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Full text of "Die bildene Kunst der Afrikaner"

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Die bildene 

unst der 
Afrikaner 





Leo Frobenius 



HARVARD UNIVERS1TY 




LIBRAKY 

Or THfc 

PEABODY MUSEUM OK AMERICAN 
ARCHAEOI.OC.Y AND ETHNOI-OC.Y 

F. VV Patim 
July 25, 1901 



Die 



bildende Kunst der Afrikaner. 



Von 

L. FROBENIUS. 



(StparataMruck au* Band XXYI1 [der neuen Folge Band XV II) der ilittkeilungtn der Anthropologin*** QtselUehaft 

in fVien.) 



> 

Mit 73 Text.Ill 



Wien 1897. 

Im Selbstverläge der Anthropologischen Gesellschaft. 



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FlFR, 



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RECEIVED. 
PFABODY MUSU:;. *~ 

Die bildende Kunst der Afrikaner. 

Von L. Frobenins. 

(Mit 73 Text-Illustrationen.) 



Einleitendes. 

Die vorliegende Studio verfolgt einen doppelten 
Zweck. Vor Allem soll geprüft werden, wie die Kunst- 
werk« der primitiven Volker herauswachsen aus ein- 
fachen oder complieirten Idccngiingcn. Dann sollen 
diese Ideengänge selbst und der Einflnss anf die 
eigenen Entwicklungsproduete beleuchtet werden. 

Wenn es sich hier also um die Feststellung einer- 
seits der Thatsachen und andererseits des Wesens 
primitiver Kunst handelt, so wird wohl weniger die 
Aufgabe in einem Lleberblicken aller Thatsachen und 
in einem Eingehen in alle Wesenszüge dieser durchaus 
fremdartigen Erschoinungswelten zu suchen sein, als 
vielmehr darin, an einigen Beispielen aus einer Kunst 
beide zu skizziren in der Weise, wie sie zunächst 
verstanden werden können. „Zunächst" soll hier 
heissen, das« die Wissenschaft seit kurzer Zeit mit 
neuen grossen Gesichtspunkten und Wirkungskreisen 
bekannt geworden ist und dass es sich darum handelt, 
sich zu orientiren, sich klar zu werden über die Art, 
wie die neuen Aufgaben gelöst und die Lösungen 
nutzbar gemacht werden können. 

E« sind zwei ausschlaggebende Eigenschaften, die 
die Afrikaner und ihre Werke auch -hier wieder als 
geeignetste Prüfsteine erscheinen lassen. Dieser Erd- 
theil — vom Süden, wo der Buschmann als Reprä- 
sentant der niedrigsten Culturstufe gelten kann, bis 
zum Nilthalc, in welchem einst die Aegypter die 
Gebildeten unter den Völkern des afrikanisch-asiatisch- 
europäischen Culturkreises waren — bietet einmal 
Beispiele aller (Kulturstufen bis zum „griechischen 
Wendepunkte", bietet zum anderen ein einheitliches 
Ganzes. Letzteres hat ja Rvtzbl, der in ausgezeich- 
neter Weise darauf hingewiesen hat, wie jeder fremde 
Zufluss verläuft, weil der Afrikaner jede Materie 
afrikanisirt, ausführlich besprochen. 

Von der Seite aus angesehen, ist das Material 
Afrikas ganz besonders geeignet zu derartigen Be- 
trachtungen ; andererseits ist es aber wegen derselben 
Eigenschaften sehr schwer handlich. Es fehlt jede 
scharfe Grenze, Linie. Sonderung, Eigenart in Ent- 
wicklung und Eutwicklungsprnducten. Völker, Ideen, 
Handfertigkeiten fliessen derart durch einander, dass 

MitUMÜUBito d. Anthrop. G«>«LUch. in Wi«n. Bd. XXVU. 1WT. 



es dem Forschenden meist unmöglich ist, Ursprung 
und Ausgang einer Strömung aufzufinden. 

Wer sich aber damit begnügt, die Richtungen 
und Eigenarten der Entwicklung zu erkennen und 
festzustellen, der wird stets mit reichen Ergebnissen 
vom afrikanischen Arbeitsfelde heimkehren. Nur von 
einem hohen Standpunkte aus betrachtet, wird der 
Afrikaner, sein Geistesleben und seine Kunst ver- 
standen werden können. 

1. Die Thatsachen. 

Die Menschenfigur als Schnitzwerk, Zeichnung und 
Ornament soll der Betrachtung unterworfen werden. 

lieber die Plastik der Naturvölker ist sehr wenig 
gearbeitet worden. Die ergebnissreichste Abhandlung 
ist die von Jci.um Lanuk, *) der in allen Schnitz- 
werken und Sculpturen der Völker vor den Griechen 
die Frontallinie, jene Linie, die, die Geschlechtstheilo 
mit der Stirne verbindend, Nase, Kinn und Brust halbirt, 
nachweist. Diese Linie ist auch eine allen Menschen- 
bildern Afrikas eigentümliche. Sie wird wahrschein- 
lich als eine Folge der Entwicklungsweise erklärt 
werden müssen. 

An der Menschenfigur war den Künstlern aller 
Zeiten der Kopf Hauptwerthstflck. Dem Künstler der 
Jetztzeit ist er als Ansdrucksbild von Geist, Charakter 
und Empfindung bemerkenswert!). Dem Griechen er- 
schien er, sozusagen, als architektonisches Glied am 
wichtigsten. Welches Interesso hat die Negerkunst 
an ihm gefunden, dass sie ihn meistens bedeutender 
an Umfang und eingehender in der Gestalt behandelt? 
Hier kann nur das Studium des Schädelcultes Lösung 
und Antwort bringen. 

Wilson, der längere Zeit unter den Pongwe woilto, 
erzählt Folgendes : Die Schädel ausgezeichneter Men- 
schen werden mit grosser Sorgfalt aufbewahrt, aber 
immer verborgen gehalten. Es ist vorgekommen, dass 
man einem erst kürzlich verstorbenen, angesehenen 
Manne den Kopf abgeschnitten hat und denselben 
auf Kreide austropfen Hess. Man hält das Hirn für 

<) Julius Lixoe, ,Billcdkun»ton« Proinrtilling af Mennm- 
kikki'Uen i cl«?n» aeldate Periode intic Henjirpacktat af den 
grartke Kunst", Koppunhaycn. 

1 



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— 2 - 



den Sitz der Weisheit und die Kreide saugt dieses 
angeblich ein. wenn man sie während des Zersetzung»- 
processes unter den Kopf legt. Wer dann mit solcher 
Kreide seine Stirne bestreicht, in dessen Kopf steigt 
die Weisheit dessen ein, dessen Hirn die Kreide 
eingesogen hat.') Von der Goldküste berichtete einst 
Artiii s, dass der dem Urtheil des Fürsten Verfallende 
hingerichtet wurde. Danach versammelten sich die 
Freunde und Verwandten, ihn zu betrauern. Die Männer 
also die Angehörigen — thatcn das Haupt in 
einen Topf und kochten es, bis das Fleisch ausfiel, 
worauf sie dasselbe mit der Brühe verzehrten und 
die Hirnschale als heilig aufhingen.') Aus Ostafrika 
ist Aehnliches bekannt. Nach dem Tode eines Wadoe- 
Häuptlings wird von der jungen Mannschaft irgend 
.ein Fremder mit tiefschwarzer Haut getödtet und 



Sitte, den erschlagenen Feinden mit dem Haumesser 
den Kopf abzuschlagen, im Hinterlande allgemein 
üblich. Auf Kriegszügen ist diese Thätigkeit der 
allgemeine Vorzug und das traditionelle 
Recht der Familien ältesten. In einem Orte 
des Otschi-Sprachgebietes wird dem Hauptgotte Sia 
geopfert. Demselben muss jedes Jahr eine neue, mit 
einem Menschenschädel angefertigte Trinkschale dar- 
gebracht werden, weil er aus einer gewöhnlichen 
Kürbisschale nicht zu trinken pflegt. Naturgemäss 
wird nun Jeder, der eine solcho Trinkschale bringt, 
als besonders tapferer Mann angesehen, weil er einen 
Menschen erschlagen hat.') Die Missionäre, als Ge- 
fangene zum Zuschauen bei den Gräueln des Aschanti- 
Heeres gezwungen, sahen, wie Krieger aus frischen 
Schädeln sich Trinkgofäase schnitzten.') Anga-Anga 




Ahnenhilder und Verwandtes ans Afrika und Madagaskar. 



in den Wald geschleppt, woselbst ein eigens dafür 
bestimmter Mann, dessen Amt, wie l*ei uns das des 
Henkers, vom Vater auf den Sohn übergeht, die Leiche 
weiter behandelt. Er schneidet ihr die Hände ab und 
muss deren Fleisch ungesehen von Anderen heimlich 
im Walde verzehren. Den Kopf bringt er mit in's 
Dorf, wo nach Reinigung des Schädels aus der Hirn- 
schale ein Gefäss zum Biertrinken für das neue 
Stammesoberhaupt hergestellt wird.*) lieber die 
Schädelverwendnng im Togogebiet hat Herold Ver- 
achiedentliches in Erfahrung gebracht. Danach ist die 
') Wilboh, „WestÄirika*, S. 293. 

•j Abthib in Allgemeine Historien der Reisen, Bd. IV, 
S. 213. 

») Stohlmahh, „Mit Emin Pascha in'a Herz von Afrika*, 
S. 88; vgl. auch W. B»«man*, , Reine nach Ouinea«, 1708, 
8. 51. AehnUchea berichtete schon Kkait, „Reiaen in Afrika«, 
Bd. I. 



am Congo trank aus den ausgegrabenen Schädeln 
seiner Feinde Palmwein, ') die Neger am Cap Corse 
zu Artiius' Zeiten aus den Hirnschalen der erschla- 
genen Holländer.') Es ist das also als echt afrikanische 
Sitte zu bezeichnen. 

Als Camkrok das nördliche Uluba durchzog, traf 
er die Hütte an, die das grösste Heiligthum des 
Landes enthielt, „die grosse Median". Er schob einen 



') Vgl. Hkbold in „Mittheilungen au« 
gebieten", 1893, S. 61-65; 1892, S. 148. 

') Rahsatni und KChnf, ,Vier Jahre gefangen in Aschanti", 

S. 18. 

•) A. Bastiah, ,Die deutache Expedition an der Loango- 
kurte", Bd. D, & 92. 

«) Gotthard Arthuii, „Eine wahrhaftige und historiliche 
Beschreibung der üoldkttate*, 1601, 8. 110; Allg. Bist. d. R., 
IV, S. 10. Siehe auch HorruAx». .Abbeokuta", S. 200, An- 
merkung 2. Kaorr, „Die Xosakaffern* u. A. m. 



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Strafen dos Zenges hei Se ite, um die Beschaffenheit 

kennen zu lernen. Im Kreise aneinandergereiht lagen 
da eine Anzahl mit Perlen geschmückter Schädel. 
Es waren die Schädel von Häuptlingen und Brüdern 
des Herrschers, die sich gegen ihn empört hatten, 
aber besiegt und getödtet wurden. 1 ) Der Schädel 
eines weisen Häuptlings in derselben Gegend '} ward 
von seinem Bruder in einem Topfe aufbewahrt und 
bei öffentlichen Angelegenheiten hervorgeholt.') Die 
Wapare sorgen vor Allem dafür, das* der Kopf eines 
Todten bestattet wird. Zunächst wird der Körper in 
einer Grube inmitten der Hütt*» versenkt. Nach einem 



Freien, in holden Bäumen, unter überhängenden 
Bäumen oder an unheimlichen Orten.*) Die Bube 
bestatten die Todten auf einigen Stellen der Insel 
derart, dass der Kopf aus der Erde hervorragt.') 
Stuhl* ann fand vor der Hütte eines angeblichen 
Wambuba-Zauberers den einstigen Bewohner derart be- 
stattet, dass die Hälfte des Schädels aus der Erde 
sah.') 

Die Kopfjagden der Indonesier und Nordwest- 
amerikaner sind allgemein bekannt, weniger die der 
Afrikaner. Die alten Jaga glaubten, erst dann 
muthig in die Schlacht ziehen zu können, wenn die 




Jahre wird das Gral) geöffnet, der Schädel der Grube 
entnommen und in einem Thontopfe in der Hütte 
aufbewahrt. Während das Skelet in der Tiefe bleibt, 
gilt es als unglückbringend, wenn der Unterkiefer 
fehlt. 4 ) Das ziehe Krankheiten nach sich, heisst es 
im Volksmund, und um das womöglich doch noch 
zu verhindern, wird eine Ziege geschlachtet und der 
Unterkiefer mit dem Schädel in den Topf gelegt, 
damit „der Todte kauen könne". In der Land- 
schaft Pari hängen die Töpfe statt in der Hütte im 

') Camkbok, „Quer durch Afrika*, Bd. II. S. 58. 
») F«. Rat«»., „Völkerkunde*, 2. AuH., II. Bd.. & 312. 
») II. FüoninoiT*, „Der Heidenneger im ägyptischen Sudan", 
S. 434. 

«) ücber Kinnladen and deren Bedeutung für den Schädel, 
siehe Hwiolo, ■. ». 0., 1893, 8. 65. Atb.xs in Allg. »ist. d. 
R., Bd. III, 8. 483. Sti-.il»***, a. a. O, S. 186 



ersten Gefangenen als Sühnopfer für die von den 
Seddaten des Heeres begangenen Verbrechen getödtet 
waren.') Im Otschigebietc darf an den Festtagen nur 
der mittanzen, der einen Schädel heimgebracht hat,') 
und oIm'üso wurden die Jünglinge der Jaga nicht 
eher unter die Zahl der Männer aufgenommen, als 
bis sie dem Hoeresführer zum Zeichen ihres Mnthes 
den Kopf eines Feindes gebracht, hatten.') Um den 



Nachbarländer», 

&*, 8, 97. 



') Oskaii Baumass, „Fsamhara und 
& 238 -239. 

») C).«KA« Bacmas», .Fernando Po nnd die 
A. Bas rt an, „Ein Besuch in San Salvador', 8. 320. 

•) BroauMM, a. a. O., S. 638. 

•) A. Bastiah, San Salvador, 8. 205. 

») Herold, a. a. 0., 1892, S. 148. 

•) Allg. Bist. d. R., Bd. V, S. 104, «ehe auch ebenda, 

S. 29. 



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Sinn zu enträthseln. i*t weniger auf dio Acus*<>rlich- 
keit der Form als das Wesen der Sitte zu achten. 
Es stimmt daher mit dem bis dato Gesagten überein, 
wenn Lenz sagt: es sei nicht eine Regel der Fan, 
dem Kannibalismus zu huldigen. Nur l>ei Siegesfe*ten 
komme es vor, dass die Gefangenen oder die ge- 
tödtoten Feinde verzehrt würden.') 

Mit voller Klarheit tritt der Grundzug dieser Sitte 
aber aus Folgendem hervor: Der König der Bara 
wird nicht eher bestattet, als bis sein Naehfolger 
eine Stadt erobert oder mit irgend Jemand, seinem 
eigenen oder eine* anderen Freunde oder Todfeinde 
bis zum Blutvergießen gekämpft hat.') Die Neger 
Angolas thun bisweilen ein Gelübde, eine gewisse 
gefährliche Unternehmung auszuführen, nehmen vom 
Könige Abschied und kehren nicht eher wieder, als 
bis sie solches in's Werk gesetzt haben.') 

Letztere Angaben beweisen die Verwandtschaft 
mit den Quixille-Tabu-Sitten und damit haben wir 
bekanntes Terrain erreicht. 4 ) Das Verhältnis» dieser 
Sitten zu anderen Zweigen der Ahnenverehrung ist 
nun leicht erkenntlich. 

Ratzel legt seine Auffassung des afrikanischen 
Schädeldienstes in den Worten nieder: „Der Schädel 
ist ein Todtendenkmal."') Bastian sagt: „Der Todten- 
schädel bildet für den Neger nicht das Memento mori 
des natürlichen Vergehens, wie es die ägyptischen 
Priester deuteten, sondern das böser Zauberei." ») 
Gewiss, es liegt eine grosse Macht in dem Schädel 
de» Verstorbenen ') nach nigritischer Anschauung und 
sicherlich sprechen auch gleichzeitig die Erinnerungen 
an die Verstorbenen aus dem Schädeldienste lebendig. 
Somit war Ratzel berechtigt, auf die Verwandtschaft 
der Schädel und Ahnenfiguren hinzuweisen, ein Ver- 
hältniss, das wohl am klarsten in folgender Formel 
erläutert wird : „In Folge Beeinflussung durch Schädel- 
dienstideen ward da/c Geisterpfahl zur Ahnenfigur." 

Doch, was ist der Geisterpfahl? 

') Oskab Lksci, „Skiwen an« Westefrika', S. 89. 

•) J. Sibiim, .Madagaskar', 8. 268. 

•) Allg. Hirt. d. R. r Bd. V, S. 30. Daran schliesst »ich 
an, was Luis erzählt, a. a. ()., S. 88. 

«) Ausführung Uber dio Enthaltung*gebote, siehe .Der 
Kameruner Schiffsschnabel und seine Motive' Ton L. F.. Nova 
Arta, 1896, I, S. 20—37. 

») Katisl, .Völkerkunde«, 2, II, S. 45. 

*) A. Bastia», „Loangokuste*, II, S. 82—83. 

•) Deshalb wird auch den Schädeln der Feinde eine gewiss* 
Verehrung gewillt. Noau, .Reise in'« Innere von Afrika*. 
S. 216. Canum», a. a. 0., Bd. II, S. 58. 



Worauf der afrikanische Walddienst zurückgeführt 
werden kann, ist schon erörtert worden.*) Demnach 
mag es genügen, auf einige wenige Facta hinzu- 
weisen, um eine Stellung zu den hier vorliegenden 
Fragen nehmen zu können. Im Walde, dem Wohn- 
platze der Ahnen und des Bundgeistes, macht der 
afrikanische Jüngling die Ceremonien durch, die der 
Vergeistigungsidee entspringen. Wenn er entlassen 
wird, gibt ihm der Weihe-Ganga ein Holz, einen Ast, 
einen Stab mit.*) Der Jüngling, jetzt der Mann, 
pflanzt den Zweig vor seiner Hütte in den Boden. 
Es ist das Bindeglied, das ihn mit den Geistern der 
Ahnen in Verbindung hält.') Der gleiche Sinn, in 
andere Form gekleidet, spricht aus der Sitte, den 
Geist des Besessenen in einen Ast, der alsdann vom 
Baume gebrochen und vor der Hütte des Kranken 
aufgepflanzt wird, zu bannen.') Die Mandingo- ') und 
Ngola ') - Neger denken oder dachten einst auch ein 
Gleiches, wenn sie die Verstorbenen entweder unter 
Bäumen bestatteten oder auf dem Grabe Stangen 
mit Lappen befestigten. Es ist immer dasselbe Motiv: 
der bastumwundene Stecken, der in Akwapim vor 
der Hausthfire als Schutz gegen böse Geister oder 
als Träger der gegen Feinde gerichteten Verwün- 
schungen aufgestellt ist;') die mit Kräuterbüscheln 
gezierten Pfähle, die wie die Kerbhölzer der Lendu *) 
als Schutz gegen Diebe auf den Feldern Kongos 
standen ; ') die Pflöcke, die die Xosa-Ganga zum 
Schutze gegen die Pocken unter dem Volke ver- 
theilten ; ") die Büsche, mit denen der König Aschantis 

') .Die afrikanische Baumverehrnng 4 von L. F. in ,Aus 
allen \Velttheilen\ 1895-1896. Heft 8. 

•) Ks** ('aii.lik, .Journal d'un royage a Temboctou*, 
Bruxelles 1830, Bd. I, S. 113. A. Bastum, .Der Fetisch", 
S. 11. BOmaorKs, „Kcisebildcr au» Liberia', Bd. II, S. 328. 
Rucwikn, .Kamerun', S. 25. Reicmmom in d. .Verhandlungen 
der Berliner Gesellschaft für Anthropologie. Ethnologie und 
Urgeschichte*, 1873, S. 180. Law», a. a. O,, S. 207. 

*) Ein ähnlicher Gedankengang ist es, wenn der Neger 
durch Behexung der Zähne, Haare, Nagel eines Feindes, Em- 
fluss auf den einstigen Trager ansahen zu können glaubt. 

•) Wasi», .Fünf Jahre unter den Stämmen des Congo', 
S. 30-31. 

•) Wimm, a. a. ().. 8. 54. 

') Wölk Wuma>», .Im Inneren Afrikas', S. 53. 

') A. Bastian, .Allerlei aus Volks- und Menschenkunde*, 

Bd. II, Einleitg., S. 54. 

*) Stuhmiak*. a. a. (>., S. 479. 

») Mknuli-a. „Eine Reise nach Congo im Jahre 1682', 
S. 627. und Aehnliches bei WirraaDono«, .Nachrichten von 
iKrSievra-Lurcn-Kuste*, Weimar 1805, S. 323, und E. Makxo, 
.Reine nach dir ägyptischen Aequatorialrirnvinx", S. 107. 

••) A. Knorr, T Dus Volk der Xosa-Kanern", S. 208, 



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den Schädel Beines gröbsten, noch nach dem Tode 
gefürchteten Feindes umstecken liess. 1 ) Wenn das 
liehen dos Dualla mit seinem Baume auf das Engste 
verknüpft ift'i und das Wohl und Wehe der Aschongo- 
und Muschikongo-IXirfer von dem Gedeihen des bei 
der Ortsgründung gepflanzten Baumes abhängt, so 
ist damit die Verbindung mit der südafrikanischen 
Mythe vom Hervorwachsen des Menschen aus den 
Bäumen ') gcgclwn. 

Da also dergestalt der Pfahl an der Stelle des 
Baumes auf den Gräbern steht, er sich als Pars pro 
toto von dem vom Ahnengeiste bewohnten Baume 
getrennt und dessen Bedeutung übernommen hat, so 
ist es berechtigt, ihn als Geisterpfahl, als vom Geiste 
belebt, als Geisteswohnstatt zu bezeichnen. 

Da, wo einst das Blätterwerk den Ast schmückte, 
an Stelle des trockenen Laubes *) ist der Lappen ge- 
treten. Eine Sammlung von Notizen über Lappen- 
bäume ist bei Andrkk zu finden.') Aber nicht allein 
Bündel von Stroh, Lumpen, zerbrochener Hausrath, 
Lappen etc. beleben die einfache Gestalt des Astes. 
Durch Vervielfältigung, •) durch Aufsätze von Hörnern,') 
durch Kerbschnitte wird die Erinnerung an seine Ab- 
stammung angedeutet. Letztere sind die wichtigsten 
Merkmale. Den Kerbpfählen auf den Feldern der Lendu 
entspricht der 4 Fuss lange, aus dem Holze der 
heiligen Habila geschnittene Pfahl, dessen Rinde in 
regelmässigen Abständen ringförmig entfernt ist. Er 
steht in einer kleinen Hütte neben den Behausungen 
der Somrai.*) Wie auf den Gräbern der Beeilen „mit 
Schnitzwerk bedeckte Pfähle, auf denen sich vasen- 
förmige Verzierungen erhoben 14 , •) standen, so werden 
in Molembo die Gräber durch „die Mti genannten 



') Bowuic», „Eine Mission nach <'ap-Coa»t-Cai>tle*. S. 369. 

») A. Bastu», „Loangoküste*, Bd. I, S. 1(54 16. r >. 

•) r Die afrikanische Bannrnrehrnng*, a.a. O., S. 292, 293. 

«) Juxhh, .HiUM.il in Afrika", I. 8 460. 

») R. Akdbiik. „Ethnographische Purallelen nnd Vergleiche*. 
Kbuiskkhank, „Ein 18jahriger Aufenthalt an dür Ocddküste*. 
S. 218. Lkü«, a. a. 0 , S. 21)7. 

•} D/kPPsa, , Afrika*, deutsche Ausgabe. S. 372. 

') Abbildung bei Lieutenant Ouvip, .Madagaskar and 
the Madagassj*, London 1862, 8. 14. J*u« S>aiu.r., „Madagaskar 
and ita paople 4 , S. 252. Madagassy Tonibs. Louis Catat. 
.Voyage a Madagaskar* in „Le Tour de Monde* 1894. S. 392. 
395, 397. Jaios Sibbkk, „The journal of the anthropological 
Jnatitut of Oroat Britain and Ireland", London 1892, Plate 16 
and 17. C'iuki.c» B'«»fiicT, .Madagascar, la Reine des Isles 
Africaines-, Pari» 1883. Siehe nnsere r'ig. . r > und G. 

•> NacNTioAu., „Reisen in Afrika*. Bd. II. S. '.85 -586. 
•) Siumer, „Madagaskar*, deutaehe Ausgabe, S. 260. 



Pfeiler mit Aufsetzen darauf bezeichnet*.') Das Werth- 
vollste ist die Mittheilung Schwrinfurth's fil>er den 
Schmuck der Bongogräber. „Die Bongo bezeichnen 
stets die Grabstätte durch Errichtung einer Anzahl 
hoher und beschnitzter Holzpfähle, die mit vielen 
Kerben und Einschnitten verziert sind und deren 
Aeste mit Benützung der natürlichen Gabelung wie 
zugespitzt erscheinen." Die Zahl dieser Votivpfähle 
schwankte von einem bis fünf auf jedem Grabe. Be- 
fragt nach dem Sinne dieser Schnitzwerke, erklärten 
ihm und Hklgi.in die Chartumer, „jede Kerbe be- 
zeichne einen im Kriege vom Verstorbenen Erschla- 
genen".*) Ratzel berichtet, dass in Afrika Gläubiger 
nnd Schuldner sich die Anzahl der geliehenen Werth- 
einheiten durch Einschnitte in einen Stock zu notiren 
pflegen und dass ebenso Kaufleute und Trager auf 
der R«ise die Anzahl der Nachtlager auf dem Wander- 
stabe markiren.') 

Schädel und Geisterpfahl werden in gleicher Weise 
als Wohnstätte des Geistes, des Ahnen angesehen. 
So verstellen wir ihre Verbindung. An der Goldküste 
»wurden früher Verwandte und Befreundete eines 
Häuptlings bei dessen Tode umgehackt. Ihre Körper 
sanken mit in die Grube. Die Köpfe aber wurden 
auf Stangen über dem Grabe aufgerichtet und das 
ist eine Zierde, die dem Todten zu hoher Ehre ge- 
reicht.') So ragen in allen Theilen Afrikas auf den 
Gräbern der Fürsten und Vornehmen die auf Stangen 
befestigten Schädel derer, die den Edlen ins Jenseits 
begleiteten, empor. 

Dem Sinne dieser Sitten entsprechen die Schwan- 
kungen der Formen. Von diesen ist vor allen Dingen 
zu sagen, dass der Wille, zu entwickeln, offenbar nicht 
vorhanden ist, dass am Schädelpfahle sich Merk- 
male des Körpers unwillkürlich zeigen, dass die 
Erinnerung an den Entwicklungsgang selbst an ver- 
hältnissmässig gut gebildeten Figuren (siehe den Kerl>- 
pfahl als Hals bei Fig. 14) noch voll rege ist, dass 
in allen hier vorgeführten Bildwerken (Fig. 1 — 14) 
der Gehalt an Idee die Ausführung der Form über- 
trifft. Betont muss aber werden, dass hier gerade 
solche Sehnitzwerke, an denen diese Eigenschaft be- 
sonders gut kenntlich ist. ausgewählt sind. Die 
afrikanische Plastik bietet durchaus nicht selten sehr 



') A B»«ti*x, .Loangoküste*, Bd. I. S. 164 : S. 39 und 

a. a. 0. 

»I .SciiwruriiKiH, „Im Herzen von Afrika*. 8. 119 12<i. 

») K» rrKi., .Volkerkunde*. 2. I, S. 235. 

*) All«. Hist. d. R , Bd III, S. 171. AbUdg, S. 170. 



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Amnlcttfigiir (22) und Becher au« dem ( onpobccken. 



gut ausgeführte Menschenbilder. Wenn an einer an- 
deren Stelle das Gesieht der Untersuchung unter- 
zogen wird, wird sie zeigen, dass die Plastik der 
Neger in technischer und künstlerischer Rücksicht 
mehr leistet, als die der meisten primitiven Völker. 

Die vorher erwähnte Erscheinung kann aber noch 
länger fesseln. Der Kerbbaum tritt auch häufig als 
Stützbalken des Daches auf (Fig. 15, 16). Als Wappen- 
pfahl (Fig. 20) endet die Entwicklungsreihe, die den 
analogen Ideengängen bei anderen Völkern vollständig 
entspricht. Wenn die Scepter der Häuptlinge als 
Kerbstäbe und Figurenschnitzereien (Fig. 18, 19) sich 
in den Museen befinden, so liegt dem und anderen 
offenbar auch wieder die Sitte zu Grunde, in Kerb- 
hölzern dem Geduchtniss, und zwar hier hinsichtlich 
genealogischer Ereignisse und Thatsachen, zu Hilfe 
zu kommen. Ein Scepter, wie Fig. 21 nach Dr. Wkulk, 
ist durchaus geeignet, diese Annahme zu unterstützen,, 
denn die Eidechsen unter dem mächtigen, mit palm- 
blattähnlichen Augenbrauen ausgezeichneten Gesichte 
gemahnen an die häufige Vermischung und Ver- 
wechslung von Menschen- und Eidechsenbild. 

Es ist wohl berechtigt, auf ein Vorkommen in 
Neu-Guinea hinzuweisen, auf jene Figuren, deren 
oberer Kopftheil fehlt und durch einen Menschen- 
schädel ersetzt wird, wenn im Inneren Afrikas Figuren 
mit offenen Köpfen zur Aufbewahrung mysteriöser 
Salben- und Zaubermittel dienen (Fig. 22). Das Ver- 
kümmern aller Gliedmassen auf Kosten des wachsen- 
den Kopfes und die Verwendung dieser Figuren als 
Trinkbecher (Fig. 23) erinnert so auffallend an andere 
Entwicklungsphasen der Ahnenfiguren, dass die Ana- 
logie des Trinkens aus Schädelbechern in die Augen 
fällt. Und da in fernerer Entwicklung die Köpfe sich 
paaren, gar zu vieren zusammentreten (Fig. 25, 26), 
so ist auch das verwandtschaftliche Verhältniss zu 
den Stammbauinbildungen bewiesen. Es liegt also 
nur eine neue Spielform der Bchon besprochenen 
Thatsachen vor. 

Die Fig. 27 u. 28 bieten typische Beispiele für 
das afrikanische Aug-Ornament. Dasselbe tritt sehr 
selten allein auf.') In regelmässiger Anordnung ziert 
e«, meistens stark umgebildet, die Gegenstände. Eine 
eigenartige Form in Tätowirung und auf Leder- 
arbeiten ist schon besprochen *) Es ist anzunehmen, 
dass an diesen Stellen das Aug-Ornament auf Ver- 
kümmerung von Thierfiguren zurückgeführt werden 
muss, da die Totems Tracht und Tätowirung auch 

•) VgL „Kameruner Srhimwhnabel*, a. •. 0., Fig. 4. 
•) Intern. Archiv für Ethnographie. 1896, Heft 5. 



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sonst beeinfluast haben. Auf diesen den Ahnenfiguren 
so nahe- stehenden Buchern ist das regelmässige Auf- 
treten des Aug-Ornamentes ') mit den Stammbaum- 
schnitzereien in Beziehung zu bringen. Das Oval der 
Kopfspitze (Fig. 29) enthält zwischen den beiden 
Augen das Zahnornament. Dasselbe ist in Afrika 
fast der ständige Begleiter des Aug-Ornamentes, wenn 
nicht Kreise, Dreiecke oder Rechtecke den Mund 
vertreten. 

Ebenso so häufig wie auf den Bechern kann das 
Aug-Ornament auf Malsringen der Bateke erkannt 
werden. Fig. 31 zeigt es dreimal. Das schönste der- 
artige Stück war auf der Weltausstellung in Ant- 
werpen zu sehen. Auf drei Vorsprflngen — wie auch 
Fig. 31 mohrere besitzt waren vorne rechts und 
links je ein Auge, in der Mitte durch concentrische 




Nackenstütze vom Sambesi (29) und Horn aus dem Congo- 
Becken (30). 

Halbbögen der Mund zur Darstellung gebracht. Dies 
Vorkommen gemahnt an Amuletschnüre vom oberen 
Congo, welche als Anhängsel kleine, meist kümmer- 
lich ausgebildete Figuren oder Köpfe tragen. End- 
lich ist Uber das Aug-Ornament noch hinzuzufügen, 
dass die Formen meist schwer erkennbar sind. Der 
Grund der Erscheinung bei der Darstellung auf den 
Bechern (z. B. Fig. 28) ist in dem Einflüsse der ge- 
flochtenen Gefässe zu suchen. 

Es ist bis jetzt die Darstellung des Menschen in 
der Plastik, die Auflösung des Gesichtes in der 
Ornamentik skizzirt worden. Dem möge die Be- 
trachtung des Menschen in der Ornamentik und 
Zeichnung folgen. Bei der Eintheilung der Menschen- 
bildnisse in solche von vorne und solche von der 
Seite tritt eine auffallende Thatsache hervor. Im Süden 
und im Norden, bei Buschmännern und Aegyptern 

') Die Auflösnnu im für Solche, die mit derartigen Orna- 
menten nicht bekannt sind, bei Wxstkhhanm gezeichnet. Monats- 
hefte I.XX1X, Decetuber 1895, & 340. 



ist die Profilzeichnung, bei den Negern die en face- 
Darstellung bevorzugt.') Der Vergleich ägyptischer 
und buschmännischer Bildwerke fällt entschieden zu 
Gunsten der letzteren aus. So freie Figuren (siehe 
Fig. 73), wie sie die Künstler der Wildlinge häufig 
zeichnen, sind bei den alten Aegyptern Seltenheiten. 
Zwischen diesen beiden Polen der afrikanischen Kunst, 
von denen der eine mit der Quelle, der andere mit der 
Mündung eines Stromes verglichen werden kann, tritt 
die symmetrisch gebildete Vorderansicht unter den 
Menschendarstellungen hervor. Die Vorliebe für die 
Symmetrie mag dies zumeist erklären. Weshalb haben 
aber fast alle diese Menschen gespreizte Extremitäten? 
Der Mensch theilt in der afrikanischen Kunst diese 
Eigenschaft mit nur einem Thiere — einige kleine, 




Fig. 31. Halbing aus Messing der Bateke (>,\ nat. Gr.). 
(Coli. BiIimanx im k. k. naturhistorischen Hofmuseum in Wien, i 

selten in der Kunst erscheinende, wie Schmetterling 
und Käfer, spielen fast keine Rolle — , mit einem 
Thiere, nämlich der Eidechse.') Die Aehnlichkeit von 
Eidechsen- und Menschenbildniss hat zu einer Ver- 
wirrung der Formen geführt, die uns berechtigt, vom 
Menschen-Eidechs- Ornament zu sprechen. 
Vergleicht man eine von Ratzri. ') abgebildete Puppe 
der Suaheli mit den Ornamenten auf Fig. 50 u. 52, 
so erkennt man den Umfang der Aehnlichkeit. In 

>) Letztere seheint sieh nur auf den Huttenwanden im 
Sudan zu finden. 

*) t'ebcr .Die Eidechse als Ornament in Afrika' hat 
Dr. Wm&tt kürzlich eine recht ansprechende Studie in der 
BASTux-Festschrift veröffentlicht, in welcher er dem Verfasser 
diene* an der Hand dc< eminenten Berliner Material«* einige 
Irrthüiiier und einen Zuichenfehler in dankenswerther Weise 
nachgewiesen hat. 

») Batxki., .Völkerkunde*, 2, II, S. 200. 



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mancher Weise äussert sich die Verwandtschaft und 
gegenseitige Beeinflussung der Formen. Fig. 47 u. 48 
sind die correspondirenden Ornamente auf zwei Beinen 
einer Kopfstütze. In Schnitzereien der Loangoküste 
wechseln Mensch und Eidechse einander ab. Auf dem 
Stammbaumscepter (Fig. 21) traten Eidechsen an 
Stelle der Menschen etc. Nicht nur aus der bild- 
lichen Darstellung, auch aus Mythe und Sitte spricht 
die Vermischung. Von geschwänzten Menschen und 
Thieren stammen die Ahnen ab; die über die Hütte 
hinhuschende Eidechse ist der Ahn selbst: der Seelen- 
wurm wächst auf zur Eidechse ') u. s. w. 

Fig. 34 u. 36 zeigen drei ttbereinandergesetzte, 
spitzeiförmige Figuren. Wir wissen von Mkrensky, 
dass diese „Zauberwürfel" die Namen „Männer" und 
„Frauen* tragen. 1 ) Der Aussage entspricht die äussere 



vorliegt., ein so (anscheinend) regelloses Hin- und 
Herschwanken, dass ein sehr grosses Material dazu 
gehört, die Fäden zu entwirren, und endlich, dass 
wir berechtigt sind, zunächst als Menschen-Eidechs- 
Omamente alle diejenigen zu bezeichnen, deren Her- 
kunft nicht ganz klar ist und bei denen es unsicher 
ist, ob mehr die Eigenschaften des Menschen oder 
die des Thieres überwiegen. Es ist ja zu hoffen, dass 
endlich auch diese Abtheilnng des Berliner Museums 
ihre Schleusen öffnen wird, dass Studien, wie die 
Weulk's, an Zahl wachsen werden, dass somit die 
Zeit nicht allzu ferne ist, in der eine gründliche 
Sichtung der Menschen und der Eidechsen in den 
Ornamenten Afrikas möglich ist. 

Aus der Reihe 40, 50, 34, 36, 38, 37, 39, 40, 
41, 42 können die Bezeichnungen der Ornamente 









34. 35. 38. 3». 40. 

Eidechsen- und Mensrhen-Bilder und -Ornamente aus Afrika. 




Gestalt der Hölzer. Doch ist es auffällig, dass das 
Ornament einer Entwicklungsreihe angehört, deren 
Ausgangspunkt eine andere Figur, als die Umriss- 
zeichnung der Hölzer ist. Das Ornament ist ent- 
schieden aus Zusammenklappen entstanden (Fig. 50). 
Nun zeigt Weule (auf S. 22), dass aus Kopf, Rumpf 
und Schwanz der Eidechse die gleiche Dreiellipsen- 
figur entstehen kann: und nimmt man noch gar 
dazu, dass Fig. 32 u. 33 der Bedeutung nach Fig. 34 
u. 35 entschieden verwandt sind, dass auf diesen aus- 
gesprochene Eidechsentypen sich befinden, die ebenso 
wie Fig. 50 zu einer Bildung wie auf Fig. 34 u. 36 
werden können, so wird zugegeben werden müssen, 
dass hier eine so grenzenlose Verwirrung der Formen 

<} .Kameruner Schiffischnabel 1 , a. a. 0-, S. 66-78. .Ein 
Motiv de» GefasscnUes", Verhandl. der Berliner Oes. f. Anthr.. 
Ethn. n. Urgesch.", 1895, 532 ff. 

») Meremskt, .Beiträge zur Kenntnisa »on Südafrika 1 , 
8. 42 ff. 



unter einander erkannt werden. Auch hier wirkt auf 
die freie Darstellung (Fig. 49) die Zeichnung im 
Flechtwerke (50) umbildend. Der Sinn bleibt, die 
Form verkümmert (34— 40). Fig. 41 u. 42 sind 
einige der Täfelchen, die den Dahomehern ein primi- 
tives Mittel des Fernverkehres waren. Ihre Form und 
die symmetrische Anordnung der Zeichen lassen noch 
den Ursprung ahnen. Die Ornamente auf den Schilden 
sprechen für sich selbst (Fig. 51— 64). Das Ornament 
auf Fig. 52 sehen wir zunächst als eine durch Eidechsen- 
Ornamente beeinflusste Menschundarstellung an. Der 
Schwanz kann im männlichen Gliede seinen Ursprung 
haben. Die Annahme, dass diesen Ornamenten das 
Menschenbildniss zu Grunde liegt, wird in Folge der 
Sitte anderer Völker bevorzugt. Das Verhältniss der 
Ornamente unter einander ist leicht erkennbar. Die 
Herstellungsweise (die meisten der Schilde sind ge- 
flochten), dann Verkümmerung der einzelnen Theile, 
Verdoppelung, Verlängerung gebrochene* Linien in 



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fortlaufendem Sinne, Verschiebung, Auflösung etc. 
führen so zum Kreuze, zur Zickzacklinie (ab- 
stammend von den Extremitäten), zum Karo etc. 

Diese Schilde gehören mit einer Ausnahme dem 
centralen und westlichen Afrika an, Fig. 61 aber und 
Fig. 65 — 72 sind Fabrikate der Ostafrikaner. Diese sind 
deshalb die interessanteren, weil auf ihnen mehrere 
Darstellungsweisen offenbar desselben Motive« durch- 
einandergeflossen sind. Das Ornament (Fig. 61), Mittel- 
mit seitlichen Zickzacklinien, entspricht den Ver- 




Fig. Mi. Menschenfigur auf einer Matte von Karengo bei 
St. Paul de I.oand». 
(Original im k. k. naturhistorischun Hofniuseiini in Wien.) 

zierungen der westlichen Stämme ; dasjenige auf 
Fig. 65 ist das gleiche, wie das auf den südafrika- 
nischen Zauberhölzern (Fig. 34) verwandte. Diesen 
beiden schliesst sich eine dritte, neue Form (Fig. 72) 
an, von der wir wohl annehmen können, dass sie 
mit den anderen stammverwandt ist ; einmal nämlich 
ist sie auf denselben Gegenständen, wie die nach- 
weisbaren Menschen-Eidechs -Ornamente angebracht 
und zum anderen Male entspricht sie halbirt auf der 

Mitibeüungoo d. Aaüirop. Ow*lUcb. in Htm Bd. XXVII. 1»7. 



einen Hälfte des Schildes der anderen Hälfte des 
fortgestellten Extremitäten-Ornamente« (Fig. 60). 

Das sich hier entrollende Bild ist hochinteressant. 
Offenbar bevorzugen diese unter dem nordöstlichen 
Einflüsse stehenden Völker die gebogene Linie. Den- 
noch haben sie auch dem südwestlichen Einflüsse 
nachgegeben. So lassen sie auf je einer Seite des 
Schildes je einem Verwandten sein Recht. Wichtig 
ist noch, dass die Bogen vom Ornament Fig. 65 
sowohl, dem Ursprünge entsprechend, an dem Mittel- 
stabe (Fig. 67) als an dem Aussenrande angefugt 
wurden (Fig. 69). 

Der Ueberblick über diese Thatsachen zeigt, dass 
wir es in der afrikanischen Kunst mit einem kleinen 
Schatze der denkbar einfachsten Formen zu thun 
haben. Ausnahmen sind sehr selten und erregen Auf- 
sehen und Argwohn. Die bevorzugte Linie ist die 
gebrochene mit dem beliebten „Rechten". Das Kreuz 
ist das Product vieler Reihen. Vielleicht kann man 
jedes Ornamentmotiv bis zur Auflösung in dieselben 
Linien verfolgen. Ein früher geschriebener Satz, 1 ) 
dass nämlich im Gegensatze zur melanesischen und 
indonesischen die afrikanische K ani t stets (."H**-** 
der Verkümmerung zuneige, kann hier wieder- 
holt werden. Die Folge davon ist, dass die afrikani- 
schen Sculpturen (siehe Fig. 26) die Durchschnitts- 
leistungen anderer Primitiver Ubertreffen. Gerade das 
Fehlen des orientalisch-phantastischen Zuges bei den 
Afrikanern ist hinsichtlich der Kunst ein wesent- 
licher Vorzug. 

2. Die Entwicklung. 

Einen Wendepunkt hat die Ethnologie über- 
schritten. Angeregt, zumal durch Lank Fox, H. Braut, 
Kahl, v. d. Sikinkk, Ehre-ndric-h, dann Schurtz, Holmks, 
A. R. Hon, Haddo.v etc., ist das Gebiet der Natur- 
völker-Ornamentik zugänglich gemacht. Eine Reihe 
von Arbeiten liegt vor, eine grössere ist zu erwarten. 
Der Erfolg wird der sein, dass man gar bald aus 
■der Kunst aller Völker „Motive* kennt, die als 
Figuren der Erscheinungswelt einsetzten und als 
Linienornamente endeten.') Da ist denn der Zeit- 

•) Wmtkbmimn, .Monatshefte', a a. O., S 333, Anmkg, 
Dr. Wkule schreibt mit Bezug auf diesen Satz : , Zwar 
herrscht die Kümmerform vor, doch nicht in dem Maaase, 
wie FaoBitaio» das betont.' Ob wohl WkviVs Arbeit gelitten 
hätte darch Streichung de« Nachsatzes? 

>) Das Ornament ist im Allgemeinen eine Figur, die an 
einem Gegenstände angebracht ist, ohne den Gedanken der 
praktischen Gebrauchserleichterung und die dem Gegenstande 
gegenüber in Sinn und Form eine dienende Stellang stets 

2 



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— 10 — 



punkt gekommen, einmal vor- und zurückzublicken, 
zu schauen, wo wir herkommen und wo wir hin- 
wollen, uns einmal klar zu machen, was diese neuen 
ThaUachen bedeuten, was aus ihnen spricht, in wie 
weit sie mit anderen Erkenntnissen in Zusammen- 
hang zu bringen sind, wie diese Ergebnisse für die 
Wissenschaft nutzbar gemacht, werden können etc. ; 
das sind lauter bedeutungsvolle Fragen, die hier 
natürlich auch nicht von Einem allein erörtert 
werden können, die hier nur von einem Standpunkte 
aus beleuchtet werden sollen. 



lernen, dass wir sagen können: .Wenn ein Stück 
dieser Art von da und da stammt, dann ist da* 
Motiv dieses Ornamentes dies und das." Das Er- 
gebnis* kommt in dieser Richtung erstens der Ethno- 
graphie zugute, die dann Gegenstände unbekannter 
Provenienz mit Hilfe der Ornamentlehre bestimmen 
kann, zweitens der Anthropologie ■ und Ethnologie in 
Fragen der Cultureinflüsse. Wo sich gleiche Motive 
finden, wird man, wenn es näher liegt, auf Uebcr- 
t ragung oder gar Verwandtschaft prüfen müssen. 
Dii'M'in engeren Gewinn der Studien wird der weitere 







53. 54. 55. 

Schilde aus dem Congobecken. 





57. 







59. 




60. 61. 
Schilde an- dem Congobecken und Ostafrika (Fig. ßl'i. 





Zum Einen wird das Ergebnis* der in Aussicht 
stehenden Arbeiten dadurch bedeutungsvoll werden, 
dass wir den Materialschatz jedes Volkes kennen 

einnimmt. E« gibt zwei Gruppen von Ornamenten. Die erste, 
die Materialornamente, verdanken der Technik ihren 
Ursprung; sie haben wohl niemals mit Figuren in Znsammen- 
hang gestanden. Die zweiten, die Charukterornamente, 
haben stets einen figürlichen Sinn, wenn dieser auch oftmals 
in Folge der degenerirten Form nicht mehr zu erkennen ist. 
Solche Formen nennen wir Linienornamente. Oft- 
mals und meistens in Afrika scheint der ursprüngliche 
figürliche Sinn der Linienornamente vergessen zu sein. 



in Erkennung von Gesetzen über Bewegung, Be- 
deutung, Abhängigkeit, kurz, Wesen der Kunst zur 
Seite gehen. Doch da, wo das Wort „Gesetz" einem 
Satze der Wissenschaft vorausgesetzt wird, fragt es 
sich, ob unsen* Schlüsse dazu berechtigen können. 

v. Litschan ') sagt von seinen Wurfbrett-Orna- 
menten : „Bei vielen ist die Darstellungsweise nicht 
mehr naturalistisch, sondern vollkommen stilisirt, 
ja verknöchert und derart theilweise oder voll- 
kommen unkenntlich geworden, dass eine Erklärung 

■) In der ,BisTi*n-FesUchriff, S. 149. 



— 11 — 



hier fällig unmöglich ist, wi'iin von ebenso Willigen 
als irertblown Schreibtisch-Hypothesen abgesehen 
wird. Ks schien mir ;iImt deshalb inn so nöthigcr, 
auch l)ieM zweifelhaften Typen hu r abzubilden und 
damit unsere Reisenden und Beamten draussen in 
den .Stand zu setzen, diese Darstellungen von den 



die alten, dem eonservativen Sinn entsprechend, 
wohl noch, alter ohne Bewußtsein der Bedeutung 
angewandt. Wcrthlosc Hypothesen sind es nicht 
mehr, wenn man die Studien den Reisenden mitgibt, 
damit sie wissen, was sie eigentlich zu forschen 
haben. Es i>t fast unglaublich, dass die meisten 




r»5. 







r>K. tifl. 

Schilds im« Ostafrika. 






Yi)i. 73. tietnäldu der Busihm&nncr. (Nach Axmbs.) 

Einheimischen erklären zu lassen - Nim ist zu he- unserer Heisenden mit deinscHten Marien an ethno- 
graphischen und ethnologischen Kenntnissen hinaus- 
ziehen, als zu Zeiten der ethnologischen Windclkind- 
aebaft. (»der bestätigen die wenigen hoch empor- 
ragenden Ausnahmen dies nicht? Den Werth der 
Hypothesen hat übrigens v. Liscimn sell>st nach- 
gewiesen; er zeigt sehr klar, dass die Zickzacklinie 



fürchten, das Beispiel der Bakairi und der Kaiaja 
stehe sehr vereinzelt da. Von den Naturvölkern, die 
naturalistische und stilisirte Ornamente neben- 
einander fBbreil, kann schwerlich ein VerstindniM 
der letzteren vorauszusetzen sein; die Aufmerksam- 
keit den „modernen 8 Ornamenten zuwendend, werden 



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- 12 - 



auf australischen Wurf- und Schwirrhölzem als 
Entwicklungsproduct der Menschenfigur angesehen 
werden kann. Und dies ist gleich das erste Er- 
gebnisa im Studium einer Ornamentik, von der früher 
gesagt wurde: „sie schliessc sich am häufigsten an 
thicrischc Muster an", v. Li schan wird sicherlich, 
wenn er noch einige Dutzend solcher Stucke in die 
Hand bekommt, die Bindeglieder und somit das Ver- 
ständnis» dieser jetzt noch räthselhaften Verzierungen 
auch ohne Angabe der Eingeborenen finden. Auch 
ohne Angabe, denn wir Ethnologen müssen es 
lernen, auch ohne Anmerkungen diese Texte zu lesen. 
Wie lange wird es währen, bis die lebenden Com- 
mentare der Vergangenheit angehören? 

Die in Frage stehenden Gesetze müssen bald 
aufgesucht und dann von Jedem berücksichtigt werden. 
Wenn z. B. von der afrikanischen Zickzacklinie ge- 
sagt wird: „ihr Ursprung gehe auf nichts Anderes 
zurück, als auf die potencirte Ausbildung der Extre- 
mitäten auf Kosten des übrigen Körpers", so ist 
damit die Grenze der Wissenschaftlichkeit schon 
überschritten ; es ist mit Leichtigkeit nachzuweisen, 
dass diese Linie ebensowohl dem Extremitäten-, als 
dem Schlangen-, dem Augen-, dem Zahn- etc. Motive 
ihren Ursprung verdanken kann, ohne dabei der 
Materialornamente — die Zickzacklinie auf Töpfen 
als Rest des Flechtwerkes — zu gedenken. 

Abgesehen von diesen Gesetzen, die bei schwel- 
lendem Strome von Einzelstudien baldiger Erkennt- 
nis« gewärtig sein dürfen, gilt es aber, sich über das 
eigentliche Werden, den Wachsthumsprocess, den Zu- 
sammenhang der einzelnen Erscheinungen in den 
primitiven Kunstformen klar zu werden. Hier fehlt 
vor Allem noch der wichtige L'ebergang von den 
Ergebnissen der Ornamentforschung und des Studiums 
der Kunstanfänge, lieber die Anfänge der Kunst 
liegt Prof. Grosse'* ') Werk vor, in welchem der 
theoretischesten aller Wissenschaften, der Aesthetik, 
die bunten Federn in einer Scheerung vom grauen 
Leibe gerissen sind. Die Aufgabe hat der Verfasser 
in ausgezeichneter Weise gelöst. Grosse hat den 
Stoff in Kosmetik, Bildnerei, Tanz, Poesie. Musik 
eingetheilt. Bildnerei und Ornamentik ist für uns 
das Wichtigste. Grosse setzt einen noch nie mit 
solcher Schärfe ausgesprochenen Gedanken ein, der 
beanspruchen kann, des Näheren erwogen zu werden. 

Im Erwerbszweige sieht er das durchaus Leitende 
der Culturform; er geht so weit, dass er aus jedem 

») Ernst Giomk, ,Die Anfange der Knnut", 1894. 



Verhältnisse, aus jedem Geräthe (Form und, wenn 
richtig verstanden ist, auch Ornament), aus jedem 
Theile des materiellen und geistigen Culturbesitzes 
das Wesen und die Wirkung des Erwerbszweiges 
- es kommen zunächst Jagd und Fischerei. Ackerbau, 
Viehzucht in Betracht — erkennen will. Er prüft 
die Kunst der primitivsten, der Jägervölker. Die 
Australier sind die Bevorzugten. „In Australien, hier 
in tiefer Abgeschlossenheit, hat sich in breiter Aus- 
dehnung eine Culturform lebendig erhalten, welche 
in den meisten anderen Gebieten vor ungezählten 
Jahrhunderten in die Nacht der Vergessenheit ge- 
sunken ist. In Australien findet man daher das 
reichste und werthvollste Material für da« Studium 
der Anfänge der Cultur.* Und so folgt für Grosse 
das hier in Frage Kommende, dass schon bei den 
Primitivsten die Charakter-Ornamente neben den 
Bildern und freien Kunstwerken vorkommen. 

Ist es denn aber wirklich so ganz fraglos be- 
rechtigt, die Australier als Beispiel von Völkern der 
primitivsten Cultur hinzustellen? Sollte diesen Wild- 
lingen nicht, ein sehr starkes Quantum aus den 
malaischen Sturzwellen lieigefügt sein? Anzeichen in 
Weltanschauung, Cultur und Mythologie scheinen 
das zu beweisen. 

Die ausgezeichneten Höhlengemälde der Australier 
und ebenso die analogen Leistungen anderer Völker 
führt Gkosse auf die scharfe Beobachtungsgabe und 
die manuelle Sicherheit als Erzeugnisse des fast aus- 
schliesslichen Jägerlebens zurück, ein vortrefflicher 
Gedanke, der ihm auch das Fehlen derartiger 
Schöpfungen im Culturbesitze der Nichtjäger erklärt. 
„Weder der Ackerbauer noch der Viehzüchter be- 
dürfen zu ihrer Erhaltung einer so hohen Ausbildung 
der Beobachtungsgabe und der Handfertigkeit : in Folge 
dessen treten dies«' Fähigkeiten bei ihnen zurück und 
mit ihnen das Talent für naturwahre Bildnerei." 
Anderen Ortes betont Grosse, „dass diese Anfänge 
der bildenden Kunst durch ihren unmittelbaren 
ästhetischen Lustertrag für die primitiven Völker 
einen Werth besitzen, den man gewiss nicht zu 
gering anschlagen darf." Wenn der jagende Wilde 
die Freude empfand, dann musste der Ackerbauer 
sie erben und das Aufhören der manuellen Geschick- 
lichkeit und der Beobachtungsgabe erklärt die von 
Gkosbr richtig erkannte Thatsache uVr verkümmernden 
Bildnerei nicht zur Genüge. 

Aber es ist ein anderer Punkt, der zu der Er- 
örterung führt. Die Charakterornamente neben den 
Bildern hat Ghossk nur bei den Australiern, die 



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— 13 - 



gerade in dieser Hinsicht nicht ganz nnbeinflusst 
erscheinen, gefunden. Im Theile über die Ornamente 
sind solche der Buschmänner und Batua nicht be- 
sprochen; sie haben keine — so lange nicht technische, 
von Kachharn übernommene in Frage kommen. Die 
Knnst der San beschränkt «ich auf Malerei und 
Zeichnen. Die anderen Afrikaner — wie immer in 
dieser Arbeit mit Ausschluss der semitischen und 
halbscm istischen Völker und Einflüsse • können den 
Buschmännern summarisch gegenübergestellt werden. 
Die Malerei fehlt. Die Kunst ruht auf völlig ab- 
weichendem Fundament. Liegt die ganze Bedeutung 
der Buschmannsbilder in den Kunstproducten selbst, 
so liegt, sie hier ausserhalb derselben, nämlich in 
der Anschauung der Producinnden. Da dort die 
Schwankungen der Leistungen Folgen grösserer Ge- 
schicklichkeit sind, da dort mit einem Blicke die 
Bedeutung hervortritt, so kann man sagen, das Wesen 
der Buschmannskunst sei klar, ihre Unabhängigkeit 
von jedem Stil eine naturgemässe, in sich selbst 
begründete. 

Ganz anders die Negerkunst. Dem Beschauer 
tritt eine so verwirrende Anzahl von Entwicklungs- 
reihen, von Fäden entgegen, das» er, um überhaupt 
eine Uebersicht über sie zu gewinnen, gezwungen 
ist, feste Punkte und Linien da anzunehmen, wo es 
keine gibt — thut er es doch, so folgt er nnr 
dem Zwange. Zwei Arten von Motiven können wir 
in dieser Kunst unterscheiden: 1. die sinnlichen 
(eigentlich die in sinnlicher Form dargestellten 
Motive); 2. die geistigen Motive. Sinnliche Motive 
sind die der Buschmänner, die Menschenbildnisse, 
Thiere, Figuren, die als solche sofort aus der 
Zeichnung erkannt werden, deren Bedeutung also 
der Darstellung entspricht. Geistige Motive sind 
solche, die eine figürlicho Bedeutung haben, die 
aber nicht unmittelbar aus der Darstellung erkenn- 
bar ist. Geistige Motive sind die Ornamente der 
Bakairi und Karaja, das afrikanische Kreuz mit der 
Bedeutung des Menschen, der Eidechse, der Augen 
etc., dann das Aug-Ornamont. wenn es dio ganze 
Figur vertritt, endlich der Geisterpfahl, wonn er 
als Bild des Golstes aufgefnsst wird. Zum geistigen 
Motiv gehört untrennbar der Gedanke — wenn es 
nicht als Ornament z. B. gedankenlos verwandt 
wird Zwei Kntwicklungslinien können wir in der 
afrikanischen Kunst unterscheiden. 1. Die sinkende 
Naturkunst. Die Ornamente beginnen als sinnliche 
Motive und endigen als geistige. 2. Die steigende 
Culturkunst, d. i. der Weg vom Geisterpfahl zur 



/Minenfigur. Es ist hieraus ersichtlich, dass es sich 
um Fragen nach Geistart und geistiger Thätigkeit 
des „Künstlers" (?) handelt, wenn die Frage nach 
dem Wesen und Werden dieser primitiven und 
primitivsten Künste erörtert werden soll. 

„Primitivste?" Kennen wir denn Menschen, die 
nicht das Feuer, eine Weltanschauung, ein Gewaffen 
besitzen? Wenn der Buschmann, der Mutua da« 
Eisenmesser vom Neger kauft, ja sogar wie jener es 
zu schmieden gelernt hat, dann ist es »icher nicht 
mehr „rein", ganz abgesehen davon, dass es in jeder 
Hinsicht schon über die denkbar tiefste Oultnrstnfc 
gewaltig emporgewachsen ist. Aber wie es möglich 
ist, nach Funden an Schädeln, Gerätben, Thier- 
knochen sich ein Bild zu machen vom prähistorischen 
Menschen, seinen Künsten, seinem Leben, so 
können wir uns auch vom urmenschlichen Geistes- 
leben ein Bild machen, indem wir die Linie der 
Thatsachen rückwärts über den Horizont verlängern. 
Es kann nur ganz skizzenhaft, ohne Prüfung des 
Verhältnisses zu älteren Meinungen — welcher Ver- 
gleich baldmöglichst an der Hand der Welt- 
anschauung vorgenommen werden soll — versucht 
werden, ein Schema zu zeichnen, in welches unsere 
Untersuchungsobjecte und Resultate eingefügt werden 
können. 

Die Annahme, das« die Primitivsten weniger den 
Gedanken als dem Instinct folgen, ergibt eine Drei- 
theilung für alle Cultur. nämlich einmal Völker des 
regierenden Instinctes, Völker der Schwankung, Völker 
des herrschenden Gedankens. Es würden also in- 
stinetive Handlungen, die aus dem unklaren Em- 
pfinden der Zweckdienlichkeit heraus vorgenommen 
werden, und logische oder berechnende Handlungen, 
die in Folge des Denkens als zweckdienlich erscheinen, 
in Frage kommen. Dem würde eine instinetive 
Logik und eine berechnende Logik entsprechen. Es 
ist mit Leichtigkeit aus der Geschichte der Welt- 
anschauungen nachzuweisen, wie der Rhythmus in 
der Natur, das gesetzmässige Abhängigkeitsverhältnis* 
aller Theile der Naturmaschinerie sich in den 
Schöpfungen (Anschauungen! des Menschen spiegelnd, 
umbildend und die Thätigkeit des Gehirnes erweckend 
einwirkt. Die Annahme eines nrmenschlichen Denkens 
ist keine zwingende: sie wird stets wieder schwanken 
müssen, wenn der Vergleich der denkenden ('lassen 
unserer eigenen Culturform mit den stumpfen, tief- 
stehenden herangezogen wird. IJrmenschlich sind 
die Empfindungen und Bedürfnisse, wenn sie auch 
unter dem regen Einflüsse der Cultur stehen. Wenn 

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der Hund seinen Knochen möglichst unbeachtet an- 
nagt, so tlnit er es. weil er den Neider fürchtet. 
Will der Negerfürst hei seinen Mahlzeiten Niemand 
zugegen wissen, so spricht daran- die Furcht vor 
dem bösen Blick. Wir aber sagen, es sei uns pein- 
lich, wenn uns Jemand heim T'.-sen zuschaut. 

Die Gipfelpunkte heider Sehöpfniigskrüftc sind 
Kunst und Wissenschaft, welche als Kinder ver- 
schiedener Abstammung i Natur und ( ultun oftmals 
wie ihre Kitern in Widerspruch, in Kampf geratheu. 
Die Merkmale sprechen allerorts. Ein Künstler mag 
sie im Klang, im Sang, in Farbe, in Form schildern, 
der Gelehrte kann d:e Liehe nur erklären, wenn er 
auf ihre Wurzel und Entwicklung eingeht. l ud das» 
das Denken kein Natur-, sondern ein Culturprnduct 
ist, ist schon daraus erkennbar, dass wir mit dem 
Gedanke» die Wirkungen grosser Kunstwerke, die 
aus der Empfindung geboren, in der Empfindung 
sich äussern, nicht erkennen können — trotz aller 
Aesthetik ! 

Wenn wir die Wildstämme als Völker der 
Schwankung, des Ueherganges bezeichnen, so ist 
mit deren gewaltigem Ringen — der Kampf des 
Menschen mit der harten Tyrannennatur mit der 
Gründung der Feste: .Cultnr", mit dem wechsel- 
seitigen Siege auch das Schwanken zwischen Instinct 
und Gedanke in Einklang zu bringen. Wie wunder- 
lich wachsen doch die Ahnungen und Erfahrungen 
durcheinander! Wie wirkt doch stets noch das 
Tiebergewicht der Instincte! Das Lebensbedürfnis* 
ist eine so gewaltige Kraft, dass es jenen furchtbar 
schwer wird, den Gedanken an die Natürlichkeit 
des Todes so zu erstarken, dass er das Bedürfniss 
überwiegt. Es erscheint als krampfhaft, wenn die 
alten Aegypter. diese klugen Menschen, das Todten- 
gerippe als Mcmento muri an der Tafel des Lebens- 
genusses aufstellten. Heute hat man den Maassstab 
für das „einst" Geleistete verloren. Wie zu Gott- 
heiten blickt der Guiturmensch auf den Erfinder der 
Dampfmaschine, ein Oelgemälde Böckliifs, die christ- 
liche Religion der Jetztzeit. Und doch! Wie viel 
grandioser waren die ersten Leistungen des denkenden 
Menschen, der erste Gottesbegriff, das erste Acker- 
geräthe, die erste Menschenfigur! Und wie erhaben 
und gewaltig unter allem Geleisteten ist die Schöpfung 
des Gedankens! 

Da alle Völker der Erde eine Sprache besitzen, 
so gehören die Menschen des Instincte*. die Ur- 
menschen, die Primitivsten, der Vergangenheit an. 
Die Erben dieses Urmenschen aber, diejenigen, in 



denen -ich noch die bevorzugenden Wirkungen der 
Einheit mit der Natur äussern, diese Erben sind es, 
die für Kunstgeschichte und Culturgeschichte gleich 
bedeutungsvoll sind als Menschen, aus deren Händen 
die ausgezeichneten Werke der Naturkunst hervor- 
gegangen. Die Funde in der Dordogne und bei 
Thüringen sind die Monumente dieser Kunst in 
Europa. Die nuschmannszeichnungen und Austral- 
malereicn sind die analogen Leistungen der Neger- 
völker. Was bei allen diesen Dingen auffüllt, ist die 
immense — für die Naturvölker — Formfülle, die 
hervorragende Naivität, der grosse Stoffreichthum 

alles, auch Landschaften und Baume findet sich — 
und das Fehlen jeglicher Wiederholung unter allen 
besseren Werken. 

Diese bedeutungsvollen Eigenschaften erhalten 
alle durch die Letztgenannte die Erläuterung der 
Form. Das Naive liegt darin, dass kein Vorbild als 
die Natur selbst gewählt ist. Das Zarte, das Jung- 
fräuliche, das Anmuthige, Natürliche, der Reiz 
schwand, sowie der Eine dem Anderen etwas nach- 
bildete. Sie schufen nicht mehr aus sich selbst, 
aus der Natur, die Opiaten der Naturkunst; sie 
ahmten sich selbst nach, schlugen durch Wieder- 
holung ') der eigenen Werke den Weg zum Stile 
ein. Der I'rocess steht mit der Opposition des 
Menschen zur Natur, mit der Schöpfung, dem Auf- 
bau der Cultur in enger Beziehung. Ist das Charak- 
teristische der Naturkunst das Fehlen der sich 
wiederholenden Motive, so ist das Bezeichnende 
der Culturkunst das Vorherrschen derselben. 

Wir haben somit eine Erkenntniss für die Be- 
urtheilung der Entwicklung schon gewonnen. Mit 
Hilfe dieser wird es nicht schwer fallen, alle weiteren 
Eigenthfimlichkeitcn unter bestimmte Gesichtspunkte 
zu bringen, zumal wenn wir uns jetzt des oben Ge- 
sagten über sinnliche und geistige Motive, über 
fallende Naturkunst, steigende Culturkunst erinnern. 
Verfolgen wir jetzt die fallende Linie der Naturkunst. 
Es muss dabei der Uebergang der sinnlichen in 
geistige Motive sich ergeben. 

Der Naturkunst entspricht in der Weltanschauung 
der Aniinismns. Als die ersten schwammigen Ge- 
bilde der Zauberkräfte und Geisterwesen die Um- 
gebung des Menschen umkreisten und Berge, Wälder, 
Seen, Ebenen, jeden Baum, jedes Thier, jeden Stein 
belebten, da waren die Menschen noch eins mit der 
Natur. Aber Wiederholung und Wiederholung trat 

') Auch 0»n«s». weist auf daa Auftreten d«s Khythrau» bei 
allen Kunstformen hin. (Bezug auf die Mosik!) 



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— 15 - 



ein. Musstrii die Väter den Söhnen, die Kinder 
den Knkeln die Anschauung klar vorlegen, dann 
traten schon diese Gebilde in Formen. Gestaltung 
nahmen sie auch an, indem sie an bestimmte Orte 
gefesselt wurden. Der Baum, der Stein, der Fluss. 
das Thier wurden zu Trägern und Stätten der Ideen. 
So sanken die wirren Massen nieder und indem sie 
in wenig Mythen sich concentrirten. ward et* mög- 
lich, sie in Verhältnisse zu einander zu bringen. Ks 
entstand ein wenn auch rohes, so doch klares 
System. 

In derselben Weist? entwickelte sich die Kunst. 
Durch Wiederholung ward ein bestimmter Motiv- 
schatz geschaffen. Durch Wiederholung ward zum 
Zweiten die Degeneration der Form erzengt. Durch 
die Wiederholung ward endlich aber auch der Geist 
geschult, durch die Erinnerung, durch die Festlegung 
derselben. Widmete der Mensch zur Zeit der Natur- 
kunst seine Aufmerksamkeit lediglich der Natur, mit 
der seine Schöpfungen harmonirten, so ward, je 
weiter er sich von ihr entfernte, desto mehr sein 
Interesse den eigenen Schöpfungen zugewendet und 
so sehen wir ihn nicht nur in Opposition zur Natur, 
sondern sogar in den Dienst der eigenen Gebilde, der 
Befreiungswerkzeuge, der Befreiungsarbeiten tretet). 
Der Höhepunkt dieser Linie ist gegeben, wenn 
der Mensch einem Begriff eine der Naturform in 
keiner Weise entsprechende Gestalt im Charakter- 
Ornament gibt. 

Ks besteht in der Kunst dieser Völker ein inter- 
essantes Verhältnis» zwischen Gestalt und Form. 
Steigt das eine, so sinkt das andere. Das Einhalten 
der Balance ist in unserer Kunst form das Ziel. Die 
primitiven Völker bringen ihre Ideen in Gestalten, 
die nicht der Natur angehören, und verlieren damit 
die Form. Diese Erscheinnng ist aber gleichbedeutend 
mit einer Formfessel. Die Befreiung von derselben 
kann nur durch eine Trennung von Kunst und 
Wissenschaft, und wenn es auch die primitivste 
Wissenschaft ist, erreicht werden. Dies geschieht 
durch die Bildung der Schrift. Die Linienornamente 
mit figürlicher Bedeutung sind als Rudimente einer 
solchen anzusehen. Ist auf diese Weise die Wissen- 
schaft, alias der Gedankenstrom, in einen ('anal ab- 
geleitet, so kann die Kunst sich frei aufschwingen. 
Unwillkürlich wird der Mensch gezwungen siehe 
Plastik , die Formen der ihren Gestaltenschatz 
uberall zur Schau tragenden Natur nachzubilden. 
Es bestehen in dieser Hinsicht als» zwei Linien 
nebeneinander, einmal der Entwicklungsgang 



der geistigen Motive (Entwicklung der Schrift), dann 
der der sinnlichen Motive lEntwicklung der Kunst). 

Entwicklung der Kunst soll heissen der C'ultur- 
kunst. Es wäre einseitig, das verwandtschaftliche 
Verhältnis« derselben zur Naturkunst leugnen zu 
wollen, ebenso irrig wäre es aber, die Entwicklung 
beider in einer ununterbrochenen Linie zu zeichnen. 
In der fallenden Linie der Naturkunst konnte die 
Quelle bezeichnet werden, während das Ende sich 
verläuft. In der steigenden Linie der Culturkunst 
ist das Verhältnis« umgekehrt. Der Strom der Er- 
scheinungen mündet in die griechische Kunst. Ja. 
wir können sogar Namen nennen. Poi.vklbt, Mykos-, 
und Piiimas haben die letzten Fesseln der Form, 
des Stilisirens, die Frontallinie aufgelöst. Beide 
Richtungen der Kunst haben in Afrika bei einem 
Volke die höchsten Blüthen getragen, nämlich bei 
den Aegypten!. 

Wenn das Ganze tabellarisch aufgezeichnet wird, 
so ist es leicht, die gewonnenen Erkenntnisse zu 
überschauen. (S. umstehend). 

Eine Tabelle ist immer ein Hilfsmittel, dessen 
schlimme Seite nicht vergessen werden darf. Sie 
drängt einem Stoffe Grenzen auf, die ihm ursprünglich 
fehlen. Man wolle sie daher auch hier als gleich- 
werthig den Karten der Meeresströmungen be- 
trachten. Das Spiel der Wellen und der Druck des 
Windes treiben das Schifflein ebenfalls. So ist es 
denn falsch, von festen Linien zu sprechen da, wo 
es sich um eine so flüssige Materie wie die Kunst 
handelt. 

Ehe wir sehlicssen. muss noch das Fehlen der 
I'hantastik. die geringe Ausbildung der Phantasie 
hervorgehoben werden. Es ist das eine Thatsache. 
die ungemein fördernd für die Entwicklung der 
Formen, d. h. die Trennung der widersprechenden 
Bestrebungen gewesen ist Wenn man mit der afrika- 
nischen — dieser Kunst, die sehr selten eine extra- 
vagante Form hervorbringt — die Neu-Mecklen- 
burgische z. B. vergleicht, dann wird einem die 
Thatsache sofort klar. Dort hat die Phantasie eine 
oft erstaunliche Formverwirrung bewirkt. Beim 
Menschen der Arm auf dem Kopf, beim Vogel der 
Schwanz auf dem Schnabel, ein Kopf und ein Schwan 
als Vertreter des Ganzen — solche Dinge sind nicht 
selten. Der Unterschied beider Künste äussert sieh 
zumal in einer Erscheinung. In Neil-Mecklenburg ist 
ein Niveau der Naturwahrheit, weil jedes Stück 
Ornament, stilisirt ist, und wenn es einmal in der 
Form natnrverwandt ist. so kann sich der Beschauer 



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— 16 — 



doch nicht des eigentümlichen Gefühles enthalten, 
es sei jeden Moment eine zauberhafte Auflösung, 
eine spukhafte Formverwirrung zu erwarten. In Afrika 
treten uns zwei Schichten entgegen, deren Mittel- 
werte an Natnrwalirheit sich mit den Endergebnissen 
der beiden Entwicklnngslinien i sinkende Naturkunst 
und steigende Culturkunstj ungefähr decken. So ist 
das Geistesleben der phantasiereichen Volker mit 
einem Strom vergleichbar, der seine Wasser weit 
ausdehnt über eine Ebene und sich in Armen. Sümpfen, 



nicht eingehen. Nur eine Thatsache wollen wir 
hervorheben. Es ist wunderbar für den Unkundigen, 
dass noch immer viele Musiker, Künstler, Gelehrte, 
Aesthetiker die griechische Kunstform als eine solche 
ansehen, auf der wir weiterbanen, die wir nach- 
ahmen sollen, die uns Vorbild sein müsse. Neuer- 
dings geht man so weit, dass ein Stichwort Nietzsche' s 
in Vieler Munde schwebt. Man spricht von „Panopticum- 
kunsl". — Für uns ist es verständlich. Denn wohl 
haben wir in der Wissenschaft, nicht aber in der 



Culturform 


Kunstform 


Wesen dcrsalben 


DankmlUr 




Sinnlich« Kunst 
(Die Knnst der Primitivsten. 
Heim« Naturkunst) 


| Die naive Kunst, 1. Epoche ' 
Freiheit von jeder Formfensel 
Fehlen der geistigen Motive ! 


Busch uiuunszeichnungen 


Naturherrschaft 
vorherrschend 


f.. 4 | .1*1 _ , _ 

h linst de» Leherganges 


Die sinkende Naturkunst 
Die Gewinnung d. Charakter- 
Ornamente 
Ableitung der Wissenschaft 
Vorherrschen der geistigen 
Motive 


Oh araktcr-Orn amente 
Rudimente der Schrift 
Geisterpfahl - Schädelpfahl 




(Die Kunst der Naturvölker) 


j Die steigende Oulturkunst 
! Die Wiedergewinnung der 
1 Form 

' Sinnliche Motive vorherr- 
i sehend 


; 

Schadelpfuhl — Mensclien- 
figur 

Aegypti»che Sculpturen 

Linicnornamente 

Bilderschrift 


Cullurherrschaft 


Geistige Klingt 
(Die Kunst der Cultarvölker. 
Reine Culturkunstj 


I Die naive Kunst, II. Epoche 
Freiheit von jeder Form fcssel 
Fehlen der geistigen Motive 


Die Schöpfungen der griechi- 
schen Kunst von den 
Schölorn des Ageladas 
ab. Höhepunkt Lyaippos 


vorherrschend 


Einführung der geistigen 
Motive etc. 


Römer, Griechen etc. 



Gräben auflöst. Der phantasiearme Geist der Afrikaner 
trägt aber die Cultur in einem nur zweigeteilten 
Strome dahin. 

Auf unserem ethnologischen Wege ist es hoffent- 
lich geglückt, eine Uebersicht über das, was jenseits 
des „griechischen Wendepunktes" liegt, zu ermög- 
lichen. Vielleicht ist das Gewonnene, das zwergen- 
haft klein aussieht im Vergleiche zu den grossen 
Aufgaben der Kunstwissenschaft, auch werthvoll 
für das, was nach den Griechen kommt. An dieser 
Stelle können wir darauf naturgemäss jetzt noch 



Kunst eine Kritik. Hätte unsere Zeit eine solche, 
und ich denke, die Ethnologie wird sie der Welt 
schenken, dann würde es Niemand schwer fallen, 
das Ueberwiegen der sinnlichen Motive in den An- 
fängen (bei den Griechen), das Ueberwiegen der 
geistigen in der Jetztzeit zu erkennen. Allerdings ist 
ein gewaltiger Unterschied zwischen den Kunst- 
formen einerseits vor, andererseits nach den Griechen, 
ein Unterschied, den wir am klarsten aussprechen 
mit dem Satze: Die erste Kunstepoche ringt 
Form und Geist, die zweite beherrscht nie. 



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Abbildungen. 



KiL' I und 2 Kerbpfahlc «uf den Fcld.ni der l.eudü narh 

STltllt,M*N«. 

3. Kerbprahl auf den «irahern der Bunge, nach S. iiwmn- 

KtBTB. 

4. Ahneiipfahl auf dem (irube de« Jsnga iBongol nach 

ScHlVKtKn'hlH. 

5. CrAl» rpfaiil v;.n Antanosy mich ).. (atat. 
Ii. (Srali].f-iWr aus Madagaskar nach Lroi kvm. vk la 

< '"Ui;r. 
7 »vhKdclpfahl. 

s Figur der Majakalla. Mus. f. Völkerkunde in Berlin. 

Sl<!. Kim> und Tah-krhlcic. 
<l. Figur vom Fischermajiti-See nach Rn-rrmorui. 

10. Stab vScepten der westlichen l.nnda. Mus. f Volkt-r- 
kunde in Berlin. 

11. Ahnenfigur der Bagos nach r'o K nxik«K i>r Nmii.Ri.ic. 

12. Figur au« dem Mündungsgebiete de« Niger Si.u. 
Fi.r.oiu. .Mu«. f, Völkerkunde in Berlin 

13 Ahnenfigur i?i v»m unteren Niger nach F«. Ratcri.. 
II Alnitnligur au» Nurd-tiuiiiea. MUaionsiiiuseuHi in 
lia«! 

1j Barhsthl/e Vornehmer in Bida nach Fi.ruki.. 
IC. Dactihtützc vum »irabe eine« Mnjansi nach Oskar 
Hauka*» 

17 Bo!^»*t»nder der Wn^uiih» nach ('amebor. 
18. S<. |-ti-r*tab der Waguhha nach » amkuor. 
1<I. S i-tcrstab di r Bakongo. Mus. f. Völkerkunde in 

Bri iura. 

20. Yord- -iv l)a.)ntütze eine* Tempels bei Banana nach 

• iri^iunlphutogruphie. 
21 ,\>i-hantiwoptcr nach K. Wtolb. 

22. Avmletttigur der nordöstlichen Baluha nach ('»«wi». 

23. U vlu r der Batetela. Mus. f. Völkerkunde in Berlin. 

24. aus Benguein. „ „ „ , 
2.'i. . der Bassongo-Mino. Mus. f. V-.lkurkunde in 

Berlin. 

2G. Becher der Baknba nach Batkma* ') 

27. Schachtel vom Ogowo nnch Tottu r>* mohux. 

28. Becher der Baliiba Mus. i. Völkerkunde in Berlin. 

29. Nackenstütze vom Zambesi. Mu*. f. Völkerkunde 
in Berlin. 

'1 Die Zeichnung ist genau nach Bvirrax ausgeführt, 
der die Augen offenbar falsch wiedergegeben hat. 



Flü 30. Aus lluiz g< sclmitztes Horn ans dein (\.ngol>i-(ki-n. 

Mus. f Völkerkunde in Berlin. 
, 31. Staattring der Bateke nach Okkak Üai'uaxis. 
. 32 und 33. Zauberhölzer der Wakonde nach K. WVui t. 
. 34—37. Südafrikanische Zauberwürfel nach Fr. Kaum,. 
38 Ornament auf d.-r Stirn einer Balimaske. Muh, f. 

Völkerkunde in München. 
. 3!» und 40 Südafrikaiiis. he/aiiber«-ürrelnachFt..UATXiti.. 
. 41 nnd 42 Botentafeln mit (icheimzeichen au« Dahomey 

nach dum .(flnhu*'. 

. 43 -4«. (icheiliaeichen auf denselben. 

. 47 und 4H (.'orresrmndireiide Zeichnung von den Beinen 

einer Kopfstütze der Kaffern nach F«. Ratzri.. 
» 4 ( .f Zeichnung von einer < 'ah/basse am den NiUündcrn. 

Mus. f Völkerkunde in Freiburg i. Br. 
. .V.» MenschenKgur von einergetliM-hteneu westafrikatiisclu n 

Matte nach \V. lins. 
» .'il. Schild der Sande nac h Bhotographii . 
. :i2. . „ Baluba. Muh. f. Völkerkunde in Berlin. 
. .»3 . , r Drexdeii, 

. r>4 . . Sande. . . , „ Berlin. 

. ;"•"» . . Bangala (am Congoi nach Com h hat 

und Wakü. 

. Schild der Sande. F.thnugrnphisches Museum in Wien. 

. :>7. . . Kaliierunhinterlandvölker nach Original- 
phntugraphie. 

, f»M. S- hild der Sande. Kaiser). Akademie in Petersburg 

. .")<•) . . tJndmnba nach Biiaua. 

. tU» „ . Bapitli» nach Originatphotographie. 

dl. . . Wartmeo \vrultete Fonnj, Si.o, Ehi.rr.s. 
Mu* f Völkerkunde in bresden. 
. (52 S< hitd der I.nkorru na< h Jamksor. 
. (13 . . Sande narli Origiiialphotographie. 
. G4 



Ii;"». 
07. 

m 

6!i. 
70. 
71. 

72 

73. 



Maitsai nacli Tnousos. 
Wagogo nach ("aukbok. 



Massai 



Ratzei. 

TlloMBOR 
TlRliSUABM 
Thomson. 
Th«oi»o». 



, Wadjagga 
, Massai 
. Kikuju 

llöhlunge.nialde der Bnsclimänner nach K. Ahh«k»;. 



• r. v: 



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DATE DUE 



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TOZZER LIMRAHY 

UIIUKII 

TZ ItEP 0 



Photomount 
Pamphlet 
Binder 

Gaylord Bro. . Im. 



Syracu.e, N. Y. 



I 



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