fehlte es auch fortan nicht mehr an Ereigniffen und 
Wendungen, bei welchen das deutiche Bewußtjein mit dem preußifchen zufammen: 
fiel. Gerade der ftrengite Kritiker des Negenten Friedrih, Graf Mirabeau, hat 
diefe Gemeinſchaft der Intereſſen am ſchärfſten erfannt. Weber dem frifchen 
Grab des Königs richtete Mirabeau im legten Abjchnitt feines Werkes ein 
feierliches Wort ans deutſche Boll. Er beſchwört die Deutjhen, dem Banner 
des Haujes Brandenburg zu folgen und fih um diefe Macht zu jcharen, denn 
„die preußiihe Monardie ift offenbar das Palladium der deutichen Freiheit, 
und dieſe hat den entjchiedenften Eindrud auf den Wohlftand von Europa .. 
Jeder Freund der Menjhheit muß aljo mit euch Anteil nehmen an ber Erhal: 
tung diejes edlen Gebäudes und wäre es auch nur, weil es vorzüglich das Werk 
jenes außerordentlihen Mannes ift, deilen Bewunderung jeder denfende Geift 
fich felbft zum Gejege macht.“ 

Die Apoftrophe bezieht fih auf den beutjchen Fürftenbund, den Mirabeau 
als das eigentlihe Meiſterwerk Friedrichs bezeichnet. Da aber Hand in Hand 


28 Erſtes Bud. Erfter Abſchnitt. 


damit eine Verteidigung und Lobpreifung der deutſchen Rleinftaaterei geht, jo mußte 
diejes Lob im Munde bes Franzofen Mißtrauen erregen. Den einfichtigeren 
und unbefangenen Politikern konnte vielmehr nit entgehen, daß die Macht: 
ftellung, welde Friedrih der Große feinem Staate erfämpfte, zum Nachteil des 
habsburgifchen Haufes erfämpfte, am meiften dazu beitrug, den Zufammenfturz 
des Deutihen Reiches zu befchleunigen. 

Und doc hatte Mirabeau recht! Die politiihe Erneuung, die Auferjtehung 
eines neuen, lebensfähigen Deutjchland konnte nur von der Seite ausgehen, von 
welcher vorzugsweiſe die Zerrüttung der alten Ordnung gelommen war, — ber 
Speer allein, der die Wunde geſchlagen hatte, konnte auch die Heilung bringen. 


Zweiter Abjchnitt. 
Joſeph U. 


ſolutiſtiſchen Zeitalter nad) Beendigung des fiebenjährigen Kriegs auf 

den europäifchen Thronen eine Fülle von glänzender Begabung, redlichem 
Willen, unermüdlidem Eifer! Während das junge Preußen durch den großen 
Sriedrid zu einem Staat von europäifcher Bedeutung emporgehoben wurde, 
wuchs in der altehrwürdigen Wiener Hofburg ein Fürft heran, der menigitens 
an Pflichttreue und Neinheit der Abfichten von feinem andern Monarchen über: 
troffen wird. 

Parteigeift und perfönliche Befangenheit haben es mit fich gebradt, daß 
die meijten Hiftorifer, um die Vorzüge bes einen Helden leuchtender hervor: 
treten zu laflen, den Nebenbuhler verdunfeln. Weshalb jollte man nit an 
dem einen, wie an dem andern Vertreter aufgeflärten Menjchentums und pflicht- 
treuen Fürftentums feine Freude haben und nicht, wie Goethe einmal in Bezug 
auf fein Verhältnis zu Schiller forderte, lieber ftolz darauf jein, „daß zwei 
folche Kerle vorhanden feien?” Freilich fteht feſt, daß Joſeph als Feldherr nicht 
entfernt an die Größe Friedrichs reiht, daß Joſephs Wirtſchafts- und Yinanz- 
politif der genialen, das Jahrhundert überholenden Regierungsfunft des Königs 
nicht ebenbürtig ift und daß auch überrafchenderweije bei dem ob feiner Strenge 
gefürchteten Preußenkönig mehr die Milde, bei dem ob jeiner Bolfsfreundlichkeit 
berühmt gewordenen Joſeph mehr die Härte ale Grundzug des Charakters 
ericheint. 

Goethe hat im fiebzehnten Buch von „Wahrheit und Dichtung” von den 
öffentlihen Zuftänden jener Epoche, in welcher die Feudalverfaſſung zur Rüſte 
ging, ein anmutiges, freilich nur die Lichtjeiten hervorhebendes Bild entworfen. 
Mit den Monarden der beiden deutihen Hauptmächte wetteiferten noch andere 
mweltlihe und geiftlihe Fürften in Bejeitigung von eingenifteten Mißbräuchen und 
in Einrichtungen zu Gunften edler Menſchlichkeit; fie trugen den Geift der Reform 
ins Gebiet der Staatswirtichaft, des Unterrichtsweſens, der NRechtöpflege. Die 


Os ya Namen haben jchlimmen Klang. Wir finden aber in dem ab: 


30 Erfted Bud. Zweiter Abjchnitt. 


Leibeigenihaft wurde aufgehoben oder doch gemildert, die Rechtſprechung von 
hemmenden Feſſeln befreit, das Strafrecht verlor ſeine unmenſchliche Strenge, 
dem Lehrftande ward eine würdigere Stellung eingeräumt, den Religionsparteien 
Duldſamkeit zur Pflicht gemacht, Luft und Licht drangen in die dumpfen Gelaſſe 
von Staat und Kirche. Mit weldem Yubel wurden bie Finanzreformen Tur: 
gots begrüßt, die Abſchaffung der lettres de cachet, die Aufhebung der eng: 
berzigen Preßbeſchränkungen! Wie lebhaft nahm man Partei für Guſtav II. in 
feinem Kampfe mit der jtaatsfeindlichen Uebermacht der Ariftofraten! Welch 
freudige Anerfennung zollte man der ſchlichten Größe Wafhingtons und Frank: 
ins! „Die heiterfte Hoffnung verbreitete fich über die ganze Welt, und Die zu: 
traulihe Jugend glaubte fih und ihrem ganzen Zeitgeſchlechte eine jchöne, ja 
berrlihe Zukunft verfpreden zu dürfen!” „Wenn heute,” jagt Kant im Jahre 
1784, „bie Frage geitellt wird: Leben wir jegt in einem aufgeflärten Zeit: 
alter? jo ift die Antwort: Nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklärung. 
Daß die Menſchen, wie die Sachen jegt ftehen, im ganzen genommen, ſchon im 
Stande wären oder darein auch nur gejegt werden fönnten, in Religionsdingen 
ih ihres eigenen Verftandes ohne Leitung eines andern ficher und qut zu be: 
dienen, daran fehlt noch jehr viel. Allein daß jekt ihnen doch das Feld geöffnet 
wird, ih dahin frei zu bearbeiten, und die Hinderniffe der allgemeinen Auf: 
flärung oder des Ausganges aus ihrer ſelbſtverſchuldeten Unmündigkeit allmählich 
weniger werden, davon haben wir doch deutliche Anzeigen.” 

Allein dieſes hoffnungsvolle „Zeitalter der Aufklärung” hatte eine trübe 
Kehrfeite, und nirgends traten die Schatten jo ſcharf und unvermittelt hervor, 
wie im Charafterbild Joſephs II. 

Mit Recht hat man darauf bingewiejen, daß zu den Zuftänden, welde 
gemeinhin als Zofephinifche Aera bezeichnet werden, jhon unter Maria Thereſia 
der Grund gelegt worden jei. Bis ins Jahr 1747 laſſen fih die Hauptzüge 
des neuen Syſtems zurüdverfolgen; fortan verloren die Lobkowitz, Harrach, 
Dietrichftein, Kinsky, die Vertreter des ftänbifchen, ftreng fatholifchen Defterreiche, 
Stellung oder Einfluß, die Kaunig, Choted, Hapfeld, Roſenberg, Vertreter bes 
aufgeflärten Abjolutismus, traten an ihre Stelle. 

Nah dem Tode des Gemahls ernannte Maria Therefia ihren Sohn 
Joſeph zum Mitregenten, aber fie war nicht gejonnen, ihm einen jelbitändigeren 
Wirkungskreis zu überlaſſen, als ihn der zärtlich geliebte, trogdem ängſtlich in 
untergeorbnete Stellung verwiejene Gatte innegehabt hatte. Der junge Mann 
von leicht erregbarem Temperament, voll Ehrgeiz und Thatendrang, empfand 
als jchwer zu ertragende Demütigung, daß er, obwohl mit der Krone des römi— 
Ihen Reichs geſchmückt, in allen wichtigen Fragen an die Entſcheidung der Mutter 
gebunden war. mmer wieder kehrt in feinen Briefen die Klage, daß er nur 
den „leeren Titel eines Mitregenten” führe; immer wieder begab er fi auf 
Reifen, um nicht, wie er in einem Briefe an Marie Antoinette fpottet, „in 
Wien als fünftes Rad am Wagen figurieren zu müjjen“. 

Schon damals war die allgemeine Aufmerkſamkeit auf die ungewöhnliche 
Erſcheinung gerihtet. Diefer junge Mann von guter Figur, mit hoher Stirne, 
fanft gebogener Naje, hellen, blauen Augen, — das „Raiferaugenblau” war 


Joſeph II. 31 


eine Zeitlang eine beliebte Modefarbe in Wien — der in der Refidenz nur bie 
Uniform feines Regiments und auf Reifen das befannte Wertherfoftüm trug, der 
nicht beffer fpeifte als ein Lieutenant und nichts anderes dazu trank als Wajler, 
der jedem Bittjteller freien Zutritt gewährte, der alles jelbjt kennen zu lernen 
ſuchte, der überall Werkftätten und Manufakturen befuchte, der den arbeitjamen 
Landmann lobte, den unternehmenden Bürger aufmunterte, ben übermütigen 
Edelmann geringihägte, — das war ein anderer Fürft als die Karl und Fer: 
dinand, die nah ſpaniſchem Vorbild in unnahbarer Majeftät gethront hatten! 

Diefe Betrachtung machte auch außerhalb Deiterreihs allerlei Hoffnungen 
rege. 1771 jchrieb Wieland, der den jeraphiichen Ueberſchwang feiner Jugend: 
periode ſchon abgeftreift hatte und in ben Fußitapfen Lafontaines und Crebil: 
lons wandelte, einen etwas ernfteren, didaktiſchen Roman „Der goldene Spiegel”, 
„eine Art von jummarifhem Auszug des Nüglichiten, was die Großen und Edlen 
einer gefitteten Nation aus der Gejchichte der Menjchheit zu lernen haben.“ 
Das Buch war dem Kaiſer Tai-Tſu, dem „vorurteilslofeiten unter den Söhnen 
des Himmels“ zugeeignet, d. h. dem jungen Joſeph; Wieland jchmeichelte jich, 
das Gemälde eines idealen, durch Philojophen geleiteten Staates werde dem 
reformluftigen Kaifer gefallen und vielleicht dem Verfaſſer zu einflußreiher Stel: 
lung in Wien verhelfen. 

Freilih fand das Auftreten des jungen Kaifers nicht alljeitige Zuftimmung. 
Sn den Kreifen der Edelleute erregte es Anftoß, daß ein Mitglied des Erzhaufes 
um den Beifall der Menge buble und zur Unzeit am Gefüge der Stände rüttle. 
Der Klerus war ungehalten, daß ein Sohn der frommen Maria Therejia in 
Paris mit Buffon und anderen Gelehrten der neuen Richtung freundſchaftlich 
verfehrte, wenn es auch beifälig aufgenommen wurde, daß Joſeph an Ferney 
demonftrativ vorbeifuhr, ohne Voltaire zu beſuchen. Am Hofe zu Berfailles 
fpottete man über den deutſchen Sonderling; feine Schlihtheit nannte man 
Mangel an Politefie, feine Offenheit Cynismus, feine Sparjamfeit Geiz. 

„Wenn ih nad Haufe zurüdfehre,” jchreibt Joſeph an die Schweiter, „fo 
fomme ich mir jedesmal höchſt überflüffig vor; ich habe den Drang, zu arbeiten, 
viel zu arbeiten, aber was fann meine Arbeit fruchten?” Wohl war er jeit 
8. Auguft 1765 römiſcher Kaifer deutſcher Nation, und Joſeph fühlte fi auch 
mehr als jeine habsburgifhen Borfahren als Deuticher und als Oberhaupt des 
Deutſchen Reiche. Aber die Verfuche, in Erfüllung der Pflicht eines Reichsober— 
baupts dem erftarrten Neichsförper neue Lebenskraft einzuflößen, jcheiterten in 
Häglicher Weile. Nach feinem NRegierungsantritt ſuchte er im Reichshofrat, ber 
zur Verjorgungsanftalt für unfähige Edelleute und unfrudtbare Gelehrte herab: 
gejunfen war,!) eine rajchere und unparteilichere Geſchäftsführung durchzuſetzen, 
doch die verroftete Machine war nicht mehr in Stand zu bringen. Nicht befjer 
ging es mit dem Reihsfammergeriht. Welcher Geſchäftsgang ſich hier ein: 
gebürgert hatte, erhellt daraus, daß einzelne Prozeſſe ihon hundert und noch mehr 
Sahre dauerten, 3. B. war der Prozeß wegen des Anſpruchs der Grafen von 


') Mofer, Patriotifhes Arhiv, X, 347. 5. €. v. Moſer war jelbjt Mitglied des 
Reichshofrats, 


32 Erfte8 Bud. Zweiter Abichnitt, 


Bentheim-Tedlenburg auf die Herrichaft Bedbur jeit dem Jahre 1600 unerledigt. 
„Zwanzigtauſend Prozeſſe,“ jo verfihert ein Haffifcher Zeuge, Goethe, der 1772 
jelbft am Reichskammergericht in Praxis geftanden war, „hatten ſich aufgehäuft, 
jährlich konnten fechzig abgethan werden und das Doppelte fam hinzu.” Es 
war, wie Lichtwer jpottet, ein Gericht, das 


„nie jemand unrecht that, 
Denn ch’ der Reichsſchultheiß ein Urteil publizierte, 
Verftarb Partei und Advofat.” 


Die vorgejchriebenen Viſitationen hatten jeit 166 Jahren gänzlich aufgehört. 
Nun beſchloß Kaifer Joſeph, den verrotteten Zuftänden ein Ende zu machen, 
„auch bier jollte aufgeregt, gerüttelt und gethan fein”. Er bradte die Viſita— 
tionen wieder in Gang, aber wenn das Tempo vorher zu langjam gewejen war, 
jo fam jet durch das Drängen bes Kaijers eine Haft, eine Ungeduld in die Ver: 
bandlungen, die ebenfomwenig eine gejunde Entwidelung fördern fonnten, und 
ber Zwieipalt der Höfe, der bei mander Gelegenheit in heftigen Streit aus— 
ihlug, bradte die Reform vollends zu Fall. Nah zehn Jahren wurde die 
Vifitationsfommiffion wieder aufgelöft, und alles blieb beim Alten. Es fam fo, 
wie eö der Göttinger Profeffor Pütter flagend vorausgejagt hatte, daß „zu einer 
Zeit, die die Vorſehung beftimmt zu haben ſchien, in Ruhe und Friede die 
innerlihe Wohlfahrt des Neiches auf ganze Jahrhunderte zu befeltigen, unter ber 
Regierung des beiten Kaifers, bei der preiswürdigiten Gelinnung der gejamten 
hohen Reichsſtände dennod ein ſchon jo weit gefommenes Werk, wonad bisher 
eine ganze Reihe unferer Vorfahren gejeufzet, auf einmal unvolljogen erftiden 
und daß aljo jelbft der Schein, ein Geſetz pünktlich zu befolgen, deſſen Weſen 
zernichten ſollte! O tempora, o mores!”!) Die ganze Reihsverfajjung war 
ja erftorben; daß dieſelbe überhaupt noch Dauer hatte, wollten einige Politiker, 
wie Friedrich II. ironisch bemerkt, „gewiß mit Unrecht” aus dem deutſchen 
Nationalphlegma erklären. Nichts Fennzeichnet diefe Auflöfung beſſer, als ein 
Zug in Goethes Darftellung der Krönungsfeier Joſephs II. Jedermann — deijen 
weiß fich der Erzähler zu erinnern, — war dem Sohne Maria Therefias „wegen 
jeiner ſchönen Zünglingsgeftalt geneigt,” aber — der eigentliche Held der Frank— 
furter Feittage war der furbrandenburgishe Wahlbotſchafter, Herr von Plotho. 
„Aller Augen waren auf ihn gerichtet, befonders wo er ausftieg. Es entitand 
jederzeit eine Art von frohem Ziſcheln, und wenig fehlte, daß man ihn applau= 
dierte, Vivat oder Bravo zugerufen hätte.” Und weshalb? Weil Vlotho feiner: 
zeit bei Ausbruch des fiebenjährigen Kriegs den kaiſerlichen Notarius April, 
der ihm, von einigen Zeugen begleitet, die gegen König Friedrich ergangene Acht: 
erflärung zu infinuieren gedachte, mit der lafonifchen Gegenrede: „Was! Er in- 
finuieren?” die Treppe hinuntergeworfen hatte oder hatte werfen lafjen. „So 
hoch ftand der König und alles, was ihm mit Leib und Seele ergeben war, in 
der Gunft der Menge, unter der fi außer den Frankfurtern ſchon Deutiche 


— 





’) Patriotiſche Gedanken über einige das Kayſerliche und Reichskammergericht und deſſen 
Bifitation betreffende Fragen (1768), 58. 


Joſeph II. 33 


aus allen Gegenden befanden.” In feinem von allen dieſen deutſchen Männern 
tauchte der Gedanke auf, daß es widerfinnig fei, wenn eine dem Vertreter von 
Kaifer und Reich zugefügte Beleidigung von Bürgern des Reichs auch noch mit 
Beifall aufgenommen werde. Ein Kaifer zumal, der aus eigener Macht nicht 
eine Kompagnie Soldaten marjchieren laffen fonnte, hatte nur auf Komplimente, 
nicht auf wirkliches Anjehen zu rechnen. 

„Der römische Kaiſer“ jpottet d’Alembert in einem Briefe an König 
Friedrich „it eine Bildfäule, welche man, weil es jo herkömmlich ift, verehrt, 
aber nicht fürchtet!” 

Am Wiener Hof jelbit war der einflußreihite Mann nicht der Sohn der 
Kaiferin, jondern der Kanzler. Kaunig hatte jih als Gejandter in England, 
insbejondere aber am franzöfiihen Hofe den Ruf eines Hugen Diplomaten er: 
worben und bewährte fih nad jeiner Aufnahme ins Minifterium als ebenfo 
umfichtiger Staatsmann. Sein Hauptwerf war der Vertrag von Verſailles vom 
1. Mai 1756, mwodurd Frankreich mit jeinem „hiſtoriſchen“ Gegner Dejterreich 
ausgeföhnt und in den großen Bund der Mächte, welche die Demütigung 
Preußens anjtrebten, aufgenommen worden war. Die Eiferfuht des Thron: 
folgers auf den Einfluß des „Großveziers“ hatte Schon 1761 in einer Staats— 
ratsſitzung zu einer ärgerlichen Scene geführt und brach auch in der Folge, wie 
jehr fih die Kailerin Mühe gab, ihren Sohn verjöhnlich zu ftimmen, bei 
manchem Anlab aufs neue hervor. 

Es beitand ſchon ein natürlicher Gegenſatz zwijchen dem jungen Kaijer, 
der die erften Tugenden eines Mannes in joldatiicher Abhärtung und fpartani- 
ſcher Einfachheit der Bedürfniſſe erblidte, und dem Lebemann Kaunit, der auf 
elegante Erſcheinung und Toilettenfünfte ftolzer war, als auf feine Begabung. 
Dazu Fam, daß der Kanzler mit Recht auf die Meberlegenheit feiner Erfahrung, 
feiner Studien, feines Scharfblids pochte, während Joſeph von feinem Beruf, 
wie von jeinem Geift und redlihen Willen eine nicht minder hohe Meinung 
hatte. Zwiſchen beiden jtand, nad Kräften auf friedliche Vermittelung bedacht, 
die Kaijerin. Maria Therefia war von der Natur mit ungewöhnlicher Herrſcher— 
begabung ausgerüftet und verband damit unermüdlichen Eifer und den beiten 
Willen; die Regententafel des achtzehnten Jahrhunderts hat faum eine zweite jo 
ſympathiſche Erfcheinung aufzumweifen. Bon „Frauenpolitif” kann bei ihr nur in- 
jofern geſprochen werben, als fie ſich in einzelnen Fällen gegen ihre eigene An 
fiht, ja jogar gegen ihre fundamentale Auffaffung von Recht und Moral ent: 
weder vom Sohne, der ihrem Herzen am nädjften ftand, oder von ihrem erjten 
Diener, defjen weltmännijche Beredjamteit fie blendete, zu wichtigen Unternehmuns 
gen beftimmen ließ. So 3.3. in der polniſchen, in der bairiſchen frage. 

Als der jchon ſeit Anfang des Jahrhunderts wiederholt zwiihen den Höfen 
von Berlin und Petersburg bejprodene Plan einer „Entglieverung” Polens 
1764 neuerdings auftauchte und zu einem Bündnis jener Mächte führte, drang 
Joſeph, obwohl er den Eroberer Schlefiens ebenjo bitter haßte, wie er den 
Sieger von Torgau und Leuthen bewunderte, fofort auf Teilnahme Deiterreichs 
an dem Gewinn verſprechenden Geihäft. Dagegen fträubte ſich der Nechtsfinn 
Maria Therefias lebhaft gegen die Vergewaltigung des polniſchen Volkes, und 

Heigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Friedricht d. Gr. bis zur Auflöfung des deutſchen Reiche. 3 


34 Erſtes Bud. Zweiter Abſchnitt. 


Kaunitz ſuchte wenigftens die Begehrlichfeit Joſephs zu zügeln und die angeftrebte 
Aneignung polniſchen Gebiets in den Schranken einer Maßregel zur Sicherung 
des eigenen Zandes zu halten. Im wejentlihen drang Kaunig mit feinen Bor: 
ſchlägen durch, was den Thronfolger zu ungnädigen Auslaffungen über den allzu 
ängftlihen „Gunctator zur Unzeit“ reizte. 

Der redtlihen Begründung entbehrte auch das Vorgehen Defterreihs im 
bairiſchen Erbfolgeftreit. Dies empfand niemand jo aufrihtig, wie Maria 
Therefia. Allein Joſeph forderte ftürmifh, man dürfe die günftige Gelegenheit, 
die das Erlöfchen des bairiihen Stammes der Wittelsbacher biete, nicht unbe: 
nut laffen, und man muß geitehen: er war von großen Gefichtspunften dabei 
geleitet. Sein ganzes Streben ging ja dahin, Defterreih in einen geſchloſſenen 
Einheitsftaat umzuwandeln, in welden dem deutihen Element die leitende 
Stellung zugedadt war; der Plan wäre aber nur durchführbar gewefen, wenn 
das Deutichtum in Defterreih durch beträdhtlihen Zuwachs an rein deutfchem 
Gebiet gefräftigt worden wäre. Auch diesmal ftand Kaunig in der Mitte. 
Einerſeits unterjtügte er den Plan Joſephs gegen die Gewiljenszweifel der 
Kaiferin, anderjeits tradtete er die allzu weitreichenden Gelüfte Joſephs auf 
das Maß des pofitiv Erreihbaren herabzuftimmen. In georoneten Finanzen, 
einem tüchtigen Kriegswejen und einer vorſichtigen Politik ſah er die notwendigen 
Grundlagen zu Wohlfahrt und Stärfe des Staates. Mit den beiden eriten 
Erfordernijjen aber ſah es im Kaijerftaat nicht zum beiten aus, das konnte ſich 
Joſeph jo wenig wie Kaunig verhehlen. In jedem Briefe an die Mutter betonte 
Sojeph, jeit fih aus dem Streit um das bairifche Erbe der dritte Krieg mit 
Preußen entiponnen hatte, die Ueberlegenheit der preußiſchen Waffen; er fann 
fih banger Bejorgniffe nicht erwehren; troßdem drängt der Heißblütige immer 
auf Entjcheidung, raſche Entſcheidung. Allein gerade diefer jugendliche Ungeftüm 
erjchredte ebenfo die Kaiferin, die den zärtlich geliebten Sohn nicht länger den 
Gefahren des Feldzugs preisgegeben willen wollte und die Strafe des Himmels 
für ihr ungerechtes Beginnen fürdtete, wie den Kanzler, der im Bemwußtjein 
der Schwäche Oeſterreichs nicht alles auf eine Karte fegen wollte. Daß fich die 
Mutter dazu berbeiließ, ihren Todfeind Friedrih ohne Willen des Sohnes um 
Frieden anzugehen, däuchte Joſeph eine unauslöfhlide Schmach. Er verglich 
fih einem Soldaten, der, wenn man feine Dienfte nicht mehr brauche, einfach 
verabjichiedet werde, einem Kavalier, dem man verbiete, jeine angegriffene Ehre 
reinzuwaſchen. Das Verhältnis zur Mutter wurde immer gejpannter. Maria 
Therefia ergießt ih in einem Fur; vor ihrem Tode an Kaunitz gerichteten 
Schreiben in bittere Klagen; es ſei nachgerade unerträglih, wie ihr Sohn in 
jeiner krankhaft überreizten Stimmung fie „berabfanzle und durchgeißle“. Kaunit 
gab ihr recht. „Die Mutter, und welche Mutter! der Bruder, die Diener jeder 
Art, alle Welt wird in gleihem Geſchmacke behandelt. Man wird eines Tages 
das haben, was man verdient hat, feinen einzigen Freund, und zu Dienern 
Schurken oder gefinnungslofe Leute. Welche Ausſicht!“ Auch ihren Sohn felbit 
warnte Maria Therefia mit mütterlider Bejorgnis. „Ih muß fait zweifeln,” 
ichreibt fie, „ob du noch aufrichtig bit. Ih muß fürdten, daß du niemals 
einen Freund finden wirft, der dem Joſeph, auf deſſen Rechnung du fo viel 


Joſeph 11. 35 


bürdeft, von Herzen ergeben ift; denn nicht vom Kaifer, nit vom Mitregenten 
gehen jo ironifhe, boshafte, häßliche Worte aus, fie fommen aus dem Herzen 
Joſephs, und das ijt es, was mich beunruhigt, was einft das Unglüd deiner 
Tage fein wird und das Unglüd der Monardie, von uns allen nach fich ziehen 
wird .... Wie hervorragend auch deine Talente fein mögen, es ift unmöglich, 
daß du all die Erfahrung haft, Vergangenheit und Gegenwart fennft, um alles 
allein thun zu fönnen .... Du prahlſt immer nur mit esprit, du läufft ihm 
nah, wo bu ihn zu finden glaubit, ohne weitere Ueberlegung. Ein witziges 
Wort, eine gewählte Redensart, das feilelt dich ganz und gar, mag es nun zu 
lejen oder zu hören fein, du wendeſt es dann bei ber nächſten Gelegenheit an, 
ohne genügend zu bedenken, ob es auch pafje ... .“ 

Und dieſe Sorgen der Mutter wuchſen, da fie jah, daß ihr Sohn ſich 
immer mehr der Kirche entfrembe und, gleih dem verhaften Friedrich den 
Lehren der Freidenfer laufchend, das geheiligte Band zwiſchen Staat und Kirche 
löfen wolle. „Daß du gut ſprechen und jchreiben fannft, das weiß ich wohl; 
ih hoffe jogar noch, daß dein Herz das Rechte empfindet, aber dein Eigenfinn 
und deine Vorurteile werden das Unglüd deiner Tage jein und find thatfächlich 
ihon das meinige!” 

Kein Zweifel, Maria Therefia urteilte zu ftreng, wenn fie die Urſache ber 
Entfremdung nur in Joſephs „Eigenfinn” erblidte: die Widerfprüche in ber 
Denk- und Empfindungsweife von Mutter und Sohn find die gähnende Kluft 
zwifchen der alten und der neuen Beit. 

Auch im Verhältnis zu den Geſchwiſtern gibt fih, wenn nicht Eigenfinn, 
doch ein ftolzer Eigenmille fund. Er war feinem jüngeren Bruder Yeopold auf: 
richtig zugethan, aber er vergaß feinen Augenblid, daß er der Erbe des Thrones 
und das Oberhaupt der familie, und duldete feinen Widerfprud. Als es wegen 
der Verlajienichaft des Vaters zwilchen den Söhnen zum Streit fam und der 
jüngere in energifcher, aber durchaus ſachlicher Weije fein Recht verteidigte, fand 
Joſeph die Ausdrüde zu ftarf und das Benehmen des Bruders höchft anftößig. 
Um ernften Zwiſt zu verhüten, bewog Maria Therefia den jüngeren zum Nach— 
geben, obwohl fie dem älteren unredht gab. „Einem jungen Fürften, der ein 
wenig eitel geworben ift durch den an ihn verſchwendeten Weihraud, der ohne: 
bin dazu Anlage hat, ift eben alles anftößig, auch das Geringfügigite, was ihm 
im Wege fteht oder Widerftand leiftet.” Ueber Schweiter Marie Antoinette ur: 
teilte Joſeph, wenigftens bevor er fie bei jeinem Parifer Aufenthalt näher kennen 
gelernt hatte, mit faſt graufamer Härte; in vielen Briefen ergeht er ji in 
Ausdrüden der Entrüftung über das unvorfichtige Betragen der Königin, die 
notwendigerweije den Schein auf ſich lade, als ob fie das Lafter nicht bloß 
dulde, Tondern teile. Doch zu ähnliden Warnungen fühlte fi ja auch die Mutter 
verpflichtet, und die Beforgnis war nicht unbegründet; ſchon türmten ſich dunkle 
Bolten auf, Vorboten des Sturmes, der fi bald gegen die Königin und das 
Königtum erheben follte! 

Um über Joſeph gerecht zu urteilen, darf man auch nicht unbeacdhtet laſſen, 
daß er die in der Kritik anderer an den Tag gelegte Strenge auch gegen ſich 
übte. Doch von den Vorwürfen, die in den Briefen der Kaiferin und des 


36 Erftes Buch. Zweiter Abſchnitt. 


Kanzlers zum Ausdrud kommen, ift wenigftens der eine begründet: der Hang zu 
Mißtrauen und Mißachtung gegenüber den beftbewährten und treueften Dienern 
des Haufes ift ein häfliher Schatten im Charakter Joſephs. Obwohl 3. B. Kar: 
dinal Herzan als Vertreter des Kaiſers in Nom lange Jahre mit Geihid und 
einer Gefügigfeit gegen feinen Hof, die an einem Kirchenfürſten füglih überrafchen 
muß, die jchwere Aufgabe durhführte, den Papft von ernftem Widerftand gegen 
die in Wien beliebten firhlihen Neuerungen zurüdzuhalten, nannte ihn Joſeph 
doch einen Wit, einen „Halunfen erfter Klaſſe“.,) Dem Drang, durd ein 
draſtiſches Wort die Lacher auf jeine Seite zu ziehen, fonnte er niemals wider: 
jtehen. „Er redete” jagt Hormayr „gar jo gern in lauter lieux communs und 
regierte in proverbes.* Wenn die Mitteilung des genannten Hiftorifers Glauben 
verdient, wies Joſeph das Geſuch des von ihm jelbit hochgeſchätzten Sonnenfels 
mit dem Verschen ab: „Icarus Icarias nomine fecit aquas,* und als die unga- 
riſche Hoffanzlei ihn beftürmte, jih in Buda frönen zu laffen, erwiderte er: 
„Pueri puerilia tractant!* Durch jolde „Scherze”, die nicht einmal wißig 
waren, entfremdete er fih manden aufridhtigen Diener. 

An den Briefen der Mutter kehrt auch immer wieder die Klage, daß ihr 
Sohn gerade den Mann zum Vorbild gewählt habe, der ihr das ſchwerſte Herze: 
leid bereitete und jeiner undriftlicen Gefinnung wegen Abſcheu einflößte. „Der 
Held, der jo viel von fich reden macht, diejer Eroberer, hat er einen einzigen 
Freund? Muß ihm nicht die ganze Welt Mihtrauen entgegen bringen?” Die 
Mutter habe ganz recht, erwidert darauf Joſeph, „der König darf von einem Mann 
von Ehre nicht nahgeahmt werden, von einem Mann von Charakter, den ich nicht 
aufgeben will für alle ihönen Vorbilder, wenn fie damit nicht vereinbar ſind;“ 
doch diejer Abjcheu dürfe nicht abhalten, andere große Eigenichaften jenes Mannes 
zu bewundern; nur dem Kriegsmeifter, dem Regenten wolle er nacheifern. 

Da lag der Wunſch nahe, das Vorbild näher kennen zu lernen, und als 
im Sommer 1769 überbies bie Staatsflugheit erheiſchte, die Anfichten des 
Königs über die Weltlage zu erforfchen, erbat fich Joſeph von Friedrich eine 
Zufammenfunft. „Er ift ein Genie,” jchrieb Joſeph nad der eriten Begegnung 
in Neiße an die Mutter, „ein Mann, der bewundernswürdig jpricht, aber aus 
jedem Wort fühlt man heraus, daß er faljch iſt.“ 

Das in Wien und Berlin gleihmäßig empfundene Bebürfnis, eine ein= 
jeitige Machtvergrößerung Rußlands auf Koiten Polens zu verhindern, führte 
im Herbft 1770 zu einer zweiten Zujammenkunft der Monarden in Mähriſch— 
Neuftadt. Aus den dort ausgetaufhten ſchmeichelhaften Verſicherungen hätte 
gefolgert werden fönnen, daß die beiden Monarchen die freundfchaftlichfte Ge: 
finnung begten und von Nuten und Notwendigkeit eines innigen Einvernehmens 
zwijchen Defterreih und Preußen durchdrungen gewejen wären. In der Tat 
gingen auch beide Mächte in der polnischen Frage eine Zeit lang mit einander. 
Allein aus den Berichten des Fürften Kaunig an die Kaiferin und den Briefen 
Friedrihs an Bruder Heinrich erhellt, wie wenig Ernft e& beiden Teilen mit 


) Der Brief Joſephs an Leopold vom 31. Auguft 1780, der diefe Stelle enthält, ift bei 
E. Brunner, Theologiihe Dienerſchaft Kaiſer Jofephs 11., S. 54, zum erftenmal veröffentlicht, 


Joſeph IL, 37 


der zur Schau getragenen Verföhnung war. Jeder glaubte an Wachſamkeit und 
Klugheit dem andern überlegen zu fein. Kaunig freut fi, den durch Glüd 
emporgelommenen Soldatenfönig überliftet zu haben, und König Friedrich macht 
fih weiblich luſtig über die Eitelkeit des alten Diplomaten und die Abhängig: 
feit des Kaifers von jeinem „väterlichen“ Lehrmeiſter. Wie fih das Verhältnis 
zwiſchen Deiterreih und Preußen feit der Abtretung Schlefiens geftaltet hatte, 
fennzeihnet Friedrich am aufrichtigften in einem Briefe an den Erbprinzen von 
Braunfhmweig: „Es fteht nun einmal im Buche des Schidjals gejchrieben: Rom 
und Karthago können nicht neben einander beftehen.” 

Ein Realpolitifer wie König Friedrich dachte wohl feinen Augenblid daran, 
das ruſſiſche Bündnis den zweideutigen Verjprehungen eines Kaunig zu opfern, 
und er jchloß fi noch enger an Rußland an, jeit zu Tage trat, dab Joſeph 
die Abfihten auf Baiern feineswegs aufgegeben habe. Bei den Tefchener 
Friedensverhandlungen hatte das ruffiiche Kabinett die Pläne Joſephs beſonders 
wirkſam durchfreuzt, während das Bündnis mit Frankreich, auf welches Maria 
Therefia immer das Hauptgewicht legte, nicht die erwarteten Früchte getragen 
hatte. Dieje Erfahrung lieh Joſeph in einer grundjägliden Aenderung des poli: 
tiſchen Syſtems das Heil erbliden. Auf dem ruffifhen Throne ſaß Katharina II., 
eine willensſtarke, große Negentin, aber immerhin eine Frau: darauf baute 
Sofeph feinen neuen Plan. Er hoffte perfönlid das Vertrauen und die Freund: 
haft der Zarin zu gewinnen und auf ſolche Weife den preußifchen Nebenbubhler 
aus dem Felde zu jchlagen. Dagegen wollte Maria Therefia, die der Zarin ihr 
unweibliches, freigeiftiges Weſen nicht verzeihen konnte, von der Annäherung an 
Rußland, die nicht bloß in Berlin, jondern auch in Berfailles verftimmen mußte, 
nichts wiſſen. Aber durch feinen Ungeftüm riß Joſeph auch diesmal die Wider: 
ftrebende mit fich fort; er ließ zuerft ohne Wiſſen der Mutter durch feinen Ge: 
jandten in Petersburg eröffnen, daß er den lebhaften Wunſch hege, die von ihm 
bewunderte Zarin fennen zu lernen, und als aus Petersburg freudige Zuftim- 
mung eintraf, wagte ſich auch die Kaiferin nicht mehr zu mwiderjegen, um jo 
weniger, da auch Kaunit das Borhaben des Kaifers billigte. 

So erfolgte die erfte Begegnung mit der Zarin zu Mohilem am 4. Juli 
1780, Für das Gelingen der daran gefnüpften Abfihten war ein Wort ent: 
jheidend. Katharina warf einmal mitten im Geſpräch die Frage bin, es jei doch 
wunderbar, daß ein römischer Kaifer nit Rom als Hauptftadt befige. Joſeph 
erwiderte lahend, er habe freilih von Cäſar Auguftus ber ein altes Anrecht, 
aber er fönne es ja nicht geltend machen, da an der Erhaltung der italienijchen 
Staaten zu viele Mächte beteiligt jeien; dagegen, jo fügte er mit Nachdruck hinzu, 
werde es ja wohl ein Leichtes fein, daß fih Kaiferin Katharina ihr Rom an: 
eigne, die Stadt Konftantins am goldenen Horn. Diejes Wort gewann ihm für 
alle Zeit die Gunft der Zarin, befiegte den Einfluß König Friedrichs in Peters: 
burg, wurde Grund: und Eckſtein des Bündniffes, das in den nächſten Jahren 
zur Reife fommen, für Joſeph und feinen Staat aber nur verderblide Folgen 
bringen jollte. 

Nach jeiner Rückkehr drängte Joſeph fort und fort, man möge aus der 
veränderten Sachlage jo rajch wie möglich Nuten ziehen. Maria Therefia teilte 


38 Erfted Bud. Zweiter Abjchnitt. 


aber die Freude ihres Mitregenten über den Erfolg feiner ruſſiſchen Reife nicht 
und weigerte ihre Zuftimmung zu jedem Schritte, der das gute Einvernehmen 
mit Frankreich ftören könnte. Nur mit Mühe verhütete Kaunig, daß der neue 
Gegenfaß in offenen Streit überging. 

In folden Stunden des Unmuts mochte ſich wohl in Joſeph der heiße 
Wunſch nah dem Alleinbefig der Krone regen. Am 29. November 1789 ging 
derjelbe in Erfüllung, freilid um einen Preis, den Joſeph jelbit, der feine 
Mutter troß alledem aufrichtig liebte, niemals zugeftanden hätte: Maria Therefia 
wurde in der faiferlihen Gruft bei den Kapuzinern mit ihrem treugeliebten 
Gatten vereinigt. 

König Friedrih war ſich fofort klar über die Tragweite des Thronwechſels 
in Dejterreih. „Voilä un nouvel ordre des choses!* 

Seht war für den Vierzigjährigen der Augenblid gekommen, ins Yeben zu 
rufen, was er in den vor Jahren niedergejchriebenen „Reveries* als Ziel feines 
Lebens, als Richtſchnur feiner Denk: und Handlungsweife bezeichnet hatte. Ein 
völlig centralifiertes Gemeinmwejen zu jchaffen, deffen Oberhaupt ſich mit voller 
SFreiheit bewege, aber in Förderung bes Gemeinmwohles feine erfte und erniteite 
Tfliht erfenne: das war Joſephs II. Regierungsideal. Abjolute Gewalt be: 
anipruchte er noch entichiedener als König Friedrid. Ein Monard), der an Eid: 
ſchwüre und Geſetze gebunden jei, werde nimmer im Stande fein, Großes zu 
vollbringen; nur im Befig voller Freiheit könne er fich jeder Nüdfiht auf die 
eigene Perfon entäußern und ausſchließlich das Gemeinwohl im Auge behalten. 

Diefer „Traum“ feiner Jugendzeit follte jet verwirklicht werden: dahin 
zielten die zabllofen Verordnungen und Gefege, die in rajchefter Folge mit über: 
ftürzender Haft aus dem Kabinett des Kaifers famen. „Daß ein Kaifer,” jagt 
Johannes Müller in feiner Darftcllung des Fürftenbundes, „der mit freiem Blid 
und viel umfafjendem Genie faſt ganz Europa gejehen, die lange ſtillſchweigend 
auf Defterreih angewandten Beobadhtungen ins Werf ſetzen werde, dies erwartete 
ein jeder; wenige verſahen fich der fühnen, jchnellen Manier, die ſich durch feine 
eingewurzelte Meinung, durch fein urfundliches Recht hemmen ließ.” Mäßigung 
war der in ſchwungvollen Plänen und überſchwänglichen Hoffnungen ſich ver: 
zehrenden Natur Joſephs ebenjo unmöglich, wie ein fih Begnügen mit allmäh- 
[ich heranreifenden Erfolgen. Ein Wort ift dafür bezeichnend: „Bon bem, was 
ich unternehme, will ich auch fogleih die Wirkung empfinden. Als ich den Prater 
und den Augarten herrichten ließ, nahm ich auch feine jungen Sproſſen, die erſt 
der Nachwelt einft gedient hätten; nein, ich ließ Bäume pflanzen, unter deren 
Schatten ic) jelbft und meine Mitmenſchen Vergnügen und Vorteil finden mögen.” 
Hof, Staat, Kirhe und Volk jollten im Sinn jenes als Ideal aufgeitellten 
„despotisme li6* umgeftellt werben. 

Aus den zahlreihen, bisher nur lofe verbundenen Ländern und Völkern 
follte ein Kaijerftaat im wahren Sinne des Worts geichaffen werden. Es jollte 
in Zukunft — das war wenigftens das Ziel der Maßnahmen Joſephs II., wenn 
auch vorerft die Chefs der Provinzialbehörden belaffen, ja jogar mit weitreichen: 
den Befugniffen ausgeftattet blieben, — nit mehr Ungarn und ein Königreich) 
Ungarn, nicht mehr Tiroler und eine Graffhaft Tirol, nicht mehr Böhmen und 


Joſeph II. 39 


ein Königreih Böhmen geben, fondern nur noch Deiterreiher und ein Kaiſer— 
tum Defterreih. Zu diefem Zwede ſollten alle Sonderrechte, Verfaſſungen und 
Privilegien der einzelnen Provinzen aufgehoben werben; die hiftorifch entwidelten 
Eigentümlichkeiten der verfchiedenen Kronlande wurden nicht berüdiichtigt, für 
alle jollten die nämlihen Verwaltungsprinzipien und Bermwaltungsnormen in 
Geltung treten. 

Ebenjo jollten, wenn aud die Etandesunterfchiede erhalten blieben, doc) 
die Standesvorredte verihmwinden. Schon Maria Therefia hatte getabelt, daß 
ihr Sohn „die Zernicdhtung der Großen plane, unter dem jpeciofen Vorwand, 
den mehreren Teil zu fonjervieren”. Der Vorwurf ging zu weit. Joſeph wollte 
nicht den Adel bejeitigen, aber er juchte nicht wie jeine Vorfahren die fozialen 
Vorredte, Sitten und Vorurteile zu erhalten. Er entzjog dem Grundadel bie 
Bauernſchaft, forderte gleihe Steuerpflicht, geftattete die Fideikommiſſe zu allo- 
difieren, unterwarf die Edelleute dem allgemeinen Landredt und den Kriminal: 
behörden. Edelmann, Bürger und Bauer follten gleich fein vor dem Gejet, 
d. 5. vor dem abfoluten Willen des Oberhauptes; dieſe oberite Gewalt jelbit 
aber follte nur höheren fittlihen und patriotiihen Jweden dienen, dem Gemein: 
wohl, der res publica. 

Aus den nämlidhen Gründen follte aud die Ausnahmftellung des Klerus 
aufhören. Die Seelforger follten nur noch Staatsbeamte fein, wie die Nichter 
und Bürgermeifter. Zugleich ſchien, damit der Kaiſer thatfächlich der Herr im Lande 
werde, Einſchränkung der geiftlihen Macht überhaupt und vor allem bes päpft- 
lichen Einfluffes geboten zu jein; es jollten nicht länger 60000 Orbensleute, 
durdhaus abhängig von ihren römijchen Obrigfeiten, einen Staat im Staate bilden. 

Um dieſes großartige Reformwerk durdzuführen, entfaltete Joſeph eine 
unermübdliche Thätigfeit. Er gönnte fich feine andre Erholung, als einen Spazier: 
gang im Augarten und abends ein Plauderftündchen im Salon der Fürftin 
Liehtenftein oder im Billardzimmer des Fürften Kaunig. Er verjagte es fich, 
der Schönen Litteratur Aufmerkſamkeit zu ſchenken oder wiſſenſchaftlichen Studien 
obzuliegen, denn er jah jede nicht den Regierungsgeihäften gewidmete Stunde 
für verloren an. Seine Arbeitskraft war erjtaunlid, und er ließ fih alle Ber: 
waltungszweige gleihmäßig angelegen fein. „Er war ein geborner Bureaufrat,” 
jagt Ranfe, „thätig im Kleinften, aber immer in einer Anfchauung des Ganzen, 
die feinem hohen Standpunkte entſprach“. Sein janguinifches Temperament ließ 
ihn die feſte Zuverficht hegen, daß er aus eigener Kraft das Schwere zu leiften 
vermöge, aus der Vereinzelung Einheit, aus der Verſchiedenheit Gleichheit, aus 
der Verwirrung Ordnung zu jchaffen. 

Mit der Reform des Hofwejens wurde der Anfang gemadt. „Cette 
republique f&minine*, wie er in einem Briefe an Leopold den Hofftaat der 
Mutter verjpottet, jollte aufgelöft werden. Die ſpaniſche Manteltraht verſchwand; 
auch als Alleinherrfcher trug Joſeph nur den einfahen Militärrod ohne Aus: 
zeihnung. Zugleih verihwand die ſpaniſche Etikette, die langen Titulaturen 
mwurben abgejhafft, wie die enblojen Zeremonien bei Hoffeiten und Staats: 
aftionen. Aus Fürſt Khevenhillers Memoiren erhellt, welhe Aufregung dieje 
„Revolution von Oben” in ben Hofkreifen hervorrief. „Wenn es jo fortgeht, 


40 Erfted Bud. Zweiter Abjchnitt. 


werben wir von einer Ordnung am Hofe wenig mehr willen.” Dabei wurde 
gar zu einjeitig auf Erſparungen Bedacht genommen; es macht einen pein- 
lihen Eindrud, daß nad und nad alle Gejchwilterte und Berwandten bes 
Kaifers, um dem öden, ärmlichen Hofleben zu entrinnen, der Reſidenz den 
Rüden kehren. 

Allgemein war nad Joſephs Regierungsantritt erwartet worden, baf ber 
einflußreichite Natgeber der Kaiferin, Fürſt Kaunig, der dem Kaiſer jo häufig 
unbequem gewejen war, nicht mehr lange an der Spite des Minifteriums bleiben 
werde. Doch das Verhältnis hatte ſich in der legten Zeit etwas günftiger ge: 
ftaltet, da Kaunig den beiden Lieblingsplänen des Kaiſers nicht mehr widerftrebt 
hatte; er hatte die ruffenfreundlihe Schwenkung der öfterreichifchen Politik gebilligt 
und die auch nad) dem Tejchener Frieden heimlich fortgejegten Bemühungen für 
eine Abrundung Oeſterreichs durch baieriſches Gebiet wenigftens nicht zu vereiteln 
gefucht. Auch gegen die geplante firdenpolitiiche Reform war von dem warmen 
Verehrer der franzöfiichen Aufklärungsphiloſophie Widerftand nicht zu befürchten. 
So erklärt fih, daß der früher fo mißliebige „Großvezier” an der Spite des 
Minifteriums blieb. „Bleiben Sie mein Freund,” fchrieb Joſeph nah Maria 
Therelias Nbleben, „werden Sie auch meine Stüße und helfen Sie mir bie 
ſchwere Bürde tragen, die mir jett aufgeladen ift.” Den mafgebenden Einfluß 
aber, den der Kanzler zu Lebzeiten der Kaijerin ausgeübt hatte, beſaß er unter 
Joſeph nicht mehr. Daß der Monarch felbft alle Kräfte des Staates zu leiten 
babe, war ja der erite Grundjag in Joſephs Syſtem. 

Nichts deito weniger war auch diefer ftolz auf feine Selbſtändigkeit podhende 
Negent nicht völlig unabhängig von feiner Umgebung, ja, nicht jelten war er 
nur das Werkzeug in den Händen von Dienern, die um jo mädtiger waren, je 
geichidter fie ihre Macht zu verhüllen wußten. 

Es iſt natürlih eine grotesfe Webertreibung, wenn Sebaftian Brunner 
fait alles, was unter Joſeph II. im Intereſſe der Aufklärung für den Staat 
und gegen die Kirche unternommen wurde, als Werk der Freimaurer ange: 
fehen willen will; nur um der Glorie oder des zeitlichen Gewinnes der Logen: 
bäupter willen babe der Kaijer alles thun müfjen, wie ein Figürchen im Puppen: 
ipiel, das an Fäden durch unfichtbare Hände gelenkt wird. Immerhin waren 
die geheimen Orden von mächtigem Einfluß. Schon die in jenen Jahren er: 
wachſene umfangreiche Xitteratur über Freimaurerei beweilt, welche Ausdehnung 
und Bedeutung die geheimen Orden gewonnen hatten. Die myjiteriöfe Spielerei 
war in die Mode gefommen. Freimaurerlieder waren allenthalben im Schwang, 
Freimaurerzeihen wurden als joujoux an den Uhren getragen, die Damen be: 
dienten fich weißer Müffe à la franc-macon, in Schaufpiel und Oper jpielten 
Winfelmaß und Kelle eine bedeutſame Nolle. Wichtiger war, daß jehr viele an: 
gejehene und einflußreihe Männer den Logen angehörten, und es ilt gewiß fein 
Zufall, daß immer zahlreihere Mitglieder des Ordens in die unmittelbare Ilm: 
gebung des Kaijers famen. Auf Nechnung diefer Krejel, Born, Eibel u. a. ift 
fiherlih manche Uebertreibung des Joſephinismus zu fegen. Am entichiedenften 
ſpricht Ranke diefen Vorwurf aus. „Sei es, daß Joſeph mehr von Janjeniften 
oder mehr von Ungläubigen umgeben war, fie boten ohne Zweifel einander auch 


Joſeph II. 41 


bier die Hand, wie in dem Angriff auf die Jeſuiten; allen zufammenhaltenden, 
auf eine äußerliche Einheit der Kirche abzielenden Snftitutionen machte er ohne 
Unterlaß den Krieg.” ') 

Allerdings läßt ſich nicht genau feftitellen, weldhen Grundſätzen der Kaiſer 
jelbft in Bezug auf die einzelnen Fragen der inneren Politik huldigte, bei welchen 
Vorgängen und Verordnungen die Anregung unmittelbar von ihm ausging.?) 
Schon deshalb nicht, weil fih noch zu Lebzeiten Joſephs vielfach tendenziöje Er: 
findungen breit madten. So it 3. B. das befannte offene Schreiben an Kar: 
dinal Herzan in Rom, das mit den Worten anhebt: „Seit id} den Thron beftieg 
und das erfte Diadem der Welt trage, habe ich die Philofophie zur Gejeßgeberin 
meines Reiches gemacht!” ein Schriftftüd, das von allen älteren Biographen als 
eine Art Regierungsprogranım des Kaijers angejehen wurde, von Arneth als 
Fälſchung nachgewieſen worden. Auch ift aus den von Brunner veröffentlichten 
Derihten jenes Gejandten zu entnehmen, daß vieles, was der Snitiative des 
Kaiſers zugejchrieben wurde, vom öſterreichiſchen Klerus jelbft ausging.?) Die 
jojephiniihe Richtung entſprach ja einem Zuge der Zeit. 

Schon 1763, alfo noch bevor ſich Joſeph in öffentliche Angelegenheiten 
einmijchte, war jenes vielgenannte Buch des Juftinus Febronius „über den Zu: 
ftand der Kirche” erichienen, das auf die Anfchauungen der Zeitgenofjen über 
Staats: und Kirchenrecht bedeutiamen Einfluß übte. Gegenüber der kirchlichen 
Tradition war hier die Behauptung aufgeftellt, der Papſt jei nur der Erfte unter 
den Biſchöfen, ein Konzil jtehe über dem Papft, die Kirche zwar ſei untrüglich, 
nicht aber der Papit; kurz, der ganze Inhalt der Schrift war ein fortgejegter 
Angriff auf die monarhiiche Verfafjung der fatholifhen Kirche. Und doch ver: 
barg fi) unter dem Pjeudonym Febronius einer der höchſten Würdenträger der 
Kirhe in Deutichland, Johann Nikolaus von Hontheim, Weihbifchof von Trier. 
Zwar gelang es den Vorftellungen und Drohungen des Kurfürften von Trier, 
den Berfafler zum Widerruf zu bewegen, aber zugleich drang ein Wort Hont: 
heims in die Deffentlichkeit: „Die Sätze meiner Schrift hat die Welt gelejen, 
geprüft und angenommen; mein Widerruf wird denfende Menjhen jo wenig 


) Ranke, Die römifhen Bäpfte, 3. Bb., 209. 

2) Ueber die Frage 3. B., ob das befannte abfällige Urteil über die Freimaurerei im 
Patent vom 17. Dezember 1785 von Joſeph felbft herrühre, ob diefelbe feinen wirklichen An: 
fihten entſpreche u. ſ. w., ift ſchon von den Zeitgenofien in zahlreihen Flugichriften geftritten 
worden. Die Schrift: „Was ift Gaufeley, oder vielmehr: Was ift nit Gaukeley?“ nimmt 
den Kaifer in Schuß gegen den Verdacht, als ob aus feinem Munde ein ſolches Verdikt ftammen 
fönnte; der Urheber des Patents fei gar wohl befannt, aber „ich ſchöne deines Namens, hero: 
ftratifche Seele! um nicht etwa die Ohren der Edleren damit zu bejubeln. Dein Bewuhtfein, 
daß du von würdigen Männern ber Unwürdigſte geicholten wardſt, foll dir zur Strafe noch bei 
ipäter Nachwelt verbleiben. Gaudeley war dein Ausdrud und nicht der Ausdrud des Weijen: 
fo eine Stimme wäre ein Afterflang feines erhabenften Geiſtes!“ Dagegen fpottet ein anderer 
Freund der Maurerei in „Bier Briefen, abgefafjet von dreyen hellftrahlenden Kirchenlichtern 
über den guten Einfall des Kaiſers, den Freymaurern ein Gebiß anzulegen,” über das wider: 
finnige Vorgehen, den Jefuitismus ausrotten zu wollen und die treueften Bundesgenofien in 
diefem Kampfe mit kaltem Hohn zurüdzuftoßen. 

3) ©. Brunner, Theologiihe Dienerihaft, 9. 


423 Erftes Bud. Zweiter Abſchnitt. 


bewegen, dieſe Säße zu verwerfen, als jo manche verfuchte Widerlegung.” Als 
dem Fürſten Kaunig erzählt wurde, Hontheim habe den Febronius widerrufen, 
erwiderte er: „Hat er ihn auch widerlegt?” Insbeſondere auf den beutjchen 
Episfopat übte der Febronius gewaltige Wirkung. Die gallifanifhen Lehren 
für die beutjche Kirche anzupaſſen, die ganze Kirche in eine ariftofratijche Repu— 
blik Tediglih unter dem Vorfiß des Papftes zu verwandeln, das Kirchenredht mit 
den Staats: und Rechtsanſchauungen der Gegenwart zu verjöhnen: diefe Wünjche 
drangen in alle Schichten des höheren Klerus in Deutichland, 

Deshalb fanden die firchenpolitiihen Reformen Joſephs bei einem nam: 
haften Teile des öfterreihiichen Klerus ebenjoviel Beifall, wie fie in andren 
Kreilen unbedingt verurteilt wurden. Echt febronianiih war die erite Verord— 
nung vom 14. März 1781, wodurd der Verkehr der geiftlihen Orden mit den 
Obrigfeiten in Rom beſchränkt wurde, fowie die Verordnung vom 26. März 
1781, welde die Veröffentlihung der päpftlihen Bullen, der Hirtenbriefe und 
jonftiger Kurrenden der Bijhöfe von der Genehmigung der Landesregierung ab: 
bängig madte. Ein Mandat vom 4. Mai forderte, daß die Bullen Unigenitus 
und In coena Domini, in denen eine widerrechtliche Ausdehnung der päpftlichen 
Gewalt zum Ausdrud käme, aus allen Ritualen herausgeriffen werden follten. 
Desgleihen mußte in allen Brevieren die Stelle, wo erzählt wird, daß Papit 
Gregor VII. dem Kaifer Heinrich IV. wegen undriftliden Lebenswandels die 
Herrichaft entzogen habe, mit Druckerſchwärze überftrihen werden. Ein Edikt 
vom 1. Oftober 1781 legte den Landesbifchöfen einen Eid auf, daß fie, falls 
die Unterthanenpflicht mit dem Gehorfam gegen den Papft nicht in Einklang zu 
bringen wäre, nur auf das Landesgejeg zu achten hätten. Ferner wurde, auf 
daß endlich der jeſuitiſche Geift aus Kirhe und Schule in Defterreih entwiche, 
allen Deiterreichern der Beſuch des Collegium germanicum in Rom verboten. 
Dagegen jollten die Novizen geiftlichen Standes in neuen, unter ftaatlihe Auf: 
ſicht geitellten Priefterfeminarien Aufnahme finden; bier jollten fie fern von 
Iholaftiihem Getöjfe in allen, den Kindern Levis nützlichen Wiſſenſchaften 
und Uebungen unterwiefen, aber auch darauf hingewieſen werben, daß ſich 
die Wirkſamkeit des Klerus auf geiftlihe Dinge zu bejchränfen habe, wie ja 
auch den Apofteln von Chriftus jelbit nur geiftlihe Verrichtungen auferlegt 
worden jeien. 

Die wichtigſte und rühmlichite That Joſephs auf firhenpolitiihem Gebiet 
war das Toleranzpatent vom 20, Dftober 1781.) Duldſamkeit gegen Anders- 
gläubige hatte er ſchon in den Briefen an die Mutter als erfte Chriftenpflidt be: 
zeichnet. Vor dem Freidenker van Smieten ließ er fich darüber noch freimütiger 
aus: „Toleranz ift ein redender Beweis von den Fortſchritten des menſchlichen 
Geiftes, der fih dur die Macht des Aberglaubens fühn einen Weg gebahnt, 
welchen Jahrtauſende vorher die Zoroafter und Confutje gewandelt, und der zum 
Glück für die Menjchheit zur Heerftraße der Monarchen geworden ift.” Defjen- 
ungeachtet glaubte er nicht eine förmliche Gleichftelung der Afatholifen mit den 
Katholifen zum Geſetz erheben zu dürfen; dem von ihm aufgeitellten Gentrali- 


') 6. Frank, Das Toleranzpatent Kaiſer Joſephs II., 37. 


Joſeph II. 43 


fierungssyftem entſprach es vielmehr, daß auch er nur eine Staatsreligion, natür: 
ih die fatholiihe, anerfannt willen wollte. Demnach jollte nur diefem Be: 
fenntnifle öffentlihe Ausübung zuftehen; den Afatholifen blieb es nad) wie vor 
verwehrt, neue Kirchen zu errichten; nur Bethäufer (ohne Gloden und Türme, 
fowie ohne öffentlihen Eingang von der Gafje) waren ihnen geitattet, und 
innerhalb diejer Räume jollten fie in Ausübung des Gottesdienftes nicht be— 
hindert werden. Dagegen jollten fie in bürgerlichen Verhältniſſen den Katholiken 
völlig gleichgeftellt fein; alle Hinderniffe in Bezug auf Zulaffung zu Häufer: und 
Güteranfauf, zu Bürger: und Meifterrecht, afademiihen Würden, Zivilämtern ꝛc. 
wurden aufgehoben. Damit trat Defterreih in die Neihe jener Staaten, in 
welhen der Wert des Bürgers nur nah der Erfüllung feiner Pflichten gegen 
den Staat, nicht nad feinem Glauben bemeſſen wird. Von einer Bevorzugung 
ber Proteſtanten fann nicht geſprochen werden; die ungariihen Proteftanten 
glaubten jogar über unbillige Beihränfung ihrer biftoriihen Nechte Beichwerde 
erheben zu müſſen; in Böhmen wurden die Kreisämter durd ein Hofdekret an— 
gewiefen, die Bevölkerung zur Standhaftigfeit im rechten Glauben zu ermahnen 
und den Leuten zu erflären, daß die von der katholiſchen Kirche getrennten 
Sekten fein wahres Prieftertum hätten. Immerhin wurde der Ausbreitung des 
Protejtantismus durch das Toleranzpatent Vorſchub geleiftet. Binnen furzer 
Zeit ftieg die Zahl der Proteftanten in den Kronlanden um das Doppelte, die 
Zahl der Bethäufer um das Sechsfache. 

Es darf nicht unbemerkt bleiben, daß Leopold, der als Nachfolger des 
Bruders vieles wieder aufhob, was Joſeph in Staat und Kirche angeordnet 
hatte, bei Erlaß des Toleranzedifts begeiftertes Yob fpendete. „Die Religion 
wird dir zu danken haben, daß du Europa aufgeklärt und die wahre Religion 
vom Aberglauben und von den Mißbräuchen gereinigt haft, welche ſich darin 
eingeichlihen hatten und welche viele beflagten, ohne gleich dir den Mut zu bes 
figen, fie Stirn an Stirn und an der Wurzel des Uebels anzugreifen.” 

Durch kaiſerlichen Erlaß vom 29, November 1781 wurden alle jene 
Ordenshäuſer, deren Angehörige „weder Schule halten, noch predigen, noch ben 
Beichtituhl verfehen, noch den Sterbenden beiftehen, noch jonft in studiis fich 
bervorthun”, d. h. alſo jene Klöfter, deren Konventualen ſich ausſchließlich der 
Beichaulichkeit und Askeſe widmeten, für aufgehoben erklärt. Nichts hat dem 
Raijer jo viele Gegner wachgerufen, als diejer gegen die Klöfter geführte Schlag. 
In jüngfter Zeit hat Brunner aus den Alten neue, unerfreulihe Mitteilungen 
gezogen; diejelben find im liberalen Lager nicht genügend gewürdigt worden, 
wohl deshalb, weil ſich der Berichterftatter in übertreibenden Zufägen und Nupß: 
anwendungen gefällt. Der unbefangene Hiftorifer muß aber daraus entnehmen, 
daß unter den Aufflärern der jofephiniihen Periode die unfauberen Elemente 
vorherrſchten und das firdhenftürmerifhe Treiben diejer Leute feine Billigung 
verdient. Nicht fo fait, was geſchehen ift, ſondern wie es gejchehen ift, muß 
getadelt und beflagt werben. Wenn man vernimmt, daß zur Zeit des Ablebens 
der Kaijerin Maria Therefia 2067 Klöfter mit etwa 60000 Mönden und Nonnen 
beftanden und deren viele über Eigentum im Wert von ausgedehnten Herrſchaften 
verfügten, jo fann man fi der Anſchauung nicht verfchließen, daß eine ſolche 


44 Erftes Bud. Zweiter Abſchnitt. 


Ausdehnung des Orbenswejens, insbejondere ein jo ungeheurer Beſitz der toten 
Hand im Intereſſe einer gefunden Staatswirtſchaft eingefchränft werben mußte. 
Joſeph ſelbſt wollte aud) das jäkularifierte Kloftergut nicht zu weltlichen Zweden 
verwendet wiſſen. In einem Handbillet an den Grafen Blümegen vom 
27. Februar 1782 erllärte er, nach Vollzug der Aufhebung der vitam contem- 
plativam führenden Klöfter — an Zahl etwa 700 — wolle er das Vermögen 
nur einer großen Religions: und Pfarrkaſſe zuweiſen, „deren Einkünfte allein 
zu Beförderung der Religion und des damit jo eng verfnüpften und jo jchul: 
digen Beiten des Nächſten zu verwenden ſeien.“ Mit dem ftattlichen Kloſter— 
gebäuden hatte er allerlei, zum Teil großartige Pläne vor. So 5. B. jollte 
das Königsklofter nahe bei der Hofburg in Wien in eine Fremdenherberge in 
größtem Maßſtab umgewandelt werden; noch liegen bei den Akten die Baurifie. 
Das Portal der Hauptfaflade trägt die Ueberſchrift: Domieilium nationum! 
Es wagte aber fein unternehmender Kapitalift, den Plan zu verwirkliden. So 
erwies jih mande Idee als unausführbar. Auch führte die Räumung von 
Kirhen und Klöftern nicht felten zu unwürdigen Ausjchreitungen,; ein großer 
Teil des Kloftervermögens fam nicht den geplanten Zweden, fondern nur ge 
wijjenlojen Beamten und Spekulanten zugute. Es fol fih das Wunder er: 
eignet haben, dab filberne Engel von den Altären geradenwegs in die Rod: 
tafhen der Zaijerlichen Kommifläre flogen. In Innsbruck bie die Gattin 
eines Beamten „Muttergottes von Waldraſt“, weil fie bei feftlihem Anlaß ein 
foftbares Geſchmeide trug, das noch vor Kurzem den Hals der Madonnenftatue 
jener Wallfahrtsfirhe geſchmückt hatte.!) Wie Friedrich IT. feine franzöfifchen 
Negiebeamten gelegentlih als „Räuber“ bezeichnete, jo mußte auch Joſeph II. 
einmal das Geftändnis machen, jeine Abfichten in Bezug auf Verwendung bes 
Religionsfonds jeien von Pharifäern getadelt, von betrügeriihen Zöllnern mif: 
braucht worden. 

Doch über den ärgerlihen Ausfhreitungen dürfen die Lichtfeiten nicht ver: 
geilen werden. Die unverjöhnlihen Gegner des Jojephinismus pflegen zu ver: 
jhmweigen, daß von einer Aufhebung der Klöfter unter Joſeph II. gar nicht 
geſprochen werden kann, jondern nur von einer Reduktion; es blieben ja noch 
immer 1425 Klöfter beftehen, deren Mitglieder fih nah wie vor dem Unterricht 
oder der Krankenpflege widmen konnten und in ihren Einkünften nicht geſchmälert 
wurden. Und mag aud ein erheblicher Teil des Vermögens der aufgehobenen 
Klöfter verichleudert worden jein, der größere konnte doch zur Hebung des welt: 
lien Klerus und zu wohlthätigen Stiftungen verwendet werden. Noch wichtiger 
war, daß ein jo ausgebehnter Grundbefit der freien Arbeit überlafjen und für 
Taufende eine Duelle des Wohlftands wurde. Ein Hiftorifer, der für die Auf: 
bebung der Klöfter in Inneröfterreih zum erftenmal das gejamte authentifche 
Material, Klofteralten, Protofolle, Inventare, Berichte der Aufhebungsfom: 
mifläre ac. benügt und insbejondere die jozialen Wirkungen der Klofteraufhebung 
einer bejonnenen und gründlichen Unterfuhung unterzogen hat, faßt fein Ur: 
teil in die jchwerwiegenden Worte zuſammen: „Sofeph IL. Hat damit Oeſterreich 








!) Zäger, Kaiſer Joſeph II. und Leopolds II. Reform und Gegenreform, 78. 


Joſeph II. 45 


vor einer Revolution von unten bewahrt, welche in Frankreich mit zerftörerifcher 
Hand alles Kirchentum vernichtete.” }) 

Um die Anhänger der „alten Schule des Priefterftandes” von den wohl: 
wollenden Abfichten der Negierung zu überzeugen, jollte durch Litteratur und 
Tagesprefie auf die Gemüter eingewirft werden. Volle Cenfurfreiheit wurde 
nicht gewährt. Nur in Bezug auf die Perfon des Kaijers hob die Cenjurver: 
ordnung vom 11. März 1781 faft jede Beichränfung auf, jo daß z. B. eine 
gelegentlih der Papftreife veröffentlichte Flugichrift, die den anftößigen Titel 
führte: „Was wäre zu thun, wenn der Kaifer erfommuniziert würde?” ja jogar 
das „1784 in Berlin” gedrudte, angeblih von einem Ritter von Steinsberg 
verfaßte zotige Pamphlet, „Der A2jährige Affe, ein ganz vermaledeites Märchen”, 
ungehindert verfauft werden durfte. Dagegen wurde 1784 eine deutjche Heber: 
ſetzung von Voltaires Werken verboten, und in Bezug auf polemiſche Schriften 
über Religion und Kirche läßt fi ein einheitliches, folgerichtiges Vorgehen der 
Genjurbehörden nicht erfennen. 

Im allgemeinen bietet das Schriftweien in Defterreih unter Joſeph II. 
ein unerquidliches Bild. Kaifer Joſeph jelbit ift nicht frei von Schuld. Die 
Lobredner hoben ihm zum Ruhme hervor, daß er nicht, wie Friedrich IL, die 
franzöfifche Litteratur liebte, daß er mit Voltaire und den anderen litterariichen 
Größen des Nachbarreiches nichts zu jchaffen haben wollte. Goethe ftimmt 
biefer Anficht nicht bei. „Das gereichte diefem Fürften nicht einmal zum Ruhme,“ 
jagt er in „Wahrheit und Dichtung“, „denn es hätte ihm und feinen Unter: 
nehmungen nicht gefchadet, wenn er bei jo jchönem Verſtande, bei jo herrlichen 
Gefinnungen etwas geiftreiher, ein beſſerer Schäger bes Geiftes geweſen wäre.” 
Goethe trifft auch hier das Richtige: es geht ein gar nüchterner Zug durch bie 
ganze Joſephiniſche Hera. Joſeph jelbit befaß weder für die Litteratur, noch 
für die bildenden Künfte Verftändnis oder auch nur Neigung. Herder, ber 
anfänglich große Hoffnungen auf den Kaifer geſetzt hatte, urteilte jpäter über 
den „großen Wollenden” im Gegenjag zu König Friedrich, „der zu thun wußte,“ 
jehr ungünftig, bauptjächlich auch deshalb, weil der Kaijer den Wert und bie 
Bedeutung guter Litteratur jo gar nicht geihägt und „im Grund genommen 
den ganzen Bücherhandel für einen Käfehandel angefehen hat”. Die auffällige 
Thatſache erklärt ſich teile aus Joſephs Anlagen, teils aus den Eindrüden der 
Jugendzeit. 

In Oeſterreich war das Gebiet der ſchönen Litteratur ſeit Jahrhunderten 
brach gelegen.?) Um einen regeren Wetteifer mit den litterariſchen Leiſtungen 


i) Ad. Wolf, Die Aufhebung der Klöfter in Inneröſterreich 1782 -1790, 165. 

) In den 1777 anonym erfchienenen, angeblid) aus dem Franzöſiſchen überjegten „Denk— 
würbigfeiten aus Wien“ findet fi eine merfwürbige „Berhältnistabelle der Chronologie des 
Gefhmads zwiſchen Deutichland und Wien”, die den Beweis erbringen foll, daß jede Gattung 
der Litteratur von den Romanen „im Gefchmade der Banife” bis zu „Werthers Paſſions— 
tolletten” in Wien erft acht oder nod mehr Jahre fpäter ald im übrigen Deutichland be: 
fannt wurde, Blumauerd „Beobahtungen über Defterreihs Aufflärung und Literatur” (1782) 
find immerhin lehrreih, wenn fi aud die Kritik jelbft nur wenig über die gefcholtene Pro: 
buftion erhebt. 


46 Erftes Bud. Zweiter Abſchnitt. 


des deutjchen Nordens zu erweden, wurde 1760 in Wien die „Deutſche Gefel: 
ſchaft“ geftiftet. Won dieſem Zeitpunkt an läßt ſich in Defterreih zwar eine 
überrafchende Regfamleit auf litterariſchem Gebiet beobachten — man will binnen 
zwei Jahren 1100 einheimifche Autoren gezählt haben, — nicht aber ein Auf: 
Ihwung. Gewiß waren insbejondere die auf Hebung der Mutterfpradhe ge: 
richteten Beltrebungen der Sonnenfels, Riegger, van Smieen u. a. dankens— 
wert, aber Zeitungen von hervorragender Bedeutung gingen au aus diefem 
Kreife nicht hervor; all die Dramen, Satiren ꝛc. des Staatsrats v. Gebler, des 
Feldmarſchalls v. Ayrenhoff, des Schaujpielers Stephanie und anderer vom Lokal: 
patriotismus hochgeftellter Schriftiteller find heute verfchollen. Wenn der Berliner 
Nicolai in feinen Zitteraturbriefen erflärte, Deiterreih habe feinen Schriftiteller 
aufzumweiien, der die Aufmerkſamkeit des übrigen Deutjchland verdiene, jo war 
diefe Behauptung, die Sonnenfels entrüftet als „Nationalbefhimpfung”“ zurüd: 
wies, im ganzen und großen rihtig. Als nun Kaifer Joſeph den Kampf gegen 
Zelotismus und Aberglauben eröffnete, fand er nur allzu viele litterarifche 
Bundesgenofjen. Einzelne waren ernſt und ehrlich beftrebt, den pebantijchen 
Scholaftizismus zu befehden, ſchädliche Vorurteile auszurotten und den For: 
derungen der Vernunft, die ja Gott felbit in den Menfchen gelegt hat, freie 
Bahn zu öffnen, aber die eigentlichen Helden der Aufklärung, die den größten 
Lärm madten, waren traurige Kitteratoren. In welch ſchalen Dityramben 
auf die Aufklärung, in welch jeichter Reimerei und leerem Phrajengeflingel ge: 
fielen fi diefe Haſchka, Alringer, Blumauer und hundert andere! Auch bier 
zeigte fih, wie richtig König Friedrich eine gewiſſe Gattung geſetzgeberiſcher 
Philojophen beurteilte: „Ich habe zwar die größte Hohadtung für die Lehren 
folder Philojophen, aber in Wahrheit muß ich geitehen, daß Toleranz nicht die 
berrihende Tugend diefer Herren ift!” Denn nicht wenige von den in Nauten: 
ftrauchs Biedermannschronif gepriefenen Aufflärern waren unduldſame und un: 
gerechte Zeloten. Mande, 3. B. Eibel, der Verfaſſer der Schriften: „Was ift 
der Papſt?“ „Die Schädlichfeit der Ohrenbeicht” zc. Hatten früher dem Jeſuiten— 
orden angehört oder doch gute Dienfte geleiftet, und ſuchten nun die Aufrichtig- 
feit ihres Uebertritts zur Sache der Aufklärung durch überihmwänglihe Hymnen 
auf den Kaifer oder cyniſchen Spott über kirchliche Einrichtungen zu erhärten. 
Die nämlichen Leute, die fi über die Roſenkranzandacht weidlich Luftig machten, 
ihwangen unabläffig das Weihrauhfaß vor „dem Gottgefandten”, der „Wolluft 
der Nationen”, dem „Ermweder und Erretter, der den Mönchen das tyrannifche 
Scepter entwunden, den Geiſt aus dem Schlaf der Dummheit gerüttelt, die 
Fahne der Liebe über dem Grab des Aberglaubens aufgepflanzt” habe! Welcher 
Nugen konnte geftiftet werden mit der Monachologia, der Anatomia monachi 
und andren Pamphleten des Erjefuiten Born, des mutmaßlichen Originals des 
Schikanederſchen Saraftro! Mit den „Briefen aus dem Noviziat”, den „Marof: 
kaniſchen Briefen”, dem „Fauftinus“ zc. des Johann Pezzl! Bon feinen Wiener 
Freunden freilid wurde diefer Satirifer mit Voltaire vergliden, aber treffend 
ift gejagt worden, der Herr Privatjefretär des Fürften Kaunig verhalte ſich zu 
dem Philofophen von Ferney ungefähr jo, wie der „Fauftinus” zu Goethes 
„Fauſt“. Was foll man dazu jagen, daß Rautenftraud in jeiner Biedermannss 


Sofeph 11. 47 


chronik au den Sefretär der Wiener Nuntiatur, Egiſti, aufführt, einen Mann, 
der die geheime Korreſpondenz feines Herrn gegen klingenden Lohn an die 
Staatskanzlei auslieferte! 

Als eine nah jeder Richtung erfreulihe Erfcheinung kann auch der 
Fähigſte des ganzen Kreijes, Joſeph v. Sonnenfels, nicht gelten. Diejer Ge: 
lehrte, der nad bemwegter Lehr: und Wanderzeit 1763 zum Profeſſor für 
Kameral: und PBolizeimiffenihaft ernannt wurde, erwarb fih um Hebung des 
geiftigen Lebens in feinem Vaterlande großes Verbienit. Insbeſondere gilt dies 
von feinen Bemühungen um die Reinigung des Bühnenwefens, das in Wien 
einer unglaublihen Bermwilderung anheimgefallen war. Hier führte der Hans: 
wurft, der in Prehaufer einen in feiner Art vollendeten Vertreter hatte, noch 
in den jechziger Jahren unbeftritten das Scepter; Stüde voll Teufeleien, Zoten 
und Unfinn, wie „Megära, die fürchterliche Here, oder die bezauberten Hänge: 
leuchter“ und dergleichen traurige Poſſen und pofienhafte Trauerjpiele waren 
des Entzüden des Publiftums. Aber „Der Mann ohne Vorurteil”, die von 
Sonnenfels gegründete Zeitjchrift, rückte dem Unweſen tapfer zu Leibe und ver: 
drängte zulegt do die Hanswurftiade von der Bühne. In der Frage, ob 
Sonnenfeld’ „Briefe über die Wienerifhe Schaubühne” völlig unabhängig von 
der „Hamburgifhen Dramaturgie“ entitanden find, dürfte die Antwort kaum zu 
Bunften des Wiener Gelehrten ausfallen; immerhin find darin viele jchäßens: 
werte Winfe über dramatische Kunft und Bühnentehnif gegeben. Auch Miß— 
ftände anderer Art befämpfte „ver Mann ohne Borurteil” mit ebenjoviel Frei— 
mut wie Beredjamleit. 

Allein davon abgejehen, daß Sonnenfels feinen Einfluß nicht immer auf 
ehrenhafte Weije verwertete — es hätte ihn faft feine Stelle gefoftet, daß er 
einmal bei Einführung einer neuen Straßenbeleuchtung feinem Bruder Franz 
unerlaubten materiellen Gewinn zumwendete,) — auch die maßloje Selbjtüber: 
bebung, die fih in den Briefen und der Selbftbiographie diefes Protagoras 
fundgibt, ift nur geeignet, das wirkliche Verdienſt zu verbunfeln. Ueberdies 
läßt fih aus den von Hermann Rollet veröffentlichten Briefen Sonnenfels’ an 
Klo folgern, dab Sonnenfels zwar nicht die Berufung Leſſings nah Wien 
geradezu verhindert, daß aber der um feine Stellung als Mittelpunkt des fchön: 
geiftigen Lebens in Wien bejorgte Gelehrte wenigftens dazu beigetragen bat, den 
Verfaſſer von „Minna von Barnhelm”, der „nicht den Ruhm eines fo guten 
Mannes habe”, in Wien unmöglid zu machen.“) Als Lejling, bald nachdem 
jeine auf Wien gejetten Hoffnungen vereitelt worden waren, auf der Rückreiſe 
aus Stalien die Kaijerftadt berührte, fand er zwar bei Kaijer Joſeph, der ins: 
befondere an „Emilia Galotti” Gefallen gefunden hatte, ehrenvolle Aufnahme, 
ging aber den ehemaligen Gönnern, dem „großen Gejhmeiß”, aus dem Wege 


'ı) Wilhelm Müller, Jojeph von Sonnenfels, 39. 

2) Leſſings Braut, Eva Königs, fcheint das Richtige zu treffen, wenn fie in einem Briefe 
an ihren Bräutigam über Sonnenfeld bemerkt, es jei „Seinem Charakter nad) unmöglich, daß 
er wünſchen jollte, Sie an der Seite zu haben. So ftolz er ift, jo fühlt er doch den Inter: 
ſchied zwiſchen fih und Ihnen." 


48 Erites Bud. Zweiter Abſchnitt. 


und verficherte, von einer Anftellung in faiferlihen Dieniten nichts mehr willen 
zu wollen. 

Um die nämlide Zeit, da ber Streit zwiichen Leſſing und Sonnenfels 
ausbrah, wurde auch in Klopftod die Hoffnung rege, in Wien einen aus: 
gedehnteren Wirkungsfreis zu finden. Der Dichter hatte dort einflußreiche 
Freunde; von ihnen wurde der jchon früher ins Auge gefaßte Plan einer kaiſer— 
lihen Akademie wieder aufgegriffen. „Der Kaijer liebt fein Vaterland, und das 
will er auch durch Unterftügung der Wiflenichaften zeigen. Nur dies barf ich 
jagen!” Dieje in die Widmung der „Hermannsſchlacht“ eingeflochtene, geheim: 
nisvolle Erklärung bezog fi auf die von ihm mit Fürft Kaunig und andren 
faiferlihen Beamten eröffneten Verhandlungen. 

Eine Akademie der Künfte und Wiſſenſchaften unter Klopftods Leitung 
und zugleih ein Nationaltheater, mit Zejfing an der Spige! Als der Kaijer 
dem „erften Barden” jein in Gold mit Brillanten gefaßtes Bruftbild „nicht zur 
Belohnung, fondern zur Bezeugung Seiner Hochachtung“ überjandte, glaubte 
der Dichter darin eine fihere Gewähr für die Erfüllung des ſtolzen Wunfches 
erbliden zu dürfen; allein Joſeph ließ den Gedanken an jene Berufungen, wenn 
es ihm damit überhaupt ernit gewejen war, jedenfalls bald wieder fallen. Um— 
ſonſt ließ der enttäufchte Dichter in der Ode „Die Roßtrappe“ (1771) einen 
Mahnruf ergehen: 


„Dein ehrenvoll Wort (des Worts Ankündiger trauert!) 
Hältft du das dem Vaterland nicht, fo ſchweigt 

Auch von dir die ernfte MWahrheitäbezeugerin, 

Die Bertraute der Unſterblichkeit, Deutihlands Telyn!” . 


Als Joſeph die Alleinregierung übernommen hatte und mit feinem anti: 
römiſchen Reformwerk hervortrat, richtete Klopftod nochmals ale Wortführer 
des proteftantiihen Deutichlands begeifterte Verje „an den Kaifer“, der 


ne. . den Priefter wieder rufet zur Jüngerfchaft 

Des großen GStifters, machet zum Unterthan 

Den johbeladenen Landmann, machet den Juden zum Menfden ... 
Mer hat geendet, wie du beginnjt?!” 


Damals jang auch Herder in ebler patriotifher Wallung: 


„O Kaifer, du, von neunundneunzig Fürften 
Und Ständen wie des Meeres Sand 

Das Oberhaupt, gib uns, wonach wir dürften, 
Ein deutſches Vaterland, 

Und ein Gefet und eine fhöne Sprade 
Und rebliche Religion!” ... 


Welch eine Perſpektive eröffnet der Gedanke: wenn ein praktiſcher und 
zugleich ideenreiher Kopf wie Herder, ein Klopftod mit feinem patriotifchen 
Feuereifer, ein Leſſing mit feinem das Jahrhundert überholenden Weitblid als 
Bundesgenofjien Joſephs in Wien gewirkt hätten! Wie anders würde feinen 


Joſeph II. 49 


Reformen der Boden geebnet, wie anders ihr Einfluß im ganzen Reiche ge: 
fräftigt und aktuell geworden jein! Statt der nichtigen Aufklärichtpoefie der 
Blumauer und Haſchka ein geiftiges Streben und Schaffen, wie es einige Jahr: 
zehnte jpäter das Keine Weimar ſah — Wien wäre nicht mehr bloß die Reſidenz 
des Kaijers und der Sitz des Neichshofrats geweſen, ſondern in Wahrheit 
Hauptitadt und Mittelpunkt Deutjchlands geworben! 

Doch echte Geiftesfraft blieb unbeachtet, während die unberufeniten Schreib: 
gejellen, wenn fie nur der Emanzipation des Staates und der Kirche das Wort 
redeten, zu Einfluß und Anjehen gelangten. 

Daraus erflärt jih, dab Joſeph, obwohl er Feineswegs ein Freigeift war 
wie Friedrich II. fondern an den Dogmen der Kirche immer fefthielt, wie ein 
zweiter Julian gehaßt und verläftert werben fonnte. 

Der „Revolution von oben” jegten alle, die aus Gefinnungstreue oder 
Egoismus an den alten Inſtitutionen feitgehalten wiſſen wollten, erbitterten 
Miderftand entgegen. Im Namen dieſer Partei ergriff Kurfürft Klemens 
Wenzeslaus von Trier das Wort; in einem offenen Schreiben an den Kaifer 
forderte er Zurüdnahme der gegen die beiligften Rechte der Kirche verftoßenden 
Maßregeln, jonft werde auf den Sturm gegen die Altäre bald der Sturz der 
Throne folgen. Joſeph wies aber die Einmifhung barſch zurüd, „nicht als 
Gefeßgeber, nicht als Moralift, jondern als guter Soldat, der den gefunden 
Denichenveritand und den ehrlihen Köhlerglauben an der Hand hat”. 

Da verjuchte ein mächtigerer Schußherr fein perjönliches Anſehen zu 
Gunjten des bedrängten Kirchentums geltend zu maden. Das Unerhörte wurde 
Ereignis: die Welt jah wieder wie im elften und zwölften Jahrhundert einen 
Papſt nad) Deutjchland kommen. 

Vergebens juchte der Faiferliche Gefandte, Kardinal Herzan, im Namen 
feines Herrn, den Plan zu hintertreiben: Pius VI. hielt daran feft, um wenig: 
tens, wie er zum fpanifhen Gefandten jagte, feine Hirtenpflicht erfüllt zu haben, 
wenn ihn fein Vertrauen auf die Güte und den Neligionseifer des Kaifers 
täufchen ſollte. Herzan glaubte an jo lautere Beweggründe nicht. „Mir deucht,“ 
ſchreibt er an Kaunig, „daß die Eigenliebe die Ruhmbegierde als einen Ge: 
wiſſensdrang anſehen madt.“ Auch Joſeph erblidte in der Reife nur den 
„Ausfluß jener den Papſt ganz und gar beherrſchenden myiteriöfen Sehnjucht, 
als Retter der Kirche zu erjcheinen, die doch von niemand angegriffen ift“. 
Als ehrfurchtsvoller Sohn der Kirche will er jeinen Gaft begrüßen, aber 
auch als „ein Mann, der erhaben ift über Phrajen und etwaige dramatijche 
Scenen, mit denen man ihn zu ködern gebächte”, als „ein Regent, der feine 
andere Rüdjicht kennt ala das Wohl feines Staates”. Der Verdruß über den 
unwilfommenen Beſuch jpricht ſich draftifh aus in der Antwort auf die Ans 
frage einiger Biſchöfe, ob fie dem Papft in Wien ihre Ehrfurcht bezeigen 
dürften: „Wien fteht Jedermann frey, der ſich nicht in den Fall gejegt hat, es 
vermeiden zu müſſen, aljo können, ihrem Vorwitze Genüge zu leiften, Biſchöfe 
binfommen oder ausbleiben, wie fie wollen.“ 

Welch ſchroffer Gegenſatz fih jhon zwifhen Anhängern und Gegnern der 
Reform ausgebildet hatte, läßt fih aus den Gelegenheitsichriften der beiden 

Heigel, Deutide Geſchichte vom Tode Friedrichs db. Gr. bis zur Nuflöfung des deutſchen Reihe. 4 


50 Erftes Bud. Zweiter Abſchnitt. 

Barteien erkennen. Die in febronianiſchem Geift gefchriebene Flugſchrift: „Was 
ift der Papft?” rief eine Flut bitterer Ermwiderungen hervor, ebenſo die Schrift 
„Beweis, daß vormals die Päpfte den römiſchen Kaifern unterthan gewejen“. 
Ein anderer Autor wirft die Frage auf: „Mas wäre zu thun, wenn ber Kaifer 
erfommuniziert würde?” und gibt die Antwort: „Zu laden, aus vollem Halfe zu 
lachen!“ „Wie,“ ruft P. Merz, „soll aljo der Kaifer den Kirhenbann nicht achten 
bürfen? Nein, mein Herr, denn der Kirchenbann würde ungültig jein und gar 
feine Wirkung haben, denn er hat nie in die Nechte andrer eingegriffen und ilt 
nie zur Keßerei abgefallen!” 

Joſeph jelbit begte Sorge, es möchte zu ärgerlihen Auftritten fonımen. 
Die Befürhtung war unbegründet. Wohl ftrömten Hunderttaufende täglich zu: 
jammen, um den Papft zu ſehen, und wo berjelbe ſich zeigte, warfen ſich die 
Gläubigen fcharenweije in den Staub. Auch der Kaifer verjäumte feine Ge: 
legenheit, dem Oberhaupt der Kirche die ſchuldige Ehrfurdt zu bezeigen, aber 
er blieb ceremoniös und zurüdhaltend, jolange Pius innerhalb der Mauern von 
Wien weilte. Bei den Verhandlungen mit dem Papite und anderen geiltlichen 
Wiürdenträgern wich er feinen Finger breit von der Stellung zurüd, welde er 
bisher in firhenpolitiihen Fragen eingenommen hatte. „In Bezug auf die Ge- 
ſchäfte,“ jchrieb er am 29. März an Bruder Leopold, „ind der Papſt und ich 
auf demjelben Standpunkt, als wenn er nicht hierher gefommen wäre” Als 
Pius wiederholt feine Abreife verjchob, wurde der Kaiſer ungeduldig. „La sec- 
catura fängt an, peinliher zu werben.“ Nach vierwöcentlihem Aufenthalt 
verließ Pius die Kaiſerſtadt. Daß er verſtimmt war und in der Erfolglofigfeit 
feiner Reife eine Demütigung erblidte, geht aus verſchiedenen Neußerungen, 
fowie aus den Erklärungen, weldhe er nad der Heimkehr im Kardinalskollegium 
abgab, unzmweifelhaft hervor. Ebenſowenig fam es gelegentlich des kurzen Gegen: 
bejuches, den Joſeph im Dezember 1783 in Nom abitattete, zu einer Ausföhnung. 
Man hat Nahwirkfungen der Befuche darin erbliden wollen, daß in der nädjiten 
Zeit feine durchgreifenden Neuerungen auf kirchlichem Gebiet angeordnet wurden, — 
dat durch Erlaß vom 25. April 1784: „Da dur diefes Jahr der Beweis Elar 
vorhanden liegt, daß unendlich viel Brojhüren nur geſchmiert werden und jchier 
feine einzige noch an das Tageslicht gefommen ift, die der hiefigen Gelehrjamfeit 
Ehre gemacht oder dem Publico einige Belehrung verſchafft hätte,” die Ber: 
öffentlihung der lugichriften von Erlegung einer hoben Kaution abhängig ge: 
macht wurde, — daß der Kaifer in das zur Negelung der Logenverhältniſſe 
des Freimaurerweſens erlajiene Patent vom 16. Dezember 1785 die höhnifche 
Bemerkung einfloht, „die Geheimniſſe des Ordens jeien ihm ebenjo unbewußt, 
als er deren Gaufeleien zu erfahren jemals vorwigig genug gewejen jei”. Allein 
aus den Briefen Joſephs läßt fich erjehen, daß jein Eifer für die Emanzipation 
des Staates nicht erfaltet und jein Mut nicht gebroden war. 

Davon gibt auch Zeugnis das in der Geſchichte des Unterrichtsweiens 
epochemachende Schulgeieg vom 26. Auguft 1784, in welchem eine Reihe von 
ethiſchen Momenten zum erfitenmal auftritt, die in anderen Staaten erit nach und 
nad Eingang fanden und heute wenigitens zum größeren Teil in den Kanon der 
modernen Pädagogik aufgenommen find. 


Joſeph II. 51 


Das überrafhend ftrenge Vorgehen gegen die Univerfitäten ftand im Ein: 
Hang mit Joſephs Prinzipien: Beſeitigung aller Sonderrehte, Gleichftellung 
aller vor dem Gejeg! Die aus dem Mittelalter herübergelommenen Einrichtungen 
und Freiheiten wurden einfach abgef&hafft, die Einkünfte in die Hände des Staates 
gegeben. Den Lehrern, die alle Vorrechte einbüßten, war doch nur ein bürftiger 
Erjag geboten dur die Verfügung, daß fie künftig vor Gericht mit „Herr“ 
angerebet werben jollten! 

Doch wenn fich auch einzelne und Körperichaften zu Klagen über die Härte der 
Reformen genötigt ſahen, für die Allgemeinheit hatte Joſeph immer ein fühlendes 
Herz und eine offene Hand. Davon geben viele hundert humanitäre Grün: 
dungen rühmliches Zeugnis. Die hervorragendfte Schöpfung war das nad) 
dem Vorbild des Hötel-Dieu in Paris errichtete allgemeine Krankenhaus in 
Wien, das fi zur tüchtigſten Pflanzſchule ärztlicher Kunft auffchwang und biejen 
Auf jeit einem Jahrhundert fefthält. Das Joſephinum für Militärärzte, das 
erite Findelhaus, das erfte Taubftummeninftitut in Wien, zahlreihe Spitäler, 
Irrenhäuſer, Waifeninititute, Befferungsanftalten und ähnliche Stiftungen find 
unter den Aufpizien des gefrönten Menfchenfreundes ins Leben getreten. 

Humane Beweggründe und zugleih phyſiokratiſche Grundjäße leiteten 
Joſeph bei Vollendung der Urbarialgefeggebung, welche ſchon von Maria The: 
refia in Angriff genommen morden war und in ber völligen Aufhebung der 
Reibeigenihaft (1785) gipfelte. Als überzeugter Anhänger der Lehren Ques— 
nays hoffte Joſeph, der deshalb mit befierem Fug, als weil er eines Tags in 
Mähren den Pflug in die Hand genommen hat, den Namen eines „Bauern- 
freunds” führen kann, dur Befreiung der Arbeitskraft des Landmanns die 
Wohlfahrt des nüglichen Standes und nicht minder den Nationalreihtum zu 
fördern. Die jegensreihe Wirkung diejer That wird heute niemand mehr in 
Abrede ftellen, wenn auch jonft gerade manche volfswirtichaftlihe Maßnahmen 
den ftrengen Tadel Häuffers berechtigt erjcheinen laſſen, daß Joſeph „das alte 
Weſen von Grund aus zerrüttete, den zähen und erftarrten Stoff den gemalt: 
ſamen Erperimenten phyfiofratifher und encyklopädiſtiſcher Aufflärung unter: 
warf und eine Verwirrung und Gärung bervorrief, deren Nachmwirkungen weit 
über feine Regierungszeit hinausreihten”. Die Aufitellung einer gerechten, gleich 
mäßig verteilten Grundfteuer bezeichnete er felbit als das Hauptwerk feines 
Lebens, aber das Endergebnis, das Steuerpatent vom 1. November 1789, konnte 
niemand befriedigen. 

Für die Urproduftion, den Aderbau, jolten auch die Juden herangezogen 
werben; hauptfählih aus diefer Rückſicht auf das praftifche Staatsintereffe ift 
die Stellung Joſephs zur Judenfrage zu erklären, philanthropifche Gründe traten 
erft in zweiter Reihe hinzu. Die Juden follten gezwungen werben, dem Staat 
nüßlichere Dienfte zu leiften, und dafür eine etwas günftigere joziale Stellung 
erlangen. An eine Emanzipation der Juden dachte Joſeph noch gar nicht. 
Immerhin bedeuten die Jubenpatente einen weſentlichen Fortſchritt gegenüber 
den BZuftänden unter Maria Therefia, welche jede Anfiedlung von Juden 
ſchlechtweg verbot, da fie „Leine ärgere Velten vorn Staat fenne, als dieſe 
Nation“. 


Erfted Bud. Zweiter Abfchnitt. 


wit 
Od 


Auf das Anfiedlungsweien nahm Joſeph nicht minder eifrig Bedacht, als 
König Friedvrih, und entſprechend jeiner Lieblingsidee, dem deutſchen Element 
zur Herrfhaft in den Kronlanden zu verhelfen, wurde insbejondere die Anfied: 
fung von Deutihen in allen Ländern magyariſcher und jlavifher Zunge von 
Staats wegen unterftügt. 

Im allgemeinen kann Joſephs volkswirtſchaftliche Politik als eine jchuß: 
zöllnerifche bezeichnet werben. Gerade Defterreich, jo wurde gefolgert, mit feinem 
Reihtum an Naturproduften aller Art fönne fih am leichteften frei machen vom 
Ausland; man brauche aljo nur die ausländifche Konkurrenz abzuwehren, jo 
werde die Produktion im Lande erftarlen. Aber der ganze Staat müſſe im 
Auge behalten werden; das gegen das Ausland abgeſchloſſene Zollgebiet joll alle 
Teile der Monarchie umſchließen. „Die Zollſchranken, welche den Verkehr zwiſchen 
den einzelnen Provinzen hemmen, müflen fallen,” — in diefen Worten fommt 
auch wieder fein Zentralifierungsiyitem zum Ausdrud, — „alle Erbländer müflen 
als eins angejehen werben, während bisher jeder Herr nur auf feine Herrichaft 
jehe, jeder Kreishauptmann nur auf feinen Kreis, jedes Land nur auf fein Wohl 
bedacht jei und fein Menſch das Ganze der Monardie ins Auge faſſe.“ Mit 
welhem — man fann fagen — leidenjchaftlihem Eifer der Kaiſer die gewerb: 
lihe Thätigkeit zu fördern juchte, wie unermüdlich er bemüht war, die Lebens: 
bedingungen jedes einzelnen Kabrifationszweiges fennen zu lernen, bezeugen die 
von Mennert mitgeteilten Hanbbillets; andrerjeits zeigt fi) auch hier wieder, 
wie Joſeph durch doftrinäres und deſpotiſches Vorgehen nicht jelten Schädliches 
ihuf, wo er in menſchenfreundlicher Abficht das Beſte anftrebte. Ein wirklicher 
Aufihwung läßt fih in der Woll- und Leinwandinduftrie in Böhmen, Mähren 
und Schlefien beobadten. 

Ganz modern — wenn diejer Ausdruck geitattet ift — zeigt ſich Joſeph in 
jeiner Handelspolitif. Auf Hebung des Verkehrs in den Donauländern und auf 
vorteilhafte Handelöverträge mit den befreundeten Staaten richtete er fein Haupt: 
augenmerf, und wohl mit Recht erklärt Adolf Beer, die handelspolitiihe Stellung 
Delterreihs in den Balfanländern und im Orient würde ſich weit günftiger ent: 
widelt haben, wenn Joſephs Nachfolger an ähnlichen Beftrebungen fejtgehalten 
hätten.) 

Im Jahre 1786 erſchien in der Monatsſchrift „Deutiches Muſeum“ eine 
Reihe von Artikeln „Aphorismen zur allgemeinen Kunde der geſamten faijer: 
lihen Staaten”; es darf wohl angenommen werben, daß die empfehlende An: 
zeige unmittelbar aus öjterreihifchen Regierungskreiſen ſtammte. Als goldene 
Frucht der jechsjährigen Regierung Joſephs wird gefeiert, daß die Bevölferung 
auf 19%. Millionen geftiegen jei; das glänzende Ergebnis fei nur zu erzielen 
geweſen durch treue Pflege der phyſiſchen und fittlihen Kultur, Duldung aller 
Religionsbelenntniffe, Aufhebung der Klöfter, Zivilifierung der Juden und Bis 
geuner, Aufmunterung der Kolonifation, Errichtung neuer Fabrifen und lebhafte 
Förderung des Handels. 

Im Often und im Weſten Länderzuwachs zu erlangen, — dort, um ber 


) Adolf Beer, Joſeph II., im Neuen Plutarch, 9. Bb., 146. 


Joſeph II. 53 


Induſtrie und dem Handel der Kronlande ein neues Abjaggebiet zu Schaffen, — 
bier, um dur Erwerbung einer rein deutſchen Provinz dem deutſchen Element 
im vielfpradjigen Deiterreih den Supremat zu fihern: das waren die Zielpunfte 
für Joſephs auswärtige Politil. Daraus erklären fi die Annäherung an 
Rußland und die Anjchläge auf Baiern. In diefen Hauptpunften verhielt ſich 
jegt auch Fürft Kaunig nicht mehr ablehnend. Der Vergrößerungsſucht Ruf: 
lands, erklärte er, könne nicht gefteuert werden, alfo müjje Defterreih Hand in 
Hand mit Rußland Ländergewinn erftreben; ebenfo werde es großen Vorteil 
bringen, Baiern gegen die Niederlande einzutaufchen, da der Beſitz an der weit 
abliegenden Nordjeefüfte immer eine gewiſſe Abhängigkeit von Franfreich mit ſich 
bringe, die Abrundung durch Baiern dagegen den Kaiferftaat nad) jeder Richtung 
jelbftändig made. 

Bei der Zujammenkunft mit der Zarin in Mohilem war zu freundichaft: 
lihen Beziehungen zwijchen den zwei mächtigſten Ditreichen der Grund gelegt worden. 
Katharina hatte den ritterlihen, gejcheiten Fürften, der fich jo freimütig und 
vertraulich zu geben wußte, in der That lieb gewonnen. „Ich käme niemals 
zu einem Ende,” jchrieb jie an Baron Grimm, „wenn ich Joſephs Lob fingen 
wollte; er ijt der jolidefte, tieffte und gejchictefte Kopf, den ich kenne; der muß 
früh aufftehen, der ihm den Rang ablaufen will!” Der günftige Eindrud war 
von Dauer. Noc lange nad Joſephs Tod klagte fie die Defterreiher an: „Sie 
hatten einen Adler, aber fie erfannten ihn nicht!” Auch Joſephs Urteil über 
Katharina lautete im allgemeinen nicht ungünftig, aber er war überhaupt nicht 
der Mann, der jich duch perfönlihe Eindrüde und Neigungen beeinflufien ließ; 
er gab in Petersburg ſchöne Worte, weil er fih vom Zujammengehen mit Ruß: 
land glänzenden Vorteil verſprach. In diefer Hoffnung beftärften ihn Beteue: 
rungen der Zarin, die feineswegs den tatſächlichen Berhältnifien entipraden. 
Die Türfei wurde als ein unrettbar der Auflöfung verfallenes Land geſchildert; 
die Teilung des türkiſchen Beſitzes auf der Balfanhalbinjel ſei nur noch eine 
Frage der Zeit. Kaiſer Joſeph trug zwar, als wegen bes Einfalls der Ruſſen 
in die Krim der Krieg mit ber Pforte unmittelbar bevorzuftehen ſchien, troß 
aller Freundihaftsihwüre Bedenken, für Wieberherftellung des griechifchen 
Kaifertums feine Truppen zu opfern, aber er hielt durch jeine Rüftungen und 
dur jeine offene Parteinahme für die ruffiihen Ansprüche die europäiſchen 
Mächte von thatkräftiger Unterftügung der Türkei ab, fo dab im Divan jelbit 
die jFriedenspartei das Uebergewicht erlangte. Katharina erfannte willig an, 
daß Rußland den Defterreihern, wenn diefe auh nur Gewehr bei Fuß fich 
aufgeitellt hatten, den Bejig der Krim zu danken babe. Nie werde Rußland 
jäumen, jchrieb fie am 1. Dezember 1783 an Joſeph, ebenjo dienftwillig das 
öfterreichifche Interefle zu wahren, wie Joſeph ihr zuliebe das ruſſiſche ge: 
fördert habe. Und als Joſeph darauf vertraulich eröffnete, die Gelegenheit zur 
Vergeltung fei ſchon gekommen, denn er trage ſich mit der Ablicht, die Nieder: 
lande gegen Baiern und das Erzitift Salzburg zu vertauſchen, und Rußland 
werde dabei gute Dienfte leiften können, gab die Zarin freundliche Zuſage. Es 
jei ihr nur willfommen, daß fie ihr Verſprechen einlöfen könne; die Erftarfung 
Deiterreih® fomme ja auch ihrem eigenen Staat zugute; fie habe unverzüglich 


54 Erfted Bud. Zweiter Abſchnitt. 


ihren Gejandten Romanzow beauftragt, am Zweibrückenſchen Hofe für die 
Wünſche des Kaiſers zu wirken. 

Es war ein öffentliches Geheimnis, daß die Taufchverhandlungen mit Karl 
Theodor aud nad dem Teichener Frieden fortgefegt wurden. Wenn fie nicht 
rajcher den gewünjchten Erfolg hatten, fo lag die Schuld nur daran, daß man 
fih über die Höhe des Preijes nicht einigen konnte; der Kurfürft verlangte die 
ganzen öſterreichiſchen Niederlande, der kaiſerliche Gejandte Graf Lehrbach hoffte 
noch, die Forderung herabzudrüden. Der Wiberftand des Kurfürften wäre alio 
durch weiter reichende Zugeſtändniſſe zu befiegen gewejen, aber um den Teſchener 
Bertrag unschädlich zu maden, mußte auch bie Zuftimmung der Zweibrüdenjchen 
Agnaten erlangt werden. Doch alle Verſuche, den Herzog Karl Auguft für den 
Tauſchhandel zu gewinnen, blieben erfolglos, und au die Vorftellungen des 
Grafen Romanzow führten nicht zum Ziel; als die Sprade der Unterhändler 
drohender wurde, legte der Herzog bein Reichstag gegen bie „auf Entfernung 
des MWittelsbahifhen Haufes aus dem deutſchen Reich“ zielenden Umtriebe des 
Wiener Hofes Verwahrung ein und nahm die Hülfe des Königs von Preußen 
in Anſpruch. Die ungewöhnlich heftige Ausbrudsmeife, deren ſich König Friedrich 
in den Verhandlungen wegen der ländergierigen, deſpotiſchen Anjchläge des 
Kaifers bedient, verrät feine Erregtheit. Mit jugendlihem Ungeſtüm rüftete er 
fih zur Abwehr. „Zum Schutze der deutſchen Freiheit” griff er auf die ſchon 
früher im preußiſchen Minifterium und im diplomatiihen Verkehr mit andern 
deutihen Staaten mehrfach erörterte dee eines „Fürftenbundes nah dem Bor: 
bild desjenigen von Schmalkalden” zurüd. Gegen die Tyrannei des Kaijers, 
erwidert er auf abmahnende Vorjtellungen Hergbergs, helfe nur feftes Zufammen: 
balten aller bedrohten Staaten, gleihmwie ja niemand im ftande jei, ein Pferd 
auf einmal des ganzen Schweifes zu berauben, während dies leicht zu erreichen 
jei, wenn ein Haar nad dem andern ausgezogen werde. 

Der Hülferuf des Herzogs von Zweibrüden, der feit und feierlich erklärte, 
er wolle lieber unter den Ruinen feines Landes jein Grab finden, als zu 
ungerechter Gemaltthat feine Zuftimmung zu geben, rief auch bei den übrigen 
Reichsſtänden lebhafte Aufregung wach. Unter dem Eindrud diefer Stimmung 
gelang, was ſonſt wohl feine Kunft preußiicher Diplomaten, feine Waffen: 
that preußiſcher Heere zu ſtande gebradht hätte: die Vereinigung geiftliher und 
mweltlicher, fatholifcher und protejtantifcher Reihsftände unter Schug und Leitung 
Preußens. Am 23. Juli 1785 wurde ber von Hergberg entworfene und vom 
König ſelbſt verbeflerte „Entwurf einer reichsverfafiungsmäßigen Verbindung der 
deutichen Neihsfürften” von Brandenburg, Sachſen und Hannover angenommen, 
und binnen kurzem trat die Mehrheit der Reichsftände, darunter auch der Kur: 
fürſt und Erzbifhof von Mainz, dem Bündnis bei. Umſonſt ftellte Joſeph 
feine Umtriebe am Münchener Hofe in Abrede und bejchwerte fi über die arg— 
liftigen Verdrehungskünſte des Berliner Kabinetts. „Wenn der König von 
Preußen die Hölle gegen mich aufhegen fünnte, jo würde er e& gewiß thun, 
ohne auf die Folgen zu achten; mag daraus entftehen, was da will, wenn nur 
er feine Mut auslajlen kann!“ 

Doch dieſe Klagen änderten nichts an ber Thatjahe, daß Joſeph eine 


Joſeph II. 55 


ſchwere Niederlage erlitten hatte. Zur Zeit des baieriſchen Erbfolgekriegs hatte 
Joſeph den König von Preußen ſeinen „Gegenkaiſer“ genannt; jetzt nahm 
Friedrich in der That eine ſolche Stellung ein. Von allen Seiten wurde dem 
„Retter der deutſchen Freiheit“ zugejubelt.) Die „Darſtellung des Fürſten— 
bundes“ von Johannes Müller iſt ein begeiſterter Aufruf zum Kampf wider 
die öſterreichiſche Weltmonarchie. „Der Fürſtenbund iſt, wenn er ſeine Auf: 
gabe löſt, der Stolz der Gegenwart, die Hoffnung der Zukunft.“ 

„Wer für das Gefeg ift,“ ſchrieb Ernit Poſſelt, „für den ift der teutiche 
Bund; wer wider das Geſetz iſt, wider ben ift der teutiche Bund; er ift für 
die Verfafliung des Neihs, was für ein ehrwürdiges Gebäude aus den Zeiten 


Vorbei ift jegt die Zeit der Ferdinande und Karl, die Zeit der eifernen Ge- 
waltthat!” Nicht bloß war der nächſte Zwed der Vereinigung, die Einverleibung 
Baierns zu verhüten, glüdlich erreicht: der Fürltenbund von 1785, ber Sieg 
der fonjervativen und territorialen Politik Friedrichs über Joſephs imperialiftifche 
Tendenz hatte eine noch weit wichtigere Bedeutung. Zum erjtenmal tauchte in 
deutichen Politifern der Gedanke einer Einigung Deutſchlands mit Ausschluß 
Cefterreihs und unter Führung Preußens auf, der Gedanke, der immer feltere 
Wurzeln trieb, bis das Jahr 1871 die Erfüllung bradte. Schon König Friedrich 
felbit erfannte die Tragweite jeiner moralijhen Eroberung; der Fürftenbund 
wurde Editein eines neuen politiſchen Syſtems: während gerade Friedrich bisher 
darauf hingewirkt hatte, das Verhältnis Preußens zum Reich zu lodern und 
bedeutungslos zu maden, follte fortan deutſche Politik der Grundpfeiler der 
europäiſchen Machtſtellung Preußens fein. 

Und während Joſeph durch unvorjichtige Bedrohung der ntegrität des 
Reichsgebiets feinen Einfluß in Deutfchland einbüßte, tauchten neue Gefahren 
auf, die den Beſtand der ölterreihiihen Monarchie jelbit in Frage ftellten. 

Das nämlihe Voll, das den Thronfolger Joſeph vergöttert hatte, war, 
faum daß der Erjehnte den Thron beitiegen hatte, verftimmt, mißtrauifch, 
unzufrieden. Früher war er der Träger aller Hoffnungen, der Vermittler 
zwiihen Regierung und Volk gemwejen; der Selbftregent, der fih in feiner 
„ſtuartiſierenden“ Weiſe, wie Schlözer rügte, alles zu willen und alles zu 
thun vermaß, war fait allen unbequem. Es trat zu Tage, wohin ein unitarifch- 
abjolutiftiiches Regierungsſyſtem troß ber redlichſten Abfichten des Regenten 
nur zu leicht führt: zu bureaufratiiher Bevormundung. Ein Fürft, der auch 
Gedanken und Gefühle der Unterthanen zum Guten lenfen will, erſcheint gleich— 
mäßig den Freunden bes Guten wie des Böſen als Hindernis der Freiheit und 
des Glüde. 

Bejonders unzufrieden war man in Ungarn. Die dee, aus ben ver: 


’) Behauptungen des Abenteurers Trend find nicht ernfthaft zu nehmen, doch ift immerhin 
für die allgemeine Furcht vor der „Habgier” Joſephs bezeichnend, daß Trend das Märchen 
auftifcht, der „Kapitän: Bafja” in Konftantinopel habe dem preußifchen Gefandten den zwiſchen 
Defterreih und Frankreich verabredeten Plan einer Teilung Deutjchlands enthüllt, und zur Ab: 
wehr dieſes Unbeils fei der Fürftenbund geftiftet worden. (Trend contra Mirabeau, 36.) 


56 Erfted Bud. Zweiter Abfchnitt. 


fhiedenartigen Beltandteilen der öſterreichiſchen Monardie einen einheitlichen 
Staat zu bilden, war das Vermädtnis Maria Therefias. Joſeph ging aber, 
um zu biefem Ziel zu gelangen, allzu baftig, allzu rüdjichtslos gegen Tradition 
und hiltorifhe Rechte vor. Der Zumutung, ſich als König Ungarns in Preß— 
burg krönen zu laffen, feste er ein barjches Nein entgegen; die Krone bes 
heiligen Stephan ließ er nah Wien bringen und gemwiflermaßen als Kuriofität 
in der Schapfammer niederlegen. Den ungariihen Reichstag rief er nicht mehr 
zufammen; die Komitatöverfammlungen wurden durch kaiſerliche Kommijfionen 
erjegt. Das Deutihe wurde zur alleingültigen Gejhäftsipradhe erhoben. „Die 
deutſche Sprache iſt Univerjalipradhe meines Reiches,“ jchrieb er an einen 
Magnaten, „ih bin Kaifer des deutſchen Reiches, demzufolge find die übrigen 
Staaten, die ich befige, Provinzen, die mit dem ganzen Staate in Vereinigung 
einen Körper bilden, wovon ich das Haupt bin... Wäre das Königreih Ungarn 
die widhtigite und erſte meiner Befigungen, jo würde ich die Sprache desjelben 
zur Hauptſprache meiner Länder machen; jo aber verhält es ſich nicht.” 

Für die Entwidelung und Ausbreitung der beutjchen Sprade ijt die 
Vorliebe Joſephs für deutihes Spradtum, die als Gegenftüd zu Friedrichs 
des Großen Abneigung wohltuend anmutet, epochemahend geworden. Die 
Magyaren fühlten fih aber gerade durch die Zurüdjetung ihrer Landesſprache 
am jchweriten verlegt.!) Der ungariiche Adel machte wie ein Mann Front 
gegen den Kaijer; da und dort wurden die Steuern verweigert; in Sieben: 
bürgen fam es 1784 zu Unruhen, die nur mühjam durch Waffengewalt ge: 
dämpft wurben. 

In den deutihen Provinzen ftand es nicht viel beffer. Hier gab es eine 
radifale Partei, denen jogar das Tempo der Sofephinifhen Reformen im 
Intereſſe der Aufklärung noch zu fchleppend erjchien. So wird der Kaijer 5. B. 
in einer Flugihrift „Ein Verteidiger des Volks an Kaiſer Joſeph“ (1785) 
„ein hinter feiner Zeit zurüdgebliebener Deſpot“ genannt; man bediene ſich in 
Defterreih großer Worte, liebäugle aber immer noch mit dem Alten, wie in ber 
Zeit der Ferdinande; insbejondere die Verordnung gegen die Auswanderung 
verdiene als „Brandmal der Sklaverei” verurteilt zu werben. 

Weit zahlreiher aber waren die frondierenden Gegner der firdlichen Neue: 
rungen, als deren Haupt der Erzbifhof von Wien, Kardinal Migazzi, anzujehen 
war. Joſephs Wunſch, die „apoftoliiche Einfachheit” des hriftlichen Gottesdienftes 
mwieberhergeitellt zu jehen, rief eine Reihe von Verordnungen hervor, die von 
den Gläubigen als unerträglide Einmifhung der weltlichen Gewalt aufgefaßt 
wurden. Zahl und Form für die Gottesdienfte wurden aufs genauefte vor: 
geſchrieben, Amulette, Roſenkränze ꝛc. verboten; in der Chriſtnacht durfte Feine 


ı) Merkwürdigerweiſe wurde das Sprachedikt auch von Deutſchen in Ungarn verurteilt. 
In Schlözers Staatdanzeiger (Jahrg. 1788, 339) führt ein in Ungarn lebender Deuticher, 
Matthias Rath, bittere Klage über den „unjeligen Gedanken”, in den öfterreihifhen Staaten, 
in denen das beutiche Element keineswegs die Oberhand habe, das Deutiche zur Staatsſprache 
zu erheben. Die unerträglihe Vergewaltigung fei nur den evangelifhen Deutfhen in Ungarn 
zuliebe angeordnet, obwohl diefe als ber ungebilvetfte Teil der öfterreihiihen Bevölkerung 
gelten müßten. 


Joſeph II, 57 


Mette beſucht, am Fohannistag fein Sonnenwendfeuer angezündet, bei den Pro: 
zejfionen nicht mehr geſchoſſen werden; aller unnötige Zierat in den Kirchen, 
alle Martertafeln, Feldkreuze und ähnliches „ſolches Gezeug” jollten verſchwinden. 
Böſes Blut machte namentlich eine im Intereſſe der Gefundheitspflege erlaſſene 
Verordnung vom 26. uni 1784, wonach alle Verftorbenen, hohen, wie niederen 
Standes, in Leinwandjäde eingenäht, mit Kalf beiprengt und dann ohne Truhen 
in die Erde gelegt werden jollten. Als von allen Seiten Berwahrungen ein: 
liefen, nahm die Regierung das Mandat zurüd, doch nicht ohne neuerdings zu 
verlegen durch den Spott, es habe fich nicht vorausjehen laffen, welch hohen 
Wert die Leute darauf legten, daß ihre Körper länger ein ftinfendes Nas blieben! 

Solche Webertreibungen und Uebergriffe reisten jogar Ausländer und 
Proteftanten zu beftigem Widerſpruch. Die leidenſchaftlichſten Anklagen richtete 
der Verfaſſer der rajch berühmt gewordenen Geſchichte der Eidgenofienichaft, 
Johannes Müller, gegen den „gefrönten Nevolutionär”, gegen ben „Friedens: 
ftörer, der Staat und Kirche aus den Angeln reife”. Alle Welt war erftaunt, 
in einer durch die Reife Pius’ VI. nah Wien veranlaften Schrift des pro: 
teftantifchen Schweizers eine Verherrlichung der katholiſchen Hierarchie auf Koſten 
des freiheitsfeindlichen Kaifertums zu finden. „Ohne die Hierardie hätte Europa 
feine Geſellſchaft, welche, geihähe es auch wegen ihres eigenen Vorteils, über 
den allgemeinen Vorteil unaufhörlid wachen müßte. Von dem an war eine 
Freiftatt wider den Zorn der Potentaten: der Altar; es war eine Freiheit wider 
den Mißbrauch des priefterlihen Anjehens: der Thron; und in dem Gleid; 
gewicht lag öffentliches Wohl. Bon dem an fonnte jeder feinen Herrn wählen 
unter mehreren Fürften: jolang die Welt einem einigen diente, war Freiheit 
nur, wo Gato fie fand.” Freilich war auch bei diefer Schwenfung Müllers das 
perfönliche Intereſſe im Spiel. Indem er die eben genannte Schrift dem Karbinal 
Albani überfandte, bot er jeine Feder zur Verteidigung des päpſtlichen Stuhles 
und der Religion fürmlih an, fügte aber mit wunderlicher Unbefangenbeit 
binzu: „Allein, wenn dieje Partei nicht will, daß ich ihrer Sache mein Talent 
widme, wäre e& Hug von mir, mic mit der andern Partei zu entzweien ?“ 
Auch nachdem die Ausfiht, in Nom zu Einfluß und Würden zu gelangen, ge: 
ihwunden war und damit der ſchwärmeriſche Religionseifer des Hiftorifers fi 
verflüchtigt hatte, jeßte er den FFederfrieg gegen Kaijer Joſeph — vorwiegend 
in preußifhem Intereſſe — fort. Die jhon erwähnte Schrift über den Fürften: 
bund befämpft ebenjo den Religionsverädhter, wie ben Feind der deutjchen Frei: 
beit. „Es ift immer patriotiſch, wider Ideen, die ſich gegen die Gejege erheben, 
mißbilligend zufammenzutreten!” ... „Wenn die Hierarhie ein Uebel wäre, 
beiler doch als Defpotie! Sie ſey eine leimene Mauer, fie iſt's doch gegen 
Tyrannei; der Priefter hat jein Gefeg, der Defpot hat feins!” 

Auch im Kaiferftaat jelbit Fam es da und dort zu Kundgebungen gegen 
Joſephs Kirchenpolitik. Noch immer liefen von geiftlihen und mweltlihen Be: 
börden, Prälaten und Schriftitelern VBerwahrungen gegen das Toleranzpatent 
ein. Eine Flugihrift „Ob Seine Majeftät die Toleranz einführen können?” 
beftritt dem Landesherrn das Recht, andere Befenntnijje zu dulden, denn es fei 
feine Pflicht, zu verhüten, daß jeine Bürger nah dem Tode der Teufel hole. 


58 Erftes Buch. Zweiter Abſchnitt. 


Als die erfte evangelifhe Kirhe in Wien fertig gebaut war, fand ſich alsbald 
ein Pasquill angeheftet, das den Kaiſer als Verführer der Braut Chrifti ver: 
läſterte. Joſeph ließ die Schmähſchrift druden und zum Belten der proteftanti- 
jhen Armen öffentlich verkaufen.) Was nützte es, daß er zugleih eine Er: 
flärung erließ, er beabfihtige als gehorfamer Sohn der katholiſchen Kirche nicht 
ihre Schädigung, nur ihre Reinigung? Wer gegen religiöje Ueberzeugungen 
fämpft, darf nicht an kühle Ueberlegung appellieren! „Der Kaifer,” jo urteilt 
ein engliſcher Diplomat, „achtet nicht genug auf die allgemeinen Vorurteile und 
Schwächen der Menjhen, räumt ihnen zu wenig ein und bedenft zu wenig, mit 
welcher außerordentlihen Vorſicht allgemeine Neuerungen, jelbjt wenn fie weile 
find, eingeführt werden müſſen. Er fühlt nicht genug, daß ber geringjte Schein 
einer Unterbrüdung ein wahres Uebel ift, weil die Menge ebenjo jehr vor dem 
Scheine flieht, wie fie vor wirklicher Unterdrüdung fliehen würde.” Durd die 
in den Kultus eingreifenden polizeilihen Anordnungen und Verbote fand ſich das 
Volk in feiner Andacht, in feinen heimatlihen Anihauungen, in liebgewordenen 
Gewohnheiten verlegt. Die meilten Verbote blieben einfach unbeachtet, bejonders 
an Orten, die nicht unmittelbar unter Aufficht der Regierung ftanden; der Aus: 
führung wurde da und dort jogar Widerftand entgegengeiegt. Als in der Haupt: 
fire des tirolifhen Städtchens Hall auf kaiſerlichen Befehl ein paar Seitenaltäre 
abgebrochen werben jollten, rotteten fih Bürger und Bauern zufammen, „um 
das Heiligtum gegen Abjolons Söhne zu ſchützen“, und vertrieben die Arbeiter 
aus der Kirche. Weit gefährlichere Folgen hatte der Kulturfampf in den Nieder: 
landen. Hier blieb es nicht bei Proteften und Demonftrationen, hier fam es zu 
blutigem Aufruhr. Brüffel jah das Vorfpiel der grauenhaften Tragödie, deren 
Schauplat bald der prunkvolle Wohnſitz der Könige Frankreichs werben ſollte! 

In diefen Tagen, da ſich aleihjam der erfte Zug an der Sturmglode 
der Revolution vernehmen ließ, ftarb Friedrich II. 

Kaijer Joſeph hatte ehedem auf den Tod feines Nebenbuhlers weitreichende 
Hoffnungen gefegt, und fein Kanzler hatte ihn darin beftärkt, indem er erflärte, 
es gebe wohl eine Großmacht Friedrich IL., aber feine Großmacht Preußen; 
wenn Preußen jenen Regenten nicht mehr an der Spite habe, werde ſich bald 
zeigen, wer der Herr im Neiche jei. 

Doch jegt, da diefe Wendung eingetreten war, nahmen den Kaifer ganz 
andere Aufgaben in Anſpruch. Es galt, der wachſenden Unzufriedenheit im 
Lande Herr zu werden und den Abfall ganzer Provinzen zu verhüten. Im 
guten Glauben an fein Recht und von ber Ueberzeugung bejeelt, daß die Rück— 
fiht auf das Staatswohl jede andere ausſchließe, trat Joſeph mit ſchonungs— 
lofer Strenge auf. Wie ein Philipp II, hielt er militärifhe Maßnahmen für 
ausreihend, um der Gefahr die Spige zu bieten; doch er mußte die Erfahrung 
machen, daß bie abjolute Monarchie fich ausgelebt habe und eine neue Zeit 
auch neue NRegierungsgrundfäße erheiſche. 





) So wird auf dem Titelblatt behauptet; Nicolai hält auf Grund genauer Information 
die Behauptung für erdichtet. (Neife durch Deutichland, III, 29.) 


Dritter Abfchnitt. 


Der Thronwechſel in Preußen. Die deuffchen 
Mittel- und Rleinfaaten. 


nahm, begrüßte ihn das preußiiche Volk mit frohen Hoffnungen. Auch 

in jenen Kreifen, denen es nicht an Verſtändnis für die Größe des Vor: 
gängers mangelte, war eine Stimmung vorherrſchend, die wohl am beften durch 
Schlözers Wort gekennzeichnet wird: „Der gütige König (Friedrich Wilhelm) wird 
wohl nie die furdtbare Größe feines Oheims erreichen, aber in Güte des Charaf: 
ters und Herzens und in ernitlicher Beglüdung feiner Unterthanen läßt er ihn meit 
zurüd.”!) Das Hamburger Politiſche Journal erwähnt aus einer kurz vorher 
eridhienenen Studie eines Franzojen über Friedrich II. ein günstiges Urteil über 
den Thronfolger: derjelbe jei ein Mann „von angenehmen, zugleich Ehrfurdt 
erwedendem Anjehen, ziemlich faltem, natürlich ernithaftem Charakter, ftarfer 
Urteilsfraft, über jede Eitelkeit erhaben” ; es jei zwar nicht unbedenklich, daß er das 
geiellige Vergnügen ungemein liebe und für die Schönheit in Kunft und Natur 
allzu ſtarken Affekt hege, aber auch dieje Fehler würden ihn nicht hindern, ein 
ebenio großer General wie guter König zu werden.?) Ganz anders freilich 
urteilte und prophezeite ein anderer Franzoje, deſſen Scharfblid nicht in Zweifel 
gezogen werben fann, Graf Mirabeau, der als geheimer Emiſſär der franzöfiichen 
Regierung in Berlin weilte und für Ludwig XVI, Taleyrand und Galonne 
Stimmungsberichte entwarf: „Was ich für das Ganze prophezeien fann? Nichts 
ale Schwäche und Verwirrung. So viel jcheint jiher, daß die kleinen Intriguen, 
die Schönen Künfte, die Blauröde, die Subalternen, die Garderobiers und vor: 
züglih die Sekte der Jlluminaten den neuen König am Gängelband haben!... 
Hat der neue König ein Syitem? Ich glaube es nit! Hat er Verftand? Ich 


I: Friedvrih Wilhelm II. am 17. Auguft 1786 die Regierung über: 


) Schlögers Staatsanzeigen, Jahrg. 1786, 438. 
?) Volitifhes Journal, Jahre. 1786, 26. 


60 Erfted Bud. Drittter Abfchnitt. 


bezweifle es. Hat er Charakter? Ich weiß es nicht!“) Mirabeaus Schilde: 
rungen find aber nur mit äußerfter Vorficht aufzunehmen; er war verftimmt, 
weil fein aufdringliches Anerbieten, dem neuen Monarchen als Mentor zur Seite 
zu treten, unbeachtet geblieben war und weil er fehen mußte, daß nicht Prinz 
Heinrih, der Freund und Gönner des Franzojentums in Litteratur und Politik, 
fondern Graf Hertberg, der überzeugungstreue Anhänger des Bündniſſes mit 
England, maßgebenden Einfluffes bei Friedrihd Wilhelm ſich erfreute, Aller: 
dings zeigt fih auch Graf Herkberg nicht als aufrichtiger Freund der Wahrheit, 
wenn er feinen Nachruf an den großen Friedrich mit der feierlihen Erklärung 
ſchließt, die Nation könne fich getroft vor Augen halten, daß der Verſtorbene 
durch Beifpiel und Lehre einen Nachfolger berangebildet habe, in welchem er 
nach feinem eigenen Zeugnis wieder aufleben werde.) Und doch wußte Herb: 
berg am beiten, daß König Friedrich von feinem Neffen nur geringe Meinung 
gehegt hatte und daß Friedrich Wilhelm gerade in rüdhaltlofer Umkehr von 
der äußeren und inneren Politik feines Vorgängers für den Staat das Heil, für 
fih den Weg zum Nuhme erblidte. Xorfichtiger und deshalb richtiger urteilte 
der Kaiferlide Gejandte am Berliner Hofe, Fürft Neuß, über den Thronerben 
fur; vor deſſen Regierungsantritt: „Soviel ich die Gemütseigenihaften bes 
Kronprinzen zu beurteilen mid unterfangen fann und dazu Gelegenheit hatte, 
jo jeheinen NRedlichkeit und Wohlwollen jeinen Charakter zu beitimmen. Er ift 
überaus herablaſſend und leutjelig und hat dabei einen edlen Anftand ... Ob 
er einen feiten und ftandhaften Charakter wirklih habe und in diefem Falle 
(gegenüber Günftlingen) beibehalten werde, muß ſich erit zeigen.“ °) 

Friedrich Wilhelm, geboren am 25. September 1744 in Berlin, war ber 
Sohn des älteften Bruders König Friedrichs II., jenes unglüdlichen Prinzen 
Auguit Wilhelm, der durch eine im Juli 1757 in Böhmen erlittene Schlappe 
die Ungnade des Bruders auf ſich geladen hatte und bald dem Schmerz über 
die unverdiente Kränfung erlegen war. Nun fonnte fein ältefter Sohn, 
Friedrich Wilhelm, als Erbe des Thrones gelten; der Oheim felbft nahm fich 
der Erziehung des Knaben wenig an, ließ ihn aber durch tüchtige Lehrer unter: 
rihten. Dem Geihmad der Zeit und ber Richtung des Königs entjprechend, 
mußte die Mutterfpradhe hinter der franzöfifchen zurüditehen; Friedrih Wilhelm 
vermochte fih denn aud in deutſcher Sprache nicht viel gewandter auszudrüden 
als jein Obeim; doch während dieſer fein lebenlang franzöfifher Sprache 
und Litteratur den Borzug einräumte, hegte der Neffe entſchiedenen Wider: 
willen gegen das welihe Schrifttum. Der Kronprinz entwidelte fich zu einem 
Jüngling von jeltener Schönheit; trogdem wendete der König dem reicher be— 
gabten und aufgewedteren jüngeren Bruder Heinrich wärmere Neigung zu und 
verhehlte nicht, dab er diefem lieber die Krone zumenden würde Als an 


) Geheime Geſchichte des Berliner Hofes oder Briefwechiel eines reifenden Franzofen 
vom 2. Juni 1786 bis zum 19. Januar 1787. A. D. Franz, ©. 64. 

) Hertzberg, Mémoire sur Ja derniere annde de la vie de Frederic II., 4: „qui 
le recommence, selon sa propre expression, qui continue son administration dans les 
mömes principes en les rectifiant, lorsque l'imperfection humaine le rend necessaire.* 

2) ©. Wolf, Defterreih und Preußen 1780—1790, 223. 


Der Thronwechiel in Preußen. Die deutfhen Mittel: und Kleinjtaaten. 61 


Friedrich Wilhelm ein ftarf ausgeprägter Hang zur Sinnlichkeit zu Tage trat, 
mußte er fi, erft 21 Jahre alt, auf des Königs Befehl mit Elifabeth von 
Braunjhmweig vermählen, aber die erzwungene Ehe wurde von beiden Gatten 
ald drüdende Laſt empfunden. Dagegen jah der Liebesbebürftige alles Glüd 
der Erde in verirautem Umgang mit einem bürgerlihen Mädchen, dem damit 
das traurige 208 zufiel, als „Preußens Pompadour“ in der Gefchichte zu er: 
jcheinen. Wilhelmine Enke, die Tochter eines Hofmufifers, wußte den Prinzen 
durh glüdlihe Unterhaltungsgabe und hübſche Geftalt an ſich zu feſſeln, und 
das Verhältnis mit der durch Scheinehe mit einem Kammerdiener Nie ver: 
bundenen, 1796 zur Gräfin Lichtenau erhobenen Gunſtdame erhielt fih, wenn 
auch unter wechjelnden Formen, bis zum Ableben Frievrih Wilhelms. Die 
Schmeichelreden in huldigenden Briefen, die an die Gräfin in den Tagen ihres 
Glüdes gerichtet wurden,) haben nicht mehr Wert als die höhniſchen Aus: 
lafjungen über „Madame Mind”, „Gräfin Dunfelheim” ꝛc. in den gegen fie 
gerichteten Pamphleten; immerhin dürfte die warme Teilnahme, die auch von 
unabhängigen geiltvollen Männern, u. a. von Lavater,?) der Gräfin gewidmet 
wurde, als Beweis gelten, daß fie in jungen und alten Tagen in der Hunt, zu 
gefallen, eine Meifterin war. Ye unmiderftehlicher fich der Prinz zur Freundin 
bingezogen fühlte, deſto unleibliher wurde ihm das ehelihe Band, und als 
dasjelbe 1769 gelöft worden war, geitaltete fih auch die zweite Ehe mit Zuife 
von Heſſen um nichts erfreulicher. 

Wohl faum aus innerem Drang, jondern nur dem Oheim zu Gefallen 
fnüpfte Friedrich Wilhelm 1770 mit Voltaire einen Briefwechſel an; das Thema, 
die Frage von ber Unfterblichkeit ber Seele, mag den Prinzen angezogen haben, 
aber die Briefe an den Philofophen rühren nicht von ihm jelbft her, jondern 
find von jeinem alten Lehrer, dem Schweizer Beguelin, aufgejegt. 

Daß König Friedrih den Neffen ſchlecht, ja ſchimpflich behandelt Habe, 
it nur eine Sage, die hauptfählid auf die wenig verläjfige Erzählung Damp: 
martin, des Hofmeifters im Haufe der Madame Niek, zurüdzuführen ift.’) 
Der König zeichnete ihn jogar bei manden Gelegenheiten aus; unter anderem 
nahm er ihn zur Zufammenfunft mit Kaifer Joſeph nah Mähriſch-Neuſtadt mit. 
„Ein junger Mann von ftattliher Eriheinung und gutmütigem Weſen,“ fo 
ihildert Herzog Albert von Sadhjen:Teihen in feinen Memoiren den Kron- 
prinzen von Preußen, den er in Neuftadt fennen gelernt hatte, „doch von irgend 
welhen hervorragenden Anlagen konnte ich nichts an ihm entdeden.” Nicht 
anders urteilte König Friedrich ſelbſt. Zwiſchen Oheim und Neffen beitand ein 
natürlicher Gegenſatz, der eine aufrichtige Neigung von vornherein ausjchloß. 
Die weiche, zu Gefühlsihwärmerei neigende Gemütsart Friedrih Wilhelms war 
in den Augen bes Königs ein Fehler, während dem Prinzen für die opfer: 


) In großer Zahl mitgeteilt im zweiten Band der Apologie der Gräfin Lichtenau, 
(Zeipzig 1808.) 

) Apologie, II, 191, 196. 

) Quelques traits de la vie privee de Frederic Guillaume II, par A. H. Damp- 
martin (1811), 7. 


62 Erfies Bud. Dritter Abfchnitt. 


willige Pflichttreue, wie für den Wahrheitseifer des Königs, der allein ihn dem 
Chriſtentum entfremdet und in die Arme der franzöſiſchen Aufflärungsphilofophie 
getrieben hatte, das Verftändnis mangelte. Dazu famen nod andere Momente. 
Dem fparfamen König war es ein Greuel, daß der Neffe dem Hang zu Vergnügen 
und SFreigebigfeit nicht bloß jeine Einnahmen opferte, jondern bei Berliner 
Kapitaliften, ja ſogar bei fremden Höfen Geld borgte; 1775 erbat ſich der 
preußiiche Thronfolger in Wien ein Darlehen von 100000 Dufaten, und Kaifer 
Sojeph bemwilligte dasfelbe, obwohl es ihm nicht unbedenklich erihien, da der 
Prinz auch ſchon von feiner Schweiter, der Prinzejjin von Oranien, ſowie von 
der franzöfiihen Regierung große Summen entliehen hatte. König Friedrichs 
Leben war ein unausgejegtes Schaffen und Wirken zum Wohl feines Staates; 
dagegen hatte der Thronerbe zwar ein hohes Bewußtjein jeiner von Gott ver: 
liehenen Stellung, aber wenig Intereſſe an erniter Beichäftigung, an wiſſen— 
Ihaftlihen Studien oder militärifhen Mebungen. Den ftrengen König fürdteten 
alle, auch diejenigen, die ihn liebten; dem gutmütigen Prinzen war niemand 
gram, aber er genoß nicht die Achtung, ohne welche aufrichtige Liebe nicht 
denkbar ift. Denn er war allzu unbejtändig und unſelbſtändig; insbejondere wenn 
es fih um Religion oder um Frauen handelte, war er von beflagensmwerter 
Schwäche. Abgeftoßen vom trodenen Nationalismus, fprang er ins andere 
Ertrem über; er überließ fich religiöier Schwärmerei und glaubte fein und feiner 
Unterthanen zeitlihes und ewiges Heil am beiten zu fördern, wenn er fi von 
Erleudteten, die fih des unmittelbaren Verkehrs mit der Gottheit zu rühmen 
hatten, in religiöfen Fragen und weltlichen Gejchäften leiten ließ. Es war ja 
die Zeit der Dffenbarungen Smwedenborgs, der Wunderfuren Gafners, der Ent: 
zückungen Jung:Stillings, der empfindfamen Kundgebungen Lavaters, die Zeit, 
in welcher Hunderttaujende ſehnſüchtig und vertrauend den Lehren lauſchten, die 
über das Hereinragen einer Geifterjphäre in unfere Welt Aufklärung in Aus: 
ſicht ftellten. 

Allein auch diefer in Friedrih Wilhelm bejonders ftarf entwidelte, reli— 
giöje Drang nad überfinnlihen Gnadenwirfungen hielt ihn nicht ab, finnlichen 
Neigungen zu fröhnen, und jo wurde er immer abhängiger von jenen Liſtigen, 
die den einen oder den anderen Trieb fich dienftbar zu machen mußten. 

Madame Nie hatte auf Befehl des Königs die Hauptftabt verlaffen und 
ein Landhaus in Charlottenburg bezogen. Hier gab es Feſte und heitere 
Schaufpiele, hier fanden fi aber auch geiftlihe und weltlihe MWürdenträger zu 
ganz anderen Zweden ein. Hier verfammelten jid, als der Gejangbuchftreit die 
Gemüter mädtig erregte, die Gegner ber vulgären Aufklärung und der chriftus- 
ofen Philofopie, die am Lehrbegriff der Belenntnisichriften der Reformation 
gegenüber der modernen Kritik feithielten; bier wurden die Streitichriften gegen 
die Allgemeine deutſche Bibliothef und die Berliner Monatsjchrift beraten; es 
trat zum eritenmal zu Tage, welche Hoffnungen fih an den fünftigen Regenten 
Preußens fnüpften. 

Im baierifhen Erbfolgefrieg fand der Kronprinz Gelegenheit, Proben 
feiner Tapferkeit abzulegen. Nah dem Gefecht bei Trautenau ſprach ſich 
Friedrich in überrafchend herzlihen Worten über den Anteil jeines Neffen am 


Der Thronwechfel in Preußen. Die beutihen Mittel: und Kleinftaaten. 63 


glüdlihen Erfolg des Tages aus. Es ſchien fi eine vertraulichere Annähe- 
rung zwiſchen beiden vorzubereiten, allein ber günftige Eindrud verlor fi 
wieder infolge des Mißlingens der Miſſion nad Petersburg. Friedrich Wilhelm 
vermochte nicht die Zarin, die durch den geiftvollen Joſeph gewonnen worden 
war, zu Gunften Preußens umzuftimmen, ja, Katharina verhehlte gar nicht, daf 
fie den Prinzen, der feit der vielverjprechenden Jugendzeit nur an Embonpoint, 
aber nit an Geiſt zugenommen babe, berzlih gering ſchätze. Der Mißerfolg 
in Petersburg wirkte auf das Verhältnis zwiſchen Oheim und Neffen ungünitig 
zurüd, und wenn dieſer überhaupt die Hoffnung gehegt hatte, einen feiner 
Stellung entſprechenden, wichtigeren Wirfungsfreis zu erlangen, jo jah er fi 
darin enttäufht. Der Aufenthalt am Hofe, wo die Abneigung des Königs 
befannt war, konnte nur läjtig fein, der Dienft in der großen Kaferne Potsdam 
gewährte ihm feine Befriedigung, zu wiſſenſchaftlichen Studien fühlte er fi 
nicht bingezogen, — um jo enger ſchloß er fi aljo an „Freunde“ an. Neben 
Madame Niek, der er, wie der Apologet Dampmartin jagt, „die Zärtlichkeit 
eines Baters, die Treue eines Freundes, die Leidenfchaftlichfeit eines Geliebten 
zumendete,” gewann immer ftärferen Einfluß ein aus Sachſen gebürtiger ver: 
abjchiedeter Offizier, der ihm während der Gampagne in Böhmen näher getreten 
war, Johann Rudolf von Bijhoffswerder. Durd ihn wurde der Kronprinz in 
den Orden der Rofenfreuzer eingeführt. Diejer im 17. Jahrhundert von 
ihwäbifchen Theologen, vermutlih in Tübingen geftiftete, auch in Norbdeutich: 
land weit verbreitete Geheimbund rühmte fich des Befiges einer uralten Theo: 
jophie und befonderer geheimer Wiſſenſchaften und Künſte, die der angebliche 
Stifter, Chriftian Roſenkreuz, von indiihen Brahmanen und ägyptifchen Priejtern 
erlernt haben ſollte. Im allgemeinen jcheint der Orden eine fatholifierende 
Richtung verfolgt zu haben, ja, er wurde geradezu mit dem zwar aufgehobenen, 
aber nicht erlofhenen Orden der Fejuiten in Zufammenhang gebradt.!) Dem 
nad Berlin verpflanzten Zweig läßt ſich Tolche Tendenz nicht nachweiſen, da: 
gegen gefiel man ſich bier in jpiritiftiichem Spuf und alchimiſtiſchen Experi— 
menten. Ob Bilhoffswerder die geheime Genoſſenſchaft nur zu ehrgeizigen 
Zweden ausbeuten wollte, ob er an die ausgeframten Myfterien und Wunder 
glaubte, ift nicht feſtzuſtellen; jedenfalls wußte er feinen Strebegeift geſchickt zu 
verbergen. Niemand ahnte, daß dieſer Falltaff ohne Humor, der nur für 
Wiederheritellung der alten Rechtgläubigfeit und die Freuden einer mwohlbejegten 
Tafel Intereſſe zeigte, einft eine jo bedeutjame Rolle im Staate jpielen werde. 
Vorerſt begnügte er fih damit, der wenig beachtete Freund des einflußlojen 
Prinzen zu fein, und das Vertrauen des Bruders Ormesus Magnus — jo 
ftolzen Namen führte der fürftlihe Genojje im Kreije der Fratres roseae et 
aureae crucis — zu feinem uneigennügigen Freunde und Führer wuchs, ſeit 
er ſich durch das Allheilmittel des Vaters Roſenkreuz von einem läftigen Geſchwür 
befreit glaubte. 

Und noch ein anderes Mitglied der Brüdergemeinde wußte fi) dem Prinzen 
unentbehrlih zu machen, ein Mann von hoher Begabung, aber intrigant und 


i) Dohm, Denfwürbigkeiten meiner Zeit, V, 47. 


64 Erftes Bud. Dritter Abſchnitt. 


berrihfüchtig, Johann Chriftoph Wöllner. Derfelbe hatte Theologie ftubiert und 
war als Pfarrer der herrſchenden aufgeflärten Richtung zugethan geweſen. Er 
trat auch als Schriftfteller für die landwirtichaftlihen Reformen König Friedrichs 
auf, aber die Abficht, fich den König geneigt zu maden, wurde nidht erreicht; 
Friedrich fonnte dem „betriegerifhen und intriganten Pfafen” nicht verzeihen, 
dab der Bürgerlihe die Hand der Tochter eines Generallieutnants erjchlichen 
babe, und wies ein Gefuh um Verleihung des Adels mit höhniſchen Worten 
ab. Dagegen erlangte Wöllner, nicht bloß durch einflußreiche Freunde, jondern 
auch durch feine tüchtigen wirtjchaftlihen Schriften empfohlen, bei Prinz Heinrich 
eine Anftellung als Kammerrat. Erſt in vorgerüdtem Mannesalter trat er in 
den Roſenkreuzerorden ein, und bald zählte der befehrte Rationalift zu den an— 
gejeheniten Weifen der Loge. Mit phantaftifchen Verfuchen, die Univerjaltinktur 
zu gewinnen, gingen fehr praftifche Beitrebungen, bei welchen Ormesus Magnus 
die erfte Role fpielte, Hand in Hand. Schon am 30. November 1780 ſchreibt 
Biihoffswerder an einen „Oberdireftor” Bruder Rufus: „Aeußerte 5. W. 
für den hochwürdigen Bruder Heliconus (Wöllner) viel Liebe und Zutrauen.” 
Der mwohlmeinende Prinz war hoderfreut, den Mann gefunden zu haben, mit 
deſſen Hülfe er einft im ftande fein werde, den jchwierigen Anforderungen des 
Herrſcheramts ehrenvoll zu genügen. Wöllner hielt dem Prinzen Vorlejungen 
über Regierungsfunft; die bier ausgeſprochenen Mahnungen und Warnungen 
wurden jpäter die Richtſchnur für Friedrich Wilhelms Negierungsthätigfeit. Von 
den Grundfägen Friedrichs II., jo verlangte der Lehrer, muß zur inneren Politif 
Friedrih Wilhelms J., von den Irrungen der franzöfifchen Aufklärung muß zur 
„reinen Religion Jeſu“ zurüdgelehrt werden, und das erfte und befte Mittel, 
Religion und Moral wieder in Achtung zu fegen, ift das Beifpiel des Oberhauptes. 

Man hat in Wöllner einen verfappten „Sendling Roms“ gewittert, aber 
die Beichuldigung ift völlig unbegründet.‘) Auch vertrat er in öfonomijchen 
und jozialen Fragen durchaus nicht ein reaktionäres Programm; er empfahl 
Aufhebung der Leibeigenihaft, Begünitigung eines freien Bauernftandes gegen: 
über dem allzu mädtigen Großgrundbefig, Verbeflerung der jozialen Stellung 
der Juden, Abihaffung der Werbung im Ausland, Stiftung von humanitären 
Anftalten und andere in Defterreih von Joſeph II. ins Leben gerufene Re— 
formen, und ber Kronprinz ging auf die berebt verteidigten Neuerungen bereit: 
willig ein. 

Doch in den legten Negierungsjahren Friedrichs II. gewann noch ein 
dritter die Gunft und das Vertrauen des Thronerben. 

Die Lebenskraft des Königs ging erjchredend ſchnell zur Neige; wiederholt 
wurde ein jähes Ableben befürdtet. Die Ausficht auf den bevorftehenden Um— 
Ihwung gab dem Thronfolger erhöhte Bedeutung. Gerade derjenige von den 
Kabinettsminiftern, der auf die Leitung der auswärtigen Politik, ſoweit überhaupt 
unter König Friedrichs Regierung davon gefprochen werben konnte, maßgebenden 
Einfluß übte, Graf Hergberg, ſchloß fi, durch zeitweilige Bevorzugung des 


') Philippfon, Geſchichte des preußiſchen Staatsweſens vom Tobe Friedrichs des Großen 
bis zu ben Freiheitskriegen, I, 80. 


Der Thronwechſel in Preußen. Die deutjhen Mittel: und Kleinftaaten. 65 


Grafen Finkenftein verlegt, an den Kronprinzen an; er arbeitete, was ja über: 
haupt feine liebſte Beihäftigung war, Denkſchriften über verjchiedene aktuelle 
Fragen aus und juchte den Prinzen auf ſolchem Wege mit jeinen politijchen Grund: 
fägen zu befreunden. Die Madtftelung Preußens jei jogar noch einer Steigerung 
fähig, verjicherte der jelbitbemwußte Staatsmann, wenn mit einigen Prinzipien, 
die ſich überlebt hätten, entjchieden gebroden und neuer Wein in neue Schläuche 
gefüllt würde. Daneben erging fi der Minifter mit Eluger Berehnung in 
bitteren Klagen über des Königs Eigenfinn; Friedrid Wilhelm tröftete: „Ich 
rate Ihnen, Ihren hiefigen Aufenthalt wie einen Feldzug anzufehen, wo man 
für das allgemeine Befte dulden muß, und noch einmal Ihre Geduld zu ſtärken“ 
(9. Zuli 1786). So konnte Hergberg getroft den fommenden Ereignifjen ent: 
gegenjehen, und bieje vertrauensvolle Stimmung wurde, wie erwähnt, von der 
Mehrheit des preußiihen Volfes geteilt. 

Die günftigen Erwartungen wurden auch nicht enttäufcht. Was nach dem 
Tode Friedrichs II. über das Auftreten und die erften Anordnungen bes neuen 
Königs in die Deffentlichfeit drang, konnte nur beifällig aufgenommen werden. 
Friedrih Wilhelm legte die zartefte Pietät für den großen Toten an ben Tag; 
nur in einem Punkt erklärte er, werde ber legte Willen des Königs nicht be- 
achtet werden: ein jo großer Fürft dürfe nicht feinem Wunſche gemäß prunflos 
beftattet werden, der Dank der Nation müſſe fih in einer glänzenden Zeichen: 
feier fundgeben. 

Am 18. Auguft 1786 hielt Friedrih Wilhelm II. Einzug in Berlin. Schon 
die freundlihe Miene und der leutjelige Gruß des Monardhen gewannen ihm 
viele Herzen. Unverzüglid wurden alle Schulden aus der Kronprinzenzeit ge« 
tilgt, die nachſichtigen Gläubiger wurden mit Auszeichnungen, die Armen mit 
reihen Spenden bedacht. Dankbar wurde auch bemerkt, daß der neue Herr im 
Verkehr mit Beamten und Offizieren fich nicht mehr des deipotifch klingenden 
„Er“ bediente. Im Minijterrate betonte der König feine Wahrheitsliebe, den 
Generälen gab er die Verfiherung, daß er ſtets an preußifcher Zucht fefthalten 
wolle; durchgreifende Aenderungen halte er nicht für geboten, denn der große 
König fei in Auswahl feiner Diener fo glüdlich geweien, daß der Nachfolger 
nichts beileres thun könne, als die Bewährten fih jo lange wie möglich zu 
erhalten.) Da die Beziehungen zwifchen Herkberg und dem Thronfolger geheim 
geblieben waren, war man in weiten Kreifen freudig überrajcht, als der König 
diefen Minifter, in welchem das auswärtige Syitem Friedrichs verkörpert jchien, 
nicht bloß nicht entließ, jondern durch Verleihung bes ſchwarzen Adlerordens aus: 
zeihnete und ihm trog offener Oppofition des Prinzen Heinrich den maßgebendften 
Einfluß auf die Leitung der Politik einräumte. Im ganzen Lande herrichte eine 
frohe, gehobene Stimmung. 

Wenn man jih der oben erwähnten Ausiprühe Mirabeaus über den 
Thronfolger erinnert, wird man nicht ohne Befremden unter den fih und dem 
Könige Glück Wünſchenden den Grafen Mirabeau gewahr werden. Am Tage 


') Journal politique, 1786. Septembre, 12, 29 etc. 
Heigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Friedtichs d. Gr. bis zur Auflöfung des deutſchen Reiche. 5 


66 Erfted Bud. Dritter Abfchnitt. 


der Thronbefteigung Friedrih Wilhelms überreichte ihm der „biplomatifche Lakai 
der franzöfiihen Gejandtihaft”, wie der Gejandte D’Eiterno den unbequemen 
Rivalen bezeichnete, einen Brief, der bald darauf, angeblich weil das Gerücht 
verbreitet gemwejen wäre, Mirabeau habe eine Satire auf Friedrich II. vorgelegt, 
auch im Drud erſchien; es jollte nichts anderes damit beabfichtigt fein, als „dem 
neuen Negenten die Hoffnungen und Wünſche der Reblihen vor Augen zu 
bringen”. Der uneigennüßige Marquis Poja beginnt mit Lobſprüchen auf den 
veritorbenen König; mit dem Tode diejes großen Mannes jei aber das Zeitalter 
des Abjolutismus und des Militarismus abgelaufen, jetzt ſei die aufgeflärte 
Menjchlichkeit berufen, den Thron zu befteigen. Jetzt müſſe die militärische 
Sklaverei ein Ende haben; die allgemeine Wehrpflicht, diefe aus einem eilernen 
Zeitalter und einem halb barbarijchen Lande ftammende Einrichtung ſoll auf: 
gehoben und eine Miliz nach Art der fchweizerijchen eingerichtet werden; dadurch 
fünne ber Kriegsdienjt ein Gegenjtand des Wetteifers und des Ruhmes werben, 
während bisher nur willenlofe Herden zur Schlahtbanf zogen. Ebenfo joll mit 
allen anderen Zwangsmitteln der Tyrannei aufgeräumt werden. Niederwerfung 
des Ariftofratismus, diefer Geißel aller Monardien und Republifen, Gleich: 
ftellung aller Stände, Glaubens: und Gewifjensfreiheit, vollkommene Preßfreibeit, 
freifinnige Reform des Schulwefens, Abſchaffung des Lotto, Erfegung der Zölle, 
des ungerechteften lleberreites ber Feudalbarbarei, und der den armen Mann 
belaftenden indireften Steuern durch direfte Grundfteuer, Aufhebung der Mono: 
pole, — ſchon zeigt fich die ganze Konftitution von 1791 in dieſen Vorjchlägen, 
die dem hohen Adrefjaten durch allerlei ſchmeichelhafte Anipielungen ſchmackhafter 
gemacht werben jollen! 

Friedrih Wilhelm jcheint in der That der Anſprache, die ihn als Friedens— 
fürften feierte, freundliche Aufmerkjamfeit gewidmet zu haben; Mirabeau ver: 
fihert, es jei ihm nicht bloß für fein Werk über die preußiſche Monardie, das 
er gerade unter ber Feder hatte, auf Befehl des Königs amtliches Material zur 
Verfügung geftellt, jondern auch ein Poften im Staatsdienft angeboten worben.!) 
Wahrſcheinlich ift dies nicht. Allerdings war mandes in den phyfiofratijchen 
Anfihten Mirabeaus mit den Grundfägen der neuen Regierung vereinbar, aber 
die an die Spige geftellte Forderung ftand, wie in allen Gegenjchriften von 
Arnim, Zimmermann u. a. hervorgehoben wurde, in jo jchroffem Gegenjag zur 
altpreußifhen Tradition, daß es ſchon um deſſen willen unmöglich war, dem 
rabifalen Antragiteller einen Einfluß einzuräumen, wie er ihn erhofft haben 
mochte. 

Aud andere Rüdfihten ſchloſſen folhe Begünftigung aus. Mit den Frans 
zofen und dem Franzoſentum follte ja jegt bei Hofe und im Staate aufgeräumt, 
dem deutſchen Element zur gebührenden Herrichaft verholfen werben; diefer 
namentlih von Hergberg betriebene Wunſch wurde gewiffermaßen zum Regierungs:- 
ſyſtem erhoben. Lauten Beifall fand im ganzen Lande ein vom König im 
Minifterrat geſprochenes Wort: „Wir find Deutſche und wir wollen es bleiben!“ ?) 


i) Stern, Das Leben Mirabeaus, J, 207. 
) Journal politique, 1786. Novembre, 7. 


Der Thronwechſel in Preußen. Die deutihen Mittel: und Kleinftaaten. 67 


Sn Staat und Gefelihaft, Kunft und Wiſſenſchaft trat demgemäß ein 
Umſchwung zu Tage. 

Die wirtihaftlihe Reform, auf welche noch zurüdzufommen fein wird, 
führte zur Entlafjung der vielen Franzoſen, welche bisher die Verwaltung des 
Zoll- und Steuerwejens fait ausichließlih in Händen gehabt hatten, wo ein 
Erſatz notwendig war, traten deutſche Beamte ein. 

Auh die Akademie der Wiſſenſchaften verlor das franzöfifche Kleid, das 
den einheimiihen Gelehrten mit Recht anitößig geweien war; bie Vorträge 
jollten fortan auch in deutiher Sprache gehalten werden können, die Mitglieder 
erbielten ausreihenden Gehalt, zahlreiche deutſche Schriftiteller und Gelehrte: 
Ramler, Engel, Garve, Selle, Wöllner, Bode u. a. wurden zu Mitgliedern 
ernannt, in Zufunft jollte der Körperichaft das Necht freier Wahl ihrer Mit: 
glieder zuitehen. Die einheimische Litteratur jollte nicht länger neben der glän: 
zenderen Schweiter als Ajchenputtel dienen. Gleim, der an den König die Bitte 
um Förderung der deutjchen Dichtung gerichtet hatte, erhielt willlommene Ant: 
wort: mit Vergnügen werde ber König der deutjchen Mufe, für welche der „alte 
Grenadier” mit jo echt deuticher Treuberzigfeit eintrete, feinen Schuß zuwenden, 
„beionders wenn fih ale Deutichen bemühen, Euch zu gleihen und, jeder in 
jeiner Art, den Eurigen gleih Werfe liefert”. Chrenvolle Auszeihnung wurde 
Ramler zu teil. Das Anſehen Ramlers jtügt fi heute im wejentlihen nur 
auf die Thatjache, daß Leſſing ihn als Kritifer hochichägte; die öden Dichtungen 
finden faum noch Beadhtung. Damals galt aber Namler als der erfte Dichter 
in preußiihen Landen, und es war immer fchmerzlich empfunden worden, daß 
König Friedrich dem berühmten Manne jo wenig Beachtung jhenkte. Dagegen 
wies ihm Friedrich Wilhelm einen beträchtlihen Ehrenſold an und betraute ihn 
mit der Leitung des neuen Nationaltheaters. Jetzt famen auch beſſere Zeiten 
für die Karſchin, die unentwegt, obwohl der Angebetete fih wenig dankbar 
zeigte, das Lob des großen Friedrichs gejungen und einmal, als ihr das 
angebotene Douceur doch gar zu geringfügig erihienen war, jogar einen guten 
Vers gebichtet hatte: 


„Zwei Thaler find zu wenig 
Für einen großen König!” 


Seht aber ging, wie es in ber Biographie ber Dichterin aus der Feder 
ihrer Tochter heißt, „die Sonne des neuen Monarchen jo janft und mwohlthätig 
auf, daß alle Welt die Karſchin aufmunterte, die allgemeine Gnade zu benugen”. 
Dies ließ fie fih nicht zweimal jagen, und „Preußens Titus” erwies fich gegen 
„Preußens Sappho” dankbarer als fein Vorgänger. Es wurde ihr zu Ehren 
ein Felt veranftaltet, wobei MWöllner, der in ſchwarzem Sammetfoftüm, ein 
goldenes Kreuz um den Hals, erjchienen war, die Gefeierte jogar mit Verſen 
begrüßte: 

„Freu' dich, Deutſchlands Dichterin, 
Freu dich hoch in deinem Sinn, 
Der König hat befohlen mir, 

Ein neues Haus zu bauen bir!” 


68 Erftes Buch. Dritter Abfchnitt. 


Wirklich erhielt fie als königliches Geihenf ein Eckhaus am Haakeſchen 
Markt, das ihr jährlih Hundert Thaler einbrachte, und fonnte fortan forgenlos 
„des teuren Friedrich Wilhelms goldne Zeit” befingen.') 

Die Ausgezeihneten und Bejchenkten zählten, wie man fieht, nicht zu den 
bebeutenden Bertretern der deutjchen Litteratur, nad Weimar drang fein Strahl 
der föniglihen Gnade, — immerhin war es eine erfreuliche Ericheinung, daß 
in „Sparta” die heimiſche Dichtkunſt beachtet und aufgemuntert wurde. 

Wichtiger war, was zur Förderung des deutſchen Bühnenweſens gejchah. 
Schon unter dem verftorbenen König hatte der aufgewedte Karl Theodor Döb- 
belin als Direktor einer deutjchen Truppe den Verſuch gewagt, das Berliner 
Publikum mit gediegeneren deutſchen Dramen zu befreunden, 1763 war jogar 
„Nathan der Weiſe“ auf dem Theaterhen an der Kochſtraße zur eriten Auf: 
führung gelangt, aber der Kampf mit dem franzöfiihen Schaufpiel, das ſich 
ausſchließlich der Gunſt des Hofes und der Gebildeten erfreute, war zu ungleich; 
die deutſchen Schaufpieler hatten, um nur überhaupt ein Publikum zu finden, 
immer wieder zum Hanswurft zurückkehren müfjen. 

Das Wort: „Wir find Deutihe und wollen es bleiben!“ fette dieſer 
Erniedrigung ein Ende. Schon im November 1786 durfte Döbbelins Truppe 
das prädtige Schaufpielhaus auf dem Gendarmenmarkt beziehen; der König 
jelbft wohnte der erften Aufführung bei, die verachtete deutjche Bühnenkunft fam 
zu Ehren und vergalt dieſe Auszeihnung mit alänzendem Aufihwung. Im 
nächſten Jahre traten Namler, Johann Jakob Engel, der feinfinnige Verfafler 
der „een zur Mimik”, und ein geheimer Oberfinanzrat von Beyer an die 
Spitze der zum königlichen Nationaltheater erhobenen Bühne. Welch bebeut- 
famer Faktor im deutihen Kulturleben das Berliner Theater in den nächſten 
Fahren wurde, erhellt jhon daraus, daß hauptſächlich von hier aus Shafeipeare 
für die deutijhe Bühne gewonnen wurde, daß hier Fled, Iffland, die Schid, 
die Ungelmann u. a. ihre jhönften Triumphe feierten. 

Auch in der Mufif errang das deutſche Element ehrenvollen Sieg. Unter 
Friedrich IL. Hatten fait ausichließlih Vertreter der deutjch:italieniihen Schule, 
namentlid Graun und Hajie, das Berliner Opernhaus beberricht; jetzt Fam 
dank den Bemühungen des Kapellmeifters Neihardt neben den älteren Stalienern 
auch Gluds Muje zur Geltung. Gleichzeitig wurden durd den von Faſch ge: 
gründeten Gejangverein, aus welhem fih die Berliner Singafademie ent: 
widelte, die großartigen Schöpfungen Bachs zum erjtenmal in würdiger Weife 
dem Publifum vorgeführt. Friedrich Wilhelm felbft war ein warmer Verehrer der 
Muſik, ja, er hegte wohl nur für diefe Kunſt aufrichtiges Intereſſe; er pflegte 
in den Kammerfonzerten den Cellopart mit Fleiß und Sorgfalt zu fpielen, „als 
ob er dafür bezahlt würde”. Mozart jchrieb für ihn mehrere Streichquartette; 
als der Meilter im Mai 1789 Berlin bejuchte, wollte ihn der König durd) 
ftattliche Anerbietungen in feiner Umgebung fefthalten, aber der Plan fcheiterte 
an Mozarts Anhänglichkeit an den Kaiſer und die Kaijerftadt. 

Nicht minder erfreulihen Aufihwung nahmen die bildenden Künfte. Es 


') Pröhle, Friedrich der Große und die deutfche Litteratur, 186. 


Der Thronwechſel in Preußen. Die deutfchen Mittel: und Kleinftaaten, 69 


war den Berlinern immer anftößig geweſen, daß Friedrich II. fait ausſchließlich 
franzöfifhe Baumeifter ſchätzte und befchäftigte. Beim Einfturz des von Gontard 
erbauten Kirchturms auf dem Gendarmenmarkt war der Unwille über die Fran— 
zolen, die „mit Pfefferkuchen, ftatt mit Steinen bauten”, zu ſtürmiſchem Aus: 
drud gefommen, aber der König hatte fi in feiner Vorliebe nit beirren laffen. 
Jetzt wurden endlich auch deutſchen Baumeiftern dankbare Aufgaben übertragen, 
Langhans begann den Bau des Brandenburger Thors; es war nur eine freie 
Nahbildung der Propyläen, aber die Durdiührung in edlen Verhältniſſen und 
reinjtem Stil lieferte den Beweis, daß Winkelmann und Leffing nicht vergeblich 
gelehrt hatten. In Potsdam wurden das Marmorpalais und andere Hofbauten 
aufgeführt und mit plaftiihem Schmud von Schadows Meiſterhand ausgeftattet. 
Die Akademie der bildenden Künfte erhielt einen verftändnisvollen Leiter in 
Chodowiedi und eine verftändige Verfaſſung. Für die deutiche Kunſt in Berlin 
ſchien ein „glorreiher Sommer” anzubrehen. Nicht alle glüdlihen Neuerungen 
waren auf die Anregung des Königs zurüdzuführen, aber er hatte jederzeit für 
Künftler und Kunft ein Wort der Anerkennung und Aufmunterung, jo daß er 
das Lob eines Kumftfreundes nicht unverdient genoß. 

Auch was von des Königs Frömmigkeit verlautete, wurde anfänglich von 
der Mehrheit der Bevölferung mit Genugtbuung aufgenommen. Der jteptifche 
Nationalismus der Fridericianiichen Nera hatte im eigentlihen Volke niemals 
Wurzel gefaßt, und auch in den höheren Kreifen waren viele des trodenen 
Tones jatt und wandten fich vertrauensvoll wieder den Altären zu. Auch führte 
der König eine überaus gemäßigte Sprade. „Jh will in meinen Staaten 
feine Fanatifer und feine Schwärmer haben,” ſchrieb er bald nad jeinem Ne: 
gierungsantritt an Minifter Zedlig, „aber ich will auch nit, daß die Narren 
und Buchhändler fih auf Koften der Religion bereihern.“ Das Schulweſen, 
das noch immer in ärmliden Anfängen ftedte, jchien endlich bejleren Zeiten ent: 
gegenzugehen. Obwohl der Kultusminifter Zedlig den Fridericianifhen Grund: 
jägen huldigte, beließ ihn Friedrih Wilhelm im Amte, ja, ſogar der freifinnige 
Schulgejegentwurf vom 24. Januar 1787, der die Leitung des gefamten Schul: 
wejens einem fachmänniſchen Kollegium übertrug, erhielt die Zuftimmung des 
Monarden. Dem ländlichen Unterrichtswejen wurde jetzt erjt regere Aufmerf: 
famfeit zugemwendet. Bisher waren bie Lehrer fait überall auf die MWohlthätig: 
feit der Gemeinde angemwiejen geweſen; es gab nur 195 Echulmeifterftellen, die 
ein Einfommen über 100 Thaler abwarfen, 30 Lehrer hatten weniger als 
830 Thaler Gehalt, 1 Lehrerftelle warf nur 20 Thaler ab; nicht jelten war ber 
Hirte oder der Nachtwächter auch im Belite des Schulamts; feit 1779 waren 
viele Invaliden angeftellt worden, darunter jolde, die jelbjt nicht lefen und 
ihreiben konnten. Jetzt wurde ernftlih für Aufbefferung der Lehrergebalte, 
Errihtung von Schulhäuſern zc. Sorge getragen, Aufgabe der ins Leben ges 
rufenen Zentralftelle jollte es fein, durch zwedmäßige Anordnungen und ſchär— 
fere Ueberwadhung eine Hebung der Qualität der Lehrer und damit des Unter: 
richts allmählich zu erreichen. ?) 


!, Stadelmann, Preußens Könige in ihrer Thätigfeit für die Landeskultur, III, 51. 


70 Erſtes Bud. Dritter Abſchnitt. 


Ungeteilte Zuftimmung fand aud die Wiederaufnahme des Nechtäver: 
fahrens in ber viel erörterten Müller Arnoldſchen Sache. König Friebrich hatte 
den — wie ſich jpäter herausitelte — unbegründeten Verdacht gefaht, daß das 
Kammergeriht einem unbemittelten Kläger, dem Müller Arnold zu Rommerzig, 
aus Rüdfiht auf vornehme Beklagte Unrecht zugefügt babe, und war mit 
äußerfter Strenge gegen die beteiligten Nichter vorgegangen; dieſelben waren 
entlaffen und mehrere Monate in der Feſtung Spandau gefangen gehalten 
worden; in der reblichiten Abiicht, die Heiligkeit des Rechts zu wahren, hatte 
der König eine ungerechte Gemaltthat verübt. et wurde der Prozeß wieder 
aufgenommen; ein fönigliches Nefkript vom 14. November 1786 erklärte, daß 
fih die volle Unſchuld der fünf Kammergerichtsräte herausgeftellt habe und 
diejenigen, die wieder in königliche Dienfte treten wollten, auf fonvenable Weiſe 
bei vorfommender Gelegenheit angeftellt werben follten. Dieſe Entſcheidung 
wurde überall mit Genugthuung begrüßt; in Sclözers Staatsanzeigen erſchien 
anläßlih der Thatfahe, daß „das Verbreden des in den Tagebüdern ber 
preußifhen Gefhichte jo berühmt gewordenen, jchredlihen 11. Dezember 1779” 
gejühnt worden fei, eine warme Lobrede auf Preußens Fürften, der mehr 
das deal eines Vaters feiner Unterthanen als eines Eroberer vor Augen 
babe. „Die Armee wird unter ihm gewiß noch beſſer gebildet, als fie vor: 
ber war, und immer die erfte der Welt bleiben. Aber aud dem Zivilitande 
wird die ihm gebührende Würde wiedergegeben, von der der verftorbene König 
oft zum größten Nachteil gar nichts wiſſen wollte.“ Die Webertreibung lag 
jo offen zu Tage, daß jih ein Verehrer des alten Königs gedrungen fühlte, 
in einer Zuſchrift an Schlözer Verwahrung einzulegen; Friedrihs Wert jei 
im Ausland beſſer gefannt und geihägt als in Deutihland, wo man, weil 
ein Irrtum entvedt und berichtigt worden fei, vor allen Lichtjeiten des 
früheren Regiments fi verjchließe. „Aber Friedrich bleibt doch der große 
Friedrich!” ’) 

Wenn in der Arnoldſchen Sade die prinzipielle Bedeutung im Vorder: 
grund ftand, jo waren andere Fälle, in welchen Friedrih Wilhelm mehr Milde 
walten ließ als jein Vorgänger, um der beteiligten Perjönlichkeiten willen von 
Intereſſe. Der Nittmeifter Gebhard Lebredht von Blücher, der ſich im fieben: 
jährigen Krieg durch friſchen Wagemut hervorgethan, doch in den Friedensjahren 
den Ruf eines Verſchwenders und Naufbolds auf fi geladen hatte, war 1773 
beim Avancement übergangen worden; die Beſchwerde des Gekränkten hatte ber 
König mit dem draſtiſchen Wort abgefertigt: „Der Rittmeifter Blücher kann ſich 
zum Teufel ſcheren!“ Darauf hatte Blücher feine Entlafjung genommen, und 
aus dem fchneidigen Neiterführer war ein betriebjamer Landwirt geworden. 
Nah Friedrichs Tod aber regte fih in Blücher das Soldatenblut, er bat um 
Wiederverwendung, und Friedrih Wilhelm leijtete, indem er ihn als Major in 
jein Regiment wieder eintreten ließ, dem preußifhen Staat einen nüßlichen 
Dienft. Nicht geringeren Gewinn bradte das mwohlwollende Verhalten gegen 
Hans von NYork, der als Junfer wegen Ungehorjams Faffiert worden war, jeßt 


ı) Schlözerd Staatsanzeigen, Jahrg. 1787, 231. 


Der Thronwechſel in Preußen. Die deutfchen Mittel: und Kleinftaaten. 71 


aber mit Rüdfiht auf rühmlihe Führung im Feldzug der Holländer in Indien 
wieder in die preußiihe Armee aufgenommen wurde. 

Auch in militärifhen Kreifen wurde gebilligt, daß der neue König, um 
nit mehr allein die Verantwortung für die Fortentwidelung des Heerweſens 
zu tragen, ein eigenes Kriegsminifterium berief. Der Sold der Offiziere wurde 
erhöht, die Werbung im Ausland eingeſchränkt, das Invalidenweſen geordnet, 
für Hebung von Artillerie und Genietruppen, die von König Friedrih etwas 
geringichägig behandelt worden waren, durch Erridtung von Bildungsanftalten 
Sorge getragen. 

Noch einfchneidender und umfafender war die Neform der Zivilverwaltung. 
Als Vorbild dienten die Einrihtungen unter Friedrih Wilhelm I., für deffen 
patriarhalifches, deutſches Regiment der Enkel bei jever Gelegenheit befondere 
Vorliebe an den Tag legte. Unmittelbar nad dem Thronwechſel wurde wieder 
ein Generaldireftorium „zur Verwaltung der allgemeinen Staatswirtihaft” be: 
rufen; die „von Sr. Königl. Majeftät Allerhöchftfelbit auf das Genauefte be: 
ftimmte und revidierte Inſtruktion vom 28. September 1786” fette die Kom: 
petenzen des Generaldireftoriums, der oberften Finanzbehörde, des Kriege: 
minifteriums und des Domänendireftoriums feit, jowie die Grundfäge, wonach 
alle Finanz: und Kameralgeihäfte zu verwalten jeien. !) 

Als oberfter Grundfat war darin fetgefegt, dab dem Lande jede mit 
der Verfaſſung des Staates verträglide Erleichterung gewährt werde. Dieje 
Tendenz führte zur Abſchaffung ber franzöfifhen Regie; auch die Tabaks- und 
Zudermonopole wurden aufgehoben, im Xccifewejen jolte für Verhütung von 
Pladerei und Bedrüdung Sorge getragen werden. Die widhtigfte wirtjchaftliche 
Neuerung war die Abſchaffung ber Kornzölle; der Getreidehandel follte, wie es 
ebenfo Zuftus Möfer in feinen „Patriotiſchen Phantafien“ wie Mirabeau in 
feinem offenen Briefe gefordert hatten, gänzlich freigegeben werden. Melden 
Einfhränfungen und Schwankungen diefe Anordnung ſchon in nächſter Zeit 
unterlag, wird fpäter zu beleuchten fein. Der Verſuch, eine allgemeine direfte 
Steuer einzuführen, mißlang. 

Der Landeskultur wurde im ganzen nicht jo eifrige Pflege zugewendet, 
wie unter dem vorigen König, insbejondere bie Kolonijation wurde faſt gänzlich 
fallen gelaffen; es fonnte aber auch mindeltens zweifelhaft erjcheinen, ob bie 
darauf zielenden Beitrebungen, die eine Menge ſchlechte Elemente in den Staat 
gelodt hatten, Nahahmung verdienten oder nit. Dem Programm Mirabeaus 
entiprad es, daß fat allen Bürgerlichen, weldhe Edelmannsgüter faufen wollten, 
im Gegenfaß zur Gepflogenheit König Friedrichs die Erlaubnis gewährt wurde. 
Einzelne Zweige, 3. B. die Pferdezucht, erfreuten fi banfenswerter Förderung; 
die Forftwirtichaft nahm glüdlihen Aufſchwung. 

Von höchſter Tragweite war es, daß Friedrich Wilhelm auch über bie 
Grenzen jeiner Gewalt Anſchauungen, welche ſich den Theorien Mirabeaus näherten, 
zu buldigen ſchien. Aus Anlaß der Klage eines entlaffenen Beamten, die durch 
alle Inftanzen gegangen war, ſprach fi der Großfanzler von Carmer freimütig 


) Stabelmann, II, Urkunden, 125. 


72 Erſtes Bud, Dritter Abſchnitt. 


dahin aus, daß „Officiales publici ohne gegründete Urſache nicht bimittiert 
werben fünnen,” und Friedrich Wilhelm erklärte fih mit diefer Anficht einver: 
ftanden. Damit war mittelbar zugegeben, daß die Beamten nicht al& Diener 
des Fürften, jondern des Staates zu betrachten jeien — ein Grundjaß, der un— 
weigerlih die Lehre von der abjoluten Gewalt des Fürften aus dem geltenden 
Staatsrecht verdrängen mußte. 

Faſt überall glüdliche Neuerungen oder doch verheißungsvolle Anfänge! 
Und da auch die auswärtige Politif günftige Erfolge erzielte, fonnte nicht aus— 
bleiben, daß faft das ganze preußiiche Volk mit froher Genugthuung auf feinen 
volfsfreundlichen Fürften blidte. Als das erfte Jahr der Regierung Friedrich 
Wilhelms abgelaufen war, feierte Hergberg in einer akademiſchen Rebe, mas 
alles vom König und — von ihm jelbit geleiltet worden war. Er glaubte 
nachmeifen zu fönnen, daß der neue König „das Regiment Friedrichs II. ganz 
in deſſen Grundfägen, mit der nämlihen Rührigkeit, Treue und Sorgfalt für 
das allgemeine Beite, nur mit mehr Güte und Milde, mit mehr Gefühl für die 
allgemeine Billigeit in der That wieber von vorne angefangen und fortgeführt 
bat”. Der afademifche Panegyrifus an ſich hätte geringe Bedeutung zu bean: 
ſpruchen, aber das Lob fand thatjählih Widerhall im ganzen Lande; das Ge 
leiftete galt als Unterpfand einer glüdlihen Zukunft. 

Doch waren für Eingeweihte und aufmerfjame Beobachter von vornherein 
dunkle Punkte wahrnehmbar. 

Bor allem mußte die Unjelbitändigfeit des gefeierten Monarchen Be- 
denken erregen. Faſt fämtlihe bisher jo günftig verlaufene Neuerungen waren 
im wejentlihen auf den Einfluß von Hergberg, Möllendorff, Carmer u. a. 
zurüdzuführen. Da lag die Bejorgnis nahe, daß einmal eine weniger erwünjchte 
Einwirkung ebenjo leiht den Regenten zu jchädlihen Entſchlüſſen bewegen 
fönnte. 

Diefe Befürdtung war um fo begründeter, als fi Friedrich Wilhelm auch 
als König von jenen Beziehungen, in welche ihn jein finnlihes Temperament 
verftridt hatte, nicht loszureißen vermochte. Das Privatleben des Königs bot 
noch immer Stoff für die pifanten Stimmungsberihte, welche Mirabeau aus 
Berlin an Galonne und Talleyrand richtete und König Ludwig XVL, wie 
Talleyrand verfiherte, „viel Ihmadhafter befand, als die Depeihen des be: 
glaubigten Gejandten”. Bibel und Geſangbuch waren wieder hoffähig geworden, 
aber die Nüdfehr zur Frömmigkeit feste den unfittlihen Zuftänden in ben 
höchſten Kreiſen feineswegs ein Ende. Obwohl Luife von Heilen ihrem Gatten 
jechs Kinder gefchenft hatte und das eheliche Verhältnis ſcheinbar ungeftört fort: 
dauerte, ging der König noch eine morganatiſche Verbindung mit einer Hof: 
dame der Königin, Julie von Voß, ein. Der Berftoß gegen Sitte und Moral 
wurde dadurch um nichts weniger peinlich, daß das Oberfonfiftorium, mit Luthers 
Biligung ber Doppelehe Philipps von Heffen fih entfhuldigend, zur unwürdigen 
Doppelehe jeine Zuftimmung gab. Natürlich fteigerten ſich auch in erfchredender 
Weiſe die Anforderungen an die königliche Privatichatulle. „Der König von 
Preußen” ſpottet Kaifer Joſeph in einem Briefe an feinen Bruder Leopold 
(8. Februar 1787) „hat endlich Fräulein Voß zu feiner Maitrefje erklärt; er 


Der Thronmwechfel in Preußen, Die deutfchen Mittel: und Kleinftaaten, 3 


hat ihr zum Anfang eine Anweifung auf zwei Millionen gegeben; das heißt ein 
Bergnügen teuer bezahlen, das er billiger haben fönnte!” Als die Gräfin Singen: 
heim — dieſer Titel war der Nebengattin eingeräumt worden — ſchon nad 
Jahresfrift der Aufregung und ben Anftrengungen des Kampfes mit nimmer 
endenden Hoffabalen erlag, famen andere Gunſtdamen an die Reihe. Auch 
Mirabeau, der in feinen geheimen Berichten die ſinnliche Schwäche des Königs 
bitter verurteilte, gab fih alle Mühe, einer franzöfiihen Sirene, Mabame Yoly 
de Fleury, einen ſolchen Poften zu verihaffen. Neben allen anderen Lieblingen 
wußte jih aber Madame Rietz dauernd in der Gunft des Königs zu behaupten. 

Gefährliher war der Einfluß der Genofjen des Rojenfreuzerbundes. 
Biihoffswerber, von König „Ormefus Magnus” zum Generaladjutanten erhoben, 
wußte um jo fiherer alles Erwünjchte durchzuſetzen, je weniger er jemals einen 
eigenen Willen zu erfennen gab. „Nichts zu ſcheinen, alles zu jein, war Biſchoffs— 
werders Politik“ (Philippjon). Mit der Rietz ftand „der Unergründliche” auf 
beitem Fuße, und der Dritte im Bunde war Wöllner. Im Haufe des lebteren 
war eine eigene Schaubühne für Geilterjeberei eingerichtet; hier richtete u. a. 
der Schatten Cäfars, von dem geſchickten Bauchrebner Steinert dargeitellt, an 
den König wohlberechnete Worte. Durch natürlide und „übernatürliche” Mittel 
mußten die Liftigen fih in der Gunft des Königs immer mehr fehzujegen und 
für fih und ihre Werkzeuge hohe Belohnungen zu erreihen. Wöllner wurde 
nicht bloß nobilitiert, fondern auch zum Mitglied der Akademie ernannt, und 
ihm, dem leidenjchaftlihen Gegner der Aufklärung, wurde der gejamte jchrift- 
liche Nachlaß Friedrichs II. ausgehändigt, damit er die zur Veröffentlihung be: 
ftimmten Stüde auswähle. Die Ausgabe der Oeuvres posthumes litt denn 
auh an beflagenswerten Mängeln; Gibbon joll den übereilten, unwiſſenſchaft— 
lihen Abdrud als Schmach für die deutjche Nation bezeichnet haben.!) Natür: 
(ih war aber Wöllner nicht gejonnen, mit „alademijchen” Auszeichnungen fi 
zu begnügen. Es war von vornherein darauf abgejehen, daß Wöllner den 
Vertreter der aufgeflärten Grundfäge Friedrichs II, den Kultusminifter Zeblig, 
verdrängen und jelbit an die Spite des Kirchen: und Schulmefens treten follte, 
um den großen Kampf für Wiederaufrihtung der Neligion und Reinigung der 
Kirche zu eröffnen. „Wenn Ormejus Magnus“ fchrieb er ſchon im Auguft 1786 
an Bruder Farferus (Bifchoffswerder) „etwa den Plan hat, daß ih ihm das 
geiftlihe Departement im Lande wieder emporheben fol, eine Sade, die ihm 
der Orden jehr hoch anrechnen würde, jo ftände ihm alsdann nichts im Wege, 
mir jothanes Departement al® Ministre anzuvertrauen, und ih mürbe meine 
noch übrigen ſechs Lebensjahre hindurch recht fleißig fein, die Aufllärer zu 
demütigen. Selbit die Ordensobern würden vielleicht nicht böje jein, wenn 
Ormesus Magnus ihren Ober-Haupt-Direktor in profanen Verhältniffen biftin- 
guierte.” Als Zeblig micht jofort zu Fall gebracht werben konnte, änderte 
Wöllner feinen Plan. Draſtiſch fennzeichnen die Worte, die er am 7. Dftober 
an den König jelbft richtete, das Strebertum des frommen Mannes! „Die neue 
Inſtruktion für das Generaldireftorium wird heute dafelbft publicirt. Ich merke 


) Dohm, Dentwürdigfeiten, V, 50. 


74 Erfted Bud. Dritter Abſchnitt. 


indeſſen doch, daß alle Minifter bis auf den einzigen Werber (de Launays Nach— 
folger) noh den Satan im Herzen haben und ihre Departements:Souveränetät 
nicht ganz verlieren wollen ... Ich habe von jeher jo gern Minifter des geiſt— 
lihen Departements werden wollen; wage ich wohl zu viel, Em. Königliche 
Majeftät zu bitten, mir unterdejjen den vafanten Platz als Finanzminiſter zu 
geben? Ich kann dem ohneradtet noch immer alle Immediat-Commiſſiones Ew. 
Königlihen Majeftät beſorgen.“) Allein auch diefer Sturm war verfrüht; der 
Minifterpoften wurde dem Orbensbruder abgeſchlagen, aber es erfolgte wenigftens 
die Ernennung zum geheimen Überfinanzrat und Chef des Baudepartements, 
und obwohl diefe Stellung nit das mindeſte Anrecht gab, gingen fortan alle 
Anträge des Generaldireftoriums durch feine Hand. Ihm war auch bie joge: 
nannte Dispofitionsfaffe anvertraut, in deren Beltände fein anderer Minifter 
Einblid hatte. König Friedrich hatte daraus jährlich für feinen eigenen Bedarf 
etwa eine halbe Million entnommen, unter dem Nachfolger wurde jchon im 
eriten Jahre der dreifache Betrag zur Beftreitung außerordentliher Hofausgaben 
verbraudt. Wurden aber je einmal Mittel zu anderen Zweden bemilligt, jo 
erklärte Wöllner, es fei lediglich als Ausfluß königlicher Gnade zu betrachten, 
fo daß Friedrich Wilhelm jelbft eine ftaatsrechtlich nicht begründete Anſchauung 
von feiner Finanzhoheit in fih aufnahm. Die widhtigften Aemter im Finanzfach 
waren im Belig von drei Brüdern Beyer, die dem Nofenkreuzerorden ange: 
hörten und intime Freunde Wöllners waren; die Frau des einen rühmte ſich 
offen, die Erhebung Schulenburgs zum Minifter durchgejegt zu haben. 

Es erregte peinliches Aufjehen, als über ſolche Vorgänge Hinter den Cou— 
liſſen, insbejfondere über das Treiben der Kamarilla, die „aus Geifterfeherei 
und jefuitiiher Freimaurerei Profeffion machte“, eine Flugſchrift „Geheime 
Briefe über bie preußifhe Staatsverwaltung feit der Thronbefteigung Friedrich 
Wilhelms II.“ (Utrecht 1787) die auffälligften Enthüllungen brachte. Offenbar 
ftammten biejelben aus eingeweihten Kreifen; der geheime Finanzrat v. Borde 
wurde als Berfaljer genannt. Dem König jelbit war darin warme Anerkennung 
gezollt, doch mit der Einfhränfung, daß zwar zur Zeit noch der Einfluß des 
ftaatsflugen, einjihtsvollen Hertzberg übermwiege, daß aber zu beforgen jei, bie 
Einmifhung ſelbſtſüchtiger Günftlinge werde bald ale Männer von Kopf und 
Herz aus der Umgebung bes Königs verdrängen. Bielleiht war Hertzberg jelbit 
an der Abfaffung nicht ganz unbeteiligt. Eine Verteidigungsſchrift für Wöllner 
und Bifchoffswerder mit dem rätjelhaften, geihmadlojen Titel „Jmakoromazyp⸗ 
ziloniafus” fucht den Verfaffer der „Geheimen Briefe” im Lager der ſchwer 
getroffenen Merkantiliften. 

Doch gerade dieſer Gegenjag überdauerte faum die Anfänge der neuen 
Regierung. Sm wirtihaftlihen Fragen zeigten fich zuerft die Wirkungen eines 
Mangels an Entſchloſſenheit und Konfequenz, bie allmählih aud auf anderen 
Gebieten der Regierungsthätigkeit zutage traten. „Es fehlt der Politik Friedrich 
Wilhelms II. an der Einheit des alles beherrfhenden Gedankens, die unter 


) Preuß, Zur Beurteilung des Staatsminifterd von Wöllner, in ber Beitfchr. für preuß. 
Geſchichte und Landeskunde, III, 90. 


Der Thronwechſel in Preußen. Die deutihen Mittel: und Kleinftaaten. 75 


feinem Vorgänger die Kräfte des Staates gebildet hatte.“) Diejer von Ranke 
gegen die auswärtige Politil gerichtete Vorwurf gilt au für die innere, es 
fehlten nicht bloß die Welt: und Menſchenkenntnis Friedrichs II., jondern auch 
die Selbitändigkeit und Thatkraft Friedrich Wilhelms I. Mit dem aufwuchernden 
Koterie: und Protektionswejen, das manchen Ratgebern, „die unter den beiden 
Regierungsvorgängern unmöglich geweien wären”, entjcheidenden Einfluß ein: 
räumte,?) war die Durchführung eines einheitlihen wirtſchaftlichen und handels— 
politiihen Syitems überhaupt nicht vereinbar. 

Eine Zeitlang hatte es den Anſchein, als wolle die preußifhe Regierung 
nad engliihem Vorbild in völlig neue Bahnen einlenfen. Freigebung bes Ge— 
treidehandels wurbe verfündigt, aber damit ftand ſchon bie Aufrechthaltung der 
ftaatlihen Kornmagazine in Widerſpruch, und von freihändleriicher Politik war 
vollends nicht mehr zu reden, jeit ein 1788 erlafjenes Edift, „um einem Ge: 
treivemangel vorzubeugen und dem Kornwucher zu fteuern”, für Preußen und 
Pommern die Ausfuhr von Gerfte und Hafer gänzlich verbot. Bald folgte eine 
zweite Verordnung, welde die Ausfuhr von Getreide aus allen Provinzen 
durch hohen Aufihlag einihränkte, und im Januar 1789 wurde die Ausfuhr 
aller Arten von Getreide ins Ausland „gänzlich und bis auf weitere Verfügung 
ſchlechterdings“ verboten. Daneben wurden aber gelegentlich wieder Anordnungen 
getroffen, melde nur in einem Gemeinmwejen mit unbeſchränkter Handelsfreiheit 
am Plate geweſen wären. Nicht anders ging es auf anderen Wirtichafte- 
gebieten; troß des Widerſtrebens des Generaldireftoriums, inäbefondere bes 
Minifters Struenjee, eines eifrigen Anwalts englifcher Defonomie, nahm eine 
rüdjchreitende Bewegung immer rajcheres Tempo an, bis wieder die verlafjene 
Bahn der Wirtichaftspolitif Friedrichs II. erreicht war. 

Wie die geplanten Retormen allmählich erlahmten und endlich fogar das 
Gegenteil des Angeftrebten zum Gejeg erhoben wurde, zeigt fih am deutlichiten 
in der Lotteriefrage. „In Ihren Staaten” — fo hatte Mirabeau dem neuen 
König zugerufen — „gibt es eine reißende Plage, die Sie gar nicht geſchwind 
genug austilgen fünnen; ohne Zweifel würde eine ſolche Wohlthat den erften 
Tag Ihrer Thronbefteigung am würdigſten auszeichnen: ich meine das Lotto, 
das nur noch ſchändlicher und entjeglicher wäre, wenn Sie ſelbſt daraus Nuten 
ziehen wollten!” In der That zeigte fich Friedrich Wilhelm entichlojlen, das 
unfittlihe Spiel, das jelbft des Armen letztes Gut, die Hoffnung, vergiftet, 
aufzuheben. Er war ungehalten, al® das mit Prüfung ber Frage betraute 
Generaldireftorium lediglich die materielle Seite, den Nugen für die öffentlichen 
Kaſſen, berüdiichtigte, und wiederholte gehobenen Tones die Forderung, daß „eine 
jo jchäblihe Quelle, daraus das Unglüf jo vieler taujend Unterthanen ent- 
jpringt, je ehender je lieber veritopft werde”. Als aber das Generaldireftorium 
den Grundjag aufftellte, daß an den Sontraften der Lottopächter vorerft nicht 
gerüttelt werden dürfe, berubigte jich der König, und noch che die Kontrafte 
abgelaufen waren, wurde beftimmt, daß die Lotterie fortan zum Bejten des 


!) Ranke, Hardenberg, I, 162. 
2) Stadelmann, III, 7. 


76 Erfted Bud. Dritter Abſchnitt. 


Invalidenfonds vom Oberfriegsfollegium, aljo vom Staat jelbjt betrieben 
werben fol. 

Die trübfte Wendung vollzog fi auf dem firchenpolitifchen Gebiete. 
Ohne Zweifel war es geboten, — aud von Philippfon wird diefe Notwendig: 
feit anerfannt — ben Ausſchreitungen der Aufklärungsepoche, die der pofitiven 
Religion förmlich den Krieg erklärt und den Gläubigen die Stellung von Heloten 
aufgenötigt hatte, entichlofen entgegenzutreten. Waren doc die meiften geift- 
lihen Behörden mit Männern befegt, die alles andere, nur nicht Geiftliche 
waren! Wenn alfo der Monarch dem Minifter Zedlig erklärte, er „wolle nicht 
mehr leiden, daß man in jeinem Lande die Religion Jeſu untergrabe, dem Bolt 
die Bibel verädhtlih made und das Panier des Unglaubens, des Deismus und 
Naturalismus öffentlih aufpflanze”, jo brauchte dieſe Kundgebung noch nicht 
mit Miftrauen oder Bejorgnis aufgenommen zu werden; e8 war eben der Rück— 
ſchlag gegen die allzu üppig ins Kraut gejchoffene reigeifterei der Fridericiani— 
Ichen Periode! Allein das eine Ertrem wurde nur verlaſſen, um ins andre 
überzugehen; jett wurde das Sadducäertum verfolgt, aber einem gleißneriichen 
Pharifäertum zum Sieg verholfen. Darüber war doch fein Zweifel möglich, 
daß Geheimbündler und Glüdsritter, wie Möllner und Bilchoffswerder, nicht 
die rechten Männer fein Eonnten, um die Herrichaft der Gottesfurdt und guten 
Sitte aufzurichten! Solange noch Zedlig am Ruder ftand, war eine Reaftion 
im Kirchen: und Unterrihtswejen unmöglih, aber feine Zeit war abgelaufen. 
Als im Verhalten des Königs eine Abnahme des Vertrauens bemerklich wurde, 
bat der Minifter um feine Entlaffung; der Monarch ging nicht ſogleich darauf 
ein, doch fonnte er dem Drängen der Roſenkreuzer nicht lange widerſtreben; 
am 3. Juli 1788 erhielt der „Werfmeifter der fridericianiihen Schulreform“ 
den Abſchied, und noch am nämlihen Tage wurde MWöllner zugleih zum 
Juftizminifter und zum Chef des geiftlichen Departements in allen Iutherifchen 
Kirhen:, Schul: und Stiftsfahen ernannt. 

Wenige Tage fpäter (9. Juli 1788) erſchien das längft vorbereitete Edikt, 
die Neligionsverfaffung in den preußifhen Staaten betreffend. Dadurch follte 
erreicht werben, daß „bejonders nah dem Erempel des in Gott ruhenden Groß: 
vaters Majeität” die chriftliche Neligion der proteftantiihen Kirche in ihrer 
urſprünglichen Neinigfeit und Echtheit wieberhergeitelt werde. Die Ausbreitung 
der Srrlehren der Sozinianer, Deilten, Naturaliiten und andrer Sekten follte 
gehemmt, insbejondere für den geiftlihen Stand der jtrenge Bibelglaube wieder 
zum Gejeb erhoben werben. 

Das Religionsedift hat noch in jüngfter Zeit an Paul Cafjel einen An- 
walt gefunden. Das mit einem heiligen Ernſt abgefaßte Werf bürfe nicht ge: 
ſchmäht, jondern müſſe bewundert werben; e& ſei nur als Proteft gegen franzöfifche 
Frivolität und auffläreriiche Flachheit aufzufaflen, und Friedrich Wilhelm habe, 
indem er fi dazu aufraffte, „eine That gethan, die mehr moraliihen Mut 
zeigte, wie eine Schladt 2.” !) 

Unbedingt ift zuzugeben, daß der König von befter Abſicht befeelt war, 


) P. Caſſel, Friedrich Wilhelm II., 87. 


Der Thronwechſel in Preußen. Die deutſchen Mittel: und Kleinftaaten. 177 


aber in der Politif werden nicht die Triebfedern, jondern die Nefultate beurteilt. 
Gewiß verdient auch weniger das Edikt jelbit, als die Ausnützung der unſchuldig 
flingenden Worte getadelt zu werben. Das Edikt will ja „die Störer des 
Gottesdienftes und der kirchlichen Verfaffungen” nur zum Schuß „der wichtigften 
Angelegenheit, nämlich der völligen Gemwifjensfreiheit” zurüddrängen, aber unter 
dieſem Vorwand wurde die Gewiſſensfreiheit jelbft nicht mehr geachtet. Der 
alte Geift der ſymboliſchen Orthodoxie follte wieder erwedt, die Schule „von 
Zedlitzſchen Einflüſſen“ gereinigt, d. h. nach engherzig fonfeffionellen Gefichts: 
punften geleitet werden; Kirchen: und Schulämter gelangten nur noch an „ge: 
finnungstüchtige” Bewerber ; mißliebige Prediger wurden trog günftigen Ausgangs 
der Unterfuhung oder fogar ohne Unterfuchung und Urteil entlafjen. !) 

Im Religionsedift war Aufrechterhaltung „der den preußiihen Staaten von 
jeher eigentümlich gewefenen Toleranz der übrigen Sekten und Religionsparteien“ 
zugelichert, zugleich. aber öffentlicher Gottesbienft nur den drei Hauptlonfeffionen 
und den bisher öffentlih geduldeten Sekten geitattet; dies war doch offener 
Bruch mit jener Tradition, die zu Preußens Wahstum nicht weniger beige: 
tragen hatte, als die Siege von ;yehrbellin und Leuthen! Und mußte nicht 
Gläubigen und Freidenfern anftößig erſcheinen, daß die Forderung „Religion und 
Moral” von einem Hofe ausging, wo jo loderen Sitten gehuldigt wurde, und 
von MWürdenträgern, die trog ihrer Frömmigkeit für die Sittenlofigfeit des Hofes 
feine Augen hatten! 

Die Beröffentlihung von unziemlihen Protejten gegen das Religionsedift 
bot erwünjdten Anlaß zu ftrengerem Vorgehen gegen das freie Wort. Da 
„die Preßfreiheit in Preßfrechheit ausartete, mithin gegen das Edikt allerlei 
aufrühreriihe Schartefen gedrudt werden”, verlangte der König Vorjchläge, wie 
die Cenſur „wieder auf beiferen Fuß eingerichtet werden” könne. Am 19, De: 
zember 1788 erſchien das „Erneute Cenfuredift für die preußifchen Staaten”. 
Dasjelbe war nicht milder und nicht ftrenger als die Verordnungen in den 
meilten andern deutihen Staaten; immerhin bot es MWöllner und jeinen Leuten 
eine neue Handhabe zu ftrengem Einjchreiten gegen die Widerſacher des Ob: 
flurantismus. 

Die für das Oberſchulkollegium erteilte Anftruftion, die Magna Charta 
des preußiſchen Schulwejens, erlitt mehrfahe Abänderungen. Alle Lehrbücher, 
in welchen fi noch „Windbeuteleien der ſchönen fogenannten Aufklärung” fanden, 
wurden verboten; zum lutheriihen Religionsunterricht durften nur „die chrift: 
lihe Lehre im Zufammenhang”, für den reformierten nur der „kurze Unterricht 
in der Kriftlihen Lehre” benügt werden. Auch die Univerfitäten, insbefondere 
die theologiſchen Fakultäten, follten von „neumodiſchen“ Lehrern gefäubert werben; 
die Hochſchulen ſollten endlich einmal aufhören, „Warten der falſchen Aufklärung 
und Heimftätten der Sittenlofigfeit” zu fein. Darauf zielte u. a. das Verbot von 
theatraliſchen Aufführungen in den Univerfitätsftädten, damit die Jugend Feine 
Gelegenheit habe, die edle Zeit und ihr Geld unnügerweife zu vergeuden. Ja, 


i) Preuß, III, 71. Rethwiſch, Der Staatäminifter Frhr. v. Zedlig und Preußens höheres 
Schulweſen im Zeitalter Friedrichs des Großen, 209. 


78 Erſtes Bud. Dritter Abfehnitt. 


das Verbot theatraliiher Vorftellungen wurde auf alle preußifchen Städte aus: 
gedehnt; nur das Nationaltheater in Berlin und die privilegierten Truppen 
Döbbelins und Wäfers durften weiter jpielen, damit das Publikum „nur 
gehörig qualifizierte Schaufpiele” zu ſehen befomme. 

Und diefes Verbot wurde erlaffen zu einer Zeit, da über die Geparat- 
aufführungen von Singfpielen und Balletten auf dem Theaterhen der Madame 
Niet die pifanteften, wenn auch teilweiſe falſche oder übertriebene Gerüchte im 
Umlauf waren! — — 

An Gründen zu Unzufriedenheit und Mißbehagen fehlte es aljo nicht: troß- 
dem muß überraſchen, daß der Verſuch, den dhriftlichefonjervativen Staat wieder 
aufzurichten, eine jo leidenjchaftliche, ſüürmiſche Oppofition hervorrief, daß der 
Name des Monarhen, der eben noch als der Bielgeliebte gefeiert worden war, 
faft unterjanf in einer Flut von Schmäh- und Lälterichriften, wie fie kaum 
in der Sansculottenprefje Frankreichs ihres Gleihen fanden. Freilih haben 
auch an dieſer ſchmutzigen Litteratur die Franzoſen mwejentlihen Anteil. Das 
Beiipiel Mirabeaus, auf deſſen „Geheime Geſchichte des Berliner Hofes” noch— 
mals zurüdzutommen jein wird, bemeijt, wie ſchwer e& den verwöhnten Fran— 
zojen fiel, daß ihnen der neue König die bevorzugte Stellung, die fie unter dem 
Philoſophen von Sansjouci genoſſen hatten, entziehen wollte. Wie lächerlich 
erfcheint dem jelbjtbewußten Manne der Verſuch, die franzöfiiche Ueberlegenheit 
zu beftreiten! wie bitter verhöhnt er die Berliner „Deutjchtümelei”, die ein 
Barbarenvolf ohne Kunit und Litteratur im Handumdrehen den Trägern der 
Civilifation gleichitelen wolle. Auch die Revolution warf ſchon ihre Schatten 
voraus, der Kampf gegen die Regierungen lag jozujagen in der Luft, — da 
konnte heftiger Widerftand gegen das Pharijäertum der Wöllner und Genofien 
nicht ausbleiben. 

Natürlich ging fofort der abenteuerliche Bahrdt unter die Pasquillanten. In 
ihm regte fich der alte Jlluminat ; zwifchen Nojenfreuzern und Illuminaten herrfchte 
ja grimmige Fehde, obwohl Zwede und Ziele der beiden Geheimbünde im weſent— 
lihen aufs Nämliche hinausliefen. Bahrdt jchrieb ein Luitjpiel „Das Religions: 
edikt“ (Thenakel 1789), in welchem der Mangel an Witz durch zügelloje Gemein: 
heit verdedt werben joll; das Machwerk trug dem Berfafjer ein Jahr Feitungshaft 
auf der Magdeburger Eitadelle ein. Eine „Geſchichte aus der Planetenwelt: 
dreyerley Wirkungen” (Germanien 1789) jchildert in lüfterner Sprade, wie ein 
fanftmütiger, liebreiher Regent, verführt vom Sinnentaumel einer „in Luxus 
erjoffenen” Stadt und insbejondere bes Liebestempels der Madame Wiek zu 
einem verächtlichen Schwächling herabſinkt. Noch unflätiger ift die Schrift „Saul 
der Zmweyte, genannt der Dide, König von Kanonenland”. Auch hier wechjeln 
Ausfälle gegen Berlin, das zweite Ephejus, wo fich alles vereinigt, um Geld 
und Gejundheit, Unſchuld und Ruhe zu rauben, mit wollüftigen Schilderungen 
der Myiterien des Hauſes Nie und mit Verwünſchungen der Henker der 
Glaubensfreiheit. Vom NReligionsedift heißt es: „So etwas war jeit Nebu— 
fadnezar nicht erjchienen, ganz natürlih mußte es alfo auch allgemeine Sen: 
jation erregen.“ „Wurm (Wöllner), Wurm! Dein Glaubensedift hat dich ver: 
ewigt! Feſt haft du deinen Namen der Kirchen: und Ketzergeſchichte einverleibt ! 


Der Thronwechſel in Preußen. Die deutfgen Mittel: und Kleinftaaten. 79 


Nah Jahrhunderten wird man ihn noch mit Widerwillen und Abſcheu aus: 
ſprechen!“ 

Weshalb in dieſer Schlammflut vorwärtsdringen? Das Mitgeteilte genügt, 
um die Erbitterung der Radikalen zu kennzeichnen. Mit Ekel wenden wir uns 
ab von Erzeugniſſen, für welche Cosmann den rechten Namen „Schund- und 
Schartekenlitteratur“ gefunden hat, aber die Entrüſtung über Ausſchreitungen 
darf nicht überſehen laſſen, daß auch die gemäßigten Freiheits- und Vaterlands— 
freunde den Uebergang des Regiments an mangelhaft befähigte oder gewiſſen— 
loſe Streber und Frömmler bitter beklagten. Gewiß hat Dampmartin recht, 
wenn er in ſeiner Verteidigungsſchrift für die „preußiſche Pompadour“ als 
Thorheit zurückweiſt, daß nach dem Unglückstag von Jena alle Schuld an 
Preußens Verfall auf Friedrih Wilhelm II. und das Kleeblatt Rietz-Wöllner— 
Bifhofjswerder abgeladen wurde. Schädlich haben aber der Zelotismus, die 
Heuchelei, die Verſchwendung diejer Dunfelmänner, die faft ein Jahrzehnt hin: 
durch die innere Politif Preußens beherrſchten, unzweifelhaft gewirkt. König 
und Bolf wurden einander entjremdet, damit war dem ftolzen Bau Friedrichs 
des Großen die fräftigite Stüge entzogen. — 

In Kurjahien war man jeit langem gewohnt, auf einen Gegenjaß 
zwiſchen dem waffenklirrenden Sparta an der Spree und dem Site jchöner 
Künfte und gejelliger Bildung, Elb-Athen, wohlgefällig binzumeijen. „Nirgend“ 
jo rühmte jogar Voltaire „waren die Genüſſe des Friedens fo reich verfammelt, 
nirgend waren die Huldigungen für die Kunft jo enthufiaftiih, nirgend der 
Zufammenfluß der Fremden jo lebhaft wie in Dresden, dem glängendften Hofe 
Europas”.') 

Das war faum zu viel gejagt. War doch ſchon unter dem cynijch- 
genialen Auguft dem Starken, der durch fein „Königs-Deſſin“ der gefchichtlichen 
Stellung des Kuritaates die Lebensadern unterbunden und burch leichtfertige 
Kriege den Wohlftand des Landes geftört hatte, die polniſch-ſächſiſche Refidenz 
die erjte Kunititadt des Reichs geworden, eine üppig jchöne, in den Norden 
vorgeichobene Kolonie des Südens! Welches deutihe Bauwerk konnte fich 
meſſen mit der originellen und grandiojen Arditeltur des Zwingers, ber doch 
nur als Vorhof für ein noch prächtigeres Schloß gedacht war! Sogar bie Luft: 
bauten bes practliebenden Mar Emanuel von Baiern waren den Schöpfungen 
Augufts nicht ebenbürtig. In diefe Prunfräume [ud der König die dramatijche 
Kunſt Franfreihs zu Gaft; bier wurden die Opern Lullys, die Schaufpiele 
Corneilles und Racines ebenjo glänzend wie gediegen aufgeführt. Freilihd war 
damit nur ftattlihe Bethätigung füritliher Würde beabfichtigt, mit dem Volks— 
leben hatte dieſe Kunſt feine Gemeinſchaft, fie war nur eine fünftlih getriebene 
Blüte, aber die Pflege war deshalb nicht weniger verbienftlihd. „Die poli- 
tiſche Geſchichte“ jagt Hettner „hat gar manche trübe Schatten aus der Negie- 
rungsgefhichte Nugufts des Starken und Augufts III. hervorzuheben; der 
Kunſtgeſchichte wird das ſchönere Los zu teil, der mit Anfpielung auf 
den Namen Auguft bei den Zeitgenoffen beliebten Bezeichnung eines neuen 


I) Voltaire, Siöcle Louis XV, 81. 


80 Erfted Bud. Dritter Abſchnitt. 


Augufteiihen Zeitalters eine gewiſſe Wahrheit und Berechtigung zuerfennen 
zu können.” 

Der böſe Dämon Sachſens unter Auguft II. war der allmädtige Major 
domus, Graf Brühl, der Jahrzehente lang die Leitung der gefamten Zivil: und 
Militärverwaltung in Händen hatte. Nachdem die Bekämpfung der ſchwer be- 
drängten Tochter und Erbin des legten Habsburgers nicht den erhofften Geminn 
gebracht hatte, wechjelte er die Politik; fortan ließ er fein Mittel unverjucht, 
das den glüdlicheren Nebenbubler König Friedrih von Preußen ſchädigen fonnte; 
den ſächſiſchen Premierminifter trifft in erfter Neihe die Verantwortung für den 
fiebenjährigen Krieg, der doch die ſchlimmſten Folgen für Sadjen jelbit im 
Gefolge hatte. An Brandihagungen allein hatte das unglüdlihe Land mehr 
als fiebzig Millionen Thaler zu zahlen.) „Es iſt eine betrübte Erinnerung 
des Kriegs“, heißt es in einer von Baron Gartenberg an Brühl gerichteten 
Dentihrift, „wenn man auf den Rathäufern der Städte eine Reihe Schlüfjel 
zu unbewohnten und von den Einwohnern unerfhmwingliher Abgaben wegen 
verlafjener Häufer antrifft.” Dod am Könige und feinem Minifter gingen die 
Erfahrungen der Kriegsjahre jpurlos vorüber‘, bei Hofe dauerte bie maßloje 
Verſchwendung fort, die Unterthanen jeufzten unter ber faum noch erträglichen 
Steuerlaft. Als Auguft IH, ftarb (5. Dftober 1763), fam erft zu Tage, wie 
gewifjenlos fein Minifter mit den öffentlichen Geldern umgegangen war. Glüd: 
liher Weife war aber auch in der Brühlfhen Periode die Verfhwendung mit 
Kunftliebe und Geihmad Hand in Hand gegangen. Wie unter Auguft II. die fran: 
zöſiſche Kunſt in Dresden eingezogen war, fo herrſchte unter dem Nachfolger 
die italienifhe. Die von Gaetano Chiaveri gebaute Hoffirche zählt zu den 
ihönften Schöpfungen des italienifhen Baroditils; eine ebenſo edle Zierde der 
Stadt iſt das Werk des einheimischen Georg Bähr, die der Petersfirhe in Rom 
nachgebildete Frauenfirhe. Der in Rom gebildete ſächſiſche Hofmaler Raphael 
Mengs zählte zu den gefeiertften Größen des Zeitalters; für den Grafen Brühl 
malte Ganaletto die lebensvollen und getreuen Anfichten ſächſiſcher Städte; vor 
allem: damals famen die föftlihen Meifterwerfe des Cinquecento und ber 
Renaiſſance in die Dresdener Galerie, 1743 Holbeins Madonna, 1753 Raphaels 
Sirtina. Die Oper war von Haſſe und feiner ihönen Gattin Fauſtina beherrſcht; 
aus italieniiher Schule ftammten die „Taleftri” und andere beadhtenswerte 
Werfe der Kurprinzeffin Maria Antonia, Kaifer Karls VII. Tochter, die mit 
ſchwärmeriſcher Hingebung den Mufen huldigte. Dem König joll nicht vergeſſen 
werben, daß er mit den Worten: „Diefer Fiſch ſoll in fein rechtes Waller 
tommen!” den Verfaſſer der „Gedanken über die Nahahmung der griedhijchen 
Werke in Malerey und Bildhauerkunft” nah Rom ſchickte. Wie beraufchend 
die Schäge der funftiinnigen Wettiner auf einen empfängliden Kopf wirkten, 
zeigt fich gerade an dem Altmärfer Windelmann, der fih aus den Kafematten 
einer Zwingburg in die Gärten Armidas verfegt glaubte und, um dieſer 
ihöneren Welt leben zu können, Heimat und Glauben abihwor. Auch Herder 
feierte entzüdt dieſe Reize: 


1) Flathe, Geſchichte des Kurftaates und Hönigreihes Sadfen, II, 502. 


Der Thronwechſel in Preußen. Die deutfhen Mittel: und Kleinftaaten. 81 


„Blühe, deutfches Florenz, mit deinen Schägen der Kunftwelt, 
Stille gefihert fei Dresden:Dlympia uns. 

Phivias-Windelmann erwadht an deinen Gebilvden, 

Und an deinem Altar fprojjete Raphael Mengs!“ 


Doh es war ein Glüd für Sahjen, daß es 1768 in Friedrich Auguft IV. 
einen jchlihteren, jparjameren Regenten erhielt. Nun mwurbe endlich verjucht, 
den zerrütteten Finanzen aufzuhelfen; der Willtür der Höflinge und Beamten, 
die unter den Vorgängern auch in Sadjen eine „polniihe Wirtſchaft“ geführt 
hatten, wurde gefteuert, der ganzen Staatsverwaltung wieder das Gepräge ber 
Ehrlichkeit und Ordnung zurüdgegeben. Eingedenf der Nachteile, welche bie 
Verquickung fähfifher und polnischer Jnterefien dem Stammlande ſchon gebracht 
hatte, verzichtete der Kurfürft auf die polnifhe Krone. Im bairiſchen Erbfolge: 
ftreit Schloß er fih, um jeine Anſprüche als Gatte einer bairiſchen Prinzeſſin 
an die Allode der bairiſch-wittelsbachiſchen Linie durchzujegen, an Preußen an; 
die Verwendung des Gewinns, den ihm ber Tefchener Friede brachte, fand auf: 
richtigen Beifall. Als Friedrich II. die deutihen Fürften aufforderte, den fort: 
gefegten, auf Eintaufch Baierns gerichteten Umtrieben Joſephs II. einen Damm 
entgegenzufegen, ließ fi Friedrih Auguft nah einigem Zögern zur preußifchen 
Auffaffung befehren und trat (23. Juli 1785) dem Fürftenbunde zur Erhaltung 
des bedrohten Reichsſyſtems bei. 

Dieſe ruhige, bejonnene Leitung ber auswärtigen Politik trug weſentlich 
zum erfreuliden Auffhwung der inneren Berhältnifie bei. Der lange Friede 
wirkte wohlthätig auf Aderbau, Handel und Gewerbe, und jo gelangten bie 
geicheiten, rührigen Bewohner des Kurſtaates allmählih wieder zu dem früher 
ſprichwörtlichen Wohlſtand. Der rationell gepflegte Bergbau blühte auf; die 
Induſtrie entwidelte fich freier und glüdlicher als in den größeren Nachbar: 
ftaaten. Neben dem durch Fürftengunft geförderten Dresden behauptete Leipzig, 
das fich eines regjamen, reihen Bürgerftandes und einer bedeutenden Hoc: 
ihule rühmen fonnte, ehrenvollen Rang unter den deutichen Städten. Leipziger 
Studenten wurben die Neformatoren unjrer Kitteratur. Die Herausgeber und 
Mitarbeiter der „Neuen Beiträge”, die den Mut fanden, unabhängig von 
Gottihed neue Wege einzuichlagen und bie Poefie aus dem Bannfreis der Ge: 
lehrſamkeit herauszuführen, hatten joeben in Leipzig ihre Studienjahre zurüd: 
gelegt; in die Leipziger Tage fielen Leſſings erfte dramatifhe Verſuche; in ben 
Hörjälen und im gefunden Volksleben Leipzigs holte fi) der junge Goethe frucht: 
bare Anregung. Schon war Leipzig die unbeitrittene Metropole des deutjchen 
Buchhandels, und damit hängt auch zufammen, daß den Lehrern und Schrift: 
ftelern jener Stadt univerjellere Bildung, weiterer Blid, freierer Ton nad): 
gerühmt wurden. „Mein Leipzig ift ein Klein: Paris, das bildet jeine Leute!” — 

Die kurhannöverſchen Lande wurden, jeit Georg I. am 31. Oftober 
1714 in Weſtminſter als König von Großbritannien und Srland gefrönt worden 
war, von London aus regiert. Zwiſchen Welfen und Hohenzollern beitand, ob: 
wohl fie Nahbarn und Religionsverwandte waren, nur felten aufrichtiges Ein: 
vernehmen; die Nebenbuhlerihaft um die erite Stellung im deutihen Norden 
ihuf einen natürlihen Gegenſatz. Namentlich Georg II. war ein leidenfchaft: 

Heigel, Deutjche Beihiäte vom Tode Friedrichs d. Gr, bis zur Auflöfung des deutſchen Reiche. 6 


82 Erftes Buch. Dritter Abichnitt. 


liher Gegner Preußens, nicht bloß folange er in den jchlefiichen Kriegen als 
Bundesgenofje Maria Therefias mit der „pragmatifchen” Armee gegen Preußen 
und Franzofen operierte, jondern auch nachdem er dur die hannöverſche Kon: 
vention von 1745 ganz andre Pflichten auf fi genommen hatte. Der Eoniti- 
tutionelle Regent Englands hatte, wie aus der Geheimforreipondenz Georgs mit 
den hannöverſchen Räten nachgewieſen werden fonnte!), ebenfo fein „Geheimnis 
des Königs”, wie der abſolute Monard von Franfreih. Als König von England 
mahnte Georg feine Minifter, für den Frieden zwiſchen Preußen und Defterreich 
zu wirken; als Kurfürft von Hannover, von der Abſicht getragen, aus preußifchem 
Gebiet „ein namhaftes Avantage zurechtzuſchneiden“, juchte er durch jedes Mittel 
die Verjöhnung zu hindern. Wie jo häufig in der era der eriten beiben 
George, mußte fi das englifche Intereſſe dem hannöverſchen unterordnen, wurbe 
England, wie Ledy jagt, mit hannöverihem Ruder gefteuert. 

Doch die Bereitwilligkeit König Friedrihs, die Erhaltung der von Frank— 
reih bedrohten Lande des welfiihen Haufes zu verbürgen, führte zwar nicht in 
der Gefinnung Georgs, doch in der Politif des hannöverihen Kabinetts einen 
Umſchwung herbei. Infolge des Bertrags von Weltminfter vom 16. Januar 
1756 ftand England im neuen Kriege zwifhen Preußen und Deiterreih als 
Bundesgenoſſe an Friedrichs Seite, und die hannöverſchen Truppen leifteten zur 
Befreiung des deutjchen Bodens von franzöfiiher Invaſion trefflihe Dienfte. 
inmitten der Stürme des fiebenjährigen Kriegs ftarb Georg II. (25. DE: 
tober 1760). 

Sein Sohn Georg III., der jechzig Jahre lang in der wichtigften Periode 
der Weltgefhichte über die aufgeklärteite Nation der Erde das Szepter führen 
follte, war in England und nad engliihen Grundfäßen erzogen worden. „Sn 
England geboren und erzogen,” jprah er am Schluß jeiner eriten Rebe im 
Parlamente, „rühme ich mich, ein Brite zu heißen und zu fein.” Das war 
feine Phraſe; das deutſche Blut gewann niemals Einfluß auf Georgs III. An: 
Ihauungs: und Handlungsweife, er fühlte fih ganz als Engländer, Hannover 
war ihm nur eine Fleine Provinz des britifchen Reiches. 

Am Bunde mit Preußen bielt Georg III. vorerit feit; an ber Ehren: 
baftigfeit feines großen Minifters Pitt fcheiterten alle Verfuhe, England zu 
einem Separatfrieden zu verloden, obwohl von öjterreihiicher Seite warnend 
vor Augen gebracht wurde, welche Gefahr die Kurlande „bey dem in statu quo 
bleibenden aggrandissement des preußifchen Hofes, ſowohl der Nachbarſchaft, 
als viel andrer despotifcher Abfihten und unter der Ajche glimmenden An— 
ſprüchen halber” bedrohe. Als aber die Kriegsluft im erjchöpften England 
abnahm, wurde die Stellung Pitts unhaltbar, und der Günftling des Königs, 
der Schotte Bute, trat an die Spige des Kabinetts. Nun erlahmte die Krieg: 
führung auf dem Kontinent; Lord Bute forderte dringlicher als Maria Therefia, 
daß Preußen ein namhaftes Opfer an Land und Leuten bringe, und da König 
Friedrich diefe Zwangslage nicht anerfennen wollte, wurde mit Aufopferung der 
Intereſſen des Bundesgenoffien am 10. Februar 1763 der Parifer Friede ge: 


) Borlowsky, Die englifhe Friebensvermittlung im Jahre 1745, 6. 


Der Thronwechfel in Preußen. Die deutſchen Mittel: und Kleinftaaten. 83 


ſchloſſen. Pitt hatte ſicher nicht unrecht, wenn er beklagte, daß dieſer Friede 
den Ruhm des Strieges beflede, aber Bute berief jih auf das Beiſpiel des 
Landmannes, deſſen Vorteil nicht bloß erheiſche, daß die Feldfrucht üppig beran- 
reife, ſondern daß fie auch glüdlih in die Scheuer gebracht werde. Die Er: 
rungenfchaften des Pariſer Friedens waren ja ungemein günftig. Die Kämpfe 
diesjeits und jenjeits des Ozeans hatten die Unwiderſtehlichkeit der englischen 
Marine bewieſen; die Frucht ihrer Siege war ein mächtiger Auffhwung der 
tolonialen Madtitellung Englands. Doch England zog nicht lange Nuten aus 
dem Sieg der germanifch-proteftantiihen Rafje über die romanijch-fatholifche in 
Nordamerifa. Bald führte der natürlihe Gegenfag des Charakters und ber 
Interejlen des Mutterlandes und der Kolonien zum Abfall der bedeutendften 
transatlantifhen Staaten; die Hartnädigfeit des Königs, der jedes Zugeftändnis 
verwarf und in ben verjöhnlichen Ratſchlägen Burkes und or’ nur verfappte 
Rebellion witterte, machte den Bruch unheilbar. „König Georg III.“ jagt Lord 
Brougham, „war ein Mann von beichränften Geift, deſſen Grenzen auch die 
jorgfältigite Erziehung nicht zu erweitern vermocht hatte, und von hartnädigem 
Charafter, den wohl feine Erziehung hätte mildern können; er hatte in feinen 
Anihauungen und Neigungen viel von jener Entichloffenheit, die auch Fleinen 
Menſchen, die ohne Unterjheidungsgabe und mit ebenfoviel Fyeftigfeit für das 
Gute wie für das Schlechte eintreten, einen Schein von Gleihmut gibt, der 
oft für Seelengröße angejehen wird und damals mehr als einmal die Ehre zu 
erjegen hatte. In allem, was jih auf Ausübung der föniglichen Herrichaft 
bejog, war er der Sklave einer tief eingewurzelten Selbſtſucht, und feine Regung 
von Güte fand Zutritt zu feiner Seele, wenn es fih um Erhaltung oder Aus: 
übung feiner Macht handelte. In allen andren Dingen war er fanft und 
friedfertig; wenige Fürften find jo mujterhafte Yamilienväter und ſo treue 
Freunde geweien. Doch von dem Augenblid an, wo es fih um fein Königsrecht 
bandelte oder wo ſich jeine Bigotterie angegriffen glaubte, bäumte fich ein un— 
beugfamer Stolz in ihm auf, und bittere Feindjeligfeit, berechnete Kälte und 
unverjöhnlicher Grol füllten feine ganze Seele.” ') 

Das Urteil des leidenſchaftlichen Whig, der im Gegenfat zu feinem Partei: 
genoffen Burfe jogar in den Ideen Dantons und Robespierres berechtigte und 
erhabene Wahrheiten erblicdte, ift nicht maßgebend; in manchen Fällen wird die 
unbefangenere Nachwelt die Ehrenhaftigfeit und die Charafterftärfe Georgs II. 
rühmen, wo Brougbam Selbitfuht und pedantifhe Hartnädigkeit zu tadeln 
findet. Doch ift unzweifelhaft, daß in der amerifanijchen Frage zu viel 
Beharrlichkeit, zu wenig Staatsklugheit entwidelt wurde. Georg hatte fein 
Verftändnis für die Strömung der Zeit; er jah in allem, was Franklin für 
die Kolonien forderte und der ftaatsmännifche Pitt bemwilligen wollte, unftatt: 
hafte Zugeftändniffe an Volfsverführer; er glaubte merfantile Kunitgriffe ab— 
lehnen zu müſſen, wo es fih um weltgejchichtlihe Prinzipien handelte. Als ber 
Sturm losgebroden war, mwähnte der König noch immer, durch fleine Mittel 


) Brougham, Esquisses historiques des hommes d'etat du temps de George III. 
traduites par Legeay, 14. 


84 Erfted Bud. Dritter Abichnitt. 


und halbe Maßregeln alles gut machen zu fönnen, und als er endlich aufrichtig 
einlenfen wollte, war es zu jpät: die Trennung der beiden Weltteile war voll: 
endete Thatſache. England ſah fich genötigt, die Unabhängigkeit der Vereinigten 
Staaten anzuerfennen, aber diefer Verluft wurde zur nämlichen Zeit faft auf: 
gewogen dur die Ausdehnung der britiihen Macht in Indien. Gewiß, die 
Anfänge der indo-britifhen Herrihaft find wenig ehrenvoll, die hinterliftige Hand: 
lungsweile Lord Clives und die Gemaltthaten Warren Hajtings verdienen 
gebrandmarft zu werden, doch die yortentwidelung der engliichen Kolonialpolitif 
weilt einen Zug von Größe auf, wie er faum auf einem andren Blatt der 
Weltgeſchichte fih findet. Mit dem Monopol: und Ausbeutungsigitem murde 
aufrihtig gebrochen, die neuen Gebiete erhielten eine trefflihe Organijation, 
den Eingeborenen wurden freiejte wirtichaftlihe Bewegung und volle Religions: 
freiheit gewährt, die Ueberlegenheit der neuen Herren wurde ihnen fo ſchonungs— 
vol und doch jo überzeugend vor Augen gebradt, daß fie — von wenigen 
vorübergehenden Störungen abgejehen — in der Herrihaft der Europäer 
ihr Glück und ihre Größe zu erbliden fi gewöhnten. Die Weltgefhichte hat 
fein zweites Beijpiel aufzumeiien, daß ein verhältnismäßig fo Fleiner Staat, 
der noch vor zweihundert Jahren feinen Fuß breit überjeeichen Gebiets jein 
eigen genannt hatte, fi über den ganzen Erdball zu einem Weltreich ausdehnte, 
von dem in Wahrheit gejagt werden kann, daß darin die Sonne nicht unter: 
gehe. Durh einen dreiundzwanzigjährigen Krieg mit der franzöfifchen Nation 
wurden die neuen Errungenjhaften glücklich verteidigt, und nad dem Zufammen- 
ſturz des Napoleoniihen Kaiferreihs konnte die Alleinherrichaft Englands zur 
See als gefihert gelten. Pag immerhin das Hauptverbienft großen Staats: 
männern, wie Lord Chatham und Pitt dem Jüngeren, tüchtigen Heerführern, 
wie Elliot und Wolfe, kühnen Seefahrern, wie Rodney, Howe und Neljon, 
gebühren, jo ift es doch jehr die Frage, ob England die furdtbaren Erſchütte— 
rungen jener Zeit überwunden hätte, wenn nicht den Thron ein Monard) inne= 
gehabt hätte, der zwar nicht immer der Zuftimmung, aber jederzeit der Achtung 
und der Zuneigung feiner Völker ſich erfreute. 

Unter den beiden Vorgängern Georges III. hatte Hannover jeine eigene 
Verwaltung gehabt, und die Könige jelbit hatten längere Zeit in dieſem 
Lande verweilt; jeit 1760 aber war der Sit der hannöverſchen Kanzlei, 
von welder die wichtigſten Entjcheidungen ausgingen, in Zondon. Da ber 
Regent jelbit in jeinem deutſchen Lande niemals mehr Hof hielt, konnte es nicht 
ausbleiben, dab dem Adel erhöhte Bedeutung zufiel, jo daß wohl von einer 
oligarhifhen Regierungsform in Hannover geiproden wurde. Dagegen fam 
dem Lande zu ftatten, daß es nicht gleich anderen Nachbarflaaten die ungeheuren 
Koften eines Hofhalts a la Verjailles zu beftreiten hatte; es erfreute fich ge: 
ordneter Verhältnifje und ftattlihen Wohlitandes; in der Zwangslage, daß die 
Zandesjöhne unter britiiher Flagge faft überall mitfechten mußten, wo britijche 
Intereſſen zu verteidigen waren, jahen die Unterthanen Georgs III. nichts Un: 
natürliches. 

Eine eigentümliche Bedeutung gewann in der zweiten Hälfte des vorigen 
Sahrhunderts die hannöverſche Yandesuniverfität Göttingen. An diefer 1734 


Der Thronwechſel in Preußen. Die beutfhen Mittels und Kleinftaaten. 85 


gegründeten Hochſchule hatten freie Forſchung und jelbitändige Pflege der Wiffens 
ichaft eine würbige Heimftätte gefunden. Früher als anderswo wurde bier mit 
dem Grundjaß, daß die Gelehriamfeit um ihrer jelbit willen ehrwürdig ſei, 
gebrochen und die Forderung aufgeftellt, daß die Wiſſenſchaft in engfte Ver: 
bindung mit dem Leben gejegt werden müſſe, daß alſo eine Hochſchule die Aufe 
aabe habe, ihre Schüler zu praftiihen und patriotifchen Bürgern heranzubilden. 
Der berebte Theologe Mosheim, der feinfinnige Pädagoge Gesner, der bahn 
bredende Vertreter echter Altertumsmwiflenihaft, Chriftian Gottlob Heyne, und 
viele andre tüchtige Gelehrte und Lehrer entfalteten eine für ganz Deutichland 
eriprießliche Wirkſamkeit. Bon bejonderer Wichtigkeit aber wurde der Auf: 
ihwung, den in Göttingen die Gefhihtswillenihaft und die Publiziftit nahmen. 
Ludwig Spittler erfaßte zuerft die Gejchichte, die bis dahin unfrei geweſen war 
und im Dienfte der Theologie oder der Jurisprudenz oder der Humaniora 
geitanden hatte, als etwas Selbjtändiges und jchrieb zum erftenmal lebendige 
Volksgeſchichte. 

Noch bedeutſameren Einfluß übte ein andrer Göttinger Hiſtoriker nicht ſo 
faſt auf den Entwickelungsgang der hiſtoriſchen Wiſſenſchaft, obwohl es auch 
hierfür von Wichtigkeit war, daß er zuerſt in Gibbons Bahnen einlenkte, als 
auf die Belebung des politiſchen Sinnes in Deutſchland, Auguſt Ludwig 
von Schlözer. Eine liebenswürdige Erſcheinung in der Litterärgeſchichte iſt 
er nicht. Sein Witz iſt ſchwerfällig, ſein Selbſtbewußtſein macht faſt komi— 
ſchen Eindruck, ſeine Verachtung des bel esprit verführt ihn zu pedantiſcher 
Einjeitigfeit; trogdem ift fein Verdienſt gar nicht hoch genug anzujchlagen. 
Durch ausgedehnte Reiten hatte er jeinen Gefichtsfreis erweitert, ohne daß 
durch dieſen univerjellen Zug die deutiche Eolidität der Arbeit und die Uns 
beiangenbeit des Urteils gejhädigt worden wären. Die Gejhichte geftaltete 
fih in feinem Geilte als zufammenhängende Entwidelung in organiicher Ein: 
heit; nicht bloß die äußeren Scidjale des Volfes beobachtete er, noch mehr 
beihäftigte ihn das Wachstum desjelben von innen heraus: die uriprüngliche 
Zujammenfegung aus verjchiedenen Beitandteilen, die Veränderungen bes ſtaat— 
lihen Wefens, die agrariihen Berbältniffe, Handel und Wandel, Kunft und 
Litteratur. Da ſchlug fih ihm von jelbft die Brüde von der Vergangenheit 
zur Gegenwart; um die Zeitgenofien über die widtigiten Vorkommniſſe des 
politiihen, jozialen und litterariihen Lebens aufzuklären und zugleich der Nach: 
welt zuverläjjigen hiftoriihen Stoff zu überliefern, gab er (1776—1782) den 
„Briefwechjel meift hiſtoriſchen und politiichen Inhalts” und (1782—1793) die 
„Staatsanzeigen” heraus. 

Der glänzende Erfolg diefer Unternehmungen — die Staatsanzeigen hatten 
zeitweilig einen Abjat von 4400 Eremplaren — beweilt, daß fie einem Be: 
dürfnis des Zeitalter entipradhen. Der Freimut, womit Schlöger und jeine 
Mitarbeiter wenigſtens die nicht-hannöverſchen Vorgänge beipraden und bie 
Gewaltthaten Kleiner Despoten öffentlich rügten, war in Deutichland etwas ganz 
Neues, und die ungewöhnliche Erſcheinung war von gewaltiger Wirkung. Immer 
weitere Kreife befehrten fih zum Grundjag: die ſchrankenloſe Deffentlichkeit ift 
der gerechtefte Richter! Bot ſich doch fogar ein jo feingebildeter Fürft, wie Herzog 


86 Erftes Buch. Dritter Abſchnitt. 


Karl von Sadjen: Meiningen, als Mitarbeiter an, um „Aufflärung und Dul: 
dungsgeift zu befördern und Bosheit und Dummheit zu entlarven und zu unter: 
drüden!” Dem Herausgeber zollt der Herzog warmes Lob. „Ihr Briefmechiel 
wird überall gelejen,“ ſchrieb er (23. Juni 1781), „er ift jebt das einzige Bud) 
jeiner Art, das fo allgemeinen Nugen jtiftet und jo manche gute dee in dem 
Herzen eines wohldenfenden Negenten erwedt ... D beiter Mann! fahren Sie 
bo ja fort, uns fo viel Gutes und Nüsliches befannt zu machen und laffen 
Sie fih nie durch etwas abſchrecken, Ihr Journal fortzufegen!” N) Noch über: 
ſchwenglicher jchrieb ein aktiver Diplomat, Graf Schmettow (12. November 1786): 
„Sie, Herr Profefjor Schlözger, haben der Welt mehr genußt, als ſelbſt Luther. 
Glauben Sie es mir, daß fich wirklich Schon böje Minifter und Fürften vor Ihnen 
fürdten! So find unzählige Gottlofigfeiten Ihrentwegen unterblieben. Feinde 
haben Sie ſich freilich gemacht, auch war fein Monfignore, fein Abbate in Nom 
Luthers Freund, aber Gott und ehrlihe Menſchen, die das Gute zu ſchätzen 
wiſſen, müſſen Ihnen wohlwollen, und wenige oder gar feine Ihrer Mitmenjchen 
werden auf dem Tobbette des gethanen Guten jo gewiß und ruhig entihlummern 
können, als Sie!” ?) Freilich ftehen dieſen Urteilen über die Göttinger Publiziftif 
zahlreihe minder günftige und ablehnende gegenüber. Heyne, der Göttinger 
Kollege, macht fi über den „politiihen Pausbad” weiblich luſtig; Meufel be: 
klagt, daß der „ſtolze Zeus bes politiſchen Himmels” ſich auch zum Despoten 
im litterariihen Reihe aufſchwingen wolle; Goethe jchreibt 1780, der ganze 
Göttinger Briefwechjel fei „die Unternehmung eines ſchlechten Menſchen“, und 
nennt auch jpäter noch Schlöger den „deutſchen Aretino”. Als Schlözer 1781 
mit dem Fürftbiihof von Speier, weil in deſſen Ländchen noch mittelalterliche 
Steuern und Frondienfte üblich waren, fhonungslos ins Geridht ging, wurde 
er als „gemeinſchädlicher Pamphletiſt“ bei feinem Landesherrn verklagt. Georg II. 
erklärte aber, daß er fich „zur Ahndung freimütiger Bemerkungen eines politifchen 
Privatſchriftſtellers nicht für qualifiziert” anfehe. Schlözer frohlodte, daß Feine 
hohe Hand lang genug fei, um einen Hannoveraner zu bedrüden! Nun führte 
der Bifhof in einem öffentlihen Rundfchreiben an die Reichstagsabgeordneten 
Klage über Schlözer; das ganze Reich jollte fih in Bewegung ſetzen gegen die 
Nahfiht, deren ſich die „Ichamlofe Frechheit eines in allem Betracht nieder: 
trächtigen Schriftitellers” bei feiner Regierung erfreue.’) Doc erit die Reaktion, 
die infolge der Ausartung der freiheitlihen Bewegung in Franfreih aud in 
Hannover der freien Meinungsäußerung engere Schranken 309, ſetzte ber politiſchen 
Wirkjamkeit Schlözers, die ohne Zweifel mehr Nugen als Schaden gebradt hat, 
ein Ende. — 

In Pfalz: Baiern herrſchten trübe Zuftände; es waren, wie Wejtenrieder 
jagt, „die in vieler Nüdfiht traurigen Jahre, wo ein bäßlicher Parteigeift und 
eine alle perjönliche Sicherheit zerftörende Verjolgungsiudt ſchamlos herrjchten.” *) 


’, Ehriftian v. Schlözer, N. 2. v. Schlözers öffentliches und Privatleben, II, 209. 

2) Ebenda, II. 119. 

°) Kurze Bemerkungen, wie fich gegen den göttingishen Profefior Schlöger zu benehmen 
fei! (1784) 

+ Beyträne, VI, 405. 


Der Thronwechſel in Preußen. Die deutfhen Mittel: und Kleinftaaten. 87 


Zweimal im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts war ‘der Verſuch bai- 
riſcher Fürften, durch Unterftügung Frankreichs das Ziel ehrgeiziger Wünfche 
zu erreihen, mit Verwüſtung des Landes beftraft worben; bie Folge war eine 
Hägliche Zerrüttung ber wirtichaftlihen Verbältniffe des mit natürlichen Quellen 
des Reichtums jo gejegneten Staates. Auch bie innere Politik jener ehr: 
geizigen Wittelsbaher war nicht glüdliher geweien. Mit dem Schimmer der 
Hofhaltung fand in trübem Widerfprud die Verarmung des Landes, aber 
dieſem materiellen Niedergang entſprach nur zu getreu ber Verfall des geiftigen 
Lebens. Man braucht nicht an das verächtliche Wort Friedrichs II. über Baierns 
Bewohner zu erinnern, auch von aufgeflärteren Eingebornen wurde zugeftanden 
und beflagt, daß der bairifche Stamm, in der glänzendften Periode des Mittel- 
alters ein Hauptträger deutſcher Bildung, feit Jahrhunderten faft auf allen 
Kulturgebieten binter andern deutfhen Stämmen zurüdgeblieben jei. Weſten— 
rieder, jelbft ein mwürdiger Geiftliher, gefteht freimütig, daß nirgend die Be: 
vormundung durd den Klerus fo ſchädlich gewirkt habe, wie in Baiern; wüfter 
Aberglaube beherrichte die Menge, die, in ftumpfer Selbſtgenügſamkeit verfunten, 
jedem Fortfchritt abhold war. „Man wollte jchlechterdings, daß alles in dem 
Zuftand von Ruhe beharren follte, in welchem ... das Vaterland feit einigen 
Menjchenaltern erhalten worden war. Jede auch nod jo Kleine Verbeſſerung 
hieß man eine Neuerung, und mit jeder Neuerung verband man den Begriff 
einer Gefahr... Man fürchtete ji vor jedem ungewöhnlihen Laut und arg: 
wöhnte überall ein verborgenes Giſt . . .“) Eine Klage, die au im Munde 
der geiftvollen Tochter Neders, die an der Wende unfres Jahrhunderts deutiches 
Volkstum beobachtete, noch mwiederfehrt. In ihrer Schilderung des ſüddeutſchen 
Volfscharakters jagt Frau von Stael: „Hier verharrt man in einem Zuſtand 
eintönigen Behagens, der für die Regſamkeit der Gefchäfte, wie bes Geiftes 
gleih ſchädlich iſt. Der jehnlidhite Wunfch der Bewohner diejer friedlihen und 
fruchtbaren Landſchaften erftredt fih nur darauf, weiter zu leben, wie bisher, 
und biefer Wunſch genügt nicht einmal, fi das zu erhalten, womit man fi 
zufrieden geben will.” 

Der mwohlgefinnte, volksfreundlihe Mar Joſeph II. hatte fih ernſtlich an- 
gelegen fein lafien, die Landeskultur zu heben und die Volfebildung zu fördern. 
Die Stiftung der Münchner Akademie der Wiſſenſchaften ift ein bedeutſamer 
Markitein in der Gefchichte des geiftigen Lebens in Süddeutſchland. Es ging 
fortan aufwärts, aber nur langjam. Ebenſo die ftammverwandten Defter: 
teiher, wie die Norddeutſchen, blickten mit Geringſchätzung auf die Baiern, und 
diefe übten wunderliche Vergeltung, indem fie fih nur noch trußiger von ber 
Gemeinfchaft mit den deutſchen Brüdern abfonderten. Der „Eurfürftliche Hof: 
poet” Matthias Ettenhueber klagt zornig über die Zurücdfegung feiner Landsleute: 


„Denn, wie ein Wiener fagt, fann es ohnmöglich fein, 

Daß fih ein dummer Bayr ftellt bey der Dichtkunft ein, 

Nur Sadfen, Sadjfen ift das Stammhaus der Poeten ! 
G'nug, wenn man am Parnaß uns läßt den Blasbalg treten! 


) Meftenrieder, Gefhichte der bairiihen Afademie der Wifjenfhaften, I, 7. 


88 Erfted Bud. Dritter Abſchnitt. 


Ein Bierfhlaud und Poet! Der Bayr ein Mufenfohn! 
O diefes wär’ zu viel für eine Nation, 

Die nad) der Hefe riecht! Wie fol in unferm Magen 
Der reine Dichterfluß fi mit dem Schleim vertragen!” ') 


Doch Ettenhueber jelbft äußert an andrer Stelle feinen Unmwillen über das 
Phäakentum feiner Umgebung: 


„Des Schwelgens ift fein End’, es ſchwelget Jung und Alt” ... 


und ein andrer bairiſcher Publizift, Andreas Zaupfer, jpricht fein Bedauern aus, 
daß „die diden Säfte des guten Bieres ... ihnen (ben Baiern) vieles von ber 
Schnelltraft benehmen und alfo zu feinen oder raihen Empfindungen untaugs 
liher maden.“ ?) 

Kaiſer Joſeph beurteilte die Sinnlichkeit des bairiihen Volkes in Religion 
und Leben nicht alimpflicer, als König Friedrich. Als der Papft im April 
1782 Münden befuchte, wies Joſeph jeinen Gejandten Lehrbah an, zu „in: 
vigiliren”, wie die Anmwejenheit des jeltenen Gaſtes auf Fürften und Volk in 
Baiern einwirke. „Wenn Sie mid) etwas auch von ben dummen Zügen der 
baierifhen Andacht und Schwärmerei ... benachrichtigen können, jo werde ih 
Ihnen dafür verbunden jeyn.”?) Graf Lehrbach weiß denn auch allerlei zu er: 
zählen, wie die „noch äußerit rohe und materielle” Münchner Bevölkerung den 
Papſt förmlich anbete; allerdings jeien auch viele über den Beſuch des Papftes 
ungehalten, nämlich diejenigen, welche die Bejorgnis ergriffen habe, daß infolge 
des Zufammenfluffes jo großer Volksmaſſen in München allzubald Mangel an 
Sommerbier eintreten fönnte. 

Regent der bairifhen Lande war jeit 1777 Karl Theodor von Pfalz: 
Sulzbach. Ihm wird im „teutichen Staatsalmanach“ des ſchwäbiſchen Satirifers 
Weckhrlin (1784), worin die einzelnen Fürften und GStaatsmänner nad ihren 
Verdienften Elaffifiziert find, unter den Gönnern der Künfte und Wiſſenſchaften 
der erfte Platz zugeiproden.‘) Dagegen ift in Wedhrlins ſtatiſtiſcher Tafel, 

) Reinhardftöttner, Studien zur Kultur: und Literaturgefhichte Altbayerng, I, 13. 

2) Der Zuſchauer, I, 83. 

) Brunner, Theologifhe Dienerſchaft ıc., 480. 

9 Wekhrlin, Graues Ungeheuer, 1784, 1, 168. 

Geſetzgebung, Staatswirthichaft, Kultur, teutfcher Patriotismus, allgemeines Menſchenwohl: 


Räthe: Sefretäre: 
Friedrich der Einzige. Feldmarfhall Zacy. 
Karl Friedrich v. Baden. Baron Herzberg. 
Joſeph II. Kanzler Carmer. 
Wilhelm, Graf v. Hanau. Baron Fürftenberg zu Münfter. 


Karl Wilhelm Ferdinand v. Braunfchweig. 
Künfte, Wiffenfchaften, Aufflärung, Nationalglanz: 


Räthe: Sekretäre: 
Karl Theodor v. Pfalzbaiern. Friedrich Wilhelm, Prinz v. Preußen. 
Friedrich, Landgraf v. Caffel. Baron v. Dalberg zu Mainz. 
Leopold v. Anhalt. Graf Firmian zu Salzburg. 


Ermft II. v. Gotha. 
Karl Joſeph, Kurfürft v. Mainz. 
Karl Auguft v. Weimar. 


Der Thronwecjel in Preußen. Die deutfhen Mittel: und Kleinftaaten. 89 


„wie viel Genie, Wig, Wiffenihaft und Geihmad im vierten Viertel des act: 
zehnten Jahrhunderts die einzelnen Städte Teutjchlands befigen,” der Refidenz 
Karl Theodors jo ziemlich der letzte Pla angemwiejen.!) 

Sehen wir einmal zu, inwiefern die beiden auffällig abweichenden Urteile 
Geltung beanſpruchen können. 

Am 30. Dezember 1777 übernahm Karl Theodor, der in der rheinifchen 
Pfalz ſchon jeit 1742 die Zügel geführt hatte, die Regierung über Baiern. 
Auch ſchon ala Kurfürft von der Pfalz hatte er durch kirchenpolitiſche Maßregeln 
bei dem evangeliihen Teil der Bevölkerung Anftoß erregt. Der Beichwerden 
über Verlegung der im weltfälifchen Frieden und im fogenannten Hallefchen 
Rezeß von 1685 den Proteftanten zugejicherten Rechte gab es, wie ein Ankläger 
in den „Staatsanzeigen” verſichert, fo viele, daß der reformierte Kirchenrat 
ihon 1754 „ganze Volumina vorlegte”, da „der Judenſchaft mehr Freiheit zu- 
ftand als der reformierten Kirche”. Hauptfählih um diefer Bebrüdung willen 
wanderten viele taujend Familien nach Amerifa aus. „Es find wenige Beifpiele 
in der Weltgefchichte,” bemerkt dazu Schlöger, „daß ein Land feine Intoleranz jo 
hart hat büßen müſſen; die Bedeutung des Wortes ‚Pfälzer‘ für ‚Rolonift‘ in 
der engliſchen Sprache bleibt ein bauerndes Beifpiel davon.““) Die Rechts— 
pflege, wie die Verwaltung krankten an der Käuflichfeit der Memter und ber 
Beamten, und die 5500 Mann ftarfe Armee mit einem Stab von Generalen 
und Offizieren, der an Zahl ben preußifchen faft überbot, erregte den Spott ber 
Zeitgenoffen. Doc diefe Mängel hinderten nicht, daß Karl Theodor, jelbft ein 
echter Pfälzer, der Liebling der Pfälzer war. Das elegante Treiben in Mann: 
beim, der jüngften unter den deutſchen Refidenzen, die Bewunderung, die von 
Fremden aller Nationen dem „deutjchen Mäcen“ entgegengebradht wurde, wirkten 
jo beftridend auf die Nheinländer, daß fie mit Stolz fich ihres Landesherrn 
rühmten. Auch fehlte es Karl Theodor feineswegs an Eigenjchaften, die einem 
Regenten die Liebe des Volkes erwerben. Er war von milder, heiterer Sinnes— 
art, frei von Mißtrauen und übertriebener Strenge; erft in vorgerüdtem Lebens: 
alter unter dem Einfluß feiner Umgebung wurde er unduldfam und hart gegen 


Nationalerziehung, Induſtrie der Tugend, Philantropie: 


Räthe: Sefretäre: 
Karl, Herzog zu Württemberg. Ferdinand, Prinz v. Braunſchweig. 
Karl Wilhelm, Graf zu Naſſau-Uſingen. Herr v. Rochow. 


Heinrich v. Bibra, Fürſtbiſchof zu Fulda. 
Franz Ludwig v. Erthal, Fürſtbiſchof zu Würz⸗ 


burg. 
i) Graues Ungeheuer, 1784, I, 12. 
Genie Wis Wiſſenſchaft Geihmad 
Bein -. . ... 15 20 15 10 
Böttingen . . . . 5 5 25 0 
Leipig » - 2.2. 10 10 20 5 
Münden . . . . 5 0 15 0 
Mannfeim . . . . 10 10 10 5 
BR: 5.5 4% 10 5 15 5 


2) Schlöger, Staatdanzeigen, 1786, 294. 


⸗ 


90 Erſtes Bud. Dritter Abſchnitt. 


alle, die ſich ſeinen Anſichten und Abſichten nicht fügen wollten.) Seine ritter- 
lihe Erfcheinung und feine gefellfaftlihen Talente gewannen ihm ben Ruf des 
„eriten Kavaliers des heiligen römiſchen Reichs”, dem die vielen Liebesverhält- 
niffe, in welche ihn feine Sinnlichkeit verftridte, und die Vorliebe für die Jeſuiten 
nicht allzu Schwer angerechnet wurden. Zog doch der nämliche Fürft den großen 
Eynifer Voltaire als gefeierten Gaft in feine Refidenz ?) und fpenbete wenigitens 
berühmten Gelehrten des Auslands mit freigebiger Hand Gold und Weihraud! 
Vor allem aber rühmte man jein BVerftändnis für bdarftellende und bildende 
Kunſt. „Die Kunft ift feine eigentlihde Sache”, verfihert der Reiſeſchriftſteller 
Rießbeck, „ein Engländer jol ihm deshalb das jonderbare Kompliment gemacht 
haben, er verdiente eigentlih ein Privatmann zu jein.”?) Die Stiftung ber 
Akademie der Wiſſenſchaften und der deutſchen Gejellfchaft in Mannheim, die 
Bereicherung der Galerien, die Ausführung prunfvoller Bauten, die Gründung 
der eriten deutſchen Hofbühne unter dem Beirat Leſſings und Wielands, die 
glänzenden Xeiftungen der Mannheimer Oper wurden als „ſchätzbare Denkmale 
des Freundichaftsbundes eines großen deutſchen Fürften mit den Mufen” im 
ganzen Reiche gefeiert. 

Nun wurde diefer Fürft, der fich feit 35 Jahren in ein nicht bloß von 
Schmeichlern bewundertes, jondern feinen Unterthanen wirklich zufagendes Regie: 
rungsſyſtem eingelebt hatte, durch Mar Joſephs III. Tod zur Negierung über 
Baiern berufen, und zwar war er durch die Hausverträge verpflichtet, in ber 
bairiſchen Hauptitadt dauernden MWohnfig zu nehmen. Die fonnigen Rebgelände 
der Pfalz jollte er vertaujchen mit der rauhen, waldbebedten bairiſchen Hochebene; 
ftatt der leichtblütigen, leichtlebigen Pfälzer follte er derbe, verſchloſſene, gegen 
alles Fremde voreingenommene Altbaiern um fi haben! Ihnen ſollte er erit 
Vertrauen und Zuneigung abringen, ihnen follte er, der felbit auf Nachkommen— 
ſchaft faum noch hoffen fonnte, den Verluft einer fünfhundertjährigen Dynaltie, 
eines vergötterten Regenten, wie es Mar Joſeph III. gewejen war, erjegen! 
Die Aufgabe erjhien ihm jo ſchwierig und jo wenig lodend, daß er nicht Be: 
denfen trug, mit dem Erzhaufe in Verbindung zu treten, um ganz Baiern oder 
doch einen Teil gegen angemefjene Entihädigung abzutreten. Der Widerftand 
der Zweibrüdenihen Kognaten, die an Preußen eine Stüte fanden, verhinderte 
zwar den Tauſch, aber der Plan wurde nur vertagt, nicht aufgegeben; bis an 
fein Lebensende blieb der Kurfürft willfährig, auf neue Verhandlungen mit 
Defterreich einzugehen. Dieſer Wunſch war in Baiern ein öffentliches Geheim: 
nis und wurde als unerträglider Shimpf empfunden. Die Gattin des Herzogs 
Clemens, Maria Anna, die ſchon 1778 in den Tagen der höchſten Gefahr durch 


!) So urteilt namentlich Weftenrieder. Karl Theodor, ber „im Grunde und für fi fehr 
liberal dachte“, fei nur „mitteld der bösartigen Vorjpiegelungen und mitteld der ſchwärzeſten, 
unverantwortlichiten Berunglimpfungen und Verläumdungen der Nation” ſcheu und argwöhniſch 
gemadt worden. (Beyträge, VI, 397.) 

2) Val. den teilweife nach ungedrudten DOriginalforrefponbenzen im kgl. geh. Hausardiv 
zu Münden bearbeiteten Auffag „Karl Theodor von Pfalzbaiern und Voltaire” in Heigel, Eſſays 
aus neuerer Geſchichte, 145. 

3) Briefe eines Franzoſen über Deutfchland, I, 82. 


Der Thronwechfel in Preußen. Die beutfhen Mittel: und Kleinitaaten. 9] 


Appell an König Friedrich die Selbitändigfeit Baierns gerettet hatte, ftand an 
der Spige der „Patrioten”, die dem „Pfälzer offen und heimlich Oppofition 
madten. „Man fieht noch allgemein,“ jo ſchildert der öfterreihiiche Geſandte, 
Graf Lehrbah, dem Kaiſer die Stimmung der Münchener Bevölkerung, „bie 
Ergebenheit des Herrn Kurfürften für den Allerböchften Hof mit den gehäffigiten 
Augen an; es iſt fait Fein Haus, in welhem man nicht das in Kupfer geftochene 
Porträt des Königs Friedrich II. von Preußen aufhängt und als Schußgott 
Baierns verehrt, und der Herzog Karl von Zweibrüden, welcher früher (megen 
feiner Verfhwendung) jozufagen der Abſcheu und das Schredbild der Nation 
gewefen, ift von biejer durch die Einwirkungen der Herzogin Klemens (Maria 
Anna) und ihrer Anhänger der Liebling geworden und hat in allen Gefchäften 
den mädhtigiten Einfluß, mwährend man den Abſichten und Verordnungen des 
Herrn Kurfürften mit Verachtung und Leichtſinn zu begegnen pflegt.” ') 

Raſch war die gehobene Stimmung verflogen, der beim Einzug des Kur: 
fürften Ettenhueber Ausdruck gegeben hatte: 


„Ein Fürft, ein Volk, ein Herz und Sinn, 
Und Pfälzer, ihr feid unfre Brüder!“ ?) 


Schon wenige Monate jpäter mußte Ettenhueber zur Strafe für einige 
Stachelverſe über das lüfterne Defterreih ins Gefängnis wandern. Die Alt: 
baiern klagten über Zurüdiegung gegenüber den „Krifchern”, die im Staat und 
Heer die erften Stellen befämen und ihr Hauptgeſchäft darin erblidten, den 
Yandesherrn gegen bie eigenen Unterthanen aufzuheben. 

Die einflußreichfte Stellung am Hofe nahm der Beichtvater des Kurfüriten, 
der Mannheimer Erjefuit P. Ignaz Frank, ein. Nachdem feine rührige Thätig: 
feit für den Tauſchhandel mit Deiterreih nicht den gewünjchten Erfolg ge: 
funden hatte, eröffnete er ebenjo leidenjchaftlichen Kampf mit den altbairifchen 
Patrioten, wie mit ben „Aufllärern”, die den üppig wuchernden Wunder: und 
Aberglauben einſchränken wollten, Wie notwendig für Baiern folde Reformen 
waren, dafür bietet die von Zaupfer herausgegebene Zeitichrift „Der Zuſchauer“, 
die für Münden eine ähnliche Bedeutung hatte, wie für Wien „Der Mann 
ohne Vorurtheil”, eine Fülle trauriger Beijpiele.’) In Münden lefe man, jo 
Hagt Zaupfer, nur „Melufinen und Heumonsfinder, Münchener oder Auge: 
burger Zeitung und den Pater Kochem“. Die erfte Ausgabe von Goethes Werfen 
von 1787 wurde nur von einem einzigen Münchner beftellt,*) während eine 
Schrift mit dem ſchönen Titel: „Wunderfame Begebenheit der mirafulojen 


) Erhard, Bayerifhe Patriotenverfolgung, 61. 

2) Reinharbftöttner, I, 49. 

») Manche wollten deshalb auch in der Rettung ber Selbftänbigfeit Baierns fein Glüd 
erbliden. Die Flugſchrift „Es wird doch noch geichehen oder 36 Hypothefen über die Möglich: 
keit des bairiſchen Ländertauſches“ (Frankfurt und Leipzig 1736) gibt der Hoffnung Ausdrud, 
ed werde doch noch gelingen, das verjumpfte Baiern zu feinem Heile unter das Szepter des 
aufgellärten Joſephs zu bringen. 

4) Mar Koch, Ueber Weſtenrieders ſchönwiſſenſchaftliche Thätigkeit, im Jahrbuch für 
Münchner Geihichte, IV, 44. 


92 Erſtes Bud. Dritter Abſchnitt. 


Augenwendung des gnabenreihen Vefperbildes in der St. Petersfirhe, auf Ver- 
langen vieler marianifcher Verehrer und Pflegkinder zum Drud befördert, als 
ein Schrödenbild allen Freygeiftern vor Augen geftellt“, reißenden Abſatz fand. 
Unmittelbar nad dem Regierungsantritt Karl Theodors wurden die aufflärenden 
Beitrebungen der Akademiker, wie fih aus dem Verhalten der amtlichen Preſſe 
entnehmen läßt, noch eine Zeitlang von oben unterftügt, aber ſchon 1780 be: 
gann die Verfolgung der von Soft, Gruber, Kreuttner u. a. mit Kores, Dathan 
und Abiron verglichenen Aufklärer. Als vollends aus geheimen ‘Bapieren einiger 
Mitglieder des Jluminatenordens angeblich ftaatsverräteriihe Pläne dieſes ge: 
heimen Ordens aufgededt wurden, überließ der geängftigte Kurfürft, um Thron 
und Altar zu retten, fait ausjchließlih den P. Franf und Genofjen die Zügel. 
Wohl war es, mochte man auf das ärgerliche Leben des Stifters Weishaupt 
oder auf die Zwede des Bundes bliden, nicht unberechtigt, daß die Regierung 
gegen die gefährlichen Streber einjhritt und der Aufrihtung eines Staates im 
Staate vorzubeugen juchte,!) aber jchon die Ergebnifje einer oberflächlichen Unter: 
fuhung wurden dazu benüßt, den Fürften zu ertremen, gehäfligen Maßregeln 
zu drängen. Das Bücherzenjurfollegium erhielt verjchärften Befehl, gegen alle 
„der ſchlechten Aufklärung dienenden” Schriften einzufchreiten. Frank und fein 
rührigfter Mitarbeiter, Johann Kaſpar von Lippert, vom Volk ſchlechtweg „der 
Edle von”, von Weftenrieder wunderlicherweiie der „bairiſche Nobespierre” ge: 
nannt, bildeten eine Art Inquiſitionsgericht, das fich zur Auffpürung und Be: 
ftrafung von Jluminaten jeglihe Willfür erlaubte, auch gegen die tücdhtigften 
und unbefcholteniten Männer, die nur durch unvorfichtige Neußerungen oder 
dur Läffigkeit in Beachtung der Kirhengebote Verdacht erregt hatten. Das 
„gelbe Zimmer” in der Refidenz, in welchem die „Spezialtomiffion” tagte, war 
der Schreden des Landes. Die Verfolgung artete in eine unwürdige Hetze aus, 
jo daß in Münden, wie Andreas Buchner, jelbit ein Klerifer und ein befonnener 
Forſcher, bezeugt, „fein Mann von Kopf noch eine Nacht ruhig im Bette jchlafen 
fonnte”. Wer der Zugehörigkeit oder auch nur der Hinneigung zum Illumina— 
tismus ſchuldig befunden wurde, erhielt, wenn er niederen Standes war, eine 
„teibsfonftitutionsmäßige Anzahl Karbatjchitreihe” und wanderte ins Arbeits: 
haus; Beamte oder wohlhabende Bürger büßten mit langer Gefangenihaft und 
Zandesverweifung. Die Illuminatenhetze in Baiern erregte widerwärtiges Auf: 
fehen im ganzen Reiche. Schlözer richtete deshalb 1788 eine zornige Philippika 
gegen das „Kuttenregiment” in Baiern. Seit einigen Jahren jpiele diefes Land 
vor den Augen Deutſchlands eine Role, die ebenjowenig der Philofophie des 
Yahrhunderts Ehre made, wie fie den günftigen Erwartungen entſpreche, die das 
aufgeklärte Regiment Marimilians III. erregt babe; jetzt dagegen empfehle ſich 
die Anlegung eines „bairifhen Martyrologiums”, einer Lifte jener Männer, die 
um ihrer aufgeflärten oder patriotiſchen Gefinnung willen barbariihe Strafen 
erlitten. In langer Reihe folgen dann die Namen und die Leidensgejchichte der 
Führer der „antiwienerifchen patriotiihen Partei” Andree, Lori, Obermayr :c., 


) Die Zwangslage der Regierung wird aud von Schubart anerlannt (Vaterländiſche 
Chronik, Jahrgang 1787, I, 44). 


Der Thronwechſel in Preußen. Die dbeutihen Mittel: und Kleinftaaten. 93 


und der wirfliden und angeblihen Illuminaten Weishaupt, Milbiller, Fronhofer, 
Hillesheim, Zaupjer u. a.!) Auch der Züricher Rießbeck, der, wie erwähnt, in 
den „Briefen eines reifenden Franzoſen über Deutihland”?) dem Charakter und 
den Anlagen Karl Theodors hohes Lob zollt, beflagt zugleih, daß der Fürft 
dieje Vorzüge gar nicht entfalten könne, da er völlig eingehült werde von einer 
übergroßen Schar von Beamten, die nichts zu arbeiten, und Offizieren, die nichts 
zu fommandieren haben ... „Die Triebjedern der Hofmaſchine aber ſtecken in 
einer Kutte oder in einem Eotillon!” 

Es wäre jedoch ungerecht, wollte man annehmen, daß an ber bedauerlichen 
Entfremdung zwiihen Fürft und Volk nur der Regierung alle Schuld beizu: 
meſſen wäre: für vieles findet fi die Erflärung in den verknöcherten fozialen 
Verbältnifien des Kuritaates. Ein Beifpiel möge genügen. Als der Kurfürſt die 
gewiß nicht unbillige Anordnung traf, dab es aud Händlern und Handwerks: 
leuten aus ber Borjtadt Au geftattet fein follte, in München Lebensmittel zu 
verfaufen und Arbeit zu juchen, hielten fich die Bürger der Hauptftadt dadurd 
„in ihrer Nahrung beſchränkt“, und der Stadtrat erlaubte fih, in wenig ehr: 
erbietiger Weiſe Gegenvorftellungen zu maden. Darauf reifte der Kurfürft plöß- 
ih nah Mannheim ab, und als nun auch die vielen Hofbeamten und Lafaien 
und Trabanten Befehl erhielten, dorthin überzufiedeln, gab es in der ganzen 
Stadt großen Jammer. Der Zorn der Bürgerichait lenkte ſich auf den Magiftrat, 
der „ven Ruin der Stadt herbeigeführt habe”. Der Landesherr wurde demütig 
erfucht, in jeine getreue Refidenz zurüdzufehren, und als er endlich diefen Bitten 
Folge leiftete, wurde der „erhabene Wohlthäter” in überfchwenglider Weiſe ge- 
feiert. Bald darauf aber fam es wegen einer öffentlihen Dankjagung für die 
Verfhönerung der Stadt — unter Karl Theodor wurde der „engliihe Garten” 
aus einer jumpfigen Niederung hervorgezaubert — zwifhen dem taftlojen Stadt: 
rat und dem Günftling des Kurfürften, dem bochbegabten und verdienten Ameri: 
faner Benjamin Thompfon, nahmals Grafen von Rumford, zu neuem Zwift. 
Nun verhängte Karl Theodor über die Widerfpenftigen, „weil fie den Ausdrud 
Ihuldigen Dankes verhinderten“, jchwere Strafen. Der Bürgermeifter und 
mehrere Näte wurden ihres Amtes entjeßt und mußten vor dem Bild des 
Landesherrn knieend Abbitte leiften. Mißſtimmung herrſchte demnach im Rolf, 
wie auf dem Throne, und jo gewährt die Geſchichte der Regierungszeit Karl 
Theodors in Baiern ein trübes Bild. — 

Bei feinem andren Stamme waren die Charafterzüge, wodurdh ſich im 
achtzehnten Jahrhundert der Sübdeutihe vom Norddeutihen unterfchied, jo ſtark 
ausgeprägt, wie in Schwaben: eine gewiſſe urwüchlige Biederfeit, ftolze rei: 
heitsliebe und derber Freimut, Hang ſowohl zu poetiſchem Gefühlsleben wie zu 
philoſophiſcher Abitraktion, aber auch Driginalitätiuht, Rechthaberei und Nei- 
gung zu ſchildbürgerlicher Kleinmeifterei. Jene Vorzüge ſchwäbiſchen Geiftes und 
Charakters offenbaren ſich am herrlichſten in Friedrich Schiller; die Untugenden 


) Schlözers Staatdanzeigen, Jahrgang 1788. 263. — Spanische Inquifition in Baiern 
unter der Regierung Karl Theodors (Helmftebt 1804). 
) 1783 erſchienen, neue Folge 1790. 


94 Erfted Bud. Dritter Abjchnitt. 


werden augenfällig, wenn wir und 3. B. mit der Leidensgejchichte des trefflichen 
Juriften und Staatsmannes Johann Jakob Mofer vertraut mahen. Nachdem 
er Jahrzehnte hindurd in Amtsftuben und Ausihuhligungen gegen das Zopftun 
jeiner Landsleute angefämpft hatte, wurde er zu guter Lebt wegen jeiner mit 
aller Loyalität geführten Verteidigung der verfaffungsmäßigen Rechte des württem: 
bergifchen Volkes vom Landesvater mit fünfjähriger Kerferhaft bedacht. 

Ebenjo wie perfönlihe Eigenart im ſchwäbiſchen Wolfe am ftärkjten ent: 
widelt war, war auch fein andres Stammesgebiet im Deutſchen Reich jo mannig- 
fach gegliedert, wie das ſchwäbiſche. Kein andrer Kreis hatte jo viele und ver: 
ſchiedenartige Stände, jo viele proteftantiihe und katholiſche, geiftlihe und welt: 
liche Fürften, geiftlide und weltlide Stifter, Grafen und Herren, unabhängige 
und „forreipondierende” Neichsftädte. Im Laufe der legten drei Jahrhunderte 
hatten fich aber die Macht und das Anjehen des Herzogtums Württemberg in 
jolhem Grade gefteigert, daß nach und nach das alte ſchwäbiſche Herzogtum in 
ihm aufging. 

In Württemberg regierte jechzig Jahre (1737—1797) Herzog Karl Eugen, 
der im Gedächtnis des ganzen deutichen Volkes namentlich deshalb heute noch 
fortlebt, weil er als „militäriiches Waifenhaus” jene Schule geftiftet hat, bie 
den jungen Schiller zu ihren Zöglingen zählte. 

Karl Eugen war am Hofe Friedrichs II. erzogen worden, und für ihn 
hatte der große König jenen Fürftenipiegel verfaßt, in welchem jo eindrings 
(ih wie berebt die Pflichten der Fürften gegen die Völker verfündigt find.!) 
Dod die trefflihe Anleitung brachte nicht die erhofften Früchte. Ueber das Mip- 
regiment Karl Eugens in den eriten Jahrzehnten feiner Negierung gab es nur 
eine Stimme. Die Berirrung des Fürſten, im Eleinen Lande den abjoluten 
Monarchen in großem Stile zu jpielen, wurde eine Quelle des Unheils für das 
Land. Als Karl Eugen bei feinem eigenmäcdtigen und gemwaltihätigen Vorgehen 
noch auf ein ſchwaches Hindernis, die württembergiiche Landſchaft, ftieß, jcheute 
er fich nicht, die verbrieften und von ihm beſchworenen Landesrechte einfach um: 
zuftoßen und an die Stände unerhörte Zumutungen zu ftellen. Dem Abgeord— 
neten der Stadt Tübingen, der gelegentlich einer Beſchwerde das Wort Vater: 
land ausſprach, fiel er ins Wort: „Was Vaterland, ich bin das Vaterland!” 
— Um ſich gegen die Gemwaltthätigfeit feines Herrn zu fihern, erbat und er: 
wirkte der Yandichaftsfonjulent J. J. Mofer die Verleihung des Charakters eines 
dänischen Etatsrats, aber auch diefe Vorſicht bewahrte ihm nicht vor der jchon 
erwähnten Beitrafung; er wurde wegen „unrubigen Betragens und ohne genug: 
jame Beurteilungsfraft affeftierter Zaumlofigkeit” auf dem Hohentwiel einge: 
kerkert.) Die Ausgaben des verjchwenderifhen Fürften ftanden durchaus nicht 
im Verhältnis zu den Einkünften, und die Finanzkünfte, zu denen er feine Zu: 
Hucht nahm, waren um nichts reinliher, als die unter feinem Vorgänger von 
dem berüchtigten Juden Süß erfonnenen Praktiken. Da aber trog alledem in 


') Miroir des princes ou instruction du roi pour le jeune Duc Charles Eugene de 
Wurtenberg; Oeuvres de Frederic le Grand, IX, 1. 
2) A, Schmid, das Leben J. 3. Moiers, 281. 


Der Thronwechfel in Preußen. Die deutfhen Mittel: und Kleinitaaten. 95 


Stuttgart das freie Wort nicht verftummen wollte, und der ftändiihe Ausſchuß 
gerichtliche Klage beim Reichshofrat einleitete, wählte der Herzog Ludwigsburg 
zu feinem MWohnfig. Hier vergeudete er ungeheure Summen für Schloßbauten, 
Mummenſchanz, Jagden zc., getreu jeinem Vorbild Ludwig XV. in Verjailles. 
Daneben wurde für das Militärwejen unnötiger Aufwand entfaltet, indem 
nicht bloß eine übergroße Armee mit zahlreihem Dffizierforps auch in Friedens- 
jeit aufgeftellt blieb, jondern auch häufig Eoitjpielige militärifhe Schaufpiele, 
Luſtlager ꝛc. veranftaltet wurden. Das jährlihe Militärbudget im Betrage 
von 1600 000 Gulden überftieg bei weitem den Bedarf der übrigen kleinen 
Staaten. 

In Karl Eugens Regierung laflen fih aber zum Glüd für das Land zwei 
völlig verſchiedenartige Perioden unterjheiden: nad) dreiunddreißig Jahren einer 
deſpotiſchen, ſinnlos verſchwenderiſchen Wirtjchaft leitet der fogenannte Erb: 
vergleih von 1770, der die zur Tilgung der ungeheuren Schuldenlaft notwendige 
Ausjöhnung mit den Ständen bradte, in die Periode eines fparjamen, zurüd: 
gezogenen Lebenswandels und einer höchſt verdienftvolen Thätigfeit hinüber. 
Es wurde zwar in Berjailles und an gefinnungsverwandten deutſchen Höfen 
weidlich geipottet über das am fünfzigften Geburtstag des Herzogs, 11. Februar 
1778, von allen Kanzeln verlefene Schriftjtüf, worin er der Neue über feine 
Ausihmweifungen und dem Vorjag der Beſſerung Ausdrud lieh, aber wenn auch 
die Form der Umkehr nicht gerade der Würde des Thrones angemeflen war, fo 
gereicht doch die Sinnesänderung, zu welder namentlih auch der günftige Ein- 
fluß der zweiten Gemahlin, der geiftvollen Franzisfa von Hohenheim, beitrug, 
dem Fürften zur Ehre. Seither famen die auh von Schiller gerühmten glüd: 
lihen Anlagen des Mannes, fein Scharfblid und feine Bildung, zu erfreulicher 
Geltung, und die noch immer beträchtlihen Summen, bie für Bauten, Samm- 
(ungen, Bühne ꝛc. verwendet wurden, famen nit mehr dem Vergnügen und 
der Ruhmſucht des einzelnen, jondern dem Aufihwung von Kunft und Willen: 
ihaft im Lande zu gute. — 

Wie im Zeitalter des Abjolutismus durch Wirkſamkeit und Beijpiel eines 
pflichttreuen Regenten das Wohl des Landes gefördert und das Anfehen eines 
kleinen Staates weit über das Verhältnis jeiner Macht gehoben werden Eonnte, 
beweiit ein Blid auf Baden und auf Karl Friedrich, der neben dem Türfenfieger 
Ludwig wohl als der bedeutendfte und ohne Nebenbuhler als der edelfte in der 
Reihe der Zäringer bezeichnet werden muß. Es wird erzählt, er habe einmal 
die ſcherzhafte Aeußerung gemadt, fein Nahbar in Württemberg thue alles, um 
fein Land zu Grunde zu richten, während er felbit alles thue, um das einige 
emporzubringen, troßdem vermöge feiner von beiden jein Ziel zu erreihen. Das 
allzu bejcheivene Wort entipricht nicht der Wahrheit: das äußere Wahstum des 
Staates wie der Aufſchwung der Landeskultur geben von der erfprießlichen Wirk: 
janıfeit des badifchen Regenten rühmliches Zeugnis. Die Markgrafihaft Baden, 
in deren Beſitz fich die Linien Baden-Baden und Baden-Durlach teilten, umfaßte 
bis zum Liüneviller Frieden nur fiebenundfiebzig Duadratmeilen. Nur ein etwa 
neunundzwanzig Duadratmeilen umfajjender Teil fam 1746 unter das Scepter 
Karl Friedrichs. Doch bald herrſchte innerhalb und außerhalb des Ländchens 


96 Erftes Bud. Dritter Abfchnitt. 


nur eine Stimme, baß dasfelbe mufterhaft verwaltet werde und das Wort: 
„landesväterliches Regiment” in Baden nicht als leere Phraje anzufehen fei. 
Die Finanzen waren trefflich geordnet, das Schulweſen erfreute ſich befonderer 
Fürſorge des Regenten, die Rechtspflege wurde durch Reformen in Joſephiniſchem 
Geifte gehoben. Wie ernft e& fih Karl Friedrich angelegen fein ließ, die für 
das allgemeine Wohl förderlichſte Wirtichaftspolitif fich anzueignen, erhellt aus 
feinem merkwürdigen Briefwechſel mit dem älteren Mirabeau und Du Pont, 
den bervorragenditen Vertretern der phyliofratiiden Schule. Insbeſondere die 
Schriften des Marquis Mirabeau hatten ben lernbegierigen Fürften lebhaft an: 
geregt, ebenjo „l’ami des hommes ou trait@ de la population“, worin aus 
dem Sate: Homo miser sacerrima res die Lehre gezogen wird, daß die Hebung 
des verfommenen Bauernftandes als erite Fürftenpflicht zu gelten habe, wie die 
„Theorie de l’impot*, dieſer Notjchrei gegen die übliche Steuerverpadtung und 
andre merfantiliftiihe Praftifen. Karl Friedrih begnügte ſich aber nicht mit 
afademifcher Zuftimmung, fondern jchritt zu praftiicher Verwertung. Er beſchloß, 
die von den Phyfiofraten verlangte Belteuerung, den impot unique, einzuführen; 
daran follten jih andre wirtichaftspolitiiche Reformen im Geifte der „neuen 
Ordnung” reihen. Als dabei Schwierigkeiten erwuchſen, wandte fi Karl Friedrich 
an Mirabeau ſelbſt. „Meine Eigenfhait ale Menſch“, fchrieb er am 22. No: 
vember 1769 an den Franzoſen, „ermädtigt mich, Ihre Freundſchaft für mich 
zu fordern, und legt mir die Pflicht auf, fie zu verdienen, indem ich mid) be- 
ftrebe, meinesgleihen nüglich zu fein.” Bor allem will er von Mirabeau hören, 
wie am beiten der im badiſchen Ländchen herfümmlichen allzu großen Teilung 
der bäuerlichen Güter entgegengewirkt werden fönne.!) Schon dieje Frage be: 
weift, welch jcharfen Blid der Fürft für die geplanten Reformen mitbradte. Die 
fpäteren Briefe zeigen ihn als eifrigen Schüler der phyfiofratiihen Lehre. Doch 
die Vorliebe für die Landwirtichaft verleitete ihn nicht zur Geringihäßung der 
Gewerbe und des Handels. „Die Zufriedenheit und Opulenz des ganzen Volks“ 
zu feftigen, bezeichnet er jelbit als „ichwer zu erreihendes, aber den Fürften 
erſt wahrhaft zum Fürſten erhebendes Ziel”. 

Ein reicheres Feld war diejer Thätigfeit eingeräumt, jeit Karl Friedrich 
nad dem Ableben Auguft Georges, des legten Markgrafen von Baden-Baden 
(21. Oftober 1771), die ſeit Jahrhunderten getrennten badiſchen Yande unter 
feinem Szepter wieber vereinigte. In dem neu erworbenen Gebiet herrjchte das 
fatholiiche Bekenntnis vor; damit erwuchſen dem proteftantiichen Fürften ſchwere 
Pflichten, die ihm aber gar nicht unmwilllommen waren. „Möge die göttliche 
Vorſehung,“ jchrieb er an Du Pont, den er zum Erzieher jeines Sohnes beitellt 
hatte, „mir jo viel Kraft und Klugheit geben, als erforderli it, um meine 
alten und meine neuen Unterthanen jo glüdlich zu machen, wie ich es möchte, 
dann werde auch ich es jein, insbejondere wenn ich unter den verfchiedenen Be: 
fenntniffen den Geiſt der Eintracht und der Brüderlichkeit herrſchen jehen 


!) Knies, Karl Friedrichs von Baden brieflicher Berlehr mit Mirabeau und Dupont, 3. — 
Emminghaus, Karl Friedrihs von Baden phyfiotratifche Verbindungen, Beftrebungen und Ber: 
fuche, in Hilbebrands Jahrbüchern für Nationalölonomie und GStatiftif, 19. Band, 1. Heft. 


Der Thronwechjel in Preußen. Die deutichen Mittel: und Kleinftaaten. 097 


werde.” !) Mit Milde und Gebuld ging er an firchenpolitifhe Reformen; von 
ber Hajt und ber Gemaltthätigfeit des Joſephinismus hielt er fich glüdlich fern. 
„In jenem religiöjfen Mittelgebiet, das zwijchen dem bogmenlojen Pietismus 
und der fromm jchwärmenden Humanität liegt, wurzelt Karl Friedrichs Bil: 
dung.” ?) Es war ungerecht, daß ſich die Fatholiihen Untertanen Baden: 
Badens über Bedrüdung beklagten, und es war eine unverdiente Kränkung für 
den wohlwollenden Fürften, daß jene Mißvergnügten fogar einen Prozeß beim 
Reihshofrat anftrengten. Karl Friedrich Tieß jedoch niemals die katholiſchen 
Unterthanen im allgemeinen den Troß einzelner entgelten und brachte endlich 
alle zur Einfiht, daß fie ſich glüdlih ſchätzen dürften, einem fo aufgeflärten, 
aber zugleich duldjamen und friedfertigen Herrn untergeben zu fein. Einen 
treuen Berater hatte Karl Friedrich an feinem Minifter Wilhelm von Edels- 
heim, einem der hervorragendften deutſchen Staatsmänner jenes Zeitraums. 
„An fait allen Reformen hat der ‚Choifeul von Karlsruhe‘, wie man ihn da: 
mals im Hinblid auf feinen allmädtigen Einfluß wohl bezeichnet hat, Anteil, 
faft überall hat fein klarer, praftiiher Blid das Richtige zu treffen gewußt.” 
(Obfer.) Nachdem ein Dekret vom 23. Juli 1783 die Leibeigenihaft aufgehoben 
und die am ſchwerſten drückenden Zölle und Auflagen befeitigt hatte, wurde dem 
Markgrafen ein „allgemeiner Landesdank“ votiert; die Antwort des Gefeierten 
enthielt goldene Worte über Freiheit und Baterlandsliebe, die im Munde des 
Bolksfreundes nicht als Phrajen erfhienen. Es war von unberechenbarer 
Wichtigkeit, daß gerade in der Zeit, da in Frankreich die Revolution aufloderte, 
wenigftens in dem größten deutſchen Nachbarftaat ein Fürſt regierte, der, wie 
Goethe rühmt, „bejonders wegen feiner vortrefflihen Regierungszwede unter 
den deutſchen Regenten hoch verehrt war”, und daß hier Fürft und Volk in 
glüdliher Eintracht lebten. 

„Der materielle Wohlitand kann fich nicht befeitigen, wo die geiftige Ent: 
widelung zurüdbleibt.” Diejer Gedanfe fehrt in Karl Friedrihs Kundgebungen 
immer wieder. Die erfte Gattin des Markgrafen, Karoline Luiſe, galt für eine 
Gelehrte. Der Schwede Björnftahl, der 1773 den Hof in Karlsruhe befucht 
hatte, wußte feinem Landsmann Linne nicht genug zu rühmen, weld eifrige 
Schülerin der große Botaniker in einer deutſchen Fürſtin gefunden habe. 
Karoline war vergeblih bemüht, Linne ſelbſt zur Weberfiedelung nad Karle- 
ruhe zu bewegen. Voltaire war wiederholt ein Gaft der marfgräfliden Refi- 
denz; er glaubte offenbar der Markgräfin das denkbar höchſte Lob zu ſpenden, 
wenn er vor d’Hermandes erflärte: „Es gibt feine Franzöfin, die ſich mit ber 
Markgräfin von Baden an Geilt, Kenntniffen und Freiheit meſſen könnte.“ 
Wichtiger war des Markgrafen Verſtändnis für die Befreiung des beutjchen 
Geiftes von der franzöſiſchen Herrichaft; nicht an ihm lag die Schuld, daf nicht 
Karlsruhe, jondern Weimar der Mittelpunkt deutſcher Bildung und deutichen 
Schrifttums wurde. Als für Klopftod die Ausficht einer Berufung nah Wien 
entihwunden war, erließ der Markgraf an den „Sänger der Religion und des 


!) Knies, 134. 
2) Hausrath, Die firhengejchichtliche Bedeutung der Regierung Karl Friedrichs, 4. 
heigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Friedrichs d. Or, bis zur Auflöfung des deutjhen Reiche. 7 


98 Erftes Bud. Dritter Abſchnitt. 


Baterlandes” eine jchmeichelhafte Einladung; die Ernennung zum Hofrat jollte 
den Dichter dauernd an Karlsruhe fefleln. Als aber die Höflinge über das 
bärenhafte Gebaren des Dichters, der auch im Schloſſe feine Pfeife ſchmauchte 
und die Titel und Würden feiner Umgebung nicht refpeftierte, zu fpotten be- 
gannen, empfahl ſich der Dichter „franzöſiſch“, ohne fi von feinem fürftlichen 
Gönner zu verabſchieden. „Das abgejhmadte Abſchiednehmen hat Gottjched 
erfunden.” Klopftod gedachte jedoch des Markgrafen, eines „Mannes, mit dem 
man etwas jprechen fünne”, immer mit Liebe und Hodhadtung. !) 

Auch Herder, der ſchon 1770 Karlsruhe bejucht hatte, zollt dem Mark: 
grafen hohes Lob. „Er ift der erſte Fürft, den ich ganz ohne Fürſtenmiene 
fenne,” ... „der befte Fürft, der vielleicht in Deutfchland lebt.) Auf Wunſch 
des Markgrafen jchrieb Herder die Denkſchrift „Idee zum erften patriotifchen 
Inftitut für den Allgemeingeift Deutichlands”, einen Aufruf zur Stiftung einer 
Akademie behufs Durhführung großer nationaler Aufgaben und Förderung des 
vaterländijchen Geiltes. Leider war in Deutfchland gemeinfam nur der Mangel 
an Gemeinfinn, die Regierungen erblidten in dem genialen Vorſchlag des auf: 
geklärten Fürften eine Gefahr für ihre Selbftändigfeit, und fo blieb der Plan 
in der unfruchtbaren Debatte über Rätlichfeit und Nuben des Unternehmens 
fteden. 

In feinen legten Lebensjahren ſchloß Karl Friedrich einen innigen Seelen: 
bund mit Jung:Stilling. Nur zu dem Zwede, „durch feinen weit ausgedehnten 
Briefmechjel und feine Schriftftellerei Religion und praftifches Chriftentum zu 
fördern”, ohne jede amtliche Verbindlichkeit wurde der liebenswürdige Myſtiker 
in die Dienfte jeines Freundes gezogen, und es braudt, um die Ausdehnung 
und die Bedeutung ber Karlsruher „philadelphiihen Gemeinde” zu kennzeichnen, 
nur an die Belehrung des Zaren Alerander und der Frau von Krüdener er: 
innert zu werben. 

Nah dem Tode jeiner Gattin Karoline Luife vermählte fih Karl 
Friedrih zum zweitenmal (1787) auf die linfe Hand mit Luife Karoline 
Geyer von Geyersberg, die (1796) von Kaifer Franz zur Reichsgräfin von 
Hochberg erhoben wurde.) Die Ehe wurde fpäter für ebenbürtig erflärt, 
mit dem Zuſatz, dab im Falle des Ausfterbens der Defcendenz aus erfter 
Ehe die männlihen Nachkommen aus zweiter Che zur Nachfolge berechtigt 
jein jollten, — einer Beitimmung, die in der Folge, ala die Selbftändigfeit 
oder doch die Unteilbarkeit Badens gefährdet wurde, enticheidende Bedeutung 
gewann. 

An Landgraf Friedrih II. von Heſſen-Kaſſel haftet der Makel, daß 
er hejfiihe Truppen an England zum Kampf mit ben wiberjpenftigen Kolonieen 
in Amerika verkauft hat. Allerdings ift verfucdht worden, die Verwerflichkeit 
des heſſiſchen Soldatenhandels in Abrede zu ftellen. Man hat darauf hinge— 


)D»D. F. Strauß, Klopftod und der Markgraf Karl Friebrih von Baden, in Sybels 
biftor. Zeitfchr., I, 424. 

?) Haym, Herber nad) feinem Leben und feinen Wirkungen, I, 379. 

) Kleinfhmibt, Karl Friedrich von Baben, 97. 


Der Thronwecfel in Preußen. Die deutihen Mittel: und Hleinftaaten. 09 


wiefen, daß die Opfer jelbit für das Unrecht ihres Landesherrn und für das 
Schimpfliche ihrer Stellung feine Empfindung hatten; man hat jehr richtig 
darauf aufmerfjam gemadt, dab auch die Regenten von Gotha, Württemberg, 
Darmftabt, ja ſogar der „vielgeliebte” Mar Joſeph III. von Baiern fein Be: 
denfen trugen, ähnliche Geſchäfte abzuſchließen. Entſchuldigt wird freilich ber 
Menſchenhandel des Landgrafen dadurch nicht. Es war unter allen Umftänden 
verwerflich, daß Landesfinder für einen dem Vaterlande fremden Zweck geopfert 
wurden, daß überdies der größte Teil des Blutgeldes nicht zu Staatszweden 
für Hebung der allgemeinen Wohlfahrt, fondern für Liebhabereien des Fürften 
Verwendung fand. Freilih war die Preſſe nicht frei und nicht entwidelt genug, 
um dem Unmillen über das Schalten der Regierung öffentlichen Ausdrud zu 
geben, doch fehlte es nicht gänzlih an Zeihen und Zeugniſſen, daß der Handel 
in weiten Kreifen der Bevölferung verurteilt wurde. 

Dagegen fehlte es der Periode Friedrihs IT. auch nit an Lichtfeiten. 
Er machte aus feinem Kafjel eine prächtige Stadt, wo nicht bloß der Luxus, 
fondern auch die Kunft eine Heimftätte hatte. Die berühmte Galerie dantt 
ihm die wertvolliten Ermwerbungen, und unter den bumaniftiihen Anftalten 
Deutichlands verfügte faum eine zweite über jo hervorragende Kräfte, wie 
das Kollegium Karolinum, Auch die Bejorgnis, daß der Landgraf, der 
jelbit zum Katholicismus übergetreten war, jeine neuen Glaubensgenofjen 
auf Koften der Proteftanten begünftigen werde, erwies fih als unbegrün- 
det; es wurde gewiſſenhaft an der Gleichberehtigung der Bekenntniſſe feit: 
gehalten. — 

Die Einwirkung der großen Berjönlichkeit des Preußenfönigs zeigt fidh be: 
ſonders deutlih an Landgraf Ludwig IX. von Hejjen:Darmitadt und feinem 
Sohne gleihen Namens. Der Vater erblidte, wie König Friedrich, die erite 
Regentenpflicht in rühriger Sorge für Ausbildung feiner kleinen Heeresmacht, wobei 
er fich freilich zulegt in militärische Evielereien verlor, — der Sohn, der fich jelbft 
längere Zeit am Berliner Hofe aufgehalten hatte, eiferte dem großen König 
nah in Wertihägung und Stubium der franzöfiihen Aufflärungsphilojophie. 
Doch nahm der junge Fürft auch an dem Aufihwung der deutſchen Litteratur 
regen Anteil, und jein freundſchaftliches Verhältnis zu Schiller und Goethe 
würde gewiß noch erfreulichere Früchte getragen haben, wenn nicht ſchon bald 
nad dem NRegierungsantritt Ludwigs X. das gejegnete Land der Schauplat 
verheerenden Krieges geworden wäre — 

Ein entſchiedener Anhänger der „neuen Lehren” war auch Kurfürft Emme: 
rih von Mainz. Ebenſo jein Regierungssyften, wie die damit erzielten Er: 
folge erinnern in vielem an die Neformen Joſephs II. Hier wie dort war der 
Wunſch lebendig, den Kultus in feiner Reinheit wieder herzuftellen, dem Aber: 
glauben zu fteuern, den allzu großen Befiß der Toten Hand einzufchränfen, die 
ftaatsbürgerlihen Rechte auf die Angehörigen aller Belenntniffe auszubehnen, 
durch Heranziehung geiftliher Einfünfte das Schulmwefen zu fördern. Hier wie 
bort aber wurde der Erfolg geſchädigt durch Mebereifer und Haft, und es 


') Eelkling, Die deutſchen Hülfstruppen im norbamerifanifhen Befreiungsfrieg, 43. 


100 Erfied Bud. Dritter Abſchnitt. 


mußte in einem Kleinftaat noch läftiger wirken, wenn die Regierung fi in 
alles und jedes einmiſchte, um die Unterthanen weiſe und glücklich zu machen. 
Der Tod des ftattlihen Kirchenfürften (11. Zuni 1774) fchien bei Hofe, wie 
im Staatsleben einen jähen Umſchwung herbeizuführen. Der neue Herr, 
Friedrich Karl von Erthal, ſchien völig unter dem Einfluß ber Jeſuiten 
zu ftehen. Alle äußeren Formen eines geiftlihen Regiments fehrten wieder, 
die Schulen wurden den geiftlihen Orden zurüdgegeben, mit der Duldjam: 
feit gegen Nichtkatholiken ſchien es zu Ende zu gehen, wie mit dem eleganten 
weltlihen Treiben der Reſidenz. Doch in folder Strenge war die Reaktion 
nit von langem Beltand. Friedrih Karl war zu ehrgeizig, als daß er ſich 
gegen bie freifinnigen Ideen, denen die Schöngeifter aller Nationen begeiftertes 
Lob jpendeten, auf die Dauer verfchlofjen und den höfiſchen Prunf, der allen 
Standesgenofjen unerläßlid erjchien, gänzlih aufgegeben hätte. Als fi Ge: 
(egenheit bot, große Politik zu treiben und dem Kurfürftenftaat höhere politifche 
Bedeutung zu geminnen, ging er auch darauf eifrig ein. In der That gewann 
ed den Anſchein, als jollte nochmals dem Erzfanzler des römijchen Reichs eine 
wichtigere Stellung im Staatsleben beſchieden werden, und zwar fügte e& bie 
Laune des Geſchicks, daß die Anregung von proteftantiicher Seite ausging. Als 
König Friedrih zum Schuße der „deutſchen Freiheit” die deutihen Fürften um 
fih ſcharte, war ihm viel daran gelegen, aud das Oberhaupt der geiftlichen 
Fürften für feinen Bund zu gewinnen. In Friedrihs Auftrag unterhandelte 
Karl Auguft von Weimar mit dem Erzbifchof, und diejer Schloß ſich wirklich 
(18. Dftober 1785) dem Fürftenbunde an. Dafür wurde Mainz als Sit bes 
Bundesrats in Ausficht genommen und damit dem Erzfanzler eine Art Vorſitz 
zuerfannt. Und es dauerte nicht lange, jo fiel, wie wir jehen werben, dem 
Mainzer Kirhenfürften auch die Rolle des Führers der deutſchen Bilchöfe im 
Kampf mit der Kurie zu, — die Zeit der Aribonen ſchien wieder anzubreden 
in deutfhen Landen! 

Als Kurfürft von Köln war 1761 auf Clemens Auguſt, den Bruder 
des Schattenfaijers Karl VII., Mar Friedrih von Königseck gefolgt. Jener 
war der grand seigneur gewejen, der die Pracdtliebe und die Genußſucht der 
weltlihen Standesgenofjen teilte und fich vieles erlaubte, was ſich für einen 
geiftlihen Fürften wenig ziemte. Trogdem hatte er fi allgemeiner Beliebt: 
heit erfreut, denn er war ein leutjeliger Herr; Monteuil rügte jogar die ridi- 
eule et ind&cente familiarite des Kirchenfürften. Für die verderbliche äußere 
Politit und das dadurd heraufbejchworene Unheil wurde er von den eigenen 
Unterthanen nicht verantwortlich gemacht, war e& ja doch nichts Ungewöhnliches, 
daß ſich ein deutjcher Fürft gegen klingenden Lohn zu Liebesdieniten für Frank: 
reich bergab. Kaum war jedoch der bisherige Koadjutor Mar Friedrich zur 
Regierung gefommen, jo verfhwanden in Bonn die Masteraden und die Reihers 
beizen, die italieniihen Primadonnen und die franzöfiihen Schaujpielerinnen. 
Marimilian Friedrich war ein fittenftrenger Mann, der niemals ber Pflichten 
feines geiftlihen Amtes vergaß. Seine Sparjamfeit freilih gefiel den ver: 
mwöhnten Nefibenzbewohnern ganz und gar nit. Die Stimmung der Bürger: 
ſchaft fand Ausdruck in den Spottverfen: 


Der Thronwechſel in Preußen. Die deutfhen Mittel- und Kleinftaaten. 101 


„Bei Clemens Auguft trug man blau und weiß, 
Da lebte man, wie im Paradeis! 

Bei Mar Friedrich trug man ſchwarz und rot, 
Da litt man Hunger und ſchwere Not!” 


Durh die diplomatifhen Künfte des Fürſten Kaunitz und die reichen 
Spenden des Wiener Hofes wurde erreiht, daß 1780 Marimilian Franz, der 
jüngfte Sohn der Kaiferin Maria Therefia, zum Koadjutor gewählt wurde. Nach 
dem Tode Mar Friedrichs (1784) folgte er in der Regierung; es war von wid: 
tiger Bedeutung, daß in jenen Tagen, da fih im politiihen und kirchenpoliti— 
ichen Leben der Nation große Dinge vorbereiteten, ein Habsburger, ein Bruder 
Joſephs II., die Würde eines Kurfürften von Köln und Herzogs von Weftfalen 
inne hatte. Mar Franz hatte nicht das cholerifhe Temperament und den Auf: 
klärungsdrang jeines Bruders, doh war auch er liberalen Neuerungen nicht 
abhold. Er war geachtet und beliebt, denn wenn aud „große Traftamente, 
Bälle, Divertifjements mit Birutfhaden und ländlichen Feitins als herrliche 
Ausnahmen vorfamen, fo war doch Ordnung, Defonomie der einmal feftgejegte 
Punkt, die beitimmte Negel des weit ausjehenden Fürften.”') Die von ihm 
und jeinem SKabinettsminifter von Waldenfels zur Hebung der Landesmwohlfahrt 
getroffenen Anordnungen zeugten von gejunden wirtichaftlihen Grundfägen und 
redlihem Eifer.) Sogar von dem jpäteren preußiihen Generalgouverneur 
des MNiederrheines, Juſtus Gruner, der in jeiner Schilderung der geiftlichen 
Fürftentümer nur grau in grau malt, wird zugegeben, daß Mar Franz die 
dankbare Verehrung des Landes verdiene. ?) 

In Koblenz, der Nefidenz des Kurfüriten von Trier, regierte jeit 1768 
Clemens Wenzeslaus, der jüngſte Sohn des Kurfürſten Friedrih Auguft von 
Sachſen. Er war urjprünglih für die militärische Laufbahn erzogen und in 
der öſterreichiſchen Armee zu hohem Range befördert worden, hatte auch an der 
für die öflerreichiihen Waffen unglüdlihen Schlaht bei Torgau teilgenommen. 
Bald darauf aber trat er, ohne eigentliche theologische Studien gemacht zu haben, 
in den geiftlihen Stand, und die Gunit bes faiferlichen Hofes verihaffte ihm 
eine Reihe von Bilchoffigen, zulegt au die Kurwürde von Trier. Auch ihm 
ipendet die Lokalgeſchichte in Anerkennung feines mafellofen Privatlebens und 
jeiner Verdienfte um die Verſchönerung von Koblenz dankbares Lob‘); vom 
Standpunkt der deutfhen Gedichte aus muß dasſelbe weſentlich eingeſchränkt 
werden. Er war ein ſchwärmeriſcher Verehrer der franzöſiſchen Nation und bes 
jranzöfijchen Wejens. Solange fich diefe Neigung nur in Begünftigung der fran: 
zöfiihen Künftler und Schriftfteller fundgab, mochte es hingehen, folgte er doch 
nur berühmten Muftern, aber nad; Ausbrud der Revolution erwuchlen daraus 


') Reife auf dem Rhein (1794), II, 194. (Der Berfaffer war %. Or. Lang, Gymnafial- 
lehrer in Koblenz.) 

2, Ennen, Franfreih und der Niederrhein, II, 425. 

3, Gruner, Meine Wallfahrt zur Ruhe und Hoffnung, oder Schilderung bes fittlihen 
und bürgerlihen Zuſtandes Weftfalend am Ende des achtzehnten Jahrhunderts, II, 410. 

* Dominilus, Koblenz unter dem legten Kurfürften von Trier, 49. 


102 Erfted Bud. Dritter Abſchnitt. 


ernfte Nachteile und Gefahren für das Kurfürftentum, wie für das ganze Reich. 
Koblenz wurde von Emigranten überflutet. Nicht bloß der römiſche Nuntius, !) 
auch unparteiiſche Zeugen ſchildern entrüftet das fittenloje, übermütige Treiben 
diefer Gejellihaft. Der Münchener Lipowsky, den ein Auftrag feines Kur: 
fürften dorthin geführt hatte, jchrieb nad) Haufe, man ſei verjucht zu glauben, 
daß Koblenz eine franzöfiihe Stadt geworden und der Kurfürft von Trier 
nur der Gaft der umbherftolzierenden franzöfifhen Prinzen und Kavaliere jei. ?) 
Welch gefährlihe politiiche Folgen dieſe Verbrüderung hatte, wird jpäter barzu= 
legen fein. 

erfahren und haltlos war die firhlice Politif des letzten Kurfürften 
von Trier. Anfänglich hatte es den Anfchein, als ob er ins Zager bes auf: 
geflärten Klerus übertreten werde; er geftattete die Anſäſſigmachung von 
Afatholifen, verminderte die Feiertage, ſuchte den Scholaftizismus der Landes: 
univerfität einzudbämmen, aber namentlid unter dem Einfluß des ftreng kuria— 
liſtiſchen Generalvifars von Augsburg, des Erjefuiten Bod, vollzog ſich allmäh— 
lich ein Umſchwung. Nun bewog der Kurfürft, wie erwähnt, den Weihbiſchof 
Hontheim zu Widerruf feiner antirömiſchen Lehrſätze; nun hielt er fih für 
berufen, dem reformeifrigen Kaifer ein warnendes Halt entgegenzurufen; auch 
der Empfang des Papjtes in Augsburg im Mai 1782 wurde zur antifaijer: 
lihen Demonftration aufgebaufht. Dagegen nahm Clemens Wenzeslaus wie: 
der eine gänzli veränderte Haltung gegen die Kurie ein, als infolge des 
Münchner Nuntiaturftreites im Sommer 1786 ben deutſchen Epiffopat jene 
merkwürdige Bewegung ergriff, deren Wurzel im Grunde doc zu den verpönten 
Maßnahmen Zojephs II. gegen den Papft und die römiiche Kirche zurüdreichte, 
denn nur aus ber Sofephinifchen Strömung ſchöpften die deutichen Kirchenfürften 
die Anregung und den Mut, ihre geiftlihen und weltlichen Jnterefjen gegen den 
römischen Stuhl zu verteidigen. Schon 1769 wurden auf einem bijchöflichen 
Kongreß zu Koblenz Beſchwerden gegen die ſich fteigernden pefuniären Anforde: 
rungen der römiſchen Kurie erhoben; unter verjchiedenartigen Titeln und zu 
ben verjchiebenartigiten Zwecken floffen ja jährlid ungeheure Summen nad) der 
Metropole der katholiſchen ChHriftenheit. Die in Koblenz gefaßten Beſchlüſſe 
ftießen jedoch auf Schwierigkeiten und verliefen im Sande. Da wurde 1785 
in Münden, längft gehegten Wünſchen des pfalzbairiſchen Hofes entſprechend, 
eine mit allen Fakultäten nah Iſidoriſchen Prinzipien ausgeftattete Nuntiatur 
errichtet, offenbar in der Abficht, die ordentliche bifhöflihe Gewalt innerhalb 
der Kurftaaten zu neutralifieren und zu ſchwächen. Die Ernennung des neuen 
Nuntius Monfignore Giulio Zoglio rief deshalb in den firhlichen Kreifen Deutſch— 
lands gewaltige Aufregung hervor. Die Vertreter der höchſten geiftlichen Arifto: 
fratie, die vier Erzbiihöfe von Mainz, Köln, Trier und Salzburg, beſchloſſen, 
durch feites Zufammenmwirfen die gegen bie deutſche Kirchenverfafjung verftoßende 
Neuerung abzuwehren. ?) Sie entjandten im Sommer 1786 Bevollmädhtigte zu 





'!} Memorie storiche di monsignore Bartolomeo Pacca, 145. 
?, Züge aus dem Leben Felir Lipomälys, im oberbairifhen Ardiv, 12. Band, 93. 
) Münch, Geſchichte des Emfer HKongreffes und feine Punbktate, 45 ff. 


Der Thronwechſel in Preußen. Die deutſchen Mittel: und Kleinftaaten. 103 


einem Kongreß nad Bad Ems, und am 25. Auguft 1786 wurde bie fogenannte 
Emjer Bunktation, die in einer Reihe von Sätzen das Verhältnis des Epi: 
jfopats zum römijhen Stuhl regeln und der deutſchen Kirche ihre urfprüngliche 
Verfaflung und Disziplin wiedergeben jollte, an Papft und Kaiſer geleitet. 
Mit auffälliger Entjchiedenheit war dargelegt, daß der deutſche Klerus zwar 
den Primat des römiſchen Biſchofs willig anerfenne, jedoch die aus den ge: 
fälſchten ifivoriihen Defretalen abgeleiteten Anſprüche der Kurie zurüdmweijen 
müſſe. Nicht länger follten demnach geduldet und ertragen werden die mit 
der biſchöflichen Gerichtsbarkeit umvereinbaren Eremtionen und NRefervationen, 
die Annaten und Palliengelder, der von Gregor VII. eingeführte Bijchofseid, 
der den kanoniſchen Gehorſam in förmliche Unterthänigfeit ummanble, bie 
eigenmächtigen Eingriffe ber Nuntien in bifchöflihe Gerechtſame und andre 
Inkonvenienzen. 

Auch die Eröffnung der neugeſtifteten Univerſität Bonn, an welche Kur— 
fürſt Maximilian Franz eine Reihe von Aufklärern berufen hatte, gab Anlaß 
zu antirömiſchen Demonſtrationen (Nov. 1786). Der ſtreitbare Nuntius in 
Köln, Monfignore Pacca, nahm den Fehdehandſchuh auf. Als in Köln der 
Profefjor der Theologie, Johann Weimer, anfündigte, er wolle eine Reihe von 
Thejen, welche gegen die Hierardie der römischen Kirche gerichtet waren und 
dem Geifte der Emſer Punktation entipraden, in der akademiſchen Aula öffent: 
[ih verteidigen, erzwang der Nuntius durch Androhung hoher Kirchenftrafen 
die Schliegung der Aula. Dieſe „unbefugte Einmifhung Roms in deutſche 
Angelegenheiten” rief einen Sturm der Entrüftung wach; immer leibenjchaft: 
liher wurde die Sprache der öffentlihen Organe. Eine Schrift Eybels: „Was 
it der Bapft?” fand, obwohl ihr Inhalt durch eine eigene Bulle verworfen und 
verdammt wurde, allgemeine Berbreitung. Die Mainzer Monatsſchrift zog mit 
Iharfen Waffen gegen die Feinde der Emjer Bejchlüffe zu Felde. In der „All: 
gemeinen deutſchen Bibliothek” wurde die Anmaßung der römiſchen Kanoniften 
verjpottet. Das Hamburger Politiſche Journal ſchrieb: „Man redet laut und 
allgemein von der Wieberauflebung der alten, oft wiederholten hundert Be: 
ſchwerden der teutihen Nation gegen den päpitlihen Stuhl, welche Beſchwerden 
bauptfähli darin beftanden, die Freiheiten der teutfhen Kirche gegen die Ein- 
griffe der römischen Kanzley zu fichern.” Eine Mainzer Korreipondenz weiß zu 
berichten, daß ber Erzbifchof feinen Amtsgenofjen eine Reihe weitreichender Vor: 
ichläge empfehlen werde: Beſchränkung des Faftengebots, Aufhebung der Ordens: 
und Prieftergelübde, Neform der Domfapitelverfafjung u. ſ. w. Zur Beratung 
fol eine deutjhe Synode berufen werden, „von alters her eine Lieblingsidee 
unseres Kurfürften, um auch durch diejes wichtige Ereignis feine Regierung zu 
verewigen.” Unter Mitwirfung und Vortritt der erſten Kirchenfürften des 
Reihe ſchien fih eine Trennung von Rom, die Gründung einer beutjchen 
Nationalfirhe vorzubereiten. 

Das Schidjal der Emfer Punftation hing vor allem von der Aufnahme 
bei Kaijer Joſeph ab. Das bisherige Verhalten des Kaiſers gegen ben römi— 
ſchen Stuhl geftattete die Folgerung, daß er die Bundesgenoifenjchaft der 
deutihen Erzbifhöfe im Kampfe mit Rom freudig begrüßen werde. Dieſer 


104 Erftes Buch. Dritter Abſchnitt. 


Hoffnung ift auf einem vielverbreiteten Bilde Ausdrud gegeben. Die vier Erz: 
biſchöfe figen einträdtig beifammen unter einem Bildnis bes Kaijers, das bie 
Unterschrift trägt: „Schirmvogt der deutſchen Kirche”, im Hintergrunde fieht 
man in einem mit päpftlihem Wappen gezierten Wagen den Nuntius abfahren, 
Der jüngere Bruder des Kaifers, Großherzog Leopold von Toskana, ſprach 
fih in den Briefen an Joſeph begeiftert für eine entſchloſſene Jnitiative zu 
Gunften der Erzbifhöfe aus. Jetzt eine Nationalfynode, ein aufrichtiges, feites 
Zufammenwirten von Kaijer, Klerus und Volf, und das deal der Willegis 
und Aribo werde zur That und der Schimpf von Kanofja werde gejühnt 
werden! Schubart frohlodte: 


„Deutfche zerbrachen die ſchändlichen Feſſeln 

Der kriegeriſchen Roma! 

Schon zerren ſie an den noch ſchändlicheren Feſſeln 
Der kirchlichen Roma .. .!” 


Alein Kaifer Joſeph verhielt ſich gegenüber den antipäpftlihen Demon: 
Itrationen der Erzbiichöfe überrafchend fühl und ablehnend. 

Anfänglih ſchien es, ald wolle er feinen Arm nicht verfagen. „Die vier 
Erzbiſchöfe Deutſchlands,“ fchrieb er am 21. November 1786 an Bruder Leopold, 
„baben fi wegen des Mißbrauchs der Disziplinargewalt, die fi der römiſche 
Hof durch feine Nuntien beilegt, bei mir beſchwert und ihre Reformpläne vor: 
gelegt. ch habe fie angefeuert, fie jollten fich mit den jtimmbefähigten Biſchöfen 
ins Benehmen jegen, um gemeinfam mit ihnen das römische Joh abzuſchütteln.“ 
Leopold ermwiderte: „Die Vorſchläge der Biſchöfe jcheinen mir im gegenwärtigen 
Augenblid von allergrößter Wichtigkeit zu fein. Ich glaube, daß fie ſchon des— 
halb, weil jie fih an Sie gewendet haben, alle geiftlihen Fürften dafür ge: 
winnen werden, das felbitjüchtige, dejpotiihe römische Joch abzujchütteln. Man 
muß die Biſchöfe unterftügen und aneifern, man muß die Aufhebung ver 
Nuntiaturen in Deutichland, vor allem die in Wien, durdjegen und nur einfache 
Gejandte, wie fie von anderen Staaten gejhidt werden, zulaflen, man muß 
ihnen jede Gerichtsbarkeit nehmen und niemals Geiftlihen zu diefen Poſten Zus 
tritt gewähren, man muß die Biihöfe und geiftlihen Fürften Deutſchlands ver: 
anlajjen, zujammenzutreten und ein nationales Konzil oder eine Synode zu be: 
rufen, wo fie jelbit ihre Beichwerden gegen Rom beraten, ihre Selbftändig: 
feit wiederherſtellen und alle von Rom geraubten Rechte fich wieder an— 
eignen fünnen.” Doch der Kaifer wurde bald aus einem lauen Freunde ein 
Gegner der Bewegung. „Eine deutſche Nationaljynode,” jchrieb er an Leopold 
(14. Dezember 1786), „würde niemals zu Ende gehen, und gewiß würden fich 
die Herren babei mehr mit anderen Dingen ala mit firdhlihen Reformen be: 
ihäftigen.” Offenbar fürdhtete der Kaifer, die deutſchen Kirchenfürften möchten 
ih erlauben, die Berechtigung der vom Kaiſer für Oeſterreich angeordneten kirch— 
lien Einrihtungen zu prüfen, und glaubte vom Papſte weniger bejorgen zu müfjen, 
als von benachbarten Vertretern einer Nationalkirche. Er verhieß zwar den Emfer 
Verbündeten feinen Schuß, betonte aber, daß die Durchführung der Beichlüffe von 
der Zuftimmung der Biihöfe, fowie ber weltlichen Reichsſtände abhängig fein 


Der Thronwechſel in Preußen. Die deutihen Mittel: und Kleinftaaten. 105 


werbe, Durch dieſe ablehnende Haltung des Kaiſers war ber römiſchen Kurie bie 
Möglichkeit geboten, durch Fuge Benügung der Umftände und der Schwächen ihrer 
Gegner den mweitjehenden Plan zu nichte zu machen. Es gelang, die Eiferfucht 
der Bilhöfe rege zu machen. Der Fürſtbiſchof von Speier, im übrigen als 
Anhänger der Joſephiniſchen Ideen befannt, wurde der Führer der Oppofition 
gegen die „Uebergriffe” der Metropolitane; Pfalz-Baiern vertrat entichlofjen feine 
Souveränitätsredhte, die für die Zulaflung einer Nuntiatur ausreichend feien, 
und drohte mit Ablöfung von jeder Metropolitangewalt. Auch dur die Vor: 
gänge in Brabant wurden die Erzbiſchöfe eingefchüchtert: Aehnliches konnte fi 
jeden Augenblid am Rhein abipielen. Die Haltung bes preußiſchen Kabinetts 
war lau und zweideutig; während preußifche Diplomaten öffentlich zu Gunften 
der Erzbiihöfe auftraten, wurden von der Regierung dem römijchen Stuhl weit: 
gehende Zugeftändniffe angeboten.!) Unter folhen Umftänden konnten auch bie 
Verhandlungen auf dem Regensburger Reihstage zu feinem andern Ziel führen, 
als daß ben widerfpenftigen Kirchenfürften der Rat gegeben wurde, durch güt- 
lihen Bergleih mit dem Papite eine Entjcheidung über die flrittigen Fragen 
herbeizuführen. Zuerſt ſchloß der Mainzer durch Vermittelung Preußens Frieden 
mit Rom; dann trat unter dem beunruhigenden Eindrud der Vorgänge in 
Frantreih Clemens Wenzeslaus von Trier, „da jetzt die Einigkeit zwiichen Haupt 
und Gliedern ganz bejonders nötig jei”, von der Emfer Punktation zurüd; 
Köln folgte diefem Beifpiel; nur der Fürftbiihof von Salzburg, Hieronymus 
Colloredo, der ſich offen zu den Febronianiſchen Grundjägen befannte, war nicht 
zu bewegen, den in Ems vertretenen Standpunkt aufjugeben. 

Die Organifation eigener Landesbistümer und die Emſer Bewegung ließen 
auch den Gedanken einer Säfularifierung der geiftlihen Gebiete in Deutſch— 
land wieder aufleben. Schon vor vierzig Jahren hatte Friedrich II. dieſer 
Idee an den europäifchen Höfen Eingang verihaffen wollen; Kaifer Karl VII. 
ſollte für den Verzicht auf die öÖfterreihiihe Erbſchaft durch fäkularifierte 
Hochſtiftsgebiete entichädigt werden.) Damals war der Plan, der das Haus 
Defterreich einer wichtigen Stütze beraubt hätte, gejcheitert, weil die Kunde zu 
früh in die Deffentlichfeit drang und bei den Reichsſtänden fo ſtürmiſche Ent: 
rüftung wachrief, daß der Kaijer für gut fand, feine Beteiligung abzuleugnen 
und ein für allemal abzulehnen. Auch König Friedrih gab den Plan auf, ja, 
bei der Stiftung des Fürftenbundes legte er großes Gewicht darauf, daß auch 
geiftlihe Fürften fih mit feiner Schöpfung befreundeten. Trogdem lag ber 
Säfularifationsgedanfe ſchon fozufagen in der Luft. In Schlözers „Staats: 
anzeigen” wird jchon 1786 die Frage aufgeworfen, weshalb doch in den geift: 
lihen Fürftentümern, die doch Wahlmonardieen feien und zu den gejegnetiten 
Provinzen des Reichs zählten, die Unterthanen nicht jo glücklich jeien, wie in 


) Münd, 851. 

2) Daß nit, wie Ranfe, Zwölf Bücher preußiicher Geſchichte, V, 80, meint, Karl VII., 
fonbern Friedrich II. der Vater des Sälularifationsprojeft3 war, hat Volbehr, Der Urſprung 
des Sälularifationsprojeft3 in den Jahren 1742 und 1743 (Forfchungen zur deutichen Geſchichte, 
26. Band, 265) nachgewieſen. 


106 Erfted Buch. Dritter Mbfchnitt. 


andern Staaten, und bie Frage wird dahin beantwortet, daß bie Urſache in der 
BVerweltlihung und dem Strebertum der Prälaten zu finden fei; deshalb könne 
die Aufhebung von Staaten, deren Eriftenz gegen bie erſten ftaatswirtjchaftlichen 
Grundjäße verftoße, nur noch eine Frage ber Zeit fein.) Man könnte ein: 
wenden, daß biefe Auffaffung nur aus Schlözers feindjeliger Gefinnung gegen 
die Priefterfchaft zu erklären jei, aber aud der römiſche Nuntius in Köln, 
Bartolomeo Pacca, äußerte fih auf ähnlihe Weife. Im Berichte über feine NReije 
nah Berlin im Sommer 1786 verfichert er, daß in den Ländern geiftlicher 
Fürften die Furcht vor bevorftehender Säfularifierung noch peinlier empfunden 
werde, als jelbft ver Steuerdrud in den preußijchen Staaten.?) — 

Je Eräftiger fich infolge des Verfalls der Reihsverfaffung einzelne Staaten 
entwidelt hatten, beito unhaltbarer wurde die Lage der kleineren und Fleiniten 
Souveräne. Aus dieſen wunderlihen Staatögebilden war längft die Kraft zur 
Behauptung ihrer Selbitändigfeit entſchwunden; nur die Macht der Gewohnheit 
und die Eiferfucdht der Stärferen ftüßte noch die Ohnmädtigen. Welch geringen 
Shut die Reihsverfafjung bieten fonnte, war im bairifchen Erbfolgefrieg zu 
Tage getreten. An der Reichsverfaſſung hatte man gebaut und fortgebaut mit 
beuticher „Gründlichkeit”, aber als der mittelalterlich verfchnörfelte, immerhin 
ftattlihe Bau fertig war, zeigte fih in erfchredender Weile, daß die Grund: 
feſten durch die unaufhörlih von Nord und Oſt und Weit heraufgejogenen 
Stürme ſchweren Schaden erlitten hatten. Es bedurfte nur eines bejonders 
heftigen Stoßes, um die verworrenen territorialen und ftändifchen Verhältniſſe 
über den Haufen zu werfen. 

Der Abfolutismus zeigte ſich nirgend in fo abjchredender Geftalt, wie an 
den Höfen der Eleiniten Machthaber. Hier wurde am eiferfüchtigiten die Re— 
jpeftierung des Gottesgnadentums gefordert; hier wurden fremde Abenteurer 
gehätjchelt, während die einheimischen Talente nur Bettelfuppe aben; bier war ber 
Adel am kläglichſten in Käuflichfeit und Wohldienerei verjunten; hier gab es 
Präfidenten und Hofmarfchälle, wie fie — freilich nicht ohne Uebertreibung — in 
der Sturm: und Dranglitteratur geſchildert werben; hier diente das von Höflingen 
erfundene, „witzige“ Wort zur Rihtihnur: „Der Bauer gleicht einem Mehlfad; 
ift er auch ſchon geleert, jo ftaubt er wenigftens noh, man muß ihn nur 
tüchtig Elopfen!” Dem Wehritand war ein unmürdiges, hartes Los bejchieden. 
Bedauert doch jogar ein jo überzeugter Anhänger der beftehenden Ordnung, wie 
der homburgiſche Geheimrat von Creuz, die Soldaten, die „durch oft wieder: 
holte, einförmige Kriegsübungen bis zum Sterben ermübdet, in engen Monturen 
wie an Ketten gejichloffene Miffethäter gemartert, ... halb zu Tode gepeitichet 
und mit Prügeln, wie die Hunde zur Jagd, alſo ‚zum Kriege dreffieret‘ wer: 
den.“ °) Bitter tadelt Creuz auch die Maitrejienwirtichaft, den Kleiderlurus, den 
Jagdunfug der Eleinen Höfe. „Man wird nicht Urſache haben,” jagt er in ben 
1767 veröffentlichten „teutichen Gedanken”, „Sich zu verwundbern, wenn einmal 


) Staatsanzeigen, Jahrgang 1786, 385. 
) Memorie storiche di monsignore Bartolomeo Pacca, 98. 
>, Creuz, Bermifhte Anmerkungen, in Reue politiiche Kleinigkeiten, 37. 


Der Thronwechſel in Preußen. Die deutihen Mittels und Kleinftaaten. 107 


bey einer Hauptrevolution biefem oder jenem Hofe feine weiteren Maßregeln 
übrigbleiben jollten, als per notarios et testes zu proteftieren. . . . Wer fieht 
nit große Revolutionen voraus?“ !) In den geiftlihen Fürftentümern ließen 
die Landſtände, die freilih auch nicht jelten gegen eriprießlihe Reformen ſich 
fteiften, den fürftlihen Abjolutismus nicht in fo gehäjligen Formen zur Herr: 
ihaft gelangen; durch ſtändiſche Kontrolle wurden allzu drüdende Befteuerung 
und übermäßige Begünftigung von Ausländern abgewehrt. Dagegen hatten ſich 
die Eleinen weltlihen Landesherren der läftigen Bevormundung längft entledigt, 
oder das ſtändiſche Inſtitut war zu einer Steuerbewilligungsmafdhine herab- 
gewürdigt. Und dba des Geldes nie genug vorhanden war, wurden bier noch ohne 
Scheu jene abjheulihen Finanzkünfte angewendet, die in größeren Staaten längft 
verpönt waren, Der tiefite wirtihaftliche Verfall zeigte fih in den fpannelangen 
reichsritterſchaftlichen Befigungen. Wenn eine Ortichaft befonders herunter: 
gefommen und verlottert ausjehe, jagt Mofer, brauche man nicht erit nad) der 
Herrſchaft zu fragen, jiher habe man ein ritterfchaftliches Dorf vor ſich. 
Trübjelig jah es auch in den Reihsftädten aus, bie ehedem der Stol; 
des Reiches und, wie früher die Klöfter, Jahrhunderte hindurch die Träger der 
Bildung geweſen waren, in deren Kulturleben der deutſche Volkscharakter jeinen 
glücklichſten Ausdrud gefunden hatte. Wohl erinnerte nod mandes, zumal in 
den größeren Kommunen, die auf der rheiniihen Bank ſtimmberechtigt waren, 
3. B. der Reichtum der Wobhlthätigkeitsitiftungen, an die entſchwundene Blüte. 
In Hamburg, Lübeck, Frankfurt ꝛc. fehlte es nicht an reichen Bürgern, und in 
vielen Familien hatten fih die Schlichtheit, die Biederkeit, die Kunftliebe der 
Vorfahren erhalten. Ein Paul von Stetten der Jüngere, der Geihichtichreiber 
jeiner Vaterftabt Augsburg, fann als ein treffliher Vertreter deutjhen Bürgertums 
gelten, und die Schilderungen Goethes aus feinen Frankfurter Jugendtagen bieten 
im allgemeinen doch ein anziehendes, liebenswürdiges Bild. Doc die ängftliche 
Abſchließung der ratsbürgerlihen Familien, das eiferfüchtige Feithalten an ver: 
alteten Formen des ftädtifhen Regiments, ber Nepotismus oder die „Ketten: 
freundfchaft”, wie der deutihe Ausdrud in einer Ehlinger Satire lautet, ?) 
hatten in den kleinen NRepublifen unendlihen Schaden angeſtiftet. An Stelle 
der großen Kämpfe des Mittelalters gab es Stürme im Wafjerglas, die aber 
das Gemeinweien nicht weniger ſchädigten als jene. An Gemeinfinn fehlte es 
den Herren, wie den Zünftlern, dagegen wetteiferten beide im Hang zu Wohl: 
leben und Schmelgerei. Kirmeſſen und Wallfahrten, Scheibenſchießen und 
Schwörtage gaben erwünjchte Gelegenheit zu Gaftereien, die größtenteils auf 
Rehnung der gemeinen Kaffe gingen. „Nur der Bauch ift der Reichsſtädter 
Abgott,” ſpottet in einer 1785 erſchienenen Flugſchrift ein „deuticher Staate- 
bürger”, „alle übrigen geiltigen und nur den feineren Sinnen gewibmeten ge: 
ſellſchaftlichen Vergnügungen müſſen diefem weichen!“ ) „Man kann bey ber 


1 

) Ereuz, 47. 

2) Ad. Wohlwill, Weltbürgertum und Baterlandsliebe der Schwaben, inöbefondere von 
1789—1815, 7. 

®) Meber einige Reichsſtädte Teutihlands, von einem Staatsbürger, 14. 


108 Erftes Bud. Dritter Adfchnitt. 


gegenwärtig beinahe allgemeinen inneren Gährung ber Reichsftädte auf eine vor: 
bandene, jehr bösartige Materie in ihrer Verfaſſung jchließen und eine nahe 
Revolution, die um jo weniger verhindert werben fann, als fie in der Natur 
der Sache liegt, vorherjagen.” Für die verlotterten, verjchuldeten Gemeinweſen 
gebe es nur eine Rettung: „ein freiwilliges, engeres Band mit dem Faijerlichen 
Hofe.” 1) Die Satire des Zeitalters holte ſich ihre Stoffe mit Vorliebe aus 
den Reichsftäbten, es fei nur an Wielands Meifterwerf, die föftlichen „Abderiten“, 
erinnert. Insbeſondere Wedhrlin, den die Nörblinger Philifter geärgert hatten, 
verfolgte mit graufamem Hohn die „nafenlange Nördlinger Welt”, das „von 
der Abzehrung begriffene Augsburg”, die „Schurzfledmajeftaeten” der ſchwäbiſchen 
Neichsftäbte, die „wie Spinngewebe in ber deutſchen Monardie bangen“. ?) 
„Dieje 51 Nepublifen, von welchen die mäcdhtigite nicht 4000 wehrhafte Leute 
ins Feld ftellen kann und die geringfte eine Straße lang ift,“ verfichert ein 
faiferlicher Publizift, der fi unter franzöfifhem Pſeudonym verbirgt, „ind ein 
fteter Gegenitand des Spottes und der Verachtung des andren Teiles der Nation, 
welcher ich nicht zu ihnen rechnet.” Die armen Tröpfe, deren Rolle in ber 
Geſchichte ausgejpielt wäre, könnten zur Zeit nichts Beſſeres thun, als freiwillig 
den Anſchluß an größere Staaten oder den Schutz des großmütigen Kaijers 
juchen.®) 

Doch aud in den Kleinitaaten, wie wenig erfreulich im allgemeinen die 
berrfhenden Zuftände waren, fehlte es nicht an rühmlichen Erſcheinungen; auch 
bier gab es Fürften, die ihren Beruf gewiſſenhaft auffaßten und ihren Pflichten 
getreulih nachfamen. Nur ein Name ſoll bier genannt werden, ein Name, 
der mit der Auferftehung des deutichen Geiftes unauflöslic verknüpft ift, Karl 
Auguſt von Weimar. Läßt jich doch das Jahr 1771, in welchem Wieland von 
der geiftvollen Herzogin Anna Amalia als Erzieher des vierzehnjährigen Karl 
Auguft nah Weimar berufen wurde, gewilfermaßen als Anfang der klaſſiſchen 
Periode unjrer Litteratur bezeichnen. Die Hoffnung, daß Kaifer Joſeph die führen- 
den Geilter des Vaterlandes um ſich fammeln werde, war nicht erfüllt worden, 
die deutihe Muſe irrte noch umber, wie die freißende Latona, um ein Aſyl zu 
finden, wo fie ihre Götter gebären könne, — da ftieg als jchirmendes Delos 
ein bisher wenig genanntes und befanntes mitteldeutiches Städtchen empor, und 
bald zog die hier fich entwidelnde litterarifche Bewegung blühenden Geifteslebens 
die Blide der aanzen gebildeten Welt auf fih. Zwar der Dichter des Neuen 
Amadis war nicht der Mann, unjrer nationalen Poeſie Schwung und Richtung 
zu geben, aber der junge Herzog felbit fand den Größeren, deſſen Genius bie 
Nefidenz an der Ilm auf ein halbes Jahrhundert zum leuchtenden Mittelpunkt 
des Geilteslebens der deutichen Nation erhob. Nur ein Fürft, der jelbit große 
Eigenihaften des Herzens und bes Geiftes befigt, vermag die Größe andrer 


) Ueber einige Reichäftäbte, 25. 

2) Anfelmus Rabiofus, Reife durch Oberbeutichland, 67. Graues Ungeheuer, X, 193 ff. 

) Vhilofophiiche Bemerkungen über die Republiten überhaupt und bie freien Reichöftäbte 
insbefondere. Aus dem Franzöſiſchen des Herrn Serieur le Sonnant wörtlich überſetzt (Amiter: 
dam 1787), 32, 52 ff. 


Der Thronmwechfel in Preußen. Die deutfchen Mittel: und Kleinftaaten. 109 


zu erfennen und ihre Fähigkeiten zum Vorteil des Staates zu verwerten. Es 
zeugt vom Scharfblid des jungen Herzogs, daß er bei einem kurzen Beſuche in 
Frankfurt die Ueberzeugung gewann, der Verfaſſer des Göß und des Werther 
fei auch andern Anforderungen, als fie an Dichter geftellt zu werben pflegen, 
gewachſen. Obwohl alle Welt den Schritt mißbilligte, ernannte er unmittelbar 
nah jeinem Regierungsantritt den jehsundzwanzigjährigen Dr. Goethe zum 
Mitglied des Geheimen Eonfeil und erwarb fih damit zugleich einen Diener, 
Lehrer und Freund ohnegleihen. „Einen Mann von Genie,” erwiderte er dem 
warnenden Minifter v. Fritih, „an einem andern Orte zu gebrauchen, al& wo 
er jelbft feine außerordentlihen Gaben gebrauchen kann, heißt ihn mißbrauden!” ') 
Freilich folgte zunächſt die „tolle Zeit”, in welcher fih der Herzog und ſein 
Günſtling zügellos ihrem jugendlichen Uebermut überliegen und das ftille, fteife 
Refidenzftädtchen aus Nand und Band braten, jo daß es nicht bloß die Prüden 
und die Pedanten erjchredte. Der öffentlihen Meinung galt natürlich der 
Sturm: und Drangdichter als Verführer. Herder urteilte noch milde, indem er 
annahm, daß Goethe abjichtlich den Herzog zu Ercefien verleite, um die Scief: 
beiten der allzu Fünftlichen Erziehung gut zu macden.?) Noch 1785, als Goethe 
und Karl Auguſt längit ſchon zur Befinnung gefommen waren, jchrieb der 
„reifende Franzofe” (der Schweizer Rißbeck): „Goethe ift in vielen Dingen aus 
Grundjag für das Natürliche, Auffallende, Kühne und Abenteuerlihe; er ift der 
bürgerlihen Polizey ebenjo feind als der älthetiihen; feine Philoſophie grenzt 
ziemlih nahe an die Rouffeaufche,”?) Ohne Zweifel war aber Karl Auguft in 
feinem leidenfchaftliden Drang nad Uingebundenheit und Abenteuern der Ton: 
angebende. „Der Herzog,” erzählte Goethe jpäter, „wußte mit feinen Kräften 
nicht wo hinaus, und wir waren oft jehr nahe am Halsbredhen ... Ein Herzog: 
tum geerbt zu haben, war ihm nichts, aber hätte er fich eines erringen, erjagen 
und erftürmen können, das wäre ihm etwas geweſen.“ 

Doch in Weimar hatte es nicht wie an andern Eleinen Höfen bei Trinf: 
gelagen und Mummenfhanz jein Bewenden. Die Regierung wurde niemals 
vernachläſſigt, eher läßt fi jagen, daß zu viel experimentiert wurde, doch ijt 
auf wichtigen Gebieten ein glüdliher Fortichritt erfennbar. Da dem Herzog, 
wie er gelegentlich eines Vorſchlags zur Verbefferung des Gymmnafiums erklärte, 
„der allgemeine Glaube lächerlich erihien, dab dem allermenjhlichften von allen 
menſchlichen Begriffen, der Erziehung des Menſchen, im Aftenftil und modo voti 
aufgeholfen werde,” berief er zur Reform des Kirchen: und Schulmefens den 
geiftvolliten Theologen des Zeitalters, Herder. Die Rechtspflege wurde durch 
neue Gejegbücher gehoben; für Bergbau, Feld: und Forſtwirtſchaft erließ Goethe, 
jelbft ein inniger Naturfreund, manche erfprießliche Anordnung. Doch wie Goethe 
trog erniter Hingabe an die Staatsgejchäfte zu vielfältigen wiſſenſchaftlichen 
Studien und poetifhen Schöpfungen Muße erübrigte, jo ſuchte auch der 
Herzog höher zielende Aufgaben auf; eifriger und einfichtsvoller als die meiften 


i) Wegele, Karl Auguft von Sachſen-Weimar, 23. 
?) Haym, Herder nad; feinem Leben und feinen Werfen, II, 14. 
?) Briefe eines reifenden Franzoſen über Deutichland, IL, 56. 


110 Erftes Bud. Dritter Abfchnitt. 


Standesgenofien wandte er aud den Reichsangelegenheiten jeine Fürjorge zu, 
und wiederholt war jein Eingreifen von wichtigen Folgen begleitet. Schon im 
Sommer 1778 bejuchte er König Friedrih in Berlin, um fi mit ihm über die 
deutjche Lage und die Abwege der öfterreihifchen VBergrößerungsgelüfte zu beraten. 
Sogar die dee eines Fürftenbundes tauchte damals jhon in Weimar auf, 
freilih mit ganz andern Abfihten und Zielen, als fie jpäter dem Werke König 
riedrihs zu Grunde lagen. Die im Winter 1778 von Preußen erhobene 
Forderung, es möge im Weimarifchen die Werbung von Soldaten für den böh— 
mijchen Feldzug geftattet werden, jegte den Weimarer Hof in Berlegenheit; der 
Wunſch des übermächtigen Nachbars konnte nicht abgelehnt werden, andrerjeits 
war zu befürdten, daß Defterreih das AZugeftändnis an den Gegner ahnden 
werde. Goethe, zu einem Gutachten aufgefordert, riet zu dilatoriiher Behandlung 
des preußiichen Antrags, zugleich aber zu freundichaftlicher Verbindung „mit wohl- 
gelinnten Mititänden, deren Länder diefen oder ähnlichen Unannehmlichkeiten 
ausgejegt jeien, (um fi) ſolchen Zumutungen ſtandhaft widerfegen zu können;“ 
daraus würben ſich wohl noch weitere glüdlihe Folgen entwideln.!) Alſo eine 
Art Triasidee! Ein Bund von Mittel: und Kleinftaaten zur Behauptung ihrer 
Selbitändigfeit gegen Defterreih und Preußen! Den Reihsftänden war ja das 
Recht, ſich untereinander zu verbünden, durch die Reichsverfaflung verbürgt, und 
fie hatten ſich wiederholt desjelben bedient, wenn das Oberhaupt nicht that, was 
jeines Amtes, oder that, was nicht feines Amtes war. Uebergriffe der faijer: 
lihen Gewalt wurden aber, namentlich feit Joſeph durch den Tod feiner Mutter 
jreiere Hand gewann, immer allgemeiner befürchtet; deshalb fand der Gedanke 
eines Schuß: und Trugbündnijjes an verjchiedenen Höfen freunde. 1782 ver: 
handelte der badiſche Minifter Edelsheim darüber mit Weimar. „Jedem deut: 
ichen Herzen und befonders einem freien Fürftenfinn,” jchrieb er an Karl Auguft, 
„muß es wehe thun, die Sklaverei mit jo ftarfen Schritten auf das Vaterland 
ftürmen zu jehen und zu fühlen, daß fein Band mehr unter den Gliebern des 
ganzen Körpers eriltiert, die, wenn fie verbunden wären, einerlei Sinn hätten 
und Gut und Blut für Freiheit wagen wollten, gewiß den jo jyftematifchen, 
langjamen Drud ihrer Nebenlieger no lang aufhalten könnten.) Zugleich 
Ipriht aber Edelsheim jein Bedauern aus, daß man fi heute nicht mehr an 
Frankreich und England halten könne, da diefe Mächte, ehedem „Starke Eichen”, 
heute nur no „ſchwache Rohre” wären. Troß diefes Bedenkens wurden aber 


') Erbmannädörffer (Aus den Zeiten des deutichen Fürftenbundes, 1885) bat auerft auf 
das intereffante Aftenftüd aufmerffam gemacht. Noch eingehendere Würdigung lieh ihm Ottokar 
Lorenz (Goethes politiihe Lehrjahre, 1893) zu teil werben, doch ſcheint mir die Behauptung, 
eö könne „fein Zweifel darüber fein, daß man es in diefem Ratſchlag unfres Dichters mit nichts 
Geringerem, als mit der eigentlichen Uriprungsidee des Fürftenbundes zu thun bat“ (S. 59), 
zu weit zu gehen. Lorenz ift, wenn fich ein „Kompendienjchreiber” die Bemerkung erlauben 
darf, in denfelben Fehler verfallen, den er an andern rügt, baf „fie fich durch den Namen ber 
Unionsbeftrebungen beftimmen laffen, alle ähnlichen Bünbniffe unter die gleihen Geſichtspunkte 
zu bringen“ (S. 66). Der Gebanfe einer Fürftenaffociation war noch früher ſchon in Heſſen— 
Kaſſel aufgetaucht; Graf Schlieffen hatte bald nach Beendigung des fiebenjährigen Krieges dahin 
zielende Unterhandlungen mit Kurpfalz angelnüpft. 

2) Lorenz, 62. 


Der Thronwecjel in Preußen. Die deutſchen Mittel: und Kleinftaaten. 111 


mit Frankreich geheime Unterhandlungen angefnüpft; auch Karl Auguft ließ fi 
— trog der Warnungen Goethes — dazu verleiten. Die füderativen Pläne 
iheiterten jedoh an einem Hindernis, an welchem die unter dem Namen bes 
Gruppenfyitems bis in bie neuefte Zeit hinein vererbte Politik immer gejcheitert 
it, an der Unmöglichkeit, die Eiferfucht der mittleren und kleineren Staaten 
gegeneinander und die darin beruhende Abftoßungsfrajt ohne einen mit mäch— 
tiger Anziehungskraft ausgeitatteten politiihen Mittelpunft zu überwinden. Ein 
folder Mittelpuntt war erſt gegeben, als König Ariebrih, dem die Bewegung 
nicht unbefannt geblieben war, den Gedanken auffaßte und mit jugendlicher 
Kraft die Stiftung eines Bundes „nah ſchmalkaldiſchem Mufter” betrieb. Karl 
Auguft wirkte, obwohl ihm eine militärifch organifierte Union anfänglich Be: 
denken einflößte,!) zum Gelingen bes Planes eifrig mit.?) Er bejudte in 
Friedrihs Auftrag befreundete Höfe, um die Scheu gegen einen Bunb mit 
preußijher Spite zu befämpfen, doch wurde auch von ihm mit Nahdrud 
betont, daß er die Führung Preußens nur jo lange anerkennen wolle, als die 
deutichen Intereſſen mit ben preußifchen zufammenfielen. Er betrachtete über- 
haupt den Fürftenbund weniger vom Standpunkt der Politif, als der Natio: 
nalität; das gefunfene deutjche Anfehen jollte dadurch gehoben, der Reichsver— 
fafiung wieder Lebenskraft zugeführt werden. Gerade damals, da Goethe, in 
dem der Dichter zum Durchbruch fam, um „den heißen Durft nad wahrer Kunit 
zu ſtillen,“ Mantelſack und Dachsranzen in eine Poftchaife padte und nad) 
Stalien entfloh, entfaltete der Herzog, dem jebt die Jahre „die rechte Richtung 
feiner Kraft gegeben” hatten, eine umfafjende politiihe Thätigfeit. Nach dem 
Ableben des großen Königs fteht Karl Auguft eine Zeitlang im Mittelpuntt der 
Reichspolitik. Deshalb wollte man auch in Rom nicht alauben, daß der Günit: 
ling des Herzogs von Weimar nur zu antiquariichen Studien die Hauptitabt der 
fatholifchen Chriftenheit aufgejucht babe. Der Ffaiferlihe Gejandte, Kardinal 
Herzan, hatte ein wachſames Auge auf den myjteriöjen Neifenden und ließ ihn 
dur feinen Sefretär in der Dfteria Campanella ausforichen, ja jogar Goethes 
Briefe wurden durd Herzans Späher aufgefangen und durchſucht.“) Auf faifer: 
liher Seite wurde befürchtet, der Weimariſche Minifter trachte in Rom für eine 
vertrauliche Annäherung des preußifchen Hofes an den römifhen Stuhl und die 
Bewerbung eines preußiihen Prinzen um die Mainzer Koadjutorie die Wege 
zu ebnen. In Wirklichkeit hatte Goethe feine derartigen geheimen Aufträge, 
und Karl Auguft fuchte nicht einem preußiichen Prinzen, fondern dem Würz- 
burger Domfjcholafter und Univerfitätsreftor Karl Theodor von Dalberg die 
Anwartihaft auf den Kurftuhl Frievrih Karls zuzumenden. Diejer in den 
Vierzigern ftehende Gelehrte, dem ſpäter eine fo einflußreihe Nole beſchieden 
fein jollte, begann bereits bie allgemeine Aufmerkjamfeit auf ſich zu ziehen. 


!) Lorenz, 79. 

2) Ranfe, Die beutfchen Mächte und ber Kürftenbund, I, 216 ff. 

) Brunner, Theologiihe Dienerfhaft, 151, veröffentlicht einen Brief der Frau Rath 
an ihren Sohn vom 17. November 1786, der in den Aften ber Gejandtfchaft liegen ge: 
blieben war. 

) Brunner, 157, 161 ff. 


112 Erftes Bud. Dritter Abſchnitt. 


Welch überfhwenglihe Hoffnungen auf ihn gejegt wurden, beweiſt Schubarts 
2ob. „Ich kenne feinen großen deutſchen Mann, dem das Glück fo viel Gered: 
tigkeit wiederfahren läßt, als unferm Dalberg, mir ift aber auch fein Mann 
befannt, der bei fo viel Genie, fo tiefer Gelehrſamkeit die bemunderungswürdigite 
Melt: und Menſchenkenntnis befigt, der zwifchen der päpftlichen Hierardie und 
den Rechten der deutihen Kirche jo äußerft geihicdt zu balancieren weiß, und 
der bei Katholifen und Proteftanten in gleich großer Verehrung fteht, als 
Dalberg.” ') 

Dalberg galt als gemäßigter Anhänger der liberalen Grundjäge Emmerich 
Joſephs; in der Emjer Bewegung hatte er fi klug zurüdgebalten, jo daß er 
im deutſchen, wie im römiſchen Lager als Bundesgenofje angejehen war. Durch 
Begünftigung diefes Diplomaten in der Eoutane hofften die preußifche Regierung 
und ihre Freunde, den öfterreihifhen Einfluß in Mainz abzuwehren und dem 
Fürftenbunde einen nüglihen Anhänger zu fichern.?) 

Die Stiftung des Fürftenbundes it nit bloß im allgemeinen eine 
wichtige Etappe auf dem Wege der Hohenzollern zum Kaijerthrone,?) jondern 
auch von jo weſentlicher Bedeutung für die Kabinettspolitif der nächſten Jahre, 
daß wenigitens mit ein paar Worten nochmals darauf zurüdgegrifien werden muß. 

. Wir haben beobachtet, wie durch Friedrichs des Großen Erſcheinung zum 
erftenmal ſeit Jahrhunderten eine fräftige Regung politiihen Selbitgefühls in 
Deutihland wachgerufen wurde. Cs gab nod feine preußiihe Partei, aber 
gewiß war ſchon in vielen die Weberzeugung lebendig, daß dem preußifchen 
Staat, der einen großen Kurfürjten und einen großen König gehabt hatte, die 
Führung Deutichlands beſchieden fein werde. Der Verfaſſer der „Lebensläufe 
in auffteigender Linie”, Theodor von Hippel, hat einige Jahre jpäter flar und 
bündig diejer Anihauung Ausdrud gegeben: „Den preußiichen Staat halte ich 
für den einzigen, weldher dem Despotismus in Deutihland und einer deutfchen 
Univerjalmonardie entgegenzuarbeiten im ftande ift und aus dem Menjchen: 
recht und wahre Aufklärung ausgehen könnten.) Durd das Bündnis Kaijer 
Joſephs mit Rußland und Franfreih in die Enge getrieben, ſuchte König 
Friedrich Hülfe in engerem Anſchluß an die lebensfräftigeren deutſchen Staaten, 
um „zugleich die allgemeine Stellung Preußens in Europa und die bejonderen 
Verhältnifje Deutſchlands aufrecht zu erhalten.” °) 

Durh den „Aifociationstraftat” vom 23. Juli 1785 verbanden fich die 


) Baterländifche Chronik, Jahrgang 1788, 426. 

2) Brunner, 163. 

2) Ditofar Lorenz glaubt, daß erft von Dohm die Gefhichte des Fürftenbundes fo gebreht 
und gewendet worden jei, daß fie „unferm hiſtoriſchen Gemütäleben zu einer Art von Ber: 
fühnung zwifchen dem gewaltigen Sieger von Roßbach und dem deutſchen Reichsſtandpunkt“ 
verhalf, und will die außerdeutſchen Beftrebungen ftärfer betont wiffen, dod nennt aud er an 
andrer Stelle die Union „ein mit Recht als Vorbild für die Entwidelung unfres heutigen 
deutihen Reichs gepriefenes Einigungswerk“. (Goethes politifhe Lehrjahre, 67, 76.) 

) Biographie des königl. preuß. geh. Kriegsrats v. Hippel in Königsberg, 157. 

5) P. Bailleu, Der Urfprung des deutfhen Fürftenbundes, in Sybels hift. Zeitfchrift, 
41. Bd., 410. 


Der Thronwechfel in Preußen. Die beutfchen Mittel: und Kleinftaaten. 113 


drei Kurfürften von Brandenburg, Sachſen und Braunfhmweig:Lüneburg zu ge: 
meinfamer Abwehr der öfterreihifchen Uebergriffe und zur Aufredthaltung des 
beitehenden Reichsſyſtems; unter den geheimen Artifeln war namentlich der eine 
von Wichtigkeit, daß die drei unierten Kurfürften bei einer künftigen Königs: 
wahl nur nad gemeinjchaftlihem Webereinfommen zu Werke gehen jollten.?) 
Zugleih wurde allen patriotiijhen Ständen der Eintritt in das Bündnis vor: 
behalten. Zunächſt folgten die Herzoge von Sahjen: Weimar, Gotha, Zwei: 
brüden, Braunschweig: Wolfenbüttel, der Landgraf zu Heſſen-Kaſſel, die Marl: 
grafen von Ansbah und Baden und der Fürft von Anhalt-Deflau; jpäter noch 
der evangeliihe Bilhof von Dsnabrüd und die beiden Medlenburg. Bor: 
wiegend waren es aljo norbbeutiche und proteftantifche Mitglieder; um jo wid: 
tiger war es und um jo freubiger wurde es von König Friedrich begrüßt, daß 
auch der erſte Kirchenfürft des Reichs, Friedrich Karl von Mainz, feinen Beitritt 
erklärte. 

Johannes Müller, der kurz vorher in mainzifhe Dienfte getreten war, 
erflärte in einer Flugſchrift, es jei eine Ehrenpflicht, daß „derjenige, der nicht 
für fih und feine Familie, fondern für das Reich der Deutihen Kurfürft und 
für die germaniſche Kirche der erfte Erzbiichof fein will”, durch feinen Beitritt 
einen Bund janfktioniere, den „unjchuldsvolle edle Gerechtigkeit und gemeines Wohl 
empfahlen, die Herzen des Volkes billigten ...“ „Es ift Zeit, fich über bie 
Routine zu erheben: jey katholiſch oder proteftantiich, du bift ein freier teutſcher 
Mann, defien Vorältern lieber haben fterben wollen als dienen!” ?) 

Es war ein bedeutjamer Sieg Friedrichs über die Kaiferpolitif Joſephs! 
Mochten immerhin, abgejehen von Pfalz-Baiern, deſſen Regent aus perſönlichen 
Gründen gegen Defterreih nicht einmal fein Hausreht wahrte, die meiften 
fleineren und Eleinften Reihsftände dem Bunde fernbleiben, jo umfaßte derjelbe 
doch gerabe die fräftigften deutichen Staaten, und durch den Beitritt des Mainzers 
war ihm jogar eine Mehrheit im Kurfürftenfollegium gefihert. Ob Friedrich, 
wie wohl behauptet worden ift, ernftlich fi mit dem Gedanken trug, die Union 
an die Stelle des alten Reichsſyſtems zu ſetzen und das ftaatsrechtliche Ver: 
bältnis der Stände untereinander und zum Reichsoberhaupt in einen Verband 
jouveräner Staaten unter preußifcher Hegemonie und mit Ausſchluß Deiterreihs 
zu verwandeln, ift mehr als zweifelhaft. 

Die Verbündeten waren ja durchaus nicht geneigt, für die Durchführung des 
Bundesgedanfens mwejentlihe Opfer zu bringen; fie beobachteten das Anwachſen 
Preußens nicht weniger argwöhniſch, als die Fleineren Reichsſtände die Ausdeh— 
nung der faijerlihen Macht. Joſeph jelbit beeilte fi, dem Reichstage anzuzeigen, 
daß alle Unterhandlungen wegen eines Ländertaufches aufgegeben jeien?); mit 
der Bejeitigung diefer Gefahr verflüchtigte ſich auch das Intereſſe der Fürften an 
der Union, und wir haben feinen Anhaltspunkt für die Annahme, daß Friedrich 
jelbft noch weitere Schritte zum Ausbau feines Unternehmens beabfichtigt habe. 


') Ranke, I, 232 fi. 
2%. 0. Müller, Bom Fürftendbunde; fämtliche Werte, IX, 292, 295. 
) Dom, Denkwürbigleiten meiner Zeit, III, 129. 
Heigel, Deutfche Geſchichte vom Tode Friedrichs d. Gr, bis zur Aufldfung des deutichen Reiche, 8 


114 Erftes Bud. Dritter Abſchnitt. 


Lebhafte Teilnahme wurde dem Werfe faft nur noch von Karl Auguft von 
Weimar zugewendet. Nach Friedrichs II. Ableben ließ er durch jeinen ehemaligen 
Erzieher, Grafen Görtz, ber in preußifche Dienfte übergetreten war, dem Ber: 
liner Hofe eine Reihe von Vorfchlägen zum Ausbau der Union unterbreiten. 
„Sollte auch der Hof, dem Sie jet dienen, dadurd ein wenig das Anjehen 
der Oberbdireftion verlieren, jo werden Sie dod alles anwenden, um Deutſch— 
land dieſen Dienit zu leiften. So innig ich perfönlih dem preußiichen Haufe 
und den Glievern besjelben ergeben bin, jo muß id doch, vermöge meines 
Standes, no mehr dem allgemeinen Vaterlande und dem Staate, dejjen Mit: 
glied ich bin, anhänglich fein.“ Von den Vorfchlägen des Herzogs war nament: 
lid einer von eminent praftifher Bedeutung; die politifche Union ſollte auch zu 
einer fommerziellen geitaltet, das heißt: es jollte ein deutſcher Zollverein ge: 
gründet werden. Auch die Einführung eines allgemeinen deutichen Geſetzbuches 
für Zivil und Strafrecht wurde als wünjchenswert bezeichnet. ') 

Friedrich Wilhelm II., der als Kronprinz regen Anteil an der Stiftung 
des Bundes genommen hatte, ja denjelben gewiſſermaßen als fein eigenes 
Werf betrachtete, begrüßte den Gedanken, mittels der Union eine Reichsreform 
durchzuſetzen, mit ungeheuchelter Wärme. Weniger ernft gemeint waren bie 
Danfesworte, die Minifter Herkberg den „weiſen Wünſchen“ des Herzogs von 
Weimar jpendete; er ſchlug zugleich Aenderungen vor, die für die Unionsfüriten 
unannehmbar, ja verlegend waren. Der eitle Hergberg, jchrieb Karl Auguit 
an den mainziſchen Landjägermeilter von Stein, habe „nur ein Herz für jeine 
eigenen Subeleien” und wolle nichts florieren laffen, was von andern erfonnen 
ſei. Doch aud dem Kurfürften von Mainz war der Weimarifhe Entwurf an— 
ftößig; es werde peinlichen Eindrud hervorrufen, meinte er, wenn die Union als 
„reformieren wollender Neichsteil" auftrete; der geplante Kongreß werde als 
„Begenreichstag” ericheinen und den Kaifer zu Repreijalien reizen. Nicht tröft 
liher waren die Erflärungen aus Sachſen und Hannover. Sadjen wollte den 
geiftlichen Kurfüriten von Mainz nicht als gleichberechtigt anerkennen, und Hannover 
bradte in Erinnerung, daß die Einigung feineswegs eine Umgeſtaltung der 
Reichsverfaſſung bezwedt habe. Karl Auguft ließ es fich eifrig angelegen jein, 
die gegen feine Neformpläne erhobenen Einwände zu entfräften. Eine ftarfe 
Macht, die Gewohnheit, ſchrieb er an den ſächſiſchen Konferenzminifter Löben, 
ftehe feinem Verſuche, die alte deutihe Denkart zu weden, feindlich entgegen; 
trogdem wolle er nicht ablafjen von feinem Werke; dem Geifte der Trägbeit, 
der auf den Reichsfüriten feit dem meitfälifchen Frieden lafte, müfle ein Ende 
gemacht, der deutihe Nationalgeift müfje wieder lebendig werden. „In den 
Mahnungen und Warnungen des Herzogs”, jagt Ranke, „atmet ein Geift, der 
fähig war, nicht allein die Union zu beleben, fondern die Nation überhaupt.” 
Doch läßt fi nicht leugnen, daß die Vorfchläge des Herzogs, der allen, alſo 
auch den ſchwächſten Mitgliedern der Union gleiche Rechte und Pflichten zugeteilt 
willen wollte, nicht nur mit der Form der Reichsverfaſſung und der hergebracdhten 
Gliederung der Stände unvereinbar, fondern auch für die mächtigeren Reichsſtände 


') Wegele, 50. 


Der Thronwechſel in Preußen. Die deutſchen Mittel: und Kleinftaaten. 115 


unannehmbar waren. Auch unter Habsburgiſchem Einfluß wurde der Ausbau 
der Union befämpft. Der Zufammenfturz des Reiches fei unausbleiblih, er: 
flärte eine Schrift „Etwas vom Patriotismus im deutſchen Reich”, wenn die 
angeblih „patriotiſche Bruderſchaft“ fortfahre, die geheiligte Würde des Reiche: 
oberhaupts anzufallen und zu entehren; es heife die gefchichtlihe Wahrheit auf 
den Kopf ftellen, wenn gegen Defterreih der Vorwurf friedbrüdiger Anfchläge 
erhoben werde, gegen Defterreih, das doch, wie männiglih noch in frifhem An— 
denken trage, von ganz andern Häufern hintergangen, mißhandelt und beraubt 
worden ſei. Das Recht und das Reich vertrete der Kaiſer; ein Feind des 
Reihe ſei alſo jeder, der neben dem Kaiſer eine neue feindlihe Macht auf: 
richten wolle. ') 

Die Warnungen waren jhon nicht mehr nötig. Zwar tauſchten die unierten 
Höfe noch zeitweilig freundfchaftlih und patriotifch Elingende Verſicherungen aus, 
aber fie wünjchten weder einen aufrichtigen Anſchluß aneinander, noch eine kräftige 
Neugeftaltung der deutſchen Verhältniſſe. 

Auch Johannes Müller, der die Schöpfung der Union jo freudig begrüßt 
hatte, fonnte fich nicht mehr verhehlen, dab der Bund geftorben fei, daß man 
nur eine feierliche Beftattung der Leiche für überflüffig gehalten habe. In einer 
zweiten Flugſchrift: „Teutſchlands Erwartungen vom Fürftenbund“ ?) wandte er 
fich entrüftet gegen jene Staatsmänner, die im lebten Werk des großen Friedrichs 
nur einen für den Augenblid errihteten Damm gegen öſterreichiſche Gelüfte jehen 
wollten, nicht den Grund: und Editein eines neuen Reichsgebäudes. 

Da jprehe man immer von bebenfliher Gefährdung der Reichsverfafjuna, 
aber verlohne es fich denn der Mühe, die gegenwärtigen deutſchen Zuftände auf: 
recht zu erhalten? „Ohne Geſetz noch Juſtiz, ohne Sicherheit vor willfürlichen 
Auflagen; ungemwiß, unfre Söhne, unjre Freiheiten und Rechte, unfer Leben 
einen Tag zu erhalten; die bilflofe Beute der Uebermadt; ohne wohlthätigen 
Zufammenhang, ohne Nationalgeift zu eriftieren, jo gut bei ſolchen Umftänden 
einer mag — das ift unjrer Nation Status quo. Und die Union wäre ba, 
ihn zu befeftigen?” Dem Kaifer jelbft könne ja nur erwünſcht jein, wenn unter 
jeiner Regierung dem Reiche eine neue Hoffnung erblühe, denn feit den Tagen 
Marimilians J., die „das Kammergericht, die Kreisverfaffung und das Regiment, 
überhaupt Modell, Grundzüge, Vorarbeit” hervorgebraht, habe es für eine 
patriotiiche Wirfjamfeit feinen günſtigeren Augenblid gegeben, als die Gegen: 
wart. est müſſe endlih der Deutiche feinen BVerftand und feinen Mut be: 
währen, um eine lebensfräftige Reform der Reichsverfafjung durchzufegen, um 
zu gemeinſamem Vaterlandsgeifte vorzudringen, „damit auch wir endlich jagen 
dürften: Wir find eine Nation!” Doch wie fleine Geifter finde der große 
Augenblid! Die Hoffnung der Patrioten auf Reform und Auferitehung ſei dem 
Erlöſchen nahe! „Verflucht jei der Mann, Schande fomme über fein Haupt, 
der den Säumigen das Wort redet! ... Was Satire jeheint, ift leider Ge: 


'; Etwas vom Patriotismus im deutſchen Reich. Bon einem Deutichen mit deutſcher 
Freiheit (1788). 
) Joh. Müller, Sämtliche Werte, IX, 811. 


116 Erftes Bud. Dritter Abſchnitt. 


ſchichte!“ Dem Biedermann bleibe aljo nichts übrig, als gelaffen und gewiſſen— 
haft feinem Fürften weiter zu dienen, „wenn er jeines Landes ober Ländchens 
Vater it.“ „Wen aber der Geilt Gottes treibt, öffentlih für die Rechte der 
Menſchheit zu reden, der ftreue den Samen vernünftiger Freiheit aus, unbejorgt, 
ob er die Frucht davon erlebe. Montesquieu hat mehr gewirft, als 
alle Fürjtenunionen.” 

Mit Net nennt Wend diefe Kundgebung Müllers „einzig in ber damaligen 
Bubliciftit Deutſchlands.“) „Eine Schrift von jo energifchem, zulegt fait revo: 
futionärem Tone, nicht geichrieben im Namen einer reihsftändifchen Oppofition 
gegen den Kaijer, nicht im Namen eines geächteten Fürjten, einer beeinträchtigten 
Religionspartei gegen die Beſchlüſſe der Reihstagsmajorität oder dergleichen, 
ſondern eine Verurteilung des ganzen Neihszuftandes im Namen ber Nation, 
welcher diejer Zuftand zur Schmach gereihe!” Ein Wetterleuchten zudt durch 
diefe Klagen und Verwünſchungen. Wenn die Entrüftung über die verrottete 
Verfaſſung, die Scham ob der Erniebrigung der Nation in vielen deutjchen 
Herzen fo lebendig waren, fann es nicht befremden, daß zwei Jahrzehnte jpäter 
die Zertrümmerung des alten Neichsgebäudes mehr Befriedigung, denn Mitleid 
erregte. „Wenn etwas nicht mehr ftehen kann”, heißt es ſchon in einer Flug: 
ichrift von 1766 ‚Noch etwas zum bdeutjchen Nationalgeift‘, in Bezug auf das 
römijche Neich, „so ift’s nicht ſchade, wenn es in die Grube fällt.” 


') Wend, Deutichland vor hundert Jahren, I, 192. 


Dierter Abfchnitt. 


Per Aufffand in den öſterreichiſchen Piederlanden. Per 
Kampf wwiſchen der vraniſchen und der patriotiſchen Partei 
in Bolland und die preußiſche Intervention. 


ie unter dem Namen Niederlande zujammengefaßten Herzogtümer und 
8§ Grafſchaften (Brabant, Limburg, Luxemburg, Geldern, Flandern, 


Hennegau und Namur) ſtanden mit der öſterreichiſchen Monarchie nur 
in loſem Zuſammenhang. In Brüſſel reſidierte als Stellvertreter des Monarchen 
ein Generalſtatthalter, gewöhnlich ein Mitglied der kaiſerlichen Familie oder des 
höchſten Adels; unter ihm ſtanden der Staatsrat, der Geheime Rat und der 
Finanzrat, welche die eigentlichen Staatsangelegenheiten leiteten. Dagegen war 
die geſetzgebende Gewalt geteilt; die Verordnungen der Regierung bedurften der 
Zuſtimmung des ſtändiſchen Ausſchuſſes. Auch in die innere Verwaltung der 
einzelnen Provinzen hatte die Regierung nicht einzugreifen. Die Rechtspflege 
war jelbftändigen Obergerihten überlaflen; der Große Nat zu Mecheln genoß 
das Anfehen eines oberften Gerichtshofes. Als Richter und Beamte durften 
nur Landeskinder angeftellt werden. Die bewaffnete Macht beftand aus einer 
Art Landwehr, die gegen den Willen der Stände nicht außer Landes verwendet 
werden durfte; nur in den Feltungen lagen einige öfterreichifche Regimenter. 
Nicht bloß neue Steuern beburften der Genehmigung der Stände, fondern auch 
die alten mußten jährlich bewilligt werden. Jeder Regent mußte eiblich ge: 
loben, daß er jeinen Unterthanen ein milder und gerechter Herr jein und ihre 
Gebräude und Rechte nicht antaften wolle. Ja, in dem berühmteften und 
freifinnigiten Freiheitsbriefe, dem „Blyde inkomst* („joyeuse entree*) der 
Herzogtümer Brabant und Limburg!) war jogar (Artikel 59) die Beitimmung 
enthalten, daß die Unterthanen, jals der Negent eines der ftändijchen Grund: 


!, Eine deutſche Ueberſetzung in den „Altenftüden zur Gefchichte der öfterreichifchen Nieder: 
lande“ (1787), 50. 


118 Erſtes Bud. Vierter Abfchnitt. 


geiege verlegen würde, von jelbft ihrer Dienitpflicht entbunden jein follten, bis 
das ihnen geſchehene Unrecht wieder gut gemacht wäre!), eine Beitimmung, die 
von den Brabantern als Anerfennung bes jus revolutionis ausgelegt wurde. 
Auch räumte der „Frohe Willkomm“ dem dritten Stande, der Bürgeridaft, von 
vorneherein eine Bebeutung ein, wie fie andre Verfaffungen nicht kannten. Vom 
Recht der Steuerverweigerung war denn auch im Laufe ber legten Jahrhunderte 
wiederholt Gebrauch gemacht worden; die Regierung hatte ſich für ſolche Not: 
fälle ein Hülfsmittel zurechtgelegt, die „vervanghenisse*, d. h. den Grundfat, 
daß die Uebereinſtimmung von Adel und Klerus an ſich ſchon die Einwilligung 
des dritten Standes nad) fich ziehe. 

Wie man fieht, unterfchied jih die Negierungsform ber jüblichen Nieder: 
lande nicht weſentlich von derjenigen in den Generalitaaten; bier wie dort war 
jede Provinz ein Staat im Staate, nur daß der Statthalter in Brüffel als 
Stellvertreter eines fremden Souveräns, des Herrn der öſterreichiſchen Erblande, 
anzujehen war.?) 

Trogdem galten die Belgier als ein anhängliches, monarchiſch gejinntes 
Boll. Auch von ihnen galt nod das Wort des Hugo Grotius: „Den Nieder: 
(ändern ift Ergebenheit gegen ihren Landesherrn angeboren, wie den Spaniern, 
nur mit dem Unterſchied, daß der Niederländer die Gejege über die Könige 
ſtellt.“ Namentlih Maria Therefia hatte ſich allgemeiner Beliebtheit und Ver: 
ehrung erfreut.?) „Maria Therefia war in Belgien wie eine Gottheit verehrt,” 
verfihert der Erzbifhof von Medeln, Pradt, „auch werben ihre Altäre noch 
lange in den Herzen der Einwohner jener Gebiete aufrecht bleiben.” *) Zwar 
wollte fie das Recht der Steuerverweigerung des dritten Standes nit an- 
erkennen und ſetzte behufs geregelter Steuererhebung eine neue, den Ständen 
anftößige Behörde in Brüffel ein, jonft aber nahm die ftaatsfluge Frau auf 
den Freiheiteftols der Belgier gebührende Rüdfiht. „Begnügen Sie fi,” 
jichrieb fie an Karl von Lothringen, den fie 1758 zum Statthalter der Nieder: 
lande berufen hatte, „ver Hahn des Dorfes zu jein, und laſſen Sie im übrigen 
den Sachen ihren Verlauf." ’) Karl nahm dieſe Mahnung ernft und vertrat 
jederzeit mit Wärme, insbejondere gegenüber dem Fürſten Kaunitz, die belgischen 
Vorredhte; zum Dank dafür wurde ihm bei der fünfundzwanzigjährigen Jubel: 
feier feiner Regentihaft (1777) von den Brabantern auf dem Lothringerplage zu 
Brüfjel ein Standbild errichtet. In den Krifen der jchlefifchen Kriege ftanden 


!) Mömoires historiques et politiques des Pays-Bas Autrichiennes (dedies à l’em- 
pereur), (1784), 386. 

?) Nudelingen, Belgien unter Maria Therefia (aus dem Vlämifchen überjegt von Stuben: 
raud), 27. 

3 Auch Confcience in feiner Gefchichte Belgiens, 403, erzählt: „Jeder trauerte (beim 
Tode Maria Therefias), als ob feine eigene Mutter geftorben wäre; bei der Totenfeier in ber 
St. Gudulalirche zu Brüffel hörte man nichts als Seufzen und Schluchzen. Der Fußboden der 
Kirche fchimmerte gegen den Echein bes Tageslichts, benekt von den Thränen der Dankbarkeit 
und bes Schmerzes.“ 

* Prabdt, Ueber Belgien in den Jahren 1789—1794 (aus dem Franzöfifhen, 1821), 89. 

®) Rudelingen, 138. 


Der Aufftand in den öfterreidifchen Niederlanden. 119 


die Belgier treu zu Defterreih und trugen die ſchweren Geld: und Blutopfer 
ohne Widerfprud; hauptfählih mit belgiſchem Kapital wurden bie ungeheuren 
Kriegsanleihen Defterreihs gededt. Belgien konnte unter den öſterreichiſchen 
Provinzen als eine der reichften und als die beitfultivierte gelten. Zwar ber 
Handel war jeit hundert Jahren kläglich zurüdgegangen; ihm war, jeit bie 
holländifche Negierung im meitfälifchen Frieden die Sperrung der Schelde 
durchgeiegt hatte, recht eigentlich die Lebensader unterbunden. Georg Foriter, 
der 1790 Belgien bejuchte, entwirft ein trübes Bild vom Niedergang der alten 
Herrlichkeit der belgiihen Städte und dem „traurigen Volt von Brabant”; im 
Hafen zu Antwerpen, der für taufend Schiffe Raum geboten hätte, jah er 
nur ein paar Heine Fahrzeuge liegen. Doch die belgiiche Induſtrie behauptete 
no eriten Rang; Gent, Medeln, Löwen, Brügge mit ihren zadigen Giebel: 
häuſern und majeftätiihen Domen, wo man jelbit heute noch im vollen Mittel: 
alter zu wandeln glaubt, waren noch immer volfreihe, betriebfame Stäbte. 
Noch immer lieferte Gent die beften Tuche, Brügge die feinfte Leinwand, Brüſſel 
hatte feine berühmten Lederjabrifate und Antwerpen zählte zu den erften Gelb: 
plägen Europas. 

Großen Reihtum und damit auch Einfluß bejaß in Belgien der Klerus. 
Als Mittelpunkt geiftliher Bildung und Propaganda galt die Hochſchule zu 
Löwen, die zu Karls V. Zeiten durch berühmte Lehrer geglänzt und die Blüte 
der Jugend aus allen Ländern Europas zu Schülern gehabt, jeit langem aber 
mit den Fortichritten der deutſchen Schweiterinftitute nicht mehr gleihen Schritt 
gehalten hatte. Immerhin beherrſchte fie noch das religiöfe Leben Belgiens, 
jo daß, zumal in den höheren Ständen, eine ftrengere firhliche Gefinnung lebendig 
war, als in Deutſchland oder Frankreich. 

Das Hlerifal:partifulariftiihe Staatswejen Belgiens mußte einem auf: 
geflärten Abjolutiften, wie Joſeph II., befonders anjtößig ericheinen, und ander: 
ſeits mußten die firchlich-politiichen Reformen, die der Kaiſer mit rüdfichtslofer 
Härte durchzuführen unternahm, gerade hier auf hartnädigen Wiberftand ftoßen. 
Joſeph hatte nach jeinem Regierungsantritt die Huldigung der Belgier entgegen: 
genommen und die Aufredhthaltung der Joyeuse entrée und ber übrigen Frei: 
heitöbriefe beſchworen. Er ließ fih in den nädften Jahren die Hebung bes 
materiellen Wobhlftands der Niederlande eifrig angelegen fein; nah Abſchluß 
des Friedens von Verjailles 1783 hatte es den Anjchein, als ob die Forderung 
Kaifer Joſephs, daß die Schelde wieder für den Seehandel der belgiichen Staaten 
geöffnet werden jollte, den Krieg zwilchen Holland und Defterreich entzünden 
werde. Doc die Furcht, der Freundichaft Frankreichs verluftig zu gehen, ließ 
den Kaiſer gegen eine ftattliche Geldentfchädigung feine Forderung zurüdziehen. 
Wenn nun jhon diefe Wendung die Zuneigung der Bürger von Antwerpen 
und Brüſſel zu ihrem neuen Herrn abgekühlt hatte, jo mußte es ihren ftolgen 
Sinn nod empfindlicher verlegen, daß Joſeph in dem niederländijchen Staaten 
ein Handelsobjekt erblidte, um mit dem Kurfürften von Baiern, deſſen Gebiet 
ih zur Abrundung Deflerreihs empfahl, ein Taufhgeichäft einzugehen. Die 
Mipftiimmung wandelte fi vollends in Erbitterung, als der Kaifer mit Reform: 
plänen hervortrat, die als Angriffe auf die Religion und als Eingriffe in die 


120 Erfted Buch. Vierter Abjchnitt. 


verfafjungsmäßigen Rechte der Nation ausgelegt wurden. Den Belgiern war 
die dee eines öſterreichiſchen Gejamtitaates an ſich unfahbar; nad Joſephs 
Abſicht aber follten die Belgier — es lafien fi die nämlihen Worte anwenden, 
womit Schiller das Verhältnis Karls V. zu den Niederländern des jechzehnten 
Sahrhunderts fennzeihnet, — „nur ein Glied des Rieſenkörpers fein, den die 
Ehrjucht eines Einzigen zu ihrem Werkzeuge gebrauchte, fie jollten aufhören 
ihr eigener Zweck zu jein, der Mittelpunkt ihres Dafeins war in die Seele ihres 
Regenten verlegt." Den Belgiern erjchien es als Unrecht, daß die in ben Erb: 
landen eingeführten Neuerungen aud vor ben Grenzen Belgiens nicht Halt 
maden jollten, zumal Neuerungen, die nach dem Urteil der gelehrten Väter von 
Löwen zur Wiederkehr der „Zeiten bes erobeam und des Kälberdienftes zu 
Bethel” führen mußten. Während fi in Oeſterreich zahlreihe angejehene Mit: 
glieder des Klerus jelbit an der Reformpropaganda beteiligten, trat in Belgien 
die gejamte Geiltlichfeit wie ein Mann gegen die geplante „Reinigung des 
Ehriftentums” auf. Im Haufe des römischen Nuntius in Brüffel wurde der 
Widerftand organifiert. Am 13. Juni 1786 richteten die Stände von Flandern 
an den Kaiſer eine geharnifchte Verwahrung gegen die kirchlichen Reformen; 
die Gemüter der weltlihen, wie der geiftlihen Unterthanen ſeien darob in Ver: 
zweiflung geraten! Beſonders die Religionslafje werde allgemein als eine ab- 
ſcheuliche Anftalt angejehen, deren Name ſchon Entrüftung bervorrufe; noch nie 
fei die Verlegung bes heiligften Rechtes des Eigentums von Kirchen, Klöftern und 
frommen Stiftungen auf fo anftößige Weife von einem Despoten janftioniert 
worden.) 

Mit folhem Troß war bei Kaifer Joſeph nichts auszurichten, er ließ 
den Ständen eine ernfte Warnung zugehen und betrieb nur noch eifriger den 
Ausbau feines Reformwerkes. Durch Edikt vom 16, Dftober 1786 wurden bie 
biſchöflichen Seminarien, in welchen die jungen Geiftlichen bisher ihre Bildung 
empfangen hatten, aufgelöft und zwei ftaatlihe Seminarien in Löwen und 
Zuremburg eröffnet. Die Univerfität Löwen erhielt eine neue Organijation, 
firhlich gefinnte Zehrer wurden entjegt, Dagegen andre berufen, die als Jünger 
der Aufklärung den Kampf gegen „die alte Schule der Prieſterſchaft“ mit leiden: 
Ichaftliher Entjhlofienheit aufnahmen und febronianifhe Grundfäge verkün— 
digten. Im neuen Generaljeminar zu Löwen fam es zu Erzeflen; in den Sturm: 
petitionen der Seminariften war freilihd nicht bloß über die Unkirchlichkeit der 
Lehrer, ſondern auch über das dünne Bier Klage geführt. Als der Minifter 
Belgiojojo drei Bataillone Ynfanterie, ein Regiment Dragoner und jechs Kanonen 
nah Löwen abſchickte, war es mit der Nevolte raſch vorbei, aber die große 
militärifhe Expedition gegen ein paar Hundert Leute madhte auf die Un: 
befangenen einen lächerlichen Eindrud und fteigerte den Unwillen in den Kreifen 
der Gemaßregelten. 

Joſeph mißbilligte zwar das Vorgehen Belgiojojos; er wäre, jchrieb 
er, allein nach Löwen gegangen, um der Schlange des Aufruhrs den Kopf 
zu zertreten; im allgemeinen aber bezichtigte er die Negierung in Brüffel des 





! Brunner, Myfterien der Aufllärung, 434. 


Der Aufftand in den öſterreichiſchen Niederlanden. 121 


Mangels an Regjamkeit und Entjchlofienheit. „Sie kennen meine Werkzeuge,“ 
jhrieb er (21. November 1786) an Bruder Leopold, „man muß immer jechs- 
mal treiben, bis man die Scläfrigen endlich zu etwas bringen und ihren 
ſchlechten Willen bemeiftern fann.“ Der Vorwurf richtete fih namentlich gegen 
Joſephs Schweiter Marie Chriftine und deren Gatten Herzog Albredt von 
Sachſen-Teſchen. Das Ehepaar war von Maria Therefia kurz vor ihrem Tode 
zu Statthaltern der Niederlande ernannt worden; die beiden Gatten jollten, wie 
früher einmal Klara Eugenia von Spanien und ihr Gemahl Erzherzog Albredt, 
gemeinfhaftlih die Regierung führen und wurden aud in amtlihen Schrift: 
fttüden „les gouverneurs* genannt.!) Marie Chriftine, deren Andenfen in 
ebeliter Weife durch das Meifterwerf eines großen Künftlers, Canovas Grabmal 
in der Auguftinerfiche zu Wien, erhalten ift, war eine bedeutende Frau. Ein 
Beitgenofje, der Erzbiichof von Mecheln, der als eingeweihter, wenn auch nicht 
unparteiifcher Gewährsmann gelten kann, rühmt den durchdringenden Geiſt und 
das eble Herz der Statthalterin, jowie ihre Anhänglichfeit an das belgijche Volk; 
doch jei fie allzu abhängig von Stolz und Herrſchbegier, allzu befangen in ben 
Vorurteilen der habsburgiihen Traditionen geweſen, in Tugenden und Fehlern 
jener Anna von Defterreih ähnlih, die den Kampf zwiſchen Königtum und 
Fronde ebenſo oft durch ihre Nachgiebigkeit, wie durch ihre Strenge verfchärfte.*) 
Auch an Margareta von Parma erinnern Charakter und Schidjale der Tochter 
Maria Therefias, wie fih überhaupt mande Parallele zwiſchen Vorgängen 
von 1565 und 1787 ziehen läßt. Marie Chriftine ftand den Joſephiniſchen 
Reformen an fi nicht feindfelig gegenüber, aber fie hielt e8 für angemeſſen, 
langjam damit vorzugehen und das Volk darauf vorzubereiten.) Sie jah vor: 
aus, welch gefährlihe Folgen das Einfchreiten gegen die Löwener Orthoboren 
nad jich ziehen könne, denn hinter der aufgeregten Priefterfchaft, die in ber 
2oderung der Verbindung mit Rom ein gefährliches Zugeftändnis an den 
Janſenismus erblidte, ftand — das wurde ſchon damals von unbefangenen 
Politifern richtig beurteilt*) — das in feinen religiöfen Empfindungen verleßte, 
srollende Volk. 

Troßdem wäre es, wie ber beite Kenner dieſer niederländiſchen Berhält: 
nifje, Theodore Jufte, annimmt, um der firdlihen Neuerungen allein willen 
wohl faum zur Voltserhebung in Waffen gelommen ), wenn nicht Joſeph auch 
das Palladium der Niederländer, die ftändifche Verfafjung, angetaftet hätte. 
Am 1. Januar 1787 erſchienen faiferlihe Verordnungen, welche die gejamte 
Regierungsgewalt in einer einzigen Behörde, dem Generalgouvernement, kon— 
jentrierten und ein bureaufratiihes Syſtem ins Leben riefen, wonach das ganze 


) Adam Wolf, Marie Ehriftine, Erzherzogin von Defterreich, ], 186. 

?) Ueber Belgien in den Jahren 1789 bis 1794, 75. 

2) a. Wolf, 247. 

) ©. den, wie es ſcheint, von Schlözer jelbft geichriebenen Aufſatz über den religiöfen 
Charakter der Brabanter in Staatsanzeigen, 14. Band, 4. Auch das Hamburger polit. Journal 
nennt die Unterdrüdung der „ganz ultramontanifch gefinnten” Univerfität Löwen bedenklich 
(Jabra. 1786, 851). 

°) Th. Juste, La Revolution Brabanconne, 87. 


122 Erftes Bud. Vierter Abſchnitt. 


Land in neun Intendanturkreiſe unter je einem Regierungsfommifjär geteilt wurde, 
ohne daß dabei die alte Abgrenzung ber Provinzen refpeftiert war. Desgleichen 
wurde für die Rechtspflege eine neue Einteilung getroffen, ohne Rüdfiht auf 
die beftehenden zahllofen Territorialgerichte, Lehensgerichte, geiftlihen Gerichte 
u. ſ. w.) Ohne Zweifel war Joſeph II. von volfsfreundlichen Abfichten geleitet. 
Namentlich die Juftizreform entjprad einem Bedürfnis; nur durch die von Joſeph 
eingeführte Zentralifierung fonnte eine Vereinfahung der mweitichweifigen, foft: 
fpieligen und verworrenen Rechtsbehandlung erreicht werben.?) Allein jo durch— 
greifende Aenderungen hätten nur nad Befragung und mit Zuftimmung der 
Stände angeordnet werben follen. Die Aufnötigung der neuen Organifation 
war eine offene Verlegung der Privilegien, deren Aufrechthaltung Joſeph felbft 
feierlich gelobt hatte. Sogar Freunde und Anwälte des Kaijers mißbilligten die 
„einfeitige Bethätigung des abjoluten Herrſcherwillens“.*) 

Joſeph mochte hoffen, daß der Nugen der Umzgeftaltung der drei Haupt: 
gebiete des öffentlichen Lebens, Nechtspflege, Verwaltung und Kirche, die Nieder: 
länder befehren werde, aber dieje Erwartung ſchlug fehl. In den Niederlanden 
war eben Alles Privilegium, die gejelichaftlihe Ordnung beruhte auf den bunt: 
ihedigen, mittelalterlihen Einrichtungen, jedermann lebte von feinem Anteil 
daran *): dieje hiſtoriſchen Rechte jollten nun dur einen Federftrich vernichtet 
fein! Der Brabanter, der Hennegauer, der Zuremburger follten ihr patriarcha— 
liſches Sonderleben opfern zu Gunſten eines Fürften, der fich bei feinen Ber: 
bandlungen mit dem Pfälzer der niederländiihen Provinzen wie einer gewöhn: 
lihen Tauſchware bedient hatte! Ein an fich geringfügiger Vorfall jteigerte die 
Aufregung. Ein Handelsmann in Brüffel, de Hondt, wurde wegen Betrugs bei 
einer Lieferung für die Armee verhaftet und zur Vernehmung vor den Militär: 
behörden nad Wien gebradt: das war eine neue Verletzung der Grundrechte, 
nah welchen es nicht erlaubt war, einen Eingebornen vor einen fremden Ge: 
richtshof zu ziehen. Die Bevölkerung aller Provinzen geriet in leidenjchaftliche 
Aufregung. Der Rat von Brabant, der ſich immer als eine Art Mittelpunft 
des politiihen Lebens der Niederlande angejehen hatte, glaubte den Fortichritten 
des abjolutiftiichen, gemwaltthätigen „Wiener Geiftes” nicht länger zufehen zu 
dürfen. Am 19. April 1787, während fi Kaifer Joſeph ſchon auf der Reife 
nad dem Cherjones befand, erliefen die Stände von Brabant eine Erklärung, 
die offene Verlegung der vom Kaiſer beichworenen Verfafjung lege ihnen die 
Pliht auf, der Regierung den weiteren Bezug der Steuern zu verjagen; ber 
Nat von Brabant habe fich nicht eher als aufgelöft zu betrachten, als bis er auf 
geieglihe Weife, d. h. mit Zuftimmung der Stände aufgelöft werde; einer 
Wiederholung von Rechtsverletzungen, wie des Falles de Hondt, müſſe ein für 
allemal dur eidliche Zuficherung des Kaifers vorgebeugt werden. 


’) Meiner und Spittler, Göttinger biftor. Magazin, Jahrg. 1787, I, 753, 758. 

?) D. Lorenz, Jojeph II. und die belgifche Revolution nad den Papieren des General: 
gouverneurd Grafen Murray, 8. 

) Ueber die jegige Gährung in ben öfterreichifchen Niederlanden (Aus dem Franzöſiſchen, 
Köln 1787), 46. 

4 Hanke, Die deutfhen Mächte und der Fürftenbund, II, 24. 


Der Aufftand in den öfterreihifchen Niederlanden. 123 


Bergebens juchte das Statthalterpaar die mißliebigen Einrichtungen zu 
rechtfertigen. Wenn ſchon bisher die Eingriffe der Regierung in das Kirchen: 
tum in ben Beſchwerden bes Klerus und ber Stände eine Hauptrolle ge: 
jpielt hatten, jo erregte es neue Unzufriedenheit, dab Hofrat Martini, der 
als Urheber der anftößigften Julianiſchen Neuerungen galt, zur rafcheren 
Durhführung der Neformen nah Brüffel geihidt wurde. Das Erſcheinen 
des kirchenfeindlichen Aufflärers hatte die nämliche Wirkung, wie vor zwei— 
hundert Jahren die Ankunft des Biſchofs Granvella, der in den Niederlanden 
die nquifitionsgerihte in Gang bringen jollte: die Wirkung eines Signals 
zur Volfserhebung. Es fehlte auch in Brüffel nit an Männern, die, wie 
Vanſen im „Egmont“, den Mitbürgern haarſcharf nachwieſen, wie feſt der 
Monarch gebunden ſei, „feine Macht oder eigenen Willen an ihnen zu be: 
weifen, merfen zu lafien oder gedenken zu geitatten, auf feinerlei Weiſe!“ 
wie der Dejterreiher aber offen die Verfaffung verlegt habe und alle noch 
vollends zu Sklaven machen werde, wenn es nicht gelänge, einen Damm 
gegen die Tyrannei aufzumwerfen. Namentlich ein wenig beichäftigter Advofat, 
aber rühriger Agitator, Henri van ber Noot, brängte zu allgemeiner Volks— 
bewaffnung. Die Zunftmiliz wurde durd Freiwillige verftärft; auch fnüttel- 
bewaffnete Bauern zogen in die Städte und boten ihre Hülfe gegen ben gemein- 
jamen Feind an.?) Am 30. Mai fam es in Brüffel zu offener Erhebung. Die 
Pläge und Straßen füllten fih mit lärmenden Volksmaſſen, alle Mienen, alle 
Blide verrieten die Luft zum Aufruhr. Während Taufende den Palaft des 
Statthalterpaares umlagerten, überbradte eine Deputation der Stände ein 
Ultimatum, das noch für den nämliden Tag die Zurüdnahme aller verfafjungs: 
widrigen Beſchlüſſe und die Abjegung der mißliebigen Sendboten bes Kaifers 
verlangte. Die geängftigten Statthalter wagten feine Weigerung; um Mitter: 
naht wurde vom Balkon des Stabthaujes den noch immer verfammelten Volks: 
maflen der Rüdtritt des verhaßten Minifters Belgiojofo angefündigt, die an: 
tößigen Verordnungen follten vorläufig juspendiert werden. Als diefe Antwort 
von der Menge mit ſtürmiſchen Hochrufen auf Kaifer und Verfaſſung begrüßt 
wurde, gaben ſich Albert und Chriſtine der Hoffnung hin, daß die gefährliche 
Bewegung ein glüdlihes Ende gefunden habe; fie erblidten im Widerruf um 
jo weniger ein Nergernis, da fie jchon die Anordnung für ungejeglich erachtet 
hatten. 

Anders aber dachte Kaijer Joſeph über die Wendung der Dinge in den 
Niederlanden. Er befand fih noch am Dniepr, als ihn die erften Allarmnad: 
richten aus Brüffel erreichten; ber Zorn über die Schwäche jeiner Regierung 
bradte ihn um alle Faſſung. „Prinz Albredt und meine Schwefter,” jchrieb 
er am 16. Juni an Kaunitz, „deren Unzufriedenheit mir gar wohl befannt ift, 
iheinen gar nicht böfe zu fein über die neueften Vorfälle; der Brief des Prinzen 
beweift, daß ihm Herz, Kopf und Vernunft völlig durdgegangen find!”?) Auch 
Kaunig, der von jeinem früheren Aufenthalt in Brüffel die Eiferfucht der 


') Borgnet, Histoire de Belges ä la fin du 18. siöcle (deux. «dit.), I, 83. 
?) Beer, Joſeph II., Leopold II. und Kaunik, ihr Briefwechſel, 268. 


124 Erſtes Bud. Vierter Abichnitt. 


Niederländer auf die Selbftändigfeit der Provinzen fannte, hatte immer von 
ſelbſtherrlichem Auftreten abgeraten. Joſeph hatte fih nur ungern gefügt; ſolche 
Nachgiebigkeit werde nur den Hohmut der Niederländer fteigern und auch in 
Ungarn und andern reformbebürftigen Provinzen die Oppofition ermutigen. Jetzt 
glaubte er mit grimmiger Befriedigung auf die Berechtigung jeiner Auffaffung 
hinweiſen zu dürfen: verwünfcht die Fügjamfeit und verwünſcht die falichen Rat: 
geber! Auch der Zarin, die ihre Teilnahme ausgedrüdt und zu Geduld und 
Mäßigung gemahnt hatte, antwortete er nur mit Klagen über feine unzuverläffigen 
Leute. „Man hat meine Abwejenheit böswillig benügt, um fich die unverzeib: 
lichften Exrzeffe zu erlauben, während meine Regierung alle erforderlichen Vor: 
fehrungen unterließ, dann aber in ſchmählicher Feigheit alle Forderungen be: 
willigte und nun von mir verlangt, ich fol zu ihren Verſprechungen einfach Ja 
fagen!”!) „Sm meinem Leben habe ich niemals fo gerechten Unmut empfunden,” 
fchrieb er am 23. Juni an Kaunig, „ih kann Ihnen meinen Willen erft nad 
einigen Stunden ruhigen Nachdenkens mitteilen. Alles, was aus diefem Anlaß 
geihrieben und geichehen ift, ift mir ganz und gar unbegreiflich und fcheint, 
mit faltem Blut angejehen, von jemand herzurühren, der dem Narrenhaus ent: 
fprungen ift. Die Regierung hat offenbar den Kopf verloren; fie gebraud)t 
Worte, wie ‚der unvermeidliche Verluft der Niederlande‘, um unerhörte Schritte 
zu rechtfertigen, die feinen Sinn haben, die nichts bemeifen und nie etwas 
bemweijen können. Ich bin unwiderruflih entichloffen, nimmermehr dem zuzu— 
ftimmen, was die Regierung zu veriprechen gewagt hat, jondern es in aller 
Form zurüdzumeifen. Selbſt auf der Breſche der Stabt Wien würde ich mich 
einer jo entehrenden und erniedrigenden Zumutung nicht fügen, viel weniger 
aljo in dem Zuftand, in welchem ich mich jet befinde, und mit dem Willen, 
dem Mut und der Unerfhrodenheit, die ih in mir fühle.”?) Als Kaunig an: 
zeigte, daß er zur Beruhigung der Brabanter die ſtürmiſch begehrte Zurüd: 
fendung des Handelamannes de Hondt gewährt habe, antwortete Joſeph mit 
neuen Vorwürfen. „Indem man immer nadhgab, hat man, wie jegt klar vor 
Augen liegt, nichts gewonnen, jondern die Sache nur jchlimmer gemadt! Das 
it ja ganz natürlih, denn wenn erhiste und unverfhämte Leute jehen, daß man 
Angit hat, dann wagen jie alles, und ich ftaune, daß das Volk von Brüffel 
und die Narren, die es aufbegen, nicht auch meine Hojen verlangt haben und 
daß die Regierung nicht, um Ruhe zu ftiften, gelobt hat, daß ich fie jedenfalls 
ihiden werde. Das, was Sie mir anraten, mein Fürft, ift eine Feigheit, und 
felbft wenn ich den ficheren Tod vor Augen hätte, würde mir niemand die Ge: 
nehmigung entreißen. Sie werden das Schriftitüd, das mir zur Schande ge: 
reicht, verdientermaßen in Stüde zerreißen und dann der Regierung zurüdjenden, 
damit fie fieht, wie ich über die Sade denfe. Wer in diefem Tone mit mir 
zu reben wagt, ilt weder der Freund Joſephs, noch des Haifers.“’) Auch dem 


’) Arneth, Briefmechjel Joſephs IL. und Hatharinas von Rußland, 294. 

2) Ebenda, Anmerkung. 

) Brunner, Correspondances intimes de l’empereur Joseph Il, avec son ami le 
comte de Cobenzel et son premier ministre le prince de Kaunitz, 150, 


Der Aufftand in den öfterreihifhhen Niederlanden. 125 


Bruder Leopold, der in diefer Frage eine zweideutige Rolle jpielte, nicht felten 
der Schwefter Chriftine recht gab, aber dem Bruder nicht unrecht zu geben wagte, 
verſicherte Joſeph in jedem Briefe, er werde ſich nichts abtrogen laflen, jondern 
den von den Rebellen zugejchleuderten Fehdehandſchuh aufnehmen. „Es handelt 
ſich nicht mehr um die Verfaffung der Niederländer oder um die Wiederher: 
ftelung des Zuftandes vor ſechs Jahren, nein! aufgemuntert durch ihre Erfolge 
gegenüber der Regierung und im Bemwußtjein ihres Uebergewichts wollen fie ſich 
unabhängig mahen, oder, was aufs gleiche binausläuft, fie wollen eine neue 
Verfaſſung und für die Königlichen Hoheiten und die Regierung, die nur Dumm: 
beiten gemadt haben, freie Vollmaht! Das foll ich mit ihnen beraten unter 
Garantie zweier fremder Mächte, die fie nicht nennen. Ich überlaſſe es Ihnen, 
zu beurteilen, ob ich mich jemals auf jo etwas einlaffen fann!” Leopold goß 
Del ins Feuer, indem er das Haus des römiſchen Nuntius als die Brutftätte 
aller Umtriebe gegen den Kaifer bezeichnete. „Rom bat das alles angeftiftet, 
um Deutichland zu beunrubigen und die Fortjegung der Reformen zu verhindern, 
welche die Biſchöfe durhführen wollen, um fih nad dem von Ihnen gegebenen 
Beijpiel der römiſchen Autorität und den Schwindelgejhhäften des römischen Hofes 
zu entziehen (19. Juli 1787). ) 

Anders aber wurde von unbefangenen Beobadtern geurteilt. Es erregte 
nicht geringes Auffehen, daß der proteftantifche Hiftorifer Spittler zu Gunften 
der unterbrüdten Niederländer feine Stimme erhob und an den Kaifer bie 
feierliche Aufforderung richtete, er möge nicht vom Throne aus das verderbliche 
Beifpiel der Nichtbeachtung gejegliher Schranken geben. „Sey geredht, großer 
Kaijer!” läßt er die Niederländer den Monarchen anrufen, „du mwillt unfern 
Gottesdienft gereinigt wiffen, unfere Religion foll von Aberglauben frey, unjere 
Hierardie unabhängig jeyn vom großen Oberpriefter zu Rom. Aber jey gerecht, 
wir find blos das, wozu uns deine Mutter hat erziehen und bilden lafien...., 
firafe uns nit, daß wir treue Unterthanen und treue Zöglinge deiner Vor: 
eltern waren. Uns jcheint heilig, was dir Aberglaube zu fein jcheint ... Sey 
gerecht, unfere Neligionsüberzeugung hat eben das Recht, das die deinige hat... 
Kannft du Ruhe fordern, wenn du deinem Volke feine Heiligthümer nimmft?!”®) 
Leidenſchaftlicher fieß fi eine Stimme aus Irland vernehmen, wo bie Klagen 
der Brabanter über Verlegung der Gemwiffensfreiheit natürlich das lebhafteite 
Mitgefühl fanden: „Du haft noch nie gejehen, was ein Volk vermag, du haft 
nur Tyrannen und Sklaven gejehen! Auf deinen Reifen haft du nur Auto: 
maten, Unterdrüder, Kranke fennen gelernt, du haft noch fein Volk gejehen!”?) 
Ein Flugblatt mit der aufreizenden Ueberſchrift: „Warum wird Kaifer Joſeph 
von feinem Volke nicht geliebt?” unterzog die Strenge, die übertriebene Spar: 
famfeit und das Bevormundungsſyſtem des faiferlihen Negiments einer ab: 
fälligen Kritik. 

Die Anhänger der Zojephinischen Reformen erblidten, wie jhon Leopolds 


) Arneth, Joſeph II. und Leopold von Toskana, ihr Briefwechjel von 17811790, 90. 
) Meiners und Epittler, Göttingiiches hiftoer. Magazin, Jahrg. 1737, I, 747. 
) Un defenseur du peuple ä l’empereur Joseph Il. (1787). 


126 Erftes Bud. Vierter Abſchnitt. 


Erklärung erjehen ließ, in der ganzen Bewegung die Frucht römiſcher Umtriebe. 
„Wenn man no im mindejten zweifeln fann,” heißt es in einer vermutlich von 
den Aufklärern in Brüffel oder Löwen ausgegangenen Schrift, „daß die igigen 
Unruhen in den Niederlanden jamt und fonders von der Geiftlichfeit herrühren, 
fo it man wahrlich mit Blindheit geichlagen.” Das dumpfe Schweigen der 
Prieſterſchaft im allgemeinen, wie die prophetifhen Weherufe einzelner Auguren, 
die häufigen Verſammlungen des Klerus, die zahlreichen Flugſchriften voll Klagen 
über den Verfall der Religion feien deutliche Beweiſe, wo die Anftifter der Hetze 
gegen den gütigften aller Monarchen zu fuchen ſeien.) „Mit einem Wort,” 
antwortet Schubart auf die Anklagen des oben erwähnten Flugblattes, „Joſeph 
wird nur von Dümmlingen, Fanatifern, fteifen Orthodoren und blinden Eiferern 
nicht geliebt, wahrhaftig aufgeflärte Seelen nennen jeinen Namen mit liebe: 
vollem Entzücken.“?) 

Wie mußte Joſephs Unmut gefteigert werden, als er vernahm, daß einzelne 
Mitglieder der brabantijchen Kammer mit dem franzöfifchen Gejandten in Brüfjel 
in Fühlung getreten feien, um das Intereſſe Franfreihs an ihren Beſchwerden 
rege zu mahen! Troßdem fonnte er, nachdem fich die erfte Aufregung gelegt 
hatte, ſich nicht verhehlen, daß er vorerft den von der Schweſter eingejchlagenen 
Meg der Mäßigung verfolgen müſſe. Namentlich die entjchievene Haltung des 
Fürften Kaunig bewog ihn zur Nachgiebigfeit; der Kanzler hatte jogar, weil er 
des Kaijers Auffaffung für unrichtig und gefährlih anjah, um jeine Entlaffung 
gebeten. Um nicht den bewährten Ratgeber zu verlieren und die angedrohte 
jhwere Verantwortung auf ſich allein zu laden, ſchlug Joſeph zur Vermittlung 
vor, die belgiſchen Provinzen jollten Deputierte nah Wien jenden, auch das 
Statthalterpaar und Graf Belgiojojo jollten dorthin fommen; er, der Kaifer, 
wolle alle hören und Klagen und Aufflärungen abwägen, um die zum Wohle 
bes Landes erforderliche Entſcheidung zu treffen. Inzwiſchen folte Graf Murray, 
auf eine genügende Heeresmacht geftügt, die Ordnung in Belgien wiederherftellen 
und die Negierungsgefhäfte leiten. „Mäßigung, mit Feftigfeit gepaart!” an 
diefjem „Syſtem“, jchrieb Joſeph am 19. Juli an Leopold, wolle er gegenüber 
den Wideripenftigen fefthalten. „Die Nachrichten aus den Niederlanden find 
noch immer nicht günftig zu nennen, wenn auch die Leute ſchon etwas mehr 
Vernunft und Anftand an den Tag legen. Es ift nun abzuwarten, was fie 
wegen der Abgeordneten bejchließen werden. Offenbar habe ih fchon durch 
meine Feſtigkeit, gepaart mit Güte, einen günftigen Umſchwung erzielt, die erfte 
Hige ift verflogen, das Militär hat jeine Befehle und ift, wenn es fein muß, 
zum Schlagen bereit.” „In den Niederlanden it alles ruhig,” fchreibt er ein 
paar Tage jpäter, „der große Handitreich hat eine glänzende Wirkung erzielt.” 
Leopold erwidert mit überfchwenglihen Glückswünſchen: „Ich betrachte die An: 
gelegenheit in den Niederlanden als völlig beendigt; zur Stunde ift fiher alles 
wieder in Ordnung und die Aufregung fpurlos verflogen. Ich bin überzeugt, 
daß Sie jegt alles nah Ihrem Belieben einrichten fönnen; diefen Umſchwung 


!) Meber die jekige Gährung in den Niederlanden, 86. 
) Vaterlandschronit, Jahrg. 1787, T, 97. 


Der Aufſtand in ben öfterreihifchen Niederlanden. 127 


— 


verdankt man Ihrem Entſchluß, Strenge und Milde zugleich walten zu laſſen, 
und der Umſchwung iſt um ſo erfreulicher, als der Stand der politiſchen Ange— 
legenheiten, insbeſondere in Holland, die Lage des Königs von Preußen und die 
nah innen und außen hervortretende Schwäche Frankreichs für neue Kom: 
binationen und vorteilhafte Pläne Raum gewährt.“ 

Dod die Hoffnungen des Kaifers und feines Bruders ſchlugen fehl. Zwar 
die Berufung von Abgeorbneten wurde in Belgien mit Befriedigung aufgenom: 
men, und gegen Ende Juli ging eine Deputation nah Wien ab; dagegen er: 
regte die Berufung eines Generals auf den Statthalterpoften Miftrauen und 
Mipbehagen. Obmohl der hochbetagte Kommandant der kaiſerlichen Truppen 
mit niemand weniger Aehnlichkeit hatte, ala mit dem „bohläugigen Toledaner 
mit der ehernen Stirne”, wurde von ben Volksführern die Erinnerung an Herzog 
Alba und fein blutiges Regiment heraufbefhmworen. Vor allem erregte die 
Kunde vom Anmarich deuticher Truppen Bejorgnis, der Diktator möchte mit 
leihter Mühe den Widerftand der von van der Noot organijierten Freiforps 
breden und dann, um dem Kaijer gefügige Unterthanen zu gewinnen, bie alte 
Verfafjung gänzlich aufheben. Bon allen Seiten, auch von den gemäßigten „Von: 
fiften”, deren Führer der angefehene Advokat van Vonk war, und die damals 
noch im Gegenjag zum flerifalen Anhang van der Noots als die „Konftitutio: 
nellen” bezeichnet werden konnten, wurbe der laute Ruf erhoben, das Hereinziehen 
fremder Truppen in die Provinzen ftehe im Widerjprud mit den Privilegien 
der Belgier. Die Klage war begründet; andrerfeits trugen die im Juli von den 
Brüfjeler Kommiffionen gefaßten Beſchlüſſe, die über die wichtigiten Staatsange: 
legenheiten mit jouveräner Mißachtung der faijerlichen Regierung verfügt hatten, 
jo ausgeſprochen revolutionären Charakter, daß der Kaifer das Recht der Not: 
wehr für fich geltend machen konnte. Die geheimen Weifungen an Murray ließen 
denn auch feinen Zweifel zu, daß der Kaifer mit Waffengewalt allen Widerftand 
breden, die Niederlande militäriih bejegen und dann alle bisher gemachten Zu: 
geftändniffe zurüdnehmen wollte.) Die Auslegung aber, daß der Kaifer nur 
deshalb deutſche Truppen nah den Niederlanden fommandiere, um die Bürger 
und Handwerker des läftigen Soldatenfpieles zu entheben und ihnen für ihre 
zuftändige Arbeit Zeit zu fehaffen, fonnte von den Niederländern nur als Hohn 
empfunden werden. 

Erzherzogin Marie Chriftine und ihr Gemahl thaten nad ihrer Ankunft 
in Wien ihr möglichftes, den drohenden Sturm zu beihwichtigen, aber fie fonnten 
fh darüber nicht täuſchen, daß fie des Kaifers Vertrauen verloren hatten, daß 
Joſeph nod immer über die Anmaßung der belgiihen Stände und die Nad: 
giebigfeit feiner Stellvertreter aufs äußerfte erregt war. Da er in ben ftänbi: 
ihen Beichlüffen einen ftrafbaren Eingriff in feine Souveränetätsrechte erblidte 
und den Grundſatz: spoliatus ante omnia in integrum est restituendus, für 
fih in Anſpruch nahm, erließ er ein Dekret, woburd alle jeit Anfang Mai von 
der Regierung in Brüſſel erlaffenen Dekrete für ungültig erklärt wurden, — 
gerade in dem Nugenblid, da die aus Vertretern der gemäßigten ftändifchen 


’) Lorenz, Joſeph II. und die belgifhe Revolution, 29. 


128 Erfted Bud. Vierter Abſchnitt. 


Partei gebildete Deputation in Wien anlangte. Diefer Schritt des Kaijers ver: 
Ihärfte aufs neue den Streit, die Stände erließen offene VBerwahrungen, immer 
häufiger Fam es zu Zujammenrottungen und Ausichreitungen, immer unverhüllter 
wurde von van der Noot und Genofjen die Befreiung vom habsburgiſchen Joch 
als Ziel der Volkswünſche verkündigt. Dadurd war die Wirkſamkeit der Abge: 
ordneten in Wien von vornherein gelähmt, und auch die Widerjprüche zwiichen den 
bejänftigenden Anſprachen des Kaifers an feine Gäfte in Wien und ben ftrengen 
Inftruftionen für den Kommandanten in Brüffel find aus dem Gegenjag zwiſchen 
fonftitutionellen und revolutionären Beftrebungen in den Niederlanden unjchwer 
zu erklären. 

Andrerjeits war es für Murray feine leichte Aufgabe, den Befehlen des 
Kaifers nachzukommen, ohne zu einer erniten Volkserhebung zu reizen. Die 
faiferliche Forderung, daß alles wieder auf den Fuß zu fegen fei, auf dem es 
vor den Unruhen ſtand, beanſpruchte auch die Wiedereröffnung des von den 
Ständen geichloffenen Generaljeminars. Dem widerjegten fih die Stände aufs 
entſchiedenſte; die Aufhebung des allen anftößigen Inſtituts, erflärten fie, ſei 
eine unerläßlihe Bedingung zur Wiederheritellung der gejeglihen Ordnung. 

Auch finanzielle Schwierigkeiten bebrängten den Statthalter. Der Kaijer 
braudte Geld zur Teilnahme am ruffifchtürkifhen Kriege und mollte, wie 
in jolden Fällen gewöhnlid, in den Niederlanden eine Kriegsanleihe eröffnen; 
zur Bürgſchaft jollte eine Hypothek auf die Domänen des Landes angewiejen 
werden. Ohne Einwilligung der Stände war über die Domänen nicht zu 
verfügen, an diefe Zuftimmung aber im Augenblid nit zu denfen. Murray 
riet dem Kaifer, um den Preis der Aufhebung bes Generaljeminars ein Don 
gratuit zu begehren, aber davon wollte Joſeph nichts hören. Schließlich kam 
das Finanzgeſchäft ohne ſtändiſche Beteiligung zu ftande, aber die Ablehnung 
jeines Wunſches hatte den Kaifer gereizt; es kam Befehl aus Wien, daß 
endlich gegen die revolutionären Vereine und Berjammlungen ftrenger ein: 
geichritten werde; die Nationaltofarden follten verboten, die Freimwilligenforps 
aufgelöft werben. Wenn ſchon die Durchführung diefer Anordnungen nicht ohne 
Tumult ablief, jo gab die Leichenfeier eines Freiwilligen am 20. September 
Gelegenheit zu einer von den Komitees vorbereiteten großen Demonftration in 
Brüffel. Das Militär erhielt Befehl, die Straßen zu jäubern, auf den größeren 
Plägen wurden Kanonen aufgefahren, die in den Nachbarſtädten liegenden 
Truppen wurden berbeigerufen, doch auch Taufende von Freiwilligen griffen zu 
den Waffen, und in einigen Hauptftraßen erhoben fi Barrifaden. Jeder Augen: 
blik Fonnte einen Zufammenftoß bringen! Der Erfolg war faum zweifelhaft; 
dur ihre beſſere Ausrüftung und Disziplin hätten vermutlich die Faiferlichen 
Truppen den Sieg errungen, und der Nbfiht des Kaijers hätte nur ent» 
ſprochen, „mit dem Degen in ber Fauft zu zeigen, wer der Herr ift.” Troß: 
dem wollte fih Murray, ſei es, daß ihn, wie der Kaiſer ihm vorwarf, unjoldas 
tiſche Schwähe auf einen Augenblid übermannte, fei es, dab ber Wunſch, 
Blutvergießen zu vermeiden, alle anderen Rüdfihten zurüddrängte, in offenen 
Kampf nicht einlaſſen; er erlieh ein Manifeft, das den Aufitändifchen über: 
aus weitreichende Zugeltändnifje einräumte. Der Kaiſer denke nicht daran, jo 


Der Aufftand in ben öfterreichifchen Niederlanden. 129 


ward verfichert, die altehrwürdigen Verfaſſungen der Provinzen anzutaften; alle 
Privilegien jollten aufrecht erhalten, dagegen die neuen Juftiztribunale und Sn: 
tendanturen gänzlih abgeihafft bleiben; ausdrüdlih war noch hervorgehoben, 
daß die Regierung künftig ihr Verhalten gegen Klöfter und Klerus ftreng nad 
den Beitimmungen der Joyeuse entrde bemefjen werde. 

Die überrafhende Erklärung erregte ſtürmiſchen Jubel, Brüffel wurde 
glänzend beleuchtet, auch in andern Städten gab es Dankes- und Freudenfeſte. 
Doch Joſeph wollte die Verföhnung nit um ſolchen Preis erfaufen. Im 
nämlihen Augenblid, da jih Murray zu den weitreichenden Zugeftändnifjen ver: 
ftanden hatte, traf aus Wien der Befehl ein, den Rebellen entſchloſſen die Stirn 
zu bieten; zunächſt follten die Freiwilligencorps in allen Städten aufgelöft und 
entwaffnet werden. „Falls fie fich wiberjpenftig zeigen, mögen fie mit Gewalt 
der Uniform entfleivet und dann im Hemde nad Haufe gefchidt werden.” !) 
Als die Nahriht von den Unruhen vom 20. September nah Wien gelangte, 
nahm Joſeph von Murrays Schilderung des Volksjubels nah Verkündung der 
Proflamation feine Notiz, ſondern ftellte nur die trodene Frage, wie viel Tote 
und Berwundete der Straßenfampf gefoftet habe; als ber Statthalter erwidern 
mußte, daß ein Kampf nicht ftattgefunden habe, erfolgte unverzüglich feine Ent: 
laſſung. Nun wurde ein Soldat, auf deſſen unbedingten Gehorfam und rück— 
ſichtsloſe Strenge zu zählen war, General d'Alton, mit dem militärijchen 
Kommando in Belgien betraut; Graf Trautmannsdorff, ein junger Mann von 
biederem Charakter und — nad) Ehriftinens Urteil — faſt allzu familiärer Leut— 
jeligfeit, jollte die Zivilverwaltung leiten. Zugleich wurden aud Prinz Albrecht 
und feine Gattin Chriftine wieder als Statthalter eingefegt; fie ſollten die Ge— 
müter beſchwichtigen helfen, aber nur repräjentieren, nicht regieren. Noch ehe 
die Gatten in Belgien eintrafen, kam es in Brüffel (22. Januar 1788) zum 
eriten Kampf. TQTrautmannsdorff forderte vom Brabanter Nat die Ausführung 
aller vor 1. April 1787 erlafjenen Ordonnanzen, der Rat aber wollte ſich ohne 
Zuftimmung der Stände nicht dazu verjtehen. Nun erklärte Trautmannsdorff, 
er werde die Herren nicht auseinander gehen laffen, ehe nicht das geheifchte 
Defret fertiggeftellt fei; zugleih wurden die Straßen von Truppen bejekt. 
Als ji vor dem Palaft, in welchem der Rat verjammelt war, eine Menge Volkes 
zufammenrottete, wurde die Säuberung des Platzes befohlen; das Volk wider: 
fegte fi; der Offizier ließ Feuer geben, und mehrere Tote und Verwundete 
blieben auf dem Platze. 

Eine verhängnisvolle Kataftrophe! Das erfte Blut war gefloffen, die 
Revolution Hatte begonnen, und obwohl bier ganz andere Triebfedern wirkten, 
wurde bie belgifche Volkserhebung Beiſpiel und Vorbild für eine größere welt: 
geichichtliche Bewegung, die Umwälzung alles Beftehenden in Franfreih! — 

Für den Augenblid war in Belgien durch das jtrenge Einjchreiten der 
Regierung die gewünſchte Wirkung erzielt: die Oppofition war eingefchüchtert; 
doch war der feindlihe Gegenjag zwijchen Volf und Regierung nicht aufgehoben, 
jondern noch verſchärft. Erzherzogin Chriftine beurteilte die Lage richtig. „Es 


Lorenz, 51. 
Heigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Friedricht d. Gr, bis zur Auflöſung des deutſchen Reichs. 9 


130 Erftes Bud. Vierter Abichnitt. 


wäre Täufhung,” jchrieb jie an den Bruder, „zu glauben, daß das Volk be: 
friedigt und eine volllommene Ruhe hergeftellt wäre. Die Geiftlichfeit glaubt 
ihre Prinzipien nicht aufgeben zu dürfen. Furcht und Mißtrauen berrichen 
überall, und es iſt ſchwer anzunehmen, daß eine Rückkehr zu andern Anſchauungen, 
eine Harmonie der Gedanken und des Vertrauens erfolgen werde.” !) Es war 
nur die Stille vor dem Sturm. — 

Während fih im katholiſchen Belgien unter jo merfwürdigen Umftänden 
die Revolution vorbereitete, wurde auch das proteftantiihe Schweiterland von 
ſchweren politiſchen Erfhütterungen heimgeſucht. 

Auch hier führen Regungen des Freiheitstriebes zum Bürgerkrieg, und daran 
knüpft ſich ein raſcher Siegeslauf preußiſcher Truppen bis vor die Thore von 
Amſterdam. Eine Epiſode von weltgeſchichtlicher Bedeutung, und doch Vielen nur 
dadurch bekannt, daß in Immermanns Münchhauſen der einäugige Spielmann „der 
Patriotenkaſpar“ heißt, „weil er in den Unruhen von 1787 als fünfzehnjähriger 
Knabe zu den holländiſchen Patrioten gelaufen war”. Wir find darüber trefflich 
unterrichtet, denn wir befigen ausführliche Mitteilungen und Berichte der Vertreter 
gerade jener Mächte, die an Erregung und Bezwingung des Aufitands den Haupt: 
anteil hatten. Freilich, wie verjchiedenartig werden bie nämlichen Vorgänge 
und Beftrebungen von den verfchiedenen Erzählern beleuchtet! Der Franzoſe 
Caillard beklagt den Erfolg der Gewalt, der Preuße Görg feiert den Sieg 
des Rechts, der Engländer Harris frohlodt über den Triumph der englifchen 
Sntereflen! Caillard beteuert, daß nichts in Frankreich jo jehr zur Revolution 
ermutigt und gereizt habe, als das Fiasko der franzöfifchen Regierung in Hol: 
land; der preußifche Minifter Hergberg rühmt, dab das entſchloſſene, Fühne und 
uneigennügige Auftreten Preußens die Revolution, die von den Niederlanden 
aus die Nachbarländer zu überfluten drohte, eingevämmt und bezwungen habe. ?) 

Durch die Utrechter Union vom 29. Januar 1579 trennten fi die fieben 
nördlichen Provinzen der Niederlande mit vorwiegend proteftantifcher und ger: 
manifcher Bevölferung vom katholiſch-walloniſchen Süden. Es war beabfichtigt, 
dem ftaatsflugen, unerjchrodenen Führer des Freiheitsfampfes, Wilhelm von 
Dranien, monarchiſche Gewalt zu übertragen, do die Ermordung des Prinzen 
am 10. Juli 1584 verhinderte die Aufrihtung eines nationalen Königtums. 


) A. Wolf, 272. 

®) Memoire sur la revolution de Hollande, par le citoyen Caillard, ci-devant charge 
d’affaires à la Haye, eingefügt in L. P. Segur, Histoire des principaux événemens du 
rögne de Frederic Guillaume Il. (1800), I, 136. — SHiftorifge und politifhe Denkwürdig— 
keiten bes königl. preuß. Staatöminifterd Johann Euftah Grafen v. Börk (aus deſſen hinter: 
lafjenen Papieren, 1827}, II, 42. — Diaries and Correspondence of James Harris, first 
earl of Malmesbury, ed, H. Grandson (1844), II, 68. — Recueil des deductions ete., qui 
ont été rediges et publies pour la cour de Prusse par le ministre d’etat comte de Hertz- 
berg (1789), II, 418. — Außerdem find die einfchlägigen Dokumente der preußiſchen Ardive 
verwertet von Th. v. Pfau, Gefhichte des preußiſchen Feldzugs in der Provinz Holland im 
Jahr 1787 (1790) und v. Trofchle, Der preußifche Feldzug in Holland 1787 (1875), die fran- 
zöſiſchen Arhivalien in Une invasion Prussienne en 1787, par Pierre de Witt (1886). 
Intereſſante Schriftftüde aus dem mweimarifhen Ardiv find von Böthlingk, Die holländiſche 
Revolution und der deutſche Fürftenbund (1874), benügt. 


Der Kampf zwifchen der oranishen und der patriotifchen Partei. 131 


Die republifanifche Idee Tiegte; die ſieben Provinzen, deren jede auch nach ber 
Befreiung von der ſpaniſchen Herrſchaft eiferfüchtig ihre Selbftändigfeit zu wahren 
fuchte, einigten fi zu einem Bundesftaat; dem Haufe Dranien-Nafjau, das 
einft dem beutichen Reihe einen Kaifer gegeben hatte, dieſem „Makkabäer— 
geichleht des Calvinismus, das in vier Generationen bis zum Ausfterben des 
Hauptitammes feinen Sohn erzeugt bat, der nicht ein Held war und ein Pro: 
teftant” (Treitfchke), blieb nur das Amt eines Statthalters und Oberbefehlshabers 
im Felde. Wilhelm IIL., der Urenkel des Begründers der niederländifchen Frei: 
beit, jelbft der ruhmvolle Wächter der von Ludwig XIV. bedrohten Freiheit 
Europas, glei groß als Feldherr wie als Staatsmann, widerſtand dem An— 
dringen feiner Freunde, die volle Souveränetät eines erbberechtigten Fürften 
aufzurichten, aber naturgemäß mußte die weltgeſchichtliche Bedeutung jenes 
Fürften, der überdies in England wirklich eine Krone gewann, den Einfluß und 
das Anſehen des oraniſchen Haufes wie des Gtatthalteramtes erheblich ver- 
ftärfen. „Es war ein Verhältnis höchſt perjönlicher Art, zu anſpruchsvoll für 
die Beamten einer Republif, zu unfiher für ein Fürftengeichleht, vergleichbar 
allein mit der Stellung, die einft das Strategenhaus der Barfiden neben dem 
Rate von Karthago behauptete.” ) „Die Holländer ala Bürger,” jagt Friedrich II. 
in feiner klaſſiſchen Schilderung der Völker und Staaten Europas im adt: 
zehnten Jahrhundert, „verabjcheuen die Statthalterfchaft, welche fie als den Weg 
zur Tyrannei anjehen, und als Kaufleute haben fie für die Politik überhaupt 
fein Intereſſe.““ Nicht im Demos mwurzelte das Nepublifanertum, der Bauer 
und ber Kleinbürger waren vielmehr die treueften Anhänger des „Stathouber”, 
aber die bürgerlihen Patriziate ftanden eiferfühtig und mißtrauifh dem mili: 
täriſchen Oberhaupt des Freiftaates gegenüber und juchten die wirklichen oder 
angeblichen monarchiſchen Beitrebungen der Oranier zu befämpfen. „Der Auf: 
ftand der Parifer (gegen Mazarin) war die Geburt der Armut.... Das 
Murren der Niederlande war die ftolze und Fräftige Stimme des Reichtums.“ 
Diefe von Schiller gezogene Parallele paßt auch auf die Vorgänge in Frank: 
reih und Holland im achtzehnten Jahrhundert, nur trat mit furdtbarer Deut: 
lichfeit zutage, daß Hunger und Rachedurſt der Armen gewaltigere Mächte 
find, als die Aufwallungen des Selbftgefühls und der Freiheitsliebe bei den 
Reichen. 

Weniger ihrem Umfang als ihrem Reichtum hatte die Provinz Holland 
zu danken, daß ihr eine gewiffe Oberhoheit innerhalb der Union eingeräumt war; 
nicht bloß übten die Stände von Holland großen Einfluß auf die Bundeszentral: 
gewalt, jondern der Ratspenfionär von Holland hatte die diplomatiſche Vertretung 
der Staaten, ſowie die Aufficht über die Bundesfinanzen an fich gezogen, jo daß 
er gleihfam als bürgerliches Oberhaupt dem militäriihen, dem Statthalter, 
gegenüberftand. Doch auch bie übrigen Provinzen beanjpruchten ſelbſtändige 
Verfügung über ihr Kriegswejen und begnügten jih, wenn Kriegsgefahr es 


') Treitichle, Die Republif der vereinigten Niederlande, in den hiftorifch:politifchen Auf: 
fägen, II, 460. 
) Frederic II, Histoire de mon Temps, chap. I, ed Knoerich, 28. 


132 Erfted Bud. Vierter Abſchnitt. 


erheiſchte, Kleine deutiche Fürften als Condottieri anzumwerben. Da auch Hader 
und Kämpfe der Provinzen und der Parteien untereinander fein Ende nahmen, 
jant das Anſehen der Republif immer tiefer. Während der Welthandel noch 
immer feine wichtigften Emporien in Holland hatte, während feine andere Nation 
jo viele Männer, deren Namen mit den wicdhtigiten Fortſchritten menschlicher 
Kultur verknüpft find, aufzuweiſen hatte, ftand die politiihe Macht jeit langem 
nicht mehr auf der Rangſtufe der wirtichaftliden Verhältniffe „In Gefolg- 
ihajt der engliihen Macht,” jagt Friedrich II. 1746 geringſchätzig vom Vater: 
lande der Tromp und Ruyter, „Ichließt fih Holland an, wie eine Schaluppe 
den Furchen des Kriegsihiffes, dem fie angehängt ift, folgen muß.“ 

Das wurde freilih anders, als die Generalitaaten, durch franzöfifchen 
Einfluß bewogen, im nordamerifaniihen Befreiungskfrieg auf die Seite der 
Kolonien traten. Doch der Zwift der Parteien wurde auch durch diefe Schwenfung 
nit ausgelöfcht, ja, die Oppofition gegen Wilhelm V. von Oranien wurde 
verichärft, da die Gegner, die „Patrioten”, wie jie fich jelbit nannten, für die 
im Krieg erlittenen Niederlagen dem Statthalter, der im Intereſſe Englands 
die vaterländiiche Marine vernachläſſigt habe, die Verantwortung aufluden. !) 
Die Patrioten ergriffen jede Gelegenheit, die Befugniffe des Statthalters ein- 
zufchränfen und das oranifhe Haus zu demütigen. Im Mittelpunkt der feindlichen 
Beitrebungen ftand van Gyzelaer, der Penfionär von Doortredt, „ein Mann 
ohne Welt”, wie eine oranifhe Flugſchrift fpottet, „der vor dem Prinzen: 
Statthalter nicht einmal den Hut zieht und in Gegenwart von Botfchaftern ein 
Fußbad nimmt.” ?) Auch van Berfel und Zeebergen, die Penfionäre von Hol: 
land und Haarlem, gehörten diefer Richtung an; namentlid von Berfel war es 
befannt, daß er mit Norbamerifanern und Franzoſen in enger Verbindung ftand. 
Von verftedten Umtrieben gingen dieje einflußreihen Penfionäre allmählich zu 
offenem Angriff über. Sie wollten die Statthalterfhaft oder doch die Erblich— 
feit des Amtes befeitigen und den Schwerpunft der Verfaffung aus ben General: 
ftaaten in die Provinzialftände verlegen. In Zeitungen und Flugichriften wurbe 
der Grundfaß verteidigt, daß die Intereſſen des nach Tyrannis ftrebenden Prinzen 
unvereinbar jeien mit dem Wohl eines Freiftaates, daß der engliſche Vicefönig 
den Frieden der Republif bebrohe. In Stadt und Land bildeten ſich Freicorps; 
die Ausrüſtung wurde hauptfählich von den Mennoniten beftritten, denen politifche 
Gleichberechtigung in Ausficht geitellt worden war. ?) Insbeſondere in der Provinz 
Holland gab es Mifvergnügte und Neuerungsfüchtige. In Holland war ja ber 
Handel die Pulsader bes öffentlichen Lebens, und bei der aufftändifhen Bewegung 








) „Wohl nicht ganz mit Unrecht” fei diefer Vorwurf erhoben worden, bemerkt der un: 
befangene, gut unterrichtete Claufewig (Der Feldzug des Herzogs Karl Wilhelm Ferd. v. Braun: 
ſchweig von 1787, in Hinterlaffene Werke, IX, 258). Zweifellos ift e8 aber nur eine Erfindung 
der Patrioten, daß Wilhelm, als der Sieg der hollänbifchen Flotte über die englifche bei Dogger: 
bank (5. Auguft 1781) befannt wurde, ausgerufen haben fol: „Ich hoffe wenigftens, daß bie 
Engländer feine namhaften Berlufte gehabt haben!” 

?) Ueber die gegenwärtigen Unruhen in Holland (1787), 46. 

) Schreiben eines alten Staatömannes über die wahren Urſachen des unglüdlihen und 
gefährlihen Zuftandes der Republik in Schlögers Staatsanzeigen, Jahrgang 1786, 14. 


Der Kampf zwifchen der oraniihen und ber patriotifchen Partei, 133 


waren namentlih auch handelspolitifche Intereſſen im Spiele. Die englifche 
Kaufmannſchaft wollte verhüten, daß der franzöfifche Handel an Holland eine 
Stüße finde; die franzöfifche Handelswelt bewachte ebenfo eiferfüchtig die freund: 
ſchaftlichen Beziehungen Englands zu den Draniern. „Liegt es nicht offen zu: 
tage,” jagt Mirabeau in feinem nad dem unglüdlicen Kriege von 1787 an 
die Bataver gerichteten Aufruf, „dab England das Haus Oranien jouverän 
maden will, weil ihm die Niederländer noch immer zu viel Furcht einflößen, 
troß der ungeheuren Verlufte, welche fie vor und feit Erklärung des ungerech— 
teften aller Kriege erlitten haben? Würde England je daran gedacht haben, 
fih zur Stüge der Statthalterfhaft in den Generalftaaten herzugeben, wenn es 
nit des Glaubens wäre, daß diefe Regierungsform am wenigiten geeignet 
für ein Volk, deſſen Wohlftand den Briten immer ein Dorn im Auge war? 
Nur um die Bataver zu erniedrigen, zu vernichten oder doch allzeit in Abhängig: 
feit zu erhalten, um aus ihnen europäijhe Inder zu maden, gaben 
die Engländer der Republik Statthalter, die ihnen eine Erhöhung des Anjehens 
und deshalb einen jtändigen Tribut der Dankbarkeit ſchuldig wären!“ ) So 
wurde die holländiſche Frage Ihon vor dem Kriege auch in franzöfiihen Negie: 
rungsfreifen beurteilt; die Gejandten im Haag hatten Weifung, die Patrioten 
auf jede Weife zu unterftügen und zu fördern, damit nicht England an einem 
unterwürfigen niederländiſchen Gemeinweien eine Stüße zur Monopolifierung 
des Welthandels gewinne. In einem Staat, der „aus den wunderbarſten 
Elementen von Föderation, Republif, Monardie, von delegierter Macht, Domanial: 
beſitz und erblichen PBrärogativen zufammengefegt war“ ?), hatten fremde Gefandten, 
die fih in die Verfaſſungswirren einmiſchen wollten, leichtes Spiel. Das Haus 
des franzöfiichen Gefandten im Haag, des Herzogs von Bauguyon, war die Sammel: 
ftätte der frondierenden Batrioten. Dagegen tradhtete der engliſche Gefandte, Sir 
James Harris, der mit ungewöhnliher Rührigkeit leidenſchaftliche Abneigung 
gegen Frankreih verband, dem Statthalter Anhänger zu werben. Die üppigen 
Gelage bei Sir Harris übten nicht geringe Anziehungskraft; ein guter Koch, 
jagte er, kann mir nützlicher ſein, als ein guter Sekretär; daneben fuchte er 
Taglöhner und Arbeiter durch reihe Geldipenden für feine „Aſſoziation“ zu 
gewinnen. 

Zur PVerihärfung des Gegenfates trug noch bei, daß Wilhelm V. mit 
einer preußiſchen Prinzeſſin, Frieberife Wilhelmine, Friedrichs II. Nichte, vermählt 
war. „Sie find glücklich zu preifen,” jol König Friedrich zu ihr beim Abſchied 
im Oktober 1766 gejagt haben, „Sie werden fi in einem Lande niederlafjen, 
wo Sie alle Vorteile des fünigliden Standes finden, ohne eine ber bamit 
verbundenen Ungelegenheiten empfinden zu müjjen.” Wie wenig zutreffend aber 
diefes Wort war, Fonnte der König bald aus den jich fteigernden Klagen ber 
Prinzejfin über die Feindjeligfeit der Hohmogenden und die Umtriebe der Pa- 
trioten entnehmen. Prinzejjin Wilhelmine war eine Frau von ungewöhnlichen 
Anlagen. Nicht bloß Görk rühmt an ihr „durchdringenden Verſtand, klare 


!, Mirabeau, Aux Bataves sur le Stathouderat (1788), 108. 
2) Elaufewik, 259. 


134 Erfted Bud. Vierter Abſchnitt. 


Anſichten, richtige Beurteilungskfraft und männliche Entſchloſſenheit“ '), auch der 
Herzog von Vauguyon erfennt an, daß fie am oranifchen Hofe das männliche 
Element vertrete. Natürlih war aber eine fo ftolze, gebieterifhe Dame, die in 
einem abjolutiftiihen Staate auferzogen war und fi als die nächſte Verwandte 
eines großen Königs fühlte, am wenigiten dazu geeignet, zwiſchen ihrem Gatten 
und den auf volle Truhen pochenden Mynheers in Amfterdam einen Ausgleich 
zu fördern; Abjtammung, Grundfäge und Selbſtbewußtſein wiejen fie mehr 
darauf hin, ihren Einfluß zur Durchbrechung der peinlihen Schranken des Statt: 
balteramtes aufzubieten. Bei ihrem Oheim fand fie jedoch wenig Geneigtheit zur 
Unterftügung ihrer Pläne. König Friedrih, der mit wadhjendem Mißtrauen auf 
die Freundſchaft des Kaijers mit der Zarin blidte, hielt e& mehr denn je für 
geboten, die freundfchaftlihen Beziehungen zu Frankreich aufreht zu halten. 
Sogar als die Staaten von Holland und Friesland dem Prinzen Wilhelm das 
Kommando über die Bejakung im Haag abnahmen, gab der König feine neutrale 
Haltung nit auf; er begnügte fih, „als aufrichtiger Freund der Staaten, an 
deren Wohl: und Ruheſtand er einen jo großen und wahren Anteil nehme”, 
zu verföhnlicer Haltung gegen den Enkel jo berühmter und hochverdienter Ahnen 
zu mahnen (17. September 1785).°?) Infolge der drohenden Haltung Kaifer 
Joſephs, der feine Anſprüche auf Maftriht und die Befreiung der Schelde nur 
vertagt, nicht aufgegeben hatte, gingen die Generalftaaten am 10. November 
1785 mit Franfreih ein Schutz- und Trugbündnis ein; aud diefe Wendung 
hatte den Beifall des Königs von Preußen. „Man braucht durchaus nicht zu 
befürchten,” ſchrieb Herr von Bergennes dem neuen Gefandten für Holland, 
Marquis Verac, „daß der König von Preußen fein Benehmen ändern wird; 
er denkt nicht daran, jeine Soldaten marfchieren zu laffen, um damit dem Statt: 
halter Wilhelm einen Vorteil zu verjchaffen.” 

Um fo unermübdlicher ſuchte Sir James Harris den zu gefährlicher 
Höhe aediehenen Einfluß Franfreihs zu breden. Den Abſchluß des Bünd- 
niffes mit Franfreih empfand er wie eine perjönliche Beleidigung. „I 
würde niemals mehr eine Depeſche jchreiben, wenn ich je die Weiſung erhielte, 
mic mit Franfreih auf freundihaftliden Fuß zu jegen, diefem Staat meinen 
Beifall zu geben oder meine Unterftügung zu leihen!” Der Gejandte Frank: 
reihe, Marquis Verac, war ihm an Geſchäftsgewandtheit nicht gemachfen, 
und an Brinzeifin Wilhelmine hatte der Engländer eine entjchloffene Bunbes- 
genoſſin. 

Die Thronbeſteigung Friedrich Wilhelms II., des Bruders der Prinzeſſin, 
bahnte auch in Berlin einen Umſchwung zu Gunften der oraniſchen Sade an. 
Der ritterlihe König zeigte von vorn herein mehr Geneigtheit, den Statthalter 
zu unterjtügen, und wurde darin beftärft durch Hertzberg, der ſchon zu Lebzeiten 
des alten Königs das Einjchreiten Preußens in Holland als Ehrenſache be: 
zeichnet hatte. Doh nur im Einverftändnis mit Frankreih wollte Friedrich 
Wilhelm handeln. Der preußiſche Gejandte in Paris, Baron Goltz, follte die Auf: 





) Görk, II, 78. 
2, Hertzberg, Recueil, II, 418. 


Der Kampf zwifchen der oraniihen und ber patriotifhen Partei. 135 


merkfjamfeit König Ludwigs auf die „ebenjo ungejeglichen, wie dreiften Bejchlüffe 
der Staaten von Holland” lenken; zugleich jollte Graf Görk, der fi fchon im 
bairiſchen Erbfolgeftreit als gemwandter Diplomat bewährt hatte und das be— 
fondere Vertrauen der Prinzeffin Wilhelmine genoß, als außerorbentliher Bot: 
Ihafter nah Holland gehen, um in verſöhnlichem Sinne zu wirken. Vor feiner 
Abreife (24. Auguft 1786) hatte Görg eine Unterredung mit dem König; er 
legte dar, daß fi eine entſchloſſene Initiative in den holländiſchen Händeln 
ihon deshalb empfehle, um das etwas geſunkene militäriihe Anjehen Preußens 
wieder zu heben und dadurch auch den deutſchen FFürftenbund zu befeftigen; 
Liebesdienfte in Holland werde König Georg gern damit belohnen, daß er als 
Kurfürft von Hannover ein treuer Bundesgenofje bleiben werde. Friedrich 
Wilhelm war mit diefer Auffaſſung nur teilmeife einverjtanden; das Wohl 
Preußens werde durch friedliches Verhalten am beften gefördert; denn wenn man 
Frankreich mifvergnügt mache, ſetze man Preußens natürlichen Feind, den Kaiſer, 
in Vorteil. Görtz fand vor einer jchwierigen Aufgabe: er jollte Frieden ftiften, 
während weder die oranifhe, noch die patriotifhe Partei den Frieden wollte, 
und bie ihm erteilte Inſtruktion „enthielt eigentlih nur das Belenntnis, man 
jei außer ftande, eine zu erteilen“.!) Jedenfalls war er, um eine Verföhnung 
zu betreiben, zu jpät gefandt worden; als er im Haag eintraf, war der Bürger: 
frieg thatſächlich ſchon ausgebroden. Im September 1786 ließ der Statthalter 
ein paar geldriſche Städte, Elburg und Hattem, die fih den Holländern an- 
ſchließen wollten, von jeinen Truppen befegen und brandihagen. Darauf gaben 
die Provinzialitaaten von Holland eine draftiiche Antwort: fie juspendierten den 
Prinzen in feiner Stellung als Generalfapitän der Provinz Holland. Nun er: 
Härte zwar Görk, der Beſchluß der Provinzialftaaten werde als Beleidigung 
für feinen föniglihen Herrn aufgefaßt werden, aber Friedrih Wilhelm war 
nicht gejonnen, dem Wort feines Gefandten den nötigen Nahdrud zu geben. 
Görtz erhielt jogar eine Rüge, weil er ſeine Inſtruktion überjchritten habe, und 
der Prinzeffin wurde zu verftehen gegeben, es wäre wohl das befte, wenn ihr 
Gemahl, der fih nun doch einmal unmöglich gemacht habe, die Statthalterichaft 
an feinen Sohn abträte; den Hochmogenden wurde zwar wiederholt der freund: 
ihajtlihe Rat gegeben, mit dem Statthalter Frieden zu ſchließen, aber zugleich 
auch die Verfiherung, daß Preußen nit daran benfe, duch aufdringliche Ein: 
miſchung die Friedensarbeit zu ftören. 

Darauf erfolgte aber von beiden Seiten entjchiedene Ablehnung. Wil« 
helmine beteuerte, zur Abdanfung ihres Gatten nimmer ihre Zuftimmung zu 
geben; die Stände erflärten, ein Souverän — das holländiihe Volt — könne 
fi) mit feinem Diener — dem Statthalter — überhaupt nit um Friedens: 
bedingungen herumftreiten. Friedrih Wilhelm fand zwar die Sprade der 
hochmütigen Leute unerträglich und beflagte das Schidjal feiner Schweiter, be: 
tonte aber immer wieder, daß er das eigene Gehöfte nicht gefährden dürfe, um 
dem Nahbarhaus Hülfe zu bringen. 

Auch das franzöfifhe Kabinett entjandte einen außerordentlichen Vertreter, 


) ®örg, II, 56. 


136 Erftes Bud. Bierter Abfchnitt. 


Herrn von Neyneval, nad) dem Haag, um einen Ausgleich betreiben zu lafjen. 
Wilhelm wies jedoh die „eines Oranien unwürdigen“ Vermittlungsvorichläge 
zurüd. Wie ungehalten der Franzoſe darob war, beweiſt der ungewöhnlich 
obige Ton feiner Depeihe an das auswärtige Amt. „Ein Prinz von Naffau, 
der die Stirn hat oder jo Ihwächlich ift, feine Angelegenheiten durch jeine Frau 
betreiben zu laffen, der fich den Natfchlägen feines Schwagers, des Königs von 
Preußen, widerjegt, der die Wege zur Verföhnung, die ihm der König von 
Frankreich zeigt, nicht einfchlagen will, jcheint mir ein fompleter Narr zu jein!” 
(3. Januar 1787).') Die Franzofen erlaubten fih im Haag überhaupt eine 
übermütige Sprade. Caillard verftieg jih einmal vor dem Grafen Görk zur 
Behauptung, Frankreichs Intereſſe erheiihe nicht bloß die Schwächung, fon: 
dern die Vertreibung des Statthalters (d’expulser le stathoudre); freilich mußte 
er bald darauf im Auftrag feines Minifteriums jene Auslafiungen als „ebenfo 
unfhidlih wie unbegründet” zurüdnehmen. Dagegen ſchien der Nachfolger 
Vergennes’, Graf Montmorin, noch entjchiebener in Holland auftreten zu wollen. 
„Sie werben den Patrioten unfre Hülfe anbieten,” fchrieb er an Verac, „ver 
König ermächtigt Sie, in diefer Sache alles zu thun, was Ihnen möglich iſt! ... 
Wir jehen die Dinge in Holland für jo wichtig an, daß wir allenfalls auch 
zwei Millionen dafür opfern wollen, ja ſelbſt das Doppelte, wenn es nötig fein 
follte!” Trogdem erfannte Sir Harris jhon damals ganz richtig, daß ein 
thatkräftiges Eingreifen Franfreihs nicht zu befürdten fei. „Das Uebel iſt 
viel größer,” fchrieb er nad) London, „die Heilung aber viel leichter, ald man 
gewöhnlid annimmt. Frankreich wird fich nicht abenteuerlich in einen Krieg ein: 
lafien, denn es hat weder eine Armee, noch Geld, noch ein Minifterium!” Als der 
Gejandte aufgefordert wurde, fi) nad London zu begeben, um vor den Miniftern 
perjönlich jeine Auffafjung zu vertreten, erwiderte er: „Mit großem Vergnügen 
werde ich dem Befehl Sr. Majeſtät gehorchen und noch in diefer Nacht auf: 
breden. Mit noch größerem Vergnügen werde ich dann den Befehl zur Nüd: 
fehr entgegennehmen, mit dem Donner Jupiters bewaffnet, wenigftens mit jenem 
Donner, defjen er fich bediente, um Danaö zu verführen.” Am 23. Mai fand 
im Haufe des Lordfanzlers die enticheidende Beratung ftatt. William Pitt 
warnte vor Weberftürzung und wies auf die ſchädlichen Folgen eines neuen 
Kampfes mit Franfreih, alle übrigen Mitglieder des Kabinets aber waren 
altionsluftig, und Sir Harris aab die beruhigende Verfiherung, es werde für 
England gar nicht nötig fein, felbit in den Krieg einzutreten, e& werde ſich alles 
Erforderlihe mit Geld machen laſſen. Endlich fiegte Harris über die Be: 
dächtigkeit Pitts und die Sparjamfeit des Königs; es wurden ihm vorläufig 
20,000 Pfund Sterling angewiejen. ?) 

Inzwiſchen war es jchon zu einem Zufanmenftoß zwijchen ſtatthalteriſchen 
Truppen, die einen ftrategiihen Punkt bei Utrecht bejegen wollten, und patrio: 
tiihen Freifcharen gefommen. Die Stände von Holland erhoben Klage vor 
den Generaljtaaten, der Statthalter habe eigenmächtig jeine Befugnis über: 


1) Witt, 142. 
?) Diaries and correspondence, II, 303. Dinner at the Lord Chancellor's. 


Der Kampf zwifchen der oraniſchen und der patriotiichen Partei. 137 


ſchritten, das Grundgefeg der Union jei damit thatſächlich als aufgelöft zu be- 
traten; zuglei ließen fie durch ihren General, den Nheingrafen von Salm, 
die Stadt Utrecht in der gleihnamigen Provinz bejegen und entließen alle 
Difiziere, welche fich weigerten, der Provinz Holland den Treueeid zu leiften. 
Sm Haag wurde aber der Antrag Hollands abgelehnt, und die entlaffenen 
Offiziere wurden von den Generalftaaten in Sold genommen. a, in Holland 
jelbit fehlte es dem Statthalter nit an Anhang. Die Dodarbeiter in Amfterdam 
waren zum Losſchlagen gegen die verhaßten Mynheers bereit; ein barauf zielender 
Anschlag war nur infolge der Uneinigfeit der Verfchworenen zunichte geworden. 
Unter dieſen Umftänden glaubten die Stände von Holland die Initiative er: 
greifen zu müjjen. Um „durd männliden Entſchluß die Republik zu retten”, 
wurde eine Kommilfion von fünf Mitgliedern zur Verteidigung des Landes er- 
nannt und mit diktatoriſchen Befugniffen ausgerüftet. Der General der hollän— 
diſchen Truppen war zu jeinem Verdruß nicht unter den Gemählten. Graf 
Salm, „vornehmer, aber weniger ehrenhaft als fein Urbild Gil Blas“, 
hatte ſchon bisher eine zweideutige Haltung beobachtet; bald war er nach Pots- 
dam gegangen, um für den Statthalter preußiiche Hülfe zu erwirfen, bald nad 
Verfailles, um für die Patrioten ein gutes Wort einzulegen. Jetzt war er nicht 
wenig erboft über die erlittene Zurüdjegung; er beſchwerte fih in Berfailles, 
fol fi aber au dem Statthalter wieder genähert haben. „Glauben Sie mir,“ 
joll er zu Graf Callenberg gejagt haben, „ich bin feineswegs ausſchließlich auf 
Bitronen erpicht, ich könnte mich recht gut wieder an Orangen gewöhnen!” 

Der Bürgerkrieg war unvermeiblih. Die Truppen des Statthalters, etwa 
4000 Mann, waren den Streitkräften der Patrioten nicht gewachſen, dagegen 
war die Möglichkeit nicht ausgejchloflen, in den Generalftaaten eine Mehrheit 
für die oraniſche Sade zu gewinnen. Deshalb faßte Prinzeſſin Wilhelmine, 
um ihren perfönliden Einfluß in die Wagichale zu werfen, den Entſchluß, nad 
dem Haag zurüdzufehren.) Sir Harris war nicht einverftanden, wollte fich 
aber, da die Prinzeffin auf ficheres Gelingen hoffte, nicht geradezu widerſetzen. 
„Wenn die Prinzeſſin,“ fchrieb Harris (am 25. Juni 1787) an Lord Carmartben, 
„wirklich durch ihre Gegenwart erreiht, daß ſich die Deputierten als Männer 
betragen, jo will id in ihr einen Engel verehren.” Schon vier Tage ſpäter 
aber jchreibt er: „Meine Befürchtungen waren nur zu ſehr begründet, die Prin— 
zeifin von Oranien ift geftern von Freiwilligen bei Gouda gefangen genommen 
worden!” 

Am 28. Juni frühmorgens verließ die Prinzefjin zu Wagen die Stadt 
Nymmegen. hr Gefolge beftand nur aus vier Perfonen, einer Ehrendame, 
dem Oberften Bentind, dem Kammerherrn Graf Nandwyd und einem mit der 
Erziehung der Prinzen betrauten preußiſchen Offizier Stampfort. Unweit Schoon- 
hoven ftieß das Gefährte auf die Vorpoften des holländifhen Korbons, die 


!, Nach Caillards Anfiht wäre dem Reifeplan ber Prinzeifin von vornherein die beftimmte 
Abſicht zu Grunde gelegen, eine feinblide Begegnung herbeizuführen und dadurch das Kriegs— 
wetter über die Häupter der Patrioten heraufzubefhwören (Segur, I, 319); aus Sir Harris 
Depeihen läßt ſich aber erfehen, daß ein folder Schachzug nicht geplant war. 


138 Erftes Bud. Vierter Abſchnitt. 


Reifenden wurden angehalten und von einem Zug Neiterei nah Schonhooven 
zurüdgeleitet, — die Prinzeffin von Dranien war eine Gefangene. Das Bauern: 
haus, in welhem fie übernadtete, war mit Schildwadhen umitellt, jogar im 
Schlafzimmer pflanzte fih ein Bürgergardiit mit blanfem Säbel auf. Im Ber: 
lauf der Nacht trafen einige Mitglieder der Berteidigungsfommiffion ein. Die 
Prinzeffin beſchwerte fih über die unerhörte Gewaltthat; die Herren hatten aber 
dafür nur ein Achjelzuden und bedeuteten ber hohen Frau, dab ſie ihre Reife 
nad dem Haag nicht fortjegen fünne. Dagegen durfte fie ungehindert am 
nächſten Tage die Rüdkehr nad) Nymmegen antreten. !) 

Sir Harris erblidte in dem Zwiſchenfall nicht bloß eine unerträgliche 
Demütigung der Prinzeffin, fondern auch eine entſcheidende Niederlage der eng: 
liſchen Bolitif. „Mein teurer Lord,” jchrieb er vom Haag an Carmarthen, 
„Schach der Königin und in einem oder zwei Zügen Schadhmatt, das ift, fürchte 
ih, der Stand unjres Spieles. Die Politik hat mir ſchon oft Verdruß be= 
reitet, hat mich aber noch nie in folden Zorn verfegt, wie heute. Obwohl die 
wichtigsten Dinge auf dem Spiele ftehen, obwohl die erfte Frau der NRepublif 
in die traurigfte Lage geraten ift, war auch nicht einer von ben Deputierten zu 
bewegen, vor der gewöhnliden Stunde fein Bett zu verlaffen, und wenn fie 
endlich aufitanden, geſchah es nur, um zu bemeilen, daß fie in wachem Zuftand 
nicht weniger gebanfenlos und träg find, als im Schlafe!” Er hoffe nichts 
von Preußen, er fürdte alles von Frankreich, deſſen Streitkräfte Schon um Givet 
zufammengezogen würden, er halte einen Kampf ber oranifchen Partei mit den 
Patrioten für ausjichtslos und unmöglid. Doch der engliidhe Staatsſekretär 
teilte die trüben Befürchtungen des Geſandten nit. „Laffen Sie fi doch,” ſchrieb 
er an Harris (3. Juli), „durch das Schach der Königin nicht entmutigen, lafjen 
Sie nur den Ritter zu Hülfe fommen, und alles ift gerettet! Ich beflage die 
Unannehmlichkeiten, denen die Prinzeffin, deren Charakter ein beileres Los ver: 
diente, ausgejegt iſt, aber ich hoffe, daß fi der Vorgang noch zum Guten 
menden wird. Wenn der Bruder der Prinzeffin, ver König von Preußen, nicht 
der ſchmutzigſte und jchäbigfte aller Fürften ift, muß er ihr Genugthuung 
ihaffen, fofte es, mas es fofte... Ich Halte es für felbftveritändlih, daß auf 
die erite Kunde von der Gefangennehmung der Prinzeſſin ein ftarfes Corps 
Befehl zum Vormarſch von Weſel aus erhalten wird; wenn ſich der König von 
Preußen nicht an Frankreich förmlich verkauft bat, muß er jo handeln. Achten 
Sie auf Maftriht und fürdten Sie nichts von den 25 Bataillons in Givet!” *) 
Natürlich! Nahdem hauptſächlich durch Englands Einmiſchung die Dinge in 
Holland jo weit gebiehen waren, dab das Haus Dranien mit gewaffneter Hand 
Genugthuung fordern mußte, ſollte „der Ritter” zu Hülfe fommen, jollte Preußen 
das rähende Schwert ziehen! 

Vorerſt war jedoch Frievrih Wilhelm nit gefonnen, England diejen Liebes: 
dienft zu erweifen. Natürlid war er erbittert über die Verhaftung feiner 


) Ad. Jakobi, Vollſtändige Gefchichte der fiebenjährigen Verwirrungen unb ber barauf 
erfolgten Revolution in den vereinigten Niederlanden (1789), II, 290. 
2) Diaries, II, 329. 


Der Kampf zwifchen der oraniſchen und ber patriotiiden Partei. 139 


Schweiter. „Man hat die Prinzeffin in einer Herberge feitgehalten,” jchrieb er 
an feinen Gefandten in Berjailles, „man hat fie von ihrem Gefolge getrennt, 
man bat Garbdiften mit blanfen Säbeln vor, ja jogar in ihr Zimmer geftellt! 
Ih kann in dem ungeheuerlihen Anſchlag gegen eine mir jo naheftehende, hoch: 
verehrte Perjönlichkeit nichts anderes erbliden als eine perſönliche Beleidigung!” 
Alein Friedrih Wilhelm wollte Familien: und Staatsangelegenheiten ausein: 
ander halten: er wollte Genugthuung fordern, aber nur für fih und feine 
Schweiter; die oraniſche Sache follte davon getrennt bleiben. Und immer nur 
im Einvernehmen mit Frankreich jollte gegen die Schuldigen vorgegangen werden. 

Ohne Zweifel würde ein friebliher Ausweg gefunden worden fein, wenn 
die franzöfiiche Regierung der billigen Forderung Friedrich Wilhelms bereit: 
willig Vorſchub geleiftet hätte. Allein in Verjailles wollte man einerjeits bie 
Freundſchaft mit den holländiihen Patrioten nicht aufgeben, andrerjeits fehlte 
es zu thatkräftiger Unterftügung der Freunde ebenfo an gutem Willen, wie an 
der nötigen Kraft. Die Haltung der franzöfiihen Regierung in der holländifchen 
Frage kann nur richtig gewürdigt werben, wenn man fich die innere Lage Frank: 
reihs in den fritifchen Tagen vergegenwärtigt. In der Notabelnverfammlung 
im Frühjahr 1787 war zum erjtenmal die entjeglihe Finanznot des Staates 
aufgededt worden. Freilich hatte Brienne verfihert, durch die vorgeſchlagenen 
Sinanzreformen jei leicht und unfehlbar Abhülfe zu ſchaffen. „Die auswärtigen 
Nationen,” hatte der würdige Finanzminifter ausgerufen, „mögen flaunend er: 
fennen, weld unermeßlihe Hülfsquellen unjrem Franfreih zu Gebot ftehen.” 
Im Ausland mag vielleiht infolge diefer funfelnden Parlanentsreden der 
Kredit der franzöfiihen Finanzen wieder etwas geftiegen fein,!) — im Lande 
jelbft Eonnte fih niemand verhehlen, daß der Staatsbanferott unabweislich 
bevorftehe; in dem verrotteten Hof: und Staatöleben war ja eine lebensfähige 
Finanzreform gar nicht möglid. Das ancien regime ging feiner Auflöfung 
entgegen, jchon regten fih auch jene finſtern Gemwalten, die den Sturz von 
Thron und Altar als Ziel verfolgten. Wenn ein Haus von Ueberſchwemmung 
beimgejucht ift, Keller und Erdgeſchoß überflutet find, das Waſſer ſchon in die 
höher gelegenen eleganten Wohnräume emporzufteigen beginnt, ift es leicht begreif- 
ih, daß der Hausherr, wenn in der Nachbarſchaft im Haufe eines Freundes 
Feuer ausbricht, Feuerfchein und Signale unbeadhtet läßt! Umſonſt juchte der 
Kriegsminifter, Herr von Segur, die Aufmerkſamkeit König Ludwigs auf Holland 
zu lenken, viermal verſuchte er im Kronrat ein Memoire, das die Notwendigkeit 
einer militäriſchen Demonftration darlegen jollte, zur Berlefung zu bringen, 
immer wieder wußte der Finanzminifter entſcheidende Beihlüffe hintanzuhalten, 
und die Situngen, welche der Bildung des Lagers bei Givet gewidmet jein 
ſollten, wurden — fo verfihert mwenigitens der Sohn des Kriegsminifters — 
dazu verwendet, daß der König und feine Räte die gut erzählten Anekdoten des 
Herrn von Malesherbes anhörten. *) 


') Ueber die Assemblee des Notables in Frankreich, in Sclögerd Staatsanzeigen, 
10. 8b., 50. 
?, Segur, Mömoires, Ill, 241. 


140 Erftes Bud. Bierter Abſchnitt. 


Der Berliner Hof war in zwei Lager geteilt. Das Haupt der Franzoſen— 
freunde, die von Einmiihung in die holländiſchen Händel nichts hören wollten, 
war Prinz Heinrich, der Oheim des Königs; wenn er ſchon früher die Vorliebe 
feines großen Bruders für franzöſiſchen Geift und franzöfiiches Weſen geteilt 
batte, jo war diefe Neigung noch genährt worden durch die jchmeichelhafte Auf: 
nahme, die ihm 1784 in Paris und Verfailles zu teil geworden war: als bie 
des höchſten Preiies würdige femme obscure im Gegenjat zur vertu couronnede 
de gloire hatte ihn damals Marmontel gefeiert. „Noch einmal,” jchrieb Mira: 
beau 1786 an Zauzun, „Prinz Heinrich iſt ein echter Franzoſe, wird Franzoſe 
bleiben und als Franzofe fterben.” !) Weberdies war der Prinz, der im Dienit: 
alter allen übrigen Generalen voranging, verjtimmt über die am 1. Januar 1787 
erfolgte Ernennung bes Erbprinzen von Braunfchweig zum Feldmarihall; damit 
war ausgeiproden, daß im Kriegsfall die Führung dem Braunfchweiger zuftehen 
folte. Im Minifterium galt Herr von Find als ergebener Freund der Fran: 
zofen; es wurde deshalb, als die Nichte des Minifters, Fräulein von Voß, die 
Gunft des Königs gewann und zu Föniglihen Ehren emporſtieg, aud) ein Steigen 
des franzöfiichen Einfluffes erwartet. Allein die neue Gunſtdame teilte nicht 
die franzöfifhen Sympathien ihrer Familie, fondern bevorzugte Herkberg und 
das Bündnis mit England. Das mag dazu beigetragen haben, den König zu 
friegerifcher Aktion, die er bisher beharrlich zurüdgewiefen hatte, geneigter zu 
maden. Dazu fam, daß die holländiſchen Patrioten fortfuhren, in öffentlichen 
Organen die Schweiter Friedrich Wilhelms und ihren Gatten mit Hohn und 
Spott zu überhäufen und gegen Deutihe und Engländer verächtliche Ausfälle 
zu richten. Schlözer veröffentlichte als Probe der „unbändigen Patriotenwut“ 
im Auguft 1787 einen Auszug aus einer holländiihen Zeitung. „Wilhelmine 
von Preußen, die jühe Mutter des Waterlands,” war darin als PVerräterin 
gebrandmarft; fie pflege mit engliihen Lords und preußifchen Generälen ge: 
heime Unterhandlungen, um das arme Holland an die Engländer auszuliefern! 
An die Engländer, die den Holländern jeit zweihundert Jahren mehr als 
1900 Millionen erpreßten oder ftahlen, die gegen Holland allzeit wie Straßen: 
räuber oder Spigbuben von Profejfion verfuhren, die umentwegt den Troß 
eines Kain, die Heuchelei eines Yudas, den Neid eines Laban an den Tag 
legten! „Ehe wir uns unter das Joch der deutichen oder englifchen Verräter 
beugen, wollen wir lieber jo lange fechten, bis alle Hoffnung entjchwindet, 
dann unfre Städte verbrennen, unſre Deiche durchſtechen, und wenn alles 
verwüjtet ift, ein andres Vaterland ſuchen!““) In der opregten Nederland- 
schen Courant wurde ausgeführt, daß Wilhelm von Dranien des Todes ſchul— 
dig ſei; auch der Politicke ruyer erinnerte bibelfeft daran, daß das Blut ber 
Tyrannen Gott angenehmen Geruch habe. Der Penfionär van Berfel nannte 
in öffentliher Ratsverfammlung das Betragen des Königs, der immer von 
Genugthuung ſpreche, während gar fein Unrecht vorliege, anmaßend und 


) Witt, 162. 
2) Legter Ausbruh der Patriotenwut in Holland, in Schlözers Staatsanzeigen, 
11. Bb., 235. 


Der Kampf zwiſchen der oranifchen und der patriotifchen Partei. 141 


tyranniſch; das holländiſche Volk müſſe die preußiſchen Forderungen mit Ver: 
achtung zurüdmweijen. ') 

Andrerfeits erhoben fih auch in Deutſchland Stimmen gegen die „un: 
männliche” Politif, die den Frieden um jeden Preis erhalten und jogar die 
Beihimpfung einer Tochter des preußiſchen Königshaujes dulden wolle. „ch 
weiß nicht,” Schreibt Schubart im Auguft 1787, „ob lange Friedensruhe ben 
Charakter eines Bolfes veredle oder verjchlimmere? Was wir find, find wir 
durch Kriege geworben; der Krieg wedt die Geifter, und im Frieden entjchlafen 
fie... Lieber einen Körper und Geift wedenden Krieg, als einen trägen, 
nervenabjpannenden, geiltlähmenden Frieden!” „Preußens finniger Kriegsgeift, 
der Urbild für alle Welt wurde,” jei wie ein Leu erwacht und warte nur auf 
des Königs Wort, um über die Krämer von Amfterdam berzufallen. ?) 

Trogdem würde fih Friebrih Wilhelm mohl faum für den Krieg ent: 
ihieben haben, wenn nicht England die beftimmte Verfiherung gegeben hätte, 
daß es zur Unterdrüdung der Feinde des oraniſchen Haufes mitwirken werde. 
„Die freie und offene Art,” ſchrieb Wilhelmine an Sir Harris, „womit fi Ihr 
Hof ausiprad, war in Berlin von ftärfiter Wirkung; ich kann Ihnen dafür 
nit genug danfen!” 

Den Ausihlag gab die Nachricht, daß die Pforte an Rußland den Krieg 
erflärt habe. Nun war Kaifer Joſeph als Bundesgenofje der Zarin im Diten 
teftgehalten, während ihm ſchon der Aufftand in den Niederlanden zu jhaffen 
madte; dadurch war alfo Preußen von der Furt befreit, daß der Kaifer bie 
preußifche Intervention in Holland ftören oder im Fall eines Mißerfolgs der 
preußiihen Waffen die Anſchläge auf Schlefien oder Baiern erneuern werde, 

Nun wurde den in Weftfalen und im Magdeburgifchen liegenden Regi- 
mentern Marſchbefehl gegeben und dem Herzog von Braunſchweig das Kommando 
übertragen. Als die Kunde davon in die Deffentlichkeit drang, fragte der fran: 
zöfifche Gejandte an, mas mit den NRüftungen beabfidhtigt werde. Doc jchon 
daraus, daß Ludwig XVI. am 20. Auguft, aljo gerade in den Tagen der 
Krifis, den Marquis Verac, den überzeugten Freund und Führer der Patrioten, 
aus dem Haag abrief und durch den Grafen von Saint: Prieft erjegte, ließ fich 
entnehmen, daß der Thatendrang Franfreihs in befcheidenen Grenzen bleiben 
werde. „Unter den gegebenen Berhältnifien den Geſandten zurüdrufen, bieß 
nichts andres, als Holland und die republifaniihe Partei aufgeben.” (Witt.) 

Am 8. September überreichte Thulemeyer den Hohmogenden von Holland 
ein Ultimatum: binnen vier Tagen follten ſich die Stände entjcheiden, ob fie 
die von Preußen verlangte Genugthuung zugeftehen wollten oder nicht.“) Es 
war gefordert, daß die Stände wegen Beleidigung der Prinzeffin von Oranien 
bei Friedrich Wilhelm fich entihuldigen, auch die Fürftin felbit um Verzeihung 
bitten und zur Rückkehr nah dem Haag einladen, endlih die Vermittlung 
Preußens zwiſchen dem Erbftatthalter und der Provinz Holland annehmen 


') Ad. Jakobi, II, 310. 
?) Baterlandschronik, Jahrgang 1787, I, 59, 76 fi. 
®) Hertzberg, Recueil, II, 428. 


142 Erfted Bud. Vierter Abjchnitt. 


jfollten. Am 12. September gaben aber die Stände von Holland und Friesland 
eine Erklärung ab, fie fünnten auf das Anfinnen des Königs nicht eingehen; 
zur Aufflärung der obmwaltenden Mißverſtändniſſe wollten fie eine Kommiffion 
nad Berlin entjenden. 

Noh am nämlihen Tage überfchritt der Herzog von Braunſchweig die 
niederländijhe Grenze. Ein Manifeft verfündigte, dab Preußen nicht mit den 
Generalitaaten Krieg führen, jondern nur von der Provinz Holland Genug: 
thuung erwirfen wolle.) Das Unternehmen jollte gewiflermaßen als familien: 
angelegenheit behandelt werden, um das franzöfifhe Kabinett nicht in die 
Zwangslage zu verjegen, den Bundesgenofjen Beiftand leiften zu müſſen. 

Die Kriegspartei in Holland baute zuverfihtlih auf franzöfiihe Hülfe, 
waren do fort und fort die beruhigendften Zuficherungen gegeben worden. 
Noh nah dem Eintreffen des preußifchen Ultimatums hatte der neue Leiter 
des Minifteriums des Auswärtigen, Montmorin, an Caillarb gejchrieben, nad) 
feiner Anjicht ſei von holländiſcher Seite alles geſchehen, was der König von 
Preußen billigerweije verlangen fünne; ein Einmarſch preußifcher Truppen werde 
auch von Frankreich als Kriegserklärung aufgefaßt werden. „Seine Majeftät 
iſt feft entſchloſſen, als Bundesgenofje der Provinz Holland Hülfe zu leiften.” 
Nie kläglich fiel aber diefe Hülfeleiftung aus! Zweihundert franzöfifhe Kano— 
niere und einige Offiziere ohne Waffen und Uniformen nahmen SKriegsdienite 
bei den Patrioten, das war alles! Freilich ließ der Kriegsminifter, Herr von 
Segur, Feldzugspläne ausarbeiten, aber es war ja für nichts gejorgt, es fehlte 
am Nötigften, vor allem an Geld; auch war zu befürdten, daß die wenigen 
Ichlagfertig zur Verfügung ftehenden Bataillone — das Lager bei Givet war 
immerhin vierzig Meilen von der nieberländiihen Grenze entfernt — zu fpät 
fommen würden. Unter dieſen Umftänden fiegte in Verſailles die Friedens» 
politif des Sädelbewahrers; man bejhloß, auf die Patrioten zu vergefjen. 
Im näditen Frühjahr, jchrieb Montmorin an St. Prieft, fönne und wolle man 
den Patrioten helfen. Nur jchade, daß der Herzog von Braunſchweig nicht 
bis zum Frühjahr warten wollte! 

Kein Geringerer denn Claufewig nennt den Einmarſch der Preußen in 
Holland ein „leichtfinniges Unternehmen”. Nicht die Zahl der Verteidiger — 
die Holländer verfügten über ungefähr 20000 Mann, teil® deutſche Söldlinge, 
teils freiwillige Schügen —, aber der Charakter des Kriegsichauplages und das 
Beilpiel des unglüdlihen Feldzugs der Franzoſen von 1672 hätten vom Ein: 
marſch mit jo geringfügigen Streitkräften zurüdhalten jollen.?) Damals war die 
Niederung weitlih der Vechte durch Durchſtechung der Dämme in eine wogende 
See verwandelt worden, und dadurch behindert hatte ſogar die erdrückende Ueber: 
macht der Franzoſen nichts ausrichten können. Clauſewitz felbit erflärt das Wagnis 
von 1787 daraus, daß man „in Berlin von den Rüftungen und dem Geift der 
Niederländer eine fehr Eleine dee gefaßt hatte“. Vor allem wirkte der Mangel 
an Einheit des Kommandos lähmend auf die Operationen der Patrioten. Nicht 


i) Recueil, II, 433; Pfau, 71. 
2) Clauſewitz, 284. 


Der Kampf zwifhen ber oranifhen und ber patriotifchen Partei. 143 


der Rheingraf von Salm, den Claufewig ſchlechtweg als „Schwindler“ abfertigt, 
jondern die Verteidigungskommiſſion in Amfterdam hatte die militärijche Yeitung. 
In Amfterdam gab es aber neben der ftärferen Kriegspartei auch viele Oran— 
giften und Gemäßigte, die darauf drangen, daß der Weg ber Unterhandlungen 
nicht verlafjen und die Mediation Preußens angenommen werde. Während dieje 
Spaltung die Kriegführung der Patrioten beeinträcdhtigte, wurde das moralifche 
Uebergewidht der Angreifenden durch das Vertrauen auf die Führung durch einen 
der berühmteften Helden der Fridericianiſchen Tafelrunde gefteigert. 

Auch in der Hoffnung auf den Beiltand der Elemente jahen ſich die 
Holländer betrogen. Der Herzog von Braunjchweig hatte für feinen Einfall 
die Zeit des Neumonds gewählt, weil in diejen Tagen der Einfluß von Ebbe 
und Flut ein befonders geringer zu fein pflegt. Obwohl die Schleujen auf: 
gezogen und die Dämme durchſtochen waren, machte das Gewäſſer feine Miene, 
den Preußen den Weg zu verfperren; die Ueberfhwemmung erreichte erft, 
als der Hauptichlag gegen Amiterdam ſchon geglüdt war, den gewünjchten 
Höhegrad. !) 

Alle Operationen hatte der Herzog von Braunfchweig mit ber Genauigfeit 
eines Mathematifers vorausberechnet, und über die Bewegungen der Gegner war 
er, da es überall Anhänger des Statthalters gab, vortrefflich unterrichtet. So 
fonnten feine 20000 Mann rafh und ficher wie auf einem wohlbefannten 
Paradefeld den Einmarfh ins Werk jeten,; das Triebwerk klappte vorzüg: 
lid. In der Provinz Geldern wurden die Preußen wie Befreier vom Bolfe 
empfangen; überall wurde ihnen ein vergnügtes Dranje boven! zugerufen; 
Scharen von Kindern zogen mit und fangen das alte, von den Patrioten ver: 
botene Volkslied Wilhelmus van Naſſauen; herrliches Wetter begünftigte das 
Vorrüden; es jhien zu einem Vergnügungsfeft, um nicht zu jagen zu einem 
FJamilienfeft zu gehen. Um das gute Einvernehmen mit der Bevölkerung zu 
erhalten, wurde auf ftrenge Mannszucht gejehen; in Merkerk mußten wegen 
Plünderung drei Mann des Regiments von Marwig Spiefruten laufen, der 
Kapitän erhielt Arreft, der Kommandeur die Entlafiung, und nur legterem 
wurbe auf Bitten des Dffizierscorps die Strafe erlafjen. 

Da ber Waffengang ausſchließlich gegen die Provinz Holland gerichtet fein 
jollte, war es von wichtiger Bedeutung, daß der Rheingraf von Salm die Stabt 
Utreht, die von den Preußen gar nicht angegriffen werben durfte, ohne jede 
Nötigung räumte. Er zog mit den deutſchen Soldtruppen nad Amfterbam, 
aber die Bürger mweigerten fi, den Verräter einzulafien; darauf liefen die 
Soldaten auseinander, und ihr jauberer Feldherr ward nicht mehr gefehen. In 
Utreht waren nah Salms Abzug alle Bande der Ordnung gelöft, die Frei: 
willigen waren nicht mehr zu halten, die Bürger zerbradhen aus Zorn oder 
Furcht ihre Waffen, die franzöfiichen Offiziere fuchten vergeblih der Verwirrung 
und der Fahnenfluht zu fteuern. Auch im Haag volljog fi unter dem Ein: 
drud des fiegreihen Bordringens der Preußen ein Umfhwung. Die Flucht 
des Rheingrafen, die Uebergabe des wohlbefeftigten Gorfum beim erften Kanonen: 


) Troſchke, 35. 


144 Erftes Buch. Vierter Abfchnitt. 


ſchuß, das Fiasko der auf Ueberſchwemmung des Kriegsichauplages zielenden 
Maßregeln, — das waren jo peinlihe Weberrafhungen, dab die Hocdhmogenden 
ganz und gar den Kopf verloren. „Heut früh fieben Uhr,” jchrieb der fran: 
zöſiſche Geſandte am 18. September an Montmorin, „bat mid der Groß: 
penfionär, ih möchte unverzüglich zu ihm fommen; er führte dann die ver: 
worrenften Reben und vermwidelte fi jo in Widerjprüde, daß mir flar wurde: 
entweder ift der Mann nicht mehr Meiiter feiner Einne, oder er will be: 
reit3 auf eine Umwandlung feines Verhaltens vorbereiten.” !) Drangefarbene 
Kofarden flogen an alle Hüte; mer fih nicht damit verjehen wollte, war der 
Beihimpfung auf offener Straße ausgefegt,; eine Fahne der Patrioten wurde 
vor dem Haufe des engliichen Gejandten in Stüde zerrifien; Gyzelaer und andere 
Führer der aufftändiichen Bewegung mußten eiligft nah Amiterdam flüchten. 

Schon am 20. September konnte Prinz Wilhelm im Haag feierlihen Einzug 
balten. Kirhtürme, Häufer, Schiffe waren mit oraniihen Flaggen geihmüdt; 
die Kutiche des Statthalterd wurde von Bürgern dur die Strafen gezogen, des 
jubelnden Zurufes war fein Ende. Es war zugleih ein Tag ftolzen Triumphes 
für Sir Harris. „Ich bin fein Anhänger der fentimentalen Mode,“ fchrieb er 
an Sir Carmarthen, „aber meine Augen wurden feucht, als ich hier mit dem 
Fürſten wieder zufammentraf ...“ 

Nur in vereinzelten Fällen ftießen die preußifchen Truppen auf ernjteren 
MWiderftand. In den Stabträten wurden die patriotiihen Mitglieder dur 
Drangiften erjegt, ganze Abteilungen Patrioten ohne Führer ergaben fih ohne 
Slintenfhuß, auf den Wällen von Feftungen, die nur durch regelrechte Belage: 
rung oder blutigen Sturm hätten genommen werden fünnen, wurde beim An 
marſch der Preußen das Drangebanner aufgezogen. Welche Panik unter den 
Batrioten ausgebroden war, beweift die Thatfache, daß eine holländifche Fregatte 
mit zehn Kanonen, die auf eine Sandbank des Lek geraten war, fih an ein 
Grenadierbataillon und eine Schwadron Hufaren ergab. 

Nur in Amfterdam behielten die Bürger ruhig Blut; die reichite Stadt 
der Niederlande ſchien mannhaften Widerftand entgegenfegen zu wollen. Gerade 
deshalb jchien es geboten, auch dieſe Pofition der Patrioten zu nehmen. „Laſſen 
Sie fih nit dur die drohende Sprache der Franzoſen abſchrecken,“ jchrieb 
Sir Harris an den Herzog von Braunfhweig, „Franfreid wird in Schach 
gehalten; der König von Großbrittanien läßt die Ausrüftung einer ftaatlichen 
Flotte betreiben.” Herzog Ferdinand erwiderte kurz, er fei von der Notwendig: 
feit des Vormarjches gegen Amfterdam überzeugt und jei entichloffen, ihn aus— 
zuführen. 

Es konnte in Berfailles nur als bittere Jronie empfunden werben, daß 
ein Schreiben der Generalftaaten Sr. Allerchriſtlichſten Majeftät die Wiederher— 
ftelung der Ordnung in Holland anzeigte; der wohlwollende Bundesgenoſſe 
werde gewiß mit Befriedigung vernehmen, daß die Irrungen mit dem Herrn 
Statthalter glücklich beigelegt jeien und die Verftändigung mit dem preußifchen 
Hofe bevorftehe, jo daß die Bitte um franzöfifche Vermittlung außer Kraft gejegt 


) Witt, 275. 


Der Kampf zwifchen der oraniichen und ber patriotifhen Partei. 145 


werde und bie Hilfe Sr. Majeftät nicht mehr nötig jei. Gleichzeitig ertönte 
freilih ein Klageruf aus Amfterdam: Europa bürfe fi nicht länger gleichgültig 
verhalten, der Sturz des Edpfeilers werde den Zujammenfall der vereinigten 
Provinzen nah ſich ziehen. Doc die Gelegenheit war einmal verfäumt; die 
Küftungen wurden zwar mit bemonjtrativem Lärm fortgejegt, aber das fran= 
zöfifche Kabinett konnte nicht mehr daran denken, feine unthätige Haltung auf: 
zugeben. 

Herzog Ferdinand war wegen des Widerltandes, den er vor den Mauern 
Amfterdams zu erwarten hatte, nicht ohne Beſorgnis; eine regelrehte Belage: 
rung bot erhebliche Schwierigkeiten, der Winter war nit mehr fern, und in- 
folge ftarfer Regengüſſe hatte das Wajler in den überſchwemmten Landftrichen 
eine gefährliche Höhe erreiht. Der Herzog Fnüpfte deshalb nochmals mit den 
Führern der Patrioten Unterhandlungen an; er forderte Entwaffnung ber Frei— 
iharen, Wiedereinjegung der alten Magiftrate und Beitritt zu den im Haag ges 
faßten Beihlüffen, vor allem Abbitte vor der Prinzeffin von Oranien. Die 
Bedingungen wurden aber in Amſterdam verworfen, und ebenjo fanden neue An: 
träge der Patrioten nicht die Zuftimmung des Statthalterpaares. 

Nachdem Herzog Ferdinand jelbit, um ſich über die Ausfichten einer Be: 
lagerung oder eines Sturmes zu unterrichten, einen Ritt bis hart an die Vor: 
werke von Amfterdam gewagt hatte, wurde am 28. September in den Gemächern 
der Prinzefiin im Haag Kriegsrat gehalten. Der Herzog legte dar, daß nur 
ein raſcher Angriff zum Ziele führen fönne, und da auch Eir Harris auf mög: 
lichſte Bejchleunigung drang, wurde der Sturm bejchlojien. 

Zur Berteidigung der nah Amfterdam führenden Dämme waren nicht 
bloß an den wichtigften Punkten Schanzen aufgeworfen,!) jondern auch Kriegs: 
ihiffe im Zuyderſee und Y-Strome aufgeftellt; nur das Haarlemer Meer, auf 
welhem man von Südweſt bis in die Nähe von Amſterdam vordringen fonnte, 
war ohne Dedung geblieben. Diejer Fehler war von Herzog Ferdinand nicht 
überjehen worden; eine preußiſche Abteilung feste in Fahrzeugen über das 
Haarlemer Peer und griff die Belagerten im Nüden an. Nach Clauſewitz war 
namentlich dieje Flanfenbewegung enticheidend für den glüdlichen Erfolg. Gleich: 
zeitig (1. Oftober) wurden alle Vorwerfe an der Stirnfeite angegriffen. Der 
erfte Sturm auf Oudekerk mißlang und foftete beträchtlihe Opfer, aber die 
Preußen erneuten, wie es in einem Berichte heißt, „mit der ihnen eigenen Herz: 
baftigfeit“ immer wieder den Angriff, bis zulegt ale Schanzen, zulegt aud das 
wichtige Amftelveen genommen waren. ?) 

Schon tags darauf erbat ji der Stadtrat einen Waffenftillftand, bis eine 
nah dem Haag entjandte Deputation zurüdfehren würde. Der Herzog ging 
darauf ein, traf aber für alle Fälle die nötigen Vorkehrungen zum Hauptangriff 
auf die Stadt. Zugleich betrieb er bei den Generaljtaaten die Ausfertigung 


’) Eine genaue Schilderung der Befeftigungsarbeiten der Batrioten bietet Nogalla von 
Bieberftein, Die Preußen vor Amfterdam 1737, nad niederländifhen Quellen (Deutiche Revue, 
Jahrg. 1889, I, 231). 

2) Polit. Journal, Jahrg. 1787, II, 950. 

Seigel, Deutiche Geſchichte vom Tode Friedrichs d. Gr. bi8 zur Auflöjung bes deutſchen Reiche. 10 


146 Erſtes Buch. Vierter Abſchnitt. 


von Marfchpatenten für die noch bei den Patrioten ftehenden regulären Truppen; 
die Kommandeure der widtigften Pojten zogen ab, und die Preußen nahmen 
von den verlaffenen Werfen Beſitz. „Im Promenieren,” jpottet General Kald: 
reuth in feinem Berichte, „wurde jo ein Dutend Gefhüge genommen.” Da 
nunmehr von brei Seiten die preußiichen Batterien gegen die Stadt gerichtet 
waren, mwagten bie Belagerten den Widerftand nicht mehr fortzufegen. Die 
unmittelbare Umgebung unter Waffer zu jegen, wie man es 1650 zur Abwehr 
Wilhelms II. gethan hatte, wäre ein foftipieliges Mittel gewejen, ohne daß 
ein Bombardement dadurch ausgejchloffen geweſen wäre.!) So fapitulierte denn 
die Stadt am 10. Dftober unter den vom Statthalter geforderten Bedingungen; 
die Rädelsführer der patriotiihen Bewegung, voran die Diktatoren von Woerde, 
wurden abgejett; die meilten flohen nad Franfreih, worauf ihre Käufer vom 
Pöbel geplündert wurden. Um bas Selbftgefühl der Beſiegten zu ſchonen, ver: 
zichtete Herzog Ferdinand auf feierlihen Einzug; nur das Leydener Thor wurde 
von den Preußen bejegt, die Stadt jelbit von Truppen des Statthalters. Gegen 
Ende Oktober zog die preußiihe Armee aus Holland ab, bloß eine Abteilung 
von 4000 Mann unter General Kaldreuth blieb auf Wunſch des Statthalters 
vorerft nod) zurüd, ohne daß die Niederlande für den Sold aufzukommen hatten. 
Friedrih Wilhelm wollte auch auf jeden Erjag der Kriegsfoften verzichten; fpäter 
ließ er fih von feiner Umgebung beftimmen, eine halbe Million Gulden zu 
fordern; die ganze Summe wurde jedoh unter die heimgefehrten Truppen ver: 
teilt. Das großmütige Verhalten des Siegers erleichterte die Verſtändigung 
der gemäßigten Patrioten mit dem Statthalter; die Unterworfenen wetteiferten 
in Dienftbeflifjenheit und Gefügſamkeit; das beite Einvernehmen ſchien ber: 
geitellt, die Verföhnung befiegelt zu fein. Die Stände von Holland und Weit: 
friesland ließen jogar auf den Sieg des Braunfchweigers eine Denkmünze 
jhlagen und widmeten dem Herzog ein in Gold geprägtes Eremplar „als Zeichen 
nie erlöfhender Dankbarkeit”.?) Sir James Harris wurde von feiner Regierung 
als Lord Malmesbury in den Peerftand erhoben; Friedrich Wilhelm gab ihm 
den preußijchen Adler ins Wappen, und der Statthalter bat ihn, die Devife des 
oraniichen Haufes zu führen: „Je maintiendrai*. — 

Die Einnahme von Amfterdam, die den rafchen Siegeszug der Preußen 
frönte, ‚machte in ganz Europa gewaltigen Eindrud. Das Hamburger politijche 
Journal bradte in jeinem Dftoberheft eine ausführlihe Schilderung der Expedi— 
tion, die mit dem ſtolzen Glückwunſch ſchließt: „Dieſe Thaten haben der Weis- 
heit und den fFeldherrntalenten des Herzogs von Braunfchweig ewige Ehre ge: 
macht und feinen Ruhm über den der Condé und Turenne, die vor 115 Jahren 
Holland mit mehr denn 100000 Mann befriegten und Amſterdam nicht ein: 
nehmen fonnten, erhoben!“ °) Goethe jchrieb von Caſtel Gandolfo (12. Dftober 
1787) an Herder: „Das wäre bie erfte Erpedition, wo fih unfer Jahrhundert 
in feiner ganzen Größe zeigt! Das heißt eine sodezza! Ohne Schwertſtreich, 


!) Clauſewitz, 310. 
?) Jakobi, II, 357. 
) Polit. Journal, Jahrg. 1787, II, 954. 


Der Kampf zwifchen der oranifchen und ber patriotiichen Partei. 147 


mit ein paar Bomben, und niemand, der fih der Sache annimmt!“) Auch 
Karl Auguft preift die unvergleichliche Sicherheit des Auftretens der preußiichen 
Armee und ihres Führers. Kühler beurteilt Herder den preußiſchen Erfolg; 
er rühmt zwar die „ſchon geführte Unternehmung des Herzogs”, mißbilligt aber, 
daß Preußen „in einer fubalternen Privatbeziehung” Erefutionstruppen ver: 
wendet habe (10. Dezember 1787). Doch ſolche Bedenken tauchten jedenfalls nur 
vereinzelt auf; wo man ſich nicht bes Sieges der Preußen freute, jah man mit 
Befriedigung die moralifhe Niederlage Franfreihs. Sogar Kaifer Joſeph jchrieb 
nicht ohne Schabenfreude an Bruder Leopold: „Franfreih hat Holland verloren, 
für das e8 jo viel Mühe und Sorge aufgewendet hat. Der König von Preußen 
bat eine dankbare Rolle gejpielt; wenn Franfreih den Schimpf vergißt, den 
ihm Preußen angethan, dann hat es einen guten Magen.” ?) Hertzberg, ber 
im Gegenfat zu jeinem Amtsgenofjen Fink von Finkenftein das Bündnis mit 
England und den Einmarſch in Holland empfohlen hatte, benügte die Feltjigung 
der Akademie zu einer ftolzen Siegesfanfare. Es war nicht gerade taftvoll, daß 
er den Amsterdamer Jean Mandrillon, der nad Berlin gefommen war, um dem 
Könige im Namen der gemäßigten Patrioten Frievensvorjchläge zu unterbreiten, 
zu der Siegesfeier einlud, und es war geſchmacklos, daß er den Herzog von Braun: 
ſchweig mit Cäſar verglih und an bas veni, vidi, viei nad) der Schlacht bei 
Bela erinnerte, — er hätte, meint Mandrillon, höchſtens jagen fönnen: „veni, 
vidi, intravi!“ °) | 

Die Demütigung Frankreichs lag zu Tage. Das engliihe Kabinett ftellte 
jogar in Verfailles das Anfinnen, daß bie durch den preußiſchen Sieg geſchaffene 
Sadlage förmlich durch eine Urfehde: Erklärung Franfreihs anerkannt werde, 
und nicht minder tief als Frankreichs Anjehen war offenbar Frankreichs Selbft: 
vertrauen gejunfen, denn der demütigenden Forderung wurde nachgekommen. 
Montmorin erklärte: „Seine Majeftät trägt fein Bedenken, die Verfiherung zu 
geben, daß jener oben erwähnten Anzeige (eine preußifche Invaſion Hollands 
nit dulden zu wollen), feine Folge mehr gegeben werden joll und wegen ber 
holländischen Vorgänge feine feindliche Abficht gehegt wird.” (27. Dftober 1787.) *) 
Die peinlihe Niederlage Frankreihs mwedte fogar Bejorgnis, daß das europätjche 
Gleichgewicht allzu empfindlich geftört und ausjchweifenden Eroberungsplänen 
die Bahn geöffnet wäre. In einem merkwürdigen Briefe an Karl Auguft 
(17. November 1787) ſprach Goethe, der fih eben in Rom aufhielt, die Be- 
fürdtung aus, daß Kaifer Joſeph und die Zarin aus dem Umſchwung in Europa 
den Hauptgewinn ziehen möchten. „Mir jcheint es für Freund und Feind be- 
denflih, daß Frankreich fo weit herunter it!” Wenn diejenigen Staaten, die 
allein den Kaijerhöfen Schach zu bieten vermögen, fich untereinander befehden, 


) Böthlingk, 49. In der Suphanſchen Sammlung finder ſich der Brief nicht. 

2) Arneth, Joſeph II. und Leopold, II, 141. 

%) M&moires pour servir ä l’histoire de la revolution des provinces unies en 1787, 
par J. Mandrillon (Paris 1791), 72. 

*#) Hertzberg, Röcueil des deductions ete., II, 438. — Witt nennt diefe Erflärung 
des Kabinett von Verfailles „catögorique* (a.a.D., 298). Eine merlwürdige Auffaffung! 


148 Erftes Bud. Vierter Abſchnitt. 


wer fol dann verhindern, daß Katharina Konjtantinopel und Joſeph Italien 
für fih nehmen? „Man legte fih mit ein paar Linienſchiffen in den Golf 
von Neapel und bäte fi zwei Thore von Rom aus, jo wäre die Sade 
gethan!” Die Stimmung des Volks und jogar des Klerus in Italien ſei 
einem ſolchen Putſch durchaus günſtig. „Noch geſtern jagte ein jtebzigjähriger 
Mönch: Wenn ih nur noch in meinen alten Tagen erleben jollte, daß ber 
Kaifer käme und uns alle aus den Klöftern jagte, jelbit die Religion würde 
dabei gewinnen.“ ') 

In Frankreich jelbit wurde die Haltung der Regierung als unverantwort: 
liche Vernachläſſigung der durd eine glorreihe Tradition auferlegten Pflichten 
empfunden. Bon der Erregtheit der Volksftimmung zeugt Mirabeaus Schrift: 
„Aux Bataves sur le Stathouderat.* „Ein Tag der Trauer war’s für ganz 
Europa, an dem die preußiſche Invafion eure edlen Pläne, unglüdliche Bataver, 
zerftört hat! Ueberall wurden duch tiefe Entrüftung die Erfolge eurer Be- 
drüder verbunfelt; überall brannten die Völker, obwohl fie ihrer Rechte beraubt 
find, vor Begier, von ihren Herrihern zur Nahe für den euch zugefügten 
Schimpf aufgerufen zu werden! Doch die Fürften allein haben dieje heilige 
Begeifterung, die einen neuen Kreuzzug anzufachen ſchien, nicht geteilt; jie haben 
eurer Unglüd halb mit Staunen, halb mit Schreden betradtet, wie man den 
Blitz berniederfahren ſieht. Ah, ihr werdet nit einen finden, der jo groß: 
mütig wäre, euch jeinen Schuß anzubieten, jo uneigennüßig, daß er nicht einen 
Preis auf feine Dienfte jegte, jo großdenfend, daß er eure Nechte zu eigenem 
Nachteil anerkennen würde, jo wahrhaft ruhmliebend, daß er feine Völker durch 
den Hinweis auf euer Beiſpiel ermutigen möchte, auch von ihm Rechenſchaft 
über feine Herrſchaft zu fordern!” Doch wie! Sollten denn die Bataver auf die 
Opferwilligfeit eines Fürften angewiejen, jollten fie nicht jelbft im ftande jein, 
ihre Ehre und ihre Freiheit wieder zu erringen? Gewiß, fie würden fih im 
günftigen Augenblid wieder ermannen und nochmals den Haß befunden, der 
fie, jomweit ihre Geſchichte zurüdreihe, gegen Tyrannen immer bejeelt habe. 
Ganz Europa werde dann die ftolzen Waffen der Bataver fegnen! „Den wer 
könnte vergeflen, daß ihr das ältefte der freien Völfer waret, dab ihr niemals 
aufgehört habt, es zu fein, daß ihr einen Boden, wo die Elemente nur den 
Grundftoff liefern, ertragsfähig und fruchtbar gemadt und mit Städten bebedt 
habt, daß ihr zuerft vor zweihundert Jahren jene erhabene Duldfamkeit ein: 
geführt habt, ohne welche weder unter den Gliedern einer Familie, noch unter 
den verſchiedenen Staaten Eintradht beitehen fann, daß ihr den unglüdlichen 
Wadtländern hülfreihe Hand geboten, daß ihr mehr als einmal die Freiheit des 
Ozeans wiederhergeftellt, Europa den Frieden wiedergegeben, die Könige durch 
Vergleihe verſöhnt habt, daß Feine andre Nation der neuen Zeit vor euch 
verftanden hat, Reihtum mit Freiheit zu verbinden, daß ihr, von der Vorjehung 
in ein Land gelegt, das Ueberſchwemmungen, anftedenden Krankheiten und allen 
damit verbundenen Berheerungen preisgegeben ift, darin wie auf einem Ehren: 
poften treu ausharret, um alle Hülfsmittel der Intelligenz und des Mutes zu 


1) Goethes Werke, IV. Abth., 8. Bd., 295. 


Der Kampf zwifhen der oranifchen und ber patriotiihen Partei, 149 


entfalten!” Gegen „Nabuhodonofor”, den König der Preußen, führt Mirabeau 
in diefem Aufruf eine ganz andere Sprade, als ein Jahr vorher in feinem 
Glückwunſch zur Thronbefteigung. „Du, Nachfolger eines Helden, der immer 
nur den Defpotismus des Genius ausübte! Der du jelbit ſolche Größe 
hättet erreihen können, wenn du Schritt für Schritt die Preußen zu politifcher 
Freiheit erhoben und ihnen die einzige Wohlthat erwiejen hätteft, deren fie 
der große Friedrih nicht teilhaftig machte, weil er fie derjelben nicht für 
würdig erachtete! Du Haft dich jetzt nicht geihämt, dich zum Werkzeug eines 
zornigen Weibes herzugeben und einen freien Staat mit Füßen zu treten! 
Hätteit du wenigftens nicht den Augenblid gewählt, ba der mächtige Verbündete 
Hollands durch ein gebieterifhes Schickſal gefeffelt war, man hätte dann nur 
deine Barbarei gejehen, ohne dich der Feigheit zu zeihen; raſche Strafe 
würde di ereilt und damit die Scheuflichfeit deines Unterfangens ſich ge: 
mindert haben! Bittere, die Nahe wird nun nur um jo jchredlicher fein!“ 
Und wieder, wie in jenem an riedrih Wilhelm gerichteten Memorandum 
ftelt Mirabeau eine Reihe von „droits inalienables et imprescriptibles* 
auf, deren Durdführung er jegt nur noch von ben fich jelbft befreienden Völkern 
erwartet: „Alle Menſchen find frei geboren, ale Menichen find einander gleich, 
alle Macht gebt vom Bolfe aus, jede Obrigkeit, mag fie zur Geſetzgebung, zur 
Verwaltung oder zum Richteramt berufen fein, ift dem Volk zur Rechenſchaft 
verpflichtet” ) u. ſ. w. 

Die Wirkung folder Feuerworte darf nicht unterfhäßt werben. Wie 
Mirabeau, ſahen fi auch andre Apoftel der Revolution ermutigt durch die 
Schwäche der franzöfifchen Negierung, die ebenfo die königliche Macht zu Grunde 
richten mußte, wie fie bie königliche Würde preisgegeben hatte. Auch in Holland 
verhallte der Ruf des Anwalts der Völker nicht ungehört. Die Hoffnung, daf 
der preußiihe Sieg die oraniſche Sache ftügen und Fräftigen werde, war 
trügeriih. Trotz des Jubels, womit die Wiederherftellung der Ordnung be: 
grüßt worden war, gewann die Auffaffung Boden, daß die Einmijchung der 
Fremden in heimiſche Verfaſſungsfragen eine Kränfung der nationalen Ehre 
bedeute, das Volk wendete fih von den Draniern ab, und durch diefe Ent: 
fremdung wurde, als wenige Jahre fpäter die Revolutionsheere, vereint mit 
den verbannten Patrioten, den Hollandsdiep überjchritten, der Sturz der Dynaſtie 
beichleunigt. 

Ja, für Preußen jelbit hatte ber leicht errungene Sieg in den Nieder: 
landen eine verhängnisvolle Kehrſeite. Mit Genugthuung fonnte der Preuße 
auf die glänzende Probe der Schlagfertigfeit und der Tüchtigfeit des Heeres 
bliden; wäre es nur bei diefer berechtigten Hebung des nationalen Selbftgefühls, 
die in der Erbauung des Brandenburger Thores im Weſtend von Berlin 
Ausdrud fand, geblieben! Doch der mühelos errungene Sieg verführte zur 
Ueberhebung, insbejondere mande Neuerungen aus militärischen Kreifen zeugen 
von maßlojem Selbjtvertrauen. „Für Preußen die glänzendite Epoche,” heißt 
es in einem Briefe des Generals Kaldreuth, „mit dem erften Tempo des Degens 








') Mirabeau, Aux Bataves, 117. 


150 Erftes Bud. Vierter Abfchnitt. 


bringt e$ ganz Europa zum Gehorjam.”!) Mit ſchwachen Streitkräften hatte 
Herzog Ferdinand von Braunſchweig ein von Verteidigungsmitteln feineswegs 
entblößtes Nahbarland angegriffen, und das Wagnis war gelungen. 1792 zog 
der nämliche Fehler des Feldheren, der wieder mit unzulänglider Macht den 
Einfall in Franfreid gewagt hatte, eine demütigende Niederlage nah ſich. 
Durch Frankreichs Schwähe im holländifchen Streit getäufht, mußte Preußen 
ein Luſtrum fpäter die Erfahrung machen, daß die Engpäfie der Argonnen 
weniger leicht zu nehmen feien, ala die Schleufenfhanzen vor Amfterdam. 


) Militär. Litteraturzeitung, Jahrg. 1875, 200. 


Fünfter Abfchnitt, 


Die eurvpäiſche Tage im Jahre 1787, Friedrich Wilhelm I. 

und die üffentlide Meinung Graf Berkberg. Raiſer 

Jofeph I. und die vrienfalifche Frage. Die Tripelalliang 
und die Railerhöfe. Der Türkenkrieg von 1788. 


ihau über die Weltlage um die Mitte des Jahres 1787.) Er ftaunt 

über den gewaltigen Umſchwung im legten Jahrzehent, das er als Ge: 
fangener auf dem Hohenaſperg vertrauert hatte. Seine Betrachtung dringt 
nicht in die Tiefe, ift auch aus begreiflihen Gründen — er hat auf dem 
Hohenaſperg Vorficht gelernt — nicht frei von Schönfärberei; immerhin gewährt 
es Intereſſe, zu hören, wie ein Deutjcher von Herz und Kopf die legten Wand- 
lungen und die bevorftehenden Wechſelfälle am Vorabend der großen Revolution 
beurteilt. Vor allem ift beacdhtenswert, wie unbefangen ber Oberdeutjche bei 
aller Bewunderung Kaiſer Joſephs die Entmwidelung Preußens würdigt und 
diefem Staate ben Beruf, Deutihland um fich zu Scharen, zufpridt. Man fieht: 
der Fürftenbund hat abgeblüht, aber die Samenfnofpe ift geblieben, die Frucht 
geht, wenn auch langjam, ber Reife entgegen. — 

Maria Therefia, die edle, Fromme Fürftin, ift heimgegangen, und ihren 
Thron hat der Fühnite Reformator aller Zeiten, Joſeph IL, eingenommen. 
„Ras man in Jahrhunderten nicht that, that er in wenig Jahren. . . Er 
ftupfte die Eichel, wollte den Eihbaum fehen und — fah ihn!” Man jehaute in 
der Kaiferftadt an der Donau einen Papſt, doc nicht in der troßigen Stellung 
eines Hildebrand vor Heinrich IV., fondern als demütigen Bittjteller, der von 
jeinem Kaifer und Herrn Schonung erwirfen will. Man jah, wie Friedrich der 


J erſten Hefte der „Vaterländiſchen Chronik“ hält Schubart eine Ueber— 


) „An mein Vaterland“, in Schubarts Baterländ. Chronik, 1787, 1; „Zeichen ber Zeit“, 
ebenda, 105. 


152 Erjtes Bud. Fünfter Abfchnitt. 


Einzige jein Leben mit einer „Götterthat” beſchloß, mit der Stiftung bes Fürften- 
bundes, an den fi noch immer die Hoffnungen auf eine befjere Zukunft fnüpfen. 
Man jah in Amerika durch Weisheit und Kühnheit einen neuen Freiftaat er: 
ftehen und in Europa den alten batavijhen Freiſtaat durch Feigheit und Thoren: 
finn zum Niedergang fi neigen. 

Auch anderwärts regt ſich der Geilt der Neuerung und des Aufruhrs, 
Im Lüttichſchen gärt es; in Trient hat das Volk, erboft über die neue Militär: 
fonjfription, die faiferlihen Adler zertrümmert; in Venedig will das Volk nicht 
länger als Knecht der Signoria dienen; in Toskana best der Biſchof von Piltoja 
gegen die Neformen des aufgeflärten Leopold; in Irland zerrt der Dämon 
Revolution fhon lange an der Kette. Bald fireut die Auflflärung den Samen 
der Unzufriedenheit aus und macht das leicht mißverjtändlihde Wort Freiheit 
die Köpfe der Halbgebildeten jchwindeln, — bald widerſetzt ſich der finitere 
eilt der Unduldfamfeit wohlthätigen Reformen, um feine alte Zwingherrſchaft 
aufreht zu erhalten. „Ohne den Scharfblid der großen politifhen Seher, 
eines Kaunig, Herkberg, Pitt, ohne den Tubus der Apofalyptifer und ohne die 
Netorte des Bako und Leibniz läßt ſich jegt bloß mit gefunden Augen und 
ſchlichtem Menſchenſinne aus den Zeichen der Zeit auf große, in Staatsverfaffung, 
Religion und Wiffenfchaft tiefeingreifende und revoltierende Ereigniſſe ſchließen. .. . 
Das europäiſche Staatsſyſtem ijt allen Anzeihen zufolge einem 
großen Umſchwunge jehr nahe!” 

Der türkiſche Mond jcheint immer trüber und wird bald ganz ins Meer 
finfen, — fort mit den Barbaren nah Afien! Dem perfiihen Schah lahmt 
der von Wolluft entnerute Arm am Säbelgriff; der Sinefier genießt viel und 
handelt wenig; Japan ächzt unter dem Joch eines Tyrannen. Von Afrika 
„beleden unsre Kenntniffe nur die Südfpige und die am Rand ertürmten, Hoc): 
trogenden Freiftaaten”. Das jengende Klima, die wilden Tiere und Menſchen, 
die ihre Wildheit den Tieren abgelernt zu haben fcheinen, ſcheuchen den forjchenden 
Wanderer noch immer vom Kern des Landes zurüd.” Amerika, auf deffen jung: 
fräulidem Boden Wajhington, größer als Brutus, den neuen Freiftaat gegründet 
hat, redt jugendfräftig feine Glieder. 

Sn Europa ift zwar „noch nicht der Tag angebroden, aber es hat zu 
dämmern begonnen”. In Portugal freilih ift der Geift des großen Pombal 
erlofchen, ohne Spuren der Aufklärung zu binterlaffen, und in Spanien fliehen 
die Mujen vor der Mordfadel der Jnquifition, aber Stalien will nicht mehr 
bloß mit goldenen Nepfeln jpielen, jondern finnt auf Ermannung und Thaten. 
Glüdlih dur feine vollkommene Staatsverfaflung, ftark dur die Kraft feines 
Volkes behauptet England erften Rang unter den Mächten. Nicht minder feft 
und gejihert — bier tritt zu Tage, daß Schubart die politiihen Verhältnifie 
weniger jcharf erfaßt, als Foriter!) und Johannes Müller?); er ahnt gar nit, daß 
in Frankreich in Wirklichkeit die Macht ſchon den Händen des Königs entglitten, 
daß nicht bloß eine Revolution, fondern die Auflöfung nahe ift! — erhebt ſich 


1 G. Forſters Werke, VIL, 159, 180, 188. 
?) Joh. Müller an feinen Bruder, Kafjel, 23. November 1782; gef. Werke, 30. Bb., 81. 


Die europäiſche Sage im Jahre 1737. 153 


Franfreih über die Nachbarn. „Gejunde Politif, immer tiefer wurzelndes, 
weiſes Finanziyitem, geübte Land: und Seemadt erhalten dies Reich bei aller 
Kleinheit, zu der fih der Nationalgeift immer tiefer hinabneigt, in Würde und 
Anjehen, und was dieſe Krone am meiften empfiehlt, fie macht es ſich zu unjrer 
Zeit zum Geichäft, das Syitem des Friedens über Europa zu verbreiten: neben 
der Lilie weht die Palme!” Holland, das moderne Tyrus, geht dem Verfall 
entgegen; der Schimpf, den die falſchen Patrioten der mit dem Deljweig des 
Friedens reifenden Statthalterin zufügten, wird ſchlimme Früchte tragen! Ruß: 
land, der jhredhafte Kolof, wird ganz Europa aus dem Gleichgewicht bringen, 
wenn es fich erit in feiner ganzen Größe aufrichtet. „Sechsundfünfzig Millionen 
Menihen zu einem Zwede wirkſam, was vermögen dieſe!“ Schweden erhält 
durch Guſtavs gelaffene Weisheit fein altes Anfehen zurüd. Dänemark wartet 
des elektriſchen Funkens, der jein tapferes Volk wieder beleben wird. In Polen 
jcheint der braujende Geift der Nation zur Ruhe gelangt zu fein, das Land 
ſonnt jih im Lichte der Nedlichkeit feines Stanislaus, aber wehe, wenn es diefen 
König verliert! even Batrioten jchaudert es, daran zu denken! 

Frieden und Glück find auch in Deutjchland eingefehrt. Joſeph und 
Friedrich Wilhelm fihern den Frieden und fpenden das milde Licht der Auf: 
Härung, ohne daß deutſche Sehnenfraft erlahmt wäre. Die Fürjten gelobten, 
„jede Gewaltthat der Alleinherrihaft”" — das Wort paßt jchlecht zu dem Lob: 
gefang auf den Kaifer! — mit vereinten Kräften abzuwehren; fo erftand „ber 
unjre Freiheit jo feit gründende deutſche Fürftenbund”. Auch in den Biſchöfen 
des Neichs regt ſich apoftolijcher Geiſt; die Feſſel der Hierardie wurde mutig 
abgeftreift. Ein frifcher, mutiger Ton herricht im Denken, Reden und Schreiben 
der Deutihen! Sogar das trogige England füngt an, deutſchen Geift befler 
zu würdigen. Sn ber Litteratur fehlt es freilich nit an trüben Erjcheinungen. 
Die Nahäffung der Nachbarn über dem Rhein ift noch nicht aufgegeben; die 
deutiche Sprache donnert nicht mehr wie zu Hermanns und Luthers Zeiten, ſon— 
dern girrt, wie eine Flöte in der Maiennadt; „der deutſche Genius läßt ſich 
von Gnomen das Haar fräufeln, von Niren mit Eau de Levant bejprengen 
und von Elfen bebändern und bemaſchen“. Leichtiinniges Getändel gilt mehr 
als ernites Studium, Duodezalmanadhe und wollüftige Romane beherrſchen den 
Markt. Die Wiſſenſchaft ift ins Zeichen der Encyflopädien getreten; fie fucht 
das Fett von allen Suppen abzufhöpfen, bat aber dem Bolfe nichts auf: 
zutiihen als eine Kapuzinerfuppe. Die Zeitungen begnügen ſich, zinngießer: 
mäßig zu politifieren und ihre Leſer mit ſchalen Märlein und fühlen Facetien 
zu unterhalten. Aber noch leben und wirken große deutſche Männer, noch leben 
Klopftod, Wieland, Herder, Goethe, Lavater, Gerftenberg, Schiller, die Grafen 
Stolberg, Claudius, Bode, Gedide, Engel, Garve, Nicolai, Möfer und Mojer, 
Männer, die für die Ehre ihres Baterlandes arbeiten und den austretenden 
Strom immer wieder ins Bett zurüddrängen. 

Vor allem ift Preußen berufen, Deutihland groß und ftark zu machen. 
Seit den Tagen des Großen Kurfürften, der mit Eleiner Macht große Thaten 
vollbrachte, baute jeder Regent planmäßig weiter an der Schöpfung des Staates, 
der fortwährend die Augen der Welt auf fi zog. Auf Friedrich Wilhelm I., den 


154 Erftes Bud. Fünfter Abfchnitt. 


Schöpfer des Syitems, und auf Friedrich den Großen, den Ermeiterer, folgte 
Friedrih Wilhelm II., der Vollender! „Er it ganz Gnade und Milde” — 
bier führt die Dankbarkeit das Wort, denn Schubart erhielt durch Vermitte— 
lung Friedrich Wilhelms die Freiheit —, „bie ftille Größe dieſes Regenten 
verdient den jchönften Lorbeer. Religion gilt ihm als das erfte, aber 
nit weniger eifrig wirft er fir Verbeſſerung der Erziehungsanitalten, für 
Förderung des Kunfifleißes, der Landwirtfchaft, des Handels und der Gewerb— 
ſamkeit. Die Krieger find noch von jenem Geift bejeelt, der zu Friedrichs 
Zeiten mit halben Welten rang und objiegte. Der Patriot meint vor 
Freude, daß nunmehr Vaterlandsſprache, Vaterlandsgeiſt an der Spree wieber 
Geltung haben und in den Sälen der Afademie die Namen der Engel, 
Garve, Ramler, Selle und dein Name, Hertberg, des Auslands Namen 
übertönen !” 

„Mit einem Wort: kein Land kann fich derzeit rühmen, jo große Staats: 
männer, Krieger, Weife, Künftler und vortrefflihe, Lit und Kraft im Staat 
verbreitende Männer jo gedrängt nahe beifammen zu haben, als Preußen, ber 
Liebling der Vorſehung!“ 

Schubart blieb ein Bemwunderer Preußens und ein Anwalt Friedrich 
Wilhelms II. Noch im Sommer 1788 ſchreibt er: „Glüdlih ein Rei, drin 
ein Friedrich Wilhelm gebeut, ein Finfenftein ſpricht, ein Hertzberg jeine 
Eſſays fhreibt und ein Möllendorff handelt!” !) Sogar das Religionsebift ſucht 
er troß feines Widerwillens gegen den „oberften Biſchof und Pädagogarchen 
des preußiichen Staates”, Herrn von Woellner, zu rechtfertigen; angefichts der 
ſchmachvollen Schriften gegen Religion und Baterland, wie fie in jüngfter Zeit 
aufgewuchert feien, könne einem Fürften nicht verargt werden, wenn er fi 
und den Staat auf die Reagierenden in Kirche und Geſellſchaft fügen wolle, 
Freilich ſei nicht zu billigen, daß auf die „bisherige, nicht ſelten übertriebene 
Dentfreiheit” jet ein „Denkzwang“” gefolgt jei, eine fommandierte Frömmigfeit, 
die dem freien Geift der Nation nicht anftehe und Preußens Ruf zu jchädigen 
drobe. Unbegreiflich jei auch die Liebelei des Berliner Hofes mit der Kurie. 
„Eine der jeltjamiten Erfcheinungen in Berlin ift — der päpftlide Gejchäfte- 
träger, Graf Guiccioli: was würde der große Friederih, was der orthodore 
Friedrih Wilhelm, was die alten föniglihen und furfürftlihen Verfechter der 
proteftantifden Freiheit jagen, wenn fie dies Phänomen von ihrem Sternenfige 
erblidten?” „Doch,“ jest Schubart refigniert und vorſichtig hinzu, „der preußifche 
Staat ift Schon einmal von der Vorſehung auserlefen, der Welt ungewöhnliche 
Schaufpiele zu geben. ... Der Erfolg muß erft die Weisheit der neuen Ber: 
ordnungen rechtfertigen!” ?) 

Doch in anderen Kreifen wurde die innere Bolitif des Berliner Kabinetts 
weniger nachſichtig beurteilt. Es wurde ſchon dargelegt, wie fih unter dem 
Eindrud der kirchenpolitifhen Neuerungen eine Gegnerſchaft bildete, aus deren 
Reihen heftige Angriffe gegen den König und die von ihm begünftigten Geheim— 


') Baterl, Chronif, Jahrg. 1788, 632. 
2) Ebenda, Jahrg. 1789, 172. 


Friedrih Wilhelm Il. und die öffentliche Meinung. 155 


bündler und Glüdsritter gerichtet wurben.!) Doch auch bie fedften Pamphlete 
aus deutfcher Feder überragte an leidenſchaftlicher Hige eine Schrift jenes Fran: 
zoſen, der ein Jahr vorher die Thronbefteigung des preußiſchen Monarchen fo 
freudig und begeiftert begrüßt hatte. Da bie „Geheime Geihichte des Berliner 
Hofes“ troß aller Ermwiderungen und Widerlegungen die Beurteilung Friedrich 
Wilhelms II. bis auf den heutigen Tag über Gebühr beeinflußt hat, muß darauf 
näher eingegangen werben. 

Im Sommer 1787 erſchien zuerft eine franzöfiiche, bald darauf auch eine 
deutſche Ausgabe von Briefen eines reifenden Franzoſen mit Nachrichten intimften 
Charakters über den Berliner Hof. Obmohl Graf Mirabeau nicht genannt war 
und mwenigitens anfänglid feine Autorſchaft abzuleugnen juchte?), war über den 
Verfaſſer niemand im Zweifel. Heute willen wir gewiß, daß der „Geheimen 
Geſchichte“ im Wefentlihen die Briefe zu Grunde liegen, die Mirabeau während 
jeines Aufenthalts in Berlin an jeine Gönner, Abbs Talleyrand und den Herzog 
von Lauzun, gerichtet hatte und die zur pifanten Lektüre für den Hof von Verfailles 
beitimmt waren. 

Die eriten Stüde enthalten Stimmungsbilder vom Hofe des großen 
Friedrichs, defien Leben zur Rüfte gebt, fo daß der Thronfolger ſchon den Mittel: 
punft des Hoflebens bildet. Mirabeau, der häufig im Haufe des Prinzen Heinrich 
verfehrte, war gut unterrichtet, und jah und hörte manches, was ſich den Augen 
des großen Publikums entzog; aud ſonſt fehlte es damals einem Franzoſen in 
Berlin nicht an dienjtwilligen Zuträgern; insbejondere der Kampf der Parteien 
um die Gunft des künftigen Herrſchers it ficherlih im allgemeinen getreu nad 
dem Leben gezeihnet. Vom fterbenden Könige wird mit ehrfurdhtsvoller Be— 
wunderung geſprochen, und im Urteil über den Thronfolger und feine Freunde 
die Grenze erlaubter Kritif nicht überfchritten. Einen andern Ton aber ſchlagen 
die fpäteren Briefe an. Da ſich der Verfaſſer inzwifchen überzeugt hat, daß eine 
Berüdfihtigung feiner Wünſche nicht zu erwarten ift und der franzöfiiche Einfluß 
überhaupt vom Hofe verdrängt werben joll, tritt die Luſt am Standal in den 
Vordergrund, das Urteil wird ſchärfer, der Ton leidenfchaftliher. Um die für 
Klatſch und Mebifance ſehr zugänglichen Lejer in Verſailles und Trianon zu 
amüfieren, die Gegner ber Franzoſen in Berlin anzufhwärzen und die Per: 
fönlichkeit des Berichterftatters intereffant zu machen, wird entitellt und verzerrt, 
gefäliht und bejubelt, jo daß fih nur noch eine Sammlung von Karikaturen 
darbietet. Man wird beim Lejen des Gedanfens nicht los: Welch ein Unglüd ift 
es, über großes Talent zu verfügen, wenn man nicht ben Charakter befigt, um es 
zum Guten zu verwerten! Wie widerlih wirkt durch handgreifliche Lebertreibung 





'; In der „Allgemeinen deutfchen Bibliothef” wurden von Profeffor Hencke nicht weniger 
als 59 Schriften über das Heligionsedift beſprochen (Reiche, Die polit, Litteratur unter Friedr. 
Wilhelm IL, 16). 

?) Die Redaktion der Berlinifchen Monatäfchrift begleitet Die Nachricht, daß Mirabeau 
in einem Briefe an einen freund in Deutjchland (8. November 1788) die Autorfhaft von ſich 
abgemwälzt habe, mit den Worten: „Wir freuen uns, von einem fo talentvollen Manne, als 
wofür Graf Mirabeau allgemein erfannt wird, eine fo pofitive Erklärung befannt zu machen,” 
(Jabra. 1789, I, 168.) 


156 Erſtes Buch. Fünfter Abſchnitt. 


das Zerrbild von Frievrih Wilhelm, der „bald wieder Marfgraf von Branden: 
burg fein wird“. „Aus drei Beltandteilen ift der Charafter bes Königs zu: 
fammengefegt: aus Falfchheit, die er für Gewandtheit anfieht, Eigenliebe, die ji 
beim geringften Anlaß verlegt glaubt, und einer Berehrung des Goldes, die bei 
ihm nicht jo fait Geiz ift, als eine Leidenschaft, zu beißen. Das erite von 
diefen Laftern madt ihn mißtrauiſch gegen jedermann, denn wer grundſätzlich 
betrügt, hält fi) immer für betrogen. Das zweite Lafter bewirkt, daß er immer 
mittelmäßigen oder ganz unbedeutenden Leuten den Vorzug einräumt. Das 
legte trägt dazu bei, daß er ein jo ftilles und einfames Leben führt, wodurch 
jene andern Fehler noch verftärkt werden!” !) Was ſonſt von läppifhen und 
lafterhaften Gewohnheiten des Monarden und von tollen Epiſoden des Hof: 
lebens erzählt wird, entzieht fi der Wiedergabe. Und wie das Privatleben 
Ihändlih, jo jei die Negierung fopflos und deshalb der Verfall des Staates 
nicht mehr aufzuhalten. „Nie ließ ih einem Reihe ein rajcherer Rüdgang 
prophezeien! Man unterwühlt es von allen Seiten auf einmal. Man ver: 
mindert die Quellen ber Einkünfte, man fteigert ins Maßloſe die Ausgaben; 
man achtet feine Grundfäge; man handelt nad bloßen Einfällen; man ſchwächt 
die Armee; man benimmt den Wenigen, die zu brauden wären, allen Mut; 
man macht jelbit diejenigen mißvergnügt, um deren willen man alle andern 
verlegt hat; man entfernt alle Ausländer von Verdienſt; man umgibt fih nur 
mit unbebeutenden Xeuten, nur um das Anjehen zu haben, als ob man allein 
regiere.” ?) So ift das arme Preußen nur noch „ein Land, in das die Priefter, 
. die Vifionäre und die Buhlerinnen fi teilen werden”. „Fäulnis vor ber 
Reife!” in diefes Schlagwort faßt Mirabeau feine Charakteriftit des preußiichen 
Staates zuſammen. „Bordelle auf den Fittihen des Adlers, und ih will ihn 
mit leichter Mühe aufs Haupt jchlagen! Möge diefes Wort bes Kaijers nicht 
ein prophetiiches jein!” — 

Das Pamphlet wurde zwar, wie es bei Libellen biejes Schlages herkömm— 
ih, mit Begierde verfhlungen, — binnen kurzer Zeit waren 20000 Eremplare 
vergriffen’) — rief aber bei bejonneneren Leſern nur Unwillen und Entrüftung 
hervor. Prinz Heinrich, der Oheim des Königs, der jelbit die Sendung Mirabeaus 
nah Berlin erwirkt hatte!) und nun fein Vertrauen ſchmählich vergolten ſah, 
behandelte die Tölpelei, wie fie e& verdiente; er verteilte jelbft eine größere An: 
zahl Erenplare an Belannte — jo hätte es damit wohl aud der alte Frig ge: 
halten!?) Die preußifhe Regierung drang in Paris auf Verbot der Läfterjchrift 
und Beitrafung des Berfaflers; nad langem Zaudern wurde zwar das Buch 


', Histoire secr&te de la cour de Berlin ou correspondance d’un voyageur frangais, 
depuis le 5 juillet 1786 jusqu’au 19 janvier 1787; Oeuvres de Mirabeau, ed. M. Me- 
rilhou, VI, 380. 

2) Ebend., 30%. 

3) Ebend., VI, S. V. 

*, Mezieres, vie de Mirabeau, 112. 

°) Aud) Goethe übte an der Schmähfchrift lakoniſche Kritik. „Mirabeaus Bud,” fchrieb 
er an Charlotte von Stein, „will ich fhiden, wenn's möglich if. Die Herzogin bat es wieder 
holen laſſen und es foll fort. Du verlierft nichts an diejer Lektüre.“ (Briefe, IX, 90.) 


Friebrih Wilhelm II. und die öffentliche Meinung. 157 


durch Henkers Hand verbrannt (10. Februar 1789), doch weigerte fih das Parijer 
Parlament, gegen den Verfaſſer einzufchreiten.') 

Hertzberg, der in Mirabeaus Schrift als ein aufgeblajener Hohlfopf ge: 
ihildert ift, „für den unterm Monde nichts Wert bat als Herkberg und 
Preußen“ ,*) gab feiner Entrüftung in einer akademiſchen Feſtrede, welche die 
Errungenschaften des zweiten Regierungsjahres Friedrih Wilhelms II. feierte, 
pathetiſchen Ausdruck. Er vergleicht den ungenannten, nur allzu befannten Ber: 
fajler mit Heroftrat, Profop und Aretino, die er an Echamlofigfeit und Tüde 
noch übertreffe.°) Der Redner vermengt aber unbilligerweije die „Geheime Ge: 
ſchichte“ mit dem Werk „über die preußiſche Monardie”, dem fich ernftere Be— 
deutung nicht abiprechen läßt. 

Mit patriotiichem Eifer wandte ſich der Hiftorifer Ernit Poffelt gegen „den 
Franzoſen, der Nichts ift für das Gute, Alles für das Böſe!““) gegen ben 
„modiihen Pasquino“, der vor jein Faunenantlig die Masfe des Sittenrichters 
band. Mirabeau jei nad Berlin gegangen, um fich Friedrich Wilhelms Gunft zu 
erbetteln, aber zu jeinem Leidweſen jei vom föniglihen Tiſche fein Bröjamlein 
abgefallen und die dem König zugedadhte Nipafia, die Marquije von Fleury, 
jei zurückgewieſen worden, ja endlich jeien der Kuppler und jein Helfershelfer, 
Marquis Luchet, aus Berlin jo gut wie weggejagt worden. „So haben wir... 
den Sclüfjel zu diefem Arhiv von Lügen, Schmähungen, Widerjprüden und 
Bosheiten aller Art, die er gegen den preußiſchen Staat überhaupt, gegen 
deſſen weijen und menfchenfreundlichen König und gegen eine Reihe von Männern 
zujammengetragen bat, welche auf die Verehrung der Zeitgenofien die gerechtefte 
Anſprache haben.” Neidiſche Verleumdung jei es, wenn behauptet werde, daß 
Preußen, dur die Kriegs: und Staatsfunft eines Friedrich Fünftlih in bie 
Höhe aeihraubt, ohne ihn herabzufinfen beginne. „Ein Staat, wider aller 
Völker Macht von Gott jelbft erhalten durch dich, ift beftimmt, unfterblich zu 
jein, wie du ſelbſt!“ 

Dankbarkeit und Eitelkeit liefen auch den befannten Abenteurer Baron 
Trend zur Abwehr Mirabeaus fchreiten.) Friedrih Wilhelm hatte ihm den 
größten Teil der von König Friedrich in Beichlag genommenen Familiengüter 
zurüdgegeben; dafür wollte jih Trend erfenntli zeigen, um jo lieber, da 
damit erwünſchte Gelegenheit geboten war, die eigene Perjönlichkeit gegen 
den berühmten Mirabeau auszufpielen. Weil er wie fein andrer die Trieb: 





) Stern, Das Leben Mirabeaus, 1, 285. 

*”, Histoire secrtte, 89. 

) Geichichte des zweiten Regierungsjahres Friedrich Wilhelms II., vorgeleien von Her: 
berg in der fönigl. Afademie der Wiffenich. am 21. Nuguft 1788, 156. 

4, Ernit Boilelt, Ueber Mirabeaus Histoire secrete de Ja cour de Berlin (1789). Die 
Schrift ift „dem Geifte Friedrichs des Großen” gewidmet. Das Titelfupfer zeigt folgendes 
Bild: „Eine Bildfäule Jupiterd; der Gott figt da, in ruhiger Majeftät, den Donnerfeil in der 
Hand und zur Seite den Adler. Ein mutwilliger Knabe wirft einen Stein nad ihm, Wil 
fagen: fo wenig Jupiter dem Werfen des mutwilligen Anaben zürnt ober fich irgend dadurch 
entehrt hält, fo wenig achtet Friedrih Wilhelm II. der Läfterungen eines Mirabeau.“ 

°) Trend contra Mirabeau oder politisch: critifche Beleuchtung der geheimen Geſchichte 
des Berliner Hofes von Fhrn. Friedrih von der Trend. Aus bem Frans. (7) 1789. 


158 Erſtes Bud. Fünfter Abſchnitt. 


federn der preußiihen Maſchine Fenne, wird verfichert, ſei er berufen, dem 
Parifer Charlatan darzuthun, wie wenig Richtiges und MWahres er in Berlin 
ergattert habe. Wie gefchmadlos die Chrenrettung bes Königs durchgeführt 
wird, mag ein Beifpiel beweifen. Den Vorwürfen bezüglih der finnlichen 
Ausshweifungen des Königs begegnet der Anwalt mit zwei Fragen und Ant: 
worten: „Sit es wahr, daß der König von Preußen die Frauen liebt? 
Niemand zweifelt daran. ft das bei einem König ein Verbreden? In dem 
Zuftand, in dem fi heute Preußen befindet, darf der König den Myrthen 
Eupidos vor dem Lorbeer des Mars den Vorzug geben!” Bon einer „Eritiichen 
Beleuchtung” der Schrift Mirabeaus ift feine Rede; mit den allgemeinen politi- 
ſchen Betrachtungen bes Franzofen erflärt fi Trend einverftanden, denn er ift 
„ein Gegner jeder willfürlihen Macht, aljo des öſterreichiſchen wie des preußiichen 
Syitems“. 

Dagegen ift es Herrn Hofrat Zimmermann gerade um bie Rettung des 
Berliner „Syftems” zu thun.!) Er nennt zwar feine Schrift eine „Verteidigung 
Friedrichs des Großen“, bietet aber im Wejentlihen eine Apologie der Männer, 
die das Vertrauen bes regierenden Königs erworben hatten. Minijter Wöllner 
werde in Mirabeaus „boshafter Charteke“ nur deshalb mit Hohn und Spott 
verfolgt, weil er „jo voll unüberwindlichen Mutes für die Sache Gottes, gegen 
die Ausrottung des Chriftentums und den wilden Strom der Aufklärung“ an: 
fümpfe. Bitteres Unreht werde jeinem „teuren Freunde”, dem Kammerherrn 
Marchefe Luchefini, zugefügt, und ebenſo wenig verdiene Luchhefinis Schwager, 
Oberſt Bijchoffwerber, den Vorwurf, als ob er fi zum Mitregenten des Königs 
binaufichrauben wolle; der Oberft bejorge einzig und allein die Korreipondenz 
für die Kavallerie, wie fie Herr von Geufau für die Infanterie zu überwachen 
habe. Mirabeau fpeie nur deshalb Gift und Galle, weil ihn die beiden fchönen 
Töchter des Oberften zu häßlich befunden hätten; wie uneigennüßig der Bertraute 
des Königs geblieben fei, erhelle daraus, daß jene Mädchen unlängft zur Klage 
gezwungen waren: „Wir haben nicht Geld genug, um täglid in bie Komödie 
zu gehen!” Dem König ſei das höchſte Lob zu jpenden, daß er Männer „voll 
jo ausgezeichneter, wahrer, moralijher Erhabenheit und Größe” der Freundichaft 
und des Vertrauens würdige. 

Glücklicherweiſe hat König Friedrich Wilhelm diefe „Ehrenrettungen“ nicht 
nötig. Das von dem franzöfiihen Spion gezeichnete Bild ift fehon deshalb un: 
wahr, weil es nur die Schatten zeigt und nicht das Licht. Schon aus den 
äußeren Regierungshandlungen läßt fich entnehmen, wie übertrieben die Klage 
über die Trägheit und den Stumpffinn des Königs, der „nur für Lottojpiel und 
tändelnde Muſik Intereffe zeige”. Vom gewöhnlichen Verkehr mit den Miniftern 
abgejehen, pflegte Friedrih Wilhelm einen großen Teil des Jahres auf Reifen in 
jeinem Königreihe zu verwenden; dabei hielt er Mufterungen und Manöver ab, 
beriet mit den Beamten über die Bebürfniffe der einzelnen Provinzen und Städte, 
befihtigte Fabriken und Manufakturen und ließ es auch an Aufmunterung von 


') Zimmermann, Verteidigung Friedrichs des Großen gegen den Grafen von Mira: 
beau (1788). 


Friedrich Wilhelm II. und die öffentlihe Meinung. 159 


Kunft und Künftlern nicht fehlen. Daß die Regierung in ihren Bemühungen 
um die Landeskultur nicht immer glüdlih war, daß der Tabakbau, die Seiben- 
raupenzucht und ähnlihe Schöpfungen die forgfältige Pflege ſchlecht belohnten, 
fann nit dem Negenten zur Laſt gelegt werben; daß im zweiten Jahr ber 
Regierung Friedrih Wilhelms die Zöle erheblich herabgemindert wurden und 
die Stadt Stettin Erlaubnis zur Getreidveausfuhr erhielt, wird von Hergberg als 
wichtige Errungenschaft gefeiert.!) Von der menjhenfreundlichen Gefinnung bes 
Königs gab es manch freundlichen Zug zu erzählen. Als er fich bei einer Feuers: 
brunft in Breslau eifrig am Rettungswerk beteiligt hatte, rühmte jogar ber 
Kepublifaner Georg Forfter die Pflichttreue „eines Fürften, deſſen Unterthanen 
die beruhigende Ueberzeugung hätten, daß ihr Oberhaupt bei Tag und Nacht 
auf feinem Poſten verharre”.?) 

Freilich, ein Herabfinfen von der hohen Stellung, welche Preußen unter 
Kriedrid dem Großen eingenommen hatte, ift unverfennbar; ohne daß es im 
einzelnen nachzuweiſen wäre, trat allmählih in der ganzen Verwaltung eine 
Abnahme der Kräfte ein, die jchließlih zur Kataftrophe des Jahres 1806 ge: 
führt hat. Am deutlichiten läßt fi der ungünftige Umſchwung auf dem Gebiet 
der Geiftespflege erfennen. Bei der eriten Geburtstagsfeier des Königs, am 
25. September 1786, hatte der Akademiker Engel das ftolze Wort ausgeiproden: 
„Unter den Monardien Europens ift die unfrige faft die einzige, wo Staats- 
klugheit und Menjchenliebe jene entehrenden Feſſeln des Gewiſſenszwanges nicht 
bloß weiter gehängt, nicht bloß erträglicher und leichter gemacht, fondern fie 
zerriffen und zerbrocdhen haben.” ?) Schon im nädhften Jahre würde Engel dieje 
Erklärung nit mehr abgegeben haben oder nicht mehr abgeben haben dürfen. 
Unter dem Einfluß der Wöllner und Bifhoffwerder und rühriger Mitwirkung 
ber bei Hofe begünftigten Geheimbünde wurde die Forderung „Religion und 
Moral” im Sinne des ftrengen -Bibelglaubens ausgebeutet. Das Schulweſen 
wurde nad Elerifalen Geſichtspunkten reformiert, mißliebige Prediger wurden 
troß freiiprechender Urteile des Rammergerichts entlaffen oder ohne Unterfuchung 
und Urteil beftraft, kurz, wie Preuß jagt, „die Geiſtesdeſpotie Wöllners ſetzte 
in dem Kulturftaat Preußen den Segen der Denf:, Preß- und NRechtöfreiheit 
zur Zeit des großen Königs in ein neues, zuvor immer noch nicht allfeitig genug 
erfanntes Licht”.t) Dem Einfluß der Dunfelmänner ſuchte das „Kränzchen“ 
entgegenzuarbeiten, in welchem fich der Minijter von Struenjee, der geheime 
Finanzrat Wlömer, die Pröbfte Teller und Zellner, Bibliothefar Biefter und 
andere Gefinnungsgenofien „zur Beiprehung vaterländiicher Angelegenheiten“ 
verjammelten. 

Bünftigeren Eindrud gewährte die äußere Politik Friedrich Wilhelms in 
diejen Jahren. Wir, befigen zur Feſtſtellung des objektiven Thatbeftandes eine 


) Geſchichte des zweiten Negierungsjahres 2c., 168. 

2) G. Forfter, Schriften politiichen Inhalts, 35. 

») J. J. Engel, Schriften, IV, 81. 

*) Preuß, Zur Beurteilung des Staatsminifters von Wöllner, in der Zeitſchr. für preuß. 
Geſch., III, 79. 


160 Erftes Bud. Fünfter Abfchnitt. 


zuverläfiigere Quelle als die Panegyriken Hergbergs: die eigenhändigen Schrift: 
ftüde des Königs. Aus Hunderten von Signaten, Depeſchen und Briefen läßt 
fih der Vorwurf Mirabeaus am ficherften widerlegen. Der König hat auf 
politiichem Gebiet nicht nur eine rege Thätigfeit entfaltet, jondern auch in manden 
Fällen mehr Scharffinn und Staatsflugheit an den Tag gelegt, als der von 
den Zeitgenofien To hoch gefeierte Herberge. Mar Dunder und Paul Bailleu 
haben aus dem Briefwechjel des Königs mit feinem Minifter nachgewielen, daß 
Hergbergs Anfichten und Ratſchläge durchaus nicht immer die glüdlicheren 
waren.!) Der Miniſter war aus der ardhiviitiihen Laufbahn hervorgegangen; 
„selehrte und politifche Beitrebungen durchdrangen fi fortan in ihm, einander 
fördernd, aber nicht minder auch hemmend.” Seine Gejchichtsfenntnilfe und 
jeine Vertrautheit mit den Archiven ließen fih bei Abfaſſung amtlicher Noten 
trefflich verwerten, aber es wurde darauf zu viel Gewicht gelegt; der Politik 
Hergbergs haftet ein gewiſſer doftrinärer Zug an; er glaubte durch diplomatische 
Kunſtfertigkeit und gelehrte Nuseinanderjegungen auch da zum Ziel zu gelangen, 
wo es lohnender gewejen wäre, ohne Umjchweife eine gefunde ntereffenpolitik 
zu verfolgen. Er wäre ein vorzüglicher Hülfsarbeiter eines großen praftifchen 
Staatsmannes geweſen, ihm jelbit fehlte der große Zug; er gehörte zu jenen 
Politikern, die in der Staatsfunft ein Monopol ihrer Kafte erbliden und mehr 
der Schablone nach berühmten Muftern als den Bedürfniffen der Gegenwart 
Redhnung tragen. Fremden Diplomaten mißfielen die Eitelfeit und die Ruhm— 
begierde des preußiſchen Minifters. Der ſchwediſche Geſandte in Berlin, 
von Cariſien, dem Scarfjinn und Objektivität nachgerühmt werben, ſchreibt 
1793 — aljo allerdings erit nach dem Sturze Herkbergs —: „Mit einer ganz 
übertriebenen Anficht bezüglich der preußifhen Macht, für die, wie er glaubte, 
nichts unmöglich jei, vereinigte er ein brennendes, unruhiges Verlangen, die 
Grenzen Preußens noch weiter auszudehnen und dadurd fein Minifterium zu 
einem in der Geſchichte glänzend daftehenden zu maden ... Aufs höchſte von 
jeiner vermeintliden Weberlegenheit als Staatsmann, Landwirt und Gelehrter 
eingenommen, zeigte Graf Her&berg im übrigen täglich feine ſchwache Seiten, 
deren ſich die Perſonen, welche feiner Eitelkeit ſchmeichelten, mit Vorteil zu be— 
dienen wußten, um ihm die geheimften Pläne zu entloden.“ ?) 

Wir haben gejehen, daß Herkberg den Gedanken eines fefteren Bundes 
deuticher Fürften, den Karl Auguft von Weimar neuerdings angeregt hatte, 
geringichägig ablehnte und damit den Beweis lieferte, daß er für den eigent- 
lihen Beruf Preußens nicht das volle Verftändnis hatte. Wir haben gejehen, 
daß er zur friegeriichen Aktion in Holland drängte, die zwar dem preußifchen 
Heere ehrenvollen Lorbeer, dem preußifhen Staate aber feinen Vorteil bradte. 
Nah fiegreiher Beendigung „jeines” Feldzugs ſuchte er um jeden Preis eine 
Verwidelung Preußens in neuen Krieg fernzuhalten, einem blutfcheuen Arzte 


’) Friedrich Wilhelm II. und Graf Hertzberg, von M. Dunder, in Sybels hiftor. Zeitichr. 
Jahrg. 1877, 1. Graf Hergberg, von P. Bailleu, in hiſtor. Zeitſchr, Jahre. 1879, 442. 

?) Arnheim, Aus einer fchwebiihen Gefandtichaftärelation über Preußen von 1793, in 
Forſchungen zur brand.epreuß. Geſch. II, 267. 


Graf dertberg. 161 


vergleihbar, der auch dann noch mit Mirturen zu helfen jucht, wenn nur ein 
entichloifener Schnitt die Heilung bringen fann. Als das von Frankreich wohl- 
wollend unterftügte Bündnis der Kaiferhöfe die übrigen Mächte Europas zum 
Widerftand nötigte, war Hergberg dem großen Augenblid nicht gewachſen; er 
verfäumte über der Jagd nah Fleinem Gewinn die Gelegenheit, durch feites 
Auftreten in der orientaliichen Frage die deutiche zur Entſcheidung zu bringen. 
„Weiſe Mäßigung“ galt ihm als einzig würdiges Negierungsprogramm, die 
Kunit des Worts als Allheilmittel, womit fi alles erreichen laſſe; in der ge 
fährlihften Krifis fand er immer wieder einen Ausweg, der die Möglichkeit 
gewährte, „die Kräfte des Staates für die Zukunft aufjujparen”. 

Der König war, mie fih aus jeinen Signaten erjehen läßt, mit den 
Grundjägen jeines Minifters durchaus nicht immer einverftanden; ihm fehlte es nicht 
an Mut und Entichlofjenheit, um im günftigen Augenblid auch eine entſcheidende 
That zu wagen. Friedrih Wilhelm, von oberflähliher Bildung und ernften 
Studien abhold, verfügte nicht über jene Kenntnifje, die einem Staatsmann 
feine Aufgabe erleichtern, aber er bejaß den gejunden Menjchenveritand, der ihn 
aud in jchwieriger Verwickelung das Richtige erfallen ließ; er war, obwohl im 
allgemeinen indolent, ein jcharfer Beobachter; er war langſam in jeinen Erwägungen 
und zögernd und vorfihtig vor dem Entihluß, aber von dem, was er id 
einmal zurechtgelegt, ganz erfüllt und dann auch zäh und beharrlih. Freilich, den 
Mut, auch jeinem Minifter Widerſtand zu leiften und jelbftändig die Snitiative 
zu ergreifen, bejaß er nicht; erit jpäter, als die Lage fi weniger günftig 
geitaltet hatte, bewog ihn Luccheſinis Einfluß, die von Herkberg empfohlene 
Politik aufzugeben. Wer möchte aber aus der Anhänglichkeit an Hertzberg einen 
jhweren Bormwurf ableiten! Sah doc alle Welt mit Hochachtung und Bewunderung 
auf den Staatsmann, der in vierzigjähriger Amtsthätigfeit immer ruhig, immer 
taftvoll, in tadellofer Haltung Kabinettsgeichäfte bejorgt, mehr Traftate ent: 
worfen, mehr Staatsjchriften verfaßt hatte, als alle übrigen Minifter Europas, 
ohne daß er ſich den inneren Angelegenheiten der Monarchie gänzlich entzogen oder 
der Pflege der Willenichaften entjagt hätte. Man glaubt den weltmänniſchen 
Neſtor der europäiihen Diplomatie jelbft zu hören, wenn der fonft jo erplojible 
Georg Forfter die Aufgaben und Ziele preußifcher Politik jchildert: „Die 
Seele des preußiihen Staates muß Anhänglichfeit an das jeit einem Jahr— 
hundert gelegte Syftem eines regelmäßigen Fortichreitens in Macht und 
Größe bleiben... . Ein preußifches Kabinett, das anfangen wollte, die Finanzen 
in Verwirrung zu bringen, den Schag auszuleeren, die Armee einem großen 
Eroberungsplane zu opfern, würde das Gewicht, das Preußen jeit zwanzig 
Jahren in Deutichland und Europa behauptet, vermindern und dadurch offenbar 
die ironiſche ‚Vorſchrift, wie man aus einem großen Reiche ein Fleines machen 
fönne‘, welche der verehrungswürdige Franklin 1774 jchrieb, im Ernft zu be: 
folgen ſcheinen.“) 

Auch in der orientaliihen Frage hielt Herkberg an dem Bejtreben feit, 
„die rechte Mitte zu finden”. Je entſchiedener Defterreih jih dem Dften zus 








') G. Forfter, Schriften polit. Inhalts, 191. 
Heigel, Deutihe Geſchichte vom Tode Friedricht d. Gr. bie zur Aufldfung des deutſchen Reiche. 11 


162 Erftes Bud. Fünfter Abſchnitt. 


wandte, je mehr es fih an der unteren Donau auszubreiten fuchte, deſto 
zuverfichtliher Fonnte Preußen hoffen, in Deutjchland die gebührende Stellung 
zu erringen. Jede Vergrößerung Defterreihs im Often war auch für Preußen 
von Vorteil. Dagegen ſah Herkberg, weil er eben den deutſchen Beruf 
Preußens nicht richtig würdigte, den Inbegriff politiicher Weisheit eines preußi- 
jhen Staatmannes darin, Defterreih zu jhaden, immer und überall zu ſcha— 
den, freilid niemals ohne den gemejjenen Ton, die disfreten Manieren, 
das mwohlwollende Lächeln des mwohlerzogenen Staatsmannes abzulegen, und 
immer mit folder Behutjamfeit, daß eine direfte Kriegsgefahr nicht erwachſen 
fönne. — 

Es wurde jchon dargelegt, weld gute Dienfte Kaifer Joſeph der Zarin 
(1783) im Kriege mit der Pforte leiftete. Er ließ nicht bloß geichehen, daß 
Katharina im Widerjpruch mit den beftehenden Verträgen die Krim ihrem Reiche 
einverleibte, ſondern unterftügte die ruſſiſchen Anſprüche aud noch bei den 
Friedensverhandlungen dur die Erklärung, daß er eine Weigerung der Pforte 
auch feinerfeits mit einer Siriegserflärung beantworten würde. Für diefe Ger 
fälligeit dankbar, gab Katharina die Zufage, daß aud fie den Wünfchen des 
Kaijers in Bezug auf den Eintaufh Baierns nicht mehr widerftreben werde. 
Der Plan jcheiterte an der Aufrichtung des Fürftenbundes, aber das gute Ein: 
vernehmen der Kaiſerhöfe dauerte fort; Katharina und Joſeph wechfelten mit: 
einander Briefe voll Schwung und Zärtlichkeit, die von einem in die thatjäch- 
lihen Berhältniffe nicht Eingeweihten als Briefe von Liebenden angejehen werden 
fönnten. 

Im Auguft 1786, wenige Tage vor dem Ableben Friedrichs II., eröff: 
nete Katharina ihrem Freunde, daß fie neuerdings ernften Anlaß habe, über 
den Großherrn in Stambul, der die jchugherrlihen Redte Ruflands über 
Georgien bejtreite, ungehalten zu jein; zugleich war mitgeteilt, daß fie die neu- 
erworbene Krim zu bejuhen gedenfe, und der Hoffnung auf eine Begegnung 
mit dem Kaiſer Ausdrud gegeben. !) Joſeph fand diesmal den Ton des Briefes 
etwas hochgeſchraubt und hielt es für beleidigend, daß die Einladung in Form 
eines Poſtſkriptum gefleivet war; er wolle, ſchreibt er an Kaunitz, „a la 
princesse de Zerbst Catherinisee* begreiflid maden, daß er auf belifatere 
Behandlung Anſpruch zu erheben habe.) Kaunig bejchwichtigte jedoch den 
Empfindlihen; der Brief der Zarin wurde in freundfchaftlichfter Weife mit dem 
Verſprechen erwidert, Joſeph werde, falls es ihm jeine Regierungsgeſchäfte er: 
laubten, mit Freuden der Einladung Folge leiten. Doch die BVerftimmung 
Joſephs war nicht gehoben, ja, er befreunbete fich jogar mit dem Gedanfen, 
dem Bündnis mit Rußland zu entjagen und mit dem Nachfolger König 
Friedrichs, deſſen ganzes Auftreten ihm Vertrauen einflößte, in engere Ver: 
bindung zu treten. In einer für den Staatsfanzler beitimmten Denkfchrift 
führte er aus, welch heilfame Folgen ein aufrichtiges Zujfammengehen der 
Häufer Defterreih und Preußen für Deutſchland und ganz Europa nah fid 


Arneth, Joſeph II. und Katharina von Rußland, ihr Briefwechfel, 274. 
*) Beer, Joſeph II., Leopold Il. und Kaunig, ihr Briefwechſel, 242. 


Kaifer Joſeph II. und die orientalifhe Frage. 163 


ziehen könnte.) „Wenn die Häufer von Defterreih und Brandenburg aufrichtig 
zu einander halten und nad gemeinjamen Plänen handeln, fo haben fie nichts 
zu fürdhten, weder von irgend einer andern Macht, noch ſogar von mehreren 
verbündeten Mächten; fie werden die Schiedsrichter fein nicht bloß von Deutſch— 
land, jondern von Europa; fie werden von allen Mächten gefucht werben, aber 
jelbft niemals nötig haben, die Gunft eines andern zu erbitten; ber allgemeine 
Weltfriede wird nur von ihrem Willen abhängen; wenn fie fi einander ftüten, 
können fie das Glüd ihrer Unterthanen begründen und ihre Staaten zu Blüte 
und Wachstum bringen; fie können fi alle ihnen wünjchenswert erfcheinenden 
Vorteile erwerben und den andern Mächten nad ihrem Belieben Anteil zu: 
wenden; das find unbeftreitbare Wahrheiten, die man mathematifch beweifen fann.” 
Kaunig war nicht wenig beftürzt, als ihm ein Syſtemwechſel zugemutet wurde, 
der unvermeidlich das eigentliche Werk jeines Lebens, das Bündnis Defterreichs 
mit Frankreich, vernichtet hätte. Er erbat ſich Bedenkzeit, machte aber fogleich 
darauf aufmerfjam, daß die Fortdauer der freundſchaftlichen Beziehungen zu Ruß: 
land und Franfreich mit einer Annäherung an Preußen faum vereinbar fein 
werde. Das habe an fi nichts zu bedeuten, ermwiderte Jojeph, denn „wenn 
es möglich wäre, im König von Preußen ebenjo feite Ueberzeugung von den 
unberechenbaren Borteilen einer wahren und aufridhtigen Allianz zwifchen unfern 
Staaten wadhzurufen, wie ich fie hege, jo könnte man, glaube ich, auf jede andre 
Verbindlichkeit verzihten”. Zu diefer Anſchauung war aber Kaunig nicht zu 
befehren. Zwiſchen ihm und Preußen war nun einmal Todfeindihaft gejekt, 
und fein ganzes Trachten ging dahin, ben Gegner in die Ferſen zu jtechen. 
„Richts wäre erwünſchter,“ fchrieb er am 30. Auguft 1786 an den faijerlichen 
Gejandten in Berlin, „als wenn der neue König in eine vollflommene Ruhe und 
Eihherheit gegen uns verjegt werden Fünnte. Um dieſes zu erwirfen, müſſen 
wir forgfältig die Klauen verbergen, um dann, wenn man uns auffordern follte, 
defto ficherer hauen zu können. . . Diejes und nichts andres muß ber ganze 
Endzwed unfrer Politif fein, denn daß jemals unjer wahres Staatsinterefie 
mit dem bes preußiſchen Hofes auf folide, dauerhafte Art vereinigt und gleich: 
fam in eines zufammengejhmolzen werden fönnte, gehört bloß unter die frommen 
Wünſche.“ Eine Vergrößerung Defterreihs werde immer bei Preußen auf 
Widerſtand ſtoßen; Kollifionen könnten alfo nur durch gemeinfame Partage oder 
mit dem Degen in der Fauft gelöft werden. Das erite bleibe immer nur ein 
Flickmittel, deshalb verlange Dejterreihs Intereſſe, darauf binzuarbeiten, daß 
der neue König immer mehr von Eriegeriiher Gefinnung abgezogen werbe und 
die preußiſche Maſchine an Kraft einbüße, damit Dejterreih, wenn Zeit und 
Umftände es erlaubten, mit aller Gewalt fi darauf ftürzen und fie zerftören könne. 

Weniger draftiih, aber ebenjo offen, ſprach ſich Kaunig gegenüber dem 
Kaifer aus, deſſen Verjöhnungswünjhe er in einem Memorandum vom 
10. Dezember 1786 befämpfte. *) Weder Vorteile noch Erjparnifje jeien davon 


!; Reflexions sur l’alliance avec la Prusse (Beilage zum Brief des Kaiferö an Kaunig 
vom 6. Dezember 1786); Ranke, Die deutfchen Mächte und ber Fürftenbund, Il, Anhang, 298. 
) Très humbles observations du prince Kaunitz etc.; Ranfe, 303. 


164 Erſtes Bud. Fünfter Abfchnitt. 


zu erwarten; alle übrigen Mächte im Often und Weiten würden ji) gegen das 
neue Bündnis erheben, und vor allem würde das Bündnis jelbit der notwen- 
digen FFeftigfeit entbehren, denn wie fünnte Dejterreih je des Unrechts ver: 
geilen, das ihm von Brandenburg zugefügt wurde, wie fönnte der König von 
Preußen fich je der Furcht erwehren, daß dem ſchwer beleidigten Defterreich doch 
nicht zu trauen ſeil Die allgemeine Lage habe fih durch den Thronwechſel in 
Preußen ebenjowenig verändert, wie die preußiihe Politif; auch heute noch 
jeien die Intereſſen der Nebenbuhler ſchlechterdings unvereinbar, und es wäre 
unverantwortlih, um der Ermwerbung eines jo zweideutigen Freundes willen 
bewährte Verbindungen aufzugeben. „Wenn nit auf beiden Seiten,” erwiberte 
Joſeph noch am nämlihen Tage, „die Ueberzeugung befeftigt werben fann, daß 
die Verbindung für beide von Vorteil ift, dann laſſen fich freilich nicht Dauerhaftig- 
feit und Vorteil davon erwarten, jondern nur ſchwere Nachteile und zumal ernite 
Gefahr für denjenigen, der die dee zuerft aufs Tapet bringt; ih ftimme aljo 
mit Ihnen überein, daß man den Gedanken fallen laſſen und als ein jchönes, 
aber zur Zeit unausführbares Luftichloß betrachten muß.” Demgemäß fnüpfte 
Joſeph die Verbindung mit der Zarin wieder an, doc hatten ihn die von Kaunitz 
geltend gemachten Gründe nicht völlig überzeugt. Im Gegenſatz zu Kaunig war 
der Vizekanzler Graf Philipp Cobenzl, in welhem Kaunit einen rüdhaltslojen 
Vertreter feiner Politik erblidte, ein Freund des preußiſchen Bündnifies; mit 
ihm beriet ſich Joſephh ohne Willen des Kanzlers noch im Februar 1787 über 
die Ausführung des Planes, wobei nur der Staatsreferendar Spielmann ins 
Vertrauen gezogen war; ja, noch im September 1787 ift von dem Syſtemwechſel 
die Rede. „Was die allgemeinen Gefichtspunfte anlangt,” jchreibt Joſeph an 
Gobenzl, „jo bin ih ganz Ihrer Meinung, daß es zwedmäßig wäre, dur 
freundichaftliche Verftändigung mit dem König von Preußen zu einer Arron: 
dierung zu gelangen und ſich von Franfreih fo viel als möglih unabhängig 
zu maden, aber mir jcheinen die Mittel, um dies zu erreichen, zu gewagt und 
wegen ber möglichen Folgen zu gefährlid. Leben Sie wohl, id) werde niemand 
ein Wort davon jagen.” !) Erft 1792 wurden bieje Fäden von Franz II. im 
Verein mit Cobenzl und Spielmann wieder aufgegriffen. 

Um feinen „theuren Heros” von ſolchen Grillen abzuziehen, beitand 
nunmehr Kaunig, der früher abgeraten hatte, auf der Reife des Kaijers nad 
dem Cherjonnes.?) Da der Kaijer verftanden habe, die ftolze Zarin in eine er- 
gebene Freundin umzumandeln, werde es ihm auch jet ein Leichtes fein, die 
hohe Frau jeinen Wünſchen günftig zu jtimmen. „Wenn ich fünfundzwanzig 
Jahre jünger wäre, würde ich mir die Erlaubnis erbitten, Sie begleiten zu dürfen, 
ebenjo um das jühe Glüd zu genießen, längere Zeit in Ihrer Umgebung zu 
verweilen, wie um beobachten zu fönnen, welche Feinheit und Liebenswürdigkeit 
Sie gegenüber der Kaijerin entfalten werden.““) Joſeph war dem Rat und 


') Brunner, Correspondances intimes de l’empereur Joseph II. avec son ami le 
comte de Cobenzl, 60, 66. 

2) Beer, 253. 

2) Ebend,, 244. 


Kaiſer Joſeph II. und die orientalifhe Frage. 165 


den Schmeihelworten des Fürften zugänglich; am 22. Dezember zeigte er der Zarin 
an, daß er fi in Cherſon einfinden werbe. 

Im Februar 1737 wurde zur Abreije gerüftet. Kaunig gab feinem Herrn 
noch gute Lehren auf den Weg. Durch unauffälliges Eingehen auf die Lieb: 
babereien und Schwächen der Zarin foll fie gefügig gemacht werden, zum Aus: 
taufh Baierns und zur Vernichtung des Fürftenbundes, „der abicheulichiten 
Macdination, welde die Tüde des Berliner Hofes ausgejonnen hat,” die Hand 
zu bieten. Joſeph jchrieb denn aud an die Zarin wie ein Liebender, dejjen 
Herz von dem Gedanken erfüllt ift, daß er bald das Ziel feiner Sehnſucht er: 
reihen fol. „Mid drängt die Eigenliebe, diejer Trieb, der den Menſchen nie 
ganz verläßt, Eurer Majeftät zu entdeden, wie jehr Sie den Grafen Falfenftein 
(unter diefem Namen war er bei jeinem erjten Bejuche in Rußland aufgetreten) 
verändert finden werben. Er trägt jet eine Perüde; die Anfpannung aller 
Kräfte, die zur Erfüllung einer ebenjo peinlihen wie undankbaren Aufgabe 
notwendig war, hat ihn jo alt gemacht und hat ihm auch ein gutes Stüd feiner 
Heiterkeit geraubt. Nur fein Herz und jeine Hingebung an Eure Kaiferliche 
Majeftät find unberührt geblieben; dieſe Treue fann nimmer weder durch Zeit, 
noch durch irgend welche Umjtände einen Wandel erfahren!” — „Ich ſehe mit 
Entzücden die Hoffnung auftauchen,” ermwiberte ebenjo verbindlich die Zarin, „in 
wenig Wochen dem Grafen von Falfenftein wieder zu begegnen; meine Freude 
iſt unbejchreiblich!” 

Es ift bier niht am Plage, auf die Reife der Zarin in der Krim, von 
welder Graf Segur, der Freund Lafayettes und Waſhingtons, eine fo anziehende 
Schilderung geboten hat,') und auf die merkwürdige Epiſode: Joſeph II. in 
Cherjon, näher einzugehen. Die Briefe des Kaijers an Kaunit und Lacy geben 
vom Scharfblid des Neifenden nicht gerade durhaus glüdliche Proben. Er läßt 
fich nicht jelten durch einen ungünjtigen erſten Eindrud zu unbilligen und un: 
rihtigen Urteilen verleiten. In Potemkin fieht er nur „einen ganz hübſchen 
ungen, der fehr wenig Geift befigt und durch den Wandel feines Gejchids 
ganz außer Fafjung gebradt it“. Bon Katharina denkt er nicht viel befler. 
„Der Grundzug ihres Charakters ift eitel Vergnügungsfugt.” Freilich, jolange 
Joſeph bei der Zarin weilte, folgte ein originelles Felt dem andern, und dieje phan— 
taftiichen Reiterjpiele, buntfarbigen Regatten und blendenden Feuerwerfe wirkten 
fogar auf den nüchternen Sinn des Kaifers beraufchend. „Sn diefem Lande 
ift einfah alles möglich,” jchreibt er an Lacy, „Zeit und Geld jpielen gar feine 
Role!” „Welch merkwürdige Reife,” jagte er zu Graf Segur, mit dem er 
abends, umjchwärmt von vielen taufend reihgeihmücdten Koſaken, durd die 
nogaifhe Steppe luftwandelte, „wie hätte ich mir je träumen laſſen, daß id) 
einmal mit ber Zarin und einem franzöfiichen Gefandten eine Luftfahrt durch 
die Steppe der Tartaren machen würde; das ift ein ganz neues Blatt in der 
Geſchichte!“ — „Auch mir erfheint es,” erwiderte Segur, „wie eine Scene aus 
‚zaufend und eine Nacht‘, ich heiße Giafar und gehe mit dem nad feiner Ge: 
wohnheit verfleideten Chalifen Harun-al-Raſchid fpazieren!” Auf die Dauer 


') Memoires ou souvenirs et anecdotes, par le comte Segur, II, 1. 


166 Erftes Bud. Fünfter Abichnitt. 


freilich ließ fich Jofeph durch die gleißenden, auf Täufhung der Kaiferin be: 
rechneten Truggebilde, die „Dörfer Potemkins“, nicht täufchen. Der ärmliche 
Flecken Cherion war auf Potemkins Wink in einer Spanne Zeit zur blühenden 
Handelsitadt umgewandelt worden; da anferten zweihundert Handelsſchiffe im 
Hafen, zwei große Kriegsichiffe waren bereit, vom Stapel zu laufen; ungeheure 
Kajernen, prächtige Kirhenbauten gingen der Vollendung entgegen; ein mäch— 
tiges Thor gegen Süden trug die bedeutungsvolle Inſchrift: „Weg nad Kon: 
ftantinopel”. Katharina war entzüdt und vollbefriedigt; dem Kaifer aber ent: 
ging es nicht, daß die auf den ſchlecht gebauten Wällen aufgeitellten Kanonen 
ohne Gefahr für den Beltand der Werfe gar nicht abgefeuert werben konnten, 
daß die aufgefchichteten Kanonenkugeln nicht in die Nohre paßten, daß die aus 
grünem Holze gebauten Kriegsichiffe in kurzer Zeit verfaulen müßten, daß 
bei niebrigerem Waſſerſtand die Schiffe den Dnjepr berauf nicht bis Cherjon 
gelangen konnten u. 5. f. Ron Politik war zwijchen der Zarin und ihrem 
Gafte nur felten die Rede; der Kaifer erfannte aber, daß Katharina vor Be: 
gierde brannte, mit den Türken anzubinden und im Süden neuen Zuwachs zu 
gewinnen. Er ſuchte, wie Fürſt Kaunig beim Abſchied anempfohlen hatte, 
diefe Kriegsluft zu zügeln; der gefährlichere Feind ſei Preußen, deshalb jei 
es geboten, zunächit gegen dieſen mit vereinten Kräften aufzutreten. „Deftruf: 
tion des preußiichen Staates” hatte Kaunig dem Eaiferlihen Gefandten in 
Petersburg, Grafen Ludwig Cobenzl, geradezu als das gemeinjame Ziel ber 
ruſſiſchen und öfterreihifchen Politif bezeichnet.) Um gegen Preußen gefichert 
zu fein, jei kluge Aufrehthaltung der Freundſchaft mit Frankreich notwendig. 
Auch die polnische Frage müſſe bei der nächſten Erledigung des Thrones von 
den beiden Oſtmächten allein geregelt werben. 

Eine Zeitlang ſchien auch die Zarin zur Auffaffung des Kanzlers befehrt 
zu fein. Der Kriegsdurſt ber hohen Frau, berichtete Ludwig Kobenzl am 
9. Auguft 1787 an den inzwiſchen nah Wien zurüdgetehrten Yofeph, habe ſich 
erfichtlich vermindert, jeit der Raifer in jeinen Geſprächen über den Orient nur 
jo geringen Eifer an den Tag gelegt habe; in diefem und im nächſten Jahre 
fünne der Frieden wohl als verbürgt gelten. 

Doch die Zuverficht des Diplomaten trog. In Stambul war die mohamme: 
danifche Bevölkerung durch die beftändigen Drohungen Rußlands und die friege- 
riijhen Demonftrationen in der Krim in heftige Aufregung verjegt worden; aud) 
der engliihe Gejandte jchürte die Bewegung; Abdul Hamid lief Gefahr, durch 
einen Aufftand entthront zu werden, wenn er noch länger zauderte, die Heraus: 
forderung der Zarin anzunehmen. So wurde der Krieg vom Diwan bejchlofjen 
und dadurch unvermeidlich gemadt, daß der Großvezier den ruffischen Gejandten 
Bulgakow ins Gefängnis der fieben Türme fteden ließ. 

Die Kunde von diefer Wendung berührte in Wien peinlid. „Der Krieg, 
den die verfluchten Türken eben an Rußland erflärt haben,” ſchrieb Joſeph am 
30. Auguft 1787 an Bruder Leopold, „und die Gefangennahme des Minijters 
Bulgalow, trog aller Drohungen und Bitten meines Internuntius und bes 


’) Beer, Die orientalifche Politik Defterreihs feit 1774, 84. 


Kaifer Joſeph 11. und die orientalifche Frage. 167 


franzöfiichen Gejandten, nötigen mich, ohne Widerrede den casus foederis an: 
zuerfennen, denn Rußland ift der angegriffene Teil. Kaum habe ich ein wenig 
geflidt, was man während meiner Abweſenheit in den Niederlanden verborben 
hatte, fommt glei eine neue Verlegenheit, ein Krieg in dieſen verfluchten 
Ländern, mit einem Geleit von allen möglichen Krankheiten, Peſt und Hunger 
und überdies mit wenig Ausfiht auf Gewinn.” !) Ohne Zögern ftellte er jedoch 
der Barin feinen Degen zur Verfügung. „Die Türken müſſen in der That 
den Verſtand verloren haben,” jchrieb er an Katharina, „Tonft würden fie vor 
jolhem Wagnis ſich gehütet haben. Ich kann mir denken, welche Entrüftung 
Eure Majeftät erfüllt und teile diefe Empfindung. Warum find wir nicht in 
diefem Augenblid in Sebaftopol? Da fünnte man fi doch bei gutem Wind 
aufmaden, um dem Großheren und feinen unverfhämten Näten mit Kanonen 
ihüffen guten Morgen zu wünſchen! Getreu dem Gelöbnis, das mich als Ber: 
bündeten an Eure Majeftät knüpft, und noch bereitwilliger aus inniger Anhäng: 
lichfeit und Freundſchaft, werde ich mit allen mir zu Gebote ftehenden Kräften 
beweijen, daß ih Ihre Sade auch für die meine anjehe!”*) Die Antwort der 
Zarin floß über von Freude und Dankbarkeit; dagegen war aus den Zeilen 
Leopolds unſchwer herauszulejen, daß er einem Kriege, der jo große Gefahren 
mit fih bringe und fo jchwere Opfer heiſche, beflommenen Herzens entgegen: 
ſehe. „Ich bin überzeugt,“ bemerkt er in feiner vorjidhtigen Weile, „daß Sie 
ber wirklichen Vorteile, die ein folder Krieg der Monardie bringen kann, voll: 
fommen ficher fein werden.” Leopold jpricht es nicht deutlich aus, aber feine 
Worte laſſen nicht daran zweifeln: er wünſcht, dab Joſeph dem gefahrvollen 
Unternehmen fern bleibe, und er glaubt, daß fich die Verwidelung meiden laffe. *) 

Warum war Kofeph nicht zu diefer Anichauung zu befehren? Ranke er: 
hebt deshalb jchwere Anklage. „Es ift wohl als der verhängnisvollite Schritt 
zu betrachten, daß Joſeph inmitten diefer Schwierigfeiten (in Belgien, Ungarn :c.) 
fih dennoch entſchloß, an dem ruffiich-türkifchen Krieg teilzunehmen.“ Beer 
weilt den Vorwurf leichtfertigen Kriegseifers zurüd; der Kaifer habe nicht anders 
handeln fönnen, da er durch feinen Vertrag verpflichtet gewejen fei, Rußland zu 
unterftügen. Diejer Auffaffung juchte Joſeph jelbit am franzöfiichen Hofe Eingang 
zu Ichaffen. „Die Türken,” jchreibt er an Marie Antoinette (5. November 
1787), „haben Rußland förmlich angegriffen; ih kann mid), ohne meine Der: 
bindlichkeiten zu verlegen, ohne wortbrüdhig zu werden, der Pflicht nicht ent: 
ziehen, gegen den Türfen zu rechter Zeit und an rechtem Ort vorzugehen.” *) 
Gewiß, das war die Pflicht des Kaijers, aber über die Zahl der zu ftellenden 
Hülfstruppen war feine Beftimmung in den Vertrag aufgenommen; es wäre 
aljo nicht nötig geweien, mit Aufbietung fo gewaltiger Streitkräfte in den Krieg 
einzutreten. Auch beweijen die zwiichen Joſeph und Kaunitz gewechjelten Briefe, 
in denen jchon über das Fell des noch nicht erlegten Bären geftritten wird, — 


J Arneth, Joſeph II. und Leopold, II, 115. 

?) Arneth, Joſeph II. und Katharina, 299. 

°) Alph. Huber, Die Politik Kaifer Joſephs II., beurteilt von feinem Bruder Leopold, 23. 
*) Arneth, Marie Antoinette :c., 110. 


168 Erjtes Buch. Fünfter Abſchnitt. 


Sofeph wollte Serbien, Kaunig die Moldau und die Waladhei als Siegespreis 
verlangen — zur Genüge, daß unter den Gründen, die zur Teilnahme am Krieg 
mit der Pforte bewogen, die Hoffnung auf Gewinn gemwichtig in die Wagjchale 
fiel. Gewiß wurden aber auch höhere Gefichtspunfte vom Kaifer ins Auge 
gefaßt: er hoffte durh Kampf und Sieg das Anjehen feines Regiments zu 
fteigern und dadurch auch feiner inneren Politif Achtung und Geltung zu 
erringen, 

Joſeph überſchätzte die ruffiihe Macht. Segur erzählt, er habe aus feinen 
Unterhaltungen in Cherſon die Ueberzeugung gewonnen, daß Joſeph, wenn er 
auch die Tajchenjpielerfünjte Potemkins durchſchaute, für die Schwäche des 
ruſſiſchen Koloſſes gar fein Auge hatte; er jprad von den Streitfräften und 
dem Reichtum Rußlands nur mit ungemejjener Bewunderung; es imponierte 
ihm, daß Katharina durd feine Stände und Privilegien gehindert war, ihrem 
eigenen Willen zu folgen. An Reichtum, jagte er, kann ſich niemand mit ber 
Zarin mefjen, fie fann Unſummen verfchwenden und braucht doch nichts ſchuldig 
zu bleiben, „denn ihr Papier ift juft jo viel wert, als ihr beliebt, und wenn 
fie will, kann fie aus Leder Geld maden!” Er wies darauf hin, wie der rujfische 
Soldat, gleichviel, ob er Sold empfängt, ob er in einem Bett jchlafen kann, 
ob ihm zur Stillung des Hungers Brot gereiht wird, ohne Murren vollzieht, 
was ihm befohlen wird, ja, ohne Klage ſich für ſeine Kaiferin totichlagen läßt. 
Mit folden Hülfsmitteln, ſolchen Unterthanen, fjolden Truppen muß man 
fiegen! Der Gedanfe aber, daß Rußland nicht feine ganze Kraft im Kriege 
einjegen, daß Nufßland nit mit Aufbietung aller Kraft feinen Bundes- 
genojien unterftügen könnte, fcheint in ihm gar nicht aufgetaucht zu fein. 

Noch im Herbft 1787 wurden Truppen in Ungarn zufammengezogen. Den 
Oberbefehl wollte der Kaifer jelbit führen, Feldmarſchall Graf Lacy ſollte ihm, 
wie vor zehn Jahren, zur Seite ftehen. Obwohl im bairiſchen Erbfolgekrieg 
nichts weniger als glänzende Erfolge erftritten worden waren, genoß Lacy das 
volle Vertrauen des Kailers. Das Wiederfehen mit ihm, hatte Joſeph von 
Cherjon aus gejchrieben, werde wohl die einzige Freude fein, die ihn in Wien 
erwarte. Lacy hatte die Gunst des Kaiſers hauptjählich dadurch gewonnen, daß 
er rüchaltlos den reformatoriſchen Ideen Joſephs huldigte und den auf Ver: 
größerung Defterreich& zielenden Plänen zuftimmte. In militäriſchen Kreifen 
dagegen erregte es Unmut, daß Lacy dem älteren Zaudon, auf deſſen Feldherrn- 
gaben der failerlihe Soldat mit Recht feiteres Vertrauen ſetzte, vorgezogen wurde; 
galt doch der Sieger von Kunersdorf ſeit König Friedrichs Tod nicht bloß in 
den Augen der Defterreiher als der erite lebende Feldherr, während dem nad) 
Art ſeines Lehrmeifters Daun bedächtigeren Lach, dem „Zauberer von Torgau“, 
fein rechtes Vertrauen entgegengebradt wurde. 

Die Ruſſen eröffneten den Krieg mit wenig Glüd. Zwar erfoht Suma: 
row, der Gouverneur der Krim, bei Abwehr eines Angriffes auf die Feitung 
Kinburn, einen glänzenden Sieg (12. Dftober 1787), aber an Vorbringen 
und Angriff Fonnte, da es den ruffiichen Truppen am Nötigften mangelte, nicht 
gedaht werden. „Bon Rußland höre ih nur Worte,” Elagte Joſeph feinem 
Bruder (6. Dezember 1787), „ſehe aber feine Thaten; bis jetzt haben fie troß 


Der Türfenfrieg von 1788. 169 


ihrer Großſprecherei jo gut wie nichts getban und werben auch weder im Winter, 
noch im ‚Frühjahr etwas thun. Solange dieſer Potemkin an der Epite fteht, 
ift nichts zu hoffen; wenn man nur zur Intrigue Talent und nicht einmal per: 
ſönlichen Mut befigt, fann man im Kriege nichts Großes vollbringen.” }) 

Doch auch die erfte Maffenthat der Defterreiher, ein Handſtreich gegen 
Belgrad, mißlang.“) Defterreih hatte noch nie jo ftarfe Heeresmaflen gegen 
die Türkei ins Feld geftellt; 245000 Mann Fußvolk, 37000 Reiter und 
900 Geſchütze jollten in Thätigfeit treten.?) Allein die Streitkräfte waren in 
zu viele Abteilungen verzettelt, und als es zum Schlagen fommen jollte, war 
von planmäßigem Zufammenwirfen der Rufen und der Deiterreicher nicht bie 
Nede. Zwar wurde die Feſtung Sabac von der öjterreihiihen Hauptarmee zur 
Uebergabe gezwungen (24. April 1788), dann blieb aber Joſeph, ftatt mit den 
ermutigten Truppen einen neuen Sturm auf Belgrad zu wagen, mehrere Monate 
unthätig bei Semlin zwifhen Donau und Save ftehen. Lacy wollte einen Angriff 
ber Türfen abwarten und inzwijchen Verftärkung an fich ziehen, aber der Aufenthalt 
in der fumpfigen Landſchaft erzeugte Mechjelfieber und Ruhr, bald lagen 
20000 Mann in den Spitälern, der Soldat wurde mutlos, die Disziplin loderte 
fih. Nun glaubte Joſeph mit den „wie verborrte Afiaten im Lager umber: 
wandelnden” Truppen nichts Ernftes unternehmen zu dürfen. „Ich kann Ihnen 
von hier nichts andres melden,” jchrieb er am 18. Juli an den in den Nieder: 
landen fommandierenden General d'Alton, „als daß wir täglich den Fliegen 
den kleinen Krieg ankündigen und jeder fih, jo gut es geht, gegen Fieber und 
Durchfall zu hüten ſucht; was die Türken betrifft, jo ſcheinen fie uns ver: 
geilen zu haben, und wir erwidern ihnen ein Gleiches!” Joſeph jelbit, obwohl 
ein Dann von militäriiher Haltung und Einfachheit, war fein Soldat, geſchweige 
denn ein Feldherr; dazu fehlte es ihm an Ruhe, Kaltblütigfeit, Ausdauer; fein 
choleriſches Temperament ließ ihn raſch von übermütiger Zuverficht zu trüber 
Entmutigung übergehen; auch trieb er die Vorficht und Zurüdhaltung zu weit; 
feine Kriegführung, die mit dem Leben der Soldaten geizte, entjprad wohl feiner 
ſchönen Menſchlichkeit, aber nicht den Vorfchriften der Kriegsfunft. Im Auguft wurde 
er ſelbſt frank; er konnte nicht einmal mehr jelbit jhreiben, nur ein Roftjkriptum 
pflegte er eigenhändig hinzuzufügen, um über feine Krankheit, die er auch dem 
Sekretär nad Möglichkeit verbergen wollte, Nachricht zu geben. „Was mid) 
augenblidlih am meiſten beunrubigt,” jchrieb er aus Jubuka am 15. Auguit 
1788, „it der trodene Huften; meine Kräfte ſchwinden; ich magere erfichtlich 
ab, weil ih jede Nacht ohne Schlaf verbringe. Seit einiger Zeit gefellte ſich 
zu den andern Leiden auch noch ein leichtes Wechjelfieber. Es macht mir Mühe, 
mi auf dem Pferde zu halten, jelbft wenn ih nur Schritt reite. Trogdem 


') Arneth, Joſeph II. und Leopold II., II, 146. 

*) Joſeph felbit erblidt im Scheitern dieſes Anfchlags den Urſprung aller folgenden 
Kriegsfälle (Note de 8. M. l’Emp. Joseph sur la campagne de l'année 1788; Arneth, 
II, 326). 

*, Wiener, Kaiſer Zojeph II. ald Staatömann und Feldherr, Defterreihs Politik und 
Kriege in den Jahren 1763—1790, in den Mitteil. des k. k. Kriegsardivs, Jahrg. 1885, 1065. — 
Zinteifen, Gejch. des osman. Reiches, VI, 646. 


170 Erfte3 Bud. Fünfter Abſchnitt. 


halte ich an meiner Aufgabe feſt und werde daran feithalten, jolange ich mich 
noch fortichleppen kann, denn gerade jebt ift; wie ich feit glaube, mein eigenes 
Eingreifen vonnöten.”!) Die Nachrichten wurden aber immer verzweifelter. 
Durch die Unthätigfeit der Gegner ermutigt, griffen die Türfen unter Yujuf 
Paſcha das Corps Wartensleben bei Mehadia an und nötigten es zum Rückzug 
auf Föniſch; damit waren fie Herren der Donau bis Belgrad, und nichts konnte 
fie mehr hindern, in das unter der Pflege deuticher Anftebler hoffnungsvoll 
aufgeblühte Banat einzufallen. Das mußte von Joſeph und den Seinen als 
unerträglider Schimpf empfunden werden. Sie waren bei einem alten Klephten, 
den fie für frank und ſchwach gehalten hatten, eingeitiegen, um ihm einen Teil 
feines Raubes abzunehmen, aber der UWeberfallene verteidigte nicht bloß das 
Seine, jondern verfolgte die Eindringlinge in ihren eigenen Hof, ber ganze 
Angriff endete in Schmah und Scham! — 

Um nicht jelbft im Rücken angegriffen zu werben, mußte Jofeph den Nüdzug 
antreten. Wie demütigend war es für ihn, dem Bruder, der das Unternehmen 
deutlich genug widerraten hatte, das Scheitern aller Pläne eingeftehen zu müjjen. 
Leopold drang in ihn, er möge heimfehren, um feinen franfen Körper zu pflegen und 
fich dem Neiche zu erhalten. „Wie könnte ich jet die Armee verlaffen,” erwiberte 
Joſeph (20. September), „jett, wo alles den Kopf verloren hat, wo wir durch 
das unverantmwortliche Benehmen der Generäle Rapilla, Wartensleben, Bredainville 
und Aspremont gezwungen find, den Rüdzug anzutreten, das Banat dem Feinde 
zu überlaffen, wo wir nicht einmal Siebenbürgen deden können, das ebenfalls der 
Verwüſtung preisgegeben fein wird! Und alles dies, ohne eine eigentlihe Schlacht 
verloren zu haben, ohne daß einer von jenen Herren zu ſolchem Verhalten ge: 
nötigt gewejen wäre! Nein! ohne Schwertitreih haben fie die vorteilhafteiten 
Pofitionen aufgegeben, aus den nichtigften Gründen, während wir jelbjt niemals 
den Feind angreifen konnten! Mehr des Schredens, des Unheils, der Schmad 
fönnte gar nicht auf uns geladen werben! Wenn ich einen Plan ausgearbeitet 
babe, wird er durch diejenigen zu nichte gemadt, die daran mitarbeiten follten! 
Mit einem Wort, ich kann Ihnen, teurer Freund, nur jo viel jagen, daß ich 
der Unglüdlichite aller Menſchen bin und moraliih und körperlich jo unſägliche 
Dual erdulde, wie fie überhaupt denkbar ift. Lieber will ich aber unter einem 
Baume den Tod erleiden, als daß ich die Dinge in dem Zuftand verlafje, in 
welchem ich fie bier jehe. Denn der Marſchall (Lacy) ift jelbft jo verzweifelt, 
daß er nicht mehr weiß, was er beginnen jol.”?) Doch dem Tiefgebeugten 
jollte noch mehr des Schredens und der Schmach widerfahren! Wenige Stun: 
den nachdem der Kaifer dem Bruder jo trübe Botſchaft gejendet hatte, fam es 
nächtlicderweile während des Marjches in der Nähe von Lugos infolge von 
falſchen Alarmſchüſſen zu einem Handgemenge zwiſchen den Abteilungen des Nach— 
trabs. Die Entfernteren, durch den Lärm erjchredt, glaubten an einen Ueber— 
fall, mit Bligesjchnelle durcheilte die Schredenspoft das ganze Heer, im Nu waren 
die Kolonnen in wilder Auflöfung. Die Reiter braden in die zerriffenen 


') Beer, Joſeph II., Zeopold II. und Kaunik, 302. 
2) Arneth, Yofeph II. und Leopold II., II, 194. 


Der Türkenkrieg von 1788. 171 


Glieder des Fußvolfs ein, Kugeln ſchwirrten durch die Luft, denn aus Wut oder 
Angft begannen viele zu feuern, während die meilten ihre Waffen und alles Gepäd 
fortwarfen und in ftürmiicher Flucht ihr Heil ſuchten. Kein Machtwort eines 
Führers vermochte die Maſſen zum Stehen zu bringen, der Kaiſer jelbft wurbe 
bis Karanfebes mitgeriffen. Zum Glüde für die Defterreiher ſchickten ſich die 
Türfen erit nad) Tagesanbruch zur Verfolgung an; inzwischen hatten fich die Kaifer: 
lihen wieder einigermaßen gejammelt, und es gelang, die Türfen abzumehren. 
Immerhin fielen zahlreihe Kanonen, Troßmwagen, Zelte und das faiferliche Gepäd 
in die Hände der Türken. „Wer hätte es für möglich gehalten,” ſchrieb Joſeph 
an den Bruder, „daß jogar Offiziere und die Fuhrleute der Armee völlig den Kopf 
verloren, ſechs Stunden bis Lugos flohen und hier noch jchrieen, alles ſei ver: 
loren, alles möge ſich durch fchnellite Flucht retten! ... Ich weiß nit, wie 
ih meinen Zeiden und der allgemeinen Entmutigung noch Widerftand zu leiften 
vermag; ih finde feinen Schlaf mehr, nicht eine halbe Stunde dauert mein 
Schlummer, den Reit der Nacht verbringe ich in jchmerzlihen Betrachtungen!“ 
„Wie jchmerzlich bedauere ich,” jchrieb Leopold, „dab die Rufen jo unthätig 
bleiben, jo daß ihnen die ganze türfifhe Armee auf dem Hals bleibt und alles, was 
im Banat mit großer Mühe angebaut worden ift, der Verwüſtung anheimfällt. 
Meder mit der Belagerung von Oczakow, nod von Chocym geht es vorwärts, 
und die Flotte des Kapudan-Paſcha ift in voller Stärke ins Schwarze Meer zurück— 
gekehrt. Es jcheint, daß Rußland durch den Krieg mit Schweden, wie ſchwach 
er auch geführt wird, merkwürdig in Verlegenheit geraten ift und lieber ſich 
mit ben Polen befchäftigt, ala daß es gegen die Türfen etwas Tüchtiges unter: 
nähme” ... „Ih kann nahempfinden, was Sie leiden,” erwiderte er auf bie 
Botichaft von der Schredensnaht von Lugos, „wenn Sie fehen, wie die Türken 
Ihre Provinzen verheeren, aber ich hoffe, daß der Feind durch die vorgerüdte 
Jahreszeit bald gezwungen fein wird, zurüdzugehen und Ihre Staaten zu ver: 
lajjen, und daß man dann während des Winters unterhandeln und Frieden 
ſchließen kann; Sie haben ihn ja unbedingt nötig, da Sie ſo ſchlecht unterftüßt 
werden von einer Bundesgenojlin, die Ahnen alles verdankt, für die Sie ſich 
großmütig aufopfern, die aber jelbft nichts thun will.” „Hätte man glauben 
follen,” jchrieb der im Lager Potemkins weilende Gejandte Joſephs, Prinz von 
Ligne, „daß diejes verfallene Dsmanenland den ruſſiſchen Staat in die traurigite 
Lage zu verjegen vermöcte? Der Plan der Türfen war wohl beredjnet, denn 
wenn ber König von Schweden drei Wochen früher angegriffen und wenn es 
dem Kapudan-Paſcha geglüdt wäre, mit dem Wald von Maften, die den Liman 
bededten, die armen Fiſcherkähne und die Küftenfahrzeuge, welche die ganze 
Flotte unjrer romanhaften Fahrt auf dem Borifthenes ausmadhten, zu ver: 
nihten, jo ging König Guftav nach Petersburg und der Paſcha nah Cherjon!” ?) 

Dod die Sorgen, die dem Kaifer den Schlaf raubten, beſchränkten fich 
nit auf den unglüdlichen Feldzug; die ganze politifche Lage hatte ſich fo 
ungünjtig wie möglich geftaltet, und es ſchien nur eine Frage der Zeit, daß noch 
gefährlichere Feinde auf den Kampfplag treten würden. 


') Gräfier, Jofephinifche Euriofa, I, 286. 


172 Erſtes Bud. Fünfter Abichnitt, 


Das Bündnis der beiden KHaiferhöfe hatte in London, wie in Berlin Be: 
forgnis eingeflößt. Es war fein Geheimnis, daß Marie Antoinette bei ihrem 
Gatten mit leidenfchaftlihem Eifer die Uebereinitimmung der Intereſſen Frank: 
reichs und Defterreihs vertrat!) und auch das Minifterium Brienne an eine 
Erneuerung der Allianz von 1756 unter Beiziehung von Rußland dachte. Man 
wußte in Berlin und London, daß fih auch Stanislaus von Polen, der abgedanfte 
Geliebte der Kaiferin Katharina, aufs neue an feine Gönnerin angejchlofien und 
zum Krieg mit der Pforte polnische Hülfe in Ausſicht geitellt habe. Es ſchien 
aljo auch eine engere Verbindung derjenigen Staaten, die eine Verteilung 
der Balfanhalbinjel unter die beiden Oſtmächte nicht dulden wollten, geboten 
zu fein, und dieje Idee hatte einen ebenſo rührigen, wie geihidten Anwalt an 
Sir James Harris, dem engliſchen Gejandten im Haag. Bei einem Beſuche, 
den Friedrih Wilhelm II. feiner Schweiter, der Erbitatthalterin Wilhelmine, 
im Frühjahr 1788 in Loo abftattete, wußte Harris den König perjönlich zu 
gewinnen; Prinzeffin Wilhelmine wirkte eifrig mit. Schon in der nächſten 
Nacht, während fi das Gefolge der höchſten Herrichaften auf einem Ball ver: 
gnügte, wurde zwiſchen Friedrih Wilhelm und Harris ein Bundesvertrag ab: 
geihlofien und Tags darauf (13. Juni 1788) in proviforiiher Weiſe unter: 
zeichnet. Demgemäß verpflichteten ji die beiden Mächte zur Aufrehthaltung 
der Unabhängigteit der Niederlande und der von ihnen garantierten Verfafjung; 
für den Fall eines Angriffs wurden gegenjeitige Hülfeleiftung und Gemährleiftung 
des Belisftandes zugeiagt. ?) 

Das neue Bündnis ſtieß in Berlin auf lebhaften Widerftand des Prinzen 
Heinrih und der ganzen franzöfiich gelinnten Partei. General Möllendorf wies 
darauf bin, daß Preußen dadurch unter Umständen genötigt werden könnte, feine 
Landeskinder zum Schub engliſcher Kolonien in Amerifa oder Afien zu opfern. 
Auch Hertzberg war gefränft, weil der Looer Vertrag ohne jein Wiſſen abgeichlojien 
worden war; da Preußen damit viel zu weitreichende Verpflichtungen ein: 
gegangen habe, arbeitete er einen neuen Entwurf aus, worin die Anforderungen 
herabgemindert waren. Allein das engliiche Kabinett beitand darauf, daß die 
beiden Mächte gleihmäßig die Verteidigung ihres Belites übernehmen müßten; 
um nicht ijoliert zu bleiben, mußte Preußen nachgeben, und am 13. Auguſt 
wurde der definitive Vertrag zu Berlin unterzeichnet. *) Der Defenfivcharafter 
it darin jtark betont; nur im Fall eines feindlichen Angriffs follte jede Macht 
der andern mit 16000 Mann zu Fuß und 4000 Mann zu Pferd zu Hülfe 
fommen, doch follten die preußiſchen Hülfstruppen nur in Europa verwendet 
werden dürfen. Andere Gefichtszüge gewinnt aber die Einigung vom 13. Auguft, 
wenn die erit von Nanfe befannt gemachten geheimen Artikel berüdfichtigt wer: 
den.) Darin ift nicht bloß eine Erhöhung der ftipulierten Hülfstruppen auf 
64000 Mann, jondern aud die Aufnahme von Holland und Schweden in das 


') Arneth, Marie Antoinette, Joſeph II. und Leopold II., 113. 
?) Ranle, Die deutfhen Mächte und der Nürftenbund, II, 63. 
2) Hertzberg, Recueil, II, 449, 452. 

) Ranke, II, 358. 


Die Tripelallianz und bie Kaiferhöfe. 173 


Bündnis in Ausſicht genommen; im gegenwärtigen Krieg der Kaiſerhöfe mit 
der Pforte jollen die Verbündeten in allen Punkten, welche fih auf ihre Ver: 
bindung oder auf das allgemeine europäifhe Syftem beziehen, vertrauliches 
Einverftändnis pflegen. 

Der Bundesvertrag mit Holland war ſchon am 15. April abgeichlojien 
worden.‘) Ein vierter geheimer Genofje war der Großfürft:Thronfolger von 
Ausland. Friedrich Wilhelm hatte ihm durch den Grafen Goer& mitteilen laſſen, 
daß er infolge der Halsftarrigfeit Katharinas, die von preußiicher Vermittelung im 
Orient nichts wiſſen wollte, Anſchluß an England juhen müjle. Darauf erwiderte 
der Großfürft: „Alles, was ich vorläufig jagen fann, ift, daß meine Anhäng— 
lichkeit an das Syſtem, welches mich mit dem König von Preußen verbindet, 
unwandelbar ift, und daß ich von ganzem Herzen feinen Anfichten beiftimme.” ?) 

Eine Ausdehnung des Bündniſſes auf die Türkei war nicht ins Auge ge: 
faßt; auch war der in Wien und Petersburg gehegte Verdacht, die Pforte ſei 
von Preußen und England zu ihrem Widerftand aufgereizt worden, nicht be= 
gründet.?) Es lag aber in der Natur ber Sade, daß die Mächte, die fich 
mittelbar zur Erhaltung des Beliges der Türkei verpflichtet hatten, mit dem 
Diwan in enger Fühlung blieben. 

Noch ehe an Schweden die Einladung zum Anjchluß an das Lover Bündnis 
erging, hatte Guftav III. ſchon gegen die Kaijerhöfe Stellung ergriffen. Da 
ihm die allgemeine Lage günftig ſchien, um die an Rußland verlorenen Pro: 
vinzen wieberzugewinnen, ließ er es nicht lange bei biplomatifcher Fehde bewen- 
den; jhon im Juni 1788 erklärte er an Rußland den Krieg. Bon welder 
Siegeszuverfidht er bejeelt war, erhellt aus der prunfenden Erklärung im Staats: 
rat, er werde von allen Denkmälern ruffiihen Hochmuts nur die Statue Peters 
des Großen fhonen, um den Namen Guftav auf das Fußgeftell eingraben zu 
lafjen. *) 

Hergberg dagegen wollte nicht den Krieg. Er hoffte, durch Unterhandlungen 
zu erreichen, daß feinem Staat das Schiedsrichteramt in den europäifchen Händeln, 
wo möglih auch ein annehmbarer Gewinn an Land und Leuten zufiele. Er 
holte einen Plan hervor, den er jchon bem verftorbenen König vorgelegt hatte 
und 1791 nochmals zur Grundlage der Verhandlungen in Reichenbach machen 
wollte; darnach jollten nach gemeinfamem Beſchluß der Mächte die Moldau und 
die Walachei an Defterreih fallen, Galizien an Polen zurüdgegeben, dagegen 
die polnifhen Gebiete von Danzig und Thorn an Preußen überlaffen werben. 
Zu amtliher Kundgebung des Planes in Wien jcheint es nicht gekommen zu 
jein, aber Kaunig erhielt über Konftantinopel davon Kenntnis.d) Natürlich 
reiste ihn der Vorſchlag des „ſiebengeſcheiten“ Herkberg nur zu Hohn und 
Spott; wie fünne man, um von andern Hinderniſſen zu fehmweigen, nur einen 


) Hertzberg, Recueil, II, 444. 

*) Goerk, Hiftor. und polit. Denfwürdigfeiten, II, 205. 

) Häuffer, Deutſche Gefhichte vom Tode Friedrihs d. Gr. I, 234. 
*) Segur, M&moires, III, 405. 

’) Beer, Die orientaliiche Politik, 104. 


174 Erftes Bud. Fünfter Abichnitt. 


Augenblid glauben, daß die Türken fih gutwillig zu Abtretungen bequemen 
würden! wie fönnte Defterreich die Hand bieten, daß Preußen ohne Opfer und 
Rififo den Hauptgewinn davontrüge?!) Fürft Neuß, der kaiſerliche Geſandte 
in Berlin, wurde angewiejen, feinen Zweifel auffommen zu laffen, daß Defter: 
reich zu einer neuen Vergrößerung Preußens auf Koften Polens niemals jeine 
Einwilligung geben werde. — 

Als der Türkenkrieg eine jo unerwartet ungünftige Wendung nahm, 
wurden Stimmen laut, die an Preußen und das ganze Reich die Aufforderung 
richteten, dem Kreuzzug gegen die Türfen beizutreten. 

Möglihit lange war der Mikerfolg der Kaiferlihen verjchleiert worden. 
In dem berufenften Organ, der „mit E. f. allergnädigiter Freiheit” erfcheinenden 
Wiener Zeitung, die den Bürger der Kaijerftabt zweimal in der Woche mit 
politiijhen Nachrichten verjorgte, wurde zwar eine Unmafje von Detail über den 
Feldzug mitgeteilt, aber eine wirklich aufflärende, der Wahrheit entiprechende 
Daritellung nicht geboten. Die Münchner Zeitung brachte, um das Zurüd: 
weichen der Kaiſerlichen zu erklären, Verſe „eines der beften deutjchen Dichter“: 


„Ein mweifer, grauer Waffenfreund 
Schlägt nidt in Eile, prüft den Feind, 
Weiß feinen Vorteil wahrzunehmen 
Und raſch Erbittern Flug zu zähmen; 
Sein Arm, fein Fuß fennt Ruhe nicht, 
Er täufchet, dringet vor und meichet, 
Bis er den Augenblid erreichet, 

Der ihm die Siegeäfrone flicht!“ ?) 


Ueber die Schlappen der Kaiferlihen drangen nur unbeftimmte Gerüchte 
in bie Zeitungen; in ben kaiſerlich geſinnten Organen wurde derartiges gewöhn— 
(ih als „böswillige Ausftreuung von Antilascyanern” zurücdgemwiejen. Als aber 


') Menzel, Neue Geſchichte der Deutichen, VI, 215, auch noch Weiß, VII, Einl, 2, 621 u. a. 
benügen einen Brief Kaifer Joſephs, d. d. „Wien im Jänner 1788”, der die Ablehnung der von 
Friedrich Wilhelm II. angebotenen Vermittlung begründet. „Ich habe den Degen gezogen, und er 
wird nicht eher wieder in die Scheide kommen, bis ich Genugthuung, bis ich das wieder 
babe, was man meinem Haufe entzogen.” Wie die Türken die Marime hätten, günftige Ge: 
legenheiten zu Eroberungen auszunügen, fo fei aud das Haus Hohenzollern zum Gipfel feiner 
Größe gelangt; in fchwerer Zeit habe es der bedrängten Maria Therefia eine Provinz geraubt, 
und ebenjo habe es auch bei der Teilung Polens den befieren Teil für fi) genommen ıc. Der 
Brief ift zum erftenmal gedrudt in der Sammlung „Briefe von Joſeph dem Zweyten” (Leipzig 
1821), 121. Im Vorwort erflärt die Brockhausſche Berlagshandlung, das fie die bisher noch 
ungebrudten Stüde von „einem im Auslande lebenden Deutſchen“ erhalten habe; darunter foll 
nah Wurzbach, Biogr. Leriton VI, 311, V, 375 und V, 311, der bekannte Exieſuit Grofing 
zu verftehen fein. Der Brief, der auch in Schufellas Sammlung (3. Aufl., 212) Aufnahme 
fand, ift zweifellos als Fälfhung zu betrachten; abgejehen von äußerlihen Gründen fpricht gegen 
bie Echtheit ſchon die Thatſache, daß Kaifer Joſeph niemals, am wenigiten aber im Januar 
1783, einen nad Inhalt und Ton fo infolenten Brief an den König von Preußen gerichtet 
haben würde; er dachte ja damals, wie die Briefe an Cobenzl beweilen, noch immer an Aus: 
föhnung und Freundſchaft mit Preußen. 

?) Münchner Zeitung, Jahrg. 1788, 619. 


Der Türlenkrieg von 1788, 175 


endblih der wahre Sadjverhalt nicht mehr verheimlicht werden fonnte und eine 
Trauerpoft nad) der andern aus Ungarn eintraf, wurde wenigftens in Ober: 
deutichland von den namhafteiten Publiziften die Sache des Kaifers ala Sache 
aller Deutſchen aufgefaßt: auf die eigentliche Volksſtimmung jind freilih aus 
der bürftigen Preſſe jener Tage feine Schlüffe zu ziehen. 

„Der ift fein Deutſcher,“ ruft Schubart aus, „dem nicht das Herz über 
die mißlihe Lage feines Kaifers blutet!” „Welch ein Schaufpiel! eine Nation 
ohne Taktik, ohne Akademien, ohne Aufllärung padt einen chriftlichen Kaiſer 
und eine genialifche Kaiferin bei der Kehle und würgt fie zum Erftiden!” Jeder 
Deutihe müfje erröten, wenn er höre, was fein Kaifer im Kampf mit den 
Ungläubigen zu tragen und zu leiden habe! Freilich gäbe es im Neiche genug 
feile Politifer, denen Religion und deutjche Freiheit gleichgültig geworden jeien, die 
aljo mit Vergnügen den Türken wieder vor Wien erbliden würden, ohne zu 
bebenfen, daß diejer blutige Komet Zerftörung und Barbarei an feinem Schweife 
trage. Unfaßbar müfje es jedem Patrioten erfcheinen, daß Preußen, das eble 
Preußen, Gewehr bei Fuß die Not des Kaifers mit anjehe, immer nur mit frem: 
den Mächten liebäugle und feine deutſchen Pflichten mißachte. Die Schuld jchiebt 
Schubart — wie wir willen, mit Unreht — auf die Franzojenfreunde in Berlin. 
Der Luftjegler Blanchard habe, als er jüngft in Berlin eine Auffahrt veranftaltete, 
einen Zimmergejellen gefragt, woher der Wind gehe, und die Antwort erhalten: 
„sn Berlin weht er immer von Franfreih!” Die Langjamkeit der ruſſiſchen 
Operationen beweije zur Genüge die „ohnehin befannte Treulofigkeit der Aſiaten“. 
„Drei ruſſiſche Heere, an 100000 Mann ſtark, fluten ganz nahe bei den 
Türken, Schlagen fi aber nit. ‚Warum, Dedipus?‘ fragt die Sphinr. Dedipus 
flüftert der Sphinr die Antwort ins Ohr. ‚Hinab in den Orfus mit jo einer 
Politik!‘ ruft die Sphinr.“ !) 

Auch Wecdhrlin tritt im Namen der Zivilifation für den Kaifer ein. In 
den „Hyperboräiſchen Briefen” läßt er zwei Raguſaner (Preußen) für die Türfen 
beten. „Mag man immer,” erläutert der eine, „in der Hoffapelle zu Warſchau 
für die Rufen, in Regensburg für die Defterreiher beten, dem Ragujanijchen 
Intereſſe entjpriht nur die Niederlage Joſephs und der Sieg des Türken.” Doc 
der zweite rafft fich zu andrer Anfhauung auf. „So, Freund, müfjen wir 
als Ragujaner denken: als Weltbürger aber und als Menſchen find wir ver: 
pflichtet, den deutihen Waffen Glück zu wünſchen. Es ift Zeit, daß ber Bar- 
barisme ein Ende nimmt. Der Menschlichkeit, der Kultur, ben Sitten, die in 
jo Schöner Blüte ftehen, ift daran gelegen, die Türkei in die Hände gefitteter 
Völker zu bringen, ein Intereſſe, das größer ift, als Gleihgewicht und Verträge!” ?) 

Kühler wird aber die orientalifche Krifis in norddeutſchen Organen beurteilt; 
bier handelt es fih nur um 


„ein Gefpräh von Krieg und Kriegsgeſchrei, 
Wenn hinten, weit, in der Türfei 
Die Völker aufeinander ſchlagen“. 


1) Baterländ. Chronik, Jahrg. 1788, 670, 788. 
?) Spperboräifche Briefe, Jahrg. 1788, IV, 138. 


176 Erſtes Bud. Fünfter Abſchnitt. 


Das Hamburger politifche Journal findet das leichtfertige Verhalten des 
Kaifers „ohnbegreiflih” und vertraut der Weisheit Herkbergs, daß auch diefer 
Handel auf eine Weiſe geichlichtet werde, welde die Ruhe Deutſchlands im 
Süden und Norden fichern könne.) — 

Eine überrafhende Wendung vollzog fih in Polen, ja, es gewann den 
Anſchein, als ob an einer polniihen Frage ein allgemeiner Weltkrieg ſich ent: 
zünden werde. König Stanislaus hatte, wie erwähnt, den Kaijerhöfen Hülfe 
im Türkenkrieg in Ausficht geitellt. Das neue Bündnis bedurfte aber der Be: 
ftätigung durch den Reichstag, und die Wahlen fielen im Herbit 1788 nidts 
weniger als rufjenfreundlih aus. Am 13. Oktober wurde im Reichstag ein 
preußijcher Proteft gegen das Bündnis mit Rußland vorgelejen; die Republik 
jei von feiner Seite bedroht, habe aljo ein Schutzbündnis nicht nötig; wenn 
fich trogdem Polen ohne jeden Anlaß in den Krieg mit der Pforte einlaſſe, müfje 
Preußen den Traftat von 1773, der die Integrität Polens verbürgte, als gelöft 
anjehen.?) Die in warmem, freundihaftlihenm Ton gehaltene Warnung madte 
Eindrud; es wurde zwar die Aufftelung einer Armee von 100000 Mann be: 
jchloffen, aber die Verwendung follte nicht dem Könige, ſondern einer eigenen 
Reihstagstommiffion zuftehen. Als Rußland gegen diefen Beſchluß Vorftellungen 
erhob, beharrte der Reichstag, beftärft durch eine zweite preußifche Note, bei 
jeiner Auffafjung der Lage. Ja, Walewsfi, der Woimode von Siradien, forderte 
in offener Verfammlung den Beitritt der Republik zur Tripelallianz; der Antrag 
wurde zwar vertagt, aber die freundichaftlihen Beziehungen der Mehrheit des 
Reichstags zu Preußen dauerten fort. Während König Stanislaus und bie 
Kaiferhöfe, als fie fich zu gemeinjchaftlicher Verteidigung gegen gemeinjchaftliche 
Feinde verpflichteten, in erfter Reihe zwar den Türken, in zweiter aber Preußen 
im Auge gehabt hatten, jchien ſich jegt ein Bündnis zwifchen Polen und Preußen 
gegen Rußland anzubahnen. 

Katharina wußte freilih ein Mittel, wie der vom Weiten drohenden Ge— 
fahr zu begegnen jei. Defterreih habe ja, jo fchrieb fie an Joſeph, ein natür- 
liches nterefje daran, endlih einmal dem Uebermut Preußens zu Steuern; es 
brauche nur eine Armee in Böhmen aufzuftellen, jo werde die Preußenfreund: 
Ihaft der Polen raſch verfliegen. Doch Joſeph, mehr noch durch das Mißgeſchick 
jeiner Waffen als durch jeine Krankheit gebrochen, wies die Zumutung mit aller 
Entichiedenheit zurüd. Er bedaure zwar lebhaft, jchrieb er am 24. November 
an die Zarin, daß nun die von ihm von jeher vertretene Auffaffung, dab Preußen 
als der grimmigfte Feind der Kaiferhöfe anzufehen fei, Betätigung finde, aber 
in Krieg mit Preußen könne er fi nicht einlaffen. „Sie dürfen von meiner 
Aufrichtigfeit und Bundestreue feit überzeugt fein, fo daß Sie mir glauben können: 
wenn ich einmal etwas als unmöglich bezeichne, dann ift auch wirklich nichts zu 
maden. Es ift mir nicht möglich, zu gleicher Zeit mit Preußen und ber Pforte 
Krieg zu führen; ich fanın mich nicht zu gleicher Zeit gegen beide verteidigen, denn 
unglüdlicherweife find meine Länder, mit Ausnahme der Lombardei, auf allen 


!) Polit. Journal, Jahrg. 1788, 993. 
2) Ebenda, 1070. 


Der Türkenkrieg von 1788. 177 


Seiten von diefen ftarfen Feinden und ihren Verbündeten eingefhloffen” ). Auch 
Leopold pflichtete ber Auffaſſung des Bruders bei. „Ich bin ganz und gar Ihrer 
Anſicht, daß man fih unter feinen Umftänden durh Rußland zu einem Schritt 
verleiten lafjen darf, der Ihnen von allen Seiten Feinde auf den Hals zieht, 
Ihlieglih würden Sie geopfert werben zu Gunften eines Verbündeten, der für 
Sie nichts thun will und nichts thun kann, denn die Abfihten der Kaiferin, 
mögen fie auch bie beiten von ber Welt jein, werben weder von ihren Miniftern, 
noch von ihren Generälen beadhtet, davon hat der Feldzug des laufenden Jahres 
einen Haren und unanfedhtbaren Beweis gegeben!” Wie ungehalten Joſeph 
jelbft über den Bundesgenofien war, erhellt aus feinen Briefen an Kaunitz. 
„Bon ben Ruffen ift wirfjame Unterftügung nicht mehr zu erwarten, von ihnen 
fann man nur Verfprehungen und ſchöne Worte erlangen, es fehlt ihnen an 
Geld, an Kredit, an Energie, und ihre Zarin bejchäftigt fi nur mit den In— 
triguen ihrer Günfilinge!” 

Der Feldzug von 1788 geftaltete fi aber noch günftiger, als es nad 
dem Rüdzug der Hauptarmee zu erwarten war. Im Dftober ergab ſich die 
Feltung Choczim, die ſchon feit Juni von einem aus Ruſſen und Defterreihern 
zujammengejegten Corps unter Befehl des Prinzen Joſias von Koburg belagert 
worden war. Ein andres faijerliches Corps in Kroatien, an deſſen Spike im 
Auguft der gefeierte Laudon getreten war, zwang ſchon nad wenigen Wochen 
das feſte Dubita zur Uebergabe und nahm am 3. Dftober Novi mit ftürmender 
Hand. Noch kurz vor Jahresſchluß gelangte auch die Belagerung der Feitung 
Oczakow zu glüdlihem Abſchluß. Potemkin, der fih nur, jolange es fih um 
Zujanmenwirfen mit den Oefterreihern handelte, unthätig und ſchwankend ge: 
zeigt hatte, war weder der läppiiche Ordensjäger, für den er vom Prinzen von 
Ligne, noch der verbuhlte Schwädling, für den er von Joſeph gehalten wurde; 
jelbft ein echter Nuffe, wußte er auch bei den ihm untergebenen Truppen die 
religiöfen und nationalen Jmpulje zu weden, jo daß jie vor Begierde brannten, 
ih mit den Ungläubigen zu mefjen, und ungeltüm den Angriff forderten. Doch 
erft, als er den günftigen Zeitpunkt gekommen glaubte, am Tage des Schutz— 
patrons des heiligen Rußland, ordnete er den Sturm an. Nach einftündigem, 
mörderifchem Kampfe, in dem Pardon weder gegeben, nod gefordert wurde und 
10000 Türfen und 4000 Ruſſen auf dem Plage blieben, war die Stadt ge: 
nommen (17. Dezember 1788). Es war ein glänzender Abſchluß des Feldzugs, 
aber Joſeph, wie jchmeichelhafte Glückwünſche er auch an Katharina richtete, 
fonnte es nur als Demütigung empfinden, daß den rujfiihen Waffen erft nad 
dem Abzug der Defterreicher glorreiher Sieg beihieden war. Potemkin, der ver: 
jpottete „Serailgeneral”, z0g im Triumph in Petersburg ein; Joſeph jelbft war 
wie ein Flüchtling, als ein kranker, gebrochener Mann nah Wien zurüdgefehrt. 
Zwar die Krankheit ſchien fih allmählich zu heben, aber der Geift konnte nicht 
gefunden, folange er den finiteren Mächten des Zweifels, des Grolles und bes 
Grames verfallen war. Mit fieberhaftem Eifer oblag der Pflichttreue untertags, 





') Arneth, Joſeph II. und Katharina, 321, 323. 
Heigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Friedrichs d. Br, bis zur Auflöfung des deutſchen Reiche, 12 


178 Erfted Buch. Fünfter Abfchnitt. 


während die Menge geihäftig und geſchwätzig an der Hofburg vorübereilte, der 
Arbeit; nachts brütete er über das Scheitern feiner alten Pläne und grübelte 
über neue. Die Aerzte geboten Zerftreuung und Ruhe, und die Gejchwilter 
drangen in den Kranken, der Mahnung Folge zu leiten. „Du fennft weder 
mein Amt,” ermwiberte er der Schwefter Ehriftine, „noch die Art, wie es ver: 
jehen jein will; ich werde mit aller moralifhen und phyſiſchen Kraft, die mir 
noch übrig ift, auch fernerhin thun, was der Dienft und das Wohl meines Vater: 
landes erheifhen, — um die Folgen, die für mein Leben daraus entjpringen 
fönnten, babe ich mich nicht zu befümmern.” 


Sechſter Abſchnitt. 


Preußen und vie Rurie. Pas Wiederaufleben des 
Duntiafurfireifes. Das Projekt einer römiſchen Rönigs- 
wahl. Irrungen und Einungen innerhalb des Fürften- 
bundes. Preußen und die orienfalildıe Frage Per 
Türkenkrien von 1789. Der Abfall der öſterreichiſchen 
Diederlande. Per Tütfidier Streit. 


BZeihen des Dualismus; aus dem Gegenſatz zwiſchen Defterreih und 

Preußen find die verjchiedeniten Wendungen und Wandlungen zu er: 
Hären. Auch das für die Zeitgenoſſen überrafchende FFreundichaftsverhältnis 
Preußens, der Schutzmacht des Proteftantismus in Deutſchland, zur römiſchen 
Kurie ift aus jenem Gegenjat herausgewachſen. Ebenſo die Abſicht, einen 
engeren Anſchluß der deutſchen Erzbiihöfe an den Kaifer zu verhindern, wie 
der Wunſch, einem Freunde des Fürftenbundes, Karl Theodor von Dalberg, 
die Anwartichaft auf den Mainzer Kurftuhl zu verfchaffen, hatten das Berliner 
Kabinett bewogen, im Streit der deutſchen Erzbifhöfe mit Rom eine ver: 
mittelnde Stellung einzunehmen. Damals Hatte Dohm, der Gejchäftsträger 
Preußens beim weftfäliihen Kreisdireftorium, in Verbindung mit Fohannes 
Müller zu Gunften der frondierenden Erzbifhöfe auf die preußiiche Regierung 
einzumirfen geſucht; die erſte proteftantiihe Macht könne und dürfe nicht 
anders auftreten und werde fih dadurch in Fatholifhen, wie proteſtantiſchen 
Landen in Anjehen jegen.!) Doch die Rüdfiht auf das geipannte Verhältnis 
des Kaijers zur Kurie ließ es dem preußiſchen Kabinett angemeflener erjcheinen, 
mit Rom in freundliche Beziehungen zu treten und dadurch den beutichen 
Katholiken klar zu machen, daß gerade das hriftlich-fonjervative Preußen, obwohl 
unter einem proteftantifhen Oberhaupt, als natürlide Schugwehr gegen die 


S: dem Frieden von Hubertusburg fteht die deutſche Geſchichte im 


!) Gronau, Chrift. Wilh. v. Dohm, 1865. 


180 Erfted Bud. Sechſter Abſchnitt. 


Neuerungen der Aufklärer und Freigeiſter zu betrachten jei. So bot ſich ber 
Welt das merkwürdige Schaufpiel, daß ein römischer Nuntius einem preußijchen 
Monarchen öffentlich huldigte und der proteftantijchen Regierung die Wahrung 
der katholiſchen Intereſſen empfahl. 

Am 5. April 1788 richtete Pius VI. an Friedrich Wilhelm II. einen Brief, 
deſſen Aoreffe ſchon den überrafdhenden Umſchwung verrät. „An den aller: 
durdlaudtigften, großmädtigften Friedrih Wilhelm, Preußens erhabenen König“, 
lautet die Meberfchrift, „Euer Majeftät” die Anrede. Zum erftenmal zollte die 
Kurie einem Nachkommen des legten Hochmeifters des Deutſchen Ordens könig— 
(ide Ehren, während nod Klemens XI. dem großen Friedrich den Königstitel 
verweigert und den darauf erhobenen Anjprud eine „unerträglihe Anmaßung” 
genannt hatte. Jetzt richtete Pius an den großmütigen König von Preußen die 
Bitte, er möge den Abfall ber Erzbifhöfe verhüten und einem Gefandten, der 
alles Weitere münblih vortragen werde, freundliche Aufnahme gewähren. „Aus 
diefer unfrer Sendung an Did, allerdurdlaudtigfter und großmächtigſter König, 
fannft Du erjehen, welches Vertrauen Wir in Did jeßen und wie viel Wir Uns 
von Deiner Menjhlichfeit (humanitate) veriprecdhen.” ') 

Der Brief jollte dem Könige, der einen Beſuch der weitlihen Provinzen 
plante, von Monfignore Pacca, dem Nuntius in Köln, überreicht werben. 
Hergberg gab bezüglich der Aufnahme beruhigende Zufiherungen, und fo traf 
denn Pacca am 6. Juni 1788 in der clevejchen Stadt Weſel ein. Es gereichte 
dem Legaten zu hoher Genugthuung, daß er wie ein Geſandter erjten Ranges 
mit föniglihen Ehren aufgenommen wurde; die ganze Beſatzung des Feitungs: 
ftäbtchens bildete Spalier, als Pacca am 9. Juni zur Wohnung des furz vor: 
ber eingetroffenen Königs feine Auffahrt hielt. Im Berichte über die Audienz 
rühmt Pacca die ftattlihe Erjcheinung des Königs, auf melde die Worte 
der heiligen Schrift über Saul anzuwenden feien: ab humero et sursum 
eminebat super omnem populum.?) rievrih Wilhelm nahm das Schreiben 
des heiligen Vaters mit artigen Worten entgegen. Pacca rühmte den Schub, 
den der hochherzige König ſowohl den Katholifen jeines Neiches, als der 
fatholiihen Sache im allgemeinen angebeihen laffe, und gab der Hoffnung 
Ausdrud, daß die preußifche Regierung der wegen der Mainzer Koadjutorie ein- 
gegangenen Verpflichtungen eingedenf bleiben werde. Darauf erwiderte Friedrich 
Wilhelm, er werde in feinem Wohlwollen verharren und nad Kräften dazu bei- 
tragen, dab das Mißverftändnis im fatholifchen Lager ein glüdliches Ende nehme. 
Bei der Tafel juchte der Nuntius nochmals das Geipräh auf den Nuntiaturftreit 
zu lenken; der König ließ ſich aber nicht mehr darauf ein und fprad immer 
nur von der Austrodnung der pontinifhen Sümpfe und den Ausgrabungen in 
Pompeji und Herfulanum. Aus diefer Zurüdhaltung will Pacca ſchon damals 
die Folgerung gezogen haben, daf es dem König nicht ernftlih um Unterftügung 
bes heiligen Stuhles zu thun gemwefen jei; fchon die Freundichaft mit Kurmainz 


) Hertzberg, Recueil des deductions etc., II, 472. 
) Memorie storiche di Bartolomeo Pacea, ora cardinale di 8. Chiesa, sul di lui 
soggiorno in Germania dall’ anno 1786 al 1794, 95. 


Preußen und die Kurie. 181 


babe aufrichtiges Zufammengehen mit Rom ausgejchloffen. „Ich hielt für ficher, 
daß ber König von Preußen, wenn unter Umftänden eine beftimmte Entſcheidung 
gefordert werben jollte, aus Gründen ber jogenannten Staatsraijon, die für die 
Kabinette jo ſchwer in die Wagſchale fällt, uns unbedenklih aufopfern würde, 
wie dies ja auch 1790 in Frankfurt bei den Beratungen über bie Faiferliche 
Kapitulation in gewiſſem Sinne geſchehen ift.“ Auch das Schreiben des Königs 
an den Papft, das dem Nuntius durch Dohm eingehändigt wurde, enthielt feine 
beftimmte Zufage; es war wieber nur dem Wunſche nad friebliher Beilegung 
des Zwiftes innerhalb der katholiſchen Kirche Ausdrud gegeben, ja, aud bie 
SHöflichkeitsformeln waren ziemlih fnapp zugemeflen.‘) Doch blieben freund: 
ſchaftliche Beziehungen aufrecht erhalten; konnten doch die fatholifhen Einwohner 
von Eleve dem Nuntius nicht genug rühmen, wie duldfam ſchon „il gran re 
Frederico* fi} verhalten habe und wie zufrieden fie mit dem gegenwärtigen 
Regiment feien. 

Ohne Zweifel fteht es mit den MWejeler Vorgängen in innerem Zufammen: 
bang, daß unerwartet im Auguft 1788 ein kaiſerliches Hofdelret den Regens— 
burger Reichstag aufforderte, über den Nuntiaturftreit ein Gutachten abzugeben, 
damit endlich dieſe Frage durch ein Neichsgejeß geregelt werde. Das Eingreifen 
des Kaifers mußte um fo mehr überrafhen, da er fi, wie wir wiflen, während 
des Emjer Kongreſſes paſſiv verhalten hatte und namentlich dem Kurfürften von 
Mainz, der immer mit Preußen unter einer Dede ftede, abgeneigt war; ?) 
offenbar wollte er jet den mit Kurmainz befreundeten und ein Bündnis mit 
Rom anftrebenden Berliner Hof nötigen, Farbe zu befennen. In der That er: 
hob Kurmainz Klage, daß die preußiiche Regierung im Widerfpruh mit früheren 
Zuſagen nichts thue, um die Kurie von unerlaubten Eingriffen in die Rechte 
der Erzbiſchöfe zurüdzuhalten.?) Welche Eingriffe gemeint waren, erfährt man 
aus einer Flugſchrift von ungemein leidenjchaftlihem Charakter, die entweder 
aus Wiener Jlluminatenfreifen oder, was noch wahricheinlicher ift, aus erzbifchöf: 
lihem Lager ftammt und den lärmenden Titel führt: „Das unqualifizierliche 
Betragen des Herrn Cäſar Zoglio, Nuntius in Münden.” *) Die Schrift zählt 
eine Reihe von Fällen auf, in denen der Münchner Nuntius widerrechtlich in 
weltlihe und geiftlihe Gerichtsbarkeit eingegriffen habe; zugleich wird der an— 
maßliche Anſpruch des Papftes auf freie Verfügung über den Zehent aller geift- 
lihen Güter zurüdgemwiejen und die alte Klage über die Aufrichtung der Nuntiatur 


!) Im Abdruck in Herkbergd Sammlung (Recueil, II, 475) lautet die Anrede: „Sere- 
nissime princeps et clarissime praesul*; in Paccas Memorie (S. 98) wird verfichert, 
daß ed im Driginal laute: „praesulum maxime*. 

2) „Ce fou*, Joſeph an Leopold, 5. März 1787 (Arneth II, 71). 

2) Reuß, Deutihe Staatskanzlei, 22. Bd., 369. 

) Der ausführliche Titel lautet: „Das unqualifizierliche Betragen bed Herrn Cäſar 
Zoglio, Nuntius in Münden und Erzbiſchofs zu Athen, famt der vom Pius VI. (sic) an den 
Herren Nuntius erlaffenen Dezimationsbulle und dem zur NReichsbiftatur den 22. Auguſt ge: 
brachten Faiferlihen SHofbekrete, die ftändigen Nuntiaturgeridhte in Deutihland und derfelben 
vermöge anmaklicher Fakultäten und Jurisdiktion wagende Eingriffe in die erz- und bifchöflichen 
Diögefanrehte betreffend” (Frankfurt und Leipzig, 1788). 


182 Erſtes Bud. Sechſter Abfchnitt. 


in Münden wiederholt, über diefen Gemwaltaft des Papftes, zwiefach unerträglich 
in einer Zeit, da „die Lehre der unfterblihen Männer Preira und Febron bie 
erbichtete und erſchlichene Alleinherrichaft des Papftes von den Kathedern Deutich- 
lands verbrungen hat“. „Was die Alten von den Kometen glaubten, daß die 
Ausbünftung ihres Schmeifes die übelften Folgen für das Wohl der Menſchen 
verbreite, diefes fann man in Wahrheit von ber Anftellung eines Herrn Nuntius 
in München behaupten.” 

Wieder ſuchte Dohm durchzufegen, daß die preußiiche Regierung im neu 
entbrannten Streit fejte Stellung nehmen und die Erzbifchöfe durch entjchlofiene 
Verteidigung ihrer Rechte gewinnen möge. Doc in Berlin behielt der Wunſch, 
weder den Papft, nod den Mainzer Kurfürften zu verlegen, die Oberhand. 
Hergberg jchrieb an Dohm: „Die ganze Nuntiaturfahe ift ein wahres Kreuz 
unfrer biefigen großen Politik und jollte uns nad meinem Sinn gar nicht be- 
ſchäftigen.“ ) Auch im Namen des Königs wurde an Dohm gejchrieben: „Wir 
find von biefer ſehr verwidelten Sache, in welcher beide Teile nad ben ver: 
ſchiedenen Berhältniffen recht und unrecht haben, jehr beläftigt und Wir haben 
fein Intereffe, noch Beruf dabei, als daß Wir aus Freundſchaft für den Kur: 
fürften von Mainz Uns dieſer Sade in Rom angenommen haben.” In diejem 
Sinne wurde auch dem Kurfürften von Mainz ermwidert, Preußen könne ſich nicht 
in einen jo verworrenen Streit einmifhen und werde nur, wenn die habernden 
Parteien jelbit es wünjchten, die Vermittlung übernehmen. Frau von Couben: 
hoven, die Freundin des Kurfürften Friedrich Karl, beurteilte die Stimmung 
des Berliner Hofes ganz richtig, als fie Dohm den Nat erteilte, er möge jein 
Sturmlaufen gegen Rom aufgeben: „Man hat mir gejagt, daß die Abficht Ihres 
Hofes in fraglider Angelegenheit barauf zielt, nicht daß etwas gethan wird, 
ſondern zu verhindern, daß etwas gethan wird.” 

Inzwiſchen hatten die Erzbiichöfe in Regensburg gejonderte Erklärungen 
über die Nuntiaturfrage abgegeben (September 1788). Insbeſondere das 
Kölnifshe Memorandum erregte den Unmwillen Paccas, und im Auftrag des 
Nuntius veröffentlichte der in Brüffel lebende Erjefuit Heller eine Gegenſchrift?), 
deren beleidigende Sprache nad dem Urteil des proteftantifchen Kirchenhiſtorikers 
Plant „alles übertraf, was jemals in biefer Art erlebt und erhört worden 
war”.?) Der Verfaffer des kölniſchen Memorandums wird als frecher - Be: 
trüger, der die ſchamloſe Kunſt, Urkunden zu fälfhen, zu nie erreichter Höhe 
gebracht habe, gebrandmarft; den deutfchen Erzbiihöfen wird der Vorwurf ge: 
macht, baß fie dur ihre Neuerungen mit unverantwortlihem Leichtfinn die 
Kirche gefährden, „in einer Zeit, da ohnehin die ehrwürdigften Wahrheiten und 
die beftbefeitigten Grundfäge durch die furchtbaren Erjhütterungen wanfend ge: 
macht werben, welche eine falſche Philojophie, verbunden mit tyranniſcher Ge- 
walt, in der politiihen und der kirchlichen Welt veranlaßt.” 


) Gronau, 169. 

®) Reflexions sur les 73 articles du prom&moire presente ä la Diete de l’empire 
(Ratisbonne 1788). 

) Plank, Neuefte Religionsgefhichte (1790), IT, 460. 


Das Wiederaufleben des Nuntiaturftreites. 183 


Die Schrift des belgifchen Jeſuiten rief heftigen Span in Regensburg 
hervor. Die Gejandten der Erzbiſchöfe erneuten ihre Klagen wider den Ein: 
pringling Zoglio, doch der Vertreter von Pfalz:Baiern nahm den Angegriffenen 
in Shut und erklärte, der baieriſche Hof werde, falls in Regensburg die Stimme 
der Wahrheit ungehört verhalle, feine Staaten von ber Diözefangewalt der 
Biſchöfe völlig ablöjen und durch Errichtung eigener Bistümer das Wohl feiner 
Unterthanen, die Gewiflensfreiheit und die Religion im Lande auf immer und 
allezeit ficher ſtellen.) Gereizte Erwiderungen blieben nit aus; im ganzen 
Reihe ericholl wieder der Kampfruf: Hie Nom, bie deutſche Freiheit! Das 
Straßburger Konfiftorium nannte in einem Schreiben an das Speierer Ordina— 
riat die Emjer Punftation eine Sammlung von wiberfinnigen, harten Grund: 
jägen, deren Annahme nur unjelige Verwirrung über bie Chriftenheit bringen 
würde; in fatholifhen Zeitungen wurde über die Mainzer Jluminaten und bie 
baigneurs d’Ems gejpottet, und die jofephinifhe Wiener Kirchenzeitung und 
andere Organe der Reformpartei vergalten mit offenen und verftedten Angriffen 
gegen die „Sklaven Roms“.?) 

Ein Rundſchreiben des Erzbifhofs von Mainz vom 18. Juli 1789 berief 
eine Diözefaniynode, auf welder, wie es in den Tagen der Hatto, Willegis und 
Aribo gehalten worden jei, nüßlihe und notwendige Reformen für den Bereich 
der Erzdiözefe gemeinfam beraten werben jollten. Als wünjchenswerte, dem Geift 
des Jahrhunderts angemejjene Aenderungen waren in der auf dem Boden bes 
Emjer Programmes ftehenden Mainzer Monatsjhrift namhaft gemacht: Der: 
minderung der Klöfter, Aufhebung der Prozejfionen, Empfehlung des Bibellejens, 
Erlaubnis des Zurüdtritts von BPrieftern in den Laienftand aus wichtigen 
Gründen, Einführung einer deutichen Liturgie, zeitgemäße Umpgeftaltung der 
geiftlihen Bruderſchaften u. ſ. w. Ueber diefe und andere auf Bereinfachung 
und Veredelung des fatholiihen Kirhentums zielende Reformen ſollte vorerft 
von den Klofter: und Pfarrfonventen Vorberatung gepflogen werben. *) 

Doh in Mainz tauchten bald ganz andere fragen und Sorgen auf, 
die den Synodenplan in ben Hintergrund ſchoben. Der Streit mit Frank— 
reich wegen ber Befisverhältniffe im Elſaß bradte dem Kurfürften, die neue 
Kaiſerwahl dem Erzfanzler eine Laſt von Geſchäften. Auch die Drohung 
Pfalz. Baierns, mit Zuftimmung Roms die betreffenden Landesteile vom Metro: 
politanverband abzulöfen, blieb nicht ohne Eindrud auf die Erzbiſchöfe. Es 
wäre wohl rajcher zur Ausſöhnung mit Rom gefommen, wenn nit ein Manifeit 
der römiſchen Kurie aufs neue Unmwillen und Bejorgnis im Lager der Emjer 
Verbündeten hervorgerufen hätte. Zu Anfang des Jahres 1790 wurde dem 
Regensburger Reihstag ein päpftliches Breve in Form eines umfangreichen Buches: 
„Sanctissimi domini nostri Pii VI. responsio ad metropolitanos Moguntinum, 
Trevirensem, Coloniensem et Salisburgensem super nuntiaturis*, vorgelegt.*) 


', Mainzer Monatfchrift von geiftlihen Sachen, Jahrg. 1790, 77. 

2) Seb. Brunner, Aufllärung in Defterreid, 471. 

) Mainzer Monatichrift, 729. 

*) Romae 1789, 336 Duartjeiten. — Pacea ſpendet der päpftlichen Kundgebung begeiftertes 


184 Erſtes Bud. Sechſter Abſchnitt. 


Auch dieſe Staatsſchrift wurde dem „neuen Therſites in Lüttich“, dem „fana— 
tifchen Syeller, der auch in feinem Journal historique et litteraire ſchon von 
verichiebenen Jahren her alles Gift der Parteilichkeit mit einer eritaunlichen 
Unverfhämtheit ausgießt“), zugejchrieben; vermutlich” wurde aber das Material 
aus Deutichland geliefert und in Rom felbit verarbeitet.?) Nicht weniger ſchroff 
als in den „Reflexions* werben auch hier die deutſchen Kirchenfürften der frevel- 
haften Auflehnung gegen den Träger der höchſten Kirhengewalt bezichtigt, einer 
Felonie, die um fo ftrafbarer, da fie zu einer Zeit auftrete, bie ohnehin ben 
Glauben und die Kirche heillofen Gefahren ausfege. Früher fei der Ruf nad 
Abſchaffung der Nuntien von den deutichen Proteftanten ausgegangen; jegt werbe 
von Erzbifhöfen gegen rechtmäßige apoftolifhe Gewalten ſchonungslos vor: 
gegangen, während die Proteftanten großmütigen Schu gewährten. „Wir 
wiſſen, daß proteftantiihe Fürften ihre Ehre und ihren Ruhm darein jegen, zu 
verhüten, daß Neuerungen eindrängen, damit alles im gegenwärtigen Stande 
erhalten bleibe.” Hoffentlich werde auch der Kaifer, wie er in feiner Wahl: 
fapitulation bejhworen habe, die Nechte des römiſchen Stuhles verteidigen. 
Bejonders beflagenswert fei die Auflehnung des Vorftandes der Mainzer Kirche, 
der boch in jeiner Erklärung vom 2. Mai 1787 gelobt habe, auf die Grundjäge 
des Emfer Kongrefies nicht mehr zurüdzufommen und die päpſtliche Autorität 
zu rejpeltieren. Dieſem Gelöbnis habe fi auch der damalige Koadjutor v. Dal: 
berg angeichlofien, und der König von Preußen habe durch eine von Luccheſini 
unterzeichnete Erklärung vom 14. Mai 1787 für Erzbifhof und Koadjutor Bürg: 
Ihaft übernommen; da diefe Thatjahe ſchon von mainziſcher Seite in einer 
deutſchen Zeitjichrift befannt gegeben worden fei, braude es auch in Rom nicht 
mehr als Staatsgeheimnis angejehen zu werden. Was bie Nuntiaturen betreffe, 
fo werde die römiſche Kurie in den Hauptpunften niemals nachgeben; in Einzel: 
heiten werde ſich vielleicht dur unmittelbares Benehmen mit dem römifchen 
Stuhl eine Abänderung erreichen lafjen. Die Mainzer Synode möge nur zu: 
fammentreten; jobald aber bie vom Trientiner Konzil geftedte Grenze über: 
fchritten werde, fei ftrenge Ahndung unausbleiblic. 

So hart und ſchonungslos würde die Kurie wohl faum geſprochen haben, 
wenn fih nicht ihre Stellung gegenüber den Erzbifhöfen wejentlih günftiger 
geftaltet hätte. Die Ausbreitung der Revolutionsideen z0g insbejondere für bie 
rheiniſchen Kurfürften jo viel Aufregung und Gefahr nah fih, daß eine Fort: 
führung des Streites mit Rom ſich von jelbft verbot; auch Die Zertrümmerung 
des Kirchentums in Frankreich warnte vor jegliher Spaltung der geiftlihen 
Geſellſchaft. Unter dieſen Umftänden mußte Friedrih Karl, dem der preußische 
Gefandte Stein allen Ernftes zutraute, daß er eine deutiche Tiara anftrebe, ben 
hochfahrenden Plänen entfagen. „Der große Streit unfrer Erzbiſchöfe,“ ſchrieb 


Lob: „E quest’ opera una rieca miniera di sagra pellegrina erudizione sull’ importante 
oggetto della potestä, che ha il sommo pontifice in vigore del suo Divino primato 
d’inviarelin ogni tempo e in ogni facoltä legati, apoerisarij, nuncij o vicari) apostolici.* 
(Memoriefstoriche, 116.) 

i) Plant, II, 483. Münd, 392. 

2) Mainzer Monaticdrift, 821, 1021. 


Das Projekt einer römiſchen Königswahl. 185 


Plant 1790, „it... in den verflofienen vier Jahren jo geführt worben, daß 
alles beim alten blieb und ber höchſten Wahrſcheinlichkeit nach noch länger dabei 
bleiben wird”. *) 

Unter dem Eindrud des freundichaftlihen Verhältniſſes des preußiſchen 
Hofes zum römiſchen Stuhl, das im Beſuche des Nuntius Pacca in Wefel Aus: 
drud fand, vollzog fich nicht nur, wie oben dargelegt wurde, eine Annäherung 
des Kaiſers an die Emfer Verbündeten, fondern das Wiener Kabinett hielt auch 
den Augenblid für günftig, um den Mainzer Kurfürften von Preußen abzu: 
ziehen und dadurch den Fürftenbund, der immerhin einmal gefährlih werben 
fönnte, zu jprengen. 

Sm Auguft 1788 kam ber mainziſche Gejchäftsträger am Wiener Hofe, 
v. Helm, der mit Spielmann, dem Günftling des Fürften Kaunig, in Fühlung 
ftand und mit bem mainzifhen Minifterpräfidenten Albini befreundet war, 
an den Hof Friedrih Karla nah Aſchaffenburg.) Der Diplomat machte fein 
Hehl daraus, daß er im Auftrag des Kaifers ericheine, um zu fonbieren, ob 
der Kurfürft noch immer an dem unnatürliden Bündnis mit Preußen fefthalten 
wolle. Der Fürftenbund, wie er von König Friedrich geitiftet worden fei, habe 
in Wien feine Furt erregt, denn ein Bunb von brei aufeinander eiferfüchtigen 
Mächten werde weder Gutes noch Böſes ftiften. Dagegen habe der Beitritt des 
Mainzers wie ein Donnerſchlag gewirkt, denn bamit ſei der Beſitz der Kaifer- 
würde für das habsburgifhe Haus in Frage geftellt. Gerade deshalb aber 
gewinne die Krone außergemwöhnlihen Wert, und ber Kailer betrachte es jetzt 
ſchon als wichtigſte Aufgabe, feinem Bruder Leopold die Nachfolge im Reich zu 
fihern. Warum follte diefer Wunſch nicht zu erfüllen fein? Der Kaiſer be: 
zwede nichts andres als die Erhaltung des Reichs, der geiftlihen Fürftentümer, 
ber Domlapitel und bes Adels; von Nustaufch- oder Teilungsplänen fei nicht 
mehr die Rede. Der Kaijer ftehe mit allen Mächten, den britiihen Hof aus: 
genommen, auf beftem Fuße; der König von Preußen werde nicht müde, freund: 
Ihaftlihe Verficherungen zu geben, Frankreich gehe Hand in Hand mit Defter: 
reich. Auf die Stimmen von Trier, Köln, Böhmen und Pfalz könne das 
Erzhaus mit Sicherheit zählen; wenn nun aud der Erzfanzler zur Wahl des 
römischen Königs die Hand reihen würde, ftände der Erfüllung des Eaiferlichen 
Wunſches nichts mehr im Wege. Der Kurfürft könnte für dieſen Dienft jeden 
Lohn vom Kaifer fordern. Doch die Sache eile, denn der Kurfürft von Pfalz: 
baiern jei ein hochbetagter Mann, und des Nachfolgers, des Herzogs von Zwei: 
brüden, jei man nicht fiher. Auf ewige Zeiten würde ſich der Kurfürft das 
Haus Habsburg zu Dank verpflichten, wenn er fi jegt an den Kaiſer anfchlöffe. 
Dan habe in Wien zuverläflige Kunde, daß die drei proteftantiihen Mitglieder 
des Fürftenbundes ſich untereinander dahin geeinigt hätten, daß die Kaiferkrone 
künftig zwiſchen katholiſchen und proteftantiihen Höfen wechſeln ſollte. Daraus 
fönne der Kurfürft entnehmen, daß ihn die proteftantiihen Fürften nicht als 


) Blant, 11, 397. 
*) Preuß. geh. Staatdarhiv. Acta, enthaltend bie Correfpondenz mit dem Churfürften 
von Naynz und dem Obriften von Stein, betreffend die römifche Königswahl 1788. 


186 Erfted Bud. Sechſter Abſchnitt. 


gleichberechtigten Genoffen, fondern nur als Werkzeug anjähen, daß es für ben 
Kanzler des Neihs und den Primas der deutſchen Kirche nur im Anſchluß an 
den Kaifer Ehre und Vorteil gebe. 

Friedrih Karl jelbit ſetzte den preußifhen Gejandten an feinem Hofe, 
Obriſt v. Stein, von den Wünſchen und Anerbietungen des Kaiſers in Kenntnis. 
Damit bewies er, daß er zur Zeit noch nicht gejonnen fei, vom Bündnis mit 
den nordbeutfchen Mächten abzufallen, aber die PVorftellungen Helms waren, 
wie Stein leiht durchſchauen fonnte, nicht ohne Eindrud geblieben. Friedrich 
Karl wollte zum Kaifer nicht nein jagen, aber auch die Bundesgenoſſen 
nicht vor den Kopf ftoßen; in feiner Verlegenheit forderte er Stein auf, ihm 
darüber Gemwißheit zu verfchaffen, wie ſich der preußijche Hof jelbit zur Wahl eines 
römiſchen Königs verhalten werde, und ob in der That geheime Abmahungen 
zwijchen den drei proteftantifhen Mächten beftänden. Darauf wurde nad) längeren 
Erörterungen zwiſchen Friebrih Wilhelm und jeinen Räten Her&berg und Finten: 
ftein folgendes ermwidert. Was Helm in Aſchaffenburg über Umtriebe des Lon— 
doner Kabinetts und über ein Zufammengehen Preußens mit dem Erzhaufe enthüllt 
habe, ſei eitel Erdichtung. „Es find lauter Lügen, bie diefer Menſch erfonnen 
bat, um fi Gehör zu verfhaffen.” Der Wiener Hof habe in Berlin noch fein 
Wörthen von der Wahl eines römifhen Königs verlauten laffen, werde fid 
auch gewiß hüten, dies zu thun, ehe er nicht ohnehin der Stimmenmehrheit 
verfihert wäre. „Ich ftehe in der That mit dem Kaifer auf gutem Fuße, 
aber von freundjchaftlihen Beziehungen ift Feine Rede, und es ift feit der 
bolländifhen Affäre zwifchen den zwei Höfen nicht mehr verhandelt worden. 
Ich bin weit entfernt, mit den beiden Kaiſerhöfen Hand in Hand zu gehen, um 
eine Teilung polniſchen Gebietes vorzunehmen oder auf Koften der Pforte Er: 
oberungen zu maden; nicht einmal geiprähsweife wurde derartiges berührt.” 
Etwas Wahres jei nur an der Enthüllung über das Bündnis der deutichen 
protejtantifchen Mächte. „Unter dem Siegel der Verfchwiegenheit und im Ber: 
trauen auf die Diskretion des Herrn Kurfürften will ih ihm nicht verhehlen, 
daß ich mit den AKurfürften von Sachſen und Hannover in Bezug auf bie 
künftige Königswahl im Cinverftänbnis ftehe, ohne daß wir uns jedoch bisher 
über einen beftimmten Kandidaten geeinigt hätten.” Jedenfalls wäre dem Kur: 
fürften von Mainz von allen Beihlüffen Kenntnis gegeben und nur im Ein 
vernehmen mit ihm gehandelt worden; von einem Beitritt des Mainzers zum 
Bündnis werde wohl am beiten, um unnötiges Aufjehen zu vermeiden, Umgang 
zu nehmen jein. 

Natürlih waren diefe Eröffnungen nicht geeignet, den Argwohn des Kur: 
fürften zu befchwichtigen. Er verlangte nahbrüdlich, in den Bund aufgenommen 
zu werden; bie vier Unionsfürften jollten ſich ſodann verpflichten, an Könige: 
wahl und Wahlfapitulation nur nach gemeinfamen Beratungen und einftimmig 
gefaßten Beihlüffen ſich zu beteiligen. 

Die mainziihe Forderung ftieß jedoh in Hannover und Dresden auf 
Widerfprud. Von hannöverſcher Seite wurde darauf hingewieſen, daß man 
den britten geheimen Artikel des Bundesvertrags, der die Ueberlaſſung einer 
neunten Kur an Heſſen-Kaſſel berühre, einem fatholifhen Kurfürften unmöglich 


Irrungen und Einungen innerhalb bed Fürftenbundes, 187 


befannt geben könne, und von kurſächſiſcher Seite wollte man die Gleichberech— 
tigung des Mainzer nicht anerkennen; es beitehe ja die Union — fo wurde 
bier und bort hervorgehoben —, wozu bedürfe man neuer Verträge! 

Auch Herkberg machte den König darauf aufmerfjam, dab mainzifche 
Gefandte an andern Höfen eine andre Sprade führten, als der Kurfürft felbft 
gegenüber dem Berliner Hofe; in Dresden 3. B. habe der mainziſche Gejandte 
erflärt, man fönne ja doch bei einer Kaijerwahl im Ernft nit an ein andres 
Haus denken, als an das habsburgiſche. Diefe Anficht dede fi aber durchaus 
nit mit ber Auffafjung und dem Intereſſe Preußens; man binde fi aljo 
zu eigenem Schaden gewifjermaßen die Hände, wenn man fich zu tief mit dem 
Mainzer einlafle. 

Da aud Friedrih Wilhelm dem Minifter beiftimmte, wurde von Aus: 
behnung bes Vertrags auf alle Kurfürften des Fürftenbundes abgejehen,; nur 
Sonderverträge zwifhen Mainz einer- und Brandenburg und Hannover andrer: 
ſeits wurden (24. Dezember 1788 und 1. Januar 1789) abgeſchloſſen, „daß 
die zwey Stimmen wie nur Eine feyn und nicht anders als einmüthig ver: 
iproden und ertheilt werben follen”. Sachſen weigerte fih, ein ähnliches Ab- 
fommen zu treffen, jo daß der Mainzer jelbft in Berlin beantragte, die Ver: 
bandlungen einzuftellen und dem Dresdener Hofe zu überlafjen, „wozu in Rüde: 
ſicht gedachter Konvention Patriotismus und wunionsmäßige Gefinnungen ihn 
etwa fünftig noch beftimmen möchten“ — 

Schon wenige Wochen fpäter gewann es den Anſchein, als ob bie Feſtig— 
feit der neuen Verträge auf die Probe geitellt werben. follte. 

Am 14. April 1789 eröffnete Friedrih Wilhelm durh ein Billet feinen 
Kabinettsminiftern Finkenſtein und Herkberg, er habe zuverläffige Kunde, daß 
Kaifer Joſeph den laufenden Monat nicht mehr überleben werde; fie möchten 
aljo ein Gutachten abgeben, was bei Erledigung des Kaiferthrones von preußis 
ſcher Seite zu gejchehen habe.) „Wie im gegenwärtigen Augenblid die Fürſten 
des Reichs gefinnt find,“ fügte der König hinzu, „wäre es nicht unmöglid, dem 
Haufe Oeſterreich die Kaiferfrone zu entreißen, und ficherlihd würde ein folcher 
Wedel, wenn man nur das Reichsintereſſe berüdfichtigt, einen wejentlichen 
Borteil bedeuten. Allein wenn das Haus Defterreich feine natürlichen Kräfte 
behält, welcher Vorteil könnte dann für Preußen herauskommen? Die Kriege 
mit Defterreih würden das Neich nicht mehr angehen, und der deutſche Fürften: 
bund würde uns nicht mehr nüßen!” 

Aus der von beiden Miniftern unterzeichneten Antwort erhellt, daß von 
preußijcher Seite vermutlich ſchon bei Stiftung des Fürftenbundes die Zuwen— 
dung ber Kaijerfrone an eine andre Dynaſtie ins Auge gefaßt wurde. 

Es fommt alles darauf an, erflärten die Minifter, ob bei Erledigung des 
Raiferthrones der Herzog von Zweibrüden fhon in Beſitz des Kurfürften: 
tums Pfalzbaiern gelangt ſei oder nicht; wenn das eritere der Fall ift, jo muß 
von feiten Preußens alles daran gefegt werben, ihm zur Kaijerfrone zu ver: 


') Preuß, Staatsardiv. Correspondance du Roi avec le ministöre, touchant les 
mesures ä prendre apr&s la mort de l'’empereur Joseph II, 1789. 


188 Erfted Bud. Sechſter Abſchnitt. 


helfen: Herzog Karl Auguft, eventuell jein Bruder Mar Joſeph 
find die natürliden Kandidaten des Fürftenbundes. Dagegen wäre 
Karl Auguft ohne den Befiß Baierns nicht in der Lage, die ftandesmäßigen 
Mittel aufzubringen; auch würde Karl Theodor dem verhaßten Neffen niemals 
feine Stimme geben und niemals dem Erzhaufe widerftreben; es würde alfo 
nicht möglich fein, eine Stimmenmehrheit für den Herzog zufammenzubringen. 
Denn auch Kurſachſen, das ſelbſt geheime Abfichten auf die Krone habe, werde 
wohl kaum ben Herzog oder einen andern nidht-öfterreihiihen Bewerber auf: 
richtig unterftügen; eine Erhebung des Kurfürften von Sachſen aber verftoße 
gegen das Intereſſe Preußens. Unter den gegebenen Umftänden ſei es aljo 
wohl das rätlichfte, die Wahl des Brubers des regierenden Kaijers ſich gefallen 
zu laſſen; jedenfalls ſei es nicht angezeigt, erhebliche Anftrengungen zu maden 
und großen Gefahren fih auszufegen, um jene Wahl zu hintertreiben. Die 
Kaiferfrone gewähre ja im Grunde dem öfterreihifchen Haufe nur geringe Bor: 
teile, und „jolange die Habsburger im Befit ber höchſten Würbe, wird bie 
Furcht vor ihnen immer dem brandenburgifhen Haufe Bundesgenofien werben“. 

In einem Memoire vom 15. April 1789 führt Herkberg biefe Gedanken 
noch weiter aus. Beſonders ein Sat ift für die Politik des Minifters kennzeichnend 
und liefert den Beweis, daf Karl Auguit von Weimar nicht unrecht hatte, wenn 
er behauptete, Herkberg habe für den deutſchen Fürftenbund fein Herz und fein 
Verftändnis. Der Kurfürft von Sachſen, heißt es nämlich, trachte weniger nad 
der Kaiferfrone, als nach der polnifchen; zu dieſer könne er aber nur mit 
preußilcher Hilfe gelangen, „ba ja Preußen überwiegenden Einfluß 
in Polen bat, der für Preußen zur Zeit aud viel mehr Be: 
deutung bat, als der in Deutſchland, wo die Macht der verfchiedenen 
Souveräne ſchon zu anfehnlich und zu geteilt ift, als daß der König von Preußen 
den größten Teil davon dem rivalifierenden Haufe Defterreich entgegenitellen 
fönnte”.!) Ergebnis aller Erwägungen ſei: Preußen läuft feine Gefahr, 
wenn es nach dem Tobe Joſephs II. wieder einen Kaiſer aus öſterreichiſchem 
Haufe zuläßt; im Gegenteil, es fol diefe Wahl, wenn fie nicht abzuwenden ift, 
jelbft begünftigen, denn die Eiferjuht und die Furt vor dem Kaijer werben 
immer die beutihen Fürften ins brandenburgiiche Lager treiben und den König 
von Preußen, der als natürliches Gegengewicht fich darbietet, zum Gegentaifer 
(anticdsar) erheben. Noch günftiger wäre es freilich, wenn die Krone dem habs- 
burgifhen Haufe entfremdet werben könnte. Zu diefem Zweck fol das inter: 
regnum möglichjt verlängert werden, „um bis zum Tode des Kurfürften von ber 
Pfalz Auffhub zu gewinnen, denn dadurch würde die Lage von Grund aus 
geändert werden“, 

Zugleih wurden von Herkberg und Finkenftein Vorſchläge gemacht, wie 
mit Hilfe der Bundeshöfe eine Elarere unb würdigere Wahlkapitulation zu ſtande 


') 2... une influence pröponderante en Pologne, laquelle devient à present plus 
essentielle pour la Prusse que celle de l’Allemagne, oü la puissance des differens sou- 
verains est dejä trop considerable et trop partagee, pour que le Roi de Prusse puisse 
en enlever la plus grande partie à la maison rivale d’Autriche.*“ 


Preußen und die orientaliihe Frage. 189 


zu bringen wäre, „damit die faiferlihe Macht in die engiten Schranken zurüd- 
gewiejen werde“. 

Ein Signat Frievrih Wilhelms vom 16. April 1789 billigte das Gut: 
achten der Minifter und ordnete an, daß jekt ſchon Geheimrat Sted, der in 
den Reichsangelegenheiten am beften bewandert ſei, mit Ausarbeitung eines für 
Preußen vorteilhaften Kapitulationsentwurfes betraut werben joll. 

Doch erſt ein Jahr fpäter traf das Ereignis ein, dem dieſe Vorbereitungen 
galten, der Tod Joſephs II. Dagegen trat der feindlihe Gegenjag zwiſchen 
Preußen und Defterreih noch im legten Lebensjahre des Kaijers in ber orien: 
taliſchen Frage fchroff zu Tage. 

Kaiſer Joſeph hegte, nachdem der Feldzug gegen bie Türken im Herbft 1788 
durch die Erfolge Laubons und des Prinzen von Koburg eine etwas glüdlichere 
Wendung genommen hatte, den aufrihtigen Wunſch, mit der Pforte Frieden 
zu ſchließen. Choifeul, der franzöfiihe Botſchafter in Konftantinopel, übernahm 
die Vermittelung. Die VBorjhläge des Kaifers waren nicht unbillig; er verlangte 
bloß eine „fihere und fonvenable Grenze” für Defterreih und die Abtretung 
Oczakows für Rußland. Da Abdul Hamid jelbft zum Frieden geneigt war, 
hätten die Verhandlungen vermutlich zu einem Ausgleich geführt, wenn nit ein 
ebenjo einflußreicher, wie gewandter und rühriger Gegner wiberftrebt hätte, ber 
preußifhe Gejandte in Stambul, von Diez. „Wir haben nichts fo jehr zu 
fürdten,” fo hatte Hergberg diejen Gejandten inftruiert, „als einen Separatfrieden 
zwiſchen der Pforte und einem der Eaiferlihen Höfe; Sie müſſen aljo dies auf 
jede mögliche Weife verhindern.” Der Gefandte jelbft wäre fogar gern noch 
weiter gegangen; er wurde nicht mübe, darzulegen, daß es für das Intereſſe 
Preußens nichts Förderlicheres gäbe, als ein Bündnis mit der Pforte und fräftige 
Teilnahme am Krieg mit Defterreid. So weit wollte jedoch Herkberg nicht 
gehen; er wollte Preußen nicht in den Krieg verwideln, ſondern hoffte durch 
kluge Ausbeutung der Lage eine erwünfchte Arrondierung für Preußen zu er: 
langen.!) „Wenn die Defterreiher geichlagen und an die Donau zurüdgedrängt 
jein werben, dann wird ber König feine bewaffnete Intervention ankündigen 
und den friegführenden Mächten unfern Hauptplan vorlegen.” Um aber biejes 
Ziel zu erreihen, mußte verhindert werden, daß die Friedenspartei in Konftanti= 
nopel die Oberhand erlange. Diez ftellte dem Grofvezier vor, der Dreibund 
werde nur dann zu thätiger Hilfe gegen bie Kaiferhöfe zu gewinnen fein, wenn 
alle Bermittelungsvorihläge abgemwiejen würden. „ch zeigte den QTürfen bie 
Zähne,” jchrieb er (22. Dezember 1788) an Hergberg, „ich rüdte ihnen gewalt- 
jam auf den Leib und erreichte dadurch ſchließlich meine Abficht; fie haben fi 
nun zu tief mit uns eingelafjen, als daß fie zurüdigehen könnten, und jo haben 
wir fie und ihre Geſchäfte nun in der Gewalt.” Diez hatte die ganze alttürfijche 
Partei auf jeiner Seite; die große Mehrheit des türkijchen Volkes erblidte im 
Kampf mit den hiftorifchen Feinden des Islam, Defterreih und Rußland, einen 
Slaubenskrieg, den der Moslim, folange er noch eine Flinte und eine Patrone 


’) Häuffer (der den ichriftlichen Nachlaß des Gefandten v. Diez benütt hat), Deutiche 
Geſchichte, I, 235. 


® 


190 Erſtes Bud. Sechſter Abſchnitt. 


beſitze, unerbittlich fortzuführen habe. Auch war durch den letzten Feldzug die 
Hoffnung auf Sieg und Triumph des Halbmondes mächtig gehoben worden. 
Unter dieſen Umſtänden hatte der vermittelnde Geſandte Frankreichs einen 
ſchweren Stand. Am 19. März 1789 ſchrieb Joſeph an ſeinen Bruder: „Ihre 
guten Wünſche für Wiederherſtellung meiner Geſundheit rühren mich tief, aber 
ich fürchte, ſie werden ſich ebenſo wenig verwirklichen, wie diejenigen für den 
Frieden; weder Friede, noch Geſundheit wird zu erlangen ſein. Ich habe noch 
keine Antwort aus Konſtantinopel; Preußen, Schweden und England ſchüren 
die Flamme, während Frankreich und Spanien nur geringes Anſehen in Konſtanti— 
nopel genießen.) Als bald darauf (1. April 1789) Sultan Abdul Hamid 
ftarb und der junge, thatenluftige Selim III., ein erbitterter Gegner Oeſterreichs, 
den Thron beftieg, war jede friedliche Einigung ausgejchloffen. Die Bemühungen 
der faiferliden Diplomatie, Frankreich und Spanien zur Mitwirtung am Türken: 
frieg zu bewegen, blieben erfolglos; die ungünftige Finanzlage war bier wie 
bort der enticheidende Grund der Weigerung. ?) 

Auch die Freundichaft der beiden Kaiferhöfe war infolge der im abgelaufenen 
Jahre gemachten Erfahrungen erkaltet. Joſeph war jegt voll Mißtrauen gegen 
die ruffiiche Politif und Kriegführung; er befürchtete, daß jein Bundesgenojie, 
wie er an den Prinzen von Koburg ſchrieb, „nur eine gute Gelegenheit ab: 
lauern wolle, um ohne Gefahr vorzurüden, während bis dahin uns die ganze 
Laſt des Feindes am Hals Hinge“!?) Er ſchickte nad Petersburg einen 
Operationsplan, wonach ein ruffifches Corps unter Romanzow, „no ehe das 
Gras wüchſe“, bis an die Donau vorrüden und die Walachei bis an die Aluta 
bejegen, ein anderes unter Potemkin nach der Moldau ziehen, die Dejterreicher 
dagegen die Heine Walachei beſetzen jollten. Dagegen überjandte Potemkin dem 
Kaifer einen Feldzugsplan, der an die Defterreicher weit ftärfere Anforderungen 
ftellte. Joſephh war über die Zumutung, dab Hohenlohe und Koburg ohne 
rufiiihe Hülfe den Kampf in Moldau und Waladei aufnehmen folten, in 
hohem Grade ungehalten. „Ich lege Ihnen hier einen Fleinen Entwurf bei,” 
fhrieb er an Kaunig, „ber unſrer Antwort auf den von Rußland mitgeteilten 
Operationsplan zu Grund gelegt werben fol. Ich habe ihn noch ziemlich höflich 
abgethan, trog der Abgeihmadtheit und Unverfhämtheit, die darin zu Tage 
treten. Die Rufjen wollen nichts thun und jogar die Moldau den Türken über: 
lafien, jo daß wir neuerdings alle ottomanifhen Truppen auf dem Hals hätten; 
erit wenn wir ganz allein den Anprall ausgehalten haben, werden fie vielleicht 
im Herbit den Verſuch madhen, gegen Bender oder Aderman etwas zu unter: 
nehmen.) „Man muß geitehen,” fchrieb er an Herzog Albrecht von Sadjen: 
Zeichen, „daß die Ruffen die Rolle eines Alliierten jpielen, nicht id.” °) Joſeph trug 
fogar Bedenken, ob unter jolden Umftänden das Bündnis mit Rußland erneuert 


) Arneth, Joſeph II. und Leopold II., IL, 231. 

?) Beer, Die orientalifche Politit Defterreihs, 121. 

2) Wiener, Kaifer Jofeph II. als Staatsmann und Felbherr, in den Mitteilungen des 
f. k. Ariegsardivs, Jahre. 1885, 119. 

) Arneth, Joſeph II. und Katharina II., 329, Anmerkung. 

3, Wolf, Marie Chriftine, II, 10. 


Der Türkenkrieg von 1789, 191 


und in den Krieg wieder eingetreten werben jollte, doch ſelbſt Leopold, der 
früher vor dem Türkentrieg gewarnt hatte, ftellte jegt dem Bruder vor, man 
dürfe den einzigen Bundesgenofjen nicht aufgeben, wenn man auf allen Seiten 
von Feinden umlagert jei. „Der Krieg mit der Pforte, die Gefahr, daß Ruß— 
land einen Separatfrieden abſchließen und uns im Kampfe mit der Türkei, mit 
Preußen, vielleiht auch mit Polen allein laſſen fönnte, die Ohnmacht Frankreichs, 
das weder jegt noch in abjehbarer Zeit Hülfe leiſten kann, die Mißgunft des 
Königs von Peuben, der Mitglied jenes deutihen Bundes ift, ben ich ganz und 
gar nicht für bedeutungslos halte und deſſen gegen uns gerichtete Politif nur 
durch die perfönlihe Schwäche des Königs gelähmt wird, das Uebelwollen Eng» 
lands, das mit Preußen und Holland eng verbunden ift und jchon für fich allein 
im ftande wäre, Franfreih im Schad zu halten und in ben Niederlanden eine 
Spaltung hervorzurufen: alle diefe Gründe beitimmen mich, die Erneuung ber 
Alianz mit Rußland für wünſchenswert zu halten, und zwar möge dies fo raſch 
und jo verbindlich wie möglih abgemaht werden! Man muß der Kaijerin 
ſchmeicheln und fie dadurch unjerm Intereſſe günftig ſtimmen; befonders vor: 
teilhaft wäre e& auch, wenn man bie Jugend am ruffiihen Hofe gewinnen und 
den Großherzog von feiner perjönlichen Zuneigung zum König von Preußen 
abbringen könnte.) Auch Kaunig hielt daran feft, daß das Bündnis mit 
Rußland nüslih und notwendig fei; im Falle eines Bruches würde die Zarin 
von ben Beherrihern Preußens und Englands mit offenen Armen empfangen 
werben; ber Krieg müfje aljo wieder aufgenommen und jogar mit Aufwand 
aller Kräfte geführt werden, denn nur eine glüdlihe Waffenthat werde zu ehren: 
vollem Frieden verhelfen. „Ein coup d’eclat, wie Sie e& nennen,” ermwiberte 
fpöttifch der Kaiſer, „läßt fich nicht nach Belieben herbeiführen, fondern nur 
von Zeit und Umftänden erwarten.” Doch gab auch Joſeph feinem Kanzler 
recht: unter den gegebenen Berhältniffen bleibe nichts andres übrig, als die 
Unterhandlungen in Konftantinopel abzubrehen und aufs neue das Glüd der 
Waffen zu verjuchen. 

Nachdem einmal diefe Entjcheidung gefallen war, hätte Joſeph am liebiten 
jelbft feine Truppen gegen den Feind geführt; da aber feine Krankheit fich 
immer gefährlicher geftaltete und feine Umgebung wiederholt das Neußerjte be: 
fürdtete, war an perfönlihe Teilnahme am Feldzug nicht zu denfen. Troß der 
Unfälle, weldhe das öfterreihiiche Hauptheer unter Lacys Führung im verflofjenen 
Jahre erlitten hatte, wollte Jofeph wieder diefem Heerführer die oberfte Leitung 
anvertrauen; als Lacy jelbit jeiner geſchwächten Geſundheit wegen ablehnte, 
übertrug er das Kommando über die Hauptarmee nicht, wie e& Offiziere und 
Soldaten jehnlid wünſchten, dem Feldmarihall Laudon, fondern dem hoch— 
betagten Hadid, doch behielt er fich jelbft vor, von Wien aus alle Operationen 
zu leiten, fo daß er als der eigentliche Oberbefehlshaber zu gelten hätte. Die 
Hauptarmee, die jih in Syrmien und im Banat fonzentrierte, jollte von drei 
weiteren Corps unter Laudon, Hohenlohe und Koburg in Kroatien, Sieben: 
bürgen und der Moldau unterftügt werden. Im Gegenjag zum Feldzugsplan 


!) Arneth, Jofeph II. und 2eopold II., II, 247. 


192 Erftes Bud. Sechſter Abſchnitt. 


bes vorigen Jahres jollte diesmal angriffsweife vorgegangen werben, wie es 
Prinz Eugen in feinen Türfenfriegen immer gehalten habe, und zwar jollte der 
erfte Hauptangriff gegen Bosnien gerichtet, im Herbft ſodann wo möglid ein 
entſcheidender Schlag gegen Belgrad geführt werben. 

Die Nüftungen ließen auch diesmal zu wünſchen übrig. Der Kaifer jelbft 
führte noch am 11. Mai Klage, daß er „wochenlang Refruten in Wien nur mit 
Mänteln herumſchleichen jehe, weil fie feine Röde haben”. Faſt täglich richtete 
Joſeph an Hadid Befehle und Belehrungen aller Art; an Sorgfalt und Wachſam— 
feit wenigitens ließ er es nicht fehlen. Welche politifhen Ziele er nunmehr 
verfolgte, erhellt aus den „Gedanken über die heurige Campagne“ (Zarenburg, 
21. Juni). „Es ift fiher und unleugbar,” wird darin ausgeführt, „daß ein 
baldiger Friede mit der Pforte nicht allein wegen des unabmwendbaren Unheils 
des Krieges, jondern beſonders wegen der fritifhen Lage des politiſchen Syftems 
von Europa für uns äußerſt wünſchenswert ift.” Die Schwäche Frankreich, 
die Zmweibeutigfeit bes in Rußland allmächtigen Potemkin, ja, „was das Wichtigite 
ift”, der ungeahnte Aufſchwung der Autorität Preußens, das mit England, 
Holland, Schweden und vielen deutſchen Fürften im Bunde jtehe, in Konftantinopel 
den größten Einfluß befige und demnächſt wohl auch mit der Pforte in eine Allianz 
treten werde, „die Gewißheit, daß alles diejes bloß gegen uns gerichtet ift und auf 
Schwähung meines Haufes, Auflöfung meiner Allianz mit Rußland und Wieder: 
vereinigung Galiziens mit Polen zielt, damit Preußen zur Belohnung Thorn, 
Danzig und die Palatinate Pofen und Kaliſch fih aneignen könne, an allem 
diejem ift nicht zu zweifeln”. Um aus fo bedenklicher Lage zu entrinnen und 
wenigitens die Türken zum Frieden zu zwingen, jol man ihnen möglichſt raſch 
einen empfindlicden Streid zu verjegen tradhten; deshalb fol der größere Teil 
der Armee unverzüglich gegen Belgrad operieren und dabei durch eine offene 
Feldſchlacht die Entſcheidung herbeiführen. 

Als Hadid immer wieder der Gelegenheit zu einem Treffen auswich, war 
der Kaifer über dieſe Aengftlichfeit jehr ungehalten, weil dadurch die Türken 
nur in dem Wahne beſtärkt würden, daß eine faiferlihe Armee die Krummfäbel 
fürdte. Allmählich überzeugte er fih, daß der ehedem jo fühne Reitergeneral 
durch Alter und Kränklichkeit verzagt und läffig geworben ſei; er berief Habid ab 
und übertrug das Kommando unter freudiger Zuftimmung der Armee an Laudon, 
„ven einzigen, dem es im Heere in erfter Linie gebühre”.!) Noch ehe Laubon 
den Oberbefehl übernahm, erjtritt das Corps Koburg am 1. Auguft im Verein 
mit einer Heineren ruffiihen Abteilung einen glänzenden Sieg bei Foljchani; 
der Lömwenanteil gebührte freilih dem Ruſſen Sumwarow, in deſſen Wejen Held 
und Poſſenreißer wunderlich vereinigt waren, der fi verwegen über alle taf- 
tiihen Bedenken hinweggeſetzt und den faijerlihen Feldherrn zur Annahme 
feines Schlachtplanes genötigt hatte. Gleichzeitig warf auch General Clerfayt 
die Türken, die das Schupaneder Thal überſchwemmt hatten, bei Mehadia 


') Janko (Das Leben des k. k. Feldmarfhalls Gideon Ernft Freih. v. Laudon, 402) er: 
zählt, der Marichall habe in Solbatenkreifen ſolche Verehrung genoffen, daß er beim Eintreffen 
im Lager vor Dubiga mit dem Ruf: „ES lebe der heilige Laudon!“ empfangen wurbe! 


Der Türkenfrieg von 1789. 193 


zurüd. Durch diefe Erfolge, die das erfhütterte Selbftvertrauen der Faiferlichen 
Truppen wieder aufrichteten, wurde das Unternehmen gegen Belgrab weſentlich 
erleichtert. Als „Vater Laudon“ trogdem zögerte, feuerte Kaunig ihn an, ben 
entjeheidenden Streih zu führen; es jei ja doch nur ein Kampf mit Türken 
und nicht mit einer preußifhen Armee zu führen. „Alſo nur friſch voran, 
mein lieber Feldmarſchall, audaces fortuna juvat, im Krieg muß etwas gewagt 
werden, das wiſſen Sie befjer als ih!” Ebenio ungeduldig trieb und drängte 
der Raifer, der es ohnehin als unerträglihe Dual empfand, daß er in 
feinen Schlöffern den fiehen Körper pflegen und einem andern bie Führung 
feiner Truppen zu Kampf und Gieg überlaffen mußte. „Sie werben mir 
glauben,” ſchrieb er an Clerfayt, „wie ſchmerzlich e& mich berührt, daß ih an 
dem Unternehmen nicht teilnehmen darf, daß ich wie ein elender Invalide bier 
bleiben muß, aber das ift nun einmal mein Schidjal.” „Wir erwarten,” fchrieb 
er an Schweiter Chriftine, „daß unfre Truppen über die Save gehen und vor 
die Feftung Belgrad rüden werben; ich fann dir nicht beichreiben, welcher Gram, 
welche Unruhe mich peinigen, weil ich nicht jelbft hingehen fann.” Da Joſeph 
immer wieder einjchärfte, zur Nettung des von allen Seiten bedrängten Staates 
jei eine rajche militärifhe That unbedingt notwendig, ließ Laudon, feine Bes 
denken zurüddrängend, am 11. September die Truppen über die Save feken; 
tags darauf wurde Belgrad eingejhloffen.") „est find wir drinnen in biefem 
Walle des Dftens,” fchrieb der Fürft von Ligne, der vor Belgrad die faiferliche 
Slottille auf der Donau befehligte, an Graf Scgur, „die Thore haben wir nicht 
wie Aurora mit Roſen geöffnet, jondern mit Fingern von Feuer. Die Kühnbeit 
und Gejchidlichfeit des Uebergangs über die Save, die Raſchheit des Marjches 
und bes Eindringens in die Linien des Prinzen Eugen, die Kühnheit oder Ver— 
wegenheit der Refognoscierung bis hart an die Paliffaden, dies alles ift die 
Leiftung von vierzehn Tagen und wahrhaftig würdig der jchönften Thaten des 
Feldmarſchalls Laudon.” Noch vor der Einſchließung Belgrads erfochten Koburg 
und Suwarow am Rymnik (11. September) einen zweiten glänzenden Sieg. 
Unmittelbar darauf aber wurde Sumaromw infolge einer Intrigue des eiferfüchtigen 
Potemkin von der Armee abberufen, jo daß fi auch der Prinz von Koburg 
genötigt jah, den Rückzug gegen Fokſchani anzutreten. Schon begannen in 
Joſeph ängftliche Zweifel aufzufteigen, ob nicht auch dieſer Feldzug in Ohnmacht 
und Ermattung endigen werde, da gelang der ſehnlich erwartete „coup d’&clat*! 
Am 8. Oktober wurde Belgrad, nachdem die Bruftwehren durch das Feuer der 
faiferlihen Batterien völlig der Erde gleihgemadt worden waren, von Dsman 
Paſcha übergeben: auf den Zinnen der Feitung, die 1717 Prinz Eugen als 
glorreihiten Siegespreis erfämpft hatte, die Karl VI. 1739 dank jeiner ſchwäch— 
lichen Politik und der Unfähigkeit jeiner Generale hatte aufgeben müffen, flatterte 
wieder das Faiferliche Banner. In der Bruft des Kaifers ftritt die Freude über 
den Sieg feiner Truppen mit dem Unmut, daß ihm felbit der Lorbeer verjagt 
geblieben war. „Daß ih nicht dabei jein konnte!“ fchrieb er an Chriftine, „wie 
furchtbar ift es, frank zu fein!” „Mir fehlen die Worte,” jchrieb er an Laudon 


!) Janko, 421. 
Heigel, Deutiche Geſchichte vom Tode Friedricht d. Gr. bis zur Aufldfung des deutſchen Reichs. 13 


194 Erftes Bud. Sechſter Abfchnitt. 


(12. Dftober), „um Ihnen die Empfindung meiner Freude und Dankbarkeit aus: 
zubrüden; der von Ihnen dem Staat und zum Ruhme unſrer Waffen geleiftete 
Dienft überfteigt alle meine Wünſche und krönt Ihre ehrenvollen Kriegsthaten.“ 
Laudon follte nun noch ein möglichſt großes ſerbiſches Gebiet bejegen, da es ja 
bei dem Friedensſchluß hauptſächlich auf das uti possidetis anfäme Allein 
das Unternehmen gegen Orſova mußte wegen der Ungunft der Witterung auf: 
gegeben werben; immerhin waren bie Kaijerliden bis Zwornik vorgedrungen 
und hatten jo ruhmvolle Thaten vollbradt, daß Joſeph mit Befriedigung auf 
den Feldzug zurüdbliden Eonnte. 

Doch was nügten alle Erfolge im Donauland, wenn auf wichtigerem Schau: 
plag, in Belgien, die Empörung fiegte und den kaiſerlichen Waffen nur ſchmach— 
volle Niederlage beſchieden war, mächtige Parteien in Ungarn und Siebenbürgen 
fih gegen ihren Landesherrn erhoben und der Dreibund ber nordiſchen Mächte, 
verftärft duch Schweden und Polen, drohend gegen Defterreih fih aufrichtete! 
Wenige Wochen nad Laudons und Koburgs glorreihden Siegen mußte Joſeph 
in einem Briefe an Cobenzl das furdtbare Geftändnis machen: „Noch nie hat 
es einen gefährlicheren Augenblid für die Monardie gegeben, nie einen unglüd: 
liheren, peinliheren für mich ſelbſt!“ Als der nah Wien zurüdgefehrte 
Laudon bein Empfang in der Hofburg den Kaifer auf fi zumwanfen ſah, 
brah er in Schludzen aus, jo erfchütterte ihn ber Anblid der kläglich ge: 
brochenen Geftalt, an der nur noch die ernft und traurig blidenden Augen lebendig 
ſchienen. — 

„Indem Saifer Joſeph die Krim durdhwanderte,” fagt Herder in den 
Briefen zur Beförderung der Humanität, „wohin nie ein römiſcher Kaifer ge: 
fommen war und nie einer zu einem ſolchen Zwed hätte fommen mögen, fingen 
die Niederlande an zu glühen, . . . und im unglüdlichen Türfenfriege loderten 
faft alle Provinzen in hellen Flammen auf!” 

Wir haben gefehen, wie in den belgiſchen Provinzen der Widerftand der 
Stände und des Klerus gegen die Anordnungen Joſephs, die eine Neform der 
Verwaltung, der Rechtspflege und des Kultus bezwedten, durch das ftrenge 
Einfhreiten General d’Altons für den Augenblick bezwungen worden war. !) 
Hojeph hatte die ganze Bewegung von Anfang an unterfhägt. „Die Unruhen 
in den Niederlanden,” hatte er am 13. Oktober 1787 an die Zarin gefchrieben, 
„Sind ebenjo lächerlich zu Ende gegangen, wie fie angefangen haben“.“) Gein 
Bruder Leopold war auch bier vorfichtiger im Urteil gemefen. „Mag immer: 
bin der Aufftand beendigt jein,“ fchrieb er (17. Dezember 1787), „fo dauert 
doch die Gärung fort, da ja die Geiftlihen immer wieder die Gemüter 
jhüren, und es wird wohl lange dauern, bis man fih auf die Leute wieder 


i) Die Münchner Staatsbibliothet verwahrt eine umfangreihe Sammlung (168 Bände 
und Kartons, 1872 bei Antiquar Cohen in Bonn gefauft; Belg. in Fol. 116; in 4° 1441; 
in 8° 224”; Cod. gall. 838—846) Abhandlungen, Flugblätter, Zeitungen, Karikaturen ıc. zur 
Geſchichte des belgiſchen Aufſtands. Da ich für meine gedrängte Darftellung die reichhaltige 
Duelle nicht erfhöpfend benüten konnte, feien Forſcher, die ſich mit dem Abfall der öfterreichi: 
ſchen Niederlande eingehender beichäftigen wollen, darauf aufmerffam gemadt. 

2) Arneth, Joſeph II. und Katharina II., 302, 


Der Abfall der öfterreihifhen Niederlande. 195 


verlaffen kann und das gegenfeitige Vertrauen wieder bergeftellt fein wird.“ !) 
Die rüdjichtslofe Entjchloffenheit, die d’Alton im Straßenfampf vom 22. Januar 
1788 an den Tag gelegt hatte, fand den vollen Beifall des Kaifers. „Ich bin 
Ihnen dafür jehr verpflichtet," jchrieb er an den General, „und id) bitte Sie, 
bei jeder Gelegenheit auf die nämlihe Weife fortzufahren, obwohl ich glaube, 
daß dieſes Erempel nicht ohne Wirkung bleiben wird.“ *) Wirklich trat nad) 
jener Kataftrophe auf einige Monate Ruhe ein, und vielleiht wäre ber Auf: 
ftand — jo urteilt wenigftens der im Oktober 1787 nad Brüffel berufene 
Eivilgouverneur Graf Trauttmannsborff — nicht mehr aufgelebt, wenn nicht der 
Kaiſer, der ftets von einer mechaniſchen, gleihförmigen Unterwürfigkeit aller 
Unterthanen allzugroßen Nugen erwartete, unerbittlih auf der Durdhführung 
jeiner verfafjungsmidrigen Reformen bejtanden hätte. Namentlih das General: - 
feminar in Löwen gab Anlaß zu neuen Mißbelligkeiten. „Alles hätte ein fried: 
liches Ende genommen,” verfihert Trauttmannsborff in jeiner 1792 veröffent: 
lichten Rechtfertigungsſchrift, „wenn nicht der Kaifer in betreff des unglüd: 
jeligen Generaljeminars, von dem im Augenblide alles abhing, fo bartnädig 
auf feinem Willen beftanden hätte.” °) In der Frage: Darf der Staat die Auf: 
fiht über die Erziehung der Geiftlihen beanſpruchen? trat der alte Gegenjak 
zwiihen Staat und Kirche jchroffer denn je hervor. Unter den gegebenen 
ſchwierigen Verhältniffen wäre mwenigftens zeitweilige Nachgiebigkeit am Plage 
gewefen, aber fie widerſprach ebenjo den Grundſätzen bes Zeitalter, wie bem 
Charakter des Kaiſers. Wieder weigerten fih die jungen Theologen, in eine 
Anftalt einzutreten, deren Beftehen jchon ein Hohn auf die ehrwürdige Kirchen: 
verfafjung der Niederlande jei, und Lehrern zu gehorchen, die offen die Allgemwalt 
des Staates und die Auflehnung gegen Rom predigten.*) Es jei dringend ge- 
boten, betonten fie in ihren Eingaben an Biihöfe und Stände, die belgische 
Kirhe vor Anftedung dur die in Deutjchland zur Herrſchaft gefommenen Jrr: 
lehren zu bewahren; jei doch in Ems offen ausgeiprodhen morben, daß bie 
Metropolitangewalt über dem Primat des Papftes ſtehe; von den beutjchen 


!) Arneth, Joſeph II. und Zeopold II., II, 150, 

2) Recueil de lettres originaux de l'’empereur Joseph II. au general d’Alton, com- 
mandant des troupes aux Pays-Bas, depuis d&cembre 1787 jusqu’en novembre 1789 (De 
l’imprimerie du comite patriotique à Bruxelles, 1790), 6. Der Ausſchuß ber belgifchen 
Patrioten veröffentlichte dieje aufgefangenen Briefe, wie im Borwort dargelegt wird, um vor 
ganz Europa den Beweis zu liefern, daß die Auflehnung gegen den „blutbürftigen Tyrannen”, 
den „Mann mit dem Tigerhergen”, nad den Satzungen göttliher und menfhlicher Gerechtigkeit 
geftattet und geboten war. 

) Trauttmannsdorff, Fragmens pour servir ä l'histoire des &vönemens, qui se sont 
passes aux Pays-Bas depuis la fin de 1787 jusq'en 1789, 11. 

) Aus diefen Kreifen ftammt das Pasquill: 

„La pöle au cul 

A ces docteurs sortis de Vienne, 

La pele au cul. 

Pourquoi Stoeger (Direltor des Generalfeminars) est-il venu? 
Pour voir donner (qu'il s’en souvienne) 

A la doctrine Jansenienne 

La pele au cul* etc. 


196 Erftes Buch. Sechſter Abſchnitt. 


Rebellen werde die Vernichtung des Tridentinum angeftrebt und als unaus— 
bleiblihe Folge ein ſchmachvolles Schisma. Als ein faiferliher Erlaß vom 
17. Juni 1788 die „von Züge und Bosheit biktierten” Angriffe auf die Necht: 
gläubigkeit der Lehrer des Generaljeminars zurüdwies, gab der Primas ber 
belgifchen Kirche, Kardinal von Frankenberg, im Namen aller Biſchöfe zur Ant: 
wort, die Prüfung der Rechtgläubigkeit ftehe nicht der fürftlihen Gewalt, fon: 
bern den Nachfolgern des hl. Petrus und der übrigen Apoftel zu, und ver: 
weigerte Befehlen, deren Befolgung eine Verjündigung gegen Gott und bie 
Kirche wäre, den Gehorfam. Darauf wurden die bifhöflihen Seminare durch 
faiferlide Kommiſſäre, die von Heinen Truppenabteilungen begleitet waren, ge: 
ſchloſſen und die Zöglinge als Gefangene nad) Löwen abgeführt, wo fie im 
"Generaljeminar ihre Studien fortfegen follten. Dabei fam es in Mecheln und 
Antwerpen zu Aufläufen; in Antwerpen fol der Biſchof, wie d’Alton dem 
Kaijer verficherte, vom Fenſter feines Palaftes das Volk angefeuert haben, aud) 
fol von Mönden Geld unter die Menge verteilt worden fein.) Durch Waffen: 
gewalt wurde zwar die Ruhe wieder hergeftellt, aber der Streit zwifchen Kardinal 
Frankenberg, der ganz Europa zu Zeugen der Mißhandlung des belgischen 
Kirhentums aufrief, und Trauttmannsdorff, den der Apologet Frankenbergs 
„einen Mann von jhwahen, aber herrſchſüchtigem Charakter, dabei ohne 
Religion, ganz der Sekte der Wiener Jlluminaten ergeben und ihr blindes Werk: 
zeug” nennt,?) dauerte fort. Unzmweifelhaft hatte der Vorfämpfer der römijchen 
Kirche die große Mehrheit des belgiichen Volkes hinter fi. Am 15. Juni 
wurde er im Namen des Kaifers aufgefordert, binnen vierundzwanzig Stunden 
bezüglich des theologischen Unterrihts im Generaljeminar eine Erflärung abzu— 
geben; die Erwiderung lautete furz und bündig, daß „der in Löwen erteilte 
Unterricht nicht als orthodor zu betrachten fei”. Zugleich verfaßte der Kardinal 
zur Begründung feines Urteils eine ausführlichere „Erklärung über den Unter: 
richt des Generaljeminars zu Löwen”, die den Beweis liefern follte, daß Die 
beilloje Schöpfung des Wiener Jluminatismus nur Srrlehrer und Verführer 
der Jugend beherberge und die Aufhebung der Anftalt ebenfo im Intereſſe der 
Rechtgläubigkeit, wie aus jehuldiger Rüdfiht auf die Privilegien des belgischen 
Volkes geboten jei.?) Kaifer Joſeph fol im Unmut über den unbotmäßigen 
Ton des Schriftftüdes an den Rand geichrieben haben: „Der Erzbiihof muß 
fi beugen, oder er muß zerjchmettert werden“.') Dagegen wurde die Brand: 
ichrift in Belgien mit Jubel aufgenommen. Der Biograph des Kardinals findet 
des Frohlockens fein Ende, da er auf das „Meifterwerk evangelifher Mäßigung 


!) Recueil de lettres, 44. 

?, Theiner, Der Kardinal Johann Heinrih Graf von Frankenberg, 106. 

) Die Dentichrift findet fi in der alle wichtigeren Attenftüde zur Geſchichte des Ber: 
fafjungs:, wie des Kirdpenftreites in Belgien umfaflenden Sammlung, die von 1787 bis 1789 
„de l’imprimerie des nations* gedrudt wurbe (Recueil des Representations, Protestations 
et Röclamations faites à 8. M. J. par les Representants et Etats des Provinces des Pays- 
Bas Autrichiens, Supplöment, 14. tom., 3). 

*) „L’archevöque doit plier ou casser* (Gerlache, Hist. du royaume des Pays- 
Bas, 126). 


Der Abfall der öfterreichiichen Niederlande. 197 


und theologifhen Scharffinns” zu ſprechen fommt. „Ganz Belgien jauchzte bei 
Eriheinung der Erklärung vor Freude und Bewunderung auf und begrüßte fie 
als das nahe Ende feiner Leiden und als die heitere und glüdlihe Morgenröte 
der endlichen religiöfen Befreiung. Das Werk wurde durch die Umftände ein 
wahres Volksbuch und erhielt in wenigen Wochen mehrere Auflagen; es wurde 
jelbft in alle belgiſchen Mundarten übertragen, um es ben Gläubigen aller 
Stände nur recht zugänglich zu machen. Der Name Franfenbergs lebte in allen 
Herzen; ihn ſprachen mit Ehrfurcht die Mitglieder der Stände aus, die Magiftrate, 
die Gelehrten, die Bürger, wie die Krieger; er hallte in lieblihen National: 
gefängen von den Xippen der Greife, wie der Mütter und der Säuglinge (sic) 
wieder; alle feierten ihn als den gottberufenen und gottbegeifterten Erretter 
ihres und ihrer Väter Glaubens! Selten hat ein Werk einen größeren und 
dauernderen Eindrud auf eine Nation ausgeübt, als Franfenbergs Erklärung 
auf die belgifche, fie wurde fozufagen der erite Grundftein, ja das Fußgeſtell 
ihrer Freiheit und Unabhängigkeit.) Frankenberg felbit erjchraf über die 
Wirkung des Proteftes, die fich allenthalben in Kundgebungen gegen den Landes: 
berrn äußerte, auf Trauttmannsdorffs Erſuchen juchte er in einem Hirtenbriefe 
unter Berufung auf Chrifti Wort: „Gebet dem Kaifer, was bes Kaiſers ift, und 
Gott, was Gottes ift!” das aufgeregte Volk zu befhwichtigen, jedoch nicht, ohne 
an den Raijer die erneute Mahnung zu richten, er möge die Kirche nicht länger 
beunrubigen und die unfeligen Mandate zurüdnehmen. In leidenſchaftlicherem 
Tone beſchwor eine anonym veröffentlichte Flugſchrift: „152 Abjurditäten, nad): 
gewiejen in Edikten, Orbonnanzen und Grundjägen der Geſetzgebung, welche 
unter dem Namen Joſephs II. feit feinem Regierungsantritt erjchienen find,” 
ben „unglüdlichen und betbörten” Fürften, er möge endli die Nänfe, womit 
falſche Priefter und gottlofe Schriftgelehrte feine ſchöne Seele und jein edles 
Herz umgarnt hätten, erfennen und zunichte machen. Als in belgifchen Städten 
eigene Gebete „für Erleuchtung des Zandesherrn” angeordnet wurden, that bie 
Brüffeler Regierung das Schlimmfte, was fie thun konnte; fie verbot alle 
„außergewöhnlichen” Andachtsübungen, da fie nur dazu beftimmt jeien, ver: 
brecheriſche Anſchläge gegen die Regierung zu verhüllen. 

Der Zwielpalt zwiſchen Volt und Regierung kam zu offenem Ausdruck, 
als die Stände des Hennegau die Steuern vermweigerten; erit wenn die Regierung 
auf ben gejeglihen Weg zurüdgefehrt wäre, follten die von der Regierung ge: 
wünſchten Steuern wieder bewilligt werben. Nun hielt nicht bloß d’Alton, der, 
wie jein Kollege klagt, immer nur durch rüdfichtslofe Strafen zu wirken juchte, 
immer erobern und befiegen wollte und jeden Tag neue Gewaltthat plante, *) 
jfondern aud Trauttmannsdorff, der im allgemeinen Ueberredung und Nachficht 
für wirkfjamere Mittel anjah, ftrenges Auftreten für geboten. Sogar der fein: 
finnige Fürft von Ligne, der einem alten belgiſchen Geſchlechte entftammte und 
1781 auf jeinem Schloffe Belveil den Kaijer bemirtet hatte, riet zu ernten 
Mapregeln. „Wenn ich heute nach Belgien käme,” fagte er zu Joſeph, „würde 


') Theiner, 196. 
2) Trauttmannsborff, 13. 


198 Erftes Bud. Sechſter Abſchnitt. 


ih als Patriot — ein Wort, das freilich mwiderlih zu werden anfängt, — 
als Bürger — ein ebenfalls ſchon entitellter Name — und wenn das nichts 
bälfe, als öfterreichifcher General reden und handeln, hier einen Erzbifchof, dort 
einen Priefter, einen diden Mönd, einen Profeffor, einen Brauer und einen 
Advokaten einſtecken.““) Der Kaijer jelbft war durch „die Impertinenzen, bie 
in Belgien zur Mobe, zum guten Ton zu gehören ſcheinen“, insbefondere durch 
die Steuerverweigerung im Hennegau aufs äußerfte gereizt. „Man will von 
der Verlegenheit, in die mich der Türfenfrieg gebracht hat, profitieren,” ſchrieb 
er an Trauttmannsborff (8. Januar 1789), „man glaubt mich in Geldnot und 
will mir deshalb demütigende und gefährliche Zugeftändniffe entreißen, aber fie 
haben fih in mir getäufcht, ich bin feit und unwiderruflich entſchloſſen, nicht zu 
wanfen und zu weichen.““) Ein Signat vom 7. Januar 1789 wies den Eivil- 
gouverneur an, die Stände von Flandern und Hennegau, die das Band bes 
Friedens zwifchen Volk und Landesherrn zerfchnitten hätten, nicht mehr zu be: 
rufen; die Beamten jollten nur noch dem Souverän verpflichtet, alle Kaffen und 
Arhive von der Regierung übernommen werden. Dieje Strenge jchredte zwar 
für den Augenblid die Stände von Brabant, unter denen der privilegierte Adel 
das Uebergewicht hatte, jo daß fie fich zur Annahme der Faijerlihen Forderungen 
bereit zeigten, aber die Hennegauer beharrten bei ihren Beſchlüſſen. Darauf 
erklärte der Kaifer alle Rechte und Privilegien diefer Provinz für aufgehoben; 
vom Rate von Brabant wurde durch Refkript vom 18. Juni verlangt, daß der 
gegenwärtige Steuerfag ein für allemal als bewilligt und das Recht der Geſetzes— 
promulgation al® aufgehoben gelten follten,; der dritte Stand follte eine neue 
Drganijation erhalten. Als der Rat jeine Zuftimmung verfagte, wurbe nod 
am nämlihen Tage die Aufhebung der joyeuse entree verfügt. „Ich habe 
mich entſchloſſen,“ ſchrieb Joſeph an d'Alton, „alle Schwierigkeiten raſch abzu— 
ſchneiden. Wenn es ohne Waffengewalt abgeht, um ſo beſſer; wenn nicht, muß 
man zum Schwert greifen mit Feſtigkeit und Energie, darf nicht mehr zaudern 
und zweifeln, darf nichts anfangen, ohne es zu Ende zu bringen, darf nicht ab— 
ftehen, ehe die Unterwerfung durchgeführt ift. Ob eine foldhe Operation mehr oder 
weniger Blut Eoftet, kann nicht in Betradht fommen!”°) D’Alton triumphierte: 
„Der 18. Juni ift ein Glüdstag für das Haus Defterreih; am 18. Juni 
wurde die Schlacht von Rollin geſchlagen, die dem öſterreichiſchen Staate Rettung 
bradte, und am nämlichen Tage wurde der Kaiſer wieder Herr der Nieber- 
lande.” Dem Kardinal Frankenberg wurde verboten, feinen Palaſt zu verlaffen; 
viele Rädelsführer der Bewegung wurden verhaftet; die Bauern von Tirlemont, 
die gegen bie Gefangennehmung eines populären Brauers demonftrierten, wurden 
mit Pulver und Blei zu Paaren getrieben. Erzherzogin Chriftine und Herzog 
Albreht waren mit der „Rriegserllärung an bas eigene Land” nicht einver: 
ftanden. Herzog Albrecht mißbilligt in feinen Memoiren mit Entſchiedenheit 
den „Despotismus, der durh Militärgewalt die Stimme des Volkes zum 


’) Gräſſer, Joſephiniſche Euriofa, I, 270. 
2) Wolf, Marie Chriftine, II, 4. 
2) Recueil de lettres, 28. 


Der Abfall der öfterreichifchen Niederlande. 199 


Schweigen bringen wollte”. Trauttmannsdorff, der biefe Stimmung fannte, 
drang auf die Entfernung des Statthalterpaares, und auch der Kaifer meinte, 
jeine Schweiter möge lieber die jhöne Galerie in Düfjelborf, als veraltete 
Privilegien ftudieren und bewundern. Als dur die ftrengen Maßnahmen der 
Regierung die Ruhe wieder hergeftellt ſchien, jchrieb er befriedigt an die Schweiter 
(26. Zuli): „Endlih ift in Brabant unfre Parthie gewonnen und mit beftem 
Erfolg, in aller Ruhe; man wird das Phantom vergeflen, das bort jeit zwei 
Jahren Alle unglüdlih gemadht bat. Man jprah von der Konftitution, ohne 
fie zu fennen, ohne einen anderen Vorteil zu haben, als die Illuſion und das 
Recht, Grobheiten jagen zu dürfen.” 

Doch die Hoffnung, daß der legitimen Sade ein leichter Sieg zufallen 
würde, erwies fich als trügerifh. Der Aufftand in den Niederlanden jog neue 
Nahrung aus der revolutionären Bewegung in Franfreih; die Erftürmung der 
Baitille in Paris, der „Sieg der Parifer über die abjolute Fürftenmadht” hob 
auch in Gent und Brüffel das Selbftvertrauen und den Mut ber Oppofitions: 
parteien; auch bier fühlte und regte fich der britte Stand, und diefe Neuerungs: 
ſüchtigen verbanden fi mit den Mißvergnügten der privilegierten Stände, deren 
Verlangen auf Erhaltung des Beftehenden gerichtet war. In Brüffel tauchten 
Maueranihläge auf, welche die lakoniſche Aufforderung enthielten: Icı comme 
à Paris. Als Führer der Patrioten, die für die Rechte des Klerus und der 
Stände eintraten, konnte der rührige van der Noot gelten; die Regierung hatte 
beabfichtigt, ihn feftzunehmen, aber er war rechtzeitig entflohen und fuchte nun 
im Ausland Bundesgenofjen für feine Partei zu werben. Aus dem Nachlaß des 
Ratspenfionarius in Holland, 2. P. van de Spiegel, find die authentiichen 
Schriftſtücke veröffentlicht worden, die über ven Verlauf der Verhandlungen van ber 
Noots im Haag, in Berlin und London Aufſchluß geben.!) Im Haag fuchte der 
Agent die Gunft des Ratspenfionarius durch lodenden Hinweis auf eine Wieder: 
vereinigung ber gefamten Niederlande zu gewinnen; man fönnte ja, meinte er, 
einen Sohn des Prinzen von Dranien zum Statthalter der ſüdlichen Provinzen 
ernennen! Ban de Spiegel ging zwar auf diefen Gedanken nicht näher ein, gab aber 
das wohlwollende Verſprechen, die Republif werde dem ſtammverwandten Nachbarn 
bilfreihe Hand bieten, jobald die Unabhängigkeit Belgiens nur einigermaßen 
gefichert jcheine.?) Beim Abſchied erhielt van der Noot eine Empfehlung an 
van Reede, den holländiſchen Gefandten in Berlin, der ihn bei Herkberg ein- 
führen follte. Gleichzeitig empfing ber preußifhe Minifter ein Memorandum 
des Staatspenfionars, worin auseinandergefegt war, welche Vorteile die Un: 
abhängigfeit Belgiens für den Dreibund bieten würde; vor allem aber müſſe 
verhütet werden, daß die Belgier in Franfreih Hülfe juchten. Hergberg war 
ber Idee zugänglich, obwohl er jchon bei der erften Zuſammenkunft mit van ber 
Noot erkannt hatte, daß man mit dem unreifen Roturier nicht ein Bündnis ein- 


) Bon einem Enfel herauägegeben (Resume des Negociations, qui accompagnörent 
la revolution des Pays-Bas Autrichiens, par L. B.J. van de Spiegel, 1841). 

?) Bon dieſem Beſcheid erhielt auch Trauttmannsborff Kenntnis (Notes que Mr. le 
comte de T. a remise au cabinet de Vienne, 19). 


200 Erftes Buch. Sechſter Abſchnitt. 


gehen könne und ber von ihm entwidelte Plan vorerſt fehr geringe Ausficht 
auf glüdliches Gelingen biete. Er gab freundliche Worte, die fih im all: 
gemeinen mit dem unbeftimmten Verſprechen des Holländer bedten.!) Da: 
gegen war von Pitt, dem Leiter der englifchen Politik, nicht einmal eine Audienz 
für den belgiſchen Demagogen zu erreiden. 

Für van der Noot follen in erfter Reihe Gründe von perfönliher Natur 
beftimmenb gewejen jein: die Erbitterung über den Verſuch, ihm die Freiheit 
zu entziehen, und hochfahrender Ehrgeiz. Das iſt auch glaublih, denn es wäre 
fonft unbegreiflih, wie der „Retter des Altars” für die Hülfe Holands einen 
fo bedenklihen Preis anbieten fonnte; eine Unterordnung Belgiens unter das 
oranifhe Haus war ja mit den Fatholiihen Intereſſen ſchlechterdings nicht 
vereinbar. 

Bon ganz anderen Fdeen war der Führer der demofratifchen Partei, Jean 
Francois Bond, Aovofat beim großen Nat von Brabant, getragen; ihm war 
das Vorgehen des Kaijers gegen den Klerus nicht anftößig, aber er war ein 
Gegner Joſephs als Anhänger des von Montesquieu gelehrten und foeben von der 
franzöfifhen Nationalverfammlung zur Grundlage des Staatslebens erhobenen 
Grundſatzes von der Souveränetät des Volkes, Zunächſt ftrebten er und feine 
Gefinnungsgenofjen nur die Wiedereinführung der alten Verfafjung an; bald 
aber wurde ihr Ziel die Losreißung des Vaterlandes von der Verbindung mit 
einem „fremden Staat, der Belgien nur als erobertes Land betrachte und 
ausbeute”. Bond ftiftete im Verein mit angefehenen Vertretern der Bourgeoifie 
den Geheimbundb „pro aris et focis“, der im Dftober 1789 nahezu 50000 Mit: 
glieder zählte und über reihe Geldmittel und Waffenvorräte verfügte. Auf Unter: 
ftügung von jeiten Hollands oder Preußens wollte ſich Vond nicht verlaffen; 
von fremden Genofjen fei überhaupt nichts Gutes zu erwarten, da fie ben 
belgifhen Befreiungsfampf nur für ihre eigenen Intereſſen ausnügen würden; 
die wehrhaften Bürger der Niederlande jelbit jollten den kaiſerlichen Söldlingen 
die Spige bieten. Immerhin wurde aud von den Vondiften auf wohlmollendes 
Entgegenfommen Mirabeaus und der franzöfifchen Freiheitsfreunde gerechnet. 

Joſeph verhehlte fich nicht, daß durch die Ummälzung in Franfreih für 
die Nachbarſtaaten, vor allem für Belgien, das mit unzähligen Fäden an Franf- 
reich gefnüpft war, eine ernfte Gefahr heraufbejhworen war. „Sorgen wir,” 
Ichrieb er am 29. Juli an Schwefter Chriftine, „daß diejes Beilpiel nicht auch 
bei uns die Köpfe verbrehe!” ?) Allein weder der Kaifer, noch die Negenten in 
Brüffel fanden zur Verhütung der Anſteckung die geeigneten Mittel. Es wäre, 
wie ein Kenner ber belgifhen Verhältniſſe verfichert, nicht unmöglich oder allzu 
ſchwierig gemwejen, den natürlihen Gegenjag zwijchen van der Noot und Vond, 
zwiſchen den Anhängern der alten Ordnung und den Freunden der neufräntifchen 
Sreiheitölehre, zu Gunften der Regierung auszubeuten, oder doc die Vereinigung 


') Van de Spiegel, Pieces justificatives, 70. — Rapedius de Berg, M&moires et 
documents pour seryir ü l’histoire de la revolution Brabangonne, par P. A. F. Gerard, 
1, 277. 

2) Wolf, II, 17. 


Der Abfall der öfterreihiihen Niederlande. 201 


der beiben Parteien zu verhindern. !) Die gemäßigten Bondiften wären, jolange 
ihr Geheimbund noch in den Anfängen ftedte, durch einige freifinnige Zugeſtändniſſe 
zu gewinnen gewejen, aber Jojeph wollte durchaus nicht, wie er e8 nannte, vor 
dem Bolfsdejpotismus das Knie beugen. Als ihm Trauttmannsdorff den Entwurf 
einer Konftitution für Belgien vorlegte, jandte er ihn zurüd mit dem Bemerfen, 
ein Souverän fönne fih eine jolde Miſchung franzöfiiher und englifcher Ideen 
nimmer aufdrängen lafjen; bie Brabanter möchten nur ja nicht glauben, daß 
ihr Herzog jo zaghaft die Flinte ins Korn werfen werde, wie der König von 
Frankreich. Sogar der Klerus hätte damals unſchwer bewogen werben fünnen, den 
MWiderftand gegen die Staatsgewalt aufzugeben. In ber franzöfiichen National: 
verfammlung war offen der Grundfag ausgeiprodhen worden: die Wejenheit des 
Klerus widerjpricht den allgemeinen Menſchenrechten, die Eriftenz eines Klerus 
ift mit der neuen Zehre vom Gejellihaftsvertrag nicht vereinbar! „Stehen inner: 
halb einer allgemeinen Geſellſchaft befondere Geſellſchaften,“ ſprach Mirabeau, „jo 
ftören dieje die Einheit der Prinzipien und das Gleichgewicht der Kräfte der 
erfteren; große Korporationen fünnen dur die aus ihrem Zufammenhalten er: 
wachjende Stärke und die von ihren Intereſſen gebotene Widerftandsfähigfeit 
dem Staate ſelbſt gefährlich werden.” Folgerihtig dürften die Geiftlihen nicht 
mehr eine geſchloſſene Kajte mit Grundbefig bilden, fondern nur Sittlichfeits- 
und Unterrichtsbeamte fein. Mirabeau und die Seinen forderten alfo, wie Joſeph II., 
daß alle Diener der Deffentlichfeit ausjchließlich der Regierung unterjtellt jein 
müßten. Doch in Franfreid, wo nur noch die Leidenſchaft regierte, wurden 
aus biefer Lehre ganz andre Konfequenzen gezogen, als in ben kaiſerlichen Erb: 
landen: auf die Einziehung der alten Kirchengüter und die Auflöfung der alten 
Religionsgemeinden folgte die Mißhandlung der „eidweigernden” Priefter, folgte 
ein Sturmlaufen gegen alles Kirhentum, gegen die Religion felbft. Eine jo 
radikale Ummälzung mußte ben belgifhen Klerus erjchreden; biefe Stimmung 
hätte von der Regierung benügt werben follen, und fiher hätte der Klerus und 
damit die Bauernſchaft durch rechtzeitiges Einlenken beſchwichtigt werben können. 
Allein auch auf kirchenpolitiſchem Gebiet wollte Joſeph keine Zugeſtändniſſe 
machen, ja, im Oktober wurden in Belgien, wo doch die religiöſen Orden zum 
Blut der Nation gehören, neuerdings zwölf große Abteien unter weltliche Ver— 
waltung geſtellt. 

Auch der Zwiſt zwiſchen d'Alton und Trauttmannsdorff wirkte lähmend. 
Wie eine Maſchine, deren Motoren nicht planmäßig in einander greifen, ihren 
Zweck nicht mehr erfüllen kann, ſo iſt eine Regierung in ſtürmiſchen Zeiten verloren, 
wenn bie einzelnen leitenden Gewalten nicht einträchtig zuſammenwirken. Aus 
dem Gegenjaß der Tendenzen der beiden Kommandierenden erklärt fich die wider: 
ſpruchsvolle Haltung der Brüffeler Regierung; fie machte fich Feinde und verlegte 
die Freunde, fie wollte nicht vernichten und wußte nicht zu gewinnen. 

Inzwiſchen ließ fich in dem holländiſchen Städtchen Breda ein comite patrio- 
tique unter dem Vorfig van der Noots nieder. Bon hier aus wurden bie Ver: 
bandlungen mit dem Ausland fortgejegt, Aufrufe zur Bildung von Freiſcharen 


') Borgnet, Histoire des Belges à la fin du 18. siöcle, I, 146. 


202% Erfted Bud. Sechſter Abſchnitt. 


erlafien; in einem Brandbrief des Advokaten van den Eynde wird die Aus- 
wanderung nad) Breda mit dem Auszug der römijchen Plebejer auf den heiligen 
Berg verglichen.) Enblih erhielt die Regierung dur Verrat Kenntnis von 
dem Geheimbund und ließ Schuldige und Verdächtige in großer Zahl verhaften; 
doch Vond entlam, als Priefter verkleidet, und auch Karbinal Frankenberg war, 
als Soldaten in den erzbiihöflichen Palaft eindrangen, nicht zu finden. ?) 

Nun glaubte der Ausfhuß von Breda, ermutigt durch die Vorgänge in 
Frankreih, wo das Königtum am 5. Dftober eine neue Niederlage erlitten hatte, 
und im Vertrauen auf die Sympathien der großen Mehrheit der Bevölkerung, 
zum Angriff jchreiten zu dürfen. In der Naht vom 23. Dftober überjchritt 
eine Freiſchar, in ber fih auch Geiftlihe und Mönche befanden, *) die Grenze. 
Den Oberbefehl führte Jean van der Merſch, ein verabſchiedeter General, ber 
fih im fiebenjährigen und im baierifhen Erbfolgefrieg ausgezeichnet hatte und 
außer ftrategifchen Kenntniffen aud) ein ſchätzbares organifatorifches Talent bejaß. 
Auf ihn festen die Vondiften feftes Vertrauen, während er von van der Noot, 
der fi gebarte, als habe er jchon viele taufend Preußen und Holländer zu 
fommanbieren, mehr gehemmt als gefördert wurde. Die Freifharen beftanden 
aus etwa 3000 Mann, jchlecht bewaffneten und nichts weniger als fampfluftigen 
Leuten; nicht wenige feinen an die von Herrn Friedensrichter Schaal aus- 
gejuchten Rekruten erinnert zu haben. Aber der Fürft von Ligne hat redt: 
„Solde bewaffnete Volfehaufen find acht Tage lächerlich und acht Tage fpäter 
gefährlih! ... Das Volk lernte raſch, daß es fräftigere Arme befite, als es 
jelbft geglaubt Hatte, und die Regierung lieferte leider nicht den Beweis, daß 
fie mehr Kopf habe, als jenes!” *) In allen belgiihen Städten, hier laut, dort 
in der Stille, wurde das Bundeslied der Patrioten gefungen: 


„Pour leur chere patrie 
Les Belges remontrants 

Au risque de leur vie 
Maintiennent leur serments: 
Lion Belgique, 

Dös qu’on te pique, 

Tu sais montrer les dents!“ 


Und die Vlamen jangen: 


„Boer-jongers Patrioten 

Hebt couragie, schept maer moed 
Nog een wenig 'tsol wol hotten 
Alles maer in orden doet.“ 


!) Gerard, Rapedius de Berg, II, 801. 

”) Ein Spottbilb zeigt den Kardinal, wie er fi Hinter einem Vorhang verftedt, mit 
der Ueberfchrift: „Et iterum modicum et non videbitis me.“ 

?) Das Waffentragen der Geiftlihen wirb auf vielen Bilbern verfpottet. So ift 3. 8. 
der Abt von Tongerloo bargeftellt in Soutane mit Kanonenftiefeln und Sporen, das Biret 
auf dem Haupt, ben Säbel an ber Seite; ein andre Bild zeigt einen Kapuziner mit Huſaren⸗ 
mütze und Säbel ıc. 

*) M&moires du prince de Ligne; Oeuvres V, 108, 109. 


Der Abfall der öfterreichifchen Niederlande. 203 


Mit ungenügenden Streitkräften rüdte van ber Merih am 25. Oftober 
in Turnhout ein. Tags darauf verſuchte der Ffaijerlihe General Schröder mit 
ein paar Bataillons die Stadt zu entjegen, ließ fi aber in einen Hinterhalt 
loden und mußte das Feld räumen. Diefer Erfolg bob das Selbitvertrauen 
und mehrte den Anhang der Patrioten; eine Stabt nad) der andern erklärte 
ih für das Programm von Breda, die wenigen Anhänger der Krone jchmwiegen, 
in kurzer Zeit verfügte van der Merfch über ein ftattliches Heer. Die Nachricht 
von der Niederlage bei Turnhout traf in Wien gerade während ber Feier der 
ruhmvollen Erftürmung Belgrads ein; mit einem Schlag war die Siegesfreude 
Joſephs zu nichte! Freilich jchrieb er an Leopold leihthin: „In den Nieder: 
landen ift endlich die Bombe geplagt; die Entdedung eines Komplottes trug 
dazu bei, den Einmarſch der fogenannten patriotiihen Armee in Brabant zu 
beihleunigen; unglüdlicherweife beging General Schröder die Dummheit, fich 
mit nur zwei Bataillons zu jchlagen, und wurde zum Rüdzug gezwungen.“ !) 
Joſeph faßte aber die Lage in den Niederlanden ſehr ernft auf. Nicht mit 
Unredt tabelte er, daß d’Alton den Rebellen nicht jogleih an der Grenze ent: 
gegentrat und mit allen verfügbaren Kräften den Vormarjch verhinderte. „Man 
muß aus dieſer unglüdjeligen Lage herauszulommen juchen, jobald als möglich; 
wenn es nicht gelingt, vor Anbruch des Winters die Ruhe herzuftellen, werben 
fih für Belgien und die ganze Monardie die verhängnisvollften Ereigniffe ein— 
ftellen.“ ?) Graf Segur, der auf der Rüdreije von Petersburg einige Tage in 
Wien verweilte, fand den „Grafen von Falfenitein” völlig gebeugt und gebrochen. 
„Ein allgemeiner Wahnfinn,” klagte der Kaifer, „hat bie Völker ergriffen; bie 
Brabanter 3. B. haben fi empört, weil ich ihnen das geben wollte, was Ihre 
Nation mit großem Geſchrei verlangt!” ?) In einem Briefe an feine Schwefter 
Ehriftine (3. November) zieht Jojeph einen wenig glüdlichen Vergleich zwiſchen 
der franzöfiihen und der brabantifchen Revolution: „Was dieje Franzojen thun, 
um fich eine gute Konftitution zu geben, indem fie fie zerſtören! Diejelbe Thor: 
heit berricht zum Teil in Brabant. Es befteht nur der Unterſchied, daß ber 
franzöfifhe Naufh vom Champagner kommt; er kommt raſch, ift aber leicht 
und verfhwindet wieder rafch, während jener der Brabanter vom Bier fommt; 
der iſt alfo langwierig und hartnädig”.*) Da aud in der Hauptitabt die Auf: 
regung mit jevem Tage höher flieg, wurde Chriftine von Trauttmannsborff zur 
Abreife gedrängt; die Erzherzogin weigerte fih, um nicht den Schein der Flucht 
auf fi zu laden, doch Trauttmannsborff zeigte ein Billet des Kaijers, das bie 
Abreife des Statthalterpaares befahl. Als nun Ehriftine und ihr Gemahl bie 
Refidenz verließen, zeigten fich die nämlihen ungünftigen Folgen, wie bei ber 
Flucht der franzöfifhen Prinzen; ein Teil des Adels verließ ebenfalls das Land, 
ein andrer jchlug fich auf die Seite der Patrioten. Auch wurde die Politik der 
Regierung nah dem Abzug des Statthalterpaares nicht einheitliher und fefter. 


) Arneth, Jofeph II. und Leopold II., 285. 

) Gerard II, 860. 

) Segur, Mömoires ou Souvenirs et anecdotes, III, 554. 
) Wolf, II, 19. 


204 Erftes Bud. Sechſter Abſchnitt. 


D’Alton, der gegen van der Merſch immer nur Fünftliche Feldzugspläne entwarf, 
ſuchte Brüffel und die übrigen noch von den Kaijerlichen bejegten Städte durch 
äußerfte Strenge vom Abfall zurüdzubalten, Trauttmannsdorff dagegen hoffte, 
durch fein „Syftem der Moderation” die Oberhand zu gewinnen. Nicht einmal 
die Proflamationen der Patrioten führten fo leidenfchaftlihe Sprade, wie die 
Briefe Trauttmannsdorff an ben Kailer, worin er die mörderiſche Politif feines 
Kollegen beklagte. „Ich babe bisher immer nur im ftillen gefeufzt über bie 
Handlungsweife des Grafen d'Alton,“ ſchrieb er (19. November), „heute zwingt 
mi endlih mein Gemilfen, offen zu erklären, daß er in der legten Zeit bie 
Hauptihuld trägt an allen entjcheidenden Unfällen. Ich rede gar nicht von dem 
Mißerfolg unjrer militärifhen Operationen; leider ift es ja klar, daß dadurch 
Em. Majeftät alle diefe Länder verlieren werden, jondern nur von der Ungeredhtig- 
feit, womit man gegen Eurer Majeftät Unterthanen vorgeht, unter dem Vorwand, 
man müfje Geifeln haben, oder die Anftifter des Aufitandes entfernen; das muß 
natürlih zur Empörung reizen und die ganze Nation zur Verzweiflung bringen. 
Die Auswanderung, diefer Hauptquell unjres Unglüds, ift wenigftens teilmeije 
aus diefer Urſache entiprungen; jedermann flüchtet, ehe er weggejchleppt wird, 
denn jedermann ift diefer Gefahr ausgeſetzt! . . Es wird feine Form mehr be: 
achtet; niemand wird vor ben zuitändigen Richter geführt; das Säbelregiment, 
gegen das ſich ganze Provinzen erklärt haben, befteht in der That. Darüber 
beflagen ſich auch nicht bloß die Bewohner diejes Landes. Gejtern famen der 
Gejandte von Holland und der Gefhäftsträger von Frankreich zu mir und fragten, 
ob ich hier bleiben werde, denn fie möchten im Falle, dab ich abreifen würde, 
nicht den außerordentlihen Maßregeln des Generallommandanten auögefegt fein. 
Sicherlich herrihht darüber nur eine Stimme: Es gibt heutzutage in Europa fein 
Land, deſſen Bewohner weniger Sicherheit der Perfon und des Eigentums ge- 
nießen, als dasjenige, wo jih Ew. Majeftät wiederholt dafür verbürgt haben!” ') 
Sedenfalls war die drakoniſche Strenge d'Altons ſchon deshalb nicht am Plage, weil 
er gar nicht über die Kräfte verfügte, um feine Strafmandate durchzuführen. „Es 
ift immer eine Thorheit,“ jagt Gerard in feiner Biographie des belgijchen Staats: 
mannes Rapedius de Berg, „ein Volk mit Gewalt bezwingen zu wollen, wenn man 
dazu nicht die ausreichende Macht bejist. Graf d’Alton ſprach davon, Gent 
anzuzünden, um ein warnendes Beijpiel aufzuftellen, und er hatte weder das 
Material, um es in Brand zu hießen, noch viel weniger die Leute, um ein 
foldhes Unternehmen auszuführen und für die Folgen einzuſtehen.“?) 

Als eine Stadt nad der andern von den ungejchidt verzettelten Dejter: 
reihern geräumt werden mußte und der Berluft des ganzen Landes in drohende 
Nähe rücte, hielt auch Joſeph einen Syſtemwechſel für geboten; er ftellte d’Alton 
vor, man dürfe auch empörte Unterthanen nicht wie Türken behandeln, und 
ermädtigte Trauttmannsdorff zur Zurüdnahme der Anordnungen, die den Auf: 


!) Trauttmannsdorff, Fragmens, 94. — Die Anllagen werden zurüdgemieien in einer 
nad d'Altons Tod erfchienenen Schrift: Memoires pour servir ü la justification de feue 
son excellence le general comte d’Alton. 

?) Gerard, Il, 402. 


Der Abfall der öfterreihiichen Niederlande. 205 


ruhr entfaht hatten. Am 21. November wurde die Aufhebung der Stände 
widerrufen, ber Rat von Brabant wieder eröffnet, am 25. November jogar 
das Generalfeminar geſchloſſen und eine allgemeine Amneftie bewilligt. Trautt: 
mannsdorff jcheint mit dieſen Zugeſtändniſſen ſogar jeine Inſtruktion über: 
ſchritten zu haben; wenigſtens ſchrieb Joſeph an Leopold (6. Dezember): „Unſere 
Sache in den Niederlanden ſteht ſehr ſchlecht. Der Miniſter hat alles mögliche 
zugeſtanden, aber ich glaube, er hat damit nicht nur keine gute, ſondern eine 
ſchlechte Wirkung erzielt, da die Aufſtändiſchen dadurch nur kühner gemacht 
worden ſind. Der Generalkommandant hat völlig den Kopf verloren; ſeine 
Dispoſitionen waren ſchlecht ausgedacht und noch ſchlechter ausgeführt; jetzt will 
er fi in Brüſſel fonzentrieren und hat alles übrige aufgegeben.“ !) In der That 
war der Widerruf der fatalen Maßnahmen nicht mehr im ftande, die Belgier 
zu beihwicdhtigen und wurde nur als Zeihen von Schwäche und Furt angejehen. 
Als fih Trauttmannsdorff jogar auf Unterhandlungen mit dem Ausihuß in 
Breda einließ, befam jein Gejandter Morte zu hören, bie nur als Abweifung 
aufzufafien waren. Die errungenen militäriſchen Vorteile hatten den Mut der 
Patrioten gehoben; auch galt ihnen die Unterftügung, welche Preußen den auf: 
ftändiichen Lüttichern gewährte, ald Beweis, daß aud fie im Notfall auf Hilfe 
zählen dürften. Am entjchiedenften gingen die Stände von Flandern vor; am 
25. November erklärten fie den Kaijer aller Gewalt und Rechte, die er als 
Graf von Flandern ausgeübt, für verluftig und verfündigten die Unabhängigkeit 
ihrer Provinz. 

In diefem kritiſchen Augenblid beging d’Alton den Fehler, mit van der 
Merih, der aus Furdt vor der Leidenjchaft der Menge und aus Achtung vor 
den biftorifhen Prinzipien einen friedlihen Ausgleich gewünſcht hätte, einen 
Waffenftillftand abzuſchließen (2. Dezember). „Diefer Moment,” urteilt Herzog 
Albredt von Sachſen-Teſchen, „entſchied den Berluft der Niederlande für 
ben Kaifer.” Nun war auch die Disziplin der faiferlihen Truppen, die immer 
zurüdmweichen mußten, ohne befiegt zu fein, ſchon jo gelodert, daß ganze Scharen 
zu den Patrioten übergingen. Als auch in Brüffel der Aufftand ausbrach, 
baderten Trauttmannsdorff und d'Alton über die Mittel, die zur Dämpfung ber 
Unruhen anzuwenden wären, jo lange, bis ber größte Teil der Bejagung mit 
den Bürgern fi verbrüberte und die Stadt nicht mehr zu halten war. Wie 
fopflos die Verteidigung geleitet war, beweilt die Thatjahe, daß der Schaf, 
die Kriegsfaffe und die Archive, deren Flüchtung feine Schmwierigfeit geboten 
hätte, bei der Räumung von Brüfjel in die Hände der Sieger fielen. Den Reit 
der Truppen führte d’Alton nad) Zuremburg, das dem Kaifer treu blieb. Hier 
mußte auch Graf Philipp Cobenzl, den der Kaifer nad) den Niederlanden ab: 
geordnet hatte, um zu retten, was zu retten wäre, Halt maden; ohnmächtig 
mußte er zuſehen, wie die belgischen Provinzen fi als unabhängige Republik 
fonftituierten. Denn diefes Ziel wurde jet von allen Parteien, ebenfo von 
Adel und Klerus, wie vom Bürger: und Bauernftand angeftrebt. Der Domberr 
van Eupen ſprach im Haag, wo er als Vertreter des Brebaer Ausſchuſſes weilte, 


) Arneth, Jofeph II. und Leopold II., II, 298. 


206 Erſtes Bud. Sechſter Abſchnitt. 


offen aus: „Jetzt, da wir Brüſſel haben, wollen wir einen Kongreß aus den 
Deputierten der Provinzen berufen; in ihm ſoll die Souveränetät der Nation 
repräſentiert ſein.“ 

Am 18. Dezember zog van der Noot, der „Befreier Belgiens“, unter 
unermeßlichem Jubel der Bevölkerung feierlich in Brüſſel ein; die neuen 
Republikaner fühlten ſich beglückt, wieder einem Oberhaupte zujubeln zu dürfen. 
„Nie waren die alten Herrſcher Belgiens mit größerem Prunk aufgenommen 
worden.“) Am Thore von St. Gudula erwartete ihn der Klerus — auch 
Kardinal Frankenberg, der fich bisher verftedt gehalten hatte, war wieder auf: 
getaucht — und geleitete ihn zum Tedeum in das Münfter. Mittags folgte 
ein Feitmahl, das die adeligen Damen dem „belgiichen Franklin“ gaben. Abends 
wurde im Theater, wo van ber Noot in der Ffaiferlihen Loge Pla nahm, 
Voltaires „Mort de Cesar“ aufgeführt. Alle Anjpielungen auf Freiheitsliebe 
und Tyrannenhaß wurden ſtürmiſch beflatiht. Der Jubel erreichte den Höhe: 
punft, als eine Schaufpielerin in der faijerlichen Loge erfhien und dem gerührten 
Triumphator eine Bürgerfrone aufs Haupt drüdte. ?) 

Dagegen trafen die legten Nachrichten aus den Niederlanden das Haupt des 
franfen Kaifers wie Keulenſchläge. Wie jehmerzlih er es empfand, daß Pro: 
vinzen, deren Treue unter feinen Vorfahren nie in Wanken geraten war, von ihm 
abfielen, erhellt aus den verzweifelten Briefen an die Geſchwiſter. „Von den 
Niederlanden fommt Feine Nachricht mehr,“ jchrieb er (23. Dezember) an Leopold, 
„dort ift alles verloren! Es fehlt uns an Truppen und Subfiftenzmitteln; die 
Mannſchaft dejertierte in ganzen Compagnien; es wird als ein Glüd zu be: 
traten fein, wenn wir Luxemburg halten können. Kein Schimmer von Hoff: 
nung erhellt diefes Mißgeſchick, ein Ausgleich ift nicht mehr möglich, die Feder 
fträubt jih, alle Einzelheiten meiner traurigen Lage darzulegen.” ?) „Was 
fol ich über das Mißgeſchick in den Niederlanden jagen!” ſchrieb er an Ehriftine 
(28. Dezember), „es richtet mi in meinem leidenden Zuſtande vollends zu 
Grunde. Ih kann nicht mehr atmen, nicht jchlafen, mich nicht rühren, jo daß 
ih die ganzen Nächte fitend zubringen muß. Du kannſt dir meine Qualen vor: 
ftelen. Für den Augenblid find die Niederlande völlig verloren. Man muß 
die Ereignifje und die Gelegenheit, das Land wieder zu erobern, abwarten; alle 
Wege der Berföhnung find verfchlojien, alle Nachficht, die ich walten ließ, war 
verschwendet.” Die Mitglieder der Regierung in Brüffel ſchoben ſich wechſel—⸗ 
feitig die Schuld zu. „Unfer Herr,” jchrieb Chriftine an Eleonore Liehtenitein 
(25. Dezember), „kann von dem unjeligen d’Alton, wie Auguftus von Varus 
verlangen, daß er ihm jeine Legionen oder Negimenter wiebergebe und dazu 
das Land, das unmwiederbringlid verloren ift. In Bezug auf Trauttmannsdorff 
ift nur zu fühlbar alles eingetroffen, was ich von feinem Leichtfinn und feinem 
Mangel an Einſicht befürchtet habe!” „Bejonders durch den unjeligen d'Alton 
bat der Kaifer das Land, eine Armee von 22000 Mann, Geld und Gejhüge 


') Th. Juste, Hist. du rögne de l'’empereur Joseph 1I et de la r&volut. Belge, I, 305. 
) Borgnet, I, 148. 
) Arneth, Joſeph II. und Leopold II., II, 305. 


Der Abfall der öfterreiifchen Niederlande. 907 


— 


verloren. Dieſer Mann will immer die Schuld auf andere ſchieben, während 
er allein der Schuldige ift. Dieje Fremden haben ja fein Herz für die Monardie, 
weder für den Souverän noch für das Land!” Ein andermal glaubt aber 
Ehriftine die Hauptſchuld auf den Bruder jchieben zu müfjen. „Die Lage bes 
Kaiſers ift entjeglich,” fehreibt fie (22. Januar 1790) an die Freundin, „feine 
Aufregung muß bei diefer Häufung von Krankheit und Uebeln aller Art furchtbar 
fein. Nach meiner Anſicht hat er fich dies alles jelber zugezogen. Er hat auf 
feine eiferne Gefundheit getroßt; er hat gegen alle göttlihen und menſchlichen 
Geſetze gehandelt, indem er jene nicht hören wollte, die ihm aus Anhänglichkeit 
die Wahrheit jagten, auch wenn fie nicht angenehm zu hören war. Nun haben 
wir das Ergebnis. Die jchönfte, reichſte, anhänglichfte aller Provinzen ift ver: 
loren und bamit eine Hauptfinanzquelle. Fortgerifien von ber Thorheit eines 
ehrgeizigen Weibes (der Zarin), mit weldem er fi niemals hätte perfünlich 
einlafien jollen, eröffnete er den unfeligen Krieg, der jein Land verwüftet, Menjchen 
und Geld verzehrt hat und zulegt noch einen Krieg mit Preußen in brohende 
Ausſicht ftellt. Alle, die fein Land und feine Familie lieben, find untröftlich.“ ®) 

Im Groll über den Triumph der Revolution verftand fi Joſeph fogar 
zu einem Schritte, der für ihn nad allem, was gejchehen war, eine Demütigung 
jondergleihen war: er ließ dur Kardinal Herzan den Papft bitten, es möge 
auf die belgifchen Bifchöfe zu Gunften des Erzhaufes eingewirft werden. Dem 
Geſuche wurde auch wilfahrt. Wie mochte dem Kaifer das Herz pochen, als 
er las, wie Papft Pius, von dem er ftets nur in geringfchägiger Weile geſprochen 
hatte, mit eindringlihen Worten die belgifchen Bifchöfe aufforderte, zur Treue 
gegen ihr angeltammtes Herrſcherhaus zurüczufehren! ?) 

Doch auch diefes Mittel konnte den Zufammenfturz des Faiferlihen Re: 
giments in den Niederlanden nicht mehr aufhalten. Die Biihöfe weigerten fich, 
der Mahnung bes heiligen Vaters Folge zu leiften. Der jeitherige Beherricher 
der Niederlande, erwiberten fie, habe zu oft das Vertrauen der Belgier getäufcht, 
als daß fie jegt den milden Verheißungen Glauben ſchenken fönnten; die Nation 
babe nichts andres gethan, als was fie thun durfte und mußte; den geiftlichen 
Hirten des Volkes obliege ale höchſte Pflicht, den alten Glauben, den Stolz 
bes belgiſchen Volkes, zu ſchützen, den Wolf vom Schafftall abzutreiben und 
die ſchändliche Seuche, welche die Nation angeftedt hätte, fernzuhalten. °) 

Am 7. Januar 1790 traten die Abgeorbneten der einzelnen Provinzen in 
Brüffel zufammen. Bor Beginn der Sigungen hielt Abbe van Eupen in 
St. Gudula die Feitpredigt. „Unfer Volk verlacht die philoſophiſchen Thorheiten 
des Tages; es weiß, daß feinen Waffen durch feine Frömmigkeit der Sieg ge: 
worben ift; es hat gejehen, daß unſer Glüd das Werk des Gottes Israels ift!” *) 
Im Kongreß führte Kardinal Frankenberg den Vorfig. Schon am 10. Januar 
gelangte die Bundesafte für die Vereinigten belgischen Staaten zu einftimmiger 


) ®olf, II, 83. 38. 

?) Brunner, Theologifche Dienerſchaft :c., 191. 

2) Wolf, Geſch. der Fathol, Kirche unter Pius VI., III, 618. 
*) Gachard, Documens sur la Révolution Belge, 24. 


208 Erjtes Bud. Sechſter Abſchnitt. 


Annahme. Freilih war die neue, in den Hauptzügen der holländiichen nachgebil: 
dete Verfaſſung, wie fi bald zeigen ſollte, nicht im ftanbe, die im Volk Hlaffen- 
den Gegenjäße zu überbrüden, war aljo jhon, ehe die einzelnen Berfügungen 
ins Leben traten, dem Untergang verfallen. Vorerſt aber ſchien die Herrichaft 
Defterreihs am Niederrhein vernichtet zu fein, denn der glüdlihe Ausgang des 
Befreiungstampfes brachte dem neuen Staat auch Bundesgenoſſen. Zange hatte 
Pitt widerftrebt, zur Unterftügung des belgiſchen Aufftandes die Hand zu bieten; 
endlih gewann die Nüdficht, daß die Belgier um jeden Preis von Anlehnung 
an Frankreich abgehalten werden müßten, die Oberhand. War doch befannt, 
daß Mirabeau, der „große Mirabeau”, wie er jeit kurzem von halb Europa 
genannt wurde, die Zujage gegeben habe, die Sadhe der Freiheit auch in Belgien 
zu verteidigen, ja daß jogar ſchon eine franzöfiiche Heeresabteilung an der Grenze 
des Hennegau zufammengezogen werde. !) In Berlin hoffte man, daß fich der 
neue Staat nicht bloß an das Deutjche Reid — was ber Herjog von Aren: 
berg, ber Führer der belgifhen Magnaten, ſchon in Ausficht geitellt hatte —, 
fondern aud an den Fürftenbund anfchliefen werde.?) Demnach wurde in 
Berlin am 9. Januar 1790 von den Bertretern ber drei verbündeten Mächte 
ein Vertrag vereinbart, des Inhalts, daß die drei Mächte ſtillſchweigend die 
Unabhängigkeit Belgiens anerkennen, die damit zufammenhängenden Fragen ge: 
meinfam beraten und für alle Folgen ihrer Bejchlüffe mit vereinten Kräften 
einfteben follten.°) Damit war eine revolutionäre Schöpfung von Vertretern 
der 2egitimität gewiffermaßen janftioniert worden, — ein gefährliches Beifpiel 
in jenen Tagen, da bie Revolution in Franfreih ſchon das Königtum befiegt 
hatte und ein ftürmijcher Freiheitsdrang vom Weften her das ganze Abendland 
durchzog! Freilich, der Aufftand in Belgien war, mochten immerhin die Manifeſte 
der Patrioten mit Citaten aus Holbah und Helvetius verziert fein, vom Anfang 
bis zum Ende grundverjdieden von der Bewegung in Franfreid. Dafür ift 
bejonders ein Vorgang in Löwen, der als legte Scene des Schaufpiels gelten 
fann, Garakteriftiih. Am 12. Januar legte eine lärmende Menge Feuer an 
das jtattlihe Gebäude, das zur Aufnahme des Generalfeminars errichtet worden 
war; was bie Flamme nicht verzehrte, wurde mit dem Brecheiſen zertrümmert, 
fein Stein follte erhalten bleiben! An Stelle des verhaßten Gebäudes aber 
fam ein Standbild der Religion mit dem Wappen ber vereinigten Staaten 
Belgiens. — 

Nicht von Preußen — dies hebt Ranke mit Nachdruck hervor —, fondern 
von der belgiihen Hierardhie war die bee ausgegangen, bie öfterreichiichen 
Niederlande, das alte Stammgut der Habsburger, in eine unabhängige Republif 
zu verwandeln. Doch am Niederrhein, wie auf der Balfanhalbinfel, hatte 
preußifcher Einfluß die Gegner Defterreihs ermutigt und geftärft. Noch auf 


) Memoire mis sous les yeux de Sa Maj. le Roi de Prusse le 13. nov. 1789; van 
de Spiegel, Resum& ete., 125. — Note remise à Mr. de Reede, 159. 

?) Mömoire de mr. de Stein; Ranke, II, 134. 

2) Convention entre les Rois de Grande Bretagne et de Prusse et les Etats-Gene- 
raux des Provinces Unies des Pays-Bas, le 9. janv. 1790; van de Spiegel, 149. 


Der Lütticher Streit. 209 


einem dritten Schauplaß trat Preußen dem Kaijer, und zwar nicht als dem 
Beherricher der öfterreihiihen Monardie, jondern als dem Oberhaupt des 
deutichen Reiches feindlich gegenüber: auch im Lütticher Streit jchlug fich der 
Berliner Hof, ohne eine Solidarität monarchiſcher Intereſſen anzuerkennen, auf 
Seite der Aufftändifchen, während Kaiſer Joſeph auch bier als Vertreter der 
Stabilität und Legitimität die Volksbewegung zu unterdrüden tradtete. 

Der Anlaß zum Lüttiher Streit war der geringfügigfte von der Welt. 
In dem zum Hochſtift gehörigen Badeorte Spaa war von alters her das 
Hazardipiel eingebürgert. Gleich jeinen Vorgängern, die fein Bedenken trugen, 
aus der Konzejlionierung von Spielpädtern Gewinn zu ziehen, hatte Biichof 
Konftantin von Hoensbroeh dem Befiger eines Tanz: und Spielhaufes einen 
Freibrief ausgeftellt, nah weldem fein andrer zur Haltung eines folden 
Haufes befugt jein follte. Darüber fam es zum Streit mit Spaaer Bürgern, 
die einen zweiten Spielflub erridten wollten; von bürgerlicher Seite wurde 
behauptet, der Hazarboftroi gehöre zu jenen landesherrlihen Befugniſſen, deren 
Ausübung von der Zuftimmung der Stände abhängig fei. Der Handel fam 
vor das Reichsfanmergericht. Beide Parteien beriefen fih auf den Fexher 
Vertrag von 1316, wodurd feitgejegt worden war, welche Rechte der regierende 
Biihof aus eigener Zuftändigkeit und welde er nur mit Genehmigung der 
Stände (par le sens du pays) ausüben jollte.!) Da die Entſcheidung bes 
Reihsfammergerichts, wie gewöhnlich, auf fih warten ließ, fam es in Spaa zu 
ärgerliden Scenen; der Biſchof entjandte zum Schuße der dortigen Polizei eine 
Zruppenabteilung, was von den Gegnern als neue Nechtsverlegung angefehen 
wurde. 

Doch der Streit um die Spielhölle war nur die Veranlaſſung zur Auf— 
lehnung, die Urſachen lagen tiefer. Eine 1790 anonym erſchienene, vermutlich 
aus Wiener Illuminatenkreiſen hervorgegangene Flugſchrift „Patriotenſtimme 
eines freimütigen Teutſchen über die dermaligen Empörungen, Unruhen und 
Gährungen in- und außerhalb des teutſchen Reiches“, die im übrigen mit Ent— 
ſchiedenheit für die Rechte des Biſchofs eintritt, führt die Unzufriedenheit der 
Lütticher auf die Mängel zurück, welche dem geiſtlichen Regiment überhaupt 
anhafteten. „Eigentum wird immer beſſer verwaltet und im Wert zu erhöhen 
geſucht, als ein Gut, welches man nur auf einige Jahre beſitzt, um es hier— 
nächſt wieder an einen Fremden zu überlaſſen.“ Schädliche Wirkung müſſe es 
nach ſich ziehen, daß in der Regel Ausländer, die mit den Landesverhältniſſen 


) Borgnet, Histoire de la revolution Liögeoise de 1789, I, 15. — Eine Denkſchrift 
„Coup d’oeil sur l’'histoire et la constitution du pays de Liege et sur les d“mäles en 
1786* (1789) verteidigt die bifhöflihen Rechte; Schlözer zollt (Staatsanzeigen, Jahrgang 
1790, XIV, 314) den ftaatsrechtlihen Ausführungen im allgemeinen Beifall, erlaubt fi aber 
bitterböfe Gloffen über das bifchöflihe Regiment in Lüttih. Bemerkenswert ift ein Wort 
Schlözers über das Ständeweſen: „Die hier oben gebrauchte Wendung, als ftammten alle Land: 
ober Reichäftände ſamt allen ihren Rechten bloß von ber Gnade und dem freien Willen bed 
Alleinherrſchers her, ift lange nicht mehr Mode, Stände find früher, wie der Fürft; fie er: 
Ihaffen ihn erft. Daß ſich hie und da nachher der Schöpfer von feinem Gefhöpfe hat vernichten 
lafjen, gehört unter die Unbegreiflichteiten des Menſchengeſchlechtes.“ 

Heigel, Deutihe Geſchichte vom Tode Friedrichs d. Er. bis zur Auflöfung des deutſchen Neiches. 14 


210 Erftes Bud. Sechſter Abſchnitt. 


nicht genügend vertraut jeien, an die Spige der Hochſtifter fämen, meift hoch— 
betagte Männer, die fich nicht mehr in den neuen Beruf einleben fönnten. Auch 
hätten die geiftlichen Fürften nicht jelten jehr hohe Summen für ihre Wahl und 
für die Beftätigung durch Kaifer und Papſt zu zahlen; für die Familie müſſe 
möglichft rafh und ausgiebig geforgt werden u. ſ. w. 

Auch dem Heinen Lütticher Staat war aus ſolchen Urfadhen eine ſchwere 
Schuldenlaſt erwachſen; die Folge war, daß die Unterthanen, und zwar, ba 
Klerus und Adel befreit waren, faſt ausſchließlich die Angehörigen bes dritten 
Standes über harten Steuerdrud zu klagen hatten. Dazu fam, dab Biſchof 
Hoensbroech, den die oben erwähnte Flugihrift als „einen Mann von vorzüg: 
lihen Geiftesgaben, doch etwas zu feurig, zu raſch in der Ausführung feiner 
Entſchlüſſe“ bezeichnet, feine Kronrechte nicht bloß feftzuhalten, jondern womöglich 
zu erweitern trachtete und deshalb als Feind der alten Yandesverfaflung an: 
geſehen war. Im allgemeinen galt die Lütticher Verfaffung als eine ber frei: 
finnigften des Kontinents; „fie verdient,” jagt der Neihsfammergerichtsrat Hoſcher 
(1789), „von den freien Engländern beneidet zu werben und der fünftigen fran: 
zöſiſchen Konftitution zum Mufter zu dienen!” !) Als Mirabeau 1787 bei einem 
Bankett in Yüttich vernahm, daß große Unzufriedenheit im Lande berriche, Toll 
er gejagt haben: „Ja, was haben denn Sie noch zu wünſchen, meine Herren? 
Wir Franzojen ſuchen nur deshalb eine Revolution zu mahen, um einige von 
den Bürgſchaften der Volkswohlfahrt zu erlangen, die Sie feit Jahrhunderten 
befigen!” ®) 

Noch war der Prozeß um den Spieloftroi nicht zum Austrag gebracht, 
als ein neuer Streit zwifchen Biichof und Ständen entbrannte. Um dem drüdenden 
Getreidemangel abzuhelfen, hatte der Biſchof ein Verbot der Getreideausfuhr 
erlaſſen, wieder ohne die Genehmigung der Landftände einzuholen. Ob biejer 
Eigenmädhtigfeit wuchs die Erbitterung im Lande; wie in Belgien vereinigten 
fi aud) bier die Unzufriedenen zu einem geheimen Klub, der Societe patriotique; 
bald tauchten aber auch öffentlich in Lüttich, Vervier, Spaa und andern Städten 
farbige Kofarden, „die legalen Herolde des Aufruhrs“, wie fie in der bijchör: 
lihen Antlagefhrift genannt werden, auf. Die beiden vom Biſchof wegen 
ihrer „Neigung für das franzöſiſche Freiheitsſpiel“ abgejegten Bürgermeilter 
Fabri und Cheftret und der PVerfafler der bemofratiihen „Lettres sur le 
pays de Liege*, Bafjenge, waren die populäriten Häupter der Oppofition. 
Immer ftürmifcher verlangten die Batrioten Zurüdnahme des Edikts von 1684, 
wodurh Biſchof Marimilian Heinrih von Baiern mwiderrechtlih den Anteil des 
dritten Standes an der Landesvertretung eingefhränft und dem Landesherrn 
größeren Einfluß auf die Gemeindewahlen gefichert hatte. 

Da fam die Nahricht von ber Erftürmung der Baitille nach Lüttich. „Ein 
lange niedergebrüdtes und, wie es jchien, für jedes Gefühl von Freyheit ge: 
lähmtes Bolt”, jagt Dohm in feiner Verteidigung der preußifchen Politik in 


!, Hoher, Benträge zur neueften Gefchichte der Empörung beuticher Unterthanen, 
Borrede, 46. 
) Henaus, Constitution du pays de Liege, Pröface, VII. 


Der Lüttiher Streit. 211 


der Lütticher Frage, „hatte plötzlich ſeine Kraft gefühlt, und feine Kraft war 
Recht geworden; was wenige Wochen vorher Verbrechen, der ausgejuchteiten 
Strafe würdig gewejen wäre, ward igt von einem Ende Europa’s zum andern 
mit zujauchzendem Beyfall vernommen, und felbft die Ausſchweifungen eines 
Volks, das zum rächenden Richter fih erhoben hatte, jchienen der Entſchuldigung 
fähig.” !) Wenn der Beamte eines monarchiſchen Staates in einer offiziöjen 
Schrift jo duldjam die in Wahrheit gar unrühmliche Kataftrophe beipricht, fo 
begreift fich Leicht, weldhen Eindrud das Ereignis bei heißblütigen Wallonen, bie, 
wie Dohm jagt, „von jeher mehr Gallier als Deutfhe waren”, hervorrufen 
mußte. „Ihr prozepluftige Unterbrüder des Rechts!" wagte Bafjenge im 
„Avant-coureur* zu jchreiben, „Ihaut hin auf Paris und zittert!” 

Am 17. Auguft brad in Lüttich die Revolte los. Die Patrioten bemägtigten 
fich des Nathaufes; dem heimfehrenden Cheftret „wallete der brauſende Strom des 
Volkes bis an's Margaretbenthor mit entblößten Degen entgegen, jpannte die 
Pferde von feinem Wagen ab und ziehete denjelben im Triumph nad Haufe“.?) 
Tags darauf wurden ben vom Bifchof ernannten Beamten Schlüfjel und Ardive 
abgenommen und die Führer der Patrioten, Fabri und Cheftret, von der auf 
dem Marktplag verfammelten Menge zu Bürgermeiftern gewählt. „Das Bei- 
fpiel der Frangofen”, jchrieb der gemäßigte Fabri fpäter an Lonhienne, „hatte 
unjre Köpfe erbigt, man überftürzte fih am 18. Auguft, und ich wurde fort: 
geriflen wie alle Andern.” ?) Zweifellos war es, wie au von Georg Forfter in 
feiner Beichreibung des Lüttiher Aufftandes zugeftanden wird, ein ungejeß: 
liches Vorgehen. „Wider die Form haben bie Lütticher geſündigt!““) Gewalt: 
thaten wurden nicht verübt. „Die Lüttiher Nation”, rühmt eine Denkjchrift 
der Stände, „bat der Welt das jeltene, das einzige Beiſpiel einer ohne 
Nahe, ohne Blutvergießen, in der Form eines Öffentlihen Feſtes vor 
fih gegangenen Revolution gegeben!” Deshalb will auch der einheimijche 
Hiftorifer des Lütticher Landes, Henaur, die Erhebung nit als Revolution au: 
geihaut willen. „Man hat ja nicht eine neue Verfaſſung verfündigt: nur die 
alte wurde wieder hergeftellt, indem man dem Volke die Wahl feiner Magiftrate 
zurüdgab und dem britten Stand feine Vorrechte.““) Abfall vom Landes: 
berrn war noch nicht beabfichtigt, denn als Hoensbroech auf Einladung bes 
neuen Bürgermeifters Cheftret, mit rot:gelber Kokarde auf dem Habit, nad 
Lüttih fam, wurde er mit braufendem Jubel begrüßt; auch ihm wurden, wie 
furz zuvor dem demofratiihen Bürgermeifter, die Pferde ausgefpannt; loyale 
Patrioten zogen den Wagen bis zum Rathaus. Hier unterzeichnete Hoensbroech 
„ohne Widerftand” — verfichert die Denkſchrift der Patrioten, — „umringt von 
gezüdten Schwertern” — behauptet der Biſchof, — eine ihm vorgelegte Er: 
Härung, welche die Beltätigung des neuen Magiltrats und die Abſchaffung des 


) Dohm, Die Lütticher Revolution im Jahr 1789 und das Benehmen S. K. Maj. von 
Preußen bey berjelben (1790), 15. 

?) Kurze Meberficht des Lütticher Aufruhrs vom Jahr 1789 (1789), 3. 

®) Borgnet, I, 148. 

) ©. Forfter, Schriften politifchen Inhalts, 241. 

>) Henaux, Histoire du pays de Liege, 11, 277. 


312 Erjted Bud. Sechſter Abſchnitt. 


Edikts von 1684 ausſprach. Dann kehrte er unbeläftigt nach jeinem Luſtſchloß 
Seraing zurüd. Die Berufung der Stände auf den 31. Auguft wurde vom 
Biſchof in einer an den neuen Stabtrat gerichteten Zufchrift förmlich gutgeheißen; 
der Landtag follte beraten, wie die Steuern und Abgaben gerechter verteilt und 
die Laſten ber ärmeren Bevölkerung erleichtert werben fönnten. 

„Heiter, wie eine Morgenröte, die einen jehönen Tag verfündigte, war ber 
bisherige Zuftand der Dinge in Lüttich.“ ?) Da verbreitete fich plöglich die Kunde, 
Biſchof Konftantin habe fich heimlich auf fremdes Gebiet nad) der Abtei St. Marimin 
bei Trier geflüchtet (27. Auguft); damit war ausgeiprocdhen, daß die Zuftimmung 
des Biſchofs zu den volkstümlichen Neuerungen nur als erzwungen angejehen 
werde, mithin der Rechtskraft entbehre. Gleichzeitig erichien ein Dekret des Reichs: 
fammergerihts, das die Vorgänge in Lüttich mit dem Namen Rebellion brand: 
markte und bie Fürften bes weſtfäliſchen Kreifes zur Erefution aufforderte. 

Mochte auch die Furt vor anftedender Wirkung der eriten Nahahmung 
des franzöfifhen Beiſpiels in einem deutſchen Staate die Strenge des Reiche: 
fammergerichts verſchärft haben, jo war doch gegen Rechtmäßigkeit und Gerechtig— 
feit des Urteils nichts einzuwenden. Durch die Nichtbeteiligung des Landesherrn 
und zahlreiher Mitalieder des Domfapiteld war auch die Gefeplichfeit der Be: 
Ihlüffe der am 31. Auguft eröffneten Ständeverfammlung in Frage geitellt. 
Unter dem Einfluß der fortfchrittlihen Elemente wandelte fi der MWiderftand 
gegen das abjolutiftiiche Regiment des Biſchofs mehr und mehr in einen An: 
fturm gegen das Feudalſyſtem. Auch Gewaltthaten blieben nicht aus. In den 
Maſſen jpufte die franzöfiihe Theorie des neuen Gefellihaftsvertrages; dazu 
fanı die Erregung infolge der feit dem Siege des Volkes noch höher geftiegenen 
Teuerung; die Leidenfchaften des Magens wirkten zufammen mit den Leiden: 
ſchaften des Gehirns, fo daß bei den Unruhen im Dftober das radifale Element 
die Oberhand gewann. Bewaffnete Pöbelrotten brachen ins Rathaus ein; fie 
verlangten, daß das reihe Vermögen der frommen Stiftungen unverzüglich unter 
das Volf verteilt werden ſollte. Eine Zeitlang war zu befürdten, daß bie 
Bewegung in einen Krieg gegen den Belit und die Befigenden ausarten und 
die rohe Gewalt in der Stadt die höchſte Macht im Staate werde, doch gelang 
e8 ber Bürgergarde, die Beutefüchtigen abzumehren und die Ordnung wieder 
berzuftellen. Die Stände richteten nun an das Neichsfammergericht eine Denk: 
fchrift, welche die Zurüdnahme des Erefutionsdefrets forderte; ”) zugleich wurde 
ber Biſchof eingeladen, in die beruhigte Hauptitabt zurüdzufehren. „Hätte 
jegt der Biſchof“, meint Forfter, der den Lüttiher Streit in maßvoller Weije 
beurteilt, „die Ruhe und das Glüd feiner Unterthanen gewollt, anftatt ſich auf 
den übertriebenen Punkt des Rechts zu fteifen, wo es das größte Unrecht wirb, 
jo wäre jeine Santtion das Unterpfand des ſchönſten Friedens geworden.” 
Konitantin glaubte jedoch mit der ganzen Strenge des Gejeges gegen Verführer 
und Verführte vorgehen zu müſſen; er begehrte jchleunigen Bollzug der Erefution 


i) Dohm, 41. 
) De rebus Leodiensibus novissimis simplex et dilucida expositio, Augusto camerae 
imperat. iudieio trium ordinum Leodiensium nomine die 5. oct, 1789 oblata. 


Der Lüttiher Streit. 213 


in einer Denkſchrift, welche von den Lüttiher Zuftänden eine jo düftere Schilderung 
entwarf, daß fie nach dem Urteil des Reichöfammergerichtsrats Hofcher „nur von 
Miltons Hölle übertroffen werden kann“. !) 

Schon in diefem Schriftitüd wird über die „argliftige Negotiation” des 
preußiihen Hofes und bejonders über das Auftreten des preußiſchen Bevoll- 
mädhtigten in Lüttich Beichwerde erhoben. Im September war der clevijche Kreis: 
direftorialrat v. Dohm im Auftrag feiner Regierung nad Lüttich gelommen, um 
den wahren Sachverhalt zu erforfchen und nad Möglichkeit zwifchen Fürften und 
Volk zu vermitteln. Er ſuchte in verföhnlidem Sinne auf die Gemäßigteren 
einzuwirfen, machte jedoch auch fein Hehl daraus, daß er die Bellrebungen der 
Patrioten, jo weit fie auf gleihmäßigere Verteilung der Steuerlaft und Hebung 
des dritten Standes gerichtet waren, für zeitgemäß und beredtigt anjehe. Das 
Auftreten des Gefandten jtand im Einklang mit den Intentionen jeiner Regierung. 
Hertberg jelbit gewährte dem Bürgermeifter Yabri, der als Vertrauensmann 
der Lüttiher Stände nad Berlin gefommen war, freundlide Aufnahme und 
erflärte, die preußiiche Regierung werde zu erreihen ſuchen, daß der Bifchof 
das verhaßte Edikt von 1684 miderrufe; dagegen werde fih Preußen als 
deutſcher Reichsſtand der Mitwirkfung an der vom Reichsgericht angeordneten 
Erefution nicht entziehen können.) Man dürfe in der Lüttiher Sade, jchrieb 
Hergberg an Dohm, das Recht nicht mißachten, aber auch die Politik nicht 
unberüdfichtigt lafien; die Unterdrüdung der Lütticher Stände könne man ſchon 
deshalb nicht zugeben, weil fonft auch den Brabantern Zweifel an der Auf: 
richtigfeit der preußiſchen Freundſchaft aufiteigen würden; vor allem aber gelte 
es, die Lüttiher wie die Brabanter von der Bundesgenofjenichaft mit dem 
revolutionären Frankreich zurüdzubalten. Als ſich die Kreistruppen zum Ein: 
marih in Lüttih jammelten, eröffnete Dohm den Ständen in vertraulicdher 
Weife, daß die Meinung Preußen-Eleves nicht dahin gehe, entſprechend der 
Forderung des Biſchofs und des Kapitels einfach den vorigen Zuftand wieder 
berzuitellen, jondern daß ein vernünftiger Vergleich zwiichen Regierung und Stän: 
den getroffen werden foll.°) 

Deffentlih wurde, als im Dftober neun Bataillons preußifchen Fußvolks 
unter Kommando des Generallieutenants v. Schlieffen in das Hochſtift ein: 
rüdten, befannt gegeben, die Bejegung erfolge, um den geitörten Ruheſtand des 
Landes wieder herzuftellen und der Weiterverbreitung bedrohlicher Ideen zu be: 
gegnen. Auch kölniſche und pfalzbairiihe Erefutionstruppen follten mitwirken, 
allein das kölniſche Fußvolk machte, da der Kurfürft von Köln feine Leute nicht 
unter preußiſches Kommando ftellen wollte, an der Maas Halt; nur etwa taufend 
Pfälzer vereinigten fi mit den Füſilieren Schlieffens. Dem Vormarſch der 
Kreistruppen wurde, obwohl in Lüttich Anjtalten zur Verteidigung getroffen 
worden waren, fein Widerftand entgegengejegt; jogar von der Zitadelle von 
Lüttih konnte in aller Ruhe Bejig genommen werden (30. November). Nichte: 


’) Hurze Ueberficht des Lütticher Aufruhrs vom Jahr 1789. 
*) Juste, La revolution Liegeoise de 1789, 17. 
2) Gronau, 180. 


214 Erftes Bud. Sechſter Abſchnitt. 


deftoweniger war die Volfsvertretung entihloffen, das angefangene Werk zu 
vollenden und nicht eher zum Gehorfam unter den Landesherrn zurüdzufehren, 
bis eine den Volkswünſchen entſprechende Reform der Berfaflung durchgeführt 
wäre. Natürlich trug auch das überrafchende Gelingen des Kampfes der belgiſchen 
Freiſcharen dazu bei, die Nachbarn zu ermutigen und im Widerftand zu be: 
ftärten. „Ein undiszipliniertes Volt,” jagt Dohm, „wagte es, 18000 Mann 
der bisziplinierteften Truppen anzugreifen, und die Nachricht von jeinem Anz: 
griffe und feinem Siege erfcholl zugleich; die Eroberung von Gent und fo vielen 
andern wichtigen Städten bewiejen fait zuerft das Dajein einer Macht, über 
die man wenige Wochen früher nod als chimäriſche Zeitungserfindung 
gelädelt hätte.” Die Vondiften in Brabant waren zum Bündniſſe bereit, 
und auch in Lüttich fehlte es nit an Stimmen, welche die Vereinigung der 
ftammverwandten Nationen im Zeihen ber Freiheit und Gleichheit forderten. 

Um die Losreifung des Hochftiftes vom deutihen Reich zu verhindern, 
durfte — dies wird von Dohm gewiß mit Recht hervorgehoben — an einfeitiger 
Verteidigung der bifchöflihen Rechte nicht feftgehalten werden. Sogar das neue 
Erfenntnis des Neichöfammergerihts vom 4. Dezember ſuchte einzulenfen; es 
wurde zwar auf der Beftrafung der riedensftörer beitanden, aber auch dem 
Fürftbiihof die Mahnung erteilt, „die Beſchwerden des Volkes gänzlich zu ent: 
fernen”. Seht wurde aber vom patriotifchen Ausschuß die Kompetenz des Kammer: 
gerichts überhaupt beitritten; feines der Reichsgerichte dürfe fih in Privat: 
ftreitigfeiten zwiihen Regierung und Ständen von Lüttih einmifchen; nur dem 
König von Preußen ftehe das Recht der Vermittlung zu, auf Grund eines reis 
briefs Kaiſer Marimilians I., der den Herzogen von Cleve die Aufgabe überwies, 
die lüttichſche Nation bei ihren Rechten und Freiheiten zu hüten und in ihren 
Streitigkeiten mit den Bilhöfen den Schiedsiprud zu fällen. 

Doch weder das Reichskammergericht, noch die Mitftände des weftfälifchen 
Kreifes wollten dieſes Vorrecht Preußens gelten laflen, da ja die angezogene 
Beitimmung jenes alten Freibriefes durch die fpäter von Kaiſer und Reich feit: 
gejegte Kreiseinteilung aufgehoben worden ſei. In der entjcheidenden Direftorial: 
fonferenz ftimmten die Delegierten von Köln und Pfalzbayern (Münfter und 
Jülich) für unbedingte und unverzüglide Volftredung des Wetzlarer Urteils; 
Preußen (Cleve) aber erklärte, es jollte unter der Bedingung, daß ungeftörte 
Ruhe erhalten bleibe und die nicht zu Recht gewählten Beamten ihre Stellen 
niederlegten, für Wiedereinführung der verfaffungsmäßigen Zuftände vor 1684 
Sorge getragen werben.!) Dohm gab fih Mühe, auch dem Biſchof Far zu 
machen, dab unter den gegebenen Verhältniſſen fein andrer Ausweg möglich fei; 
Erhaltung eines Reichslandes für das Reich, Abwendung eines traurigen Bürger: 
friegs, Abwehr des revolutionären Treibens von Deutihland, das jeien Gründe 
von folder Wichtigkeit, daß um ihretwillen auch von Vollziehung eines reiche: 
geritlihen Urteils abgejehen werden dürfe; unter ſolchen Umitänden fönne 
wohl von einem geiftlihen Fürften erwartet werden, daß er fein gutes Recht 
dem Wohl feines Volles aufopfern werde. Auch Friedrich Wilhelm jelbit juchte 


) Dohm, Anlagen, 141. 


Der Lüttiher Streit. 215 


die preußische Politik vor Biſchof Konftantin zu rechtfertigen; ein ernfter Waffen: 
gang mit den empörten Unterthanen des Bilchofs, führte er in einem eigen: 
bändigen Schreiben (31. Dezember) aus, könnte leicht für die ſchwachen Exe— 
futionstruppen Niederlage und Schande, für den rechtmäßigen Herrn von Lüttich) 
den Verluſt des Fürftentums nach ſich ziehen; der Biihof möge in jeine Refidenz 
zurüdfehren, das Kreisdireftorium werde bis zur Aufrichtung einer neuen Ber: 
fafjung Ordnung und Ruhe aufrecht erhalten. Doch es war verlorene Yiebes- 
müh. Biſchof Hoensbroech lie fünf Wochen lang gar nichts von ſich hören; 
endlih fam zwar eine Antwort (8. Februar 1790), aber fie lautete entſchieden 
abjihlägig und war — nad) Dohms Auffafjung — in den „anzüglichften und 
widrigiten Ausdrücken“ abgefaßt. Erſt wenn in Lüttich alles wieder in ben 
Zuftand vor der Rebellion zurüdgebraht und dem kammergerichtlichen Sprude 
vollfommen Genüge geleitet jein werbe, könne von Verſöhnung und Berfaljungs* 
reform die Nede fein. !) 

„sn diefer mißlihen Lage” — mit diefen Worten jchließt Dohm feinen 
im Februar 1790 furz vor Joſephs II. Ableben gejchriebenen Bericht — „befindet 
fih anjego die jo berufene Lüttiher Erekutionsfade.” Preußen habe dabei nur 
„mach patriotiihen und fonftitutionsmäßigen Grundjägen” gehandelt und dafür, 
dab das Hodftift vor dem Untergang bewahrt und bei dem Deutſchen Reich er: 
halten worden ſei, aller deutihen Patrioten Anerkennung und Dank verdient. 

Die Rechtfertigung Dohms ift nicht unbegründet, nur verjchweigt fie, wie 
es die Weisheitsregeln der Diplomatie vorfchrieben, das ausihlaggebende Moment. 
Auch in der Lüttiher Frage ftanden fih Preußen und Defterreih feindlich 
gegenüber; ſollte fich Preußen um eines reichsgerichtlihen Erfenntnifies willen 
in Kampf mit einem Volfe einlajjen, das unter Umftänden bald im Krieg mit 
Defterreih als Bundesgenoſſe nützliche Dienfte leiften konnte. 

Natürlich entging dem Wiener Kabinett nicht, welche Berechnung der auf: 
fälligen Begünftigung der Wallonen zu Grunde lag. Doch aud von andern 
Reiheftänden wurde das Verhalten Preußens ungünftig beurteilt. „Bei Lüttich 
ift auch ein Bod geichoflen worden,” urteilt fogar Forfter, „ver König ift da— 
durch um das Zutrauen des Reichs gefommen.”?) Der Kurfürft von Mainz, 
obwohl mit Preußen verbündet, mißbilligte aufs entſchiedenſte die Verlegung der 
Reihöverfaffung. „Es kann der Einfiht Eurer Majeftät nicht entgehen, daß 
die übeljten Folgen entftehen werben, wenn von dem Mädhtigften der unierten 
deutſchen Fürften das gehäßige Beifpiel einer jolhen Veränderung in der deutichen 
Verfaſſung gegeben werben jollte.”?) In Weslar wurde als Beleidigung emp— 
funden, daß der Herzog von Cleve „jo eigenmädtig und bem übernommenen 
Auftrage widerfprehend” vorgehe. Nicht minder heftige Vorwürfe wurden vom 
Standpunkt der öffentlihen Moral aus erhoben. „Alfo ein deutſcher Fürft,“ 
ruft die ‚Patriotenftimme‘, „der jelbft von jeinen Unterthanen einen blinden 
Gehorfam fordert, genehmigt nicht nur, ſondern unterftügt die Empörung, 


) Polit. Journal, Jahrg. 1790, 59. 
2) G. Forfter, Schriften, VIII, 108. 
’) Bolit. Journal, Jahrg. 1790, 175. 


216 Erited Bud. Sechſter Abſchnitt. 


ftatt daß es Pflicht von ihm wäre, feinen Reihsmitfürften bey Ehre und Würde 
zu ſchützen.“ Ein fliegendes Blatt aus jenen Tagen zeigt den König von 
Preußen, wie er am rechten Arm den päpftliden Nuntius im Ornat mit 
Hirtenftab und Fefuitenhütlein, am linken einen mit Säbel und brennender Fadel 
ausgerüjteten Bloufenmann führt; die Ueberſchrift lautet: „1789 — Bon Gottes 
Gnaden!“ 

Die Parteinahme Preußens für die Aufſtändiſchen in Lüttich hängt zuſammen 
mit der laxen Politik, die Hertzberg gegenüber der franzöſiſchen Revolution für 
erlaubt anſah. Begrüßte er doch den Baſtillenſturm als einen außerordentlichen 
Glücksfall für Preußen! Frohlockend ſchrieb er an den König: „Die Allianz 
zwiſchen Oeſterreich und Frankreich iſt vernichtet, Oeſterreich kann nicht mehr auf 
Frankreich zählen!“ ) 

Gewiß, Nutzen und Gewinn waren durch das Bündnis mit der Revolution 
zu erreichen, aber es war nicht der Weg, auf dem ein Hohenzoller zur Löſung 
der deutſchen Frage gelangen konnte. 


) M. Dunder, Friedrich Wilhelm II. und Graf Hertzberg; Hiſt. Zeitichr., 37. Bb., 8. 


Siebenter Abjchnitt. 


Auffände und Unruhen in Rleineren deutſchen Reidıs- 

gebieten. Gãrung in den öſterreichiſchen Staaten. Preußens 

Bündnis mit Polen und der Pforte, Iofeph IL und Die 

franzöſiſche Revolution. Per Weltkrieg in Sid. Pas 

Tebensende Joſephs I. Urteile der Zeitgenoſſen über 
Jofeph II. 


und dem Aufftand der Wallonen im Maasgebiet befteht ein fchroffer 

Gegenfag. Im revolutionären Frankreich wurde dies Har erfannt. „Die 
belgifhen Provinzen fünnen uns fein Intereſſe einflößen,” jchreibt die Gazette 
de France am 3. Juni 1790, „hüten wir uns, fie zu ftören! In dieſen 
feftlihen Tagen haben fie Altäre zu errichten, die Bilder der Hl. Jungfrau 
mit Blumen zu jhmüden, Mönde in reihe Chorgewänder zu büllen und 
hunderttauſend Kerzen zu den Füßen ihrer Bilder zu verbrennen. Was kümmert's 
uns, wer ber Hirt dieſer groben Hammelherde jein wird! Anders dagegen 
verhält es fi mit den braven Lüttihern: ihnen wünſchen glüdliches Gelingen 
alle Wohlgefinnten, alle Feinde der Unterdrüdung!” !) 

Die Ausbreitung der Revolution in den zwei legten Yahrzehnten des 
vorigen Jahrhunderts läßt fich mit einer Epidemie vergleichen, mit einer jener 
Volksfrankheiten, von der raſch hintereinander verſchiedene Länder heimgejucht 
werden. Sie fordern innerhalb derjenigen Bevölferungsgruppe, in welder die 
Vorbedingungen in gefährlichiter Fülle vorhanden find, die zahlreichiten Opfer; 
fie Haben ihren Aufihwung, ihren Höhepunkt und ihr allmählihes Verlöſchen. 

Doch müfjen wir auch bei diefem Vergleiche gewiſſe Grenzen ziehen. Der 
Anftedungsftoff fam von Weiten. Die erſte Anregung, die Neußerung des Volks— 
willens im Gegenjaß zur bejtehenden Gewalt, ging von Amerika aus; man fann 
weder den Gedanken, noch die Apojtel, die Franklin und Waſhington, tadeln, 


I dem Abfall der Niederlande von der öfterreihifhen Herrſchaft 


’) Henaux, Hist. du pays de Liege, II, 286. 


218 Erſtes Bud. Siebenter Abſchnitt. 


doch in Europa unterlag die fortihrittlihe Idee verſchiedenen Wandlungen, je 
nad ber Gejundheit des Volfes und je nach den größeren oder Fleineren Sünden 
der Gewalthaber. Eine Auflehnung der Maffen gegen die herrfchende Macht fand 
an vielen Punkten ftatt, doch anders äußerte ſich diefer Widerftand in Holland 
als in Franfreih, anders in Ungarn als in Schweden. Je unnatürlicher die 
ftaatlihen und gejeljchaftlihen Zuftände waren, defto größer war die Gefahr, 
daß die urfprüngliden Ideen ausarteten. Ein und derſelbe chemifche Stoff 
fann ja durch verjchiebenartige Verbindungen ebenjomwohl zum Segen wie zum Ber: 
derben wirken. Während über diefen Staat nur ein wohlthätiges Gewitter 
niederging, loderte ein andrer beim erften Blig in Flammen auf. 

Wir werden noch an andrer Stelle zu unterfudhen haben, wie der Revo— 
[utionsgedanfe und vor allem das franzöfifche Beilpiel auf den deutichen Volks: 
geift eingewirft haben und warum es in deutjchen Landen nicht zum Umfturz 
aller Dinge gefommen ift, — bier jei nur in Kürze auf einige Symptome hin— 
gewiefen, die noch zu Lebzeiten Joſephs IL. in deutſchen und öſterreichiſchen 
Landen hervortraten. 

Im Auguft 1789 kam es zu Unruhen in der Nahbarichaft des Elſaſſes. 
In der unter öfterreihiiher Herrichaft ſtehenden Landvogtei Ortenau empörten 
ih die Bauern gegen die Städte, denen fie fronen und Holz liefern mußten; 
in der Reichsſtadt Gengenbach durchwühlten die Delegierten der Aufftändifchen 
„mit feurigen Augen” Regiftraturen und Archive, ohne „das große rote Buch” 
zu finden, in bem zu lejen wäre, daß fie ihren Herren feine Leiſtungen 
jehuldeten. ) Die gräflich Leyenſchen Untertbanen, die Bewohner von Saar: 
brüden und St. Johann in der naſſauiſchen Grafſchaft Saarbrüden, die gräflich 
Bentheimſchen Unterthanen von Burgfteinfurth, die Bauern in der zum Hochſtift 
Straßburg gehörigen Herrichaft Oberkirch und an andern Orten rebellierten jamt 
und jonders wegen angeblichen Mißbrauchs der herrihaftlihen Waldnugungen. Die 
ftraßburgifchen Unterthanen äußerten dabei, fie meinten es gewiß nicht ſchlecht mit 
ihren Herren, benn fie wollten ihnen nicht, wie es in Frankreich üblich, die Köpfe 
abſchlagen, jondern nur ein paar überflüffige Federn ausrupfen. Eine Revolte 
in Trier hätte ſich leicht zu einem Gegenftüd zum Lüttiher Streit auswachien 
können. Die Bürgerſchaft verlangte Wiederheritellung der alten Zunftverfafjung 
und andrer aufgehobener Anftalten und Gebräude, Straßenanſchläge reisten das 
Volk zur Erhebung gegen den Tyrannen, da ſetzte der Kurfürft raſch aus beliebten 
Mitgliedern des Domkapitels und der Bürgerjchaft eine Kommiffion zufammen, 
die, mit unumſchränkter Gewalt ausgeftattet, allen berechtigten Beſchwerden ohne 
weiteres Benehmen mit der Regierung abhelfen jollte, und dieſe Nachgiebigkeit 
bämpfte das Feuer, ehe es zum Durchbruch fam. Ebenfo Hug und gnädig verfuhr 
Friedrich Auguft von Sachſen, als die Bauern in Meißen, Torgau und andern 
Orten ihren Herren den Gehorfam weigerten, Aufhebung der Fronen forderten 
und mit Nieberbrennung ber Schlöffer drohten. Die bewaffneten Rotten wurden 
durd Militär auseinander gejagt; zugleih wurde aber auch eine Kommiffion 
berufen, welche die Klagen der Unterthanen unterfuchen und geeignete Abhülfe 


) Hofer, 112. 


Aufftände und Unruben in Heineren deutſchen Reichsgebieten. 219 


treffen jollte. „Ein jchöner Zug von deuticher Fürftenehre,” bemerkt dazu Georg 
Forfter, und Reihsfammergerichtsrat Hofer rühmt in feiner aftenmäßigen Dar: 
ftellung der erwähnten Unruhen auf deutihem Boden den glüdlihen Gegenſatz 
zwiichen Frankreichs und Deutſchlands gejellichaftlihen Verhältniſſen. In Deutjch: 
land, wo Militär und Bürgerſchaft von Pflichttreue durchdrungen find, „ift es 
nicht jo leicht möglih, daß der Pöbel den Meifter jpielen, daß er den Herrn 
mit Füßen treten kann, ebenio als auch die Gelege Deutichlands den Unterthan 
gegen Unterdrückung ficher ftelen und ihm Hülfe verſchaffen“!1) 

Gefährlihere Bedeutung als in dieſen fleinen Reichsgebieten drohte der 
Wideritand gegen die Staatsgewalt in den Eaiferlihen Stammlanden zu er: 
langen. In Ungarn erlitt das Joſephiniſche Syftem eine nit minder 
empfindliche Niederlage als in Belgien. Es wurde ſchon dargelegt, wie feft 
und bebarrlih Joſeph trachtete, die bunt durcheinander gemwürfelten Stämme 
im unteren Donaugebiet, Szefler und Magyaren, Rumänen und Raizen, in 
geiftige Abhängigkeit von der beutichen Kultur zu bringen und auf jolche 
Weiſe feinen Einheitsitaat über Ungarn auszudehnen, wie aber dieſe Tendenz 
beionders bei den Magyaren auf erbitterten Widerftand ftieß. Die ungarifche 
Hoffanzlei wies das faiferlihe Mandat, das die deutſche Sprache zur Amts: 
ſprache erhob, als verfaffungswidrig zurüd; das war ber befte Weg, um den 
Kaiſer im Glauben an die Notwendigkeit feiner Anordnung zu beftärfen. Die 
Wegführung der Stephansfrone nah Wien, die Aufhebung der munizipalen 
Sonderredte, die Einfegung von fönigliden Kommifjären ftatt der verfaflungs- 
mäßigen Obergejpane, die neue Juftigordnung, die Aufhebung der Leibeigen— 
ihaft und andre „Gewaltmaßregeln eines nicht gefrönten Königs” riefen jen- 
feitö der Leitha ebenfo heftigen Unmut wach, wie fie von Anhängern des 
Joſephinismus begeiftert gepriefen wurden. „Wir fehen feinen geringeren End— 
zwed,” jo rühmt ein Artikel im Hamburger politiihen Journal das „groß: 
artige Germanifierungswert” im DOften, „als ein ungeheure, von ber Natur 
berrlich bedachtes Neich durch den Segen der Kultur no einmal aus fich jelbft 
zu erzeugen, e& zu verdoppeln, fünf Millionen unglücklicher Menſchen zu zehn 
Milionen glüdlicher umzuſchaffen, ein neues Reich ohne Blutstropfen der Unter: 
thanen und ohne Erbitterung der Nachbarn zu erobern, und dieſen mächtigen 
Staat mit der Monarchie Dejterreich durch Gleichheit der Verfaſſung, Gejekgebung, 
Sprade und Sitten innigft zu vereinen!” ?) Dagegen erblidte man in Ungarn 
im Streben des Kaijers, feine Staaten „zu einem Koder der Gefege, zu einem 
Erziehungsfyftem, zu einer Monarchie zu verjchmelzen”, einen Angriff auf 
die heiligiten Volksintereſſen. Eine nationale Bewegung griff um fih, wie fie 
Ungarn noch nie gefannt hatte. 

Es war ein entjcheidender Wendepunkt im Verhältnis der alten bajuwa— 
riſchen Oftmarf zu den Ländern der anftoßenden Donaunieberung. Die Ueber: 
ſpannung des Prinzips der Germanifierung hatte ein mächtiges Aufftreben aller 
bebrohten Nationalitäten, in erfter Reihe des Magyarentums, das fich im Kampfe 


) Hofcher, Vorrede, 19. 
?) Rolit. Journal, Jahrg. 1786, 657. 


220 Erftes Bud. Siebenter Abſchnitt. 


mit dem überlegenen Gegner erft der eigenen Kraft bewußt wurde, zur Folge. 
Namentlich gegen das Spradedift wurde von den Vertretungen ber einzelnen 
Geſpanſchaften leidenichaftliher Proteft erhoben. In ihrem Mißbehagen über die 
herrſchſüchtigen „Schwaben“ verftiegen fih magyarifhe Autoren zu den wunder: 
(ihften Ausſprüchen. Es ſei unerfindlih, wie ber deutſchen Kultur vor der 
ungarifchen der Vorrang eingeräumt werden könne, — jo erklärte ein Deutic: 
Ungar, Matthias Rath, evangelifcher Prediger in Raab, — jeit kurzem erft hätten 
die Deutfchen einen Klopftod, während die Ungarn ſchon vor hundert Jahren 
Dichter hatten, denen fein deutſcher Poet an die Seite zu ftellen jei.') Ohne 
Rüdfiht auf die Thatfahe, daß die Magyaren in Ungarn nur ein Drittel ber 
Bevölkerung ausmachten, kehrte der Refrain immer wieder: „Ungarn ift Ungarn; 
wer ba lebt, joll ungariſch lernen!” Bisher hatten fich die Gebildeten fait geſchämt, 
die magyariſche Sprache zu gebrauchen; jetzt wollten fie nur noch das eigene Idiom 
gelten lajjen und ftiehen das Deutſche hakerfüllt zurüd; in mehreren Ortichaften 
wurde das Spradedift und andre deutiche Schriften feierlich verbrannt. 

Auch die Mode gewann politiihe Bedeutung. Der deutſche Hut wurde 
verjehmt; der Patriot durfte nur noch das Nationalgewand tragen. „Die 
deutichen Inſaſſen“, berichtet Paſtor Keresztefi in feinem Tagebuh, „ver: 
ſteckten fich oder Fleideten fih in magyariihe Tracht, denn fie bejaßen anders 
nicht viel Mut; der magyariſche Eifer verftieg fih fo weit, daß man bie 
deutſche Tracht, die in halb Europa getragen wurde, verhöhnte und ver: 
brannte... Im ganzen Baterlande waren jämtlihe Geſpanſchaften in Gärung. 
Anfänglich floſſen die Beſchwerdeſchriften nur heimlich und Nüfternd, endlich ver: 
ftändigten fie fi durch Rundichreiben derart, daß die gejpannten Saiten überall 
den gleihen Ton von fih gaben.” ?) Am lauteften Eagten die Junfer und 
Herren, die auch in ihrem Stanbesgefühl beleidigt waren; drang doch der Kaijer 
auf Gleichſtellung aller vor dem Geſetz und lieg — was ganz bejonderen lin: 
mut erregte! — die Paläfte der Magnaten gleich den Häufern der Bürger mit 
fortlaufenden Nummern verfehen! In Ungarn fei recht eigentlich der Adel der 
Träger der Revolution, verfichert eine 1790 herausgegebene Flugſchrift mit dem 
fenfationellen Titel „Babel; Fragmente über die jegigen politifchen Angelegenheiten 
in Ungarn“. Nirgend in der Welt jei der Adel maßlofer in jeinen Anſprüchen und 
zuchtloſer in feinem Auftreten; jeder Edelmann wolle König jein auf jeinen paar 
Hufen. Wenn aber jemand auftritt und den „rohen Hunnenfinn“ zu zivilifieren 
trachtet, dann jpielen fi die Herren, die auf ihren eigenen Höfen ein Fanni- 
balifches Fauftreht üben und den Bauersmann halb zu Tode prügeln, als lauter 
Montesquieus und Franklins auf. Einen Schnürrod tragen, gilt als vollgültiger 
Beweis des Patriotismus; dagegen maden ſich dieje Afterpatrioten und falichen 
Rakoczys kein Gewiſſen daraus, das Vertrauen der Nation zu ihrem rechtmäßigen 
König zu untergraben. Namentlich die Proteftanten find jogar zu verräteriſchem 
Anſchluß an Religionsverwandte im Lager der Feinde Defterreihs bereit; man 
beachte doch die merkwürdige Erideinung, dab „bermalen vier protejtantifche 


!, Krones, Ungarn unter Maria Therefia und Joſeph II, 42. 
) Ebenda, 52, 


Gärung in den öfterreihiihen Staaten. 221 


Höfe mit Ausihluß aller fatholiihen ein Bündnis gemacht und in diefes Bündnis 
niemand fonft als den Türken aufgenommen haben!“ Der eigentlihe Erbfeind 
Defterreihs, der wohlbekannte proteftantiiche Fürft im Norden, ift auch in Ungarn 
Anftifter und Helfershelfer der Revolution! 

Die Proteftanten in Ungarn hatten das Toleranzedift mit freudigem Dank 
begrüßt, aber bald verſchwand diefe Stimmung und machte andern Gefühlen 
Platz; fie wollten die Duldung, jo erflärten fie, nicht als willfürliches Geſchenk 
des Königs entgegennehmen, fondern begehrten eine reichögejegliche Anerkennung 
und Berbürgung ihrer Rechte. Sie jahen fich troß des Toleranzpatents von 
allen hohen Nemtern und Würden ausgeſchloſſen, die Ausübung des Gottes: 
dienftes war erichwert, das Cherecht beichränft, die Zenſur gerade ihnen 
gegenüber ftreng gehandhabt; fie bejchwerten fich deshalb über das „Wiener 
Sluminatenregiment” nicht weniger leidenfhaftlih als der Primas Batthiany 
und feine Biſchöfe. Ob gerade von proteftantijhen Kreifen die Verbindung mit 
Preußen angelnüpft wurde, muß, da in den betreffenden Korreipondenzen nie 
mals Namen der Beteiligten genannt find, bahingeftellt bleiben. Unmwahrjcheinlich 
ift es nicht, daß die konfeſſionellen Beziehungen den Ausſchlag gaben; erblidte 
doch der proteftantiiche Teil der Bevölkerung Ungarns jeit mehr denn hundert 
Jahren in den Kurfürften und Königen von Brandenburg: Preußen ihre Schuß: 
herren! Der große Kurfürft, Frievrih Wilhelm I, Friebrih II. hatten fi 
wiederholt bei Kaiſern und Päpiten der ungarischen Proteftanten angenommen. 
Auch diesmal wurde die antihabsburgifhe Bewegung in Ungarn von preußiſchen 
Staatsmännern wohlwollend in Berechnung gezogen. Der preußiihe Gejandte 
in Konftantinopel gab jhon im Frühjahr 1788 den Rat, die Mikftimmung in 
Ungarn nicht unbenügt zu laffen und die Aufrihtung eines unabhängigen König: 
reichs jenfeits der Leitha zu unterftügen.!) Hertzberg nannte damals die dee 
„ebenſo barod wie unausführbar”;?) als aber die Möglichkeit eines Krieges 
mit Defterreich näher rückte, befreundete fih auch die preußiſche Negierung mit 
jenem Vorſchlag. Als ein Herr von Hompeſch, der fi für einen Abgeordneten 
der ungarijhen Malcontents ausgab, im April 1789 nad Berlin fam, nahm 
ihn der König förmlich in feine Dienfte; ja, in einem Briefe an Hergberg ftellte 
Friedrih Wilhelm jogar die Behauptung auf, daß er jelbit als Nachkomme ber 
Anjou Anſpruch auf Ungarns Krone habe, — eine Auffaffung, gegen melde 
jogar der in genealogifhen Fragen fattelfefte Hertzberg entſchiedenen Proteft 
erhob. Die Verbindung mit Ungarn blieb aufrecht erhalten; wiederholt werden 
in Berliner Kabinettspapieren hommes de confiance erwähnt, die über die 
Beſchwerden der ungariihen Stände Beratung pflogen. 

Es ift wenig befannt, daß auch Herzog Karl Auguſt von Weimar in dieſe 
Angelegenheit verflochten war. Als Friedrich Wilhelm von ungarifhen Herren 
um Rat gefragt wurde, welchen Fürſten die befreite Nation zum Oberhaupt 
wählen follte, verwies der König auf Karl Auguft; es wurden auch wirklid mit 


1) Häufler, I, 225. 
?) Marczall, Preußiſch⸗ ungariſche Verhältniffe 1789--1790, in den Litterar. Berichten 
aus Ungarn, Jahrg. 1878, II, 28. 


222 Erftes Bud. Siebenter Abſchnitt. 


Weimar Unterhandlungen angelnüpft, allein Karl Auguft zeigte feine Luft, ſich 
auf den abenteuerlihen und gefährlihen Plan näher einzulaffen. ') 

Bon jchriftlihem Verkehr wurde vorfihtig abgejehen. Als von Wien aus 
die Nachricht verbreitet wurde, Hergberg habe bei den Verhandlungen in Reichen: 
bach den öfterreihiihen Kollegen ungarifche Korreiponbenzen ausgeliefert, wurde 
über diefen Schachzug, wie Jacobi nach Berlin berichtet, weiblich geladht, „da 
über die Vorftellungen der Ungarn feine einzige Aufzeichnung eriftiert”.?) Worauf 
diefe Vorftellungen zielten, erhellt aus ber Inſtruktion Friedrich Wilhelms für 
Hergberg vom 11. Juli 1790; die Ungarn verlangten, daß der König von Preußen 
als Herzog von Schlefien und Rechtsnachfolger der ſchleſiſchen Stände die ungarische 
Verfaſſung gewährleilte, da dur König Matthias 1605 den ſchleſiſchen Ständen 
diejes Recht eingeräumt worden ſei. 

Die anfänglichen Mißerfolge der kaiferlihen Waffen im Türfenkrieg leifteten 
der magyariichen Bewegung Vorſchub. Die Geſpanſchaften mwagten zwar nicht, 
die geforderten Rekruten und Steuern zu weigern, knüpften aber an jede 
Bewilligung das Begehren, der Kaiſer möge die verlegte Kontinuität ber Landes: 
verfaſſung wieder herftellen. Auch Siebenbürgen, wo das bürgerliche Element 
überwog, beteiligte fih am Kampf gegen die zentralijierenden Tendenzen des 
Kaiſers; bier hatte insbejondere die Aufhebung der Selbitverwaltung der Ge: 
meinden böjes Blut gemadt. Als zur Fortiegung des Türfenfriegs immer 
neue Opfer gefordert wurden, ohne daß „der König mit dem Hut” Miene 
machte, einen Reichstag einzuberufen, nahmen die Komitate zu dem legten gejet- 
lihen Mittel ihre Zuflucht; fie ftellten an den Iudex curiae, der in Ermanglung 
eines Palatins der höchite Beamte des Königreihs war, das Begehren, er möge 
die Rechte des Landes wahren und fraft feines Amtes jelbit einen Reichstag 
berufen. Es war noch nicht die Revolution; es waren nur unbegründete Gerüchte, 
wenn in Wien von blutigen Zufammenftößen in Debregin und Dfen erzählt 
wurde; aber es fehlte nur no der Tropfen, der den vollen Krug zum Leber: 
fließen brachte! 

Auh in den deutſchen Erblanden mebrten ſich die Anzeihen von Un— 
zufriedenheit und Oppofitionsluft. Insbeſondere das Tiroler Volf, das „viel 
erträgt, nur feine Neuerung im altgewohnten gleihen Schritt des Lebens“, 
grollte ob der kirchlichen Neuerungen und ob der Nichtbeachtung der hochverehrten 
ſtändiſchen Privilegien. Die Forderung eines offenen Landtages jpielte hier 
eine ähnliche Rolle, wie in Ungarn die Garantie der Berfafjung, und auch 
bier ftand faft der gejamte Klerus auf Seiten der Oppofition.?) Die Aufregung 
über das Regiment der Freigeifter und Freimaurer machte fih in ben deutjchen 
Provinzen nur in Proteften und Pamphleten Luft, aber jeder Tag fonnte 
ernfte Unruhen bringen. 

Unter diefen Umständen mußte dem Kaifer alles daran gelegen fein, jeine 
Truppen zu freier Verfügung zu befommen, und dazu war der Friede mit der 


) Marczall, 31. 
2) Preuß. Staatsarchiv, Acta, betreffend die Eonvention von Reichenbach, 1790. 
) Egger, Geſchichte Tirols, III, 126. 


Preußens Bündnis mit Polen und der Pforte. 223 


ui 


Pforte erforderlih. „Der Friede mit den Türken”, jchreibt er (2. Dftober 1789) 
an Katharina, „wird um jo wünjchensmwerter, da immer offener und peinlicher 
zu Tage tritt, mit welch gefährlichen Anſchlägen der König von Preußen ſich trägt; 
aud der Wahnfinn, der, hervorgerufen durch die Freiheitsphrajen der Franzofen, 
beute fait in allen Köpfen ſpukt, läßt es angezeigt erjcheinen, daß zwei jo große 
Mächte, wie die Ihre und die meinige, ſich feit aneinander fchließen, um alle 
Ausshreitungen niederzuhalten.“ ) Des Ummeges durd die franzöſiſche Botſchafts— 
fanzlei überbrüffig, beauftragte Joſeph den Feldmarſchall Laudon, unmittelbar 
mit dem Großvezier in Unterhandlung zu treten. Unter dem Einbrud ber 
jchweren Niederlagen bei Fokſchani und Belgrad hatte die Friedenspartei in 
Stambul die Oberhand gewonnen, doch mußte der einflußreiche, rührige Diez 
die Verftändigung mit dem SKaijer immer wieder aufzuhalten. Da zwijchen 
Defterreih und Preußen offene Feindſchaft aufgewahjen war und auf beiben 
Seiten ein entjcheidender Waffengang ins Auge gefaßt wurde, drängte auch 
Hergberg, dem früher ein offenes Zufammengeben mit dem Türfen „inconvenable“” 
erihienen war, zum Abſchluß eines Bündniffes mit der Pforte. Doch aud 
diefer Wunſch ftieß bei den mißtrauiſchen Moslemin auf Schwierigkeiten. „ch 
mache jeden Tag“, jchrieb Diez (1. November 1789) an Hergberg, „dem Minifte- 
rium, dem Serail und den Ulemas die ftärfften Vorftellungen, aber ich kann 
feine genügenden Erflärungen erhalten.” Durch Beftehung eines Dragoman 
war ber Divan in Befig der Korrefpondenz zwijchen dem preußiſchen Gefandten 
und jeiner Regierung gelommen, wußte aljo, was er von Berlin zu hoffen und 
zu befürdten habe, und verwertete diefe Kenntnis, um günftigere Bedingungen 
zu erlangen.?) Diez ſuchte den unerwarteten Widerftand durch alle möglichen 
Künfte, fogar durch eine mit Hülfe der Ulemas in Scene geſetzte Palaftrevolution 
zu brechen, umfonft! Es handelte fich insbefondere darum, die Pforte zur Ab: 
tretung von Oczakow und ber Krim an die Rufen geneigt zu maden; dann 
wäre ein Separatfriede mit Rußland leicht zu ftande gefommen; Defterreich 
allein wäre nicht im ftande gewejen, den Krieg weiter zu führen, hätte aljo 
die von Preußen vorgejchriebenen Bedingungen, den „großen Plan” Herkbergs, 
annehmen müſſen. „Uns fommt zu ftatten,” jchrieb der Minifter (8. Dezember) 
an Diez, „daß alle belgiihen Provinzen fi empört haben, was die Kräfte des 
Kaifers furchtbar fpaltet. Die Ungarn und Galizier ftehen auf dem Punkte, 
dasjelbe zu thun, wenn die Pforte feithält. Sparen Sie alfo weder Geld nod 
Mühe, um die Hauptſache zu erreihen! Auch die Polen warten nur auf unſer 
Bündnis mit den Türken; in Moskau jelbit herricht große Aufregung. Niemals 
find die Chancen für uns fo günftig gewejen!” Allein die Herren im Divan 
wußten immer neue Vorwände zu finden, um die Verhandlungen binzubalten; 
no zu Neujahr mußte Diez befennen, die Bündnisfrage ftehe genau noch auf 
dem nämlichen Punkte, wo er vor Monaten jo hoffnungsvoll angefnüpft habe. 

Freilih ging es ben öfterreihijchen Staatsmännern nicht beſſer. Der 
Kaijer wollte jegt aufrihtig den Frieden, die allgemeine Lage nötigte ihm ja 


1) Arneth, Joſeph II. und Katharina II., 359. 
*, Häuffer, I, 238. _ 


224 Erfted Bud. Siebenter Abfchnitt. 


diefen Munich förmlich auf, er jah feinen Staat auf allen Seiten von dräuenden 
Wellen umſpült: nur ein rajcher Friede mit der Pforte fonnte Rettung bringen. 
„Wir werden aller Wahrjcheinlichkeit nach im Frühjahr mit Preußen und Polen 
den Krieg haben,” ſchrieb er an Leopold (3. Dezember), „Frankreich fann und 
will uns nicht helfen, Rußland ift gänzlich erichöpft, die Niederlande ftehen in 
Aufruhr, der Geilt der Empörung hat auch Ungarn und Galizien erfaßt, uns 
jelbft beginnen die Mittel zum Wideritand zu fehlen, — alles dies macht mid) 
zittern! Es bedarf eines Wunders, wenn wir heil aus diefen Gefahren hervor: 
gehen ſollen!“ ) Dazu fam noch die Furt, daß Rußland einen Separatfrieben 
eingehen und Laſt und Leid des Krieges auf Defterreich allein abladen möchte. 
Auf die Freundihaft der Zarin glaubte Joſeph bauen zu dürfen, aber er fürchtete 
Potemkin, deſſen Umtriebe im Hauptquartier des Großveziers die Verhandlungen 
nit wenig erjchwerten. Die Pforte war nicht abgeneigt, mit Rußland einen 
Separatfrieden zu jchließen, damit die ganze türkiſche Streitmacht zur Wieder: 
eroberung Belgrads aufgeboten werden fönnte. Um bieje Wendung abzuwehren, 
gingen die Öfterreihiichen Räte Stürmer und Wallenburg im Januar 1790 nad 
Schumla, wo bereits ein Gejandter Potemkins eingetroffen war; wenn nicht der 
Friede, follte doch menigftens ein zweijähriger Waffenſtillſtand erwirkt, vor 
allem aber ein Sonderfriede der Pforte mit Rußland verhindert werden. ?) Zur 
Unterftügung jeiner Wünſche wandte jih Joſeph auch unmittelbar an die Zarin 
(6. Januar 1790), „Mein Eörperlies Leiden, der ſchwere Schlag, den id) 
duch den Verluſt der Niederlande erlitten habe, der Angriff, der mir im 
fommenden Frühjahr von jeiten Preußens bevorfteht, alles dies erfüllt meine 
Seele mit Sorge und Bitterfeit. Em. Majeftät wiffen, wie heiß ih den mir 
anvertrauten Staat liebe, und werben aljo meinen Zuftand begreifen. ch 
wünſche lebhaft, daß der Friede mit der Pforte zu ftande komme; wenn es aber 
nicht gelingen, oder wenn ich bei dem Verſuch, eine rebelliihe Provinz wieder 
zu gewinnen, in Krieg mit Preußen und Polen verwidelt werben jollte, jo möge 
mir, wie bisher ih Eurer Majeftät zur Seite geftanden habe, nunmehr Ihre 
bülfreihe Hand geboten werben, damit mir mein väterliches Erbe, Ihnen ein 
verläffiger Bundesgenoſſe erhalten bleibe. Nur weil ich feit zwei Jahren als 
Ihr Verbündeter mit den Türken Krieg führe, bin ich in fo verzweifelte Lage 
geraten, aus der mich jegt nur Ihre Freundſchaft und Ihr guter Wille befreien 
fönnen.” Die Antwort Katharinas lautete beruhigend. „Ich made mir ein 
Vergnügen daraus, meine Schuld gegen Em. Majeität abzutragen; Ihre Zuver: 
ſicht ſoll Sie nicht betrogen haben, und ich bitte Sie, überzeugt zu fein, daß ich 
jedes bei der gegenwärtigen Lage zuläffige Mittel ergreifen werde, um Sie 
gegen den ungerechten Angriff eines neuen Feindes zu verteidigen.” °) Es war an 
ſich nicht wahrſcheinlich, daß Rußland feinem Bundesgenoffen in einem Krieg mit 
Preußen Hülfe verfagen würbe, aber vorerft war die Haltung Rußlands troß 
der glatten Worte der Zarin nichts weniger als bumdesfreundlih. In Peters: 


) Arneth, Joſeph IT. und Leopold IL, II, 293. 
2) Beer, Die orientalifche Politik Defterreihs, 130. 
2) Arneth, Joſeph II. und Katharina II., 346, 348. 


Preußens Bündnis mit Polen und der Pforte. 2235 


burg hüllte man ſich dem Grafen Cobenzl gegenüber in geheimnisvolles Schweigen; 
es war nicht zu ergründen, ob das ruſſiſche Kabinett ben Frieden wolle oder 
nicht, und auf welche Bedingungen es fich einlaffen werde. Seit ber Angriff 
Guftav III. zu Waſſer und zu Land zurüdgejhlagen worden war, beftand für 
das Zarenreich feine ernite Gefahr mehr, denn die Spitze des polniſch-preußiſchen 
Bündniffes, das im Dezember 1789 die Zuftimmung des polnischen Reichstages 
gefunden hatte, war gegen Defterreich, nicht gegen Rußland gerichtet. So fahte 
auch Joſeph die Lage auf; jein befter Feldherr follte den Preußen entgegen: 
geftellt werden, Laudon follte den Oberbefehl in Böhmen übernehmen, „weil 
diefes der Teil meines Staates ift, der am gefährlichiten bedroht und an deilen 
Erhaltung folglih aud der Monarchie am vorzüglihiten gelegen if” (6. Januar 
1790). Da es aber fait unmöglih ſchien, den Krieg nach zwei Seiten mit 
Erfolg zu führen, wurden die Bemühungen, mit der Pforte zum Frieden zu 
gelangen, fortgefekt. 

Dod die Vertreter des Kaifers fließen bei ihren Verhandlungen mit dem 
Großvezier und dem Reis:Effendi auf die nämliche orientalifhe Verſchmitztheit, 
die den preußiſchen Gejandten zur Verzweiflung bradte. Die Türken kargten 
niemals mit Verfiherungen ihrer Friedensliebe, aber wenn die Defterreicher 
über die Bedingungen ſprechen wollten, begann ber Großvezier Anekdoten aus 
jeinem Leben zu erzählen oder der Neit-Effendi fpradh über das alte Rom 
und das moderne Frankreich. Freilich ſuchten auch die faiferlihen Gejandten 
einen möglichſt großen Teil der Beute des legten Feldzugs für Defterreih zu 
retten und ließen deshalb, der Anftruftion des Staatsfanzlers entiprecdhend, bie 
nötige Klarheit und Bejtimmtheit vermifjen. Joſeph jelbft klagt darüber. „Nichts 
will uns gelingen,” jchreibt er an Leopold (28. Januar), „wir haben Pech auf 
allen Seiten, aber wir find teilweife jelbft jchuld daran! Ich kann durchaus 
nicht erreichen, daß Fürft Kaunik ſich offen ausſpricht. Wir hätten anfangs einige 
fehr vernünftige Gründe für den Frieden vorbringen können, nein! ich habe ihn 
nit dazu bringen fönnen, wir bleiben bei unjrer zmweideutigen Sprade und 
machen alle Welt dadurch mißtrauifh. Die Zeit vergeht, der König von Preußen 
wird wohl ſchon fein Bündnis mit der Pforte gefchloffen haben, es ſchwindet 
alle Hoffnung, dem Krieg auf zwei Seiten auszuweichen!“) In der That 
brachte Diez, wie er felbft gefteht, „durch ganz verzweifelte Mittel” und durch 
Nachgiebigkeit in wefentlihen Punkten die Unterhandlungen zum erwünfchten 
Biel: am 31. Januar 1790 wurde das Bündnis zwifchen Preußen und der 
Pforte unterzeichnet. Herkberg hätte gewünſcht, daß nur im allgemeinen 
preußifhe Vermittlung und Bürgfchaft hätten zugefihert werden follen; bie 
Zuftimmung des Diwans war aber nicht anders zu erreichen, als daß auf ein 
fürmlides Schuß: und Trugbündnis eingegangen wurde. Mit gemeinfamen 
Kräften jollte die Rüdgabe Galiziens von Defterreich erzwungen, dann follten 
Galizien an Polen, Thorn und Danzig an Preußen abgetreten werben. 

Nicht Hergberg, der die in Brüffel und Dfen, Warſchau und Konftantinopel 
angefnüpften Fäden nur zu einem funftvollen diplomatiſchen Gewebe benügen 


) Arneth, Joſeph II. und Leopold II., II, 313. 
Heigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Friedrichs d. Or, bis zur Auflöfung des beutfähen Reiche. 15 


226 Erftes Buch. Siebenter Abſchnitt. 


wollte und die Abtretung von Thorn und Danzig an Preußen durch überlegene 
Staatöfunft zu erwirfen hoffte, wohl aber Friedrich Wilhelm war entſchloſſen, 
zum Schwert zu greifen. Die europäifhe Lage war für Preußen ungemein 
günftig. Die Bündniffe mit England, Holland, Schweden und Polen, die Revo: 
lution in Franfreid, die mit dem Königsthron auch ben Vertrag von BVerjailles 
zertrümmert hatte, der Abfall der Niederlande, der für den Kaiſer den Ent: 
gang einer ftattlichen Heeresmadht und einer reihen Einnahmsquelle bedeutete, 
der Aufitand in Ungarn, die Gärung in den deutichen Erblanden, der Fortgang 
des Krieges mit der Türkei, — dieje Faktoren fiherten Preußen ein entſchiedenes 
Vebergewidht, wenn es ſich entſchließen wollte, den Streit mit dem Nebenbuhler 
mit den Waffen zum Austrag zu bringen. „Defterreih hatte ſich wider feine 
Sinterejjen an der Donau nur darum zum Genoſſen Rußlands gemacht, um jeine 
Stellung in Deutihland gegen Preußen zu ftärken; man zahlte Maß für Maß, 
wenn Preußen jegt ebenfo in die orientaliiche Frage eintrat, um bie deutſche 
Frage zu entjcheiden.” ) Dazu war Friedrich Wilhelm entihloffen. Als an 
Stelle von Diez, der fih durch feine Minierfünfte unmöglich gemadt hatte, 
Major v. Knobelsdorf nad Konitantinopel entjandt wurde, ſchärfte der König 
jelbjt dem neuen Gefandten ein, er möge im Diwan auf fofortige Eröffnung bes 
Feldzuges dringen; die Türken follten von Kroatien aus vordringen, der preußifche 
Major v. Goetze jollte ihre Operationen leiten. 

Mit fieberhafter Angft und Aufregung verfolgte Joſeph von feinem 
Kranfenbette aus die politifhen Vorgänge. Wie hätten Körper und Seele 
Heilung finden können, da er täglich aufs neue den Gifttranf düſterer Nachrichten 
jhlürfen mußte! Nicht bloß vereinzelten Entwürfen, feinem ganzen Syſtem 
drohte furchtbare Niederlage! Volksaufklärung war das Ziel und Streben 
feiner Regierung gewejen, das Himmelsliht der Vernunft jollte alle Bürger, 
Arm und Neih, Hoch und Niedrig, zur Geiltesfreiheit leiten, — jebt zeigten 
feine Gegner höhniſch auf die Flamme, die den Thron eines mächtigen Königs, 
des Gatten der Lieblingsichweiter des Kaifers, ergriff, und bewiefen, daß fie 
von bderjelben Leuchte Nahrung nehme! Die Revolution, die ſchon in Belgien 
den Bürger gegen die Krone in Waffen gerufen hatte, richtete in Frankreich 
noch furchtbarer ihr Dradenhaupt empor und drohte alles Beltehende zu zer: 
trümmern. 

Den Kaiſer überrajchten die Parifer Vorgänge nit. Er hatte die Gefahr, 
die hinter dem Glanz und Prunf des franzöfiijhen Hof: und Staatswejens 
lauerte, früher erfannt, als die Bedrohten. Darum die auffallende Strenge gegen 
feinen Liebling Marie Antoinette, barum die eindringlicden Mahnungen, fie möge 
nicht nur die Pflichten ihres Standes nit verlegen, jondern auch den böjen 
Schein meiden! Er jah über den bunt belebten Gärten von Marly und Trianon 
ben Gemwitterbimmel, er hatte während feines Aufenthalts in Frankreich Land 
und Leute gut ftudiert. 

Nun traf das alles ein, was er befürchtet, aber die Konjequenz war grau: 
jamer, als die ſchlimmſten Ahnungen. Joſeph erkannte, daß der in Paris ge: 


) M. Dunder, 10. 


Joſeph Il. und die frangöfiihe Revolution. 937 


führte Schlag nicht bloß den König, jondern das Königtum treffen müſſe. Dieje 
Demütigung empfand er nicht minder jchmerzlih, als das Mißgeſchick feiner 
Truppen am Niederrhein und feiner Diplomaten an ben europäiichen Höfen. 
Aus al den pridelnden Scherzworten über die „Defterreicherin” war ein Nek 
gefnüpft worden, das fich feit und immer feiter um das jchöne Haupt zufammen 
309. Im Juli 1789 zürnt der Kaifer nur über bie ber Schweiter und ihrem 
Gatten zugefügte Beleidigung. „Ich überlafje es Ihnen,” jchreibt er (30. Juli 
1789) an Yeopold, „ven Eindrud zu beurteilen, ven die abſcheuliche, ſchmachvolle 
Role, die man den König hat jpielen laſſen, auf mich gemacht hat; fie haben 
ihn wie einen Gefangenen nad Paris gefchleppt, ihn dort unterzeichnen laſſen, 
was nad ihrem Willen war, und ihn gezwungen, bie Kofarde, das Zeichen ber 
Empörer, an den Hut zu fteden. Man wird es jpäter nicht glauben wollen, 
daß ſolche Dinge ohne Schwertitreih, ohne bejondere Notwendigkeit ſich wirklich 
zugetragen haben!” !) Im Dftober ſchon fchreibt er: „Sch zittere für die 
Königin!” und im Dezember muß er zornig zugeftehen: „Der Pöbel von Paris 
ift heute der Zwingberr von ganz Frankreich!“ Er verfannte aber auch nicht, 
daß jeine Schweiter und ihr Gatte das Mißgeſchick teilweije ſelbſt verjchuldet 
hatten, und insbejondere war er ungehalten über das Treiben der königlichen 
Prinzen, die beim eriten Ton der Sturmgloden in Paris fich jelbit in Sicher: 
beit braditen, dann aber von fremden Höfen aus Del ins Feuer goflen und 
dur ihre Umtriebe die Lage des königlichen Dulderpaares inmitten des ge: 
reisten Volkes immer unerträglider machten. Als Graf d’Artois im Dftober 
1789 aus Turin an Joſeph einen fürmlihen Aufruf richtete, er möge feine 
Macht zur Bekämpfung der Revolution aufbieten, da es Feigheit wäre, dem 
Treiben in Paris noch länger unthätig zuzufhauen, lehnte Joſeph die Ein: 
miſchung barſch und bündig ab (30, Dftober 1789). „Ich bin ficherlich weder 
Demokrat, no Ariftofrat, von beiden habe ich, wie ich glaube, weber den Ruf 
noch das Behaben!” Er müſſe aber doch daran erinnern, daß Artois und die 
übrigen Prinzen eben aud nur Bürger ihres Staates jeien, nicht für ſich allein 
einen Staatsförper bildeten und nicht das Recht hätten, den vom König mit 
der Nation gefaßten Beichlüffen den Gehorfam zu verſagen; Artois und jeine 
Freunde möchten lieber mitwirken, um jener Sorte von Dppofition, die als 
ariftofratifche bezeichnet werben könne und, in fich jelber ſchwach, zu ſchlimmer Ein: 
wirfung aber gerade ftark genug jei, ein Ende zu machen; fie möchten, kurz gejagt, 
nad Frankreich zurüdfehren und fih mit allen andern zu gemeinfamer Arbeit 
für das Wohlergehen des Staates vereinigen. „Unterwerfen Sie fi der An: 
fit der großen Zahl, die ven Ausschlag gibt!” ?) 

„Der König mit der Nation!” Diejes Wort im Munde Jojephs II. 
verfündet die neue Zeit! Sogar dem ftolgen Selbitherricher drängte ſich die 
Meberzeugung auf, daß der Wille der Mehrheit einer Nation vom Leiter des 
Staates beachtet werden müſſe, — von dieſem Zugeftändnis zur Anerfennung 


') Arneth, Joſeph IL. und Leopold II., II, 264. 

) Arneth et Flammermont, Correspondance secr&te du Comte de Mercy-Argenteau 
avec l’empereur Joseph II et le Prince de Kaunitz, 275. — Joſeph II, in der Neuen Freien 
Breffe, Jahrg. 1890, Nr. 9157. 


298 Erftes Bud. Siebenter Abſchnitt. 


der Erfprießlichkeit einer thätigen Mitwirkung des Volfes an der Regierung war 
nur noh ein Schritt! Zugleih läßt Joſephs Brief an Artois erfennen, 
daß feine Auffaffung von Würde und Aufgabe eines Fürften mit dem Treiben 
der FFlitterhelden in Berjailles, die das Leben nur für eine artige Komödie und 
den Staat nur für einen Sädel zur Bezahlung ihrer Schulden anjahen, nichts 
gemein habe. Hatte doch Ludwig XVI. für Bruder Artois noch vor kurzem 
21 Millionen Schulden zahlen müflen! Der Prinz von Guimene, der Bufen- 
freund Monfeigneurs, hatte Bankerott mit einem Ausfall von 28 Millionen 
gemacht! Und dieje Pflichtvergeflenen ſprachen jet von Ehre und Vaterland! 

Auch in den Briefen an Mercy, den faiferlihen Botſchafter in Paris, 
äußerte Joſeph Bejorgnis, daß die verkehrte Politif der Emigranten dem 
Königspaar ein trauriges Geſchick bereiten werde. Mit Unreht made das 
franzöfifhe Volk die Königin für das Bündnis mit Defterreih verantwortlich; 
davon abgejehen, gerade diefe Verbindung babe den Franzoſen die erjprieß: 
lichſten Dienfte geleiftet. „Nur diejes Bündnis, das ich trog der Ungerechtigkeit, 
des Uebelwollens und ber Schwäche Franfreihs aufreht erhalte, ſichert heute 
der franzöfifhden Nation noch einige Achtung.” Troß feiner glänzenden Erfolge 
im legten Türkenkriege erftrebe er nichts anderes, als den Frieden, denn wenn 
ein allgemeiner Weltbrand drohe, müſſe jeder wachſam und gerüftet auf jeinem 
Poften ftehen. „Der Schwindel, der fait alle Nationen erfaßt bat, ift zu be— 
rüdend, und all das, was in Frankreich ftraflos geſchehen konnte, ift für die 
niedrigften Volksklaſſen ein zu verführeriiches Beilpiel, als daß nicht unter 
ſolchen Umſtänden jedermann den Frieden wünſchen müßte.“ 

Die Zertrümmerung des Lilienthrones, die düſtere Geftaltung der euro: 
päilhen Lage ließen ihn die Niederlage in Belgien um jo peinlicher empfinden. 
„Es ift für mich eine tödliche Bitternis,“ jchrieb er (3. Januar 1790) an Mercy, 
„angefichts der ganzen Welt entehrt, verhöhnt und von einer Handvoll Leute 
verjagt worben zu fein.” 

Bon allen Seiten zog fih ſchwarzes Gemwölf zufammen, nod war es ftill 
in den Lüften, aber es war die bange Stille der Erwartung! In kurzer 
Frift können türkiſche Heere im Oſten, preußiſche und polnifhe im Norden den 
Kampf eröffnen, der Feind fteht in engftem Bund mit der Volfsbewegung 
in Belgien, in Ungarn: blutige Kämpfe, wichtige Entſcheidungen jcheinen be— 
vorzuftehen! Ob der nädite Tag den Beginn der FFeindfeligfeiten bringen 
werde, dieſe frage quälte den kranken Kaiſer graujamer, als jein förperliches 
Leiden. Und jogar in den deutſchen Erblanden mwiderftrebten alle dem meiland 
Allbeliebten, Adel, Klerus, Boll, — da brad fein ftarfer Sinn! 

Wie einit Karl V., den verſchiedenen Gang ber Uhren betradtend, bie 
Folgerung zog, daß noch weit weniger der Menſchen Denken und Tradten unter 
ein Taktmaß zu bringen jei, jo verzweifelte auch Joſeph daran, die ungeheuren 
Schwierigkeiten, die fich jeinem Reformwerke entgegentürmten, zu bemältigen. 
Die ftolze Seele verftand fich zur Refignation, zum Widerruf! 

Namentlih zwei Entihliefungen aus Seinen legten Tagen geben bavon 
Zeugnis. Er wiberrief feine Anordnungen für Ungarn und genehmigte bie 
Wiederbelebung der alten Andahtsübungen und religiöfen Gebräude; er ver: 


Das Lebensende Joſephs II. 2929 


zihtete alfo auf Durchführung jener Aufgaben, die ihm zeitlebens als bie wid: 
tigften gegolten hatten: Zentralifierung jeiner Erblande und Reinigung des 
Glaubens und der Sitte feiner Völker. 

Als die Stimmungsberihte aus Ungarn immer bebrohlicher Tauteten, die 
Beihwerden immer heftiger, die Komitatsverfammlungen immer ftürmijcher 
wurden, forderte Joſeph von der Hoffanzlei ein Gutachten, wie das Vertrauen der 
aufgeregten Bevölferung wieder zu geminnen jei. Die Näte antworteten ein: 
mütig: nur weitreihende Nachgiebigkeit kann den Aufitand verhindern. Kaunitz 
beihwor den Kaifer, er möge den Wünſchen der Ungarn willfahren; Leopold 
wies darauf hin, daß längeres Zaubern ber Regierung nur eine Steigerung 
der nationalen Ansprüche zur Folge haben könne.) So willigte denn Joſeph 
ein, und am 28. Januar 1790 erſchien ein föniglihes Edikt, das alle Ein- 
rihtungen und Anordnungen des Kaiſers aufhob, mit Ausnahme des Toleranz: 
erlajjes, der Pfarrregulierung und der Beltimmungen über das Verhältnis 
zwiihen Grundherren und Unterthanen. „Da wir in Erfahrung gebracht haben, 
daß ihr der alten Form der Verwaltung ben Vorzug gebt und in ihr allein 
euer Glüd zu finden glaubt, fo ftehen wir feinen Augenblid an, aud darin 
euren Wünjchen nachzugeben.” „Ich wünſche von Herzen,“ jo ſchloß der Aufruf, 
„daß Ungarn an Glüdjeligkeit und Ordnung fo viel gewinne, als ih ihm durch 
meine Neuerungen verihaffen wollte.” ?) Zur Erklärung jeines Schrittes ſchrieb 
Joſeph an feinen Bruder: „Seht einen Reichstag einberufen, hieße alles in Ber: 
wirrung bringen! Nur einige Forderungen bemilligen, würde nicht genügen. 
So mußte ih mich denn auch entihließen, alle meine Verordnungen zurüdzu: 
nehmen und alle Dinge wieder in den Stand zu fegen, wie fie zu Zeiten meiner 
jeligen Mutter waren: damit ift alles weitere abgeſchnitten, die Wirkung frei: 
ih muß abgewartet werden!” Das wichtigfte Zugeftändnis war bie Zurüd: 
bringung der Stephansfrone nad Buda. Der unermeßliche Jubel, womit die 
Snfignien im Magyarenland aufgenommen wurden, bewies, welche Kraft bie 
nationale Bewegung in den legten Jahren gewonnen hatte; jogar Schlözer, der 
das Edikt vom 28. Januar 1790 als einen „wahren Triumph für das allge: 
meine Anti-Stuartihe Staatsrecht“ feiert, verjpottet die magyarifchen Ueber: 
treibungen. In Dfen wurde von alt und jung, hoch und niedrig auf den 
Straßen getanzt, wie jonft nur auf den Redouten; bei einem Feſtgelage im 
biſchöflichen Palaft blieb fogar ber Fafttag unbeachtet; die Krone wurde zu 
allgemeiner Befihtigung und Huldigung in der Schloßkapelle Tag und Nacht 
ausgeftellt, wie das hochwürdigſte Gut. „Selbft der Hinfende jprang vor 
Freude,“ erzählt Keresztefi, „und alle Welt rief: Es lebe die ungarifche 
Freiheit!” °) 

Als die Stephansfrone aus der Faiferliden Schatzkammer mit feierlihem 
Gepränge abgeholt wurbe, drang der braufende Jubel der Menge aud in das 
Gemad bes kranken Kaifers. Auf feine Frage wurde ihm berichtet, das vor 


‘) Arneth, Jojeph II. und Leopold I1., II, 318. — Ranke, Die deutſchen Mächte, II, 158. 
?) Schlöger, Staatsanzeigen, Jahrg. 1790, Bd. 14, 121, 173. 
®) Krones, 57. 


230 Erftes Bud. Siebenter Abſchnitt. 


der Hofburg verfammelte Volk juble, weil es die Hungersnot als Züchtigung 
Gottes wegen der Gefangenhaltung der ungarijhen Krone aufgefaßt habe und 
fih nunmehr ber frohen Hoffnung auf das Ende aller Not hingebe. „Nun jehe 
ih,“ ſoll Joſeph ausgerufen haben, „daß Gott all meine Werke zertrüm: 
mern will!” ') 

Die Briefe Joſephs an Leopold laſſen erfennen, welch furdtbare Seelen- 
fämpfe ihn in jenen Tagen peinigten. Natürlid wurde dadurch fein körper— 
liches Leiden verfchlimmert; häufiges Blutbreden und ftürmifches Herzklopfen 
verrieten, daß der Kranfe am Rande des Grabes wandle. Troßdem widmete 
er jeden fieberfreien Augenblid den Regierungsgeſchäften; die legten Kräfte 
ipannte er an, um zur Abwehr der von allen Seiten aufziehenden Gefahren 
die nötigen Mahnahmen zu treffen. Mit Ungebuld erwartete er den Fall Or: 
jowas; dann, jo hoffte er, würde die Pforte nicht länger den Frieden weigern, 
und Laudon könnte die ganze Streitmadht gegen Preußen und Polen aufbieten. 
Die Niederlande! Diejer Verluft bebrängte jein Gemüt am jchwerften. „Ihr 
Zand bat mich getötet,” jchrieb er an den Fürften von Ligne, „die Einnahme 
von Gent war mein Todesfampf, die Räumung von Brüfjel mein Tod. Welche 
Shmah! Daran jterbe ih; man müßte ja ein Kloß fein, würde man 
daran nicht zu Grunde gehen. ch danfe Ihnen für alles, was Sie für mid 
gethan haben; Laudon hat mir viel, viel Gutes von Ihnen erzählt. Gehen Sie 
in die Niederlande; machen Sie, daß das Land zu jeinem Fürſten zurüdfehrt; 
wenn Sie dies aber nit zu jtande bringen können, jo bleiben Sie dort, opfern 
Sie nicht zu meinen Gunften Ihren Vorteil auf, Sie haben ja Kinder!” Der 
Fürft bewahrte dem Kaifer die Treue auch über das Grab; er blieb, obwohl 
jein eigener Sohn unter die Fahnen van der Merſchs getreten war und Sailer 
Leopold dem Vertrauten jeines Bruders mit Kälte begegnete, in öſterreichiſchen 
Dienften. 

Joſeph verlangte von jeinem Leibarzt Guarin ein offenes Urteil über 
feine Krankheit; als ihm eröffnet wurde, daß ihm nur noch kurze Lebensfrift be— 
ſchieden jei, belohnte er den Freimut des Arztes mit einem reichen Geldgejchent 
und einem FFreiherrnpatent. Die Seelenruhe, womit Joſeph dem Tode entgegen: 
blidte, erregte aller Bewunderung. „Seine erftaunlihe Faſſung,“ ſchrieb der 
preußiſche Gejandte Jacobi, der an Joſeph immer zu mäkeln wußte, „überraicht 
ale Welt und läßt jagen, er wolle bis zu feinem legten Augenblid den ver: 
ftorbenen König von Preußen nachahmen!““) — „Der Didter hat unrecht,“ 
jagte Joſeph zu Graf NRofenberg, „wenn er jchreibt: Du tröne au cercueil le 
passage est terrible! Mir ift der Schritt nit ſchrecklich, ih bin ruhig, es 
kränkt mich nur, daß ich durch jo harte Lebensplage jo wenig Glüdlihe und jo 
viel Undanfbare gemacht habe!” Jedes Wort verriet Entſchloſſenheit und Ge- 
laſſenheit. Auch jest noch trug er nur einen Gebanfen in der Seele: ben 
Staat, 

Am 29. Januar berief er, da feine „fo äußerſt zerrütteten Gejundheits- 


) Gräffer, Joſephiniſche Euriofa, II, 66. 
?) Preuß. St. A. Berichte Jacobis aus Wien, 


Das Lebensende Joſephs II. >31 


umftände in den gegenwärtigen, wichtigen Angelegenheiten des Staates nicht 
mehr geftatten, den Gejchäften wie vormals zu obliegen”, eine Kommiffion, 
beftehend aus Konferenzrat Fürft Stahremberg, Feldmarjhall Graf Lacy und 
Obriftfämmerer Graf Roſenberg. Die Situngen jollten in ber Hofburg nahe 
dem Gemach des Kaijers ftattfinden, damit diefer jelbit, wenn es fein Zuftand 
erlaube, teilnehmen könne. Er beſchwor feinen Bruder Leopold, jo raſch als 
möglich nad Wien zu fommen (6. Februar). „Ich kann nur dann ruhig iterben, 
wenn ich den Staat in den Händen jeines Oberhauptes weiß!” Doch aud 
diejer Troft blieb ihm verjagt. „Ich wäre Ihrem Befehl entiprechend jogleich 
abgereift,“ ermwiberte Leopold, „wenn nicht die Erjchütterung über bie über: 
raſchende Wendung mir ein Unwohljein zugezogen hätte, das mich mehrere Tage 
ans Zimmer fefjelte; auch Habe ich natürlich für mich und meine zahlreiche 
Familie viele Anordnungen zu treffen.) In Wahrheit wollte ſich Leopold, wie 
er jeiner Schweiter Chriftine enthüllte, nicht als Mitregenten in die Staats: 
geſchäfte hineinziehen lajjen, damit „es nicht den Anjchein gewinne, als ob er 
den nämlihen Grundfägen huldige, wie jein Bruder”; auch fürdtete er, daß 
Joſeph fich wieder erholen und der Nachfolger in eine peinliche Lage bei Hofe 
fommen könnte. ?) 

In Wien zweifelte niemand mehr am nahen Ende, am menigften der Kaifer 
jelbit. Nach einem befonders heftigen Fieberanfall ließ er einen Priefter rufen und 
empfing andächtig die legte Wegzehrung. Dieſer Schritt wurde namentlich außer: 
halb Defterreichs als „Umkehr“, als Abfall vom Philofophentum aufgefaßt. „Wie 
mußte die Seele des gewaltig wollenden Joſephs zerwühlt worden fein,” jagt Georg 
Forfter in den Erinnerungen aus dem Jahr 1790, „welche zerfleifchenden Er: 
fahrungen mußten vorangehen, um ihm diejes Belenntnis der Unmacht: Herr, bein 
Wille geſchehe! dieſe Refignation feines Willens in das höhere Geſetz der Notwen— 
digkeit abzuringen!“ ?) Die Folgerung beruht auf falſchen Borausjegungen. Joſeph 
hatte bei aller Verehrung der Aufflärungsphilofophie immer an den Satungen 
jeiner Kirche feitgehalten und wiederholt, wie die Wienerifche Kirchenzeitung 
berichtete, „mit anderen Kindern Gottes vermengt”, das Abendmahl empfangen. 
Ale Welt verfah fih unter der Hand mit Trauergewändern, Schaufpiele und 
öffentlihe Beluftigungen wurden eingejtellt, öffentlihe Gebete in den Kirchen 
angeordnet, Kuriere ftanden bereit, die Todesnahricht den europäifchen Höfen 
zu überbringen. 

No ein legter Schlag, der ſchwerſte, traf den Kaiſer: fein einziger Lieb: 
ling wurde noch vor ihm von jähem Tode hinweggerafft. Elifabeth von Württem: 
berg, die Gattin des Erzherzogs Franz, die für Joſeph kindlich ſchwärmeriſche 
Zuneigung begte und ebenjo zärtlid von ihm geliebt wurde, fiel bei dem An: 
blid des Sterbenden in Ohnmacht, wurde von einer Frühgeburt überraſcht und 
ftarb unmittelbar nad der Entbindung. Als dem Kranfen die Trauernad): 
richt mitgeteilt wurde, flagte er, den Kopf auf die Arme ftügend: „Und ich 


) Arneth, Joſeph II. und Leopold II. 11, 317, 319. 
2) Wolf, II, 102. 
) G. Forfter, Erinnerungen aus dem Jahr 1790, 20. 


232 Erfted Bud. Siebenter Abſchnitt. 


lebe no und habe doch alles verloren! Alles auf der Welt ift mir mißglückt, 
jedes Glück habe ich jcheitern ſehen! Begrabet fie raſch, damit für meine Leiche 
Plaß werde!” Er hatte nicht mit Unrecht als hart und rüdjichtslos gegen feine 
Umgebung gegolten,; in den legten Tagen war er weich und mild und Fargte 
nicht mit Dank und Anerkennung. Bon Schweſter Chriftine, von Mercy, Lacy 
und andern Getreuen, aud von jeiner Armee nahm er berzlihen Abſchied. Den 
ganzen Tag über arbeitete er, angefleidet auf einem Lehnftuhl figend, mit feinen 
Sefretären. Por allem war ihm daran gelegen, das Werf, das er immer als 
Grunditein feiner Politik betrachtet, dem er jo ſchwere Opfer gebracht hatte, 
das Bündnis der Haiferhöfe, und dadurch feinem Nachfolger die Hülfe Rußlands 
im drohenden Krieg mit Preußen zu fihern. Als die Zarin ihm ein bündiges 
Veriprehen gegeben Hatte, dankte er ihr gerührt in einem eigenhändigen 
Schreiben (16. Februar). „In dem Augenblide, da ich dur meine Krankheit 
ganz gebeugt und gebrochen, den Tod erwarte, erhalte ih den Brief Eurer 
Majeftät. Die Wirkung desfelben ift unbeſchreiblich; fie gibt mir die Kraft, mit 
ſchwacher Hand noch diefe Zeilen zu jchreiben. Niemals wurde ein folder Brief 
geſchrieben; nur Eure Majeftät können das fühlen, wollen und thun, was Sie 
fagen. Ihre Worte find heilig; fie find ein Troft für mich in meinem trau: 
rigen Zuftand und ein Schuß und Schirm für meinen Bruder, für deſſen Ge: 
fühle und Gedanken ich gutitehe und den ich jtündlich erwarte... Ich werde 
alfo die Züge der Hand Eurer Majeftät, die mich fo glüdlich gemacht haben, 
nimmer wieder ſehen! Ich fühle die ganze Bitterfeit der Gewißheit, dab ich 
Sie zum legtenmal meiner innigen Freundſchaft und höchſten Ehrerbietung ver: 
fihern kann . . .1) Joſeph ließ den Brief an die Zarin dem Fürften Kaunig 
zur Begutachtung vorlegen. Kaunitz ſchrieb noh am nämlichen Tage: „Boll 
ber zärtlihen Anhänglichkeit, die Eurer Majeftät längft befannt ift, ſchmerzlich 
bewegt und tief ergriffen und zugleich erfüllt von höchſter Bewunderung, kann 
ih diefem Schreiben jowohl mit Rüdfiht auf den Inhalt als auf den Zeitpunkt 
der Abfaſſung nur Beifall zollen. Laſſen Sie gütigft den ältejten und er: 
gebenften Ihrer Diener ſich ausweinen . . .“ Darauf erwiderte Joſeph: „Mein 
lieber Freund: Ich bin von Ihren Worten gerührt, aber was kann ich thun, 
als mich dem Willen der Vorſehung unterwerfen? Seien Sie verſichert, 
daß ich das höchſte Vertrauen, das Sie vor allen andern verdienen, Ihnen nie— 
mals verſagt habe, und daß es mir beſonders ſchwer fällt, auf die Dienſte Ihres 
glänzenden Geiſtes verzichten zu müſſen. Ich umarme Sie und empfehle Ihnen 
in dieſen ſo gefahrvollen Zeiten mein heißgeliebtes Vaterland!“ 

sn der Naht vom 19. auf 20. Februar unterzeichnete er noch alle ihm 
vorgelegten Schriftitüde. Als ſich der Todesfampf einftellte, ſprach er mit fefter 
Stimme: „Das ift der Anfang des Todes!” Um 4 Uhr morgens verjdied er. 
Die Leiche wurde mit herkömmlichem Prunf in der Hofburg aufgebahrt; Taujende 
drängten fich in fchmerzlicher Ergriffenheit oder gedankfenlofer Neugierde an ben 
Sarg, um das marmorgewordene Antlig noch einmal zu fehen. Am 22. Februar 
wallte der Leihenzug zur Kapuzinerfiche, in deren Gruft Maria Therefia und 


’) Arneth, Jofeph 11. und Katharina IL, 349. 


Das Lebensende Joſephs II. 233 


viele habsburgiſche Kaifer die letzte Rubeftätte gefunden hatten. Nach dem üblichen 
Zeremoniell pochte einer von den Leuten des Kaiſers an das eiferne Thor ber 
Kirhe. Der Guardian fragte: „Wer begehrt Einlaß?“ Die Antwort lautete: 
„Weiland römifcher Kaifer Joſeph IL” Nachdem Frage und Antwort noch 
zweimal wiederholt waren, öffnete fi das Thor, und die Leiche wurde in ber 
Gruft beigefegt. — 

Sacobi, der Vertreter Preußens am Wiener Hofe, verliert, der Tod bes 
KRaifers habe nur ein allgemeines Aufatmen zur Folge gehabt. „Die Wiener 
Bevölkerung bezeugt gar fein Bedauern über feinen Verluſt. Man fritifiert 
alles, was Ihro Majeftät gethan hat, und zieht jogar den Abſchied, den er von 
feiner Armee genommen hat, ins Lächerlihe; er habe eben, jagt man, Komöbdie 
gejpielt bis zum legten Augenblid.” Die harten Worte Jacobis verdienen aber 
gewiß nicht unbedingten Glauben. Auch wenn wir nicht beftimmte Zeugniffe 
vom Gegenteil hätten, dürften wir ohne weiteres annehmen, daß Joſeph, deſſen 
Name wenigftens den Armen und Bebrüdten immer wie ein Evangelium ge: 
Hungen hatte, von vielen aufrichtig betrauert wurde. 

Wir können heute von der öffentlichen Meinung jener Tage nur durch 
Würdigung der in Zeitfehriften, Tagesblättern und Privatlorreipondenzen nieder: 
gelegten Urteile der Zeitgenofjen eine Vorftellung gewinnen; freilich wird auch durch 
baftige Sournaliftenmahe und jelbitgefälige Profefforenweisheit die „Wolfe: 
ftimme” nur bedingt und mangelhaft zum Ausdruck gebradt.‘) Da ftoßen wir 
auf ſchneidende Diſſonanzen! 

Von den großen Dichtern und Denkern des Zeitalters wurde die Kata— 
ſtrophe in Wien wenig beachtet. Klopſtock ſchwieg; er grollte noch über das 
Scheitern der Berufung nach Wien.“) Schiller, unſer nationalfter Dichter, 
gefiel ſich in ſeiner Jenenſer Periode noch in einem Weltbürgertum, das ihn 
die Entwickelung des eigenen Vaterlandes als etwas Gleichgültiges anſehen ließ. 
„Das vaterländiſche Intereſſe,“ jagt er in einem Briefe an Körner (13, Ok— 
tober 1789), „it nur für unreife Nationen wichtig, für die Jugend der Welt; 
es ift ein armjeliges, kleinliches Ideal, für eine Nation zu fchreiben, einem 
philoſophiſchen Geifte ift diefe Grenze durchaus unerträglih.”°) Bei folder 
Gefinnung ift es begreiflih, daß der Dichter auch einem jo bedeutenden Ber: 
treter römischen Kaifertums fein wärmeres Intereſſe ſchenkte. Goethe, ber in 
Joſeph immer mehr den eroberungsluftigen Genofjen der Zarin, als ben auf: 
geflärten Reformator erblidt hatte, flodht nad dem Tod bes Kaiſers in einem 
Brief an Karl Auguft nur die Bemerkung ein: „Die Römiſche Kaiferfrönung 
in Frankfurt werden wir num doch nicht verfäumen; das find Iuftige Ausfichten!” *) 
Dagegen wibmete Herber in den „Briefen zur Beförderung der Humanität” dem 
„Schätzer der Menichheit” einen warmen, mwürdevollen Nahruf. „Vor neun 


) Guglia, Der Thronwechſel von 1790 und die öffentliche Meinung in Deutfdland; 
Beil. zur Allg. Beit., Jahre. 1890, Nr. 64 ıc. 

2) Munder, F. ©. Klopftod, 421. 

) Janſſen, Schiller als Hiftorifer, 87. 

*) Briefwechfel des Großherzogs Karl Auguft mit Goethe, I, 161. 


234 Erftes Bud. Siebenter Abfchnitt. 


Jahren, da der Kaijer auf den Thron ftieg, warb er als ein Hülfsgott angebetet 
und von ihm das Größefte, Rühmlichſte, faft das Unmögliche erwartet; jetzt 
trägt man ihn als ein Sühnopfer der Zeit zu Grabe!” Keiner der römischen 
Raijer habe ein jo tragiiches Geſchick erfahren, wie Joſeph, der nicht bloß feine 
Abfihten nicht erreichte, fondern die ganze Mühe und Arbeit feines Lebens jelbft 
wieder ausftreihen mußte, — und doc habe feiner wahrhaft Großes jo feurig 
gewollt und eritrebt, wie Joſeph: „Nur das zu Viel war fein Verhängnis!” ') 

Bon Johannes Müller ftammt der Nefrolog im Journal von und für 
Deutichland, das als Organ des faiferlih und joſephiniſch gefinnten Ober: 
deutichlands von dem fuldaiſchen Domherrn und Hoffammerpräfidenten v. Bibra 
herausgegeben wurde. ?) Die Frage: War Joſeph II. wirklid ein großer Mann 
oder verzehrte ihn bloß der Wunſch, dafür angejehen zu werben? jei noch nicht 
endgültig zu beantworten. Wer nur darauf jehe, daß der Kaifer jeine eigenen 
Befehle und Geſetze häufig widerrufen mußte, daß er eine Fülle von Plänen 
ins Werk zu jegen juchte und unvollendet wieder aufgab, daß er immer nad 
Vergrößerung jeiner Hausmadht trachtete, daß er an heimlicher Angeberei Ge: 
fallen fand, daß er Verbreden gegen das Staatseigentum mit übertriebener 
Härte bejtrafte, daß der Geift einer rein bürgerliden Wirtſchaftlichkeit ſich allzu 
breit machte, müſſe verſucht fein, ihm wahre Größe abzufpreden. Dagegen 
werde jeber philojophiih Dentende, der Joſephs religiöfe Duldſamkeit, die Be: 
Ihränfung des Möndtums, die Verdienfte um die Aufflärung der Nation, die 
Verteidigung des Bürgerftandes gegen den Drud des Adels, die raftlofe Thätig: 
feit, Geduld und Mannhaftigkeit des Kaijers ins Auge falle, fein Bedenken 
hegen, ihn den größten Männern des Altertums an die Seite zu jtellen. Auch 
wer dem Negenten fein Lob jpenden wolle, müſſe doch vor feiner tragijchen 
Größe fi beugen. „Dies ift nicht der Gang des gewöhnlichen Mannes! Will 
man auch den Verluft Joſephs II. nit beklagen, jo wird jedoch jedes gefühl: 
volle Herz feinen Leiden eine Thräne weihen!“ 

Man fieht: wie Kaifer Joſeph, dur die Not gedrängt, fi zur Ent: 
ſagung durchfämpfte und der in feinen Staaten übermädtigen Stimmung Zu: 
geftändniffe machte, jo war auch mit dem Hiftorifer, wohl unter dem Einfluß 
des Kampfes mit Nom, in den fein Gebieter, der Kurfürft von Mainz, ver: 
flohten war, eine Wandlung vor fich gegangen: Während er no, wie oben 
dargelegt wurde, vor wenigen Jahren als Hüter der Bundeslade, als Anwalt 
der bedrängten Kirhe, dem NReligionsverähter Joſeph ſchroff entgegengetreten 
war, rühmt er jet das Reformwerk und ſpricht von der Belehrung mit ironiſchem 
Bedauern: „Mönche werden zulegt ihn zum Heiligen erheben, weil er jein Leben 
fromm endigte und den Erzbifhof von Wien um Vergebung bat!“ In einem 
Briefe an feinen Bruder (22. März 1790) fält Müller das an Herders Worte 
erinnernde Urteil: „Das Werk Joſephs wird allenthalben vernichtet; er hat 
nichts gethan, weil er zu viel und Alles auf einmal thun wollte!” °) 


') Herder, Briefe zur Beförderung der Gumanität, zweite Sammlung, 48. 

?) Journal von und für Deutichland, Jahrg. 1790, II. Stüd, 175. Bgl. 3. v. Müller, 
Gef. Werke, 38. Teil, 144. 

) J. Müller, Gef. Werte, 30. Bd., 263. 


Urteile der Zeitgenoffen über Joſeph II. 255 


Die fühle Stimmung der Fürftenbundsfreife fennzeichnet der in Wielands 
Teutihem Merkur dem „tödtlichen Hintritt” des Kaifers gewidmete Aufſatz.) 
Wieland ftellt darin als die zwei wichtigſten Creigniffe des Februar 1790 den 
Tod Joſephs II. und die Aufhebung der Möndsorden in Frankreich einander 
gegenüber und mißt dem Beſchluſſe der Nationalverfammlung höhere Bedeutung 
zu, denn „die Wahrheit zu jagen, bie Zeit ift jchon lange vorbey, da das Leben 
eines römischen Kayfers und in Germanien Königs von jo mohlthätigen Ein: 
flüffen auf das teutſche Reich jeyn konnte, daß der Tod besjelben, an fich felbit 
betrachtet, für eine die ganze Nation betreffende Calamität angejehen wurde und 
in dieſer Rüdjiht einen jehr lebhaften und allgemeinen Schmerz erregte. 
Germanien hat feit dem biedern, populären und ächt teutfchen Fayferlichen Ritter 
Marimilian I. feinen Kayfer mehr gehabt, den man in dem Sinne, worin Er 
ed war, einen teutfchen König und einen König der Teutſchen hätte nennen 
fönnen.” Jetzt fei die Verbindung der deutichen Stände mit dem Reichsober: 
haupt jo loder geworben, „daß die heutigen Stellvertreter der alten römischen 
Augufte als jolhe dem heiligen Reiche weder viel Gutes, noch viel Böfes thun 
könnten . . .“ Der jüngſt verftorbene Kaifer jei jedenfalls ein bedeutender Menſch 
gemwejen; es jei aber zweifelhaft, „ob die Nachwelt mehr den unerfhöpflichen 
und unermüdlichen Geift des Fürften, der jo viel Großes und Gutes dachte, 
wollte und anfing, bewundern oder über den Eigenfinn des böjen Genius mehr 
eritaunen joll, der allem, woran er die Hand legte, jo hartnädig und unerbittlich 
entgegenarbeitete.” Jedenfalls habe Joſeph „den Troft im Sterben gehabt, daß 
jein Tod gerade in den Zeitpunkt fallen mußte, wo er, aller billigen Hoffnung 
nad, mwohlthätig für die Welt werden kann.“ Schlözer, ein aufrichtiger Be- 
wunderer der modernen been Joſephs, aber ein Gegner „des Despotentums, 
welches fih über Vertrag und Ueberlieferung achtlos hinwegſetzte,“ widmete dem 
Verewigten nicht einen befonderen Nachruf, jondern gab nur dem Abdruck der 
Verordnungen, wodurd in Ungarn alles wieder in alten Stand gejett wurde, 
die Ueberſchrift: „Denkmal Joſephs.““) Dagegen wird der Kaifer in einem 
Organ, wo man e3 weniger vermuten follte, begeiftert gefeiert, im Hamburger 
politiihen Journal.) „Kämpfend im Reiche mit Heeren von Vorurteilen, mit 
dem Hafle des Eigennußes, dem Grolle des Stolzes, der Finfternis des Mönch— 
tums, der Verjährung des Feudalſyſtems, dem Zorne der Faulheit, dem Neide 
der Großen, den Waffen der Feinde, der Hinterlift der Freunde, mit der Un: 
danfbarkeit der glüdlicheren, mit ber Unzufriedenheit der unerleuchteten Unter: 
thanen, mit der Gewalt des Aufruhrs, mit dem Pabſte zu Rom, mit dem 
Sultan zu Konftantinopel, unbefiegt und unerkannt ging er nad neunjähriger 
Mühe hinweg, und fonnte, arbeitend für’s künftige Jahrhundert, von feinen 
Tagen den Lohn nicht haben.” Das Magazin von Meiners und Spittler 
bringt freundliche Anekdoten von Joſeph II., damit nicht, wie es „die Stim: 
mung bes größten Teils des einheimifchen und auswärtigen Publikums bejorgen 


') Teutfcher Merkur, Jahrg. 1790, I, 315. 
) Schlözer, Staatsanzeigen, Jahrg. 1790, Bd. 14, 111. 
Polit. Journ., Jahrg. 1790, I, 235, 241. 


236 Erſtes Bud. Siebenter Abſchnitt. 


laſſe,“ das Andenken eines Gerechten durch giftige federn und Zungen ent: 
weiht werbe. 

Die offiziellen und akademiſchen Trauerreden bieten wenig Bemerfene: 
wertes. Ein biographijcher Artikel in Schlitegrols Sammlung von Nefrologen 
feiert in ſchwungvoller Sprache die Verdienite des Monarden, von dem man, 
wie Sully von Heinrih IV., jagen fönne: „Die Zeit war das Einzige, was 
ihm zu feinen glorreihen Unternehmungen nod fehlte.“ Der Weg eigener Er: 
fahrung würde ihn fiher zum hohen Ziel geführt haben. „Pan denke fich ihn 
als einen fechzigjährigen Mann, mit fühlerem Blut, mit der Klugheit des Alters, 
mit den großen und theueren Erfahrungen jeiner früheren Jahre: würde er 
nicht vielleicht der beglücendfte und glüdlichfte Regent der Erde geworben jein?“ ?) 
Johann Georg Jacobi, der Bruder des Philojophen, nahm in einer zu Freiburg 
gehaltenen Trauerrede den Kaifer gegen jene Aufklärer in Schuß, die ihm nicht 
verzeihen wollen, daß er auf dem Sterbelager die Tröftungen ber Kirche ver: 
langte und empfing. ?) Der Olmützer Profefjor Reifinger will „ohne Zittern“ 
„die häufigen Klagen unterfuhen, die gegen Joſeph gemurrt und geplärrt 
werben”.?) Ein PBrofeffor der „ſchönen Wifjenjchaften” in Bonn, der bald 
darauf zu trauriger Berühmtheit gelangen ſollte, Eulogius Schneider, feierte den 
„Lühnften Reformer aller Zeiten” in einer ſchwulſtigen Trauerelegie: 


„Und gelangteft du zum Throne, 
Griffeft du dem Höllenfohne 
Fanatismus ins Geſicht: 

Ha, da ſpie das Ungeheuer 
Schwefeldampf und Gift und Feuer, 
Ganz beſiegteſt du es nicht!” *) 


Als legte, nicht ſchwächſte Zeitftimme über Joſeph jei der Nefrolog in 
Georg Forfters „Erinnerungen” angeführt.) Noch heute wird das Schlußwort 
gern citiert: „Aus der Fadel feines Genius ift ein Funke in Deiterreih ge: 
fallen, der nicht wieder erlischt.” 

Forfter hat das Nechte getroffen. Nicht als deutſcher Kaifer hat ſich 
der erite Lothringer Bewunderung und Liebe verdient. Er hat die Erwartungen 
deutiher Patrioten — e8 jei nur an die Ausfprühe von Karl Friedrich von 
Moſer und deſſen politiſchem Antipoden Creuz erinnert — nit erfüllt. 
Freilih wäre es ſchwer gewefen, dem zur hohlen Form gewordenen Kaijertum 
einen lebendigen Inhalt einzugießen, damals befonders ſchwer, da der gewal: 
tigfte Vertreter des deutſchen Partikularismus oder, wie er es nannte, „Der 
teutjchen Libertät“, noch lebte, Friedrich der Große. Zwar hatte Joſeph, wie 
dargelegt wurbe, nad) jeinem Regierungsantritt ſich bemüht, das fait eingeroftete 


) Schlichtegroll, Sammlung von Netrologen, Jahrg. 1790, I, 151. 

2) Angezeigt von J. ©. Schlofjer im Neuen Deutihen Mufeum, Jahrg. 1790, 1058. 

») Joſeph der Zweite, eine Vorlefung, gehalten am 10. April 1790 von F. Reifinger. 
4) Brunner, Myfterien der Aufllärung, 525. 

) G. Forfter, Erinnerungen aus dem Jahr 1790, 25. 


Urteile der Zeitgenofjen über Joſeph II, 237 


Räderwerk der Zentralgemwalt in lebhafteren Gang zu fegen, aber ber Verſuch 
war geicheitert, ebenjo infolge der ungebuldigen Ueberhaftung von feiten bes 
KRaifers, wie des Widerftands der auf ihre Souveränität pochenden Reichsſtände. 
Trogdem wäre es nicht unmöglich geweien, die Bedeutung bes römischen Kaijer: 
tums zu heben. Joſeph hätte feine wichtigfte Aufgabe darin erbliden müſſen, 
die nationalen Intereſſen aufzufpüren und zu fördern; er hätte dem beutjchen 
Volk zum Bemußtfein bringen müflen, daß es im Oberhaupt des Neichs ben 
natürliden Schugherrn der geiftigen und leiblihen Wohlfahrt der Nation zu 
erbliden habe, und daß eine feftere Verbindung der deutſchen Staaten nicht bloß 
Opfer heile, ſondern auch Worteile gewähre. Ohne Zmeifel hätten mande 
wirtihaftlihe Fragen eine Regelung nad) höheren nationalen Gefidhtspunften 
zugelaflen; es gebt 3. B. aus den im Journal von und für Deutichland perio- 
difch wiederkehrenden „Anfragen zu Deutſchlands Wohl” hervor, daß in ſolchen 
Dingen bereits ein zentripetales Bedürfnis empfunden wurde. Durch eifriges 
Bemühen, den deutſchen Handel im Norden wie im Süden zu heben, eine Bes 
ſchränkung der Binnenzölle innerhalb des Reichs herbeizuführen, dem deutſchen 
Gewerbfleiß neue Abfapquellen zu erjchließen, wäre auch die Bedeutung bes 
Raifertums gefteigert worden. Dagegen trachtete Joſeph nur das ınaterielle 
Wohl der habsburgifchen Erblande durch ftrenge Abſchließung vom Ausland, 
d. h. den deutſchen Staaten, zu fördern; der beutiche Standpunkt fam gar nicht 
in Betradht. Noch wichtiger wäre die Würdigung des geiltigen Elements ge: 
wejen. Gerade weil Friedrih II. den Aufſchwung in Litteratur und Wiſſenſchaft 
mißachtete, hätte Joſeph diejer Seite des deutſchen Kulturlebens erhöhte Beachtung 
widmen müflen. Doch auch dafür mangelte ihm das Verftändnis; ihm wog 
Lejfing nicht ſchwerer als Sonnenfels, Blumauer galt ihm jo viel oder jo wenig 
wie Wieland, Alringer war ein bequemerer Hofpoet als Klopftod. Auch die 
nationale Bewegung innerhalb der deutſchen Kirche, die der Nuntiaturftreit wach— 
gerufen hatte, wurde, wie erwähnt, in Wien nur als gleihgültige Sache auf: 
gefaßt. Vor allem hätte der Kailer, um das Vertrauen der Reichsbeutichen 
zu gewinnen, durchaus geredht und uneigennüßig fein Ehrenamt verwalten müflen. 
Doch das Verhalten in der bairishen wie in der polnischen Frage bewies, daß 
auch er, wie fo viele feiner Vorfahren, um einer Vergrößerung der Hausmadt 
willen bereit war, Macht vor Recht zu ftellen, und daß er den Vorteil jeines 
Haufes höher jchägte, als die in der Frankfurter Bartholomäuskirche beſchworene 
Reichsverfaffung. So nur fonnte es kommen, daß das Vertrauen der deutjchen 
Patrioten zum Träger der Stauferfrone erloſch und der ehebem gefürdtete Stören- 
fried im Norden als Schirmherr des Rechts und der von ihm geftiftete Fürften- 
bund als heilſame Schugwehr gegen imperialiftiichen Ehrgeiz angejehen wurden. 

Für Defterreich aber bedeutete das Walten des unermüdliden, erniten, 
nüchternen, echt deutjchen Regenten unſchätzbaren Gewinn. Der ſpaniſche Geift 
wurde von Joſeph ein für allemal aus der Wiener Hofburg verbannt; in den 
feit Jahrhunderten faft brachgelegenen Boden pflanzte er Keime, die teilweise 
erit ein Jahrhundert fpäter aufiproßten und zu frudtbringenden Aehren heran: 
reiiten. Allerdings war feine auswärtige Politit auch für Defterreich nicht 
vorteilhaft; es erwies fich als Fehler, daß er, um Preußen zu befämpfen, dem 


238 Erftes Buch. Siebenter Abſchnitt. 


Bündnis mit Rußland und der Rüdfiht auf Franfreih jedes Opfer bradte; 
das Ergebnis war, daß Joſeph jelbit am Abend feines Lebens die Lage feiner 
Staaten als eine verzweifelte betrachten mußte. Auch gegen die innere Politif 
muß der Vorwurf erhoben werben, daß er allzu baftig, ungeduldig, herriſch 
vorging — „il faut faire les grandes choses tout d’un coup,* jagt er felbft 
in feinem Regierungsprogramm von 1765) —, daß jeine Hohadtung vor dem 
Zeitgeift in Geringſchätzung des Herfommens, feine Drdnungsliebe in manchen 
Fällen in Schablonentum, jeine Strenge in Härte ausartete. Trogdem ift Joſephs 
Andenken mit Recht noch heute jedem Defterreiher teuer. Schon die unvergleidh: 
liche Pflichttreue, die recht eigentlih als Grundzug feines Wejens, als faculte 
maitresse in Taines Sinn, bezeichnet werden fann, erhebt ihn über die meiften 
Regenten der neuen Zeit. Der öfterreihiiche Bauer weiß, daß er Befreiung 
vom brüdenden Joch der Grundherren, Rehtsihug, mit einem Wort, eine 
menfchlichere Eriftenz dem Fürften zu danken bat, der jelbit den Pflug zur 
Hand nahm, um den Nähritand zu ehren. Der Bürger gedenkt dankbar des auf: 
geflärten Monarden, der lange vor dem Pere Duchesne Gleichheit aller vor 
dem Gefeß zum eriten Dogma der Staatsverwaltung erhob,?) des Menjchen- 
freundes, der feine Luftgärten dem Volke öffnete, jedem Bittiteller freien Zu: 
tritt gewährte, den Armen und Kranken, Blinden und Waiſen hülfreihe Hand 
bot. Der Schulmann verehrt in ihm den Neformator des Volksunterrichts, 
der Soldat den Drganijator der Armee; dem Deutſch-Oeſterreicher gilt er als 
der vornehmfte Träger der dee der Neichseinheit und des Deutſchtums; allen 
aber fam zu gute, daß er, das Wejen der Religion als Gottes: und Menjchen: 
liebe auffallend, die Unduldjamfeit und den Gemwiflenszwang der Ferdinandeiſchen 
Zeiten bejeitigte und einer freundlideren Auffaſſung des Menſchentums Bahn 
brad. Die Joſephiniſchen Ideen, die, von ungerechten und ungeididten Sad: 
waltern mißbraudt, von vielen Zeitgenofjen noch drüdend empfunden wurden, 
find, im Laufe der Zeit gemildert und geläutert, ein Segen ber Bölfer ge: 
worden. Mit der Begründung des tragiihen Ausgangs, der ihm jelbft die 
Klage entprefte: „Alle meine Pläne habe ich fcheitern ſehen!“ wird nicht die 
Bedeutung eines Schidjals erfhöpft. „Oft ift der Wille,” fagt Herder mit 
Beziehung auf Joſeph II., „größer als die That, das Unternehmen edler, als 
die Ausführung.” 


) Arneth, Maria Therefia und Joſeph II., ihre Korrefpondenz, III, 360. 

®) „Pauyres ou riches, tous hommes sont egaux en droits* (Lettre Du Püöre Duchesne 
aux ouvriers, 4). Der gleiche Grundjag wird als Fundament der allgemeinen Gerichtsordnung 
von 1787 verfündigt (Luſtkandl, Die Zofephiniihen Ideen und ihr Erfolg, III, 50). 


Achter Abfchnitt. 


Tevpold in Toskana. 
Pie Hebernahme der Regierung in den üfterreichifchen 
Erblanden. Annäherung an Preußen. Porbereitungen 
zur Railerwahl. Der Reichenbacher Derfrag. 


Bruders. Die Friedensverhandlungen mit der Pforte waren erfolglos 

geblieben; Preußen hatte fih mit der Pforte verbündet, und es war 
faum nod zweifelhaft, daß im fommenben Frühjahr das fieggewohnte preußifche 
Heer die ſchleſiſche Grenze überfchreiten werde. England und Holland ſtanden 
auf Seite Preußens, wenn auch bie Feitigfeit des Dreibundes in Zweifel ge- 
zogen werben fonnte. Die Niederlande, die einträglihite Provinz Deiterreichs, 
waren für das Erzhaus vorerit verloren; in Ungarn fonnte jeder Tag den 
offenen Aufitand bringen; auch in den übrigen Kronländern war die Stimmung 
erregt, faft feindſelig. 

AU dieſer mwiderftrebenden Elemente Herr zu werden, war feine leichte 
Aufgabe, aber Leopold löfte fie, nicht mit des Schwertes Schneide, nicht durch 
fieghafte ftaatsmännifche Ueberlegenheit, jondern durch Vorſicht und Wachſam— 
feit, Mäßigung und Nachgiebigkeit, wobei ihn offenbar das Vertrauen leitete, 
daß die Zukunft zurüderftatten könne, was der Mißgunſt des Augenblids ge- 
opfert werde. 

Man hat aus der Thatſache, daß namentlich in der inneren Politif Leo— 
polds ſchroffe Widerjprüche hervortreten, die Folgerung gezogen, daß er nicht 
umjonft folange in ber Vaterftadt Mackhiavells gelebt, daß er dem Negenten: 
ideal des Principe nachgeeifert habe. Ernft Hartmann und andre mögen in 
diefen Anflagen zu weit gegangen fein, aber es läßt ſich nicht beitreiten, daß 
Leopold in vorgerüdtem Lebensalter einer gewiſſen nüchternen Klugheit vor den 
früher fo ftark betonten philoſophiſchen Grundſätzen den Vorzug einräumte, daß 
er jogar welſche Lift nicht verſchmähte, wenn er dadurch einen Feind entwaffnen, 


J drangvoller Zeit übernahm Leopold von Toskana das Erbe ſeines 


240 Erfteö Bud. Achter Abſchnitt. 


eine Gefahr abwenden fonnte. Ohne Zweifel war Leopolds Befonnenheit für 
den Staat in mander Beziehung vorteilhafter, als Joſephs ftürmifches Vor: 
wärtsdrängen: trogdem wird fi unſre Neigung lieber dem immer geraden, 
bei allem Ehrgeiz jelbftlojen, bei aller Gemwaltthätigfeit liebenswürdigen Joſeph 
zuwenden. 

Kein Zweifel, die Verwaltung Toskanas unter Großherzog Leopold war 
im allgemeinen gut und erjprießlih, aber was zur Erklärung der weniger glüd: 
lihen Erfolge des Kaifers und Königs Zeopolds angeführt wird, dient auch zur 
Rechtfertigung des Vorgängers. „Freilich ift Toskana,” jagt Erome, „ein großer, 
aus verjchiebenen Provinzen zujammengejegter Staat, bewohnt von heterogenen 
Nationen, freilih ift das friedliche Hetrurien feine Monardie, welche Erobe: 
rungen zu machen oder das gepriefene Gleichgewicht von Europa aufrecht zu 
erhalten ftrebte und deswegen jein inneres Intereſſe dem äußeren je aufopfern 
mußte.) Auch Wedherlin nimmt diefe Entichuldigung für Joſeph in Ans 
ſpruch; die beiden Brüder, jagt er, jeien Nerzten vergleichbar, deren einer mit 
Brehmitteln, Zugpflaftern ꝛc. zu heilen ſuchte, — dies griff die Kranken fo ftarf 
an, daß ihnen die Arznei verleidet wurde, — während der andre Opiate, Tijanen, 
Fünftelfäfte und dergleichen bot, — dies nahmen die Patienten gern, weil es 
angenehm roh. „Sener fand aber verhärtete Körper vor, diejer vorbereitete: 
hätte Joſeph II. fein eigener Nachfolger fein fünnen, fo würde er ohne Zweifel 
Leopolds Theorie ergriffen haben.” *) 

Durch Gejeg vom 14. Juli 1763 hatte Kaifer Franz I. verfügt, daß das 
Großherzogtum Toskana, das er einft gegen fein Stammland Lothringen hatte 
eintaufchen müflen, niemals unmittelbar unter dem Beherricher der öſterreichi— 
ihen Erblande ftehen, jondern dem jemweiligen zweiten Sohne zufallen jolte. 
Demgemäß wurde nad Franz’ I. Ableben der zweite Sohn Leopold Großherzog 
von Toskana; am 13. September 1765 hielt der Acdhtzehnjährige Einzug in 
‚Florenz. 

Der äußeren Erſcheinung Leopolds — er war von fjchmächtiger, un— 
ſcheinbarer Geftalt, hatte Eleine Augen, aufgeworfene Lippen, bünnes Haupt: 
haar, — fehlte jeglicher Reiz. Auch jeiner Rede mangelte, was die Geilter 
fejlelt oder die Herzen gewinnt, Er beſaß weber bie liebenswürbigen Um: 
gangsformen, noch den jchneidigen Wit feines Bruders; dagegen war er ihm 
an Bildung und Kenntniffen unzweifelhaft überlegen. Schon in früher Jugend 
bieß er jeiner Zernbegierde und feines Fleißes halber im Familienfreife „der 
Doftor”.?) Der Spigname fcheint fi erhalten zu haben; wie Biſchof Ricci 
erzählt, pflegte König Ferdinand von Neapel, der häufig in Florenz als 


!) Die Staatöverwaltung von Tosfana unter der Regierung Sr. Königl. Maj. Leopolds II, 
aus dem Stalienifchen überf. von Erome (1795), 2. 

?) Wedherlin, Paragraphen, II, 94. — Roſcher, Geſch. der Nationalölonomil in Deutfch: 
land, 1, 684: „In einem jo völlig ausentwidelten Lande wie Toslana, das feit Jahrhunderten 
bloß zwiſchen Demokratie und Cäſarismus gewechfelt hatte, waren viele Dinge natürlih, für 
die es in Defterreih mit feinen vielen halbmittelalterlihen Provinzen noch an jeder Unterlage 
fehlte.” 

) Fiſcher, Leopold II., eine philofophifhe Rhapſodie, 14. 


Leopold in Toskana, 941 


Gaft verweilte, feinen Wirt ala „Dottore* anzureden. !) MWecdherlin, der Leopold 
auf feiner Krönungareife in einem fränfifhen Städtchen ſah, hebt als charak— 
teriftifhen Zug hervor, daß der König, jobald der „betäubende und kleinſtädtiſche 
Lärm des Empfanges” verrauſcht war, unverzüglid) nach einem Buche griff und auf: 
merkſam zu lefen begann.?) Schlözer, der 1782 Florenz bejuchte, ſchildert eine 
anmutige häusliche Scene aus dem Palazzo Pitti, wo der Großherzog in prunf: 
vollen Räumen wie ein ſchlichter Bürger lebte. Der Fürft führte den Profeſſor 
in die Gemäder der Großherzogin; hier jaß Marie Luife, an einem Strumpfe 
ftridend, im Kreiſe ihrer Kinder; im Geſpräch mit dem deutſchen Gelehrten 
Ihalt fie auf die vornehmen talienerinnen, die fi der Arbeit jhämten, und 
fie und ihr Gatte ruhten nicht, bis Schlözer alle Schreib: und Rechnungshefte 
der Prinzen durchgeſehen hatte. °) 

Die erften Regierungshandlungen Leopolds zogen die Aufmerkſamkeit der 
ganzen abendländiſchen Welt auf fih. Herder weiſt in feinem Nachruf an 
Joſeph II. darauf hin, daß der ob jeiner Reformen vielgepriefene und vielverläfterte 
Kaiſer diejelben zum großen Teile von jeinem jüngeren Bruder „gelernt und 
geborgt” habe. *) Dies ift infofern richtig, als Joſeph bis zum Tode der Mutter 
nur in militärifschen Dingen feine eigenen Ideen durchführen konnte, während 
Leopold menigftens ſeit 1770 als jelbftändiger Souverän Grundfäße der Auf: 
Härung praktiſch bethätigen fonnte. Auch Leopold entwidelte darin lebhaften 
Eifer, war aber glüdlicherweije frei von jener Ungebuld, die den Bruder, wie 
König Friedrih fagte, häufig den zweiten Schritt thun ließ, ehe er den erſten 
recht gemacht hatte. „Joſeph befahl das Gute,” jagt Erzbiichof Pradt, „und 
zwang die Menihen, es zu nehmen; Leopold ließ ihnen Zeit, das Gute 
jelbjt zu wollen.” °) Wenigitens wurde den Reformen mehr Zeit zur Reife ge: 
lafjen, als in Defterreih; deshalb fahte in Tosfana mandes feite Wurzel, was 
dort wieder vertrodnete und zu Grunde ging. 

Die erite Sorge galt den zerrütteten Finanzen des Staates. Im Jahre 1790, 
fur; vor feiner Ueberjiedelung nah Wien, ließ Leopold — offenbar nad) dem 
Vorbild des Nederfhen Compte rendu von 1781 — burd feinen Minifter 
Francesco Gianni einen Rechenſchaftsbericht über die Staatsverwaltung der legten 
fünfundzwanzig Jahre ausarbeiten und der Deffentlichfeit übergeben, „damit das 
Volk fich jelbft überzeuge, ob die Staatsgelder gewilfenhafte und wirtichaftliche 
Verwendung gefunden hätten.” °) In Zufammenhang mit der FFinanzreform 
ftand die neue Ordnung der Gemeindeverfaflung; den Gemeinden wurde Selbit: 
wahl ihrer Obrigfeiten, der Gonfalonieri, Prioren und Generalräte, eingeräumt; 
die Bermittelung zwiigen Kommune und Regierung oblag den Gemeinde: 


!) Votter, Das Leben und die Memoiren des Scipio von Nicci, Biihof von Piſtoja 
und ®rato, 11, 162. 

?) Medherlin, Baragraphen, I, 38. 

2) Schlögerö Biographie, 1, 323. 

4) Herber, Ideen zur Beförderung ber Humanität, 49. 

>) Pradt, Ueber Belgien (aus dem Franzöſiſchen), 73. 

) Governo della Toscana sotto il regno di $. M. il re Leopoldo II (1790). Ins 
Deutjde übertragen von Erome (ſ. ©. 240). 

Heigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Friedrichs d. Gr. bit zur Auftdfung des deulſchen Reichs, 16 


242 Erftes Bud. Achter Abſchnitt. 


kanzlern.) Die beabfitigte Einführung eines allgemeinen bürgerlichen Geſetz— 
buches für ganz Toskana jcheiterte an verſchiedenen Schwierigkeiten, dagegen 
war epochemachend die Reform der Strafgejeßgebung, wobei Beccarias Schrift: 
„Ueber Vergehen und Strafe” zu Grunde gelegt war, — ein Beifpiel, das bei 
allen Völkern Europas Nahahmung fand. Die Folter, die Tobesitrafe, Die 
Gütereinziehung wurden abgeſchafft; eriter Grundjag war: die Rechtspflege darf 
niemals aufhören, menjchlic zu jein, und neben bem ftrengen Recht muß auch 
der natürlichen Billigfeit Rechnung getragen werden. 

Auch uneingeſchränkte Preßfreiheit wurde als Grundſatz aufgeftellt; das 
oben erwähnte offizielle Werk citiert einen Ausiprud Leopolds: „rn meinem 
Staat darf alles öffentlich gejagt werden!" Doch ftimmten Theorie und Praris 
nicht immer überein. In unerfreulihem Widerſpruch mit den freifinnigen Re— 
formen jtand die Thatſache, daß die Geheimpolizei zu den wichtigiten Faktoren der 
tosfanifhen Negierung und der Polizeiminifter Chelotti zu den einflußreichiten 
Männern bei Hofe zählte. Die auffällige Ericheinung erklärt fih aus dem ver: 
ſchloſſenen, argwöhniſchen Weſen Leopolds, worüber fich Joſeph oft beklagte. 
„Mein Bruder ift ſehr mißtrauiſch,“ jchrieb Joſeph ſchon 1769 an die Mutter, 
„und jucht alle feine Handlungen zu verbergen und in ein gewiſſes Geheimnis 
zu büllen. Ich glaube ihn richtig erfannt zu haben und kann Em. Majeftät 
verfihern, nichts in ihm gefunden zu haben, als eine trefflihe Grundlage, aus: 
gebreitete Kenntniſſe, unglaubliche Arbeitjamkeit, aber in der Wahl der Mittel und 
der Perfonen hat er nidht immer Glüd, und das verbüftert ihn und macht ihn 
häufig mißtrauifh.” ?) „Du mit deinen glüdlihen Anlagen und Kenntniffen,” 
mahnte er den Bruder jelbit, „iollteit doch lieber in Gejellichaft verkehren und 
nicht jelbftquäleriich di in dein Kabinet begraben oder einfam umberwandeln.“ 
Freilih glaubte Leopold gerade durch den Bruder zu folder Vorficht genötigt 
zu jein. „Ich bin,” fchreibt er an Schmweiter Ehriftine (25. Januar 1790), „von 
Zeuten bes Kaijers jo umzingelt und ausfpioniert, daß ich mich nicht zu rühren 
wage, aus Furdt, mir Unannehmlichfeiten zuzuziehen.““) Nun war zwar Kaifer 
Joſeph in der That nicht frei von Eiferfucht auf den Thronfolger und mochte 
wohl Vorkehrungen getroffen haben, um über die Vorgänge im Palazzo Pitti 
unterrichtet zu werden, aber es war gewiß nur franfhafte ANengitlichkeit, wenn 
Leopold die gleihgültigften Briefe an die Geihwifter, in denen fein Wort ben 
Itrengiten Richter zu ſcheuen hatte, nur durch geheime Boten überbringen ließ 
und alle einigermaßen wichtigeren Mitteilungen mit Zitronenfäure fchrieb. *) In 
Becattinis „Vita privata di Leopoldo* wird höhnifh darauf hingewieſen, daß 
der Großherzog die Inquiſitionsgerichte zwar für geiltlihe Dinge aufgehoben, 
für weltlide aber eingeführt und die geheime Angeberei förmlich in ein Systema 
Leopoldinum gebracht habe. Freilich werden die Angaben dieſer Schrift durch 
ihre gehäffige Tendenz entwertet, aber aud weniger verbädtige Zeugen be: 
Hagen die Vorliebe Leopolds für Shirren und Spione. 


I) A. Reumont, Geſchichte Toskanas unter dem Haufe Lothringen-Habsburg, II, 79. 
2) A. Wolf, Leopold II. und Marie Chriftine, ihr Briefmechiel, 81. 

’) Arneth, Maria Therefia und Joſeph IL, I, 276. 

4) Wolf, 77. 


Leopold in Toslana. 243 


In feinen volfswirtichaftlihen Anfhauungen nahm Leopold, der mit feinem 
Bruder Joſeph in den Staatswiſſenſchaften von Karl Freiherrn von Martini 
unterrichtet worden war !), im ganzen und großen den phyſiokratiſchen Stand: 
punft ein. Wie Karl Friedrich von Baden unterhielt er regen Verkehr mit 
dem älteren Mirabeau und ſuchte die im ami des hommes niebergelegten 
Grundfäge in die Praris einzuführen. Die in Toskana jeit langem endemijche 
Teuerung führte bier, nod ehe Adam Smiths Lehre ihre mächtige Wirkung 
auf öffentlihe Meinung und Gejeßgebung der zivilifierten Welt auszuüben 
begann, zur Freigebung des Getreide: und Viehhandels. Nah der Anficht 
des Minifters Pompejo Neri wäre nur dieſem Syftem zu verbanfen geweſen, 
daß Toskana fih langjam wieder in den „Garten Italiens“ ummanbdelte. ?) 
Zu Ehren des Freihandels wurde eine eigene Medaille geprägt, auf welcher 
die „Göttin des Weberflufjes” die Fadel ſchwingt, um die alten und veralteten 
Gejege zu verbrennen. *) Auch mit Monopolen, Zunftzwang und andern mittel: 
alterlichen Ueberreſten wurde aufgeräumt, aber im Widerſpruch mit den phyfio- 
fratiihen Forderungen ftüßte fih das Finanzweſen größtenteils auf Zölle und 
Acciſen. An den beitehenden Agrarrehten wurde nichts geändert; die in Tos— 
fana ſeit undenklichen Zeiten durchgeführte Mezzeria oder Halbwinnerihaft war 
für den Landmann günftiger als alle andern in Stalien zur Herrihaft ge: 
fommenen Syiteme. Für Verbeſſerung der Adergründe, für öffentlihe Bauten, 
insbefondere Damm: und Straßenanlagen, wurden großartige Mittel — in fünf: 
undzwanzig Sahren 9782846 Liores!) — aufgewendet, die Kultivierung des 
Chianathals und der Maremmen erregte Auffehen in gang Europa. Im Unter: 
richtsweſen wurden glüdlihe Berbeflerungen eingeführt; es murben dafür 
1010623 Livres verausgabt, aljo — nad Eromes PVerfiherung — „eine ver: 
bältnismäßig größere Summe, als irgend ein Staat für Kulturzwede ver: 
wendete”. 

Ganz „joſephiniſch“ waren die Firdenpolitiihen Ideen Leopolds. Beide 
Brüder verfolgten die nämlihen Ziele, wenn auch auf verichiedenen Wegen. 
Während Joſeph auch bier nad) Soldatenart ohne Verzug und ohne Zugeſtänd— 
nifje Unterwerfung unter jeinen Willen forderte, hielt Leopold für angemefjener, 
fih der Zuftimmung, womöglid auch der Mitwirkung der maßgebenden Kreiſe, 
insbejondere der Bilchöfe, zu verfihern; jener ordnete Neuerungen an, ohne erft 
darauf vorzubereiten, dieſer ließ eine klug berechnete Belehrung vorausgehen. 
So war feine vierundzwanzigjährige Wirkſamkeit „ein ununterbrocdhenes ort: 
ſchreiten zu einem Ziel, welches nur er und diejenigen wahrnehmen fonnten, die 
für geräufchlofe Thaten einen Sinn hatten.” °) Nur in Bezug auf Beſchränkung 
des Einfluffes der Kurie ſchien ihm Joſeph, wie wir oben ſahen, nicht einmal 


) Ho:Bidermann, Der öfterreih. Staatsrat von 1760 bis 1848, 107. 

2) Hillebrand, Ein fürftlicher Reformer des achtzehnten Jahrhunderts, in Zeiten, Bölter, 
Menſchen, IV, 247. 

2) Wolf und Zwiedined:Südenhorit, Defterreih unter Maria Therefia, Joſeph II. und 
Leopold II., 322, 

*) Erome, II, 21. 

IB. P. Wolf, Geſch. der röm.:tath. Kirde unter der Regierung Pius VI, 2. 


244 Erſtes Bud. Achter Abſchnitt. 


raſch und entjchieden genug vorzugehen; Bejreiung vom „eigennüßigen und des: 
potiichen Joch des römischen Hofes“ ift Das ceterum censeo, das in den Briefen 
Leopolds immer wiederkehrt. Geiftlihen und firhlihen Fragen wurde aud aus 
doftrinärem Intereſſe befondere Aufmerfiamkeit gewidmet. Leopolds Ratgeber, der 
aufgeflärte, intelligente, aber reizbare und unvorjichtige Scipione Ricci, Bifchof von 
Piftoja, verfihert, der Großherzog habe fih einer gründlicheren theologiſchen 
Bildung erfreut, als viele Prälaten; das Rundichreiben 3. B., woburd die tos— 
kaniſchen Biſchöfe zu gutachtliher Neuerung über verjchiedene firhlihe Fragen 
aufgefordert wurben, habe er, an den Ecelesiastique citoyen ſich anlehnend, 
jelbit entworfen. Auch Leopold war, wie fein Bruder, aufrichtig religiös; ſogar 
der auf furialiftiihem Standpunkt ftehende Biſchof Franzefi von Montepulciano 
erfannte dies an; „nur um des Vorteils der Religion und der Kirche willen“ wur: 
den firchenpolitiihe Neformen durchgeführt, an denen aber Cantu beflagenswert 
findet, daß es „mehr die Reformen eines Janfeniften, als eines Philofophen.“ ') 
Um der Weberfüllung des tosfaniichen Landes mit Prieitern und Mönden ab» 
zubelfen und ärgerlihen Vorfommniffen, wie fie gerade damals in Nonnenklöftern 
aufgebedt worden waren, vorzubeugen, wurben mehrere Klöfter aufgehoben, bie 
übrigen unter firengere Zucht geftelt. Die geiftlihen Seminare erhielten eine 
ähnliche Reorganifation, wie das belgische Generalfeminar; die Inquifition wurde 
einfah „aus höchſter und abfoluter Iandesherrlicer Autorität” aufgehoben, dem 
Mißbrauch mit Ablaßbriefen, Wunderbildern, Walfahrten x. nad) Kräften 
geſteuert. In vielen Fragen ging Zeopold feinem Ratgeber Ricci noch bei weitem 
nit fireng und offen genug vor; für die Neform der biichöflihen Gerichte 
3. B., dieſes „unvollftändige und unverftändige Werk”, lehnt Ricci jede Ber: 
antwortung ab; Zeopold, jo klagt er, jei in ſolchen Dingen von einer „Nachficht 
gewejen, die an Schwäche grenze.” ?) Trotzdem erregten dieje kirchenpolizei— 
lihen Mafregeln, insbejondere das radikale Vorgehen gegen die weitverzweigten 
und mit der biftoriihen Entwidelung des Landes zufammenhängenden Bruder: 
haften, im Klerus und in der kirchlich gefinnten Bevölkerung Mißftimmung. 
„Der Großherzog ſcheint nicht zu ahnen,” jchrieb der englifhe Gefandte Horace 
Mann, „daß die geiftlihen Waffen eines Tages für ihn zu mächtig fein werden.“ 
Leopold glaubte fih dadurch zu deden, daß er 1786 die Berufung einer Synode 
zu Piftoja veranlaßte. In der That wurde von den Teilnehmern nicht bloß das 
firhenpolitiihe Syitem der Regierung gebilligt, jondern noch weit heftiger als 
auf dem Emjer Kongreß gegen die römifchen Uebergriffe Stellung genommen. 
Doch die Mehrheit der Bevölkerung jah darin ein verwerfliches Sturmlaufen 
gegen die Religion; in Prato fam es jogar aus Anlaß einer angeblichen Pro: 
fanierung von Reliquien zu erniten Unruhen. 

Solche Erfahrungen im eigenen Lande, insbejondere aber die Wahr: 
nehmung, daß die rückſichtsloſen Aufflärungsverjuche Joſephs den Verluft Belgiens 
nach ſich zogen, flößten dem Fürſten, der jonit für das Lob der Logen fo em: 
pfänglich geweſen war, Bedenken ein; er jagte ſich förmlich [os von ber Ideen— 


) Cantü, Storia di cento anni, ], 464. 
®) Potter, II, 122, 160 ff. 


Leopold in Toskana. 245 


gemeinjchaft mit Joſeph und beffagte deſſen Schroffheit und Starrfinn. Belgien 
zu beihwidhtigen, meinte er, jei wichtiger, als ji mit dem Türken herum: 
zuſchlagen, und um den Berluft einer fo einträglihen Provinz abzuwenden, 
fünne man in Nahjiht und Zugeftändniflen gar nicht zu weit gehen. Da er 
mußte, daß feine Schweiter Ehrijtine noch immer mit einflußreihen Notabeln 
der Niederlande in Verbindung ftehe, machte er fie zur Vertrauten eines Glaubens: 
befenntnifies, das mit der Neformthätigkeit in Tosfana jchwer in Einklang zu 
bringen ift und jedenfalls mehr von politifhen Rückſichten als von innerer 
Ueberzeugung diftiert war. „Ich habe zufällig erfahren,” fchreibt er am 
25. Januar 1790 an Chriltine, „daß man in den Niederlanden verjchiedene 
Gerüchte verbreitet, um mich in üblen Ruf zu bringen. Glüdlicherweije find fie 
alle falſch, und ich jchreibe Ihnen dieſe Zeilen, damit Sie über die Thatſachen 
unterrichtet find und mich nötigen Falles in Schuß nehmen können. Man jagt, 
ih unterjtüße die Yanfeniften, die Synode von Piltoja und den Bilchof, der 
einer ift, ja, man erzählt, daß ich einen Vertreter der Utrechter Kirche in Florenz 
babe. Dies alles ift grundfalih! Man weiß hier gar nicht, was ein Janſeniſt 
ift, noch um was es fich bei diefen Dingen handelt. Der öffentliche Unterricht, 
die Seminarfchulen find ganz in den Händen ber Bilchöfe, ohne daß fich die 
Regierung irgendwie einmifht. Man hält Hier für Yanfeniften die ftrengeren 
Biihöfe, die ihren Prieftern verboten haben, Theater und Bälle zu bejuchen zc. 
Niemals miſcht fih die Negierung in Angelegenheiten der Kirhenzudt, außer 
durch Vermittelung und zur Unterftügung der Bifchöfe. Die Synode von Piltoja 
ſprach nur den Beitritt zu den Forderungen der gallifaniihen Kirche aus, die 
noch niemals des Janſenismus bezichtigt worden ift, doch habe ich ihre Grund: 
fäge nicht gebilligt, habe nur ihre Ausübung in Bezug auf Kirchenzucht ge: 
ftattet; ich habe darin nichts den Geſetzen des Landes Anftößiges jehen Fönnen, 
und ber römijche Hof, der feit zwei Jahren die Beſchlüſſe jener Synode prüft, 
bat feinen Einwand dagegen erhoben. Der janjeniftiihe Vertreter hat nie exi— 
ftiert und wäre nie geduldet worden. Das find nur abgefchmadte Lügen!” 
Ebenſo entſchieden verwahrt ſich Leopold gegen die Anihuldigung, als ob er 
gegen den Reliquiendienft oder überhaupt gegen den Kultus der Fatholifchen 
Kirche feindfelig vorgegangen fei. „Mein Glaubensbefenntnis lautet: in der 
apoftolifhen, römiſch-katholiſchen Kirche Religion zu verbleiben, zu leben und zu 
fterben, niemals auf Verfolgungen mich einzulafjen, aber auch niemals Leute zu 
befördern oder auszuzeichnen, die feine Religion haben oder dies doc vorgeben, 
dagegen die Bilchöfe zu unterftügen, denen ja in erfter Reihe die Aufficht über 
Geſchäfte und Zucht der Kirche zuſteht.“!) 

Auch Leopolds Neigung zu Fonftitutionellen Einrichtungen, in welcher 
Ranke den Hauptunterfchied gegenüber der unbeugfamen, imperialiftiihen Natur 
Joſephs erblidt,?) trat erit zu Tage, feit er auf dem Wege nad) Damaskus 
als „gelebriger Schüler des Zeitgeiftes” die Erfahrung gemadt hatte, daß 
unzufrievene Völfer mit Gewalt fih nehmen, was die Fürften allzu hartnädig 


i) A. Wolf, Leopold I. und Maria Chriitine, ihr Briefwechſel, 88. 
2) Rante, Die deutihen Mächte, II, 172. 


246 Erfted Buch. Achter Abſchnitt. 


vorenthalten. „Ih glaube,” fährt er in jenem zur Veröffentlichung beftimmten 
Belenntniffe fort, „daß der Fürft, au in einem Erbreih, nur ber Angeftellte 
und Beamte feines Volles ijt, daß er ihm alle Sorgfalt, alle Mühen bei Tag 
und Nacht widmen muß, dab es für jedes Land ein Grundgejeg oder einen 
Vertrag zwiſchen Volk und Fürften geben joll, woburd die Stellung und bie 
(Gewalt des letteren bejchränft werden. Ich glaube, daß ber Fürft, wenn er 
den Vertrag nicht hält, damit thatſächlich auf jeine Stelle, die ihm nur unter 
jener Bedingung verliehen ift, verzichtet, und daß niemand mehr verpflichtet ift, 
ihm ferner noch Gehorjam zu leilten. Ich glaube, dak nur die vollziehende 
Gewalt dem Fürften zufteht, die gejeßgebende dagegen dem Volfe und feinen 
Vertretern, und daß das Volk bei jedem Thronwechſel durch Auferlegung neuer 
Bedingungen feine Macht erweitern Fann.” 

In ähnlidem Sinne fpricht fih auch das Manifeit aus, das Leopold noch 
vor dem Ableben feines Bruders ausarbeitete und an bie Statthalter jchidte, 
damit es fogleich nach feinem Regierungsantritt in Belgien verbreitet werde. ') 
Es entſpricht nit durchaus der Wahrheit, wenn darin erklärt wird, Leopold habe 
Joſephs Angriffe auf die alte Verfaſſung der Niederlande niemals gebilligt, auch 
die Eingriffe in die Rechte der Kirche immer getadelt und miberraten; er jei für 
das Geſchehene nicht verantwortlich zu machen, mithin auch feines vertragsmäßig 
geficherten Erbfolgerechts nicht verluftig geworden. Zugleich jind weitreichende 
Zufiherungen in Ausſicht geftellt. Es ſoll eine allgemeine Amnejtie bewilligt wer: 
den; von den Beamten der faiferlihen Regierung ſoll feiner in den Niederlanden 
Wieberanftellung finden, außer mit Zuftimmung der Stände; die Nemter follen 
nur an Eingeborene verliehen werden, und zwar joll dem Regenten nur die Wahl 
unter je drei von den Ständen aufgeitellten Kandidaten zuitehen; zu General: 
ftatthaltern follen nur Mitglieder der Faiferlihen Familie berufen, als Minifter 
und Generäle nur Eingeborene angeftellt werden; das Militär fol neu formiert 
und nur von belgiihen Offizieren befehligt werden; das Generalfeminar fol für 
immer geſchloſſen, die Erziehung der Geiftlihen ausihließlih den Erzbifchöfen 
überlafien bleiben; die Stände follen zujammentreten, wie oft und wann es 
ihnen belieben mag; neue Geſetze follen nur mit Zuftimmung der Stände er: 
lafjen werden; in Streitigfeiten zwiſchen Statthalter und Minifterium foll den 
Ständen die Enticheidung zufallen. *) Sogar die Bürgſchaft einer fremden Macht 
für Aufrechterhaltung der belgischen Privilegien wollte Leopold zugeftehen, — 
umſonſt, weder die Etänbe, noch der neu berufene Kongreß gaben eine Antwort. °) 
Die Hoffnung, die verlorene Provinz auf friedlidem Wege wieder zu gewinnen, 
mußte aufgegeben werben. 


) Borgnet, 1, 153. 

?) Gachard, Documents politiques et diplomatiques sur la revol. Belge de 1790, 
130. Deelaration du roi Leopold, rend. aux «tats des differentes provinces, d. d. 
2. mars 1790. 

) Die ablehnende Haltung der Belgier wird in einem Gebidte: „Le dragon zelö ou 
epitre ü mes compagnons* (handiriftlih auf der Münchner Staatsbibliothek) folgendermaßen 
begründet: 

„Quelle paix esperer done d’un si brusque Roi, 
Qui donnoit à son frere avis, projets et loi, 


Die Uebernahme der Regierung in ben öfterreichiichen Erblanden. 947 


Am 25. Februar 1790 traf in Florenz die Nachricht ein, daß Kaiſer 
Joſeph aus diefer Welt gejchieben jei, und Erzherzog Franz in Erwartung feines 
Vaters, des Thronfolgers, die Regentihaft übernommen habe. 

Schon 1784 war zwijchen Joſeph und Leopold feſtgeſetzt worden, bie tos— 
fanifhe Sefundogenitur follte abgefhafft, demnach nad Joſephs oder Leopolds 
Ableben die Vereinigung Tosfanas mit den öfterreihiihen Erblanden vollzogen 
werben. Leopold hatte ſich dabei nicht verhehlt, daß bie FFeitiegung mit den 
Verträgen in Widerjpruch ftehe und das toskaniſche Volf fich nicht ohne weiteres 
jolde Einverleibung in Defterreih gefallen lajjen werde, allein er hatte nicht 
gewagt, ſich dem dringliden Begehren des Bruders zu widerſetzen. „Ich habe 
unterzeichnet,” entichuldigte er fein Verfahren vor Schwelter Chriftine, „denn 
nah meinem Tode werden die Meberlebenden ja doch thun, was fie wollen, mag 
das Papier von mir unterzeichnet fein oder nit.” ') Er hätte hinzufügen follen, 
dat auch er als Meberlebender den Vertrag nicht als bindend anſehen werde. 
So geſchah es nah Joſephs Tode; indem Leopold die Regierung ber habs: 
burgiihen Lande übernahm, trat er das Großherzogtum Toskana zu jouveränem 
Belig an feinen zweiten Sohn Ferdinand ab. 

Vor feiner Abreife von Florenz richtete Leopold nohmals an den Biſchof von 
Piftoja die Mahnung, tapfer im Kampfe gegen die Römlinge auszjuharren, allein 
Ricci glaubte zu erkennen, daß die Aufmunterung nicht mehr der wirklichen 
Gelinnung des Fürften entſprach, dab Leopold ſchon mwillens war, „mit den 
alten Gegnern Frieden zu jchließen, weil er befürchtete, daß der Kampf für die 
Aufklärung zum Aufitand der Völfer und zum Sturz der Throne führen könnte.” ?) 
Die nächſten Ereigniffe gaben diefer Auffaflung redt. Kaum hatte Leopold Toskana 
verlajien, fam der Zorn gegen den „Janſeniſten“ zum Ausbruch; Ricci mußte fi 
vor der aufgeregten Menge flüchten; die auf fein Geheiß entfernten wunder: 
thätigen Heiligenbilder wurden zur Sühne feierlih dur die Straßen getragen 
und dann an die alten Stätten zurüdgebradht. Auch Florenz wurde der Schau: 
plag von Unruhen; nur durch raſches Einfchreiten der Bürgerwehr konnte die 
geplante Plünderung des Schates abgewehrt werben. Unter dem Eindrud dieſer 
Vorgänge erließ Leopold als Vormund des minderjährigen Großherzogs eine 


Qui crayonnait chez lui les desseins sanguinaires, 
D’immoler ses sujets, leurs autels, leurs mystöres, 
Qui tout le tems, qu’il fut Toscanois souverain, 
Dans le chisme et l'erreur trempa toujours sa main, 
Qui fit violence au Christ et au ciel fit la guerre, 
N'avoit pour Dieu que lni et son fröre sur terre, 
Qui regardoit pour rien les plus saints des serments, 
Disoit n’&tre que jeux pour plaire à des enfants, 
Qu’un souverain chez s0i, comme ses uniformes, 
De nos plus sacres droits pouvoit changer les formee, 
Qu'un contract aujourd’hui juré devant l'autel, 
Demain, s'il le vouloit, cessoit d'ätre &ternel: 
Le peuple sous un Roi n’est jamais qu’un esclave, 
On en fait ce qu’on veut, füt-il fidöle ou brave.“ 
’) Beer, Leopold IL, Franz II. und Katharina. Ihre Korreſpondenz, 215. 
) ®otter, II, 233, 2386. 


248 Erſtes Buch. Achter Abſchnitt. 


Verordnung (6. Mai 1790), die thatſächlich einen Wechjel des bisherigen Syſtems 
bedeutete. Es wird zwar betont, dal; die bisher geltenden allgemeinen Ver: 
fügungen über geiftlihe Angelegenheiten feine Aenderung erleiden follen, aber 
die Regentſchaft wird ermädtigt, nad Ermeffen von den Kultusgejegen Umgang 
zu nehmen, denn — dieſe Worte können gewilfermaßen als neues Negierungs- 
programm Leopolds gelten —: „Es fommt vor allem darauf an, die Ruhe wieder 
berzuftellen und alles zu vermeiden, was die Gemüter erbittern und zu Störungen 
Anlaß bieten könnte.“ 

Schon während der Reife und nad der Ankunft in Wien (6. März 
1790) wurde Leopold von allen Seiten beftürmt, die unterbrüdten Rechte 
der Stände der einzelnen Kronländer wieder freizugeben und die Joſephiniſchen 
Kirchenreformen fallen zu laſſen. Der Ungeftüm, womit dieje Forderungen 
erhoben wurden, erichredte den Fürften. „Nicht die Strapazen der Reife,” 
jchreibt er am 15. März an die Schweiter Chriftine, „haben mein Xeiden ver: 
ſchuldet, jondern der traurige Zuftand, die grenzenlofe Verwirrung des ganzen 
Landes; trogdem gebe ih mich der jchmeihelnden Hoffnung hin, nach und nad 
wieder alles zur Ruhe zu bringen.” „Ich bin erdrückt von Geſchäften,“ ſchreibt 
er am 19. März, „ich habe alles in unglaublider Verwirrung vorgefunden; ic 
habe niemand, auf den ich mich verlafjen oder bei dem ich mir Rat erholen kann; 
feit zehn Tagen arbeite ich jeden Tag fiebzehn Stunden an meinem Schreibtiſch 
und fomme nicht einen Augenblid dazu, frifche Luft zu ſchöpfen.“ Die Klage 
Leopolds beweilt, daß der Staatsfanzler Fürft Kaunit den maßgebenden Einfluß, 
den er unter Maria Therefia und aud noch unter Sofeph genofjen hatte, nicht 
mehr bejaß; er blieb zwar im Amte, aber gerade in den widhtigften Fragen der 
auswärtigen Politik gingen die Meinungen des Fürften und des Kanzlers aus: 
einander, und Kaunig mußte die Erfahrung machen, daß ber neue Herr troß 
jeines gelajienen Temperaments um nichts nachgiebiger oder lenkſamer war, als 
der Feuerkopf Joſeph. Auch Lacy verlor jeinen Einfluß; fein Syſtem erſchien 
dem jparjamen Fürften, der feine Eroberungen plante, jondern nur den alten 
Beſitz zuſammenhalten wollte, allzu koſtſpielig. 

Um zum Frieden mit dem eigenen Volke zu gelangen, erließ Leopold 
eine Reihe von Verordnungen, welche die Aufhebung verſchiedener Einrichtungen 
Joſephs zur Folge hatten. ') An Stelle der mißliebigen Steuerregulierung trat das 
alte Abgabenfyitem; mit dem Zentralifierungsplane wurde gebroden, alle Stellen 
und Behörben lebten wieder auf, wie fie früher in den einzelnen Provinzen be: 
ftanden hatten; den Städten wurde freie Wahl der Magiftrate eingeräumt; bie 
anftößigiten Strafbeitimmungen des Joſephiniſchen Geſetzbuches, das Gaſſenkehren, 
das Schiffeziehen, das Anſchmieden, insbefondere die Konduitenliſten wurden 
abgeſchafft. Der Klerus erhielt wieder freiere Bewegung; die Generaljeminarien 
wurden aufgehoben, einige fäfularifierte Stifter und Klöfter wurden wiederher: 
geftelt, andre mit dem alten Belit ausgeftattet; auch die auf Neinigung und 
Vereinfahung des Gottesdienites berechneten Anordnungen follten ihre Geltung 


') Scheld, Neuefte Gefchichte der Länder des öfterr. Siaiferftaats, I, 20. — Krones, 
Handbuch der Geſchichte Defterreichs, IV, 544. 


Die Uebernahme der Negierung in den öſterreichiſchen Erblanden. 249 


verlieren. Dagegen wurbe am Toleranzedikt feitgehalten, die ftaatsrechtlihen Ver: 
bältnifje der Juden wurden fogar noch günftiger geftaltet, und die von Rom 
erhoffte Wieberheritellung aller Klöfter blieb aus. Auch Leopold hielt grund: 
fäglih daran feſt, daß ihm als Yandesherrn in Kirchenjachen die oberfte Gemalt 
zuftehe; von ſörmlicher Reftauration in Kirchenſachen kann nicht geiprochen werden. 

Im allgemeinen gilt dies aud von Leopolds Berhältnis zur ſtändiſchen 
Verfaflung. Der Landesherr hörte die über Joſephs Gemwaltthaten Elagenden 
Abgeordneten der Provinziallandtage wohlwollend an und munterte fie fogar 
auf, ausführlihe Beſchwerdeſchriften einzujenden. Schon im März 1790 traten 
alle Landtage zufammen, und der Grol über die erfahrene Mißachtung und 
das Beilpiel der franzöfiihen Wolfsvertretung bewirkten, dab die Stände 
überall hochgeipannte Wünſche und leidenſchaftliche Beſchwerden kundgaben. 
Die Regierung war jedoch nur zu unweſentlichen Zugeſtändniſſen, nicht zu 
grundſätzlichen Neuerungen bereit; die Grundlagen des Staats gedachte Leopold 
ebenſowenig preiszugeben, wie Joſeph II. Dagegen iſt es eine Uebertreibung, 
wenn Hock die Folgerung zieht, daß Leopold den Ständen jede Exiſtenz— 
beredtigung abgeiproden und recht eigentlih die Art an die Wurzeln des 
Ständewejens gelegt babe.!) Für Leopold war, wie jchon erwähnt, vor 
allem der Wunfh maßgebend, den inneren Frieden berzuftelen, um den 
äußeren Feinden widerftehen zu können; deshalb trat er wenigitens anfänglich 
den zentrifugalen Beitrebungen ber Provinzen nicht entgegen. Nur durch 
ſolche Nachgiebigfeit konnte er hoffen, den Dorn, der in ben öfterreichiichen 
Staatslörper eingedrungen war, zu entfernen, das heißt, die geheime Verbindung 
Preußens mit faiferlichen Unterthanen unſchädlich zu machen. Auf Preußens 
Hülfe pochten ja ebenjo die aufftändiihen Niederländer, wie die zum Aufftand 
fi vorbereitenden Ungarn. Einige Führer der nationalen Partei waren nad 
Wien gelommen, angeblih um an der Beftattung Kaifer Joſephs teilzunehmen, 
in Wahrheit, um ohne Auffehen mit dem preußiſchen Gejandten Jacobi zu 
verhandeln. Jacobi hatte Weifung von feinem Hofe, die nationale Bewegung 
der Ungarn zu unterftügen. „Jacobi fol,“ jchrieb Friedrich Wilhelm eigenhändig 
auf ben Bericht des Gejandten vom 13. März, „den ungarijhen Mecontents 
zu wiſſen maden, daß ich bereits an ber Grenze Oberjchlefiens die Reiterei 
zufammenziehe und daß bie Urlauber aller jchlefiihen Regimenter auf den 8., die 
biefigen auf den 1. April einberufen find.” ?) Johannes Müller, damals noch 
in kurmainziſchen Dienften ftehend, beurteilte aljo die Lage ganz richtig, wenn 
er der Befürdtung Ausbrud gab, daß fih an der Kriegsluft Friedrich Wilhelms 
ein allgemeiner Krieg entzünden könnte. „Die Zeiten werden äußerjt bedenklich,” 
jhrieb er (7. Januar 1790) an feinen Bruder, „ganz gewiß ift, daß der König 
von Preußen (perfönlih, nicht fein Minifterium) den Krieg will, durchaus!“*) 

Zwar war das englifche Kabinett mit der Haltung Preußens in der ungari: 


') Hod:Bidermann, Die Berfaffungstrifis in Steiermark zur Zeit der erſten franzöfifchen 
Revolution, in Mitteil. des hift. Wereins für Steiermart, 21. Bd., 15. 

2) Preuß. St.A. Berichte Jacobid aus Wien. 

2) Joh. v. Müller, Ge. Werte, 30. Bd., 24%. 


250 Erſtes Bud. Achter Abfhnitt. 


ſchen Frage nicht einverftanden, aber Preußen hatte die Hülfe der Seemächte nicht 
unbedingt nötig. Die preußifche Armee war den dur den Türfenfrieg demorali- 
fierten und geſchwächten öfterreihiihen Truppen mindeftens ebenbürtig, Ruß: 
land wurde durch Schweden, Polen und die Türkei in Shah gehalten, der 
franzöfifhen Regierung war durd) die inneren Wirren die Möglichkeit der Ein: 
miſchung in auswärtige Händel benommen. 

Unter folden Umftänden konnte auch Kaunig nicht den Krieg mit Preußen 
empfehlen, aber er jah in entſchloſſenem, beherztem Auftreten das ſicherſte Mittel, 
den Staat aus feiner verzweifelten Lage zu retten. „ch kann nicht einſehen,“ 
ſchrieb er am 16, März an Leopold, „welches Hindernis gegen rajcheite Aus: 
führung des von Marſchall Laudon vorgelegten Konzentrationsplanes geltend zu 
maden wäre. Im Gegenteil, ich finde ihn jehr paflend und halte jeine Durch— 
führung für fehr wünſchenswert, damit man in Berlin aus diejer erften mili 
täriijhen That entnehmen kann, dab man im Irrtum war, wenn man das 
gegenwärtige Regiment für ſchwächer hielt, als das vorige: eine Auffaflung, die 
gar nicht raſch genug zeritört werden fann! ... Eure Majeltät werden gewiß 
ebenjo feit überzeugt jein, daß einerfeits nur die fräftigfte Fortführung des 
Krieges mit der Pforte uns den Frieden von diefer Seite bringen fann, und 
daß andrerjeits nur eine augenfällige Kraftentfaltung dem Berliner Hofe Zurüd: 
haltung auferlegen und einen Angriff von diejer Seite wenigitens aufichieben 
fann.”") Leopold hielt aber auch eine folde Drohung nicht für angemejlen; 
er glaubte alles aujbieten zu müfjen, um den unjeligen Türfenfrieg zum Er- 
löfhen zu bringen und mit Preußen zu friedliher Verftändigung zu gelangen. ?) 

Deshalb ſetzte er fich unmittelbar mit Friedrih Wilhelm ins Benehmen. 
Leopolds Schreiben vom 26. März ift in ungewöhnlich herzlihem Tone abgefaßt. 
Er erklärt, fein ganzes Regierungsprogramm laſſe ih in die Worte zujammen- 
faſſen, daß er mit allen Nahbarn und überhaupt mit aller Welt in Frieden 
leben wolle. Den Türkenkrieg beendigt zu fehen, fei fein ſehnlicher Wunſch, 
und da er nichts verlange, als die Grenzen des Paſſarowitzer Friedens, werde 
es leicht zum Frieden fommen, wenn erit die Türfen einfähen, daß fie von 
Preußen und Polen feine Hülfe zu erwarten hätten. Der König möge aljo 
Europa den Frieden geben, indem er die Hand ergreife, die ihm vertrauensvoll 
gereicht werde; Leopold werde jeder billigen Forderung zuftimmen, ja fogar dem 
Fürftenbunde beitreten, wenn er bazu eingeladen werde. Den beiten Beweis 
jeiner Mäßigung habe er durch jein Anerbieten für die Belgier gegeben; hoffentlich 


!) Beer, Joſeph II., Leopold II. und Kaunik, 361. 

2) Ranke, Die deutſchen Mächte, II, 174, der das Driginal im Berliner Archiv eingefehen 
hat, erkllärt, daß das Datum undeutlich gefchrieben ift und ebenjogut 26 wie 25 gelefen werden 
fann. Der Zweifel wird dadurch befeitigt, dab dad Konzept im Wiener Ardhiv zwar nicht 
von der Hand des Honzipienten, fondern von Kanzleihand, aber in voller Deutlichleit das Datum 
des 26. März trägt, und daß noch weitere vier Kopien des Briefes mit „le 26 mars 1790* 
datiert find. (Gütige Mitteilung ded Herrn Ardivrats Dr. Winter) Nah Ad. Beer, Die 
orientalifche Politik Defterreihs, 136, wäre das Schreiben Leopold8 vom 28. März datiert; 
diefe Angabe wirb aber nicht bloß durch unfre Konftatierung aus Konzept und Kopien, jondern 
auch dadurch widerlegt, daß ber von Kaunitz vorgelegte Entwurf zu einem Schreiben an Friebrid) 
Wilhelm beutlih das Datum 26. März trägt. 


Annäherung an Preußen. 2351 


werde jener Aufftand bald zu Ende fein, nötigenfalls aber an andrem Orte 
die Erfenntnis durchdringen, daß es fich dabei um eine allen Fürften gemeinjame 
Sache hanble. 

Gelegentlih des erften Empfanges in der Hofburg zeichnete Leopold den 
preußiihen Gefandten Jacobi in auffälliger Weile aus. Der Diplomat jchildert 
denn auch mit hellen Karben, welch glüdliher Umſchwung fich feit der Ankunft 
des neuen Herrn in Wien volljogen babe; Leopold habe feinen jehnlicheren 
Wunid, als Frieden und Freundſchaft mit Preußen, die erplofible, ſtrebe— 
riſche Politik Joſephs jei endgültig aufgegeben. „Wenn es feinen Krieg mit 
Preußen gibt, wird ſich Leopold fiherlih von Rußland abwenden, wie es den 
Wünſchen der ganzen Nation und jedes guten Dejterreihers entſpricht. Sich 
rubig verhalten, allen Vergrößerungsplänen entjagen, den Nachbarn wieder Ver: 
trauen einflößen, die Finanzen in die Höhe bringen, den Ackerbau heben, bie 
Bevölkerung mehren und eine fchöne, ftattlihe Armee befiben, — das will Leo: 
pold anftreben; es ijt ficherlih das glücklichſte und weifefte Ziel, vorausgeſetzt, 
dab ihm die Wahl frei bleibt.” Im Lande wiſſe man die Mäßigung und Spar: 
jamfeit des Fürften, der aus Toskana einen eriparten Schat von 28 Millionen 
mitgebracht habe, wohl zu jhägen; der Adel ſchwärme für ihn, „die Ungarn 
weinten vor Freude, als jie ihren Souverän ſahen.“ Die friegsluftige Partei 
mit ihrem Lacy werde bei jolchen Intentionen des Herrn nicht durchdringen. 
„Jedermann betrachtet einen Krieg mit Preußen als das größte Unglüd, das 
über Defterreih kommen fünnte!” ') 

Leopolds Schreiben an Friedrih Wilhelm wurde durch den öfterreichijchen 
Gejandten Prinzen Reuß in befonderer Audienz überreiht, — ein Vorgang, den 
Ranke mit Recht als „einen großen hiſtoriſchen Moment” bezeichnet. Das fried- 
lihe Anerbieten traf gerade in günftigen Zeitpunfte ein: zwiſchen England und 
Preußen war eine bevenklihe Verſtimmung eingetreten, der Dreibund drohte aus 
den Fugen zu gehen. 

Das Berliner Kabinett wollte dafür eintreten, daß der neue belgijche Frei: 
ftaat weder an Defterreih zurüdfalle, no in engere Verbindung mit Frankreich 
trete. Das Minifterium Pitt hatte zu Joſephs Zeiten der nämliden Anſchauung 
gehuldigt; jeit dem Negierungsantritt Leopolds aber wurde die belgiihe Frage 
in London mit andern Augen betrachtet. Leopold habe fich ja bereit erklärt, 
die alten Vorrechte und Freiheiten der Niederländer zu rejpeltieren, — damit 
jei jeder Grund weggefallen, gegen Oeſterreich feindjelig aufzutreten. Seit Ver: 
fündigung der Unabhängigkeit Belgiens nehme der Streit zwiſchen den einzelnen 
Provinzen und Ständen fein Ende; Belgien werde fi nicht als jelbftändiger 
Staat zu behaupten vermögen; jollte man, nur um das ſchwächliche Gefüge 
eine Zeitlang zu flügen, einen Krieg entzünben, der den Handelsinterefjen Eng: 
lands ſchweren Schaden bringen fönnte? ?) 


) Preuß. St. A. NHabinettsakten Friedrih Wilhelms II. Immediatkorreſpondenz mit 
dem diesfeitigen Gefandten v. Podewils und dem Nefidenten Frhrn. v. Jacobi-Klöſt. Berichte 
Jacobis vom 3, und 7. April 1790. 

?) Ban be Spiegel, 177. 


IS 
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Erites Bud. Achter Abfchnitt. 


Während von Berlin noch den Brüfieler Generalftaaten die tröftlihe Ver: 
fiherung zuging, die Tripelallianz werde eine Unterjohung Belgiens nicht 
zugeben, war man in London ſchon geneigt, van der Noot und Genoſſen ihrem 
Schickſal zu überlaffen. 

Auch in der orientaliihen Politif gingen die Intereſſen Englands und 
Preußens auseinander. Der engliihe Gejandte in Berlin ließ die Bemerkung 
fallen, jeine Regierung babe mit Befremden vernommen, dab im preußiſch— 
türfifhen Bundesvertrag fogar von einem Angriffsfrieg gegen Defterreich die 
Rede jei; der König möge doch einem jo bedenklichen Vertrag jeine Zuftimmung 
verfagen und lieber im Verein mit England einen Ausgleich zwischen Deiterreich 
und ber Pforte unter der Bedingung der Wieberberftellung des alten Beſitz— 
ftandes betreiben. 

Auf England, dies konnte man fich in Berlin nicht verheblen, war in 
einem Krieg mit Dejterreich nicht zu rechnen, und nicht viel befjer ftand es mit 
Schweden und Polen, ja jogar der Türke war nur ein unzuverläffiger Bundes: 
genoſſe. Sollte man trogbem, auf die eigene Kraft vertrauend, den Krieg wagen, 
den Krieg, der ja doch einmal geführt werden mußte, um für das Haus Hohen: 
zollern eine leitende Stellung in Deutichland zu erfämpfen? 

Wir haben intime Nachrichten vom Berliner Hofe in ben mehr als 
freimütigen Briefen bes Oheims des regierenden Königs, Prinzen Heinrich, 
an den Vertrauensmann ber Zarin Katharina, Baron Grimm. !) Der Sieger 
von Freiberg glaubte fich über Zurüdjegung von Seite der leitenden Kreije 
beflagen zu dürfen und vergalt mit bitteren Urteilen über den König und 
die einflußreichen Ratgeber. Insbeſondere in dem „ultramontanen Günftling 
des verftorbenen und des jegigen Könige”, Marchefe Luchhefini, der unauf: 
hörlich zum Kriege hetze, und in Hergberg, der einem nicht weniger ausfchweifen: 
den Chauvinismus buldige, erblidt er unfelige Dämonen, die den preußiichen 
Staat an den Abgrund drängen. „Wir find noch im Ungewiffen über Krieg 
und Frieden,“ jchrieb er am 7. März an Grimm, „ich weiß freilich nichts andres 
darüber, als was ih vom Publifum und von alten Freunden erfahre. Unſer 
‚großer‘ Hergberg fchürt das Feuer; er wäre würdig eines Plaßes unter den 
Revolutionsmännern! Freilih würde er an Berebfamfeit einem Mirabeau oder 
Barnave nachſtehen, aber dafür könnte niemand fo fein wie er Beleidigungen 
zujpigen. Ich hoffe, daß feiner Bosheit zum Troß die Ruhe wieder hergeitellt 
wird.” Einige Wochen jpäter (29. März), kurz vor dem Eintreffen des Schreibens 
König Leopolds in Berlin, fieht der Prinz die Lage weit drohender an. „ch 
fürdte, daß meine Hoffnung getäufht wird. Man darf auf nichts mehr 
Ihwören, ſeit ein Staliener die Politif leitet und beftändig auf ein und 
dasjelbe Ziel losjteuert, obwohl er in feinem Vorhaben oft geftört worden iſt.“ 
„Ich glaube,” jchrieb er am 2, April, „daß bald die Stürme von allen Seiten 
losbreden werden. Es it unmöglich, fih von dem biefigen Wirrfal eine Vor: 
ftellung zu machen; es läßt fih mit einer Nationalverjammlung vergleichen, 
augenblidlid wüßte ich feine jchlimmere Bezeihnung dafür zu finden. Belinnen 


') Lettres de Grimm ü l'imperatrice Catharine II, publ. par J. Grot, 373 etc. 


Annäherung an Preußen. 255 


Sie fih doch, mein lieber Freund, auf einen Ort, wo wir einige freunde um 
uns verfammeln und ein paar Monate in Ruhe zubringen fönnten. Ich muß 
von hier fort. Schon der Verdacht, daß ich etwas von politifhen Dingen wijjen 
und ihnen beipflidten fünnte, ift eine Beleidigung. In Wahrheit werde ich 
weder einer Zeile, noch eines Wortes gewürdigt. Ein Welcher, ein Narr von 
Minifter (un fou de ministre) und ein guter Tropf (un bon homme) fodhen 
alles unter fi aus; es find abjcheulihe Zuſtände!“ 

Prinz Heinrih urteilt offenbar nur deshalb jo jchwarzgallig, weil er 
jelbft allen Einfluß auf die Regierung verloren hatte. Er hat namentlich darin 
unrecht, daß er den Minifter Hergberg für einen Gefinnungsgenofien Luccheſinis 
anfieht und zur Kriegspartei zählt. Gerade Herkberg war es, der mit Nüd: 
ficht auf die zweideutige Haltung Englands und der übrigen Verbündeten vom 
Kriege dringend abriet. „Eure Majeftät werden ſelbſt am beften beurteilen, ob 
Sie nicht zu viel wagen, wenn Sie allein den Krieg gegen zwei jo furdtbare 
Mächte aufnehmen und ſich dabei auf drei Bundesgenofjen verlaflen, die ſamt 
und fonders ſchwach und wenig zuverläjfig find, — ob Sie nicht um einer un: 
fiheren Hoffnung auf Gewinn willen, Gefahr laufen, Ihren Schag, Ihre Armee, 
Ihr Land zu Thädigen!” ') 

In diefem Augenblid, während ſich in Berlin die verjchiedenartigiten Ein: 
flüffe für und wider den Krieg geltend machten, traf Leopolds Schreiben ein, 
das mit jo verbindlichen Worten dem Wunſche nad Frieden und Freundichaft 
mit Preußen Ausdrud gab. Schon die Rüdfiht auf England gebot, das An: 
erbieten nicht ſchlechtweg abzulehnen, dod die Antwort Friedrich Wilhelms klang 
nicht gerade tröftlih. Preußen, fo war darin erklärt, habe ein ernftes Intereſſe 
daran, den Untergang der Türkei und die Teilung des türkiſchen Gebiets zwiſchen 
den beiden Kaiferhöfen nicht zu dulden; die Abweifung preußifcher Vermittelung 
babe den König zu eigenen Rüftungen genötigt; auch jetzt noch wolle er zum 
‚Frieden die Hand bieten, jedoch nur, wenn das Gleichgewicht im Norden und 
Oſten dauernd gefichert würde. 

In ähnlihem Sinne ſprach fi) der engliihe Gejandte in Wien aus. Hier 
fonnten fi der Monarch und jein Kanzler gerade über den weſentlichſten Richt: 
punft der Politik nicht einigen. Während Kaunig alles vermieden wiſſen wollte, 
was den Bund mit Rußland lodern fünnte, und fein Hehl daraus machte, daß 
er die Hülfe Rußlands zur Zühtigung Preußens haben wolle, war Leopold ge: 
neigt, dem Dreibund näher zu treten. Der engliſche Geſandte erhielt jogar die 
merkwürdige Weifung, er möge zwar den gewöhnlichen Verkehr mit dem Kanzler 
fortjegen, aber die von ihm erhaltenen Erklärungen nicht als den Willen der 
Regierung anjehen; Leopold ſelbſt werde ihm von Fall zu Fall dur den Vize: 
fanzler Cobenzl die allein gültigen Erklärungen zugeben lafien. 

Die Ständeveriammlung in Wien nahm jehr ſtürmiſchen Berlauf. In 
bürgerlichen Kreifen wurde übel vermerft, daß der neue Monarh dem Adel 
und dem Klerus wiederholt Beweiſe jeiner Gunft und jeines Vertrauens 
gab. „Alle, die den Fürften näher kennen,” jchreibt Jacobi an jeinen Hof, 


) Rante, 183. 


2354 Erites Bud. Achter Abſchnitt. 


„verfihern, daß fein Auftreten von heute in ſchroffem Widerſpruch mit feinem 
früheren Verhalten fteht.” Dem Adel wurde Zurüdgabe aller hiſtoriſchen Vor: 
rechte verheißen; da dies die Wiedereinführung des alten Abgabenſyſtems zur 
Vorausjegung hatte, murrten die Bauern; nun follten dieje durch den Klerus 
beihmwichtigt werden, aber dazu waren neue Zugeftändniffe notwendig. „Die 
verftändigen Leute glauben, daß der König, wenn er der Nacdhgiebigkeit gegen: 
über den Ständen nicht bald ein Ziel ſetzt, ganz und gar von ihnen abhängig 
wird. Wenn erit noch die Bauern dazu kommen, jo fann es, zumal wenn der 
Krieg mit Preußen ausbricht, zu ähnlichen Scenen fommen, wie fie Frankreich) 
in äußerite Verwirrung gebracht haben.” 

Unter ſolchen Umftänden mußte Leopold noch dringlider den Frieden 
wünjchen, allein feine verjöhnlihe Stimmung ſchlug um, als ihm ber Preis be: 
fannt wurde, den das preußiſche Kabinett auf feine Freundichaft ſetzte. Nach 
dem von Herkberg ausgearbeiteten Plane jollte Defterreih die größere Hälfte 
Galiziens an Polen zurüdgeben, Polen aber die Städte Danzig und Thorn an 
Preußen abtreten; dafür joll Preußen feinen Einfluß auf die Pforte geltend 
machen, daß fie auf die von den Ruſſen eroberte Krim verzichte und gegenüber 
Defterreich fih mit den Grenzen des Paſſarowitzer Friedens begnüge; außerdem 
fol Preußen die Zurüderoberung Belgiens für Deiterreih nicht verhindern und 
dem König von Ungarn bei der Kaiferwahl die brandenburgiihe Stimme geben. 
Nur auf ſolche Weiſe könne das Gleihgewicht im Often bergeitellt und das Miß— 
trauen zwiſchen Defterreih und Preußen ein für allemal ausgelöſcht werden. 
„Seine Majeftät würden darin ein Opfer erbliden, das der König von Ungarn 
dem Wohl der beiden Staaten und der Ruhe aller europäifchen Nationen 
brächte.“!) 

Dieſe Bedingungen fand Leopold unannehmbar. Galizien müſſe ein für 
allemal aus dem Spiele bleiben, erklärte er dem engliſchen Geſandten; er ſtrebe 
keinen Gewinn an, er wolle aufrichtig den Frieden, aber einen Frieden, der mit 
der Ehre des Monarchen und der Nation vereinbar ſei; Oeſterreich ſei doch bisher 
im Kampfe mit den Türken Sieger geblieben; warum ſollte es jetzt ſogar 
ſchweren Verluſt tragen, nur damit dem völlig unbeteiligten Preußen reicher 
Gewinn in den Schoß falle! 

Leopold durfte ſich um fo freier ausſprechen, da ſich — wenigſtens vorüber: 
gehend — Ausficht zeigte, daß auch Frankreich und Spanien mittelbar zur Unter: 
ſtützung der öfterreidhifchen Snterefjen die Waffen erheben würden. Zwijchen 
England und Spanien war es wegen des Nootlajunds in Kalifornien zu Miß— 
helligfeiten gelommen, und Spanien, das einem Kampfe mit England nicht ge: 
wadhien war, nahm unter Berufung auf den bourboniſchen Familienpakt von 
1762 die Hülfe Frankreichs in Anſpruch.“) Am franzöfiihen Hofe war man 
ſchon längft der Frage näher getreten, ob nicht ein ausmwärtiger Krieg als Heilmittel 
gegen die Verwirrung im Innern mit Erfolg anzuwenden und der Krone dadurch 


) Preuß. Std. Acta, betreffend Die Konvention von Reichenbach 1790. Points 
essentiels de conciliation, 
2) Spbel, Geihichte der Revolutionszeit, I, 171. 


Annäherung an Preußen. 955 
das erforderliche Uebergewidht über die Nationalverfjammlung zu jchaffen wäre. 
Rafayette, der, in der Mitte zwifchen König und Volfsvertretung vorfichtig fteuernd, 
augenblidlich des mächtigſten Einfluffes fih rühmen konnte, wünſchte nichts 
jehnliher, als die Demütigung Englands und einen Radefrieg gegen den von 
Preußen bejhirmten Erbitatthalter von Holland, — aber die Jakobiner waren 
gegen jeden Krieg, aus Furt, daß der König die militärischen Kräfte zur Wieder: 
befeftigung feiner Stellung verwende. Die Rechte, wie die Linfe ftanden mit 
auswärtigen Mächten in Fühlung. Der öfterreihiiche Gefandte, Graf Mercy, 
war eifrig beitrebt, den Getreuen des Königs die Intereſſengemeinſchaft der 
Häufer Bourbon und Lothringen:Habsburg überzeugend barzuthun und das 
Bündnis von Verfailles wieder aufleben zu maden; der preußiiche Gejandte 
Graf Golg ftand mit Petion, einem der jafobiniihen Führer, in Verbindung 
und lieferte biplomatiiches Material zur Bekämpfung der Hofpartei. Als die 
Regierung am 14. Mai von der Nationalverfammlung in Anbetracht der fritifchen 
Lage Europas die zu vorbereitenden Rüftungen erforderlihen Mittel verlangte, 
ftellte Yameth den Gegenantrag, es möge feitgejegt werden, daß nur der National: 
vertretung das Recht über Krieg und Frieden zuftehe. Zwar erhob zu aller 
Erftaunen ein Mann, der bisher für den grimmigften Feind bes Königtums ge: 
golten hatte, zu Gunften des Kronrechts feine Stimme. Erſchreckt dur den 
wadhjenden Einfluß der radifalen Linfen und damit des Pöbels und beftochen 
durch eine vom König zugeficherte Jahresrente, warf Mirabeau feine Autorität 
zur MWiederaufrihtung eines kräftigen Königtums in die Wagſchale und fette 
durh die Wucht feiner Nede die Bewilligung der Rüjtungsgelder durch; im 
Hauptpunfte ftimmte aber die Mehrheit nicht der Auffaffung ber Regierung und 
der Nechten bei, jondern einem vermittelnden Vorſchlag, dab über Krieg und 
Frieden dem König zwar Antragftelung und Sanftion, der Nationalverfamm: 
lung aber die eigentlihe Beſchlußfaſſung zuſtehen ſolle. Dieſe Einſchränkung 
ſchloß für den Augenblick die Möglichkeit einer Teilnahme Frankreichs an einem 
auswärtigen Kriege aus, und mit dieſer Gewißheit ſchwand aud die Ausſicht 
auf eine Schilderhebung Spaniens gegen England. 

Das Berliner Kabinett fonnte nun wieder entjchiedener und entichloffener 
gegen Defterreih auftreten. Prinz Heinrich verurteilt in den ſchärfſten Aus— 
drüden den „eitlen, blinden Hergberg, der Preußen in ein Labyrinth unflarer 
Derträge verwidelt habe und dadurch zu gefährlidem und nutzloſem Krieg ge: 
zwungen” jei. „Wenn noch in diefem Jahre der Krieg ausbricht, wird es zu 
feiner entjcheidenden That fommen; die Stellung der Defterreiher ift von der 
Art, daß man fie mit Ausfiht auf Erfolg nit angreifen kann; dies war es, 
was mir den Krieg von 1778 jo verhaßt machte, und dies jollte ein preußiſcher 
Minifter nicht vergeifen haben!” ?) Prinz Heinrich war aber, wie erwähnt, in 
die Regierungspolitif nicht eingeweiht und urteilte nur nad dem äußeren Schein. 
In Wahrheit wollte Hergberg den Krieg vermieden willen und lediglich durch 
friegerifhe Drohungen und kluge Vermittelung die gewünſchten Abmachungen 
erwirfen, während der König bie Eriprießlichkeit ausgedehnter Verhandlungen in 


!, Lettres de Grimm, 384. 


250 Erftes Bud. Achter Abfchnitt. 


Zweifel zog. Hertzberg verfiherte dem engliſchen Gejandten in Wien, jein 
Gebieter jei „jo leidenjhaftlih auf den Krieg verjeflen”, daß er nur mit Mühe 
zurüdzubalten jei, den Degen zu ziehen.) Der Mobilmahung ftimmte auch 
Hergberg zu. 30000 Mann wurden an bie oftpreußifche Grenze vorgeſchoben, 
die übrigen Truppen in Schlejien zufammengezogen, ber König ſelbſt ſchickte 
fih an, in das Hauptquartier zu Schönwalde zwiſchen Franfenftein und Reichen: 
bach abzugeben. Am 7. Mai fchrieb Friedrich Wilhelm an Hergberg: „Hüten 
Sie fih ja, dem Jacobi Weijungen zu geben, die uns die Hände binden könn— 
ten, und beharren Sie immer auf der conditio sine qua non, daß Oeſterreich 
einen Teil Galiziens an Polen abtreten muß.” ?) Am 26. Mai jchrieb er an 
Facobi: „Die niederflefiihen Truppen nehmen Aufftellung in der Grafjchaft 
Glatz, die oberfchlefiihen, durch eine gute Kavallerie verftärkt, bei Neiſſe. Sie 
find den Streitkräften, die Defterreih zunächſt entgegenftellen kann, überlegen. 
Außerdem find 12 Bataillone und 20 Schwabronen im Marih nah Schlefien, 
denen die Armee folgt, ſobald die Antwort, die ich erwarte, mir dazu Grund 
gibt. Treffen Sie Maßregeln für den Fall, dab Sie Wien verlaffen müfjen, 
dort gute Verbindungen zu unterhalten.” °) 

Die Antwort, die Leopold im legten Augenblid der feftgejegten Frift nad 
Berlin entjandte, lautete abermals ausweichend; er jei im allgemeinen mit den 
preußijchen Bedingungen einverftanden, fönne aber in den Abtretungen der Pforte 
ausreichenden Erjag für Galizien nicht erbliden (25. Mai). Doch der Ueber: 
bringer des Briefes, Graf Zinzendorff, lie den Minifter eine vertrauliche Note 
des Kailers lejen, die der Geneigtheit, den Stand vor dem Kriege anzuerkennen 
oder um jeden andern anftändigen Preis den Frieden zu erhalten, Ausdruck gab. 
„Run it der Friede jehr wahrfcheinlich,” frohlodte Herkberg (30. Mai), „Eure 
Majeftät braucht nicht zum Angriff zu jchreiten, Defterreih wird fich ohnedies 
zu Zugeftänbnifien bereit finden laflen.” Die Armee möge in Schlefien bleiben 
und der König an ihre Spite treten, aber nur, um für alle Fälle geiichert zu 
fein und den ftattlihe Beute verheißenden Unterhandlungen erwünſchten Nach— 
drud zu geben. 

Mit den friedlihen Verfiherungen des öſterreichiſchen Botſchafters ftand 
jedoh ein Stimmungsberiht Jacobis aus Wien (2. Yuni) in fchroffem Wider: 
jprud.*) Laudon, fo war darin berichtet, ift, ſeit ihm der Oberbefehl über 
die Armee in Böhmen übertragen wurde, der Held des Tages; die jungen 
Erzherzoge können ſich nicht fatt jehen an dem Gefeierten, fie laſſen nicht ab, 
Fragen an ihn zu richten und ihm ihre Verehrung zu bezeigen. Nun wird es 
bald lebendig werden in unferm Lager, fann man auf Schritt und Tritt hören, 
unjer Zaudon wird fih gewiß nicht mit Dedung der Grenzen begnügen, er 


') Herrmann, Gefhichte des ruffifhen Staates, VI, Anhang V, 555. 

?) Preuß. St. A. Papiers et actes, touchant la marche du Roi avec son armee en 
Silesie, la negociation, qui fut etablie a Reichenbach ete. 1790. 

2) M. Dunder, Friedrich Wilhelm II. und Graf Hertzberg; Sybels hiſtor. Zeitſchrift, 
37. Bdb. 17. 

*) Preuß. St. A. Jmmebiatlorrefponden; mit den bdiesfeitigen Gejanbten v. Pobewils 
und dem Reſidenten Frhrn. Jacobi-Klöft, 1790, 


Annäherung an Preußen. 957 


wird nad alter Römerart den Krieg ftrads in Feindesland hinübertragen. Ein 
Wort des Generals fam in Umlauf: die Niederlande fönnten wohl aud in 
Schleſien wieder erobert werden, fowie ein andres: im Krieg um Schleſien habe 
er den erften Lorbeer erfodhten, damals habe er bort einen Hut verloren, num 
wolle er ausgehen, ihn wieder zu finden. !) 

Auch aus Warſchau gelangte unerfreulihe Botfchaft ins preußiiche Haupt: 
quartier. Die Polen, jo berichtete Lucchefini, immer felbftfüchtig und mißtrauiſch, 
dächten gar nicht daran, Thorn und Danzig gutwillig abzutreten, es wäre benn, 
daß ihnen ganz Galizien zurüdgegeben würde; dazu werde ſich aber Defterreich 
niemals verftehen. 

„Die Polen find Elende,” ſchrieb Friedrih Wilhelm (17. Juni) an Herb: 
berg, „und verdienen nicht, was ich für fie thun wollte, ihre Undankbarkeit 
macht fie verächtlich in meinen Augen.” Dies fei auch feine Meinung, erwiderte 
Hergberg, aber zur Zeit könne man die polnische Freundſchaft nicht entbehren; 
fie würden Schon noch Vernunft annehmen und nach einiger Zeit auch mit einem 
Stüd Galizien vorlieb nehmen. 

Doch Friedrih Wilhelm, von der Ueberlegenheit feiner Truppen überzeugt, 
wollte von längerem Warten nichts mehr hören. Binnen drei Wochen müſſe 
alles ins reine fommen, fchrieb er (14. Juni) an Herkberg; „es ift lächerlich, 
foviel Zeit zu verlieren, wenn man eine Armee, wie die meinige, befitt; ich 
will nicht, daß fie duch Krankheiten und Defertion geſchwächt wird, und dies 
müßte erfolgen, wenn das Stillliegen in den Uuartieren nod länger dauern 
würde.) Nicht bloß Herkberg, auch Finkenftein beflagte dieſes „allzu 
haftige” Drängen auf Waffenenticheidung, das um fo weniger am Plate jei, 
da der König von Ungarn wirklich das Menfchenmögliche thue, um den Frieden 
zu erhalten. „Es jcheint mir Ruhmes genug zu fein,” ſchrieb Finfenftein an 
den Kollegen, „ben Wiener Hof zu folden Anerbietungen bewogen zu haben.” 
„Es hängt nur von uns ab, einen ehrenvollen und vorteilhaften Vergleich ein: 
zugehen; wenn wir barauf verzichten, räumen wir dem Feinde ſchönes Spiel 
ein und entzweien uns mit unſern Verbündeten, bie ſolchen Widerſtand nicht 
begreifen werden; dagegen wird der König von Ungarn als Friedensfreund in 
hellem Strahlenglanz erjcheinen.” „Gewiß wäre es jehr erwünſcht, wenn ber 
König zu einer Ermwerbung, an der nun einmal fein Herz hängt, gelangen 
fönnte, aber es ift höchſt beventlih, durch einen Krieg diejelbe erreichen zu 
wollen, da man ja dabei immer den gefährlichften Zwifchenfällen ausgefegt if. 
Wenn der Wiener Hof auf den status quo eingeht, vermag ich nicht einzufehen, 
wie man das Anerbieten zurüdmweifen fünnte. Krieg zu führen, nur um Zuwachs 
zu erlangen und den Polen einen Gefallen zu erweilen, — wie follten wir 
ein ſolches Berhalten vor Europa rechtfertigen?“ ®) 

Am 17. Juni richtete Leopold an Friedrich Wilhelm nochmals ein 


) Janko, Laudons Leben, 489. 
2) Preuß. St. A. Korreſpondenz zwiſchen Finkenſtein und Hertzberg während der Neichen: 
bacher Verhandlungen, 16. Juni bis 19. September 1790. 
+) Ebenda. Briefe Finlenſteins vom 21., 23., 30. Juni 1790, 
Heigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Friedrich d. Gr. bis zur Mufldfung des beutfchen Heichen, 17 


258 Erſtes Buch. Achter Abſchnitt. 


Schreiben, das gewiſſermaßen als Ultimatum gelten ſollte. Unter wiederholten 
Verſicherungen freundſchaftlicher Ergebenheit erbot er ſich, den Fürſten Reuß 
und den Staatsſekretär von Spielmann nach Schleſien abzuordnen, damit ſie 
dem König oder den von ihm aufgeſtellten Bevollmächtigten alle nötigen Auf— 
klärungen gäben; entweder könne „auf Grund bes status quo essentiel oder 
auf Grund einer Ausgleihung gegenjeitiger Vorteile” ein Uebereinfommen ge: 
troffen werden. „Jh bitte Eure Majeftät zu erwägen, daß ich in diefer ganzen 
Angelegenheit alle erdentlihe Nachgiebigfeit an den Tag gelegt habe, ſowohl 
aus Mäßigung und Liebe zum Frieden, als um der ehrenvollen Vermittelung 
Eurer Majeftät willen. Daß ih darin bis zur äußerten Linie gegangen bin, die 
mir von der eigenen Ehre gezogen wird und da beginnt, wo Zugeſtändniſſe 
nicht mehr durch Gründe der Billigkeit, der allgemeinen Wohlfahrt und der 
Intereſſengemeinſchaft zu rechtfertigen find. Das deutiche Reich und ganz Europa 
verehren in Eurer Majejtät einen Fürften, der die Macht feiner Herrihaft nur 
zum Schutze der Gerechtigkeit, der allgemeinen Ruhe und der eigenen Würde 
gebraucht; da ich die nämliche Gefinnung bege, jo meine ih, wir follten nur 
auf diefer neuen Bahn zum Ruhme miteinander wetteifern und mit vereinten 
Kräften darnach traten, Achtung, Eintradt und Freundfchaft zwifchen uns auf: 
recht zu erhalten.” 

Ein jo herzlih und ehrerbietig ausgeiprodhener Wunſch Ffonnte nicht ein: 
fah abgelehnt werden. Friedrich Wilhelm ermächtigte alfo feinen Minifter 
Hergberg zur Eröffnung von Unterhandlungen zu Neihenbah in Schlefien. 
Etwas andres als der status quo, ſchreibt Hertzberg (24. Juni) an Finken— 
ftein, werde fich freilid faum erreichen laffen, „Doch werde ich wenigftens alles 
thun, um den Krieg zu verhindern, der von polnischer Seite lebhaft gewünscht 
wird.“ Dem Anfinnen der Gefandten Englands und Hollands, zu den bevor: 
ftehenden Verhandlungen beigezogen zu werben, jegte Friedrich Wilhelm leb— 
haften Widerftand entgegen: „Warum foll ih Spione in Reichenbach zulaſſen?“ 
Als aber Mr. Ewart erklärte, feine Regierung werde jolde Zurüdjegung nicht 
ruhig hinnehmen, und Hergberg vorftellte, daß die Gelandten der Seemädte 
wenigitens in den Hauptpunften die preußiſchen Forderungen unterftügen wür— 
den, gab der König nah. Nun hielt Finkenftein den Sieg der Friedensfreunde 
für gefihert. „Ich ehe voraus, daß der von preußifcher Seite vorgelegte Ent: 
wurf nicht unverändert zur Annahme gelangen wird, aber nad einigem Markten 
und Feilſchen wird ein Vergleich zu erreihen fein, der den König befriedigt 
und den Krieg verhindert. Freilih, was werden die Türken dazu jagen und 
was werden die Polen beginnen?” — 

Solange die Frage: Krieg oder Frieden? nicht entichieden war, Fonnte 
auch die Erhebung Leopolds auf den Kaiferthron nicht als gelihert gelten. War 
bob von Preußen, wie wir gejehen haben, die Uebertragung der Krone an das 
Haus Zweibrüden ernitlih ins Auge gefaßt worden, war doch der Plan Joſephs, 
durh die Wahl des Bruders zum römifchen König die Kaiferwahl im voraus 
zu regeln, am Widerftand des Fürftenbundes gejcheitert. 

Am 26. März, alſo gleichzeitig mit der eriten Einladung zu friedlicher 
Löjung der ſchwebenden Streitfragen, richtete König Leopold an Friedrich 


Vorbereitungen zur Kaifermahl. 259 


Wilhelm die Bitte, ihm bei ber bevoritehenden Kaiferwahl die brandenburgifche 
Stimme zuzumwenden. !) Die Antwort befhränfte fih auf ein Fühles Schmeidhel: 
wort, der König von Preußen fönne ſich nicht verhehlen, daß Leopold um feiner 
Geburt und feiner perjfönlihen Vorzüge willen auf die erhabene Würde gerechten 
Anſpruch habe. In den ſpäter zwifchen beiden Monarchen gewechfelten Briefen 
wird die Wahlangelegenheit nicht mehr erwähnt. 

Kaifer Joſeph hatte vor zwei Jahren zuerft den Kurfürften von Mainz 
zu gewinnen und dadurch den Fürftenbund zu ſprengen verfuht. Auf gleichem 
Wege wollte Leopold zum Ziel gelangen. Anfangs April fam ein außerorbent: 
licher Gelandter des Königs von Ungarn, Graf Schlid, nah Mainz, um in 
herfömmlicher Weile die Stimme bes Kurfürften zu erbitten; zugleich legte er 
aber in geheimer Audienz dar, welche Vorteile Kurmainz von einem Ya zu er: 
warten habe, welchen Gefahren es durch ein Nein fi ausſetze; die Nüdficht 
auf Preußen brauche den Kurfürften nicht zu beunrubigen, denn Zeopold jelbit 
jei ein warmer Freund der Union und werde derjelben beitreten, ſobald der 
Friede mit Preußen erreicht fei. Friedrih Karl ermiderte ausweidhend mit 
einem Scherzwort: die römische Krone gleiche einem Fräulein von hoher Ge: 
burt, deſſen Hand nicht ohne weiteres zu erlangen ſei; der König von Ungarn 
möge erft einmal zeigen, mweldes Los er der Dame zu bieten habe.) Zu: 
gleich brachte der Kurfürſt dem preußiichen Hofe das Anfinnen Leopolds zur 
Kenntnis. Darauf wies Friedrid Wilhelm feinen Minifter Herkberg an, ben 
Mainzer in den Stand der Verhandlungen mit Defterreich einzumweihen (22. April); 
der Berliner Hof werde ein durchaus befriedigendes Wiener Angebot nicht ab- 
lehnen, habe aber zur Zeit noch feine bindende Zujage gegeben. In der Wahl: 
frage würde Preußen am liebiten Hand in Hand mit Kurmainz geben, doch 
dann möge der Kurfürft auch in der Lütticher Angelegenheit dem preußifchen 
Kabinett, das vielleicht nicht ganz fonftitutionel, wohl aber nad den Grund: 
ſätzen einer aufgeflärten, weitjehenden Politik gehandelt babe, nicht länger 
widerjtreben. 

Auch von Hannover wurde angefragt, ob das Berliner Kabinett der Be: 
werbung Leopolds zuftinnmen oder einen andern Kandidaten aufitellen werde? 
Dabei ließ man durdbliden, daß man zwar am Fürftenbund feftzuhalten ge: 
denfe, aber für Ausſchließung Zeopolds nicht zu haben fei, da nur diefer Bewerber 
Ausfiht habe, durchzudringen. Hergberg felbit teilte diefe Auffaflung. „Ich 
für meine Berfon glaube,” ſchrieb er an den König (Reihenbad, 6. Juli), „daß 
Eure Majeftät Ihre Stimme dem König von Ungarn nit mwohl verfagen 
fönnen.” Friedrich Wilhelm erhob feinen Widerſpruch, ließ aber an die fur: 
fürftlihen Mitglieder des Fürftenbundes die Aufforderung ergehen, fie möchten 
unter allen Umftänden für Aufihub der Wahl bis zur Entſcheidung in der 
Friedensfrage ihren Einfluß geltend machen. 

Am 26. Juni wurden in dem jchlefiichen Städtchen Reihenbadh, und zwar 


') Preuß. St. A. Acta, betreffend die Wahl eines römischen Königs nad) den Abfterben 
Sofephs II, 
*) Ebenda. Acta, die Wahl Leopolds II. betreffend. Bericht Steind vom 9, April 1790. 


260 Erſtes Buch. Achter Abichnitt. 


in dem Haufe des um die fchlefiihe Wollinduftrie verdienten Handelsmannes 
Sadebed am Ring, von den Vertretern Defterreichs, Preußens, Großbritanniens 
und Hollands die Verhandlungen eröffnet. Die Defterreicher ſtanden noch unter 
dem Drud der Hiobspoft vom Kriegsſchauplatz, wo die öfterreihifchen Truppen 
bei der Belagerung von Giurgewo eine Schlappe erlitten hatten; der an ſich 
unbedeutende Borfall hatte als ſchlimmes Borzeihen für die Fortjegung des 
Kriegs peinlihe Entmutigung in Wien hervorgerufen. Dagegen erhielt Herk: 
berg von feinem Könige einen Brief, der von dem Selbftvertrauen und der 
friegeriihen Stimmung im preußiſchen Hauptquartier Zeugnis gab. „Sie werben 
gut daran thun, Herrn von Spielmann ja nicht zu weit entgegen zu fommen; 
wenn das Gebiet, das fie an Polen abtreten wollen, zu Elein ift, fann man 
nicht darauf eingehen; wir würden uns mit der Pforte entzweien und zugleich 
das Vertrauen der Polen verlieren, wenn die Entihädigung für Danzig und 
Thorn nicht ausreichend wäre; ber status quo in pleno wäre für uns gemifler: 
maßen ehrenhafter.” „Ueberhaupt,” jo jchließt das Schreiben, „werden Sie 
einjehen, daß ich hier an der Spite meiner Armee weniger nadhgiebig fein darf, 
als wenn ich von meinem Kabinett in Berlin aus unterhandelte.” ) Troß jenes 
Winfes jeines Föniglihen Herrn glaubte Hergberg den profitablen Tauſchplan 
nicht aufgeben zu dürfen, aber er fpannte die Anforderungen an Defterreich 
jehr hoch. Da von Polen die Städte Danzig und Thorn, jowie ein Strid) 
Landes längs des Obrafluſſes von der Mündung in die Warthe bis zum Urfprung 
an ber fchlefiihen Grenze, endlid das Gebiet zwijchen Nete und Warthe an 
Preußen abzutreten wären, müſſe von Deiterreich ein entjprechender Teil Gali- 
ziens mit Brody und den Salzwerfen von Wieliczla an Polen zurüdgegeben 
werden. Auf eine jolhe Bedingung, erklärte Spielmann, könnte Defterreich 
nur in dem Falle eingehen, wenn es Belgrad behalten dürfte. Dazu war aber 
Hergbergs Einwilligung nicht zu erlangen. So ſchien nad) der erjten Sigung 
nur wenig Hoffnung auf friedlide Einigung geboten zu jein. Trotzdem ſchrieb 
Herkberg ganz befriedigt an den König, der status quo ſei bejeitigt, ber 
Entſchädigungsplan wenigitens im Prinzip von den Gegnern zugeitanden, das 
Geſchäft aljo in beflem Zuge. Friedrich Wilhelm antwortete zuftimmend: 
„Sie haben gut daran gethan, von Anfang an Belgrad und das Gebiet dies: 
jeits der Donau ftreitig zu machen; boffentlih werden dieſe Herren ihre 
Anjprühe im Verlauf der Berhandlungen herabmindern.” Nachdem an den 
näditen zwei Tagen die Verhandlungen fortgedauert hatten, legte Herkberg 
am 29. Juni einen Entwurf vor, der genauer die von Preußen geforderte 
Sebietsverfchiebung feitießte und die Bedingungen andeutete, unter welchen 
Rußland in den Frieden einzufchließen, jowie die Beruhigung der Niederlande 
zu erzielen wäre. ?) 

Die Vertreter Defterreihs hörten den Vortrag jehweigend an und erklärten 


') Preuß. St. A. Papiers et actes, touchant la marche du Roi avec son armée en 
Silesie, et la nögociation, qui fut #tablie a Reichenbach. Schreiben Friedrich Wilhelms 
von 26, Juni 1790. 

) „Points preliminaires ete,* bei Herkberg, Recueil des deductions, III, 97. 


Der Reichenbacher Vertrag. 961 


fodann, fie könnten über die angeregten Fragen ohne neue Anweilung ihrer 
Regierung nit verhandeln. Damit mußte man fih auf preußiicher Seite zu: 
frieden geben; die Sigungen wurden ausgeſetzt, während die Ronzentrierungss 
märſche der Armeen fortdauerten. 

Die öffentlihe Meinung in Deutihland jtand, wie aus der Tagesprejle zu 
erjehen ift, dem andauernden Wechſel zwiichen friedlichen und friegerifchen Rund» 
gebungen ratlos gegenüber. Nie habe es, klagt Schubart in der Vaterländijchen 
Chronik, fo viel Myftiiches, Nenigmatifches, Unbegreifliches in den Staatsereignifjen 
gegeben, ala feit dem Ableben Joſephs II. „In fengender Sommerhitze ftehen 
jegt drei preußifche Heere, eins unter dem Könige und dem Herzog von Braun- 
ſchweig, zwei befondere Heere unter Möllendorf und Friedrich von Braunfchweig, 
und zwei große kaiferliche Heere unter Laudon und Hohenlohe, ohne daß noch eine 
Kriegserflärung erfolgt wäre... Indem die Krieger in der Sonne jchwigen, 
arbeitet Hergberg im Schatten an der Ausföhnung . . . Mars nahm JIrene mit 
ins Feld!” 1) Ueber die SFriedensbedingungen waren allerlei begründete, wie 
abenteuerlide Gerüchte im Umlauf; Preußen fordere das ganze öfterreichijche 
Schleſien, der Friede erfolge auf Betreiben der Königin von Franfreih, die zur 
Rettung ihres Thrones die deutſche Macht aufbieten wolle u. ſ. f. 

Als ein Tag nad dem andern verftrich, ohne dak eine Antwort aus Wien 
in Neihenbah eintraf, wurde man auf preußiiher Eeite unruhig. Jacobi in 
Wien ſagte dem Vicefanzler Cobenzl ins Gefiht, man wiſſe im preußifchen 
Hauptquartier recht gut, daß Baron Herbert im Auftrag des Wiener Hofes in 
Bukareſt insgeheim mit den Türken verhandle; offenbar bejtehe die Abſicht, das 
preußische Kabinett erft in Sicherheit einzumiegen und dann plößlich durch bie 
Meldung eines Sondervertrags mit der Pforte aufzufchreden, um den Reichen: 
bacher Forderungen die Spike abzubrechen. Darauf beteuerte zwar Cobenzl, fein 
Gebieter fei folder Winkelzüge nicht fähig, doch blieb in Jacobi der Argwohn 
rege, daß in Neichenbah und Bufareft ein binterliftiges Doppelipiel (double 
tripotage) getrieben werde. ?) 

Noh ehe der alarmierende Bericht Jacobis ins preußifche Hauptquartier 
gelangte, war hier ein Umſchwung erfolgt; der König ließ das Syftem Herk: 
bergs fallen und jchidte fih an, die Fahne zu entrollen. Denn nur als Sieg 
uchefinis und der Kriegspartei darf es aufgefaßt werden, daß unmittelbar 
vor Abſchluß der Verhandlungen das ganze Friedenswerf auf den Kopf geitellt 
und gerade das Gegenteil der bisherigen Vorjchläge gefordert wurde?) Am 


) Chronik, Jabra. 1790, 486, 444, 446. 

2) Preuß. St.A. Des Baron v. Jacobi:Nioejt Relationes etc. Jacobis Beriht vom 
12. Jult 1790. 

2) Sybel, 182. Die Anficht Zinfeifens (Gef. der Türkei, VI, 785), Friedrich Wilhelm 
babe aus Furt vor friegerifcher Verwickelung die rabuliftiiche Politik Hergbergsd aufgegeben, 
ift gegenüber den Mitteilungen Hergbergs an AFinkenftein unhaltbar. Auch die Darftellung der 
Reichenbacher Borgänge in v. Cöllns Vertrauten Briefen über die inneren Berhältniffe am 
preußifchen Hofe (II, 157), wonad Luchefini, durch eine Intrigue Biſchoffswerders an Etelle 
des erkrankten Herkberg geihoben, mit Spielmann die „unglüdlihe Konvention“ geſchloſſen 
hätte, fteht mit den Alten in Widerſpruch. 


2062 Erites Bud. Achter Abjchnitt. 


11. Juli brachte Luchefini nach Reichenbach einen acht Seiten langen, eigen: 
händigen Brief Friedrih Wilhelms; darin war der Minifter angewiejen, bei 
Miederaufnahme der FFriedensverhandlungen einen neuen Weg einzufchlagen. 
„Polen hat zu erkennen gegeben, daß es ganz und gar nicht geneigt ift, auf 
den vorgejhlagenen Austaufh mit den galizischen Diftriften einzugeben; die 
Türfen würden alles Vertrauen verlieren, wenn man fi wegen der Entſchädi— 
gung nur an fie halten wollte. In diefer Erwägung und insbejondere mit 
Rüdfiht auf den Zeitverluft, den bie binterliftig geführten Verhandlungen uns 
verurjachen, iſt es, wie ich beſchloſſen habe und Ihnen hiemit eröffne, am beiten, 
den status quo vor dem Kriege vorzuichlagen. Damit läßt jih am beften zum 
Frieden gelangen; daran werde ich mid) halten und will, jobald die Zuftimmung 
des Miener Hofs eintrifft, ven Grafen von Luzi über Wien ins Lager des Groß— 
wejlirs jenden, um der Pforte Nachricht zu geben.” 

Außerdem verlangte der König, in ben Friedensvertrag müſſe auch bie 
Garantie der belgiihen Verfaſſung aufgenommen werden, womit ja auch bie 
Seemädte einverftanden jeien. Endlich ſoll der Anſpruch erhoben werden, daß 
König. Leopold die ungarifche Verfaffung beftätige und die Bürgichaft des Königs 
von Preußen als Herzogs von Schlefien zulaſſe. „Sie werben jelbft fühlen, 
wie wichtig es für Preußen ift, diefe bedeutungsvolle Stellung zu gewinnen, 
und wie günftig die gegenwärtigen Umftände ſich anlafjen.” „Was den status 
quo, an fih gewiß eine ehrenhafte Forderung, betrifft, jo ift mir, wenn man 
ihn mweigern jollte, der gerechteſte Anlaß zum Kriege geboten; dann fann mir. 
England feine Hülfe nicht verfagen, und die vorteilhafte Allianz mit den Türfen 
wird noch befeftigt; anderjeits ließe fich vielleicht, wenn e& gelänge, den status 
quo vom Wiener Hofe zu erzwingen, die Verbindung Defterreihs mit Rußland 
auflöfen. Jedenfalls wäre es jo unziemlih wie ſchädlich, an der Spige einer 
ichlagfertigen Armee die Zeit mit langen Unterhandlungen zu verlieren.” 

Betroffen erwiderte Herkberg, er ſei in fein Projekt nicht verliebt und 
habe nur im Intereſſe des Königs feine Vorſchläge gemacht; die darauf zielen: 
den Verhandlungen würden ficher nicht mehr Zeit gefoftet haben, als man zur 
Beratung über Wiederherftelung des Zuftandes vor dem Kriege brauchen würbe. 
Jetzt von den bisherigen Bedingungen plöglih abgehen und andre aufitellen, 
heiße Leopold eine kaum erträglide Demütigung auferlegen; der Anjprucd auf 
Sarantie der ungarischen Verfaſſung vollends ſei gleihbebeutend mit einer 
Kriegserklärung. 

Nun ift der Krieg wohl nicht mehr abzuwenden, ſchrieb Herkberg an den 
Kollegen, denn was ih Tem König von Ungarn zumuten fol, kann er nicht 
annehmen, ohne fich Telbit zu entehren. „Luccheſini ift ganz und gar für den 
Krieg, ebenjo Herr von Jacobi; es iſt nur qut, daß fie jelbft an Ort und Stelle 
jehen werden, welche Schwierigkeiten und Gefahren der Krieg mit ſich bringen 


wird, insbejondere in Bezug auf die Verpflegung ... Man jcheint ſich mit 
einem Feldzugsplan zu tragen, der nad meiner Anficht niemals Erfolg haben 
fann, man will nämlich wiederum Böhmen angreifen... Ich kann den Gieß— 


bad in feinem wilden Laufe nicht mehr aufhalten!” 
Wenn Hergberg trogdem gehofft haben mochte, daß der König die War: 


Der Reichenbacher Vertrag. 263 


nung feines jonft jo geichägten Minifters beachten werde, fo ſah er fih ent: 
täufht. Ein zweiter Brief Friedrih Wilhelms vom 12. Juli wiederholte kurz 
und bündig die Weifung, den status quo als Grundlage der Verhandlungen 
zu wählen; nur die Garantie der ungariſchen Konftitution wurde aufgegeben. 
„Bas die Ungarn betrifft, jo weiß ich nicht, woraus Sie entnehmen, dab id 
in der Garantie eine conditio sine qua non erblide; es fommt vor allem darauf 
an, daß die Ungarn felbit von mir diefe Garantie fordern, mas fie am 14. d. Mte. 
thun wollen; dann wird es immer noch Mittel und Wege geben, vor den öfter: 
reihiichen Miniftern auf gemäßigte Art etwas davon anzubringen.” Den Ge: 
jandten Englands und der Niederlande fol der neue Entihluß des Königs 
befannt gegeben werden. Die ernite Zeit erheifche ernftes Auftreten; England 
möge recht bald eine Flotte ins baltifhe Meer jenden, um den König von 
Schweden zu retten und die preußifchen Küften zu deden. 

Am 12. Juli erhielt Fürft Reuß endlich die Antwort auf die Vorfchläge 
vom 29. uni. Im Wejentlihen waren die preußiihen Bedingungen angenont: 
men; nur auf dem Beſitz von Belgrad ſollte beftanden und ftatt des geſorderten 
Teiles von Galizien ein andrer von der Sau bis Brody angeboten werden. Nun 
brach Hergberg jelbit nah Schönwalde auf, um dem Könige die Vorteile einer 
Verftändigung auf Grundlage des Wiener Angebots auseinander zu ſetzen. Doc 
alle Anftrengungen waren vergeblich; der König verlangte „in beftimmten, ja ſogar 
ftrengen Ausdrücken“, dab auf dem status quo beftanden werde, da nur biefe 
Forderung für Preußen anftändig und angemefjen ſei. Ueberdies machte er, 
um der genauen Beachtung feiner Anordnung verfichert zu fein, den Vorſchlag, 
daß auch Marqueje Luchefini den Konferenzen beimohnen jollte, allein Her&berg 
lehnte jo beihämende Kontrole ab. Kaum war der Minilter nad Reichenbach 
zurüdgefehrt, wurde ihm ein Handbillet des Königs eingehändigt, das den ge: 
meſſenen Befehl enthielt, binnen zehn Tagen müſſe der Friede geichloffen fein 
oder die Verhandlung abgebrochen werden. „Ihre Abfichten mögen ja gut jein, 
aber Sie jchädigen das Staatswohl, wenn Sie nicht furzweg alles abjchneiden, 
was die Verhandlungen hinausziehen fann. Mithin ift es meine Aufgabe, Sie 
daran zu bindern, indem ich Ihnen aufs Beſtimmteſte auftrage, nur meinen 
Willen zu vollziehen und fich nicht mehr länger von Fürft Kaunitz narren zu 
laſſen.“ 

Hertzberg mußte alſo, wie ungern er auch auf ſeinen eigenen „Friedensplan“ 
verzichtete, den Defterreihern das neue Ultimatum kundgeben. Fürſt Reuß und 
Spielmann, fichtlih betroffen, fuchten mwenigitens einige Beihränfungen des 
status quo, insbejondere Auslieferung der Feltung Orfowa, durdzufegen, doch 
Hergberg blieb umerbittlih. „Ich war ja dazu genötigt,“ jchreibt er an Finken— 
ftein, „alles rundweg abzuſchlagen.“ Die Gejandten der Seemädte unterftügten 
in der Sitzung die preußiſche Forderung, gaben aber in einer Sonderbefprehung 
ben Defterreihern ihre Bereitwilligkeit zu erfennen, dafür zu wirken, daß zwar 
im allgemeinen der Stand vor dem Kriege zur Grundlage dienen, dem König 
von Ungarn aber unbenommen fein follte, fi über kleine Abtretungen zur Sicher: 
heit feines Staates unmittelbar mit der Pforte zu verftändigen. 

Nohmals, am 16. Juli, gab der König feinen unmiderruflihen Entichluß 


254 Erjtes Bud. Achter Abſchnitt. 


zu erkennen, daß er von ber Erfüllung der aufgeftelten Bedingung den Frieden 
abhängig machen wolle. „Wir werben ja jetzt jehen, ob es der Wiener Hof auf Krieg 
ankommen laflen wird ; die geftern eingelaufene Depeſche Jacobis zeigt zur Genüge, 
daß fich die Verlegenheiten für den Wiener Hof, wenn er fich weigert, auf meine 
Abſichten einzugehen, noch fteigern werben. Möglicherweife wird ſich ber König 
durch die ſchlechte Gefinnung des Fürften Kaunig und den falfhen Ehrgeiz bes 
Marſchalls Lacy zum Krieg verleiten lafjen; jedenfalls war der feſte, kräftige 
Entihluß, den ich gefaßt habe, das einzige Mittel, eine Unterhandlung abzu: 
ichneiden, die von Defterreih mit Hinterliftiger Abjiht endlos hinausgezogen 
worden und für mich, der ich zum erftenmal eine Armee befehlige, wenig ehren: 
voll gewejen wäre. Ich bin hocherfreut, daß Sie fo getreu auf meinen Willen 
eingegangen find; man darf nun von dem einmal eingeichlagenen Wege nicht 
mehr abweichen.” Auf die Meldung Hergbergs, daß Fürſt Neuß auf eine be: 
ftimmtere Erklärung Preußens bezüglid der belgifhen Frage gebrungen habe, 
erwiderte Friedrih Wilhelm: „Und ich erwarte vor allen Dingen, daß ber 
Miener Hof jofort und beftimmt eine Erklärung abgibt, ob er auf den status 
quo eingehen will oder nicht; ehe dies nicht geichehen, werde ich mich über 
feinen andern Artikel äußern.” Man fieht, in Schönwalde herrſchte Eriegsluftige 
Stimmung; man hoffte und wünſchte, daß die dem Wiener Hofe gejegte Frift 
ohne Ergebnis verftreihen möchte. „Da es nicht unmahrjcheinlih iſt,“ ſchrieb 
der König am 20. Juli, „daß der Wiener Hof wieder nur eine verzögernde 
Antwort geben wird, jo beauftrage ih Sie, ohne Aufihub an dem Kriegs: 
manifeft zu arbeiten, damit es fertig ift, wenn dieſe Leute mich nochmals zum 
Narren halten wollen. Alle meine Maßnahmen find getroffen; nichts kann und 
darf fie aufhalten, als die Annahme des unbejchränften status quo!” Spielmann 
ließ das drohende Wort fallen, der Wiener Hof werde, wenn man ihn zum 
Heußerften reize, vor ganz Europa den Beweis liefern, daß Preußen die Ungarn 
und die Galizier zum Aufitand aufgeftachelt habe; Herkberg meldete es, ohne 
eine Bemerkung daran zu Inüpfen, aber auch der König ging gar nicht darauf 
ein, Sondern wiederholte bloß den Befehl, das Manifeft bereit zu halten. 
„Wenn die Umftände mich zum Aufbruch nötigen, werde id es Ihnen anzeigen 
und werde Sie von allen Kriegsvorfällen unterrichten.” Zugleich wurde ber 
Aufbruch der Truppen auf den 25. Juli feftgefegt; von allen Seiten jollte 
gleichzeitig der Einmarſch in Böhmen bemeriftelligt werden. 

Doch das Unerwartete traf ein. Am 23. Juli nahmittags überbradhte 
ein Kurier die Antwort des Wiener Hofes, und am nächſten Morgen gab Fürft 
Neuß die Erklärung ab: König Leopold ift bereit, auf Grund des status quo 
mit der Pforte Frieden zu ſchließen. Freilih war die Bemerkung. eingeflodhten, 
der König von Ungarn gebe fi der Hoffnung hin, daß die Pforte freiwillig 
unter Vermittelung des Königs von Preußen einige Grenzmodififationen zu: 
geftehen werbe. 

Der Zufag fei unbedenklich, ftellte Herkberg dem König vor, denn er 
enthalte weder für die Pforte, noch für Preußen eine wirkliche Verpflichtung; 
Preußen fünne noch immer feine Vermittelung von näher zu bejtimmenden 
Abtretungen abhängig machen. 


Der Reichenbacher Vertrag. 265 


Die überrafhende Botichaft aus Wien ließ nun aud in Schönwalde eine 
friedlichere Stimmung die Oberhand gewinnen. Friedrih Wilhelm genehmigte die 
MWiederanfnüpfung der Verhandlungen und übergab feinem Minifter ein Memoire, 
das fünf Punkte als Mittel zur Ausgleihung feiner Abjichten mit den Wünſchen 
der Seemädte in Vorſchlag bradte. Nachdem Dejterreih den ftrikten Befig: 
fand vor dem Kriege als Friedensbafis angenommen habe, joll derjelbe auch 
von den Miniftern der Seemächte unverzüglich garantiert werben, bamit die 
Defterreiher nicht wieder Zeit hätten, für die Wiederbelebung ihrer Hoff: 
nungen zu wirken; in die preußiiche Gegendeflaration fol zwar eine Erwähnung 
diefer „Hoffnungen“ aufgenommen werden, doch mit dem Beifügen, daß für 
den Fall einer Erwerbung des Wiener Hofes ein Erjag für Preußen geboten 
werde‘); in der belgiihen Frage fol Preußen Hand in Hand mit ben ver: 
bündeten Seemädten gehen; der Friede mit Rußland ſoll mit den fchwebenden 
Unterhandlungen nichts gemein haben, die Sicherftellung der Türkei fol Preußen 
überlafien bleiben, das nur einen Frieden auf der Bafis des status quo stricte 
zulafien werde; die Schlußverhandlungen follen unter der Aufſicht und Ber: 
mittelung der Minifter der Höfe von Berlin, London und dem Haag ftattfinden. 

Friedrih Wilhelm war noch nicht frei von Beforgnis, daß Herkberg wieder 
in das alte Fahrwafler einlenfen und zu Gunften feines „grand dessin“ ben 
Vertretern Defterreihs oder der Seemächte unpafiende Zugeſtändniſſe machen 
könnte; er wies daher den Minifter an, den Entwurf der Gegendeflaration vor 
ber Konferenz ins Hauptquartier zu fenden. Hertzberg erwiderte, er werde bie 
Erklärung nad Berjtändigung mit den Vertretern der Seemädte abfafjen; die 
fünf Punkte jeien auch in feinem eigenen Berichte enthalten geweien. „Allein 
ich jehe wohl, daß ih Eurer Majeftät Vertrauen nicht mehr genieße und nicht 
mehr genießen werde, daß ih nur noch Spradrohr:-Minijter fein ſoll.) Und 
doch glaube ih, auch bei diefer Gelegenheit beweifen zu können, daß ich die 
Sntereflen des Staats fenne und zu wahren mweiß, jo gut wie andre, wenn 
man mid nur rüdhaltlos darüber jprechen ließe.” Trotzdem blieb der König 
bei feinem Argwohn und forderte Vorlage des Entwurfes. „Die erfte Pflicht 
eines Minifters ift, jeinem Herrn zu geboren; ich hoffe nicht nötig zu haben, 
Sie daran zu erinnern.” Auch der am nächſten Tage von Her&berg vorgelegte 
Entwurf fand nicht die ungeteilte Billigung des Königs; es wurde noch einiges 
abgeändert, „damit Preußen ſowohl gegenüber den belgiſchen Generalftaaten als 
der Pforte möglichft freie Hand behalte.“ 

Am 26. Juli traten die Vertreter der vier Mächte zu neuer Beratung 
zufammen. Insbeſondere die Forderung, daß Preußen als Bürge ber belgischen 
Verfaſſung aufgeitellt werde, ftieß bei Reuß und Spielmann auf heftigen Wider: 
ſpruch; war doch mit Sicherheit vorauszufehen, da dann auch die Stände von 
Ungarn und Galizien das nämlihe Zugeftändnis heiſchen würden. Eine von 


'ı... „Que dans la surdite contredeclaration Prussienne on ne parle de ces 
esperances que pour insister sur des esperances d’un “quivalent en cas d’acquisition de 
la part de la cour de Vienne* . 

7)... „(Que je ne dois &tre que le Ministre Porte-voix* . 


2665 Erftes Buch. Achter Abſchnitt. 


den Gejandten der Seemädhte vorgeichlagene Erklärung wurde von Friedrich 
Wilhelm nicht genehmigt. „Sie jhien mir nah Ton und Ausdrud unannehm: 
bar zu fein, weil fie den Eindrud zuließ, als ob ich mich entichuldigen wollte, 
daß ich mich in die häuslichen Angelegenheiten eines andern Staates eingemifcht 
hätte, diefe Wendung war ungeziemend, und überdies hat es fi) darum nie 
gehandelt. Wenn der Artikel nach meiner Faflung vorgeichlagen jein wird, 
muß auf ſchleunige Unterzeichnung gedrungen werden. Den Deiterreihern darf 
es nicht zweifelhaft bleiben, daß ein weiterer Aufihub als Abfiht, den Krieg 
herbeizuführen, aufgefaßt werden müßte.” 

Herkberg jelbit begab fih nochmals nad Schönwalde und juchte den König 
zu überreden, von der Garantie der belgiichen Verfaſſung abzuftehen, da fie 
von den Defterreihern nun und nimmer bewilligt werden fünnte, — umjonft, 
Friedrih Wilhelm beharrte auf feinem Entſchluß. 

Diefe Beharrlichkeit wird durch die außerorbentlihe Gunft der Lage für 
Preußen erklärt und gerechtfertigt. Gerade am 26. Juli ſchrieb Graf Luzi, der 
auf der Reife nad) Konftantinopel begriffen war, aus Wien: „Der Thron Leopolds 
ift bis zu den Grundfeften erjchüttert. Eure Majeität hält das Geſchick einer 
der eriten Mächte Europas in Ihrer Hand. Sollten Eure Majeftät ſich genötigt 
jehen, das Schwert zu ziehen, — niemals hat ein Krieg unter glüdlicheren 
Aufpizien begonnen! Nicht einige Unzufriedene, ganz Ungarn, die gejamte jtarfe 
und Friegeriiche Nation ift bereit, fich zu erheben.” 

Nah Reichenbach zurückgekehrt, berief Hertzberg die Gefandten zur ent— 
Icheidenden Sigung. Nach langer, flürmifcher Debatte wurde der preußiſche Ent: 
wurf angenommen. „Indem ich den Defterreihern gewiſſermaßen Gewalt anthat,” 
meldete Herkberg abends dem König, „und immer mit dem Abbruch der Verband: 
lungen drohte, jegte id) durch, daß die Deklarationen unterzeichnet und ausgetaufcht 
wurden.” Auch Luchefini war bei der legten Konferenz anwejend geweſen und 
hatte, dem Prinzen Reuß die Uhr vor die Augen haltend, zum Abſchluß ge: 
drängt. „Die Deiterreiher,” jchrieb Hergberg an Finkenftein, „haben nur mit 
heftigem Widerftreben unterzeichnet; ich war genötigt, die ſchwerſten Drohungen 
gegen fie hervorzufehren. Herr von Spielmann geht morgen weg und will mit 
niemand mehr jprehen. Ich babe unter den peinlichſten Verbrießlichkeiten, die 
mir namentlid von Schönwalde bereitet wurden, zu leiden gehabt; ich müßte 
einen Band jchreiben, wollte ich mich darüber weiter auslafjen. Herr von Luccheſini 
hat eine Hauptrolle dabei geipielt; er iſt auch zum Bevollmächtigten für den 
Friedenskongreß auserfehben. Ich balte es nicht für ziemlih, meine eigene 
Meinung über den Traktat auszufprechen; ich habe dazu nur meinen Namen 
und meine Feder hergegeben, alles übrige war mir von ber Hand des Königs 
vorgezeichnet.“ Auch als Friedrih Wilhelm zum glüdlihen Abſchluß der Ber: 
bandlungen gratulierte, erwiderte Hergberg froftig: „Es ift an mir, Eure Majeltät 
aus Anlaß des Vertrags zu beglückwünſchen, da er ja einzig und allein Ihr 
Werk ift.” Doch auch die Verftimmung über die erlittene Zurückſetzung konnte 
den Minifter nicht bewegen, auf „Teinen” Tauſchplan völlig zu verzichten. Er 
habe fih nochmals wegen Danzig und Thorn mit dem engliihen Gejandten 
ins Benehmen gejegt, meldete er dem König, und Mr. Ewart habe die Meinung 


Der Reihenbadher Vertrag. 267 


geäußert, hierüber werde am beiten von Luccheſini in Warſchau verhandelt 
werden. „Ich habe feinen Grund,” antwortete der König, „mich in diejer Sadıe 
zu beeilen, denn ich will nicht, daß die Defterreiher wieder anfangen, von 
Orſowa zu fpreden; dies würde aber unfehlbar gejchehen, wenn fie von ſolchen 
Verhandlungen Wind befämen.“ 

An 27. Juli 1790 wurde in Form gegenjeitiger Erklärungen folgendes 
feſtgeſetzt.) Defterreih erklärt fich bereit, mit der Piorte Waffenftilliftand zu 
ihließen, um auf Grundlage des Beitandes vor dem Kriege Friedensverhandlungen 
einzuleiten; dabei ift der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß ſich die Pforte zu einigen 
verjöhnlihen Grenzmodififationen verftehen werde. Falls der Krieg zwischen Ruß— 
land und der Türfei fortdauern follte, wird Defterreich nicht mehr daran teil: 
nehmen. Bon preußiiher Seite wird gefordert, daß jene der Türkei angefonnenen 
Modifitationen jedenfalls freiwillige fein müßten, daß fodann der König von 
Ungarn dem preußijhen Staat einen entſprechenden Erſatz leilten und das 
Nähere auf einem zu berufenden Friedenskongreß feitgeftellt werden folte. 

In einer gejonderten Erklärung verſprach Preußen, in Uebereinftimmung 
mit den verbündeten Seemädten dafür Sorge zu tragen, daß bie belgischen 
Provinzen unter die Herrichaft des Haufes Defterreich zurüdfehrten; dafür jollte 
ihnen eine Garantie ihrer alten Verfaſſungen gewährt werden. Emwart und 
de Neede gelobten im Namen ihrer Höfe, für wechjelfeitige Erfüllung der von 
Deiterreih und Preußen übernommenen Berbindlichkeiten einzutreten und auf 
dem Friedenskongreß die weitere Vermittelung zu übernehmen. 

Noch war aber fraglih, ob Leopold den Reichenbacher Vertrag aner: 
fennen und unterzeichnen werde. Bon Finkenſtein wurde es bezweifelt; da 
Spielmann zornig ohne Abjhied Reichenbach verlafien habe, werde der Handel 
wohl noch ein Nachipiel haben. Hertzberg ſchloß ſich diefer Befürchtung nicht 
an; die Krilis in Ungarn, ermwiberte er, werde Leopold wohl nötigen, den 
Vertrag zu genehmigen, „allein was it damit gewonnen? Xeopold wird zu: 
ftimmen, aber in einigen Jahren Rache dafür nehmen! Ich habe dies alles 
vorgeftellt, aber man hat mir durch eigenhändige Briefe des Königs den Mund 
verſtopft!“ 

Am 4. Auguſt überbrachte Fürſt Reuß die ratifizierte Urkunde; Leopold 
hatte wirklich unterzeichnet, obwohl die preußiſchen Forderungen in Wien allge— 
meine Erbitterung hervorgerufen hatten. Fürſt Kaunitz, der früher den Tauſch— 
plan des „abſcheulichen, inſidiöſen“ Hertzberg geſchmäht hatte, war über das 
Zurüdgreifen auf den status quo noch ungehaltener; er mußte, wie Hergberg 
in Reichenbach, durch ein Handbillet jeines Herrn förmlich gezwungen werden, 
zum Abſchluß der Verhandlungen die Hand zu bieten. *) 

Dem Troß der Preußen, jchrieb Leopold an Schweiter Chriftine, den 
Ränken der engliihen und holländiihen Diplomaten und dem Aufftandsgelüfte 


', Preuß. St. Korreſpondenz mit Hergberg 1790. In deuticher Ueberſetzung abge: 
drudt im Bolit. Journal, Jahrg. 1790, 870. 

2) Beer, Joſeph II., Leopold IT, und Kaunitz, 368. — Beer, Die orientalifche Politik 
Defterreichs, 149. 


2068 Erſtes Bud. Achter Abichnitt. 


der Ungarn habe er nicht länger ftand zu halten vermodt.‘) Auch das uner: 
wartete Ableben Laudons (14. Juli) mochte als ernfte Mahnung zur Nachgiebig: 
feit empfunden worden ſein. 

Friedrih Wilhelm nahm, wie es jcheint, die zuftimmende Antwort Zeopolds 
mit Befriedigung entgegen; er 309 den Friedensboten zur Tafel und ſprach ihm 
jeine Freude aus, daß nunmehr der Degen in der Scheide bleiben und unver: 
züglich die Abrüftung beginnen könne. 

Ohne Zweifel bedeutete ja der Reichenbacher Vertrag für ben Augenblid 
einen glänzenden Erfolg Preußens, eine Niederlage Defterreihs. In einem 
Glückwunſch des Grafen Golg an Friedrih Wilhelm (1. Auguft) find die Licht: 
jeiten überfchwenglich gepriefen. „Niemand kann in Abrede ftellen, daß der 
von Eurer Majeftät diktierte Friede ebenfo ehrenvoll für Sie und vorteilhaft 
für die Pforte, wie demütigend für das Haus Defterreih if. Eure Majeftät 
erfreuen fih der Genugthuung, daß Sie Ihren Gegner vor ganz Europa ge: 
nötigt haben, auf Bedingungen einzugehen, denen das freie Ermefjen Eurer 
Majejtät zur Grundlage diente. Ohne die Eiferfucht einer benahbarten Macht 
zu erregen, haben Eure Majeftät den glänzenden Ausfichten eines Krieges ent: 
jagt und lieber Jhrem Lande Nuhe und Frieden, bie Grundlagen bes Glüdes 
der Völker, erhalten. Der Vorteil für Eure Majeftät befteht in der Schwächung 
des Gegners und in der Auflöfung des Bundes zwiſchen Defterreih und Ruß: 
land; aus diefem Grunde ift der Friede, der überdies von Ihrer Großmut und 
Selbitlofigfeit Zeugnis gibt, für Sie nicht minder glorreih, als ein glüdlicher, 
erfolgreiher Krieg.” 

Diefe Auffaffung ſcheint in norddeutihen und proteftantifchen Kreiſen die 
vorherrjchende gemwejen zu fein. Die Berliner Monatsihrift nimmt wiederholt 
die Gelegenheit wahr, die Großmut und die Friedensliebe Friedrih Wilhelms 
zu preifen. 

„Zeurer König! Friedenswonne 
Gibſt du und zum Cigentum, 
Und im Glanz der Morgenfonne 
Singet alles deinen Ruhm!“ ?) 


Namler feierte in der Berliner Akademie den „Fürften der Brennen”, 
der opfermutig das Feuer, das jhon ganz Europa zu erfaffen drohte, ausge: 
löſcht, der 


„. . . nicht wie Pyrrhus erobern will, aber — ein befferer Pyrrhus — 
Seinen Cineas hört!” ?) 


Noch reihere Xobesipenden erhielt Cineas:Hergberg, als deſſen Werk der 
Neihenbadher Friede von der öffentlihen Meinung angejfehen wurde. Das 
Hamburger politifhe Journal rühmt den „aroßen Mann, deſſen Geiſt, deſſen 
gründliche, tiefe und vieljährige Kenntnis des europäifhen Staatsiyitems, defjen 


) Wolf, Leopold 11. und Marie Chriftine, 184. 
*) Ode von 8. ©. v. Raumer in der Berl. Monatäfchrift, Jahrg. 1790, 201. 
+) Ebenda, 387. 


Der Reichenbacher Bertrag. 269 


bis auf den heutigen Tag ebenſo weije als glüdlihe Politik, deſſen ebenfo red: 
fihe als erhabene Vues politiques, folange er Staatsminifter ift, das politiiche 
Glück von Preußen und wahrlihd aud von ganz Europa gemacht haben.” !) 
Die Bürgerfhaft von Reichenbady bereitete am 8. Auguft dem Minifter eine 
Ovation, um „ihre freude am lobpreislihen Gebeihen des Pazififationskongrefies“ 
an den Tag zu legen. Ebenſo mwetteiferten in Breslau Behörden und Bürger: 
Ihaft, um dem Monardhen und dem Minifter ihre dankbare Bewunderung fund: 
zugeben. „Es floß fein Tropfen Menjchenblut,” läßt Schubart in der Chronif 
einen Preußen frobloden, „und doch haben wir unjrer Nebenbuhlerin Auftria 
die blutigen Lorbeerfränge vom Haupte geriffen!”?) Dem „Schiedsrichter von 
Europa“ ſchien eine jo gebieteriſche Stellung eingeräumt zu fein, daß die Er: 
folge des großen Friedrih in den Schatten gedrängt waren. 

Es fehlte aber auch nicht an Stimmen, die über das Reichenbacher Werk 
weniger günftig, ja jogar abjällig urteilten, Wedherlin ſchrieb unter dem Titel: 
„Der Friede zu Reichenbach“ ein Loblied auf den Krieg, der unter gegebenen 
Berhältnifjen einem faulen, mit den unerbittliden Gefegen der Natur und ber 
menſchlichen Leidenihaft in Widerjprud ftehenden Frieden vorzuziehen fei.?) 
Schlözer ſah in dem „Eleinmütigen” Auftreten der preußiſchen Politifer in 
Shlefien den Beginn des Berfalles der fridericianifhen Macht. „Man erzählt 
feltfame Dinge von dem status quo in Preußen,” fchrieb er (19. Juli 1790) 
an Graf Schmettow, „fein Mut mehr in der Nation, nicht einmal ein militäri- 
iher mehr! Man fol ſelbſt Defterreih fürchten! Schidjal der Menjchheit! 
Zwei Augen Friedrihs des Adlers jchließen fih, und jehs Millionen Menschen 
werben umgeftaltet; vielleicht in dreißig Jahren jpriht man von Preußen, wie 
vor dreißig Fahren von Polen!” *) Der amerikaniſche Gejandte in Paris, 
Morris, jchrieb jeiner Regierung: „Preußen ift, obwohl es die Bedingungen 
des Reichenbacher Vertrages diktiert hat, vollftändig hinters Licht geführt wor: 
den.“ Die Aeußerung bezog ſich ebenjo auf das Gebaren der Seemädte, wie 
auf das Verhältnis zwiſchen Defterreih und Rußland. Auf preußifcher Seite 
wurde, wie aus dem Schreiben des Grafen Gol& erhellt, die Sprengung des 
Bündniffes der Kaijerhöfe erhofft; diefes Vertrauen wurde aber enttäufct. 
Leopold Hatte nicht verfäumt, der Zarin die Hülflofigfeit jeiner Lage zu ſchil— 
dern und jeine Nachgiebigfeit gegen Preußen als ein „für den Augenblid ge 
botenes Weichen vor dem Sturme” zu entfchuldigen. „Da einerjeits die 
Hoffnung fehlſchlug,“ jchrieb er am 13. Juli an Katharina, „daß wir die Pforte 
zum Frieden zwingen werben, andrerjeits die Gefahr befteht, daß alle Streit: 
fräfte Preußens über mich herfallen, ohne daß ich ihnen ebenbürtige entgegen: 
ftellen oder auf baldige Hülfe hoffen könnte, ſah ich mich vor die graufame 
Wahl geftellt, entweder die ohnehin ſchon durch den belgischen Aufitand und die 
ungarijhen Unruhen gefährdete Monarchie preiszugeben oder mich zu entjchließen, 
meinen dumpfen Widerwillen zu befiegen und als Grundlage des Friedens einen 


) Hamb. polit. Journal, Jahrg. 1790, 925. 

) Ehronit, Jahrg. 1790, 552. 

) Wedherlin, Paragraphen, J, 117. 

) Schlözers öffentlihes und Privatleben, II, 166. 


270 Erſtes Bud. Achter Abſchnitt. 


in jeder Hinfiht unangenehmen und unvorteilhaften Zuftand anzunehmen.” ?) 
Katharina erwiderte, fie könne leider im Augenblid thatkräftige Hülfe nicht 
verfprehen, habe aljo gegen Annäherung Leopolds an Preußen nichts einzu- 
wenden, „aber ich hoffe, Eure Majeftät wird mir beipflichten, daß wir auch in 
Zukunft traten jollen, unfer Bündnis gegen alle Angriffe und Umtriebe unfrer 
Feinde zu verteidigen und unter allen Umftänden aufrecht zu erhalten.” In 
Petersburg war man nicht geneigt, auf türkifhe Beute zu verzichten und den 
Krieg mit der Türfei ohne namhaften Vorteil für das eigene Reich zu beendigen, 
um jo weniger, jeit man mit Schweden — zu peinlicher Ueberraſchung des 
Berliner Hofes — zu Werelä (14. Auguft) einen glimpflichen Frieden geſchloſſen 
hatte. „Der König ift ſehr böfe über den Abfall Schwedens!” jchrieb Herkberg 
an Finfenftein. Hinwieder wurde die Kunde vom Neichenbader Bertrag von 
den Polen, wie Goltz aus Warſchau meldete, mit Entrüftung aufgenommen. 
„Alſo der König von Preußen hat uns verlaflen und verraten!” Wie ein Blik 
zündete die Nahricht in Brüfjel! Auf Preußens Hülfe bauend, hatten bie 
PBatrioten gegen den Landesherrn fich erhoben; jegt war e& zum mindeften un: 
gewiß, ob Preußen und die Seemächte im bevorftehenden Entſcheidungskampfe 
den rächenden Arm Leopolds zurüdhalten würden. Der Brüfjeler Kongreß 
richtete an das Berliner Kabinett ein Schreiben, das halb flehend, halb drohend 
daran erinnerte, dab das Wort eines Mächtigen nicht weniger ernft verpflichte, 
als ein gejchriebener Vertrag. Auch die Stände von Lüttich befürchteten von 
der Ausſöhnung Preußens mit Defterreih für ſich ſchlimme Folgen und grollten 
ob der Treulofigfeit des angeblihen Verführers. Alle dieje bisherigen Klienten 
waren fortan erbitterte Gegner. Bedauerlicherweile hatte Herkberg verfäumt, 
die Anerkennung des Fürftenbundes in fefter Gliederung zu fordern, ja es war 
in Reihenbad von Deutſchland und deutjchen Intereſſen überhaupt gar nicht die 
Rede geweien. Hertberg kannte ja fein höheres Ziel, als „europäiiche” Politik zu 
treiben, und ebenfowenig begriff der Italiener Luccheſini, wie nüglich und not: 
wendig es für die jüngfte und ſchwächſte Großmacht geweſen wäre, getreu der 
fridericianifchen Ueberlieferung im Geleife deutſcher Politik zu bleiben. 

In der Reichenbaher Konvention wurzelt der Bafeler Separatfrieden von 
1795. Der Gegenfag zwiihen Defterreih und Preußen wurde in Neichenbad) 
nur verhült, nicht aufgehoben und trat unmittelbar nach der „Ausföhnung” 
in alter Schärfe zu Tage. Nur eine jo gewaltige Kataftrophe, wie der Sturz 
des Königtums und der gejellfchaftlihen Ordnung in Franfreih, war im jtande, 
die Nebenbuhler zu Handihlag und Bündnis zu bewegen, aber gar bald ent: 
zweiten ſich die Eiferfüchtigen, die ſich nicht lieben und nicht laſſen konnten, aufs 
Neue. Da die Hülfe der verbündeten Seemädhte unzureichend und unzuverläflig 
war, mußte Preußen im nämlichen Augenblid, da der Bund zwischen Deiterreid 
und Rußland wieder fefter gefnüpft wurde, mit Frankreich, fogar mit dem revolu— 
tionären Frankreich Fühlung fuchen und auch einen hohen Preis fich gefallen laſſen. 


— — 





') Beer, Leopold II., Kranz II. Katharina II., 128, 130. 


Zweikes Bud. 


Bom Abſchluh des Reichenbacher Vertrages bis zum Bafeler Frieden. 
790 bis 1795. 


Erfter Abjchnitt. 


Die franzöſiſche Revolution und der deukſche 
Polksgeift. 


enn man bie Revolution für das Werft von Menſchen ausgeben 
wollte,” jagt Victor Hugo, „Jo müßte man auch Ebbe und Flut für 
das Werk der Wellen ausgeben!” 

Steigende, Elingende, dennoch nicht goldene Worte! Ebbe und Flut find 
aus der Anziehung von Sonne und Mond, aus kosmiſchen Einflüfjen zu erklären. 
Staatsummälzungen find Kollifionen zwifchen dem bislang herrſchenden Staats- 
willen und dem Gemeinmillen, alfo immer und überall Menſchenwerk. An welche 
hülfreihen Mächte glaubt denn Victor Hugo? an den Himmel oder an die Hölle? 
In dem einen wie im andern Falle an ein Wunder. Wunder find infommen- 
furable Erſcheinungen; fie wurzeln überhaupt nicht auf geichichtlihem Boden. Wir 
dagegen haben mit berehenbaren Größen und Kräften, mit Menjchenwerk zu 
thun, das eben als joldhes Bewunderung verdient. Bis vor furzem mar dieje 
ſowohl franzöfifcher: wie deuticherfeits übertrieben. Wenn wir uns auch des 
natürlichen Abſcheus gegen die Mörder nicht erwehren fonnten, legten wir ihnen 
doch überrafchend neue, große, rebliche Abfichten unter, wir gaben jedem Barrabas 
den Willen eines Erlöjere. 

Davon it man endlich zurüdgefommen. Tocqueville und Taine haben 
durch ihre unmiberleglihen Auffchlüffe über Urfprung und Wejen der Bewegung 
den Wahn befeitigt, daß wir um der Revolution willen Frankreich als die größte 
Wohlthäterin der Menschheit zu verehren hätten; diefe beiden Foricher haben 
dargetban, daß die reformatorijhen Gedanken der Nevolutionszeit nicht 
franzöfifjhem Geifte entiprungen, jondern von England und Amerika entlehnt 
find, ja jogar von abjolutiftifchen Herrſchern, Friedrich II. Joſeph II., Katha— 
tina II., herrühren. Auf ein riefiges Quellenmaterial geftügt, legt namentlich 
Taine die Einfeitigfeit und Nurzfichtigkeit gerade der volkstümlichſten Gejchicht: 
jchreiber der franzöfifchen Revolution offen dar; die Thiers und Mignet, Michelet 
und Blanc ſahen und fchilderten nur das Gute, Gefunde und Zukunftskräftige 

Heigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Friedrichs d. Gr. bi zur Auflöſung des deutſchen Reiche. 18 


274 Zweites Bud. Erfter Abfchnitt. 


in der Bewegung; für die Uebelftände waren fie blind oder doch naächſichtig, fie 
zeigen uns auch den Schreden durch einen rofigen Flor. Diefe Mängel hat Taines 
Scharſſinn aufgededt, aber er jelbit iſt in den entgegengefegten Fehler geraten. 
Ihm ift das ganze Nevolutionswerf ein Abgrund von Thorheit, Elend und 
Verbreden; wie die andern Schönfärber find, ift er ein Echwarzjeher. Die 
allgemeine Voritellung von den Mitgliedern der Konftituante und des Konvents 
entiprah früher den Bildern Davids, lauter Brutuffe in einer Art Werther: 
foftüm; wenn wir Taine glauben, waren fie jamt und ſonders heuchleriſche 
Scurfen, blutdürftige Dummköpfe und eitle Hanswurfte. 

„Alles, was Taine jagt, ift,“ wie Marc Monnier treffend bemerkt hat, 
„wahr, allein aud das Gegenteil ift es meiftens nicht minder.” Taine wollte 
die Kehrſeite der Medaille zeigen. Die Fülle des Jammers und Greuels, die 
ihm feine Unterfuchungen aufdedten, erfüllte ihn mit Bitternis, die ſchmutzigen 
Einzelheiten verefelten ihm das Ganze; jo erſchien ihm das Pantheon jchließ- 
li als ein Tolhaus. Er ſah die ſchwarzen Punfte genau, die lichten Dagegen 
durch einen Nebel. Ohne Zweifel ift er ein Geſchichtsforſcher von allererjtem 
Range, aber fein Werk ift nicht objeftiv und unparteiiſch, alfo lange noch nicht 
das legte Wort über die franzöfiiche Revolution und ihre Männer. 

Noh ein zweiter Vorwurf, Einfeitigfeit in einer andern Richtung, muß 
Taine gemaht werben. Ueber Einfluß und Wirkungen der Revolution auf 
die lateinifhen und germanifhen Nachbarn Frankreichs erfahren wir von Taine 
jo viel wie nichts. Nah ihm hätte fih die Revolution in Frankreich wie auf 
einer weltverlorenen Inſel vollzogen; nad) ihm wäre der Baum der Erfenntnis 
ausſchließlich franzöſiſches Gewächs, nur franzöfiiher Grund wäre der Nährboden 
für feine Wurzeln geweſen, nur galliiches Volk hätte feine Früchte gefoftet. 

Dieſe Lüde wird im Weſentlichen ausgefüllt durch Albert Sorels treff: 
liches Wert: „L’Europe et la Revolution‘. Sorel zeigt uns die franzöfiiche 
Revolution, die den einen als das Ende alles Guten, den andern als der An: 
fang einer neuen, beſſeren Zeit erſchien, als den natürlihen und notwendigen 
Fortgang der europäiihen Geſchichte; er will nachweiſen, daß „die Revolution 
feine auch noch jo eigentümlihe Folge gehabt hat, die fih nicht aus der Ge: 
ſchichte Europas ableiten und durch die vorausgegangenen Zuftände des ancien 
regime erklären ließe”. Sorel faßt aber in der Hauptſache doch nur die poli- 
tiihen Zuflände ins Auge, den Einfluß der Pitt und Hergberg, Leopold und 
Suftav auf die Entwidelung der Revolution und die negenteilige Einwirkung. 
Wir nehmen mit Befriedigung wahr, daß er fih mit Vorliebe auf Zeugniſſe 
deutſcher Gejchichtihreibung beruft; vor allen hat ja Sybel das große Verdienit, 
zuerft die Beziehungen nachgewieſen zu haben, die zwiſchen den englijchen und 
preußiſchen, ruſſiſchen und öfterreihiihen Staatsmännern einer: und den 
Nevolutionshäuptern andrerjeits beitanden, den Einfluß gewertet zu haben, den 
die polnifche und andre politifche Fragen auf den Gang der Ereigniſſe in Frank: 
reih ausübten, endlich feitgeitellt zu haben, daß die revolutionären Ideen in 
den europäiihen Kabinetten ebenſo Ehuß und Boden fanden, wie in ben 
Sigungsjälen und Klubhäufern von Paris. 

Aber die Frage: wie wirkte die franzöfiiche Nevolution auf den Volles: 


Die franzöfiiche Nevolution und der deutiche Volksgeiſt. 975 
geift in Deutſchland? iſt, wie ih glaube, noch nicht erfchöpfend beantwortet 
worden. Nicht als ob es an gründlichen Arbeiten fehlte!) Allein man hat ji, 
glaube ih, doch immer zu einjeitig an die Ausſprüche der großen Denfer und 
Dichter des Zeitalters gehalten. Was Klopftod und Wieland, Schiller und 
Goethe, Johannes Müller und Kant über die Revolution gejagt haben, ift be- 
fannt, aber damit ift noch nicht erklärt, wie die franzöfiihen Ideen auf die 
weitelten Schichten des Volkes wirkten, wie fie von Edelleuten und Bürgerlichen, 
Militärs und Publiziſten aufgefaßt, verftanden und mißverftanden wurden! 

Um darüber zu einer allerdings aud nur bedingten und mangelhaften 
Vorftellung zu gelangen, empfahl es fi, denſelben Weg einzuſchlagen, den 
Taine gewählt, um das Wejen des ancien regime und der neuen Gejellichaft 
zu ergründen; es wurden Quellen der verjchiedenften Art in ungeheurer Zahl 
gejammelt und geprüft, nicht bloß Ausfprüche jener Auserwählten der Nation, 
jondern auch Urteile der Tagesprefle, die Stimmen von Schöngeiftern und 
Pedanten, von boshaften und böswilligen, oberflächlihen und gründlichen Er: 
zählern und Kritikern in Zeitungen, Briefen und Berichten, trodenen Ver: 
waltungsaften und äßenden Satiren, gereimter Fluh und Segen, langatmige 
Vorreden zu biftorifchen und politischen Schriften, Flugblätter und Karikaturen. 

Mit ſolchen Hülfsmitteln läßt fih die Wirkung der Revolution auf den 
Volksgeiſt wenigftens etwas genauer analyfieren, als es bisher geichehen. Frei: 
li laſſen fih aus der überreichen Fülle verhältnismäßig nur wenige Züge ver: 
werten; hoffentlich werden fie genügen, um von den leitenden Ideen, den Stim: 
mungen und Strömungen jener Zeit ein charafteriftiiches Bild zu geben. 

Bor allem drängt fih eine Beobadhtung auf, die gegen das allzu ab: 
fällige Urteil Taines fpridt: in allen Kreifen, bei hoch und niedrig, jung 
und alt, wurden von der großen Mehrheit der Zeitgenojien die Anfänge der 
Revolution mit Begeifterung begrüßt, ihr Fortgang noch von vielen mit Bei- 
fall verfolgt. „Glückſeliges Zeitalter!” wird im Berliner Yournal gefpottet, 
„bald wird unſer Deutihland lauter Politiker und lauter Genies haben!” „Die 
franzöſiſche Revolution verdrängt durch ihr gemaltiges Intereſſe alles,” klagt 
Arhenholg in der Minerva, „die beiten Gedichte bleiben ungelefen, man greift 
nur noch nad Zeitungen und jolden Schriften, die den politiihen Heißhunger 
itillen.” Um der erjchredenden Vernadläjfigung der früher jo hoch gehaltenen 
Litteratur zu feuern, gründete Schiller 1794 die „Horen”; unter der Fahne der 
Wahrheit und Schönheit follte wieder vereinigt werden, was durch die poli: 
tiihen Ereignifjfe aufgeregt und verwirrt worden war. 

Dieje allgemeine Teilnahme wäre nicht möglich gewejen, wenn Die 


!) 8. Biedermann, Deutichland im 18. Jahrhundert, II, 2, 1189. — Levi-Brull, L’Allemagne 
ilya cent ans (Revue des Deux Mondes, XCII). — Wenck, Deutfchland vor hundert Jahren, II, 1. 
— Guglia, Die eriten litterariichen Gegner der Revolution in Deutihland, in Zeitichr. für Geſch. 
und Bol., Jahrg. 1888. — H. Carnot, Les premiers @chos de la revolution Francaise au 
delä du Rhin (Compte rendu de l'institut de France, Jahrg. 1888, 5). — Blennerhajjet, Die 
Deutſchen und die franzöfiiche Revolution (Deutſche Rundſchau, Jahrg 1889,51, 216). — Philippfon, 
Nüdwirlung der Nevolutionstriege auf Die inneren Berhältniffe Preußens, in Gefchichte des 
preuß. Staatsweſens vom Tode Friedrichs d. Gr. bis zu den Freiheitstriegen, II, 1. 


276 Zweites Bud. Erfter Abſchnitt. 


Bewegung dem Bebürfniffe der Zeit und ihr Verlauf wenigitens bis zu einer 
gewilfen Grenze der allgemeinen Sinne: und Denfart von damals nicht 
entiproden hätte. — 

Vieles wirkte zufammen, um die Deutihen auf die dee der Volks— 
jouveränetät vorzubereiten. Die zwei großen Schüler der franzöſiſchen Auf- 
Elärungsphilofophie, Friedrich II. und Joſeph II., juchten wie Guftav III. in 
Schweden, Leopold in Toskana, Tanucci und Garaccioli in Neapel, Pombal in 
Portugal, Struenjee in Dänemark Natur: und Vernunftrecht in Gefeggebung, 
Juſtiz und Verwaltung ihrer Staaten einzuführen. Gemwiß, die Praris ftimmte 
nicht immer mit der Theorie überein, auch mußten nicht jelten fortjchrittliche 
Seen zur Vermummung andrer Pläne und Abfichten dienen. Immerhin war 
der aufgeflärte Abfolutismus eines Friedrichs, eines Joſephs ein ungeheurer 
Fortichritt gegen den ſpaniſchen und franzöfiichen Abjolutismus der Philippe, 
Ferdinande und Ludwige. 

Die Verwandtſchaft zwiſchen den reformatoriſchen Gedanken Friedrichs des 
Großen und der Mirabeau und Condorcet offenbart ſich am deutlichſten in dem 
preußiſchen Landrecht. Friedrich II. hatte Schon bald nad feinem Regierunge: 
antritt ben Pfälzer Cocceji damit betraut, „ein teutfches allgemeines Landrecht, 
welches ji bloß auf die Vernunft und Landesverfafjungen gründet, zu ver- 
fertigen”. Die Frucht der von Eocceji begonnenen, vom Großfanzler Carmer 
und Kammergerichtsrat Sparez während der ganzen Regierungszeit Friedrichs II. 
fortgeführten Yuftizreformen war das allgemeine Geſetzbuch für die preußiichen 
Staaten, das in den Jahren 1784 bis 1788 als Entwurf veröffentlicht und 
nah neuen Abänderungen 1794 unter dem Titel „Allgemeines Landrecht“ mit 
Gefegeskraft eingeführt wurde. Was jchon in jenem Entwurf über Staats: 
gewalt, über Rechte und Pflichten der Bürger gejagt wird, finden wir im 
MWejentlihen in der franzöfiihen Verfaſſung von 1791 mieder. Sogar dem 
ihönen Wort „allgemeine Menjchenrechte” begegnen wir jhon im preußijchen 
Landrecht; allerdings werben fie von diefem nur zugeftanden, injoferne fie ji 
mit dem Staatswohl vertragen. Die „Deutihe Zeitung”, von Beder in Gotha 
berausgegeben, hat einmal die verwandten Stellen aus dem preußiſchen Gejep- 
buch und aus der „Erklärung der Menſchenrechte“ nebeneinander geftellt: da 
haben wir einerlei Auffaflung, zuweilen einerlei Ausdrud. 

Unter dem Einfluß der Aufflärungsphilojophie und gefördert durch die 
Läjfigfeit der Genfur unter König Friedrih hatte man fih zumal in Berlin 
gewöhnt, über politifche Dinge ſehr frei zu ſprechen. Ein jchlagendes Beijpiel 
dafür ift die Thatjache, dab im beftangejehenen Organ ber Berliner Aufklärung, 
in der Berliner Monatsjchrift vom Jahre 1783 ein Profeffor J. 5. 9. die 
neue amerifanifche Freiheit poetiich verherrlihen und dem alten Europa bie 
Verjagung der Fürften und eine republifanifche Verfaflung als das Wünſchens— 
werte hinftellen durfte: 


„Und du, Europa, richte das Haupt empor; 

Einft glänzt aud dir der Tag, wo die Kette bricht, 
Du, Edle, frei wirft, deine Fürſten 

Scheuchſt und, ein glüdliher Volksſtaat, grüneft!” 


Die franzöfifhe Revolution und ber deutfche Volksgeift. 977 


„Es ift nicht denkbar,” ſchrieb Georg Forfter, „daß ein Europäer, der 
fih nur einigermaßen um die Schidjale feiner Gattung befümmert, den Namen 
Franklin und den davon unzertrennlichen, unvergleihlihen Ruhm nicht kennte.“ 

Sogar einem fo freimütigen Manne wie Schlöger wurde biefe Schwärmerei 
für die Nepublif zum NAergernis. Für den Deutichen, fchrieb er, fei es eine 
Schande, der amerifanifhen Freiheit, obſchon fie noch in den Kinderſchuhen 
ftede, auf den Knien zu buldigen, und wenig Gelbftahhtung zeige, wer bie 
deutſche Größe vergißt und Deutſchlands Fürften ohne Anlaß begeifert. Im 
„sahre 1784, aljo noch unter der Regierung Friedrichs II. gibt die Berliner 
Monatsfhrift den Fürften den Rat, die Einführung republifanifcher Verfaffungen 
jelbft anzubahnen, denn nur dur ſolchen Opfermut fünnten fie fi nach den 
Großthaten Friedrichs no neuen Ruhm erwerben. Schiller ſuchte den Grund, 
warum fein Fiesko in Berlin jo viele Aufführungen erlebte, in dem republi- 
kaniſchen Geifte, der in der preußiſchen Hauptftabt weit verbreitet jei. Der 
Nationalismus in der Behandlung religiöfer Fragen wurde auch für politifche 
Erörterungen maßgebend. So mwimmelt denn die Litteratur jener Tage von 
Ausſprüchen einer feindjeligen Gefinnung gegen bie Fürften und die monardijche 
Regierungsform. In den ſechs Bänden, welche der befannte Schnepfenthaler 
Pädagoge Salzmann über das menſchliche Elend (Karl von Karlsberg ober über 
das menjchlihe Elend, 1784—1788) gejchrieben hat, kehrt immer wieder bie 
Klage: „Unfere Staaten tragen die Schuld, daß die Erde nur ein Jammer: 
thal!“ Wie ift es nur möglih, fragt ein Defterreiher in einer Flugichrift 
über den Türkenkrieg von 1788, daß Millionen Menſchen jo tierifh dumm 
find, für einen einzigen Menſchen Gut und Blut zu opfern, nur weil er eine 
Krone trägt, und was hat der Invalide davon, daß der Staat nad allen 
Himmelsitrihen wächſt, während er jelbit nur in einer dumpfen Stube mühjam 
umberhumpeln fann? — „Leute, die in dummem Gehorfam fi unter das Jod 
jeder deipotiihen Obrigkeit beugen,” ſchrieb Schubart 1776 in der „Ehronit“, 
„And nicht beiler, ala das Vieh, das vor jeinem Treiber hergeht und nichts mehr 
hört, als das Klatſchen der Peitſche; ein unrubiges, zu Rebellion geneigtes 
Volk ift gewöhnlih ein großes Volk, fo jagt der Radikale Pryce, und er 
hat recht!“ — Auch in Nepublifen, heißt es im „Deutſchen Zuſchauer“ 1787, 
fommen bisweilen Revolutionen vor, aber diefe Unannehmlichkeiten find vorüber: 
gehend; ganze Generationen genießen dort einer Glüdfeligfeit, von der man in 
monarchiſchen Staaten feinen Begriff hat! Auch die legte Konjequenz des Illu— 
minatismus war unzweifelhaft Befreiung der Menjchheit von Fürftengemwalt. 
„Je mehr fih die Aufklärung ausbreitet,” jagt der Stifter des Ordens, Adam 
Weishaupt, „deito entbehrliher werben die Fürften, und einft, freilich erft in 
ferner, unberechenbarer Zukunft wird das Menſchengeſchlecht nur nod eine 
Familie und die Welt der Aufenthalt vernünftiger Menſchen ohne Gewalt: 
thätigfeiten und Ordnungsſtörungen fein.” 

Noch lebendiger waren jo radifale Anihauungen bei den Dichtern und 
Shhriftftellern vertreten. Es braucht nur an die Sturm: und Drangperiode 
erinnert zu werben. Freiheitsdurſtige Poeten verfündeten nicht bloß die un: 
bedingte Berechtigung der Leidenjchaft, die Emanzipation der Liebe von Gejek 


278 Zweites Bud. Erſter Abſchnitt. 


und Sitte, die Erhabenheit des Subjelts über Meinung und Achtung der Ge: 
jelichaft, jondern wandten fich feindfelig au gegen Gefeg und Ordnung. Seit 
J. J. Rouſſeau die Nüdkehr zur Natur, zum urjprünglihen, unverfälichten 
Menſchentum gepredigt und die Phantafie der Zeitgenofien an Diderots „wadren 
Wilddieben und Scleihhändlern” fih entzündet hatte, nahm die Schwärmerei 
für die Qumanitätsapoftel mit Flinte und Räuberhut fein Ende, und die „beipo: 
tiihen Kniffe” der Minifter und die „tyranniiche Willkür” der Amtleute konnten 
nicht abichredend genug geichildert werben. Goethe fennzeichnet die Bewegung 
in einem Briefe an %. F. Neichardt (28. Februar 1790) folgendermaßen: 
„Ritter, Näuber, Wohlthätige, Dankbare, ein redlicher, biederer Tiers-Etat, ein 
infamer Abel... und durchaus eine wohlfitwierte Mittelmäßigfeit, aus der man 
nur allenfalls abwärts ins Platte, aufwärts in den Unfinn einige Schritte 
wagt, das find nun jchon zehn Jahre die Angredienzien und der Charakter 
unjrer Romane und Schauſpiele!“ Wenn fjogar dem milden Claudius das 
Wort entichlüpft: 

„Der König fei der beſſere Mann, 

Sonſt fei der Beſſere König” ... 


jo feierte Graf Friedrih zu Stolberg in einem Atem: 
„Zell, Hermann, Klopftod, Brutus, Timoleon“, 


als „Namen, flammend ins eherne Herz gegraben“. Im „Freiheitsgefang aus 
dem zmwanzigiten Jahrhundert” (1775) feiert er, „trogend dem Pöbel, gehüllt 
in Schulftaub,” den Anbruch einer neuen Zeit: 


„Willkommen, Jahrhundert der Freiheit, 
Großes Jahrhundert, willfommen, 
Du ſchönſte Tochter der fpätgebärenden Zeit!” 


und die Schlufftrophe prophezeit die Nevolution: 


„Donner entrollen deinem Fußtritt, und es ftürzgen dahin 
Die Throne, in die goldenen Trümmer Tyrannen dahin! 
Du gießeft aus mit blutiger Hand der Freiheit Strom! 
Er ergeußt fi über Deutſchland! Segen blüht 

An feinen Ufern, wie Blumen an der Wiefe Quell!” 


Mit dem dunklen Freiheitsprang war das Bewußtſein erwadht, daß es 
ſchlecht ſtehe um das deutſche Volk, und der Glaube, daß eine Umwälzung der 
deutihen PBerhältniffe unter allen Umftänden nur beſſere Zeiten heraufbringen 
fönne. Nicht dem deutſchen Patriotismus Fam dieſe Bewegung zu gute! Gab 
es doch Fein lebendiges deutjches Neich mehr, jondern nur noch zwei Groß: 
ftaaten, die ſich eiferſüchtig überwachten und offen oder heimlich befriegten, da: 
neben einige lebensfähige und ſehr viele nicht mehr dafeinsberedhtigte Staaten, 
deren Regenten fih beim Anſchluß an die eine oder andre Großmacht von 
Nüglicpfeitsrüdfihten, oft nur von Laune leiten ließen! War doch der bittere 
Spott des Franzoſen Mirabeau nicht unberechtigt, dab gerade unter den deutſchen 


Die franzöfifche Revolution und der deutiche Bolkögeift. 2379 


Fürſten immer viele bereit, „ben traurigen Wollüften von Babylon:Paris vor 
der rührenden Ehre, im bejcheidenen Haufe als Hirten des Volks zu leben, 
den Vorzug zu geben“. Es begreift ſich, daß nicht die Fürften Träger der 
deutichen Einheitsivee geblieben jind, aber auch im Adel und Klerus, im Bürger: 
und Bauernftand war das Nationalgefühl erlofhen, wurde dem PBerfall des 
Reichs mit erſchreckender Gleihhgültigkeit zugejehen. Als Karl Friedrich Mojer 
in feiner Schrift „Vom deutſchen Nationalgeift” nicht etwa an deutſche Einheit, 
ſondern nur an Eintracht und Verträglichkeit mahnte, jpotteten Nicolai, Bülow u. a. 
über den „Wiener Byzantinismus”, über die Einfalt und Engherzigkeit des Patrioten, 
Nicolai nennt ſchlankweg den nationalen Standpunkt „niedrig“ und den National: 
geift ein politifches Unding. Die einen geftelen fi in jelbitgefälligem Parti: 
fularismus, die andern und zwar bie beiten Köpfe ala Weltbürger, denen bie 
Entwidelung des eigenen Baterlands gleichgültig war. „Deutfchland ift ein viel: 
föpfiges Aggregat von einer großen Anzahl ganz verfchiedener Völker und Staaten,” 
erklärt Wieland im Patriotiſchen Beitrag zu Deutſchlands höchſtem Flor, „durch 
nichts als feine Staatsverfafjung und eine gemeinfchaftliche, wiewohl nicht durch— 
gängig angenommene Schriftſprache verbunden, fonft durch alles andre, Religion, 
Staatswirtihaft, Polizei, Sitten, Gebräude, Lage, Verhältniffe, Intereſſe, 
Mundarten, Grade der Kultur u. j. w. zum Teil himmelweit verſchieden, ge- 
trennt und in Kollifion geſetzt!“ Es könne diefer Unterjchiede und Gegenjäße 
wegen, folgert er mit fühler Refignation, in Deutichland dasjenige, was man 
„Rationaluniform” nennen fönnte, ſchlechterdings nicht geben. „Ich fchreibe,” 
fagt Schiller im Proſpekt der Rheiniſchen Thalia (1784), „ala Weltbürger, der 
feinem Fürften dient; frühe verlor ih mein Vaterland, um es gegen die große 
Welt auszutauschen.” 

Unbeftreitbar hat diefer Mangel an Gemeinfinn und Nationalgeift ebenjo 
mitgewirkt, die Gemüter für die Revolution empfänglih zu maden, wie ber 
enbloje Jammer über die kleinliche Gegenwart, wie die dichteriſche Verklärung 
der Armen und Elenden. 

Dazu Fam, dab das Kirchentum in Deutfchland durch die febronianiſche 
Bewegung und den Zwiſt der deutichen Erzbiichöfe mit der römischen Kurie 
geſchwächt war. Auch die zahlreichen geheimen Orden und Brüderſchaften, bie 
ih in eriter Reihe gegen die beftehenden kirchlichen Einritungen wandten, be: 
reiteten die Geifter auf die Revolution vor. Ein ftiller Kampf war allenthalben 
zwiichen Volk und Regierung entbrannt. Der Abfolutismus jah im Volke nur 
Nullen, denen erſt durch die vorgefegte Ziffer, d. i. die Regierung, ein Wert 
verliehen werde; nun hatten aber Montesquieu und jeine Schüler zu rechnen 
begonnen und entdedt, dab die dunkle, wimmelnde Maſſe die wahre Kraft ift 
und daß fie ale Macht an fich reißen fünne, wenn fie einig jet. 

Das bürgerliche Selbftgefühl war erftarft, und immer härter angefochten 
wurden die Vorrechte des Adels. Bis vor furzem war Deutichland jo recht 
das Dorado der bevorzugten Stände geweien. „In Deutichland,” erzählt 
Goethe aus feiner AYugendzeit, „war es noch faum jemand eingefallen, jene 
ungeheure privilegierte Maſſe zu beneiden oder ihr die glüdlihen Weltvorzüge 
zu mißgönnen.” Jetzt wurden dieſe Vorrechte in ftaatswirtjchaftlihen Schriften, 


280 Zweites Bud. Erfter Abſchnitt. 


wie in der ſchönen Litteratur bemängelt und angefochten; dagegen wurde für 
den Bauer, „das Lafttier der menſchlichen Geſellſchaft“, Erleichterung gefordert; 
überhaupt jollen im Intereſſe des allgemeinen Wohlftandes die Arbeiterbienen, 
nicht mehr die Drohnen im Bienenjtod bevorzugt fein. Sogar der wadere, 
nüchterne Juſtus Möſer, deſſen Freiheitsliebe feine phrygiſche Mütze trägt, ber 
immer bereit, das Schädliche zu bekämpfen, das Gute in den beſtehenden Ein— 
richtungen aber ebenſo lebhaft zu verteidigen, wird bitter, wenn er auf den 
deutſchen Bauernſtand zu ſprechen kommt: 


„Gehn viele da gebückt und welken 
In Elend und in Müh, 

Und andre zerren dran und melfen, 
Wie an dem lieben Vieh; 

Und ift doch nicht zu defendieren 

Und gar ein böfer Braud), 

Die Bauern gehn ja nit auf Vieren, 
Es find ja Menſchen aud!“ 


„Ja Spanien ift das Pflügen jo jhimpflih, als in Deutfchland das Abdeden, 
Sollten wir es etwa auch dahin bringen? Sollen wir die Hummeln ehren und 
die Bienen beſchimpfen?“ — „Einen Menſchen verbrennen, weil er Jude ift,” 
erklärt Schlöger, „und einem andern die höchſten Stellen verſchließen, weil er 
nit vom Abel, find Species von einem Genus, Reliquien vormaliger Bar: 
barei und mittelalterliher Schmugrefte.” Das „Teutihe Mufeum” erlaubt ſich 
den Ausfall: „Der Schornfteinfeger, der Holzhacker, der Nachtwächter, der Bettler 
jogar braucht Genie, aber was in aller Welt braucht der Edelmann, wenn er 
einmal aus einer Mutter aus gutem Geſchlechte gekrochen iſt?“ Der junge 
Jean Paul zieht in den „Grönländiihen Prozeffen” (1783) einen wigelnden 
Vergleih zwiihen altem Adel und altem Käſe; was dort die Ahnen, das jeien 
hier die Maden, in den Nahtommen vollends fpiegele fih das Bild der Vor: 
fahren nur noch fo, wie das Bild der Sonne in der Pfütze. „Komödien und 
Nomane,” heißt es in der Berliner Monatsſchrift, „wimmeln heutzutage von 
Dellamationen gegen den Adel!” Wenn früher in manden Schulen, wie 3. ®. 
aus einem Programm des Görliger Rektors Baumeifter zu erſehen ift, zwiſchen 
den Söhnen Adeliger und den Schülern, „jo niedriger Geburt find“, die wunder: 
lichften Unterfchiede gemadht wurden, — die Abdeligen brauchten nit Griechiich 
zu lernen, die Bürgerlihen waren von den Leibesübungen, vom Baden ꝛc. aus: 
geihloffen, — fo gefielen ſich jett freifinnige Pädagogen unter dem Einfluß 
von Roufjeaus Emile in jo bizarren Phantafien, daß Herder verfiherte, er 
möchte ſolchen Bolfstümlern nicht ein Kalb, geichweige denn ein Kind zu 
erziehen geben. Manche Schriftiteller glaubten ſchon daran mahnen zu müffen, 
daß wegen der Sünden einzelner Mitglieder nicht die ganze Inſtitution ver: 
worjen werden dürfe. Der unlängft geadelte Kotzebue hielt fih für berufen, 
„in einer Zeit, wo die Gleichheit aller Stände der Stedenejel ift, auf welchem 
junge Dichter reiten”, den Adel gegen „die himärische Afterfreiheit” in Schuß 
zu nehmen. Möſer wandte ſich ebenfo gegen finnlofe Gleichmacherei, wie gegen 


Die franzöfifhe Revolution und ber deutiche Bolksgeiit. 281 


unverdiente Geringihägung der fogenannten niederen Stände: „Wer ift denn 
der Vornehme, wer der Geringe? Der Mann, der aus feinem Gomptoir ber 
halben Welt Gejege und Königen Kredit gibt, oder ber Pflaftertreter, der in 
einem langen Mantel zu Rate geht? Der Handwerker, der Taujende dem 
Staate gewinnt, der Krämer, der fie hinausfhidt, oder der Mann, der von 
jeiner Bejoldung lebt und dem gemeinen Wejen in Fütterung gegeben ift?“ 
Den Vorrang des „echten Adels”, erklärt Möfer, wie Taine, aus „der Ehre 
und dem Net, die erften Kontrahenten und Eigentümer des Landes gemejen 
zu fein”. Der hannöverſche Geheimjelretär Brandes wirft 1787 in ber Ber: 
liner Monatsfchrift die Frage auf: „Iſt es den deutihen Staaten vorteilhaft, 
daß ber Adel die erften Staatsbedienungen befigt?” und bejaht diefelbe aus 
geſchichtlichen und philofophiihen Gründen. „Laßt alfo dem Adel jeine Vor: 
rechte, aber Eontrolliert ihn, daß er nicht weiter greife, nicht in Rückſicht feiner 
Geburt fih alles erlaubt halte... und ihr Bürgerlichen! vergeht nicht, daß 
wenn fie Eble find, ihr Freie ſeid!“ Auch Schubart nimmt den Adel gegen 
den Neid hungriger Dichterlinge in Schuß, denn jener kehre Stadeln nicht nur 
nach unten, ſondern auch nad) oben; er fei bie ftarfe und einzige Wehr gegen 
die Willfürherrichaft der Fürften. 

Denn auch das Mißbehagen an fürftliher Eigenmacht und das Verlangen 
nah deren Beſchränkung gehörten zu den Zeichen ber Zeit. Der vergötterte 
Roufjeau war zwar gegen jede Rolfsvertretung; trogdem fand der Wunſch nad 
einer Beteiligung bes Volkes an der Regierung aud in Deutjchland allerorts 
freudigen Widerhall. Der Streit der mwürttembergiiden Landftände mit dem 
deipotiihen Karl Eugen, das Märtyrertum des Johann Jakob Mojer, der 
mannhaft für die landſchaftlichen Rechte eingetreten war, erregten Teilnahme 
im ganzen Reich. Entrüftet verurteilte Wecherlin die Gepflogenheit der Re: 
gierungen, mißliebige Landftände zu plagen und zu pladen, und falls fie fich 
weder einihüchtern noch füdern ließen, kurzweg unfchädlich zu machen. Möſer 
empfahl auch für die deutichen Staaten „die englifhen Regierungsformen”. 
„Ber da foll mitthaten, muß auch mitraten, ift die uralte Formel des deutſchen 
Rechts.” Im Recht fieht er die Freiheit, und das Recht ift ihm „der Ausdrud der 
Mehrheit Stimmbefäbigter”. Der berebtefte und beharrlichite Anwalt ftändifcher 
Sreiheiten und Rechte war Schlözer. Er drüdt feine Anſicht Mar und bündig 
aus. „Jede Regierungsform, wo der gute Herrſcher nicht durch Volfsrepräfen: 
tanten gelehrt und geleitet, der nichtgute im Notfall gezügelt und gezüchtigt 
wird, ift unnatürlih und für die Zukunft gefährlich“ Im „sFürftenfpiegel” 
wendet er fih gegen die Ueberfpannung des Gottesgnabentums der großen 
Aürften, die zu Willtüraften und Gewaltthaten verleite, und gegen die Groß: 
mannsfucht der Kleinen, die den übertriebenen Lurus, die Gallomanie, die 
frivolen Finanzfünfte jo vieler deutſchen Höfe verſchulde. 

Ueber die Landftände hinaus geht ein Vorſchlag im Journal von und für 
Deutſchland (1785), aus den da und dort tagenden fogenannten patriotifchen 
Gejelligajten einen „Nationalkonſeß“ zu bilden, der aufrichtiger und rüd: 
haltlojer als Landitände und Parlamente den Willen des ganzen deutſchen 
Volkes offenbaren werde. 


282 Zweites Bud. Erſter Abichnitt. 


Freilih boten die Näume und Gelaſſe des gotiichen Bauwerkes „Deutiches 
Reich“ am Vorabend der Nevolution, wie wir gejehen haben, gar wechſelvolle 
Eindrüde. Während in Baden ber humane Karl Friedrih fein Land nad 
Duesnays Lehren zu fördern und heben bejtrebt war, hatte das ſchwäbiſche 
Nahbarland ebenjo unter der Willfür und Härte, wie unter der Verfchwendung 
eines Karl Eugen zu leiden; in Pfalz:Baiern ftoßen wir unter dem fchlaffen 
und finnlihen Karl Theodor auf das Durcheinander von verbienftvollen Kunſt— 
beftrebungen und unerträgliher Bebrüdung von Wiſſenſchaft und Litteratur; in 
Preußen läßt fih Frievrih Wilheln II. von Rofenfreuzern und Gunftbamen 
leiten; in Defterreich herrſcht der ehrgeizige, pflichttreue, aber ungeftüme und 
eigenwillige Joſeph. Die Fäulnis in den geiftlihen Herrſchaften ift unheilbar, 
die Neichsritterfchaft verfommen, an Kaftengeift, konfeſſionellem Hader und 
Finanznöten Franken die Reichsſtädte. 

Welche Fehler und Mißgriffe der Negierungen bejonders peinlid) von dem 
deutihen Volk empfunden wurden, enthüllt eine aus dem Wiener Aufflärungs- 
lager 1790 hervorgegangene Flugichrift „Patriotenftimme eines freymütigen 
Deutfhen über die dermaligen Empörungen und Gärungen in und außerhalb 
des deutſchen Reiche”, ohne Zweifel eine der bedeutjamften Kundgebungen aus 
ber Revolutionszeit. Der allenthalben emporwuchernde Geiſt der Unbändigfeit 
und Gejelojigfeit wird vom Berfafler verurteilt und befämpit; „man flagt in 
Deutihland entweder aus Dummheit und Vorurteilen oder aus Gewohnheit, 
Tabeljucht und Bosheit oder aus einem unrubigen Geiſt“; immerhin feien viele 
Klagen der Unterthanen nur allzuſehr begründet. „Ih glaube, daß der 
Hauptgrund der beitehenden Mißſtimmung in der zu weiten Machtausdehnung 
der Negenten zu fuchen jeye!” Die Fürften möchten bedenken, daß die Völker 
nicht bloß Pflichten, jondern aud Rechte haben, „denn es ift ein unumjtößlicher 
Grundjag, daß die Fürften ihre Macht durch freiwillige Verträge mit den Unter: 
thanen erlangt haben, nicht um jelbe zum Nachteil der letteren anzumenden, 
fondern um fie nad) den Landesgejegen zu regieren“. Woher hätten denn bie 
Fürften das Recht befommen, ihre Unterthanen, wie das liebe Vieh, als Soldaten 
zu verkaufen und zu verpadhten? das Getreide des Lanbmanns durch das 
gehegte Wild abfreffen zu laffen? Tauſende von Steuergulden für Operiften 
und Tänzer, für Karnevalsiherze und Pharao zu verausgaben? Nun habe die 
Geduld des Volks ein Ende, und dringend verlange alles nach zeitgemäßen 
Reformen. Insbeſondere eine gerechtere Steuerverteilung jei unerläßlich ge: 
boten; der Mittelftand könne nicht länger allein alle Laſten zum Unterhalt des 
Staates tragen. Wozu die vielen und mannigfaltigen Steuern und Abgaben, 
deren Erhebung nicht felten unverhältnismäßig hohe Koften verurfahe? Eine 
Steuer, eine allgemeine Grundfteuer, genüge, und dazu die Accije, deren Ein: 
führung dur Friedrich II. früher jo leidenichaftlich beflagt worden jei und jeßt 
als Segen empfunden werde. Für Kaffee, Thee, Zuder, Tabak, feine Weine 
und andre Zurusartifel!) mögen recht hohe Zölle angejegt werden, bamit nicht 
den Unbemittelten unerihwinglihe Laſten aufgebürdet werden müßten. Dem 


) „Worunter ih aud bie Spanferfel zähle" ... 


Die franzöfiihe Revolution und der beutiche Voltsgeift. 283 


Getreidewucher fol entjhlofjen geiteuert, Teuerungen durch Anlage von Maga: 
zinen vorgebeugt, der VBiehverfauf nach auswärts verhindert, für alle Lebens: 
mittel ein feiter Tarif eingeführt werden. Die Rechtspflege foll vereinfacht und 
von übermäßigen Koften befreit, die Weitläufigfeit der Prozeſſe abgeftellt, den 
rabuliftiichen, gemwinnjüchtigen Advolaten das Handwerk gelegt werden. Ins— 
befondere müſſe der mit der Jagd verbundene Unfug ein Ende haben. Am 
beften wäre es freilih, wenn die Negenten einer für ihre Länder fo verberb: 
lichen Paſſion gänzlich entjagten; jedenfalls müfje darauf beftanden werben, daß 
ih die Jagden auf fejtumzäuntes Privatgut der Fürften und Herren beichränfen. 
Ohne Achtung der Religion könne fein Staat beftehen, daher müfje jede Regie: 
tung für Erhaltung des öffentlihen Gottesdienftes, Heranziehung würbiger 
Seiftliher, Unterdrüdung fittenverderbender Bücher ꝛc. Sorge tragen, aber 
nicht minder wichtig ſei die Hebung des Unterrichtsweſens. Mit den Eulen 
auf dem Lande ſehe es noch traurig aus. „Kann der Schulmeifter nur die 
Gloden läuten, dem Herrn Pfarrer Bücher und Chorrod nachtragen, Lichter 
anfteden und pußen und mitunter auch einen Knecht des Pfarrers abgeben, jo 
it er ein braver, geſchickte Mann.... Möchten doch unſre Fürften und 
Herren weniger auf Schaufpiele, Opern, Jagden und Maitreffen verwenden 
und von dem Ueberſchuß die Echuldiener befier bejolden, damit fie rechtichaffene 
und geſchickte Männer in ihre Dienfte ziehen könnten!” Auch dem Armenweſen 
joll mehr Beachtung geſchenkt, das Necht auch des Aermſten auf Arbeit rejpektiert 
werben. „Arbeitsloje Menſchen und faules Gefindel find allezeit am erften bey 
ber Hand, wenn ein Tumult entfteht, um ungeftraft rauben und plündern zu 
können.” Zu den fchlimmften Landplagen gehöre das Zahlenlotto; „möchte 
doch endlih durch einen Reichsſchluß diejes land» und fittenverberbende Spiel 
von unfren Grenzen verbannt werden!” Auch dem Lurus in Stadt und Land 
müſſe wieder eine heiljame Schranke gezogen werben; jett werde häufig das 
ganze Heiratsgut auf die Hochzeit verwendet; eine Kindstaufe fofte fo viel, als 
eine Familie ein ganzes Vierteljahr zu ihrem Unterhalt brauche; der Prunf bei 
den Begräbniljen verjchlinge nicht felten die beſcheidene Erbſchaft. Das Rolf 
müſſe einfacher, gefitteter, gebildeter werden, ber Landesvater mit gutem Beijpiel 
vorangehen, jonft werde der Geift der MWiderfeglichfeit immer beunruhigender 
aufwachien und die Empörung auch in deutihen Landen unausbleiblich jein. — 

Merkwürdig ift, daß Friedrich II., obwohl er die Unhaltbarkeit der Finanz: 
lage Frankreichs längft erfannt hatte, den jo nahe bevorftehenden Ausbruch 
einer Revolution nicht ahnte. Andre Geifter von ftrenger Art aber jahen den 
großen Sturm, der eine Ummälzung alles Beftehenden herbeiführen werde, jeit 
langem voraus. Der Gedanfe geht bis auf Leibniz zurüd. Herder madt in 
den Briefen zur Beförderung der Qumanität auf einen überrafhenden Ausſpruch 
des Whilofophen aufmerkſam. Aus der Ausbreitung des Unglaubens und ber 
Eelbftjuht wird auf die Wahrfcheinlichfeit einer Generalrevolution, die ganz 
Europa umgeftalten werde, ein Schluß gezogen. „Kommt man biejer epidemi- 
Ihen Krankheit, deren Wirkungen bereits fichtbar zu werden beginnen, noch 
rehtzeitig zuvor, fo laſſen fich ihre Folgen vielleiht noch hemmen; nimmt fie 
aber überhand, jo wird die Vorſehung die Menſchen gerade durd eine Revo: 


284 Zweites Bud. Erfter Abſchnitt. 


lution heilen, und was auch fommen mag, am Ende zum Wohle des Ganzen 
leiten, wenn es auch nit ohne Züchtigung derjenigen, die durch ihre böfen 
Handlungen wider ihren Willen zur Beförderung des Guten beitrugen, weder 
erreicht werben wird, noch erreicht werben fann.” In den Achtziger Jahren 
wurde der Ausbruch einer Revolution jhon von vielen für unabwendbar ge: 
halten. Der gut fonjervative Homburger Creuz ruft, da er auf den Jagd— 
unfug der Ebdelleute und die Maitreffenwirtichaft der Höfe zu ſprechen fommt, 
befümmert aus: „Wer jieht da nicht große Nevolutionen voraus?” „Europa 
jheint auf dem Punkt einer jchredlihen Revolution,” ſchreibt Georg Forfter an 
Johannes Müller, „vie Mafje ift fo verderbt, daß nur Blutlaffen wirkſam fein 
fann. Vom Thron bis zum Bauern find alle Stände von dem, was fie fein 
jollen, herabgefunfen, und feiner mehr, als unfre vorgeblichen Gottesgelehrten.“ 
Sohannes Müller hegt die gleiche Beforgnis; in einem Briefe an feinen Bruder 
vom 23. November 1782 zieht er daraus die drollige Nuganwendung: „Ich bin 
im Grunde des Apoftels Meinung, daß nicht Heiraten befjer ift, befonders für 
den gelehrten Stand und in unfern Zeiten: weil ih nad der Beurteilung 
aller großen Staatsmänner Europa zu NRevolutionen bereitet, in 
welden es immer beſſer ift, nur für fich forgen zu dürfen.“ In feiner Berner 
Abſchiedsrede 1786 fagte der Gejhichtichreiber: „Große Zubereitungen und 
Wahrzeihen eines Uebergangs der vorigen in eine ganz neue Ber: 
faſſung der menſchlichen Gefellichaft bezeichnen unjre Zeit!” 

As nun zu Tage trat, daß vom Ballhaus in Verjailles in der That eine 
Ummälzung der gejellihaftlihen Ordnung ausgehen werde, und der Baftillefturm 
zeigte, worauf diefe Bewegung in Frankreich ziele, wurde das „Morgenrot einer 
befjeren Zeit”, der „Frühling der Menfchheit” faft in allen Kreifen mit fchranfen: 
lojem Jubel begrüßt. Zwar behauptet ein feiner, befonnener Beobachter, der 
Ihon erwähnte Hannoveraner Brandes, in Adelskreifen und in der Gejchäfts: 
welt ſei von vornherein Gefeglofigkeit befürchtet und deshalb der ganzen Be: 
wegung mit Mißtrauen begegnet worden, nur der Bürgerftand und die Ge: 
lehrten hätten der Erſcheinung Sympathie entgegengebradt. 

Alein in Bezug auf den Adel ift die Verſicherung auffallenderweije 
nit einmal richtig. Wenn wir die uns erhaltenen beifälligen Urteile über bie 
Revolution Fichten, zeigt ſich, daß unverhältnismäßig viele aus adeligen Kreijen 
ftanımen. Eben in diefen hatte ja die fladhe Freigeifterei feuchenartig um fi 
gegriffen. Weberaus zahlreih waren die Edelleute, allerdings meift ſolche ohne 
feſten Beſitz, die eine Ehre darein fetten, nicht nur die Standesvorurteile, ſondern 
au die ehrwürdigen Ueberlieferungen abzuihmwören; fie drängten ſich förmlich 
dazu, die Vorredhte ihres Standes zu opfern. Das Gleiche läßt fih ja aud) 
in Frankreich beobadten: die eifrigften Vorkämpfer des Ariftofratismus waren 
Roturiers, die higigften Demokraten Ebdelleute! Bon einen Adeligen, Eduard 
von Glauer, wurde die franzöfifhe Konftitutionsurfunde zuerſt ins Deutjche über: 
tragen; Clauer ift auch der Verfaſſer der Flugichrift „Der Kreuzzug gegen die 
Franken“, die in ebenſo leidenfchaftlicher, wie geſchickter Weile gegen eine Ein: 
miihung Deutſchlands in die inneren Verhältniffe Franfreihs Stimmung zu 
machen ſuchte. Den gleihen Gedanken, nur in vorfichtigeren Worten zum 


Die franzöfiihe Revolution und der deutſche Volksgeiſt. 285 


Ausdruck gebracht, vertritt eine von dem eben erſt verabſchiedeten Miniſter 
Grafen Hertzberg 1791 in der Berliner Akademie gehaltenen Rede: „Ueber die 
Revolutionen der Staaten.” Das Ziel der franzöſiſchen Revolution, „welche, 
aufgeklärt und angetrieben von den neueren Philofophen, die beftmögliche Kontti- 
tution ftiften und fogar die englifche übertreffen will, indem fie Monarchie und 
Republik vereinigt und der Nation die gejebgebende Macht, dem Könige die 
ausübende Macht zufichert, doch jo, daß er den Stellvertretern der Nation unter: 
geordnet bleibe”, ift dem Redner offenbar nicht unfympathiih. Deshalb will er 
auch, daß Frankreich nicht geitört werde, denn die Neigung der Franzoſen zur 
republifanifchen Staatsform kann nur dazu beitragen, die dauernde Ruhe Europas 
und die Erhaltung des Gleichgewichts zu fihern; „dem natürlihen Syſtem ber 
republifanifhen Staatsform entipregend, haben die Franzofen, wie fie aud 
offen erklärt haben, allen ehrgeizigen Plänen zur Bedrohung der Nachbarn ent: 
jagt“. Der Wiener Profeſſor Aloys Hoffmann, der am erbittertften gegen ben 
„philanthropiſch-kosmopolitiſch-demokratiſchen Schwindel des Zeitalters” zu Felde 
30g, erblidte in Her&berg, „vor dem jederzeit alle Lichterzieher deutſcher Nation 
in Ehrfurdt auf allen Vieren gekrochen“, den ſchlimmſten Patron der revolutio: 
nären Propaganda; natürlich ift es nur eine boshafte Erfindung Hoffmanns, 
wenn er verfihert, der Parifer Konvent babe ben König von Preußen um 
Ueberlafjjung von Hergbergs Porträt und Schriften erſuchen lafjen. 

Dffen trat auf Seite der Revolutionsmänner Graf Guſtav von Schlabren: 
dorf aus Pommern, ein philanthropiſcher Sonderling, der den Reichsfreiherrn 
von Stein nah England begleitete, auch mit Friedrich Heinrich Jacobi und 
andern Gelehrten und Schöngeiftern in Verbindung trat, dann nah Paris 
überfiebelte und fi eng an die Führer der Girondiften anſchloß; befannt iſt 
die verbürgte Thatjache, daß der deutiche Graf, ber als Genofie Vergniauds zum 
Tode verurteilt worden war, der Guillotine nur durch den Zufall entging, daß er 
am verhängnisvollen Morgen feine Stiefel nicht finden fonnte. Aus einem alten 
holländiſchen Edelgeſchlecht ſtammte Johann Baptift, oder wie er fich jpäter 
nannte, Anadharfis von Cloots, der in Paris als „Vertreter der Menjchheit” 
eine jo abenteuerlihe Rolle jpielte. Zu den rührigiten Anwälten der Freiheitsidee 
zählte der Verfaffer des befannten Buches: „Ueber den Umgang mit Menfchen,” 
Adolf Freiherr von Knigge, der ſchon zur Vorbereitung der Geifter auf die Revo: 
(ution nicht wenig beigetragen hatte. Der jeihte Lebekünſtler war einer der frucht: 
barften Scriftfteller des Illuminatenkreiſes; die Revolution begeilterte ihn zu 
zahlreihen politiihen Schriften, u. a. einer in Voltaireſcher Manier gejchriebenen 
Geſchichte der Aufklärung in Abyjfinien (unter dem Pſeudonym Benjamin 
Noldmann herausgegeben), einer Satire auf das deſpotiſche Regiment in einzelnen 
deutichen Staaten. Während bes Feldzugs von 1792, aljo zu einer Zeit, da 
das deutſche Reich ſchon gegen das revolutionäre Franfreih Front machte, fiel 
es Goethe auf, daß am Unterrhein gerade die höheren Stände zu demofratijchen 
Neuerungen binneigten. 

Sogar im Fürftenitande fand die Nevolution Freunde und Verehrer. ne: 
befondere am Gothaiihen Hofe waren wohl infolge des langjährigen, vertrau: 
lihen Verkehrs mit Voltaire ſolche Sympatbien lebendig. Prinz Auguft ruft 


286 Zweited Buch. Erfter Abſchnitt. 


jeinem Freunde Herder aus der Ferne ein nicht mißzuverftehendes salute della 
liberta zu. Ein wunderlider Brauh war nah H. U. Reichards Erzählung bei 
der frau Herzogin eingebürgert. In ihren Gemächern wurden immer die Büjten 
derjenigen Männer, welde in Paris gerade im Vordergrund der Aktion jtanden, 
aufgeitellt; jobald der Nevolutionsheld die Gunft des Bolfes eingebüßt hatte, 
wanderte fein Brufibild aud) in Gotha in die Polterfammer. Als Neichard 
einen „Revolutions:Almanah” ankündigte, beftellte die Herzogin, durch den Titel 
verführt, ein Dugend Eremplare; als fie aber fand, daß das Büchlein gegen 
die Revolution geſchrieben war, ſchickte fie erboft die Eremplare zurüd. 

Zu den blutdürftigften Genofjen Robespierres zählte ein deutfcher Fürft, 
der eine Zeitlang zu wichtiger Rolle beftimmt zu jein ſchien. Fürſt Friedrich IT. 
von Salm:Kyrburg war, wie oben dargelegt wurde, 1787 von den mit ihrem 
Statthalter badernden Generalftaaten zum Generalifiimus der holländifchen 
Armee berufen worden; als er aber beim Anrüden der Preußen Utrecht ohne 
Nötigung räumte, wurde er al& „Verräter” von feinen Truppen verlaffen. Er 
ließ dann ein paar Jahre nichts von fi hören; 1792 taudte er als Enragé 
in Paris auf, fiel aber als Opfer des 9. Thermidor unter der Guillotine. 

Die eigentlihen Träger des Nevolutionsgedanfens in Deutſchland waren 
Gelehrte und Schöngeifter. Sogar die Gottesgelahrtheit ſchien damit vereinbar 
zu fein. „Soviel ih alte und junge Theologen nad) modernem Schnitt habe 
fennen lernen,” verfihert Neihard, „joviel Demokraten und Werteidiger der 
franzöfifhen Nevolution habe ich kennen lernen.” Zu den Klubiften in Mainz 
ftelte der Klerus einen ftattlichen Prozentjab. Einer der verworfenften Revo: 
Iutionshelden war der Erfranzisfaner und ehemalige Profefjor des Kirchen: 
rechts an der Straßburger Hochſchule, Eulogius Schneider, der das Schredens: 
regiment in Straßburg leitete; jogar ber Dichter der Marjeillaife hat den 
Verfafier der Parodie: „O liebe Guillotine, wie thuft du jo wohl!” und 
ähnlicher ruchloſer Scherze „le scelerat* genannt. Der katholiſche Pfarrer 
Funk, ein Freund bes „Marat von Straßburg”, der Franzisfaner Johann 
Shletterbef aus Trittberg, der Erjefuit Dorih aus Mainz und viele andre 
Mönde und MWeltgeiftlihe aus den Rheinlanden fuchten ihr Heil im revolutionären 
Frankreich. 

Natürlich muß unterſchieden werden zwiſchen platoniſchen Liebhabern der 
Revolution, die im Freundeskreis oder im vertrauten Briefwechſel ihre Zu— 
ſtimmung zu den Vorgängen in Verſailles und Paris ausſprachen, und ſolchen, 
die heimlich oder offen danach tradhteten, die franzöfiichen Theorien in Deutſch— 
land in Thaten umzufeßen. 

Auf diefe mehr oder minder gefährlichen „Apoftel der That” wird bei 
der Frage nad) der revolutionären Propaganda in Deutichland zurüdzufommen 
jein. Die meilten waren „Halbftudierte”, die ihren Beruf verfehlt hatten. „Der 
halbkluge Menſch,“ schreibt Heyne an Forſter, „bleibt immer ein größerer und 
böferer Narr als der ganz dumme.” In Ifflands „Kokarden“ und Goethes 
„Aufgeregten” werden dieje Magifter als Schläulinge dargeftellt, die im Trüben 
fiſchen wollen, als Brandftifter, die beim großen Feuer auf Beute hoffen. 

Bon Leuten dieſes Schlages gingen die zahllofen Brandfchriften aus, die 


Die franzöfifhe Revolution und der deutiche Vollsgeiſt. 987 


Schlözers Entrüftung wadriefen, die „Schartefen und Pasquille, die aus den 
infamften Meuchel- und Winkeldrudereien kommen“, bie viel zu lange in deutjchen 
Staaten gebuldet worden jeien. Im Zenſurweſen tritt ja der Heinliche und 
fpießbürgerliche Zug, der der inneren deutſchen Politik anhaftet, befonders deutlich 
hervor. Auf Marat und Robespierre durfte die feurigite Lobrede gehalten werben, 
wenn man nur vorher vor dem eigenen Landesherrn einen Knids gemacht hatte; der 
Ausbruch der roten Revolution im Nahbarftaat durfte laut gepriefen werden, wenn 
man nur bie eigenen Öffentlichen Berhältnifje alles Zobes und aller Anerkennung 
würdig nannte. Zu den ungeftümften, brutalften Erzeugnijien der rabdifalen 
Litteratur gehören die zahlreihen, unter dem Pjeudonym Eihbaum heraus: 
gegebenen Brandſchriften.) Yon ähnlichem Charakter ift die „hiſtoriſche Skizze”: 
„Zuzifer oder gereinigte Beiträge zur Geſchichte der franzöfiihen Revolution“. 
Was Mallet du Pan und andre Fürftenfnehte von den Blutthaten der Revo: 
lution gejchrieben, jei alles erlogen; der beite Beweis bafür jei die Thatſache, 
dab es Leute, die folches jchreiben, noch immer gebe. Auch aus der Schrift 
„Galerie ausgezeichneter Handlungen und Charaktere aus der franzöfiihen Nevo- 
lution”, die fälſchlich Schubart zugeſchrieben worden ift, läht fi ohne Mühe 
die Aufforderung berauslejfen, dem „glorreihen Auferſtehungswerk“ nicht fernzu— 
bleiben, fondern den Fürften durch Thaten den „Willen der Völker“ kundzu— 
thun. Wenn man die Verzeichniffe der 3. B. in Baiern verbotenen Trud: 
ſchriften?) durchſieht, drängt fi zwar unmutige Klage auf, daß mande edle 
Geifteswerfe nur deshalb, weil den Herren Zenfurräten das Berftändnis mangelte, 
der Nutznießung des Volkes entzogen blieben; anbrerjeits wird man peinlich 
überrafcht dur die Beobadtung, welch üppige Schund: und Schmuglitteratur 
jene Jahre hervorbraditen. 

Sarmlofer, für die Revolution nur in der Theorie ſchwärmten Deutſch— 
lands Dichter und Denker, unter ihnen am mwärmften Klopftod und Kant. 

Mit Jubel begrüßte der Sänger der Meffiade, der gerade von feinem 
fürftlihen Mäcen unterhalten wurde und im republifaniihen Hamburg lebte, 
die dtats généraux: 

„Der fühne Reihstag Galliens dämmert ſchon, 
Die Morgenfhauer dringen den Wartenden 
Durh Mark und Bein: o fomm, du neue, 
Labende, jelbft nicht geträumte Sonne! 

Gefegnet fei mir du, das mein Haupt bededt, 
Mein graues Haar, die Kraft, die nah Sechzigen 
Fortdauert, denn fie war's, fo weithin 

Brachte fie mich, daß ich dies noch erlebte!” 


Nicht ohne komische Selbitgefälligfeit trug Klopftod fortan jeine Sympatbien 
zur Schau; er fiegelte mit einem Brutusfopf, legte nach Mirabeaus Tod Trauer: 


’, Eine reihe Sammlung politiicher Flugſchriften, auch folcher, bie jofort nach Erjcheinen 
in Beichlag genonimen wurden, befindet ſich unter den Berichten der zweibrüdenfhen Reichstags: 
gefandtfhaft an Herzog Karl Auguft (bair, Staatsarchiv, zweibrüdenfde ComitialeActa 1790 :r.). 

) Münchner Kreisarchiv. Geheimeratsakten, die zur Zenfur übergebenen Schriften betr, 
1785 — 1794. 


288 Zweites Bud. Erſter Abfchnitt. 


fleider an, feierte die wichtigſten Beſchlüſſe der Nationalverfammlung in ftolzen 
Verjen und bedankte ſich für die Verleihung eines franzöfiihen Bürgerdiploms 
mit böfifcher Unterwürfigkeit: „Es ift unmöglich, ſolche Ehre zu verdienen !“ 
Klopftods entſchiedene Parteinahme für die Sache der Revolution erregte bei 
Freunden und Gegnern ber Bewegung großes Aufjehen. Schubart fnüpft in 
der „Chronik“ an die falſche Nachricht von einer Reife Klopftods und Stolbergs 
nah Paris begeifterte Worte. „Der größte Mann der Deutihen kommt mit 
Silberloden, verjüngt fi im feligen Anblide eines entfeflelten Volkes und giebt 
au jein Delgefäß auf den Altar des Baterlands!” Dagegen beflagt ber 
Miener Aloys Hoffmann den Abfall des gottbegeiiterten Sängers, der eben mit 
feinem fechzigften Lebensjahre ſchon vollkommen „fertig” geworben jei. 

Klopftod ſchwärmte aber für die Revolution nur, jolange fie abjtraft 
und auf lauttönende Reden von Freiheit und Menjchenrechten bejchränft war; 
als fie aber die ſchönen Worte in blutige Thaten ummwandelte und alles, was 
ihr im Wege ftand, mit ehernem Fuße zerftampfte, erichraf er über bas In: 
geheure, das er nicht zu deuten vermochte; er widerrief feine Zuftimmung und 
verwünjchte, was er eben gebenedeit hatte, er entihloß ſich ſogar zur Zurüd: 
ſendung des franzöſiſchen Bürgerdiploms: 


„Wenn id) zurüdfende den Siegelbrief, 
Welchen mir Frankreichs herrihende Hunderte 
Einft zur Belohnung des Bürgerfinnes 

Von der entfernten Seine fandten, 

O fo vernehmt, Herrfher vom Seinejtrand, 
Was Deutfchlands Barden unmiberftehlich ftarf 
Von euch entfernt, zurüdichredt, wegſtößt, 
Bon Franfreihs Bürgern ewig trennt” ... 


„Deutſchlands Barde“ beflagte feinen Irrtum, bis er ſich bei einer andern 
Miedergeburt der „heiligen Menfchlichkeit”, diesmal in der Perfon eines neuen 
Zaren aller Reußen, tröftete. 

Wichtiger ift die Stellungnahme Kants, deſſen Aufrichtigfeit und Selbft: 
Iofigkeit über jeden Zmeifel erhaben find. Hippolyte Carnot weift in einer 
hiſtoriſchen Studie über das „erfte Echo der franzöfiichen Revolution in Deutſchland“ 
mit Genugthuung darauf hin, daß jogar der Weifefte der Deutfchen, der Magier 
des Nordens, den niemand ber Leichtfertigfeit zeihen werde, für die Revolution 
eingetreten jei. Nun thut man zwar gut, die Mitteilung Varnhagens zu be: 
zweifeln, daß der Königsberger Philofoph nah Proflamierung der franzöfiichen 
Republif mit Thränen in den Augen ausgerufen habe: „Ach jage mit Simeon: 
Herr, laß deinen Diener in Frieden jcheiden, nachdem ich den Tag des Heils 
gejehen habe!” Aus Kants eigenen Worten läßt fi) aber nachweiſen, daß er 
die Grundjäße der älteren Jakobiner gebilligt hat. Er hatte ja jelbit von jeher 
gelehrt, daß alle Gewalt nur aus dem Willen der Nation abzuleiten ſei, und 
erblidte nun in der Nevolution gewiflermaßen ein Erperiment, das die von 
der Vernunft verlangte, vollkommene Staatsverfafung ſchaffen jollte. Freilich 
war es eine Verfennung des Gedanfenganges des deutſchen Philofophen, wenn 


Die franzöfiihe Nevolution und der deutſche VBolfägeift. 289 


er zum Gefinnunge: und Bundesgenofien der Robespierre und Danton ge: 
ftempelt wurde. Hielt es doch ein Schüler Kants, der Würzburger Profefior 
Reuß, ſchon im Sommer 1792 für geboten, in einer akademiſchen Streitjchrift 
die Philofophie feines Lehrers gegen den Vorwurf in Schuß zu nehmen, daß 
aus ihr die franzöfifche Revolution ihren Urjprung genommen babe! Im 
Glauben an die Erfprießlichleit der Grundfäte von 1789 Tieß fih Kant 
auch durch die Schredensherrfhaft nicht irre machen. Noch im „Streit der 
Fakultäten” (1798) hält er ihnen eine warme Lobrede und ftellt jegensreiche 
Folgen für die Menſchheit in Ausficht. 

Entſchieden trat au, um hier noh die Philojophen anzureihen, Fichte 
für die leitenden Gedanken der Bewegung ein. Die anonym herausgegebene 
Schrift „Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publiftums über die fran- 
zöſiſche Revolution”, an der übrigens auch feine junge Gattin, eine Nichte 
Klopftods, mitgearbeitet haben foll, verteidigt offen das jus revolutionis, das 
Recht der Mehrheit eines Volkes, die Staatsverfaflung, wenn nötig, auf gewalt: 
ſame Weife umzugeftalten. „Die Menſchheit ift noch weit entfernt, zu willen, 
was ihr not thut, aber, wenn id mich nicht täufche, ift das Morgenrot ges 
fommen, und der volle Tag wird anbrechen!“ Die gleiche Anficht vertrat der 
Rantianer Karl Bernhard Reinhold, der aus dem Wiener Aufklärerfreife ber: 
vorgegangen war und namentlich im „Teutihen Merkur” anonym feine Arbeiten 
veröffentlichte. Von Friedrich Heinrid Jacobi wird niemand fefte politiiche 
Grundjäge erwarten; wenigftens den Anfängen der Revolution wendete er, wie 
fein Bruder Johann Georg, der Poet und Profefior der ſchönen Wiffenjchaften 
in Freiburg, aufmerfjame Teilnahme zu. Zwei Tübinger Stiftler, die fpäter 
die Führer berühmter Philoſophenſchulen geworden find, Schelling und Hegel, 
tollen — die Erzählung ift nicht gut verbürgt — mit allerlei revolutionärem 
Brimborium in der Nähe des Univerſitätsſtädtchens einen Freiheitsbaum auf: 
gerichtet haben. 

In Mainz, wo Frievrih Karl von Erthal, ſelbſt ein Freund der Auf: 
klärung, den Kurftuhl inne hatte, wo Johannes Müller, Sömmering, Heinie, 
Georg Forſter fih aufhielten, gab es befonders viele Illuminaten und Demo: 
fraten. Nirgend wurde freier geſprochen und gejchrieben, als in diejer geiftlichen 
Reſidenz; die Jahrestage der Eröffnung der Konftituante und des Baftillenfturmes 
wurben bier als „Feiertage der Menjchheit” feftlih begangen. Johannes Müller, 
der jeit 1788 die einflußreiche Stelle eines geheimen Kabinettsjelretärs des Kur: 
fürften inne hatte, begrüßte die Zerftörung der Baftille als „ſchönſten und wich— 
tigften Tag jeit dem Untergang der römischen Weltherrſchaft“ und pries das 
„luftreinigende Donnerwetter, das, auch wenn es hie und da einen erjchlägt, 
immer befier jey, als die Luftvergiftung, die Bert!” — „But ift immer,” jchreibt 
er (15. September 1789) an jeinen Bruder, „daß die Fürften gewahr werden, 
fie jeyen Menſchen, und daß die Vorfehung fie aus dem Schlaf rüttelt, in 
melden die lange Geduld der Nation fie einwiegt.“ Und im nächſten Jahre 
jchreibt er an den nämlihen: „Heute it nun das Freiheitsfeſt! Ich geſtehe, 
daß ih doch bisweilen glaube, es wird Beftand haben. Gott jcheint mir diejes 
Werk zu thun; er will einmal eine neue Ordnung der Dinge. Der Freiheits— 

Heigel, Deutfce Geſchichte vom Tode Friedricht d. Or, bis zur Aufldfung bes deutſchen Reichs. 19 


290 Zweites Bud. Erfter Abjchnitt. 


finn ift zu tief und allgemein in die Völker gefahren, und zu offenbar gewinnen 
fie dabey, um ſich's wieder entreißen zu laſſen. Gott jelbjt will parcere subjectis 
et debellare superbos.“ Georg Forfter, der auf Müllers Betreiben als Biblio: 
thefar des Nurfürften berufen worden war, befreundete fich als Verehrer der 
engliſchen Verfaſſung leicht mit der Staatsummälzung in Franfreih, denn es 
war „ein bemwegterer, aljo ein bejjerer Staat”; ihn hatte längft der „deutiche 
Stumpffinn” angewidert, „der nur einen Kigel der Neugierde darüber verjpürt, 
daß in der Ferne ohne fein Zuthun Zuftände bedroht und untergraben werden.” 
Schon früher hatte er für Mirabeau eine Lanze gebroden; auf bie unbe: 
jonnenen Streidhe eines jo leuchtenden Genius dürfe fein Gewicht gelegt wer: 
ben: „Das Gold ift nicht minder Gold, weil man es felten oder nie ganz 
unvermifcht gefunden hat.” Im Erwachen der Franzoſen zur Freiheit erblidte 
Forfter die Reaktion der Natur gegen unnatürlihen Zwang; deshalb war ihm auch 
ber Sprung von einem Ertrem zum andern etwas Selbftverftändliches; die Blut: 
thaten der Revolution fchienen ihn leicht zu wiegen gegen „ben jyftematiichen 
Mord von Taufenden für den Ehrgeiz Friegeriiher Defpoten und die Vergiftung 
der Freuden von Hunbderttaufenden durch Erpreffung und Unterdrüdung”. Die 
Nachtſitzung vom 4. Auguft war ihm ein „glorreiches Ereignis, in ber Welt 
ohne Beifpiel”. Mit geipannter Erwartung verfolgte er die Einführung der 
Volksherrihaft im Nacbarlande und wurde in feiner ſympathiſchen Auf: 
fafjung dur eine im Sommer 1790 unternommene Reife nah Frankreich 
noch beſtärkt. „Der Anblid des Enthufiasmus im Volke,“ jchrieb er an 
Heyne, „vorzüglid auf dem Champ de Mars, wo man die Zubereitungen zum 
großen Nationalfefte machte, ift berzerhebend, weil er jo ganz allgemein durch 
alle Klaſſen des Volkes geht und jo rein und einfah auf das gemeine Beſte 
mit Hintanfegung des Privatvorteils wirkt. Wir leiden mandes, jagten mir 
viele, und kämpfen jegt mit großem Ungemach; jelbit unjer Vermögen wird 
eine große Verminderung leiden, aber wir wiſſen, unfre Kinder werden’s uns 
banken, denn ihnen fommt es zu gute! Bei dieſer Selbftverleugnung, die einen 
hohen, moraliſchen Genuß nicht ausschließt, läßt fih auf eine beſſere Zukunft 
ſchließen!“ 

Die Genoſſen des Göttinger Hainbunds, die, wie aus Johann Heinrich 
Voß' Briefwechſel erhellt, noch immer intime Verbindung unterhielten und ſich 
an dem Schibboleth „Klopſtock“ als „Geweihte“ erkannten, teilten rückhaltlos bie 
Begeiſterung ihres Meiſters. „Ich fühlte mich nie kosmopolitiſcher als jetzt,“ 
ſchrieb Stolberg im Oktober 1789, „und möchte das macta nova virtute! aus: 
rufen von den Pyrenäen bis zum Nhein, von der Memel bis zur Garonne!“ 
Voß dichtete noch 1792 den „Gejang der Neufranken“: 


„Wir nahn, wir nahn! 
Bebt, Mietlingsfcharen, 
Entfliehet oder ſterbt!“ 


und verfünbete in der deutſchen Marjeillaije allen tyrannifchen Deys und heuch— 
leriſchen Muftis den Untergang. 
Feurige Freiheitsliebe glüht in den Gedichten des Schwaben Hölberlin; 


Die franzöfiihe Nevolution und der deutſche Volkägeift. 291 


in begeifterten Hymnen feierte er das Erwaden der Menfchheit, und noch 1792 
begrüßte er die auf deutſchem Boden erjcheinenden Franken als „glüdlichere 
Brüder”. Ya, fogar von Ernft Morik Arndt, dem „Gallophobe par excel- 
lence*, fann Hypolite Carnot mit Befriedigung feititellen, daß er zwar nie 
ein Freund der Franzofen, wohl aber als Jüngling ein Freund der frangöfiichen 
Ideen gemwejen fei. 

Nur die preußifche Pichtergruppe, Vater Gleim an der Spike, verhielt 
fih von vornherein ablehnend gegen die von der „Heimat der Deiften und Ratio: 
naliften” ausgehende Bewegung. Als Ausgeburt der Aufklärungsphilofophie 
brandmarft Gleim die Volksherrſchaft: 


„Kein Wunder, daß das Tier mit feinen taufend Köpfen 
Auf Königäthrone tritt und Königsköpfe frißt! 

Die Urſach'? Die dürft ihr nicht tief im Brunnen fchöpfen: 
Weil's dumm geboren ward und dumm gelafjen iſt!“ 


Natürlid waren Gleim und die Seinen entrüftet über den Abfall Klopftods vom 
deutſchen Vaterland: 


„Er, unfer Klopftod, will die Fahnen 
Des Aufruhrs tragen, Brutus fein? 
Ha! welder doch von den Satanen, 
Die er ſchuf, gab das ihm ein?“ 


In den Weimarijden Kreifen war die Aufnahme geteilt. Goethe war 
gereift und geläutert aus Italien zurüdgefehrt; er hatte dort, wie er jagt, 
„ich felbit wieder gefunden”, aber die Neigung zu dem braujenden Treiben 
ber erftien Weimarer Jahre Fehrte nicht wieder. Wie Herzog Karl Auguft 
als Patron des Fürftenbundes fich in ernfte Gejchäfte verfenft hatte, jo war 
Goethe, nad Wielands Ausdrud, „mit untadeliger Sophrofyne und aller ziem: 
lichen Weltklugheit ausgeftattet”, gleich unermüdlich im Dienft des Staates, 
wie der Mufe. Die Mißftände des ancien regime wurden von dem Dichter 
Har erkannt; man findet in ber „Natürlihen Tochter” wie im „Reineke Fuchs“ 
jo mandes fräftige Wort darüber. Auch die Rede des Richters in „Hermann und 
Dorothea” darf wohl als Ausdrud der Gelinnung des Dichters angejehen werben: 


„Denn wer leugnet es wohl, daß hoch ſich das Herz ihm erhoben, 
Ihm die freiere Bruft mit reineren Pulfen geſchlagen, 

Als fih der erfte Glanz der neuen Sonne heranhob, 

Als man hörte vom Rechte der Menfchen, das allen gemein fei, 
Bon der begeifternden Freiheit und von der löblichen Gleichheit!” 


Doch das Ungejtüme, das Unberechenbare der Bewegung erjchredte ben 
Dichter. „Einem produftiven, thätigen Geifte,” jagt er in den Tag: und Jahres: 
beften, „einem wahrhaft vaterländifch gefinnten und einheimiſche Litteratur 
befördernden Manne wird man es zu gute halten, wenn ihn der Umfturz alles 
Beitehenden jchredt, ohne daß die mindefte Ahnung zu ihm jprähe, was dann 


292 Zweites Bud. Erfter Abſchnitt. 
befjeres, ja nur anderes daraus erfolgen ſolle. Man wird ihm beiftimmen, 
wenn es ihn verdrieft, daß dergleihen nfluenzen fih nah Deutſchland er- 
ftreden.” Er wird dadurch an die Religionswirren erinnert: „Franzthum drängt 
in biefen verworrenen Tagen, wie ehemals Lutherthum es gethan, rubige Bildung 
zurüd.” Manches ironiſche Wort zeugt von ber „vieljährigen Richtung feines 
Geiſtes gegen die franzöfiiche Revolution”, die er jelbft für fih in Anſpruch 
nimmt. Er zieht aus den Parifer Vorgängen nur die Lehre, daß „aud in 
diefem Falle der große Haufen ſich treu blieb und Wort für That, Schein für 
Beſitz in großer Heftigfeit nahm“, und weift die aufdringlichen Freiheitsapoftel 
zurüd: 


„Willkür fuchte doch nur jeder am Ende für fid, 
Willft du viele befrei'n, fo wag' es, vielen zu dienen!“ 


Die Größe der Erfheinung läßt er gelten. „Das fonzentrierte Unheil der 
Barijer Bluthochzeit“ macht auf ihn „einen großen, tragiſchen Eindrud, deſſen 
Erhabenheit das befondere Elend vor unſern Bliden verſchlingt“. — 

„In tyrannos!* war ber Wahlſpruch geweſen, den der junge Schiller 
auf das Titelblatt feiner „Räuber“ gejegt hatte. „Stelle mid vor ein Heer 
Kerls, wie ih,” ruft Karl Moor, „und aus Deutihland fol eine Republik 
werben, gegen die Rom und Sparta Nonnenklöfter fein follen!” Doch diefe 
leidenihaftlihe Wut gegen die beitehende Ordnung war von Schiller überwunden. 
Indem er — zwei Jahre vor Ausbruch der Revolution — die Geftalt des Welt: 
bürgers Poſa ſchuf, befreite er fih aus der Unraft und Zerfahrenheit der Zeit: 
fimmung und war nur noch „ein neiblofer und ruhiger Bewunderer des großen, 
drängenden Menichenozeans”. Im Vorwort zur Gefchichte des Abfalls der ver: 
einigten Niederlande (1788) preift er zwar ben „großen und beruhigenden Ge: 
danken, baß gegen die trogigen Anmaßungen der Fürftengewalt endlid noch eine 
Hülfe vorhanden,” und will zu Ehren „einer Begebenheit, wo bie bebrängte 
Menſchheit um ihre ebeliten Rechte ringt,” ein „Denkmal bürgerlicher Stärke 
vor der Welt aufitellen,“ doch gegen die Volkserhebung in Franfreih, bie fo 
viele in Schillers Umgebung begeifterte, verhielt er fich fühl; die Revolution 
ſchien ihm nur ein „interefjanter” Borgang zu fein, deſſen Entwidelung er ohne 
wärmere Teilnahme verfolgte. Immerhin verdient Beahtung, daß eine fo 
iharfe Beobadhterin wie Frau von Stein in Schiller einen verfappten Anhänger 
der neufränfiihen Ideen erblidte und noch 1793 Zweifel begte, ob er gänzlich 
befehrt jei. Schiller ſelbſt fehrieb no am 26. November 1792 nad dem Ein: 
fal der Franzoſen in die Rheinlande an Körner: „Wenn die Franzofen mic) 
um meine Hoffnungen (auf eine Berufung nad Mainz) bringen, jo kann es 
mir einfallen, mir bei den Franzoſen befjere zu jchaffen.” Während aber Körner 
dem „bodintereffanten Verſuch einer Staatengründung nah Vernunftprinzipien“ 
andauernd feine Neigung zumandte, überzeugte fih Schiller mehr und mehr von 
der „Wiberrechtlichfeit und Zmwedlofigfeit” der Ummälzung. „Es ift fehr inter: 
eſſant,“ jchrieb er an Körner, der für Göſchen eine geſchichtliche Studie über die 
englifhe Revolution jchreiben jollte, „gerade in der jekigen Zeit ein gejundes 
Glaubensbefenntnis über Revolutionen abzugeben, und da es ſchlechterdings zum 


Die franzöfiihe Revolution und der deutſche Volksgeiſt. 203 


Vorteil der Nevolutionsfeinde ausfallen muß, jo können die Wahrheiten, bie 
den Regierungen gejagt werben müflen, feinen gehälligen Eindrud machen!” 
Eine Zeitlang trug er fih mit der Abfiht, ein Memoire zur Verteidigung 
Ludwigs XVI. zu fchreiben. „Es gibt Zeiten, wo man öffentlich ſprechen muß, 
weil Empfänglichkeit dafür da ift, und eine folche Zeit jcheint mir bie jetzige 
zu fein.” Als ihm Körner vorjtellte, daß „das Teuer, welches jest brennt, als 
das Werk einer höheren Hand geehrt und weder Del noch Waſſer hineingegoffen 
werben ſoll“, ftand Schiller von feinem Vorhaben ab; er blieb aber ein Gegner 
der Revolution. „Ich kann,” jchreibt er am 4. Februar 1793 an den Freund, 
„Seit vierzehn Tagen feine franzöfifche Zeitung mehr leſen, jo efeln diefe elenden 
Schindersknechte mich an.” Bon diefer Auffaffung zeugen auch die gegen Anadharfis 
Cloots, Eulogius Schneider und andre Umſtürzler gerichteten Xenien; im 
„Spaziergang“, im „Lied von der Glode” wendet er ſich mit Entjchievenheit 
gegen bie unklaren, leidenfchaftlihen Streber jeines Zeitalters und die wahn- 
wigigen Jünger der Gejeglofigkeit. Jeder Patriot fol — dieſe Ideen entwidelt 
er in den Briefen an den Herzog von Auguftenburg — mit felbitthätiger freier 
Denktraft das Geſetz juhen und nah Berebelung ber Gefühle und fittlicher 
Reinigung des Willens traten; auf dem Wege äfthetifcher Selbiterziehung der 
Menſchheit wird es gelingen, das Beitehende zu beſſern und zu beleben: Der 
Meg zur Freiheit führt dur die Schönheit! Das „politiiche Gejchwirre” der 
Zeitgenoffen vermag ihn nur zu beläftigen, nicht zu belehren. „Es ift im buch— 
ſtäblichen Sinne wahr,“ jchreibt er (3. Auguft 1795) an Reinhardt, „daß ich 
gar nicht in meinem Jahrhundert lebe, und ob ich gleih mir habe jagen laſſen, 
daß in Frankreich eine Revolution vorgefallen, fo ift dies ungefähr das mwichtigite, 
was id) davon weiß.” 

Die älteren Mitglieder des Weimarer Kreijes waren jamt und fonders 
Freunde des politifch-fozialen Umſchwungs in Franfreih. Herder, durch das 
Schlagwort Humanität gewonnen, ſprach laut und offen jeine Freude aus; end: 
lih ſei die Herrſchaft des Friegeriihen Adels und des den Geift veröbenden 
Klerus zu Ende, frohlodte er; wie die Reformation die geiltlichen Bande gelodert 
habe, jo werde die Revolution die legten Feſſeln der Menjchheit fprengen. Es 
läßt fich begreifen, welches Auffehen ſolche Worte in dem ftillen Kleinftädtchen 
bervorriefen, wie der Klatſch fie von Haus zu Haus trug bis zur Nefidenz des 
Herzogs! Der Herr PVizepräfident bes Oberfonfiftoriums freut fih der Auf: 
hebung des Adels, der Beſchränkung Tandesfürftliher Gewalt! Goethe war 
ernftlih böje über das unvorfihtige Gebaren des Freundes. Als Herder fih 1792 
zur Badekur nad Aachen begeben hatte, jchrieb Goethe, der auch hier Antonio 
und Taſſo in feiner Perjon vereinigte, an das Ehepaar Herder: „Bergeflen Sie 
nicht, Gott zu preifen, daß er Sie und Ihre beiten Freunde außer Stand geſetzt 
hat, Thorheiten ins Große zu begehen.” Der feurige Humanitätsapoftel wollte ſich 
durchaus nicht die von den Freunden empfohlene Zurüdhaltung auferlegen; erft nad 
unliebfamem Zufammenftoß mit der Frau Herzogin erklärte er feinem Gefinnungs: 
genofjen Knebel, er habe fi nun feit vorgenommen, „nicht mehr zu fündigen mit 
der Zunge”. Als Georg Müller, der Bruder bes Hiftorifers, mit ſpöttiſchem Hin- 
meis auf „den großen Politikus Wieland” ein bitteres Urteil über die „Bande 


204 Zweite Bud. Erſter Abſchnitt. 


von Fanatifern”, genannt franzöfiiche Nationalverfammlung, fällte, ſchwieg Herder 
verftimmt und ließ fih auch dur Müllers Hinweis, da er im republifanifchen 
Nachbarland Frankreichs ſich leichter über den Charakter der neueften Ereignifle 
unterrichten könne, in feiner Auffaffung nicht beirren. Noch in den „Briefen zur 
Beförderung der Humanität” (Frühjahr 1793) ſpricht ſich das feite Vertrauen 
auf heiljame Errungenfchaften des „Geiftes der Zeiten“ aus; der Verfaſſer ift über: 
zeugt, daß „jeit Einführung des Chriftentums und feit Einrichtung der Barbaren 
in Europa außer der Wiederauflebung der Wiflenfhaften und der Reformation 
fih nichts ereignet hat, das diefem Ereignis an Merkfwürdigfeit und Folgen 
gleich wäre”. „Geift ber Zeit, it er der Genius ber Humanität jelbit, oder deſſen 
Freund, Vorbote, Diener? Ich wollte, daß er das erite wäre, glaube e& aber 
nicht; das letzte hoffe ich nicht nur, ſondern bin deſſen fait gewiß!” Erft die 
Hinrihtung des Königs und die eroberungsjüdhtige Politif der neuen Republik 
riefen einen Umſchwung im Herderichen Haufe hervor; nicht bloß Frau Karoline 
machte „das dreifache Kreuz über die entlarote falfche Freiheit der Neufranken“, 
auch ihr Gatte war über das „Wüten der Lernäiſchen Schlange” in Paris be: 
troffen und Elagte, daß die Welt ftatt eines Luthers, deſſen fie zu glüdlicher 
Reform bedurft hätte, nur einige Münzer befommen habe. „Won der politifchen 
Welt fein Wort mehr!” ſchreibt er (1. Mai 1793) an Gleim, „im jebigen 
Moment dünkt jie mir wie Hamlet abiheulih: auch hieraus aber, auch aus 
diefer Verwirrung ber Töne muß fih etwas Gutes und Großes ergeben und 
wir werden es noch erleben!” 

Solange die Nationalverfammlung tagte, befannte ſich auch Wieland, deſſen 
„Teutſcher Merkur” nicht nur in litterariihen, fondern auch in politijchen Fragen 
vielen Gebildeten als Führer diente, zu den Grundfägen der Revolution. In 
der Schrift „Ueber die Gefeglichkeit der Anwendung, welche die franzöfiiche 
Nation von ihrer Aufklärung und ihrer Gewalt macht“, (1789) äußert er — 
doch nicht ohne Bedauern — Zweifel am Erfolg der Revolution, die „jo be 
deutungsvoll im Intereſſe Europas und ber ganzen Menjchheit Frankreich erfüllt”. 
In den „Göttergeſprächen“ lehnt Jupiter ab, die Sache ber Könige zu ver: 
teidigen, ba ja doc jedes Volk das Recht habe, jelbft zu feiner politifchen 
Wirtihaft zu ſehen. Allmählih vollzog fih aber in der Auffaſſung oder doch 
in der Sprade Wielands eine Umkehr. Der Berfafjer einer 1793 veröffent: 
lihten revolutionären Flugſchrift „Doctor Martin Luther“ (vermutlid Mauvillon 
in Braunjchweig) hebt grollend hervor, daß „ein Dichter, der die Gewandtheit 
der Grazien aus jonifhem Boden ins deutſche Vaterland verpflanzte”, fi jo 
weit vergeffen konnte, von den Jakobinern als von „Pferbemelfern, Menjchen: 
jreffern und Troglodyten” zu ſprechen. Immerhin war Wieland noch zur Zeit 
der Schredensherrichaft ein Gegner der Einmiſchung Deutichlands in die ſtaats— 
rechtlihe Entwidelung des Nachbarftaates; jei doch auch Grommell von ben 
europäifhen Mächten als legitimes Haupt der Nepublif England angejehen 
worden, obwohl er „um nichts bejjer ala Nobespierre”. ' 

Auh Kammerherr v. Knebel, Bergrat Einfiedel und andre Genofjen bes 
Weimarer Kreiles brachten der Revolution lebhafte Sympathien entgegen; fie 
verteidigten die Verkündigung der Menſchenrechte, den Aufihwung des dritten 


Die franzöfifhe Revolution und der deutfche Volksgeift. 205 


Standes, die neue Verfaffung mit leidenſchaftlichem Eifer gegen die Anhänger ber 
alten Ordnung; „fie ftritten,” Elagt Frau von Stein, „daß fie alle zugleich ſchrieen!“ 
Auf einen Feuerkopf, wie Jean Paul Friedrich Nichter, mußte die Erklärung 
der Menſchenrechte wie ein neues Evangelium wirken. Schon in den „Grön: 
ländifhen Prozeſſen“ (1783) hatte er die Heinlihen und doch fo drüdenden 
Verhältniffe der Gegenwart mit bitterer Ironie gegeißelt; wegen ber heftigen 
Ausfälle gegen den Adel war er von Kotzebue „ein ungeichliffener, elender Wig: 
ling” geſcholten worden. Noch revolutionärer in Inhalt und Sprade find bie 
Teufelspapiere (1789), Ein Neffe des Dichters, der bemofratiihe Schriftiteller 
Richard Otto Spazier, verfihert, fein Oheim fei zeitlebens ein nlühender Be: 
wunderer des girondiftiichen Freiheitsideals geweſen. Im Eſſay „Charlotte 
Corday” (1799) wird die Heldin gepriejen, die „nicht für die Legitimität einen 
Republikaner, fondern für die Nepublif einen Tyrannen” tötete. Auch ein älterer 
Dichter der Genigzeit, Marimilian Klinger, hielt, obwohl in ruſſiſchen Dienjten 
zu hohen amtlihen Würden emporgeftiegen, mit freudiger Zuftimmung zur 
Auflehnung des dritten Standes nicht zurüd; die Greuel der Revolution verglich 
er mit Medeens Zauberfefjel, in den die ftarren Glieder des abgelebten Alten 
geworfen werben müßten, um wieder jung und ſchön hervorzufommen. 

Nicht weniger wohlwollend ftand eine dritte Gruppe von Schriftitellern, 
die im Gegenſatz zu den Vhilofophen und Dihtern als Politifer bezeichnet 
werden fönnen, der Nevolution gegenüber. Die Preſſe hatte zwar noch nicht die 
ausgedehnte praktiſche Bedeutung, wie heute, immerhin gab es ſchon einzelne, von 
namhaften Gelehrten herausgegebene Wochen: und Monatsſchriften, welche die 
Anihauungen und Wünjche beitimmter Volkskreiſe vertraten und eine vermittelnde 
Stellung zwifhen Regierungen und Regierten einnahmen. Namentlid einige 
Organe in dem von engliihem Geifte angehauchten Hannover trugen zur Heran— 
bildung einer öffentlihen Meinung in Deutjchland mwejentlid bei. Den erften 
Pla unter den politiihen Beratern der Deutfhen nahm unbeftritten Schlözer 
ein, doch verbanfte der „Rabamanthys von Göttingen”, wie ihn feine Bewunderer 
nannten, bieje Bedeutung mehr dem Freimut und der geiftreichen Form, als der 
Feſtigkeit und Folgerichtigkeit feiner Urteile. Auch in Bezug auf die franzöfiiche 
Revolution läßt fich diefe Beobahtung mahen. Während Schlözer — offenbar 
aus Nüdjiht auf König Georg — gegen den Freiheitskampf der Amerikaner 
Bartei ergriffen und den „Streit für Handfof und Contreband'“ verfpottet hatte, 
bradte er der Erhebung der Franzofen, die ihn bei feinem Parifer Aufenthalt jo 
ehrenvoll aufgenommen hatten, die lebhaftefte Zuftimmung entgegen. „Eine der 
größten Nationen der Welt,” ruft er aus, „die erfte in allgemeiner Kultur, wirft 
das oc der Tyrannei endlich einmal ab. Zweifelsohne haben Gottes Engelein 
im Himmel ein Te Deum laudamus darüber angeftimmt!” In einem „Ludwig 
der Große, Mordbrenner in Speier im Jahre 1689” betitelten Aufſatz in ben 
„Staatsanzeigen” bezichtigte er ben regierenden König von Frankreich eines 
Anſchlags, die Stadt Paris in Flammen aufgehen zu laſſen, eines Anjchlags, 
den man einem Kurzfichtigen, der auf Anftiften des Adels jogar den großen 
Neder entfernt habe, wohl zutrauen könne. Am 29. November 1789 ſchrieb der 
bäniihe Geſandte in Dresden, Graf Schmettow, an Schlözer: „Man fann nicht 


296 Zweites Bud. Erfter Abfchnitt. 


leugnen, daß es ein Glüd für Frankreich ift, das ich zwei und ein halbes Jahr 
bewohnt habe und etwas kenne, jetzt auf einmal das Joch abgejchüttelt zu haben. 
Ich billige die dabei verübten Grauſamkeiten nicht, aber im Verhältnis mit dem 
Guten und Großen, was erzielt worden ijt, will das nichts jagen. Wer ver: 
mag einen Ader zu beſäen, ohne daß einige Körner auf den Steinen liegen 
bleiben und andre von den Vögeln gefreflen werden? Indes ift fein bürgerlicher 
Krieg in Frankreich gewejen, der jo wenig Blut gefoftet hätte, als die jegige Revo— 
lution, und feiner hat jo ausnehmend große, glüdlihe Folgen für Franfreih und 
zugleich für ganz Europa gehabt. Jeder König, jeder Minifter wird nun benfen: 
veniet summa dies!” Schmettow konnte dabei auf volle Zuſtimmung Schlözers 
rechnen. Noch die Vorgänge vom 5. und 6. Dftober wurden in den „Staats: 
anzeigen” in Schuß genommen. „Druderei, Pulver, Dolde und Feuer fönnen 
unendlich viel Böſes ftiften, haben unendlich viel Böjes geftiftet; wer wird aber 
deswegen zum Glüd der Menſchheit wünfchen, daß ſolche nie erfunden wären?” 
Doch die günftige Anfhauung ſchlug zu Anfang des Jahres 1790 in das Gegenteil 
um. In einem Artikel „Das Neuefte aus Franfreih” gab Schlözer dem Be: 
dauern Ausdrud, daß das ehedem jo große, glüdliche Reich einer „grenzenlojen 
Ochlokratie“ zum Opfer falle; etwa zwölf ruchloſe Crommwells und fünfzig Böſe— 
wichte zweiter Klafle hätten es fertig gebracht, daß Macht und Anfehen der 
Krone in Ehlamm verſanken: eine Contrerevolution müfje dem Monarchen, der 
nur deshalb unglüdlich wurde, weil er jein Volt glücklich machen wollte, Rettung 
bringen. Das ancien rögime, „den monardifchen Dejpotismus, der jeit hundert: 
undjehzig Jahren ein großes Volk in Feljeln hielt“, wollte freilich auch Schlözer 
nicht wieder aufgerichtet willen; er erinnert an England, das nad) Karl I. einen 
Erommwell, aber nah Karl II. einen William erhielt, „und ift noch bis auf den 
heutigen Tag das glüdlihe Heim des freien Briten!” Ein andrer Aufjat 
„Adreſſe an die Provinzen Frankreichs” wendet fich zornig gegen „die Helden ber 
Gaſſe und der Gofie in Frankreih”, gegen den Grafen Mirabeau, der dem 
Strang, aber nicht der Schande entgangen fei, den „Heinen“ Robespierre, den 
Marktihreier Bethion, den geldgierigen, innmer betrunfenen Orleans, den drolligen 
Barnave, die ränfejüchtigen Lameth, den undankbaren Noailles und die andren 
Querföpfe und Schurfen, die eine Ehre darin jähen, die Henker Frankreichs 
zu werden. Die Provinzen möchten fi aufraffen, durch Wahlen das Unheil 
wieder gut zu machen, das fie durch Wahlen verfchuldet hätten; nah dem Sturz 
des Deipotismus auf dem Throne jollten fie doh nicht die dümmſte Art des 
Deipotismus, die Pöbelherrichaft, dulden! Der „Abfall Schlözers von ber 
Sade der Revolution erregte nicht geringes Aufſehen. Campe, Wieland und 
andere Freunde bes Freifinns ergingen fi in heftigen Klagen über die „Göttinger 
Windfahnenpolitif”. Schlözer erwiderte (Offene Antwort an Herrn v. P..t 
auf deſſen Schreiben aus Frankfurt a. M. vom 15. April 1790), er babe 
nicht feine Auffaflung von Staats: und Menſchenrechten, jondern nur jeine An- 
fit über die in Paris geübte Praris gewechſelt und infolge beſſerer Belehrung 
wechſeln müſſen. Erft jetzt wiſſe er, daß bie Erftürmung der Baftille nichts 
weniger als eine Heldenthat, nur ein Akt ſchmählichen Verrates war; erſt jebt 
wifle er, daß zwilchen ber jcheinbar jo tugendhaften Nationalverfammlung und 


Die franzöfifche Nevolution und der deutiche Volksgeiſt. 297 


den Strolben, die das Königsſchloß in Verjailles bedrohten und die Schlöffer 
der Edelleute in Brand ftedten, eine frevelhafte Verbindung beſtehe. Trogdem 
halte er an feinen alten Grundfägen feit; er jehe in monardifchem und arifto: 
kratiſchem Dejpotismus ein großes Uebel, aber ebenjo im ochlokratiſchen, und 
er werde der Sünden des Parijer Parlaments ungeadhtet die Revolution an 
fih für notwendig und heilfam betrachten. 

Einen ähnlichen Standpunkt nahm Schlözers Kollege, der Hiltorifer Spittler, ' 
von vornherein ein; ohne Bewunderung und ohne Entrüftung betrachtete er auf: 
merkſam das aufregende Schaufpiel jenfeits des Rheines. Er beflagt das durch eitle 
Nednerfünfte und halbverdaute Philofophie verichuldete Unheil, er geißelt bie 
ZTreulofigfeit und Gemwaltthätigfeit der Parijer Helden, aber er betont au, daß 
mächtige Fortichritte im Leben der Menſchheit ich niemals ohne eine ftattliche 
mixtura dementiae vollzogen und insbefondere das hochwichtige und heilfame 
Reformationswerk nicht minder verwerflide revolutionäre Ausschreitungen im 
Gefolge hatte, als die Volkserhebung in Franfreid. Ebenfalls von einem 
Hannoveraner, dem geheimen SKanzleifefretär Auguft Wilhelm Rehberg, dem 
Jugendfreunde des Reichsfreiherrn von Stein, ftammen die trefflichen Beiprehungen 
der Schriften von Sieyes, Mirabeau, Mounier, Lally-Tollendal u. a. in der 
Jenaiſchen Allgemeinen Zitteraturzeitung. Die Aufiäge erfchienen 1793 gefammelt 
als „Unterfuhungen über die franzöfifche Revolution”; zugleich werden in zus 
ſammenhängender Darftelung „die Grundſätze geprüft, auf denen bie Syſteme 
beruhen, nad) denen man Frankreich hat reformieren wollen”. Das Bud 
übte eine ungewöhnlich ftarfe Wirkung; nicht wenige Leſer wurden durch den 
unanfehtbaren Nachweis der politiichen Unreife der neuen Regenten Frankreichs 
von übertriebener Bewunderung der Revolution geheilt — Gen z. B. leitete 
feine Befehrung geradezu auf Nehbergs „Unterfuhungen” zurüd —; andrerfeits 
ftieß der Verfafler bei Rationaliften und Schöngeiftern auf heftigen Widerſpruch; 
Fichtes „Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publitums über die franzöfifche 
Revolution” ift vorzugsmweife gegen den „Sophilten der Jenaer Litteraturzeitung” 
gerichtet. Rehberg war aber jo wenig wie Spittler ein einfeitiger laudator 
temporis acti; für Bejeitigung von Mißbräuchen tritt er als freimütiger Anwalt 
auf; fo gibt er 3. B. dem Adel den dringenden Rat, rechtzeitig felbit aufzugeben, 
was im modernen Staat ein= für allemal nicht mehr haltbar jei. In jo bedingter 
Weiſe billigte ja jogar Juftus Möjer den Verſuch einer jozialen Neform; er wolle 
die Franzojen, jagt er, als das erjte Volk in der Welt anerkennen, wenn fie 
auf dem Wege ihrer Theorie vom Recht der Menichheit etwas Fruchtbares und 
Dauerhaftes zu Stande brächten, doc fehlte ihm der Glaube an jo glüdliches 
Gelingen. Wie ja auch) Goethe meinte: 


„Daß Verfaſſung ſich überall bilde, wie fehr ift'3 zu wünſchen, 
Aber ihr Schwäger verhelft uns zu Verfaffungen nit!" — 


Es begreift fih leicht, dab Publiziften vom Schlage Schubarts und 
Wecherlins, die immer mit Lebensforgen zu kämpfen hatten und nicht jelten für 
geringe Schuld in der Feſtungszelle büßen mußten, den „Anbruch der neuen 
Zeit” mit ausfchweifenden Hoffnungen begrüßten. Schubart ließ zwar die ge 


298 Amweites Buch. Erfter Abſchnitt. 


botene Rüdfiht auf Herzog Karl, den „ein treues Wolf nie anders als mit 
Monnezähren nennt“, nicht mehr aus den Augen, widmete aber den Tendenzen 
und den Fortichritten der Nevolution bewundernde Teilnahme. Noch 1788 
hatte er feinen deutſchen Landsleuten den nationalen Sinn der Franzofen als 
Mufter aufgeitellt: 


„Was holt vom Nachbar nicht fih übern Rhein 

Mein Landsmann alles her? Die Moden, Kochkunſt, Wein, 
Die Sprade, die er gern ftatt feiner eignen fpridt, 

Nur da er fie zu öfters radebridt. 

Dod daß der Gallier fein Land vor allen ehrt, 

Bei Rang und bei Geburt auch Kunft und Miffen fchäßet, 
Durch richtigen Gefchmad, dur feinen Wit ergößet, — 

O würde das von ihm der Deutfhe mehr gelehrt!“ 


Zwei Jahre fpäter ließ er „mit Rückſicht auf den bevorftehenden Sieg 
der Gleichheit aller Menſchen“ vom Titel jeiner Zeitichrift die Bezeichnung 
„vaterländifch” weg und nannte fie nur noch ſchlechthin „Chronit”. „Nichts ift 
in der neuen Weltgeſchichte ſo groß,” fchreibt er (5. März 1790), „als das, 
was jeit einigen Monaten in Frankreich gefhah: Der König ift der Erſte unter 
einem freien Volf, die Rechte der Bürger find auf gleihen Schalen gewogen, 
und Frankreich nähert jih dem Sonnenpunfte jeiner Größe und Kraft.” Die 
„ſchwarzen Ahndungen” der Schlözer und Schirach jeien Geflunter faljcher 
Propheten. „Nein, Bruder Franke, deine Freiheit wird veſtgewurzelt ftehen, wie 
ein Berg Gottes, wann du fie nur bewahreft durch hohen Sinn, Vaterlands— 
liebe, Tugend, Gottesfurdt!” Das Freiheitsfeit in Straßburg zu Ehren der 
Erridtung der Nationalgarden begeiftert den Chroniqueur zum Ueberſchwang: 
„Man glaubte das himmlische Jeruſalem zu jehen und die Geifter der Seeligen 
in jeinen friftallenen Paläſten jauchzen zu hören!” Ebenfo hieß der erzentrijche 
Medherlin, der ſchon im „Grauen Ungeheuer” Voltaire als den Größten im 
Reihe der Geifter, Rouſſeau als Beglüder der Menſchheit und Beaumardais 
als das „Zünglein an der Wage” gefeiert hatte, in den „Hyperboreiſchen 
Briefen” die franzöfiihe Revolution willkommen und pries fih glücklich, daß 
er wenigitens aus der Ferne noch das Neih der Philofophie und Toleranz 
ſich aufridhten jehe. Die blutigen Ausschreitungen beirrten ihn nicht. „Mandher, 
der vom Pöbel zerrifien wurde, dürfte vor der ordentlichen Juſtiz nicht beſſer 
durchgefommen fein. Vergleichen Sie, beliebt’s Ihnen, den Tod eines Damien 
mit dem eines Foulon, und laſſen Sie uns geltehen, daß ein Staatsopfer nod 
ein erträglicherer Anblid ift, als ein Juſtizopfer. Sind wir von den Geſetzen 
etwan mehr Billigkeit gewohnt? Hätten fie weniger Scheufale begangen?” Unter 
dem Drud der Zenjur mußte MWedherlin feine Sprade allmählich mildern. 
„Andre mögen Aufruhr predigen,” läßt er einen Schäfer fagen, „wir, Philint, 
wollen Frieden predigen . .. Lernt, daß man nie etwas durch Empörung gewinnt, 
an die Stelle der alten Tyrannen treten neue!” Die Furt vor der Zelle 
ließen ihn endlich den Kampf gegen den „Ariftofratismus” und für das „Reforma- 
tionsſyſtem“ gänzlich aufgeben. „Gewiſſen Herren möchte ih ins Ohr flüftern: 


Die franzöfifche Revolution und ber beutiche Volksgeiſt. 299 


ein Philojoph jhägt den Pöbel zu gering, um feine Ruhe für ihn aufzuopfern. 
An feinen Augen ift die Welt nicht wert, daß fi ein Weifer um ihr Schidjal 
kümmert!” 

Auch bedächtigere Geifter verlodte der im Weſten angebrodene „Völker: 
frühling” zur Schwärmerei. Joachim Heinrid Campe, der Verfafler „Robinfons 
des Süngeren”, ber eine Zeitlang als Nachfolger Baſedows das berühmte 
Philantropinum in Deſſau geleitet, 1786 einen Ruf als herzoglich braunfchweigifcher 
Edufationsrat und Kanonifus des Cyriakusftifts angenommen hatte, ging im 
erften Revolutionsjahre eigens nad) Paris, „um der Leichenfeier des Defpotismus 
beizumohnen”. Campe war von einem ehemaligen Schüler, Wilhelm von Humbolbt, 
begleitet; in Walenciennes ließen fich beide von einer jungen Putzmacherin das 
Freiheitszeihen, die franzöfiihe Kofarde, anbeften. „Es war mir,“ fchreibt 
Campe, „in diefem Augenblid zu Mute, als hätte die ganze franzöfiihe Nation 
Bruderfhaft mit mir gemacht, und hätte es bier jegt gleich eine Baltille zu 
erobern gegeben: wer weiß” — — Während der erft zweiundzmwanzigjährige 
Humboldt „Har und froftig wie die Dezemberfonne” (Görres) die Parifer Ein: 
drüde nur „mit mesure und Ueberlegung” auf fi wirfen läßt, öffnet Campe 
„jchrankenlos die Bruft der Begeifterung für die Sade der Menjchheit”. Auch 
nod in den „Briefen aus Paris“, die er nad der Heimkehr veröffentlichte 
(1790), jpricht fich ein überfchwenglicher Enthufiasmus aus, den man am mwenigften 
bei einem Manne fuchen würde, deffen „feiten und unſchwärmeriſchen“ Charakter 
Leſſing befonders hervorgehoben hatte. Im Vorwort wird es als höchſtes Glück 
des Verfafiers gepriejen, daß er die „Ichönfte Periode jener großen Weltbegeben: 
heit” beobachten fonnte, als höchſte Auszeihnung für den Landesherrn, den 
Herzog von Braunichweig, daß der Verfaſſer fein Glüd verfünden und jeine Beob- 
achtungen öffentlich mitteilen darf. „Nur in einem Lande, wo man nichts von 
Deipotismus weiß, ift e8 erlaubt, über Deipotismus und Freiheit jo zu jchreiben, 
wie ich darüber gejchrieben habe; nur unter einem Trajan darf man, wie Plinius, 
auf die Greuel und Frevelthaten der Nerone und Domitiane fchelten.” Ent: 
rüftet erwiderte Alois Hoffmann in der „Wiener Zeitſchrift“ (1792): „Wie lange 
noch wird man dulden, daß fosmopolitifche und philanthropiihe Schriftfteller, 
in deren Händen heute die öffentliche Meinung iſt, dem wildelten Freiheitstaumel 
huldigen?” Bon den Parifer Briefen des „Nevolutionsrats” Campe laffe ich 
zur Entfhuldigung nur annehmen, daß fie jamt und jonders in einem Irren— 
hauſe gejchrieben worden jeien. 

Zu den „rüdhaltlofen Reformatoren”, die jogar Körner für ftaatsgefähr: 
ih anfah, gehörte der Freund Mirabeaus, der ehemalige Jngenieuroffizier 
Mauvilon in Braunſchweig. An diefen „arbeitfjamen und befcheidenen Mit: 
arbeiter” (Mezieres) find Mirabeaus „Briefe an einen Freund in Deutſchland“ 
gerichtet, die über die legten Abfichten des großen Bolfstribunen jo merkwürdige 
Auffchlüffe bieten. Noch im März 1790 verlangte Mirabeau von jeinem Freunde 
ausführlichen Bericht über die moraliſche Wirkung der Revolution auf die Fürften 
und Völker Deutſchlands; Mauvillon hat in der That einen ſolchen Stimmungs— 
beriht überfandt, der uns aber leider nicht erhalten blieb. Aus Maupillons 
Feder dürfte auch die ſchon erwähnte Schrift „Doctor Martin Luther! 


300 Zweites Bud. Erſter Abſchnitt. 


Deutihe gejunde Vernunft, von einem Freunde der Fürften und des Volkes“ !) 
berrühren. Inhalt und Sprade, ſowie die häufigen Hinmweife auf Mirabeaus 
Reden und auf die Schrift „über die preußifche Monarchie” deuten auf Mauvillon; 
auch Alois Hoffmann hielt ihn für den Verfafler. Die Schrift foll gegen Ein: 
miſchung Deutichlands in die franzöfiihen Angelegenheiten Stimmung maden, 
und warnt vor Unterdrüdung des freien Wortes. Wie verberblih war es, — 
führt der Verfafjer aus, — daß Karl V. und franz I. das große Reformations- 
werf, das die Lehren und Sitten der Kirche reinigen jollte, nicht zum Abſchluß 
kommen ließen! Möge nicht auch jetzt wieder verhindert werben, daß die Revolution 
Lehren und Sitten des Staates reinige und läutere! „Die Franzoſen wollen fich 
nun einmal nicht wieder von Hetären und Antinouffen, Sejanen und Narciffen 
beberrihen laſſen; wer möchte ihnen auch zumuten, daß fie zur alten Ber: 
faſſung zurüdfehrten, aus ber Scenen hervorgingen, über die man jo gern den 
Schleier der Bergefjenheit fallen laffen möchte.” Man laſſe aljo Frankreich ſich 
austoben! Nicht die Jakobiner, aber auch nicht der König und die bewaffneten 
Mächte Europas werden den gefährdeten Staat retten, jondern der Bauer, der 
wieder ruhig jeinen Ader pflügt, der Kaufmann, der jeinen Geſchäften nachgebt, 
ber Beamte, der feinem Amte obliegt, der Krieger, der feinen Dienft verfieht — 
das find die regeneratores, die MWiederheriteller des Staates. Fürften find nur 
heilig, wenn fie die Rechte der Menfchheit ehren, wenn ihnen das edle Glaubens» 
befenntnis Knigges als Evangelium gilt. In Stalien gibt e8 ein kleines Tier, 
das die Schlafenden aufwedt, wenn Sforpione und andere giftige Ungetüme 
in bie Nähe kommen; diefem nüßlihen Tier find die Freunde der Wahrheit 
und der Aufklärung zu vergleichen. Bor Schurferei und Dummheit warnen, ift 
nicht Verrat, jondern patriotifhe Pflicht: „man kann freund der Revolution fein, 
ohne ein Freund der Schaflöpfe zu werben!” 

Aehnliche Anſchauungen vertrat der Profefjor der Geſchichte in Königsberg, 
Karl Ehregott Mangelsdorff, der bezeichnenderweife am Tage der Stiftung des 
preußiihen Königtums eine Feitrede „über den Geift der Revolutionen” hielt 
(1790). Er fieht im Gegenjag zu Maupillon in Preußen unter Frievrih Wil: 
beim II. einen Muſterſtaat, defjen Unterthanen „über alle Vorftellung glücklich“ 
jeien, aber wenn es eine ſüße Pflicht, wohlmwollenden Monarden zu geboren, 
jei es andrerfeits ein gutes Recht unglüdlicher Völker, deſpotiſchen Unterbrüdern 
den Gehorfam zu verfagen. Wenn der Zwang unleidlih, das Zepter zum 
eilernen Stab der Pharaonen oder zur Knutpeitſche tatarifher Chane werde, 
dürfe das Volt dem Menſchenhaſſer die Stirn bieten und die Greuel der Defpotie 
von fih abmwälzen. 

Eine bemerkenswerte Schrift „Ueber Nevolutionen, ihre Quellen und bie 
Mittel dagegen“ (1792) ftammt aus ber Feder eines Hofpredigers in Detmold, 
Johann Ludwig Ewald. Es wird darin nicht für die Revolution, aber gegen 
die zur Revolution drängende abjolutiftiihe Staatsform Partei ergriffen. Wo 
immer bie Völfer fih gegen ihre Fürften erhoben, trug das Mißregiment der 
Fürften die Schuld. Auf ftehende Heere können ji dejpotifche Herren nicht ver: 


') „Richt in Berlin, aud, leider! nicht in Braunfchweig, eher noch in Wien,” 1793. 


Die franzöfiihe Revolution und der deutſche Boltsgeift. 301 


laſſen: haben etwa die Prätorianer und die Janitſcharen die Entthronung von 
Tyrannen verhindert? Auch ftrengfte Zenfur fann nicht als wirffamer Kordon 
gegen revolutionäre Ideen gelten: nur Menjchlichfeit der Regenten vermag die 
Regierten im Zaume zu halten. Gleichheit der Menfchen ift ein utopifcher Traum, 
‚reiheit ift ein Wort, das mißbraucht werben und fchädlih wirken fann, aber 
ein gewifles Maß von Freiheit darf feinem Menſchen verfümmert werden, font 
bat er das Recht, feine Kette zu zerbrechen. Vor allem hat jeder Anſpruch auf 
unbedingte Religions: und Gewiſſensfreiheit. Steuern und Abgaben müſſen 
beitehen, aber den Unterthanen fol nicht mehr abgenommen werben, als was 
zu würbigem Unterhalt des Fürften und des Staates notwendig ift. Ungerecht 
ift es, den Staatsjädel zur Befriedigung des Dünkels der Regenten heranzu: 
ziehen, und lächerlid ift es, dab in Deutjchland der Graf als Fürft, der Fürft 
als Herzog, der Herzog als König auftreten will und deshalb unangemeſſenen 
Aufwand treibt. Noch anftößiger ift den Unterthanen der Mißbraud der Jagd— 
rechte. Die Jagd iſt ein männliches und ein fürjtliches Vergnügen, macht dem 
Fürften den Aufenthalt im eigenen Lande wertvoll und bringt ihn der Hütte 
des Armen nahe, — aber wie häufig wird die fürftlihe Jagd infolge der 
damit verbundenen Mißſtände der Fluch des Landes! Wenn Hirfche und Eber 
die Saat des fleißigen Landmannes verwüjten, was kann da die Berufung 
auf ein altes Pergament helfen! Ein noch fürchterlicherer Dejpotismus ift der 
von manchen Monarchen betriebene Menjchenhandel. Gewiß, der Unterthan ift 
ihuldig, fein Vaterland mit den Waffen zu verteidigen, aber er darf nicht für 
fremdes Intereſſe um Geld geopfert werden. „Wer findet ein Wort für diejen 
mehr als jultanijhen Dejpotismus? Was märe Seelenverfäuferei, wenn bas 
feine ift? Wie viele Flüche famen auf das Haupt ber Fürften, die jolches 
frevelten!” Die Fürften möchten fich nicht länger durch die Echmeicheleien der 
Höflinge, die Liebfofungen der Maitreſſen, Die Heuchelei der Beichtväter kirren lafjen, 
jondern endlich lernen, mit eigenen Augen zu jehen. „Nur eine gerechte, gütige, 
väterliche Regierung fann auf die Dauer für Aufruhr fihern; Härte, Defpotismus 
führt ihn früher oder fpäter herbei!” Die zuverläffigfte Abwehr jeder Revolution 
ift vertragsmäßige Beihränfung der Fürftengewalt zu Gunften der Völker. Möge 
man doch die Bemweisfraft der Zahlen gelten laſſen: „200,000 wollen in 
Frankreich die uneingefhränft monardifche, 24,000,000 die demokratiſche Staats- 
form!” — Es fann nicht wunder nehmen, daß ber Verfaſſer diejer Schrift, 
der noch eine ähnliche über die Pflichten des Adels veröffentlichte, mandes Wider: 
wärtige erfuhr, jo daß er fein Amt niederlegte und in die Reichsſtadt Bremen 
überfiedelte. 

Karl Friedrih Cramer, Profeffor der geiftlihen Beredſamkeit in Stiel, der 
ih Schon dur feine Bemühungen um Epuration der Univerfitätsbibliothet — 
er wollte alle Dogmatifen, Konzilienfammlungen und ähnlichen „Käſekram“ entfernt 
willen — als radifalar Zelot hervorgethan hatte, kündigte 1793 eine Ueberjegung 
der Schriften Pethions an und feierte den hinterliftigften der Revolutionshelden 
als Märtyrer der Rechtſchaffenheit. Von feinen Borgejegten zur Rechenſchaft 
gezogen, antwortete er mit einer Lobrede auf die Revolution; deshalb feines 
Amtes entjegt, z0g er mit feiner Familie nach Paris und legte dort eine Buch: 


302 Zweite Bud. Erfter Abfchnitt. 


handlung mit Druderei an. Goethe widmete der Weberfiedelung „Anadarfis 
des Zweiten” das Kenion „Deutichlands Revande an Frankreich“: 


„Manchen Lakay ſchon verfauftet ihr uns ald Mann von Bedeutung, 
Gut! Wir fpedieren euch hier Cramer als Mann von Berbienft!“ 


Auch der Hiftorifer Ernſt Poflelt in Karlsruhe mußte wegen Hinneigung 
zu den „neufräntiihen” Ideen zuerft feine Profefiur in Karlsruhe, dann den 
Poften eines Amtmannes in Gernsbach aufgeben. In der 1793 herausgegebenen 
Geſchichte des Prozejjes gegen Ludwig XVI. verurteilt er zwar jene „Witenden, 
die eine der merkwürdigſten Nevolutionen zum Abſcheu der Welt gemacht haben,” 
aber er bewundert die Girondiften und ihre Ideale, eine „Freiheit, in deren 
Genuß in einer Republit der Norbamerifaner, unter einer eingejchränften 
Monarchie der Britte und unter guten Fürften der Teutſche ſich glüdlih fühlt”. 
In einer fpäteren Ausgabe (1802) nimmt Poſſelt entſchiedener gegen die Revolution 
Bartei, aber auch für die fonftitutionelle Staatsform. „Was anfangs neunzehn 
Zwanzigſtel von Frankreich die heilige Revolution nannten, heißt nun im Ein: 
flang von ganz Europa die ſchreckliche. Man hat einjehen gelernt, daß es 
Nepubliten gebe ohne Freiheit und im Gegenteil, wie Sieyes (den Poſſelt im 
Lexikon der franzöfifchen Revolution‘ als den ‚Pitt der Revolution‘ bewundernd 
feiert) fchon mitten im Sturm gejagt hat, die Freiheit vielleicht nirgends ficherer 
beiteht, als in einer gehörig bejchränften Monardie.” Der Kieler Philojoph 
Martin Ehlers vertrat im „Teutihen Merkur” den Grundfag, nur von politiicher 
Stärkung des dritten Standes jei das Heil der Geſellſchaft und von unbedingter 
Preßfreiheit der Sieg der Aufklärung zu erwarten; die franzöfiiche Verfafjung 
von 1791 ift ihm „das erhabenfte Werk der Menjchheit, in welchem das Ber: 
bältnis, worin die verſchiedenen Zweige der Staatsmacht gegeneinander geſetzt 
find, meifterhaft geraten zu fein jcheint“. Der junge Gent, damals Geheim— 
jefretär beim Generalbireftorium in Berlin, ein eifriger Kantianer, teilte die An 
Ihauungen jeines Lehrers über die heilfame Wirkung ber franzöfifhen Neue: 
rungen. „Das Scheitern dieſer Revolution,” jchreibt er an Garve, „würbe id 
für einen der härteften Unfälle halten, bie je das menjchliche Gejchlecht betroffen 
haben. Sie ift der erfte praftiiche Triumph der Philofophie, das erfte Beiſpiel 
einer Regierungsform, die auf Prinzipien und auf ein zufammenhängendes Syſtem 
gegründet ift; fie ift die Hoffnung und der Troſt für jo viele alte Uebel, unter 
denen die Menjchheit feufzt.” 

Allerdings gab es auch unter den Gelehrten und Schriftitellern grundjäß- 
lide Gegner der Revolution. 

Der Encyklopädift Baron Grimm, der gothaiſche Gejhäftsträger am franzö- 
fifhen Hofe und litterarifche Vertrauensmann der Zarin Katharina und des Prinzen 
Heinrich von Preußen, hatte ſchon früher der Befürchtung Ausdrud gegeben, daß bie 
mißverjtandenen Lehren Roufjeaus und Boltaires großes Unheil in der Welt ftiften 
würden. Schon in den fiebziger Jahren hatte er gejchrieben: „Der Menſch ift weder 
für die freiheit, no für die Wahrheit gemacht; unfinnige Träumer find es alſo, 
die es nah großen Ummälzungen in Staat und Geſellſchaft gelüftet; der Gewinn 
wäre nicht des Opfers wert.” Im Januar 1789 beklagte er den „nicht mehr auf: 


Die franzöfifche Revolution und ber deutſche Vollsgeiſt. 303 


zubaltenden Sieg des Schwindelgeiftes” in Europa; nad den Dftoberfcenen in 
Berjailles und Paris forderte er die Zarin auf, Durch ihr mächtiges Wort den „Höllen: 
geift der Revolution” in feinen Schlund zurüdzubannen; auch in der Folge wirkte 
er eifrig für ein Bündnis der europäiichen Höfe zur Befämpfung der revolutionären 
Propaganda. Der von König Georg zum Hofrat erhobene und geabelte Schweizer 
Arzt Zimmermann, der auch zu den Günftlingen Friedrih Wilhelms II., Wöllner 
und Biſchoffswerder, in vertrauten Beziehungen ftand, warnte in mehreren Schriften 
vor dem Gift der franzöfischen Ideen und vor den ſchon angeftedten Illuminaten; 
namentlich gegen den als „Yluminaten, Demofraten und Bolfsverführer ent: 
larvten Baron Knigge” waren die nicht bejonders fpigigen Pfeile gerichtet. In 
der von Kaifer Leopold „mit gnäbdigfter Zuftimmung“ entgegengenommenen 
Denkſchrift „Ueber den Wahnwitz unjres Zeitalter und die Fräftigften Hülfs— 
mittel gegen die Morbbrenner, die uns aufklären wollen” empfahl Zimmermann, 
einen Fürftenbund in Regensburg gegen die Volfsverführer zu ftiften. Auch 
ein andrer Schweizer Arzt, Chriftoph Girtanner, der ſich 1789 in Göttingen 
niedergelaflen hatte, war als politiſcher Echriftfteller in fonjervativem Sinne 
thätig. In den „Hiftoriihen Nachrichten und politiihen Betrachtungen“, welche 
eine Gejhichte der franzöfiihen Staatsummälzung bis zum Jahre 1793 enthalten, 
wie in den „Politiſchen Annalen” fuchte er der Verherrlihung der Revolution 
entgegenzuwirfen. In der „Wahren Darftellung der großen franzöfiihen Staats: 
revolution“ (1792) des oldenburgiihen Konfiitorialrats Krufe wird die Nach— 
giebigfeit Ludwigs XVI. gegen die Forderungen der Mirabeau und Barnave 
ein „beflagenswerter Akt trügeriichen Wahnes,” die ganze Umwälzung in Frank: 
reich „fehlerhaft und illoyal in ihrer Entftehung, gottlos und unmenſchlich in 
ihrer Ausführung, ſchwankend und ungewiß in ihrem Beitand und Folgen“ ge: 
nannt. Dem fruchtbaren Schriftfteller und Bibliothefar Ottokar Neihard in 
Gotha waren ſchon 1786 auf einer Reife durch Frankreich die drohenden 
Vorzeihen eines gewaltiamen Umfturzes nicht entgangen; damals fühlte er „auch 
nicht den mindeften Trieb, ſich dafür oder dagegen zu erklären”. Bald gab er 
jedoch diefe Zurüdhaltung auf. „Erbittern mußte jeden gemäßigten Sinn” — 
fo begründet Reichard in feiner Selbftbiographie den Umſchwung — „das tolle 
Gebaren gewiſſer unrubiger Köpfe meines deutjchen Vaterlandes, die in Schriften 
und Handlungen als Ausrufer und Trabanten der ‚neuen Menjchenredite er: 
jhienen und deren Treiben ih mich mit Wort und That entgegenwarf, weil 
meine genaue Kenntnis der Perfönlichkeit vieler diefer Weltbeglüder trog ber 
vorgebundenen Larve mich die wahren Beweggründe ihres Handelns hell durch— 
ſchauen ließ.” Er veröffentlichte deshalb eine Reihe von Flugihriften, die zur 
Abwehr des Jakobinertums diesfeits und jenfeits des Nheines mahnten, den „Auf: 
ruf eines Deutihen an jeine Landsleute am Nhein”, die „Adreffe an den 
gefunden Menſchenverſtand“ u.a. In den „Betrachtungen über die franzöfijche 
Revolution” des hannoverſchen Geheimjefretärs Ernit Brandes, der in London 
die Bekanntſchaft Burfes gemacht hatte, wird zwar die Notwendigkeit von Reformen 
in Franfreih, ja ſogar der Abwehr reaftionärer Uebergriffe durch bewaffnetes 
Volk zugeftanden, aber das Werk der Konftituante ald ungeeignet und unwürdig 
für ein großes Reich zurückgewieſen. 


304 Zweites Bud. Erſter Abfchnitt. 


Im allgemeinen aber waren die akademiſchen Kreife die Träger ber 
freiheitlihen Bewegung in Deutfchland. Ein Gegner der Revolution, der bairifche 
Hofrat von Edartshaufen, nennt in einer Schrift: „Was trägt am meiſten zu 
der Revolution itziger Zeiten bey?” den Umfturz aller Dinge geradezu ein Werk 
des Uebermuts der franzöfiihen Gelehrten, das durch die deutſchen Kollegen 
nad Deutfchland verpflanzt werben fol. „Die deutihen Profeſſoren,“ jchreibt 
Alois Hoffmann in der „Wiener Zeitſchrift“ (1792), haben nun wirklich in 
corpore immer weniger Urſache, auf ein gewiſſes Myrrhenbündlein ihrer Kollegen 
jtolz zu fein, die es jet immer lauter und lauter zu Tage legen, daß fie die: 
jenigen Herren find, von welchen geſchrieben fteht: Sie wollen fi der Meinungen 
der Menſchen bemädhtigen, das Oberſte zu unterft jegen und das Unterfte zu 
oberit, Könige in den Staub und Schulmeifter auf den Thron!” In Mainz 
jei bereits der Anfang gemacht: dort feien zwei Profefioren als geſtrenge Herren 
an ber Spite, der Katholik Dorſch und der Proteftant Forfter! Der gleiche 
Thatendrang bejeele die Herren Käftner, Weishaupt, Ehlers, Cramer, Ebeling, 
Brendel, Eulogius Schneider und viele andre: caveant consules! Auch der 
nicht genannte Verfaſſer einer Flugichrift „Philojophiiche Bemerkungen über bie 
Republifen” behauptet, daß „feine Menſchen in der Welt bei aller ihrer übrigens 
unverfennbaren Gelehrjamfeit ſchlechtere Philoſophen, ſchlechtere Menſchenkenner, 
ſchlechtere Bemerker ſind, als die deutſchen Profeſſoren“, und daß dieſe ſich überall 
hervordrängenden Streber für alles Unheil in der ſtaatlichen Entwickelung die 
Verantwortung zu tragen haben. 

Natürlich ſind wir über die Stimmung der Kaufleute und Induſtriellen 
weniger unterrichtet, als über diejenigen der Schreibſeligen. Da die beſitzenden 
Klaſſen bei einer politiſchen Umwälzung Gefahr liefen, die Früchte ihrer früher 
geleiſteten Arbeit zu verlieren, beſtand in der eigentlichen Geſchäftswelt, wie 
Brandes verſichert, wenig Neigung, in den Kampf für das freie Staatsbürgertum 
einzutreten. Immerhin hören wir, daß der erſte Jahrestag der Erſtürmung ber 
Baftille, der 14. Zuli 1790, in Hamburg unter vorwiegender Beteiligung der 
Kaufmannstreife gefeiert wurde; die Frauen erfchienen in Weiß mit Schärpen 
in den franzöfiihen Farben; Klopftod trug feine Ode „Der Fürft und jein 
Kebsweib“ vor und erntete raufchenden Beifall. Auch Varnhagen, deifen Familie 
1794 nah Hamburg überfiebelte, verfihert, daß die ganze fogenannte gebildete 
Welt der Nevolution Glüd und Gebeihen wünſchte, wozu freilih das unver: 
ihämte Gebaren der zahlreihen Emigranten nit wenig beitrug. In Leipzig, 
dem erften Handelsplag Sadjens, wurden „Die Kokarden“, ein Schaufpiel 
Ifflands, das gegen die einreißende Gejeglofigfeit Stimmung maden wollte — 
das Stüd ſchließt damit, daß die befehrten Rebellen „mit zärtliher Gewalt” 
ben Fuß des Fürften auf ihre Kokarden fegen, — und die „Weiblihen Jakobiner“, 
eine alberne Poſſe Kogebues von reaftionärer Richtung, ausgepfiffen; ber 
Negiffeur mußte auf der Bühne Abbitte leiften, daß er folde Stüde zur Auf 
führung gebradt habe. Noch überzeugender jcheint für das Eindringen revo- 
(utionären Sinnes in die bürgerliden Kreife in Deutſchland die Thatſache zu 
ſprechen, daß es in ben zwei legten Decennien des vorigen Jahrhunderts in faſt 
allen deutſchen Reichsſtädten, mochten fie vorwiegend ariftofratifches oder zünftiges 


Die franzöfifche Nevolution und der deutiche Volksgeiſt. 305 


oder bürgerliches, aber nicht zünftiges Regiment haben, zu mehr oder minder 
heftigen Erjhütterungen fam; allein dieje Erſcheinung ift, wie Eugen Guglia 
nachgewieſen hat, nicht auf unmittelbare Einwirkung der franzöſiſchen Revolution 
zurüdzuführen; der Einfluß franzöfifcher Theorien ift freilich ebenfowenig zu 
beftreiten. Entweder wurde, wie in Nürnberg, eine Zoderung der engherzigen 
Optimatenherrſchaft angeftrebt, oder es kam wegen Holzabgabe, Steuern ꝛc. zum 
Streit zwilhen Stadtrat und Bürgerichaft; auch Getreidemangel und Teuerung 
riefen da und bort Unruhen hervor. Entſchieden revolutionären Charakter hatten 
eigentlih nur die erft ins Jahr 1797 fallenden Auftritte in der ſchwäbiſchen 
Reichsſtadt Reutlingen. Hier wählten die Zünfte trog aller Protefte des Magiitrats 
einen bürgerlihen Zwölferausfhuß; diefer begnügte fih bald nicht mehr mit 
dem ihm zugedachten Wirkungskreis, der fih auf Negelung der Steuerverhält- 
nifje beſchränken follte, fondern befretierte, offenbar an franzöfifches Beifpiel ſich 
anlehnend, Abfaufbarkeit der Leibeigenihaft, „weldhe die Menſchenwürde ent: 
ehrt und besmwegen in unjrem hellen eitalter, wo man die urfprünglichen 
Menjchenrechte ftets mehr ſchätzen lernt, mehrfällig aufgehoben wurde,” Ablös— 
barfeit der jogenannten Gottesgaben und andrer dingliher Rechte, Kontrole 
der Stadtrechnungen durch bürgerliche Reviforen u. j. w. Die Bürgerjchaft hielt 
zu den Zwölfern, doch auf Betreiben des Magiftrats verfügte der Reichshofrat 
die Auflöfung des Reutlinger „Wohlfahrtsausſchuſſes“. Die in Hamburg zu 
Anfang der Neunziger Jahre ausgebrodhenen Handwerkerunruben hatten feinen 
politiihen Charakter. In Worms entipann ſich in den Achtziger Jahren ein 
leivenjhaftliher Kampf zwijchen dem Magiftrat, den jogenannten Dreizehnern, 
und der Bürgerihaft. Nachdem es wiederholt zu Aufläufen gelommen war, 
gingen die Dreizehner ben Neichshofrat um Schug gegen die „Machinationen 
aufmwiegleriiher Bürger” an, und die Reichsbehörde lie; auch in diefem Sinne 
ein jcharfes Mandat ergehen. Darauf richteten aber die Bürger ein Immediat— 
gefuh an den Kaifer, worin nicht bloß Zurüdnahme des Spruches, der fie „dem 
ganzen Bublico zu ihrer offentlichen Beihimpfung als Rebellen erfcheinen” Lafie, 
fondern auch Abſchaffung des Dreizehnerlollegiums auf Grund der Rachtung von 
1519, Aufhebung der Fleifchaccife, Verbot der willfürlihen Veräußerung von 
Gemeindegütern 2c. verlangt waren; zugleich ließen fih die Wormjer vom Dom: 
fapitel und von den katholiſchen Stiftern der Stadt Zeugniffe ausftellen, daß 
ihr Auftreten mit Rebellion nichts gemein gehabt habe. Der Kaifer wies die 
auf Berfafjungsänderung zielenden Anträge ab, den materiellen Beſchwerden 
wurde Abhülfe zugefichert. In gleicher Weife betonten die Dortmunder, die 1705 
gegen die Willfür eines Bürgermeifters Front madten, in ihrer Bejchwerde: 
Ihrift, daß fie nicht „in blindem Freybeitstaumel” fich gegen die Obrigfeit 
auflehnen, jondern nur notgedrungen der Verlegung der alten Privilegien ein 
Biel jegen wollten. Auch die Klageichriften aus andren Städten nehmen 
nit etwa Bezug auf die neuen ftaatsrechtlihen Theorien, fondern immer nur 
auf „uralte Sitte und Recht“. In der Schrift „Wodurch kann das wechiel: 
jeitige Vertrauen zwiſchen Rath und Bürgerfchaft der Reichsftadt Nürnberg gänz: 
lid und bauerhaft wieberhergeftellt werden?” wird ausdrüdliih der Wunſch 
hervorgehoben, Gott möge die liebe Vaterfiadt, wie das ganze deutſche Vater: 
Heigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Fricdricht db. Sir. bis zur Auflöfung des deutſchen Reichs. 20 


306 Zweites Bud. Erfter Abfchnitt. 


fand vor den Schreden einer Nevolution bewahren. Die nämliche Beobadtung 
läßt fi bei den Unruhen in Breslau und andern jchlefifhen Städten im Früb: 
jahr 1703 maden. Bald da, bald dort gab es Anzettelungen, Aufläufe, 
Widerjeplichkeiten gegen Magiftrate und militäriſche Behörden, aber nicht die 
Idee der Volfsjouveränität verleitete dazu, fondern der Hunger. Zuerniten Scenen 
fam es insbejondere in den Gebirgsdörfern an der böhmiſchen Grenze. Durch 
die Stodung der Leinwandausfuhr infolge des Krieges und die mucherijche 
Gewinnſucht der Händler waren die Weber in ſchwere Bedrängnis geraten, die 
Armen rotteten fi zufammen und übten an den wirklichen oder vermeintlichen 
Urhebern ihres Unglüds blutige Vergeltung. Die Behörden waren des Glaubens, 
daß „bei dem gemeinen Manne durch die franzöfiiche Propaganda ſchlechte Be: 
griffe entitanden . . . und diefer Geift der Unruhe gleich bei der Geburt erftidt 
werden” müſſe, und ſchritten deshalb anfänglich mit großer Strenge gegen bie 
Aufftändifhen ein; da der wohlwollende Monarch diejes Vorgehen mißbilligte, 
verfiel man auf den Gedanken, die Händler zur Zahlung hoher Leinwandpreije 
und zur Lieferung billigen Garnes zu zwingen, erreichte aber damit nur, dab 
die Märkte verödeten und den Arbeitern der Abjat fehlte. In Breslau fam es 
im nämlihen Jahre aus nichtigem Anlaß zu höchſt bedenkflihen Unruhen. Die 
Handwerfsgehülfen ließen fih mit der Bejagung in förmlichen Kampf ein, zahl: 
reihe Tote blieben auf dem Plage. Da fi die Aufregung auch der Bürger: 
ſchaft mitteilte, verftand fich die Staatsgewalt zu einer bemütigenden Kapitulation; 
die Nebellen wurden fogar für die vier Tage, an weldhen fie der Erzeiie halber 
die Arbeit verfäumt hatten, aus Staatsmitteln entihädigt. 

Harmlofere Bilder entrollen die Prozeßakten über angeblihe Verſchwörungen 
und revolutionäre Vorgänge in bairiſchen Städten. In dem freundlichen Neuötting, 
nabe bei dem befannten Wallfahrtsort Altötting, wurde 1794 eine notpeinliche 
Unterfuhung wegen hochverräterifcher Umtriebe zahlreiher Angeflagter eröffnet; 
Geheimrat von Lippert, der „Großinquifitor von Baiern“, wie ihn der Volks: 
mund nannte, leitete jelbft die Verhandlungen. Was war das Ergebnis? 
Bei ein paar Maltefer Prieftern wurden allerlei „aufrühriihe franzöfifche 
Pieces”, u. a. die Henriade von Voltaire (!), die Konftitutionsurfunde der 
Franzoſen, eine Parabel vom Senfförnlein, das zum Freiheitsbaum erwädhlt, 
eine Rede von Eulogius Schneider ꝛc. aufgefunden; im Stübchen des Bräuers 
Pallauf hatten die Stammgälte verdädhtige Kappen getragen, an Freitagen 
war dort Fleiſch gegeſſen, bei einem Bolzenihießen eine Scheibe mit einem 
unanftändigen Bild aufgeftellt worden x. 1791 fam in Münden zur An: 
zeige, daß ein proteitantiiher Kaufmann aus Nürnberg, Bäumler, einen 
geheimen Klub geftiftet habe und im Guggemoosjhen Kaffeehaus nächtliche Zu: 
jammentünfte ftattfänden; die Unterfuhung ergab, daß das Ganze auf Spaß 
hinauslief. Im nämlihen Jahre wurden mehrere Bürger, Beamte und 
Schaufpieler in Münden wegen Tragens geheimer Abzeihen in Unterfuhung 
gezogen; es ftellte fih Heraus, dab bei einer Hochzeit jeidene Bänder mit 
einem verliebten Verschen und den Anfangsbuchitaben des Ehepaares unter 
die Gäfte verteilt worden waren! Weniger unſchuldig waren vielleiht Die 
Bujanmenfünfte einer „Freundichaftsgejellihaft” in der Univerfitätsftadt Ingol— 


Die franzöfiihe Revolution und ber deutiche Vollsgeiſt. 307 


ſtadt, deren Mitglieder über die neueſten Vorfälle in Paris „geſchichtliche“ Vor: 
träge hielten. 

Welche Wirkung die Lehren und das Beifpiel Frankreihs auf dem Lande 
üben würden, war vorerft nicht abzujehen. Auch in Deutſchland gab es ja einige 
Taujend Edelleute, die es für ihr gutes Necht anjahen, von der Arbeit ihrer 
Hinterfaflen zu leben, und gab es Millionen Hörige, die niemals zu einigem 
Wohlitand gelangen fonnten, weil die harten Frondienfte und die maßlos ge: 
fteigerten Lehensabgaben jeden Aufſchwung der Landwirtſchaft verhinderten. Nun 
drang auch in die Hütten der deutihen Bauern bie frohe Botichaft von der Erklärung 
der Menjchenrechte und fteigerte das Mißbehagen über die Herren, bie ihr Recht an 
Wald und Flur, Hof und Herb in vielen Fällen gar nicht nachweiſen konnten, 
und wedte den Wunſch nad Löfung oder doch Loderung der drüdenden Feſſeln. 
In vielen Landichaften, in Preußiſch-Schleſien, in Kurſachſen, in der Grafſchaft 
Saarbrüden, der Grafihaft Leyen, im Gebiet der Reichsſtadt Gengenbad und 
in andern fleinen Herrihaften braden Unruhen aus. Die Bauern forderten ihre 
angeblich oder wirklich in älterer Zeit innegehabten Waldrechte zurück oder weigerten 
Dienft und Robot; in nädtlihen Zuſammenkünften ermunterten fie ſich zur 
Widerjeglichkeit; die Schulzen fanden nicht jelten felbit an der Spitze der Be: 
wegung. Die Oppenauer Thalbauern erklärten vor Gericht, fie wollten nichts 
andres, als ihr Recht, und wer ihnen dies verfagt habe, fei „gerupft“ worden, 
babe aber feinen Kopf noh auf den Schultern, in Frankreich werde dies ganz 
anders gemacht! 

„Das gemeine Wejen,” jchrieb Johannes Müller am 10. März 1790 an 
feinen Bruder, „ift in äußerfter Gärung, nicht ſowohl der Kriege wegen, die 
Leopold wohl beilegen wird und niemand ernfllih will, aber wegen bes alles 
pervadierenden Geiftes der Freiheitserneuerung. Es gärt furdtbar in Jülich, 
Köln, Trier... . Ungarn ift noch unzufrieden, und jeßt fangen Böheim und 
Defterreih an, fie wollen ihre großen, alten Rechte zurüd.... Wer, o Bruber, 
hätte noch in Friedrichs lekten Jahren die Möglichkeit folder Scenen geträumt? 
Wer gab nicht die Völker auf, als eine Million disziplinierter Krieger für die 
Fürften ftanden? Wie weit es gehen und wie es endigen werde, fann ein 
menjchlicher Verftand nit vorausfagen, doc ift wahrjcheinlihd am Ende Gewinn 
für die Menfchheit!" — — 

Im Sommer 1790 erſchien im Journal von und für Deutichland, das 
bislang als Organ des Faiferlih und joſephiniſch gefinnten Oberdeutichlands 
gelten konnte, ein Brandartikel: Fürften Deutſchlands, habt acht! Spione durch— 
Ichleihen eure Staaten und ftreuen verberblihe Lehre aus! Freiheit und 
Gleichheit lautet der Lockruf, ift der Vereinigungspunft der Betrüger und Be: 
trogenen! Der nämlihe Auffag unter dem Titel „Nachricht von einer vorgeb- 
lien patriotiihen Gejellihaft, welde in Paris unter dem Namen einer Zu: 
ſammenkunft von der Fortpflanzung (Club de la propagande) zufammengetreten,” 
wurde im Münchener Intelligenzblatt und anderen Organen abgedrudt und 
erihien auch in breiterer Ausführung als Flugfchrift unter dem Titel „An 
alle Mächte Europens Nachricht von einem Verfhmwörungsplane gegen die all: 
gemeine Ruhe, nebit einer Rede, gehalten (von M. D.) im Club de la pro- 


308 Zweites Bud. Erfter Abfchnitt. 


pagande am 21. May 1790.” Der Nebner (Mathieu Dumas?) befämpft einen 
Grafen von M. (Mirabeau?), der die Auffaffung vertreten hatte, e& ſei noch 
nit an der Zeit, an die Organifierung der Freiheit bei anderen Völkern zu 
denken, und es fomme nur darauf an, die Berfaflung Franfreihs auf demo: 
fratifher Grundlage aufzubauen, die Nahbarftaaten würden dann ſchon folgen 
und die Szepter der Könige zu ben Füßen der Völker legen. In ſolchem 
Zumarten, erklärt der Redner M. D., liege eine große Gefahr; die Fürften 
Europas würden fich unzweifelhaft zur Abwehr des Umfturzes verbinden, und 
dann würde es ſchwer halten, das freie Frankreich gegen fo viele Feinde zu 
verteidigen; deshalb müſſe ſchon vorher mit der Fadel der Revolution der ganze 
Kontinent in Flammen geitedt werben. Dieſe Nede — jo folgert der Verfaſſer 
der Flugichrift — lafje deutlich die allen Staaten gemeinſame Gefahr erfennen. 
Amerika fei als die Wiege der revolutionären Umtriebe der Gegenwart anzu: 
jehen; dort jei der Plan ausgehedt worden, die alte Welt zu unterwerfen, und 
da dies nicht möglich, jo lange Europa mächtige Fürften und glückliche Völker 
befige, jei Unfriede zwifhen Fürften und Völfern gefät worden; in Frankreich 
jei bereits die unbeilvole Saat aufgegangen, das reihe Land werde von einem 
Häuflein Wahnfinniger beherriht, die gleih Spulwürmern in den Eingeweiden 
des Landes aufwuchſen und ben ganzen Körper zernagen. Allen Mächten obliege 
demnach die Pflicht, die Entwürfe der Ruchloſen, die dem allerchriſtlichſten König 
den Purpur von den Schultern zerren wollten, zu vernichten; zu dieſem Zmede 
jei ein Kongreß zu berufen, für die Gegenwart ein weit dringenderes Bebürfnis, 
als in den Tagen von Cambrai. Schon entfalte der Pariſer Klub zur Ver: 
pflanzung des revolutionären Gedankens ins Ausland rührige Thätigkeit; ſchon 
zähle er 666 Mitglieder, die zur Löjung der verjchiedenen Aufgaben in ſechs 
Klafjen geteilt ſeien: die erite joll die Grundjäge der neuen Geſellſchaftslehre 
feftftellen, die zweite die gewonnenen Rejultate in Zeitungen und Drudjchriften 
befannt machen, die dritte zur Verbreitung ber Ideen Ausihüffe in allen größeren 
Städten Franfreihs gründen, die vierte im Ausland Propaganda treiben, die 
fünfte alle Mißſtände des Regiments aufdeden und bekämpfen, die jechite die er: 
forderlihen Reformen zum Zwed freiheitlicher Ausbildung des jozialen Lebens 
ins Werk jeten. Auf ſolche Weife gegliedert und mit reichen Mitteln ausgeftattet, 
werde die „Fortpflanzungsgejellichaft” binnen kurzem ganz Europa revolutionieren. 

Auh das Hamburger politiihe Journal teilt den Verfhmwörungsplan mit 
und fnüpft daran den Aufruf: „Und nun, ihr Könige, ihr Fürften, ihr Staats: 
minifter, ihr Obrigfeiten in Nepublifen, ihr Magiftrate in Städten! Ihr habt 
nun mwenigitens Vorfenntnis! Eure Sade iſt's nun, mit eurer Klugheit darüber 
zu denken und zu handeln. Wir haben allenthalben Freunde, jagen die Männer 
der Propagande, wir haben Aifociierte, Abgeordnete an Ort und Stelle mit In: 
itruftionen }" 

Diefe „Aflociierten” waren nad mweitverbreiteter Anficht die Freimaurer 
und die Jlluminaten. War diefe Anſicht begründet? 

Unzweifelhaft haben die Lehren der Franc-magons auf die Nevolution in 
Frankreich eingemirkt; von maureriicher Seite ſelbſt wurde dieje Thatjache immer 
zugeltanden und gutgeheißen. „Die Bewegung von 1789,” erklärt Jouauſt in 


Die franzöfifhe Revolution und der deutiche Vollsgeiſt. 309 


jeiner Gejhichte der Loge zu Rennes, „begonnen mit rein humanitärem Charakter 
und in der Hoffnung auf beftändige Harmonie zwifchen König und Volk und 
zwiſchen Adel, Geiftlichfeit und Bürgerftand, war ein teilmeife in den Logen 
vorbereitetes großes Werk, während für den durch blinden Widerftand des König: 
tums, wie durch den Egoismus und die Eitelkeit des Adels und bes Klerus ver: 
anlaßten jchredlihen Zufammenfturz der alten Geſellſchaft die Maurerei nicht 
verantwortlich gemacht werben kann”. Der Gebanfe, daß mit dem flerifal:ab: 
jolutiftiichen Syftem gebrochen und eine neue Ordnung auf den Widerlagen der 
Freiheit, Gleichheit und Bruderliebe aufgerichtet werben müſſe, hatte längft in 
den Logen Wurzel gefaßt; er kann, mag immerhin die Behandlung politifcher 
Fragen nad) den Saßungen ausgefchloffen geweien fein, geradezu als politisches 
Programm ber Maurerei gelten. „La parfaite union* in Rennes und andere 
Logen in Frankreich gaben zur Zerftörung der Baftile und ähnlichen Vorgängen 
öffentlih ihre Zuftimmung fund. Und an der Spite des Geheimbundes ftand 
Herzog Philipp von Orleans! Kein Wunder, daß Marie Antoinette in den 
Genofien ihres Todfeindes die Anftifter alles Unheils erblidte. „Hüten Sie fi) 
vor allen SFreimaurerverbindungen,” ſchrieb fie (17. Auguft 1790) an Bruder 
Leopold, „man wird Sie wohl ſchon davor gewarnt haben; auf diefem Wege 
glauben die Böſewichte in allen Ländern das gleiche Ziel zu erreihen; möge 
Gott mein Vaterland und Sie vor ähnlichem Unglüd bewahren!” Auch Prinz 
Heinrih von Preußen jah in den Geheimbünden eine ernite Gefahr. „Wenn 
Sie,” jchrieb er (11. April 1790) an den in Paris weilenden Grimm, „Shre 
Chapellier, Ihre Lameth, Ihre Barnave haben, jo haben wir unfere Illumi— 
naten, unsre Illuminaten und wieder unfre Illuminaten!“ 

Es erregte nicht geringes Aufjehen, daß der Mundermann Caglioſtro bei 
feiner Verhaftung in Rom im November 1789 vor dem Inquiſitionsgericht er: 
flärte, als ein in die höchften Grade eingeweihter Maurer könne er verjihern, daß 
Zwed und Ziel der Maurerei die Vernihtung des Deipotismus und deshalb zur 
Zeit der Anſchluß an das revolutionäre Frankreich ſei. Reichard erzählt in 
feiner Selbftbiographie einen Vorgang, der in Gotha im Sommer 1790 Aufregung 
bervorrief. Logenbruder Beder verflocht in eine Feſtrede am Geburtstage des Her- 
3098 die neueften Parifer Ereignifle; beim Eintritte folder Zeihen und Wunder, 
erklärte er, müfje jeder Maurer der Gleihgültigkeit entjagen und Partei er: 
greifen; welche Partei der Redner meinte, war leicht zu erfennen, ba er die an: 
wejenden Militärs ermahnte, „eine weife Neutralität zu beobachten, wenn ihre 
Hülfe bei Volksaufläufen erfordert würde”. Neichard und andere Logenbrüder 
beſchwerten fih jedoch über ſolche Empfehlung der Revolution und traten aus 
dem in politiicher Beziehung verdächtigen Ylluminatenbunde aus. m einer 
1791 veröffentlihten Schrift „Projekte der Ungläubigen zur Aufhebung der 
Religioſen und Einziehung der geiftlihen Güter, ins Licht geftelt aus den Werfen 
Friedrichs des Großen,“ wird der Grundfag aufgeftellt, die Revolution jei nur 
der Rückſchlag der von den Mächtigen der Erde felbit begünftigten Bewegung; 
von König Friedrih und jeinesgleihen fei den Frreimaurern zu Anjehen und 
Einfluß verholfen worden, jegt werde die unheimlihe Macht von unbekannten 
Oberen dazu aufgeboten, die Throne zu zertrümmern. Auch eine Schrift 


310 Zweites Bud. Erfter Abjchnitt. 


„Weber die Gefahr, die den Thronen dur das falſche Syftem der Aufklärung 
drohet” (von Friedvrid von Pries von Lömwenburg), macht die geheimen Orden 
für das Hereinbrechen der Sturmflut verantwortlid. Insbejondere in der vom 
Wiener Profeſſor Alois Hoffmann in den Jahren 1792 bis 1793 heraus: 
gegebenen „Wiener Zeitfchrift” Fehrt diefe Anklage in allen Tonarten wieder; 
ber Herausgeber bezeichnet als Hauptzwed feiner Gründung: „bem wilden Frei— 
heitstaumel fosmopolitiicher und philanthropifcher Horben einen Damm entgegen: 
zuſetzen.“ 

Von maureriſcher Seite wurde die Beſchuldigung verräteriſcher Umtriebe 
mit Entrüftung zurückgewieſen. Die vereinigten drei Prager Logen erließen am 
28. Auguft 1792 eine „Erklärung an das Publikum“, worin fie „voll Gefühl 
ihrer eigenen Unſchuld, aber auch voll des Wunfches, eine falſche Beſchuldigung 
nicht länger tragen zu dürfen”, den Angeber Hoffmann aufforderten, „ohne Winfel: 
züge zu jagen, was er weiß, oder ebenjo ehrlich zu widerrufen, als er vorfichtig 
anklagte“. Darauf ſchränkte Hoffmann, der früher ſelbſt Minervale geweien war, 
jeine Anklage ein; er habe unter den gefährlihen Gejellihaften nicht die echten 
Freimaurerlogen verftanden, jondern nur „ſchlechte Sekten und geldfchneiderifche 
Winkelkomplotte, die fi vor dem Publikum mit dem Schilde der Maurerei bebeden 
möchten”; der „wahren“ Maurerei wolle er gern „ihre ehemalige Zierde und Wert: 
ſchätzung überall wieder verfchaffen helfen”. Mit Genugthuung verjihert Hoffmann, 
der König von Preußen felbft habe ihn „zur privilegierten Durchgeißelung der 
Deutſchen und zumal der preußifhen Aufklärer” ausdrüdlic aufgefordert und 
habe ihm in einem zweiten Schreiben den wärmften Dank ausgefproden für die 
Aufdelung der „heimlichen Ränke eines verborgenen Haufens übelgefinnter und 
ſchlechtdenkender Menſchen“. Auch Kaifer Leopold, fo verfichert der Publizift, 
habe mit ihm ſchon im September 1790 zu Schönbrunn „in einem fhlechten 
Kapotrod” die Gründung eines Journals zur Bekämpfung der falſchen Aufklärung 
bejproden; nad feiner Rundreiſe im Reich habe ihm der Kaifer jeine Beobach— 
tungen über den revolutionären Schwindel in Deutjchland mitgeteilt, ja, er habe 
ihm jogar zum Danke für die loyale Haltung der Zeitichrift eigenhändig zwei 
Eintrittsfarten zu Hofredouten überreiht. Desgleihen wird dem Kurfürften 
Karl Theodor Lob geipendet, weil in Baiern jeder Beamte eidlich verfichern 
müſſe, daß er feinem geheimen Orden angehöre, fowie dem hannöverſchen 
General Freytag wegen feiner Stiftung einer „allgemeinen Militärafiociation“, 
„um ben Kleinen deutſchen revolutionsluftigen Mirabeaus, Condorcets und Briſſots, 
die fo gerne das ganze Deutfchland ebenjo wie das arme Frankreih in Flammen 
ſähen, das Handwerk niederzulegen.” Sich jelbft rechnet es Hoffmann zum 
Ruhme an, daß feine Feinde „für die hämifche Geläufigfeit, nur die ſchlechteſte 
Seite von einer Sade zu fehen, ven Namen Hoffmannismus aufbrachten“, daß 
er „der Heerführer der Objkuranten” genannt werde, daß Eulogius Schneider 
gegen ihn das Epigramm richtete: 

„Bon ihm (Leopold II.) geſchützet, fchrieb ein feiler Sklave 
Pasquille auf den menfhlihen Verftand 

Und fagte zu den Bölfern: Werdet Schafe 

Und ledet freundlich eures Mörderd Hand!“ 


Die franzöjifche Revolution und der deutſche Bolfsgeitt. 311 


Die Revolution geht von der Freimaurerei aus, dieſes ceterum censeo 
werbe er immer wiederholen, obwohl er von den beutjchen Jakobinern fortwährend 
bedroht, von den franzöfifhen durch Beftehungsverfuche beleidigt werde. „Die 
Shhriftfteller und Illuminaten haben die heutige Revolution bewirkt”, aber in 
Deutſchland fol es ihnen nicht gelingen, denn was er über geheime Anjchläge 
der Bolfsverberber erfahre, made er dur Gegenminen unſchädlich, „und du, 
o Nachwelt, folft urteilen, mit welchem Erfolg!“ 

Nah dem Tode Leopolds Il. ging die Wiener Zeitſchrift ein, und Hoff: 
mann verlor jeine Profejiur, doch er ließ nicht ab, die angeblihe Propaganda 
der Illuminaten zu befämpfen. In einer Schrift „Höchſt wichtige Erinnerungen 
über einige der ernfteiten Angelegenheiten biefes Zeitalters” (1795) wandte er 
fih gegen Sonnenfels, der in einer akademiſchen Rede Bildung und Aufklärung 
gegen die über alles Maß hinausſchießenden Vorwürfe von Objfuranten und 
Dilatoren verteidigt hatte. Der gefeierte „Prometheus Defterreihs”, jo klagt 
Hoffmann, fei damit zur „Partei der drei noch lebenden deutichen Frankenaktiv— 
bürger, Klopftod, Campe und Schiller, und ihrer Vafallen Mauvillon, Knigge, 
Ehlers, Weishaupt, Harlem u. a. unter dem Oberbefehl des bermaligen oberjten 
und allmädtigen Generals der alten Illuminaten, Robespierre,” übergetreten, 
und „ſein Ruhm und fein bedeutender Einfluß in litterarifhen Angelegen: 
heiten laſſe ihn leider zu einem brauchbaren Werkzeug zur Konjolidierung 
des Illuminatismus in Defterreich deftiniert” erfcheinen. Mit leidenſchaftlichem 
Eifer wiederholt Hoffmann die alten Anklagen gegen „jene wilden Genies”, die 
„in brandftifteriicher Aufflärungsfudht ihr Unweſen eigentlih ſchon vom Jahr 
1772?) an zu treiben begannen“, „deren charakteriſtiſche Kennzeichen eine völlige 
Ruſtizität und ein Libertinismus, der fih über alle politiichen und konventionellen 
Verhältnifie hinausjegte”. Der verftorbene Kaiſer habe gewußt, welche Gefahren 
für Staat und Kirche die moderne Richtung, insbejondere das damit verbundene 
Klubwefen mit fi bringe, und habe oft zu erkennen gegeben, daß er die Ju: 
minaten für jchädliche Leute halte, — deshalb werde jet das Andenken des 
edlen Fürften von pöbelhaften Kalumnianten ſyſtematiſch verunglimpft. Der 
„deutihe Mirabeau”, Mauvillon in Braunfhweig, habe einen Revolutionsplan 
für Deutfhland ausgearbeitet und an viele Freimaurerlogen und alle Illumi— 
natenflubs zu thatkräftiger Förderung verfendet. Als die ftreitbarften Mitarbeiter 
am Werk der Zeritörung ſeien anzufehen der „abejfinifche Ervezier Baron Wurm: 
brandt, Knigge, der Doktor mit der eijernen Stirn, Ehren:Bahrdt, der Konten: 
tiffimus und Löſchpapierdeſpot Nicolai, der feinnafige Jeſuitenriecher Biefter, 
der Querpfeifer Bode, diejer größte Hebebaum der franzöſiſchen Revolution, der 
Dagon des illuminatiichen Philiftertums Weishaupt, der Goddam hyperheroifche 
Kraftheld Mauvillon, der Philanthrop mit der feinen Lade, Trapp, der wohl: 
befannte franzöfifche Aktivbürger Klopfitod, der Räuber-Apologift Schiller, der 
weinerliche Jeremias des menschlichen Elends, Salzmann, ber holfteinifche Marat 


!) Vermutlich wird dieſes Jahr genannt, weil Wieland, der von Hoffmann als Häuptling 
der „Modernen” angejehen wird, 1772 an den Weimarer Hof berufen wurde und den „Teutichen 
Merkur begründete. 


312 Zweites Bud, Erfter Abſchnitt. 


Henings, der erzkatholifche Orthodore und leibeigene Schildknappe des Baron 
Knigge, Hübner zu Salzburg, die Berliner Monatſchrift, das Jenaiſche ntelli: 
genzblatt, die Gothaiſche gelehrte Zeitung und nod andere Menjchenbeglüder, 
Reformatoren und Illuminaten deuticher Nation.” Sogar ein Engländer, der 
berühmte Burke, diejer zweite St. Georg, dem es wohl nod gelingen mwerbe, 
den Draden der Hevolution zu töten, habe auf deutiche Zluminatenjchriften als 
auf beunruhigende Symptome einer allgemeinen Aufwiegelung hingewieſen. 

Während in der „Wiener Zeitjchrift” die Geſinnungstüchtigkeit Friedrich 
Wilhelms II. und des preußifchen Kabinetts mit warmem Lobe bedacht worden 
war, wendet fi die jpätere Schrift Hoffmanns entrüftet gegen Preußen, das 
fi nicht ſchäme, an Frieden und Freundichaft mit der Republik zu denken und 
den Kampf gegen die Revolution aufzugeben. „Denn angefihts bes franzöſiſchen 
Ambafiadeurs darf fein Wort mehr gegen die Ideen von Revolution, Anarchie, 
Freiheit ac. gejchrieben und gefproden werden; man muß die Revolution und 
ihre Stifter loben, denn fie waren es, wodurd der neue Freund in jene neuen 
Verhältniſſe geriet, wo man erft feine Rechnung dabei fand, mit ihm in Freund: 
ihaftsbündniffe zu treten.” Bon den Berliner Akademikern und Schreibern 
drohe die ſchlimmſte Anftedung für den deutſchen Süden. „Bei uns heißt ‚Re: 
volution* vorerft noch Stimmen und Laden, die volle Muſik und der Kanonen: 
donner jollen no fommen.” Die „Nicolaitiihen Berliner Bibliothefihmiede” 
zeiht auch der pfalzbairifche geiftlihe Nat Stattler in der Schrift „Unfinn der 
franzöſiſchen Freiheits:Philofophie” des „blind franzöjelnden Revolutionstaumels“. 
„Die heutige franzöfiihe Repräfentanten-Staatsweisheit it noch ganz neugebaden, 
und was gerade das größte Unglüd ift, fie ift noch dazu aus Berlin nad Frank: 
reih durd Voltaire, Mirabeau und andere gleichen Gelüftes überbracht worden, 
welche fie ehevor in Berlin von wohlbefannten Freiheitsrumorfnechten erlernet 
hatten.” Bon Zöllner, Bahrdt, Schulze, Zeller und andern preußiſchen Schrift: 
ftellern gehe nicht minder verwerfliche Lehre aus, als von den Franzoſen, die 
über ihren König zu Gericht figen. Auch das „Wiener Magazin der Kunft und 
gitteratur” (1793—1797) und die „Eudaimonia” (1795) enthalten geharnijchte 
Artikel gegen die Freimaurer und Illuminaten, die überall Fürftenhaß und 
Revolutionsluft gefäet hätten. In der legtgenannten Zeitjehrift wird namentlich 
Schiller als Vater bes Uebels gebrandmarkt: „Die, Räuber‘ waren nicht bloß Vorbote 
der Revolution, jondern haben zur Vorbereitung am meijten beigetragen.” Sogar 
Mozarts Zauberflöte, 1791 zum erftenmal auf dem Wiedener Theater in Mien 
aufgeführt, wurde nicht nur mit der Maurerei in Verbindung gebradt, — dieſe 
Beziehungen liegen ja ciien zu Tage, — fondern unmittelbar als Allegorie auf 
die franzöfiiche Nevolution gedeutet. Die Königin der Nacht fei die Regierung 
von Frankreih, Tamino das Volk, Bamina die Freiheit, Sarafiro die Weisheit, 
die Priefter Saraftros die Nationalverjammlung, Monoftatos die Emigration, 
die drei Nymphen ber Königin die Vertreter der drei Stände ıc., das Ganze 
verjinnlihe die Befreiung des franzöfiihen Volkes aus den Feſſeln des ancien 
regime. Es wurde jogar Unterdrüdung der Oper, deren ungewöhnliche An: 
ziehungsfraft nur aus den Umtrieben der im Finftern wühlenden Geheimbündler 
zu erflären jei, beantragt, jedod ohne Erfolg. 


Die franzöſiſche Revolution und ber deutſche Volfsgeift. 313 


Nicht weniger abentenerlich Elingt, was eine 1791 zu London anonym 
erfchienene Schrift „Lettres d’un voyageur* ihren Leſern aufzutifchen hatte. 
Ale deutichen Gelehrten, jo wird darin verfichert, find Illuminaten; Weimar 
ift der Mittelpunkt des Jluminatismus; Herder, Wieland und Böttiger haben 
dur ihre geheimen Verbindungen den Sturm in Franfreid angefacht und find 
au als die eigentlichen Urheber der nunmehr ſchon in bie deutſchen Nhein: 
lande verpflanzten Revolutionspropaganda anzufehen. 

Sogar in der Berliner Monatsihrift, deren Herausgeber Biefter jelbit 
von den Reaktionären zu ben politifhen Brandftiftern gezählt wurbe, erhob 
1793 ein „Misomystes* feine Stimme gegen die mit den Jakobinern unter 
einer Dede ftedenden Geheimorden. Zwar bürfe der Vorwurf nicht jchledt: 
weg auf alle geheimen Gejellihaften ausgebehnt werben, immerhin liege ſchon 
in ber Thatfahe, daß ganze Scharen von Männern fih eidlich verpflichten 
müßten, jeden Befehl einer unbefannten Obrigkeit blindlings zu vollziehen, eine 
ernfte Gefahr für Fürften und Regierungen. Insbeſondere der franzöjiiche 
Maurer Bonneville ſei als gefährlier Apoftel des Gleichheitswahnes an: 
zufeben; ehedem babe er jeine Aufgabe darin erblidt, die Jeſuiten aus der 
Maurerei zu verdrängen, jetzt tradhte er jelbft danach, mit allen Mitteln des 
Jeſuitismus einen Weltbürgerbund zu revolutionären Zmweden zu fliften und 
insbejondere die Deutichen, die ja jchon einmal den Erbball von den Feſſeln des 
friegerifhen und fpäter von dem noch ſchimpflicheren Drude des kirchlichen Nom 
befreit hätten, ein drittes Mal für die Freiheit ber Völker zu den Waffen zu rufen. 

Immer neue „Enthülungen” über Anftifter, Bundesgenofjien und Gegner 
der Revolution traten zu Tage. Am September 1793 beridtete im Schles— 
wigihen Journal ein angebliher Wiener Korrefpondent „M. Erdmann” über 
einen Geheimbund, der ſich die Ausrottung ber Freimaurerei und zugleich ber 
Aufklärung und die Wiederherftellung der ftaatlihen und kirchlichen Zuftände 
des dreizehnten Jahrhunderts zur Aufgabe gemacht habe; Großmeifter der neuen 
Sefte „Die Eklektiker“ (es fann nur der 1783 von Ditfurth, Brönner u. a. 
geftiftete „Eklektiſche Bund“ gemeint fein, deſſen humanitäre Prinzipien freilich 
mit den hier gejchilderten nichts gemein haben) jei fein Geringerer gewejen, 
als Kaijer Leopold II.; auf kaiſerliches Geheiß fei von den Spionen Hoffmann, 
Kob, Königsberg u. a. rührige Thätigfeit entfaltet worden, während Zimmer: 
mann, Marfard, Kogebue u. a. die Bekämpfung ber falſchen Philoſophiegrund— 
fäge mit litterarifchen Waffen übernommen hätten. Als Antwort erjchien bie 
vermutlih von Hoffmann verfafte Schrift „Ueber Eklektiker und Illuminaten 
oder Pertheidigung des verewigten Kaifer Leopold gegen die Calumnien des 
angeblihen Wiener Korrefpondenten Erdmann”. Die Behauptung, daß Leopold 
mit den Ellektifern in Verbindung geftanden habe, wird als „alberne Lüge“ 
zurüdgemwiefen, denn die Efleftiter lägen gerade jo wie die Brüder der Loge 
vor dem goldenen Kalb der Freiheit anbetend im Staube; noch gefährlicher 
freilih feien die Illuminaten, die nichts anderes bezwedten, als dem „Welt: 
erſchütterungsſyſtem ber neuen Nepublit Bahn zu maden, demfelben Anhänger 
zu gewinnen und ale aufrühreriihen Feuerföpfe unter einem Schirme zu 
vereinigen“. 


314 Zweites Bud. Erſter Abſchnitt. 


Noch weiter greift die Anklage in den „Fragmenten zur Biographie des 
verfiorbenen Geheimrats Bode” (1795). Der Schriftiteller Johann Joachim 
Bode, ber feinfinnige Ueberjeßer der Werke Sternes und Smollets, feit 1778 
Geſchäſtsführer der Gräfin Bernftorff in Weimar, war ein rühriges Mitglied 
des Freimaurerordens. Da er entdedt zu haben glaubte, daß die Jeſuiten und 
der Jeſuitismus verberblicen Einfluß auf die Maurerei gewonnen hätten, über- 
trug er nicht nur Bonnevilles Schrüten, die den nämlichen Gedanken vertraten, 
ins Deutihe, jondern fuchte auch eine durchareifende Neform des Ordens 
durdhzufegen. Auf Bodes Betreiben wurde 1782 nad Wilhelmsbab bei Hanau 
ein Konvent berufen, „um den Phantaftereien und Beuteljchneidereien liftiger 
Betrüger und Schwärmer endlich ein Ziel zu jegen” (MW. Keller, Geſchichte der 
Freimaurerei, 192). Die von vielen deutihen Logen beihidte Verfammlung 
tagte unter dem Vorſitz des Herzogs Ferdinand von Braunjchweig und bes 
Prinzen Karl von Heffen, verlief jedoch erfolglos. Als nicht mehr zu bezweifeln 
war, daß der Konvent nicht die erhoffte Palingenefie des Maurertums bringen 
werde, ließ fih Bode von Baron Knigge zum Eintritt in den Jlluminaten: 
orden, von dem ſich für Humanitäre Weltverbeilerung Größeres erwarten 
lafje, überreden. 1787 ging er, von Major von dem Buſche begleitet, nad) 
Paris, um auch in den dortigen Logen für feine Reformideen Anhänger zu 
gewinnen. 

Aus diejen Beftrebungen wird nun in den „Fragmenten“ die Beſchuldigung 
abgeleitet: In Wilhelmsbad ift zuerft der Plan gefaßt worden, die Regierungen 
Europas zu flürzen, um auf den Trümmern einen reinen Maurerftaat aufzu: 
rihten; Bode und von dem Buſche find aljo als die eigentlichen Urheber der 
franzöfiihen Revolution anzujehen. 

Alois Hoffmann endlich weiß das Allergenauefte von dieſer Verſchwörung 
zu berichten. In der „Aftenmäßigen Darftelung der Deutfhen Union und 
ihrer Verbindung mit den Jlluminaten:, Freimaurer: und Rofentreugerorden” 
erzählt er, im Jahre 1788 habe ein geheimes Rundſchreiben in Univerjitäts- 
und Beamtenfreifen „die für die Wahrheit bewaffneten Philofophen” zur Ent: 
thronung des Aberglaubens aufgerufen, hauptfählich auf Betreiben bes „Ober: 
fansculotten” Bahrdt habe fich eine „Union“ gebildet, und aus biejem Lager 
jeien jeither ale Angriffe auf das preußifche Neligionsedift und andere Um: 
triebe gegen Kirhe und Staat ausgegangen. 1788 jeien die deutſchen lu: 
minaten Bode und von dem Buſche nah Paris gereift, hätten bort in den 
angejehenften Logen das Illuminatenſyſtem eingeführt und den Großmeifter 
der franzöfiichen Zogen, Philipp von Orleans, ferner Lafayette, Bailly, Con: 
dorcet, Mounier, Lameth, Lally-Tollendal und andere in den Illuminatenorden 
aufgenommen; Mirabeau fei jchon 1786 auf Mauvillons Betreiben in bie 
höchſten Grade eingeweiht worden. Mit einem Worte: von Maupillon, Bode 
und von dem Buſche fei „die Revolution zur Reife und in Aktivität gebracht” 
worden; das Haupt der Schuldigen aber fei Knigge, der jene Apoftel der That 
für das Illuminatenſyſtem geworben habe. 

Ale diefe Vorwürfe und Anklagen wurden fpäter, Eunterbunt durchein— 
ander gewürfelt, in den „Denfwürbigfeiten zur Geichichte des Jakobinismus“ 


Die franzöfiihe Hevolution und der deutiche Volksgeiſt. 315 


bes Abbe Barruel wiederholt.) Danah wäre die Nevolution das Werk „der 
in der Yafobinerhöhle vereinigten Sophiften und Adepten der Hinterhaltslogen, 
Roſenkreuzer, Sonnenritter und Kadoſchmaurer, Schüler von Voltaire und 
Jean Yaques, Adepten der Tempelherren, Abkömmlinge von Swebenborg und 
St. Martin und Weishaupts Epopten”. Die Unterfchiede der Verbindungen 
hätten wenig oder gar nichts zu bedeuten. „Unter den Freimaurern, die bei 
den Roſenkreuzern oder Philalethen vorhin große Träumer oder Geifterjeher 
waren, fanden fi bald die eifrigiten Apoftel von Weishaupt und feiner Re: 
volution,” und ebenfo ift „von den Adepten Swedenborgs zu den von Weis: 
haupt nur ein Schritt”. Was Barruel aber von den Führern der Propaganda 
in Deutjchland zu jagen weiß, ilt nicht dazu angethan, die Glaubwürdigkeit der 
Angaben zu erhöhen. Als die verwegenften Verſchwörer bezeichnet er „den im 
Preußiſchen ſich berüchtigt gemachten Martiniften Hülmer” („nicht zu verwechſeln 
mit dem Geheimrat Hilmer in Berlin, der fih auf eine ganz entgegengefeßte 
Weife ausgezeichnet hat“), „George Föfter, welher in den Myſterien von 
Swend Smwedenborg vierzehn Tage faftete und betete, um bald die Erſcheinung 
eines Geiftes, bald den Stein der Weiſen zu erhalten,” au den in Kurſachſen 
lebenden Schriftiteler Andreas Rebmann, der „zwei Helden gleiher Art, Robes— 
pierre und Knigge, in Apologien feierte”. Das ganze Gelichter ftehe im Sold 
der Barijer Revolutionsmänner, die im erften Kriegsjahr dreißig, im zweiten 
einundzwanzig Millionen aus dem öffentlihen Staatsihat entnahmen, um bie 
Verbreitung ihrer Ideen zu fördern und dadurch den Armeen der Ohnehoſen 
die Wege zu bahnen. Auch die Studentenunruhen, die im Februar 1794 das 
Städten Jena in Aufregung verjegten, feien auf jene ſchmutzige Quelle zurüd: 
zuführen; die „Amiciften”, die jenen Skandal hervorriefen, jeien nichts anderes 
als Adepten Weishaupts, alfo Jünger des Gleichheitswahnes und Vorpoften ber 
franzöfiihen Heere. Habe doch ein enaer Student, Graf von Plettenberg, 
ein Neffe des Fürften Kaunig, unlängft in einem Bab bei Hannover das An- 
finnen gejtellt, baß „Sein Domeftif neben ihm an öffentliher Tafel fie, welches 
aber nicht zugeitanden worden”. „Man achte dieſes nicht für ein Hiftörchen 
von einem einzelnen Thoren. Seine Thorheit ift jetzt die herrſchende Thorheit 
unter den Studenten auf allen Univerfitäten Teutichlands und die Frucht der 
Lehren ihrer Dozenten, ohne dab die Regierungen dem Unweſen fteuern.” 
Knigge, auf deſſen angebliches Geftändnis die oben erwähnten Lettres d’un 
voyageur ihre Anklagen gründeten, ftellte jede Art von Verbindung der Maurerei 
mit dem Jakobinerklub in Abrede. In einer Satire „Joſephs von Wurmbrand, 
faiferlih abeſſiniſchen Erminifters politifches Glaubensbefenntnis mit Hinficht 
auf bie franzöfifche Revolution und ihre Folgen” (1792), in deren Vorwort er 
ih jelbjt als Verfaſſer nennt, verteidigt er fih und feine Gefinnungsgenofjen 
gegen die „bübifhen LZäfterungen” eines „unwiſſenden Schwäßers, der Profefjor 


') Die „Memoires pour servir à l’histoire du Jacobinisme* ftügen ſich in vielen Punkten 
auch auf Robinfons „Proofs of a conspiraey against all the religions and governments 
of Europe carried on in the sccret meetings of freemasons, illuminati and reading 
societies*, 


316 Zweites Bud. Erfter Abfchnitt. 


des teutichen Styls ift und feine Seite ohne grammatifalifche Fehler ſchreiben kann, 
der ſich jogar nicht fcheut, des Kaifers Majeftät als Mitarbeiter feines elenden Journals 
anzugeben”. Glüdliherweije werde joldher Unfinn im Norden Deutſchlands gar nicht 
verftanden, denn bort jei auch der Defpotismus ber Edelleute und der Priejter 
eine unbekannte Sache, dort dürfe jedermann freimütig für die Sache des Volkes 
und der Aufklärung eintreten. Das Urteil über eine jo gewaltige Weltbegeben: 
heit, wie die franzöfifche Revolution, bleibe am beften der Nachwelt überlaſſen; 
mit moralifhen und politiihen Gemeinplägen fei diefer braufende Sturm nicht 
zu befhwictigen. Die Ummälzung in Frankreich, deſſen Bevölkerung den grau: 
jamen orientaliihen Dejpotismus des Hofes nicht mehr ertragen konnte, fei 
fiher nicht ſchlechtweg zu verurteilen, — ein anderes aber fei es, den Aufruhr 
ins eigene Vaterland zu verpflanzen, und von diefer Schuld wiſſe er fich rein. 
Immerhin wäre es als ein Glüd zu betrachten, wenn die deutjchen Fürften 
recht viel lernen möchten von dem warnenden Beifpiel des Strafgeridhts im 
Welten; möge endlich verzichtet werden auf das römische Necht, dieſes „Alphabet 
des Dejpotismus, wonach der Wille des Fürften das höchſte Geſetz fei”, möge 
aufgeräumt werben mit dem abergläubiihen Wuft, der aller Vernunft wider: 
ftreite und das wahre Ehriftentum verhülle und begrabe. In einer anderen 
Satire „Des feligen Herrn Etatsrats Samuel Konrad von Schafsfopf hinter: 
laſſene Papiere” (1792) verfpottet Knigge feine Gegner als Mitglieder des 
„uralten Pinielordens”, deſſen Tendenz das löbliche Ziel verfolge, den Dummen 
und Unwiſſenden die Herrjchaft über die Welt zu fihern. Ein in Baiern hand: 
Ihriftlih verbreitetes Pamphlet: „Welches iſt das Verhältnis zwifchen den 
Sluminaten und den Kapuzinern?” jucht den ironifhen Nachweis zu liefern, 
daß die Kapuziner, „diefe gebärteten Skorpionen”, ein weit gefährlicherer Ge— 
heimbund feien, als die Illuminaten. 

Aus dem Kreiſe der Mainzer Aufgellärten ergriff fein Geringerer als 
der Koadjutor des Kurfürften das Wort zur Abwehr der „Dunfelmänner” ; 
Dalberg ift der Verfaſſer der 1793 anonym erfhienenen Schriſft „Von dem 
Einfluffe der Wiſſenſchaften und fchönen Künfte in Beziehung auf öffentliche 
Ruhe“. Er wendet ſich gegen den bei Fürften und Staatsmännern mehr und 
mehr um ich greifenden Wahn, als ob die öffentlihe Ruhe und die Sicherheit 
der Staaten durch geheime Pläne der in Klubs und Afademieen vereinigten 
Philoſophen und Schriftfteller bedroht feien. Die Belorgnis erkläre jih aus 
der offenfundigen Thatſache, daß in jenen Kreifen häufig mit auffallender Bitter: 
feit über Verfafjungen und Regierungen geurteilt werde; dennoch fei fie im 
allgemeinen unbegründet; man möge alfo das Kind nicht mit dem Bade aus: 
ichütten. „Aus der nämlihen Blume jaugt die Biene Honig, die Spinne Gift.“ 
Der Mann der Wiffenihaft firebe natürlich im Intereſſe des allgemeinen Fort: 
fchritts die Aufhebung veralteter Einrihtungen und unpaſſender Geſetze an, 
habe aber nichts gemein mit den leichtfertigen Egoiften und Nabuliften, die 
eine Auflöfung aller gefellichaftlihen und ftaatlihen Bande anftrebten. „Weder 
die Maintenon, Pompadour und Dubarry, noch die Chamillard, Choijeul und 
Vergennes, noch die blutjaugeriihen Generalpächter gehörten dem Gelehrten: 
ftande an, au Neder und Mirabeau waren nicht Gelehrte von Profeflion.” 


Die franzöfiihe Revolution und der deutjche Volksgeiſt. 317 


Ebenjo nahm aud Mounier, der bedeutendjte Rhetor der Eonftituierenden 
Verfammlung, der vor dem Scredensregiment nad Weimar geflüchtet war, 
„die Philofophen, Freimaurer und Illuminaten“ gegen den Verdacht body: 
verräteriicher Umtriebe in Schug. Seit in Frankreich der Freiheitsgedanfe 
durch blutige Greuel geichändet werde, jei es üblich geworden, der Philojophie 
des achtzehnten Jahrhunderts die Verantwortung für alle Ausichreitungen des 
Zeitgeiftes aufzubürben und Voltaire und Rouffeau als die Anftifter des großen 
Weltenbrandes zu verlältern. Wie ungerecht! Iſt nicht erit durch die Philo— 
fophie der religiöfen Unduldfamfeit, die bisher jo graufame BVerfolgungen ver: 
ihuldet hatte, das Schwert entwunden worden? Hat nicht Voltaire, wenn er 
auch nicht frei war von Schwächen und Fehlern, am meilten dazu beigetragen, 
blinden Aberglauben und barbariihe Vorurteile zu enttbronen? War Noufjeau, 
wenn er ſich auch himäriihen Träumen allzu willig überließ, nicht ein reblicher 
Bürger, ein mufterhafter Gatte und Bater? Wurde nicht erft durch ihn dem 
Reichen zu würdigen Gebrauch jeiner Schäte, dem Armen zu zufriedenem Wandel 
der Weg gezeigt? 

Die Revolution, führt ſodann Mounier aus, wurde durch Urfachen not: 
wendig gemacht, die mit der Philofophie nichts gemein hatten. Das Volt 
grollte ob der jchlechten Finanzwirtichaft, der verrotteten Verwaltung, der Käuf— 
lichkeit des Nichterftandes und andrer grauenvoller Mißftände, und aus dieſem 
Zorne ilt die Revolution erwachſen. Die römijche Plebs Hatte feine Philo: 
jophen, und doch zog fie, um einen heilfamen Umſchwung im Staatsleben zu 
erzwingen, auf ben heiligen Berg. Wilhelm Tell faßte den Gedanken, fein 
Vaterland zu befreien, obwohl er wahrjcheinlih niemals ein philoſophiſches 
Buch gelefen hatte. Die Parlamente, die jhon viele Schriften freier Denker 
ala ftaatögefährlich verbrennen ließen, ſetzten nicht felten felbit dem Willen des 
Monarchen Ungehorfam und Troß entgegen. Die Entwidelung der engliſchen 
Verfafjung liefert den Beweis, daß eine Teilnahme des Bolfes an ber 
Regierung keineswegs zum Untergang des Staates führen müſſe, und die Auf: 
rihtung des Freiftaates in Nordamerifa gab das Beilpiel, wie ein Volk feine 
Unabhängigkeit erringen könne, — wozu alfo immer auf Voltaire und Rouſſeau 
deuten! 

Nicht anders verhalte es fih mit der Beihuldigung, daß die Revolution 
von FFreimaurern und Ylluminaten angezettelt worden ſei. Gewiß, ungefährlid) 
jeien dieſe Leute nicht, denn mit ihrer Hülfe könnten fich leicht Gaufler und 
Intriguanten an die Spike eines Staates ſchwingen, aber eine Revolution gehe 
nicht aus folhen Kreifen hervor. Wenn Barruel aufdedte, daß ein Novize, der 
die Aufnahme in höhere Grade anftrebe, „um den Tod Hirams zu rächen“, 
einer Gliederpuppe den Kopf abſchlagen müfje, wenn man darin Vorbild und 
Aufmunterung zum Königsmord erbliden wollte: was in aller Welt habe ber 
unglüdlihe Ludwig XVI. mit König Hiram gemein? Wie Bode überall Jefuiten, 
jo habe Barruel überall Jakobiner gewittert; beiden habe der Haß die Augen 
nicht geichärft, jondern verdunfelt. „Wenn auch fein einziger Freimaurer mehr 
auf der Melt eriftierte, jo würden Nevolutionen doch unvermeiblih jein, wenn 
die Negierenden ihre Finanzen zu Grunde richten, ihre Armeen mißvergnügt 


318 Zweites Buch. Erfter Abſchnitt. 


machen, Unordnung in alle Teile der Verwaltung fich einjchleichen laffen und 
dann eine große Anzahl Bolfsdeputierter zufammenberufen, um von ihnen 
Unterftügung zu verlangen.” Auch müffe unterfhieden werben zwifchen ber 
Gejellihaft, die fi jelbit den Namen Illuminaten beilegte, und dem Popanz, 
ber heutzutage dieſen Namen trage; das Publikum habe ſich daran gewöhnt, alle 
Charlatans des achtzehnten Jahrhunderts, Anhänger der St. Germain, Sweben- 
borg und Gaglioftro, Roſenkreuzer und Martiniften unter diefem Begriff zu: 
fammenzufafjen; jo jei es gefommen, daß die Echüler Weishaupts, eines auf: 
geflärten und achtbaren Mannes, zur Zeit veradhteter und gefürchteter feien, 
als die Jakobiner. Freilich verdiene Weishaupts Stiftung fein Lob. „Er 
hätte bedenken follen, daß, wenn die Regierungen nicht das Recht haben, die 
Freiheit der befonderen Meinungen einzujchränfen, diejenigen, die Verſamm— 
lungen veranftalten und es auf fi nehmen, irgend eine Lehre vorzutragen, 
auch nicht berechtigt find, fih der Obrigkeit zu entziehen. So handelte 
Sofrates nit; er forderte von feinen Schülern feinen Eid, jchmeichelte 
nicht ihrem Ehrgeiz und Begierden, er lehrte Gerechtigkeit nicht nur jeine 
Freunde, jondern alle Menſchen, die ihn hören wollten, und lehrte fie im Senat 
und auf öffentlihen Plägen.“ Im Intereſſe der Aufrechterhaltung der beſtehenden 
Gemwalten und der allgemeinen Sicherheit dürfe es Feine Obrigfeiten geben, die nicht 
von Geſetz anerkannt feien. Immerhin habe weder Weishaupt ſelbſt Regierungen 
ftürzen wollen, noch ſei jo ruchlofe Abficht bei feinen Anhängern vorausjujegen. 
„Nichts wäre widerjinniger, als die Ausſchweifungen der Revolution der Frei: 
maurerei in die Schuhe zu jchieben, nichts thörichter, als die Revolution als 
das Werk von Bode und von dem Buſche hinzuftellen.... Die Fabeln von 
den Arbeiten des Herkules find nit erftaunlider!” Wer Mirabeau gekannt 
babe, könne die Behauptung, daß er ſich zum blinden Werkzeug unbefannter 
Oberen bergegeben habe, nur lächerlih finden. In Weimar habe man aller: 
dings ſowohl für das franzöfiiche Volk, als für die Freiheit Sympathie gehegt, 
und Böttiger jei wohl nicht der einzige geweſen, der auf die galliichen Frei— 
heitsbeftrebungen einen Trinkſpruch ausbradte, doch was dann von Jakobinern 
und Sansculotten im Namen der Freiheit und Gleichheit gepredigt und ver: 
broden wurde, jei weder in Weimar nod irgendwo in Deutjchland gebilligt 
worden. „Man irrt fih, wenn man den Regierungen dadurch nützlich zu werben 
glaubt, daß man alle diejenigen, die nicht jllaviih an den Vorurteilen des 
großen Haufens hängen und bloß durch die Macht der Vernunft die Abftellung 
der Mißbräuche bemerkitelligen wollen, den Regierungen gehäffig macht. Diefe 
unflugen Freunde der Machthaber find ihnen ebenſo jchädlich als ihre Feinde, 
weil fie zu gefährlihen Maßregeln verleiten und es dahin bringen, daß die 
alten Mißbräuche geſchätzt und heilig gehalten werben.” Die Staatsmänner 
Europas möchten doc, ftatt überall Hang zu Nevolutionen zu mittern, von der 
Revolution in Frankreich lernen und ihr Ziel darin erbliden, aus häßlichem Ge: 
fängnis die Wahrheit zu erlöfen. 

Gewiß hat Mounier recht. Gewiß find die Enthüllungen über geheime 
Verbindung zwifchen Jakobinern und Illuminaten nichts als Schauermärden, ja, 
es laſſen fih vor dem Ausbruch der Revolutionskriege vollgültige Zeugniſſe für 


Die franzöfifche Nevolution und der deutſche Vollsgeiſt. 3109 


die Thätigkeit einer Revolutionspropaganda auf deutſchem Boden jchwerlich er: 
bringen.) Doch aus der Furcht der einen läßt fih auf die Hoffnungen der 
an; verendhließen, und auf Grund der oben gefammelten Zeugniffe läßt fi als 
Thatſache fetitellen: in weiten Kreifen Deutichlands wurde das Erwachen bürger: 
licher Freiheit beifällig begrüßt, und wenn auch fpäter der Abjcheu vor den 


') Schon ein Blid auf die Zufammenjegung der Jlluminatenlogen läßt erfennen, daß es 
gewiß nicht ftatthaft, ja daß es lächerlich wäre, die von Hoffmann und Barruel erhobene Be- 
fhuldigung auf die ganze Gefellfchaft auszudehnen. Eine auf Geheiß der pfalzbairiihen Regierung 
von einem ausgeichiedenen Genoflen, dem Stadt: und Landgerichtsphufifus Winterhalter, auf: 
geftellte Lifte (Hreisarhiv Münden, Geheimratäalten, Jluminatenwefen betr.), die mit anderen 
uns befannten Mitgliederverzeichniffen im allgemeinen übereinftimmt, zählt u. a. auf: Bruber 
Marentius (Graf Armansperg), Miltiades (Baron Ow), Mufäus (Baron Montgelas), Numenius 
(Graf Kolomwrat), Numa Rompilius (Graf Lobron), Dreftes (Hofrat v. Pettenkofen), Panſa 
(Kanonifus Delling), Sulla (Baron Meggenhofen), Telemach (Graf Seefeld d. J.), Tiberius 
(Merz), Manes (Pfarrer Schilcher), Neftorius (Spaur, Domberr in Salzburg), Theopompus 
(Br. Haffeitl), Timagoras (Dillis), Thejeus (Baron Erdt), Thrafybulos (Baron Dirniz), Tamerlan 
(Baron Schredenftein), Beipafian (Baron Hornftein), Ulyſſes (Graf Seefeld d. Aelt.), Xenofrates 
(Graf Bortia), Romulus und Remus (zwei Grafen Stadion), Spartacus (Weishaupt), Theophraftus 
(Häberl), Alcibiades (Hoheneicher), Apollo (Graf Seeau), Arminiu (Dr. Krenner), Arianus 
(Graf Cobenzl), Attilius Negulus (Edartöhaufen), Auguftus (Graf Königsfeldt), Bajazzo 
(Zaupfer), Hellanifus Lesbius (Utzſchneider), Hermes Socher), Herodianus (Wieland), Hutten 
(Buchner), Hannibal (Baron Bafjus), Cato (Zwad), Brutus (Graf Savioli), Colbert (Baron 
Mändl), Eotis (Graf Rambaldi), Eurtius (Graf Salern), Demoredes (Winterhalter), Diomedes 
(Graf Eoftanzo), Perifled (Baron Eder), Philoktetes (Baron Fül) sc. — Zur Mannheimer 
Loge gehörten nah Ausjage des Kapitäns St. Julien: Graf Keith, Graf Spaur, v. Meitral, 
Kapitän v. Petralba, Profeffor Klein, Hoffammerrat Römer, Bibliothefar Drouin, Kupfer: 
ſtecher Verhelst, Mufitus Wendling, Hofihaufpieler Bord u. a Auch Oberftlieutenant 
ſnachmals bairifher Kriegsminifter) Graf Triva gab 1796 zu Protofoll, daß er früher dem 
Illuminatenbund angehört habe. Gegenichreiber Meirner erflärte 1797, daß er von Graf 
Eoftanzo zum Eintritt in den Orden vorbereitet, von Hoflammerfelretär Schießl eingeführt 
worden fei, als Mitglieder babe er den geiltlihen Rat Soder, Hoflammerrat Semmer, Hofrat 
Graf Savioli, Brofefjor Trerl u. a. kennen gelernt. Nachdem ſchon 1784, 1785 und 1787 
furfürftlihe Verordnungen den Jluminatenorden aufgelöft und die MWiebervereinigung ber 
Mitglieder verboten hatten, erihien am 15. November 1790 ein neues Mandat. Noch immer 
zähle ber verpönte Orden zahlreiche Mitglieder in Pfalz: Baiern; in den Berfammlungen werde 
gegen Religion, Staat und Regierung gehest und als oberiter Grundiag verfündet, daß zur 
Durhführung der böfen Abſichten jegliches Mittel angewendet werden dürfe; deshalb wird nidt 
bloß das Verbot der Beteiligung an geheimen Zufammenkünften erneut, fondern jeder Bewerber 
um ein Öffentliches Amt fol eidlich beteuern, daß er feiner geheimen Gejellichaft angehöre. Die 
Geſuche der Bifhöfe von Freiſing und Regensburg, ed möge den Geiftlihen der Jlluminateneid 
erlaffen werben, da fie ſchon einen ähnlihen Schwur vor der Fanonifchen Weihe zu leiften 
hätten, wurden abgewiefen. Am 5. Oftober 1796 beantragte die Oberlandesregierung ſelbſt 
beim Kurfürften, das juramentum purgatorium illuminatismi möge den Mesnern und den 
Schullehrern erlaffen werben. Bon erſteren ftehe feft, daß fie „feinen weiteren Begriff ald von 
den gewöhnlichen Stol: und anderen Andachtöverrihtungen” hätten. „Die Landſchullehrer aber 
find wegen der noch immer obwaltenden innerlihen ſchiefen Verfaffung beynahe um nichts beſſer: 
fie fennen außer ihren Namen: und Chriſtenlehrbüchel faum ein andereö Bud; viele von ihnen 
wiffen zuverläffig nicht, was das Wort Illuminat auf deutich jagen will, Endeögeiegter Neferent 
hat ſchon einmal von einem als Marktsbürgermeifter erwählten Strumpfftrider den Eid ab: 
genommen, ber ftatt Illuminat fi des Wortes ‚Lemonade‘ gebrauchte.” Darauf wurde an: 
geordnet, daß „Simple Mesner” von der Eidesleiftung befreit fein, die Schullchrer aber und 
jene Mesner, die zugleih Schullehrer find, dazu angehalten werben follen. 


320 Zweites Bud. Erfter Abichnitt. 


Greueln der Revolution übermog, jo wurden doch von Vielen jegensreiche Folgen 
für das Vaterland und die Menjchheit erwartet. 

Da liegt die Frage nahe: Warum fam die Revolution niht aud 
in Deutijhland zum Durchbruch? 

In der Unzufriedenheit mit den gegenwärtigen Zuftänden und im Ber: 
langen nad einer gerechteren Gejelihaftsordnung begegneten fih, wie wir 
gejehen haben, Franzojen und Deutſche. Mit gleicher Leidenſchaftlichkeit donnerten 
die einen wie die andern gegen bie herrihenden Mächte, mit gleihem Mangel 
an Klarheit und realer Gründlichkeit ſprachen fie fich über die Ziele, die wünſchens— 
werte Zukunft aus. 

Doch weder das Pathos, noch die Dunkelheit der Sprade kann darüber 
täufchen, daß beide Völker nit dasſelbe wollten, den ungleichen Verhält— 
niffen und dem verjchieden gearteten Nationalcharafter gemäß nicht dasjelbe 
wünſchen fonnten. 

Die Franzofen waren ein geeinigtes Volk mit einer Gentralregierung, feit 
acht Jahrhunderten durch ihre Könige, vor allem durch Ludwig XIV. in einem 
ftarfen Nationalbewußtjein erzogen und erhalten. Was war Deutſchland für 
den Deutihen? Ein Schod Staaten von vielerlei Umfang und allerlei Ein: 
rihtung, dur die Sprade und eine ſchwächliche Reichsverfaſſung loſe mitein: 
ander verbunden. Das Stammland oder Stammländchen und deſſen Regent 
waren das Konkrete, Kaifer und Neih ein allgemeiner Begriff. Johannes 

tüller fab jhon im September 1789 richtig voraus, daß als feiteiter Damm 
gegen Ausbreitung der Revolution der deutſche Partikularismus ſich be 
währen werde. „Daß Frankreichs Beifpiel die Nahbarn aufwedt," ſchrieb er 
(25. September 1789) an Profeſſor Vogt, „it ſehr natürlih; in mehr als 
einer Nüdfiht haben fih ja gewiſſe deutiche Länder noch mehr zu beffagen. 
Es iſt aber wohl nicht zu beforgen, dab in Deutihland eine gewiſſe Revindi: 
fation der vergefjenen Menſchenrechte mit folder Barbarei wie bort vor ſich 
gehen ſollte; unſer Volk ift phlegmatijcher, es hatte auch Feine St. Barthelemy, 
eher einen Dreißigjährigen Krieg. Und dann vermag aud) die Menge nicht jo 
viel; unfere Heere find bisciplinierter und, leider! die Provinzen einander zu 
fremd, um in irgend etwas gemeine Sache zu machen.“ Wer die Sonderredte 
und Sonderart antaftete, war für den Heilen oder Baier oder Sadjen ein 
Feind, mochte er von der Spree oder von der Seine fommen. Sclagbäume 
überall, und jeder Schlagbaum eine Kluft zwiihen den Nachbarn! Darum 
fonnte Frau von Stael jagen: „Es giebt in Deutichland zu viel neue, zu wenig 
gemeinfame Ideen.“ 

Neue Ideen! D ja, der Germane dachte über die höchſten Güter der 
Menjchheit, die Freiheit des Gewiſſens und das Recht der Perjönlichkeit, jo viel 
und jo gern, wie der Franzoſe, aber der in Deutfchland weit ftärfer als in 
Frankreich entwidelte Jndividualismus lehnte fich gegen die Freiheitsihablone 
des revolutionären Doltrinarismus auf. Dem Deutihen Dingen fih an den 
fühnen Gedanken die nüchternen Einwände. Mit der Weberlieferung und mit 
der Urväter Gewohnheit um einer Neuerung willen zu breden, zauberte er, 
während der Franzoje für die junge Göttin alles ließ, mas ihm bisher lieb 


Die franzöfiihe Revolution und der deutſche Vollsgeiſt. 391 


oder heilig gewejen, und der neuen ‚sahne wahrlih bis in die Hölle folgte! 
So verſchieden geartet die deutichen Stämme unter ji waren, einen deutſchen 
Nationalcharakter gab es immer. Zur Wejenheit aber gehört das Temperament, 
und das der Germanen ift nicht das der Yateiner! 

Dazu fam, daß die Deutihen troß alledem weit religiöfer geblieben 
waren, als ihre Nahbarn. Die Neligionsveradtung war bei ihnen nicht, wie 
in Frankreich, ins Volk gedrungen; bei ihnen war die Neligion nod immer 
Gegenftand der Wiſſenſchaft, Poefie und allgemeinen Erbauung. Diejen Unter: 
ichied hielt Chateaubriand in feinen 1797 erichienenen Betradhtungen über bie 
Nevolutionen für den entjcheidenden. „Die Neligion behauptet jih in Deutſch— 
land durch die moralifhe Stärke des Volkes und durch die Tugenden und die 
Aufklärung des Klerus. Dit ſah ih in Deutichland einen ehrwürdigen Pfarrer 
vor der Thüre jeiner ländlihen Behaufung in zwanglofer Unterhaltung mit den 
Dörflern, die ganz gerührt jchienen, und ich glaubte mich in bie Zeiten verjegt, 
da der Gott Jakobs mit den Patriarhen am Bord ber Brunnen verkehrte.“ 
Sogar der Nationalismus war in Deutichland ein anderer, als im Vaterland 
Voltaires. Der Proteftant konnte ohne Abfall vom Bekenntnis alten Glauben 
mit neuen Ideen weiterbauen. Während in Frankreich das „Glaubensbefenntnis 
des javoyiichen Vikars“ nur ein geiftliches Paraboron in ber Constitution civile 
fand, hatte es in Deutjchland eine tiefe und nahhaltige Bewegung der Gemüter 
zur Folge. Man leje darüber bei Kant. Wie froftig war die Rhetorif, mit 
der Robespierre das höchſte Wejen feierte, verglihen mit der Inbrunſt eines 
Scleiermader, wie lächerlich erjcheint der Kult des Prairial neben der groß: 
artigen Neform bes deutjchen Proteftantismus! Auch bei den Katholifen hatte 
die Zweifelſucht des achtzehnten Jahrhunderts nicht dem Unglauben zur Herr: 
Ihaft verholfen. Joſeph II. blieb trog jeines Kampfes mit Rom ein gehorfamer 
Sohn der Kirhe und verwahrte fih gegen den Vorwurf, als wolle er die 
Philoſophie über die Religion fegen. „Wenn alle anderen Völker der Erbe,” 
jagt Chateaubriand, „der Religion den Gehorfam und die Achtung aufgeiagt 
haben werben, wird fie bei den Deutihen noch eine Zuflucht finden!” 

Ebenjo fehlte den Deutichen ganz und gar der demokratiſche Zug, ber 
den Franzojen im Blute liegt. Im eriten Nevolutionsjahr genügte ein Dekret, 
um bie bemofratiihen Grundfäge in bie Gejeggebung und ins Leben zu führen, 
und die Neuerung fand nirgends Widerftand. In Deutjchland wäre dies einfach 
undenkbar geweſen. Wie jchon in der germanischen Urzeit eine Scheidung des 
Volfes in Edle und Gemeinfreie beitanden hatte, jo war die Achtung vor 
biftorifhen Rechten auch noh an der Wende des actzehnten Jahrhunderts 
lebendig. Sogar jene Schriftfteller, die den Streit der Stände mit Genugthuung 
begrüßt hatten, wollten „das forinthiihe Kapitäl des Staates”, wie Burfe den 
Adel nannte, nicht ſchlechtweg befeitigt wien. Jean Paul, der in den „Grün: 
ländifhen Prozejjen” die blinde Ehrfurdt der Maflen vor „gotiſchen Alter: 
tümern“ verfpottet hatte, jhuf in jeinen Romanen eine Reihe von Idealgeſtalten 
aus dem Kreiſe der Bevorzugten der Gejellihaftl. Mauvillon preift in ber 
Einleitung zu den von ihm. (1793) herausgegebenen Briefen Malouets über 
die Revolution das Beijpiel des edlen Cimon, der zwar immer für die ärmeren 

Heigel, Deutſche Beihichte vom Tode Friedrichs d. Or, bis zur Auflöfung des deutſchen Reiche. 21 


322 Zweites Bud. Erfter Abſchnitt. 


Mitbürger ein fühlendes Herz und eine offene Hand hatte, aber um ber Auf: 
rechterhaltung der Verfaſſung willen aufs entjchiedenfte fich weigerte, dem gemeinen 
Mann volles Stimmrecht zu gewähren. Echte Humanität, erklärt er, müſſe allen 
gemeinjam fein, aber von Briſſot und feinesgleichen werde ein faljcher Begriff 
von Humanität gepredigt, und der Ehrgeiz eines Paine, der Neid eines Forſter 
werde nur Unruhen und Bürgerfrieg erregen. „Gewiſſe Schranfen müfjen in 
der menſchlichen Geſellſchaft bejtehen bleiben.” 

Vor allem war auch in Deutjchland — diefes Moment wird von Taine 
beionders hervorgehoben — das Feudalregiment nidt jo drüdend, 
wie in Franfreid. Der Bauer jtand zwar auch in harter Dienftbarkeit, 
mußte alle möglihen Abgaben entrichten, peinlihe Eingriffe in fein häusliches 
Leben erbulden, aber es hatte ſich ein gewiſſes patriarchaliſches Verhältnis 
zwiihen ihm und jeinem Herrn erhalten; in jähen Notfällen fand der Land— 
mann Hülfe beim Gutsherrn, fiber war feinem Alter eine Zufluchtsftätte; er 
bejann fi alfo, die Schwere Hand abzujchütteln, die ihn zwar drüdte, aber hielt. 
Der Bürger war in den meilten deutichen Staaten von Civilämtern und Offizier: 
ftellen nicht fo ftreng ausgejchlojlen, die Unterordnung des dritten Standes nicht 
fo fchroff durchgeführt, wie in Frankreich, wo alle wichtigeren und einträg: 
liheren Stellen dem Adel vorbehalten waren, wo Saufherren und Gelehrte, 
Handwerker und Bauern fich als Tiers-etat zu einem Ganzen verbunden anjahen 
und gemeinfam die Befreiung vom od des Privilegiums anitrebten. In 
Deutihland rechneten fih die Graduierten gar nicht zum dritten Stande; fie 
bildeten eine Art Bindeglied zwiichen Adel und Bürgertum. Auch der Reichtum 
war in Deutichland vorteilhafter verteilt. Mochte immerhin das politifche Re: 
giment in den meilten Reicheftäbten in den Händen des Patriziats fein, jo 
trennte doch den Bürgeritand nicht eine fo tiefe Kluft von den Geſchlechtern, 
daß nicht jtattliher Befig eine Brüde gebildet und in taufend Fällen ein 
Connubium ermöglicht hätte. Und es gab in Deutjchland keine Stadt, in der 
alle Lebenselemente Fonzentriert gewejen wären, wie in Frankreich, deſſen 
Hauptitadt entjcheidenden Einfluß auf die politifche und fociale Entwidelung des 
ganzen Landes übte. 

Auch das fürjtlihe Regiment hatte fich in den meilten deutihen Staaten 
weniger Blößen gegeben, wie das ancien regime im großen Nachbarreiche. 
Gerade in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts hatten, wie wir ge 
fehen haben, nicht wenige Fürften in Befeitigung von Mißbräuchen und in 
Schöpfungen zu Gunften edler Menſchlichkeit gemetteifert, Staatswirtichaft, 
Unterrihtswejen und Nedispflege mwohlthätig reformiert. Die Vielftaaterei er: 
ſchien aus diefem Grunde vielen Zeitgenoffen nicht einmal als ein Uebel. Nicht 
bloß der fonfervative Kammerherr v. Creuz behauptet, dab „ein Volk wie das 
deutihe, um jo freier it, in je mehr Staaten es ſich teilt;" auch Wieland 
vertritt im „Patriotiſchen Beytrag zu Teutſchlands höchſtem Flor” die Auf: 
fafjung, daß das deutſche Wolf gerade infolge feiner Zerjplitterung „einen 
höheren Grad menſchlicher und bürgerlicher Freyheit“ genieße, als irgend ein 
anderes „großes policiertes Volk in der Welt”, „Der eine von den vielen 
Reichsſtänden wird immer ben anderen im Schad halten, es wird aljo immer 


Die franzöfifhe Revolution und der deutihe Bolkägeift. 323 


Gewiſſens- und Nebefreiheit geben, der einzelne Tyrann wird dem Abfcheu ber 
übrigen Teile der Nation ausgefegt jein.” Der aufgeflärte Abjolutismus hatte 
in Deutihland aud viel Gutes gewirkt; das wurde vom Volke anerkannt, und 
es beitand auch deshalb weniger Geneigtheit, dem franzöfiihen Beifpiel zu folgen. 
Aus allen Teilen des Reiches laſſen fih Stimmen vernehmen, die zwar ber 
Revolution grundſätzlich eine gewiſſe Berechtigung zuerfennen, doch den Gedanken 
einer Ausdehnung auf das eigene Vaterland als Undanf gegen mwohlgefinnte 
Fürften zurüdweifen. Der Wiener Poet Alringer rühmt (1792) die Mäßigung 
Kaifer Xeopolds, der fih in den Streit zwiſchen König und Volk in Frankreich 
nicht einmiſche, dagegen alle berechtigten Wünjche der eigenen Unterthanen zu 
erfüllen trachte! 


„Wir aber in des Glüdes Pforte danfen 

Dir, weifer Schiffelenfer Leopold! 

Und rufen in die offene See: Ihr Franken, 

Wir find fhon längſt, wohin ihr fommen wollt!“ 


In der Schrift „Ein Wort zur Beherzigung, den Fürſten und Herren 
Deutichlands gewidmet” (1790) von Auguft Friebrih Cranz, dem Herausgeber 
des Journals von Berlin, wird unterſchieden zwiſchen „Lafterhaften Regierungen, 
die das Volk nur ausfaugen wollen,“ und „guten,“ die das leibliche und geiitige 
Mohl auch des gemeinen Mannes zu heben juhen. Zu den guten Fürſten 
zählt der Verfaſſer die Herzoge von Braunſchweig, Weimar und Gotha, den 
Markgrafen von Baden, den Landgrafen von Heflen-Homburg, den Fürften von 
Anhalt:Dejiau, den Kurfürften von Köln. „Im diefer Herren Ländern ift fein 
Aufitand zu befürdten, jelbit bei aller Denk: und Preßfreiheit, aber wenn ber 
Fall einträte, jo bedürfte Feiner ſein Militär; jeder dieſer Regenten könnte allein 
mit einem Donnermwetter im Munde und dem Stode in der Hand ganze Haufen 
zufammengelaufener Bauern zur Ruhe verweilen.” Ebenfo jei in Preußen eine 
Revolution einfah unmöglid. „Wo Friedrichs II. ſchröckliches Auge hinblidte, 
dba bebte der Unerihrodhene, und um Friedrich Wilhelms Gunft buhlt das 
ganze Voll.” Vor allem aber: noch nie habe ein preußifcher Monarch die 
Geſetze des Yandes veradtet! Die nämliche Anfhauung vertritt der ungenannte 
Autor der „Philofophiihen Bemerkungen über die Republifen”. Bei einem 
Vergleih zwiſchen den Zuftänden in der Schweiz und in Preußen werbe ber 
monarchiſche Staat nit den kürzeren ziehen. „Es iſt einfach lächerlich, die 
Ehrerbietung zu ſehen, welche dieje armen Leute (in der Schweiz) gegen ihre 
Herren hegen, und fie dennoch von Freiheit jprechen zu hören. Ein preußifcher 
Bauer ift freier, als ein Bürger in der Schweiz. Man findet dajelbft wohl 
Schuſter und Schneider, welde Edelleute find, aber feine freien Menſchen!“ 
Georg Forfter gab, obwohl er mit dem Herzen ſchon im Lager der Bor: 
fümpfer bes freien Staatsbürgertums ftand, vor Ausbruch des Krieges noch 
der Meberzeugung Ausdrud, daß Deutichland vor einer Revolution geſichert jei. 
„Ebenfowenig,“ jchrieb er im Sommer 1790, „wie die auf Granit und Waden: 
gebirg fih erhebenden Städte an Donau und Rhein ficherer find vor Erdbeben 
ala Meifina und Catanea, jo wird fih auch unter dem ehrwürdigen gotiſchen 


324 Zweites Bud. Erfter Abfchnitt. 


Denkmal unferer Reihsverfaffung fein Vulkan entzünden und die zierlich ge: 
jchnörfelten Türmden, ſchlanken Säulenbüfhel und ſchaurigen Spitzgewölbe in 
die Luft fprengen.” Freilich fehle es auch in Deutihland nit an Mißbräuchen 
und linterdrüdung, aber auszuhalten jei es überall, und es mache ihm feine 
Freude, wenn fi da und dort beunrubigende Symptome zeigten. „Die Reihe 
ift jegt nicht an Deutſchland, durch eine Revolution erfhüttert zu werben; es 
bat die Unkoften der lutheriſchen Neformation getragen, jowie Holland und 
England, jedes zu feiner Zeit, den Schritt, den fie zur fittlichen und bürger: 
lihen Freiheit vorwärts thaten, mit einem blutigen Jahrhundert haben erfaufen 
müflen; jet gilt es uns, und ih wünſchte jo berzlih, man möchte fih am 
frangöfifhen Feuer wärmen, nicht verbrennen.“ Der Göttinger Profefjor 
Käftner feierte in den „Gedanken über das Unvermögen der Schriftjteller, Ems 
pörungen zu bewirken,” die „republifanifhe Freiheit der Niederdeutſchen“ und 
widmete feine Schrift dem Herzog Friebrih Auguft von Braunfchweig. Schlöger, 
der bie Konftituante in Verjailles jo froh begrüßt und die Auflehnung gegen 
Ludwig XVI. gebilligt hatte, wies eine Ausdehnung der Bewegung auf die 
deutfhen Lande mit Entrüftung zurüd. Die Erhebung der Maffen möge den 
Fürften, die Ausartung des Freiheitsfampfes den Völkern zur Warnung dienen. 
„Aus Cäſars Aſche wuchſen drei Tyrannen, und auf die Trümmer des Thrones 
trat Crommell.” Im Dezember 1791 eridien in den „Staatsanzeigen zur 
Abwehr unbilliger Verdächtigung des preußiichen Volkes” ein Auffag, verfaßt 
„in Potsdam von einem Patrioten des preußiichen Landes und der deutſchen 
Litteratur”. Geheimrat Hillmer beftürme den Monarchen, es möge durch Ver: 
Ihärfung der Cenſur und andre ftrenge Maßregeln dem Eindringen der Re 
volution vorgebeugt werden; mit Unrecht, denn der preußiſche Unterthan habe 
jolhes Mißtrauen wahrlich nicht verdient. „Es ift feine Spur in allen Landen 
des preußiſchen Monardhen, daß die franzöfifhen Unruhen bier die geringite 
Nahahmung fänden. (Dazu bemerkt Schlözer: „So wie auch Georg III. er: 
Härte, Er wiſſe, Gottlob! nichts von innerer Gefahr wegen Aufwiegelung im 
Schoß des lieben deutſchen Vaterlandes!”) Das werden alle Staats: und Ge 
ihäftsmänner, welche unjer Land wirklich kennen, einmütig bezeugen. Wir find 
im ganzen ein religiöjes, moralifches, induftriöfes, thätiges, verftändiges, auf: 
geflärtes, unverberbtes Land; ein ſolches Land empört ſich bei einer weiſen, 
gerechten, zwedmäßigen Regierung nicht!” Zwar werde laut und frei, wie es 
Männern und Deutjhen gezieme, auch über Verfügungen der Regierung ges 
rebet, über ſchädliche Machtſprüche und Webergriffe, doch jo ſei es ſchon lange 
vor den franzöftiihen Unruhen gehalten worden. „Es ift aljo feine Nach— 
ahmung, feine Anftedung von dort, vielmehr ift es die ſchönſte Schugwehr da⸗ 
gegen. Dieſe fogar geſetzlich geftattete Freiheit, diefe rechtlichen Hülfsmittel, 
wobei doh Achtung und Gehorfam gegen die Anordnungen der oberften Gewalt 
befteht, müſſen jeden der Bernunft fähigen Menſchen an ein Land binden, 
deſſen Regierung ihre Macht nicht mißbraucht, nicht mißbrauden will und kann.” 
Jedenfalls die große Mehrheit des Volks war aufrichtig loyal, und war man 
irgendwo, wie 3. B. in Baiern, mit einem Herrn unzufrieden, fo wurden nur 
Verehrung und Hoffnung auf den Nachfolger übertragen. 


Die franzöfiihe Revolution und der beutiche Volkägeift. 395 


Aber die Philofophen! Sie waren doch — wie oben gezeigt wurde — in 
ber Mehrheit den neuen Lehren zugethan? 

Mit Mab und Ziel. Auch die Gelehrten, die Dichter und Künſtler 
zeigten ſich germaniſchen Geblüts. Sobald in Franfreih die Göttin der Ver: 
nunft ihr weißes Kleid bejudelte und, mehr Megäre als Lichtgeftalt, Perfonen 
und Eigentum zerftampfte, während jie von Freiheit, Gleichheit, Brüderlich: 
feit brüllte, wandten fie ſich ſchaudernd ab. Fritz Stolberg, der nicht weniger 
freudig, als jein Bruder, den „im Weſten aufgehenden Tag“ gefeiert hatte, 
ruft 1798: 


„Bei meiner Mutter Aſche! Das duld' ich nicht! 
Ihr follt nicht Franken nennen der Völfer und 
Der Zeiten Abfhaum! nennt Weithunnen, 
Dann noch befhönigend, ihre Horden .. .“ 


Und Johann Georg Jacobi beſchwört die Fürften: 


„Aus des Pöbels tollen Händen, 
Die am felbjtgeftürzten Herd 
Vaterland und Freiheit ſchänden, 
Winde Fürftenmaht das Schwert!” 


Kant bemwunderte zwar immer nod eine Berfaflung mit Bolksvertretung, 
doh wie er in feinem Syftem der reinen, wagemutigen Bernunft die fon: 
fervative praftifhe gegenüberftellte, war er im Leben zugleich ein unabhängiger 
Forfcher und ein gehorfamer Untertfan. Was er von den Philojophen und ber 
Ungefährlichfeit ihrer Spekulation ſagte, fonnte von allen jeinen gelehrten 
Kollegen gelten: „Dieſe Klaſſe it ihrer Natur gemäß nicht geeignet, Zuſammen— 
rottungen zu bewirken und Klubs zu ftiften, kann aljo vom Argwohn, daß fie 
gefährlihe Propaganda made, nicht getroffen werben.” 

Ales in allem: Die große politiihe Bewegung in Frankreich hatte in 
Deutihland — mit unerheblichen Ausnahmen — nur eine geiftige Bewegung 
zur Folge. Ihr Anfang war glühende Begeifterung, ihr Ende Refignation, 
doch nicht feiges Verzichten auf die That, ſondern klare Erkenntnis ber 
Schranken, der Kräfte und ihrer Aufgaben. 

Goethe behielt recht mit feiner Mahnung, daß jeder fein eigen Feld 
beitele und daß bei Neuerungen mehr die Bedürfnifie, als die Wünfche zu be: 
rüdfihtigen feien, denn die Bebürfniffe haben Grenzen, die Wünfche jchweifen 
in fchranfenlofe Weite; nicht in der Nevolution, in der Evolution beruhe die 
Hoffnung beſſerer Zeiten; die natürlihe Entwidelung der Keime zu fördern, 
darin beitehe die Kunft zu regieren. Goethe behielt recht, und Juſtus Miöfer, 
der „unvergleihlihe Dann“, wie ihn Goethe nennt: der Geift der Reform foll 
fih mit dem Geift der Tradition verbinden; beide follen fih durchtränken, 
gegenfeitig ergänzen und läutern; die Geſellſchaft ftübe fih auf die Familie, 
ber Staat auf die jelbftändigen Gemeinden! 

Indem jpäter die Männer, denen die Wiedererhebung Preußens zu danken 
ift, die Hardenberg, Humboldt, Scharnhorft, Stein diefen Grundjägen folgten, 


326 Zweite Bud. Erfter Abſchnitt. 


bewiejen fie fich als echte und große Staatsmänner. Dieſe Grundfäße drangen 
ins Volk, und aus ihnen jchöpfte die deutſche Nation — zugleich aufgeklärt und 
treu! — die Kraft zum Widerftand gegen den natürlichen Sohn der Revolution, 
den ſoldatiſchen Eroberer und Diktator. 

„Richt weil Volk und Staat in Frankreich weiter,” jagt Zorenz von Stein, 
„jondern eben weil fie nicht jo weit waren, als in Deutihland, traf dort die 
Revolution ein, während bier nur eine Umgeftaltung ftattfand.” Im Bolfs: 
leben der Franzofen, wo alles von äußerlichen, ſtürmiſchen Jmpulfen ausgeht, 
fommt es zu vulfanifhen Eruptionen, nicht aber zu organischen Entwidelungen; 
die deutſchen Bildungen, jene Reformen, die nicht bloß die Gejundung Preußens, 
jondern ein neues Deutichtum zur Folge hatten, laffen fi mit den langjam 
heranwachſenden neptunifchen Formationen vergleihen. In Frankreich, jagt der 
Franzoje Corel, wo aller Boden gleich gemacht wird, ergießt fich der wilde Strom 
verheerend über alles Land; in Deutjchland halten ihn Dämme auf, er vertieft 
fih zu Seen und zieht aus ihnen beruhigt und abgeklärt hervor ins Weite. 


Zweiter Abfchnitt. 


Zurürkeroberung der öfferreichifdeen Diederlande. 
Wiederherflellung der Ruhe in den Grblanden. Der 
Wahltag in Frankfurt. Die Raiferwahl und die öffentliche 
Meimung. Das Projekt einer Wahl des Erzherzogs Fran 
zum römiſchen Rünig Wahl und Rrönung Tevpolds I. 
Die frangöfifche Revolution und die Rechte der deutſchen 
Reidisflände Pas Ende des Tüfticher Streifes. Neue 

Spannung jwilcken Dellerreich und Preußen. 


— 


eit dem Regierungsantritt Leopolds ſtand der Wunſch, die verlorenen Nieder: 

A ande wieder zu gewinnen und ben Abfall der widerſpenſtigen Ungarn zu 

verhindern, im Vordergrund der Politif des Wiener Kabinetts. Daraus 

erklärt fi, daß Leopold zur nämlichen Zeit, da er, durch die Ausbreitung der Revo⸗ 

Iution erfchredt, zur Abwendung des allgemeinen Umfturzes an Hoffmann und andre 

Rückſchrittsmänner ſich anſchloß und in Wien ein firenges Polizeiregiment übte, 

den Niederländern gegenüber eine Sprache führte, die unmittelbar an das neue 

Grundgejeß ber franzöfifchen Geſellſchaft, die Declaration des droits de l’homme, 

erinnerte und nach modernem Sprachgebrauch als fortfchrittlich-fonftitutionell zu 
bezeichnen wäre. 

Doch aud die weitreichenden Zugeftändnifje des Manifefts vom 2. März 1790 
vermodten die Abneigung gegen das öfterreihifhe Regiment nicht zu über: 
winden; der Kongreß weigerte fih, auf Verhandlungen mit der abgejegten 
Dynaftie einzugehen. Zwar in den Reihen der demofratiihen Partei, die ben 
fapitalsfräftigen Teil der Bevölferung, die Befiger der Banken, Sciffswerfte 
und Lagerhäufer in fi ſchloß, wären viele bereit gewejen, mit dem neuen 
Herrn Frieden zu machen; fonnte doh nur unter dem Schu und mit dem 
Beiltand eines Monarden eine Nenderung der Verfaſſung, die auch den nicht 
privilegierten Klaſſen zu politiichen Rechten verholfen hätte, durchgejegt werden! 
Allein diefe „Vondiften”, wie fie nach ihrem Führer benannt wurden, konnten 


328 Zweites Buch. Zweiter Abjchnitt. 


gegen die ariftofratijch-Elerifale Partei, die fich willig der Leitung van der Noots 
überlafien hatte und im Kongreß über die Mehrheit verfügte, nichts ausrichten, 
Leopold mußte einjehen, dab er bloß durch Zugeſtändniſſe und Verſprechungen 
nit wieder zum Befig der verlorenen Provinzen gelangen werde; er gab 
jedoch die Hoffnung nicht auf, ohne Blutvergießen diefes Ziel zu erreihen, und 
nahm vorerit eine abwartende Stellung ein. „Für den Augenblid,“ ſchrieb er 
an feine Schwefter Marie Chriftine (12. Juni 1790), „ift an einen Umſchwung 
zu meinen Gunften nicht zu denfen, denn die Demofraten haben weder Kraft, 
noch Macht. Ich glaube aljo nichts andres thun zu fönnen, als deutſche Truppen 
binzufenden, unter dem Kommando eines geichicten, Eugen und feiten Mannes; 
der fol ins Land vorzudringen ſuchen, ohne fi irgend welche Ausfchreitungen 
zu erlauben, und ſoll mit einer Erklärung verjehen jein, die in meinem Namen 
dem Lande in aller Form nicht nur bie jhon in meinem früheren, nit an: 
erfannten und angenommenen Manifeit gemadten Anerbietungen wiederholt, 
fondern aud Erhaltung und Wiedereinſetzung ihrer alten Verfaſſungen, Geſetze 
und Vorrechte verbürgt, mit ſolchen Nenderungen, wie fie mit Zuftimmung der 
Provinzen und auf ihr Verlangen gemadt werden fönnen und ihnen am 
angenehmiten jind; vor allem fol eine entjprechendere, anfehnlichere und ge: 
techtere Vertretung des flahen Landes in den Ständeverfammlungen mit den 
Ständen jelbjt vereinbart werden; während dieſe Erklärung veröffentlicht und 
zugleih Amneftie und Generalpardon verfündigt werden, jollen die Truppen 
vorrüden. Dann werden, wenn nur die Erklärung Klar und gerecht abgefaßt 
fein wird, die Wohlgefinnten und die Landleute jih um unſre Truppen ſcharen 
und bie Nädelsführer und fanatiihen Patrioten fih aus dem Lande entfernen. 
Mit Sicherheit wäre jedenfalls dann auf günftige Wendung zu rechnen, wenn 
von England, Holland und Preußen Nichteinmiſchung gelobt oder jogar Ber- 
mittlung übernommen würde.” }) 

So raſch, wie Leopold hoffte, vollzog fich die glüdlihe Wendung nicht; 
daß fie fih allmählich anbahnte, dafür forgte der Parteihader in den belgiſchen 
Landen jelbit. Es iſt ja feine jeltene Erſcheinung, daß zwei Parteien von 
grundfäglih abweichenden Nichtungen zur Belämpfung einer mißliebigen dritten 
fi vereinigen und in Verfolgung des nächſten Zieles einträchtig zufammen: 
wirken; faum ift jedoch der Sieg errungen, jo fommt es zwiſchen den Siegern 
zu Zwiltigfeiten und erbitterter Fehde. So auch in Belgien. So lange mit 
den verhaßten „Scergen des Abfolutismus und des Illuminatismus“ zu 
fämpfen war, hatten die Klerifalen, die auf dem Boden der mittelalterliden 
Verfaffungen ftanden, mit den Anhängern der neufränkiihen Ideen gemeinſame 
Sache gemacht; nad dem Sturz der habsburgiſchen Herrjchaft aber zerfiel das 
unnatürlihe Bündnis. Die Klerifalen verfügten jegt über die ftaatliche Autorität 
und die öffentlihen Gelder; Vond war nit einmal in den Kongreß auf: 
genommen worden. So trug denn das neue Staatögejlige ein gewiſſermaßen 
theofratifches Gepräge. Da alle Mitglieder des Kongrefies den Eid der Treue 
in die Hände Falkenbergs ablegten, erſchien der Kirchenfürft als Oberhaupt der 


U. Wolf, Leopold IT. und Marie Chriftine, ihr Briefwechfel, 154. 


Zurüderoberung der öfterreichifchen Niederlande. 329 


oligarhiihen Republik.) Meußerlih ordnete fih auch der Führer des Auf: 
ftands, van ber Noot, der „gottgeliebte, weije, fternfundige Seher”, wie ihn 
die Chronique Brabangonne feierte, mit allen Zeichen der Ehrerbietung dem 
Kardinal unter, aber der eigentlihe Leiter der Regierung war weder der 
. gravitätiiche Kardinal, noch ber geihäftige van der Noot, jondern der Groß: 
pönitentiarius und Domprediger van Eupen. „Der eigentlihe Mader, die Seele 
des Aufitands ilt van Eupen, während van der Noot nur der Tambour und 
Lärmmacher ift!” So urteilt der Berfaffer eines 1790 unter dem Pjeudonym 
Leſueur erichienenen Büchleins „Abgeriſſene Masken”, der franzöfiihe Schaufpiel- 
dichter Robineau.*) Borgnet hat freilih recht: das phantaftifche, jchlüpfrige 
Pamphlet darf im allgemeinen ebenfowenig als Quelle für die Geſchichte des 
belgiihen Aufftands benugt werden, als Poltaires Pucelle für eine Lebens: 
geihichte der Jungfrau von Orleane.?) Doc die Charafterporträts der leitenden 
Perfönlichkeiten haben gewiß neben lächerlichen Uebertreibungen manden lebens: 
wahren Zug aufzuweiſen; dies läßt fih aus den Urteilen Forſters und andrer 
Zeitgenoſſen feititelen. Die Schauer: und Schandgefchichten, die über van der Noot 
zum beiten gegeben werden, tragen den Stempel breifter Erfindung an fich, 
allein das wüſte, umfittlihe Treiben in den „patriotiihen” Kreifen wird auch 
von unverfängliden Zeugen getadelt. Yan Eupen wird von Nobineau ge: 
idhildert als „ein Mann in den Bierzigern, mit blonden, glatt zurüdgeftrichenen 
Haaren, bleihem Geſicht, langſam im Reden, zuderfüß von Worten, ber ver: 
Ichlagenfte und feinite aller Jünger des heiligen Ignatius“, der „mehr als einen 
FJamilienzug mit Marzarin und Cromwell gemein hatte”. Die Behauptung, 
daß der Agitator in der Soutane dem Jlluminatenorden angehört habe, ift 
mehr als unwahrſcheinlich. 

Aehnlich verhält es fih mit dem Duellenwert eines in dramatifche Form 
gefleideten, ebenfalls von Robineau gefertigten Machwerks, der „Geheimen Ge: 
Ihichte des belgiſchen Aufftands”.‘) Der Verfaſſer will darin „zwei Frevler, 
die unter dem Mantel der Religion die Zeichtgläubigkeit und die Gutmütigfeit 
der Flamänder mißbraudten und fie an den Rand des Verderbens ftießen, 
entlarven”. Der Beteuerung, daß van der Noot für fi einen belgiſchen Thron 
aufrihten wollte, ift wohl ebenjowenig Glauben zu ſchenken, wie der Angabe, 
daß van Eupen die ganze Bewegung nur um der Zurüdberufung der Jeſuiten 
willen in Scene gejegt habe. Thatſache aber ift, daß van Eupen, weil er 
leihtgläubig in jedem freundlichen Worte eines englifchen oder preußifchen Diplo: 
maten eine Zufage ausreihenden Schutzes erblidte oder doch dieje Zuverficht 


) Wuttfe, Der Kampf der Freiheitsmänner und der Geiftlihen in Belgien; Naumers 
Hiftor. Taſchenbuch, 4. Folge, 5. Jahrg. (1864), 326. 

) Les Masques arrachees ou vie privee de L. E. Henri Van der Noot et Van Eupen, 
par Jacques le Sueur, espion honoraire de la police de Paris et ci-devant employ& du 
ministere de France en qualit@ de clairvoyant dans les Pays-Bas Autrichiens, I, 58. 

) Borgnet, Histoire des Belges à la fin du 18. sitcle, introduction. 

*) Histoire secrete et anecdotique del’insurreetion Belgique ou Van der Noot. Drame 
historique en 5 actes, dédié à Sa Majeste le Roi de Bohöme et de Hongrie, traduit du 
Flamand de Van Schön-Schwartz (Beau-Noir = Robineau). 


330 Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. 


zur Schau trug, in erfter Reihe verjchuldete, daß die belgiihe Republif das 
Geburtsjahr ihrer Selbftändigfeit nicht überlebte. Ahm war es vor allem 
darum zu thun, daß jede Anlehnung an franzöfifches Vorbild und deshalb auch 
jede Bundesgenofjenichaft mit dem priefterfeindlichen Frankreich vermieden werde; 
feindjelig ftand er ben Vondilten oder Progrefliften gegenüber, von einer frei 
gewählten Volfsvertretung wollte er nichts willen. „Hüten Sie fih, davon 
öffentlich zu ſprechen,“ rief er einem Vondiften zu, „Sie würben es mit Stod: 
ftreihen zu büßen haben!” Um fich gegen ihre Gegner zu behaupten, traten 
die Vondiften zu einer neuen „Vaterländiſchen Geſellſchaft“ zufammen; fie 
zählten einflußreihe Männer zu den ihrigen, darunter Mitglieder des höchſten 
Adels; dem Herzog von Urfel wurden ſogar wegen diefer Verbrüderung mit ber 
Volkspartei ehrgeizige Abfichten unterfhoben. Zu Bonds Anhängern zählte auch 
van der Meerih, der Kommandant der Kongrehtruppen, der bisher mit feinen 
ichleht bewaffneten, ungeſchulten, disziplinlofen Leuten jo erftaunlihe Erfolge 
errungen hatte. 

Doch das Kriegsglüd fing an wetterwendiſch zu werden, als van der 
Meerih, durch den Kongreß gezwungen, die Kaiferlihen in Luxemburg angriff; 
Marihall Bender trieb die Eingebrungenen nad) Namur zurüd. Ban der Meerich 
madte fein Hehl daraus, daß er noch jchlimmere Wendung befürdte, daß er 
deshalb am Liebften ſehen würde, wenn feine Landsleute die günftigen Bedingungen 
Leopolds annähmen und zum Gehorfam unter den rechtmäßigen Landesherrn 
zurüdfehrten. „Greift zu,” foll er gejagt haben, „jett bietet man euch Gold; 
wer weiß, ob ihr jpäter noch Kupfer erhalten werdet!” Da die Armee ihrem 
Führer treuergeben war und ber vondiltifch gefinnte Herzog von Urfel über 
die Freiwilligen in Brüffel verfügte, wäre es anfänglich nicht Schwer gefallen, 
das oligarhifhe Regiment zu ftürzen,; allein Bond wollte, um ja nur ben 
Bürgerkrieg zu verhüten, von thatkräftigem oder gar gewaltſamem Einfchreiten 
nichts hören; er begnügte fich, dem Kongreß eine Adreſſe vorzulegen, worin in 
ehrerbietigfter Sprache um Eröffnung von Verhandlungen zur Ausarbeitung 
einer neuen Verfafjung erjucht war. Auch mittels einer Flugſchrift „Unparteiiſche 
Erwägungen über die gegenwärtige Lage von Brabant” juchte er jeinen Lande: 
leuten begreiflih zu machen, daß es zwiſchen oligarchiſcher Tyrannei und fran= 
zöſiſcher Volksherrſchaft noch ein befieres Drittes gebe: eine wirkliche Volks: 
vertretung neben ber gefeßmäßigen Regierung. 

Troß des vorfidhtigen Verhaltens des Führers der Volkspartei fam es 
aber infolge ber Gemwaltthätigfeiten van der Noots zu lärmenden Auftritten in 
Brüffel. Nun durdgogen Scharen von Freiwilligen die Stadt mit dem Ruf: „Reine 
jelbftherrlihen Staaten! Hoch das fouveräne Volk!“ Schon richteten fich die 
Bajonette der Freiwilligen gegen van der Noot und feine Anhänger, doch ber 
Herzog von Urfel gewährte den Bebrängten ritterliden Schuß; ja, der hoch— 
ablige Demofrat und der bürgerlihe Dligarh umarmten und füßten fi vor 
allem Volk. 

Von diefem BVerjöhnungsfeit, das ih am 8. März 1790 auf dem großen 
Marktplag zu Brüffel abjpielte, entwarf Chodowiedi eine Föftlihe Zeichnung; 
die buntfchedigen Satelliten der beiden Führer, Mönde und Edelleute, Fleiſcher 


Zurüderoberung der öfterreihifchen Nieberlanbe. 331 


und Haarfünftler, Matrofen und Schugbefohlene des heiligen Erispinus, find 
treffend cdharafterifiert. 

„In Brüfjel geht alles drunter und drüber,” läßt Robineau den Taujend- 
ſaſſa Leſueur nad Paris berichten, „es ift gar nicht abzufehen, wie ſich das 
Poſſenſpiel noch weiter abwideln wird; geftern haben die Demofraten geliegt, 
aber fie haben ihre Gegner nicht wirklich überwältigt; ſechs Kannen Blutes hätten 
genügt, um den belgiihen Provinzen eine andre Phyfiognomie zu geben: bie 
Führer des Volkes haben aber nicht gewagt, jo viel zu opfern, nun werben 
fie es vielleicht fhon in vierzehn Tagen felbft zu bereuen haben.”!) Da es 
den Leuten van der Noots flar geworden war, mie nahe am Abgrund fie ge: 
ftanden hatten, boten fie alle Kräfte auf, um die Oberhand zu gewinnen. Zu 
diefem Zwede wurde das Gerücht ausgeftreut, Vond ftede mit ben Deiterreihern 
unter einer Dede und trage fih mit dem Plane, Brüfjel den Kaiferliden in 
die Hände zu jpielen. An den Kirchenthoren angebeftete Aufrufe forderten 
Erhebung gegen die Feinde der Verfaffung und der Religion, und es gelang 
auch, das Proletariat für diefe Auffaffung zu gewinnen. Mit Hülfe beute- 
ſüchtiger Strolde und wild erregter Bauern führte van der Noot am 16. und 
17. März die Entfcheidung herbei. Es fam in der Hauptitabt zu den gröbften 
Ausihreitungen. Viele Häufer angefehener Progreiliitten wurden geplündert, 
Bond mußte entfliehen, auch dem Herzog von Urjel, der am 8. März den 
Minifter großmütig gerettet hatte, wurde, als er im Ständehaus gegen das 
Treiben der Myrmidonen van der Noots Einſpruch erhob, mit aller Deutlichkeit 
zu verftehen gegeben, er möge, wenn ihm jein Leben lieb jei, der Stadt den 
Rüden kehren. 

Im Lager van der Meeris rief die Kunde von biefen Gemwaltthaten 
heftige Erbitterung hervor. Viele Dffiziere fagten fih vom Kongreß förmlich 
los; aud die Truppen wären nicht abgeneigt geweſen, gegen Brüffel zu mar: 
ſchieren, um mit den „jechzig Tyrannen”“ aufzuräumen.?) Allein van der Meerſch 
ftimmte zwar den Beichlüffen der Üffiziere bei und ließ die Papiere eines Ab— 
gejandten des Kongreſſes in Beichlag nehmen, war aber zu offenem Vorgehen 
gegen bie Regierung nicht zu bewegen. Der Kongreß hatte zum Erjag für 
den verbädtigen van der Meerih auf Empfehlung der Prinzeffin von Dranien 
einen preußifhen Offizier, Baron Schönfeld, auserjehen; dem neuen Führer 
war ein mwohlfeiler Triumph verſchafft worden, indem ber beftochene Rommanbant 
von Antwerpen, Gaveau, an Schönfeld die Citadelle auslieferte und dieſes 
Ereignis wie ein wichtiger Sieg gefeiert wurde. Als jedoch Schönfeld gegen 
Namur anrüdte, erklärten die ihm untergebenen Truppen, fie würden gegen 
van der Meerſch nicht Fechten. Abermals ſchien den Vondiften der Sieg in 
die Hände geipielt zu fein, allein auch diesmal ging er ihnen dur Zaudern 
und Zögern verloren. Als van der Meerſch aufgefordert wurde, fein Berhalten 
vor dem Kongreß zu rechtfertigen, glaubte er fi fügen zu müflen. Kaum 
hatte er Namur verlaffen, gewann die NRegierungspartei die Oberhand, Bond 


!) Masques arrachees, II, 90. 
) Borgnet, ], 165. 


332 Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. 


und feine Anhänger fonnten ſich mit Mühe über die franzöfifhe Grenze retten, 
van der Meerſch wurde in Brüfjel verhaftet, und die Protefte gegen bas un: 
gejeglihe Gebaren der PBatrioten blieben unbeachtet. Auch in Gent, wo bie demo: 
fratiijhe Partei insbejondere infolge der Eiferſucht auf die bevorzugte Stellung 
Brüffels zahlreihen Anhang hatte, wurde ein Anſchlag gegen die Regierung 
mit Hülfe des Klerus unterdrüdt — der Kongreß hatte gefiegt, und van ber 
Noot trug nicht Bedenken, den glüdlihen Erfolg zur Unterbrüdung der Gegner 
auszubeuten. Alle Gefängnifje wurden mit Vondiften angefült, in Brüfjel mußten 
die „politiihen Verbrecher“ jogar in Klöftern untergebradt werben; die ein: 
beimijche Prefie wurde rückſichtslos gefnebelt, nur zügelloje Ausfälle gegen die 
„Derräter” waren geitattet, mißliebige auswärtige Blätter durften nicht ein- 
geführt werden; die eigenen PBarteigenofjen van der Noots geitanden, daß der 
„belgifhe Geßler”, Graf d'Alton, nicht fo willfürlich gefaltet habe. Vergebens 
fuchte der bejonnenere van Eupen dem Mißbrauch der Gewalt zu feuern; er 
fah ein, daf die Republif unvermeidlih Schiffbruch erleiden müſſe, wenn die 
Parteien fortfahren würden, in maßlofer Wut fich jelbit zu befehden, und juchte 
deshalb durch heimliche Verbindung mit angejehenen Vonckiſten eine Berföhnung 
anzubahnen. Doch die gejundere Nuffafiung der Lage vermochte bei ben ver: 
blendeten Parteigenofien nicht durchzudringen. „Wer ift der Verräter am Vater: 
land,“ jchrieb der Ami des Belges (23. Juni), „der den Bondiften Zuficherungen 
gemacht hat oder mit folcher Abjicht ſich trägt, man ergreife und richte ihn! 
Wir find Chriften, wir fennen nicht Feindſchaft und Nahe, aber wir wollen 
nicht Frieden und Verföhnung mit den Feinden Gottes und des Vaterlandes!” ') 
Auf ein Gerüht, daß die Vondiften den Kardinal Frankenberg ermorden 
wollten, zogen Taujende von Bauern bewaffnet unter Führung ihrer Pfarrer 
in die Hauptſtadt; Bildnifje van der Noots wurden als Feldzeichen mitgetragen, 
und in den Schenken, wo man fie untergebradht hatte, wurden vor ihnen, wie 
vor Heiligenbildern, Kerzen angezündet. Der Erjefuit Feller verfocht im Journal 
historique bie Aufftelung von Revolutionstribunalen zur Vollendung des Werkes, 
das der „rührende Enthufiasmus der Landleute” in Angriff genommen habe, 
und noch deutlicher verlangten der Ami des Belges und der Vrai Brabancon 
radikale Säuberung des Yandes von Dttern und Molchen. ?) 

Ein anihaulides Bild von den verworrenen Zuftänden Belgiens im 
Frühjahr 1790 wird in Georg Forfters klaſſiſcher Beichreibung der Reife 
nad Belgien, Holland, England und Frankreich entworfen.) Mag auch die 
Schilderung durh den Freiſinn des Verfaſſers über Gebühr zu Ungunſten 
des „Revolutionsipieles gemweihter Müßiggänger“ beeinflußt fein, jedenfalls 
hatte er damit recht, daß er die Brüffeler Berhältnifie Schon damals als un: 
haltbar anſah. Inmitten der reiheitstrunfenen durfte man freilich ſolche 
Bejorgnis nicht laut werden laſſen. „Man liefe Gefahr, gefteinigt zu werden, 


') Borgnet, I, 180. 

?) Dal. ©. 194, Anmerkung 1. 

+, ©. Forfter, Anfichten vom Niederrhein, von Brabant, Flandern ꝛc., herausg. von 
W. Buchner; Bibl. d. Deutihen Nationallitteratur, XIII, 128. 


Zurüderoberung der öfterreihifchen Niederlande. 333 


wenn man fich merken ließe, daß die freiheit noch in etwas anderm beftehen 
müfje, als van der Noots Bildnis im Knopfloch zu tragen, daß Religion etwas 
mehr jei, als das gedankenloſe Gemurmel der Rojenkranzbeter.” Vor bem 
Rathaus zu Brüffel, deſſen hoher Turm mit dem Standbild St. Michaels ge: 
frönt ift, wimmelte es zwar von Bemwaffneten, aber ihre Erjcheinung war nichts 
weniger als friegeriih; man glaubte eher auf einer Neboute als in einem 
Kriegslager ji zu befinden, !) Zumal vor den Kirchenthüren drängte fich zahl: 
reiches Volk, denn hier waren die Mandate des Kongrefjes angeichlagen, da: 
neben aber auch leidenjchaftlihe Aufforderungen, gegen die inneren Feinde des 
Baterlands mit Feuer und Schwert einzufchreiten. Denn „das gute, chriftlich- 
gelehrige Volk, das fih nah den Wünfchen der Diener der Kirche gebildet hat,” 
heißt es im Ami des Belges (9. Juni 1790), „toll gegen die faljche Philo: 
jophie des Jahrhunderts geichügt, vor Toleranz, Philofophismus, Janjenismus, 
Bondismus, lauter Brüdern und Schweitern, bewahrt bleiben“. 

Es gab bereits, verfichert Foriter, eine ftarfe royaliftiihe Partei, die 
auf die Anerbietungen König Leopolds gern eingegangen wäre. „Allein bie 
Maſſe des Volks hat von feinen Seelforgern gelernt, den Namen Yeopold mit 
Abſcheu zu nennen und mit demfelben, wie mit Joſephs Namen, den furdt: 
baren, bunfeln Begriff der Srrgläubigfeit zu verbinden. Dieje Schredbilder 
mögen hinreichend jein, um den Ständen den Gehorjam der Brabanter zu: 
zufichern; werden fie ihnen aber auch einft Kraft und Mut einflößen, Yeopolds 
Krieger zurüdzufhlagen? ... Die einzig gegründete Hoffnung der Etände 
von Brabant und der. übrigen Provinzen auf bie Erhaltung ihrer Unabhängigkeit 
liegt in der Eiferfucht der Mächte Europas gegen das Haus Oeſterreich.“?) 

Um jo peinliher mußte in Brüfjel die Nachricht von den Reichenbadher 
Unterhandlungen, von der Ausföhnung Preußens mit Defterreih überrajchen! 
Auh in England und Holland beitand nicht viel Geneigtheit, fih an einem 
belgiichen Freiſtaat einen gefährlichen Nebenbuhler in Handel und Gewerbe heran: 
zuziehen. Sogar im deutſchen Reich wurden Stimmen laut, die, um die gänzliche 
Ausſchließung Deutihlande vom Norbfeegeitade zu verhindern, die Wieder: 
vereinigung der Niederlande mit Defterreih als Reichsſache betrachtet wiſſen 
wollten; habe ja doch das beutiche Reich 1732 die pragmatifche Sanktion ge: 
währleiſtet!“) Mit einemmal verloren fih die Freunde, erhoben fih auf 
allen Seiten Widerfaher der jungen Republif. Daß das Berliner Kabinett 
die Liebelei mit den Brüſſeler Revolutionären nur als Mittel zu vorteilhafter 
Auseinanderjegung mit Defterreih betrachte, fonnte nicht mehr bezweifelt werden; 
in Berlin wie in London wurde denn aud den Hülfe Heiichenden offen erklärt, 
es gebe feinen andern Weg mehr, als Verföhnung mit Leopold. 

Nun wurde in Paris angepodt. Der franzöfifhen Regierung fam 
das Anfinnen nicht ungelegen; durch eine „große Diverfion” in Belgien 


) Forfter, 149. 

?) Ebenba, 205. 

) J. A. Sclettwein, Die Ungerechtigkeit der Trennung der Niederlande vom Haufe 
Defterreih (1790), 24. 


334 Zweites Bud. Zweiter Abfchnitt. 


wäre ja der Wiener Hof ein für allemal verhindert geweſen, fih in die 
franzöfifjhen Angelegenheiten einzumifchen. ) Oberft Dumouriez wurde aljo im 
uni 1790 nad Belgien abgeordnet, um ſich über die Widerftandsfähigfeit des 
Landes zu unterrichten und insgeheim die Uebertragung der Statthalterjchaft an 
den Herzog von Orleans, den man von Paris gern wegbeförbert hätte, zu be: 
treiben. Allein der Bertrauensmann ber franzöfiichen Regierung empfing von ben 
belgiſchen Zuftänden feinen günftigeren Eindrud, als Georg Foriter. Ban ber 
Noot — jo berichtete Dumouriez nah Paris — jei ein waghalfiger, Eopflojer 
Majanielo und van Eupen ein heuchleriſcher Schurke; beide jeien nur Werkzeuge 
ber Höfe des Dreibunds, über deren wahre Gefinnung das belgiſche Volt gröblich 
getäufcht werde. Der Armee fehle es nicht an Mut, aber an Waffen, Uniformen, 
Lebensmitteln, Munition, Geld, Offizieren und Kriegszucht. Ueberzeugt, daß aus 
diefem Chaos für Frankreich fein Vorteil erwachſen könne, verließ Dumouriez 
Brüffel, ließ jedoch für den Kongreß zwei Denkſchriften zurüd; die eine jollte die 
Bethörten belehren, daß fie von den fremden Mächten nur am Narrenjeil umber: 
gezogen würden, die andre ſollte nügliche Winfe für den Krieg mit dem übermädhtigen 
Defterreih geben. Nicht freundliher ala Dumouriez urteilte Desmoulins über 
die Entwidelung im Nachbarlande, defjen Erhebung er ehedem in ſchwungvoller 
Feftichrift begrüßt hatte. „Halten wir uns nicht länger auf mit bem chinejen- 
artigen Volke!” rief er in der Nationalverfammlung, „ver Verftand diefer Leute 
fteht fill, Fortjchritt ift ihnen etwas Unbekanntes, ihr Denten bleibt fi immer 
glei, wie ihr Bier, in diefem, wie im vorigen Jahre!” ?) 

Am 27. Juli wurde der Reichenbadher Vertrag unterzeihnet. In Bezug 
auf Belgien war barin feftgefegt, daß die brei verbündeten Mächte die Zurüd- 
eroberung Belgiens nicht hindern follten; dagegen ficherte Leopold den ort: 
beitand der alten Landesverfaflung und eine allgemeine Begnadigung zu; bie 
Gewährleiitung diejes Verſprechens jollte den drei vermittelnden Mächten zus 
ftehen. °) 

Als an der Ausföhnung Preußens mit Defterreih nicht mehr zu zweifeln 
war, richtete der Kongreß an König Friedrich Wilhelm eine Aufforderung, er 
möge endlich jein Gelöbnis, den Belgiern zum Sieg verhelfen zu wollen, einlöfen 
und fir ganz Europa ein Engel des Friedens werden. Doc auf die beweglichen 
Vorftellungen wurde fühl geantwortet. Es ſei durchaus falſch, erwiderte Herb: 
berg, die Sache jo darzuftellen, als ob Preußen die Belgier zur Revolution 
gereizt oder ermutigt hätte; der König von Preußen habe nur gegen Gewalt: 
thaten, wie fie Joſeph II. fich erlaubte, feinen Schuß in Ausſicht geſtellt; jest 
aber, da Joſephs Nachfolger auf dem Throne der Habsburger nicht in Unter: 
drüdung, jondern in Aufredhterhaltung der Verfaſſungen feine Regentenpflicht 
erblide, jei es an den Belgiern, den überflüffigen Widerftand aufzugeben und 
die eigenen Wünſche dem allgemeinen europäiichen Intereſſe unterzuorbnen. 


!) Das Leben des Generald Dumouriez, von ihm jelbft beichrieben, II, 100. 
?) Borgmnet, I, 212. 

’) Ban de Spiegel, 291. 

4) Ebenda, 303. 


Zurüderoberung der öfterreihiichen Niederlande. 335 


Auch im Haag machte van Eupen noch einen legten Verfuh, den Nachbar 
zur Hülfeleiftung zu bewegen. In einer Unterrebung mit dem Großpenfionarius 
van de Spiegel (11. Auguft) legte er dar, wie vorteilhaft es für die Mächte 
des Dreibunds wäre, wenn dem Haufe Defterreich, das jo oft die Ruhe Europas 
geftört und den Auffchwung friedliebender Nahbarftaaten gehemmt habe, die 
wichtigſte Finanzquelle verſchloſſen bleibe, jei doch für Defterreih in den Jahren 
1754—1787 aus ben belgiihen Provinzen eine Einnahme von 250 Millionen 
Gulden gefloffen! Wan de Spiegel lehnte aber die Vorichläge des Kongreſſes 
als undurdführbar ab; falls es zum Bruch zwifhen Preußen und Defterreich 
gefommen wäre, hätte fich vielleiht die Unabhängigkeit Belgiens behaupten 
lafien; angefichts der Reichenbacher Konvention aber jei Unterwerfung geboten; 
ben Freunden Belgiens bleibe nichts andres zu thun übrig, als möglichft günftige 
Bedingungen zu erwirken. „Wir wollen aber nicht um ſolche Gnade betteln!” 
rief van Eupen, „wir wollen nichts von Unterwerfung hören, wir werben allem, 
was da fommen mag, fühn die Stirn bieten! Wir fürdten niemand! Unſre 
Armee wird binnen wenigen Tagen 40000 Mann ſtark fein; mit joldhen Streit: 
fräften wird fih der UWebergang der Defterreiher über die Maas verhindern 
laffen, und wir find entſchloſſen, uns bis zum legten Blutstropfen zu wehren!” 
Umſonſt riet van de Spiegel, den legten günftigen Augenblid zu Unterhand— 
lungen mit dem Wiener Kabinett zu benügen. „Nein, feine Unterhandlung 
mit Wien!” war van Eupens lektes Wort, „wir wollen überhaupt mit nie- 
mand zu thun haben, der nicht Elipp und klar die Unabhängigkeit unfres 
Vaterlands anerkennt!“ ?) 

Wenn jo ftolzen Worten ftolze Thaten folgen jollten, war es höchfte Zeit, 
den Widerftand zu organifieren. Schon waren die für die Niederlande beftimmten 
öfterreihiihen Regimenter im Anmarſch begriffen, und ein Verſuch den Kongreh: 
truppen, das dem Haufe Deiterreich treugebliebene Limburg zu bejegen, war durch 
eine Niederlage bei Olne (3. Auguft) vereitelt worden. „Uns fann Gott allein noch 
beljen!” rief van Eupen im Kongreß, „nur auf Gottes Beiltand und eigene 
Kraft können wir uns ftügen!” Ein Aufruf ans Volk fuchte aber wieder die 
troftlofe Lage zu beihönigen, indem bie faljche Behauptung aufgeftellt war, 
auf dem Reichenbacher Kongreß jei in Bezug auf Belgien überhaupt fein end» 
gültiger Beſchluß gefaßt worden; nur für alle Fälle jei es geboten, das Heer 
in Achtung gebietenden Stand zu jegen, um Herb und Altar zu jchügen. „Wir 
wollen der Welt zeigen, daß es noch Belgier gibt, und daß wir nicht umſonſt 
unsre Hoffnung auf Gott den Herrn gejeßt haben. Wenn wir die Altäre 
Gottes verteidigen, wird er unfre Herde beſchirmen.“?) Zur Rettung des Vater: 
lands wurde allgemeine Bolfsbewaffnung angeordnet und eine Zwangsanleihe 
von zehn Millionen eröffnet. 

In den offiziellen Anjpraden wurbe immer wieder an Makkabäiſchen 
Opfermut und altrömifche Heldenthaten erinnert, doch aud) die ſchwungvollſten 
Worte vermochten nicht in weiteren Kreijen thatkräftigen Pflichteifer wachzurufen: 


) Ban be Spiegel, 313. 
?) Borgnet, 1, 204. 


336 Zweites Bud. Zweiter Abſchnitt. 


nur etwa 20—30000 Landleute folgten dem Aufgebot. Das Lager der neuen 
Kreuzfahrer bot ein wunderliches Schaufpiel. Die Pfarrer und PVifare, mit 
Säbeln umgürtet, marjchierten an der Spite ihrer Pfarrfinder,; bis an bie 
Zähne bewaffnete Mönde tummelten fih zu Pferde; ſogar einzelne Biſchöfe 
verjahen die Stellen von Heerführern. Die meiften LZagergenofjen waren mit 
Jagdflinten, viele nur mit Nerten und Knütteln bewaffnet; als gemeinfames 
Abzeihen trugen fie rote Aufihläge an den Röcken. Den Oberbefehl führte 
van der Noot, der ji, um fein Leben gegen Anjchläge der Verräter zu jhügen, 
mit einer Leibwache berittener Brüfjeler Bürger umgeben hatte. Gemeinfame 
Gebete und fromme Gefänge wecdjelten mit Waffenübungen. „So bereiteten 
ih,” jchrieb der Vrai Brabangon, „die Juden in ber glorreihen Zeit, da 
Viaffabäus, das Vorbild riftlicher Feldherrn, fie anführte, zu ihren Feldzügen 
vor: durch brünftiges Gebet und heiße Andacht. So wird das Lager der frei: 
willigen zu einem Lager ber Heiligen werben!” ... „Ehe ein Monat vorüber 
ift, werben die Defterreiher aus Luxemburg weggefegt fein!” Auch in deutſchen 
Zeitungen wurde von Brüfjeler Korrefpondenten der ftolzeften Zuverficht Aus- 
drud gegeben: „Geſättigt, jchliefen die Belgier, wie der Löwe, über ihrem 
Glüde ein; gereizt, jchütteln fie ihre Mähnen, ftehen zufammen von ganzem 
Herzen und rächen fih als Helden!” ?) 

Unzweifelhaft hätte van der Noot vor allem trachten follen, Zeit zu ges 
winnen, um die Nüftungen in ausgebehnterem Maße zu betreiben und die 
Neulinge im Waffendienit beſſer einzuüben, doch ihm erſchien es nütlicher, 
jo raſch wie möglich einen entjcheidenden Schlag zu führen; offenbar hoffte er, 
durch einen glüdlihen Erfolg auf die drei Mächte, deren Vertreter am 17. Sep- 
tember im Haag mit faiferlihen Bevollmächtigten zur Regelung der belgischen 
Frage zufammengetreten waren, einen Drud zu Gunften Belgiens auszuüben. 
Auf van der Noots Geheiß wurde an verfchiedenen Punkten die Maas über: 
Ihritten, aber die Belgier wurden überall, wo fie mit faiferlihen Truppen 
zufammenftießen, geſchlagen und zurüdgebrängt (22.—24. September). „Die 
Brabanter,” jpottete Schubart in der Vaterländijchen Chronif, „find lauter 
Merkuren geworben, an Kopf und Fuß geflügelt!” ?) 
| Unter dem Eindrud der Niederlage wuchs der Parteihader nur um jo 
leidenfchaftliher empor. Wenn die Bemannung eines Schiffes fich gegen ihre 
Führer aufgelehnt und den Kapitän und den Steuermann verjagt hat, jo müſſen 
auf die Kommanbobrüde und ans Steuerruder fofort wieder feefundige Männer 
geftelt werden, denen alle unbedingten Gehorfam ſchulden. Wenn aber die 
Aufftändiichen jelbit fih in Parteien jpalten und das Ded der Schauplaß leiden: 
Ihaftliher Kämpfe bleibt, jo wird das Fahrzeug an der nächſten Klippe ſcheitern. 
Diefem Schidjal mußte auch Belgien verfallen, da ſich der ganze nationale 
Aufſchwung in Parteiung und Selbſtſucht aufgelöft hatte. Die meilten Edel: 
leute wären am liebften jofort unter das alte Regiment zurüdgefehrt; die 
Aremberg, Urfel und andre vornehme Familien gaben ſich faum noch Mühe, 


) Mündner Zeitung, Jahrg. 1790, 686. 
?) Baterl. Chronik, Jahrg. 1790, 554. 


Zurüderoberung der öfterreichifhen Niederlande. 337 


ihre Hinneigung zu Defterreich zu verbergen. Auch in den wohlhabenden bürger: 
lihen Kreifen herrichte diefe Gefinnung vor, denn unter dem Gewaltregiment 
der Stände und infolge der Anftrengungen, welche die Selbfterhaltung erheifchte, 
hatten Handel und Gewerbe, Kunft und Wiſſenſchaft ſchwer zu leiden. Auch 
im Lager der Freiwilligen war der Kriegseifer gedämpft; die Führer hatten Mühe, 
die Mannſchaft beifammen zu halten; war doch den einberufenen Bauern und 
Handwerkern verjichert worden, der Feldzug werde in wenigen Wochen zu Ende fein! 

Endlich ordnete auch der Kongreß einen Gejandten nah dem Haag ab, 
jedoch niht um Unterwerfung anzubieten, ſondern nur um durch Schein: 
verhandlungen Zeit zu gewinnen, denn no immer beraujchten fich die kriegs— 
luftigen Führer an der Hoffnung, dur Aufgebot der ganzen Bevölkerung einen 
glüdlihen Umſchwung zu ermögliden. Durch die Brandreden und faljchen 
Vorſpiegelungen der Führer fanatifiert, wollte die Menge in ihrer revolutionären 
Ueberreiztheit alle von Vernunft gezogenen Schranken überjpringen. Keine 
Verftändigung mit Leopold, dem Feind des Glaubens und der Kirche! Keine 
Verftändigung mit den Lauen und Lahmen, die mit PVernunftgründen den 
Verrat am Vaterland bemänteln wollen! Ein Pamphlet „Die Brüffeler Frei- 
willigen und ber jouveräne Kongreß“ enthielt die leicht verftändliche Auf: 
forderung: „Damit genug für heute, aber morgen müfjen wir alle Verräter, 
die es im Kongreß und bei andern Behörden gibt, aufjuden: es müjlen 
Erempel ftatuiert werden!” Wirklich drangen einmal ein paar Dußend Freis 
willige in die Verfammlung der Stände von Brabant ein und verlangten, 
es jollte zum Gefeß erhoben werden, daß jeder, der fih auf Zugeltändnifje an 
Leopold einlaffe, gehängt werde. Die ungebetenen Gäfte traten in brutaliter 
Weife auf, einer ſchlug mit der Fauft jo derb auf den Tiſch, daß alle Schreib: 
zeuge überflojien. Das Straßenvolf in Waffen war jetzt Brüſſels Gebieter, 
die Regierung völlig abhängig vom Defpotismus der von Elend, Begeifterung, 
Furcht und Beutegier vorwärts getriebenen Maſſen. Van der Noot aber ſchien 
fih der Zuverficht hinzugeben, er brauche nur, wie Mojes, während des bevor: 
ftehenden Kampfes die Hände gen Himmel zu heben, jo werde der Sieg ber 
Republik gefichert fein. 

Am 14, Oktober richtete Leopold von Frankfurt aus, wo er furz vorher 
die Kaiferfrone empfangen hatte, einen in ruhigem, aber feſtem Tone gehaltenen 
Aufruf an die Belgier. Darin war das Verjprechen wiederholt, daß die Ver: 
faffungen aller Provinzen auf dem Standpunkte, den fie zur Zeit Maria 
Therejias eingenommen hatten, belafjen bleiben joltten; nur ſolche Veränderungen, 
welche das öffentliche Wohl erheiiche, follten auf Fonftitutionelem Wege, d. i. im 
Einverftändnis mit den Vertretern der Provinzen getroffen werden. Zugleich wurde 
eine Amneftie bewilligt, von welcher nur diejenigen ausgenommen fein follten, 
die etwa verhindern würden, daß das Gnadenwort des Kaijers zu allgemeiner 
Kenntnis gelange. Bis zum 11. November wurde zu freiwilliger Unterwerfung 
Frift gegeben; nad) Ablauf diejes Termins werde die Ffaiferlihe Armee ein- 
marjchieren und die Amneftie außer Kraft treten. ') 


) Ban de Spiegel, 325. 
Heigel, Deutfche Gedichte vom Tode Friedrichs d. Br, bie zur Auflöſung des deuiſchen Neicht. 22 


| 338 Zweites Bud. Zweiter Abſchnitt. 


Dieje faiferlihe Afte wurde am 31. Dftober im Haag von ben Vertretern 
der Vermittlungsmäcdte, Lord Audland, Graf Keller und van de Spiegel, ben 
belgiichen Bevollmächtigten übergeben, mit der Erklärung, daß zwiichen den drei 
Mächten und Kaijer Leopold vollfommene Uebereinftimmung beftehe; daran ward 
die Mahnung geknüpft, die Belgier ſollten fich raſch unterwerfen, widrigenfalls fie 
ebenjo des Wohlwollens der drei Mächte, wie der faiferlihen Gnade verluftig 
gehen würden. 

Im Manifeit vom 14. Oftober waren mande Zugeſtändniſſe, die ber 
Kaifer am 2. März dur jeine Schweiter Marie Ehriftine in Ausficht geftellt 
hatte, nicht mehr enthalten, 3. B. daß die unter ber früheren Regierung an: 
geftellten Beamten nicht mehr in Wirkſamkeit treten jollten, daß zu Statt: 
baltern nur Mitglieder des einheimischen Adels oder Erzherzoge zu berufen 
feien, die Minifter und der Oberlommandant dem Statthalter untergeordnet jein 
follten u. ſ. w. !) 

Auch ohne ſolche einichränfende Beitimmungen wäre das Ultimatum in 
Brüffel nur mit Wutgejchrei aufgenommen worden. Die Menge gefiel fih in 
läppiichen Kundgebungen. Das kaiſerliche Schriftftüd wurde unter großem 
Spektakel auf dem Marktplag verbrannt. Eine „Antwort des jouveränen Volkes 
von Brabant”, ein unfäglih albernes Machwerf, wurde in Umlauf gejekt; 
darin Heißt es u. a.: „Da Uns berichtet worden ift, daß die angekündigte 
Schrift, die nur eitles Wortgepränge und hohle Beriprehungen enthält, 
wirflih in Unjerem Lande verbreitet it, jo thun Wir zu willen, daß Wir 
Uns nad} reifliher Ueberlegung und fraft Unfrer fouveränen Macht entichlojjen 
haben, jene Kundgebung des Dejpotismus zu verurteilen, daß fie bei Tages: 
anbruh auf dem großen Marfte Unjrer Hauptftadt zu Füßen des Freiheits— 
hutes in Stüde zerriffen und dann verbrannt werden fol. Wir erlauben, daß 
diefes Unjer Dekret gedrudt und an der Stange des befagten Freiheitshutes, 
und wo es ſonſt nötig erfcheint, angeheftet werde. So geichehen und bejchlofien 
zu Brüfjel, Unfrer Hauptitadt, am 6. November 1790, im zweiten Jahre Unfrer 
Regierung. Das jouveräne Volk von Brabant.“ ?) 

Veberhaupt läßt ſich aus der durh das Kaiferwort bervorgerufenen 
Pampbletlitteratur am beutlichiten erjehen, welchen Grad von FFieberhige bie 
Aufregung in den „patriotiihen” Kreifen erreicht hatte. Schon im Frühjahr 
hatte fih orfter über die Maffenproduktion auf diefem Gebiet gewundert und 
geärgert. „Plumpheit im Ausdruck, der gemwöhnlih bis zu Schimpfwörtern 
binunterfteigt, ein fchiefer oder vollends eingejchräntter Blick, ein mattes, ober: 
flächliches, einjeitiges, abgenußgtes Raifonnement, und auf der ariltofratifchen 
Seite noch zu diefem allem ein blinder Fanatismus, der feine Blöße ſchamlos 
zur Schau trägt: das ijt die gemeinjchaftlihe Bezeihnung aller niederländifchen 


') Parallele entre les conditions proposees aux Etats Belgiques par la declaration 
de l’archiduchesse gouvernante en date du 2 mars 1790 et celles, qui sont contenues 
dans le manifeste de l’Empereur en date de Francefort du 14 octobre 1790 (par un des 
ministres), 1790. 

) Borgnet, I, 219. 


Zurüderoberung der öfterreihiihen Niederlande. 339 


Hefte des Tages.) In der Schrift „Das ganze belgiſche Wolf” wird das 
Manifeit ein „Werk des Hafjes und der Schurferei” genannt, Leopold „ein noch 
gottloferer Ränkeſchmied, als Joſeph IL” „Er wirbt überall Näuber und 
Banditen, um fie gegen uns ins Feld zu ſchicken; er verläßt fich darauf, daß 
es in unfrer Armee immer noch einige Verräter gibt, ſogar Offiziere von Rang, 
die fi nicht fchämen, zum Ausgleih zu raten. Dod er ftübe fich nicht auf 
jo ſchwachen Beiftand, denn wir find feit entichloffen, uns um jeden Preis jener 
Schurken zu entledigen, fie, ſowie alle andren Royaliften zu verjagen oder ſogar 
aufzuhängen, wenn fie nicht offen ihren Verrat abſchwören und ihrer Gottlofigfeit, 
ihren Läfterungen und Seßereien entjagen.”?) Eine andere Flugſchriſt nennt 
den Kaiſer „gierig, wie ein Wolf, graufam, wie ein Tiger”; „er hofft wohl 
inmitten des allgemeinen Blutbads und Unbeils eine unrehtmäßige, immerdar 
verabjcheute und verfluchte Autorität aufrichten zu fönnen, allein er wird, ba 
das Maß feiner Sünden voll ift, endlich für feine Gottlofigkeit, für feine Ver: 
achtung der Menichenrechte und bes göftlihen Gerichts den verdienten Lohn 
erhalten.” ?) 

Andrerjeits wird in zahlreihen Flugihriften der Nüdfehr unter den 
alten Zandesherrn das Wort geredet und Leopolds Herrichertugenden warmes 
Lob geipendet. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung wäre ja bereit gewejen, 
fih von der Revolution loszufagen. Namentlih in Brabant fehnten fich viele 
wieder nad den Glanze eines Hofes;*) viele wollten jich nicht länger ver: 
hehlen, daß der Parteihader unvermeiblih die Kraft des Landes aufzehren 
werde, daß nur ein ftarfer Regent die notwendige Ruhe zurüdbringen Fönne. °) 
Das „belgifhe Martyrologium aus dem eifernen Jahre 1790“ zieht einen Ber: 
gleich zwiichen dem Kultus der Niederländer mit van der Noot und dem Tier: 
bienft ber Wegypter, die audh nur aus Furcht und Schreden dem Krokodil 
göttlihe Ehre erwiejen.‘) Ein Flugblatt „Die rebelliihen Engel der Nieder: 
lande“ zeigt, wie der Noler triumphierend auf dem Throne fich niederläßt, 
während der Anhang van der Noots in toller Haft den Berg hinabflüchtet. 

Den republifaniihen Waften gereichte zum Nachteil, daß General Schön: 
feld, der jeit dem Sturze van der Meerſchs den Oberbefehl führte, als geborner 
Preuße jeit dem Abſchluß der Neichenbaher Konvention mit argwöhniſchen 
Augen betradhtet wurde; Dumouriez bezichtigt ihn fogar, doch ficherlihd mit 
Unredt, des DBerrates.”) Obwohl Schönfeld auf die Unzulänglichkeit feiner 


'! Gg. Forſter, I, 184. 

2) Le peuple Belgique entier (1790). 

9) Avis et sentiments d’un homme qui ne prötend s’attribuer que le sens commun 
pour juger de la conduite de Pierre Leopold ete, (1790). 

* Sg. Forſter, I, 220. 

) Diefe Tendenz verfolgen: Les quatre-temps d'un honnete Belge, qui pendant la 
revolution ne fut ni royaliste, ni patriote, ni statiste, ni Vonckiste, ni aristocrate, ni 
democrate (1790); Mon hommage ü Leopold II ou idees philosophiques sur la necessite 
de delivrer la Belgique des moines, qui l'inondent et la detruissent (1791); Le desespoir 
des democrates Brabangons (1791) etc. 

*) Le Martyrologe Belgique l’an de fer 1790, 64. 

) Das Leben des Generald Dumouriez, von ihm felbft geichrieben, II, 108. 


340 Zweites Bud. Zweiter Abfchnitt. 


Streitkräfte hinwies, beichloß der Kongreß, am Widerftand feitzuhalten, allein 
eine Bitte um Verlängerung des Waffenftillitandes wurde im Haag abgelehnt. 
„Keine Stunde Aufſchub!“ ermwiderte Graf Mercy: Argenteau, der Vertreter 
Deiterreidys im Haager Kongreß. 

Um nicht allein die ganze Verantwortung zu tragen, verjtärkte fich der 
Kongreß durch Mitglieder der Provinzial:Zandtage. Am 13. November eröffnete 
van Eupen die Verhandlungen mit feuriger Rede. Groß jei die Gefahr, aber 
von Verrätern werde fie übertrieben; die Hoffnung auf Hülfe brauche nicht auf: 
gegeben zu werden; eine ftattlihe Schar Baftilleftürmer ziehe den bedrängten 
Brüdern zu Hülfe; die Nachricht vom Anmarſch überlegener kaiſerlicher Heeres: 
abteilungen jei ein Märchen. Ebenjo die Erhaltung der Religion, wie die Sorge 
ums Vaterland lege die Piliht auf, im Kampf gegen Leopold auszuharren. 
Ale Anweſenden jollten, die Hand aufs Kruzifir legend, Treue geloben bis zu 
Sieg oder Ilntergang. 

Allein van Eupens Anträge fanden bei der Mehrheit der Verfammlung 
nur froftige Aufnahme. „Heute wendet ihr euch an den britten Stand!” rief 
der Bürger Haut von Namur, „ihr betrachtet ihn als Vertreter des Volkes, ihr 
zieht ihn zu Nate, ihr wollt euch aus ihm für die Verhandlungen mit den drei 
Miniftern einen Panzer machen! Aber glaubt ihr denn, daß ihnen die Schwäche 
diefes Panzers entgehen wird? Willen fie denn nicht, daß ihr allein die 
öffentlihen Angelegenheiten und Intereſſen durch Aufitelung von Theorien, 
deren Schwäche euch jegt ſelbſt einleuchtet, beherricht habt? Thut jekt alles, 
was ihr wollt, ihr werdet euch euren Feinden gegenüber nicht mehr der Ver: 
antwortung entichlagen können, fie laftet auf eurem Haupte! Es ift eure That: 
tragt jet auch die Folgen!” ') 

In zwölfter Stunde, am Abend des lekten Tages vor Ablauf der Waffen: 
ruhe (21. November) faßte der Kongreß den Beihluß, den dritten Sohn des 
KRaijers, Erzherzog Karl, zum Großherzog von Belgien zu erheben; dadurch ſollte 
der Kaijer verjöhnt und, wenn nicht die Nepublit, doch die nationale Selb: 
ftändigfeit gerettet werden. Unter den gegebenen Verhältniffen war aber dieje 
Mahl nur eine Poſſe. Die Boten, welde dem kaiſerlichen Feldmarſchall 
Bender melden follten, weldes Heil dem Haufe des Kaiſers widerfahren jei, 
wurden gar nicht vorgelaflen. Unmittelbar nah Ablauf des Waffenftillftandes 
rüdten die Kaiferlihen über die Maas. Schon am nächſten Tage ergab fid 
Namur; die Sieger wurden wie Befreier in der feſtlich geihmüdten Stabt 
empfangen. Als dem unfähigen Schönfeld der Oberbefehl abgenommen mwurbe, 
lief der größte Teil der Kongreßtruppen auseinander. Auch der neue Kommandant, 
General Köhler, fonnte Brüffel nicht deden; die Bürger ſelbſt dachten gar nicht 
mehr an Verteidigung. Van der Noot, van Eupen und andre Führer des 
Aufftands entzogen ſich durch Flucht der Nahe des betrogenen Volkes; auf Ein: 
ladung des Landtags hielt Marihal Bender am 2, Dezember feitlihen Einzug 
in der Hauptftabt Brabants. Nachdem fih in Gent das legte Häuflein be- 


') Th. Juste, Hist. du rögne de l’empereur Joseph II et de la revolution belge de 
1790, III, 28. 


Zurüderoberung der öfterreihiichen Niederlande. 341 


waffneter Freiihärler aufgelöft hatte, ergab ſich auch die Hauptitadt Flanderns, 
nirgends ftießen die Kaiferlihen auf erniten Widerftand, faſt ohne Blutvergießen 
wurde das ganze Land bejegt. 

Gerade während der preufiihe Kammerherr von Ned, der die Glüd: 
wünſche jeines Königs zur Kaiferfrönung nad) Wien zu überbringen hatte, bei Fürft 
Kaunig zu Tiſche ſaß, traf die Meldung des Grafen Palffy ein, daß der belgifche 
Aufitand als beendigt angejehen werden könne; Palffy felbit habe, während 
Marſchall Bender noch einige Meilen entfernt war, mit etwa 15 Hufaren von 
Brüffel Befit genommen. „Das ift ein Beweis,” rief Kaunig, „da nur die 
Kanaille widerftrebt hat, und daß in den befjeren Ständen der Nation niemand 
im Widerſtand beharren will!” Gleichzeitig ſandte der Kaijer ein Billet, worin 
der Freude Ausdrud gegeben war, daß die Unterwerfung fih ohne Blut: 
vergießen vollzogen habe. Auch über die Nachricht, daß van der Noot durchs 
Fenſter entfommen jei, war Zeopold hoch erfreut. „Gott ſei gedankt, daß er 
gerettet ift, daß ich alſo nicht vor die harte Notwendigkeit geftellt bin, ihn feiner 
Schuld entjprechend zu Strafen!” !) 

Am 12. Dezember ftimmte Kardinal Frankenberg im Münfter St. Gudula 
das Tedeum an, — ein harafteriftiiches Gegenftüd zu jenem feierlihen Empfang 
van der Noots nach Vertreibung der Defterreiher! ?) 

Die belgifhe Revolution war von Leopold befiegt, doch blieb fie Siegerin 
über Joſeph II. Leopold jelbit willigte ein, daß durch den Haager Schluß: 
vertrag vom 10. Dezember fait alle Joſephiniſchen Neuerungen umgeitoßen 
wurben. Nach der von Graf Mercy und den Gelandten des Dreibunds unter: 
zeihneten Konvention jollten ale Verfafjungen, Privilegien und Gebräude der 
Niederländer, wie fie von Karl VI. und Maria Therefia anerkannt worden 
waren, wieder aufleben. Desgleihen wurden alle Verordnungen Joſephs in 
Bezug auf Klöfter, Seminarien, Prozeffionen ꝛc. aufgehoben, alle geiftlichen 
Angelegenheiten unter unmittelbare Leitung der Biſchöfe geftellt, die Klöſter 
wenigſtens teilweije ihrer Beftimmung zurüdgegeben, die Privilegien der Uni: 
verfität Löwen wieder in Kraft gejegt. Außerdem gelobte der Kaifer, nur mit 
Zuftimmung der Stände Abgaben zu erheben, von Einführung der Konjkription 
Abftand zu nehmen und niemals Truppen gegen Bürger aufzubieten, es fei 
denn zur Durdführung von Beichlüffen der einheimifhen Gerichte und 
Obrigfeiten. 

Unter diefen Bedingungen verbürgten Preußen, England und Holland dem 
Kaiſer „auf ewige Zeiten” den Befig ber belgiihen Provinzen.) Schon von 
Beitgenofjen wurde es befremdlich gefunden, daß gerade drei protejtantijche 
Mächte dem Fatholifhen Kaifer die Verpflihtung auferlegten, die Reform des 


!) Preuß. St.:Arhiv. Acta, betreffend die Schidung bes Kammerherrn von Red nad 
Wien 1790. 

2) Juste, III, 91. In Theiners Biographie des Kardinald Frankenberg wird die Feier 
in St. Gubula nit erwähnt. Die Behauptung, bie Belgier hätten fih nur deshalb dem Kaiſer 
unterworfen, weil die Franzofen „nach diefen fchönen Provinzen geizten” (5.219), ift natürlich 
nicht aufrecht zu halten. 

®) Hertzberg, Recueil etc., III, 234. 


342 Zweites Bud. Zweiter Abſchnitt. 


Kirchenweſens, die Joſeph II. mit Anlehnung an die Tendenzen der Reformation 
durchgeführt hatte, zu vernichten. Die Unterwerfung des von ſo unfähigen Köpfen 
geleiteten Belgiens wäre auch ohne Zuſtimmung der drei Mächte nicht allzu 
ſchwer gefallen; wenn ſich Leopold trotzdem zu ſo weitreichenden Zugeſtändniſſen 
herbeiließ, ſo geſchah es wohl mit dem Vorbehalt, eine günſtigere Gelegenheit 
zur Wiedererlangung unbeſchränkten Einfluſſes abzuwarten. 

„Dem Grafen Mercy,“ ſchrieb Leopold an ſeine Schweſter Marie Chriſtine, 
„haben wir die Erhaltung der Niederlande zu verdanken! Ihr Sekretär tanzt 
in meinem Zimmer vor Freude!” !) Mercy wurde denn aud dazu auserfehen, 
bis zu völliger Beruhigung des Landes an Stelle des Statthalterpaares die 
Verwaltung zu übernehmen, ?) — eine Aufgabe, die Erzbiſchof Pradt mit Rüdficht 
auf den no immer die Gemüter verwirrenden Parteigeift mit dem Auftrag 
verglich, eine Schadhtel mit Flöhen offen zu halten, ohne daß einer der be— 
henden Inſaſſen heraushüpfe. 

Den Ausgang der belgiſchen Revolution verſpottet Weckherlin in folgender 
Fabel. Die Schafe in Elis empörten ſich wider ihren Gebieter. Zuerſt wurde 
Pan abgeſchickt, damit er den Rebellen auf der Flöte ſüße Weiſen vorpfeife und 
ſie dadurch zur Ruhe bringe. Als dies nicht half, ſollte Aeskulap ſeine Kunſt 
verſuchen, doch auch die Mittel des Arztes ſchlugen fehl. Da ergrimmte Jupiter; er 
ſchüttelte die Locken ſeines Hauptes, und die ganze Herde ſtob auseinander. Ein 
paar Wölfe im Schafspelz, die den Aufruhr angefacht hatten, entkamen. „Und 
jo ungeitraft läfjeit du fie entrinnen?” fragte der Nat der Götter. Doch Zeus 
antwortete: „Würde mir ihre Haut den Schaden erjegen?” ?) — 

Durch flug bemeffene Zurüdhaltung brachte Yeopold auch die gefährliche 
Bewegung in Ungarn zum Stillitand. Nachdem einmal durch die garmaniſato— 
riſche Politik Joſephs II. das Nationalgefühl der adelihen wie der bürgerlichen 
Kreife wachgerufen war, hatte das Edikt vom 28. Januar 1790, das die Ver: 
orbnungen Joſephs für Ungarn zurüdnahın, die Aufregung nicht mehr zu be: 
ſchwichtigen vermocht. Die gerade in Ungarn übermäcdtigen Privilegierten 
hatten von ben been der franzöfiichen Revolution fo viel aufgenommen, als 
mit dem Fortbeitand ihrer alten Vorrechte und Anſprüche vereinbar war; unter 
‚Freiheit verftanden fie die Unantaftbarfeit ihrer jozialen Stellung, unter Nation 
den Ring von einigen Hunderttaujend Edelleuten und dem damit eng ver: 
bündeten Klerus. Nur diefen Bevorzugten war Möglichkeit gegeben, öffentlich 
die Stimmen zu erheben, und die Sprade, die fie fih im März 1790 in den 
Verjammlungen der Geſpannſchaften gegen den Nachfolger des „deutichen 
Königs mit dem Hut” erlaubten, war verwegen genug.*) Von der Preßburger 
Geſpannſchaft wurde eine Erklärung abgegeben, die ungariihe Nation habe bie 
Erbfolge des weiblichen Zweiges der Habsburger nur unter ber Bebingung zus 


1) Molf, II, 204. 

?) Juste, Le comte de Mercy-Argenteau, 82. 

) Wedherlin, Paragraphen, I, 241. 

) Horvath, Gefchichte der Ungarn, Il, 616. — Fehler, Gefhichte von Ungarn (2. Aufs 
lage), V, 589. 


MWiederherftellung der Ruhe in den Erblanden. 343 


Pflihten nachkomme; der Vertrag zwiſchen Dynaftie und Volk verliere alfo feine 
Rechtskraft, jobald jene Zufage nicht erfüllt werde; einer jelbitherrlich fich ge: 
barenden Regierung jei die Nation feinen Gehorfam ſchuldig. Daran fnüpften 
ih die übertriebenften Forderungen; vor allem wurde ftürmifch die Aufhebung 
des von Maria Therefia eingeführten Urbarialſyſtems verlangt. 

Die Antwort LZeopoldos im Manifeft vom 14. Mär; war mild und ver: 
ſöhnlich, doch befriedigte fie die Ungarn nicht, weil fie nicht jo weitreichende 
konſtitutionelle Zufiherungen enthielt, wie der Aufruf an die Niederländer. Man 
babe feinen Augen nicht getraut, erwiderte der Peiter Komitat, als man aus 
dem Manifeit die traurige Gewißheit eriah, dab die Negierung für ihre Ver: 
fafjungstreue feine genügende Bürgichaft leiſten wolle. 

Gewiß würden fi die Herren ſolche Sprade nicht erlaubt haben, wenn 
ihnen nicht Ausfiht auf preußiſche Hülfe eröffnet gewejen wäre. Auch von 
Rom wurde gegen den antikurialiftiihen Schüler Scipione Niccis Propaganda 
gemadt. In einem merkwürdigen Briefe an jeine Schweiter gibt Leopold jelbft 
diefer Auffafiung Ausdrud; die Worte geben auch dafür Zeugnis, daß von 
einer „Belehrung“ Leopolds nicht zu ſprechen ift, dab er nur, weil es ihm als 
Gebot der Staatsklugheit erichien, öffentlih von den Joſephiniſchen Grundfägen 
fih losjagte. „Was Rom betrifft,” jchrieb er am 17. Juni an Marie Chriftine, 
„io wüßte ih nicht, weshalb ich es jchonen jollte, nachdem dieſer Hof gegen 
mich und meine Familie ganz offen und jchamlos den Aufruhr gepredigt hat; 
er leugnet dies nicht einmal, er thut noch alles, um die Ungarn aufzumwiegeln, 
jo daß jogar auf dem Reichstag in Buda angeregt worden ijt, dem Papit eine 
Ergebenheitsadrejje zu jenden; er treibt es ebenjo in Galizien, in der Lom— 
bardei, in Tosfana; obgleih ih in allen firdlichen Fragen nachgegeben babe, 
wird von Rom das Volk gegen die Regierung aufgehetzt. Ich ſpreche gar nicht 
von den Niederlanden und von Deutichland, bejonders von Münden, dies ift 
ja ohnehin befannt. Ebenſo het er Polen gegen uns, hegt durch Luccheſini 
und den Grafen Guiccioli, der von Rom eigens nad Berlin gejandt worden ift, 
um an biefem Hof gegen uns Stimmung zu maden, den Frieden zu erichweren 
und den Wahltag in Frankfurt zu jtören. Ich jchone die Mönde, jo viel ich 
vermag, aber ich kann weder offen zeigen, daß ich jie achte, noch ihnen die ganze 
Autorität, die fie befaßen, zurüderftatten; ohnebies achten fie weder Zaum noch 
Grenzen. Glauben Sie mir, ich thue alles, was ich kann, doch bei der gegen: 
wärtigen äußeren und inneren Lage, mit meinen Leuten und bei ber jegigen 
Stimmung läßt fi Gutes weder vollbringen, noch für die Zukunft voraus: 
jehen, und Sie werden fid in furzem überzeugen, was für ſchöne Dinge der 
ungarifhe Reichstag bringen wird!” !) 

Am 6. Juni wurde der Reichstag eröffnet, zum erftenmal feit 230 Jahren 
wieder in der Landeshauptſtadt Dfen. Die Aufregung in ftändiichen Kreifen 
war noch immer im Wachſen begriffen; die Mehrheit war entichlojjen, ſich ein 
für allemal gegen Angriffe auf ihre feudale Verfaſſung zu fihern. Durch 
ein Inauguraldiplom, gewillermaßen ein Gegenftüd zur Wahllapitulation der 


) Wolf, II, 161. 


344 Zweited Buch. Zweiter Abſchnitt. 


römifhen Könige, jollte der Wiederkehr eines Regierungsiyftems, wie es Staifer 
Joſeph zur Geltung zu bringen verfuht hatte, für alle Zeit ein Riegel vor: 
geihoben werden. Leopold ließ fi aber auch durch beleidigende Angriffe nicht 
aus jeiner abwartenden Haltung aufftören. Erſt nachdem der Vertrag von 
Reichenbach die Gefahr einer preußiſchen Offenfive befeitigt und ein Sieg Cler: 
faits bei Kalafat (26. Juni 1790) die Kriegsluft des Diman gedämpft hatte, 
wurde die Sprade der Regierung gegenüber den Ständen entichlofjener und 
deutlicher. Am 20, Juli erging an den Oberftlandesrichter ein Erlaß, der den 
allzu üppigen Hoffnungen der Stände ein Ziel ſetzte. Die Geduld des Königs, 
war darin erklärt, jei endlich erſchöpft, denn es ſei nur allzu Elar geworden, daß 
viele Ungarn, ja jogar ungariſche Behörden nicht in gleihem Maße, wie der 
König ſelbſt, von Ehrfurdt vor dem Geſetz erfüllt ſeien. Ein neues Inaugural— 
biplom werde fih der König niemals aufdrängen laflen; wie es unter Maria 
Therefia gehalten worden jei, jo joll es aud ferner jenfeits der Leitha ver: 
bleiben. Wenn nochmals Neußerungen fielen, wie 3. B., die legitime Thron: 
folge in Ungarn jei durch die Negierung des nichtgefrönten Joſeph als unter: 
broden anzujehen, jol gegen ſolchen Hochverrat fireng eingejchritten werden. 
Inzwiſchen war aud im Bürgerjtand teild durch den Einfluß der franzö- 
fiihen Revolution, teils infolge der ſelbſtſüchtigen Politik der Privilegierten eine 
lebhafte Bewegung in Fluß gefommen. Sogar aus reaftionären Wiener Kreifen 
erging die Mahnung, der dritte Stand in Ungarn möge fi) doch endlidy der 
groben Willfür des Adels, der in Bürgern und Bauern nur geborene Anechte 
erblide, fräftiger erwehren. Die ſchon erwähnte Fluafchrift „Babel”,') als 
deren Verfaſſer fi der Herausgeber der „Wiener Zeitjchrift”, Alois Hoffmann, 
befannt hat,“) zog zwiſchen dem Ofener Reichstag und der Pariſer National: 
verſammlung eine Parallele, die freilich bald dem Fluch der Lächerlichkeit an— 
heimfallen jollte. Im Pariſer Parlament herriche ohne Störung und Trübung 
bolde Eintradt, während in Ofen, wo nur Mißgunſt, Neid und Eiferjucht zu 
Worte kämen, eine Verwirrung eingerifjen jei, wie bei dem Turmbau zu Babel. 
Dort ftreite der Bürgerftand mannhaft gegen tyranniſchen Ariftofratismus; bier 
laſſe fih ein Volk von fieben Millionen durch 70000 Edelleute am Gängel: 
bande führen. Dort habe der Drang nad} Freiheit zur Zerftörung ber Baitille 
geführt; bier werde von den Ariftofraten durch das geplante Jnauguraldiplom 
eine neue Zwingburg zur Knechtung des Yandes aufgerichtet. Dort ziele alles 
Thun und Tradten auf Gleichheit aller Bürger; bier ſollen durch das neue, 
„mehr als hunnifche” Grundgeſetz bie legten Ehrenrechte der Bürgerlichen ver: 
nichtet werden. In Frankreich werde, abgefehen von einigen zügellojen Streichen 
bes Gafjenpöbels, die Ehrfurdt vor dem König nie und von niemand verlegt, 
in Ungarn gelte es als patriotifche Pflicht, gegen den rechtmäßigen Yandesherrn 
den breiften Ton rebelliiher Bauern anzujchlagen. Möchten doc endlich ber 
Landmann und ber Bürger in Ungarn in den Spiegel der franzöfifchen Zu: 


’) Babel, Fragmente über die jehigen politiihen Angelegenheiten in Ungarn, Gedrudt 
im römifchen Reiche, 1790. 
2) Miener Beitfchrift, I, 304. 


Wiederherftellung der Ruhe in den Erblanden. 345 


ftände bliden und aus diefem Bild den Mut zu männlichen Thaten jhöpfen. 
„Wendet eure Ohren weg von den verderbliden Eingebungen eurer treulojen 


Aufwiegler, . . . entfernt die giftigen Obrenbläjer von euch, die aus einem 
fremden Lande zu euch kommen und euh Haß und Uebermut lehren gegen 
euren guten und rechtmäßigen Erbfönig, . . . hütet eudy, durch entehrende Be: 


leidigungen die Gewalt eures Königs einzufchränfen, zu einer Zeit, wo er um 
eures PVaterlandes willen ale Macht bedarf, um euren und feinen Feinden zu 
widerftehen!” 

Gegen jo „maßloje Verhegung des gemeinen Mannes” legte ein „freier 
Ungar” Verwahrung ein, jedod nicht ohne fich ebenfalls gegen das Uebermaß 
ber nationalen Reaktion auszuſprechen, ja, es wird fogar anerkannt, daß Joſeph II. 
bei jeiner Zurückweiſung der Anmaßung des ungarischen Adels Recht und 
Staatsflugheit auf feiner Seite gehabt habe. „In Wahrheit werben die kom— 
menden Generationen fih wundern, daß wir nad dem Tode Joſephs aud das 
Gute von der Erde vertilgten, bloß darum, weil e8 aus Defterreich fam.” !) 

Gleichzeitig regte fi der Tiers-Etat auch in Galizien. Auch hier wurden 
Klagen laut, daß ein paar hundert Edelleute es wagen fönnten, als die einzigen 
Vertreter der Nation fi aufzufpielen; ber Regierung wurde zugerufen, fie möge 
zum Schutze des Bürgertums nicht länger zulaiien, daß eine Handvoll Leute 
im achtzehnten Jahrhundert Anſprüche erhöbe, die höchftens im vierzehnten am 
Plage geweſen wären. ?) 

Eine neue Zeit war ja angebroden, eine Zeit, die nicht einmal die Erhaltung, 
geihweige eine Ausdehnung der Privilegien der bevorzugten Stände dulden 
wollte! Sogar gegen den ſtaatsrechtlichen Kanon des Werboecz, aus weldem 
alle Vorrechte des ungariihen Adels abgeleitet wurden, erhoben ſich fkeptifche 
Stimmen, und alle, welche über Drud und Unterdbrüdung Klagen zu müſſen 
glaubten, jahen im König ihren natürlihen Anwalt. °) 

Dazu fam, daß auch die in Ungarn eingejprengten nicht magyariichen 
Stämme, insbejondere die Serben eine mädhtige nationale Strömung ergriffen 
hatte. Eine Adreſſe des Landtags der „ilyriihen Nation“ zu Temesvar 
erflehte den Schub des „angebeteten Monarchen” gegen die „Barbaren, die 
fih erft vor kurzem aus den Höhlen Afiens ergoflen hätten“, d. i. gegen bie 
Magyaren. *) 

Unter ſolchen Umjtänden mußten auch die unzufriedenften Ultras bes 
Dfener Neichstages Bedenken tragen, am Wibderftand gegen die Krone feftzuhalten, 
und Leopold, der am 10. November in Preßburg eintraf, entwaffnete durch 
kluges Auftreten die legten Widerſacher. Dem Fürften mit Dolman und Kalpak 
wurde mandes gern bewilligt, was dem „König mit dem Hut” verweigert 
— — — 

Auszug aus „Eleutherii Pannonii mirabilia fata, dum in metropoli Austriae 
famosi duo libelli, Babel et Ninive, in lucem venissent*, in ber Wiener Zeitfhrift, I, 312. 

2) Magna charta von Galizien oder Unterfuhung der Bejchwerben des galizifchen Adels 
über bie öfterreichifhe Regierung (1790). 

) Guftermann, Die Ausbildung der Berfaflung des Königreihs Ungam, 11, 273. — 


Großing, Ungarifches allgemeines Staats: und Negimentärecht, 135. 
) Fehler, V, 612. 


346 Zweites Bud. Zweiter Abjchnitt. 


worden wäre. Auf Antrag Zihys wurde der vierte Sohn Leopolds, Erzherzog 
Alerander, zum Palatin gewählt, und Leopold wußte hinwieder feinen Dant 
in verbindlichite Form zu Eleiden, indem er erklärte, er werbe die Kindesliebe 
jeines Alerander fortan nur danach bemeiien, wie der Balatin feinen Pflichten 
gegen Ungarn nadhfomme. 

In den königlichen Landbtagspropofitionen vom 10. November wurde das 
zur Regelung des Verhältniſſes zwiihen Bauern und Grundherrſchaft unter 
Maria Therefia proviforiich eingeführte Urbarium zum öffentlihen Gejeg er: 
hoben, ferner die Zahl der freien föniglihen Städte erhöht, der Zutritt zu 
öffentlichen Nemtern auch fir Bürgerliche erleichtert, eine zwedmäßigere und ge: 
rechtere Verteilung der Beiträge zu den Militärausgaben angeordnet.!) Wenn 
diefe Neuerungen als Zugeltändnifje an den Zeitgeift anzufehen und der adelichen 
Mehrheit des Reichstages nicht willkommen waren, fo entiprad) doch das Krönungs: 
diplom vom 14. November den Wünſchen der Dfener Berfammlung. Darin 
war nicht bloß das Verfprehhen gegeben, daß die Krone des h. Stephan auf 
immerdar im Lande bleiben follte, jondern auch allen noch zu Rechte beftehen- 
den Freiheiten des Grund: und Waffenabels beftändige Geltung zugelichert. 

Am 15. November ging die Krönung mit herkömmlichem Prunf vor fid. 
Auh ein Vertreter des Königs von Preußen, Kammerherr v. Red, der den 
Glückwunſch feines Herrn zu überbringen hatte, wohnte der Feier bei. Das 
lebendige, farbige Treiben von Magyaren und Raczen, Zigeunern und Sadjen, 
von Magnaten und Bilhöfen, Honveds und Czikos, die Pracht der Uniformen und 
Drnate, der Ueberfluß an reihgeihmüdten Kutfhen und Pferden, das eigen: 
artige Zeremonie bei Kirchen: und Hoffeiten machten auf den norbdeutichen 
Gaft, wie er an feinen Hof (24. November) berichtete, übermältigenden Ein: 
drud.?) Es gehe zwar die Sage, daß ein großer Teil der ungarifhen Nation 
fih noch vor kurzem mit dem Gedanfen getragen babe, den redhtmäßigen Sou— 
verän zu verlaffen, doch nunmehr ſei ale Wideripenftigfeit entwichen und 
braufender Jubel fülle die Krönungsftadt. Nicht bloß fei dem ob feiner Leut— 
ſeligkeit allbeliebten Könige ein beſonders ftattlihes Krönungsgeſchenk gewidmet 
worden, fondern der Reichstag habe auch einmütig erklärt: ganz Ungarn werde 
jeinem König Gut und Blut zur Verfügung ftellen, damit der Vertrag von 
Neihenbah, falls fi der König dadurch beengt fühlen follte, wieder ums 
geftoßen werden könne und mit der Pforte nur ein der Würde der Dynaſtie 
und der Wohlfahrt des Vaterlandes angemeflener Friede geſchloſſen zu werden 
braude. — 

Auch in den deutſchen und jlaviichen Erblanden gelang es, die gefährdete 
Ruhe wiederherzuftellen, in den deutſchen Provinzen hauptjählih durch Nach— 
giebigkeit in kirchlichen Dingen, in den flavifhen durch Zugeftändniffe an das 
nationale Programm. Die Errihtung eines Lehrituhles für die czechiiche 
Sprade an der Prager Hochſchule wurde von wichtiger Bedeutung für bie 


') Einige der widhtigften Hungariihen Landtagsalten (1790), 7. 
2) Preuß. St.:Arhiv. Acta, betreffend die Schickung des Kammerheren von Red nad 
Wien, 1790. 


Der Wahltag in Frankfurt. 347 


nationale Entwidelung Böhmens; czechiſches Sprachtum fam wieder in Auf: 
nahme, Dichter und Gelehrte bedienten ſich des früher verachteten Idioms, die 
vaterländifhe Geſchichte genoß eifrigere Pflege, auf allen Gebieten des Volks— 
lebens nahm das ſlaviſche Element friiheren Aufihwung. !) Für das Deutichtum 
in Defterreich wurde dieje Toleranz Zeopolds II. und feines Nachfolgers Franz’ II. 
verhängnisvoll: der deutiche Kulturftaat Deiterreih, den Kaifer Joſeph hatte 
aufrichten wollen, verlor fi) aus dem Bereich der Möglichkeit! Für den Augen: 
blid aber trug die Nachgiebigkeit der Regierung nicht wenig dazu bei, das An- 
jehen der Dynaltie zu befejtigen. — 


Es wurde oben dargelegt, daß der Verſuch Joſephs II., noch zu jeinen 
Lebzeiten dem Bruder Leopold die Nachfolge im Reich zu fihern, am Wider: 
ftand Preußens jcheiterte, daß aber durch die Umtriebe des Wiener Hofes 
immerhin eine Loderung des Fürftenbundes erreiht wurde. Dem Mainzifchen 
Hofe Hatte aufgedeckt werden müffen, daß die drei proteftantiihen Mitglieder 
in Bezug auf die fünftige Königswahl ein geheimes Abkommen getroffen hatten, 
und infolge des Mainziihen Proteftes gegen ſolche Sonderbündelei hatten ſich 
zwar Brandenburg und Hannover, nicht aber Sachen zu gemeinfamem Vor: 
gehen in der Wahlfrage mit Kurmainz vereinigt. Als Kandidat des Fürften: 
bundes war wenigftens von 'preußifcher Seite Herzog Karl Auguſt von Zwei: 
brüden, eventuell fein Bruder Mar Joſeph in Ausfiht genommen, doch war 
über die Perfonalfrage zwiſchen den proteftantiihen Mächten eine Einigung noch 
nicht erzielt. *) 

Es wurde auch ſchon berichtet, dab nad dem Ableben Joſephs II. vom 
Wiener Hofe der Verſuch erneut wurde, den Kurfürften von Mainz von jeinen 
Verbündeten zu trennen, ohne jedoch den gewünſchten Erfolg zu erzielen. Andrer- 
jeits war zwiſchen Kurmainz und Preußen infolge des Lütticher Streites ernite 
Mipftimmung aufgewachſen, Mainz und Sachſen ftanden fih um alter Vikariats— 


') D’Elvert, Zur Geſchichte des Deutſchtums in Defterreih-Ungarn mit befonderer Rüdficht 
auf die flavifch-ungarifhen Länder; Schriften der Hift.sftatift. Sektion der mähriſch-ſchleſiſchen 
Geſellſchaft, 26. Bd., 580. — Palady, Die Grafen Kaspar und Franz Sternberg und ihr Wirken 
für Kunſt und Wiffenfhaft in Böhmen, 6. 

?) Die im bair. Staatdardiv (Kaften blau, 423/6) verwahrte Korreſpondenz zwiſchen 
Friedrih Wilhelm und Karl Auguft im Jahre 1790 bezieht fi nur auf die zweibrückenſchen 
Irrungen mit der Neichäritterfchaft, die Aufnahme der Wittelsbachiſchen Bausverträge in 
die Wahlfapitulation, die Verlegung ber zweibrüdenfhen Rechte im Elfaß u. a., die Königs: 
wahl wird darin nicht berührt. Auch die Korrefpondenz zwifchen dem zweibrüdenfhen Lega— 
tionsrat Freiherrn von Montgelas (dem nachmaligen bairifhen Minifter), der fich feit Mitte 
Auguft in Frankfurt befand, und dem Konferenzminifter von Efebed enthält feine auf die 
Kandidatur Karl Augufts bezüglihe Nachricht. Der Bruder Karl Augufts, Mar Joſeph, Oberft 
bes franzöfifchen Negiments d'Alſace in Straßburg, begab fi im Juli zu einem Beſuch der 
preußifhen Wahlbotſchafter nach Frankfurt. Hier teilte er mit, er habe infolge ber revolutionären 
Bewegung in Straßburg den franzöfifchen Militärdienft aufgeben und deshalb die Großmut feines 
Oheims, des Kurfürften von Baiern, anrufen müffen; es habe fich auch ein beſſeres Einvernehmen 
mit Karl Theodor herftellen Iafien, aber niemals werde fi) das Haus Zweibrüden in feiner 
danfbaren Gefinnung gegen Preußen, dem es feine Rettung verbanfe, beirren laffen (Preuß. 
St.:Arhiv. Bericht der preuß. Wahlbotfhafter vom 13. Juli 1790). 


348 Zweites Bud. Zweiter Abfchnitt. 


ftreitigfeiten willen faft als Feinde gegenüber, fo daß der habsburgifche Be: 
werber auch jegt ein entjchiedenes und gejchloffenes Auftreten des Fürftenbundes 
nicht zu befürdten hatte. 

Da der Erzfanzler die Eröffnung des Wahltags auf den 1. Juli angejegt 
hatte, fanden fih ſchon im Juni einige Vertreter der Kurfürjten und anderer 
Neihsftände in Frankfurt ein.’) Ein lebhafter Streit um die Quartiere war 
vorausgegangen. Die brandenburgiihen Wahlbotichafter hatten von jeher das 
fchlechteite Quartier, ein Haus in der Saalgafje, innegehabt; erit bei der 
Wahl Franz’ I. war ihnen das Eronftättiihe Haus am Roßmarkt eingeräumt 
worden. Jetzt wurde von der Frankfurter Duartierfommijfion erklärt, das 
Gronftättiicde Haus müſſe als das einzige dazu geeignete für den zu erwählenden 
Kaifer vorbehalten werden; Kurbrandenburg möge fih um das freigewordene 
pfälziihe Quartier bewerben. Friedrich Wilhelm ordnete aljo, damit eine ber 
föniglihen Würde entſprechende Löſung der Uuartierfrage gefunden werde, den 
Geheimrat v. Hochſtetter nah Frankfurt ab. Diefer riet aber jelbft zum Verzicht 
auf das pfälziſche Duartier, weil damit „zu unabjehlihen, zeitiplitterigen Weit: 
läuftigfeiten Anlaß gegeben würde”. Auch die mit Kurbaiern wegen Ueber: 
laſſung des Belliihen Haufes eingeleiteten Unterhandlungen führten, da die Mit: 
bewerbung Hannovers hinderlih war, zu feinem ‚Ergebnis. Endlich wurde vom 
Neihsquartiermeifter Grafen v. Pappenheim das fürftlih Deſſauiſche Uuartier 
vorgeihhlagen und vom Berliner Hofe angenommen, jedoch nicht ohne daß von 
legterem „Empfindlichkeit und Befremden” ob des wenig jchidlihen Angebots 
zu erkennen gegeben wurden. „Der jchlechtefte Bezirf aller Churhöfe ift der, 
der Churbrandenburg angewiefen.“ 

Am 1. Zuli wurde unter Trompetenfhall die Eröffnung des Wahltags 
verfündigt, doch der ganze Monat verftrih, ohne daß jämtliche zur Wahl er: 
forderlihen Botichafter eingetroffen waren. Die bereits Anweſenden benüßten 
die Muße zu feierlihen Auffahrten und Komplimentsbejuchen, für welche jeit 
Jahrhunderten ein ftrenges Zeremoniell vorgeichrieben war. Der Chronift des 
Wahltags von 1790, Johann Ehriftian Jäger, rühmt zwar als bedeutungsvollen 
Sieg der fortihreitenden Entwidelung des gejunden Menjchenverftandes, daß 
die alten hochgeipannten Zeremonien verfhwunden und „Leutjeligfeit und Popu— 
farität an Stelle des fteifen Prunks“ getreten ſeien,“) allein weder die Er: 
zählung des Chroniften ſelbſt, noch die Berichte der Gejandten beftätigen jenes 
Lob; die Zeremonielfragen boten auch diesmal den ergiebigften Stoff zu ebenfo 
lebhafter wie harmlojer Thätigfeit der Herren Gejandten. Großes Auffehen 
rief es hervor, dab der kurkölniſche Botjichafter, Freiherr v. MWaldenfels, Be: 
ſuche von Magiftratsperjonen erhielt, ohne vorher die Notififation gemacht zu 
haben; die Sache wurde endlih dahin aufgeklärt, dab der Botjchafter beim 
Privatbeſuch eines Schöffen eine Viſitenkarte abgegeben hatte, auf welcher jchon 
ber Ambafjadeurcharakter angegeben war. °) 


1) Preuß, St.⸗Archiv. Kaiſer Leopolds Il. Wahlakten, R. 10, 87 f., 121. 
2) Jäger, Wahl: und Krönungsdiarium Raifer Leopolds II., 111. 
2) Preuß. St.⸗Archiv. Kaiſer Leopolds Wahlaften. 


Der Wahltag in Frankfurt. 349 


Auh der „ungewöhnlih geihwinde Gang der Verhandlungen”, ben 
Waldenfels unmittelbar nad feiner Ankunft in Frankfurt anregen wollte, er: 
ihien den Bertretern der Fürftenbundsmädte anftößig; offenbar fei es, fo 
meinten die preußifchen Diplomaten, vom Kurfürften von Köln darauf abge: 
jehen, zu verhindern, daß die Beratung der Wahl und der Wahlfapitulation 
nah den „Regeln der Beſonnenheit“ vor fich gehe. Insbeſondere am Mainzer 
Hofe war man veritimmt über das Drängen des kölniſchen Miniiters, und 
hellen Unmut erregte es vollends in Berlin, daß Kurföln den Königstitel 
Preußens beanftandete.e So unerhörte Petulance verdiene ernftefte Zurüd: 
weijung, ſchrieb Hertberg an die preußifhen Botichafter, und ebenjo müſſe 
gegen leichtfertige Ueberhaftung der Wahl ein Riegel vorgeihoben werden; das 
Intereſſe Preußens und des Fürftenbundes erheiihe, daß vor endgültiger Bei: 
fegung der Irrungen zwiſchen Preußen und Defterreih auch in Frankfurt fein 
enticheidendes Wort falle. 

Jmmerhin galt es für die öffentlihe Meinung faum noch als zweifelhaft, 
da fih die Wahl auf den König von Ungarn und Böhmen lenfen werde. 
Freilich wurden aud andere Bewerber öffentlid genannt und angepriejen, doch 
handelte es jich in vielen Fällen wohl nur um ein Trinkgeld für den Berfafler. 
In einer Flugſchrift: „Ueber die Lage und Bebürfniffe des Deutichen Reiches 
oder braucht Deutihland einen mächtigen Kaijer?” wird die Frage entſchieden 
verneint. Was habe denn das Neich dem Regiment der „mächtigen“ Herren, 
Karls V., Ferdinands II. ꝛc., zu verdanken gehabt? Nichts anderes, ala daß es 
in alle möglichen nutzloſen Kriege verwidelt, die Freiheit der Fürften bebroht, 
die Wohlfahrt der Völker geſchädigt wurde! „Die ganze Verfaſſung bes deutſchen 
Staatslörpers jcheint mit einem mächtigen Oberhaupt nicht zu barmonieren, 
nicht für ein foldes gemacht zu fein.” Unter Yofeph II. fei bejonders deutlich 
zu Tage getreten, daß der Herr der mweitgejpannten öfterreihifhen Erblande 
nit im jtande jei, zugleih den Pflichten eines Oberhauptes des deutſchen 
Reiches zu genügen. Zu diefer Stellung befähige weit beifer der Beſitz eines 
Landes von mittlerer Größe und rein deutihem Charakter, und foldes Land 
befige ein Fürft, der auch ſonſt aller erforderlichen Vorzüge jih rühmen fönne: 
„der treubeutichen Bojaren erhabenfter Regent, Karl Theodor“. ) Dagegen 
bringt die Schrift: „Wer kann Kaifer werden?” den Kurfürften von Sadjen 
in Vorſchlag; von Leopold müfje ſchon deshalb abgejehen werden, weil er mit 
dem allgewaltigen Rußland allzu eng verbunden jei, mithin nit wahrhaft 
deutiche Politik treiben könne. Ein dritter „Publizift” empfiehlt Die Ueber: 
tragung der deutſchen Kaiferfrone an einen geiftlihen Fürften und zwar an 
Marimilian Franz von Köln.?) Es ſei ja weder nötig noch nütlich, immer gerade 
den Herrn der habsburgifhen Erblande zum römiſchen König zu wählen. Auch 
Preußens Monarch jei nicht dazu geeignet: „Der preußiiche Adler ſchwingt ſich 
ohne die drüdende Laſt der Reichsinſignien höher empor, ſchwebt freier über 
Germanien, jhügt fiherer Deutſchlands Konftitution.” Alle anderen angejehenen 


') Bgl. die Befprehung in Schubarts Baterl. Ehronif, Ihgg. 1790, 466. 
?) Die Verbindung bed Reichsſzepters mit dem Krummſtabe. Eine politifche Phantafie. 


350 Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. 


weltlihen Stände feien in widrige, mit den Neicheintereijen nicht vereinbare 
Verhältniffe und Rückſichten verftridt. Warum aber follte ſich die deutſche 
Krone nicht mit der Infel vertragen? Wenn vollends ein jo würdiger Ver: 
treter der Infel fi darbiete, wie Marimilian Franz von Köln, der Liebling 
feiner großen Mutter Maria Therefia, ein wohlwollender, welterfahrener Fürft 
im Beſitz von mädtigen Piründen und reichen Einkünften, — was hindere, 
diejen würdigften Kandidaten auf den Königsthron zu erheben? „Wie das an— 
zugreifen ſey, überlaffen wir dem Nachdenken unfrer Leer!” Peffimiftifch be: 
trachtet die deutichen Zuftände der Verfafjer einer Schrift: „Warum foll Deutſch— 
land einen Kaifer haben?” Er faßt das Ergebnis feiner Betradhtung in den 
Ruf zufammen: Fort mit der gegenwärtigen Reicheverfaffung, und zwar je 
eher, je lieber! Welden Nuten habe denn Deutichland von dem Scattenbild 
eines Kaijers? Löſe man doch endlih auf, was ſchon längit nicht mehr zu: 
fammengehöre! Dagegen nimmt eine Ermwiderung: „Deutihland muß einen 
Kaifer haben!” die beftehende Verfafjung in Schutz. Die natürliche Lage des 
Reiches, die weientlihe Verjchievenheit der Stämme, der ungeheure Umfang, 
die Mannigfaltigfeit von Klima, Sitten, Staats: und Handelsintereflen, alle dieie 
Faktoren laſſen weder ein rein monarchiſches, noch ein republikaniſches Syſtem 
zuläſſig erjcheinen; es it nur eine aritofratiihe Regierungsform möglich. 
Ebenſowenig läßt fih aber das Bedürfnis nah einem Oberhaupt beftreiten. 
Nur dur das Frortbeftehen des Kaifertums kann das Auseinanderfallen der 
nur loder verbundenen Reichsſtandſchaften verhütet, kann den ſchwächeren Gliedern 
der nötige Schuß gegen die Vergrößerungsjucht der Stärferen gewährt werben 
Die Nörgler und Tabler jollen nur einmal die Kultur Deutſchlands mit der 
Entwidelung anderer, weit günftiger gelegener Reiche, wie Stalien, Spanien, 
Portugal :c., vergleihen! In welchem Lande find Aderbau, Landmwirtichaft und 
Viehzucht jo glüdlich entwidelt? welches Neih mit Ausnahme von England ift 
jo ftarf bevölfert? wo erfreuen fi die Bürger eines verhältnismäßig jo be- 
friedigenden Wohlſtands? Wenn andere Völker berühmtere Dichter aufzuweiſen 
haben, jo fann Deutichland mit Stolz der größten Philofophen, Mechaniker, 
Nechtslehrer und Staatsmänner ſich rühmen, und vielleicht wird es auch bald 
in der ſchönen Litteratur die Palme erringen. Wo jolde Entwidelung möglich 
it, da kann das Verfaſſungsweſen nicht jo morj und vernichtungswert fein, 
wie es von vereinzelten Mißvergnügten gejchildert wird. „Die Konftitution 
Deutichlands aber, jo kompliziert fie ift, kann nur jo beftehen, wie fie iſt.“ 
Nicht aus Nüdfiht auf Fürften und Höflinge, fondern im Intereſſe der natio: 
nalen Wohlfahrt ift die Aufrehthaltung des Kaifertums, ift baldige Aufftellung 
eines würdigen Oberhauptes zu wünjhen! — Bon patriotiſchem Stolz ift auch 
die Flugfchrift des befannten Gießener Zuriften Renatus v. Sendenberg ge: 
tragen: „Gedanken über verſchiedene Paragraphen der kaiſerlichen Wahlfapitu« 
lation, dur Germanus Biedermann herausgegeben.” Wohl fei es zu beflagen, 
daß religiöfe und politiihe Gegenfäte noch immer fo mächtig jeien, daß jogar 
ein Krieg zwilhen Nord und Süd in drohender Ausfiht ftehe, doch die Wahl 
eines ftaatsflugen, befonnenen Kaifers werde dieſe Gefahr verſcheuchen. „Teutſche, 
haltet zufammen, laſſet euch nicht durch bejonderes Intereſſe irennen! Stehet 


Der Wahltag in Frankfurt. 351 


ohne Rückſicht auf die verſchiedenen Religionsmeinungen wenigſtens in allem, 
was mit Fremden zu verhandeln, für einen Mann! und dann ſchauet kalt 
und kühn umher, wie euer Dichter jagt: 


‚Und fiehet falt und fühn umher, 
Ob jemand ift, 
Der nad feinem Mädchen bliden will!‘ ') 


ob jemand ift, der auch nur nah einem Dörfchen, das euerm Reich zuftehet, 
bliden will?!" — 

Erft feit die Nachricht vom glüdlihen Abſchluß der Verhandlungen zwiſchen 
Preußen und Defterreih nad Frankfurt gelangt war, fam etwas mehr Ernit in 
das Wahlgejhäft. Am 11. Auguft wurde mit der Beratung der Wahlfapitu: 
lation auf dem Römer begonnen. Wie vielen Beſchwerden jollte dabei ab- 
geholfen, wie vielen Wünjhen Rechnung getragen werben! Der Fürftenjtand 
mit dem Fürftbiihof von Speier an der Spige erneute die alte Klage über 
ungebührlihe Zurüdjegung hinter dem Kurfürftenkollegium; die Reichsritterſchaft 
wollte für ihre Reichsunmittelbarkeit Fräftigere Bürgihaft erlangen; der ſchwä— 
biſche Kreis verwahrte ji gegen Landvogtei und Landgericht in Schwaben; die 
Reichsſtädte verlangten völkerrechtliche Feftiegung freien Handels zu Waffer und 
zu Lande in Kriegszeiten; der eidgenöfliiche Kanton Bern forderte, daß in ber 
Wahlfapitulation nicht mehr der Verpflichtung des Kaifers, die Zurüderwerbung 
der ehedem deutjchen Gebiete in Italien und der Schweiz ſich angelegen fein zu 
laffen, gedadht werde; der König von Sardinien wollte die ihm als Herzog von 
Savoyen und Montjerrat und als Reichsvikar in Italien zuftehenden Rechte 
beftimmt und deutlich zum Ausdrud gebracht ſehen; Kurbraunſchweig führte 
Klage über willtürlihe Anjprüche des rheinischen Vikariats; Fürft Taris wünfchte, 
daß das Reichspoftweien förmlich als Taxisſches Erblehen anerkannt und gegen 
die Angriffe der Preife auf das Monopol der Familie vom Wahltag Stellung 
genommen werde. 

Wichtiger war, daß Mainz und Köln den Nuntiaturftreit hereinziehen und 
ihre Beſchwerden über Verlegung der Konkordate durch den römischen Stuhl in 
die Kapitulation aufgenommen willen wollten. Der gegen Rom geplante Angriff 
batte jedoch geringe Ausiiht auf Erfolg. Der nah Frankfurt entjandte außer: 
ordentliche Nuntius, Monfignore Caprara, ein rühriger, geichmeidiger Diplomat, 
hatte an den brandenburgiijhen Wahlbotjchaftern, mit denen er eifrigen Ber: 
fehr unterhielt, einen ſtarken Rüdhalt;?) mit diefer jedermann befannten That: 
ſache ftand in wunderlichem Gegenſatz, daß die nämlichen Gefandten ſich weigerten, 
die Legitimation Capraras anzuerkennen, weil das Beftallungsfchreiben in ber: 
fömmlicher Weife nur an die fatholifhen Kurfürften gerichtet war. Da Branden: 
burg, Sachſen, Trier und Pfalz-Baiern der Wiederaufnahme des Nuntiaturftreits 
entichieden widerjtrebten und au der König von Böhmen unter den gegebenen 
Verhältnifjen nicht gegen die Kurie auftreten fonnte, war es den beiden Erz 


') Klopftod, Der teutihe Jüngling. 
2) Preuß. St.⸗Archiv. Bericht Dften:Sadens vom 7. Auguft 1790. 


352 Zweite Bud. Zweiter Abſchnitt. 


biſchöfen unmöglich gemadt, ihre antirömifhe Politik wieder aufzunehmen. 
Auch erklärte Pius VI. in einem verföhnlichen Cchreiben an Marimilian Franz, 
es liege dem römiſchen Stuhl nichts ferner, als eine Verlegung der Rechte der 
deutſchen Metropolitane; um der ernſt gefährdeten Einheit und Wohlfahrt der 
Kirhe willen möge in Deutichland nicht länger Zwietracht gejäet werben. !) 
Schließlich wurde denn auch der Kölnische Antrag nur in erheblih abgeſchwächter 
Beftalt in die Kapitulation aufgenommen, und außerdem ein Zufag, der fünftige 
Kaiſer wolle „bie Erz: und Biſchöfe bei dem bisher ruhig bejefjenen Umfang ihrer 
Erz: und Bistümer, jowie ihrer Metropolitan: und Diözefangeredhtfamen dort, wo 
ihr jus dioecesanum und ihre geiftlihe Gerichtsbarkeit durch den Weftfälifchen 
Frieden jufpendiert ift, erhalten”.”) Dieſes Gelöbnis richtete ſich aber nicht 
gegen den römiſchen Stuhl, fondern gegen bie Gelüfte weltliher Fürften; es 
beweift, daß der Säkularifationsgedanfe ſchon fozufagen in der Luft lag. Herb: 
berg nahm es in einem Briefe an den Kölner Nuntius Pacca geradezu als 
Verdienft der preußifhen Vermittelung in Anſpruch, daß die Auflehnung der 
deutſchen Kirdhenfürften jo alimpfliches Ende genommen habe.?) 

Auch die erften Rückwirkungen der franzöfiihen Revolution auf das 
deutſche Reich famen auf dem Wahltag zur Sprache. 

In der berühmten Nachtſitzung der frangöfiihen Nationalverfammlung 
vom 4. Auguft 1789 war der geiftlihe Zehent abgeſchafft worden; jpätere Ver: 
fügungen fpradhen die Aufhebung aller fremden geiftlichen Gerichtsbarkeit aus 
und ſchufen aus eigener Machtvollkommenheit für das ganze Königreid eine 
neue Kirchenverfaffung, welde das geſamte Kirchenwejen dem fouveränen Etaat 
unterorbnete. Ebenjo wurden die gutsherrliche Gerichtsbarkeit, alle Grundzinfen, 
Gülten und jonftigen Feudallaften abgeſchafft. Nun war aber die Ausdehnung 
diefer Maßnahmen auf das Eljaß natürlih ebenjowenig vereinbar mit den 
Diözefanrehten, welche mehreren rheiniſchen Erzitiftern und Stiftern im Elſaß 
zuftanden, noch mit den landesherrlihen Gerechtſamen auf elſäſſiſchem Boden, 
weldhe einzelnen deutjchen Zehensherren durch bie Friedensfhlüffe von Münfter, 
Nymmwegen und Ryswick, jowie durch Sonderverträge mit der franzöfischen 
Krone belafjen worden waren. Zwar begab ſich Chevalier Ternan im Auftrag 
des Minifteriums Montmorin im Mai 1790 nad) Speier, um mit bem bortigen 
Fürftbifhof und feinen Amtsgenoffen einen Ausgleih anzubahnen; auch den 
mweltlihen „Befigern gewiffer Lehen im Eljaß” follte gemäß Beſchluß der 
Nationalverfammlung vom 15. Mai eine Entihädigung zuerkannt werben. 
Allein der Speirer Biſchof lehnte jede Unterhandlung ab mit der Erflärung, daß 
fragliche Befigungen und Rechte den deutſchen Biſchöfen und Fürften nicht bloß nach 
Lehenrecht zuftänden, fondern durch ebendiejelben Verträge, welche die Abtretung 
des Elſaß an frankreich verfügten, garantiert jeien, mithin auch nicht ohne Zu: 


') Bair. St.: Archiv. Pfalz-Zweibrückiſche Komitialakta. Sanctissimi Pii papae VI. 
literae ad archiepiscopum Coloniensem 1790 (gedrudt). 

2) Artitel 1, 32. Crome, Die Wahllapitulation des römifhen Kaiſers Leopold IL, 12. 

°) Preuß. St.:Arhiv. Acta, betreffend die Wahl eines röm. Königs ıc. Brief Herkbergs 
an Pacca v. 19. DEt. 1790. 


Der Wahltag in Frankfurt. 353 


ftimmung der mitvertragenden und garantierenden Mächte und ohne Genehmigung 
des Kaijers und des Reiches abgeſchafft oder verkürzt werden könnten.) Auch 
von ben übrigen Fürften, die fih durch jene Eingriffe der franzöfiijhen National: 
verjammlung beeinträchtigt fahen, wurden ähnliche Erklärungen abgegeben. 
Unzweifelhaft hatten fie das Recht auf ihrer Seite, doch das allmädtige Parla— 
ment, in dem ſchon die Revolutionsparteien die Oberhand gewonnen hatten, 
dachte nicht daran, nur um papierener Verträge willen von der Aufrichtung 
des neuen Gefellfhaftsvertrages, der mit dem geſamten Feudalregiment auf: 
räumen follte, abzuftehen. Daran vermochten weder die Vorftellungen des eigenen 
Minifteriums, noch die an den deutſchen Neichstag gerichteten Beſchwerden 
etwas zu ändern. Da eine frievlihe Löſung nicht mehr möglich ſchien, wollten 
die Betroffenen menigftens bie Gelegenheit benügen, die Aufmerkjamfeit des 
künftigen Neihsoberhauptes auf die brennende Frage zu lenken. Der Bilchof 
von Speier, der Landaraf von Heflen:Darmftadt, der Fürft von Leiningen und 
andere Reichsſtände braten aljo ihre Beſchwerden vor das Forum des Wahl: 
tages.?) Das Kollegium war auch nicht abgeneigt, gegen die „Zubringlichkeiten” der 
Verfaflungsihmiede in Verjailles, die nad) den Theorien des eigentlihen Revolu: 
tionsherdes, des Palais Noyal, die Gleichftellung aller und die Souveränität der 
Maſſen, alio die permanente Anardie predigten, etwas zu thun. Obwohl ber 
Vertreter Böhmens darauf hinwies, daß die Franzojen eine ſolche Verwahrung als 
Kriegserflärung auffafien könnten und die ſchwäbiſchen und vorderöfterreichiichen 
Lande von Truppen und Feſtungen entblößt jeien, wurde beſchloſſen, ben fünftigen 
Kaifer um Schuß und Beiftand gegen die Beraubung deutſcher Neichsftände 
dur das franzöfifhe Parlament anzugehen.?) 

Noh ein anderer Beihluß des Kollegiums ftand mit der revolutionären 
Bewegung im Nachbarreih in Zufammenhang. Um zu verhüten, daß die in 
Sranfreih zur Herrichaft gelangten chimäriſchen Grundfäge nad) Deutichland 
verpflanzt würden, ftellte Kurmainz den Antrag, es follte fortan auf deutſchem 
Boden feine Schrift geduldet werben, die mit den jymbolifhen Büchern beider 
Befenntniffe oder mit den guten Sitten nit vereinbar fei oder zum Umfturz 
der gegenwärtigen Verfajjung und zur Störung der öffentlihen Ruhe beitragen 
fönnte. Von Braunfchweig und Brandenburg wurde eingewendet, es jei Sadıe 
der Zandesherren, für Ruhe und Sicherheit zu jorgen, und ein Antrag, der 
gewiffermaßen die Auflicht über das gefamte Bücherweien im Reich zum faijer: 
lihen Rejervatrecht erhebe, ftehe mit den fouveränen Rechten der Reichsftände 
in Widerfprud. Trotzdem wurde von der Mehrheit dem Vorſchlage zugeftimmt, 
die Aufnahme des Verbots in die Wahlfapitulation beſchloſſen) und zugleich 
an den Kaifer die Aufforderung gerichtet, es möge den bedenklichen Folgen, 


) Bair. St.:Arhiv. Zweibrüdifche Komitialakta. Erklärung des Fürſtbiſchofs von Speier 
v. 25. Juni 1790. 
) Jäger, Wahldiarium, 195. 
) Bair. St.:Arhiv. Akta, römiſche Königsmwahl 1790 betr. 
4) Art. 1, $ 8; Jäger, Anhang, 5. 
Heigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Friedrichs d. Gr. biö zur Aufldöfung des deutlichen Heide. 23 


354 Zweites Bud. Zweiter Abſchnitt. 


welche aus jchrantenlojer Preß- und Drudfreiheit für die Allgemeinheit erwachſen 
fönnten, durch ein Neichögejeg vorgebeugt werden.!) 

Dem Wunſche einiger Buchhandlungen entiprehend, wurde dem Reiche: 
oberhaupt auch die Abftellung des Büchernachdrucks empfohlen.”) Schon jeit 
längerer Zeit hatte dieje Frage die Geilter beſchäftigt. Die meilten Stimmen 
erhoben fich gegen den Büchernachdruck als ftrafbaren Raub am geiftigen Eigen: 
tum der Autoren,?) doch fehlte es ihm auch nit an Verteidigern. Nur duch 
diefe mit Unrecht verläfterte Hantierung, heißt es in der Streitichrift: „Für 
und wider den VBüchernahdrud aus den Papieren des blauen Mannes”, werde 
verhindert, daß ſich die Verleger in Deutichland zu füritliher Macht auf: 
ſchwindelten; nur der Büchernachdruck habe große geiltige Bewegungen ermög: 
licht, mit ihm jteige und finfe die allgemeine Aufklärung. Als das Verbot im 
MWahlkollegium beantragt wurde, wies Braunſchweig darauf bin, daß einer 
weiteren Ausdehnung von Faiferlihen Verfügungen über das Bücherwejen Die 
landeshoheitlihen Gerehtjame im Wege ftänden, allein die Furcht vor dem An: 
wachjen der revolutionären Bewegung beſtimmte die Mehrheit des Kollegiums aus: 
nahmsweiſe zum Verzicht auf die Tradition, nur Beihränfungen der Eaijerlichen 
Autorität in die Kapitulationen zuzulaſſen. E& wurden fogar vom furfürftlichen 
Wahlkonvent ſelbſt Verbote aufrühreriiher Schriften erlaflen. „Da der Geift 
der Unruhe und des Widerjtandes wider die Obrigfeiten in den jegigen Zeiten 
und biefigen Gegenden ſchon ftarf und allgemein zu werden“ beginne, jollten 
das jüngft angekündigte „Journal für Menfchenrehte” und das „Yournal 
general de l'Europe“ nicht verfauft und verbreitet werben dürfen. Auch Kur: 
brandenburg erklärte fi) einveritanden, ja, Herkberg wies jogar die Botſchafter 
an, barauf hinzuarbeiten, daß auf dem Wahltag alles zur Ruhe Deutſchlands 
Erforderlihe angenommen würde; insbejondere jollten fie auch von den bairiſchen 
Kollegen zu erfahren fuhen, wie e8 mit den Illuminaten ſtehe, die ſich Die 
Ausbreitung des Demofratismus in Deutſchland zum Ziele gejegt hätten. „Es 
finden ji in dieſer Geſellſchaft gar viele Jeſuiten.“ Friedrich Wilhelm felbit 
hatte den Schritt angeregt, „um fich vorzujehen gegen diefe Race”.*) Vom 


) Erome (die Wahltapitulation des röm. Kaiferö Yeopold II. mit biftor. und publizift. 
Erllärungen, 33) gibt dem Bedauern Ausdrud, daß der Prefparagraph in die neue Kapitulation, 
biefe „magna charta Germaniae*, aufgenommen wurde. Habe doc Leopold felbft einmal 
geäußert, er bedaure jeden, der dad Weſen der Religion bloß im Glauben ſuche oder auf die 
Spigfindigfeit der Dogmatik übergroßen Wert lege. Freilich fünne die öffentliche Ruhe durch 
eine zügellofe Preſſe in bebauerlicher Weiſe geftört werben, jedoch eine Revolution fei in 
Deutichland nicht zu befürchten, „da unfere Reichverfafjung eine vermijchte, auf gültige Verträge 
und Grundgefege fundierte Negierungsform ift, jene in frankreich aber ganz deſpotiſch war,“ 
und weil in Deutichland niemals die Unterthanen jo unmenſchlich gebrüdt wurden, wie in 
Frantreih, wo „Ludwig XIV. und Ludwig XV. ganz vergafen, daß fie bed Volkes wegen ba 
wären, nicht umaelehrt". 

2) Art. VII, 8 1; Jäger, Anhang, 14. 

) Aufgezählt in Kayfers Abftellung des Büchernachdruckes als ein in ber neueften faifer: 
lichen Wahlfapitulation zu übertragender Gegenftand betrachtet (1790), 8. 

4) Preuß. St.⸗Archiv. Akta, betreffend die Wahl eines römiſchen Kaiferd. Schreiben 
Hergbergs vom 17. Dftober 1790. 


Der Wahltag in Frankfurt. 355 


bairiſchen MWahlbotihafter Grafen Oberndorff wurde darauf eine Erklärung ab: 
gegeben, die Jluminaten feien zwar dem Anjchein nad in Baiern ausgerottet, 
in anderen Ländern daure aber ihre ſchädliche Wirkſamkeit fort. „Die allgemeine 
Meinung”, verfihert Graf Goerg, „gehe dahin, daß die ganze Bewegung von 
den Erzjefuiten geleitet werde”. 

Der ſtändiſchen Gepflogenheit, die Wahlfapitulationen zur Befeitigung ber 
Zandeshoheit auszunügen, entiprad) die neue Verfügung, daß der Kaifer für fi 
allein an das Neihsfammergericht weder Inſtruktionen noch Inhibitionen er: 
lafjen dürfe,) ſowie die den Kurfürften eingeräumte Vergünitigung, bei Friedens— 
verhandlungen ihrer befonderen Angelegenheiten wegen ſich durch eigene Gejandte 
vertreten zu laſſen.?) 

Da der Lüttiher Streit noch immer nicht ausgeglihen war, lag der Ge: 
danfe nahe, auf dem Wahltage auch diefe Frage in die Debatte zu ziehen und 
durch einen darauf bezüglihen Beihluß dem künftigen Neichsoberhaupt die 
Hände zu binden. Sowohl der Biſchof als die Aufftändifchen hatten, worauf 
noch zurückzukommen ift, zur Wahrung ihrer Interefien Agenten nad Frankfurt 
abgeordnet. Der Fal fam denn auch in den furfürftlihen Quartieren häufig 
zur Sprade, allein die Verſuche, auh im Plenum Verhandlungen anzulnüpfen, 
j&eiterten am entjchloffenen Widerftand Preußens. Die preußifchen Vertreter 
waren angewiejen, die Lütticher Exekutionsſache ein für allemal nicht zu offi- 
zieller Beratung zuzulafjen;*) im vertraulichen Verfehr jollten fie die Anhänger 
der Erefution zu einer milderen Auffaſſung des Aufftandes zu bewegen juchen. 
Doch auch diefe Bemühungen waren erfolglos, denn insbejondere der Kurfürft 
von Mainz, defien jelbftbewußtes, gebieterifches Auftreten nicht jelten den Un— 
mut der preußifchen Gejandten wadhrief, ja, jogar die eigenen Minifter zur Be: 
merfung reizte, ihr Herr wolle offenbar das ganze Reich regieren, wie jein 
Domlapitel, wollte von Schonung ber rebelliihen Unterthanen des Bijchofs von 
Lüttich nichts hören. Bei ihm, jo jpottete Often-Saden, ſei ſolche Strenge auch 
wohl begreiflih, denn er müfle ja jelbjt befürdten, dab jeine hartbebrüdten 
Unterthanen über furz oder lang der Verfuhung unterlägen, ihr Sklavenjoch 
abzujchütteln.*) 

In der Lütticher Frage und in verjhiedenen mit dem Bifariat zufammen: 
hängenden Gtreitigfeiten trennten fih der mainziihe Domdechant Freiherr 
v. Fechenbach und der hannöverihe Minifter v. Ompteda von ben übrigen Ber: 
tretern der Fürftenbundsmädte. Diten-:Saden und Goer& hatten vollauf zu 
thun, um zu verhüten, daß der Streit in offenen Skandal ausarte und der zur 
Eindämmung der habsburgiihen Macht gefliftete Bund nicht gänzlich zerfplittere.?) 
Nur die Thatjahe, daß die vier katholiſchen Kurböfe faft in allen Fragen ein: 


’) Art. XVI, $ 8; Jäger, Anhang, 31. 

2) Art. IV, 8 11; Jäger, Anhang, 11. 

2) Preuß. St.: Archiv. Kaifer Leopolds Il. Wahlakten. Inftrultion für Often:Saden und 
Goertz vom 30. Mai 1790. 

) Ebenda. Bericht Oſten-Sackens vom 24. Auguſt 1790. 

5) Ebenda. Finalrapport vom 30. Oltober 1790, 


356 Zweites Bud. Zweiter Abichnitt, 


trädhtig zufammenbhielten, nötigte auch die Unierten, untereinander einige Nach— 
giebigfeit walten zu laffen und zur Wahrung ihrer Intereſſen zufammenzuftehen. 
„Dur den engen Anſchluß von Trier, Köln, Böhmen und Pfalz,” berichtete 
Diten-Saden am 29. Auguft, „bat fi die Lage fo geftaltet, daß fait immer 
vier gegen vier Stimmen einander gegenüberftehen; durch diefe Stimmengleichheit 
wird einfach verhindert, daß überhaupt etwas Neues in die Kapitulation auf: 
genommen werde,” Kurtrier — jo daralterifieren die preußiichen Botichafter 
ihre Widerfadher im Wahlfonvent — ſei durdaus abhängig vom Wiener Hofe. 
Der Kurfürft von Köln, der es gar nicht erwarten fönne, feinen Bruder als 
gefröntes Oberhaupt des Reiches zu jehen, bringe die ärgerlichſte Unruhe in 
alle Geſchäfte. Dagegen jei das Auftreten der kurböhmiſchen Minifter allzeit 
beionnen und gemäßigt; offenbar ſcheine ihr Gebieter unter dieſem Zeichen 
jeine Regierung antreten zu wollen, Völlig unbedeutend und belanglos ſei die 
Rolle der Vertreter Pfalz. Baierns in Frankfurt; nur durch eine jelbitändigere 
Haltung der Baiern könnte die drückende Uebermacht des öfterreihiihen Ein: 
Huffes gebrochen werben, allein die Hoffnung, diefe Leute zur natürlichen Auf: 
faſſung der politiihen Lage zu befehren, ſei ein: für allemal ausgeſchloſſen. 
Che nicht einer von den Zmweibrüdener Herzögen zur Regierung gelangen werde, 
jei auf einen Beitritt Pfalz:Baierns zum Fürftenbund und damit auf eine 
Mehrheit im Kurfürftenfollegium nicht zu rechnen. Vielleicht fünnte aber durch 
Heſſens Beitritt ein Erſatz geichaffen werden; Preußen müſſe alfo eifrig bafür 
eintreten, daß der heiße Wunſch des wohlgefinnten Landgrafen Friedrih erfüllt 
und Heflen:Kafjel zum Kurfürjtentum erhoben werbe. 

Die Errihtung einer neunten Kurwürde fam denn aud in Frankfurt zur 
Sprade. Bon heſſiſcher Seite wurde eine Schrift verbreitet, die den Beweis liefern 
follte, daß fich die Belehnung Heſſen-Kaſſels mit der Kurwürde ebenfo aus Grünben 
des Rechts und der Billigfeit, wie aus Rüdfiht auf die gegenwärtige politifche 
Lage empfehle.) „Ohne die Grenzen der Bejcheidenheit zu überſchreiten,“ dürfe 
Landgraf Friedrich behaupten, daß der älteren heſſiſchen Linie durch hohes Alter, 
dur Verdienſte vieler Familienmitgliever um die deutſchen Herrſcher, durch 
Umfang, Lage und PVerhältniffe des Landes, durch regelmäßige Webertragung 
des Echußes der faiferlihen Wahlftabt, endlih durch die dem heſſiſchen Haufe 
innewohnende Neigung, für Aufrehthaltung von Frieden und Ordnung im Reiche 
einzutreten, der erfte Anspruch auf die Kurmwürde zuftehe. Und im gegenwärtigen 
Augenblid empfehle es fih ganz bejonders, den Fluten des Bürgerfrieges und 
der Gefeklofigkeit, die über die Weſtmark hereinzubrechen drohten, einen feiten 
Damm entgegenzuftellen. 

Während in der genannten offiziöfen Schrift aus Rückſicht auf die katho— 
lichen Rurfürften die Frage des Belenntnifjes feine Nolle jpielt, Tegt ein anderes 
Memorandum „Privatgedanfen über die neunte Kur” das Hauptgewicht auf die 
Thatſache, daß dur die Uebermacht der Fatholifhen Stimmen im Kurfollegium 
die Gleichberedhtigung des evangeliihen Belenntnifies verlegt, mithin die Er: 

') Bair. St.:Arhiv. Zweibrüdifhe Komitialakta 1790. Heſſen-Kaſſelſches Promemoria, 
Kaſſel, 15. Sept. 1790. 


Die Kaiferwahl und die öffentliche Meinung. 357 


richtung einer vierten evangelifhen Kur notwendig fei. Freilich könnte dieſer 
Rüdfiht auch dur Erhöhung Württembergs Rechnung getragen werben, allein 
um feiner ftattlihen Heeresmaht und jeiner gefüllten Kafjen willen verdiene 
Heſſen den Vorzug. 

Der Nebenbuhler Hefjens blieb die Antwort nicht ſchuldig. Eine geharnifchte 
Erklärung zur Verteidigung der württembergijchen Anſprüche räumt ein, daf 
Heſſen-Kaſſel über eine anfehnlichere Heeresmacdht verfüge, allein das Kleine Land 
fönne die dadurch geforderten, unerjhwinglihen Ausgaben offenbar nur mit 
engliihem Gelde beitreiten.) Da müſſe aljo doch die Frage erlaubt jein: Ja, 
werden denn die englijchen Subjidiengelder immer fließen? Und eine nod 
wichtigere: Was für Troft und Hülfe gewährt dem römijchen Reiche eine Heeres: 
macht, worüber der eigene Herr nicht nach eigenem Willen verfügen fann? Sei 
ed doch feineswegs ficher, daß deutiche und engliſche Antereffen immer Hand in 
Hand gehen und die Reichspflichten des Kurfürften von Hannover den Vorteil 
Englands zurüddrängen werden. Dagegen jei Württemberg aus eigenen Mitteln 
im ftande, den mit der Kurwürde verbundenen Aufwand zu bejtreiten, und ftehe 
an der Spite des ſchwäbiſchen Kreifes, der bei einem Zuſammenſtoß mit 
Frantreih als Vormauer des ganzen Reiches vielleicht bald eine wichtige Nolle 
ipielen werde. 

Als Anwalt Heſſen-Kaſſels beantragte Brandenburg, gelegentlich der Kapi— 
tulationsverhandlungen auch über Errichtung einer neunten Kur zu beraten, doch 
nur Sadjen ftimmte bei, ſämtliche katholiſche Kurfürjten und Hannover lehnten 
es ab, auf die Frage einzugehen.”) — 

„Je näher ber Wahltermin heranrüdt,” Elagten die preußijchen Geſandten, 
„deſto weniger gibt fich der Kurfürft von Mainz Mühe, noch länger zu verbergen, 
daß er fi von uns abgewendet hat und mit dem König von Ungarn handelseins 
geworden iſt.“ Daß die Gejandten richtig beobachtet hatten, erhellt aus einer 
vertraulichen Mitteilung des kurböhmiſchen Botjchafters an den Vertreter Baierns, 
„daR Churmainz dermal umgeftimmet jeye, von feinem bisherigen engen An: 
ſchluß an den Churbrandenburgiſchen Hof nachlaßen und fi bey Vorkommniſſen 
des Königs in Böhmen Majeftaet für die Zukunft günftiger erzeigen würde”.°) 
Um dem Wiener Hofe feine Belehrung zu beweifen, bemühte fich jegt der Kur: 
fürſt von Mainz jelbft, jenen Plan, den Kaifer Joſeph angeregt, aber infolge 
der ablehnenden Haltung des Erzfanzlers wieder fallen gelaffen hatte, ins Werk 
zu jegen: neben dem Kaiſer zugleid einen römischen König aus dem habsburgifch: 
lothringifhen Haufe aufzuftellen. Da ohne Zuftimmung Brandenburgs und 
Braunjchweigs auf günftigen Erfolg nicht zu rechnen war, teilte Friedrich Karl 
dem preußiſchen Gejandten an feinem Hofe, DObriften Stein, feinen Gedanken 


) Bair. St.Archiv. Zweibrückiſche Komitialafta 1790. Berichte des Grafen v. Seins 
heim an Baron Eſebeck über die Wahllapitulationsverhandlungen 1790, Ueber Heflen:Hafjels 
oder Württemberg Borzug zur Kurwürde als eine Beleuchtung der Privatgedanfen über die 
neunte Kur. 

2) Preuß. St.:Ardiv. Bericht des Grafen Goerk vom 30, Dit. 1790. 

?) Bair. St.: Archiv, Bericht der Wahlbotjchafter an Graf Vieregg vom 28. Aug. 1790, 


358 Zweites Buch, Zweiter Abjchnitt. 


in vertraulicher Weife mit.) Endlich gehe das Zwijchenreich zu Ende, jagte er, 
und mit ihm der ſchnöde Mißbrauch, den Pfalz und Sachſen mit dem Vikariat 
getrieben hätten. Um aber zu verhindern, daß folder Unfug ſchon in nädjiter 
Zeit wieder das Neich behellige, gebe es nur ein Mittel: gleichzeitig mit Leopolds 
Kaiferwahl deffen älteften Sohn Franz zum römischen König zu erheben. Mie 
im gegenwärtigen Augenblid von feinem anderen Bewerber ernftlih die Rede 
fein fönne, ala von Leopold, jo werde die Lage des Reiches aud nad Leopolds 
Ableben feinen anderen Kandidaten zulaffen, als den Erzherzog Franz. Leopold 
fei ein gebrechliher Herr, dem fein hohes Alter beichieden fein werde. „Sollte 
er wirklich frühzeitig von der Welt weggeſchafft werden, fo wären Millionen 
Koften verloren, und wir hätten wieder ein leidiges Interregnum mit allen 
feinen Unannehmlichkeiten und Nachteilen.” Freilich biete die deutſche Geſchichte 
fein Beilpiel, daß ein Kaifer und ein König zugleid; gewählt worden wären, 
doch feien gar nicht jelten zu Lebzeiten römifcher Kaifer deren Söhne zu Königen 
erhoben worden. Möge man alfo lieber fogleih thun, was man jpäter nicht 
unterlajien fönne! 

Friedrih Wilhelm war anfänglich nicht abgeneigt, dem Vorſchlage des 
Kurfürften von Mainz feine Zuftimmung zu gewähren, allein Hertzberg hielt den 
Monarchen zurüd. Unzweifelhaft verftoße es gegen das Intereſſe Preußens, fich 
jegt jhon mit einem römifchen König zu belaften; der Vorſchlag dazu fönne nur 
von einem heigblütigen Parteigänger Defterreichs ausgehen. Weshalb jetzt ſchon an 
einen Nachfolger denfen, da doch Leopold erit 43 Jahre zähle? Der Revolutions- 
geift, der angeblich die jofortige Doppelwahl befonders rätlich erjcheinen laſſe, könne 
wohl Defterreih, nicht aber die trefflich regierten preußifchen Lande gefährden. 
Aus Erſparungsrückſichten einen ſolchen Schritt zu thun, möge fih für einen 
Kurfürften von Mainz ziemen, doch nicht für einen Kurfürften von Brandenburg! 
Vor allem aber müfle in Betradt fommen, daß der Vorſchlag die Wahlfreiheit 
der Kurfürften bedrohe. Seit den Tagen der Dttone und Heinriche fei es auch 
nicht mehr vorgefommen, daß Söhne von Kaifern noch zu Lebzeiten der Väter 
zu Königen gewählt worden jeien. Seht den Erzherzog Franz als König auf- 
ftellen, heiße das Reichsregiment ſogleich auf zwei Menichenalter an das ohnehin 
ihon übermädtige Defterreih ausliefern! Um bdiefes Uebergewicht unſchädlich 
zu machen, jei der Fürſtenbund geftiftet worden; jetzt gehe ein Vorſchlag, der 
dem Bunde jede Bedeutung rauben würde, von demjenigen Fürften aus, ber ſich 
jonjt als treuefte Stüße der Union gebare! Offenbar fei es ihm darum zu 
thun, ſich dem fünftigen Reichsoberhaupt gefällig zu ermweifen und für fi 
und jeine Familie ftattlihen Lohn einzuheimjen, aber feinesfalls dürfe der ver: 
bängnisvolle Antrag von Preußen und den übrigen Unionsmädhten angenommen 
werden. 

Friedrich Wilhelm ließ ſich durch diefe Gründe umftimmen; auch das feite 
Zufammenhalten der Anhänger Defterreichs, die möglichft wenig neue Beftimmungen 


') Preuß. St.:Arhiv. Afta, betreffend den von dem Kurfürften von Mainz Er. Kal. 
Majeftät gethanen Antrag, mit bem römifchen Kaiſer Leopold zugleich feinen Sohn Erzherzog 
Franz zum römischen König zu wählen, 1790. Bericht Steins vom 30. Aug. 179%. 


Das Projelt einer Wahl des Erzherzogs Franz zum römischen König. 359 


in die Kapitulation aufnehmen laffen wollten, hatte den König erjchredt, jo daß 
er jeinen Minifter ermädhtigte, die Ablehnung des Mainzifchen Planes zu betreiben. 

Inzwiſchen hatte Kurfürit Friedrich Karl dur feinen Staatsrat Müller 
auch den Wahlbotihaftern Brandenburgs und Braunfchweigs in Frankfurt feinen 
Borihlag eröffnen laſſen. Wenn die Zuftimmung der unierten Höfe zu erlangen 
wäre, fünnte die Sache in wenigen Tagen entichieden jein, fönnte in Frankfurt das 
glänzende Schaufpiel der Doppelwahl eines Kaijers und eines Königs vor fich gehen! 

Doch auch Dften-Saden und Goerg waren von dem jüngften Schachzug der 
Mainziihen Politit wenig erbaut und richteten an ihren König die Mahnung, 
fih nicht für die nächſte Kaiferwahl, bei welcher vielleiht das Zweibrückenſche 
Haus im Beſitz der Pfälziſchen Kur wäre, ſchon jetzt die Hände zu binden, 
Darauf ſchrieb denn auch Friedrich Wilhelm an den Kurfürften von Mainz, daß 
er fih zu dem angefonnenen Schritte nicht verftehen könne (9. September). Co: 
lange es ein deutjches Reich gebe, habe fich die Sorge der Fürften immer darauf 
gerichtet, die Erblichfeit des Kaifertums abzumehren; unmöglid könne aljo ein 
König von Preußen jest jelbft diefe Umwandlung begünftigen. Bei einer neuen 
Mahl werde fidh vielleiht günftigere Gelegenheit bieten, zu einer angemejlenen 
Kapitulation zu gelangen. „Diefer Wunſch mwurzelt in der Erfahrung, die das 
Neih unter der Regierung des vorigen Kaifers gemadt hat; nur mit Mühe 
wurden ja die Wirkungen diefes Regiments, das die Neigung zum Despotismus 
deutlich hervortreten ließ, durch die patriotifhe Verbindung, deren Hauptftüge 
Eure Durdhlaudt bilden, unſchädlich gemacht.” 

Als Often:Saden das föniglihe Schreiben im Mainziihen Quartier abgab, 
machte der Domdehant und SKabinettsminifter Freiherr von Fechenbach allerlei 
freimütige Geftändbniffe. Frievrih Karl habe dem Könige von Ungarn jelbft 
feinen Plan bezügli der Erhebung des Erzherzogs Franz unterbreitet, allein 
Leopold habe abgelehnt, das Projekt zu unterftügen, da er nicht etwas anjtreben 
wolle, was niemals durKdringen werde. Abgejehen vom Wunſche, ih dem 
künftigen Kaifer gefällig zu zeigen, habe den ehrgeizigen und eiferfüchtigen Kur: 
fürften die Abneigung gegen feinen Koadjutor Dalberg zu jeinem Vorſchlag 
bewogen: ber ihm aufgedrungene Nachfolger jollte wenigitens der Auszeichnung, 
einen Kaiſer zu wählen und zu frönen, verluftig werden. Auch der Widerwille 
gegen Sachſen und Pfalz: Baiern, denen er das Vikariat mifigönne, habe mit: 
gewirkt. Unrichtig fei die Behauptung des Kurfürften, daß Pfalz:Baiern den 
nämlichen Plan ins Auge gefaßt und befürwortet habe; wiſſe doch alle Welt, daß 
Karl Theodor nichts glühender wünſche, als jelbft die Kaiferfrone zu erlangen.) 

Auch Braunschweig verhielt fi gegen das „große Deſſin“ Frievrih Karls 
ablehnend,; es fönne, jo wurde von Ompteda erklärt, im Mainziſchen Antrag 
nur eine Verlegung der Reichsverfafiung und eine Gefahr für die deutſche Freiheit 
erblidt werden. Dagegen wollte fih Sachſen, obwohl es ebenfalls den Mainzifchen 
Anſchlag mißbilligte, nicht zu einer beftimmten Erklärung verftehen, daß es mit 
Brandenburg und Braunfhweig Hand in Hand gehen werde; es wolle zwar den durch 
die Union auferlegten Verpflichtungen getreulich nahlommen, doch da num einmal 


’, Ebenda. Bericht Dften:Sadens v. 21. Sept. 1790. 


360 Zweites Bud. Zweiter Abichnitt. 


Brandenburg mit Kurmainz in befondere Verbindung ſich eingelafjen habe, jo 
möge es jebt auch ſelbſt dafür Sorge tragen, daß „diefen in Anjehung bes 
Ehurfürftlihen und Fürftlihen Collegit zu bejorgenden Unannehmlichkeiten auf 
gute Art ausgewichen werden möge”. 

Ohne Zuftimmung Preußens und Hannovers, dies konnte fih Friedrich 
Karl unmöglich verhehlen, war die geplante Doppelmwahl nicht durchzuſetzen; der 
Gedanfe wurde aljo fallen gelaſſen. Dagegen wurde mit Leopolds Erhebung 
endlih Ernſt gemadt, der feierlihe Wahlaft auf den 30. September an- 
beraumt. Die drei geiftlihen Kurfürften wollten jih, wie es herkömmlich war, 
in eigener Berfon dazu einfinden; die weltlichen ließen fih bei Wahl und Krönung 
durh ihre Wahlbotichafter oder außerordentliche Geſandte vertreten. Wie tief 
das Anſehen der ehedem jo leidenfchaftlih ummorbenen Erzämter gejunfen war, 
zeigt eine Stelle in der Inſtruktion für die brandenburgiſchen Botſchafter: „Da 
Wir es unter Unjerer Würde finden, die in der Goldenen Bulle vorgeichriebenen 
und herkömmlichen Erzfämmerer:Verrihtungen durch unfern eriten Wahlbotſchafter 
vollbringen zu laflen, jo wollen Wir, ohne auf das zu fehen, was einbevor ge: 
ichehen, foldhe fo und in der Maße Unjerem Erbfämmerer (Fürften von Hohen: 
zollern-Hechingen) gänzlich überlafien, ſowol bey ber Prozeffion, als bey der 
Krönung und auf dem Nömerplage,; nur den Ecepter joll, wenn es bezüglich) 
der andren Inſignien von den Wahlbotihaftern geichieht, der brandenburgijche 
Gejandte vortragen, die An: und Entkleidung ift dem Erbfämmerer zu überlaſſen.“ 

Am 22. September nahmittags „gefiel es,” wie das Diarium ehrerbietig 
berichtet, „Seiner Churfürftlihen Gnaden von Mainz in Ihrer erhabenften Qualität 
zwar Öffentlich, jedoch mit gemäßigter Pracht, als welche Höchſtdieſelbe vermutlich 
auf die Wahl: und Krönungstäge veriparten, Dero Einzug zu halten“. Die 
Kirhenfürften von Trier und Köln famen in den nädften Tagen, auch die 
Statthalterin der öfterreihiichen Niederlande, Marie Chriftine, und ihr Gemahl, 
Herzog Albrecht von Sachſen-Teſchen, Neichsvizefanzler Fürft Collorevo, Vize— 
ftaatsfanzler Graf Cobenzl, viele Mitglieder des deutſchen und ungarischen Fürften: 
ftandes und Edelleute in großer Zahl fanden fi in der Wahlftabt ein. „Die 
Menge der Fürften und Großen in und außer Deutfchlands,” rühmt ein Bericht: 
erftatter in Schubarts vaterländifher Chronik, „it fo zahlreih und der Pomp, 
der fie umftrahlt, jo gewählt, geſchmackvoll und reich, daß die Neugierde, in und 
außen beaugt, wie die vier Lebende in der Apofalypje, fih faum ſatt jehen 
ann.” Da Frankfurt in die Lande des ſächſiſchen Rechtens gehörte, erließ der 
Kurjürft von Sachſen als Reichsvikar die herfümmliche „Polizey- und Taxordnung“, 
wonach männiglich ſich friedlich und befcheidentlich zu gebaren, des Rumor, Schlägerei 
und Auflauf zu enthalten, an gefährlihen Orten nicht Tobad zu rauden, die 
Domeftiquen nicht Degen und Stöde tragen zu lafjen x. Um die Sicherheit 
des „Frankfurter Wonnegetümmels” nah außen zu jhügen, wurden auf des 
Erzfanzlers Anſuchen die Hejlen:Kafjelihen Truppen bei Hanau zufammengezogen, 
Auch lud der Stadtrat den Direktor der gaftierenden Pariſer Schaufpielertruppe, 
b’Emery, vor fi, ließ den politiihen Leumund aller Mitglieder feitftelen und 
gab jtrengen Bejehl, feine Stüde zu geben, die „auf den Freiheitsgeiſt, in specie 
auf die franzöfiihe Revolution irgend einen Bezug hätten”. 


Wahl und Krönung Leopolds II. 361 


Am 30. September wurde Leopold einftimmig gewählt. 

Soweit fih aus den Stimmen der Prefje und anderen Kundgebungen auf 
die Öffentlihe Meinung ſchließen läßt, wurden dem neuen Reichsoberhaupt im 
Eüden wie im Norden warme Sympathien entgegengebradt. „Kein Deutſcher,“ 
ruft Schubart aus, „wünſcht einen anderen Kaifer, als Ihn! Wenn die dreißig 
Millionen Deutſche Alle in Einen Haufen zufammengedrängt ftänden und ein 
Starker des Himmels träte auf eine Wolfe und fragte: Deutfche, wer fol euer 
Oberhaupt jeyn? jo würd’ es aufdonnern, wie MWogengebrüfl: Leopold!“ }) 
Klopftod feiert den Gewählten als Friedensfürften: 


„Dank dir, unfer Vater, 

Daß mir dein Feſt und unfer Feft 

Unter des fegentriefenden Friedens 

Beihattenden Fittihen feiern! 

Mit tief anbetendem Preiſe des Weltbeherrichers, 
Der uns did und deine Väter gab, 

Mit ftiller Ruh feiern wir, 

Mit Freude im Herzen 

Und ihrer entzüdenden Thräne.” ?) 


Das gediegenite norbdeutihe Organ, das Hamburgiſche Politifhe Journal, 
erinnert daran, daß Leopold viele Jahre das Glück Staliens war,’) und die 
Berliner Monatsſchrift betont zwar, dab die Bedeutung der Frankfurter Mahl: 
und Krönungstage unwiederbringlid dahin, räumt aber willig ein, daß der neue 
Kaifer nicht minder dur Vorzüge des Geiftes und des Herzens, als durch Ge: 
burt und Anſehen berufen fei, die deutiche Krone zu tragen. Habe er doch 
erfaunt, dab das Glüd des Neiches bedingt jei von Frieden zwiichen Donau: 
völfern und Brennen: 


„. . . vor allem jauchze mein Lied, 
Höher als über gemonnene Schladten 
Zu Land und Meer, 

Daß Auftrias und Boruffias Herricer, 
Friedrih Wilhelm und Leopolp, 
Sie, Freunde find!“ *) 


Am 4. Dftober zog Leopold in Frankfurt ein. Bei dem Riebhof, eine 
halbe Stunde vor der Stadt, wurde er von ben drei geiftlihen Kurfürften, dem 
Stadtrat und einer jubelnden Menge empfangen. Dann wandte fidh der feier: 
lihe Zug, der aus nicht weniger als 1336 Perfonen zu Fuß, 1493 Reitern, 
82 jehsipännigen und 22 vierjpännigen Wagen beftand, nad) der Stadt. „Man 
jagte, nur die Triumphe der römischen Jmperatoren können bamit verglichen 


') Schubart, Baterl. Chronik, Jahrg. 1790, 664. 
2) Ebendba, 665. 

2) Politiſches Journal, Jabra. 1790, 1132. 

*) Deutſche Monatsfchrift, Jahrg. 1790, III, 185. 


362 Zweites Buch. weiter Abſchnitt. 


werben.” 1) Nun folgte Feſt auf Felt. Die franzöfifhe Truppe feierte mit 
Voltaires „Merope” Triumphe; Iffland, „die Zierbe der beutichen Bühne als 
Schriftiteler und Schauspieler” (Schubart), gab ein patriotifches, der Gegenwart 
angepaftes Schaufpiel: „Friedrih von Defterreih” ?); die freunde der Ton: 
funft wurden dur Abbe Voglers Orgelfpiel im Münfter und des Wunderfnaben 
Dülons Flötenfonzerte entzüdt; der taliener Girandolini veranftaltete Feuer: 
werke von nie gefehener Pracht; der Franzoſe Velong erregte durch jeine Fechter- 
fünfte das Staunen der Kenner; kurz, „alle Herrlichkeiten der Welt find in 
Frankfurt jo aufgehäuft, daß man vor ihrem Strahlenerguffe die Augen zu: 
drüden möchte”. Es wurde aber auch mit Lob und Anerkennung erzählt, 
daß der Gefeierte jelbft an diefer Pradt um der großen Koften willen fein 
Gefallen fand und fih alle Empfangsfefte in Wien verbat, da es ihm „mehr 
Freude maden würde, wenn er die Viltualienpreife herunterjegen könnte“. Aus 
anderen Gründen entiprang die Mißachtung der foftfpieligen, altmodiſchen Felte 
in der deutfchen Kaiferftadt bei den, wie Schubart fpottet, „Teit neuelter Zeit 
nach arfadifher Natureinfalt ftrebenden Franzojen”. So warf z. B. die Straß: 
burger Zeitung die Frage auf, was denn „bei jolhen geldfrefienden Zeremonien” 
die Menſchheit gewinne, und verhöhnte den bei ſolchen Gelegenheiten bejonders 
auffällig zu Tage tretenden Kajtengeift.?) 

Der Tadel ift nit unberedtigt. Der von den in Frankfurt anmwejenden 
Fürften beliebte Aufwand ftand weder zu ihren eigenen Einnahmen, noch zur 
Leiftungsfähigfeit ihrer Unterthanen im richtigen Verhältnis.) Auch paßten 
manche mittelalterliche Zeremonien und Gebräuche nicht mehr ins adhtzehnte Jahr: 
hundert. Trogbem werden wir uns lieber an Goethe halten, der in jeiner 
ebenjo ſchlichten, wie großartigen Schilderung der Krönung Joſephs II. den 
„unendlichen Reiz einer politifch:religiöjen Feierlichkeit” zur Anſchauung zu bringen 
weiß, als an Karl Heinrich von Lang, deſſen ſatiriſche Darftellung der Frank: 
furter Feſte von 1790 faum weniger befannt ift, als jene klaſſiſche Geſchichte eines 
Krönungstages.’) Auch in Schubarts Chronik wird nachdrücklich hervorgehoben, 
daß zwar die Scenen im Römer und in der Bartholomäusfirche „eine etwas 


') Bolitifches Journal, Jahrg. 1790, 1134. 

*, Yfflands Dramat. Werke, 6. Bb,, Einl., 4. Es handelt fih um Kaiſer Friedrich III., 
den „sriedfertigen”, wie er im Drama von Aeneas Sylvius genannt wird. Iffland wählte 
diefen Stoff, weil in der Gefchichte Friedrichs III. „das Bild einer jehr ſchweren Regententugend, 
bes Gleihmuts”, und zugleich Gelegenheit, einen glorreihen Friedensſchluß zwiſchen Ungarn, 
Böhmen und Defterreih zu feiern, geboten fei. 

) Vaterländifche Chronif, 682. 

4, In Girtanners Politischen Annalen (I, 400) findet ſich ein VBerzeihnis der „Ausgaben 
Sr. Churf. Gnaden zu Mainz bei der Wahl und Krönung Kaiſer Leopolds II.” Obwohl in 
dem Begleitichreiben d. d. Mainz 20. Dez. 1792 erflärt ift, daß das Schriftftüd aus dem Mainzer 
Jakobinerklub ftamme und der Einfender nicht für die Echtheit gut ftehen wolle, fcheinen bie 
Angaben, die mit ähnlichen Berechnungen übereinftimmen, richtig zu fein. Danach hätten fi u. a. 
die Ausgaben für Kleider und Livren des kurfürftlichen Hofftaates auf 80970 Gulden, für neue 
Kutihen und Pferde auf 45055 Gulden, für Fourage auf 13897 Gulden, die Gejfamtausgaben 
auf 426274 Gulden 30 Kreuzer 1 Pfennig belaufen. 

5) Memoiren des K. H. Nitter von Lang, I, 209. 


Wahl und Krönung Leopolds II. 363 


gotiſche Geftalt haben”, daß aber der fie bejeelende majeftätiihe Zug immer 
die Herzen deutiher Männer rühren werde. 

Am 9. Dftober morgens ertönte wieder, wie am Wahltage, die Sturm 
glode, das Signal zum Beginn der Krönungsfeier. Lang, der ala Kurier des 
Erbtruchſeſſen Fürften von Dettingen Gelegenheit hatte, den Feten beizumohnen, 
johildert fie als eine „abgejchmadte Puppentomödie” von „altteftamentarifcher 
Judenpracht“. „Der Kaiferornat fah aus, als wär’ er auf dem Tröbelmarfte 
zufammengefauft, die faiferlihe Krone aber, als hätte fie der allerungeſchickteſte 
Kupferſchmied zufammengejchmiebet und mit Kiejelfteinen und Glasicherben befett, 
auf dem angeblichen Schwert Karla des Großen war ein Löwe mit dem böhmischen 
Wappen. Die herabwürdigenden Zeremonien, nad welchen der Kailer alle Augen: 
blide vom Stuhle herab und hinauf, hinauf und herab, fich anfleiden und aus: 
fleiden, anjchmieren und wieder abwijhen lafjen, fih vor den Biſchofsmützen 
mit Händen und Füßen ausgeitredt auf die Erde werfen und liegen bleiben 
mußte, waren in der Hauptjache ganz diefelben, womit der gemeinfte Mönd in 
jedem Bettelflofter eingekleidet wird. Am poffierlichiten war es, als eine Biſchofs— 
müge im lieblichſten Najenton und lateinifch zur Orgel hinauf intonierte, ob fie 
nun wirflih den Serenissimum Dominum, Dominum Leopoldum wollten in 
regem suum habere, worauf der bejahende Chorregent gewaltig mit dem Kopfe 
fchüttelte, feinen Fiebelbogen greulid auf und nieder ſchwenkte, die Chorjung: 
frauen und Singfnaben aber im höchſten Diskant herunterriefen: fiat! fiat! fiat! 
Sowie aljo von Seite diejer Kleinen Herrichaften nichts mehr entgegen zu ftehen 
ſchien, ging’s num mit der Krone eilends auf das Faiferlihe Haupt, vom Empor 
aber mit Heerpaufen und Trompeten donnernd herab: Haderipump! Haderipump! 
Pump! Bump!” 

Nicht refpektierliher ſpricht Wedherlin von der nationalen Feier. Er be: 
dauert den armen öſterreichiſchen Prinzen, der in der alten, durchräucherten Stadt, 
vermummt in den gotifchen Mantel eines verjährten Kaifers, die blonden Locken 
unter eine ſchwere Krone gepreßt, mit Rolandsjporen an den Schuhen, zur Schau 
geitellt werden ſoll! Wenn ihm der Schweiß in diden Tropfen auf die Stirne 
tritt, dann werben bie Höder und Faßbinder von Frankfurt in Entzüden geraten; 
wenn er fie lang genug als Schaufpieler beluftigt hat, werden fie ihm ein Vivat 
ins Ohr brüllen, deſſen Efel ihm die jchmachtenden Sinne vollends betäuben 
wird. „Man läßt dich fühlen, daß du fo gut wie wir, unter dem Fluche 
Adams ſtehſt: Im Schweiß deines Angefihts jollft du dein Brot eſſen!“ ) — 


) Wedherlin, Graues Ungeheuer, I, 292. Auch die von Profeffor Meufel in Erlangen 
herausgegebene Zeitfchrift „Mufeum für Künftler und Aunftliebhaber” enthält eine überaus ab: 
fällige Kritik der Krönungsfeſte. „Das einzige öffentlihe Dentmahl; weldes von der Krönung 
in Frankfurt zurüdbleibt, ift das Portrait des Kaiſers auf dem Römer nebft dem Schäbel von dem 
gebratenen Ochſen, weldyer dem Bolfe preißgegeben und jedesmal bey der Zunft, die ihn erobert 
hat, aufgeftellt wird.“ Mit Recht nennt dies Jäger, der Herausgeber des Diariums (Jäger, 
Wahl- und Krönungsbiarium Kaifer Leopolds II., 382) eine „Lindifch:freche Tirade“ und ermwidert 
auf die höhnifchen Bemerkungen über den auf dem Wahltag üblichen Ausdruck „vortrefflicher 
Herr Wahlbotjchafter” mit der Frage, warum denn der Herr Profeffor Meufel nicht gegen das 
undeutſche Ehrenwort Magnificenz und andere akademiſche Titulaturen feine Stimme erhebe? 


364 Zweites Bud. Zweiter Abſchnitt. 


Mögen ber blafierte Allerweltstadler Lang, der profejfionelle Spötter Wedherlin 
mit ihrem Witz niedrigfter Gattung Lader finden, die Gebildeten ftellen fih auf 
Goethes Seite! „Der Totaleindrud bei mir,” jo bejchliefit der Berichterftatter 
der Vaterländiſchen Chronik feine Schilderung, „war folgender: Freude und 
Wohlbehagen über deutſchen Reichtum, deutſche Pracht und Fülle, über jo mandes 
grotesfe, dem Fremdling oft lächerliche, dem Sohne des Landes deſto ehrwürdigere 
Schaufpiel, weil er den Geiſt feiner Nation in den auffallenditen Sontraften 
darin fand; Entzüden über den körperlichen und geiftigen Wohlitand, über jo 
manden Herzenszug unjeres neuen Kaijers, — jtillgetban, aber feurig ermwidert 
von den Glüdlihen, die er traf, und laut begrüßt von der wißbegierigen Liebe, 
Nicht im Gange der ganzen Begebenheit überhaupt, die für das Herz zu viel 
Steifes und Zurüditoßendes hatte, jondern in einzelnen Ecenen und einzelnen 
Vorfälen lag dies Intereſſe.“ 

Einen wertvollen Beitrag zur Geſchichte der Frankfurter Tage von 1790 
bieten die „Nachrichten über einige der wichtigſten Perſönlichkeiten des Neichs“, 
welde vom zweiten brandenburgiihen Wahlbotihafter Grafen Goer& zur In— 
formation des Berliner Hofes abgefaßt wurden. !) 

Der neue Kaifer jcheint dem Gefandten ein aufgeflärter, unterrichteter, 
fähiger Mann zu fein; er fpricht gut und in einem herzlichen Ton, der für den 
Hörer etwas Gemwinnendes hat; er ipricht aber viel, vielleiht ein wenig zu viel! 
Nicht jelten überrafcht der Freimut, womit er verfänglide Dinge offen heraus: 
fagt. Seine Regierung wird friedlich und ruhig verlaufen und für feine Monardie 
eine Periode des Glüds bedeuten. Ausgeſchloſſen ift freilich nicht, daß er jo 
eble Gelinnungen nur heuchle; dies wird fih am rafcheiten zeigen, wenn man 
ihm in der nämlichen freimütigen Weife gegenübertritt. Die höchſten Beamten 
des Kaijers, der Staatsfanzler Fürſt Kaunig, der Vizekanzler Graf Cobenzl und 
der Neichshofratspräfident Fürſt Colloredo, überbieten fi in Haß gegen Preußen; 
jo lange diefe Männer am Ruder ftehen, wird gutes Einvernehmen zwiſchen den 
Höfen von Wien und Berlin niemals von Dauer fein. Glücklicherweiſe jcheint 
feiner von den Herren erhebligen Einfluß auf den Kaifer zu befiten; eher gilt 
dies von Geheimrat von Spielmann, der es mit Preußen wenigftens nicht ver: 
derben will; auch General Manfredini, der die Erziehung der jungen Erzherzöge 
geleitet hat, gilt viel bei dem Kaifer. Graf Metternich kann ji, obwohl er 
hervorragende Fähigkeiten gewiß nicht beligt, immerhin noch zu einem gewandten 
Diplomaten ausbilden. Die meiften Gefchäfte beſorgt der Kaifer ohne Beiziehung 
der Minifter, ja jogar ohne Hülfe eines Sefretärs; höchſtens diftiert er einem 
feiner Eöhne. Sein Lieblingsplan jcheint auf Ausbreitung des öfterreihiichen 
Einfluffes in Stalien gerichtet zu fein; deshalb hat er die zwei Prinzejfinnen 
von Neapel, denen über furz oder lang die Nachfolge zufallen wird, für fi 
gewonnen. 

Die feindfelige Haltung, welde der Kurfürſt von Mainz während bes 





') Preuß. St.Archiv. Akta, betreffend die Mahl eines römischen Kaiſers 1790. Notions 
sur quelque personnes les plus importantes dans l'’empire, d. d. Wasserloch pres de 
Francfort, 30. sept. 1790. 


Mahl und Krönung Leopolds II. 365 


Wahltags einnahm, macht erflärlih, daß Goerk von ihm ein gar ungünftiges 
Bild entwirft. Der eitle, hochmütige, ehrſüchtige Kirhenfürft wolle das ganze 
Reich regieren und vergeſſe gänzlih, daß er zwar an Rang, aber nit an Macht 
der Erfte im Neich jei. In die Union fei er offenbar nur aus Verdruß, weil 
ihn Joſeph II. feine Rolle jpielen ließ, eingetreten. Dabei habe er bloß Sinn 
für Lurus und Vergnügen; die Arbeit überlaffe er jeinen Günftlingen. Anfangs 
jei Graf Sidingen, der ergebene Diener des Wiener Hofes, in höchſter Gunft 
geſtanden; dann habe ihn Graf Metternich abgelöſt; jetzt überwiege der Einfluß 
der Frauen, insbefondere der Frau von Coudenhoven; ſehr bald aber werde 
Herr von Albini ale anderen ausitehen, und wenn erft diefer hoffärtige Mann 
als Kanzler an der Spite ftehe, dann werde die Mainziihe Wirtſchaft noch 
unerträgliher werben. 

Den Koadjutor Baron Dalberg nennt Goertz einen „alten, intimen Freund”, 
der fich troß feiner Beförderung gar nicht verändert habe und zweifellos einmal 
ein tadellofer Fürft der Kirhe und ein pflichttreuer, unparteiiicher Kanzler des 
Reichs fein werde. Der Kurfürft von Trier fei ein herzensguter, aber jchwacher 
Mann, der jhon aus Rüdfiht auf feinen Bruder, Herzog Albrecht von Sadjen: 
Teihen, zum Wiener Hofe halte. Ueber des Kurfürften von Köln unruhiges, 
turbulentes Wejen brauche fein Wort mehr gejagt zu werben; es ſei ebenjo 
befannt, wie das ränkevolle Treiben des Günftlings Waldenjels. Leber ben 
bairiihen Wahlbotſchafter Grafen von Oberndorff wird nur gejagt, daß er bei 
Kurfürft Karl Theodor alles gelte. Hohes Lob wird dem ſächſiſchen Minifter 
Grafen von Loeben gezollt, weil er immer die Bundestreue gegen Preußen als 
erfte Pflicht betrachtet habe. Bon den fürftliden Miniftern wird der badiſche 
Gejandte Baron Edelsheim als bedeutendſte Perfönlichkeit gefchildert; doch jei 
er ein Mann ohne feſte politiihe Grundfäge, der fih bald an Oeſterreich, bald 
an Preußen anlehnen wolle. 

Mit ſtarkem Nahdrud heben Goertz und jein Kollege Often-Saden in 
einem „Finalrapport“ (30. Oktober) hervor, daß bie Union den auf fie gejegten 
Hoffnungen nicht entſprochen habe; trogbem dürfe Preußen nicht aufhören, als 
Schirmherr der Freiheit die deutihen Fürften um fich zu jcharen. Nicht felten 
höre man die Behauptung, Preußen braude Deutfchland nicht und werde durch 
die Rüdfihten auf das Reich nur in feiner natürlihen Entwidelung gehindert; 
dieſe Anficht jei aber grundfalih! Wachſam und feit die Neihsverfaffung zu 
ſchützen, dies ſei die wichtigſte Aufgabe des preußiihen Staates. Den deutſchen 
Fürften müſſe zum Bemußtfein gebracht werden, daß Preußen allein im ftande 
jei, die Uebermacht Defterreihs unschädlich zu maden, und daß es bereit ei, 
Kurfürften und Fürften im Beſitz ihrer Länder und Würden zu erhalten, ohne 
von ihnen eine andere Unterordnung zu verlangen als diejenige, die nad dem 
auch in der Politif geltenden Gejeß der Schwere ohnehin dem mächtigeren Staate 
zufomme. — 

Aeußerlih betrachtet ſchien fih das Verhältnis zwiſchen Defterreih und 
Preußen jeit Abſchluß des Reichenbacher Vertrages überrafhend freundſchaftlich 
zu geftalten. Leopold zeichnete die Vertreter Preußens in Frankfurt bei jedem 
Anlaß aus und wurde nicht müde, fie feiner Ergebenheit und Friebensliebe zu 


366 Zweites Bud. Zweiter Abjchnitt. 


verſichern.) Am Tage nad der Krönung richtete der Kaiſer an Frievrih Wil: 
helm ein eigenhändiges Schreiben, worin er für das Entgegenfommen bei der 
Kaiferwahl feinen Dank ausiprad. Er habe feinen heißeren Wunſch, verficherte 
er, als ji den Freund des Königs nennen zu bürfen; deshalb habe er ohne 
Kummer große Opfer gebradht, denn feines jei zu groß, wenn es gelte, ein 
Syſtem des Friedens und der Freundſchaft zwiſchen Defterreih und Preußen zu 
begründen. 

Wir haben feinen Anlaß, in die Aufrichtigkeit der Aeußerungen Leopolds 
Zweifel zu ſetzen. Oſten-Sacken und Goertz ſchrieben die freundlihe Wandlung 
dem Einfluſſe Spielmanns zu. Allein davon abgejehen, daß Kaunig und Cobenjl, 
ber eben erft in Reichenbach erlittenen Demütigung eingedenf, in ihrer Abneigung 
gegen Preußen beharrten: der Gegenjaß der Intereſſen der beiden Staaten war 
nicht zu überbrüden, und die natürlice Folge war, daß hüben und drüben das 
Mißtrauen niemals erlofjh. Dem weiſen Ermefjen des Königs, jchrieben die 
preußiihen Geſandten, müjje überlajjen werden, welder Wert den freundichaft: 
lihen Worten des Kaijers beizumefjen jei. Friedrich Wilhelm ließ es zwar in 
feiner Antwort an den wärmiten Beteuerungen des Dankes und der Freude nicht 
fehlen, madte aber gegenüber jeinen Miniftern die fühle Bemerkung: „Ich 
wünjchte, daß diefer Fürft auch jo handeln möchte, wie er jchreibt.” 

Insbeſondere die Haltung Oeſterreichs in der Lütticher Frage rief in Berlin 
neuerdings Unzufriedenheit wach. Das preußijche Kabinett hatte, wie oben dar: 
gelegt wurde, den aufitändiihen Bürgern von Lüttich) das Verſprechen gegeben, 
es wolle nicht zulafien, daß Biſchof Hoensbroech wieder eingejegt werbe, ohne 
auch jeinerjeits den Bürgern ihre 1684 durch nadte Willkür abgejhafften, ver: 
fafjungsmäßigen Rechte zurüdzugeben. Auf ſolche Beichränfung wollten aber 
weder der Biſchof, noch das Richterfollegium in Weplar, noch die übrigen mit der 
Grefution betrauten Stände eingehen. Hoensbroed lehnte jeden Eingriff in jeine 
fouveränen Rechte ab und forderte bedingungsloje Vollftredung des reichsgericht- 
lihen Urteils. Unter diefen Umftänden hielt e& der preußiſche Monarch für 
geraten, jeine Truppen gänzlich zurüdzuziehen und die Erefution den rheiniichen 
Fürften zu überlaffen. Welche Abfichten ihn dabei leiteten, lehrt ein Brief an 
den Kurfürften von Mainz (22. April).) „Wie Ew. Kurfürftlide Durchlaucht 
ihon willen werden, it mein General Schlieffen mit allen Truppen aus dem 
Hoditift Lüttich abgezogen und hat dasfelbe feinem Schidjal überlafjen, da der 
Biſchof in ftolzer und ſogar ungebührlicher Weije alle meine Vorfchläge zu einem 
gemäßigten Vergleich verworfen hat. Ew. Kurfürftlide Durchlaucht werden 
hoffentlich den patriotiihen Abjichten Preußens Gerechtigkeit widerfahren laſſen. 
Die preußiſche Vermittelung allein hat die Ruhe in diefem Lande, das jonft den 
unberechenbaren Folgen eines blutigen Bürgerfrieges ausgejegt geblieben wäre, 
mwiederhergeitellt; die Truppen der drei Kurfürften hätten nicht ausgereiht, um 
die Lüttiher zur Vernunft zu bringen. Ich habe das Land bejegt mit freier 
Zuftimmung der Bevölkerung und bin eine Kapitulation eingegangen, die mir 


! Preuß. St.Archiv. Bericht vom 17. Dit. 1790. 
2) Ebenda. Alta, betreffend die Wahl Leopolds II., 1790. 


Das Ende des Lüttiher Streites. 367 


jegt nicht erlaubt, einfach den Spruch des Reichskammergerichts zur Richtſchnur 
zu nehmen. Der Biichof wird leichter durch Annahme der preußiihen Vor: 
ichläge feinen Befig zurüderlangen, als durch Nichterjprüche, die vielleiht ver: 
faffungsmäßig jein mögen, die aber einfach nicht zu vollziehen find. Es handelt 
fih ja um ein in Waffen ftehendes Voll, um Nachbarn eines anderen Volkes, 
das darauf brennt, jih der Unterordnung unter feinen Landesherrn und das 
Neich zu entziehen... .” 

Am 16. April zogen die Preußen aus Lüttich ab. Auch die Pfälzer mußten 
die Stadt. verlalien; ihre Bitte, es möge ihnen die Zitadelle überlaffen werden, 
war von Sclieffen abſchlägig beichieden worden.!) Unmittelbar darauf wurde 
die Abjegung des Fürftbijchofs proflamiert. Georg FForfter, der ein paar Wochen 
vorher die betriebfame Landihaft an der Maas beſucht hatte, empfing im 
allgemeinen von Land und Leuten günftigeren Eindrud, als von den Brabantern; 
er glaubte bei der vorwiegend aus Bergknappen und Eifenarbeitern beitehenden 
Lüttiher Miliz mehr Disziplin, Subordination und Beherztheit zu finden, als 
bei den brabantiihen Bauern und den limburgiihen Hirten.?) „Die Leute 
waren durchgehends von ihren politiihen Verhältniſſen bis zum Ueberſtrömen 
voll, hingen daran mit unglaublihem Eifer und' ſchienen ſich im gegenwärtigen 
Zeitpunkte, wie alle freien Völker, mit den öffentlihen Angelegenheiten beinahe 
mehr als mit ihren Privatbedürfnifien zu bejhäftigen.” Unangenehm berührt 
fühlte ſich Förſter dur das übertriebene Selbitvertrauen der Lüttiher und die 
beleidigenden Ausdrüde, die fie fih gegen das Neichsfammergeriht und die 
deutihen Fürften erlaubten. Die ftolze Zuverſicht auf die eigenen Kräfte, die 
ihnen eine Wiederkehr des alten Regiments als unmöglich erfcheinen ließ, drängt 
zu weiteren revolutionären Maßnahmen: Auflöfung des geheimen Nats, Kon: 
fisfation der bifhöflihen Güter und Tafelgelver, Aufhebung der Zünfte, Vor: 
bereitung einer neuen Negierungsform. Mittelpunft des neuen Staatsförpers 
war vorerjt der Gemeinderat; alle Reformen waren mehr oder weniger der neuen 
franzöfiihen Gejeggebung nachgebildet und jollten den Webergang zum rein 
demofratijhen Staat anbahnen. Von den beiden Bürgermeiftern, die bisher die 
Führer der Bewegung gewejen waren, wurde nur Fabry wiedergewählt; Cheftret, 
der jeinen aufgeregten Landsleuten zu wenig Entihlofjenheit zu haben ſchien — 
„er Ihwagt zu viel mit Peter und mit Paul,“ jpottete der einflußreihe Publizift 
Baſſenge —, mußte einem obſkuren Advofaten Donceel Pla mahen; man 
bediente ji des Vorwandes, Chejtret jei als militärifcher Befehlshaber unent: 
behrlih, und die Vereinigung beider Stellen ſei nicht thunlich. Inzwiſchen hatte 
das Reihsfanmergeriht die weftlihen Kreife nochmals zur Vollftredung des 
Urteils an den Nebellen aufgefordert, und obwohl jih das Berliner Kabinett 
alle Mühe gab, die „bizarre“ Erefution, die nur ungeheure und unnötige Koften 
verurjahen und vielleiht noch ähnliche Aufftände in Nachbarländern nah fi 
ziehen werde, zu verhindern, rüdten pfälziſche und kölniſche Truppen gegen Lüttich 
vor. Als e8 zum Schlagen fommen follte, wurbe der Oberbefehl über die in 


) Borgnet, Histoire de la revolution Liögeoise, I, 261. 
2) Sg. Forfter, Anfihten vom Niederrhein ꝛc., I, 105. 


368 Zweites Bud. Zweiter Abſchnilt. 


Tongres jtehenden lüttihijchen Truppen nicht dem Kommandanten der National: 
garbe, Cheftret, dem Liebling der Soldaten, den der Biſchof Hoensbroech beshalb 
den „König von Tongres” nannte, übertragen, jondern einem Verwandten des 
Bürgermeifters Donceel gleihen Namens.!) Nicht dem Geſchick dieſes allzu 
bebädhtigen Führers oder hervorragenden Heldenthaten der lüttichiſchen Miliz, 
fondern nur der beifpiellofen Kopflofigfeit im feindlichen Heere war es zuzu— 
ichreiben, daß die Aufftändiihen fich gegen die an Zahl und Ausrüftung über: 
legenen Reichstruppen fiegreich behaupteten. 

Mir befigen draftiihe „Erinnerungen“ an den LZütticher Feldzug der kur: 
rheinischen Erefutionstruppen aus der Feder eines Teilnehmers, des furmainzifchen 
ngenieuroffiziers Eidemeyer.’) Da berjelbe zwei Fahre jpäter mit der Er: 
Härung, der Kurftaat Mainz habe für ihn aufgehört zu eriftieren, in die Dienite 
der frangöfiichen Republik übertrat, ift der Bericht über die Kriegsthaten der fur: 
mainziſchen Truppen vielleicht gar zu grau in grau gemalt; im allgemeinen aber 
bieten die überrajchenden Mißerfolge des Kontingents unerfreulihe Beftätigung. 
Am 23. Mai wurde die mainzifhe Brigade in der Nähe des Frauenſtifts Biljen 
von einer Fleinen Abteilung Lüttiher Schügen verſcheucht. Am 26. Mai wurde 
die Stadt Haffelt von den Mainzern angegriffen; die Aufftändiichen flohen durch 
das entgegengefegte Thor, aber ein paar mwohlgezielte Kanonenſchüſſe genügten, 
um bie Stürmenden zu zerjprengen, und noch am nämlichen Tage zog bie 
mainziſche Brigade in die alten Quartiere zurüd. Auch nachdem trierifhe und 
pfälziſche Truppen dazu geſtoßen waren und der pfälziſche General Fürft Men: 
burg den Oberbefehl übernommen hatte, wurde nicht glüdlicher geftritten. Am 
29. Juni ging das ganze Heer bei Maaseyf über die Maas, doch nad unbe: 
deutenden Händeln mit den Aufftändiichen wurde wieder der Rüdzug angetreten, 
nad Eidemeyers Anficht, weil „die Offiziere meinten, es ſei doch eigentlich un— 
erlaubt, ihre Leute um ‚Patrioten‘ aufzuopfern, ein Name, der damals mit 
Lumpengefindel gleihbebeutend war”. 

Nun wurde die Stimmung in Lüttich noch zuverſichtlicher, alle Hüte 
ihmüdten fi mit Freiheitsfofarden, im Lager wie in Werkftätten und Fabrik: 
jälen eriholl das nationale Kampfliev: „Valeureux Liegois ete.* Trotzdem 
fonnte der greife Fabry, in beflen Händen die Fäden der Regierungsgewalt 
zufammenliefen, fih nicht verhehlen, daß die Lage äußerft kritiſch fei und bie 
Lüttiher aus eigenen Kräften fi nicht auf die Dauer behaupten fünnten. Er trat 
deshalb mit van Eupen und anderen Führern ber bisher noch fiegreihen Belgier 
in Berbindung.?) Allein zwiihen den Nebellen mit dem Roſenkranz und den 
Anhängern der allgemeinen Menjchenrechte, die ihren Biſchof ohne Skrupel feines 
Eigentums beraubt hatten und fi in auffälliger Geringihägung bes Priejter: 
ftandes gefielen, war ein Bündnis nicht möglid. Mehr Geneigtheit zur Hülfe: 
leiftung zeigte das preußiſche Kabinett. Dohm, der fih in Lüttich großer Be: 
liebtheit erfreut hatte — mit Mühe nur konnte er fi, wie Forſter verfichert, 


') Borgnet, I, 255. 
?) Denfwürdigfeiten des Generald Eickemeyer, ber. v. König, 87. 
3) Borgnet, 1, 284. 


Das Enbe des Lüttiher Streites, 369 


den Umarmungen der tonangebenden Köhlerweiber entziehen —, fuhr auch nad 
feiner Abreife von Lüttich fort, mit den vom Reichskammergericht geächteten 
Behörden zu unterhandeln. Dabei war insbefondere der Wunſch maßgebend, 
den Anſchluß der Lüttiher an Frankreich fernzuhalten. „Ich glaube die beite 
Probe meines Patriotismus dadurch gegeben zu haben,” ſchrieb Friedrich Wilhelm 
(21. Juni) an den Kurfürften von Mainz, „daß ich allein bisher einen Appell 
der Stände von Belgien und Lüttih an die franzöfiihe Nationalverfammlung 
verhindert und ihnen bie Verpflichtung auferlegt habe, jih nicht vom Neiche zu 
trennen.” Als aber nad Bekanntwerden des Reichenbaher Vertrags die Aus— 
fiht auf preußiihe Hülfe ſchwand, wandten fih die Lüttiher an ihre weftlidhen 
Nachbarn, mit denen fie ja durch Bande des Blutes, wie durch Gemeinschaft der 
Intereſſen weit inniger verbunden waren, als mit dem deutichen Reich. Henkart 
und Reynier, die Redakteure des „Journal patriotique“, verhandelten in Paris 
mit Montmorin und Neder, Mirabeau und Lafayette; fie erfreuten fi überall 
ehrenvoller Aufnahme, die Adrefje der Lütticher an das franzöfiihe Volk wurde 
in der Nationalverfjammlung mit Beifall überjchüttet, aber außer jchmeidel- 
haften Worten und freundlihen Wünſchen war nichts zu erlangen. ’) 

Um gegen die Rückkehr des Biſchofs einen Riegel vorzufchieben, wurde in 
der Perſon eines lüttichſchen Domherrn und Großgrundbefigers, des Prinzen 
Ferdinand von Rohan-Guemensé, nad) alter Tradition ein „mambour* als Negent 
aufgeftelt. Am 13. September leiftete Rohan in der Ständeverfammlung den 
Eid auf die Gefege und Freiheiten des 18. Auguft 1789 und hielt eine Art 
Thronrede voll Selbitbewunderung und ftolzer Hoffnung. ?) 

Inzwiſchen dauerte die ärgerliche Kriegspoſſe fort, die zwar nur geringe 
Blutopfer Eoftete, aber die Verwüſtung weiter Zandftrihe und bie Ausfaugung 
des ganzen Landes zur Folge hatte. Im Auguſt ſchien ih die Reichsarmee zu 
ernfterer Anftrengung aufzuraffen, doch aud diesmal folgte auf voreiligen Angriff 
ein jchleuniger Nüdzug. Die pfälzischen und trieriihen Truppen marſchierten darauf 
beim, die mainzifchen und münfterifchen verharrten in herkömmlicher Untätigfeit. 

Wie fhon erwähnt, wurde aud in Frankfurt der Verfuh gemadt, die 
deutjchen Stände mit der Lüttiher Erhebung zu befreunden, doch pochten die 
Abgeordneten an allen Thüren vergeblih an. Auch die preußiichen Botſchafter 
verhehlten ihnen nit, daß an Unterhandlungen überhaupt nie gedacht werben 
könne, ehe nicht der rechtmäßige Landesherr zurüdberufen ſei. Die Wiedereinjegung 
Hoensbroechs ſtand denn auch an der Spite der von preußiſcher Seite aus: 
gearbeiteten und zur Annahme empfohlenen „articles de penitence*, welche bie 
Abgeordneten von Frankfurt heimbradten. Am 4. Dftober famen die Borfchläge 
in Lüttich zur Verlefung, wurden aber mit Entjchievenheit abgelehnt. °) 

Die Erekutionstruppen waren ja nicht zu fürdten, allein von anderer 
Seite tauchte ernftere Gefahr auf. Wenige Tage vor der Krönung ſandte Obrift 


") Histoire parlamentaire de la revolution Frangaise, VII, 215. 

®, Henaux, Histoire de Liüge, II, 299. 

’) Juste, 29. Hier wird aud ein wohl faum begründetes Gerücht mitgeteilt, die Abs 
fafjung der articles de p£enitence habe dem nad Aachen ausgewanderten Lütticher Domlapitel 
50000 Franes gefoftet. 

Heigel, Deutiche Gedichte vom Tode Friedrichs db. Or. bis zur Anflöfung bed deutichen Aticht 24 


370 Zweites Bud. Zweiter Abichnitt. 


Stein vom mainziſchen Hoflager in Aihaffenburg eine aufregende Nachricht 
nad) Berlin. Leopold war gelegentlih einer Unterredung mit dem Kurſfürſten 
über den Lütticher Streit mit einem neuen Vorſchlag hervorgetreten. Wenn bie 
Aufitändifchen fih noch länger dem Urteil des Reichskammergerichts widerſetzen 
würden, follte der furrheiniiche Kreis den Kaifer um Hülfe angehen, und bieje 
werde nicht verfagt werden. Da nad glüdlicher Unterwerfung Belgiens gewiſſer— 
maßen die Vorwerke Lüttichs ſchon von öfterreihiihen Truppen bejegt feien, 
werde die Unterwerfung feine Schwierigkeit bieten. !) 

Ein folder Vorſchlag war gegen die in Reichenbach getroffene Abrede. Hergberg 
ließ jofort die öſterreichiſchen Minifter daran erinnern, daß fie damals verſprochen 
hätten, fi nicht in den Lütticher Handel einzumiſchen. Das beſte werde fein, 
die Entſcheidung über den fchwierigen Fall einem aus Vertretern der Direktoren 
der beteiligten Kreife gebildeten Kongref zu überlaſſen. Daß die Lütticher den 
Biſchof wieder aufnehmen müßten, fei jelbftverftändlih; andrerfeits möge auch 
diejer, den Forderungen der Billigfeit Rechnung tragend, volle Amneftie gewähren, 
das Edikt von 1684 aufheben, freie Wahl der ftädtiichen Behörden und ber Ver: 
treter des dritten Standes in der Ständekammer zufidhern. 

In diefem Sinne ſprach fih Dohm auch im Lüttih aus.?) Die Stände 
wären gern bereit gewejen, darauf einzugehen, allein der Stadtrat und bie 
Sektionen widerfegten jich entichloffen der Zurüdberufung des „Despoten”. Vom 
Nufe: „Plus de Hoensbroech! Plus de Hoensbroech!* dröhnte der weite 
Platz.“) Das hieß: den Bogen überjpannen; es war eine Herausforderung der 
Neihsfürften, die unmöglich zugeben durften, dab die fouveränen Rechte eines 
Standesgenofjen von den eigenen Unterthanen einfach umgeftoßen würden. Zwar 
endete auch der „dritte Kreuzzug”, wie Cidemeyer den im Dezember unter: 
nommenen dritten Angriff der mainziſchen Brigade verjpottet,*) mit kläglichem 
Mißerfolg; als aber nad) der Niederlage der Mainzer bei Bije (9. Dezember) 
der Kaiſer jelbjt zur VBollitredung der Weslarer Urteile die Hand bot, war ber 
Ssreiheitstraum der Lüttiher Patrioten raſch zu Ende. Umſonſt legte Dohm 
gegen den Einmarſch der Kaiferlihen unter Feldmarihal Bender Verwahrung 
ein, indem er behauptete, die Unterwerfung der Lütticher dürfe nur von den 
Direftorialfürften nah den in Frankfurt feſtgeſetzten Gelichtspunften durchgeführt 
werben; °) der Proteit blieb unbeachtet. 

Trogdem war Friedrih Wilhelm nicht mehr zu bewegen, den Widerftand gegen 
die Durchführung der reichsgeſetzlichen Beſchlüſſe fortzufegen. Dieſes ängſtliche 
Zurüdweichen gerade im entſcheidenden Nugenblid, klagte Dohm, laſſe die Unter: 
werfung Lüttichs zugleih als Niederlage Preußens ericheinen. „Der Triumph 
unferer Feinde vor unjeren Augen, der gänzliche Verfall des preußiſchen Anjehens 


') Preuß. St.Archiv. Alta, betreffend die Wahl eines römiſchen Königs 1790. Bericht 
Steins vom 6, Oft, 1790. 

2?) Gronau, C. W. v. Dohm, 199. 

2) Henaux, II, 308. 

) Eidemeyer, Denfwürbigleiten, 99. 

) Danz, Zweite Fortfegung der Staatsrechtlihen Betrachtungen über die Lüttichiſchen 
Unruhen (1791), 45. 


Das Ende des Lüttiher Streites, 371 


und Namens in biejen Gegenden jchlägt mich fo nieder, daß ich es nicht ausbrüden 
kann!” Hertzberg teilte diefe Auffafiung; ihm felbit, jchrieb er an Dohm, jei 
es in Reichenbach nicht beſſer gegangen, in ſolchen Fällen heifche die Rückſicht 
auf Staat und Monarden Gehorfam und Schweigen. ') 

In Lüttich jelbit erfolgte unter dem Drud der widrigen Verhältniſſe ein 
Umſchwung. Die Anhänger Hoensbroechs traten aus ihren Verſtecken hervor; 
in der Mehrheit der Bevölkerung regten fi wieder zwei mächtige jeelifche 
Faktoren, die nur vorübergehend durd das terroriftiiche Treiben der patriotiichen 
Klubs zum Schweigen gebradht waren: Gemiflen und Gewohnheit; jegt nannte 
man wieder öffentlich die Freunde der Unabhängigkeit Utopilten und die Gegner 
des Biſchofs Feinde des Waterlands. Auch der würdige Fabry mußte die Wandel: 
barkeit der Volksgunft erfahren; von den eigenen Anhängern wurde ihm vor: 
geworfen, daß er fih von den Preußen habe hinters Licht führen laflen; der 
franzöliihe Emigrant Sabatier de Caftres jchilderte ihn ald Ausbund von Un: 
gerechtigfeit, Wahnwitz und verräteriiher Tüde, jo daß jogar Biſchof Hoens- 
broech jein Bedauern über jolche Uebertreibungen ausiprad. Die Stände famen 
überein, dem Kaifer ihre Unterwerfung anzubieten, unter der Bedingung, daß 
feine Reichstruppen an der Belegung teilnehmen jollten. Dod die nad) Wien 
geihidten Abgeordneten fonnten nit einmal eine Audienz erlangen. Un: 
bedingte Unterwerfung unter die reichsgerichtlihen Beſchlüſſe und den recht— 
mäßigen Landesherrn, fo lautete das Faijerliche Ultimatum.*) Zwar ging im 
Stadtrat nochmals ein Beihluß durch, gegen die Vergewaltigung durd den Kaiſer 
Verwahrung einzulegen, doch war die Panik fchon jo allgemein, daß fein Druder 
mehr den Mut hatte, die Veröffentlihung des Schriftjtüds zu übernehmen. 

Vergeblid) wurde von preußifcher Seite wenigftens auf diplomatiihem Wege 
ein legter Verſuch gemacht, die Kataftrophe abzuwehren. Baron Jacobi:Klöft 
erklärte, Preußen werde nicht dulden, daß das Mitglied eines fremden Kreijes 
— der Kaifer war als Vertreter des burgundiichen Kreijes angerufen worden — 
mit der Erefution betraut werde; der Wiener Hof möge doch jo willfürliches 
und verfafjungsmwidriges Verfahren meiden, zumal nad) den in Reihenbadh und 
Frankfurt gegebenen Zufiherungen; in Berlin jei wohl befannt, daß die Ent: 
Scheidung im Lütticher Streit nur durch eine Antrigue des Kurfürften von Köln 
und des Grafen Metternich eingefädelt jei: da möge fich denn doch der Kaifer 
vor Augen halten, ob für ihn die Zufriedenheit und die Freundſchaft des 
preußiihen Staates nicht wichtiger feien, als die Rüdfiht auf Glück und Gunft 
bei einem Kurfürften von Köln. ?) 

Diejen Vorwürfen gegenüber betonte Spielmann, daß ſich der Kaifer in 
dem leidigen Lütticher Handel nur von feiner verfafjungsmäßigen Pflicht leiten 


) Gronau, 205. 

2) Juste, 36. 

) Preuß. St.:Ardiv. Correspondance du Roi avec le baron de Jacobi-Kloest, son 
ministre plenipotentiaire ü Ja cour de Vienne, sur les affaires générales et en particulier 
sur celles des Provinces Belgiques et sur la negociation de paix äà Sistowe et ü Peters- 
bourg, 1791. Berichte Jacobis vom 3., 5., 8. Januar 1791. Erlafie an Jacobi vom 10., 15., 
17. Januar 1791. 


372 Zweites Bud. Zweiter Abſchnitt. 


lafle. Es dürfe nicht zugegeben werden, daß ſich ein Ländchen wie Lüttich über 
Beſchlüſſe des Reichsgerichts luftig made; gerade in einer Zeit, da die Volks— 
ftimmung in weiten Kreifen unrubiger und ungebärbiger werde, bürfe folche 
Mißachtung des Rechts nicht ungeahndet bleiben; unausbleiblih würde es fonit 
in allen deutſchen Staaten zu Auflehnung und Aufſtand fommen. Möchte doch 
der König von Preußen feine unjelige Politif in der Lütticher Frage, die ihn 
wahrlih feine Roſen pflüden ließ, endlih aufgeben; fogar die mit Preußen 
verbündeten Fürften hätten jede Verantwortung für das unbegreiflihe Vorgehen 
ihres Bundesgenofjen abgelehnt; wenn der König trogdem dabei verharre, werbe 
er im Reiche ganz verlaffen ftehen. 

Darauf wurde Jacobi von feinem Hofe angewiejen, nochmals in nad) 
drüdlichfter Form (d’une manidre nerveuse) gegen das willfürlihe Verfahren, 
wie es jest von Reichs wegen gegen Lüttich beliebt werde, Verwahrung einzu: 
legen. Wenn der Kaijer jeine Mäßigung beweiſen wolle, möge er im Verein 
mit Preußen einen Ausgleich betreiben, aber nicht auf Grundlage des ohne 
Sadfenntnis gefällten und dur Ränke veranlaßten Weglarer Spruches, jondern 
der in Frankfurt bemilligten Artifel. An dem guten Willen des Kaifers zweifle 
niemand, doch könne man in Berlin nit ohne beflemmenden Eindrud ver: 
folgen, daß gerade die nächſten Verwandten des Kaiſers, Erzherzog Maximilian, 
der Kurfürit von Köln, und Erzherzogin Marie Chriftine, die Statthalterin der 
Niederlande, unabläjjig gegen Preußen hegten, jener in Mainz, dieje durch 
ihren Gatten Herzog Albredt in Sadjen. Auf folhem Wege werde ein har: 
monifhes Einvernehmen zwiſchen den zwei mäcdhtigften deutſchen Staaten nicht 
erreicht werden, und doch hänge davon ber Friede im Reiche, ja vielleicht in 
ganz Europa ab! 

Inzwiihen war in Lüttich die Kataftrophe eingetreten. Am 10. Januar 
1791 flüchtete der „Mambour” Prinz Rohan aus der Stadt; aud ein paar 
hundert Patrioten, welche die Rache des Biſchofs zu fürchten hatten, zogen unter 
Trommelihlag und mit fliegendem Banner auf franzöfiiches Gebiet. Tags 
darauf rückten Faiferlihe Truppen in Lüttih ein; ihnen folgten die mainziichen 
und münfterijhen Regimenter. 

Eidemeyer macht fi weidlih darüber luftig, dab die Mainzer von den 
Bürgern der Stadt Verviers mit Lorbeer befränzt und als Retter des Vater: 
lands und Helden von antifer Größe gefeiert wurden. ?) 

Nun wurde das alte Regiment mit aller Strenge wiederhergeftellt. Die 
von der Revolution vertriebenen Bürgermeifter und Räte hielten im Stadthaus 
feierliben Einzug; der Geheimrat, der Stadtrat, die Zünfte, kurz, alle Behörden 
und Genofjenfhaften wurden jo, wie fie vor dem 18. Auguft 1791 beftanden 
hatten, wieder eingeführt; das Edift von 1684 trat wieder in Kraft. 

Der Berliner Hof proteftierte neuerdings gegen ſolche „Ausbeutung bes 
Sieges einer zweifelhaften Sahe”. Wenn der Herr Vizekanzler, jo erklärte 
Sacobi, fort und fort verfichere, e& liege dem Kaiſer nichts ferner, als ein ge: 
waltthätiges Auftreten im Lüttiher Handel, jo ſei ihm wohl unbefannt ge 


') Eidemeyer, 100. 


Das Ende des Lütticher Streites. 373 


blieben, wie es in der unglüdlichen Stadt zur Zeit ausſehe. Der Delegierte 
des Biichofs, Domherr von Waſeye, verfahre gegen Schuldige und Unfchuldige 
mit bespotifcher Härte, und ber öjterreihiiche Kommandant, General von Kheul, 
leihe zu jeder Gemaltthat feinen bewaffneten Arm. Ein preußiich:clevijcher Ver: 
treter fünne fih, ohne das Schlimmfte zu risfieren, gar nicht nad) Yüttich bes 
geben, und doch habe bei der endaültigen Entſcheidung Cleve mit ebenjo viel 
Recht mitzufpreden, wie Münfter und Yülih. Preußen habe dem Kaijer bei 
Unterwerfung der Niederlande, bei der Kaiferwahl, bei den Kapitulationsver- 
handlungen und manchen anderen Gelegenheiten gute Dienfte geleiltet; um des 
Ichuldigen Danfes willen möge jest wenigftens nicht zugelaiien werden, daß 
Heine Neichsfürften den König von Preußen öffentlich beleidigen. Lüttich jei 
unterworfen, e& könne aljo nichts nügen, fondern nur jchaden, wenn der Rache— 
durſt eines Unverföhnlihen jede Beiriedigung ſuchen dürfe. Kailer Leopold 
ließ aber dieje Vorftelungen und Vorwürfe nicht gelten. Er kenne Herrn 
von Wajeye von Florenz her, erflärte er dem preußiihen Gejandten, und habe 
jelbjt den würdigen Mann zum Kanonikat empfohlen; etwas hikig möge ber 
Wallone fein, doch gegen Recht und Billigkeit werde er fih nie verfehlen. 
Bald werde ja auch der Biſchof jelbit wieder eintreffen, dann werde alles ins 
richtige und fonftitutionelle Geleife kommen. „Wenn dies zutrifft,“ wurde von 
Berlin ermwidert, „wenn der Biſchof eine unbeſchränkte Amneftie bewilligt und 
fih mit den Ständen auseinanderfegt, werden wir uns damit begnügen.” !) 

Am 12. Februar kehrte Fürftbifhof Hoensbroeh in feine Reſidenz zurück. 
Vom Wiener Hofe war ihm in der That nahe gelegt worden, daß er durch 
eine allgemeine Amnejtie zur Beruhigung der Gemüter beitragen möchte, doch 
ließ ſich Hoensbroech nicht darauf ein; nur diejenigen, die fih Beleidigung 
des Landesherrn hatten zu Schulden kommen lafien, wurden begnadigt; bie 
übrigen Patrioten, jo weit fie fih nicht nah Frankreich oder Holland geflüchtet 
hatten, traf jchwere Strafe; in langer Reihe erfolgten Berbannungsurteile, 
Gütereinziehungen, Hinrichtungen. 

Eine offiziöfe Flugichrift fuchte nachzumeilen, dab in Lüttich „keineswegs 
allzu ſtreng“, fondern „äußerft gelinde” verfahren werde. Noch immer feien 
Hochrufe auf die Patrioten in Lüttich zu vernehmen; noch immer werde in ben 
fürftlihen Waldungen wie auf herrenloſem Boden geplündert; unabläffig werde 
von den ‘Flüchtlingen in Paris und Berlin, im Haag und in Brüfjel gegen 
den Landesherrn von Lüttich gehegt und gemühlt; da fei es doch wohl Pflicht 
der Regierung, durch Beitrafung der Schuldigen die Aufregung zu dämpfen und 
weitere Ausbreitung der revolutionären Ideen zu verhindern. ?) Anders urteilte frei: 
ih Georg Forfter, obwohl er damals noch in Dieniten des Kurfürften von Mainz 
ftand. „Das arme Lüttich büßt mun für feinen Freiheitsfinn!” Elagte er in einem 
Briefe an Heyne (22. Januar 1791).?) Die von den rheinischen Kurfürften ges 


!) Preuß. St.Archiv. Erlaffe an Jacobi vom 31. Januar, 4., 7., 18. Februar. Berichte 
Jacobis v. 5. u. 18. Februar 1791. 

2) Die neueſte Lage der Lütticher Angelegenheiten (Wetzlar, 1791), 57. 

2) G. Forſters ſämtliche Schriften, VIII, 141. 


374 Zweites Bud. Zweiter Abjchnitt. 


forderte, dem erichöpften Hochſtifte auferlegte Entihädigung für die Koften der 
Erefution fand Forfter unbillig hoch, das Vorgehen des Kaijers eigenmächtig, 
die Beichlüffe des Reichsfammergerichts zopfig. „Dieje elenden Wetzlarer Rabu— 
liften möchten jich gern für die höchſte geſetzgebende Gewalt in Deutſchland an: 
gejehen willen. Das iſt dann die Verfaſſung, worauf man in Deutjchland jo 
ftolz iſt! Die Korruption ift wirklich jchon jo weit gefommen, daß man fi 
wundern muß, wie alles noch zufammenhält, — deſto eher ftürzt alles mit 
einemmal über den Haufen!” „Preußen ift die dupe in diefer Sade, wie 
überhaupt in der ganzen Negociation mit Defterreih, ... es muß eine traurige 
Zerrüttung im preußifchen Kabinett ftattfinden, daß alle Maßregeln Hergbergs 
zu Waller werden. Hätte Preußen im Frühling losgeſchlagen!“) Auch 
ruhigere Bolitifer mißbilligten die reaftionären Ausſchreitungen in Lüttich; es 
wurde ja dadurd nur erreicht, dab die zahlreihen Flüchtlinge auf franzöſiſchem 
Boden fih eng an die Jakobiner anichloffen und auch die Landsleute in der 
Heimat in biefe Verbindung veritridten. „Leopold ſelbſt,“ jagt der belgiiche 
Geſchichtſchreiber Juſte, „und feine vornehmiten Minifter waren nichts weniger 
als für Hoensbroed) eingenommen, der Berliner Hof nannte ihn den „blut: 
triefenden Priefter', und doch verdanfte der ‚Tyrann von Seraing‘, wie ihn 
die Batrioten ſchalten, feine Wiedereinjegung nur dem Abfall Preußens und 
der Wilfährigkeit Oeſterreichs. Diejer politiihe Fehler ließ die in Lüttich 
ohnehin ſchon verbreiteten Sympathien für Frankreich noch mächtiger aufwachſen, 
jo daß es jpäter ein leichtes war, die von der franzöfiihen Nationalverfamm: 
lung defretierte Einverleibung durdzuführen.” *) 

Zwar jhob Herkberg öffentlih alle Schuld an der ſchlimmen Wendung 
des Lütticher Streites auf die Halsftarrigfeit der Patrioten; die Sprache Yacobis 
in Wien gibt jedoch Zeugnis von der Verftimmung des Berliner Hofes. Was 
fei von den gnädigiten Komplimenten des Kaijers zu halten, jchrieb Her&berg 
an Dften:Saden, wenn gleichzeitig in Lüttich der Beweis geliefert werde, daß 
Oeſterreich gar nicht daran denfe, auf die preußiihen Wünſche irgend welche 
Rüdfiht zu nehmen! Wie wenig ftimme der Ton, den jetzt fogar Herr von 
Spielmann ſich erlaube, mit der in Reihenbad, in Frankfurt geführten Sprade 
überein! 

Auch über die Auslegung des wichtigften Punktes des Reichenbacher Ber: 
trags Fam es zu Irrungen zwilchen den Höfen von Wien und Berlin. Um 
die wechieljeitig erhobenen Beſchwerden richtig zu würdigen, muß der Umſchwung 
der europäifhen Lage jeit Abſchluß jenes Vertrags ins Auge gefaßt werden. 

Der König von Ungarn und Böhmen hatte ji darin verpflichtet, mit 
der Pforte einen Waffenftillitand zu fchließen, dem jo bald wie möglich der 
Friede auf Grund des Standes vor dem legten Kriege folgen jollte; bis dahin 
folte er fich jeder Beteiligung am Kriege Nußlands gegen die Türfei enthalten, 
und der Friede zwiichen den beiden leßtgenannten Mächten jollte als eine vom 
Reichenbacher Vertrag völlig unabhängige Angelegenheit betrachtet werben. Der 





) 9. König, ©. Korfter Leben, II, 92. 
2) Juste, 37. 


Neue Spannung zwiſchen Defterreid und Preußen. 375 


erften Verpflichtung kam Defterreih pünftlih nad. Obwohl General Clerfait 
unmittelbar vor der Einigung in Schlefien einen namhaften Erfolg auf dem 
Kriegsihauplag an der Donau erftritten hatte und dur die Vereinigung der 
Armeen Sumarows und des Prinzen von Koburg Ausſicht auf einen glüdlichen 
Hauptichlag eröffnet war, wurden auf die erite Nachricht von der Neichenbader 
Konvention die Feindfeligfeiten auf der ganzen Linie eingeftelt. Am 19. Sep: 
tember wurde zu Giurgewo ein Waffenftilftand auf neun Monate abgejchlofien; 
bis zum Ablauf diefer Frift jollte auf einem demnächſt zu berufenden Kongreß 
der Friede geſchloſſen werden. ') 

Es wurde ſchon geichildert, welch jchlimmen Eindrud die Ausſöhnung 
Preußens mit Defterreih in denjenigen Erblanden, die zum Widerftand gegen 
die Dynaftie von Berlin aus ermutigt worden waren, hervorrief. Nicht weniger 
peinlih wirfte die Nachricht im Diwan. Zwar wäre das türfiihe Hauptheer 
wahricheinlih verloren geweſen, wenn nicht jenem Vertrag gemäß die Trennung 
ber Defterreiher von den Ruſſen erfolgt wäre; trogdem wurde der Vorwurf 
laut, daß ſich das Berliner Kabinett jeinen bundesmäßigen Verpflichtungen in 
der Hauptſache entzogen habe; Troſt gemwähre nur die Hoffnung, daß Preußen 
nunmehr mit ungeteilten Kräften gegen Rußland fich wenden werde. 

Auch in Deutichland wurde der Ausbruch des Krieges mit Rußland als 
nahe bevorftehend betradhtet. „Den Preußen ift es ernit, einen Blutgang mit 
den Rufjen zu wagen,” ſchrieb Schubart in den Tagen der Frankfurter Feite, 
„0000 ihrer Krieger zuden ſchon an der Ruſſiſchen Grenze das Schwerbt, 
20000 mannfejte Pommern falten die Stirne und harren auf das Befehlswort: 
Feuer! ... Wenn es zmwilchen den Preußen und Rufen zum Raufen fommt, jo 
wird der Kampf erichredlich jeyn, denn beede Nazionen find die jtreitgeübteiten 
in der Welt, und erjtere brennen vor Begierde, ihren erworbenen Kriegsruhm 
vor aller Welt zu behaupten. Ihr Oberfeldherr (Karl Wilhelm Ferdinand 
Herzog von Braunjchweig) ift der Erfte in der Welt, und wenn er feinen Huth 
quer jezt, jo gilt es Sieg oder Tod!” °) 

Doch die maßgebenden Kreife in Berlin waren, insbefondere jeit Schweden 
zu Werelä Frieden mit Nufland geſchloſſen Hatte, auf einen Krieg an der 
Oftgrenze nit erpiht. Auf die dringenden Borftellungen des Großwelirs 
wurde erwidert, ein Winterfeldzug im Norden jei mit allzu großen Schwierig: 
feiten verbunden; auch möge erft die Pforte ſelbſt den Krieg erniter und 
eifriger betreiben; feit die preußifche Vermittelung den Abzug der Oeſterreicher 
erwirft habe, jei gegen die ſchwachen Ruſſen auf dem Kriegsichauplag nichts 
Ernites mehr unternommen worden. Vor allem mußte die Bejorgnis, trob des 
Reichenbacher Vertrags auch die Deiterreicher im Felde gegen fih zu haben, von 
entjchievdenem Auftreten gegen Rußland abhalten. Unmittelbar vor der Kaijer- 
frönung fam es zwiſchen Kaunig und Jacobi zu heftigen Auseinanderjegungen. °) 


') Binkeifen, Gefchichte des osmanischen Reiches, VI, 796. 

2) Vaterl. Chronik, Ihgg. 1790, 677. 

3) Preuß. St.-Archiv. Korrefpondenz mit Herkberg, 1790. Bericht Jacobis vom 
29. September 1790. 


376 | Zweites Bud. Zweiter Abſchnitt. 


Kaunit ftellte die Behauptung auf, im Reichenbacher Vertrag habe der König 
von Ungarn zwar die Zufage gewährt, Rußland im Kampfe mit der Pforte 
nicht mehr zu unterſtützen, allein dieſe Berpflihtung wäre als erlojchen zu be- 
traten, jobald Preußen an Rußland den Krieg erklären würde. Oeſterreich 
will eben, bemerfte dazu Jacobi in feinem Berichte, von jeinen intimen Be: 
ziehbungen zum Zarenreihe nicht ein Tüpfeldhen aufgeben und dem guten Freunde 
wenigitens noch zur Erwerbung von Ozakow behülflich fein. Darauf erging 
Reifung an den Gejandten, gegen die „ebenjo falſche, wie hinterliftige Aus: 
legung des Vertrags” Verwahrung einzulegen, ebenjo wurden die Wahlbot— 
ſchafter in Frankfurt beauftragt, von Leopold jelbit Aufklärung zu verlangen. 
Friedrih Wilhelm war entrüftet über das Verhalten Kaunigens. „Das iſt eine 
offene Verlegung des Reichenbacher Vertrags,” jchrieb er an feine Minifter, 
‚id will fie ihnen vergelten, wie fie es verdienen!” Hertzberg fuchte den 
Monarchen zu beruhigen. Entweder gebe der Kaifer eine Erklärung, wie 
Preußen fie fordere; dann werde auch Rußland, der Ausficht auf öſterreichiſche 
Hülfe beraubt, mit fih Handeln laſſen! Oder der Kaiſer erkläre fi) mit der 
Auslegung feines Minifters einverftanden; dann habe der König wieder freie 
Hand, um die Vorteile anzuftreben, die er um der Erhaltung des Friedens 
willen aufgegeben habe; dann könne man wieder mit Polen und Ungarn in 
Verbindung treten und den Aufftand in Belgien neu beleben; von inneren und 
äußeren Feinden bedroht, werde der Kailer bald bereuen, daß er in Neichen: 
bad nur eine Falle geitellt habe. Auch die Vertreter von England und Holland 
teilten die preußiſche Auffaſſung, daß Oeſterreich jich weder direkt noch indirekt 
am Krieg mit der Pforte beteiligen dürfe. 

Dagegen blieb Kaunig dabei, daß feine Auslegung allein dem Sinn der 
Worte entſpreche. So viel Franzöfiich, bemerkte er jpig gegen Jacobi, verftehe 
er doh auch, um einen Sab richtig überlegen zu können; es jei doch nicht im 
Ernft zu verlangen, daß Delterreih Gewehr bei Fuß zujehen müjje, wenn das 
befreundete Rußland angegriffen würde. 

Allein Leopold war aud diesmal nicht geneigt, e8 auf offenen Bruch mit 
Preußen anfommen zu laſſen. Die Auffaffung Kaunigens, erklärte er dem 
Grafen Goerg in Frankfurt, ſei nicht die feine, doch wolle er den alten, ver: 
dienten Mann nicht öffentlich bloßftellen; das preußifche Kabinett möge fich alfo 
damit begnügen, durch Jacobi dem Fürften eröffnen zu lafjen, daß der Streit: 
fall durch befriedigende Aufklärung des Kaifers erledigt jei. 

Damit war die Kriegsgefahr für den Augenblid befeitigt, doch der Groll 
nicht erlojhen. Zwar jpredhe der Kaijer, berichtete Jacobi, nur in den wärmiten 
Ausdrüden von Preußen und dem preußifhen Monarchen, allein die Handlungs: 
weile des Wiener Kabinetts ftehe nit im Einklang mit jo ſchönen Worten. 
Defterreih habe ja nur notgebrungen, nit aus aufrichtiger Friedensliebe in 
Reichenbach nachgegeben; naturgemäß werde es fich der aufgezwungenen Ber: 
pflihtungen jo raſch wie möglich zu entledigen juchen. Deshalb habe es mit 
den Seemädten geheime Verhandlungen angezettelt, um jomohl die Abfichten 
Preußens in Bezug auf die Garantie der belgiſchen Verfaſſung zu vereiteln, 
als auch in der orientaliihen Frage vorteilhaftere Zugeſtändniſſe zu erlangen. 


Neue Spannung zwiſchen Dejterreih und Preußen. 377 


Auch die Freundichaft mit Rußland beftehe ungeſchwächt fort; Leopold widme, 
genau wie jein Vorgänger, der Zarin jede mögliche Aufmerkjamfeit. Solange 
Kaunig, Eobenzl und Lacy am Ruder feien, werde auch feine Aenderung ein: 
treten; dieſe Todfeinde Preußens feien unabläſſig bemüht, auch im Reiche 
Miftrauen und Mißgunft gegen Preußen rege zu machen, insbejondere ben 
Kurfürften von Sachſen ins öfterreichifche Lager zu ziehen. „Ach befürdte, daß 
jetzt ſchon freundfchaftlihe Briefe zwiſchen Friedrich Auguft und Leopold ge: 
wechjelt werben; der König von Ungarn hat ihm feine Dienfte angeboten, um 
ihm zur Krone Polens zu verhelfen.” Leopold, das trete immer deutlicher zu 
Tage, jei wanfelmütig und unzuverläffig. Während er in Tosfana gegen bie 
Prieſterſchaft feindjelig aufgetreten ſei, übe er jett gegen Klerus und Abel 
weitreihende Nachgiebigfeit. „Solange mir alfo nicht das Gegenteil bewiejen 
wird, werde ich immer befürdten, daß er feine Grundjäge in der Schule der 
Mazarin und Aldobrandini gebildet hat.” In Ungarn habe er den ſtörriſchen 
Geiſt bezwungen, indem er vorfihtig und verichlagen die alte Lehre befolgte: 
Trenne die Unzufriedenen, und du wirft fie beherrihen! Troßdem würde es, 
jobald es not thäte, nicht allzu Schwer fallen, in Ungarn den Widerftand gegen 
die Dynaftie wieder zu beleben. 

Auch der preußiihe Kammerherr v. Ned machte in Wien ähnlihe Be: 
obachtungen. Hier ſei alle Welt unzufrieden mit Preußen, fchrieb er am 
15. Dezember an Hergberg, und von jeiten der befreundeten Briten geichehe 
alles, um dieſe Entfremdung nicht ſchwinden zu lafjen; wenn Preußen fidh 
nicht in der Lüttiher Frage und bei den Haager Verhandlungen zur Nach: 
giebigfeit entichließe, werde es troß der aufrihtigen SFriedensliebe des Kaifers 
zum Kriege fommen, und Defterreich werde zu einem Waffengang mit Preußen 
nur allzu viele Bundesgenojjen finden. 

Man fieht, ein halbes Fahr nah der „Ausjöhnung” in Reihenbad war 
die Lage jo ziemlich wieder die nämlidhe, wie damals, ala Goethe im preußiichen 
Hauptquartier in Schönmwalde mit Spannung erwartet hatte, ob „das hoc): 
getürmte Gewölk den Krieg oder den Frieden bringen” werbe. 


Dritter Abfchnitt. 


Preußen und Polen. Der Kongreß in Siſtowa. 
Der Staatsſtreich in Polen. Der Streit mit Frankreidı 
über die Rechte der Reichsfürſten im Elſaß. Teopold IL 
und die framgöfifce Revolution, Die Emigranten in 
Deutſchland. Biſchoffswerder und Berkberg. Die Zu— 
fammenkunft Teppolds und Friedric Wilhelms in Pillnik. 

Pie Pillniker Deklaration. 


einmal Prinz Heinrich, werde es wohl nicht eher fommen, als bis fi 

Kaifer Joſeph und König Friedrid nah dem Vorbild von DOftavian 
und Lepidus zu einer Teilung des beutichen Reiches verftändigten. Etwas 
jpäter — im Jahre 1769 — ſchrieb der Prinz, er müſſe zugeben, daß jener 
an und für fih gejunde Plan aus mancdherlei Gründen nicht ausführbar jei: 
vielleiht wäre zur Sättigung der geborenen Nebenbubler befjer eine Teilung 
Polens vorzunehmen. 

Was Prinz Heinrich nur ſcherzweiſe als möglih und erwünjcht angedeutet 
hatte, ging bald darauf in Erfüllung. 1772 vereinigten fih Preußen und 
Defterreih mit Rußland zur Abreißung beträchtlicher Gebiete von der alters: 
ſchwachen jarmatifhen Nepublit; freilih ging die von Prinz Heinrich gebeate 
Hoffnung, daß die Bereicherung der Rivalen dur fremde Beute den alten Hader 
ſchwinden machen werde, nit in Erfüllung. 

Man hat lange Zeit in Deutjchland eine „moraliiche Pflicht“ darin er: 
blidt, von der „Beraubung des ritterlihen Polens” nit ohne Krofodilsthränen 
zu fprehen. Heute wird wohl faum noch behauptet werden, daß nur fträfliche 
Naubgier des Königs von Preußen die Kataftrophe verichuldet habe. Wenn 
nicht Friedrich die Teilung angeregt und durchgejegt hätte, jo wäre die ganze 
Republik unrettbar dem Zarenreiche verfallen. Noch andere gute Gründe fielen 
in die Wagſchale. Preußen war auch nad dem Gewinn Schlefiens — nad) 


F aufrichtiger Ausſöhnung zwiſchen Oeſterreich und Preußen, äußerte 


Preußen und Polen. 379 


Friedrihs eigenem Ausdruck — ein Zwitter, der nit mehr unter die Klein: 
ftaaten einzuordnen war, doch ebenjomwenig ſich den Großmädten an die Seite 
ftellen konnte. Wenn fih daraus ein den biltorifhen Mächten ebenbürtiger 
Staat entwideln jollte, jo mußte ihm das Verbindungsglied zwiſchen Oſtpreußen 
und den alten Provinzen eingefügt werden. Und diejes Weichjelland war ſchon 
in der Stauferzeit mit Deutfchland vereinigt geweſen; deutihe Ritter hatten es 
für das Neid), deutiche Priefter, Kaufleute und Bauern für die Kultur erobert. 
Es war alſo nur eine Wiederaneignung verlorenen Eigentums, wenn berjenige 
Staat, der das Erbe des deutſchen Ordens angetreten hatte, das von den Polen 
erbeutete Kernland des Ordens wieder an fih rip. 

Wie immer man übrigens über die Berechtigung zur Teilung Polens 
urteilen mag, jedenfalls war die Wirkung für das Land nur von Vorteil, 
Während es unter polnifhem Regiment eine von Bettlern bewohnte Wüſtenei 
geworden war, gedieh es nach der Vereinigung mit Preußen in fürzeiter Zeit 
zu erfreulicher Blüte; nirgend trat glänzender zu Tage, was der „Despotie: 
mus” eines aufgeklärten, pflichttreuen Monarchen für Landesfultur und Volks— 
wohlfahrt zu leiten vermag. 

Allein je kräftiger fich die neue Provinz entwidelte, deito ftörender wurde 
empfunden, daß gerade die zwei wichtigften Städte des Meichjellandes, Thorn 
und Danzig, in polniſchem Befig geblieben waren. Durch die Eiferfucht Defter: 
reihs und Nußlands war dem preußiſchen Anteil an der Beute das wichtigfte 
Stüd entzogen worden: deshalb lag in der erften Teilung Polens jchon der 
Keim zur zweiten. Denn die preußiſche Politik mußte fortan den Gewinn ber 
beiven Weichjelitädte ala bedeutfamftes Ziel im Auge behalten. Nah dem Aus: 
bruch des Türfenfriegs hatte Hergberg den Plan gefaßt, Polen zu freiwilligem 
Verzicht auf die Städte gegen Zurüderlangung Galiziens zu bewegen; allein in Polen 
jelbft war wenig Geneigtheit zu Tage getreten, und gerade mit Rüdjicht darauf 
hatte Friedrich Wilhelm während der Reichenbacher Konferenzen den Plan fallen 
gelaſſen. Aufgegeben war jedoch der Gedanke nicht; immer wieder tauchten die 
Namen Danzig und Thorn in den Schriften der Minifter und Diplomaten auf. 

Seit April 1789 war Girolamo Luchhefini, der Tafelgenofje des alten 
Fritz, als Bertreter Preußens in Warjchau beglaubigt; jeine Aufgabe war 
„überaus ſchwierig und nicht ohne Zweideutigfeit, wie das der infolge der wider: 
ſpruchsvollen Pläne Herkbergs eigentümlich unfichere und jchwanfende Charakter 
der preußifhen Politit mit ſich brachte“.) Der verſchlagene Staliener war 
jedoch jeiner Aufgabe gewachſen; obwohl der Reihenbaher Vertrag in Polen 
als Abfall Preußens vom Bündnis mit Erbitterung aufgenommen wurde, wußte 
Zuchefini eine für das preußifhe nterefje gewonnene Partei zujammen: 
zubalten. Da die Polen die Entkräftung ihres Staates mit Recht der Schwäde 
der Zentralgewalt und insbefondere dem Mangel an einer geordneten Thron: 
folge zufchrieben, juchte jede Fraktion diefem Bedürfnifje nach ihrem Sinne ab: 
zubelfen. Die Anhänger Preußens wollten die polnifhe Krone dem Prinzen 
Louis Ferdinand angeboten willen; auch unter ben zahlreicheren freunden ber 


!) Bailleu in der Allg. deutfchen Biographie, 19. Bb., 346. 


3850 Zweites Bud. Dritter Abfchnitt. 


ſächſiſchen Kandidatur dachten viele an Bermählung der Erbtodter Friedrich 
Augufts mit einem preußiihen Prinzen, auf welchen fpäter der polniſche Thron 
übergehen fönnte. Hertzberg aber, dem es offenbar gelegen Fam, den Abfichten 
des Marcheje entgegenzutreten, wie dieſer in Neidhenbad den funftvollen Plan 
des Minifters zerftört hatte, widerriet jede engere Berbindung der Kronen Preußen 
mit Polen. Eine Vereinigung beider Reihe, führte er in einer Denkſchrift an 
den König (6. September) ') aus, werde ja doch von den beiden Kaijerhöfen 
niemals zugelajien werden; auch die Erhebung eines preußiichen Prinzen auf 
den polniſchen Thron werde in Wien und Petersburg immer befämpft werden; 
gejegt den Fall aber, daß fie durchzuſetzen wäre, fünnte fie jogar Preußen zum 
Nachteil gereihen, wenn der neue König dem Intereſſe jeines Reiches vor dem: 
jenigen feines WBaterlandes den Vorzug gäbe. „Preußen bat feinen gefähr: 
liheren Feind, als ein georbnetes polnifches Neih unter einem Könige, der 
feine Kräfte gebrauden will und kann!“ Aus diefem Grunde jei aud die Er: 
hebung eines Piaſten nicht zu wünſchen; ift er ein Schmwädling, fo wird er 
entweder ruſſiſchem oder öjterreihiihem Einfluß unterliegen; it er kräftig und 
unternebmend, jo fann Preußen, das gegen Polen völlig offene Grenzen bat, 
in bebrängte Lage geraten; eine ftarfe polnifhe Regierung würde jofort 
mit den alten Anſprüchen auf Oft: und MWeftpreußen hervortreten oder doch 
dem Nachbarn die Hoheitsredhte über die Weichjel und den Danziger Hafen 
ftreitig maden. Aus allen biefen Gründen werde Preußen am beiten fahren, 
wenn wieder ein Kurfürft von Sachſen die polnische Krone trage; derjelbe wäre, 
um zum Ziele zu gelangen, auf freundichaftlihe Dienite Preußens angemiejen, 
und würde fih aud als König ſchon in Anbetradht der geographiihen Lage 
Sadjens der Nüdfiht auf Preußen niemals entihlagen können. 

Auch Finkenitein teilte die Auffaſſung feines Kollegen; nicht bie Erhebung 
Friedrich Auguſts auf den polniſchen Thron, erklärte er, fondern nur eine end: 
gültige Negelung der polniihen Thronfolge, die Aufrichtung eines erblichen 
Königsthrones in Warſchau widerfirebe dem preußischen Intereſſe. Die beiden 
Minifter drangen aud bei Friedrih Wilhelm mit ihren Vorftelungen dur; 
obwohl der König, von Luckhefini beeinflußt, dem politifhen Syitem Hertbergs 
bereits mißtrauifch gegenüberftand, entſchied er fih doch für Verzicht auf eine 
Kandidatur feines Neffen. Luccheſini machte nun den Vorſchlag, die polnijche 
Thronfrage vor den zu berufenden Friedensfongreß zu bringen. Auch hiermit 
war Finfenftein nicht einverftanden, da es nur dem Wiener Hofe eine Handbhabe 
biete, fich auch in die polnischen Angelegenheiten einzumijchen. „Was die Polen 
betrifft,“ fügte der Minifter in einem vertraulihen Schreiben an feinen Amts— 
genoſſen Hergberg hinzu, „jo habe ich ihnen niemals das geringfte Vertrauen 
geichenft und habe unjer Liebesverhältnis mit der Nepublif immer nur als eine 
für den NAugenblid berechnete Sache angejehen; es iſt mit recht ernften Be: 
denfen verfnüpft und wird uns früher oder jpäter nicht bloß feinen Nußen 
bringen, jondern uns jogar in unangenehme Händel mit den Nadhbarn ver: 





') Preuß. St.:Arhiv, Kabinettäakten Friedrich Wilhelms II. Denkihriit Herkbergs vom 
6. September 1790. 


Preußen und Polen. 381 


wideln.” !) Auch Herkberg machte feinem Groll über Leute, die ſich unbefugter 
Weije in alle politiichen Gejchäfte drängten, in fräftigen Ausdrüden Luft, konnte 
aber nicht verhindern, daß die neuen Vorſchläge Luckhefinis für die preußifche 
Politik in den ofteuropäilchen Fragen den Beifall des Königs fanden und Luc: 
cheſini ſelbſt mit Vertretung der preußifchen Intereſſen auf dem Friedenskongreß 
in Siſtowa betraut wurde. 

Im Dezember 1790 fanden fi die Bevollmächtigten Defterreichs, der Pforte 
und der Dreibundsmädte in dem unmirtliden Stäbthen an ber Donau ein; 
die Ruffen hatten fich gemweigert, den Kongreß zu befdhiden, weil fie die Ein: 
miſchung fremder Mächte nicht dulden wollten. In den Briefen des britijchen 
Gejandten, Sir Murray Keith, an feine Schweitern wird uns das Leben in 
dem jchmugigen Bulgarenftädthen in einer Reihe von artigen Genrebildern vor 
Augen gebradt.?) Die Gejandten mußten, zum Entjegen mander würdiger, 
alter Herren, in bürftigen Häuschen untergebracht werben; die Zimmer waren 
nit viel größer als Taubenſchläge; Sofas und Polfter bildeten das ganze 
Hausgerät. Der eine und andere türfifche Einwohner von Siſtowa murmelte 
wohl, wenn der Vertreter einer abendländiihen Macht des Weges fam, ein 
zorniges „Giaur“ in den Bart; die Griehen grüßten reipeftvoll, dod nur mit 
ben Augen, weil fie fürdteten, von ihren Tyrannen, den Türken, beobadtet zu 
werden. Die Diplomaten der Pforte benahmen jich im allgemeinen redt gefittet 
und böflih, insbejondere ber hochbetagte Neis Effendi verlor niemals feine 
würbevolle Haltung und fein verbindliches Lächeln, aber die Schwerfälligfeit der 
Turbanträger wurde nur von ihrem Eigenfinn übertroffen. „Die türfifchen 
Bevollmächtigten find wie Auftern; daß fie fich fortbewegen, fteht feit, aber 
es iſt jehr fchwer zu erkennen.” „Wenn Mahomed jeinen Beamten befohlen 
bat, eigenfinniger zu fein als die Maulefel, dann it fein Befehl wörtlich 
befolgt worden.” °) Es dauerte lange, bis fih ein geeigneter Raum für bie 
Sigungen fand und die Reihe der Plätze feitzufegen war, denn die Türken 
hatten gegen alle Vorſchläge religiöje Bedenken einzuwenden. „Die Religion 
it für diefe Herren immer der Mantel, mit dem fie ihre Unmifjenheit oder 
ihren Eigenfinn verbergen.” Waren aber endlich die Türken befriedigt, jo hatte 
gewiß einer der abendländifhen Diplomaten eine Bejchwerbe vorzubringen. 
Welch herrlihe Ausficht! ruft der Engländer aus, wir werden den ganzen 
Winter in bulgarifden Hütten zubringen müfjen! „Freilih, wenn der Neis 
Effendi Recht behielte mit jeiner VBeteuerung, daß die vor der Feftung Ismail 
ftehenden Rufjen bald mit Schimpf und Schande abziehen müßten, würde aud) 
der Kongreß raich zu Ende fein; dann würde wohl aud die ftolze Dame im 
Norden zum Frieden zu haben fein, doc es fragt fih, ob jo ſtolze Zuverficht 
des türfifchen Kollegen am Plage iſt!“ 

Die Bejorgnis des Briten war begründet. Am 22. Dezember wurde 


') Preuß. St.:Arhiv. Korreipondenz zwiſchen Fintenftein und Her&berg 16. Juni bis 
19. September 1790. Schreiben Finkenſteins vom 17. September 1790. 

?) Sir Robert Murray Keith, Memoirs and correspondence, Il, 324. 

2) Ibid., 354. 


382 Zweites Bud. Dritter Abſchnitt. 


Ismail, die ſtärkſte aller Feltungen an der Donau, von Sumarow mit 
ftürmender Hand genommen; damit war dem ganzen Feldzug eine entfcheidende 
Mendung zu Gunften der ruffiihen Waffen gegeben. „Mostovias Krieger,“ 
deflamierte Schubart in feiner „Vaterländiſchen Chronif”, „jeder ein eherner, 
vorwärts rollender Turm, zerbrachen Felten, gingen über die Donau und fegen 
nun die Straße bis nah Stambul. ‚ch bedarf keiner VBermittelung! Ich will 
allein Kriege zürnen, Frieden ſchließen!‘ Dies ift die Sprache der nordischen 
Riefin, und fie wird ihren furdhtbaren Plan binausführen, da das übrige Europa 
mit unbegreiflich politiihem Phlegma dem herriihen Spiele zuſieht!“ ) „Seit 
der Würgeichlaht von Pultawa,” schrieb Poſſelt, „itieg Rußland mit der 
Schnelle eines Wetterftrahls über die Völker empor, fteigt täglih auf und wird, 
wenn jein grenzenlojes Glüd ihm noch einen Peter I. oder eine Katharina 11. 
gibt, daftehn, 

an den Sternen das Haupt, 

mit der Nechten Kamtſchatſchkas ftarrende Erdzunge faſſend, 

Herkules’ Säulen mit der Linken!“ ?) 


Eine vielbeadhtete Flugichrift „Ueber die Gefahr des europäiichen Gleich: 
gewichts“ (London, 1790) beflagte in leidenjchaftliher Sprade, daß die Ueber: 
madt des Mosfowitertums das europäiihe Gleichgewicht aus den Fugen ge: 
rifjen habe; nur dur geichloffenen Widerftand aller Nahbarn werde das abend: 
ländiihe Kulturleben zu retten fein. 

Die Wirkung des ruſſiſchen Sieges trat auch in Siſtowa alsbald zu Tage. 
Der Geſandte Dejterreihs, Baron Herbert, nahm gegenüber den Osmanen und 
den Vertretern des Dreibundes einen faft drohenden Ton an, der mit der bis— 
berigen Nadhgiebigfeit des Kaifers in auffälligem Wideriprud ftand.°) Oeſter— 
reich hatte fih in Neichenbach zum Frieden mit der Pforte auf Grundlage des 
Befipftandes vor dem Kriege verpflichtet; jet wurde die Zufage von Herbert 
dahin gedeutet, daß nicht der Beligitand, wie er vor dem Kriege war, jondern 
wie er vor dem Kriege hätte jein ſollen, zu verjtehen jei. Mit diefer Wendung war 
beabjichtigt, die durch frühere Verträge mit der Pforte in Ausficht geftellte Ab— 
tretung von Alt-Orſowa und den Diftrift der Unna zu erreichen und zugleich dem 
ruſſiſchen Kabinett, das den Abſchluß des Friedens möglichſt hinausſchieben wollte, 
Gefallen zu ermweijen.‘) Anprerjeits traten Preußen und England mit der einen 
Forderung auf, daß Delterreich fich förmlich verpflichten jollte, Rußland nicht 
weiter zu unterftügen. In Wien juchten Baron Jacobi und Lorb Elgin den 
öfterreihiichen Staatsmännern begreiflih zu machen, daß die ungeheuren Er- 
folge der rujliihen Waffen für die öfterreihiihe Monardie nicht weniger be: 
drohlich jeien, als für andere Staaten; die Erwerbung von Ozakow jei für 
Nufland nit notwendig, der Befig der Krim müſſe ihm genügen.?) Endlich 


!) Vaterl. Chronik, Ihgg. 1790, 890. 

2) Ehenda, 800. 

>) Zinkeiſen, VI, 808. 

) Beer, Die orientaliſche Politik Defterreihs feit 1774, 142. 

5) Preuß, Et.:Ardiv, Correspondance du Roi avec le baron de Jacobi-Kloest 1791. 
Erlafje an Jacobi vom 24. Januar, 2. u, 4. Februar 1791. 


Der Kongreß in Siftowa. 383 


machten aud die Osmanen in Siftowa injofern Schwierigfeiten, als fie nicht 
die Konvention von Neihenbah, an welcher fie feinen Anteil gehabt hätten, 
jondern nur den zwijhen dem Prinzen von Koburg und dem Großwefir ver: 
einbarten Waffenftilftand als Grundlage des Friedens gelten laſſen wollten. !) 
Die Türken, ſchrieb Keith (17. Januar), wüßten recht gut, daß fie nur einen 
Weg zu gehen hätten; trogdem jeien fie jo halsftarrig, daß ihnen jelbit das 
Heinfte Zugeftändnis abgerungen werden müfje. Auch die freilich in manchen Fällen 
nur erheuchelte Unwiffenheit der Moslemin war ein läftiger Hemmſchuh. „Nicht 
wahr, Spanien liegt doch in Afrika?” fragte einer von den Mollah in voller Seelen: 
ruhe vor allen Kollegen. ?) Unter jolhen Umftänden war natürlich ein gebeihlicher 
Fortgang der Berhandlungen nicht möglich; faft ein ganzer Monat verſtrich, bis 
endlich einmal ber Reichenbacher Vertrag und der unbeichränfte status quo von 
allen Teilnehmern endgültig ald Ausgangspunkt der Verhandlungen anerkannt 
wurben. Daß es überhaupt jo weit fam, war das Verdienſt Luckhefinis, deſſen 
Diplomatenfünfte jogar am öſterreichiſchen Gejandten einen aufridhtigen Be: 
mwunderer hatten. „Luccheſini hat die Türfen und die Vermittler alle unter: 
jocht,“ ſchrieb Herbert nad Wien, „er ift die bewegende Kraft von allem, was 
bier geſchieht.“ Um fo mehr fei zu beflagen, daß Oeſterreich unter den preußis 
ihen Staatsmännern feinen leidenjchaftliheren Gegner habe, als den liftigen 
Welihen. In Wien ſah man aud mit Mißtrauen auf die Entfendung eines 
außerordentliden türfiihen Gejandten an den Berliner Hof; nicht minder bes 
unrubigte ein Gerücht, Friedrich Wilhelm beabfichtige, noch bei Lebzeiten des 
Markgrafen Karl Alerander die fränfiihen Markgrafſchaſten Ansbah und Bai- 
reuth an fi zu reißen. Darauf wurde Jacobi beauftragt, dem „Klatſch“ ent: 
gegenzutreten; der Markgraf werde regieren bis ans Ende feiner Tage, der 
König denke gar nicht an Entfernung eines fo jparfamen NRegenten, der jähr: 
lid einige Hunderttaufend Thaler Staatsjchulden abtrage.. Trotzdem erhielt 
fih die Spannung der beiden Höfe. Aufrichtige Freundſchaft mit Defter: 
reih wäre ja freilich eine jchöne Sache, ſchrieb Herkberg (11. Februar 1791) 
an Jacobi, aber das Wiener Minijterium werde niemals ehrlichen Handichlag 
bieten, jondern immer lieber unter dem Schein von Offenheit und Legalität 
jeine gefährlichen Ränfe weiterfpinnen. Um nichts freundlicher beurteilte Jacobi 
die Aufrichtigkeit der Wiener Staatsmänner. „Was mir die friedlichen Ab: 
fihten des Wiener Hofes beffer als ſolche Beteuerungen zu verbürgen jcheint, 
ift die fritifche Lage, in welche er geraten ift, weil es an gutem Einvernehmen 
zwiſchen Souverän und Unterthanen fehlt. Man kann in Wahrheit jagen, daß 
noch mindeftens die Hälfte der Defterreiher mit dem gegenwärtigen Regiment 
unzufrieden ift. Der Kaifer hat jo viel Leuten das Verſprechen gegeben, allen 
Beichwerden abzuhelfen, daß es ihm jetzt nicht möglich ift, allen fein Wort zu 
halten.” In Ungarn dauerte der Zwiſt zwiſchen Katholiten und Protejtanten 
fort, und von beiden Parteien werde über Nichterfüllung faijerliher Ver: 
ſprechungen Klage geführt. In Belgien jei der Geift der Empörung feineswegs 
1) Binfeifen, 309. 
2) Keith, 348. 


384 Zweites Bud. Dritter Abſchnitt. 


bezwungen; Graf Mercy habe über die Ausföhnung der Wallonen wenig Tröfts 
liches zu berichten. Doch aud durch dieſe Schwierigkeiten werde nicht verhindert, 
daß jich der Kaifer mit ehrgeizigen Plänen trage; die Abrundung der Erblande 
duch venetianishe und mailändiſche Gebietsteile jei offenbar ein Lieblings: 
wunſch des Kaifers, auch das Beltlin werde als notwendiges Verbindungsglied 
zwiſchen den italienischen und den deutſchen Kronlanden angefirebt. 

Die Schuld an der Verfchleppung der Friedensverhandlungen jchoben ſich 
die öfterreihiihen und die preußifhen Diplomaten wechjeljeitig zu. Wenn 
Spielmann in Wien gegen „das, was er Metaphyfif nannte”, und „die fcho- 
laſtiſchen Verwickelungen der diplomatiihen Erklärungen in Siſtowa“ loszog, 
erwiderte Jacobi: Dieje Vermwidelungen hat einzig und allein Baron Herbert 
ins Leben gerufen, „von ihm ift mit der fpigfindigen Unterſcheidung von ‚vor: 
läufiger' und ‚vorbereitender' Grundlage der Anfang gemadt worden”. Dazu 
hat unferen Gefandten nur die Haltung der vermittelnden Mächte gezwungen, ſchloß 
Spielmann die erregte Debatte (20. Februar), man weiß ja, dab der Faiferliche 
Hof in Siftowa noch empfindlicher gebemütigt werden foll, ala in Echlefien! — 

Der Streit in Siftoma drehte ſich insbejondere um die Doppelforberung, 
daß die Bürgfhaft des Königs von Preußen in den Friedensvertrag auf: 
genommen und auch des Neichenbadher Vertrags ausdrüdlih Erwähnung ge: 
ſchehen jollte. Der erfte Punkt, jo war der Vertreter Preußens angemwiejen, 
fönne nötigenfalls aufgegeben werden, ber zweite unter feinen Umſtänden; die 
Würde der Krone verbiete ſolche Nachgiebigfeit. 

Doch ebenjo beftimmt weigerte fih das Wiener Kabinett, auf die preußiiche 
Forderung, die eine unerträgliche Demütigung bes Kaijers bedeute, ſich einzulaſſen. 
„Alles, was der Wiener Hof in Reichenbach verſprach,“ ſchrieb Kaunig (8. April 
1791) an den preußifchen Gejandten, Fürften von Neuß, „hat derjelbe wirklich 
erfüllt oder zu erfüllen fich bereit erflärt! . .. Enthalten die Reichenbadher 
Deklarationen das Verſprechen oder das Verlangen, daß fie im Friedensinftru: 
ment angeführt, beftätigt oder in wejentlihen Punkten wiederholt werden jollen? 
Nein! Alfo kann es auch nicht gefordert werden!” Nur für den Fal könne 
das Wiener Kabinett von feiner Weigerung abgehen, wenn aud) ein feierlicher 
Verzicht Preußens auf alle Erwerbungen in Polen in die Friedensurfunde Auf: 
nahme fände. 

Auf diefe Wendung wollte man fich aber in Berlin nicht einlafjen. Hertz— 
berg und Finkenftein rieten dringend ab, fich zu der angejonnenen Verzichtleiftung 
zu verftehen (19. April). Wenn aud die in Wien beliebte Auslegung nichts 
anderes als eine neue Chicane bebeute, jo empfehle fih do, unter den ger 
gebenen Verhältnifien lieber auf der Erwähnung des Reichenbacher Vertrags 
nicht weiter zu bejtehen. „Wenn wir auf dieſen Vorſchlag des Wiener Kabinetts 
eingehen, kann dasfelbe nicht mehr beanfprucen, daß Em. Majeftät auf jede 
Erwerbung verzichten, und wir behalten freie Hand in Bezug auf Danzig.“ 
Da der König die Auffaflung feiner Minifter teilte, wurde Jacobi angemiejen, 
den Verzicht auf die Einfügung des Neichenbadher Vertrags anzuzeigen, zugleich 
aber gegen die von Wien aus ſyſtematiſch betriebene Verhegung der Polen Ver: 
wahrung einzulegen; Preußen wünſche die Erwerbung von Danzig, doch werde 


Der Staatsſtreich in Polen. 385 


an gemwaltjame Aneignung nicht gedacht; man könne ruhig abwarten, bis ſich 
die Polen jelbft zur Abtretung bereit erflären würden. 

Die Spannung zwiſchen den preußiſchen und öfterreichifchen Diplomaten 
dauerte fort, und der Gegenjag wurde noch verſchärft durch ein Ereignis, das 
für Polen und die Nachbarmächte der Ausgangspunkt einer neuen Zeit zu werben 
idien. Eines Tages rief Fürft Kaunig an offener Tafel dem gegenüber figenden 
preußiihen Gejandten zu: „Haben Sie ſchon die große Neuigfeit aus Warſchau 
vernommen?” Als Jacobi verneinte, jagte der Fürft in ernftem Tone: „Sn 
Polen iſt die Revolution ausgebrochen.” !) 

Der ftarfe Ausdrudf wurde von Kaunig, der aus feiner Abneigung gegen 
die Polen nie ein Hehl machte, gewiß mit Abficht gewählt; berechtigt war der: 
ſelbe nicht, da nicht mit Mißachtung ber beftehenden Gejete zu Werke gegangen 
wurde. Denn ſchon feit September 1789 war ein vom Reichstag gewählter 
Ausihuß damit betraut, eine Reform der Verfaſſung durdhzuführen, mit dem 
ausgeiprochenen Zwede, dem unwürdigen Einfluß der fremden Schranken zu 
jegen. Da die Ruſſen, die in Polen den ſtärkſten Anhang hatten, insbejondere feit 
den glänzenden Erfolgen an der Donau ihr Ziel, die polnifche Republik vom 
BZarenthrone abhängig zu machen, dreifter. und offener verfolgten, glaubten König 
Stanislaus und die „Patrioten” nicht mehr länger jäumen zu dürfen; die War- 
nungen des preußiihen Gefandten, der in zwölfter Stunde Wind befommen 
batte, beichleunigten die Ausführung. Am 3. Mai gab der König im Reichstag, 
während von ihm Mitteilungen über eine Finanzfrage erwartet wurden, plößlich 
eine Erklärung ab, der gejeglich berufene Reformausſchuß habe feine Arbeit be: 
endigt, und um eine von übermäcdhtigen Nachbarn geplante, neue Zerreißung 
Polens zu verhüten, müſſe unverzüglich über Annahme der neuen Verfaffung 
Entiheidung getroffen werden. Troß entrüfteten Widerfpruches der ruffifchen 
Bartei wurde der Entwurf verlefen. Der polniſche Thron fol fortan im Haufe 
Kurſachſens erblich fein; demnach fol nad Ableben des jegigen Königs ber Kur: 
fürft von Sachſen ohne weiteres die Regierung übernehmen; da auch diejer ohne 
männlihe Nachkommen, fol feine einzige Tochter Marie Augufte zur Infantin von 
Polen, ihr fünftiger Gemahl zum König erhoben werben, und mit ihm foll eine 
neue Erblinie beginnen. Auch follen dem Träger der Krone freiere Bewegung 
und ftärferer Einfluß eingeräumt, vor allem das liberum veto, das Einipruchs- 
recht, das jedem einzelnen Landboten die Möglichkeit gewährte, den ganzen 
Reichstag lahm zu legen, abgejhafft werden. Außerdem joll die Scheidewand 
zwiihen Adel und Bürgerftand fallen, die Leibeigenihaft aufgelöft werden, alle 
Polen jollen gleihe Rechte genießen und gleihe Pflichten gegen das Vaterland 
zu erfüllen haben. ?) 

Schon das Verlejen des Berfaffungsentwurfes im Neihstag wurde wieder: 
holt duch Ausbrüche des Unmwillens unterbroden; nad) Beendigung des Vortrags 
beklagten zahlreihe Redner ebenfo die geplanten Neuerungen, wie die Ueber: 
baftung des wichtigen Unternehmens, insbefondere die Landboten aus den an 


) Preuß. St.:Arhiv. Bericht Jacobis vom 9. Mai 1791. 
2) Bolit. Journ., Jahrg. 1791, I, 475. 
Heigel, Deutſche Beihichte vom Tode Friedrichs d Br. biß zur Auflöfung des deutſchen Reichs 95 


386 Zweites Bud. Dritter Abſchnitt. 


Rußland grenzenden Provinzen erhoben den Weheruf,” die Abſchaffung des 
Wahlrechts fei das Grab ber polnischen Freiheit. Doc die Abftimmung ergab 
einen glänzenden Sieg der Patrioten; der König und die Mitglieder des Reichs: 
tags beſchworen die neue Berfafjung; ein Tebeum im Dom bejchloß die Feier. 

Raſch verbreitete fi die Kunde von diefen Vorgängen in den europäiſchen 
Hauptftädten; im allgemeinen wurde fie wohlwollend aufgenommen. |Das Ham: 
burger politiihe „Journal ſpendete „dem Genie und der Entſchloſſenheit“ des 
bisher verfannten Poniatowsky begeiitertes Lob, während} das Königtum in 
Frankreih zu ärmlicher Bedeutungslofigfeit herabgefunfen jei, habe fich Polen 
wieder mit einem kühnen Rud in den Sattel geſchwungen; nun werde es wieder 
beadtet werden müſſen im europäifhen Rate, denn „ſolange Polen monarchiſch 
beherrfcht wurde, war es blühend und der Gejeßgeber des Nordens“, !) 

Auch Schubart verglih den politiihen Staatsftreih mit der Ummälzung 
in Frankreich.“) „Es iſt ein großes Gedanfenfeit für den Philofophen, daß ſich 
zu gleiher Zeit zwei der mächtigften Reiche in Europa aus einer verborbenen 
Verfaflung in eine befjere hinauszudringen ftreben. Wiederherftellung der Menjchen: 
würde, Philojophie und Freiheit — Begriffe, die man in deſpotiſchen Staaten 
faum atmen darf — find jegt zu Warſchau, wie in Paris im Schwunge. Der 
Pole arbeitet fih aus der Halbbarberei heraus; er ilt gleihlam noch halb 
Menih und halb Erdkloß (!). Der Franke aber übernahm die weit ſchwerere 
Arbeit: die durch Gewaltthat und Sittenlofigkeit verlorene Schnell: und That: 
fraft wieder herzuftellen. Beide Reihe brauchen einerlei Mittel, nämlich Wieder: 
beritellung der bürgerlichen Freiheit und Ausmwurzelung des Defpotismus und 
Adelöftolzes.” Im den nächſten Monaten fam Schubarts Organ immer wieder 
mit ſchwärmeriſchen Lobſprüchen auf die Schöpfung des 3. Mai zurüd, jenes Tages, 
„der in der polniihen Geſchichte feines gleichen nicht hat, auf den die Völker 
ber Erde mit Staunen hinbliden und der in den Kabinetten der benachbarten 
Mächte wirkten mußte, wie der Pojaunen Getön aus Horebs Wetternadt”. 
Skeptiſcher betrachtete Schlözer den Umſchwung in Polen; ſchon die erite Mit: 
teilung der neuen Konftitution wurde von ihm mit kritiſchen Gloſſen verjehen, 
und ein halbes Jahr ſpäter führte er bittere Klage über die „fortdauernde, durch 
die neue Konftitution janktionierte, innere Sklaverei der polniſchen Nation”. ?) 
Bon heilſamem Erfolg der vielverfprehenden Zufierungen der Verfafjung wollte 
auch der den Polen mwohlgejinnte Neifende, der über einen Beſuch Polens im 
Sommer 1791 in der Berlinifhen Monatsſchrift berichtete, nicht viel beobachtet 
haben. *) „Bei allen Staatsänderungen ift die Ausführung das Schwierigfte, 
wie wir it an Frankreich ſehen; zumal in Polen, wo jeder herrſchen wollte und 
geordnete Einrihtungen als das Grab der freiheit anjah, ließ ſich wohl mandes 
Gute beichließen, aber bis it faft nichts durchſetzen.“ 

Welchen Anteil hatten Preußen und Defterreih am polnifden 
Staatsftreih? Die Frage iſt, obwohl diplomatische Aktenftüde in Menge befannt 


) Polit. Journ, Jabra. 1791, I, 479. 

) Baterl, Chronif, Jahre. 1791, 307, 331 fi. 
) Staatsanzeiger, 16. Bb., 328; 17. Bd., 130. 
4) Berlinifhe Monatsichrift, 18. Bd., 162. 


Der Staatöftreih in Polen. 387 


geworden find, ſchwer zu beantworten, weil ſich nicht mit unbebingter Sicherheit 
entſcheiden läßt, welche Aeußerungen aufrichtig gemeint, welche auf Täufchung bes 
Gegners berechnet waren. Während Sybel für die Anficht eintrat, daß Kaijer 
Reopold, ein warmer Freund der Wiedergeburt Polens, den Plan der polnijchen 
Patrioten gelannt und gefördert habe, ?) folgerte Ernft Herrmann, getreu ber alten 
polniſch⸗franzöſiſchen Auffaflung, aus den nämlichen Schriftftüden, daß Leopold 
aus abjolutiftiiher Neigung die rujfiichen Intereſſen begünftigt, die Verfafjung vom 
3. Mai als ein Werk preußifchen Einfluffes gehaßt und verfolgt habe.) Sybel 
wies darauf hin, daß einige der eifrigiten Reformfreunde zur alten öfterreihiichen 
Partei gehörten, daß ſich polniſche Edelleute am Hofe Leopolds immer befonders 
ehrenvoller Aufnahme zu erfreuen hatten, daß insbejondere die Fürftin Czartorisfa 
vol Rührung die warmherzige Freundichaft Zeopolds für ein freies Polen 
rühmte. Leopold habe fih mit dem Plane getragen, an der Weichſel ein 
ftarkes Königreih aufzurichten, deffen fünftiger Herr, der Kurfürft von Sachſen, 
ber hiftoriihe und natürliche Bundesgenoffe Defterreihe, dem kaiſerlichen Einfluß 
von Wittenberg bis Danzig und Riga zur Herrihaft verhelfen werde.) Allein 


') Bernhardi, Geſch. Rußlands 11, 2, 307 ftimmt biefer Auffaffung bei. 

2) Sybel, Geſch. der Revolutionszeit, I, 292. — €. Herrmann, Geich. des ruffiichen 
Staates, VI, 361. — E. Herrmann, Die öſterreichiſch-preußiſche Allianz vom 7. Febr. 1792 und die 
zweite Teilung Polens. Eine Streitfchrift gegen Prof. H. v. Sybel. — Sybel, Kaiſer Leopold II. ; 
Hiftor. Zeitihr. 10. Bd, 387. — €. Herrmann, Die polnische Politif Kaiſer Leopolds II.; 
Forſchungen zur deutihen Geſch, IV, 385; V, 287. — Sybel, No einmal über Leopold II. 
gegen €. Herrmann; Hiftor. Zeitfchrift, 12. Bd., 260. — Sybel, Polens Untergang und der Revolu- 
tionskrieg; Hiftor. Zeitſchr. 23. Bb., 66 (wiederholt gebrudt in Vorträge und Aufſätze, 175). 

2) Sybel hat die Behauptung, daß Kaifer Leopold als der eigentliche Urheber des pol: 
nifchen Staatöftreiches anzufehen fei und auch ben Gebanfen der ſächſiſch-polniſchen Perfonal: 
union zuerft aufgefaßt habe, fpäter nach Einfihtnahme der Korrefpondenz des Taiferlichen 
Gejandten in Warfhau, du Cache, fallen gelaffen, doch daran feftgehalten, daß Leopold für einen 
entichiedenen Freund der polnifhen Beftrebungen zu gelten und fi bes neuen polnifhen Zus 
ftandes mit Wärme und Thatkraft angenommen habe (Vorträge und Auffäge, 183). Er weiſt 
darauf hin, daß fchon am 9. Mai 1791 von Leopold dem Lord Elgin proponiert worden fei, 
nad Abſchluß der beablichtigten Allianz Defterreihs, Englands und Preußens die Garantie ber 
Befigungen und der Berfaffungen aud) auf Polen auszudehnen. Allein fhon Herrmann hat 
Bedenfen geäußert, ob Leopold dabei wirklich an die Verfaffung vom 3. Mai gedacht habe, ob 
er überhaupt jchon am 9. Mai in Florenz, wo er die erwähnte Unterredung mit Lord Elgin 
hatte, von Vorgängen in Warfchau vom 3. Mai Kenntnis gehabt haben könnte. Sybel will den 
Einwand nicht gelten lafjen; wenn die Nachricht Über die PBroflamation der Maiverfaffung, jagt 
er, jhon am 6. Mai in Berlin befannt war, fo fonnte fie aud ohne befonderen Kraftaufwand 
bi8 zum 9. Mai nad Florenz gelangen und niemand wird es Herrmann glauben, daß eine fo 
welterregende Kunde nicht bis dahin ſchon zu Leopold gebrungen wäre. Das Bedenken Herrmanna 
fheint mir aber nicht fo unbegründet zu fein. In deutfhen Zeitungen taucht, fo meit ich es 
auf Grund des mir erreihbaren Materiald überfehen kann, vor dem 10. Mai keinerlei Nachricht 
über ben Borgang in Warfchau auf; die Mitteilungen an genanntem Tage beichränfen fih auf 
allgemeine Andeutungen; erft mehrere Tage jpäter werden eingehendere Schilderungen gebracht. 
Ob wirklich in dem immerhin noch ein paar Tagreifen entfernten Florenz am 9. Mai jo genaue 
Kunde eingetroffen fein konnte, daß ber Kaifer ſchon über Garantie der neuen Berfafjung 
verhandeln mochte, ift mindeftens zweifelhaft. 

Sybel beruft ſich ferner auf eine Depefhe vom 24. Mai, wodurch Kaunig den Grafen 
Eobenzl anwies, bei Rufland die unbedingte Anerfennung ber neuen Berfaffung Polens zu 


388 Zweites Buch. Dritter Abſchnitt. 


auch Sybel mußte zugeben, daß manche Aeußerungen und Vorfälle gegen eine 
jelbftthätige Teilnahme Defterreihs am Staatsjtreih ſprechen, und was nod 
wichtiger, er mußte einräumen, daß noch im Juni 1791 das ganze diplomatifche 
Corps in Wien der Anficht war, das faijerlihe Kabinett wolle auch in dieſer 
Frage zu Rußland halten und deshalb die gegen Rußland gerichtete, durch 
preußifche Umtriebe angeftiftete Warſchauer „Revolution“ erbrüden. ebenfalls 
ging Sybel zu weit, wenn er, nur auf bypothetiiche Beweiſe geſtützt, behauptete, 
die Regeneration Polens fei als der eigentliche Brennpunkt der Politik Leopolds II. 
anzufehen, wie aud die Behauptung, daß die von Leopold begünitigte Ver: 
jhmelzung Polens und Sachſens die politifche Vernichtung Preußens bedeutet 
hätte, eine Uebertreibung ift. Freilich it der Auffaffung Herrmanns, daß preußi- 
ſcher Einfluß die Patrioten zum Staatöftreih ermutigt habe, ebenfomwenig bei- 
zupflihten. Es ift ſchon deshalb nicht glaublich, weil die wichtigſte Beſtimmung 
ber Waiverfaflung, die Aufrihtung einer erblichen Thronfolge in Polen, dem 
preußifhen Intereſſe zumiberlief. Hergberg war denn auch über den hinter 
dem Rüden des „Bundesgenoffen” ausgehedten „Theatercoup” höchſt aufgebracht, 
und im gutachtlichen Bericht des Minifteriums an den König (6. Mai) wurde 


beantragen. Allein wenn man ben von Sybel felbft mitgeteilten Inhalt diefer Depeſche näher 
ind Auge faht, fo läßt fi wahrnehmen, daß die Forderung bes Fürſten Kaunig nicht aus 
Sympathie mit den polniihen Patrioten, fondern nur aus Abneigung gegen Preußen hervor: 
gegangen ift. Kaunitz preift den Borteil, den ein feftes Zufammengehen ber beiden Kaiferhöfe 
gegenüber ber verwerflien, immer treulofen Politif Englands und Preußens biete, und ſpricht 
die Hoffnung aus, Rußland werde ſich niemals hinter vem Rüden feines treuen Bundesgenoſſen 
mit Preußen oder Türfen einlaffen. Die Herrſchſucht Englands, das alle Staaten des Kontinents 
meiftern wolle, fei unerträglich; Preußens Abficht gehe offenbar dahin, feine Herrihaft auf 
polnifhem Boden möglichft auszudehnen. Died made zur Pflicht, auch den polnifhen Staat 
moglichſt ſtark und fräftig zu machen, damit er ſich der preußifhen Anfechtungen erwehren könne. 
Rußland Habe allerdings früher ein Intereffe daran gehabt, daß Polen geſchwächt werde; heute 
verhalte fich dies anders; um die neue Berfaffung umsuftoßen, würbe Katharina bie preußiſche 
Mitwirkung nicht umgehen fünnen; jeder neue Fortſchritt Preußens aber fei ebenjo eine Gefahr 
für Rußland, wie für Polen; man müffe alfo die neue Berfaffung anerkennen, um Polen gegen 
Preußen in der Hanb zu haben. 

Die Depeche vom 24. Mai bemweift aljo nichts anderes, als daß Kaunig den Umſchwung 
in Polen, ben man nicht ungefhehen mahen konnte, gegen Preußen auszunugen ſuchte; an 
„warme” und „thatkräftige” Teilnahme an der Wiedergeburt Polens braucht um folder Worte 
willen nicht gedacht zu werben. 

Auch haben wir ein unverfängliches Zeugnis dafür, daß Leopold den Argwohn feines 
Kanzlers geteilt und in Preußen den Anftifter des polniſchen Staatäftreiches erblidt habe. Bon 
Mantua aus jchrieb Leopold am 20. Mai 1791 an Kaunitz — der Brief ift erft nach dem legten 
Sybelſchen Aufjage von Beer (Joſeph II., Leopold II. und Kaunig, ihr Briefwechſel, 404) ver: 
Öffentliht worden —: „Die in Polen ausgebrodene Revolution ift ein außerordentlich wichtiges 
Ereignis; es ift wahrſcheinlich, daß die ganze Nation dabei nicht ftehen bleiben wird; man muß 
vor allem abwarten, was Rußland dazu fagen wird, denn offenbar unterhält der Berliner Hof 
heimliches Einverftändnis mit bem König von Polen und ſchmiedet Pläne, die ſüchſiſche Prinzeffin 
mit dem zweiten Sohne des Königs von Preußen zu vermählen.” Mit diefer Auffafjung des 
Staatäftreihes ftimmt überein, daß Leopold am 25. Mai zu Lord Elgin jagte, angefichts ber 
bedenklichen, alle Nahbarn bedrohenden Berfaffungsänderung in Polen müfje er vorfichtig zu 
Werke gehen, könne aljo feine guten Beziehungen zu Rußland nicht auf einmal opfern und nadı 
England und Preußens Wünſchen mit der Pforte Frieden maden. 


Der Staatäftreih in Polen. 389 


die Behauptung wieberholt, Preußen jei nur dann gegen große Gefahren ge 
fihert, wenn in Polen die Wahlfreiheit, d. h. die Anarchie erhalten bleibe. Da 
aber no immer ein Krieg mit Rußland zu befürchten und von England nad 
den legten Rundgebungen bes Volfswillens feine Hilfe zu erwarten war, durfte 
man fich nicht auch noch Polen zum Feinde mahen. Deshalb wurde dem 
polnifhen Botſchafter in Berlin die vollfte Zufriedenheit mit den Vorgängen in 
Warſchau ausgeiprodhen, und Jacobi in Wien mußte erklären, Preußen werde, 
obwohl in feiner Weile am Ausbruch der polniſchen Revolution beteiligt, die 
Beihlüffe einer freien Nation achten und anerkennen und auch die Wahl bes 
trefflihen Kurfürften von Sachſen freundlih unterftügen. Hinwieder beftärfte 
die Wärme diefer preußiſchen Verſprechungen den Fürften Kaunig im Argwohn, 
daß hinter den Beichlüffen des polniſchen Reichätages eine preußifche Intrigue 
ftede und bie Abtretung Danzigs ben Preis für die überrajchende Will- 
fährigfeit des Berliner Kabinetts bilden werde. Kaunitz empfahl deshalb ent: 
ſchiedenes Zuſammengehen mit Rußland, allein Leopold, immer der behutfame 
Politiker, fuhr fort zu verfihern, daß er einer „Wiedergeburt“ Polens auf: 
richtiges Wohlmollen entgegenbringe.!) Er forderte nit bloß England und 
Preußen zur Gemwährleiftung der Maiverfafjung auf, fondern ftellte auch in Peters: 
burg den Antrag, Rußland möge den Kurfürften von Sachſen als Erbfönig 
Polens anerkennen; in Dresden ſuchte er dahin zu wirken, daß ber Kurfürft 
aus Rüdfiht auf die Zarin von der Forderung einer noch ftärferen Krongemwalt 
in Polen abftehe. Man braucht die Gönnermiene Leopolds durchaus nicht, wie 
Herrmann verlangt, nur als eine Maske des „Virtuofen der Verftellung“ zu 
betrachten. Es war gewiß nicht ernit gemeint, wenn Leopold feine Haltung 
damit begründete, daß die monarchiſche Kräftigung Polens als europäijches Be: 
bürfnis gefordert werde, aber andere Intereſſen kamen ins Spiel. Bom Wiener 
Hofe ging die Anregung aus, daß die Erbfolge auch auf die Brüder des Kur: 
fürften ausgedehnt werde; der ältefte diefer Brüder war der Eidam Leopolds. 
Schon im Juni 1791 ſprachen faiferlihe Diplomaten von einer permanenten 
Union Polens und Sadhjens, wenn auch nur als von „ſächſiſchen Velleitäten“ ; 
ein beftimmter Antrag wurde freilich erft nach Leopolds Ableben im Mär; 1792 
in Petersburg geftelt. „Diefer Plan war es,” jagt Sybel, und für die Regierung 
Franz II. ift der Vorwurf nicht unbegründet, „der Preußen auf der Stelle hinüber 
in Rußlands Arme trieb und jo das deutſche Bündnis gegen Franfreih von 
Anfang an dur den Keim des polnifhen Haders vergiftete.” — 

Im Frühjahr 1791 hatte ſich die europäiiche Lage jo drohend wie möglich 
geftaltet. Je nachdrüdlicher die Diplomaten die SFriedlichkeit ihrer Regierungen 
beteuerten, deito eifriger wurden die Kriegsrüftungen fortgefeßt. 

Aus Berlin braten die Zeitungen nur friegeriihe Stimmungsbilber. 
„Der militärifche Geift,” verfiherte Schubarts Chronik, „ift wieder in ben Preußen 
erwacht, fie wollen nicht mehr mit der Feder, fie wollen mit dem Degen in der 
Fauft verhandeln. Krieg ift mein Lied, weil alle Welt Krieg will, jo fei es 


) Ueber den Zwieſpalt der Meinungen in Wien, ſ. Sybel, Hiftorifhe Zeitichrift 
12. Bd., 275. 


390 Zweites Buch. Dritter Abfchnitt. 


Krieg‘. So fingt man jegt in Potsdam, unter dem Schalle der wirbelnden 
Trommel, nahe am Totengewölbe Friedrichs des Einzigen, daß ſich die heiligen 
Gebeine bewegen!” !) Der Krieg wäre vielleicht auch ausgebrochen, wenn nicht 
in Großbritannien, deſſen Regierung die Nolle eines bewaffneten Friedensftifters 
zwifhen Rußland und der Pforte übernommen hatte, die Kriegspartei eine jähe 
Niederlage erlitten hätte. In einer ſtürmiſchen Sigung des Unterhauſes am 
12. April wurde zum Beihluß erhoben: da England fid ein für allemal nur 
zur Selbftverteibigung in Krieg einlafjen dürfe, jei weder gegen Rußland, weil 
es die englifche Vermittelung abgelehnt habe, noch gegen Frankreich, deſſen Be- 
völferung endlih im Staate Ordnung ſchaffen wolle, eine drohende Haltung zu: 
läſſig. Umfonft wies Edmund Burke, der unverſöhnliche Gegner des revolu- 
tionären Frankreichs, darauf hin, daß in Paris nicht zu Gunften gefeglicher 
Ordnung, ſondern der wildeſten Gejeglofigfeit geftritten werde, daß aljo ganz 
Europa ein bringlides Intereſſe daran habe, die Allen gefährlihe Brunft in 
Franfreih zu löihen; umſonſt hob Pitt hervor, daß man ſich nicht bloß um 
Oczakow zanken oder gar für die Abtretung Danzigs an Preußen erhigen wolle, 
fondern daß es für Großbritannien die wichtigite Lebensfrage jet, eine weitere 
Ausdehnung der ruffiihen Herrihaft im Mittelmeergebiete zu verhüten. Das 
Miniiterium errang zwar fchlieglich ein Vertrauensvotum, aber es mußte unter 
dem Drude der vom ruffiihen Gejandten Roftopfchin geſchickt bearbeiteten öffent: 
lihen Meinung den Kurier, der in Petersburg das Ultimatum übergeben jollte, 
zurüdrufen. ?) 

Die Friedensfundgebung im englifhen Parlament war infofern au eine 
Niederlage der preußischen Politik, als Pitt befonders durch das Berliner Kabinett 
zum Vorgehen gegen Rußland gedrängt worden war. Nicht Herkberg hatte dieſe 
Forderung erhoben; von ihm war (6. März) in London angeregt worden, man 
möge die von Dänemark angebotene Vermittlung annehmen, um einen billigen 
Vergleih mit Rußland zu erlangen. „Gewiffe Leute aber,” jo klagte Herkberg, 
„wußten ben Kriegseifer des Kabinetts von St. James zu entflammen, ohne 
über die maßgebende Stimmung bes englifchen Volkes unterrichtet zu fein. Hätte 
man meinen Borihlag, wie ih ihn ben 6. März gethan, nicht umgeftoßen, 
jondern befolgt, fo wäre die ganze Scene des Widerſpruchs der engliſchen Nation 
unterblieben, die ruſſiſche Kaiferin hätte nie etwas davon erfahren und bie 
Alliierten hätten ihr das Gejeg gegeben, und nicht von ihr genommen.” ?) Pitt 
ſelbſt brach nun völlig mit dem bisher feitgehaltenen Syftem. Er lieh in 
Siftowa erklären, daß England gegen die Abtretung von Oczakow an Rußland 
nichts einzuwenden habe; in Berlin wurde angezeigt, es ſei auf das Eintreffen 
einer engliihen Flotte in der Oftfee nicht zu rechnen; Lord Elgin wurde be- 
auftragt, im Gefolge Leopolds nach Florenz zu gehen, um eine freundfchaftliche 
Annäherung Englands zum Kaiſer anzubahnen. 

Kaum war aber von London aus die Parole gegeben: die Ummwälzung in 


') Baterl, Chronik, Jahrg. 1791, 265. 
*?) A. Sorel, L’Europe et la Revolution Francaise II, 204. 
2) Poſſelt, E. F. Gr. v. Herüberg, 26. 


Preußen und Defterreih und die franzöfifche Revolution. 391 


Frankreich geht das übrige Europa nichts an! kam es in Paris zu unerbörten 
Gewaltaften gegen das Königtum. „Verewigt in der Geſchichte Frankreichs,“ 
jo beginnt der Bericht im Politiihen Journal, „ohne jeines gleichen, merk: 
würdiger als die Tage der Schlachten bei Poitiers und Pavia, in denen aud 
franzöfifhe Könige gefangen wurden, ift der 18. April 17911”) An diefem 
Tage, an dem auch die Ueberlafjung des Yakobinerflofters an die Geſellſchaft der 
Verfaſſungsfreunde erfolgte, wollte Ludwig XVI. einen längft gefaßten Beſchluß 
ausführen; um nicht länger von den ftörrifchen, aufgeregten Mafjen der Haupt: 
ftabt abhängig zu fein, wollte er fih nah St. Cloud begeben. Allein eine den 
Tuilerienhof füllende Menge ließ den Wagen nicht abfahren. Umfonft befahl 
Lafayette der Wache, der bebrängten königlichen Familie Quft zu machen, bie 
Soldaten verhöhnten den Kommandanten, die „Vertreter des fouveränen Volkes“ 
beihimpften den Fürften jo lange, bis dieſer nad) ftundenlangem Tumult end» 
ih den Wagen wieder verließ und ins Schloß zurüdfehrte. Seit diefem Tage 
war Ludwig der Gefangene feines eigenen Volkes; auch Lafayette, der bisher 
noch das gute Einvernehmen mit der Nationalgarde vermittelt hatte, verlor 
die Zügel aus ben Händen, ber Pöbel von Paris war König von Fyranf: 
reih. Immer deutlicher trat zu Tage, daß in Frankreich nicht die Einführung 
einer verfaffungsmäßigen Staatsform, die auch im übrigen Europa fo viele 
warme freunde hatte, jondern die Abichaffung des Königtums von den mäch— 
tigften Parteien angejtrebt werde; es war aljo vorauszufehen, daß ſich bie 
monardiihen Staaten Europas auf die Dauer nicht jeder Einmiſchung würden 
enthalten fönnen. Auch diefe Ueberzeugung trug dazu bei, baß troß aller feinb- 
jeligen Stimmung und Spannung aus Anlaß der orientalifhen Frage die Armeen 
Gewehr bei Fuß ftehen blieben. 

Seit Preußen mit dem Berzicht auf die Erwähnung der preußiichen Bürg- 
Ihaft im Friedensvertrag nachgegeben hatte, drang der Vertreter des Kaifers in 
Siftoma, Baron Herbert, nur noch beharrliher auf weitere Zugeſtändniſſe. 
Mylord Keith war dieſe „Halsftarrigfeit” ein Dorn im Auge.?) Längſt wäre 
man zum Frieden gelangt, Elagte er, wenn nicht diefer „Mann der Fleinlichen 
Mittel” immer wieder den Abſchluß verzögert hätte, indem er bei jeder Kleinigkeit 
vorgab, erit die unmittelbare Zuftimmung des Kaifers einholen zu müſſen. 


„Gräberftille, furchtbar ſtumm, 

Herrſcht um Siſtows Heiligtum, 

Mit geftredtem Halfe ftehen an der Gränze 
Horcher, der Erwartung voll, 

Ob der Ungarn Säbel oder — Kiel der Gänfe 
Uns den Frieden bringen fol?” ?) 


Die Diplomaten der Mächte des Dreibundes waren über die Berjchleppung 
um jo ungehaltener, da Siftowa für müßige Tage ein ungaftliher Aufenthalt war. 
Ein pedestrian congress, wie der gegenwärtige, jpottet Keith, fei in der Welt: 


1) Polit. Journal, Jahrg. 1791, I, 466. 
*, Sir Robert Murray Keith, Memoirs, II, 362. 
2) Baterl. Chronik, Jahrg. 1791, 290. 


392 Zweite Bud. Dritter Abfchnitt. 


gefhichte noch nicht dagewefen; feiner von den adt in Siſtowa anmefenden 
Miniftern fei während des Winters in einem Wagen gefahren, denn auf einem 
Düngerwagen habe doch feiner figen wollen. Ebenjo auffällig zeichne fich der 
Kongreß duch feine Wohlanftändigfeit aus, denn feiner von den Botjchaftern 
babe bisher von den Siftower Frauen mehr als die Nafenjpigen gejehen. Die 
in Siftoma wohnenden Türfen blieben gegenüber den Ungläubigen ftumm, wie 
bie Fiſche; es gab Feine Bühne, feine Bälle, fein Abenteuer; nur mit Angel: 
Iport konnten fi die Herren unterhalten; bie und da gab es einen großen 
Schmaus, wozu jedoch die Eßwaren aus Wien, Bufareft und Konjtantinopel zu: 
jammengeholt werben mußten. Keith behauptet, daß die Diplomaten in Siftomwa 
famt und ſonders — natürli mit Ausnahme feiner Lordſchaft — eine aus: 
geſprochene Vorliebe für türkifche Piafter gehabt hätten; inwieweit der Vor: 
wurf berechtigt war, entzieht fih der Beurteilung. Es gab auch wohl einmal 
eine Ueberraihung in türfiihem Geihmad. Eines Tages kam die Nachricht, 
dem Großwefier fei nad) feiner Ankunft das Amtsfiegel abverlangt und in der 
folgenden Naht — der Kopf abgejchnitten worden, weil er durch feine Läſſig— 
feit den Verluft Ismails verjchuldet hätte.) Der neue Großweſier Juſſuf 
Paſcha, jo hieß es weiter, made Miene, den legten Mann des Türfenreiches 
ins Feld zu ftellen; der Sultan habe nicht bloß die Wiebereinnahme der Donau: 
pläße, fondern aud die Zurüderoberung der Krim befohlen. Die Folge war, 
daß in den näditen Tagen in Siftoma der Vertreter Dejterreihs finfter blidte, 
die Gejandten der Dreibundsmächte vergnügte Mienen zeigten. An und für fich, 
Ihreibt einmal Keith, wäre es um die Türfei gewiß nit Schade, aber jedes 
davon abgeriffene Stüd würde in die Klauen einer gewiſſen nordiſchen Heroine 
fallen, die das grauenhafte Bedürfnis habe, zwanzigtaufend und noch mehr 
Menſchen aufzuzehren. „Ergo muß Selim III. auf feinem erhabenen Diwan 
erhalten bleiben, und es ift von größter Wichtigkeit, daß die männermorbende 
Dame genötigt werde, einige Schritte zurüd zu ihren ehemaligen Grenzen zu 
machen.” ?) Es blieb den Gejandten der Dreibundsmächte nicht verborgen, daß 
Baron Herbert mit einem ruffiihen Offizier in einem benachbarten moldauifchen 
Städtchen zufammentraf, und noch unliebjamer wurde beobachtet, daß ber Zurüd: 
gefehrte in den Situngen den jchroffiten Ton anſchlug. Baron Jacobi wurde 
angemiejen, über die unerträglihe Sprache Herberts in Wien Klage zu erheben. 
„Die von Herbert vertretenen Grundjäge, die zu nichts anderem führen können, 
als zum Zufammenbruch alles Bertrauens auf die Verträge, mußten Seine 
Majeftät ebenjo überrafchen, wie fränfen.” ?) Plötzlich fam ſogar die befremdende 
Kunde: der Friedenskongreß ift geiprengt, Baron Herbert hat nah ſtürmiſchem 
Streit mit den Türken Siftowa verlafien. „Das Ereignis,” jchrieb Herkberg 


') Schon im Februar 1791 fchrieb ein Berichterftatter aus Berlin in Schubarts Chronif: 
„Des Großweſiers Kopf fteht ſehr loder auf dem Rumpfe, benn er ift ein Verräter, 'ber es 
heimlich mit Potemkin hält, woraus fich allein feine ganz unbegreiflihe Erftarrung erklären 
fäßt. Unfer Oberſter Luſi (Luchefini), eine weljhe Flamme, mit dem Dele unferer Politik 
geträntt, rüttelte an ihm vergeblich.” (Chronik, Jahrg. 1791, =) 

?) Keith, Memoirs, 408, 

2) Preuß. St.:Arhiv. Erlab an Jacobi vom 17. Juni 1791. 


Der Kongreb in Siftoma. 393 


an Jacobi, „kann füglic nicht mehr bejonders überraſchen, nachdem der Wiener 
Hof feine Forderungen ſchon jo übermäßig hinaufgeichraubt hatte. Man muß 
jett abwarten, ob der Kaiſer das Verhalten feiner Minifter billigt oder nicht.“ 
Dem Briefe des Miniiters ift ein Apoftill von der eigenen Hand des Königs 
beigefügt, das am deutlichften zeigt, wohin die Dinge bereits gefommen waren: 
„Sie werden fih bemühen, mir jo rajch wie möglich ſichere Ausfunft zu ver: 
Schaffen, wie ſtark die öfterreihiichen Truppen find, die im gegenwärtigen Augen: 
blid in Böhmen und Mähren ftehen.” 

Da — gerade in dem Augenblid, da die Defterreicher, wie Keith arg: 
mwöhnte, nur auf einen Schuß in der Walachei lauerten, um den Ruſſen wieber 
offen die Hände zu reihen, trat in Franfreih ein Ereignis ein, das nicht nur 
den Sturz des Königtums bejchleunigte, jondern auf die ganze europäifche Politik 
gewaltige Rüdwirkung übte. 

In der Naht vom 20. Yuni 1791 entflohb Ludwig XVI. mit feiner Familie 
aus Paris; er wollte von einem fiheren Plage im nörbliden Frankreich oder 
nötigenfallg von fremdem Boden aus mit Hilfe der befreundeten Monarchen den 
Kampf gegen die Revolution eröffnen. Es war, wie wir heute wiſſen, nicht 
bloß auf Rettung der königlichen Familie, jondern auf Wiederaufrichtung des 
abjoluten Königtums abgefehen; die Denkichrift, in welcher die Gründe ber 
Flucht dargelegt find, läßt über die ANbficht des Königs, die feit 1789 dem 
Königtum aufgenötigten Beichränfungen wieder aufzuheben, feinen Zweifel 
beftehen. 

Die Flucht aus der Hauptitadt ging glücklich von ftatten, allein in Barennes 
wurde der Wagen angehalten, die Flüchtlinge mußten umkehren, taufend johlende 
Blufenmänner und Weiber gaben unerwünſchtes Geleite. Durch Pethions und 
Davy Dumas Memoiren, jowie die von Pimpenet mitgeteilten offiziellen Akten— 
ftüde find wir über alle Einzelheiten der Leidensgeſchichte der königlichen Familie 
vom 21. bis zum 25. Juni genau unterrichtet. Da war feine Schmähung jo roh, 
daß fie nicht der verhaßten Defterreiherin ins Antlig gejchleudert, feine Drohung 
fo rafend, daß fie dem in ftumpfer Ergebenheit ſich binbrütenden König erjpart 
geblieben wäre! In Paris, wo ber traurige Zug am Abend des 25. Juni ans 
langte, war an den Straßeneden zu lefen: „Wer dem Könige zuflaticht, wird 
geprügelt, wer ihn beleidigt, wird gehängt!” Demgemäß wurden bie Ge- 
fangenen mit eifigem Stillfehweigen empfangen.) Um fo lauter und wilder ging 
es in den nächſten Tagen in der Nationalverfammlung her. Nod war in der 
Mehrheit der Abgeordneten monardiiches Gefühl lebendig, ja, es ſchloſſen fi in 
diefen Tagen jogar die aus dem Jakobinerklub ausgefchiedenen gemäßigten 
Feuillants, die Genofjen Barnaves, enger an die älteren fönigstreuen Elemente 
ber Nationalverfammlung an, und dieſe fonftitutionelle Fraktion ſuchte aufrichtig 
die Monardie und die Freiheit zu verföhnen und dadurch beide zu retten. Doc 
was vermocdten die Wenigen, was vermochte überhaupt noch die fonjtituierende 
Berfammlung gegen den fi) immer furchtbarer aufrichtenden Dejpotismus der 
Menge! Jeden Tag konnte es zum entjcheidenden Sturm auf die Tuilerien 


') Oncken, Das Zeitalter der Revolution, des Kaiſerreichs und der Befreiungäfriege, I, 331. 


394 Zweites Bud. Dritter Abſchnitt. 


fommen, jeden Tag fonnte ein grauenvolles Geihid die königliche Familie 
ereilen! ?) 

Diejer peinliden Gewißheit fonnte fih auch Kaifer Leopold nicht ver: 
jchließen, und daraus erwuchs für ihn die Notwendigkeit, alle anderen Abfichten 
und Pläne zu vertagen, bis das Leben der Schweiter geſichert und ber Zer: 
trümmerung des franzöfifhen Thrones Einhalt geboten wäre. In Berlin wurde die 
Tragweite der Pariſer Ereignifje jogleich richtig beurteilt. „Der Kaiſer kann jegt 
unmöglid feinen Schwager ohne Hülfe laſſen,“ jchrieb Hergberg (29. Juni) an 
Jacobi, „er wird im Verein mit Spanien und Sardinien traten, ihn mieder 
auf den Thron zu heben; das wird ihn zwingen, fih in Siſtowa gefälliger und 
nachgiebiger und zuvorkommender zu zeigen.” Yacobi, der furz zuvor, d. h. vor 
dem Fluchtverfudh Ludwigs nur von Rüftungen und Märfchen in den öjterreichifch- 
ungarifhen Provinzen und von ftolzen, ſchroffen Neußerungen der öfterreidhiichen 
Minifter zu berichten hatte, konnte plöglich einen erfreulihen Umſchwung der 
Stimmung in Wien feftitellen. Der Kaifer überhäufe ihn, ſchrieb Jacobi, mit 
Verfiherungen aufrichtiger Freundſchaft, und die Mienen der Minifter jeien zwar 
nicht heiterer, aber artiger geworben; trotzdem dürfe man enticheibende, das faifer: 
lihe Kabinett bindende Bejchlüffe nicht erwarten. „Diejer Kaifer verfolgt in 
eriter Reihe immer das Prinzip, alles und jedes hinauszufchieben, jolange es 
irgend angeht; an dieſem Prinzip bat er feit feinem Regierungsantritt ebenfo 
in Bezug auf die Verwaltung feiner Staaten, als in ber auswärtigen Politif 
mit gutem Erfolg feitgehalten. Dieje Methode hat er fih in ber Schule des 
Biſchofs von Piftoja angeeignet; fie entipricht ebenjo der ihm angeborenen Nengit: 
lichkeit, wie dem Wunſche, die Ereignifje an fih heranfommen zu laſſen und für 
feinen Vorteil auszubeuten. Fürft Kaunitz befämpft umfonft diefe Politif, bie 
er als ‚Horentinifche‘ verhöhnt und für unwürdig des vornehmiten europäiichen 
Hofes anfieht.“ 

Erft von Sybel ift die Stellung Leopolds II. zur franzöſiſchen Revolution 
richtig beurteilt worden. Früher hatten deutiche wie franzöfiiche Hiftorifer im Kaifer 
einen überzeugungstreuen, eifrigen Vorkämpfer der Legimität erblidt. Auch noch 
Ernft Herrmann hatte die Auffafjung vertreten, Leopold habe feinen glühenderen 
Wunſch gekannt, als die legitime Sache an den Safobinern zu rächen und das 
alte Königtum in Frankreich wieder aufzurichten: jo bald wie möglid habe er 
Frieden und Freundichaft mit Preußen geſchloſſen, um fih dann auf Frankreich 
zu ftürzen und den Draden der Revolution zu belämpfen. 

Dagegen hat Sybel, insbejondere aus ben zwijchen ben Geſchwiſtern und 
ihren Bertrauensmännern gewechſelten Briefen nachgewieſen, daß Leopold den 
franzöfiihen Dingen überrafhend fühl gegenüberftand, jo lange wie möglich 
jede Einmifhung ablehnte und nur aus Rüdjiht auf feine Schweiter zeitweiſe 
diefe Richtung aufgab.*) Ob er wirklich aus Meberzeugung dem Bolfe ein „Recht 
auf Mitarbeit am Staate” zuerfannte,?) ift mindeftens zweifelhaft. Allerdings 


!) Glagau, Die franzöfifche Legislative und der Urfprung der Revolutionskriege, 3. 
2) Hifter. Zeitfchrift, 10. Bb., 387. 
2) Dnden, I, 396. 


Zeopold II. und die franzöſiſche Revolution. 395 


befannte er fi in den Briefen an Schweiter Chriftine zu Grundfäßen, die den 
Kundgebungen der franzöfiihen Konitituante jehr nahe kamen, aber es ſcheint 
fih dabei nur um augenblidlihe Zugeitändniffe an unzufriedene Unterthanen 
gehandelt zu haben; fein Verhalten gegenüber den Ständen der Erbftaaten läßt 
nicht darauf jchließen, daß er den Anjpruch des Volkes auf ein Grundgejek oder 
einen Grundvertrag zwiſchen Volk und Fürften zu heilſamer Beſchränkung des 
Fürftenrechts willig anerkannt hätte. Schwerer fiel in die Wagſchale der Wunſch, 
nicht in gefährlihe Händel im Welten verwidelt zu werden, folange die orien- 
taliſche Frage rätlih erieinen ließ, das Pulver auf der Pfanne troden zu 
halten. Weshalb die Volksfreunde in Frankreich reizen, jolange Gefahr drohte, 
daß der mit größter Anftrengung faum bemältigte Aufitand in den Niederlanden 
wieder auflebe? Zu gewagten Unternehmungen, wie fie Guftav II. von Schweden 
zum Schutze der Legitimität für unbedingt geboten erachtete,) war Leopold 
nicht zu haben. Sympathie mit den Volksfreunden in Paris war ihm ebenfo 
fremd, wie Mitgefühl mit den Emigranten; gerade gegenüber den in Frankreich 
fi regenden neuen, unberehenbaren Kräften erſchien ihm fein „Syſtem bes Zu: 
wartens” befonders zwedmäßig und zeitgemäß. Deshalb erwiderte er auf die Bitten 
feiner Schweiter, die in thatfräftigem Beiltand zur Erhaltung des gefährdeten 
Lilienthrones eine Ehrenpfliht aller Monarchen Europas erblidte, nur mit 
freundlichen Ratihlägen und Warnungen. Noch entſchiedener ablehnend verhielt 
er fich gegen die Forderungen der Emigranten. Ihn verdroß nicht weniger, als 
feinen Bruder Joſeph das Gebaren diefer Flüchtlinge, die fein Hehl daraus 
machten, daß ihnen die Rettung Ludwigs XVI. minder wichtig erjcheine, als die 
MWiederherftellung des alten Feudalismus, die auch fein Bedenken trugen, dur 
berausforberndes Benehmen gegen die Nationalverfammlung die deutjchen Fürften, 
deren Gaftfreundihaft fie genofjen, in Streit und Krieg zu verwideln. In 
einem Briefe an Schweiter Chriftine vom 31. Januar 1791 fpricht fich Leopold 
über fein Verhältnis zu Franfreih und den Franzoſen freimütig aus: „Der 
König und die Königin find von einer ſchlimmen Umgebung fo übel beraten, 
daß man nicht weiß, wie ihnen zu helfen wäre. Zwietradht und Unzufriedenheit 
find in Frankreich fo ſehr in alle Schichten der Bevölkerung eingedrungen, daß 
der Staatsbanferott mit allen läftigen Folgen unvermeidlich if. Am ſchwerſten 
wäre es, die Prinzen und die übrigen Emigranten zu befriedigen und zu be 
ruhigen; dieſe Leute denken immer nur an fi, begehren nur Geld und Aus— 
zeichnungen, wollen alles jelbit machen und fümmern fi blutwenig um ben 
König. Sie thun nichts, als fich beflagen und über Sie, über mid und über 
alle, die nicht blindlings ihre Wünſche und Pläne unterftüsen wollen, die nieber: 
trädtigften Dinge in Briefen und Schriften fehreiben und druden laffen. Mein 
Verhalten gegen fie entſpricht, glaube ih, den Geboten der Gerechtigkeit und 
der Mäßigung; ich habe darauf beitanden, daß fie die Waffen niederlegen, um 
ben Kurfürften (von Trier) nicht länger in Verlegenheit zu bringen und Deutſch— 
land vor einem Angriff zu bewahren, ehe wir gerüftet, die Jahreszeit günftig 
und das Bündnis fertig fein werden. Ich habe ihnen in Dberöfterreih eine 


') Klinkowström, Le comte de Fersen et la cour de France, I, 116. 


396 Zweites Bud. Dritter Abſchnitt. 


Zufluchtsftätte angeboten, auch der König von Preußen und der Landgraf von 
Heflen werden ihnen auf meine Bitte eine ähnlihe Einladung zugehen lafien, 
aber alle ihre Wünſche kann ich nicht befriedigen, und mit ihren Leuten, die 
bloß lügen und verleumden fönnen, will ich jchlechterdings nichts zu thun 
haben. Auch denfe ih nicht daran, ohne Mitwirfung der übrigen Höfe Ver: 
pflichtungen einzugehen, die mic in einen unbeilvollen Krieg mit Frankreich ver: 
wideln könnten; id werde mich auf nichts einlaffen, ohne zu wiffen, wie fich die 
anderen Mächte verhalten werden und welche Abfichten Rußland gegen Polen 
im Schilde führt!“ ) Immer beftand er auf der Bedingung, daß dem euro: 
päifhen Bunde zum Schuße des fonfervativen Prinzips auch wirklich alle euro: 
päiſchen Mächte beitreten müßten, auch dann noch, als es jchon jo gut wie fidher 
war, daß England zu einem Angriffsfrieg gegen Frankreich nicht die Hand bieten 
werde. „Jh will mit den Höfen verhandeln,” jchrieb er an Ehriftine, „ich bin 
für meinen Teil zur Aufftelung von 40000 Mann bereit, die Truppen fünnen 
unter Führung des Fürften Hohenlohe jederzeit an den Rhein marfdieren; 
doch fie werden ſich nicht eher in Bewegung jegen, als bis der große Bund zu 
ftande gefommen fein wird; nur wenn die Franzojen felbft das Reich angreifen 
follten, würde ich meine Leute fofort marſchieren lafjen.” 

Als Marie Antoinette ihrem Bruder enthüllte, daß fie und ihr Gatte fi 
aus ihrer unmwürdigen und gefährlihen Lage durch Flucht befreien wollten, riet 
Leopold anfangs von dem gefährlihen Verſuche ab;?) ſpäter gab er feine Zu: 
ſtimmung und erflärte ſich bereit, im Falle des Gelingens der Flucht dem Könige 
Hülfstruppen zur Verfügung zu ftellen. Bon Luremburg aus follten, fobald 
der Fluchtverfuch gelungen wäre, 8—10000 Mann Kaiferlihe in Frankreich ein: 
marjhieren, um, wie Marie Antoinette wünjchte, „einerjeits den Föniglichen 
Truppen als Vorbild zu dienen, andererjeits diejelben im Zaume zu halten”. ®) 
Natürlich mußte Leopold auch darauf gefaßt fein, daß diefe Hülfe ihn felbft in 
Krieg mit Frankreich verwideln werde. Als er fih nun für diefen möglichen 


) Wolf, Leopold II. und Marie Ehriftine, ihr Briefwechſel, 207. 

2) Namentlih Fürft Haunig war ein grunbjäglicher Gegner des Fluchtverſuchs. Er 
freibt am 23. Juni 1791 an Mercy: „Bor Entwidlung aller diefer unumgänglich notwendigen 
Prorequiſiten (Berhandlungen wegen gemeinfamen Borgehend aller europäifchen Staaten) kann 
ich einesteild die Flut des Königs, andernteild aber was immer für eine einfeitige Unter: 
nehmung de comte d’Artois nicht anders als für ganz ungeitig, äußerſt bedenklich, höchſt ge: 
fährlih und überhaupt für fo beichaffen anjehen, daß ich hieraus das unvermeidliche größte 
Unglüd für ernannten König und feine familie, die nacdhteiligften Folgen für den ohnehin noch 
fehr ſchwankenden Ruheſtand unferer Niederlande und unüberfehlihe, allgemeine Weiterungen 
beforgen muß.” (Vivenot, Quellen zur Gefch. der deutfhen Kaiferpolitit Defterreihs I, 540.) 
Auch Mercy konnte fih banger Belorgnis, ob das gewagte Unternehmen glüdlicdh verlaufen werbe, 
nicht erwehren. „Die Einzelheiten,” jchrieb er am 11. Mai an Marie Antoinette, „melde id 
bezüglich ber Flut von Herrn von ber Mard erfahren babe, lafjen mich zittern wegen ber 
damit verbundenen Schwierigkeiten und Gefahren; fie verlangt ein Zufammenmirken zahlreicher 
Getreuer, und bieje alle find zerftreut. Der Schritt bebeutet das Neuferfte, Erfolg oder Nieder: 
lage. Sind die Dinge wirklich fo gelagert, daß biefes gefährliche Wagnis unabwendbar ſcheint?“ 
(Arneth, Marie Antoinette, 163.) 

9 Arneth, Marie Antoinette, 165. 


Friedrich Wilhelm II. und bie franzöfifche Revolution. 397 


Fall nah Bundesgenofjien umfah, wurde ihm die Genugthuung zu teil, daß ihm 
gerabe derjenige Fürft, ber bisher gegen ben Wiener Hof eine jo ablehnende, 
ja feindlihe Haltung beobachtet hatte, als erfter die Hand zum Bunde bot, der 
König von Preußen. 

Auf das Hofianna, womit in Preußen faft alle Stände den Nachfolger des 
großen Friedrichs begrüßt hatten, war gar bald der Ruf: Steiniget ihn! gefolgt. 
Mander Vorwurf ift unbegründet, insbefondere der am häufigften erhobene, daß 
Friedrih Wilhelm II. nur ein träges Zotterleben geführt und um die Regierung fi 
nicht gefümmert hätte. Inwieweit andere Klagen und Anlagen berechtigt find, ift 
ſchwer zu beurteilen; der komplizierte Charakter Friedrih Wilhelms II. ift nicht mit 
ein paar Schlagworten zu erklären. Zweifellos war das finnlihe Temperament des 
Fürften von unbheilvollem Einfluß; nod gefährlicher aber war, daß er, ungleich den 
meilten anderen Fürften bes achtzehnten Jahrhunderts, finnliche Freuden als jchwere 
Sünde auffaßte und ihretwegen Scham und Reue empfand; dieſe Gewiffensangft 
brachte ihn in Abhängigkeit von den geheimen Orden. Insbeſondere die Roſenkreuzer 
umjpannten ihn mit myſtiſchem Gewebe. Wie fhädlih Bruder Chryfophiron, 
Minifter Wöllner, auf die innere Verwaltung einwirkte, wurde jchon dargelegt. 
Nicht weniger bedeutſam war der Einfluß des Bruders Farferus, des 1789 zum 
Generalabjutanten ernannten Dberften Bifchoffswerber, insbejondere in Bezug 
auf die auswärtige Politif. Er war in die intimften Fragen eingeweiht, in den 
KRabinettsaften ftößt man immer wieder auf feinen Namen. Ueber feinen Charakter 
läßt ih, da wir Schriftftüde vertrauliher Natur von ihm nicht befigen, fein feites 
Urteil bilden. Jedenfalls war er nit bloß ein gewiſſen- und rüdiichtslofer 
Streber, jondern ein Mann von Geift und feinem Könige treu ergeben.!) Es 
fann auch nicht behauptet werben, daß feine Ratſchläge an fich ſchlecht und 
Ihädlich gewejen wären. Von feinen Gegnern freilich wurde ihm viel Schlimmes 
nadgejagt; gerade im März 1791 braten die Zeitungen ein — natürlich 
falihes — Gerücht, es ſeien geheime Korreipondenzen des Dberften mit den 
Feinden des Königs aufgefunden worden, der neue Haman werde demnädft am 
höchſten Galgen in Berlin baumeln.?) Biſchoffswerder begünftigte im Gegenfag 
zu Herkberg ein freundfhaftlihes Verhältnis zwiſchen Preußen und Defterreich, 
doch dürfte jchwer nachzuweisen fein, daß er damit nur „in religiöfer und politifcher 
Hinfiht retrograde Grundfäge verfechtende Rojenkreuzerpolitif” ?) getrieben habe. 
Der Vorwurf läßt fih faum aufrecht erhalten, feit von Sybel überzeugend bar: 
getban ift, daß Kaifer Leopold auch noch im Frühjahr 1791 gar nicht daran 
dachte, fih zum Vorkämpfer der Gegenrevolution aufzumerfen. 

Preußen hatte bisher den Aufftändifhen in Belgien, in Ungarn, in Lüttich 
bülfreihe Hand geboten. Auch der Umfturz in Frankreich war von Herkberg 
nicht ungern gejehen worden, weil ein in feinen Grundfeften erfhütterter Staat 
bis auf weiteres ebenjfowenig als Bundesgenofje Defterreihs, wie als Gegner 
Preußens in Betracht fommen konnte. Bon diefen Gefihtspunften aus war ja 


') Bailleu in der Allg. d. Biographie, 2. Bb., 675. 
) Baterl, Chronif, Jahrg. 1791, 138. 
2) Philippſon, I, 294. 


398 Zweites Buch. Dritter Abſchnitt. 


die franzöſiſche Revolution von manchen deutſchen Politikern freundlicher Teil: 
nahme gewürdigt worden. „Ein König ohne Autorität,“ hatte der ſächſiſche 
Geſandte in Berlin am 2. Oktober 1789 an ſeinen Hof geſchrieben, „ein 
Miniſterium ohne Macht, ein Staat ohne Geld und ohne militäriſche Kraft, mit 
einem Wort, ein Schiff auf ſtürmiſcher See, deſſen einziger Führer ein Mira— 
beau iſt: welche Bedeutung kann ein ſolches Frankreich in Europa noch haben?“ !) 
Auch Friedrich Wilhelm hatte fi der Wendung gefreut, welche die mit Defter- 
rei, wie mit den holländifchen Patrioten verbündete franzöfische Regierung lahm 
legte; war doch dadurch das Lebenswerk des Fürften Kaunig, der Bund zwiſchen 
den Häufern Bourbon und Lothringen:Habsburg, jo gut wie zertrümmert! In 
Paris ging ſogar einmal das Gerücht, der König von Preußen habe Pethion, 
den Wortführer der radikalen Oppofition, zu einer Brandrede in ber Kon 
ftituante beglüdwünjdht. Das Gerücht war jedenfalls falſch. Thatſächlich aber 
fam im September 1790 ein „Kommiffionsrat” Ephraim nah Paris, um im 
geheimen Auftrag ber preußiichen Regierung einerfeits vom Minifterium Mont: 
morin für den Fall eines Krieges zwiſchen Preußen und Rußland eine wohl: 
wollende Haltung zu erwirken, andererjeits der gemäßigten Oppofitionspartei 
Lameth-Barnave die Unterftügung Preußens anzubieten. *) 

Doh diefe Stimmung des Berliner Hofes konnte nicht mehr andauern, 
feit immer offener zu Tage trat, daß gerade die einflußreichiten Volksmänner 
in Paris nit bloß Beihränfung der Königsgewalt, jondern Abjchaffung des 
Königtums, ja die Auflöfung aler gejelihaftlihen Ordnung begehrten. Auch 
die Leiden der föniglihen Familie mußten auf den bei aller Schwäde ritter: 
lichen Friedrih Wilhelm Eindrud machen. Es entſprach aljo unzweifelhaft den 
perjönlihen Wünfchen des Monarden, daß Oberft Biſchoffswerder im September 
1790, aljo in den nämlichen Tagen, da jener wunderliche Vertreter der preußi- 
ſchen Regierung den Abgeordneten der Konjtituante jeine Aufwartung machte, 
dem öfterreihifhen Gefandten in Berlin, Fürften Neuß, die erfte Andeutung 
machte, es werde wohl notwendig werden, fi über gemeinjame Schritte zur 
Rettung des Königtums in Frankreich zu einigen. Einige Monate fpäter, während 
fih die Diplomaten Defterreihs und Preußens in Siftoma und Wien gerade 
aufs heftigite befämpften, am 7. Januar 1791 eröffnete Biichoffswerder — frei« 
ih nur im tiefften Geheimnis — dem faiferlichen Geſandten, es ſei der leb- 
baftefte Wunjch feines Herrn, zur Abwehr der Revolution mit Defterreih in Ver: 
bindung zu treten, ja, der König ftelle das fonfervative Intereſſe jo hoch, daß 
er dem Kaiſer zulieb fogar die Abtretung von Oczakow an die Rufen zulafjen 
wolle; demnächft werde zu weiterer Verhandlung ein Vertrauensmann des Königs 
nad Wien fommen. Am Efaiferlihen Hofe wurde die Nachricht mit Mißtrauen 
aufgenommen; der Vertrauensmann, meinte Kaunit, werde wohl nur ein Spion 
jein, der in Wien alles Erreihbare ausjchnüffeln wolle. Am 19. Februar traf 
Biſchoffswerder jelbit in Wien ein. Schon bei der erften Zufammentunft wurde 
es dem Grafen Cobenzl Elar, daß es ſich nicht um Epiegelfechterei handle. Freilich 


1) Molf, Defterreih und Preußen 1780—1790, 189. 
2) Sybel, Geſch. der Nevolutionszeit, I, 274. 


Friedrih Wilhelm II. und die franzöfifche Revolution. 399 


verblüffte den geſchulten Diplomaten die unerhörte Offenherzigfeit des Unter: 
händlers. Bifchoffswerder ftellte fi dem Faiferlihen Minifter vor als „einen Mann, 
ber wenig Erfahrung in politiichen Dingen hat, aber das Herz feines Königs befjer 
fennt, als alle feine Minifter, der fih für den glücklichſten Sterbliden halten 
würde, wenn es ihm gelänge, das Wohl zweier Nationen durch einen innigen 
Freundihaftsbund der beiden Höfe zu begründen”.!) Wenn nur der Kaijer die 
aufrichtige Weberzeugung hege, daß er im König von Preußen einen ehrlichen, 
friedliebenden Dann vor fi habe, werde das Bündnis zu ftande fommen, denn 
über die ftrittigen Punkte werde fich leicht eine Einigung erzielen lafjen. Preußen 
fönnte ja ohne viel Mühe den alten Bund mit Rußland erneuern und daraus 
namhaften Vorteil ziehen, allein der eigene Nuten müßte dur Vergrößerung 
Rußlands erfauft werden, und dazu wolle der König nicht die Hand bieten. 
„Seine Majeftät,“ warf Cobenzl ein, „wäre alfo wirklich im ftande, rüdhaltlos 
auf jede neue Erwerbung zu verzichten?” — „Ganz gewiß,“ beteuerte der Oberft. 
„Sie wiſſen natürlih, daß man von Danzig geiproden hat und noch ſpricht; 
in der That würde der Gewinn diejer Stadt dem König große Freude maden, 
wenn die polnifhe Nation gegen anderweitige Entihädigung dafür zu haben 
wäre. Daß Rußland, wenn wir feinen Abfichten nicht entgegentreten, gern dazu 
die Hand bieten wird, willen wir, und der König hofft, dab auch der Kaifer fi 
nicht mehr mwiderjegen wird, wenn erſt einmal der Freundichaftsbund der beiben 
Fürften geſchloſſen iſt.“ Von preußifcher Seite werde nicht gefordert, daß Defter- 
reich der Verbindung mit Rußland gänzlich entjage; Defenfivbündniffe könne man 
ja mit jedermann ſchließen; es handle fih nur darum, zu verhüten, daß Ruß: 
land fich übermäßig vergrößere und, wie es den Anjchein babe, auch in deutſchen 
Fragen den Diktator jpielen wolle; darin liege ja ebenjo für Defterreih, wie 
für Preußen eine ernite Gefahr. Als Cobenzl den „biplomatiihen Dilettanten“ 
durch die Frage aus dem Sattel werfen wollte, wie denn jo freundjchaftliche 
Verfiherungen mit der feindjeligen Haltung des preußifhen Bevollmächtigten in 
Siftowa in Einklang zu bringen wären, erwiderte Biihoffswerder unerjchroden, 
in Siftoma werde eben Herkbergiiche Politit getrieben, diefe ſei aber nicht mehr 
die Politif des Königs von Preußen. Leider jei man heute noch auf des 
Minifters Dienfte angewiefen, denn der altersihwahe Finkenitein zähle nicht 
mehr mit, und von den übrigen Miniftern könne feiner einen ordentlihen Ber: 
trag redigieren. Höchitens Alvensleben könnte einmal mit der Zeitung der aus— 
mwärtigen Angelegenheiten betraut werden; vorläufig fei aber Herkberg noch 
unentbehrlih. Dies fei bedauerlih, erwiderte Eobenzl, unter ſolchen Umftänden 
werbe die gemwünfchte Veritändigung ſchwerlich zu erzielen jein, denn Hergberg 
werde feinen Widerſpruch nicht aufgeben. Das wolle er auf ſich nehmen, erklärte 
darauf Bilhoffswerder; wenn nur die beiden Monarchen jelbft überzeugt wären, 
daß das Wohl ihrer Staaten innigen Anſchluß erheifche, werde ſich alles übrige 
ohne Mühe ordnen lafien. Alle diefe Wünfhe und Klagen, Enthüllungen 
und Verheißungen ließ Bifchoffswerder durcheinander wirbeln, — noch niemals, 
verficherte Eobenzl, habe er jemand über die widtigften politiihen Fragen jo 


) Beer, Leopold II., franz Il. und Katharina, ihre Korreſpondenz, Analeften, 234. 


400 Zweite Bud. Dritter Abſchnitt. 


leichthin ſprechen gehört. Auf den Kaiſer, dem Biſchoffswerder einen eigen: 
bändigen Brief Friedrich Wilhelms überreichte, machte die „drollige Ehrlichkeit” 
Biſchoffswerders günftigen Eindrud. In einer zweiten Unterredung mit Cobenzl 
führte Biſchoffswerder womöglich noch offenherzigere Sprache. Falls von Defter: 
reich gegen frieblihe Erwerbung von Thorn und Danzig, gegen den Anfall der 
fränkiſchen Markgrafihaften durch Verftändigung mit dem regierenden Mark: 
grafen, enblih gegen Eintaufh der beiden Laufigen nah dem Ausfterben ber 
männlichen Linie des kurſächſiſchen Hauſes fein Widerfpruch erhoben würde, wäre 
Preußen bereit, die Anſprüche Defterreihs auf Teile von Baiern anzuerkennen 
ober andere Erwerbungen feines Freundes zu begünftigen. !) 

Troß alledem ſprachen ſich Kaunig und Spielmann, vom Kaijer zu gutacht- 
liher Neußerung aufgefordert, gegen ein Bündnis mit Preußen aus. Es jei ja 
möglih, daß der König wirklich den Frieden wünſche, um deſto ungeftörter jeinen 
Liebhabereien und Leidenihaften frönen zu können, aber weil die Freundeshand 
gar jo aufdringlich geboten werde, jei wahrfcheinlich nichts anderes beabſichtigt, 
als Defterreih vor Rußland zu fompromittieren, um deſto leichter Thorn und 
Danzig zu ergattern. Namentlih für Kaunitz ftand es feit, daß man ſich um 
bes Lockrufes aus Berlin willen in nichts einlaffen dürfe, was in Petersburg 
einen zmweideutigen Eindrud hervorrufen fünnte. Als Bilhoffswerder in einer 
britten Unterredung mit Cobenzl auf die Erwerbung Danzigs zurüdfam, erflärte 
der Faijerlihe Minifter, von Zuftimmung Defterreichs zu ſolchem Handel fünne 
feine Rebe jein, folange von Preußen dem Reichenbacher Bertrage gemäß am 
Status quo feftgehalten werbe; nur wenn jede Leiftung mit einer Gegenleiftung 
vergolten werde, könnte ein Vergleich von dauernder Geltung geſchloſſen werden. 
Da Biihoffswerder feine Vollmacht hatte, auf ſolche Bedingungen einzugehen, 
mußte er unverrichteter Dinge von Wien abreifen, doch die Fäden zwijchen 
beiden Höfen wurden nicht entzwei gejchnitten. Gerade weil in der Sendung 
bes Rofenfreuzers nur eine Finte zu erbliden ſei, ſchrieb Kaunig an den inzwiſchen 
nah Florenz abgereiften Kaifer, müſſe man bem Berliner Hofe mit gleicher 
Münze bezahlen. Demgemäß wurde Fürft Neuß angemiejen, den König der 
Geneigtheit des Kaijers zu Freundfhaft und Bündnis zu verlichern. „Bei ber 
vorausgefegten Uebereinftimmung ber Gemüter beider Souveräne hinſichtlich der 
Quaestio an jei wohl fein gegrünbeter Zweifel über die vergnüglicde Bes 
richtigung des Quo modo zu hegen, wenn ſich anders beide Höfe die gerechte und 
billige Beobachtung einer mwahrhaften, in jeder Rüdfiht genauen Reziprozität 
gefallen laſſen, die allein ein folides, allen Zeiten und Umſtänden angemeſſenes 
Alianziyitem gründen, alles gegenfeitige Mißtrauen aus der Wurzel heben und 
gegen alle bejorglihen Rückfälle fihern könne.“ 

Leopold felbft kargte nicht mit herzlihen Worten. „Der Bericht,“ fchrieb 
er am 4. März 1791 an Friedrich Wilhelm, „den Oberft von Biſchoffswerder 
Eurer Majeftät über eine Sendung, die mir ſowohl um des Gegenftands ber 
Unterhandlung, ala um der Perſönlichkeit des Unterhändlers willen höchſt will: 
fommen war, wird, wie ich hoffe, durchaus Ihrem liebenswürdigen Vertrauen 


1) Beer, 51. 


Biihoffswerber und Herkberg. 401 


entiprehen und Ihnen die Ueberzeugung einflößen, daß es nicht von meiner 
Entſcheidung abhing, wenn das Ziel nit volllommen erreicht worden ift, ba bie 
unſchätzbaren Vorteile einer dauerhaften Verbindung unferer ntereffen niemand 
höher anfchlagen kann, als ich, und da ich feinen aufrichtigeren und heißeren Wunſch 
bege, als mich ohne jeden Nüdhalt meiner Herzensneigung bingeben zu Dürfen.” *) 

Wie man fieht, war bei diejen Verhandlungen von einer feindlichen Spiße 
des geplanten Bündnifjes gegen Frankreich mit feinem Worte die Rede, ja, der 
Name Frantreih wurde — abgejehen von einer ganz nebenſächlichen Bemerkung 
— gar nicht erwähnt. 

In Berlin fand die Meldung des Günftlings nicht gerade freundlide Auf: 
nahme. Bifchoffswerder hatte fih in Wien zur Aeußerung Hinreißen laſſen, 
man fönnte ja, um vom Divan die Abtretung eines Grenzitriches au Defterreich 
durchzufegen, die Verhandlungen in Siſtowa noch etwas hinausziehen. Bejonders 
diefem Natjchlag wurde von Oberſt Manftein, dem Adjutanten des Königs, und 
Minifter Finkenftein — Hertzberg war gar nicht ins Geheimnis gezogen — 
lebhafter Widerjpruch entgegengejegt, und auch der König wollte weder von Ber: 
ihleppung des Friedens, noch von Heranziehung Rußlands zum Bündniſſe hören. 
Hergberg war gerade in diefen Tagen vol Zorn über den „Machiavellismus” 
des Kaiſers und jeines Minifteriums.:) „Nach den Nahrichten,” fchrieb er an 
Luccheſini, „welche wir von Jacobi erhalten, bat das Wiener Minifterium die 
Geſchäfte des Friedenskongrejles in eine Lage gebradt, dab ich feinen Ausweg 
mehr jehe und nichts anderes übrig bleibt, als entweder ben Kongreß zu fprengen, 
oder überall hinzugeben, wohin uns die Wiener haben wollen.” Die Sendung 
Bifchoffswerders war dem Minifter amtli nicht befannt gegeben worden, aber 
nicht geheim geblieben. „Herr v. B. ift hierher zurüdgefehrt,“ jchrieb er an 
Luccheſini, „und in feine alte Gunft und in feine Gejchäfte wieder eingetreten. 
Er ift dem König nad) Potsdam gefolgt, jeit zwei Tagen aber nad) Halle ge: 
gangen, wo er mit dem Herzog von Braunſchweig, ich weiß nicht worüber, eine 
Beiprehung haben wird. Man glaubt hier allgemein, daß er eine Reife dur 
die Laufit und Böhmen bis an die Thore von Wien gemadt hat und von dort 
über Breslau zurüdgefehrt it und daß es ih um ein Bündnis mit dem Wiener 
Hofe handelte, ic) weiß aber nicht wie und weshalb. Ich mwühte dies nicht in 
Einklang zu bringen weder mit unjeren Intereſſen, noch mit der hochmütigen 
Haltung, welche das Wiener Minifterium unferem Hofe gegenüber beobachtet. 
Es gehen hier Dinge vor, die ich weder erklären, nod) einem Briefe anvertrauen 
fann... Meine Lage it Höchft eigenartig, und nur mein Patriotismus läßt 
mid) fie ertragen.” 

Es vergingen mehrere Wochen, ohne daß mit Wien wieder angefnüpft 
wurde, und vielleicht wäre Biſchoffswerders Plan nit wieder aufgegriffen worden, 
wenn nicht der jchon erwähnte Syſtemwechſel in England für Preußen die 
Gefahr der Abfperrung von allen übrigen Mächten heraufbeſchworen hätte. 
Damit gewann bie Politik Bifchoffswerders wieder Oberwaſſer. Am 1. Mai 


') Preuß. St.:Arhiv. Negociations de Bischofswerder pres de l'’empereur. 
?) Ebenda. Schreiben Herkbergs an Luchefini vom 8. März 1791. 
Heigel, Deutiche Geſchichte vom Tode Friedtichts d. Gr. biß zur Auflöfung des deutſchen Reiche, 26 


402 Zweites Buch. Dritter Abſchnitt. 


wurden neben Hergberg und Finkenftein zwei neue Minifter, die Grafen Schulen: 
burg und Alvensleben, ins Kabinett berufen, angeblich wegen des hohen Alters 
Fintenfteins und der Kränklichkeit Hergbergs. „Legteres ift gar nicht wahr,” 
fchrieb Herkberg an Pofjelt, „da ih mich jo gut als ein Mann von breißig 
Jahren befinde.) Schulenburg und Finfenftein überreihten am 3. Mai eine 
Denkichrift, worin fie Angelichts der noch immer drohenden Haltung Rußlands 
und der offenfundigen Bewerbung Englands um die Gunft Leopolds unter 
günftigen Bedingungen den Abſchluß eines Bündniſſes mit Defterreih empfablen. 
Biihoffswerder wurde vom Könige angemwiefen, auch den Minifter Alvensleben 
in die Wiener Verhandlungen einzumeihen, dagegen jollte Herkberg feine Kenntnis 
davon erhalten. Trotzdem blieben auch diefem die Abmahungen des Günftlings 
nicht verborgen. Er richtete ein „lektes Wort” an den König. „Die Wahrheit ift, 
man will Eurer Majeität meine Dienfte verleiden und einen nur allzu eifrigen 
und freimütigen Minifter mwegjagen zu einer Zeit, da er alles thut, was ein 
tüchtiger, anftändiger Staatsmann thun fann, um ben Staat aus einer höchſt 
beunruhigenden, bedenklihen Lage herauszuziehen. Meine Krankheit, die jetzt 
als Vorwand gebraudt wird, hat mich noch nie abgehalten, meinen Verpflichtungen 
nachzukommen. Bei meinem jüngften Aufenthalt in Potsdam war ih nachts 
unpäßlid, ftand aber um ſechs Uhr auf, fchrieb bis Mittag zehn Depefchen und 
hatte Unterredungen mit Finkenftein, Schulenburg und Jadjon. Ich ſchulde 
dieje furze Verteidigung meinem Gewiljen und meiner Ehre, die Entidheidung 
verbleibt Eurer Majeftät. Ich hege keinen anderen Wunſch, als daß Ew. Majeftät 
in Zufunft auf dem Gebiet der auswärtigen Angelegenheiten befjer bedient fein 
mögen, als bisher.” Friedrich Wilhelm ſuchte den Gefränkten zu beruhigen; 
er fei mit deſſen Dienften durchaus nicht unzufrieden, und zur Verſtärkung des 
Minifteriums habe ihn nur der Wunſch bewogen, dem mit Arbeit Ueberladenen 
einen Teil der Laſt abzunehmen, damit die politiihen Arbeiten künftig rafcher und 
gründlicher erledigt werden könnten. „Ich werde niemals Einflüfterungen Gehör 
fchenten, die darauf berechnet wären, Männer zu verdächtigen, deren Charakter 
und Vaterlandsliebe mir jo gut befannt find, wie e& bei Ihnen der Fall ift.” 

Bon der Zeitihrift Schubarts wurde mit Befriedigung gemeldet, daß bie 
Umtriebe gegen „einen der größten deutihen Staatsmänner” erfolglos geblieben 
feien. Das nämlihe Organ bradite auch Mitteilung von einem offenen Briefe 
Herkbergs an ben Grafen von Echernay, worin der Vorwurf, als ginge bie 
feindlihe Schwenfung gegen Frankreich von Hertzberg aus, zurüdgemiejen war; 
biefer Staatsmann habe immer „eine gerade, rechtliche und gerechtliche Politik” 
verfolgt, wie jie aud) von einem Minifter des Auswärtigen unbedingt verlangt 
werden müſſe; Hergberg ſei aljo nicht für alles verantwortlich zu machen, was 
von „Aventuriers, die ſich für preußifche Emiſſärs ausgeben”, gejagt und gethan 
werde; es fünnte ja freilich befremdlih erſcheinen, daß er jelbit jeine Apologie 
jchreibe, allein „um gewiſſer Kleinihädel willen“ fei es auch wohl einmal am 
Plage, dab ein großer und guter Mann fein eigenes Lob verkünde. ?) 


) Bofjelt, E. F. Graf v. Herkberg, 26. 
?) Baterl. Chronik, Jahrg. 1791, 341, 411. 


Bifchoffswerber und Herkberg. 403 


Hertzberg blieb aljo vorerft noch im Kabinett, doch die nächſten Ereignifie 
ließen den Gegner der Einigung mit Defterreich nicht wieder zu Einfluß gelangen. 
Einerfeits rief der polnische Staatsftreih in Berlin die Bejorgnis wach, daß 
auch auf Polen im Falle eines Krieges mit Rußland und Deiterreich nicht mehr 
mit Sicherheit zu rechnen jei, andererjeits legten, wie oben bargeftellt wurde, 
die aus Frankreich herübertönenden Hülferufe ber Schweſter dem Kaiſer die 
Pfliht auf, wenigitens die Möglichkeit eines Krieges mit Franfreih ins Auge 
zu fallen und ſich deshalb nad anderen Seiten die Arme frei zu machen. 
Am 21. Mai jchrieb Friedrih Wilhelm an Leopold, er hoffe um jo ficherer 
auf das Auftandefommen bes Friedens, als er jelbit jeden Gedanken auf 
Danzig aufgegeben habe, aljo wohl auf gleiche Uneigennügigfeit des Kaiſers 
zählen dürfe. Am 25. wurden Schulenburg und Alvensleben nah Charlotten: 
burg beſchieden; hier gab Friedrich Wilhelm den nichts weniger als freudig Ueber: 
raſchten feinen beftimmten Willen fund: Bifchoffswerder joll abermals den Kaijer 
aufſuchen, um nunmehr endgültig den Bundesvertrag abzuſchließen. Auf Ans 
tegung Finkenfteins wurde in die Inſtruktion für den Oberft der Vorbehalt auf: 
genommen, Preußen werde nur dann rüdhaltlos die Hand bieten, wenn Kaunitz 
endlich darauf verzichte, die Verhandlungen in Siftowa nod weiter zu verwirren 
und zu verjchleppen. Preußen wolle einem freien, unabhängigen Polen mit 
feinen gegenwärtigen Grenzen feine Anerkennung nicht verfagen und bie Wahl 
des vortrefflichen Kurfürften von Sachſen mit Freuden gutheißen; nur müſſe 
darauf beftanden werden, daß die Erbtodter Friedrih Augufts nicht mit einem 
Prinzen des ruſſiſchen, preußiichen oder öfterreihiichen Haufes vermählt werde. 
Auch könne Rußland nicht im Bunde der beiden deutſchen Mächte der Dritte 
fein, und Defterreih müfle fih ausdrücklich verpflichten, in einem preußijch 
ruffiihen Kriege neutral zu bleiben. Zur Verftändigung über die Einzelheiten 
des abzujchließenden Vertrages jollten die beiden Monarden im jählischen Luft: 
ſchloſſe Pilnig zufammentreffen. Bon Franfreid) war aud in diefer Inſtruktion 
gar nicht die Rede. 

Kaum war jevoh Biſchoffswerder nach Italien abgereift, jo gelangten nad 
Berlin Nachrichten, daß die Politik des Kaifers oder wenigftens des Fürſten 
Kaunig ftärfer denn je zu Rußland binneige. Ohne Abtretung von Orſowa und 
dem Unnabezirk, erklärte Herbert in Siftowa, fei an Frieden nicht zu denken; 
ohne Beiziehung Rußlands, fagte Spielmann in Wien zu Jacobi, werde ſich ein 
Bund mit Preußen nicht ſchließen lafjen. Bergebens erinnerte Luccheſini an den 
Reichenbacher Vertrag; vergebens wies Jacobi darauf hin, wie widerfinnig es 
jei, Rußland zum Beitritt zu einem Bunde einzuladen, der gerade die Ein- 
jhränfung der ruffiihen Macht bezwede. Spielmann ermwiderte, das alles jei 
Ihön und gut, aber man wolle nit um der Taube auf dem Dade willen den 
Sperling aus der Hand laſſen; wenn die Türken nit zur Nachgiebigfeit an— 
gehalten würden, müßten die Kanonen wieder zum Wort kommen, und bie 
beiden Kaiferhöfe würden fih jchon in Reſpekt zu ſetzen wiſſen. 

Wirklich verließen der öfterreihiihe Geihäftsträger, Baron Herbert, und 
ber Vertreter Ungarns, Graf Eſterhazy, am 18. Juni die Kongrefitadt Siftoma: 
das war die Sprengung des Kongreiies. Gern oder ungern mußten auch in 


404 Zweites Bud. Dritter Abſchnitt. 


Berlin Vorkehrungen getroffen werden, um der neuen Kriegsgefahr zu begegnen; 
im Laufe des Juli follten fih 80000 Mann unter dem Oberbefehl des Herzogs 
von Braunschweig jammeln, um in drei Kolonnen in Mähren einzufallen.?) 

In diefem Augenblid — am 24. Juni — fam kurze Botichaft von 
Biſchoffswerder, der Zwed feiner Sendung jei erreicht, der Kaifer habe jchleunigen 
Friedensihluß in Siſtowa befohlen, die Pillniger Zufammenkunft angenommen. 

Schon am 14. Juni, alfo vor dem Fluchtverfuh Ludwigs XVI., war die 
Nachricht in Mailand aufgegeben worden. Der Kaijer hatte den Vertrauens: 
mann Friedrih Wilhelms aufs freundlidite aufgenommen. Die europäiſche 
Lage hatte fich ja infofern zu Ungunſten Defterreichs verändert; als das ruffische 
Kabinett aus den englifhen Parlamentsverhandlungen die Gewißheit gezogen 
hatte, daß es feinen Krieg mit dem Dreibund zu befürchten habe; dadurch war 
der Wert der Freundſchaft Defterreichd erheblich herabgemindert worden, ja, 
Leopold hegte fogar Argwohn, daß fi die bundesfreundliche Gefinnung in 
Petersburg in feindlihe Tüde verwandelt habe. Mit Freuden wolle er mit 
Preußen Hand in Hand gehen, jagte er zu Bilchoffswerder, nur müſſe vorher 
in Siftowa alles glatt gemacht werden. 

In Mailand kamen nun auch zum eritenmal die franzöfifchen Angelegen: 
beiten zur Sprade. Friedrich Wilhelm hatte kurz zuvor duch Baron Rol im 
Auftrag des Grafen von Artois die — irrtümlihe — Meldung erhalten, König 
Ludwig wolle für ſich preußiihe Waffenhülfe erbitten; er hatte darauf aus: 
weichend geantwortet, vor Abjchluß des Friedens zwiichen Defterreih und ber 
Türkei könne jih Preußen auf derartige Verpflihtungen nicht einlafjen. Indem 
Biſchoffswerder dieſe Epifode erzählte, ftellte er, wozu er wenigitens durch feine 
Schriftliche Inſtruktion nit ermächtigt war, in fichere Ausfiht, dab Preußen 
feine Beziehungen zu Franfreih ganz nad Ermefjen und Wunſch des Kaifers 
regeln werde. Leber diefe Zuſage hoch erfreut, legte Leopold dem Oberften 
dar, welche Haltung er gegen Frankreich und die Revolution einzunehmen gedenke. 
Das thörichte Kriegsgejchrei der Emigranten berühre ihn nicht, aber es dürfe 
auch nicht außer Acht gelaflen werben, welche Gefahr aus der in Frankreich ein— 
geriffenen Zügellofigfeit für alle Monardien erwachſe. Das Uebel müfje in den 
Anfängen erftidt werden, ſonſt könnte das jchlimme Beijpiel leiht Nahahmung 
finden, wie es denn auch ſchon da und dort in der Nachbarſchaft zu Unruhen 
gefommen jei. Ueberdies, wer vermöchte Falten Blutes zuzufehen, wie Ehre und 
Leben der königlihen Familie in Paris einem wütenden Pöbel preisgegeben jeien! 
Das einzige Mittel zur Rettung des Thrones und zur Abwehr der revolutionären 
Propaganda biete die Bereinigung aller europäiihen Mächte; ſchon die drohende 
Aufrihtung eines jolhen Bundes werde die Franzofen zur Vernunft bringen. 

Biihoffswerder war mit diejen Anfichten und Wünſchen einveritanden; voll 
Freude jchrieb er nach Berlin, Friede und Freundſchaftsbund feien als geſchloſſen 
anzufehen, die Zufammenfunft der Souveräne in Pillnig braude nur noch das 
Siegel aufzuprägen. 

Friedrih Wilhelm war jedoch durch die Beſchwerden Luchefinis und Jacobis 


') Sybel 1, 296. 


Leopold II. und die franzöfiihe Revolution. 405 


fo mißtrauifch geworden, daß er den Miniltern durch feinen Adjutanten jagen 
ließ, die jhönen Worte des Kaijers fönnten ihm nichts helfen, er wolle endlich 
einmal Thaten jehen. In diefem Sinne erging aud Weifung an Jacobi. Zwar 
habe Kaunig in feinem jüngften Erlaß an Reuſch überrafchend ſanft Elingende 
Saiten aufaezogen, auch aus Mailand ſei Nachricht eingetroffen, der Kaiſer babe 
ihleunigen Abſchluß des Friedens anbefohlen, aber man müſſe erſt Thatfachen 
abwarten zum Bemweife, daß es dem Wiener Hofe Ernft fei mit feiner Freundfchaft, 
daß er die Vermittlung des Dreibundes wirflih annehmen wolle. Glüdlicherweife 
werde die joeben eingetroffene Nachricht von der Gefangennehmung König Ludwigs 
dem Willen des Kaijers gegen den Widerftand des Kanzlers zu Hülfe fommen.?) 

Die Depeche Jacobis vom 2. Juli ſchildert die jähe Wirkung diefer Nachricht 
in Wien. Der preußiihe Gejandte ſaß gerade wieder im Haufe des Kanzlers 
bei Tifche, als die Ankunft eines Eilboten den Wirt nötigte, die Tafel zu ver: 
laſſen. Als er nah einer Weile zurüdfehrte, war zwar jeine Miene gelaflen, 
ein harmloſes Geipräh fam in Gang, aber bald war der Kanzler nicht mehr 
im ftande, feine Aufregung zu unterbrüden, er teilte feinen Gäften die peinliche 
Nahriht mit. „Wie ein Blig fuhr diejelbe in die Verfammlung!” 

Bon diefem Augenblid an war das Hauptinterejje der öfterreichiichen Politik 
nicht mehr auf den Kongreß von Siftoma, jondern auf die Vorgänge in Paris 
vereinigt. Die Aufklärung über den Miberfolg des Fluchtverſuchs wirkte in 
Wien um jo peinliher, da dem Kaifer furz vorher Nachricht zugegangen war, 
daß alles aufs glüdlichfte verlaufen, der König in Mek, die Königin in Lurem: 
burg eingetroffen ſei. Unverzüglih hatte er der Schweiter wärmften Glücks— 
wunsch gefendet (2. Juli). „Ich jegne den Himmel für Ihre Befreiung! Der 
König, der Staat, Franfreih, alle anderen Monarhien werden Ihrem Mut, 
Ihrer SFeftigkeit und Klugheit Befreiung und Rettung verdanken. Warum 
fann ih in dieſem Augenblid nicht bei Ihnen und dem Könige fein, um 
Sie zu umarmen und die Genugtbuung des Bruders, ſowie des Freundes 
und Bundesgenofjen fundzugeben, daß Sie endlih von den Sie bebrohenden 
Gefahren fi losgerungen haben! Alles, was ich babe, gehört Ihnen: Gelb, 
Truppen, alles! Berfügen Sie frei darüber, ih wünjche nur Ahnen zu dienen 
und Ihnen meine Freundichaft allezeit, befonders aber bei diefer Gelegenheit zu 
bemeijen!” Auch dem König hatte Leopold im überſchwänglicher Weife feine 
Freude über den Sieg der guten Sache bezeugt. *) 

Der Jubel wurde jäh zum Schweigen gebradt. Bon König Ludwig jelbft 
fam traurige Kunde: Der legte Verſuch, fih aus der Umflammerung feindlicher 
Gewalten zu befreien, war gejcheitert! „Der König ift wieder feſtgenommen, ift ein 
Gefangener in Paris. Er hat beſchloſſen, Europa von jeiner traurigen Lage 
zu unterrichten, und indem er dem Kaijer, jeinem Schwager, fein Leid enthüllt, 
zweifelt er nicht, daß diefer alles thun wird, was ihm jein großmütiges Herz 
eingibt, um Franfreihs König und Königtum zu retten!” ®) 


') Preuß. St.-Ardiv, Erlaß an Jacobi vom 3. Juli 1791. 
2) Arneth, Marie Antoinette, 181, 182. 
) Ebenda, 185. Eigenhändiges, undatiertes Schreiben Ludwigs XVI. 


406 Zweites Bud. Dritter Abjchnitt. 


Kaunig war wie umgewandelt und wurde nicht müde, den fremden Diplo: 
maten vorzuftellen, daß ale Monarden Europas die Ehrenpfliht hätten, den 
unglüdliden König von Franfreih zu jhügen, daß alle anderen Sorgen hinter 
diefer heiligen Sade zurüdtreten müßten. In der Wiener Zeitung erſchien ein 
von Kaunig beeinflußter Artikel, der die Revolution in Frankreich als unver: 
antwortlihe Rebellion bezeichnete und den Ausdruck „jogenannte National: 
verfammlung” gebrauchte. Dabei blieb jedoh Kaunig, was Jacobi nicht ent: 
ging, vorfihtig genug, niemals von einem Einmarſch öfterreihiidher Truppen 
in Frankreich zu ſprechen; immer fchob er „bas europäifche Konzert zur Wahrung 
der monarchiſchen Rechte” in den Vordergrund. 

Unter dem Eindrud der Nachrichten aus Mailand und Wien erfolgte am 
5. Juli die endgültige Entlafjung Hergbergs. Da der Minifter feit längerer 
Zeit nicht mehr in unmittelbarer Fühlung mit dem Könige ftand, hatten fich die 
Beiden in manden Fragen einander förmlich entgegengearbeitet. Während ber 
König dur Biichoffswerder die Annäherung an Defterreidh betrieb, hoffte Hertz— 
berg durch einen Ausgleih mit Rußland wenigftens einen Teil feines „großen 
Deffin“ zu retten und ein Stüd polnifhen Landes zu gewinnen. Als er aber 
nicht mehr daran zweifeln konnte, daß ihm von feinen Kollegen wichtige 
Depeichen unterfchlagen würden, forderte er Aufllärung; er erhielt zur Antwort, 
es fei der Wille des Königs, daß ihm gewiſſe Schriftitüde verheimlicht würden.) 
Darauf erbat Herkberg feinen Abſchied, und diesmal ohne den erhofften Mip- 
erfolg. „Aus gewiſſen Rüdiichten,” erflärte der König, und um dem mit allzu 
vielen Geichäften Ueberhäuften einen Teil der Arbeit abzunehmen, wolle er 
einwilligen, daß jih die Dienfte feines Getreuen fortan auf das Kuratorium 
ber Akademie und die Aufficht über den Seidenbau bejchränfen follten. 

Der Sturz des Minifters wurde in Berlin als das länaft vorbereitete Werk 
Kaijer Leopolds angejehen.?) Auch Herstzberg teilte diefe Auffaſſung. „Eie 
werben, wie ih wohl annehmen darf,” jchrieb er nad feiner Entlaſſung an 
Luccheſini, „durch diefe Wendung ein wenig überrafcht fein; fie brach über mich 
lediglid infolge einer Abmachung Biſchoffswerders in Mailand herein, weil man 
in mir einen zu bigigen Preußen erblidte.” In einem Briefe an Poſſelt be: 
bauptete Her&berg, der Kailer habe geradezu die Forderung geitelt, daß ber 
bislang tonangebende preußiihe Minifter „als erflärter Feind des öfterreidhifchen 
Hauſes“ bejeitigt werde.) Als Lucchefini, der auch mit dem Geftürzten in höf— 
liher Verbindung blieb, im September 1791 mitteilte, Kaifer Leopold habe ben 
Erzherzog Franz angemwiejen, die biltoriihen Vorträge Herkbergs als die 
gediegenften Lehrbücher für einen Fünftigen Negenten zu ftubieren, ermwiberte 
Hergberg, auh von Reuß und Spielmann fei ihm jeinerzeit in Reichenbach 
hohes Lob geipendet worden; dann freilih ſei die ginftige Stimmung in 


') Precis de la carriöre diplomatique du comte de Hertzberg (lleberarbeitung ber 
an Friedrid Wilhelm II. gerichteten Denkſchriften); W. A. Schmidt, Zeitichr. für Gefchichts: 
wiſſenſchaft I, 31. 

?) (Friebr. v. Cölln) Vertraute Briefe über die inneren Verhältnifie am preußiſchen Hofe 
jeit dem Tode Friedrichs Il., 66. 

3) Poſſelt, 26. 


Bifchoffswerder und Herkberg. 407 


Wien ins Gegenteil umgelhlagen; ja, man habe fih ein Vergnügen daraus 
gemacht, ihn von feinem Plage zu verdrängen, wofür er bie Beweiſe in 
Händen habe. ?) 

Es war nicht der Sturz eines Gemaltigen; immerhin erregte die Ent» 
fernung des „legten Trägers der Fridericianiihen Politik“ großes Auffehen. 
In Preußen wurde fie von Vielen als Sieg der Reaktion über die Aufklärung 
aufgefaßt, nun werde Preußen, jo befürdteten fie, Arm in Arm mit Defterreidh 
nicht bloß den Yakobinern in Franfreid, fondern auch den Freunden ber Freiheit 
und bes Fortjchritts im eigenen Lande den Krieg erklären. Das Hamburger 
politiiche Journal feierte den von Undankbaren verbrängten Staatsmann, „ber 
mit jo vielem Glanze die Bahn der Unfterblichfeit wandelte und beinahe dur 
ein halbes Jahrhundert an den mehrften Unterhandlungen und Begebenheiten 
von Europa thätigen Anteil hatte”.?) Noch ftürmijcher beklagte Schubarts Vater: 
ländifhe Chronik den „Niedergang des hochaufſtrahlenden Geiftes im Berliner 
Minifterium”, den Sturz des großen Mannes, der „in feiner breißigjährigen 
Thätigfeit oft einer belebenden Sonne glich, welche ihre bejeelenden Einflüffe in 
alle Adern und Nieren des Staates ausgok”.?) 

Hergberg 309 ſich nad) feiner Entlaffung auf fein Landgut nahe bei Berlin 
zurüd. „Dort lagert er nun, ein zweiter Cincinnatus, unter dem Schatten der 
Bäume, die er jelber gepflanzt hat.) „Ich bin zur Zeit,” jchrieb Herkberg 
im September 1791 an Luccheſini, „der zufriebenfte Menſch von der Welt und 
bin glüdlih, daß ich feinen Anteil" mehr habe an dem Wechſel der Syſteme.“ 
In Wahrheit fonnte er fih zu folder Entfagungsfreudigfeit durchaus nicht auf: 
jhwingen. Er gab die Hoffnung nicht auf, die Gnade des Königs wieder zu 
erlangen und damit die Leitung der auswärtigen Politif, auf welde er, durch 
jo lange Thätigkeit und das Lob feiner Anhänger verwöhnt, eine Art Monopol 
zu bejigen wähnte. Er beitürmte den König mit Denkſchriften, um ihm vor 
Augen zu rüden, daß der neue Weg nur in die Irre führe. Allgemeines Auf: 
fehen erregte ein akademiſcher Vortrag Herkbergs über „äußere, innere und 
religiöje Staatsrevolution” (gehalten in der Sigung vom 6. Dftober 1791).°) 
Den Zweden und Zielen der franzöfiichen Revolution wird hier unverblümt An: 
erfennung, ja Bewunderung gezollt; die franzöfiiche Nation trachte, fich die beft- 
möglihe Berfafjung, eine befjere jogar, als die engliihe, zu verfchaffen, indem 
fie die gejeggebende Gewalt ausſchließlich dem Volke, die ausübende dem unter 
Auffiht der Volfsvertretung ftehenden Könige übertrage und auf ſolche Weife 
monardijches und republifaniiches Syitem zu vereinigen juche. Welches Schickſal 
der noch im Fluß befindliden Revolution beſchieden jein werde, laſſe ſich nicht 
vorausjehen; jedenfalls aber werde ihr das Verbienft bleiben, die Mißbräuche der 
vorigen, mehr ariftofratifchen, als abjolutiftiihen Staatsform vermindert, eine 


’) Preuß. St.⸗Archiv. Briefwechſel des Grafen Hergberg mit dem Marquis Luchhefini. 
Schreiben Hergbergs vom 10. Sept. 1791. 

*) Polit. Journal, Jahrg. 1791, I, 784. 

2) Vaterl. Chronik, Jahrg. 1791, 326, 341, 481. 

4) Ebenda 497. 

) Staatsanzeiger, 17. Bd, 46. 


408 Zweited Bud. Dritter Abſchnitt. 


tüchtigere Staatswirtſchaft ermöglicht, eine weniger eroberungsfüchtige äußere 
Politik zum Gejek erhoben und dadurd ein beijeres Einvernehmen mit Preußen 
und England angebahnt zu haben. Freilich wäre wünſchenswert, dab fidh die 
Revolution mit weniger Heftigfeit und Ausgelaffenheit volljöge, die Würde bes 
Monarhen weniger erniedrigt, die Unterfchiede der Geburt und der Stände nicht 
gänzlich aufgehoben werden möchten, doch wer möchte um ſolcher Gebredhen 
willen die Verjüngung des Staates jchelten! 

Solche Worte, in den Räumen des erften preußiſchen Staatsinftituts ge— 
fproden, mußten den König, der fih foeben zur Bekämpfung ber Revolution 
mit Defterreich geeinigt hatte, peinlich berühren. Da überdies nicht verborgen 
blieb, daß der gefränfte Minifter vor dem und jenem aud feiner Mißbilligung 
der neueften preußiihen Politik Ausdrud gegeben habe, wandte fi der König 
noch entichiedener von dem „Frondeur” ab. Herkberg hatte, um einen Ueber— 
blid über die Früchte feiner ftaatsmännifhen Thätigkeit zu gewähren, alle von 
ihm ausgearbeiteten Staatsverträge, politiihen Gutadten zc., in einem großen 
Sammelwerf vereinigt; ald er 1792 den dritten Band veröffentlihen wollte, 
wurde die Herausgabe nicht geltattet; erſt 1795, als die preußifche Politit nad) 
mander Richtung wieder in Hertzbergiſche Pfade einlenfte, wurde, kurz vor 
dem Tode des Minifters (27. Mai 1795), das Verbot zurüdgenommen. — 

„Sprechen Sie mit meinen Verwandten über die Schritte, die von außen 
unternommen werben müflen! Sollten fie Furt haben, muß man fi mit ihnen 
auseinanderjegen!” So ſchrieb Marie Antoinette im eriten unbewachten Augenblid 
nad der erzwungenen Rückkehr in die Tuilerien an Graf Ferjen.!) Nur nod 
vom Ausland erhoffte die hohe Frau Befreiung, doch nit in Waffen jollten 
die Retter ericheinen.?) „Der König glaubt,” ſchrieb fie (8. Juli) an Ferien, 
„dab offene Gewalt, jelbjt wenn ein Ultimatum vorausgeſchickt wird, unberechen- 
bare Gefahr nad) fich ziehen Fönnte, nicht bloß für ihn und feine Familie, jondern 
für alle jene im Königreich gebliebenen Franzojen, die ſich der Revolution nicht 
angejchloffen haben; unzweifelhaft wird es einer fremden Armee gelingen, in 
Frankreich einzubringen; aber das Volk wird, bewaffnet, wie es it, von ben 
Grenzen und den fremden Truppen binwegfliehen und jih dann ber Waffen 
gegen diejenigen Mitbürger bedienen, welde man ihm jeit zwei Jahren aus 
Anlaß unferer Reife und bei jeder anderen Gelegenheit als feine Feinde be— 
zeichnet hat.” Ein Kongreß der Mächte jolte — dahin ging der Wunjch des 
föniglihen Paares — energiihe Vorftellungen an die Nationalverfammlung 
richten; die Waffen jollten lediglich im Hintergrunde gezeigt und nur im äußerften 
Notfall gebraucht werden. 

In diefem Sinne richtete denn aud) LZeopold von Padua aus am 6. Juli 
an den Kurfürften von Mainz als Oberhaupt des Kurfürftenfollegiums und an 
die Könige von England, Preußen, Spanien, Sicilien und Sardinien einen 
Aufruf zu gemeinfamem Vorgehen zum Schute des franzöfiihen Thrones. In 
firengem Ton fol Freilaffung der föniglihen Familie gefordert werden, dagegen 


!) Lettres de Marie Antoinette, publ. par de la Rocheterie et de Beaucourt II, 253. 
2) Lenz, Marie Antoinette im Kampf mit der Revolution; Preuß. Jahrbuch, 78. Bd., 258. 


2eopolb II. und die franzöfifhe Revolution, 409 


jollen die Mächte Anerkennung der franzöſiſchen Verfaſſung zufihern, jedoch nur 
in dem Umfange, ben der von jedem Zwang befreite König felbit zugeſtehen 
wolle.) „Ich rechne darauf,” jchrieb Leopold am 8. Juli an Ehriftine, „das 
Reich zu Fräftigem Handeln zu bewegen, und habe deshalb an die Kurfürften 
geihrieben. Allein für ebenjo notwendig halte ich es, die Franzofen und ben 
Grafen von Artois von unbefonnenen Streichen zurüdzuhalten. Ich habe ihn davor 
gewarnt, aber ich weiß nicht, ob es etwas frucdhten wird. Man ſieht, dem Könige 
wurden jchledhte Ratichläge gegeben, und dann wurde er verraten. Weiß Gott, 
zu welchen Ausſchreitungen fie ſich fortreißen lafjen werben! Ich hoffe, ihnen 
zuvorzuflommen, doch wenn es mir nicht gelingen follte, werde ich fie eremplarifch 
züchtigen!“ ?) 

Don erniten Rüftungen in den öfterreihiihen Erbitaaten war auch nad 
dem Aufrufe vom 6. Juli nicht die Rede, nur ein paar Bataillons wurden auf 
den Kriegsfuß gejeßt. Dieje Lauheit machte jogar die preußifchen Minifter 
neuerdings mißtrauiſch; fie mahnten den König zur Vorſicht, denn fait habe es 
den Anichein, als wolle der Kaifer nur durch andere die Kaftanien aus dem 
Feuer holen laſſen. „Der Kaifers Abficht,” jo wurde im Namen des Königs an 
Jacobi gejchrieben, „wird von uns durchſchaut, jo viel Sorgfalt er auch darauf 
verwendet, fie zu verbergen; jie geht dahin: ich fol in der frangöfifchen Sache vor: 
geihoben und dann ſoll aus meiner Einmiihung für ihn felbft der größtmögliche 
Gewinn gezogen werden. Allein ich bin feit entichlojjen, ihn ruhig an mich 
beranfommen zu laflen und in dieſer jchwierigen und wichtigen Angelegenheit 
ebenfalls mit all der Vorficht zu handeln, welche ihre Natur und ihre Folgen, 
jowie meine Erfahrungen über das gewöhnliche Verhalten des Wiener Hofes 
notwendig machen.“ Der nächſte Erlaß ſchärfte dem Gejandten nochmals ein, 
er möge fich in ber franzöſiſchen Frage immer vor Augen halten, daß der König 
nicht jelbit vorangehen, jondern auf alle Fälle den weit ftärfer beteiligten Kaijer 
zuerft handeln laſſen wolle. Auch Biſchoffswerder, der von Stalien aus zur 
Weiterführung der Verhandlungen nah Wien gegangen war, hielt, obwohl oder 
vielmehr gerade weil Fürft Kaunig ihn diesmal mit ausgefuchter Zuvorfommten: 
heit aufnahm, eine beobadhtende Stellung für angemefjen. Der leitende Minifter, 
ſchrieb Jacobi (16. Juli), habe ſich arg verrechnet, wenn er fih der Hoffnung 
bingebe, durch ſolche Ränfe die Vertreter der preußifchen Intereſſen einzujchläfern. 
Hinwider ftand Kaunig mit nicht geringerem Mißtrauen den preußiichen Ber: 
fiherungen und Forderungen gegenüber. Noch am 23. Juli betonte er in einem 
Schreiben an Cobenzl „die Unficherheit, inwiefern die Berliner und Londoner 
Höfe, gefegt au, daß fie in die Unternehmung einzugehen jcheinen, es auf: 
richtig damit meinten und nicht etwa gefährliche Nebenabfichten, es fei zu ihrer 
eigenen Vergrößerung oder zum Nachteil unferes Hofes mit ausführen wollten”.®) 
Allein auch Kaunig mußte einräumen, dab die Nachteile, welche die Einigung 
mit Preußen etwa bringen könnte, gegen den ficher zu erhoffenden Nuten nicht 


’) Bivenot, Quellen zur Gefchichte der deutichen Kaiferpolitif Defterreihs während ber 
frangöfifchen Revolutionäfriege I, 185. 

) Wolf, Leopold Il. und Marie Chriftine, 246. 

Bivenot I, 203. 


410 Zweites Bud. Dritter Abichnitt. 


in Betracht fämen. In einem Memorandum über das „neue politiihe Syitem“, 
das ber Freundſchaftsvertrag des Kaijers mit Preußen inauguriere, nannte der 
Kanzler die bevorftehende Abmachung „gewilfermaßen den zweiten Band bes 
Vertrags von Berjailles, der feiner Zeit ganz Europa in Staunen verjegt und 
bie ölterreihiihe Monarchie gerettet hat“. Diefes Wort aus dem Munde bes 
Kanzlers, der im Vertrag von Berjailles jein glorreiches Lebenswerk erblidte, 
bedeutete einen gründbliden Umſchwung in feiner Auffaſſung der deutſchen und 
der europäifhen Lage. Dem Oberſten Bilhoffswerder zollte er hohes Lob; 
freilich fei derjelbe, verſichert Kaunig dem Kaijer, erſichtlich überraicht gemejen 
ob der Ehrlichkeit, Offenheit und Vernünftigfeit der öfterreihiichen Vorfchläge.!) 

So wurde denn am 25. Juli in Wien von Kaunig und Bifchoffswerder 
ein vorläufiger Vertrag abgeſchloſſen, für welchen eben jener Vertrag von Ver: 
failles von 1756 als Borbild diente,?) der aljo nur defenfiven Charakter haben 
follte.°) Auch find darin die fonjervativen Intereſſen keineswegs ſtark betont; 
in Bezug auf Frankreich wird nur von beiden Staaten das Verſprechen gegeben, 
nad Kräften für das Zuftandefommen des Bundes aller europäiichen Mächte zu 
wirken. Außerdem jicherten fidh beide Staaten für den Fall einer Nuheftörung 
im Innern gegenjeitige Dülfe zu; das war für Preußen ohne Belang, da fi 
alle Provinzen gleihmäßig der tiefiten Ruhe erfreuten, während das Verſprechen 
für Defterreih von Wichtigkeit werben konnte, da in Ungarn noch zahlreiche 
Mißvergnügte grollend beifeite ftanden und in den Niederlanden gelegentlich 
der Rundreife des zurüdgefehrten Statthalterpaares neue Unruhen ausgebrochen 
waren.*) Die früher von Bilchoffswerber geforderte Garantie des Beſitzſtandes 
der Türfei war fallen gelajien worden. In Bezug auf Polen war die Abrede 
getroffen, daß feine von beiden Mächten den Befigitand oder die Verfaflung 
Polens antajten und die zur Thronfolge berufene ſächſiſche Prinzeffin mit feinem 
Prinzen der beiden Höfe fih vermählen jollte. Endlich jollte keine Der beiden 
Mächte mit einer dritten ein Sonderbündnis eingehen; dagegen’ jollten Rußland, 
England und Holland zum Beitritt eingeladen werden. Damit war einer An: 
näherung Preußens an Rußland ein Riegel vorgeihoben, während Oeſterreich 
den alten Bund mit Rußland nicht aufzugeben brauchte. 

Es begreift ſich leicht, daß in Wien der Abſchluß diejes Vertrags mit auf: 
rihtigem Bergnügen begrüßt wurde. Nun fei ihm ein Unternehmen gelungen, 
triumpbierte Kaunig, wie Spielmann dem Oberften Biſchoffswerder anvertraute, 
ein Werk, um deſſentwillen ihn zwei große Völker in allen Zeiten jegnen würden. 
Zu Biſchoffswerder ſelbſt äußerte der Kanzler, die neue Allianz erjege nicht nur 
den Vertrag von Berjailles, fondern eröffne noch weit größere Ausfichten, 


!) Beer, Joſeph II., Xeopold Il. und Kaunitz, 419. 

2) Bivenot I, 217. 

) Der „Acte preliminaire signé le 25 juillet 1791* ift u. a. gebrudt bei Martens, 
Recueil des traites V, 5; der in ber Collection of State Papers p. 1 mitgeteilte Traité de 
partage entre les cours d’Autriche, de Russie, de l’Espagne et de Prusse ä Pavie au 
mois de Juillet 1791 ift felbftverjtändlih eine plumpe Fälſchung. 

4) Zeifberg, Zwei Jahre belgifcher Geihichte (1791, 1792); Sigungsberichte der Wiener 
Atademie, Jahrg. 1890, VII, 112. 


Zeopold II. und die frangöfifhe Revolution. 411 


als diejer, und biete das beite Gegenmittel gegen alles Unheil, das von wütenden 
Narren angeftiftet worden fei und noch fortwährend angeftiftet werde.!) Auch 
ber Kaiſer war hoch erfreut. „Ich ſehe diejes Geichäft als abgeſchloſſen an,” 
fchrieb er am 26. Juli an Kaunig, „und ich erwarte davon hohen Nußen und 
beruhigende Wirkung für die Monarchie; ohne Zweifel hat das Vertrauen, das 
Sie mit Neht dem Herrn von Biſchoffswerder bei Ihren Unterredungen ein: 
geflößt haben, viel zum Gelingen beigetragen und wird biefen Herrn überzeugt 
haben, daß es, wenn man mit uns ehrlich verhandelt, nur leidlich geringe 
Schwierigkeiten gibt, daß man aber zu nichts fommen wird, wenn bie Quckhefini 
oder Jacobi die VBermittelung in Händen haben.” ?) Was dem Kaifer den Vertrag 
noch ganz bejonders empfahl, enthüllt ein Wort in einem Briefe an Schweiter 
ChHrijtine: „Ich Ichließe einen Vertrag mit Preußen, Rußland und England, der 
auf lange Zeit den Ausbruch eines Krieges verhindern und den Fürſtenbund 
vernidten wird.” °) 

Der Vertrag vom 25. Juli wurde denn aud in Preußen mit weit geringerer 
Befriedigung aufgenommen. Viele jahen in einem Zujammengehen Preußens 
mit Defterreih unter allen Umijtänden ein Verhängnis; der Staat Friedrichs des 
Großen, jo befürdteten fie, der natürliche Vertreter des Fortſchritts und der Auf: 
Härung in Deutihland, werde dadurd zu Schaden fommen. Andere hegten Sorge, 
daß nun jchon ein Fleiner Funke genügen werde, um ben Krieg mit Frankreich zu 
entzünden. Auch der freiwillige Verzicht auf die Errungenſchaften des Fürſten— 
bundes wurde beklagt. Bezeichnend find dafür die Auslaſſungen der VBaterländijchen 
Chronik Schubarts.”) Bisher fei es Syitem der preußifchen Politik geweſen, in 
allen Fragen als vollwidhtiger Gegenpart Defterreichs aufzutreten und den Im— 
perialismus der Habsburger abzuwehren. Jetzt fomme plöglih überrafchende 
Märe: Aller Zwift der Nebenbubler jol auf ewige Zeiten begraben jein, ihre 
Eiferſucht fol fih in unverbrühlide Treue wandeln! Die magijche Gewalt des 
Oberſten Biſchoffswerder habe Wunder vollbracht! „Was feit mehr als fünfzig 
Sahren in feines Menſchen Herz fam, was Friedrich der Große, der jharfe Seher 
in die Zufunft, nie ahndete, ift nun feiner Zeitigung ganz nahe, der Bund 
Preußens mit Defterreih, aljo — emwiger Friede in Deutichland!” Freilich fei 
zweifelhaft, wie lange dieſes „ewig“ Geltung haben werde, „dieje politiſche 
Emigkeit ift oft von fo furzer Dauer, wie die am Altar geichworene Liebe und 
Treue der neumodiihen Ehen!” Sa, von einigen zu grübelndem Tiefſinn ge: 
neigten werde fogar die frage aufgeworfen: Iſt folh ein Bündnis aud dem 
wahren Heile Deutichlands, der bürgerlihen und Religionsfreiheit zuträglich? 

Der Gedanke, daß von der Schlihtung des Habers der zwei mädhtigften 
Staaten des Reichs die Wiederheritellung der deutjchen Einheit zu erwarten jei, 
daß nun der deutiche Name wieder zu Ehren fommen könne, gelangt nirgends 
zum Ausdrud. In den niederen Bevölkerungsſchichten ſchweiften die Blicke über: 


') Herrmann, Geſchichte des ruffiihen Staates; Ergängungsband: diplomatiihe Korre: 
ipondenzen aus der Revolutiongzeit, 38. 

2) Beer, 421. 

) Wolf, Leopold und Marie Chriftine, 256. 

4) Baterl. Chronik, Jahrg. 1791, 506, 529, 535. 


412 Zweites Bud. Dritter Abſchnitt. 


haupt nicht über die Grenzen des engeren Baterlandes, die Angehörigen der 
höheren Stände gefielen jih, wie ſchon dargelegt wurde, in weltbürgerlihem 
Stolje. „Wenn man überhaupt von dem Deutihen jagen fann, daß er ein 
Vaterland hat und weiß, was Patriotismus ift,“ fo beginnt im Braunſchweigi— 
ſchen journal eine Abhandlung über die deutjchen Verhältniffe der Gegenmwart.?) 
Aller Nugen des wunderlichen Bündnifjes werde Deiterreich zufallen, erörterte 
Schubart in einem weiteren Xeitartifel am 16. Auguft 1791: „Defterreich über 
alles!” Der unjcheinbare, aber Huge und ehrgeizige Leopold hat die habe: 
burgiſch-lothringiſchen Erbftaaten auf eine Madtitufe erhoben, die fie bislang 
nur einmal eingenommen hatten. Die nordiſche Riefin fteht ihm getreu zur 
Seite, Polen ift ihm zugethan, Baiern iſt ebenfo eng mit ihm verbunden, wie 
Sadjen, der Britte gibt fich zufrieden, wenn ihm Leopold nicht den Ehrenfig 
an Bojeidons Seite ftreitig mahen will, — nun entjagt auch Preußen der alten 
Feindſchaft, — alles deutet darauf hin, daß Defterreicdy wieder zu jener furdhtbaren 
Höhe auffteigen wird, die unter Karl V. auf ganz Europa ihre Schatten warf! 

Auch im preußiihen Kabinett war von Befriedigung oder Freude über die 
jüngfte Wendung nicht die Rede. Beſonders Schulenburg war ein Gegner der 
Verbindung mit Dejterreih. Noh am 16. Juli hatte er Biſchoffswerder vor 
den Liften und Kniffen des Kaifers gewarnt. „Seien Sie gegen dieſen Fürften 
auf der Hut. Unter den gemwinnendjten Formen verbirgt er den verichlageniten 
Charakter von der Welt; er weiß jeinen Machiavell auswendig. Fürdten Sie 
den Fürften Kaunik weniger, als den Kailer und die Jtaliener, deren er ſich 
bedient.” Nach Abſchluß der Konvention gab der preußiſche Miniſter offen dem 
Bedauern Ausdrud, daß ſich der Vertreter Preußens durch Gemährleiftung bes 
öfterreichiichen Velisitandes eine Schwere Verantwortung aufbürden und mit einem 
Linfengericht dafür abfinden ließ. Dem Fürften Kaunig war nit unbefannt, 
dat Schulenburg „nad dem Beiipiel des Hergberg” mit Vergnügen den Bund 
verhindert oder doch wieder zerjchnitten hätte, „weil nad der Berliner einge: 
mwurzelten Denkungsart man fi allda zu glauben nicht gewöhnen fann, daß es 
in der Welt doch irgendwo ehrliche Leute geben fünnte”.*) 

Das neue Bündnis erſchien vielen fo unnatürlid, daß fie zur Erklärung 
auf den Gedanken verfielen, der eigentlihe Zweck fei eine neue Teilung Polens. 
„Ich höre ein Geflüfter um mich her,” jchrieb ein Berliner Berichterftatter ſchon 
im Juli 1791 an die Vaterländiſche Ehronif, „als wären Geifterftimmen; ein 
Geift tritt aus der Wolfe, deutet auf Bohlen und ſpricht: die Könige haben das 
Meſſer in der Hand, um dich aufs Neue zu ſchälen!“ Dazu fügte Schubart die 
Bemerkung: „Ih kann die neue Theilung Pohlens nicht glauben, ob fie gleich 
durch laute und geheime Berichte beitätigt wird; höchſtens könnte es dahin 
fommen, daß der König von Preußen ohne Schwerdtihlag Danzig und Thorn 
befäme, zu einiger Entjhädigung der ungeheuren Koiten, die er durch jeine 
drohende Stellung aufgewandt hat.” °) Zur Entjhädigung, jo glaubte man, 


) Wend II, 220. 
2) Kaunig an Spielmann, 26. Juli 1701; Bivenot I, 216. 
2) Naterl. Chronik, 516. 


Die Bereinigung von Ansbach und Baireuth mit Preußen. 413 


werde Preußen geichehen lafien, daß Baiern gegen die Niederlande eingetaufcht 
werde; aus Münden jelbft wollte Schubart fichere Kunde haben, daß an „dieſer 
für Defterreih jo außerordentlih vorteilhaften und für Deutſchland jo höchſt 
fritiihen Sache“ unabläffig gearbeitet werbe.!) Auch in Reichstagsfreifen regten 
fih folde Gerüchte, Graf Görg, der preußiſche Geſandte zu Regensburg, ſowie 
ein Agent Schulg richteten an das Berliner Kabinett dringliche Mahnung, bei Ratifi- 
zierung des Wiener Vertrags nachträglich eine Beitimmung über Gemwährleiftung 
der deutichen Reichöverfaffung einzufügen, denn von Vielen werde befürdtet, daß 
es bei der Einigung der zwei deutſchen Hauptmächte auf Bergewaltigung 
ſchwächerer Neichsftände abgefehen fei. Es erging deshalb aus Berlin Weifung in 
diefem Sinne an Bilchoffswerber.?) 

Auch die in aller Stille vollzgogene Bereinigung der fränkiſchen Markgraf: 
ſchaften Ansbah und Baireuth mit Preußen wurde anfänglih von Manden als 
Gewaltaft aufgefaßt. Was Hacobi, wie oben erwähnt, als unbegründeten 
Klatſch bezeichnet hatte, war bereits vollendete Thatjahe. Am 16. Januar 
1791 hatten Friedrih Wilhelm II. und Markgraf Karl Alerander einen Vertrag 
unterzeichnet, wonach die beiden Fürftentümer, die nach Ableben bes finderlofen 
Markgrafen ohnehin an die königliche Linie der Hohenzollern bätten übergehen 
müfjen, vom Markgrafen ſchon jegt gegen Zufiherung einer Jahresrente von 
300000 Gulden abgetreten werden jollten. 

Karl Alerander, der legte Markgraf von Ansbach-Baireuth, der Sohn der 
Lieblingsihmweiter Friebrihs des Großen, war nichts weniger als ein eifriger 
Vertreter hohenzollernſcher Hauspolitif; er benützte jeden Anlaß, um feine Selb: 
ftändigfeit zur Schau zu tragen, und neigte deshalb auch mehr zu Defterreich, 
als zu Preußen. Das Verhältnis zum Berliner Hofe befjerte fich erit, jeit 1787 
Demoijelle Clairon, die ehedem gefeierte Phädra ber Comedie francaise, die 
1770 den Markgrafen nad Ansbach begleitet und dann fiebzehn Jahre lang den 
Pla einer erften Gunftvame behauptet hatte, dur eine Engländerin Lady 
Eraven, die Dichterin des Schaufpiels Nurjad, verdrängt worden war. Der 
geiftvollen, Glanz und Abwechslung liebenden Dame behagte es in dem ab: 
gelegenen fränkiſchen Städtchen nicht lange; fie wollte lieber an der Seite ihres 
Freundes die europäiihen Hauptſtädte beſuchen oder am brittifchen Hofe eine 
Nolle fpielen. Deshalb begünftigte fie die Pläne des Berliner Hofes, der, um 
künftigen Schwierigkeiten vorzubeugen, die Einverleibung der Fürftentümer jchon 
zu Lebzeiten des Markgrafen zu erreihen wünſchte. Durch den Einfluß der 
Lady wurde 1790 Karl Auguft Freiherr von Hardenberg, der bisher in braun: 
fchweigifhen, dann in hannöverſchen Dieniten geitanden hatte, als wirklicher 
Geheimrat nah Ansbah berufen; die Anregung war von Friedrich Wilhelm 
ausgegangen, der einen ihm ergebenen, verläjligen Mann in der Umgebung jeines 
Vetters haben wollte. Während der neue Minifter die Wünſche des Berliner 
Hofes zu fördern tradhtete, arbeiteten jeine Kollegen, insbeſondere Sedendorff, 


1) Baterl, Chronik, 568. 
*) Preuß. St.⸗Archiv. Vorftellung des Kabinettöminifteriums an den König vom 
10. September 1791. 


414 Zweites Bud. Dritter Abjchnitt, 


rührig gegen die Abtretung, wie fie auch ihren Herrn beftürmten, der ge— 
planten Ehe mit der Fremden zu entjagen und eine ftandesmäßige Verbindung 
einzugehen. Auch Demoifelle Clairon, die „mit gebrodhenem Herzen” nad) Paris 
zurücgefehrt war, beſchwor ihren „heros*, er möge nicht den unauslöjchlichen 
Shimpf einer Flucht vom Throne auf fih laden. „Einen Thron verlafien, 
beißt den Beweis liefern, da man unwürdig war, benjelben einzunehmen.“ ?) 
Um den Markgrafen ſolchen Einflüfen zu entziehen, lub ihn Frievrih Wilhelm 
nad Neujahr 1791 zu den Faſchingsfeſten am Berliner Hofe ein. Hier gelang 
es unfchwer, durch Ausfiht auf Verforgung ihrer Kinder die Eraven und dur 
fie den Markgrafen zu gewinnen: ?) am 16. Januar wurde der erwähnte Vertrag 
unterzeichnet. Auch die Furcht, daß die Revolution über kurz oder lang wenigitens 
die Eleinen Throne mwegfegen werbe, joll dazu beigetragen haben, den Marf: 
grafen für den ihm angejonnenen Verzicht gefügig zu flimmen. Der Abjchied 
von den Unterthanen fiel ihm nicht Schwer. „Mit feinem brittiichen Herzen,“ 
verfihert Lady Eraven, — und das Wort ift leider auf viele deutſche Fürften 
thatjächlih anzuwenden, — „feiner franzöfiihen Kultur und feiner italienischen 
Liebe für die ſchönen Künfte fühlte er fih in Deutjchland wie außer feiner 
Heimat.” ’) Im Sommer 1791 war es, obwohl feine amtliche Befanntmadhung 
erfolgt war,*) nur noch ein öffentliches Geheimnis, dab der Markgraf, der fi 
mit Lady Craven nad Oftende begeben hatte,°) nicht mehr nad) Ansbach zurüd: 
fehren werde. Bald werde fi) der Vorhang aufrollen, heißt es in der Vater: 
ländiſchen Chronit vom 8. Juli, und ein Prolog werde mit den Worten be— 
ginnen: 

„Ihr Herren in Logen und auf dem Barterre, 

Ihr Frauen, vernehmet die neue Märe: 

Der Preußentrone Herrlichkeit 

Erhöht der Glanz von Anspah und Bayreuth!” 


Die Ansbacher, Baireuther und Vogtländer, in einer Zahl von 200000 
Köpfen,‘) „ein herrlicher, deutſcher Menſchenſchlag“, feien zwar durch den jähen 
Wedel etwas überrafcht, aber dadurch getröftet, daß Friedrih Wilhelm allge: 
mein für einen wohlwollenden Monardhen und Hardenberg für einen guten 
Minifter gelte. „Die Preußen haben damit einen kräftigen Fuß im Reiche.” 
Amtlih mahte Markgraf Alerander erft am 2. Dezember 1791 von Bordeaur 


i) Julius Meyer, Karl Mlerander, der letzte Markgraf von Ansbach-Baireuth, Demoifelle 
Hypolite Elairon und Lady Elifa Craven, in Beiträge zur Gefhichte der Ansbadifchen und 
Baireuthiichen Lande, 200. 

?) Damit fteht die Erflärung der Lady Craven, fie habe jede Entſchädigung ihrer Dienste 
abgelehnt, nicht geradezu im Widerfprud (Dentwürdigkeiten der Markgräfin von Anspach, a. d. 
Enal., I, 272). 

?) Dentwürbigfeiten, II, 355. 

) Der Markgraf hatte durch Dekret d. d. Oftende, 9. Juni 1791 nur fund gemadt, daß 
er „bis zu feiner Rücklehr“ den Freiherrn von Hardenberg mit der Ianbeöherrlihen Gewalt 
betraut habe (Hardenbergs Leben und Wirken, von F. Arndt, 25). 

) Noch im Dftober des nämlihen Jahres fand in Liffabon die Vermählung ftatt. 

°) Die Zahl ift zu niedrig gegriffen; die beiden Fürftentümer Hatten auf 160 Quadrat» 
meilen 385 000 Einwohner, 


Die Bereinigung von Ansbach und Baireuth mit Preußen. 415 


aus befannt, daß er „leine, wie er ſich ſchmeicheln fönne, nicht ohne Ruhm und 
Segen geführte Regierung” zu Gunften des nächſten Agnaten niedergelegt habe; 
und am 5. Januar 1792 wurde der Thronwechſel dur einen Erlaß Friedrich 
Wilhelms II. feierlih verkündet.) Der Herzog von Württemberg legte Ver: 
wahrung ein, daß auch von der Herrihaft Weiltingen, in welder ihm jelbft 
auf Huldigung, Gefeßgebung und Befteuerung Anſpruch zuitehe, für Preußen 
Befig ergriffen worden ſei; es braden auch Unruhen in der Herrichaft aus, 
aber Württemberg mußte fih ſchließlich damit zufrieden geben, daß die preußiſche 
Regierung die eingezogenen Proteftler freigab und, wie der amtliche Erlaß vom 
21. März 1792 erklärte, „über die ganze unangenehme Begebenheit einen Vor: 
hang zog“.“) Preußen hatte nicht bloß zwei fchöne, im Herzen Deutjchlands 
gelegene Provinzen erworben, jondern aud die Thatjahe, daß Hardenberg Ge— 
legenheit fand, in jeiner neuen, fat felbitändigen Stellung fein ungewöhnliches 
Verwaltungstalent zu zeigen, fam dem preußiihen Staate zu gute. 

Der Vorſtoß preußiicher Herrfhaft nach dem deutfchen Süden erregte 
großes Aufjehen. Der ob jeiner Handelihaft vielgetadelte Markgraf wurde von 
Wedhrlin in einem beachtenswerten Aufjag „Ausfihten ins Anspachiſche“ in 
Schuß genommen.?) Die Einverleibung der Füritentümer, wird darin ausgeführt, 
biete dreifahen Vorteil für das Neih, dad Haus Brandenburg und die Fürſten— 
tümer ſelbſt. Dem Reiche könne es nur förderlid fein, daß durch die Lage 
ber Fürſtentümer der neue Beliger gleihjam zum natürlihen Schiedsrichter 
zwijchen Baiern, Böhmen, Sachſen x. gemacht, mithin das Friedensiyftem in 
Deutjchland befördert jei. Der Vorteil des brandenburgijchen Haufes, das jeinen 
Staat erweitert, feinen Einfluß geiteigert, feine Einfünfte vermehrt habe, brauche 
nicht erft erörtert zu werben; gewinne es doch zwei blühende, produftenreiche 
und der Berbejlerung ungemein fähige Provinzen, und damit nit nur drei 
neue Stimmen auf dem Reichstag, jondern auch maßgebenden Einfluß in einem 
zweiten Reichskreiſe; der preußiihe Adler dehne nunmehr feine Fittiche vom 
farpathiichen Gebirge bis an den Fichtelberg aus. Die Bewohner von Ansbach— 
Baireuth endlich Fönnten fih zu dem Taufh nur Glück wünſchen. Es ſei 
Thatſache, daß die brandenburgifchen Unterthanen fih der günftigften Lage 
erfreuen. In einem größeren Staatsförper gebe e& nicht die in Kleinftaaten 
mit Juſtiz, Finanzen und Verwaltung verbundenen Pladereien und Nedereien; 
außerdem werde das kleine Gebiet bei der Bereinigung mit einem größeren 
dur Ausdehnung feines Marktes, Eröffnung neuer Handelswege und Erleich— 
terung des Abjates feiner Produkte Gewinn erzielen. Bor allem werde der 
Weltbürger und Menjchenfreund frohlodend begrüßen, daß der infame Menfchen: 
handel ein Ende habe. „Von nun an, meine werthen Nahbarn, habt ihr nimmer 
zu fürdten, daß man euch nad Amerifa oder Sibirien verkauft, um euch für 
Händel zu verbluten, die euch jo wenig angehen, ald den Mann im Monde.” 
Da aljo alles zum Vorteil ausgejchlagen habe, verdiene Karl Alerander feinen 


) Brunn, Magazin zur näheren Kenntnis des phufiihen und politiihen Zuftandes von 
Europa, Jahrg. 1792, 189. 

2) Schlözers Staatsanzeigen, 17. Bb., 279. 

) Weckhrlin, Paragraphe, (1791) IT, 153. 


416 Zweites Bud. Dritter Abſchnitt. 


Tadel. „Was fünnte ein Regent in unjeren Tagen, da das Handwerk jo jauer 
und jo undantbar geworden ift, da wir e& ben Kronträgern jo ſchwer maden, 
ruhig zu ſchlafen, was könnte ein mwohlberathener Regent Befleres thun? Oder 
wäre er nicht ebenjo gut beredtigt, nah Ruhe und Glüd zu fhmadten, wie 
jeder Privatmann? Er hat feine Pflicht erfüllt, wenn er ein durch feine Re: 
gierung gefegnetes Land in kluge und wohlthätige Hände übergibt.” — 

Die erjte Frucht der Ausjöhnung zwiſchen Defterreih und Preußen war 
der Abichluß der Friedensverhandlungen zu Siſtowa. Am 4. Auguft 1791 
wurde der Vertrag von den Vertretern Oeſterreichs, der Pforte und ber ver: 
mittelnden Mächte des Dreibundes unterzeihnet. Da mehr denn einmal die 
Beforgnis aufgetaucht war, dab das Werk überhaupt nicht zu ftande fommen 
werde, berrjchte über das Gelingen aufrichtige Freude. Sogar die Türken 
wurden dadurch aus der gewohnten Teilnahmlofigkeit aufgerüttelt. Als Kanonen: 
fhüffe den Abſchluß des Friedens verfündeten, umarmten fi die Turbanträger, 
wie Lord Keith erzählt, voll feierliher Rührung und würden auch die abend- 
ländifhen Diplomaten in die Arme geſchloſſen haben, wenn ſich dieje nicht aus 
Nüdfiht auf die von Salben triefenden Bärte der Kollegen in rejpeftvoller Ent: 
fernung gehalten hätten. 

Natürlich bedeutet der Friedensſchluß für den Botjchafter nur einen 
Triumph der Ehrlichkeit und der Entſchloſſenheit Alt:Englands; nur durch dieje 
brittiihen Tugenden ſei erreiht worden, daß das europäifhe Gleichgewicht 
neugeftärft aus deu Verhandlungen in Siltowa bervorgehe.) Das nämliche 
PVerdienft nahmen aber auch die preußiihen Diplomatenkreife für fih in An: 
fprud. „Diejer Friede,“ fchrieben Alvensleben und Schulenburg am 17. Auguft 
an den König, „it ebenjo ruhmvoll für Em. Majeität, als vorteilhaft für die 
Pforte und mwohlthätig für die Ruhe Europas und das Glüd der Menichbeit; 
biejfe That genügt, um das Andenken an Ihre Negierung für alle Ewigkeit zu 
erhalten!“ 

In der That konnte der Friede von Siftoma nur als Sieg der Mächte 
des Dreibunds aufgefaßt werden. Die verbündeten Kaijerhöfe hatten ihr Ziel, 
die Verdrängung der Türken aus Europa, nicht erreiht; von dem, was feiner: 
zeit Katharina und Fojeph in Cherjon geplant hatten, war nur weniges zur Aus» 
führung gelangt. Der Kaifer mußte — nad) einem Verluſt von 150000 Dann 
und einem Aufwand von 200 Millionen Gulden — zulafien, daß alles wieder 
in den Stand gejegt werde, wie es vor ber Ariegserflärung vom 9, Februar 
1788 gewejen war; er mußte die fruchtbare Walachei, ja auch Belgrad, deſſen 
Behauptung ſchon das Andenken an Laubon gefordert hätte, wieder aufgeben. 
Nur Alt-Orſowa und einige kleine Eroatifhe Grenzorte fielen an Defterreid; 
das Flüßchen Ezerna follte künftig die Grenzicheide der beiden Reiche bilden. ?) 
Die hohe Pforte machte fein Hehl daraus, daß fie mit den in Siftowa erlangten 
Bedingungen zufrieden fei; jeder von den Vertretern der vermittelnden Mächte 


', Keith, Memoirs, 471, 472. s 
2) Martens, Recueil des principaux traites, V, 18. — Geſchichte des öfterr.:ruff.-türf. 
Krieges in den Jahren 1737—1792 (1792), 234. 


Der Streit mit Frankreich über die Nechte der Heichsfürften im Elſaß. 417 


erhielt als Gejchent des Dimans 30000 Piafter, ein arabifches Pferd und foft: 
bares Pelzwerk. 

Günftiger als für Defterreih lagen die Verhältniffe für Rußland. Die 
jüngften Siege der Rufen an der Donau und die Erjtürmung von Anapa 
hatten bie Türken jo entmutigt, daß Potemkin jogar mit harten Friedens- 
bedingungen nur auf ſchwachen Widerftand ftieß. Am 11. Auguft wurden die 
Präliminarien zu Galacz unterzeichnet; Rußland „begnügte ſich“ mit Oczakow 
und der Dnjeftrgrenze, die übrigen Eroberungen jollten der Pforte zurüdgegeben 
werden. Damit nicht zufrieden, bot Potemkin alles auf, um den Frieden zu 
verhindern, allein er ſtarb plöglih am Sumpffieber (15. Dftober 1791). Der 
Tod des gefürchteten Hetman mwedte bei den Türken Hoffnung, durd eine Fort: 
fegung des Krieges günftigere Bedingungen zu erlangen, doch General Bes: 
borodfo betrieb die Verhandlungen jo energiih, daß am 9. Januar 1792 ber 
förmlihe Abſchluß des Friedens erfolgte. — 

Inzwiſchen hatten die Beichwerden der im Elſaß begüterten deutſchen 
Fürften über die Verlegung ihrer Rechte ſowohl die franzöfiihe Nationalver: 
jammlung, als den beutihen Neichstag beſchäftigt. In Paris wurde von 
Peyfonnel — Schlözer fpottet, der Herr Konful von Smyrna habe fi wohl 
durch feine jchlechten hiſtoriſchen Schriften einen Sig im Parlament verdient! — 
über die elſäſſiſche Frage Bericht erftattet.?) Natürlih war es für ihn eine 
feftftehende Thatſache, dab frankreich teils durch Eroberungsrecht, teils durch 
feierlihe Verzichte des Kaifers und der Neichsftände die volle Souveränität über 
das ganze Elſaß befite; demgemäß konnte er in den Beſchwerden der deutſchen 
Fürften nichts anderes als unberechtigte Webergriffe erbliden. Solde An: 
maßung dürfe aber den Herzogen von Zweibrüden und den anderen Zwing: 
herren im Eljaß um jo weniger nachgeſehen werden, da fie ihre Unterthanen 
bisher auf unverantwortlihe Weife ausgefaugt und mißhandelt hätten. Diejen 
Behauptungen trat der Abgeoronete für Hagenau und Weißenburg, Baron 
von Ratfamhaufen, entgegen; Peyſonnel habe von den jtaatsrechtlihen Verhält: 
niſſen im Eljaß ein ganz faljches Bild entworfen, denn nicht „souveraindte*, 
fondern nur „suprematie* ſei dem König von Frankreich durch die weſtfäliſche 
Friedensafte und andere Verträge überlafjen; was auf ſolche Weife vom Ober: 
haupt des Staates feierlih beſchworen worden ſei, bürfe die Nation nicht ein- 
fach beifeite jchieben, ohne fih an der fides publica zu verfündigen. Die 
Bedrückung der elſäſſiſchen Unterthanen ſei freilih eine Thatſache, aber die 
Schuld treife nicht die Fleinen Yandesherren, die aus ihrem Befig noch dieſelben 
Einkünfte, wie vor Jahrhunderten bezögen, fondern die franzöfifhe Regierung, 
welde die Abgaben im Eljaß feit hundert Jahren von 300000 auf 6 bis 
7000000 Livres hinaufgetrieben habe. Wenn Franfreih nun zu ſolchem Drud 
aud noch offene Nechtsverlegung füge, jo zwinge es damit den Kaijer, auf Ber: 
geltung zu finnen. Die Worte des eljäfliihen Edelmannes erregten natürlich 
nur den Unmut der VBerfammlung; von Eljäfjern und Franzofen wurde die Be: 


) Altenftüde zur elfäffifhen Frage in Schlögers Staatsanzeigen, 16. Bb., 199. 


Heigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Friedrichs d. Gr. bis zur Auflöfung de deutichen Reichs. 27 


418 Zweites Bud. Dritter Abfchnitt. 


hauptung verfohten, daß dem franzöfifhen Wolf das gute Necht zuftehe, ben 
unerträglihen Zuftänden im Elſaß ein Ziel zu feben. 

Dagegen kam der Regensburger Reichstag „nach genauer Prüfung der 
vorgelegenen Akten und reifer Erwägung aller Umftände” zum Schluß, daß das 
Vorgehen der Franzofen gegen die in Elſaß-Lothringen begüterten Reichsſtände 
nur als Rectsverlegung und Friedensbruch aufzufaſſen ſei.) Zwar ſei die 
Hoffnung auf Widerruf der Fränfenden Verfügungen oder angemeſſene Ent: 
fhädigung noch nicht aufzugeben, aber freilich müfje „bei der damaligen unfteten 
Lage der Umftände” dem weiſen Ermejjen bes Königs von Aranfreih anheim— 
gegeben werben, ob eine nochmalige Verwendung zu Gunften ber deutichen Fürften 
vorteilhaft erjcheine; im übrigen müſſe dem SKaifer überlaffen werden, zur 
Verteidigung der Neichsverfaffung und zur Aufrechterhaltung von Ruhe und 
Ordnung die geeigneten Vorkehrungen zu treffen. „Dem Ausgang der großen 
Sache”, bemerkte dazu Schlözer, „Sieht jeder, der Gefühl von deutſcher Ehre hat 
und fi gern im Glauben ftärfen möchte, daß es ein deutſches Kaiferreich gebe, 
mit Affeft entgegen.” Cine in die nftruftionen mehrerer Reichstagsgefandten 
aufgenommene Beftimmung, es follte angelichts der Thatjache, daß im öffent: 
lihen Handel und Wandel zwijhen den Nadhbarftaaten bisher aller Nachteil 
auf deutjcher Seite geweſen fei, durch Reichsbeſchluß die Einfuhr franzöſiſcher 
Waren in Deutſchland verboten werden, gelangte nit zur Annahme. Die 
Gallomanie der Deutihen, klagte Schubart, laſſe fo nüsliche Handelspotitif 
nit auffommen. „Deutichland it reich genug in fih, hat Yandesprodufte 
aller Art genug, hat Meifter in allen Künften, Fabrifen und Manufakturen, — 
dennoch greift e& lieber nad) fremdem Dunft, opfert Millionen für Fragen der 
Mode und der Eitelkeit!” *) 

Es fehlte aber auch in Deutichland nit an Stimmen, welde den Fran: 
zofen Recht gaben oder doch vor unbilliger Aufbaufhung der elſäſſiſchen Frage 
warnte. Ein XYeitartifel in der Gothaiſchen Zeitung vom 1. Juli 1791 wandte 
fih mit Schärfe gegen die „landläufige” Auffafiung des Haders mit den meit- 
lihen Nahbarn. In verjhiedenen deutihen Staaten habe man unbedenklich 
allerlei Aenderungen am alten Lehensiyitem vorgenommen, man habe Stiite, 
Klöfter, Kirhen, Majorate, Fideilommifje, Leibeigenichaft, Fronen und Abgaben 
und bdergleihen aufgehoben; weshalb jollten nun gerade der franzöfiichen Re— 
gierung ſolche Reformen nicht geitattet jein? Und was im eigenen Haufe er: 
laubt jei, das könne auch in dem mit allen Souveränitätsredhten an Frankreich 
abgetretenen Elfaß nicht verwehrt werden. Wenn Joſeph II. die Rechte und 


!) Neichdgutachten an Ihro Röm. Kayferl, Majeftät d. d. Regensburg 6. Aug. 1791, die 
Beichwerden der durd die feit dem Monat Nuguft 1789 ergangenen franzöfiihen Schlüffe in 
Elfaß:Lothringen und fonften reichsfriedensſchlußwidrig beeinträdtigten Reichsſtände betreffend 
(Gedr.) — Rechtliche Prüfung der unterm 8. und 11. Auguft und 2. November vorigen Jahres von 
der franzöfifhen Nationalverfammlung erlafjenen Verfügungen in Bezug auf das Elſaß (1790). 
— Die Befigungen, Cinfünfte, freiheiten, Rechte und Prärogative der deutſchen Reihsfürften, 
Kirchen und Körper im Elſaß, vertheidiget gegen die Beichlüffe der franzöfiihen Nationalverfamm: 
lung (1790). 

) Baterl. Chronif, 511. 


Die Emigranten in Deutfhland. 419 


Einkünfte der Biihöfe von Regensburg und Paſſau eigenmächtig bejchneiden 
durfte, ohne daß der Neihstag Einſpruch erhob, warum follte jet das Neid, 
warum jollten insbejondere die proteftantiihen Neicheftände um der Nechte der 
geiftlihen Fürſten im Elſaß willen ſich gefährlichen Verwidlungen ausfegen? Denn 
ſchwere Gefahr jei mit einem Krieg gegen Frankreich verbunden, diefe Gewiß: 
beit dürfe man nit aus den Augen verlieren. Erft unlängst bei dem Ein— 
ſchreiten deutſcher Reichs- und Kriegsvölfer gegen die aufftändifchen Lütticher 
fei die Untauglichkeit der deutſchen Wehrverfaffung auf befhämende Weife zu 
Tage getreten. Allein aud zugegeben, das Reid wäre im ftande, fich mit 
Frankreich zu meijen: weshalb jollte man Elſaß und Lothringen zurüderobern? 
etwa um die ohnehin Schon furchtbare Uebermacht des habsburgiſch-lothringiſchen 
Haujes dur neuen Zuwachs zu fteigern? Uebrigens werde es fi auch der Kaiſer 
zweimal überlegen, mit Frankreich anzubinden, denn ein neuer Aufftand in den 
Niederlanden würde nicht ausbleiben. Dann würden wohl auch deutihe Yande 
in die Empörung bineingerifien werben, wie feinerzeit die Franzofen durch die 
amerifanifhen und holländiihen Händel angeitedt worden feien. Hoffentlich 
werde es zwiſchen Franfreih und Deutichland nur zu harmlojem Schriften-, 
nicht zum Kugelwechſel kommen; deshalb müfje der gefährlichite Brandftoff 
entfernt, müjje endlich dem frieobrüchigen Treiben der franzöfifhen Emigranten 
auf deutijhem Boden ein Ziel geſetzt werben. ') 

Man braucht nicht alle von dem Abenteurer Zaudhardt über das Treiben 
der Emigranten am Rhein zum beften gegebenen Anekdoten“) für bare Münze 
zu nehmen, allein thatjähli hatte fich die Ueberfüllung der Rheinlande, ins: 
bejondere der erzitiftiichen Gebiete mit franzöfifhen Flüchtlingen zur ärgerlichen 
Landplage ausgewahjen.?) Die deutſchen Fürften hatten, als nad) dem Baftille: 
ſturm die Auswanderung der Prinzen und Edelleute begann, eine Ehrenpflicht 
darin erblidt, ihre Standesgenoſſen gaftlih aufzunehmen. Mande gingen aber 
in der Nüdfichtnahme gegen die jelbitfüchtigen Grandjeigneurs, die in der Ge: 
fahr ihren König verlaffen hatten und die Wiederberftellung ihrer Standes: 
vorrechte immer höher ftellten, als die Rettung des Monarden, viel zu weit. 
Namentlih der Kurfürft von Mainz, von feinem Kanzler Baron Albini bejtärkt, 
gefiel fih in der Nolle eines Schugherrn der Emigranten; dem Prinzen von 
Condé wurde das Schloß in Worms eingeräumt; die täglich wachſende Schar 
von Evelleuten wurde in den erzitiftiihen Schlöffern und Städten mit ebenjo 
viel Ehrerbietigkeit wie Freigebigfeit behandelt. Ein namhafter Teil der Schüß: 
linge erwies fih wenig dankbar; fie benahmen ſich nicht wie Gäfte, ſondern wie 
die Herren des Landes; rafch war das Menetefel der Revolution vergeſſen, und 
am Hofe eines deutichen, eines geiftlihen Fürften lebte die Sittenlofigfeit von 
Verjailles wieder auf. „Am Hofe Erthals ging es hoch her,” erzählt der Emi: 





!) Staatsanzeigen, 236. 

?) Laudhardt, Leben und Schidjale, III, 29. — Nach einer Angabe aus Koblenz hätte 
fih die Zahl der ausgewanderten Edelleute am 4. Oftober 1791 auf 42687 belaufen (Bolit. 
Sournal, Jahre. 1791, II, 1091). 

») A. Sorel, L’Europe et la r&volution Francaise, II, 165. 


420 Zweites Bud. Dritter Abfchnitt, 


grant Baron d'Escars, „ih war täglich mittags und abends zu Tiſch geladen, 
nicht bloß zu den großen Feitihmäufen, fondern auch in den vertrauteften Kreis 
des Kurfürften zu Frau v. F. und Frau v. E., die man in Mainz im lüfter: 
ton die zwei Minifter des Fürften nannte.” Nicht weniger eifrig nahm ſich 
Kurfürft Clemens Wenzeslaus von Trier der überrheiniihen Gäfte an. Koblenz 
wurde förmlich der Mittelpunkt der franzöfiihen Royaliſten, die von hier aus 
die Gegenrevolution aufrollen und das alte Regiment wieder aufridhten wollten. ') 
„Diejer bifhöfliche Hof,” jchreibt Frau von Naigecourt im Januar 1791, „ift 
jest ſtark in der Mode, er vereinigt die beite Gefellihaft Frankreichs.” Hier gab 
es nicht bloß täglich Galatafel und Konzert, hier wurden von den Führern der 
legitimiftiijhen Bewegung mit und ohne Beiziehung des Kurfürften und jeiner 
Minifter Beratungen gepflogen, von hier aus gingen Bertrauensmänner an bie 
europäifhen Höfe, von bier aus erließen die Prinzen in jenen Tagen, ba bas 
Leben des unglüdlihen Königs aufs äußerfte gefährdet war, geharnifchte Pro: 
tefte gegen jede Nachgiebigfeit des Königs mit der hochmütigen Begründung: 
Höher ala die Perfon Ludwigs fteht der Thron der Bourbons, ihn rein zu 
halten von verbrederiihen Zugeftändnifjen an die Revolution ift die erite Pflicht 
eines fönigstreuen Aranzojen! 

Nah mehr als einer Richtung verdient ein Brief eines „durd Stand und 
Gefchäfte reipeftablen” Franzofen aus Koblenz an das Hamburger politische 
Hournal?) Beadhtung. Der Herausgeber der Zeitung wird beglüdwünfht, daß 
er eine fländige Aufſchrift „Auswärtiges Frankreich” eingeführt habe. „Der 
Ausbrud hat hier viel Vergnügen gemadt, er iſt fo wahr als glücklich gewählt. 
Wer noch an einem auswärtigen Frankreich zweifeln will, der fomme hierher; 
er wird hier eine Cour de France finden, wie fie fonft in Berjailles war und 
jegt bier ift.” „Die Liebe und Ergebenheit gegen die Prinzen ift ein ge: 
meinjchaftliher Enthufiasmus aller Franzofen, die den Wert diefes Namens 
fühlen, ihr Vaterland lieben und ihre echte, wahre Konftitution ehren.” Wenn 
der König zu Zugeftändnifien an die herrichende, araufame und ungeredhte 
Faktion gezwungen werde, jo fönnten biejelben für das ausmärtige Frankreich nicht 
Geltung haben. „Kann der franzöfifhe Monarch, felbft wenn er es wollte, 
ſolche Dekrete janktionieren, bie jeine erften und heiligiten Eide verlegen, die 
geheiligteiten Verpflichtungen, welde er jo vielen Provinzen, Ständen und 
feinem Throne ſchuldig ift, vernichten?“ — — 

Die deutfhen Bürger hatten anfänglich ihr Wohlgefallen an der Maſſen— 
einwanderung in ihre Städte. Man hatte Mitleid mit dem Schidjal der vor: 
nehmen Familien, die in der Fremde eine Zufludt ſuchen mußten; dazu fam 
die ben Deutichen angeborene Ehrerbietung vor allem Ausländiſchen; nicht wenig 
trugen auch Geihäftsrüdfichten zur freundlichen Stimmung gegen die Fremden 
bei, d. 5. jolange diefe über volle Kaflen zu verfügen hatten; freilich wurde 
wieder von anderen die durch die Meberfüllung der Städte verſchuldete Erhöhung 
der Wohnungs: und Lebensmittelpreife beflagt. „Man jah das bunte Getümmel 


) E. Daudet, Histoire de l’&migration 1739—1798, III, Coblentz. _ 
2) Polit. Journal, Jahre. 1791, II, 1021. 


Die Emigranten in Deutfchland. 421 


der NAusgewanderten,” erzählt Iffland, der Yeiter der Mannheimer Hofbühne, 
„ihre charakteriſtiſchen Eigenheiten, ihre Thorheiten, freute fih des intereflanten 
Umganges mit einigen gebildeten Männern, man lebte ganz angenehm in bem 
Duoblibet, das jeden Tag eine andere Geftalt annahm; die Verwidlungen, der 
Blutlampf, der daraus entftehen, unjeren und jeden Frieden fo graujam zer: 
reißen follte, ahndeten wir nicht.” ') „Alles wimmelt hier von Franzofen zwiichen 
Mainz und Koblenz,“ Hagte Foriter, „der ganze Rheingau ift davon gepfropft 
vol; alle Wirtshäufer find angefüllt und folglich den Mainzern jebe Luftbarkeit 
dahin unmöglich gemadt. Das wäre noch zu ertragen, allein jie vertheuern uns 
alles; alles koſtet doppelt fo viel als fonft, und das junge Gemüfe, worauf man 
fih den ganzen Winter vertröftete, it gar nicht zu haben, weil bie reichen 
Familien ed & tout prix wegfaufen.”?) Allein die Scene wechſelte; bald waren 
die meiften Emigranten aller Mittel entblößt, und ber Kredit verringerte fich im 
gleihen Maße, als die Ausfiht auf die Zurüderlangung ber Familiengüter dahin: 
ſchwand. Nichtsdeftomeniger gefielen fih mande Windbeutel, die ihren Unter: 
halt nur durch die Großmut deutſcher Fürften beftritten, in dünkelhafter Gering- 
ſchätzung der Deutſchen. Sie gerubten, bei diefen Philiftern zu wohnen, aud) 
wohl ihre Börfen anzunehmen, aber im übrigen fuchten fie die „plumpen Ge: 
fellen”“ nad Kräften fih vom Leibe zu halten, und es erregte nur ihre Spott: 
luft, wenn die Barbaren fi mit ihnen auf gleihe Stufe ftellen wollten. „Das 
war in Frankreich,“ jagt Albert Sorel, „das klaſſiſche Syftem, mit den guten 
Deutjchen umzugehen, und es war in gleicher Weile Haffiiher Brauch bei den 
‚guten Deutſchen‘, daß durch den Stadel ſolche Spöttereien ber ererbte Haß 
gegen die Franzoſen wieder aufgewedt wurde.“ Bald erlofch auch das legte 
Mitleid mit Leuten, die ihr Mißgeſchick mit fo wenig Würde trugen, nur durch 
Hoffart ihre Armut weit zu machen ſuchten und feine Rüdfiht auf ihre Wirte 
kannten. Der ruhige Bürger aus der Pfaffengaſſe des Reiches fing an, zu be: 
greifen, daß die furchtbare Ummälzung im Nachbarlande doch nicht fo ganz un— 
begründet und unberechtigt gewejen war; das unwürdige Schaufpiel, das die 
Emigranten boten, erklärte den Deutſchen die Revolution beſſer, als es alle 
Schriften und Agenten der Propaganda erklären konnten. 

Ein Beriht aus Karlsruhe in der Berliniihen Monatsjchrift (15. April 
1791) ſchildert draftiih das Schmarogerunmweien am marfgräflihen Hofe. °) 
Niemand werde den deutichen Fürften verübeln, wenn fie als gaftfreie Wirte 
fi zeigen wollten, aber der Ueberſchwang verdiene ernite Rüge. Der deutjche 
Mann werde mißadhtet, wenn er nicht Stammbaum und Ahnen aufzumeijen 
babe; dagegen genüge die Thatiahe, dab jemand außerhalb der Reichsgrenzen 
geboren fei, um ihm an deutichen Höfen eine ehrenvolle Aufnahme zu fichern. 
Um den Schwarm diefer feinen Herren und Damen jtandesgemäß zu unter: 
balten, werde ein Aufwand gemacht, der den Unmut der hartbedrängten Steuer: 
zahler nur allzu berechtigt erfcheinen laſſe. Und zu allem übrigen Echaden werde 


’, Jffland, Meine theatralifhe Laufbahn; Dramat. Werke, I, 197. 
2) Klein, ©, Forfter in Mainz 1788—17983, 192. 
2) Berlinifhe Monatsſchrift, 17. Bb., 562. 


422 Zweites Bud. Dritter Abſchnitt. 


zulegt noch der Krieg kommen, denn wer fünnte es den gegenwärtigen Gewalt: 
babern in Frankreich verdenfen, wenn fie endlih einmal daran gingen, bie 
Neſter ihrer gefährlichiten Feinde unmittelbar an den Grenzen auszunehmen? 

Ebenjo bittere Klagen famen aus Koblenz. Ein unparteiiicher Beobachter, 
der bairiſche Kriegsrat Lipowsky, glaubte fih, als er in bie erzbiichöfliche 
Refidenz kam, in eine franzöfifche Stadt verfegt, denn jeder, der das zügelloje 
Treiben der Emigranten fehe, mülle in biefen Uebermütigen die Herren und 
Eigentümer erbliden, die den guten Erzbiſchof als Gaft in ihrer Mitte 
duldeten.‘) Während feines Aufenthalts wurde zu Ehren ber Weberführung 
des heiligen Banners, der Driflamme, ins prinzlihe Lager die Oper „Richard 
Löwenherz” zur Aufführung gebradht. Die Arie des Blondel: „O Richard, 
o mon roi!* erregte bei den franzöfiihen Kavalieren jo ftürmifche Begeiſte— 
rung, daß fie auf die Bühne fletterten, das Bretterichloß, in dem König 
Kihard gefangen ſaß, zertrümmerten und den Befreiten famt feinem getreuen 
Diener im Triumph dur das Haus trugen, womit die Aufführung ihr 
Ende fand. ?) 

Doch die loyalen Schwärmer übten gar wenig Rückſicht auf ihren eigenen 
König. „Dieje Partei,” meinte ſchon Mirabeau, „zählt eine Menge Leute, welche 
die Rüdfehr zum alten Syftem gern um den Preis des Lebens des Königs erfauft 
hätten.” ?) Sie verfpotteten die Shwähe Yubwigs, fie nannten die Zugeftändnifie, 
bie er wohl oder übel den Volfsvertretern einräumen mußte, einen Verrat an 
ben Königspflichten, fie hegten vor dem Oberhaupte ihres Vaterlandes im Grunde 
nicht mehr Achtung, als die Volksverführer in Paris. Noch ſchlimmer wurde der 
Königin mitgefpielt. Den vornehmiten Teil der Emigranten bildeten ja bie 
nämlichen 2eute, die jehon in den Tagen des Glüds fürmlih ein Gewerbe daraus 
gemacht hatten, die verhaßte „Oeſterreicherin“ zu verleumden und mittelft zotiger 
Anekdoten und Stadhelverje in den Schmutz zu ziehen. Sept befchuldigten fie 
die hohe Frau, daß jie durch Verhandlungen mit Mirabeau und Barnave und 
anderen Revolutionsmännern die Würde des Lilienthrones verlegte. „Was hat 
nur euch Franzoſen meine arme Schweiter gethan,” fragte Erzherzogin Chriftine 
einen Emigranten in Brüjiel, „daß auf fie fogar in meinem Park und an allen 
öffentlichen Gebäuden beihimpfende Jnichriften angebracht werden?" Wie auch im 
übrigen die Anjhauungen in den Kreifen des hohen Adels auseinander gehen 
mochten, in einem Punkte waren fie einig; es galt ihnen als jelbftverftändlich, 
daß die Fürften und Völker Europas feine wichtigere Pflicht hätten, als ihnen bie 
Verbannung jo erträglih wie möglich zu madhen und fo rajch wie möglich zur 
Rückkehr zu verhelfen. Perfönliher Vorteil dürfe nit in Betracht kommen 
gegen das gemeinjame Intereſſe aller Staaten, und nur niedrig Gefinnte könnten 


') Züge aus dem Leben ꝛc. Lipowskys; Oberbair. Archiv, 12. Bd.. 98. 

2) Zu ähnlichen Scenen fam es bei einer Aufführung bed Richard Lömenherz in Mann: 
heim bald nad dem mißglüdten Fluchtverſuch des König Ludwigs XVI. Die Borgänge auf der 
Bühne, fo erzählt Jifland, riefen im Zufchauerraum bald mwilbes Gejchrei, bald lautes Schluchzen 
wach; bei der Befreiung Richards ftien alles auf Stühle und Bänke, die Offiziere zogen ihre 
Degen, ber Nuf „Aux armes!* im Parkett übertönte den Lärm auf der Bühne. Yffland I, 201. 

°) Correspondance entre le comte de Mirabeau et le comte de la Marck, III, 155. 


Die Emigranten in Deutichland. 423 


auf den Gebanken fommen, im gegenwärtigen Augenblid an Frankreich, weil 
es die Schwähe des deutihen Reiches jo oft und fo graufam ausgenügt habe, 
Vergeltung zu üben! Europa dürfe — dieſe Forderung fehrte in allen Ton 
arten wieder — nicht eher ruhen, als bis die Revolution niedergeichlagen, bis 
die alte Verfaſſung des vornehmjten Reiches der Chriftenheit wieder hergeftellt 
wäre! Den Kern, die Ehrengarde der internationalen Hülfstruppen follte eine 
Armee bilden, welche der Prinz von Condé teils durch freimillige Teilnahme 
der ausgewanderten Franzoſen, teils durch Werbung auf deutihem Boden zu 
fammeln trachtete. Freilich war zu erwarten, daß die franzöfifche Regierung 
die jtändige Bedrohung der Grenzen auf die Dauer nicht dulden und auf 
ſolche Weije das Neih in Krieg verwidelt werde, aber das wollten gerade bie 
Führer der Emigranten. Die Kurfürften von Mainz und Trier felbft und einige 
weltliche Neichsftände leifteten dem Unternehmen Vorſchub, während andere die 
damit verbundene Gefahr erfannten. Marimilian Franz von Köln erteilte den 
Magiftraten von Andernad und Ahrweiler ſtrenge Rüge, weil biefelben, „ohne 
die widrigen Folgen diefer Vermiſchung franzöfiihen Leichtſinns mit unferer 
biederen deutſchen Charafterfeftigfeit jowohl im Phyfiihen ala im Moralifchen 
einzufehen, von den mißlichen politiihen Folgen gar nit zu Sprechen“, Werbungen 
und Maffenübungen gebuldet hatten; in feiner Gemeinde des Erzitiftes follten 
mehr als 20—30 Emigranten geduldet werden. !) 

Niemand urteilte über das Treiben der Emigranten nüchterner und ftrenger, 
als Kaifer Leopold. „Das fchwerjte ift,“ fchrieb er am 31. Januar 1791 an 
Ehriftine, „die Prinzen und die Emigranten im Zaum zu halten und zu be— 
friedigen. Sie denfen immer nur an ihre eigene Sade, fie wollen nur für ſich 
Geld und Autorität haben, um den König befümmern fie fih wenig. Sie thun 
nichts, als ich beflagen und über mich, über Sie, über alle, die nicht blind: 
lings ihre Pläne unterftügen wollen, die niederträdtigften Dinge jehreiben und 
druden. Ich glaube, dag mein Betragen gegen fie vollkommen den Grund: 
lägen der Mäßigung und Gerechtigkeit entipricht. ch habe darauf beitanden, 
daß fie die Waffen niederlegen, um den Kurfürften von Trier aus ber jchwierigen 
Lage, in bie fie ihn verftridten, wieder zu befreien und Deutſchland vor einem 
franzöfifhen Angriff zu bewahren, ehe es gerüftet und das europäiſche Konzert 
zufammengetreten wäre. Ich habe ihnen in Oberöfterreih ein Ajyl angeboten 
und habe den König von Preußen bewogen, ihnen ein ähnliches Anerbieten zu 
machen, ebenjo auch den Landgrafen von Helfen, aber ihre jonftigen Wünſche 
vermag ich nicht zu befriedigen, und ich geftehe, daß ich mit ihrer verlogenen 
und verleumbderijhen Umgebung nichts zu thun haben will, daß ih auch ohne 
den Beitritt der anderen Höfe durchaus nicht vorgehen will, daß ich allein mich 
nicht in einen gefährlichen Krieg mit Frankreich einlafjen werde, ohne zu wiſſen, was 
die anderen thun und welche Abſichten Rußland gegen Polen im Schilde führt.” 

Im Dezember 1790 jandte der Graf von Artois, der fi als Herren über 
„Frankreich im Ausland” fühlte, einen Vertrauensmann, Baron d’Escars, nad 
Wien, um den Raifer für die Gegenrevolution zu interejfieren, allein Leopold 


4 Schlögerd Staatdanzeigen, 17. Bd., 289. 


424 Zweites Bud. Dritter Abichnitt. 


lehnte jede Unterhandlung ab. Nichtsdefloweniger fuhr Artois fort, fih an ben 
Kaijer heranzudrängen. Herr von Galonne, der „große Calonne”, ging nad 
Wien, um den Kaifer für eine Unterrebung mit dem Prinzen günftig zu ftimmen. 
Da jedoch der Brief Calonnes, wodurd er feinem Gönner anzeigte, daß er bie 
Reife angetreten habe, in das „Ichwarze Kabinett” in Wien gelangte, erfuhr 
Leopold vorzeitig, welch unwillkommenen Gaft er zu erwarten habe. Nun follte 
ihm Kaunitz den Läftigen vom Halſe ſchaffen. „Unter allen Umftänden muß 
der Graf von Artois verhindert werden, hierher zu kommen, — Sie fennen 
bejier, als ich, die Gründe! Naten Sie mir, ich flehe Sie an, wie es fih am 
leichteften und gründlichiten machen läßt, ein für allemal fich loszukuppeln von 
diefen franzöfifchen Flunfereien, die nur jchlimme Folgen haben fünnen, zumal 
fie für die Königin zu nichts Gutem führen und nad) den legten Erklärungen des 
Königs und der Königin durhaus nicht geduldet werden dürfen.” ?) Es lie 
fih aber nicht verhindern, daß Calonne nah Wien fam und dem Kaifer einen 
Brief des Prinzen mit der Bitte um Gewährung einer Unterrebung übermittelte. 
Die Antwort Leopolds war eine ſchroffe Ablehnung „aus politiihen Gründen 
von ber größten Wichtigkeit ſowohl für den Kaijer, als für den König und bie 
Königin von Frankreich“. Umſonſt verwahrte fi Artois „in jchmerzliher Be: 
wegung” geaen das beleidigende Miftrauen, das ihm die Zurüdhaltung des 
Kaijers enthülle;?) auch dieſer Angriff wurde abgeihlagen. „Ich habe ja doch,” 
fagte Leopold zu Kaunig, „Ichon ben Grafen d'Escars aufs bünbdigfte über den Sinn 
meines Briefes aufgeklärt, daß ih mid nämlich ein für allemal nit in feine 
Pläne und Anſchläge hineinziehen laffen will!” Da in diefen Tagen die Flucht 
ber föniglihen Familie aus Paris beſchloſſen wurde, ſchien es noch bringlidher 
geboten, vor den unvorfichtigen Streichen der Emigranten auf der Hut zu fein.°) 

Als aber trog alles Abwinkens der Graf von Artois am 18. Mai in 
Mantua bei dem Kaijer fich einfand, konnte fich diefer einer mündliden Er: 
örterung ber brennenden Frage nicht entziehen. Er benüßte aber auch, wie er 
an Marie Antoinette jchrieb, die günftige Gelegenheit, dem Prinzen feine roman 
haften Pläne nad Kräften auszureben.*) Als Artois auseinanderjegte, es jei 
feine Zeit mehr zu verlieren, er wolle unverzüglich alle Franzojen in Stalien 
um fih jcharen und den Kampf für die föniglihe Sadhe eröffnen, bämpfte 
2eopold die Glut mit altem Waflerftrafl. Er werde feinen Finger rühren, 
erflärte er, folange nicht der König und die Königin außerhalb Paris in Sicher: 
heit wären und fich jelbft an die befreundeten Fürften um Hülfe wenden würden; 
dann erit, und wenn ihm von England und Preußen feine Schwierigkeiten in 
den Weg gelegt würden, wolle er mit Spanien und Sardinien und anderen 
Regierungen ins Benehmen treten, um die Wieberaufrihtung des franzöfiichen 
Thrones zu betreiben.°) Bis dahin möchten die Emigranten und vor allen 


) Beer, Joſeph II., Leopold 11, und Kaunik, 384. 

?) Feuillet de Conches, Louis XVI., Marie Antoinette et Madame Elisabeth, ], 441. 
) Lenz, 26. 

Arneth, Marie Antoinette, 177. 

°) Leopold an Kaunik, Mantua, 20. Dat 1791; Beer, 404. 


Zeopolb II, und bie franzöfifche Revolution. 425 


der Graf von Artois jich hüten, durch unvorſichtige Streidhe die königliche und 
ihre eigene Sache zu gefährden. „Der Prinz ſchien mir dazu auch den beften 
Willen zu haben und durd meine Gründe überzeugt zu fein, aber die Yeute in 
feiner Umgebung ftadheln ihn immer auf.” Das Mißlingen des Fluchtverfudhs 
der föniglihen Familie legte dem Kaijer die Verpflichtung auf, ernitere Maß: 
nahmen ins Auge zu fallen, um feine Schweiter aus unmürbiger Lage zu be: 
freien; mit den Emigranten wollte er aber troßdem nicht gemeinfame Sade 
madhen. Am nämliden Tage, da er die Einladung zu gemeinjamen Schritten 
gegen bie Nationalverjammlung an die europäifchen Mächte ergehen ließ, jchrieb 
er an die Statthalterin von Belgien und an den Kurfürften von Trier, fie 
möchten um jeden Preis den Prinzen von Condé und jeine Leute von thörichtem 
Losſchlagen zurüdhalten. „Sie fönnten, ohne daß irgend ein Vorteil davon zu 
erwarten wäre, nur recht großes Unheil anrichten, wenn fie nicht abwarten, bis 
die mädhtigeren Fürften zu Hülfe fommen.” ') Noch deutlicher ſprach ſich Leopold 
gegenüber dem Kurfürften von Köln über feine Auffafjung der Lage aus (29. Juli): 
„Ich beflage die franzöfiihen Prinzen und Flüchtlinge von ganzem Herzen, aber 
ih beffage no mehr den König und die Königin; fie müſſen gejhügt und 
zugleih muß verhindert werben, daß ſich das franzöſiſche Syitem befeftige und 
ausbreite und auch in anderen Staaten Wurzel falle. Bon dieſer Notwendig: 
feit bin ich überzeugt, allein um etwas Eripriefliches auszurichten, barf man 
nicht bloß den von Zorn und Haß eingegebenen Anjchlägen der Prinzen und, 
wenn ich jo jagen darf, der unbejonnenen, von Gelomangel bebrängten Thoren 
in ihrer Umgebung Folge leiften, fondern man muß nad) einem von den mäch— 
tigften Höfen gebilligten Plane vorgehen; unferen Borjtellungen und Forderungen 
ſoll die Ausjiht auf thatkfräftiges Auftreten mit den Waffen Nachdruck geben, 
aber e8 muß dafür gejorgt fein, daß man für den Fall, daß die Drohungen 
wirkungslos bleiben, auch jofort in Aktion treten kann.” 

Man fieht, Yeopold wollte etwas thun zum Schutze jeiner Schweiter und 
zur Abwehr der revolutionären Propaganda, aber jeine vorfihtige Zurüd: 
haltung wollte er deshalb nicht aufgeben. ?) Ein „Konzert” der europäifchen 
Mächte zuftande zu bringen, war ja nichts weniger als eine leichte Sache. 

Mit Preußen waren durch die von Biichoffswerder und Kaunig unter: 
zeichneten Präliminarien Frieden und Freundſchaft angebahnt, aber ſchon im 
nächſten Augenblid war das Verföhnungswerk wieder ernftlih bedroft. Als 
Friedrich Wilhelm Befehl erteilte, ihm die Reinfchrift des Bundesvertrags zur 
Unterzeihnung vorzulegen, gaben die Minifter zugleich eine Beſchwerde über die 


', Bivenot, I, 545. 

2) Vermutlich aus Emigrantenkreifen ftammt das im Sommer 1791 aufgetauchte Gerücht, 
Kaifer Leopold habe während feines Aufenthalts in Benedig zur Herzogin von Bolignac ges 
äußert, er werde, wenn fich die Nationalverfammlung irgend eine neue Gemwaltthat gegen feine 
Schwefter erlauben follte, die Stadt Paris in einen Aſchenhaufen verwandeln. Wedherlin wies 
die Fabel als unverfchämte Beleidigung des Kaijers zurüd, denn Leopold fei weder ein fo 
lädherlicher Bramarbas, dat er die Leute hängen wolle, ehe er fie habe, noch ein jo ungerechter 
Richter, daß er für die Schuld der Nationalverfammlung das ſchuldloſe Volk büßen liche 
(Baragrapbe II, 253). 


426 Zweites Bud. Dritter Abſchnitt. 


jüngften Wiener Abmahungen zu den Akten. Biſchoffswerder habe in mehreren 
Punkten feine Inftruftion überfhritten, und insbefondere durch „den bie gegen 
feitige Hülfe gegen die inneren Revolutionen betreffenden Artikel, wozu er nicht 
ermächtigt geweſen ſei“, Preußen eine ſchwere Verantwortung auferlegt.!) Auch 
der Vorichlag des Faiferlihen Kabinetts, an die ſranzöſiſche Nationalverfamm: 
lung eine Mahnung zu rihten, fand in Berlin fühle Aufnahme. Das Minis 
fterium ſprach fi in zwei an den König gerichteten Gutachten mit aller Ent: 
jhiedenheit dahin aus, daß eine Ausdehnung der Revolution auf preußiiches 
Staatsgebiet als völlig ausgeſchloſſen gelten könne. Dieſe Anficht teilte auch der 
franzöfifhe Gejandte in Berlin. „Wie es fcheint,” berichtete er am 2. Auguft, 
„it bei der preußifchen Regierung bisher noch feine Furcht aufgetaudt, daß die 
franzöfiiche Revolution auch die preußiichen Staaten aniteden könnte. In ber 
That, wenn man auf alle Neuerungen verzichtet, wenn die Grundfteuern feit 
Aufitelung der älteften Katafter unverändert geblieben find, wenn die Nedhts: 
pflege vortrfflih geordnet ift, wenn die Einnahmen des Staates die Ausgaben 
derart überfteigen, daß fie die Unterhaltung einer Hülfsreferve ermöglichen, end: 
lih, wenn man über eine in jeder Weiſe zuchtgewohnte Armee verfügt, braucht 
man eine Revolution nicht zu fürchten, zumal wenn es ſich um ein Volk handelt, 
deſſen Charakter eher alles andere ift, als wanfelmütig und unbeftändig.“ ?) 
Demgemäß wurde Jacobi angewiejen, feiner Maßregel, die als Herausforderung 
der franzöfifhen Regierung ausgelegt werden könnte, zuzuftimmen. Mit Vor: 
ftelungen ſei nichts gedient, wenn nicht erforberlihen Falles fofort mit be- 
waffneter Hand der gehörige Nahdrud geübt werde; von dieſem wichtigiten 
Punkte aber jei bisher noch gar nicht die Rede gemwejen; der Abbruch aller Ver: 
bindung mit Frankreich werde ſich ſchwer durchführen laffen und von ben Unter— 
tbanen der verbündeten Mächte peinlih empfunden werden; vor allem fomme es 
auch darauf an, welde Stellung Großbritannien in diejer Frage einnehmen 
werde.?) In einer geheim zu baltenden Beilage der Depeihe war noch ein 
anderes Hindernis hervorgehoben: Was foll, wenn den Waffen der Verbündeten 
der Gieg zu teil wird, mit Elſaß und Lothringen geihehen? Soll Preußen 
fo beträchtliche Gebiete wieder unter Defterreihs Scepter fommen laſſen? Auf 
feinen Fall ohne genügende Erfagentihädigung! Jedenfalls muß aljo der Wiener 
Hof, ehe die preußifhe Regierung fih auf weiteres Entgegenkommen einlafjen 
fann, über diefen Punkt eine beruhigende Erklärung abgeben. 

Kaunig war über das „jo unhöfliche, wie unfreundlice” Zurüdweichen bes 
preußiſchen Kabinetts jehr aufgebradt. Es fei eine Kränfung für Kaiſerliche 
Maiorität, jchrieb er am 14. Auguft an Spielmann, dab die von Bijchoffs- 
werder unterzeichneten Artifel noch immer nicht ratifiziert jeien; er könne fid 
feine andere Urſache ausdenten, als daf in Berlin neue Bedenken aufgetaucht 
feien, ob man der Feindihaft gegen Oeſterreich fih aufrichtig entſchlagen fol. 
Unter dieſen Umſtänden bleibe nichts anderes übrig, als ebenfalls die Rati— 


) Herrmann, Geidichte des ruffifhen Staates, Ergänzungsband, 42. 
2) A. Sorel, II, 240. 
3) Preuß. St.⸗Archiv. Erlak an Jacobi von 28. Juli 1791. 


Frankreich und bie europäifchen Mächte. 427 


fifation aufzuſchieben und dazu eine Erklärung abzugeben, daß Defterreih dem 
Bündnis nicht eher beitreten werde, bis Preußen dem ärgerlihen Trugbündnifje 
mit der Pforte förmlich und feierlich entjagt haben werde.!) Zugleich richtete 
Kaunig an Biichoffswerder dringliche Mahnung, er möge doch fein fegensreiches 
Werk nit, faum daß es ins Leben getreten jei, zu Grunde gehen laſſen. 
„Ihr König hat nad meiner Anfiht durch ben Abſchluß des Bündniſſes eine 
große politiihe That vollbradht, aber, mein werter Freund, es bleibt ihm 
noch etwas jehr Wichtiges zu thun; er muß feinen Miniftern und allen jeinen 
Dienern innerhalb und außerhalb Preußens offen jagen: Der Kaifer ift jegt 
wirflih mein Bundesgenoſſe und mein perjönlicher Freund; folgerichtig habe ich 
in ein politiiches Syitem eingelenkt, das zu bem bisher verfolgten in allem den 
Gegenfaß bildet! Vergeſſen Sie das nicht und beachten Sie e8, wenn Sie mein 
Wohlgefallen erringen wollen, bei jedem Wort und bei jeder Handlung, denn 
dieje Gefinnung iſt heute die meine und muß demgemäß von allen meinen 
Dienern geteilt werden.” ?) 

Wenn jchon die preußifhe Antwort in Bezug auf den europätichen Verein 
troß der freundlichen Worte im Grunde als Ablehnung aufgefaßt werden mußte, °) 
jo wurde der Vorjchlag des Kaiſers in London noch bündiger zurückgewieſen. 
„ohne Einwilligung Englands,” ſchrieb Mercy (28. Juli) an Marie Antoinette, 
„läßt ſich nichts Wirkjames erreihen!” *) Um die wahren Abfichten des Kabinetts 
von St. James zu erforihen, ging der getreue Mentor der Tochter Maria Therefias 
jelbft nach London. Bald konnte er nicht mehr daran zweifeln, daß in England fein 
Menſch daran denke, zur Wiederaufrihtung des franzöfifhen Thrones den Degen zu 
ziehen. Weshalb gegen das englifche Intereſſe handeln, das doch nichts anderes 
als die Shwähung Frankreichs erheiihe? Wenn diejer Staat der Anardie an— 
beimfällt, wird er feine Kolonien nicht mehr behaupten fünnen, und San Domingo 
und andere Bejigungen werden wie überreife Früchte den Engländern in den 
Schoß fallen. Weshalb aljo die Neutralität aufgeben, wenn man baraus ben 
nämlichen Vorteil ziehen fann, wie aus einem glüdlichen Kriege? „Sie kennen 
die engliſche Geſchichte,“ fagte ein Mitglied des Herrenhaujes zu einem fremden 
Diplomaten, „ih frage Sie, ob Franfreih in der Zeit unferer Bürgerfriege 
jemals die Sache des Königtums bei uns unterftüßt hat?” Mercy verlieh London 
nach furzem Aufenthalt gänzlich entmutigt. Am Vorabend feiner Abreife fagte 
er zum franzöſiſchen Gejandten Barthelemy: „ch war immer der Meinung, 
daß England bei allen unglüdlihen Händeln Ihres Vaterlandes die Hand im 
Spiel hatte; heute bin ich mehr denn je von diejer traurigen Wahrheit über: 


1) Bivenot, I, 223. 

?) Ebenba, I, 229. 

3) „Jene (Aeußerung) Sr.königl. preuß. Majeftät jehe ich im Grunde als beifällig an, jedoch 
zeiget fich aus legteren und dürfte der erlauchten Beurteilung Euer Gnaben nicht entgehen, daß 
diefe zwar fehr günftigen Rüdäußerungen dasjenige noch nicht beftätigen, was einige Minifter 
diefes Hofes im Neiche behaupten, daß nämlich alles nur auf den Ef. Hof anlommt und man 
fönigl. preußifcherieitS dem biesfeitigen Beifpiel ganz unbedingt zu folgen bereit ſei.“ Kaunitz 
an ben Kurfürften von Mainz, 18. Augquft 1791. (Bivenot, I, 225.) 

J Arneth, Marie Antoinette, 186. 


428 Zweite Bud. Dritter Abſchnitt. 


zeugt; es ift mir zur Gewißheit geworden, daß England, wenn aud alle anderen 
Mächte zur MWiederaufrihtung Franfreihs ſich die Hände reihen wollten, fort: 
fahren wird, die Stüßen des franzöfiichen Thrones zu unterwühlen, um durch 
deſſen Zuſammenbruch für ſich felbft freie Bahn zur Weltherrichaft zu öffnen.” ') 
Wirklih gab König Georg dem Kaifer eine ausmweichende Antwort, ?) und feine 
Minifter lehnten aufs beftimmtefte jede Teilnahme am europäifhen Konzert ab. 
Durch engliſchen Einfluß wurde auch Spanien, dejien Monarch jchon feine Zus 
ftimmung erklärt hatte, wieder abjpenftig gemacht. Wie hätte Spanien mit 
feinen elenden Finanzen, feinem zerrütteten Heerweſen zu entichlojjener Vertei— 
digung der bourboniſchen Hausintereſſen den Mut finden follen! Leopold jelbft 
urteilte darüber: „Spanien ift durchaus nicht übel gefinnt, aber es kann bei 
feinen traurigen Verhältniffen ein für allemal nichts maden!”?) Gegen ben 
Willen oder doch ohne wohlmollende Unterjtüßung Englands fonnte Spanien 
fhon gar nit an Krieg denken, denn es hätte fih damit der Gefahr ausgejegt, 
feine Kolonien und damit feine ergiebigiten Einnahmen zu verlieren. Zwar 
wurde dem Grafen von Artois auf fein ftürmijches Andringen ein „Vorſchuß“ 
bewilligt, aber die an den Pyrenäen zufammengezogenen Truppen löften ſich 
bald wieder auf. „Dem König von Frankreich wird es nicht ſchwer fallen,” 
ſchrieb Karl IV. an Guſtav von Schweden (3. Auguft), „ſich durch Verleihung 
einer Konftitution mit feinem Bolfe wieder auszujöhnen!” *) 

Auch auf dem Throne von Neapel ſaß ein Bourbon, Ferdinand IV., ber 

Gemahl einer Schweiter Marie Antoinettens, Karoline. Es hatte eine Zeitlang 
den Anſchein, als jei wenigjtens von dieſer Seite eifrige Mitwirfung an allen 
Mabnahmen gegen das revolutionäre Frankreich zu erwarten. Um jo mehr über: 
raſchten in Wien die wenig tröftlihen mündlichen Erläuterungen des neapoli- 
tanifhen Gefandten zu der Zufage feines königlichen Herrn. Nicht beiler jah 
es mit der Mitwirkung Sarbiniens aus: in Bezug auf Beſchickung eines Kon: 
grejies ein lautes Ja, in Bezug auf Bereititelung von Truppen ein bürftig ver: 
hülltes Nein.) 
Spielmann mußte endlih dem preußiihen Gejandten das Gejtänbnis 
maden, dab an thatfräftige Mitwirkung der vom Kaijer aufgeforderten Mächte 
nicht zu denken ſei. Dann bürfe man aber auch, erklärte Jacobi, nicht leicht: 
fertig in Paris Lärm Schlagen, denn möglicherweije könnte die Nationalverfamm: 
lung, dur das Fiasfo der Pläne zu Gunften des Königs ermutigt, eine gegen 
die Würde der Mächte verftoßende Antwort geben. Der faijerlihe Diplomat 
mußte dies zugeben, aber, fuhr er fort, wozu brauchen wir die fremden Mächte? 
Schon die Ausföhnung zwiihen Preußen und Defterreih hat in Paris ftarfen 
Eindrud gemadt; wenn unfere beiden Höfe eine gemeinfame Erklärung abgeben, 
fo fann mit Sicherheit auf günftige Wirkung gerechnet werden! 

Eine friedlihe VBerftändigung ſchien um fo leichter möglih, da in Frank: 


!) Sorel, li, 287. 

2) Bivenot, I, 227. 

s) Feuillet, IV, 181. 

) Fersen, I, 153. 

®) Preuß. St.:Arhiv. Beriht Jacobis vom 10. Auguft 1791. 


Frankreich und bie europäifchen Mächte. 429 


reich jelbft jeit dem mißlungenen Fluchtverfuh eine neue Wendung eingetreten 
war. Nicht bloß das grimmige Geſchrei der Gafjenhelden unter den Fenftern 
ber Tuilerien, jondern mehr nod die Erwägung, dab aus längerem Widerftand 
nur ber verachtete Artois Nugen ziehen werde, hatte in der Königin den Ent: 
ſchluß gereift, ihrem Gatten die Annahme der Verfajlung zu empfehlen. Frei— 
li war fie von aufridtigem Anſchluß an das Werk der Revolution weit ent: 
fernt; fie madte einen Verſuch, die revolutionäre Gewalt, die fie zu breden 
nicht vermocht hatte und die ihr jegt in einem begabten, ehrerbietigen jungen 
Manne, wie Antoine Barnave, in minder abjchredender Form entgegentrat, ſich 
dienftbar zu machen; deshalb gab fie jih den Anſchein, als ſei fie zur konſti— 
tutionellen dee befehrt worden. „Wenigftens eine Zeitlang,” jchrieb fie an 
Mercy:Argenteau (31. Juli), „müſſen bie Leute im Glauben gelafjen werden, 
daß ich ihren Ratſchlägen folgen will.” Eine Zeitlang! Es war ihr alfo nur 
darum zu thun, Auffhub zu gewinnen, bis von ben befreundeten Höfen 
ausreichende Hülfe zu erlangen wäre; wirkliches Bertrauen zu den befehrten 
Safobinern, den Feuillans, hatte fie nicht, im Grunde des Herzens galten aud) 
fie ihr als eine vilaine race d’hommes.!) Daraus erklärt fih das Janus— 
antlig in ihren Briefen. In einem Briefe an ihren Bruder Leopold vom 
30. Juli gab fie der Genugthuung über den erjehnten „Abſchluß der Revolution” 
Ausdrud. „Heute find die Umſtände weit hoffnungsvoller. Gerade die Männer 
von größtem politiihen Einfluß find zufammengetreten und haben fi offen für 
Erhaltung der Monarhie und des Königs und für Wieberherftellung der Orbnung 
ausgeiproden. Seit ihrer Annäherung find die Bemühungen der Aufwiegler 
mit großer Kraftüberlegenheit niedergehalten worden, die Nationalverfammlung 
hat im ganzen Lande ein Anfehen und eine Feitigfeit gewonnen, die fie allem 
Anschein nah dazu benügen will, den Gejegen wieder Achtung zu ſchaffen und 
ber Revolution ein Enbe zu ſetzen!“ Doc dieje Freude war biftiert;*) wie bie 
Königin wirklich dachte, enthült ein Brief an Mercy vom nächſten Tage. „Ich 
würde mich erniedrigt fühlen,” ſchrieb fie an Mercy, „wenn ich nicht hoffen 
fönnte, daß mein Bruder begreifen wird, daß ich in meiner Lage gezwungen 
bin, alles zu thun und zu jchreiben, was man von mir fordert.“ ®) 

Doc) Leopold erfahte gern die Gelegenheit, ſich glimpflih aus dem Handel 
zu ziehen. In feiner Antwort äußerte er zwar Bedenken, ob von den Männern, 
die fich zur Miederaufrihtung des Thrones und zur Wieberherftellung der Orb: 
nung erbötig zeigten, loyale Erfüllung der Zuſage zu erwarten fei, und ftellte 
für den Fall, daß auch diesmal nur liftige Täufhung beabfichtigt wäre, das 
Einfchreiten der Fürften Europas in Ausficht, aber fein Mahnwort an die 
Schweſter lief im Grunde doch nur auf eine Wiederholung ber Forderungen 
ber Feuillans hinaus. „Will man in Franfreih dem Königtum wieder zu feftem 
Beitand verhelfen, jo muß der allerchriſtlichſte König freiwillig die Konftitution 


!) Zen, 260. 

2) Glagau, Die franzöfifche Legislation und der Urfprung ber Revolutionäfriege, 23, hat 
überzeugend nachgewieſen, daß der Brief vom 30. Juli 1791 von dem Triumvirat Barnave, 
Duport, Alerander Lameth ohne die Mitwirfung der Fraktion Lafayette abgefaht wurbe. 

2) Arneth, Marie Antoinette, 188, 193, 198. 


430 Zweites Bud. Dritter Abſchnitt. 


annehmen; es darf fein Zweifel beftehen über jeine vollfommene Willensfreiheit, 
und da man daran jo lange zweifeln fann, als feine Entiheidung widrigen 
Zwifhenfällen und Folgen ausgejegt it, To wird nur die Ausftattung ber Ver— 
faffung mit den Hauptmerfmalen einer monarchiſchen Regierung genügend bes 
ruhigen.” Wie ftolz diefe Worte auch klingen mochten, jo enthielten fie doch 
im Kern den Ratichlag, der König möge, um ſich mit feinen Unterthanen aus 
zuföhnen, die VBerfafliung annehmen. Am 7. Auguft fagte der Kaifer zum preußi: 
fhen Gejandten: „Nun, die Herren von der Nationalverjammlung find ja, wie 
es fcheint, von ihrer eriten Hige zurüdgefommen und wollen der Vernunft wieder 
Gehör geben; wenn fie in ſolcher Weije fortfahren, wird alles gejagt fein (tout 
sera dit), und unjere Maßnahmen werben zu ſpät fommen.”!) Bon biefer Auf: 
fafjung ließ fih der Kaifer weder dur das Drängen der Zarin zu offenem 
Bruche mit den gefährlichen Feinden des monardifhen Prinzips, noch durch die 
Kriegsluft König Guftavs abjpenftig machen, denn es war nicht ſchwer zu durch— 
Ihauen, daß es der Zarin nur darum zu thun war, die deutfhen Mächte im 
Welten zu befchäftigen, um in Polen freie Hand zu behalten, und der ungeftüme, 
lärmende Guftav, der immer Guſtav Adolf fpielen wollte, ohne Staat und Heer 
auf außergewöhnliche Anitrengungen vorbereitet zu haben, war für ben bedächtigen 
Leopold fein wünſchenswerter Bundesgenoffe. 

Es war aljo für den Kaifer eine peinliche Ueberraihung, als gerade in 
dem Augenblid, da er zur verabrebeten Zuſammenkunft mit dem Könige von 
Preußen nah Pillnig abreifen wollte, der Graf von Artois ohne Anfrage und 
Anmeldung in Wien eintraf. Weil angeblih in den Gafthäufern fein paſſendes 
Quartier zu finden war, flieg der Prinz bei dem fpanifchen Gejandten ab; er 
führte jih mit den Worten ein: „Ih muß zu Ihnen fommen, da Sie heute 
der einzige Gejandte des Bourboniſchen Hofes find!” Der franzöfiihe Gejanbte, 
Marquis von Noailles, wollte dem Prinzen feine Aufwartung maden, wurde aber 
nit angenommen. ?) Artois hoffte zuverfichtlih, mit feinen Vorftellungen und 
Wünſchen geneigtes Gehör zu finden, da Defterreih durch den Frieden von 
Siſtowa den läftigen Feind im Dften abgejchüttelt hatte und auch auf Preußen 
nicht mehr ängftlich zu bliden brauchte. „Jetzt ift nicht mehr zu bezweifeln,” 
ſchrieb Polignac nad dem Friedensfhluß an Ferien, „daß wir mit unferen auf 
MWiederherftellung der Ordnung gerichteten Wünſchen durchdringen werden.“ 

Was Artois und die Seinen unter „Wiederherftellung der Ordnung in 
Frankreich” verftanden, wird in einem Emigrantenbriefe aus Koblenz in folgende 
Punkte zufammengefaßt: Garantie der franzöfiihen Staatsfhulden und der 
Affignate, Neuberufung der Stände in alter Weife und Ordnung nad Amt: 
mannjhaften, Wiebereinjegung des Klerus in feine Güter mit Uebernahme ber 
darauf verjchriebenen Aſſignate, aber unbejchränfter Freiheit, die volljogenen 
Verkäufe zu beftätigen oder für nichtig zu erklären, Reduktion der allzu großen 
Pründen, Reform des Klofterwefens, gleiches Recht für alle zur Erlangung 
öffentlicher Aemter, Entwaffnung der Dorfihaften, Wiederherftelung des Adels, 


!) Preuß. St.:Archiv. Bericht Jacobi vom 10. Auguft 1791. 
2, Polit. Journal, Jahre. 1791, II, 1009, 1011. 


Deiterreih und Preußen. 43V 


jedoch ohne Wiedereinführung der Steuerfreiheit, Zufammenbleiben der Stände: 
verfammlung bis zu vollfommener Kräftigung des Staatsweſens, Anwendung 
firenger Gewalt gegen alle Widerfpenftigen. !) 

Die Ankunft des Grafen von Artois in Wien erregte allgemeines Auf: 
jehen, weil alle Welt glaubte, es handle fih um eine Berufung des Prinzen 
zu gemeinjamer Beſprechung eines Einfalls in Frankreich. Auch der preußiiche 
Gejandte war diejer Anjiht. In Wien herrſche, berichtete er am 20. Auguft, 
eine merkwürdig gehobene, friegeriihe Stimmung. Man fönne von faiferlichen 
Generälen hören, mit 40 oder 50000 Mann werde ein leichter Sieg über die 
disziplinlofen Armeen Franfreihs davonzutragen fein. Da Feldmarihall Lacy 
den Kaifer nah Pillnig begleiten werde, jei am Ernft der Lage nicht mehr zu 
zweifeln. Freilich, wie ſei mit dieſem friegeriihen Lärm die Thatſache zu 
vereinen, daß der Kaifer eine Minderung der Armee um 25000 Mann be: 
ſchloſſen habe? 

Auch im Berliner Kabinett wußte man nicht, was eigentlih von ber 
Haltung des Kaijers zu denken fei. Einerjeits habe er erklärt, die ganze Sache 
jei abgethban, wenn der König von Franfreid die Verfaſſung annähme, und an 
biefer Wendung fei wohl nicht mehr zu zweifeln, — andererjeits habe man 
fihere Kunde, daß der Kaijer mit Kurfürft Karl Theodor wegen des Durch— 
marſches von 40 000 Mann durch pfalzbairiiches Gebiet in Unterhandlung ftehe. ?) 

Sjacobi wurde demgemäß angemwiejen, von Cobenzl ein Wort der Aufklärung 
zu erbitten, das er „angefichts der freundichaftlihen Beziehungen ber beiden 
Höfe wohl beanſpruchen könne”; vor allem möge eröffnet werden, was das Er: 
fcheinen des Grafen von Artois in Wien zu bedeuten habe? Cobenzl erwiberte, 
zu jeinem Bedauern ſei er nicht imftande, diefe Frage zu beantworten; er 
fünne nur verfihern, daß man von faijerlicher Seite dem preußifchen Hofe ge- 
wiß nichts vorenthalten werde, was für ihn von Intereſſe jein könnte. Auch 
die Mipftimmung, melde Fürft Kaunik jeit der Ankunft des Prinzen in Wien 
an den Tag legte, wußte Jacobi nicht zu deuten, bis er erfuhr, der Kanzler ſei 
eiferfüchtig auf Herren von Spielmann, der allein zur Unterrevung des Kaijers 
mit dem Prinzen beigezogen worben jei und deshalb als der „kommende Mann“ 
angejehen werde. Aeußerlich verfehre Kaunig mit den Emigranten in verbind- 
lihfter Weife, aber in vertrautem Kreiſe gebe er dem Unmut über die Leicht: 
fertigfeit und Unzuverläfligfeit der Franzoſen häufig draftiihen Ausdruck. Das 
gegen werde erzählt, daß ber Kaiſer vor Artois beteuert habe, wenn es von ihm 
abhinge, würde er die Miflethäter in Paris für ihr Verhalten gegen den allerchriſt— 
lichſten König aufs ftrengite züchtigen.) Von den Franzoſen werde denn aud) 
eine triumpbierende Miene zur Schau getragen; alles deute darauf hin, daß der 
franzöfiihe Handel in den Vordergrund der kaiſerlichen Politif gerüdt jei, daß 
der Entichluß beranreife, zu Thaten überzugehen. Freilich dränge ſich immer 
wieder die Frage auf: Wie verträgt fi mit diefem Säbelklirren die Verminde: 
rung der faiferlihen Streitkräfte? — 

!) Bolit. Journal, 932. 

) Preuß. St.:Arhiv. Erlaß an Jacobi vom 25. Auguft 1791. 

») Ebenda. Berichte Jacobis vom 23., 24., 27., 29. Auguft 1791. 


432 Zweites Bud. Dritter Abſchnitt. 


In Wahrheit hatte aber Artois feine Veranlaſſung zu fiegesfrohem Auf: 
treten; er fand am failerlihen Hofe, wo er durch den jpanijchen Botichafter 
eingeführt worden mwar,!) nicht die günftige Aufnahme, wie er fie erhofft hatte. 
Leopold war ungehalten über das aufdringliche Gebaren bes ungeladenen Gaftes. 
„sh mußte meine Abreife nad) Böhmen um zwei Tage verſchieben,“ ſchrieb er 
an Marie Chriftine, „da plöglih und unverfehens der Graf von Artois hier er: 
ſchien. Er verlangt Truppen, um in Frankreich einzurüden, und will als Regent, 
als Monfieur anerfannt werden. Er fommt aud nah Dresden und Pillnig, 
aber ich weiß nicht, was er dort will, denn jo ſchnell, wie er meint, werden bie 
Saden nicht gehen.” ?) Auch Kaunig und Gobenzl vertraten die Anfiht, man 
dürfe nicht den Glauben aufkommen laflen, als ob ſich das kaiſerliche Kabinett 
ins Schlepptau der Emigrantenpolitit habe nehmen laſſen. Einmal fam es in 
ber Hofburg zu einer peinlihen Auseinanderjegung. Als Artois daran erinnerte, 
der Kaifer habe doch jeinerzeit in Italien bewaffnetes Einjchreiten der Mächte 
in Ausficht geitellt, erwiderte Leopold Fühl, die Lage habe fich eben jeither von 
Grund aus verändert. Es habe fich gezeigt, daß auf die Mitwirkung der Mächte 
nit zu zählen fei, und wenn er damals Waffenhülfe in Ausficht geitellt habe, 
fo müſſe er heute das Verſprechen zurücdnehmen. Nun fpielte Artois eine Karte 
aus, deren Einlöfung gar nit in feiner Macht ftand; er bot ala Lohn für bie 
Mitwirtung an der Gegenrevolution die Abtretung Lothringens an.) Doc 
auch diefe Verjuhung ließ den Kaifer fühl; er ging auf die heikle Sadhe gar 
nit ein. Artois mußte fich endlich auf die Bitte beſchränken, der Zufammen: 
funft in Pillnig beimohnen zu dürfen. Das wolle er nicht hindern, antwortete 
Zeopold, doch der Prinz möge fih nur ja nicht der Hoffnung hingeben, eine 
Aenderung des Syſtems zu erzielen. 

Während die beiden Monarchen fi ſchon zur Reife nah Sachſen an: 
I&hidten, dauerten die Reibungen zwiichen den öfterreichifchen und den preußifchen 
Diplomaten fort. In Berlin ſah man mißtrauifch auf die Anftrengungen bes 
Fürften Kaunis, in das neue Bündnis auch Rußland hereinzuziehen.*) Am 
24. Auguft, alfo am Borabend der Pillniger Zuſammenkunft, erging eine für 
den Argwohn und die Eiferfuht des Berliner Kabinetts bezeichnende Note an 
Jacobi: „Die Erklärung des Grafen Eobenzl, daß fi Seine Kaiſerliche Maje: 
ftät über die franzöfifche Angelegenheit nicht ausiprehen könne, ehe nicht die 
erwarteten Antworten ber übrigen Höfe einliefen, ift ſchwer zu vereinen mit dem 
Wunſche dieſes Monarchen, es möchte derjenige preußifche General, der im Falle 


’) Polit. Journal I, 1009. 

2) Wolf, Leopold II. und Marie Chriftine, 252. 

’) Das Anerbieten fam auch zur Kenntnis bes preußiſchen Gefandten. „In ben Unter: 
rebungen ber emigrierten Franzoſen mit den Miniftern,“ berichtete Jacobi am 24. Auguft, „ift 
aud von Lothringen die Rede gemwefen, aber nur in unbeftimmten Ausdrücken.“ Das preußiſche 
Minifterium wies ihn darauf an: „Die Nahricht von ber Abtretung Lothringens zum Erſatz 
für bie Kriegäfoften, wovon ihon in ber Unterredung zwiichen dem Kaiſer und dem Grafen 
von Artois die Sprache geweſen fein fol, ift von der höchſten Wichtigkeit und verbient mit 
äußerfter Aufmerkſamleit verfolgt zu werben.“ 

) Preuß. St.:Arhiv. Bericht Jacobis vom 17. Auguft 1791. 


Die Zufammentunft Zeopolds II. und Friedrih Wilhelms II. in Pillnik. 433 


des Bruches die gegen Frankreich beitimmten Truppen befehligen würbe, zur 
Zufammenkunft in Pillnig mitgenommen werden, damit er jih mit Marſchall 
Lacy, den ber Kaiſer zu diefem Behuf mitbringen werde, ins Benehmen feßen 
fönne . . . Sie werden aljo zwar den jreunbichaftliden Weg, den wir gegen: 
über dem faijerlihen Kabinett eingeſchlagen haben, nicht verlaffen, doch die 
Augen offen halten, damit Ihnen nichts entgehe, was fi dort abjpielt.“ ') 

Am 25. Auguft — e8 war gewiß fein Zufall, daß der Tag des heiligen 
Zubwig gewählt wurde, — trafen Leopold, von Erzherzog Franz, Marſchall Lacy 
und Herrn von Spielmann begleitet, und bald nad ihm Friedrich Wilhelm, in 
deſſen Gefolge fi Prinz Hohenlohe, Biichoffswerder und Manftein befanden, auf 
Schloß Pillnig ein. Am nächſten Tage fam der Graf von Artois mit den hervor: 
ragendſten Vertretern des franzöfiichen Hochadels und Herrn Nafjau:Siegen, einem 
Agenten der Zarin; Artois hatte ſich in Dresden einquartiert, blieb jedoch, der 
Einladung des Kurfürften Folge leiftend, die nächſte Naht in Pillnig. Mit 
dem Empfange fonnte der Franzoſe zufrieden fein, denn die Monarchen zeichneten 
ihn auf ehrenvolle Weife aus; an der Tafel, im Theater, bei Feuerwerk und 
Nahtmayl war er an ihrer Seite, während Galonne von Spielmann und 
Bilhoffswerder in die Mitte genommen wurde. Es hatte den Anjcein, als 
gehe die Aufmerkſamkeit, welche fih die hohen Gäfte des Kurfürften von Sachſen 
gegenfeitig widmeten, über das Maß der Hoflitte hinaus, als werde ein Freund: 
Ichaftsbund der Fürſten das Verſöhnungswerk der Diplomaten frönen. 

Wie wenig ernft aber die in Pillnig ausgetaufchten, jchmeichelhaften Ber: 
fiherungen gemeint waren, bemeift der gehäjfige Bericht, den Staatsreferendär 
Spielmann über die dortigen Vorgänge dem Fürſten Kaunig erftattete.) Bon 
Friedrih Wilhelm II. und feinem Sohne werden fehr ungünftige Portraits ent: 
worfen. „Der König ift eine ungeheure Fleiſchmaſchine. Er ſpricht ſehr ſchlecht, 
nie in einem Zufammenhang, immer in halb abgebrocdhenen, kurzen Säßen. Er 
zeigt handgreiflich einen großen Mangel an Kenntnis der Geſchäfte. Ich glaube 
gewiß nicht im geringiten zu irren, wenn ich positive verfichere, daß er der Mann 
ganz und gar nicht ift, der je aus eigener Determination gehandelt hat und 
fünftighin handeln wird. Sichtbar hänget alles bei ihm von ber Impulſion 
ab, die er von diefem oder jenem Ratgeber erhält, und die gute oder üble Eigen- 
ſchaft des Natgebers fließt auf ihn entjcheidend ein.” „Des Kronprinzen Aeußer: 
liches ift nichts weniger als günftig für ihn. Er fieht jo ziemlich einem ‘Feld: 
mweibel gleih. Graf Hartig behauptet, eine vertraulihe Aeußerung des Grafen 
Brühl, Gouverneurs des Kronprinzen, in fihere Erfahrung gebracht zu haben, 
nad) welcher Aeußerung diefer Prinz alle üblen Eigenfchaften des verftorbenen 
Königs in vollem Maße haben joll, ohne eine einzige der guten nur im geringften 
zu befigen.“ ®) 


!) Preuf. Ste⸗Archiv. Erlaß an Jacobi vom 24. Auguft 1791. 

2) Nivenot, I, 236. 

2) Kaunig iprad in feiner Antwort Dank dafür aus, daß ihn Spielmann mit den 
„Alteurs der Pillniger Schaubühne” bekannt gemacht habe, und Mnüpft baran die Bemerkung: 
„Es ift zu bedauern, dab die Berliner Aſpelte auch fchon für bermal und noch viel mehr für 
die Zufunft nicht viel Gutes verſprechen.“ (Bivenot 1, 241.) 

Heigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Friedricht d. Gr. biß zur Auflöfung des deutſchen Reichs, 28 


434 Zweites Bud. Dritter Abfchnitt. 


Spielmann ſpricht die Vermutung aus, daß ohne die Ankunft des Grafen 
von Artois allem Anſchein nah überhaupt gar fein „ſpezifiques Geihäft” auf 
das Tapet gefommen wäre, „welches meines Erachtens nur deſto bejjer gemwefen 
wäre”. „Allein jobald Artois in Pillnig angelommen war, brachte jomohl er, 
ale Mr. Calonne mit einer Dreiftigfeit und Zudringlichkeit ohne Beifpiel alles 
bergeftalt in Bewegung, dab fih endlich Seine Majeität der Kaiſer und ber 
König bewegen ließen, jene Deklaration, die in dem Schreiben Seiner Majeftät 
enthalten ift, zu unterzeichnen.” „Mit entjegliher Hartnädigkeit,” wie auch 
Leopold jeinem Kanzler Elagte,!) entwidelte Artois in zehn Artikeln eine Art 
Syftem, auf welche Weije das Revolutionswerk umgeſtoßen und dem legitimen 
Recht zum Sieg verholfen werden fünnte.?) Die Brüder des gefangenen Königs 
und die übrigen Mitglieder des Königshaufes jollten an die franzöfiihe Nation 
ein Manifeft richten, worin gegen bie rechtswidrigen Uebergriffe der National: 
verfammlung, wie gegen bie erzmungene Zuftimmung bes Königs Verwahrung 
eingelegt wäre; der ältere Bruder, Monſieur, ſollte an Stelle des in feiner 
freien Beitimmung gehinderten Königs als Regent auftreten und der franzöſiſchen 
Nation das bewaffnete Einfchreiten Europas anfündigen; der Kaijer jollte ihn 
als Vertreter des Königs dadurch anerkennen, daß er die Klagen der um ihren 
eljäffiihen Befig beraubten deutſchen Fürften vor den Richterftuhl des Prinzen 
brädte; Preußen und Sardinien follten Truppen an die franzöfifhe Grenze vor: 
fchieben, die Einwohner von Paris, insbefondere die Umftürzler in der National: 
verjammlung und ihre Helfershelfer jollten mit ihren Köpfen für die Sicherheit 
der königlichen Familie verantwortlich gemacht werden; den franzöfifchen Offizieren 
und Soldaten follte unverwehrt bleiben, fich in den deutfchen Staaten an der Grenze 
zu fammeln und zu formieren; zur Beftreitung der mit diefen Vorbereitungen zum 
Kriege verbundenen Ausgaben jollte der Regent eine Anleihe von 10—12 Millionen 
eröffnen, wofür auch in Deutſchland Zeihnungen geftattet wären. 


Dieje weitreichenden Forderungen, deren Annahme mit einer Kriegserflärung 
an Frankreich gleihbedeutend gewejen wäre und zugleid eine Art Abſetzung des 
Königs durch Europa bedeutet hätte, wurden von Leopold mit unverhohlener Ent: 
rüftung aufgenommen. Herr von Spielmann, der eben nod jo freundichaftliche 
Miene gezeigt hatte, erklärte Herrn von Calonne, er jei zu dienftlihem Verkehr 
mit ihm überhaupt nicht ermächtigt. Zuvorfommender waren die preußiichen 
Dffiziere und Diplomaten; auf Friedrih Wilhelm hatten die ftürmijchen Bitten 
des Prinzen ftarfen Eindrud gemacht, doch mußte Leopold ihn wieder umzu— 
ftimmen, jo daß die beiden Souveräne fih zu einer gemeinfamen Antwort 
einigten, die nur als Ablehnung der Emigrantenwünjdhe aufgefaßt werben 
fonnte.?) Die Aufftellung eines Regenten, war darin erklärt, würde ebenfo gegen 
Recht und Billigkeit, wie gegen die einfadhiten Gebote der Staatsflugheit ver: 
ftoßen. König Ludwig jei über den Plan einer Intervention Europas unter: 


!) Beer, Kaunitz, 424. 

) Points & fixer prealablement aux grandes opérations, 20 acht 1791; Bivenot, I, 231. 

?) Communication verbale des Haifers als Antwort auf die vom Grafen v. Artois 
überfandten Points a fixer; Bivenot, I, 233. 


Die Zufammenfunft Leopolds IT. und Friedrich Wilhelms 11. in Pillnig. 435 


richtet und werde im Vertrauen auf dieje Hülfe die Kraft finden, auch unter 
ſchwierigen Berhältniffen die Würde feines Thrones zu wahren. Die Rechte der 
im Elfaß begüterten Fürften werde der Kaijer zu jchügen miffen, ohne daß die 
Anerkennung oder ber Beiftand eines Regenten vonnöten wäre. Ein voreilig 
von den Emigranten erlaſſenes Manifeft würde ebenfo jchädlich wirken, wie ein 
Vorſtoß einer vereinzelten Truppenabteilung. Die franzöfiihen Flüchtlinge follten 
in den deutſchen Staaten, wo fie ein Aſyl gefunden hätten, ruhig und friebfertig 
wohnen; zu Nüftungen und friegeriihen Maßnahmen fönne ihnen vor Abſchluß 
des europäifchen Konzerts feine Erlaubnis gewährt werben. 

Mit diefer wenig zuvorfommenden Antwort wollten fich jedoch die fran- 
zöſiſchen Gäfte nicht abfertigen laſſen; fie fuhren fort, die Minifter mit Bor: 
ftellungen und Forderungen zu beftürmen. Spielmann klagt, er habe ſich der 
beijpiellofen Unverfhämtheit und Zudringlichfeit (une effronterie et une impor- 
tunite sans exemple) des Grafen von Nrtois und des Herrn von Galonne gar 
nicht erwehren fönnen. Auch auf den König von Preußen und auf Bilchoffs- 
werder machten bie Selbftüberhebung des Prinzen und die Leichtfertigkeit Calonnes 
erfältenden Eindrud. Ansbejondere am Manifeft wollten Artois und jeine Leute 
unter allen Umftänden feitgehalten willen; fie bebrängten Leopold jo lange, bis 
er endlih Herrn von Spielmann beauftragte, eine Erklärung auszuarbeiten, 
welche in allgemeinen Ausdrüden die Drohung einer europätichen Intervention 
enthielte, alſo mwenigftens einem Wunſche des Prinzen entiprädhe, ohne den 
weiter reichenden Forderungen Rechnung zu tragen; die unmilllommenen Gäfte 
jollten gewiffermaßen mit einem Kompliment und einer feinen Gabe abgejpeift 
werben. Leopold erklärte fih auch mit dem Entwurfe Spielmanns einverftanden, 
weil darin, wie er an Kaunitz jchrieb, „alles vorgefehen fei, um einen Mißbrauch, 
wie ihn der Graf von Artois beabfichtigen fünnte, unmöglihd zu maden”.!) 
Die Befreiung des Königs von Franfreih und die Wiederherftellung einer 
monarchiſchen Regierung auf eine den Rechten des Fürften, wie der Wohlfahrt 
der Nation entjprechende Weije werben als eine für alle europäifchen Souveräne 
wichtige Angelegenheit bezeichnet, und die beiden Eouveräne ſprechen die Hoff: 
nung aus, daß das gemeinfame Intereſſe von allen Mächten werde anerkannt 
werden. „Alsdann und in diefem Fall (alors et dans ce cas) find die beiden 
Majeftäten bereit, in wechjeljeitigem Einvernehmen die erforderlichen Streitkräfte 
aufzubieten, um das gemeinfame Ziel zu erreihen. Bis dahin (en attendant) 
werben fie ihren Truppen Befehl geben, fich bereit zu halten.” *) Indem aljo 


') Beer, 425. 

) Die „Döclaration signde en commun par S. M. l’Empereur et S. M. le Roi de 
Prusse ä Pillnitz le 27 aoüt 1791* ift nad) dem Abprud in den Nouvelles extraordinaires, 
1791, 77 und im Hamburger Korreipondenten, Jahrg. 1791, 153, aufgenommen in Martens, 
Recueil des traites (II. edit., Gottingue 1826) V, 260, und in Naumann, Recueil des 
traitös et conventions conclus par l’Autriche (Lips. 1855), I, 468. Ein Originalbofument 
befindet fich weder im k. geh. Staatsarchiv zu Berlin, noch im k. k. Haus-, Hofr und Staats: 
archiv zu Wien. Jenes befigt nur einige gleichzeitige Abjchriften, darunter eine von der Hand 
bes Freiberen von Jacobi Klöft, und eine andere, vom Kabinettsarchivar Klapro:h der Gazette 
de Leide entnommen; in Wien find verwahrt ein Entwurf der Deflaration mit Einfchaltungen 


436 Zweites Bud. Dritter Abſchnitt. 


das Einſchreiten gegen die revolutionären Mächte von der Zuftimmung aller 
europäiihen Mächte abhängig gemacht wurde, war der ganzen Erklärung bie 
Spitze abgebroden; dem kaiſerlichen Kabinett war ja befannt, daß England fi 
auf feinen Fall zur Mitwirkung verpflichten werde. Die Erklärung follte nur 
ein Schredihuß jein, um die Anhänger der Volksherrſchaft in Franfreih zu 
glimpfliherem Auftreten gegen die föniglihe Familie zu bewegen. 

Am 27. Auguft traten Calonne, Spielmann und Biſchoffswerder zur ent: 
ſcheidenden Sitzung zuſammen. Galonne erklärte, daß jeinen Gebietern mit ber 
von Spielmann beantragten, verſchwommenen Erklärung nicht geholfen fei, und 
fuchte nochmals durch eifrige Vorftelungen eine günftigere Faſſung zu erreichen. 
Als er immer auf neue Einwände ftieh, verlor er, wie Leopold jeinem Kanzler 
erzählte, alle Belinnung. „Wenn man ihm widerſprach, ſagte er: ‚Ab, es 
fommt mir eine neue bee!‘ doch es war eine neue Thorheit!” Beſonders bie 
Rüftungsfrage gab Anlak zu erregten Neben. Galonne wollte um jeden Preis 
den Monarchen die Verpflichtung aufbürbden, ihre Truppen mobil zu machen und 
einen Winterfeldzug zu unternehmen, allein er vermodte den Wiberftanb ber 
beutihen Kollegen nicht zu brechen: der Entwurf Spielmanns mit allen feinen 
Vorbehalten und Einihränfungen wurde angenommen und unterzeichnet. 

Ohne Zweifel fam auch die polnische Frage in Pillnig zur Sprade, ohne 
daß jedoch eine Entſcheidung herbeigeführt wurde. Kurfürft Friedrich Auguft, 


und Berbefferungen und eine vermutlich gleichzeitige Abfchrift, und eine dem Schreiben bes 
Kaiferd an Kaunitz d. d. Prague 29(!!) aohıt 1791 (veröffentliht von N, Beer in Sybels 
Hiftor. Zeitichr., 27. Bd., 25) beiliegende Abſchrift. Alle dieſe handſchriftlichen Exemplare ftimmen 
ſowohl untereinander, als mit dem Abdrud bei Martens bis auf wenige, unerhebliche Ab: 
meihungen überein. Martens (V, 261) reiht der Deklaration 6 den Nouvelles extraordinaires, 
1791, 80 und ber Collection of state papers, 43 entnommene „Articles secrets ajoutes à Ja 
prec&dente declaration* an. (Die verbündeten Mächte werden Mabregeln treffen, um bie mit 
Frankreich beftehenden Verträge aufrecht zu erhalten; bie beiden Mächte werden den Peteröburger 
Hof für die polnische Thronfolge des Kurfürften von Sachſen zu gewinnen ſuchen; die beiben 
Mächte behalten fid, das Recht vor, einige von ihren gegenwärtigen oder künftigen Befigungen 
nad gegenfeitigem Einvernehmen zu vertaufchen; die beiden Mächte werben, jobald es das Ber: 
hältnis zu anderen fremden Staaten zuläßt, fi über eine Verminderung ihrer Armeen zu 
einigen fuchen; der König von Preußen verjpricht dem Erzherzog Franz feine Kurftiimme und 
wird fi der Aufitellung eines Nadjfolgers in der Perfon des einen oder anderen Erzherzogs 
nicht widerjegen; zum Entgelt dafür wird fid) der Kaifer bei ber Republil Polen für Abtretung 
von Thorn und Danzig verwenden, während der Kaifer erwartet, daß Preußen bei England und 
den Generalftaaten eine Abänderung der Haager Konvention in Bezug auf Belgien erwirken 
wird.) Der Herausgeber bemerkt dazu: „Diefe Artikel find von den vertragichließenden Mädten 
weber jemald anerfannt, noch veröffentlicht worden; man fann alſo biejelben keineswegs für 
authentiſch ausgeben,” und verweift auf die im Rundſchreiben des Königs von Preußen vom 
6. Dezember 1791 und im Rundſchreiben des Kaiſers vom 2. Dezember 1791 enthaltenen Wiber: 
fprüche mit dem Inhalt der geheimen Artikel. Die Thatſache, daß diefe Artikel in fämtlichen 
oben genannten Handichriften fehlen, benimmt wohl aud den legten Zweifel, daß man es nur 
mit einer Fälfhung zu thun habe. Zwar find in zwei handichriftlihen Eremplaren, welche aus 
dem gräflich Dietrichfteinihen Archive an das Wiener Haus:, Hof: und Staatdardiv gelangten, 
auch die Articles secrets angefügt, aber jchon aus dem Umftande, daß darin verjchiedene Ab- 
weichungen und Berbefferungen des Textes ſich finden, ift zu folgern, daß es jüngere Abjchriften 
find, die neben jenen gleichzeitigen mit offiziellem Charakter nicht in Betracht fommen können. 


Die Pillnitzer Deklaration. 437 


der immer nur „in jehr beftimmten und zugleih mit der größten Behutiamteit 
abgemefjenen Ausdrüdungen” jprad und auf Spielmann den Eindrud eines 
„Sehr wohl inftruierten, edel und rechtſchaffen denkenden Herrn” machte, zeigte 
fih fehr dankbar für die Bereitwilligkeit der beiden Nachbarmächte, ihm zur Er: 
langung der polnijchen Krone behülflih zu fein, machte aber feine Einwilligung 
von unbedingter Zuftimmung Ruflands und von Nenderungen der polnijchen 
Berfaflung in monardiihem Sinne abhängig; aud wollte er die Thronfolge 
nicht bloß auf den künftigen Gemahl jeiner Tochter, ſondern aud auf jeine 
Brüder und alle fünftigen Kurfürften von Sachſen ausgedehnt willen. Neben: 
ber wurden zwiſchen Spielmann und dem „jehr gelehrten und vorzüglich ge: 
ſchickten“ ſächſiſchen Kabinettsminiſter von Gutihmid freundlihe „propos* in 
Bezug auf eine Vermählung der kurfürſtlichen Erbtochter mit Erzherzog Karl 
ausgetauscht.) Daß die beiden Monarden in einem geheimen Nadhtragsartikel 
zur Verwendung bei dem Hofe von St. Petersburg ſich verpflichtet hätten, iſt 
nicht richtig.) Auch am 10. September gab Friedrich Auguft, von den polnijchen 
Ständen zur Entſcheidung gedrängt, nur eine ausmweichende Antwort; die Sache 
ſei zu widtig, als daß fie fich übers Knie abbrechen lafje, der Kurfürft müſſe 
erft genauer die Beftimmungen der neuen Verfaſſung ftubieren. Auf erneutes 
Andringen des Warſchauer Reichstages genehmigte der Kurfürft nur den Zus 
fammentritt polniſcher und jähfijcher Vertrauensmänner in Dresden zu Beratung 
verjchiedener ftaatsrechtliher Beitimmungen. °) 

Die Pillniger Erklärung vom 27. Auguft 1791 hatte eine weder vom 
Verfaſſer noch von den Souveränen beabjichtigte Wirkung. Wie Kaiſer Leopold 
über das Schriftftüd dachte, erhellt aus ben Worten, die er noch am Abend 
nah der legten Sigung an Kaunig richtete. Der Kanzler möge feine Angjt 
haben, fein Herr babe ſich auf nichts eingelaffen, was ihm die Hände binden 
fönnte. Der bypothetiiche Charakter der verabrebeten Erklärung lafje nichts übrig 
als den Schein einer BVerpflihtung. „Die Worte: ‚alsdann und in diejem 
Fall’ (d. h. wenn alle zur Mitwirkung eingeladenen Mächte fich bereitwillig 
zeigen würden) find für mic) das Gejeg und die Propheten; wenn England uns 
im Stiche läßt, hat ‚diefer Fall‘ für mich zu eriftieren aufgehört.” *) 

Als Leopold von Pillnig nah Prag reifte, begleiteten ihn der Kronprinz 
von Preußen, der Prinz von Hohenlohe und Graf Ferſen; aud der Marquis 
von Bouills und der Herzog von Polignac gingen mit, um immer bei ber Hand 
zu jein, wenn fich Gelegenheit böte, für das Programm der Prinzen Stimmung 
zu maden. Als aber Bouille bei Marihall Lacy nur leiſe anpochte, wurde er 
ichroff zurüdgemiejen. Zu ſolchen Beiprehungen habe er gar feine Vollmacht, 
erwiberte Lacy, aber jo viel könne er verfihern, daß fi der Kaifer niemals 
in leichtfertiger Weile auf einen Krieg einlajen werde, deſſen Ausgang an: 
gelichts der reihen Hülfsquellen Frankreichs und der Unangreifbarkeit der fran- 


) Bivenot, |, 240. 

2) Bgl. S. 436, Anmerkung. 
») Bolit. Journ., IT, 1165. 
4) Beer, 425. 


438 Zweites Buch. Dritter Abſchnitt. 


zöfiichen Grenzen fi nicht vorausjehen laſſe.) Nicht minder deutlich gab 
Leopold jelbjt zu erkennen, daß er nicht daran benfe, einen Krieg vom Zaune 
zu breden. Prinz Hohenlohe fand ſogleich bei der erſten Aubienz, „daß ber 
Kaijer zu einer thätigen Hülfsleiftung für ben König von Frankreich wenig ge: 
neigt fei, doch aber das Gegenteil gern glauben maden möchte, fein Zaubern 
ganz geſchickt zu entjchuldigen wilfe und die Schuld auf die Emigranten werfe, 
die er durch eine Menge Anekdoten lächerlich zu mahen und gegen die er auch 
jeine, des Erbprinzen Abneigung zu weden ſuche“.“) Hobenlohe erklärte, fein 
föniglicher Herr hege die Abfiht, etwas zu thun, um der immer weitere Kreife 
ergreifenden demofratiihen Gefinnung entgegenzuwirfen, und gab den Wunſch 
zu erkennen, mit Bouille und einem faiferlihen General für den Krieg bas 
Nötige zu verabreden, allein „dies wurde elubiert”. Da Hohenlohe fi nicht 
verhehlen konnte, daß auf diefem Wege nichts zu erreichen ſei, vermied er fortan 
„mit Affektation”, vom Kriege zu ſprechen. Nur bei Erzherzog Franz und einigen 
wenigen faiferlihen Räten, welche ſowohl mit der preußifhen Allianz, als mit 
bem Kriegsplane einverftanden waren, fand er freundlihe Aufnahme, obwohl 
auch diefe ihm das Geftändnis madten, „daß man in Wien an ben blauen 
Rod noch nicht gewöhnt jei”. Dem Grafen Ferfen, der wegen der Landung 
ſchwediſcher Truppen einen Vertrag fließen follte, war eine ähnliche Erfahrung 
beſchieden. Es wurde ihm ’eröffnet, der Kaiſer werde jeine Zuftimmung geben, 
wolle aber vorher die Ankunft eines Kuriers aus Petersburg abwarten. Ferien 
blieb aljo in Prag, allein es fam fein Kurier, und fomit wurde auch fein Ver: 
trag mit Schweden abgeſchloſſen. Auch die militärischen Vorbereitungen waren 
nur auf den Schein berechnet; es hieß zwar, daß einige Regimenter Befehl 
erhalten hätten, nach Vorderöſterreich aufzubrechen, boch hörte man nichts von 
Verträgen wegen des Durchmarſches durch den bairischen Kreis. 

Die faiferlihen und die preußiſchen Diplomaten Hatten im Verlauf von 
wenigen Wochen ihre Rollen völlig vertaufht. Während auf preußifcher Seite 
die Luft zu bewaffnetem Cinfchreiten gewachſen war, zeigte man fih am kaiſer— 
lihen Hofe weniger geneigt, denn je. Am 29. Auguft erklärte Kaunig dem 
preußiichen Gejandten, der Gedanke, ein europäifches Konzert zu ftande zu bringen, 
müffe endgültig aufgegeben werben. Nicht einmal auf Spaniens Beitritt ſei 
mehr zu hoffen; zwar fei der König ober, was dasjelbe bedeute, Graf Florida 
Blanco gar zornig über die Frechheiten der Parifer Nationalverfammlung, allein: 
„dal detto al fatto € un gran tratto!* „Wenn König Ludwig, woran faum 
noch zu zweifeln ift, fih zur förmlihen Annahme der Verfaſſung entſchließt, ift 
alles zu Ende!” Die nämlihen Worte vernahm Jacobi einige Tage jpäter aus 
dem eigenen Munde des Kaijers. Als der Gefandte in Prag den Glückwunſch 
feines Herrn zur Krönung überbradhte, ließ fi) Leopold mit ihm in ein längeres 
Geſpräch über die europäiihe Lage ein, das mit den Worten ſchloß: „Wenn 


!) Bouille, Memoires (1801), 296. 
®) Häuffer, I, 301, nad) einem handſchriftlichen Schreiben des Erbprinzen von Hohenlohe 
an Friedrih Wilhelm IL, d. d. Brag 17. Sept. 1791. 


Die Pillnitzer Deklaration. 439 


der König von Frankreich die Konftitution annimmt, ift alles zu Ende! Die 
Sadıe ift dann abgemadt!” ') 

Eo verhielt es fih mit Wert und Bedeutung der vielgenannten Pillniger 
Erflärung. Als eine „erhabene Komödie” wollte fie Mallet du Pan angejehen 
wiſſen.“) Ernfthafte Politiker konnten darüber nicht im unklaren fein, daß 
der Kaifer durhaus nicht heißes Verlangen trage, den eben erjt teuer erfauften 
Frieden wieder zu opfern. Allein es gab zwei Klaffen Perfonen, die ein inter: 
eſſe daran hatten, den Sinn der Akte vom 27. Auguft zu entitellen: die Führer 
der Revolution, um daraus nachzuweiſen, daß der König verräterifche Verbin: 
dung mit dem Ausland unterhalte, und die Emigranten, um Freund und Feind 
an ein Bündnis Europas zu Gunften der legitimen Sache glauben zu maden. 
Auch damit wirkten die Emigranten nur zum Sturze des Königtums; fie waren 
nur Werkzeuge der Umiturzpartei. „Die Emigranten,” jchreibt der königstreue 
Herausgeber des Journal politique, Antoine NRivarol, „haben bis jetzt, ohne es 
zu willen, der Nationalverfammlung zu Entſchloſſenheit und Thatfraft verholfen; 
dur die von ihnen erregte Furcht verfnüpfen fie alle franzöfifchen Herzen und 
Geifter mit der gefeßgebenden Verfammlung.” ?) Nichts hätte den Hof ſchlimmer 
bloßftellen können, als der Brief, wodurch Monfieur und der Graf von Artois 
dem Bublitum die Erklärung vom 27. Auguft mitteilten. Zu den Schreden, 
welche dem Bürgerftande ſchon der Gedanke an eine Wiederherftellung des alten 
Regiments einflößte, fam nun noch die Furt vor einem feindlichen Einfall, 
und die Abneigung dieſer Kreife gegen die Emigranten wurde noch verichärft 
dur die Sorge um das Baterland. Der von Koblenz datierte Brief ftellt 
ein förmliches Manifeft dar, ebenjo beleidigendb für die mit feindlichem Ein- 
fall und Niederlage bedrohte Nation, wie bemütigend für den König, der vor 
ganz Europa der Feigheit geziehen und der allgemeinen Verachtung preisgegeben 
wird.*) Es wird angekündigt, daß „die Mächte, deren Hülfe fie erbeten hätten, 
in der That entichlofjen jeien, ihre Kräfte dem Rettungsmwerfe zu widmen, und 
daß der Kaifer und der König von Preußen fich zu diefem Zwecke mwechfelfeitig 
verbunden hätten”. Bei allen anderen Höfen beftehe „die nämlide Abficht“. 
Die engliſche Nation, „zu großmütig, um zu durchkreuzen, was fie ala gerecht 
anfieht, wird ficher dem edlen und unwiderſtehlichen Bunde nicht widerftreben”. 
Die nad) jeder Art von Ruhm geizende Katharina wird gewiß nicht darauf ver: 
zihten, „die Sache aller Souveräne zu verteidigen”. Wenn ber König gemalt: 
fam gezwungen würde, eine Verfaſſung gutzubheißen, „welche er im Herzen ver- 
wirt und feine Königspflict für ihn unannehmbar macht”, jo wollten fie, die 
freien und unabhängigen Mitglieder des Königshaufes, angefichts der ganzen 
Welt und in feierlihiter Form gegen dieſen nichtigen Akt und alle jeine Folgen 
Verwahrung einlegen. Um jeden Zweifel über die babei maßgebenden Ab- 
fihten auszuſchließen, wird hinzugefügt: „Falls Em. Majeftät gezwungen würben, 


) Preuß. Staatsarchiv. Bericht Jacobis vom 2. September 1791. 
®) Mallet da Pan, M&moires et correspondance I, 254. 

») Rivarol, Oeuvres choisies, pub]. par Lescure (1862), 264. 

4) Sorel, II, 262. 


440 Zweites Bud. Dritter Abſchnitt. 


uns ſolches Auftreten zu verbieten, und zu erklären, dab Sie dieſes Verbot in 
voller Freiheit ergehen laffen, jo würde auch diejer Befehl, der offenbar Ihren 
Gefühlen ebenfo widerfpricht, wie Ihren wichtigften Pflichten, uns nicht bewegen 
fönnen, unfere eigene Pflicht zu verlegen, Ihre wahren Intereſſen zu opfern und 
die Haltung aufzugeben, welche Frankreich in folder Lage von uns fordern fann.” 
Am Tage des heiligen Ludwig, Jo fpottet der Herausgeber der VBaterländifchen 
Ehronif, raudten in Koblenz, Trier, Worms, Mainz die köſtlichſten Gaftmähler, 
perlten franzöfiihe und deutjche Weine, trug Kanonendonner Segenswünſche für 
Franfreihs König zu den Wolfen, — zu gleicher Zeit aber wurde der franzö— 
fiihe Thron für erledigt erklärt, Monfieur als der gejegliche Lenker der Geſchicke 
Frankreichs anerfannt und gefeiert! — 

Als die Verfaſſung von Ludwig XVI. thatſächlich anerkannt worden war, 
wiederholten die Prinzen ihren Proteſt. „Die Sanktion, welde der König de 
facto einem monftröjen Geſetz erteilt hat, ift de jure null und nichtig.” „Der 
König war nicht frei, feine Sanftion ift jomit ungültig, und wir geben ben 
ftärfften, entfchiedenften Beweis von Gehorjam und Treue, wir erfüllen nur 
unfere Pflicht gegen Gott und Vaterland, wenn wir in diefem Falle trügerijchen 
Befehlen nicht geboren.” „Wir proteftieren für den König und in feinem 
Namen gegen Alles, was nur ein faljches fönigliches Gepräge trägt. Da des 
Königs wirkliche Stimme durch feine Unterdrüdung zum Schweigen gebradt 
wird, jo wollen wir jeine Organe jein und feine wahren Gefinnungen auf ſolche 
Weife zum Ausbrud bringen, wie fie im Eid bei feiner Thronbefteigung aus: 
geiprochen, wie er fie dur die Handlungen feines ganzen Lebens zum Ausbrud 
gebracht hat, wie fie in der Erklärung zu Tage getreten find, die er im eriten 
Augenblid, da er fi für frei hielt, für die Deffentlichfeit beftimmte. Er kann, 
er darf feine andere Gefinnung hegen; den Föniglihen Willen enthalten nur die 
Alten aus jener Zeit, da er noch frei atmete.” Im Namen des Königs felbft, 
im Namen des nur auf einen Augenblid getäuſchten und verblendeten Volkes, 
im Namen der Religion, des höchſten Wejens und der ewigen Gerechtigkeit wird 
Verwahrung eingelegt gegen die Konititution, die nichts anderes iſt, als ein Un: 
geheuer, das fich anſchickt, die göttlihen und menjchlihen Gejege zu vertilgen! 

Das Manifeft, das dem Könige im Auftrage der Prinzen durch den Herzog 
de la Force überbracht wurde, rief in den Tuilerien große Beitürzung hervor, 
die Königin joll unter Thränen ausgerufen haben: „Kain! Kain!” !) 

Das aud in deutſchen Zeitungen verbreitete, großſprecheriſche Schriftftüd 
erhob gegen die königliche Familie eine furchtbarere Anklage, als fie in den 
Vorwürfen der mwütendften Revolutionäre enthalten war. In einem Augenblid, 
da Ludwig XVI. feinen anderen Schuß mehr finden fonnte, als den Anſchluß 
an die Verfaflung, jchalten feine nächften Angehörigen diefen Schwur im voraus 
einen Meineid und raubten dem Handeln des Bruders den legten Schein von 
Aufrichtigkeit. — 

Nah der Eidesleiftung des Königs gewann es den Anfchein, als ſei die 
Stimmung in Paris und im ganzen Lande zu Gunften bes volfsfreundlichen 


!; Daudet, III, 128. 


Die Pillniger Deklaration. 441 


DOberhauptes umgefchlagen, als habe Frankreich erft jegt die ariftofratiiche Staats— 
form gänzlich abgeftreiit, um fich in eine wirkliche Monardie zu verwandeln. 
Nicht bloß dem Könige wurden auffällige Huldigungen dargebradt, auch bie 
Königin wurde, wenn fie eine Oper ihres Lieblings Glud bejuchte oder zu Pferde 
im Bois de Boulogne erfhien, mit dankbarem Zuruf begrüßt. Diefe erfreuliche 
Stimmung wurde durch den Lärm der Emigranten zwar nicht jählings umge— 
wandelt, aber die Wirfung von Mißtrauen und Furcht blieb nicht aus. Mit 
den jchlauen Bedingungen und Abihwähungen, womit Spielmann fein Schrift: 
ftüd ausgeftattet hatte, war gar nichts gedient. Das wunderbare „Dann und 
in diefem Falle”, das den Kaifer und den Kanzler in Entzüden verjegt hatte, 
ging an den Franzoſen jpurlos vorüber. Sie legten das Schriftftüd, das von 
feinem Verfaſſer für zünftige Diplomaten, aljo für Leute beftimmt war, bie 
zwiſchen den Zeilen zu lejen und in verhüllten Anjpielungen zu jprechen pflegen, 
mit dem Spürfinn der Leidenjchaft nad) eigenem Ermefjen aus. Das Volk will 
einfahe Gedanken und vereinfacht alles Gemwundene und Gefünftelte, ohne ſich 
zu kümmern, ob der Sinn unverändert bleibt. So nahm das franzöfiiche Volk 
die Pillniger Erklärung nicht als dasjenige auf, was fie war, als ein biplo- 
matijches Mittel, eine läftige Verpflichtung von fi abzufchieben, fondern als 
dasjenige, was bie Prinzen aus ihr machten, als eine gegen Frankreich ge: 
rihtete Drohung. Auf ſolche Weiſe ausgelegt, hat fie die traurigen Ereigniffe, 
die fie hintanhalten jollte, nur beichleunigt und hat dem Könige nicht bloß Feine 
Hülfe gebradt, jondern die legte Stüße entzogen. 

Der Kaiſer war über die gefliffentlihe Entjtellung der Billniger Ab: 
machungen höchſt ungehalten. „Ich kann Ahnen nicht verhehlen,” jchrieb er 
(5. September) an Artois, „daß mich der Inhalt des Briefes Eurer Königlichen 
Hoheit und die zwei Memoires, die mir der Herzog von Polignac zugeitellt hat, 
peinlich berührten, da ja die darin enthaltenen Vorjchläge gerade den Gegenſatz 
zum Inhalt der Deklaration bilden, die wir Ihnen joeben in Pillnig eingehän: 
digt haben, die alles ausjpridht, was wir für Sie thun fünnen und wollen.” !) 
Es war, ſchrieb Cobenzl an Kaunitz, angefichts der ſich häufenden Beweiſe des 
zudringlichen Yeichtfinns des Prinzen einmal notwendig, ihm ohne Schonung die 
Meinung zu jagen; „es ift aber immer noch mehr zu wünſchen, als zu hoffen, 
daß der Erfolg der Abficht entipredhen wird”. Auch in einem Briefe Leopolds 
an feine Schweiter Chriftine vom 5. September wurden die alten Klagen über 
die Emigranten in verjhärftem Tone wiederholt. „Bei meiner Rüdfehr von 
Pillnitz ſandte mir der Graf von Artois zwei Schriftftüde, die ein Manifeft ent: 
halten, in welches die Einfegung Monfieurs zum Regenten und taufend andere 
Dinge im vollen Widerſpruch mit den Pillniger Beichlüffen aufgenommen jind. 
Ih habe ihm aljo eine fräftige Antwort geben und gegen foldhe Verdrehung 
Verwahrung einlegen müſſen. Diefe Prinzen mit ihrer Projeftenmacerei, und 
bejonders Galonne, der fie am Gängelbande führt, fih in alles einmiſcht und 
ein faljcher, jchlechter Wicht ift, denken nur an fih und nit an den König, 
nicht an die Sade; fie wollen nur Ränfe jpinnen, Verwirrung anftiften und 


J Bivenot, I, 243. 


442 Zweites Bud. Dritter Abſchnitt. 


mi und den König von Preußen verleiten, einen Schritt zu thun, der uns bie 
Nötigung auferlegen würde, alle Kräfte anzuftrengen und unfere Truppen aus 
den Niederlanden zu ziehen, was bort leicht zu Ungelegenheiten und Aufruhr 
führen fönnte; den Beweis liefert das Billet, das Sie mir geſchickt haben und 
das den Grundfägen diejer Leute auf ein Haar entſpricht. Es ift nichts mit 
ihnen anzufangen; dem Könige und der Königin kann nur durch ein Zuſammen— 
wirken aller Höfe geholfen werden; freilih wird das feine Schwierigkeiten haben, 
da Spanien nicht handeln will und von England daran behindert wird; ober 
aber, man wartet, bis der Banferott in Frankreich ausbricht, die neue Gejep: 
gebung heranreift, die Satzungen fi einbürgern und die Verwirrung fih noch 
weiter ausbreitet, um daraus Nußen zu ziehen. Der Prinzen und ihrer Leute 
aber kann man fi nicht bedienen, man kann ihnen weder trauen noch helfen; 
fie tradhten nur danach, uns in Verlegenheit zu bringen und bloßzuftellen; nur 
die Königin, Herr Ferſen und Bouille empfinden und fprechen nad) meiner An- 
fiht in diefen Dingen vernünftig, befonders Ferſen, mit dem ich außerordent— 
lich zufrieden bin.” „Ich kann nicht begreifen,“ jchrieb Leopold (9. Dftober) an 
Ehriftine, „wie die Prinzen fi immer noch ſchmeicheln, auch nad) der Erklärung 
des Königs eine Gegenrevolution ins Werf zu ſetzen, und wie fie glauben können, 
daß irgend ein Hof fi für fie intereffiere.“ !) 

Gewiß nicht gegen den Willen Leopolds war in einem Artifel der amt: 
lihen Brüffeler Zeitung vom 1. DOftober ausgeführt, der Pillniger Erklärung 
fei, nachdem der König von Frankreich die Verfaffung angenommen babe, keinerlei 
Geltung mehr beizumefjen. Freilich fonnten hinwieder die deutfchen Freunde der 
Emigranten darauf hinweiſen, daß die Wiener Zeitichrift vom 1. Dftober, alfo 
drei Tage nad dem Eintreffen der Nachricht von der Beeidigung des Königs 
auf die Verfaſſung, zum erftenmal die Pillniger Erklärung und zugleih den 
Proteft der Bourboniihen Prinzen abgevrudt habe.) Der Kaijer, jo faßte 
die Vaterländiſche Chronif ſchon damals richtig die Lage auf, ift gewiß nichts 
weniger als friegaluftig, aber er hat das ungewiſſe Schickſal des Königspaares in 
Baris vor Augen und kann deshalb nicht, wie er wohl möchte, einfach jagen: „Die 
Dinge in Frankreich gehen uns nichts an!” Jedenfalls wird es aber noch ganz 
anderer Erjchütterungen bebürfen, bis das Oberhaupt der Erbitaaten und des 
beutichen Reiches kaiſerliche Truppen in die vorderen Reichslande entfendet. 

Das preußifch:öfterreihiihe Bündnis wurde auch in Pillnik nicht zum 
Abſchluß gebracht; es hatte bei „generalen Freundſchaftsverſicherungen“ der 
Monarchen jein Bewenden, doch ließ Friedrih Wilhelm einmal die Neußerung 
fallen, daß er den Gebanfen eines Austaufches der Laufiß aufgegeben habe, weil 
der Kurfürft von Sadjen nicht darauf eingehen wolle. Bilchoffswerber be: 
ſchränkte fich darauf, zu baldiger Fertigitelung der Allianz zu mahnen; Spiel: 
mann, dem es „nicht rätlich jchien, hiermit zu eilen“, vertröftete auf die ruhigere 
Zeit nad) der Rückkehr des Kaiſers in feine Hauptitadt. 

Die öffentlihe Meinung freilich erblidte, da, um Kaunigens Wort zu ge: 


) Molf, 264, 268. 
2) Wiener Zeitfchrift, I, 105. 


Die Pillniger Deklaration. 443 


brauden, die Vorgänge hinter den Kuliffen nur für die Acteurs auf der Schau: 
bühne fihtbar waren, im Bündnis der deutſchen Großmädte mit feindlicher 
Spige gegen das neue Frankreich ſchon eine vollendete Thatſache. Deshalb legte 
die Preſſe der Pillniger Zuſammenkunft eine übertriebene Bedeutung bei; ber 
unmittelbar bevorftehende Ausbruch des Krieges mit Franfreih wurde je nad 
dem Standpunkte des einzelnen Organs erhofft oder befürchtet. Vom Bunde der 
brei mächtigſten deutſchen Fürften, jagt das Hamburger Politiihe Journal, wirb in 
den Annalen des Reichs eine neue Epoche datieren; es jei auch Zeit, daß die 
Monarden fih einmal aufrafften, die Schmah des franzöfiihen Thrones zu 
rächen, jonjt werde das Syftem ber Zerjegung der Geſellſchaft ganz Europa an— 
fteden und alle Länder jo unglüdlid machen wie Frankreich.) Die Wiener 
Zeitihrift gab der Hoffnung Ausdrud, nun werde doc einmal der ruchloje, revo- 
lutionäre Ton in den beutjchen Zeitungen ein Ende haben, nun werde man 
doch endlih die Scheu vor dem unvermeidlihen Waffengang ablegen, da ja 
auch das revolutionäre Franfreih feine Schonung des Menjchenblutes an den 
Tag lege.*) In einer im Auguft 1791 erſchienenen Flugichrift: „Sind die euro: 
päiſchen Mächte nah dem allgemeinen Völkerrecht befugt, die neue franzöfiiche 
Regierungsverfaflung, fo wie fie gegenwärtig eingerichtet ift, nach fruchtlos ver: 
fuchten Vorftellungen mit gewaffneter Hand zu befämpfen?” wird die Frage bejaht, 
da die Fürften, insbefondere die deutfchen Neihsftände an die eigene Erhaltung 
denken müßten, alfo im Stande der Notwehr handeln würden. In der „Kur: 
fürftlih gnädigft privilegierten” Münchener Zeitung darf man Erörterungen 
politiiher und ftaatsrechtliher Natur nicht ſuchen; fie pflegte nur Nachrichten 
über Hoffefte und Unglüdsfäle, Fremdenverkehr und Ernteausfichten zu bringen; 
Parifer Neuigkeiten wurben nur ſpärlich und behutfam mitgeteilt. Während von 
ber Prager Krönungsfeier die ausführlichſte Schilderung geboten wird, find der 
Pillniger Zufammenfunft nur ein paar Säge gewidmet. Es werde berichtet, 
daß „beede Monarden ſich die lebhafteften Freundichaftsbezeugungen erwieſen“. 
„Augenzeugen verfihern, daß nichts der Rührung gleicht, wovon alle Anweſenden 
durchdrungen waren, die das Glüd hatten, die größten Monarden von Europa 
fo eng vereinigt zu jeben, daß fie nur eine einzige Familie auszumachen ſchienen, 
und man hat alle Urſache, fi von diejer glüdlihen Stimmung eine dauerhafte 
Ruhe und das Glüf von Deutichland zu verfprecden.“ °) 

Unverbrofjen befämpfte der „Wandsbeder Bote“, Matthias Claudius, wenn 
auch nur mit den Waffen des Schalke, den Bund des deutjchen Geiftes mit 
dem franzöfiihen Schwindelgeiit: 

- „Do nun ift frei, wo jedermann 
Rad Schlagen und rumoren fann!“ 


Da jei doch matürliher und gefünder enger Anjchluß der Deutihen zur 
Aufrechthaltung des Glaubens, der Moral und der bürgerliden Ordnung. *) 


') Polit. Journal II, 849, 985. 

) Wiener Heitfchrift II, 80, IV, 84. 

) Mündener Zeitung, Jahrg. 1791, 773. 

) (Claudius) Asmus omnia sun secum portans, VI.; Urians Nachricht von der neuen 
Aufklürung, 115. 


444 Zweite Bud. Dritter Abſchnitt. 


Bon weit zahlreiheren Stimmen aber wurde die Erjprieglichleit des Bundes 
ber deutichen Großmädte, insbejondere die Notwendigkeit eines Angriffsfrieges 
gegen Frankreich angezweifelt. Die „Baterländifche Chronif”, von vornherein miß: 
trauiſch gegen das „Antis$ergbergiihe Syftem”, glaubte aus der in Pillnik 
„möglich gemachten, unmöglihen Thatfahe”, dem Freundihaftsbunde zwiſchen 
Defterreih und Preußen, nur ſchlimme Folgen für das Reich vorausjagen zu 
dürfen. „Was ift die Macht des ganzen übrigen Deutichlands gegen Defterreichs 
und Preußens verbundene Macht? Unfere Unterwerfung hänget alfo nur davon 
ab, ob die beiden wollen oder nicht.” . . . 


„Wenn Löw’ und Adler Freunde find, 
So darf ber Wald, jo darf die Luft erbeben.” ... 


„Damit ift der Fürftenbund, Friedrichs legte große Geiltesthat, von ber 
fo viel Sagens und Redens war, die Dohm und Müller jo deutſch und herzlich 
fommentierten, die unfere Barden befangen, von der unjere Patrioten jo große 
Erwartungen hatten, in ein Nichts zerronnen!” ') 

Schlözer wies darauf hin, daß der fühle Wortlaut der Pillniger Dekla— 
ration die Emigranten durchaus nicht zu dem in ihrem Manifefte angeichlagenen 
großiprecheriihen Tone berechtige. Ein „Ariftofrat” hatte dem gefürchteten, 
freimütigen Publiziften die beiden Schriftftüde des Prinzen zugefendet, damit 
ihm Elar werde, daß Soldaten und Kanonen nun bald den Kontinent vom 
Schwindel eingebilveter Freiheit und Gleichheit furieren würden; es fei ja bie 
höchfte Zeit, dem Treiben der „ichriftitelleriihen Buben” in Deutichland zu 
fteuern und ben in ihren Journalen und auf ihren Kathedern verwegenen Aufruhr 
predigenden Gelehrten die Peitiche zu geben. Um dieſe Anflagen des „beutichen 
Schwarzen am Rhein” zu entkräften, ftellte Schlözer feit, welden Nuten die in 
Frankreich zum Siege gelangte Revolution jett ſchon gebradht habe. Sie habe 
aufgededt, welcher Unfinn darin liege, daß hochwohlgeborene Schwachköpfe und 
privilegierte Faulenzer nur von der Arbeit der gejcheiten und fleißigen Leute 
leben; fie habe gelehrt, daß ein Monarch, wie jhon Friedrich der Einzige erklärt 
habe, nur der erfte Beamte des Staates, mithin troß feiner Unverletzlichkeit 
dem Bolfe zu Red' und Antwort über feine Handlungen verpflichtet fei. Dem: 
nad jei in Frankreich, wo die Negierung bis in die allerneuefte Zeit für die 
allgemeinen Menjchenrechte weder Augen noch Ohren gehabt habe, eine Revo: 
lution notwendig gemwejen, in Deutſchland nicht; freilich fehle es auch hier nicht 
an Mängeln und Mißbräuchen, und auf diefe aufmerffam zu machen, fei Auf: 
gabe und Pflicht der Schriftfteller; man möge aljo aufhören, jeden Freiheits- 
prebiger einen Aufrührer und jede Rüge Zügellofigfeit zu ſchelten.) Immer 
wieder gab Echlözer der Ueberzeugung Ausdrud, daß eine Anſteckung Deutſch— 
lands dur die revolutionären Ideen nicht zu fürchten, mithin eine Abwehr mit 
Säbel und Flinte nicht notwendig ſei. Der Vergleih mit dem brennenden Haus 
fei nicht pafjend, denn wenn das Haus des Nachbarn brenne, laufe das eigene 
ohne weiteres Gefahr, vom Feuer ergriffen zu werden; dagegen könnten ſich 


) Baterl. Chronik, Jahrg. 1791, 567, 601, 610. 
2) Schlöger, Staatsanzeigen, 16. Bd., 456. 


Die Pillniger Dellaration. 445 


Grundfäte des Umſturzes in einen Nahbarftaat nur dann fortpflanzgen, wenn 
darin durch ähnliche Gebrehen und Mißſtände eine gewiffe Empfänglichfeit er: 
zeugt wäre. Dies fei aber in Deutichland nicht der Fall. „Mir kömmt fein 
Volk in der Welt reifer zur ruhigen Wiedererwerbung verlorener Menſchenrechte 
vor, ala das deutiche Volk, und zwar gerade wegen feiner von Unwifjenden oft 
verläfterten Staatsverfafjung. Langſam wird dieſe Revolution freilich geichehen, 
aber jie geichieht! Die Aufklärung fteigt, wie in Franfreih, von unten herauf, 
aber ftößt auch oben an Aufllärung; wo gibt es mehr kultivierte Souveräne, 
als in Deutichland? Dieſes Auffteigen läßt fih nit durch Fünffreugermänner 
und Zwölfpfünder in die Länge hindern. Und daß es allmählich ohne Unfug, 
ohne Anarchie geſchehe, wird allem Anſchein nah mehr das Werk der Schrift: 
fteller als der Kabinette jein. Fürften werden Fürften bleiben, und alle deutichen 
Menſchen freie Menſchen werden!” !) Als die Angriffe gegen die Verteidiger der 
franzöſiſchen Neuerungen fortdauerten, wandte fih Schlözer nochmals gegen den 
Irrtum, daß Revolution und fFreiheitsbrang ein und basjelbe feien. „Ein 
Demokrat, der behauptete, daß nit ein Menih, auch nicht bloß ein paar 
hundert Menſchen, Nobili, Magiftrate, Beamte genannt, daß Schidjal von Mil: 
lionen Menihen ohne weitere Rückſprache entſcheiden müſſen, it ein Philo: 
foph, ein Menfchenfreund, eine Schugwehr, gleih ftarf gegen Tyrannei und 
Anarchie.” ?) 

Am leidenfhaftlichften wurde die Einmifhung Deutichlands in die inneren 
Angelegenheiten der Franzoſen von einer „in Germanien 1791, im zweiten Jahre 
der Freiheit” erſchienenen Flugihrift „Der Kreuzzug gegen bie Franken“ bes 
fämpft.°) Heute höre man allerorten von Verträgen und Rüftungen, und alle 
diefe Bajonette jollen gegen die Franken gerichtet werden, die doch Deutichland 
in feiner Weije gereizt oder beleidigt hätten. Wozu ber Lärm? Weil ber 
Franke aus einem gefefjelten Tier endlich ein freier Menſch geworden ift, weil 
man an ber Seine nicht mehr glaubt, daß Tugenden, Talente und Wiſſenſchaft 
fih erben laſſen, wie man den Rod des Vaters erbt, daß man friegeriiche Kennt: 
niffe und Tapferkeit nicht faufen fann, wie man den Wed vom Bäder fauft, 
weil man fich dort vor Augen hält, daß der Stifter der chriſtlichen Religion 
auch nicht Herr von Chriftus geheißen hat u. j. w. Welch eine Thorheit, an 
der Seine wieder das alte Raubſchloß mit feinen Falbrüden, Mauern und 
Bärengruben aufrichten zu wollen! „Sit die neue Konftitution ihr Glüd, warum 
follten wir fie ihnen nicht gönnen? Iſt aber ihr Glüd nur ein Traum, wo iſt ber 
Traftat, der euch das Recht gibt, fie darin zu ſtören?“ Freili die Ariftofraten 


) Staatsanzeigen, 17. Bd, 225. 

2) Ebenda, 96. 

» G. Forſter hielt den kurz zuvor zum Amtmann in Gernsbach bei Baden-Baden er- 
nannten Ernſt Poſſelt für den Verfaſſer. „Der Kreuzzug gegen die Franken,“ ſchrieb er am 
9. Auguſt 1791 an Heyne, „ſoll von Poſſelt ſein. Er zeigt hauptſächlich die Ungereimtheit der 
Bemühungen Heiner deutſcher Fürſten gegen Frankreich und macht bemerklich, daß das Aufhetzen 
gegen die neue Verfaſſung hauptſächlich der nicht beeideten Geiſtlichkeit zuzuſchreiben ſei.“ 
(G. Forſters ſämtliche Schriften, VIII, 155.) Die bedeutſame Flugſchrift iſt jedoch nicht von 
Pofſelt, ſondern von Clauer abgefaßt. 


446 Zweites Bud. Dritter Abſchnitt. 


ſchreien: „Unjere Sache ift die gemeinfhaftliche Sache der Könige! Die politifche 
Kegerei der Franzoſen muß vertilgt werben, ſonſt wirft fie anftedend!” Als ob 
in Frankreich etwas anderes geftürzt worden wäre, als die Tyrannei der Kuppler 
und Maitreffen, denen der gute König ohne fein Willen feinen Namen und feine 
Gewalt geliehen hat! Damit hat doch die Entwidelung in Deutihland nichts 
gemein, wo man mit Friedrich dem Einzigen des Glaubens ift, daß das Volt 
nicht um des NRegenten, fondern der Regent um des Volkes willen eriftiert. 

Aber, jo jagen die deutſchen Fürften, wie fünnen wir an bie Gerechtigkeit 
und Friedensliebe der Franken glauben, wenn fie uns mitten im Frieden als 
Feinde behandeln? Sind nicht die in Eljaß und Lothringen begüterten Souveräne 
ihrer Rechte und ihres Eigentums, die deutfchen Biſchöfe ihrer Diöceſanrechte 
beraubt worden? 

Auch diefen Einwand läßt die Flugjchrift nicht gelten. Was von ben 
Rechten Frankreichs und der deutſchen Fürſten im Elſaß zu halten jei, könne 
nit als ausgemadt gelten. Schon Ludwig XIV. habe unter Berufung auf 
ben mweftfälifchen Frieden die elſäſſiſchen Fürften als wirkliche Unterthanen be— 
trachtet; jedenfalls ſei dieſe Auffaſſung von den Fürften jelbit dadurch gefördert 
worden, daß fie durch Annahme von lettres patentes ihre Reihsunmittelbarfeit 
aufgaben und der franzöfiihen Hoheit huldigten. Und ob ein deutſcher oder ein 
franzöfifher Biſchof Die Leute in Eljaß und Lothringen zum Himmel führe, das 
fönne doch den Deutſchen gleichgültig fein! „Hätten wir nur jene Hirten, bie 
ihre Schafe nicht bloß weideten, fondern auch fcheren und ſchlachten ließen, hätten 
wir fie nur ganz los! Die Herrſchaft des Priefterreiches, wovon Rom die Haupt: 
ftabt und der Mittelpunft ift, das iſt es doch eigentlich, wofür gegenwärtig mit 
jo vieler Hite geftritten wird.” Noch fei der größte Teil der deutſchen Bürger 
und Bauern zu weit zurüdgeblieben, als daß fie das in Frankreich Erreichte anzus 
ftreben gedächten; ihre Thätigfeit gehe darin auf, für die eigenen und die Staats: 
bedürfniffe zu forgen und zu arbeiten. „Baut indeſſen nicht zu ftarf auf feinen 
bungrigen Magen und jeine Unwiſſenheit!“ Ein unglüdlicyer Krieg gegen Frankreich 
würde unfehlbar für Deutichland die Revolution im Gefolge haben, „Dann wehe 
den Fürften! Dann werben die Häufer der Fürften, des Adels und ihrer Diener in 
Flammen jtehen, und die rauchenden Provinzen am Rhein werben gar bald dem 
übrigen Deutjchland eine Berheerung ankündigen, bie weit jhredlicher fein wird, als 
es die Scenen des Dreißigjährigen Krieges gewejen find! Den Anhang des Pam: 
phlets bildet ein Gebet mit der Bitte um Bewahrung vor Pfaffenliſt und Pfaffen: 
trug, Epaulettenftolz und Bürgerkrieg, wilden Tieren und Intendanten, Bluts 
ſchändern und frommen Eminenzen u. ſ. w. 

Das radikale Braunfchweigiihe Journal verjpottete im voraus das bunt- 
jchedige Heer, das der Kaiſer gegen das revolutionäre Frankreich ins Feld 
rufen wolle: 

„Hier fehsunddreißigtaufend Mann 
Läßt Deftreih ftradlid rüden an, 

Und, die noch bejler follen beißen, 
Seht, vierundzwanzigtaufend Preußen! 
Mit zwanzigtaufend läßt ſich ſchön 

Der Vetter Bourbon aus Spanien ſehn; 


Die Pillniger Deflaration. 447 


Dort dreißigtaufend Savoyarben 

Mit Murmeltier und SHellebarben, 

Und dort Herr Condé lobejan 

Dei Worms mit noch zehntaufend Mann.” 


Schmach über das Ziel der Nüftungen des monarchiſchen Europas: bie 
Freiheit nieberzufchlagen, die Herrlichfeiten des alten Regiments wiederherzuftellen, 
den Bauern wieder zum Vieh herabzumürdigen! ?) 

Wieland war längft nicht mehr der Lobredner der Revolution, deren An: 
fänge er mit ſchwärmeriſchem Enthufiasmus begrüßt hatte, jeit Mirabeaus Tod 
und den an Ludwig XVI. verübten Gewaltaften beurteilte er nüchtern und 
mißtrauifch die Entwidelung im Nahbarreihe. „Ein Volt,” ſchrieb er im Herbft 
1791 im Teutfhen Merkur, „das frey jeyn will und in zwey vollen Jahren noch 
nicht gelernt bat, daß Freyheit ohne unbedingten und unbegränzten Gehorfam 
gegen die Gejege in der Theorie ein Unding und in der Praris ein unendlid: 
mahl ſchändlicherer und verberblicherer Zuftand ift, als aſiatiſche Sflaverey, — 
ein Volt, das auf Freyheit pocht und fih alle Augenblide von einer Faction 
von Menihen, qui salva republica salvi esse non possunt, zu den wildeften 
Ausichweifungen, zu Handlungen, deren Gannibalen fih jhämen würden, auf: 
beten und binreifjen läßt, — ein jolches Volk ift, aufs Gelindefte zu reden, zur 
Freyheit noch nicht reif und wird allem Anfehen nad noch mande fürchterliche 
GConvulfionen zu überftehen haben, bis fein Schidjal auf die eine oder andere 
Art entichieden iſt.“ Trotzdem brachte der Teutſche Merkur einen geharniſchten 
Artikel gegen jenen im Journal von und für Franken erteilten Nat, das ge: 
fittete Europa durch einen bewaffneten Korbon gegen die in Frankreich aus: 
gebrochene moralifhe Peſt abzuſchließen. „Ach! mit den Korbons ift es eine 
eigene Sade! Die vielen Kordons, welhe man Unwürdigen austeilte, ihre Bruft 
zu zieren, und Unſchuldigen, um ihnen den Hals zuzuziehen, waren ja eine von ben 
Urſachen der Revolution!” Wieland jelbit ſprach in einem Nachwort feine volle 
Zuftimmung aus. Man möge fich durch die teils wahren, teils übertriebenen, 
teils ganz falſchen Schilderungen des Elends der Anarchie infolge des Einreißens 
ber alten Berfaflung in Frankreich nicht verleiten laſſen, dort alles und jebes 
von ber graufenhaften Seite anzujehen und bei dem Worte Freiheit nur an 
Laternenpfähle, rajende Fiſchweiber und die fannibalifhen Dftoberfcenen zu 
denken. Das deutſche Volk, das Thon fait alles befigt, was das franzöfifche 
durch die Revolution erft zu gewinnen hofft, ſoll jo großmütig fein, den Be: 
freiungsprozeß bes Nahbarn nicht durch rechtswidrige und unnötige Einmiſchung 
zu ftören. Ein „europäifches Konzert” könnte dem Könige, der nicht ohne eigene 
Schuld die Liebe feines Volkes verloren habe, im günftigften Falle nur dazu bes 
hülflih jein, „auf den Trümmern feines eigenen Reiches wieder einen deſpotiſchen 
Thron auf dem Naden etliher Millionen Sflaven zu erbauen, welche wahr: 
fcheinlih, nad Ausführung einer jo edlen Ritterthat, von den Einwohnern Fran: 
reihs noch übrig”. ?) 


) Braunfchweiger Journal, Jahrg. 1791, IIL, 230. 
2) Der Neue teutfhe Merkur vom Jahre 1791, II, 224, 418, 427. 


448 Zweites Bud. Dritter Abichnitt. 


Auch der preußiſche Hauptmann Archenholz, der jeit September 1791 felbft 
in Paris lebte, die Zuftände aljo aus eigener Erfahrung beurteilen konnte, gab 
den Monarchen zu bedenken, daß weder ihre Verbrüderung, noch die glüdlichiten 
Erfolge ihrer Heere im ftande fein würden, das alte Königtum in Franfreid 
wieder aufzurichten; dies jei nur durch Ausrottung des größeren Teiles der 
Nation zu erreihen. „Es ift bier nit, wie bey fonftigen Revolutionen, die 
Frage, ob diejer oder jener Menſch König ſeyn, fondern ob eins der zahlreidhiten, 
cultivirteften und mächtigſten Völker der Erde, das jeit einigen Jahren aus dem 
tiefiten Schlamm der Sklaverey emporgeitiegen war und bie ſüßen Früchte der 
Freyheit nicht ſowohl gefoftet, als fi daran bis zur Ueberladung genährt hatte, 
ob ein ſolches Volk jogleih wieder ruhig den Naden unter das Joh beugen und 
bie zerbrochenen Ketten wie Spielfadhen betrachten würde?” Haben doch Schweden 
und Polen ihre Verfaſſung geändert, ohne daß die Nachbarn das Bedürfnis em 
pfanden, dagegen einzujchreiten; weshalb ſich jet um einer Gegenrevolution 
willen mit dem mächtigen Franfreih in einen Krieg einlaffen, von bem „ein 
Mann, der unter Friedrichs Fahnen gedient hat und das Lokale kennt,” fagen muß, 
daß er den Angreifern faft unüberwinbliche Hinderniffe in den Weg ftellen wird. !) 

Es würde nicht ſchwer fallen, ähnliche Auslafjungen in Preſſe und Litte— 
ratur jener Tage in großer Zahl ausfindig zu machen. In weiten Kreiſen der 
Geſellſchaft war man fich zwar nicht darüber Har, daß fein Staat das Recht 
habe, einem anderen zu verbieten, jeine Regierungsform zu geftalten, wie er 
jelbft e8 für rechtmäßig und erſprießlich halte, daß aljo die Pillniger Deflara: 
tion troß ihrer Wenn und Aber eine Verfennung der wichtigften Grundzüge inter: 
nationalen Lebens bedeute, allein man fonnte fi ber Furt nicht erwehren, 
daß der Bund zwiſchen Defterreih und Preußen einen Rüdftoß gegen die bisher 
vorwärtsftrebende Richtung auf politiihem und religiöfem Gebiete herbei: 
führen werde. 


1) J. M. v. Archenholz, Minerva, I, 18. 


Dierter Abjchnitt. 


Befterreic und Preußen vor den Rebolufionskriegen. 
Ratharina II. und:die deutſchen Mächte. Marie Antoinette 
und die Parfeien in FJrankreich. LTevpold I. und Die 
franzöſiſche Revolution. Wachſende Kriegsgefahr. Das 
auswärtige Frankreich. Bundesvertrag zwiſchen Dellter- 
reich und Preußen. Tod Teopolds II Pie franzöſiſche 
Rriegserklärung. DerWahltag in Frankfurt. Der Fürften- 
kongrek m Mainz. Der Krieg und das deukſche Reid. 
Preußen und Polen. 


vor wenigen Jahrzehnten die heftigften litterariihen Kämpfe hervor: 

© gerufen hat. Vom Gegenjage zwiſchen Sybel und Herrmann war 
ſchon oben die Rede. Während die beiden Hiftorifer in ber Frage, welche 
Stellung gegenüber dem polniſchen Staatsftreihe einerſeits Kaifer Leopold, 
andererjeits die preußijche Regierung eingenommen habe, abweichende Meinungen 
verfohten, begegneten fie fi in der Auffaffung, daß der Anftoß zur zweiten 
Teilung Polens nit von den deutihen Mächten, jondern von Rußland ausgegangen 
fei. Weit heftiger aber entbrannte der Streit über das Verhältnis Defterreichs und 
Preußens zum revolutionären Franfreih; mit dem Urſprung der NRevolutions- 
kriege jteht ja die Frage in Zufammenhang, welcher Staat am Mißerfolge dieſes 
MWaffenganges und damit an der Auflöjung des alten Reiches die Schuld trage. 
Bis in die fünfziger Jahre war die Anficht vorherrichend, daß die ſchwerſte 
Verantwortung auf Preußen falle, deſſen Regierung aus felbitfüchtigen Beweg— 
gründen plöglich auf jeiten des veracdhteten Feindes trat und dadurch das ver- 
bündete Defterreih nötigte, nur mit eigenen Kräften den ungleihen Kampf 
fortzujeßen, bis es, am eigenen Körper aus jchweren Wunden blutend, bie 
Beraubung und endlich den ſchmählichen Zuſammenbruch des Deutihen Reiches 
geihehen laſſen mußte. Diefe Anfiht wurde nun ziemlich gleichzeitig von 
Häuffer und Sybel in umfafjenden, auf neuen Quellen beruhenden Darftellungen 

Heigel, Deutfche Gefchichte vom Tode Friedricht d. Gr, bit zur Auflöfung des deutſchen Heiche, 29 


8— ir ſind in die Betrachtung einer Periode eingetreten, deren Beurteilung 


450 Zweites Buch. Vierter Abſchnitt. 


der Nevolutionsperiode bekämpft.) Keiner von beiden Forſchern fühlte fi 
berufen, den Bafeler Separatfrieden zu billigen, aber fie juchten zum erjten: 
mal die Entitehung und die Beweggründe des unerfreulichen Ereigniljes zu er: 
Härten; indem das feindjelige Verhalten des Faiferlihen Miniſteriums Thugut 
Elargelegt wurde, war in der That, da von feinem Staate felbftmörberijche 
Handlungsweife zu verlangen it, in gewiſſem Sinne eine Rechtfertigung der 
preußiihen Politik erreiht. Sybel und Häuffer benütten hauptjählid die 
preußifhen Archive; auch durch Veröffentlihungen aus franzöfifchen, ruſſiſchen 
und engliihen Archiven wurde die Politik jener Mächte wenigitens jo weit auf: 
gehellt, daß wenigftens der allgemeine Charakter mit Sicherheit erfennbar war. 
Da aber no immer die Aufflärung über die individuellen Motive der faiferlichen 
Rolitit mangelte, wurde die Nachricht freudig begrüßt, daß man aud in Wien 
aufgehört habe, die Heimlichkeit als erites Gejeg und Lebensbedingung der Archive 
anzujehen. Zum erftenmal fonnte Vivenot für feine Biographie des Bejehle: 
babers der Neichsarmee, Herzog Albrechts von Sachſen-Teſchen, die jedoch über 
den Rahmen der urjprünglich gewählten Aufgabe hinauswuchs und fih auf dem 
Titel des zweiten Bandes ſelbſt als Beitrag „zur Geſchichte des Bajeler Friedens“ 
harakterifierte, ?) die Wiener Archive benügen. Doch nicht auf Grund neuer Ent: 
hüllungen, fondern nur weil er das mittelalterliche Verhältnis der Reichsſtände zum 
Kaiſer ohne Einſchränkung als Maßſtab für die Beurteilung ihrer Politit an der 
Wende des achtzehnten Jahrhunderts anwendete, erhob er aufs neue die ſchwerſten 
Anklagen gegen die Politik Friedrih Wilhelms II. und die „Eeindeutichen Ge: 
ſchichtsbaumeiſter“, welche die Geihichte des Bajeler Separatfriedens, des „eigent: 
lihen Wendepunftes der neueften deutſchen Geſchichte“, zu Gunften einer idealen 
preußiihen Spitze verfälicht hätten. Die Arbeit Vivenots ift aber jo unkritiſch 
und formlos, daß fie faum als etwas anderes denn als Pamphlet angejehen 
werden fann. Mit ungleih ſchärferen Waffen juchte ein paar Jahre jpäter Her: 
mann Hüffer, der jeine Forſchung auch auf die Parifer Ardive ausgedehnt hatte, 
den Beweis zu führen, daß Eybels Darftellung durch die Tendenz, das Aus: 
ſcheiden Defterreihs aus dem deutſchen Staatsverbande als rätlich und geboten 
ericheinen zu lafjen, allzujehr beeinflußt worden ſei und dadurch an Zuverläflig: 
feit verloren habe.) Dagegen führte auch Sybel immer neue Beweife ins Feld, 
um feine Stellung zu verteidigen. Angriff und Abwehr verrieten leidenſchaftliche 
Erregtheit der Streiter, der Zweikampf wandelte fich in ſtürmiſchen Buhurt, und 
büben wie drüben wurde die Grenzlinie zwifchen wiſſenſchaftlicher Erörterung 
und feindjeliger Polemik nicht immer beachtet. Die Hejtigkeit des Federkriegs 


) H. v. Sybel, Geſchichte ber Nevolutionszeit von 1789—1800, Bd. 1-5, 1853 — 1870. 
(4. Aufl. 1882.) — 2. Häuffer, Deutfhe Gefhichte vom Tode Friedrichs bes Großen bis zur 
Gründung des Deutfhen Bundes, Bd. 1—4, 1854—1857. (4. Aufl. 1869.) 

?) Alfr. Edler v. Bivenot, Herzog Albrecht von Sachſen-Teſchen als Reichsfeldmarſchall 
I, 1864, II, 1. u. 2, Abth., Zur Geſchichte des Bafeler Friedens, 1866. 

) 9. Hüffer, Diplomatiihe Berhandlungen aus der Zeit der franzöfifhen Revolution, 
Bd. 1: Defterreih und Preußen gegenüber der franzöfifhen Nevolution bis zum Abſchluß bes 
Friedens von Campo Formio (1865); Bd, 2: Der Najtatter Kongreß und die zweite Koalition 
(1878—1879). 


Defterreih und Preußen vor den Revolutionsfriegen. 451 


erklärt fih aus dem Charafter der Zeit, in welder dieſe Schriften entitanden. 
Der Gegenfat zwiſchen den zwei größten deutſchen Staaten, deren jeder die 
Führung Deutichlands beanſpruchte, war zur Zeit der Beröffentlihung ber 
eritgenannten Werfe jchon zu unerträgliher Spannung gediehen, der entjcheidende 
Waffengang — daran war nicht mehr zu zweifeln — ftand bevor, und die Bar- 
teien fcharten jih enger um ihre Banner; die Fehde zwiſchen Sybel und Hüffer 
aber erhob fi, faum daß der Bruderfrieg von 1866 zu Ende war, da Friede 
zwar urkundlich feftgefegt, doch in die Gemüter der Deutfchen noch nicht zurück— 
gekehrt war. Auch der redlichite Hiftorifer vermag fih dem Einfluffe mächtiger 
Beitftrömungen nicht zu verſchließen; eine unbefangene Darftellung der Be: 
ziehungen zwijchen Deiterreih und Preußen war unmittelbar vor und nad 1866 
ebenjo unmöglich, wie eine völlig unparteiifhe Würdigung des Verhältnifjes 
zwifhen Heinrich IV. und Gregor VII. in der Zeit erbitterten Kulturfampfes. 
Erft in ruhigerer Stimmung fann man die Ueberzeugung gewinnen, daß es in 
den meiften Fällen gar nicht zuläflig it, die Schuld an verhängnisvollen politiſchen 
Kataftrophen einer einzelnen Perjönlichfeit oder einem einzelnen Staate auf: 
zubürben. 

Heute fält es nicht mehr jo jchwer, die Vorgänge und Entwidelungen 
vor hundert Jahren ſachlich zu beurteilen. Defterreih ift aus dem beutjchen 
Staatsleben ausgejhieden, der Kampf um die Führerjchaft ift entſchieden, es 
beiteht fein Grund mehr, die Rechtfertigung des einen in Vorwürfen gegen den 
anderen zu juchen und damit die öffentlihe Meinung zu Gunſten des einen gegen 
den anderen zu beeinfluffen. Freilih, Vorſicht und Zurüdhaltung find auch heute 
noch geboten. Es ift viel leichter, eine Politik jchlechtweg zu verbammen, als zu 
jagen, ob es denn wohl nad) dem natürlichen Lauf menſchlicher Dinge, nad) dem 
für die einzelnen Staaten jo gut wie für den einzelnen Menſchen geltenden 
Lebensgejeß und nach ber bejonderen Beihaffenheit der Verhältnijje anders hätte 
fommen fönnen. 

„Die Beziehungen zwischen Defterreih und Preußen,” erklärt der rufjische 
Hiftorifer Bilbajoff in Uebereinftimmung mit Sybel, „können nur dann richtig 
beurteilt werden, wenn das Verhältnis Katharinas II. zu Frankreich und den 
deutihen Mächten gebührend gewürdigt wird.” !) Für die Lebens: und Regie: 
rungsgeihichte dieſer jo verjchiedenartig beurteilten Fürftin find in jüngiter Zeit 
neue Quellen erſchloſſen worden; erft feit uns ihre Memoiren und Briefe be: 
fannt geworden find, läßt fich der Charakter der „Minerva des Nordens”, in dem 
niedrige Eigenihaften des Weibes mit hohen Vorzügen des Mannes, LZaunen: 
baftigfeit und Hochherzigkeit, Sinnlichkeit und Thatendrang, Eitelkeit und 
Pflitgefühl wunderlihd vereinigt waren, befjer verftehen. Namentlih im 
Briefwechjel mit ihrem litterariſchen Vertrauensmann Baron Grimm, dem 
„franzöſiſcheſten Deutſchen“ — das Wort ftammt von St. Beuve — tritt 
ihre Perjönlichkeit ohne Maske und Schleier entgegen. Wenn fi) einerfeits 
jhwer begreifen läßt, wie Katharina die öde Speichellederei ihres Faktotums 
— er bittet fie einmal, ihn „unter ihren Hunden zu behalten”! — viele Jahre 








*) Bilbafoff, Katharina II. im Urteil der Weltlitteratur II, 470. 


452 Zweites Bud. Vierter Abſchnitt. 


lang ertragen konnte, !) jo leuchten uns andererjeits Proben der Schärfe, Viel: 
jeitigfeit und Unabhängigkeit ihres Geiftes entgegen. Sie war ein geborener 
Staatsmann, Politik beherrfchte ihr Leben, und fie errang auf dieſem Gebiete 
glänzende Erfolge, wenn auch zu bezweifeln ift, ob ihre Thaten der Wohlfahrt 
Nußlands förderlich waren. Ruhmſucht war denn doch Katharinas ſtärkſte Leiden: 
ichaft, und dieſer Trieb lieb auch fie nur tatarifhe Eroberungspolitif treiben. 
Sie wollte Polen haben, um Europa näher zu fommen, doch nicht um fi an 
europäiiche Kultur anzulehnen, jondern nur um leichter in alle Händel der Nach— 
barn ſich mifchen zu fönnen. Auch Katharina ließ ſich den Fehler zu ſchulden 
fommen, den Schlözer an Peter I. rügte, daß aller Fleiß auf die obere Etage 
des Haufes verwendet, die untere aber vernadjläffigt wurde, oder — ohne Allegorie 
geſprochen, — daß eine Akademie der Wiflenichaften, aber feine halbwegs tüchtige 
Volfsihule vorhanden war. Für Katharinas Stellung zur franzöfiihen Re— 
volution war ausſchließlich das politiiche Intereſſe Rußlands maßgebend; deshalb 
trat fie gleichzeitig gegen die Franzojen, welche das Königtum vernichten wollten, 
und gegen die Polen, welche die Königsgewalt wieder aufzurichten trachteten, 
als Feindin auf. Während fie für den nordamerifaniichen Unabhängigkeitsfampf 
geihwärmt hatte, ließ fie fich von der europäifchen Begeifterung für den Baſtille— 
fturm nicht einen Augenblid fortreißen; fie fühlte fi) ganz als Vertreterin des auf: 
geflärten Dejpotismus; fie hatte nur Hohn und Spott für die Anmaßung der „Schuh: 
flicker“, die plöglih ein Talent für Regierung und Gefeggebung an ſich entdedt 
hätten; fie fchalt die Parifer Vollsmänner Tollhäusler, die in Zwangsjaden ges 
ftectt werden müßten, gegen die unverzüglich der heilige Krieg zu eröffnen wäre, 
aber — von Schweden, Spaniern und Deutſchen, nit von den Ruſſen. Wenn 
auch ihr das Treiben der Emigranten in manden Stüden mißfiel, — fie würden, 
meinte fie, unfehlbar ihr Ziel erreichen, „wenn fie nur bie vier oder fünf kleinen 
Ingredienzien hätten, die ja jo leicht aufzutreiben find: Mut, Feftigkeit, Groß— 
berzigfeit, Klugheit und das nötige Urteil, um alles richtig zu gebrauden,” — 
jo wurde fie doch nicht müde, die Notwendigkeit einer Reftauration in Frankreich 
hervorzuheben. Wenn ſich nicht Frankreich felbft dazu aufraffen könne, die 
ihuldigften Häupter der zmwölfhundertköpfigen Hydra zu zertreten und dadurch 
Staat und Geſellſchaft zu retten, jo müſſe fich das Ausland diefer Pflicht unter 
ziehen. Ein Didingishan müfle fommen, um Frankreich zur Vernunft zu 
bringen; 20000 Rofafen würden genügen, um den Weg von Straßburg nad) 
Paris zu jäubern. ?) 

Dod der Grimm der „royaliste par metier et par devoir* befchränfte ſich 
auf Schmähreden und Drohmworte; jie operierte noch allenfalls mit Noten, niemals 
aber mit Soldaten. In Wahrheit hat niemand der revolutionären Propaganda 
fo hervorragende Dienfte geleiitet, als — Karl Hillebrand mag jelbft das un— 
galante Wort verantworten — die „obligate Heulerin über die Revolution”. Durch 


', 8. Hillebrand, Katharina Il. und Grimm; Deutiche Rundihau, 25. Bb., 377. — Einmal 
ipricht Katharina mit Wohlgefallen von einem unglaubli gefhmadlofen Gediht von Senac 
de Meilhan, das fie mit der Kathedrale St. Veter in Rom vergleiht (Bilbafoff, Katharina II. im 
Urteil der Weltlitteratur I, 572). 

2) Brüdner, Katharina II, und die franzöfifche Revolution Ruff. Revue, III, 490. 


Katharina II. und die deutichen Mächte. 453 


ihre polnische Politik hat fie fort und fort das Mißtrauen der deutfhen Großmächte 
genährt, und als es endlich zur Waffenentiheidung fam, vereitelte fie jelbit das 
Gelingen bes von ihr gepredigten „Rreuzzuges gegen die Franken“, indem durd) 
ihre Umtriebe die preußiſchen und öfterreihifchen Heere vom Rheine abgezogen 
wurden. Es war ihr ausjhlieflih darum zu thun, die läftigen Nachbarn 
zu befhäftigen. „Je me casse la tete,* fagte fie im Sommer 1791 zu ihrem 
Geheimfchreiber, „um den Berliner und Wiener Hof in die franzöfiihen An— 
gelegenheiten bineinzubringen. Der preußiihe würde ſchon gehen, aber ber 
Wiener bleibt figen.” An den Bizefanzler Oftermann jchrieb Katharina: „Die 
Höfe verftehen mich nicht. Ai-je tort? Il y a des raisons qu’on ne peut pas 
dire; je veux les engager dans les affaires, pour avoir les coudees franches; 
ih babe viele unfertige Unternehmungen, und es ift nötig, daß fie bejchäftigt 
feien, um mich nicht zu ftören.”!) Der Verfaffer der gediegenften Biographie 
Katharinas, Bilbaſoff, macht fich Iuftig über ven Wetteifer der Vertreter preußiſcher 
und öſterreichiſcher Intereſſen, die Zarin als den eigentlihen Störenfrieb zu 
denunzieren; er jagt aber nichts von jenen zwei von Kalinfa ans Tageslicht ge: 
braten Schriftitüden, welde den unmwiderleglihen Beweis liefern, daß die An: 
regung zur zweiten Teilung Polens in der That von Katharina ausging. ?) 
Am 27. Mai 1791 jchrieb Katharina an Potemkin: „Wir beabfichtigen 
nicht zu früh mit den Polen zu breden, obwohl wir dazu Recht und Grund 
baben nad einer fo niederträdhtigen, von ihrer Seite ausgehenden Berlegung 
unferer Freundfhaft und nah dem Umfturz verichiedener, durch unjere Garantie 
befeftigter Beſchlüſſe, wie auch infolge vieler Beleidigungen, die wir von ihnen 
erduldet.“ Ein „unzeitiges“ Einrüden ruffiiher Truppen würde die Preußen 
nah Polen ziehen, man müſſe alfo vorerit lieber tradhten, jede Verbindung 
zwiihen Polen und Preußen aufzulöfen und unmöglih zu maden. Nach einer 
Aufzählung der Mittel, welche hierzu angewendet werben follten, fährt die Kaiferin 
fort: „Die Zeit wird zeigen, ob wir Polen auf die eben bejchriebene Weiſe an 
uns ziehen fönnen; follten alle unfere Bemühungen fich fruchtlos erweijen und 
Unterhandlungen nicht zum Ziele führen, jo wird man nicht zögern dürfen, mit 
Anwendung der äußerften Mittel, und zwar mit Hülfe einer Refonföderation 
die Pläne der uns Mißgünftigften zu verwirren; vielleicht wird die jegige Um: 
wandlung der polniihen Konftitution ſchon allein uns eine Handhabe dazu 
bieten.” Noch zuverfichtliher und deutlicher jchrieb Katharina am 29. Juli an 
ihren Feldmarſchall, die Mißachtung, welche der König von Polen mit jeinem 
Anhang andauernd an den Tag lege, werde fie dazu nötigen, bie Feinde ber 
Konftitution um das ruffiihe Banner zu fcharen und zu ihrer Unterftügung das 
auf der Balfanhalbinjel frei gewordene Heer in Polen einmarjchieren zu laffen; 
zugleich joll der römiiche Kaifer von der Notwendigkeit jo ftrengen Vorgehens 
überzeugt und der König von Preußen wenigitens von Widerſetzlichkeit zurüd: 


) Brüdner, Katharina IL, 415. 

2, Life, Zur polnifchen Politik Katharinas II. 1791: Hiftor. Zeitihrift, 30. Bb., 281. — 
KRalinfa, Der vierjährige polnische Reichätag von 1738— 1791, aus dem Polnischen von M. Dohrn, 
I, Ein. XXVI. 


454 Zweites Bud. Vierter Abfchnitt. 


gehalten werden. „Entweder wird e8 uns gelingen, die jetige Verfaffungsform 
aufzuheben und bie frühere polnische Freiheit (!) wiederherzuftellen,; dann werben 
wir dadurch für unjeren Staat auf ewige Zeiten eine vollftändige Sicherheit ein: 
ernten. Oder aber, wenn in dem Könige von Preußen eine unüberwindliche 
Habgier zu Tage treten jollte, jo werden wir uns gezwungen fehen, um für die 
Zulunft den Sorgen und Unruhen ein Ende zu maden, in eine neue Teilung 
der polniihen Lande zu Gunften der drei verbündeten Mächte zu willigen.“ Die 
arıne Zarin! Was bleibt ihr anderes übrig, als fi) dem „habgierigen” Preußen 
anzuschließen, um das „undankbare“ Polen zu ftrafen oder vielmehr zu beglüden, 
da ja der „bejonnene” Teil der Bevölkerung „ſchon längſt feine Hoffnungen auf 
Rußlands Kräfte und Hülfe gebaut hat“. Kalinka nennt diejes Schreiben das 
Todesurteil Polens, das fein Pole ohne Grauen lefen werde. „Einen ſolchen 
Reihtum von Kombinationen neben einer völligen Gleichgültigkeit dafür, ob fie 
erlaubt oder im höchſten Grade verbrecheriſch find, eine ſolche Weite und Piel: 
jeitigfeit des Blides neben folder Nüchternheit und Scharffiht, einen ſolchen 
unbiegjamen, alles zertrümmernden Willen, eine jolde genaue Angabe der Zeit, 
der Mittel, der Perfonen und ihrer Rollen, und alles dies auf ein Jahr vorher, 
unter Taufenden von Intereſſen und Einflüffen, die fih untereinander freuzen, 
findet man nicht leicht fonft in der Gefchichte der menſchlichen Thätigkeit!” 
Katharina gab auch ihren Bundesgenoſſen ſchon im Herbit 1791 zu erkennen, 
daß fie entſchloſſen ſei, den mißliebigen Zuftänden in Polen ein Ende zu machen. 
„Jeder von den beiden Kaijerhöfen,” jagte Fürft Gallizyn in Wien zu Kaunig, 
„bat eine ernfte Miffion zu erfüllen und eine Gegenrevolution burdzuführen, 
der öjterreihifche in Paris, der ruſſiſche in Warſchau.“ Kaunig hatte gegen diefe 
Anſchauung nichts einzuwenden; ihm war vor allem daran gelegen, den Bund 
der Kaiferhöfe jo lange wie möglich" am Leben zu erhalten. Deshalb verficherte 
er mit Wärme, Oeſterreich erblide in der Unterftügung Ludwigs XVI. jeine erfte 
Ehrenpflidt; die Annäherung an Preußen fei nur zur Förderung dieſes Zweckes 
erfolgt, fei aber nur ein „zeitliche, den bisherigen Syftemzmweden der Allianz 
Defterreihs mit Rußland untergeorbnetes Mittel“.) Auch Leopold erflärte der 
Zarin, nur die Lauheit der europäifchen Mächte hindere ihn, mit der nämlichen 
Entichiedenheit gegen die Revolutionäre aufzutreten, wie fie die große Kaijerin, 
auch Hierin Mufter und Vorbild für alle Souveräne, an den Tag lege. „Die 
Unficherheit und die Langjamkeit, die den Bemühungen, ein europäijches 
Konzert zu Stande zu bringen, entgegenwirken, und die Pläne und Bitten des 
allerchriſtlichſen Königs und der Königin, meiner Schweiter, haben mid bewogen, 
unterbeilen ben Weg direkter Verhandlungen einzufchlagen, ſowohl um jeden 
Zweifel an meiner Gefinnung auszufchließen, als um die Wirkung der fpäteren 
gemeinfamen Schritte und Maßnahmen möglichft wirkjam vorzubereiten und die 
Lage in Frankreich einjtweilen etwas erträglicher und für die Zukunft hoffnungs— 
voller zu geitalten” (9. September 1791). Einige Tage jpäter wiederholte der 
Kaijer die Beteuerung, er werde für König Ludwig alles thun, was „bie Um: 
ftände und die Ereignifie erlauben werden“. „Sn jedem Falle werben wir, Em. 


') Beer, Leopold II, Franz II. und Hatharina, 85, 105. 


Katharina IT. und die deutfhen Mächte. 455 


Kaiferlihe Majeftät und ich, alles gethan haben, was wir in biejer großen An: 
gelegenheit thun müſſen und thun fönnen; ich jehe meinen Ruhm nur in inniger 
Uebereinftimmung unferer Grundfäge und der Mafnahmen vor den Augen 
Europas und der Nachmelt.” ') 

Diefe Hebereinitimmung beftand aber in Wirklichkeit gar nit. Während 
Katharina dem Programm der Emigranten geneigt war, wollte Leopold davon 
nichts wiſſen. Es wurde ſchon erwähnt, daß Leopold während des Aufenthalts 
in Prag von Anhängern der Emigrantenpolitit beftürmt wurde, die Annahme 
der Berfaffung durch König Ludwig und damit den Sieg der Eonftitutionellen 
Idee zu verhindern. „ch werde mich aber durd niemand von meinem Wege 
ablenfen laſſen,“ fagte Leopold zum preußiichen Gejandten, „ih werde dem 
Egoismus der Emigranten und der Leidenſchaft des Königs von Schweden feine 
Zugeftändnifje maden. Das Projekt einer Regentfhaft halte ich für lächerlich, 
die Aufitellung eines preußij:öfterreidhiichen Heeres für verfrüht und gefährlich, 
und auf den Landgrafen von Heſſen-Kaſſel einzumirfen, damit er jeine Truppen 
den Emigranten zur Verfügung ftelle, fält mir gar nicht ein.” In ähnlichem 
Sinne ließ ih Kaunig gegen Marquis Luckhefini, der ihn auf der Heimreije 
von Siftowa aufgefucht hatte, über die Lage aus. Vorerſt jei gegen Frankreich 
nichts zu machen; wenn nicht ein Bürgerkrieg dort ausbredhe, fehle es an jeglicher 
Handhabe, um für den König einzutreten. Auch die Haltung ber deutjchen 
Neihsfürften ermutige nicht dazu, einen Krieg vom Zaune zu breden; der Kur: 
fürft von Pfalz: Baiern habe die Bitte des Königs von Schweden, eine Anzahl 
Pfälzer in ſchwediſche Dienfte treten zu laffen, abſchlägig bejchieden; der Herzog 
von Württemberg babe den Kaijer willen lafjen, er werde, auch wenn ber 
Neichsfrieg gegen Franfreih erklärt werden jollte, nit in der Lage fein, 
Truppen ins Feld zu ftellen,; von anderen Neihsitänden ſei die Bitte einge: 
laufen, es möge vom Durchzug faijerliher Truppen durch ihre Gebiete Umgang 
genommen werben; insbejondere der hannöverfhe Hof ſuche die befreundeten 
Regierungen auf jede Weije von friegeriihem Vorgehen gegen das in gejunder 
Neubildung begriffene Frankreich abzuhalten. Jacobi wußte zur Erklärung der 
Friedensſtimmung des Faiferlihen Kabinetts noch einen triftigeren Grund: ben 
fläglihen Stand der öfterreidhifchen Finanzen. Die drei Türfenfriege, fo wird 
in Sacobis Memorandum dargelegt, und die gegen Preußen gerichteten 
Nüftungen haben Defterreih 210 Millionen Gulden gefoftet; dagegen trug bie 
allgemeine Kriegsfteuer 35 Millionen ein, aus dem Joſephiniſchen Schag wurden 
30 Millionen, aus dem von Florenz mitgebradten Schag 18 Millionen ent: 
nommen, aus dem Berfauf von Domänen und Kirhengütern 25—30 Millionen 
gelöft, von Belgien noch im Jahre 1788 2 Millionen Subjidien bezahlt; es blieb 
aljo immer noch eine Schuld von 100 Millionen, deren Berzinfung 3—4 Mil: 
lionen erfordert. Und während die Schulden ftiegen, ſanken die Einnahmen; 
die belgijehen Unruhen, die Verwüſtung des Banats, die Entkräftung ausgebehnter 
Gebiete der Monardie haben in Verbindung mit den häufigen Veränderungen 
in der inneren Verwaltung ein Sinfen der Yahreseinnahmen um 5—6 Mil: 





1) Beer, 153, 155. 


456 Zweite Bud. Vierter Abſchnitt. 


lionen zur Folge gehabt. An Steuererhöhung kann nicht gedacht werben, denn 
die Mihftimmung der Bevölferung darf nit mehr geiteigert werden. Die 
Kaufleute Elagen über die Abſchaffung des Stempels, die Landleute über die 
unbeſchränkte Zulafjung auswärtiger Weine und die Einfuhr raffinierten Zuders, 
auch andere Stände haben durch die Aufgebung der Schußzollpolitit Joſephs Il. 
ihr Vermögen eingebüßt; die Nüdficht auf diefe ber gegenwärtigen Regierung 
grollenden Leute macht Vorfiht und Bedächtigfeit zur Pflicht; deshalb mird 
Deiterreih, jolange es irgend angeht, kriegeriſche Abenteuer meiden. 

Noch ſchwärzer jchilderte der Sekretär der preußiihen Gejanbtichaft in 
Wien, Herr v. Ceſar, der in Abmwejenheit des nah Prag gereilten Jacobi eine 
Zeit lang die Geſchäfte führte, die politiihen und wirtſchaſtlichen Zuftände 
der Erblande. Eine Hebung ber Finanzen fei durch die teils noch nicht ge: 
bobene, teils neuerdings eingetretene Unordnung unmöglid gemadt. In den 
Niederlanden gährt es; Erzherzogin Chriftine fieht ſich genötigt, die äußerfte 
Strenge zu entfalten; in allen Städten müſſen ſtarke Bejagungen unterhalten 
werben, jo daß die belgifchen Provinzen nicht bloß Feine Einkünfte abmwerfen, 
fondern noch beträchtliche Zuſchüſſe für Militärausgaben beanſpruchen. Ungarn 
und Siebenbürgen, „aufgeregt dur die Ueberjchwänglichkeiten einer konſti— 
tutionellen Verwaltung”, bliden no immer mißtrauish auf einen Souverän, 
den man noch vor kurzem einen Meineidigen zu nennen wagte; das Sinnen 
und Trachten der Nation zielt nur auf Schwädhung des Anfehens und ber Ein- 
fünfte der Dynaftie, die als ein Eindringling angejeben wird. Nirgends findet 
das franzöfiihe Beispiel jo empfindlide Gemüter, als bei den leicht erregbaren 
Magyaren. Es fehlt nicht an Verbindung mit den Führern der Barijer 
Rationalverjammlung; Unterhändler war der bekannte Baron Trend, der deshalb 
auf Befehl des Prinzen von Koburg in Buda verhaftet und in Ketten nad 
Wien gebracht wurde, um vor ein Kriegsgericht geitellt zu werden. Auch Böhmen, 
Mähren, Galizien, gereizt durch den ewigen Wechjel in der inneren Verwaltung 
und ausgefaugt durch außerordentlihe Steuern und Lieferungen während des 
legten Krieges, find nicht mehr im ftande, neue Laſten zu übernehmen; die Ein: 
nahmen aus den italienischen Provinzen jind unter dem regierenden Monarchen 
auf die Hälfte herabgejunfen. 

Unter folden Umjtänden, jo folgert auch Herr v. Ceſar, verbietet ſich 
friegeriihe Politif von jelbft; an Erhöhung der Militärausgaben ift nicht zu 
denken, nur erhebliche Verminderung des ftehenden Heeres kann der Monarchie 
Rettung bringen. 

Die Schilderungen der preußifhen Diplomaten waren im Wejentlihen nicht 
übertrieben. Wie wenig ernit die Huldigungen gemeint waren, welche das belgiiche 
Statthalterpaar gelegentlich der Jnauguration in den einzelnen Provinzen von den 
Vertretern aller drei Stände entgegennahm, !) bewiejen die Aufitände im nächiten 
Jahre. Nicht beifer jah es in Ungarn aus, und in den deutfhen Kronländern 
wurde zwar die Aufhebung der firhlihen Neuerungen Joſephs II. dankbar auf: 


’) v. Zeißberg, Zwei Jahre belaiiher Geidichte (1791, 1792); Sitg.:Ber. d. philof.-hift. 
Cl. der Wiener Afademie, 123. Bd., 165. 


Marie Antoinette unb die Parteien in Frankreich. 457 


genommen, aber die Kinneigung der neuen Regierung zu freihänblerijchen 
Grundfägen mwenigitens vom Landmann als unbeilvolle Wendung empfunden. 

In erfter Reihe hat aljo wohl die Rüdfiht auf die wirtſchaftliche Be: 
drängnis der eigenen Staaten dem Kaijer die Einmiſchung in die franzöfifchen 
Angelegenheiten verleidet. Dazu fam die im Charakter Leopold wurzelnde 
Abneigung gegen jede — wie er zu jagen pflegte — „gewaltſame Ueberftürzung”. 
„Es ift erftaunlich,” verficherte Jacobi in dem eben angezogenen Bericht, „daß 
dieſer Monarch ſich niemals zu Fräftigem Vorgehen entſchließen kann.“ Gerabe 
diefe unzeitige Nachgiebigkeit in allen Dingen habe verjchuldet, daß es im Innern 
nirgends an Aufwieglern und im Ausland an der gebührenden Achtung der 
faiferlihen Macht fehle. Auch die Nüdfiht auf die Schweiter und den franzöſiſchen 
Königsthron ließ auffällige Feindfhaft gegen die Träger der Gewalt in Paris 
nicht angemejjen erjcheinen. Marie Antoinette jelbit bat ja inftändigft, ihr Bruder 
möge nichts zulaflen, was die gejunde Wendung zum Belleren, die Heranbildung 
einer fönigstreuen Partei ftören Fönnte. 

Freilih war es in den diplomatijchen Kreijen fein Geheimnis, daß bie 
offenen Kundgebungen der Zufriedenheit der Königin unter äußerem Zwang er: 
folgten und nur den Zwed hatten, fie vor dem Zorne des Volkes ficher zu 
ftellen.*) Aus den vertraulihen Briefen des königlichen Paares erhellt denn 
auch, daß diefe Anficht den Thatſachen entiprah. Im Grunde des Herzens 
wünſchte König Ludwig nichts anderes, als wieder freie Hände zu befommen, 
um dann von der neuen Verfaſſung jo viel oder fo wenig übrig zu lafjen, als 
er für gut hielt. Marie Antoinette beflagte bitter ihre unmwürbige Lage und 
die Charakterfhwähe ihres Gatten, der nit nad Gebühr empfinde, wie 
fhmählid er behandelt werde. Die Freundichaft mit den Barnave und Duport 
war mit Aufgebung der wichtigiten Dogmen der Xegitimität zu teuer erfauft, 
als daß die königlichen Gatten den neuen Stüßen des Thrones volles Vertrauen 
zugewendet hätten. Sie befanden fih in ähnlicher Lage, wie Spaziergänger, 
die im Walde von fahrendem Volk angefallen werden. Einige von den An: 
greifern jchämen fih, dab ihre Genofjen fi jogar rohe Gemwaltthat erlauben 
wollen, und beteuern den Veberfallenen, fie würden nicht zulafien, daß ihnen 
etwas zu leide geſchehe. Die Erſchrockenen nehmen zwar die angebotene Hülfe 
an, fchütteln aber nur zaghaft die Hände ihrer Netter und jpähen umber, ob 
nit ein Hüter des Gefeßes ihnen gegen Widerjaher und — Freunde zu Hülfe 
fomme. „Machen Sie meinem Bruder klar,“ fchrieb die Königin an Mercy, „dab 
ih nur von ihm Rettung erhoffe; unfer Glüd, unjer Leben, die Eriftenz meines 
Sohnes hängen von ihm allein ab!” ?) Freilich den Krieg fcheuten König und 
Königin, doch nur weil fie Furt hegten, daß die Hife und die Maßloſigkeit 
der Emigranten greuelvollen Bürgerfrieg entzünden würden. Deshalb wurde 
in der Denkſchrift, weldhe die leitenden Grundſätze des Königs bei Annahme der 
Verfafjung entwidelte, ein Einfall der befreundeten Fürften in Frankreich ab: 
gelehnt und nur ein „Kongreß unter Waffen“ als ficheres Mittel zur Wieder: 


1) Preuß. St.:Archiv. Bericht Ceſars vom 17. Sept. 1791. 
?; Feuillet de Conches, II, 225. 


458 Zweites Bud, Bierter Abſchnitt. 


heritellung der Ordnung in Franfreih erbeten.) „Die verbündeten Mächte 
müfjen Forderungen aufftellen, welde die nüßlihen Aenderungen herbeiführen, 
und zugleich Streitkräfte aufbieten, welche ihren Forderungen den nötigen Nach— 
drud geben. Die Erklärung der verbündeten Mächte kann dem Könige jeinen 
Rang und feine Macht zurüdgeben, und der König wird mit Hülfe der Ber: 
bündeten feinem Staate Ordnung und Frieden zurüdgeben.” Doch die „nütz— 
lihen Nenderungen”, die von Europa gefordert werden jollten, um dem Könige 
die Freiheit und der Krone die alte Würde zurüdzueritatten, waren jo meit- 
reihend, daß auf gutwillige Zuftimmung der Nationalverfammlung nicht zu 
rechnen war. Die Denkichrift jelbft gibt diefem Zweifel Raum; das Wort: 
„man darf, wenn es möglich ift, feinen fremden Krieg haben“, ift bezeichnend 
für die Hoffnung, daß Europa, falls der moraliiche Drud ſich nicht fräftig genug 
erweijen jollte, auch jeine Waffen zur Rettung des Königtums nicht verfagen 
würde. ?) 

Solde Wünſche fanden aber, wie ſchon dargelegt wurde, am kaiſerlichen 
Hofe nur noch fühle Aufnahme. 

Bon Pillnig begab ſich Leopold nad Prag, um fi zum König von Böhmen 
frönen zu laffen. Die böhmiſchen Stände hatten auf dem am 22. März 1790 
eröffneten Landtag die Forderung geitellt, alle Neuerungen Joſephs II, ſamt 
und jonders Mebergriffe des übelberatenen Monarden, jollten wieder aufgehoben 
werden. Leopold verhielt ſich dazu nicht ablehnend; er machte die neue Steuer: 
verteilung rüdgängig, das Generalfeminar in Prag wurde geſchloſſen, die 
biihöflihen Seminarien wurden wieder eröffnet, die Gemeinden erhielten Einfluß 
auf die Beſetzung der ftäbtifchen Memter, die Autonomie der Prager Hochſchule 
wurde wiederhergeitellt, jedoch erflärte Leopold durch Patent vom 28. Juni 1791, 
er werde auf Abänderungen der ftändifchen Nechte über das Jahr 1764 nicht 
hinausgehen.) Er ſoll fih auch bereit erklärt haben, dem Königreich Böhmen 
eine Verfafjung zu geben, doch mit diefem Anerbieten, da ja die MWohlthat in 
eriter Reihe dem Bauernjtand zu gute gefommen wäre, beim Adel auf heftigen 
Widerſtand geitoßen jein.*) Dagegen wurde vom ganzen Kronlande dankbar 
begrüßt, daß Leopold die Wenzelfrone von Wien nad Prag zurüdbringen und 
den Ständen zu fernerer Aufbewahrung übergeben ließ, und es fonnte als feier: 
lihe Anerkennung der Selbftändigfeit des Königreichs gelten, daß er fich bereit 
finden ließ, fi in der Landeshauptftadt frönen zu laffen. Am 6. September 
ging die Krönung vor fid; es war ein nationaler Feittag, wie ihn die Moldau— 
ftabt jo prunf: und freudenvoll noch faum gefeiert hatte.) Die Spradenfrage 
jpielte Schon eine bebeutfjame Rolle. Es wurde von deutichen Zeitungen mit 


) M. de la Rocheterie et M. de Beaucourt, Lettres de Marie Antoinette II, 284. 
Beigelegt einem Briefe Marie Antoinettend an Leopold vom 8. Sept. 1791. 

?) Lenz, Marie Antoinette im Kampf mit der Revolution, 271. 

) Tomed, Geſchichte Böhmens, 455. — Schlefinger, Geihichte Böhmens, 564. 

) Preuß. St.Archiv. Bericht Jacobi vom 24. Sept. 1791. 

5) Ein Berichterftatter in der Vaterländiſchen Chronit hebt befonders hervor, die Sicher: 
heit in Prag fei während der Feittage jo ungefährdet, „daß man in jeber Nadtftunde in den 
Gafjen der Stadt mit einem Hut voll Dulaten frei herumgehen könnte“ (S. 601). 


Zeopold 11. und die franzöſiſche Revolution. 459 


Befriedigung mitgeteilt, daß Leopold im Verkehr mit den böhmijchen Ständen 
fih nur der deutſchen Sprache bediente, während die Stände ihre Huldigung 
zuerft in böhmischer, dann erft in deutſcher Sprade ablajen.') 

Noch waren dieje Fertlichkeiten nicht beendigt, als die Kunde einlief, der 
König von Frankreich habe die Verfafjung angenommen. Dem preußifchen 
Geſandten wurde die Nachricht mit überihwänglihem Aufpus übermittelt: Herr: 
li Elingt es über den Rhein herüber! Im nämlichen Augenblid, da der König 
die Verfaſſung genehmigt, erhält er volle Freiheit der Perfon und des Handelns 
zurüd, alle Thore der Tuilerien werben geöffnet, damit alles Wolf feinen guten 
König fehen fann, die höchſten Hofbeamten eilen wieder zum Dienfte des Monarchen 
herbei, die fremden Minifter werben eingeladen, fih zum feltenen Feſte einzu: 
finden, Barnave und Lameth und alle Gutgefinnten und Belehrten ftehen 
huldigend zu Füßen des Thrones! ... 

„Damit it für mich die franzöfifhe Angelegenheit erledigt!” wiederholte 
Leopold. Es werde ja vielleicht, ſagte er zu Jacobi, in Frankreich nod zu 
mancherlei Wechjelfällen fommen, namentlih wenn einmal der unvermeidliche 
Banterott offen erklärt werden müfle, doch dieſen Uebeln fünne aud durch fremde 
Einmifhung nicht abgeholfen werden. Die franzöfiihen Prinzen, warf Jacobi 
ein, find jedenfalls nicht der Anficht, daß alles zu Ende ift; fie behaupten, der 
König habe nicht freiwillig gehandelt, ſondern fih nur der Gewalt gefügt. 
„Die franzöfifhen Prinzen,” erwiderte Leopold, „haben jehr unflug daran gethan, 
in ihrem Manifeft jolhe Behauptungen aufzuftellen; ihre Pläne find ein Tchlechtes 
Machwerk, zumal der Gedanke der Erhebung eines Regenten, den Fürft Kaunit 
in Gegenwart des Grafen von Artois vortrefflih als ‚Regenten in partibus 
infidelium* gekennzeichnet hat! Wenn der König von Frankreich die Verfafjung 
annimmt, iſt für mich alles zu Ende: das habe ich jchon in Pillnig dem Grafen 
von Artois erflärt, und der König von Preußen bat mir zugeftimmt!” 

Die „Baterländifche Chronik” zollte dem Kaifer, weil er in diefer Frage 
dem Zeitgeift fo viel Verftändnis entgegenbringe, hohes Lob, „Er jelbit ift zu 
jehr Vater feines Volkes, um einen verfühnten Vater mit feinen guten Kindern 
in neuen Zwift jegen zu helfen.“ ?) Auch Kaunig gab feine Befriedigung über 
diefen Ausgang offen zu erkennen. „Nad meinem Sinne follten wir und Ge- 
noſſen,“ fchrieb er an Spielmann, „Gott danken, daß dieſer gute Kerl von 
König durch feinen Entſchluß uns aus der Verlegenheit, die wir uns felbit an 
den Hals gezogen hatten, glüdlich befreit hat!”°) Zum Erftaunen der fremden 
Diplomaten fonnte man an offener Tafel aus Kaunigens Munde hören, es fei 
durchaus nicht alles jchlecht, was die Revolution gebradht habe. Er hatte zur 
Abfaſſung eines Gutachtens über die Lage Frankreichs die Revolutionglitteratur 
ftudiert und war, indem er mandes, was den anderen und ihm jelbft als 
Unreht und Gemaltthat erjchienen war, verjtehen gelernt hatte, ein nad): 
lichtigerer Richter geworden. Trug er fih doch jelbft mit dem Gedanken, ein 


i) Mündiner Zeitung, Jahre. 1791, 769, 774. — Baterl, Chronif, Jahrg. 1791, 601. 
2) Baterl. Ehronil, 651. 
2) Vivenot, I, 259. 


460 Zweites Bud. Vierter Abſchnitt. 


Parlament aus Vertretern aller habsburgiihen Erblande zu berufen und mit 
einer allgemeinen Staatsreform zu betrauen! Damit wollte er auf friedlichen 
Wege erreihen, was Kaiſer Joſeph durch gewaltſame Aufhebung aller Privilegien 
der einzelnen Staaten bezwedt hatte: die Schöpfung eines öfterreichiichen Ein: 
beitsftaates.!) Auch Staatsreferendär Baron Sperges pries wie ein Genofje 
bes Berliner Aufklärungskreiſes den ſtaatsrechtlichen Umſchwung im Franken: 
reihe. „Welches Glüd,” jagte er zu Herrn v. Ceſar, „daß eine jo widtige 
Revolution wie die franzöfiiche, nur jo wenig Blut gefoftet hat; es gibt faum 
ein zweites Beifpiel in der Weltgeſchichte; wie viele Kriege hat die engliiche 
Nevolution im Gefolge gehabt!” 

Den wahren Grund der Freude über das Verſchwinden ber Kriegsgefahr 
erblidten Jacobi und Gejar übereinftimmend wieder in ber Furdt vor An: 
ftedung Belgiens, wo es jchon da und dort zu Unruhen gefommen war, und in 
ber finanziellen Bedrängnis Dejterreihd. Zu den alten Schulden ſeien noch 
beträdhtlihe neue hinzugekommen. „Die Krönung in Prag foftete etwa 800000 
Gulden, die Feitlichkeiten in Frankfurt und Peſt 3 Millionen, die Hochzeiten 
von zwei Erzberzogen 2 Millionen; dem Grafen von Artois wurden 2—3 Mil: 
lionen vorgeftredt; 5 Millionen mußten für den Unterhalt der Truppen nad 
Brüfjel gefhict werden, das macht 14 Millionen außerordbentliher Ausgaben; 
in einer Zeit, da aus Belgien und dem Banat fo gut wie gar feine Einkünfte 
gezogen werden! Der Geldmangel machte fich bereits in peinlichiter Weije fühl: 
bar! Da begreift es fich leicht, daß man ſich nicht dazu veritehen will, die 
Kriegsfahne aufzurollen!”?) Der eifrigite Anwalt der „nterventionspolitif, 
der Schwede Ferjen, war entrüftet über die Fahnenflucht des geborenen Ber: 
treters der Zegitimität. „ch habe mich in Bezug auf die Abfichten des kaiſer— 
lihen Kabinetts nicht getäuscht,” jchrieb er vor feiner Abreife von Prag an 
König Guftav, „hier will man nur alles hinausſchieben bis zum nächften Früh: 
jahr, um fid nur ja nicht zu wirklichem Handel aufraffen zu müflen.” *) 
Kaunig wußte die Zurüdhaltung des kaiſerlichen Kabinetts durch mannigfache 
Gründe zu rechtfertigen. „Eine Einmiſchung,“ ſchrieb er in feiner für den 
Kaijer bejtimmten Denkichrift, „wäre nur dann am Plate gewejen, wenn ſie 
entweder der König von Frankreich gefordert oder unjer Intereſſe notwendig 
gemacht hätte; es hat fie aber weder der König gefordert, noch ift fie unferem 
Intereſſe angemeſſen.“ Die Annahme, daß der König nicht freiwillig gehandelt 
habe, als er die Verfafjung annahm, jei nicht zuläffig, da der König jelbft 
feierlich das Gegenteil beteuere. Eine Gefahr, daß das republifanifhe Gelüfte 
aud andere Völker anwandle, liege nicht vor; was in einem Staat von alters 


) Preuß. St.:Arhiv. Vericht Jacobi vom 10. DE. 1791. 

?) Die Finanznot war jo hoch geftiegen, daß das kaiſerliche Kabinett im Januar 1792, 
ald am Ausbruch des Krieges nicht mehr zu zweifeln war, Bedenken trug, 6000 Mann, welde 
Borderöfterreih deden jollten, fofort auf den Kriegsfuß zu ſetzen. Der jähfiihe Gefandte Graf 
Schönfeld berichtete, ein Zaiferlider General, der das Vertrauen des Kaifers geniehe, babe ihm 
verjihert, daß nur der Mangel an Geld diefes Zaubern verfhulde (Herrmann, Die öfterreichifch: 
preußiiche Allianz, 106). 

) Feuillet de Conches, IV, 106, 


Leopold 11. und bie franzöftfche Revolution. 461 


herkömmlich oder als neue Errungenſchaft eingeführt fei, berühre ſchon den Nach: 
baritaat wenig ober gar nit. Die Türkei z. B. habe von jeher bejpotijches 
Regiment gehabt, ohne daß diefe Thatfache jemals die Regierungsformen anderer 
Reiche beeinflußt hätte; ebenjowenig fei von den republifanifhen Regierungen 
verjucht worden, ihr Syſtem anderen Völkern aufzudrängen. Vollends die Re: 
gierungsänderung in Frankreich jei mit Genugthuung zu begrüßen. „Die neue 
Verfaſſung macht Franfreih für alle europäifhen Staaten weniger gefährlich, 
als unter dem alten Regiment. Wenn fie jchlecht ift, fo berührt dies nur Franf: 
reich, ift aber für alle anderen Nationen eine gleihgültige Sade. Die angeb: 
lihe Gefahr einer Anftedung anderer Völker durd; das ſchlechte Beifpiel des 
franzöfiichen Volkes ift nichts als ein blinder Lärm und ein durch die Thatjachen 
längst berichtigtes Wahngebilde.“) Man fieht, die politiihen Grundſätze des 
failerlihen Kanzlers ſtimmten faft Punkt für Punkt mit der Auffaffung der 
engliihen Staatsmänner überein: Frankreich hat durch die Revolution an Anz 
jehen und Kraft verloren, — warum follten wir Gefahren und Anftrengungen 
auf uns laden, um die ehedem übermäcdhtige und übermütige Nation wieder in 
den Sattel zu heben! „Mögen die Minifter,” fchrieb Jacobi am 24. September, 
„sagen, was fie wollen, jo viel fteht feit, daß der Kaiſer gegen Frankreich nichts 
unternehmen will und fann.” 

Zwar mußten die Emigranten, insbejondere der Herzog von Polignac, 
nad der Rückkehr Leopolds nad Wien eine Zeit lang zu hintertreiben, daß ber 
Marquis von Noailles empfangen werde, doch auf Andrängen des Kanzlers 
wurde dem Gejandten des fonftitutionellen Frankreichs ſchließlich doch geftattet, 
in öffentlicher Aubienz das Schreiben, worin König Ludwig die Annahme ber 
Verfaflung anzeigte, dem Kaifer zu überreichen. Leopold zögerte auch nicht, dem 
Schwager jeine Befriedigung über den volksfreundlichen Entihluß auszuſprechen 
(23. Dftober); zugleich wurde aber der Erwartung Ausdrud verliehen, daß in 
der Folge „jene für alle Könige und Fürften gemeinfamen Urfahen, aus den 
jüngften Ereigniſſen für die Zukunft ſchlimme Schlüffe zu ziehen, wegfallen 
möchten, jo dab es nicht nötig würde, ernſtlich einzufchreiten”.?) Diefe Betonung 
bes Fortbeſtehens des Konzerts der europäifhen Mächte ftand nicht ganz im 
Einklang mit der Erklärung, daß die Sade ein für allemal als abgethan ans 
geſehen werde. „Es herrſchen eben in Wien wecjelnde Strömungen,” jo 
erklärt der preußiſche Gefandte den Widerſpruch, „es gibt hier auch wieder 
Augenblide, wo das Fortbeftehen des Stonzerts den Plänen des Wiener Hofes 
angemefjen befunden wird.” Im Frühjahr während des Aufenthalts in Stalien 
habe der Kaifer ohne Zweifel den Vorſatz gehabt, gegen Frankreich etwas zu 
unternehmen und in diefem Sinne den franzöfifhen Prinzen Verſprechungen 
gegeben; ernitlih habe er freilih auch ſchon damals nur beabfichtigt, der 


') Reflexions du Prince Kaunitz sur la nouvelle constitution de la France, son 
acceptation et ses suites possibles, tant au dehors qu'au dedans de ce royaume; Bivenot, 
l, 284. — Reflexions du prince Kaunitz sur les pretendus dangers de la contagion, dont 
la nouvelle constitution frangaise menace tous les autres etats souverains de l’Europe; 
Vivenot, I, 285. 

) Bivenot, I, 269. 


462 Zweites Bud. Bierter Abſchnitt. 


Nationalverfanmlung Furcht einzuflößen. Nach der Rückkehr in feine Haupt: 
ftabt jei der Kaifer von Kaunig in frieblidem Sinne beeinflußt worden. „ch 
wage zu behaupten, daß der leitende Minijter es für das größte Un: 
glüd anjehen würde, wenn ber Kaiſer ſich auf feindjelige Map: 
nahmen gegen frankreich einließe, und ih babe Grund anzunehmen, 
daß Seine Majeftät der Kaijer zur Zeit noch der nämlidhen An: 
ihauung huldigt.“ Auch Spielmann denke darüber nidt anders, 
nur Eobenzl jei der entgegengelegten Anſicht, babe aber zu wenig 
Einfluß, um jeine Meinung zur Geltung zu bringen. „Auch bei ge: 
fpanntejter Aufmerkſamkeit vermochte ich feine Nenderung in dieſen Stimmungen 
zu erfennen: man will fi angefichts der kritiſchen Lage der Monarchie nicht einer 
unvermeidlihen Gefahr ausjegen, wenn man aud den Schein vermeiden möchte, 
als wollte man den König von Frankreih im Stiche laſſen.““) Das Berliner 
Kabinett ftimmte dieſer Auffafjung bei. Der Wiener Hof — ſo kennzeichnet 
ein Erlak an Sacobi die Lage — mödte gern die demofratiihe Partei ein- 
ihüchtern und von neuen Gewaltthaten gegen das königliche Paar zurüdiheuchen; 
er will auch die eigenen Unterthanen im Zaum halten, teil® dur die Vor: 
ftellung, daß das europäifche Konzert noch fortbeitehe, teils durch allmähliche 
Heranziehung von Truppen gegen Belgien; andererfeits will er feinen Lärm 
aufichlagen, um nicht in den eigenen Landen einen Ausbruch revolutionärer 
Leidenſchaft wachzurufen.*) 

Leopold ging aber noch einen Schritt weiter. Am 12. November erließ 
er an diejenigen Mächte, die er im Juli zum Einfchreiten gegen die Revolution 
aufgefordert hatte, ein neues Rundjchreiben, das nur als unbedingte Ab: 
wiegelung aufzufaflen war; die Gefahr für Leben und Ehre des Königs von 
Frankreich fei bejeitigt und damit auch der Grund zu gemeinfamem Auftreten 
der Mächte weggefallen. ”) 

Die Gewißheit, daß der Kaiſer nicht daran benfe, feine Truppen an den 
Rhein zu ſchicken, hatte auch den Kriegseifer des Berliner Hofes gedämpft. Als 
Herr von Mouftier, der nad) Frankreich zurüdberufen worden war, am 1. Oktober 
fih von König Friedrich Wilhelm verabjichiedete, beteuerte diefer, die Hand am 
Degen, er würde mit Freuden dem König von Franfreih mit 50000 Mann 
zu Hülfe eilen, wenn der Kaijer fich entſchließen könnte, eine Armee von gleicher 
Stärke ins Feld zu ftellen, aber von diefer Seite jei jchlechterdings nichts zu 
hoffen!) Die Scheu, daß man nur dazu auserjehen fein könnte, für den 
Nebenbuhler die Kaftanien aus dem Feuer zu holen, ließ alle anderen Rüdjichten 
zurüdtreten. „Die Königin von Frankreich,” jagte ein preußiſcher Diplomat zu 
König Guſtav, „it die Schweiter des Kaiſers; mein Herr muß aljo befürchten, 
daß fie, wenn erft der Krone die alte Macht zurüdgegeben wäre, nur ihren 
Bruder begünftigen würde!” Auch der glüdlihe Erfolg eines Krieges mit 


i) Preuß. St.:Archiv. Bericht Jacobi vom 19. Okt. 1791. 
2) Ebenda. Erlaß an Jacobi vom 27. Oft. 1791. 

2) Nivenot, I, 270. 

) Sorel, I, 280. 


Leopold II. und die franzöfifhe Revolution, 463 


Franfreih würde nur Defterreich zu gute kommen. Jacobi wurde noch im 
September angewiejen, dem Kanzler zu erklären, baß unter allen Umſtänden, 
falls Eljaß und Lothringen an die öfterreihifhe Monarchie zurüdfallen würden, 
ausreichender Erjaß für Preußen bejchafft werden müßte.!) Weshalb jollte man 
überhaupt mit der gegenwärtigen Lage unzufrieden fein? Der preußiiche Gejandte 
in London, Herr v. Nedern, machte fein Hehl daraus, daß auch der Berliner 
Hof in der Ohnmadt Frankreihs Vorteil und Gewinn erblide; vor dem nächſten 
Frühjahr werde alfo auf feinen Fall etwas Ernſtes unternommen werben; 
freilih, wenn in Franfreih der Bürgerkrieg ausbrehen würde, müßten die Nad): 
barmächte einjchreiten, doch würden wohl die Pariſer jelbft inzwiſchen zur Ver: 
nunft fommen, Abwarten und zufehen, wie fi die Dinge entwideln! Wenn 
der Kaifer, jo jchrieb das Berliner Minifterium am 30. September an Jacobi, 
für die Abmachungen des verfloffenen Sommers fein Intereſſe mehr an den 
Tag legt, fo ift es nicht unjere Sade, darauf zurüdzulommen; insbejondere mit 
Rüdficht auf den gebieterifhen Ton, in welden das Wiener Kabinett zurüdzu: 
fallen jcheint, muß von unferer Seite alles vermieden werden, was als Auf: 
dringlichfeit ausgelegt werden fönnte! 

Auch die Fortdauer der vertraulihen Beziehungen zwiſchen den beiden 
Kaijerhöfen wurde in Berlin mit Mißtrauen betradhtet; andererjeits erregte in 
Wien Anitoß, daß Preußen jein Schuß: und Trugbündnis mit dem Türken nicht 
aufgeben wollte. Im Reiche aber fühlte man fih dur den Bund ber beiden 
Großmächte, deſſen Schwähe man nicht fannte, beunruhigt, ja, der preußiichen 
Regierung wurde ein Gerücht zugetragen, ber württembergiiche Minifter v. Seden: 
dorff betreibe ein Bündnis aller nicht zur Union gehörigen Staaten mit dem 
bannöveriichen Hofe, jo daß das Reich in drei Gruppen unter faiferlicher, preu— 
ßiſcher und hannöveriſcher Führung zerfiele.?) 

Von deutſcher Seite war alſo Frankreich im Herbſt 1791 gewiß nicht 
ernſtlich bedroht. Wenn trotzdem die Kriegsgefahr ſich ſteigerte, ſo war dies 
nur durch das herausfordernde Gebaren der Emigranten, wie durch die Händel: 
ſucht der Parifer Umftürzler verſchuldet. 

Die Wahlen für die gejeßgebende Berfammlung in Paris brachten einen 
entichiedenen Sieg der DOrbnungsparteien. Die große Mehrheit der Franzofen 
fühlte fih dem Monarden für die Annahme der Verfaffung zu Dank verpflichtet 
und wollte von neuer Minderung und Herabwürdigung der föniglihen Gewalt 
nichts wifjen; diefe Thatſache wird dadurch bezeugt, daß in der neuen National: 
verjammlung die fönigstreuen Elemente überwogen. Troßdem wußten ſich bie 
Gegner des monarchiſchen Prinzips durch geſchickt berechnete Hetze bald wieder 
zu Herren der Lage aufzufhwingen, indem fie in der Prefje, wie in der 
Kammer rührig und raftlos darauf hinwiejen, die königliche Familie unter: 
halte geheime Verbindung mit den europäifchen Mächten, die Pillniger Defla- 
ration ſei eine Beleidigung der franzöfifhen Nation, die Anfammlung der Emi: 
granten an den Grenzen dürfe nicht länger mehr geduldet werden. Insbeſondere 


’) Preuß. St.Archiv. Erlaß an Jacobi vom 25. Sept. 1791. 
?) Ebenda. Erlaß an Jacobi vom 30. Sept, 1791. 


464 Zweites Buch. Vierter Abſchnitt. 


die Genofjen der Gironde ſchürten diefe Lohe, vor allem ihr Führer, der Journaliſt 
Brifjot, eine Art überfpannter Figaro, mehr nah Beſchäftigung ftrebend als 
nad Macht, leichtinnig genug, um alles zu jagen, offenherzig genug, um alles 
zu glauben, jhwärmerifch genug, um alles zu wagen (Sorel). Wenn es gelang, 
dem Bolfe einzureden, da König Ludwig und die „Dejterreicherin“ im Grunde 
als Hochverräter an der Unabhängigkeit und Größe Franfreihs anzujehen jeien, 
foftete e& nur noch wenig Mühe, die beftehende Verfafjung zu ftürzen; wenn es 
gelang, Frankreich in Krieg mit dem Auslande zu verwideln, war es ein Leichtes, 
die Freunde des Fortichritts und der Aufklärung ans Ruder zu bringen. Am 
20. Dftober 1791 hielt Brifjot in der Nationalverfammlung eine donnernde 
Philippifa gegen die Emigranten und ihre Gönner in Deutſchland, mittelbar 
aber auch gegen die Regierung, die dem Unfug der Artois und Conde bisher 
feig und müßig zugejehen habe. Frankreich nehme, jo behauptete der Rebner, 
in Europa ſchon längft nicht mehr den Pla ein, der ihm durch feine Geſchichte 
und jeine Bedeutung angewiefen werde; jedes deutſche Fürftlein (principieule 
d’Allemagne), das vor Franfreihs Zorn zittern jollte, das für ſolche Unver: 
ihämtheit im vorigen Jahrhundert fofort die Blitze Ludwigs XIV. auf fi ge 
zogen hätte, erlaube ſich heutzutage ungeftraft, erklärte Feinde Frankreichs zu 
beherbergen und ihren feindjeligen Umtrieben Vorſchub zu leiften. Nicht minder 
verlegend fei die Drohung der größeren Mächte, die Waffen zu erheben, weil 
das franzöfiihe Volk fich jelbft feine Gejege geben wolle. Diefer unwürdige 
Zuftand jei nicht mehr zu ertragen; man müfje die Mächte zwingen, Farbe zu 
befennen, entweder den Schuß ber franzöfifhen Rebellen aufzugeben oder offen 
als Feinde Frankreichs aufzutreten. Wenn die Antworten der Höfe nicht voll: 
fommen befriedigend ausfallen würden, gebe es feine Wahl: „Wir müfjen gegen 
alle Mächte, die uns zu bedrohen wagen, ſelbſt zum Angriff fchreiten!” Aller: 
dings fehlte es nit an Widerſpruch gegen Briffots Uebertreibungen; es wurde 
darauf bingewiejen, daß die von König und Volk befhmworene Verfafjung jedem 
das Recht zur Auswanderung gemwährleifte, daß die Eonftituierende Berfammlung 
vor ihrem Auseinandergehen eine allgemeine Amneftie beihlojien habe, daß es 
lächerlich jei, vor der Handvoll Leuten, die fi in den rheiniſchen Kurfürften: 
tümern um bie weiße Fahne jharten, Angjt zu zeigen, — umfonft! Es trat 
zu Tage, daß Brifjot und die Seinen richtig gerechnet hatten, als fie zugleich an 
die Furcht und an den Stolz ihrer Mitbürger appellierten. Ein Beſchluß vom 
8. November jebte für die Ausgewanderten den 1. Januar 1792 als lekten 
Termin zur Rückkehr feit; die Prinzen und die königlichen Beamten follten im Falle 
des Ungehoriams zum Tode verurteilt werden, und die nämlidhe Strafe jollte alle 
diejenigen treffen, die an feindliher Zujammenrottung teilnehmen würden. 
Mochte Ludwig XVI. auch allen Grund haben, über das treuloje, über: 
mütige Gebaren feiner Brüder erzürnt zu fein, fo konnte er doch unmöglich 
einer jo brafoniichen Bedrohung zuftimmen; er legte gegen den Beichluß der 
Nationalverjammlung fein Veto ein, richtete aber gleichzeitig an die Ausge- 
wanderten eine legte Mahnung, ins Baterland und zur Pfliht zurüdzufehren. 
Auh an den Beriht des Minifters Montmorin über die Beziehungen 
Franfreihs zum Ausland (31. Oktober) fnüpfte ſich eine bochpolitifche Debatte; 


Marie Antoinette und die Parteien in Frankreich. 465 


die Nationalverfammlung fand Geſchmack daran, nicht bloß im eigenen Land 
über Sonnenſchein und Regen zu gebieten, jondern aud den Mächtigen der 
Erde unverblümte Wahrheiten vorzubalten. Der Abgeordnete Ruhl kam aber: 
mals auf die deutſchen Patrone der widerjpenitigen Emigranten zu ſprechen und 
riet, mit ihnen furzen Prozeß zu machen. „Wenn Friedrich der Große mit 
Leuten von diefem Schlage zu thun hatte, ſchickte er ihnen einen Werbeoffizier 
mit einem Briefe, der klipp und klar feine Forderung ausiprad) und fein weiteres 
Federlejen geitattete; dieſe Art von Unterhandlung erzielte immer glüdlichen 
Erfolg und foftete den König nicht mehr als hundert Louisdor!” Dem Drängen 
der Nationalverfammlung nacdhgebend, ſandte Minifter Vergennes am 18. No: 
vember nad Trier, das ja als Mittelpunkt des „auswärtigen Frankreichs” gelten 
fonnte, eine fategoriihe Note, die den Kurfürften für die militäriſchen Bor: 
bereitungen der Emigranten verantwortlidd machte und für den Fall der Nicht: 
beachtung der legten Warnung das Einjchreiten des Königs in Ausficht jtellte. 

Die Antwort des deutfhen Kirchenfürſten lautete jpig genug; König Ludwig 
ſelbſt bezeichnete fie in einem vertraulichen Briefe an Breteuil als „Berfitlage”. 
Der Kurfürft leugnete die Rüftungen einfach ab und erwiderte die „Durch nichts 
begründeten” Beichwerden mit Klagen über Verlegung jeiner eigenen Rechte; 
im Namen des Königs könne wohl nicht geſprochen werden, da diefer Monarch 
überhaupt nicht mehr die Freiheit zu eigener Entſchließung genieße. Es begreift 
fih, daß fo herausfordernde Worte im Munde eines deutichen „Fürftlein” auch 
den Gemäßigten in der Nationalverfammlung unerträgli dinften. Die Miß— 
ftimmung gegen die Emigranten und ihre Schirmberren führte jogar zu vorüber: 
gehender Einigung der Anhänger Lafayettes mit dem Triumvirat der Feuillants. 
Als der an Stelle Montmorins zum Minister des Auswärtigen ernannte de Leſſart 
bei der Beratung des Emigrantengejeges am 29. November der Kammer be: 
greiflih machen wollte, die Negierung habe jchon alles gethan, um die Würde 
der Nation gegen unbefugte Cinmifhung des Auslands zu wahren, wurde 
dieſe Auffafjung von allen Seiten befämpft, dem Minifterium Mangel an 
nationalem Ehrgefühl, an Entjchievenheit und Entjchloifenheit vorgeworfen. Die 
Gefandten Franfreihs, rief der Abgeordnete Ruhl, z. B. Herr von Montefjon 
in Münden, find noch bis zum heutigen Tag von einem Troß von Lioree: 
dienern umgeben und mit dem ganzen Brimborium der abjolutiftiichen Aera 
ausgeftattet; fie find jelbit nur gehorfame Diener der hochmütigen deutſchen 
Fürften, denen doch nur franzöfiiches Geld zu ihrer Stellung verholfen bat.!) 
Eine im Namen des Departements Paris dem Monarchen überreihte Adreſſe 
war von Barnave und Duport verfaßt; die Anhänger der verfafjungsmäßigen 
Staatsform bofften duch ſolches Zugeitändnis an die Volksſtimmung ihren ge: 
funfenen Einfluß wieder zu fräftigen, um dem Anfturm der republifanifchen 
Linken befjer gewachſen zu fein.?) Dem König war in der Adreſſe der Nat ge: 
geben, er möge der beichworenen Verfaſſung unverbrüdlihe Treue halten, denn 
beim erſten Anzeichen einer Gefahr für diefes Palladium würde fi das ganze 


— 





1) Moniteur, 1791, 1336. 
?) Glagau, Die franzöfifche Legislative und der Urſprung der Revolutionäfriege, 62. 
Heigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Friedricht d. Gr, bis zur Aufläfung des deutſchen Reicht. I, 30 


466 Zweite Bud. Vierter Abſchnitt. 


Volk wie ein Mann zu feinem Schuße erheben. Dem unduldfamen Vorgehen 
der Nationalverfammlung gegen die Priefter könne die Betätigung verjagt, 
aber der Beichluß gegen die Hocverräter im Auslande müſſe aufs Fräftigfte 
durchgeführt werden. 

„Die Adreſſe,“ jchrieb Marie Antoinette an Ferſen, „verdient alle An- 
erfennung in Bezug auf die Ausführungen über das Dekret gegen die Priefter, 
aber die Schurfen haben Furcht gehabt und im übrigen ein Schock unverfhämter 
Redensarten bineingebradt.” Im Grunde bes Herzens hegte fie ja, wenn fie 
auh an die Führer der gemäßigten Partei Annäherung gefucht und gefunden 
hatte, nur Verachtung gegen alles, was ſich „Wolfsvertretung” nannte. „Man 
kann,” jchrieb fie ein andermal an Ferjen, „von diefer Berfammlung feinen 
Vorteil erwarten; es iſt eine Rotte Böjewichte, Narren und Dummköpfe; die 
wenigen unter ihnen, welche die Ordnung aufredht erhalten wollen und etwas 
befler gefinnt find, werden nicht angehört oder wagen nicht zu ſprechen.“ Sie 
baute noch immer auf einen bewaffneten Kongreß; nur die Hülfe des Auslands, 
glaubte fie, fünne den mwanfenden Thron gegen den Anfturm der Feinde im 
eigenen Lande fügen. „Unfere Lage wird mit jedem Tage peinlicher,” 
ſchrieb fie (25. November) an Mercy, „allein die Nationalverjammlung gewährt 
ein jo erjchredendes Bild der Werworfenheit, alle anftändigen Leute find der 
ewigen Unruhe jo müde, daß ich glaube: man kann ſich mit. einiger Klugheit 
noch berausziehen, aber dazu muß ich fort und fort auf dem bewaffneten Kongreß 
beftehben, wie ih es ſchon gejagt habe. Nur ein Kongreß wird es möglid 
machen, ben Thorbeiten der Prinzen und Emigranten eine Schranke zu ziehen, 
und in Paris wird die allgemeine Verwirrung vorausfichtlich binnen furzem einen 
ſolchen Höhegrad erreihen, daß mit Ausnahme der Republifaner alle Welt froh 
fein wird, wenn eine ftärfere Macht fih anſchickt, alles wieder ins Geleife zu 
bringen. Doch mein Bruder möge glauben, daß die Schritte, die wir vor 
der Welt offen zu thun gezwungen find, für unfere Lage unerläßlid find; wir 
müfjen um jeden Preis das Vertrauen der Mehrheit gewinnen, aber wir wollen 
und fönnen eine Verfaflung nicht dauernd anerfennen, die für Franfreih nur 
Unglüd und Verderben bringt; wir wünſchen einen erträgliden Stand der 
Dinge, doch diefer kann nicht durch Franzofen geſchaffen werben; es ift uns 
umgänglid notwendig, daß uns die Mächte zu Hülfe fommen, freilih auf zweck— 
entiprehende und achtunggebietende Weiſe.“ Sie hegte die fefte Ueberzeugung, 
daß ſich längit die Wolfen gelichtet hätten, wenn nicht durch ihren Bruder die 
europäifchen Mächte verhindert worden wären, jchleunigere Hülfe zu bringen; 
nur diefer „Verrat“ habe fie gezwungen, mit jo demütigender Berftellung fi 
abzuquälen, die Shmugigen Hände der Aufwiegler zu drüden und da zu lächeln, 
wo fie lieber zerfchmettert hätte. „Begreift Ihr,“ ſchrieb fie (7. Dezember) an 
Serien, „in welder Lage ich mich befinde, welche Rolle ih den ganzen Tag 
fpielen muß? Zumeilen höre ich mich ſelbſt nicht mehr, und ich muß nachdenken, 
um mich zu überzeugen, daß wirklich ich es bin, die fo fpricht, aber was wollt 
hr? Es ift nun einmal notwendig; wir würden noch tiefer finfen, als wir 
ſchon gefunfen find, wenn ich nicht fchleunigft diefe Rolle ergriffen hätte; wenigſtens 
werden wir baburch Zeit gewinnen, und das ift alles, was wir brauchen. Welches 


Marie Antoinette und die Parteien in Franfreid. 467 


Glück, wenn ich eines Tages wieder fo in die Höhe käme, daß es mir möglich 
wäre, biefen Schurfen zu beweifen, daß ich mich feineswegs von ihnen narren 
ließ! ... Welches Unglüd, daß der Kaifer uns verraten hat! Wenn er uns 
Hülfe geboten hätte, wenigftens nachdem ich im September ihm alles ausführlich 
auseinanderjegte, hätte der Kongreß ſchon einen Monat darauf ftattfinden können; 
das wäre unfer Glüd gewejen, denn jegt jchreitet hier die Kriſis mit großen 
Schritten vorwärts und wird vielleiht den Kongreß überholen. Woher wird uns 
dann Hülfe zu teil werden?” Sie blidte mit Genugthuung auf die Stürme, welde 
die Erbitterung über die Emigranten in der Kammer entfejfelte, denn dieſer 
Lärm, hoffte fie, werde endlich doch noch die Einmifhung der Mächte herbei: 
führen. „Ih glaube, wir werden demnächſt den Krieg erklären, nicht an eine 
Maht, die uns gewahfen wäre — denn dazu fehlt uns der Mut —, aber 
einigen deutſchen Kurfürften und Fürſten, von denen wir hoffen, daß fie nicht 
im ftande fein werben, fi) gegen uns zu verteidigen. Die Thoren! Die Schreier 
werden nicht gewahr, daß fie mit ſolchem Beginnen nur uns einen Dienft 
erweijen, denn wenn wir Krieg anfangen, werben fi unfehlbar alle Mächte 
zur Verteidigung der angegriffenen Rechte die Hand reihen. Dod es muß den 
Mächten Klar jein, daß wir hier nur den Willen anderer zur Ausführung bringen, 
daß wir zu allen Schritten durch Gewalt genötigt find und daß uns im gegebenen 
Falle nichts beifer dienen fann, als uns tüchtig auf den Leib zu gehen.” ') 
Nicht anders dachte König Ludwig felbft. Auch er nahm insgeheim die 
Hülfe des Auslands in Anjprud. Erjt vor einigen Jahren ftieß Jules Flammer: 
mont im Berliner Arhiv auf unumftößlihe Beweiſe, daß der Argwohn ber 
Kriegspartei, der König ftehe in geheimer Verbindung mit dem Ausland, 
nit unbegründet war. Am 3. Dezember richtete Ludwig an den König von 
Preußen ein eiaenhändiges Schreiben, das in beweglichen Ausdrüden die Bitte 
um fchleunige Hülfe enthielt; nur ein bewaffneter Kongreß der Mächte werbe 
verhindern, dab die Flamme des Aufruhrs den franzöſiſchen Thron verzehre. 
Im Sanuar 1792 wurde diefer Brief dem Grafen Schulenburg eingehändigt 
und durch den Ueberbringer, Dragonerkapitän Belzunes, die Verhandlung über 
die Entihädigung für die Koften der preußiſchen Rüftungen mweitergeführt.?) 
Wir werden darauf zurüdtommen. Der geheime Verkehr mit dem Ausland 
ift nachgewieſen, doc die von Flammermont gezogene Folgerung nichtsbeito= 
weniger ungerecht und unrichtig. Die Verbindung mit den befreundeten und 
verwandten Höfen kann nicht ſchlechtweg als „Verrat an Frankreich” gebrand: 
markt werden. Hatten denn die Gegner der Krone ein beſſeres Recht, ſich als 
Vertreter Franfreihs anzujehen? Hit zur Verteidigung des Eigentums, ber 
Freiheit, des Lebens nicht auch ein gewagter Schritt erlaubt? Cs ift wahr, 
durch den Krieg mußte auch der unjchuldige Teil der Bevölkerung Franfreichs 
in Mitleidenichaft gezogen werben, aber vielleiht war noch um diefen Preis das 
Sand vor wilder Anarchie zu bewahren, das Leben der Fföniglihen Familie 


') M. de la Rocheterie et M. de Beaucourt, Lettres de Marie Antoinette, II, 326, 
335, 343, 347. 

2) Flammermont, Negociations secrötes de Louis XVI et le baron de Breteuil 
avec la cour de Berlin (Decembre 1791—Juillet 1792), 9. 


468 Zweites Bud. Vierter Abfchnitt. 


zu retten! Sollte die Regierung davon abjehen, die Nahbarn zum Löſchen auf: 
zufordbern, weil vorauszufehen war, daß auch dadurch die Räume des Haufes 
Schaden leiden mußten? 

Doch die Nachbarn beeilten fih nicht, dem Hülferuf Folge zu leiften. Am 
Wiener Hofe, der doch zuerft den Gedanken eines bewaffneten Kongrefles an: 
geregt hatte, beftand, wie jchon dargelegt wurde, wenig Geneigtheit, fi den 
Gefahren und Koften eines Feldzuges auszufegen. Die europäifhen Mächte, jo 
verfiherte Kaunik noch in den legten Tagen bes November dem preußifchen 
Gejandten, haben weder die Pflicht, noch das Recht, in innere Angelegenheiten 
Frankreichs ſich einzumiſchen, folange der Umfturz der alten ftaatsrechtlichen 
Formen innerhalb ber Grenzen jenes Staates ſich vollzieht. Um die Herrſchaft 
in Frankreich ftreiten jegt drei Parteien, zwiſchen denen es feine aufrichtige Ger 
meinſchaft gibt: König, Nationalverfammlung und Emigranten. Die Prinzen 
verfolgen nur ſelbſtſüchtige Politik; fie wollen den Krieg, aber nicht um dem 
König zu helfen, fondern um aus dem allgemeinen Chaos für fich jelbit, für 
die MWiederaufrihtung der alten Privilegien Vorteil zu ergattern. Wenn die 
Zarin und die bourboniihen Höfe immer behaupten, der König ſei ein Ger 
fangener und deshalb habe jein Schwur auf die Verfaflung feine Bedeutung, 
fo iſt bo wohl die Frage aufjumwerfen: weshalb hat er dann Aenderungen ber 
Verfaflung nicht mwenigftens in Vorſchlag gebradt? Daß er dies nit gethan 
hat, ift ein unverwerflihes Zeugnis für die Freiheit feiner Entjheidung. In 
der Nationalverfammlung bat eben jegt eine gemäfjigte Richtung die Oberhand 
gewonnen; auf dieje bejonnene Mittelpartei will der König fi ftügen; jol man 
nun die ruhige Entwidelung ber VBerhältniffe ftören und neue Erjchütterungen 
hervorrufen? joll man nicht lieber ruhig zumwarten und ſich darauf bejchränfen, 
den Wohlgefinnten zur Wiederaufrihtung einer genügend ftarfen Krongewalt 
unter der Hand Unterftügung zu gewähren?!) 

Mit diejen frieblihen Worten des Kanzlers jcheint in Widerſpruch zu 
jtehen, daß eine Anfrage des Kurfürften von Trier, ob er im Notfalle auf die 
Hülfe des KHaifers rechnen dürfe, in bejahendem Sinne beantwortet wurde und 
Marſchall Bender, der Befehlshaber der Faiferlihen Truppen in Belgien, Befehl 
erhielt, fich bereit zu halten.?) Allein die Verfügungen find an jo viele Bor- 
behalte gefnüpft, daß auch daraus nicht auf eine kriegsluftige Stimmung des 
Wiener Hofes zu ſchließen iſt; es jollte nur der Schein vermieden werden, als 
ob das NReihsoberhaupt jeine Berpflihtung zum Schutze der Reihsfüriten nicht 
ernft nähme. 

Die Abneigung vor „gewaltthätiger” Einmiſchung war auch durch erneute 
Vorftelungen aus Emigrantenfreijen nicht zu überwinden. Das dreifte Drängen 
der franzöfiichen Prinzen, erklärte Kaunitz, ift durd die neueften Vorgänge in 
Paris nicht begründet; der König ift mit feiner Lage zufrieden; das Gerücht, 
bie föniglihe Familie babe ſich zu Condé geflüchtet, ift nichts als eine Erfindung 





) Schlitter, Zur Gefchichte der franzöfifhen Politif Zeopolds II.; Einleitung zu ben 
Briefen der Erzberzogin Marie Chriftine an Leopold Il. LXXXIX. 
2) Preuß. St.:Arhiv. Bericht Jacobi vom 23. Nov. 1791. 


Kaunik über die franzöfifhe Revolution. 469 


der Emigranten, die durch biefes Märden den Eindrud der Zöniglihen Auf: 
forderung zur Heimkehr verwifchen wollten. Das kaiſerliche Kabinett wird fich 
aljo weder durch ſolche Ausftreuungen nod dur den Papageienlärm in ber 
Nationalverfammlung vom Standpunkt eines ruhigen, leidenfchaftslofen Be: 
obachters verdrängen Lafien.!) 

Die neutrale Haltung des Wiener Hofes wurde aud in Berlin gebilligt. 
Jacobi verficherte dem Fürften Kaunitz, das preußifche Kabinett zolle der er: 
leuchteten Auffaffung des Kanzlers ungeteilten Beifall. „Solange fi die Be- 
wegung innerhalb der franzöfiihen Grenzpfähle vollzieht, befteht für uns fein 
Grund, fih einzumifchen.“ Gewiß fei zu beflagen, daß in Franfreih ein Geift 
brutaler Willfür zur Herrihaft gefommen fei, aber auch dieje traurige Lage 
verdiene immer noch ben Vorzug vor dem Bürgerkrieg, ben eine Einmifchung 
des Auslandes heraufbefhwören könnte. „Jedenfalls wird ſich Preußen in feiner 
Weile von der Bahn trennen, welche Ihre Kaijerlide Majeftät eingefchlagen 
haben, und von dem Webereinfommen, das zur Grundlage unferer Beziehungen 
dient.“ ?) 

Wie Fürft Kaunig, der bebeutendfte Staatsmann der alten Schule, die 
Lage Franfreihs nad der Annahme der Verfafiung durh den König und die 
Rückwirkung diefer Thatfache auf die Politik der großen Mächte beurteilte, er: 
fahren wir aus den Aphorismen, die er, wie fih aus dem Anhalt ergibt, — die 
Scriftitüde felbit tragen fein Datum — in den letten Monaten des Jahres 1791 
feinen Geheimfchreibern diktiert hat.) Er zeigt ſich dabei von einer neuen 
Seite. Nicht bloß verraten feine Betradhtungen über die allgemeinen Menſchen— 
rechte ſtarke Beeinfluffung durch die franzöſiſche Aufklärungsphilofophie: vor 
allem ift das Zugeltändnis, daß England feinen Ruhm und feine Größe nur 
der Verfafjung zu danken habe, fennzeichnend für den Anbruch einer neuen Zeit. 
Es ift nicht daran zu denken, erklärt er, daß ein fo großer Staat wie Frank: 
reih auf die Dauer mit einer Verfaſſung, wie fie zur Zeit befteht, regiert 
werden fann, allein ebenjo wenig ift die Rückkehr zum alten Regiment möglich. 
Man muß aljo nah einem Ausgleich juchen. Mit Gewalt ift nichts zu machen, 
wenigitens nichts Dauerhaftes, denn das Mittel könnte verderblicher wirken, als 
das Uebel jelbft, wenn über furz oder lang ein Rückfall erfolgen würde. Es 
muß alſo ein fonftitutionelles Syftem gefunden werden, das für den König ans 
nehmbar ift und zugleich bie Nation befriedigt; ein ſolches fol der König jelbit 
anbieten, um feinen guten Willen zu beweifen und auch für die Zukunft die 
Nuhe des Landes zu befeftigen. Doch es wäre allzu ſchwierig und zeitraubend, 
ein neues, nicht zu viel und nicht zu wenig bietendes Syſtem erft ausfindig zu 
maden, und es wäre liberflüffig, da es ja ſchon eine allen Anfprüchen genügende 
Verfaſſung gibt. „Der König ſoll alfo vor feinem Volke und feiner National: 
verfjammlung fih dazu erbieten, ohne weiteres die engliihe Verfaſſung 
anzuerkennen, die ja, was für ganz Europa eine befannte Sade ift, den Ruhm 


2) Preuß. St.:Arhiv. Berichte Jacobis vom 30. Nov. und 3. Dez. 1791. 
?) Ebenda. Erlaffe an Jacobi vom 1. und 11. Dez. 1791. 
) Vivenot, I, 290. 


470 Zweites Bud. Vierter Abichnitt. 


und die Wohlfahrt der Nation begründet hat. Dadurch ift nicht ausgeſchloſſen, 
daß im Einvernehmen mit der Bolfsvertretung einzelne Aenderungen getroffen 
werden, wie fie das eigentümliche Bedürfnis der franzöfiihen Nation erfordert.” 

Am Bunde mit Rußland will Kaunig auch unter den veränderten Ver: 
bältnifjen feftgehalten wifjen, doch fol aud mit Preußen Friede und Freund: 
ſchaft geichloffen werden, zumal an ber Aufrichtigfeit der Zuneigung Friedrich 
Wilhelms nicht zu zweifeln fei. „Sein Vorgänger, jonft ein großer Mann, hat 
ein politiiches Syftem befolgt, das in allem und jedem den Anfichten und Inter— 
eſſen des Wiener Hofes zumiberlief und ihn mit diefem jo gründlich verfeindete, 
daß dadurch alle Ereignifie feiner Regierungszeit beeinflußt waren; er konnte 
niemals auch nur auf einen Augenblid jene Ruhe des Geiftes und der Seele 
genießen, bie ſchließlich doch allein im ftande ift, das Glüd der Fürften, wie der 
anderen Menjchen zu begründen. Unbeftreitbar war der König von einem be: 
Hagenswerten Irrtum befangen, wie es die traurigen Folgen feit nahezu fünfzig 
Sahren ſattſam bewiejen haben.” Der Nachfolger, Frievrihd Wilhelm, habe diejen 
Irrtum erfannt und ftrebe, ſich davon frei zu machen, aber es genüge nicht, das 
falſche Syftem aufzugeben; der König müſſe fih auch von allen Anhängern diejer 
falſchen Richtung abwenden, jonft werde ein aufrichtiges Einverftändnis zwifchen 
den ausgejöhnten Feinden nicht möglich fein. „Geredtigfeit, gefunde Vernunft 
und vollkommen durchgeführte Gegenfeitigfeit müfjen die Grundlagen des neuen 
Bundes fein, und pünftlih muß an dem Grundfaß feitgehalten werden: Was 
du nicht willft, daß man dir thu’, das füg’ auch feinem andern zu!” Die rechte 
Form für den Freundichaftsvertrag zu finden, wird feine Schwierigkeit bieten; 
die Hauptiadhe ift, daß man aufrichtig gefonnen ift, mit ber alten, faljchen 
Tradition ein für allemal zu brechen und die Forderungen ber neuen Zeit ohne 
Rückhalt anzuerkennen. — 

Das vorübergehende Bündnis der Feuillants mit der Partei Lafayettes 
hatte zur Folge, dab in das fonft nur aus gemäßigten Elementen zufammen- 
gejegte Minifterium de Leffart ein Vertreter der fehneidigeren Richtung, Graf 
Narbonne, als Kriegsminifter aufgenommen wurde. Narbonne war ein gern ge 
jehener Gaft in den Salons der Frau von Stael und Frau Condorcet, in denen 
für die Republik platonifch geſchwärmt wurde; er zählte auch zu den vertrauten 
Freunden Lafayettes.!) Seit in Franfreih das ca ira immer lauter ericholl, 
jeit fich immer klarer herausftellte, dal; auch die Verfaffung da, wo es fih um 
Schuß mifliebiger Perfonen und Einrihtungen handelte, nur ein toter Buchſtabe 
fei, erblidte die Feine Schar Edelleute, die in Lafayette ihren Führer verehrte und 
teilmeife, wie biefer, die Schule des amerikaniſchen Feldzugs durchgemacht Hatte, 
im Kriege das befte Mittel, die Leidenschaften des Volkes auf ein würdigeres 
Ziel Hinzulenfen. Wie wenig Blut habe die glorreihe Revolution in Amerika 
gefoftet! Wohl nur, weil man gezwungen war, ſich unaufhörli mit äußeren 
Feinden herumzufchlagen. Ebenſo bedeute der Krieg aud für Frankreich nicht 
eine Gefahr, jondern die Rettung aus heillofer Verwirrung und die Abwendung 


") Lacretelle, Histoire de la Frauce pendant le 13° siöcle, IX, 32. — Villemain, 
Souvenirs contemporains d’histoire et de litterature, 28. 


Wachſende Ariegägefahr. 471 


einer häßlichen Pöbelderrihaft. Selbit wenn der Waffengang mit ganz Europa 
zu wagen wäre! Wenn fchon Ludwig XIV. einer europäifchen Liga erfolgreichen 
Widerftand entgegengefegt habe: um wie viel leichter werde ein freies Wolf der 
Söldnerſcharen der Nachbarn fih erwehren! 

Diefer Auffaffung huldigte auch Narbonne, obihon er fi nidt fo offen 
und Öffentlih dazu befannte, wie Biron, Rohambeau und andere Fayettiften. 
Der Einfluß des neuen Kronrates trat fogleih in ber füniglihen Sigung am 
14. Dezember zu Tage. Der König felbit — zur Linfen des Präjidenten der 
Nationalverfammlung ftehenb — verlas ala Antwort auf die jüngften Beichlüffe 
der Bolfsvertretung eine Erklärung, deren energifher Ton alle Welt überrajchte. 
Nah dem Willen des Volkes habe die Regierung ſowohl die Emigranten zu 
Ihleuniger Rüdfehr ins Vaterland, als aud den Kaijer und die deutichen Fürften 
zu firenger Beachtung der jchuldigen Rüdfihten gegen Frankreich aufgefordert. 
Daraufhin habe zwar der Kaifer, wie es von einem treuen Bundesgenofjen 
Franfreichs nicht anders zu erwarten, jede Zufammenrottung von Kriegsvolf in 
deutſchen Staaten verboten, dagegen werde von einigen deutihen Fürften eine 
Haltung beobachtet, die nur als Beleidigung Frankreichs aufgefaßt werden könne. 
Der Vertreter der franzöſiſchen Nation fenne aber jeine Pflicht; zunächſt fei dem 
Kurfürften von Trier eröffnet worden: falls nicht bis zum 15. Januar die An: 
jammlungen der Emigranten in Kurtrier aufhörten, werde gegen den anmaßenben 
Feind Franfreihs nah Gebühr vorgegangen werben. !) 

Nach diefen Worten erjcholl jubelnder Zuruf von allen Seiten des Hauſes; 
fogar der jelten gewordene Ruf: Es lebe der König! war zu hören. 

Die nämliche Aufforderung, fuhr der König fort, werde ih an alle richten, 
die fih erfrechen, Frankreichs Sicherheit zu bedrohen; ich werde niemals dulden, 
daß unfere Nation ungerächt beleidigt wird. Auch an den Kaiſer habe ich noch— 
mals geichrieben, er möge feinen ganzen Einfluß aufbieten, um die Wider: 
fpenftigfeit jener Fürften zu brechen und dadurch das Unheil des Krieges vom 
Deutihen Reiche fernzuhalten. Man darf wohl hoffen, daß die Mahnung aus 
folhem Munde Gehör finden wird, allein für alle Fälle habe ich gleichzeitig die 
nötigen militärifhen Maßregeln angeordnet, um meinen Erklärungen den nötigen 
Nahdrud zu geben. Denn falls mein Wort nicht beachtet wird, bleibt nichts 
übrig, als der Krieg, und fein Mann von Ehre wird ſich der Ueberzeugung ver: 
ichließen, daß eine Nation, die feierlih auf alle Eroberungen verzichtet hat, (un 
peuple, qui a solennellement renoncé aux conquötes!) zwar nur notgedrungen 
fih auf Krieg einläßt, aber auch nicht davor zurückſcheut, wenn die eigene Sicher: 
beit und die Ehre es gebieten! Es ift hohe Zeit, den fremden Nationen zu zeigen, 
daß in Franfreih Volf, Parlament und König einig und eins find! — Mit er: 
neuter Verfiherung unverbrüdlicher Verfafiungstreue ſchloß die Rede des Königs. 
„Ich fühle aufs tieffte, wie herrlich es ift, der König eines freien Volfes zu fein!“ 

Auch der neue Kriegsminifter, der die Freiheit der Gegenwart als Bürg— 
ichaft des Sieges feierte, wurde mit Beifall überfchüttet.?) „Bannen müfjen wir 


) Moniteur, 1463. 
?) Minerva, Ihrgg. 1791, I, 213. 


472 Imeites Bud. Vierter Abfchnitt. 


jenen Geift der Entmutigung, der Frankreich ſchon als geichlagen anjehen 
möchte, wenn es feine Freiheit gegen den Bund von ein paar Defpoten zu 
verteidigen hat; it es doch fiegreich geblieben, als es fich nur um eines Mannes 
willen mit einer weit furdhtbareren Koalition zu jchlagen hatte!” Sobald es 
fih um Schub des Baterlandes handle, gebe es in Franfreih nur noch eine 
Partei; begeiftert werde fich die Armee um ihre Führer, das Volk um feinen 
König ſcharen. „König und Vaterland find eins!” Frankreich habe über drei 
wohlgerüftete Armeen zu verfügen und dürfe dem Aufbruch an die Grenze nicht 
bloß mit Bertrauen, fondern mit Befriedigung entgegen jehen. „Eine Ber: 
längerung des gegenwärtigen Zultands ber Unruhe und Aufregung würde zur 
Anarchie führen. Dagegen steht feit: der erfte Aufruf zum Kampfe ift das 
Signal zur Wiederkehr der Ordnung!” 

Dem Miniſter mochte es mit jeiner Begeilterung ernit jein, dagegen ent: 
ſprach die in der Nationalverfammlung abgelejene Erklärung durchaus nicht der 
Anſchauung und den Wünfchen des Könige. Wie von ihm die Yage aufgefaßt 
wurde, erhellt aus den vertraulichen Aufichlüffen, womit er vor Baron Breteuil 
jein Verhalten rechtfertigte (14. Dezember).‘) Den Krieg wolle auch er, aber 
nit aus den von Narbonne dargelegten Gründen. Wenn die Reden, die er 
im Auftrag der eigentlihen Machthaber halten müfje, den Krieg herbeiführen 
würden, jo wäre dies nur ein „politifcher”, nicht ein Bürgerkrieg, und es 
fönnten davon auf alle Fälle günitige Folgen erhofft werden. An einen Sieg 
ber Franzofen jei wohl mit Rüdfiht auf die phyfiiche und moralifche Zerrüttung 
des Staates nicht zu denken; die Niederlage würde eine raſche Wandlung herbei: 
führen; die Franzojen würden dann von den Errungenschaften der Revolution 
nichts mehr willen wollen und reuig jelbit den zertrümmerten Thron wieder 
aufrichten. Falls aber wider Erwarten den Franzojen Sieg bejdhieden fein 
follte, jo würde aud daraus die Krone Nuten ziehen, denn jeder glüdliche 
Krieg fteigere die Beliebtheit und das Anjehen des Regenten. Für ihn könne 
es alfo feine jchlimmere Wendung geben, als daß die deutjchen Fürften, durch 
Franfreihs Drohungen eingefhüchtert, der franzöfiihen Regierung volle Genug: 
thuung leiten würden. Dies würden die prahleriihen Faktionen als großen Sieg 
auspojaunen und zur Steigerung ihres Kredits ausbeuten, und die verberblicdhe 
Maſchine würde dann wohl noch eine Zeit lang fortarbeiten. Daß es nicht dahin 
fomme, daß der Kaijer endlich feine Zauderpolitif aufgebe und fih zum Schuß 
der bedrohten Kurfürften bereit erkläre, dafür jollten feine Getreuen wirken; er 
jelbft müſſe dabei unbeteiligt erfcheinen, um nicht den Verdacht aufflommen zu 
lafien, daß er Frankreichs Niederlage herbeiwünſche. „Mein Benehmen muß 
fo eingerichtet fein, daß die Nation in ihrem Unglüd feine andere Rettung fieht, 
als fi in meine Arme zu werfen.” 

Fata trahunt. Ueber ihm war das Verhängnis. Er hatte verjäumt, 
rechtzeitig den gefährlidhiten „Volfsbeglüdern” die Köpfe vor die Füße zu legen. 
Jept war es zu entichloflenem Handeln zu jpät; er mußte zu Winfelzügen feine 
Zuflucht nehmen, die ihn nur in neue Gefahren verftridten. Der Kaifer, der 








) Feuillet de Conches, IV, 296. 


Wachſende Kriegägefahr. 473 


durhaus nicht darauf erpiht war, den legten Grofchen zur Rettung des Haufes 
Bourbon aufs Spiel zu jegen, konnte darauf hinweiſen, daß ein König, ber 
die Intereſſen- und Ideengemeinſchaft der Krone mit der Volksvertretung jo 
ſtark betone, des fremden Schuges nicht bebürfe. Dagegen wußten die Volks— 
vertreter recht gut, dab die patriotifche Begeifterung des Monarchen biktiert und 
die Verbindung des Hofes mit den europäifchen Kabinetten menigftens nicht 
gänzlich abgefchnitten war; den kriegeriſchen Fanfaren wurde alſo Beifall ge- 
fpendet, doch der Argwohn gegen den Gemahl der „Defterreiherin” nicht auf: 
gegeben. 

In Paris — und Paris war ja ausichlaggebend für Frankreich — war 
man im allgemeinen nicht gerade friegsluftig, aber nur nod die Angehörigen 
der äußeriten Rechten und der äußerften Linfen waren überzeugte Gegner des 
Kriegs. Barnave und feine Freunde, die ein halbes Jahr fpäter als Mit: 
glieder des „öſterreichiſchen Ausſchuſſes“ vor Gericht gezogen wurden, hatten 
zwar aud dazu beigetragen, daß ein Minifter berufen werde, der entjchloffener 
als jeine Vorgänger für die Ehre der Nation eintrete, allein durch diefes Zus 
geftändnis an die Öffentliche Meinung wollten fie nur den Briffotins den Boden 
abgraben; fie hofften, ein ſolches Warnungszeihen werbe die allzu anmaßenden 
deutſchen Nachbarn zur Vernunft bringen, und da vom Kaifer felbit ein gemalt: 
thätiges Eingreifen nicht zu bejorgen, werde die Ruhe erhalten bleiben und die 
Emigrantenfrage zu friedliher Löfung gelangen. Aus anderen Gründen wollten 
die Nobespierre und Desmoulins und Marat, die offen und unverblümt auf die 
Republik losfteuerten, von Rüftungen und Krieg nichts wiflen. Ein fiegreidher 
Feind, jo festen fie im Yakobinerflub auseinander, werde das gejtürzte Gößen- 
bild des Abjolutismus wieder aufrichten, dody auch ein Sieg der franzöfiichen 
Waffen berge nur Gefahren für die Freunde der Freiheit. Die wohlgedrillten 
Soldaten Fönnten allenfalls auch zu anderen Zmweden verwendet werden, als zum 
Kampfe mit Defterreihern und Rufen. — 

Dagegen war in immer weiteren Kreifen die Ueberzeugung aufgewadjen, 
daß es früher oder fpäter zu feindlihem Zufammenftoß zwiſchen „dem göttlichen 
Recht der Könige und der Souveränität des Volkes” fommen müſſe.) Es lag im 
Weſen der Revolution, daß ihre Anhänger danach trachteten, das neue Evan: 
gelium weiter auszubreiten; das „Land der Freiheit” und das feubale Europa 
fonnten nicht auf die Dauer in Frieden leben. Diefer Anfiht Huldigte auch 
der neue Kriegsminifter, dem ſich raſch die Gunſt des Volkes zugewendet hatte. 
Zwar waren die Vorrechte des Adels in Frankreich abgejchafft, aber damit war 
die im Bürger: und Bauernftand feftgewurzelte Bewunderung des grand seigneur 
nicht ausgerottet; nur mußte diefer mit modernen Schlagworten ſich vertraut 
gemacht haben. Darauf verftand fich aber niemand bejjer als der im Bureau 
d’esprit ber Frau von Staöl zu den modernen Ideen befehrte Ariftofrat, der 
galante, wißige Lebemann Narbonne.?) Als Piöce de rösistance feines politischen 


") M&emoires, correspondance et manuscrits du general Lafayette; Des armees 
frangaises 1789—1792, III, 300. 
) Olagau, 76. 


474 Zweites Bud. Vierter Abſchnitt. 


Programms bezeichnete er in einem Schreiben an den Mentor der Königin, 
Grafen Mercy: Argenteau (21. Dezember), die „gleihmäßige Abwehr der Emi- 
granten und der Republifaner”. In jo aufgeregten Tagen jei es nit am 
Plage, den Ruf nad Reform der ftaatlihen Einrichtungen zu erheben; ſondern 
jeder, der es mit König und Vaterland gut meine, müſſe an der beftehenden 
Verfaſſung fefthalten und vor allem jede fremde Einmifchung zurückweiſen. Graf 
Mercy möge wieder nah Paris zurüdfehren, da feine Gegenwart fidherite Ge- 
währ „für die Nufrichtigfeit der Königin gegen die Nation” bieten werde. 

Auch der für den Kriegsfall zum Führer der franzöfiichen Heere auserjehene 
Zafayette verfündigte als Lojung: Für König und Staat gibt es fein Heil 
außer im engiten, aufrichtigſten Anſchluß an die Verfaſſung, mögen ihr aud 
noch fo viele Mängel anhaften. Wenn der König mohlgerüftete Heere zur Ber: 
teidigung der Verfafiung bereit jtellt, wird die Krone das alte Anjehen unb die 
alte Beliebtheit zurüderlarigen. 

Auch ſpäter noch, als die franzöfiiche Republik ſchon in den legten Zügen 
lag und „die Erften der Nation (vor Bonaparte) auf den Knieen zu rutſchen be- 
gannen” (1799), urteilte Lafayette: „Es war ein jchwerer Fehler der Fürften 
Europas, daß fie die ruhige Entwidelung Frankreichs ftörten! Hätten fich bei der 
Unſchlüſſigkeit der Freiheitsfreunde, wie die ſchwierige Frage der vollziehenden 
Gewalt zu löfen fei, die Monarchen raſch dazu verftanden, die Menſchenrechte 
mit den Rechten eines gejegmäßigen Königtums in Einklang zu bringen, fie 
wären bejler damit gefahren, als mit dem Vertrag von Pillnik, den ih damals 
den ‚großen Freibrief ver Jakobiner‘ genannt habe. Dieje Verbindung der Mächte, 
die widhtigfte von allen, wurde nicht gejchloffen gegen die Verbrechen bes Auguft 
und des Septembers, nicht gegen die Schafotte und die Schredensherridhaft, die 
vorauszufehenden oder doch notwendigen Folgen jener Greueltage, nein, fie 
wurbe gejchloffen gegen die von einer Nationalverfammlung in zwanzig Monaten 
zwanglos ausgearbeitete Verfaſſung, die, vom Volt mit Jubel begrüßt, vom 
König angenommen, durd den König allen Höfen befannt gegeben und von biejen 
felbft mit heuchlerifhen WVerwahrungen wieder vorgelegt worden war.“ ') 

Am offenften und lauteften vertraten die Männer der Gironde den Ge: 
danken: Nur der Krieg mit den Schugherren der verjagten Ariftofraten kann 
Franfreih vor der Wiederkehr der Abfolutiften bewahren, nur der Krieg kann 
ung die Errungenschaften der Revolution retten! Isnard bezeichnete dies geradezu 
als wichtigſte Aufgabe der Volksvertretung. „Unfere Vorgänger, die Mitglieder 
der Konftituante, ſchufen die Freiheit durch philofophifche Lehren und Volks— 
erhebungen; wir haben fie durch die Diplomatie und das Schwert zum Triumph 
zu führen; dies ift die Aufgabe, die für unfere Legislatur aufgejpart blieb.” 
Isnard, Briffot, Vergniaud und andere Gefinnungsgenoffen verlangten von 
vornherein offenen Bruch mit Deiterreih und Annäherung an Preußen und 
England. Viele Franzojen jahen ohnehin in Defterreih den natürlichen Gegner, 
den Erbfeind, der von jeher, wie Abbe Bernis einmal gejagt hatte, wie ein 


) Memoires etc, de Lafayette; Lettre du général Lafayette à M. d’Hennings 
III, 265. 


Wachſende Kriegägefahr. 475 


Blutegel an Frankreichs Größe und Wohlſtand geflogen habe.!) Das PVerfailler 
Bündnis mit Defterreih von 1756, das „grand wuvre* des Fürften Kaunitz, 
war in Frankreich eigentlich immer unpopulär gewejen; nicht mit Unrecht war 
die Anficht verbreitet, daß es nicht zum Aufſchwung, jondern zum Niedergang 
ber Machtſtellung Frankreihs in Europa beigetragen habe. Die Schande bes 
jiebenjährigen Kriegs, die Niederlagen der franzöfifhen Diplomatie, die Teilung 
Polens, die Niederwerfung der Türkei, die Vernichtung der republifanifchen 
Partei in Holland wurden auf den widernatürliden Bund der natürlichen Feinde 
zurüdgeführt. Marie Antoinette war als „Dejterreiherin”, als Tochter Maria 
Therefias und Schweſter Leopolds II. immer mit jcheelen Augen angefehen 
worden. Graf Segur, der als ein zu den Grunbjägen der Revolution befehrter 
Diplomat der alten Schule dieſe Verhältniſſe am beften zu beurteilen mußte, 
fagt geradezu: „Der Haß gegen Defterreih war die herrſchende Leidenſchaft in 
Sranfreih.” ?) 

Am mächtigiten aber trieb zum Kriege die finanzielle Notlage des Landes. 
Auf allen Gebieten der Verwaltung war Hägliche Unordnung eingeriffen; nicht 
bloß war das Triebwerk des ftaatlihen Organismus ins Stoden geraten, fon: 
dern viele Räder verfagten gänzlich den Dienft. Die Aſſignatenwirtſchaft ftand 
in vollſter Blüte; im Dezember 1791 wurden 1800 Millionen Aifignaten emittiert, 
die Ausgabe von weiteren 300 Millionen ftand bevor. Da jedoch nicht einmal 
der Schein einer Dedung geboten war, ſank der Kurs tiefer und tiefer; im 
Dezember 1791 ftand er auf 68%, im Januar 1792 auf 66, im Februar auf 60, 
im März auf 53; erft nah dem glüdlichen Verlauf des Feldzugs ftieg er wieder 
auf 69.) Im Zufammenhang mit der Entwertung der Staatspapiere ftieg der 
Notftand im Lande, vor allem in der Hauptitadt. Es rächte fih, daß auf dem 
Lande, feit man aud den Bauernitand in die Politik hereingezogen hatte, Ader: 
bau und Viehzucht unverantwortlid vernadläffigt worden waren; infolge davon 
machte fih Mangel an Lebensmitteln insbefondere in der KHauptitabt immer 
empfindlicher fühlbar, die Brotpreife ftiegen ungeheuerlih in die Höhe. Im 
Oktober 1791 mußte die Municipalität von Paris zu Getreideanfäufen im Aus: 
fand ihre Zuflucht nehmen, obwohl fie fih für ſolche Handelsgeſchäfte weder für 
befugt, noch für berufen anſah; es mußte geichehen, um den durch das Elend 
der Maſſen hervorgerufenen, faſt täglich wiederfehrenden Straßenaufläufen ein 
Ziel zu ſetzen. Unter folhen Berhältnifjen wuchs der dumpfe Haß der Beſitz— 
lojen gegen die Befißenden immer mädtiger empor. Seit die Stimme Mira: 
beaus, der unabläfjig die „Armen und Elenden” vor Verhegung durch gemifjen: 
loſe Aufwiegler gewarnt hatte, verhallt war, gelangte die jozialiitifche Forderung 
gleichheitlicher Verteilung des Eigentums immer dringlicher und ftürmifcher zum 
Ausdrud. Marat lehrte täglih im Ami du peuple, daß bie beitehende Ver: 
fajjung ein wertlojes Papier jei, jo lange nicht wirklich für Neih und Arm 
gleihe Rechte gefichert wären. „Was nüßt es dem eigentlichen Volke, daß jet 


!) Chuquet, Les guerres de la revolution, I, 8. 
?) Segur, Mémoires ou souvenirs et anecdotes, II, 84. 
* Ad. Schmidt, Parifer Zuftänbe, II, 96, 104, 108. 


476 Zweites Bud. Vierter Abichnitt. 


ftatt der Edelleute und Pfaffen ſiebengeſcheidte Advokaten und wucheriſche Makler 
das Heft in Händen haben?” 

Nicht bloß der Staatsbankerott ſchien unvermeidlich bevorzuftehen, die 
Unzufriedenheit der Maſſen drohte über Stadt und Land noch ſchlimmeres Un— 
heil zu verhängen. Dieſe Gefahr ließ der zur Zeit herrſchenden Bourgeoifie 
jelbft den Krieg als Eleineres Uebel ericheinen. In diefem Sinne erklärte Brifjot 
in der Kammer: „Der Krieg it im gegenwärtigen Augenblid eine Wohlthat für 
unfer Vaterland!” 

Wie man fieht, war der Boden zur Aufnahme des Kriegsgedanfens überaus 
empfänglid, als die Antwort des Wiener Hofes auf die im Auftrag der National- 
verjammlung geitellten Forderungen in Paris eintraf, 

Meder Kaiſer Leopold, der Agamemnon cunctator, wie ihn jhon die Zeit: 
genofjen nannten, noch fein zur Zeit jo verfafjungsfreundliher Kanzler waren, 
wie zur Gemißheit feftgeftellt werden fonnte, Freunde einer friegeriihen Politik. 
Doch auch ihre JZurüdhaltung hatte eine Grenze. Sie hatten feinen Grund, ſich 
darüber zu härmen, daß Frankreich durd die inneren Wirren feinen Einfluß in 
Europa verloren hatte, aber eine noch tiefere Herabdrüdung der Ftegierungs: 
gewalt in Frankreich war weder mit den ntereifen, noch mit der Ehre des 
Wiener Hofes vereinbar.!) Auch die Volfsverführung durfte feine weiteren Fort: 
fohritte machen, jonft war die Anftefung Belgiens zu befürdten. Die Reichs- 
fürften, die durch den Sieg der Revolution ihre lehensherrliden Rechte im Elſaß 
verloren hatten, waren nod ohne Genugthuung. Zweibrüden und einige andere 
weltlihe Stände wären nicht abgeneigt gewejen, die von ber franzöſiſchen Re: 
gierung angebotene Abfindung mit Geld anzunehmen, allein die geiftlichen 
Fürſten wollten davon nichts willen; einen Artikel des weftfäliichen Friedens: 
vertrags mißachten, erklärten fie, heiße den ganzen in Frage ftellen. Die Ber: 
weltlihung des Kirchenguts in Frankreich hatte alle geiftlichen Fürften mit Arg- 
wohn und Bejorgnis erfüllt; jeit während des erſten fjchlefiichen Krieges zum 
erjtenmal der Vorſchlag gemaht worden war, Kaifer Karl VII. für den 
Verzicht auf das habsburgiihe Erbe durch eingezogene Hochſtiftsgebiete zu ent: 
Ihädigen, lag der Gedanke der Säfularijation der geiftlihen Fürftentümer ge: 
wiflermaßen in der Luft. Im kaiſerlichen Intereſſe durfte aber nicht zugelafien 
werben, dab jolche Ideen feitere Geftalt annähmen, denn an ben Kirchenfürften 
hatte die Faiferlihe Politit im allgemeinen immer die willfährigften Bundes- 
genojjen gehabt. Es war in Wien als jchwerer Schlag empfunden worden, daß 
Kurmainz, auf faiferlihen Schuß verzichtend, dem Fürſtenbunde beigetreten war; 
ein folder Hall durfte fich nicht wiederholen; es mußte um jeden Preis verhütet 
werden, daß etwa auch der Kurfürft von Trier oder der Bilhof von Speier engere 
Fühlung mit Preußen fuchten oder fih dem Schuße der vielgepriefenen Hüterin 
des „hiſtoriſchen Rechts“, der Zarin Katharina, empfahlen. Es durfte nicht dahin 
fommen, daß der römiſch-deutſche Kaifer nicht mehr als natürlicher Anwalt der 
Legitimität und Fürftenehre angejehen, daß Defterreih jchlieglih außer Ver: 
bindung mit dem übrigen monardiichen Europa gefegt wäre! Ebenfowenig fonnte 


) Lenz, 295. 


Wachſende Kriegsgefahr. | 477 


es dem Kaiſer gleichgültig fein, daß feine Schwefter in Briefen an den und jenen 
die Gleihgültigkeit ihres Bruders beklagte und ihn für das Unglüd feiner 
nächſten Blutsverwandten und den Verfall des Königtums in frankreich ver: 
antwortlih machte.) Am 16. Dezember richtete fie wieder einen Hülferuf an 
Graf Mercy: „Möchte fih doch mein Bruder vor Augen halten: früher oder 
jpäter wird er doch, ob er will oder nicht, in unfere Sade verwidelt werben! 
Wenn wir jo thöridht find, anzugreifen, wird er als Oberhaupt des Neiches für 
die Sicherheit des deutichen Reichsförpers einftehen müffen, und da er es mit 
jo zudtlojen Soldaten, wie es die unjeren find, zu thun bat, wird feinem 
Gebiet bald von allen Seiten zugelegt werden. Um unjere perjönlide Sicher: 
heit braucht man nicht mehr beforgt zu fein; das Verhalten, das wir uns ſelbſt 
zum Gejeß gemadt haben, indem wir die Miene annehmen, ald gingen wir 
freiwillig den Weg, den wir gehen müjlen, gewährt uns Sicherheit; aber das 
Schredlichite für uns wäre, wenn wir in diefem Zuftande beharren müßten... . 
Eurem Eifer, Eurer bewährten Anhänglichfeit vertraue ih mid an, damit Ihr 
eine jo widtige, Eure ganze Einjiht, Klugheit und Bejonnenheit fordernde 
Angelegenheit zu gutem Ende hinausführt. Doch es ift feine Zeit zu verlieren! 
Der Nugenblid ift da, uns zu helfen; wenn man ihn verjtreichen läßt, ift alles 
zu Ende, und auf dem Kaifer wird vor den Augen der ganzen Welt der ſchmach— 
volle Vorwurf haften bleiben, daß er feine Schweiter und feinen Neffen und 
Bundesgenofien in tiefiter Erniedrigung verfommen ließ, obwohl er fie hätte 
befreien fönnen.”) Mercy unterließ auch nit, den Klagen der Königin 
durch eigene Vorftellungen Nahdrud zu geben. Das Schreiben Mercys an den 
Kaifer (Brüffel, 24. Dezember 1791) lieſt fi wie eine Erwiderung auf die 
oben erwähnte Denkſchrift des Fürften Kaunig, worin die Gefahr einer Ans 
ftetung der faiferliden Staaten durch die Revolution in Franfreih mit forg: 
lofem Lädeln in Abrede geitellt war.°) Dieje Gefahr beiteht, beteuert Mercy, 
und nicht bloß für Belgien, fondern für alle Erblande. „Nicht bloß werben 
die Reden in der Nationalverfammlung immer wilder und herausfordernder, 
auch ſonſt häufen fih die Anzeihen, daß die Tollheit der Nation im Zunehmen 
begriffen ift und ſehr bald an die Nachbarn die Frage herantreten wird, ob 
nicht um ber eigenen Sicherheit willen gewiſſe Vorkehrungen geboten feien. Hat 
doch unlängit der verworfenfte der Parijer Federhelden eine Ankündigung er: 
laffen, worin er allen Fürften und Monarchen auf eigene Fauft den Krieg 
erklärt.” Der Ruf: Freiheit und Gleichheit! wird, mag er immerhin nur ein 
Hirngeipinit fein, auch anderswo als Evangelium begrüßt werden, da er ben 
Armen ein Glück auf Erden verheißt, das ihnen das Chriftentum erft im 
Himmel geben will! Unvermeidlich werden die Lehren von den allgemeinen 
Menſchenrechten, von ber Souveränität des Bolfes anitedend wirken. „Wenn 
ih mir erlaube, ſolche Betrachtungen anzuftellen, jo geichieht es, weil fie mir 


!) Shlitter, Einleitung, XCII. 

2) Arneth, Marie Antoinette, Joſeph II. und Leopold II, 234. 

) Auszüge aus dem Berichte Mercys vom 24. Dez. 1791 find eingeflodten in die Vor— 
lage der Staatölanzlei an die Konferenzmitglieder vom 17. Jänner 1792; Qivenot, I, 330. 


478 Zweites Bud. Vierter Abſchnitt. 


an meinem gegenwärtigen Aufenthaltsort förmlich aufgedrängt werben; weil ic) 
bier in den Niederlanden in klarſter Deutlichkeit erfenne: es ift nur dem Einfluß 
der verpefteten Nachbarichaft zuzufchreiben, daß das durchlauchtigſte Statthalter: 
paar nicht vermag, die Ruhe wieder herzuftellen,“ 

Ansbejondere der warnende Hinweis auf die Niederlande, wo in der That 
die Anhänger van der Noots bald da, bald dort Unruhen anzettelten, mußte 
in der Wiener Hofburg Eindrud machen. Aus einzelnen Anzeihen hatte ſich 
auch ſchon früher erkennen laffen, daß die friedlihen und freundlihen Worte 
des Kaifers über den Umſchwung in Frankreich nicht aus dem Herzen famen. 
Zwar wurde der Vertreter des neuen fonftitutionellen Staates, was die Agenten 
des „auswärtigen Frankreichs“ nicht wenig mißtrauifsh und mißmutig machte, 
bei Hofe jogar mit befonderer Auszeichnung empfangen, allein in fonderbarem 
Gegenſatz ſtand die Zuwendung von zwei Millionen an die widerfpenftigen 
Brüder des Königs, wodurch fogar der Argwohn des Berliner Kabinetts wach: 
gerufen wurde. „Das ift eine merkwürdige Kehrjeite der Wiener Karte,” jchrieb 
das Minifterium am 18. Dezember an Jacobi, „Sie werden tradten, der Sache 
auf den Grund zu jchauen, ich zähle auf Ihre Wachjamteit.” ') 

Fürft Kaunig felbft erklärte dem preußifchen Gejandten ohne Umfchweife, 
dab die immer trüberen und unheimlicheren Nachrichten aus Paris ihm den 
Entihluß, am Frieden feitzuhalten, ſchwer madten. „Wenn der König aud) 
zur Zeit der Zuftimmung zur Konftitution noch frei und fein eigener Herr war, 
fo jcheint er e& heute nicht mehr zu fein.” Die Lage wird offenbar erniter, 
berichtete Jacobi nad) Berlin. „Wenn erft die Niederlande völlig beruhigt find, 
wird wohl von Wien gegen die Franzoſen ein höherer Ton angeſchlagen werden!” 
Dann werde fi das faiferlihe Kabinett no lange mäßigen müſſen, wurde 
von Berlin erwidert, denn die jüngften Nachrichten aus den Niederlanden jeien 
Ihlimm genug; die neuen Subfidienforderungen jeien von den Ständen von 
Brabant einfach abgelehnt worden; der Hab gegen die am Ruder jtehenden 
Beamten falle faſt noch jchwerer ins Gewicht, als die Abneigung gegen die 
öſterreichiſche Herrſchaft; allenthalben rühre fi der dritte Stand, um neue 
Rechte zu erringen. 

Unter dem Drud folder Nachrichten fühlte Kaunig felbit das Bebürfnis, 
den Plan des öſterreichiſch-preußiſchen Bünbniffes wieder auf die Bahn zu 
bringen. Er ſehe es als jeine Pflicht an, erklärte er dem preußifchen Gefandten 
am 20. Dezember, ohne Rüdhalt darzulegen, wie er die gegenwärtige Lage 
beurteile. Wie thöricht das Emigrantenvölfchen in den Tag hineinlebe, immer 
mit großen Worten um fich werfe und doch nur blauen Dunft aushede, zeige 
jo recht deutlich eine foeben veröffentlichte Flugſchrift: „Ein Blid auf die polis 
tiſchen Intereſſen der verfchiedenen europäifchen Fürſten hinſichtlich der franzö— 
ſiſchen Republik“. Wie falſch werde darin die Politik des Kaiſers beurteilt! 
Wie undankbar werde auch hier — nit viel anders als in der Nationalver: 
jammlung — das Bündnis von 1756 als Wurzel des Unheils für Frankreich 
verläftert! Und doch ſtamme das Machwerk wahrjcheinlih aus der Feder des 


’ Preuß. St.-Arhiv. Bericht Jacobi vom 18. Der. 1791. 


Wachſende Kriegsgefahr. 479 


Herrn von Calonne jelbit! Mit ſolchen Leuten könne man nicht zufammen: 
gehen! — Doch auch die Schreier in der Nationalverfammlung bürfe man nicht 
länger ihren Unfug treiben lafien; es ſei an ber Zeit, ihnen endlich ein: Bis 
hierher und nicht weiter! zuzurufen. Der Kaifer wolle denn auch einen falten 
Waſſerſtrahl nach Paris hinüberfenden: eine ungefährliche Sache, denn vor ſolchen 
thörichten Braufeföpfen (insenses et téméraires) braude man ſich nicht zu 
fürdten. „Es liegt klar zu Tage, daß ein fefter Bund zwiſchen Defterreih und 
Preußen jede Störung durd fremde Mächte volllommen ausfhliet.” ') 

Bon Cobenzl war ohnehin zu erwarten, daß er jedem Schritte gegen 
das revolutionäre Frankreich willig zuftimmen werde, doch auch dem friedliebenden 
Spielmann jhien es an der Zeit zu fein, der bedrängten Königsfamilie hülf- 
reihe Hand zu bieten und ben Gutgelinnten in Frankreich tröftlihe Ausficht 
auf Unterftügung zu gewähren; Spielmann iſt der Verfaſſer der an die fran- 
zöfifche Regierung gerichteten Note vom 21. Dezember 1791, deren „fefte” 
Sprade nur darauf berechnet war, „die anmaßende Nationalverfamnlung zur 
Vernunft zu bringen”, die aber nicht wenig dazu beitrug, den Krieg unver: 
meidlich zu machen. Der Kaifer nimmt darin offen Partei für den Kurfürften 
von Trier; die zur Zeit in Frankreich herrfchende, übermütige Partei habe nicht 
bloß die unabänderlihen Rechte deutſcher Fürften verlegt, jondern bedrohe jetzt 
fogar deutjches Land mit feindlihem Einfall; der Kaifer habe deshalb den 
Marſchall Bender angemwiefen, für den Fall ernftlicher Bedrohung deutſchen Ge: 
biets dem Kurfürften unverzüglich Hülfe zu bringen. An den guten Abfichten 
des Königs zmweifle niemand, aber für gemäßigte Grundfäge fei heute in Frank— 
reih fein Raum; diefe traurige Erfahrung habe die Nachbarn genötigt, auf 
Abwehr zu finnen und ſich zu einem Verein zufammenzufhliegen „zur Aufrecht— 
haltung ber öffentlihen Nuhe und zur Wahrung der Sicherheit und Ehre der 
Krone”. 

Noch ehe diefe Note in Paris eintraf, hatte hier ein Gerücht, daß dem— 
nächſt in Nahen ein europäiſcher Kongreß tagen werde, um gewiſſe Nenderungen 
der franzöfifhen Konftitution mit Waffengewalt zu erzwingen, die Gemüter 
erregt. Um nicht Entmutigung einreißen zu lafen, juchte Briffot in der Kammer 
(29. Dezember) überzeugend darzulegen, daß ein Zufammengehen aller oder 
auch nur mehrerer Mächte gar nicht im Bereich des Möglichen liege.?) Der 
Kaiſer wird fich hüten, anzugreifen, rief Briffot, denn es ift ihm wohl befannt, 
dat die Söhne Franfreihs Vaterland und Freiheit bis zum legten Blutstropfen 
verteidigen würden. Dagegen kann er felbit auf feine Unterthanen ſich nicht 
verlaflen; überall ift der Aufftand vor der Thüre, überall weiß heutzutage auch 
der Soldat, daß er nicht, was die Fürften aus ihm machen wollen, ein Feind, 
ſondern ein Sohn des Volkes ift. Der Kaifer hat, wenn er uns angreift, 
nichts zu gewinnen, alles zu verlieren; das weiß er felbit, und überdies ift er 
von Natur gerecht und friedliebend, er ift nur zu ſchwach, um den jchlimmen 
Ratgebern, die ihn zu verkehrten Maßnahmen drängen, entichloffenen Wider: 


') Preuß. St.:Ardhiv. Bericht Jacobi vom 21. Des. 1791. 
) Moniteur, 1528. 


480 Zweites Bud. Vierter Abichnitt. 


ftand entgegenzufegen. „Doch genug vom Wiener Kabinett! Was liegt uns an 
der Politik der Höfe, uns, die wir frei fein und ihre Freiheit verteidigen wollen 
und können! Frankreich will den Frieden, aber es fürchtet nicht den Krieg; es 
ſucht feine Bundesgenofjen, e8 hat jelbft 25 Millionen Verteidiger, es hat anderen 
Shut nicht nötig!” Auch der preußiſch-öſterreichiſche Bund ift nicht dazu an— 
gethan, Furcht einzuflößen. Wird der Pillniger Vertrag ftärker fein, als die 
natürlihe Feindichaft zwifchen den beiden Mächten? Wird der auf jparfamite 
Verwendung feiner Mittel angemwiejene König von Preußen feine Armee und 
feinen Schat aufs Spiel ſetzen, um einem Nebenbuhler zu helfen, mit dem es 
feine Intereſſengemeinſchaft, feine Freundichaft geben kann? Die beiden Staaten 
mögen fich vorübergehend aneinander ſchließen, doch aus diefem Bündnis wird 
fein Krieg entipringen, oder wenn e& doch dazu fommen follte, wird er uns 
nicht gefährlih werden. Ebenjowenig haben wir von den übrigen Mächten 
Europas zu fürdten; fie alle brauden den Frieden und fcheuen den Krieg; fie 
fönnen ji zwar nicht verhehlen, daß der Friede die Ausbreitung der Revolution 
begünftigt, aber fie wiflen au, daß der Krieg den Samen der Freiheit noch 
raſcher nad) allen Himmelsrichtungen ausjtreuen wird. Auch wir wollen nicht 
den Krieg, aber wir dürfen den Frieden nicht um den Preis der Schande faufen. 
Wir müſſen eine jo entichlojjene Haltung einnehmen, daß die Feinde unjerer 
Freiheit fich nicht bloß ſcheuen werden, mit uns anzubinden, jondern daß es ihnen 
auch deutlih wird: Frankreich will die angefehene Stellung, die es früher unter 
den Mächten eingenommen bat, um jeden Preis zurüdgemwinnen! 

Demgemäß ftellte Brifjot eine Reihe von Anträgen, wie ber biplomatijche 
Verkehr mit den fremden Höfen zu regeln ſei, um alle unberedtigten Zumutungen 
abzuwehren und alle berechtigten Anſprüche Frankreichs zu behaupten. Brifjots 
Nede fand lauten Beifall, allein die Anträge wurden vertagt, da die Mehrheit 
ber Kammer teils mit ihrem Inhalt, teils mit dem jchroffen Tone nicht einver: 
ftanden war. 

Diefe gemäßigte Stimmung ſchlug aber um, als die faiferlihe Note vom 
21. Dezember in Paris befannt wurde. Nie war es bisher in der National: 
verjammlung fo ftürmifch zugegangen, als am Neujahrstag 1792. Alle Bar: 
teien waren einig in ber Entrüftung über die anmaßende Strafpredigt des 
Kaijers. Jetzt gebe es nichts anderes mehr, als den Krieg, rief der Feuillant 
Vaublanc; am beiten werde no im Laufe des Januar, ehe ſich der Bund der 
deſpotiſchen Mächte feit geichlofien habe, der Feldzug eröffnet und Europa das 
große Beijpiel der Rache einer beleidigten Nation gegeben werden. Sogar 
Alerander Zameth erging fih in zornigen Morten über das hoffärtige Verhalten 
des Kaijers und der rheinifhen Fürſten. Die leidenfchaftlichfte Rede hielt Jean 
Debry, dem jpäter bei dem Raftatter Gefandtenmord eine jo Fägliche Rolle 
bejchieden fein ſollte; der deutiche Kaijer, rief er, beabfichtige offenbar nichts 
geringeres, als den Emigranten und Prieftern aufs neue die Herrichaft über 
Frankreich in die Hände zu fpielen. Auch der Kriegsminifter ftimmte ein in 
den Ruf nad entichloffenem Auftreten gegen die beleidigende Einmifchung der 
Fremden; Frankreich dürfe getroft zum Schwerte greifen; bei feiner legten Be: 
obachtungsreiſe habe er ſich überzeugt, daß die Armee volllommen friegstüchtig 


Wachſende Kriegsgefahr. 481 


fei; die Disziplin lafje nichts zu wünſchen übrig; die Offiziere der Linientruppen 
feien faſt durchwegs aufrichtige Freunde der Verfaſſung, Feitungen und Geſchütz— 
wejen im beiten Stande. „Ich zweifle nicht einen Augenblick an unferem 
Triumph!” Schließlich wurde ein diplomatiſcher Ausihuß ernannt, der die 
Frage: ob Krieg, ob Frieden? beraten und über das Ergebnis der National: 
verfammlung berichten Jollte. 

Die Aufregung der Volfsvertretung teilte jich dem ganzen Lande mit. 
Obwohl die an der deutichen Grenze liegenden Truppen ftreng ermahnt worden 
waren, gegen Nachbarn, die erft nad) vorausgegangener Kriegserflärung als 
Feinde anzufehen wären, fih jeder Gemwaltthat zu enthalten, fam es nicht 
felten zu Feindſeligkeiten. Deutſche Grenzorte wurden von bewaffneten Scharen 
durchzogen; welche Abfichten fie dabei verfolgten, enthüllten die Worte auf 
ihren Fahnen: Paix aux cabanes, guerre aux chäteaux! Durd die lär: 
menden Kundgebungen erichredt, ließ fih Kurfürft Klemens gegenüber dem 
franzöftichen Gejandten Sainte-Croir zu einer förmlichen Abbitte herbei; da er 
feinen innigeren Wunſch bege, als die Harmonie zwifchen den bisher jo be 
freundeten Nachbarſtaaten ungeftört zu jehen, habe er Befehl gegeben, daß bie 
militärifhen Abteilungen der Emigranten binnen acht Tagen aufgelöft und weitere 
Zujammenrottungen von Bewaffneten in Aurtrier nicht mehr geduldet werden 
jollten. ') 

In Wien und Berlin wurde dem plötlich erregten Ariegslärm im allge: 
meinen geringe Bedeutung beigemefien. Frankreich fei, jo glaubte man bier 
auch in maßgebenden Kreifen, durch die Revolution in feinen Grundveften jo 
erihüttert, daß es weder die Kraft noch den Mut befige, mit ftarfen Gegnern 
anzubinden. Mit Entrüftung hörte man in Wien, daß in Paris an allen 
Straßeneden ein Aufruf von Prudhomme „an alle Völker Europas” zu lejen 
fei, die Ankündigung eines Werfes, das die Verbrechen aller lebenden Monarchen 
aufzählen wolle. „Diefer Prudhomme,” las Spielmann dem preußiichen Ge: 
fandten aus einem Briefe des Grafen Mercy vor, „war noch vor kurzem 
ein armijeliger LYederarbeiter; heute befoldet er einige zwanzig Mitarbeiter, die 
feine andere Aufgabe haben, als republifaniihe Brandfchriften auszuhecken und 
überallhin zu verbreiten!” Die revolutionäre Leidenſchaft fei in Paris jo hoch 
geftiegen, daß jeder Tag den Ausbruch eines allgemeinen Aufitandes bringen 
fönne; nur mit Waffengewalt werde man die Nafenden bändigen, doch müſſe 
man ſich auch die Gefahren einer Schilderhebung der republifanifchen Partei vor 
Augen balten.?) Kaunig teilte die Entrüftung über die „Auswüchſe der großen 
Bewegung”, gab fich aber feine Mühe, feine Geringſchätzung der Parifer Maul: 
belden zu verbergen; von Einmifchung in ihre Händel wollte er nichts hören. 
„Es find,” berichtete Jacobi, „des Fürften eigene Worte: ‚Nach meiner Meinung 
wäre e& der Gipfel der Thorbeit, eine Gegenrevolution in Frankreich mit Ge 
walt durhführen zu wollen; man muß durch Vernunftgründe auf diejenigen 


i) Minerva, 1, 327, 328, 331. 
) Preuß. St.Archiv. Minifterialforreipondenzen mit Jacobi in Wien 1792. Bericht 
Jacobis vom 4. Januar 1792. 
Heigel, Deutihe Gedichte vom Tode Friedrichs d. Br. bis zur Aufiöfung des deutſchen Reicht. 1. 31 


482 Zweites Buch. Vierter Abſchnitt. 

Leute, die überhaupt noch der Meberlegung fähig find, einzuwirken ſuchen!““ 
In gleihem Sinne ſprach ſich der Kanzler aud gegen den Fürſten von Nafjau 
aus, der nad) Wien gefommen war, um auf den Kaifer zu Gunften der aus— 
gewanderten Prinzen einzuwirfen. Die franzöfiiche Regierung jelbit würde gegen 
den Aufenthalt der Prinzen in Trier nichts einzuwenden haben, wenn fie fi 
dort ruhig verhielten; dies möchten fih die hohen Herren aber einmal zu 
Herzen nehmen, denn bisher habe ihr lärmendes Benehmen die föniglihe Sade 
nur geihädigt. „Sie jollen ein für allemal das Trugbild aufgeben, das alte 
Syitem in Frankreich wieder auf den Thron jegen zu wollen!“) Auch der 
Kaifer äußerte fih mißmutig über das Treiben der Emigranten, die offenbar 
die deutichen Höfe zu auffälligen Schritten zwingen wollten; ebenjowenig wie 
eine Verlegung der Würde des Neichs zuläffig fei, dürfe man fi eine 
Sprade erlauben, die den Vorwand zu einem Einfall in deutiches Gebiet geben 
und damit zum Krieg führen würde. Unter der Hand gaben jedoch Spielmann 
und Cobenzl dem preußiichen Gejandten zu verftehen, es wäre wohl am Plate, 
wenn die preußiſche Negierung etwas weniger Worficht entwideln und mit der 
Mobilmahung den Anfang maden möchte. 

Darauf wollte fih aber die preußiiche Regierung nicht einlaffen. Wenn 
der Kaiſer — fo erklärte das Berliner Kabinett dem Wiener Gefandten — feine 
Truppen im Breisgau verjtärke, fo habe eine ſolche Anordnung nichts Auf: 
fälliges, und niemand fönne deshalb Verdacht jchöpfen, daß eine Einmifhung 
in die inneren Angelegenheiten Frankreichs beabfichtigt werde. Dagegen fünnte 
ein ähnlicher Schritt der preußiichen Regierung nur als eine kriegeriſche Kund— 
gebung aufgefaßt werden, da ja Preußen feine Grenzen gegen Frankreich zu 
ihüsen habe. Ein voreiliges Karbebefennen würde nur die Pläne der Parijer 
Hetapoftel fördern und den Ausbruch des Krieges, den der weile Sinn bes 
Kaijers verhüten wolle, zur notwendigen Folge haben. Ya, der gemäßigte, ver: 
jöhnlihe Ton, den der Wiener Hof mit einemmal gegen die franzöfiiche Res 
gierung anjchlage, nötige zu bejonderer Vorſicht. Freilich dränge die Königin 
von Frankreich auf entichloifeneres Vorgehen, allein die Rüdficht auf Finanznot 
und militäriihe Mißſtände nötige die Faiferlihe Negierung zu Zurüdhaltung, 
und daraus erkläre fi die zweidentige und ſchwankende Bolitif, die man fi 
fonft Schwer zurechtlegen könnte. Noch weniger Kriegsluft fei in Hannover, Helen, 
Pfalz-Baiern und Württemberg zu entdeden. „Meine Politik geht ihren 
gewieienen Weg. Ich babe beſchloſſen, nicht einen Schritt vorwärts 
zu madhen ohne Hebereinftimmung mit dem faiferlihen Hofe, der ja 
an dieſer Sache unendlih mehr intereffiert ift, als ich.“ ?) 

In der deutihen Preſſe wurden die friegerifhen Kundgebungen der fran- 
zöfifhen Kammer mit Ruhe, ja mit Gleichgültigfeit aufgenommen. Ohne Zweifel 
wäre das ſüdweſtliche Deutichland gegen raſchen Einfall einer franzöfiichen 
Armee jo gut wie gar nicht gededt geweien. Die Handvoll pfälziiher und 
mwürttembergiiher Truppen fonnten nit an Widerjtand denfen, und bis eine 


1) Preuß. St.Archiv. Berihte Jacobis vom 7. und 14. Jan. 1792. 
) Ebenda. Erlaffe an Jacobi vom 29. Jan. und 9. Febr. 1792. 


Wachſende Hriegsgefahr. 483 


faiferliche Armee vorgejchoben wurde, konnten alle jüddeutichen Refidenzen von 
Franzoſen bejegt fein. Trogdem glaubte faft niemand ernftlih an Krieg, 
und noch weniger fürdtete jemand den Krieg. Wenn eine Warnung, das 
Reich möge ſich nicht in Händel mit Frankreich einlajfen, fundgegeben wurde, 
jo bewog dazu nur Mitgefühl mit den Vorkämpfern der Freiheit, nicht ein 
Zweifel an der Weberlegenheit der Armeen Defterreihs und Preußens. Nur 
ein aus dem preußiihen Offiziersftand hervorgegangener Journaliſt, Johann 
Wilhelm von Archenholz, beurteilte jchärfer die Gefahren des Zujammenftoßes 
mit einem für feine Umabhängigfeit kämpfenden Bolfe. Er beflagte die Ver: 
blendung, die dem franzöfiihen Wolfe Feine Entjchlofienheit, dem franzöfiichen 
Heere feine Kraft zutraue, und verwies warnend auf die wichtigen Vorteile der 
Gegner. „Sie fämpfen gleichjam vor ihren Thoren, wo bie zahlreichen Feftungen 
fie nach allen Unfällen und Niederlagen deden; eine Barriere, die alle Siege Eugens 
und Marlborougbs aufbielt! Jede Quadratmeile mußte bier mit Blut erfauft 
werden, und immer jeßten befeitigte Mauern den Fortichritten diejer großen 
Feldherren ihre abgemefjenen Schranken. Ein jolcher Krieg wäre alfo für Deutſch— 
land ein Unglüd!” Obwohl ein alter preußiſcher Soldat und ein guter deutjcher 
Patriot, müſſe er doch aus aufrichtiger Meberzeugung vorausfagen: die Liebe 
zur Freiheit wird die franzöſiſchen Waffen unwiderſtehlich machen!) 

Am 14. Januar 1792 wurde aufs neue in der Pariſer Nationalverfammlung 
in die Kriegstrompete geitoßen. Indem der Girondift Genfonne die Beihlüffe 
des diplomatiihen Ausichufles verfündete,?) machte er für alles Unheil, das 
feit einem halben Jahrhundert Frankreich heimſuchte, das Bündnis mit Dejter: 
reich verantwortlih. „Frankreichs Schwäche, Deiterreihs Uebermacht find auf 
den unfeligen Traftat von 1756 zurüdzuführen.” Den Danf ernten wir jet 
dadurch, dab der Kaifer uns offen beleidigt! Mag er auch die militärijchen 
Zufammenrottungen an unferer Grenze verboten haben, jo wird doch dieſes 
Verbot feineswegs beachtet, die Anfammlungen dauern fort, die Emigranten legen 
die weiße Kofarde nicht ab, und die deutichen Behörden dulden diefes Zeichen des 
Aufruhrs, während friedliche, mit den Farben der franzöfiihen Nation geſchmückte 
Bürger auf failerlihem Grund und Boden verhöhnt und mißhandelt werden. 
Die im Finftern jchleichende Politif des Faiferlichen Kabinetts hat auch Preußen 
umgarnt; ohne Zweifel ift das Bündnis ſchon fertig, ohne daß der Kaifer den 
älteren Bundesgenofjen auch nur einer Mitteilung gewürdigt hat! Schon deshalb 
ift der Vertrag von 1756 als zerriffen zu betrachten! Frankreichs König darf fih 
jo ſchmachvolle Behandlung nicht gefallen lafjen! Wie einft in ähnlicher Lage 
Friedrich der Große, „ein König, deilen Genius allein feinen Defpotismus ent: 
Ihuldigen kann“, durch rajche That das Net feiner Feinde zerriß, indem er 
dur jähen Angriff den Anſchlägen der übermäcdhtigen Feinde zuvorfam, jo muß » 
auch unfer König unverzüglich eine unummundene Erklärung fordern, daß nichts 
Feindfeliges gegen Frankreich geplant und die Unabhängigkeit der franzöfijchen 
Nation in allem und jedem rejpeftiert werde; wenn eine ſolche Erklärung ab: 


') Minerva, I, 369. 
?) Buchez et Roux, Histoire parlamentaire de la revol. frang., 13. tom., 46. 


484 Zweite Bud. Vierter Abfchnitt. 


gelehnt wird oder nicht vollfommen befriedigend ausfällt, joll den Vertrags: 
brüchigen die Rache einer beleidigten Nation ereilen! 

Auch andere Redner forderten ftrenge Abrehnung mit Defterreih: eine 
ungünftige oder auch nur undeutliche Antwort joll jofort mit Kriegserflärung 
beantwortet werden! Wergniaud verwies nochmals auf Friedrich den Großen: 
wenn dieſer König, deſſen Vernichtung im Rate der Mächte beichloflen war, 
nicht jelbit den Angriff gewagt hätte, würde fein Nachfolger heute nur Mark: 
graf von Brandenburg heißen! Noch leidenſchaftlicher forderte Briffot den Krieg. 
Den Kaifer und alle Abjolutiiten made die Furcht vor der fiegreihen Macht 
der Freiheitsgedanfens zu unverföhnlihen Widerſachern Frankreichs. „Eure Feinde 
find Könige, und ihr jeid ein Volk; fie find Deipoten, und ihr feid frei; eine 
aufrichtige Vermittlung zwiſchen Tyrannei und Freiheit gibt es nicht!” Endlich 
ftellte der Präfident der Nationalverfammlung, Guadet, den Antrag: Da ſchon 
das Wort Kongreß für Frankreich eine Beleidigung ift, ſoll jeder Franzofe, der 
fih an einem Kongreß beteiligt, als Hocverräter anzujehen fein. Der Antrag 
wurde angenommen und vom König genehmigt, die Abjtimmung über den Anz: 
trag Genfonnes dagegen vorerit vertagt. 

Das Minilterium ſuchte abzumwiegeln; es gab mit bejcheidenen Worten der 
Nationalverfammlung zu bedenken, daß die Entſcheidung über Krieg und Frieden 
dem König zuftehe, der Monarch werde feine Anhänglichkeit an die Berfafjung 
am beiten beweifen, wenn er ebenfoviel Mäßigung bei den Unterhandlungen mit 
ben fremden Mächten, wie Entichloffenbeit bei den Nüftungen an den Tag lege; 
einer ſchwächlichen Nachgiebigfeit werde er ſich gewiß nicht ſchuldig machen; der 
Kurfürft von Trier habe bereits den Rückzug angetreten, der Ehre Frankreichs 
jei Genugthuung zu teil geworben. 

Doch dieſe auf Abſchwächung der Wirkung der kaiſerlichen Dezembernote 
berechnete Erklärung wurde von der Nationalverfammlung mit Mißvergnügen 
aufgenommen. Nicht auf den kleinen Fürſten von Trier fomme e& an, wurde 
erwidert, jondern auf den Kaifer und den von ihm angedrohten Kongreß; ent: 
weder joll Yeopold Elipp und Ear auf jede Einmiſchung verzichten, oder es foll 
ber Degen gezogen werben. Es muß ja doch einmal, rief der Abgeordnete 
Daverhoult, der enticheidende Kampf zwiſchen Licht und Finfternis, zwijchen 
Aufklärung und Lügengeift ausgefochten werden! „Seien wir offen! Die freunde 
ber freiheit wollten der Philojophie zu Hülfe fommen; fie wollten einen großen 
Bund ftiften, um in ganz Europa eine gejunde Volkserhebung hervorzurufen; 
beflagenswert freilich ift das Los der Menſchheit, da Licht und Leben nur aus 
Leiden und Unglüd der Völker hervorgehen können!“) Schließlich nahm denn 
aud die Nationalverfammlung am 25. Januar einen Antrag Brijjots an: es fol 
noch bis zum 1. März gewartet werden, ob der Kaijer die geforderte Erklärung 
geben will, dann ſoll der beleidigten Ehre Frantreihs mit den Waffen Genug: 
thuung verjchafft werden. Mit dem Rufe: Die Konjtitution oder den Tod! ging 
die Werfammlung auseinander. Welches Ziel Briffot eigentlih im Auge hatte, 





1) Buchez et Roux, XIII, 59. 


Wachſende Kriegägefahr. 485 


geitand er jelbit in einer jpäteren Rechtfertigungsſchrift:) „Als ich auf die 
Kriegserflärung drang, war es meine Abfiht, die Abſchaffung des Königtums 
einzuleiten... . . Jeder Aufgeflärte verftand mich, als ich Nobespierre, der immer 
von drohendem Verrat ſprach, antwortete: Ich habe nur eine Furcht, nämlich 
die, daß wir nicht verraten werden; wir brauden Verrat, unjer Heil beruht 
darin, denn es ftedt noch viel Gift in unferem Staatsförper, und wir brauden 
noch ſtarke Entladungen, um es auszuftoßen! Der große Verrat wird nur den 
Verrätern verhängnisvoll, für die Völker aber von Nutzen jein; er wird zer: 
trümmern, was der Größe der franzöltihen Nation im Wege ſteht!“ 

Die Gegner der Friegsluftigen Gironde mwagten nicht mehr, fi offen 
auszuſprechen. Zwar hielten die Männer vom Berg an der Anficht feit, daß 
es ſich nicht verlohne, für die beftehende Verfafjung, den „Zwitter zwiichen 
Freiheit und Sklaverei”, Opfer zu bringen. Robespierre nannte den Kriegslärm 
eine unbeilvolle Komödie, denn Gefahr drohe den Freunden ber Freiheit nicht 
von Koblenz, fondern von Paris; Lafayette brenne vor Begierde, den General 
Monk zu fpielen; zuerit müſſe der innere Feind unſchädlich gemacht, dann erft 
gegen die übrigen Tyrannen des Erbballs das Schwert gezogen werden. Auch 
Danton erblidte im Krieg, wenn er ihn auch für unvermeidlich hielt, eine zur 
äußerften Vorſicht mahnende Gefahr für die Freiheit.) Doh nur im Klub 
wurden ſolche Neben laut; in der Nationalverfammlung mwagten auch die Jako— 
biner nicht, fi gegen die herrſchende Stimmung auszuſprechen. | 

Ebenfo ſcheute die Partei Lameth vor offenem Kampfe mit den Girondilten 
zurüd. Ueber die Wünſche und Befürdtungen der Mittelpartei unterrichtet eine 
aus ihrem Kreife hervorgegangene Denkſchrift, welche die Königin im Jänner 1792 
ihrem Bruber übermitteln ließ.) Ein für allemal ſoll als unumftößlicher 
Grundſatz anerkannt werden: Die Nüdkehr zum alten Syſtem ift unmöglich, 
die vom König angenommene Verfaffung muß in ihren Grundzügen beitehen 
bleiben. ‘Freilich ift manches daran einer Verbeflerung bedürftig. Im Drang 
nad Reform im Einne des Zeitgeiftes ift man über das eigentlihe Ziel 
binausgeftürmt, für die Erefutivgewalt der Krone find allzu enge Schranfen 
gezogen worden; ber König muß aljo jo viel Gewalt zurüderlangen, daß er ſich 
gegen feine zwei Feinde, die reaftionslüfternen Emigranten und die zügellojen 
Republifaner, wirkſam verteidigen fann. In diefem Kampfe kann und joll der 
König aud von feinem Bundesgenofjen, dem Kaijer, unterjtügt werden. Bor 
allem muß jedoch der Kaifer der Anmaßung der rheinifchen Kurfürften und der 
Händelfuht der Emigranten jteuern; dann erft darf er andere Ziele ins Auge 
fafjen. Der Kaiſer ift der natürlihe Bundesgenofle Frankreichs, zumal jet, da 
nad dem europäiſchen Syftem die großen Mächte fich gegenjeitig ftügen müſſen; er 
ſelbſt muß trachten, den Frieden in Frankreich aufrecht zu erhalten, um feinen 
und unferen Feinden, bie jeit langem Verwirrung und Unordnung ſäen, Das 
Epiel zu verderben. Sein eigenes Intereſſe gebietet, daß er dem König fräftige 


1) J. P. Brissot, A tous les r&publicains de France, sur la societ€ des jacobins 
(29. octobre 1792), 8. 

?) Buchez et Roux, XII, 412. 

) Arneth, 240, 269. 


486 Zweites Bud. Vierter Abſchnitt. 


Unterftügung gewährt, aber zugleich alles vermeidet, was feinen Bundesgenofjen 
bloßjtellen oder hemmen könnte. Diefe Revolution ift die Sache der Könige, 
wie der Völker. Noch einen Augenblid, und es wird bie Anficht fiegen, daß 
in großen, bevölferten Ländern Monarchen notwendig find zur Erhaltung der 
Freiheit und des Friedens; diefer Grundfag muß über die Revolution die Ober: 
hand gewinnen, doch es gibt dazu fein anderes Mittel, als den Völkern zu 
zeigen, daß die Monarchen weder ihre Feinde, noch die Helfershelfer ihrer Feinde 
find. Der Kaijer will fih ja in feinem eigenen Lande nicht auf die Seite 
einer bejtimmten Klaſſe ftellen; wie jollte er ſich beigehen lafjen, in Frankreich 
einem winzigen Bejtanbteile des Volkes gegen alle übrigen jeinen Arm zu 
leihen? Ein jolcher Verſuch, dem eigenen Vorteil gewiß nicht förderlich, würde 
vollends jür Frankreich ein finfteres Verhängnis heraufbejchwören. 

Der Beihluß vom 25. Januar, der in feiner fchroffen Faſſung einer 
Kriegserflärung an den Kaifer fehr ähnlich jah, wurde vom König abgelehnt; 
gleichzeitig wurde aber der Kammer mitgeteilt, die Regierung felbit habe vom 
Kaiſer billige Aufklärung verlangt und werde fi nur mit volllommen befries 
digender Antwort begnügen. Darauf wurde zwar von den radikalen Blättern fort: 
gefahren, über Mangel an Mut und Energie in den leitenden Kreifen zu lagen, 
allein in der Kammer wurde, was nad dem Lärm der legten Tage überrafhen 
mußte, fein direfter Angriff auf die Regierung unternommen, die Bewegung 
ftaute zurüd, der Kriegseifer war erlahmt. !) 

Aud die Note, welche de Leſſart an den Wiener Hof richtete (21. Januar), 
war nichts weniger als herzhaft oder herausforbernd.?) Zwar wird gegen das 
Verhalten des Kurfürften von Trier und insbefondere gegen die verlegende 
Aeußerung, der König von Frankreich jei nicht mehr als freier Herr feiner Ent: 
ſchließungen zu betrachten, Verwahrung eingelegt, aber zugleih der Erwartung 
Ausdrud gegeben, der Kaijer jelbit werde gegen ſolche Ungebühr einzufchreiten 
wiffen. Auch die Drohung mit dem Bunde der Fürften Europas habe in Frankreich 
Argwohn und Unmut wachgerufen, allein es ſei ja gar nicht zu glauben, daß ber 
Kaijer, der nächte Verwandte und treue Bundesgenofje des Königs, einem Plane 
zugeitimmt babe, der nur auf die ebenſo feindfeligen, wie leichtfertigen An: 
zettelungen der Emigranten zurüdzuführen fei. Ein bemwaffneter Kongreß bebeute 
nichts anderes, als gewaltiamen Umſturz der franzöfiihen Verfaſſung; dazu 
werde ber gerechte, frievliebende Kaifer gewiß nicht die Hand bieten wollen. 
Die franzöfifche Verfafjung verdiene nit die vom Ausland erhobenen Vorwürfe. 
Wenn es da und dort zu Ausſchreitungen des Pöbels gelommen und jogar bie 
ſchuldige Achtung vor dem Monarchen verlegt worden fei, fo könne dies nicht 
mwundernehmen, da Frankreich joeben erft die gewaltigfte Revolution der Welt: 
geſchichte durchgemacht habe. „So viele Gegenjäge, jo mächtige Anftrengungen, 
jo tiefgreifende Neuerungen, jo furdtbare Erfhütterungen mußten eine alljeitige 
Erregung zurüdlafien, und es wird noch längere Zeit brauchen, bis volllommene 
Ruhe eintreten wird.” Früher habe es wohl eine Gemeinfhaft der Intereſſen 


) Glagau, 141. 
?) Bivenot, I, 380. 


Wachſende Kriegsgefahr. 487 


des Königs und der Emigranten gegeben, doch mit der Anerkennung der Ber: 
fafjung habe der König felbit jede Verbindung mit ihnen gelöft; was fünnte ihn 
noch an „titele und befitloje” Leute knüpfen, die „alle Höfe in Unruhe verjegen, 
fi jelbft als eine Macht zur Geltung bringen wollen und an nichts anderes 
denken, als an Rache für die ihnen zugefügte Unbill und an Sieg ihrer eigenen 
Anſprüche?“ Die kaiferlihe Regierung möge fich nicht beirren laſſen durch den 
in Frankreich herrichenden freieren Ton; infolge der dur die Revolution er: 
zeugten Aufregung ſei es nicht möglich, jede Ausjchreitung und Taftlofigkeit 
fofort nach Gebühr zu ahnden. „Dean höre aber einmal auf, uns zu bedrohen 
und damit den Freunden des Umfturzes immer neuen Vorwand zu Aufwiegelung 
an bie Hand zu geben, dann wird die Ordnung bald zurüdfehren!“ Augen: 
blicklich beſchäftige cin Wort alle Geifter, den einen Furcht und Abicheu, -den 
anderen heißes Verlangen einflößend, das Wort: Krieg. An der Spige ber 
Kulturfreunde, denen der Krieg nur Abjcheu einzuflößen vermöge, ftehe der 
König. „Sein Geilt, wie jein Herz juhen jeden Gedanken daran niederzu: 
halten; er ſieht auh in einem glüdlihen Kriege nur ein Unglüf für ben 
Staat und eine Geißel für die Menjchheit.” Möge ih auch die Faiferliche 
Regierung nit zu Schritten hinreißen lafjen, die zum Krieg führen müßten, 
Auch dem Kaifer könne ſogar ein glüdliher Krieg nicht erwünjcht jein, da er 
feine andere Frucht brädte, als das Verderben feines treueften Bundesgenoffen. 
In Frankreich aber jeien nicht etwa bloß der König und fein Kronrat von 
frieblihen und freundfchaftlihen Gefühlen bejeelt, jondern der ganze geſund 
denkende Teil der Nation. „Wir wollen nidts als den Frieden; wir wollen 
nichts als das Ende jenes beunrubigenden Zultandes, der noch foftipieliger ift, 
als der Krieg; wir wollen nichts als die Wiederkehr geordneter Verhältniſſe, 
allein man hat uns allzu gerechten Grund zu Bejorgniffen gegeben, als daß es 
nicht geboten wäre, uns ausdrüdli zu beruhigen.” 

Das franzöfifhe Kabinett hätte nicht friebfertiger ſprechen können. Briffot 
und jeine Leute hatten in der Kammer den Ruf erhoben: Wir müjjen uns 
ſchlagen oder unſere Ehre ift verloren! Dies hatte auch den König genötigt, 
an ben Degen zu greifen, doc die neue Erklärung bewies, daß man in ben 
Tuilerien zwar aud vom Krieg Rettung erhoffte, aber an nichts weniger dachte, 
als jelbit den Krieg mit Defterreih zu eröffnen, daß man im Kaijer vielmehr 
den natürlichen Bundesgenoffen und fünftigen Retter erblidte. 

Die Frage war nun: Wird der Kaiſer auf die herausfordernden Drohungen 
der franzöfifchen Nationalverfammlung oder auf die beichwichtigenden Worte der 
franzöfiichen Regierung das Hauptgewicht legen? 

Am 4. Januar 1792 jchrieb Leopold an feinen Gejandten in Berlin, 
Fürften Neuß, nah den legten Nachrichten über die Pariſer Vorgänge werde 
nichts anderes übrig bleiben, als „eine ernithafte Partei gegen Frankreich zu 
ergreifen.” Er wolle aber nur nad reiffter Ueberlegung und in aufrichtigem 
Einverftändnis mit dem König von Preußen vorgehen, und da bejonders General 
Biihoffswerder „zur Gründung und Beförderung des Allianziyitems zwiſchen 
beiden Höfen mit jo vielem Eifer ſich ausgezeichnet“ habe, wäre es ihm fehr 
erwünjcht, wenn der König feinen Vertrauten mit den nötigen Verhaltungs: 


488 Zweites Bud. Vierter Abſchnitt. 


befehlen und Vollmachten nah Wien jenden möchte, damit endlich einmal über 
die franzöfiichen Angelegenheiten ein gemeinjamer Beichluß gefaßt werde. „Sie 
fönnen dem König als einem Biedermann verfihern, daß mein Vorſatz Heilig 
und unabänderli ift, mit ihm die fordialfte Freundichaft zu pflegen.”!) Als 
Leopold die Staatskanzlei aufforderte, fih über die Aufgaben und Pflichten des 
Tages zu äußern, fiel das Gutachten (12. Januar) fhärfer aus, als nad) der 
bisherigen Haltung der tonangebenden Staatsmänner zu erwarten war. 

„Wenn nod) irgend ein gejunder Menjchenverftand in Paris übrig ift, jo 
ſollte man mit allem Grunde hoffen können, dab es dem König gelingen dürfte, 
die Nation das Uebermaß von Gefahren einjehen zu machen, denen fie ſich aus— 
jegen würde, wenn fie e& zum wirklichen Bruce gegen fie von jeiten fo vieler 
Mächte fommen liege — Gefahren, die um fo infalfulabler jein müßten, da es 
Frankreich offenkundig an einer disziplinierten Armee, an aller Subordination, 
an Gelde mangelt... Sollte aber gegen alle bejiere Vermutung der König 
nicht im jtande fein, unter feiner Mediation einen folhen PVergleihsweg zu 
eröffnen, und auch fein anderer zu gütlicher Beilegung der Sache gebahnt werben 
fönnen, jo wird zwar freilich zulegt nichts anderes als die Gewalt der Waffen 
übrig bleiben!) Am 17. Januar wurde vom Minifterrat unter Borfig des 
Kaifers beichlofien, „von dem angenommenen paſſiven Dperationsplan weiter 
vorzurüden.” Es jollte an die Mächte Europas die erneute Aufforderung zu 
gemeinfchaftlihem Vorgehen gegen die Feinde des franzöfifchen Thrones gerichtet 
werden, wobei jedoch „jorgfältig darauf zu achten, daß nicht etwa der Faiferliche 
Hof in einfeitige, von der Beiwirkung anderer und injondberheit bes preußiichen 
Hofes ifolierte, thätige Maßnahmen verwidelt werde”. Solche Vorſicht ſchien 
um fo mehr geboten, da man in Wien wußte, daß franzöfiiche Agenten in Berlin, 
London und anderen Plägen an der Arbeit waren, um das öſterreichiſch-preußiſche 
Bündnis nit zum Abſchluß gelangen zu laffen.?) 

Das Bündnis war ja noch immer nicht über „generale“ Freundſchafts— 
verfiherungen hinaus gefommen. Die Hauptverhandlungen wurden in Berlin 
zwifhen Neuß einerjeits und den Miniftern Findenftein, Schulenburg und 
Alvensleben andererjeits geführt. Friedrich Wilhelm hatte dem Kaifer die Wahl 
überlaffen, ob der Vertrag in Wien oder Berlin gejchloffen werben jollte; 
Leopold hatte fih für Berlin entjchieden, da er „jeden Anlaß benugen wolle, 
dem König die aufmerfjamfte Nüdjiht zu zollen”.*) 

Die Diplomaten fonnten ſich aber über verjchiedene Punfte nicht einigen. 
Kaunig hielt eine Veröffentlihung des YBundesvertrages nicht für geboten oder 
zwedmäßig; in Berlin überwog die Anficht, man dürfe die Reichsfürſten nicht im 
unflaren lafjen, daß der Bund der zwei mädtigften Staaten nicht eine Ver: 
gewaltigung der ſchwächeren bezwede. Unjere Regierung muß, jo beifchten die 
Minifter, vor dem Verdacht gefichert bleiben, daß fie Defterreich zur Einver: 


') Bivenot, I, 304. 

2) Ebenba, I, 337. 

2) Ebenda, 1, 327, 364. 

+ Preuß. St.:Arhiv. Negociations de Bischofiswerder 1791—1792. Kauni an Reuß, 
4. Januar 1792. 


Polen und die deutfchen Mächte. 489 


leibung Baierns ermutige oder gar dazu feine Unterftügung leihen wolle!). 
Mit herzlihen Berfiherungen wurde hüben und drüben nicht gefargt. „Wir 
find feſt entſchloſſen,“ verficherte Kaunig dem Vertreter Preußens, „auch nit 
den kleinſten Schritt ohne Wiſſen und gegen den Willen Ihres Königs zu unter: 
nehmen, denn es ift jo Ear wie der Tag: wenn wir beide eines Herzens und 
Sinnes find, fünnen wir uns ruhig ſchlafen legen, feine Macht der Welt wird 
unjeren Schlummer zu flören wagen.” ?) 

Der gefährlihite Gegenſatz zwiſchen beiden Höfen klaffte in der pol: 
niſchen Frage. 

Schon im Sommer 1791 war die Meinung, dab neue Gewaltichritte 
gegen Polen von den Nachbarmächten geplant wären, weit verbreitet. Eine neue 
Teilung Polens liegt in der Luft: diefer Gedanke wird in ber Vaterländiichen 
Chronik und in anderen Zeitjchriften vielfach erörtert. „ch höre ein Geflüfter 
um mich ber, ald wären Geifterftimmen; ein Geift tritt aus den Wolfen, deutet 
auf Polen und ſpricht: Die Könige haben ſchon das Meffer in der Hand, um 
dih aufs neue zu ſchälen!““) Was hatte es genußt, daß das Reformwerk vom 
3. Mai 1791 von den aufgeflärten Staatsmännern aller Nationen gefeiert 
worden war, — daß For „im Namen aller Freunde einer vernünftigen Frei: 
beit” zur Nettung Polens Glück wünjhte, — daß Payne im Warſchauer Staats: 
ftreih Mufter und Vorbild erblidte, wie eine erſchlaffte Regierung aus eigener 
Kraft wieder Achtung und Anjehen erlangen fünne, — daß Hergberg in einer 
afademifchen Rede den Umſchwung in Polen als die lauterite und geredhtefte 
aller Revolutionen rühmte.) Was hatte es genugt, daß ſowohl vom Kaifer 
als vom König von Preußen das Verjprehen gegeben worden war, den Willen 
einer freien Nation zu achten, — Rußland war nicht gefonnen, im Bunde der 
dritte zu fein, damit war die ganze Lage jofort verändert. In der Weigerung 
Rußlands lag für die beiden Genoffen der eriten Teilung Polens nicht bloß 
eine Verlodung, jondern eine Art Nötigung, nicht dem immer mächtiger auf: 
ftrebenden Zarenreihe allein die Beute zu überlaffen. Dazu fam, daß der 
Staatsftreich feineswegs den erhofften Auffhwung der inneren Berhältniffe ge: 
bracht hatte; wüſte Anarchie herrjchte im Lande, eine Genejung des Staats: 
wejens war als nahezu ausgeichloffen anzufehen. Ein warmberziger polnischer 
Patriot, deſſen Denkwürdigfeiten eine zuverläflige Quelle für die Geſchichte jener 
Tage bieten, der Magnat Michael Oginski, räumt felber ein, daß aud die Aus: 
wüchſe der Revolution in Frankreich nachteiligen Einfluß auf das Schickſal Polens 
üben mußten; die monardiichen Regierungen der Nahbaritaaten mußten ver: 
hindern, daß fih in ihrer Mitte ein neuer Herb revolutionärer Leidenſchaft 
aufthue, und fonnten immer auf Zuftimmung und Unterjtügung eines namhaften 
Teiles des polniihen Volkes rechnen?). 


') Preuß. St.Archiv. Memorandum bes preuf. Minifteriums vom 8. Nov. 1791. 

?) Ebenda, Bericht Jacobi vom 21. Der. 1791. 

9) Baterl. Chronik, Ihgg. 1791, 515, 517. 

) Oginsli, Dentwürbigfeiten über Polen; Popig und Fink, Bibliothek ausgewählter 
Memoiren, II, 1. Abteilung, 117. 

) Ebenda, III, 1. Abteilung, 133, 155. 


490 Zweites Bud. Vierter Abfchnitt. 


Im Herbit 1791 traten Katharinas Abfichten deutlicher zu Tage. Als 
ein Vertrauensmann des Grafen von Artois, Graf Vaudreuil, in Wien ruhm: 
redig verlicherte, die Zarin werde demnächſt zu Gunften der legitimen Sache in 
Frankreich eingreifen, machte jich der preufßifche Gefandte über ſolchen „Aber: 
glauben” weiblich luftig. „Der gute Graf! Seine erhigte Einbildungsfraft läßt 
ihn übertriebene Hoffnung hegen! Die Kaiferin von Rußland wird fich zu 
nichts anderem berbeilaffen, als zu Redensarten, die man nad Belieben drehen 
und deuten kann. Dagegen ſteht joviel feit: dieſe Fürftin fähe nichts lieber, 
als dan die deutſchen Großmächte in fernen Landen durch Kampf und Not feit: 
gehalten würden, damit fie jelbit in Polen die Ellenbogen frei bekäme!“) 

Im kaiſerlichen Kabinett gingen die Anfichten in der polnischen Frage aus: 
einander oder jchienen wenigitens auseinander zu gehen. Kaunig gab mit Vor: 
liebe dem Mitgefühl für die polnische Nation Ausdrud; er könne, jagte er, nur 
eine ſchreiende Ungerechtigkeit darin erbliden, wenn man ein Volk hindern wolle, 
fi eine befiere Verfaſſung zu geben. Trogdem widerriet auch er, „ſich zur Er: 
haltung einer Berfaffung zu verpflichten, die das wanfelmütige polnische Volf 
fih gegeben habe, ohne jemand ein Wort zu ſagen;“ nun follten die Leute nur 
zujeben, wie fie aus eigenem Vermögen ihre Berfafjung behaupten und fort: 
entwideln könnten! ?) Epielmann ging nod etwas weiter; die Höfe von Wien 
und Berlin, jagte er zum preußiichen Gefandten, hätten das gleiche Intereſſe, 
mit der Zarin über das Schidjal Polens fih zu einigen; ohne Rußland fei 
nichts zu machen, da der ruffiihe Einfluß in Polen die ftärkite Verbreitung 
habe. Wie Kaifer Leopold jelbit über Polen dadte, war ſogar den nächſt— 
beteiligten Politikern zweifelhaft; während der kurſächſiſche Geſandte des Glaubens 
war, ber Kailer werde die Beftrebungen der polnifchen Verfaflungspartei unter: 
fügen, meinte der Vertreter der polnifhen Regierung, Graf Woyna, am Wiener 
Hofe jei gar nichts gewiß, als die Ungewißheit, wie man fi) gegen Polen ver: 
halten werde. 

In Berlin war man von vornherein einer Anerkennung des neuen Zus 


’) Preuß. St.Archiv. Bericht Jacobi vom 29. Okt. 1791. 

) „Que ce seroit un grand fardeau de vouloir protiger cette nation toujours 
inconsequente dans le maintien d’une constitution, quelle sétait donnde sans dire gare 
à personne, que c’etoit ainsi ü elle seule de tacher de la consolider; que la consideration, 
que le repos de la Pologne &toit n&cessaire pour celui des puissances voisines, ne lui 
sembloit pas d'un assez grands poids pour la balance politique; que pourvu qu'aucune 
puissance ne se mölat des affaires internes de ce royaume, on pourroit ötre indifferent 
sur leur police interne.* (Bericht Jacobis über feine Unterredung mit Kaunik v. 2. Nov. 1791.) 
Der Ausfprucd des faiferlihen Kanzlers verrät gewiß alles cher als die warme Teilnahme für 
die polnische Verfafjung, von welher Kauni nad Sybels Auffaffung (I, 453) erfüllt geweien 
fein fol. Kaunitz wollte die Erblichkeit der polnifhen Krone und die Uebertragung an das 
ſächſiſche Haus, aber mit fo einfhnürenden Beſtimmungen, daß der Gegenſatz zwiſchen feiner 
Auffaſſung und ber Berliner Politif bei weitem nicht als fo ſchroff anzufehen ift, wie es Sybel 
für geboten hält. Schon im Dezember 1791 erllärte der ruffifche Gejandte Bulgakow in 
Warfhau, die Verbindung feines Hofes mit dem öfterreichifchen fei eine fo enge, daß lekterer 
Rußland in den polnischen Angelegenheiten gewiß feinen Zwang anthun ober deffen Plänen fich 
widerſetzen würde (E. Herrmann, Die öfterreichiich:preußifche Allianz und die zweite Teilung 
Polens, 45). 


Polen und die deutſchen Mächte, | 491 


ftandes in Polen abgeneigt und deshalb über das einlenfende Zugeltändnis des 
Wiener Kabinetts hoch erfreut. Die Auffaflung des Fürften Kaunitz, erwiderte 
das Minifterium im Namen des Königs, verdiene ungeteilten Beifall; es hieße 
fih eine läftige und gefährliche Verpflichtung aufladen, wenn man die Gewähr: 
leiftung der polnifhen Verfaſſung übernehmen wollte; Preußen habe zwar im 
Bundesvertrag den Beſitzſtand Polens verbürgt, aber nie und nirgends die Ver: 
fafjung und das Regiment jenes Staates. „Wir find entzüdt, daß zwijchen 
unjerer Anſchauung und derjenigen eines jo erleuchteten und weiſen Staats: 
mannes, wie Fürft Kaunig es ilt, jo vollkommene Webereinftimmung berricht.“ ') 

Fortan nahm die Erörterung der polniihen Frage im diplomatiichen Ver: 
fehr der drei Ditmächte die wichtigſte Stelle ein. Das Wiener Kabinett be: 
günftigte die Uebertragung einer erblien polnifhen Krone an das ſächſiſche 
Kurhaus, jedod nur mit vorfichtiger Zurüdhaltung. Chevalier Landriani wurde 
nah Dresden entjandt, um den Kurfürften zur Annahme der Krone zu bewegen, 
aber zugleid) vor Forderungen zu warnen, die den Petersburger Hof zu offenen 
Feindfeligfeiten reizen Fönnten. ine königliche Machtftellung, wie fie der Kur: 
fürft begehre, — jo war im Memorandum der Etaatsfanzlei dargelegt —, werde 
von Rußland niemals geduldet werden und laufe ebenfo dem Intereſſe Defter: 
reichs zuwider. Auch bezüglich des anderen Streitpunftes, der Verbindung der 
polniſchen Krone mit der furfürftlihen Würde, hielt Kaunig für unthunlich, „eine 
Vorliebe und einiges Emprejjement an den Tag zu legen, indem ſolches die 
Aufmerkjamkeit Preußens und Rußlands in gleihem Maße erregen und von 
dem erfteren Hofe wahrfcheinlih als eine Verlegung der Präliminarartifel der 
Allianz angefehen würde.” Der Wiener Hof möge fih aljo in diefen Dingen 
„ganz gleichgültig und unteilnehmend“ bezeigen. Die Vorfchläge fanden auch 
die Billigung des Kaiſers. „Ich genehmige durchaus und in allen Punkten 
Ihren Vortrag.” ?) 

Die Sendung Landrianis erzielte nicht den gewünjchten Erfolg. Kurfürft 
Friedrih Auguft blieb bei jeiner Forderung: „Entweder geben die Mächte, ins: 
befondere auch Rußland, die feite Zufiherung, daß fie die Uebertragung der 
Krone Polens an Sadhjen anerkennen und gutheißen, ober ich lehne das Ans 
erbieten der Polen von vornherein ab.” 

Auh noch im Januar 1792 wurde in Wien an den Grundzügen biejer 
Politik in der polnischen Frage feftgehalten. Darüber unterrichtet uns ein 
wichtiges Aktenftüd, der Erlaß des Kanzler an Neuß vom 4. Yanuar.’) Als 
„Hauptziel des politiichen Regierungsiyitens des Kaijers“ bezeichnet Kaunitz die 
„dauerhafte Erhaltung der allgemeinen Ruhe, auf eine aufrichtige, ungerftörbare 
Eintracht zwifchen dem Wiener und dem Berliner Hofe gegründet.” Um dies 
aber zu erreichen, jei notwendig, daß endlid einmal bei den Nachbarn bes pol: 
niſchen Reiches jener Zunder von Eiferfuht und Mißhelligkeiten entfernt werde, 
dem der verworrene Zuftand Polens unter der alten Berfaflung fortwährend 
Nahrung gebe, jo daß die Verhetung der Parteien niemals aufhörte und jede 

) Preuß. St.⸗Archiv. Erlaf vom 10. Nov. 1791. 


2) 9. Beer, Leopold Il, Fran; II. und Cathartna, 116. 
) Vivenot, I, 107. 


492 Zweites Bud. Vierter Abfchnitt. 


Königswahl, ja faft jeder Reihstag Unruhen brachte. Zu diefem Zwede empfehle 
fih Anerkennung der Hauptarundjäße der neuen Konflitution vom 3. Mai, ins: 
bejondere der Uebertragung der erblihen Krone an den Kurfürften von Sachſen, 
doch genüge dazu nicht die Bereitwilligfeit der deutihen Mächte, ſondern auch 
Rußland müfe dem Bündnis beitreten und insbejondere der polniſchen Bolitif 
der Verbündeten aufrichtig zuftimmen. Dann fönnten die drei Höfe ohne jede 
Schwierigkeit „das Hauptintereffe, welches fie in Anfehung Polens gemein haben, 
und welches darin befteht, daß diejes Reich feinen Grad, der ihnen furdtbar 
wäre, jemals erreiche, durch gemeinfamen Einfluß und Mafregeln aufredt er: 
halten und gegen innere und äußere Evenements ficher ftellen.” Ein Bedenken, 
das vielleiht am Berliner Hofe gegen die von Wien empfohlene Erbmonardie 
beitehen möchte, könne leicht zeritreut werden: der Bruder des Kurfürften von 
Sadjen, dem möglicherweije die Krone zufallen würde, ſei zwar ein Tochter: 
mann des Kaijers, werde aber wohl ohne Nahfommen bleiben, und es werde 
den Wiener Hof gleihgültig laſſen, mas die Nepublif mit ihrem künftigen Ober: 
haupt über die weitere Erbfolge vereinbaren wolle. 

Zugleih ſoll Reuß in Berlin als leitende Punkte der Rolitif des faijer: 
lihen Kabinetts in der franzöfiihen Angelegenheit darlegen: Zu einer förm— 
lihen Entſcheidung iſt noch nicht Anlaß geboten, jo lange wie möglich ift jede 
Einmiſchung in die Händel des Nachbarſtaates zu vermeiden, doc ſoll den Feinden 
der föniglihen Familie und des Königtums die Criftenz des europäiichen Kon- 
zerts durch angemeflene Beweiſe, etwa durch einen öffentlichen Vereinigungsakt 
vor Augen gebradht werben. 

Damit war man in Berlin vollflommen einverftanden, dagegen wurde der 
Wiener Antrag bezüglich Polens abgelehnt. Dieje Dinge feien gar Fritiicher, 
jpinofer Natur, heißt es in einer von allen Minijtern unterzeichneten Note vom 
13. Januar; der preußifhen Regierung liege die Abficht ferne, der Durhführung 
der polnischen Konftitution gewaltfamen Widerftand entgegenzufegen oder die 
Erhebung des Kurfürften von Sachſen auf den polniſchen Thron zu beanftanden, 
allein es jei bedenklich, fich auf irgend etwas einzulafien, ohne über die Ab: 
fihten Rußlands beruhigt zu fein; deshalb habe Preußen bisher alles ängſtlich 
vermieden, was als Verpflichtung ausgelegt werden Fönnte, und halte volle Ber: 
ftändigung der drei Mächte für unbedingt geboten. !) 

In Wien war man zur Zeit über einen anmaßenden Schritt des Zaren- 
bofes, der das Verhältnis deutjcher Fürften zu Kaifer und Reich in merfwürdiger 
Beleuchtung zeigte, verftimmt.?) Der Kurfürft von Trier hatte im Dezember 1791 
dem Reichstage angezeigt, daß er, um endlich für die Verlegung feiner Rechte 
dur Frankreich Genugthuung zu erlangen, die Hilfe Rußlands als eines Garanten 
des mweitiälifchen Friedens erbeten habe. Wirklich verlangte der Vertreter Ruß— 
lands in Regensburg, zur Beihlußfaffung über die Klagen der rheinifchen Fürften 
zugelaflen zu werden. Wie verfümmert auch der nationale Gedanke in deutichen 
Landen war, jo rief doch eine jo unmürdige Bettelei eines deutſchen Fürften 


’) Beer, 119. Note des preuß. Minifteriums vom 13. Jan. 1792. 
Preuß. St.Archiv. Bericht Jacobi vom 24. Dez. 1791. 


Polen und die deutihen Mächte. 498 


um die Gunft der Zarin peinliches Auffehen hervor.) Der Kurfürjt hatte zwar 
für gut befunden, die Verfiherung zu geben, er habe fi zu feinem Geſuch 
„ohne auswärtige Anregung” entichloffen, doch die öffentliche Meinung glaubte 
nicht daran; man wollte jogar willen, daß von rufjiiher Seite auch anderen 
rheinischen Fürften unter der Hand freundichaftlide Nufmunterung zugegangen 
fei.?) Mehrere Reihsftände, die Bifhöfe von Worms, Speier, Hildesheim, 
Paderborn, der Herzog von Zweibrüden u. a., follen bereit gewejen fein, den 
Trierfhen Fußltapfen zu folgen, doch die Mipbilligung der größeren Staaten 
hielt fie davon zurüd.”) Kaiſer Leopold gab durch feinen Gejandten in Mainz 
zu verftehen, daß er den unpatriotiihen Handel mit Mißvergnügen anfehe, und 
auch das Berliner Kabinett wies feinen Reichstagsgejandten an, den unmwürdigen 
Einflüfterungen mit Nahdrud zu begegnen.!) Eine von einem furtrierifchen 
„Bedienten” abgefaßte Nechtfertiaungsichrift fand es freilich unbegreiflih, wie 
jemand tadeln wolle, daß der Kirchenfürft „ven Stolz, die Zierde ihres Ge: 
fchlehts und unjeres Jahrhunderts, die große Kaiferin, deren ganze Regierung 
ein hellleuchtender Tag ohne Dämmerung jey,” um Gunft und Gnade angerufen 
habe. Dagegen fuchte ein anderer Publizift, ein hannöverſcher Auditeur Wader: 
bagen, nachzuweiſen, daß die Zarin gar nicht das Recht habe, jih als Garant 
des weſtfäliſchen Friedens aufzufpielen, und beklagte die Blindheit der Deutfchen, 
die von der im Diten fi aufthürmenden ungeheuren Gefahr nichts ſähen oder 
nichts jehen wollten. Nocd vor 100 Jahren habe man in Deutichland faum von 
der Grijtenz eines ruſſiſchen Neiches etwas gewußt; feit 40 Jahren aber trachte 
der Moskowiter unentwegt und beharrlih, Einfluß auf die deutichen Angelegen: 
beiten zu gewinnen, und ohne Zweifel werde er fein Ziel, die deutjchen Fürften 
von fih abhängig zu machen, mit jlavifher Zähigfeit und Hinterlift wirklich 
erreichen. Kein deuticher Mann, den nit der lucri bonus odor beeinflujle, 
fönne darüber anders denken; nur in Preußen ſchiele man immer nad Rußland. 

Doch auch in Wien war fchon zur nämlichen Zeit, da in Berlin und 
Petersburg noh um Anerkennung der polnifhen Verfaſſung geworben wurde, 
feine Geneigtheit vorhanden, zu Gunften des Königs Stanislaus oder des Kur: 
fürften von Sachſen thatkräftig einzugreifen. Kaunit fühlte ſich beängftigt durch 
das Schweigen Rußlands in Bezug auf feine Abfihten gegen Polen; ohne 
Zweifel wolle man in Petersburg nur abwarten, bis der endgültige Friede mit 
der Pforte geſchloſſen und Defterreih in die franzöfiihen Händel verwidelt 
wäre, um über Polen berzufallen und die neue Verfaflung über den Haufen zu 
werfen. „Uns liegt nun daran, zu erproben, ob einer und welder von den 
zwei Höfen, der Berliner oder Peteröburger, aufrihtig mit dem hiefigen zu 


!) Unparteiifhe Gedanken (f. Anm. 3), 29. 

2) Verſuch eines Bemeifes (ſ. Anm. 3), 80. 

) (Roth) it die Kaiferin von Rußland Garant des weſtfäliſchen Friedens? (Dezember 
1791). — Unparteiifche Gebanten über die vom Kurtrierifchen Hofe geſchehene Anrufung der 
Kaiferin von Rußland um Unterftügung gegen bie Eingriffe Frankreichs (1792). — (Mader: 
hagen) Berſuch eines Beweifes, daß die Kaiferin von Rußland den mweftfälifchen Frieden weder 
garantieren Tönne noch dürfe (Üftober 1793). 

) Verſuch eines Bemweifes, 78. 


494 Zweites Bud, Vierter Abſchnitt. 


Werke geht. Iſt es dem preußiichen Hofe ernit, mit Deiterreih eine wahre, 
dauerhafte Freundſchaft einzugehen, jo wird er unferer Abſicht, den polnischen 
Angelegenheiten eine zwar unjchäblihe, aber ruhige Konfiftenz zu verichaffen, 
die Hände bieten, da es ihm nur in einem alle fonvenieren fann, die Wieder: 
beritellung ber rufliihen Uebermacht in Polen zu begünftigen, — in bem Falle 
nämlih, daß derjelbe jelbft eine gewaltſame Vergrößerung auf Unfoften der 
Nepublif vorhabe oder vorbereiten wolle, — ein Fall, welcher mit den Grund: 
ſätzen, auf welden feine Allianz mit uns gebaut ift, nicht beftehen könnte.“ 
Falls Preußen diefen Weg einihlagen wolle, gebe es für Defterreich feinen 
anderen, als jelbit nad Kräften den ruffiihen Einfluß in Polen zu veritärken, 
in der Vorausficht, daß das ruffiiche Antereffe in Polen zwar irgend eine augen— 
blidliche, aber feine dauerhafte Koalition zulaffe. ') 

Es war aber dem Kanzler, wie ein der nftruftion für Neuß vom 
25. Januar beigelegtes Billet bemweift, mit diefer Erörterung der polniſchen Frage 
nicht vollkommen ernft. Er müſſe der Hugen Vorficht des Botſchafters über: 
laſſen, von dem an ihn gerichteten, „sehr heiklen“ Schreiben den rechten Gebraud 
zu maden; es jei damit nur beabfidhtigt geweien, ihm „irgend etwas Borzeig- 
liches, feineswegs aber aus der Hand zu Gebendes zu liefern,“ wodurd etwa 
der gute Wille des Herrn von Bifhoffswerder für den Kurfürften von Sachſen 
beſtärkt und unterftügt werden könnte. Falls jedoch der Gefandte trogdem nach— 
geben müßte, wäre wenigſtens wünſchenswert, daß Bijchoffswerder zu offen= 
herziger Ausiprahe über die preußifhen Pläne gegen Polen ermächtigt werde. 

In Berlin wurde nun zwar von Bifchoffswerber erflärt, er nehme an ber 
von Defterreich geforderten Anerkennung der Unabhängigkeit und freien Verfaſſung 
Polens feinen Anſtoß, allein die Minifter waren nicht geneigt, auf diefe Wünſche 
einzugehen. Fürft Neuß fcheint des Glaubens gemwejen zu fein, dab die Ans 
regung zum Staatsftreih vom 3. Mai von Preußen ausgegangen fei. „Graf 
Schulenburg,” ſchrieb er an Kaunit,*) „mißbilligt in hohem Grade den Anlaß, 
den der hielige Hof in den legten Jahren zu den jegigen Ereigniffen in Polen 
gegeben hat, wünſcht die Sade ungeſchehen machen zu können und ſucht alſo 
alle nähere Verpflichtung gegen diefe unruhige Nation zu vermeiden.” Der Ans 
fiht, daß Polen als Pufferſtaat nützlich und nötig fei, ftimme auch der preußiſche 
Miniſter bei, doch befürchte er, daß durch offene Anerkennung diefer Thatjache 
und durch vertragsmäßige UnterftüGung Polens die Zarin verlegt und vielleicht 
erjt recht zu Gewaltthaten gegen Polen gedrängt werden könnte. Dies wolle das 
preußiſche Kabinett vermeiden, dagegen liege ihm der Gedanke, jelbit Erwerbungen 
in Polen zu machen und fich zu diefem Zwede mit Rußland zu verbünden, gänzlich 
fern; der Vorteil Preußens heiiche nur, daß Polen „nicht die Kraft zu gebrauchen 
lerne, die ihm bisher unbefannt war;“ ſchon um des preußifchen Weichſelhandels 
willen müjle Polen ein ſchwacher Staat bleiben, ja, alle drei Nahbarftaaten 
hätten ein jorgfältiges Augenmerk darauf zu richten, „daß die polnische Nation 
nicht überfliegen möge.” 


1) Binenot, I, 358. 
*) Ranfe, Analeften; Reuß an Haunig, Berlin, 6. Februar 1792. 


Polen und bie deutihen Mächte. 495 


Mochte es nun dem faijerlihen Kabinett mit feinen polenfreundlichen 
Schritten ernft gewejen fein oder nicht: die Beforgnis, daß von Rußland und 
Preußen hinter dem Rüden und mit Ausschluß Defterreihs eine Teilung der 
Beute geplant werden möchte, ließ den Widerftand in Berlin bald aufgeben. 
Konnten ja doch aus Frankreich jeden Tag jo drohende Nachrichten eintreffen, 
daß ber kaiſerliche Hof feine zurüdhaltende Politik aufgeben mußte! Auch 
aus den Niederlanden fam eine Aufforderung Mercys, der Kaiſer möge end: 
lih gegen Frankreich einfchreiten, denn jchon trete der Rückſchlag der dortigen 
Bewegung in Belgien hervor; die Unterftügung der Monarchie in Frankreich 
ſei das einzige Mittel, die Ruhe in den Niederlanden zu erhalten.) Es ver: 
einigte fich aljo das bejondere öſterreichiſche Antereffe mit dem allgemeinen, um 
den Widerftand gegen die gefährlihe Entwidelung der Dinge in Frankreich not: 
wendig erjcheinen zu laffen. Dazu war aber die Hülfe Preußens von nöten. 
Um nun nicht das Bündnis in der zwölften Stunde zum Scheitern zu bringen, 
wurden die ohnehin nicht von allen Miniftern geteilten Rüdfichten auf Polen 
geopfert. Reuß nahm aljo den Antrag des preußifchen Minijteriums an, dab in 
den Bundesvertrag ftatt der Worte: Gemährleiftung der freien Verfaſſung Polens 
(d. 5. der Verfaffung vom 3. Mai) die Lesart: Gemwährleiftung einer freien 
Verfaflung Polens eingejegt werde, ein Ausdrud, der Preußen jo gut wie 
feine Verpflichtung auferlegte, von Defterreich aber den Verzicht auf den großen 
polniſch-ſächſiſchen Plan heifchte. Der ſcheinbar jo geringfügige Austaufch ber 
Gejchlehtswörter bedeutete für das Neid Eobiesfys den Untergang. „Es war 
die vernichtende Entſcheidung über Polens Selbitändigfeit.” *) — 


Wir haben gejehen, daß das von Barnave und Lameth beeinflußte Minis 
fterium de Leſſart fich eifrig angelegen fein ließ, den Kaijer über die Haltung 
Franfreihs zu beruhigen und damit die Kriegsgefahr aus dem Wege zu räumen, 
daß dagegen Narbonne und feine Leute dem Kriege nicht grundfäglich wider: 
ftrebten, fondern nur verhindern wollten, daß Frankreich gezwungen werde, allein 
mit halb Europa ſich einzulafien. Bon einem Zweikampfe zwiſchen Defterreich, 
dem Hort der Legitimität, und dem Eonititutionellen Frankreich wurde günjtiger 
Erfolg erhofft, und dadurch jollten dem monarchiſchen Prinzip neue Freunde ge— 
mwonnen werben. Deshalb wandte Narbonne nicht bloß den Rüftungen größte 
Sorgfalt zu, jondern verfuchte auch jedes Mittel, um den Kaifer von Bundes: 
genofen zu entblößen. Ein munderlider Gedanfe war es, den Herzog von 
Braunfhmweig, den Genofjen der Fridericianiihen Siege, den Bezwinger ber 
bolländifchen Revolution, an die Spite der franzöjifchen Armee zu rufen. Nicht 





) Feuillet de Conches, IV, 338; Rapport du comte de Mercy au prince de Kaunitz, 
24. dee. 1791. — Leopold ſchrieb am 31. Dez. 1791 an Marie Ehriftine: „Je suis convaincu, 
que sous main van der Noot, van Eupen, van der Mersch, Vonck, les Barnaves, et tout 
cela est d’accord ensemble et que les Etats, qui ont en Brabant l'interöt, que les 
liquidations et les comptes de leur gestion ne se voient pas, cherchent ü animer les 
autres, pour que les troubles se maintiennent et quelqu’explosion möme brouille les 
cartes et empöche qu'on ne revoie leurs friponneries et qu'ils perdent leur credit.“ 
(A. Wolf, Leopold II. und Marie Chriftine, ihr Briefwechſel, 233.) 

?) Sybel, Hift. Zeitſchr. X, 430. 


496 Zweites Bud. Vierter Abfchnitt. 


bloß Narbonne, den dabei die Erinnerung an einen anderen Deutiden, der in 
trüber Zeit die franzöfiihe Waffenehre gerettet hatte, an Marſchall Morig von 
Sachſen leiten modte, wies auf den Herzog hin; aud der getreue Ferien 
gab der Königin den Rat, fie möge an dem berühmten deutjchen Feldherrn 
eine Stüge des franzöfiihen Thrones zu gewinnen ſuchen. „Er ift ein Dann 
von Geilt, Talent und Ehrgeiz, er hat Einfluß in Berlin; glauben Sie nicht, 
dab es danfenswert wäre, ihn zu gewinnen? Er war immer ein Freund 
Frankreichs!” !) Herzog Karl Wilhelm ftand bei dem König von Preußen in 
Gunft und Anſehen; man durfte hoffen, an ihm für gewiſſe Wünjche der fran- 
zöſiſchen Regierung einen einflußreihen Vermittler zu erwerben. Narbonne jhlug 
aljo dem Könige vor, einen Schügling der Frau von Stael, den Sohn bes 
Generals Euftine, nah Braunſchweig zu fenden, um dem Herzog den jchmeichel: 
haften Vorfchlag zu unterbreiten. Cuftine hatte in Berlin militäriſche Studien 
gemacht und die Gunſt des Prinzen Heinrich, des Oberhauptes der „franzöfifchen 
Partei” am preußiihen Hofe und vertrauten Freundes des Herzogs von Braun: 
ſchweig, erlangt; er fonnte aljo troß jeiner Jugend — er zählte erft 23 Jahre — 
als geeigneter Zwifchenträger gelten. König Ludwig ſchwankte, die Königin er: 
blidte in dem Anjinnen eine „tolle dee”; fchlieglih drang aber die Forderung 
Narbonnes durch, Euftine wurde nah Braunichweig abgeordnet. Das Fönigliche 
Schreiben, das er zu übergeben hatte, enthielt nur allgemeine freundfchaftliche 
und friedlihe Berficherungen; ein förmlidher Antrag jollte erſt gejtellt werben, 
wenn über die Gefinnung des Herzogs Klarheit aefchaffen wäre. ?) 

Euftine fand in Braunfchweig freundliche Aufnahme, doc der Herzog zeigte 
fih jeinem Gajte in anderem Lichte, als dieſer erwartet hatte. „Er ift — jo 
berichtete Cuftine nah Paris — ein pbilofophiicher Fürft, ein Freund ber Geiſtes— 
freiheit, aber fchließlich doch ein Fürft, der ebenſowenig Geſchmack an der Volke: 
herrſchaft, wie an der Kirche findet.” Worurteilslofigkeit, Neformeifer, Menſchlich— 
feit jeien in ihm, wie bei Voltaire und Friedrich, vereinigt mit Verachtung der 
unmwillenden Menge und des gewöhnlichen Haufens; er bewundere die Grund: 
fäge der Nevolution, aber er beflage die Unordnung, welche fie im Gefolge 
babe. Obwohl nun Cuftine durch diefe und andere „Widerſprüche“ im Weſen 
und in den Anfichten des Herzogs fait entmutigt war, glaubte er doch im Ber: 
trauen auf den Ehrgeiz des FFürften den Zweck feiner Sendung enthüllen zu 
dürfen. Um Frankreich, jo erklärte er dem Herzog, die alte Größe wieder zu 
verichaffen, fehle ihm nichts anderes, als ein Mann von feitem Charakter, der 
Ordnung in die Armee bringe, die Leidenihaften des Volkes zügle und dem 
Staat die Achtung der Mächte erzwinge. „Und wenn nun die franzöfiiche Nation 
durd) das Organ ihrer Vertretung erflären würde: Es gibt in der jchweren 
Krifis, die uns im Innern und von außen bedroht, nur einen Mann in 
Europa, der vermöge jeines Ruhmes und feiner Talente jener hohen Beftimmung 
entjpräde, und wenn nun die franzöfiiche Nation diefen Einzigen, der ſich jelbit 
der Nachwelt jhuldet, um jeine Dienfte angehen, wenn der König fi durch 


!, Fersen, 1, 317. 
) Sorel, La mission de Custine à Brunswick en 1792; Revue historique, I, 154. 


Frankreich und Preußen. 497 


eine öffentliche Kundgebung diejer Erklärung anfchließen würde, und wenn biejer 
große Mann Sie felbit wären, Monjeigneur, was würden Sie zur Antwort 
geben?” Im erften Augenblid war der Herzog betroffen, dann erhob er allerlei 
Einwände und erbat Bedenkzeit. Anderen Tags lehnte er das Anerbieten ent— 
ſchieden ab. Er wifle den hohen Wert des in ihm gejegten Vertrauens wohl zu 
würdigen, ſchrecke auch vor den damit verbundenen Schwierigkeiten nicht zurüd, 
und ebenjowenig vermöge der banale Vorwurf, daß er dur Annahme des 
Anerbietens in die Reihen der Gegner der legitimen Sade trete, ihn zurüdzus 
ſchrecken, allein er befige zu viel Eigenliebe, um jeine Kräfte und feinen Eifer 
einer ausfichtslojen Aufgabe zu widmen, und daran ſei doch gar nicht zu zweifeln, 
daß er in Franfreich im tollen Wirbel der Parteien fich nimmermehr behaupten . 
fönnte. „Sie haben zu viel geiftreiche Leute, allzu erleuchtete und ftrenge Richter, 
— und die öffentlihe Meinung iſt gar wandelbar” — — Trogdem glaubte 
Euftine nit alle Hoffnung auf Belehrung des Herzogs aufgeben zu müjlen; 
wenn der König jelbft, meinte er, eine offene, dringliche Bitte an feinen Standes: 
genofien richten möchte, fei von diefem noch nicht das legte Wort geſprochen. — 

In England jollte ein Mann, der fi jpäter als Meiſter in allen diplo: 
matifhen Künften und Schlichen bewährte, der ehemalige Biſchof von Autumn, 
Talleyrand, den Boden für ein Bündnis mit Franfreid eben; zu diefem Zweck 
follten jogar bedeutende Abtretungen, — es war die Nede von den Inſeln de 
France und Bourbon — in Ausficht geitellt werden. Doch auch Talleyrand 
follte zunähft nur als Privatmann in London auftreten und nur unter der Hand 
für den natürlihen Bund der „Brüder in gejeßmäßiger Freiheit” wirken. 

Ein Diplomat, der ſchon früher in Deutihland mehrfach thätig geweſen 
war, Barbe:Marbois, wurde damit betraut, in Negensburg die Vertreter ber 
fleineren deutihen Höfe in franzöfiihem Sinne zu bearbeiten; er follte ihnen 
vor Augen führen, weldhe Gefahr das preußiich:öfterreihiihe Bündnis für die 
Unabhängigkeit der übrigen Neihsftände bedeute, wie der Schwache von Frank— 
reih allein uneigennügigen Schub zu erwarten habe. Insbeſondere follte der 
Herr Botihafter — man fieht, wie die Staatskunſt der Revolution wieder ein: 
lenkt in die Schleihwege der geheimen Diplomatie Ludwigs XV. — die un: 
ehelihen Söhne des Herzogs von Zweibrüden zu gewinnen fuchen, um durch fie 
auf dem zärtlihen Vater und durch diefen auf den AKurfürften von Baiern ein: 
zumwirfen und auf jolde Weije Pfalzbaiern in die Arme des „hiſtoriſchen Bundes: 
genoffen” Frankreich zurüdzuführen. 

Noch dunklere Pfade juchten die Vertreter der „geſetzmäßigen Freiheit“ 
einzujchlagen, um ein Bündnis mit Preußen zu erreichen oder doch die Ver: 
einigung der deutichen Großmädhte zu ftören. Es fchien fich gerade eine bequeme 
Handhabe zu bieten. General Biron, der ſich genauer Kenntnis der verſchlungenen 
Berliner Verhältniſſe rühmte, glaubte in dem preußiihen General Heymann 
einen dienftwilligen Bundesgenoflen gefunden zu haben; auch „die den Illuminaten— 
freifen angehörigen und beftechlichen Leute in der Umgebung des Königs“, 
Biſchoffswerder, Wöllner, Gräfin Dönhoff, ihr Oheim Lindorf, Madame Nik 
und ihr Gatte follten für das Intereſſe Frankreichs verpflichtet werden, Talley: 


rand, dem Biron zunädit feinen Plan enthüllt hatte, war davon entzüdt. 
Heigel, Deutihe Geſchichte vom Tode Friedrichs d. Gr, bis zur Auflöſung des deutſchen Reis. I. 32 


498 Zweites Bud). Pierter Abſchnitt. 


„sh werde für den Erfolg diefer großen Sade alles thun, was in meinen 
Kräften fteht ... Hat fi erft einmal der König von Preußen für uns ent: 
ſchieden, dann find wir die Herren der Lage, die Verfafjung wird ſich glücklicher 
Fortentwidlung erfreuen, und alles Mißtrauen wird ſchwinden; ich zweifle nicht 
mehr daran, dab die Beſchlüſſe des Königs von Preußen ſich von denjenigen 
des Kaifers trennen werden ...” ') 

Talleyrand wäre am liebiten jelbit nah Berlin gegangen, doch de Leflart 
glaubte dorthin eine angejehenere Perfönlichkeit, einen Minifter, ſenden zu 
müfjen. Ein „erprobter” Diplomat, Graf Segur, erhielt (22. Dezember) den 
Auftrag, auf die preußifche Regierung einzumwirfen, daß fie von Einmiſchung 
in die Angelegenheiten Franfreihs und von Unterftügung des Kurfürften von 
Trier abjehe; ferner follte er dahin wirken, daß die Zufammenrottungen der 
Emigranten aufhörten und die im Eljaß begüterten Fürjten eine Entſchädigung 
annähmen. De Lejlart und feine Kollegen hatten aber längft aufgehört, die 
einzigen Leiter der franzöfiihen Bolitif zu fein. Biron mollte keineswegs 
auf die Durchführung feiner eigenen Pläne in Berlin verzichten; im Einver: 
ftändnis mit Talleyrand betraute er einen Allerweltsfünftler, einen Herrn de 
Jarry, mit einer geheimen Miſſion nad Berlin, um die einflußreihen Roſen— 
freuzer für die fonftitutionelle Sadhe anzumwerben. De Jarry ftand aber ſchon 
im Sold des legitimiltiihen Grafen von der Marf; faum hatte er von Biron 
die geheimen Aufträge erhalten, waren biejelben den Royaliſten, fowie bem 
Grafen Mercy befannt. Damit war der Plan Birons und feiner Freunde, in 
der preußiichen Reſidenz Boden zu gewinnen, von vornherein vereitelt. 

Doch auch dem Vertreter der franzölifhen Regierung war fein befierer 
Erfolg beſchieden. Schon die Wahl des Vermittlerö war feine glüdlihe. Segur 
hatte zwar einen von Ludwig XVI. unterzeichneten Vollmachtsbrief aufzumeifen ; 
gleichzeitig traf aber ein Schreiben Breteuils an Graf Schulenburg ein, das 
dem Gefandten die Berechtigung, als Vertreter der fönigliden Wünſche zu gelten, 
rundweg abſprach. Auch Roll, der Agent der franzöfifchen Prinzen, wußte zu 
berichten, daß fih Segur während feines Aufenthalts in Straßburg mit dem 
jakobiniſch gelinnten Bürgermeifter Dietrih zu gemeinjfamer Förderung einer 
gleichzeitigen Erhebung aller freiheitsbedürftigen Völker verbunden habe. 

Begreifliherweife wurde aljo dem „Verräter an jeinem königlichen Herrn” 
am Berliner Hofe ein wenig gnädiger Empfang zu teil. Der Franzoſe war 
böhlih erftaunt, überall auf verjchloffene Thüren und verlegene Mienen zu 
toßen. Von Schulenburg wurde er zwar empfangen, aber unfreundlich an: 
gelafien. „Es iſt an Frankreich, den drohenden Krieg zu verhindern. Ich jehe 
nichts Beunruhigendes in dem Häuflein Emigranten, denen man nicht einmal 
geitattet, fih zu bemaffnen. Gebt endlich einmal den im Elſaß begüterten 
Reichsfürſten die jchuldige Genugthuung! Zieht endlih einmal Schranken der 
Bermwirrung, die alle Nationen beunruhigt, und hört auf, euch zu wundern, 
wenn die Könige, die Etaatsmänner und die Ebdelleute aller Länder gegen bie 
Ausbreitung eurer Grundfäße zu einem mächtigen Bunde ſich zuſammenſchließen!“ 


) Sorel, I, 339. 


Franfreih und Preußen. 4099 


„Doch warum weigern fi die deutichen Fürften, ſich mit uns zu verftändigen? 
Wollen fie verlangen, daß man die allgemeine Geltung der Gejete aufheben, 
das Volk zu neuen Unruhen ftaheln und ben Bürgerkrieg entzünden fol, nur 
weil von den Reihsfüriten oder vielmehr vom Reich (denn einige Fürften wären 
gern zur Verftändigung bereit) eine billige Abfindung mit Gelb zurückgewieſen 
wird?” „Eure Unruhen und eure Verfaflung gehen das Ausland nichts an; 
das Neich hatte ebenjo, wie ihr, eine Verfaffung, die das bündige Verbot einer 
Abtretung von Reichsgebiet enthielt, und dennoch hat man euch das Elſaß über: 
geben. Das Neih kann fih nicht auf eine Geldentichädigung einlajien, denn 
das Geld wird aufgezehrt, und dann bleibt uns das Nachjehen, und davon 
abgefehen, gewiſſe Nechte find mit Ehrenpflichten verbunden, von denen nichts 
zu entbinden vermag!” Friedrich Wilhelm molte den Franzofen gar nicht 
empfangen; endlich verftand er fich dazu, ſprach aber bei der Audienz nur von 
feiner warmen Teilnahme am Loſe der föniglichen Familie. Die gegenwärtigen 
Sewalthaber, äußerte er troden, trügen die Schuld, daß Frankreich wohl auf 
lange Zeit jeglichen Einfluß in Europa verloren habe. „Frankreich trachtet auch 
gar nicht danach,“ ermwiderte Segur, „es will fi gar nicht in die Angelegenheiten 
anderer einmifchen, doc es ijt viel zu umfangreich und bevölkert, als daß es jein 
Gewicht in Europa verlieren könnte. Ich hoffe, daß die Regierung Eurer Majeität 
immer eine glüdliche fein wird; wenn aber einmal eine ungünftigere Wendung 
einträte, würde der Einfluß Frankreichs fehr zu ftatten fommen, und Eure Majeftät 
würden die Schwächung biefes nüglihen Gegengewichts zu bedauern haben!” 
Die Warnung wurde vom König mit froftiger Gleidhgültigfeit aufgenommen ; 
dagegen beeilte er fih, dem Vertreter des Kaijers die beruhigende Verficherung 
zu geben, daß die Anweſenheit des Aranzojen feine Gefahr für das Bündnis 
der beiden Höfe bedeute. Im Theater flüfterte er dem Fürften Neuß zu: 
„Haben Sie ſchon etwas von den fremden gehört oder gejehen? Segur ift 
am Sonntag bier angefommen und feither ſchon bei mir geweſen!“ „Auch bei 
mir hat er fich eingefunden,” erwiderte Neuß, „er hat mir mit glatten Worten 
zugelegt, jo daß man faft hätte glauben fünnen, daß er als treuer Diener des 
föniglihen Haufes anzufehen wäre; da mir aber feine wahre Gefinnung befannt 
it, habe ich ihm ala deutſcher Mann geantwortet!” „So werde auch ich ihn 
abfertigen,” erklärte der König, „er fol mir nichts weiß madhen!” Darauf 
nahm Reuß die günftige Gelegenheit wahr, die Faiferlihen Vorſchläge zu 
empfehlen. „Alles, was vom Kaifer kommt,“ erwiderte Friedrich Wilhelm, „ift 
für mid von unjhägbarem Wert, und ich brenne vor Ungeduld, die neuen 
Vorſchläge kennen zu lernen!” !) Bilchoffswerder, Heymann und die anderen 
von Biron als Fäuflihe Kreaturen bezeichneten Leute in der Umgebung des 
Königs mußten nah den Enthüllungen de Jarrys alles aufbieten, um ben Ber: 
dacht einer fträflihen Hinneigung zu Franfreih von fi) abzumwälzen. Biſchoffs— 
werder verficherte dem Fürften Neuß, er werde den Boden unter den Füßen 
des Franzofen jo heiß machen, daß ihm die Luft an Umtrieben vergehen werde. 
So geihah es auch. Segur konnte ſich die Erfolglofigkeit feiner Bemühungen nicht 


) Bivenot, I, 321. 


>00 Zweite Bud. Vierter Abfchnitt. 


verhehlen und bat felbit um fchleunige Abberufung. Er ſoll dem Verdruß über 
das klägliche Fiasfo offen Ausdrud gegeben haben; es wird erzählt, er habe in 
Gegenwart der Minifter zornig den Hut zu Boden geworfen und unter Ver: 
wünjfhungen den Saal verlaſſen.) Der preußiihe Gefandte in Paris, Graf 
Goltz, hatte Mühe, die peinlichen Erlebniffe Segurs in Berlin zu entfchuldigen, 
indem er fie aus jenen früheren Vorgängen in Petersburg zu erklären juchte. 
Es war aber nicht mehr zu bezweifeln: von Preußen hatte die gegenwärtige 
Regierung Franfreihs nichts zu hoffen. Als der junge Cuſtine von Braun: 
ſchweig nah Berlin ging, um den verunglüdten Verſuch Segurs nochmals auf: 
zunehmen, fand auch er feine günftigere Aufnahme. Anjpielend auf die Worte, 
womit in der Nationalverlammlung das Andenken an Friedrich den Großen 
angerufen worden war, jagte Schulenburg zu Euftine: „Wenn König Friedrich 
noh am Xeben wäre, jo wirde die Aufforderung an Ihren König vom 
25. Januar unfehlbar jofort zum Krieg geführt haben, denn die Würde der 
Souveräne muß geſchützt und gewahrt bleiben!“ ?) 

Endlih gingen die Verhandlungen wegen des preußiich-öfterreichifchen 
Bündniſſes in rajcheres Tempo über. Der zu Grunde gelegte Entwurf ftammt 
aus der Miener Staatsfanzlei. Schon Ranke hat auf die wunderliche Thatfadhe 
bingewiejen, daß dazu die Worte des Vertrags zwiſchen Defterreih und Frankreich 
vom 1. Mai 1756 benügt und nur die für ben gegenwärtigen Fall gebotenen, 
jahlihen Beitimmungen in die alte Form eingefügt find. Es war nur eine 
jogenannte Defenfivallianz, aber wie jener Vertrag von Berjailles offenbar 
gegen Preußen, jo war der neue Bund gegen Frankreich gerichtet. „Der Vertrag 
enthielt einen Umjchlag der öfterreichifchen Gefichtspunfte von Grund aus; wenn 
die frühere Rolitif dahin gegangen war, Schlefien mit Hülfe von Frankreich 
wieder zu erobern, jo wurden jett alle die Verträge, durch welche Schleſien 
abgetreten worden, ausbrüdlih garantiert, und wenn 1756 eine Abtretung der 
Niederlande an Franfreih möglich erichienen war, jo wurde jegt die Hülfe von 
Preußen zur Erhaltung derjelben in Ausficht genommen.” °) 

Gerade daran hatten die Leiter der preußiſchen Politik bisher Anſtoß 
genommen. Auch jest erhoben fie Einfpruch gegen die zu weit gehende Faflung 
des Wiener Entwurfes, wonad die beiden Staaten im allgemeinen zu wechjel: 
feitigem Schuß ihrer Gebiete verpflichtet fein jollten, *) und fie festen auch durch, 
daß die Verpflichtung aegenfeitiger Hülfeleiftung bei Ausbruch innerer Unruhen 
„der großen Entfernung wegen” weder auf die belgiihen Provinzen, noch auf 
das preußiiche Weitfalen und Dftfriesland fich eritreden jollte.) Die Menderung 


!) Ranke Urſprung und Beginn der Revolutionsfriege, 163) ift geneigt, den Berichten 
über das auffällige Benehmen Segurs — er foll in zorniger Aufwallung fogar einen Selbft: 
mordverſuch gemadt haben — Glauben zu fchenten. Vermutlich ift mandes auf übertreibende 
Erzählungen der Agenten ber franzöfiihen Prinzen zurüdzuführen. 

2) A. Sorel, I, 371. 

) Rante, 164. 

*) Preuß. St.:Ardiv. Negociations de Bischoffwerder. Memorandum bes Minifteriums 
v. 19. Nänner 1792. 

) Xivenot, 1, 370. Am 5. Febr. 1792 fchreibt das preuß. Minifterrum an Jacobi: 
„A l'egard de article concernant le secours mutuel en cas des troubles interieurs, on 


Bunbdesvertrag zwifchen Defterreih und Preußen, 501 


hatte aber injofern feine praftiihe Bedeutung, als die Hauptbeftimmung des 
Vertrags dahin lautete, daß jeder Angriff auf preußiiches oder öfterreichijches 
Gebiet mit gemeinjhaftlihen Kräften abgewehrt werden jollte, da nun voraus: 
zujehen war, dab im Falle des Bruches der erite Angriff der Franzoſen fich 
gegen Belgien wenden werde, jo war, gleichviel ob der Einfall dur innere 
Unruhen unterftügt würde oder nicht, das bewaffnete Einjchreiten Preußens 
unter allen Umſtänden geboten. Das war die Hauptiahe, und wenn auch 
Frankreich im ganzen Vertrag mit feiner Silbe erwähnt wird, jo war doch ber 
Kernpunkt fein anderer als: Preußen verpflichtet fih, im Kriege mit Frankreich 
dem Kaiſer zur Seite zu ftehen. 

In Bezug auf Polen war, den vorausgegangenen Abmadhungen ent: 
ſprechend, feftgefett, daß die beiden Mächte gegen die Erhaltung einer freien 
Verfaflung (d’une libre constitution) nichts unternehmen und auch Rußland zu 
gemeinſchaftlichem Cinvernehmen einladen follten. . 

Am 7. Februar wurde der Vertrag in Berlin unterzeichnet. ’) 

Gleichzeitig wurde in Berlin über ein an die franzöfiihe Regierung zu 
richtendes Ultimatum Beratung gepflogen. Es joll— jo ſchlug der Entwurf der 
Wiener Staatslanzlei vor — von Frankreich gefordert werden, daß es jeine 
NRüftungen aufgebe, die im Elſaß begüterten Reihsfüriten in ihre Rechte wieder 
einjege, Avignon dem Papſte zurüditelle, für die perjönlicdde Sicherheit der 
königlichen Familie Bürgichaft leifte, den Fortbeitand der monarchiſchen Regierungs: 
form zuſichere und die fortdauernde Geltung der von Frankreich und anderen 
Staaten geichlojienen Verträge anerfenne. Das preußiiche Kabinett jchlug vor, 
an Stelle des letzten Punktes zu fordern, dab die franzöfiihe Regierung ſich 
verpflichten möge, die Umtriebe der „Konftitutionsfreunde” und ähnlicher, zur 
Ausbreitung der revolutionären dee geftiiteter Gejellichaften zu unterbrüden?). 


est convenu d'un expedient, qui concilie la prestation de l’assistence en question dans 
les cas necessaires et le but d'en imposer par cette promesse reciproque à ceux, qui 
pourroient vouloir troubler la tranquillit& dans les etats respectifs avec le desir d’ecarter 
les inconveniens et les difficultes d'un envoi de troupes dans des provinces trop eloignees 
du centre de la domination respective. On a laisse subsister pour cet effet l'article 
separd sur ce sujet, qui deviendra public avec le corps du traite tel que la cour 
Imperiale l’a propose, et dans un second article secret on a restreint cette assistance 
aux provinces respectives situdes en Allemagne, y compris la Boh@me, la Moravie et la 
Silösie, mais üä lexclusion des provinces belgiques de l’Empereur et de mes 
Provinces Westphaliennes.* Kaunig jehrieb an Reuß (20. Febr. 1792), nur das Verlangen, 
den Abſchluß der Allianz nit aufzuhalten, habe den Kaijer bewogen, auf alle Wünfche Preußens 
einzugehen, fonft wäre die Beitimmung, daß fich die gegenfeitige Unterftügung nicht auf die 
Niederlande erjtreden jollte, gewiß nicht angenommen worden, denn diefe Beichräntung könne nur 
als Zugeftändnis an die „wahrhaft gehäſſige“ Politik des Großbritannıfchen Hofes ausgelegt 
werben. 

) Martens, Suppläment au recueil des prineipaux traites, II, 172; Traite d’alliance 
entre S.M, l’Empereur, Roi de Hongrie et de Bohöme, et S. M. le Roi de Prusse, conclu 
à Berlin le 7, fevrier 1792. (Ratification par le Roi de Prusse le 19. fevrier 1792; 
Martens, II, 177.) 

) Preuß. St.: Archiv. Communifationen des Fürften Neuß 1791—1792. Memorandum 
des preuß. MWinifteriums für den König vom 3. Febr. 1792. 


502 Zweites Bud. Vierter Abſchnitt. 
Den Emigranten jollte eine völlig paſſive Rolle aufgenötigt, aber auch von 
einem bewaffneten Kongreß, wie ihn Breteuil im Namen des Königs begehrt 
hatte, abgejehen werden.‘) Um den Leuten, welche fich die jouveräne Gewalt 
anmaßen, den nötigen Ernſt zu zeigen, joll der Kaifer 6000 Mann in den 
Breisgau ſchicken, der König von Preußen ebenjoviel Truppen nad Cleve. 

Auh die Entihädigung für die aufzumendenden Kriegsfoften Fam zur 
Sprade. Die erfte Anregung fheint von Preußen ausgegangen zu jein. Schon 
im Oktober des vorigen Jahres hatte Jacobi in Wien auf den Buſch geflopft, 
indem er an Spielmann die Frage richtete, ob nicht Defterreih für den Fall 
glüdliher Abrehnung mit Franfreih an Erwerbung von Elſaß und Lothringen 
denke.) Damals hatte Spielmann den „infipiden Gedanken” abgewiefen; an 
Erwerbungen jei jchon deshalb nicht zu denken, da am Widerſtand Englands 
alle derartigen Pläne fcheitern würden. Auch in den Berliner Konferenzen 
warf Preußen zuerst die Entjhädigungsfrage auf. Preußen trieb dabei, jagt 
Sybel, „eine durchaus realiftiijche Politik“; es wäre wohl ein jchärferes Wort 
am Plage für die ganz'und gar nicht den realen Berhältnifjen entſprechende 
Begehrlichkeit, die das Fell ſchon teilen wollte, ehe das Wild erlegt war. Falls 
der Kampf mit Frankreich glüdlihen Ausgang nähme, follte der Kaiſer einen 
Teil von Elja und Lothringen fich aneignen, den Reit jollte der Kurfürft von 
der Pfalz erhalten und dafür die Herzogtümer Jülich und Berg an Preußen 
abtreten. Der auch von Friedrich Wilhelm genehmigte Vorſchlag ſollte jedoch 
nur mündlih aufs Tapet gebracht werden; in der Zufhrift an Neuß vom 
4, Februar war nur gejagt, der König halte eine Entſchädigung durch erobertes 
Gebiet für zuläjfig und geboten, das weitere möge fpäteren Abmachungen vor: 
behalten bleiben. 

Wie es Kaiſer Leopold gewünſcht hatte, wurde General Biſchoffswerder 
bald nad Unterzeihnung des Berliner Vertrags nah Wien abgeorbnet, um 
mit Kaijer und Kanzler zu beraten, wie fi die nunmehr verbündeten Staaten 
den brennenden Fragen der europäiſchen Politit gegenüber verhalten jollten. 
In der Inftruftion für Biſchoffswerder vom 18. Februar dürfen wir den wirf- 
liden Ausbrud der Anfichten und Abfichten des Königs felbft erbliden.’) Der 
Geſandte joll vor allem den Kaifer zu überzeugen juchen, daß ber König fein 
ganzes Verhalten gegen Frankreich nad) dem Willen und Wunſche des Bundes» 
genofjen einrichten werde; man wolle in Berlin weder zum Kriege reizen, noch) 
davon zurüdhalten, nur halte man für angemeflen, darauf aufmerkffam zu 
machen, daß eine ſchwächliche, ſchwankende Haltung der deutichen Höfe die Um— 
ftürzler erft recht übermütig machen und ben Frieden untergraben würde. Falls 


!) Der Einwand des Kaiſers: Wer foll ald Bevollmädtigter des Königs von Frankreich 
auf dem Kongrek auftreten? fei volllommen begründet, „puisque le Roi ne peut se charger 
du mandat des usurpateurs de l'authorit souveraine, et que, «'il s’en chargeroit, on ne 
pourroit rien lui demander, qui ne fut au contraste avec les engagements qu'il a pris. 
De plus, tout ce qui seroit demande ne pouvant l’ötre qu’en faveur du roi, ce Prince 
en se chargeant de traiter auroit le pour et le contre à soutenir,* 

) Preuß, St.⸗Archiv. Bericht Jacobis vom 24. Dit. 1791. 

) Ebenda. Acta, betreffend die Inftruftion für Biſchoffwerder et ses depäches 1792. 


Bundesvertrag zwiſchen Tejterreih und Preußen. 503 


zu den Waffen gegriffen werden müſſe, werde Preußen genau die nämlichen 
Streitkräfte aufbieten, wie der Kaijer, feinen Mann mehr oder weniger. Dem 
König von Frankreich ſoll das beitimmte DBeriprechen abgenommen werden, daß 
er, wie es ja Marquis Breteuil ſchon in Ausficht geftellt habe, die zu feinem Schuße 
auftretenden Mächte entichädigen wolle. Wenn es bei militärifhen Demonitra- 
tionen verbliebe, wäre nur Erſatz ber Kriegskoſten, eine Gelventjchädigung zu 
fordern; wenn es aber zum Kriege käme und Eroberungen auf franzöfiichem 
Gebiete gemacht würden, müßten diefe auf oben erwähnte Weife zur Entſchädigung 
der Sieger verwendet werden. 

Da ein einheitliher Oberbefehl über die beiden Armeen den militärischen 
Unternehmungen mejentlic zu gute fommen würde, möge Biichoffswerder dem 
Kaijer nahelegen, ob nicht auch ihm angemeſſen erfcheine, den Herzog von Braun: 
ſchweig als Oberbefehlshaber aufzuftellen; von diefem ebenfo welt: wie kriegs— 
erfahrenen Manne fei nicht zu befürdten, daß er den nötigen Takt gegen den 
Prinzen Hohenlohe vermiflen laſſen oder gar dem Kaifer jelbft Grund zu Miß— 
trauen geben werde. 

Der König von Preußen denft aljo an den Krieg und forgt für den 
Krieg, aber er hält ihn nicht unter allen Umständen für geboten, und aud er 
will den Franzoſen durchaus nicht eine Gegenrevolution im Sinne der Emi— 
granten aufnötigen. 

Bon den franzöfiihen Prinzen wird in der Snftruftion nur nebenbei 
gejagt, es erfheine dem König angezeigt, etwas für fie zu thun; dagegen fol 
für den Fall, dag Rußland oder Schweden Geſichtspunkte aufitelen oder Mittel 
vorjchlagen würden, weldye mit den Beichlüffen der deutſchen Mächte in Wider: 
ſpruch ftänden, von vornherein auf gemeinfame Abwehr gejonnen werden. 

Endlich follte Bifhoffswerder dem Kaifer nochmals beteuern, daß der König 
feineswegs eine neue Teilung Polens im Schilde führe, dagegen entidhloffen 
jei, die neue Regierungsform Polens nicht anzuerkennen. Preußen habe nad 
biejer Richtung durchaus feine Verpflichtung eingegangen; nad dem Staatsftreich 
vom 3. Mai fei nur in allgemeinen Ausdrüden verlihert worden, dab Preußen 
gegen die Erhebung des befreundeten Kurfürften von Sachſen nichts einzumenden 
habe; von einer Garantie der neuen Verfaflung jei nicht die Rede geweſen. 
Dieſen Standpunft habe Preußen auch bei den Verhandlungen mit dem Kailer 
immer feftgehalten, denn die Feſtſetzung einer erblihen Regierung in Polen 
oder vielmehr die davon zu erwartende Kräftigung der polnifhen Krone ent: 
ſpreche nicht dem Intereſſe Preußens und ber übrigen Nahbarmädte. Seine 
Majeftät jei weit entfernt, gegen die neue Verfaſſung Gemwaltmaßregeln ergreifen 
zu wollen, wünjche vielmehr dem fähfishen Hauje alles Gute, aber man müſſe 
doch willen, wie Rußland ſich zu diefer Frage ftellen werde. Es fol alſo vor 
allem darnach getradhtet werben, ein Einverftänbnis mit der Zarin zu erzielen; 
dagegen joll Biſchoffswerder das feierlihe Verjprehen geben, daß Preußen fich 
niemals auf einjeitige Abmadhungen mit Rußland einlaffen werde. 

Mit ſolchen Weifungen langte General Biichoffswerder am 28. Februar in 
Wien an. Er fonnte auf freundliches Entgegenfommen rechnen, denn gerade bie 
leitenden Kreije in der Donauftadt erblidten zur Zeit im Bündnis mit Preußen 


504 Zweites Bud. Vierter Abſchnitt. 


eine willfommene Errungenfhaft. In anderen Fragen gingen die Anfichten 
freilih auseinander. 

Kaunig war zwar ärgerlih über den anmaßenden Ton, den bie Parijer 
Advofaten und Zeitungsjchreiber gegen den Kaifer anſchlugen, äußerte auch wohl 
einmal, es fei geboten, jenen Schreiern einen Schlag auf die Hand zu geben oder 
doch einen Schreibebrief zu enden, den fie nicht ans Fenſter jtedden würden; er war 
aber nichts weniger als geneigt, den jcharfen Worten eine ernfte That folgen 
zu laſſen. „Ich weiß ganz beftimmt,” jchrieb Jacobi gegen Ende Januar nad 
Berlin, „Fürſt Kaunig fieht einen Krieg mit Frankreich unter den gegenwärtigen 
Verhältniſſen für eine höchſt gefährlihe Sade an.) Auch vier Wochen ſpäter 
nahm Kaunig noch den nämlichen Standpunkt ein. Umſonſt forderte der Reiche: 
vizefanzler Fürſt Colloredo, man müſſe endlich einmal offen auf der Wieder: 
einfegung ber Neichsfürften in ihre Rechte im Elſaß beitehen; Kaunig erwiderte, 
eine ſolche Forderung bedeute für Frankreich die Gegenrevolution, für Oeſter— 
reih den Krieg, dürfe alſo feinesfalls geftellt werben. Wie Colloredo, jo hielt 
auch Cobenzl den Augenblid für gefommen, mit Frankreich abzjurechnen. Was 
er barüber zum preußiichen Gefandten jagte, ift bejonders merkwürdig als Aus: 
drud der Anſicht eines hervorragenden kaiſerlichen Beamten über das Verhältnis 
Deutichlands zur Revolution. Die Brandreden ber Brifjot und Guadet, jagte 
Cobenzl, haben die revolutionären Leidenfchaften fo heftig erregt, daß die 
deutihen Nachbarn am Rhein jchon heute nichts ſehnlicher wünſchen, als dem 
Beilpiel der Franzoſen je eher, je lieber zu folgen. „Die öfterreihiichen und 
preußilchen Truppen werben , jobald es zum Kriege fommt, zunächſt nicht mit 
Franzoſen, fondern mit deutſchen Landsleuten fich zu Ichlagen haben.” Je länger 
man aber dieje Mißftände duldet, um jo jchwerer wird es fallen, fie auszu— 
rotten. Auch in Brabant jteht alles auf dem Spiele. Erft in den legten Tagen 
ift wieder eine Verſchwörung aufgededt worden, in welche die angejehenjten 
Familien des Landes verwidelt waren; am Zufammenhang mit den Umftürzlern 
in Baris ift gar nicht zu zweifeln; ganze Scharen Franzofen betreten nieder: 
ländifches Gebiet, angeblih um Schutz zu fuchen, in Wahrheit, um ihre hoch— 
verräteriihen Fdeen in Stadt und Land zu tragen. Soll man warten, bis der 
Branditoff überall hingetragen ift, bis es den Branpftiftern belieben wird, den 
Bunder in Flammen zu jeßen? 

Doch Kaunig verhielt fih auch gegen die Vorftellungen des Vizefanzlers 
ablehnend; gerade die Anftedung der Niederlande könne nur durch äußerſte Vor— 
fiht und Mäßigung verhütet werden. Der Kaijer felbft teilte die Auffaſſung 
des Kanzlers. „Er weiß fehr gut,” jchrieb Jacobi, „warum er den Krieg nicht 
will; die innere Lage der Erbitaaten ift nit von folder Art, daß gemwagte 
Erperimente am Plate wären.” Die böhmifhen Bauern verlangen Wiederher- 
ftellung des Joſephiniſchen Kontributionsſyſtems; die fteiriihen Bauern begehren 
eine Vertretung in der Ständefammer; die Ungarn erlauben fi jtolzere Sprade 
denn je; in den Niederlanden fann jeden Tag offene Empörung ausbreden. 
Schon auf das Gerüht, daß ein Eleines Armeecorps Marjchbefebl nah dem 


') Preuß. St.:Ardiv. Bericht Jacobi vom 28. Yan. 1792. 


Bundesvertrag zwifchen Tefterreih und Preußen. 505 


Breisgau erhalten habe, esfomptieren die Wiener Bankhäufer die Wechſel nur 
mit 10 Prozent Verluft. „Da der franzöfiiche Gejandte in Wien viele gute 
Freunde hat, kann ihm gar nit unbekannt fein, daß der Kaifer von einem 
Kriege überhaupt nichts willen will, und vollends einem Kriege mit Frank— 
reich taujend Schwierigkeiten entgegenftehen!” Auch das preußifche Kabinett fand 
in der Antwort der Wiener Staatskanzlei auf die Erklärungen de Lejlarts mehr 
einen Rüdzug, als einen Angriff. „Ich kann nicht verhehlen,” jchrieb der 
Minifter am 23. Februar an Jacobi, „daß mir die Wendungen in der kaiſer— 
lichen Antwort auf die Eröffnungen des Herrn von Noailles ein wenig gar zu 
fanft erjcheinen und eher an eine Nedtfertigungsichrift erinnern, als an eine 
Kundgebung, die mit Mäßigung, aber auch mit Feſtigkeit die wahre Gefinnung 
des Kaifers erkennen ließe. Es lieat jedoch wenig daran, denn aud eine jo 
weit reihende Schonung wird ihren Zweck verfehlen, da die Köpfe der Dema- 
gogen fich immer ftärfer erhigen. Nur der gegen die republifaniiche Partei 
erhobene Vorwurf, deſſen Einflehtung in die Antwort man jchon wieder zu 
bereuen jcheint, lautet kräftiger und entichloffener. Bon diejen meinen Be: 
trachtungen foll jedoch fein Gebrauch gemacht werden.” Man muß nun’ ab: 
warten, ſagte Kauni zu Jacobi, welche Wirkung die frieblihen Worte des 
Kaijers in Paris erzielen werden; follte fie wider Erwarten ungünitig ausfallen, 
dann muß man in Gottes Namen ein Armeecorps marjchieren laſſen, um ben 
Franzojen die verdiente Lektion zu geben! Gleichzeitig aber ſprach ſich der 
Raijer vor dem neapolitanifhen Gejandten höchſt unzufrieden über die Zurüd: 
haltung der europäifhen Mächte aus: „Es fällt mir gar nicht ein, auf Oeſter— 
reich allein die Roten und die Verantwortung eines Krieges mit Frankreich zu 
bürden; nicht einen Mann will ih marichieren laſſen, ohne der Unterftügung 
der anderen Mächte ficher zu jein!”") 

Biihoffswerder war höchlich erftaunt, in Wien nicht bloß auf Mangel an 
Kriegsluft, jondern geradezu auf eine entmutigte Stimmung zu ftoßen. Das 
öfterreichifche Kabinett, berichtete er an den König, fieht recht gut ein, daß man 
handeln follte, fühlt fi) aber durch den traurigen Finanzftand fo gedrüdt, da 
es begierig jeden Vorwand ergreift, um ein kräftiges Auftreten, wie ich es an— 
raten joll, zu vermeiden oder wenigitens hinauszuſchieben!“) „Die jüngften 
Erklärungen der Nationalverfammlung werden noch dazu beitragen, das Wiener 
Kabinett in einer Mäßigung zu beftärfen, die an Furt vor einem Kriege nahe 
heranftreift. Ich begreife noh, daß man die Erklärung Rußlands abwarten 
will; als aber Cobenzl mir diefen Morgen fagte, man könne in Bezug auf die 
Mobilifierung feinen Beſchluß faſſen, ehe fih nicht auch Spanien endgültig erklärt 
haben werde, was vielleicht noch zwei Monate ausftehen wird, konnte ich mid 
nieht enthalten, ihm zu erwidern, man jcheine die Sache wohl ganz und gar 
der göttlihen Vorfehung überlaffen zu wollen, denn der günftige Augenblid zu 


) Preuß. St.:Arhiv. Beriht Jacobis vom 22. Febr. 1792. 

2) Ebenda. Alten, betreffend die Inſtruktion für Biſchoffswerder. Bericht Biſchoffs— 
werberö vom 29. Febr. 1792. (...,pour ne saisir avec avidite tout pretexte à éluder ou ü 
differer le parti vigoureux, que jai ü proposer*.) 


506 Zweites Bud. Vierter Abſchnitt. 


militäriſchen Unternehmungen werde dann wohl verpaßt ſein.“ In Bezug auf 
Polen fand Biſchoffswerder bei den Wiener Staatsmännern erwünſchtes Ent— 
gegenkommen: „Sie wollen nichts anderes, als was man in Berlin will!“ Auch 
die Entſchädigungsfrage ſchien keine Schwierigkeiten zu bieten, doch ſtieg in 
Biſchoffswerder der Argwohn auf, daß Oeſterreich ſeine Abſichten auf Baiern 
keineswegs aufgegeben habe. Die erſte Unterredung ſchloß mit einem Loblied des 
Kanzlers auf die neue Allianz und die Weisheit der gegenwärtigen preußiſchen 
Regierung. „Ich hoffe,“ ſchloß er ſeine Rede, „den Herren in Berlin wird es 
nicht völlig gleichgültig ſein, wie ein politiſcher Patriarch ſie beurteilt!“ 

Biſchoffswerder war vom Kaiſer noch nicht empfangen worden; Kaunitz 
hatte ihm erflärt, ein leichtes Unmwohlfein verhindere den Monarchen, Audienz 
zu erteilen. Leopold litt jeit der Nüdfehr von Prag an Kolif, die eine auf: 
fällige Abmagerung, jomwie eine Bejorgnis erregende Schwächung des Körpers 
zur Folge hatte.!) Trogdem hielt Leopold an feiner gewohnten Lebensweiſe feit 
und juchte dem Uebel durch draftiiche Mittel zu fteuern. Am 28. Februar be: 
fiel ihn ein beftiges Fieber. Die Aerzte glaubten nicht an ernfle Gefahr, doch 
am 1. März nachmittags 3 Uhr bradte ein Schlaganfall das jähe Ende. 

Die Nahriht: Der Kaifer ift tot! rief in der Hofburg und der Kaiferftabt 
lebhafte Aufregung, im ganzen Reiche Auffehen hervor. Der Todesfall fam jo 
überrafchend und die erften Nachrichten über die Krankheit lauteten jo geheimnis- 
vol, daß es nur wunder nehmen fünnte, wenn die Meinung, der Kaijer jei 
nicht eines natürlihen Todes geftorben, nicht aufgetaucht wäre. In der Prefie 
wurde alsbald von Vergiftung geiproden. Bon vielen wurde die That den 
Jakobinern zugeſchoben, und diefer Argwohn ſchien dadurch Beftätigung zu finden, 
daß die Todesnahricht in radikalen Kreifen mit Genugthuung aufgenommen wurde. 
In einer zu Straßburg erfchienenen „Gefhichte der gegenwärtigen Zeit” von 
Simon und Meyer wurde aufmerffam gemaht, daß aud Zar Peter III. und 
Mirabeau unter ähnlichen Umftänden von jähem Tod hinmweggerafft worden jeien 
und daß man ſchon vor einigen Wochen babe hören fönnen: Der Bund ber 
Tyrannenmörder ift fein leerer Traum, bald wird jein Dajein durd eine That 
bemwiefen werden! Ein Fürft, der feine Söldner zur Unterbrüdung der Freiheit 
gegen Frankreich marſchieren laffen will, ſoll als der erſte fterben, und jeden, 
ber dem ruchloſen Beifpiel folgen will, fol das gleiche Schidjal ereilen. Lange 
genug haben bie Fürften ihrer Ehrjudt und Laune Hunberttaufende geopfert und 
dadurch Millionen unglüdlih gemadht, — jet fommt die Reihe an fie! Es ift 
befler, daß einige Köpfe von den Rümpfen fliegen, als daß die Menjchheit wieder 
an bie Ketten der Sklaverei gejchmiedet werde! ?) 

Auch Eottas Straßburgifches Journal fnüpfte an die Nachricht von Leopolds 
Tod den frohlodenden Ausruf: „Der Führer des Bundes der Herrſcher wider 
die Freien ift tot!” °) 





!) Sartori, Leopoldiniſche Annalen, II, 194. 

2) Ein Auszug aus der erwähnten Gefchichte der gegenwärtigen Zeit liegt bei ben zwiſchen 
Kaunik und Neuß gewechſelten Briefen; das Bud, ſelbſt war mir nicht erreichbar. 

) Stradburgifches politifches Journal, her. von Friedrich Cotta, Bürger von Frankreich, 
Ihgg. 1792, I, 292, 374. 


Tod Leopolds II. 907 


Auch Frievrih Wilhelm II. gab den Argwohn, daß der Kaifer das Opfer 
eines Giftmordes geworden fei, erit auf, als Biſchoffswerder ihm verficherte, der 
Verlauf der Krankheit laſſe nicht daran zweifeln, daß der Kaifer eines natür: 
lichen Todes verblichen ſei.) Uebrigens wurde auch dem Verdacht, der allzu 
riedfertige fei von den Emigranten aus dem Wege geräumt worden, Ausdrud 
gegeben, und als wenige Wochen jpäter Guſtav II. einer Verfhwörung von 
Edelleuten zum Opfer fiel, ſchrieb ein Bewunderer der neufränfiihen Freiheit, 
Georg Forfter: „Bald das Gift, bald die Piftole! Wieder ein König mehr, den 
die höheren Stände mordeten! Seit Karl I. von England find jo viele Könige 
teils umgebracht, teils angefallen worden, und feiner vom Volt, fondern allemal 
entweder von ihresgleihen oder vom Adel oder von Pfaffen, und dennoch jchreien 
die elenden Krieher gegen das Volk!” *) 

Ohne Zweifel find die Gerüchte von Leopolds Vergiftung ebenjo wie die 
Ueberlieferung, daß der Tod infolge übermäßigen Genufles finnliher NReizmittel 
(Diavolini) eingetreten ſei, unbegründet; die Ergebnifje der Sektion zeritreuten 
in Wien ſelbſt jeden Berdadt.?) 

Im allgemeinen wurde Leopolds Tod mit aufridhtigem Bedauern aufge: 
nommen. Bei den Freunden des Umfturzes freilich erregte es, wie erwähnt, 
nur Schadenfreude, dab das legitimiftiiche Europa jein Haupt verloren habe, 
und in Deiterreih wurde die Kataftrophe nad Sartoris Zeugnis von vielen 
nicht bedauert, weil ihnen Leopold „von jeher zu phlegmatiſch erſchien, fein Sol: 
datenfreund war und Joſephs II. rafhe Munterfeit nicht gehabt”.*) Ben un: 


1) Preuß. St.⸗Archiv. Signat Friedrih Wilhelms II. an das Kabinettäminifterium vom 
3. März; 1792: „J’avoue, que cette nouvelle m'a fort frappe et qu'au premier moment 
jai möme eru l’Empereur empoiseonne, mais je vois par la lettre du general, que sa 
maladie &tait une fievre inflamatoire.“ 
*) Forfter an Heyne, 14. April 1792; Forſters Schriften, VIII, 186. 
2) Sartori, II, 196. Am 21. März 1792 fchreibt das preußifche Minifterium an Jacobi, 
im Haag und aud in Dresden fei neuerbings das Gerücht aufgetaudht, man habe in ben Ein: 
geweiden des verftorbenen Kaifers Gift gefunden; vermutli babe man es nur mit leerem 
Klatſch zu thun, allein ed wäre von Äntereffe, zu erfahren, woher biefer Verdacht eigentlich 
ftamme. Darauf antwortete Jacobi (31. März 1792), das empörende Gerücht fei in Wien ſchon 
unmittelbar nad dem Trauerfall verbreitet gewefen, und zwar habe man wiſſen wollen, daß 
dem Kaifer während feines Aufenthalts in Prag eine Dofis Aqua tophana beigebradt worden 
fei. Er (Jacobi) habe jedoch von einem an ber Sektion beteiligten Arzte vernommen, es habe 
fih auch nicht das geringfte Anzeichen einer Vergiftung entdeden laſſen; ber Kaijer habe bie 
Gewohnheit gehabt, von Zeit zu Zeit ſich felbft Arzneien zu bereiten, und es fei feitgeftellt, 
dab er am Sonntag vor feinem Tode eine Doſis Chinin zu fic genommen habe, um fid) während 
der bevorftehenden Aubienz des türfiihen Gefandten gegen Durchfall zu ſchützen; höchftens könnte 
darin ein ziemlich feltenes Symptom gefunden werden, daß bei der Definung des Körpers mehr 
Blut ald gewöhnlich in der Herzlammer fi gefunden habe; der plöglihe Tod habe aber gar 
nichts Ueberraichendes, da ber Kaiſer beftändig an Kolif gelitten und deshalb ungewöhnlich viel 
Chinin zu fi genommen habe. 
*) Ebenba, II, 215. — Vermutlich aus Emigrantenlreifen ftammt ein zuerft in der Neu: 
wiedener Zeitung veröffentlichtes, wigelndes Epigramm: 
„Leopoldus secundus restitutor! 
Restituit Belgradum Tureis, 
Pacem Europae, 


508 Zweites Bud. Bierter Abſchnitt. 


befangenen Bolitifern wurde der Tod des friedliebenden Kaijers, dem es viel- 
leiht do noch gelungen wäre, die Kriegsfurien zu feileln, als Unglüd für die 
Erbftaaten, wie für das deutſche Neich beklagt. Natürlich fehlt es nicht an 
byzantinifhen Ueberihwang. Als „Mufter eines Negenten”, deſſen Ruhm ſchon 
allein das toskaniſche Geſetzbuch für alle Zeiten erhalten werde, feierte ihn eine 
„philoſophiſche Rhapſodie“ von Fiſcher.,) Die Vaterländiſche Chronik pries den 
Staatsmann von „deuticher Gründlichfeit und italieniicher Feinheit”, den Weiſen 
und Gütigen, der ins zerrifiene Reich den Geift der Eintradht und Verträglich— 
feit wieder eingeführt, den eiferfüchtigen Brennus verjöhnt, die Nechte der deut: 
ſchen Fürften, wie die Verfaffungen der fremden Bölfer unangetajtet ge: 
lafien habe ... 


„Frühe, Cäſars und Friedrichs Umarmung entgegen 
Ging Joſephs kühner, ruheloſer Geiſt, 

Und früher noch ſcheidet ſein ſanfterer Folger, 

Hier Titus feinem Volk, dort Marc Aurel genannt!“?) 


Aus dem „aufgeklärten” Lager ſtammt eine langatmige, langweilige Schrift 
von Waderbarth, eine „Parallele zwifhen Leopold II. und Albrecht II.“, die im 
Leben diefer beiden Fürften eine Menge ähnliher Züge nachweift. Beide 
wurden 45 Jahre alt, beide regierten in ihren Staaten 25 Jahre, als Träger der 
deutfchen Krone nur 18 Monate ıc. Andere Vergleiche find gewaltſam herangezogen, 
z. B. zwijchen der Pariſer Nationalverlammlung und dem Bafeler Konzil, den ton: 
angebenden Miniltern Kaunig und Shlid u.a. Als Hauptverdienft wird dem ver- 
ftorbenen Kaifer nachgerühmt, daß er den Papſt in die gebührende Stellung zurüd: 
gedrängt habe, jo daß „der ehemals heilige Vater” heute „nicht mehr als zweiter 
Gott, nicht mehr als zweiter Chriftus, auch nicht einmal mehr als Nachfolger des 
Herumftreihers Petrus angejehen” werde.) Die Gegenüberftellung von Titus 
und Leopold wird in einem Nachruf im Hamburger politiihen Journal zu Tode 
gehegt; auch bier wird dem deutſchen Herrſcher das höchſte Lob deshalb ge: 
fpendet, weil er an Billigfeit, Gerechtigkeit, MWohlthätigfeit dem „Liebling des 
Menſchengeſchlechts“ nicht nachſtand, an Vorurteilslofigfeit in Religionsfragen 
ihn überragte.!) Noch jchwulftiger preift ein erbitterter Gegner der Aufklärung, 
Profeſſor Hoffmann in Wien, den der Kaifer mehrfad ausgezeichnet hatte, den 
„Cäſar, den die Völfer mit wonnetrunfener Lippe Vater nannten”, dem umfonft 
der Kriegsdbämon im Dften blutigen Lorbeer verheißen, umfonft die Ariftofratie 


Corpus Tumnlo, 
Animam Deo, 
Sie reddendo — restituit rem, 
Sed eheu! 
Galliam non restitnit!* 
(Bilbafoff, Katharina II. im Urteil der Weltlitteratur, I, 588.) 
!) (Fiſcher) Leopold der Zweyte (Germanien, 1792), 7. 
2) Baterl. Chronik, Ihgg. 1792, 160, 173. 
3) Barallele zwiſchen Yeopold II. und Albrecht II., von X. v. Wackerbarth, 63. — Die 
nämliche Parallele zieht auch Prof. Schmid im Journal v. u. f. Deutſchland, Ihgg. 1792, 590. 
) Hamburger politiiches Journal, Ihgg. 1792, 225. 


Tod Leopolds 11. 509 


Circens Becher geboten, den auch die jüngfte der Eumeniden, die in des Pöbels 
Majeftät das Glück des Volfs erblide, umfonft umjchmeichelt habe, der immer 
zwiihen Scylla und Charybdis den rechten Weg gefahren jei, gütiger als Titus, 
weifer als Numa.!) 

Wertvoller als diefe Ergüffe eines bezahlten Patriotismus ift das Charafter: 
bild, das der preußifche Geſandte v. Jacobi furz vor dem Ableben des Kaijers 
in feinen Berichten vom 11. und 14. Januar 1792 von der Regierungsthätig- 
feit Zeopolds entwarf. Dem Regenten Toskanas zollt Jacobi faft uneinge- 
fchränftes Lob. „Bei allen Gelegenheiten zeigten Seine Majeftät ebenfo auf: 
geflärten, wie feurigen Eifer für Gerechtigkeit, Hang zu Sparjamfeit, regen 
Sinn für Ordnung im Haushalt des Staates, entichiedene Abneigung gegen das 
Militär, heimlihe Neigung, die Maht und den Reichtum des Adels und Klerus 
herabzudrüden und die Wohlfahrt des dritten Standes zu heben, ſowohl durd 
gerechtere Verteilung der Abgaben, als dur Ausbreitung und ausgedehntere 
Freiheit des Handels. Wenn man jih das bedachtſame Vorgehen des Monarden 
als Großherzog von Toskana in allen diejen Berhältniffen ins Gedächtnis zurüd: 
ruft, wird man überzeugt jein, daß die Langſamkeit und die jcheinbare, wohl: 
berechnete Veränderlichkeit, welche die erjten Anordnungen nah dem Regierungs: 
antritt in Oeſterreich charakterifierten, viel mehr auf tiefes Nachdenken, als auf 
leichtfertige, ſchwankende Grundjäge zurüdzuführen find.” 

Auch ein vom preußiſchen Gejandten jeinem Hofe mitgeteilter, weit fchärfer 
abgefaßter Bericht eines Ungenannten über Leopold I1.?) fommt zum Ergebnis, 
daß der Kaijer in Wien fein anderer geworden jei, als der Großherzog in 
Florenz. „Er hat, jeit er auf den Thron feiner Ahnen gelangt ift, ſich immer 
in zu beifler Lage befunden, als daß er gewagt hätte, feine wahre Gefinnung 
kundzuthun. Seine Regierung in Toskana fcheint indeſſen einen verläffigen Maß: 
ftab für feine mwirflihe Denfweile zu bieten; e& wäre doc jchwer zu glauben, 
daß er Grundfäge, die ihm 30 Jahre lang mit glänzendem Erfolge zur Richt: 
ſchnur gedient haben, auf größerem Schauplatz, wo fih zu eriprießliher Ver: 
wertung günftigere Gelegenheit bietet, verleugnen ſollte. Alle Berjonen, welche 
die Ehre haben, dem Kaifer näher zu ftehen, bezeugen einmütig, daß die Grund: 
züge feines Charafters und feiner Grundfäße unverändert geblieben find und 
bleiben werden. Verſchlagen aus Gewohnheit und natürliher Schwäde, in un- 
gewöhnlichem Grade mißtrauifch, hie und da ſogar unſchlüſſig, immer aber voll 
Angft, ſich entjcheiden zu müſſen oder überrafcht zu werden, jparfam und fried- 
liebend aus Grundjag und Neigung, von Natur volfsfreundlich und Teutjelig, 
ohne es zeigen zu wollen, aus Furdt, dem Adel und der Geiſtlichkeit anftößig 
zu erfcheinen, feinen Ruhm im Rufe eines Gejeßgebers erblidend, — dies find 
und werben vorausfichtlich immer jein die Grundzüge des Charakters des gegen 
wärtigen Oberhauptes des Haufes Deiterreich!” 

Von feiner Berftellungskunft made der Monarch insbeiondere in der Politik 
ausgiebigen Gebrauch; nur dadurch fei es ihm möglich geworben, jeine Lande 


') Wiener Beitichrift, Ihgg. 1792, I, 277. 
?) Preuß. St.Archiv. Minifteriallorrefpondenzen mit Jacobi in Wien 1792. 


510 Zweites Buch. Vierter Abſchnitt. 


der gefährlichen Lage zu entreißen, in welche fie durch die ſchwankende Politik 
Joſephs II. geraten waren; es fei aber billig zu bezweifeln, ob er jo bebenfliche 
Mittel auch anwenden werde, nur um fein Reich auf Koften der Nachbarn zus 
vergrößern. „Er will offenbar feinen anderen Ruhm haben, als den eines ge: 
ſchickten Gejchäftsmannes (habile negociateur); dies zeigt feine Annäherung an 
Preußen und feine Haltung in der polniſchen Frage, die davon Zeugnis gibt, 
daß er nur ebenjoviel Einfluß wie Preußen und Rußland haben will... Bei 
diefen Gelegenheiten jcheint er wenig Gewicht darauf zu legen, feine Würde 
bloßgeitellt zu jehen, da er glaubt, die getroffenen Mafregeln, ohne feine Ehre 
zu gefährden, je nad) den Umftänden auch wieder ändern zu können...” „Sein 
großes Prinzip ſcheint darin zu beftehen: nichts zu überftürzen, immer hinaus— 
zufchieben und langfam, aber ficher zu feinem Ziele zu gelangen.“ 

Jacobi jelbit glaubt erfannt zu haben, daß fich Leopold jeit feiner Thron- 
befteigung ernftlih angelegen fein ließ, die inneren Verhältniſſe feiner neuen 
Monarchie, die Geijtesverfafjung jeiner Völker, die wejentlidhiten Mängel in allen 
Verwaltungszweigen und endlich die Fähigkeiten und den guten Willen der zur 
Mitwirkung an jeinen Plänen berufenen Minifter fennen zu lernen. Aus 
mehreren Anordnungen fei zu erjehen, daß ihm eine rafche und gründliche Recht- 
ſprechung als wichtiges Erfordernis gelte. „Man arbeitet au an einem neuen 
Geſetzbuch nad dem Norbild des berühmten Strafgeſetzbuches für Tosfana, über 
deſſen Weisheit alle Stimmen einig find.” Was den Hang zur Sparfamteit und 
den Sinn für Ordnung im Staatshaushalt anlange, jo fcheine das Wiener 
Publitum über Nebeniählihem die Hauptſache vergefjen zu haben. Es er: 
blide mit Unrecht in der Erhöhung von Beamtengehältern, in der Aufitellung 
neuer Behörden ꝛc. ein Abweichen von den Grundjägen einer weilen Sparjam: 
feit; der Kaifer wolle nur die Ungerechtigfeiten feines Vorgängers wieder gut 
maden und babe überbies erkannt, daß es gegen Ausbreitung ber revolutio: 
nären been fein wirfjameres Mittel gebe, als mit vollen Händen Wohlthaten 
zu jpenden. Für jedermann auffällig fei feine Abneigung gegen das Militär; 
fie erfläre jich teils aus feiner Friedensliebe, teils aus feiner Sparfamleit. Die 
jüngft durdgeführte Reform des Militärwejens bejwede im wejentliden mög: 
lichſt ausgiebige Erjparnifie im Militärwefen und ftelle fi ala Sieg der Grund: 
fäge des verftorbenen Laudon über das foftipielige, verfünftelte Syftem des 
Marſchalls Lascy dar. Als Regent von Toskana habe Leopold wiederholt An: 
orbnungen erlaſſen, welche darauf zielten, die Vorrechte des Adels und des Klerus 
einzujchränfen und dem Bürgerftand Geltung zu verfchaffen; in dieſer Be- 
ziehung fcheine fih in der Auffaffung des Regenten der öfterreihifchen Erblande 
ein Umſchwung vollzogen zu haben. In adelichen und Elerifalen Kreifen habe 
man ſich deshalb dem Wahne hingegeben, daß die Zeit gefommen fei, alle alten 
Anſprüche wieder aufleben zu maden, allein es ſei gewiß nur eine irrige Ans 
nahme, daß der Kaiſer ſolche Sonderftelung begünftigen wolle; er erblide jeine 
Pflicht vielmehr darin, die Laſten der Untertanen möglichſt gleichmäßig zu ver: 
teilen und die Anſprüche aller Stände auf die ihnen zufommenden politifchen 
Rechte zu befriedigen. Er kenne jedoch zu gut den Geift, der heute die Völker 
beieele, und die Ideen, welche fie beherrfchen, als daß er nicht für geraten bielte, 


Tob Leopolds II. 511 


die geplante Reform noch aufzuſchieben. „Aus dem Munde einer trefflich ein— 
geweihten Perſönlichkeit habe ich vernommen, der Kaiſer ſchwanke noch, welchen 
Zeitpunkt er wählen ſolle, um in dieſer Richtung vorwärts zu gehen, ob es 
beſſer wäre, dem Ausbruch der Unzufriedenheit in den eigenen Staaten durch 
Abhülfe der Beſchwerden des dritten Standes zuvorzukommen oder dafür ruhigere 
Zeiten abzuwarten.“ In ſeinen volkswirtſchaftlichen Anſchauungen weiche der 
Kaiſer unzweifelhaft in weſentlichen Punkten von den Ideen ſeines Vorgängers 
ab. Er ſetze nicht bloß die Prohibitivgeſetze in Bezug auf viele ausländiſche 
Waren außer Geltung, einen noch auffälligeren Umſchwung bedeute die Ab— 
ſchaffung des Stempels für alle nationalen Erzeugniſſe, eine Maßregel, die in 
ihrer Wirkung faſt der vollen Freiheit der Einfuhr fremder Waren gleichkomme. 
In der That werde ſeitdem das Publikum damit überſchwemmt, doch trotz aller 
Klagen der ſchwer betroffenen Fabrikanten ſei eine Zurücknahme der gefährlichen 
Maßregel nicht zu erreichen geweſen. Umſonſt habe man dem Kaiſer vorgeſtellt, 
welche Verluſte aus dem freihändleriſchen laisser aller für das Land erwachſen 
müßten, umfonft habe man ihn aufmerkſam gemacht, daß die heimifchen Fabrifen 
feinen Abjag fänden, daß viele taufend Arbeiter brotlos würden, — der Raifer 
bleibe unerjchütterlih auf feinem Grundſatz beftehen, daß der Ruin einiger Sn: 
dividuen nicht in Betradht fomme, wenn unter ungenügender heimifcher Pro- 
duktion die ganze Monarchie zu leiden habe. — 

Ob die Schilderung des preußifchen Geſandten in allen Punkten zutrifft, 
ob insbejondere die Zugeſtändniſſe an den Zeitgeift aus aufrichtiger Neigung zur 
verfafjungsmäßigen Staatsform entiprangen, mag billig bezweifelt werden. Die 
Verfhärfung der Zenfur und die Steigerung der disfretionären Gewalt der 
Polizei ftehen damit nicht in Einklang.) Auch die leitenden volkswirtſchaftlichen 
Grundfäge des Kaiſers find nicht ganz richtig dargelegt. Zur Freihandelspolitif 
wollte Zeopold nicht übergehen; im allgemeinen wurde Joſephs Prohibitivfyften 
beibehalten; die Erlaubnis zur Einfuhr einiger, bisher verbotener Waren, aus: 
ländifcher Weine, Seefifche ꝛc. fiel nicht jchwer ins Gewidt. Wichtiger war die 
Beichränfung der Ausfuhrzöle; insbefondere der mechieljeitige Handelsverfehr 
jzwifchen den Provinzen wurde auf jede Weiſe begünftigt, der Getreidehandel 
zwifchen Ungarn, Galizien und den deutjchen Ländern gänzlich freigegeben. ?) 
Für Verbefferung der jchon beftehenden und Anlegung von neuen Manufafturen, 
für neue Induftriezweige, für Hebung der Naturfchäge des Bodens ıc. ſollten 
die Landesbehörden nad Kräften Sorge tragen; durch Anlegung von Hafen: 
plägen, Schiffbarmahung der Flüſſe, Verbeilerung des Straßenneges ꝛc. jollte 
dem Handel aufgeholfen werden. Wie dem preußiſchen Gejandten verfichert 
wurde, trug fich Leopold gerade mit wichtigen handelspolitiihen Entwürfen, die 
auf dem Wege völkerrechtlicher Abmachungen den Völkern Defterreihs die Mög- 
lichfeit des MWettbewerbes mit den Nachbarſtaaten erichliegen jollten, al& dem 
Leben des thätigen, bejonnenen Fürften ein jähes Ende gejegt wurde. 

Bon den zehn Söhnen, welche Leopold überlebten, folgte ihm der Erft- 


- ') Beidtel, Geſchichte der öſterreichiſchen Staatönerwaltung von 1740 bis 1548, 1, 444. 
2) Schels, Neuefte Gefchichte der Länder des öfterreichiichen Kaiferftaates, I, 24. 


512 Zweites Bud, Vierter Abſchnitt. 


geborene, Franz, der joeben erjt (12. Februar) das 24. Lebensjahr erreicht hatte, 
auf den Thron. In der Prefje war gleichzeitig mit den Nachrichten von der Er: 
frankung des Vaters das Gerücht aufgetaucht, der Thronfolger fei mit jo ſchwerem 
Lungenleiden behaftet, daß fein Leben als gefährdet angejehen werde.‘) Die 
Bejorgnis war unbegründet; Franz war von jhwädlicher Leibesbeſchaffenheit, 
doch jeine Gejundheit Fräftigte fich infolge fireng geregelter Lebensweiſe jo glüd: 
(ih, daß er unter allen zeitgenöffiihen Souveränen das höchſte Lebensalter 
erreichte. 

Joſeph II. hatte darauf beitanden, daß jein Neffe nicht in Florenz, wo 
„ver Körper durd Klima und Sitten geihwädht werde und die Seele ver: 
ſchrumpfe“, jondern am Wiener Hofe auferzogen werde. Mit 16 Jahren fam 
Franz nad Wien. Joſeph entwirft vom Charakter des „verzogenen Wutter: 
ſöhnchens“ ein unfreundliches Bild. Der Obeim nahm Anftoß an dem nüchternen, 
ſchwungloſen, jelbitjüchtigen Wejen des Jünglings, lernte aber allmählich auch 
deſſen gute Eigenfchaften Ihägen; in einem Schreiben an Kaunik rühmt er den 
Fleiß, die Orbnungsliebe, den unbeſtechlich feſten Sinn des Neffen.”) Nie er: 
lahmte jein Arbeitseifer, aber Cingeweihte wollten wiflen, daß er fih allzufehr 
in Heußerlichkeiten und Kleinigkeiten verliere.) Von feiner Gutmütigfeit wurden 
freundliche Züge erzählt; insbejondere den Bühern in Gefängniffen widmete er 
lebhafte Teilnahme, die fi in häufigem Bejuch der Anitalten fundgab. In der 
Reſtaurationszeit entwidelte ſich Defterreich bejonders auffällig zu einem Polizei: 
Staat; in früheren Jahren gab Franz fogar Abneigung gegen das allzuftrenge 
Ueberwachungsſyſtem feines Vaters zu erkennen; unmittelbar nad jeinem Ne: 
gierungsantritt (9. März) gab er Befehl, „daß künftig von einer bloß anonymis 
Ihen Anzeige fein Gebraud zu machen, fondern diejelbe nur als eine Skarteke 
zu betrachten ſei.“) Er war nicht bigott, aber auch nicht den aufgeflärten 
Ideen jeines Vaters zugethan. Auch font fehlte es nit an Gegenſätzen zwiichen 
Vater und Sohn. Während Leopold aus Neigung oder Berehnung ſchon vor 
Ausbruch der Revolution den dritten Stand begünftigt hatte, juchte Franz die 
patriarhaliihe Fürftengewalt aufrecht zu halten und Adel und Klerus als die 
fefteften Stügen des Thrones zu fräftigen. Während Leopold aus jeiner Ab: 
neigung gegen das Militär fein Hehl machte, legte franz dafür bejondere Vor: 
liebe an den Tag. In jungen Jahren war er dem Marfchall Lascy ſehr er: 
geben geweien, doch während des Türfenfriegs ſchloß er fih innig an Laudon 
an; oft rühmte fich diefer der treuen Anhänglichkeit und warmen Freundichaft 
des Erzherzogs, rühmte auch deilen perfönlihen Mut, während er von deſſen 
militäriihen Anlagen und Kenntniffen nur mit Zurüdhaltung ſprach. Auch 
Joſeph erkannte rühmend an, daß jein Neffe die Kaltblütigfeit, die ihn ſonſt jo 
oft zur Verzweiflung gebracht habe, auch auf der Walftatt nicht ablege. „Vor 
dem Feinde,” jchrieb Joſeph nah dem Treffen bei Semlin an jeinen Bruder 


) Baterl. Chronik, Ihgg. 1792, 159. 
?) Krones, Handbuch der Geichichte Defterreihs, IV, 568. 
2) ... „qu'il s'arröte à l’ecorce et aux details“ (Jacobi). 
) Wiener Zeitichrift, TIT, 38. 


Tod Leopolds 11. 513 


Zeopold, „war dein Sohn gerade, wie du ihn im Zimmer fiehbit, das Pfeifen 
der Kugeln ließ ihn aud feine Miene verändern.” ') Den Sinn für Häuslich— 
feit und Einfachheit hatte Franz mit feinem Vater gemein, doch während dieſer 
mehr von der Art eines Gelehrten hatte, gab fi der Sohn wie ein behäbiger 
Bürger, der feinen trodenen Humor am liebften in die Sprache des Wieners 
fleidete,; durch feine Gemütlichkeit und Leutjeligfeit, jagt Meynert, eigne er fi 
fo recht zum NRegenten für das öſterreichiſche Volk, deſſen Verftand einen Herrfcher, 
deflen Herz einen Vater begehre.”) Das Schidjal jelbit jchien den Erben des Kaiſer— 
thrones durch raſch aufeinander folgende ſchwere Schläge ftählen zu wollen. Binnen 
wenigen Jahren verlor er die liebenswürdige Gattin, Elifabeth von Württemberg 
(18. Februar 1790), den Oheim, ein zärtlich geliebtes Kind und den Water; der 
Tod des legteren berief ihn zur Regierung, deren Geſchäften er ſich anfänglich 
nur ſcheu und unfelbitändig, an fremden Rat fi klammernd, unterzog. 

Nah Leopolds Ableben Freuzten fich einander mwiderftreitende Gerüchte. 
Bald bie es, die mobilifierten Regimenter jeien wieder aufgelöft worden, da 
Leopold nur als Kaifer gegen Frankreich aufgetreten ſei und der neue Herr 
Defterreichs diefe Erbichaft nicht anzutreten brauche; ’) bald wurde behauptet, die 
Nüftungen follten noch lebhafter betrieben und neue Negimenter nah dem Weiten 
geſchickt werden.) Wie gewöhnlich, war hier wie dort der Wunſch der Vater 
des Gerüchte. Bald darauf brachte das Straßburger Organ die Nachricht: „Hofrat 
Spielmann zu Wien, mit Bijhoffswerder die Seele des preußiſch-öſterreichiſchen 
Bundes, ift den Geſchäſten ferner gerüdt, man bemerkt ein Erfalten zwiſchen 
den Höfen von Wien und Berlin.) Auch in Preußen wurde von manden 
ein Umfhwung in der Politif des Wiener Hofes, eine Loderung des faum ge: 
ſchloſſenen Freundidaftsbundes befürchtet. Insbeſondere Marchefe Luccheſini war 
vol Mißtrauens gegen den Nachfolger Leopolds. „Höchſtens im Anfang,” ſchrieb 
er an Jacobi, „wird der König von Ungarn herzliche Vorliebe für die neue 
Allianz heucheln, um fi des Schußes unfrer Freundidhaft jo lange zu be: 
dienen, bis er zur Kaiferfrone gelangt und die Armee wieder auf die Stärke 
unter Joſeph II. gebradht haben wird, dann wird er einfah thun, was ihm für 
jeinen Vorteil zuträglicher fcheinen wird.” ') Auch Friedrih Wilhelm war nicht 
völlig überzeugt, daß Franz dem väterlichen Syftem treu bleiben werde. Nach 
den legten Kundgebungen des Erzherzogs, ſchrieb der König an jeine Minifter, 
fönnte man in ihm wohl einen Freund des Bündnifjes der deutihen Großmächte 
erbliden; immerhin empfehle es fich, ben Fürften Reuß vertraulid auszuforichen, 
ob diejen Freundihaftsbezeugungen zu trauen wäre; der Gejandte werde fich 
darüber freimütig ausfpreden, da ihm jelbft viel daran liege, daß zwiſchen ben 
beiden Höfen alles beim alten bleibe. „Der Erzherzog wird mehr für das 





) Reumont, Geſchichte Tostanas, Il, 212. 
?) Meynert, Franz 1., Kaifer von Defterreih, und fein Zeitalter, 13. 
) Straßburger polit. Nourn., Ihgg. 1792, I, 193. 
*, Baterl. Chronik, Ihgg. 1792, 190. 
Strasburger polit. Journ., I, 390. 
*) Preuß. St.:Ardiv, Acta, betreffend den Briefmechjel des Marquis Luchefini mit 
Freiherrn vo. Jacobi-Klöſt. vol. IN. Luch. an Jacobi, 7. März 1792. 
Heigel, Deutiche Geſchichte vom Tode Friedricht d. Or. bie zur Auflöhung des deutſchen Reichs. J. 33 


514 . Zweites Bud. Bierter Abfchnitt. 


Militär thun, als jein Vater, darauf kann man mit Sicherheit zählen, denn er 
weiß, wie notwendig es ift; was feine politifhen Anfichten betrifit, jo läßt fich 
darüber noch fein Urteil fällen; die nächften Briefe des General Biſchoffswerder 
werben wohl darüber Licht verbreiten.” ') An Bijchoffswerder jchrieb der König, 
er möge unverzüglich in der Frage, ob Krieg, ob Frieden, auf eine Elare, 
beftimmte Entiheidung dringen. Wenn der König von Ungarn Bedenken tragen 
jollte, jich in die Angelegenheiten Frankreichs einzumifchen, möge Biſchoffswerder 
fich zurüdziehen, wie er felbit es thun werde. Wenn aber Franz gegen Frank— 
rei einjchreiten wolle, dann fei feine Zeit zu verlieren, endlich einmal Ernft 
zu zeigen. „jedes Schwanfen, jeder Auffhub jcheint mir Gefahr zu bringen, 
Gefahr wenigftens für den König und die Königin von Frankreich.“ Natürlich 
fönne der neue Regent nicht wie jein Vater als Oberhaupt des deutſchen Reiches 
auftreten; da aber das Neich zur Zeit fein Haupt habe, ftehe fein Hindernis im 
Wege, daß die zwei Hauptmädhte die Sache der beeinträcdhtigten Reichsfüriten 
in ihre Hände nähmen und mit den ihnen zu Gebote jtehenden Kräften ver- 
teidigten.?) 

Bald traf aus Wien beruhigende Nachricht ein. Sogleich der erfte Schritt 
des neuen Königs, berichtete Jacobi, habe dargethan, daß der Tob Leopolds den 
Freundichaftsbund zwiſchen Preußen und Defterreich nicht zerriffen oder gelodert; 
Spielmann, der vor allen anderen Miniftern das Vertrauen des jungen 
Monarchen befite, babe die bündige Verficherung erhalten: „Seine Majejtät 
glauben, das Allerbefte, was hr Herr Vater gemachet hätten, wäre das Freund— 
ihaftsbündnis mit Eurer Königlichen Majeftät, und wenn man finden jollte, daß 
es nötig wäre, vielleicht durch neue Verbindungen ſolches zu befräftigen, jo wären 
Sie ganz bereit dazu.) Auch dem General Bifchoffswerder beteuerte König 
Franz, er habe feinen jehnlicheren Wunſch, als Frieden und Freundichaft mit 
Preußen erhalten zu jehen, wenn er aud nicht verhehlen wolle, daß die 
jähe Befigergreifung der fränfifhen Fürftentümer ihn verlegt habe. „Er be: 
klagte ih wie ein zarter Liebhaber gegenüber jeiner Herzallerliebiten, daß 
man ihm nicht mehr Vertrauen geſchenkt habe, jondern lieber in einer Weiſe 
vorgebe, daß faft von Weberrumpelung zu jprechen wäre.” Der gute Kaunig, 
fährt Biſchoffswerder fort, arbeite an einem neuen Memorandum über die fran- 
zöfifche Frage, Doch er jelbft werde fich lieber an die Erklärungen König franz’ halten 
und davon abweichende Anfichten des Kanzlers ald „Träumereien eines reipef: 
tablen alten Herrn” betrachten. Sogleih nah der Totenfeier werde er den 
jungen König zu beftimmen juchen, daß dem Fürften von Hohenlohe Befehl zur 
Ausarbeitung eines Feldzugsplanes gegeben werde; auch der Vorſchlag, dem 
Herjog von Braunjchweig den Oberbefehl über beide Armeen zu übertragen, 
werde in Wien auf feine Schwierigkeiten ftoßen. In Bezug auf Polen endlid; 
jei jet fogar Kaunig zur Anfiht befehrt, daß etwas gejchehen müſſe; da ſich 


) Preuß. St.⸗Archiv, Acta, betreffend Instruction pour Bischoffswerder et ses d&päches. 
1792; Frederie Guillaume à son ministere, 3 mars 1792. 

2) Ebenda. Kabinettsichreiben an Biſchoffswerder v. 6. März 1792. 

°, Ebenda. Minifterialforreipondenzen mit Jacobi. Bericht Jacobis v. 1. März 1792. 


Die franzöfiiche Kriegserflärung. 515 


die Polen eigenmächtig eine Berfaffung gegeben hätten, die fih nicht der Zu: 
ftimmung der Nachbarn erfreue, jo müffe man ihnen eine andere geben, wie fie 
den Wünſchen und Intereſſen der nädhitbeteiligten Staaten entiprede. ') 

Das Berliner Kabinett ſprach über diefe Nachrichten feine Befriedigung 
aus, wünjchte aber fchriftlihe Erklärungen zu erlangen, da die mündlichen gar 
zu leicht zurüdgenommen oder anders ausgelegt werden fönnten. Entweder — 
oder! Man möge fih zum Handeln entſchließen oder nicht länger mit dem 
Säbel rafjeln; jchon die vorgerüdte Jahreszeit fordere auf zu rajcher Ent: 
ſcheidung. 

Dieſe Auffaſſung wurde aber von Kaunitz nicht geteilt. Es bleibt, be— 
richtete Jacobi (10. März) an ſeinen Hof, der unabänderliche Grundſatz bes 
Kanzlers, daß man gegen Frankreich nichts thun joll und nichts thun fann! Wer 
jollte, jolange das deutſche Reich fein Oberhaupt befigt, an Franfreih den Krieg 
erklären? und warum foll es geichehen, nachdem die franzöftiche Regierung fich 
bereit erflärt bat, die im Elſaß begüterten Fürften zu entſchädigen? 

Im Einklang mit diefen Worten jtand, daß Kaunig den außerordentlichen 
franzöfiihen Gejandten, Herrn von Marbois, mit Auszeichnung empfing. Allein 
Bifhoffswerder wußte feinen Landsmann Jacobi zu tröften: „Es ift heute nicht 
mehr Kaunig, der für die Wiener Politik das Wetter macht!” Auch das preußifche 
Kabinett nahm die Nachricht gelaffen auf. „Die Stimmung des Fürften Kaunitz,“ 
wurde dem Gejandten erwibert, „jowie die Haltung des Wiener Hofes werben 
fih bald ändern angefichts der neueften Wendung in Franfreih! Die franzöfiiche 
Antwort auf den Brief des Kaijers jchlägt jo drohenden Ton an, daß man fich in 
Wien nicht länger mehr der Notwendigkeit verfchliegen wird: man muß endlich 
Farbe befennen, es muß zum Schuge der Souveräne endlich etwas geichehen!” ?) 

Franfreih hatte eine Verfaſſung, aber es hatte feine Regierung mehr! 
Darüber konnte Fein Zweifel mehr beftehen, als es im Februar 1792 aus Anlaß 
der Teuerung in ganz Franfreih zu blutigen Auftritten fam, die Verwirrung 
immer höher ftieg, die Leidenjchaft alle von Recht und Geſetz gezogenen Schranfen 
durchbrach. Nicht bloß in Paris waren Beihimpfung von Beamten, Mißhand— 
lung von Prieftern, Raufereien aller Art an der Tagesordnung, — noch zügel: 
(ojer ging es in den Provinzen zu. Der feindliche Gegenjat der politifhen und 
religiöfen Meinungen drängte überall zum Umfturz aller Dinge. Die Verfaffung 
war nur ein toter Buchitabe, wenn es fih um den Schu Mißliebiger und Ber: 
tolgter handelte. In der Nationalverfammlung wurden die jammervollen Be: 
richte über die Gewaltthaten in Stadt und Land verlefen, doch geſchah nichts 
zur Abhilfe; die Stillung der Unruhen wurde den Organen der Regierung über: 
laffen, doch diefe waren außer jtande, ſich Gehorſam zu verichaffen. Die Aſſig— 
natenprejje arbeitete mit fieberhafter Haft, doch je mehr Millionen fie in die 
Staatskaſſen lieferte, deito tiefer janf der Staatsfredit, und da im Ver: 
hältnis zur Wertlofigfeit der Affignaten die Preiſe ftiegen, griff die Not immer 
weiter um fih. Der Hunger und nod mehr die Furcht vor dem Hunger, un: 


) Preuß. St.Archiv, Berichte Bifhofföwerders vom 6. u. 7. März 1792. 
) Ebenda, Erlaß des preuf. Minifteriums vom 15. März 1792. 


516 Zweites Buch. Vierter Abſchnitt. 


bändiger, gebieteriſcher, furchtbarer als alle Leidenſchaften, erhitzten die Ein— 
bildungskraft der Maſſen, ſo daß ſie nicht bloß den Bankerott des Staates, 
ſondern den eigenen Untergang ſchaudernd vor ſich ſahen. „Frankreich bot ein 
lehrreiches Schauſpiel, das den Kern des Menſchen zeigte! Dieſer iſt, wie die 
nahrungsloſe Mannſchaft eines ſchiffbrüchigen Floſſes, in den Naturzuſtand zurück— 
gefallen; die dünne Hülle von vernünftigen Gewohnheiten und Gedanken, die die 
Ziviliſation über ihn geworfen, ift zerriſſen und umflattert ihn in Fetzen; die 
nadten Arme des Wilden find zum Vorſchein gekommen; er jtredt diejelben 
drohend aus und verwendet fie im Dienfte jeines hungrigen Magens (Taine).“ 
Die Untbätigfeit der Regierung, der nur die Kraft zur Beilerung der Lage 
mangelte, wurde als Verbrechen gebrandmarft, und der ganze Zorn der Auf: 
geregten richtete fih gegen die Tuilerien, wo noch immer die Tyrannei das 
Zepter führe. Die Minifter galten an und für fi für verbädtig; die Ge: 
meinden erlaubten fi gegen die Zentrale die verädhtlihite Willkür; es fam vor, 
daß Munizipalitäten Entſchließungen der höchiten Behörden zurückſchickten, ohne 
fie der Deffnung gewürdigt zu haben.!) Dazu fam die Spaltung im Minifterium 
jelbft. Der Kriegsminifter wollte den Krieg, der Xeiter der auswärtigen Politik 
ftrebte noch immer eine Verſöhnung Franfreihs mit den Mächten an, um ben 
Waffengang zu verhüten; der Bund der gemäßigten Parteien hatte ſich wieder 
gelöft, die Friegsluftigen Anhänger Lafayettes waren wieder erbitterte Gegner 
ber Yameth und Barnave, die das einzige Mittel zur Rettung Frankreichs in 
einer Reform der Verfaflung und zunächſt in Auflöfung der verwilderten Kammer 
erblidten. Wiederholt wurden Verſuche gemacht, das Anjehen und die Macht 
bes Königtums wieder zu heben. Auch die Fayettilten, die damit im wejentlichen 
auf die Pläne Mirabeaus zurüdgriffen, wollten dazu die Hand bieten. Narbonne 
ſelbſt unterbreitete darauf zielende Vorſchläge der Königin, um mit ihrer Hülfe 
die Leitung des Minifteriums in feine Hände zu befommen. Der Verſuch jchlug 
fehl; Marie Antoinette fol das Anerbieten des jelbitgefäligen Mannes mit 
Lachen aufgenommen haben.) Das Minijterium beharrte in der feuillantiftiichen 
Richtung, während biefe im Volke ſchon allen Boden verloren hatte. Die Furcht 
vor „Verrat“, vor Auslieferung Frankreichs an die fremden Mächte entzog der 
Negierung aud das Vertrauen der gemäßigteren Elemente. Um jo üppiger 
blühte der Weizen der „Entjchlojjenen”, der Männer der Gironde; ben ſchnei— 
digen Reden der Brifjot und Isnard fehlte es niemals an ftürmiihem Beifall. 
Trogdem fonnten auch diefe Männer, als die Unruhen täglich zunahmen, fich 
nicht verhehlen, daß jchließlich doch dem Pöbel die Diktatur zufallen werde, allein 
gerade dieje Bejorgnis fteigerte ihren Kriegseifer; vom Krieg erbofften fie ebenſo 
die Wiederheritellung der Ordnung, wie die Befeftigung ihrer Stellung gegen: 
über Jafobinern und Gemäßigten. Die Kataftrophe wurde noch beichleunigt 
durch die Entwidelung der auswärtigen Angelegenheiten. Die Nachrichten aus 
London, insbejondere die Berichte Talleyrands ftellten in Ausficht, daß die eng: 
liiche Regierung dem Bunde der europäifhen Mächte keinesfalls beitreten werde, 


') Taine, Die Entjtehung bes modernen Frankreich, deutich von Katicher, IT, 1. Abt, 287. 
2) Glogau, 153. 


Die franzöfiihe Kriegserklärung. 517 


ja daß Pitt auch im Falle eines franzöfiihen Angriffs auf Belgien neutral 
bleiben wolle. !) 

Wenn dieje Zufiherung den Mut ber Kriegspartei belebte, jo ftachelte das 
Vorgehen des Wiener Hofes ihre Erbitterung. Es war ſchon die Rede von ber 
Antwort auf die brutalen Forderungen der franzöfiichen Nationalveriammlung 
vom 25. Januar. Die failerlihe Note vom 17. Februar klang jo wenig kriegs— 
luftig, daß in Berlin Verdacht geihöpft wurde, Kaunitz trage fih mit dem Ge: 
danken einer Annäherung an das Eonftitutionelle Frankreich. Diefe Annahme 
fam ja aud, wie wir jahen, der Wahrheit ziemlich nahe. Der Kanzler erblidte 
no immer im Kriege ein „ertremes Notmittel”, zu dem man höchitens in bem 
Falle greifen dürfe, daß alle europäiichen Staaten fi zum Beitritt verſtänden; 
er hoffte zuverfihtlih, daß in Frankreich bald die „Wohlgefinnten” die Ober: 
hand gewinnen würden; um den Feuillants, deren Einfluß und Kraft er über: 
ihägte, zum Eiege zu verhelfen, brauche man nur die Jakobiner durch ein 
fräjtiges kaiſerliches Wort einzufhüchtern. Deshalb las fih die Note vom 
17. Februar, joweit fie an das Minifterium fich richtete, nur wie eine befcheidene 
Rechtfertigung der kaiſerlichen Politik; gegen die republifanifhe Faktion aber 
waren jchwere Vorwürfe erhoben. Sie gehe darauf aus, nicht bloß die mon 
arhiihe Verfaffung, fondern die gejelichaftlihe Ordnung zu unterwühlen, und 
juhe nur deshalb mit dem Ausland Krieg anzuzetteln, um im eigenen Lande 
die Gejeglofigkeit auf den Thron zu erheben. Der Beihluß vom 25. Januar 
jei eine ſchwere Beleidigung für einen alten Bundesgenofjen Franfreihs, dem 
eine fürmliche Frift geftedt werde, um für eine erdichtete Schuld Genugthuung 
zu leiften, als ob jelbit die Bräuche des Wölferrechtes der willfürlihen Aus— 
legung der fih zur Gejeggeberin aufwerfenden franzöfiihen Volksvertretung 
unterlägen. Trotzdem wolle der Kaijer die bisher beobachtete Mäßigung nicht 
aufgeben, denn das Unglüd Franfreihs flöße ihm Mitleid ein; er wolle fid) 
auch jeder Drohung enthalten, jondern nur freundichaftlid erinnern an ben 
Bund der Mächte, der den mwohlgefinnten Teil der franzöfifhen Nation gegen 
Zwang und Verführung jhüsen werde. 

Am 27. Februar übergab der öfterreihiihe Gejchäftsträger Blumendorf 
in Paris die faiferlihe Note.) Tags darauf bradte aud; Graf Goltz ein 
Schreiben, das volle Lebereinftimmung der Grundjäge der Höfe von Wien und 
Berlin kundgab: ein Einbruch franzöfiiher Truppen in deutiches Gebiet wird als 
Kriegserflärung angefehen werben, und Preußen wird fich zur Abwehr mit 
Kaiferliher Majeftät verbinden. ”) 

Zwiſchen de Leſſart und feinem Amtsgenofjen Narbonne war es kurz vor: 
her zu erniten Mihhelligkeiten gefommen. Der Kriegsminiiter hatte eine Dent: 
ihrift an den König gerichtet. Darin war ausgeführt, dab nur offener, rüd: 
haltlojer Anichluß des Königs an das monarchiſch gelinnte Bürgertum Thron’ 

) Snbel, T, 365. 

) Explications survenues entre les cours de Vienne et de France au sujet des 
rassemblements arms des émigrés frangais dans l'electorat de Treves (Vienne 1792), 21. 

) Ibid. 39. — Vivenot, I, 398; Erläuternder Zirkularerlaß des Fürften Kaunitz vom 
28. Februar 1792. 


518 Smeites Buch. Vierter Abfchnitt. 


und Staat gegen die Anzettelungen der Emigranten und der Jakobiner retten 
fönne. Frankreich wird nur no wenige Monate Beitand haben, wenn nicht 
eine volfstümliche und zugleih thatkräftige, eine weife und zugleich ftarfe, eine 
fluge und zugleih loyale und energijhe Regierung die ſchon geichlagenen 
Wunden heilt und neuem Unheil vorbeugt!!) Da die Spite dieſer Warnung 
gegen das „ſchwammige“ Minifterium de Leſſart gerichtet war, hatte fi Nar: 
bonne heftiger Angriffe feiner Kollegen zu erwehren; er fonnte nicht länger 
Minifter bleiben, doch zugleich mit dem Mißliebigen jolte das ganze Feuillant: 
minifterium und damit auch das „Syftem ber Mäßigung” jähen Sturz erfahren. 

Schon im Februar begann in der Nationalverfammlung der Sturm gegen 
die „Zandesverräter”, die an allem Unheil Frankreihs, an der Teuerung und 
den dadurch hervorgerufenen Unruhen, an der olierung Frankreichs und der 
Kriegsgefahr Schuld trügen. Am 12. Februar hielt Manuel eine große Straf: 
rede gegen bie Minifter; alle ohne Ausnahme hätten den Tod verdient, aber 
einer wenigſtens müfje ihn erleiden, ein Erempel müfje ftatuiert werden!“) Ein 
paar Tage jpäter verlangte eine eingebrungene Rotte Pilenträger in der National: 
verfanmlung bie Köpfe der verräteriihen Tyrannen, und Fauchet beantragte, 
den eriten Minifter de Leffart in Anklageitand zu fegen. Dem Antrag wurde 
nicht ftattgegeben, doch die Gironde nahm ihn aufs neue auf, um Narbonne 
zu retten oder zu räden. Zur Handhabe mußten die faiferlihden Mahnworte 
dienen. 

De Leſſart fand Kaijer Leopolds Erklärung „friedfertig und freundichaft: 
lich“, aber die Zumutung, daß der Nationalverfammlung auch die Zufchrift des 
franzöfifhen Kabinetts an den Kaifer befannt gegeben werde, berührte ihn un: 
angenehm; er ließ auch beim Vortrag der Depeſche eine belaftende Stelle 
weg und beteuerte, er werbe fi in feiner Antwort die an ben inneren Zus 
ftänden Franfreihs geübte Kritif ernitlich verbitten und nachdrücklich auf der 
Auflöjung des Vereins der europäiſchen Mächte beitehen. Das Haus nahm die 
Erklärung mit Beifall auf, doch es trat bald zu Tage, dab fi der Minifter 
nunmehr fozufagen zwiichen zwei Stühle gefegt hatte, denn einerjeits wollten 
die Lameths das gegen die Umitürzler aufgebotene Schredmittel, den Bund der 
europäifhen Mächte, nicht aufgeben, andrerjeits vermochten die Zugeſtändniſſe 
des Minifters den Grol der Ariegspartei nicht zu dämpfen. In den nächſten 
Tagen richteten Rouger und andere Girondilten neue Angriffe gegen die Amts: 
führung de Leſſarts. Guadet rief aus: „Wir müſſen endlich willen, ob die Minifter 
aus Ludwig XVI. einen König der Franzoſen oder einen König von Koblenz 
maden wollen, ob Ludwig ein König der Mehrheit des Volks, die unjere Ver: 
fafjung geichaffen bat, fein will, oder ein König der Minderheit, die gegen bie 
Verfaſſung feindlihe Pläne ſchmiedet!“ 

. Nun traten auch Narbonne und die oberjten Generäle, Zafayette, Luckner 
und Rochambeau, offen auf die Seite der Brifjotins gegen die gemäßigte Partei 


) P. L. Roederer, ÖOeuvres, III, 252; Rapport de M. de Narbonne au roi, le 
24 fevr. 1792. 
) Buchez et Roux, 13. tom., 267. 


Die franzöfifhe Kriegserlärung. 519 


und gegen den Hof. Im einer Zufchrift der Generäle war die Bitte ausge: 
fproden, der bei Heer und Volk beliebte Narbonne möge auf feinem Poften 
ausharren, jonft werde es aud ihnen nicht mehr möglih jein, ihr Kommando 
zu behalten; durch nichts werde die Wiederherftellung der Ordnung fo erichwert, 
als dur das Miftrauen des Volkes gegen die leitenden Organe. Der König 
möge einmal offen ausfprehen, daß er in jener Partei des Defpotismus, die 
fih zur Unterdrüdung der Patrioten verjhworen habe, nicht jeine Freunde, 
fondern Feinde des Staates erblide, dann werde das Vaterland ſich bald wieder 
ungeftörter Ruhe und Ordnung erfreuen. Gemwiß nicht ohne Willen Narbonnes 
veröffentlihte Frau von Stasl den für den König jelbit, wie für die Minifter 
beleidigenden Brief der Marjchälle.‘) Narbonne ſprach fih in der National: 
verjammlung offen für den Krieg aus. Es wäre ruchlos, erklärte er, ein Land 
mutwillig in Krieg zu verwideln, aber es ſei verähtlih, einem Kriege auszu- 
weihen, nur um eine Schmälerung der Freiheit zu erreihen. Er müfle zwar 
zugeben, daß im Heerweſen mandherlei Mängel eingerifjen jeien und die Armeen 
nit vollzählig ins Feld rüden könnten, doch derlei dürfe nicht in Betracht 
fommen, wenn die Ehre des Staats den Krieg heilche. 

Nun war die Geduld des Königs erihöpft. Narbonne wurde entlafjen, 
und um ihn die Ungnade des Monarchen nod bitterer empfinden zu lafjen, wurde 
ihm die Abjegung nur durch einen Bedienten befannt gegeben. Der Vorfall 
erregte peinliches Aufjehen. Als der joeben von London heimgefehrte Talleyrand 
an den Mautichranken von Paris davon hörte, äußerte er jeine Verwunderung, 
doch nur darüber, „dab der König noch in der Yage fei, jemand in Ungnade 
fallen zu laſſen“. Die nädite Folge war, dab Fayettiften und Brifjotins zur 
Verteidigung und zum Ausbau des Nevolutionswerfes ſich noch enger verbündeten. 
Im Hauje der rau von Staöl wurde der Sturm gegen das Minifterium 
de Leſſart beichloffen. Da traf (9. März) in Paris die Nachricht ein, Kaifer 
Leopold ſei nah furzer Krankheit geftorben. Diefer Todesfall ſchien die 
Sprengung des verhaßten europäiſchen Bundes zu bedeuten; damit wäre ber 
Kriegspartei aller Boden entzogen gewejen. Doc in Paris war für bejonnene 
Erwägung fein Raum mehr geboten. Als abends im Schaufpielhauje der Tod 
Cäjars von Voltaire aufgeführt wurde, kam es zu wilden Kundgebungen des 
Freiheitstaumels der aufgeregten Menge. Jede Anjpielung auf die erlöfende 
Freiheit und den Tod des Tyrannen wurde beflatfcht, während des Zwiſchen— 
aftes vom ganzen Publikum das Lied vom Tode Marlboroughs angeitimmt, end: 
(ih unter Abfingung der Marjeillaife die aus dem Foyer geholte und mit einer 
roten Mütze geihmüdte Statue Voltaires mit ftürmifchen Jubel begrüft.*) 
In anderem Sinne wurde die Nachricht von der Börje aufgenommen; da die 
Kriegsgefahr befeitigt oder doch in die Ferne gerüdt zu fein ſchien, fliegen die 
Staatspapiere um fünfzehn Prozent. 

Trogdem beſchloſſen Briffot und Genofjen, den Sturm gegen das „ver: 


') Blenner:daffett, Lady, Frau v. Staöl, ihre Freunde und ihre Bedeutung in Politik 
und Zitteratur, II, 100. 


*) Minerva, Ihgg. 1792, IL, 184. 


520 Zweites Bud. Vierter Abſchnitt. 


räterifche” Minifterium zu eröffnen, auch auf die Gefahr Hin, daß die Anklage 
den Krieg mit Deiterreich nach fich ziehen fünnte. Am 10. März brachte Brifjot 
den Antrag ein, gegen de Leſſart, der den Vorteil und die Ehre des Vater: 
(andes geopfert habe, unverzüglih den Prozeß einzuleiten. Der Bettelbrief an 
den Kaifer bezeuge die tiefite Erniedrigung Frankreichs. „Der Berräter hat 
Franfreih vor die Füße des Kaijers gezerrt! Ich bin verjucht, auszurufen: 
Nein, das hat nicht ein franzöfifcher Minifter gejchrieben, der Brief ftammt aus 
der Feder des öjlerreichiichen Gefandten! während man verſucht ift, dem Ber: 
treter Frankreichs die Antwort des Kaijers zuzujchreiben!”') Als einige Nedner 
die Begründung des Antrags nicht für ausreichend erachteten, erhob ſich der 
glänzendfte Redner der Gironde, Vergniaud, um mit glühenden Farben die Ge— 
fahren zu ſchildern, welche eine übel angebrachte Milde heraufbeihwören könne.) 
Unabläffig werden tückiſche Ränke geichmiedet, die uns dem Haufe Habsburg 
auf Gnade und Ungnade überliefern jollen! In den Tuilerien wird eine Gegen: 
revolution angezettelt, der König ift ein Spielball der Nriftofraten und der damit 
verbündeten Deutichen! Der Schreden ift ehedem jo ojt im Namen des Deſpo— 
tismus aus den Palaft der Könige hervorgegangen, mag er nunmehr im Namen 
des Gefeges in denjelben zurüdfehren! 

Die Nede Bergniauds wurde mit Beifall überjchüttet, der Antrag Brijjots 
mit großer Mehrheit angenommen, der Angeklagte noh am nämlichen Tage ver: 
haftet. Auch die übrigen Minifter mußten ihre Entlaffung nehmen; in den 
Tuilerien wurde man mit Schreden gewahr, daß es den Lameths an Kraft gebrad, 
den Anfturm der entfellelten Zeidenichaften des Volkes abzuwehren. Cs follte 
nicht den Anjchein gewinnen, als ob der Thron jchon jeine legte Stütze ver- 
(oren hätte, als ob der König mit dem geftürzten Minifter jo innig verbunden 
gewejen wäre, wie einft Karl I. von England mit feinem unglüdlihen Diener 
und Freunde Strafford. Es gab ja nod immer Leute, die ſich zur Ehre 
drängten, den Lilienthron zu retten, freilich nur unter der Bedingung, daß der 
König fih mit dem Glanz des Zepters begnüge und die Herrihaft ihnen über: 
laſſe. Vermutlid unter dem Einfluß der Königin nahm Ludwig nicht zu 
Lafayette und Narbonne feine Zuflucht, jondern zu jenen Männern, die joeben 
die Parole ausgegeben hatten: Der Schreden möge, nachdem er bisher im 
Namen des Dejpotismus jo oft aus dem Königspalaft hervorgegangen, im Namen 
des Geſetzes dorthin zurüdfehren! Durch Vermittlung des Erminifters Cahier 
wurde mit ber Gironde verhandelt, und das Ergebnis war, dab Dumouriez 
zum Minister des Auswärtigen ernannt und alle übrigen Mitglieder des Rabinetts 
aus den Neihen der Brifjotiften genommen wurden. So glitt die Krone jachte 
auf der jchiefen Ebene weiter herab zur Kante, wo fie von den angeblich 
bilfreihen Händen vollends in den Abgrund gezerrt werden konnte. „Stüd für 
Stüd,” ſagt die jelbit erit durch das Schredensregiment zum Royalismus befehrte 
Frau von Staäl, „wurde der Thron zertrümmert; heute wurde ein Minifterium 
geftürzt, morgen die königliche Garde abgedankt, ein andermal Soldaten, die ſich 


) Buchez et Roux, 13. tom, 389. 
*; Aulard, L’eloquence parlementaire pendant la rev. franç, I. 282. 


Die franzöfifhe Kriegserflärung. 521 


gegen ihren Oberften empört hatten, eine Belohnung zugeitanden, jogar das Blutbad 
von Avignon fand im Scoße der Nationalverfammlung Verteidiger. Immer 
aber war der Nachkomme des heiligen Ludwig der an den Wipfel des Baumes 
gebundene Vogel, auf den jeder der Reihe nad) jeinen Schuß abgab.” ...) 

Charles FFrangois Dumouriez, der Sohn eines Kriegskommiſſärs, hatte 
als junger Mann im Siebenjährigen Kriege gefohten, war dann vom Herzog 
von Choiſeul als politiicher Agent verwendet und zur Belohnung etwas zwei: 
deutiger Dienite zum Kommandanten von Cherbourg ernannt worden. Bei 
Ausbruch der Revolution hatte er fein volksfreundliches Herz entdedt. „Ge: 
boren zwijhen dem Volk und den Großen,” jagt Noederer, „wurde Dumouriez 
auch durch feinen Ehrgeiz und durch die Umftände beftändig zwiichen dem einen 
und den anderen hin und hergezogen.““) In feinen Augen war die Revolution 
nicht die Wiedergeburt der Menjchheit, aber eine Laufbahn, auf welder man 
jein Glüf machen konnte, ein Mittel zum Zwed, wie die Fronde für Kar: 
dinal Res; er ftand den Parteien wie ein fremder gegenüber und war ent: 
ihloffen, lich aller zu bedienen, ohne jich einer einzigen hinzugeben. Er war 
ein Sohn feiner Zeit; er hatte Jean Jacques und Diderot gelefen und beſaß 
euer und Wärme, die für echte Begeilterung gehalten werden fonnten; er 
machte zeitweife den Eindrud eines großen Mannes, aber, vom Erfolg verlafien, 
war er wieder nichts als ein Held der Gelegenheit, als ein Glüdsritter, dent 
von der Natur die Gabe verliehen war, ſich in alle Lagen zu ſchicken. Er hatte 
Freunde unter den am Ruder jtehenden Männern; mit ihrer Hilfe erhielt er 
im Sommer 1790 eine Miffion nah Belgien, wo er an Ort und Stelle 
fein fünftiges Schlachtfeld ftudieren fonnte.’) Nach der Rückkehr trat er den 
Girondiften näher und wurde Mitglied des Jakobinerklubs, ohne jedoch jeine 
Verbindung mit dem Hofe aufzugeben. Nach feiner eigenen Angabe will er ſich 
nur, um die Monarchie zu retten, der Revolution in die Arme geworfen haben; 
deshalb riet er dem Könige, ſich zu den Jakobinern zu fchlagen, um daburd) 
bieje Partei aus den Fugen zu bringen*), und warnte jeinen Gönner de Leſſart, 
die beleidigenden Ausfälle des Wiener Hofes zu dulden. In den Tagen des 
Sturzes de Leſſarts war er durch „heftigen Schnupfen” genötigt, das Zimmer 
zu hüten. Nach dem Siege der Kriegspartei mußte natürlic) der Mann, der 
ebenjo das Vertrauen der Gironde wie des Königs beſaß, ala der berufene 
Leiter der franzöliichen Politik erfcheinen. Auf die Nachricht, daß ihn der König 
zum Mlinifter des Auswärtigen ernannt habe, weigerte er ſich noch eine Zeit 
lang, indem er erflärte, er jei Soldat und wolle nur Soldat bleiben; am 
15. März aber nahm er das Portefeuille an. Fortan ſprach er ala „Mann der 
Nation” in der Kammer, als „Diener des Thrones” mit dem König. Noch am 
Tage jeiner Ernennung beſuchte er, die als eine Art Livree des Volkes ange: 
jehene rote Müte auf dem Haupte, den Jakobinerklub. Pathetiſch verjicherte 

') Frau v. Staöl, Betrahtungen über die franzöfifhe Revolution, III, 50. 

:) Roederer, Oeuvres, III, 274. 

) A, Sorel, II, 406. 

) Memoires du general Dumouriez, ed. p. Barriere, Biblioth. des memoires, \Xl; 
Eclaircissements hist., 424. 


522 Zweited Buch. Vierter Abſchnitt. 


er den „Brüdern und Freunden”, daß er fih nad wie vor der Sache der rei: 
heit und des Volfes mweihen wolle; er mußte aber ſchon hier die Erfahrung 
maden, daß fein Doppelipiel auf entichlofene Gegner ftoßen werde; als ber 
Präfident des Klubs den zum Minifter erhobenen Genofjen feierte, wurde jofort 
von Gollot d’Herbois Verwahrung eingelegt, da der Grundjaß der Gleichheit 
ſolche Büdlinge verbiete.") Die „Vertreter des fouveränen Volkes” blidten von 
vornherein mit Mißtrauen auf das forgfältig gefleidvete und gepuberte, immer 
lächelnde, janft blidende Herrchen, das durch nichts an Erommell oder Waſhington 
erinnerte, bei Hofe bieß er „Minifter Rotmütz“ und fein Minifterium das 
„Ohnehojentabinett”.?) 

In Beſitz der legitimen Gewalt gelangt, zeigten die Männer ber Gironde 
die freundlichiten Mienen gegen den „guten“ König. Genfonns gab in einer 
Denkſchrift die Verficherung, daß das Haus Bourbon, wenn es treu zum Volke 
halte, feine ergebeneren Freunde habe, als die Verfajlungspartei. Dieje Denk: 
ichrift wurde jogar der Kammer vorgelegt, welche den darin entwidelten Grund: 
jägen feierlich zuftimmen follte. Doch nicht bloß die Männer vom Berg er: 
hoben Widerftand, die große Mehrheit wollte ſich nicht förmlich zum Sprachrohr 
der Girondiften hergeben; Genjfonne mußte feine Adrefje zurüdziehen. Minifter 
„von Brifjots Gnaden“ hatten jegt die Zügel in Händen; allein nun zeigte fi 
erit, welche Schwierigkeiten noch zu befiegen waren. Mit der Regierung war 
ihnen auch die jchwere Aufgabe zugefallen, zu verhiten, daß die Revolution 
nod weiter ausarte und der Pöbel die Diktatur an fi reife; anderfeits 
hatten fie die Umtriebe der Royaliſten unfhädlih zu machen und jollten, was 
das ſchwerſte war, bei diefer Abwehr gegen rechts und links ihre Popularität 
wahren. Aus jo verworrenen Zuftänden ſchien es nur einen Ausweg zu 
geben: den Krieg, und Dumouriez war, wie er nod in ben viel fpäter ge 
ihriebenen Dentwürdigfeiten einräumt, von vornherein gejonnen, mit dieſem 
Allheilmittel zu operieren. 

Die Kataftrophe wurde beichleunigt durch die geheimen Unterhandlungen des 
Hofes mit dem Ausland. Marie Antoinette erblidte in bem Zwang, daß der König 
jeine Minifter aus den Reihen jeiner Feinde entnehmen mußte, eine unerträg: 
lihe Demütigung; die Perjönlichkeiten waren ihr mehr oder minder gleihgültig. 
„Ob de Leſſart oder Narbonne,” ſchrieb fie (Februar) an Mercy, „der eine von 
beiden ift jo wenig wert wie der andere.”’) Nach dem Tode des Kaifers fahte 
fie Hoffnung, daß ihr Neffe Franz bereitwilliger auf ihre Wünſche eingehen und 
rühriger den bewaffneten Kongreß betreiben werde. Auch Graf Ferien erhoffte 
von dem Thronwechſel eine günftige Wendung. „Erzherzog Franz war immer 
wohlgeſinnt; ich weiß, daß er oft über das weiche, langjame, unbeftändige 
Weſen feines Vaters aufgebraht war; er ift mit ganzer Seele Soldat und hat 








'’; Aulard, La société des Jacobins, II, 438. 

) „On les appela les ministres sansculottes. Un courtisan vint un jour dire ä 
Dumouriez que c'etait le surnom qu’on leur avait donne dans l'interieur. Si nous sommes 
sansculottes, r&pondit-il, on s’en apercevra d’autant mieux que nous sommes des hommes* 
{M&m. du gen. Dumouriez, delaireissiments, 431). 

”) Lettres de Marie Antoinette, II, 384. 


Die franzöſiſche Kriegserflärung. 523 


mehr von der Art jeines Oheims Joſeph, als von der jeines Vaters, Dies 
wird den Einfluß des Königs von Preußen noch jteigern; da der Wiener Hof 
ihn gewinnen muß, um zur Kaijerwürbe zu gelangen, und da dieſer Monard) 
jo gute Gefinnung für Ihre Sade an den Tag legt, kann die jüngfte Wen: 
dung für Sie nur vorteilhaft fein.) Marie Antoinette jandte nun heimlich 
nah Wien einen jungen Offizier, Baron Goguelat, der dafür wirken follte, daß 
endlih einmal mit dem bewaffneten Kongreß Ernſt gemacht werde. Die Boll: 
macht Goguelats beitand nur in einer Zeile von der Hand der Königin: 
„Schenken Sie, mein teurer Neffe, dem Manne, dem ich diejes Billet übergebe, 
vollen Glauben!“ Der König fügte hinzu: „Ich denfe genau wie Ihre Tante 
und jeße auf den Weberbringer das nämlihe Vertrauen!” Dagegen übergab 
Graf Mercy in Brüffel dem geheimen Agenten ein ausführliches Empfehlungs: 
ſchreiben, das den allzu forglojen Wiener Hof auf die im Weiten auffteigende 
MWetterwolfe aufmerkſam machen follte. „Es ift nicht mehr zu bezweifeln, daß 
die in Frankreich zur Herrſchaft gelangte Partei die Dreiftigfeit jo weit treiben 
wird, jelbft den Krieg zu erklären; fie will ohne Aufihub gleichzeitig an zwei 
Punkten, im Neih und auf ſardiniſchem Gebiet, den Angriff eröffnen.“ ?) 

Auch in Berlin waren die ſchon erwähnten geheimen Verhandlungen im - 
Namen Ludwigs XVI. fortgeiponnen worden; den Verkehr zwiſchen dem an 
Beljunes Stelle getretenen Vicomte Garaman und dem König vermittelte 
Biihoffswerder. Am 4. März jchrieb der ins Geheimnis eingeweihte Ferjen an 
den König von Schweden: „Die neueften Nahrichten aus Berlin lauten andauernd 
günftig; Herr von Bilhoffswerder hat dem Vicomte Caraman aufs bündigſte 
verfichert, jein Herr hege für den König von Frankreich die freundfchaftlichiten 
Gefühle und er jelbft teile diefe Gefinnung.”’) Als die Verhandlungen trogbem 
zu feinem thatjädlihen Ergebnis führten, jchrieb Breteuil am 23. März an 
Caraman, es möge dem König noch bringlicher vor Augen gebradt werden, 
dab von jeinem Entichluife die Rettung des franzöfiichen Thrones abhänge. 
In fürzefter Zeit werde der herrſchenden Partei der Krieg erflärt, das Neid 
an zwei Punkten zugleich angegriffen werden, „denn die Ruchloſen glauben 
durch jolde Eile dem Bund der Mächte zuvorzuflommen und hoffen überall im 
Vorteil zu jein, da die Unterthanen aller Reiche es mit ihnen halten und ihren 
Truppen jeglihen Vorſchub leiften werden.” Wenn nicht raiche Hilfe komme, 
erwarte die föniglide Familie ein trauriges 2os; ber König werde fujpenbiert, 
die Königin eingeferfert werden, denn ihr werde zur Laſt gelegt, daß fie den 
Bund der Mächte gegen Frankreich angeftiftet habe.) Darauf lieb Friedrich 
Wilhelm durh Schulenburg dem Vicomte eröffnen, es werde alles gefchehen, 
um die föniglihe Familie zu retten. 

„Dan ſieht,“ jagt Flammermont, der zuerft den Verlauf diefer geheimen 
Verhandlungen ans den Akten des Berliner Archivs feftgeitellt hat, „man 


) Le comte de Fersen et la cour de France, publ. par Klinkowström, Il, 202; Le 
comte de Fersen ü la reine Marie Antoinette, 9 mars 1792. 

) Lettres de Marie Antoinette, II, 359. 

®) Le comte de Fersen, II, 219. 

*) Lettres de Marie Antoinette, II, 389. 


524 Zweites Bud. Vierter Abſchnitt. 


fieht, daß die verbündeten deutichen Monarden jchon längft entſchloſſen waren, 
Franfreid mit Krieg zu überziehen, ehe in Paris der Krieg erklärt wurde. 
Demnach haben die Deutihen und nit die böjen Jafobiner für das Unheil 
der Revolutionsfriege die Verantwortung zu tragen.” ') 

Flammermont geht aber in jeinen Schlüſſen zu weit. In Berlin wie in 
Wien war ber gute Wille vorhanden, für die bedrängte föniglihe Familie etwas 
zu thun; man war wohl aud überzeugt, daß nur die Waffen ausreichende Hilfe 
ihaffen fünnten, allein von feften Entſchlüſſen war man noch weit entfernt. 

Wenn Später von der preußiichen Diplomatie betont wurde, Preußen habe 
nur feinem Bundesgenofjen zuliebe in den Krieg fich eingelaſſen, jo entjpricht 
diefe Behauptung nicht den Thatjahen. In Berlin beftand in den Tagen ber 
Krifis wenigftens in den leitenden Kreifen mehr Geneigtheit, den Degen zu 
ziehen, al& am Wiener Hofe. 

Wie Friedrih Wilhelm allmählich dazu gedrängt wurde, aus feiner ge: 
meſſenen Haltung herauszutreten, ſchildert ein, wie es fcheint, noch nicht befanntes, 
interejlantes Aftenftüd fpäteren Datums, ein Memorandum des Miniiters von 
Alvensleben vom 1. Dftober 1793.?) Der Verfaſſer will erhärten, daß er für 
die Politik, die bisher nur zu demütigenden Niederlagen führte, feine Verant— 
wortung zu tragen habe. Das Departement der auswärtigen Angelegenheiten, 
behauptet er, jei überhaupt über das Für und Wider einer Allianz mit Oeſter— 
reich niemals zu Rate gezogen, der ganze Handel ſei ausfhließlich in Potsdam 
durch jouveräne Entſchließung des Monarchen nah den Vorſchlägen Biſchoffs— 
werders in Ecene gejegt worden; an die Minifter ſei höchftens einmal eine An— 
frage in Bezug auf Art und Form der Verhandlungen gefommen. Er, Alvens- 
leben, habe alles gethan, um jchon die erfte Reife Bifchoffswerders zu Kaijer 
Leopold zu hintertreiben; es jei ihm nicht gelungen, und er genieße jetzt die 
traurige Genugthuung, daß alle von ihm vorausgefagten jchlimmen Folgen ein- 
getroffen jeien. Zu allem Unglück habe fih Bijchoffswerder nicht einmal an 
feine Jnftruftion gehalten; die Beſtimmung, daß beide Mächte fich gegenfeitig 
Schug und Unterftügung gewähren jollten, jei von Bijchoffswerder eigenmädhtig 
in den Vertrag aufgenommen und damit Preußen in Not und Gefahren eines 
Krieges hineingezerrt worden. „Dann kamen dieje Bouille, Nol, Lambert, 
Heymann, Naſſau, Caraman und fo viele andere franzöfiihe Sendlinge nad): 
einander nad Berlin und Potsdam, um den König dur falihe Vorſpiege— 
lungen zur Echilderhebung zu drängen. Eie wurden unterftüßt durch die Un— 
bejonnenheit eines Fürjten Hohenlohe, eines Baron Stein und anderer Fremdlinge, 
denen an der Wohlfahrt und dem wahren Jntereffe Preußens nichts gelegen 
war.“ Den franzöfifchen Prinzen feien ohne Wiffen des Gejamtminifteriums 
namhafte Summen zugeitedt worden; nur Echulenburg habe darum gewußt 
und auf geheimnisvollen Wegen das nötige Geld aufgebraht. Ohne jegliche 
Mitwirfung des Minifteriums jei die Konvention von Pillnig zu ftande ge: 


', Flammermont, 28. 
) Preuß. St.:Arhiv, Acta, betreffend Negociations de Bischoffswerder, seconde et 
troisieme mission pres de l'empereur, 1791, 179%. 


Die franzöfiiche Kriegserflärung. 525 


fommen, jener unjelige Vertrag, der die Aufrührer in Frankreich zu den radi- 
faliten Neuerungen gedrängt und zum Bruch mit Defterreih den Vorwand ge: 
boten babe. Er, Alvensleben, fei in einem Beriht an den König vom 
7. Juni 1791 offen als Gegner der Politik Biihoffswerders aufgetreten, doch 
Schulenburg habe die darin niedergelegten Warnungen ſo abgeſchwächt, daß fie 
den beabfichtigten Eindrud nicht erzielen fonnten.') So jei der Weg in die 
Irre immer weiter verfolgt worden, bis eines Tages Schulenburg den verblüfften 
Kollegen eröffnete: Der König will den Krieg, will den Krieg um jeben 
Preis! Dieſe Erklärung habe trog aller darauf vorbereitenden Anordnungen 
wie ein Bligftrahl eingeſchlagen! Bergebens habe er feine Kollegen ermahnt, es 
möge dem König nochmals vorgeitellt werben, welches Unheil der Krieg für 
Preußen mit fich bringen werde, wie man damit nur der Kaiferin von Ruß— 
land diene, die ihre eigenen Truppen niemals zur Bekämpfung der Revolution, 
wohl aber zu Eroberungen in Polen verwenden werde. Leider habe er tauben 
Obren gepredigt; Schulenburg allein habe das Vertrauen des Königs genoflen, 
mithin jei nur nah Wunſch und Willen der jchneidigen Kriegsfreunde verfahren 
worden, zum Unbeil Preußens, wie man jfeither leider am eigenen Leibe er: 
fahren mußte! — 

Seit dem Ableben Leopolds hatten fich die Beziehungen zwischen Wien und 
Paris weſentlich verjchlimmert. Fürft Kaunig zwar war nod immer der be: 
dächtige Freund des Friedens, doch er war, wie Bilhoffswerber richtig beob: 
achtet hatte, am Wiener Hofe nicht mehr der MWettermader. „Was wollen 
Eie?” jagte Kaunig zum preußifhen Gejandten, der zu entichloffenerem Auf: 
treten gegen Frankreich drängte, „mein Herr ift noch nicht Oberhaupt des Neiche, 
und jogar, wenn er es ſchon wäre, ließe fi, da die franzöfiiche Regierung nun 
auch den im Elſaß begüterten Fürften ausreichende Entſchädigung bieten will, 
fein Grund ausfindig machen, fi in die Angelegenheiten Frankreichs zu 
miſchen!““) Dagegen erblidte das Berliner Kabinett — auch Herr v. Alvens: 
leben verweigerte niemals feine Unterfchrift zu diejen Weifungen! — in dem 
Kaunigihen Grundjag der Nichteinmiſchung einen politiichen Fehler. Die ange: 
botene Entihädigung könne als wirkliche Genugthuung feineswegs angejehen 
werden; auch die Gefahr der Meiterverbreitung der Revolution dürfe nicht 
unterihägt werben; jedenfalls aber müſſe einmal dem Schwanfen und Zaubern 
ein Ende gejeßt werden. „Die Hauptſache ift: man muß einmal wiſſen, wie 
man daran ift, damit nicht länger Gefahr beftehe, durch unftete, zweideutige 
Schritte oder durh Erklärungen ohne feiten Nüdhalt ſich bloßzuftellen.” ’) 
Biihoffswerder konnte jedoch bald aus Wien die tröftliche Nachricht jenden, daß 
ih, wenn auch nur langſam, ein Gegenfag zwiichen dem jungen Monarchen und 
dem Kanzler als Vertreter der Leopoldiniſchen Politik herausbilde. Am 17. März 
wurde die Note der franzöfiihen Regierung, auf deren mannhaften Ton fich 


) Unter anderem jei der Sak, die neuerdings eingefchlagene Politik „Epuiseroit ses 
tresors et detruiroit son armee,* von Schulenburg abgeändert worden in: „ne feroit que 
diminuer nos tresors et fatiguer notre armde*, 

) Preuß. St.:Ardiv. Bericht Jacobis vom 10, März 1792. 

) Ebenda. Erlaß des preuß. Miniftertums an \acobi vom 17. März 1792. 


526 Zweite Buch. Vierter Abichnitt. 


de Leſſart in der Nationalverjammlung berufen hatte, in Wien befannt.') 
König Franz und Spielmann fanden das Schriftftüd hochmütig und verlegend, 
auch dem Kanzler war insbejondere eine Stelle anftößig; de Leſſart hatte es 
als Vertrauensbrucd bezeichnet, daß in Wien ein eigenhändiges Schreiben König 
Ludwigs an den Kaifer dem franzöfiihen Gejandten gezeigt worden mar; 
damit war aljo dem Kanzler, dem tonangebenden Neftor der europäiſchen Diplo: 
matie, zum Vorwurf gemacht, daß er gegen den guten Ton der biplomatifchen 
Welt einen Verftoß begangen habe! Die Antwort auf jo ungefchliffene Redens— 
arten werde an Deutlichkeit nichts zu wünſchen übrig laſſen, fagte Spielmann 
zu Jacobi, doch der Weg der goldenen Mitte dürfe trotzdem nicht verlafjen 
werben, eine Herausforderung dürfe man fi nicht erlauben; jei ja doch dem 
Wiener Hofe durch die Uebermadht und den Uebermut Englands weit mehr 
Grund gegeben, fi beunruhigt und beleidigt zu fühlen! Ein Bündnis gegen 
diefe Seemacht werde bald von nöten fein, — wozu aljo den Bruch mit Frank: 
reih ohne Not beichleunigen? 

Kaunig war ganz betroffen, als ihn Biſchoffswerder zur Entſcheidung 
drängte, endlich einmal Ernit zu zeigen oder Frankreich völlig feinem Schickſal 
zu überlaffen. „Einer jo großen, vornehmen Politif, der einzigen, die ſich 
für Höfe erſten Ranges ziemt, it man bier bisher ängftlih aus dem Wege 
gegangen; immer hat man vorgezogen, zu temporifieren und zu vigilieren, ob 
fih nicht doch noch günftigere Umstände abwarten ließen. Erſt jetzt dürfte viel 
leicht das Zufanımentreffen mehrerer Vorkommniſſe den biefigen Hof bewegen, 
einer ben feiten Grunbjäten bes Kabinetts Eurer Königliden Majeftät beſſer 
angepaßten Politik fih anzuſchließen.“ Ermutigend wirfe der Minifterwechjel in 
Spanien, der ein entichlojjenes Auftreten gegen Franfreid in Ausficht ftelle, 
doch noch fräftiger wirfe die Furcht vor einer intimeren Verbindung Preußens 
mit Rußland zum Zwed einer Aufteilung Polens. ?) 

Seit dem Eintreffen der legten franzöſiſchen Note, berichtete Biſchoffswerder 
am 13. März nah Berlin, wird in Wien von der Freundichaft mit Preußen 
nur in gehobenem Tone geſprochen. Kaunig äußerte, er müſſe fich jelbit be— 
glückwünſchen, daß er das Band geichlungen habe, das jekt die beiden Mon: 
archien glücklich made. Spielmann nannte den Bund, der durch das jchamlofe 
Vorgehen der „Ganaille” de Lefjart an Feſtigkeit noch gewinnen werde, das 
Aldeilmittel (la medecine universelle) für Europa. Kaunig bradte auch wieder 
die Entjhädigungsfrage aufs Tapet. „Es iſt wahr, man joll die Haut eines 
Bären nicht teilen wollen, ehe man ihn erlegt bat, aber es fann nur vorteilhaft 
fein, ſich wenigjtens über die allgemeinen Grundfäte jchon jegt freundichaftlich 
zu einigen; was mich betrifft, jo werde ich bei der Teilung immer unbedingte 
Sleihheit im Auge behalten und mic) immer an Ihre Stelle denken, um unjer 
Intereſſe zu beurteilen!”’) Biſchoffswerder nahm jedoch die feurigen Verſiche— 


') Explications ete., 40; Note de Mr. l'ambassadeur de France ü Mr. le chancelier 
Kaunitz, 11 mars 1792. 

’) Preuß. St.:Ardiv. Berichte Jacobis vom 21., 24., 31. März 1792, 

) Ebenda. Instruction pour Bischoflswerder et ses depäches, 1792; Bericht vom 
13. März 1792. 


Die franzöfiihe Kriegserllärung. 5927 


rungen nicht für vollen Ernft. „Sch bezweifle, ob nicht der Zorn des Fürften 
Kaunit über die Franzojen ſchon heute wieder verflogen it, doch bin ich über: 
zeugt, dab der junge Monarch einen feiteren Charakter hat, als fein Vater.” 
Biſchoffswerder fand denn auch die Antwort auf die legten Forderungen de Leſ— 
ſarts „offen und fett”. Doch auch hier war alles ängjtlih vermieden, was ben 
Franzoſen als Herausforderung hätte erſcheinen können. An Kriegsrüftungen 
habe bisher niemand in Deiterreich gedacht, nur die allernötigften Maßnahmen 
zur Abwehr eines Angriffes jeien getroffen worden; ebenjowenig fünne ſich 
Frankreich bedroht fühlen durch den europäifhen Bund, der gewiß feine feind- 
jelige Bedeutung habe, der aber aud von Defterreih ohne Zuftimmung der 
übrigen Mächte nicht einfach aufgelöft werben fönne.') 

Die Bejorgnis Bilchoffswerders erwies ſich als begründet. Hier ift alles, 
ſchreibt er am 1. April, in die alte Unentſchloſſenheit und Lauheit zurüdgefallen ; 
die Nachrichten aus Paris mögen nod jo alarmierend lauten, — fie maden 
bier nur geringen Eindrud! Wenn nicht die Franzojen geradezu angreifen, 
rührt man hier feinen Finger! 

Jacobi teilte diefe Auffaſſung. Der Einfluß des Kanzlers jei in den 
legten Tagen wieder geitiegen; Colloredo jei von vornherein und unter jeder 
Bedingung für den Frieden; Marſchall Lascy, ein jtrammer Gegner bes preußiſch— 
öfterreihifhen Bundes, fomme im Minifterrat immer wieder auf geheime 
Pläne Preußens zu ſprechen; unter diefen Umftänden ſei ein Ermannen bes 
Wiener Hofes nicht zu erwarten, es fei denn, daß von franzöfiicher Seite an— 
gegriffen würde. 

An folhem Angriff jei aber auch faum nod zu zweifeln, erwiberte das 
preußiihe Minifterium; vor kurzem fei von den Parifer Demagogen ber förm— 
lihe Beſchluß gefaßt worden, an drei Punkten zugleich, in Savoyen, Trier und 
Lüttich den Krieg zu eröffnen; freilih falle es jchwer, jo rafende Verwegen— 
heit der Umſtürzler für mögli zu halten, aber nad den jüngiten geheimen 
Nachrichten fei daran nicht mehr zu zweifeln.?) 

Die Mitteilung bezog fih offenbar auf die Enthülungen Caramans; damit 
ftimmte überein, was Goguelat im Auftrag der Königin Marie Antoinette in 
Wien eröffnet hatte. Spielmann erzählte dem preußiihen Geſandten im ſtrengſten 
Vertrauen, was er von diefem Sendling erfahren hatte. Das königliche Paar 
denfe gar nicht an die Möglichkeit, die Verfaſſung zu ſtürzen; nur gewilje Nende: 
rungen jeien geboten, und dafür werde ſich auch die große Mehrheit des fran- 
zöſiſchen Volkes gewinnen lafjen. Deshalb empfehle es fi, die unentwegt am 
alten Syſtem feithaltenden Prinzen vorerft gänzlich aus dem Spiel zu lafien; 
jedenfalls jei es nicht rätlih, die Truppen der Emigranten zuerft in Frankreich 
einrüden zu laſſen; höchitens dürfe man fie im Nüden der deutjhen Heere zur 
Beſetzung der eingenommenen Pläge verwenden. Ernjter Widerftand ſei nicht 
zu bejorgen. Die Feltungen würden den Nettern des beliebten Königs wohl 
ihon auf die erjte Aufforderung übergeben werden; bie ganze Kavallerie jei 


) Explications ete., 42; Note de Kaunitz à l’ambassadeur de France, 18 mars 1792. 
2) Preuß. St.Archiv. Erlaß des preuß, Ministeriums an Jacobi vom 12. April 1792. 


„28 Zweites Bud. Vierter Abfchnitt. 


königlich gelinnt, was allerdings von der Infanterie, jowohl von den Linien— 
truppen als der Nationalgarde, nicht behauptet werden könne. Mit der Die: 
ziplin jei es ebenso jchlecht beitellt, wie mit der Ausrüftung; insbejondere das 
Geſchützweſen laſſe alles zu wünſchen übrig. Den Armeen der Verbündeten 
werde es aljo nicht jchwer fallen, fich zu Herren bes Landes zu machen, doch es 
jei auch die hödhite Zeit, daß die Monarden einmal Ernit zeigten, fonft werde 
ihnen das jakobiniſche Minifterium zuvorfommen; ſchon jei Befehl gegeben, daß 
mit drei Armeen in Sardinien, in Lüttih und am Rhein der Kampf eröffnet 
werden joll.!) 

Kaunig warnte davor, die glänzenden Zuſicherungen bes Franzojen für 
bare Münze zu nehmen; es fei weit wahrjcheinliher, dab beim Einmarſch 
deuticher Truppen jofort alle Parteien in Frankreih zur Abwehr der Fremden 
fih vereinigen würden. Hauptjächlich aus dieſem Grunde erblidte er im Krieg 
ein gefährliches Unternehmen, das jo lange wie möglich bintangehalten werden 
müjle. Weniger ablehnend verhielt fih Spielmann, doch auch von ihm wurde 
betont, man müſſe den Angriff der Franzofen abwarten und fie dadurch ins 
Unrecht ſetzen. Die große Mehrheit des Volkes endlich wollte vom Kriege erit 
recht nichts willen, weil die Auferlegung neuer Steuern befürdtet wurde. „Die 
früheren Kriege Oeſterreichs,“ bemerkt dazu Jacobi, „wurden eben immer mit 
dem Geld der Niederlande geführt; daran ift jetzt nicht zu denken.“ 

Am Wiener Hofe beftand auch gar Feine Neigung, mit den Emigranten ge: 
meinfame Sache zu maden, während in Berlin auf die Teilnahme der Prinzen 
Gewicht gelegt wurde. „Sollten ih thatſächlich die feindfeligen Pläne der Fran: 
zojen beftätigen,” ſchrieb das preußiihe Minifterium am 12. April an Jacobi, 
„ſo wird ſich im Lande jelbit ein wichtiger Umſchwung vollziehen, wobei die 
franzöfiihen Prinzen und ihre Anhänger uns nüßliche Dienite leilten könnten. 
Es dürfte fih alfo in diefem Falle empfehlen, fie aftionsfähig zu machen und 
ihre Truppen vorwärts zu fchieben, insbejondere die alte Legion Mirabeaus in 
das Kurfürftentum Trier, damit dort einem Angriffe der Feinde mit einiger: 
maßen ebenbürtigen Streitkräften begegnet werden fann.” Dagegen jtimmte 
Spielmann unbedingt der Anficht der Königin von Frankreich bei, es fei, wenn 
es wirflid zum Krieg käme, von Mitwirkung der Emigranten gänzlih Umgang 
zu nehmen, da dieſe Herren ein Ziel verfolgten, das mit der Politif der Ber: 
bündeten nichts gemein habe. Ganz recht, erwiderte Jacobi, aber wird es wohl 
möglich fein, zwanzigtaufend franzöfiiche Patrioten, die fich ihr Vaterland mit 
den Waffen zurüderobern wollen, an der Grenze zurüdzubhalten ? 

Wie weit der Wiener Hof gehen wollte, welche Vorkehrungen er zur Be: 
fämpfung des Jakobinertums für ausreihend anſah, erhellt aus dem Rund— 
ſchreiben der Staatsfanzlei an alle öfterreidhiichen Gejandten vom 6. April 1792.?) 
Das Ziel unjerer Bemühungen, heißt es darin, ift und bleibt das europäijche 
Konzert. Von allen europäiihen Mächten follen gemeinfam Mittel und Wege 
ausfindig gemacht werden, um 1. den verlegten Nechten der deutichen Reichs: 


', Preuß. Et:Nrhiv. Bericht Jacobis vom 10. April 1792. 
2) Ebenda. Beilage des Berichts Biichoffswerders vom 6. April 1792. 


Die franzöfifche Hriegserklärung. 529 


tände und des päpftlichen Stubles Genugtbuung zu jchaffen, 2. die Ausbreitung 
der revolutionären Seuche abzuwehren und 3. die monardifche Staatsform in 
Frankreich aufrecht zu halten. Bon Wiederherftellung des alten Regiments darf 
nicht die Rede fein, da der völlig freie Monarch Frankreichs jelbit die Ein: 
ichränfung der monardiihen Gewalt anerfannt hat; auch wäre zu befürchten, 
daß eine Kundgebung zu Gunſten der abjolutiftiichen Staatsform alle Parteien 
in Frankreich zu geichloffenem Wideritand reizen würde. Deshalb dürfen bie 
Brüder des Königs mit ihrem Anhang nicht in den Vordergrund treten, ge: 
ichmweige denn die Hauptrolle übernehmen. Dagegen ift nicht bloß erwünscht, 
jondern notwendig, daß nicht bloß einzelne, jondern fämtlihe Höfe die Be— 
fämpfung der gemeinfamen Gefahr auf fich nehmen; das Quale und Quantum 
der zu leiftenden Hülfe joll durch eigene Verhandlungen feitgefegt werden. Erft 
wenn die Streitkräfte aller teilnehmenden Nationen an Ort und Stelle ver: 
jammelt find, jol ein gemeinjchaftliher Aufruf an die frangöfiiche Negierung 
gerichtet werden, um ben oben erörterten Fragen zmwedentiprehende Löſung 
zu fihern. Dazu wird fi die Berufung eines Kongrefies empfehlen, wozu 
jedoh nicht Wien, ſondern eine näher an Frankreich gelegene Stadt in Vorſchlag 
gebracht werden foll. 

Man fieht: auch dieſes Schriftftüd ift nicht von Zorneseifer und Kriegs: 
luſt eingegeben; es jtellt fich jo ziemlich auf den nämlihen Standpunft, den der 
Wiener Hof ſchon ein Fahr vorher eingenommen hatte. Noch am 28. April 
beklagte das Berliner Kabinett die läffige Haltung des Wiener Hofes; nur dem 
feiteren Auftreten des Bundesgenoſſen jei es zuzufchreiben, daß den Pariſer 
Zungendrefhern etwas Fräftiger heimgegeben wurde; auch die Zuftimmung zur 
llebertragung des Oberbefehls der vereinigten Armeen an den Herzog von 
Braunschweig !) zeuge wenigitens von gutem Willen des Königs von Ungarn, 
wenn auch zur That nod ein weiter Weg zurüdzulegen. 

Was in Berlin von Garaman, in Wien von Goguelat enthüllt worden 
war, entiprah den Thatfahen. Das nah dem Sturze de Leſſarts berufene 
demofratiihe Miniiterium plante troß aller fönigstreuen Verſicherungen Ent: 
bebung des Königs, Verhaftung der Königin und Angriff auf Defterreih. Bei 
einem Abendefien im Haufe Condorcet®s war von Anhängern Lafayettes und 
Briffots ein förmlicher Feldzugsplan gegen die Krone entworfen worden; ber 
König erhielt davon Kunde durch den ehemaligen Abgeordneten Dupont de Ne: 
mours.?) Am rübrigiten betrieb die Heße der neue Minifter des Auswärtigen, 
Dumouriez, unbejtreitbar der bebeutendite Mann und der charafterlojeite Menich 
im Miniftertum, — „meld glänzender Schuft ift diefer Dumouriez!“ ruft ein: 
mal Lord Audland aus, nachdem die Minenarbeit der Franzoſen in Brabant 
glüdlihiten Erfolg erzielt hatte.) Auch im radikalen Lager war der Krieg 
populärer geworden, feit jene Note Kaiſer Leopolds alle Schuld an der unglüd: 


) Bivenot, I, 434. 
) &ybel, I, 369. 
) Journal of W. Ld. Auckland, 505; Lord Auckland to lord Henry Spencer, 
6. Apr. 1798. 
Heigel, Deutiche Geſchichte vom Tode Friedricht d Gr. bit zur Hufldiung des deutſchen Reidıs. 1, 34 


330 Zweites Bud. Bierter Abichnitt. 


lihen Xage Frankreichs auf die vaterlandslojen, kulturfeindlichen Jakobiner ge: 
ihoben hatte. In der Nationalveriammlung erklärte Dumouriez, die Bezeich— 
nung „wohlgefinnte Franzojen” könne fi nur auf die ausgewanderten Ariftofraten 
beziehen, denn wie wäre es denkbar, daß ein anderer Franzoſe bewußt auf die 
Seite der Feinde jeines VBaterlandes ſich ſtellte!) Unverzüglih wies Dumouriez 
den franzöfifhen Botjchafter in Wien an, eine in fnappem, militärifchem Ton 
gehaltene Erklärung abzugeben: Wenn der König von Ungarn nicht bis zum 
15. April auf Teilnahme am Verein der europäiihen Mächte Verzicht leiſtet, 
fieht Sich der König von Frankreich genötigt, den Krieg zu eröffnen! Obwohl 
aber immer nur vom König von Ungarn die Nede war, wurde auch der An 
griff auf Lüttich, ſowie auf die rheinischen Kurfürftentümer in Ausficht ge 
nommen. Schon am 25. März wurde der Beſchluß gefaßt, von Namur und 
Straßburg aus vorzudringen und gleichzeitig gegen das mit der jardinijchen 
Herrſchaft unzufrievdene Savoyen einen Vorjtoß zu unternehmen. Schon daraus 
erhellt, daß es von vornherein auf Eroberung von Nachbargebiet abgejehen 
war, wie denn auch Dumouriez zuerit des verhängnisvollen Wortes „Natürliche 
Grenzen” ſich bediente. Am glüdlihen Erfolg der Schilderhebung jei nicht zu 
zweifeln, doch empfehle es fich, Defterreich von Bundesgenoiien zu entblößen und 
namentlich den König von Preußen zur Neutralität zu bewegen. Dies werde 
nicht Schwer zu erreichen fein, da Friedrich Wilhelm nur aus perjönlidem Groll 
über die beleidigende Sprache der Jakobiner das „unnatürlihe” Bündnis ein: 
gegangen habe, Demgemäß wurden neuerdings geheime Unterhandlungen in 
Berlin angefnüpft, wobei fih Dumouriez zu Anerbietungen berbeiließ, die auf 
die Doppelzüngigfeit des „Jakobiners“, der im Kreiſe der Genofjen den ſchärfſten 
Angriffen auf das KHönigtum zuſtimmte und in der Kammer unabläffig auf 
friegerifche Enticheidung drang, grelles Licht werfen. 

Am 28. April wurde Jacobi von dem ganzen Hergang unterrichtet, damit 
er zum Beweiſe der Bundestreue Preußens dem Fürſten Kaunig Mitteilung 
made.”) Dumouriez jchrieb an den in preußiſche Dienite getretenen General 
Heymann, einen Emigranten liberaler Richtung ,’) er wolle demnädit einen 
Herrn Benoit nah Berlin fenden, mit dem Heymann vertrauensvoll die gegen: 
wärtige Lage beiprechen fünne. Als die Minifter fich weigerten, den jafobinijchen 
Sendling zu empfangen, teilte Benoit jchriftlich feine Aufträge mit. Zwiſchen 
Preußen und Frankreich, hieß es in der Denkſchrift, beftehe fein Gegenjag, denn 
bier wie dort wünſche man die MWiederherftellung der monarchiſchen Ordnung 
und den Frieden; um dazu zu gelangen, wolle die gegenwärtige Regierung 
Frankreichs mit Freuden jedes Opfer bringen. Im Streit mit den im Elſaß 
begüterten Fürſten fei der König von Preußen der natürliche Vermittler; er möge 
nur fordern, dann werde die Regierung jede billige Entihädigung bemilligen. 
Auch die „Für Frankreich ebenfo notwendige wie erwünjchte” Zurüdberufung der 
Emigranten werde der König von Preußen am leichteften ins Werk jegen, umd 





') Ölagau, 262. 
) Preuß. St.:Arhiv. Erlaß des preuß. Miniſteriums an Nacobi vom 28. April 1792. 
) Subel, I, 375. 


Die franzöfifhe Kriegserflärung. 5331 


ebenſo werde jeder Vorſchlag des verehrten Monarchen in Bezug auf verfaſſungs— 
mäßige Erweiterung der königlichen Befugniſſe gebührende Beachtung finden. 

Die weitreichenden Anerbietungen des Girondiſten-Miniſteriums, denen ſogar 
Marie Antoinette ihre Billigung nicht hätte verſagen können, mußten in Berlin 
Mißtrauen wachrufen. Es ſei daraus zu erſehen, erklärte Schulenburg dem 
Könige, daß Dumouriez gern das gefürchtete Preußen von Oeſterreich trennen 
möchte, aber Jakobinern könne man doch nimmermehr die Hand reichen; viel— 
leicht ſei es überhaupt nur darauf abgeſehen, zum Abſchluß der Rüſtungen Zeit 
zu gewinnen. Immerhin ſei die Möglichkeit nicht ausgeſchloſſen, auf dem vor— 
geſchlagenen Wege ins rechte Geleiſe zu kommen; Benoit möge alſo aufmerkſam 
gemacht werden, daß Preußen erſt dann in Unterhandlungen eintreten könne, 
wenn Frankreich fich wieder einer Regierung mit geficherter Autorität erfreuen 
werde. Mit dieſem Bejcheid gab fi Benoit auch zufrieden; er jehe wohl ein, 
erwiderte er, daß ſich zur Zeit nichts anderes erreiche laſſe, aber das legte Wort 
jei noch nicht geiprochen, und er werde wiederfommen, warn und wohin ihn die 
preußiiche Regierung rufen werde. 

Es iſt wohl mit Beſtimmtheit anzunehmen, daß Dumouriez’ Anträge nicht 
aufrichtig gemeint waren. Immerhin hatte er, obwohl erjt jeit einigen Wochen 
im Amte, jhon die Erfahrung machen müfjen, daß er mit den aufgeregten Par: 
teien und insbejondere mit den Leuten jeiner Farbe fchweren Stand haben 
werde; er jpottete jelbit darüber, daß an Stelle der Deiterreicherin wieder eine 
Frau, die geichäftige Gattin jeines Kollegen Roland, den Staat dirigiere, und 
äußerte wohl einmal, von allen, mit denen er zu thun habe, jei noch immer 
der bejte der König. Zur Befeitigung jeiner Stellung juchte er LZafayette für 
fi zu gewinnen, indem er dem Ehrgeizigen in Ausficht ftellte, daß die von ihm 
befehligte Nordarmee den Hauptihlag gegen Belgien ausführen folte, allein der 
General antwortete nur mit Klagen über das unbejonnene Drängen zum Kriege, 
auf den fi die Armee feineswegs genügend vorbereitet habe. Da es aud 
ſonſt trog alles Heßens in Klubs und Bolfsverjammlungen an Gegnern des 
Krieges nicht fehlte, ſahen die Minifter nicht ohne Sorge der Enticheidung der 
Volksvertreter entgegen. Wenn fi die Kammer für den Frieden erklärt, ſchrieb 
Dumouriez noh am 18. April an General Biron, jo bleibt uns allen nichts 
anderes übrig, als nad Amerifa auszuwandern. Kurz vorher war Vicomte de 
Noailles, der Geſandte am faijerlichen Hofe, der in Wien als heimlicher Jakobiner, 
in Paris als verdächtiger Nriftofrat mit jcheelen Augen betrachtet wurde, um jeine 
Entlafjung eingefommen. Auch diefen Schritt des bedauernswerten Diplomaten 
wußte Dumouriez in der Kammer als Verrat am Baterlande darzuftellen ; 
Dumouriez riet, den feigen Gejandten durch de Maulde zu erjegen und zugleich 
dem König von Ungarn folgende legte Erklärung zugeben zu laſſen: „Die Fran: 
zofen haben geſchworen, als freie Männer zu leben oder zu fterben; ich, ihr 
König, habe den nämliden Schwur geleitet; Herr von Maulde wird mitteilen, 
welche Mittel einzig und allein das Unheil eines allgemeinen Krieges noch ab: 
wenden können!” König Ludwig unterzeichnete dieſes Schriftitüd, doc es wurde 
dur die fich überftürzenden Ereigniffe beifeite geihoben. In der Naht vom 
18. April machte Dumouriez in der Kammer die Mitteilung, foeben jei aus 


532 Zweites Buch. Vierter Abſchnitt. 


Wien eine Antwort auf die legten franzöſiſchen Vorſchläge eingetroffen, ein Schrift: 
ftüf von jehr ernfter Natur, worüber der Kronrat unverzüglich Beratung pflegen 
werde. Es handelte fih um eine Note Noailles’ vom 7. April über den Inhalt 
einer kurzen Unterredung mit dem Vizekanzler Graf Cobenzl. Noailles hatte, 
jeinem Auftrag entiprechend, bündige Aufklärung verlangt, ob die öfterreichifche 
Regierung vom europäiſchen Kongert zurüdtreten und die an ber Grenze zu: 
fammengezogenen Truppen zurüdziehen wolle oder nicht, darauf erwiderte Cobenzl, 
daß die Antwort auf diefe Anfragen ſchon in der letzten Note gegeben jei und 
er „felbiger um jo weniger etwas zuzujegen oder abzunehmen habe, dba joldhe 
zugleich als die Darftellung der völlig gleichförmigen Gefinnungen des königlich 
preußiichen Hofes zu betrachten jei.” ') 

Am 20. April erihien König Ludwig in der Nationalverfammlung. Kein 
Laut des Beifalls begrüßte ihn, obwohl den Anweſenden klar fein mußte, weld 
ſchmerzliches Opfer diejer Bejuh dem Monarchen auferlegt. Dumouriez gab 
eine Ueberſicht über die auswärtige Politik Frankreichs, die mit einer leidenſchaft— 
lihen Anklage gegen Deiterreih ſchloß. Die beleidigenden Worte in der Note 
des öfterreihiihen Kanzlers jeien nicht, wie es den Anichein habe, nur gegen 
die Jakobiner, jondern gegen die ganze Nation gerichtet, denn nicht von einem 
einzelnen Klub, jondern von der gejamten Bolfsvertretung jei die Forderung 
ausgegangen, das Erzhaus möge endlid aufhören, den zürnenden Patron des 
Oberhauptes der franzöliihen Nation zu jpielen; offenbar habe der Neftor der 
legitimiſtiſchen Diplomatie nichts anderes bezwedt, als die Fackel des Bürger: 
frieges in die Mitte eines nur Frieden und Freiheit heiſchenden Volkes zu 
ſchleudern; auf jo ſchnöden Angriff gebe es aljo feine andere Antwort als: 
den Krieg! 

Darauf ergriff der König das Wort. Mit müder Stimme gab er jeine 
Zuftimmung zum Antrag jeines Minifteriums: es jei dem König von Ungarn 
und Böhmen wegen Beleidigung der franzöfiihen Nation der Krieg zu erklären. 
Frau von Staäl, die felbit der Sigung beimohnte, erzählt, weder das Antlig, 
nod die Spradhe des Monarchen habe erkennen laſſen, weldhe Empfindungen in 
ihm fi regten. „Nicht als ob er feine Gefühle hätte verbergen wollen! nein, 
eine Mifhung von Ergebung und Würde lieb bdiefelben nicht zum Ausdrud 
fommen.”?) Während der König darauf den Saal verließ, brachen die Abge: 
ordneten in ftürmiichen, „Jubel aus, die Tribünen klatſchten Beifall, — „nur in 
jehr wenigen erregte der Beginn eines blutigen Krieges, der ganz Europa zwanzig 
Jahre lang zerfleijchen jollte, Unbehagen und Beſorgnis.“ Auch in der am Abend 
folgenden Debatte ſprachen ſich faft alle Redner im Sinne Dumouriez' aus, 
der Friedensfreunde gab es nur ein ſchwaches Häuflein. 

Als Bequey die Volksvertreter warnte: „Wenn Sie Defterreih angreifen, 
io kann es fommen, daß Sie mit ganz Europa den Kampf aufnehmen müſſen; 
welches Reich wäre aber im ftande, jo vieler Feinde fich fiegreih zu erwehren ?“ 
rief eine Stimme: Frankreich! und die lakoniſche Antwort wurde mit hellem 


i) Bivenot, I, 434. 
2) Staöl, Betrachtungen, II, 48. 


Der Krieg und das Deutiche Neid. 533 


Jubel aufgenommen. Bei der Abſtimmung wagten nur ſieben Abgeordnete 
gegen den Antrag des Kabinetts ſich auszuſprechen. 

„Damit,“ ſo erklärt Talleyrand in ſeinen Memoiren, „war über das Königtum 
ſchon das Todesurteil geſprochen.) Im Jahre 1790 hätte der Krieg es gerettet, 
im Jahre 1792 mußte der Krieg es ſtürzen, und deshalb gerade wollten die 
Revolutionäre den Krieg. Ihre Berechnung ging dahin: Wenn ein Krieg aus— 
bricht, ſo verfügt der König nur über diejenigen Mittel, die wir ihm geben 
wollen, iſt alſo völlig in unſere Gewalt geliefert; es wird uns immer ein Leichtes 
jein, die befiglofe Menge gegen ihn aufzumwiegeln, indem wir ihn für unver: 
meidliche Niederlagen verantwortlihd mahen! Es war eine entjegliche, allein, 
wie die Ereigniffe bewieſen, mit jeltenem Weitblick aufgeftellte Berechnung. . . .“ 

Gewiß, die Feinde des Königtums haben, von folder Abficht geleitet, den 
Krieg geihürt, doch das Ergebnis der Abftimmung beweift, daß nicht die 
Gironde allein für den Krieg verantwortlih gemacht werden kann. Auch ge: 
mäßigtere Kreife waren von ber Unvermeiblichfeit des Krieges überzeugt. Die 
Grundfäge von 1789 drängten unabwendbar zur Waffenentiheidung. Oeſter— 
reih mußte, wie ungern es fih auch dazu verftand, um der Tradition willen 
das legitime Europa um ih Iharen; Franfreih mußte den aufs Banner ge: 
fchriebenen Grundfag der Selbftherrlichkeit des Volkes verteidigen! Zwiſchen den 
großen weltgejchichtlihen Gegenjägen mußten die Waffen entjcheiden; vom Aus- 
gang des Kampfes hing ab, welches Gepräge das fommende Jahrhundert 
tragen werde. 

Die Kriegserflärung vom 20. April wirkte in Wien als diplomatiſche und 
militärifche Ueberrafhung ohnegleichen. Kaunitz hatte bis zum legten Augen: 
bli geglaubt, die Entiheidung: ob Krieg, ob Frieden, in den Falten jeiner 
Toga zu tragen; nun fah er alle Fäden zerriffen, ſah ſich genötigt, an der Seite 
eines mit Mißtrauen betrachteten Bundesgenofjen mit Frankreich, dem troß alle- 
dem geliebten, verehrten Frankreich, den gefährlihen Kampf aufzunehnten. 

Am 21. April, als die Entiheidung in Paris jchon gefallen war, erliek 
Kaunig ein Rundſchreiben an die Gejandten, das noch ganz und gar der bisher 
feftgehaltenen Auffhubspolitif Rehnung trug. Die Gejandten werden zwar an: 
gewielen, angelichts der drohenden Dffenfive der Revolution den thatjädhlichen 
Zuſammenſchluß der europäifhen Mächte zu betreiben, doch ſoll „erft nad an 
Ort und Stelle verfammelten alljeitigen Armeen, nad der erft jodann an Frank: 
reich erlallenen gemeinfamen Deklaration zur gütlihen Vermittelung” zu den 
Waffen gegriffen werben. ?) 

Als die Vorgänge vom 20. April in Wien befannt wurden und Vicomte 
de Noailles jeine Bälle verlangte, fonnte auch bier nicht länger bezweifelt werden, 
daß der Krieg bevorftehe, doch wurde der Ernſt der Lage von den leitenden 
Kreifen noch immer unterfhägt. Man glaubte, es nur mit den Jakobinern zu 
thun zu haben; die Mehrheit der Generäle, jo wähnte man, würde jofort zu 
den im Namen des Königs von Frankreich ericheinenden Deutſchen übertreten, 


') Memoires du Prince de Talleyrand, |, 219. 
*) Bivenot, IT, 5. 


534 Zweites Bud. Vierter Abjchnitt. 


die feiten Plätze würden unverzüglich übergeben werden, an erfolgreichen 
Widerftand der zuchtlofen, jchledht bewaffneten Armeen ſei nicht zu denken. 
Daß wir fiegen, liegt auf der Hand, ſagte Kaunig zu Jacobi, wir brauchen 
nur eine Zeit lang unjere Kräfte wirklich anzuftrengen! Dies muß aber auch 
gefhehen! Wir dürfen den Feind gar nicht mehr zur Belinnung gelangen 
laſſen, — nicht zu mehreren Feldzügen fol es fommen, mit einemmal, mit 
wuchtigen, entjcheidenden Schlägen muß der Krieg fogleih zu Ende geführt 
werden. Eiferfucht und Mibtrauen feien aus unferem Kreife verbannt, jeder freue 
fich des glüdliheren Erfolges des anderen, dann wird der gemeinfame Sieg nicht 
ausbleiben! Daß wir dann darnad) tradhten werden, uns ſchadlos zu halten, ift 
eine felbitverjtändlihe Sade, niemand wird daran Anfto nehmen! Entweder 
fönnen wir uns vom König von Franfreic volle Zurüderjtattung der Kriegs: 
foften zufichern lajien, oder wir fünnen bis dahin eine Anzahl von franzöfiichen 
Pläpen bejegen, oder wir fönnen gewiſſe Gebiete als erobertes Gut anjehen 
und die Verteilung uns vorbehalten. Welchen von diefen Wegen Preußen ein: 
ihlagen will, wir werden ihm folgen; wenn aber Seine Majeltät auf jede Ent: 
ihädigung verzichten und das Opfer im Intereſſe Europas auf ſich nehmen will, 
jo wird auch dieſes Beiſpiel heroiſcher Uneigennüßigfeit uns zur Richtſchnur 
dienen!) 

Vom preußiihen Kabinett wurde der Umſchwung der Kaunigichen Politik 
mit Wärme begrüßt. Der König willigte unbevenflih ein, Hand in Hand 
mit dem Bundesgenofien den Kampf aufzunehmen, auch wenn die übrigen 
Mächte und insbefondere Rußland wider Erwarten ihre Hilfe verſagen follten. 
„Wahrlich, in dem Zuitand, den die Dinge jegt einmal angenommen haben, iſt 
diefer Beihluß der einzige, der unjerem wahren Vorteil entipricht.” Es fei 
nicht mehr als billia, dah für das jchwere Opfer im Intereſſe der Ruhe Europas 
eine Entihädigung geboten werde, ja, Preußen müſſe aufs entichiedenfte er: 
flären, daß es ohne Ausſicht auf Erfak unmöglich die ungeheuren Kriegsfoften ſich 
aufbürden könne; das Nähere möge jpäterer Vereinbarung vorbehalten bleiben. ?) 

Es fehlte bei den zwei verbündeten Mächten von vornherein nicht an Wider: 
ſprüchen in der Auffafjung der Lage, der dadurd auferlegten Pflichten und der 
erhofften Vorteile, aber im allgemeinen zeigten die beiden Kabinette auten Willen, 
die gemeinfame Sache nad Kräften zu fördern. Als an Stelle des zum außer: 
ordentlihen Botichafter am enaliihen Hofe ernannten Baron Jacobi-Klöſt gegen 
Ende Mai Graf Haugmig in Wien eintraf, wurde ihm ein ehrenvoller Empfang 
zu teil, und insbejondere Kaunig wurde nicht müde, zu verfichern, daß er im Bund 
der zwei mächtigiten Staaten im Herzen Curopas eine Bürgichaft des Sieges im 
bevorstehenden Kriege und der allgemeinen Wohlfahrt für alle Zeiten erblide. 
„Ihr König fteigt von Tag zu Tag in meiner Wertihägung; ih kann jagen: 
er ift ein Mann secundum cor meum, und“ — fügte er lächelnd hinzu — 
„wenn ein Mann wie ich, ein Mann von meiner Erfahrung und meiner Welt: 
fenntnis fich jo ausſpricht, darf jeder fich geichmeichelt fühlen!” ®) 





!) Preuß. St.:Arhiv. Bericht Jacobi vom 2. Mai 1792. 
?) Ebenda. Erlaß des preuf. Minifteriums an Jacobi vom 9. Mai 1792. 
*, Ebenda. Minifteriallorreipondenz mit Haugwitz in Wien 1792. Bericht vom 28. Mai 1792. 


Der Krieg und das Deutiche Neid). 535 


Die Stimmung in den leitenden Berliner Kreijen wurde jhon gejchildert. 
sriedrih Wilhelm brannte vor Ungebuld, den Kampf mit dem Sakobinertum 
aufzunehmen. Die Leiden der föniglihen Familie hatten auf ihn tiefen Ein: 
drud gemadt, jo daß es ihm als Ehrenſache erjchien, fih an ihrer Nettung zu 
beteiligen; die Furcht vor Anftedung der eigenen Staaten durch den Freiheits— 
taumel der Nachbarn wirkte mit, und wohl nicht in letter Neihe der Wunjch, 
durch ein, wie es jchien, nicht allzu gewagtes Unternehmen Kriegsruhm zu er: 
werben. in diejen Gedanfen wurde er insbejondere durch General Bilchoffe- 
werder beitärkt,; es läßt ſich unjchwer erfennen, daß die Propaganda zur Be: 
fämpfung der Revolution von „Bruder Farferus“ geleitet war. Begreiflicherweife 
war dieje Auffalfung auch in Armeefreifen vorherrihend. Oberſt Maſſenbachs 
Memoiren zur Geichichte des preußiichen Staats find zwar im allgemeinen nicht 
als lautere Duelle anzufehen; ſicher aber hat er recht, wenn er jeine damaligen 
Kameraden einer allzu leihtfertigen Siegesgewißheit bezichtigt. Schon im Februar, 
erzählt er, aus Anlaß des eriten Bejuches des Herzogs von Braunfhweig in Potsdam 
war das „Am Rhein, am Rhein, da wachſen unjre Zorbeern! Auf nad Paris!” 
aus allen Geſprächen herauszuhören, und auf das felige Ende der Herren des 
Nationalfonvents wurde manches Glas geleert. Als mehrere Monate vergingen, 
ohne daß es zu einer Aktion fam, war man ſehr mißvergnügt; mit um fo 
lauterem Jubel wurde die Enticheidung begrüßt. „Der Herzog von Braun: 
jhweig an der Spige der Armeen Preußens und Deiterreihs und die Advokaten 
in Paris: wie wollen die uns widerſtehen?“ Bilchoffswerder jelbit fol zu 
Mafienbah gejagt haben: „Kaufen Sie nicht zu viel Pierde! Die Komöpdie 
dauert nicht lange, wir find im SHerbite wieder zu Haufe!” ) 

In den diplomatiihen Kreifen war man des günitigen Erfolges nicht fo 
fiher. „Wenn die Franzoſen,“ berichtete der bairiſche Geichäftsträger in Berlin, 
Herr v. Poſch, am 7. April an jeinen Hof, „ihren Gegnern zuvorfämen, wie fie 
es thun müßten und was für fie im gegenwärtigen Augenblid ein Leichtes 
wäre, jo würde man es bald empfinden, wie verfehrt es war, Rajende, Leute, 
von denen alles zu befürchten ift, gereizt zu haben. Später fünnte ſich das 
Glüd vielleiht wenden, aber dadurch wäre das angerichtete Unheil nicht mehr 
gut zu mahen. Von diefem Gefichtspunft beurteilen fait alle angejeheneren 
Perſönlichkeiten des hiefigen Hofes die fommenden Ereignifje; zu ſpät hat ſich 
die Erkenntnis Bahn gebroden, wie gedanken: und ziellos das bisher verfolgte 
Syſtem jei, ohne welches man nie auf fo falfhe Pfade geraten, Pfade, die 
man jest, auch wenn man wollte, gar nicht mehr verlailen kann.““) Auch in 
den jpäteren Berichten klagt Poſch über die Sorglofigfeit, womit man dem Kriege 
zufteure, ohne ſich dafür entiprechend vorzubereiten, und über die Lieblofigfeit, 
womit man die wehrloien Reihsitände an der Weſtgrenze den Angriff des furdht: 
baren Feindes preisgebe. Als endlich der Krieg erklärt und der erſte Anjchlag 
der Franzoſen auf belgijches Gebiet abgeihlagen war, gaben fich die einen, wie 
Poſch darlegt, der Hoffnung bin, den zuchtlojen Rotten des Feindes im Handum— 


) Maſſenbach, Memoiren zur Geſchichte des preußiſchen Staates, 1, 26. 
°) Bair. St.:Arhiv. Politiſche Korreſpondenz zwiſchen Minifter Graf Lieregg und 
v. Poſch 1792. Bericht v. Poſchs vom 7. April 1792. 


536 Zweites Buch. Vierter Abfchnitt. 


drehen das Handwerk zu legen; von anderen aber wurde beflagt, daß der aufgeflärte 
Staat Friedrihs des Großen zu Schergendienft, zur Unterdrüdung einer freien 
Nation fich herabwürdige. Sogar die Schweiter des Königs, die Prinzeffin von 
Oranien, joll das Auftreten ihres Bruders, der nur für Defterreich die Kaftanien 
aus dem Feuer holen werde, bedauert und ihm bei einer Zufammenfunft im 
Mai von perfönliher Teilnahme am Feldzuge abgeraten haben.!) An der Spite 
der Bewegung, die darauf abzielte, das herrjchende Syftem zu ſtürzen und wo 
möglich die Teilnahme Preußens am Kriege zu hintertreiben, jtand der ehemalige 
Erzieher des Kronprinzen, der Eljäfler Franz Yeuchjenring, ein rühriges Mit- 
glied des Illuminatenordens, der jchon früher gegen den Aryptofatholizismus 
der Nojenkreuzer eine heftige Fehde geführt hatte; jet war er als Verehrer der 
Isnard und Vergniaud eifrig bemüht, die Afolyten der Revolution in Berlin 
um ſich zu jammeln, um den reaftionären Einfluß der Biichoffswerder und Buch— 
holz zu ſchwächen. Kurz vor der Abreife des Königs zur Zuſammenkunft mit 
dem Kaiſer fam es zu einer Kataftrophe; die Berichte des Herrn v. Poſch 
bieten darüber zuverläjfige Aufklärung. Am 25. Mai wurde Leuchjenring 
plöglich verhaftet; bei der Hausdurchſuchung fand ſich eine Korreipondenz mit 
Garran de Coulon und anderen Mitgliedern des Jakobinerklubs. Zugleich 
taudte das Gerücht auf, daß eine größere Anzahl Herren und insbejondere 
Damen aus den höchſten Ständen in den bedenfltchen Handel verflochten jeien; 
anfänglid) war die Meinung verbreitet, es jei beabiichtigt gewejen, in Berlin eine 
Revolution hervorzurufen; die Unterfuhung ließ jedoch erkennen, daß die Ver: 
jhwörung nicht gegen den Monarden, jondern nur gegen deſſen Günftlinge und 
Ratgeber gerichtet war. Gleichzeitig mit Leuchjenring war Fräulein v. Biele: 
feld, Gouvernante der Prinzeflin Augufte, verhaftet worden; beide wurden über 
die Grenze gebradt und reichten fich bald darauf in Paris „vor dem Altar der 
Sjreiheit” die Hände. Noch größeres Aufjehen erregte es, daß eine von den 
Gunftdamen des Königs, die junge Gräfin Dönhoff, der jogar von ihrer Rivalin, 
Madame Niet, „der Geiſt einer Britin oder Römerin” nachgerühmt wird,?’) nad 
einem leidenſchaftlichen Auftritt in Potsdam plöglih nah der Schweiz abreifte, 
wie e& bei Hofe hieß, „für immer”.’) Sie hatte vom König die Begnadigung 
Leuchſenrings erbeten, da derjelbe nichts anderes geplant habe, als den Mon: 
arhen „mit gefünderen Grundjäßen jowohl in der Politif, als in der Moral 
zu befreunden“; der König erblidte aber in diefer Bevormundbung eine Anmaßung 
und in der geheimen Verbindung mit Paris eine Gefahr und blieb unter dem 
Einfluß der Freundin Biichoffswerders, Madame Riek, unerbittlih.‘) Im Streit 
der beiden Gunfidamen trat der ganz Europa in zwei feindliche Lager trennende 
Gegenjag zu Tage. Immerhin ließ fih, wie Poſch an jeinen Hof berichtete, 
erkennen, daß die Vorftelungen der Dönhoff auf den König nicht ohne Einflup 





) Bair. St.:Ardiv. Berichte v. Poſchs vom 8. und 26. Mai 1792. 

| Apologie der Gräfin Lichtenau, ], 29. 

) „Die Dönhoff ift plötzlich abgereift und man jagt, für immer.“ (Neunundjechzig Jahre 
am preußiſchen Hofe. Aus den Erinnerungen ber Oberhofmeifterin Sophie Marie Gräfin 
v. Voß, 188.) 

+ Ebenba, 139. 


Der Krieg und das Deutſche Neid. 537 


geblieben waren. „Da man fi jedoch in den franzöfiichen Handel fchon zu tief 
eingelafjien hat und alle Perjonen in der nächiten Umgebung bes Königs ein 
Intereſſe daran haben, feine anderen Gedanken bei ihm auffommen zu laſſen, 
jo wird es weder im politiichen Syſtem, noch im Privatleben, no in der Um: 
gebung des Königs eine Aenderung geben.”!) „Obwohl gerade der König von 
Preußen von allen Fürſten die triftigiten Gründe hätte, die Einmiſchung in die 
jranzöfiihen Angelegenheiten als eine ihm fremde Angelegenheit zu betrachten, 
als Regent eines wohlgeorbneten Staates, in dem ganz gewiß feine Revolu: 
tion ausbrechen wird, obwohl gerade er aus der Revolution in frankreich den 
größten Vorteil ziehen könnte, ftellt er fich jogar gewiflermaßen an bie Spike eines 
Unternehmens, zu dem ihm jeine augenblidliche Verbindung mit dem Haufe 
Deiterreih eine Art Verpflichtung auferlegen mag, von dem ihn aber die heiligjten 
Intereſſen des eigenen Staates zurüdhalten ſollten.“,) Sicherlich hoffe er, einer 
fetten Beute teilhaftig zu werden; der Kaiſer werde wohl das Elſaß oder die 
franzöfiichen Niederlande zum Erſatz der Kriegsfoften für ſich behalten und dafür 
einige Balatinate von Galizien an Polen abgeben, damit dieſes Neid die Städte 
Thorn und Danzig an Preußen überlafle. Es komme aljo auf eine Wieder: 
aufwärmung des Hergbergichen Planes heraus, wobei es jehr zweifelhaft jei, ob 
der Gewinn dem hohen Einſatz entiprehe, und ob nicht aus dem überflüffigen 
Maffengang der deutihen Mächte den einzigen wirklichen orteil die Kaiferin 
an der Newa ziehen werde. 

Schon dieje Beurteilung der Lage durch den bairiihen Diplomaten läßt un: 
gefähr darauf jchliegen, wie darüber am Münchener Hofe gedacht wurde. Bon den 
ehemaligen Genoſſen des aufgehobenen Illuminatenbundes waren viele, wie jpäter 
zu Tage trat, Freunde der Revolution und der Franzoſen, aber fie durften nicht 
wagen, ihr Wohlwollen öffentlich zu befunden; die furfürftlihe Negierung war 
jogar bejonders ängitlich bemüht, die Unterthanen vor Anſteckung durch jafobinifche 
Ideen zu bewahren; nirgends wurde die Zenjur jo unerbittli gehandhabt, die 
Abfchliefung gegen Franfreih jo ftreng durdzuführen gejucht, als in Pfalz: 
Baiern. In Münchener Regierungskreifen wurde die Entwidelung der Dinge in 
Paris weit entjchiedener verurteilt, als in Wien. Am 26. Februar 1702 fchrieb 
der furfürftliche Minifter Graf Vieregg an den bairiihen Gejandten in London, 
Grafen v. Haslang, es jei ganz unglaublih, daß Frankreich jelbft den Krieg 
erklären werde, denn es habe genug damit zu thun, jeine Verfajlung auch nur 
einigermaßen zu befeftigen und feine Finanzen zu ordnen. „Diejes Chaos wird die 
Nationalverfammlung freilich noch lange nicht entwirren können, wenn fie fortfährt, 
fih mit Dingen zu bejchäftigen, die nur als Albernheiten oder Schweinereien zu 
bezeichnen find und die Herren Abgeordneten nur lächerlich machen.” ’) Als jedoch 
ernitere Kriegsgefahr auftauchte, regte fich die Furt vor einem jähen Ueber— 
fall der rheinifhen Pfalz dur plünderungsluftige Sansculotten; nah dem 


!, Bair. St.Archiv. Bericht v. Poſchs vom 23. Juni 1792. 

2) Ebenda. Bericht v. Poſchs vom 10. Juli 1792. 

’) Bair. St.:Archiv. Politiſche Korreſpondenz des furbair. Gefandten Sigmund Grafen 
v. Hadlang mit dem Konferenzminifter Grafen v. Vieregg 1790—1795. Erlaß Viereggs vom 
26. Febr. 1792. 





538 Zweites Bud. Vierter Abſchnitt. 


Sprihwort: „Mit den Wölfen muß man heulen!“ juchte die kurfürſtliche Re: 
gierung freundichaftlice Annäherung an den furdtbaren Nachbarn. Aus den 
bandichriftlihen Denfwürdigfeiten des Hoffriegsrats Felix Lipowsky wiſſen wir, 
auf welch merkwürdige Weife Kurfürft Karl Theodor das nah dem Ableben 
Zeopolds II. übernommene Reichsvifariat inaugurierte. Am 14. März 1792 
wurde Lipowsky in aller Stille nah Landau abgeorbnnet, um dem franzöfiichen 
Kommandanten Kellermann die Berfiherung zu überbringen, daß der Stellvertreter 
des Kaijers fi ein Vergnügen daraus machen werde, mit Frankreich „freund: 
nachbarliches“ Einverftändnis zu beobachten, dafür aber aud des Wohlwollens 
der franzöfifhen Regierung fich verfehe.‘) Die mißliche Lage zwiichen den frieg- 
führenden großen Mächten ließ der pfalzbairischen Regierung geraten erjcheinen, 
neutral zu bleiben, allein weder die Nachbarn zur Linken noch zur Rechten wollten 
jolhe Unthätigfeit dulden. Während Delterreih und Preußen auf jchleunige 
Aſſoziation aller vorderen Neichskreije drangen, verlangte Dumouriez in drohendem 
Tone eine beitimmte Erklärung, ob ber Kurfürft dem Bunde der Feinde Frank: 
reichs beizutreten gedenfe oder nit. Karl Theodor juchte nad beiden Seiten 
die ungeftümen Bewerber zu bejchwichtigen. Er wille ſich gegenüber Frankreich 
frei von feindjeligen Gedanken, ließ er Dumouriez erwidern, nur ein Angriff 
auf Neichsgebiet würde ihn zwingen, feinen reichsſtändiſchen Verpflichtungen nad): 
zufommen.?) In Regensburg aber legte er (6. Mai) in einer von patriotifchen 
Verfiherungen überfließenden Erklärung gegen die Rüftungen der weitlichen 
Reichskreiſe Verwahrung ein; da fie ihrer Lage wegen in jedem Augenblide der 
Verheerung durch zügelloje Feinde preisgegeben wären, könne ihnen thätige Teil: 
nahme am Krieg nicht zugemutet werben. Melden Unmut dieſe ſchwächliche 
Politik Pfalzbaierns in Wien und Berlin wachrief, bemweilt der jchroffe Ton der 
am .12. Mai abgegebenen Erklärung. Die beiden Mächte jeien zum Schuß 
der Reihsftände aller Kreife gern bereit, dagegen werde auch auf Bereitwillig- 
feit der Stände zur Unterftügung der friegeriihen Maßnahmen gerechnet: auf 
welche Weife, da& könne den einzelnen nad ihren Kräften und befjerer Kon: 
venienz überlafjen bleiben; falls jedoch die feindjelige Meinung ſich feitiegen 
jollte, daß der bevorjtehende Krieg nicht das Reich, jondern lediglich das Haus 
Defterreih angehe, würden es die Reichsſtände fich ſelbſt zuguichreiben haben, 
wenn die zwei Mächte nur auf Berteidigung der eigenen Provinzen ſich be: 
ſchränkten.“) 

Der Werberuf fand in Regensburg nur laue Aufnahme Manche Reichs: 
ftände blidten ohnehin mit Mißtrauen auf das „herzliche Einvernehmen” ber 
beiden Großmädte. Die furfürftlihen Gejandten waren verftimmt über eine 


) Hanbichriftliche Autobiographie Felix Lipowskys im Befik des hiftorifhen Vereins von 
Oberbaiern. (Ein Auszug, der die Epifode von 1792 enthält, im oberbair. Archiv, XII, 84.) 

) Däuffer, 1, 316. 

’) Sind die Stände des Deutſchen Neichd verbunden, an dem gegenwärtigen Kriege 
Aranfreihs gegen den König von Ungarn und Böhmen teilzunehmen? Erörtert aus Gelegen: 
heit der mündlichen Erklärung der Tönigl. preub. und königl. ungar. und böhm. Herrn Minifter 
am Reihstag vom 12. Mai 1792, von F. J. v. Yinden, kurfürftl. mainz. wirkl. Sof: und 
Regierungsrat, 7, 9. 


Der Krieg und das Deutſche Neid). 539 


Aeußerung des faiferlihen Geſandten, fein Gebieter werde fich eine drückende 
Wahlkapitulation nicht aufdrängen laſſen, jondern lieber von jeder Bewerbung 
abjehen. „Heißt das nicht, uns die Piftole auf die Bruſt ſetzen? Iſt das mit 
der gejeglihen Wahlfreiheit vereinbar?” Von mehreren im Elſaß begüterten 
Fürſten wurde beflagt, daß das Neich gerade in dem Augenblid in Krieg ver: 
widelt werde, da Frankreich zur Entihädigung ihrer Nechte fidh veritehen wolle. 
Als Jacobi von diefen und ähnlichen Aeußerungen aus Neichstagsfreifen Mit: 
teilung machte, erwiderte Spielmann: „Was liegt daran? Wenn Preußen auf 
unferer Seite jteht, brauchen wir uns um die anderen nicht zu kümmern!” 
Allein aucd der Faijerliche Miniiter geriet in hellen Zorn, als die pfalzbairische 
Regierung Miene madte, die Erlaubnis zum Durchmarſch öfterreihiicher Truppen 
zu verjagen. „So unpatriotiihes Gebaren,” rief Spielmann, „darf nicht ge: 
duldet werden! Mit den verftedten Bundesgenofien Frankreichs werden wir 
wenig Federleſens machen!” In Berlin wurde dieſe Auffaffung geteilt. „Mit 
Redt ift der Wiener Hof über das Verhalten Baierns entrüftet,” jchrieb das 
preußiiche Minifterium am 14. Mai an Jacobi, „man braucht zwar nicht jo: 
gleih an ſchlechten Willen des Kurfüriten zu glauben, aber jevenfalls liegt der 
Verdacht nahe, daß der Kurfürit von der Pfalz die nämliche Politik einjchlagen 
will, wie der Herzog von Württemberg. Wenn alfo dieſe Fürften nicht dur 
Mäßigung und Ueberredung zu patriotiicher Haltung zu bewegen find, jo fann 
ich nichts Befremdendes darin erbliden, daß der von Baron Spielmann gezeigte 
Weg eingeichlagen werde, natürlich nicht ohne Beachtung der Rüdfichten, welche 
die Natur der Umſtände gebieten wird.” 

Jedoch in Defterreih jelbit war der Krieg nichts weniger als populär. 
Das Wiener Publiftum war, wie Jakobi am 2. Mai berichtete, höchſt unzu— 
frieden mit der friegeriiden Wendung; man fonnte die merkwürbdigiten Aeuße— 
rungen hören; insbejondere wurde eine hohe Kriegsfteuer befürdtet. Zwar ließ 
König Franz eine Erklärung veröffentlihen, durch die Ruſtungen werde feine 
neue Auflage notwendig werben, da die Koften ausichließlih auf Rechnung ber 
faijerlichen Domänen und des Familienjhages übernommen werden jollten; doch 
es gelang nicht, alle Bejorgnifie zu zeritreuen. „Der Schag wird höchſtens acht 
Millionen Gulden enthalten; wenn diefe Summe ausgegeben it, muß doch das 
Volk zu neuen Laſten herangezogen werden.” Es mußte einen entmutigenden 
Eindrud machen, daß die böchiten militäriihen Würdenträger, Feldmarihall 
Lascy und Hoffriegsratspräfident Wallis, noh immer für Vermeidung oder doch 
Auffhub des Krieges fi ausipraden, daß in den Niederlanden die Dejertionen 
fih häuften, daß insbefondere die ungariihen Truppen ſich als unzuverläffig 
ermiefen. 

Veberaus bezeihnend für die Stimmung in den Hauptitädten der verbün: 
deten Reiche find eine von Jacobi berichtete Aeußerung Cobenzls und die Er: 
widerung des preußiichen Minifteriums. Die Wiener, jagte der Vizekanzler, 
fönnen ſich mit dem Krieg nicht befreunden, weil fie glauben, daß unfere Re: 
gierung bei alledem nur von euch Preußen genarrt und geprellt wird! „Darauf 
gibt es eine recht einfache Antwort,” entgegnete das preußiiche Minifterium, „Sie 
brauden nur zu jagen: nicht anders denkt und ſpricht das Berliner Publikum ! 


540 Zweites Bud. Vierter Abjchnitt. 


Ueberall fann man hören: ‚Defterreih will uns Preußen nur für jeine Haus: 
interefjen ausnugen!‘ Sicherlid legt aber Seine Apoſtoliſche Majeftät auf jolche 
politiihe Kannegießerei ebenfowenig Gewicht, wie ih, und läßt meiner aufrich— 
tigen Gefinnung ebenjo Gerechtigkeit widerfahren, wie ih an Seiner Loyalität 
nicht einen Augenblid gezweifelt habe!“ ') 

Nicht lebhafter war die Kriegsluft in den übrigen deutihen Staaten. 
jedenfalls die große Mehrheit des deutjchen Volkes verhielt fih gegenüber dem 
Kampfe zwiſchen Legitimität und Revolution völlig teilnahmslos. „Es ift ein 
Ereignis,” jchrieb der Herausgeber der Wiener Zeitichrift, Profeffor Hoffmann, im 
Frühjahr 1792, „das unferen Nachkommen noch fehr reihen Stoff zu den be: 
denklichiten Urteilen und Bemerkungen geben wird, daß bei der bermaligen 
politiſchen Krifis, da die zwei mädtigften Neichsfürften zunächſt zur Beſchützung 
des deutſchen Baterlands gegen eine mächtige Räuberrotte zu Felde ziehen und 
aljo das Änterefje nicht nur des Deutfchen Reichs, fondern aller Monarchen und 
aller dermalen bejtehenden Staatsverfaflungen in Europa zu verteidigen bemüht 
find, — daß, jag’ ich, bei diefer vor jedermanns Augen daliegenden, offenbaren 
und jchredlihen Lage der Dinge überall und ganz vorzüglid in einem großen 
Teile Deutjchlands eine ſolche politifche Kälte herrſcht, als wenn nur eben 
davon die Rede wäre, einige franzöfiiche Städte zu erobern und einige Millionen 
Pfund unnüges Pulver zu verſchießen!“?) 

Das preußifche Kabinett war geneigt, die laue und lahme Stimmung im 
Neihe auf Rechnung der revolutionären Propaganda zu jegen. „Teils find es 
Spießgejellen und Freunde der jranzöfiihen Demokraten, die dur ihre Auf: 
hetzung Dies erreicht haben, teils find es Leute, die nah den Wünjchen des 
britifchen Hofes und der polniſchen Verfaſſungspartei den Ausbruch eines Krieges 
im füdlihen Europa um jeden Preis verhindern wollen.” °) 

Am allgemeinen waren ja die Sympathien für die Revolution in den 
deutichen Volkskreiſen gejunfen. Die Ajlignatenfabrifation Claviers, die Poſſen 
Anacharſis Cloots', die Strafenräuberei Henriots, die ſyſtematiſche Hetze gegen 
Thron und Altar hatten mandhem Bemwunderer der Grundfäge von 1789 Be: 
denfen eingeflößt. „Wo der Silberton: Freiheit! erflang,” jagt Gent, „horchte 
jedes menfchlihe Ohr auf, und jedes Herz ward rege.” „Das einzige Wort: 
Freiheit,” jagt Wieland, „verrichtete gleich dem Kraute Moly, womit Minerva 
bei Homer den Ulyſſes gegen die Zaubereien der Eirce bewaffnet, die einft all 
mächtige Wirkung aller Zaubermwörter, die ihre Kraft bloß vom Glauben an fie 
erhalten hatten!” Auch jetzt nod hatte die Lofung: Freiheit! diefe magijche 
Gewalt nicht verloren, freilich nur deshalb, weil ihre Unbeftimmtheit der Vor: 
ftellungsfraft den weiteſten Spielraum ließ. Wie anders äußerte ſich die Freude 
an der Revolution bei der deutjchen „Lichtpartei”, wie Forfter fie nannte, als 
im Klub in der Straße Sainte-Honore! Johannes Müler kann als Urbild 
jener in Deutjchland zahlreihen THeoretifer gelten, die eine Umgeftaltung von 





) Preuß. St.:Arhiv. Erlaf des preuß. Minifteriums an Jacobi vom 18. Juni 1792. 
) Wiener Zeitjchrift, IV, 146. 
2) Preuß. St.: Archiv. Grlaß an Jacobi vom 7. Mai 1792. 


Der Krieg und das Deutihe Neid. 541 


Staat und Kirche für notwendig anjaben, aber feineswegs jelbitthätig dafür 
eintreten wollten. Während Müller den Anfängen der Revolution begeifterten 
Beifall gezollt hatte, jchrieb er in den Tagen der Kriegserflärung an jeinen 
Bruder, es jei ihm in der legten Zeit ar geworden, daß die Demofratie die 
unvolllommenite aller Staatsformen jei, wie die Defpotie die gefährlichite. 
„Mutatis mutandis halte ich die britifche Verfaſſung für die befte, werde aber 
gewiß nie einen Finger rühren zur Umkehrung irgend einer.” (2. April 1792)') 
So dadte auch Schlözer; die Auswüchſe der Revolution widerten ihn an, und 
die zu Grunde liegenden edlen Gedanken hoffte er in Deutichland ohne Gewalt: 
thaten zum Siege gelangen zu fehen. „Mir fümmt fein Volk in der Welt reifer 
zur ruhigen Wiedereroberung verlorener Menſchenrechte vor, als das deutliche, 
und zwar gerade wegen feiner von Unmwifjenden oft verläfterten Staateverfajjung. 
Langſam wird die Revolution hier freilich geſchehen, aber fie geichieht! Die Auf: 
flärung fteigt, wie in Franfreih, von unten herauf, aber ftöht auch oben wieder 
an Aufklärung: wo gibt es mehr kultivierte Souveräne, als in Deutſchland? Diejes 
Auffteigen läßt fih nicht durch Fünfkreuzermänner und Zwölfpfünder in die 
Länge hindern!““) Man fieht, Schlözer wünſchte nicht die Ausbreitung der 
franzöfiihen Revolution auf deutſche Staaten, hielt aber die Bekämpfung mit 
den Waffen für unnötig und ausfichtslos. Natürlich wurde dieſe Lehre vom 
geiltigen Nährvater des lluminatenordens, Freiherrn v. Knigge, noch eindring- 
liher gepredigt. Inter dem Pjeudonym Joſeph v. Wurmbrand veröffentlichte 
er bei Ausbruch des Kriegs ein „Politifches Glaubensbefenntnis” zur Recht: 
fertigung der Gegner der preußifch:öfterreihiihen Negierungspolitit und zur 
Warnung vor einem leichtfertigen Waffengang. Warum jollte denn Deutſchland mit 
Franfreich Krieg anfangen? „Um einer Nation die Befugnis ftreitig zu machen, 
ihre Regierungsform mit unbezweifelter Einjtimmung des Königs zu verändern? 
um eine Konftitution über den Haufen zu werfen, die Vernunft, Recht, Treue 
und Glauben und Frieden mit den Nachbarn zu Grundpfeilern hat?” Bon den 
Auswüchſen der freiheitlihen Bewegung in Frankreich werde zu viel Aufhebens 
gemadt. Es jei ohne Zweifel eine völlig gleihgültige Sache, ob Gibraltar den 
Spaniern oder den Engländern gehöre, und doch habe der Kampf um diejen 
Felſen im Dcean mehr Menſchen das Leben gefoftet, als der ganze Streit um 
Freiheit und Gefet in Franfreid. Wenn ein braver Landesvater Taufende 
jeiner Kinder, d. h. feiner Unterthanen, ftüdweije.verhandle, um fie irgendwo 
fern vom Baterland totſchießen zu laſſen, da erhebe fich fein Yaut der Ent: 
rüjtung, da fordere feine Stimme zur Abwehr auf, — aber wenn einmal bei 
politifhen Unruhen der Pöbel unter zehn Scelmen ausnahmsmeije ein paar 
ehrliche Leute hänge, da werde ein Lärm gemadt, als ob niemand mehr jeines 
Lebens ficher wäre. Auch jei der Krieg mit dem Nachbarjtaat nicht bloß unge: 
recht, jondern aud; gefährlich. Frankreich jei weit bejjer gerüftet, als von den 
Ariftofraten vorgeipiegelt werde, und wenn zur Zeit noch innerer Zwiſt die ‚Fran: 
ofen jpalte, — ein Angriff von außen werde fie alle einig und unüberwindlich 


1) Joh. Müller, Geſ. Werke, 31. Bb., 36. 
*) Schlöger, Staatsanzeigen, 16. Bb., 96. 


343 Zweites Bud. Bierter Abſchnitt. 


maden!!) Auc der kurmainziſche Bibliothefar Georg Foriter brandmarkte den 
Krieg als abjurd, da er weder für Frankreich noch für Deutichland Heil ſchaffen 
werde, und als gefährlich, da fich die großen Mächte nunmehr gewöhnen würden, 
gegen die ſchwächeren Fürſten die allmächtigen Gebieter zu jpielen, und Wind und 
Wetter nah ihrem Belieben zu mahen. Die Wirkung auf Aranfreih wird aud 
von Forfter richtig vorausgejehen. „In Frankreich,“ jchreibt er am 26. Mai 1702 
an Heyne, „wird jest erit die Revolution, aber freilich eine blutige, angeben. 
Für das Yeben der fönigliden Familie gebe ich feinen Groichen. Die Wut der 
Jakobiner it zu allem fähig, und fie trogen auf ihre Macht; wenn die Krifis aufs 
höchſte gefommen it, werden fie gewiß hervortreten; Konjtitution und fonftituierte 
Mächte find ihnen dann nichts mehr!” „Der Krieg kann viele Jahre dauern — 
und ſich zulegt in einen Krieg zwiichen Preußen und Defterreih auflöſen!““) Mit 
jolden Anfichten ſtand Forjter in den Rheinlanden nicht allein. Graf Klemens 
Metternich, der 1792 an der furfürftlihen Hochſchule zu Mainz ſtudierte, erzählt 
in jeiner Autobiographie, Forſter habe jhon damals eine zahlreiche revolutionäre 
Gemeinde um ſich gefammelt; ebenjo jei von Hofmann und anderen Mainzer 
Profejloren ſogar in den Hörjälen die frohe Lehre der Emanzipation der Menfchheit 
verfündigt worden.”) Das Straßburger politifche journal war ein Hauptorgan der 
Anhänger des „neuen fränkiſchen Rechts” in Deutihland. In dieſer Zeitſchrift, 
die fich jelbft als Antipoven des byzantinischen Hamburger Journals bezeichnete, 
wurde heitige Klage geführt über die Rüdwärtsbewegung der beutichen Höfe, 
über den Afterhof in Koblenz, der neben des Kaijers Majejtät als zweiter Ge: 
bieter in Deutſchland ſich aufipielen wollte, über den Brud der Verträge mit 
dem jchuldlofen Frankreich und die Verlegung des Völferrehts, das jede Ein— 
miſchung eines Staates in die inneren Angelegenheiten eines anderen verwerfe.*i 
Zahlreiche aufrühreriihe lugichriften wurden in Deutichland — gewiß nicht 
ohne Mitwirkung der franzöfiichen Machthaber — verbreitet. Dahin gehört 3. B. 
die von Bublicola Chaufjard verfaßte Schmähſchrift „De l’Allemagne et de la 
maison d’Autriche*, ein Mahnruf an die Deutichen, fih endlich der habsburgi— 
jhen Tyrannei zu entziehen. „Sollten nicht die Intereſſen von zwanzig Mil: 
lionen Menſchen teurer fein, als die von acht Individuen?” ’) Nur um die 
eigene Macht zu ftügen, werde von den Habsburgern der „gotiſche Blödfinn ver 
goldenen Bulle” als unantaftbares Heiligtum aufrecht erhalten, nur deshalb der 
Dejpotismus von jo und jo viel hundert Fürften und Fürftlein geduldet und 
aefördert. Pflicht aller Tugendhaften jei es, mit diefem Bann endlich einmal 
zu breden. „Jene Fürften und Fürftenfnecdhte haben für fih die Grundjäge 
der Nero, Caligula, Heliogabal und aller Vertreter und Anwälte der Tyrannei, 
wir haben für uns die Grundjäge der Marc Aurel, Sofrates, Cicero, Mably, 


Joſeph v. Wurmbrand, Politifhes Glaubenäbelenntnis, 70, SL, 85. 

G. Forſters Schriften, 8. Bo., 190, 192. 

’) Aus Metternichs nachgelaflenen Papieren, herausg. v. Rich. Fürften Metternich, I, 14. 

+ Straßb. polit. Journ, ‚bag. 1792, I, 407. 

>) De l’Allemagne et de la maison d’Autriche par Publicola-Chaussard, citoyen 
Francais, 140. 


Der Krieg und das Deutiche Neid). 543 


Roufjeau, St. Pierre und aller derjenigen, deren Namen die Menjchheit mit 
Entzüden ausſpricht!“ Kine in Berlin gedrudte Schrift „Vertraute Briefe über 
Franfreih” ſucht den bisherigen Verlauf der franzöfiihen Revolution zu erflären 
und zu rechtfertigen. Nur von „falten, flach räjfonnierenden Köpfen in ihren 
engen Stubierzimmern” könne die Forderung aufgeftellt werden, daß Revolu: 
tionen fih in Ruhe und Ordnung vollziehen follten. Immerhin jei erftaunlich, 
wie wenig Blut die Ummälzung in Frankreich bisher gefoitet Habe, wenn man 
in Anjchlag bringe, wie von den Königen das quite Volt an Blutvergießen ge: 
wöhnt worden jei.!) Ein anderer Xibelliit verjpottet angeblich vom patriotifchen 
Standpunkte das Reichsheer, das fih im fommenden Kriege nur Schläge holen 
werde; mit Fug und Recht habe ja jchon Mofer gefordert, man möge Reichs: 
friege auf ewige Zeiten verbieten, „da noch alle mit Verluft von Neichslanden, 
niemals aber mit einigem Vorteil des Reichs geendigt haben.”*) Ein Aufruf 
„an das teutiche Militär” warnt die Soldaten, auf ihre freien Mitbürger und 
deren Freunde, die Söhne Franfreihs, zu ſchießen. Weshalb ſoll den Fürften 
blindlings gehorcht werben, die wie die Schwarzen Könige in Afrika ihre Unter: 
thanen als Sklaven verfaufen, ihre Länder abjchliegen, damit nicht auch andere 
Deutjche dort Handel treiben können, oder die Ausfuhr des Leberfluffes ihrer 
Länder verbieten, damit die Nachbarn verhungern oder doch unter Teuerung 
ſchwer zu leiden haben, die fich nicht ſchämen, Kaffeeſchnüffler aufzuitellen, Pfaffen 
zu Miniftern maden und ganze Schwärme von Müßiggängern an ihren Höfen 
in Futter nehmen?“) Verſchämter wendet ſich Gotthold Stäubdlin, ſeit Schubarts 
Tod Herausgeber der „Vaterländijchen Chronik”, gegen die „Unterdrüder des 
neuen Heils.” Noch in legter Stunde will er vor dem Krieg mit Franfreid) 
warnen. „Die Deutſchen hätten gegen eine Nation zu fämpfen, welde die 
Feſſeln des Deipotismus mit zürnendem Ungeftüm gebrochen hat, welche nichts 
mehr zu verlieren hat, und deren Loſung ilt: Yaßt uns die Freiheit unferer 
Enfel mit unjerem Leben erkaufen!“) Ein vermutlih von Stäudlin verfahtes 
Gediht „Fragment an Gallien” ermahnt Gallia, die Mutter der Freiheit, mutig 
auszuharren im Kampfe mit Auftraciens friegbemwährten Söhnen und den von 
Friedrichs Geift bejeelten, blauen Scharen Boruffiens: 


„ . . Der Mut mit der Kriegskunſt im Bunde, 
Er beginnt mit den funitlofen Söhnen der heiligen Freiheit 
Den herkulifhen Streit vorm Auge der ftaunenden Völker! 
Zag', o Gallia, nicht und gürte die Lenden! Es wachſe 
Mit den Gefahren den Mut und hebe dich über dich felber! 
Zeige die Wunder der Welt, die im Schlachtaefilde des Himmels 
Sohn, der Enthufiasmus, gebiert! Mit ehrender Kühnheit 
Kämpf' auch da, wo für dic des Sieges Lorbeern nicht blühen!” *) 
') Bertraute Briefe über Frankreich, I, 434. 
Ueber Reichskriegsheer und Neihäfriege, Seufzer und Wünſche, der hohen Reichs— 
generalität gewibmet, 7. 
*) Keferat im Strabb. polit, Journal, Ihgg. 1792, 1, 339. 
) Baterl. Chronit, Ihgg. 1792, 267. 
5, Ebenda, 405. 


544 Zweites Bud. Bierter Abichnitt. 


Zornig wandte fih auch Klopftod gegen die „Wilden“, die 
„+. das gepeinigte Volt, das, Selbiterretter, der Freiheit 
Gipfel eritieg, von der furchtbaren Höh', 
Feuer und Schwert in der Hand, herunter jtürzen, es zwingen, 
Wilden von neuem dienjtbar zu feyn“ .. .') 


Ya, der Barde jandte diefe Dde jogar an den Herzog von Braunſchweig 
mit dringliger Warnung, der edle Fürft möge Tich doch nicht verleiten laffen, in 
einem „ungerechten und zu kühnen Kriege” den Oberbefehl zu übernehmen. -Als 
bald darauf die Nationalverfammlung dem deutichen Dichter, der das Vernunft: 
recht über das Schwertredht hebe, das franzöfiiche Bürgerrecht verlieh, dankte er 
dem Minifter Roland - mit ſchwungvollen Worten für eine Auszeichnung, die er 
nicht hoch genug anſchlagen fönne. 

Solche Kundgebungen des „Weltbürgertums” und „Freiheitsſinnes“ riefen 
aber aud andere Stimmen wach, weldhe den revolutionslüfternen Yandsleuten 
das Wort „Baterland” entgegenhielten. „Die Anhänger der Revolution” — 
jo fennzeichnet Wieland diefen Gegenfag — „führen die Menfchheit, die Gegner 
das Vaterland im Munde.) Wenn auch vor Ueberſchätzung der Thatjadhe ge: 
warnt werden muß, bleibt immerhin beachtenswert, daß ein deuticher Patrio— 
tismus angerufen wurde. Die Entrüftung über die „undeutſchen“ Marktſchreier 
der franzöfifhen Propaganda bemog den Gothailhen Schriftiteller Heinrich 
Reihard zur Abfafjung des „Aufrufs eines Deutichen an jeine Landsleute am 
Rhein.” „Warum folten wir nicht deutjchvaterländiih und deutſchpatriotiſch 
handeln? Warum follten wir uns nicht dem wilden Strome entgegenftemmen, 
der die Berfafjung unferes Baterlands und mit ihr unſer häusliches und öffent: 
liches Wohl zu unterwühlen droht?““) Mit deutiher Gründlichfeit unterſucht ein 
Juriſt die Behauptung der Girondilten, den fremden Staaten jtehe fein Recht 
zur Belämpfung der Nevolution zu; er fommt zum Schluffe, den Deutſchen 
jtehe ein Recht der Notwehr zur Seite, denn die revolutionäre Propaganda be: 
abfichtige zweifellos rechtswidrigen Angriff auf die Verfaſſungen des Neichs, wie 
der einzelnen Staaten; deshalb ſei dankbar zu preijen die denfwürdige Erſchei— 
nung, daß die gemeinfame Gefahr die feindlichen deutſchen Brüder geeinigt habe.*) 
Auch in der Wiener Zeitfehrift wird Verwahrung eingelegt gegen den in manden 
fleinlauten Betrachtungen der gegenwärtigen Lage zu Tage tretenden Mangel 
an vaterländifchem Gemeinfinn; der deutihe Mut jei noch nicht ausgeitorben, 
der Deutjche werde auch heute noch leiften, was er unter den Fahnen des Prinzen 
Eugen bei Höchftädt, Turin, Malplaquet geleiftet habe.) Ja, der Wiener Schrift: 
jteller gebt noch weiter. In einem Wort der „Beherzigung, ſonderlich an die 
Fürſten“ fchmält er auf die „Jogenannten Schöngeifter und Flugblätterſchreiber“, die 








Klopſtocks Werke (1854), IV, 328. 

) Der neue teutiche Merkur, Ihgg. 1793, I, 7. 

2) 9.4. O. Reichard, Aufruf eined Deutichen an feine Landsleute am Rhein, ſonderlich 
an den Nähr: und MWehrftand (1792). 

4 Die Nechte fremder Nazionen bey der neuen franzöfiihen Staatöveränderung (1792). 

») Wiener Beitichr., Ihgg. 1792, I, 79. 


Der Wahltag in Frankfurt. 545 


einen künſtlichen Unterſchied zwiſchen Franken und Franzoſen fonitruieren wollen, 
und führt fort: „Wollen fie durch die neumodiihe Benennung Franken und 
Franfreiher abgewöhnen, an Roßbach und Nationalveradtung zu denken?“ ') 
Der einfeitigite Vertreter eines ſpezifiſchen Deiterreichertums erinnert an den Tag 
von Roßbach, an eine Ruhmesthat preußiicher Warten, an die ſchimpflichſte Nieder: 
lage der mit Defterreih verbündeten Franzoſen! — 

Ein eigentümlihes, auf den eriten Blick erfreuliches Gepräge trägt auch 
die Kaiſerwahl im Sommer 1702, die legte vor dem Zuſammenſturz der alten 
Reihsverfaffung. Auch bier treten Züge einer Eintradt und Einmütigfeit zu 
Tage, deren die deutiche Verfaſſungsgeſchichte ſeit Erlaß der goldenen Bulle nur 
wenige aufzumweiien bat. Die Seltenheit der Ericheinung wurde ſchon von Zeit: 
genofien bervorgehoben. „Das Merfwürdigite bey diefem ganzen Wahlfonvente,“ 
heißt es in einer ftaatsrechtlihen Erörterung der Wahl von 1792, „it die Har: 
monie jämtliher Kurböfe, die Wiederbejegung des kaiſerlichen Tbrones auf alle 
mögliche Weife zu beichleunigen.“ ?) 

Durh das Ableben Leopolds II. am 1. März 1792 hatte das Neich fein 
Oberhaupt verloren. Nah dem Eintreffen der Todesnahricht in Regensburg 
traten die Kurfürften von Pfalz Baiern und Sachſen das Vikariat an; von 
Kurmainz wurden die herkömmlichen Anordnungen für die neue Wahl erlafjen. 

Da jedoch die politiihe Lage ſchon jo getrübt war, daß jeder Tag eine 
Kriegserflärung von franzöſiſcher oder öfterreichifcher Seite bringen konnte, tauchte 
in Reichstagsfreifen der Gedanfe auf, ob ſich nicht im Intereſſe möglichiter Be: 
ichleunigung der Wiederbejetung des Thrones empfehlen möchte, ausnahmsweife 
Wahl und Krönung in Regensburg, wo ohnehin ſchon jeder Kurfürft einen Ge: 
fandten habe, vorzunehmen. 

Der Kurfürft von Mainz teilte den Vorſchlag dem König von Preußen 
mit (15. März), erklärte jedoch, er könne mit Nüdficht auf die Beltimmungen 
der goldenen Bulle nicht feine Zuftimmung geben; dagegen ſei auch feine Mei: 
nung, dab Wahl und Krönung, wenn aud an vorgejchriebener Stätte, möglichft 
raſch und einfah in Scene geſetzt werden jollten, die Wahlfapitulation Leo: 
polds II. brauche nicht ſchon wieder abgeändert und bie Krönung könne viel: 
leicht auf eine ruhigere Zeit verfhoben werden.’) In Berlin wurde der Plan, 
die Wahl in Regensburg vorzunehmen, anfänglid mit Beifall aufgenommen, 
bald aber wieder aufgegeben, da befürdtet wurde, daß die Erörterung über die 
Zuläfjigfeit einer Nbweihung von den Beftimmungen der goldenen Bulle mehr 
Zeit koſten fönnte, als die Beobachtung aller herfömmlichen Förmlichkeiten.) Cs 
wurde aljo dem Erzfanzler erwidert, der König jei mit allen Vorſchlägen ein: 
verſtanden, außer mit dem Aufſchub der Krönung, da eine zeitlihe Trennung 
von Wahl und Krönung die Verdoppelung der Koften bedingen würde. Auch 





) Wiener Zeitſchr., I, 311. 
?) Brotofoll des Furfürftlichen Wahllonvents zu Frankfurt 1702, Einleitung, ©. VII. 
2) Preuß. St.Archiv. Acta de 1792, betreffend die Wahl Franz II. Schreiben bes 
Kurfürjten von Mainz an den König von Preufen vom 15. Mürz 1792. 
* Bair. St.Archiv. Politiſche Korreſpondenz zwifchen Minifter Graf Bieregg und dem 
Gefandten in Berlin, v. Poſch. Berichte v. Poſchs vom 10. und 24. März 1792. 
Deigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Friedrichs d. Br. bis zur Auflöjung des deutſchen Reis. L. 35 


546 Zweites Bud. Vierter Abichnitt. 


den Höfen von Dresden und Hannover wurde hiervon Kenntnis gegeben; das 
war aber auch die einzige Erinnerung an den Fürftenbund, von der Aufitellung 
eines eigenen Kandidaten war gar nicht die Rede. 

Auch König Franz hielt möglichite Abkürzung des Zwiſchenreiches für ge 
boten, weil die vielfach beitrittene Autorität der Reichsvikare „bei den jegigen 
fritifchen Umpftänden” der einreißenden Unordnung nicht kräftig genug zu fteuern 
vermöge. Wenn ihn die Kurfürften ihres Vertrauens würdigen wollten, ftelle 
er gerührten Herzens jeine ſchwache Kraft zur Berfünung. Freilich wäre es 
wünfchenswert, daß dem Kaiſer mehr Freiheit eingeräumt werden mödte, Gutes 
zu wirken, allein da er einfehe, daß Abänderungen der Kapitulation nur 
mit erheblihem Zeitverluft durchzuführen feien, ja jogar die „jo höchſt nötige 
enge Vereinigung der Gemüter” dadurch geitört werden fönnte, wolle er ohne 
weiteres die Kapitulation jeines Vaters anerkennen. Auch andere, für die Be: 
ichleunigung und Bereinfahung der Wahl dienfame Modalitäten wolle er ſich 
gern gefallen laſſen, bloß das Wejentlihe möge beibehalten, alles überflüffige 
Gepränge vermieden werden. Was den Wahlort betreife, jo habe man fih am 
Neihstage ohne Anregung von feiten des Wiener Hofes mit dem Plane be: 
Ichäftigt, den Wahlfonvent nah Regensburg zu berufen; eine ſolche Neuerung habe 
aber viele Bedenken gegen fih; eher könnte, um dem hochbetagten Kurfürften 
von Mainz eine Erleihterung zu ſchaffen, die Refidenz diejes Fürſten zum Wahl: 
ort auserjehen werden; in einer von einem Landesherrn abhängigen Stadt laſſe 
fih leichter für gute Polizei forgen, die Lebensmittel ſeien wohlfeiler, als in 
Frankfurt, auch mangle es nicht an anjehnlichen Gebäuden. jedenfalls empfehle 
fih möglichite Vereinfahung des Wahlapparats, jhon aus Gründen der Spar: 
jamfeit, denn der Wiener Hof, dur die legten ſchweren Kriege, die Unruben 
im Innern des Landes und mancherlei Unglüdsfälle in feinem Haushalt ſchwer 
geichädigt, ſei nicht im ftande, die für die geiftlihen Herren Kurfürften aus den 
Frankfurter Feiten erwachſenden Kojten, wie es früher wohl hie und da geidhehen 
fei, auf fi zu nehmen. „Die Laſten der Wahl und Krönung find ohnehin, wie 
niemand mißfennet, für den Neuerwählten über alles Verhältnis... Die Vorteile 
der Kayierfrone nehmen ab und die Laſten zu Unterftügung und bei Empfang 
diejer Würde find immer die nemlichen.” Trotzdem werde den Aurfürjten von 
Mainz und Trier wenigitens ein nambafter Beitrag nicht verſagt werden; der 
Kurfürft von Köln als Oheim Seiner Apoftoliihen Majeftät habe darauf verzichtet. 

Auch diefes Memorandum des Wiener Hofes wurde von Friedrih Wilhelm 
in zuftimmender Weile beantwortet; nur die Verlegung des Mahlfonvents nad 
Mainz, der Nefidenz eines Kurfürjften, wurde von ihm, jowie aud von den 
Höfen von Dresden und Hannover beanitandet. Die Aufftelung des Königs 
von Ungarn als „vorzüglichſten, würdigiten und einzigen Kandidaten” war allen 
Höfen genehm; Friedrich Wilhelm hatte feinem Bundesgenofien Thon längit feine 
Stimme zugefihert, da es ihm „hohe Genugthuung gewähre, auf dem Kaiſer— 
throne den würdigen Erben der Denfart und der Tugenden feines Vaters zu 
jehen“.') Auch mit Abkürzung des Zwiſchenreichs waren die Wähler einver: 


'; Preuß. St.Archiv. Acta, betreffend das Schreiben des Königs von Ungarn, Franz, 
worin er um die Stimme zur Kaiſerwahl erfuht, 1792. Brief Ariedrid Wilhelms an Franz 


Der Wahltag in Frankfurt. 547 


itanden, doch wurde von Dresden betont, daß die durch außergewöhnliche Um: 
ftände veranlafte Bejchleunigung feinen Rechtsnachteil für die Reichsvikare nad 
fich ziehen dürfe. Für den Fall, daß Kurbaiern die Abkürzung der Mahlzeit 
ablehnen jollte, wurde in Ausfiht genommen, einen Appel an ben Patrio- 
tismus Karl Theodors zu richten, er möge nur für diesmal die Beſchränkung 
des ohnehin mit foviel Unannehmlichkeiten und Koften verbundenen Vikariats 
zulafien. Doch nicht von Baiern, jondern von Hannover wurden nachträglich 
Bedenken erhoben, ob es „dienfam“ wäre, die von der goldenen Bulle vorge: 
fchriebene Dauer des Wahltags einzuſchränken; darauf wurde von brandenburgi: 
iher Seite erwidert, die goldene Bulle bejtimme nur die Frift, binnen welcher 
die Wahl unter allen Umständen vorgenommen werden müfje, verwehre aber 
nicht, fie früher vorzunehmen.!) Nach einigem Hin und Wider gab Hannover 
jeine Bedenken auf. Dagegen wollte jih Brandenburg nicht verpflichten, ein 
für allemal von jeder Abänderung der legten Wahlfapitulation abzufehen. Seine 
Apoftoliiche Majeftät, ſagte Spielmann zu Jacobi, ſei zwar tief gerührt durch 
das einmütige Vertrauen der Herren Kurfürften, hoffe aber, daß in die Mahl: 
fapitulation nicht noch mehr gehäjlige Einichränfungen aufgenommen würden, 
„indem Seine Majeftät fih in ſolchem Fall lieber entjchliegen würden, dieje Ehre 
zu verbitten”.?) Das Berliner Kabinett fand diefe Zumutung anmaßend; ge 








vom 7. April 1792. Die preußiiche Regierung benütte auc die günftige Gelegenheit, um 
einige alte forderungen zu betreiben. Schon am 8. März erbat Jacobi als Beweis der Dant: 
barkeit des neuen Neidisoberhaupts: 1. die Erteilung des privilegii de non appellando illimi- 
tati für das Burggraftum Nürnberg und die Fürftentümer Ansbach und Baireuth, 2. die Be: 
ftätigung des ſchon im Drespener Traltat von 1745 zugeitandenen, von Karl VII. durch 
Konvention vom 4. Nov. 1741 eingeräumten Rechts, daß alle vom preußiichen Hofe vor: 
genommenen Standeserhöhungen von den faiferlihen und Neichsbehörden ald gültig anerkannt 
werden follten, 3. die gänzliche Aufhebung des Yehensverbandes des Marftiledens Eſchenau mit 
der Krone Böhmen. Spielmann erflärte darauf, König franz werde gewiß alles thun, um 
feine danfbare Gefinnung an den Tag zu legen, nur förmliche Verpflichtungen als Entgelt für 
die brandenburgifche Stimme dürfe er fih nicht auferlegen laſſen. Mit diefer Erflärung be: 
ruhigten fi) zwar Bifchoffswerder und Jacobi, aber nicht die preußifchen Minifter. „Wir können 
in dem Hartgefühl des Herrn von Spielmann nur eine übel angebrachte Affektiertheit erbliden. 
Die Fürften des Haufes Habsburg haben niemals Bedenken getragen, um die Stimmen ber 
Kurhöfe zu feilihen und bafür förmliche Nerbindlichleiten einzugehen.“ Auf erneute Vor: 
ftellungen ließ König Franz erwidern, er wolle fid den Wünſchen des Berliner Hofes fügen, 
fünne aber ald ehrlicher Mann nicht eine fürmliche Zuficherung geben, da er ja noch nicht wiffe, 
ob und inmwieweit dadurch den Rechten eines Dritten zu nahe getreten wiirde Am 6. Juli 
wurden die brandenburgifchen Wahlbotichafter angemwieien, nad der Ankunft Sr. Apoftol. Majeftät 
in Frankfurt die Sache neuerdings zur Sprache zu bringen. Nun wurde von Spielmann die 
Erklärung abgegeben, das privilegium de non appellando für die hohenzollernfden Lande in 
Franken werde gern bewilligt; aud bezüglich der Standeserhöhungen in Vreußen werde ber 
taiferliche Hof feine Schwierigfeiten machen, nur werde fi Preußen zur Bezahlung der Taren 
an Churmainz verjtehen müſſen; der dritte Punft werde gelegentlich der Krönungsfeier in Brag 
geregelt werben. (Preuß. St.:Ardhiv. Acta, betreffend die vom König von Ungarn und Böhmen 
zu bewilligenden drei Punkte zur Erprobung jeiner Erfenntlichleit, 1792.) 

’) Bair. St.:Ardiv. Tagebud) der volljogenen Wahl und Krönung Sailer Franz II. 
Braunſchweigiſches Nundfchreiben vom 13. April 1792. Brandenburgifches Nundfchreiben vom 
20. April 1792. 

) Ebenda, Bericht Jacobis vom 21. März 1792. 


48 Zweites Bud. Vierter Abſchnitt. 


häſſige Einſchränkungen habe man auch auf dem legten Wahltag nicht auferlegt, 
fondern ausjchlieflih Bedürfniffen des Reichs oder früheren Erfahrungen Red: 
nung getragen. 

Auch der Vorfhlag Kurböhmens, es möge von jebem Kurhof nur ein 
Botjchafter mit kleinem Gefolge entjendet und von allen Eoftipieligen Feierlich— 
feiten Umgang genommen werden, ftieß in Berlin auf Widerftand; man mwollte 
bier an der von der goldenen Bulle ausbrüdlih geforderten Aufitellung von 
ntindeitens zwei Wahlgejandten feitgehalten willen. Dagegen wurde den übrigen 
Anträgen zugeftimmt, und diefer Auffaſſung ſchloſſen fih ſämtliche Kurhöfe an. 
Kurfahien forderte, es jollten auch feine Damen zum Wahltage mitgebracht 
werden, dadurch würde die Rückkehr zur erwünfchten Einfachheit weſentlich er: 
leichtert werden. Brandenburg fand aber den ſächſiſchen Antrag ſchon mit 
Rücdjiht auf die Königin von Ungarn unannehmbar, und auch die übrigen Höfe 
ichlofjen fih der Anfiht an, es müſſe den Botichaftern überlaflen bleiben, ob 
fie ihre Gemahlinnen und weiblihes Gefolge mitnehmen wollten oder nicht. 

Ernftere Mißhelligkeiten erhoben fih in Mainz zwiſchen dem furfürftlichen 
Minifterium und den Vertretern der verbündeten Höfe. Der preußiſche Gejandte 
Harnier beklagte fih bei feinem Hofe, daß ſeit der Ernennung des Freiherrn 
von Albini zum Hoffanzler „und befonders feit deffen enger Verbindung mit dem 
geheimen Staatsrat (Johannes) v. Miller das vorhin beftehende, wirklich ver: 
trauensvolle Benehmen der Miffionen der hoben Unirten Churhöfe mit den 
Mainziſchen Miniiterial- und Cabinettöperfonen allmälig gänzlih aufgehoben“ 
jei. Der hannöverfhe Gefandte in Mainz, v. Steinberg, babe ich diefer un: 
behaglihen Verhältniſſe halber jogar abberufen laſſen. Darauf erwiderte das 
preußiiche Kabinett, das Zerwürfnis mit Albini jei zwar in hohem Maße zu 
bedauern, allein Harnier und feine Kollegen möchten wenigftens forgfältig ver: 
meiden, dem einflußreichen Ratgeber des Kurfürften „einige ihre Unzufriedenheit 
merfen zu lajjen, jondern ihm alle Aufmerffamfeit, Vertrauen und Achtung 
bezeigen.“ 

Man Sieht, völlig glatt und ungeftört verliefen die Vorbereitungen zur 
Kaiſerwahl auch diesmal nicht; auch über das Verhältnis der Reichsverweſer 
zum Reichstage erhob ſich Streit; immerhin waren die Beteiligten im allgemeinen 
erlichtlich beftrebt, die Titel: und Formfragen und andere Nichtigkeiten, die ähn: 
lid dem Span zwiſchen Homoufianern und Hompoioufianern in den Konzils: 
tagen jeden erſprießlichen Fortſchritt von Verhandlungen deutiher Reichsſtände 
allzeit gehemmt hatten, nad Möglichkeit einzufchränfen. Schliegli wurde von 
den Kurhöfen beſchloſſen, daß ihre Bevollmädtigten ſchon in den eriten Tagen 
des Juni zufammentreten follten, um in vier bis ſechs Wochen das ganze Wahl: 
geichäft zu erledigen. 

Nur über die Frage, ob die Wahlfapitulation Leopolds 11. unverändert 
übernommen oder mit Abänderungen und Zuſätzen verjehen werden jollte, wurde 
noch geftritten. Böhmen, Baiern und die geiftlihen Kurhöfe wünſchten auch 
in diefem Punkte möglichſte Vereinfahung des Wahlgeihäfts; Hannover und 
weniger entichieden Sachſen und Brandenburg wollten fi ihr Jus capitulandi 
nicht verfünmern laſſen, das Berliner Kabinett mur auf dringenden Wunſch 


Der Wahltag in Frankfurt. 549 


Hannovers, damit „das ungetrennte vertrauliche Konzert bethätigt werde, in 
welhem bei der Wahlangelegenheit durchaus zu Werk zu gehen, beide Höfe 
fih einander in dem erften geheimen Separatartifel des Afjociationstraftats zu: 
gejagt haben.“ 

Zuerst erihienen am 5. Juni die furbrandenburgiihen Wahlbotichafter, 
Fürſt Often:Saden und Graf Goerk, die ſchon dem vorigen Wahltag bei: 
gewohnt hatten, in Frankfurt;') in den nächſten Tagen folgten die übrigen 
Botihafter, jo daß zu allgemeinem Erjtaunen die erfte Präliminarfonferenz ſchon 
auf den 15. Juni anberaumt werden fonnte.?) Der bevoritehende Krieg warf 
ihon feinen Schatten auf den Wahltag. Die Zufammenziehung von 10000 Helfen 
in einem Lager bei Bergen zum Schute der Wahlverfammlung machte 
diesmal nicht wie ſonſt den Eindrud einer leeren Schauftellung. Auch preußiiche 
und öfterreihiiche Heeresabteilungen durchzogen häufig die Stadt. Infolge ber 
erniten Lage fanden fih nur wenige Gäfte von Hang ein; es hatte Mühe ge: 
foftet, die zur Begleitung der Botjchafter erforderlihen Edelleute aufzubringen, 
in Preußen 3. B. hatten ſich auf den eriten Aufruf nur zwei jchlefische Edelleute 
angemeldet. Die Frankfurter Bürgerihaft war, wie ein ungenannter Frank: 
furter in einer jelbftverfaßten Lebensbeſchreibung „Bierzig Jahre aus dem 
Leben eines Toten” erzählt, in zwei feindliche Yager geipalten. °) Viele nahmen 
offen für Franfreih und die Revolution Partei, da ihnen die Zeit aefommen 
ihien, „endlich einmal den Plunder veralteter Schnurpfeifereien und Vorurteile 
auf die Seite zu Schaffen”; die Mehrheit aber fürchtete, daß die Anerkennung 
ber Menjchenrechte Unordnung und Gewalttbat nad fich ziehen werde; zwiſchen 
beiden Parteien fam es häufig zu Streitigfeiten, die jogar zu Thätlichkeiten 
führten und fih auf die Straße fortpflanzten — ein trüber Hintergrund des 
feftlihen Treibens! Der junge Klemens Metternich, der als Zeremonienmeiiter 
der fatholiich-weitfäliihen Reichsgrafenbank 1790 und 1792 in Frankfurt weilte, 
verfichert in jeinen Denkwürdigfeiten, die beiden Wahltage feien jo grundver: 
ſchieden geweſen, wie Scherz und Ernit.*) Auch der preußiiche Botichafter 
Diten-Saden hebt diefen Gegenjat hervor. „Die eigentümlidhe Stimmung der 
Gemüter im Reiche,” ſchrieb er an feinen Hof, „die Gefinnungen der deutichen 
Fürften, die da und dort im Volk herrichende Gährung, die zwischen dem Reiche: 
adel und dem gelehrten Stande glimmende Eiferfucht, der allgemein eingeichlichene 
Partheygeiſt, dieß Alles find Gegenftände, welde Eurer Königliden Majeftät im 
Einzelnen mögen vorgelegt werden.” ’) Graf Goerg, der zweite brandenburgiiche 


') Der erfte Wahlbotichafter erhielt ald Abfindungsfumme für Reiſekoſten, Equipagen: 
geld ꝛc. 6000 Thaler in Gold, der zweite 4000 Thaler, die Legationsfetretäre durften nur ihre 
Koften liquidieren. Außerdem bezog der erfte Botſchafter ein Monatsgehalt von 2200 Thalern, 
der zweite 1500 Thaler, die Selretäre erhielten ein für allemal 600 Thaler. Für Miete und 
Einrihtung der Gefandtenquartiere, \lumination sc waren 35000 Thaler ausgefegt (Preuß. 
StArchiv. Frankfurter Wahlakten von 1792). 

) Preuß. St.-Archiv. Frankfurter Wahlakten 1792. Bericht des Grafen Goerk vom 
12. Juni 1702. 

Vierzig Jahre aus dem Leben eines Todten, 1790-1830, !, 20. 
) Aus Metternichs nachgelaffenen Tapieren, I, 15. 
’) Preuß, StArchiv. Frankfurter Wahlatten 1742. Bericht Dften-Sadens vom 31. Juli 1792, 


550 Zweites Buch. Vierter Abſchnitt. 


MWahlbotichafter, beurteilte die Yage insbejondere in den Rhein: und Mainlanden 
noch ungünftiger. Von den Miniftern der drei geiftlihen Kurfürften wurde fein 
Hehl gemacht aus der Bejorgnis, daß jeder Tag den Zuſammenbruch des fürſt— 
lihen Regiments bringen könne; gerade in den geiftlihen Gebieten ſei, wenigitens 
in den niederen Volkskreiſen, weder katholiſche noch loyale Gefinnung mehr an: 
zutreffen, und in der Pfalz jehe es nicht beiler aus. „Es jcheint feſtzuſtehen, 
daß die mangelhafte Verwaltung in allen Zweigen des Staatslebens in diefem 
Lande die wahre und wichtigſte Urſache der Unzufriedenheit ift, die überallhin 
dringt und in allem und durch alles fich kundgibt!“ ) 

Inzwiſchen waren die „fürtrefflichen Herren Wahlbotichafter” zu den vor: 
bereitenden Situngen im furmainziihen Quartier zujammengetreten. Raſcher 
ala jonjt wurde über Zeremoniell, Herbeiſchaffung der Neihsinfignien und ähn— 
lihe Kragen Beſchluß gefaßt. Die ausgegebene Loſung, fih mit Förmlichkeiten 
und untergeordneten Streitfragen nicht aufzuhalten, wurde wirflih beachtet. 
Nah einer Mitteilung Diten-Sadens hätte auch die Belorgnis, der Bund der 
deutichen Großmächte möchte zu gewaltiamen Aenderungen ber Neichsverfafjung 
ausgenüßt werden, zur Beichleunigung der Wahl bewogen. Hinwieder erreaten 
„die alzu frühe Beftimmung des Wahltermins vor Berichtigung der Wahl: 
fapitulation, die Verſuche, die Verlefung der Leopoldinifhen Kapitulation zu 
umgeben, die Zumutung, dab alle Monita zur Kapitulation auf einmal jollten 
übergeben werden, die Niederfchlagung der Einholungszeremonien u. a.” am 
hannöverſchen Hofe die Furcht, es fei „die jegige, von dem gewöhnlichen Gang 
abweichende Wahl auf einer der Erblidhfeit des Throns ähnlihen Seite 
zu betrachten.” Aus diefem Grunde beharrte aucd Hannover auf feinem Wider: 
fand gegen unveränderte Uebernahme der Wahlfapitulation Yeopolds II. Baron 
Beulwitz erklärte, fein Gebieter werde fi das Recht, Wünſche und Bejchwerden 
vorzubringen, niemals verfümmern [alien und nur einem ausdrüdlichen Beichluf 
der Mehrheit fich fügen. Auch der Vertreter Sachfens führte in diefen Sinne eine 
„patriotiſch behutſame“ Sprade. Es wurde endlich beichlofien, es follten in den 
Konferenzen nur jene Stellen der Leopoldiniſchen Kapitulation verlejen werden, 
bei welchen eine kurfürſtliche Botjchaft etwas zu erinnern hätte. Etwas erregteren 
Meinungsaustauſch veranlafte der von Hannover geitellte und von Brandenburg 
unterftügte Antrag, es möchte im Vorwort der Wahlfapitulation den Föniglichen 
Mitgliedern des Wahlfollegiums der Titel Majeltät beigelegt werden. Der 
furmainziiche Hoffanzler von Albini erhob allerlei — nah Often:Sadens An: 
fiht — „Sophiftiiche” Cinwände, die „man von einem befreundeten Hofe nicht 
hätte erwarten follen.” Bartenftein, der Vertreter Böhmens, wäre nicht abge: 
neigt gemwejen, dem Wunjche der hannöverfchen Negierung zu willfahren, mußte 
aber mit Nüdiiht auf den Miderftand der vereinigten geiftlihen Höfe und 
Pfalz-Baierns gegen den Antrag fih erklären. Scließlih waren alle Abjtim: 
menden dankbar, als Kurmainz den glimpflichen Ausweg zeigte, es jollten in 
der Kapitulation ale Bezeihnungen „Ew. Liebden“ weggelaljen werden, dann 
fönne auch der Titel „Majeität” wegfallen. An den übrigen Fragen unter: 


', Preuß. St.:Archiv. Bericht Goertz's vom 18. Juni 1792. 


Der Wahltag in Frankfurt. 551 


ſtützten die preußiſchen Geſandten ihrer Inſtruktion gemäß den Vertreter Böh— 
mens, ſuchten aber zugleich „den Anſchein zu vermeiden, als ſollten der engeren 
Verbindung Königlicher Majeſtät mit dem Wiener Hof der Ihrer höchſteigenen 
Denkungsart fo angemefjene und bei jo vielen Vorfällen bethätiate reichsſtändiſche 
Patriotismus aufgeopfert werden.“ 


Am 15. Juni wurden die eigentlihen Wahlfonferenzen eröffnet.) Nur 
von hannöverſcher Seite wurden nod Einwendungen erhoben und Anträge ge: 
ftellt; in einzelnen Fällen liehen die übrigen proteftantifhen Höfe ihre Unter: 
ftügung, allein jchließlih wurden jämtliche Anträge abgelehnt. Noch niemals, 
feit über die Wahl eines deutichen Reichsoberhaupts ein Protokoll geführt wurde, 
waren die Gejchäfte jo wenig verjchleppt, die Beſchlüſſe jo einmütig gefaßt 
worden, als bei der legten Zuſammenkunft kurfürftlicher Vertreter im Römer: 
faal zu Frankfurt. Am 16. Juni gingen die Sigungen mit Erneuerung und 
Beihmwörung der Kurvereine zu Ende; dann wurde unter Trompetenjchall ver: 
kündigt, daß am 5. Juli die feierlihe Wahl ftattfinden jollte; zur Ueberbringung 
der Wahlbotihaft an den fünftigen Kaifer wurde einftimmig der von Branden- 
burg begünftigte Prinz Friedrih Wilhelm von Württemberg erforen; dem Mit: 
bewerber Prinzen Friedrih von Heilen fiel feine einzige Stimme zu. In ver: 
traulien Briefen an die Kurhöfe war aud die Erridtung einer neunten Kur 
jowohl von Württemberg als von Heflen wieder angeregt worden; auf dem 
Wahltag felbit war davon nur „unter der Hand” die Rede. Dem Landgrafen 
von Heſſen-Kaſſel war der Schuß Preußens zugelagt; da jedoch die geiftlichen 
Kurfürften widerftrebten und aud Hannover feine Geneigtheit zeigte, wurde auf 
offene Bewerbung verzichtet. ?) 

Auch die zur Landesverteidigung notwendige engere Verbindung der 
Reichskreiſe wurde in Frankfurt beiproden, ohne jedoch in den Kreis öffentlicher 
Beratung gezogen zu werden. Doch jchon im Verkehr der Diplomaten trat zu 
Tage, wie wenig Xuft die fleineren deutjchen Staaten hatten, am Streit der 
Großen teilzunehmen. „Die Neihsfürften und ihre Minifter, die wir hier zu 
jeben Gelegenheit haben,” berichtet Graf Goertz, „Icheinen fih jamt und fonders 
auf die Seite frankreich zu neigen; die Siege öfterreihiicher Armeen fcheinen 
ihnen gar nicht am Herzen zu liegen. Sie geben fih zwar Mühe, ihre 
Gedanken und Wünfche zu verbergen, aber ihre üble Gefinnung drinyt troß: 
dem aus allen Aeußerungen hervor. Sie fürchten die Vorherrſchaft des öfter: 
reihiihen Haujes im Reiche und ſuchen fih auf indireftem Wege durch Be: 
reitung von Schwierigkeiten im Reiche bei Franfreih in Gunft zu ſetzen und 
ih im voraus diejer mächtigen Stüße zu verfihern, da ja Frankreich früher 
oder ſpäter doch wieder die gebührende Stellung unter den großen Nationen 
Europas einnehmen wird. Nur der Landgraf von Heſſen-Kaſſel und der Herzog 
von HZweibrüden zeichnen fih rühmlih aus durch ihre loyale Gefinnung gegen 


') Häberlin, Anhang zur pragmatiſchen Gefchichte der Wahlcapitulation Kayſer Leopolds II., 
weldyer die Verhandlungen über die Capitulation Kayfer Franz 11. enthält, 373. 

) Bair. St.:Arhiv, Tagebuch der volljogenen Wahl x. Schreiben des Yandgrafen 
v. Heſſen-Kaſſel an Kurfürft Karl Theodor vom 17. April 1792 x. 


552 Zweites Bud. Vierter Abichnitt. 


Preußen, wenn fie auch gegen Defterreih nicht von den gleihen Gefühlen bejeelt 
zu fein ſcheinen.“ Auf ſolche befremdende Eröffnungen hin wies das Berliner 
Kabinett die Gejandten an, vom Grundjag aus: „Wer nicht für uns ift, it 
wider uns!” gegen das unpatriotiihe erhalten der Reichsſtände entſchieden 
Front zu machen. „Wenn nad Ihrer Schilderung die meilten Staaten und 
Fürften des Reichs gegen den Krieg mit Frankreich geftimmt find, jo bewegen 
fie fih in einer eigentümlichen Berfennung ihrer Intereſſen. Wie können fie 
die Augen verjchließen gegen den Vorteil, der gerade ihnen aus der Unter: 
drüdung der unheilvollen Erregung des franzöfiichen Volkes erwächſt? Das An— 
wachſen der revolutionären Leidenſchaft jollte fie doch belehren, wie notwendig 
es ift, endlih einmal Halt zu gebieten! Am wenigiten find jo verfehrte An: 
ihauungen bei den in Eljaß und Zothringen begüterten Fürften zu entjchuldigen, 
da ja hauptfählih um ihrer Klagen willen der Bruch mit Frankreich herbei: 
geführt wurde und ihren Forderungen jest von den friegführenden Mächten 
Erfüllung gefihert werden ſoll. Dieſe Fürften mit ihrem zweideutigen Ränke— 
ipiel bedenken nicht, welchen Pladereien und Berfolgungen fie ausgejegt fein 
würden, wenn Frankreich glüdlide Erfolge davon trüge.” ') 

Bejonderer Aufmerkjamfeit von Seiten der preußiihen und öfterreihiichen 
Diplomaten erfreute ſich der furbairifche Wahlbotihafter Graf Oberndorff, 
wobei die Hoffnung maßgebend war, den einflußreihen Minifter doch noch einer 
entjchloffeneren Teilnahme am Kriege mit Franfreid geneigt zu machen. Der 
Erfolg der Bemühungen blieb jedoch zweifelhaft. „Ob Seiner Churfürftlichen 
Durdlaudt zu Pfalzbayern Hang zur Ruhe“, berichtete der preußiiche Geſandte 
nad einer Unterredung mit Oberndorff, „ob die diefem Fürften eigene Begierde, 
Schätze zu ſammeln, oder eine gewilje Verzagtheit die Abneigung, in das Syitem 
der vorderen Neichskreije einzugehen (i. e. den Krieg mit Frankreich zu betreiben) 
veranlaßt oder ob die Lage der rheiniihen Pfalz und die in dem Lande 
berrichenden Bolfsgährungen den dirigirenden Minifter der Pfalz, Graf Obern: 
dorff, veranlaßt haben, ein feiges Neutralitätsiyiten der Theilnahme an der Ber: 
theidigung des deutſchen Reichs vorzuziehen, ift jchwer zu entjcheiden.” 

Wenn Häuffer und Sybel dieſe pfalzbairishe Neutralitätspolitif ftreng 
verurteilen, jo it ihr Tadel nicht ungerecht; wie müßten fie aber erft das Ber: 
halten der großen Mächte brandmarken, die öffentlich der pfalzbairischen Regie: 
rung Mangel an PBatriotismus vorwarfen, insgeheim aber jchon, wie zu zeigen 
fein wird, über das Land eines unabhängigen deutichen Reichsſtandes die Würfel 
ichüttelten! 

Bon den fremden Gäften erregte das lebhaftejte Aufjehen der außer: 
ordentliche Gejandte des Papftes, Abbe Maury, der früher der franzöfifchen 
Nationalverfammlung angehört und als der glänzendfte Nedner der Nechten die 
modernen Staatstheorien befämpft hatte. Die Weigerung, den Eid auf bie 
Verfaffung zu leilten, hatte ihn zur Flucht nad) Rom genötigt; jegt war er im 
Auftrag des Rapites nad Aranffurt gefommen, um bei den Ffriegführenden 


) Preuß. St.:Arhiv. Ambassade de Franefort 1792. Bericht der Wahlbotichafter vom 
10. Juli 1792, Erlaß des preuß. Minifteriums vom 19. Juli 1792. 


Der Wahltag in Aranffurt. 553 


Mächten die Zurüdgabe der Grafihaft Avignon an den römischen Stuhl zu 
betreiben. !) Die Vertreter der proteltantiihen Höfe blidten auf ihn mit Miß— 
trauen; nad Dften-Sadens Auffaſſung hätte er ſich „ebenjo durch Dreiftigfeit 
und Ueberjpanntheit der Forderungen, wie durch Klugheit und auffallende Kennt: 
nis ber deutichen Staatsverfafjung” ausgezeichnet. Maury war nämlich aud 
beauftragt, den auf die Emſer Punktation zurüdreihenden und either nur dur 
eine Waffenruhe vertagten Streit zwiſchen der Kirde und den deutſchen Erz- 
biſchöfen endgültig beizulegen, allein durch fein gebieteriiches Auftreten goß er 
nur Del ins euer, bis er endlich erfannte, daß er auf diefem Wege nicht zum 
Ziel gelangen werde. „Endlich fcheint der Erzbiſchof von Nicäa“, berichten bie 
brandenburgiichen Botjchafter am 26. Juni, „der Abgott und das Drafel der 
Emigranten, die alle jeine Rundgebungen wie geheiligte Ausſprüche entgegen- 
nehmen, gelindere Saiten aufzuziehen. Er mußte doch einmal einjehen, daß er 
durch feinen berriichen, drohenden Ton die Gefandten der geiltlihen Höfe nicht 
einfhüdtern, fondern nur verbitiern und gegen die Anſprüche des römischen 
Hofes veritodter maden werde; jett ſpricht er denn, auch in verföhnlicherem 
Tone von den Mitteln, um den alten Streit zwifchen dem heiligen Stuhl und 
den deutſchen Erzbifchöfen zu ſchlichten.“ Anknüpfend an die früheren freund: 
Ichaftlihen Beziehungen erbat der Nuntius den Beiltand des Königs von Preußen, 
doch wurde dem Wunſche nur eine bedingte Gewähr in Ausſicht geitellt. „Ich 
erwarte, daß der Nuntius feine Sprache noch beveftend mäßigen wird; er ſoll 
fih daran erinnern, daß die von ihm geltend gemachten Anſprüche der Kurie 
heute nicht mehr zeitgemäß find und dab ein apoftolifher Legat heute nicht 
mehr eine Sprache führen darf, wie ehedem.” Graf Diten-Saden hegte über: 
dies Argwohn, der amtlihe Auftrag jei nur der Deckmantel einer geheimen 
Miſſion: für die Wiedereinführung des Jeſuitenordens in den fatholifchen Staaten 
Stimmung zu maden; ber innige Verkehr des Vertrauensmannes des heiligen 
Vaters und der Emigranten mit Bartenitein, dem Vertreter Deiterreihe, führe 
eine beredte Sprade!?) Man fieht: durch die neue Freundſchaft war der alte 
Gegenſatz nicht bejeitigt, und faum war dem alten Hader feierlich abgeſchworen, 
erwuchfen ſchon die Keime zu neuen Streitigkeiten. 

Am 5. Juli verfündeten dreihundert Kanonenſchüſſe, dab Franz, König 
von Ungarn und Böhmen, zum Schirmer und Mehrer des römiſch-deutſchen 
Neihes gewählt worden war. Das Wahlergebnis wurde in Frankfurt günſtig 
aufgenommen. „Wenn bey Wahlreichen” , jchrieb Diten-Saden (6. Juli) nad 
Berlin, „die Stimme des Volfs einigermahen in Betrachtung fommt, jo dürfen 


) Bair, St.:Arhiv. Tagebuch der vollzogenen Wahl ıc. Schreiben Vapſt Pius VI. an 
Karl Theodor vom 17. Mai 1702. 

) Preuß. St.:Achiv. Bericht Sadend vom 31. Juli 1792. — Abe Maury galt all: 
gemein als eifriger Anwalt des Planes, zur Belämpfung der Revolution den Jeſuitenorden wieder 
einzuführen. Hoffmann sollte ihm deshalb Yob und Anerfennung: „Vielleicht iſt's im Nat der Bor: 
fehung beſchloſſen, daß dieſe Partei {der geheimen Klubs) Durch den wieder auflebenden Jeſuiten— 
orden vernichtet werben fol. ... Es gehört doch zu den ausgemadteften Wahrbeiten, daß nur 
erit jeit Erlöfhung bes Jeſuitenordens der Lartei: und Seftengeift eine fo außerordentliche 
Herrichaft in der Welt erlangt bat.“ (Wiener Zeitjchrift, Jahrg. 1792, 361, 365.) 


554 Zweites Bud. Vierter Abfchnitt. 


wir nicht unangezeigt laffen, daß der Beyfall über die gefallene Wahl allgemein 
und die Erwartung des Publikums groß ift.” 

Bon feierlihem Einzug des Gemwählten wurde Umgang genommen; in aller 
Stille traf Franz am 11. Juli in Frankfurt ein; ?) tags darauf beſchwor er 
die Kapitulation, am 14. — wohl nit ohne Berehnung war der Jahrestag 
der Erftürmung der Baftille dazu auserjehen worden — fand unter ben ge: 
wöhnlichen Feierlichkeiten die Krönung ftatt. Die Zujchauer wurden erfreulich 
überrajcht durch die blühende Erjcheinung des jungen Kaifers; auch durch Die 
Lebhaftigfeit und das Feuer jeines Geiſtes jol er, wie Oſten-Sacken berichtete, 
in Staunen verjegt haben. „Ob übrigens die öffentlihe Vermutung, als wenn 
Franz II. den Fojephinifhen emporftrebenden Geift fi eigen gemacht habe und 
in jeine Plane Leopoldiniſche Kaltblütigkeit zu miſchen wife, gegründet jeye?, 
muß erit die Zeit lehren.” *) Das Krönungsfeft war nicht vom Wetter begünftigt; 
während des Zuges zum Münfter ging ein gewaltiger Plagregen nieder, — ein 
ſchlimmes Zeichen! murmelte das Boll. Da fih in den legten Tagen viele 
franzöfiihe Emigranten eingefunden hatten, fehlte es nicht mehr an Puß und 
Prunk. Die Krönung jelbit machte auf empfängliche Geilter, 3.8. auf den 
jungen Metternich, überwältigenden Eindruck.) Auch der Gothaer Schriftiteller 
Neihard erzählt, er habe nit ohne Bewegung den blonden, jugendlichen Kaijer 
mit jo viel Anftand und Würde über den Nömerplat reiten gejehen, über ben: 
jelben Pla, auf welchem wenige Monate jpäter für den Sanskulottengeneral 
Euftine ein eigener Thron aufgeichlagen war und die Bürgerfchaft mit ängſt— 
lihem Schweigen die Befehle des übermütigen Siegers entgegennehmen mußte. *) 
Sogar der Nepublifaner Forſter jchreibt: „Die Jugend des Kaiſers hatte 
etwas Nührendes, das auf den erften Blid bei jedermann für ihn ſprach. 
Wir ſahen ihn, wie er unter der drüdenden Laſt des Hermelinmantels und ber 
Krone jeine großen, blauen Augen auf der Menge der Zuſchauer umberirren 
ließ, und ich weiß nicht, welches menschliche Gefühl die Unjerigen unwillfürlich 
fühlten.“ °) Während des Krönungsmahles entipann fid) vor dem Römer das 
berfömmliche Geräufe, das „Kannibalenballett“, wie es MWedherlin nannte, ®) 
heftiger und widerwärtiger denn je. „Das Ganze”, jagt Reihard, „war ein 
treues Abbild des alten Deutſchen Reiches, das durch Hader, Zwietracht und 
Mißgunſt feiner Glieder endlih in Trümmer fanf: magni nominis umbra!” 

Weit mehr als die verblafte Pracht der Frankfurter Feſte zog die un: 
mittelbar auf die Krönung folgende Zuſammenkunft des Kaifers mit Friedrich 
Wilhelm in Mainz die Aufmerkiamfeit der politiichen Welt auf fi.) Das 


') Preuß. St.⸗Archiv. Erlaß des preuf. Minifteriums vom 2. Juli 1792. 

2) Diarium, 163. 

2) Aus Metternich nachgelaſſenen Papieren, I, 15. — Metternich eröffnete damals den 
Ball bei Fürſt Eſterhazy mit der jungen Brinzeffin Luife von Medlenburg, jpäter Königin von 
Preußen. 

+), 9.2. O. Neihard, Selbftbiographie, herausgegeben v. Uhde, 274. 

G. Forfter, S. Werfe, VIII, 363. 

“JWeckherlin, Baragraphe, I, 250. 

J Urfprünglich follte die Begegnung in Koblenz ftattfinden, doc da König franz im Beſuch 
der Reſidenz des „auswärtigen Frankreichs“ ein zu auffällige Zugeftändnis an bie franzöfiihen 


Der Fürftenfongrei zu Mainz. 555 


wichtige Ereignis zog eine Menge Gäſte in die Mainſtadt; in den umliegenden 
Dörfern wimmelte es von preußiſchen Musketieren und franzöſiſchen Gardiſten; 
der Gaſthof, in welchem Reichard einkehrte, war völlig in Beſchlag genommen 
von den helmbuſchumflatterten Gardes du Corps des Prinzen von Artois. Als 
die Ankunft des Königs von Preußen bevoritand, zogen alle Heeresabteilungen 
an den Ufern auf. Nach Mitternaht ſchwamm die von vielen Fahrzeugen um: 
gebene Nacht des Königs heran; „der Feuerſchein ihrer Erleuchtung verbunfelte 
den Sternenhimmel.” Fanfaren jchmetterten auf den Schiffen, wie auf beiden 
Ufern; dazwiſchen fnatterten Musfetenjalven und donnerten die Kanonen von 
den Wällen und Türmen der Feitung.!) Der König bezog das Luftichlof 
Favorite, der Kaijer wohnte in der furfürftlichen Refidenz. ?) 

Mehr als fünfzig fürftliche Perfonen und hundert hohe Würdenträger ver: 
jammelten fi um die beiden Monarchen, die als die Hauptvertreter der zentri— 
petalen und zentrifugalen Kräfte des Neichs anzufehen waren; aud die franzö— 
fiihen Prinzen fanden ſich mit glänzgendem Gefolge in Mainz ein. Stlemens 
Metternich jchildert artiger als fein Kollege Spielmann die Perfönlichkeit des 
Königs von Preußen. „Friedrib Wilhelm bot das Bild eines Königs dar; an 
Wuchs näherte er fich der Größe eines Niefen und mit demjelben jtand jeine 
Beleibtheit im Berhältniffe; in allen Verfammlungen ragte er um Kopfeslänge 
über die ihn umgebende Menge hinaus. Die Emigrierten verfiherten, es würde 
genügen, daß er allein an der Grenze erichiene, damit die Sansfulotten die 
Waffen ftredten.” ’) Neben diefem Hünen verichwand fait die unanjehnliche 
Geſtalt des Kaiſers, der aber durch feine ſüdliche Lebhaftigfeit die Aufmerkſamkeit 
auf ſich zog und durch ungezwungenes, Teutjeliges MWejen die Gunft der Menge 
gewann. Kurfürit Karl Frievrih von Erthal, der nah Metternichs Verſicherung 
von jämtlihen deutichen Fürften die reichite Hofhaltung hatte, entfaltete zur 
Ehrung feiner Gäſte den üppigiten Luxus. „Es fchmeichelt uns,” jchrieb der 
furfüritlihe Bibliothekar Forſter an Heyne, „ein ganzes Pantheon von Kleinen 
Erdengöttern auf einem Haufen in unferem Mainz verfammelt zu jehen.“ *) 
Eine Feſtlichkeit reihte fih an die andere, Bankette, Konzerte, Bälle, Feuerwerke, 
— alles verherrliht durh den Zauber der Landichaft und die Majeftät des 
Rheinftromes. „Die alte monarchiſche und feudale Welt Mitteleuropas, welder 
die Demofraten in Paris den Tod geihworen, jchien fi wie zum Troße bier 
nod einmal in aller Pracht entfalten zu wollen, bevor fie ihren Schlag mit dem 
Schwerte gegen die Revolution führte und den legitimen Thron der Bourbons 
wieder aufrichtete.” °) 

Nebenher beichäftigte fih die hohe Gefellihaft mit den Vorbereitungen zum 
Feldzug. Metternich verfihert — und andere Neußerungen ftimmen bamit 


Prinzen erblidte, wurde der Einladung des Hurfürften von Mainz Folge geleiftet. (Bericht 
Haugwitz's vom 12. Juli 1792.) 
) H. A. ©. Reichard, Selbjtbiographie, 276. 
) Preuß. St.:Ardiv. Frankfurter Wahlakten 1792. Bericht Hochſtetters vom 20. Juli 1792. 
1) G. Forſter, VIII, 365. 
) Aus Metternichs nachgelaſſenen Papieren, l, 17. 
) Häuſſer, I, 320. 


550 Zweites Buch. Vierter Abſchnitt. 


überein —, daß ein günftiger, ja glängender Erfolg von niemand bezweifelt wurde. 
Namentlih die Emigranten betrachteten das Unternehmen als gefichert, und ihre 
einzige Klage bezog fich auf die mit dem Aufmarſch deuticher Armeen verbundene 
Verzögerung. „Nach ihrer Meinung genügte die Abjendung einiger Bataillone, 
damit die weiße Fahne auf allen Türmen Frankreichs aufgezogen würde; ohne 
Zweifel trug diefe hochgradige Täufhung zu der Niederlage bei, melde die 
preußiiche Armee bald darauf erlitt!” Wie naiv unverfchämt von den Emigranten 
die deutſche Hülfe aufgefaßt wurde, erhellt aus einem Briefe des Prinzen von 
Ligne an die Zarin Katharina. Nachdem über den „geiftesarmen” Friedrich II. 
und die „Potsdamites“ gejpottet und der Kaiferin überſchwengliches Lob ge: 
fpendet worden, wird fortgefahren: „Ich wünjche jehr, daß das deutiche Reich 
feine Pflicht thue, und bin jehr betrübt über die Jurüdhaltung eines weit 
beſſer ausgeftatteten Kaiſerreiches. . . . Doc ich vergeſſe mid vor dem eriten 
der Könige, dem König der Könige, vor Ihnen, Madame, die allein im jtande 
ift, zugleih Bewunderung und Zutrauen einzuflößen.“ ') 

Freilich hätte der troß aller FFeite und Fanfaren zu Tage tretende Mangel 
an Eintradht im Lager der Verbündeten einfihtige Rolitifer und Militärs in 
ihrer vertrauensjeligen Stimmung ftören müſſen. 

Ein europäiſches Konzert, wovon noch immer in den Schriftitüden der 
faiferlihen Kanzlei die Rede war, gab es ja in Wirklichkeit nit. Das preußifch: 
öfterreichiiche Bündnis war dem enalifhen Kabinett ein Dorn im Auge; ?) 
Talleyrand hatte aus London, obwohl mit feinen Anerbietungen abgewieſen, die 
Gewißheit zurückgebracht, daß England ſich nicht einmal durch einen franzöfiichen 
Angriff auf Belgien zur Teilnahme am Kriege werde drängen lafien. Auch 
Kaijerin Katharina jah auf das Bündnis mit fcheelen Augen; es fonnte ihr 
nicht entgehen, daß damit die Abhängigkeit der Wiener Politif vom Zarenhofe 
ein Ende gefunden babe. „Davon rührt zweifelsohne,” fchreibt Naunig an 
Stadion, „der außerordentliche Eifer ber, den die Kaiſerin für eine Kontre- 
revolution in Frankreich, und zwar nicht für eine gemäßigte, wie wir fie wün— 
ſchen, ſondern für eine ganz vollftändige bezeugt hat.” Im Mai veriprad 
Katharina, 18000 Dann gegen Frankreich zu ſchicken, aber ſchon damals glaubte 
die diplomatifche Welt nicht an den Ernit der Zulage; das ruffiihe Corps, 
jpottete man, werde wohl faum über Polen hinaustommen.?) Bon Spanien batte 
Frankreich ſeit dem Eintritt Arandas in das Minifterium nichts mehr zu befürchten. 
In Sardinien war es zu Jo bedenklihen Unruhen gefommen, daß an Beitritt zur 
Beteiligung an einem auswärtigen Striege nicht zu denken war. Das nänıliche 
galt von Schweden, wo es der nach Guftavs II. Ermordung eingefegten Negent: 
ichaft ſchwer genug fiel, den inneren Frieden zu behaupten.) 

Doh auch zwilchen den Höfen von Wien und Berlin gab es unerledigte 
Streitpunfte. Vor allem im der Frage der Entichädigung. 


i) Mémoires et melanges historiques par le prince de Ligne, I, 261. 
Bivenot, I, 464; Kaunitz an Stadion, 18. April 1792, 

'; Arenberg, Briefwechfel, III, 340, 

', Bair, St.Archiv. Bericht v. Vofhs an Vieregg vom 26. Mai 1792. 


Der Krieg und das Deutfhe Neid. 557 


Da Kaunig, wie wir ſahen, Erörterungen über eine Entihädigung für 
die Opfer zu Gunften der legitimen Sade zwar nicht völlig von der Hand wies, 
doch die mit Gebietsabtretungen verbundenen Schwierigkeiten ſehr hoch anjchlug 
und insbejondere von Erwerbungen in Polen nichts hören wollte,') willigte 
Franz ein, dab über diefe Dinge binter dem Rüden des alten, „hinter den 
Anforderungen der Gegenwart zurüdgebliebenen” Kanzlers verhandelt und ge 
handelt werde. Nachdem einmal von Berlin die Loſung: BZugreifen! gegeben 
war, wollte man aud in Wien nicht blöde zurüdbleiben. 

Noh vor dem Zufammentritt des Wahltags in Frankfurt ließ Schulen: 
burg dur den Fürften Reuß unmittelbar an Spielmann einen Antrag über: 
mitteln, es möge „das Dedommagement wegen der Unkoſten des franzöfiichen 
Krieges” dahin getroffen werden, daß Preußen fih in Polen arrondiere, Oeſter— 
reih aber am Rhein eine Erwerbung ſuche; Polen werde ja doch nicht von 
jeglihem Berluft verjchont bleiben fünnen, da an den Abfichten Nußlands auf 
die Ukraine nicht zu zweifeln jei.’) Die Antwort Spielmanns ließ erfennen, 
daß in der Wiener Hofburg grundſätzlicher Widerftand gegen, die Hereinziehung 
Polens in die Entihädigungsfrage nicht mehr erhoben werde; nur die Frage: 
was foll Deiterreih erhalten? bot Schwierigkeiten. Schulenburg hatte auf Er: 
werbungen auf Koften Frankreichs hingewieſen; in der That hätte, wie Spiel: 
mann anerfannte, die Vereinigung von Franzöfiichizlandern und Hennegau ber 
öfterreihifhen Monarchie „wohl angeftanden”“. Allein die Eroberung ftand doch 
noch in weiten Felde; aud hätte zur Erreihung diejes Zieles, was Spielmann 
als Grund der Ablehnung anführte, der Hauptitoß gegen die Niederlande ge: 
richtet, mithin der ganze Feldzugsplan abgeändert werden müſſen. Dagegen lag 
ein anderer Gedanke näher: vielleicht war jetzt die Möglichkeit geboten, den ſchon 
jeit nahezu hundert Jahren verfolgten Plan eines Eintaufhes Baierns gegen 
die Niederlande erfolgreich durchzuführen. Spielmann fäumte nicht, das Senf: 
blei auszumwerfen. „Jh weiß gar wohl,” jchrieb er an Neuß am 29. Mai, 
„welches Anathema auf dieje Idee unter dem Minifterium des Grafen von Herz: 
berg in Berlin gelegt worden ift; id) bin überzeugt, daß dieſe Idee eine Chimäre 
bleiben wird und muß, wenn fie, wider alle bejiere Vermutung, von dem gegen: 
wärtigen Fönigliden Minifterio mit der Herzbergiihen Brille geſehen und be- 
trachtet werden ſollte; ich bin aber auch feſt überzeugt, daß Die dermaligen 
Umftände gegen die vorigen und die dermaligen Verhältnijie gegen die ehe: 
maligen fih jo wejentlih abgeändert haben, daß nah meinem Vertrauen auf 
die Einficht, Billigfeit und NRechtichaffenheit des Herrn Grafen von Schulenburg 
vielleicht nur ein halber Tag erforderlich fein dürfte, um in einer mündlichen 
Unterredung volle beiderjeitige Ueberzeugung zu erwirken, daß diefer Austaufch 
zum überwiegenden Vortheil des Haufes Pialz:Baiern, zu feinem wejentlichen 
Nachtheil des königlich preußiſchen Hofes gereichet, daß wir bei ſelbem in aller 
Rüdficht verlieren und nur das einzige ‚bendtice d’arrondissement‘ gewinnen.” ®) 


!) Rivenot, II, 23; Haunig an Reuß, 4. Mai 1732, 

?) Bivenot, II, 55; Reuß an Spielmann, 22. Mai 1792. 

) Nach Sybel (l, 480) wäre die erfte Anreguna zur Rückkehr zum Tauſchplan von 
ruffiiher Seite gegeben worden; allein bie fritifche Unterredung 'gwifchen Gobenzl und Dem 


558 Zweites Buch. Vierter Abichnitt. 


Nur aus dem Kriegseifer des preußiichen Kabinetts läßt fich erflären, daß 
der gegen eine der wichtigsten Ueberlieferungen Friedrichs des Großen veritoßende 
Antrag in Berlin nicht nur feine Ablehnung erfuhr, ſondern das preußiiche 
Miniiterium fogar feine guten Dienfte zur Durhführung anbot; Schulenburg 
joll geäußert haben, er jei von allem Anfange jelbit des Glaubens geweſen, daß 
jener Austausch die einzige angemeflene und würdige Entihädigung für das 
Erzhaus bieten fönne.‘) Ein Hinterpförthen wurde allerdings offen gelaſſen, 
indem als jelbftverftändlich bezeichnet war, daß gegen einen Widerfprud des 
nächſten Agnaten, des Herzogs von Zweibrüden, nicht mit Zwang eingeichritten 
werden bürfe. 

Nun jchien es an der Zeit, die Angelegenheit des vertraulichen Charakters 
zu entkleiden und auf amtlihem Wege zum Nustrag zu bringen. König Franz 
gab aljo von Ofen aus Befehl, den Kanzler über den bisherigen Berlauf der 
Unterhandlungen zu unterrichten; zugleich erflärte er ihm jelbft, daß er im Ge: 
lingen des jhon vom Oheim galühend gewünſchten Unternehmens das „größte 
Glück des Etaateg” erblide, und daß es ihn freuen würde, wenn auch dieſes 
große Werk noch von Deiterreich& berühmteltem Staatsmann durchgeführt werden 
fünnte. Das war deutlich geiprodhen; das hieß nichts anderes, als daß der 
junge Fürft auf die Dienite des alten Lotſen, der das Staatsſchiff durch fo 
viele Stürme und Gefahren gelenft hatte, verzichten und ſich jelbit auf die 
Kommandobrüce begeben wolle. Die Enthüllung wirkte auf den Kanzler wie 
ein Bli aus beiterem Himmel. Faſt fünfzig Jahre lang hatte er, das un: 
beichränfte Vertrauen der Beherricher Deiterreichs genießend, über beifpiellofen 
Einfluß verfügt, nie war für einen Nebenbuhler Naum geweien, — daraus erflärt 
ih, das er die Monarchie, fo wie fie war, als feiner Hände Werf betradjtete und 
jeine Berjon mit dem Staat unter einen Begriff brachte. Zum Schmerz über die 
erlittene Zurüdjegung fam die Ueberzeugung, daß der von dem jungen, unerfahrenen 
Herrſcher eingefhlagene Weg nur ins Unheil führen werde, ?) Selbitverftändlich 
müſſe alles, jchrieb er am 25. Juni an König Franz, der eigenen Klugheit 
und Entiheidung des Monarchen überlaijen bleiben, er für feine Perſon müſſe 
aber bitten, der Teilnahme an dem ganzen Geſchäft enthoben zu werben.) 
Das Memorandum „Unvorgreiflide Betradhtungen über den Vorſchlag des 
Grafen Schulenburg“ verrät dur die Schärfe der Ausdrucksweiſe die Erregt: 
heit und Entrüftung des Verfaflers. Der Vorſchlag des preußifchen Miniiters 
ruffiichen Gefandten fand nad Sybels eigener Angabe erft im September ftatt, das Schreiben 
Spielmanns an Reuß (Bivenot 11, 63) ftammt vom 29. Mai 1792. 

J Bivenot, 11, 80, 110; Reuß an Spielmann, 4. Juni 1792; ESpielmann an Neuß, 
22, Juni 1702. 

*) Die Worte, womit der Moniteur (1702, 221) die Nachricht vom Sturze des öfter: 
reichiichen Kanzlers begleitete, bemeifen, welch falſche Vorftellung über die Politif dieſes Staats: 
mannes in Franlreich fich eingebürgert hatte. Während des Kanzlers Syitem immer darin 
beftand, den Bund zwifchen den Däufern Bourbon und Habsburg aufrecht zu erhalten, während 
auch in den legten Jahren fein ganzes Trachten dahin ging, den Krieg zwiſchen Franfreih und 
Deiterreich zu verhindern, wird er vom Moniteur für die Verhetzung der Böller und alles daraus 
entfpringende Unheil verantwortlich gemacht. 

*), Bivenot, Il, 114, Kaunitz an König Franz, 25. Juni 1792. 


Der firieg und das Deutiche Reid. 550 


jei geradezu eine Beleidigung des Wiener Hofes, der „jo viele Beweiſe feiner 
Einfiht und Nectichaffenheit gegeben habe, daß man ſich nicht hätte erlauben 
follen, demjelben einen ſolchen Vorſchlag zu machen.” Desgleichen jei eine 
offene Nectsverlegung damit verbunden, denn wie fünnte Polen, einem freien 
unabhängigen Staate, zugemutet werden, nicht nur feiner Konftitution zu ent: 
jagen, ſondern jogar verjchiedene Provinzen der puren Konvenienz fremder 
Staaten aufjuopfern? Endlich jei der Vorſchlag überhaupt nichts als eine 
Chimäre, da zwar Preußen im Bunde mit Rußland jederzeit die gewünſchten 
polnischen Erwerbungen ſich aneignen könne, Tefterreih aber unüberwindliche 
Hindernifje zu bewältigen haben würde, um in den Beſitz Baierns zu fommen. 
„sch erjehe daher bei diefem ganzen Betragen nichts als Habjucht und politijche 
Grundfäge, welde für zufünftige Zeiten jehr wenig Vertrauen einflößen fönnen 
und damit wenig Gutes veripreden; eine dergleihen Moralität ift nicht nad 
meinen Grundjägen und jollte daher von einer großen Macht, welche ſich jelbit 
zu Schägen weiß und den Wert ihres guten Namens anerkennet, nimmermehr 
angenommen werden.“ König Franz juchte den Kanzler zu beſchwichtigen; er 
ſei weit entfernt, ermwiderte er, in jo wichtiger Angelegenheit voreilig zu Werfe 
zu gehen, denfe auch nicht daran, fich in etwas einzulafien, was feiner Ehre 
nadteilig oder von üblen Folgen jein fünnte. Da jedoch dieje Beteuerungen 
den Monarchen nicht abhielten, auf Spielmanns Standpunkt zu bebarren, nahm 
Kaunig, da er „am Ende feiner Yaufbahn Anjeben und Reputation wahren“ 
wolle, feine Entlaſſung von allen Aemtern (19. Auguft).‘) Im Drang der 
Kriegsereigniſſe wirkte der Sturz des bisher allmächtigen Staatsmannes, der fich 
jest jelbit an das Verhältnis zwiſchen Heinrih VII. und Kardinal Woljey er: 
innert fühlte, nicht als eine jo überwältigende „Senfation”, wie e& ſonſt wohl 
der Fall gewejen wäre. Es ehrt den jungen Kailer, daß er die Entlaffung in 
möglichit jchonender Weile vollzog; Franz behielt ſich ausdrüdlih vor, auch 
ferner die Ratſchläge des erfahrenen, treuen Dieners einzuholen, und Kaunitz 
war auch keineswegs geionnen, fich ichweigend ins Privatleben zurüdzuziehen. 
Philipp Cobenzl, der jest jelbftändig die Führung der Geſchäfte übernahm, 
glaubte häufig zu verjpüren, daß der „alte Herr” ihm entgegenarbeite, und die 
kommenden Ereigniffe waren ja ganz dazu angethan, die Einficht des Geftürzten 
in hellſtes Licht zu jehen. Mit vollem Recht hatte Kaunis der prahleriſchen 
Zuverficht der Verbündeten, binnen furzem in Paris fiegreichen Einzug zu halten, 
geipottet, und vom Eintauſch Baierns gegen die Niederlande konnte ſehr bald ſchon 
deshalb nicht mehr geſprochen werden, weil die Niederlande ſelbſt verloren waren. 

Vorerit aber war der neue Kanzler voll froher Hoffnungen. Aus den an 
Vetter Ludwig Cobenzl am 16. Juli gerichteten Worten ift zu entnehmen, weld) 
ftolzes Vertrauen auf Beherrfhung der europäiihen Lage ihm das Bündnis mit 
Preußen einflößte. Worüber ift die Zeit, froblodt er, da wir immer auf fran- 
zöſiſche Uebermacht Rüdficht nehmen und vor jeder Annäherung Preußens an 
Rußland Angit haben mußten! Wir haben den Gedanken an Wiedererwerbung 
Schleſiens aufgegeben, dafür werden wir aber eine Menge anderer Vorteile 


') Krones, Geſchichte Tefterreichs, IV, 567. 


560 Zweites Bud. Bierter Abſchnitt. 


ernten, an welche bisher bei dem geipannten Verhältnis zwiichen Defterreich und 
Preußen nicht zu denfen war!!) Die jelbjtgefälligen Worte erinnern an eine 
aus dieſen Tagen ftammende Denkſchrift (vom Fürften von Ligne?), die neben 
„den brei geiftreihen Diplomaten Deiterreihs”, Mercy, Thugut und Ludwig 
Cobenzl, für den Nachfolger des Fürften Kaunig nur ein Lob bat, das die 
Schatten hell und die Lichter dunkel zeigt: „Er ift von einer fo vollendeten 
Mittelmäßigkeit, von einem fo glücklichen Selbftvertrauen, daß er ftets über den 
Ereignifien fteht, denn wie fie auch fallen mögen, er manipuliert unerfchütterlich 
immer in derjelben Weiſe, immer ſich jelbit gleich.” *) Cobenzl und Spielmann 
hatten nur die eine Eorge, daß der Gewinn Baierns, wenn dafür die Nieder: 
lande abgetreten werden müßten, als Geichäft nicht einträgli genug fei, und 
glaubten deshalb noch weiteren Erſatz fordern zu dürfen. Die joeben erft mit 
Preußen vereinigten fränkiſchen Markgrafſchaften, meinte Spielmann, fönnten 
wohl noch hinzugelegt werden, um jo mehr, da fie ohnehin in den Rahmen des 
nordiſchen Königreiches nicht paßten. Allein Haugwig, der Nachfolger Jacobis, 
erklärte fofort, von Ansbah und Baireuth könne gar nicht die Rede fein.®) 
Das preußifche Kabinett, dem Neuß den nämlichen Wunſch vorgetragen hatte, 
wies voll Entrüftung den Gejandten an, dem Wiener Hofe auch nicht die leifefte 
Hoffnung auf die fränkifhen Provinzen zu laſſen. Welches Anfinnen an den 
Bundesgenofjen, der doch nur im Intereſſe Oeſterreichs das Schwert gezogen 
babe! Das ganze Verhalten der Wiener Herren in der Entihädigungsfrage 
gebe gerechten Anlaß zu Argwohn und Klage; Preußen fünne deshalb nichts 
Beſſeres thun, als fich aufs engfte an Rußland anzuſchließen. Damit waren 
die beiderjeitigen Forderungen vorläufig zu den Akten gelegt, die Vorgänge auf 
dem Kriegsihauplag ermutigten ja nicht mehr zu folden Erörterungen. 

Auch über die Mitwirkung der Emigranten am Feldzug beitand Meinungs: 
verjchiedenheit; in Berlin erblidte man darin einen hervorragenden Faktor bei 
der Abrechnung mit dem revolutionären Frankreich, in Wien tracdhtete man, die 
Prinzen nad Möglichkeit fernzuhalten. Die kurböhmiſchen Wahlbotihafter waren 
durch ihre Inſtruktion angewieſen worden, den Voritellungen der Prinzen „jo 
lange als möglich auszumweichen”, wo es aber mit Anftand nicht gefchehen könne, 
kurz zu äußern: „wenn die Prinzen auf Unterftügung der friegführenden Mächte 
fih Rechnung machen follten, jo müßten fie ſich auch ihren Bedingniffen und 
ihren Plänen zu folgen gefallen lajjen.“) In Mainz bejhlofien die Ver: 
treter der friegführenden Mächte — der Herzog von Braunſchweig, Feldmarſchall 
Lacy, Cobenzl, Schulenburg und Spielmann —, den Prinzen nur noch eine 
einmalige Unterftügung von 200000 Gulden zu gewähren, die von ihnen ge: 
fammelten Truppen unter die preußiichen und öfterreihifchen Armeen zu ver: 
teilen und die Ausgaben aus erbeuteten franzöfiichen Kaſſen zu deden oder auf 
gemeinfame Rechnung zu fegen. Für die bejegten franzöfifchen Provinzen follte 
— 

’) Vivenot, II, 129; Ph. Cobenzl an 2. Cobenzl, 16. Juli 1792. 

*; Hüffer in der Allgem. d. Biographie über Ph. Cobenzl, 4. Bb., 365. 

’) Preuß. St:Ardiv. Bericht Haugwitz' vom Iy. Aug. 1792. Erla des preuß. Mini: 
fteriums vom 20. Auguft 1792. ; 

*) Bivenot, II, 63; Punktation für die tgl. böhm. Wahlbotfchafter nah Frankfurt. 


Der Krieg und das Deutfche Reid). 561 


nicht einer der Prinzen, ſondern bis zur endgültigen Regelung durch den König 
der Herzog von Braunfchweig die Statthalter und Vermwaltungsbeamten auf: 
ſtellen. „Sollte fi der ganz unverhoffte Fall ereignen, daß fi die franzöfi: 
ihen Prinzen die feftgejegten Bedingungen nicht gefallen laſſen und nad ihrem 
eigenen Dünfel jeparatim agieren wollten, jo bliebe nichts weiter übrig, als 
daß des Herrn Herzogs Durdlaudt eine Proflamation ergehen ließe und bar: 
innen die Prinzen ihrem eigenen Schidjal aufgebe.” }) 

Die Vertreter Preußens hätten jo jchroffen Maßnahmen gegen die Prinzen 
gewiß nicht zugeftimmt, wenn nit König Ludwig ſelbſt dur einen eigenen 
Gejandten um Schuß ebenſo gegen feine nächſten Verwandten wie gegen bie 
Uebergriffe der Nationalverfammlung nachgeſucht hätte. 

Seit der Kriegserflärung ſchwankte Ludwig zwiſchen der Belorgnis, durch 
feine Einwilligung zu dieſer Löſung des Anotens das Verhängnis auf fi ge: 
laden zu haben, und der Hoffnung, die Verbündeten, die er vor der Welt als 
feine Feinde bezeichnen mußte, in kurzem als Befreier in Paris zu begrüßen. 
Der Argwohn, daß der König in heimlicher Verbindung mit den Landesfeinden 
jtehe, trieb alle, die Furcht vor dem Kriege hegten, in die Reihen der Gegner. 
Die Menge juchte fih in Begeifterung für den Krieg bineinzujchreien, doch jeder 
wußte, welch gefährliche Folgen der Zujammenftoß mit der feindlichen Ueber: 
macht haben fünne, und machte dafür den vermeintlihen Anftifter verantwortlich. 
Im girondiftiichen Kabinett jelbit war zwiichen den „Entichievenen” und „Ge: 
mäßigten” Streit ausgebroden; jest galt Dumouriez, weil er den gegenwärtigen 
Zuftand, „die Nepublif mit einem König an der Spike” erhalten wollte, als 
„Abtrünniger”. Der Gatte der Madame Noland, der „Stoiker“ Servan und 
andere Kollegen, bie eine Republif ohne König wollten und zum Umſturz des 
Thrones entichloflen waren, befamen die Oberhand. Roland wurde durch könig— 
lihe Verfügung entlaffen, doch auch Dumouriez konnte ſich nicht mehr halten; er 
ging zur Armee, um, wie er in der Nationalverjanımlung beteuerte, als Soldat zu 
fterben, denn an Sieg jei bei den durch die früheren Kriegsminiiter verſchuldeten 
Mißſtänden im Heerwejen nicht zu denken. Auch Lafayette jchrieb an die Ver: 
jammlung, er müfje an günftigem Erfolg der franzöfiihen Waffen verzweifeln, 
nicht bloß, weil es an Yebensmitteln, Kleidung und Geld fehle, jondern weil 
der Soldat bei dem nimmer endenden Streit der Parteien, bei dem Anwachſen 
des ruchlofen Jakobinertums, nicht mehr wifle, für wen er fein Leben zu opfern 
babe.?) Die „Entjchiedenen”, die bei folhen Anklagen den Boden unter ihren 
Füßen wanken fühlten, bezichtigten die „goldbetreßten Fürftenfnechte” laut des 
Verrats. „Gibt es denn feine rechtichaffenen Bürger mehr?” rief Merlin im 
Jakobinerklub, „will feiner die Ehre beanipruchen, einem niedrigen Verräter den 
Dold ins Herz zu ſtoßen?“ In jenen Tagen gab fih „Antinous Barbarour“ 
mit Roland ein Stelldihein in des Erminifters Haus in der Rue Saint Jac: 
ques, „dem ftillen Aſyl eines mweltvergeilenen Philoſophen“.“) Beide hegten die 


) Bivenot, II, 145. Mainzer Konferenzprotofoll vom 20. Juli 1792. 

) Bouchez et Roux, XV, 69, 

) M&moires de Madame Roland, publ. par Berville et Barriere, II, 187. 
Heigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Friedrichs d. Gr. bit zur Auflöjung des deutſchen Reichs. 1. 36 


502 Zweites Buch. Vierter Abfchnitt. 


Ueberzeugung, daß Franfreih verloren jei. Lafayettes Nordarmee werbe mit 
fliegenden Fahnen zum Feinde übergehen, das mitten im Lande ftehende, zucht- 
lofe Heer werde den Durchbruch des Feindes nicht aufhalten, in drei Wochen 
jei der Einzug der Defterreiher in Paris zu erwarten. „Haben wir darum“, 
rief Roland, „drei Jahre an der allerihöniten Revolution gearbeitet, um fie an 
einem Tage zu Grunde gehen zu jehen? Verhindern wir diefes Unglüd! Be: 
waffnen wir Paris!” !) Immer häufiger war das Wort zu hören: Aufftand 
ift die heiligfte Pflicht des wahren Patrioten! Den Ausschlag gab die Weigerung 
des Königs, einem Defret, wonad die eidweigernden Geiftlichen verfolgt werben 
jollten, jeine Zuftimmung zu geben. Darauf muß das Volk eine deutliche Ant: 
wort geben, riefen Briffot und feine Leute, die gefinnungstüdhtigen Minifter 
müſſen zurücdgefordert, dem Hof muß beilfamer Schreden eingeflößt werden. 
Am 20. Juni, dem Jahrestage des Schwures im Ballhaufe, follte eine groß: 
artige Kundgebung den Verrätern in den Tuilerien die Macht des Volkes vor 
Augen bringen. Die Bewegung ging von den Girondiſten aus, aber die Leitung 
ging ihnen bald verloren, der roheite Pöbel feierte Orgien in den Tuilerien, die 
Mitglieder der föniglihen Familie wurden in ihren eigenen Gemädern ſchmählich 
beihimpft und mißhandelt. Daß der von rafenden Raufbolden bedrängte König, 
um jein Leben zu retten, die rote Mütze aufjegen und auf freiheit und Gleichheit 
trinken mußte, wurde nicht bloß an den legitimiftiicden Höfen, jondern aud von 
vielen Franzofen ala Herabwürdigung der Krone und derNation empfunden. Des: 
halb ftaute auch nach den ſchamloſen Auftritten des 20. Juni die Bewegung zurüd. 
Die Girondiften hatten durch die Entfeffelung der Volksleidenſchaft nit einmal 
erreicht, was fie angeftrebt hatten; der König hatte fi) troß dem Gebrüll des 
‚leifhers Legendre und der gegen ihn erhobenen Spieße und Stangen ftandhaft 
geweigert, Roland zurüdzurufen und die Nechtung der Priejter zu genehmigen. 
„am 20. Juni”, jagt die Staöl, „zeigte König Ludwig alle Eigenjhaften eines 
Heiligen, da es zu jpät war, ſich als Held zu retten!” ?) Nachdem fih die erite 
Aufregung und Angft gelegt hatte, empfand der ehrenhafte Teil der Bürger: 
Ichaft die Mißhandlung eines Monarchen, einer fremden Frau, eines wehrlojen 
Mädchens, als eine Schmach für ihre Stadt. Auch an vielen anderen Orten 
waren ähnliche Greuel verübt worden, die Entrüftung über diefe Erniedrigung 
von Staat und Gejellichaft öffnete vielen die Augen, Faſt jämtlihe Departe: 
mentsräte, ſowie zahlreihe Städte ſprachen der föniglihen Familie ihre Teil: 
nahme aus; Lafayette ging felbit nad) Paris, um dem König gegen die Piden- 
träger und ihre Aushälter und, falls fih die Nationalverfammlung nicht zur 
nachdrücklichen Beitrafung der Nädelsführer entichließen jollte, auch gegen die 
„Faktiöſen“ feine Dienfte zur Verfügung zu ftellen. °) 

Doch dieſe Leute hatten das föniglihe Paar jo oft gedemütigt und ver: 
raten, daß ihre Schwenfung nur mit Mihtrauen aufgenommen wurde. „Der 
Königin”, fo verfihert ihr Milhbruder Weber, „dünkte es beffer, zu Grunde zu 


! Charles Barbaroux, Memoires, publ. par Berville et Barriere I, 37. 
) Staöl, Betradhtungen, III, 55. 
) Glaaau, General Lafayette und der Sturz der Monarchie; Hift. Zeitichr., Bd. 82, 279. 


Der Krieg und das Deutſche Neid. 563 


gehen, als ſich Verbindlichleiten aufzulegen gegen Schurken, welde die Masfe 
treuer Anhänglichfeit nur annahmen, um ihre Angft zu verbergen.“ !) Als bie 
Prinzeſſin Elifabeth ihre Schwägerin mahnte, das Vergangene zu vergeflen und 
ih an den Mann anzujchließen, der allein Rettung bringen fünne, rief die 
Königin: „Lieber fterben, als fi von Lafayette und den Konftitutionellen retten 
lafjen!” ?) Lafayette ſchlug dem König vor, nad Compiegne zu fliehen und 
fih dem Schuge der königstreuen Truppen anzuvertrauen; Ludwig weigerte fich 
aber, Paris zu verlaffen, da er im Süden in eine Sadgafje zu geraten fürdhtete 
und dur Flucht nach dem Norden nicht den Anfchein weden wollte, als trachte 
er den Deiterreichern entgegenzugehen. Lafayette möge feine Stellung als Heer: 
führer gut ausfüllen, ermiderte Ludwig auf ale Vorftelungen, dadurch werde 
der General das Vertrauen der Armee gewinnen und fi in ftand ſetzen, bie: 
jelbe im rechten Augenblide für die gute Sache aufzurufen.) Offenbar jegte 
Ludwig feine einzige Hoffnung auf die Ankunft der deutichen Heere. Um für 
die Anjhauungen und Wünſche des Monardhen Stimmung zu maden, wurde 
der Genfer Mallet du Pan mit einer Empfehlung des Königs nad Deutjchland 
gelandt. Er fand überall ehrenvolle Aufnahme, nur nit in Koblenz am Hofe 
des Grafen von Provence, der fich jeit der Gefangennehmung des Königs ſchon 
als Ludwig XVII. fühlte. Der Schweizer wurde nicht einmal vorgelaffen und 
mußte fih begnügen, einen Brief an die Prinzen zu übergeben. Das Leben 
der föniglihen Familie ſei ernftlih bedroht, war darin dargelegt, wenn ſich 
bourbonifhe Prinzen an die Spike deutſcher Truppen jtellen wollten; ganz 
Frankreich würde dann der jafobiniihen Behauptung, daß das Land auf An: 
ftiften der Emigranten den Schreden des Krieges preisgegeben werde, Glauben 
ihenfen, und vielleiht um einer einzigen unbedachten Handlung willen würde 
die Rache der Nation das ganze Königshaus treffen.*) 

Wie der Vertrauensmann Ludwig XVI. die Lage auffaßte, jchilderte er 
freimütig in feinen jpäter niedergeichriebenen Betradhtungen über die franzöfiiche 
Revolution. So lange es in Franfreih einen König und eine monarchiſche Kon— 
ftitution gegeben habe, fei unter „Gegenrevolution” nichts anderes zu verftehen 
gemejen, als MWiederherftellung der alten Verfaſſung mit ihren traurigen Mängeln 
und Fehlern; um die Mitte des Jahres 1792 habe alfo noch fein rechtſchaffener und 
aufgellärter Mann nad) einer Gegenrevolution Verlangen tragen fönnen. „Auf 
Verbeiferung, Umarbeitung, ja gänzlihe Umgeftaltung der von der National: 
verjammlung aufgebauten, abenteuerlihen Konftitution mußte gejonnen werben, 
aber nad) jo vielen unrubigen, angftvolen Tagen einfach den Zuitand, ber die 
Nevolution gezeugt hatte, wieder aufleben machen, das fonnte unmöglich in den 
Wünſchen einee wahren Patrioten und Menjchenfreundes gelegen jein!”®) 





’, Jos. Weber, M&moires concernant Marie Antoinette, reine de France, li, 198. 

2) Sybel, I, 409. 

’, Buchez et Roux, 15. tom, 249. 

*, Mallet du Pan, Memoires et Correspondance pour servir à lhistoire de la 
revolution frangaise, reeueillis et mis en ordre par Sayous, I, 296. 

°) Mallet du Yan, Ueber die franzöi, Revolution und die Urfachen ihrer Dauer, über: 
jegt von Friedr. Gentz, 175. 


564 Zweites Bud. Vierter Abſchnitt. 


Sn diefem Sinne ſprach Mallet du Ban aud vor den Bertretern der 
deutihen Mächte in Mainz, wo er vom 15. bis 18. Juli verweilte.!) Nament: 
lid) auf Betreiben diefes ebenſo aufgeflärten, wie fünigstreuen Politikers wurden 
für die Beteiligung der Emigranten am Feldzug jo enge Schranken gezogen. 
Mit diefen Grundfägen ftimmt auch das preußiſche Manifeſt vom 23. Juni 
überein, das in rubhigem, würdigem Tone die Gründe der Teilnahme Preußens 
am Kriege Defterreichs darlegt.”) Ausdrücklich wird hervorgehoben, daß nichts 
anderes beabfichtigt werde, als der Anardie in Frankreich zu fteuern, den im 
Eljaß begüterten deutichen Fürften zu ihrem Nechte zu verhelfen und den eigenen 
Staat gegen die Nufwiegelung der Jakobiner ſicher zu ftellen. 

Leider erhielt eine andere Kundgebung der verbündeten Mächte, das viel: 
genannte Manifeft des Herzogs von Braunfchmweig, durch Einwirkuug des „aus: 
wärtigen Frankreichs“ leidenjchaftlihere Züge. 

Am 25. Juli erließ Karl Wilhelm von Braunfchweig als Führer der 
vereinigten preußifhen und öfterreihiihen Truppen einen Aufruf an die Fran: 
zoſen, der einerjeits die Verfiherung enthielt, daß von den deutſchen Mächten 
nichts anderes als die Wiederaufrihtung des legitimen Thrones und der gejeß: 
lihen Macht beabfichtigt werde, andererjeits die Aufforderung, daß alle Bejon- 
nenen und Gutgelinnten an die Befreier ih anſchließen ſollten.“) Wer fih 
aber weigert, zur Wiederheritellung der Ordnung die Hand zu bieten, fol als 
Rebell zur Strafe gezogen werden. Die Mitglieder der Nationalverfammlung, 
der Munizipalitäten, der Nationalgarde find mit Leib und Leben für jedes un: 
ziemlihe Vorgehen gegen die föniglihe Familie verantwortlid. „Die Stadt 
Paris mit allen Einwohnern ohne Unterſchied joll ſich fogleih und ohne Zögern 
dem Könige unterwerfen und ihn in volle Freiheit jegen; für jede neue Be: 
leidigung der föniglihen Familie ſollen alle Mitglieder der Nationalverfammlung, 
jowie der Staats: und Gemeindebehörden mit ihrem Leben verantwortlich ge: 
macht, die Stadt Paris ſoll einem militäriſchen Strafgericht und gänzlicher Zer: 
ftörung, die wiberjpenftige Einwohnerſchaft der furdtbariten Rache ausgeliefert 
werben.” 

Magifter Laukhard, der bei Beginn des Feldzuges als preußiſcher Soldat 
im Luremburgiihen ftand, verfichert, alle Welt habe von diefem Manifeft er: 
wartet, daß es die deutſchen Armeen der Mühe überheben werde, in Frankreich 
einzubringen; er jelbft habe freilich der Nürnberger gedenken müfjen, die feinen 
hängen, fie hätten ihn denn. ‘) 

Unwilltürlih drängt fih die Frage auf: Wie fonnte Karl Wilhelm von 


!; Mallet du Pan, M&moires, I, 306. 

2) Kurze Darftellung der Gründe, welche Se. Majeftät den König von Preußen bewogen 
haben, gegen Frankreich die Waffen zu ergreifen; Polit. Journal, Ihgg. 1792, 802. 

®) Declaration de Son Altesse le duc rögnant de Brunswick-Lunebourg, commandant 
les armées combinces de SS. M. M. l'’empereur et le roi de Prusse, adressée aux habitans 
de la France; Buchez et Roux, 16. tom., 276. — Heigel, Das Manifeft des Herzogs von 
Braunfchmweig vom 25. Juli 1792; Situngsberichte der Hiftor. Klaſſe der Münchner Akademie, 
Ihgg. 1896, 633. 

4, F. €. Laufbards Leben und Schidfale, III, 99. 


Der Krieg und das Deutſche Neid. 565 


Braunſchweig, der aufrihtige Freund der Aufflärung und der franzöfifchen 
Litteratur, ein Fürft, deffen „Fineſſe“ von Mirabeau gerühmt wird, dem noch 
furz vorher von der franzöfiihen Nationalverfammlung ehrenvolle Anerbietungen 
zjugegangen waren, für ein Schriftftüd von jo gewaltthätigem, prahleriſchem 
Charakter feinen Namen hergeben? Dieje Frage it jchwer zu beantworten. Zur 
Löſung des Rätſels ift behauptet worden, dem Herzog babe ein Konzept ohne 
die berüdtigte Stelle von der Bedrohung der Stadt Paris zur Unterzeihnung 
vorgelegen; als ihm ſpäter das gefälfchte Dokument in die Hand gefommen, 
habe er es zornig zerriffen, ohne jedoch den Mut zu finden, es öffentlich zurück— 
zumeifen.!) Auch der freilich als Gewährsmann nicht unverbädtige preußifche 
Oberſt Mafjenbah erwähnt eine Neußerung des Herzogs: „Sch würbe gern mein 
Leben hingeben, wenn ich die Unterzeihnung des Manifeſts ungejchehen machen 
könnte!“?) Vieleicht hat der Herzog wirklich die Veröffentlihung des widerwärtigen 
Schriftftüds in vertrautem Kreife beflagt; ganz gewiß ift aber die Fälſchungs— 
gefhichte erfunden; der Herzog hat, daran it nicht zu zweifeln, das Manifeft, 
fo wie e& gedrudt vorliegt, unterzeichnet. Abgefehen von der jchuldigen Rück— 
ficht auf Kaifer und König, Karl Wilhelm war zu ſehr Soldat, als daß er fi 
im Augenblid des Einmarſches in Franfreih von philanthropiihen Erwägungen 
oder perjönlichen Neigungen hätte leiten laſſen. 

Der Erlaß einer auf Einfhüchterung der Oppofitionsparteien berechneten 
Erklärung der friegführenden Mächte ift auf unmittelbaren Wunfch des fönig: 
lichen Paares zurüdzuführen. Marie Antoinette ſchickte ſchon bald nad ber 
Kriegserlärung dem Grafen Mercy „Ideen, welche die Grundlage des Wiener 
Manifeits bilden folen”, in welchen aber feine Drohung enthalten ift.?) Da: 
gegen wurde, als der König den Schweizer Mallet du Pan mit dem Entwurf 
zu einem Manifeft der Mächte beauftragte, in der Inſtruktion ausdrüdlich ge: 
fordert, es jollten die Mitglieder der Nationalverjammlung und der Behörden 
perfönlihd mit Gut und Blut für alle gegen ben König und die fönigliche 
Familie, ſowie gegen Leben und Eigentum der Bürger gerichteten Angriffe ver: 
antwortlih gemacht werben.‘) Einen nad diefen Richtpunften bearbeiteten Ent: 
wurf legte denn aud Mallet du Pan den deutſchen Staatsmännern in Mainz vor. 
Sybel vermißt in diefem Schriftitüd eine entjchiedene Gemwährleiftung, daß die 
verbündeten Mächte nicht bloß feine Eroberung, fondern auch nicht die Wieder: 
aufrichtung des Feudalitaates in Frankreich beabfichtigten.’) Eine Andeutung war 





) &o die Memoires tirds des papiers d’un homme d'etat sur les causes secrötes, 
qui ont determine la politique des cabinets dans la guerre de revolution depuis 1792 
Jasqu’en 1815 (Paris 18283—1838), I, 404, ein Werf, das früher in hohem Anfehen ftand 
und fogar bem preuß. Stantäfanzler Fürften Hardenberg zugefchrieben wurde, von Ranfe und 
Sorel aber als eine von den Publiziften Schubart und Beauhamp zurecht gemachte Kompilation 
nachgewieſen worden ift. Der unkritiſche Michiels (L'invasion Prussienne en 1792 et ses 
consdquences, 1880, 235) läßt trogbem die M&moires tirds des papiers d’un homme d'état 
ald Werk Hardenbergs figurieren. 

?) Maffenbah, Memoiren zur Geſchichte des preußiſchen Staates, I, 236. 

2) Feuillet de Conches, VI, 4. 

) Mallet du Pan, M&moires, I, 284. 

) Sybel, I, 491. 


566 Zweites Bud. Vierter Abichnitt. 


aber wenigitens gegeben in der Verfiherung, daß zwiſchen der geſetzloſen Partei 
und ben freunden einer gemäßigten Freiheit unter einem Monarchen mit gejeglich 
beihräntter Machtvolllommenheit unterihieden werden follte. Allerdings hätte 
noch Elarer und beftinnmter ausgeiprochen werden fünnen, daß die Bundesgenoſſen 
des Königs ebenjowenig, wie diejer jelbit daran dädten, die wichtigſten Er: 
rungenihaften des Jahres 1789: die Zugänglichkeit aller Aemter und Ehren für 
alle Stände, die Aufhebung der gutsherrlichen Rechte und die Abſchaffung der 
Kirhenzehnten, rüdgängig zu machen. Doc nicht einmal die abgeſchwächte Be: 
tonung des Konftitutionalismus, wie fie Mallet du Pan fi erlaubt hatte, fand 
den Beifall der deutichen Staatsmänner; aus Dlallets Entwurf wurde wohl der 
eine und andere Gedanke bei Abfaſſung des Manifefts berüdfichtigt, aber in jo 
vergröberter form, wie fie der kluge Schweizer nie gebilligt hätte. 

Dagegen wurde ein anderer, mehr der Auffafjung und den Wiünfchen der 
Emigranten entiprechender und auch aus ihrem Lager gefommener Entwurf zur 
Grundlage der „Deklaration“ beftimmt. Im Auftrag des Grafen Ferien hatte 
denjelben Herr von Limon, früher Finanzdireftor des Herzogs von Orleans, jeit 
furzem aber ein feuriger Anhänger der legitimen Grundfäge, ausgearbeitet und 
in Frankfurt den faiferlihen Miniſtern übergeben.) In Main; wurde das 
Schriftſtück auch dem Grafen Schulenburg mitgeteilt, und nach Vornahme einiger 
Menderungen fam dasjelbe in den Drud. Die wichtigſte Menderung war der 
Abftrih der ganzen Einleitung des Entwurfes. Später itellte Limon die Be: 
bauptuna auf, nur diejer Abjtrih habe den üblen Eindrud des Manifefts in 
Frankreich verjchuldet, denn ohne die vorbereitenden, erflärenden Worte habe die 
Drohung mit der Einäſcherung von Paris nur als brutale Prahlerei wirken 
fönnen?). Zugleich beklagte Limon die verfrühte Veröffentlihung des Manifeits; 
man habe ihm in Mainz verſprochen, dasjelbe erit, wenn die Armeen der Ver: 
bündeten vor den Thoren von Paris jtänden, befannt zu machen; ftatt deflen 
jei die Kundgebung ſchon bei dem erften Einmarfch ver Preußen auf franzöfiiches 
Gebiet erfolgt, aljo zu einer Zeit, da die Pariſer nod gar feinen Anlaß hatten, 
fih beunruhigt zu fühlen. 

Die eine Beſchwerde ijt jedoch jo wenig begründet wie die andere. Der 
geftrihene Teil des Entwurfes — Limon hat denjelben geiondert al& Maniteste 
de tous les peuples ?) erſcheinen laffen — iſt im Tone nicht minder heraus: 
fordernd und beleidigend, als der beibehaltene, und in Bezug auf die Veröffent: 
lihung ergibt fih aus den Briefen Limons an Schulenburg gerade das Gegen: 
teil des ſpäter Behaupteten. Der Verfaſſer verlangte Verteilung von großen 


', Mäheres bei Heigel a. a. D., 648, mit Zugrundelegung der im Berliner Staatsardiv 
verwahrten Horreipondenz in Betreff der Entihäbigung Limons für die Auslagen bei Aus: 
arbeitung des Manifefts. Yimon erhielt 1793 vom Wiener Hofe 200 Friedrichsdor, während er 
in Berlin mit feiner fyorderung abgemwielen wurde. „Hoffen wir nunmehr,” jchrieben die Minifter 
Haugwis und Alvensleben am 13. Februar 1795 an den ehemaligen Kollegen Schulenburg, 
„diefen läftigen Querulanten auf immer abgeftreift zu haben“. 

2) Schreiben Limons an den König von Preußen vom 16. Dftober 1796. 

’) Auch eine Meberfegung erihien: Manifeit aller Völler genen die franzöſiſche Revolution, 
von einem auägewanderten Franzoſen (Wien 1792). 


Der Krieg und das Deutiche Reid. 567 


Maſſen von Eremplaren an die Mitglieder der Generalverfammlung, die Befehle: 
baber der franzöfiihen Feitungen und die Bürgermeifter der franzöfiichen Städte; 
Schulenburg beichränfte fih auf Verſendung an Zeitungen und die fremden Höfe. 

Die Wirkung war jedod eine ganz andere, als die deutfchen Monarchen 
und ihre Ratgeber erwartet hatten. 

Den ins Pulverfaß fallenden Funken nennt Michelet das Manifeft. Der 
Verfaſſer der Geſchichte der Schredensherrichaft, Mortimer-Ternaur, beflagt, daß 
mit diefem Scriftitüd den Gegnern des Thrones ein furdtbares Beweisftüd in 
die Hände gejpielt wurde. Sorel nennt das Manifeft „berühmt in der Gejhichte 
der diplomatiſchen Unverſchämtheiten“. Sogar der in feinem Urteil immer ge: 
mäßigte Chuquet verliert, daß an unermeßlich verderbliher Wirkung der un: 
bejonnenen Herausforderung des franzöfiichen Volkes nicht zu zweifeln fei. 

Es braucht nicht erft nachgewieſen zu werben, daß die Meuterei vom 
10. Auguit 1792, die den Sturz des Königtums nad ſich 309, von langer Hand 
vorbereitet war. Die Klubs und die Kommune fonnten nicht bei dem halben 
Erfolg des 20. Juni ftehen bleiben; der 10. Auguft war die logiiche Folge des 
vorausgegangenen Angriffes auf den Königsthron. Man darf alfo wohl jagen: 
Das Manifeft des Braunichweigers hat die Schreden des 10. Auguft ebenjo 
wenig heraufbeſchworen, wie ein freundlicheres fie verhindert hätte. 

Doh beſchleunigt hat es vielleiht die Abjegung des Könige, und vor 
allem gab es den Vorwand zur Beihönigung der rohen Gemwaltthat, denn nun 
fonnte den Drohungen des angeblih mit den Tuilerien verbündeten Auslands 
patriotijcher Stolz der beleidigten Nation entgegengejegt werben. 

„Welche Unwiſſenheit oder welche Kedheit fpricht fih in diefem Schriftſtück 
aus!” ruft der ‚Moniteur‘ gelegentlicd der eriten Bekanntmachung am 3. Auguit 
aus,!) „wenn ein Franzoſe jo etwas mit ruhigem Blute lejen kann, dann möge 
er fih zu der Hand voll Leute jchlagen, denen unjre alten Minifter und nad 
ihrem Beijpiel der Fremdling den jauberen Namen „gejunder Teil der Nation“ 
gegeben haben; er ift unwürdig, feine Eide zu halten und für des Volles Frei: 
beit zu fechten!... Das franzöfiiche Bolt muß fih nun jener Wüteriche er: 
wehren, jener Elenden, bie jchon jeit drei Jahren darnad) lechzen, die Bruft des 
eigenen Vaterlandes zu zerfleiihen, muß ſich zugleich erwehren der Tyrannen, 
die es im eigenen Intereſſe auf den Untergang einer freien Monardie ab: 
gejehen haben!” 

König Ludwig ſuchte den üblen Eindrud des Manifeits dadurch abzu: 
ihwähen und von fich abzulenken, daß er der königlichen Botſchaft, die der 
Nationalverfammlung das Manifeit zur Kenntnis brachte, die Verficherung bin: 
zufügte, er werde an Ernft und Eifer in Verteidigung des WVaterlandes von 
niemand fich übertreffen laſſen. „Man wird niemals erleben, daß ich mich über 
Ruhm oder Vorteil der Nation hinwegſetze, daß ich mir von den Fremden oder 
von einer Partei Gejege vorjchreiben laſſe; bis zum legten Atemzuge will ich 
die nationale Umabhängigfeit verteidigen!” ?) Allein die Verlefung der fönig- 


!ı Moniteur, 1792, Nr. 298. 
) Buchez et Ronx, 16. tom., 311. 


568 Zweites Bud. Vierter Abjchnitt. 


fihen Worte wurde öfter durch Murren unterbroden und auch der volltünende 
Schluß nur mit finfterem Schweigen aufgenommen. An jhönen Worten, rief 
Ducos, habe es dem Könige nie gefehlt, doch die Thaten jeien nur ein fort: 
geiegter Verrat am Vaterlande. Isnard behauptete, das Manifeft entipredhe 
durchaus den Anfichten und Wünfchen der Tuilerien, ja, Maire Pethion begehrte 
im Namen der Pariſer Sektionen jofortige Abjegung des Königs und Berufung 
eines Nationaltonvents. „Feindlihe Armeen bedrohen unfer Gebiet, zwei 
Deipoten veröffentlihen gegen die franzöfiihe Nation ein ebenfo unverjchämtes 
wie albernes Manifeftl. Schon ftellt der Feind an den Grenzen unferen Soldaten 
jeine Henker entgegen. Um den König zu rädhen, haben Tyrannen den Wunſch 
Galigulas erneuert, daß fie mit einem Schlag allen Bürgern Frankreichs den 
Untergang bereiten wollen.” 

Zwar zeigte jih, daf die Nationalverfammlung für die Pläne der radi— 
falen Gruppe des Stabthaufes noch nicht reif war; die Mehrheit verwies ben 
Antrag an einen Ausfhuß, was von den Jakobinern als Niederlage empfunden 
wurde. Um fo leidenjchaftliher wurden die Schmähungen Isnards und die 
Forderungen Pethions in den nächſten Tagen in Klubs und Volksverfammlungen 
wiederholt, bis der entjcheidende Angriff auf den Thron gewagt werden fonnte. 
Der 10. Auguft, im wejentlihen das Werk Dantons, brachte Aufftand der Vor: 
ftädte, Sturm auf die Tuilerien, Flucht des Königs in die Nationalverjamm- 
lung, Abjegung des Oberhaupts der vollziehenden Gewalt „zur Sicheritellung 
der Oberhoheit des Volks und der Herrihaft unbefchränfter Freiheit und Gleich: 
beit”.!) Die abgefegten Gironbiften Roland, Servan und Claviere gelangten 
wieder auf ihre Minifterftühle, doch zu ihrem Kollegen wurde von einer ftarfen 
Mehrheit der Nationalverfammlung Danton ernannt, — ein ſchlagender Beweis, 
daß eine neue Wandlung der Revolution fi vollzogen, das Regiment der „rüd: 
fihtslofen“ Umſtürzler begonnen hat. 

Dieje Entwidelung der Dinge in Frankreich wäre zweifellos dazu angethan 
gemwejen, den Kriegseifer der Verbündeten zu beleben; die Monardie konnte ja 
nur gerettet werden, wenn ihren Verteidigern rajcher Sieg zufiel, ehe Frankreich 
zur Aufbietung feiner unermeßlichen Hülfsmittel Zeit gewann. Trotzdem bildete 
für die maßgebenden politifhen Kreife nicht der Krieg mit Frankreich den Mittel: 
punft der Intereſſen; während die Heere langjam gegen Frankreichs Grenze 
rüdten, war die hohe Diplomatie vorwiegend mit der Frage beihäftigt: wird 
es zu einer neuen Teilung Polens fommen, und welche Ausdehnung wird fie 
annehmen? 

Gegen Ende des Yahres 1793 erſchien eine vom polniihen Unterfanzler 
Rallontaj verfaßte Schrift „Wom Entitehen und Untergang der polnifchen Kon: 
ftitution vom 3. Mai 1791”, fie follte den Beweis liefern, daß Polen nur der 
Vergewaltigung dur die Nahbarmächte erlegen jei; unzweifelhaft wäre es dem 
tugendhaften Reichstag gelungen, den Staat aus den jeit Jahrhunderten feft: 
gewurzelten anarchiſchen Zuftänden emporzubeben, wenn nicht, die Raubluft des 
Zarenreiches, die Tüde Preußens und der Verrat des Königs Stanislaus den 


!} Buchez et Roux, 17. tom., 18. 


Preußen und Polen. 5059 


hoffnungsvollen Anfängen ein jähes Ende gejegt hätten. Diefe dem ftarf ent: 
widelten nationalen Stolz Rechnung tragende Darftellung wurde für die Nation 
zum gejhichtlihen Dogma; erft in neuerer Zeit hat Kalinfa den Nachweis ge: 
liefert, daß Kallontajs Schrift ein einfeitiges Parteiinterefje vertritt, daß Die 
Schuldigen im eigenen Haufe, die Urſachen des jchmerzlichen Ereigniffes von 
1793 in den inneren Verhältnifien des Reiches zu juchen find. !) 

Damit find auch zum Zeil die Vorwürfe entfräftet, die von den be: 
rühmten, in ihrer Wirkung an die Yuniusbriefe erinnernden „14 Briefen 
über das Fürftenbündnis und die Teilung Polens und Frankreichs“ ins: 
beiondere gegen Preußen gerichtet wurden.?) Eine Teilung Frankreichs, To 
iſt hier ausgeführt, würde die fiegreihen Mächte noch weit gefährlicher machen, 
als es FFranfreih unter Ludwig XIV. war; um dieſe Gefahr abzuwenden, 
müffen alle anderen Nationen fi die Hände reihen. Dob nur Deflerreich 
würde dauernden Vorteil haben. Wenn Preußen fi mit Defterreih ver- 
bündet, jo gleicht es jenem ſchwachen Tiere in der Fabel, das fi eine 
Ehre daraus madht, mit dem Beherrſcher des Waldes jagen zu bürfen, bas 
aber bei der Teilung des Wildbrets mit Schreden gewahr wird, was ber 
Löwe als feinen Anteil beanſprucht. Auch eine Teilung Polens fann für 
Preußen nur jhädlih werden. „Der Berluft der Barriere, welche Polen 
bisher für Preußen gegen dieje furdtbaren Mächte (Rußland und Defterreich) 
gebildet hat, kann durd feinen vergängliden Gewinn erjegt werben, benn ein 
Drittel der Spolien von Polen in den Händen Preußens kann unmöglich zwei 
Dritteilen in den Händen diefer Nebenbubler, wenn fie gemeinjchaftlich zu Werke 
gehen, die Wage halten.” Oeſterreich wird immer danach traten, Schlefien 
wieder zu gewinnen, will auch Lothringen und Eljaß wieder haben und bie 
Rechte, auf welche ihm der Kaifertitel Anſpruch gibt, in vollem Umfange fich 
aneignen; es ift der natürlihde Bundesgenoſſe Rußlands, das fih, um das 
griechiſche Kaiſertum zu gewinnen, am liebiten mit dem ftärfiten und nächſten 
Nahbar verbinden wird. Es läßt ſich ſchlechterdings nicht begreifen, wie 
Preußen um zeitlichen, kleinen Borteild willen den freibeitsfeindlihen Plänen 
der großen Mächte Vorſchub leiftet. Und die preußiiche Politik ift nicht bloß 
unzwedmäßig, fie ift auch ungerecht! Denn wie läßt jich damit die im Bundes: 
vertrag vom 29. März 1790 gegebene Zulage des Schußes der polnischen Ne: 
publik vereinigen? Wenn in Polen inzwiichen infolge einer Revolution geſetz— 
[oje Zuitände eingerifjen wären, jo könnte einem Anjchlag gegen die Unabhängigkeit 
diefes Reichs menigftens ein bifchen Farbe verliehen werden; ‚wenn ſich aber 
ein Neih, deſſen Zerrüttung Iprichwörtlich geworden war, eine neue, von ganz 


) Kalinka, Der vierjährige polnifche Reichstag, über], von Marie Dohrn, II, 469. 

°) Die „Letters on the subject of the concert of princes and the dismemberment 
of Poland and France*, nur mit ber Unterihrift „A calm observer* verfehen, erichienen 
zuerft vom 20. Juli 1792 bis zum 25. Juni 1793 in dem engliihen Dppofitionsblatt The 
Morning Chroniele; aud in Buchform wurden fie herausgegeben, 1794 erſchien eine deutiche 
Ueberjetung. Der Berfafler ift nicht befannt; in England dachte man an den Earl of Chelburne 
(Bilbafoff, I, 654). 


570 Zweite Bud). Vierter Abſchnitt. 


Tugenden vom Bertreter Preußens hohes Lob gezollt wird, einen Thronfolger 
wählt, den Preußens Monarch ebenfalls laut und öffentlih als tugendhaften 
Fürften preift, der „dazu beitimmt ſei, Polen glüdlic zu machen”, und wenn 
dann Preußen trogdem einem Bündnis gegen Polen beitritt, jo handelt es 
gegen Bernunft und Vorteil, Recht und Gerechtigkeit! !) 

Auch in des polniihen Schagmeifters Oginsfi Denkwürdigfeiten wird auf 
den Wideripruch hingewiejen, daß der preußijche Gejandte Graf Golg am 16. Mai 
1791 im Namen jeines Königs der Befriedigung über die Umwandlung Polens 
in eine Erbmonardie Ausdrud gab, während nad zwei Jahren um diejer Ver: 
fafjungsänderung willen gegen Polen eingejchritten wurde.) 

Der Vorwurf Oginskis ift auch nicht gänzlich unberedtigt. Obwohl das 
preußiiche Kabinett durch die Warjchauer Vorgänge am 3. Mai 1791 überrafcht 
und peinlich berührt war, trug es damals Scheu, den Staatsſtreich öffentlich zu 
verwerfen, fonnte doch jeder Tag den Krieg mit Rußland bringen, die Hülfe 
Polens aljo von großem Nugen werden! Als aber die Kriegsgefahr geihwunden 
war, gab das preußiiche Kabinett freilich jein Mihvergnügen über die Um: 
geftaltung Polens verftändlich genug zu erkennen. Auch der Pole Kalinfa weift 
deshalb den von polnijcher Seite erhobenen Vorwurf, das Auftreten des Ber: 
liner Hofes im Jahre 1792 fei für die Polen eine jähe Ueberrafhung geweſen 
und deshalb als Hinterlift empfunden worden, als unbegründet zurüd; Graf 
Golg habe ja dem Könige und dem Konftitutionsfreunden durchaus nicht ver- 
behlt, daß Preußen jeit der Auflöjung der alten Verfaſſung auch jeine Ver: 
pflihtungen gegen Polen als aufgehoben eradte.’) „Es fonnte fein Zweifel 
darüber beitehen, daß der Bund mit Preußen einen Riß befommen habe.” 
Auch die Thatfahe, daß der Kurfürſt von Sachſen jelbft nicht gejonnen war, 
um den polnifchen Thron ſich zu bemwerben,*) fonnte vom preußijchen Kabinett 
zur Entjehuldigung angeführt werden, wenn es der früheren Zuftimmung zum 
Programm vom 3. Dai 1791 feine Bedeutung mehr beimaß. Won entjchei- 
dendem Einfluß aber war das Vorgehen Rußlands, das die Anerkennung der 
neuen Verfaflung Polens grundjäglic verweigerte und den Schuß des durch die 
„Revolution von oben” beeinträchtigten Teiles der polniſchen Bevölkerung für 
fih in Anjprudh nahm. Die Zarin fonnte ja, wenn fie mit den Waffen gegen 
die polnische Regierung auftrat, in der Republik ſelbſt auf gefügige Diener und 
Gehülfen zählen. 

Die Räder der Maſchine griffen trefflih ineinander. Felix Potodi, 
der für fi jelbit die Krone zu erlangen hoffte, Severin Rzewusfi, der 
nad fünfjähriger Haft in Sibirien demütig ins Lager feiner Verfolger über: 
ging, und Xaver Branidi, der infolge jeiner Verwandtſchaft mit Potemfin ein 
Parteigänger Ruplands geworden war, riefen die Hülfe der Zarin an. Ein 
nambajter Teil des polniichen Adels hielt fih für berechtigt und verpflichtet, 


') Briefe über das Fürftenbündnis, 116, 121, 123 x. 

*) Oginsfi, Denfwürdigfeiten über Polen; Pipik und inf, Bibliothef ausgewählter 
Memoiren, III, 1, 118. 

’; Kalinta, II, 571. 

+, Oginstt, III, 1, 123. 


Preußen und Polen. 571 


jein liberum veto und ſein Wahlrecht zu verteidigen, da nur durch Schwäche 
des Königtums und Unterbrüdung der Städte und des Bauernftandes die Auf: 
rechthaltung eines freien Gemeinmwejens verbürgt werde.!) Katharina ließ fich 
gern erbitten und jchritt unmittelbar nach Beendigung bes Krieges mit ben 
Türken dur den Frieden von Jaſſy (9. Januar 1792) zur „Ordnung“ Polens. 
Am 17. Februar 1792 eröffnete der Vizefanzler Graf Oftermann dem Grafen 
Gold, Rußland wolle die Bildung einer Macht erften Ranges an feiner Weit: 
arenze unter feinen Umjtänden bulden und erbiete fich deshalb zu freundbichaft: 
lihem Zufammengehen mit den deutſchen Großmädhten, die das nämliche Intereſſe 
hätten, unangemeflenes Wachstum und innere Feltigung Polens zu verhindern. 
Noch hielt fih Frievrih Wilhelm an den Vertrag von 1790 gebunden, doch 
war ihm auch Klar: die Ummandlung von ganz Polen in eine ruffiihe Provinz 
darf nicht zugelaffen werden. „Rußland ift nidht weit vom Gedanken einer 
neuen Teilung Polens entfernt,” erklärte er am 12. März feinen Miniftern, 
„das wäre freilih das wirkſamſte Mittel, die Macht eines polnischen Königs zu 
beihränfen, ſei er nun erblic ober wählbar. Indes zmeifle ich, ob fich dabei 
eine angemefjene Entihädigung für Defterreih finden ließe und ob nad einer 
ſolchen Beſchneidung der polniihen Macht der Kurfürft von Sachſen noch bie 
Krone annehmen würde. Immer aber wäre, wenn es gelänge, Oeſterreich zu 
entihädigen, der rufiiihe Plan der günftigite für Preußen, — wohl bemerft, 
daß Preußen dabei das ganze linke Weichjelufer empfinge und dieſe weite, jetzt 
ſchwer zu dedende Grenze fih dann wohl abgerundet fände. Das ift mein Ur: 
teil über die polniihe Sache.““) Diejer Auffalfung gemäß wurde dem rufii- 
ſchen Gejandten in Berlin, Alopäus, volles Einveritändnis mit dem Plane der 
Zarin ausgeiproden und in Wien zu gemeinfamem Vorgehen der drei Mächte 
gegen Polen eingeladen. Insbeſondere das Ableben Leopolds war verhängnis- 
voll für Polen, mwenigitens war die Annahme weit verbreitet, daß der fried— 
liebende Kaifer ebenfowenig die Kataftrophe in Polen, wie den Zuſammenſtoß 
mit Frankreich zugelaſſen hätte. Erſt nad Xeopolds Tod gelang es der Zarin, 
den Einfluß der Gegner ihrer Politif an den Höfen von Wien und Berlin 
völlig zu brechen. ”) 

Obwohl die Lage täglich düſterer wurde, glaubte man in Polen noch nicht 
an ernite Gefahr. Die erfte Wiederkehr des 3. Mai wurde in Warjchau mit 
braufender Begeifterung gefeiert. Ueberall ertönte Gejang mit dem Kehrreim: 
Der König mit der Nation! Die Nation mit dem König! Bei dem feftlichen 
Zuge nad der heiligen Kreuzkirche jubelten jung und alt, rei und arm dem 
Könige zu. Es war der lette, glänzende Freudentag des freien Polen! 

Am 14. Mai 1792 erließen die in Targowitich verjammelten Nuffenfreunde 
im Namen des gejamten polnifchen Adels einen Proteft gegen die neue Ver: 


) F. v. Raumer, Polens Untergang, 93. — N. Bain, The second partition of Poland; 
The English Historical Rewiew, 1891, VI, 33 (mit Zugrundelegung der Berichte des ſchwediſchen 
Geſandten Engeftröm in Warfchau). 

2 Sybel, 1, 465. 

3, Oginsti, IIT, I, 142. 


372 Zweites Bud. Vierter Abſchnitt. 


fafjung. Vier Tage fpäter ließ Zarin Katharina in Warjhau eine an die 
Targomwiticher Alte fich anfchließende Erklärung überreichen; fie fönne den Staats: 
ftreih nur als Beleidigung aufſaſſen, da fie die alte Verfaſſung gewährleiſtet 
habe; auch Bedrüdung von Rufen und Rufjenfreunden habe fih der fogenannte 
Konftitutiong-Reihstag zu Schulden fommen laſſen, jo daß die Kaiferin zu ihrem 
Bedauern fih gezwungen ſehe, Truppen in Polen einrüden zu laſſen.) Da 
die Rüftungen noch in den Anfängen ftedten, beichloß der Reichstag, die im 
Vertrag von 1790 verbürgte Hülfe Preußens anzurufen. Allein Luchefini er: 
flärte, der König von Preußen habe feinen Anteil an den Neuerungen des ver: 
floffenen Jahres, halte fi alſo auch nicht für verpflichtet, zum Schuße der neuen 
Verfaſſung die Waffen zu ergreifen. Als Graf Ignaz Potodi nad Berlin eilte, 
um im Namen der Republik den König jelbit um Beiltand anzugehen, waren 
ihm nur üble Erfahrungen befchieden. Wo immer er anpodte, fand er nur 
froftige Aufnahme; der König Stanislaus und der Reihstag, jo wurde ihm 
erwidert, haben durch ihr voreiliges, gewaltthätiges Vorgehen die Zarin gereizt 
und beleidigt, müſſen alfo auch die Folgen fich jelbft zufchreiben; die erbetene 
Bundeshülfe wurde flipp und klar verweigert.) Am Einverftändnis zwiſchen 
Preußen und Rußland ift nit mehr zu zmweifeln, jchreibt der bairiſche Ge: 
ſandte am 16. Juni an feinen Hof, und was dies für Polen zu bedeuten hat, 
wird ſchon die nächſte Zukunft enthülen! 

Nah einigen Scharmügeln zwiſchen ruffiihen und polnischen Truppen kam 
es am 17. Juli bei Dubienfa zur Schladht. Die Polen durften fich des Sieges 
rühmen, mußten fi aber, da ihnen eine ruffifhe Abteilung aus Galizien in 
den Rüden fiel, eilig zurüdziehen. König Stanislaus, der noch am 3. Mai 
feierlich verfidert hatte, an die Aufrehthaltung der Verfaflung fein Leben zu 
jegen, bot zuerft der Zarin feinen Verzicht auf die Krone an; als ihm aber 
bedeutet wurde, er habe nichts anderes zu thun, als jih an die Konföderierten 
anzufchließen, erklärte er fich auch dazu bereit. Die Unterzeihnung der Targo: 
witſcher Akte dur den König (22. Juli 1792) bedeutete den Sieg der ruffiichen 
Partei. Poniatowsky und fein Unterfeldherr Kosziusfo, der Sieger von Dubienfa, 
und die meilten Offiziere legten ihre Stellen nieder, Ignaz Potodi, Malachowski 
und andere Batrioten flohen ins Ausland, die neue Verfaffung von 1791 
wurde aufgehoben und es war nicht mehr zweifelhaft, daß die drei Oftmächte 
oder doch Rußland und Preußen zur Forderung einer Abtretung beträchtlicher 
Gebiete fich vereinigen würden. 

Nicht die Beuteluft der Nachbarn allein war, wie jchon dargelegt wurde, 
am alle Polens jchuld; die Urſache lag tiefer, lag jozufagen im polnijchen 
Blute. Nitterlihe Eigenihaften und romantifher Schwung genügen nicht, um 
einen Staat lebensfähig zu erhalten. Volk und Regierung müfjen ebenjo ftarf 
im Entjagen wie im Wollen fein und feite Grundjäge haben. Der allzu be: 
wegliche, neuerungsjüdhtige, bei allem Stolze doch des flarfen Gemeinfinnes ent: 
behrende Volfscharafter war das ftaatsfeindliche Element; das haben unbefangene 





j Vom Entftehen und Untergang ꝛc. 11, 73. 
?) Bair. St.⸗Archiv. Bericht v. Poſchs vom 16. Juni 1792. 


Preußen und Bolen. 573 


Polen auch eingefehen. „Die Unredlichkeit,” jagt Kalinka, „das war das zum 
Sturze führende alte Erbübel der Polen!“ ') 

Daß fih Preußen einen Anteil an der polniſchen Beute fiherte, kann ihm 
vom politiihen Standpunft nicht zum Vorwurf gereihen. Es war eine Macht— 
frage. Das Ganze durfte nit dem Zarenreich zum Opfer fallen. 

Auch für die Zivilifation war die Teilung Polens fein Unglüd. Dumouriez 
iſt ficherlih ein unbefangener Zeuge. Er hatte die Verlotterung des polnijchen 
Heeres und Volkes jo gründlich fennen gelernt, daß er offen befundete, „bie 
Aftaten von Europa” würden nur gewinnen, wenn fie unter fremde Herren 
fämen.?) 

Dod wenn auch nicht in diefem bejonderen Fall, im allgemeinen war die 
preußiihe Staatsführung tadelnswert. ine veraltete, felbftfüchtige, ränkevolle 
Kabinettspolitit entſchied ſowohl in Berlin wie in Wien das Ya und Nein. 
Kalinka hat nicht unrecht, wenn er jagt: „Es hat jo mande Sntriganten in 
der Weltgeichichte gegeben, aber eine fo häßlich betrügerifche Politit, wie die: 
jenige, welche um dieje Zeit auf dem europäifchen Kontinent herrjchte, findet 
man nicht leicht wieder.” ) Auch Schlözer jchrieb damals an Herkberg, wer 
die Vorgänge in Polen billige, fünne den Franzofen nicht verdenfen, wenn fie 
nach den Rheinufern die Hände ausftreden. „Führen die Kabinette jelbft das 
droit de convenance ein, jo ift alles recht, was die convention nationale thut!” *) 

Krieg, der furdtbarfte Gewaltaft, wurde ohne Rüdjiht auf den Willen 
und bie Opfer der Unterthanen nur um Xanderwerb und zur Bereicherung der 
Dynaſtie bejchloffen. Das rächte fih, als den Söldnertruppen ein bewaffnetes 
Volk gegenübertrat. Siegesgewiß jandten die Fürften ihre Soldaten in das 
aufftändifche Frankreich, doch mit jugendlihem Ungeftüm wehrte fi die willens- 
einige Nation gegen fremde Gewalt, jchritt von der Verteidigung zum Sturm 
und bereitete in zwanzigjährigen Kämpfen den legitimiftiihen Waffen ſchmähliche 
Niederlagen. Nicht Paris, fondern Berlin und Wien, Nom und Moskau mußten 
fi) unterwerfen. Anſtatt der Wiedererwerbung von Elſaß und Lothringen für 
das Deutiche Reich folgte die Bejegung der blühenden Rheinufer, der Berluft 
ganzer Provinzen, die Verftümmelung und endlich der völlige Zuſammenbruch 
des Reiches. 

„Ein Erdbeben,” jagt Görres, „läßt ſich nicht ftillen, und wenn man 
Ströme Waflers in einen Krater leitet, er wirb nur um jo mwütender freißen 
und ftärfere Lavabäche aus der Tiefe würgen.“ 

Der elementaren Gewalt der Sanskulottenheere waren bei allem Drill die 
Linientruppen der Höfe nicht gewachſen. Jene wähnten wenigftens für ideale 
Güter zu kämpfen, diefe jchlugen ſich für wenig danfbare Herren und um 
fargen Sold. Erjt als im deutichen Volk die altgermanifche Königstreue wieder 
lebendig wurde und in den Fürſten das Fridericianiſche Gewiſſen erwachte, ſchlug 
" man die Brüde über den Rhein! 








') Kalinla, Il, 322. 

La vie du general Dumouriez, I, 273, 276. 
*, Kalinta, II, 462, 

4 Schlöger, Biographie, II, 22. 


574 Zweites Bud. Bierter Abfchnitt. 


Gewiß, Taine und Tocquevile haben aufgeräumt mit der Legende ber 
„großen“, der „glorreichen” Revolution. Marat und fein blutgieriger Pöbel 
waren immer der Abfcheu aller menschlich Fühlenden, aber auch die donnernden 
Desmoulins und Danton, die pathetiichen Girondiften und der überlegen lächelnde 
Robespierre, jogar die „ewigen Menfchenrechte” find im Wert gefunfen. Dennod 
bleibt die weltgefchichtlihde Bedeutung der franzöfiihen Volkserhebung unge: 
ihmälert. Ihre Frucht war föftlih: eine neue Staatsordbnung mit ge 
re&terer Verteilung der Rechte und Laften. Das Gejpenft des Mittel: 
alters, die Ueberlieferung vom Fluch und Segen der Geburt, fpufte noch immer. 
Von diefem Alp wurde Europa in der Naht vom 4. Auguft 1789 befreit! 
Auf den Beſchlüſſen, die damals in der franzöfiihen Nationalverfammlung ge: 
faßt wurden, beruht unfere heutige Gejelihaftsordnung. Ya, jene heißblütigen 
Parlamentarier haben das hiſtoriſche Recht mit Füßen getreten, fih am Eigen: 
tum vergriffen und Heiligtümer des Gemütes entweiht. Nichtsdeitoweniger waren 
fie e8, die dem Menſchen und der Arbeit für alle Zeiten eine höhere Be: 
deutung gaben. 

Die kritiſche Forſchung hat in den Romanen der Mignet und Thiers die 
Uebertreibung und Berlogenheit gezeigt, doch ebenjowenig ift das Gezeter be: 
rechtigt, als ob alle That der franzöfiihen Revolution nur Vergeudung un: 
ihuldigen Blutes gewejen wäre. Die Dellamationen jener Kammer: und Klub: 
tyrannen mögen uns heute ebenjo anwidern wie das Geheul des Pöhbels, wir 
mögen uns über die Blutopfer der Guillotine und der Schlachtfelder entjegen, 
doch welcher Fortſchritt im Schidjal der Völker iſt ohne Jrrtümer 
und ſchwere Opfer errungen worden? jene Bewegung, die Gans mit 
Recht eine Bewegung des germanischen Geiltes in Frankreich genannt bat, war 
doch Frühlingsflut. Sie rig eine Welt in Trümmer, doch aus den Nuinen 
blühte neues Leben. 





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