PÄDAGOGISCHE
STUDIEN
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L
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ädagogische Studien.
Jahrgang 1880.
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Pädagogische Studien.
Nene Folge. Ü Z
H e r a n 8 g e g e b e n
von
Dr. W. KEIN
Seniiiuundlreklor In ItaeiiMh.
Jahrgang 1880.
LEIPZIG.
VERLAG VON HEINRICH PFEIL.
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PädäMi&clie Studien,
Neue Folge. ^ Ü Z,
Heranagegeben
Dr. W. ÜEIN
Semtnknllxektor in
Jahrgang 1880.
LEIPZIG.
VEBLAÖ VON HEINRICH PFEIL.
1880.
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Inhaltsverzeiclinis des ersten Bandes.
A. Grössere Aufsätze:
1. V, Sallwürk, Rousseau's Stelliiiif^ in der Päda-
gogik und in der Geschichte der Pädagogik .
2. Staude, Die culturhistorischen Stufen im Unter-
richt 2,
3. Israeli Dörpfeld und die Elanennhl&age . . 3.
4. Just, E.| Ede Psychologie im Lelirer-BemiDar . 4.
B. mtteiliLiigeii :
L Prftparationen:
1. Naturgeschichte, das Schneeglöckchen .... 1. Heft
2. Biblische Geschichte, 3. Schoyahr, Isaak wird von
Jakob betrogen 3
Seit«
1. Heft 1—22
n
3.
4.
1.
2.
3. Deutsch in der Oberklasse, Das gute Alter
4. Deutsch, 4. Scbuyahr, Der kluge Staar . . .
IL YerBchiedenee:
Gtedanken über den 5. deiitächen Seminarlehrertag.
Gründe für das Mkl. Seminar im Vergleich zu
dem 6 klassigen. Uebersicht über die heutige
Schulkartügraphie. Der Herbartverein zu
Elsenach
Stimmen Aber Herbart Zur Orihographieieform .
Qoethe gegen den didaktitohen llateriaUamns und
fflr die Apperception. Theflen Yom Unterricht
in der Heimatskunde 3,
Bemerkungen zum Zeichenunterricht 4.
G. Recensionen:
1. Wawrzyk, Die Conccntration des Unterrichts etc.
(Just) .
2. Winkler, Leitfaden zu einem methodischen
Unterricht m der Heimatskunde etc. (Thrändorf)
3. Thrftndorf, Die Stellnng des Beligionsanter-
richts etc. (Rein)
4» Thrändorf, Lesebuch fflr das 3. Schu^ahr
(ScheUer)
n
n
1—62
1—19
1—22
30
19
20
26
22
63
25
23
>1. Heft 37'<-'48
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VI
5. RöU, Der naturw. Unterrieht eto. (Scbeller
6. Eoekely Lehrplan fDr die ein^hen Volks-
schulen des Königreichs Sachsen etc. (Rein) .
7. Meurer, Latein. Lesebuch etc. (Barth) . . .
8. Quint usFixlein, Wolanständige ßefleuonen etc.
(Bliedner)
9. Lange, Ueber Apperception (Flügel) . . . .
10. Herbart und seine Jttnger (Kein)
11. Schmidt und Bräunlich, Ans aller Herren
Ländern (Rein)
12. Pfisterer, Pädag. Psychologie (Flüf^el) . . .
13. Osterma-nn, Die Grundlehren der pädagogischen
i'aychülogie (Flügel)
14. Wangemann, Einfllirung in das VersttndniB
des Infh. Katechismns. 1. Tdl (Thr&ndorf) .
15. Barth, Lat. Lese- u. Uebungsbuch (v. Sallwürk)
16. Flinzer, Zeichenhefte fOr Schüler u. Liebhaber
des Zeichnens (Kein)
V 3. Heft 27—40
> 4. Heft 34—47
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f
RoiitSMUl't StoHviig
ta «er PUagoglk m« In te te FMamik*
Von Dr. B. von Ballwürk,
ObewcdMilwlh in KailRalM.
„WlNB wir dura erMetafttfen, um, wie der Ma^n«!
■aUh DSClIi Nordm kahrt, einem Punkt der Vollkommen-
hflti« dar suaser nni iat and den wir nie erreichen
konnten, mit ewig Tergeblicber Mfibe nAcbsastreben :
•o würden wir als blinde Maschinen nicht nur uns,
Bondem selbst da« WpS'fn hfvdauftrn dürfen, da« uns zu
einem tautalischeiL Schicksal verdammte, iudem es unser
Geschlecht blot su seiner, einer «chadenfrohen, uogütt-
UAm AafluwaUe Mhnf.** Herder.
L
Die Form unseres geisti^^en und gesellschaftlichen Lebens wurzelt
ganz und gar in der gewaltigen geistigen Bewegung des achtzehnten
Jabrhimderto. Das aehtsehnte Jahihnndert aehlieBSt erat das Hittelalter
gau ab und öffnet die Bahn dem neuen Geiste ^ den wir erfasst oder
noeh zu erfassen haben.
£s ist eine jetzt im weitesten Umfang bewahrheitete Erfahinng^
dass die Weiterbildung menschlicher Gesittung durch die Berührung
mit früheren Culturstufen sich vollzieht Es nimmt der Eigen-
art und Bedeutsamkeit der griechischen Bildung nichts, wenn
wir erkennen, dass zu einer bestimmten Zeit orientalische Cultur-
elemente Ton wesentlieher Bedentang in dieselbe aufgenommen worden
sind. Aneh dass die römisehe Bildung duieb die griecbisebe sieh
befruehtete, kann die Bildlingsfähigkeit des römi^^chcn Volkes nicht
geringer erscheinen lassen, obgleich dieser Umstand auf die Bildung des
römischen Geistes wesentlichen Einfluss geübt und ihr einen grossen
Teil derjenigen Elemente zugeführt hat, die später das westliche Europa
durch einen ähnlichen Verjüngungsprocess als wertvollsten und frucht-
barsten Keim in sich aufgenommen hat Die leiste derartige zurttck-
greiüBnde Entwickelang ist die eigenttiehe Benaissanoe. Auf dem
€tebiete der Knnst hat sie sieh gllleldieh und ohne StOrnng ▼oUsiehen
können. In der Wissensehaft hat sie sic h mit den kirehliohen Interessen
und politischen Anschauungen bald in Wechselwirkung und Widerstreit
gesetzt; die triebkräftigsten Elemente derselben sind aus der so ent-
standenen Gährung erst im achtzehnten Jahrhundert an's Licht und zu
beinahe unbestrittener Herrschaft durchgedrungen, bald mit spielender
Leichtigkeit; selbst mit Anmut und Witz, bald aber aneh mit fnrcht-
barer Gewalt und wildem Sehreeken.
Pldefog. Stadien. Jl. V, L 1*
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So leigt denn auch dieses achtzehnte Jahrbimdert eine derartige
Fülle grossartiger geistiger Schöpfungen, eine so gleichartige und
in der Masse ihrer Kundgebungen so überwältigende Grund-
stimmung, daBS es kaum möglich ist, eine einzelne, ganz eigenartige
Erscheinung oder nur eine in irgendwie bestimmteren Schranken sich
bewegende geistige Richtung in der allgemeinen Strömung auszusobeiden.
Dil ganie Jahrhiuidert kennt nur einen groBsen Qedanken» nnr
eine Aufgabe: die SehOpfnng eines neuen Lebens anf dem
Grunde natürlicher menschlicher Freiheit. Philosophie und
Kunst, Naturwissenschaft und Geschichte, Politik und Erziehung haben
sich damals neue Bahnen gebrochen ; aber kaum ist es möglich , für
irgend eines dieser Gebiete einen ausschliesslichen Vertreter im
vorigen Jahrhundert zu finden. Heute arbeitet zum Teil die Natur-
wissensehaft auf leiir engem Gebiete. Newton dagegen, wenn ich ihn
noch in*B aehtiehnte Jahrhundert einrechnen darf, und Buffon machen
gerade durch die weitrdohenden Aussiehten, die sie der philosophischen
Anschauung ihrer Zeit gewlhren, einen so bedeutenden Teil in der
Geschichte der Aufklärungsepoche aus. In seinen discours sur la litterature
francaise gibt Vinet eine Uebersicht über die .hervorragendsten
Schöpfungen der französischen Literatur in den Jahren 1746 — 1759.
In diesen zwölf Jahren ist in der Tat die ganze Büstkammer der
neuen Zeit Bosammengebracht worden. Vfaiet Inhit ans diesen wenigen
Jahren seehiehn Werke auf, die aUe bahnbrechend und grundlegend
genannt werden müssen; alle gehen auf das nflmliche Ziel aus und
müssen, wie sie alle eine Gmndstimmung auf das entschiedenste fest-
halten, auch auf die Stimmung ihrer Zeit unwiderstehliche Wirkung
geübt haben. Wir schalten das lehrreiche Verzeichnis hier ein :
1746. Vauvenargues, Einführung in die Kenntnis des mensch-
lichen Geistes.
Condillac, Venueh Aber den Ursprung der meoMhliehen
Erkenntnis.
Diderot, philosophische Gedanken.
1749. Montesquieu, Ueber den Geist der Gesetze.
Buffon, Geschichte der Katur (die ersten Bände).
Diderot, Sendschreiben über die Blinden.
1750. J. J. Kousseau, erste Preisarbeit: Hat die Wiederherstellung
der Wissenschaften und Künste zur Veredlung der Sitten
beigetragen?
1751. DucloBy Betrachtungen Uber die Sitten.
D'Alembert, Einleitung zur Encyclopidie.
Voltaire, das Zeitalter Ludwigs XIV.
1753. Buffon, Academische Antrittsrede.
1754. J. J. Kousseau, Ueber den Ursprung nnd die GrtLnde der
Ungleichheit unter den Menschen.
Condillac, Abhandlung über die Sinnesempfindnngen.
1755. Gudnardy Abhandlung Uber den phflosaphischen Geist
1750. Voltaire, Versuch «her die Sitten der Nationen.
1759. HelvetiuB, Vom Geiste.
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Vinet meint, diese Aufziihlung sei beredt genuc^. Allerdings ist
sie es ; denn sie beweist, wie mächtig die von England ausgegangene
geistige Bewegung in der Ifltte des TOtigeii Jahrhanderts auf allen Ge-
bieten des" Wissens nnd Sobaffens Ansdraek snehte^ mit weleher Gewalt
die yersehiedensten geistigen StrSmnngen naeli den nindichen Zielen
hinstrebten. Das lässt sieb bis auf einzelne Aensserungen^ bis auf das
äussere Gepräge der herrschenden Ansichten und Meinungen verfolgen.
Einige Belege, die den in den folgenden Zeilen zu behandelnden Fragen
uns gleich näher bringen werden, mögen zum Beweise dienen.
In den pensees philosophiques sagt Diderot (Sämtl. Werke,
Paris, Deterns an VIII t I p. 108 Nr. XU) : «,Ja, ieh behaupte, der
Alierglanbe ist für Gott 1>eleidigender ab die Got^esleug^nng. Mir wlre
es lieber, sagt Plntareb, man glaubte, es habe nie einen Plntareb anf
Erden gegeben, als wenn man glaubte, Plntareb sei nngereebt, lom-
mütig, unbeständig, eifersüclitig , rachsüchtig, überhaupt so gewesen,
wie er durchaus nicht gern sein möchte." Es ist die bekannte Stelle
aus Phitarch's Schrift neQl 6et(fiSai(ioviag gemeint. Im dictionuaire
phllosophique kommt Voltaire auf die nämliche Stelle zurück (Artikel:
ath^isme). Im Glaubensbekenntnis des savoyisohen Landp&rrers (Emil IV
9 176 n. 252)*) meint Bonssean: «Besser wlre es, gar keii^e'Vor-
stellnng tob der Gottheit zn haben, als niedrige, phantastische, die sie
entwürdigen und herabziehen : sie nicht zu erkennen ist ein geringeres
Uebel als sie beleidigen." Und nun wird die erwähnte plntarchische
Stelle eingeführt. Plutarch lag seit Montaigne der literarischen und
philosophischen Welt ungemein nahe ; aber die Stelle ist offenbar in den
freigeistigen Cirkeln in Paris lebhaft besprochen und typisch geworden
nnd hat in der grossen Hasse der Ansehanungen, die den Gemeinbesiti
jener Zeit ansmaehen, eine gewisse Bedentang erlangt und behanptetw**)
Wenn Voltaire in der Zaire d, 1) seine Heldin sagen iSsst:
J*ensse prte dn Gange esdave des &nx dieni|
Ghi^tienne dans Paris, Hnsnlmane en oes lieox.—
so ist dies ein ans den Wolfenbttttler Fragmenten nns wol bekannter
und fan ganien vorigen Jahrhundert viel&eh variirter Sats. Naher liegt
die Vergleiehung einer Stelle aus dem «£mil% welehe in den spateren
*) Ich gestatte mir, nach meiner Uebersetzung und Bearbeitung zu citiren,
in welcher die Absätze der Originalaosgabe mit §§ versehen sind, da sonst
^ne genaue Verweisung bei Bousseau uniaOglieh ist {ß, J. Bonssean. Hianiis*
gegeben von Dr. Th. Vogt nnd Dr. E. von SallwOrk. 2 Bde. Laagensslsa,
Beyer u^ Sühne. 1877—78.)
**) Der Gedanke ist wol zuerst von Bayle angeregt. Doeh findet
sich aueh bei Shaftesbnry (charact of meu I^ die n&aüiehe Anseliaunng:
For however it (atheism) may be indirectly an occasion of raen's losing a good
and Bufficient sease of right aud wrong, it will not, as atheism merely, be the
oeession of setting np a false speeies of it wldeh only false religion or
thantastical opinion, derived commonly frora superstition and crednlity,
able to effect. Uebrigens konunt es hier anf die Autorschaft, die in diesem
Fall Ptutsreh gebtthrt, nteht an, sondern nur auf den Naehwels der grossen
Verbreitung dss ttXmUchen Gedankens und einer im Gänsen, eonfi»nien An-
schauungsweise.
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Ausgaben vsterdrfickt worden ist ( — lY § 343} : ^Wie viele Menschen
sind lu Rom leeht gnte Katholiken, welehe ans demselben Grande gute
Hnulmänner vflren, wftren lie in Mekka geboren I nnd wie viele
Meneeben vriederom sind sehr gute Türken in Asien, welche unter uns
sehr gute Christen wären.** Aber der Gedanke ist älter; denn der
alte Montaigne sagte (essais II ch. 12): „Wir sind Christen gerade
80 , wie wir Perigordier oder Deutsche sind.** Und von ihm hatte
C h a r r 0 n seineu Satz, dass „Herkunft, Land und Ort die BeLigiou be-
atimmen**, geerbt Es wire nieht schwer, den nimlioben Gedanken in
gleieher Fassnng noeb an vielen anderen Stellen naehsnweisen. Ea
bandelt sieb hier offenbar niebt nm den Einfall dnes Einäetnen, sondern
nm die Grundanschannng eines Jahrhunderts.*)
Auch auf den wenigen rontroversen Gebieten, welche bei
der allgemeinen Uebereinstimmung in dem Glauben und Meinen der
besten Geister des vorigen Jahrhunderts noch übrig blieben, herrscht
eine gewisse Gleichheit der Anschauung. Kousseau's Schrift über die
'WiederbersteHong der Wissensebaften schemt, von unserer Zeit ans be-
traebtet, ungemein wunderlich, gesucht paradox. Auch zuBousseau's
Zeiten bat sie viele Anfechtung er£sbren. Es gab damals selbst eine
Komödie, in ^v ei eher Jean-Jacques im Naturzustand auftritt, auf
allen Vieren auf die Bühne kriecht und Gra« isst. Voltaire hatte aus
begreiflichen Gründen an dieser poetischen Schöpfung ein unverholenes
Vergnügen, und doch finden sich auch bei ihm Anklänge ähnlicher Art.
In dem Vierzigtalermauu crhomme aux quarante ^cus II g. d.
Ende) ruft der geplagte Bauer aus: «Man bringt sein Leben bin mit
Hoffiiungen und stirbt , indem man hofft Lebt wol, guter Herr, ihr
habt mich belehi-t, aber mir i. t es recht schwer um's Herz.** Der An-
geredete ist ein Geometer, der dem Bauer bewieseu hat, dass es eben
nicht anders geht Auf den Seufzer über die betrübte Aufklärung, die
der Bauer erhalten, antwortet der Geometer mit den Worten : „Das ist
eben gar oft die Frucht des "Wissens.** Und wie oft kommen nicht in
diesem Jahrhundert, das nicht müde wurde, den Segen der Aufklärung
SU preisen, die Mahnungen wieder, die Sehranken menscblicben Wissens
nieht durelibreehen au wollen. Voltaire sagt bei diesen Gelegenheiten:
«Man muss sich eben bescheiden und seinen Garten bauen.** Manchmal
erinnert er auch an den Engel in Milton's „verlorenem Paradies**
(8. Buch), der dem Adam empfiehlt, seine Gedanken nicht abzuquälen
mit verborgenen Dingen und in Demut weise zu sein. Was sagt
Bousseau anderes, da wo er* Wert und Schranken menschlicher Er-
kenntnis noch einmal erwfigt? ^Ich diene Gott in der Einfalt meines
Hersens. Ich suche nur su wissen, was mir für die Einrichtung meines
Lebens von Wiebtigkeit ist** (Emil lY § 348) |
*) Bolinpbroko behandelt die Frage ausführlich in flem Briefe on the
true use of retirement and study, nachdem er kurz zuvor Montaigne's Sats
„teufe opinion est assee forte ponr se faire ^ponser au pri:c de H Tie" dtirt
hatte. Im Ton schärfster Satire Volt. la ]oi natur. 2. p. c'e&t par la nourrice
Qu'il eet Juif ou paYen, fidele ou musulman; doch ist es dort Einwarf eines
Gegners: so sehr war diese Ansiebt Gemeioplatz geworden.
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Bekannt ist Rousseau's empfindliche Entgegnung auf die Stelle
in Diderot'» „natürlichem Sobn^, wo Constance zu Dorval, der
iieh am der Welt mrllokiiehen will, sagt: „Du BoUtwt anf die Ge-
■elbehaft venieMenl leh bernfo mieh auf dela eigenes Hen: frage es,
und ea wird dir sagen , dass der rechte tf ann in der Geselleehaft lebt
und daee nur der Bdse allein lebt" Rousseau beaog die Stelle sofort
auf Bidi und behauptete das Gegenteil (Emil, Anm. zu II § 108):
^Welches Uebel sollte denn der Böse anrichten, wenn er allein wäre?
In die Gesellschaft richtet er seine Geschosse, um anderen zu schaden."
Der Rücktritt aus der Gesellschaft war aber Rousseau selbst verbäng-
aiavoIL Er ainMt a& einer anderen Stdle (in dem Sendeelneiben an
D'Alembert Uber die Behanipiele) es unverholen aus, wie sehr ihm
sein „AriBtarcb" fehle d. l sein Diderot Die geistige Welt dea
vorigen Jahrhunderts bedurfte eben der Gesellschaft, weil sie an einem
und demselben Werke zu arbeiten hatte. Die These über den Wert
der Gesellschaft und der Einsamkeit war aber damals ein viel bespro-
chener Satz, und es frägt sich noch, ob Rousseau Recht hatte, in den
Worten Diderot's eine auf ihn gerichtete directe Anspielung zu er-
kennen.*) In den pens^ sur le bonhenr des Ifarqnis Ton Beeearia
(fkaniös. Tverdon welehe lum grossen Teil die berrsdienden
AoBchauungen der Zeit wiedagebeui findet sich ein besonderer Abschnitt
Aber das einsame oder ztirflckgezogene Leben. Es heisst dort : «Endlidi
kann man den Menschen die Gelegenheit nehmen, unser Vermögen ein-
zuschränken, indem man sich ihren Blicken durch ein zurückgezogenes,
aber streng gesetzliches Leben entzieht Diese strenge Anbequemung
unseres Betragens an die Gesetze ist uneriässlich notwendig, um dem
QeAhl der Uebeilegenheity welehes die Mensehen fai der GeseUsehaft
Iber den einsam Le^nden in haben glauben, das Gegengewieht su halten,
eine Ueberlegenheit, welehe sie zur offenen Ungenahtigkdt fahrt Dieser
Letitere Ausweg ist von allen der gefahrloseste and den Launen der
Menschen am wenigsten ausgesetzt; er ist aneh derjenige y den die
Weisen gewöhnlich vorgezogen haben.**
Von den zahllosen Schutzschriften für die „vernünftigen Verehrer
Gottes^ Rousseau führt einmal den ralsonneur als solchen ein — ■.
und den nidit nünder bftufigen Predigten fttr religiöse Duldung reden
wir nieht : das Uessa hi der That das Fass der Danaiden KUlen wollen.
. Aber selbst zlemlioh gleichgüftige Themata kommen in fast gleicher
Fassung bei den ersten Vertretern der Aufklärungsliteratur immer wieder
zum VoTsrhein, wie die Zurückweisung der Klagen über die Kürze der
Zeit, die Em))fehlung der Fusswanderungen anstatt des Reisens im wol»
verschlossenen Wagen n. dgl. m.
Bedeutsamer sind die Klagen Aber die Macht der öffeat-
liehen Meinung und des gemeinen Vorurteils. Denn ea
*) In dem auten Florian finden sich viele Anklänge an Rousseau. In
seinem Wilhelm Teil, den er im Geflingnis ;8e]irieb, sagt nun auch Tslls
Täter auf dem Totenbette zum Sohne: »Renate; ein tngendliaftier Hann olme
Gattin ist nur halb tagendliaft"
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waren altüberkommene Satzungen, in denen der gemeine Glaube fest-
hing, und sie mussten weggeräumt werden, wenn für die neuen An-
schaaungen Raum werden sollte. Am bedeutsamsten aber ist das
IntereBt« ftr die Ersiehnng, cUm ttbenU «iete smii AnBdrnek
geUngt Wto gewöhnliek dion Fkage in den geistreieheii Kreisen Ton
Paris war, geht danns heryor^ daes im nnfttflriicben Sohn** von Diderot
zwei Liebende in traulichem Gesprftch alles Ernstes die Pflichten der
Eltern gegen ihre Kinder in der Erziehung mit einander erörtern. Und
auch hier zeigt sich eine so grosse Uebereinstimmung in den Grund-
anächauungen, dass man wol sagen kann: was Rousseau im Emil
aufstellt, ist, im Wesentlichen . und wenn von der wunderlichen Durch-
fihrung dee Details aiigeselien inrd, gemeiasamer Qlanbe des Jalir-
liuderts. Voltaire nennt Ronssean einen eitlen Deelamator (Brief
an Bordes y. J. 1766), er sprieht ihm Geist nnd Geschmack ohne
Weiteres ab, er charakterisirt den ^Emil^ znmal mit der höhnischen
Bemerkung, Rousseau habe ein Diogenes werden wollen, es habe ihm
aber kaum zu Diogenes' Hund gereicht (Brief an Cideville v. J. 1765):
was er aber selbst über die Erziehung schreibt, könnte ebenso gut im
„Emil** stehen, und es steht auch darin. In „Jenni's Geschichte** will
der Vater dem anssehweiÜBiiden, schwer TerifTten Sohn keine Vorwürfe
maeben ; denn die Beispiele bessern weit wirksamer als die Vorbaltangen.
Das ist nun zwar ein sehr alter Spmeb; aber erst seit Locke hat
man entschieden den Glauben an die pädagogischen Strafreden aufge-
geben. Von seinem getauften Huronen , dem Ingönu , sagt Voltaire
(ch. 3.) : „Seine Auffassungsgabe war um so lebhafter und richtiger, als
seine Kindheit nicht mit dem dummen, nnntttzen Zeug beladen worden
war, mit dem man die unsrige erdrückt, die Dinge stellten sich seinem
Qebin ebne Sebleier dar.** Dies ist ein Bild, irie es Benssean am
finde der elueinea Bflober seines Werkes von fisdl eatwifft Und was
soll man erst von der folg«nden Stelle sagen (ch. 14): nUnyerdmrben
(l'ingänu) machte reissende Fortschritte in den Wissenschaften, besonders
in der Kenntnis des Menschen. Die Ursache der raschen Entwickelung
seines Geistes lag in seiner wilden Erziehung fast ebenso sehr als
in der eigentümlichen Art seines Innern. Denn da er in seiner Jugend
gar nichts gelernt hatte, hatte er auch keine Vorurteile gelernt Sein
Verstand y dnrob den Irrtum noeb niebt ans der Biehtnng gelmaoh^
war bi seiner gaiuen Qetadbeit vefblielMn. Er sah die Dinge, wie ^
sind, während die Vorstslinngen, wdebe man uns in der Jugend gibt,
sie unser Lehen lang so erscheinen lassen, wie sie nicht sind Dies
geht in der Tat über die von Voltaire bespöttelten Rousseauischen
Naturschwärmereien noch weit hinaus. Denn Emil soll kein Wilder sein
(Emil IV § 162), wol aber kann der Erzieher Vieles durch die Be-
tmeUing des bsi den Wilden noeb snm grossen TsO erhaltenen natttr-
liehen Znstandes lernen.
Wir könnten auch das seit Looke vielfach behandelte Thema, dass
moralische Schlechtigkeit Schwäche sei oder in der Ohnmacht ihren
Grund habe, durch die Schriftsteller des 18. Jahrhunderts hindurch ver-
folgen (Volt. S^mir. II 8: Connaissez la faiblesse, eile est dans lea
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forfaitsj ; doch glauben wir mit deu gegebenen Nachweisen genug gettui
im haben.
Dieaem Toa te gleiehAn AnieluHiiuigeB nlektig erregten nnd gaai
bestimmten Zielen schon werktttig sustrebenden Jahrhundert steht
Rousseau ganz eigentttmlieh gegenflber. Man hat seine Person oft
ein psychologisches Rätsel genannt, nnd wer je selbst von den süssen
Träumereien des wunderbaren Mannes sich gefangen nehmen iiess und
dem vertrautesten Jünger der entzückenden und versöhnenden Natur
sich mit wahrer Teilnahme hingab, muss doch gestehen, dass er sieh
inmier wieder ebenso entsehieden tob ihm abgestoasen fllhlte. Die
ErkUbrnng aller der eigeatflmliehen Widersprttehe in Schriften und
Charakter des Mannes, die freilich durch ein ebenso widerspruchsvolles
Schicksal teilweise Entschuldigung finden, wird am Ende damit gelingen,
dass wir ihn als Autodidacten auf allen Gebieten der Wissenschaft und
des Lebens keunen lernen. Der Mensch ist nun einmal ein wesentlich
geselliges Geschöpf. Seine geistige Weiterbildung ist ohne innigste
Weehaelbeziehung zur ganzen Menschheit undenkbar. Der Autodidact
nnterseheidet sieh aber von dem, der anf dem Wege der sehnlmiasigen
«der erfahmagsmäasigen Tradition sein Wissen nnd seine Ansehannngen .
gebildet hat, nur dadurch, dass er seine Quellen mühsam uud mit der
Gef:ihr vielfachen Irregehens snehen muM nnd dabei den Einflüssen der
ihn umgebenden Welt unbewahrter preisgegeben ist. Und so bildet sich
bei dem sogenannten Autodidacten neben einer Masse ohne Prüfung auf-
genommener Vorurteile der eigentümliche W^ahn aus, das, was andere
dnreh mühsames Studium unter einer vielfach beengenden Bevormundung
▼on Seite der Lehrenden sieh erworben haben, ans eigener Kraft nnd
mit gfOsserer FMiheik nnd Klarheit erkannt an haben. So aeigt aieh
Rousseau in vielen Besiehungen, Er glaubte zu schieben und wurde
geschoben, er predigte gegen die Philosophen seiner Zelt und war
einer der verwegensten von ihnen, er spottete über das eigentümliche
Land, wo die Jungfrauen gebären und die (lötter sterben *), hielt es aber
doch für Blasphemie, Jesus mit 6ocrates zu vergleichen. Wir werden
spiterhfai sehen, dass viele von den Widersprochen, die von den ge>
ängstigten Qegnem mit llbertikbenem Elfer in BonBsean's Sehnften aaf-
geseigt worden sind, mehr formaler als materialer Katar sind. Aber
sie sind immerhin vorhanden und zeigen jedenfalls, dass Itooaieau's An-
sichten nicht 80 ganz vorurteilslos und unvoreingenommen waren, wie er
es von sich und seinem Zögling rühmt. In der Tat zeigt sich die
Grundstimmung seines Jahrhunderts in dem ungeheuer erregbaren,
ganz mit weiblicher Sensibilität im Empfinden und Erkennen ausge-
atatteten Manne mit aoloher Gewalt, dass Bousseau aur Beurteilung des
Geistes seiner Zeit noch wesentliehere Zige llefint als Voltaire.
Dieies VerhUtais Bonssean'a an seinem Jahrhundert gibt ihm
eben eine so grosse Bedeutung für seine Zeit und fttr uns. Bonsiean
*) Die Stelle stand uni»riingUeh im £mil IV 340, B. hat sie aber bei
der Herausgabe getilgt.
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war gewis nicht der Mann dazu, eine eigentliche Schule zu bilden, und doch
neiiit Banmer einmal, es sei fBr ihn leicht gewesen, den Umetnn der
polltisdien nnd geselbeliaftlidien YerliftltDlBie in FrsnliTeich voiaiiB sn
sagen; denn er nnd seine Gesellen irflgen eben die erste und grdsBte
Schuld an jenen furchtbaren Erschfltterungen. Dieses Urteil ist ebenso
tendentiös als ungegrtindet, letzteres schon in Anbetrncht dessen, dass
Rousseau für England noch schlimmere Dinge prophezeit hat : aber es
ist ganz gewis , dass man die Vorboten des drohenden Sturmes nirgends
deutlicher gewahren, die Zeichen einer gewaltigen Umwälzung in der
ganzen Anffassnng geistiger nnd weltlicher Dinge nirgends greifbarer
bemerken kann als in den Scbriften des JSlIrgerB von Genf.**^
Man hat sich auch schon darttber gestritten, ob Emil ein Roman
oder ein systematisches Buch sei. Vielleicht ist er keines von
beiden; ein Handbuch für den Erzieher ist er jedenfalls gar nicht, auch
abgesehen von aller literarischen Form. Er ist ein Bekenntnis, eine
Offenbarung des Jahrhunderts, nicht in allen Punkten voll-
Ständig abgeklärt, an vielen mehr Andeutung als Aasführung. Aber es
ist ni^ts darin ▼enchwiegen , was jener Zeit auf dem Gewissen lag.
Emil ist aneh eine Predigt efaies Bnüenden ans der Wflste, der die
Menschen warnt, dass sie in sich gehen nnd umkehren sollen. Bousseau
litt in sich an den Verkehrtheiten seiner Zeit um so mehr, als er für
sie gar nicht erzogen war. Seine ganze Umgebung wnsste mehr sich
in Welt und Menschen der Zeit zu schicken als er. Die Diderot,
Helvetius, Ilolbach nnd Grimm genossen mit Freuden die Reize
geistvoller Unterhaltung, wie sie nur der glänzende Leichtsinn des fran«
lOsiseben EateB erzengen konnte. Boussean besase an nnd fttr sieh
keine grossen geseUsehaftUehen Talente , die Formen der feinen Welt
scheinen ihm an einer Zeit, da diese ihn mit offenen Armen in sich auf-
nehmen wollte, noch kaum geläufig gewesen zu sein, und er sah in
jenen leicht lebenden Kreisen nur die giftige Wurzel, aus der so ver-
lockende Blumen erwachsen waren, ähnlich jenem Gesandten, der unter
den Tisch sah, auf dem die Venetianer ihm die KeichtUnier des Staats-
schatzes zeigten, nnd rief: Aber wo ist die Wurzel, auf der das alles
wichst? — Auch Voltaire hatte Grund genug, mit den Traditionen
des franiteisehen Hofes und Staates nicht sehr snfrieden sn sein. Aber
darin blieb er jener 2^it doch ganz getreu, dass er ohne den Glanz
eines Hofes und ohne den Reiz der feinen Gesellschaft nicht leben
wollte. Er wusste t^ich über seine Verhältnisse emporasuheben und den
Grossen, denen er so viele witzige Satiren in's Gesicht warf, sich un-
entbehrlich zu machen. Selbst in den grössten Fragen der Zeit, die ihn
tief erregten, bleibt Voltaire anf einer gewissen sicheren Hohe, die ihn
Yor dem Zwange, unter allen ümatladen sdne reine offenste Meinung
sn bekennen, bewahrt hat Bonssean dagegen ist gans das Kind
*) Doch hat er selbst in der Sache nur pefuhlt, nicht klar gesehen. Weit
früher als Koussean sprach darül)er mit stuuuenöwertem Scharfblick Leibnitz.
Die Unvermeidlichkeit einer politischen und socialen Sevolntion haben aus
politischen und socialen Gründen viele Andere denüicher TomusgeBehen als
Bousseau.
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seiner Zeit; in ihm schlägt der Puls seines Jahrhunderts, und er hat
auch an allen seinen Leiden mitleidend teilgenommen.
Naturen Ton fein sinnlkher Anlage, die Flauen inabesondere, zeigen
eine lieBondei» aebaife Beobachtnngagabe fllr menaebHcbe Yerlilltoiiie.
Wie sie selbst Eindrfleken von aussen sehr leicht ngSnglich sind, so
sehen sie die Spuren solcher Beeinflussung an den andern besonders
genau ; diese Beeinflussungen aber bilden zum grössten Teil dasjenige
aus, \\as wir Charakter nennen. Dass Rousseau mit ähnlicher Fein-
ftthligkeit ausgestattet war, ist keinem Leser seiner Schriften unbekannt
Im Emil wird über nichts so häufig Klage geführt als über die Macht
der Yomrteile und der Tagesmeinung. Ronsseaii hfttte nun wol wissen
mflssen, wie gross die Macht dieser Eindrucke ist und sein mnss, wie
sehr Sitten und Denkart Ton Ort, Zeit und Menschen bedingt sind,
nnd grundsätzlich bekennt er sich auch zu dieser Ansicht. Aber er
war darin ganz ein Schüler seines Jahrhunderts, daas er meinte, es gelte
nur, diese schwer wiegenden Factoren aus dem menschlichen Leben weg-
snschaffen, um der !Natur, die nicht fehlen kann, freie und unbeschränkte
Wiirksami^eit znrttciuugeben. Die Ausartung aller conTentionellen Lebens-
formen, die onnatOrUche Trennung der Stinde, die ungebflhrliche
Auctorilit der leitenden Mftefate in Staat und Kirche hatte seit dem
Heranfkonmien der neuen Zeit dazu getrieben, die Grflnde dieser Er-
scheinungen historisch und philosophisch zu untersuchen. Das Ergebnis
dieser Untersuchung führte dazu, diese Erscheinungeu in ihrem Werden als
erklärbar, aber in ihrem Wesen als unberechtigt hinziietellen. Daher die
im Grunde so unhistorische Anschauung des vorigen Jahrhunderts und
die eigenttlmlieh nnltlare, manchmal sogar dogmatisch beschrinkte
Auifassung des natürlichen Zustanden. Rousseau sagt: Alles ist
gut, wie es aus der Hand des Schöpfers hervorgeht.
Pope hatte gesagt: Was ist, ist gut. Mit beiden fifttsen, die damals,
als sie verkündet wurden, durchgreifende Wirkung getan haben, ist
gleich wenig uusgepprochen. Nichts ist geschaffen, dass es
ruhe, ist gleichfalls Gesetz dieser deistischen Weltanschauung. Mau
musste uuu weiter erschliesseu , welches die Bedingungen dieser Be-
wegung seien, nnd musste so lu deni Resultate gelangen, dass ein fester
Begriff des Natflrliehen gar nicht eaistire, dass die Hatur die Quelle
unendlicher Variation und somit der liistorisch gewordene Mensch ebenso
natürlich sei wie der von den Schwärmern jener Zeit geträumte Natur-
mensch. Auch hier aber — und wir bertlhren damit schon den Angel-
punkt Koußseauischer Anschauungen — ist Rousseau nicht original,
sondern nur der lebhafteste und unumwundenste Ausdruck seiner Zeit
Dagegen lassen sich allerdings in den eigentümlichen Lebens-
Terh&itnissen des Genfer Philosophen Entocbuldlguugen und Er-
klSrungen genug fllr den wunderbaren Wahn finden, In welchem er sich
ffir anders als alle andern Menschen, manchmal fflr besser als sie,
immer aber für vorurteilsfreier hielt. £r hatte weder Religion, noch
Eltern, noch Heimat, noch Familie: alle diese Quellen raannichfachster
sittlicher Eintlüsse fehlten bei ihm. Nur trat freilich an ihre Stelle nicht
die allsorgende Natur, sondern Yerirrungeu einer sittlich gesunkenen
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Zeit, die nun Teil den Bcbreienditea Gegensati an den Prinoipien
bilden, weldie Boimeaii nnfgeetelU litt Win er ein Ternflnftiger und
demütiger Bekenner des höchsten Wesens gewesen, wie es der savoyisclie
Landpfarrer im Emil ist, so hätte er nicht notwendig gehabt, zweimal
sein Bekenntnis zu wechseln. Hätte er ein Bürger der Welt sein wollen,
wie es seinem System entsprach, und nicht ein «Bürger von Genf'*, so
wäre ihm die Demütigung erspart geblieben, Voltaire vor den Toren
seiner Vaterstadt Tempel, Lusthaus und Theater errichten au sehen,
wihrend mta seine eigenen Sehriftea in Genf Terbnuinte. Hätte er wie
sein Emil eine Oattin geanebt, die um Hers erfüllen und ntm Denken
verstehen konnte, statt eine HansbÜterin au sich an nehmen, die nicht
einmal die Namen der Monate wusste, so hätte er sich niclit in der
feineren Gesellschaft, die ihm dennoch unentbehrlich war, immer fremd
fühlen müssen. Und hätte er den Vorurteilen seiner Zeit, besonders
den sittlichen, wirklich mannhaft widerstanden, so hätte er sich nicht
dnrdi dn Wirtihausgespräoh mit jungen Leuten aweidentigater Art
können verleiten lassen, seine Kinder iu*s Findelbans au sehidcen, und
jenes Geständnis im Emil, mit dem er sich der Sebuld ledig spreehen
an können glaubte, «Ire ihm erspart geblieben.
Wenn Rousseau nun bei all diesen Verirrungen und Irrtümern
für die Pädagogik unserer Zeit den mächtigsten Anstoss zu geben im
Stande war, so müssen wir nach den eben angestellten Erwägungen den
Grund dafür gerade darin suchen, dass der Geist seiner Zeit, der die
Formen unserer bentigen Lebensansebanungen gesehaffSsn bat, ihn gans
und gar eiftilte. Es ist also weniger Bouseeau, der im Emil sptiebt,
als der Geist des achtzehnten Jahrhunderts. Was Rousseau eigentflm-
lieh bleibt, werden wir im Folgenden auszuscheiden haben: neben vielen
Masslosigkeiten des Urteils bleibt ihm jedenfalls die Gabe feiner Auffassung
psychischer Vorgänge und eine bisweilen von wunderbarer Wärme be-
lebte DanteUung unbestritten.
IL
..Alles ist gut, wie es hervorgeht aus den Händen des Urhebers
der Dinge**, ist das Motto, mit welchem Rousseau seinen Emil eröflfnet.
Raumer setzt hier schon seine scharfe Kritik ein und macht Rousseau
diesem Wort zu Liebe zum Vertreter einer theologischen oder philo-
sopbiseben Seete, die in der Pädagogik kein Beeht bitte. Baumer be-
ruft sieb auf den heiligen Augustinus. Wenn im Emil (I § 164)
gesagt wird, man mfisse sich bei den notwendigen Hilfeleistungen, die
man den Kindern im ersten Lebensjahre zuwende, auf den wirklichen
Nutzen beschränken ,,ohne der Laune oder dem unvernünftigen Verlangen
etwas zuzugestehen ; denn die Laune wird sie [die Kinder] nicht quälen,
weun man sie in ihnen nicht geweckt hat, da sie ja nicht aus der
Natur entspringt^, so büt Raumer eine Stelle des Kirchenlehrers ent-
gegen! „War es etwa beim Kinde etwas Gates, wenn es weinend vor-
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langte, was ihm nur xa aeinem Schaden hätte gewährt werden dürfen?..»
Die 8«]iwftehlieit der kiadliebeB Glieder ist doeh dcrta nieht ■obnldig,
wel aber das Qemflt der Kinder.** Man ktonte dem GeiehielitBelireiber
der Pädagogik entgegnen j daas auch er sich auf einen gewisflea theolo-
gischen Standpunkt stelle, dessen Berechtigung in der Pädagogik erst
nachzuweisen war. Aber es ftlllt zunächst die ganz unhistorische Art
dieser Kritik auf. Wenn Rousseau mit seinem Grundsatz auf irgend
einem Parteistandpunkt steht, so ist es der der deistischen Secte,
welcher die aufgeklärtesten und besten GMster trtaer 2ieit angehört
beben.*) Ee iit dies jene Seete^ die au der Net and Bedrängnis der
Welt nnd dam endloien fbeoki^aelien Gertnk die bessere üebenei^;in(p
damit gerettet hat, dass sie aus der Betrachtung der in wanderbarer*
Ordnung seit Jahrtausenden fortlebenden Schöpfung das Dasein eines
weisen, in unwandelbarer Macht und Güte Uber der Schöpfung waltenden
Schöpfers erkannte, aus dessen Händen alles gut und vollkommen hervor-
gegangen ist
wWas ist, ist gnt% sagt Pope in seinem Lehrgedicht Aber deik
Hensehen (IV 145)**). Pope's Ansiebten begegnen ms im Enül vlelfaeb
wieder, ohne dass Bonssean Ihn, so viel mir ermnerlieh Ist, einmal
citirte. Was tlber die Leidenschaften nnd den Wert derselben fttr di»
nattlrliche Erziehung des Menschen im Anfang des vierten Buches des
Emil gesagt wird, stimmt mit Pope ganz genau tiberein (a. a. 0. I 165).
Ebenso finden sich Pope's Meinungen über den Instinct, die Selbstliebe,
die Verkehrung der natttrücheu Ordnung durch den Menschen bei
Besasean wieder, und die kMnttdiett IMennisehen nnd theelogiseheik
Sjjtiker des Emil seheinen gans Reeht in haben, wenn sie menen, dass
in diesem Buche nnr die Usinnngen Frflherer mit mehr Eigensinn nnd
Wunderlichkeit vorgetragen seien. Indess^ sind eben die Itertthrten
Punkte Gemeingut der aufgeklärten Anschauungsweise des vorigen Jahr-
hunderts — und darüber ist schon oben gesprochen worden — ; aber
Rousseuu's Verdienst besteht gar nicht in der Begründung einer neuen
Weltauscliauung. Wer Locke, aber nicht den Erzieher Locke, Shaftes»
bnry, Bolingbroke kennt nnd von dem Eänflnss, den sie anf die-
Ansdiannngen ihrer Zeit ansgeflbt haben, sieh eine Yorstellnng gebildet
hat, mflSBte sich wnndem, wenn Ronssean anf einem anderen Stand-
punkt stände als dem, welchen die ersten Zeilen seines Baches deutlich
bezeichnen. Wenn Goethe einmal den Emil „das Naturevangelium der
Erziehung" genannt hat, so sagt er damit treffend, dass die Anschauung
jener Zeit, welche die Natur entsUndigt hat, von Kousseau für die
*) Voltaire meint, inindestens eine Uillion seiner Zeitgenossen g^Ore ihr-
an (profession de foi des thöistes).
**) Es ist sehr beaehtenswert, dass mit diesem Sstae bei Pope gerade
die theologischen Str '(iü^kciten der Zeit zurückgewiesen werden: The Good
must merit God's pecuiiur care ; But who bnt God can teil us who they are?
One thinks on Calvin Heav'n's own Spirit feil ; Another deems him Instrument
of Hell u. 8. w. Und weil eben die Guten auf Erden selbst nieht harmoniren,
80 bleibt nur der eine Ausweg, Gottes Weisheit als die elnslge Weitheit an-
zuerkennen und, was er geschatfen, fUr recht zu halten-
14
Erziehung zum ersten Male als massgebend erklärt worden ist. Der
Prophet dieser Anschauungen ist Rousseau nicht. Oder sollen wir
noch einmal an Pope erinnern, der im vierten Abschnitt der dritten
Epistel seines mehrerwähnten Lehrgedichtes den Zustand des Menschen,
dft er nur das gOtfliofae Gebot der Natur kaniLtei mit den Zuständen
apiterer Entartang vergkieht, ^dit den Ifenaclien snm Grab nnd sam
ScUiehter fttr die Hälfte aller lebenden Wesen machen?''*)
Doch genug dieser Erwägungen. Fttr Räumer nnd aeine Gesinnungs-
genossen ist Konsaeau mit dem ersten Worte, das er gesprochen hat,
gerichtet. Für uns ist der Wert seiner Auseinandersetzungen davon
nicht abhängig. Es muss sich ein Ziel des Menschen denken lassen,
das nur durch seine eigene Natur bestimmt ist Mehr braucht die Päda-
gogik nieht. Und wäre dieses Ziel nur ein gelrinmtes nnd in diesem
Leben niebt eirdehbar; wenn es nns einen Weg yoneiebnety anf welebem
wir diesem Tranmbilde wenigstens näher kommen kOnnen, ^en Weg,
auf welchem sich wenigstens ein Teil dessen erfallt, was jener Tranm
menschliches Grlück nennt, so haben wir schon genug in Hllnden. Ob
min der menschlichen Natur nach göttlichem Spruche oder in Folge un-
glücklicher späterer Verirrung Böses beigemischt sei, derjenige wird den
Menseben immer den grössten Dienst erwiesen haben, der ihnen zeigt,
dasB das Verloreiie wieder mrllekgewonnen werden kann. Dies ist in
Kflne der Standpunkt aller pädagogischen Beformatoren. fiße leigcD
alle eine glücklichere Zukunft, indem sie ans der G^nwart zurück-
führen. Ob für diejenigen, welche den Glanben an diese Möglichkeiten
nicht hegen können, eine Erziehungslehre noch denkbar sei, möchte man
beinahe bezweifeln. Wer möchte noch den Mut haben, diesen scliwie-
rigsteu Fragen und Aufgaben sich ganz zu widmen, wenn er sich von
♦) Die Stelle möge, weil wir uns weitere Ausfühmngon im Text versagen
mUssen, hier Platz finden (Pope, Essay on Man III v. 147—168):
Nor tliink in Natnre's State they fmen] blindly trod;
The State of Nature was the reign of God;
Self-love and social at her birth began:
Union the bond of all tiiings and of Man.
Pride then was not, nor arts tliat pride to aid;
Man walk'd with beast, joint tenant of the shade;
Tho same his table, and the same his bed;
No murder cloth'd him, «od no mn^er fed:
In the sarae temple, the resounding wood,
All vocal beings hymn'd their equal God:
The shrine with gore unstain'd, with gold nndrest,
Unbrih'il. nnbloody, stood the blaimless priest:
Heav'n's attribute was universal care,
And ]bii*s prerogative to mle, bnt spare.
Ah! how nnlike the Man of times to come!
Of half that live the bntcher and the tomb ;
Who, foe to Nature, hears the gen'ral groan,
Murdera their species, and betrays his own . .
But just diaease to luxury suocoeds.
And ev'ry deatli its own avenger breeds;
The fnry-pas^«ious from that blood begsa»
And tnxn'd on Man a ficroer savage — Man.
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Anfang an sagen miMs: die menschliche Natur ist vezderbt iiii4 ihre
Heilung ist nicht in menschliche Hände gegeben?
Die zwei Seiten , nach welchen die Pädagogik immer zu arbeiten
hat, sind die pädagogische Teleologie — die Lehre von den
Erziehungsz wecken — und die pädagogische Methodik — die
Lehre Yon. den Mitteln , dnroh welohe jene Zwecke erreicht werden
können.. Die «rstere stellt il^h nnf den Standponkt der fitkik, die «weite
betraektet als ihr Werkieng die Psyeliologie. In letzterer Besielinng
nnn ist Bonsseaii Schiller Lockens, wie et alle seine Zeitgenossen
waren oder gewesen waren.*) In ersterer war er ein Anhänger der
mächtigen deistischen Strömung, die auch neben dem kühnen Auftreten
der Materialisten sich zu erhalten im Stande war, und Rousseau war es
mit wärmerer Ueberzeugung uud lebhafterer Anteilnahme als alle seine
Zeitgenossen. Man weSss, welch nnfeheoeren Eindnek gerade in der
Zeit, wo der Emil entstand, das Ergeben von Lissabon auf die gaaie
damalige Welt machte. Der Satz des Mathien Gare und des Pope,
dasB «alles gut sei% schreibt V o 1 1 a i r e knn nach dem furchtbuen
Ereignis (am 1. December 1755) an den Grafen von Argental, „ist nun
ein wenig aus den Fugen gebracht. Es ist nicht mehr erlaubt
an sich selbst zu denken bei einer so allgemeinen Verwüstung." Und
im folgenden Jahre erschien Voltaire's schreckliches Gedicht: le
d^sastre de Lisbonne. Boussean aber blieb anch jetzt noch uner-
schfltterlich in seinem Glanben. «Sie werfen Pope und Leibniti ror**,
schrieb er am 2S. Augost 1756 an Volture, ^sie spotteten über unser
Elend mit ihrer Behanptong, dass alles gut sei, und Sie entwerfen ein
so grausiges Bild von unserem Unglück, dass Sie die Empfindung des-
selben nur schmerzlicher raachen : anstatt der TrostgrUnde, die ich er-
wartete, drücken Sie mich nieder. Wie sehr auch das mensch-
liche Leben mit Mühsalen erfttUt ist, im Ganzen genoinmen ist es doch
kein sdilechtes Geschenk; und wenn es nicht immer ein Uebel ist an
sterben, so ist es doch sehr selten eines sn leben.**
Bousseau hatte damals seine beiden Preisschriften schon verSflSent-
licht. Dass ihn, der nach Art der Aiitodidacten jede von seinen An->
sichten abweichende Meinung als einen unmittelbaren Angriff auf seine
Person ansah, der Ton des Voltaire'schen Gedichtes tief verletzte, darf
nicht in Erstaunen setzen ; ebenso natürlich ist es , das» dieser den
flbellaunigen Angriff eines Mannes, den er doch zu seinen Gesinnungs-
genossen**) rechnen mnsste, als ein indiseretes EindrSngen iwischen
Dichter nnd Pnbliknm ansah. Beide blieben fortan gmndsitilich eni-
sweit, und wenn der Philosoph von Ferney dem TCrtriebenen Roussean
ein Asyl bei sich apbot, so konnte dieser davon natürlich keinen
*) etwa Buffon, auf den Rousseau grosse Stücke hält (Emil II § 22t,
Anm. 2.), ausgenommen. In dem Abschnitte seiner Naturgeschichte, wo er
▼om Menschen spricht, folgt er gans dem Oartesins.
**) Er war geneigt, ihn selbst als seinen Leidensgenossen anzusehen. Vol-
taire schreibt im September 1755 an Rousseau: „Wenn ich von den Unge-
rechtli^eiten der Ifenschen rede, kann ich mich an niemanden besser wenden,
als an den, der sie so gut kennt.**
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Gebrauch machen. Für uns aber ist es wichtig zu bemerken, mit welcher
Beharrlichkeit der pessimistiBch angelegte Mann auf seinem optimistischen
Glauben bestand. .Nur sagt er im Emil nicht mehr, wie er frtther ge-
ngt hatte, um das debfisehe ^Attfls ist gat^ zu retten: ^Das AH
Iflt gui*^ — oder ^AUes irt gut ftr das AU oder das Ganse^ BOBdem
er nimmt nun den gaaxen Inlialt seiner PieiBaofarillen In lein Glaubens-
bekenntnis auf; indem er sagt: ,,Alles ist gut, wie es herTotgeht
ans den Händen des t'rhebers der Dinge".
Der Gedanke ist dadurch wesentlich geändert. Denn es erscheint
dadurch alles Uebcl als Folge der Versündigung des Menschen gegen
die von Gott geschaffene Natur. Wie wir schon gesagt, hat Rousseau
aneb damit keinen neneti Ton in die Gnmdstimmnng seiner Zeit gebraeht.
Aber mit der ihm eigenen Empfindsamkeit und Hartnieklgkeit bat er sieb
in die Aufgabe vertieft, den dureb measebliobe Veriimng und gewalt-
tätigen Eingriff in ihre Ordnung gestSrten Zustand der Natur der tfensob-
beit wieder zurückzubringen.
Selbstverständlich will also Rousseau in seinein Buche nicht irgend
einen Emil erziehen, sondern den ersten Schritt zur Re-
generation des Menschengeseblechtes finden. So leicht
sieb diese Absidit ans der ganien Haltung des ^Emil** ergibt, so ist
doeb die Kritik gleieb naeb dem Ersebeinen des Bnebes auf den Irrweg
geraten, dasselbe als ein eigentliches Handbuch der Erziehung ansu-
sehen, dem nur die systematische Form fehle.*) Unzählige Misverständ-
nisse sind dieser Auffassung entsprungen, die durch den freilich nicht
glücklich gewählten Titel des Rousseau'schen Werkes : Emile , ou de
r^ducation kaum gerechtfertigt werden können. Etliche dieser Misver-
ständnisse müssen wir hier aufbellen.
«Ein Ersieh er — fürwahr eine erhabene Seele t In der Tat^
um einen Menseben au niaehen, mnss man entweder selbst Vater sein
oder mehr als Mensch^ (Em. I § 67). Warum stellt uns Rousseau nun
dennoch einen Erzieher dar, warum nicht den trefflichen Vater oder
den über das gewöhnliche Mass menschlicher Einsicht erhabenen Menschen?
Warum setzt er sich lieber dem ungünstigen Urteil der Uebelwollenden
aus, die ihn selbst, Kousseau's eigene, durchaus nicht vorwurfsfreie und
Uber menschliche Schwächen keineswegs erhabene Natur für das Bild
des Eniehen nehmen , der aus Emil einen Menseben machen soll?
BouBseau gibt die Erklärung selbst unmittelbar naeb jener SteQe: «Je.
mehr man darüber nachdenkt, desto mehr exgeben sieb Sebwierigkeiten.
Der Erzieher hätte für seinen Zögling erzogen werden müssen, seine
Diener hätten für ihren Herrn erzogen werden müssen u. s. w.*^'
„Man müsste von Erziehung zu Erziehung, wer weiss wie weit, zurück-
gehen." Abo kann der erste Erzieher nur der Philosoph sein, der
durch sorgfältiges Beobachten der in der ungestörten Entwickelnng des
♦) Im fünften seiner Briefe „vom Berf^e" sa^^t Rouafcau : „Es handelt sich
am ein neues Erziehungssystem, dessen Plan ich den Urteilsfähigen
Torlege, nicht um ein Handbuch für Väter und Mütter; an ein söicbes
habe ich nie gedacht." Trotsdem wurde der „Emil" sofort das „BreMer der
jungen Mütter.« (DesnoiiesterreB, Volt et Ronss. 2 6d. p. 303j.
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jungen Menseben sieh offenbarenden Natur den Weg wieder zu finden
fueht, den sie ohne die Eingiiffe der Heiucheii geben wllrde. Dass
diesem Erzieber aneh das Becht noch siistehen mnss,. dem ZOgling
eine Gattin zu snehen (V § 175) und dass diese Erziehung erst dann
als eine in ihrem ersten Schritte abgeschlossene zu betrachten ist, wenn
die Erzeugung einer zweiten Generation gesifhert ist, die nun von dem
einzigen vollberechtigten und befähigten Erzieher, dein Vater, erzogen
werden kann (V § 499 ), ist eine natürliche Sache. Ob Rousseau in
diesem GedirakenniBammenhang zu der Ansicht gekonunen ist (I § 79 fg.),
ein Enieher könne oder dlixfe sein Amt nur an einem einzigen
ZOi^inf «uQbetty mOohten inr nidit entiieheiden; immeriün bnm^t
der Enieher Emils seinen Beruf nnr an einem einzigen Zögling aus-
zuüben, aber «ein Beruf ist schwerer als der des gewöhnlichen Er-
ziehers, der nicht, wie Emils väterlicher Freund, die Erziehung des
Menschengeschlechteg unternimmt. Wie sehr auch Raum er Unrecht
hat, der „mit Locke einverstanden,** in seiner Besprechung des Emil
dm abbriehfy wo sein Erzieher ihn auf Kelsen fUhrt nnd seine Begegnung
mit Sophie Toihereitet, liegt ebenfalls anf der Hand.
Aber auch Emil ist dniehans k^e ganie nnd reehte PersOn-
liehkeit fflr das Urbild des Zöglings. — Niemand wdss ja, wer er ist
und wo er lebt. Er ist der Sohn eines Mannes „von Stande** (I § 87),
und doch hatte Ronsseau die Bitte eines, wie es scheint, vernünftigen
Mannes von Stande, der seinen Sohn durch Rousseau wollte erziehen
lassen, zurückgewiesen (I § 17). Ein eigentümlicher Widerspruch, den
'BonsBean*s Kritiker nicht übersehen haben, ohne freilich Ihn erklären su
wollen. — Uan sehe die Stelle^ wo snm ersten Haie von Emils Lehens-
verhlitnissen die Bede ist (I § 87)» im Znsammenhange an. „Det Arme
braucht keine Erziehung . . . Wählen wir also einen Beiohen.** »Ans
dem nämlichen Grunde habe ich auch niclits dagegen, dass Emil
von Stande ist." ^Emil ist Waise." Nur eine positive Bedingung
stellt der Erzieher : sein Zögling soll in vollkommene Lebens-
gemeinschaft mit ihm treten! Es ist klar, dass mit allem dem
nnr der Weg zu einer vollkommen ungehinderten Ersiehung gebahnt
werden soll Von Emils Eltern hört man spftter nie mehr etwas ; man
konnte erwarten, dass er nach vollendeter Eniehnng der Familie, der
er angehört, oder den Verwandten, die für ihn gesorgt haben, wieder-
gegeben werde. Von allem dem ist kein Wort zu finden. Emil ist Waise,
frei von elterlichem und anderm gesellschaftlichem Eintlusse. Er ist von
Stande nur deshalb, dass er eben erzogen werden könne. Ronsseau's
Zögling ist nur Mensch. Die Concession, dass er vou Stand sei, war
vidleicht bedenklich für Ronsseau's Prinzipien ; eher nm in dem Stande
zu Alhren, wo Geld nnd Ehren keine Bedeutung mehr haben, mnssten
Bedingnngen gewählt werden, in welchen die Fnge der finanziellen und
socialen Möglichkeiten zum Voraus aligcschnitten war. Auch vollständig
gesund muss Emil sein (I § 93). Emil soll nicht in der Stadt er-
zogen werden, nicht im Norden, nirlit im Süden; eiumal (II § 171)
tritt auch, weil dort der Schauplatz in tcine Stadt verlegt ist, ein .anderer
Knabe an seine Stelle. Rousseau's Zögling ist eben auch keiue be-
l>äd»gog. StadiMi. N. F. I. ' 2
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stimmte Person, nicht einmal eine bestimmte Art von Oh arakt er en,
Emu ist Dar — und das sagt Bonsseau deutiich selbst I § 75 der
Tiftger derjenigen Ausführungen, welche an einer Person ezemplificirt
werden sollen.*) Der Wert der individuellen Erziehung wird in
Emil nicht verkannt. „Ich möchte wol", sagt Kousseau HI § 148, „dasa
ein urteilsfiihiger Mann uns eine Abhandluug schriebe über die Kunst
die Kinder zu beobachten. Die Kenntnis dieser Kuuät wäre sehr
wichtig; Väter und Mütter kennen davon noeh nicht einmal die An-
fangsgründe**, Fflr Bousseau's Zwecke ist diese Kunst nur von nnter-
geordneter Bedeutung. EmU [ist der voraussetzungsloke Menseh
und soll auch nur Mens ch werden; Nation, Heimaty Eltern sollen wo
möglich gar keinen Einfluss auf ihn haben. Ob Rousseau das für möglich
hif-lt , wollen wir weder behaupten noch bestreiten. Seine oft wieder-
kehrenden Klagen, dass die Welt ihn doch nicht werde verstehen wollen,
lässt darauf schliessen, dass er eben auch in diesem Fuudamentalpunkt
seiner Lehre sich nicht sicher genug fühlte. Ein Roman ist nach dem
allem der Emil jeden&Us nicht**) —
Es ist liier wol auch der Ort^ über die so vlel&ch &lseh verstandene
negative Erziehung, welche Rousseau vorsdireibt, zu sprechen,
über die Methode der Untätigkeit (II § 152», die „Zeit verliert
um Zeit zu gewinnen", über die Kunst „alles zu tun, indem du nichts
tust** (II § 162). Die Verf;lei(huii<j: aller dieser Stellen in ihrem Zu-
sanunonhung, besonders aber die in I § 27 fg. enthaltene Auäl'ühruug macht
es klar, dass unter der negativen SMehung xunäclist nich| eine mflssige
zu verstehen sd. Bousseau spricht sich darüber aber auch ausfllhrUch
und deutlich aus in seinem Briefe an den Erabisehof von Paris Msgr.
Beanmont: „Die negative Erziehung ist durchaus keine müssige;
sie gibt keine Tugenden, aber sie verhütet die Laster; sie lehrt
nicht die Wahrheit, aber sie bewahrt vor dem Irrtum ; sie macht das
Kind geneigt zu allem, was das Kind zur Wahrheit führen kann, so-
bald CS im Staude ist, sie zu verstehen, und zum Guten, sobald es
im Stande ist, das Gute in lid»en.^ Konnte Rousseau dn Anderes
lehren? Den keuschen aus dem Einflüsse der Gesellschaft su befreien
und der Katur wiedersngeben, ist sein ganies Bestreben; in ihm liegt
die Grösse seiner Anschauungen, in ihm aber anrh die ganze Schwäche
seines Systems. Man hat sich seit Formey oft über die „Geschichtchen'*
ausgelassen , welche Rousseau im Emil erzählt. Man hätte nicht ver-
gessen sollen, wozu überhaupt die Figur Emils iu Rousseau' s Buch eiu-
*) In einem Vortrag „Friedrich II. und J.-J, Rousseau" (D. Rundschau
1S7Ü Mai) kommt du Bois-Rey mo ud zu dem gleichen Schlüsse; die Aus-
dehnuui; seiner Beobachtung auf die Päda;^ügen überliaupt ist aber nicht ü:^-
rechtfertigt: „Rousseau'', sagt du Bois-Reymond, ..ist im Emile nicht
minder radical, als in seinen politischen Schriften. Aach als Püdagog b^lkert
er eine ciri?:ebiMete Welt mit Schemen, welche der Eigenart ermangeln. Doch
teilt er diesen Fehler mit allen Pädagogen.'* Er zeigt eben diesen Fehler,
weil er kein PXda'::o;; ist.
**) Die Frage, warum R. seinem Buche die Form eines Romans gegeben,
ist zum Teil oben erörtert worden. * Die ästhetische oder literarische Seite der
Frage berühren wir hier absichtlich nicht.
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geführt ist; man niusste aber auch daran denken, dass nach der Gnind-
iinschauiing des Buches die Aufgabe des Erziehers darin besieht, den
Zögling in diejenigen natttrliohen Lagen zu bringen, in welche die Katar
den „MeiiBclieE der Natnr** veraetxt hätte um ihn su eniehen. „Be-
gnüge dieb damit, ihm die Gegenstände zur rechten Zdt Tonnf)lhren;
dann, wenn du seine Neugierde hinreichend beschäftigt siehst, richte
irgend eine lakonische Frage an das Kind, die es auf den Weg führe,
auf welcheui es die Arbeit finden kann." (III § 20.) Wem das nun
doch eine Einwirkung des Mmsehen, ein Eingriff des Erziehers in die
natürliche Entwickelung zu sein scheiut, der bedeuke, dass Emil das
Kind unserer Zelt nnd GetellfiehafI IbI^ das sur Nator durch den Er-
zieher snrttckgeflahrt werden muss. Emil's Sohn braucht diesen Er-
zieher nicht mehr; er stammt von Eltern, welche lu natQrlichen Zu«
ständen zurückgeführt worden sind, und muss seinen natttrlichen
Erzieher haben, der kein anderer sein kann als sein Vater.
Wir erhissen es uns und dem Leser iauszuführen, wie ganz anders
wir heute das Ziel der Erziehung auffassen. Nur das si^i erwähnt, dass
wir heutzutage nicht blos den Menschen, wie er im AUgeuieiueu ist,
snm Object derEniehung machen, sondern — im denkbar weitesten Gegen-
sats SU B<»u8Beau — den Menschen mit allen Zufälligkeiten
der Indi vidnalit&t.
Danach müssen nun selbstverstäudlich auch die Mittel der Er-
ziehung bei Rousseau andere sein als bei uns. Doch ist der Unter-
schied hier ein nicht gerade grundsatzlicher und zwar gerade deshalb
niclit, weil Rousseau in dieser Beziehung mit dem grössten Teile seiner
Zeitgenossen der Auctorität Locke's folgt. Der Realismus des eug-
lischen Philosophen, der sich der Tagesmeinung so grundsätslich ent-
gegenstellt und den Trug der Worte so rttckhaltslos serrdsst, hatte mit
Rousscau's Anschauungen ungemein viel Verwandtes. Nun bebandelt
Locke ein durchaus natürliches Object, das auch wir heute nicht anders
ansehen, während Rousseau aus der Natur des Menschen alle historische
Entwickelung ausschliesst , also in allen die geistige Entwiekelung des-
selben betrelTenden Dingen sich dem Widerspruch und Irrtum übergibt:
-er will einen Menschen entwickeln ohne Eutwickelung, er bauut die 2satur
jluf ihren ersten Punkt fest ; sie, die er mit wSrmster Liebe umfssst su
haben glaubte, blieb in seinen Armen sthrr und gab dem träumerisch
Terlorenen Mann kein tröstendes Wort, kein belebendes Lächeln mehr!
«Manchmal gedenke ich Rousscau's und sdnes hypochondrischen Jam-
mers, und duch wird mir begreitlich, wie eine so schöne Organisation
verschoben werden konnte. Fühlt' ich nicht solchen Auteil au den
natürlichen Dingen und sah' ich nicht, dass iu der scheinbaren V^erwirrung
hundert Beobachtungen sich vergleichen und ordnen lassen, wie der Feld-
messer mit einer duiehgezogenen Linie viele dnzelne Messungen probirt,
ich hielte mich oft selbst fOr toU.*"*)
Man sieht in pädagogischen Bächern und Abhandlungen oft Worte
und S&tze Bousseau's citirt, widerlegt, belächelt, als ob er uns Schul-
*) Goethe, iUL Beise (Neapel 17. März 1767).
2»
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20
xnftnner hätte belehren oder sieh selbit in vnseren Bemf hätte ein- '
drängen mritoi; man behandelt Ronesean in pädagogisehen Vorträgen,
wie man die berdbmten Schulstifter ,nnd Didaktiker behandelt; die ge-
ängstigte Orthodoxie wird heute noch nicht müde, vor dem pädagogischen
„Irrstern", vor dem Bahnbrecher der „modernen widerchristlichen Päda-
^ gogik" zu warnen. Alles das beweist, wie mächtig die von Rousseau
gegebene Anregung noch beute ist; aber es beweist noch mehr, wie
wenig in der Geechiehte der Pädagogik auch hente noeh historisch ge«
dacht nnd hetiaehtet wird. Ist Boussean in der Tat eb Endeher? Ist
sein System ein pädagogisches?
m.
Unter den Menschenrechten, welche das achtzehnte Jahrhundert der
Welt wiedergegeben bat, ist nicht das geringste das der freien Erziehung
des Mensehen. Von der Heiligkeit dieses Hechtes war das ganse Jahr-
hundert äheneagt; aber Bonsseaii hat das Wort daflOr gäiinden nnd
gesprochen. Dass der Mensch sn keinem höheren Ziele gebildet werden
könne als zu dem des vollkommenen ganzen Menschen, musste in dieser
übersciuvänglichen Weise ausgesprochen werden , damit die Menschen
wieder anfingen an sich zu glauben ; *) und Kousscaii hat die grösste
und bedeutendste Episode des Emil dem Versuche gewidmet, sogar die
geoffenbarte Keligion aus der Brust des Menschen selbst zu erwecken.
Dieser Glaube ist nun anch der Pädagogik unverloren geblieben. Mag
man es Humanität, mag man es Divinität nennen^ was unsere ^niehung
erstrebt, sie verschmäht es seit BousseaUi Edelleuto oder Bürger in bilden;
sie will aus dem Menschen nur den Menschen gestalten.
Vor allem aber i&t der Besitz eines bestimmten Wissens kein Ziel
der Pädagogik melir als solcher, mag er auch die einzige Absicht ge-
gewisser Schulen erfüllen. Rousseau hat das Elend der Welt der Ent-
wickelung der Wissenschaften und Künste zur Last gelegt; aber im
Emil findet er selbst dne ganz beträchtliche Masse positiven Wissens
förderlich und notwendig, Ist dies ein Widerspruch? wDenke dir einen
PMlosophen, mit Instrumenten und Bttehem in eine Ode Insel yerbannty
gewis, den Rest seiner Tage dort einsam verbringen zu müssen : kaum
wird er sich mehr kümmern um das Weltsystem, um die Gesetze der
Anziehung oder um die DilVerentialrechnuTig : er wird vielleicht sein
Leben lang kein einziges Buch mehr aufschlagen : aber nie wird er
sich eotschlagen, seine Insel bis zum letzten Winkel zu durchsuchen, so
gross sie auch sdn möchte** (III § 11). Es handelt sieh nur dsrnm,
diejenigen Kenntnisse in dem Menschen auszugestalten, welche seiner
jeweiligen Entwickelung gemäss sind. Daraus hat deh ale pädagogische
*) Vgl. das dieser Abhaadlung voraasgeschickte Her der 'sehe Motto ans
dessen Icteen snr Phil. d. G. d. M.
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21
Forderung- der Kr\*'erknng^ eines vielfachen, aber die Schranken der In-
dividualität nicht aufhebenden Interesses g:ebildet. *)
Rousseau lässt seinen Zögling den Robinson lesen. Da er ihn
der Gesellschaft nicht ganz entziehen konnte, will er ihn auf diese Weise
wenigfteni in Gedanken in jene Welt znmekfiKhxen, die Bonueau fOr
die (ba&g normale Welt des Ifenachen antielit. Die ttbrigen Erdebnnga-
maasregeln und Unterricbtsgrundsätze werden so eingerichtet; dass Emil
von den voraossetzungslosesten; unbeeinflusstestcn Zuständen nacb und
nach in die Welt der Menschen eingeführt wird und so die ganze Ent-
wickelung der Menschheit in sich durchmacht. Die Pädagogik der Iler-
burt'schen Schule ist nach Aiiregungen von Ilerbart auf diesen Ge-
danken zurückgekommen. Sie richtet ihren ganzen Unterricht so ein,
dasB die Vorstellungen des Zöglings snnlobst in die einfaclisten menseb-
licben Lebenslagen versetzt und allmilig, dem Fortscbrdten der gesebicbt-
lich nachgewiesenen Kultur entsprechend, in entwickeltere Verhftitnise
und schliesslich bis in die verwickelten Zustände der Gegenwart geführt
werden. Die wissenschaftliche Pädagogik ist auf anderem Wege tax diesen
Grundsätzen gelangt als Rousseau ; dass sie aber diesen fruchtbaren,
vielleicht erst nach Jahrzehnten allseitiger anerkannten und nutzbar ge-
machten Gedanken gefunden hat, ist nicht ohne Rousseau's Verdienst
möglich geworden. Auch den Robinson braucbt ^ moderne Pädagogik
anders aU Bonsseau; aber Roussiau bat den dgentflmlieben Wert des
Baches für die Erziehung aufgedeckt.
So ist denn Rousseau in viel höherem Grade als Pestalozzi, der im
Praktischen unmittelbarer auf die Schulen gewirkt hat, der Begründer
einer neuen pädagogischen Anschauung geworden; aber er
ist ihr auch nicht mehr geworden. Columbus hat der Welt einen neuen
Erdteil geschenkt, von dem er selb^ keine Ahnung hatte. Rousseau hat
das Gebiet^ das auf sein Vorgehen ^schlössen woäen ist, niebt einmal
mit Aug^ gesehen. Dieses Verhältnis des Genfer PbÜosophen sur mo» .
clernen Pädagogik lässt es sehr natürlich erscheinen, dass man bei ihm
Ansichten und Worte findet, denen oft nicht einmal die technische Ein-
kleidung fehlt, um sie in unsere modernen pädagogischen Systeme ein-
zureihen. Nach den eben gegebeneu Ausführungen ist es aber dennoch
ein grundsätzlich unberechtigtes Verfahren, Rousseau's Gedanken als
eigentlich pädagogische in unserem Sinn zu betrachten, au ver-
werten und zu besträten. Sein Verdienst ist dn rein historisches,
seine Abidebt eine sociale oder politische; al>er seine Stellung in
der Geschichte der Pädagogik bleibt unbestritten die des Befreiers
und Bahnbrechers auf dem Gebiete der Ersiehung.
*) Man wird mir vielleicht hier, wie bei ähnlicher Gelegenheit ein Re-
oensent es getan hat, ein gewaltsames Hereinziehen Herb art*soher Theorien
vorwerfen. Ich mUsste mir den Vorwurf gefallen lassen; da wir eine wissen-
schaftliche Pädagogik jetzt haben, nämlich die, welche Her hart begründet
hat, ist es wol selbstverstitndlich, dass wir in wissensehaftlicben Untersneiinngen
uns auf ihren Grund stellen. Wenn ich das mit voller Offenheit immer getan
habe, so muss es mir um so wunderlicher vorkommen, wenn ein Mann, der
sich auch zu Herbart's Schule bekennt, aber einer religiösen Ueberzeugung
huldigt, die ich nicht teile, mich einen der II er bar fachen Schule „Nahe-
stehenden" nennt. (Jahrbuch des Vereins f. wiss. Pädagogik 1878, S. 282).
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22
Mitteilnngen.
1. Einige Gedanken Ober den V. deutteben Semhiarielireiiag zu Weimar.
Dio Vrrliandliiiifron des deutschen Seminarlelirertages machen bei
ohcrnjichliclicr Hctruchtuiif^ einen entschieden gttn8tig:en Eindruck. Bei
näherem Hinsehen wird muu aber bald gewahren, dass das acliliessliche
Resultat für die Pädagogik von geringem Wert ist Fftr die Ttilnebmer
liegt die Sache allerdings ganz anders. Diese aiehen ans den persön-
lichen Besprechungen und gegenseitigen Unterhaltungen, aas dem gesel»
ligen Treiben und Reiben geistige Anregung genug, um mit heha^^liclier
Freude und Zufriedenheit der gemeinsam verlebten Tage zu gedenken.
Schlimmer aber sieht es aus, wenn inaii eich fragt, wie viel Förderung
die Wissenschaft aus der letzten Versammlung erwarten dürfe. Denn
dass sie Anspruch auf Förderung durch solche Verhandlungen hat, kann
wol nicht geleugnet werden. Ueberdles wird jeder Zweifel durch die
Form derselben unterdrttckt Denn nachdem der Vortrag gehalten worden
ist, wird eine Rdhe von Thesen einer dngehenden Besprediung unter-
worfen auf Qrund des weitverbreitete!! Dogmas, dass ohne Thesen eine
Versammlung sei wie ein Schiff auf weitem Ocean, jeglichem Sturm preis-
gegeben. Ich widerspreche diesem Dogma und erlaube mir keinen
weiteren Grund für meinen Widerspruch aufzuführen als den der lOrfahrung,
und zwar der Erfahrung vom letzten Öeniinarlehrcrtag, seibat auf die Ge-
fahr hin, f&r einen ganz gewöhnlichen Empiriker gehalten zu werden.
Die Erfahrung hat nftmlich b^piesen, dass eine Bdhe von Thesen
fttr eine Versammlung höchst genhrlich werden kann. Wenn diese
ihre Hauptarbeit darin erblickt, die aufgestellten Thesen zu amen-
diren, dislociren und zu corrigiren , gleich als ob es gälte ein Gesetz
zu machen, bei dem man iiiclit genug auf den fein abgewogenen, präcisen
und ersclKipfenden Ausdruck seilen ktiune, dann kann ich nicht anders
sagen, als die Versammlung arbeitete pour le roi de Prusse — d. h.
vergeblich. Wenn wir die in gemeinsamer Arbeit zurecht gemachten
Thesen lesen, wenn wir dieselben, dann mit den ursprttngllchen ver-
gleichen werden, wird uns wahrscheinlich eine gewaltige Freude flber-
kommen, was für ein grundlegendes und für alle Zeiten feststehendes
opus gescliaftVii worden sei im Lauf von 1 ' Tagen.
Doch Spott bei Seite. Ks lag mir nur daran zu zeigen, welche
Gefahr in mehr oder weniger gut formulirten Tlieseu für eine Lelirer-
versammluug liege, noch dazu, wenn eine Abstimmung über dieselben
erfolgt Ueber diese Abstimmungen einige Worte. Characteristisch fttr
dieselben ist es, dass derselbe .^trag binnen wenigen Hinuten von der
Majorität angenommen, dann umgestossen und verworfen werden konnte.
Andere Abstimmungen erlangten nur eine zweifelhafte Majorität, ohne
dass wir hierdurch dem Vorsitzenden einen Vorwurf machen wollen.
Uebcrdies weiss Jeder, welchen Zufälligkeiten derartige Abstimmungen
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23
unterworfen sind. Wir sind der Ansiclit, duss hier Abstimmungen
überhaupt nichts fruchten. Also weg mit ihnen. Weg dann auch mit
den Thesen. Will mau dieselben durchaus beibehalten, &o schneide
man jedenMs von vornherein den Streit um Worte ab, der bei der
mmfitKen, seitranbenden Correktur von Thesen so leicht entsteht Man
hat mancherlei Waffen daiu in der Hand. Solcher Wortstreit erdrückt
leicht das Gute, was awischendnroh gebracht wird, und hAlt Manche ab,
mit ihren r«'bevzou^ungen hervorzutreten. Einige Vorträge, welche aller-
dings hinsichtlich ihres Inhalts und ihrer Form vortreftiich sein niiissten,
wtirden — so meine ich — mehr zur Förderung der Sache wie der
Einzelnen beitragen, als langer iStreit um anfechtbare Thesen, Ueberdies
wflrde ja die Disenssion nicht abgeschnitten sein. Wer sich berufen
ftohlt, nach einem solchen Vortrag das Wdrt sn ergreifen, der mag reden.
Der Vorsitsende aber hat darauf sn sehen, dass zur Sache gesprochen
werde. Von der Geschicklichkeit seiner Leitung hüngt sehr viel ab.
Der Erfolg- einer solclien freien Discussion ist mit dnreli ihn bedingt.
Endlich verschweige ich nicht, dass hier und da die Ansicht vertreten war,
die betr. Vorträge sollten vorher zum Druck gclangeUj damit sich Jeder
gründlich zur Besprechung vorbereiten könne, in dem Verein für wissen-
schaftliche Pädagogik wird es so gehalten, und man kann wol behaupten,
dass die gesanunelten Erfahrungen für diese Einrichtung sprechen. Ich
kann mich in der vorstehenden Auffassung der Sache irren, habe aber die
Gewissheit, dass sie von sehr viden Teilnehmern der Versammlung unter-
stützt wird, ja sogar von Solchen — man verzeihe mir die Indiscrction
im Interesse der Sache — welche au den Correctur-Debatteu lebhaft
sieh beteiligt hatten. Bis die nächste Versaniinlung in der Hauptstadt
des ßeiches tagt, vergehen zwei Jahre — eine lange Zeil, in welcher
die vorgeschlagenen Aenderungen jedenfalls besprochen und event be-
rttoksichtigt werden können. Ich hielt es fdr meine Pflicht, den vorge-
tretenen Mangel hier objectiv aur Sprache zu bringen, in der Ueber-
seugung, dass, wenn der unnütze Streit um Worte beseitigt wird, die Ver-
handlungen der deutschen Seminarlehrertage mehr als bisher auch der
Wissenschaft zu (lute kommen werden.
Eiseuach. W. Rein.
2. Gründe für das Sklassige Seminar fm Verglefch zu dem 6klatai||en.*)
Vorbemerkung:
Bei dem 3 klassigen Seminar -wird als Vorbereitung eine 3klasi?ii?e I'rä-
paraudenaDstalt vorausgesetzt, so dass ebenfalls 6 aufsteigende Jalirescursc ent-
stehen, nur mit dem Unterschied, dass sie nicht in enier Anstalt vereinigt,
Bonderti in zwei — in eine VorbereitungsauBtalt und in das Seminar — ge-
schieden sind.
1 1 Im dreiklassigen Seminar lässt sieh eine grössere Einheitlichkeit
im Unterricht und Schullebcn erzielen. Bei einem vielköptigeu Lehrer-
*) Bio Redaktion wird sehr gern eine Zusammenstellnng von GrOnden für
das 6 klassige Seminar entgegennehmen und zum Abdruck bringen.
24
collegium wächst die Schwierigkeit, die erforderliclie Einheit in der päda-
gogischen Ueberzeugung und iu der gemeinsameu Arbeit herzustellen.
Gerade im Seminar ist aber eine TÖllige UebereinBtimmung unter den
Lehrkiiften von der grdsBten Bedeatung.
2) Im seehflkUBfliseii Seminar lernen die Schiller der unteren dassen
— in welchen der Direktor hOehstens in 1—2 Stunden Untenleht er-
teilen kann — denselben zu wenig kennen. Das dreiklassige Seminar
dagegen erleichtert es dem Direktor und den Lehrern, zu den Schillern
in ein näheres Verhältnis zu treten. Die Masse ist nicht so gross.
3) Die Arbeit des Direktors kaun im dreiklassigen Seminar hinsicht-
lich der pädagogischen Ausbildung der ZOglinge eine viel intensivere
sein, da der ^nifiMhe OrganiamnB des drjklaBaigen Seminars weniger Zeit
fta Verwaltung, Oonferensen, Verkehr mit den Eltern n. b. w. eribrdert
Alles dies mo98 der Hauptarbeit , der pSdagogischen Faehbildnng, sn
Gate kommen.
4) Die Erfahrung zeigt, dass mit dem Eintritt in das dreiklassige
Seminar ueuer Eifer und neues Streben den Schüler beseelt. Es ist ein
wichtiger Abschnitt für ihn. Im scchsklassigen Seminar erlahmt gar leicht
die Arbeitslust und die Arbeitskraft in den mittleren Elasseii. Wird aber
in den aechsjährigen Cnrsus dn tiefgehender Einsehnitt gemacht , dann
wird nicht nur dieser Nachteil vermieden, sondern neue Lusi und neuer
Eifer hervorgerufen.
5) Die Gegenwart wendet sich überall gegen ..Schulkasernon"; man
hat schlechte Erfahrungen mit ihnen gemacht. Warum sollte im Seminar-
wesen die Schulkaserne — das sechsklasaige Seminar — die beste
Organisation sein?
6) Das Ideal der Lehrerbildmigsanstalt ist die reine pädagogische
Fachschule. Das dreiklassige Seminar nähert sieh diesem Ideale mehr
als das seehsklassige, welches die allgemeine Bildung in ihrem ganien
Um&Dg mit besorgen mnss.
3. Der HerbarWerein zu Eisenach.
Der Herhartverein zu Eisenach, welcher im Jahr 1878 gegründet
wurde und gegenwärtig aus 10 Mitgliedern besteht, hat seine Tätigkeit
für diesen Winter am 15. Oktober wieder aufgenommen. Den ersten
Vortrag hielt Heir Direktor Ackermann über Conaentration des Unter-
richts. Vortrag und Thesen sind in der Allgemeinen Schnkeitnng, herans-
gegeben von Herrn Prof. Stoy^.in Jena, in Nr. 44 flf. zum Abdruck
gebracht. Der zweite Abend wurde durcli den Vortrag des Herrn Dr.
Staude über die culturhistorischen Stufen des Unterrichtes ausgefüllt.
Die Beteiligung an den Debatten ist eine sehr rege. iS. Herbart,
über pädagogische Diskussionen und die Bedingungen, unter denen sie
nützen können.)
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25
4. Ueberticht Uber die heutige SchuUtartographie
naoh W. Kiil — Srflut.
CBtthe K«kr. fUiff. BUtter, Band Tltt. (ÜBim, Haft 1. IHft lachtilgeB %to Atgast 18S9.>
Gh&t.
Sohleoht,
fir te VntoRlalit
Pbytlk.
Erde von Btt^-
hans. Gotha, Perthes
Chart of the World
von Berghaus (für
(1. Privatgebrauch).
Gotha, Perthes . .
Allgamaine Weltkarte
von Berghana (für
den Handgebraacb}.
Oothi, Pertfaee . .
Westl. u. Ostl.Pianl-
globea von Kiepert.
Berlin, Reimer . .
Wandkarted. Plani-
globea von Kozenn.
Wien, Hölzel. . .
Physik. Karten der
Erdtheile v. Kiepert
a 9-12 Mark, roh).
Berlin, Befaner . .
Physik. Wand-
karten der Erdtheile
von Sydow. Gotha,
Perthes ....
Physik. Wandkarte
von Europa v. Berg-
lutns. Gtofha^PertiieB
Physik. Wandkarte
T. Europa V. Kozenn,
Wien, Holzel. . .
Physik, Wandkarte
von Afrika von Cha-
vanne. Wien, Holzöl
Schul wand karte v.
Afrika v. V.v. Haardt
Wien, Holzel. . .
Wmdlartea der
fDnf Erdtheile von
BergbaoB & Gönczj.
Ootha, Perthes:
1) Wandkarte v.
Europa von Berg-
bans & GOnczy.
Gotha, Perthes . .
2) Wandkarte v.
Asien v. Bergbaus
& Gönczjr. Gotha,
Perthea' » . . .
10
12
10
11
10
12
80
Sebnlwsndkarte
in Merkator's Pro-
Jection von Serth.
Stuttgart Maier . .
Neueste Karte der
Erde in Merka-
tor's Projection
von Bromme-Banr.
Stuttgart, Maier
Schulwandkarte
der Erde Ton Keller.
1) östl. Halbkugel
9 Francs 50 Cents.
2) westl. Halbkugel
9' Francs. Zttrich,
H. Keller . . . .
Wandkarten der
wetH. u.ilH.lllliri(ugel
von Leeder. Essen,
Bädeker. Aufgez. ä
Erdkarte T.Sydow.
Gotha, Perfbei . .
Schulwandkarten
der westl. u. Ostl. He-
misphHre v. Ohmann.
Berlin, Wruck . a
Wandkarte von
DeuttcMand von Kie-
pert. Berlin, Bdmer
aufgezogen . . .
OnmelM Halbkugel
von Graf. Weimar,
Geogr. Institut.
Physik. Ausg. . .
Politische Ansg. .
Westliche Halbkugel
von Grät. Weimar,
Geogr. Institut
Physik. Ansg. . .
Politische Ausg. .
Schnlkarte Ton
WOrfemberg u. Baden
von Henzler. Heil-
bronn, Scheurlen .
Wandkarte Ton
WUrtemberg, Baden u.
Hohenzoliern v. Wiu-
kelmann. Esslingen,
W^clisrdt . . .
6
14
10
18
11
6
60
50
Die wssH. «. SsU.
Halbkugel v. Dewald.
Nördlingen, Beck a
Oestl. u. westl. Halb-
kugel von Hirs(;h-
mann & Zahn. Ke-
gensburg, Büsse-
necker
Schul Wandkarte
der wesU. u. Oatl.
Halbkugel von Holle.
Wolfenbüttel, Zwiss-
1er. 6 Blatt . . .
Wandkarte der
Ostl. u. westl. Halb-
kugel von Handtke.
Glogau, Flemming.
Aufgez
Planiglobcn (Thoto-
lithographien).
Weimar, Graap . k
Wandkarte von
Europa von Ham-
berg. Berlin, Cuhn.
Aufgez. ... .
Schulwandkartc
von Australien von
HandtJce. Glogau,
Flemming . . . .
Wandkarte von
Europa von Holle.
Wolfenbttttel,ZwisB-
1er
Wandkarte von
Europa von Leeder.
Pässen , Bädeker.
Aufgez
Wandkarte von
Europa von Schade.
Glogau, Flemming
Wandkarte Ton
Europa von Hirsch-
mann-Zahn. Re-
gensburg , Bösse-
necker
Wandkarte von
Europa von Koost &
Groonen. Httnehen,
Bieger
50
11
50
12
U
50
6
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26
Out.
Mit telmiiHHiß.
Solilcoht.
oder f&r den Unttrrieht '
onreticntt.
3) Wandkarte v.
Afrika v. Berghaus &
Gönczy. Gotha,
Perthes ....
4 i ^VaIl(lkarto v.
Süd-Amerika v. Berg-
hans & Günczy.
Goth.a, Perthes . .
5) WMndkiirte v.
Australien von Bcrjj-
hans Ä: (Jünczy.
Gothaf Pertlies . .
(NB. Diese Karten von
Bergbaat * OOnny sind
In an0»rlsoher Sprache
Europa. Wand-
karte für Schüle u. i
Haus von KuUcr.
Zürich, n. Keller.
1) FoUt.Aus?r. l6Fr.
2) Phys. Ausgabe.
18 Fr.
(Die politischo Aiigpabe
let auch für I)eiin>n-
Ftratiiiii lior phj »isilifu
Verh&ItniBge lebr gut
TarwMidter.)
Hypsometrisclie
Wandkarte v. Mittel-
europa vuu tStüiu-
•hanaer. Wien, Ar-
taria ......
(Fttr den Priyatgebraucb
Tonttglieh geiltet.) *
Wandkarte des
deutschen Reiches v.
Wagner. Gotha,
Perthes. Aufgez.
"Wanilkarte /von
Deutschland von
Petennann. Gotha,
Perthes. Anfgez. .
Wandkarte v(»n
Deutschland v. Mühl.
2. Autiage. Cassel,
lisoher
Ostterreich* Ungarn
von Berghans &
Güuczy. Gotha,
Perthes . . . . .
Wandkarte der
9sfar.*ungar. Monarchie
von Baur. Wien,
Hdlsel ... . . .
20
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Wandkarte von
Schlesien v. Schade.
Glogan, Flemming
Wandkarte von
Brandenburg von
bclmde. Glogau,
Flemming ....
Wandkarte von
Thüringen v.Schäffer.
Gotiia, Gläser . .
Nene Karte von
Europa vitn l^aur,
Stntt^Mi't. Maier
Wandkarte von
Oesterreidi-Ungani v.
Handtke ....
Umrisskarle d. Erde
von Watrner. Gotha,
liellfarth ....
Kurten von den
HemisphSren, Europa
u. Deutschland von
Vogel, Delitisch u.
Scäiaenbtu'g.
Leipzig, Hinriehs .
Geogn. Wand-
karte von Deutsch-
land v. Völler. Ess-
lingen, Weyehardt
Wandkarte von
Europa von (^räf.
Weimar, Geoj?r. Inst.
Orohydrogr. Ansg.
Politische Ansg. .
Wandkart.' von
Deutschland v. Win-
keliuann. Köhlingen,
Weyehardt . . .
Wandkarten der
ausscrdeidsch. Länder
Europa s v. Arendts.
Miltenberg, Halbig.
roll ä
Andree, Volks-
achulatlas. Biele-
feld und Leipzig,
Velhagen&Elasing.
Andree - l'utz^'cr,
Gymnasial - Atlas.
Leipzig, Veliiageu
Klasing . . . .
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Wandkarte von
Europa v. Ohmaun.
Berlin, Wruck
Aufj^ez
Wandkarte von
Europa v. Stülpnagel.
Gotha, Perthes . .
Wandkarte von
Europa v. llandtke.
Glugau, Flemming
Wandkarte von
Wittelcuropa von
1 1 ii I »schmann. Anua-
herg. Rudolf &Die-
terici .....
Wundkarte von
Deutschland von Lee-
der. Essen, BSdeker.
AniV''/
WuDii karte von
DsutschlSMl V. Henz-
1er. Stattgart, Kieger
Wandkarte des
deutschen Reichss v.
Dewald. Nörd-
lingen. Beck . . .
Sehuhvaudkarte
des deutschen Reichest
V. Handtke. Glogaa„-
Flemming . . . )^
Schnlwandkarte*^
von Deutschland von
Holle. Wolfenbüttöi,
Zwissler ....
WaiKlkartr des
deutschen Reiches v.
Sohr. Glogau, Flem-
ming
Stdinhvandkarle
von Deutschland von
Ohmann. Berlin,
Wruck
Wandkarte von
Deutschland v. Beiss.
Köln und Nenss,
Schwann ....
Wandkarte von
Deutschland von liuf
und Schmidt. Nürd-
lingen, Beck . .
Zwei Karten von
Deutschland von Carl
Bamberg. Weimar,
Selbstverlag von
Bamberg . . . .
15
60
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4150
7 50
6
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1
27
(Schleclit,
•der fOr dm VatMiIckt nff*«i|a*t.
Orohydro^raph. Wandkarte v.
OMterraidi-UngarD v. Banr. Wien,
Hölzel
Scliiihnuiclkaite OMierrviclh
Ungarn von B«iir. Wien, Artaria
Karte von SQddeutschland von
Mühl. Kaiserslautern, Tascher
Wandkarte von Bayern, WQrtem*
berg und Badeo Ton Schade.
Berlin, Keiiner
Wandkarte von Ostfriesiand von
Backer. Emden, Haynel . . .
Wandkarte yon Brandtnliurg
von Stviibing und Straobe,
Beilin, Straube
Wandkarte von Hessen • Nassau
▼on HOhl CasBel, Fiseher . .
Wandkarte von Hannover von
üuthe. Cassel, Fischer. . . .
Oesterreich ob und unter der Enns,
Wandkarte für Schalen t. Stein-
hanser. Wien, Artaria . . roh
Davou auch ciuzelu zu haben:
Sehnlwandkarte yon Oesterreich
ob der Enns roh
i^rlndw indkarte von Oesterreich
unter der Enns roh
jnTandkarte vom Herzogthum
Salzburg von Steinhanser, Wien,
Artaria roh
Wandkarte vom Herzogthum
Krain von Banr. Wien, Plölzel
Öchulwauilkarte vom ücrzog-
thmn Salzburg von Baur. Wien,
Holzel
Sclmhvandkarto vom Künig-
reich Böhmen v. Baur. Wien, Hölzel
Hydrotopogr. Ausgabe , . . .
Oroliydro^r. Aiisirabe . . . .
äciiuhvaudkarte von Böhmen
yon Kosenn. Wien, HKIkoI . .
SchnlwandkavTi' vmi Schlesien
und Mähren von Kozeno. Wien,
Hölsel
Sehnlwandkarte von Nieder-
Stierreich von ■ Kozenn, Wien,
Holzel
Sehnlwandkarte yon Ober»
Osterreich von Kozenn. Wien,
Hübel
Sehnlwandkarte yon der SIeier-
marlc von Kozenn. Wien, Hölzel
Sehnlwandkarte von KSrnten
TOB Koaenn. Wien, HOlsel . .
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Wandkarte von Deutschland von
Wildeis. Leipzig, Wunderlich
Wandkarte d. preussischen Staates
von Leeder. Essen, Bädeker
Karte von SUddeulschland von
Hirschmaun Zahn. Kegensburg
Bdaaeneekor
Pommern yon Kiepert Berlin
Keimer
Poten yon Kiepert. Berlin
Reimer
Brandenburg von Kiepert. Berlin
Keimor
Reichsland Elsass*LothringM yon
Kiepert. Berlin, Keitiier . .
Schleswig -Holstein von Kiepert
Schleswig, Bergas
Zelm Karten preusslscher Pro
vinzen von Handtke. Glogau
Flemming
Elsass • Lothringen von Handtke
Glogau, Flemming
Sehnlwandkarte von Thüringen
von Handtke ft Biehter. Giogan
Flemming
Wandkarte der thllring. Länder
von Grftf. Weimar, Geogr. Institut
Provinz Sachsen yon Stabba.
Leipzig, Kummer
Wandkarte der Provinz Sachsen
vonDobert Magdebnrg,Kröning*s
Söhne aut'gez.
Karte der Rheinprovioz von Reise.
Cüln nnd Nenss» Schwann . . .
Wandkarte vom Rheinland und
Westfalen von Fix. Gotha, Perthes
Karte von PalUHaa y. Handtke.
Glotrau, Flemming
Wandkarte von Palästina von
Völter. Esslingen, Weychardt .
Karte von Palästina von Baas.
Weimar, Kellner & Comp. . . .
Adami, Schulatlas, neu bear-
beitet yon H. Kiepert* Berlin,
Keimer
Amthor & Issleib, Volksatlaa
über alle Theile der Erde. Gera,
Issleib & Ivietschel ....
Bauer, Elementaratlas . . .
Flemming, Elementarschulatlas
Glogan, Flemming
Handtke, Sehnlatlas. Glogau
Flemminp
üoUe , Kleiner Sehnlatlas
Wolfenbttttel, Zwissler . . .
i-l«o
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28
Out.
Wandkurte der Schweiz von
Ziegler. Zürich, Wurster . .
Wandkarte der Schweiz von
KeUor. Zitridi, Keller. 15 Fr
Der Canfon Bern Ton Kautz
Bern, Antennen
Der Canton Vaud von Kautz
LaiuMuiiie
Wandkarte der Alpen Serth.
Dannstadt, Selbtverlag . . .
Wandkarte der Gesammtalpen
TOB Bandegger. Zfirich, Wurster
Wandkarte der Gtsamnitaipen
von Steinhäuser. Wien, Artaria
(Für den Prlvatgebrauch.)
Neue Wandkarte von Palästina
Ton Kiepert Berlin, Reimer
Volksschalwandkarte von Paläs«
Una von Kiepert. Berlin, Reimer
Karte von Palästina von Van
der Velde. Gotha, Perthes . .
Karte von PaJIsllna Hergt
Weimar, Geopr, Institnt . . .
Karte v. Palästina v. Kozenn.
Wien, Holzel
Karte v. PalätUna Leeder.
Essen, Baedeker
Karte von Palästina von Schade.
Glogan, Flemming
Wandkarte für den Unterricht
in der mathematischeo Geographie
von Jansz. Wen, Holzel . . .
Wandkarte fUr den Unterrieht
in der mathematischen Geographie
von Wetzol. BerUn, lioimer . .
Sternkarte v. MOUinger, Zlirieh,
Cäsar Schmidt
Aufgespannt mit liahmen . . .
Der nördliche OMtirale Himmel
von Keuter. Gotna, Porthos . .
Sternkarte v. Briiliow & Straube.
Berlin, Stranbe
Gcognostische Uebersichiskarte v.
Deutschland von Dechen. Berlin,
Neuraann
Geognostisdie Windkarte Uber den
Bau der Erde von Dr. BriUlow.
Berlin, Merk
Atlanten von Sydow, Stieler,
Lichtenstorn u. T.ange ....
Lange, Kleiner Atlas fUr
1—3 klassige Volksseholen.
Brannaehweig, Westennann . .
12
15
15
8
7
7
to
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7
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10
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50
50
20
— 60
Hclileokt,
9«a VntaKftabt
Hirschraann & Zahn, Atlas für
Volksschulen. liegonsburg,
BOsseneeker .
Issleib , Schulatlaa. Gera,
Issleib Sc Kietzschel
Matthen, Schnlatlas über alle
Theile der Erde. Weimar, Photo-
lithogr. Institut
Meyerstein, Atlas f. Elementar-
und Fortbildungsschulen . . .
Müller, SeholatlaB. Weimar,
Graap , .
HiUler, orohydro^r. Schnlatlas
Weimar, Graap
Kaaz, Schulatlas. Weimar,
Kellner ft Comp
Stössn», Elemente der Geo-
graphie in drei Cursen. Anna-
berg, liudolpii & Dieterici . .
Vogeler, Sehnlatlas. .Berlin,
Abeladorf
Woldermann, Schuiatlas, Berlin,
Cnhn
Out.
Geologische Reliefs von Prof.
Heim. ZUrich, Wurster & Comp.
1) Bin volletiind. Gletscher
samnit errotisclien Erscheinun-
gen, 62 cm. lang, 4ü cm. breit,
Berge 19 cm. hoch. 120 Fr.
2) Eine vulkanische Insel,
68 cm. lang, 52 cm. breit, Höhe
des Kratorrandes 1 2 cm. 1)0 Fr.
3J Eine DUnenlandschaft u.
Steilküste des Meeres. 75 Fr.
4) Thalbildnng durch Erosion
(Gebiet e. WUdbaehes). 100 Fr.
Im EnehttiiiMi iMgrUten und hU 1880
5) Gebirgßg^nippe ans Sedi-
mentgesteinen mit Faltung u.
Verwitterungsformen.
6) Die Verwitterungsformen
eines ans krystallinischen Schie-
fern ))esteheuden Gebirges.
7) Ein Kuppengebirge.
S) Ein Platoanjxebirt^'o.
9) Ein Kettengebirge,
10) Eine Karrenfliche n. Ab-
trafjsfornien.
(Die Ileim'Bchen Keliefa ihid, soweit sie
fertig, d&s VoriüKlichbtc , waa bi« jetzt
in Bezug auf Herstellung geographischer
Lehrmittel geleiatot wurde )
Zwei terminologische Reliefs von
Moureck in Prag. Das grössere
Das kleinere
40
35
65
50
50
50
76
40
24
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29
Out.
GiobM Ycm Caator GnMt in
Sensburp
Globen von 8eliotte& Co., Berlin,
Globen von Felkl Sohn,
Rostock bei Prag
Globen yom Geogr. Institut in
Weimar .
Gtoben von. Dietrich Beimer in
Berlin
Lange, Neuer VolkeBchulatlaB.
Braunschweig, Westermann . .
V. von Haardt, Geographischer
Atlas fUr Volkööchulen. Wien,
Holzel
Debes, Kleiner Sclinlatlas.
Leipzig» Wagner & Debes . .
Debes, RepetitionsatlM anm
Kleinen Schulatlas:
1) Hydrogr. Ausgabe . . , .
2) Orogr. Auagabe
Steinhäuser» Yolkasoliiilatlas.
Wien, Artaria
Steinhauser, Atlas z. Unterrichte
in Mittoiaelinlen. Wien, Artaria
Georgen s , Stembilderbaeh.
Wien, Dellmarch
GxSr, Handaüaa des Himmels
und der Erde. Weimar, Geogr.
Institut In 33 Blättern . . .
In IS BlXttorn
Hammer, Schulatlas der neu-
esten Erdkunde. Nürnberg, Serz &
Comp
Dlustrirter Volksutlas in 52 Kar-
ten. Stuttgart, fioffmann. In
Lieferungen ä
lUustmter Handatlas. Leipzig,
Brockhaus
Kiepert, Kleiner Schulatlas.
Berlin, Beimer
Kiepert, Handstlas. Berlin,
Reimer
Kozenn, Geogr. iscliulatlas für
Bürger- und TOchtersohnlen.
Wien, Holzel
Kozenn, Geogr. Atlas für
TOchter- und Bttrgersehnlen.
Wien, Holzel
Kosenn, Geographischer Schul-
atlas. Wien, Hüliel .....
1
20
90
20
I
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00
40
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20
Ii)
80
20
60
Out.
Kozenn , Orohydrographlseher
Atlas. Wien, Hülzel . . . .
Liebenow, Atlas der neueren
Erdbeschreibung. Berlin, Nicolai
Preysinger, Astronomisoher
Bilderatlas. Stuttgart, Nitzschke
Preysinger, Atlas des gestirn-
ten Himmels. Stuttgart, Weise
Braun, Himmelsatlas. Stuttgart,
NItssehke
Berghaus, Sechs Karten zur
physikalischen Erdkunde. Gotha,
Perthes
Bat^stein, Beliefiitlas. Frank-
furt, Donndorf
Scheda, Atlas der neuesten
Geographie. Leipzig, Brockhaus
Scheda-Steinhauser, Atlas zum
geographischen Unterrieht Wien,
Artaria
Stieler, Handatlas. Crotha,
Perthes. In 90 Karten ....
Stetnhanser , Oradneti • Atlas.
36 Blatt. Wien, Artaria . . .
Steinhauser, Repetitions- Atlas.
14 Blatt. Wien, Artaria . . .
Steinhäuser, Atlas fUr den
Unterricht inderVateilandskiinde
Wien, Artaria
Steinhauser, Atlas für Mittel-
schulen. Wien, Artaria . . .
Sydow, Methodischer Hand-
atlas. Gotha, Perthes ....
UUenhnt, Reliefatlas. Heil-
bronn, Gebrüder Henninger . .
Wagner, Schulatlas, neu heraus-
gegeben von Prof. Dr. Kirchhoff.
Dannstadt, Köhler
Wettstein, Schulatlas. Zürich,
Wurster & Comp
Wettstein, Schulatlas in 25 Blät-
tern. Zürich, Wurster & Comp.
Plastischer Atlas über alle
llieile der Erde nach BeKeft und
Zeichnungen von WoMeniKinii.
Weimar, Gast & Comp, in Lie-
fvnngen 4
1
4
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10
1
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16
9
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3
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»0
5. Das Schneeglöckchen, (Galanthut nhralit).
Eine Präpwatioii fflr die Mittelstufe.*)
Bemerkung: Der Unterrichtsstunde ist eine Excursion in den
Schul- oder einen anderen grösseren Garten vorausgegangen, auf welcher
das Erwachen der Natur bei uaheudem Frühling beobachtet uud be>
äproiiheu wurdeu ist,
Ziel : Wir wollen einige von den Pflanse% die wir hd onserm ersten
Spaziergange im Qarten blOhend gefunden lui%&n| nun genauer betrachten«
L Stufe.
a) Ihr habt schon früher (in der Ileimatskunde) Pflanzen kennen ge-
lernt. Kennt einige! Aus welclicn Teilen bestanden diese? (Wurzel,
."Stengel, Blätter uud Blüten i. Gebt an, was ihr von diesen Tt ilen wisst!
(Uic Wurzel steckt im Boden, mit ilir hält «ich die Pflanze lest, sie
nimmt die Nahruug aus dein Boden auf, wächst nach abwärts u. s. w.)
Habt ihr den Winter über auch Pflansen gesehen? (In der Schulstube
oder SU Hause Top%ew&chse. Es werden dabei auch getriebene Tulpen
und Hyacinthen genannt werden, bei deren Einsetzung von den Kindern
die- Zwiebeln gesehen worden sind.) W«r in der Küche geholfen , hat
dort auch Pflanzen und Pflanzenteile gesehen. (Wirsing, Kartoffeln,
Zwiebeln, Porre u. s. w.) Wer hat beim Kartoftelschälen geholfen? Was
habt ihr dabei gesellen? i Augen an der Knolle, eine dünne, Imiune oder
röthliche Schale, innen weisse, dichte Masse). W^er hat Zwiebeln ge-
sehllt? (Aussen dünne trockene Haut, innen fldschige Schalen, die sich
umschliessen, unten dünne Wurzeln tu s. w.)
Im Frden gab es im Winter auch noch Pflanzen zu sehen. (Bftume,
aber ohne Blätter. Sie haben auch jetzt noch keine Blätter, aber auf
der Excursion sind die schwellenden Knospen beobachtet worden. Einige
Knospen wurden untersucht: Aussen braune, trockene DeckeU} innen
bereits die jungen Blätter, auch Blüienaulagcn).
(Zusammenhängende Wiederholung).
b) Welche Pflanzen blflhen aber jetzt schon im Freien? (Groens,
Kieswurz, Schneeglöckchen).
Von den genannten Pflanzen habe ich diese nü^ebracht (Schnee-
glöckchen gezeigt).
Wer kennt die Pflanze noch? Gebt an. was ihr vom Spaziergang
her noch von ihr wisst ! iSie stand im Basen uud auf Beeten in Gruppen;
ihre Blätter waren lang nnd schmal ; an dem Stengel war nur eine
Blüte, die hängt abwärts uud ist geformt wie ein ülöckcheu). Habt ihr
sie auch noch anderswo gesehen? (Strinsse auf dem Markt; zu Hause
in einer Blumenvase). Warum finden wir sie im Garten und in der
Stube? (IHe Leute haben das Schneeglöckchen sehr gern, weil es schön
Die Redaktion beabsichtigt, in jedem folgenden Hefte Präparationen
' ans verschiedenen Unterrichtsfächern zu brinprcn. I)ie8elben schliessen sieh der
Herbart'scben Methodik an. ä. Ziller'a Vorlesuagea Uber ailgeueiue Pädagogik
$ 23 u. 24.
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31
aussieht und angeuehm riecht Aach bllLht es schon, wenn fast alle
anderen Blumen noch in der Erde stecken). Ihr wisst gewis auch,
wamm diese Pflanze Schneeglöckchen heissi (Ihre Blttte ist weiss wie
Schnee, steckt mancbmal auch noch unter dem Schnee und hat die Ge-
stalt eines Glöckcbensi. In Unserem Lesebache stand ein Gedicht: n^^nd
und Schneeglöekclien."
Kind: „Ei, Schueeglückehen ; du kannst gcwis mir sa^en,
• Warnm du wol magst diesen Namen tragen?"
Schneeglöckchen: «Heia liebes Kind, das soll bedeuten,
I)a88 ich muBs den Schnee va Giabe liUiten."*)
Man läntet aber nicht blos zu Grabe, sondern auch an und^vor
den Feiertagen. Das letztere nennt man „e in läuten.^
Will das Schueef;;löckchen uuch e i n läuten ?
„Du kleines Glücklciu, weiss wie Schnee,
„Wie freu ich mich, wenn ich dich seht
„Üu wogst im wilden Sonnenschein
„Und läutest den lieben Friihliug ein
(B. Harms).
Oder: cAuch bei Kindtaufen [auf dcui Laude] wird geläutetj.
„Schneeglöckchen tut läuten!
Was hat das zn bedeuten?
Ei, gar lin lustig Ding!
Der Frühling heut' geboren ward,
Ein Kind der allerschünsten Art.
Zwar liegt es noch im weissen Bett,
Doch spielt es schon so wundernott. ^
D'ruui kommt ihr Yügel aus dem Üdd
Und bringet neue Liwer mit!
Ihr Quellen all
Erwacht im Tal!
Was soll das lange Zandern!
Sollt mit dem Kinde plaudern!*^ (Beinick)
<]>tM« Gedieht« wodcm als hekmnnt Torau^KM-^F t/t . ia sie in den LaMUelMn fll* dl« VBt«ntnfe
ealhaltoii s:ud).
Wiederholt nun alles, was wir vom Schneeglöckchen gesagt haben !
— Von dieser lieben Pflanze wollt ihr gewis noch niclir kennen lerneiu.
In uuäcreui Lesebuch {Z. i». Lüben III isr. 179: Daa Schnee-
gldckchen, v. Scheuerlein) steht in einem Gedicht noch mehr Ton dem
Läuten des Schneegldckene, und in einer langen Geschichte (Nr. 180:
des Winters und des Frahlings Streit) wird uns erzählt ^ warum die
Pflanze Schneeglöckchen heisst Das lesen wir in der Loses tunde^
Jetzt wollen wir sehen, was wir an der Pflaiize selbst noch lernen kOnnen.
A. IL Stnfe.
Austeilen der Pflanzen.**)
»
a) Habt ihr volUtändige (ganze) Pflanzen erhalten?
*) In manchen <Jegenden wird morgens früh geläutet, wenn jemand ge-
storben ist, man nennt dan „bin läuten". Das kann erwähnt werden zu dem
folgenden „einläuten".)
**) Der Lehrer legt auf jede Hank die nötige Anzahl von Pflanzen ; dann
ertolgt das Austeilen taktmässig. Die Manzen werden von den ächUiern nur
32
Was fehlt euren Pflanzen? (Das, was von ihnen in der Erde steckte
Warum habe ich euch das nicht mitgegeben? (Es hätten sehr viele
Schneeglöckchen ausgegraben werden mttssen, dadurch würden ihrer
immer weniger werden).
Hier sät ihr ein vollständiges SehneeglOckchen. Zeigt daran, was
in der Erde gesteekt bat!
Wie viele (unterirdische) Teile unterscheidet ihr da? (Zwei, einen
dicken [knolligen] Teil und dünne [fadenförmige] Wurzeln). Den dicken
Teil wollen wir zuerst betrachten. Welche Gestalt hat er? (Wie ein Ei,
eine Zwiebel, eine Knolle). Vielleicht ist es eine Zwiebel oder eine Knolle.
Welche Farbe aussen? Ich schneide ihn der Länge nach durch.
(Innen ist er weiss, aus mehreren Stücken zusammengesetzt). Zählt sie!
(Zdchnung an der Tafel). Jetit sehneide ieh diesen Teil quer durch.
Was bemerkt Ihr? (Ringe, die Äussern nrnseUiessen die Innern). Blättert
die Stücke dnieln ab? Beschreibt die einzelnen Stücke. (Anssen häutige
vertrocknete, innen fleischige. Sie stehen auf einer dünnen, runden
Scheibe. Aus der Mitte dieser Sdieibe crlirbon sich, von einer dünnen
Haut umgeben, zwei grüne Blätter und ein grüner Stengel, unten sit/.en
an ihr die Wurzeln). Die Zwiebel bestand auch aus solchen Teilen.
Wir nennen den beschriebenen Teil auch beim Schneeglöckchen ZwiebeU
(Zusammenhängende Darstellung nnd Einprägung).
b) Woher die iwei Blätter nnd der Stengel kommen^ habt Ihr
sehen gesehen. Betrachtet die Blätterl (Grangrttn, an der Spitae welssliehy
lang und schmal, vom Grunde aus bis gegen die Spitze hin gleichbreit).
Sie haben also die Gestalt eines Lineals, deshalb werden sie gleichbreit,
oder linealisch genannt. (Das Blatt ist überall glatt, am Rande ohne
Einschnitte, mit gleichlaufenden Nerven versehen. [Leicht zu bemerken,
wenn man das Blatt gegen das Licht hält]. Die Mittelrippe erscheint
auf der Oberfläche als Rinne, auf der Unterfläche als Kante. Länge
nnd Brdte des Blattes Ist zu messen.)
0) Betrachtet den Stengel! (ÜieBeseichnnng „Sehaft** gebranchen
idr erst später, wenn auch beblätterte Stengel vorgekommen sind).
(Grangrün, von den Seiten etwas zusammengedrückt, fast zweischneidig,
länger als die Blätter. [Zu messen]! Er trägt keine Blätter, nur nahe
der Spitze ein zusammengedrücktes, hautartiges Blatt mit zwei grünen
Streifen. In diesem steckt die Blüte vor dem Aufblühen wie in einer
Sohelde [an einem noeh oidit aufgeblühten Exemplare zu zeigen]. Des>
halb hdsst dies Blatt die Blfttensehelde.)
d) Wdcher Teil der Pflanze steht oben auf dem Stengel ? Seht
nach, ob der obere Teil des Stengels ebenso beschaflien Ist vie der untere?
dann in die Hand gononimen. wenn ein bestimmter Pflanzenteil zu betrachten
ist Dem Spielen mit den Pflanzen ist gleich von vornherein entschieden ent-
gegen zu treten. Es ist nicht nötig, dass sämtliche Pflanzen in voli-
stlndigen Exemplaren den Schfllem In die Hand gegeben werden. Das
würde, besonders bei perennircnden Pflanzen, eine ar-^e Verschwendung sein
und dem Zerstörangstriob der Kinder Nahrung geben. In den meisten Fällen
genügen einige vollst&ndige Ezemphure, die der Lehrer Toisefgt und, weig»
nOtig, von einzelnen SohlUem untersuchen VSmt
33
Wo fingt to dllime hübsch geb<»gene TeQ de» Stengels an? Wie hdast
er, wdl er die Blüten trägt? (Oben wird er ivieder sttTker, l>echerfi)nidg;
aOF jUegem stärkeren Teil sitzt die Blume).
Betrachtet die Blüte von aussen! (3 schneeweisse Blumenblätter,
von länglicher Form, mit Läugslinieu durchzogen. Unten hängen die 3
Blätter etwas zusammen).
Nun schaut in die BIflte hinein! (Noch 3 kleinere Blumenblätter,
an der brdten Spitze ndt einem iänschnitfc, anch rein wdsB, aber auf
der Anssenadte mit einem henfitemigen grflnen Fleek und an der Ihnen-
aeite mit 8 gelbgrflnen LSngsstreifen. Sie stehen nicht vor, sondern
zwischen den äusseren Blumenblättern ). In der Blüte ist aber noch mehr
zu sehen. (6 gelbe, längliche Beutel, die auf kurzen Fäden stehen, zwci-
fächerig sind und sich an der Spitze mit zwei Löchern öifnen. — Die
Beutel werden untersucht — Es ist gelber Staub in denselben). Deshalb
werden sie Staubbeutel genannt^ der &denförmige Teil heisst Staub-
faden. Das Game heiMt Staubblatt (Wie könnte aus einem Blumen-
blatt ein Staubblatt werden)? (Die SUubbUtter rind halb so lang, il»
die inneren Blamenhronenblätter. Sie sind in 2 Kreiae geordnet, die 3
äusseren stehen vor den äusseren, die 3 inneren vor den inneren Blumen-
kroneublätteru). Nun steht noch etwas in der Mitte ! (Ein fadenförmiger
Teil, einem Stift [Griffel] ähnlich). Er wird auch der Griffel genannt '
Länge desselben? *
Hat das Bchneeglöefcehen wol aneh Samen? Wo suchen wir den-
selben? .Hier ist ein ▼erbllihtes SefaneeglOckehen : die Blumenblätter
welken, auch die Staubblätter fallen ab, der Griffel verwelkt ebenfalls.
Was bleibt? Diesen dicken, knotenförmigen -Teil, auf welchem alle
Blütenteile standen, wollen wir untersuchen. (Querschnitt und Längs-
schnitt. 3 Fächer mit vielen runden Körperchen, die nach innen zu
angewachsen sind). Hier bildet sich ali^o der Samen. Der Samen mit
»einer Umhüllung heisst aber die Frucht
So lange die übrigen Bltttentdle noch nicht abgefallen sind, nennt
man den Teil, in welchem sich die Samen bilden, Fruchtknoten.
Wenn der Fruchtknoten unter den andern Bllltenteilen steht, nennt man
ihn „unterständig.**
Wie er wächst, und w^ann die Frucht reif wird, wollen wir bei
unseren künftigen Spaziergängen im Garten weiter beobachten,
d) Nun wiederholt die ganze Beschreibung des Schneeglöckchens,
fügt auch gleich hinzu, was ihr über diesen Namen, Standort und Blüte-
zdt des Schneeglöckohenfi wisst*)
•) Die einzelnen Stticke der Beschreibnng sind an der gehörigen Stelle
zusammenbängend wiedergegeben , eingeprägt und zu i^rösseren Abschnitten
zusammengestellt worden. Jetzt kann verlang^ werden , dass die Sdilller die
ganze Beschreibung zosammenhängend ausfuhren und zwar zunächst noch mit
Znhülfenahme der Pflanze, dann aber auch ohne unmittelbare Ansch an nng; (dla
Pflanzen liegen dann im 1 ult). Stellen sich dabei Unklarheiten herauä, &o mu^s
der betreffende Pflanzenteil nochmals angesehen werden. Auf die botanische
Kunstsprache wird .infangs wenig Gewicht gelegt. Was davon nötig ist, richtet
sich nach der Schulart und den Zielen des botanischen Unterrichts und wird
naeh und nach gewonnen. Eiaaelne Absohnitte der Beselueibung können auch
PtdAgog. BtadteB. K. V. I. . 3
34
e) Welches ist der schönste Teil des Scbneeglöokcheiu ? Wag
fidlt dir daran besonders? (Form und Farbe).
' Ein kleines Gedicht : *)
Zierliches Glockchen !
Vom Schnee, der von den Fluren weggegangen,
Bist du mOokgebliebea als ein Flöckchen.
(Bttckert.)
Oder :
Dtt kleines Glöckchen, weiss wie Schnee,
Wie fren' ich mich, wenn ich dich seh', *
Dn wogst im milden Sonnenschein
Und läutest den lieben Frühling ein.
Ich grüsse dich mein Blümelein,
In deinem weissen Kldd.
i)ti bist so zart, so nett nnd feiiiy
Gleich einer holden Maid.
Kaum ist zerronnen Schnee und Eis
Auf Feld und Wiesenflnr,
So blühest du im zarten Weiss
Begrüssest die Natnr.
Doch geht dir's, wie «9 allen geht,
Eins treibt das and're fort.
Wir alle werden ja verweht,
Doeh JenseitB btdn'n wir fort.
• (Chr. Harms).
IIL Stufe.
Jedes von Euch bat ein anderes Schneegl()ckchen. Wir wollen
sehen, ob (üns wie das andere beschütten ist.
Lo^t zwei und zwei zusanimeu und vergleicht: a) Stengel, b) Blätter,
e) Blüte, d) Zwiebeln, e) Woraeln. (Es zeigen sicli nur geringe ünter-
sehiede in Form nnd Grdsse).**)
IV. Stufe.
a) Gebt nnn das Gemeinsame Yon allen Scbneegldekoben an! (Afle
Schneeglöckchen haben eine rundliche Zwiebel mit fadenförmigen Wur-
zeln, schmale (liucale) Blätter mit gleichlaufenden Nerven, einen saftigen,
blattlosen Stengel, der an seiner Spitze eine Blütenscheide und eine
einzige Blüte trägt. Die Blüte hängt über, ist glockig, (3 blättrig iteilig),
hat 6 Staubgeßisse, einen Griflfel und einen unterständigen, 3 fächerigen
Fruchtknoten. Die inneren Blnmenblttter sind kleiner, ausgerandet und
aussen mit einem grOnen Fleck versehen.
b) Zdohnet: (auf den Rand des botanisciien Heftes).
1) die Zwiebel mit der Wurzel, 2) dn Blatt, 3) den Stengel mit
der Glocke, 4) ein äusseres, 5) ein inneres Blumenblatt
schriftlich wiedergegeben werden. (Aufsätze im doutsciien Unterricht und »stille
Beschäftigung." Besonders eignet sieh die Zusammenfasenng (Stufe lY) cum
Eintragen in ein IToft.
*) Grüssere Gedichte oder Lesestücke, welche einzelne Stufen illnstriren, '
werden der Losestunde überwiesen, kleinere werden gleich angeschloesm.
**) Das Schneeglöckchen mit anderen Pflanzen zu vergleichen und einer
natürlichen Gruppe einzureihen, liegt noch keine Nötigung vor. Es bildet den
Bepräseutanten einer solchen Gruppe (Familie), an welchen später auf-
tretende äbnliehe Pflanzen angesohlossen werden.
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35
B. n. Stafe.
Wir. mttBsen uns nocli ebmud mit der Zwiebel des ScbneeglOek-
cheDS befassen, denn wir wissen noch nicht, zu welchem Haupttdl der
Pflanze wir sie stellen müssen. Beschreibt sie noch einmal ! —
Zählt ihr sie zur Wurzel, zum Stengel oder zu den Blättern ? (Wahr-
scheinlich gehört sie zur Wurzel, dcun sie steckt in der Erde).
Wohinwärts wächst die Wurzel?
WohlAwärts sind aber die Spitzen der Zwiebelschalen gerichtet?
Wo entsprangen die Sehnlen?
Wo die Blltter nnd der Stengel?
Wodurch nur unterscheideu sich die Blätter von den Schalen?
Wozu .könnten wir da wol die Schalen rechnen? Solche unent-
wickelte Blätter nennt man Nieder blätter; zum Unterschied von den
Laubblättern.
Worau stehen aber die Blätter gewöhnlich bei den Pflanzen ?
Ist denn hier nicht auch ein Teil vorhanden, der den Stengel vertritt?
Wo stehen am entwiclcelten Stengel die jüngsten BUtter? Wo bei
der Zwiebel?
Sprich nun über die Bedeutung der Zwiebelteile !
(Die Scheibe kl^nnen wir als selir kurzen Stengel, die Schalen als
Blätter ansehen).
III. Stute.
Wir wollen sehen, ob das bei anderen Zwiebeln auch zutrili't.
Zerlegt diese Zwiebel (Allium Cepa)! (Dieselben Tdle werden ge-
funden, der Uebergang der Zwiebeisebaien in die LanbbUltter tritt dentlieh
hervor, noeh besser bä Allinm Pormm). — Vergleiebt nnn mit der Zwiebel
eine Baumknospe ! (Die Aehnlichkeit ist sehr gross : Trockene Schalen,
schuppige Blätter, deutliohe Stengelblätter und ein noch unentwickelter
Stengel [Ast]).
IV. Stufe.
a) Die Zwiebel gehört nicht zur Wurzel, sondern ist ein sehr kurzer
Stengel mit Kiederblätteru. Sie hat sehr grosso Aehnlichkeit mit einer
Knospe.
b) Zeiehnet dne Zwiebel, die der Länge nach nnd eine, die quer
dnrehBcbnitten ist.
V. Stufe.
a) Welche von den vorliegenden Pflanzen haben Äebnlicbkdt mit
dem Sebneeglöekehen? Ordne sie der Aehnliebkeit nach! (Galanthas,
Leucojum — wenn es schon zu haben ist — Groeus. — £rantliis oder
Helleborus geliören nicht dazu).
Wodurch unterscheidet sich die zweite Pflanze (.Leucojum) von der
ersten (Galanthusj?
b) Bätsei:
1) Das Erste ist weiss nnd rein, das Zweite tönt in dcui grünen Wiesental
und ruft die frommen Christen sum Gotteshaus; das Ganse bltllit, wenn das
Ente entweicht
NB. (Das Goethe'scbe Bätsei: »Jede gute Gabe» die von oben stammt, ist
weisB und rein; d'rum muss ich die erste loben* eto. dürfte der Form nach zu
schwer sein).
3»
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36
2) Ich kenne ein Blümchen so einfach und schön
Wie Engel des Himmels im Lichtglanz zu seh'n.
Es ist dieses Blümchen wie Unschuld, so rein,
Es hüllet bescheiden in Demut sich ein.
Noch trauert die Erde im stanenden Eis,
Da blüht schon die Ztrte im blendenden Weise.
Doch ehe die Nachtigall singet ihr Lied,
Iflt schon mein liebliches Blümchen verblüht.
Es lieheit voll Wehmnt, voll Milde mir n.
Dann 'welken die Blätter, es eilet zur Ruh.
Ich liebe dich, Blümchen auf schneeiger FloTi
Du bist mir ein Bote der schönen Natur.
0 wäre das Leben ein Bild nur von dir:
Der Hensoh wifar ein Engel, ein Himmel schon hier.
(Nach H. Bobolsky).
Eiaenach. E. Seheller.
6. Eine an die Herbart-Zillei'sclion Kreise gerielitele melhediiebe Fktme.
Nach § 67 des Leipziger Seminarbuchs (Jahrbuch VI, Seite 209)
hält es Herr Professor Ziller für zweckmässig, dass im deutschen Unter-
liebte das Saelilielie der snr luteniehtliehen Behandlung kommenden
Lesestflcke den einzelnen sachliclieii UnterrichtBfiliehem überwiesen werde.
aber im einaelnen Falle das Sachliche doeb nicht blos reproduktions-
weise, sondern zum Behufe seiner Erzeugung in die deutsche Stunde
selbst hineinzuziehen, so müsse dasselbe zwar bis zur Synthese seiner
eigenen Natur nach behandelt werden, die methodische Durchbildung
Aber die Synthese hinaus aber habe dem Sachuuterricht zu verbleiben.
Dem gegenüber stehen die unter der Aufsicht des Herrn ProfeBSor Ziller
in den Jahren 1876—1878 entstandenen Prftparationen des Leipziger
Seminars, in welchem Tielfaeb ancb das SacbUebe neben, dem
Sprachlich-Formalen fortgeführt wird, l. B. die Präparationen
über den 3. und über den 7. Gesang in Hermann und Dorothea, welche
nach getrennt gehaltenen sachlichen und sprachlichen Synthesen eine
aus sachlichen und sprachlichen Bestandteilen gemischte 3. , 4. und
5. Stufe enthalten. Ist das, abweichend vom Scmiuarbuche,
in neuerer Zeit Unterriobtspraxis in der Seminarschule?
Und wenn nnter ümstflnden ancb das Sachliebe eines
Gedichtes Uber die 2. Stufe hinaus fortgefithrt wird, ist
es dann gestattet, das Sachliche und Sprachliche von
der Stufe der Association an neben einander herlaufen
zu lassen, oder sollte nicht doch die scharfe Sonderung
beider den Vorzug verdienen?
Eine Auslassung aus Zillerschen Kreisen über diese im Unterricht
immer etwas schwierigen Punkte, zu welcher hierdurch angeregt werden
Boll, Würde von allen denjenigen wülkoramen geheissen werden, die den
Ziller*schen Ideen geneigt sind, ohne dsss sie Gelegenheit haben, den
Fortgang der Ziller'schen Geduikenarbeit bis in*s Einielne des ünter-
rlchts hinein zu verfolgen.
Eisenacb. PickeL
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37
IIL Becensionen und Anzeigen.
Zusendangen bittet man an die Redaktion der pädagog. Stadien, Dr. Sein ia
Eisenaeh, sii rlofaten.
Die Concentration des Unterrichts
und die cmMiMselie MelMe.
Vortrag von Johann Wawrzyk, ab-
gedruckt im Wiener pädagogi-
Bchen Jahrbuch v. 1878.
Eigentlich sollte es so sein: Wer
über eine Sache schriebe, mUsste auch
etwas davon verstehen. In pädagogi-
schen Dingen ist das leider sehr oft
nicht der Fall, auch nicht bei unserem
Verfasser. Aber das macht ihm nichts
aus. Er hat manches llher «Ooncen«
tration*, Uber „concentrisch* gelesen,
er hat sich auch eine hübsche Samm-
lung von pädagogischen Eedensarten
angelegt, er verftlgt ausserdem über
eine Anzahl vielsaj^ender Schlagwörter,
und das alles bringt er in einen ge-
wissen Zusammenhang. Auch so lltost
sich eine Abhandlung schreiben. Frei-
lich Sinn ist nicht immer darin. Aber
was schadet das? Ja dimkler. desto
geistreicher, desto philoaopiiisoher
acheint man.
Diese Schildernng könnte etwas zn
schlimm erscheinen. Ich teile deshalb
eine Probe aus der Abhandlung mit.
S. 39 des Jahrbuches heisst ea: „Wel-
ches ist also die rechte C!oncentnition,
da es weder die auf den Stofif, noch
die auf die dem Stuffe innewohnende
Kraft abiieleDde (?) Concentration ist?
Die rechte Concentration ist jene,
welche sich dem Unterrichte als einem
Organismus unterordnet. (!!!) Denn
aller Unterrichtsstoff ist weder rein
materiell, noch genüget es seine Kraft
allein in Anschlag zu bringen ^ viel-
mehr ist derselbe stets als ein orga-
nischer (!) zu betrachten, und die
richtige Concentration muss diesen
OrgamsmiiB (!) respectiren, wenn de
(die richtige?) nicht auf Irrwege ge-
raten will. Der Unterricht darf nicht
ein wirres Durcheinander der verschie-
densten Arten der Geistestätigkeit (?),
sein Inhalt darf nicht ein Conj^lomerat
der heterogensten Stoffe sein, deren
I.
Beziehungen zu einander (!) nicht die
mindeste Berücksichtigung finden ;
wäre er das Gegenteil (NB. geraeint
ist: ein solches), so mUsste der Orga-
nismus (!) der Seele leiden, da die
verschiedenen Seelentätigkeiten ohne
Zweck und Ziel ansdnander fallen
würden (?), da die organische (!) Kraft
der Seele nicht allein im Stande sein
kann, einen solchen Wirrwarr an ord>
nen. Das Ziel des Unterrichts ist nicht
Allseitigkcit, nicht Einseitigkeit des
Interesse, sondern eine geordnete Viel«
seitifi^eit; diese muss er zu erstreben
suchen, wenn er einen Gesammteffekt
hervorbringen will (?); er muss also
nicht blos derBinheit seines Inhaltes (!),
sondern auch der Einheit seines
Zweckes (Vielseitigkeit des Interesse !)
sieh bewnsst bleiben. Diese Einheit
des Unterrichtsmaterials (!), die ver-
lanet wird, muss, wenn auch keine
philosophische so doch eine psy-
chologische (!) sem."
Nach dieser dunkel - geistreichen
Bestimmung der rechten Concentration
wendet sich der Verfasser zur Auf-
gabe derselben. Und er bezeichnet
sie mit Zillers Grundlegung, aber eige-
nen stilistischen Yeritndernngen so:
„Es muss die Einheit der Per-
son mit der Vielheit des Un-
terrichtsstoffes yerbanden
werden; es muss das Viele mit
einander verschmolzen und
verwebt werden und zwar so, daaa
duans £ine reihenfOrmig wol
geordnete V orstollungsmasse
entsteht, die sich in allen Verbin-
dungen, in denen das Viele steht,
leicht überschauen IHsst, und
wobei jeder Teil des Ganzen
auf die anderen Teile hin-
weist, und wobei jeder Teil jeden
anderen TeiV des Ganzen beliebig
hervorrufen kann. Um durch den
Unterricht zu dieser formalen Ein-
heit der Komplexion zu ge-
langen etc." (Vgl. ZiUer, Grund-
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38
legiing, H. 106: „Die Aufgabe kann
folglich nur die sein, die Einheit
der Person mit der Vielheit
des Unterrichtsstoffes zn ver-
binden, wobei es sich von selbst
versteht, dass jene Einheit, so weit
das Viele unter einander verschieden
ist, jedoch sich nicht gänzlich ans-
schliesst, nicht ein Identisches, son-
dern b1o8 eine iormftle Einheit
der Komplexion sein kann, wenn
die Sonderung des Vielen aufgehoben
ist. Die Einheit besteht dann darin,
daas dsi Viele, mit einander
verschmolzen und verwebt.
Eine, reihenförmig wolgeord-
n e t e , vermöge des Ineinandeiifreifena
aller Teile in innerem Zusammenhang
stehende Vorstellungsmasse bil-
det, die sieh in allen Verbindungen,
woriu (las Viele steht, leicht und gleich-
sam in Einem Zuge Uberschanen
Iftsst, nnd wobei jedes wegen der
reihenfönuigen Verbindung des Ganzen
auf (las andere hinweist und
durch dieses hervorgehoben wer-
den kann etc.")
TTerr W. sagt nicht gerade, dass
das Worte Zillers sind. Das ist auch
weitw nicht nötig; denn das machen
heutzutage viele so. Was sollte auch
so manchem Verfasser von pädago-
gischen nnd psychologischen iLrbeiten
als Eigenes bleiben, wenn er alles an-
zugeben hätte, was er aus Ilerbarts
und seiner Schüler Schriften entlehnt
hat? Uebrigens ist auch die Herbart»
sehe Pädagogik noch nicht so recht
bis zu den hüheren Kreisen hindurch-
gedrungen, nnd mancher Schnlrat
macht ein bedenkliches Gesicht oder
suckt die Achseln, wann davon die
Bede ist, sintemalen ein pJidagogisches
System wie das Herbart'sihe nicht im
Handumdrehen angeeignet werden
kann und überdies eine Nuss ist, die
nicht jeder zu knacken versteht. Das
ist füi" eine strebsame Lehrernatur
doch auch ein bedenklicher Umstand.
Herr W. hat vielleicht auch die
Grundlegung gar nicht in der Hand
gehabt, und jene Worte sind ihm erst
durch ein trübes Medium cngeflossen.
Denn wie sollte man sich sonst er-
klären, dass er dieselben benutzt zur
Begründung einer Methode, die das
gerade Gegenteil ist von Conoentra-
tion im Sinne der Grundlegung und
welche eine aller wahren Coucentration
entgegengesetste Wirkung rar Folge
hat? Er sagt nämlich am Schlüsse
der angeführten Auseinandersetzung:
„Diesen Anforderungen entspricht nur
jene Concentration, welche man die
c 0 n c e n t r i 8 c h e JI e t Ii o d e , den
Unterricht in cunccntrischen
Kreisen nennt** (41).
Concentration und e o n c e n -
trische Methode, was haben diese
beiden Dinge ansser den Xhnlich
klingenden Namen mit einander ge-
mein? Nichts, rein gar nichts. Die
Concentration des Imterriohts kann
man sich vorstellen unter dem Bild
eines Kreises, von dessen Mittel-
punkte eine Reihe von Radien — die
einzelnen Unterrichtsfächer — auslau-
fen. Bei der coneentriBchen Metliode
dagegen muss man denken an eine
Ansah! von ne1>eneinander liegenden
Kreisen, und zwar sind es deren
viele, als es Unterrichtsfächer gibt.
Die Concentration des Unterrichts
gleicht einem Sonnensystem, bei wel-
chem die Schar der Planeten um einen
Mittelpunkt, die Sonne, sich dreht.
Bei den coneentrischen Kreisen glei-
chen die einzelneu Fächer den Wan-
delsternen, von denen ein jeder, un-
bekflramert um den anderen, seine
Bahn durchläuft. Die Concentration
des Unterrichts vereinigt das Viele
md Maaniehfiiltige des Unterrichts
zn einem Ganzen, sie bringt das Aus-
einanderliegende in Beziehung, sie hat
einen Mittelpunkt, vun dem der Unter-
richt ausgebt und auf welehen er sich
allezeit bezieht. Die coneentrischen
Kreise aber isoliren die Unterrichts-
fächer; denn sie wissen nichts von
einem gemeinsamen Mittelpunkte. Sie
trennen und zerreissen auch das, was
notwendig znssmmengehOrt; sie sam-
meln nicht, sie zerstreuen.
Dazu kommt, selbst das einzelne
Fach bietet bei dem coneentrischen
Unterrichte nichts Ganses, nichts Zn-
sammenhängendes. Schon im ersten
Schuljahre durchläuft der Schüler das
ganse Gebiet, von allem kostend,
nichts geniessend-, vieles betastend,
an keinem Orte verweilend; manches
hörend und lernend, aber nichts klar
nnd ordentlich , weil die Gegensätze
sich hemmen und verdunkeln. Es er-
geht hier den Schülern wie jenen
armen Kindern, welche ilire Jugend-
jahre auf Reisen verleben. Thre Auf-
merksamkeit winl frühzeitig abge-
stumpft nnd ihr Gefühl Teifliwht, sie
Dlgitized by Coogl«
39
koninien nie zu einem tiefen Interesse
und werden so unfähig jedes starken
Entsehhiflam.
An diOTer traurigen Wirkinii; «les
conceutrischen Unterrichts läsät aich
nichts ändern, anoh nicht dnich ^
marktschreierische Anpreisung des-
selben durch Herrn Wawrzyk. Denn
Bfteh ihm „entspricht dfe eoneentrisohe
Ifodiode allen Forderungen, die an
eine snbjectiv bestimmte (!) Methode
gestellt werden : sie berücksichtigt die
Entwicklnngsstufen des kindlichen
Geistes, sie sucht alle ihre Veranstal-
tungen der Fassungskraft des Schu-
len arnnpassen, sie Terfolgt überall
den fomalen und materialen Zweck (!)
des Unterrichts, und endlich bestrebt
sie sieh, der IndiridnalitSt der Sehttler
Rechnung zu tragen (S. 42)." Sie
entspricht aber ancli den Forderungen,
die man an eine „objectiv bestimmte
Methode" (!) stellen muss; „denn sie
trägt den Objecten, in wie weit sie im
Stande sind, gewisse Vorstellungen,
Oefllhle, Strebimgen in der Seele des
Kindes zu erzeugen, Rechnung fS. 4«^)."
Wir Anliänger der Concentrations-
Idee kennen miHch eine solche voll-
kommene und allen Ansprüchen ge-
nügende Methode nicht. Wir wissen
vielmehr, dass bei dem vielgestaltigen
Werke des Unterriehts neben der Con-
centrations- Idee noch einer ganzen
Reihe anderer pädagogischer Grund-
BStee Beaehtnng geschenkt werden
muss, und dass es nach den verschie-
denen Stoffen und Stufen auch eine
Ansahl Tonehiedener Methoden gibt,
die der Leiurer alle kennen muss und
ebenso verstehen sie anzuwenden. So
lassen wir Jacotot, von dem der Ver-
fasser gar nichts hllt, ebenso zu sei-
nem Rechte kommen, wie Pestalozzi,
nnd in unserem Unterrichte wirken
Franckesehe GmndsXtse fort nehen
denen von Mager orlcr Hiecke.
Ritter oder Rossmässler — frei-
lich alle eontroUrt nnd anf das rechte
Mass gewiesen durch die Gesetze des
Seelenlebens und der Sittenlehre.
Wir wären zu Ende, wenigstens mit
dem, was wir Uber den Vortrag des
Herrn W. zu sagen haben. Da uns
aber daran liegt, den Begriff der Con-
centralion in das rechte Lieht sn
Betaen, wollen wir bei demselben noch
etwas verweilen. Es ist wahr, wir
vermögen ihn hier nicht. anm vollen
VenrtSndnis sn bringen. Daan ge-
hört ein weit- und tiefgehendes Stu-
dium der Psvchologie und der Ethik.
Aber wir können wenigstens amn
Nachdenken darüber anregen.
Concentration des Unterrichts ist
cnnAebst Mcht etwa eine Selmlle elnee
Leipziger Professors. Concentration
des Unterrichts ist auch nicht blos,
wie Herr W. meint, das Mittel, ein
Bedürfnis unserer Zeit, nämlich nach
Vereinfachung des Unterrichts, zu be-
friedigen. Concentration des Unter-
richts ist vielmehr eine sittliche For-
derung, welcher sich der Unterricht
auf keinem Fall entziehen darf, sei die
ZeitstrOmung, welche sie wolle.
Die Sittlichkeit ist es ja, welche
für das gesamte Werk der Ersiehung
Ziel nnd Gestalt bestimmt, und wie*
dorum eine Seite der Sittlichkeit, die
Vollkommenheit, ist es, welche der
Unterricht, das Ilauptstück der Er-
ziehung, zu allererst dannstellen und
für »einen Zögling zu erstreben hat. .
Denn der Beurteilung nach der Idee
der Volikommenh^t unterliegt alles
geistige Lehen und Streben hinsicht-
lich seiner Grösse, Stärke und BOhrig-
keit, und geistige Kraft, Hegsamk^,
Lebendigkeit muss doch vor allen
Dingen in einem Menschen vorhanden
sein, wenn aus ihm ein sittlicher Cha-
rakter, eine tugendhafte Persönlichkeit
sich bilden soll, welche fiihig ist die
Herrschaft des Bösen zu bekämpfen
nnd fSr das Beieb des Guten sn
streiten.
£s fragt sich nun, was für For-
derungen an denüntenicbt au stellen
sind, damit der Idee der Vollkommen-
heit Cenüge geschieht.
Der Unterricht muss zuerst dafttr
sorgen, dass aUe geistigen Gebilde,
welche er erzeugt, starke, und alle
geistigen Regungen, w eiche er hervor-
ruft, kraftvolle sind; denn alles StSr-
kere gefiillt neben dem Schwächeren,
und alles Kraftlose misfällt neben dem
Kraftvollen. Um deswillen muss der
Unterricht klare Vorstelhnigcn erzeu-
gen, tiefe (icflilde und energische Be-
strebungen ; denn nur auf einer solchen
Grundlage vennag ein regsames (leistes-
Icben überhaupt und ein starker Wille
insbesondere zu ersteben.
Es muss aber anm zweiten auch
Reichtum an Vorstellungen vorhanden
sein, Empfänglichkeit des Gef Uhls nicht
blos für die eine nnd andere, sondern
fHr. alle Seiten des Guten, Sehdnen»
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Wahren und Menschlichen, endlich ein
vielgestaltiges und ausgebreitetes Wol-
len. Denn immer gefältt uns Beieh-
tum, Wolstand — sei es nun mate-
rieller oder geistiger — besser als Ar«
mnt, und immer ziehen wir Vieteeitig-
keit der Beschränktheit vor. Und je
mehr Weffe und Mittel znm Gnten zu
gelangen dem Henflohen sieli dirUeten,
um so eher und um so voHkomiiieiiQr
wird er sein Ziel erreichen.
Diese beiden Forderuuf^en werden
auch ganz allgemein und überall an
'den Unterricht j^estellt, und auf Grund
derselben hat man Vielseitigkeit des
Intwesse als lUtebstes Ziel alles jriMa-
gOgisphen Unterrichts aufgestellt
Aber es gibt noch eine dritte Seit«
der Vollkommenheit, welche der Un-
terricht ebenfalls zu beachten hat.
Von ihr kann freilich erst die Rede
sein, wenn für die Verwirklichung der
beiden anderen Sorge getragen ist;
aber sie darf auf keinen Fall fehlen,
soll nicht die Arbeit fUr den letzten
Zweck der Erziehung: das Ideal der
Persönliclikeit, eine verlorene sein.
^6 gilt nämlich, die geistigen iCräfte,
die geweckt weraen, m verelnij^en
und auf einen gemeinsamen Mittel-
punkt zu beziehen. Denn ein ver-
einigtes Wirken, ein System von Kräf-
ten hat allezeit einen höheren Wert,
als Kräfte, die Terelnzelt und sezstteat
tätig sind.
Damit sind wir bei der pldagogi-
BChen Fordonms: anp^ekommen, auf
welche es uns hier gerade ankommt,
bei der Forderang der Conoentration
des Unterriclita. Ihre Aufgabe ist nach
dem Vorstehenden klar:
Nach ihr hat der Unterricht dafür
SU sorgen, dafB die verschiedenen
geistigen Regungen und Kräfte, welche
durch einen mannigfaltigen, vielsei-
tigen Untenleht in der Kindesseele
hervor^'crnfen werden, in Einem Punkte
snsammentrolfen und dort wie die
Sonnenstrahlen im Brennpunkte m
Einer Wirknn^r sirli vereinen. Dieser
Semeinsame Mittelpunkt in der Seele
es Kindes ist das Ich oder die wer«
dende Persönlichkeit — die notwen-
dige Voraussetanng aller Tugend oder
Sittlichkeit.
Der Unterricht darf demnach dem
Zöglinge nicht das nml jene Wissen,
Kenntnisse aus dem und jenem Ge-
biete mitteilen, ohne au|^ek dafür
Sorge m tragen, dsss das Dargebotene
Bestandteil der Person des Kindes
wird, wie es bei allem Unterrichte ge-
schieht, in welchem die einzelnen
Fächer unbekümmert um einander
ihren eigenen Weg nach dem fach-
wissenschaftlichen Lehrbnche gehen.
Denn wir wünschen nicht, dass unser
Zögling einem Conversationslexikon
gleiche, in dem die verschiedenartigsten
Kenntnisse neben einander aufgestapelt
sind, sondern wir wollen ihn erheben
zu einer kraftvollen Persönlichkeit,
die über allem Wissen steht und das-
selbe in ihrem Dienste zu gebrauehen
und zu verwerten fähig ist.
Der Unterricht darf tt1>ei^upt nicht
das Verschiedenartifi^ste , was sich in
gar keinen Zusammenhang bringen
ISsst, neben einander treiben. Es durf
nicht vorkommen, dass gleichzeitig in
der Geschichte von den Freiheitskrie-
gen der Deutschen, in der Geographie
von der Wüste Sahara und im Deutschen
von Uhlands Klein Koland die Rede
ist Das gibt verwirrte Köpfe und
schwächt auf jeden Fall den Erfolg
des Unterriclits.
Der Unterricht darf ebenso wenig
in dem einen Fache lehren, was in
einem anderen bestritten und zurück-
gewiesen wird. Die Autorität des ße-
ligionslehrers darf nicht mit der Av-
torität des Lehrers der naturwissen-
schaftlichen Fächer im Streite liegen.
Solcher Zwiespalt verhindert die Bil-
dung des Charakters, und es gesdüeht
gar leicht, dass Leute erzogen werden,
die in allen irdischen Dingen Welt-
kinder und im religiösen Gtobiet Fromme
zu sein vermögen, ja die es verstehen,
unter Falk liberal und unter Putticam-
mer orthodox zu sein.
Auf keinen Fall bilden sich unter
solchen Unterriclitsverhältnissen feste
Persönlichkeiteu, wahre Charaktere.
Und dass es In unserer Zeit an solchen
fehlt, dass es anf allen (iebieten des
Lebens, im Parlament wie auf dem
Katheder, im IMonste der Regierung
wie unter den freien Bürgern, so viele
unselbständige Charaktere, so viele
Streber und Kriecher gibt, dass man
suchen muss, ehe man einen Mann
findet aus Einem Guss, mit einer ein-
heitlichen Ucberzeuguug, einen Mann,
bei dem Denken und Handeln, Wort
und Tat übereinstimmt, und der für
seine Ueberzeugung die Gunst der
Hohen und den BeuSdl der Menge' ein-
snsetien im Stande ist — dsian ist sn
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41
er guten 'l'cil der erbärmliche Zu-
stand unseres jetzigen iJnterriühta- und
EniehnngsvenahrenB schuld.
Wie soll es aber der Unterricht an-
fangen , damit diese Grefahren vermie-
den und der Forderanff der Ooneen-
tattion wirklich nachgeKommen wird?
Nun , er muss auf jeder Stufe , in
jedem Jahre einen zusammenhängenden,
einheitlichen Gedankenkreis in der
Kindesseele schaffen, einen Gredanken-
kreis, in dem alles Entgegengesetzte
ftvegc^lichen oder ausgesondert wird,
einen (ledankenkreis, an dessen Wer-
den alle Unterrichtsfächer, besonders
aneh dnroh die Vermitthui^ des Indi>
viduellen, mitschaffen und mitarbeiten.
Nur auf diese Weise kann eine ein-
heitliche Persönlichkeit entstehen und
sich erhalten, und nur auf diesem Wege
erlangt die Person Herrschaft Uber
alles, was der Geist sich aus den ver-
schiedenen WiaaenageUeten aneignet
und erwirbt.
Dresden.
Es ist nun bis jetzt in der Päda-
gogik nur eine Gestalt des Unterrichts
beunnt, welche das Bezeichnete leistet
und doch zugleich auch Vielseitigkeit
des Interesse erstrebt, welch' letetere
den ConeentmHonsversnehen sn*
derer Art gewöhnlich aufgegeben wifd.
Es ist nämlich jene Einrichtung,
nach welcher das Mannigfaltige des
Unterrichts zusammengehalten wird
durch den culturgeschichtUchen Fort-
schritt des Unterrichts.
Der Vertreter dieser Coneentrations*
idee ist Zill er, teilweise ausgeführt
ist dieselbe in den Büchern von Will-
mann und Bein, sowie in den Jslir-
biichern des Veiwns fttr wiasensoÄmft»
liehe Pädagogik.
Bei dieser Gelegenheit können wir
nur daranf anfinensun machen, die
Erfassung jener Idee erfordert ein-
gehendes Studium, das freilich dem
Lehrer ebenso notwendig als loli-
nend ist
Dr. Karl Jnst
Leitfaden zu einem methodischen
Unterricht in der Heimats- und
Vaterlandskunde dei KVntgreiclit
Sachsen etc. von Dr. Fiorens
Wickler Bezirksschulinspektor in
Oschatz. — Leipzig, 1878.
Der Hauptmangel, an dem das vor*
stehende Werkchen leidet, scheint mir
darin an bestellen, dass der Verfasser sich
Uber die Stellang und Bedeutung des
Anschannngsnntcrrichtes und der Hei-
raatsknnde in der Erziehungsschule
sehr unklar ist. Es ist daher vor allem
nOtig, dass wir uns mit ihm Uber einige
psychologisch - pädagogische Vorbe-
grme verständigen. Im Mittelalter sta-
dirte man be£anntlieh alle Wissen-
Schäften nach Aristotelea, und als das
Ansehen dieses alten Herren etwas ins
Schwanken kam, blieb man der alten
Methode wenigstens insofern tren, als
man nicht aufhörte, alles blos aus
BUchern zu studiren. Der Schüler lernt
bei dieser Methode die Definitfonen des
Lehrbucha fleissig auswendig und gibt
dem Lehrer bei den Hepetitionen sehr
fnte Antworten, seheinb«r hat er die
ache erfasst und der Lehrer hat gute
Erfolge erzielt. Diese Methode ist, man
mag den 'Tatbestand beschönigen, wie
man will, noch hento in den meisten
Schalen die herrschende. Der psycho-
logische Irrtum, der ihr zu Grande
liegt, ist der Wahn des antiken Idea-
lismus, dass man mit der Definition das
wahre Wesen der Sache ausdriickm
könne, dass die Definition gleiohsttn
ein Abbild der Sache sei
Schon die Sophisten der alten grie-
chischen Welt waren Uber diesen Wahn
hinaus und meinten, dass das Wort
blos conveutionelles Zeichen und daher
blos dem verständlich sei, der von
dem Gregenstande, den es bezeichnen
soll, eine Vorstellung hat. im Mittel-
alter ging diese psychologisch und pä-
dagogisch unendlich wichtige Wahrheit
wieder verloren, denn das ganze Zeit-
alter war, wie A. Lange sieh ausdruckt^
beherrscht von Wort und Ge-
dankending und von völliger
Unklarheit Aber die Bedentang
der sinnlich gegebenen Er-
scheinung". — Erst Locke konnte
die schon durch den Nominalismus vor-
bereitete Erkenntnis anwprechen : Nil
est in intellectu, quod non prius fuerit
in sensa. (Nichts ist im Verstände,
was nicht vorher in den Sinnen ge-
gewesen ist.). Dieser Satz ist ein
Grundprincip der pädagogischen Wis-
senschaft geworden. Die Praxia
hinkt natttiUcn etwas hinterlier, leigi
Dlgitlzed by Google
42
aber, besonders was die natorkund-
HebenFVeher anlangt, ein «neffeenneBB-
wertes Bestreben, der Forderung der
WiBsenschaft gerecht su werden. Da-
iielien stellt aoer der alte Wahn, als
ob man mit blosen Worten dem kind-
lichen Geiste etwas beibrinfren könnte,
bei vielen Schulmeistom in grossem
Ansehen und noch immer gehOrt es
selbst an Seminaren nicht zu den
Seltenheiten, dass Zoologie und 60-
iSDik ans dem Lelnbiiche auswendig
gelernt werden.
Die heitersten und ergötzlichsten
Eisebeinnngen der pädagogischen Li-
teratur kommen aber dann zu Stande,
wenn sich eine naive Seele findet, die
diese beiden offenbar entgegengesetzten
pädagogischen Bestrebinigen zu ver-
einifj^en gedenkt und zwar auf An-
schauung dringt, dieselbe aber aus dem
Lebrbvche schöpfen wiU, swar Hdmat-
künde treibt, dabei aber von ab-
stracten Definitionen ausgeht
ttnd diese an Qrnnde legt. Dieser
unglückseligen Vennittlungspolitik, die
den Schein eines echten Empirisraus
zur Schau trägt und doch in Wahr-
heit die Schüler noch in den Fesseln
des alten Wortlemens nnd „ Maul-
dieschens" schmachten ISsst, ist es zu
danken, wenn wir nahe daran sind, die
belebenden Antrielte, die von Pestalozzi
ausgingen, wieder einschlummern zu
lassen. Eine solche nnglticicselige at»
BObeinbarem Empirismus und wirk-
licher Wortvergötterung hervorpre-
§angenc Misgeburt ist nun Winklers
[eimats- und Vaterlandskunde.
Der Vater der neimatskunde ist be-
kanntlich Eousseau \ er sagt in seinem
Emil (Ausgabe von Vogt ft SallwUrk
T, :^38.) „Du willst diosom Kinde
Geographie lehren und holst ihm i^-
mid Himmelsgloben nnd Karten herbei:
nichts als Maschinen ! "Wozu all' diese
Darstellungen. Warum taugst du nicht
damit an, ihm den Gegenstand
•elbtt sn idgen, dass er wenigstens
wisse, wovon du mit ihm sprichst." —
Hierauf folgt dann Jene klassische
Darstellung eines echten beimat«knnd-
lichen Unterrichts. Was Rousseau da-
mit bezweckt, liegt für den, der für
das kindliebe G€lsteBlet>en nnr ib'gend
welches Verständnis hat, klar auf der
Hand. Die Begriffe der Geographie
Stadt, Dorf, Berg, Tal, Fluss, Mün-
dung, Quelle sind für das Kind bei
seinem Eintritt in die Schule blose
Worte ohne Vorstellungsinhalt. Eben
io ist es mit den symbolischen Zeichen
der Landkarte. Und selbst, wenn das
Kind die nnd jene Voistellnng bereits
hat, so sind dodi diese anfällig er*
worbenen Voretellnngen unendlich roh
nnd unausgebildet, Kinder verstehen
eben noch nicht zu beobachten, sie
müssen das Beobachten erst lernen,
Anschauunfi-Bunterricht und Heimats-
kunde erhalten daher die Aufgabe mit
denKindeinan wirklichen Objekten
der Heimat Beobachtmigen ansnstollen
nnd so dem Geiste des Kindes in me-
titodlseher Welse Yorstellnngen,
wirkliche Vorstellungen zuzu-
führen. Sehen , beobachten , messen,
schätzen soll das Kind lernen. Ist das
von einem tüchtigen heimatskundlichen
Unterricht geleistet worden, dann wird
mit der Fähigkeit bei den Schülern auch
die Lnst am Beobachten nnd Forschen
wachsen und ht dies erreicht, so hat
die Erziehung ihre Schuldigkeit getan,
denn den Sehttler snr SelostKtTgkeit
zu erziehen, ist ihre Aufgabe und so-
bald der Schüler mit Lust und Liebe
lernt, ist der rechte Weg, der zur Selbst-
tätigkeit fillirt, betreten.
Bei den Besprechungen, die sieli an
solche Beobachtungsezcursionen an-
seblieasen, wird si^ fttr den Sehttler
bald das Bedürfnis einstellen, sich durch
Zeichen Yerständlich zu machen. Er
wird den Versnch machen, die Wege,
die er gegangen ist, durch Striche, die
Dörfer, die er passirthat, durch gemalte
Häuschen, die Wälder durch Bäumchen
darzustellen. Diesem Darstellnngs-
drang, der im Notfall künstlich erzeugt
werden muss, hat der Unterricht unter-
stützend entgegensnkommen. So ent-
steht die Karte der Heimat, die znerst
natürlich b|0B wenige Punkte enthält:
das Schnlhans, die Schulwege einzelner
Schüler, das Ziel der ersten Excursion
u. a. Wie nun der Schüler allraälig an-
schauend und beobachtend in die wirk-
liche Heimat hereinwächst, so wächst
auch seine Karte. So geht die Sache
stets dem Zeichen voraus, der Schüler
wird vor falschen Begriffen bewahrt
und gewinnt ein Verständnis für die
Landkarten des Atlas. Nach und
nach mnss natttrlich diese Darstellung
erfolgen, denn wir nitisscn ja bedenken,
dass dem Schüler der Uebcrgang von
Naturobjekten zu den diese Naturob-
jekte bezeiclinenden aber ihnen völlig
nnvergleichbaren Zeichen sehr schwer
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43
{KUt. Der olterfliichliche Beobachter
stellt sich diesen Uebergang sehr leicht
yor, denn er legt eben einfach seinen
eigenen Gedankengang dem Schüler
nnter und bildet sich ein, wenn dieser
mit dem Begriffe Berg operire, so müsse
er nnn anon eine liehtige Vorstellung
von einom Rerpo haben. Eine solche
sancta simplicitas bedarf aber wol heut
%a Tage der Widerl^:nng nicht mehr.
— Unser Frennd Winkler scheint sich
diesen Uebergang von der wirklichen
Heimat snr Karte doch anch etwas
sehr leicht vorgestellt zu haben, denn
nachdem er in seinem (NB. für S c h ill e r
berechneten [p, III.]) Lelirbuche § fe
^ne feine logische Definition von Karte
gegeben «nd in den „Aufgaben" eine
Recapitulation dieser Definition ge-
fordert hat, stellt er die Aufgabe:
„Fertige eine Karte der Hei-
mat an! Nimm au diesem Zwecke
itoeo Bogen Pairfer n. v. w., n. s>
Henr Winkler scheint in seinem Leben
noch nicht mit Kindern umfrep::uifren
zu bein, sonst würde er die Lnsinnig-
keit seiner Forderang selbst ein-
sehen. —
Docii das Interessanteste kommt
noch I . Der Leser hat vielleicht bisher
geglaubt, Winkler habe eine wirkliche
Heimat im Auge und wolle 'seine Schüler
anleiten, diese m erforschen. — Weit
gefehlt ! — Die Heimat, in die Winkler
seine Schüler einführt, ist ein Abstrak-
tum in optima fonna, ein Destilations-
produkt aller im Königreich Sachsen
möglidiPii Heiinatsorte. L'nd hierin
eben beruiit Wiukier's Fortschritt, er
ist Aber Bonssean, Pestaloxsi nnd an-
dere Kleinie^keiten zu den gemütlichen
Aristotelikern des Mittelalters fortge-
schritten, df e Krantnise, die Ronssean
in 80 zeitraubenderweise an den wirk-
lichen Objekten gewonnen wissen will,
erlangt unser Schüler von nun an, olino
Hand und Fuss zu regen, mit Leichtig-
keitaus Winkler'sBuclie. Nun brauchen
wir kein Dorf mehr zu besuchen, um
Anlage, Banart, Leben der Bewohner
n. p. w. kennen zu lernen, Winkler be-
lehrt uns § 2, 1 : ^Eine Stadt hat viel
HSnser, viele Strassen nnd einen oder
mehrere Plätze. In einem Dorfe ist
das anders." Ks ist sicher nicht zu
leugnen, dass der Schüler auf diesem
Wege klare Vorstellungen bekommt!
Weiter orakelt Winkler seinen bedau-
ernswerten Schülern vor, dass der
Bürger sich mit Handel nnd Gewerbe
(beides sind für Kinder leere Allge-
meinbegriffe, denn sie kennen nur be-
stimmte Gewerbe, wie Seiler, Schuster
n. s. w.), der Bauer vorzugsweise mit
Feld- oder Viehwirtschaft btf^chäftigt.
Also alles das, was der Schüler sich
durch eigeneBeobaehtnngen und eigene
Denkarbeit erwerben soll, das setzt
ihm Herr Winkler wol gekaut und ver-
daut vor. Ist's ein Wnnder, wenn dem
Schüler bei einer solchen Kost sehlbnm
wird?
Nachdem nnn in Jedem § die geo-
graphischen Allgemeinbegriffe (§ 1,
1. B[oriz(mt, 2. Himmelsgegenden, 3.
Nebenhimmelsgegenden. 4. Compass;
§ 3, 1. Ebene, 8. Hagel; § 4, 2 Ufer,
Flussbett u. 8. w.) vorangestellt wor-
den sind, folgen in den „ Aufgaben",
▼on denen ich oben eine Probe vor-
führte, concretc Anwendungen, z. B.
wird § 2, Aufg. 8 ohne eine andere
als mOndliche Vorbereitnng ein Bild
des Marktes durch den Schüler ent-
worfen. Wir haben also eine conae-
quent durchgeführte verkehrte Welt
vor nns. Während in Wirklichkeit der
Allgeraeinbefrriff aus den concreten
Verhältnissen abstrahirt wird, kommt
bei Winkler merst der AllgemeinbegrUf
und dann als Nebensache die wirklichen
Dinge. Und was für Allgemein-
begriffe gewinnt Winkler! Stanne
Welt! — In der Heimatskunde für
Sachsen wird den Kindern unter
anderen auch Steppe und — Meer vor-
geführt (§ 4, 3).
Was ist nnn mit einem solchen
Opus von Heimatsknnde fUr die Geo-
graphie gewonnen? Vor allem eine
Eselsbrücke für den Lehrer, der zu
fanl ist, den SchUlera die Sache selbst
8Q zeigen, sodann dn neues Buch tom
Auswendiglernen, mit dem die Kinder
tüchtig geschunden werden können,
und zuletzt für die Kinder selbst eine
Menge leerer, ansohannngsloser
Begriffe. Anner Rousseau , wenn du
gewnsst hättest, dass du mit deinem
Vorschlage ^ Kinder nm ein Buch
bereidiern würdest, du hättest sicher
die Sache lieber beim Alten gelassen.
Was man nach ^ner solchen Hei-
matskunde von der Vaterlandskunde
zu erwarten hat, lie^'t auf der Hand :
Ein tüclitij^cs Material zum mechani-
schen Auswendiglernen. Dass man
sich darin nicht jietünscht hat, dafür
möge ein Beispiel genügen: S. b'i u.
84 IKsst Winkler sämtliche Begi-
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monter des sächfiischen Anueekorps
mit ihren O&rnisuasstädteii und
Landwehibesirkeii Ton sdoim Sebttter
auswendig lernen (Anfg. 4). Sapl-
enti sat!
Das Bnch des Herrn Besirksschnl-
inspektor Dr. Winkler wird höchst
wahrscheinlich eine 2. Auflage erleben,
als Motto wUrde ich ihm ein Wort
Anerbaoh i. Y.
Rousseau'a vorschlagen: „Wir wissen
ans nie an die Stelle der Kinder zu
▼erBotsen, wir ppehen nfeht In tlnre Ge-
danken ein, wir legen ihnen ,die
unserigen unter, und indem wir
in unserem Denken weitergehen, stopfen
wir mit einer Kette von Wahrheiten
nur närrisches und ungereim-
tes Zeug in ihren KopfT
Dr. Thrändorf.
m.
Thrändorf, Die Stellung des Religions-
unterrichts in der Erziehungsschulo
nnd die Kefurm seiner Methodik.
Leipzig, Matthes 1879. 3 Bog. 1 Mk.
Die Stimnien mehren sich, welche
auf eine Eeform des Keligions-
nnterrichts dringen. Gewissel^ch-
tungen freilich halten eine solche Re-
form für höchst Überflüssig, ja sogar
verderbUeh. Was werden diese aber
sagen, wenn sie die aus der Schule
entlassene Jugend in ihrem oft reli-
gionsfeindlichen, bis zu offener Ver-
spottung steigenden Gebahren beob-
achten? Soll man solche Früchte den
Lehrern in die Schuhe schieben? Ge-
wis nicht, wenn man bedenkt, wie
mühsam und schwer diese gegen nihi-
listische Strömungen bei dem heran-
waehsenden Oeeehleeht ankSmpfen,
wie ernst sie ihre Aufgabe erfassen.
Aber freilich treten sie zumeist in
den alten, ausgefahrenen Geleisen ein-
her. Und dies will nirgends mehr
passen. Auf die Fruchte der Re-
gulativ-Zeit hat der Minister Dr.
Falk seiner Zeit mit Uberzeugender
Gewalt hitigewiescn. Seine Worte
sind noch in unser] aller Gedächtnis.
Also in der Masse des positiven
Stoffes und in seiner Einprägung liegt
Nichts — im Gegenteil: die grösste
Gefahr kann sich darin oergen. Man
möge also diese Masse beschränken
und vor allen Dingen zusehen, wie
das, was zu geben ist, in dem G^-
müt unserer Kinder tiefe nnd nach-
haltige Wurzeln schlagen kann. Denn
hierauf allein gründet sich im Verein
mit der Zneht die walufaaffee Pflege
des religiösen Sinnes, das Anbahnen
einer festen, religiösen Uebersengnng.
Es ist niehts Neues, was ich hier
sage. Die vorstehenden Sätze werden
auch ohne weiteres von den Meisten
augegeben werden. Allein, wie das
SU maehen — darüber haben Wenige
heutzutage eine klare Einsicht. Wie
viele von den Lehrern — und es sind
nicht die schlechtesten — haben zwar
von dem Religionsvntenieht , den sie
erteilen, die Ueberzeugung, dass durch
ihn trotz ihrer Mühe nichts erreicht
werde, da die Gemüter kalt bleiben.
Aber wie wenige von ihnen wissen
mit voller Klarheit, worin dies liegt
WShrend de In allen anderen FSchem
das Gefühl der Befriedigung haben, be-
trachten sie die Ueberzeugung von der
Erfolglosigkeit ihres Kcligionsunter*
richte als ein Schicksal, dem sie nicht
entrinnen können. Wollten sie die
Schuld auf den Stoff allein schieben
— wie verkehrt und wie kurzsichtig!
Denn mit demselben Stoff kihmen
Andere Grosses erreichen. Abgesehen
Ton der Persönlichkeit des Lehrenden,
welche gewis gerade bei dem Reli-
gionsunterricht eine höchst bedeutsame
Rolle spielt, wird ausserordentlich viel
von der Gruppirung und der metho«
dischen Durehdringong des Stoffes
abhängen.
Wie das zu machen — darUber gibt
ein Schriftchen Aufschluss, welches
wir herzlich willkommen heissen.
Leicht zu lesen für die, welche in
Herbart - Ziller'schen Gedankenkreisen
heimisch sind, wird es docli auch den
femer Stehenden — vorausgesetzt, dass
sie von der Notwendigkeit einer Re-
form überzeugt sind — bei ernstem
Studium zur Klärung ihrer Gedanken
über diesen Gegenstand wesentlich bei-
tragen. Es ist ein festgefügter Bao,
welcher hier errichtet ist, Achtung und
AnfiBeiksamkeit gebietend. Derselbe
steht in engstem Zusammenhang mit
einigen Arbeiten, welche der Verfasser
in den Jahrbüchern des Vereins für
wissenschaftliche Pädagot^ik voröffent-
licht hat, und mit den Gedanken,
welche von Ziller auf Herbartischet
Grundlage entwickelt worden sind.
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Amierordentlieh Überzeugend wirkt
die Polemik ge^on das hor{?ebrachte
KAteohifiiren (Seite Uff). Die Anhänger
der sogen, katechetisehen „Hethoae'*
— deren Zahl noch Legion ist — wer-
den freilich zunächst verwundert den
Kopf schütteln, dass eine so gute, ja
herrliche Sache, in welcher unsere
Väter excellirten, nun auf einmal un-
nütz geworden sei. Aber es ist so.
Frellieli wird es noch lange danem,
bis die üeberzeugnng von der Unzu-
länglichkeit und Verderblichkeit der
alten sogen. Kateehb^imetliode all-
gemein geworden ist, aber wir hoffen,
dass durch die AuHeinandersotzungen
vonThrändorf hier und dort die Ahnung
wemgstens erweckt wird, dass es hohe
Zeit ift, neue Weisungen für die Me-
thodik sich anzueignen. In dem vor-
liegenden Selniftenen werden solehe
Weisungen iin dritten Abschnitt gege-
ben. Viele werden solche Forderungen
f&r -viel Btt streng halten. Aber Zuler
hat vollkommen Recht, wenn er sagt :
«Diejenigen, welche durch den Unter-
Eisenach.
rieht erziehen wollen, aber die Strenge
der Methode ausschlicssen, wissen im
eigentlichen Sinn nicht, was sie wollen."
Zu diesen gehört der Verfasser des
Schriftchens nicht Er weis? , was er
will. Er trägt seine Gedanken mit
Klarheit und Bestimmtheit vor. In
den Anmerkungen nimmt er Beng anf
die einschlägige Literatur, so dass
derjenige, welcher ohne Voreingenom-
menheit mit Emst nnd Energie in die
Herbart-Ziller'schen Gedankenkreise ein«,
dringen will, sich leicht orientiren kann.
Zm Yerbreitang dieser Oedanken-
kreise und dieser Ideen wird das Schrift-
chen wesentlich beitragen. Hoffentlich
findet 08 vielen und mannigfachen Wi-
derspruch. Denn gegenüber den Grün-
den der Gegner — wenn sie überhaupt
mit Gründen operiren und sich nicht
nur mit leiehtfertigem Abspreehen be-
gnügen wollen — wird man die ge-
diegene Fundamentirung , die fest
geschlossene Fügung des vorliegen-
den Schriftehens am besten erkennen
können.
W. Rein.
TbrSndorf, Lesebuoh fUr das dritte
Sehuljahr. Leipzig, Gräbncr 1877.
Welchen Standpunkt wir in derviel-
erfMerten Lesebnchfrage einnebnien,
haben wir bereits im 23. Heft der
pädagogischen Studien (S. 19)
ausgesprochen. Wir haben uns ans
Gründen, die allen Verehrern Herbar-
tischer Pädagogik bekannt sind, der
Richtung angeschlosaen, welche ency-
klopädisch' angelegten Lesebflehem
durchaus abhold ist, vielmehr Loae
bttcher verlangt, deren Inludt zu einem
ConeentiationsstoffiB oda cAnem vor-
henrschenden und bereobtigten Ge-
dankenkreise der betreifenden Alters-
stufe in Beziehung steht. Deshalb
begrüssen wir firendig jeden Versuch,
der diese Fordening zu verwirklichen
sucht In den Kreisen des aka-
demiseh-pidagogis eben Semi-
nars vom Herrn l^rof. Ziller in
Leipzig, ,,aus welchen das Thrän-
dmrfsehe liesebneh berausgewaehsen
ist", gilt für das dritte Scliuljahr als
Concentrationsstoff das Leben der
Erzväter, dem die Thüringer- und
Siegfriedssagen zur Seite gehen. Beide
Stoffe bilden deshalb auch den Haupt-
inhalt des erwähnten Lesebuchs.
Ausserdem enthHlt es noch Geogra-
phisehes und Naturkundliches (zum
Hauptinhalt in Beziehung stehend) und
eine Anzahl von Oedieftten.
Warnm gerade diese Stoffe für das
dritte Schuljahr ausgewählt sind, muss
in Zillers „Grundlegung zur Lehre vom
eraiehenden Unterricht" {nachgesehen
werden. Unsere Besprecliung kann
sich anf diese Frage nicht einlassen,
wie sie auch auf die andere verzichten
musa: ob biblische Gescliif Ilten in ein
Lesebuch gehören. (Bemerken wollen
wir nur, dass die Notiz, „die biblisehen
Stoffe würden später, dem Wunsche
des Verlegers gemäss, abgesondert von
den Lesebüchern der einzelnen Schul-
jahre muMunmen erscheinen", uns nicht
zu grösserer Klarheit über Gebrauch
und Behandlung eines biblischen
Lesestttckes verhelfen hat). Unsere
Prüfung des Lesebuchs soll sich nur
darauf erstrecken, ob die aufge-
nommenen Lesestfieke naeb
Inhalt und Form für das dritte
Schuljahr geeignet sind.
An den biblischen LesestUcken ist
zunächst zu rühmen, dass die üeber-
schriften nicht zu allgemein gehalten,
sondern Zielangaben (von metho-
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dlsoheii Einheiten) eind. So heiest es
z. B. nicht wie in anderen hiMischen
Geschichten blos: „Abraham'', son-
dern: „Wie Abnliftm nftoli KtnMii
kommt. — Was Abraham in Kumh
zuerst tnt. — Wie sich Abraham mit
Lot vertrügt" u. s. w. Die Erzählungen
sdilieMien aieh eng an das Bibelwort
an, BIP umfassen den Zcitranm von
Abnihams Einwanderung bis zu Ja-
Icobs Tod nnd Begrilbnis. Nicht anf-
^enommon sind also : Schöpfung, Sttn-
dentall, Turmbau zu Babel u. a. Das
Icann flBr diese Stufe nur gebilligt
werden. Vennisst haben wir aber die
Reise von Abrahams ältestem Knecht
nach Ilaran. Die Erzählnnp oijrnct sich
sehr t^iit für das dritte Schiiljuhr, ohne
BIO ])\e\ht eine sehr flihlbaro I.Ucke
zwisclien Nr. 10 u. U. (Abrahams Tod
nnd BegrXbnis. — Wie sieh Isasiu
Söhne j?egon einander verlialten). Dass
Abrahams Knecht schwüren muss, was
den Kindern allerdingB traverstfind-
llch ist, scheint uns doch nicht «ge-
nügender (Jrund fiir die We^lassung
der ganzen Gescliichte. Durch eine
geringe Abweichung vom Bibel wort
(z. B. „versprich mir" statt „schwüre
mir"), die sich ja der Verfasser an
anderen Orten anch erlaubt, wim die
Schwierigkeit gehoben.
Auch die Lesestücke im zweiten
nnd dritten Teil (dentseheCtosehiehten,
Geographisches nnd Naturkundliches)
müssen wir fast durchgängig als ge-
eignet für das dritte Schuljahr erklären
— wenn wir uns blos an die
Ueber.schriften halten. Sehen
wir die JAisestücke aber näher an, so
steigen in uns gegen eine ganze An-
zahl so schwere Bedenken auf, dass
wir glauben, die Schule, beson-
dere die Volkssehnle, wird
sich gegen d a s T Ii r ii n d o r f ' s c h e
Lesebuch ablehnend verhalten.
Wir wollen eine Anzahl von Lese-
stttcken herausheben, welche unsere
Vermutung begründen. Im ersten Teil
hat Nr. 4 (Wie Lot in Not kommt)
fast Uberall Anstoss erregt, und anch
die VerteidiguniT durch den Leipziger
Local- Verein für wissenschaftl. Päda-
gogik hat das Urteil über dieselbe
nicht geändert Eine ganze Seite ist
ausgetUllt mit schweren, den Kindern
absolut unverständlichen Namen. Für
Aufnahme derselben ist geltend ge-
macht worden: sie sollen erstens eine
vortreffliche Leseübung sein uud zwei-
tens die lebendigste Vorstellnng der
vielen Könige erzenpren. Der ersto
Grund war auch für die Lesebuch-
sehreiber vor 40 Jahren massgebend,
wenn sie die unsinnigsten und schwie-
rigsten Lautverbindungen zusammen-
stellten, um recht gründliche Lese-
flbnngen veranstalten zu können. (Siehe
Heft 20 der pädag. Studien, Seite 22
und 125). Die Schule ist iiber diese
Produkte cor Tagesordnung überge-
gangen. Die Namen Kedorlaomers,
Amraphels, llazezon-Tliamar u. s.
sind für unsere Sehfller aber aueli
weiter nichts als sinnlose Tjautverbin-
dunffen. Sie haben dabei mit der Ana-
spracho allein so viel zu tun, dass
sie gar nicht daran denken, so etwas
könne ein Namen für einen König oder
eine Stadt sein. Deshalb wird auch
der weitere Zweck nicht erreicht, son-
dorn die Schüler erhalten nur die „le-
bendigste Vorstellung davon, dass Nr. 4
ein sein schweres Lesesttlck sei." Wir
meinen anch, dass man nicht mehr ge-
nötigt sein darf, in Schülern, denen
ein solches LosestUck zugemutet wird,
noch eine tobendige Vorstellung von
„viel" hervorrufen zu müssen. Die
Abstraktion, welche der Schüler bei
dieser Gelegenheit noch maehen soll,
,.dasf^ cFi auf die Sache, nicht auf die
Namen ankomme", halten wir für sehr
bedenklieh. Der Schiller wird diese
Abstraktion jedenfalls sehr verallge-
meiueni und nebenbei denken : In der
Schule wird man mit vielen Dingen
recht geplagt, und dann muss man
noch einsehen, dass das Gelernte gar
nicht viel wert ist. Weitere Ausfüh-
mngen wie „der Schüler müsse ein-
sehen lernen, dass man nicht alles,
was die Geschichte darbietet, zu mer-
ken brauche, dass manches fallen müsäe,
woran niclits gelegen ist, dass eine
richtige Auffassung des Ganzen zu er-
streben sei, dass man fremdartige Zu-
stände im Ganzen appecipiren, dass
das Kind zn einem selbständigen Stu-
dium der Geschichte angeleitet werden
müsse" (Vergl. Jahrbuch des Vereins
für wissenschaftl. Tüdatr. 1^78, S. 2*^1),
sind bei 8 — 9 jährigen Schülern doch
wol nur wenig menr als Redensart.
Was da vorlangt wird, leisten sehr
viele Erwachsene nicht. Zu solchen
Abstraktionen wird »ler Schüler aber
bei sehr vielen L sestiit-ken des Thran-
dorrscben Lc9cbuchs srenötigt, nnd
das halten wir für falscii, weil dabei
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von den jungen Schülern viel zu viel
verlangt wird. Im genannten Jahrbach
wird naeh oneerer AuflSaMviig das ge-
wissermassen auch zugestanden durch
die Erklärung, „das Buch sei freilich
sieht für die unterste Stufe der Volks-
sohvle geeignet, aber für gehobenere,
wo wirkliche AbHtraktiousarbeit durch-
gemacht wird." Besieht «ich das „un-
terste" und „gohobenere" auf die sociale
Stellung'- der Schüler, so erwicdern wir,
dass der geistige Unterschied in den
drei ersten Sohaljahiea nicht in dem
Hasse vorhanden ist^ als angenommen
.werden mUsate.
Beziehen sich die beiden Ausdrücke
aber nur auf die Lehrziele der Schulen,
so müsston wir die „gehobenem" für
iiberhobene erklären. ^Sollte das „Ab-
streifen fremder Namen bei mehrfach
wiederholter Erzählung;" Arbeit, viel-
leicht gar „Abstraktionsarbeit" des
Sehtüers sein? IMe „nntofsten** Stnfen
wilzden dann wol die grösBore Arbeit
leisten. Vcrgl.Erläuterungenzam Jahr-
buch IS7S, S. 36).
Das Uber Nr. 4 Gesagte leidet auch
Anwendung auf Nr. 14. Nicht erfind-
lich sind uns femer die Gründe für
die grosse Ausdehnung von Nr. 9 ge-
wesen. Eine ganze Seite enthält nur
den Handel zwischen Abraham und
Ephron. Was wird daraus für die
Bildung dos Schülers gewonnen? Nicht
aufgenommen hätten wir ferner den
zweiten Abschnitt von Nr. 17 u. Nr. 18.
Unserm Grefühl sagt es mehr zu, wenn
Kinder vor Mitteilung ßo abscheuliclier
Pictätlusigkeit, wie sie Labaus Tüchter
offenbaren, bewahrt bleiben.
Ln zweiten und dritten Teil müssen
wir leider ebenfalls eine grössere An-
eahl von Lesesttteken nennen, die dem
dritten Scluiljahr durchaus nicht an-
gemessen sind, teils wegen des Inhalts,
teils wegen der Form. Wol ist uns
die Forderung bekannt, „dass ein clas-
sischer Inhalt auch eine classische
Form verlange." Wenn aber ein Clas-
siker die Form nicht fOx Kinder be-
rechnet hat, so tut man ihm Unrecht,
wenn seine Erzeugnisse 8 — 9 jährigen
Sehttlem Torgelegt werden. Den Senfi-
levn aber geschieht damit ebenfalls
Unrecht Will man nicht auf den Stoff
veraichten , so wird man sich wol zu
einer Aendemng der Form entschliossen
mttssen. Bis jetzt wenigstens gilt noch,
dass nidit Ülassicität, sondern Ein-
fachheit und YentändUchkeit, Vor-
aussetzung hei Darbietung eines jeden
Unterrichtsstodes , zumal anf den un-
tersten Stnfen ist. Die Form soll also
eine den Schülern geläufige sein.
Das Lesebuch ist aber bekanntlieh
auch Sprachbuch; deshalb muss die
Form auch ingleich verbildlieh
sein. Eine gute Anzahl der Thüringer
Sagen sind nach Eadefeld mitge-
teilt Wenn wir nun sellwt zugeben,
dasa der schlichte Chronikenstil für
die Jugend sehr geeignet ist, so geht
da» doch nicht ao weit, dass durch
denselbm das SpracligefUhl des Schil-
lers verwirrt werden und Unveratänd-
lichkeit entatehen darf. (Das geschieht
aber an vielen SteUen, z. B. in Nr. I :
„Ludwig bat, man möge ihm sein
Seelgeräte setzen, ehe denn der Kaiser
zu Land käme. — „Und liess beschreiben
einen seiner heimlichen Diener; mit
dem legte er an: wenn er das Seel-
geräte von dannen führte n. s. w. —
Es sassen aber bei ihm auf der Kenn
nate sechs ehrbare Männer, die sein
hüteten. Und als die augelegte Zeit
herzu kam" u. s. w. — In Nr. 2: ,,Da
wurden sie einig, dass sie den Mark-
grafen umbrächten auf diese Weise:
Ludwig sollte am bestimmten Tage
eingehen in ihres Herrn Forst und Ge-
biet in das Holz, genannt die Reissen,
am Mttnehroder Felde, und dwin Jagen,
unbegrüsst und unbefragt ; wenn dann
ihr Herr käme, es ihm zu wehren, da
möchte er dann seines Vorteils ersehen.
— Als nun der mordliche Tag vor-
handen war. — Der Pfalzgraf erzürnte
und üel auf boiiien Hengst, ungewappnet
und ungerilatet. — Die Pfakgrätin ge-
berdete sich gar kläglich, damit kein
inzicht auf sie falle.'' — iu Nr. 3:
„Der Berg aber gefiel Ihm wol; denn
er war stickel und fest, gleichwol
oben räumig und breit genug, darauf
bauen.")
Wenn flb- diese altertttmlicheSchidf»*
weise geltend gemacht worden ist, ,,08
müsse das Bowustseiu erweckt werden,
dass die Sprache eine Entwickelung
hat", so kann das jedenfuUs keinen
Bezug auf ö— 9 jährige öchUlcr haben.
Die mttssen doch ei«t den jetzigen
Sprachgobrauch siclier kennen , ehe
man ihnen ^gen kann, früher habe
man anders gesprochen. Auch für
den Lehrer mag die Saclie sehr schwie-
rig sich gestalten. Es ist doch natür-
lich, dass der Schüler Kedewcndungen,
die er wiederholt liest, sich merkt und
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anwendet. Soll ihm da der Lehrer
immer znrnfen, so darfst du nicht
sprechen, so sagte man früher?
£s ist auch behauptet worden, „der
Geschichte dürfe man den Charakter
des Altertümlichen und Fremdartigen
nicht rauben ; sie sei eben altertümlich
nnd also anch fremdartig. Sie wirke
weit mächtiger nnd stärker, wenn die
Form nieht so gewöhnlich nndbel^nnt
sei ; ans der Fremde lerne man viel
besser als aus dem Nahen." Diesen
Behauptungen gegenüber bitten wfr
snnächst nur ium Gonseqnenz. Denn
sonst meint der Schüler, die Wartburg-
sagen seien viel älter als die Sieg-
friedssagen, die in moderner Form er-
zählt sind. Und dann behandle man
nur auch im übrigen Unterricht recht
▼iel Fremdee.
Zu den Lesestücken , welche (in
ihrer jetzigen Gestalt) über den Hori-
sont des dritten SenvQalires hinaus-
ragen, zählen wir im tweiten Teil be-
sonders Nr. 8 (Brief Ludwigs an den
König von Frankreich), Nr. 9 (Der
Sängerkrieg auf der Wartburg) ; im
dritten Teil Nr. 1—3, 5, 8 n. 9. Nr. l
ÜDer Pferdebirt) setzt z. B. gleich in
den ersten Zeilen "vwans: ungarische
Steppen , Beduinen in der arabischen
Wüste, Indianer in den südamerikaui-
sehen Grasebenen. Wenn Nr. 1—3
auch in dem Janota'schen Lese-
buch stehen, so hat das wol noch be-
sonderen (jirund: Jauota ist Oester-
reicher. Unseren dent.schen Schülern
tritt &hvT in allen drei Stücken ein so
fremder Geist entgegen, dass derjenige
nicht an Apperception glaubt, der
nicht dem Onmdsatz nnldigt : ,jo fremd-
artiger, desto besser." — Als Grube
Nr. 8 (Dm Dromedar) schrieb, hat er
wol nicht daran gedacht, dass es ein-
mal in ein Lesebuch für 8— 9jährige
Schüler kommen würde. Es setzt so
viele Vorkenntnise voraus, und ist in
der Form so hoch gehalten, dass es
noch grossen Schülern zu schaffen
macht Wir ffihren i. B. folgende zwei
SStxe an: ,,Man möchte dieses unbe-
holfene Tier mit seinem Höcker und
■einen Sehwielen an der Bmst nnd an
Bisenaeh.
den Beinen, mit der kläglichen Miene
und der Farbe des Wüstensandes, mit
der Mischung und Verzerrung der For-
men von einem Kinde und einem Schafe,
einem Vogel Strauss und Pferde be-
mitleiden, und man begreift kauui, wie
aus der heissen Zone, wo Raubtiere
und friedliche Vöfrel so scbönfarbige
Kleider tragen, wo das edle, schmucke
Rom seine Heimat hal^ ein so hUeeliehea
Tier hervorgeben kann. — Ohne das
Dromedar würde Aegypten von Abys-
sinien, die Berberei von den IiXndem
jenseits der Sahara, Syrien von Persien,
Arabien von der ganzen Welt abge-
schnitten sein; die Wüsten würden
unübersteigbare Hindernise dem Ver-
kehre zwischen diesen Ländern in den
Weg legen, aller Austausch leiblicher
nnd geistiger Güter hörte anf, und die
Menschen würde n in ihrer begonnenen
BUdung zurückgehen, versumpfen und
yerkommen in tiodaeher Barbarei.*)
Auch Nr. 9 (Aegypten und der Nil)
muss für das dritte Schuljahr viel ein-
facher gestaltet werden.
An Gedichten ist das Thrändorf-
sche Lesebuch zu arm (es enthält nur 1 4).
Und von den aufgenommenen möchten
einige doch recht schwer nnd von
zweifelhaftem Werte für jüngere Schü-
ler sein. So glaubt an lUe Herrlich«
keit des SehSferlebens, wie sie in Nr. 1
geschildert wird, heute kein Mensch
mehr. Die Schäferperiode ist vorüber.
Das Sommerlied (von l'aui Gerhardt,
Nr. 9) gibt Gefühlen Anedmck, die
wir bei 9jährigen Schülern noch nicht
gefunden haben. Auch die Form ist
zu hoch. Der Winter (nach HeM
Nr. 14) dünkt uns auch für eine spä-
tere Stufe geeigneter, ebenso das Früh-
lingsmorgenlied (Nr. 6.)
Zum Schluss unserer Besprechung
wiederholen wir nochmals, dass wir
mit der dem Lesobuche zu Grunde
liegenden Idee vollkommen einver-
standen sind, dass wir aber eine teil-
weise andere Auswahl oder ümarbei-
tnngTon Lesestücken ffirnOtigerachten,
wenn das Buch in unseren Sehalen
£ingang finden solL
£. Seh eil er.
*) Hierbei bemerken wir noch, dasB die Grube'iche Schilderung des Dromedars, «iMIMO
die Bitter'sche, trots ihrer groiacn iprmchHchen SchOnhdt, TOn aatuihistoriachom BfeMiApOV^
•M OBlMltbu iat. Wirkliehe Kenner dea Tierae lieben gmns «ädere Bilder tou ilun.
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Die „ciUturhistoriscben Stufen'' im Unterrichte der Vplicssehule.
Von Dr. Btehard Bteodo.
tat
Vielseitigkeit, Interesse, Cliaraiiter , Sittlichkeit sind die Grund-
begriife der Herbarfseben Pftdagogik, auf deren Bod€n wir stehen; der
sitülehe CliarAkter ist der Zweck der Endehimgy das vielseitige Interesse
das gewaltigste Mittel zu diesem Zwecke. Das Interesse wohnt aber
nur im 'Gedankenkreis des Zöglings, und so tritt denn der Bildner dieses
Gedankenkreises, der Uuterrielit, in den Mittelpunkt des pädagogischen
Systems, und der Satz vom erziehenden L'ntenicht ist sonach der Grund-
gedanke des pädagogischen Gedankengebäudes von Herbart. Er sagt
darum (.„Pädag. Schriften", ed. Willmann, I. S. 349, Anm.j „Der Unter-
richt will znottebst den Gedankenkreis, die Eniehnng den Charakter
bilden. Das Letste ist nichts ohne das Erste, — darin besteht die
Hanptsnmme meiner Pftdagi^ik^, und (ebendaselbst S. 348) «Ifan hat
die Erziehung nur dann in seiner Gewalt, wenn man einen grossen und
in seinen Teilen innigst verknüpften Gedankenkreis in die jugendliche
Seele zu bringen weiss, der das Ungünstige der Umgebung zu tiber-
wiegen, das Günstige derselben in sich aufzulösen und mit sich zu
vereinigen, Kraft besitzt."
Diese Kraft besitst aber der Gedankenkreis nnr dann, wenn er in
allen sein^ Teilen getragen ist von dem üefinnersten, freien Interesse
der Seele, so dass dies Interesse das gesamte geistige Leben der Person
determinirt und ausfüllt ; denn das Interesse ist die psychologische not-
wendige Vorstufe alles Wollens, nur wer in einer Sphäre ein lebhaftes,
tiefes Interesse empfunden hat^ will dann in dieser Sphäre, und es gibt
daher keinen anderen Weg für die Bildung des Willens und somit auch
des sittlichen Charakters als den, der durch das Interesse hiudurchführt.
Ans diesem Gmnde ist auch der einzige pädagogisch richtige Unter-
richt der, welcher Interesse eraengt, nnd zwar in dem Sinne, dass er
weiter gar nichts erzeugen will als Interesse, dass er sonach das freie
Interesse als seinen Zweek^ seine Arbeit dagegen, seine Wege und Stoffe^
alles Lehren und Lernen nur als Mittel zum Zwecke betraclitet.
Das Interesse ist die Leuchte, mit der llerbart ein und für allemal
in die dunklen und labyrinthischen Gänge der Didactik die Klarheit
des Tages gebracht hat, es ist das Zauberwort, das allein dem Unter-
rieht die Maeht gibt, die Geister der Jugend zn rufen nnd den Zwecken des
Pädaffo«. Studien. M. F. n. 1*
Heisters dienstbar zu nutohen, es ist der lange Hebelarm der Erziehung,
der, leicht und freadig vom rechten I^elirer bewegt, allein das jugend-
liche Wollen in die g^ewüiischte Bewegunpr und Kiclitung bringen kann.
Und warum wirkt das Interesse .solclic Wunder ?
Das Hanptf^clxtt der alten und leider noch vielfach neuen Pilda-
gügik lierrscht den Zögling an : Du sollst lernen und merken , son.st
wirst Da gestraft und findest spftter Icein Fortkommen in Deinem Beruf.
Dies nnmenscbliche Gebot, das kalt und drflekend neben nnd Aber dem
geistigen Leben des ZOglings steht, wird von der Pädagogik des In-
teresses völlig umgewandelt und als ein freier, freudig aufstrebender
Trieb in die kindliche Seele verpflanzt, der nun spricht: ,.Ich will
lernen, sonst lerne ich ja nicht." So ist hit'r im Kleinen, in der geschiclit-
liehcn Entwickelung der Methodik derselbe Fort.schritt eingetreten wie
im Grossen in der religiös-sittlichen Entwickelung der Menschheit —
wir meinen den Üebergaug aus der Legalität des Judentums zur Mora-
lität des Christentums — , und auch die theoretisehen Grundlagen dieser
Fortschritte lassen sich yergleichen. Denn wie hier im Grossen die
Erkenntnis von der Immanenz des Göttlichen im Menschen, von der
wesentlichen Gleichheit des Göttlichen nnd Menschliclien , kurz, die
theoretisch und praktisch erwiesene Gotteskindscliaft eine Innigkeit des
religiösen Ftihlens und eine Energie des sittlichen Wollens erzeugte,
welche der transcendenten jüdischen Gottesidee nie erreichbar gewesen
wäre, so muBSte auch hier die Erkenntnis von der Immanenz des In-
teresses im menschlichen Geiste und zwar als einer dureh die Geistea-
gesetze geordneten Vorstufe des menschlichen Wollens Wunder wirken,
welche die Stock- und Trichterpädagogik nie hatte ahnen können. Denn
den Willen des Zöglings will der Erzieher in seiner Gewalt haben, er
kann ihn aber nicht haben, da der Wille noch gar nicht da ist, son-
dern sich erst während der Erziehung bildet ; das Interesse des Zög-
lings kann aber der Erzieher sehr leicht erzeugen und dauernd erhalten, ^
das- Interesse aber muss zum Wollen werden, wer also das Interesse
hat, der hat den Willen, das ist em Sehlass, der noch viel richtiger
i^t als jener: „Wer die Schule hat, der hat die Zukunft", da ja hiermit
noch gar nicht gesagt ist, wie er die Schule d. h. die Geister der
Schulkinder liat.
So Ciewaltiges auch hiermit die ilerbarfsche Tädagugik leistet 'resp. i
leisten kann), so hat sie doch im Grunde weiter nichts getan, als dass
sie ein altes gutes Wort, das schon Jahrhunderte lang auf dem Gebiete .
der Naturforschung mit riesigem Erfolge angewandt wurde, auch anf •
dem Gebiete des geistigen Lebens zur Anwendung brachte, das Wort:
„Natnra non nisi parendo vincitur", d. h. sie hat die natura des kind-
lichen Geistes — wenn auch nicht die metaphysische sondern die psycho 1
loirische — in ihrer gesetzmässigen Entwickelung erkannt, und nun J
gehorcht diese Natur ihren auf diese (iesctze gegründeten Massregeln. 1
Es ist, wie Lichtenberg in seiner humoristischen Weise sagt : „Seitdem I
der Kalender angefangen hat, sich nach dem Himmel zu richten, seitdem 1
richtet sieh auch der Bimmel nach dem Kalender** d. b. für uns: seit- I
dem und soweit sich die püdagogische Weisheit nach den Gesetien dei I
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le
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kindlichen Geistes riehtet^ seitdem uud soweit riclitet sieh onmg äer
kindliclie Geist nacli der pHdngogisclien Weisheit. dnroh
Diese Macht über den kindlichen Geist gibt aber die Ilerbaiogse
Idee. Wenn wir hiermit die ganz einzigartige Bedentnng Ilerbart's
die Pädagogik ans^gcsjirochen haben, ja wenn wir die Idee von dem
durcli das luteressse erzieheuden Unterricht geradezu aU eine erlösende
Idee beseielineB mllsBen» so wollen wir hiermit aber nieht behaupten,
dasB niemals and nirgends vor nnd ohne Herbart erziehend unterrichtet
worden wflre, so wenig wir auf dem höheren Gebiete der Beligion be-
' haupten an kdnnen glauben , dass niemals und nirgends vor und ohne
Christus walirliaft religiö« gefühlt und rein sittlich gehandelt worden
wäre. Denn wenn das Bcwusstsein der Gotteskindschaft , das dem ,
Menschengeist iinniauent ist, nie und nirgends vor Christus wenigstens
in einzelnen Aeusaeruugeu wahrhafte lieligiosität uud rein sittlichem
Wollen erzeugt hätte, so wAre das eine schwer zn erschflttemde Ver-
dächtigung gegen die Wahrheit jener Immanenz des Gdttlichen, uud
ebenso ist es hier im Kleinen. Wenn der denkende Erzieher und der
pädagogische Taet niemals vor und ohne Herbart das Interesse als die
alles dominirendc Grossmacht im kindlichen Geiste geahnt und gepflegt
uud als VennittU'rin des religiös-sittlichen Erziehungszweckes verwertet
liiltte, so würde schon deswegen die von Herbart dem Intercss(-' zuge-
wiesene psychologische Stellung eine sehr anzuzweifelnde sein, denn so
unTermittelt wie etwa die Erfindung des Schiesspulvers oder der Bnch-
drnckerknnst werden grosse psychologische Entdeckungen nicht gemacht
Kein , es hat anch vor Herbart Herbartianer gegeben ; nur hat
Herbart das, was Tausende wackrer Erzieher vor ihm und nach liun
mit mehr oder minder Unklarheit ahnten und suchten , was sie mehr
oder minder mit Heterogenem vermischten , was sie mehr oder minder
nebenbei ausübten, das alles hat er zur klarsten Klarheit erh<d)en,
von allem fremdartigen Beiwerk gereinigt und mit der Energie der
Wahrheit als das Lebensprincip des pädagogiseben Tuns erwiesen ; und
hätten jetzt nieht Viele von jenen Tausenden, so viele die Idee des
erzielienden Unterrichts in ihrer göttlichen Nacktheit erschauten, ausge-
rufen: „Das wollten und suchten wir auch, er hat uns das Wort aus
dem Mnnde genommen", dann würde die Herbart'sche Pädagogik in
ilirer principiellen Wahrheit sehr anzuzweifeln sein.
Wir beliau])ten ferner nicht, dass die Pädagogik nun mit dieser
üerbartscheu Leistung am Ende ihrer Entwickelung augekommen sei.
Freilieh die Theorie Herbart*s d. h. die Idee des durch das Interesse
den Wüten bildenden Unterrichtes kann — wenn sie die Wahrheit und
der psychologischen Entwickelung des kindlichen Geistes durchaus
adäquat ist, wie wir ja glauben, — schlechthin nicht übeiloti n werden
und ist in sofern allerdings eine grundlegende, einzigartige Leistung,
aber die tlieoretische Ausgestaltung dieser Idee und ihre practische Ver-
körperung in unseren erziehenden Schulen ist eine Aufgabe, die in ihrer
endlosen Verzweigung kaum zu übersehen und in ihrer Riesenhaftigkeit
auch der treuesten Arbdt ünd den gewaltigsten Anstrengungen der Er-
zieher zu spotten scheint
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W|i^ wollen aaeh mit der Herrorhebung der dem Herbart'soben
Princiyi innewohnenden Machtfülle nicht behaupten, daas ihr gegenüber
die Vlacht der Persönlichkeit des Erziehers, die erziehende Mncht der
FatUiilie und des socialen Lebens null und nichtig seien, nein, Herbart a
Princip gibt nur dem Unterriclit die höchste i h m erreichbare Wirkungs-
kraft und schafft ihn so zu einer jenen Mächten ebenbürtigen päda-
gogischen OiOBunaolit um und, was die Hauptsache ist, au einem treuen
Bandesgenossen, der ebenso krXHßg die gttnstigen Eänflfisse jener Factoreu
zu nnterstHtaen vermag , als er selbstftndig ihren etwaigen schädlichen
Einflflssen entgegenwirken wird.
Um 80 eifriger und bcwiisster soll der Erzielier, dem eine solche
Macht in die Hand gegeben ist, sich der Arbeit des Unterrielites hin-
geben, und sie ist des Schweisses der Edlen wert, sie kann keine
Sisyphiis-Arbeit sein. Wenigstens wird der Glaube an Herbart's Idee
dem treuen Lehrer die felseniSeste Ueheizeugung geben, dass er, wenn
llberbanpt eine Umwandlung der Geister durch menschliche Einwirkung
mOglich ist, in und mit dem Interesse das unerschfltterliche Joe not
Ttov aröo besitze, von dem aus allein die Welt des jugendlichen WoUens
aus den Angeln geh()l)en werden kann.
Also unterrichte, um zu iuteressiren und iuteressire,
um zum Wollen zu bilden.
Aus dem ersten Satz, der das Interesse als Ziel des Unterrichtes
hinstellt, lassen sich mit Zuhilfenahme der Psychologie leicht und sicher
die Grnndprincipien der Didadtik ahleiten — wir erinnern nur an die
Begriffe Individualität, Apperception, Selbstätigkeit und an die formalen
Stufen — doch dies zu erweisen, ist hier nicht unsere Aufgabe und
würde auch eine unnötige, weil schon bestens besorgte Arbeit sein
iZillers „Grundlegung" und „Vorlesungen über allgemeine Pädagogik").
Wol aber bedarf der 2, Satz: Interessire, um zum Wollen zu bilden,
eines sehr wesentlichen Zusatzes oder vielmehr einer Ausfüllung mit
materiellem Gehalt, die natflrlich vom durchgreifendsten Einfluss auf die
Qualität des su erseugenden Interesses wsn muss. Denn es versteht
sich von selbst, dass nicht jedes beliebige W^ollen und folglich auch
nicht jedes beliebige Interesse als Ziel des Unterrichtes aufgestellt werden
kann. Als dieses Ziel bezeichnet Herbart, wie gesagt, das absolut wert-
volle Ziel eines jeden Menschenlebens, den sittlichen Charakter
(resp. die Anbahnuug desselben) und somit einen dauernden Zustand
des menschlichen Willens, in dem er, mit bewnsster Unterordnung unter
die sittlichen Ideen, die Bealisimng derselben in sich und um sich an-
strebt Wenn aber der reine Begriff des sittlichen Charakters den
Träger desselben als das Glied einer ttbersinnlichen Welt darstellt, so
verweist die Forderung der Realisirung jener Ideen auf die zahllosen
und mannigfaltigen Formen und Verhältnisse und Bedingungen des
irdischen Daseins, an welche die sittliche Pei-sönlichkeit bei ihrer Aus-
gestaltung zunächst gebunden ist. Der IlimmelsbUrger kann zunächst
nur als ein vielgewandter und vielfach tätiger Erdenbärger sdner
höheren Bestimmung genflgen, der eine sittliche Zweck seines Daseins
kann sunSchst nur durch die vielfiush verschlungenen Mittel der irdischen
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Verhältnisse rcalisirt werden. So tritt denn als die C^imdbedingung der
Sittlichkeit die Vielseitigkeit iuif, und hiermit wird auch das durch
den Unterricht zu erzeugende und der Sittlichkeit dienende Interesse
sofort als ein vielseitiges bestimmt. In welch' innigem ursächlichen
Ve liiiltnis das vielseitige Interesse zur Sittlichkeit i Tugend i stellt, wie
es durch Ausfüllung des Gemüts die Herrschaft der Begierden, Launen
und Leidenschaften ersehwert und verhindert , wie es dnreh die Falle
der Kenntnisse nnd Fertigkeiten den Kindern des liehtes die Mittel
und Werkseuge der weltlichen Klugheit gibt, durch die allein sie nnf
Erden sweckmässig wirken und sich zur Herrschaft erheben können,
wie es den oft von den Umständen gebotenen Wechsel der Beschäf-
tigungen und Zwecke erleichtert und ermöglicht und so durch die an
ihm stammende Fülle des möglichen Handelns die Tugend nicht erdrücken
lässt, während des Einseitigen Leben an einem Faden hängt und mit
diesem leraehnitten wird, wie es auch sehen an sich als formale Voll-
kommenhdt der dem Geiste elgentflmlichen Actlvitit nnd Regsamkeit
ein sittliches Gut und die Basis des sittlichen Strebens ausmacht nnd
als Reichtum und Energie der geistigen Lebenskraft allein Reichtum
und Energie des Wollens erzeugen kann, weshalb es auch schon als
etwas unmittelbar Wertvolles Zweck des Unterrichtes sein muss, das
alles ist von Ziller (Grundlegung S. 349 — 397) in gründlicher und
überzeugender Weise nachgewiesen worden und braucht von uns nur
anerlcannt sn werden.
Wie nnd wodurch ist aber das vielseitige Intereese sn erseugen?
das ist die Cardinalfrage der Didactik. Die nächstliegende Antwort :
durch vielseitigen Unterricht — ist eine sehr interimistische, sofort fragt
es sich wieder : wie y\o\e und welche Seiten soll denn der Unterricht
haben? und erst die Antwort: so viele Seiten die zu unterrichtende
Persönlichkeit hat oder haben soll, führt unsere Untersuchung auf festen
Boden. Herbart hat bekanntlich den kindlichen Vorstellungskreis und
folglich auch das Interesse, das ja nur an ihm haftet, nach seinem
Inhalt geschieden in dne VorsteUnngssphäre, die an dem Umgang
mit beseelten oder als beseelt gedachten Wesen und in eine solche, die
aus der Erfahrung an den Objecten der Natur entsteht, und sclireibt
demgemass dem Unterrichte die Aufgabe zu, auf der einen Seite den
beschränkten kindlichen Umgangskreis durch einen idealen Umgang mit
bedeutenden Menschen und mit Gott zu erweitern und zu veredeln und
so das Interesse der Teilnahme sn erwecken nnd sn verstärken,
anf der andern Seite aber die Angabe, den Brfahmngskreis sn berichtigen,
sn ordnen und sn betelehem nnd so das Interesse der Erkenntnis
zu erwecken nnd zu nähren. Das Interesse der Teilnahme zerfiUlt
aber in das sympathetische, sociale und religiöse Interesse, das Interesse
der Erkenntnis in das empirische, speculative und aesthetische Interesse,
Begriffe, die hier nicht weiter zu erörtern sind. Der Unterricht nun,
welcher vorzugsweise die ei'ste Gruppe von Interessen zu näliren ha^
ist der historische, der die flblichen Fächer Beligion, Geschichte
nnd Literatur in sich fasst, der Unterricht, welcher vorangsweise der
sweiten Gruppe von Interessen sn dienen hat, ist der naturkundliche.
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Ziller, dem wir uns bierin aDBchlieasen, betrachtet nnii den
historischen Unterricht, den er wegen seines Hauptzieles den Gesinnungs-
unterricht neunt, und den naturkundlichen als die erste und wichtigste
Reihe der FHclier, ihr ordnet sieh als eine zweite Keihe unter die
Spraclie und die Mathüinatik , wclclic die formale Seite der historischen
und uaturkunUiichen Fächer bilden und uiä solche nur ein mittelburcü
Interesse erwarten kdnnen; aur Mathematik, die aneh eine Theorie der
Gestalten gibt, gehört Zeichnen nnd Schreiben. Die dritte Beihe endlich
enthält die Fächer, welche einzelne oder mehrere Gebiete der zwei ersten
Reihen in eigentümlicher Weise behandeln, nämlich die Geographie, das
Turnen, die technischen Arbeiten und den (iesang.
Was haben wir nun mit dieser nälieren Bestimmung der durch
den Unterriclit zu erzeugenden Vielöeitigkeit gewonnen? Isicht viel.
Denn erätcus öcheiut die Einheit des sittlichen Charakters durcli diese
neben einander gelagerte Vielheit der Fächer bedroht, nnd aw^tena
haben wir — genau besehen — nichts anderes gewonnen als eben
Fächer d. h. leere Behälter, welche die Anftchrift dessen tragen, was
hinein zn füllen Ist
Es erheben sieh also die beiden Fragen: ,,Wie ist die notwendige
Vielheit der Fächer mit der notwendigen Einheit der Persönlichkeit zu
vereinigen?" und zweitens: „Was ist der Stoft* der einzelnen Fächer V**
Die erste Frage bezieht sich auf die Conceutratiou des Unterriciits, ist
wesentlich ^ne Frage der Methode und filUt daher mit der Frage nach
dem Stoff nur insoweit susammen, als die Lösungsversnche den Stoff in
MitlddenschafI sieben, dagegen ffüat uns die zweite Frage direct auf
unser Thema, auf die grosse Frage nach dem rechten Stoffe des päda-
gogischen Unterrichtes, eine Frage, die wir freilich nur in Bezug auf
die liistovisciien Fächer der Volkssciiule zu beantworten versuchen wollen.
Die Ansichten der Pädagogen über den rechten ^^tofl" des Unterrichtes
gehen noch weiter auseinander als über die Frage nach der rechten
Methode. Denn dabei zwingt auch die Gldchheit didactischer oder psycho-
logischer M^ungen oder Principien nicht immer zn glichen Ansichten
über die Gtlte dnes bestimmten Stoffes, hier spielt aucli die individuelle
Lebensanschauung und WeltauiTassuug des stoffwählenden l*ädagogen
eine grosse Rolle, und so wird auch die Objectivität und Con.se(|uenz der
Gedanken, wie sie in di-r wissenschaftlichen Methodik herrscht, bei ihrer
Anwendung auf die wirklich vorhandenen LehrstoÜe der Subjectivität
und Willkür mehr als wflnschenswert Spielraum geben mflssen. Doch
die Not drängt, wir müssen Stoffe behandeln, und deshalb wollen wir
uns trotz dieser Schwierigkeiten nach den rechten Principien umsehen,
die uns bei der Stoffauswahl leiten könnten ; es muss ja solche Principien
geben, so gewis es schlechte und gute Stoffe gibt.
Nach welchen Principien hat denn seither die Volksschule ihre
ttoffe zuerteilt erhalten? Wir nenn«'n zuerst das kircliliclie Princip.
Da die deutsche evangelische Volksschule als Mittel zum Zwecke der
Kirchlichkeit des Volkes in's Leben gerufen worden war und wol auch
nicht anders hätte entstehen können, so wurde ihr mit Recht die religiös-
sittliche Bildung als Hauptziel gesteckt, aber man ging zu direct auf
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dies Ziel los und wollte die Religidsität mit den gewaltigen Massen der
unverdauten biblischen und Katechismnsstoffe erzwingen. Doch man
lahmte sie dadurch nur, und wenn dennoch jene Zeit eine religiöse war,
so war dies nur die Folge der religiösen Tradition des Volkslebens
und nicht des Schulunterrielites ; die ganze Vielseitigkeit dieses Unter-
richtes wur ein dürftiges Aniiuugsel au den alle Zeit verschlingenden
Beligionsimtenielit nnd bestand in Lesen, Sehrelben nnd Beehnen — das
Mrchlicbe Piincip ist einseitig nnd ennangelt daher der erziehenden Kraft
Wir nennen zweitens die yon Fichte so beseiehnete «neidische
Maxime.** Sie herrscht iu reactiouären staatsinännischen- und Gescll-
schafts- Kreisen und möchte gern den beschränkten Wissenskreis der
alten Volksschule, der ihr einst iu bester Absicht zngcwicseii wurde
und vielleicht damals gar nicht reicher gewährt werden konnte, auch
heute noch festhalten resp. wieder lierstelleu und verewigen, und zwar,
wie sie sagt, zu Gunsten der. durch die flberhand nehmende Intelligens
verderbten und yerringerten Volkstittlicbkeit Aber dnroh diese Redn-
cirung wird nur Beschränktheit und Stumpfheit erzeugt, und das sind
Quellen der Brutalität; reiches Interesse und frische Regsamkeit dagegen
sind die Basis alles sittlichen Strebens ( ef. Ziller, Grundleg. S, 384 — 389),
und jene Maxime ist daher, wo sie nicht auf einem Denkirrtum beruht,
als eine ganz uuniuralische und uuchristliche zu verurteilen und zu
beklagen.
Das dritte Princip wollen wir als das fachwissenschaftliche
bezdehnen. Es hat im steten Ringen mit der „neidischen Maxime^
Fach auf Fach, Wissensstoff auf Wissensstoff je nach dem Fortschritt
der betreffenden Fachwissenschaft und nach dem Masse ihrer Verbreitung
und Beliebtheit in die Volkssclmle geworfen, hat jedes Fach nur einer
nötig erscheinenden Beselineidung und Ahkürznng unterworfen, ist aber
im Uebrigen ganz unbekümmert um die methodische Verarbeitung des
einzelnen Stoffes und um diu \'erarbeitbarkeit der Gesammtmasae. Viel
hilft Tiel, viel Nahrung stillt viel Hunger sagen die Anhänger dieses
Princips und vergessen ganz, dass bei geistigen Dingen der Hunger
erst erzeugt werden muss, und machen so den Mangel des kirchlichen
Princips — die Ueberfülle des religiösen Lehrstoffes, auf die törichtste
Weise wieder gut, nämlich durch die gleiche Ueberfülle von einem Dutzend
anderer Lehrstoffe. Divss diese L'eberschüttnng und Lcberbürduug mit
Jitoff, dieser „didactiache Materialismus" (Dörpfeld) ein tiefer Schaden
unserer heutigen Volksschule ist, wird von allen Einsichtigen anerkannt
Aber nach welchem Princip soll man den Stoff bestimmen , ohne in die
pnseltigkeit, Unsittiichkeit und unp&dagogische Torheit des kirchlichen,
neidischen und fisichwisseDSchaftlichen Princi])s zu verfallen?
Das Interesse, welches eine Weg weisende Leuchte der Didactik
war, muss auch zur Leuchte, zum Princip bei der StotTauswahl gemacht
werden. Und es versagt auch seine Dienste nicht, denn aus ihm ergibt
sich sofort der llanptgrundsatz : Nur das kann Lehrstuff sein,
was den Zögling interessirt Sollen wir nun sagen, interesdrenr
kann oder interessiren muss? Das Gebiet des Ersteren ist ohne
Zweifel viel grösser als des Letzteren, es gibt gar viele Stoffe, die durch
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geschickte Behandlung oder auch durch aoBserhalb derselben liegende
Reizmittel (Ehrgeiz, Nutzen u. s. w.) interessant gemacht werden können,
ohne es an sich zu sein, aber es ^ibt auch Vieles, dem — fauch bei
ganz ungleicher Prädisposition der Kinder) «ogar durch sclilechte resp.
gar keine Behandlung (z. B. bei unverarbeiteter Darbietung} die Fülle
des Interesses nicht geraubt werden kann. Wir fordern nun als Herbar-
ÜaneTi dass auch bei Torau.sgesetster pädagogisch richtiger Behandluug
nur solche (historische) Stoffe bei dem erziehenden Unterricht zugelassen
werden, die notwendig bei jedem normalen Zögling Interesse erwecken
müssen, und zwar ein unwillkürliches und dauerndes Interesse; denn
nur dsuin hat das Interesse einen Wert für die Willeii.sbildnng , wenn
es frei im Zögling steigt, ihn al.s dauernde liegsamkeit durch die Schul-
zeit begleitet uud als eine wachsen woUeude Lebtiiskralt auch uach der
Schulzeit beseelt. Die psychologische Vorbedingung aber für alle Vor-
stellungen, die als interessante in den Gedankenicreis eintreten sollen,
ist die A^hnliehkeit, die Verwandtschaft mit den schon vorhandenen
Vorstellungen, ihr Erwai-tetwerden von den letzteren, kurz die peinlichste
Berücksichtigung der jeweiligen Individualität, der jedesmaligen und stets
sich ändernden A p p e r c e p t i o n s 8 1 n f e. Das ist ein folgenreiches
Princip für die Stolfauswahl, das nur leider mehr theoretisch auerkauut
als praktisch uud consequeut befolgt wird.
Wird dies Princip allein genügen? Braucht man dasselbe jetzt
einfach anf die Fachwissenschaften, die ja selbstverstftndlich alle Unter-
richtsstoffe implicite enthalten, anzn wenden, um den idealen Lehrplan
an haben, der dann bei methodisch richtiger Ausführung das Ziel des
erziehenden Unterrichtes realisiren würde? Wir glauben nicht; denn
die Fachwisseuschaften enthalten wol die Resultate der nienschheitliehen
Entwickelung, das fertige geistige Besitztum der jetzigen Generation,
aber uicht den Weg, auf dem alles jetzige Wissen, Köunen uud Wollen
errungen und ennheitet worden ist; doch gerade dies Werden des jetzigen
geistigen Besitzstandes kann ftlr die Jngend, die ja das werden soll,
was die jetzige erwachsene Menschheit ist, der .^nzig- interessante,
wissen-, gemüt- und willen-bildende Stoff sein, und hiermit werden wir
auf die cul t u rg e s c h i c h 1 1 i c he Entwickelung der Menschlieit
als den Hanptstoff des erziehenden Unterrichtes hingewiesen und damit
zugleich auf denjenigen Pädagogen der Gegenwart, der mit der grössten
Energie und mit allen Mitteln der pädagogischen Wissenschaft auf die
nnterrichtliche Verwertung der Culturgesohichte gedrungen hat nnd der
zuerst ein theoretisch begrflndetes System culturhistorischer Stoffe fSr
alle Schuljahre einer 8 klassigen Volksschule aufstellte. Wir meinen
den bedeutenden Vertreter der Herbart'schen Pädagogik, Herrn Professor
Zille r in Leipzig.
Sein Unteruehmen wird dadurch noch interessanter, dass er einer-
seits seinen culturhistorischen Stoffen die Lösung des oben berührten,
wichtigen und schwierigen Problems der Coucentration zuweist, anderer-
seits aber die sich ndtig machende Modiflcatlon des culturhisto-
rischen Prineips fflr Stoffauswahl durch das Appereeptions-
princip in der Wdse zu bewirken sueht, dass er die beiden Prindpien
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in gewisser Hineicht gendeia identifidrfc. Er behauptet nämlich, d«ss
es dne Ansahl allgemein-menschlicher CulturstufeD gäbe, von denen jede
einer gewissen Stute der kindlichen Einzelentwickehmg — nnd somit
anch der jedesmaligen kindlichen Apperceptionsstufe entspreche, dass
also, wenn wir uns so ausdrücken dürfen, die jeweilige .Stute der Eiuzel-
entwickluug gleichsam eine die mehr formale Apperceptionskraft des
kindfieh^ Gektee in der Yerarbeitang des entsprechenden Calturstoffes
mächtig nnterBtUtsende mehr materiale Apperceptionsstafe sei, nnd be-
hauptet weiter, dass die von ihm gewählten cnlturhistoiischen Stoffe,
diese den Stufen der Eänselentwickelung entsprechenden Gnlturstufen
darstellten.
Wenn Ziller's Behauptung? unwiderleglich bewiesen wäre, dann
kruinte man sich gar kein v(>llk(»niiiineres Princip für die Auswalil des
historischen Stuffes dcukou , und es müsste mit aller Entschiedenheit
die Herrschaft desselben Uber den Lehrplan der deutschen Volksschulen
angestrebt werden, aber gerade weil es so tief einschneidend ist, ver-
dient es die teilnahmvoUste Beachtung und verlangt eine entschiedene
Stellungnahme, und gerade weil es von einem so liedeutenden Pädagogen
herrührt, fordert es sowol als Theorie wie in praktischer Ausführung
besonders von Seite derjenigen, die auf derselben llerbai-t'schen (Jrund-
anschauung stehen, die gewissenhafteste nnd schärfste Kritik hirans,
nach dem Lessing'scheu Grundsatz : y, Einen elenden Dichter (resp. Tuda-
gegen) tadelt man gar nicht , mit dnem mittelmässigen verfährt man
gelinde« gegen einen grossen ist man unerUttlich.** Und diese Strenge
ist hier um so mehr nötig, als es sich nicht blos um eine ästhetische
Beurteilung handelt, deren Ausfall im Grunde Niemanden viel schaden
kann , sondern um die Gestaltung des Gedankenkreises von Millionen
Kindern Hier heisst es entweder anerkennen oder widerlegen, vielleicht
auch teils bejahen, teils verneinen, und wenn letzteres geschieht, dann
gilt es, positive Gegenvorschläge zu machen. Gehen wir nun an diese
An%abe und versuchen in nnd mit dieser .Kritik des bedeutendsten
Versuches einer Theorie des Stoffes selbst Stellung su der grossen
Frage zu gewinnen.
Ziller betrachtet seine culturhistorischen Stoffe, wie oben erwähnt,
auf der einen Seite als Concentrationsstoffe — diese Verwertung der-
selben ist aber eine mehr methodische Frage und wir haben deshalb auf
dieselbe nur insofern einzugehen, als ihre Lösung eine wesentliche Be-
einfluBBung der concentrirenden und concentrirten Stoffe zur Folge hat
— , auf der andern Seite gelten sie itim als Repräsentanten bestimmter
Gidtnrepochen und swar solcher, welche bestimmten Stufen des wachsen-
den kindlichen Geistes entsprechen.
Betrachten wir nun diese Culturstufen im Ganzen und Allgemeinen,
besonders in Bezug auf die behauptete Congruenz der l^inzel-
entwickelung mit der G es a m t e n t w i c k e 1 u n g. Lassen wir
Ziller selbst reden. Er sagt (Grdl. S. 42 7 j „Für jede Unterrichtsstufe,
fflr jede Schulklasse muss ein Gedankenganzes und zwar wegen des
sittlich religiösen Eniehungssweckes ein Gesinnungstoff als conceu'
trirender Mittelpunkt hingestellt werden . . . „Die Auswahl aber und
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der Fortschritt der concentrh'enden Mittelpunkte ist so einzuncliten, das»
nie teils der Eutwickelnog und Fortbildung des kindliclien Geisteä und
ujunentlich den Apperceptionsstufen , die darin n.acli psycli(»l(>giscliun
Gesetzen aut' einander lolgen müssen, entsprechen, teils den der Rnt-
w i c Ii e l u n g des Einzelnen im Grossen e o r r e s p o n d i r e n d e n
Fortschritt iu der Eut Wickelung der Geschichte der
MenBohheit, soweit er uns durch klastische, der Jugend sugängliclie
Darstellungen bekannt ist, in allen seinen fttr unsere gegenwilrtige
Oultui'stufe nachweisbar bedeutsamen Hauptperioden repräsentiren." Hier-
aus folgert Ziller, dass folgende ätoöe die concentrirenden Mittelpunkte
für die 8 Seliuljahre sein ^müssen:" Ii Das epische Märchen;
"2) Die I'^rzälilung des IJobinson ; 3i Die Geschichte der Tatriarchen;
4i Die Kicliteizeit ; 5) Die Konigszeit in Israel; 6) Das Leben Jesu;
7) Die Apostelgeschichte; 8) Die Reformationsgeschichte (Katechismus).
In und mit diesen Stoffen durchläuft der Zögling (Ordl. 156) «die
seiner eigenen Entwickelung entsprechenden Haupt-
momente in der uns bekannten Eni w i c k c 1 u n g der Mensch-
heit", und in diesen allgemeinen „Entwickelungsstufen sind in der
Tat die llauptstationen für den gesctziiiässigen Aufbau auch des Einzel-
geiötes angedeutet*' iScmiiiarbuch im Jalirbuch von 1S74, S. Il3i, und
daher können die iStoffe l'ür den Unterricht ..nur dem Gedankenmaterial
derjenigen culturgeschichtlichen Entwickelung entlehnt werden, die dem
gegen w&rtigen Geisteszustand des Zöglings parallel ist*^
(Allg. Pftdag. S. 213). Aber bei diesen Sätzen bleibt uns vor der Hand
noch nianchttdei unklar.
Erstens: Meint Ziller, dass jede seiner S Stufen (so wollen wir
kurzweg seine cultiirliistorischen i^tofTe nennen eine solche II a u p t stnfe
i-e])i;iseHtire, die „auch der Kinzeine iinnier wieder durchmachen müsse"
1.6eniinarb. 6. 113i ? Meines Wissens hat sich Ziller nirgends darüber
ausgesprochen, wie viele Hanptstufen der Entwickelung er annimmt,
und ich kann nicht entscheiden, ob er yielleieht nur einige seiner S
Stufen als solche Hanptstufen betrachtet, denn dass jede seiner Stufen
eine solche Hauptstufe sein und also einer bestimmten Apperceptions-
oder Einzelentwickelungsstnfe entsprechen solle, ist kaum denkbar.
Denn an und für sich in jedem .Menschen als solchen innerhalb der
Zeit V(»ni bis 14. Lebensjahre 8 Apj)erce]»tionsstufen anzunehmen,
von denen jede gerade diesen und absolut keinen anderen Stotf fordere
und vertrage, wäre doch eine allzu verwegene Behauptung; denn dar-
nach, dass das 19. Jahrhundert der deutschen Volksschule 8 Schuljahre
gewährt, hat sich doch Natur und Geschichte hei Anlage und Modi«
fieation der Apperceptionsstufeu schwerlich gerichtet, und fast jeder der
Ziller sehen >^toffe liesse sich doch eventuell in jedem der 8 Schuljahre
in bildend! r Weise behandeln, in erster Linie der neutestamentliclie.
Sollte es denn Ziller's .Meinung sein, dass z. B. das Lehen Jesu wirklii'h
erst der Ü. Appercepiionsstufe i^deni 12. Lebcusjahrj entspräche oder
bringt er das Leb^ Jesu nur deswegen in das 6. Schuljahr , weil er
die 3 Jahre vorher die zeitlich und sachlich vorausgehende und bedingende
alttestamentllche Stufe behandelt hat?.
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Wir kommen dadurch anf eineo sweiten Punkt, der uns ebenfalls
Hiebt durch jene Oitate ans Ziller klar gemacht an werden scheint
Gilt ilira nämlich das Durchgemachtwerden mUssen jener Stufen durch
den Zögling als ein naturnotwondiges . das jedos Kind der Gegenwart
auch ohne absichtlichen Uuterrioht in sich erfahren müsse, oder redet
er nur von einem Durchniachenlassen, welches dann nur das beste und
darum notwendige methodische Mittel wäre zu dem Zweck, dasss der
Einzelne ^an der gegenwärtigen Bildung der Menschheit mit voller
Kraft tdlnehmen und in ihre Arhdt . . . auf rechte Weise eingreifen
könne?** mit anderen Worten: Betrachtet er die acht (oder wie viele
er meinen mag) Apperceptionsstufen und Eutwicicelungsepocheu des
Einzelnen, denen seine S culturhistorischen Stoffe entsprechen sollen,
als schon an und für sich nach den Gcistesgcsetzen existirende, wol
abgren7J>.'ire und bestimmbare und in jedem Kiiide auch oline Unter-
richt innerlialb der Zeit vom ü. — 14. Lebensjaiire auf einander folgende
Entwickelungsstufen, oder sind diese Apperceptionsstufen wesentiieh durch
die kflnatliche Bearbeitung des Oedankenkreises im Unterricht erzeugte
Stufen des kindlichen Aneignungsvermögens, so dass also nur die
jedesmal im Unterrichte appercipirte Gultnretufe die App^rdpirbarkeit
der nächsten Stufe bewirkte?
erstere könnte nach den obeu angeftihrtcn Stellen als Zillers
Meinm»^'^ betrachtet werden, doch gibt es auch Stellen, die mehr für
das zweite sprechen. So sagt Ziller (Allg. Päd. 180), nachdem er die
aus der allgemeinen Cutturentwickelung zu gewinnende Geistesnahrung
als die beste Förderung der Einselentwiekelung hingestellt hat : ^Aller-
dings mfissen die beiden Reihen der Geistesentwickelung, die der all-
gemein menschlichen und die der kindlichen mit einander übereinstimmen;
unter dieser Voraussetzung* sollte der Zöfjling eine jede der
Hauptstufen in der allgemein menschlichen Geistesentwickelunji- durch-
machen und weiterhin heisst es ..Leider ist gegenwärtig schon
dafür nicht ausreichend gesorgt, dass die Entwickelungsstnfeu des
Eioselgebtes mit denen der Hauptculturepocben im Einklang stehen.**
Sonach wftre also die Oongmenz der zwei Entwickelungsreihen auf der
einen Seite mehr ein frommer Wunsch, dessen Erfflllung durch einen
histonsch aufsteigenden Unterricht wesentlich beschletinigt wflrde, und
eine Voraussetzung, die niciit bewiesen ist, auf der anderen Seite
aber eine Aufgabe der menschlichen Sorge d. h. doch wol der
unterrichtlichen Tätigkeit , und somit nicht als eine naturgesetzliche
Notwendigkeit zu betracliten.
Aber trotzdem heisst es auf derselben Seite: „Nach der Natur
des Geistes kann er (der Zögling) ja, um zu den Höhepunkten der
Bildung in der G^^wart zu gelangen, nicht eine einzige jener Stufen
wirklich über^^priugcn ; wenn nicht in geordneter, macht er sie in
ungeordneter Weise durch", und es bleibt bei der Alternative,
meint Ziller: Ich will den mir nach Zahl und Inhalt bekannten Stufen
*) (Allg. Päd. ISl) „Die Gesinnungsstoffe .... sind ausdrücklich auf
die Ueoereinstimmang unter den beiden Entwickelnngsreihen berechnet''
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der kindlichen Entwickelnng, also der Natur des kindliehen Geistes
folgen, ieh finde aber in der Geschichte der Menschheit ebenso viele
diesen genau entsprechende allgemeine Stufen, und darum müssen die
letzteren die absolut besten Stoffe für jede Stufe der Einzelentwickelung
sein, oder mt int er : Ich will die Zöglinge in beschleunigtem Tempo die
Culturentwickelung der Menschheit durchmachen lassen , teile deshalb
(weil ich 8 Schuljahre habej diesen Stoff in acht möglichst einheitliche
Stufen und mache durch die untetrichtliebe Behandlung einer jeden
Stufe das Kind xur Apperceptlon der nächsten fähig? Ziller spricht
sich, wie wir sahen, für Beides aus, es Ist aber von vornherein nicht
anzunehmen, dass ein so wissenschaftlicher Geist wie der seine in einer
so eminent grundlegenden Frage sich in Widersprüchen bewegen werde,
suchen wir also nach einer Lösung des Widerspruches, nach einer Ver-
einbarung beider Sätze in einem höheren dritten, und da nun unsere
ganze Unklarheit über die Zillcrsche Fassung jener Cougruenz der
beiden Entwickelnngsreihen im Grunde auf dem Fehlen einer speciellen
geschichtsphiiosophischen und psychologischen Begründung seiner sämt-
üclien 8 Culturstufen beruht, so liegt es nahe, die Klärung der Frage
in der uns wirklich vorliegenden ausführlichen Begründung der Märchen-
stufe zu suchen fcf. Jahrbuch von 1869, S. 1 — 17i. Dn wir spiUer
bei der Eiuzelbcspieehung noch einmal auf dieselbe zurückkommen
müssen, wollen wir uns hier möglichst kurz fassen.
Die Argumentation ist folgende : Der Untemcht und sein Stoff liat
sich an die beim Kinde vorhandene Geistesstnfe ansuschliessen, um es
dartlber zu erheben. Der Geisteszustand aller normalen Kinder im
sechsten Lebensjahr ist — und wir erkennen das an — ein solcher,
worin bei aller individuellen Verschiedenheit doch in gleicher Weise die
Einbildungskraft überwiegt. Die Märchen und deren poetische Welt-
auffassung sind ein Produkt der Phantasie der Völker in ihrer Kind-
heitsperiode, ihr Geist ist also in völliger Harmonie mit dem innersten
Wesen des ELindes, und der Geist des deutschen Märchens also erst
recht in Uebereinstimmang mit der dem deutschen Kinde eigentflmlichen
Natur- und Henschenbetrachtung. Daraus erklärt sich die Ldchtigkeit
des Verständnisses, die erfahrungsgemfis das Kind dem Märchen ent-
gegenbringt, die Lust des Hörens von Märchen und der Drang darnach
und deshalb müssen die Märehen ,.als das Fundament unserer achul-
niassigen Unterriciitsstoti'e anerkannt werden" 'S. 9), von dem aus das
Kind leicht und sicher zu der ihm als Menschen zukommenden begriffs-
mässigen Auffassung der Welt geführt werden kann.
Diese Argumentation beginnt mit der Fixirung der kindlichen Apper-
ceptionsstufe und fizirt dieselbe als ein im allgemeinen durch die psycho*
logische Form der phantasirenden Tätigkeit, also mehr in formaler
Hinsicht, und im speciellen durcli den individuellen Krfahrungs- und
Umgangskreis, also mehr in materinler Hinsieht, determinirtes Auffassungs-
vermögen. Auf Grund dieser Feststellung, deren Richtigkeit wir zugeben,
construirt dann Ziller seine Forderungen an einen dem Kinde cougenialen
Erzählungsstoff, um schliesslich die Erfüllung derselben durch den in
den Märchen verkörperten Kiederschlag der allgemein menschlichen resp.
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volkstflmlichen Eiudheitsstufe nachzuweiBen. Ganz prächtig , auf eine
pädagogisch richtigere Weise kann ein historischer SchtilstofT gar niclit
fixirt werden; aber wenn es nur immer so bliebe oder so bleiben könnte!
Aber Zillcr scheint das zu glauben. Er denkt an eine natürliche
Prädis])Osition des Zöglings für jeden der Stofl'e, die analog dem
Entwickehiugsgange des Ganzen gewählt sind, und an deren Hand der
Einielgeist raseh nochmals die Gesamtentwickelnng dnrebmaebt. Das
Dnrehmachen einer jeden 8tnfe dieser allgemdnen Entwickelnng wird
von einer entspredienden Stufe der natttriichen Üinzelentwlckelung ge-
fordert und, wenn diese Forderung vom Unterricht befriedigt ?drd,
mächtig gefördert. Also denkt Ziller an Beides, nn ein natur-
notwendiges und an ein von ilim gefordertes und gefördertes (künst-
liches) nnterrichtliches Durchmachen bestimmter Entwickelungs-
stufeu, wobei es sich von selbst versteht, dass auch die Kunst die
Natur bedeutend unterstUtsen und zum rasoheren Uebergang auf die
nftebst höhere Stufe filhig machen wird. Aber wie weiter von der
Härchenstufe an ? Die Pflege und Leitung der phantasirenden Tätigkeit
geschieht schon mit Rücksicht auf die im Zögling anzubahnende be-
griffliche Auffassung von Natur- und Menschenleben und soll nur den
naturgemiisseu Uebergang dazu bilden. Werden sich aber innerhalb des
Entwickelungjsgauges dieser begrifflichen Weltauffassung, zu
der auch die Menschheit fortschritt, solche naturnotwendige, von einander
abgrenzbare und zählbare Stufen finden lassen und wird sich insbe-
sondere die Identität derselben mit den den noch flbrigen 7 Ziller'schen
Stoffen entsprechen sollenden aber nirgends beschriebenen Einzelent-
wickelungs- resp. Apperceptionsstufen nachweisen lassen? Wir verneinen
das ganz entschieden, wir können es nur für eine unberechtigte Ueber-
traguug eines bei der Märchenstufe sich bewahrheitenden Priucips auf
spätere Entwickelungsstufen des jugendlichen Geistes ansehen, und werden
es so lange nicht anerkennen, bis der geschlchtsphilosophische und
psychologische Naebweis erfolgt Meint aber das ZUler gar nicht, was
ja aucl) mOglieh ist, und denkt also nicht an acht scharf und, abge-
sehen von tSiem Unterrieht, fixirbare Entwickelungsstufen des Einzelnen,
sondern nur an eine ganz im Allgemeinen wachsende Entwickelung der
begrifflichen Bildung, die in stetiger aber nicht messbarcr Weise au
Klarheit, Schärfe, Verkuilpfuug und systematischer Gliederung zunimmt
und zwar bei dem Einzelnen sowol als bei der Gesamtheit, dann lässt
sieh von unserem Standpunkt aus eher mit Ziller reden. Wir geben
ihm zu das stufenmäasige mit naturgesetzlicber Notwendigkeit erfolgende
Emporgebobenwerden der Elnzelentwickelnng durch die in Form des
Constanten Umganges auf das Kind wirkende Gesamtentwiekelung, wir
geben ihm zu, dass eine Reihe historischer Stoffe sich denken lasse, die
wegen ihres Fortschreitens von einfacheren , durchsichtigeren Begriffs-
produkten, Interessen und Culturh/istungen zu complicirtercn und höiieren
Kesultaten auch nur ganz im Allgemeinen jener im Allgcmeiuen wach-
sende Eänzelentwiekelnng entsprechen, wir setzen aber hinzu , dass die
in Jedem Schuljahr errdehte Gdstesstufe ebensosehr durch die unter-
richfliche Bearbeitung der eulturhistorischen Vorstufen als durch daa
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natflrliche Fortschrdten des SSöglings mittelst Erfabrung nnd Umgang
erzeugt wird, und dass folglich der Grund der Auswahl des jedesmal
folgendcu bistoriachen Stoffes ebensosehr in der faotiscli \ urlicgcnden
unterrichtlicheii Vorarbeit und in der objcetiven Ansclilies^ltnrkcit dos
neuen Stoffes an den alten als in der sulyectiven, gar nicht g( nun tixir-
baren Kiiizcb^ntwickelungsstufe zu suchen ist. Und weil eben diese
naturnotwendigen Entwickelungsstufen des Zöglings so wenig greifbar
und nach seinem Alter abgrenzbar sind, so kann eben weniger der
Gongruenzgedanke d. h. die Idee der im Einzelnen unbewdsbaren Oon-
grnenz der beiden Entwickelungsreihen die Auswahl der auf die Mflrcben
folgenden Culturstoffe dcterminiren, als vielmehr die methodische Erwägung,
dass die frühereu Culturprodukte wegen der ihnen notwendig anhaftenden
Kindlichkeit, Einfachheit und wegen der Enge des Gesichtskreises auf
dem relipösen, sittlichen, politischen nnd industriellen Gebiet der kind-
lichen ApperccptioDskraft mehr entsprechen werden als die späteren
Onlturleistnngen , und dass wir daher beim Aufbau unserer historischen
Schulstoffe nach Analogie des menschheitlichen Fortschrittes im Grossen
nnd Ganzen aicher sein können, äet natürlichen Entwickelung dnes dem
unabsichtlich wirkenden Gulturfaetoren der Gegenwart ttberlassenen Kin'^es
keinen Zwang anzutnn , sondern vielmehr es in seiner eigenen Ent-
wickelung mehr oder minder stark zu unterstiitzeu.
Mit diesem Zugeständnis der Möglichkeit und Nützlichkeit einer
gegenseitigen Moditication und Wechselwirkung zwischen den wol vor-
handenen aber nicht genau erkennbaren und unterscheidbaren Einzel-
entwickelnngsstufen und den scharf bestimmten allgemeinen Ent-
Wickelungsstufen haben wir uns Ziller wieder genähert, und schon die
nächste Erwägung wird uns hierin einen Schritt weiter führen. Aua
dem Bisherigen schon ist hervorgeganjren. dass wir weniger in der Sache
als in der Hegründnng von Ziller abweichen, indem wir wol auch einen
der culturgeschichtlichen Entwickelung entsprechenden Gang des Unter-
richts festhalten , nicht aber jeden Jahresstoff auf eine angeblich ihm
eorrespondirende natdrliche Einzelentwickelungsstufe grSnden wollen;
doch haben wir schon bei dem ersten Ziller'schen Stoff zugaben, dass
er der eigentümlichen Auffassungsweise des sechsjährigen Kindes ent-
spreche, und wenn wir uns die vom 3. Srhuljahre an als Culturstoffe
auftretenden rein religionsgeschiclitliehen Stoft'e ansehen, so werden wir
zweitens zugeben krmncn, dass gewisse Formen der alttestamentUchen
Frömmigkeit auch heute noch vrui Christenkindern event. ohne Religions-
unterricht d. h. also naturgemäss durchgemacht werden, und dass folglich
die unterrichtliche Behandlung der a. t. Stoffe einer Stufe der EinzeU
entwickelnog entspricht, nur Iftsst sich diese Stufe nicht stricte auf das
3.-5. Schuljahr (9. — 11. Lebensjahr) einschränken, da sie ja bald
früher bald später eintritt und sehr oft auch bei Erwachsenen als eine
erstarrte Form der jugendlichen Kelijiiösität fortdauert.
Und so mag es n(»eh mehr, aul" jeden Fall aber keine acht — das
Genauere wird sich später zeigen — Stufen der Einzelentwickeluug
geben, die, ohne nach Jahren abgr^zbar zu sein, eine gewisse Prädis-
position fttr solche historische Stoffe haben, welche eine älmliche Stufe
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eines historischen Gesamtlebens darstellen. Mehr als dies kdnnen wir
dem Ziller'schen Satz von der naturgesetzlichen Congruenz der beiden
Entwickelungsreihen, der leider mehr durch häufiges Ausgesprochen-
werden aU durch sorgsame Begründung in Ziller's Werlcen hervorsticht,
nicht an Wahrheit zugestehen. Doch wie gesagt in der Sache d. h. in
der Forderung eines cnltnrgeschichtlichen Ganges d«B
Unterriebtes auf Grund einer gewissen Pridisposition
der kindlichen Geistesentwickelung ftlr diesen Gang
stimmen wir mit Ziller überein, und das kann wol auch nicht anders
sein, da wir ja diesen Gedanken ebendaher haben, woher ihn Zilier hat,
von Herbart,
Herbart musste ja seinem grossen Priucip des Interesses getreu
anoh nach Stoffen suchen, die Interesse erzeugen konnten, und geleitet
von einer persönlichen Vorliebe*) und der Rttoksieht auf die Gymnaslal-
bildnng, fand er als dem jngendliehen Interesse besonders nahe Uegend
<Ue Homerischen Dichtungen, insbesondere die Odyssee.
Er arg:umentirt so a. 0, S. 291). Der „Anfangspunkt für die
Reihe der fortschreitenden Teilnahme" kann nicht „in der jetzigen Wirk-
lichkeit liegen." „Die Sphäre des Kindes ist zu eng und zu bald durch-
laufen, die Sphäre der Erwachsenen ist bei cultivirten Menschen zu hoch,
aber iüe Zeitreihe der GescMebte endet in die Gegenwart, und in den
Anfängen unserer Cultur, bei den Griechen, ist durch die klassische
Darstellung eines idealischen Knabenalters — das aneh äet Knabe der
Gegenwart durchleben soll (S. 426) — durch die homerischen Gedichte
ein lichter Punkt für die gesamte Nachwelt fixirt worden." Beginnt
man also hiermit die Reihe der Teilnahme, so „ist man sicher dem
Interesse des Knaben Begebenheiten darzul>ieten , deren er sich ganz
bemächtigen und von wo aus er übergehen kann zu unendlich mannig-
Isltigen eigenen Reflexionen Aber Menschheit nnd Gesellschaft nnd Aber
die Abhängigkeit beider Ton einer höheren Macht**. Die Odyssee, so
wird weiterhin (S. 345) grflndlich nachgewiesen, ist es, welche allein
die vielen nnd hohen pädagogischen Forderungen, die Uerbart im Kamen
des Interesses und der daraus hervorgehenden Willensbildung an eine
Erzählung für Knaben stellt, befriedigen kann, die Odyssee ist es,
welche sich vorzugsweise (S. 293) „zur ersten historischen Darstellung
fremder Sitten und entfernter Zeiten'' eignet, die mit der ferneren grie-
chischen Gesehiehte wvonngsweise fUiig ist, die ersten Ustorisdi^
Hanptbegriffe, gleichsam die Form aller Geschichte darsurdchen", nnd
sie hat darum als die beste Propädeutik alles historischen Unterrichtes
zu dienen. Zur Auswahl dieses historischen Stoffes wurde Herbart ent-
schieden bestimmt durch die Erwägung, dass dem Knabenalter von heute
und aller Zeiten am besten die klassische Darstellung eines Volksknaben-
alters entsprechend und interessant sein müsse. Es wird hiermit
gewis die Zillcrsche Idee angedeutet, aber es findet sich noch eine
Stelle, die wir vielleicht noch mit mehr Becht als die Gebnrtsstfttte des
Ziller'schen Oongraenzgedankens betrachten können. Eis heisst (a. a. 0.
*) tJHx Odyssee verdanke ich gitf sstenteils meine Liebe zur Erriehung.**
Pidagot. Stadim. K. F. U. 2
18
& 441): „Diese Wahrheit (d. h. der Dichter und HiBtoriker in Dar-
stellung ihrer Zeit) ist conti nuirlich modifieirt nach anderen nnd
anderen Zustänclen des Menschen in Zeiten und Räumen. Und die Em-
pfänglichkeit für sie modifieirt sich c o n ti n ii i rl i c h mit |
dem Fort achritt des Alters. Es ist Pfliclit des Erziehers zu sorgen,
dass diese und jene M o d i fi ca ti o n e n stets richtig auf ein-
ander treffend mit einander fortgehen mögen." Ist das
nicht ganz Ziller? Ndn, wir behaupten vielmehr, dasa Ziller nnr in
übereifriger ErfttUnng dieser „Pflicht des Ersiehers** Uber das liier von
Herbart geeteclcte rechte Ziel hinaasgesehoBsen hat Denn Herbart folgert
sofort aus jenem 8ats: „Darum chronologisches Aufsteigen von den
Alten zu den Neueren'' und reiht iS. 446) an die Widerholunc: die-^es
Satzes die Worte: „Dafür hat der Lehrplan zu sorgen, indem er für
das frühe Knabenalter den Anfang in der griecliischen, für das mittlere
den Anfang in der romischen und iur das Jünglingsalter die Beschäf-
tigung mit den neueren Sprachen anordnet*^ Also nur drei Haupt*
stiifen der Einidentwickelung getraut sich Herbart sn unterscheiden.
Das ist doch dne Bestätigung unserer Ansicht, dass diese Stufen nur
ganz im Allgemeinen zu bestimmen seien und auf eine Uebereinstimmung
der chronologisch aufsteigenden Geschichtsreihe mit ihnen nur ganz im
Allgemeinen zu rechnen sei. Sollte freilich Ziller dasselbe oder etwas
ähnliches meinen, was nicht ausser aller Möglichkeit steht, dann hat er
eben zu undeutlich gesprochen — wenigstens für uns, die wir nicht
2u sdnem SchOlerkreise gehören — und mr haben unnötiger Weise
polemisirt
Die flbrigen 2Slier'schen Gedanken flber die Notwendigkeit nnd den
Wert des enlturgeschichtiichen Ganges des Unterrichtes, denen auch
wir schon nns^ Zustimmung gaben , finden wir bei Herbart im Origi-
nale wieder.
Wenn Herbart „die ästhetische Darstellung der Welt" d. b. die
Darstellung der Menschengeschichte im Lichte der sittlichen Beurteilung
als das Hauptgeschäft, als das Ideal der Eniehung beaeichnet (8.284,288),
so liegen dieser Forderung die Gedanken au Grunde , daas »in Jedem
Ton uns die ganae Vergangenheit lebe'' (302), dass folglich die ganse
Macht alles dessen, was Menschen je empfanden, erfuhren und dachten,
der wahre und rechte Erzieher sei (337) , und dass ehendei^halb „der
Schatz von Lehre und Warnung, von Ivegeln nnd Grnnd8atzcn, von
angenommenen Gesetzen und Einrichtungen, welche die früheren Ge-
schlechter vorarbeitend den späteren überliefern, zu den stärksten psycho-
logiachen ErXften gehöre, die es geben kann (8. 337 Anm.).** Diesen
«gansen Gewinn ihrer bisherigen Versuche** muss nun die Menschheit»
wenn sie das höchste tun will, was sie kann, »dem jungen Kachwuchs
coocentrirt'' darbieten (a. a. 0. S. 337), aus diesem ^allgemeinen Vorrat''
muss nach dem Spruche : „Prüfet Alles und das Beste behaltet"* eine
Auswahl getroffen werden, wie sie dem Zwecke zur Tugend zu bilden,
entspricht (cf. Werke, ed. Hartenstein, VIIL S. 398). „Und um diesen
Weg der Charakterbildung zu finden, was können wir Besseres tun als
den Spuren der moralischen Bildung des Menschengeschlechtes selbst
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19
naobsugehen? uns im der Hand der grieehischen Gesehichtd in die
Schule des Socrates einführen zu lassen .... dann mit sehr willigem^
ehrfurchtsvollem Gemüt in die Mitte der Jünger Christi treten, und nach-
dem wir ihm mit unseren Augen und Herzen gen Himmel gefolgt sind,
nun mit erhobenem Geist dem Gange der Weltgeschichte weiter zusehen.^
(.„Bericht an Herrn von Steiger** a. a. 0. S. 55).
Der Erzieher, der diesem Winlce folgt, wird dann in dem ^naoh-
ahmenden Fortsehiitt seineB Zöglings eine VetBinnlichimg des grossen
AnflMgeiis der Mensehheit erblteken** (a. a. 0. S. 348) und wird da-
durch am besten sorgen für die Teilnahme der Kleinen, „welche die
Gegenwart noch nicht begreifen, und für welche eben darum das Ver-
gangene die wahre Gegenwart ist" (a. a. 0. 426). Denn „was heisst
hier (bei menschliclien Verhältnissen) das Kalie? (a. a. 0. S. 344). Sieht
man uicht die Weite zwischen dem Kinde und dem Erwachsenen?
Sie ist so gross wie die Zeit, deren lange Folge uns auf den gegen-
wärtigen Punkt der Coltar und des Terderbntsses trug." Also soll der
Erzieher die Eindeneit seiner ZOglinge mit der Kinderseit eines klassisehen
Volkes nfthren nnd flberhaupt ^Menschen auf Mensehheit^ das Fragment
auf das Ganze zurückführen." (a. a. 0. S. 349).
Wir könnten noch manche Stellen anführen (z. B. die schöne Ge-
daukenreihc S. 427), die beweisen, dass Herbart der Ueberzeugung war,
nur die werdende Menschheit könne und müsse das Interesse des wer-
denden Menschen in genügender Reinheit und Tiefe gewinneoi und dass
er daher für die fortschreitende Tdhiahme des Zöglings die lebendige
nnd ^ftsthetische** Darstellung bedeutender Henschheitsstufen in chrono-
logischer Folge mit aller Entschiedenheit als die einzig wirksame Unter-
richtsarbeit hingestellt hat. Warum er das getan , liat er — wie wir
sahen - — durch allgemeine Sätze dargelegt , denen wir entschieden bei-
pflichten, und die auch als selbstverständliche eines Beweises kaum bedürfen.
iudessen könnte es nichts schaden, wenn wir seine Grundgeiianken
auch von solchen Männern bestätigt fänden, d^n gesehichtliche Be-
trachtungen nnd Forschungen nicht von der Rftcksicht auf deren padar
gogische Verwertbarkeit beeinflusst waren* Wir nennen Herder und
Lotse. In seinen ^Ideen zur Philosophie der Geschichte der Mensch-
heit" (ed. H. Kurz) stellt Herder also das Ziel des Menschen und der
Menschheit die Humanität hin (cf. S. 155, 292, 498). Das Werden
dieser Humanität ist die Geschielite der Menschheit. Der eine Factor
dieses Werdens ist Gott, der den Keim zur Humanität in die Meuschen-
nator gelegt und durch fortwährende Herstellung der natSilichen Be-
dingungen und organischen Krftfte sowol als auch von eben so offen-
baren als unbegreiflichen Förderungen die allmiüige Entfaltung jenes
Kdmes erm(ip;Iirht (das nennt Herder die göttliche Erziehung des
Menschengeschlechtes), der andere Factor ist der Mensch und dessen
ureigene Arbeit an sich, an seines Gleichen und an der Natur; die je-
weilige Stufe der Humanität ist sonach - vom menschlichen Stand-
punkt aus — im Wesentlichen identisch mit der Summe der Ein-
wirkungen des Einzelnen und der Gesamtheit auf den Ehuelnen und
^e Gesamtheit und daher das Produkt der gegens^tigen menschlichen
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Ersiehung. Diese gesehichtUehe Entwiekelung der Hemdiheit dnrck
gegenseitige Bearbeitung, die in Wahrheit eine zweite Geneais des
Menschen ist fa. a. 0. 265), und die man seine Cultur nennen kann,
muss den Einzelnen, der in sie hineingestellt ist, als ein Produkt aller
Anderen erscheinen, die vor ihm lebten, dem Ueberschauenden aber als
^eine Ivette der Geselligkeit und bildenden Tradition vom ersten bis
zum leisten Gliede** und als ^ stetiger Fortschritt (a. a. 0. 518).
Die Menschheit ezistirt aber nur in Völkerindividnen, die auf eigenen
Bahnen, glekshsam um die Wette und einander zum Mitstreben auffordernd|
und in ihrer inchr oder minder beschränkten Sphäre ein Höchstes er-
reichend dem Ziele der Humanität zustreben. Das ideale Ziel des all-
gemeinen Strebens, die volle Humanität, ist in der Person Christi erreicht
und verkörpert. Soweit Herder.
Auch Lotze, der in seinem „Mikrokosmus^ eine Wiederholung
des Herder^sohen tinteinehmens unter den ▼erflnderten AnsehannngeiL
der Gegenwart darbieten will (cf. Einleitnng 19) hfllt im Allgemeinen
fest an dem Gedanken einer göttlichen Ersiehnng des Uenselienge-
schlechtes, die das, was der Mensch seiner Idee nach sein soll, ihn als
seine eigene Tat stufenweise verwirklichen lässt (a. a. 0. III. 22, 26),
aber er weist auch hier auf den bedeutsamen l^ntorschied zwischen der
mensclilicben Einzelerziehung und der göttlichen (iesamterziehung. Denn
das eine Mal gilt die Erziehung dem Einzelnen, es ist stets „einer und
deeselbe^ der besser wird, die NachteUe sdner Fdiltritte trägt, die Fracht
seiner Busse geniesst, und das früher besessene Gut, wenn es dem
Fortschritte der Bildung geopfert werden musste, wenigstens als selbst-
erlebtes Glflck in seiner Erinnerung aufbewahrt"*, dort aber ist die Er-
ziehung „auf die Reihenfolge der menschlichen Geschlechter verteilt",
sie lässt „Spätere die Früchte geniessen , die ans der unbelohnten An-
strengung, oft aus dem Elend der Früheren hervorwachsen", sie setzt
„nicht in demselben Zögling an die Stelle des Unvollkommnereu das
YoUkommnere, sondern wirft den Unerzogenen weg, um an einem An-
deren wachsende Erfolge der Bildung hervorzubringen.*' (a. a. 0. S. 23).
Zudem hat es, wenn man jedes Zeitalter für sich in's Auge fasst,
^nie eine Periode der Gsschichte gegeben, in welcher die ihr eigentüm-
liche Bildung die ganze Menschheit oder auch nur die Gesamtheit des
einen Volkes durchdrungen hätte, das deren vorzüglichster Träger war."*
„Alle Stufen und Schattirungen (a. a. 0. S. 24) sittlicher Roheit, gei.stiger
Stumpfheit und leiblichen Elends haben sich stets neben der gebildeten
Feinheit des Lebens, dem hellen Bewusstsein Aber die Au^ben des
menschlichen Daseins und dem freien Genuss der Vorteile bflrgerlicher
Ordnung vorgefunden. Die Menschheit gleicht in den verschiedene
Augenblicken ihres geschichtlichen Fortschrittes nirgends einem zusammen-
hängenden klaren Strome, der mit trieicher Geschwindigkeit aller seiner
Teile tiösse ; sie gleicht vielmehr einer Masse, deren grössere Hälfte zäh
und langsam fortsclireitend sehr bald sich in den gewöhnlichsten Hin-
dernissen des Ufers verfängt und dort zu untätiger Ruhe erstarrt; es
ist immer nur ein dflnner Strom&den, der im Sonnenschein gllnzend
sich mit unbesiegbarer Lebendiglceit durch die Mitte dieser trttgen Schichten
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fortarbeitet" uud uur „zuweilen uu Breite sich ausdehnt" (I^B. ! Dass
gerade das YerfoIg«]i dieses „Stromfadeos'* die Aufgabe des cultur-
gesehielitttcheii Volksschnlimterrichtes wxa mms, versteht i^cli naeh dem
Gesagten von selbst).
Es heisst welter: (S. 27) „Zunächst ohne Zusammenhang mit der
Vergangenheit tritt jeder Einzelne in's Leben mit den natürlichen Fähig-
keiten, Bedürfnissen und Leidenschafteu seiner (Jnttung, die wenig durch
den Verlauf der Creschiclite geändert werden, und die, so weit sie sich
ändern, doch für den, der mit ihnen geboren wird, ebenso eine unver-
diente als bewnsstlos empfangene Natnnusstattong bildeoi wie ihr Tem-
perament eine solche für die Vorfahren war.^
. . . „Die Einwirkung der Geschichte beginnt erst damit , dass in
den Zuständen^ die er vorfindet, in die er sich einzugewöhnen, die er
zu benutzen und zu beitJimpfen bat. Jeder die Arbeitsergebnisse seiner
unmittelbaren Vorfahren antriü't. Ohne Zweifel ändert sich damit im
Verlauf der Geseliiclite ancli die Form der Kntwickelung, die der Einzelne
erlebt; aber sie iindert sich keineswegs in der Weise, dass jedem Spä-
teren eine um so reiehere, um so bewusstere üebersieM des* Bildungs-
ganges der Menschheit su Teil würde, je länger bereits die Voneeit sieb
bemüht hat, die einzelnen Stufen desselben zu Überwinden. Denn eben
von dieser innerlichen Arbeit, welche das errang, wovon er selbst gleich
beginnen kann , pflanzt sich das Bewusstsein nicht oder höchst unvoU-
ki»mmeu fort; nur die fertigen Ergehnisse treten als eine grosse Summe
von Vorurteilen, deren Begründung vergessen ist, in die Bildung
des Späterkommeudeu ein." Aber diese Tatsache birgt neben den selbst'
▼erständliehen Vorteilen den grossen Nachteil in sich, dass das frische
freudige Bingen und Streben und Kämpfen, welches die erwerbende
Generation beseelte, erstirbt, und dass an seiner Stelle ein gewisser „In-
stinct der Gultur** entsteht, der „immer mehr und mehr Elemente der
Gesittung ergreift und sie als unlebendig gewordenen Besitz der Selbst-
tätigkeit entzieht, durch die sie einst errungen wurden." (NB.! Dass
der Unterricht viel tun kaun und mnss, um dieser Abtötung des selbst-
tätigen Interesses entgegenzuwirken, die auch die höchsten wissenschaft-
lichen und religiös-sittlichen Errungenschaften ergreift, um diesen Mangel
an innerem Wiedererleben, an frischem Staunen Aber das Wunderbare
des menschlichen Fortschrittes abzuschwächen, liegt auf der Hand. Die
unterrichtliche Darstellung eines jeden Gulturerwerbs mnss eben auf
Grund der lebendigsten Darstellung der jedesmaligen bedingenden Vor-
stufe den Fortschritt zur höheren Stufe als einen solchen mehr finden
lassen als geben, und so wenigsteus den Schein einer Selbsterarbeitung
des längst Gewonnenen erwecken uud damit zugleich das freudige
Staunen von neuem erzeugen, das die Zei^^noBsen einer grossen Gultnr-
leistung beseelte, das aber der Erwachsene von jetzt meist längst ver-
lernt hat). Trotz alledem, trotzdem insbesondere mit jeder unterge-
gangenen Cultur der Verlust von Geistesgütem zu beklagen ist, die nie
so wiedergekehrt sind, die nie ungeschmälert sich mit der Geistesarbeit
der Nachkommen verknüpften (a. a. 0. 21), bleibt es dabei, dass „die
Bildung eines späteren Zeitalters^' fasst ausnalimslos eine Weiterent-
22
wickeluug der Antriebe ist, die 6B von seinem vorangehenden erhalten
bat;** die Bedingung hierflhr tot aber „die wiridiebe üeberliefening des
bereits Yorbandenen.** (a. a» 0. S. 81). Und die bewnsste Ueberliefernng
des Cultiirerwerbs — so schliessen wir unsere Abschweifnng zn den
Geschicbtsphiiosophen — soll eben die Aufgabe des culturgeschichtlichen
Volksschulunterriclites sein , natürlich innerhalb der Einschränkungen,
die der Volksschule als solcher geboten sind. Hiermit sind wir wieder
auf die Ziller'schen Culturstuteu zurückgekommen, die eben nicht mehr
und nicht weniger als die praktische AuBfttbruug der von Uerbart und
und jenen zwei Denkern ausgesproohenen gescldehtspliiloBoplÜBchen
Grundidee sein wollen.
Wie verhalten sich nun die Ziller'sehen Keformvorschläge auf der
einen Seite zn Herbart's Anschauung und auf der anderen Seite zur
gewöhnlichen Praxis der Volksschule? Ilerbnrtisch ist der grundlegende
Satz, dass für den werdenden Menschen nur das Werden der mensch-
heitlichen Cuitur, insofern es im Lichte der sittlichen Beurteilung dar-
gestellt und aufgenommen werde, von absolutem Interesse sei, und dass
deshalb ein cbronologisches AafBtdgen von den älteren Stufen so den
neueren, höheren Stufen sieh als nötig erweise, Herbartlseb ist die
Ziller^sche Forderung, dass es ^klassisclie, der Jugend zugängliche Dar-
stellungen" sein uiüssten, die der Betrachtung zu Grunde gelegt werden
sollen — man denke nur an Herbnrt's Wort : „Perioden , die kein
Meister beschrieb, deren Geist auch kein Dichter atmet, sind der Er-
ziehung wenig wert" (292), denn nur klassische Darstellungen laden
Stets den Zögling zur lohnenden Rückkehr ein, nur sie geben dem In-
teresse und der Begeisterung des Lehrers dauernde Nahrung (348), nur
aus ihnen spriebt die Vergangeobeit ninit volltönender, lebendor Stimme**
SU aller Gegenwart (427), Herbartisch ist der Ziller'sche Satz, dass nur
grosse, ganze, massig und zusammenhängend auftretende Stoffe die Teil-
nahme in genügender Tiefe erregen und so charakterbildend wirken
können — wir erinnern nur an Herbart's Wort : „Die grosse sittliclic
Energie ist der Effect grosser Scenen und ganzer unzerstückter Ge-
dankenmassen (ef. die tiefe Begründung S. 91 f. und 482 — 484).
Was ist aber Ziller*B eigenes Verdienst in dieser Sache? Abgesehen
von der beredten und eindringlichen Yerhflndigung von Herbart's Ge-
danken ist es die Uebersetzung der Idee aus dem Gebiet des Gymna-
siums in das der Volksschule, eine Uebersetzung, die sich vor allem in
der Reschränkung des dort zu bietenden gesamten Culturlebens auf die
sittlich-religiöse Entwickelung der Menschheit documentirt. Der sittlich-
religiöse Zweck aller und also auch der Gymuasialbildung ist beibehalten,
aber in Bflcksicht auf die beschränkten Mittel der Volkssehule tot die
Breite der Basto entsprechend der verminderten Höhe des Gedanken-
gebäudes verengt, und es werden an und fttr sich wichtige Gebiete des
Culturlebens samt den dieselben anbauenden Culturvölkern aus dem
Lehrplan ausgewiesen, um nicht die Vertiefung in die dem Erziehungs-
zweck directer dienenden .Stoffe zu hemmen. Darum führt Ziller den
Zögling nicht wie llerbart vorgeschlagen, von Soerates und den Griechen
zu Christus, sondern von. den Patriarchen und Propheten und weist
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«ondt der Patriarchengeschiehte nngeftbr die Stelle an, die Heibart der
Odyssee zugewiesen hatte.
Doch hier erhebt sich die Frap^e, ist diese Beschränkung nicht eine
211 grosse, ist die Ciilturleistung der Griechen und Kömer nicht eine zu
bedeutende, in die deutsche Vergangenheit und Gegenwart zu tief ein-
greifende Macht, als dass sie die Volkäscbule ignoriren könnte?
-Doeb das will ja aaeh Ziller niolit Er sagt im Semhiarbiieh (S^ 185)
.^Die alte Geschiehte, soweit sie in die VolkBSchnle hereinsnslehen ist,
tritt hier nicht selbständig auf, sondern als Einschaltung in die biblische
ond deutsehe Geschichte, so die Geschichte der Aegypter, Griechen und
Römer" und (Grdl. S. 428) „Für die Volksschule muss die Geschichte
der Offenbarung ... im Mittelpunkt stehen, nur dass die Fäden, die
sie mit der aligemeinen Geschichte verknüpfen , in besonderen Lehr-
stuudcu sorgfältig zu verfolgen sind.'" Hiernach soll also nur die
biblische nnd die dentsehe Gesehichte als selbstlndiger, direct die Ge-
alnnnng bildender (historischer) Stoff behandelt werden, die orientalische
<cf. Grdl. 429) und klassische dagegen nur als Einschaltung d. h. doch
wo! im Dienste der Offenbarungsgeachichte, soweit sie gewisse Perioden
derselben deutlich nnd verständlich machen kann. Damit ist freilich
noch nichts über die Ausdehnung jener Einschaltungen gesagt, sie lassen
sich so-wol in Bezug auf die Länge der zu beliandelnden Periode als
auf die Gründlichkeit der Behandlung sehr verschieden denken. Eine
bestfamnte Entscheidnng Zillefs tber die Begrenzung des klassischen
Stoffes ist uns nicht bekannt^ und auch wir wollen hier diese Entschei-
dung nicht geben, die immer mehr oder weniger von subjectiven Er-
wägungen und Wertschätzungen abhängen wird. Aber einen Punkt
wollen wir noch hervorheben. Der Grund, welcher der orientalischen
nnd klassischen Geschichte Existenzberechtigung im Lehrplan der Volks-
schule gibt, ist allerdings ihr Zusammenhang mit der heiligen resp. mit
der deutschen Geschichte, aber wenn sie nun auf diese Weise Existenz
Im Lehrstoff erhalten hat, warum soll man sie nicht etwas grflndlieher
behandeln als einen Teil der ftsthetischen Daistellnng der Welt, nnd
zwar einmal in mehr negativer (comparativer) Weise als eine Folie zum
richtigen Verstehen und Wertachätzen der sittlichen und religiösen Höhe
der alt- und neutestamentlichen Stufe sowol als auch der Eigentümlich-
keit des deutschen Wesens, und dann mehr in positiver Weise durch
Darlegung der vielen eigenartigen und grossartigen Tugenden und Vor-
züge des Hellenen und des Römers. Dass diese Darstellung der römi-
schen nnd grieebischen Cultucstnfe reiches und freies Interesse henror-
rufen, innige Teilnahme erwecken, vielfoche Uebung Im religiOs-sitUichen
Urteilen und im phantasircnden Handeln gewftlireli würde, ist wol ausser
allem Zweifel, ebenso sehr ist die Bedeutung anerkannt, die der Contrast
der klassischen Welt zur judisch-cliristlichen und auch zur deutschen
Cultnr für die Würdigung der beiden letzteren hat — so betont z. B.
Herbart ausdrücklich (S. 291), dass er für die langsame Ernährung und
Verstärkung der Gottesidee nur ein Mittel kennt, «dies nämlich, sie
dauernd durch den Gegensats su bestimmen** — aber diese intensiyere
Behandlung der grieehlsch-rOmisehen Cultnr und Gesehichte wflrde sich
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dann frcilicli nicht mehr mit dem Gedanken reclitfertigon lassen, dass
diese Stoife den bil)li9chen zu dienen und nur zu dienen haben, sondern
nur mit der AulTassu)ig, dass sie in Gemein.sehaft mit ihnen als ein zwar
schwächerer aber nicht zu verachtender Bundesgenosse den Interessen
der Teiliialune dienen sollen. Die Zeit zu ciieBem Dienst wflfde sieh
in der SkUssigen Bttrgerschnley von der bier die Bede ist, sicherlieli
finden und «war, ohne dass die hiblisehe Gesobiehte dadureh geschfir
digt wttide.
In welchem Verhältnis stehen nun die acht cultuvliistoiisehen Stoffe
Ziller's zu den in der Volksschule seither üblichen histoiischen Stoffen V
Dass sie abgesehen von den Marcheu und Robinson sämtlich schon
lange in der Volksschule behandelt werden, brauchen wir nicht erst zu
sagen, aber der grosse ünterscbied liegt in dem Warum und in dem
daraus sieh ergebenden Wie der Behandlung. Die erste Antwort auf
das Warum ist bei Ziller und der Volksschulpraxis gleich, beiden gelten
die biblischen Stoffe als die mächtigsten Mittel zur Erreichung des
religiös-sittlichen Erziehungszweckes. Aber Ziller betrachtet die a. t.
Stoffe als eine historische und folglich auch allgemein menschliche und
deshall» von der l^ädagogik zu respectirende und verwertende Vorstufe
des Christentnms und der christlichen Gesinnung und lässt sie darum
durchaus und als ein snsammenhftngendes Ganse Tor den n. t. Stoffen
auftreten, worin wir uns ihm unbedingt anschllessen. Die gewöhnliche
Schulpraxis ignorirt diese in der historischen und in der Einzelent-
wickelung sich zeigende ähnliche Stufenfolge, betrachtet die a. t. Stoffe
als den neutestamentlichen gleichartige oder gar gleichwertige Stoffe,
die man deshalb auch in jedem Schuljahr neben einander behandeln
könne, und daraus ging die oft jedem Schuljahr vorgeschriebene Be-
handlung der Heilsgeschichte in concentrischen Kreisen hervor, so dass
fast alle Klassen den ganzen Offenbarungsgang durchzumachen haben
und sich nur durch den stets wachsenden Umfang ihrer Stoffganzen und
im bebten Falle durch eine grössere Betonung bald des A. T. bald des
N. T. in ihren Pensen unterscheiden. Dass diese heillose Vermengung
der verschiedensten religiösen und sittlichen Standpunkte und Anf-
fassungsweisen keine zu ihrem Rechte koinnien und auf die Altersstufe
gesetzt werden lässt, wo sie durch Harmonie mit der Apperceptionsstufe
und der Einzelentwickeluugsstufe am kräftigsten wirken kann, brauchen
wir wol nicht erst zu beweisen, und ebenso klar ist, dass das nächste
Ziel des erziehenden ünterriehtes, das Interesse durch jenes beständige
Vermengen des Heterogenen, durch das ewige Repetiren, das fortwährende
Vermischen von bekannten (und meist wichtigeren) mit unbekannten
(meist unwichtigeren! Stoffeu, durch die ans der fortwährenden Unter-
brechung resultirenden Ilennnuug des (iedankenlaufcs und durch das
drückende Gefühl des Jiicht- von - der - stelle - kommens sehr schwer ge-
schädigt werden muss. Darum hinweg mit den concentrischen Kreisen 1
Nein, wir wollen dem Herbart*Ziller*schen Grundsatz folgend die 'alt-
und neutestamentliehe Stufe in der synthetischen Darbietung sauber
auseinander halten und beide in grossen zusauimcnhäugcndeu blassen und
im Anschluss an die geschichtliche Folge nach einander geben, wodurch
>
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natfliüch grflndliche Repetitionen und sorgfältige Verwertung der a. t
Geflehicbte bei der n. t und bei dem KatecbismuBunterricht nicht ans-
geBchloBsen sind ; die klassische poetische Darstellung aber, die Herbart
aneh fordert, bietet uns dio Bibel selbst in unübertrefflicher Weise.
Wir woUeu nunmehr zur B e s p r e (; ii u n g der einzelnen
Ziller'schen Stufen tibergehen und wollen hierbei ancli den Con-
gi ueus^gedanken nochmals im einzelnen prüfen, und zwar wird es sich
Jetzt liierbd vor allem nm die Frage drehen : meint ZUl^, wenn er von
der EinEolentwickelnng der ZOglinge die Gesamtentwickelnng der Mensch-
heit in beschleunigter Weise durchmachen lassen will, ein wirkliches
practisches Teilnehmen des Zöglings an der einer jeden Stufe
eigentümlichen Anschauungsform und ihrem Vorstellungskreis, und ist
das überhaupt möglich, oder meint er eine wenn auch sehr intcrtssirte,
so doch immerhin mehr theore tische Kenntnisnahme von jenen
allgemeinen Stufen?
Beginnen wir mit der Härchens.tufe resp. mit dem Vorschlage
Ziller^s, als einsigen historischen Stoff Im ersten Schuljahre 12 (Qrimm'-
sehe) Märchen zu behandeln. Es ist das der heissumstrittene , vielge-
liebte und vielgebasste Punkt der Ziller'schen Stofftheorle, oft das
Einzifre, wns manclio Lehrer von Zillev wissen und auf jeden Fall leider
viel bekannter als z. H. seine .,Grundlegung.** Wir wollen die Ziller^che
Beweisführung, deren Kernpunkt wir schon erwähnten, nochmals in
ihren einzelnen Momenten zusammenstellen.
DI« Märchen f auf deren Auswahl wir uns hier nicht einlassen
wollen, entsprechen wie nichts Anderes der Individualität des Kindes
(cf. Jahrbuch v. 1869, S. 1 — 17), in erster Linie dem darin Torherr-
schenden Triebe der Phantasie, der entschieden gepflegt werden muss,
weil darin alle höheren Strebungen wurzeln. Darum muss der Oe-
ainuungsstoff ein poetischer sein. Nur ein solcher gestattet der Phan-
tasie freien Raum, ganz besonders der MärchenstoiT, der keine Namen
von Personen und Localitäten enthält, dessen Ereignisse weder räumlich
noch zeitlich genau bestimmt sind (s. B. «Es war einmal**). Das Kind,
das sich in die Märchen versenkt, bleibt länger kindlich, und es ver-
S^kt sich mit Lust in dieselben, es glaubt an sie, es verlangt nach
ihnen ; es setzt sich ja selbst wie die Märchen über die Bedingungen
der Wirklichkeit hinweg, es belebt das Leblose, bepeelt das Unbeseelte,
verkehrt mit der ganzen Welt wie mit Seinesgleichen und verliert sich
in abenteuerliche Unmöglichkeiten (S. 3i. Nachteilig aber kann diese
Begttnstigung der kindlichen Anschauung durch die ihm congenialen
Mftrchen nicht auf das Kind einwirken, well das Märchen neben jener
von der Natur der Dinge abweichenden subjeetiven Auf&ssung suglelch
eine Menge objectiv veretandesmässiger und zwar ästhetischer sowol als
ethischer Begriffe und Gnindsätze in sich schliesst, die über die Sphilre
der Einbildungskraft hinausführen. Sie dienen besonders der Uebung
des ethischen Urteils, und diesem wird gerade wegen der Erweiterung
des Umgangskreises auf unbelebte und unbeseeltc Wesen ein reiches
Gebiet erschlossen, auf dem es wegen der Einfachheit und Gorreetheit
der Fälle sich leicht , rasch und klar entscheiden lernt Auch eine
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I^se Zahl anderweitiger objectiver Begriffe, die eicli auf. die natflr-
UehMi Bedingungen alles Geschehens beziehen, ffihrt das Märchen mit
sich, und der Unterricht wird auch sie streng verstandesmässig behan-
deln, 80 dass trotz der gläubigen Hingabe an das Märchen der gefürch-
tete Nachteil nicht eintritt, üenn im kindlichen Bewusstsein, dessen
Teile ursprünglich sehr wenig mit einander verschmelzen, bildet der
wunderbare Mftrcheninhalt einen isolirten, in sich abgeschlossenen Kreis,
vnd statt die Veraehmelsnng zu besehlevnigen , wird man gerade den
Gegenaats der llbematflrllehen Hftrcheneneugmtae rar jetiigen Wirklich-
keit recht stark berrortreten lassen. Bei allmälig wachsender Zuver-
sicht des Kindes zu seiner Erfahrung wird das Tatsächliche beim
Märchen immer weniger betont und immer mclir Gewicht auf die poe-
tische und ideale Wahrheit des Aesthetischeu und Ethischen gelegt, so
dass als hoch erwünschter Rest nur eine ideale Richtung der Gedanken
nnd ein höherer Schwung des geistigen Lebens surttckbleibt Wenn
dagegen nur Wahles und Wirkliehes erzählt wttrde, so könnte leicht
eme Starilieit des Yorstellens entstehen, die sich nnr anf die gemeinste,
sinnlichste Wirklichkeit einläset umd weder für die poetischen Gebilde
der Dichter noch für die Ahnungen und Wunder des religiösen Glaubens
Empfänglichkeit besitzt. Alle Erziehung muss aber von der Individua-
lität ausgehen, lediglich in der Absicht, den Zögling über sie zu
erheben und in allgemein menschliche Verhältnisse einzutauchen. Auch
das letstere bewirkt das Märchen. Es erwdtert als ein dentsches, die
OrnndzUge unserer Nationalität abspiegelndes , das enge Bewusstsein
des Kindes dnreb Ausbildung des nationalen Keims, dnnh ewige Nen-
erzengung der volkstümlichen Auffassungsweise von Natur und Welt,
als ein internationales lässt es das Kind teilnehmen an dem allgemeinen
Geist der Kindlichkeit, der als gemeinsamer Besitz der Urzeit der Mensch-
heit angehört, und schliesslich erweitert es das kindliche Bewusstsein
über das Nationale und allgemein Kindliche hinaus durch seine Aus-
fBlinng mit den sehlichtesten und ursprflngUchsten Ansohauungen in
sittlichen Dingen und dureh die sichere Enengnng des ethischen Ur-
teils und des religiösen Gefühls in den einfachsten innerhalb der kind-
lichen Sphäre liegenden Verhältnissen. So fOhren die Märchen, die lu-
gleich klassische Stoflfe sind, zu denen Gross und Klein immer gern
zurückkelirt , das Kind vom Individuellsten, aus dem alles, was stark
werden soll, hervorwachsen muss, zum Allgemeinsten, das dem Menschen
als solchem gebürt, und dient in seinem Gebiet zugleich der kindlichen
Natur und dem höchsten Erziehungszweck.
Soweit Ziller. Die Gedanken, die er für die Märchen in's Feld
fDlurt, werden weiter ausgesponneu und nach eiiügen Bichtnngen hin
«rgänzt durch Will mann (Pädagogische Vortiftge S. 17—29), dessen
eben so geist- als gemütvollen Darlegungen eine besondere Ueber-
zeugungskraft inucwohut, eine Kraft, die sich freilich durch ein Excerpt
nicht wiedergeben lässt, ferner durch Götze, aus dessen gediegenem
Aufsatz „Die Volkspoesie und das Kind" (Jahrbuch 1872, S. 177 — 183),
wir nnr folgendes henroiheben wollen. Auch er geht von dem Gedanken
aus, dass die phantasiemässige Auf&ssung der Welt dem mensehlicheii
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GeUt auf kindlieher Stufe notwendig ist, das zeige die Psychologie an
dem einsebien Mensehen mtd die Völkerpsychologie an gansen grossen
Ifensehencomplexen. Die geeignetste Geistesnahrung für das E^nd sind
dnlier cUe anf der allgemein menschlichen Kindheitsstnfe naturnotwendig
gewordenen Produkte, die früheste epische Volkspoesie. Die mytho-
poetische Weltauffassung (z. 13. die Personification der Naturobjecte),
die sich bierin verdichtet liat, erscheint nur uns erwachsenen Cultur-
mensühen als eine bewusst poetische, dem Kinde wie dem Urmenschen
ist sie ffie ilmi natSrlielie AnffassiingswdBey die einsig ilim mögliclie
Fom der Walirlieit. Jedes Kind Iist noeh heute seine mytliisehe Periode
und fasst daher die Märchen mytliiscli (d. h. sich mit der Wabrh^t
deckend) anf und nicht poetisch ; nur aUmftÜg wird üim die Märchen-
welt ein poetisches Produkt neben und gegenüber anderen realen Wahr-
heiten, lind es erfolgt der Hrnch mit der mythischen und der Aufbau
der begriffsmassigen Weltunsehauung , welcher dann die Märchen als
eigentliche Poesie im gewohnlicheu Öinue des Wortes erscheinen. Aber
die bleibende Fmebt davon, dass man das Kind in der Marehenweit
seine eigenste Welt dorehleben Iftssty ist der poetische Sinn, die be-
geistemngsflibige ideale Gesinnung, ein Trost und eine Erhebung fftr
jene Tage, wo das Kind aus seinem Paradies vertrieben im Sehwdsse
seines Angesichtes das Brod der Erkenntnis essen muss. — Diesen und
anderen theoretischen Unterstützungen des Ziller'schen Vorschlages folgte
dann „das erste Schuljahr" (von Dr. Rein, Pickel und Scheller in
Eisenach), dessen Verfasser unter Zusammenfassung alles für und wider
^e Märchen Gresagten und su Sagenden — wir verweisen daher anf die
dort angOEOgene reiche Literatur — die pral^tisehe AusfflhrbarlEeit durch
eine factische Ausführung jenes Vorschlages besonders für den weiteren
Kreis deijenigen dai-zutun .suchten , die von den ZiUer'schen Schriften
nicht zn erreichen sind. Wir schliessen hiemit unsere Uebersicht über
die Begründungen des Ziller'schen Gedankens und fügen nur ein offenes
Geständnis hinzu. Auch wir haben uns, wenn auch mehr der Not ge-
horchend — d. h. der wissenschaftlichen Beweiskraft jener Gesamt-
masse von Orflnden — ab dem eigenen Triebe, der uns vielmehr auf
dem firttheren Standpunicte surflelcsulislten suchte, nunmelir davon ILber-
zengt, dass das Märchen fttr das erste Schuljahr ein tlbenus geeigneter
historischer Unterrichtsstoff ist.
Aber ist er auch der geeignetste Unterrichtsstoff, ist er auch
geeigneter als die biblische (ieschichtey
Damit kommen wir auf den zweiten Punkt in der Beurteilung der
Märchenfrage, der für die Meisten der eigentliche Stein des Anstosses
ist. Denn woraus erklärt sich die Anfeindung und Verspottung der
vorgeschlagenen Härchen anders? Der Gmnd der Entrilstung ist stets
der, dass die würdigen, heiligen, ewig wahren, eminent bildenden Ge-
schichten der Bibel, die seit Jahrtausenden der religiös-sittlichen Volks-
bildung dienten, nun auf einmal nach der Laune eines künstelnden
Pädagogen aus dem ersten und zweiten Schuljahr verbannt und ei-setzt
werden sollen durch Hirngespinnste einer oft abgeschmackten Volks-
pbantasie oder durch das Abenteuergemeugsel eines Romanschreibers.
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Wie können sich, heiset es da, diese mit jenen an Wert, Würde und
Hoheit messen, das wäre ja als wenn sicli ein Lebmklos mit dem blauen
Himmelsgewölbe und seiner strahlenden Sonne vergleichen wollte. So
argumentireu die Meisten , und sofort ist für sie dem Ziller'schen Ge-
danken das Lebenslicht ausgeblasen und der Stab gebrochen über den
> pädagogischen Sflnder in Leipzig. Sie liaben ganz Recht» diese Art von
JCarohenfeinden» nnr vergeisen sie die Kleinigkeit, dass — um bei jenem
Bilde ZQ bleiben — dem Kinde unter Umständen ein Lehmklos, den
es nach seinen Wünschen formen und gestalten kann, viel interessanter
ist als der ferne blaue Himmel, an dem es nichts ändern, mit dem es
nicht verkehren kann, und in dieser Lage befindet sich eben das Kind
in den ersten Schuljahren ; oder, um ohne Bild zu reden, es ist ja gar
nicht die Frage, ob jene Pbantasiestoffe au und für sich besser und
pädagogisch wirksamer seien als die biblischen, — denn der unbedingte
Vorzug der letzteren versteht sich fttr Ziller ganz von selbst ; er wtlrde
sonst nicht 5 — 6 Schuljahre mit ihnen nähren wollen — , die Frage ist
ja nur, ob jene Stoffe für die Kinder des ersten und zweiten Schul-
jahres fruchtbarer seien als die biblischen , und das behauptet eben
Ziller ganz entschieden , und wer ihm da andere Motive unterschiebt
als die reine Hingabe an die Kindesnatur und somit an das Kindeswol
z. B. antikirchliche oder antireligiöse, mit dem ist überhaupt nicht zu
streiten. Natflrlich fehlt es auch nicht an einsichtigeren Gegnern Ziller's,
welche die Sachlage so anfTassen nnd üoch bei der biblischen GescMchte
verharren. Wir nennen zwei fttr alle, Dörpfeld und Wangemann. —
Dörpfeld (Evangel. Schulblatt, Band 23) gibt wol die grosse Schwierig-
keit der Behandlung der biblischen Geschichten auf der Unterstufe zu,
folgert aber daraus nur die Notwendigkeit einer besseren Auswahl und
die Anwendung methodischen Ernstes (besonders der 5 formalen Stufen).
Aber die Auswahl kann nicht viel helfen, da sämtliche biblischen Ge-
schichten von jener Scltwierigkelt mehr oder minder gedrückt werden,
nnd was die formalen Stufen betrifft^ so könnten diese wol die Hänget
der ungeeigneten biblischen Geschichten etwas abschwächen, aber noch
besser wäre es, geeignetere StotYc durch jene methodische Behandlung
noch wirksamer zu machen. Wenn fenier Dörpfeld (gegen die Verfasser
des ..ersten Schuljahres") geltend macht, dass die Auswahl des Lehr-
stoffes nicht blos eine methodische Frage sei, und dass hierbei nicht
bloB die philosophische Ethik sondern auch das concrete, in Kircbeu-
gemeinschaft nnd Sitte sich darstellende Ethos gefiragt werden mttsste^
welches eben die Ausschliessung der biblischen Steife als eine Misaehtnng
derselben auffasse^ so ist allerdings zuzugeben, dass factisch die Meinung
der Kirchengemeinschaft bei der praktischen Durchführung jener Idee
ein sehr wicht)g;er Factor ist, aber deswegen ist ihr eben so schonend
als gründlich nachzuweisen, dass das Interesse der Religion durch jene
Reform nicht nur nicht geschädigt, sondern sogar gefördert wird
und werden soll S. Wiget, Schule und Christentum. Weimar. Kirchen'
nnd Schulblatt 1880, Heft 1 ff.
Wangemann femer (cf. «Handreichnng** S. 23—27) führt im Oe-
ffthle der Ueberlegenheit seiner Sache alles das an, was von rnftrcheo' .
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firemidlicher Seite gegen die biblische Geschiebte geltend gemaeht wird,
und liebt dann mit vier Hanptgrtlnden für die bibliecben Stoffe in*8
Feld. Erstens : Die von ihm ausgewählten Stoffe seien geschichtliche
Darstellungen der einfachsten Verhältnisse des Lebens in und mit Gott,
zudem seien Erzählungen wie die von Joseph , Moses , Samuel , David,
dem Inhalt nach verständlich und übersichtlich, der biblischen Form
nach concret und plastisch. Das alles bestreitet ja kein Mensch ; aber
die biblischen Erzählungen sind eben für das in Bede stehende Kind*
bettenlter noch nicht ein&ch nnd concret genüge nnd iwar der Form
nach nichty die viel an reich an Abatractionen nnd Bildern iet^ nnd aneh
dem Inlialt nach nicht. Letztere Behauptung gilt schon von dem Bitflich-
religiösen Kern der Geschichten, der schon an sich nicht immer von
den vorhandenen religiösen Vorstellungen appercipirt werden kann, sie
gilt aber in ganz besonderer Weise von dem historischen Träger dieses
Kernes, von der nach Zeit und Kaum dem Kind unendlich fernen und
fremden Geschichte. Die hierin dargestellten Tatsachen mit ihrer dem
Kinde völlig fremdartigen geographischen nnd natnrhiatoriflcben Staffage,
mit ihrer Verwebnng in aooiale nnd colturgeechichtliche Einrichtnngen
und Verhältnisse, die weit anaacrhalb des kindlichen Erfohmngs- und
Umgangskreises liegen, können entschieden nicht als geschichtliche,
räumlich nnd zeitlich gefärbte Darstellungen eines vergangenen Lebens
bestimmter Menschen aufgefasst werden, und darunter leidet auch die
Auffassung der Hauptsache, ihres sittlichreligiösen Gehaltes, ihrer Seele,
die eben nur von diesem dem Kinde unfassbaren Körper getragen wird.
Im 1>eBten Falle fasat das Kind, aller Torbereitenden Arbeit des Lehrers
nngeaohtety jene Geschichten als Geschichten von gestern nnd hente nnd
erbeut sich, so gut es kann, an jener Seele, an dem religiösen Duft
der Geschichtsganzen, und dem wiederholenden Unterricht der nächsten
Jahre bleibt dann die wenig beneidenswerte Aufgabe, nach Verlust des
Duftes uud Vorwegnahme des Hauptinteresses den historischen Träger
desselben als solchen mit Beihülfe des unterdess erweiterten kindlichen
Gesichtskreises zu fixiren und darzustellen; dass hiermit ein sehr
grosser Ueberflnss an Langeweile ftlr beide Teile sich verbindet, ist
selbstveiBtifndlieh.
Zweitens sagt Wangemann: „Durch die in der biblischen Ge-
schichte vorgeführten Lebensverhältnisse nnd Zflge aus einem Leben in
und mit Gott lernt das Kind seine eigenen Lebensbeziehungen ver-
stehen." Dieser Satz wird damit begründet, dass die Bearbeitung der
individuellen ethischen Verhältnisse des Kindes zu Eltern und Ge-
sehwiatem den Blick eines jeden Kindes auf ganz Verschiedenes richte
nnd 80 allgemeine Zer&hrenheit erzeuge, wihrend die bibUsche Geschichte
von ein nnd derselben objeotiven iSasis ans die verschiedenen einaelnen
Lebensbeziehungen betrachte. Dagegen sagen wir als Herbartianer, dass
nur von der Individualität aus eine kräftige Einwirkung auf die kind-
liche Entwickelung möglich ist und dass von ihr aus der Weg /n allem
Fremden, Allgemeinen und Objectiven geht. Wir folgen diesem allem
geistigen Wachstum vorgeschriebenen Weg, wir gehen von dem iudivi-
dnellsten Lebensbeziehungen des Kindes aus, sind so seines Interesses
3a
aicher y Uwsen von hier ans die Gotteeidee finden und mit conereten
Anschanungen bereichern, lassen den göttlichen Willen dann zurück-
leuchten auf die ureigensten Lebensverhältnisse des Kindes und haben
dann trotz aller Verschiedenheit unserer Zöglinge jeden Einzelnen in
sittlich-religiöser Beziehung mehr gefördert, als wenn wir ihm eine
herrliche einheitliche Objectivität Yorgemalt hätten, die kalt und fremd
auf das Einsellehen herabsehant Wir bauen daher nodi kein so groeees
nad herrlichee GebAnde, wie Wsngemann vorsehlflgti wir banen aber
dafür nicht in die Luft wie er, sondern wir banen eine beseheidene
Wohnnng, in der sich das Kind heimisch fühlt, nnd anf einem Grunde,
der den Bau trägt und der als ein geistiger an Festigkeit ebenso
wächst als die besonnene Weiterführung des Baues diesen an Festigkeit,
Ausdehnung und Höhe wachsen lässt.
Gegen den dritten von Wangemanu angeführten Vorzug der
biblischen Geschiehten, dass sie den Blick des Kindes Aber die ihm
bekennten LebeneTCrlikltnisse allmälig hinansftthrten, ist eio&ch an
bemerken, dass diese Hinansftthmng eben keine allmäligCi sondern
eine ganz unvermittelte nnd gewaltsame ist, nnd was die von der
bibUsclien Geschichte erwartete Anregung für ein gesundes Phantasie-
leben betrifit, weil die biblische Poesie nur reale Wahrheit ausspreche, so
wird eben der Phantasie mit der biblischen Gescliichte eine ihre Kraft
flbersteigeude und folglich schwächende Aufgabe zugewiesen, und die reale
Wahrheit als soiehe ist gar nicht die rechte Nahroag fttr die Phantasie^
Endlich yiertens behanptet Wangemann: Der biblische GeBChiehAs-
Btoff entspricht wie kein anderer den religiösen Bedüi-fnissen des Kindes,
die es vom Eltemhause mitbringe nnd deren Befriedigung es verlange;
dies könne aber nicht durch ganz ernsthaft dargebotene Märchen ge-
leistet werden, von denen das Kind sich sehr bald sage oder sich sagen
lasse : das ist ja nur Erdachtes ; der märchenerzählende Lehrer gebe
somit dem Kinde Steine als Brot, zerstöre den kindlichen Glauben an
ihn nnd sein Wort, verachte sein Verlangen nach Wahrheit nnd jaofaiiiie
den BeligionBnnterricht, in dem das Kind inuaer ftlhlen mfisse, «der
Boden, anf dem dn stehst, ist heiliges Land.** Was lässt sich gegen
diese schweren, aus religiösem Herzen konmienden Vorwürfe sagen?
Zunächst ist ja die Märchenbehandlnng nicht deswegen vorge-
schlagen, um den religiösen Trieb unbefriedigt und das sittliche Urteil
ungeübt zu lassen, sondern sie soll gerade in erster Linie diese höchsten
geistigen Tätigkeiten fördern, nur kleidet sie diese Arbeit in andere,
dem Kindesgeist angemessenere Formen (cf. WIQmann, a. a. 0.). Ferner,
dass die Mftrchen Produkte des phantashrenden nnd dichtenden Volke-
geistes sind, haben sie erstens mit vielen biblischen Geschichten aiis
der ür- und Patriarchenzeit gemein, und zweitens tnt das der Wahrheit
der aus ihnen heraus gebildeten religiösen Anschauungen und sittlichen
Urteile nicht im mindesten Eintrag, so wenig als den Gleichnissen Jesu
ihr Ursprung aus der religiösen Phantasie schadet. Das Kind verlangt
freilich Wahrheit, aber das Märchen ist ihm eben Wahrheit in der ihm
alldn sntrftglichen poetischen Form, es gibt ihm nicht Sterne sondcfs
nur Hilch &r ein Brot, das ihm noeh nidits nfltsen kann, es profioirt
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alio auch das Heilige nicht, aondem bereitet dasselbe blos vor, damit
. es ab eine geistige Orossmaeht auftreten und wirken ItOnne» Das Mttreben
soll das Heilige so wenig ersetzen als der Vorläufer und Wegbereiter
Johannes den Meister und Erlöser ersetzen sollte und konnte. Hiermit
haben wir eine Seite der Märchen frage berührt, die von den Märchen-
freunden unserer Meinung nach lange nicht scharf genug betont wird,
und doch ist sie ganz dazu geeignet, die immer nur relative Giltigkeit
des HauptbeweUes kräftig zu ergänzen. Denn — obgleich wir keine
▼on unseren darauf besflgliehen Aussagen suraeknehmeni — glauben
wir doeh nieht an die HOgliehkeit eines unumsttesliohen Bewdses, dass
die Schwierigkeiten der biblischen Geschichte für die Fassungskraft aller
Kinder und die Kunst aller Lehrer absolut un überwindbar seien, und
dass denselben eine solche Complicirtheit, Abstractheit und Unkindlich-
keit anhafte, dass ihre Behandlung durchaus als eine pädagogische Ver-
irrung oder Versündigung an der kindlichen Entwickelung anzusehen
sei, wir glauben aber, dass der Märchenstoflf schon an sich für das
erste Schnyabr gewinnbringender Ist als der biblische, dass er sweitens
wie nichts anderes die sptttere Gewmnhsnnaehung des biblischen Stoffes
vorbereite nnd unterstfltie, und wir entschllessen uns daher, die Fähig-
keit zur wirksamen Apperception des Hiichsten, was wir bieten kÖnneUi
abzuwarten und anzubahnen. Wir warten also — natürlich in bestän-
diger Fürsorge für das Eintreten unserer Erwartung, bis der ethisch-
religiöse Gehalt der biblischen Geschichten in genügender Weise und
die Gesehichten selbst als historische Bilder überhaupt appercipirbar ge-
worden sind, oder tun bildlich su reden, wir rttcken in unserem Schach-
spiel nicht mit dem Kdnige aus, sondern mit den Bauern (Jean Paul),
wir TCrschiesBen nicht unser Pulver vor, sondern in dem Treffen, wir
säen unsere edelste Saat nicht auf harten Boden, sondern wir pflügen
vorher, wir gedenken der biblischen Katschläge, und zwar weniger dessen,
dass man die Perlen nicht vor die Säue werfen dürfe, als vielmehr
dessen, dass man den Kindern an Geist erst Milch und dann feste
Speise geben mttsse, kurz, wir verschieben das Eintauchen in die biblische
ReUgidsitftty damit es ein um so voUständigeres und wirksameres werde^
also Im Interesse dieser Beligidsitftt ; wir tragen unsere Emder nieht
SU Christus, damit er sie die unbewussten und unkundigen segne, son-
dern wir suchen sie stark zu machen, dass sie selbst zu ihm gehen
wollen nnd können, dass sie bei ihm bleiben, ihu verstehen und ihm
nachfolgen. Das ist unsere Ansicht über die Märchenstufe.
Ist sie aber nun wirklich eine cultnrhistorische istufe im Sinne
ZiUer^s, d. b. eine der allgemeinen Entwiekelung correspondirende Stufe
der Einselentwickelung, und soll sie wirklich durchlebt d. h. praktisch
durchgemacht werden? Die erste Frage müssen wir nach dem oben
Gesagten bejahen, nur ist die Märchenstufe natürUch nicht eine Oultur-
stufe in der gew(3hnlichen Bedeutung des W^ortes, welche den ganzen
Complex der einer menschheitlichen oder volksgeschichtlichen Periode
eigentümlichen sittlichen und religiösen Anschauungen und aller Leistuugen
auf allen Gebieten des Lebens umfasst, sondern nur eine allgemein
kindliche, allen Vdlkem in ihrer Kindheitsperiode und anch jedem
32
«inselnen Kinde als solohem eigene ^affassangsweise der Natur und
des Menschenlebautf über die sich aber die Kinder der Jetztzeit viel
rascher erheben werden als die Kinder und Völker der Urzeit. In
diesem Sinne kann und muss auch diese Stufe von jedem Kinde praktiscii
durchgemacht werden, wenn sie mich je mich Individualität und Um-
gangskreis des Kindes bald früher bald äpater (etwa innerhalb der
Zeit ▼om 4. — 8. Lebensjahre) eintvetea und bald kttnere bald Ungere
Zelt hemchen wird, und wenn aneh das Kind der Gegenwart ....
seinem liölieren Standpunkt gemäss alles Unsittliche , HeidiiiBCbe, Aber-
gläubische und allzu Ueberspannte als solehes wttr^gen und anssondem
und folglich nicht durchmachen wird.
Wir gehen nun über zu der Robinsonstufe resp, zu Ziller's
Forderung, dass der einzige historische Stoff des zweiten Schuljahres
die Kobinsooerzählung sein solle. Wie hat Ziller selbst seine Forderung
begründet?
Wenn uns nicht etwas Wesentliches in der einschllgigen Literatur
«ntgangen ist, so ist diese Begründung im Vergleich zu derjenigen der
ersten Stufe eine sehr dflrftige zu nennen. Im Jahrbuch von 1871
(8. 142) heisst es zwar : ,,Es ist bereits nachgewiesen , dass Robinson
eine bestimmte Stelle in der Reihe der Concentrationsstoffe einnehmen
muss", aber weder an der dort citirten Stelle (Jahrb. II, 2) noch sonstwo
in den Jahrbüchern haben wii* diesen ^Nachweis gefunden, sondern blos
die Bemei^ung, dass sehen Herbart die Bebinsonenählung als besonders
geeignet beseichnet habe ftlr das frOhe -Knabenalter (1871, 8. 23). In
der nOrundlegung^ heisst es einfach, dass der Robinsonstoff dem Zög-
ling das ^Sicheinleben in's moderne Bewnsstsein^' ermöglichen solle
(a. a. 0. 456, cf. Allg. Päd. 199, Jahrb. 1869, S. 10), oder dass er
„die vorhistorischen Zustände" veranschaulichen solle (a. a. 0. S. 288).
Den scheinbaren Widerspruch dieser beiden Bemerkungen werden wir
wol im Sinne Ziller's dahin auflösen, dass jeuer Stoff vom modernen
Bewusstsein aus, das sieh zahlloser Cnlturerrungensehaften erfreut, die
meist YorliistoriBche Zeit des Erringens derselben in lebensvoller Weise
Tor Augen führe; aber ausser dem Gesagten ßndet sidi bei Ziller
nichts von Belang. Desto mehr haben pädagogische Freunde Ziller's
und der Jugend über die Bedeutung der Robinsonerzählung an sich und
für das zweite Schuljahr geschrieben, wir nennen nur Willmann (a. a. 0),
die Verfasser des „zweiten Schuljahres" und die in letzterer Schrift
angezogenen Quellen z. B. Rousseau, Uettner, B. Goltz. Aus diesem
reichen liaterial wollen wir nur einige Gedanken heraus heben und kOnnen
uns hierbei schon deshalb . kllrser fiusen, da ja die pädagogisehe Be-
deutung der Robinsonensählung und wol auch die Möglichkeit, sie für
das zweite Schuljahr verwertbar zu machen, ziemlich allgemein aner>
kannt ist, und da ja die Polemik gegen ihre Vei*arbeitung im zweiten
Schuljahr wiederum nur wegen der daraus folgenden Verwerfung resp.
Aufschiebung der biblischen Geschichte geführt wird, einer Aufschiebung,
für die wir unsere schon gegen die Märchenfeinde angeführten Gründe
als noeh giltig betrachten. Zunächst lassen wir uns dureh jene Sehriften
die Fragen beantworten: Kann die Robinsonerzählung das fortfilhien,
V
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iraB d«r liftiehemmtenrieht pibmth^ tind geschaffen hat, entspricht sie
der kiadtiehen Apperceptionsitofey erweekt sie Interesse?
Sie ist, wie Will mann (a. a. 0. S. 31 t) nachweist, einfach, schlicht
und phaatasteroU ; doeh ist es nicht mehr die Phantasie, welche im
Märchen nur selten unsanft nn die Grenze des Wirklichen anstösst,
sondern die Phantasie der Praxis, die sich gar nicht genug tun kann
im Mitraten und Mittaten, im Erfinden aller möglichen der Wirklichkeit
abgelaudchteu oder ihr auch widersprechenden Mittel (dann heisät es
aber: Es geht nicht) nnd In ahmuigsTollea Teridieken anf das, was
vom wahncheinlioh geschehen wird. Die Enfthlnng ist ferner lehrreich,
zu einer Masse Belehrangen Ober Natarhistorisches , Geographisches,
ColtargeBchlchtliches veranlassend, eine Eigenschaft, die sie sowol dem
Interesse der Erkenntnis als auch der 2iiUer'scbea Yerwertnng als Con-
centrationsBtoff dienstbar macht.
Auch die Einheitlichkeit fehlt unserem Stoffe nicht. Ein Held
ist es, der durch zahlreiche Situationen und Schicksale hindurch verfolgt
wird, das schafft eine Spannung nnd ein sich steigerndes Interesse wie
das, welches dem viel eifahrenen und yiel duldenden Odyssens von der
Jugend aller Zdten angewendet werden wird. Die Erzählung ist femer
klassisch, zur steten Bückkehr einladend und, was die Hauptsache ist,
sie ist sittlich bildend. Wenn auch der Segen des Familienlebens und
der bürgerlichen Gesellschaft mehr in negativer Weise durch sein Fehlen
nnd Ersehntwerden dargestellt wird, so haben wir doch in Robinsons
Geschichte die concreteäte Verkörperung einer Seelengeschichte, die vom
Ldchtsinn und Eigenwillen inr Sflnde, von der Sflnde zur Strafe, von
der Strafe zur Rene nnd von hier zur sittlichen Besserung, zur religiösen
Oemfitignng, zum Vertrauen auf die Gnade nnd Hilfe Gottes und so
nun inneren Frieden fortschreitet. Hettner schliesst seine begeisterte
Lobrede auf Robinson mit den Worten : „Wir sehen , wie der Mensch
mit innerer Notwendigkeit aus dem ersten rohen Naturzustand zu Bildung
und Civilisation kommt. Kurz es entrollt sich ein Bild vor uns, so
gross und gewaltig, dass wir hier noch einmal die allmälige und
aatnrwflchsige Eatwickelung des Henschengescbleehtes klar lihenehanem
Der Bobinson ist, wenn dieser Ausdruck erlanbt ist, eine Art von Phi-
losophie der Geschichte . . ., das Beispiel und das Spiegelbild der ganzen
Menschheit'*, oder wie B. Goltz sagt, „ein Buch der Bücher'*, eine ^eehte
Kinderbibel für alle Zeiten^ in denen es Kinder geben wird."
Genügt aber dies und vieles Andere zur Empfehlung der Robinson-
dichtung Gesagte (cf. „Zweites Schuljahr" S. 6, 9 f.), um sie zum histo-
rischen Stoff des zweiten Schuljahres zu erheben? Wir haben uns,
seitdem wir dem Problem einer nach Herbart's Grundsätzen entworfenen
Theorie des Stoffes nahe getreten, fllr die Bejahung dieser Frage
entseheiden zu mfissen geglaubt und können jener Begrflndung nur noch
weniges hinzufügen.
Dass die Erzählung von Robinson dem Kinde im höchsten Grade
interessant ist und somit der Herbart'schen Grundanforderung an jeden
historischen Stofi* entspricht, wird wol kaum zu bezweifeln sein. Ja
noch mehr; jedes der 3 Interessen der Teilnahme, das sympathetische,
Mmgog. StndiMi. H. F. n. 3
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das Bociftle und das religiöse findet gerade in der dem Alter des Kindes
angemeBsenen Spliftre reiche Nahrnngy das sittUehe Urteil findet laU-
reiche Gelegenheiten zn klaren und bestimmten auf sittlicher Einsicht
herulienden Entscheidungen über das factiseli Geschehene sowol als auch
über das, was an seiner Stelle hätte geschehen können oder sollen i phan-
tasirendes Handeln), und gerade die unausbleibliche Sympathie für den
Helden, die sich in Besorgnis und Liebe und Hudnung gar nicht genug
tun kann, bewirkt ein freies Steigen des etbischen Urteils über ihn nnd
einen nm so höheren Wert der etwaigen Vernrteilnng. Das der Er-
s&hlnng eigene religiöse Interesse liegt ebenfalls klar am Tage, haiben
vir doch in ihr — wie wir schon oben andeuteten — nicht mehr und
nicht weniger als eine Wiederholung oder besser ein Abbild und für
die Kleinen eine stellvertretende Vorbereitung auf das Evangelium im
Evangelium, auf das Gleichnis vom verlorenen Sohn, und wenn diese
durch äussere Verhältnisse verkörperte und getragene Seeleugeschichte,
die wegen der detaillirten SeMderuug dieser tragenden Ereignisse und
wegen des längeren Verliarrens bei den tinselnen Epochen des Seelen-
lebens der kindlichen Appereeption noch niher liegt als jenes Gleichnis
selbst, in der rechten Weise behandelt wird, so ist gewis der Vorwurf
ungegründet , dass im zweiten Schuljahr wenig oder gar nicht Religion
getrieben würde, wir treiben sie nur nicht in biblischen Formen und
mit biblischen Massen, aber in verständlichen Formen, in christlichem
Geiste und mit christlicher Vertiefung.
Wir sind also der Ueberzeugung, dass mit der Bobinsonersfihlung
das religtOse Interesse in dnstweilen genügender, der Eindeskraft nnd
dem EindesbedürfDis angemessener Weise gepflegt nnd also eine geeignete
Fortsetzung der durch denlttrehennnterrleht angeregten religiOs-sittlfehen
Gedankenbewegnng gegeben werde.
L'ebrigens wollen wir bei dieser Gelegenheit die für die religiöse
Bildung der mit Märchen und Robinson bedachten Kinder Besorgten
auf etwas hinweisen, das wir schon oben hätten erwähnen können.
Das Leben Jesu ntmlich, das von allen positiven Partden als der
Mittelpunkt des historischen oder Gesinnnngs- oder Religionsunterrichtes
betrachtet wird, tritt ja auch bei Ziller nnd den Verfassern der Schul-
jahre schon vom 1. — 5. Schuljahr auf, freilich in analytischer Behand-
lung d. h. im Anschluss an die durch die kirchlichen Feste dem Kinde
sich aufdrängenden Erfahrungen und auch in Form eines regelmässigen
nach pädagogischen Grundsätzen eingerichteteu Schulgottesdienstes, üud
hier wäre der Punkt, wo ein Compromiss zwischen der seitherigen
Praxis nnd den Forderungen Ziller's mOglich nnd mit Rflcksicbt auf
die faetisoben Verhältnisse vieUeicbt aneb aniuraten wäre. Eine klebie
Erweiterung jenes analytischen Lebens Jesu durch einige der einfachsten
evangelischen Erz&hlungen, zu denen man wol auch die von der Schöpfung,
dem Sündenfall und der Sflndflut nehmen könnte, würden gewis den
Ziller'schen llauptstoffen keinen Kintrag tun und manchen noch Schwan-
kenden mit ihnen völlig versöhnen. Doch zurück zu unserem Thema.
Wie steht es noch mit dem socialen Interesse? Da haben wir nun
schon erwfthnt, dass der S^;en der bllrgerlichen OeseUseliaft nnd der
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socialen Arbeit hauptsächlich durch sein Fehlen und seine unsäglich
mühsame Wiederarbeitung dargestellt wird, aber gerade hierin liegt eine
Veranschaulichung des cuUurgeschichtlichen Fortschrittes, die höchst
wertvoll für den Unterricht ist, weil sie ihm eine unersetzliche Propä-
deutik alles geschichtlichen Unterrichtes darbietet. Und diese Propä-
dentik ist eben deswegen so geeignet, weil jener Fortschritt nicht dar-
gestellt nnd verfolgt wird an dem hOobsten Onttnrprodnkt, an der
TeligiOs-sitttielien Weltaaseliaiinng, deren Verstftndnis nnd ilneignnng nnr
dnreh Vertiefung in ihre einseinen Stufen gewonnen wird, sondern in
der dem Kinde greifbarsten und fasslichsten Gestalt an der Ueber-
wältigung und Dienstbarmachung der Natur, an der Riesenarbeit, welclie
vorgeschichtliche und geschichtliclie Menschengeschlechter zum Zwecke
ihrer menschenwürdigen Existenz geleistet und den Kindern der Gegen-
wart znm behaglichen Gennsse flberliefint bnben. Dieser gewaltige
ForlBGbritt, diese unsftbligen Onltnrleistnngen werden in der Robinson-
enSblnng eoneentrirt nnd gletebsam in einen Brennpunkt Terebigt» nnd
wenn nnr diese Seite derselben vom Unterricht gebärend gewürdigt
wird, darin wird die gedankenlose Stumpfheit und gefühllose Roheit,
mit der so viele Zeitgenossen die alltäglich gewordenen Errungenschaften
Erfindungen und Woltaten der culturgeschichtlichen Arbeit gebrauchen
und misachten, von den Kindern t'erubleiben, und dafür wird geschaffen
werden freudiges Staunen, dankbare Hinnabme nnd Teilnabme nnd be-
wnsste Versenkung in das Warum? und Wober? aller in die Gegen-
wart bintinragenden geistigen und materiellen Denkmale der Ver-
gangenheit. Dann wird der ZOgling zn verstehen anfangen, dass eben
dies Jetzt das Produkt der Vergingenheit sei, und hiermit ist der beste
Grund gelegt zu dem sich nun selbständig aufbauenden biblischen und
profanen Geschichtsunterricht, der den Zögling in die einzelnen Haupt-
epochen der ethisch-religiösen und der materiellen Culturentwickeluug
einsufttbren und auch mit den Trägem derselben^ den HanpienltnrvQlkern
bekannt an machen hat
So viel Uber die Robinsonenäblung. Wie verbllt sich aber dieser
Stoff zu dem Ziller'scben Congruenzgedanken? Repräsentirt auch er eine
der Gesamtentwickelung und der ihr parallelen Einzelentwickelung ange-
hörige, der Märchenstufe folgende Stufe, und muss und kann diese vom
Zögling praktisch oder theoretisch durchlebt werden ? Als das Phantasie-
bild eines immerhin modernen Dichters, der in dem Einzelleben Kobinsona
nur ein Spiegelbild des allgemeinen menschlichen Fortschrittes geben
wollte, wird die Robinsonersählung schwerlich als der Repräsentant
einer bestimmten menschheitlichen Culturstufe betrachtet werden können,
auch nicht wie die Märchen als eine natnmotwendige Verkörperung
einer im Völker- und Einzelleben sich ewig wiederholenden Auffassungs-
weise, sie ist eben als ein historischer Stoff die Ouvertüre zu aller
Geschichte, aber nicht ein Stück aus der Geschichte oder Vorgeschichte
eines oder aller Völker, uud konnte nur von modernem Bewusstsein
aus geschaffen werden, und inflofem passt hier die Ziller*sche Theorie
nicht Wol aber Usst sich unserer Meinung nach em Berflhmngspnnkt
mit der Binielentwickelung nachweisen. Wenn nimlioh das ^nd auf
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der Stufe, wo ihm die Märchen congenial sind, alle Aussendinge als
Seinesgleichen betrachtet und behandelt und daher die Wirklichkeit
lediglich nach seinen Phantasien und Wünschen gestaltet, so kommt
doch bald die Zeit, wo die zunehmende Erkenntnis des Wirklichen diese
willkttrliche Behuidlttiig lüebt mOsx gMtettet, wo aUe Anssenwelt al»
ein Kicht-Ioh, ak eine tob dem loh und seinen Wfimehen nnabliftiigigo
ObjeetiTitit dem Kinde gegenflbertritt Trotsdem ober gibt dm leb
seSne Alles gestaltende KnA nieht «if, es modificirt dieselbe nur, indem
es idlmälig einsieht, dass es sich zur Beherrschung und Bewältigung
der Aussendiuge nach deren Natur richten müsse. Daraus entspringt
dann das lebhafte Bedürfnis nach Erkenntnis der Natur und der Trieb^
sie vermittelst dieser Erkenntnis den eigenen Zwecken dienstbar zu
machen. Diese Wandlung tritt in jeder Kindesentwi^etnng ein, und
im grossen und gansen greift der Robinsonstoff riohtig in diese Phase
der Eänielentwiekelnng- ein nnd förderl anch umgekehrt das faetis«^»
nnd praktische Eintreten dieser Stafe^ nur darf man nieht fibersehen,
dass diese Einzelentwickelung weder vom zweiten noch von allen Schul-
jahren umschlossen und durchlebt wird und werden kann , und wenn
man ihr daher im Kobinsonstoff einen ihr entsprechenden Nahrungsstoff
darbietet, so soll und kann sie hiermit nicht etwa ein und für allemal
abgespeist werden, sondern es soll nur ein Trieb geweekt werden, der
nnn dnreh^s ganse Leben andanem nnd in der Sehnle dnroh den ge-
samten Datnrkundliehen Unten icht genähi-t werden solL So sohllgt also
der Kobinsonstoff einen Ton in der Kindeaseele an, der, von den fol-
genden Schuljahren verstärkt, durch's ganze Leben klingen soll, und
erhält dadurch gewissermassen den Charakter einer Propädeutik auch
für die Naturkunde, so wie wir ihn schon als Propädeutik für den
religiösen und (profan) geschichtlichen Unterricht betrachten konnten.
Wir gehen nnn Uber anr Patriarehengeaehiehte, die naeh
Ziller den einaigen historiachen Stoff des dritten Sehnljahres ansmaoben
BolL — Dass Ziller endlich von hier an die alt- und nentestamentliehe
Geschichte als Hauptstoffe des erziehenden Unterrichtes auftreten nnd
mit ihnen endlich die verlorenen religionslosen Kinder nach zweijähriger
Träbemfütteruug zur guten , alten und erprobten Geisteskost zurück-
kehren lässt, dient wol Vielen seiner seither erwähnten Gegner zur Be-
ruhigung und Besänftigung, sie können ja auch beim besten Willen
nichts gegen Ihre eigenen dem 3. — 8. Schuljahr zugewiesenen Steife als
BOlehe sagen. Trotadem fehlt ea aneh hier nieht an Polemik, wenn
aneh ihr Standpunkt ein anderer wird, einmal weil Ziller das Dogma
YOn den concentrlschen Kreisen über den Haufen wirft, nnd dann weil
er die nentestamentliehe Geschichte noch 3 Jahre lang nicht zu ihrem
Rechte kommen lässt. Mit den concentrischen Kreisen sind anch wir
fertig, wir sind auch darin mit Ziller einig, dass die neutestaraentliche
Geschichte überhaupt erst nach Behandlung der alttestamentlichen als
Hanptttoff anffereten darf. Wie stobt es aber mit der Verteilung des
a. t Stoffes anf drei Sehnyahre? nnd was hleriiei wiederum die nächste
Frage sein wird: Warum soll die Ur> und Patriarchengeschichte fttr
das dritte SehnUahr passen und genflgen? Eine besondere theoretische
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BegrflndiiDg hiervon ans der Feder Zillei^e ist nna nieht bdnumti nnd
darnm mdgen einige Beweise us der Herbart'selien Sehnle ntgMiat
werden. Wie billig lassen wir den inteUeetnellen Urheber, den Ver*
fechter und praktischen Ausgestalter dieser stofftheoretischen Erwfignng
den Anfang machen. Friedrich Kohlransch, ein Mitglied der
von Herbart geleiteten pädagogischen Gesellschaft in Göttingeu, sprach
sich schon im Jahre 1809 folgeudermasaen aus illerbart's ^Pädagogische
Schriften'' I, 569), mAIb Ergänzung zu beiden Vorschlägen (Dissen
seUng als An&ngspunkt des hlstorkÜBhen Unterriehtes Homer vor, auf
den Thierseh den Herodot folgen lassen wollte), maehte ieh bemeridieh,
dass es doch noch einen einfacheren nnd natürlicheren Zmtamd menseh-
licher Vereinigung in den Schilderungen der Patriarchenseit gebe . . .,
wo das Familienleben im Grossen als die ursprüngliche Gestalt des ge-
ordneten menschlichen Zusammenseins und Wirkens sich darstelle, und
der Familienvater Gesetzgeber, König und Priester in einer Pei*sou sei".
Hert»art liess die von Kohlrausch in einem besonderen Anfsats ansge-
fUirte Begrflndnng dieser Idee draeken nnd benserkte instimmend
(a. a. 0. £ 592), «dass der Oebranch des A. T. sekr erwanseht sein
müBse für diejenigen Stande, in Hinsieht deren die Bildung durch
klassisches Altertum nur ein frommer Wunsch wäre."^ In dem erwähnten
Aufsatz sucht nun Kohlrausch nachzuweisen, dass in der Ur- und
Patriarchengeschichte uns „vortreffliche Anfangspunkte" geboten werden,
^eiuer regelmässigen, syutlietisch fortschreitenden Bildung des jugeud-
Uehen Gemütes für Religion und Teilnahme, sowoi Teilnahme
am Henaehen als an der Qesellsehaft.*' (a. a. 0. 8. 599). Dass das
reUgidsa Interesse dnreh jene Stoffe wie luinm dnreh etwas anderes
genährt werde, ist seit jeher anerkannt, denn wie könnte der attsn-
babnende resp. zu vertiefende Umgang des Zöglings mit Gott besser
erzeugt werden als durch Versenkung in diesen so innigen und naiven
Umgang, den jene Kindermenschen in Freud und Leid, in Reinheit und
Schuld mit ihrem Schöpfer und Erhalter, Vater und Beschützer pflogen,
lüächst der Religion bildet aber „der Sinn für alles Mensohliehe das
stirksto Gegengewieht gegen Selbstsaebt nnd Besohilnkthelt**, und snr
.BHduig dieses Sinnes ist wiederum niehts geeigneter als die Patriarchen-
gesehiehte, welche im Gegensatz zu den feinen Nüancen unserer viel-
seitigen gegenwärtigen Cultur dem Kinde die eiufachsten Lebensverhält-
nisse vorführt, „die es beinahe lebendig vor sich sieht, wenn es den
Kreis seiner Familie in Gedanken ausdehnt." Denn das Patriarchen-
leben ist eben nar das Familienleben im Grossen und als Nomadenleben
die Vorstufe aller anf dem Ackerbau bemhenden höheren Cnltnr. Diese
Sttie b^grflndet Kohlianseh mit einem grossen Oltat ans Herder, dem
feinen Kenner des orientalisehen Lebens, das mit den Worten schliesst
„Ewig wird die Patriarchen gegen d und das Patriarchenzelt das goldene
Zeitalter der kindlichen Menscliheit bleiben** (cf. a. a. 0. S. 605).
Auf den Elementen dieser Beweisführung steht auch Ziller und
Will mann. Letzterer sagt vou der biblischen Geschichte im Allge-
meinen, dass sie die an den liistorischen Stoff des erziehenden Unter-
riehtes an stellenden Forderungen der Einfalt, Phantaäe nnd slttlieh
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Mdenden Kraft auf das ausgibigste effttlle, daBB sie insbesondere die
religiftse Anffi^siug des Einiel- und GesamHebens als einer g(HtUehen
Erziehung — die immer neben der objeetiven Geschichtsdarsftellung her
zu gehen habe — auf machtvolle Weise wecke und fördere, und dass
sie ausser der Bildung des religiösen Lebens noch eine Aufgabe löse,
nämlich die der Vorbereitung von allem Geschichtsunterricht. Besonders
fuhrt Wilimann noch aus, welch mächtigen Reiz die äussere Scenerie
sowol als anch die Lebensweise der beiUgen Yoraeit auf das kindliehe
Vorstellen ausüben mflsse, wie dnrehsielitig der Znsammenhang sei,
zwisehen der Localität und den Lebensformen ihrer Bewohner, nnd wie
die klassisehe DavsteUnng des Patriarchenlebens bei späterem Zurück-
kehren immer von l^enem eine reinigende, vertiefende und sammelnde
Wirkung ausübe.
Fügen wir zu diesen Zeugnissen noch das Zeugnis eines schon
genannten l^ichtpädagogeu und JSichttheologeu, des Geschichtsphilosopheu
Lotse. Es lautet (nllikrokosmus'', HL & 249—251). ^In den patriar-
ehalisehen Znstlnden, welche die Schriften des A. T. sehildern, liegt den
ohristlichen Völkern ein Inbegriff schöner Gewohnheiten des Daseins
Yor, weldier durch die idealisirende Kraft der Zeitferne nnd der poetischen
Darstellung verklärt, dieser zurückschauenden Sehnsuclit wol als ein
Vorbild des Lebens erscheinen kann. Allerdings lag Ueberlieferung
früherer Bildung und die Möglichkeit der Berührung mit entwickelter
Gultur der Nebenländer schon hier dem zu Grunde, was uns in diesem
Leben anmutet, und- so ganz auf sich selbst beruhte es nieht,.wie es
in jenem Gemälde, herausgehoben aus seinen Umgebungen, erscheini
Aber so locker waren die Besiehungen nach aussen doch noch, dass
ein freundliches Dunkel ringsum die Weitenfeinen verhUUte^ nnd alle
Aufgaben und aller Genuss des Lebens innerhalb eines engen nnd über-
sehbaren Gesichtskreises zunammengedrängt blieb. Leiehtc oder doch
wenig verwickelte und wenig geteilte Arbeit, meist in der ansprechenden
Pflege lebendiger Wesen bestehend, beschaffte die Bedürfnisae ; eintre-
tender Mangel ward als Ungunst der Natur, weniger als Folge geselliger
MisBtande empfunden. Die noch fehlende Spaltung der Beruf sarten liesB
das Leben nicht als Ungewissen, erfinderischen Kampf um die Exiatens
erscheinen ; die Bahnen waren vorgezeichnet, in die jeder mit derselben
Kegelmässigkeit eintrat, mit welcher die Natur das körperliche Leben
entfaltet; die Verschiedenhelten der geselligen Geltung, die unvermeidlich
früh eintraten, waren noch nicht mit einem Unterschiede der Gedanken-
und Gesichtskreise verknüpft, welcher die Lebenainteressen des Einen
nnverstftndlieh für den Andern gemacht hätte; aber sie waren, grossen-
teÜB an die VerbMltnisse der Familie geknflpft, eben bedeutend genug,
um in das Leben anstatt abspannender Gleichheit aller Ansprttehe eine
Mannigfaltigkeit tief empfundener sittlicher Wechselbeziehungen einzu-
fdhien. In dem Haupte des Stammes vereinten sich alle Richtungen
des Schaffens und Handelns, die dem menschlichen Leben Wert geben;
Vater und Hausherr, Gesetzgeber und Richter, Fürat und Priester zu-
gleich emp&nd er in sieh selbst den ungeschmälerten VoUgenuss der
geistigen Kraft, die den Menschen ttber alle Natur erhebt, und stellte
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den Seinigen diese Einheit des ganzen Lebens in anscbauHchcr Er-
scheinung dar. Fügen wir hinzu, dass dem religiösen Glauben dieser
Zeit und dieser Stämme auch der Zusammenhang mit Gott ein beständig
sich erneuerndes Erlebnis war, so können wir wol zugestehen, in dem
patriarcUalischen Zeitalter eine Sammlung und Verdichtung des Bewusst-
sdnfl und des Lehensgefohls sn finden, welche kein endehbares Gut
dee Lebens und kdne seiner anerkanntet Aufgaben der Anflnerksamkeit
des Einidnen nnbeachtet entschlllpfen Hess.*'
Von der Patriarcbenzeit gilt auch, was Lotze von der gesamten
hebräischen Cultur rühmt. Nachdem er die hebräische Sprache gepriesen,
die in so einziger Weise ,.zu der tieuesten Schilderung der ewig wider-
kehn lidcii Grundzöge des menschlichen Lebens wie zu dem majestätischen
Ausdrucke der Erhabenheit des Göttlichen" befähigt sei, dass „in Beidem
die EnSblungen und die Geaiage der Hebrier ein nnsterbliclies Muster
geworden** seien, heisst es weifer (a. a. 0. S. 287) ^Die Sehitae der
klassischen Bildung öffnen sich nur eiuaehien Kreisen ; aus jener Quelle
des Morgenlandes dagegen schöpft eine unzählbare Menge der Mensch-
heit seit Jahrhunderten erhebende Trostsprüche im Elend, sinnige Lehren
der Lebensweisheit, warme Begeisterung für alles Hohe und hat sich
gewöhnt, in den Gestalten jener ältesten Erzählungen und in ihren
Schicksalen anschauliche Vorbilder für das menschliche Leben und für
die versehiedenen Charaktere zu erblieken, welche ^e Mannigfaltigkeit
seiner Verhaltnisse aasbildet
Wir haben diesen Gedankenreihen nichts hinzuzufügen, wir haben
aus ihnen blos den Sehluss an liehen, dass die Patriarchenzeit ein in
sich abgeschlossenes, von einem Geiste durchdrungenes Ganze ist, dass
sie auch abgesehen von ihrer eminenten religiös - sittlichen Bedeutung
als ein rein histoiisches Lebensbild durch Einfachheit und Durchsichtig-
keit der gewachsenen Apperceptiuuskraft des Schülers völlig entspricht^
und daiB sie aneh durch die klassische Form, in der sie verkörpert isf^
den höchsten Anforderungen an einen historischen Lehrstoff Genflge tut
Darum wird die Patriarchenzeit mit Aer Urgeschichte der beste
religiöse Lehrstoff des 3. Schuljahres sein, und bei einer intensiven
Durcharbeitung nach den Herbart Ziller'schen Grundsätzen (besonders
den 5 formalen Stufen) wird sie auch dem ihr bewilligten Zeitraum
mehr als genügen.
Eine untergeordnete Frage ist dann, ob die Urgeschichte von der
Schöpfung bis inm Turmbau im Anschluss an die Bibel der Patriarchen-
geschiebte vorausiuschicken sd, oder ob sie — wie ^er es will —
nach der Erzählung vom Strafgericht über Sodom und Gomorra als Ein-
schaltung behandelt werde (cf. Seminarb. 144). Wir sind gegen die
letztere Anordnung und zwar aus dem Grund, weil uns der Ziller'sche
Uebergang: Gott konnte und musste hier zerstören und strafen, weil er
die Welt und den Menschen geschaffen und den Menschen als Voll-
bringer des Guten gewollt hatte — etwas Künstliches zu haben seheinty
wihrend die Schd|Kfling als erste Erzählung eine reiche Menge apper-
clpiiender, su spannender Erwartung anregbarer Vorstellungen vorfindet
und am natOrlichsten durch die folgenden Erzählungen der üigeschichte
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fortgesetzt wird, von denen aus der Uebcrgang zu den Hebräern und
der Familie des Abraham sich ebenfalls sehr leicht ergibt. — Doch ist
die ganze Frage nieht wesealUeli. Beaohteiuiwerter ist ein anderer
Fnakt. Die uns bekannten Vertreter der Patriaiebenstnfe aeheinen nna
aowol in der theoreÜBehen Begründung (cf. Kohlrauscb) als, in der
praktischen Ausführung mehr als billig Gewicht auf den Umstand za
legen, dass die Patriarchen gerade „Vertreter des Hirten Standes,
der ersten Stufe in der historischeu Eutwickelung unserer Cultur gewesen
sind" (cf. Rein „Ueber Conceutrat u. s. w.**, Evangel. Schulblatt 1879,
13. S. 309). Kun kann es ja der Theorie des Stoffes sehr angenehm
sein^ dass ihr erster ganz specifiseh religiöser Hauptstoff sngldeh die
erste Stufe des sonstigen Onltnrlebens — wir wollen diese Gnltor, weil-
wir absehen yon der sittlich - religiösen Weltansebannng, die flnssere
Cultur nennen — darstellt, sie darf aber nie vergessen, dass sie ihn in
erster Linie wegen seiner sittlich-religiösen Bedeutung und Verwertbar-
keit und nicht als ein Denkmal des Nomadenlebens gewählt hat, dass
sie Ilm also auch nicht verwerfen und vielleicht gar mit einem rohen
hddnisohen Nomadenleben Tertansehen wurde, wenn die in ihm sieh
darstellende religi0s<aittiielie Cnltnr s. B. anf die hObere Stofe des Aeker-
banes und Gewerbetriebes basirt wäre. Die äussere Cultur des Nomaden-
tums ist ja eine sehr wichtige Stufe der allgemeinen Cultur und insofern
auch als erste Stufe des profiincn historischen Unterrichtes recht geeignet,
aber sie darf doch im Religionäunterricht — und ein solcher ist doch
die biblische Geschichte in erster Linie — nicht über Gebür betont '
werden, sondern immer nur soweit sie Trflger des religiösen Lebens ist,
insofern sie die religiösen Gestalten der Patriarehen illnstrirt nnd dnreh
AnsehanUebmaohnng ihres äusseren Wesens und Lebens interessanter
machen kann ; kurz sie ist immer nur dienendes Mittel , niemals Zweck
des Religionsunterrichtes, und wenn daher beispielsweise ein Schüler sich
schliesslich Abraham nach der Pariser Mode gekleidet vorstellte, so wäre
die Schuld des pädagogischeu Sünders nicht so grods, als wenn das
Kind teilnahmlos geblieben wäre fttr die eonereten Beweise von Abra«
hams Grottvertrauen nnd Menschenliebe. . Die Versnehnng an diesem
Fehler des Allzuviel in äusserer Cultur liegt nach unserer Meinung
besonders bei ZUler sehr nahe, der ausdrücklich die Patriarchengeschichte
als den einzigen historischen Stoff des dritten Schuljahres behandelt
haben will, und gerade die Entlastung des Religionsunterrichtes von
jenem Culturstoff ist ein uns m i t bestimmender Grund, warum wir schon
▼om dritten Schuljahr an einen profangescbichtlichen Stoff neben die
biblischen Stoffe treten lassen wollen. Doch da-von später.
Dies wärC; was wir Über dis PatriarehenstnfB an sagen hatten, und
nun noch die Frage, die wir uns am Schlusse jeder Einzelbetrachtnng
vorlegen wollen, ob und inwiefern die Patriarchengeschichte eine allge-
mein menschliche und daher auch von dem Einzelnen zur fraglichen
Zeit durchzumachende Entwickelungsstufe repräsentirt Einer allgemein-
menschlichen Autfassungsweise entsprachen wol die Märchen, dem allge-
mem mensehlicplien Sich-gegen-nnd-flber-die-Katiir-setien entsprach wol
die Robinsondichtnng, von hier an kann aber so wol in Bezug anf die
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innere als die Inssere OiiUnr von allgemeb-mensehlichen Stufen wol
«neb im Sinne Zilien, nicht mehr die Rede sein, sondern nur von Stufen
dieses oder jenes oder mehrerer Gnltnrvdlker , von Stufen , welche die
auf ihren Schultern stehenden modernen Culturvölker im raschesten
Tempo teils theoretisch teils praktisch durchlohen , um da einzusetzen,
wo die vergangenen Culturen stehen blichen, und zwar steht der Grad
dieses Durohlebens nach Intension und Extension in geradem Verliältnis
sur Natorgemissheit und allgemeinen Wahrheit der betreffenden Gnltur-
stnfe. Natllriieh kann es sich bei diesem Dnrehleben nieht nm die
Elemente jener äusseren Cultur — also in unserem Falle um das No-
madenleben handeln — sondern nur um die im Denken, Fühlen, Handeln,
'in Leben, Sitte und Gesetz sich darstellende Weltauffässung , und die
patriarchalische Weltauffassung ist unserer Meinung nach allerdings eine
solche, welche auch die Kinder der Gegenwart mehr oder minder praktisch
dnrehleben, so dass der entspreehende Sehnlstoff -nieht blos anf eine
fermale sondern aneh auf eine — so au sagen — materiale Apper-
ceptionsstnfe der Zöglinge rechnen kann. Da finden wir nun vor allem
lebhaften "Widerspruch bei Kohlrausch, welcher fa. a. 0. S. 600) sagt:
„Ich mu93 als durchaus notwendige und erste Bedingung des zweck-
mässijjeti Gebrauchs unseres Stoffes die Regel aufstellen, dass diese . . .
Geschichten als Werk einer fernen Zeit und fremder Menschen . . . dem
«Emde Torgelegt werden, woraus es sieh ndt des Lehrers Hfllfe das
iehtSellgiAse und ioht MensehUche herausnehme.** Darum seien, heisst
es weiter, die dgentüchen jtldisehen Vorstellungen you Gott entweder
in der Darstellung zu mildem, oder, wo das nicht möglich sei, eben
als einseitige Begriffe jener Zeiten und Menschen darzustellen oder auch
finden zu lassen. Eben dies ist auch die Gonsequenz des Ilerbart'schen
,in Bezug auf alle Gulturstufen ausgesprochenen Satzes (.a. a 0. S. 577).
„Wie der Mensch nie in £e Zeit einsinken soll, so soll auch das Urtdl
des Knaben und des ^Jftnglings Uber den Zeiten sohweben, mit denen
. er fortschreitet; eben zum Fortschreiten soll er sieh getrieben fBhlen,
durch dies Urteil, welches ihm bei jedem Punkte si^, hier ktfnne die
Menschheit nicht stehen bleiben.**
Diese Forderung beider Pädagogen, erscheint uns, wenn auch nicht
für die V^olksschule überhaupt (so Rein, a. a. 0. 309), so doch fiir das
dritte Schuljahr zu hoch. Unsere Zöglinge haben hier ja selbst noch
keinen festen Standpunkt i wie sollen sie da ihm aus schon mit
kritischem Auge herabsehen, und der sn beurteilende Stoff Ist ja auch
nieht 'dii profaner Sagen- oder Gesehiehtsstoff, wo eine solche Kritik
von dem christlichen Standpunkte aus uns sehr am Platz zu sein scheint,
sondern der Hauptstoff, der ihr sittlich-religiöses Leben nähren soll,
dessen Helden also selbst reicher sein müssen an diesem Leben als die
Kinder, und es würde daher durch eine forcirte Kritik — denn von selbst
denkt a^hiMrlieh ein 9 jähriger Zögling daran — die Heili^ceit vnd
Wflrde des biblischen Stoffes Einbusse erldden. Nein, wir wollen uns
an den anderen Vorschlag von Kohlrausch halten, nämlich das, was das
Kind nicht denken soll oder was entschieden seinen Widerspruch heraus-
fordern würde, su mildem oder wegsulassen. Was aber dann ttbrig
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bl«iMy und das ist gmde die Hanpteaehey in dts mnss das Kind sioli
ganz und yoU yersenken, das kann und soll es zu seinem eigenen
religiös-sittlichen Leben machen. Denn das Christenkind der Gegenwart
■wird — wie wir schon früher andeuteten, auch ohne planmässigen
Religionsunterricht ganz naturgemäss denselben Weg gehen, der die
Menschheit durch's Judentum zum Christentum geführt hat, es wird auch
wie die ilter en Hebrier mit AnthropomoiphisiiinB und AntiuropopafhiBmai
in den mannig&liigaten Abstnfangen nnd in jedem Fall mit einem
kilfligen Sopranatnralismus anfangen, es wird — trotz der christlichen
Atmosphäre, die es atmet — mehr oder minder lange Zeit wie das Volk
Israel dem Eudämonismus, der Vergeltungalelire , der Furcht des Herrn
und der legalen Aut'lasöung des Sitteugebotes huldigenj bis es sich endlich
früher oder später zum höheren christlichen Standpunkt der Gt>tteskiud-
sehaft nnd MoraUtit dnrdiarbdtet — wenn es nieht wie nnendUeli viele
Henaehen sein ganzes Leben lang auf der Jftdiaeben Stufe stehen bleibt
Ans alle dem folgt, dass das religiös- sittliche Leben, welches sieh in der
Patriarchengeschichte darstellt, im Grossen und Ganzen der religiös-
sittlichen Einzelentwickelung des Zöglings entspricht und ihm also doppelt
interessant sein muss, womit natürlich nicht gesagt sein soll, dass diese
Einzelentwickelung vom dritten Schuljahr (dem 9. Lebensjahr) umschlossen
wlixde, da ja — wie wir eben gesagt — sehr viele Zöglinge Aber die
a. t Stnfis im Gmnde gar nleht hinaus kommen, nnd da natflrlich anck
alle Zöglinge judaistische Vorstellungen mit in das dritte Schuljahr hinein-
bringen. Weil aber diese Stufe factisch eine niedrigere ist als diejenige,
welche der Zögling dem Erziehungszweck gemäss erreichen soll, so wird
es sehr angemessen sein, in einem späteren Schuljahr die ganze a. t
Stufe in Form von Bibellesen auftreten und von christlichem Standpunkt
aus beurteilen zu lassen. Doch davon spftter.
Wir haben hiermit schon die der Patiiarehengeschiobte folgenden
übrigen a. t Stoffe berfihrt, welche Ziller noch den zwei folgenden
Schuljahren als HanptgesinnungsstofTe zuweist, und zwar erhält das 4.
Schuljahr Moses und die Bichter, das 5. die Kdnigazeit
Israels zur Behandlung.
Wir sind entschieden dagegen. Was kann Ziller zu seinem Vor-
schlag bewogen haben? Seinem ganzen Gedankengang nach muss der
Hauptgrund geweaen sein, dass sich in den vorgeschlagenen Stoffen ein
resp. zwei CultnilbrtMhiitte darsteUten. Was nun die Person nnd das
Werk Moses betrifft, so ist ja das ganz unleugbar, aber der Mosesstoflf
scheint von Ziller mehr als eine historisch-notwendige und unterriclitlich
wol verwertbare Episode betrachtet zu werden ici'. Seminarb. S. 116
„Geschichte der Kichter" und „einschaltungsweise die von Moses'') während
das Hauptgewicht auf die Kichterzeit, die jüdische Ueldenzeit gelegt
wird, mit Bflcksicht auf welchen ja auch Züler den entspieehenden f roikn-
gesehiehflichen Stoff für Gymnasien, die griechische Heroenz^t, fixirt
ffierin aber welchen wir von Ziller ab, denn so bereitwillig wir auch
zugeben, dass die Richterzeit als Zeit der Nationalitätsbildung, des
Ackerbaues, der Verfassungsänderung und der kriegerischen Kräften tfaltuug
ein Fortschreiten über die Patriarchenzeit reprftsentirt, so entschieden
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mOsseii wir doch in Abrede stellen, daas sie in der H«nptBaehe, im
religiOs-sittliehen Leben des Einseinen und des Garnen einen Fortiebiitt
dtrstelle. Wir treiben aber doeh nicht deswegen biblische Geschiehtey
um die Entwickelung vom Nomadentom sum Acherbau, von der patriar-
chalischen zur Richter- und Königgyerfiwsung vorzuführen, sondern um
unseres religiös-sittlichen Erziehungszweckes willen. Wir werden deshalb
wol jenen immerhin wichtigen Entwickelungsgang der äusseren Cultur
behandeln, aber das mnss ganz nebenbei in kurzer Zeit geschebeD| sonst
▼ersehtttfeen wir das religiöse Leben, das wir weeken wollen, nnd setien
gans riesige Mittel su kleinliehen Zweehen in Bewegnnf;, an Zweeken,
welche dnich die nebenherlaufende profangesehicbtliehe Reihe, die ja mit
der äusseren jüdischen Cultorentwickelang sn Terknftpfen ist, gani gnt
erreicht werden können.
Dass aber die Richterzeit gerade in der Hauptsache keinen Fort-
sehritt darbietet, das beweist ein unparteiischer Blick auf das Buch Josua
nnd das Bnch der Bichter. Da blicken wir in eine Zeit der tieibten
Verwildemng nnd der erassesten religiösen und sitfiliehen Yerwahrlosnng;
das Gefühl der Zusammengehörigkeit ist durch den schnödesten Partien-
larismus, die Jehovareligion durch den rohesten Götzendienst, die mosaische
Sittlichkeit durch die zügelloseste heidnische Genusssucht gestört und ge-
trübt, und das religiös sittliche Leben ist dem Sterben näher als je.
(cf. Ewald „Geschichte des Volkes Israel"). Dazu kommt als weiterer
Beweisgrund die wissensehalUiehe Tatsache, dass die Patiiaxehengeschiehte
im wesentlichen gar nicht historisch ist, sondern ein Produkt der pro-
phetischen Geschichtsschreibung zur Königszeit, in welcher Zeit ja der
edlere Teil des jüdischen Volkes entschieden seinen höchsten religiös-
sittliclien Standpunkt erreicht hat. Die Patriarchengeschichte gibt uns
also gar nicht Autschlüsse über eine vorniosaische Zeit — was sie natür-
lich für Schulzwecke nicht im mindesten unbrauchbarer macht — sondern
sie lehrt uns nur den religiös-dtHiohen Geist kennen, der nir KOnigs-
zeit jene Idealbilder der Enrlter geechaifen und gedichtet hat, und
eben deswegen müssen diese Idealbflder höher stehen als die historischen
Gestalten der Richterzeit (cf. Langbans „Handbuch der biblischen Ge-
schichte und Leben, S. 45—86, 261—267).
Aus diesen Gründen legen wir der Richterzeit eine so geringe Be-
deutung für unseren Erziehungszweck bei, dass sie — wenn auch ad
usnm Delphini zurecht gemacht — uns nicht als religiöser Amptsloff
des 4. Schuyahres genügen kanni In dieser Ansicht werden wir noch
bestärkt durch die Erwägung, dass die ganae a. t Stufe uns ja als eine
nur vorbereitende, von unseren ZOglingen zu überwindende gelten muss ;
wir können deshalb dieselben unmöglich 3 Jahre auf dieser Stufe ver-
weilen lassen, da wir noch etwas Besseres für sie haben , den höchsten
Stoflf des erziehenden Unterrichtes, das evangelische Christentum, dessen
machtvolles Eingreifen in das kindliche Geistesleben wir ja bei allen
unseren seitiierigen Vorarbeiten und scheinbaren Umwegen im Auge
hatten, dessen machtrolles Eingreifenlassen wir nun der Aäieit von vier
▼ollen Schuljahren zur Hauptaufgabe machen. Wir verweisen daher die
noch fibrige a. t Geschichte d. h. die Eönigsgeschicbte bis zur Rttckkehr
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au dem babylonisehen Exil (Ziller ^ht blos bis Salome), ebenfalls in
das vierte Schuljahr, so dass wir also im Garnen nnr 2 Schul-
jahre auf das A. T. verwenden. Hierbei wird, wenn eine verständige
Auswalil getroffen wird, sicherlich keine Ueberbtirdnng mit Stoff zu
filrchteii sein. Zum Glücke siud ja auch nicht 2 Stufen der Einzelent-
wickeluDg vorhanden, von denen die eine die Cultur der Bichterzeit,
die iwieite die der Königszeit als oofiespondirende Stoffd rerlangte,
sondern es handelt sieh nnr im Grossen nnd Garnen um eine Venenkmii;
der Kinder in die a. t. Frömmigkeit In die naivere Form derselben
fuhrt die Patriarchenzeit ein — denn deren Dichter haben sie ja nicht
ohne alle historische Anhaltspunkte, nicht ohne Berücksichtigung uralter
Sagen gedichtet — in die höhere Form die übrige jüdische Geschichte,
besonders Moses und die Propheten; und ist das geschehen, dann nötigt
uns die nai sngewiesene knne Bildmigsieit von 8 Jahren, unsere nun
in jeder Beiiehnng appereeptionsfittiigen Z0^inge in das hOehste und
« reinste Leben sich einleben zu lassen, das je auf Erden gefllhrt wurde,
in das Leben Jesn und in das Himmelreich, das er der armen Erde
gebracht hat.
Wir kommen somit zum fünften und sechston Schuljahr
und weisen ihnen das Leben Jesu als llauptstoü zu, da wir Ja durch
Verkürzung des a. t Unterriehtes ein Jabr gewonnen haben und —
was die Hauptsache ist — weil das Leben Jesu der anerkannt hOclurte^
wirksamste, dem Erziehungszweok am directesten und mächtigsten die-
nende Lehrstoff der Volksschule ist Znr Rechtfertigung des Stoffes an
sich brauchen wir daher kein Wort zu sagen , denn welcher christliche
Lehrer wollte die ideale Güte desselben bezweifeln, und auch die Apper-
ceptionsfähigkeit der Zöglinge für dies Kleinod unter den Stoffen steht
Bowoi fttr uns ausser Zweifel, die wir schon vier Jahre dafür gearbeitet
haben, als auch fllr diejenigen, die schon dem ersten Schuljahr eme
▼dllig genügende Appereeplionskiaft sutranen. Auch der von uns vor-
geschlagene Zeitraum von swei Jahren liedarf wol keiner Rechtfertigung,
da die Behandlung des grossen und wertvollen Stoffes in einem Jahr
(was Ziller vorschlägt) offenbar nur auf Kosten des Reichtums oder der
Vertiefung geleistet werden kann ; höchstens könnte von Seite Ziller's
bemerkt werden, dass durch die .„analytische " Behandlung des Lebens
Jesu in den vorhergehenden Schuljahren und besonders duroh die wOchent-
licken Erbannngsstnnden (cf. Seminarbueh 265 — 266) seinen ^Ogliagen
so viel evangelischer Stoff geboten werde , dass für die „synthetische*
Darbietung des Lebens Jesu ein Schuljahr völlig genüge. Indeas dieser
Grund passt ja nur auf die Ziller'sche Institution, die — so gut sie
sein mag — doch schwerlich in der deutschen YoLkaschule allgemein
durchgeführt werden wird.
Wie ist aber der reiche Stoff des Lebens Jesu auf swei Schuljahre
SU yerteilen? Weist er, wenn er zwei oder mehrmals auftreten seil,
nicht von sellist durch seine Einheit und Geschlossenheit auf eine Be-
handlung in concentrischen Kreisen hin? Wir sind, wie gesagt, piin-
cipielle Gegner einer solchen Behandlung, als einer Versündigung am
Interesse — wie wir aus demselben Grund ein biblisches Geschichtsbuch
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in den Hliiden der Kinder nielit gat heissen können — aber wir
glaaben auch, dass unsere Forderung , in einem Sehnljahr die lEleinere^
im anderen die grössere Hälfte jenes geschlossenen Stoffes zn geben,
sich leicht realisiren lässt, zumal ja fast Alle!?, was zwischen der Taufe
Jesu und seiner Todesreise nach Jerusalem liegt — nnd das ist die
Hauptmasse — sich durch nicUta weniger als durch chronologischen
Znaammenbaag und Foftaebiitt anaieiehaet 1^ würden daber im ersten
Jabr bebandein die Jagend Jesn ( Jobaanes der Tinfer) nnd lebie Offsni-
liche Tätigkeit mehr nach ibren Werken, im zweiten Jahre mebr die
Lehre Jesn nnd den Ausgang seines Lebens. Wie dies nun im Einzelnen
zu machen und zu ordnen sei, darauf einzugehen, hat weniger für die
uns jetzt obliegende Stofftheorie als im Zusammenhang eines nach unseren
Forderungen durcbgeftihrten und eingeführten Lehrplans Sinn und Be-
deotmig.
Wol aber baben wir noeh — nnserer Angabe getreu — darüber
nachzudenken, ob und inwiefern der evangelisebe Lelinrtoff eine aUge>
meine historiscbe Entwickelungsstufe reprilsentire , die in der Einzelent-
wickelung wiederkehrt oder wiederkehren sollte. Dass nun die christ-
liche Weltanschauung und die christliche Sittlichkeit sowol die höchste
Cultnrleistung der Menschheit als auch die höchste Offenbarung der
erziehenden Gottheit ist, und dass daher ihre lebendige Aufnahme und
vollkommene Bealieiiuug die bOehzte Angabe der Menzehbdt — zu-
näebft det ebxizflieben Onltnnrölker — sein maaz, dza yerstebt sieh
für uns von selbst; ferner ist klar, dass das Kind der Gegenwart durch
sein Eiiigetauchtseiu in eine mehr oder minder stark vom Christentum
bestimmte Lebenssphäre (Familie und Gesellschaft) auch ganz von
selbst eine jener christlichen Entwickelungsstufe mehr oder minder
ähnliche Stufe der Einzelentwickeiung erreichen wird, and klar ist auch,
dais dIaM duiztliobe Determination der kindUchen Indivldnalitftt dem
etriehenden Unterrieht eine bödizt wilUuimmene nnd nnsdiftfabare Basia
und Hilfe für die ihm obliegende Dnrchaibeitung des einifltlichen Ge-
dankenkreises ist, aber bei alledem ist Folgendes wol zu bedenken:
Jene Stufe der Einzelentwickelung ist nicht erst im fünften oder sechsten
Schuljahr sondern schon vor unserer untenichtlichen Behandlung, wenn
auch brnchstückweise im Kinde vorhanden, ihr vollständiges und macht-
▼oUes Eintreten soll eben durch den cbiistlichen Religionsunterricht der
beiden ftagliehen nnd der fidgenden Sehnljahre bewirkt werden, und
diese chrisäiebe Gezinnung soll anch nach der Schulzeit als die höchste
Potenz der Einzelentwickelnng, als das Lebensprincip des Einzelnen, in
mdglichster Stärke im Einzelnen verharren nnd durch die Lebenserfahrung
beständig an Kraft und Gebietsausdehnung zunehmen. Von nun an
kann deshalb nicht mehr wie seither von einer Ueberbietung der Ent-
wickelungsstofen die Rede sein, mittelst deren wir das Kind in be-
seblcnnigter Weise den Entwickelnngsgang der Menzebheit resp. der
Cultnrvölker durehmaeben liessen, d. h. wenn die Uirebenstufe durch
die Robinsonstnfe und diese durch die alttestamentliche Stufe und diese
durch die neutestamentliche Stufe teils aufg'choben teils fortgeführt
worden Bindy so hört dieser Wechsel von jetzt an auf j jede der drei
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erdten Stiif«n — besonders die alttestamentUche — hat im Dienste
der vierten ihre Schuldigkeit getan, nämlich ein naiSayioyvg uQog
Xqi<S%6v (Galat. 3, 24) zu sein, und der Zögling bleibt nun während
der Schulzeit und hoffentlich auch während seiner Lebenszeit auf der
vierten, auf der christlichen Stufe.
Mehr als diese Tier Stufen erkenneD wir aleo sielit aii| und nur
in dieser Hodifteifion IcOnnen wir die TieL besproeiienen Zitter^eclieii
Prinoipien gelten lassen. Denn was man Nachchristliches noch als eine
weitere Stufe hinstellen könnte z. B. die Apostelgeschichte und die Be-
formationsgeschichte, daa ist doch nur eine Ausgestaltung, Verbreitung-,
Wiederholung und innere Aneignung der christlichen Idee, nimmt man
aber eine Epoche der nationalen Geschichte, so ist eine solche keine
allgemein -menschliche Culturstofe mehr, die auch jeder Einzelne durch«
Bunuushen Iiitte; sonst liltte sicli auch Ziller seine Stoffe aus der
deutsohen Gesehichte nicht von den biblischen Hauptstoffen, sondern von
jenen nachcliristlichen Entwickelungsstufen bestimmen lassen.
Wir haben also nunmehr im Aufbau unserer culturhistorisclien
Stoffe die höchste, die christliche Culturstufe durch die Arbeit der vier
ersten Scituljahre eneicht resp. zu eiTcichen angefangen, und es handelt
sich von jetzt an um weiter nichts als um die pädagogisch - richtige
Ausgestaltung der irierten Stufe, mit anderen Worten um die wi^samste
Art und Weise, das ehristUche Lebensprincip zum ureigensten, bewussten ,
und selbstgewollten Lebensprincip des ZOgUngs zu machen oder Bum
mindesten darum, dies christliche Leben anzubahnen. Dass aber zur
EiTeichung dieses liöclisten Zieles die niethodiscli-riclitige Durcharbeitung
des lieiligen Stoft'esj die christliche Persönlichkeit des erziehenden Lehrers
und die christlich-bestimmte Individualität des Zöglings bei weitem mehr
beitragen kdnnen uad mttssen als die subtilste AnswaU, Anordnung und
Verteilung des ehristliehen Lehrstoffes, ist wol kaum su besweifeln.
Die Theorie des religiösen Lehrstoffes, der ja nnnmehr durch das Neue
Testament nnd die kirchliche Entwickelung im Wesentlichen bestimmt
ist, verliert daher den hohen practischen Wert, den sie ftir die ersten
4 Schuljahre hatte, in denen ja sel])8lvers ändlicli viel peinlicher mit
den Factoren der Individualität und Apperceptionskraft zu rechnen ist
als in den späteren, und nur nm der Vollständigkeit willen wollen wir
die noch llbrigen Ziller'schen Yorsehlftge in aller Kfirse prflfen resp.
erglnsen und dann noch die proran-gesohiehtlichen Stoffe^ die Ziller su
den biblischen gesellt, einer Besprechung unterziehen.
Für das 7. Schuljahr hat Ziller die Apostelgeschichte vor-
geschlagen. Wir stimmen ihm bei, glauben auch nicht, dass sich etwas
Triftiges dagegen wird vorbringen lassen, halten aber diesen Stoff für
nicht ausreichend und schlagen deshalb aus diesen und noch manchen
anderen Qrttnden Bibelleotflre desA. und N. Testamentes vor. Die
Bibelleetllre ist erstens ein ausgeieiehnetes Mittel zur Repetition des
behandelten biblischen Geschichtsstoff» und zwar zu einer wirklichen
Repetition, die sich nicht wie bei den concentrischen Kreisen den Schein
der Neuheit gibt, die aber doch durch die Neuheit der Form d. i. eben
durch das Lesen grosses Interesse erweckt. Die Bibellectttre bietet
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swdtens Teiche Qelegenfaeit in einer interemnten Bnrdternng jenes
Stoffes, indem sie Tieles Lehrhafte, s. B. die Bergpredigt und manehe
Gleichnisse vorfahrt oder fortsetzt, maneh^ Schwierige, z. B. die Ver-
ßuchungsgeschichte , Jesus und Nicodemii8 und andere Stücke aus Jo-
hannes nachholt, oder durch Stellen aus den n. t. Briefen die Leetüre
der Apostelgeschichte unterstützt und bereichert. Was insbesondere das
A. Testament betiifft, so wird diese LectUre wichtige Stücke aus den
prophetisehen Schriften nnd den Fdatmen darbieten , wird die Gelegen-
heit bennticn, den tieferen 8bn der nrtgeschiehtliehen Enlhlnngen, be-
sonders der vom Paradies und Sündenfall zu erörtern, wird flberlianpt
die schroff supranatuialistischc, alle menschliche Vermittelung und Mit-
tätigkeit beim Heilswerk au^schliessende Auffassimgsweise des A. T. im
Sinne des religiösen Rationalismus (cf. die Werke von Hase, Rückert,
Pfleiderer) corrigiren und ergänzen, wird die alizukindlicbe Anschauung
▼on den grossen H&nDcm des alten Bundes veredeln nnd trotsdem die
gaose a. t. Stnfe als eine niedrigere Stnfe der Offenbarung erBcheinen
lassen. Das fflhrt uns auf einen dritten Vorteil der Bibellectttre. Näm-
lich die vielen einzelnen biblischen Geschichten und Gedanken werden
sich an der Hand der LectUre sehr leicht, jedenfalls leichter als während
der synthetischen Darbietung, unter dem Begrifle des Reiches Gottes
nnd seiner Entwickelung gruppiren und systematisiren lassen, so dass
ein freier Uel>erbliclL ttber das reichgegliederte Ganze der göttlichen
Offenbarung und der menschUehcn Heilaerwerbung gewonnen wird, nnd
damit nach reicher Vertiefung eine reiche Besinnung (und augleich eine
wichtige Vorstufe des Katechismusnnterrichtea). Endlich halten wir es
für eine heilige Verpflichtung der Schule gegen das Buch der Bücher,
das göttliche Schulbuch der Menschheit, dass sie es durch eine solche
Leetüre und die daran sich schliessenden Mitteilungen aus der Bibel-
kunde immer mehr kennen und achten und lieben lehre und so den
Qcbrancb des heiligen Buches im Leben Torberdte nnd anbalme.
Darum wollen wir die BUMUectUre auch im letsten Sehnljahre nicht
missen, für welches Ziller als ^zigen sp ec i fi s ch - religiösen Lehr-
stoff den Katechismus angesetzt hat. Auch hierin sind wir mit
Ziller einverstanden oder vielmehr wir müssen es eben sein, da uns die
gegenwärtigen kirchlichen Verhältnisse eiuen anderen pädagogisch-rich-
tigeren systematischen Absciiluss unseres iiistorischen Religio nsunter-
xfehtes niehl gestatten, nnd können es nur bedauern, dass sowoL der
nicht-biblische Originaltext ab auch die Erklärung mit den Forderungen
einer rationellen Pidagogilc wenig harmoniren und dass insbesondere
der enge Rahmen und dürftige Gehalt des Katechismus (wir erinnern
nur an den zweiten Artikel : „geboren von der Jungfrau Maria — ge-
litten unter Pontio Filato, gekreuzigt, gestorben", wo nicht weniger als
das ganze Leben Jesu fehlt) zu dem Reichtume der religiösen und sitt-
lichen Einzelvorstellnngen Begriffe und kleineren Systeme, die der histo*
rische Untenicht hat gewinnen lassen, in einem traurigen IfisTerhilt-
nisse stehen. Da bleibt denn nichts anderes flbrig als durch die Me-
thode das gnt zu machen, was das ungefüge Material verdirbt, und in
dieser Hinsicht müssen wir den Ton Ziller fftr den Kateehismnsunter-
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rieht aufgestellten Principien unsere vollste Anerkennung aussprechen.
Eine specielle practische Ausführung dieser Principien würde eine höchst
dankenswerte und verdienstvolle Arbeit sein. Doch das ist nicht
unsere Aufgabe, und wir wollen dalier nur den Grundgedanken ZDlei^a
andeuten (ä Senünarbucliy S. 179 — 181). ^Vom An&nge des Ge-
tinnuBgaunterriehtes an sollen die Elemente des Katechismus berück-
sichtigt werden. Dazu eignet sich besonders die vierte formale Stufe
(das System), wo der ethisch-religiöse Gehalt einer jeden biblischen oder
profanen Geschichte (resp. einer methodischen Einheit) in Form eines
Bibelspruches, Liederverses, Sprichwortes oder classischen Dichterwortes
ausgesprochen wird. Diese Einzelsysteme sind im Laufe des Unterrichtes
an gmppiien und so Beibat wieder im fortwährenden Anachlnia an daa
conorete Ifaterial au syatematiairen, so daaa gewisaemaaseu in jedem
Sehuljahre ein kleiner Katechismus entsteht, den sich der ZQgling sellMt
geschaffen hat und von dem der jeweilige nächste gleichsam nur eine
vermehrte und verbesserte Ausgabe ist. So wird ein specialisirter Schul-
katechismus erarbeitet, der dann in der Oberclasse wiederum in be-
ständigem Rückblick auf die concreten GcBchichteu und alle Einzelsysteme,
Bo gut es geht, mit dem UreUieben Kateehiimus in Verbindung gesetat
werden musa.
Wenn Ziller schliesslieb noch als Hanptgesinnungsstoff der Ober-
classe die Reformationsgeschichte aufstellt, so pflichten wir ihm
auch hierin bei, da wir keine andere Periode in der Geschichte des
deutschen Volkes kennen, in der sich Allgemein-Christliclies und Spe-
ciiisch-Nationales zu so schöner und folgenreicher Einheit verschmolzen
bat, einen Zeitabschnitt, in dem die Grundanschauung dea evangelischen
deutseben Yolkea geachaffen wurde, der aueh wb angeboren und der
auch unsere Zöglinge angehören sollen. Möchte diesem so bedeutungs-
vollen Stoffe recht bald eine classisehe, quellenmässige, fttr den ZOgling
der Volksschule verfasste Darstellung zu Teil werden!
Wir haben mit der Reformation auch schon die deutsche Profan-
geschichte berührt. Doch ehe wir zur Erwägung der Frage nach Aus-
wahl und Anordnung der profangeschichtlichen Stoffe übergehen, müssen
wir eine andere diese Stoife mit bedingende Seite der von Ziller ▼er-
geschlagenen und von uns im Grossen und Ganaen anerkannten eultar-
historischen Stoffe in Betracht aieben. Diese Stoffe nämlicb, die als
Repräsentanten gewisser allgemeiner der Einzelentwickelung paralleler
Entwickelungsstufen Unterrichtsstoffe werden mussteu , sind nach Ziller
im Verhältnis zu den übrigen Stoffen die alles beherrschenden „Con-
centrationsstoffe*', und gerade hierin liegt eine characteristische
Eigentümlichkeit der Ziller'scben Fidagogik. In welchem Smue mehit
ZUler diese Herrsohafti und wie verhalten aieb jene Stoffe au der mit
ihnen beabsichtigten Verwertung?*)
*) Es kann hier, wo es sich um die historischen Stoffe handelt, nicht
unsere Aufgabe sein, die ganze ConcentrationsArage zu besprechen, die wesent-
lich eine methodische ist; wir verweisen daher auf die gründliche Abhand-
lung von Herrn Director Ackermann (,,Al]genieine Schulaeitnng" Nr. 45—48),
der wir in der Hauptsache beistimmen.
Dinitizr
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Ziller spricht von einer doppelten Concentration. Einmal stehen
alle Lehrfächer im Dienste des sittlich - religiösen Erziehungszweokes
und dttd ilio «sehoii dadurch sowol gkidueitig ala Meh in der Auif-
eiMnderfolge des ünterriehtes oeneentiirt*', (8. b. 113), aoMerdeiii aber
sind sie auch zu concentriren durch den jenem Zwecke am directestea
und mächtigsten dienenden Gesinnungsstoff eines jeden Schuyahres.
Die psychologische Begründung dieser Forderung gibt Ziller in aus-
führlicher Weise in §.19 seiner „Grundlegung". Eine Hauptstelle daraus
lautet: (S. 406) ^l^ie Aufgabe der Concentration kann nur die sein,
die Einlifllt der Person mit der Vielheit des Unterrichtsstoffes zu ver-
binden, wobei es sieh von selbst versteht, dass jene Einheile soweit das
Viele anter einander Terscliieden ist, jedoch sieh nicht gftnslieh ans-
schliesst, nicht ein Identiaohee sondern blos eine formale Einheit
der Complezion sein kann, wenn die Sonderung des Vielen aufge-
hoben ist. Die Einheit besteht dann darin, dass das Viele, mit einander
verschmolzen und verwebt, eine reihen förmig wol geordnete, vermöge
des Ineinandergreifens aller Teile in innerem Zusammenhang stehende
Yontollnngsniasse bUdet, die sieh in allen Verbindungen, worin das
Viele steht, leiefat nnd gleiehsam in einem Zöge flbersehanen liest, und
wobei jedes wegen der reihen förmigen Verbindung des Ganzen auf das
andere hinweist, und durch dieses hervorgehoben werden kann, wie es
sein rauss, damit die Person vermöge der in sich selbst zurückgehenden
Tätigkeit , welche ihr eigen ist , alles als das ihrige und sich als die-
selbe erkenne. Wird nun die Einheit des Bewusstseins auch fernerhin
dadnreh gewahrt, dass der Unterrieht immer erst anf der Grandlage
einer so gewonnenen Einheit nene Kreise sieht, das Nene aber gleioh-
fidls mit dem Alten in Zusammenhang bringt, so kann das Viele in dem
Masse, als es Eins geworden ist, vereint wirken, indem aus der Ver-
schmelzung und reihenförmigen Verbindung der einzelnen Kräfte eine
mehr oder weniger vollkommene Totalkraft entsteht und daraus rauss
sich dann der grössere Totaleffect ergeben, der aller Concentration des
Geistes im Gegensatz za dessen Zersplitterung eigen ist"*
Als das geeignete Mittel sur Eneiehnng dieses gewis pidagogiseh
richtigen Zweeks empfiehlt nnn Ziiler, dass (Grdl. 4. 27) „fttr jede
ünterrichtsstufe ein Qedankenganzes — d. h. jene culturhistorischen
Ilauptstoffe — als concentrirendev Mittelpunct hingestellt werde, um
welchen sich alles übrige peripherisch herumlegt, und von dem aus nach
allen Seiten hin verbindende Fäden auslaufen, wodurch die verschiedeneu
Teile des kindlichen Gedankenkreises fortwährend geeint und zusammen-
gelialten werden**; wo das nieht gesehehe, yerwandele sieh der Unter*
rieht in „ein loses Aggregat von Fichem**.
Doch mit diesem Bilde ist die Stellung des Concentrationstoffes
noch nicht scharf genug gezeichnet. Soll er nur möglichst viele Ver-
knüpfungen suchen mit den übrigen anderweitig bestimmten Unterrichts-
stoffen, oder soll er selbst auf die Auswahl der anderen Unterrichtsstoffe
einen masgebenden Einfluss ausüben, und, — wenn letzteres — ändert er
da Uos die Anordnung der betreffenden Stoffe, so dass er also
seUlesslich dasselbe Unterricbtsmaterial nar in anderer Beibenfolge dar-
ridagog. Stadin. K. T. n. 4 .
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böte als die nach den betreffenden Apperceptionsstiifen tractirten Fach-
wissenschaften, oder determinirt er alle übrigen Stoffe auch nach Inhalt
und UmfangV Das erstere ist nicht die Meinung Zillers, er hätte ja
dann auch nichts weiter getan als fttr seine ealtnrgeBeUclitltehen Haapt-
Stoib dasjenige verlang^ was ihm schon die eonseqnente DoTohfahning'
der formalen Stnfen, besonders der Analyse und der Association gewährt,
und «was auch die eklektische Pädagogik schon früher für jedes Faeh
verlangte, wenn anch nicht in praxi ausführte. Zwar lässt sich erwarten,
dass bei dem grossen Wert, den die Verknüpfung der Unterrichtsstoffe
hat, auch Ziller vielfach diese Verknüpfung der feststehenden Unterrichts-
materien yerlangt (s. Seminarb. 116. Pfld. 136. 160. 277), ja sogar eine
gewisse Sdbstlnd^lteit der nur eine gegenseitige Anknüpfung .and Wechsel-
Wirkung suchenden Fächer anerkennt (s. a. a. 0. 279. nDie rechte Oon-
centratlon fordert nur, dass die eine Art des Unterrichts bei einer
anderen Art Anknüpfungen sucht . . . S. 160 „Deshalb ist eine jede
Sphäre (Disciplin) für sich zum sittlich-religiösen Geist in Beziehung
zu setzen'"'), aber andere Stellen beweisen, dass er nicht blos wie die
vulgäi*e Pädagogik die den Apperceptionsstufen gemäs, aus den Fach-
wissenschaften ansgewShlten Stoffe einfach hinnehmen nnd dann möglichst
▼ielfach verknApfen will, sondern dass er absichtlieh die Verknfipfiings-
gel^nheiten vermehren und nach Massgabe der Yerknüpfbarkeit mit
dem Hanptstoffe die anderweitigen Stoffe auswählen , somit also diese
letzteren von dem ersteren determiniren und beherrschen lässt (s. Pädag. 136.
200. 213. 214. 250). Aber ist diese Herrschaft nur eine Determination
der Anordnung oder ist sie auch eine Determination des Inhaltes und
Umfaogee der tlbrigen Lehrstoffs? Dass ihre Anordnung dnreh Jenen
^Lelt&den** (S. bb 117) beinflnsst werden soll, wird ansdrttdklich behauptet
(a. a. 0. 136 ^es wird dadnrch nur ihr Lehrgang und ihre Anordnung
abgeändert**), aber wenn es weiter heisst (S. 136), dass sie ..in genauer
Unterordnung" zu den Coneentrationsstoffen stehen müssen, dass letztere
(S. 200) „den Mittelpunct und Brcnnpunct bilden, auf den alle übrigen
Fächer zurückbezogen werdeD| . . . von dem aus sie nicht blos hier und
da einmal, sondern foriwShrmid, sei es nnmiiteibar, sei es mittelhar, die
Richtung erhalten, in der sie sieh dem Gauen dnsnftigen nnd in der
sie foiiizuBchreiten haben», dass mit dem cultui^eschichtlichen Stoff zu-
gleich Stoff für die anderen Fächer verbunden ist", der in seinem vollen
Umfang von jenen verwertet werden muss (a. a. 0. 213), so geht doch
hieraus hervor, dass die Concentrationsstoffe alle übrigen Disciplinen
auch nach Gehalt und Umfiang bestimmen sollen, was sich übrigens
aneh gaii vniwdfelhift ans äet im wSendnaibneh^ vorliegenden prac-
tlschen Ansfilhmng der Ooncentmtionsidee ergibt
Was ist nnn Aber diese hier nur dtlehtig angedeutete Zillersche
Concentration zu urteilen?. Anzuerkennen ist vor Allem, dass sie ein
ihrem Zwecke — die Einheit der Persönlichkeit vor und trotz der
notwendigen Vielseitigkeit des Unterrichts zu bewahren — völlig an-
gemessenes Mittel ist, und dass sie die Ilerbart'sche Hauptforderung
«einen grossen in sdnen Teilen innigst verknüpften Gedanken-
kreis in die jugendliche Seele m bringen"* (S. 348) anih beste erfüllt.
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Anzuerkennen ist auch, dass die vulgär-pädagogische Unsitte, welche
in alleiniger Sorge für das Nacheinander der traditionsmässig überkommenen
Unterrichtsstoffe mit massiger Bertlcksichtigung der Apperceptionsstufen
die Stoffe einfach in so viele Teile teilt, als Glassen vorhanden sind,
und dann mit empörender Sorglosigkeit in Besng auf das Neben- und
Miteinander der Stoffe in einem Schaljalir und in einer Kindesseele
ebne alle Rfleksielit auf Verknüpfung oder gar Verknüpibarkeit jenes
heterogene Gemengsei in den bedauernswürdigen Schüler hineinstopft,
anzuerkennen ist, sagen wir, dass diese Versündigung wissenschaftlich
als eine solche von Ziller nachgewiesen wurde, dass er aber auch positiv
die Notwendigkeit und Möglichkeit der vielfachsten Verknüpfungen an
einer grossen Zahl allgemein aeeeptirter ünterri^iiitoffe daigetn liat
Kva, 2Sller hat der fiberans wichtigen Ansehannng mit Bahn hreehen
helfen, dass das Neben-einander der StoiBTe für die Characterbildung
der Stoffe ebenso wichtig ist als das Nach-einander, dass ein Fach dem
anderen, und dass alle Fächer dem sittlich religiösen Erziehungzweck
dienen können und müssen, und dass insbesondere die in das Menschen-
tum vertiefenden lüstoriscben Stoffe stets überwiegen müssen und gar
ikält genug von den natiirkiudllebeii und den formalen Fftehem respectirt
nnd nntersttttst werden können, weil de gar nicht besser als doreh
diesen IMenst sieh selbst und dem Interesse des Zöglings zu dienen
vermögen. Aber nichtsdestoweniger erheben sich schwere Bedenicen '
gegen die Ziller'sche Art der Concentration.
Von dem gewichtigsten aber mehr methodischen Bedenken in Be-
treff der Künstelei, Schwerfälligkeit und Unbrauchbarkeit eines durch
solche Concentration aufgebauten Gedankenkreises liaben wir liier nicht
n reden (ef. Ackermann, a. a. O.^ wol aber mflssen wir die Frage nnf-
werfen : * KOnnen die Concentrationsstoffe den von ihnen geforderten
Drtenninationsdienst wirklich leisten nnd können die übrigen Stoffe diese
Herrschaft ohne Nachteil ertragen, insbesondere die heimatkundlichen,
profangcöchiclitlichen und naturkundlichen; denn dass die formalen Fächer
von den entsprechenden sachlichen Fächern ganz wesentlich determinirt
werden, versteht sich für uns von selbst.
Was snnSchst die Mirehen- nnd Bobinsonstnfe betriflf^ wo es sieh
in erster Linie nm ctte Yerknilpfnng des historischen Stoffes mit dem
heimatlichen Material handelt, so beweisen sowol verschiedene Aufsätze
der Jahrbücher als auch die praktische Ausführung im „ersten" und
t^zweiten Schuljahr", dass im grossen und ganzen das heimatliche Matenal,
welches den betreffenden Apperceptionsstufen entspricht, und welches
gewöhnlich im sogenannten Anschauungsunterricht behandelt wird, sich
ans den GeshinnngsstoflSni leicht, zwanglos nnd in beider Vorteil ge-
winnen lisst^ nnd dass es sich eher nm eineBesehrinknng als nm eine Vor-
melimng des vom historischen Stoffe dargebotenen Materials handelt.
Es wftre ja anch geradezu ein Wunder, wenn eine klassische, dem
Kinde congeniale Erzählung aus dem Menschenleben nicht anch für das
engbegränzte kindliche Wissen eine Fülle des interessantesten, zu dem
kindlichen Erfahmngskreis iu innigster Beziehung stehenden heimat-
lichen Stoffes mit sich ftlhrte nnd abgeben könnte, eben so klar ist aber,
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dass diese Spende immer geringer werden muss, je mehr sich der Ge-
ßichtskreis des Zöglings erweitert, und d»88 also die späteren histo-
rischen Stoffe bei weitem nicht das theoretische Material in sich fasaeii
werden, was der Apperceptionskraft des Zöglings geboten werden kmn
und mnw. Ans diesem Gmnde getntuen rieh aueh die VerfiMner des
und IL Sebn^breB** die striete Coneentration blos bis snm zweiten
Schuljahr durchzuführen und wollen daher, nachdem sie das Rechnen
schon im zweiten Schuljahre der Herrschaft des ConcentrationsstofFes
entzogen haben, vom dritten Schuljahre an zwei oder mehr Centren ein-
treten lassen (cf. Rein, „Concentration** a. a. 0. S. 210) und überhaupt
den einzelnen Lehrfächern, der Gruppe des Sprachuuterriclites und der
Fertigkeiten grössere Sdbstftndigkeit gewahren. Was ist nun mit der
Concentrationsdnrebfllbimig fnr das erste nnd sweite Sebnljabr gewonnen?
Man antwortet uns OBsin, II. Schuljahr, S. 12): Ein besonders hohes
Mass von Verknüpfung, welches filr die Kleinen und deren geringe Ver-
knüpfungskraft eine willkommene Ililfleistuug ist und das hemmende
Auftreten eines zweiten machtvollen und selbständigen Gedankenkreises
bis auf spätere Zeiten hinausschiebt Wir geben das zu, und weil
ausserdem unser Hanptrtoff bierbei gani gnt nnd nodi dain mit eigenem
Gewinn die erforderlioben Dienste leistet, der beimaiknndiiebe aber an
den ilun gebfirenden Reichtum und Umfang nichts verliert, dagegen an
Interesse gewinnt und im Grunde nur in seiner Anordnung beeinflusst
wird, 80 lassen wir uns diese Concentration für die beiden
ersten Schuljahre gefallen, womit indes nicht gesagt sein soll, dass
eine selbständige Behandlung der Heimatskunde, wenn sie sich nur recht
innig an den Erfahrangskreis des Kindes anschliesst, ein pädagogischer
Irrtum sei, der die Einbdt der PersOnliebkeit bedrobe.
Aber schon die Stellung des Reebnens kann uns auf- eine Er-
wägung führen, die uns M>r der weiteren stricten Durchführung der
Ziller'schen Concentration abbringen muss. Gerade diese Disciplin nära-
iich, deren Betrieb der sittliche Erziehungszweck fordert, macht am
augenscheinlichsten ihr Recht zu einer selbständigen Existenz, zu einer
ibrer ganz eigentümlichen Natur entsprcchcudeu Behandlung geltend,
und ein 'HineinpreBsen ibres Inbaltes nnd ihres Fortsebrittes in die gans
heterogenen Eniblungsstoffe wttrde ibr kraftvolles Waobstum in der
nngereebtfertigsten Weise verkümmern. Darum soll sich das Becbnen
nach seinen eigenen Gesetzen und denen des kindlichen Geistes auf-
bauen und aus dem Erzählungsstoffe, vor allem aber aus dem natur-
kundlichen, nur eine reiche Fülle praktischer Aufgaben entnehmen ; darin
allein liegt die richtige Verknüpfung des Rechnens mit den übrigen Dis-
dplinen. Aber sollte es nieht aueh andere Diseiplinen geben, die nur
eine solebe Anknflpfung an den historiseben Hauptstoff, niebt aber die
völlige Determination durch denselben vertragen? Und sollte sich dieser
Hauptstoff selbst ebenso wie beim Rechnen nicht auob sur Determination
anderer Diseiplinen als unzureichend erweisen?
Denken wir zunächst zurück an die Erwägungen, denen die histo-
rischen Hauptstoffe der letzten sechs Schuljahre ihre Existenz auf dem
Lebrplane verdanken. Wir erwarten doch von ihnen, dass sie auf jeder
./
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Stufe am dinetotton vncl krftftigsten dem hOehsten £niehiingsBweek|
imbesondere den Interessen der Teilnahme dienen; nur hieran haben
wir bei ihrer Auswahl gedacht, nicht aber an die anderen Disciplinen,
mit denen zusammen sie der Unterricht behandeln wird. Aus der
Herrschaft des Erziehungszweckes über alle Fächer folgt aber doch
gewis nicht die Herrschaft des von diesem Zweck bestimmten Haupt-
stoffei, der ja als ein Uaflaiachee ]>eDkaial Mheien MmaehenlebenB,
für das er Teilnahme ersengen soll, nnr gani inftllig Erkennteismaterial
mit sich fuhren kann, welches fUr das betrefTende Schuljahr geeignet
ist ; dass aber die historischen Stoffe je weiter der Erfahrangskreis des
Zöglings wächst, um so weniger das in sich fassen können, was seiner
Apperceptionsstufe geboten werden kann und muss, haben wir schon
oben erwähnt Das gilt aber nicht blos von den naturkundlichen Stoffen,
das gilt gans besonders anch Yon den Prodakten der deutschen
Literatur, hanptBiehlicb der Poesie, die im dentsehen Unteirieht
der leisten sechs Schuljahre daranbieten sind. Soll aneh hier die nn-
nmgfingliche Anfnahmebedingnng jedes prosaischen und poetischen Lese-
sttickes die stoffliche Beziehung zu dem historischen llauptstoff sein,
dann ist der Concentrationsstoff in Wahrheit der brüllende Löwe, der
anttr den schutzlosen Stoffen der anderen Fächer einliergeht und suchet,
weichen er verschlinge, und wer auch hier nur auf die Directiven des
Ooneentrationsstoffes sieh besehrinkt, der ist naeh Mephisto's Wort
«wie ein Her anf dürrer Halde, Ton einem b9sen Geist (der Prineipien*
reiterä) im Kreis herumgeführt, und rings umher liegt sehOne grflne
Weide**, oder um ohne Bild zu reden, wenn alle Literatur — und aueh
alle naturhistorischen Stoffe stricte nach der Conccntrationsidee aus-
gewählt werden, dann kommt wirklich „die Armut von der pauverte.**
Diese Gefahr der Verarmung und Abmagerung der betreffenden
IHseiplinen gegenüber der Wolgenlhrtlielt des Ooneentrationsstoffes
aebeint aneh Züler gefBrehtet sn haben nnd greift deshalb sn dem Ans-
knnftsmittel der wEinschiebungen** nnd „der Heranziehung von Stoffen**
(cf. Senünarb. 117), welche nicht weniger als sieben Mängel des Oon-
eentrationsstoffes ausgleichen sollen. Aber dies können wir nur für
einen Notbehelf, eine Künstelei und ein Zugeständnis der Undurchführ-
barkeit des starren Princips halten, und eine praktisch specieUe Aus-
arbeitung der Idee für alle acht Schuljahre würde das gewis bewtisen*
Wir sind hier ganz anderer Meinung.
Wt glanben, dass jedem Faolie so viel Selbstilndigkelt gebflrt,
als es zur Erreichung der eigentümlichen ihm vom Erziehungszweck
gestellten Aufgabe braucht, und nur innerhalb dieser Schranken darf
es sich von einem anderen Fache und also auch dem historischen
Hauptstoffe beeinflussen lassen. Wir respectireu daher die stoffliche
Beziehung aller Nebenfacher zu dem Hauptfache, und wo sie sich bietet
oder leieht herstellen lisst, soll sie aosgenutst werden, aber sie genügt
nieht ftlr den Anfban weder des natorknndllohen, noeh dss dentsehen,
noch des profongeschiehtliehen Unteniehtsstoffes. Sie genflgt nicht für
die Naturkunde.
Diese wird die ihr vom historischen Stoff dargebotenen Anregungen
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und Fingeradge gern benuteen und dadurch emendta das InteraMe,
das den in grossem Zusammenhang auftretenden NatHr-Objectcn und
Erscheinungen anhaftet, sich zu Nutze machen, andrerseits dem histo-
rischen Unterricht zur lebhaften Färbung der geschilderten Zustände
verhelfen und ihn hiermit zugleich von Materialien entlasten, die er
ohne sie selbst behandeln mtisste und doch nicht ohne grossen Schaden
ftr Bieb treiben kann* Aber der ConeentrationMtoff wird ihr nicht immer
die rechte, nie genug nnd im Fortochiitt der Schuljahre immer weniger
Kahrung darbieten können, und darum wird die Naturkunde — w^l
sonst eine bedenkliche Verarmung eintreten würde — das von Ziller
Geforderte zwar immer noch tun, aber auch die selbständige immer
vielseitiger und reicher werdende Aufsuchung und Bearbeitung von
Objecten nicht lassen, die ihr vom Eriahruugskreis und der Apper-
ceptionsBtofe des Zöglings und ihrem ilsehwissensehaftttchen — Tom
Erziehungsiweck modificirten — Ziele dargeboten werden. Die
stoffliche Beziehung zum Goncentrationsstoff genügt auch nicht für die
Determination des deutschen Literaturstof fes — auch wenn
man zu den biblischen noch die profan-geschichlichen Stoffe hinzunimmt,
und zwar niclit blos wegen jener gleichfalls drohenden Verarmung,
sondern weil die deutschen, insbesondere die poetischen Literaturstofte
im QroBsen und Qansen dieselben Interessen pflegen sollen als die
biblischen, nlmlich die Interessen der Teilnahme. Erfüllt also ein
poetischer Stoff diese Forderung in dn« dem betreflfiBnden Schu^ahre
angemessenen Form, so steht unsrer Meinung nach seiner Aufnahme,
auch wenn eine stoffliche Beziehung nicht herzustellen ist, nichts im
Wege; natürlich aber gebtlrt unter mehreren gleicli gut geeigneten
Gedichten immer demjenigen der Vorzug, das eine genauere Beziehung
zum Hauptstoffe hat als die des gemeinschaftlichen Interesses. So ist also
für uns nicht der Hauptstoff, der das Interesse der Teilnahme ntthren
soU, das alleinige Centmm, sondern dies Interesse selbst tritt ebenbfirtig
und modificirend an seine Seite. Der Stoff aber, der diesem Interesse,
besonders dem religiösen, am mächtigsten dient, wird eben deswegen
ganz von selbst die meisten Anknüpfungspunkte bei den übrigen Stoffen
der Teilnahme finden uud auch verlangen können, dass bei Auswahl
derselben mit auf diei^e Verknüpfbarkeit gesehen werde ; natürlich muss
er sich auch gefallen lassen, wenn die anderen Fieher, um nicht in
der ihnen gebllrenden Falle gesehidigt zu werden, auch manches Un-
verknflpfbare in sich aufhehmen sollten, indessen wird schwerlieh ein
Stoff ganz neben draussen stehen können, wenn man eben mehr auf
die Interessenbeziehung als auf die stoffliche Beziehung achtet.
Wir glauben uns hierfür auf Ilerbart berufen zu können, der (a. a. 0
S. 57 7 J die Odyssee — und diese ist für ihn dasselbe, was für uns
die Patriarchenseit oder ein anderer biblischer Stoff ist, ~ als einen
Anknüpfungspunct bezeichnet „nur fftr einen Hauptfaden des erziehenden
Unterrichtes, neben welchem noch andere Fftden fHr sich fortgesponnen
werden müssen^, und sich dagegen rei-wahi-t, dass unter der frühen
Leetüre der Odyssee irgend ein pädagogisches Universalmittel verstanden
werde; der ferner (S. 391) allen den Stoffen nacl\jagenden Pädagogen
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snr Behefsigang loruft: ^Man vergesse nicht über dem IntereManteo
das Interesse y man cUssificire nicht Oegenatinde, so&deni Gemüts-
zustände. "
Auch wir lassen uns daher im Gebiete der Teilnahme unsere nicht-
biblischen Stoffe in erster Linie determinireu durch den Grad des tell-
nehmeoden «Oerntttnaltandes*' (Interesse) ; den de auf der jeweiligen
Altersstnfe eneugen können, und erst in iweiter Linie dnreh die stoff>
liehen Beziehungen zu den biblischen GeseMehten, nnd die Verblndang
dieser beiden Determinationsweisen ist unsere Concentration , die wir
eine gemässigte nennen möchten, falls sie Überhaupt noch Anspruch auf
diesen Namen machen kann.
Die strenge Ziller'sche Ooucentration dagegen halten wir fUr eine
wolgemeinte aber ftbel angebrachte Uebertreibung des wahren Ver-
knflpfnngsgedankens, fär den Superlativ des Herbart'schen Superlativns
{^einen in seinen Tdlen innigst verknüpften Gedankenkreis**, a. a. 0.
& 348), für ein Extrem, das dorch das herrsehende Extrem der ab-
soluten Verknüpfungslosigkeit hervorp^eriifen wurde, für einen Irrtum
der Consequenz, der die in den untersten ScLiiljahren wahrgenommene
und leicht erklärliche Möglichkeit der Durcht'Ulirung auch unter ganz
Anderen Verhältnissen und Ansprüchen des Schülergeistes und Schul-
stoffes annahm nnd dann diese Möglichkeit ohne alle Bttoksieht anf das
Beoht der llbtigen Diseiplinen snr Wiikliehkeit machen wollte.
Fassen wir das Gesagte zusammen, so ergibt sich: Die biblischen
Hauptstoffe werden zwar durch ihre Verwertung zur Ooucentration nicht
geschädigt — abgesehen von der unserer Meinung nach verwerflichen
Benutzung, auch der heiligsten Stoffe zu stilistischen, grammatischen und
ortliographischeu Uebuugen (gegen Ziller „Ordlg." 430, Seminarbuch
& 138) — aber sie kennen, well aus ganz anderen Intentionen geboren,
die Determination der meist heterogenen flbrigen FAeher nicht in dem
gewünschten Masse bieten, zwingt man sie aber dazu, so entsteht ent-
weder Armut oder unnatürliche Künstelei im Aufbau des zu erzeugenden
Gedankenkreises, und hierin liegt doch gewis eine schwere Schädiguug
der übrigen Diseiplinen. Darum sollen sich eben diese Diseiplinen von
jenem Uauptstoffe nur insoweit bestimmen und zu plaumässiger Ver-
knüpfung geeignet machen lassen, als die Ihnen e^mtfimliehe und ge-
hflrende Kraftentfaltung nicht geiUirdet wird. Lisst man sie inner-
halb gewisser Schranken, die von der ZOglingsindividualitat, den zu er*
weckenden Interessen und dem bandesgenesseoscliaftUGhen VerluUtnis an
dem biblischen Hauptstoff gezogen werden, mehr ihren eigenen natur-
gemässen Weg gehen, dann werden sie auch in ilirer Sphäre ein reiches
freies Interesse erzeugen, das sich leicht mit den höheren und höchsten
Interessen des erziehenden Unterrichtes verknttpfen lässt*), dann wird auch
die Einheit der Person, au deren nreigenem Interesse ja aUe jene
Interessen gemaeht werden sollen, nicht im mindesten TCrietst weideni
*) Ueber die reiehen VerknUpfongen, m denen Insbesondere der geogra-
phische, der deutsche nnd der ^liglonsnnterricht Veranlassnng geben (cf.
Ackermann a. a. 0.)
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vnd dann wifd aneh die von der strieten Goncentiation sn befBfchtende
Verkflmmenmg der Armut und Künstelei nicht eintreten können, sondern
es wird eine grosse, wolgegliederte und wolverkntipfte Vorstellungs-
masse gebildet werden, und nur aus einem reichen und leicht über-
schaubaren Gedankenkreis kann ein reiches, klares Interesse und also
aueh ein reiches, sicheres Wollen hervorgehen.
Nnnmehr .bnben vir die nötigen Oieaiehtspnnkte rar Benrteilang
der *profnnge8ehiehtlieben Stoffe gewonnen, weleho ZiUer in
inhaltliche, ,,sy mphronistis che** Beziehung zu den jedesmnligen
licilsgeschichtlichen Stoflfen zu bringen sucht und dann mit dieaen ge-
meinsam als ConcentrationsstoflTe zweiten Ranges aufstellt.
Dies in Beziehung Setzen fordert sich gewissermassen von selbst,
da die profangeschichtlichen Stoffe schon als geschichtliche den heils-
gesehielitUehen iKnnogen sind nnd als deiit8eh>ehilBtliche von vom liereln
reiehe Verknflpfiingen mit ilinen erwarten lassen, und wir können es
also nur billigen, so lange damit keinem Stoffe Gewalt angetan wird
und die Beziehung bedeutend und klar genug ist Wir möchten dies
aber doch nicht als das einzige Princip für die Auswahl des profan-
geschichtlichen Stoffes gelten lassen, da wir einen Stoff, der eine mächtige
Förderung des teilnehmenden Interesses und vielfache Uebung des sitt-
liehen Urldls verspricht, eventuell einem mit der heiligen Gseeliielite
in innigere Besiehnng an bringenden aber weniger interessanten Stoff
vorziehen würden.
Welche profimgescbiobtUchen Stoffe stellt nun Ziller neben seine
heilsgeschichtlichen — denn von den zwei ersten Schuljahren kann hier
keine Rede sein — und was mag ihn jedesmal zur Aufstellung gerade
dieses Stoffes bewogen haben ? — denn eine specielle Begründung seiner
profangeachichtlichen Stoffe ist uns wenigstens nicht bekannt, sondern
nur gana knappe Andentungen seiner Motive, und aueh diese fehlen
auweilen. Fflr die Patriarehenstnfe* stellt ZÜler keinen profimgesehiebt-
liehen Stoff auf, weil er keinen finden kann, der mit jener „gleichen
Grundcharakter" hat (Grdl. 93) ; neben die Geschichte der Richter,
welche die Ileldenzeit des jüdischen Volkes reprilsentirt, aber stellt er
die in der Türinger- und dcutächen Ikldcnsage dargestellte Heldenzeit
des eigenen Volkes, neben das macht- und glanzvolle Königtum Davids
nnd Salomos dieselbe Periode der dentsehen Königs- resp. Kaiseradt
(Heinrieh L, Otto L), wobei die lltere Zeit s. B. Hermann nur einsehal^
ungsweise behandelt werden ' soll. Dem Leben Jean werden beigesellt
die Züge, der Deutschen nach seinem Grabe : Barbarossa und die Krenz-
züge , der Apostelgeschichte sollen sich anschliessen : die Verbreitung
des Christenturas in Deutschland durch die Apostel der Deutschen, ferner
der Schauplatz und Wirkungskreis der eigentlichen Apostel, welche dar-
instdlen ist dnreh die als Einschaltung zu behandelnde Profangeachiehte
des klassisehen Altertums nnd dnreh die EntdeeknngAmerika's; sehliesslieh
sollen sich an die Reformationsgesebiehte im lotsten Sehn^abre anreihen :
Friedrich der Grosse, die Befreiungskriege und Hermann und Dorothea.
(c£ Vademecum für die Praktikanten des Seminars in Leipzig).
Diesen Symphronismus an Stelle des Synchronismus mttssen wir
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swar, wie schon gesagt, als benehtigt merkenneiiy aber es fragt sieh,
ob er sieh nkht aoeh auf eine andere Weise herstellen liest, die ngleieh
unsere maaeherlei aneh schon durch unsere Yersehiebung der biblischen
Stoffmassen hervorgerufenen Bedenken gegen Auswahl) Umfang und An-
ordnung der profangeschichtlichen Stoffe beseitigen könnte.
Wir vermissen unter den von Ziller vorgeschlagenen Stoffen : die
grieclusche iSage, von der wir wenigstens die Odyssee behandeln zu
mttsien glauben, wir vennissen Einiges ans der orientalischen Geschichte,
wir wttnsehten ein stärkeres Hervortreten der römischen Geschichte, be-
sonders in ihrem bedeutungsvollen Zusammenhang mit der heiligen, der
deniBchen und der Kirchengeschichte, wir wünschten ein stftrkeres mehr
selbständiges Auftreten der älteren dcutsclien Geschichte (vor Karl d. G.),
ferner die Aufnahme der Kämpfe der Kaiser mit den Päpsten, des
FanstrechteS; des politischen und kirchlichen Verfalls vor der Reforma-
tioD, des 30jährigen Krieges, der nachfolgenden Franzosenherrschaft zur
Zeit Lndwig^B XIV., des grossen Kurfürsten, der ftanzOsisehen Bevolntlon
und der neuesten Geschichte von der Grttndnng des neuen dentsehen
Reiches ; bedenklich für jeden, der nicht der Biedermann'schen GeschichtS'
methode huldigt, ist auch die vorgeschlagene B^andlnng der Bekehrung
der Deutschen erst nach den Krcuzziigcn.
Wie bringen wir nun die gewünschten Stoffe unter, ohne von dem
Princip des Symphiouismus mehr abzuweichen als Ziller? Die Odyssee
möchten wir fiftr das dritte Sehn^ahr vorschlagen, trotMlem sie allerdings
oieht, wie Ziller verlangt, den ^gleiehen Grandcharakter*^ wie die Pa-
triarchengeschichte liat. Einen solchen Stoff werden wir freilich so
wenig finden als Ziller, da es eben nur ein klassisch dargestelltes
monotheistisches Hirtenleben gibt, indes wir stellen auch nicht diese
Anforderung, sondern unser Hauptaugenmerk ist die Bereicherung des
kindlichen Geistes, die wir sofort eintreten lassen, sobald der Zögling
so ihrer Anfioabme fähig und naeh ihr begierig ist, und wir sind sn-
ftieden, wenn der gesuchte Stoff den pidagogischen Anforderungen an
einen l'rzählungsstoff gentigt, also vor allem des Interesses der betref-
fenden Klasse sicher ist Und da handelt es sich in erster Linie um
das sympathetische Interesse, das gar nie reich genug werden kann,
das religiöse Interesse kommt hier nicht in Betracht, da es schon durch
den biblischen Stofl" in unüberbietbarer Weise genährt wird , und zwei
reUgiOs-sittliche Hauptstoffe allerdings nicht vom dritten Scbuyahr ge-
tragen werden kdnnten. Wir werden den gesuehten Stoff in der poetisch
dargestellten Sagenwelt, der anerkannten Grundlage alles Gesehiehts-
unterrichtes , suchen dttrfen , und hier erscheint uns die Odyssee am
passendsten. Dass sie für das dritte Schuljahr ganz ausgezeichnet passt,
ergibt sich schon aus Herbart's früher besprochener Würdigung derselben,
und dass sie stofflich unbedingt zur Fatriarchengeschichte passen muss,
haben wir ja in Abrede gestellt, wol aber behaupten wir, dass sowol
die Sehicksale des Jahre lang naeh der Heimat strebenden Helden als
auch der Sehanplati seiner Irrfahrten, das Meer und seine Insdn, die
Odyssee zur Fortsetzung der durch den Robinsonstoff angeregten Vor-
steliungsreihen vortrefiSich geeignet machen.
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Wir liabeu ferner in der Odyssee ebenfalls die classische Ver-
körperung; der Kindheitsstufe eines hochwichtigen Culturvolks, wir werden,
wie wir selbst durch jahrelange Erfahrung wissen, mit ihr das sympa-
thetische Interesse und die Phantasie in ganz wunderbarer Weise er-
regen, wir können schon, — freilich in empfehlenswerter Beschränkung
— an&iigeB dureh den Contraat des HeidniBoben die HOhe der mono-
tiieistiBelieii Religioeität liervortreten in laseeiii wir geben dem littliehen
Urteil ein reiches durchsichtiges UebungsgeUet stärken so durch den
Gebrauch das im Religionsunterricht Gewonnene^ und gewinnen fflr
die noch auftretende griechische Geschichte eine wertvolle Anknüpfung.
Indes die Odyssee bietet uns in der Weise, wie wir sie behandelt
wissen wollen, nämlich als einen Stotl' der Teilname, nur für ein halbes
Jnlir Arbeit^ doch sofort wächst uns aus der Ueimatskunde, die doeh
wol in den meisten Fillen eine von der Sage oder Gesebiehte berührte
Loealitit erreichen kann, ein weiterer Stoff heran, die locaie Sage,
ftlr uns also die Wartbnigsagen. Ihr Auftreten im dritten Sebnyahr
rechtfertigt sich wol von selbst; gefordert vom Eifahrungskreis des
Zöglings werden sie sofort seinen Umgangskreis erweitern und veredelu,
sie werden ihm die beste Vorbereitung zum weiteren l^iudringen in die
deutsche Sage und Geschichte sein, &h Kittersageu lassen sie sich leicht
snr Odyssee, als ehristUehe Sagen Ideht zn dem biblisehen Hauptstoff
in Besiehnng setsita, wenn aneh die besondere Betonung ihres ebristUdien
Gharaeters, der ja ftlr die Kinder sich von selbst versteht, niclit gerade
notwendig ist, so wenig als die scharfe Betoming des heidnischen
Characters bei der Odyssee. — Für die Stoße aus der orientalischen
Geschichte, die wir nicht missen zu können glauben, wissen wir
keine passendere Öteile als das 4. Schuljahr, dessen biblischer Stoff nach
wumrem Vonehlag tob Moses bis mr Bfiekicehr ans dem babjrloiüseben
EzÜ reiehi Denn die Bedingtheit der jfldisehen Gesebiehte durch
Aegypten und die vorderasiatischen Reiche verlangt die unterrichtliche
Behandlung der Aegypter, Babylon ier, A883rrer, Perser, Phönizier, und
wir behandeln dieselben mit möglichstem Anschluss an die heilige Ge-
schichte hauptsächlich in Form culturgeschichtlicher Schilderungen, welche
besonders die auch uns zu Gute gekommenen Producte der Cultur vor-
zufahren haben, und in Form biographischer Bilder, die der Teilname
und dem sittliehen Urt^ mOgUebst viel Kahrung in geben haben. Bei
diesem Teil der Profangesehidite wird aueb der Contrast, in dem sie
durch Despotismus, Kastengeist und Götzendienst zur heiligen Geschichte
und der von ihr genähi'ten Culturstufe des Zöglings steht, besonders
stark hervortreten müssen und pädagogisch recht wirksam sein.
Während die orientalische Geschichte so entschieden von dem
biblischen Hauptstoff determinii't wird, dass wir uns auch eventuell ein
Zerreissen und Vertdlen denelben naeb den Bedürfnissen des deter-
nunirenden Stoflies gebllen Uessen, muss die dentsohe Heldensage
(Kibelungcnlied und Gudrun), die wir noch in dies Schuljahr werfen,
durchaus selbständig und geschlossen auftreten. Sie ist ein Centrum
für sich, schliesst sich aber — wie dies auch Ziller will — in symphro-
uistischer Weise an den dasjUdischeHeldeuzeitalter darstelleudeu biblischen
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Stoff au und ist ausserdem noch für uns eine Furuetzung und Abschluas
der dentsolieii Sage und die Piopädentik für die nanmelir tt^iiuieiide
dentsdie Gesdiielitey insbeBondere fftr die Zeit der TdHEerwinderang und
des Rittertums.
Für das 5. Schuljahr haben wir nicht wie Ziller die jüdische Köuigs-
geschichte sondern das Leben Jesu als biblischen Hauptstoff angenommen ;
dies führt uns zunächst auf die römische Weltherrschaft, die ja häufig
und machtvoll genug in die biblibchen Verhältnisse eingreift, und hier-
mit auf die römiselie Gesehiclite. Das Wie viel? des Stolfea
mag, wie aohon gesagt, eine offene Frage bleiben, hier liandelt es sicli
nur darum, den Ort desselben zu bestimmen. Doch eine Bemerkung
vollen wir machen. Auch hier würden wir das cultui^escliichtlicbe
und biographische Element uud den Contiast des Ganzen zur höheren
Stufe des Judentums und Christentums besonders betonen, hier könnte
man auch den Volksschüler fühlen lassen, „dass hier die Menschheit
nicht stehen bleiben könne** (Herbart a. a. O.)» dass er dieser religiös-
sitUichen Ansehanung, ^der Sehattenseite des Altertnms'* (a. a. 0. 441.
582), nieht angehören könne, und hier ist also aueh die Ton Zillto für
sUe profangeschichtlichen Stoffe aufgestellte Forderung wol zu beherzigen
(Grdl. 93). „Von jedem Verhältnisse, welches bei nicht-biblischem Ge-
ßinuungsstoffe vorkommt, mnss nachgewiesen werden, dass es entweder
übereinstimme mit den biblischen Grundsätzen, oder dass und durch
welche Abweichung es ihnen widerstreite, dass es denselben unterzu-
ordnen BiA oder mit ilinen in Zusammenbaag stehe**.
Aber die rOmisebe Gesohiehte bekommt noeh einen anderen Halt
ftr ihre Stellung in diesem Schuljahr. Wir müssen ja auch in diesem
Jahre die älteste deutsche Geschichte behandeln, die wir etwa
bis Karl Martell (oder Pipin d. K.) geführt wissen möchten, und diese,
wie überhaupt die ganze deutsche Geschichte , steht doch in einer so
innigen, für beide Seiten so folgenschweren Wechselwirkung mit der
lömiseben Geseliicbte, dass jeder Beweis dafllr unnötig ist, die Namen
CSmbem, CHsar, Hermann, Augnstusy Oonstantiui Alarieb, Theodorich,
Chlodwig sagen genug. Auch die Schicksale des Christentums im rö-
mischen Reich, seine Verfolgung uud sein Sieg, seine Annahme bei
einigen deutschen Stämmen, seine Rettung in der Hunnen- und Mauren-
schlacht können auch ohne Apostelgeschichte und Paulus, im directen
Anscbluss an den Stifter des Christentums und seine Jünger zur An-
schauung gebracht werden.
lieber den pidagogisehen Wert der deutsehen Geseliichte und fl1»er
deren methodisehe Bäiaadlung lirauchen Avir uns an dieser Stelle nicht
weiter aussusprechen, nur an eines möchten wir erinnern: Möglichst
wenig Gnippen in möglichst gründlicher Vertiefung, möglichst viel Cultur-
geschichte und möglichst wenig politische Geschichte; besonders ein bis
ins Kleinste ausgeführtes Cuiturbild von dem Leben und Wesen, den
Sitten und Einrichtungen, dem Dichten und Trachten unserer heidnischen
Vorfhhren darf nieht fehlen, und ein solehes Cuiturbild, welohes in erster
Linie das relij^Öe- sittliche Cultnrleben su berflcksichtigen hat, sollte in
d«r Darsteiluog einer jeden bedeutenden Periode der deutsehen Geschichte
60
(etwa um 800, 1200, 1500 n. s. w.) einen hervorragenden Plati ein-
nehmen. (Ein empfehlenswertea Hilfsmittel zum Entwerfen eoleher Lebens-
bilder würde Job. Scherr's „Germania" sein.)
Auch das sechste Schnljahv behandelt nach unserem (und Zillers)
Vorschlag das Lehen Jesu. Die profan gcscLiclitliclie Reihe soll nun
die Geschichte des deutschen Volkes von Karl dem Grossen
bis an dem Untergang der Hohenitanfen behandeln. Naeh
einer innem Besiehnng der bäden StoflTe haben wir nicht gesneht, sie
ergibt sich aber zum Glücke von selbst wie auch im vorigen Schuljahr.
Wie könnte es auch an den innigsten Beziehungen fehlen zwischen
der Geschichte Jesu und der des deutschen Volkes, des Volkes, das wie
kaum ein anderes das Christentum in seiner Tiefe erfasst, in seiner
Schwere gefühlt und in seiner Beseligung empfunden bat, und das darum
mit Beeht als der Cbristophorus unter den Völkern besdehnet werden
kann. Als ein Christnstrftger soll nnsrer Heinnng nach anch das denlsche
Volk in der Volkssehnle dargestellt werden, and zwar besonders von
unserer Stnfe an, nachdem wir anf der vorigen Stufe mehr das specifisch
deutsche, vom Christentum Aveniger beeinflusstc Wesen charactcrisirt
haben. Auch in mehr äusseren Beziehungen offenbart sich dieser innere
Zusammenhang gerade in unserer Periode. Wir erinnern an Bonifaciufli
der die Deutschen mit dem Wort, au Karl den Grossen, der sie ndt
dem Schwert in Christas geführt hat, wir erinnern an die völlige Um-
gestaltnng der Lebensrerhiltnisse, welche der Ohriitosglaube dem deat-
sehen Volk gebracht hat, wir erinnern an die Kreuzfahrer, die mit
machtxoUen Anstrengungen dem heiligen Grabe das wieder zu vergelten
suchten, was der lebendige Chrii^tus fiir sie getan. Alle diese Be-
ziehungen öiud gewis weit bedeutungsvoller als diejenigen, wegen deren
derselbe Zeitraum (Karl d. G. bis Otto I.) bei Ziller in Verbindung mit
der jfldischen Königsgeschichte auftritt, und welche im Grande anf die
politische Parallele hinauslaufen, dass dort wie hier kraftvolle, das Beieh
b^flndende Könige regiert haben.
Für das siebente Schuljahr haben wir wie Ziller die Lecttlre der
A p 0 s t e 1 g: e s c h i c h t e und geeigneter Stellen aus den n. t. Briefen an-
gesetzt, und Ziller hält dies Schuljahr für den passenden Ort, um die
Profangeschichte des Altertums (neinschaltuugsweise'') unterzubringen,
denn ihre synchronistiiehen und symphronistisehen Besiehnngen su dlsieni
Teile der Heilsgesehichte liegen ja anf der Hand. Wir sehliessen uns
ihm nur in Bezug auf die griechische Geschichte an, da wir die
römische schon an einem besseren Platze verwertet zn haben glauben.
Die griechische Geschichte aber als die Schöpferin einer reichen
Geistesbildung übt — ganz entgegengesetzt der römischen — in einer
SO rein geistigen, wenig greifbaren und dem Volksschüler wenig an-
sehanbam Einflnss auf das innere und äussere Leben des
deutschen Volkes aus, dass sie nicht so gut in Zusammenhang mit der
deutschen Geschichte gebracht werd^ kann als die römische; msa
müsste denn mit Ziller die Bekehrung der Deutschen erst jetzt be-
handeln, was uns aber hinter den schon erzählten christlichen Tateo
der Deutschen allzuweit nachzuhinken scheint
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Um 80 bedeutendere und mächtigere Beziehungen hat aber die
griechische Cultur mit dem apostolischen Christentum — Paulus in
Athen und Corinth sagt genug — und dieser Umstand zusammen mit
dem grossen inneren Wert der griechischen Geschichte, die doch unter
allen nicht -christlichen und nicht - deutschen historischen Stotfen die
Mallste Bedeutung für die VolkeBehnle brnt, mnss uns bestimmen , sie
im siebenten Sehnyahr pidngoeiaeh m verwerten, lieber Auswahl nnd
Anordnung der Stoffe wollen wir uns nicht verbreiten, in Betreff der
Behandlungswsise erinnern wir an das über die römische Geschichte
Gesagte, das sich hier in noch viel intensiverer Weise verwerten lä.sst.
Eine Beziehung des apostolischen und griechischen zu unserem
deutscliea geschichtlichen Stoff mUssen wir noch erwähnen. Wir be-
handeln im siebenten Schuljahr das Wichtigste ans der Zeit von Rudolph
von Habsburg bis Maiimilian also die Aenssemngen des politischen,
UnshHchen und religiösen Verfalls auf der einen Seite, die Vorboten
der neuen Zeit, Erfindungen, Entdeckungen, Reformationsbewegungen
vor der Reformation auf der anderen Seite ; haben wir da nicht hier
wie dort politischen und religiös-sittlichen Verfall, hier wie dort den
Kampf der bescheidenen neuen Wahrheit mit der besitzesstolzen alten Ver-
derbnis, den Kampf des sich zum zweiten Male bahnbrechenden Evan-
geliums mit der fiberlebten Grossmacht der pharisüsch- heidnischen
PriesteneUgion, hier wie dort die sicheren Anielchen des endlichen
Sieges der gerechten Sache? Der scharfe Contrast der hier wie dort
aufeinander platzenden Weltanschauungen wird auch diesmal der wahren
christlichen Lebensauffassung klare Beleuchtung und warme Teilnahme
sufflhren. Es bleibt uns noch das letzte Schuljahr übrig, ftir welches
Ziller ausser dem Katcchismusunterricht Reformationsgeschichte
vorgeschlagen hat Wir haben sehen oben diesen, so zu sagen, biblisch-
pro&nen Stoff als Hanptstoff aeceptirt, wir aoeeptiren auch die rein
profanen Stoffe: Friedrich der Grosse und die Freiheitskriege, möchten
aber, wie schon früher bemerkt, auch den 30jährigen Krieg, den grossen
Kurfürsten, das Zeitalter I^udwigs XIV, die französische Revolution und
die Gründung des neuen deutschen Reiches in diese Reihe mit auf-
nehmen. *)
Eäne besondere Begrfiadung dieses Stoffes wird wol nicht nUtig
tt&Uf und in Betreff der Behandlung erinnern wir nur nochmals an die
för die deutsche Geschichte früher aufgestellten Gesichtspunkte und an
den allgemeinen Grundsatz, den wir schon auf die biblischen Stoffe an-
wandten : Alle historischen Stoffe treten in o:rossen zu-
sammeuhängeudeu Massen und nur einmal, aber mit
*) Wie wir hören, wird jetzt im Ziller'schen Seminar dtis dritte Schuljahr
mit der localen Sage resp. Geschichte bedacht, und im letzten Schuljahr wird
die französische Revolution im Anschlnss an „Hermann und Dorothea" be-
handelt. Bei Erwähnung dieser Wandelung wollen wir nicht zu bemerken
versäumen, dass die von uns vorgeschlagene Anordnung der profan-ge-
Bchicht liehen Stoffe auch uns nur als ein dnstweil^er Abschlnss gilt,
während an der Reihe der historischen Hanptstoffe nadi uuiersr Ueoer-
Zeugung unbedingt festzuhalten ist.
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Macht auf — für immanente Wiederholungen sorgt der Lehrplan
(NB.! Lesebuch I, die Concentration (in unserem Sinne i und die formalen
Stafen — nur so sind wir unter Voraussetzung der rechten
methodischen Durcharbeitung des tiefen, reichen uud
freien Interesses unserer Zöglinge sieher and hiermit
der eharakterbildenden Maeht unseres Unterriehtes.
Stellen wir zum Schluss die nunmehr gewonnenen liistoriBchen
Hanptstoffe für die acht Schuljahre zusammm:
1. Märchen (Analyt. Leben Jesu).
2. Robinson (Analyt. Leben Jesu).
)a. Patriarchen,
Odyssee,
e. Wartburgsagen.
!a. Moses, Richter, Könige,
b. Oi'ientalische Geschichte,
c. Deutsche Heldensage.
{a. Leben Jesu,
b. Römische Geschichte,
e. Alte deutsehe GeseMehte bis Karl HartelU
g ja. Leben Jesu,
' ib. Deutsche Geschiehte von Karl dem Grossen (Bonifaeius) Us
Conradin.
)a. Apostelgeschichte, Bibellectttre,
b. Griechische Geschichte,
c Deutsche Geschichte von Rudolph v. H. bis Maximilian L
(Entdeckungen, Erfindungen, Vorläufer Luthers).
fa^ Reformationsgesehiehte,
b. Bibellectttre, (Katechismus),
c Deutsche Gesohiehte vom 30jihiigen Krieg bis 1871.
i
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Mitteilungen.
stimmen Uber Herbart, in der
Verteidigung gegen die Angriffe Dr.
Hartmann'B (Der Verbalisinos in der
deutschen Volksschule 1879) durch den
pädagogischen Verein zu Dresden (All-
gemeine deutsche Lehrerzeitnng Nr. 63,
1879) sind einif^e Stimmen Uber
Her hart angetührt^ welche nach der
MeiBimg des gemimteii Vereins von
«Männern der Wissenschaft" herrühren.
Ee ist wol kaam etwas Einfältigeres über
dM ilerbart;*8ehe System jemals gesagt
worden. Auch will der pädagogische
Verein zu Dresden selbstverständlich
jenen „Männern der Wissenschaft" die
Vertretung ihrer Behanptangen (!) Uber-
lassen. Sehr grossmUtig! Die Urteile
über Herbart lauten aber so:
1) „Die Herbart'sche Seelenlehre
streue Sand in die Augen, sie sei für
eine gesnnde Praxis in der Erziehnng
migenUiirrad ;*
*2) „Bei dem Herbart'schcn System
kSime von eigentlicher Erziehung nicht
die Rede sein, eondem niir von Ab-
richtuntr."
So ist also durch zwei „Männer
der Wissenschaft" Herbart und sein
System vernichtet Der eine von ihnen
beisst in der Dresdner Abwehr Ilerr
Hohlfeid, der andere Herr Leon-
hard!. Selbstverständlich „liegt es
dem pädagogischen Verein zu Dresden
vüUig fern, an den Verdiensten Her-
hftrt*s mSkeln zu wollen'* — t» wnr ihm
nur daran gelegen, zu zeigen, wie ver-
schieden Herbart beurteilt wird. Es
sei nXmKch sehr verkehrt, einem Hanne
und einer Pädagogik sich anzuschliessen,
die noch keine allseitige Zu-
stimmung gefunden habe. Dagegen
sei dies jedenfalls mit Dittes der Fall.
Derselbe werde deshalb auch vom Dresd-
ner Verein „hochverehrt." Für diese
Aufklärungen sind wir dem pädago-
gischen Verein jedenfalls Dank schuldig.
Er sei ihm hiermit dargebracht.
Zur OrthograpMenfdmi. „Die
en glische Orthographie isfc^nationales
Unglück, und in dem eifrigen inter-
nationalen Wettlanf zwischen allen
Ländern Europas bringt sie das eng-
lische Kind in einer Weise zurück,
die geradezu unglaublich wäre, wenn
Zugleich erlauben wir uns aueh
einem Herrn Sprockh 0 f f zu danken, .
welcher vielleicht in Uebereinatimmung
mit der Ueberzeugung des Dresdner
pädagogischen Vereins in den Kehr-
sehen Blättern, VII L Band, S. 648
schreibt, dass „Her hart von den
deutschen Seminarlehrern nicht allein
f e n ü g e n d (1) gekannt, sondern auch
ochgeachtet sei.** Dies haben wir
bis jetzt kaum zu hoflTen gewagt. Wir
setzen auch in diese Hochachtang
einige Zwelftl. SftgtdoehHerrSproek-
hoff selbst kurz vorher: ,,e8 zeigen
die bisherigen Versuche, auf Her-
bart'scher Grundlage den volksschul-
mäasigen Unterricht zu construiren, in
viel grösserem Masse Dilettantentum
als die Bestrebungen, welche auf Grund
von historischen Entwickelungen
und pädagogisdien Erfahmngen den
Seminar- und Volksschulunterricht auf-
banen." Oewis rlehtlg. Denn grün
ist des Lebens goldner Bnnm !
Von einem anderen Standpunkt aus
berührte das Nene Reieh In Kr. 5
ISSO die Verdienste und den Einfluss
Herbart' 8. Wir lesen daselbst Seite
167: „Wie viele Romane, die nns die
Gemütszustände ihrer Personen in schla-
gender Wahrheit vor die Augen malen,
haben wir in der modernen Literatur;
aber wo ist die psychologische Wissen-
schaft, die ihnen ebenbürtig wäre?
Das soll nicht gesagt sein, um das,
was wir an Psychologie doch schon
besitzen, etwa herabzuwürdigen. Viel-
mehr freuen wir uns der Anfange der
Seelenlehre, wie sie nvn eben sind.
Es ist aucn nicht billig, die ganze
psychologische Methode, wie sie durch
Herbart geläufig geworden ist, als
Associationspsychologie zu tadeln.
Wenigstens wollen wir sie so
lange hochschätzen, bismananf
einem anderen Wege auch nur so viel
leistet, als die gewöhnliche Weise ge-
leistet hat."
nicht die Statistik es auswiese. Ich
kenne die Schwierigkeiten einer ortho-
graphischen Reform, ich weiss, was
die T.ente meinen, wenn sie dieselbe
unmüf^lich nennen; aber ich weissauch,
dass peräünliche und nationale Tagend
gerade darin besteht, die sogenannten
Unmöglichkeiten zu bezwingen, und
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das8 keine Nation so viele unmög-
liche Dinge schon getan bat und noäi
sn tun hat als gerade die englische.'"'')
Diese Zuversicht des deutschen
Professors auf die Tatkraft der cng-
lisohcu Nation Bttdit in eigentflnilicher
Weise ab gegen den pessimistischen
Zagt welcher — wenigstens in Dingen
der Orthographie — bisher das Boich
deutscher Zunge beherrschte.
Bekanntlich war unter dem Mini-
ffterinm Falk die Hoflhnng anf eine
dnrehgreifcndc, über das ganze Reich
floh erstreckende Orthograpbieieform
rege geworden. Aber mn nt bald
hörte und las man allerorten : die
Orthographiefrage ist wieder einge-
schlafen. Da wurde pIStzlich die Welt
mit einer „preussischen" Orthographie
überrascht. Wir sind über dies Ge-
schenk nicht erfreut. Viel lieber
wiegten wir nna noch im Gefühl der
Hoffnung — denn jetzt befinden wir
uns nicht einer, sondern verschiedenen
Staatsorthographien gegenüber.
Also bricht auch hier wieder das
Verhängnis unseres Volkes, diese über-
triebene lodiyidnalitXtsfncht, in ebier
Sache hervor, die — so meinen wir —
nur karse Zeit, nur einige Jahre noch
bnraebte, vm von grosseren Gesiehts-
punkten aus tiefgreifender, energischer
und nmfassender gelOst zu werden.
Wol wird die Zeit kommen, die mit
den eineeinen Staatsorthographien auf-
räumen und eine einzige Reichsortlio-
graphie an ihre Stelle setzen wird, aber
es wird uns schwer, wenn wir uns sagen
mUssen : auch hier wiederZerspIitternng,
auch hier wieder ein Auseinande^ehen
der ^seinen Staaten statt ein ünter>
ordnen unter ein ^emeinj^anies Höheres.
Vielleicht musste es so kommen,
nm erst das Bedflrfiiis naeh Einb(At in
dieser Sache biszumGipfel zu steigern.
Denn es gibt noch genug L.eute, welche
sieh hei dem gegenwärtigen Zustand
äusserst wol fUhlen und keine Ahnung
davon haben, dass eine umständliche,
widerspruchsvolle Orthographie ein
nationales Unglück, dass eine verein-
fachte Schreibweise dagegen als ein
nationales Glück zu betrachten sei,
namentlich für Lehrer und Schüler.
Wie viel von dem dumpfen tötlichen
Gewicht würde hinweggenommen wer-
den, welehes bisher anf den Ortho-
graphieetnnden lastete, wenn ftirnnsexe
Hechtschreibong das Princip der Ver-
einfachung als das massgebendste
zur Geltung gelangte, die historiseh-
philologischen Gesichtspunkte aber
mehr in den Hintergrund treten würden.
In der preussischen OrthografÄle
ist mit der Vereinf achnn g nur ein
höchst schwacher Anfang gemacht
worden. So ist man mit der Ab-
schaffung des unnUtsen Dehnungs-
zeichens h nur sehr spärlich und in-
conseqnent (man soll s. B. Tier schrei-
ben, aoer nicht Tal; Teil, aber nicht
Tat; es könnte vielleicht ein Aus-
linder Tall nnd Tatt leeen!) Torge-
gangen, die Endsilben iren sollen durch-
weg mit e geschrieben werden. Wozu?
Man hat snnächst also mit der
preussischen Orthographie eine Zwi-
schenstation gemacht, auf welcher
hoffentlich nicht zu lange gehalten
wird. Viel mehr bStten den Wünschen
der Gebildeten unserer Nation die
Orthographievorschläge des Direktors
Duden entsprochen, welche denelbe
im Anschluss an die Bestimmungen
der Berliner Gonferenz einem grösseren
PnbUknm darbot
Es waren folgende Punkte haupt*
sächlich ins Auge gefasst:
t. Beseitigung des ^ in allen deat-
schen Wörtern. 2. Beseitigung des h
als Dehnungszeichen bei a, ä. o, d, n,
ü und vielleicht auch bei e.
Schon hierdurch allein wimn dn
Kinderwelt unsägliche Qualen erspart
worden 1 £s kam nicht so. Abermals er-
leben wir die Geschichte von dem Hand,
dem man seinen übergrossen Schwanz
von Zeit zu Zeit stückweise abhaut.
In dem Regeln- nnd WOrterver>
zeichnis, in welchem die neue preus-
sische Orthographie niedergelegt ist,
sind von ca. 3300 WOrtem etwa t08,
die eine Abweichung vom bisherigen
Usus darstellen. Ist das Reform ? Wir
können es nur für Flickwerk halten
in völliger Ueberoinstimmung mit dem
Neuen Reich 18hO, No. s, S. 302 ff.
Möchten bald kühnere Zeiten kommen,
die mit grösserer Energie und mit mehr
Zutrauen in die Machtmittel ihrer
Reform Ordnung und Einfachheit in
das (%aos brächten, Lehrer und Sehfller
von dem qnalvollen Gewicht wenigstens
einigermassen befreiten, welches auf
ihnen bisher lastete. Alles dies wSre
ein grosses, nationales Glttekl
*) llu MUter. DraftMh« BvadMhAw Y. 80. 8. 804.
Dmek TOB FlNlMr A Wittig in Zn^pslg.
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Dtfrpleld und die duftnzahlfrage.
Yon O. A. Israel,
OlMriahmr mm Kflnlgl. LdttoriimuMialiiar la Dratdaa.
Jnbnien mid Orden sind nichts «elteneB. Wir haben aber einmal
ein Jubiläum und eine Ordensverleihung erlebt, die uns lebenslang un-
Tergeaslieh bleiben werden. Es war der rote Adlerorden 4. Classe,
vor dem wir heiligen Respect bekamen, denn er wurde — ein seltenes
Vorkommnis — einem schlichten Eleraentarlehrer zum 25 jährigen
Jubiläum verliehen. Derselbe hatte die Bücke des höchsten Leiters des
Unterricbtswesens im preussischeu Staate auf sich gezogen, nicht etwa
weil von dieser Seite eine Förderung der neuen liberalen Aera an er^
warten stand (wahre Verdienste und selbstlose Bestrebungen sind auf
allen Gebieten turmhoch über die wechselnde Parteilobhudelung ei'haben),
sondern mit Rticksicht auf den technisch-wissenschaftlichen Beirat dieses
Schulmannes vor Erlass der „Allgemeinen Bestimmungen". Als der ein-
zige aus der grossen Zahl seiner Standesgenossen in der schulreichen preus-
sischeu Monarchie war der damalige, jetzt emeritirte Barmer üauptlehrer
7. W. Dörpfeld vom Cultusminister Falk su der Oonferena Aber das
Yolkssehulwesen (Sommer 1872) hinzugesogen worden. Ein Jahr spftter
etwa (3. Mai 1873) feierten zahlreiche Freunde und Collegen den Tag,
an dem er vor 25 Jahren in einer Landschule seiner Heimat im Ber-
gischen ins Lehramt eingeführt worden war. Ein erhebendes Fest,
das circa 200 Lehrer aus Stadt und Land in einem der blühendsten
Gaue des deutschen Vaterlandes einem ihres Gleichen veranstalteten ! Sie
feierten ihn als ihren geistigen Führer, der ihre Interessen mit Wort
«nd Feder in und ausser der Schule redlich vertreten, «als den echten
bergisehen Schulmann, der fOr dne tiefere AufGsssung des Lehrerbemft
gewirkt, als rheinischen Schulmann, der frei und offen mit Mut und
Festigkeit für eine freiere und selbständigere Stellung der Schule ge-
kämpft, als deutschen Schulmann, der mit Wort und Schrift es sich
angelegen sein liess, die deutsche Volksschule nach allen Seiten hin zu
beben"*. Auch soll nicht verschwiegen sein, dass diese begeisterten
Freunde dem! treuen und Uedem Collegen «mit offenem Henen und
offener Hand*^ freiwillig und gern bei dieser Gelegenheit eine ansehn-
liche Ehrengabe in aller Stille darbrachten. Das war ein Lehrerfest
sondergldcheii; wollte Gott, dass es Überall in Deutschland solche Lehrer-
PidMO«. Stadl««. N. T. m. 1*
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feste gäbe! Wir schreibeii dieses lediglieb , um nns persSoIich sii
rechtfertigen^ wenn wir den Versuch machen für diesen Volksscbullehrer
eine Lanze zu brechen, dem wir in zweijährigem freundschaftlichen Um-
gange selbst soviel zu danken haben, dessen Beispiel in uns die Achtung
vor dem Lehrerstande und die Liebe zu demselben unermesslicL gesteigert
Seit jener Zeit ist F. W. Dörpfeld nach wie vor tapfer auf dem Piau
gewesen und hat seinem bekannten bahnbrechenden Werke Uber die
freie Sehnlgemeinde mehrere kleine Schriften folgen lassen: nOrund-
linien sn einerTheorie des Lehrplans**, ^pädagogisches
Gutachten überdievier- und achtclassige Volksschiile^
endlich „der didaktische Materialismus } Schriften, auf deren
Gehalt im Zusammenhang wir sogleich näher eingehen. Zuvor sei noch be-
merkt, dass den Verfasser derselben gegen das Ende des vergangenen Jahres
das herbe Schicksal getrofifen hat, wegen LuDgeokrankbeit das Scbulamt
aufgeben sü mflssen. So sehmenlich ilim setbet dies gewesen, wir dttrfen
hoffen, dass seine Kmft der Sehnle nnd Lehrerwelt noch sn gnte kommen,
wird. F. W. Dörpfeld wird dem von ihm seit 24 Jahren geleiteten Evan-
gelischen Scbulblatte (Gütersloh, Bertelsmann)| das sieb weit und breit
eines zahlreichen Leserkreises erfreut, einen neuen Impuls zu geben ver-
mögen, da er die Redaction wieder allein führen wird und das innere
Bedürfnis ihn gewls nicht schweigen lässt. Es sei das Blatt hiermit
bestois empfohlen. Wir beabsichtigen die eine jener genaanton Seliriften
nnd was sieh daran geknüpft dner Bespreehnng sn nnteniehen, nmxn
zeigen, wie heutiges Tages ernste pädagogische Fragen, wie pädagogiseho
Schriften, die möglichst objectiv sein und nur der Wahrheit dienen
wollen, beachtet und behandelt werden. Es ist das Gutachten über
die vier- und achtclassige Volksschule.**) Infolge des Cultur-
kampfes war in Preussen — Dank den Ultramontanen — die Frage
von der confessionelien nnd parit&tischen Schule eine brennende gewor-
den. Wie stark man im Aufrftumen begiüfen, liat der Eübbger Falt
neuerdings an den Tag gebracht Kioht weniger energisch, so will es
seheinen, wird nunmehr abgewiegelt, gehemmt. Wer aber bürgt dafür,,
dass wir nicht noch einmal einen Wechsel erleben? So lange päda-
gogische Fragen vorwiegend nach politischen Gesichtspunkten behandelt
werden und bei ihrer Entscheidung nicht in erster Linie ihr eigentüm-
liches inneres Wesen berücksichtigt wird, so lange wird der Parteien
Onnst und Hass den Segen einer stetigen, reife Frflchte zeitigenden Er-
siehung des Volkes durah die Schule Terkflmmem, sehildigen und bindern.
Aber eben jenen politischen Standpunkt sucht die Schrift DOrpfeld's^
*) Diese neueste Schrift ist eine weitere Ansführang der in den »Grund-
linien* nieder^'elegtc^ Gedanken unter Besngnahme auf dfe traurigen Inspeetlons-
verhältnisse der pieussischen Volksschule und das erste Schuljahr von Beia^
Pickel, Schollcr, welches mit einer wahren Begeisterung begrüsst wird.
**) Zwei pädagogische Gutachten Uber 2 Fragen aus der Theorie der Schul-
einrichtnng: 1) die vier- und achtclassige Vollnsehnle, 2) die confessionelle
und paritätische Volksschule. Auf Veranlassung mehrerer Stadträte und Schul-
interessenten in Wermelskirchen bearbeitet von dem Vorstande der allgemeinen
bergischen Lehrereonfwens. Qtttersloh; C. Bertelsmann. 1877. gr. 8. XY»
88 Seiten 1 Mk.
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obwol mitten in jenen Eampfesjahren entstanden, vollständig zn ver-
meiden, es will ein rein fachmännisches Gut;icht(Mi sein und die Frage
vom rein pädagogischen Standpunkte — abgesehen von localen, finan-
ziellen, kirchlichen und andern Erwägungen — prüfen, es will gerade
Linie halten and darin seine Stärke Buchen. Aber wie kommt dabei
C U mema h lfiige ins S^el? Um liatte gende von dieser Sdte her
-auf knunmeii Wege in die Gonfessionssehole Bresche sn legen versneht
Die Simnltanisirung gewähre (so gab man Tor) liedentende unterrichtliche
Vorteile, wenn durch die Verschmelzung zweier confessioneller Schulen
zu einer paritätischen eine grössere Classenzahl herauskommt Hieraus
erklärt sich, warum eine Abhandlung über den Vorzug des vierclassigen
Schulsystems vor dem achtclassigen auf dem Gebiete der Volksschule
als eine kräftige Schutzschrift für die Confessionsschule aoftritt Im
Omnde haben simtliehe Schriften Dörpfeld*s ungesucht diesen Charakter.
Wenn die anf das Familienrecht gegründeten Ideen DOrpfeld's durch-
geführt wären, wilrdc die ^Schulgemeinde^ der beste Schutz wall gegm
die Angriffe auf die Confessionalität der Schule sein. Ohne Zustimmung
der Eltern dürfte niemand (weder Stadtrat, noch König, noch Kaiser)
über den ethisch-religiösen Teil der Erziehung verfügen wollen. Der
Wille der Eltern aber kommt zum Ausdruck in der Organisation der
^hnlgemeinde. Es würde dann niemals der Fatt gewesen sein wie in
Elbing oder Wermelskirchen nnd sonst, dass der hBrgerliche Gemeinde-
rat über den Charakter der Schale disponirte. Dies wäre der beste
Schutz nach der juristischen, staatsrechtlichen Seite hin. Ferner verteidigt
Dörpfeld in seinen Grundlinien zur Theorie des Lehrplaus die einfache
aber so ungeachtete Wahrheit, dass der Lehrplan ein einheitliches orga-
nisches Ganze sein soll, dass die verschiedenen Lehrfächer mit einander
in YerbinduDg und Verkehr gebracht werden mttssen. Dies hat den
«onfessionellen Charakter der Sehnle nnhedingt aar Oonsequens nnd ist
das zweite der genannten Gutachten darauf basirt Dörpfeld^s Grund-
linien berflhren die Streitfrage um den confessionellen Charakter der
Schule nicht im geringsten, sie sind ganz objectiv gehalten, aber in der
Tat ist diese Schrift die wichtigste und beste für die Confessionalität
£s ist der starke pädagogisch-technische Schutz wall. Freilich bei dem
gewöhnlichen Verständnis für innere Schalfragen d. h. wissenschaftlich-
pidagogische sowol anf conservatiTer als anf Uberaler Seite rieht niemand
etwas Arges darin, dass die Gegenstlnde isolirt (nach dem Fachunter-
richtssystem) betrieben werden. Wäre jene organische Einheitlichkeit
des Lehrplaus durchgeführt, so würde niemand es wagen dfirfen, an dem
confessionellen Charakter der Schule zn rütteln.
Mit diesem Hinweis glauben wir Dörpt'eld's Stellung zu dem Streite,
der jenes Gutachten Uber die vier- und achtclassige Volksschule erzeugte,
«genugsam klargestellt in haben und lassen nunmehr die heikle Frage
▼OlUg hd Seite, sie kommt auch bei den Erwigungen Uber den Nutzen
kleinerer Schulsysteme vor den grösseran nicht in Betracht, da offenbar
die Anempfehlnng grösserer Schulsysteme (Paritäten Charakters) nur ein
Winkelzug war, um die kirchenpolitische, culturkämpferische Seite mög-
lichst zu verbergen. Wir meinen die Frage an sich ist hoclünteressant
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und yerdient die ^össte Beachtung. Man findet in der überreichen
pädagogischen Literatur unsera Wissens keine Monographie über die
Cl:iäsenzahlfrage ausser der Dörpfeld'scheu Abhandlung. Obschon ab-
gesehen von den grössern Städten die ein-, zwei-, drei-, vierclassigen
Schalen weit und breit in öentsehen Luiden BihMdi Tertretoi afnd»
so hUt man sie gewShnlieh ftlr niedrigere (nschleehte**) Sohnlen als die
stldtischen aohtolassigen — man glaubt die Frage einfach damit ab-
getan zn haben, dass man den Jahresstufen entsprechend achtelasaige
für das Beste und Wünschenswerteste hält.
Die Abhandlung Dörpfeld's beginnt, die Hauptuntersuchung vorberei-
tend, mit einem Vergleich zwischen der uchtclassigcn und einclassigen Schule.
Die grossen Hemmnisse und fast unüberwindlichen Uebelstände der ein-
olasdgen Scbnle (Zerplitterung der Zeit nnd Kraft des Lehrers» Ersehwe-
mng der Diseipün, Zeitverlust l>eini Weebsel der Ldintnnden) sind in der
achtclassigen sämtlich und grflndUch beseitigt Als echter Schulmann
nimmt sich Dövpfeld auch der verachteten einclassigen Schule an, freilich
verurteilt er die Art, wie diese Schulform behandelt wird. Wenn bei der
Sohnleinrichtnng lediglicli zn bedenken wäre, wie viel Abteilungen ein
Lehrer zu unterrichten hatte, so wäre die Frajje abgetan: Je mehr Ab-
teilnngen, desto besser, desto melir Leistungen im ünterrieht und Er-
ziehung. Jene Verbesserung der dnolassigen Schule dureh die Vermeb
mng der Classen steigt, rein arithmetisch betrachtet, nicht gleichmässig,
sondern in abnehmendem Verhältnis. Bei der zweiclassigen Schule fallen
die Mängel schon zur vollen Hälfte fort. Von der übrig bleibenden
Hälfte der Hemmnisse beseitigt dann die dreiclassige Schule abermals
einen gewissen Bruchteil, aber wieder einen grösseren als die darauf
folgende yierclassige u. s. f. Hier auf der Mitte kann also von den
nrsprflngliehen Mängeln nur noch ein verhältnismftssig geringes Mass
vorhanden sein, üeber die vierclassige Volksschule hinaus lässt sich die
fortschreitende Verminderung der Uebelstände bestimmt bezächnen, indem
die Verbesserung jetzt jedcsninl darin besteht, dass an die Stelle einer
zweistufigen Classe zwei einstufige Classen treten. Daraus folgt, da^>8
die vierclassige Schule hinsichtlich der äusseren Organisation beträcht-
lich Uber der Mitte steht und daher der höchsten Form bereits ziem-
lich nahe konimt. Es wird hinsichtlich der Handhabung der Disdplin
und des Zeitverlustes beim Wechsel der Abteilungen ein gewisser geringer
Rest von Schwierigkeit und Hemmung verbleiben. Da.s Manko hinsicht-
lich der Zeitzcrplitterung und der methodischen Beeinträchtigung lässt
sich genau feststellen, wenn die einzelnen Unterrichtsfächer, je nachdem
in dem einen gesondert unterrichtet werden muss (Zeitzersplitterung),
oder je nachdem die beiden Abteilungen in anderen combinirt werden
können (methodische Beelntitchtigung , Drock auf die Individualität)^
einer genauen Musterung unterworfen werden. Da treten uns eine Reihe
von ünterrichtszweigen entgegen, welche von der Natur die Nachteile
der doppelstufigen Classe vermindern helfen. Es sind diejenigen, welche
verhältnismässig wenig mündliche Ünterweisung seitens des Lehrers, hin-
gegen sehr viel Uebnng seitens des Schülers erfordern. Es kann näm-
lich ohne wesentliche Verkürzung der mündlichen Unterweisung (Zeit-
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lenpfittenmg) im Schönschreiben, Zeichnen, in Orfbographie und im
elementaren Rechnen jede Stufe ihren besonderen Gang geführt werden.
Umgekehrt kann bei den Leseübungeu, im Singen, bei Vortragstibnngen
combinirt werden ohne merkliche, drückende, methodische Beeinträchtigung.
Genau dasselbe Verhältnis stellt sich bei Betrachtung der anderen ßeihe
der F&eher heraus, bei denen dne aiwgedehnte mflndliche ünterweisiiiig
geboten ist, wenn der volle BOdnngenrtng erzielt werden boIL In Gram-
matik, Anfisatslehre, im Rechnen auf der Oberstnfe, in Geometrie fordert
das Wissen sofortige und umfangreiche practische Anwendung. Wie oben
bei den Fertigkeitsfächem wird die unterrichtliche Behandlung in ge-
sonderten Abteilungen, mündliche Unterweisung und schriftliche Uebungen,
abwechselnd geschehen müssen. Was endlich die übrigen Wissensfächer
(ßeligion, Geschichte mit Geographie, Naturkunde) anbelangt, in denen
Qombinirt werden mnes, so wird derDrnek hanptsttohlich die Oberabteilnng
treffen. Er UUist sich vermindern, wenn euunal nur der Grundstock
gemeinsdhaltlich behandelt wird, also das, was unbedingt und von allen
gewusst werden muss, der Rest aber mit der oberen Abteilung separat
vorgenommen wird. Bei geschicktem Lchrvert'ahren wird auf der ersten
Stufe des Auffassens combinirt (.die obere Abteilung repetirt dabei !), auf
der zweiten Stufe des Einprägens wird so geschieden, dass die Oberen
lohriftlieh repro4neiren| während der Lehrer die mflndliche Einprägung
mit den Unteren vornimmt, endUch wird anf der dritten Stufe des münd-
lichen Reproducirens, Änwendens, Producirens wiederum combinir^ wobei
die intensiv höheren Leistungen der Oberen den Unteren das Ziel zeigen,
nach dem sie zu streben haben. Summa : Der achtclassigen Schule bleibt
unbestreitbar der Vorrang : 1. weil sie frei ist von Zeitzerplitte-
rung; 2. weil der Unterricht dem Schüler genauer an-
gepasst werden kann; 3» weil die Dieeiplin leichter ist;
4.- weil kein Zeitverlust durch den Lehrweehsel der Ab-
teilungen entsteht; 5. weil die Arbeit des Lehrers teil*
weise leichter und weniger anstrengend ist Wir haben
aber gesehen, dass das Manko bei den beiden Hauptpunkten (1. und 2.)
durch die Lehrgegenstände und durch die darnach bemessene methodische
Beliandlung bei der achtclassigen Schule beträchtlich vermindert ist j also
80 Uberaus gross, wie man gewöhnlich meint, istder Vor-
sprang der achtclassigen Schule nicht
Die eben aufgezählten Yortdle der achtclassigen Schule betreffen
die äussere Constitution und zeigen sich bei der vierclassigen als nach-
tdlig. Die Vorteile der wenigclassigen Schulen hinwiederum liegen auf
der Innenseite des Organismus und treten bei den vielclassigen Schulen
als eine Reihe von Uebelständen auf, weichein ihrem Zusammen-
wirken die Schularbeit sehr beeinträchtigen und in eben
dem Masse sich veiBcfalimmern, als die Zahl der Olasse ateigt Die Vor-
iflge der viefclasdgen Schule, die der achtclassigen abgehen, sind folgende:
1. Grossere Einheitlichkeit in Unterricht und Schul-
leben. Je mannigfaltiger und feiner die Aufgaben sind, welche der
Schule rücksichtlich der harmonischen Ausbildung der Intelligenz, des
GemUtslebens und der Gesinnung gestellt sind, desto mehr wächst die
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Schwierigkeit, bei einem vielköpfigeu LehreteoUeginm die erforderliche
Einheit in der Arbeit herzustellen. Dies kann nur auf künstliche Weise
geschehen. Es kann aber unmöglich alles, was die Einheitlichkeit fordert,
in eine Instruction gebracht werden. In Methode und Disciplin muss
dem einzelnen Lehrer eine gewisse Freiheit gestattet werden. Welche
Anforderungen an Einsicht Ünuichi^ Befähigung, Flein dee DifeetorSy
an die Sorgsamkeity Ontwttligkeity Nachgiebigkeit, Unvefdrosaenheit der
Lehrer ! Soviel daran unerfüllt bleibt, soweit geht die Einheitlichk^t in
die Brtlche. Endlich fordert das Princip der Einheitlichkeit nach aussen
hin eine einhellige würdige Repräsentation, die Anstalt, das Lehrer-
collegium muss bei den Eltern Vertrauen, Achtung gemessen. Man sehe
zu, wie diese Forderung bei den vielclassigen Schulen erfüllt wird —
eiMlt werden kann I Die vierclassige Schule ist, was die Einheitlich-
keit in üntenicht nnd Seholleben betrifft, mindeatena um die Hilfte
gOnatiger geateUt ala die aehtclaasaige.
2. Die vierclaBaige Sehnle erleichtert es dem Lehrer,
die Eltern und von da aus auch die Kinder näher kennen
zu lernen, um vor Misgriffen, allerlei Hindernissen uud Vcrdriesslich-
keiten sicher zu sein. Dass in diesem höchst wichtigen Punkte die
vierclassige iSchule wiederum besser gestellt als die achtclassige, liegt
anf der Hand.
3. Sie bietet dem Lehrer mehr Gelegenheit nnd Nöti-
gung, sich in der Lehrknnat anvervollkommnen. Der Unter-
richt mit einer Stufe ist bequemer, aber weniger instmctiv. (S. o.) Offen-
bar kommt die Steigerung der Lehrgeschicldiclikeit hei awei Stufen der
ganzen Schule zu gute.
4. Die Autorität des Lehrers ist mehr geschützt. In
den vielclassigen Schulen und voUenda bei häufigem Lehrerweclisel iat
reiehlieh gesorgt, daaa die Kinder Kritik aben an den Lelurem. Dieaer
Umstand greif!: tief ein in Lehren, Enieheni Regieren I
5. Vorteile, die darana entstehen, das s die sogenannten
stillen Beschäftigungen nicht vernachlässigt werden
können. Diese Uebungen in den Fertigkeiten behufs des Einprägens
and Anwendcns nehmen ganz nnd ausschliesslich die Selbsttätigkeit des
Schülers in Anspruch, Krone und Spitze des Lernens. Es sind nicht
Lflckenbüaser, aondem ea die HSlfte der Lernarbeit Nicht daa Esaen
tat*B, noch weniger daa Vieleasen, auf gute Veidannng nnd angemeaaene
Bewegung kommt's an, soll der Leib gedeihen. Mit dem geistigen Ge-
deihen verhält es sich ähnlich. „Wird der stillen, vollen Selbsttätigkeit
des Schülers nicht der nötige Raum gegönnt oder meint der Lehrer, bei
jedem Schritte mithelfen zu müssen, so mag der Unterricht anscheinend
schneller fortschreiten und äusserlich weiter vorrücken} allein dieser
aeheinbare Gewinn tat in Wahriidt eitel Verinat Denn ^tom ao anf den
Hnnfen Gelernten wird teils die Featigkeity tdla die praetiache Brauch-
barkeit abgehen nnd im allergünstigsten Falle mag der Sehflier siemlich
gescheit werden, aber er wird nicht geschickt, nicht practisch, nicht
selbständig." Bei den Hausaufgaben fehlt bekanntlich die Bürgschaft,
dasB sie selbst and sorgsam gemacht werden, auch dürfen die Kinder
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nicht flberbltrdet werden. £b wird aber in diesem Falle nicht nnr, wie
wir oben salien, die Zeitienplitterung in der vierclassigen Schule ver-
mindert, die Schwache — Zweistafigkeit — wird für die vierdasuge
Schale zu einom Segen. Die eifrigsten Lehrer gerade sind am meisten
der Gefahr ausgesetzt, vorwärts zu eilen. W&s iu dieser Hinsicht Vor-
zug der achtclassigen Schule ist, das Yorwärtseilen nach hohen Zielen^
wird zum Fallstrick, es wird in einstufigen Classen nicht genug repetirt^
durchdacht, angewendet, geflbi Die Tierelasslge Schule ist in dieser
Ansicht hinllbiglich geschfltst vor dem Dociren und Bilen.
6. Die untere Abtellnng profitirt in mehrfacher Be-
ziehung von dor oberen besonders im Vortragen, Lesen, Singen —
ein altljekaunter Vorteil. Aber auch in den sachunterrichtlichen Fächern
(Religion, (Jeschichte u. s. w.) ist die llüU'e nicht zu unterschätzen, wenn
auch nicht so handgreiflich wie iu den Fertigkeiten. Ferner unterstützt
eine gutgewOhnte obere Abteilung die eniehlichen BemOhuugen des
Lehrers. Es kommt unter den S<Afllem ein gegenseitiges Lehren und
Lernen in Gang, in der Naturkunde (wenn es der Lehrer versteh^ an-
tnregen) ein sclbatthätiges Forschungslernen.
7. Der mündliche Unterricht ist bei den kleinen Ab-
teilungen d e r V i e r c l a H s i g e n S (' h n 1 e w e n i g e r v o n gewissen
Hemmnissen gedruckt als bei den doppelt sogrossen Ab-
teilungen der aehtelassigen. Das Gutachten hat Schulen im
Avge, deren Glasse gesetalich 70 Kinder (meist aber darflber) sfthlen.
Die Hemmnisse, welche in so starken einstufigen Claesen den Gang des
Unterrichts hindern, bestehen bekanntlich darin, dass es in allen Lernsta-
dien schwierig ist, die Classe glcichmässig zu fördern. Der Lehrer sieht
sich genötigt, bezüglich des Auffassens und Verstehens den Fortschritt des
Unterrichts durch Erkundigungsfragen unterbrechen zu müssen, beim
Einprägen und Reproduciren muss er sein Hauptaugenmerk auf die
Schwieberen und Unachtsamen lenken. Leicht werden hierbei die wirk-
lich Anfinerksamen aerstreut oder lahm. VdUig frd von diesen üebel-
stftnden ist die vierclassige Schule nicht, aber der Druck steht in keinem
Vergleich mit dem, unter welchem die einstufigen Classen, zumal die
unteren, zu leiden haben. (Vergleiche das oben über die combinirten
Abteilungen Gesagte.)
8. Die vierclassige Schule kann die begabteren und
fleissigeren Schiller schneller aufrfleken lassen und
auch die schwächeren, 90 wie flberhaupt die Individualität
besser berücksichtigen. Dieser Vergleichnngspunkt gehSrt su
den einschneidendsten. In allen aufsteigenden Abteilungen (Classen)
finden sich im Allgemeinen drei Gruppen : eine kleinere Zahl herv'or-
ragend Begabte, eine breite Mittelschiclit , eine kleinere Zahl Schwache.
Dabei dai*f nicht vergessen werden, dass hinsichtlich einzelner Lehrfächer
wieder besondere Unterschiede unter den Schlllem TOrkommen* Wie soll
das Lehniel abgesteckt werden? Es kann lediglieh nur nach dem xahl-
rdeheren Mittebehlage bemessen werden. Bei Einstufigkeit der Classen
ist die obere Gruppe ein für allemal dazu verurteilt, beim Aufrücken
mit den Schttlem des Mittelschlaga streng Schritt zu halten. Sind die
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Clasaen sweistufig, so treten eclatante Vorteile ein. a. Diejenigen Schftler
der oberen Abteilung, welche in irgend einem Fache merklich zurück-
geblieben sind oder Lücken haben, kann der Lehrer, wie und wann und
80 oft es dienlich scheint, bei den betreft'enden mündlichen Üebungen
der unteren Abteilung wieder mit heranziehen. — b. Die particulare
Strebsamkeit in der unteren Abteilung kann gepflegt werden. Die Vor-
Uebe ist zuweilen das Anaeiohen einer besonderen Begabung oderFleiss
und Neigung erzeugen ein Talent. Das Selbstbewusstsdn bebt sich, zu-
mal bei solchen Kindeim, die in den meisten Fächern schwacb begabt
sind. In einstufigen Classcn ist die Pflege individueller Neigung und
Begabung unmöglich. Das Uebel steigert sicli durch den Fachunterricht^
die Kinder werden in der ganzen Runde gespornt und getrieben. Der
Druck lastet vornehmlich auf den Bchwach und mittelmässig begabten
Sehfllem. — o. Die hervonagend begabten nnd zugleich fleissigen Schiller
kdnnen schneller anfrttcken, wann und wo die Entwickelung dazu rftty
resp. es fordert. Sie kdnnen ihrer Natur gemäss sich entwickeln, in
frischer Strebsamkeit erhalten und dadurch vor dem Versinken in Nach-
lässigkeit, Gleichgültigkeit und Müssiggang bewahrt werden. Dieser
Vorzug der vierclassigen Schule muss insonderheit denjenigen Eltern in
die Augen fallen, welche ihre Kinder später in höhere Schulen schicken
wollen, nameotUeh dann, wenn der gehobene ffildnngsstand des Hauses
die schnellere Entwickelung begflnstigt
9. Finanzielle Erwägungen. Die achtclassige Schule ist
nach einer Seite wolfeiler als die vierclassige. Es wird an den Lehrer-
gehältern gespart soviel , als ein Dirigent an Gehalt und Service mehr
bekommt als ein ev&tev Classenlehrer , sodann an baulichen Auslagen.
Nach der anderen Seite hin ist die achtclassige Schule kostspieliger, weil
in der vierclassigen mehr Kinder unterrichtet werden können, weil der
Dirigent mehr Stunden geben kann (24 statt 16), der Unterricht der
Oberclassen also wol versorgt ist hinsichtlich der Einheitlichkeit nnd
eine ttberzählige Lehrkraft nicht notwendig ist, weil die äussereu Dienst-
leistungen (Reinigung, Heizung u. s. w.) keine besonders dafür bezahlte,
im Schulhause mitwohnende Person erfordern. Diese Sorge kann dem
Dirigenten mit übertragen werden. Soll also bei der achtclassigen Schule
nicht auf Kosten ihrer Leistungen gespart werden („wolfeil und schlecht''),
dann ist das achtolassige Schulsystem kostspieliger als das vierclassige. —
Kit dieser Frage der äusseren Schulverwaltung hingt endlich noch eine
des Schulregiments innig zusammen.
10. Die Stellung der Lehrer ist befriedigender und
der Lehrerstand innerlich gesunder; dasselbe gilt vom
Dirigentenamte. Iiier handelt es sich um Misstände, die zunächst
auf die Lage des Lebrerstandes übel einwirken und dann von da aus
die Sehulswed^e beeintrlcbtigen. Es ist eine Er&hrung so alt wie das
Menschengeschlecht, dass es sieh in kleinen Bereisen traulicher und ge-
mfltlieher lebt als in grossen. Wie fremd und kalt geht es nicht selten
in dem collegialischen Verkehre an den vieldsssigen Schulen her,
ungerechnet die förmlichen Zerwürfnisse zwischen einzelnen. Diese un-
behagliche, unbefriedigende Stellung der Lehrer an vieldassigen Schulen
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erweist sich im Blick anf die Schalzwecke als etwas HinderUches nnd
UngeBimdes. Es liegt dies in den VerhSltnissen, niehiln den Personen! —
Die unbehagliche Lage des Arbeiters wirkt aber nnvorteilhaft auf die
Arbeit. Ferner: Je mehr vielclassigc Schulen entstehen nnd je höher
die Zahl ihrer Classen steigt, desto weniger Dirigentenatellen giebt es.
Mit jeder achtclassigen Schule geht dem Lehrerstande im Vergleich zur
vierelaMigen eine Havpflehxentdle verloreiii mit je swei eeeluclassigen
Sehuleii eben&llB eine. Ferner denke man an die Znsammenkoppelnng
oft recht grosser Seknlsysteme. Mit jeder Knmulining dieaer Art wird
auf einmal eine ganze Reihe von Dirigentenstellen verschlungen. Hier-
durch gehen dem Lehrerstande die befriedigendsten selbständigen Stel-
lungen zusamt ihren besseren Ökonomischen Verhitltnissen und damit
ebensoviele Ziele, Uofifnungen; Auspornungen zum Yorwärtsstreben ver-
loren. Das ist dte aoeiale Frage der Sehnlarbeiter. »Wer in der Lage
ist nnd ein Auge dafttr besitst» um beobacliten zu können, wie ttbel die
vielclassigen Schulsysteme dnrch die massenhafte Vermehrung der Olasseu-
lehrerstellen auf Stimmung, Haltung und Ansehen des Lehrerstandes
eingewirkt haben, der würde wahrscheinlich sich keinen Augenblick be-
denken, die vielclassigen Schulen selbst dann zu verwerfen, wenn die-
selben in anderer Beziehung vor den vierclassigen wirklich die Vorzüge
hätten, welche man ihnen gewöhnlich znscbreibi** Nun sind aber diese
vermeintliehen Vorzflge gar niebt vorbanden , wenn aUea wol erwogen
wird, das üebergewiebt der Vorteile liegt anf der Seite der vierclassigen
Sehnlen. Wie viel mehr mttBsen jetzt bei diesem doppelseitigen Manko
die grossen i^cluilsysteme verworfen werden. Dörpfeld fordert eine
bessere Abstufung der Lehvercarriere und eine Hauptlchrerpiufnng. Die
Lage eines Dirigenten an einer vielclassigen Schule ist wenig gemütlich.
Die administrativen Obliegenheiten und die Aufsicht über die Ausführung
des Lebrplans ranben ihm die meiste Zeit Unverm^dliebe Mingel nnd
Llleken entstehen, wenn keine ttbenfthlige Lehrkraft vorhanden. Das
Liapiciren aber ist der leichtere Teil seiner Aufgabe. Die schwierig.ste
Sorge bei der Schulleitung ist diejenige für das einheitliche Tneinandcr-
greifen aller Mittel und Kräfte. Es soll im Lehrercollegium ein unge-
zwungenes Einverständnis über alle Einzelheiten des T^nteiriclits und
des Schullcbcns herrschen. Hier hebt die !Not an und wird um so
.grösser, je grösser das Colleginm ist, nnd beginnt mit jedem Lehrer«
weehael anPs Nene. Der Dirigent einer vierelasdgen Schnle steht seinen
CoUegen innerlich und ftusserlich näher. Er brancht im Tadeln, Mahnen,
Clommandiren nicht so häufig die unbequeme Seite seines Amtes herans-
ankehren. Das Dirigentenamt kann bei dieser Schulform seine Aufgaben
— insonderheit die wichtigste und schwierigste, ein wahrhaft harmonisches
Zusammenwirken aller Kräfte und Mittel herzustellen — am leichtesten,
sichersten und vollständigsten lösen, es ist also befnedigender, gesunder,
wirksamer.
Das Sehlvaanrteil lantet: ^Anf jeder Seite haften an den eigen-
tflmlichen Vorteilen auch eigentümliche Nachteile und sind mit denselben
nnabtrennbar verbunden. Begehrt jemand die Vorteile der einen Schul-
form, so muss er auch deren Nachteile tragen, begehrt er die Vorteile
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der anderen, so ist's ebenso. Wer nnier den Palmen wohnen will^
der mnSB auch die südländische Hitze nnd was dahinter lauert, sich ge-
fallen lassen; und wer der Hitze entgehen will, kann die Palmen nicht
mitnehmen !'* — Auf dem Gebiete der Volksschule ist das
yierclassige System dem achtclaasigen entschieden vor-
snsiehen. —
Wie alle Sehxiften Döipfeld*8 so ist aaoh diese ans reielier Praxis
hervorgegangen, so ruht auch diese auf dem festen Grande wissenscliaft-
licher Theorie und ist durchweht von echtem Lehrergeiste. Das muss
jeder billig l'rteilende auerkennen, er möge Dörpteld's Standpunkt in
der Frage teilen oder nicht. Allerdings der vierclassigen Schule vor
der achtclasaigen, relativ kleineren Schulsystemen vor den grösseren ab-
solut den Vorzug zu geben, das geht so widtt allen herkömmlichen
Strich, dass ftlr die meisten die Abbandinng von Tomherdn verfehlt
erseheinen mnss. So hat der Sclireiber dieses in seinen Kreisen Urteile
hören müssen wie: Was, die achtclassige Schule s^ll wieder abgeschafft
werden? Unsinn!" oder „Schulen, in denen mehrere Jahrgänge in einer
Classe vereinigt werden müssen, bleiben zurück und es bleibt eine un-
dankbare Aufgabe, sich in denselben abmühen zu müssen". Diese UrteUe
richten sich selbst Andere drückten sich vorsichtiger aus : »Von der
vierclassigen Schnle an beginnt der pädagogisch geordnete Untervieht**.
Ein er&hrener Sehuldirector, dessen Schnle sich alhnllig ans einer
vierclassigen in eine achtclassige verwandelt hatte, gab sein Urteil dahin
ab: „In der achtclassigen können wir die Ziele höher stecken, in der
vierclassigen wurde fester gelernt." Unserer Ansicht nach
ist dies eine Dörpfeld im Grunde beipflichtende Verurteilung der acht-
classigen Schule. Endlich waren wir selbst nicht wenig erstaunt, als
wir vielfiush rflekhaltlos bestimmenden Urteilen begegneten. So bei einem
Seminardirector (die Uebungsschnlen der sächsischen Seminare dnd vier-
classige), der von jeher im Unterricht kleinere Schulsysteme von vier
oder sechs Classen vor den achtclassigen empfohlen hat, desgleichen
urteilten zwei Dresdner BUrgersclnildirectoren, deren Namen zu den be-
kanntesten gehören, rundweg: ,,l.)uipteld hat Recht, wenn nur alle so
dächten." Wir waren nun sehr neugierig auf die Öfientlichen Recen-
sionen, umsomehr da diese Frage ttber den Wert der vierclassigen Schulen
gegenttber den achtclassigen besonders die Lehrerkrdse in Rheinland,
nnd Westfalen mächtig aufregen musste. Das von Dörpfeld verfessto
Gutachten war ans einer freien (nicht amtlichen) Gonferenz hervor-
gegangen, in welcher die Dirigenten der verschiedensten Schulsysteme
sich mit demselben einliellig einverstjinden crklürt hatten. Zuerst erschien
eine Kritik in der „freien Schulzeitung" von Keller, Berlin (1878. Nr. 23, 24)
von dem Dortmunder Rector Dietlein. Es ist ein Vortrag, den derselbe
in der Lehrerconferenz an Dortmund gehalten hat*) Herr Dietlein ist
in Dortmund als Beetor (stttdtischer SchuUnspeetor) angestellly eine Ein-
*) Eine Besprechung dieser Kritik unserenelts wurde von der Bedaetion
der „freien Schulzeitung" unter den schmeichelhaftesten Ausdrücken ab;::elehnt.
.Sie erwarteten einen anderen Beitrag aus unserer hochgeschätzten (!) Feder.*
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riehtnngy welehe man seit einiger Zeit in weetflUleelien nnd anderen
norddeutsohen Stftdten eingeführt hat^ weil man keine Hanptlebrer hatte
nnd sie sparen wollte. In Dortmund giebt es eine ganze Reihe Schul-
systeme (alle ohne Ilaiiptlehrer) und liat Herr Dietlein wol hundert
Classen unter sich. Herrn Dietlein's Vortrag ist rubig und kurz gehalten,
leidet aber sehr an Oberflächlichkeit — und Verlegenheit. DicHea Urteil
wird man gerechtfertigt finden, wenn man beispielsweise folgende Aus-
laBBung der Frankfurter Lehrer*) in einem Gonfereniberiokt des Frank*
fnrter Jonmali Uber Tkese 10 mit der Dietlein^selien Tetgldebt Jene : Es
ist keine Frage, dass die in den meisten Städten in unvemflnftig
Inxuriösen Schulkasernen untergebrachten combinirten Schulen mit vielen
Classen unter einem und demselben Dirigenten, welcher an der Unterrichts-
arbeit nicht mehr participirt, sondern nur noch der Aufsichter einer
ganzen Schaar von ihm abhängiger Lehrer ist, nicht von Segen sein
können: das sind reine Vnteniehts-i aber keine ESniehnngBanstalten, nnd
die Leluer erseheinen als onvriers mit allen Tugenden nnd Lastern
solcher."* Herr Dietlein: ^Ob das Dirigentenamt an einer vierclassigen
Schale befriedigender ist als an einer achtclassigen mag ich nicht weiter
erörtern. Ich meine aber, dass, wenn man sonst mit fröhlichem Mute
arbeitet, nnd wenn man sieht, dass es vorwärts geht, so — kommt auch
die Befriedigung'". Herr Dietlein hätte alle Ursache gehabt, auf die An-
griffe wider die enmnlirten Sehulsysteme, wider das neumodische Beetorat
(k la Dortmund) nnd wider die kopflosen melurdasslgen Schulen niher
einangehen. Aber davon qiricht er mit keiner Silbe. Seine Dortmunder
Hörer wie die Leser der Eeller^sehen Schulzeitnng, die das Gutachten
nicht kennen, erfahren gar nicht» was unter l(r. 10 eigentUch cur Sprache
gebracht worden ist.
Kicht weniger bezeicjineud ist folgende Gegenüberstellung. Dörp-
feld's Behauptung in These 4, dass bei der vierclassigen Schule die Auto-
rität der Lehrer besser gesohtttst sei, stellt Heir Dietlein entgegen : Wenn
unter den vier Lehrern einer solchen Schule einer sei, der nicht wllrdig
wandele, ob dann unter den acht Lehrern des anderen Systems not-
wendig deren zwei sein müssten V Zur Ehre des Lehrerstandes mflsse
man doch annehmen, duss solche Ausschreitungen nur ausnahmsweise
vorkämen, und somit sei jener angebliche Vorteil der vierclassigen Schule
hinfällig. Was soll man dazu sagen ? Weiss und versteht Herr Dietlein
wirklich nicht, was die ZUEim der staüstisehett Tabellen bedeuten woUen?
«Sie mUssten Herrn Rector Dietlein doch dann wieder das Wort {^oben" nnd
entschuldigen sieb mit Platzmangel (für diese wichtige Frage !). „Die Beleuch-
tung der Dietleia'scbeu Kritik des Gutachtens Uber . . . .* seitens der Ber-
fiscnen Conferens durch den Hanptlehrer Schumacher in Solingen ist im
luchhandel erschienen (Gütersloh: U. Bertelsmann).
*) Leider sind die Verhandlungen des städtischen allgemeinen T-ohrervereins
an Frankfurt a/M. nur in kurzem Auszuge veröffentlicht worden. Derselbe
hat sich vier Conferenzen hindurch mit der Würdigung des Gutachtens be-
schäftiget und mit müglichster Unbefangenheit die Dürpfeld'schen Thesen geprüft.
Man hat sich fUr die heimischen achtclassigen Schulen (gemUss den dortigen
Scknlveihitttnissen) entscliieden, die Cnmiuirungs-Systeme in dirigentenlosen
Schulen hingegen verworfen.
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Zur Ehre des Lehrerstandes soll man annehmen, dass acht nicht das
doppelte von vier sei, zur Ehre des Lehrerstandes soll die Mathematik
ihre Gesetee beugen? Noch ein BeiepieL In Ddrpfeld's Gntacliten ist
unter den Vorteilen des ▼ierelusigen Systems nicht hervorgehoben, dass die
Erziehung bei demselben sich weit besser stehe. Wer die Erziehung höher
seilätzt als die Ausbildung der blosen Intelligenz, weiss olinehin von selbst,
dass die vierclassige Schule (kleinere Schule) in eraiehlicher Hinsicht vorteil-
hafter ist. In Wahrheit aber zieht sich der Gedanke durch die ganze
Abhandlung hindurch. Uerr liectur Dietlein sagt, das Gutachten habe
in sehr blos den ünterrieht im Sinne und fasse in wenig die Eniehnng
ins Auge. Damm lühne die achteiassige Schule in DOrpfeld*s Abliand-
lung zu kura, denn dfeie ha1>e gerade in Absicht auf die Erziehung
grosse Vorzüge. Man traut seinen Augen nicht, wenn man dies liest!
Offenbar hat Herr Kector üietlein niemals etwas von einem Herrn Dörp-
feld gehört oder gelesen und so kann er glauben und behaupten, es
sei demselben weniger an Gesinnung (Erziehung) gelegen als ihml Hat
Herr Dietlein aber aus der Broschüre wirklich ni<^t herausgelesen, was
jeder herausfühlt, aueh wenn er keineswegs in den preussisehen Sehul-
zaständen mitten inne steht? Ein sächsischer Sehuldizeetor äusserte
dem Unterzeichneten gegenüber seine Freude Aber die Abhandlung mit
den Worten : „Ja, das ist's, es wird auch bei uns mehr gelehrt (gepaukt),
als erzogen!" Was also Herr Dietlein nicht findet, das ist die Quint-
esaenz der ganzen Abhandlung. Glaubt Herr Dietlein wirklich, dass die
achteiassige Schule (grösseres Schulsystem) erziehlich vorteilhafter sei
als die Tierolassige (kleineres Sohulsystem) oder sind es nur Advoluten-
kOnste, die er sich erlaubt? Diese Beispiele, die sich leicht vermehren
liessen, mögen genügen. Wir schliessen uns dem Ergebnisse der Schu-
macher' sehen Beleuchtung an: «Aus dieser Kritik geht das Gutachten
unversehrt hervor".
Auf eine etwas tiefer lu;ireiu[e l'eberlegenheit Dörpfeld's über seinen
Kritiker muss noch aufmerksam gemacht werden. Das Gutachten weist
ausdraoklich auf die besondere Eigentamlichkelt resp. Schwierigkeit der
Olassensahl-Streitfrage hin, nämlich darauf , dass in der aniustellenden
Vergleichung so yiele disparate Werte gegeneinander abgeschätst werden
mflssen. Es ist somit klar, dass durch einen Disput allein, wie ein-
gehend er auch sein möge, die Frage nicht überzeugend ausgemacht
werden kann. Die Entscheidung wird immer davon abhängen, wie hoch
einer die disparaten Werte dort und dieselben hier taxiren will. Dies
hängt wiederum sehr von der individuellen pädagogischen Gesamt-
anschannng und von persönlichen Erfahrungen und dergl. ab und diese
Differensen — dass wdss ein jeder — lassen sich durch keinerlei Dis-
putation sofort zum Austrag bringen.
Ist es doch gerade diese berechtigte Eigentümlichkeit in erster Linie,
welche bei vielen die Meinung erweckt, die Pädagogik sei gar keine
Wissenschaft sondern ein Conglomerat von Meinungen. Wir finden diese
Ansicht nicht etwa unter Laien verbreitet, sondern selbst bei den CoUegeo,
die i^ch nie die Zdt genommen haben, in ein streng wissenschaftliches
System der Pädagogik sieh einxnarbeiten und die mit der Schwierigkeit
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die Theorie io die Praxis sn flberaetsen, die mit diesem bedeatsamsten
Objeet pftdagogi sehen Nachdenkens nielit vertraut sind. Dörpfeld's Gut-
achten vermeidet diese Klippe oder es verschweigt, trübt die Wahrheit
in dieser Hinsicht nicht im Leisesten. Es ist die erste wissenschaftliche
eingehende Untersuchung über diese Frage. Was die pädagogische
Literatur bi&lier darüber bietet, ist nicht der Bede wert. Einzelne Urteile,
keine eingebende Prufung! ünd irte ruhig, ide sorgsam sehreitet
DOrpfeld'sUnteisnehnng vorwärts, nirgends IlbertriebeneSehlllsse^ nirgends
ist der Boden der Tatsachen verlassen, überall spürt man, dass hier ein
Mann spricht, der wie ein guter Arcbitelct seine Anfsteiinngen wol sa
stützen, zu verbinden, zu gliedern weiss. Wolan , man mache es ihm
nach! Man versuclie doch, die Vorteile der achtclassigen Schule, der
grossen Schulsysteme — ihre eigentümlichen Vorzüge — im Detail und
in ganzer Breite ans Licht treten an lassen, man verfahre Dörpfeld
gegenflber positiVi nicht polemiseh^ man wige sehliessiich ab, damit der
grosse Gewinn klar nnd dentUeh vor Augen steht 1
Neben den Rectoren (städtischen Schulinspectoren), welche am liebsten
alleinige Schuldirigenten bleiben möchten und als deren Repräsentant Herr
Dietlein gegen die Verteidigung der vierclassigeu Schule und des llaupt-
• lehreramtes in die Schranken getreten ist, befehden auf der anderen Seite
die ^Classenlehrcr'' nicht weniger ingrimmig die Dürpfeld'sche Broschüre.
Die Frage war in Flnss gekommen. In Correspondenaen der brandenbnr-
gisehen und sftohsisehen Sehnlblätter würde gegen das ^famose Gutaehten**
des Rector Dörpfeld in allen m<^lichen Tonarten zu Felde gezogen. Und
das alles im Grunde nur wegen des Hauptlehreramtes, dem gegenüber
die Classenlehrer sich unterdrückt fühlen".*) Es gibt in Deutschland
Hunderte von Directoren an höheren Lehranstalten , an Volksschulen,
sie alle halten das Dirigentenamt für notwendig, ja, irren wir nicht,
ist nenerdings anch von höchster Stelle (in Preussen) das Hauptlehrer-
amt naehdrfleklieh betont worden, die SebrÜl des «freien Lelirervereins**
in Dnisbnrg**) aber ist ginzlieh abweisender Ansieht Es ist betrübend,
mit welchen Schmähungen die sich nicht mit Namen nennenden Heraus-
geber jener Broschüre gegen einen Freund und Verteidiger ihres Standes
angehen. Man hat wahrlich Mühe die Schmähschrift durzuackern, so ist
Wahres, llalbwahres, Falsches durcheinander gemengt. Die wirklichen
oder vermeintlichen Vorteile des einstufigen Glassensystems werden in einer
die Dörpfeld*Bchen Anfttellungen gans abfiUlig beurteilenden Weise be-
handelt. Wir heben, wie bei den.Dietlem'schen Vortrage wieder einaelne
♦) Die gleich zu besprorjhonde gep^nerische Broschüre gibt selbst zu, dass
viele Classenlehrer aus anderen Provinzen durch die (scheinbar) grösseren Ge-
liSlter in die grossen und — teueren iheiniselien Stitdte verlockt worden.
Daselbst trat ihnen obendrein das im Norden und Osten noch unbeluumte
Hauptlehreramt entgegen. Hinc illae lacrimae!
*^ Organisation, Leitung und Aufsicht der Volksschule.
Zugleich kntisclie Belenchtnng des von dem Vorstande der allgemeinen bel-
gischen Lehrerconferenz bearbeiteten pädago^schen Gutachtens „die vierclaasige
und die achtclassige Volksschule". Mit besonderer Berücksichtigung
der Hauptlehrerfrage. Hersusgeg. vom freien Lebierver^n zu Duisburg.
Wittenberg: Berrosö 1878.
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16
charakteristische Stellen heraus. „Eine Instruction bezüglich des inneren
Ganges des Unterrichts ist unnötig — weil auf den Seminaren Pädagogik
gelehrt wird und die Lehrer durch Studium und öelbsterfahrung zur
Einsieht ihrer Tätigkeit gelangen Icönnen.*' IffB. gelangen kOnnenl
.„Besllglioh des LelirgeeehiekB stehen sieh die Lehrer der einstufigen
Classen am besten, insofern sie die ClaBsen mehrere (wie viele?) Jahre
hindarchführen und — Fachuntemcht erteilen.** Also das ist das Ideal
dieser Leute — Fachunterricht in der Volksschule ! Soviel uns bekannt,
lässt es sich z. B. an den trefflich organisirten Dresdner Bürgerschulen
nicht ganz regelmässig durchführen, dass ein Lehrer die Kinder
durch zwei Stufen (Classen) hindurchfahrt, geschweige denn durch
mehrere. „Herr Dttrpfeld scheint das Lehrergeschick in der Zeit-
einteilung zu suchen.^ Das ist wider bessres Wissen gesagt ! n^^r beste
Unterricht ist die beste Zucht** (im Ileibart'schen, sicherlich aber
nicht im gewöhnlichen Sinne) ; die Zahl der Classen hat mit der Au-
torität des Lehrers nichts zu tun". Die Verfasser scheinen wahrlich
41ber die Neigung der schulwüchsigen Jugend zur Kritik gänzlich un-
uuterrichtet zu sein. r>^&s Gutachten führt allerlei Möglichkeiten an,
die in videlassigen Schulen eintreten können, wie zuviel Doeiren, Ein-
pauken u. s. w. Ja woin man mit Möglichkeiten etwas beweisen will,
dann icann man alles behaupten. Wir erkennen keinen Profit und keine
Spur von einem mühelosen Lehren (bei zwei Abteilungen in der Classe)
und wäre Letzteres der Fall, so kann man nur sagen : Mühelos Er-
worbenes hat wenig Wert." Hier ftlngt einem der Verstand an stille zu
stehen. Doch hören wir sie weiter, die Weisen von Duisburg ! „Gibt es
nieht der Mittel eoYiele, um zur üehoxeugung zu gelangen, dais alle
Kinder den Stoff besitzen? Man denke an Chor-, Bank-, Beiliensprechen
(S. 16). Am Heben der Finger, am Auge, am Sitz u. s. w. (sie!) hat
der Lehrer sichere Beweise fttr das Vorhandensein der Aufmerksamkeit
„Besondere Erkundigungsfragen sind ein Unding^ (S. 18). Es ^dder-
steht uns weitere Beispiele solcher pädagogischer Einsicht zu repro-
ducircn ! Was diese Kritik übrigens Richtiges und Positives fUr die
achtclassige Schule vorbringt, ist bei Dörpfeld keineswegs unerwähnt
gebliehen, freilich ist der Standpunkt dessellMn (wie mzii aus einem Ver-
gleich seiner Sätze mit den eben angeftihrten gegenteiligen Meinunga-
ftussemngen auf der Stelle ersieht) ein gftnsUch verschiedener, nämlich
der wissenschaftlicher Einsicht gegenüber unverzeihlich oberflächlicher
Beobachtung. Zwei gute Dritteile der Broschüre ab«!r sind der Dirigenten-
frage gewidmet. Hier ist des Pudels Kern, wie wir schon andeuteten.
Es ist ganz offenbar — weniger die Ciasseuzahlfrage als vielmehr das
fiauplehrer-Amt bekümmert die Herausgeber. Dörpfeld Ist stets adn
Verteidiger gewesen. Mit aehtzehn Jahren, sagte er uns einmal, sd er sich
darflber schon klar gewesen. Zumal in der «freien Schulgemelnde^ ist er
um des Ansehens, des Auskommens und der Zucht des Lehrer-
standes willen dafür eingetreten, dass die Regierung diese (niederrheinische)
Einrichtung überall einführen und gesetzlich wie ökonomisch richtig fun-
diren möge. Die Duisburger lassen folgenden Drachen steigen : „Die
Hanptlehrerfrage hat mit dem vier- oder vielclassigen Systeme nichts an
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tun.** Iit nicht möglich! Während Durpfeld seit seines Lebens auf
die gesunde Einrichtnng im Beigischen hingewiesen, dass nämlich , so-
bald mehrere Lehrer an einer Sehnle tätig sind, einer deiselben nicht
blos die äussere Ordnung, sondern vorzüglich das innere Leben des Or-
ganismus zu übci-waehen und zu leiten hat,*) sind die Duisburger der
Meinung, das« ein Lehrplan und eine Schulinspection für eine Menge
coordinirter Lehrer und verschiedene Systeme geuügeu. Einbezug auf
die selbständige Existens der Schalsysteme (sagen sie) ist es gana ohne
Bedentang, ob jedes derselben einen besonderen Leiter habe oder nicht.*^
Ja noch vielmehr, ohne dirigireuden Lehrer ist die Selbständigkeit der
einzelnen Lehrer aliein gewahrt, sonst werden die Glassenlehrer unter-
drückt und stehen auf der Stufe der (ungeprüften) Gehilfen, um deren-
wiileu seiner Zeit die Einrichtung des liauptlehrer- Amtes notwendig war.
Der Vorschlag Dorpt'eld s, die iieihenfolge der Glassenlehrer etwa der an
den höheren Schulen analog zu ordnen (provisor., ständige Ciassenlehreri
Ibaptlehrer) wird mit den ärgsten Anschnldigungen ja Verdächtigungen
mrackgewiesen. Dem Hinweis auf die grossere Strebsamkeit des Lehrer*
Standes als eine Folge solcher Rangordnung (neben rechter Zufrieden-
heit und grösserem Ansehen) wird entgegengehalten, es seien dies Privat-
wünsche (!), dem Lehrer müsse das Wol der ihm anvertrauten Jugend
über äussere Aussichten gehen und werden dazu Comenius , Pestalozzi,
Wilberg y K. Schmidt, Diester weg als Autoritäten angeführt — kurz
DDrpfdd weiis eben noch nichts dass der Lehrer nicht am ersten nach
materiellen Vorteilen trachten soll, dass sein Buhm Schaden leidet, wenn
er sich trotz ungünstiger äusserer Lage nicht einen idealen Aoüiehwiing
bewahrt, er (Dörpfeld) kann eben die Tätigkeit des Lehrers von der
• mechaniichen Arbeit nic'.it unterscheiden ! Also wollen die „Jungen**
den „Alten^ meistern! 0 ihr Heuchler und Pharisiier, sagt die Schrift!
Wir waren einst zugegen, als der bekannte Vorkämpfer der maierielleu
Aufbesserung des I^hrerstandes in Preusen, Semiaardirector Jfltting,
eine fulminante Bede aber diese brennende Frage hielt Brausender
Zuruf erscholl von Seiten der versammelten Lehrer und er wurde als^
bald aufgefordert, ^aus seinem Leben zu erzählen^. Dörpfeld aber, der
mit den leisen Worten „grössere Strebsamkeit^ grössere Zufriedenheit" den
wunden Punkt benihrt, muss sich deshalb in jenem literarischen Mach-
werke eine Behandlung gefallen lassen, wie sie schlimmer uicht ge-
dscht werden kann. Er könnte allei-dings auch aus seinem liCben er-
sählen, sdn Schild ist rein, aber er wird es fär unter seiner Wtirde
erachten, auf jene Verleumdungen zu antworten. Doeh hören wir cUe
Duisburger Anonymi zu Ende. »Die Abstufung der Lehrercarriere würde
einen tiefen Riss durch den ganzen Stand machen! Localschul-
aufsicht ist nicht mehr notwendig, das IIuuptlehrer-Amt
(dirigirender Lehren würde weit kränkender und beengender sein.
Oehaltscale nach Anciennität. Kein Teil der Leitung soll mit dem Lehr-
*) Der Hanptlehror hat sein Vorhältnis zu den ClaHsenlehrern als dasjenige
eiaes älteren und erfahrenen Collegen und Katgebers aufzufassen, der sich so
au ihnen su stellen weiss, dsss sie sieh gern seiner FOhrung ttberlsssen« (In-
struetion für die Hauptlehrer des Begiemngsbeslrks DSsseldorf.)
niM««« stiidj«B. n. F. tu. 2
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amt Terbnnden sdn, dieselbe kommt ganx dem SehnltoBpeetor su. Weg-
fall jeder LoealinBpeetion ! Arbelt um des Gewissens willen, nicht um
des Revisors willen! Der Schulinspector soll etwa vierzig ländliche
und biß hundert städtische Classen (!) zu leiten haben." Sapienti aat! Die
vorsichtigen und wolgemeinten Vorschläfje eines erfahrenen, denkenden Schul-
mannes sind auf schmähliche Weise verkannt, entstellt, in den Kot gezogen t
Wir haben zu dem Referat Uber Dörpfeld's Gutachten und zu der
KritÜL der EritilceD nur Weniges beizufügen, da unsere Stellnng liin-
linglieh gekennseichnet ist Wir betonen noch einmal, dasa nns jenes,
einer freien^ nicht amtlichen Conferenz entspmngene, von einem llngst
durch seine gediegene Art bekannten pädagogischen Schriftsteller ge-
schriebene Gutachten von höchstem Wert erscheint als erste Monoj;vaphie
über die Frage, wie die (verachteten) vierclassigen oder sagen wir lieber
kleinen (weuigclassigen) zu den cgepriesenen) achtclassigeu, grossen Schul-
systemen steh verhaltai.
Vom Standpunkte des ersiehenden Unterrichts sind die Ideineren
Schulsysteme ohne Zweifel den grösseren absolut vorzuziehen. ,,Eine
Schule mit vielen Lehrern und OlasBen und Sehfllern hat ähnücho Nach-
teile wie eine grosse Stadt. Es sammelt sich mehr Schmutz und Unrat,
es entsteht mehr Unordnung und Unregelmässigkeit, als dies in einer
wenig ausgedehnten Schulanstalt möglich ist und Mängel können minder
leicht wahrgenommen und beseitigt werden. Ganz besonders aber ist
die Vermelining der Glassen Uber drd höchstens Tier hinans üi stid>
tischen Armensohnlen an mishilligen** — ans endeldichen Orflnden. (Gxftfe,
die dentsche Volksschule II, S. 655 ff.) Und «nichts in der Welt
erschwert so sehr die eigentlich moralische Erziehung
als Anhäufung vieler Kinder auf einem P u n k tc (Ilerbart's
Werke XI, S. 326). Wenn auch über einzelne Punkte (z. B. was mit den
Kindern geschehen soll, welche die unteren Stufen in einem Jahre sicher
absolviren und auf der ersten mehrere Jahre zu Terweilen hätten) sich
dispntiren liesse» gegen die wolgeordnete Beweisflllimng DOrpfeid^s wird
im Grunde sich nicht viel einwenden lassen. Wolverstanden sind wir
nicht der Ansicht, man möge der achtclassigen Schule die vierclassige
auch da vorziehen, wo jene etwa bereits eingeführt ist — irren wir
nicht, so ist das Gutachten selb.st keineswegs dieser Meinung, es will
die heimische Position der vierclassigen Schulen gegen die eindringenden
achtclassigen gründlich verteidigen — aber wir entnehmen uns am der
D9rpfeld*sohen Brosehllre allerlei Wamnng nnd Belehrung Aber die acht-
classige Schnle nnd halten es z. B. f&r höchst nachteilig, wenn in einer
solchen Schule die ELinder jedes Jahr den Lehrer wechseln. Auch
würden wir das sechsclassige System (unten einstufig, oben zweistufig)
dem vierclassigen vorziehen, keine. sweg.s aber (wie in dem Gutachten ge-
schieht, übrigens nur nebenbei und absprechend aus localen Gründen) diese
Combination der einstufigen und zweistufigen Verhältnisse beim Unter-
richte von der Hand weisen. Das Gutachten ist eine Strdtschrift^ aber
man wird ihr, Tersehwindende Auanahmen abgerechnet, das Zeugnis nicht
versagen können, dass sie leidenschaftslos, unparteiisch, sachlich gehalten
ist and nur das Wol der Schule und des Lelirerstandes bezweckt.
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II, Mitteilungen.
I. PrSparatfon. BiU. Gesch. III. Schuljahr.
Isaak wird von Jakob betrogen.
Ziel. Ich will euch hentf' erzälileu, wie Esau Ton sdnem Bmdor
Jakob um den väterlichen Segen betrogen wurde.
I. Stück.
1. Stufe. Rebekka wurde gesegnet, als sie Abschied nahm von
den Ihrigen. Die Bedeutung des Segens bei den Israeliten. Erinnerung
an das ErstgebniisTeeht (vorhergehende Emheit: wie Jakob das Erst-
gebortsrecht von seinem Bnider gewiant). Wer von den BrQdern bat
Anspruch auf den väterlichen Segen? Zusammenfassung.
2. Stufe. Nun hört, welchem seiner Söhne Isaak den Segen ver-
leihen will. Erzählung bis „ehe ich sterbe".*) (Wiedereizählung durch
die Kinder, ohne vorausgegangenes Abfragen.)
II. Stück.
1. Stufe. Esau ist hinaus auf das Feld, um ein Wildpret zu
jagen. Ob w<d Hntter dandt einTerstanden ist, dass Esau den Segen
erhilt? (Yoiausgegangen ist in der vorigen Einheit: sie liebte. Jakob.)
Konnte sie bei ihrem Manne Isaak gegen Esan und für Jakob sprechen?
Das ging nicht. Nun hört, was sie tat.
2. Stufe. JQnfthlung bis „das sie bereitet iiatte**. (WiedereriShlnng).
III. Stück.
1. Stufe. Ob \v(il der Plan gelingen wird? Isaak ist alt. Er
kann nicht mehr gut sehen, nicht mehr gut hören. Aber er liebt Esau;
er wird ihn wol erkennen. Esau ist rauh. Warum? Was hatte Jakob
dagegen getan? So ging er nun au seinem Vater hinein ins Zelt.
2. Stufe. Erzählung bis «wer dich segnet**. (Wiedererafthlung).
lY. Stack.
1. Stufe. Isaak hat den Segen erhalten* Bald wird Esau zurück«
kommen. Er wird auch den Segen erbitten. Was wird Isaak tun?
2. Stufe. Erzählung bis zu Ende.
Zusammenfassung der ganzen Erzählung von Seiten der
Kinder. Es wird mehrmals das Ganze im Zusammenhang erzählt. Dann
folgt die ethisch-religiöse Besprechung. Doch vorher wird
die Disposition des Garnen mit den Kindern «arbeitet und swar:
a) Der Plan Rebekkas, b) Die Entdeekung. c) Die Ausführung.
1. Isaak war alt geworden. Er wollte Esau seinen Segen geben. .
Ein wichtiger Tag, warum ?
2. Rebekka hörte die Worte Isaaks. Welchen Plan fasst sie? War
das recht getan? „Die, so Böses raten, betrügen."* Wie verhält sich
Jakob seiner Mutter gegenüber? Musste er der Mutter gehorchen?
*) S. das dritte Schuljahr von Belui Pickel, Seheller. Kassel,
Baeaeistor, Seite 22 und 23.
2*
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20
3. Jakob gebt hinein sn seinem Vater. Was er spriehi Er Iflgt;
er betrügt seinen Vater und bringt seinen Bmder rm den Segen.
4. Wie sieh Esan verbllty als er hört, dass ihm der Segen vorweg
genommen sei
Zusammen fassung:
1. Es war Unrecht, dass Rebekka den betrügerischen Plan fasste.
2. Jakob durfte nicht auf denselben eingehen, trotzdem es ihm
seine Mntter gebot
3. Jakob duffke nicht seinen Vater belttgenj er durfte ihn nieht
betrugen; er durfte seinen Bruder nicht um den Segen bringen. ^Der
Gerechte ist der LOge Feind.** «Ein Armer ist besser, denn ein Lügner.**
III. Stufe.
Jakob hatte seinen Bruder schon um das Recht der Erstgeburt
gebracht. Was haben wir hierüber gesagt ? Es war sehr schlecht von
Jakob. Kun liess er sieh wiederum Lüge und Betrug au Sehulden kommen.
Wie ieh euch das Märchen von den sieben Geislein enthlte, da
kam auch Jemand, der sieh vexstellte und die Andern betrog. Was
sagten wir damals sohon?
IV. Stufe.
1. Du sollst nicht lügen.
2. Du sollst nicht betrügen.
V. Stufe.
Angaben 1. Wie bitte Jakob handeln sollen?
2. Was bedeutet derSprueh: »Leget die Lttgen ab und redet die
Wahrheit, ein Jeglicher mit seinem Nächsten , sintemal wir unter einan"
der Glieder sind.^ Femer : «Die Lfige ist ein hAssUcher Sdiandfleck an
dem Menschen.''
II. Präparation. Deutsch in der Oberclasse.
Das gute Alter (.v. Chr. Schmidt.)
Vorbemerkung: Die Heranziehung: dieses Stoffes wird auf dorn Lande
von dem Erfahrungsgebiete aus durch diu beginnenden Emtearbeitan und die
durch dlwelben herrorgenifMie angeregte Stimmung Teranlasst. Dfe sach*
liehe Behandlung des Lesestücks beschränkt sich wie immer auf die beiden
ersten formalen Stufen ; die gewonnenen wertvollen Gedanken werden an ver-
schiedenen Stellen des Gesinuangsunterrichts zu fruchtbaren Associationen
bs^ntst werden können.
Das Lesestück:
Bauer mit schneeweissem Haare ging mit seinem Enkel, einem
Jüngling, auf das Feld zur Zeit der Heuernte. Da scherzte der Greis mit
den Schnittern und sagte : „Ihr seid doch nur Kinder gegen mich, denn ich
habe mehr als sechzig Ernten gewältigt.'* Einer der Schnitter reichte
ilim eine Sense; der Greis aber nalmi sie und mähete einen Schwaden
au Boden vie dn rllstiger Jüngling. Und die Sdinitter freuten sieb und
strichen die Sensos ihm an Bhren. Sein Enkel aber sprach: «iGross-
yateri woher hast du solch ein gutes Alter?'' —
Da antwortete der Greis : nSiehe, mein Sohn, ich liabe von Jugend
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an auf Gott ▼ertraut^ in guten und bösen Tagen; dadurch habe ich mir
den frischen Mut bewahrt leh war stets mässig im Genuss, stets rüstig
an der Arbeit ; dadurch gewann ich des Leibes Stärke und des Hauses
Wolstand. Ich habe fromm vor Gott und friedlich mit den Menschen
gelebt ; dadurch habe ich mir ein ruhigen und freudiges Gemüt erhalten.
Und so bin ich noch jung und irisch iu meinem Alter. Siehe zu, lieber
Sohn, dan du in de!ner Jugend eehon sorgst fllr ein glUcklieheB Alter!**
A. Sachliche Behandlung.
Ziel: Wir wollen von einem frommen Landmann lesen, der zur
Zeit der Heuernte mit seinem £nkei liinaus ging auf die Wieee lu den
Schnittern.
L Stufe.
Wo der Landmann hinging? Zu den Schnittern auf die Wiese.
Was die Schnitter dort machen? Schneiden, mähen das Gras ab. Wo-
mit? IGt der Sense. Wer die Hauptteile derselben benennen kann?
Wer dne Sense anxdchnen will? Wer schon beim Mfthen zugesehen
hat? Wer das, was er dabei gesehen und geh<M hat, erzählen will?
Ein Schüler sagt etwa : „Die Schnitter stellen sich hinter einander ;
jeder mäht in gerader Richtung einen Streifen Gras ab, etwa meterbreit.
Das Gras häuft sich in einer langen Reihe hinter dem Sohnitter an, diese
Reibe heisst ein Schwaden. Nach dem Mähen muss das Gras auf
den Sehwaden ausefaiander gebreitet weiden, damit es leichter* trocknet.
Die Schnitter gehen frtth an ihre Arbeit, wenn das Gras noch feucht
ist, weil sich das feuchte Gras leichter mähen lässt, als das trockene.
Jeder Schnitter hat in einem hölzernen Schlotterfass, das er an der Seite
trägt, einen Wetzstein. Wenn die Sense nicht mehr recht schneiden will,
so wetzt er sie mit demselben. Es hört sich gut an, wenn mehrere
Schnitter ihre Sensen wetzen.**
Ob das Mähen so leicht geht? Wenn man ausieht, denkt man,
es sei nichts leichter als das; wenn man*s aberprobirt, isfs doch nicht
so. Zum Mähen gehört nicht nur Geschick, sondern auch Kraft.
Kinder und alte Leute können deshalb nicht mähen. Im Alter
werden die Leute schwach, sie können nicht mehr rüstig arbeiten, oft
nicht mehr gehen. Das sind dann die Tage, von denen sie sagen , sie
gefallen ihnen nicht. Wer aber auch in seinem Alter noch frisch und
munter ist und rüstig gehen und arbeiten kann, hat ein glückliches Alter.
Anfsats: Die Heumabt
a) Mllndliche Zusammen&ssung in der Schule (ihnlich wie oben).
b) Niederschrift des Aufsatzes zu Hause.
IL Stufe.
a) Abschnitiweises Lesen des Stückes.
b) Wiedererzählen (erstt* Zusammeufassungj.
c) Besprechung des Gelesenen. Dieselbe berücksichtigt folgende
Punkte:
1. Der Landmann war alt; woran man das erkennt? (Schneeweisses
Haar, sechzig Ernten gewältigt, d. h« bd sechzig Ernten geholfen, hatte
einen Enkel, der schon ein Jüngling war.) Wie viel Jahre der Mann
schon alt sein mochte? Er hatte schon bei mehr als sechzig Ernten
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geholfen, und da kleine Kinder vor ihrem zehnten Jahre noch nicht
yiel heUen können, so war er wol schon siebzig Jahre alt oder noch älter.
2. Was er auf dem Felde wollte? Nachsehen, ob die Schnitter
fleissig wären, ihre Arbeit gut machten, vielleicht auch ihnen das Früh-
stück bringen.
3. Der Enkel war ein Jüngling. Wie alt etwa? Vieneluiy fünf-
' lehn Jahre. Nicht ftlter? Kein, denn sonst hfttte er schon seihst mit
mühen helfen müssen. Warum aber der Grossvater den Enkel mitnahm?
Bios zur Unterhaltung? Schwerlich; er hat wol den Schnittern etwas
zutragen miia^en, und dann sollte er vielleicht anch das Gras in den
Schwaden auKhreitt'n ; das konnte er schon.
4. Wir kehren aurück zu unserem Landmann. Die Schnitter
strichen die Sensen ihm zu Bhren.
Was tut man sonst, nm Jemand zu ehren? Man Usst ihn hoch
leben; bringt ihm ein Ständchen; überreicht ihm einen Kranz. Wie der
Euser seine tapferen Soldaten ehrt? (Eisernes Kreuz.) Wie das Volk
seinen Kaiser ehrt? (Aufzug, Ehrenpforte.) Wie die Leute ihre Toten
ehren? (Grabgeliiiite, Gesang, Gebet, Kränze, Grabstein.*) Und nun
sagt noch einmal, wie die Schnitter den frommen Landmann geehrt haben !
5. Der Landmann war ein frommer Mann. Woraus man das er»
kennt? Er hat ¥on Jugend an auf Qott vertraut; er hak stets fromm
▼or Gott und friedlich mit den Menschen gelebt
6. Woraus man sieht, dass der Landmann ein glflckliches Alter
hatte? Trotzdem er siebzig Jahre oder älter war, war er doch noch
rüstig. Er konnte aufs Feld gehen, noch einen Schwaden mähen wie
ein rüstiger Jüngling, er war heiter und vergnügt und scherzte mit den
Schnittern.
7. Wie es gekommen war, dass er ehi solch glttckliches Alter hatte?
Er hatte von Jugend an in guten und bOsen Tagen auf Gott yeitraut.
Er war stets mftssig im Genuas und rüstig bei der Arbeit gewesen. Er
hatte fromm vor Gott und friedlich mit den Menschen gelebt.
8. Wie diese drei Stücke zu einem glücklichen Alter beitragen
können? Das Gottvertrauen erhielt ihm den frischen Mut ; seine Massig-
keit und Fleiss gaben seinem Leibe Gesundheit und Stärke, seinem
Hause Wotstand; seine Frömmigkeit und sein friedliches Leben gaben
ihm ein ruhiges, freudiges Gemllt
d) Kochmalige ZusammenfassuiLg des Inhalts unter Mitberflck-
dchtigung der durch die Besprechung gewonnenen neuen Gesichtspunkte.
e) Schriftliche Zusammenfassung der Hauptgedanken nach den
beiden Fragen : Wie der Landmann zu seinem glücklichen Alter ge-
kommen war? Wie diese drei Stücke zu einem glücklichen Alter bei-
tragen können? (Siehe Nr. 7 und 8.)
♦) Solche Vergleichungen sind wichtig. Das Kind sieht die Dinge unter
neuen Ctesichtspunkten und das erhöht sein Interesse. Mit freudigem Staunen
wird das Kind gewahr, wie auch die heterogensten GegenstSnde ^nsenwetien,
eisernes Kreuz, Giab^elänte) Beziehungen zu einander haben and unter tinen
gerasinsamen Gesichtspunkt zasammengefasst werden können.
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B. Sprachliches.
Ziel: Wir wollen in drei Sätzen aufschreiben, was der Greis zu
den Schnittern sagte, was sein Enkel ihn fragte? was der Greis
antwortete ?
L Stufe.
a) Die Sehttler schreiben die drei Sätee snf drei ihnen Vorgelegte
Pnigen, und zwar wird die erste Frage so gestellt, dass in der Antwort
die indirecte Rede sur Anwendung kommt Die Niedersehrifl lautet
«twa so :
1. Der Greis sagte zu den Schnittern, dass sie nur Kinder gegen
ihn seien.
2. Sein Bnkel spraeh: HGnMmter, woher hast du soleh ein
«Utes Alter?«"
3. Der Greis antwortete: „Ich habe von Jugend an auf Gott ver-
traut; ich habe stets mässlg gelebt und rüstig gearbeitet; ich habe
immer fromm vor Gott und friedlich mit den Menschen gelebt."
b) Anschreiben dieser Sätze an die Wandtafel, darauf Bespre-
chung derselben nach Inhalt und Interpunktion in folgender Weise :
a Stufe.
In dem ersten Satie ist angaben, was der Greis in den Seluuttern
sprach. Er sagte zu ihnen, dass sie nur Kinder gegen ilin seien. Die
Worte in dem Satse, dass sie nur Kinder gegen ihn seien,
enthalten das, was der Greis gesproehen liat Vor diesen Worten steht
ein Komma.
Im zweiten Satz wird uns gesagt, was der Enkel gesprochen iiat.
Er fragte: „Grossvater, woher hast du solch ein gutes Alter Vor
<den Worten im Satse, welehe der Enkel sprach, steht ein Doppelpunkt
Die Worte selbst dnd mit einem Anfährungs- und einem Sehlnssieichen
(Ginsefflsschen) versehen.
In gleieher Weise wird der aweite , wird aneh der dritte Sats be-
aproehen.
III. Stufe.
aj Fasst die drei Sätze zusammen ins Auge und gebt aU; wa$ ihr
bemerkt! In allen dfsi Sfttsen ist uns angegeben, was Jemand geredet
hat In den swei lotsten Sitien wird aber die Bede des Andern wört-
lich genau angefahrt ; in dem ersten Satze geschieht dies nur dem Sinne
nach. Vor der wörtlichen Anführung in dem zweiten und dritten Satze
steht ein Doppelpunkt ; vor der Anführung blos dem Sinne nach im
ersten Satze steht nur ein Komma. Die wörtlich angeführte Rede ist
mit AnfUhrungs- und Schlusszeichen versehen, die nur dem Sinne nach
juigeführte aber nieht
b) In weichem Lesestflcke wir auch sohon solche Sltse mit wört-
licher Anführung des Gesprochenen gehabt haben? Welche Sätze es
-waren? Wer sicli noch auf einen Sati ans der biblischen Geschichte
mit wörtlicher Anführung des Gesprochenen besinnen kann? W^as bei
-allen diesen Sätzen in Bezug auf die Zeichensetzung zu bemerken war?
Wer aus früheren Lesestücken auch Beispiele angeben kann mit An-
ftthrung des Gesprochenen nur dem Sinne nach?
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24
ci Schriftlich. Wir wollen diese neuen Sätze zu unseren Lehr-
beispielen hinzuftlgen und Bämtliche Sätze in zwei Abteilungen (a, wört-
liche Anfflhrang des Gesprochenen , b. Anfahrung desselben blos dem
Sinne nacb) auch mnfrchreiben.
IV. Stufe.
Gebt jetzt an, was wir ans unsererhentigen Beepreehnng gelernt haben t
1. Man kann in einem Satze das, was Jemand gesagt hat^ wörtlißh.
infflhren, man kann es aber auch dem Sinne nach angeben.
2. Vor die wörtliche Rede wird im Satze ein Doppelpunkt gesetzt.
3. Weuu mau in einem Satze die Rede eines Anderen nur dem,
Sinne naeli angibt, so wird vorher nnr ein Komma gesetst
4. IHe wOrfliehe Bede wird am Anfang und am Ende mit An-
fBhrungszcichen (Oänsefttsschen) versehen, die bloe dem Sinne nach an*
gefahrte Bede aber nicht
V. Stufe.
a) Beispiele von Sätzen aus LesestUcken und anderen bekannten Er-
zählungen mit wörtlicher AufUhruug dessen, was Jemand gesprochen
bat (mflndlich nnd sohrifOich).
b) Beispiele von SAtsen, in welcher die Bede eines Anderen nnr
dem Sinne nach angaben ist (mfindlich und schriftlich)
c) Umbildung von Sätzen der einen Art in solche der anderen Art
d) Extempornle in Form eines Diktates von Sät&en mit directer
und indirecter Kedc.*)
e) Niederschrift der Erzählung mit Umwandlung der directen in
die indirecte Rede.
f) Anfsats: Boas und der fromme Landmann, eine Yer-
gleichnng heider (Hausaufgabe nach mflndlicher Znsammen&ssung in
der Schule).
Die Aufgabe. Der Landmann ging hinaus auf das Feld zu
den Schnittern. Wer einen Mann aus der Bibel kennt, der das Gleiche
tat? Boas. Vergleichung beider mit einander.
Die Ausführuug gestaltet sich etwa so : Beide gingen hinauB
ftuf .das Feld zur Zeit der Ernte, um nach den Arbeitern zu selien. Der
Landmann aber zur Zeit der Heuernte, Boas zur Zeit der Qerstenemte. Der
Landmann ist alt, er hat schon mehr als sechzig Ernten gewältigt ; Boaa
ist noch ein junger unverheirateter Mann, welcher später die Ruth zum
Weibe nahm. Boas war ein reiclicr Herr, der viele Arbeiter hatte und
ein<'n Verwalter, welcher dieselben beantsichti}?en musste. Der Land-
maun hatte nur ein Bauerngut, wenige Arbeiter, keinen Verwalter.
Beide waren fromme HAnner. Der Landmann war fromm und
gut; das sieht man aus dem, was er sprach. Boas war fromm und
gut Das sieht man aus seuiem Verhalten gegen Ruth.
Eisenac h. Pickel.
*} Die Benennungen „directe und indirecte Rede" werden nicht gegeben.
Eb bat sein gutes fUr die Klarheit der Auffassung, wenn sich das Kind an-
fänglich zu Umschreibungen genötigt sieht Erst wenn dem Kinde im weiteren
Verlaufe des Unterrichts diese umständlichere Bezeichnung anfängt lästig zu
werden, lägst man eine kurze Bezeichung (etwa» wdrtliche Bede" und «nicht
wörtliche Rede") in tiebrauch nehmen.
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25
III. Goethe gegen den didaktischen Materiailt mut und (Ur die Appereeptlon.
„Ein Lehrer, der das Gefühl an einer einiigen guten Tat, an dnem
einsigen gutem Gedieht erweel^eii kann, leistet mehr als Einer^ der no^
ganse Reihen untergeordneter Natnrbildnngen der Geetalt nnd dem Namen
naeh überliefert/* (Wahlyerwandtschaften)
„Vielleicht sollte man, versetzte der Gehülfe {Wahlverwandtschaften),
ans den Vorteilen seines Handwerks ein Geheimnis machen. Doch kann
ich Ihnen die ganz einfache Maxime nicht verbergen, nach der man dieses
und noch viel mehr zu leisten vermag. Fassen Sic einen Gegenstand,
dne Materie, dnen Begriff, wie man es nennen will; halten Sie ihn
leoht tot; machen Sie sieh ihn in allen seinen Teilen reeht deutlich,
und dann wird es Ihnen leicht sein, gesprächsweise an einer Masse
Kinder zu erfahren, was sich davon schon in ihnen entwickelt
hat, was noch ansnregen, an flberliefern Ist** (1. u. 2. Stufe)
IV. Thesen vom Unterricht in der Heimatskunde.
(S. Vorbemerkungen zu dem Lehrplane für den Unterricht in der üeimats-
kunde in der Seminarschvle m Jena. Allg. Schnlsdtnng No. 20. 1880.)
1. Die Heimatskunde hat nicht in erster Linie den Zweck der
Yorliereitung auf den geographischen, geomeMehen und natnrknnd-
lichen Unterricht, auch nicht den einer gründlichen Bildung der Sinnes-
werkzeuge — alles dies ergibt sich nebenbei Ton selbst — sondern
dieselbe ist vielmehr die notwendige Ergänzung des auf die sittliche
Kinsicht gerichteten Gesinnungsunterrichts. Es fällt ihr daher die Aufgabe
zu, einesteils den Gesinnungsunterricht vom Erfahrungskreis aus vorzu-
bereiten, zu verdeutlichen und eindringlicher zu machen, andernteils
das durch den Geainnungsunterricht angeregte Interesse auf gewisse
Giegenstftnde der Erfahrung weiter au leiten. Es darf daher die Heuaud»-
kunde nicht als vdllig unabhängige Disciplin auftreten, sondern sie
inuss vielmehr dem Concentrationsprineip gemäss sich in den Unterricht
so einordnen, dass sie eine dem Gesinnungsimterricht dienende Stellung
einnimmt, wodurch ihre Wichtigkeit, welche in erster Linie auf der An-
schaulichkeit ihrer Objecte beruht, keincBwegs beeinträchtigt wird.
2. Die Heimatskunde tritt in den drei ersten Schuljahren in grös-
serem Umfang und in besonderen Stunden auf, während sie in den
folgenden Jahren als analytisches Uaterial den übrigen ünterrieht be-
gleitet. Die Bearbeitung desselben erfolgt hier auf der ersten formalen Stufe.
3. Die Auswahl des Stoffes für die beiden ersten Schuljahre ist
keine willkürliche, von dem Takt des Lehrers abhängige, sondern richtet
sich nach den im Geainuungsunteriicht hervortretenden Gesichtspunkten.
Hier ist ein sicherluhrender Massstab für die Auswahl des Stoffes gegeben.
4. Im Anschluss an die Forderung Herbart's, dass jedes kleinste
Unterriehtsganze*) nach den Stufen der Klarheit, Association,
*) Siehe Uerbart, Ausgabe von Willmann, L Baad, Seite 405 u. 406.
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26
System und Methode durchgearbeitet werden soll, zerlegen wir den Stoff
der drei ersten Schuljahre in einzelne kleine Stücke, die wir nach den
angegeben formalen Stnfon unteniehtUeli bearbeiten.
5. Vom vierten Sehnljahr an treten Geographie nnd Natorknnde
als gesonderte Fleher auf, doch hüten wir uns, den Globne an den
Anfang des geographischen Unterrichts zii stellen ; auch hüten wir uns,
von da aus ohne Kücksicht auf die Geschichte in rein systematischer
WeLse zunächst nach Afrika überzugehen, dem augeblich leichtesten ErdteiL
V. Der HerbartwrtiM zu Eitenaeb.
(S. PSd. Stud. L Heft, S. 24.)
Der dritte Vereinsabend im Winter 1879/bO wurde durch den
Sehlnsa des Vortrages des Herrn Dr. Stande Uber die culturhistorischen
Stufen des Unterrichts (abgedmekt im zweiten Heft der päd. Stnd.) ans-
gefüllt. An drei weiteren Abenden folgten die Vortilge des Herrn
Director Kögler Uber die mathematische Geographie in der Volks»
schule und des Gymnasiallehrers Hen-n Werneburg Uber den Rechen-
iinterricht. Auch wurden einmal Präparatiouen aus der biblischen
Geschichte durchgenommen und besprochen. Den Vorsitz führte in dem
vergangenen Winter Herr Director Ackermann.
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27
. III, Becensionen.*)
Rttll, Dr. J. D er natiirwisssen-
schaftlicheUnterrichtandcr
höheren M ii d c h e u s c h u 1 c und
seine Bedeutung für die wei b-
liche Erziehunjr und Bil-
dung. Leipzig, Teubner, 1879.
Nicht eine „methodische" Bearbei-
tung der Naturkunde für eine Schul-
art, wie sie jährlich — liäufig recht
UberfliiMig — in Menge eneheinen,
liegt hier vor, sondern eine naturwis-
senschaftlich-pädagogische Abhand-
faing. Sehen der ümfang derselben
— 220 Seiten — lässt vermuten, dass
die Arbeit eine sehr einziehende, die
Sache vielseitig erwägende sein wird.
In der Tat wüssten wir keinen wesent-
lichen l'unkt anzuführen, den Röll
nicht berührt hätte. Er verbreitet sich
ttber die geschichtliche Entwiekelnng
und Notwendigkeit des naturwisaen-
schaftlicheo Unterrichts, seine Aufgabe
in der höheren MXdehenBehnle, -seine
Stellung zu den übrigen Lehrfiichern,
zur Familie und zum Gesamtlebeu der
Nation. Dann folgt noeh ein metho-
discher Teil.
Gegen den Grundgedanken, welchem
die Schrift Ausdruck verleihen soll,
„dass der n a tu rwissenschaft-
1 i c h e U n t e r r i (' h t an d e r Ii ö h e r e n
Mädchenschule mitzuhelfen
habe, die weibliche Bildung
sowolalsdieStellung d erFrau
zu einer würdigen, dem heuti-
gen Standpunkt derCnltnr ent-
sprechenden und das w e i b Ii e h e
Lieben zu einem glücklichen zu
gestalten*', wird wol nichts einge-
wendet worden. Für Kreise, die «ich
zu den pädagogischen rechnen , sollte
freilich der Nachweis dieses Satzes
nicht wehr nütig sein. Denn dass der
naturkundliche Unterricht in der Er-
ziehungSBchule — und eine solche ist
doch wol die höhere Mädchenschule —
eine ganz bestimmte, nicht unwichtige
Stelle einzunehmen hat, ist ausgemachte
Sache. Manche Auslassungen KfflVs
machen allerding? den Eindruck, als
sei die weibliche Bildung bisher nur
*) ZoMtwlangen nimmt «otgagwa dto tMm
ausnahmsweise von pädagogisch-gebil-
deten Menschen geleitet worden ; denn
„auf dem (irbict der wciblieiien Er-
ziehung aei so viel j^esUndigt, dass die
Fehler der Knalienschnle da<:egen fast
verschwinden. Noch heute hänge der
Hädchenerziehung der Zopf des firan*
züsischen Pensionatswcsens an; für na-
torwisaenschaftlichen Unterricht bleibe
nnr wenig Zeit fibrig, im Gänsen sei
daher bis jetzt keine {redeihliche Ent-
wickelang desselben in der Mädchen-
schule zu verzeichnen. Es gebe wol
keinen Unterrichtsgegenstand der
höheren Mädchenschule, dessen Stellung
eine so unsichere, keinen, dessen Zweck
so unklar und dessen Ziele so unbe-
stimmt wären als die des naturwisseu-
schaftlichen Unterricht», n-^bor ein
erfreulicher Anfang sei gemacht." Wir
kennen die ,,hi3herc" Töchterschule
viel zu wenig, als dass wir liüirs Be-
havptuttgen bestStlgen oder widerlegen
könnten . nnlssten sie aber bedauern,
wenn Rüü recht hat Dass bei solchen
Zuständen R011 dem naturwissensehaft-
Hchen Unterricht eine reformatorische
Aufgabe zuschreibt, ist selbstverständ-
lich. Worin diese, worin die Aufgabe
des naturwissenschaftlichen Unterrichts
überhaupt beatchen soll, müssen wir
etwas näher angeben. Nach Küll liegt
der Hauptfehler der jetzigen weiblichen
Er/jchuufr in der einseitigen Ge-
fühl s b i 1 d u n g. Diese führt zu einer
beschränkten Weltanschauung , Aber-
glauben , Hang zur Unwahrheit , Ge-
fühlsheucheiei u. dgL Dass diese
Fehler beim weibliehen Geschleeht un-
gemein häufiger sind als beim männ-
lichen, ist bekannt. Haben sie ihren
letzten Omnd wirklich in dem aus-
gebildeteron Gefühlsleben der Frauen,
80 ist das Gegenmittel klar: „Cultur
des Verstandes und Willens
mnss eine Hauptaufgabe der
höheren Mädchenschule sein."
Der naturkundliche Unterricht kann
gewis dieser Aufgabe vortreflflich
dienen ; denn er pflegt die empirischen
und logischen Interessen in erster Linie.
m. det pM. SkadlM», Dr. W. Baüi iaXlMueh.
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Er ordnet und vergleicht die zahlreichen
Beobachtaogen , berichtigt ungenaue,
fttllt die Lfleken m», fordert nm, fiber
Erscheinungen der Natur nnch zudeBken«
die Gründe derselben aafzusucben iind
ei^ich die Gesetze zu finden, denen
die Nfttnr gehorcht, die Kräfte, die
das Leben der Erde und die Welt im
ewigen Kreislauf erhalten. — Selbst-
titige Beobachtung, eigne Unter-
suchung, geistige Arbeit, das Beispiel
der Natur werden die Energie und
Tatkraft anch des weiblichen Geistes
hervorrufen und stärkon. Sehr richtig
weist Küli auch auf die Bedeutung von
Charakterbildern der grossen Hinner
hin , ,,din in edlem Streben für die
Wisseuschaft, in Selbstverleugnung
und Hingabe an eine grosse Idee ntt
Anfopferung ihrer selbst die grossen
Entdeckungen und Erfindungen ver-
anlassten, deren Segnungen wir heute
alle Keniessen". Hier kennen unsere
Mädchen lernen, dass es auch noch
andere Helden gibt, als auf dem
Sehlachtfelde oder in Komanen. Und
was erfahren unsere Mädchen jetzt von
diesen Männern ? „Oft nichts als eine
Anekdote ans Uebeisetsungsbüchem/*
Wird durch die ,, Ausbildung des Ver-
standes" aber nicht dem Gemüt ge-
schadet nnd wird fOr Oesinnnngsttteh»
tigkeit gesorgt? „Ueber seiner refor-
matorischen Aufgabe, die alten Tra-
ditionen Uber den Haufen zu werfen,
Unnatürliches und Unwahres zu ver-
lassen und zum Original der NatUrlich-
kmt surückzukehren , darf der natur-
kundliche Unterricht nicht Tergeasen,
dass er nicht nur corrigiren, sondern
dass er auch bilden soll, dass er das
wahrhaft Ideale nicht an sehldigen nnd
zu zerstören, sondern zu pflegen hat.
Die VorzUge, welche im weiblichen
Gefühlsleben liegen: „Sinn fOr das An-
mutige und Unmittelbarkeit der Em-
pfindung, das Interesse für das Ein-
aelne, die innige Hingabe an das
Liebgewonnene und die Natürlichkeit
des ganzen weiblichen Wesens machen
die letztere Aufgabe leicht und bürgen
fQr Erfolg, der hier gleichbedeutend
ist mit Heilun^r der oben genannten
Feider." Der landläutigen, höchst ober-
flächlichen Redensart, „der naturwissen-
schaftliche Unterrieht schüdifje den
religiösen Sinn" begegnet Küli mit
folgenden trefflichen Bemerkungen:
Um den religiüsen Sinn zu unterstützen
nnd zu bilden, hilft nicht ein ober-
fliu liliches Moralisiren, das Uberall zur
Verehrung der Weisheit und Güte des
Schopfers anfPordert nnd das aberall
die Vollkommenheit der Natur predigt,
auch wo ihreUnvoükommenheiten offen
an Tage treten. Solches braucht der
naturwissenschaftliche Unterrieht nickt
zu tun ; denn gerade diejenigen Em-
pfindungen, aus denen die ileligion
erwächst, das Gefühl einer unUber-
sehbaren Unendlichkeit und das Gefühl
des Staunens und der Ehrfurcht und
der Unzulänglichkeit vor ihr, diese
Gefühle finden im naturwissenschaft-
lichen Unterricht die beste Nahrung.
Damit Tertriigt sich aber recht gut die
Selbständij^koit des OciHtes, -welche not-
wendig ist, wenn man ans den Kinder-
schnhen heranstritt/'
Die zwei folgenden Aufgaben des
naturwissenschaftlichen Unterrichts :
Bildung zur Aesthetik und Bil-
dung für das praktische Leben,
brauchen wir nur anzudeuten. Wir
siud in den Hauptsachen mit dem
Verfasser einverstanden. Wenn er aber
meint, die ästhetischen Studien seien
vorzüglich in der Schule zu machen,
\Aet mttsse „das Material snm Ver-
ständnis des Fonnenreichtuins und der
Farbenschönhoit zusammengestellt wer-
den*', so mochten die MIdchen doch
Bchliesslicl» in den gerügten Fehler
der Frankfurter Frauenwelt verfallen,
„die den schönen Baumgmppen in den
Anlagen Frankfurts nur selten ge-
bärende Bewunderung zollen, d;if?e2:en
die aus Pflanzen zusammengesetzten
Fignren auf den Kahatteu des Palmen»
gartens und die überladenen Decora-
tionen der Basenplätze immer schön
finden nnd den Giunellienflor bis zum
Uebermass erhehen". Wir meinen, dass
daa ästhetische Interesse vorzüglich auf
den Excnrsionen gepflegt werden kann.
Da Süll der Schüler die Natur mit den
Augen des Künstlers betrachten und
die charakteristischen Einaelheiten der
liandschaft kennen lernen. Während
des SchuIunterrichtB wird die Erklä-
rung der Schönheit einer Blüte aus dem
Verhältnis ihrer Teüe, ans der Sym-
metrie ihrer Anordnung nnd ihrerinnem
Einrichtung leicht zu Abschweifungen
verU iten und den C^hmack „fttr nns
Pflanzen zusammengesetzte Figuren
oder einen Camellienflor'' nicht unter-
drücken. Die ausgedehnte Venren-
(lun t'- e i n z e 1 ti e r Pflanzen zu ästhe-
tischen Zwecken, würden wir überhaupt
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«
29
dem Zeichennnterricht Uberweisen.
Ferner bozwoifeln wir, d&ss die Schnl-
Btubo der geeignetste Platz ist, wo
„das Zusammenwirken der Naturiocifte
gelernt und die Beziehungen der ein-
zelnen Gregenstände zu einander erklärt
werden rnttneii". In der freien Natur
kann man dies beolMehtm, in der
Sehole blos lehren.
Wie wiehtiprdie Natorwineneeluiften
für das praktisfho Leben sind, ist
jedermann bekannt Dassaber gerade
den Franen ein gmamr Teil der prak-
tischen Anwendung ihrer Errungen-
schaften obliegt, wird nicht genügend
gewUrdi^. ist traurig, wie es mit
dieser Anwendung im allgemeinen nooh
bestellt ist, wie irrationell in den
Haushaltungen ge wirtschattet wird,
wie selbst die einfachsten Regeln der
Uesundheitslehre nicht beachtet werden,
ia auf hartnäckigen Widerstand stossen,
well die Frauen die GrQnde nicht ein»
sehen. Dass Rüll diese Aufgabe des
natarwissenschaftlichen Unterrichts
aneb für die «höhere* HXdchenichnle
besonders betont, muss ihm als ein
besonderes Verdienst angerechnet wer-
den ^ denn es soll vornehme Schulen
geben, in welchen sorgfältig alles, was
nach ivUohe u. dgl. riecht, Termieden
wird.
Schliesslich weist Köll dem natur-
wissenschaftlichen Unterricht noch eine
Aufgabe zu: „Ausbildung einer
all gemeinen Weltanschauung.'*
Wir sind Uberzeugt, dass dieser Tunkt
sehr viel Widerspruch erfahren wird,
well der von RSIkgewSblte .Ansdmek
leicht zu Misverständnissen führen kann.
Ganz leicht ist es uns nicht geworden,
den Verfasser hier an verstehen, wir
glauben aber in folgenden zwei .Stollen
das gefunden zn haben, worauf es ihm
ankommt: „Wenn wir nicht den Blick
auf das Allgemeine, auf dae iäiriielfr'
liehe in der Natur lenken, wenn wir
es uns nicht zur Pflicht machen, den
Zusammenhang der Weeenkette und
die Wechselbeziehlingen ihrer Glieder,
ihre Gesetxmässigkeit und Harmonie
zn begreifen und uns selbst als ein
Glied im Kosmos auffassen 7A\ lenicn,
so ahmen wir dem Wilden nach, der
die Kräfte der Natur Sebent, obgleteb
er sie anbetet; wir teilen den Aber-
glauben des Mittelalters, der den ver-
trauten Umgang mit der Natur als
gottlos und den Naturforscher als ein
Kind des Tenfela ansah.** «Wenn der
natumifisen schaftliche Unterricht die
Verbindung der Realität des Lebens
mit der Idealität des Geistes sich zur
Aufgabe macht, so wird er auch Ton
dem realen Boden sich erheben, um
nicht allein die ganze Erde zu seinen
Füssen zu übersohauen, sondern im
Geiste hinanzufliegen zu den Bahnen
der Gestirne, um auch aus ihneu zu
lesen, was dem sterblichen Auge au
schauen, dem denkenden Geiste zu er-
forschen beschieden ist. Dadurch
erfBllt er seine letste und bSebste
Aufgabe, das Streben nach dem Ziele
einer allgemeinen Weltanschauung."
Verstehen wir den Verfasser recht, 80
gibt er in beiden Sätzen demselben
Grundgedanken Ausdruck: Die ganze
Welt soll als eine organische Einheit
anfgefaast werden, in welcher der
Mensch, nur ein Glied ist. In dem
Nachweis dieses Satzes gipfelt bekannt-
Heb das Streben der gesamten nenem
Naturwif^senschaft. Wenn wir nun
auch verlangen müssen, dass die Schule
immer enge Fühlung mit der Wissen-
schaft behalten soll , so wird doch
nicht behauptet werden können, die
Endziele einer Wissenschaft seien ancb
die Endziele des Schulunterrichts.
Dieser steht nur im Dienste des all-
gemeinen Erziehungszweckes. Derselbe
ist aber von der Ethik ebenfalls ..in
der Ausbildung einer allgemeinen AVelt-
anscbauung," die in der concreten Ge-
staltdner IdealpersOnlichkeit erscheint,
aufgestellt. Noeh eine andere „allge-
meine- Weltanschauung darf die Er-
riehung nicht dulden, wenn sie nicht
die Einheit der Person aufgeben will.
Wir würden deshalb fUr das berührte
Capitel eine andere Ueberschrift vor-
schlagen, vielleicht: Befähigung, »die
Erscheinung der körperlichen Dinge
in ihrem Zusammenhang" und die Na-
tur »ale ein durch innere Kräfte be-
wegtes und belebtes Ganzes" aufzu-
fassen. Die ethische Verwertung dieser
„Weltanschauung** weisen wir aber
nicht dem naturkundliehen , sonderm
dem Gesinnuugsuntenicht zu. (Vergl.
Ziller, Vorlesungen, S. 174.) In diesem
Capitel steckt liereits ein ziemlich
Stttck „Methode'', worauf wir jetzt noch
nicht eingehen kOnnen.
Unter der niiehsten Toberschrift :
„Stellung des naturwissen-
schaftlichen UnterricbtB au
den Übrigen LehrfSchern der
htf hern Mftdchenachnle'', werden
• «
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30
die Leser dieser Blätter eine Unter-
snehnng der Coneentratonsidee
erwarten. Darauf ist Roll nicht ein-
gegangen. Wol spricht er aus, dass
alle Lehrgegenstände zur Erreichung
der i^gcmeinen Bildung sich gegen-
seitige Handreichung: leisten inüssen
und deutet auch au, welchen Nutzen
die übrigen Lehrgegenständc von dem
naturkundlichen haben, in der Haupt-
sache ist das Capitel aber nur eine
Kritik der Unterrichtsfächer in der
Mädchcnfohule, bei welcher besonders
derfremdsprachlicheUnterrichtschlecht
wegkommt. Diese Kritik soll nach-
weisen, dass für den naturkundlichen
Unterricht Baum geschaä't werden
kann. Ans dem o1>en angeffilirten
Gmnde müssen wir uns eines Urteils
über ROll's Ausführungen enthalten,
sehen es aber als selbstverständlich an,
dass auch in der „höhern" Mädchen-
schule dem naturkundlichen Unter-
richt eine genügende Stundenzahl zur
Verfügung gestellt wird, wenn er einen
höhern Zweck als den, der „Bildung"
einen allseitigen Anstrich zu geben,
▼erfolgen soll.
Im nächsten Abschnitt: „Stelinn g
des naturwissenschaftlichen
Unterrichts snr Familie", lesen
wir zunächst ein langes Klagelied über
die Teilnandosigkeit, ja Feindschaft,
die besonders von den Müttern dem
natnrkimdlichen UnteiTicht en^egen-
gopctzt wird. „Ich bleibe dabei, unsere
Frauenwelt zeigt sich dem natur-
wissenschaftlichen Unterricht ihrer
Töchter im Ganzen nicht hold pro-
sinnf Der Verfasser muss wirklich
traurige Erfahrungen gemacht haben,
wenn er auf die Fra^^e : „Was soll nun
das Haus tun, um den naturwissen-
sehaftliehen Unterricht der HSdehen
an unterstützen?" antwortet: „Erstens,
ihn nicht schelten und ihm nicht Feind
sein. Dies genügt schon im Allge-
meinen."
Auch der letzte Abschnitt des
ersten Teils: „Stellung des natur-
wissenschaftlichen Unterrichts
svm G e s a m 1 1 e b e n der Nation
lautet nicht sehr erfreulich. Es ist uns
doch Torgekommen, als sShe der Ver-
fasser etwas zu schwarz. In der Kunst
ist zu bemerken, „dass wir im heutigen
Knns^eschmaelE unserer Httdehen viel-
fach die ATizcichcn einer cinscitiis:en
Gefühlsricktung finden ; in der Musik
desgleichen. iRsaehe, wenigstens zum
grossen Teil : die Mangelhaftigkeit der
realen Bildnng. In der Kirehe ist
auch nicht alles, wie es sein soll.
„Es gibt Geistliche, die an üerz-
crweichnngen und Trilnenauspres-
snngen ein ganz besonderes Wolgefallen
finden und die Kanzel nicht selten mit
dem Theatcir verwechseln •, die sich
durch sentimentale ßührscenen zu einer
Art Halbgott machen." „In diesem
Punkte der künstlichen Rührung und un-
natfirlichen SelbstvergOttemng stehen
Naturwissenschaft und Kirche sich
fremd gegenüber." „Sollen Natur-
wissenseliaft vnd Kirohe niebt in
Widerspruch kommen, 80 müssen sie
sich einander anpassen. Die Natnrwis-
senseliaffc muss den religiösen Glauben
heilig halten nnd den religiösen Sinn der
Mädchen pflegen helfen. Die Kirche
darf sich aber auch den Forscliungeu
der Naturwissenaehaft gegenüber nicht
feindlich- zeigen nnd muss in ihren»
Religionsunterricht Rücksicht auf die
Bildnng der Gegenwart nehmen." End-
lich der Staat. „Es gibt keine An-
stalt, die vom Staate bisher so sticf-
mtltteriieh behandelt worden wäre, als
die höhere Mädchenschule. Darunter
hat aber der naturwissenschaftliche
Unterricht vielldeht am meisten m
leiden. Nur in weni^^en Staaten sind
ihm die notwendigsten Hilfsmittel ge-
währt." Und wie sehr würde die
natnrwilsenscbaftliche Bildung der
Frauen auch der Staatswirtschaft zu
Gute kommen. „Bei einer täglichen
Ersparnis von Brennmaterial im Wert
von 5 riv. für di^ Fnuiilie, hervor-
gerufen durch die Kenntnis der Tat-
sache, dass sich Wawer trota aUes
Feuems im crp^^^-nimlichen Kochtopf
nicht Uber 100<)C. erwärmt, beträgt
die flhiliehe Ersparnis im dentsohen
Reich 140 Mill. Mark!" — Das kann
Staatsmännern bei der jetzigen Steuer-
suche zu denken geben.
Mit einem Hinweis auf das Vater-
land, dem der Unterricht tüchtige,
deutschdenkeuüe .Mutter und Erziehe-
rinnen bilden soll, schliesst der Ver-
fasser den ersten Teil seiner Abhand-
lung. Wir halten diesen Teil für den
bedeutendsten ; er wird in den be-
treffenden Kreisen sicher Aufsehen
erregen, lebhafte Zustimmung und leb-
haften Widerspruch erfkluen. Er ist
durchweg mit einer CHIniheit, Wärme
und Begeisterung für Ii^atur and
Seknle gesefarieben, die den Leser Öfter
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mit fortreissen kann und manche Bnitan
und Wiederholnngen nicht anuigeiielnn
empfinden lässt.
Der methodische Teil geht
noch mehr ins Einzelne als der allge-
meine \ wir meinen, manchmal zu sehr.
Der Leser erflOirt nicht nur, welche
Pflanzen in jeder Classe zu behandeln,
sondern auch wie Fettflecke und
Tintenflecke tu beseitigen sind, mit
■wieviel Procent Wasser die Seife ver-
fälscht i>'t, wie viel Kohlensäure die
T.uft enthält etc. Solche Angaben
sucht man gewis nicht in der Tor»
liegenden Abhandlung» SOndMn in
einem Lehrbuche.
Wesentlich Neues haben wir in Be-
zuj? auf die Methode nicht gefunden.
Damit soll kein Vorwurf ausgesprochen
sein. Wenn die Methode eines Gegen-
standes zu einem gewissen Abschlusä
gekommen ist, so kann man eben
Nenes nicht mehr ylel nnfttellen. Was
der Verfasser briuprt, ist erprobt Er
kennt nicht nur die einschläglicbe
Literatur, sondern hat auch selbst viel
gedacht und erfahren. Der Schwer-
punkt seiner Arbeit scheint uns in
der Auswahl und Anordnung
des Stoffes zu liegen. Leitende
Gesichtspunkte sind dabei folgende
gewesen: £s werden die Stoffe aus-
gewählt, welche in besonderer Be-
ziehung zur wcildichf'n Natur stehen,
die Auswüchse des Gefühlslebens be-
echrSiücen nnd den Xsthetisehen Sinn,
sowie Verstand nnd Willen bilden ;
einen materiellen Nutzen für 'das prak-
tische Leben bieten; sich als RepriU
sentanten eignen. Heimatliche Stoffe
erhalten den Vorzug. Auf die übrigen
Lehrfächer muss Rücksicht genommen
werden nnd zwar hauptsächlich in
Bezug auf das Mass des Stdftes.
(Letzteren Satz würden wir allerdings
gtaa andere anslegen, wenn nicht der
Nachsatz uns Gewissheit über RüU's
Meinung verschaffte.) Von der Stoff-
nnswahl für die Knabenschnle unter-
scheide er sich dadureli , dass in der
Mädchenschale der mathematische Teil
des natnrwissenscliaftlichen Unter-
richts fast f?ftnz in Wegfall kommt,
die Systematik sparsam auftritt, da-
gegen Vorgänge in der Küche und
länriehtangon des Hauses, Gesund-
heitslehre und das Schöne in der Natur
besonders betont werden. Einverstan-
den. „In der Beschriinkung zeigt sich
erst der Meister^'i aetst der Verfaaaer
dem ersten Abschnitt als Motto ▼oran,
nnd weiter schreibt er: „Die ange-
führten Grundsätze diängen auf mög-
lichste Besebritnknng des Stoffes nnd
die Erfahrung weist nach, dass keines-
wegs die Menge der naturwissenschaft-
lichen Kentnisae mit dem VerstindniB
der Natur Hand in Hand gehen. Diese
Erfahrung, eine in der pädagogischen
Literatur bis «im üebennaa wieder»
holte und dennoch eine der unbeach-
tetsten auf dem ganzen Gebiet der
praktischen Pädagogik, verdient in der
Bfädchenschule die grOssteBeftditang.'*
Vergleichen wir mit diesen so wahren
Ansichten aber den Stoff, welcher den
einzelnen Classen zugewiesen ist, so
kommt uns doch ein gelindes Grauen
an. Man lese z. B. was in. der Classe 1
(Alter 15—16 Jahre) die MIdehen be-
wältigen sollen. Wenn das in diesem
Alter und dieser Zeit wirklich ver-
arbeitet wird, dann liehen wfar tot
jederSchülerin einer „höheren Mädchen-
schule*' den Hut ab. Wir dürfen aber
wol annehmen, dass dies Material nicht
alles „verarbeitet'' werden soll; denn
.,wir wollen nicht die Naturwissen-
schaften lehren, sondern ihre Quint-
essenz.*' Das ist ein sehr gefährliches
Wort. Eine kleine Dosis selbst Er-
arbeitetes ist für die Bildung jedenfalls
mehr wert als die schönsten Ueber-
füicbten oder Ansichten, die „gelehrt"
worden sind. Was soll 2. B. dem
Midchen die „Kenntnis der hSnfigsten
Metalle, wichtigsten Oxyde, Snlphide,
Chloride, Säuren und Salze und eine
UebersichtUberdieorganische
Chemie" nützen. Einige wichtige
und praktische Capitel und keine
„chemische Uebersicht" ist unsere Mei-
nung. Wir können dem Verfasser
auch nicht darin zustimmen, „das» das
abgegrenzte Material notwendig zur
Erreichung unserer Aufgabe sei." .,Wer
in dem Buche der Natur mit Ver-
ständnis lesen will, muss ihre Buch-
staben kennen.*' Der Bttchstaben rind
aber sehr viele ; wir denken hierbei
an das Chinesische; auch mit wenigen
Zeichen kommt der nngelehrte Mann
aus, alle lernt sie doch keiner kennen.
Um den Begriff der Einheit in der
Natur zu erzeugen, genügt ein leidlich
grosses, aber vielseitig gekanntes Ma-
terial. Wir verschieben dies auch nicht
bis auf die Oberstufe, sondern lassen
„daa gegenseitige Verhältnis aller natur-
wissenschafUichen Disoiplinen" gleich
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32
auf der unteren Stufe aufsuchen, wo
es nur immer geschehen kAnn. EUll
wird es in der Praxis jedenfitlto auch
80 halten. Wenn wir oben sagten,
„in Bezu^ auf die Methode hätten wir
wesentlich Neues nicht gefunden," so
soll das nicht auch für Mädchenschideil
Geltung haben; denn „wir habon es
bis heute im naturkundlichen L'uter-
richt der höheren Mädchenschule nicht
zu einer ausgebildeten Methodik brin-
gen künnen. Das findet seine Erkla-
rang besonders In der Neuheit des
Gegenstandes." Was uns der Ver-
fasser weiter mitteilt Uber die in der
hsheren Hidohensehnle noeh anxn-
treffondc „Methode", klin^^t uns?laub-
licL Für sie werden allerdings die
Ton BOIl aufgestellten „wichtigsten
methodischen Grundsätze des natur-
wissenschaftlichea Unterrichts an der
höhereu Mädchenschule" einen wesent-
lichen Fortschritt beseiehnen. Es sind
folgende :
1) Der naturwissenschaftliche Unter-
richt mache sich von den natarwissen-
schaftlichen Lehrbüchern frei.
2) Jür hüte sich vor einer streng
wissenschnftUchea, mathematlBcben und
l^steoautischen Behaarung des Stoffes.
3) Ev sei vorzagsweise Anschau-
nngsnnterricht : er nehme als An-
schanungsmittel überall wo möglich
die Naturkürper selbst und lege Überall
seinen physikalischen Belehrungen das
Experiment zu Grunde.
4) Der naturwissenschaftliche Unter-
richt wecke das Interesse und die
SelbsttStigkoit der Schulerinnen. Er
gebe ntelits, ^A'a^ gefunden wenlon
kann uad lasse die i^dchen bei Ge-
legenheit sehreilben, «Achnen, präpa«
riren und experimentiren.
5) Er schliesse sich an die An-
schaunngen des HSdchens an (das soll
heisaen, er bonut%e die vorhandenen
Er&hrungen. Analyse).
6) Er venueide das gedächtnis-
mässige Lernen und suche Uberall daa
Verständnis herhoizufUhren.
Volksschullehrem und anderen me-
thodisch gebildeten Lesern dieser Zei-
len dürften diese Grundsätze wol nifht
als neu erscheinen. Auf die Eriäute-
mngen sa diesen SStien, die Oberall
den erfahrenen Lehrer zeigen, können
wir leider nicht eingehen, wie wir es
nns anch reraagen mtlssen, den folgen-
den 3 p e e i e 1 1 c n Teil, besonders die
Unterrichtsbeispieie näher zu cbarakte-
risiren. Erwähnen wollen wirnnr, dass
das Lehrbeispiel von der Schwerkraft
(8. 177) uns verfehlt erscheint. Es
soll nämlich bewiesen werden, dass
diese Kraft als vom Mittelpunkt der
Erde ausgehend gedacht werden kann.
Bffll verfährt dabei auf folgende Weise :
„Denkt euch eine Oeffnung von uns
bis zum Mittelpunkt der Erde und von
da weiter bis zu unseren Antipoden.
Wir werfen eine Eisonku^el hinein.
Was wird mit ihr geschehen V — Ich
komme hier auf das Beharmngsgesetz
zu sprechen nnd lasse finden, dass die
Ki^el eine Fendelbewegung macht und
enmich im Mittelponlct der Erde aor
Ruhe kommt.'' Dem ist entgegen zu
halten, dass die Schwerkraft ßtther be*
kannt sein mnss als das Pendel, nnd
dass nach der Pendel bewcgung die
Kugel im Mittelpunkt der Erde nicht
zur Ruhe gelangt, sondern daselbst
die grOsste Geschwindigkeit besitzt.
Das ganze Verfahren halten wir bei
Mädchen für zu abstract. Auch das
Beispiel S. 178 will nns nicht fllr
Mädchen passen. Sie verstehen ja doch
nichts von Parabeln, JiUevationswinkeln
der Kanonen, werfen auch nielit mit
Steinen. Ebenso gefällt uns nicht der
Vergleich von Erde und Mond mit
Mutter nnd Kind, nm die Centrai-
bewegung zu erläutern. Die Kant-
Laplacesche Theorie ist unmittelbar
vorhergegangen I Wem die zugemutet
werden kann, muss die Cuntralbe wegang
auch ohne Vergleiche bogreifen.
Es wäre nun noch über die beiden
'4et8ten Gapitel: Hilfsmittel dea
naturwissenschaftlichen Un-
terrichts und der naturwissen-
schaftliche Lehrer an berichten.
Wir tun das nicht. Diefc C' ipUel kann
man nicht gut excerpiren. Der Ver-
fasser selchnet In beiden Ideale. Wir
wUnschen, dass die Wirkliehkeit ihnea
möglichst nahe komme.
Seine natnrwissenschaftlicb-pädago-
naohe Arbeit , „die rot allen Dingen
die eigne Beobachtung und Erfahrung
in den Vordergrund gestellt hat", be-
trachtet der Verfitaser nicht als etwaa
Abgeschlossenes, sondern als die lücken-
hafte Arbeit eines Einzoinea. Er
tröstet sieh mit dem Oedanken, dasa
auf einem so wenig bebauten Gebiete
auch jede kleine Gabe willkommen sein
wird.** Seine Gabe wird wol nirgends
als eine geringe angesehen werden.
Eisenach. Scheller.
V
• • • 2
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33
KOCkel, Geh. Schnlrat, Lehrplan fUr die
einfachen Volksschulen des König-
reichs Sachsen vom 5, Novbr. 1870.
2. Aufl. Dresden 1879. Preis 1 Mk.
Nach dem Vorwort ist der vom
Künigl. Ministerium des Cultus etc.
publicirtc Lohrplan für den Unterricht
in einfachen Volksschulen auf Grund
gutachtlicher Berichte der Bemks-
B«hiiliii8pectoreii des Landes anfgeBtellt
worden. Hinsichtlich der TJteiatur
worden bei diesem Material, dessen
Bedaction mit obigem Werkchen uns
vorliegt, die methodischan Schriften
der Bczirksschulinspectoren in Lübau,
Bautzen, Grimma und Kamenz benutzt.
Von de n I leramiehen anderw Litentnr
ist abgesehen worden.
I>er Herr Geh. Schukat ging dabei
Ton dem Gmndsatz ans, dass wenn
auch zweifellos hinsichtlich aller Haupt-
sachen im ganzen Lande voUe üeber-
«inetimniung herrschen, doch in Betreff
iiiindcr wichtiger bez. streitiger Punkte
und durch locale Verhältuisso bedingter
Einzelheiten die Bahn zn freier Bewe-
gung möglichst geöffnet sein müsse.
Nur in dem „Notwendigen Einheit!"
(S. 18), iiehr gut — aber was ist das
Notwendige V Wo ist die Grenze
zwischen den Haupt- und den minder
wichtigen Punkten zu ziehen? Eine
bestimmte Antwort wird bieranf sieht
ge,2:cben und kann nicht gegeben wer-
den. Zu den letzteren gehören z. B.
nach Seite 9 die Yorsehttge Ober die
Zahl der den einzelnen Jahren zuzu-
weisenden biblischen Geschichten, Uber
die Daner der Lchrcursc, sowie dar-
über, ob, wenn aweijährige Gurae ge>
wählt werden, in dem ersten Jahre nur
alt-, in dein zweiten nur neutestament-
liche, oder ob in jedem der beiden
Jahre alt- und ncutestanientllche Ge-
schieh teu zur Behandlung kommen
sollen, ferner ob (S. 16)dielüiteehi8mn8-
lehre nach ein- oder zweijährigen I^ehr-
carsen behandelt werden sollen, wieviel
Stoff Jedem Jahr snsnwelBen sei n. s. w.,
dagegen wird B.B. ein einheitliches offi-
cieiles Spntchbuch als Hauptsache ange-
sehen. S Anm. 25, S. 19—21. Man
wird ans dem Gesagten bereits er-
kennen, dass der vorliegende sächsische
Lehrplan der Niederschlag der gegen-
wärtig Ubliehen Schalpraxis ist, der
Erfahrungen, wie sie in den letzten sechs
Jahren im Königreich Sachsen von
PMagog. Studien. N. F. III.
Schulinspectoren gesammelt, von der
obersten Schnlbehürde sanktionirt wor-
den sind. Insofern also der Staat das-
jenige als allgemein gültig hinstellt,
was in der Praxis l)ewährt und von
Allen als gut anerkannt ist, handelt er
gewis riehtig, denn naeh unserer An-
sicht ist niemals vom Staat aus — wie
dies z. B. Vogt in seinem Artikel Uber
UebeibOidnng der Gymnasien verlangt
— eine dnrciigreifende pädagogische
Reform zu erwarten. Wir denken
uns den Weg umgekehrt : erst arbeitet
die Wissensehaft Hand in Hand mit
der Erfahrung und ringt und streitet
uud müht sich ab, um zu allgemein
gfiltigen Wahrheiten zn gelangen, dann
kommt die Ivcgierung und fasst das
allgemein Gültige in bestimmte Normen.
Dabei mfissen wir nur das Eine
wünschen, dass sie Freiheit genug lasse,
um neuen, berechtigten Bestrebungen
▼ollen Baum an gewähren. Die Normen
können daher nicht ewig feststehende
sein ; sie dürfen aber auch nicht als Aus-
tiuss der pädagogischen Erfahrungen
weniger Männer gelten. Denn Per-
sonen wechseln. Wo die individuelle
Erfalirung Alles gilt, muss dann auf
der einen Seite nnerhOrter Zwang, anf
der anderen ewiges Schwanken , wie
lange wol die gegenwärtig sanktio-
nirte Praxis gelten kOnne, entstehen.
Der vorliegende Lehrplan gibt ein deut-
liches Bild der gegenwärtig in Sachsen
befohlenen Prans. Dass dieselbe besser
sei als in anderen deutschen Ländern,
können wir nicht finden ; sie ist aber
auch nicht gerade schlechter. Die Em-
pirie gilt alles, und die Theorie nichts.
Das ist der Grundfehler, der Grnnd-
iiTtum, der sich durch das Ganze hin-
durchzieht. Die Vorschrift wird gefun-
den durch Majoritäts])eßchlü»8e der Em-
piriker. Daher kann sie niemals all-
gemeine Gflltigkeit erhalten. Es wer-
den immer Einige übrig bleiben, welche
auf ihre langjährige Erfahrung pochend
ein anderes Resultat ans ihren Beobaeh-
tungen gezogen haben. Ich bin weit
entfernt, die Bedeutung der Erfahrung
in der Pädagogik leugnen oder ver-
kleinem zu wollen. Aber fUr grund-
legend können wir sie niemals halten.
In der Herbart schen Schule ist so viel
gerade über diesen Punkt geschrieben
worden, dass ich fUglieh darüber
schweigen kann.
3
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34
Wo die grandlegenden Priacipien
fehlen, von welchen ans du Unter-
, richtsmaterial geordnet tind durchge-
arbeitet werden rnnss, (ein deutliches
Beispiel : Anmerkung 26 S. 23 zu ver-
Sleichen mit Anmerkung 52 S. 30, wo
insichtlich der realen Fächer gerade
das Gegenteil behauptet wird) — wo
allein die Stimme der Erfahrungen,
der vielfach wechselnden oft nsbe-
stiumbaren, oft widersprechenden
Meinmigeii gehdrt wird» können wir
kein geschloasenea, in sich zusammen-
hängendes, wol gefugtes Qanzes er-
warten» sondern nnr ein Bneh voller
Recepte, von denen viele reeht gut,
viele sehr anfechtbar sind. Wo aber
oberste leitende Gesichtspunkte fehlen,
hört der Unterricht auf eine Knnst-
leistong zu sein; er sinkt zum Lehr-
handwerk heiab. Von diesem Ein-
dnick sind wir bei der Leetüre des
„Lehrplans" kanm einmal losge-
kommen.
Greifen wir s. B. den deutschen
Unterricht heraus. Wir vermissen hier
sweierlei: 1) die bestimmte Forderung
eines geschlossenen, einheitlichen dent-
schen Unterrichts gegenüber der Auf-
lösung desselben in unserer gegenwärtig
genSchnlpraxisin eine Reihe mehroder
weniger selbständiger Unterrichtsfächer
(Lesen , Schönschreiben.Rechtschreiben,
Aut'8ati!,schreiben, Grammatik) und 2)
die Hinstellung der LectUre, des Lehr-
buchs in den Mittelpunkt des deutschen
Unterrichts. Allerdings wird in dem
Lehrplan wiederholt darauf hinge-
wiesen , dass die einzelnen Fächer in
Beziehung auf einander zn betreiben
seien, allein man wird es, ohne die ge-
gebenen Bestininiungen zu verletzen,
auch anders machen Können. Die Ein-
heit und Geschlossenheit des deutschen
Unterrichts ist aber ein so unerläss-
liebes Erfordernis jedes erfolgreichen
Sprachunterrichts, dass hier nicht die
Wahl gelassen werden darf, es so oder
anders zu machen. Das Notwendige
mnsB der Willkur des Einzelnen cnt-
rtlckt sein. Dass übrigens der Lehr-
plan nicht die volle Einheitlichkeit
des deutschen Unterrichts im Ange
gehabt hat, geht namentlich ans der
Erhebung der Grammatik vom 7. Schul-
jahr an zu einem selbständigen Fach
des deutschen Unterrichts hervor. Allein
dings ist in Anmerkung 94 ausdrück-
lich ausgesprochen „der Unterricht liat
Eisenach.
sich möglichst an das Lesebuch anzu-
Bchliessen. Mittelpunkt des gramma^
tischen Unterridit.s ist das Lesebuch.'*
Allein in der darauf folgenden Aus-
lassung wird dieser Gedanke wieder
in dem Masse abgeschwächt, dass von
ihm fast nichts mehr übrig bleibt. Die
Sache läuft schliesslich darauf hinaus,
man behandelt die grammatischen Ge-
setze für sich und lässt hinterher die-
selben auch in einem LesestUcke wie-
der erkennen. Das Lesebnch ist da-
mit in die Dienstbätkeit der Grammatik
geraten. — Ueber die Behandlung von
rediehten wird 8. 30 Anmerkung 5t
ein kurzes und wie es heisst, zweck-
mässiges Recept angegeben :„ 1 ) Vor-
lesen des Gedichtes von Seiten des
Lehrers, indem die Kinder still nach-
lesen, 2) Lesen im Chore, 3) Erklärung,
4) Einzellesen, 5) zuletzt nochmaliges
Chorlesen. Dieses Recept kann i. A.
auch für andere Lesestücke empfohlen
werden." Es ist dasselbe allerdings
kons, aber nichts weniger als zweck-
mä.ssig. Man vergl. damit z. B. die
Behandlung eines Gedichtes von Just
(Jahrbuch des Vereins für wissen-
schaftliche Pädagogik 1879).
Wir könnten noch mehr Beispiele
anführen, aus denen deutlich hervor
geht, wie aus dem Mangel an obersten
leitenden Gesichtspunkten ein Schwan-
ken, eine Principlosigkeit entsteht, die
wol ein treues Abbild der herrschenden
Praxis ist, aber niemals dazu geeignet
sein kann, diese selbst zu fördern und
mit neuen Impulsen zu versehen. Der
vorliegende Lehrplan wird gewis von
Vielen bis in den Himmel erhoben
werden, uns war er interessant, well
wir aus ihm am besten den Standpunkt
der Königlich Sächsischen Yolksschul-
praxis und Yolksschulpädagogik zu
erkennen glaubten, die Summe dessen,
was dortige Schulinspectoren in secbs-
jiihriger Erfahrung gesammelt, ge-
schrieben und begntaehlet haben. Dass
dabei auch manches geradezu Verab-
Scheuungswerte aus früheren Zeiten
sich behauptet hat, ist wiederum wegen
des Mangels oberster leitender Gesichts-
punkte nicht zu verwundern. Zu
solchen Ungeheneilichkelten rechne ich
Anmerkung 11, S. 11 das Memoriren
des ersten HauptstUckes, des ersten
und zweiten Artikels , des Vaterunsers,
der lutherischen Erklärungen in den
ersten 4 Schu^ahren I
W. Bein.
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35
Prof. Dr. H. Meurer, LateinlMhes
Lesebuch mit Vocabular. für Sexta
und Quinta. 1. Teil IV, 96.. U. Teil
lY, 168. Weimar H6rm.B0b1aQ 1880.
Schon von andern» Seite ist die
Klage erhoben worden, dass wir mit
Grammatiken und UcbungsbUchcrn
förmlich überflutet werden, und dass
man daher wol berechtigt sei, sich
netten Erschein un^an gegenüber zu-
rückhaltend zu zeigen. Und ein Kri-
tiker hat demnach sicherlich den Stand-
punkt einzunehmen, dass er unter den
neuen Büchern nur denjenigen das
Eecht des D.isf ins zugesteht, die ent-
weder wesentliche VerbeMerungen in
der berprebraekten Methode bringen
oder wirklich neue Wege einschlagen.
Eine Besprechung der Grund-
eKtse, naeh denen Herr Professor
Mourer seine Lesebücher bearbeitet hat,
dürfte daher am geeignetsten sein, zu
aeigen, in welcher Hinsicht hier von
einem Fortachritte f^sprochen werden
kann, in welcher nicht.
Der erste Grundsatz lautet; „Die
Vocabcln sind so viel wie möglich dem
Standpunkte des Sextaners angemessen
gewählt Sie sind alphabetisch ge-
ordnet Eine ZenreiBmiff derselben
nach den Lesestücken smien untun-
lich. Der Lehrer, welcher mit dem
Satxe anfingt, lässt die Worte auf-
suchen und auswendig lernen." Das
Bind eigentlich gleich zwei Grundsätze ;
der erste sagt, nacli welchen Gesichts-
punkten die Vocabeln ausgewählt sind,
und der zweite soll doch wol andeuten,
dass Herr Menier die grammati-
stische Lehrmethode fHr die richtige
hält, neben der er allenfalls die des
Lehrers, der mit dem Satze an«
fSngt, dnlden will. Ueber diesen
zweiten Teil des ersten (Grundsatzes,
dass die Vocabeln alphabetisch ge-
ordnet nnd nicht nach den LesestUcken
,,zciTis.^eu" sind, also vor der LectUre
erlernt werden sollen, mit einem Worte,
dass in den Büchern die gramraatisti-
sche Methode beibehalten worden —
darüber mit dem Herrn Verfasser zu
rechten,i8t hier nicht der Ort ; das würde
für die Leser der Päd. Stnd. Eulen nach
Athen tragen heissen. Leider hat Herr
Meurer weder hier noch später eine
genügende Begründung seiner Grund-
sätze gegeben, und doeh wSre eine
solche schon beim ersten Satze nicht
ganz unwillkommen gewesen. Es ist
schon viel Uber die „angemessene
Auswahl" der Vocabeln gesprochen
und geschrieben worden, aber man
scheint noch nieht ttber snbjective
Meinungen hinausgekommen zu sein.
So schreibt z. B. Lattmann in der Vor-
rede seines Elementarbuches für VI:
„Der Wortschat» nnd die Uebungs-
beispiele sind ausschliesslich aus
dem den Schülern dieser Stufe nahe-
liegenden Gedankenkreise entnommen.
Die übliche Ausbcutunfr der alten Ge-
schichte, um den Sextanern Sätze zur
Einübung der Formen an schaffen, ist
wol nur aus einer ii n p ä d a g o g i -
sehen Pedanterie hervorgegangen,
nach welcher man sich etwas darauf
zu gute tut , möglichst klassische Bei-
spiele aus den Schriftstellern zu liefern."
Das liest sich ganz gut und schön-,
wo aber ist eine Begründung des Satzes ?
Doch auch die Vertreter der zweiten
Auffassung des Wortes „angemessen"
sind uns den Beweis für die Richtige
keit ihrer Behauptung bis jetzt noch
schuldig geblieben \ und am wenigsten
ist nns mit solch ▼omehmen Worten
gedient, wie z. B in der Vorrede su
Dr. Beck's Uebungsbuche ßir V zn
lesen sind: „IHe dentsehen Uebnngs-
sätze bieten Gelegenheit nach Anlei-
tung meines Vocabulars den Schüler
in den Vocabeln und Phrasen heimisch
zu machen (1), die bei der späteren
Leetüre auf Schritt und Tritt vor-
kommen. Wie ich denn überhaupt bei
der Auswahl der Vocabeln und Sätze
diese (d. h. die spätere Leetüre) im
Auge gehabt habe, nicht irgendwelchen
anderen nebelhaften (?) Zweck." Herr
Prof Meurer lässt diesen alten Streit
unberührt, gibt aber auch keinerlei
psychologische oder pädagogische
Gründe, nach denen die Auswahl der
Vocabeln etwa beide Gesichtspunkte
in sich vereinigen könnte.
Nr. 2 der Grundsätze: „Die Länge
und Kürze ist nach dem Bedürfnis an-
gegeben." Das Bedürfnis dürfte an
verschiedenen Orten doch ein ziemlich
verscliiedcnes sein; auch wären wir
dem Herrn Verfasser dankbar gewesen,
wenn er es nicht unterlassen hktte, das
3*
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36
Verfalnmi, welches nach vneererüebei^
Zeugung das beste iat, einer Wider-
legung zn würdigen. Wenn man sich
daxn bequemen wollte, die YorBchläge
des trefflichen Perthes sorgfältig zu
prüfen, so würde man die Schüler nicht
mit unnötigen Quantitutsbezeichnungen
bdistigCD, 8. B. In, tSd, nSm, antSm,
optimua, poöta etc. Ist aber einmal
das Bedürfnis massgebend, so dürften
auch Wörter wie dea, deus, leo, bestia,
ipee, ipea etc. nicht ohne Beaeichnung
gelassen werden.
Die (Jrundsütze 3 und 4 werden ge-
wis diejenigen, welche mit Herrn Prof.
Mcnrer zugleich dem Griechischen vor-
arbeiten wollen, billigen; nur scheint
sich der Herr Verfasser zu irren, wenn
er meint, dieselben anerst in die Praxis
eingeführt zu haben. Denn schon
Lattmaim hat in seinem oben erwähnten
Elementatbuehe die Snbstantiva der
3. Deel, nach den Stämmen geordnet;
und die Ordnung der Verba nach dem
Perfecfstamme tat avch schon früher,
am besten wtedomm yonPerthes, durch-
geführt worden.
Der 6. Grundsatz nun — denn den
5. hOnnen wir, da er aus dem gram-
matistischen Principe henrorgegangc n
ist, übergehen — ist der richtigste
und am meisten verlu-issende, er lautet:
„Die sämtlichen LesestUcke, latei-
nische und deutBclio, l)estehen nicht
ans einzelnen, nicht zusummengebörigeu
Sätzen, sondern jedes Stflck bfldet in-
haltlich ein Ganzes, um einen
Mittelpunkt gruppirt/' Wie, werden
die Leser sagen, sind wir bisher mit
Kleinigkeiten aufgehalten worden bei
einem Werlce, welches vor den meisten
der vorhandenen Elementarbficher einen
so ausserordentlichen Vorsug Iiat?
Was soll all der kleinliche Tadel, wenn
es dem Verfasser gelungen ist, diesen
letsten Grundsatz so consequcnt, wie
er es vorheisst, durchzuführen? Es ist
gewis ein bedeutender Schritt vorwärts,
wenn anch ein den Herbart'schen Be-
strebungen fem stehender Gelehrter
den Weg einschlägt, den wir fUr den
richtigen eilcannt haben. Sehen wir
zu, in wie weit die Ausführung der
Verheissung entspricht „Der /Stoff ist
hanptsSchlich der Geschichte und Geo-
graphie, den Altertümern Roms und
Athens, der deutschen Geschichte, der
Naturgeschichte und dem Leben (näm-
lich dem Alltagslebent) entnommen**
nnd demnach bestimmt anch „an-
ziehend." Schon diese Worte können
uns zeigen, dass wir eine der reich-
haltigsten Encyklopädien en miniature
vor uns haben. Und diese Erwartung
wird auch durch eine nähere Prüfung
des Lesestoffes glänzend gercchtfertigt-
Ea ist nicht etwa so, wie man von
einem Lesebuche, welches täglich
benutzt wird und das somit doch
anch einen eniehenden Einflnss anf
den kindlichen Geist ausübt, erwarten
sollte, dass nämlich nicht nur die ein-
aelnen Capitelchen xnssmmenhSngen-
den Stoff enthalten, sondern dass auch
die Reihenfolge derselben nicht eine
willlcttrlich bunte, vielmehr wolgeord-
nete ist — nnd das wSro so gar
schwierig nicht gewesen — ; dies ist,
wie gesagt, nicht der Fall; dagegen
folgen die heterogensten Dinge auf
einander, deren bunter Wechsel so recht
geeignet ist, die Knaben auf das Ver-
stilndnis und eine leider schon jetst
ziemlich allgemeine Hochschätzung
unserer ebenso bunten Tagesliteratur
▼orsnbereiten. Ifon schlage eine be-
liebige Seite auf: überall das gleiche
bunte Bild; z. B. N. 29 De leone; 30
De sale; 31 De Hannibale; 91 De
Gallis; 92 De gallis; 93 Ueber die
Tempel der Griechen. Das ist jedoch
nur die eine Schattenseite; man kann
sich ja leicht denken, dass bei dieser
Art der Behandlung der StofT bald
mangeln muss, wenn man nicht gar
Bu fremdes Material hänfen wilL Desr-
halb ist Hilfe nötig, die denn auch ge-
bracht worden ist. Der Herr Verfasser
hat nSmIich eine grosse Ansahl seinw
Tiesestücke in 2, 3, 8, ja 14 und 15
Abschnitten wiederholt, in denen er
teils das frühere Material ohne jed-
weden Zusatz einfach für die neuen
Regeln znreclitstutKto, teils dasselbe
Numuicr für Nummer ura einige Züge
erweiterte. Das heisst doch anziehen-
der Lesestoff! 10 Gapitel über Han-
nibalund 14 über Alexander, da scheint
uns der Qednld der Knaben etwas xn
viel zugemutet zu sein, ganz abge-
sehen davon, welchen hemmenden Ein-
flnss derartige Stückarbeit, die doch
bei jedem Schritte vorgibt ein Ganzes
absolvirt zu haben, auf die Kutwicke-
Inng des Cliarakters ansllben muss.
Noch immer aber blieb das Verdienst
unangefochten, wenigstens in den ein-
zelnen Abschnitten einen „um einen
IQttelpnnkt gmppirten Stoff" daige-
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F
boten zu haben. Allein auch hioriuit
flieht es in riemlich vielen Fällen gar
misslich ans, Oder dUrfcn wir wirklich
Bugeben, dass ein Lesestück, zuaammen-
hSngenden Stoff dsrbiete, in dem ment
von der Sterblichkeit der Menschen
SeBprochen wird, daranf von der äterb-
onkeit Gkto*B (denn er war ja ein
Mensch!), sodann von der Kürze dos
menschlichen Lebens, von der Unsterb-
lichkeit der Seele , von dem GedUcht-
nie nnd der Vernunft des Menschen,
von der Verschiedenheit der Monschen-
racen bezüglich der Farbe, Sitten und
Gebräuche und das endlich mit den
Worten selilicsst: in aliis rogionihus
Asiae urbes celebrea sontl? Welches
ist denn hier der leitende Gedanke?
Fast jeder Satz geht in eine neue
Sphäre über, jeder bringt Begri£fe, die
mit den Toiausgehenden in keinem
oder höchst losem Zusammenhange
stehen; da werden in wenigen Zeilen
Leipsig.
metaphysische, ethische, physiologische,
ethnu^^raphische nnd geographische
Sätzchen in knapper systematischer
Form aneinander gereiht — der Schüler
mag sieh den Zusammenhang snehen,
wenn er nocli nicht prenufr hat an der
15 mal wiederkehrenden, dasselbe
Thema einleitenden üel>er8ehTift De
homine !
Dies glaubten wir über die Bücher
Henrefs sagen zu müssen. Alle diese
Anssetinngen schliessen jedoch nicht
aus, dass wir gern anerkennen, es seien
hier, wenngleich keine wesentlich
verbessernden Umgestaltnngen, doeh
Vorzüge vor den anderen nach gram-
matistischon Principien angelegten
Lehrbüchern %a finden, sn denen vor
allen Dingen trotz unserer Kritik, die
sich ja nur auf die AustUhrung be-
sieht, die Erkenntnis, dass zusammen-
hängender T.eBcstoff dargeboten weiden
muBB, zu rechnen ist
B. Barth.
Wolans^tändige Eeflexionen über
Schulen und Lehrer, Erziehung und
Unterricht von l^aintm llxlein II.
zweite umgearbeitete und fr dir
vermehrte Auflage, Augsburg,
Lampart & Co. 1879 nnd 1880,
391 Seiten in 6 Lieferungen ä 50 Pf.
Das heutige Lesepublikum ist be-
kanntlich ein höchst verwöhntes. Da
es, weil die Production oft die Nach-
frage über8tcif;:t, die Auswahl hat, so
ist es natürlich aucli in seinen An-
forderungen bedeutend anspmehsyolier
geworden. Verhältnismässig nur sehr
wenig Schriftsteller vermügeu sich
dauernd die Gunst des PnblTkums zu
erhalten. Wahrheiten, in einfachem,
nacktem Gewände, oder gar in syste-
ma^her Form dargestellt, machen bei
nur Wenif^en Eindruck. Die grosse
Masse verlangt eine prickelnde Sauce
und vor Allem eine recht durchsichtige
Darstellung, die kein Kopfzerbrechen
erfordert. Dickleibige Bücher mit viel-
leicht nur wenig Oapitcln und ohne
viele Ueberschriften schrecken von
vorn herein ab ; denn der Durchschnitts-
leser liest selten ein Buch von Anfang
bis sn Ende durch, sondern liebt ea,
nur diejenigen Abschnitte auszuwählen,
deren Ueberschriften sein Interesse zu
fesseln verspieehen. Bs ist daher lingat
ein offenbares Geheimnis, welche Sorg-
falt Schrittsteiier, die nicht auf den
Kopf gefallen sind nnd ihr Publikum
kennen, auf die Wahl nicht nur des
Titels vom Buche, sondern auch der
einzelnen Gapitelttbersehrifton venren •
den. Namentlich sind es manche Zeit-
schriften, die ihre Verbreitung einzig
und allein dem Geschicke verdanken,
mit welchem Schriftsteller oder Ver-
leger durch die Ueberschriften der
einzelnen Artikel Keclamo zu machen
yerstanden. Exempla sunt odiosa.
Wenn nur auch immer der Inhalt den-
selben Witz vorriet, als seine Au-
kflndigung ! Man kann es Einem, dem
jene Manöver nicht ganz unbekannt
sind, nicht verdenken, wenn er von
▼om herein an ein Buch, das den
oben angeführten Titel trägt, mit
einigem Mistrauen herantritt. Gott
Lob, bei vorliegendem Buche ist dieses
Mistrauen ein unbegründetes ! — „Q^'i-
tus Fixlein" von J. Paul wie „Leben
des vergnügten Scbulmeisterleins iMaria
Wuz in Auenthal" von demselben
VcrtasHcr gehören zu jenen lieblichen
Dorfschulmeisteridyllen, die ihren voll-
endetsten AnBdmek in Jeremias Gott-
helfs „Leben und Freudeu eines Schul-
meisteia" gefuBden haben. Wie in
dtesen Sehnften sahlrdebe Streiflieliter
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38
auf sociale, politische und reli^öBO
Zustände geworfen werden, so hat auch
anser Verfasser eine Menge brennender
Tagesfragen berührt, die jedoch alle
mit pädagogischen in näherem oder
entfernterem Zusammenhange stehen.
In 09 teils prosaiBchen, teils poetischen
kleineren Aufsätzen hat er ziemlich
aJle Grebiete der Pädagogik behandelt,
die Didaktik in den Aufsätzen: Das
Talent, das Gedächtnis, der Verstand,
das (ieiniit, der Wille, die Methode,
der Anschauungsunterricht, der Unter-
richt in der Mattersprache, der schrift-
liche Aufsatz, der mündliche Vortrag,
das Eecbnen, der Unterricht in der
Geschichte, der geographische Unter-
rieht, der naturwissenschaftliche Unter-
riüht, der Zeichenunterricht, das Volks-
lied, dielHIitetik in : IMe Schnlhyglene,
das Turnen, die llodegetik in : Die
Disciplin, die Schule und der Revolver,
Schnlerziehung und Presse, der Sehnl-
gehilfe, Lehrer und Schüler, das Schul-
kind in der Kirche, Schulfeste, die
Schule und das Elternhaus, Schule und
Theater, die Jnf^endschriften, die prac-
tiflche Pädagogik in : Die Schulen, die
Hochschule, die Mittelschule, die Privat-
anstalten, die höhere TOchterschnle,
die allgemeine Wehrpflicht, die Volks-
schule, die Feiertags- und Fortbildungs*
schnle, die Schnlanfsieht , der Lehrer
in der Goiiunndc, das Schulhaus, Schul-
lohn oder Lehrergehalt etc. Diese
AnftXtae machen keinen Anspruch auf
erschöpfende Behandlung ihres (Jegon-
standes, im Gegenteil sie brechen oft
gerade da ab, wo man noch etwas
mehr zu hüren wünschte, und deuten
eigentlich Streitfragen bisweilen nur an ;
aber man merkt jeder Zeile an, dass
der Verfasser ein alter Practikns ist
mit gesuiiilon Sinnen, der eine reiche
Erfahrung hat und zu beobachten ver-
steht Den eigentlichen Krebssehaden
unseres Unterrichtswesens erblickt er
in der „vielbeklagten Ueberwucherung
der Gemtttsbildung durch die Cnltur
des Verstandos und in dem Zuvielerlei
der Unterrichtsgegenstiinde , welches
eine gründliche Aneignung des Lern-
stoffes so sehr erschwert" (S. 13). Doch
verwahrt er sieh ausdrücklich gegen
die Behauptung, dass ans diesem Uebel-
stande allein die betrübenden Erschel-
nungen unserer Tage zu erklären seien.
In religiöser Hinsicht ist er kein Feind
der AufklÜrong, will aber nicht, dass
dem Volke Hypothesen und Lehien
S boten werden, fUr deren richtige Er-
isung die V^oraussetzungen fehlen,
,,Nur was allgemein anerkannte Wahr-
heit ist, nur was in Beligion und Sitte,
in Philosophie nnd Geschichte und im
Studium der Natur bewiesen und
lückenlos vor uns liegt, kann Gegen-
stand des Schulunterrichts in Volks-
und Mittelschulen sein" (S. 15). Die
vielen populären Bearbeitungen der
höchsten wissenschaftlichen Fragen
hält er für ein grosses Unglück. Gehen
wir nun auf Einzelnes noch etwas
näher ein. Wir wollen das Didaktische
herausgreifen. Einen philosophischen
Discm'B über die beste Methode würden
wir ftreilich vergeblich suchen. „Die
beste Methode ist jene, welche der
natürlichen Entwickelung des Kindes
am meisten entsprieht. „»(Jnterriehte
naturgemäss"", istder erste methodische
Gnindsatz" (S. 254). Aber der Ver-
fasser rügt Diejenigen, welche auf
hohem methodischen Bosse au sitzen
glaubeu nnd nur das magere Rösslein
der Manier zwischen den Füssen haben.
Beim Anschauungsunterrichte
wird polemisirt gegen das planlose,
das zergliedernde und das luxuriöse
Ver&hren undschlieBSlich einem Worte
von Dr. Kittel beigestimmt: „Die Voll-
kommenheit des Verauschaulichnngs-
mittels besteht darin, dass es natnr-
wahr und deutlich in die Sinne fallen
lässt, was wesentlich zu der Vorstel-
lung oder dem Vorstellungscomplcx
gehört, um deren oder dessen Erzeu-
gung in dem Geiste des Kindes es sich
Serade im Unterrichte handelt." Beim
^ntorricht in der Muttersprache ist
von grosser Wichtigkeit die Lesestunde,
vorausgesetzt, dass der Lehrer nicht
bloB auf ein wort- nnd satzrichtiges
Lesen achtet nnd eine gewisse Lese-
fertigkeit zu erzielen sucht, sondern
dass er den Lesestoff dem Kinde geistig
vermittelt , es auf jede Wendung des
Gedankensmerken lehrt und namentlich
f;ttt vorliest und nicht eher sich zu-
rieden gibt, uls l)is die Kinder gut
nachlesen. Zur Jlrleichterung des
grössten Lehrerkreuzes , nändich der
Itechtschreibnng, dringt er mit
Recht auf das „aufmerksame Hören
des richtig und scharf ausgesprochenen
Wortes nnd Lautes, das fleissige An-
schauen des Wortes, die genaue Nach-
bildung unter steter Aufsicht nnd
gewissenhafter Goirectnr** etc. Bin
Wort legt er ein fQr den Dialekt dnieh
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39
den derLebier ein Mittel gewinne, dem
Kinde nahesntreteii und inm Vertranen
einznflJJssen. Die schriftlich on
Anfsütze sollen sich vorzugsweise
an das anschUessen, was den Kindern
vor Angen ist, weniger an fremde
Verhältnisse. Die Beschreibung des
Apl'elbauiiia unter dem Fenster oder
der Weide am Bache ist der des Brotp
banms oder der Palme vorzuziehen.
Verwerflich ist, die Aufsätze immer
in Briefform tu kleiden. Verwerflich
sind auch die vielen „Beurteilungen**
geaelüchtlicber rersünUcbkeiten oder
der Werice olasBiBcher Sehriftateller.
„Derartige Arbeiten bewirken uur,
dass die Jugend sich gewöhnt, alle ihr
xnm Beschwätzen vorgeworfenen Dinge
als Rechenpfennige anzusehen, deren
sie nach nicht all 211 langer Zeit müde
wird" (S. 273).
In Betreff der V ortragsUbun-
gen findet es der Verfasser auffallend,
dass prosaische Stücke so selten Be-
rficksichtigang finden, während doch
die Menschen in Handel und Wandel
hüchst selten in Versen sprechen,
lieber das Reelinen geht der Ver-
fasser kurz hinweg, nämlich mit —
vier Sonetten, in denen er von den
„Brüchen" redet, in die oft Jünglinge
geraten, den Männern ein Pfui bringt,
welche Nullen" sind, und das grosse
„fc'acit" Sterben erwähnt, womit der
Greis seine „Rechnung" abschliesst.
Der Grund dieser Kürze ist ein hüchst
komischer. Sein alter Rechenlehrer
hatte nämlich einst dem Verfasser auf
seine Schularbeit mit gewaltigen Zügen
feschrieben: „(IV) Sind der leute".
^om G-esehientsnnterricht ver-
langter im Gegensatz zur gewöhnlichen
Praxis namentlich zweierlei: 1) dass
weniger die Geschichte der Fürsten,
Begenten und Feldherren, als vielmehr
die der Völker und die Culturgeschichte
betont, 2) dass mehr das mitlebende
Geschlecht berOekcdohtigt werde. Das
Letztere kann unsere Zustinminng nur
in sehr beschränktem Masse finden,
weil es ein nur zu wahres Wort ist,
dass das dem Kinde zeitlich Nühor-
liegende gewöhnlich nicht auch das
seinem Verständnis NSherlicgende sei.
Der geographische Unterricht wird
wol kaum noch irgendwo so betrieben,
Eisenach.
wie ihn der Verfasser als vor 20 bis
30 Jahren gewtfhnlleh gesehildert hat.
Woltnend berülirt es , wenn beim Be-
sprechen des natnrwissenschaft-
liohen Unterrichts gegen Materialis-
mus und Halbwissen die Lanze ernsten
Spottes eingelegt wird. Beim
Zeichenunterricht folgt eine
längere Stelle aus dem bekannten eng-
lischen Philosophen Spencer, worin
lebhaft für die „Priorität der Farbe
vor der Form" eingetreten und anf das
ungleich grössere Interesse hingewiesen
wird, welches die Kinder der ersteren
entgegenbringen. Das sef dn wol
zu beachtender pädapof^lscher Wink.
Wenn wir auf die vielen anderen
Aufsätze hier nicht des Näheren ein-
gehen, so geschieht das nicht deshalb,
weil sie dos Eingehens weniger würdig
wären, vielmehr dürfte kaum einer
unter ihnen sein, der dem Leser nicht
Anregendes böte. Es sind wirkliche
Uebelstitnde, die der Verfasser auf-
deckt und teils mit den Waffen dM
Ernstes, teils mit denen des Spottes
bekämpft. £s kommt einem bisweilen
▼or, als erblieke man in diesen ge-
rügten üebelständen alte Bekannte aus
der nächsten Umgebung, ja an der
eigenen Person. Wir sind überzeug^
dass sich das anspruchslose Werkchen
seinen Leserkreis erobern wird. Auf
Originalität darf es Anspruch machen,
trotzdem man eigentlich nicht sagen
kann, dass es Neues bietet. Der Ver-
fasser ist kein Schwärmer, er hat ein
offenes Auge fUr die realen Zustände
und besitzt ein nüchternes Urteil.
Dennoch weiss er, wo es gilt, mit leb-
haften Farben die ideale Seite sn sehll-
dem und das, worauf es doch schliess-
lich ankommt, klar und mit Nachdruck
herauszustellen. Der gesunde Humor,
der über das Ganze verbreitet ist, trägt
auch das Seine dazu bei , die Leetüre
zu einer ungenehmen zu nu\chen. Die
eingestreuten Verse, die zum Teil et-
was nach Victor Schcflfel schmecken,
sind zwar nicht poetische Erzeugnisse
ersten Ranges, was sie aveh gar nicht
sein sollen, verraten aber nebst einer
ihnen nicht abzusprechenden Formen-
gewandtheit den liebenswürdigen Cha-
rakter des Verfassers, dessen Anony-
mität wir lebhaft bedauern.
Dr. Bliedner.
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40
Lange, Dr. Th. Karl, Oberlehrer am
Königlichen Semiatr va FUneii i/V.
lieber Apporc Option. Eine
psychologisch-päUagogiäche Mono-
graphie. Flauen \fil9, 112. 8.
Es ist ein ^glücklicher Griff, die
Lehre von der Appcreeption in einer Mo-
nographie zu pädagop^iBchen Zwecken
zu l)ehandeln. Da wird jeder in das
Volle, Interessante, der reichsten An-
wendung Fähige der Herbart'schen
Psychologie eingeführt. Mit einem
Blick überschaut man, was sonst einer
kindlich-dichtenden , determini renden
combinirenden und abstrohirendcn
Phantasie zugeschrieben wurde. Da
lernt man die letzten Bedingungen des
EKnaltaehf» Chaxakte» kennen » indem
die Mannig<igkeit des luteteaaea, die
VI.
Herbart und seine Jünger, i reunden
nnd Gegnern rar VenlSndigung.
Langensalza t880.
Wer die pädagogische Literatur
einigerniasbcn verfolgt hat, wird be-
merkt haben, dasB gegenwärtig eine
scharfe Strömung gegen üerbart und
seine Schule im Deutschen Keiche
herrscht. Seit den Tagen, wo Stoy und
dann Ziller contra Dittos standen, »ind
nicht so harte Worte und Anklagen
anf beiden Seiten gefallen. Wir be-
klagen dies, weil wfr ^Hanhon, dass
damit der Herbart'schen »Sache wenig
gedient sei ; wir halten andererseits es
aber für durchaus nötig, dass das Bc-
wusstsein von dem Vorhandensein einer
grossen Kluft zwischen der bisherigen
Schulpraxis und der von Herbart an-
gebahnten Kcform — so viel Berüh-
rnngspunkte zwischen beiden auch vor-
handen sein mOgmi — nidit yer-
Mitgefühle, die Bildung und Anwen-
dung allgemeiner Maximen auf ihre
Quelle zurückgeführt werden. Die An-
wendung auf die Pädagogik ergibt
sieh dann von selbst, die Wichtigkeit
der Kenntnis der appercipirenden ^'or-
stellungen im Zögling, deren notwen-
wendige Bearbeitnnir in der Vorberd-
tung, Darbictunfj, Verknüpfung, Zu-
sammenfassung u. Anwendung leuchtet
unmittelbar ein.
Die gefällige, leicht 'VttBtandliche,
an interessanten Details u. practischen
Wirken so reiche, mit der betreffen-
den Literatur so vertraute Darstellung
ist recht geeignet, auch solche, die
der Sache noch ferner stehen, in die-
selbe einsnltthreD.
FL
waschen, sondern immer in scharfen
Umrissen gehalten werden mttsse.
Doch sollton wir llerbartianer udk
hüten, unsere Gegner zu reizen; wir
müssen vielmehr darauf ausgehen, sie
zu Uberzeugen. Die Gefahr liegt nahe,
auf der einen Seite die Zustände so
schwarz zu malen, um auf der anderen
die Reformidee in desto helleres Licht
zu fetzen. Da ist es gut, an die Worte
Uerbart's zu denken, die der Verfasser
des Sehriftehens öfters eitirt, mn ra
grossen Eifer zu dämpfen und den
istreit auf wissenschaftlichem Boden
zu halten. Es liegt vieles Beher-
zigenswerte fUr uns Herbartianer in
dem Schriftchen. Möge die Mahnung
zur Einigkeit und zu festem Zusam-
menhalten auch bei mancherlei Ver-
schiedenheit nicht umsonst verhallen 1
Eisenach«
W. Bein.
Aus aller Herren Ländern. Beiträge
zum geogr. Unterricht etc. Heraus-
gegeben von Schmidt BrUamlleli.
Leipzig. 3 Hefte.
Die Idee ist gut; die Ausführung
auch im allgemeinen; der Text hätte
wegbleiben können, wenn er auch der
Bequemlichkeit der Tvchrer selir ent-
gegen kömrat. Er i-si tjehr uiigloicii,
zuweilen höchst massig, mitunter tri-
vial. Bis jetzt liegen 3 Holte vor.
Wir tadeln teils als überflüssig, teils
dem Zweck nicht entsprechend:
Fischvorkauf an den Rajen in Ilam-
bnrgi Illumination auf dem Alstcr-
vn.
l)assin, Ansichten aus dem Saal- und
Öchwarzatal. Die Holzschnitte sind
vom kfinstlerischen Standpunkt ans
recht verschieden, aber im allgemeinen
gut Vortreft'lich ist z. B. der Traun-
see, miserabel aber der Miederwald.
Wie diese Ansicht in die Sammlung
gekommen, ist mir unbegreiflich. Sie
ist die Arbeit eines Stümpers, und ver-
unstaltet das Ganze. Es ist dies um
so mehr zu bedauern als gerade der
Niederwald es verdient hätte, in der
Sanunlung würdig vwtieteD zu sein.
Eisen ach.
W. Kein.
l>ruck Tou J*'iscUer Jk, Wittig ia iteipsig.
Digltized by Google
Die Psychologie im Lehrorsominar.
Bbi Beitrag rar AnsMlAiiiir 4er BeMwtiiewMiwfteiu
Von Br. Karl Just in Jlreaden.
Motto: SeitI aber Tater des VfotUa und nicbt Wbtttt
»lleiu, womit ihr »ncli gelbst betrüget.
J*e. 1, 22.
Wer da weiss, du Gute sa titn und tut es
idolit» d«B M M Milte. Im. «» IT.
Einleitung.
Alle Wissenschaften, die in der Schule gelehrt werden, müssen dem
Zwecke des pädagogischen Unterrichts entsprechend in Sc hui Wissen-
schaften umgewandelt werden. So auch die Psychologie, welche in
den Lehrerbildungsanstalten einen besonderen Unterrichtsgegcuätand bildet.
Diese Umwandlang wird sieli erstrecken Enerat auf den Lehrgang
und dann auf das Lelurverfahren. *)
Betrachten wir zunächst den Lehrgang.
Sehen wir uns irgend ein Lehrbuch der Psychologie an, so finden
wir zuerst Betrachtungen über die Substanz der Seele, es folgt dann die
Lehre von der Wechselwirkung zwischen der Seelensubstanz und den
Snbstansen des Körpers oder zwiBehen Seele nod Leib, nnd von da ans
wird fortgeschritten zu den £)r8clieüinngen des Vorstellungs-, Gcfilhls- und
Begehrungslebens. Es wird also ausgegangen von dem Realgrunde und
von diesem als der letzten Ursache angestiegen au den Erscheinungen,
den Kealerfolgen, **)
£s fragt sich nun, ob dieser Gang des Lehrbuchs der geeignete und
richtige auch fUr den Unterricht ist.
Denken wir doch einmal an andere Unterrichtsi^cher, die methodisch
schon durchgebildeter sind. Wie vernihrt denn etwa der Lehrer der
Chemie? £iun dieser geht nach Arendt' s Vorgänge aus von den che-
*) Der Lehrgang bestimmt die Anordnung des gesamten StoflPes innerhalb
eines Unterrichtsfaches, die Theorie des Lehr Verfahrens gibt die allgemeinen
Anweisungen, wie jeglicher Stoff im Unterrichte zu behandeln ist.
**) Uebcr Realgrand nnd Realcrfolgc im Verhältnis zu ErkenntniKgründen
und Erkenntnisfolgen vergl. Vogt: „Die Ursachen der Überbärdnng in
den dentaeh«n Gymnasien. (Jahrb. f wi—tnschafML FBdagegik. XII, & 166).
PU. Stadlm. X. T. IT. .1
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. miBGhen ISnoheinungen , z. B. der Otthrung oder der Fäulnis, oder von
den Beobachtungen beim Besttcke von Fabriken und WerlcBtiltten ; und
erst auf ekier ^el späteren Stufe lüsst er von den Erscheinungen aus
achliessen auf die Natur der Atome und ihre Wechselwirkung.
Und aus welchem Grunde veriahrt er soV
Deswegen , weil das der Weg ist, den seine Wissenschaft bei ihrer
Entstehung genommen hat; der Weg der Natur, wie Rousseau sagt;
oder der psychologische Weg, wie schon Pestalozzi nch ausdruckte —
das will sagen: der Weg, welcher der Natur und der Entwickelung des
menschlichen Geistes entspricht.
Dieser Gang ist es nun, welclien aucli der Unterrieht in der Psycho-
logie einzuschlagen hat. Denn man wird dem Lehrer der Usychologie
nicht zumuten, dass er sich selbst in das Gesicht schlägt und seine
eigene Wissenschaft verhdhnt, welche doch eingestandenermassen deshalb
in die Lehrerbildangsanstalten eingeführt worden ist, nm den angehenden
Lehrern die Entwicklungswege des kindlichen Geistes zu zeigen , und
zwar nicht des Spasses wegen, sondern damit sie sich in ihrem Unter-
richte einst darnach richten.
So wd also der psychologische Unterricht seine Betrachtungen von
den unserer Beobachtung zugänglichen Bewusstseinserscheinungen anheben,
als da sind: Gedächtnis, Einbildungskraft, lleproduction, Aufmerksamkeit,
Apperception , Begriffsbildung, Laugeweile, Unterhaltung, Begierde,
Willen etc. Und erst auf einer höheren Stufe wird die Frage: „Wie
entstehen denn eigentlich die Vorstellungen oder Empfindungen, die all
jenen Erscheinungen su Grunde liegen** — und swar am besten an der
Hand von Sigismund: »Kind und Welt"* oder ähnlichen Beobach-
tungen — hinfuhren zur Lehre von der Natur und Entstehung der
Siniiesempfindungcn und damit zugleich zur Lehre von der Wechsel-
wirkung zwischen Leib und Seele und der Bcschall'cnheit des Seelenrealeu.
Wir kommen nun zu dem Lehrver fahren. .
Hier stehen uns mehrere viel b^angene und dazu recht bequeme
Wege olTen. Entweder wir tlbwliefem unseren Schülern den Lehrstoff
in der Form des Lehrbuchs, nur etwas verkürzt und verschnitten, und
suchen ihnen durch hinzugefügte Erklärungen die absti'akten Lehrsiit/.e
plausibel zu machen; oder auch, wir nehmen die Tätigkeit unserer
Schüler etwas mehr in Anspruch und veranlassen sie, durch Auffinden und
Erklären von Beispielen die dargebotenen Lehrsätze zu illustriren und
so ihr Verständnis an den Tag zu legen.
In beiden Fällen aber, das dürfen wir uns nicht verschweigen und
wenn auch der Unterricht interessant und durch eine lieihc geschickt
lierbeigezogener Beispiele piquant erscheinen sollte — in beiden Fällen
haben wir fllr den Zweck des Unterrichts, nämlich zum selbständigen
Denken anzuregen und durch eigenes Suchen und Finden ein tiefgehto-
des Interesse für den Stoff zu wecken, wenig getan. Wir fühlen uns
80 trotz mancher Unannehmlichkeiten , die d.is Verlassen gewohnter Ge-
leise mit sich führt, weil unsere bessere i'berzeugung es uns gebietet,
gezwungen, auf jene Methoden, die dogmatische einerseits, dicgram-
matistische andrerseits, zu verzichten und folgen auch hier der psy-
Dlgitized by Gc.
3
chologiscben Metbode*), welehe allein der Entwickelnng des mensoh
liehen Geistes gerecht wird.
Wir lassen demnach bei der Hetraclitunfz: einer jrdon einzelnen Be-
wusstseinserscheiniing vor allen Dingen die Beobachtungen zusammen-
stellen, welche im früheren Unterrichte, vur allem in der (Jeschichte und
in der Lektflre beim Anblicke von bistorisehen oder poetischen Charak-
teren, aufgetreten sind. Wir sammeln ebenso die psychologischen Er-
fahrungen , welche unsere Schiller sowol bei dem Unterrichte , welchen
sie empfangen, als auch bei demjenigen, welchen sie selbst in der Übnngs-
scbule erteilen, bereits gemacht haben. (A, I.)
Von hier aus erheben sich nun mannigfache Fragen, Zweifel, Be-
denken nnd Erwartungen , die alsdann anf der nächsten Stufe ihre Be-
antwortung, Lösung, Beseitigung und Befriedigung finden, bis endlich die
betreH'ende Bewuastseinserschcinung in ihren einzelnen Momenten, mit
ihren Ursachen und in ihrer Bedeutung für das innere lieben klar und
deutlich vor dem geistigen Auge der Schüler steht. (A, Ii.)
Verwandte seelische Zustände , wie sie im früheren Unterrichte be-
reits beobachtet worden sind oder ans der Er&brung sich leicht hinzn-
filgen lassen, werden nun* daneben gestellt und so das Bedeutungsvolle,
das Bleibende und Gesetzmiissigc in der Vielheit der wechselnden Be-
WUSStseinsvorgängc zur grösseren Klarheit gebracht. (B.)
Weiter wird dieses Bleibende und Cxesctzmässige in der vielgestaltigen
inneren Erscheinungswelt fixlrt, systematisch geordnet und verglichen mit
den Formeln nnd Sätsen, welehe die Lehrbücher der Psychologie bereits
daffir aufgestellt liaben. (C.)
Und endlich, damit das System auch „funktionirt",*') folgen An-
wendungen des Gefundenen anf den Betrieb des Unterrichts'**), oder es
werden auf Grund der psychischen Gesetze Vorurteile, die in Bezug auf
die Natur und Wirkungsweise der Seele noch bestehen, zurückgewiesen.
Es werden hierhergehOrige Anssprfiehe berflhmter Hinner oder auch
solche volkstttmlieher Art erklärt nnd falsche Lehren und Mehinngen
kritisirt (D.)
Wbr wollen nun einige Kapitel der Pqrchologle in der dargelegten
*) Ueber die p sy chologis c lic Me th o d o im Gegensatz zu der grammatisfi-
Bcben, die „arsprimglicli im lateinischen Untenichte einheimisch, an Boden immer
»ehr gewonnen bat" imd jetit Ubenll ni Hanse ist, vergl. Yogt, a. a. O.
121 ff. 130 ff.
**) „Das System, das der Zögling als sein erworbenes Eigentum betrachten
Icann, gleicht einem psychischen Oiian. Sowie aber ein Idbltches Organ In Tätig-
keit verMeiVicn muss, wenn es nicht wie ein rudimentäres und atrophirtcs immer
nn vollkommener werden und als nntzloa erscheinen soll, so muss aach jenes psy-
chische Organ in Tätigkeit ge^^etzt werden. Anf das System wird also als vierter
Uerkstein in dem psychi.sch-synthetischen Aufbau folgen müssen die Funktion,
— „ein in Tätigkeit gedachtes Dasein", wie Goethe sagte." Vogt, a. a. 0. 136.
„Denn derjenige, der da Einsicht in die allgemeinen ps3xhischen Gesetze
. . . ^Wonnen hat , besitzt darum noch nicht Einsicht in methodische Begriffe,
ansser er wärde die Baziehnngen jener Gesetze zu dem besonderen Gegenstande,
nämlich dem in der Entwickelnng begriffenen Menschen, gründlich erwogen haben."
Vogt, a. 0. 129.
1*
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4
Wdie behandeln. Die Proben, an denen nneer Lchrvei-fahren zur An-
sobaiinng gebracht werden soll, wählen wir so, dass die drei Haupt-
er8cheinnn,e:sformen des Seelenlebens: das VorstellungB-, Ge-
fühls- und BegeUrung sieben vertreten sind.
I.
Aam dem VorBtellungsleben betrachten wir:
Das Gedächtnis.
Den Ausgangspunkt ftr die Betrachtang bildet die Frage: Wie soll
in der Schule gelernt werden?
(A, I.) Wir haben das Gedicht von Uhland: „Der lieber fall
im Wildbad'* gelernt. Wie haben wir das angefangen? Zunächst ist
die Erzählung wiedergegeben worden, und dann haben wir uns den In-
halt nach den Übersehliften eingeprägt : 1. Eberhard geht in das Wildbad,
2. Eberhard pflegt sich daaelbat, 8. Eberhard wird von dem Eberstein
bedrohti 4. Eb/srhard soll zugleich auch yon dem Wunnensteincr über-
fallen werden, 5. Eberhard wird von einem armen Hirten gerettet, 6.
Eberhard zeigt sich dankbar.
(A, II.) Wir haben demnach beim Lernen geachtet auf den Zu-
sammenhang der Gedanken, auf die ianiste Verbindung des Stoffes nnd
haben darnach das ZnaammengehOiige anaammengeBtellt. Wir Imben so
den Inhalt unseres Gedichtes auf die rechte Weise eingeprägt; denn wir
haben verständig oder J u d i c i ö s (weil durch d:is j u dicin m = Urteil
die (bedanken mit einander vei'bundcn werden) gelernt.
(A, I.) Das ist aber nicht die einzige Art des Lernens, und wir
haben nns damit anch nicht begntigt.
Wir haben jene Ueberschriften öfters wiederholt, bis wir sie gani
tfcher, d. i. ohne Stocken, und genau, d. i. ohne Verändemng des In-
halts und der Heilicnfolge konnten. Und eben so haben wir, um uns
die Erziililung in der Sprache des Dichtere anzueignen, die cinzchieii
Strophen so Lange wiederliolt, bis wir sie auswendig zu sagen vermochten.
(A, II.) Wir haben uns demnach den Inhdt des Gedichtea anch
eingeprägt nach dem äusseren Zusammenhange, nach der Aufeinander-
folge der Worte. Wir haben nicht blos gelernt in jndiciöser, aondeni
auch in m e c h a n i s c Ii e r Weise.
(A, 1.) Aber nicht immer vermocliten wir derart, zuerst jndiciös,
dann mechanisch zu lernen, weil nicht bei allem Stoffe, welcher einge-
prägt werden soll, ein innerer oder Gedankenznsammenhang sich findet
Wir haben uns dann anf andere Weise geholfen.
So haben wir, um uns .ins der Literaturgeschichte des 18. Jahr-
hunderts eine Anzahl wichtiger Daten zu merken, eine Keihe von Zahlen
zusammengestellt, die sicli auf 9 endigen, nämlich 171U Gleim geb., 1729
Lessing geb., 1749 Goetiie geb., 1759 Schiller geb., Kleist gest., 1769
Geliert gest., nnd anf diese Welse ist uns daa Behalten leichter geworden.
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5
Oder um uns in der Geographie die Flüsse zu merken, welche vom
Fichtelf^ebir^e kommen , li:ibcn wir die Anfangsbuchstaben (krselben in
dem Worte tiiens zusumnieiigefasst : Main, Eger, Naab und Saale.
(A, II.) Wir haben also in solchen Fällen , wo in dem ätoä'e, der
einzuprägen war, eine innere oder QedankenyerbindDng nieht atett hatte,
einen Znaammenbang auf kflnstliche Weise geschaffen. Diese Art zn
lernen, noinen wirdeshalb künstliches oder anch ingeniöses Lernen,
weil durch dns ingenium=Witz Ähnlichkeiten zwischen oft weit aus-
einan(lerliej;endeu Dingen aufgesucht werden.
Im Ganzen haben wir also beim Lernen die Kegel beobachtet:
Zuerst whrd yerst&ndig gelernt und dann meehaniseh; wo das
veititändlge Lernen nicht möglich ist, tritt dafür das künstliche ein.
Durch dieses Verfahren haben wir es erreicht, den Wissensstoff zu
behalten und ihn bei gegebener Gelegenheit auch reprodu>
ciren zu können.
(B.) In dieser Weise haben wir nun auf allenGebieten den Unter-
richtsstoff unserem Gedächtnisse eingeprägt. So merkten wir uns, um
noch ein Beispiel aus der Geschichte anzuführen, Karls des Grossen
Leben und Taten, indem wir den StoflF in folgende Gruppen brachten:
1. Karl als Kriegsheld, 2. Karl als Förderer der Kultiu-, 3. Karl als
Gesetzgeber, 1. Karls Person und häusliches Leben, 5. Karls Ende. Wir
sorgten also zuerst für ein verständiges Einprägen. Bei den Sachsenkriegeu
achteten whr sodann, um uns das Behalten der Jahreszahlen zn erleichtem,
darauf, Hass sie ungefähr in Abständen von 10 Jahren auseinander ll^en
(772, 782, 792 -f- 1), und dasselbe notirten wir uns für die Kriege gegen
Spanien, Bayern und die Avaren (778, 788, 708). Wir halfen unserem
Gedächtnisse sonach auf künstliche Weise. Und endlich wurde der ge-
samte Stoff durch öfteres Wiederholen so eingeprägt, dass ein jeder
Schiller Uber das Ganze in znsanunenhlngender Weise, ohne Stocken
und ohne Weglassen von bedeutenden Tatsachen referiren konnte.
Ea fragt sich aber, ob man mit demselben Erfolg nicht auch in
anderer Weise lernen kann. Wird man z. B. lateinische Vokabeln
nicht ebenfalls im Gedächtnis behalten und später reproduciren können,
wenn man dieselben nur in mechanischer Weise einprägt? Gewis. Al>er
es ist ein Unterschied, ob ich mir die Verben dividere teilen, faieolere
bewohnen, appellare nennen, dorch blose Wiederholung einzeln einprflge,
oder ob ich sie in dem Zusammenhange merke: „Gallia est omnis divisa
in partes trcs, quarum unam i u c o l u n t Belgae, aliam Aquitani , tertiam
qui ipsorum linqua Celtae, nostra Galli appellantur.'' Wir wissen
aus Er&hmng, dass wir im ersten Falle die Verben wol hente nnd
morgen, vieUeioht auch in acht Tagen noch wissen, dass wir sie aber
nach Ubigerer Zeit gemeiniglich vergessen haben. Und ebenso wissen
wir, dass wir im zweiten Falle ein bewährtes Mittel besitzen, uns jeder-
zeit der betretTenden Worte zu erinnern : Wir brauchen nur an den Satz
zu denken, in welchem dieselben vorkommen'). Wir verleihen demnach
♦) Darum sagt JeanPanl: „Wenn ener Knabe recht schnell in einer fremden
Sprache wachsen soll, so lerne er nicht Wörter, sondern em aasländisches Ka-
pitaL« Levana f 142.
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durch das Jntliciöse Lei iiuii , durch ein Kiiij)iii{;t'ii im U)gis(;hen Zu- 1
SHnuuenhange, dem Gediichtoissc die Merkmale der Dauer uud der Dieiist-
barkeit*)| welche bei dem bloB mecbaniach Eingeprägten fehlen. Viel-
leicht ist dann aber das mechaniBche Lernen ganz überflttsaig, und
wir> können uns begniigen mit dem verständigen? Auch dann, wenn
das mechanische Lernen wpfrbliebe, würden sich grosse Nachteile für
unsere Gedäclitnisbilduug ergeben. Denn wir wissen eben so gut aus
unserer Erfahrung, daas uns die Disposition oder der Gedaukeugaug eines
Liedes nichts hilft, wenn es sich dämm handelt, dasselbe sicher , d. i.
ohne Stocken und genau, d. i. ohne Veränderung des Inhalts und der
Form herzusagen, sofern wir nicht durch ofte Wiederholung uns Strophe
filr Strophe dem Wortlaute nach angeeignet haben. Wir verschaffen also j
unserem Gedäcljtnisse durch das mechanische Lernen die Eigenschaften
der Sicherheit und Treue, die wir durch das nur verstandesmässige
nimmer erlangen werden. Am ehesten noch können wir offenbar anf das
ingeniöse Lernen vmicliten. Aber wir würden alsdann solche Stoffe,
die wegen ihrer Zusammenhnngslosigkeit zum Merken nicht geeignet sind,
wie Namen und Zahlen, gar nicht oder mir mit grosser Mühe einprägen
können, und unser Gedächtnis würde alsdaun nicht den Umfang be-
sitzen, den wir ihm mit Hilfe des ingeniösen Lernens su verleihen
vermögen.
So mtagt es sich, dass wenn wir Vorstellungen aus den ver-
schiedenen Wissensgebieten behalten und dieselben bei ge-
gebener Veranlassung sicher und treu rcproducircn wollen, j
alle drei Arten des Lernens, das J udiciöse, das ingeniöse uud
das mechanische geübt werden müssen, und zwar in der oben
angegebenen Aufeinanderfolge.
• Es gibt nun einige dem Gedächtnisäe verwandte, rcsp. entgegen-
gesetzte Seelenerscheinungen, die wir nun auch zu verstehen und
zu erklären im Staude sind.
Neben dem Merken wird oi't genannt das „Sich erinnern^, neben
dem GedichtniBse ^e Erinnerung. Wie verhalten Bich die beiden Er-
scheinungen zu einander? Beim Gediohtnis haben wur awei Uerkmale:
1. DaB Behalten von Vorstellungen, 2. das Reproduciren derselben bei
gegebener Veranlassung. Wie steht es nun mit dem Sicli erinnern? Joseph
in Ägypten erkennt seine Brüder wieder, er erinnert sich also ihrer.
Was geht in seiner Seele vor V Er sieht zuerst fremde Männer kommen,
bei dem Anblick derselben gedenkt er seiner Brüder hn fernen Kanaaoi
er findet endlich, dass eben diese Männer seme Brüder sind. Er hat
demnach die Voistellungen von seinen Brüdern in seiner Seele belialten,
dieselben reproduciren sich auch; aber es kommt noch ein drittes hinzu:
das Urteil der Übereinstimmung zwischen dem Jetzt Wahrgcnoniniencn j
uud den früheren Vorstellungen. Dieses dritte ist das charakteristische
Merkmal der Erinnerung und unterscheidet die letztere vom 'GedächtnisBe.
„Bei Begrifiveihen kann das Nachdenken das Gesackte willkürlich and
mit Gewiskeit idederAnden, wenn es steh nur Zeit nimmt. . . . Einen verlorenen, I
d. b. einen vergessenen Beweis kaTin ich wiederfinden , weil ich ihn nochmals er-
finden kann,'* Strämpell, Die Natur und Entstehung der Tr&ame. S. 25.
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Neben dem „Sich eriuueru" Lürt inao weiter auch deu Auädruck
mSioIi besinnen**. Bezeichnen beide AoBdrUcke dasselbe oder sind zwei
verscliicdcnc BewusstBeiiiscrscheinungen damit gemeint? Joseph besann
sicli auf die Namen seiner Brüder und auf ilir Alter, als er sie der ge-
wfthnten Reihe nacli zu Tische setzen Hess. Er hatte demnacli die Namen
und das Alter seiner Bntder behalten, die betreffenden V^orstel hingen re-
produciren sich in seiner Seele, es stellt sich auch das Urteil der Cber-
einstimmnog ein — altes wie bei der Erinnerung. Aber noch ist der
ganze Inhalt des geistigen Vorganges nicht erschöpft. Es zeigt sich noch
ein neues Merkmal: er gibt sich Mühe, er will die Namen und das Alter
seiner Brüder in das BewuRstseiu zurückrufen. Das »Sich beunnen^ ist also
ein willktlrllches „Sich erinnern".
So häufig wie das Merken ist aber auch das Vergessen. „Der
Schenke yergass des Joseph.** Es schien, als habe er den Gedanken an
ihn gar nicht in seiner Seele behalten, und in diesem Falle konnte sich
derselbe auch nicht reproducircn. Das Vergessen erscheint demnach als
der dem Merken oder dem Gedächtnisse entgegengesetzte Geisteszustand.
Freilich zeigt sich an unserem Beispiele, daas es nur ein relatives Ver-
gessen gibt, nicht aber ein absolutes; denn als die reclite Gelegenheit
kommt, gedenkt der Schenke des Joseph. Die Vorstellung desselben ist
also wol in seiner Seele geblieben, es hat uur au der rechten Yeran-
lassung gefehlt, dieselbe zu reproducircn. Es ist mit der vergesseneii
Vorstellung wie mit einem Ring , der in das Meer geworfen wird. Kr
sinkt vielleicht auf den Grund des Meeres und wird nie wieder gefunden.
Und doch geschah es, dass Fischer dem Polykrates von Samos den gol-
denen Ring, welchen er dem Heere geopfert hatte, znm Entsetzen seines
ägyptischen Gastfreundes zurückbrachten!
(C.) Wir kommen nunmehr dazu, die Rcsultjite der psychologisclien
Einsicht, welche sieh aus den vorangegangenen Betrachtungen ergeben
haben, systematisch zu ordnen, also so zusammenzustellen, wie ein
Lehilmch der Psychologie den Stoff darbietet Die Natur des Logisch-
Systematischen fevdeit, daü jetzt der mtgegengesetzte Qang ehigeschlagen
wird als l>ei der vorhergehenden Behandlung. Wir werden also ausgehen
von dem allgemeinsten Begriff, dem Begriff der Gattung, von da werden
wir heruntersteigen zu den ArtbegrifVen , und endlich werden einzelne
Spezies in konkreten Beispielen zur Illustration und um den Hintergrund
der Anschauung nicht zn yerlieren, hinzugefügt. So ergibt sich folgende
Skizze:
1. Das Gedächtnis ist die FtUiigkeit der Seele, Vorstellungen
zu behalten und dieselben bei gegebener Veranlassung in der frülicren
(ieslalt, d. i. ohne Veränderung des Inhaltes und der Keihenl'olge
zu reproducircn. (Wesen.)
2. Das Ged&ehtnis mnss vor allem treu sein, d. h. die Vor-
stellungen müssen in der frflheren Gestalt reproducirt werden. Weiter
wird von dem Gedächtnis Sicherheit verlangt, damit die Reproduc-
tion der Vorstellungen ohne Stocken vor sich gebt; Dauer, damit
die Vorstellungen auch nach langer Zeit noch reproducirt werden
können, und Dienstbarkeit, damit die Keproduction zur rechten
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Zeit, wenn sie verlangt wird, erfolgt. Endlich moM ein gutes 6e-
dftehtnis umfangreicli sein, d. h. es müssen Vorstellungeu ans
▼erscliiedenen Wissensgebieten behalten werden. (Eigenschaften.)
3. Diese Eigenschaften werden erzeugt durch das Zusammen-
wirken der drei Arten des Lernens: des judiciosen, mechani-
schen und iügeniüseu. Doch sind Treue und Sicherheit vorzuga-
f. weise Wirkungen des meclianiBclien QedäebtoiflBeSy d. b. des Einprägens
nach dem äusseren Zusammenhange ; Dauer und Dienstbarkeit da-
g^en Eigenschaften des judiciösen Gedächtnisses, d. h. des Merkens
nach der inneren, inhaltlichen Verbindung: der Vorstellungen, Der
Umfang des durch das judiciöse und das mechanische Lernen erwor-
benen geistigen Besitztums wird nocli erweitert durch das ingeniöse
Gedftchtnis, d. h. durch das Behalten von VorBteUnngen vermittelst
künstlicher Mittel. (Arten.)
4. Die Hauptregel für die Anwendung der verschiedenen
Arten des Gedächtnisses im Unterrichte lautet : Zuerst wird judiciös
gelernt und darauf mechanisch. Wo das Judiciöse Lernen nicht
möglich ist, tritt dafttr das ingeniöse ein. Beispiele.
5. Dem Gedächtnis verwandte, resp. entgegengesetzte Er-
scheinungen sind: das Erinnern, das Besinnen, das Vergessen. —
(D.) Endlich soll das System funk ti oniren. Wir lassen deshalb
von unseren Schülern 1. Beispiele anfuhren, wo das judiciöse und das
ingeniöse Lernen anzuwenden sind.
Das jndielöse Lernen wenden wir an, wenn wir den Inhalt des
Gedichtes von Uhland: ^I^e drei Könige von Heimsen** nach den Ueber-
schriften merken:
1—3 die drei Könige zu Heimsen beraten einen neuen Angriff
gegen Eberhard,
4 — 6 Eberhard kommt ihnen zuvor,
7—9 Eberhaid heilt ihnen das Bad,
10 — 18 die drei Könige zn Heimsen mflssen sich Eberhard, ergeben.
Oder wenn wir die Erklärung des eraten Artikels uns dnprägen
nach folgender Einteilung: Gott der Schöpfer — der Erhalter — der
Regierer — Beweggrund Gottes — meine Schuld. Oder das Lied: „In
allen meinen Taten" von P. Fiemming nacii der Disposition: Vertraue
anf Gott (Hauptgedanke), 1. Grttnde (1—6), 2. Gelflbde (7—9).
Das ingeniöse Lernen wenden wir an, wenn wir uns in der Ge-
schichte folgende wichtige Jahreszahlen der preussischen Geschichte:
1640 der grosse Kurfürst,
1740 der grosse König,
1840 der letzte König, Friedrich Wilhelm IV. zusammenstellen.
Oder wenn wir uns merken:
1803 ist Herder in Weimar, EQopstock in Hamburg, Gleim in Halber-
stadt gestorben,
1500 vor Chr. lebte Moses,
1500 nach Chr. Luther;
333 vor Chr. Alezander,
388 nach Chr. Konstantin.
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Ferner wenn wir uns in der 0 eofrraplii e Eiiropn als sitzende
.Tnnpjfrau, Italien als einen Stiefel, den Genfer See als ein Horn, Sachsen
jilö ein Dreieck vorstellen, oder wenn wir darauf achten, dasa die drei Flüsse,
welche vom Si Gotthard flieBBen: Khone, Rhein und Beass alle drei mit
R beginnen, oder wenn wir bei einielnen Stemgruppen an Tiei^ettolten
denken. Endlich wenn wir bei Gedichten äussere Hilfsmittel in An-
spruch nehmen und etwa bei ..Befiehl du deine Wege" und ^M^en
Jesum lass ich nicht" daran gedenken, dass es Akrosticha sind.*)
Wir lassen 2. S p r i c Ii w ö r t e r und Aussprüche bedeutender
Mflnner, die Bich auf das Gedftchtnia besiehen, erklären.
Z.B.MR^etitio est mater studiornm^** — ^tantnm scimuB^quantam memoria
tenemus (mechanisches Gedächtnis), — „aurora musis amica" oder ^Morgen-
stunde hat Gold im Munde", den Ausspruch Jean Pauls „Der Mensch
lernt in den drei ersten Lebensjahren mehr als in den drei akademisclien",
das Wort: „Woltat ist gar bald vergessen, Uebeltat hart zugemessen,"
endlich die Antwort AlcninB, als er von Karl d. Gr. gefragt wurde, ob
Cicero keine VorBehriften fiber Gedächtniakunst hinterUssen habe: non
liabemus alia praecepta, nisi exercitationem et scribendi usum et cogitandi
Studium (also die drei Arten des Gedächtnisses, welche wir nach Kants
Vorgang**) unterschieden haben) — et ebrietatem caveudam."
Weiter werden 3. psychologische Vorurteile und falsche Unter-
richtBweisen von dem Standpunkte auB, auf welchen die Schiller durch
den Unterricht erhoben worden dnd, kritisirt.
So snchen sich manche Schüler, wenn ihnen ein Unterrichtsfacli scliwer
wird, zu entschuldigen, indem sie saj^en: „Ich habe kein Gedäclitnis
für Namen, Zahlen, Töne, Farben etc,'*t) Was ist davon zu halten?
(Das Gedächtniss ist nicht angeboren, es wird erworben.)
Oder manche Lehrer empfehlen* allgemeine GedächtniBllbnngen und
erwarten z. B. vom Auswendiglernen von Liedern und Sprüchen Stärkung
des Gedächtnisses überhaupt. Wie steht es mit dieser Meinung? (Das Ge-
dächtnis ist kein reales Vermögen, sondern besteht aus der Summe der
erworbenen Vorstellungen.)
Andere Lehrer behandeln Gedichte so, daBs de dieselben saerat aus-
wendig lernen lassen und dann beim Hersagen, besonders wenn Stockungen
dntreten, einzelne Erläuterungen liinzufflgen. Was ist von einem der-
artigen Verfahren zu halten? (Das Judiciöse Leraen darf mit dem me-
chanischen nicht vermischt werden, sonst Icaun keins von beiden recht
wirken.)
*) Hierher gehört aaoh das SUiltti an den Fingern, der Knoten im Ttachen-
tach, das Anfgabenbnch.
♦*) Anthropologie, S. 100.
♦**) Volkmann, Lehrb. d. Psychologie I, 467.
■j-) „Es giebt für das Gedächtnis einen geistigen Talisman, nämlich den Reiz
des Gegenstandes. . . . Daher liaf kein Mensch für alles ein Gedächtnis, weil keiner
für alles ein Intereaae hat." Jean Paul, a, a, 0. § 148. — „Wir behalten vor
allem die Vorstellnngen , welche einen bestimmten psychischen Wert haben,
d. h. die von anderem Interesse begleitet sind, an die sich andere geistige Elemente:
CMOhle^ Schmerz, Freude, S^gioden, Bestrehimgen, Plftne anschUesseii.'* Strftm-
pell, a. a. 0. S. 22.
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Es werden lateinisdie Vokabeln aiiswendif^ gelernt. Da zeigt es sich,
dass die Schüler stocken, sobald statt vom Latelnisciieu vom Deutschen
aus gefragt wird. Wie ist dem abzuhelfen? (Die Reihe rnoflS vor- und
rttekwftrts, eveni in allerlei Modifikationen gelernt werden.)
Endlich stellen wir 4. Fragen, die lur weltergehenden ünter-
BOchung Veranlassung geben*)
Wir fragen : Inwiefern ist häufiges Koraanicsen dem üedächtnis ver-
derblich?**) (Der Leser weiss, dass er es mit bloscu Erdichtungen zu
tun hat, er dichtet deshalb selbst die Erslhlung naeh seinem Beliehen
uni; die AufinerkBamkeit auf das Gegebene wird vermindert, dagegen
die Zerstreuung befördert.)
Oder: Wie kommt es, dass Säufer vergesBen? (Zerstörung des Or-
ganismus, besonders des Nervensystems.)
Wann ist das Vergessen eine Pflicht? (Wenn durch Hückkehr
frttherer Gedanken nnsere siitlbhe, geistige und kOrperiiehe Gesundheit
geßlhrdet wird : Lots Weib. Lue. 9, 62 — bd erfahrener Unbill : »Ver-
geben will ich Dir's, vergessen kann ioh*B nicht** — bei schwerem T.^n-
glttck : ..Glücklich ist, wer das vergisst, was einmal nicht zu ändern ist.")
Was meint man mit der Beliauptung, dass das Wort: „tantum sci-
mus, quantum memoria tenemus" auch umgekehrt werden müsse?***)
Inwiefern »maeht Furcht oder gar Sehreek das Gedftehtnii lahm'.f)
Warum lernen whr am hcBten In der Ein8aBikdt?tt)
Inwiefern kann die Vorztlglichkeit des GedächtnisBes bei Kindern als
«erster Talentmesser** gelten ?itt)
Beim Rückblick auf die methodischen Gedankenhcwegungen, die idr
eben veranlasst liaben, crgiebt es sich, dass das System dos Wissens vom
Gedächtnis, welches sich uns aus den zuerst angestellten Betrachtungen
ergeben hatte, in manchen Punkten überscliritten und somit erweitert
worden ist Es whrd deshalb gut sein, wenn wir nunmehr die entworfene
Skiaie noeh einmal durchlaufen nnd.das neu erworbene Wissen an
den betreffenden Stellen einfügen oder am Ende dazu setzen. So
können wir z. B. unter den (''bcrschriftcn : „Vorurteil*' bezüglich des
Gedächtnisses'' und „das Gedächtuiss im Unterrichte^ noch einen 6. und
7. Punkt den übrigen anreihen.
*> Dom im Unterriehte soll tä^ea Element und jedes Game klar, asBOcUrand,
lehrend nnd philosophirend behandelt werden.** Herbarts Pftd. Schriften.
Hägeg. von Willmann I, 551.
**) Nach Kant, Anthropologie. S. 104.
♦♦♦) HollenLerg, Philos. Propädentik. S, 52,
f ) «Ist freies Umherwendeu des geistigen Blicks bei verworrener Knechtschaft
des Hansens erwerblich ?<* Jean Paul, a. a. 0. S. 144. — nEine nftnig hritere
niul frohe Stimmang, die ans dem Lernen sfllist hervorquillt, ist sicherlich das
beste and wirksamste Uittel, um die Gedankenvcrbindongen zu befestigen, die wir
im CMste aanibalmen wAnschen." Bain, Erziehnng alsWIseenecIiaft. S.89.
■}"[-) „Ausbildung des Gedächtnisses brrnht ^anz und gar auf Ruhe und
Sammlung. . . . Dadier ist alles, was die Nerven beunrohigt, dem Gedächtuis scbäd-
lieb, die gedächtnisstarken Menschen aber sind solche, welche eich einer ongewöbii'
liehen Stetigkeit im Zustande des Orjianismus erfreuen.* Herbart, WW. 0, IW.
ttf) Nach Erdmann, Psychol. Briefe. 15.
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n.
Aus (lein Kreise der Ersclieinungeu des Getühlslebcus der Seele
betrachten wir:
Die GemötserBChfitterungen oder Affekte,
und zwar zunächst im Iliublick auf Be Isazar, den König von Babyluu.
(A, I.) „Der König Belsazar machte seinen Gewaltigen und Haupt-
lenten em herrliches Mahl Und da er trunken war, hiess er die goldenen
und silbernen Qefösse, die aus dem Hause Gottes zu JeruBalem genommen
wnrciij bringen, und der König: und seine Gewaltigen und seine Weiber
ti'anken daraus. Tnd da sie so tranken, lobten sie die goldenen^ silbemenj
eherueu, eiserneu, hölzerneu und steinerneu Götter.
Aber su derselbigen Stunde gingen hervor Finger als einer Menschen-
hand, die schrieben gegestber dem Leuchter auf die getünchte Wand in
dem Icöniglichen Saale. Und der König ward gewahr der Hand, die da
schrieb.
Da entlärbte sich der König, uud seine Gedanken erschreckten ihn,
doss ihm die Lenden schütterteu uud die Beine zitterten. Und der König
rief tlberUnt, dass man die Weiseni Chaldler und Wahrsager heranfbriugen
sollte. Aber sie konnten weder die Schrift lesen, noch die Deutung dem
Könige anzeigen. Da verlor Belsnznr ganz seine Gestalt, und seinen Ge-
waltigen ward bange." (Daniel, cap. V.)
(A, II.) Wir sehen hier, die wilde Freude des Festgcla-^cs nimmt,
ein jähes Kndc durch die plötzliche, unerwartete Erscheinung
der gehehnnisvollen Schrift an der Wand (a). Die Gedanken des Königs
erschrecken, sie stehen gleichsam stille, und sein Gemfit wird durch die
gewaltsame Hemmung des gesamten YorstellungBlebMiB auf das tiefste
erschüttert (b). Das zeigt sich auch in seinem Aeusscren:
Va' cntl'iirbt sich — das Blut tritt zurück nach dem Herzen; seine Beine
erzittern — die Spannkraft der Muskeln ist gelähmt; er schreit überlaut
— er hat die Stimme nicht mehr in der Gewalt (c). Alles in Allem:
Entsetzen hat den König erfasst
(B.) Nicht immer trägt die Gemtttserschtttterung dieselbe Gestalt. Viel-
mehr sind die Erscheinungen im Innern als auch die Aeiisscrungen bei
den einzelnen Gemiitsersch(ltterunf;en vcrsi'liicdone. Wir betrachten des-
Italb neben der Gemütscrregung des Entsetzeus noch eine Reihe anderer.
Von einer heftigen Gemfitsei'schfltternng, der Begeisterung, zeigt
sich das Volk von Rhodas ergriffen im „Kampfe mit dem Drachen'^
Auch da vollzieht sich ein ungeahntes, nicht erw^artetes Ereignis.
Ein junger Ritter vom Johannitterorden hat den l^rachen, der die Gegend
heimsuchte, erlegt und erscheint mit dem seltsamen Ungeheuer in der
Stadt (a). Dieses Schauspiel erregt die Gemüter der Einwohner von
Rhodas auf das Höchste (b). Aber die Whrkung ist nicht eine depri-
mircnde, sondern eine ausserordentlich belebende. Denn die
Kunde erregt in Jedem, der sie vernimmt, eine Welt voller Gedanken
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und Fragen y und das fibervolte Oemttt macht sich gewaltsam Luft nach
aussen. Diis Volk rennt und rottet sich zusammen, hniusend wälzt
sich die Men^^o fort, und als der .liin^^linf:;; In das Kloster ciutritt, drängen
jene sich ihm nach und erfüllen mit wildem Rufen die Stufen des Ge-
länders (c). Wie nun aber der Meister des Ordens wider alles Erwarten
des begeisterten Volkes die Handlang des fiitters tadelt nnd sein strenges,
aber gerechtes Urteil verkttndet — da brieht die Menge tobend los, ge-
waltiger Sturm bewegt das Haus. Die Rhodiser lehnen üch auf gegen
den Spruch des weisen Richters, sie sind offenbar in ihrem erregten Zu-
stiindc — und das ist ein neues bezeicbueudes Merkmal der Gemiits-
errcgung — der besonnenen üeberlegung nicht fähig (d).'
Aach Maria Stuart finden wir auf das tie&te erregt, bd dem Zu-
sammentreffen mit der Königin Elisabeth in Fotheringhayschloss. Die
plötzliche , unangemeldete Ankunft der Königin macht sie fiusnngslos.
Es schwinden ihr die Sinne, sie erblasst und zittert, und halb ohnmächtig
• sinkt sie in die Arme ihrer Amme. Doch der Schrecken geht vorüber.
Der Anblick der Gehassten bringt sie wieder zu sich, und die stolzen,
strengen Züge im Antlitz ihrer Fehidin rufen in ihr die Erinnerung an
all die bittern Qualen zurttck, welche sie um ihretwillen bat erdulden
müssen. DaslHerz wird ihr übervoll von Groll und Bitterkeit wider die,
80 Schuld trägt an dem allen. In blufgen Ilass gewendet wider sie ist
ihr das Herz, es fliehen alle guten, friedliclicu Gedanken. Mit bösen,
iiarten Worten beleidigt sie die Mächtige, und ausser sich vor Zorn
verwundet sie die Stolze durch ihre wilden, heftigen Vorwürfe. So be-
reitet sie selbst sich ihren Untergang, und es'gereioht ihr zum Verderben,
was sie so innig einst ei-flehte.
Auf das Höchste gesteigert ist die innere Erregung bei dem Knaben
im „Erlkönig". Der nächtliche Kitt mit den seltsamen Gestalten des
Schattens und den unheimlichen Tönen des Windes erfüllt die Seele des
Kindes mit Grausen. Der Gedanke an die schUmmen Geister der Nacbt
weicht nicht mehr von der Stelle, und alle Wahrnehmungen und neu
auftauchenden Vorstellungsgebilde erhalten von ihm aus ilire Färbung
und Deutung. So erscheint ein Nebelstreif dem Kinde als Erlenkönig
mit Krone und Schweif. Tm Kauschen des Windes durch dürres Laub
hört er Erlkönigs Stimme, in alten grauen Weiden erblickt er Erlkönigs
T9ehter. Dadurch aber wSchst die Erregung von Stufe zu Stufe, bis
endlich eine neue Wahrnehmung in der bezeichneten Richtung den Druck
auf das Geistesleben derartig steigert, dass derselbe in seiner Rückwirkung
auf den Organismus das Blut in den Adern erstarren lässt. Das Herz
des Kindes steht still, die Angst hat es getötet. — Ei'lkönig hat ihm ein
L^B g^an.
Tötiich whrkt der Schrecken auch bei Eli, dem Hohenpriester.
Die Botschaft ?on dem Ungltlck sehies Volkes und von dem Tode seiner
Söhne erregt dns Gemüt des Greises so mächtig, dass die Lebenskraft ihn
verlässt. Kr tällt vom Stulile und bricht den Hals. Dagegen wird
Moses, der feurige Jüngling, beim Anblick des Unrechts, das einem
seiner Volksgenossen geschieht, hingerissen zur Gewalttat, so dass er in
seinem Zorne nicht tut, was vor Gott recht ist
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Bei all den beobaehfteten deelenerscheinoiigen finden wir eine Reilie
gemeinsamer Merkmale, von denen allerdings Inden dnselnen Fällen
bald das eine, bald das andere klarer liervortritt.
Überall zciiit sich zunächst eine heftige Störung der Gemütsruhe,
eine GemütscrschütteruDg. Diese ergreift sodann auch den Organismus
nnd tritt in dem ÄuBseren des erregten Itouehen, in Gesicht, Miene
und Beweg^ong sn IVige. Infolge der En^gnng adnrindet in der Regel
die besonnene Ueberlegung, und der Mensoh liSBt flieh sn übereilten und
törichten Worten und Handlungen hinreissen. Hervorgerufen wird die
Gemütsserregung zumeist durch den Eintritt von unerwarteten, ungeahnten
Ereignissen.
Aber anf der anderen Seite zeigen sieh bei doi beiraehteten Er-
aeheinnngen aneh einige auffallende Untersehiede. Denken wir
zunächst an die BegMornng der Einwohner von Khodus, an den Zorn
der Maria Stuart oder anoh an die Freude des Joseph, als er sich seinen
Brüdern zu erkennen gibt, so finden wir überall ein gesteigertes inneres
und äusseres Leben. Ein Keichtum von Vorstellungen sti'ömt herzu im
Geiste der Genannten, und zwar im raschen Laufe, so dass eine Vor-
atellnng die andere dringt und treibt So wird das Gemfit ttberf&llt
WesB aber das ITerz voll ist , doss gehet der Mund über. Daher die
vielen Worte des Freudigen, das Jauchzen der Begeisterton, das Gepolter
des von Zorn ?>füllten. I'nd wo es inwendig kocht und wallt, da wird
auch das Tun und Handeln nicht ruhig bleiben. Daher die sich ballende
FAust, das rollende Auge und die sebnelle Tat des Zornigen, daher das
Herzen und KHasen beim Freudigen, daher das Bennen nnd Jagen der
B^eisterten.
Anders ist es bei den Afl'ckten der Furcht, des Schmerzes, des
Schreckens und der Verzweiflung. Da tritt ein einziger Gedanke mit
einer solchen Gewalt in das Bewusstsein, dass das ganze Getriebe des
Geisteelebens mit einem Haie gehemmt wird und gleiehsam stille steht
Das Gemfit wird leer und öd. Aber das Stocken des inneren geistigen
Lebens wirkt auch störend ein auf die Funktionen des Körpers. Der
Blutlanf stockt, der Atem wird genonmicn , die Muskeln verlieren ihre
ISpaitnkraft. Zuweilen tiütt vollständiger Stillstand ein im Lebensprozess
und mit ihm der Tod.
Demnach haben whr zwei Gruppen yon Gemfitsersehlltte-
rnngen.
Zu der ersten Gruppe gehören diejenigen, bei denen der Vor-
stellungsverlauf in ausserordentlichem Masse beschleunigt, d.as Bcwusst-
sein infolge dessen überfüllt, das Kraftgefühl aber erhöht wird. Wir
können dieselben die Affekte der Gemtttsüberfülle nennen.
Der zweiten Gruppe dagegen &llen diejenigen zn, bei denen eine
Hemmung des Vorstellungsverlaufes, sodann Leere des Gemüts und da-
mit verbunden ein Gefillii der Oimmaeht eintritt Es sind das die AffelLte
der Gemütsieere.^)
*) Herbart, WW. V, 179. „Wenn das ganm Quantum des wirklichen
Vorstellens im Bewnsstsoin entweder grösser oder kleiner ist, als CS
nach den statischen Gcüetzeu bleiben kann, aludauu ist Adekt vorhanden.^
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Oftmals werden nim die Affekte mit den Gefflhlen Yerwechselt
und affelctvolle Menaelien f&r gefölilvoUe genommen. Wie verhalten sich
^e beiden Seelenersehdnungen zu einander?
Wir überlegen uns das am besten im Tliiiblick auf einige konkrete
Fälle, iiulem wir etwa an das von Begeisterung eigiitienc Volk von
Kbüdua und daneben an die freudig erregten Weisen aus dem Morgen-
lande denken, welehen die Ennde von der Gebnrt des HdUmds ward.
Aneh bei den letzteren gewahren wir eine gehobene Stimmung, eine
Steigerung ihres psyeliisohen Lebens; aber wir bemerken niclits von jener
fieberhaften Aufregung \\m\ dem exaltirten Wesen der Rhodiser. ihr
Gemüt ist ruhig geblieben, und so bleibt nucli ihr Ilandehi besonnen.
Sie erkundigen sich in Jerusalem nach dem ucugcboreucu Könige der
Jnden und gehen dann bin nach Bethlehem, um sich von der Wahrhdt
der ihnen gewordenen Botschaft zu überzeugen. Bttckwärts aber ziehen .
sie, damit Herodes nichts über das Kind erfahre, auf einem anderen
Wege wieder in ihr Land. So bleibt also der Mensch auch beim tiefen
Gefühl innerlich und äusserlicli ruhig, und die besonnene Überlegung
wird nicht im mindesten alterirt, während der vom Affekt Ergriffene
seine Ruhe verliert und damit mgleieh der vemllnftigen Überlegung
unfähig wird')
(0.) Das Ergebnis unserer Betrachtungen ist nunmehr folgendes:
1. Die Affekte sind durcli überraschende Eindrücke be-
wirkte (a) Störungen der Gemütsruhe (b), durch welche der Orga-
nismus in Mitleidenschaft gezogen (c) und in der Kegel die besonnene
Überlegung aufgehoben wird (d). Beispiel: Belsasar und das Volk
von Rhodus.
2. Es gibt zwei Arten von AtVekten: a) AlTektc der Ge-
mütsübcrfülle, z. B. Freude, Zorn, Begeisterunt?. Beispiele: Joseph,
Maria Stuart, Einwohner von Rhodus. b) AÜekte der Gemütsleere,
a. B. Furcht, Schreck, Verzweiflung. Beispiele: Knabe im „Erl-
könig", Eli, Judas.
3. Der Affekt unterscheidet sich vom Gefühl dadurch,
dass bei dem ersteren ein(^ Störung der inneren und ihisscren Ruhe,
sowie eine Aufhebung des besonnenen Cberlegens stattfindet, wo-
von bei dem letzteren nichts zu linden ist. Beispiel: Die Einwohner
von Bhodns und die Weisen aus den Horgenlande.
(D.) Es folgen nun die methodischen Übungen.
Zuerst lassen wir noch einige Beispiele aus der Geachlehte oder
*) Herbart, WW. VI, 100 ff. „Bei den GefäUen kommt es nicht daranf an,
wie viele und wie weit gehemmte Vorstellnngen im Bewnsstsein vorlrainlen sind,
Rondern auf die Art and Weiae, wie unsere Vorstellungen sich im üewasstsein be-
ftaden. Hing^en bei d«n Affekten handelt es sich gerade darum , ob mehr oder
weniger Vorstellnngen wach seien als mit ihrem Gleichgewichte he.stohen kann.
Polglich ist CS unrichtig, dass die Affekte gesteigerte Gefühle
seien: ... sondern es sind Tcrsrlii« Ii y.artige, wiewohl sehr häufig und mannig-
faltig vorbnndcnn Bpstimmungen der Sf^eleiiznsf iindc." . . . „Wio solir Unrecht tut
man doch gerade den edelsten Gefühlen, indem man sie zu einem, noch obendrein
nnbettiainibazwi Mittelniass vsmrteilt, auf dass sie nioht in Affekt fibei|;fliienl*'
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Poesie fflr die beiden Arten der Affekte aufeuehen. (Begeisterung
des Volkes Israel am Palmaonntag. Matth. 21. Versweiflung JaeobB beim
Verlust Josephs. Reue des Petnu. Zorn des Königs in ,,8ibDgers Uneh''.
Freude der Fr.ni Till im „Grossen Loos".)
Zweitens hissen wir folgende Aussprüche erklären: 1. Affekte
mucheu das Gefühl phitt.') 2. Nötigt einen, der im Zoru zu
ench ins Zimmer tritt, um eneh in heftiger Entrflstnng harte
Worte zu sagen, höflich, sich sn setzen.***) (Rttckwirknng des
körperlichen Zustandes auf die Gcmütslage.)"**) 3. Die Bildung wirkt
der Entstehung der Affekte entgegen. (Je inniger die Vorstellun-
gen versclimelzen , und je mehr Reihen und Reihengewebe in der Seele
ausgebildet werden, was durch die Bildung geschieht, desto schwerer
Verden natflrlieh plötaUche Störungen des Gleichgewichts der Yorstel*
langen. Wo dagegen viele knne Vorstdlnngsreihen sich vorfinden, wo
viele Tinzusammenhängende geistige Elemente vorhanden sind, wie das in
der Seele eines rohen oder encyklopädistisch {]jebildeten Menschen der
Fall ist, du werden Sehwankungen und Erschütterungen der Vorstellungen,
Exaltationen uud. lärmendes Auftreten nichts Seltenes sein).
Drittens sollen einige Fragen auf Gmnd der Betrachtungen über
den Affekt beantwortet werden.
1. Wann schlägt das Gefühl um in den Affekt? (Wenn eine Ver-
letzung des Gefühls durch irgend einen störenden Eingriff von aussen
eintritt. So wird Moses in seinem RechtsgefUlil verletzt, als er sieht,
dasd ein Egypter einen seiner ebräischen Brüder schlägt, und das Gefühl
schlügt um in den Affekt des Zornes ttber das geschehene Unrecht)
2. Was ist von den Affekten im Unterrichte und bei der Ersiehnng
zw halten? (Der Unterricht kann zuweilen Affekte hervorrufen, so den
Schmerz bei Schilderung ergreifender Szenen in der Geschichte. Und
ebenso können durch Strafen, welche Regierung oder Zucht anwenden,
GemUtserregungeu im Kinde entstehen, so der Schmerz, die Scham. Aber
es liegt nach dem oben Gefnndenen anf der Hand, dass Lehrer und Ei^
zieher nicht darauf hinwirken werden, dass Affekte entstehen; denn es
sollen gefühlvolle Menschen gebildet wei-den — aber der Affekt wirkt
gerade der Entstehung von feineren und tieferen Gefühlen entgegen.
Und die besonnene Überlegung muss immer tätig sein bei einer wahren,
zur Selbständigkeit des Charakters hinführenden Emehung — aber der
Affekt hebt jene änf.)t)
♦) Uerbart, WW. V, 76. „Weit entfernt, dassAÜekte selbst Gefiilile wären,
machen sie vielmehr dasOefBU platt. Der Sittenlehrer nnd derKttnstler haben gar
Rohr Ursache, sich vor tler Tlattheit m hüten, welf ho mtsteht, wenn tlor Mensch vor
laater Afl'ekt am Ende nicht mehr weiss, worüber er eigentlich weint oder lacht."
**) Kant, Anthropologie. S. 817.
**♦) Herbart, WW. V, 77. „Jede allmillise Aafrcgung eines Sy.stenis «laich
ein anderes wirkt dergestalt zurück, dass von Seiten des anfgeregten die Unruhe
in dem aufregenden verengert wird."
f) Ilerbart, WW. X, 12. Lehrer, die nicht, (lunh den Unterricht zn erziehen
verstehen, „bemächtigen sich der Empfindungen des Zöglings; an diesem Bande
halten sie ihn und erschüttern unaufhörlich das jugendliche Gemfit dergestalt, daSB
es seiner selbst nicht inne ^d. Wie kann sich nui dn Charakter bilden?*«
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3. Warum soll der Lehrer (nach Zill er*)) Verhöre sitzend abhalten?
(Damit die körperliche Kiiiie besänftigend wirkt auch auf die innere
Verfassung und die Erregung des tiemüts nicht zu unbesonnener Tat
verldtet)**).
in.
Tod den Seelenzuständen , welche dem Begehr ungsleben angehören;
betrachten wir:
Die LoMentchaftea.
Diese sind ans in den Gestalten der Gcscliichte und der Diclitung oftmals
schon entgegengetreten. Vor aUem in KriemhildCi der Hcddln des
KibelnngeiäiedeB.
(A, I.) Nach dem Tode Sigfrids hat Eriemhilde nur noch dnen Wunseh
und ein Streben: den geliebten Mann zu rächen. Alles, was ihr sonst
lieb und teuer war, gibt sie auf, um nur diesem einen Gedanken ihr
Herz zu weihen. So vergisst sie ihres KindeSi sie verlüsst die teure
Mutter und lOst leichten Hersens die festen Bande dw YerwandtBcliaft.
Und von nnn an ist alles, was sie denkt und tnt, allein daraof geriehtet,
ihre Baclffiucht zu befriedigen. TJm deswillen zieht sie in das Hunnen-
land, um deswillen ladet sie ihre Brüder auf die Etzeinburg und jubelt
laut auf, als die Boten Etzels ihr das Gelingen der Sendung verkünden.
Ja, Kriemhild giebt sich selber auf, ihr ganzes Wesen wird ein anderes.
Ans der einst so anmutigen, trenen nnd liebenden Jungfrau wird ein
grausames und blutgieriges Weib, welches kein Erbannoi empfindet behn
Tode ihrer Brüder nnd den grimmen Hagen mit dgener Hand tötet.
(A 11.) Fassen wir die Züge übersichtlich zusammen, welche den Gemüts-
znstand Kricmliildcs charakterisiren, so finden wir: Ein Streben behcrrsclit
ihre Seele: Rache zu uehmen (a); diesem Streben werden alle anderen
Neignngen, Gedanken und Interessen des Gemfltes unterworfen (b); die
Herrschaft der Menschlichkeit und des besseren Ich ist geschwunden (c).
So ist sie ergriffen von der Leidenschaft der Rachsucht
(B.) Die Reihe der Leidenschaften ist nun eine tlberaus lange, und wir
beti'achten aus der grossen Zahl derselben zunächst noch einige, damit
uns ihr Wesen um so klarer wird.
Welche Leidenschaft bewegte die Seele Pausanias, des Spartaners?
Cornelius Nepos eraählt uns von ihm, dass er durch den Sieg bei
Platäa übermütig geworden , fortnn unablüssig und um jeden Preis nach
hohen Dingen , nach Ruhm und Herrschaft strebte. So liess er auf den
goldenen Dreifuss, welcher dem Apollo zu Delphi aus der Beute von
*) Allgemeine Piie;asogik. S. 287.
**) Herbart, WAV. V, lt4. „Der Organismus vcirstärkt dift Affekte dnrdi einta
Macblüaiig oder dfimpft ihre Aasbräch« durch seine Unbeweglichkeit.'*
V
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Platiiii gewidmet worden war, die stolzen Worte schreiben, d.i.ss unter
äeiucr Fühniug die Barbareu guschiageu wurdüu äcicu, und dass er um
deswillen dem Apollo das Qescheuk dargebraebt habe. So sehiekte er
dem Xerxes die in Bysanz gefangenen perslseben GroBsen beimlieh Burflok
und Tenpraeh ihm, ganz Orieehenlaud unter die penische Ilcn-sehaft tu
bringen, wenn der König ihm seine Tochter zur Frau gäbe. So verliess
er die vaterländischen Sitten und Gebräuche und lebte seinen Lands-
leuten zum Aergernis wie ein persischer Satrap und cutfremdete hierdurcli
die Gemüter der Griechen dem spartanischen Staat. Ja selbst nachdem
er des Vaterlandsverrats angeklagt worden war und nur wegen mangeln-
der Beweise freigesprochen wurde, setzte er die Verbindung mit Xerxes
fort, — bis ihn endlich das Verderben ereilte.
So lebte auch in seiner Seele nur ein Streben : das Streben zu
herrscheu. Dieses war übermächtig geworden und hatte sicli nach und
nach alle anderen Regungen ond Erftfte des Geistes unterworfen. Die
mahnenden Stimmen des Schicksals und des Gewissens blieben infolge
dessen ungehört, und Pausanias, der König von Sparta, vergass sich so
weit, dass er sein Vaterland verriet, das sonst die erste Stelle einnahm
in der Seele eines jeden Bürgers von Sparta. Er war besessen von der
Leidenschaft der Herrschsucht.
In Bomeo flberschreitet die Liebe ihr Mass, sie Usst alle anderen
Bttcksichten ausser Acht und wirft sich auf zum ausschliesslichen Inter-
esse. Romeo wird völlig taub für „der Trübsal süsse Milch, Philosophie",
d. h. für Vernunftgründe, er überhört Bruder Loreuzo's weise Warnung:
„So wilde Freude nimmt ein wildes Ende", und so ereilt ihn nur allzu
bald der „Liebeswürger Tod''.')
Othello whrd beherrscht von der Leidenschaft der Eifersucht.
Vertrauen und Glaube verschwinden in sehier Seele. Er verleiht den
törichsten EiuHüsterungen und Verdächtigungen sein Ohr. Vernunft und
Menschlichkeit vermögen sich nicht melir Geltung zu verschaffen^ und er
wird zum Mörder Üesdemona's. ■ )
Auch der Jüngliug iu Schillers „verschleiertem Bilde zu Sais''
unterliegt einer Leidensehaft,'**) des Wissens heissem Durstest)*
^yStets riss ihn seine Forschbegierde weiter, ihm raubt des Wissens bren-
nende Begier den Schlaf." Er will die ganze, volle Wahrheit haben,
die Wahrheit, wie sie nur die Gottheit hat. Er will sie nicht mühsam
suchen und erringen, iu einem Sprunge will er sie erreichen. Er will
sie besitzen um jeden Preis, selbst das Gewissen ist ihm dafUr feil« Er
will die Wahrheit schauen. Doch „weh dem, der zu der Wahrheit geht
*) Nahlowüky, Das Qefälilslebun, ä. 23».
**) Herbart, WW. Y, 105. „Liebe, Haas, Bifaftncht gvhan hiliiflg hiWahn-
siim über, . . . imd die Herrschsnoht erobort aioh oft gorag ihren Tron im Inram-
ErlSvteriingen mm Jahrb. f. Wissens ehftl. Pftd. 1877, S. 60 ff.
^) Herbart . AVW. V, 107. „Die moralischen mul reli;^iösen Vorstellun<^pn innl
die sHmtlichen ihnen verwandten wiüsenacliaftlicheu Gedanken und Lehren künauu
Gegenstände ftnes toideuehaftlichen Strebens w«tdes. Nichts ist so heilig,
das.s es nicht ein menschliches Oemfit auf eine heilloseWeise sollte
erhitzen können."
Pid. bluUioii. 2i. F. IV. 2
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durch Schuld. Sic wird ihm nimmermelii* erfreuiieh sein'^ Den JAngling
ffVKS ein tieft-r (liain zum iViihtMi (Irabo".
So werden auch der Spieler und der Biiufer beherrscht von
eiuer immer dauerndcu Begierde: ihrer Lust zu fröhnen. Sie vei^eflseii
hierüber Weib and Kind, Amt und Fflieht, Ehre und gnten Namen;
denn sie haben die Gewalt Uber sieh selbst verloren und sind zn
Knechten i Ii res bösen Dämons gewoitlen. Ohne Kettung verfallen so
ihrem Verhängnis.
Aus den angerührten Fällen ergibt sich uns nun, welche Seelen-
erseheinnngen wir mit dem gemeinschaftlichen Namen ^yLeiden*
flohaft" bezeichnen. Es änd diejenigen, bei denen uns ehi andanemdes
Streben entgegentritt, w elohet die ganze Seele beherrscht, welches demge-
raäss sicli alle anderen Interessen und (Icniütsregungen unterwirft und infolge
dessen auch die Herrschaft der Veiuuiitt :uifliebt. „Die Leidenschaften,"
sagt Her hart, *) „sind die Stämme, aus denen ein heftiges Begehren, sich
gleichartig wiederholend, hervorwächsf
Ihre Eutstehnng aber ist eine yerschiedene , und naeh derselben
können wir sie gruppenweise ordnen. Die einen beruhen auf
physisclicn Trieben, wie die Trunksucht, die Wollust; die anderen auf
psychischen, wie die ilachsucht, die Herrschsucht; eine dritte Gruppe
geht aus beiden hervor, wie die Leidenschaft der Liebe in ihren nianuig-
fkehen Modifikationen.**)
Noch deutlicher wird uns das Wesen der Leidenschaft werden,
wenn wir teilweis verwandte Seelenz u stände daneben stellen.
Betrachten wir zunächst neben einander die Leidenschaft und
den Affekt, etwa im Hinblick auf Kriemhilde und Moses, der vom
Sinai herabsteigend im Grimm aber die Abgötterei des Volkes die Ge-
setzestafeln xerbrioht und 8000 Israeliten hinschlachten Usst (2. Hos. 32).
Es leigt sich, bei bdden Seelensnstftnden ist die Gerafltsmhe gestört und
die freie Selbstbestimmung alterirt. Aber während das beim Affekt nur
nionicutnn der Fall ist, wird dieser Zustand bei der Leidenschaft ein
dauernder, und wählend der Mensch im Affekt unbesonnen iiandelt. über-
legt der von der Leidenschaft Ergriffene, wie er sein Begehreu am besten
befriedigen kann. Während femer die Störung der Qemfltsmhe beUn
Affekt gleiehsam stossweise erfolgt und sieh mehr auf die Oberfläche, die
heftig erregt wird, beschränkt, gleicht die Leidenschaft einem Strom, der
stetigen Laufes immer tiefer sich wühlt, so dass man seine Wasser zu-
letzt kaum noch in andere Bahnen zu lenken vermag. Damit hängt ch
auch zusammen, dass der Affekt immer zugleich den Körper ergreift und
in Hitleidenschaft zieht, während die Leidenschaft sich oft verbirgt unter
der Maske äusserer Knhe und Gelassenheit Endlich ist su beachten,
*) Herbart, WW. VI, HO.
**} Vgl. Herhart, a. a. 0. 108. „Fassm wfr auf der einen Seife die Leiden-
.«^cliafleii für sinnliclifi Gcnnssc . . . zn.samnien, anf der anderen die BacliRucht, Eifer*
sacht, Rahmsacht and ihresgleichen: so fallt leiclit der ünterüchied in das Ange,
dass jene in etwas Aensseres versinken , diese das eigne Selbst hervorheben und
dagegen das Aeiissere herabdrückcn. Daneben findet sich alsdann eine dritte Klasse,
die beiderlei Kennzeichen vermengt.**
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d:isi^ der Affekt durch Verlctzniig des Gefahls entsteht, wahrend die
Lcidenst liaft aus der Begierde liervorwächst.
Weiter müssen wir mit einander vergleichen die Leidenschaft
uud die Begierde. Wir beziehen uus dabei auf Pausauiaä und den
Jttngling im „Kampfe mit dem Drachen". Dem letzteren stehen die tapfe-
ren Helden vor Angen, „von denen nns die Lieder melden" , die nm
ihrer kühnen Taten willen zu den Göttern erhoben worden sind. Dir
Riilim lässt ihn niclit S( hlafonj und er wünscht wie sie ein kühnes Aben-
teuer zu bestehen und das geplagte Land von dem Drachen zu befreien.
Aber nachdem ihm daä schwere Werk gelungen ist und er ruhmbedeckt
and vom Volke wie ehi Gott geehrt snrttolclcehrty vermag er es, auf aUen
Ruhm zu verzichten, ja selbst die ihm für seine Tat auferlegte Strafe
geduldig zu ertragen. Wir sehen, die Begierde Icann noeh beherrseht
werden, ihre Obmaclit ist vorübergehend.
Anders war es bei Pausauias. 8clbst zu der Zeit, wo schon der
allgemeine Verdacht des Vateriaudsverrats auf ihm rulite, mid wo ihm
sein Verhalten OeHragensehaft und Anklage auf den Tod gebracht hatte,
war er nicht genug Herr seiner selbst, als dass er auf sein frevles Spiel
hätte verzichten können. Wie blind und taub rannte er seinem Ver-
derben in die Iländc. Die Leidenschaft kann also nicht mehr so leicht
bezwungen werden, oft richtet sie ilire Herrschaft in der Seele, die ihr
verfallen ist, auf für alle Zeit. ')
(0.) Nun kommen wir dazu, das Ergebnis unserer Betrachtung
im Zusammenhange darzulegen. Den Gang der Darstellung, welche den
gesammten vorher behandelten Stoflf noch einmal durchläuft, nar in, um-
gekehrter Ordnung: vom Allgemeinen ausgehend, zum Konkreten herab-
steigend, wollen wir in folgender Skizze andeuten.
1. Die Leidenschaft besteht in der DispoBition ^es Qe-
mflts zu einem bestimmten Begehren, das nach und nach die ganze
Seele beherrscht, alle übrigen Interessen und Neigungen sich unter-
wirft und dem Menschen die Fähigkeit, sich nach Motiven zu be«
stimmen, raubt.*') Beispiele: Kricmhilde und Pausanias.
2. Mit Bezug auf ihren Ursprung unterscheidet mau a) sinn-
liche Leidenschaften, wie Trunksucht, Wollust j b) geistige
Leidenschaften, wie Habsucht, Herrschsucht; c) gemischte Lei-
denschaften, wie die Liebe. Beispiele : Der S&ufer, Pausanias, Romeo.
3. Die Leidenschaft ist nicht zu verwechseln mitA f f e k t
und Begierde. Beispiele: Kriemhildc und Moses. Pausanias und
der Jüngling im „Kampfe mit dem Drachen''.
*) Herb art . VI, IIL „Hat sich früherliiii die gesunde Üeberlegnng ausgehildet,
80 ist 80 lange noch Hilfe gegen die Leidenschaft, wie lange sie nicht
daTch ihre Begangen Mb nun eigentlichen Affieikt anfMeigl^ in welehon, weil die Vorstel-
lungen ans dem Glpichgcwicht kamen, anch der Leih — die Nerven und das Blnt —
in eine Aofregong geraten, die nicht sogleich vorübergelit, sondern gegen den Lauf
der Yofrstellimgen hemmend snrftcicwirltt. Kommt es ent dahin: so gleicht der
Anfall der Leidenschaft mehr oder weniger dem Tranm nnd dem Walinsirm ; das
Übel lässt Kwar nach, aber nur am künftig desto furchtbarer wieder-
z nkehren.**
**) Herbart, a. a. 0. & 108.
2*
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(D.T Zum Schlnsse gelangen wir dazu, das Denken m den ein-
geschlagenen Bahnen weiter zu leiten.
So rrlialton die Scluilcr die Hausnufgabc, für die drei Arten der
I.oidonschalttii noch andere Beispiele aus Erfahrung, Geschichte und
i'uesic autzusuchcu. (Judas. Macbeth. Napoleon. Absalom).
Es werden weiter die Anssprflche erklärt: »Die Leidenseliaft
ist blind nnd Bebarfinehtig zugleich ^^ — .,Die Leidenschaften sind die
grössten SopbiBten ftlr die Erkenntnis nnd die j^rcts.-^ten Tyrannen für
den Willen". — ,.Wer Sünde tut, der ist der Sünde Kneelil" (.loh. 8, 34).
— „Mit seilenden Augen sehen sie nicht, und mit hörenden Ohren hören
sie nicht" (Matth. 13, 13).
Es wird weiter die Frage beantwortet: Inwiefern ist die Leiden-
schaft der Sittlichkeit gefiUirllch V (Sie kann jeden Augenblick mit dem
Gewissen des Menschen oollidireni nnd das letztere zieht dann inuner
den Kürzeren.)
Und ebenso die anderen Fragen : Wie kann man verhüten, dass Lei-
denschaften in der Seele entstehen? (Goethe: i^Zittre vor dem ersten
Schritte, mit ihm sind auch die andren Tritte an einem nahen Fall ge-
tan." — „Prineipiis' obsta! Sero medicina paratur, onm mala per
longas convalncre moras" — 1. Mos. 4, 7.')
Was kann insbesondere die Schule tun, damit die Seele iiielit znm
Schauplatz sich tummelnder Leidenschaft werde? (Der Unterricht ninss
die Seele erfUllen mit einem Reichtam edler Gedanken nnd Bestrebungen ;
denn „grosse Interessen heilen die Kleinlichkeit der Leidenschaften''. Die
Erziehung rauss ferner alles tun, um die Phantasie rein zu erhalten; denn
die Begierde wird gar leicht zur Leidenschaft durch die Vorspiegelung
künftiger ilberschwänglicber Genüsse.) ")
Ündlich sollen die treti'enden Ji em er kungen Kau t's über Leiden-
flcbaH nnd Affekt verglichen werden : „Der Affekt wirkt wie em Wasser,
was den Damm durchbricht, die Leidensehaft wie ein Strom , der sieh in
seinem Bette immer tiefer eingräbt" . . . „Affekte sind ehrlich und offen,
Leidenschaften dagegen hinterlistig nnd versteckt" . . . „Aifekt ist wie
ein Itansch, der sich ausschläft, Leidenschaft als ein Wahnsinn anzusehen,
der über einer Vorstellung brütet, die slcli immer tiefer einnistet.*)
Schluss.
Wir haben nnr einige Proben unseres psychologisclien Untmriehts
gegeben, aber an diesen wird sich der Geist des Ganzen erkennen nnd
beurteilen bissen. Und es ergiljt sich somit schon von dem Dargeltotenen ans
ein Ausblick auf die Kcsultatc, welche eine derartige Einführung iu
♦) Herbart, a. a. 0. S. 112.^
**) Herbart, a. a. O. S. III.
Anthropologie. S. 818— la.
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das Ganse der Feyehologie, oder doch wenigstens in die Hauptgebiete
des Seelenlebens, erzeugen wird.
Zuerst werden dieOcsctzc undFormcn (les(i eisteslcbcns, welche
die Psycholoi^ie uns kennen Iclirt, nicht blose Schemata und leere
Schatteugestalten bleiben^alawelclie sicdenen erscheinen müssen, welchen
die Psychologie nnr in der Gestalt irgend eines Auszuges oder Leitfadens
nahe gebracht wird. Em lebensvoller Hintergrund von konkreten Gestalten,
von bekannten und vertrauten Personen der Geschichte und Poesie wird ilinen
violinelir Fleisch und Blut, Farbe und Gestalt verleihen, und sie werden
begriüen werden als das was sie sein sollen , als der Ausdruck der
bleibenden und gleichmässigen Züge in dem unendlich vielgestaltigen und
imermesstich reichen Geisteslebenr des Henseh^ Und so wird sich deni
Jttngling eine ganz neae Welt anibm, wenn er nach dem Studium der
Psychologie wiederum die Gebiete der Gesclüchte und Literatur durch-
wandert oder Urascliau hält im Leben und das Tun und Treiben der
Menschen nni sieh her betrachtet. Tu der Geschichte der Völker wie in
der Kutwickelung des Einzelnen wird sich ihm das Walten ewiger Gesetze
offenbaren, die wie in der Katnr so anoh auf geistigem Gebiete bestehen ;
und in den Werken unserer Dichter wird ihm jene hohe und l^nsvoUe
Schönheit aufgehen, welche geschaffen wird durch die wahre Zeichnung
menschlicher Herzen und Charaktere. Er wird zugleich die Dichter und
Geschichtsschreiber verehren lernen als dit; grossen Kenner und Kilndiger
des menschlichen Herzens und das iStudium ihrer Werke in die engste
Besiehung setzen zu seinen Bemiistndien als Lehrer nnd Erzieher.
Mit geschärftem Blicke wird unser ZOgUng aber auch in seine eigene
Seele schauen, er wird an Selbsterkenntnis reicher werden. Die
menschliche Seele ist ihm erschienen als Tummelplatz wilder Begierden
und Leidenschaften, er hat sie auch geschaut als den Boden, auf dem
sich tiefe Gefühle, edle Interessen und ein starker Wille entwickeln. Er
kennt die Genesis der ersteren, er ist auch mit den Bedingungen zur
Entstehung der letzteren vertraut. Zugleich haben die dnen s^en Bei«
fall hervorgerufen, die anderen sein Misfallen erregt. So vermag er sein
eigenes Innere nicht mehr gleichgiltig zu betrachten, es ergehen Forde-
rungen an ihn selbst inbezug auf die Ausbildung seines (Jcisteslebens.
Er soll sich hüten, so mahnen die einen Stimmen seines Innern, Mächte
in seiner Seele entstehen sn lassen, die später ihn tyrannishren nnd ihm
die freie Selbstuberlegung und Selbstentscheidung rauben. Er soll dafhr
sorgen, so rufen die anderen, dass ein wolgeordnetes , reiches und
energisches Geistesleben in seiner Seele entsteht. Und so vermag er in
der Zeit, da die Seele noch bildsam ist, an sich selbst zu arbeiten, um
dui'ch eine rechte Einrichtung seiner Studien und fortgesetzte Selbst-
beherrschnng die Kraft nnd Ordnung seines Seelenlebens zu erhöhen, anf
dass er einst in seinem Berufe eine bedentungsvoUe Wirksamkeit erziele.
Unser Schüler wird weiter verstehen lernen, was es heisst: Die
Psychologie sei eine Hilfswissenschaft der Pädagogik.
Er wird das unermüdliche Streben und das unablässige Suchen eines
Pestalozzi nach der psyehulugischen Methode b^jreifen, und mit Ver-
ehmng wird er zu • ihm, dem ahnungsvollen Propheten, dem Vorboten
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einer neuen Zeit, aufblicken; mit Freude und WeliQiut zu<,^leicb wird
er sicli vertiefen in die Lcbensgcscliiclite and in die pfldagogischen
Weissagungen des grossen Schweizers.
Tnd ebenso wird er die Bedeutung Herbart's, des Ikgiüiulcrs
einer wissenschaftUclien Psychologie, des riidagogen unter den Philosoplicu,
abnen; die Bedeutung jenes ManneB| der eine neue Zeit eingeleitet hat
in der Oesehiebte der Erziehung, dessen Arbeit anf pädiigogischem Gebiet
erst die g^enwärtigen Geschlechter nncli ihrem wahren Werte m sehitien
nnd in ihrem ganzen Umfange zu verwerten beginnen.
Er wird sieli erheben zu einer höheren Betrachtung und Schätzung
seines Berufes. Es werden ihm nicht mehr einzelne Handgriffe und
l^raktisehe Regeln, die fSr teures Geld neeh gegenwftrtig verkanft werden,
genügen, sondern er vird die Kenntnis des menschlichen Herzens zu
seinem Studium machen, er wird den Wegen nachgehen, welclie die Ent-
wiolcelung des kindlichen Geistes einsehlägt und die Erziehungsstoffe so
zu gestalten und darzubieten suchen, wie es den Gesetzen der Seele ent-
spricht. Als ein wahrer Jünger Pestalozzi s wird er das Tun der hohen
Natnr nachsnahmen streben und verstehen, was der Heister will, wenn
er als den Weg der lu-kenntnis bezeichnet, sieh von dunklen Anisehati-
nngen zu deutlichen Begriffen zu erheben.
Er wird es verschmähen, ein bioser Pfuscher zu bleiben in seinem
Berufe, welcher sich bei seinem Unterriclite verlässt auf sein angeborenes
Geschick und die Eingebungen des Augenblicks, und dessen wahrer
Meinung infolge eine besondere pädagogisebe Ansbildnng höchst über*
flüssig ist. Und er wird in der üblichen Lehrweise, bei welcher der
Lehrer sich ernicdrifrt zum blosen Berichterstatter Über den Inhalt eines
Leitfadens oder im günstigen Falle eines wissenschaftlichen Werkes, und
bei welcher er als nichts anderes erscheint als die „Fortsetzung seines
Buches"'^), nur ein Zeichen der niedrigen Entwicklungsstufe erblicken,
auf der ideh znr Zeit die praktische Pidagogik noch befindet. Um so
mehr wird er es für seine Pflicht halten, alle Ei'ziehungsstoffe nach den
psyehologischen Gesetzen, wie die Lelircn von der Entwickelung der
Erkenntnis, von der Apperception, von der Reihenbildung, von der Ent-
stehung des Interesses etc. sie uns an die Hand geben, zu bearbeiten,
indem er mit Ziller, „dem grössten Methodiker der Gegenwart'', iu der
Strenge der Methodik das wichtigste Ersiehnngsmittel erblickt.
Sulclie Früchte erhoffen wir für den angehenden Iiehrer von dem
reellteil Studium der Psychologe. Es wird die Zeit kommen, wo man
sie als Ergebnisse der Lebrerbiidung fordern und aller Orten suchen wird.
*) Yogt, Die Ursachen der Üeberbärdong (Jahrb. f. w. Päd. XU, S. 107.).
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n. Mitteilungen.
I. Bemerkungen zum Zeichenunterricht.
Id Nr. 1 der pädagogischen Blätter, herausgegeben von Dr. Kehr in
Ilnlberstadt, rnidct sicli ein Artikel über den /oichoiinnterrielit in der Volks-
und gewcrbliclien Fuvtbildungsschule , wek-her in au8<;ezeiclinetci' Weise
dazu geeignet ist; über die herrschenden Strömungen auf dem Gebiet des
Z^oheniintaniehtefl in Gegenwart zu orlenüren. Der Veifasser dieses
Artikels referirt über die YerhandluDgen der neunten Versammlung des
Hannoverschen Provinzial- Lehrervereiiis, welcher im vorigen Jahre zu
Osnabrück tagte und die Beliandlung des Zeiclicnuntciriehts vornahm.
Aber es ist nicht ein bloscs Referat, was uns hier vorliegt. Der Re-
ferent hält mit seiner eigenen Meinung nicht zurück. Die streitigen
Paukte werden klar und bestimmt hervorgehoben, so dass uns die Arbeit
zugleich ein siemlioh vollst&ndiges Bild der jetst herrschenden Ansichten,
Gegensätze und Übereinstimmungen wenigstens für den Norden unseres
Vaterlandes gibt. Für mich war der Artikel besonders irtteressant. Vor
nicht langer Zeit sprach ich die IToft'nini;: ans, dass aus dem Chaos
widersprechender Meinungen, Ansichten und Vorschlägen nach und nach
eine älrnng efaitreten weide, ehie Feststellnng bestfaumter, unumstöss-
licher Grundsätse, wie wir sie auf den anderen Gebieten bereits seit •
langer Zeit besitzen. Auf dem Gebiet des Zelcheuuntcn-ichts ist freilich
diese Klärung mit ^anz besonderen Schwierigkeiten verknüpft. Die
Pädagogen sind zu wenig Künstler, die Künstler aber zu wenig Päda-
gogen. So entstand denn auf dem Gebiet des Zeichenunterrichts eines
der unerquicklichsten Sehanspiele: Man stritt und stritt» aber die Yer-
wirmng stieg. Dabei wurde unser Vaterland von einer Hasse Zeichen-
litcratur und Vorlageblättern geradezu überschwemmt. Letztere waren
oft so furchtbar, dass man die Geduld des Papiers nicht genug bewun-
dern kann.
In Beidem scheiut bereits eine Besserung eingetreten zu seiu. So
haarstrftnbendesy hhnmelschreiendes Zeug, wie es noch vor ßtnf Jahren
prodnzhrt wurde, wagt rieh doch nicht mehr ans Tageslicht Und aiu
dem Chaos der streitenden Meinungen bilden sich einzelne Parteien, die
wiederum in grössere Gruppen zusammen treten Es unterliegt keinem
Zweifel mclir, dass die Methoden -Landkarte unseres IJeiilies eiittjchiedcn
auch in Hinsicht des Zeichcuuutcnichts einfacher und klarer wird. Wir
können diese Zentralisation, die sich von innen heraus anbahnt, nur will-
kommen beissen. Als erste Errungenschaft verzeichnen wir den Satz:
^Ober eine Zeichenmethode, welche das Zeichnen nach der Natur nicht
wenigstens erstrebt, ist nicht mehr zu diskntiren". Die Bildchenfabri-
kation in unseren Schulen muss aufhören, so sehr auch eitle Zeichen-
lehrer und eitle Mütter das bedauern mögen. Denn es hat alles das
keinen Wert, weder fttr das Auge, noch ftlr den Geschmack. Unter
allen sogenannten ^Methoden** aber stellt sich die Stuhlm au n 'sehe oder
die Hamburger Methode am energischsten dieser Bildchenfabrikation ent*
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gegen, sie steuert am sichersten auf das oben gestellte Ziel los. Und
dasB sie es aueh erreiche, dass sie auclt in der Volksschule grosse Er-
f()l}?c damit crziflo, beweisen viele Urteile, und zwar Urteile sachverstän-
diger Leute. Mit Freuden be,<:rilöseu wir die Naelirielit, ilass der Stuhl-
luanu'schc (jang iu dcu prcussischen Scliulen eingeführt werden soll.
Zwar bat derselbe noch viele Gegner. Auch anf der oben erwähn-
ten Versammlung wurde er heftig angegriffen. Wie es uns scheint —
ohne Glück, ohne Erfolg, trotzdem die Mehrzahl der Lehrer dem An-
greifenden Beifall zurief. Mögen dem llatnbnrger Zeichengang aucl»
mancherlei Schwächen anhaften, so sind dieselben doch den grossen
Vorzügen gegenüber verschwindend. Möge mau denselben erst in ruhiger
Arbeit oft und nach allen Seiten hin prflfen; dann können Verbesserungs-
vorschläge hervortreten. Für jetzt nehmen wir diesen Gang, wie er isll^
und lassen uns nicht durch unmotivlrtc Angriffe abschrecken.
Unter diese rechne ich vor Allem die Forderung, man solle erst
mit dem H. oder 4. Schuljalire den Zeichenunterricht beginnen. Hierüber
hat jedoch der Pädagog und nicht der Zeichenlehrer zu entscheiden.
Und wenn die Kinder in den ersten drei Schuljahren gar nichts iftr den
späteren Zeichennnten-ieht lernen würden — was aber entschieden &l8ch
ist — so würden wir doch von Anfang an zeichnen, und zwar im
engsten Ansehluss an den Saelninterricht, auf die Schiefertafel ins Netz.
Vom dritten Scliuljahr an gehen wir zur Stigmographie über, um von
hier mit allmäiiger Erweiterung der Punkte im 4. oder 5. Schuljahr zum
Freihandseiehnen zu gelangen. Wir geben gern zn« dass der Stahlmann^sche
Gang auf diesen ersten beiden Stufen sehr der Verbesserung bedarf. Das
Netzzeiclinen muss vor Allem in den Dienst des Sachunterrichts treten,
die Stigmographie darf nur Flachornamente brin^ren, die sich mit Leichtig-
keit dem Punktsystem eiu<»rdnen. Eine wesentliche Verbesserung dieser
beiden ersten Stufen des Zeichenunterrichts liegt in den Arbeiten des
Herrn Direktor Bauer in Eisenaeh vor.
Über die zweite Stufe, dem Zeichnen nach Wandtafeln, heiTScht
keine wesentliche V(M'schiedenlieit. Dagegen machen sich heftige Angriffe
gegen die dritte Stufe, gegen das Körperzeichnen, geltend. Man sagt, es
trete hier der Einzelunterricht ein und das dürfe niclit geschehen. Man
müsse auch hier Massenuntcrricht treiben. Das sei ganz gut mOglich,
wenn die Schttler nach einem grossen Modell zeichneten. Dieser An-
grifl' wirkt immer komisch auf mich ein. Weil alle Schtller nach einem
Modell zeichnen, so soll dns TMassennnterrlclit sein! Es ist aber das
gerade Gegenteil, da jeder Schüler bekanntlich eine andere Ansicht
zeichnet, als sein Nebenmann, wobei es übrigens passircn kann, dass
der schwiehste Schttler die schwierigste Aufgabe erhält. Vielmehr
ist gerade bei Stuhl mann Massennnterricht vorhanden, da jeder
Schttler dasselbe Modell und zwar in derselben Ansicht wie si'in Neben-
mann zeiclmet. Darin lag Ja der eminente Fortächritt über Peter Sclimid
und Dupuis liinaus! Dass man aber iil)crliaupt in einer v<dlen Klasse
nicht alle Schüler glcichmässig fördern kann, dass vielmehr ^eiu Ab-
teilungsnnterricht eintreten muss, man mag zeichnen, wonach man will«
braucht nicht erst bewiesen zu werden. Das Schlagwort MMassennnter-
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rieht**, das Dir die nnteren Stufen volle Bereehtigang hat; uiüge für die
oberen Stufen nicht allzuviel Unheil anrichten! Es ist jetzt sehr beliebt,
aber leider nicht Uberall recht vevstsinden.
Was nun den Streit über die Draht- und ill)er die VoUmodcUc bo
trift't, über die Fra?:c, wie weit bei dem Körperzeiclmen perspt-ktivisclie
Gesetze entwickelt werden sollen, so möge mau hier doch auch den Pä-
dagogen reden lassen. Gemäss dem Anfliaa unserer Unterrichtsmethodik
nach fünf formalen Stufen wird anf der ersten Stafe das Drahtmodell
angewendet zur Vorbereitung fttr die Aufgabe, die auf der zweiten Un--
mnlcn Stufe von dem Schüler nach dem Vollraodcll gezeichnet wird. Auf
der dritten Stute stellt der Lehrer mit den Schülern eine Vergleich ung
zwischen Vollmodell und Drahtmodcll an, um von da aus zur Abstraktion
'des Gesetsroftssigen , sum perspektivischen Satz vorzuschreiten. Auf der
Iftnften formalen Stufe werden Aufgaben gestellt, durch deren Lösnng
der Schüler beweisen muBS, dass er die Aufgabe und ihre Lösung voll-
ständip: begriffen. Er zeichnet z. B. die Aufgabe nocli einmal aus dem
Kopf; er weist das gefundene Gesetz an cmem anderen Modell, an Gegen-
ständen der L'mgebuDg nach u. s. w.
All dies setzt aber einen ftusserst gewandten und sicheren Lehrer
voraus. Dieser Punkt ist vielleicht noch nicht gehörig -ins Auge gefasst
worden. Der Stuhlmann'sche Gang — gleichviel wie man denselben an
die Kinder heranbringt - — setzt einen tüchtigen und in der Per.spcktive
durchaus sichern TiChrer voraus. So lange das Seuiinar nicht srdche
Lelirer ausbildet, so lange wird auch die Einführung seines Ganges mit
mehr oder minder grossen Schwierigkeiten verknflpft sebi. Es erschemt
mir daher das Preisausschreiben des Vereins deutscher Zeichenlehrer Aber
das Körperzeiclinen in der Volksschule ganz vergeblich. Ein besserer
G;mg als der Stuhlmann'sche ist vorläufig nicht zu finden. Er ist das
Ergebnis jahrelangen Strebens, eines Zusammenwirkens tüchtiger und
strebsamer Männer. Wir wollen damit nicht sagen, dass Andere auf ihre
Weise nicht auch ein verständiges Zeichnen in der Schule betreibeii und
das Ziel, welches für die Volksschule nirgends anders als im KOrper-
zeichnen liegen kann, in erfolgreicher Weise erreichen könnten ; wenn es
sieh aber darum handelt, zu den bestehenden, verschiedenen sogenannten
Methoden Stellung zu nehmen, so dürfte die Hamburger ohne Zweifel den
Vorzug verdienen, namentlich vor der Berliner. Denn was hier im Zeich-
nen bis in die neueste Zeit gesündigt worden ist, soll tmglanblich sein.
Am Schluss aber weisen wir nochmals auf den orientirmiden Artikel in
den Kehrschen Blättern hin, der ans Veranlassung zn diesen Ausein-
andersetzungen gegeben hat
Nac hschrift.
Im 10. Heft des Pädagogiums steht eine kurze Arbeit von
Franz Dorn in Wien „zur Methodik des perspektivischen Freihand-
zeichnens in der Volksschule". Dem Verfiisser dieses Aufsatzes scheint
das Werk von Stuhlmnnn in Hamburg gänzlich unbekannt zu sein.
Wenigstens kündigt er als Hauptsache die Forderung au: jeder Schüler
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solle einen eigenen Apparat von Modellen beeitsen, die einzige
Möglichkeit, dass viel und richtig geieiehnet werde, und dus man
dadurch wieder perspektivisch richtig sehen lerne — diese For-
derung ist längst schon in Ilaitibiir^ liekamit und znr Ausführung gelangt.
Herr Kranz Dorn nennt Stulilniann nicht. Kr ist demnach auf eigenem
Weg zu denselben Kcsultaten gelangt. Ehe Herr Dorn seinen neu er-
fundenen Apparat heransgibt, empfehlen wir ihm das Studium des Stnhl-
mann'schen Werlces.
Eisenach. W. Rein.
II. Präparation. Deutsch.
Sachliche und sprachliche Ueliandlung des Lesestücks -
„Der kluge St aar**
mit Kindern des vierten SohnljalireB.
Ein durstiger Staar wollte aus einer Wasserflasche trinken. Da er
mit seinem Icunen Schnabel das Wasser hi derselben nicht erreichen
konnte, so vei suchte er, das dicke Glas zu serhacken. Doch vergebens.
Er stemmte sich gegen die Flasche, um sie umzuwerfen; aber dazu war
er zu schwadi. Da kam er auf den glücklichen Einfall, kleine Steinchen
zusammen zu lesen und in die Flasche zu werfen. Dadurch stieg das
Wasser endlich so hoch, dass er es erreichen und seinen Durst löschen
Iconnte.
A. Sachliche Behandlung.
L Ziel und Vorbesprechung.*) Wir haben kttnlich in der
Katurkunde den Staar besprochen; heute wollen wir von demselben eine
kleine lustige Geschichte lesen.
Wollt ihr mir nicht aber vorher erst noch einmal erzählen, was ihr
von unserm guten Freunde in dem dunklen Kockchen wisst? Die Kinder
berichten über seinen Körperbau, seine Grösse, über Farbe, Aufenthalts»
ort, Nahrung f Lebensweise. Was der eine Schttler vergisst, Aigen die
andern ergänzend hinzu. Was man nicht Alles Tön einem solchen Vogel
ersählen kann!
IstB aber nicht bei den Vögeln gerade so, wie bei den Leuten, giebt's
nicht auch unter ihnen dumme und gescheite oder kluge? Wer nennt
einen dummen Vogel? Die Gans. So? wie denn? Sie kann nichts und
versteht nichts. Sie kann nicht flink gehen, nicht ordentlich fliegen; ihre
Stimme ist ein Schnattern. Sie kann nur den GSnsemarsoh, und der ist
xum Lachen.
*) Die Vorbesprechnng darf nicht in ein steifes Alifra^^^en ausarten , sondern
muss die Form einer lebendigen anregenden Unterhaitang annebmen. Je benser
diese in Fliias kömmt, desto sweckmisriger bereitet nie auf den Unterricht vor.
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Es ginp ein Gänsclieti ülier den Rhein
Und kam ein Gigak wieder heim !
Wisst ihr noch, was das lieisst? Das Gänschen glug auf Beisen
und Bah viel in der Welt Als es aber nach Haus kam, war es doch
nicbtti weiter, als ciue diimuie Qans.
Wer kennt aber auch einen gescheiten, klugen Vogel? Die Schwalbe.
Wie 80? Sie versteht ein schönes Nest zu bauen, L. Ich glaube, ihr
brächtet selbst kein solches zurecht. A. Und wie sie geschickt und
schnell durch die Luft fliegen und die Mttcken haschen kannl B. Den
Herbst, wenn*B anftngt kflhl zu werden, Tersammeln sie sieh auf dem
Kirchturm und halten ordentlich Rat über ihre Reise; und am andern
Morgen sind sie auf und davon. C. Ich kenn' auch noch einen recht
klugen Vogel. Mein Onkel hat ihn in der Stube hängen; der hat das
schöne Liedchen „Freue dich des Lebens" singen gelernt. L. Das ist
gcwis ein Dompfaff. Die Dompfaffen sind kluge Tiere. Aber denkt
euch, ich habe auch schon einen Vogel gesehen , der sprechen konnte.
E. Ja, mein Vater hat aneh tinen geseh^, der rief den Leuten an,
wenn sie in die Stube traten: „Guten Morgen, lieber Freund!"
Wie's nun mit unserm Freund Staar aussehen mag. Ob er zu den
dummen oder klugen Vögeln gehört? Das werden wir aus unserer Ge-
schichte lernen.
II. Darbietung, a) Das Lesestflok in iwei Abschnitten
gelesen und zwar zunächst ohne die Überschrift. Warum? 1. Ab-
schnitt: „Ein durstiger Staar —'zu schwach/^ 2. Abschnitt: „Da kam
er — löschen konnte.
b) Nacherzählen. Nach dem Lesen eines jeden Abschnittes folgt
eine erste zusammenhängende Wiedergabe des Inhalts Ton einem sich
dazu meldenden Schiller, an welche sich nach Erfordernis eine Ergänzung
und Berichtigung durch die übrigen Schüler anseid iesst. Dann Ist die
Zusammenfassunfj zu wiederhdlen , und zuletzt das (ianzc im Zusammen-
hange zu erzälilcn, und zwar zuerst von den Gewandteren, dann auch
von den Schwächern.*)
o) Besprechung zum Zwecke der Hervorhebung der Hauptgedanken.
Was meint ihr nun, war unser Staar ein kluger oder ein dummer Vogel?
Woraus sieht man, dass er klug war? Weil er kleine Steinchen zu-
sammen las und sie in die Flasche warf, wodurch das Wasser u. s. w.
Wäre er niclit klug gewesen, so wäre er nicht auf diesen glücklichen
Einfall gekommen.
Aber mfar geftUt noch etwas an dem Staar. Wem aneh? Was?
Er liess sich keine Mähe yerdriessen. Woraus sieht man das? Als er
mit seinem kurzen Schnabel das Wasser nicht eiTdehen konnte, versuchte
er, das Glas zu zerhacken. Als dieses nicht trelnng, wollte er die Flasche
umwerfen. Und da er das auch nicht zuwege braclite, bis er kleine
Steincheu auf und warf sie in die Flasche. Er war unermüdlich und
'*') Bei dem Wiederan&ldra wird der'individaelle Anadmck des Scbfilera, die naive
kindliche Darstellungswoiso nach Mö^liclilcpit begünstig;!. Anch ist es dem Kinde
völlig freigestellt , ob es sich in aasftihrlicherer Darstellang ergehen oder nur die
Hauptaachen suNunm«nfiuM«i will.
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ruhte nicht, bis er seinen Zweck erreicht hatte. Sei auch nnermficlliehy
wie der Staar, in ilciiieni Vorhaben.
d) NochniiUigu Krziililmij:; der (.Icscliiclitc, wobei nun auch die neu
gewonnenen Gesichtspunkte mit berücksichtigt werden.
B. S p r a c Ii 1 i eil e B c Ii a n d 1 u n g.
I. Ziel nnd Vorbereitung. Wir haben die Geschichte von dem
klugen Staar jjeloson; nun wollen wir dieselbe auch aufselirciben: wir
wollen einen kleinen Aufsatz ühvv den klu}:;en Staar machen.
a> Zunächst erzäliit noch einmal die Güschichte! Dies ge-
selüeht ganz in der individuellen Ausdrueksweise wie vorher in der sach-
liehen Behandlung des Stückes.
b) Gliederung des Stoffs. Der Staar versucht, das Wasser in
der Flasche zu erreiclien. Gelingt's ihm oder war der Versuch verL'ehlich V
Warum V Sein Schnabel war zu kurz. Üb er noch mehr veif^ebliche
Versuche macht? Welche? Warum der zweite, der dritte Versuch
vergeblich war?
Was tut er zuletzt? Ob das auch ein vergeblicher Versuch war?
Nein, der letzte Versuch war gelungen. Unsere Erzählung zerfällt daher
in awei Teile. Wovon handelt der erste Teil? Von den verfi:ebliclien
Versuchen des Staars. Wovon handelt der zweite Teil? Von dem j^c-
lungenen Versuche. Wie viel Teile wird auch unser Aufsatz enthalten
müssen? Erzählt noch einmal von den vergeblichen Versuchen des
Staars! von dem gelungenen Versuche desselben!
c) Formnlirinip: der Sätze. Nun bilden wir daraus schöne kleine
Sätze für den Aufsatz, zuerst über den ersten Teil. Aber nur die Haupt-
sache. Wer will die Sätze machen? A versucht es. L. Habt ihr über
die Sätze etwas zu bemerken? 13 sagt: Es sind zu viel Sätze; einige
sind auch su lang. L. Es ist riehtig. Ihr seid noch klein und mflsst
noch kleine Aufsätze und kleine Sätzchen schreiben. C sagt: Im zweiten
Satz hat A nicht p;e8ag:t, warum der zweite Versuch vergeblich war.
D sagt: A hat zwei Sätze mit Und anj^efangen.
L. Worauf hast du A also zu achten? Ich darf nicht 80 viele
Sätze machen ; die Sätze mü^n kürzer werden ; ich darf nicht mit
nUnd** anfangen; ich darf nicht auslassen) warum der zweite Versuch
vergeblich war. L. So verbessere deine Sätze nun!
Wiederbole die Sätze noch einmal und zähle sie zugleich! Wie
viel Sätze hafs gegeben? Vier Sätze. Wer sagt die vier Sätze auch?
Wer noch? Jetzt wiederholt sie nochmals, sprecht aber nicht mehr
erstens, zweitens, sondern sagt am Ende jedes Satzes den Punkt mit*)
Durch gleiche gemeinsame Arbeit werden auch die l^tze des zweiten
Teils formnlirt und fest gestellt. Dann heisst es: Wie viel Sätze hat
*) Man kann fragen : Sind das freie Anfsätee V Allerdings nicht nnd sie
sollen es nicht sein. Wol abor sind es Arbeiten, bei denen sieb die kindliche
Kraft iaitngemessencr Weise betätigt nnd das Sprachgefühl eine belebende Förderung
erhalten hat.
1*»
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also der erste Teil? Der sweite Teil? Der ganze Aufsats? Sagt die
▼ier Sätze vom ersten Teil! Die drei Sätze vom zweiten Teil! Vom
ganzen Aufsatz und zwar mit dem Punkt nach Jedem Satze.-')
Der Aulsatz hat durch die genieinsame Tätigkeit von LcLreru uttd
Sühülerü etwa folgende Fassung urliulteu:
Ein durstiger Staar wollte aus einer Wasserf lasche trinken.
Er langte in die Flaselie, aber sein Schnabel war zu kurz. Er hackte
das QlaSy aber es war zu dick. Er wollte die Flasche umwerfen, aber
er war zu schwach.
Zuletzt warf er kleine Steinchen in die Flasche. Dadurch stieg
das Wasser in die Höhe. Nun konnte er trinken.
d) Vorbereitendes Diktat.**) Die meisten WQrter, welche in
nnserm Aufsatz vorkommen, habt ihr schon geschrieben. Ob ihr sie aber
auch noch alle richtig schreiben könnt? Das mdohte ich gern wissen.
Also schreibt:
Ich will. Wir wollen. Er wollte. Das Wasser, das Glas; picken,
Kock, dick; werfen, umwerfen; klein, der Stein, das Steinchen;
da, durch, dadurch; liegen, lieg, steigen, stieg.
Nach dem Diktat Korrektur und Fehlerrerbessernng.
II. Das Sprachlich-Neue, welches vor der Niederschrift
des Aufsatzes erörtert werden muss.
a) Orthographisches. Kommen in unseren Sfttzen nicht aber
auch Wdrter vor, welche wir noch nicht geschiieben haben? Im ersten,
zwdten, dritten etc. Satz ? Es sind die folgenden :
durstiger, Staar, Wasserflasche, Sohnabel, hackte, schwach.
Zuletzt, die Höhe.
Die Wörter werden an die Wandtafel geschrieben mit Uuterstreiclien
ihrer orthographischen Eigentflmlichkeiten und dann in folgender Reihe
besprochen:
durstiger wird am Anfang mit d, in der Mitte mit st und mit ig
geschrieben; die Nachsilbe ig schreibt man immer mit g. Zusammen-
hängt es mit der Durst, dürsten, verdursten.
Staar, Dingwort, lang gesprochen, neues Beispiel zu aa.
Wasserflasche FUsche, in der man Wasser aufbewahrt^ zusammen-
*) Schliesst hier etwa die Stande, so wird den Kindern als häusliche Aufgabe
gegeben, von dem Aufsatze die zwei Teile und die acht Sätze für sich durchzugehen,
damit sie bei Begfam der nSehsten Stande iMch and ohne Aufenthalt wieder ge-
sagt werden können.
Ehe die Schüler den so erarbeiteten Aufsatz niederschreiben, hat derselbe
erst nocb eine doppelte, ninllch eine orthographische und eine grammatische Vor-
lioreitnTip; zu erfahren. D&s Wortmaterial des Aufsatzes lasst sich aber in ortho-
grapliischer Hinsicht in drei Gruppen zerlegen: a) in Wörter, deren Schreibung
henits ySIlig sidher angeeignet ist ; b) in Wörter , welche nrar sehen besprochen
nnd gesehlieben worden sind, die aber doch noch einer weiteren Befestignng bedürfen,
und e) in neu anftrctende Wörter. Die zweite Gruppe whrd durch ein vorbereitendes
Diktat nochmals Torgoioninien, die dritte Gruppe sowie das neu anftrctoide sprach-
lich Formale findet anf der xwdton Stufe wie oben sichere Erledigang;
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gesetztes Dingwort (d«B Wasser, die Flasebe); flasehe mit fl, wie
fleissig, Fiaohs.
Schnabel, Dingwort, in der Mitte mit b, das b gei^roGhen wie
wie in l4>en, geben.
hackte mit ck, weil die Silbe laxk kurz gesproehen umrd; hingt
zusammen mit hacken, geliaekt, die Haeke.
. achwaoli, knrz gesproehen, mit ch wie machen, qtreohen, sieh.
Zaletat, die Silbe letzt kurz gesprochen, mit tz wie Katze, Aufsatz,
idisen.
die Höhe, Dingwort, mit Ö (nicht mit e), weil es von hoch her-
kommt, mit h, weil die Silbe lang gcsprooh^ wird; hoeh, höher,
am hOehsten, die Höhe, die Höhen.
b) Grammatisch es. Wir haben jetzt die Wörter in nnserm
Aufsatz besprochen; wir niiisscn nun auch die Sätze betrachten.
Wie heisst der erste Satz? Ein durstiger Staar wollte aus einer
Wasserflasche trinken. Wer wollte aus einer Wasserflasche trinken? Ein
durstiger Staar wollte etc. Wie heisst der Satzgegenstand? die Satz-
aussage? Das ist also ein Satz, wie wir schon viele geschrieben haben.
Wie heisst aber der zwdte Satz? Er langte in die Flasche, aber sein
Schnabel war zu knrz. Wer langte in die Flasche? Er langte eto.
Wer (oder was) war zu kurz? Sein Sclinabel war etc. Ihr seht, das
ist ein Satz, wie wir seither noch keine geschrieben haben. Er besteht
aus zwei Sätzen. Der erste Satz heisst: „Er langte in die Flasche*.
Der zweite Satz heisst: «Sein Schnabel war zu kurz.^ Die zwei Sätze
sind durch das Bindewort aber mit einander verbunden worden. Der
Satz: «Er langte in die Flasche, aber sein Schnal>el war zu kurz" ist
ein zusammengesetzter Satz. Zwischen die zwei Sätze wird ein Komma
geschrieben.
Wiederholt, was ihr gelernt habt! Der Satz: „Er langte etc.** ist
ein zusammengesetzter Satz. Wie heisst der erste? der zweite Satz? das
Bindewort? Was wird beim Sehreiben zwischen die beiden Sätze ge-
schrieben? (Komma).
Wir wollen den Satz auch zeichnen.
Bindew.
1. Satzr ^7 2. Satz
Lest den dritten Satz! Er hackte ins Glas, aber es war zu diek.
Wer hackte ins Glas? Er (der Staar) hackte etc. Wer (oder was) war
zu dick? Es (das Glas) war etc. Es ist wieder ein zusaramenj^esetzter
Satz, der aus zwei Sätzen besteht. Der erste Satz heisst : Er hackte etc.
Der zweite Satz heisst: Es war etc. Die beiden Sätze sind auch durch
das Bindewort aber verbunden worden.
Er hackte ins Olas, aber es war zu dick.
In gleicher Weise wird auch der vierte Satz besprochen. Die drei letzten
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Sätze sind wieder einfache Sätze, wie sie die Kinder seither schon immer
geschrieben haben.
• Eiuprägung. Fasst zusammen, was wir gelernt liaben! Sch. der
erste Satz ist ein- einfacher Sats. Der zweiter &Äz (Er langte ete.) ist
ein zusammengcBetzter Satz. £r besteht ans swd Sitzen. Der erste
lieist : „Er etc.," der zweite heisst : „Sein Schnabel etc.'* Die zwei Sätze
sind durch das Bindewort aber verbunden worden. Beim Schreiben wird
zwisclien die Sätze ein Komma gesetzt. Der dritte Satz ist etc. etc.
Zeiclinet die sämtlichen sieben Sätze unseres Aufsatzes und lest
hernach dieselben!
7
c) Kie derschreib eu dea Aufsatzes unter den Augen des Jjcluers
gleich ins Anfeatzheft. Naehdem in der Toranstehenden Weise Inhalt
und Form festgestellt, Orthographie und Intei*pnnlction erörtert worden
ist, muss der Aufsatz nun fast fehlerfrei geschrieben werden. Wenigstens
darf ein Fehler nur noch einen Ausnaluucfall bilden.
d) Korrektur der Niederschrift. Dieselbe erfolgt durch den
Lehrer ausser der Schule in folgender Weise: Die fehlerhaften Stellen
werden mit roter Tinte nnterstrichen; die Reehtsehreibefebler ausserdem
am Kande durch ein R, Satzzeichenfehler durch ein Satzfehler durch
ein S, Ordnungsfehler durch ein 0 angedeutet. In der nächsten Stuiule
erhalten die Schüler die Hefte zurück und sehen ihre Arbeiten diiroli,
worauf die vorgekommenen Fehler besprochen werden , und zwar nach
Kategorien, d. h. zuerst die Rechtschi-eibefehler, dann die Satzfehler etc.
Wer hat, heisst es, Rechtschreibefehler gemacht? A. Ich habe trinken
mit ng geschrieben ; es muss mit nie geschrieben werden. B. Ich habe
in dem Worte langte das g vergessen. Wer hat Zeichenfehler? C.Ich
habe in dem zuBaramengesetzten Satze : , Kr langte in die Flasche, aber
sein äciinabel war zu kurz** vor dem Bindewort aber das Komma vcr-
gesBen; u. s. w.
Sind die Fehler erheblich gewesen, so müssen die richtigen Wörter
und Sätze unter der Überschrift „Verbesserung" noch einige mal unter
den Aufsatz geschrieben werden. Dasselbe geschieht nach der Schule.
III. Verknüpfung, a) Schreibt die Reihen der Wörter mit aa,
ck, tz, mit b = w auf und fügt in jeder Reihe die neu gelernten W^örter
hinzu!
b) Schreibt die einfachen S&tze ans eurem Aufintze auf 1
c) Stellt die zusanuiKn-c. setzten Sätze, die in dem Aufsätze vor-
kommen, zusammen und unterstreicht in jedem die beiden Sätze und das
Bindewort.
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IV. Z u s n ni ni o n f a s s u ii g. a) Fügt in eurem Kcclitschreibeliefte
die iicugclenitcii Wtiitcr mit ua, ck, tz^ b = w an die Wörterreihen an!
b) FftBst KUflammen) was wir vom Satze nen hinzu gelernt haben! •
(Bs gibt ein&che und zusammengesetzte Sätze; durcli das Bindewort
aber werden zwei Sätze mit einandpr verbunden. In einem zusammen-
gesetzten Satze wird zwisclien die einzelnen Sätze ein Komma gesetzt. )
c) Tragt das Neugelcrnte Ivurz (d. Ii. in Stichworten mit Beispielen)
in euer Sprachlieft zu dem andern, was ihr schon über den Satz gelernt
habt!
Nach erfolgter Eintragnng hat der betreffende Paasns ans dem Sprach-
heft folgende Gestalt:
Es stand bereits da:
Satz.
Ercfthlsatz, Fragesatz, Befehlssatz, Wunschsatz.
Erzählsatz.
Die Frau kam in die Küche.
Fragesatz.
Wer hat hier die Milch genascht?
Befehlssatz.
Pndel, komm doch!
WmiBehBatz.
Hftte ich doch den Dieb erhasehtl^
Satzgegenstand, Satzanssage.
Die kleine Minna ging mit ihrer Mutter in den Wald.
Nen hinzu gekommen:
Einfacher Satz.
Zusammengesetzter Satz.
Einfache Sätze.
Der Staar wollte aus einer Wasserflasche trinken.
Er konnte das Wasser nicht erreichen.
Er hackte ins dicke Glas.
Zuöam mengesetzte Sätze.
Der Staar wollte die Flasche umwerfen, aber er war zu
schwach.
Bindewort*^
aber,
d) Fasst mündlich Alles zusammeu, was wii* nun vom Satze kennen
gelernt haben!***)
*) Auf der IV. Stufe kommt, wie man siebt, nnn aucli der sogenannte Muster-
satz zur Geltung, dem wir auf früheren Stufen das Wort nicht reden ki3nnen.
**) Mit der Überschrift ^Bindewort" wird im Sprachheft ein neues Kapitdl
eröffnet, in das nach und nach sämtliche Bindewörter, welche die Kinder kennen
lernen, aufgenommen werden.
Es dfirfte ans der obigen Tierten Stufe zu ersehen san» daas der sogmannte
angelehnte Spraelmnterricht hei rechter Behandlnng keineswegs an einem wirren
Dorcheinander von Begrift'en fülirt.
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V. Anwendung, a) Diktat aU Fehlerextemporale. (Es wird
ein Diktat aus kleineren Sätzen und aus dem Bereiche des durchgenom-
menen Stoffes zusammengestellt, in welchem diejenigen Wörter nochmals
vorkommen, welche in vorangegangenen Üebungen noch falsch ge-
schrieben worden sind, um duiuus zu entnehmen, ob sich die richtige
Sehreibung nnnmelir befestigt hat Kommoi die Wihrter: „dnrstig, trinken,
Sdinabel, liackte, dick, umwerfen, ati^, anletat" dabei in Betracht , so
IcOnnte dieses Diktat so lauten:)
Der Staar war durstig. Er wollte trinken. Warum ti'inkt
er nicht aus der Wasserflasche? Sein Schnabel ist zu kurz.
Warum zerhackt er das Glas nicht? Das Glas ist zu dick.
Kann er die Flasche nicht umwerfen? Er ist zu sehwach.
Was tat er anletst? Er warf Steinchen in die Flasche. Das
Wasser stieg. Er Iconnte nun trinken. Der Staar war klug.
b) Ihr habt die Wörter trinken (mit tr und nk) und stieg (mit
st = seht und g) geschrieben. Wer diese Wörter fehlerfrei zu schreiben
versteht, vermag auch eine gauze Keihe verwandter Wörter richtig zu
schreiben. Schreibt:
Wir trinken. Ich trinke. Da trinkest Er trinkt Er
trank. Du trankest. Sie tranken. Ihr tränket Der Trank,
das Getränk, der Trunk.
Wir steigen. Icli stieg. Du stiegest. Ihr 8tie<!;et. Ihr
seid gestiegen. Der Steg, die Stege, die Stiege (.Treppe).
c) Bildet ans je iwd der folgten Sitae einen ansammengesetsten
Sati mit 46m Bindewort aber und setzt die richtigen Zeichen I
1« Das Kind möchte spielen.
Es hat keine Zeit.
2. Der Schtller will schreiben.
Kr hat keine Feder.
8. IMe Uldchen wollen stricken.
Es fehlt ihnen an Garn.
Schlussbemerkung.
Eine ausführlichere Darlegung und Begründung des hier angewandten
Unterrichtsver&hrens wurd „Das vierte Schuljahr von Dr. Uein,
Pickel und Scheller** bringen.
Eisenach. A. Pickel
Pid. Stadien. M. F. IV. 8
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Becensionen.
Znsendniigen bittet man an die Bedaktion der pädagog. Stadien, Dr. Bein in
Dr. R. Barth, lat. Lese- Q. Übnngs-
biioli mit Tollst Volnbnlir. Leipzig
1879.
Die Schwierigkeiten, mit welciien
ävt cfste Leee- und Sdifeibimterriclit
zn kämpfpn hat, widerliolen sirh in
grösserem Masse beim Unterrichte in
den fremden Spraeben. Anch die
geschickteste Behandlung kann in ver-
einzelte Wort- nnd Sprachformen nicht
die Tfflle belebenden Geistes bringen,
welche der erziehende Unterricht tw»
langt. Man moss sich in der Tat fragen,
ob es nicbt eine zn veit gehende Kon-
oession ist, wenn aacb der anf strengen
pädagogischen Forderangen nnd Gesetzen
sich aufbauende erziehende Unterricht
Latein und Griechisch lehren will auf
der Stufe, anf welcher die Gymnasien
es heginnen. Man musa in der Tat
sicli die Frage vorlegm, ob nicht aocb
hier Zeit gewonnen nnd nutzlose, viel-
leicht schädliche Mühe gespart würde,
wenn mas Zeit verlöre, icb mcise^
wenn man Form nnd Gewand der alten
Knltor erst dann zeigte, wenn darch
^e längere Bescb&ftigiuig mit alter
Sage nnd Geschichte, vielleicht anch
mit alter Kanst so viel Interesse für
die griechisebe xmä rthmlscbe Welt er-
weckt wäre, dass für das Studinm der
Sprachen, in welchen der Geist dieser
Welt lieb ausgeprägt hat, eine fren-
digere Kraft zur Verfügung stände. Wir
würden dann das Latein nicht schon
mit neanjährigen Knaben beginnen. In-
dessen werden ilie Verhältnisse unserer
Gelehxteuschalen sich in den nächsten
Zeiten nicht so ändern, dass diese Frage
bald praktisch werden könnte, nnd
wenn die wissenschaftliche Pädagogik
auch dieses schwierige Problem sich vor-
Mtst und eine Probe sorgfältiger Lösung
mm anbietet, so müssen wir in erster
Linie auch für den Versuch dankbar
sein und der Kraftprobe mlndestena ans
freuen.
Das Torli^ende B a r t h ' sehe Buch
ist ans der ^axis des Ziller'sebeB '
Seminars hervorgegangen. Es zeigt wie
alle 80 entstandenen Arbeiten eine bis
ins Einzelste reichende Sorgfalt «nd
lässt die Anfordcrangf'n wissenschaft-
licher Methode in keinem Punkte onbe-
rfleksichtigt. IMe Gnmdsfttie, nadi
welchen es eingerichtet ist, sind in einer
trefflichen Vorrede klar auseinanderge-
setzt. Sie lassen sich in folgenden
Sitzen aussprechen :
1. Der Sprachstofl" ist auf analy-
tischem Wege zu gewinnen d. h. eine
mit Rücksicht auf verwandtes, in den
Schulen vorhandenes Vorstellungsmate-
riul sorgfältig ausgewählte Lektüre bietet
den sprachlichen Stoff.
2. Dieser Stoff wird streng nach
dem Vierschritt der Her bart 'sehen
Unterrichtsmethode durchgearbeitet. Auf
der Stnfe der As.sociation wird das ge-
wonnene sprachliche Wissen befestigt
und abgenmdet; Vbut tnUn omflnglielie
Uobungen ein.*) Das System bringt das
Gewonnene in wissenschaftliche
Ordnung. Die Metbode verflicht
diesen Stoff mit dem frührr gewonnenen
Vorstellungsinhalt und sichert die Leich-
tigk^t der Yorstellnngsbewegung aacb
nach dieser Seite.
3. Nicht jede methodische Einheit
wird gleich durch alle vier Stufen
durchgearbeitet vor dem Beginnen einer
neuen; vielmehr bleibt dem Stoffe sein
sachlicher Wert gewahrt, indem nach
Absolvinuig der ersten Stufe (Klarheit)
vorerst zur niichsten methodiflolien Binr
heit übergegangen wird.
Diese Behandlung bietet viele Schwie-
rigkeiten ; sie ist jedochnicbt verwickelter
Wer die Stufe der Mettioae »la eioe Stufe der ^Fertigkeit" »uCEuat» wird damit nlohtfitMr^
InatimiiMB. Maeti uneerer AvOMmac der Herbart*Mli«i Tenabki hat Barth vollkiMBaiMi reeht.
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ftte die llblfch« Maniw, saeret ein paar
Dnzpnd Formen ahznfragen , dann eine
Reihe Vokabeln hersagen zu lassen,
dann ^ Fragment Grammatik m be-
handeln , hierauf einige lateinische und
einige deatsche S&tze übersetzen zu
laBsen, Tiellfllcltt auch noch eine Sohreih-
ftlmng ansoBtellen. Dabei hält «ie das
Interesse der Schüler fest und verbürgt
eine sichere nnd leichte Aneignung des
Stoffes. Nnr an einem Punkte, und es
ist der Hauptpunkt (S. VI), haben sich
ims gewichtige Bedenken ergeben, näm-
lich bei derWahl des Lesestoffes.
Ein planmässig geordneter Unter-
richt verlangt Einfügung desNenen
in dieTOThaBdenenVoratellnnga-
massen ; er muss also da?, was an ver-
wandten Vorstellongen in den Schülern
sich irgend finden m»/g, mit allem Fleisse
aufsuchen und zu ganzer Lebendigkeit
erwecken, dass das Neue sich leicht nnd
danemd anknfipfe. Im Ziller 'sollen
Seminar wird dieser Forderang damit
genügt, dass der erste lateinische Unter»
rieht überhaupt vom analytischen
(modernen) Latein ausgeht (vgl. Se-
minarbach S. 146, Z i 1 1 e r , Yorlesnngen
S; 74 nnd S. 186). Später treten be-
ka n n t c S 1 0 f f e auf: Vabel», kUusiBche
Sagen, der Bobinson«
Bleiben wir annaehiit beim analy-
tischen Latein stehen. Ziller's
Beispiele für solches sind Itipus in fa-
btda, manum de tabula, evangelium
Lucae (Seminarbach 147). Es reiht
sich daran das Latein, „welches sich
an die neuere Geschichte anschliesst
und im modernen Leben fortdauert"
(Vorlesungen S. 181), Ein Beispiel
dafür gibt das Seminarbuch a, a. 0. :
„Unser Kaiser Wilhelm hat einen
sehr kräftigen K ö r p e r. Da er ein sehY
freundlicher Regent ist, wird er über-
all, wo ihn das Pnbliknm erblickt,
freudig begrübst. Als er den Krieg
gegen Frankreich anternahm, oppo-
nirte Niemand in gans Dentsehland'*
u. s. w. Es wird vorausgesetzt . dass
die solchen Wörtern za Grande liegenden
YtHntdlnngoi demr fiMifller klar nnd
geiiaflg, d. h. nicht auch noch fremd
seien; denn Fremdes an Fremdes, Neaes
an üngewöhstes anmknüpfen, wttrde den
Zwecken unserer Methode ganz wider-
sprechen. Ist aber diese YoraaBsetzang
aulreffend ?
Das Barth 'sehe Buch beginnt mit
dem ani^ystischen Satae: „Morgen*
stunde hat Gold im Munde". Diesem
wird nnn die lateinische Fas.snng sub-
stitairt: Aurora Mtisif amica- Aurora
ist Tiel leicht als Frauenname be-
kannt ; aber das ist eben nur ein Name,
ein Kai'. Wenn man hinzusetzt, Aurora
heisse bd den Lateinern die Morgen»
röte, so müssen die Schüler das eben
auf Treu nnd Glauben hinnehmen. Mu-
sis wird an ,,Musenm*' angeknüpft. Aber
was ist ein Hasenm ? Eben das bekannte
grosse Hans, dessen Inhalt den Schülern
wol kaum recht bekannt sein wird.
Aber was hat das mit den Musen zu
tun? Und wozu !)ranchen denn die
K-ünste oder Wissenschaften Göttinnen?
Und wie kommen die Alten überhaupt
zu Göttinnen ? Man sieht . dass das
analytische Latein sehr fruchtbar ist
nnd die vielfältigsten Fragen anr^
aber es regt diese Fragen eben an, weil
es für eine aas dei alten Welt in die
nnnrige herein Terbliebene symbo 1 i sehe
und gelehrte Welt gesebaflfen oder
beibehalten worden ist, mit der unsere
Schttler • TOrläuflg noch fsst keine Be-
ziehangen haben. Amica ist ein frt^nnd-
licheres Wort. Dass man den treuen
Hansfreund aus der Tierwelt ami nennt,
ist den Kindern bekannt : nur ist das
Wort eigentlich französisch. Aber im
vorliegenden Falle bietet es viele sprach-
liehe Schwierigkeiten ; denn in der for-
mellen Behandlung muss es bald „hold"
oder „freundlich", bald „Freundin"
heissen. So zeigt sich nach allen Seiten
hin das analytische Material dieser ersten
Lektion als ein sehr wenig vertrautes,
zur Aufnahme neuen Stoffes nicht gut
geeignetes. Aebnlich dürfte es sich ver-
halten mit Sumtna suinmarum. Auch
die Sprüche nnd Sentenzen, die hier
Verwendung finden : MuUum, non multa ;
per aspcra ad aslra; iurare in verba
magistri, und gar der index librorum
prohibitonim (S. 14) sind nicht ans der
Vorsteliungswelt der Kinder geschöpft
nnd kSnnen daher die Diente nicht
leisten , die man von ihnen verlangt.
Schlimmer steht es freilich in dieser
Besiehung noch beim franxSaisehen Vntw*
rieht, wo fast an jedem so aufgenom-
menen Worte erst Berichtigungen statt-
finden müssen in Bezug auf Aussprache
und Bedeutung (z. B. bei etagc , blami-
ren n. dgl.). Wo im Lateinischen diese
Notwendigkeit eintritt, gestattet die tote
Sprache auch manchmal eine Ldcens, ob-
wol ich mich mit dem modernen Latein
i*
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das eben kein Latein ist, nie be-
freunden kann. Mir steht hier die kal-
torlÜBloTiselie BAeksiclit, die ja anaere
Lehrpläne bestimmen soll, höher. Wir
lernen Latein der alten ILoltor wegen.
"Wn am llir an Worten und Fennen bei
uns geblieben ist, wird erst wertvoll
and verständlich für den, der in der
alten Welt heimisch geworden ist. ünd
dann bleibt es immer wahr: Quo semel
est imbiila recenSt servabü odorem
Testa diu!
Nicht weniger fremd erscheinen
aber die in ,,modeme8 Latein" ge-
kleideten deatsohen Sätze, die auch
bei Barth vorkommen, z. B. (S. 9):
„Der Sohn des Rektors einer Volks-
schnle, Namens Leo, zeigte excel-
lente (Ew. Excellenz) Anlagen.
— — Bei der im September statt-
ündenden Prüfung wurde er daher in
die Partei derjenigen eingereiht, die
in die Qnarta oder Tertia aufgenom-
men Verden sollten" — oder die dnrch's
Fransfieiaehe m xats gekommenen An»>
drücke wie (S. 11) : „grasses(?) Regiment",
„noble Passionen'* u. dgl. Im Gefolge
davon erseheinen dann eben so onlateE-
nischo Sätze wie exccUenti rectoris ßlio
magister privatus fuü (S. 10), jpopulus
Jttmmvs tmieis GlrUHnmUas passUmes
praehet (S. 12), mwis et hborans
Paulus per muUas ferras errabat et
populis evangelium indicabat (S. 17)
n. dgl. Selbst die Grammatik hat sich
manchmal müssen Gewalt antun lassen.
So kommt im ersten Stück, wo die zweite
Deklination noch nicht erscheint, mehr»
fach der Dativ jd. dein statt deabus vor.
Eine sachlich ausgiebige liehand-
lang ermopilichen derartige Stofle aach
nicht. "Wir müssen uns auch hier lange
Zeit mit zusammenhangslosen Sätzen be-
heUren; obwol ich die Mfihe und Sorg-
falt nicht verkenne, die auch in dieser
Beziehung von Barth aufgewendet wor-
den ist. Ich möchte ja auch nicht ver-
langen , dass dieses anal3^sche und
moderne Latein im Unterricht gar nicht
herbeigeiogen wttrde. Jeder einiiehtige
Lehrer wird am passenden Orte derar-
tige Erinnerungen anbringen; aber es
bleiben dies doch nnr OedlehtnishilfiBn,
vorübergehend brauchbare Anlehnungen :
bestimmende Elemente für den Unter-
rieht können vrir darans nidit machen.
Später treten bekannte Stoffe
aof, die jetzt in lat einischer Form
«neheimoi. Es soll damit verbtttet mit-
den , dass die sachli«^ Behandlung zu
viel Zeit erfordere und die formale za
knn komme (S. IX). Barth erinnert
daran, ,,dass sich die Kinder^ ihrer
PriTatiektüre mit grosser Vorliebe sol-
chen Bfichem stowenden, in denen früher
Gelerntes in neuer Form dargeboten ist"
(S. X). Ich gebe das zu für die Pri-
vatlektfire; da ist auch keine schwere
Form zu bewältigen, die das wider>
spenstige Interesse der Kinder für sich
fordert. Ich gebe es auch zu für den Schnl-
mteiricht, wenn zur Prosa d«r Beim,
znm Reim die Melodie als Nenes und
Schöneres, tritt. Wenn aber der Ro-
binson, den die Kinder mit grösstem
Interesse darchgelebt haben, in lateini-
scher Form auftritt, so meine ich ge-
rade, das biteNSM ttr die Sache müsse
noch zu gross sein, um eine lediglich
formale Behandlung zuzulassen. Stehen
wir nieht hier vor dem grOenten formalen
Zwange, der sich denken lässt? Dem
gegenüber behalten sogar jene eigen-
tflmliehen Pädagogen recht, welehe den
Cornelius Nepos seinerUninteressant-
heit wegen für ein geeignetes Lesebach
halttti. Ich kann mir aber einen latd-
nisclien Robinson {liohinson? oder nicht
vielmehr Hobinsonius?), obwol ich ihn
hier in acht LeseetfidEen (S. 43—46)
vor mir sehe, gar nicht denken. Ich
bleibe bei dem, was Her hart § 281
des Umrisses pädag. Vorlesungen sagt:
«Die blosen Sprachen für sich allein
geben dem Knaben gar kein Bild weder
von Zeit noch von Menschen; sie sind
ihm lediglich Aufgaben, womit ihn der
Lelirer belästigt. Auch können weder
goldene Sprüche, noch Fabeln
und kurze Erzählnnge n daran etwas
ändern; sie haben gegen die Unlust der
Arbeit an Wortstäuimen, die eingeprägt,
Flexionen, die eingeübt, Konjunktionen,
die zu Wegweisern in der Periode ge-
braucht werden müssen, kein bedeuten-
des Gewicht, selbst wenn sie flbr^Kens
der Jngend angemessen sind. — Die
alte Geschichte ist der einzige
mögliche Stfitapnnkt ftr pädago-
gische Behandlung der alten Sprachen."
Den Schülern werden in einem lateini-
sehen Boblnson Form nnd Inhalt nicht
so disparat vorkommen , wie sie dem
klassisch gebildeten Lehrer erscheinen
mfiasen; aber der Lehrer will sie dnreh
seinen Unterricht so weit bringen, dass
sie das Alte mit Sicherheit von dem
Xodcmen zu nnterscheidoi wissen. Wie
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soll er da gleich gegen seiae eigene Ab-
aidit wUh TenrilndUfeB!
Der Schüler soll ferner die Ziele
des Unterrichts im Ganzen und den
Zireek jed«r dnseinm Lektton ahnen
(S. XI). Ich kann ihm nun sagen: »Wir
wollen von dem mächtigen römiBehen
Volke enäthlen, dem alle ibnen bekam«
ten Völker dienstbar geworden sind, bis
sie von den Germanen besiegt worden
shtd" ^ — oder „Wir sollen erfahren,
wie die Bräder Bomalas nnd Remaa die
bnrfllimte Stadt Bom gründet haben.**
DafSr werden die Sclifiler das lebhafteste
Interesse anfbieten. Wird es nns auch
zu Gebote stehen, wenn wir sagen: „Ihr
kennt die Geschichte von Robinson: wir
wollen sie nun auch einmal lateinisch
behau ildn Der Schüler wird mit
Recht denken: „Wozu denn lateinisch?"
Biese Fnge wtrde einem solchen Be-
ginnen gegenüber schwer beantwortet
werden können; and doch hat sie viele
innere Berechtigiing. Wir lernen latdi«
nisch, weil nnsere Bildung anf der römi-
schen erwachsen ist. Das mnss in irgend
Karlsrali«.
einerWeise den Schülern nahe gelegt wer^
den. Wvnn man mit daar den lateiniaelMn
Unterricht begänne , so wttrde der Weg
leicht zu finden sein.
So stehen wir denn leider wider
vor einem nicht geglückten Ver-
suche , den ersten fremdsprachlichen
Vnterriclit ganz naeli den Fordemngen
des erziehenden Unterrichts zn gestalten.
Wir glauben überhanpt, dass kein Ver-
such dieser Art gelingen wird, wenn
nicht vom objektiven historischen In-
teresse des Stoffes ans das subjektive
Interesse des Schülers geweckt wml. Ob
man nun dabei mit nennjährigen Knaben
schon Latein oder Griechisch treiben
dürfe, ist eine für nns noch weit ab>
liegende Frage. Was dagegen die di-
daktische Behandlung des Stoffes in
dem Barth 'sehen Buche betrifft, er-
scheint sie uns nicht blos in allen Teilen
wol erwogen . sondern fast ohne Aus-
nahme gut gelangen. Dafür möge auch
an diesar SUdÖe dankbare Anerkennung
ansgespiodien werden*
Sailwftrk.
Einführung in das Verständnis
des D. M. Lutherischen Kate-
chlsinus auf Grand der bib-
lischen Geschichte von Ludwig:
Wang-emann, 1. Teil, r.eipzig 18ho.
Ein neues Buch von Wangemann
nimmt man gnn zur Hand, denn man
weiss im voraus, hier spricht ein Pä-
dagog von Gottes Gnaden, und der ge-
sunde (Seist, der in den blblischoi Oe*
achichtsarbeiten wehte, wird sich auch
hier nicht verleugnen. Die Lektüre des
neuen Werkes beältigt diese Veraratung,
denn wenn man auch nicht mit allen
Ausführungen des Verfassers überein-
stimmen knnn, se Meten doch ancli die
Differenzpunkte wertvolle Anregungen zur
Verbesserung oder tieferen Begründung
der rtgenen Ansicht.
In der sehr beachtenswerten Ein-
leitung (IX— XXXI) führt der Verfasser
aus, dass das Ziel des Religionsnnter-
richtes Bildung des religiösen Gemüts-
lehens sei S. XXTV. Dieses Ziel kann
seiner Ansicht nach weder durch Memo-
rir* noch durcli Kateehisir - KunststBck-
chen erreicht werden (XXV u. XXVII),
sondern allein durch eine naturgemässe,
d. h. psychologische Gestaltung der Me-
thodik des Religionsunterrichtes. Nach
einer solchen Methodik zu suchen , bei
der man die besten Mittel in den Dienst
des heiligen Zieles stellt, ist dem Ver-
fasser heilige Pflicht. Wenn Jemand
unter Hinweisung auf Gott, der seinen
SSgen geben mnss, die Anwendung rich-
tip:er Mittel verschmäht, so i.st das nicht
Gottvertrauen , sondern „pflichtvergesse-
nes Gottversnchen*« (XXVI). Referent
freut sich gerade in diesem Punkte in
Wangemann einen Gesinnungsgenossen
begrOBsen m können,*) denn nirgends
ist die methodische Glcichgiltigkcit
grösser nnd verderblicher, als im Beli-
gionsnnterriekt». ffier soll das gvte
Herz , der religiöse Sinn des Lehrers
ausreichen und alles bewirken können.
Diese pektoral - pädagogische Theorie
wird durch die Erfahrungen der Praxis
genügend gerichtet, sie kann zwar augen-
blickliche Gefühlserregungen erzengen,
*) Oonf. Thr Andorf, fitenant im BeUf^oimBtafflalitoi «to. tn^p^ UTO. 8. SO.
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aber bleibende mrknnccai »uf das
Geistesleben des ZögUaga TtCBag sie
nicht hervorzubringen.
Im direkten GegeoMila m diesen
▼erkehrten Theorien stellt Wanpemann
den echt psychologischen Gmndaatz anf,
daas ein Beng^eanterrickt, der auf das
kindliche Geistesleben einen lileilicndpn
Eiqdnick machen will, seine Begrüie
«nd Omndattae ans den Aneokavnngen
konkreter, sittlich religiöser Verhält-
nisse aus dem' Leben und der Wirklich-
keit keranewaeksen lassen mass. Wie
Christas, der ^feister, die Seinen nicht
durch abstrakte Definitionen, sondern
dnrdi ansekanlicke Bilder nnd sun
Herzen sprerlu nde Krzahlongen belekrt
nnd sie vor dem Plappern gewarnt kat,
so sollen anek die Jfinger von dar Er*
Bcheinang znm Gesetz aafsteigen, dann
wird dem Gesetz das innere Leben nnd
die Wirkung anf das Gemfit nickt fehlen.
Nach diesem Grundsatze geht nun
W. bei der Behandlang des 1. Gebotes
von der Abgötterei der Israeliten ans
nnd sucht mit gutem Erfolg in das
tiefere Verständnis der Geschichte ein-
zuführen, er zeigt die Güte nnd Lang-
mut Gottes, der das Volk bisher vor
allem Übel behütet nnd hewalirt hat,
nnd lässt dadurch die Undankbarkeit,
die Bich in Ahgütterei äussert, in nm
80 schärferem Lichte erscheinen, so dass
sich das Urteil: „Solche Abgötterei ist
verwerflick," bei den Kindern von selbst
einstellen mnss.*) Hätte nun W. die
unter uns herrschende Abgötterei (Mam-
monsdnrst etc.) in ebenso aasekanlicken
Beispielen ans dem LelieTi daneben
stellen und daraas den allgemeinen
Satz: „Dn sollst nickt andere Götter
haben etc.," einfach ableiten lassen,
80 wäre das offenbar nickt nur konse-
quent, sondern anck einfach nnd fBr
jedes Kind verständlich gewesen. Lei-
der verf&krt er nicht so und auf S. 52
beginnen Brörtemngen, die lebkaft an
die katechetischen Aosarbeitnngen ge-
wöhnlichen Schlages erinnern, indem sie
ausgehend von einzelnen Worten
des Gebotes (Ich, Herr, Gott, Dein.)
alles Mögliche und Unmögliche heraus-
nnd kinein interpretiren. Unserer An-
sickt nack sind solche abstrakte Unter-
suchungen für die Volks- besonders
Dorfschule ganz unnötig. Die Begriffe,
die in dieser anq;eklldet worden, mögen
immer die Farbe des konkreten Stoffes,
ans dem sie hervorwuchsen, beibehalten,
das wird nichts schaden , sondern viel-
mehr für dfo Lekkaftigkeit der Kepro-
duktion von grossem Vorteil sein. Wo
die Kinder in ihrer gesamten geistigen
Yerfiusung für logiscke Bearbeitungen
nicht reif sind , da mag man ruhig bis
an 's Ende der Schulzeit mit Leutz (An-
leitung snr Bekandl. bibliscker GeB6k.eto.
S. 51.) sagen: ..Busse ist, was der ver-
lorene Sohn getan hat," oder „Barm-
kersig sein kdsst, es so maoböi, wie
der barmherzige Samariter". Statt der
sprachlichen und philosophischen (z. B.
Aber das „Ick") üntersneknngen, die W.
über die einzelnen Worte anstellt, hätten
wir viel mehr eingehende psychologische
YerUefnngen in rfnige andere Oesekick-
ten, die für eine anschauliche Auf-
fassung des 1. Gebotes von Wert sind,
gewfinsckt, s. B. die HensckenfiiTckt des
Pilatus, die Jtin gerberuf ungen mit ihren
Kämpfen zwiscken Welt- und Gottes-
liebe, Davids Gottvertranen im Kampfe
wider Goliath, Qtdeon, Moses, Eiieser etc.
etc. Doeh bei dieser Gelegenheit er-
gibt sich noch ein anderer Differenz-
pnnkt zwischen Wangemann und nns.
W. verschiebt die eigentliche Systema-
tisirung des Katechismnsmaterials auf
die letzte Stufe und selbst da glaubt «r
auf ,, Überblick nnd notwendige innere
Verknüpfung der Teile" verzichten zu
müssen, weil die Kinder der Volks-
schule dazu noch nicht reif sind (XXI),
Dem muss entgegengehalten werden, dass
ein ansammenkangloses Aggregat' rm
Gedanken wenipr Halt in sich nnd nn-
endlich wenig Einiiuss auf den Willen
kat. Darum glauben wir anf das System
nicht verziehten zu dürfen , aber wir
machen die Form des Systems — und
damit werden sick anck Wangemanns
Bedenken heben — abhängig von der
Individualität der Schüler, wir wählen
also bei Yolksscktilern die einfacksten
Formen nnd werden stets am sichersten
gehen, wenn wir uns möglichst an das
halten, was die Kinder selbst darbieten.
Ausserdem haben wir noch den grossen
Vorteil, dass wir das System nicht auf
einmal am Sehlnss der ganzen Schulzeit
entstehen lassen, sondern von Anfang
an die in den biblischen Geschichten
gefundenen sittlich-religiösen Wahrheiten
in dne gewisse Ordnung bringen. Dsp
*) Lsldar fallen derartige AasrübruDgen bei den 8i»ät«r«a Goboteo fast ganz wc|g.
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darch verwächst der Schüler viel inniger
nit den Orandwahrheiten seines Olan-
hens und Lebens, nnd man darf daher
mit grösserer Wahrscheinlichkeit auf
eine naohhaltige Wirkavg redinen. 01»
dieses System in seinen Grandzüg^en
sich an den lutherischen Katechismus
ansoliliesMD nra«8, bleibt dabei immer
noch pine offene nnd zwar rein meth o-
dische, keineswegs religiöse Frage.
Ffir den Praktiker -wird es gnt sein,
wenn er das System des Inthcrischen
Katechismos im Ganzen vorläniig bei-
bebBlt, bis die Wiasenacbaft über diese
dringende Frage eine acceptable Ent-
scheidung getrofTen hat. Der beste Be-
weis für die formelle Blditlgkeit des
Systems ist der, dass es den Sehtfler
in den Stand setzt, jederzeit über die
Gmndzüge seines Glanbens im Zosam-
menbang Reebenschaft abaillegen, treu
der apostolischen Mabnnng: „Seid alle
Zeit bereit zur Verantwortung etc."
Bedenklich scheint uns auch die
Grundlage, auf der W. seinen Katechis-
mosunterricht aui'erbaut, es sind dies
Bftnlich konzentrische Kreise, in
denen die biblischen Geschichten nach
systematischen Gesichtspunkten bald aus
dem neuen bald ans dem alten Testa-
ment zusammengestellt sind (Xft'.). Eine
solche Geschichtensammlung kommt mir
immer vor wie ein Herbarinm, in dem
die wolgetrockneten Pflanzen nach
Klassen geordnet bei einander liegen.
Die bibliseben OMobiebten in ibrer
wirklichen Reihenfolge gleichen der
blumigen Wiese, auf der Jede Pflanse
in nsHIrUrJier Umgebung siebend im
Verein mit dem grünen Grasteppich
Auge und Herz des Menschen erfreut.
Wir haben, um ohne Bild zu reden,
gegen die konsentriseben Kreise Folgen-
des einzuwenden: Sie reisten die Ge-
scbicbten aus der natürlichen Umgebung
heraus und hindern daher eine tiefere
kultargeschichtliche und psychologische
Auffassung; sie verhindert das Ent-
stehen und die Befestigung giltiger hi-
storischer Reihen, weil sie die Ge-
schichtsreihe stets in anderer Form
widerbolen;*) rie öfftaen der sabjekti-
ven Willkür in der Auswahl nnd An-
ordnung der Geschichten Tür und Tor,
sie leisten endlich der Blasirtheit' Vor*
sohnb, denn nnwillkurlicb entstebt bd
dem immer widerholten Kreislauf im
Schäler das Urteil : „Nichts Neaes unter
der Sonne, alles scbon dagewesen." Alle
besonderen Vorteile, die man den kon-
zentris(;hen Kreisen zuschreibt, kann jede
andere Hetbode miif eben demselben
Rechte in Anspruch nehmen. Sobald
sie nur ihr Augenmerk auf gründliche
Erzeugung von FerUgkeiten rlebtet.
An Einzelheiten ist mir noch Fol-
gendes aufgefallen: Anf S. 76 wird be-
hauptet, Jesus babe gesebworen. Dar
biblische Bericht weiss davon nichts,
und es heisst sich am Herrn versündi-
gen, wenn man ibm so grosse Inkonse-
quenzen andichtet (dass andere Ana-
leger es ebenso machen, wie Wangemann,
ist psvchologisch interessant, beweist
aber niiBhia). Betrachtungen über Müssig-
gang gehören nicht ins 3., Untersuch-
ungen über Zweck und Ursache der
Familien gründung nicht ins 4., Betracli-
tnngen über den geistigen Tod nicht
ins 5. (S. 160 n. 169), Gott als das
höchste Gut (186) nicht ins 7. Gebot
— Menschen, Tiere und Pflanzen dür-
fen im 5. Gebot (lö3} nicht ohne wei-
teres in dneBeibe gestellt werden. Die
lang ans£!;esponnenen Untersuchungen
über das Wesen des Lebens (155 — lö9)
nnd der Spraehe (206) dfliflm wol
zum guten Teil ohne grossen Sohadim
wegbleiben. Jonathan nnd David kSnnan
nicbt mr VenuiM^anliebnttg des ebe-
liehen Verhältnisses dienen (176): anf
keinen Fall aber darf man die echte
Frenndsebaft d«r Bbe gegenüber berab»
setzen. Wie Christi Verhältnis zur
Kirche (ib. Anm. 2.) znr Yeranschaa-
Hebnng der Ehe dienen konnte, Ist
völlig unbegreiflich; gewöhnlich glaubt
man doch, dass das absolut ananschan*
liehe, rein geistige Verhältnis Jesn nir
Kirche durch das Bild der Ehe ver*
ansehauHcht werde. Im 8. Gebot han-
delt es sich nicht nm die Wahrheit von
Glaubenssätzen (210) , sondern um die
Wahrhaftigkeit im bürgerlichen Verkehr.
Zum Schluss können wir nicht um-
bin, anf eine Gefahr aufmerksam wo,
machen, die uns sehr nahe zn liegen
scheint. Wenn sich nämlich ein An-
*•) Lciitz lAiil. z. Uchiuidl. bil.l. Gesch.) biftot auch der Unterstufe (S. 101) die JoHcplm-
gesch. iu Iii ilrani;t< r Form, die auBfübrlicbc, ho recht iti.t kotikreto oiDgohendc Itelmudhius bebalt or
■ich für Bpatoro Schuljahre vor.(S. 110). Also den Klciueu die Skizze, den Grusseren die anschau-
■ehwJlohg ■nShlaiiKt Opttaael B. Jaat, tbwr Oonaeotoalian. IniehiiqgiMebiilo 1S80. Ho. I.
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fängpir dnrch die AatoriUt Ws verlei-
ten lassen wollte, «II«, m» W. bietet,
dnrclizanebineii , so würde er ohne
Zweifel die Erfabrang machen, dass
am SeUnas das Ihirchgenommeiie mm
Gelernten im nngekelirten Verhältnis
steht, je massenhafter dasUatarial war,
das er den Schfllem vorführte, am so
weniger haben sie gelernt.
Anuerdem mnss ich noch ein Mal
darauf anAneilcsam madieii, dan die
Geschichten viel bestimmter als Ana-
Auerbach iyv.
gangspnnkte der Behandlang hingestellt,
rein logische üntersachnngen wie z. B.
aber den Begriff ..Töten" (160) viel
sorgfältiger vermieden werden müssen,
als das bei W. geschieht. Es gilt ja
nicht eine Snmme von mehr oder weni-
ger aaswendig gelernten Definitionen an-
suaammein, sondern es gilt Liebe and
Begcistcrnng für sittlicb-religiiise Ideale
zu erzeugen. „Wissen bläht aaf,
aber die Liebe bessert*' (LOer.Stl.)
£. Thrändorf.
III.
I.
Fa Fflsterer, Seminardirektor in
Esslingen. Pädagogische Psy-
chologie. Ein Versuch. Gnters-
lob. Bertelsmann. 1880. Zn. 8408.
Derselbe : Grund linion der pädago-
gischen Psychologie. Ein Leit-
faden für den Gebranch des Schal-
lehrerseminars. Ofitersloh 1880. 52 S.
n.
Dr. W, OBtemiftUif GroasbenogHoher
Seminardirektor in Oldenbnrg: DiO
Grundlehrender pädagogischen
Psychologie. Oldenbarg. Schulze.
1880. 99 S.
I.
Herr Pfisterer spricht zwar die
Meinung aus, dass noch keine derartige
Psychologie ToifundeB sei, welche als
solche der Pädagogik als Hilfswissen-
schaft dienen könne, und dass er es
darum untnmommm babe, nicht aHein
die psychologischen Lehren für die Päda-
gogik zu verwenden, sondern auch über-
haupt erst eine Psychologie zu begründen,
tatsächlich aber sieht er dieselbe als von
Fichte, Ulrici, hotze, Trendelenbui^ n. a.
bereits als vollkommen begründet an,
denn er tut nichts andres, als das von
diesen Männern Gesagte zn widerholen
und etwas zn popnlarisircn. Zugleich
aber kehrt er sich gegen die Beneckesche,
noch vielmehr jedoch wider die Herbart'-
sche Psychologie. Gegen letztere er-
hebt er namentlich folgende Vorwürfe.
Zuerst kenne dieselbe die Einwände nicht,
welche gegen sie vorgebracht seien, oder
nehme keine Kotia davon. (TV.) Da»
gegen ist sn sagen, der Heer Ycifassar
oder vielmehr die Autoritäten, auf welche
er sieb besteht, denn er argnmen'Hit
nirgends selbständig, scheinen nicht tu
kennen, was gegen ihre Einwendungen
von Seiten der Herbart'schen Schule ge-
sagt ist. Ja Herr P. scheint nicht
allein völlig unbekannt zu sein mit dem,
was zur Rechtfertigung, Verteidigung,
Verdeutlichung der Herbart'schen Psy-
chologie vorgebracht ist, sondern über-
haupt auch mit den Grnndlehren der-
selben. Seinen zahlreichen Citaten und
seinem an den Tag gelegten Verständ-
nis nach scheint er die Herbart'sche
Psychologie nur aus den misverstind-
nisvnllen Einwendungen zn kennen,
welche er bei Lotze, Fichte, Ulrici, Tren-
ddenbnrg n. a. gefunden hat Trotx
des beständigen Polemisirens gegen ITer-
bart und der vielen Citate begegnet
man nie einem Cütat aus den SdSiiften
H^hart's selbst. Dass nun die geläu-
figen Einwürfe, welche er unbesehens
adoptirt , nur auf Hisnesttndnissen be*
ziehenUich Misdeututtgen beruhen, ist
leicht ersichtlich, so bald sie näher ge-
prüft werden. Zunächst wird behauptet,
Herbart verlege alle geistige Tätigkeit
in die Vorstellungen oder Zastände der
Seele, die Seele selbst aber komme gar
nicht in Betracht, sie spiele eine völlig
passive Rolle, sei lediglich ein GefUss
der Vorstellungen oder der Schanplatz
für deren Tätigkeit , nirgends aber sei
die Seele selbst tätig. Eat man etwa
vergessen , da.s3 die Vorstellungen eben
die Tätigkeiten der Seele selbst sind?
Eine Vor.stellung abgesehn von der Seele
ist ein völlig nnvoUziehbarer Gedanke;
sie sind ja eben nidits anderes als die
ZostiDde der Seele adbst. Bben dämm
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tut und leiäet die Seele selbst alles,
was die VorsteUiUKeii ala ihre eigeaen
Titigkeiten tan mid leiden. Za sagen:
nach Herbart verbindet z. B. nicht die
Seele die Yorstellangen , sondern diese
selbst „ohne Zaton der Seele** yerknfipf-
ten sich, hat gar keinen Sinn. Beide
Ansdräcke : die Seele verknüpft die Vor-
stellnngen oder die Yorstellangen ver-
binden sich, bedeuten gau dasi^ba, 80>
fem die Vorstellangen ganz nnd gar
• Tätigkeiten der Seele selbst sind. Trotz
der gefeierten Namen , auf welche sich
Herr P. in diesem Punkte beruft . han-
delt es sich hier um ein totales Misver-
sttndnis der ersten Elemente einer
wissenschaftlichen Psychologie. Es ist
interessant, wie lawinenartig sich dieses
MisveraMndnis vergröbert In dem sweit*
genannten Schriftchen von 0 s t o r m a n n
werden ans den angeblich selbstundigen
Yontellnngen Herbart's sebon „mlbstftn*
dig existirende Wesenheiten". ,.wirkliche
selbaländige Wesen", 98 und 99, ja er
meint HertHfft n dem „tragischen Re-
.snltat-' zu führen, jede Yorstellnng sei
eine Seele für sich. 99. Aber die Hände
werden noch derber, in welche jenes
Misverständnis gerät: Die Yorstellangen
nach Herbart werden verglichen oder
gleich gesetzt „materiellen Wesen, die
sich wie eine Schafherde in den Schaf-
stall der Seele hineindrängen ; wie Enten
auf- und niedertaachen. Will man Her-
bart 's Psychologie veranschaulichen , so
denke man sich die Seele als Dampf-
kessel , den man mit Wasser füllt und
hflisk , worauf die IHkmpfb anf Hebel,
Pnmpen, Bäder, Walzen n. s. w. wirken,
ohne dass der Kessel mehr tat, als dass
er das Wasser in floh anftalmmt"^
Doch genag davon.
Yiel eher lässt sich von Herrn P.
lageii , er trenne die Tonteliniigeii von
der Seele. Denn nach ihm soll die Seele
selbst überall in den regelmässigen Yer-
lanf der YorstelloBgen eingrei^, wo er
selhsf dpren Wechselwirknug; nicht recht
za erklären weiss. Um nar einigcr-
massen den Oedanken eines Eingrefftna
der Ptele in die Wechselwirkung der
Yorstellangen za denken, ist eben eine
TroBBnng der Seele nnd ihrer Zustände
als zweier Prinzipien nötig. Und zwar
spielt dabei die Seele eine sehr wenig
würdige Bolle: sie tritt lediglich als
SUtforin der Ordnung ein , ata ein dem
ex machina, der verbindet, was seiner
Matar nach anverbanden bleiben, nnd
trennt, was sich verbinden sollte; nnd
willkürlich das Besaltat aufhält oder
abändert, zn dem sämtliche Bedingangen
vorhanden aind. Dem Verfasser schwebt
hier wol dnahel vor, was sich unter
Umständen von dem ausgebildeten Ich,
als einem aktiven Prinzip, aber nicht
von der Seelensubstans sagen liisst.
Uebrigcns ist ersichtlich, wenn man die
Seele als ein solch völlig willkürliches
We,scn, dessen TOUgkeit, abgesehm von
den Vorst ellnn gen , als völlig gesetzlos
sich vollziehen soll, als Prinzip in die
Psychologie einfflhrte, dass dann dio*
selbe aufhört eine Wissenschaft zu sein.
Gesetze für die Yorstellangen aafstellen
ab<r mit don Yorbehalt, dass sie nicht
gelten und jeder Zeit umgestossen wer-
den können, heisst alle Gesetzmässigkeit
und Wissenschaftlichheit negirra nnd
alle psyrhnlogische Forschung zur Spott-
arbeit degradiren. Ein anderer Vor-
warf, welchen Herr P. nnd anch Herr
O.^tormann gegen Herbart erhoben, ist,
dass letzterer Gefähle nnd Begehrangen
ans einer Wechselbeziehang der vor»
stellangen zu erklären suche. Doch be-
gnügen sie sich hierbei zu sagen , dass
man selbst eben anderer Meinung ist
und sich gedeckt wisse von mancherlei
Autoritäten nnd an den alten, herge-
brachten Seelen vermögen festhalte. Wenn
übrigens hier beide anf Lots« ata ihiaa
Gewährsmann hinweisen, so möge er-
innert sein an S t r ü m p e 11 's titelvcr-
wandteSchrift : p.sychologischePädagogik,
worin gezeigt ist , dass richtig verstan-
den, zwischen Lotze and Herbart in dieser
Beziehnng irar eine selir Idse Düferau
besteht.
Endlich wird Herbart vorgeworfen,
CT henne keine Alilagen der Seele, sondern
behaupte, ans jeder Seele lasse sich alles
machen (27'^. Man fragt anwillkürlich: ^
wie kann ein versHindiger Ifann einem
andern verständigen Manne . noch dazu
einem, der sich viel mit psychologischen
Beobachtmigen nnd praktischen Enie*
hnngsversuchen beschäftigt hat , eine
solche Absurdidät zutrauen, alle Menschen
seien in geistiger Beziehung ganz gleich
veranlagt and aas jedem lasse sich alloK
machen! Wenn sich der Verfasser nur
die Mühe genommen hätte, wir wollen
gar nidit sagen, die pqrohologiBohen
*) Pie deutsche Sehttle. Von Chriatian Nostiz. N. 33. im. S. 5iä f.
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oder pädagogischen Sohriften Herbart's
nftlier ansaseh«!!, aondcini nur in den
Briefen über Anwendung der Psychologie
anf die P&dagogik Bd. 10 — was ihm
doch schon dem Titel nach sehr nahe
lag — gelesen hätte, so wäre ihm viel-
leicht die psychologische Charakterisinyig
der Katze nnd des Hundes aafgestOBsen.
fflsr hätte es selbst wanlgw seluurfen
Angen auffallen müssen, wie ganz nnd
gar abgesehen von der Gleichheit oder
üngleichheit der Seelensabstanz in den
somatischen Bedingungen eine überaus
grosso Verschiedenheit der geistigen Pro-
sesse begründet ist. Wie verschieden
verhalten sich nicht die menschlichen
Individuen selbst hinsichtlich der ein-
fhchsten psychischen Vorginge etwa der
Beproduktion ! Statt zu sagen: nach
Herhart gebe es keine nrsprüngllchen
Anlagen dar Menschen — lAmlieh in
dem populären Sinne liätte es hcissen
müssen, die Herbart'sche Psychologie
allein vermöge den tatsSehlich f^egebenen
grossen VersclneilenheitPii drr -Menschen
in geistiger Bezieh ong auch theoretisch
Beehnung zu tragen nnd erOffhe die Aus-
sicht, das, was wir Anlage, Temperament,
Individoaiität n. s. w. nennen, exakt zu
erleben nnd pädagogisch zn würdigen.
Aber der Verfasser verwechselt ganz
und gar das, was man im gewöhnlichen
Leben Anlage nennt, wenn man von
der Venohiedenheit der Begabung redet,
nnd was man Anlage im metaphysischen
Sinne nennt, nämlich eine präformirte,
nrsachlose Disposition eines einfachen
Weaena, die von selbst ans dem Zustand
der blosen Möglichkeit in den der Wirk-
lichkeit übergeht. Mit solchen Unge-
reimtheiten befasst sich allerdings die
Herbart sehe Psychologie nicht. Wenn
die tatsächliche Yenehiedenheit der
menschlichen Individuen , ans der Ver-
schiedenheit körperlicher Dispositionen
erklärt werden kann, hat man nicht
nötig, eine verschiedene Qualität der
Seelen zn statairen, womit übrigens
anch gar nichts erklttrt wire. Denn
auch in diesem Falle blieben die eigent-
lichen psychologischen Gesetze im all-
gemeinen sich gleich. Und nnr ffir die
konstanten, überall sich gleich bleiben-
den Bedingungen der einfachsten Art
sind dieselben gewonnen, wie bekannt-
lich ja anch z. B. das Fallgesetz sn-
Biehst nnr nnter der einfaehstnx, in
Wirklichkeit nirgends stattfindenden Vor-
anssetznng des luftleeren Banmos nnf-
gestellt ist. Ist dies aber geschehen,
so ist dann anch das allgemeine Gesets .
für die hesondern Fälle, in walchen noch
viele Faktoren mitwirken nnd den Effekt
modificiren müssen anwendbar. So werden
auch die psychologischen allgemeinen,
überall gleichen Gesetze in hesondern
Fällen unter vielen besondern hinzu-
kommenden Bedingungen verschiedene
Besoltate liefern. Da nach Herbart's •
Theorie jeder geistip:e Akt, anch der
abstraktesten Art, begleitet wird von
entsprechenden Zuständen des Leibes,
zunächst des Gehirns, so ist ersichtlich,
wie mit der Verschiedenheit der Erreg-
bufceit, der schnelleni oder langsamem
Begleitung und Rückwirkung der letztern
eine überaus grosse Mannigfaltigkeit der
Individnen in geistiger Beniehnng be-
dingt sein mnss. *)
Fragen wir nun, was bringt Herr l*,
seihst snr Erkllmng der psychischen
Erscheinungen vor? Dass von einer
wissenschaftlichen Erklärung nicht die
Rede sein kann, fsl nduMn daran« er-
siolitlicb, dass er die Seele als ein völlig
willkürliches, regelloses Prinzip handeln
lässt. Aber nicht nur die Seele selbst,
auch jeder einzelne Trieb derselben han-
delt spontan , ist also ein Wirken ohne
Ursache oder im absoluten Werden be-
griffen. Die Seele mit solchen nnpsflug-
lichen, unberechenbaren Trieben auszu-
statten, ist der Verf. sehr freigebig; er
reilet sogar öfters z. B. 148 von dem
Pietäts- oder Abhängigkeitstrieb! Um
nun einigermasstiu zu zeigen, was der
Verf. als psychologische Erklärung bietel,
möpen einige dieser Triebe ihre Künste
zeigen. Eine grosse Rolle spielt der
Trieb nach Ordnnng. Daraus wird S. 88
die (Jpwolmheit, ferner der Umstand er-
klärt, dass sich zusammengehörende
Yorstellnngen assoeHren 97, sowie apper>
cipiren 218. Dieser Trieb wirkt indess
nnbewusst; also wird ihn wol auch der
Verf. schwerlich wahrgenommen haben.
Der Ergänzuni^strifli !.M i^^t die Ursache
des Erkennens, denn er macht, dass das
Kind mit wahrem Heisshnnger auf die
Dinge der AnsseTU'.elt sich stürzt, um
— anch nnbewusst — den eignen Mangel
zn ergänzen u. s. w.
Aber das Wunderbarste an diesen
Trieben ist, dass ein jeder seinen Neben-
*) Ti^ OornelUfl: Uebw die WaehialwiilranK awiaeheD Laib und flaale. 18T1. tft IT.
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bahler hat, so dasB sich je ein Paar
gegenseitig so viel Abbrach tat, als es
BVr kttiL ]>u ist die bequemste vaA
sogleich anwissenscbaftlicbflte Art zn
erklären; wo nämlich der eine Trieb
nieht aiiBnIeht, grsül wma ings nun
andern. Ist es ilie Natnr des Gedächt-
nisses, die Vorstellongen in derselben
Beibenfolge ra nprodnolTen, als sie ge-
geben waren, und zeigt doch tatsächlich
sich oft das Gedächtnis der Menschen
seliwacli und ToUer Lfidcen, so irird so-
fort der Geciner des Gedächtnisses za
Hilfe gerufen; dieser, nämlich die Ein-
bildnng, ist iislrald, dass das GedieMnfB
sein Werk nicht vollbringen kann, 124;
sowie der Freiheitstrieb dem Abhängig-
keitstridb entgegenwirkt, 148. Fragt
man nnn, wie es zagehe, dass jeder
Trieb sein Gegenteil an sich selbst
habe, so kommt als Beminiscenz ans
der längst nurnckgelegten Nattn jhilo-
aophie eines ScheUing and Oken der
Begrift" einer polaren Tätigkeit herbei.
So meint Verf. 8 ff. angestört von der
Seele als von Sein und Werden , von
Innerem und Äasscrem, Unbewasstem
nnd Bewasstem n. s. w. reden zn können.
Und fragt man noch einmal, wie denn
bei so vielen, noch dazu einander ent-
gegengesetxten Trieben die Einheit der
Seele gewahrt werde, so wird mit dem
bekannten Zaaberworte geantwortet: die
Seele ist eben ein OrganionnB von
TWehen !
Von dieser Theorie der polaren
Triebe ans gibt Herr P. nnn ancb
seine pädatjogischen "Winke: man soll
den Antoritatstrieb schonen, aber anch
den Frefbeitstrieb wecken ; das 6ed&ebt>
nis ühen, ahcr anch der Pliantasie Spiel-
raum lassen, das Temperament nicht
Temtebten, sondern Iftntem n. a. üm
solche allgemeine, triviale Ratschläge
zn geben, bedarf es wol nicht erst einer
Psychologie noch einer Pädagogik ! Knr
einmal 218 ff. wird doch versacht , ans
der Psychologie etwas Pädagogisches
abzuleiten and da kommt Folgendes zu
Tage: „Unsere erkennenden Kräfte ridi-
ten sich mit Erfolg nnr auf das, was
wir erkennen wollen; wir wollen aber
nnr das erkennen, was ans zusagt,
interessirt." Da nun das Interesse nicht
ans den Yorsteliangen folgt, sondern ein
eignes, vnprfingliches Gefählsrermögen
ist, so kommt heraas: man soll dem
Schüler nur vortragen, was ihm von
Hans ans behagi. JMum bedarf es aber
keiner besonderen Methode, denn mit
jenem ursprünglichen Heisshanger wird
sieb der Schüler schon anf das , was
ihm behagt, losstürzen; was ihm aber
nicht behagt, dies zu einem G^enstand
des Interenes sn machen, ist «nrnSgUeb,
da ja das Interesse etwas Ursprüng-
liches ist. Dann ist es freilich natür-
lich, wie der Yerf. 99 gegen die Zer-
strentheit der Kinder ,,kein anderes
durchschlagendes lüttel, als eben das
Lernen" weiss, ▼emintlieb das Ans-
wendip;lemcn !
im Uebrigen wird man nur sehr
wenig rtm dem finden, wus tot aUem
in einer pädagogischen Psychologie
stehen sollte. Die allerwichtigsten Par-
tien fehlen ganz oder so gut wie ganz.
Von dem, was erfahmngsmässig über
mittelbare und unmittelbare Reproduk-
tion feststeht, kein Wort, dagegen wird
TOn der Ideenassociation nach den Kate-
gorien des Dinpes, der Ursache, der
Wirkung und des Zweckes geredet 98,
nnd damit dies „Gesetz für erschöpft**
erklärt, nnd dies auf der Stufe des vor-
schulpilichtigen Alters ! Desgleichen
sncht man Tergeblich nach einer einiger-
massen eingehenden Beliandltmu; der
Lehre von der Apperceptiou , welche
doch gleichfalls abgesehen von jeder
Theorie ff^ststeht nnd für die Pädagogik
vom höchsten Werte ist. Statt dessen
führt ihn sein gewöhnlicher Ckng s. B.^
auf die Logik, wobei er erklärt, dass
der Seele noch abgesehen von dem lo-
giseben Denken efai nnmittelbares Br>
fassen der Wahrheit eigen sei , herrüh-
rend von der ursprünglichen Identität des
Denkens nnd' Seins, 257— 20S; ebenso
kommt er anf die Ästhetik zu reden
nnd definirt das Schöne als das Beale
806, sowie er 800 das Gotteabewussl*
sein in uns für eine nnmittelbaiie Wir-
kung Gottes selbst hält.
Wir bemerken noch, dass Verf. den
psychologischen Stoff in drei Kapitel
verteilt hat : das Sänglingsalter, Eindea-
alter, K.uaben- und Mädchenalter; und
dass «r aimdrficklich seine Schrift als
einen „Versuch" bezeichnet. Es scheint,
der Versuch ist nicht sowol theoretisch,
als vielmehr praktisch gemeint, nitmliffh
als ein Versuch , das Buch an gewissen
Lehranstalten einzuführen, denn sonst
würde der Verf. nicht sofort noch einen
Auszug aus dem Lehrbuch als Leitfaden
für die Hand des Seminaristen haben
encheincn lassen. Wir bedanem die
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Pclinler, welche darnach nnterrichtet
werden. So sehr eine Unterweisniig io
dm Ton j«d«r Theorie nnabliliiglgeB, er-
ftlmmganässig feststehenden Ornnd
sflgen der P^chologie auf allen huhern
Scä^nlen wfimelieiiswert ist, so Ist es
doch besser, der Schüler hört gar nichts
davon, als dass er nach dem lynche des
Bena P. insg^ihrt und gegen daa
Beaaera atampf . ga ma c ht werda.
n.
Weit besser and zweckmässiger ist
die Sebrifl ' dea Herrn Ostermann.
Iiier ist doch wenigstens der Hanpt-
sache nach das heisammen, woraof es
bei einem derartigen Unternehmen an-
kommt, nämlich das nnabhUngig von
jeder Theorie feststehende, jedem in der
Selbstbeobachtung leicht zugänglii he und
für Erziehnngszwecke wichtigste Mate-
ri:il. Dieses ist anch nicht ungeschickt,
hie und da sogar nach didaktischen
Gmndsäizen geordnet nnd dnrch Bei-
spiele erläutert. Auch das ist zu loben,
dass erst, nachdem die Hanptdata einer
empirischen Psychologie Toxgetvagen
sind , eine Theorie fiber daa Weaen der
Seele versacht wird.
Aber frellicb naeb dem, was auf
diesem Gebiete bereits vorhanden ist,
hätte alles, ohne den Umfang des Scbrift-
, chena sit ▼ergröasem, weit vollstaiidiger
und präciser dargestellt werdi ti 1 -mn* n.
Ganz fehlt die Lehre vom Eäamlichen
and Zeitlicben, sowie die vom Ich , fast
ganz die Lehre von der Apperception.
Die Theorie, welche der Verf. zam Nach-
teil des Tortrages hie nnd da einscbiebt,
nämlich die alte Seelen Vermögenstheorie,
tritt hier znmeist höchst hannlos anf;
wenn anch der Verf. mehr damit inten-
tirt, so wird sich docb "der Leser unter
dem Seelenvermüjren nur allp:emeine
Gattungsbegriße zur bessern i bersicht
nnd Ordnung der geistigen Erscheinun-
gen denken. Freilich verdirbt Verf.
sich doch einmal dadurch anch die
Empirie: er leitet n&mlich 67 ff. daa
Begehren aus dem Gefühle ab und
scheint za glauben, es werde etwas nur
begebit, weil ea fBr angenehm gilt.
Dass man unter Umständen auch das
dem Gefühl Unangenehme begehrt, er>
wühnt er dämm gar nicht.
Am nnglürkliebsten aber ist TTerr 0.
in seinen, für ein Schalbach ohnehin
aebr anpaasoidaa Seitenbieben auf die
Herbart'sche Psychologie. Einmal weil
er sich hierbei lediglich und blind aof
die Antorität Lotze's beraft, welcher die
Lehre Herbart's „abschliessend wider-
legt" habe, und „dessen Name schon
binlinglicbe Oewibr bietet« für die
Richtigkeit der Abschnitte, die ihm hier
entnommen sind. Zum andern aber ist
der Terf. In sehr groben Uisverstilnd-
nissen der Herbarfschen Psychologie
be£sMigen, die bei ihm sogar meist nar
anf euen Wortstrdt binana lanfen. Von
der angeblichen Trennung der Seele von
ihrer Znständen nach Herbart ist schon
oben die Rede gewesen. Herr 0. nimmt
femer Anstoss daran, dass Herbart der
Seelensnbstanz Unveränderlichkeit zn-
schreibt, 94 und erklärt: „so oft die
Seele empfindend eine Einwirkung er^
fährt, so oft sie ans einem Zustande in
einen andern übergeht, ändert sie sich."
Freilich wenn er einen Wechsel in dem,
was die Seele tut, eine Veränderung
der Seele selbst nennt, dann kann nie-
mand an derselben zweifeln nnd dann
hat sie auch noch niemand geleugnet.
Wenn er nun aber selbst nicht amhin
kann, eine „Weaena^beiV* der Seele an-
nndimen, ,,die sich in allen Veränderungen
doch als ein nnd dasselbe Wesen weiss
nnd fühlt," ist dies nicht ein Streit
um Worte? Verf. nimmt eben das Wort
Veräudernng nicht im metaphysischen
Sinne. Dasselbe gilt von dem Worte
Selbsterhaltung, woraus er S. 96 zu
schliessen scheint, die Seele erzeoge
nach Herbart die Empfindungen nicht
anf Grund einer Wechselwirkung mit
der Aossenwelt, sondern rein aus sich
herans; während er seihst S. 6 die kör-
perlichen Vorgänge nur für „Anreize
erklärt, welche die Seele zn ihrer Er-
zeugung veranlassen, so zn sagen Sig-
nale sind, auf deren Eintreten erst in
der Seele nnd von der Seele selbst die
entsprechenden Emptindungen in's Da-
sein gerufen werdeo." Alao er verwahrt
sich auch gegen eine unmittelbare
Übertragung des Nervenreizes anf die
Seele; nnn eben dies nnr weit präciser
meint Ilerbart mit dem Worte Selbst-
erhaltnng. Ein anderes Wort, an dem
er Anstoas nimmt, ist Anlage. Er will
97 '/eigen, dass TTerbart dnrb ursprüng-
liche Anlagen in der Seele statairen
müsse, weil doeh „die Seele nicht immer
ein nnd dieselbe Art der Empfindung
erzt ngt , sondem sehr verschiedene and
manuigfaltige. Woiln aadiM aller kto
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nen diese Yerscliiedenbeiten begründet
sein, als in der Matar der Seele?" Also
das nennt er Anl^n, dass efai Wesen
f^egpn qnalitativ verschiedene Wesen in
verschiedener Weise tätig ist, dass unter
Terseliieden«! Bedingnngen aneh die
Wirkung verschieden ist? Es ist er-
sichtlich, Verfasser verwechselt durch-
gängig die populäre Redew^s mit d«r
metaphysischen Bedeutung der Worte;
oder vielmehr er fühlt gar nicht das
BedfiiliuB, die vieldeutigen populären
Sehocliwiti.
Ausdrücke wie Yerändemng, Wesen. Ein-
wirkung, Anlage n. a. som Behüte eines
wissenschafOielieii Gebfanclis sa prid-
siren, weil er sich in seinem Denken nie
über die ganz populäre unzureichende
Weise der CManken« und Wortverknfpf-
nngen erhebt. Darnm kehrt sehr oft
die Bedensart wider: warum Herbart
dies oder jenes leugnet oder festhilt,
„sehen wir gar nicht ein", Verfasser
hätte das Wort „wir" nnteratreichen
sollen.
0. Flügel
IV.
Flinzer'8 Zeichenhefte fBr Schüler u.
Liebhaher des Zeichnens. 14 Hefte.
Bielefeld u. Leipzig 1880.
Wir mfissen von vornherein gestehen,
dass uns diese Flinzer'sche Zeichen-
schule äusserst überrascht hat — aber
dvTchans nicht angenehm. Herr F lin-
zer hatte sich durch sein Lehrbuch des
Zeichenunterrichts eine hervorragende
Stellung unter denen erworben, welche
über die methodische Bearbeitung dieses
Jb'aches geschrieben haben. Denn er ver-
trat in klarer und ene^scher Weise
den Grandsatz, dass der Schüler denkend
sehen lernen soll; allem geistlosen, me-
ehanisdiai Kopiren hatte er den KriiBg
erklärt. Und nun Sehen wir ihn selbst
in diesen Bahnen I Wenn er aach da-
gegen protestiren, wenn er sich darauf
berufen will, dass er öfters in seinen
Zeichenheften darauf hingewiesen, dass
der Schüler niebt geistlos kopiren, dass
er selbsttätig und denkend bei allem
Zeichnen verfahren müsse — seine Taten
entsprechen nicht seinen Worten. Die
Toriiegaiden Zeichenhefte sind nur zu
sehr geeignet die alte Eopirmethode, die
BUdchenfabrikation in wirksamsterWeise
zu untersttttMD. Unsere Kritik wird
deshalb um so schärfer ausfallen einem
Manne gegenüber, der schon so viel für
den Zeichenunterricht geleistet und nan
sich und der g;uten Sache durch Heraus-
gäbe der Zeichenhefte so sehr geschadet
hat. Schon die Bemerkung auf dem
Umschlag „das neben oder gef!;enüher
der Vorlage befindliche freie Papier ist
war Avftialime der Naehseiehnang be*
stimmt" — diese Bemerkung schon
machte uns stutzig. Wir eriuuerten
uis, dass Heir Vllnser im Lftben'-
gehen pädagogischen Jahresbericht 1877
sich gegen die Domschke'schen Zeichen-
hefte mit äusserster Schärfe ausgespro-
chen, wo ebenfalls die Vorlage in's Heft
eingedruckt und Papier zum Naehseich-
nen daneben freigelassen ist.
Nachdem Herr Flinzer an der sage*
gebenen Stelle bemerkt hat, dass unsere
Zeit das völlig U ngen ügende des
Kopirens Ton Yorlageblattern
immer mehr eingesehen und des-
halb verworfen habe, fährt er dann
fort: „Dieses (das Domschke'sehe) ^ste-
matisch den Geist des Kindes tötende
Verfahren frischt das alteVorlage-
blttterkopiren wieder auf, aber in
einer Weise, welche selbst dem be-
schränktesten Zeichenlehrer, dem hart-
näckigsten Verteidiger der alten guten
Zeichenstunde nicht einfiel u. s. w." Ist
es etwa bei Flinzer anders? £r anter-
Bcbeidet sieb von Domsebke dem Prf nrip
nach in gar nichts. Herr Flinzer hat
daher, indem er Domschke mit vollem
Becht nnd mit völliger Klarheit richtete,
sein eigenes Urteil gesprochen. Denn
dass die Domschke'schen Vorlagen
zum grossen Teil scheussliche Sudeleien
sind und mit den Flinzer 'sehen nicht
verglichen werden können, kommt hier-
bei gar nicht in Betracht. Es handelt sich
hier um das Prinzip, nnd zwar nm das
Prinzip des geistlosen mechanischen Ko-
pirens. Dasselbe ist in der angezogenen
Stdls von Herrn Flinier sdiarf nnd
fest zurückgewiesen , man kann sagen
vernichtet worden, in seinen eigenen
Zeiebenbeften gibt er rieh nnn pUtalich
nicht nur als ein Anhänger, sondern als
Unterstützer des vernichteten Prinzipes
m erkennen. Jn es riebt so ans, als
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ob er dasselbe durch Heransgabe seiner
14 Hefte wider za Ehren bringen wolle.
Sollen wir bei ihm einen Wechsel der
Überzeagnng annehmen? Sollen wir sein
Tan als ein drastisches Beispiel für die
Klaft zwischen Theorie nnd Praxis an-
sdien ? Genug, es liegt hier ein Wider-
spruch, ein Gegensatz zwischen reden und
handeln vor , der uns mit Bedauern , ja
Bit Widerwillen erfällt.
Wir haben also bei dem ersten
Blick eine Inkonsequenz gefanden,
die überall wo sie anf tritt den härtesten
T;u1p1 verdient. Bei näherem Hinsehen
wird es sich auch zeigen, dass dem Werke
nach andrer Seite hin eine i^taislielie
Prinziplosigkeit anhaftet. Dies muss
am so mehr auffallen bei einem Mann,
der doeb ala Ftfrderer der Hetliodik des
Zeichenunterrichts an methodisches Dem«
ken gewöhnt ist. Auf dem Umschlag
stellt: für Schfller und Liebhaber des
Zeichnens. Zweifelsohne soll damit das
Werk als ein geeignetes Weihnachtsge-
schenk sich cmpfieblen. Es ist «ehr er>
firenlich, dass ein Mann wie F linzer
sich der Dilettanten im Zeichnen an-
nimmt. Man erwartet tob ihm, daas er
in das sprunghafte Haschen oberfläch-
licher Liebhaberei etwas mehr Ernst,
Gediegenheit und Methode bringen wurde,
als gewöhnlieh sich dabei vorfindet. Un-
sere Neugierde ist gespannt. Werfen
wir rasch einen Blick in den Inhalt der
Helte : Das naturalistische Pflanzenorna-
ment füllt 4 Hefte, das 5. und 6. Heft
enthält das griechische Ornament, farbig;
Heft 7—12 Tierzeichnen ; Heft 18 und
14 die menschliche Figur.
ZoBiehst ist ans völlig nnverstand-
lieh, -m» das grieehisehe Oraaaieiit, das
hinreichend bekannte, hier soll und zwar
in farbiger Darstellangl Die meist im
ünnriss geeeiebneten nataralistischen
Pflaiizpiiforraen unserer Heimat können
wir ans eher zarecht legen nach dem
wahren Wort am Eingang zum ganzen
Werk: „Die Anfänger beginnen mit dem
Einfachsten.^ Von einem Stofengang
innerhalb jfoses GeUetos ist flraiHch
nicht die R^e; mitten zwischen ein-
fachen Umrissseichnungen findet sich
z. B. ein Zweig mit Obstblfiten toU-
stftndig mit der Feder aosgeftthrt. Es
herrscht also hier eine ziemliche ünge-
zwangenheit, die sich auch darin zeigt,
dass einmal der schwarze Grund belieht
wird, dort ein weisser oder irgend ein
andrer, hier der Kreis, dort die El-
lipse etc. Znweilen sehen wir den Grand
ein für diese Mannigfaltigkeit, zuweilen
geht nns aber das Verständnis ab. Für
die Mnsterzeichner fände sich hier in
diesen ersten 4 Heften vieles brauchbare
Material, aber für einen methodisch fort-
schreitenden Zeichennnterricht fehlt die
strenge Aufeinanderfolge. Und diese
muss doch auch bei dem Selbstunterricht
beobachtet werden, wenn irgend etwas
herauskommen soll. Mitunter schleicht
sich auch Geschmackloses weil Gezwäng-
tes ein, z. B. die stilis. ObstbUtte in
Falmettenform Heft 4.
Immerhin halten wir — abgesehen
von den grieehischen Ornamenten, die da-
bei nicht in Betracht kommen — die ersten
vier Hefte für recht branehbar. Heft
7 — 14 dagegen nttssen wir energfaeh
zurückweisen. Wer soll die Sachen
zeichnen? Herr Flinzer antwortet:
Derjenige, welcher eine in der Praxis
erworbene genügende Kenntnis im Zeich-
nen nach dem plastischen Modell besitzt,
die Grondregeln von der Perspektiw
and von Licht und Schatten gehörig sta-
dirt hat. Wir können also kurz sagen,
derjenige, welcher die Akademie besacht.
Wer aber so weit ist, zeichnet nicht die
Flinz er 'sehen Vorlagen ah. Dieselben
müs.srn also unreifen Liebhabern and
Dilettanten zur Bildchenfabrikation dio-
nen. Das bezweckt nun Herr Flinzer
gewis nicht. Er will fleissiges, sorg-
fiUtiges Studium nach der Natnr, nach
anatomischen Präparaten und Modellen.
Das Nachmalen der Linien and Schatti-
ren von Yorlageblättern ohne solche
Grundlagen sei erfolglos. Wozn aber
dann noch Vorlageblätter? Warum dann
solehe yorzdohnnngen in dio Welt setaen ?
Denn es sei nochmals gesagt: Wer so
grfindliche Vorkenntnisse hat, wie Herr
Flinzer verlangt, wer so grflndliehe
Naturstndien marht, wie Herr Flinzer
fordert, der zeichnet nicht seine Vor-
lagen ab. Dasn sind diese ja amih warn
grossen Teil viel zu schlecht gezeichnet.
Es wird sie also nur der Dilettant, dear
von den oben angeffihrten Fordenmgen
keine Ahnung hat, nachmalen. Herr
Flinzer scheint im Hintergrand auch
gar keine andere Erwartung za hegen.
Er sagt z. B. in den Vorbemerkongea
zu Heft XII: „Es ist für das effekt-
volle (!) Kopiren (!) der Vorbilder
dieses Heftes von Vorteil, wenn man
dieselben mit schwarzer Kreide nachzeich-
net''. Daraul fulgt eine eingehende Ge-
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■branclisanweisnng, wie man eine Kopie
in Kreidemanier ansführen müsse. Bas
ist natflrlicli ftr den Dfl^^ten W
rpolniRt;. So setzt Herr Flinzer bei
seinem Nachzeichnen zuweilen nichts, za-
weilen idles yoniu. Sdn Text wlm-
nelt deshalb von Widersprüchen nnd
Sooderbaxketten, von denen wir eine ganze
SammliinK avftthren k&miten. Es ist
aber aach bei der Prinziplosigkcit des
Ganzen nicht anders möglich. DieJBestim-
wmg des Werkes fBr BÜettanten sobdiit
leider auch stark auf die Ansführang
gewirkt zu haben. Dilettantenhafte Zeich-
nungen nnd dilettantenhafter Text, alles
aof das Beste* geeignet, za ^renommisti-
sehen Tänschtingen" zu fähren. Wahr»
Uch, ein tragisches Geschick, durch eigene
AostMiigiing das herbeiführen zamössen,
was man selbst vei-abschent ! Und nun
Heft 13 trad 14. „Es soll hier ein Ver-
such gem.if lit werden, dem verzeihlichen
Triebe des Dilettanten, der sich im Zeich-
nen der menschlichen Figur probiren
möchte, eiiiigermasseD zn genfigen, ihm
die Hanptgrandsätze , welche er dabei
zn befolgen hat, in korzgefassten Sätzen
vorzuführen." Dass ein Methodiker wie
Herr Plinzer. diesem verzeihlichen (!)
Triebe unterstützend entgegenkommt,
lialten wir für nnTomililieh. Er selbst
gibt zn , es könne dem Dilettanten pas-
siren, dass er den Kontor desMädwen-
kopfts in Heft 18 in einer fortlaufenden
Linie nachzieht, den des Nasenflügels
nachträglich falsch ansetzt u. s. w. Dar
gegen, sagt Herr F lins er, soll man
stets bedenken, dass durch jede, auch
die kleinste Linie, der äussere Ürnriss
eines Körpers an der menschlichen Oe>
stalt meist der einer konvexen , mehr
oder weniger schwellenden Form dar-
gestellt werden soll. Konkave, nach
einwftrts sinkende Formen kommen streng
genommen am Fleisch des menschlichen
und Tierkörpers nicht vor u. s. w. Wir
können leider den Belehrnngen nicht
weiter folgen, da sie teils zn hoch, teils
zu niedrig für uns sind. Sehen wir
daher uns nur noch die hier gegebenen
Vorlagen an. Wir begegnen Bafael,
Eisenach.
Flinzer, Dow, Rubens, Genelli, Richter,
Liezenmayer, Kaulbach, aber auch — der
Antike. „Das Kopiren TorUefiender
Originale kann mit der Feder, mit Blei-
stift oder schwarzer Kreide geschehen.
IMe beiden letzteren Manieren verlangen
ein gutes Spitzen des Stiftes. Will man
die Schattentöne mit dem Wischer aus-
fahren, so ist das yontichnen derselben
mit dem Stifte anzuraten, jedoch geschehe
dies mit Vorsicht in Tönen, welche um
etliche Grade heiler geaelehnet werden,
damit sie dnrch das darauf folgende
Ueberwischen nicht zn dunkel ausfallen ;
Proben und Uebnngen sind hierfür die
besten Lehrmeister. Zu dunkel ausge-
fallene Stellen entfernt man am besten
mit fest znsamnieiigedrückterBrodkrume.'*
Merkt's euch, ihr Dilettanten, die ihr
die verzeihliche Neigung habt, ohne nö-
tige Vorkenntnisse und Vorübung euch
an die menschliche Figur zu wagen!
Beherzigt nur die gegebenen Winke recht
gut und ihr werdet ganz famose Bild-
chen machen lernen. Zuweilen könnt
ihr euch ja auch vor den Spiegel stellen
nnd eure Hände, die so kunstvoll ko-
piren, nach Baikel (14, 1) ansfahren.
Oder ihr könnt einen Esel , eine Ziege
oder sonstwas nach Herrn Flinzer. im
Umiiss neiehnen nnd dann nach der Na-
tur die Zeichnung „berichtigen und
ausführen". — Wir nehmen Abschied
von dem Werk mit dem anfHchtigen Be-
dauern, da.Sä es erschienen ist, daSB CS
den Namen eines Mannes an der Spitn
trägt, welcher uns durch Mhere Ar-
beiten über den Zeichenunterricht Zu-
stimmung und Achtung eingefiösst hatte.
Viel lieber wäre es uns daher, wenn
die vorliegende Sammlung in seinen
Skizzenbüchern geblieben oder unt^r
ganz anderem Titel und für andere
Zwecke bestimmt herausgekommen wire.
Unsere Kritik aber musste um so schär-
fer sein, je mehr wir von einem Manne,
wie Herrn Flinier, erwarten konnten,
dass, wo immer er arbeiten möge, durch
ihn etwas zur Förderung des Zeichnens
in nnsexcm Tolka gssehshe.
W. Bein.
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bnit0D über die BedOrftiisae des HanaweseiiN, seien diese Bedürfulase nun Coluuial- oder Matcrial-
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delten Gegenstände sind so genau chaimktarisirt , dasa man sie wirklich kennen lernt und ihre Qüt»
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"Wir sind äberzeugt , dasK die gesaromte Frauenwelt die Hanuuigabe eines solchen WerkM
nur mit Frende bi-grübBeii uiid. Für daa weibliche Geschlecht gcachrielMn, ist es ein aneatbehv»
lielict Uaadbnch rar Jede Hanafkan» die ii^ der Haushaltung zurechtkommen will. Es Ist ein wahrer
Betaate für dieselbe, ein nalalMrfoteiider Vreund, der in keiner Uibliutliek einer gebildeten und sorg»
sanien Frau felilen sollte, iwa* nicht am bestäubt auf dem Büolierregul au stehen, sondern um wie
das Kot-libuch tleissig gebraneht zu werden. Der verdiente Verfasser de« Iiier erwähnten Buelie«,
Dr. H. Klencke in Hannover, h»t übrigens dem l'ublikuui bereits durch eine Reihe nutzbringondur
Schritten bekannt, unter denen wir namentlich sein berülinitcx f^HaaslexIkoB der UeBandheitslehN
fir Leib nnd SmIa« in 7. Anflaga «ad sein« MMatUr all Sialaherln larar TSehtar aad SShae
aar »hirBiaehaa aad slttllohaa CTenuMwIt^' in S. AuSaci gans bewioden als gadtagaa» OMtbaak«
MnpAhlmi könnea.
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